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Erik Pulz Laevius – ein altlateinischer Liebesdichter
Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte
Herausgegeben von Marcus Deufert, Heinz-Günther Nesselrath und Peter Scholz
Band 153
Erik Pulz
Laevius – ein altlateinischer Liebesdichter Studien, Text und Interpretationskommentar
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein.
ISBN 978-3-11-123643-8 e-ISBN (PDF) 978-3-11-123712-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-123749-7 ISSN 1862-1112 Library of Congress Control Number: 2023935716 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Danksagung Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die Anfang 2021 von der Philosophischen Fakultät 1 der MartinLuther-Universität Halle-Saale angenommen wurde. Die ersten Ideen zur Arbeit entstanden an der Universität Leipzig, wo Marcus Deufert mich über mein gesamtes Studium hinweg und darüber hinaus intensiv unterstützt und gefördert hat. Auch nachdem ich als Doktorand zur MLU HalleWittenberg wechselte, hat er mir zu jeder Zeit mit Ratschlägen und Hinweisen beiseite gestanden, mich ermutigt und motiviert. Er übernahm auch das Drittgutachten und regte als Mitherausgeber die Aufnahme der Arbeit in den Untersuchungen zur antiken Literatur und Geschichte an. Ich möchte mich für all das von ganzem Herzen bei ihm bedanken. Die Arbeit selbst ist an der MLU Halle-Wittenberg entstanden, wo Rainer Jakobi mich mit meinem Dissertationsvorhaben herzlich und mit großem Vertrauen aufnahm. Ich habe in meiner Doktorandenzeit außerordentlich viel von ihm gelernt, mit großer Hilfsbereitschaft hat er die Arbeit als Erstgutachter betreut. Ich konnte mich in jeder Phase auf seine Unterstützung und auf seine Expertise gerade bezüglich textkritischer Probleme und bei Fragen zu den spätantiken Grammatikern und Lexikographen verlassen. Auch bei ihm möchte ich mich ganz herzlich bedanken. Michael Hillgruber danke ich für die Übernahme des Zweitgutachtens und für seine sorgfältigen und aufmerksamen Hinweise auch schon während der Arbeit an meiner Dissertation. Für die Aufnahme in die UaLG und für weitere Verbesserungen und Anregungen sei den anderen beiden Herausgebern Heinz-Günther Nesselrath und Peter Scholz gedankt. Für die wohl sorgenfreieste Arbeitszeit an der Dissertation möchte ich der Fondation Hardt danken, die mich im September 2019 für vier Wochen als Stipendiat in Vandœuvres/Genf aufnahm. Der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften verdanke ich einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Auch meinen Kolleg✶innen möchte ich meine Dankbarkeit aussprechen. Marcus Beck nahm sich trotz vieler Verpflichtungen immer wieder Zeit dafür, in der ihm eigenen und unvergleichlichen wissenschaftlichen Hartnäckigkeit spontan schwierige Probleme und Fragen mit mir zu diskutieren. Zuletzt sah er auch Teile des Manuskripts durch. Mit großer Sorgfalt las Anette Schmidt das gesamte Manuskript, obwohl sie sich selbst gerade in der Endphase ihrer Dissertation befand. Überhaupt wäre ohne sie die Arbeit an diesem Buch nur halb so schön gewesen. Ein steter Ansprechpartner und verlässlicher Freund war mir schon seit Beginn meines Studiums Henning Ohst, der die einleitenden Studien und Teile des Kommentars durchsah. Ebenfalls Teile des Manuspkripts lasen Klaus Pfützenreuter und Melissa Kunz. Nicht
https://doi.org/10.1515/9783111237121-202
VI
Danksagung
beim Namen nennen kann ich die vielen wechselnden Teilnehmer✶innen der Oberseminare in Halle und Leipzig, bei denen ich regelmäßig Rat und Hilfe zu meinen Forschungen und Ideen fand. Auch ihnen sei herzlich gedankt.
Inhaltsverzeichnis Danksagung
V
A Einleitung 1 1.1 1.2 1.3 1.3.1 1.3.2
Laevius und seine Zeit 3 Das literarische Umfeld im späteren zweiten Jh. v. Chr. Laevius’ Name 5 Laevius’ Schaffenszeit 8 Die lex Licinia (F 42) 9 Laevius und Lucilius 13
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 2.2.5 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3
Laevius und sein Werk: Die Erotopaegnia 15 Bezeugte Gedicht- und Werktitel 15 Erotopaegnia 15 Mythologische Einzeltitel 17 Polymetra 18 Themen und Inhalte der Erotopaegnia 20 Laevius und die römische Gesellschaft 20 Laevius, der Mythos und die griechische Dichtung 22 Laevius und die hellenistische Formspielerei 24 Laevius’ Originalität 25 Aufbau und Anlage der Erotopaegnia 26 Sprache 28 Laevius als praeneoterischer Dichter? 29 Laevius als altlateinischer Dichter 30 Laevius als Dichter der gehobenen Sprachebenen 32 Laevius als Dichter der niederen Sprachebenen 32 Laevius als Dichter aller Sprachebenen 34 Metrik 34 Lyrica ante Horatium scripta 34 Die Metra 37 Vorbilder und Fortleben der laevianischen Metrik 41
3 3.1 3.2 3.3
Rezeption Lucilius Varro Catull
43 44 44 45
3
VIII
3.4 3.5 3.6 3.7 3.8 3.9
Inhaltsverzeichnis
Vergil 46 Horaz 47 Liebeselegiker, insbesondere Ovid 47 Poetae Novelli und Archaisten 48 Optatianus Porfyrius 49 Ausonius 50
4 4.1 4.2 4.3
Überlieferung 52 Chronologische Übersicht der Sekundärüberlieferung Die Zitatträger und ihre Zitiertechnik 55 Die Überlieferung des Namens 56
5 5.1 5.2 5.3
Forschungsgeschichte und Forschungstendenzen 57 Frühe Erschließung der Laeviusfragmente 57 Die erste Laeviusmonographie und -edition 58 Die zweite Laeviusmonographie und aktuelle Forschungstendenzen 60
52
B Text 1
Testimonia
65
2
Fragmenta
67
C Interpretationskommentar 1 1.1 1.2 1.3
Adonis 81 Der Adonismythos in der antiken Literatur Laevius’ Adonis (F 1) 83 Stellenkommentar 84
2 2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.2 2.3 2.3.1
Alcestis 85 Eine cena bei Iulius Paulus: Gell. 19.7 85 Der Aufbau des Kapitels 85 Die Anordnung der Laeviusfragmente bei Gellius 87 Zur syntaktischen Integration der Ausdrücke bei Gellius Literarische Bearbeitungen des Alkestismythos 89 Die Themen der laevianischen Alcestis 91 Der Prolog/Epilog (F 3, 4, 22) 91
81
88
Inhaltsverzeichnis
2.3.2 2.3.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.4.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13 2.14 2.15 2.16 2.17 2.18 2.19 2.20 2.21 2.22 2.23
Pheres’ Alter (F 5, 6, 19, 22) 93 Tod, Schmerz, Trauer (F 7–16, 18, 20, 21) F2 97 Zur doppelten Überlieferung 97 Laevius, Phrynichos und Pacuvius 98 Metrik 100 Stellenkommentar 101 F3 103 F4 103 F 5 und 6 104 F7 105 F8 106 F9 107 F 10 107 F 11 107 F 12 108 F 13 108 F 14 108 F 15 109 F 16 110 F 17 110 F 18 111 F 19 111 F 20 113 F 21 114 F 22 114
3 3.1 3.2
Centauri 115 Kentauren in der erotischen Dichtung F 23: Bedeutung und Metrik 117
4 4.1 4.2 4.3 4.4
Helena 119 Überlieferung und Autorenfrage 119 F 24 und der Helenamythos bei Laevius Metrik 125 Stellenkommentar 127
94
115
122
IX
X
5 5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.2 5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4 5.2.5 6 6.1 6.2
Inhaltsverzeichnis
Ino
129 Vorbetrachtungen: Ein kaiserzeitliches Inofragment [Laev.] F 12a 129 C. (= 32 4FPL Bl. = [Liv. Andr.] TrRF i 16) Überlieferungslage und Forschungsstand 129 Metrik 132 Elemente des späten Hymnenstil im Fragment 134 Die Jägerin Venus (Verg. Aen. 1.318–37) als Vorbild 136 Stellenkommentar: Sprache und Prioritätsbestimmungen 137 Zusammenfassender Ausblick 141 Laevius’ Ino 143 Der Inomythos bei Laevius 143 Die dichterische Tradition vom Wahnsinnssprung der Ino 145 Die Ino als erotisches Gedicht 147 Metrik und fehlendes Prädikat in F 25 148 Stellenkommentar 150
6.3 6.4 6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4 6.5
Phoenix 153 Pterygium: ‚Ein Flügelgedicht‘ 153 Nouissima ode Erotopaegnion: Die Sphragis-Funktion des Phoenix 157 Ministra Veneris: Die Sprecherin und ihre Situation 159 Metrik 163 Metrisches Schema: Ionici a maiore 163 Zum Hiat in v. 2 165 Cuppeditas? Zur Metrik v. 1 167 Fr. Leos Alternativvorschlag: Ionici a minore 168 Stellenkommentar 170
7 7.1 7.2 7.2.1 7.2.2 7.3 7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4 7.4 7.5
Protesilaodamia 173 Zum Titel 173 Der Mythos und seine dichterischen Bearbeitungen 175 Homer und Euripides 175 Catull, Properz und Ovid 176 Themen, Motive und Inhalte der Protesilaodamia 178 Die Hochzeit: Laevius und Catull (F 28, 29 und 32) 178 Laodamias Einsamkeit (F 30 und 31) 183 Die Begierden des Toten (F 31) 191 Der Prolog/Epilog der Protesilaodamia (F 27) 194 Zwischenfazit: Inhalte und Themen der Protesilaodamia 201 Stellenkommentar 201
Inhaltsverzeichnis
7.5.1 7.5.2 7.5.3 7.5.4 7.5.5 8 8.1 8.2
F 28 F 29 F 30 F 31 F 32
201 203 204 206 207
8.1.1 8.1.2 8.5 8.1.3 8.1.4 8.6 8.7
Sirenocirca 209 Titel und Autor 209 Der Kirkemythos aus der Odyssee und seine erotische Rezeption 210 Kirkes Abschied (F 34) 213 Delphine und schuppiges Meeresgetier: zwei Interpretationsmöglichkeiten für F 35 214 F 35 als Teil des Nostos-Sturms ... 215 ... oder als Hilfe der Göttin 216 Betrachtungen zur Anlage der Sirenocirca 218 ‚Die Sirenen und Kirke‘ ... 219 ... oder ‚Die sirenenhafte Kirke‘ 220 F 34: Metrik 221 F 35: Metrik 223
9 9.1 9.2
Laevius in †Virgo† 225 Überlieferung und Metrik Bedeutung des Fragments
10 10.1 10.2
F 37: hostire 229 Deutungsmöglichkeiten 229 Stellenkommentar 230
11 11.1 11.2 11.3
F 38: Tag und Nacht 232 Deutungsmöglichkeiten 232 Metrik 233 Stellenkommentar 234
12 12.1 12.2
F 39: Varro 235 Zur Identifizierung des Varro Stellenkommentar 236
8.3 8.4
225 227
235
XI
XII
Inhaltsverzeichnis
13 13.1 13.2
F 40: Hektors Kranz 238 Vokabular und Textkritisches: Wer flicht wen? Versuch zum Kontext 243
14
F 41: Heiteres Spiel
15
F 42: lex Licinia
16 16.1 16.2 16.3
F 43: ein nächtlicher Mantel 248 Überlieferung 248 Metrik 249 Syntax und Kontext 250
17 17.1 17.2 17.3
F 44: Liebeszauberei (Teil 1) 251 Apuleius’ Verteidigungsstrategie 251 Vergil und Laevius 253 Stellenkommentar: Die Zaubermittel 254
18 18.1 18.2
F 45: Vatiena 260 Die gens Vatiena Laevius’ Vatiena
19
F 46: nietnaglige Dichtung
20
F 47: decipulum
21 21.1 21.2 21.3 21.4
F 48: ein Venusgebet (Liebeszauberei Teil 2) 268 Aphrodite/Aphroditos 269 Noctiluca als Trivia 271 Für die Verbindung mit F 44, gegen die Verbindung mit F 26 Metrik 275
22
F 49: Polymetrisches
23
F 50 (dub): Laevius Melissus?
24 24.1 24.2 24.3
F 51 (dub): die torrida zona 280 Autorenfrage 280 Kontext 282 Stellenkommentar 283
238
246 247
260 261 264
266
277 279
272
Inhaltsverzeichnis
25
F 52 (dub): dahergelaufener Efeu
Literatur Indizes
287
305 Stellen (in Auswahl) 305 Wörter und Wortformen 309 Sachen und Namen 311
285
XIII
A Einleitung
1 Laevius und seine Zeit 1.1 Das literarische Umfeld im späteren zweiten Jh. v. Chr. Die frühesten Dichter Roms begründeten ihre Bekanntheit weitestgehend auf Epen und Dramen. Jenseits dieser beiden Gattungen scheint zwar hier und da Interesse in der römischen Gesellschaft bestanden zu haben, aber ein Bild davon lässt sich heute nur noch schwer zeichnen. Ob beispielsweise Naevius überhaupt mehr als dramatische und epische Dichtung schuf, ist in der Forschung umstritten. Von Livius Andronicus ist immerhin ein anlassbezogenes, im staatlichen Auftrag verfasstes Sühnelied bezeugt, aber auch darüber haben wir heute keine tiefergehenden Kenntnisse mehr.1 Vermutlich hat sich erst Ennius in größerem Umfang anderen Gattungen gewidmet. Seine heute unter der Kategorie ‚opera minora‘ zusammengefassten Gedichte, zum Beispiel die Saturae, der Sota oder die Hedyphagetica, erscheinen aber mehr als kleinere Nebenprojekte. Ob er allein damit zu großer Bedeutung gelangt wäre, muss man wohl anzweifeln. Demgegenüber spezialisierten sich einige Jahrzehnte nach Ennius’ Tod immer mehr Dichter auf gerade kleinere Gattungen, die den Römern oft schon aus der hellenistischen Literatur bekannt waren und direkt aus ihr übernommen, adaptiert oder weiterentwickelt wurden. Unter ihren Vertretern finden sich Gelegenheitspoeten wie der Politiker Q. Lutatius Catulus (Konsul 102), von dem dank verschiedener Quellen zwei erotische Epigramme komplett erhalten geblieben sind; dass es mehr davon gab, ist wahrscheinlich, wenn auch nicht sicher.2 Etwa zur selben Zeit lebte Lucilius, der anders als Catulus im Dichten seine eigentliche Berufung fand. Er war römischer Ritter, verzichtete aber wohl bewusst auf Staatsämter, um sich, fern vom aktiven politischen Leben, aber dennoch vernetzt in den höchsten gesellschaftlichen Schichten, ganz und gar seinen Satiren widmen zu können.3 Spätestens zu dieser Zeit war Dichten also auch in nicht-epischen und nicht-dramatischen Gattungen en vogue: Wer versucht, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wird auf alle möglichen verschiedenen Formen und Inhalte stoßen, mit denen sich eine große Zahl an literarisch ambitionierten Männern und Frauen4 versuchten hervorzutun. Aber im Gegensatz zu den frühesten Tragödien- und Ependichtern sind
Vgl. die Literatur in HLL i 99 (zum Kultlied) und HLL i 115 f. (zum für Naevius bezeugten Titel Satyra). Vgl. zu Catulus Courtney (22003) 70 f. und 75–8. Vgl. Krenkel (1970) i 20–3 und Christes (1972) 1185 f. Eine Memmia Timothoe aus Ennius’ Lebzeiten erwähnt Isid. orig. 1.39.17. https://doi.org/10.1515/9783111237121-001
4
1 Laevius und seine Zeit
heute meist nur noch ihre Namen und allenfalls noch einige wenige Fragmente von ihnen bekannt. Alles, was davon noch gut genug erhalten ist, um ein hinreichend sicheres Urteil zuzulassen, spiegelt einen Findungsprozess wider, der durch literarische Neugierde, durch dichterische Versuche unterschiedlicher Art und durch einzigartige Experimente gekennzeichnet ist. Viele der zu dieser Zeit geprägten Formen und poetischen Techniken haben keinen bleibenden Eindruck hinterlassen und sich schnell wieder überlebt, andere waren prägend für die Entwicklung der lateinischen Literatur: Zum Beispiel bildete Lucilius aus den ennianischen Saturae über einen längeren Zeitraum unter anderem durch Variierung des Metrums die später auf Horaz, Persius und Iuvenal so stark wirkende hexametrische Satire. Damit schrieb er Literaturgeschichte. Ganz anders war es bei einer weiteren ennianischen Kleingattung gemischten Inhalts, dem Sota. Selbst nachdem Accius deren Tradition mit den mehrere Bücher umfassenden Sotadica versuchte fortzuführen, konnte sie sich nie wirklich etablieren. Auch ihr Versmaß, der Sotadeus, blieb ein Nischenmetrum. Das gerade in hellenistischer Zeit so beliebte literarische Epigramm wiederum fand ab 150 v. Chr. immer mehr Gefallen in Rom,5 wobei der direkte und indirekte Einfluss dieser Entwicklung auf Catull oder Martial ganz offensichtlich ist. Aber auch dafür lässt sich mit den an Herondas angelehnten Mimiamben des Cn. Matius ein Gegenbeispiel anführen: Die Gattung verlor sich im Dunkeln, auch wenn das für sie maßgebliche Metrum, der Hinkiambus, in der lateinischen Dichtung stets präsent bleibt. Bei dieser immer mehr aufkommenden Art von Dichtung waren die Erwartungen der Rezipienten noch nicht vorgebildet, die Grenzen des literarisch Möglichen noch nicht wirklich abgesteckt. Jeder Dichter hatte zur richtigen Zeit und im richtigen Umfeld die Chance, sich mit neuen Experimenten, mit neuen Formen, mit neuen Themen und mit neu aus dem Griechischen erschlossenen Versmaßen unsterblich zu machen – genauso gut konnte er unter unglücklicheren Umständen aber komplett in Vergessenheit geraten. Diese schnelllebige Zeit des Erneuerns und Verwerfens verkörpert auch der Dichter Laevius. Er gehört nicht wie Ennius zu denjenigen, die von so großer Bedeutung waren, dass sie nach ihrem Tod noch regelmäßig Erwähnung in der lateinischen Literatur fanden. Trotzdem haben antike Grammatiker und Schriftsteller genügend Informationen und Fragmente von ihm überliefert, dass es möglich sein wird, einen tieferen Einblick in sein Schaffen zu gewinnen. Wie auch viele andere Dichter dieser literarischen Findungsphase stand Laevius für sich: Soweit heute erkennbar ist, widmete sich zur selben Zeit kein Zweiter einer vergleichbaren poeti-
Vgl. A. Morelli (2000).
1.2 Laevius’ Name
5
schen Technik oder einem vergleichbaren Inhalt. Erotische Dichtung war für die Römer zwar nichts Neues: Valerius Aedituus, Porcius Licinus und der bereits erwähnte Lutatius Catulus verfassten bald nach Ennius’ Tod erotische Epigramme, die sich an der dichterischen Technik des Hellenismus orientierten.6 Jedoch war Laevius wohl der Erste und Einzige, der sich offenbar in großen Teilen, wenn nicht sogar gänzlich, der Liebesdichtung, und zwar vor allem der erzählenden mythologischen Liebesdichtung, verschrieb. Damit war er natürlich nicht der Letzte. Und es wird sich zeigen, dass er mit Themenwahl und Motivik eine in ihrem Ausmaß sicherlich nicht zur Gänze bestimmbare, aber doch erkennbare Wirkung auf die weitere Literaturgeschichte entfalten konnte. Er war wohl auch der Erste und Einzige, der sich an hellenistischen Buchdichtungs-Experimenten versuchte, indem er manche seiner Verse nach silbenzählenden Prinzipien konstruierte oder mit seinen Gedichten Figuren und Gestalten abbildete. Hierbei sollte er ebenso wenig der letzte lateinische Dichter bleiben. Aber erst Porfyrius Optatianus griff gut 400 Jahre später zur Zeit Konstantins die Technik in anderer Form wieder auf. Zuletzt war er der Erste und Einzige, der lange Gedichte bestehend aus Strophen und Systemen in unterschiedlichen Versmaßen verfasste. Porphyrio bezeichnet ihn deswegen später als den frühesten lateinischen Lyriker, noch vor Horaz (T 1). Mit seinem metrischen Variantenreichtum und seinen vielfachen Versmaßwechseln innerhalb ein und desselben Gedichts bleibt Laevius sogar für alle Zeiten eine auffällige Erscheinung in den kleineren Gattungen der lateinischen Literatur. Wie es unter den Dichtern des späteren zweiten Jh.s üblich war, hat Laevius diese Einmaligkeit auch ganz bewusst gesucht und sie stilisiert nach außen getragen. Seine Art zu dichten und sein poetisches Selbstverständnis, das er in seinen Erotopaegnia mehrmals direkt oder indirekt zum Ausdruck bringt,7 geben zu verstehen, dass er wenigstens den Anspruch hatte, zu den großen Persönlichkeiten zu gehören, die mit ihrem Innovationsgeist ein wirkungsstarkes Glied der Literaturgeschichte bilden.
1.2 Laevius’ Name Über Laevius’ Leben gibt es keine Nachrichten. Noch nicht einmal der verhältnismäßig selten belegte Name gibt einen Hinweis auf seine Herkunft. Angehörige einer gens Laevia sind meist nur durch einige Inschriften, größtenteils aus Nord-
Vgl. u. a. Morelli (2000) 152–223, Pulz (2022). Vgl. v. a. zu F 22 und F 26.
6
1 Laevius und seine Zeit
italien und Latium, bekannt.8 Ferner erwähnt Cato laut Priscian einen uralten dictator Latinus aus Tusculum, der vielleicht den Namen Egerius Laevius getragen haben könnte. Doch die Prisciancodices sind an dieser Stelle unsicher. Manche von ihnen überliefern den Namen Egerius Baebius, während derselbe Diktator bei Festus Manius Egerius heißt.9 Am ehesten lohnt es sich noch Fr. Büchelers Idee zu verfolgen, nach der Sueton einige Nachrichten über Laevius überliefern könnte: In seiner Abhandlung De grammaticis et rhetoribus berichtet der Biograph von den horrenden Preisen, die für gut ausgebildete Sklaven erzielt worden seien und sich mit der Zeit so sehr erhöht hätten, dass Q. Lutatius Catulus ganze 700.000 Sesterzen für einen Sklaven namens Daphnis gezahlt, ihn aber kurz darauf wieder freigelassen habe. Sueton schmückt seine Ausführung mit dem Witz eines Melissus, der das Verhältnis zwischen Catulus und Daphnis vermutlich sexuell deutet, indem er es mit der mythischen Liebesgeschichte zwischen Pan und Daphnis parallelisiert.10 Die Handschriften bieten folgenden Text (gramm. 3.5): pretia uero grammaticorum tanta mercedesque tam magnae ut constet Lutatium Daphnidem, quem leuius Melissus per cauillationem nominis Πανὸς ἀγάπημα dicit, septingentis milibus nummum a Q. Catulo emptum ac breui manumissum. Die Preise für Grammatiker waren aber so hoch und ihr Lohn dermaßen groß, dass, wie allgemein bekannt ist, Lutatius Daphnis, den leuius (?) Melissus wegen seines Namens scherzhaft ‚Liebling des Pan‘ nannte, von Quintus Catulus für 700.000 Sesterzen gekauft und kurze Zeit später freigelassen wurde.
Konkret geht es um das Wort leuius: Das Adjektiv leuis wird häufiger im Zusammenhang mit Witzen oder weniger ernsten literarischen Gattungen wie der Komödie oder dem Epigramm verwendet. Beispielsweise sagt Cicero, dass bestimmte Arten von Witzen in der Komödie oder Rhetorik ‚leichter‘ seien als andere.11 Es spricht nichts dagegen, diese Bedeutung auf das Adverb leuius zu übertragen. Sueton könnte es pointiert an den Satzanfang gestellt haben, um so mit der etwas pleonastischen Ergänzung per cauillationem keinen Zweifel daran zu lassen, dass Melissus’ polemische Aussage nicht ernst genommen werden sollte. Büchelers Idee beruht dagegen auf der Annahme, dass leuius hier kein Adjektiv darstellt, sondern dass vom Dichter Laevius die Rede ist.12 Zeitlich gesehen
Die Zeugnisse sind gesammelt bei Schulze (1904) 178. Vgl. Cato FRHist 5 F 36 (Prisc. GLK ii 129.12) und Fest. 128.15–7 L. So Bücheler (1930) 92 (= 1886, 12). Cic. de orat. 2.274 genus hoc (sc. iocorum) leuius et ut dixi mimicum; mehr im ThLL vii.2 1211.76–1212.80. Vgl. Bücheler (1930) 92 (= 1886, 11 f.).
1.2 Laevius’ Name
7
wäre dagegen nichts einzuwenden: Neben Sueton überliefert auch Plinius einige Nachrichten von Q. Lutatius Daphnis: Er erwähnt, dass Daphnis auch bei einem Accius aus Pisaurum, wohl dem Dichter, und danach bei dem princeps senatus Marcus Aemilius Scaurus als Sklave gedient hat.13 Gewöhnlich versteht man die Suetonstelle als Ergänzung zu Plinius’ Aussagen, es wird also angenommen, es handle sich um zwei voneinander unabhängige Käufe und Daphnis sei zuerst von Accius zu Scaurus, danach von Scaurus zu Catulus gelangt.14 Ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich das sinnvollste Verständnis der beiden Stellen ist oder ob nicht vielleicht nur ein einziger Kauf stattgefunden haben könnte, wobei Plinius schlicht den falschen Namen nennt und Scaurus anstelle von Catulus erwähnt. Für die hier gestellte Frage ist das aber ohne Bedeutung, weil Catulus, Accius und Scaurus allesamt um das Jahr 90 herum starben, sodass der bei Sueton und Plinius beschriebene Zeitrahmen grob abgesteckt ist. Genauer wird man den Kauf oder die Käufe meines Erachtens auch nicht datieren können. Es bleibt nur dieser Abschnitt der zweiten Hälfte des zweiten und der ersten Hälfte des ersten Jh.s v. Chr. als Lebenszeit für Daphnis. Die Datierung passt damit in etwa zu Laevius’ Schaffenszeit, die unten p. 8–14 rund um 130 angesetzt wird. Aus inhaltlicher Sicht könnte der in Sueton zitierte Witz ebenfalls zu den Eigenheiten der Erotopaegnia gut passen, weil Laevius sich wohl häufiger in gesellschaftliche Diskussionen eingemischt, politische Ereignisse kommentiert oder bekannte Persönlichkeiten aus der römischen Gesellschaft erwähnt hat (F 42). Die Pointe würde dann auch den Wechsel von der lateinischen in die griechische Sprache rechtfertigen.15 Das offensichtlichste Problem von Büchelers Idee besteht aber darin, dass Laevius den Namen Melissus getragen haben müsste, ein Laevius Melissus ansonsten aber nicht belegt ist. Zusätzlich wiegt besonders schwer, dass Sueton Laevius sonst nirgends zitiert, wohingegen er anderswo auf eine auch aus anderen Quellen bekannte Person namens Melissus zu sprechen kommt, die aber trug den Namen Gaius. Gaius Melissus war ein gelehrter Freigelassener vom Augustusfreund Maece16 nas. Er wurde mit der Leitung der bibliotheca Octauiana beauftragt und verfasste
Plin. nat. 7.128: pretium hominis in seruitio geniti maximum ad hanc diem, quod equidem compererim, fuit grammaticae artis, Daphnin Attio Pisaurense uendente et M. Scauro principe ciuitatis HS DCC licente. Zur Verbindung der beiden Stellen und überhaupt zu Daphnis’ Leben vgl. Flower (2022). Melissus könnte mit Pan unter diesen Umständen auch Accius oder Scaurus gemeint haben; vgl. Courtney (22003) z. St. Holford-Strevens (1981) erwägt einen weiteren Laevius, der im Gegensatz zum infrage stehenden Dichter Griechisch geschrieben habe. Zu Gaius Melissus siehe Christes (1979) 86–91.
8
1 Laevius und seine Zeit
neben einigen grammatischen Schriften auch ein 150 Bücher starkes Werk namens ineptiae oder ioci, auf die Sueton noch einmal in gramm. 21 Bezug nimmt. R. Kaster charakterisiert diese ineptiae/ioci als eine Sammlung von pointierten Sprüchen, die teils auf Melissus selbst zurückgehen würden, teils aus älteren Quellen zusammengeschrieben worden seien.17 Ein Witz über Daphnis’ Namen und eine mögliche erotische Beziehung zwischen Sklaven und Besitzer hätte innerhalb der ineptiae oder ioci einen guten Platz finden können.18 Suetons Charakterisierung des Zitates als cauillatio, also Scherz, drängt eine Verbindung zu ihnen sogar geradezu auf, und deshalb scheint es mir auch am sinnvollsten, das Fragment Gaius Melissus’ ineptiae/ioci zuzuordnen. Ob man dafür im Suetontext für leuius Melissus auch Gaius Melissus lesen sollte, wie es zuletzt Kaster in seiner Suetonausgabe macht,19 steht auf einem anderen Blatt. Mit überliefertem leuius wäre der Text jedenfalls auch hinreichend verständlich. So oder so, einen Laevius Melissus hat es wohl niemals gegeben.20
1.3 Laevius’ Schaffenszeit Bücheler versuchte sich ebenfalls an Laevius’ Datierung, aber auch hier scheint mir sein Ansatz wenig überzeugend zu sein: Er sah einen Anhaltspunkt in Laevius’ Phoenix (F 26) und verband den Titel des Gedichts mit Plinius’ Bemerkung, dass ein Senator namens Manlius 97 v. Chr. die erste lateinische Abhandlung über den mythischen Vogel publiziert hat. Deshalb vermutete Bücheler, dass Manlius älter als Laevius ist, womit er 97 v. Chr. als den terminus post quem für den Phoenix ansetzte. Aber Büchelers Verbindung beider Texte ist künstlich und gezwungen. Plinius kommt es auf die erste gründliche zoologische Beschreibung des Vogels an,21 Laevius schrieb dagegen ein Gedicht, das nichts dergleichen enthalten hat. Deshalb bestünde auch kein Widerspruch zu Plinius’ Aussage, wenn Laevius seinen Phoenix schon früher als 97 v. Chr. publiziert haben sollte.
Vgl. Kaster (1995) zu gramm. 21.1 und 21.4 sowie Kaster (1992) 42–5. Nach Kaster (1992) 42–5 und (1995) 83 kann dicit bei Sueton für eine schriftliche Überlieferung stehen. Die Verbesserung geht auf Vahlen (1877), Anm. auf p. 7 f. (= 1907 i, Anm. auf p. 47 f.) zurück. Zur Rechtfertigung der Konjektur siehe Kaster (1992) 42–5. Kritisch äußert sich Brugnoli (1996) 198 f. Weitere Möglichkeiten, die Stelle zu verstehen, sind bei Vacher (2003) 53–7 zusammengetragen. Plin. nat. 10.4–5 primus atque diligentissime togatorum de eo prodidit Manlius, senator ille maximis nobilis doctrinis doctore nullo. Er habe unter dem Konsulat des Publius Licinius und Gnaeus Cornelius geschrieben (97 v. Chr.): prodente se P. Licinio Cn. Cornelio cos. Für die Laeviusdatierung nutzten Bücheler (1930) 92 (= 1886, 11 f.), Courtney (22003) 137 und Henke (2020) 121 die Stelle; kritisch diesbezüglich Leo (1914) 180, Anm. 1.
1.3 Laevius’ Schaffenszeit
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Aus der Erwähnung eines Varro in Laev. F 39 ist ebenso wenig zu gewinnen. Es bleibt unklar, welchen Varro Laevius meinen könnte: Der berühmte Varro aus Reate, der erst um 80 v. Chr. einige größere Bedeutung in der literarischen Öffentlichkeit erlangte (und dann sicher auch nicht allzu plötzlich), wird es wohl nicht sein.22 Laevius’ Schaffenszeit wäre in diesem Fall frühestens um die siebziger Jahre herum zu datieren, was ihn wohl zu nahe an Lukrez oder an Cinna und Catull rücken würde. Zwar ist eine sichere Datierung anhand des Stils nicht möglich, im Zweifelsfall werden die Untersuchungen zur Sprache oder auch der Hiat am locus Jacobsohnianus F 36 Laevius aber eher in die Zeit von Pacuvius oder Accius verweisen.23 Sicherer ist eine Datierung anhand von F 42, das auf eine weitaus frühere Zeit weist.
1.3.1 Die lex Licinia (F 42) F 42 ist das einzig konkrete Zeugnis für Laevius’ Schaffenszeit.24 Es geht darin um die lex Licinia: lex Licinia introducitur lux liquida haedo redditur.25 Die lex Licinia wurde eingebracht, das strahlende Licht dem Bock zurückgegeben.
Die lex Licinia ist eines der vielen Sumptuariengesetze aus dem zweiten Jh. v. Chr. Durch sie sollten die immer luxuriöseren Feiern und die immer ausgefalleneren Essgewohnheiten der Römer reglementiert und ihr Missbrauch zu politischen Zwecken eingedämmt werden.26
Für die Identifizierung Varro aus Reate ist Norden (1966) 169 (= 1925, 39) eingetreten; vgl. dagegen Holford-Strevens (1981). – Zur Datierung Varros frühester Werke siehe unten Anm. 637. Vgl. p. 28–34. Pace Courtney (22003) 118 „useless for dating.“ legem introducere ist als Kontrast zu reddere gewählt. Der Ausdruck bedeutet entweder ‚ein Gesetz einbringen’ (Val. Max. 9.5.1 M. Fuluius Flaccus ... cum perniciosissimas rei publicae leges introduceret) oder ‚ein Gesetz anführen/erwähnen‘ ([Quint.] decl. 367.3 non expedit tibi, adulescens, hanc legem introducere). Beides ist bei Laevius möglich; siehe Courtney (22003) z. St. Vgl. ferner Aragosti (1985) 99 f. mit weiteren Überlegungen zum ungewöhnlichen Verb. – Zu den inhaltlich nicht relevanten textkritischen Fragen des Fragments siehe unten p. 247. Vgl. Baltrusch (1989) 77–103 und Coudry (2016), auf deren Ausführungen der hier gebotene Abriss im Wesentlichen beruht.
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1 Laevius und seine Zeit
Am Anfang dieser langen Reihe an Gesetzen zur Beschränkung der Essensgewohnheiten der römischen Oberschicht steht im Jahre 182 die lex Orchia, die die Teilnehmeranzahl einer cena wohl gewöhnlich auf drei, an Festtagen auf fünf Personen beschränkte. Etwas strenger war die lex Fannia aus dem Jahr 161. Sie reglementierte zusätzlich die Menge und Art an Essen, die man den Gästen anbieten durfte: An Fleisch waren 15 Talente im Jahr erlaubt,27 an Geflügel jeweils ein ungemästetes Huhn. Der finanzielle Aufwand wurde auf 100 As an besonderen Festen, 30 As an bestimmten anderen Tagen, ansonsten auf 10 As beschränkt.28 Kurze Zeit später weitete die lex Didia die Auflagen auf ganz Italien aus und machte auch die Teilnahme an einer Feier bei Nichteinhaltung der Vorschriften strafbar. Aber die Gesetze blieben insgesamt unwirksam. Nach einer bei Athenaios überlieferten Anekdote hätten sich allein drei Römer, Mucius Scaevola, Aelius Tubero und Rutilius Rufus, an die Beschränkungen gehalten.29 Daher wollte man, wie Macrobius mitteilt, die älteren Gesetze durch die lex Licinia noch einmal erneuern (Sat. 3.17.7–10): post Didiam Licinia lex lata est a P. Licinio Crasso Diuite ... . lex uero haec paucis mutatis in plerisque cum Fannia congruit. in ea enim ferenda quaesita est nouae legis auctoritas, exolescente metu legis antiquioris ... . legis Liciniae summa ut Kalendis Nonis nundinis Romanis cuique in dies singulos triginta dumtaxat asses edundi causa consumere liceret, ceteris uero diebus, qui excepti non essent, ne amplius daretur apponeretur quam carnis aridae pondo tria et salsamentorum pondo libra et quod ex terra uite arboreue sit natum. Nach der lex Didia wurde die lex Licina von P. Licinius Crassus Dives eingebracht ... . Dieses Gesetz hat mit wenigen Änderungen größtenteils mit der lex Fannia übereingestimmt. Indem man es nämlich einbrachte, wollte man eine größere Wirkung des neuen Gesetzes erzielen, weil der Respekt vor dem älteren abgenommen hatte ... . Der wesentliche Punkt der lex Licinia bestand darin, dass es einem jeden Römer an Kalenden, Nonen und Nundinen erlaubt war, höchstens dreißig As am Tag für Essen auszugeben, an anderen Tagen aber, die nicht extra angeführt wurden, durfte nicht mehr aufgetischt werden als drei Pfund trockenes30 Fleisch, ein Pfund gesalzener Fisch und was der Erde, der Rebe oder dem Baum entspringt.
Ähnlich äußert sich Gellius, kurz bevor er das oben angeführte Laeviusfragment zitiert (2.24.7): 1 Talent = 26,196 kg (15 Talente = 392,94 kg, d. h. auf den Tag gerechnet etwa 3 librae = 1 kg). Ein gewöhnlicher Legionär wurde in der ersten Hälfte des zweiten Jh.s mit etwa 3 As am Tag bezahlt; vgl. dazu Crawford (1985) 147. Vgl. Athen. 6.274de. Der Ausdruck arida caro ist mir nicht ganz verständlich. Otto und Eva Schönberger (2008) übersetzen ‚mager‘, Kaster (2011) „dried meet“. Der Vorschlag im ThLL ii s. v. aridus 568.56 ‚roh‘, also vor dem Gewichtsverlust beim Braten, passt inhaltlich gut, ist aber ohne Parallele.
1.3 Laevius’ Schaffenszeit
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cum et carnis autem et salsamenti certa pondera in singulos dies constituisset (sc. lex Licinia), quidquid esset tamen e terra uite arbore promisce atque indefinite largita est. Während die lex Licinia für einzelne Tage das Gewicht von Fleisch und gesalzenem Fisch festgelegt hatte, wurde jedoch alles aus der Erde, von der Rebe und vom Baum reichlich und unbegrenzt gestattet.
Der bei Gellius und Macrobius in Rede stehende Zwang zum Fleischverzicht ist der Punkt, auf den es im Laeviusfragment ankommt. Durch die Einführung der lex Licinia wird dem eigentlich schon fast auf der Schlachtbank liegenden Bock das Leben wiedergegeben. Dahinter steht der Gedanke, dass es ohnehin nicht erlaubt ist, den Partygästen Fleisch anzubieten.31 Neben Laevius erwähnt ein unbekannter Sprecher bei Lucilius die lex ebenfalls und ruft dazu auf, sie zu umgehen: legem Licini uitemus (1200 M.; ohne Buchzuordnung). Macrobius und Gellius bieten auch einen Hinweis zur Datierung des Gesetzes: Nach Macrobius folgte es auf die lex Didia aus dem Jahr 143. Eingebracht habe es Publius Licinius Crassus Dives, womit nur Crassus Mucianus gemeint sein kann, der etwa von 180 bis 130 lebte. Crassus war im Jahr 142 Aedil, im Jahr 131 Konsul und hat zeitlebens die gracchischen Agrarreformpläne unterstützt.32 Zusätzlich ist es für die genauere Datierung des Gesetzes bedeutsam, dass sowohl Gellius als auch Macrobius die finanziellen Aufwandsbeschränkungen in As angeben. Der As wurde gegen das Jahr 140 in seinem Wert gemindert (zuvor 1 Denar = 4 Sesterzen = 10 As, danach 1 Denar = 4 Sesterzen = 16 As). Vermutlich verschwand er veranlasst durch diese Abwertung als Bezugseinheit aus den Gesetzesvorschriften und wurde durch den Sesterz ersetzt.33 Beginn und Abschluss dieses Prozesses sind nicht genau zu bestimmen, dürften aber zeitlich doch recht nahe an der Abwertung des As gelegen haben.34 Etwa zur gleichen Zeit hat Crassus Mucianus mit der Prätur ein Amt innegehabt, das ihm die Möglichkeit bot, das Gesetz einzubringen.35 Münzer vermutet sie um 135, Broughton mit Fragezeichen versehen spätestens 134.36 Mit Blick auf die lex Licinia und die Abwertung des As könnte er das Amt gerade bei seiner frühen Aedilität im Jahre 142 aber auch schon zuvor
Vgl. Gellius’ Erklärung 2.24.9 uerba Laeuii haec sunt, quibus significat haedum qui ad epulas fuerat adlatus dimissum, cenamque ita ut lex Licinia sanxisset pomis oleribusque instructam. Die Daten nach Münzer RE xiii.1 Licinius Nr. 71 334–8. Vgl. zur Abwertung des As und zur Bezugseinheit in Gesetzestexten Crawford (1974) ii 621–5. Der Prozess muss in den 120er Jahren bereits abgeschlossen sein: die lex Acilia repetundarum 123/2 (CIL 2I 583 ii) gibt Geldmengen nur noch in Sesterzen an. Darauf machte bereits Voigt (1890) 250, Anm. 18 für die Datierung der lex Licinia aufmerksam; siehe dort auch für weitere Beispiele. Zu den Ämtern mit der Möglichkeit zur Gesetzeseinbringung vgl. Mommsen (31887) i 191–3 (187 f.). Vgl. Münzer RE xiii.1 Licinius Nr. 71 334–8, Broughton (1951) i 490.
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1 Laevius und seine Zeit
erlangt haben, aber auf das genaue Jahr kommt es nicht an. In jedem Falle sollte die lex Licinia deshalb nicht lange nach 140 datiert werden.37 Die nächste Möglichkeit, das Gesetz einzubringen, hatte Crassus während seines Konsulats im Jahr 131. Das liegt aber wohl zeitlich schon zu weit von der Abwertung des As entfernt.38 Laevius muss seine beiden Dimeter über die lex Licinia nicht zwangsläufig kurz nach 140 gedichtet haben, aber allzu weit entfernt von dieser Zeit sollten sie ebenfalls nicht angesetzt werden.39 Die Komik und der Ton des Fragments verlangen einen Leser, in dessen Leben die lex Licinia eine Rolle gespielt hat. Er muss die Unsinnigkeit und Realitätsferne der Luxusgesetze im zweiten Jh. aus eigener Erfahrung kennen, um die beiden Verse richtig verstehen zu können. Eine satirische Auseinandersetzung mit der lex verlangt durchaus eine gewisse Aktualität. Nicht umsonst betont Gellius, dass die lex Fannia und lex Licinia Ende der 80er Jahre schon gänzlich in Vergessenheit geraten sind.40
Die Datierung schlägt Crawford (1974) ii 621–5 vor. Ihm folgen Brown (1980) und HolfordStrevens (1981). – Die nach wie vor häufig vertretene Spätdatierung des Gesetzes um 104 (z. B. Baltrusch [1989] 88–93, Tempesti [1988], Elster [2020] 224 f.) ist inakzeptabel. Zunächst trägt der für diese Datierung ins Auge genommene Rogator Licinius Crassus, Vater des Triumvirn, nicht den Namen Dives. Der Irrglaube geht auf einen Fehler von Gelzer RE xiii.1 s. v. Licinius Nr. 68 zurück und wurde von Shackleton Bailey (1965) i z. St. und Marshall (1973) berichtigt. Sollte also der Konsul von 97 Rogator des Gesetzes sein, müsste Macrobius den falschen Namen angegeben haben, was sicher nicht auszuschließen ist. Danach wäre aber noch zu klären, warum die Vorschriften der lex Licinia in As bemessen wurden und nicht, wie in der Zeit um 100 üblich, in Sesterzen. Ferner berichtet Valerius Maximus, dass die lex Licinia wegen ihrer horrida uetustas im Jahre 97 abrogiert wurde, was man doch wohl nicht von einem wenige Jahre zuvor durchgebrachten Gesetz gesagt hätte (Val. Max. 2.9.5). Dass deckt sich mit Gellius’ Aussage, dass Sulla die lex Fannia und lex Licinia, die wegen ihres hohen Alters schon vergessen worden seien, im Jahr 81 mit der lex Cornelia wiederbelebt habe: postea L. Sulla dictator, cum legibus istis situ atque senio oblitteratis plerique in patrimoniis amplis helluarentur ..., legem ad populum tulit, qua ... (2.24.11). Die Wendung legibus istis situ atque senio oblitteratis wäre eher von einem schon knapp 60 Jahre alten als von einem gerade 20 Jahre alten Gesetz zu erwarten. Häufig wird argumentiert, dass der strenge Charakter des späteren Crassus gut zu einem Sumptuariengesetz passen würde, aber der Gedanke verliert vor diesem Hintergrund deutlich an Gewicht. – Eine Übersicht über die Vielzahl an Untersuchungen zur lex Licinia bietet Elster (2020) 224 f. Vgl. aber Coudry (2016), die das Gesetz genau in dieses Jahr datiert. Brown (1980) und Holford-Strevens (1981) datieren das Fragment direkt nach der Einbringung des Gesetzes um 140, Leo (1914) 180 f., Anm. 1 sieht in dem Bezug nicht mehr als einen terminus post quem. Gell. 2.24.11, zitiert in Anm. 37. – Die konjekturale Herstellung der lex Licina in Varros Menippeen 67 Ast. scheint mir deshalb wenig sinnvoll, und entsprechend ist auch die LaeviusAnspielung, die Leonardis (2018) 548 in diesem durch und durch korrupten Varrofragment sieht, nicht haltbar.
1.3 Laevius’ Schaffenszeit
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1.3.2 Laevius und Lucilius Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein mögliches Testimonium ins Spiel bringen, das vielleicht weitere Hinweise auf Laevius’ Datierung geben kann, bisher aber noch nicht tiefergehend ausgewertet wurde. Es verweist ebenfalls auf die Jahre um 130 v. Chr. Dass der Name Laevius in Codices ohne größere Verschreibungen überliefert wurde, ist eher eine Seltenheit. Und auch im folgenden, bei Nonius überlieferten Luciliusfragment ist in den meisten Handschriften Laelius überliefert, in L aber eindeutig Laeuius. Weil es sich dabei um die lectio difficilior handelt, sollte Laevius als korrekte Überlieferung gelten und in den Text aufgenommen werden. Bemerkenswerterweise geht es in diesem Fragment und in dem fünften Luciliusbuch, aus dem es stammt, wieder um eine cena (Lucil. 202 M., T 3 dub): Laeuius pauperem ait se ingentia munera fungi Laevius sagt, er erbringe als armer Mann einen gewaltigen Aufwand41
Obwohl L. Müller, der in Laevius noch einen Zeitgenossen von Lukrez sieht, eindringlich davor warnt („modo ne de poeta cogitaris“), spricht nichts dagegen, den bei Lucilius genannten Laevius mit dem Dichter gleichzusetzen.42 Die in Lucilius’ Satiren erwähnten Personen sind in aller Regel real,43 und es ist abgesehen vom Dichter keine historisch wirklich fassbare Persönlichkeit mit dem Namen Laevius bekannt. Auch die Entstehungszeit des fünften Satirenbuches um 118–116 entspricht in etwa der oben vorgeschlagenen Datierung des Fragments zur lex Licinia;44 und zuletzt ist aus den Fragmenten der Erotopaegnia zu vermuten, dass Laevius sich wohl mit Literaturkritikern, wie Lucilius einer war,45 auseinandersetzen musste (F 22, 46, vielleicht 27). Die beiden Laevii gleichzusetzen, ist damit weit leichter, als einen zweiten, sonst nicht bekannten Laevius anzunehmen. Fraglich ist bloß, ob Laevius’ Fragment zur lex Licinia mit dem zitierten Luciliusvers in einem näheren Zusammenhang steht: Gerade in der Satire, in der Cichorius (1908) 270 f. liegt mit seiner Übersetzung wohl richtig. Die Verbindung ingens munus meint weniger ‚das gewaltige Amt‘; vgl. Mart. 4.56.1 munera quod senibus uiduisque ingentia mittis. Vgl. L. Müller (1872) 214 zum Luciliusfragment und Zitat, L. Müller (1880) 76 zur späten Datierung des Laevius. – Bisher erwogen Marx (1905) ii 84 und Charpin (1978) i 259 eine Gleichsetzung der beiden; ablehnend demgegenüber Aragosti (1985) 101 f., Anm. 20. Vgl. Classen (2001) 67. Die von Cichorius (1908) 87 f. angesetzte Datierung des fünften Buches kann nur als ungefährer Anhaltspunkt gelten; vgl. Krenkel (1970) i 26. Vgl. etwa Koster (2001).
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1 Laevius und seine Zeit
auch Laevius auftritt, beschreibt Lucilius in aller Ausführlichkeit eine Party, bei dem den Gästen nur vegetarisches Essen angeboten wurde: Zwiebeln, Brei oder die als Pferdefutter bezeichnete Endivie.46 Ganz offensichtlich besteht hier ein Bezug zu einem der Sumptuariengesetzte, und mit Blick auf die Datierung der Satire kann es sich dabei nur um die lex Licina handeln.47 Die Beschreibung der Party passt gut zu Macrobus’ und Gellius’ Zusammenfassungen des Gesetzestextes der lex Licinia: Abgesehen von vegetarischem Essen, das unbegrenzt serviert werden durfte, war alles streng reglementiert. Folgt man Cichorius in seiner Interpretation der Fragmente des fünften Satirenbuches, wäre Laevius selbst der geizige Gastgeber der Pferdemahlzeit: Trotz seiner Armut erbringe er für seine Gäste großartige Aufwendungen (ingentia munera fungi). Nach Lucilius’ Auffassung verdient solch ein Geiz genauso Kritik wie der Hang zu übertriebenem Luxus.48 Laevius könnte daher zum zentralen Spottobjekt der Satire geworden sein.49 Sollte ein Zusammenhang mit F 42 bestehen, wäre der Verweis auf die Lex Licinia in den Erotopaegnia vielleicht als eine Antwort auf Lucilius’ polemische Bemerkungen zu bewerten: ‚Du stellst mich als knausrig dar, dabei hätte ich gerne mehr angeboten: Immerhin war schon ein Böcklein zum Schlachten bereit, doch die lex Licinia machte dem einen Strich durch die Rechnung: Stelle also Gesetzestreue nicht auf eine Ebene mit Geiz!’ Das soll nur als spekulativer Ausblick gelten, und für die hier behandelte Frage ist es egal, ob man dem folgen mag oder nicht. Denn abgesehen davon ergeben Laevius’ Auseinandersetzung mit der lex Licinia und seine Erwähnung im fünften Buch der lucilianischen Satiren ein stimmiges Bild, das eine Datierung zulässt. Alles weist darauf, das Laevius seine Erotopaegnia in etwa zwischen den 130er und 110er Jahren verfasst und publiziert hat.
Lucil. 193–7 M. Marx (1905) ii 80–3 bringt die Satire in Verbindung mit der lex Fannia, weil er die lex Licinia erst später datiert. Ich möchte auch nicht ausschließen, dass auch das oben erwähnte Fragment 1200 M. legem Licini uitemus in das fünfte Buch gehört. Vgl. Haß (2007) 145 f. Eine gute Vorstellung von der Satire kann das Epigramm aus hadrianischer Zeit A.P. 11.413 (Ammianos) geben; hier heißt der Gastgeber Apelles: ὡς κῆπον τεθυκὼς δεῖπνον παρέθηκεν Ἀπελλῆς / οἰόμενος βόσκειν ἀντὶ φίλων πρόβατα. / ἦν ῥαφανίς, σέρις ἦν, τῆλις, θρίδακες, πράσα, βολβοί, / ὤκιμον, ἡδύοσμον, πήγανον, ἀσπάραγος · / δείσας δ’ ἐκ τούτων, μὴ καὶ χόρτον παραθῇ μοι, / δειπνήσας θέρμους ἡμιβρεχεῖς ἔφυγον, ‚Gab da Apelles ein Essen, als wäre ein Garten geschlachtet. / Dacht er, es seien bei ihm Schafe, nicht Freunde, zu Gast? / Rettich, Endivie war da, Salat und Bockshorn und Zwiebel, / Minze, Basilienkraut, Raute und Spargel und Lauch. / Schließlich kriegte ich Angst, er gäbe mir Heu noch, und als ich / halbgare Bohnen geschluckt, rannte ich schleunigst davon’ (Übers.: Beckby).
2 Laevius und sein Werk: Die Erotopaegnia 2.1 Bezeugte Gedicht- und Werktitel Die laevianischen Fragmente sind allein durch Zeugnisse anderer antiker Schriftsteller überliefert worden. Sie erwähnen Laevius in verschiedenen Zusammenhängen und weisen seinen Texten jeweils unterschiedliche Titel zu. Manche nennen ein übergeordnetes Werk mit dem Namen Erotopaegnia, manche kennen gesonderte Titel für einzelne Gedichte, und einmal gibt Priscian die Herkunft eines Fragments mit dem seltsamen Ausdruck in polymetris an.50 Daraus ergibt sich die Frage, in welchen Beziehungen diese unterschiedlichen Angaben zueinander stehen, ob sie auf separate Werke verweisen oder ob sie einfach ein Ergebnis unterschiedlicher Zitiergewohnheiten der sekundären Schriftsteller sind. Zur Beantwortung der Frage möchte ich die Titel in ihrer Bildung untersuchen und die unter ihrer Angabe zitierten Fragmente hinsichtlich ihres literarischen Charakters vergleichen.
2.1.1 Erotopaegnia Gellius, Charisius, Nonius und Priscian zitieren einige Bruchstücke, die sie einer mindestens sechs Bücher starken Sammlung namens Erotopaegnia zuweisen (F 37–43, mit F 41 aus Buch sechs). Der Titel Erotopaegnia, wörtlich ‚Liebesspielereien‘, ist wie auch andere Titel, die im Zusammenhang mit Laevius genannt werden, als originelles und singuläres Kompositum gebildet. Aus diesem Grund geht es mit großer Sicherheit auf den Dichter selbst zurück. Das griechische παίγνιον war eine Bezeichnung für verschiedene literarische Kunstformen, die sich so genau gar nicht unter einen Begriff bringen lassen. Vermutlich ist noch nicht einmal eine Beschränkung auf poetische Texte möglich.51 Zuerst soll ein sonst unbekannter Botrys von Messina eine wohl prosaische Sammlung unter diesem Namen veröffentlicht haben; Gleiches ist vom Philoso-
Eine Übersicht unten auf p. 52–4. Im Lateinischen wird häufig ludus (oder nugae) und ludere mit Bezug auf poetische Texte genutzt. Der Gebrauch rührt wohl von dem griechischen παίγνιον her: Ausonius gibt einem seiner Gedichte in Anlehnung an Laevius (siehe p. 51) den Namen Technopaegnion, dessen Bestandteile er in der prosaischen Einleitung (25.1) mit ars und eben ludus übersetzt. Eine genaue Übereinstimmung der beiden Wörter wird sich dennoch nicht ergeben, weil παίγνιον stärkeren Gattungscharakter hat. https://doi.org/10.1515/9783111237121-002
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2 Laevius und sein Werk: Die Erotopaegnia
phen Thrasymachos überliefert.52 Was sich dahinter verbirgt, ist aber weder bei dem einen noch bei dem anderen klar, weil beide Sammlungen gänzlich verloren sind. In anderen Zeugnissen wird die Bezeichnung παίγνιον für verschiedene dichterische Gattungen unterschiedlichen Inhalts und unterschiedlicher Grundstimmungen genutzt: Die Komödie, vielleicht auch die Lyrik, die Bukolik, das Kleinepos, die Epigrammatik, die Figurendichtung, beinahe alles, was jenseits des Epos und der Tragödie zu verorten ist, wird von unterschiedlichen Quellen als παίγνιον klassifiziert.53 Spätestens zu hellenistischer Zeit setzte sich die Bezeichnung als Titel für Gedichtsammlungen durch. Von den παίγνια des Liebesdichters Philetas von Kos, des Phainomena-Dichters Aratos und des sonst unbekannten Mnaseas aus Lokroi (oder Kolophon) ist aber nichts erhalten, das Rückschlüsse auf den Charakter der Sammlungen zulässt.54 Allein eine Anekdote bei Athenaios enthält einen kurzen Hinweis auf die Beschaffenheit der dichterischen παίγνια. Im Zusammenhang mit einer Beschreibung des Fisches σάλπη, der sich durch seine bunte Erscheinungsform auszeichne, schreib Athenaios: ‚Daher haben seine Bekannten den Mnaseas aus Lokroi oder Kolophon, der ein παίγνια betiteltes Werk verfasst hatte, wegen der Buntheit seiner Sammlung auch Salpe genannt‘.55 Wenn der Begriff ‚Buntheit‘ sich im Einzelnen auch nur schwer bestimmen lässt, passt Athenaios’ Charakterisierung der Sammlung doch zu der großen Bandbreite an Bedeutungen, die dem Wort παίγνια von der Komödie bis zur visuellen Poesie beigemessen wurden; und sie passt genauso gut zu den bunt gemischten laevianischen Fragmenten, die sekundäre Schriftsteller unter dem Titel Erotopaegnia zitieren: Subjektive Elemente (F 39, 42) finden sich darin genauso wie mythologische Liebesdichtung (F 40), hochartifizielle Sprache (F 37) genauso wie kolloquialer Stil (F 39), direkte Figurenreden (F 40) genauso wie narrative Partien im Präsens (F 43), herkömmliche
Das hier und im Folgenden gebotene Material ist nur ein Teil der Sammlung von Weichert (1830) 38 f., v. Blumenthal, RE xviii.2 2396–8, Sbardella (2000) 49–52 und Hordern (2003). – Zu Botrys’ παίγνια siehe Athen. 7.322a, wohl auch Polyb. 12.13.1 und dazu v. Blumenthal 2396; zum Philosophen Thrasymachos siehe D.-K. 78 A.1. Ferner hat Gorgias nach eigener Aussage mit seiner Helenarede ein παίγνιον geschaffen: ἐβουλήθην γράψαι τὸν λόγον Ἑλένης μὲν ἐγκώμιον, ἐμὸν δὲ παίγνιον (21). Die Stelle hilft bei Fragen zu Laevius nicht weiter und ist nur schwer zu deuten; vgl. zu den Ansätzen Schollmeyer (2020) z. St. Komödie Plat. leg. 7.816e; Lyrik: Athen. 14.638d, wenn der dort erwähnte, schwer einzuordnende Gnesippos (wohl fünftes Jh. v. Chr.) Lyrik schrieb (vgl. Hordern [2003]); Kleinepik: Suda s. v. Ὅμηρος (iii p. 517.29 Adler), zum Beispiel von der Βατραχομυομαχία; Bukolik: Ail. hist. an. 15.19 von Theokrit, ferner A.P. 7.196.6; Epigramm: A.P. 6.322 oder Philet. F 23, 25 Span.; Figurendichtung: Hephaist. p. 62.4–6 Consbruch. Vgl. Philet. F 23, 25 Span.; Suda s. v. Ἄρατος; für Mnaseas den folgenden Athenaiostext. Athen. 7.321 f ἐστὶ δὲ ποικίλος ὁ ἰχθύς. ὅθεν καὶ τὸν Λοκρὸν ἢ Κολοφώνιον Μνασέαν συνταξάμενον τὰ ἐπιγραφόμενα Παίγνια διὰ τὸ ποικίλον τῆς συναγωγῆς Σάλπην οἱ συνήθεις προσηγόρευον.
2.1 Bezeugte Gedicht- und Werktitel
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Gedichte genauso wie Figurengedichte (F 26). Dazu tritt eine ungemeine metrische Vielfalt. Gemeinsam ist den Fragmenten nur, dass sie größtenteils in erotischen Kontexten interpretierbar sind. Der Namensbestandteil παίγνια dürfte daher die abwechslungsreiche literarische Form der Sammlung bezeichnen, ἔρως das den Texten übergeordnete Thema.
2.1.2 Mythologische Einzeltitel Viel häufiger werden von denselben Zitatträgern, zusätzlich auch von Asper, Verrius/Festus und Macrobius, Fragmente unter einem individuellen Titel zitiert, der stets auf Personen oder Wesen aus dem Mythos verweist:56 Adonis, Alcestis, Centauri, Helena, Ino oder Phoenix. Auch bezeugt sind aus Komposita bestehende Titel, Sirenocirca oder Protesilaodamia (die häufig entweder als Protesilaos, F 31, oder als Laodamia, F 30, zitiert wird). Unsicher in der Deutung muss ein Gedicht bleiben, dessen einzig erhaltenes Fragment bei Festus mit der Angabe in †Virgo† (F 36) überliefert wird. Die künstlichen Bildungen Protesilaodamia oder Sirenocirca lassen wie schon die Erotopaegnia darauf schließen, dass die Titel allesamt original laevianisch sind. Später folgten zur Zeit Catulls die Epylliendichter Cinna und Calvus dem Beispiel Laevius’, indem sie ihre Gedichte ebenfalls mit Namen mythologischer Figuren wie Zmyrna oder Io überschrieben.57 Die unter diesen Titeln erwähnten Fragmente sind inhaltlich und formal nicht von den Erotopaegnia zu unterscheiden: Größtenteils bestehen Bezüge zu mythologischen Liebesgeschichten, auch wenn dabei manchmal ein subjektiver Sprecher als Dichter auftritt (F 22); es sind direkte Reden fassbar (F 24, 30, 34), ebenso erzählende Passagen im Präsens (F 1, 28, 29, wohl auch 25); Sprache von kolloquialer Art (F 22, 34) wechselt sich mit gehobener Sprache ab (v. a. F 5, auch im direkten Wechsel mit der Umgangssprache F 34), und zuletzt entsprechen auch die genutzten Metra denen von F 37–43. Einmal, im Falle von F 26, zitiert Charisius sogar ein Fragment mit dem individuellen Titel Phoenix und ordnet dieses gleichzeitig den Erotopaegnia zu. Aus all dem geht, wie mir scheint, klar hervor, dass F 1–25 und 27–36 ebenso als Bestandteile der Erotopaegnia zu verstehen sind, nur dass die Zitatträger sie auf andere Art als F 26 oder F 37–43 zitiert
F 1–36. Den Nachweis, dass es sich um Gedichte, nicht um Dramen handelt, erbrachte Weichert (1830) 39–41. Die Testimonien und Zitatkontexte, die Laevius als Liebesdichter neben Cinna stellen und von (lyrica) carmina sprechen, lassen wenig Zweifel an der Beschaffenheit der Texte (T1–3 und F 2–22). Wenigstens für Cinnas Zmyrna ist die Originalität des Titels sicher; vgl. Schröder (1999) 43 und 230.
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2 Laevius und sein Werk: Die Erotopaegnia
haben, also nicht den übergeordneten Titel, sondern nur den individuellen Gedichttitel erwähnten.58 Die Überlieferungslage ist in dieser Hinsicht mit Varros Satiren vergleichbar: Die Sammlung seiner 150 Bücher umfassenden saturae Menippeae besteht aus vielen voneinander gesonderten Satiren, denen jeweils ein eigener Titel beigegeben ist. Wie bei Laevius zitieren die Zitatträger der saturae Menippeae die Fragmente in den meisten Fällen einfach unter der Nennung des individuellen Satirentitels, selten wird nur der Name der Sammlung (in Menippeis oder auch in satura) erwähnt, manchmal wird aber auch beides zusammen genannt. Die Praxis, einzelne aus einer größeren Sammlung stammende Gedichte (oder in Varros Fall Satiren) mit eigenem Titel zu versehen, kam nach Laevius und Varro vermutlich wieder in der Kaiserzeit auf. Beispielsweise teilte Statius den Gedichten seiner Siluae eigene Überschriften zu.59
2.1.3 Polymetra Ein letztes Rätsel hinsichtlich der Titelgebung gibt Priscian auf. Er leitet ein Laeviusfragment mit der Herkunftsangabe in polymetris ein.60 Die Abweichung Priscians von seiner sonstigen Zitiertechnik irritiert zunächst, ein genauer Blick wird aber zeigen, dass Laevius weder ein einzelnes Gedicht noch ein ganzes dichterisches Werk unter diesem Titel verfasst haben dürfte. Ebenso wenig wird wohl, wie zuletzt A. Morelli vermutete, ein einzelnes Buch der Erotopaegnia so benannt worden sein.61 Die Priscianangabe ist meines Erachtens noch nicht einmal als originaler, laevianischer Titel zu verstehen. Die Bezeichnung polymetra (sc. carmina) wird also im Gegensatz zum Titel Erotopaegnia und zu den Einzeltiteln sekundär sein.62 Sie rührt von Priscian oder von einer Priscianquelle her und wurde, wenn man sich den metrischen Variantenreichtum von Laevius’ Fragmenten vor Augen hält, mit sehr gutem Grund auf sie angewandt: Häufig benutzen Priscian und andere Au-
So vor allen Leo (1914) 185. Vgl. (auch zu Martial) Schröder (1999) 176–89. Laeuius in polymetris: omnes sunt denis syllabis uersi, ‚Alle Verse haben je zehn Silben‘ (F 49). Ältere Literatur bei De la Ville de Mirmont (1903) 247–54, neuere bei A. Morelli (2000) 269–71. – Leo (1914) 185 hatte geurteilt, „daß diese Polymetra ein langes Poem sein konnten“. Aber Priscians in polymetris kann doch nichts anderes als in polymetris carminibus bedeuten; vgl. daher gegen Leo jetzt Morelli (2000) 269–71. – L. Müller (21894) 66: „Venit autem ad nos notitio duorum Laevii operum, quorum alteri Erotopaegnion, Polymetron alteri fuit nomen“. Bei L. Müller (1880) 83 lautet der Titel Polymetri (sc. libri?). Dagegen vgl. Morelli (2000) 270, Anm. 17.
2.1 Bezeugte Gedicht- und Werktitel
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toren ähnliche Angaben, um das Gedicht, aus dem ein zitiertes Fragment stammt, metrisch, inhaltlich oder hinsichtlich der Gattung näher zu bestimmen. Bei den lateinischen Grammatikern finden sich als ganz allgemeine Herkunftsangaben verschiedener Fragmente Ausdrücke wie in carminibus, in poematis, in epigrammatis oder etwas spezieller und daher eher vergleichbar in hendecasyllabis oder in anacreonteo, jeweils für Catull. Genauso wenig, wie man daraus schließen darf, dass es eine catullsche Gedichtsammlung mit dem Namen hendecasyllaba/-i gab,63 darf man daraus schließen, dass es eine laevianische Sammlung mit dem Namen polymetra gab. Dass für Laevius das etwas speziellere Adjektiv polymetrus benutzt wurde, ist daher mit der Beschaffenheit seiner Erotopaegnia und seiner Gedichte mit wechselnden Metra zu begründen. Besonders bei diesem Fragment, in dem auch der Inhalt um metrische Besonderheiten kreist, hatte Priscians Quelle (ein Metriker wie Caesius Bassus?) umso mehr Grund dazu, von polymetra carmina zu sprechen. Lateinische Metriker können den Begriff aus dem Griechischen gekannt haben: Das Adjektiv πολύμετρος ist zwar nicht allzu verbreitet, es scheint aber ein terminus technicus der antiken Literaturwissenschaft gewesen zu sein. Athenaios charakterisiert damit ein Drama namens Κένταυρος, das aus vielen verschiedenen Metren bestanden habe.64 Vorher wurde das selten belegte Adjektiv aber nur im eigentlichen Sinne (‚vielmessend‘, also ‚groß‘) gebraucht.65 Vermutlich haben erst antike Grammatiker oder Metriker dem Wort πολύμετρος einen neuen, auf Dichtung zielenden Sinn gegeben. Mir scheint es daher am naheliegendsten, auch dieses Laeviusfragment den Erotopaegnia zuzuordnen.
Pace Butrica (2007) 19 „this surely implies knowledge of a collection called Catulli Hendecasyllabi“. – Die genannten Zuweisungen: Calv. F 15 C./4FPL Bl. (= 27 H.) bei Char. 128.19 B. Caluus in carminibus, Cinna F 10 C./4FPL Bl. (= 12 H.) bei Gell. 9.12.12 Cinna in poematis, Cinna F 12 C./4FPL Bl. (= 15 H.) bei Non. 87 M. Cinna in epigrammatis, Hort. F 1 C./4FPL Bl. (= 99 H.) bei Varro ling. 8.14 Hortensius in poematis und öfter. Für die beiden Catullangaben vgl. Sen. contr. 7.4.7 und Char. 124.8 B. Catullus in hendecasyllabis, Caes. Bass. 27.12 Mor. (= GLK vi 262.19) Catullus in anacreonteo. Zu den Angaben und ihrer Interpretation siehe Schröder (1999) 174 f. Vgl. Athen. 13.608e ἐν δὲ Κενταύρῳ, ὅπερ δρᾶμα πολύμετρόν ἐστιν ‚im Kentauros, einem polymetrischen Drama‘; nach Aristot. poet. 1447b21 f. Χαιρήμων ἐποίησε Κένταυρον μικτὴν ῥαψῳδίαν ἐξ ἁπάντων τῶν μέτρων, ‚Chairemon hat eine aus allen Metren gemischte Rhapsodie namens Kentauros geschrieben‘. Aristoph. Ran. 1240 f. = Eur. TrGF v.1 (46) F 516 von einer Ähre.
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2.2 Themen und Inhalte der Erotopaegnia Schon die Untersuchung der Titel hat ergeben, dass Laevius’ Fragmente ein breites Spektrum an Themen und Inhalten aufweisen. Um mich ihnen in geeigneter Weise zu nähern, teile ich die Fragmente in diesem Kapitel in drei Kategorien ein, in Fragmente subjektiver Natur mit zeitgenössischem Bezug, in Fragmente größtenteils narrativer Natur mit mythologischem Bezug und in Fragmente, die sich dem zuordnen lassen, was heute unter dem Begriff Technopaegnia zusammengefasst wird. Nach der Besprechung der einzelnen Themenbereiche und deren literaturgeschichtlicher Einordnung möchte ich einen kurzen Blick auf die Frage werfen, inwiefern und ob Laevius seine Dichtung gegenüber seinen Vorbildern originell und innovativ gestaltet haben könnte. Zuletzt sollen alle Ergebnisse zusammengefasst werden, um ein Gesamtbild der Erotopaegnia zu zeichnen.
2.2.1 Laevius und die römische Gesellschaft Wenigstens sechs Laeviusfragmente weisen in Gebiete, die jenseits des Mythos liegen. In ihnen tritt ein Sprecher hervor, um sich aus seiner eigenen Perspektive zu zeitgenössischen Themen privater und öffentlicher Natur zu äußern. Von literaturtheoretischen Themen handeln wohl F 22, 46 und vielleicht auch 27. Mit den subductisupercilicarptores aus dem Prolog oder Epilog der Alcestis (F 22, ‚Verreißer mit hochgezogenen Augenbrauen‘) erwähnt Laevius eine Gruppe konservativer und böswilliger Kritiker, die in Dichtung allein den Zweck der Heldenverehrung und Kriegsdarstellung sehen und ganz andere ästhetische Standpunkte vertreten als ein Liebesdichter.66 Der Kontext des Fragments dürfte einem Topos folgen, der auf hellenistischer Dichtung gründet: Bereits zu Laevius’ Zeit hatten die lateinischen Dichter nicht-epischer und nicht-dramatischer Gattungen das kallimacheische Stilideal der ‚Kleindichtung‘ übernommen, das sie in apologetischen Teilen wie Kallimachos in seinem Aetien-Prolog verteidigten.67 Auch das
Properz versetzt sich in diesen Typos Mensch hinein: Prop. 2.10.8–10 bella canam, quando scripta puella mea est. / nunc uolo subducto grauior procedere uultu; / nunc aliam citharam me mea Musa docet. Vgl. von Kallimachos ausgehend und mit Schwerpunkt auf Lucilius Puelma Piwonka (1949) 116–69, für die augusteische Dichtung siehe Wimmel (1960), für das Laeviusfragment siehe unten p. 91–3. – Den Begriff ‚Kleindichtung‘ nutzt etwa Cairns (1979) 21 in Anlehnung an Puelma Piwonka. Er ist insofern passend, als er „simplicity and smallness as Hellenistic poetic themes“ im Gegensatz zum Heldenepos und zu großen Teilen der tragischen Dichtung hervorhebt. Damit soll aber nichts über die Länge der Gedichte gesagt sein (wie der Begriff suggerieren könnte).
2.2 Themen und Inhalte der Erotopaegnia
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Laeviusfragment ist in dieser Tradition als eine Absage an das Epos oder die Tragödie zu verstehen. Man sollte deshalb speziell bei diesem Fragment vorsichtig dabei sein, konkrete Persönlichkeiten zu vermuten, an die sich Laevius direkt wenden könnte. Und man sollte Laevius’ Aussagen auch nicht verabsolutieren und annehmen, die Liebesdichtung hätte keinen Platz in der römischen Oberschicht gehabt. Zwar gab es zahlreiche Gegner des Philhellenismus im Rom dieser Zeit, aber immerhin hatten sogar manche aktive oder zukünftige Politiker wie Lutatius Catulus keine Probleme damit, selbst Liebesdichtung zu schreiben.68 Weil in der zweiten Hälfte des zweiten Jh. s Literatur ein immer wichtigerer Teil der römischen Gesellschaft wurde, waren unabhängig von dieser Frage und von der Gattung der Liebesdichtung zu Laevius’ Zeit auch in die Öffentlichkeit getragene Auseinandersetzungen über literarische Themen und stilistische Prinzipien keine Seltenheit. Lucilius’ Satiren sind wohl neben den vielen literaturgeschichtlichen und -kritischen Werken dieser Zeit das beste Zeugnis dafür.69 Und auch Terenz hat sich in seinen Prologen gegen den vermutlich konkreten Vorwurf verteidigt, er hätte mehrere Menanderkomödien ungeschickt miteinander kontaminiert. Gleichermaßen könnte sich auch Laevius gezwungen gesehen haben, mit deutlichen Worten auf bestimmte Kritiker zu reagieren; bedenkenswert wäre das etwa bei F 46.70 In jedem Falle gilt wohl, dass die Erotopaegnia und ihr Dichter bekannt genug waren, dass man sich über einen längeren Zeitraum in aller Öffentlichkeit mit ihnen auseinandergesetzt hat. Überhaupt scheint Laevius seinen festen Platz in der öffentlichen römischen Welt eingenommen zu haben. Das zeigen neben den Auseinandersetzungen über literarische Ästhetik auch die Erwähnungen bestimmter, wenn auch nicht klar identifizierbarer Personen in seinen Erotopaegnia. Einmal (F 39) spricht Laevius von einem Varro, der sicherlich zur im zweiten und ersten Jh. angesehenen Familie der Terentii gehört. Ein anderes Mal (F 45) werden einige Wörter an eine Vatiena gerichtet. Vatiena selbst ist aus keiner anderen Quelle bekannt, sicher ist nur, dass sie mit einem sabinischen Adelsgeschlecht in Verbindung stand, von dem einzelne Vertreter irgendwann im späten zweiten oder frühen ersten Jh. v. Chr. nach Rom gekommen waren.71 Der Ton des Fragments mea Vatiena, amabo deutet auf eine enge Vertrautheit zwischen Vatiena und dem Sprecher hin. Aus all dem geht hervor, dass Laevius kein Außenseiter war, sondern in den Kreisen der kulturellen und politischen Elite Roms seiner Zeit beheimatet gewesen ist.
Vgl. Scholz (2011) 173–96. Vgl. z. B. De Poetis von Volcacius Sedigitus (Courtney [22003] 93–6), das Lehrgedicht von Porcius Licinus (Courtney [22003] 83–92) oder Accius’ Didascalica. So deutet zum Beispiel Leo (1914) 187 Laev. F 22, 27 und 46. Vgl. zur gens Vatiena Marek (1977) 38–42 und unten p. 260f.
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Einen spezifischen Verweis auf das politische Leben enthält F 42 mit der lex Licinia, die auch Lucilius wenigstens einmal erwähnt.72 Dass Laevius sich auch aktiv auf der politischen Bühne eingebracht hat, ist aber nicht bekannt. Vielleicht gehörte er wie auch Lucilius zu den ersten lateinischen Dichtern, die nicht politisch tätig waren, aber doch eine Stimme von genügend Gewicht erlangt hatten und gut genug vernetzt waren, um in der Öffentlichkeit kommentierend an gesellschaftlichen Prozessen teilzunehmen.
2.2.2 Laevius, der Mythos und die griechische Dichtung Weit in der Überzahl sind diejenigen Fragmente, die sich bestimmten Mythen zuordnen lassen. Soweit ersichtlich werden sie unter dem Hauptaugenmerk des Erotischen behandelt. Viele dieser Mythen hatten zuvor noch keine dichterische Ausgestaltung in lateinischer Sprache erfahren. Laevius hatte offenbar aus seiner Lektüre griechischer Quellen Kenntnis von ihnen. Sein Gebrauch der erotischliterarischen Motivik zeigt deutliche Parallelen zur spätklassischen und hellenistischen Liebesdichtung. Der Schwerpunkt seiner Themenwahl liegt in epischen und tragischen Stoffen. Das Gedicht über Hektor und Andromache F 40 (Ilias), die Sirenocirca (Odyssee), die Helena (Kyprien) oder die Protesilaodamia (Kyprien) weisen direkt auf bestimmte Episoden aus dem griechischen Epos. Wie in der Tragödie sind auch Tendenzen zu unglücklichen, häufig mit dem Tod eines zentralen Charakters endenden Mythen erkennbar: so bei der Protesilaodamia, zudem bei der Alcestis, der Ino und dem Adonis. Laevius bewegt sich hiermit zunächst ganz im Sinne seiner Zeit. Das Interesse an den alten griechischen Epen im Rom des zweiten Jh. s war groß und schlug sich in mehreren Übersetzungen der Odyssee, der Ilias oder der Kyprien nieder.73 Auch die republikanische Tragödie stand im späteren zweiten Jh. mit ihren Vertretern Pacuvius und Accius noch auf dem Höhepunkt ihrer Beliebtheit. Dennoch müssen Epos und Tragödie nicht unbedingt die Vorbilder der Erotopaegnia gewesen sein.
Lucil. 1200 M. Livius Andronicus’ Odyssia wurde schon zu früher Zeit hexamtrisch überarbeitet: Livius Refictus F 1–4 C. (= Liv. Andr. 37–40 4FPL Bl.). Die Datierung ist mit der archaischen Länge mandissēt in F 2 C. (= 39 4FPL Bl.) gesichert. – Gnaeus Matius übersetzte die Ilias: Mat. F 1–8 C./4FPL Bl. – Ein nicht näher bekannter Naevius übersetzte die Kyprien: Naev. Iun. Cypr. Il. F 1 f. C./4FPL Bl. Die Datierung ist unklar, aber er wird von den Zitatträgern unter die ueteres gerechnet. Ebenfalls nicht datierbar ist Ninius Crassus’ Iliasübersetzung Ninn. F 1 f. C./4FPL Bl.
2.2 Themen und Inhalte der Erotopaegnia
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Laevius schlug als erster wirklicher Liebesdichter mit seiner Orientierung auf das Erotische auch eigene, für den Römer wohl verhältnismäßig neue Wege ein. Bei der Behandlung epischer Stoffe scheint er sich daran orientiert zu haben, wie die spätklassische und hellenistische Dichtung mit den homerischen und kyklischen Epen umgegangen war. Philetas von Kos oder Alexander von Ätolien griffen ebenfalls auf ausgewählte Szenen aus den homerischen Epen zurück und setzten sie in neue erotische Kontexte. Philetas hat in seinem Hermes Odysseus’ Affäre mit Aiolos’ Tochter ins Zentrum gerückt.74 Von Alexander ist wenigstens dem Namen nach eine Kirke bekannt, für die eine ähnliche Erotisierung vermutet wird.75 Genauso lassen auch die Laeviusfragmente vermehrt eine Betonung der intimen Emotionalität und der Menschlichkeit gerade epischer Charaktere und Götter, vorzugsweise Göttinnen, erkennen: Der homerische Held Hektor träumt in einem Fragment von seiner verführerischen Frau Andromache (F 40), in der Sirenocirca muss die Göttin Kirke von ihrem Geliebten Odysseus Abschied nehmen (F 34), in der Protesilaodamia klagt die einsame und im Epos nur nebenbei erwähnte Laodamia ihren nicht aus dem Krieg heimkehrenden Mann wegen seiner vermeintlichen Untreue an (F 30). Anders aber als die griechischen Dichter hat Laevius die Mythen zusätzlich auf der Ebene der Sprache in seine eigene Welt übertragen: Besonders in den direkten Reden der Helden sind auf überspitzt-künstliche Art Kolloquialismen genutzt, womit Laevius nicht nur Inhalt und Sprache miteinander in Einklang brachte, sondern auch den an die Komödie angelehnten Sprachstil der zukünftigen römischen Liebesdichtung mitprägte.76 Die Entsprechungen bestimmter Gedichte aus den Erotopaegnia mit der Tragödie sind dagegen nur schwer zu bewerten. Übereinstimmungen der laevianischen Titel mit Tragödientiteln sind allein schon deswegen unvermeidbar, weil unter den vielen hundert griechischen Dramen, von denen wir die meisten nur dem Namen nach kennen, kaum ein für die Literatur geeigneter Mythos fehlt. Wirkliche Abhängigkeiten sind nur erahnbar: In der Beschreibung des vom Alter zerfressenen Pheres in der Alcestis (F 2) könnten vielleicht Parallelen zum gleichnamigen Stück des alten Tragikers Phrynichos bestehen (TrGF i [3] F 2). In seiner Protesilaodamia, vielleicht ebenfalls in der Alcestis (nicht aber in der Helena) scheint Laevius auch relativ nahe den bei Euripides zugrunde gelegten Geschichten gefolgt zu sein. Aber weder das eine noch das andere ist wirklich zwingend, und es wäre sicherlich falsch, berühmte Tragödien als Blaupause für den Inhalt laevianischer Gedichte
Vgl. dazu Spanoudakis (2002) 95–142. Vgl. Magnelli (1999) 125–7; auch unten p. 217. F 26 oder 40; vgl. auch unten p. 28–34.
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heranzuziehen. Stattdessen könnte man auch hier, sofern es sie gab, zusätzliche Quellen aus spätklassischer und hellenistischer Zeit vermuten. Der spätklassisch-frühhellenistische Dichter Antimachos von Kolophon hatte seiner Liebesdichtung hinsichtlich der Themenwahl ganz ähnliche Kriterien zugrunde gelegt. Ausgangspunkt seiner in elegischen Distichen verfassten Lyde war wohl die Trauer um den frühen Tod einer gleichnamigen Frau. Wie zur Verarbeitung des prägenden Ereignisses reihte der Dichter in dem mindestens aus zwei Büchern bestehenden Werk eine hohe Anzahl an traurigen Mythen, meist mit erotischem Schwerpunkt, aneinander. Darunter finden sich die Geschichten von Iason und Medea (F 67–77 Matthews) oder von Idas und Apollon (F 88 f. Matthews). Wie auch Laevius behandelte Antimachos den frühen Tod des Adonis und Aphrodites’ Trauer darüber. Nur ist die Lyde noch fragmentarischer überliefert als die Erotopaegnia, und über ihren Charakter liegt zu viel im Dunkeln, um mögliche Gemeinsamkeiten weiter zu verfolgen.77
2.2.3 Laevius und die hellenistische Formspielerei F 26 und 49 sind solchen Gedichten zuzuordnen, die man heute mit Ausonius als Technopaegnia bezeichnet.78 Unter diesem Begriff werden Texte zusammengefasst, mit denen der Autor seine stilistischen Fähigkeiten demonstrieren möchte, indem er seine Gedichte komplizierten Regeln unterwirft. Zum Beispiel kann er einzelne Buchstaben vermeiden oder stets die gleiche Buchstabenanzahl innerhalb eines Verses nutzen.79 Laevius stellte sich in F 49 die Aufgabe, seine Verse stets so zu bauen, dass sie zehn Silben aufweisen, omnes sunt denis syllabis uersi (‚alle Verse haben je zehn Silben‘). Weil nur dieses kleine Stückchen erhalten blieb, kann sich das Gedichtganze ebenso wenig wie die Metrik in letzter Konsequenz erschließen. Griechische oder lateinische Texte, die bis ins Einzelne vergleichbar wären, gibt es jedenfalls nicht. Dennoch liegen ungefähre Parallelen zu buchstabenzählenden Gedichten und Ähnlichem offen auf der Hand. Bei F 26 handelt es sich um die ersten zwei Verse eines Figurengedichts. Das entscheidende Merkmal von Figurendichtung besteht darin, dass durch Variation der Länge einzelner Verse ein äußerer Umriss des Gedichts erzielt wird, der an bestimmte Gegenstände oder mythische Wesen erinnern soll. Für die griechische Vgl. zur Lyde Matthews (1996) 26–39. Den Begriff hat erst Ausonius in Anlehnung an Laevius gebildet; vgl. unten p. 51. Zu Buchstabenspielen in der griechischen Dichtung siehe Luz (2010) 79–137; Mutmaßungen zum Laeviusfragment 49 vor diesem Hintergrund finden sich detaillierter unten p. 271–3.
2.2 Themen und Inhalte der Erotopaegnia
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Literatur gibt es seit hellenistischer Zeit vereinzelte Vertreter dieser Praxis, allen voran Simias von Rhodos und Theokrit, später auch die sonst unbekannten Dichter Besantinos und Dosiadas.80 Für das Lateinische bleibt Laevius’ Figurengedicht, soweit noch erkenntlich, lange Zeit singulär: In ionischen Metren bildete er die Flügel eines Phoenix nach. Erst gut 400 Jahre später, zur Zeit Konstantins, entwickelte Optatianus Porfyrius die Praxis weiter und begründete ihre Beliebtheit in der spätantiken und mittellateinschen Literatur.81 Es gibt keine Spur davon, dass es bereits vor Laevius ein Gedicht gab, das Phoenixflügel darstellte, obwohl die Existenz einer solchen Vorlage auch in der jüngeren Forschung gerne postuliert wurde. Die größte Nähe formaler Natur zeigt Laevius’ Gedicht zu Simias’ Erosflügeln, die einen ähnlichen Umriss aufweisen, inhaltlich aber eine gänzlich andere Richtung einschlagen.82
2.2.4 Laevius’ Originalität Wenn die Tendenzen zu epischen und tragischen Stoffen und eine Anlehnung an die hellenistische Formspielerei auch deutlich genug erkennbar sind, lassen sich einzelne Inspirationsquellen oder sogar bestimmte Gedichte, deren Spuren Laevius verfolgt hätte, nicht eindeutig benennen. Fehlende Entsprechungen müssen aber nicht darin begründet liegen, dass die Erotopaegnia, die griechische Tragödie oder die spätklassische und hellenistische Liebes- und Experimentaldichtung zu fragmentarisch erhalten sind, um genaue Aussagen treffen zu können. Der Befund muss, wie mir scheint, auch auf Laevius’ eigenen Innovationsgeist zurückzuführen sein. Er war ohne Frage gut vertraut mit der griechischen Literatur, hat sich natürlich an vielen verschiedenen Texten gebildet und entnahm ihnen, was ihm für seine eigene Dichtung geeignet schien. Die Art, wie er diese Themen behandelte, dürfte aber auf ihn selbst zurückgehen.83 In der Protesilaodamia F 28 stellt Laevius beispielsweise dar, wie die Gäste einer Hochzeit zusammenkommen und fescenninische Verse mit obszönen Witzen über den Bräutigam Protesilaos singen. Die Praxis weist auf einen alten römischen Brauch und hatte in Griechenland keine Entsprechung. Wie also bei Ovid die Göt-
A.P. 15.21–7; vgl. zu den griechischen Figurengedichten Luz (2010) 327–53 und Kwapisz (2013). Unabhängig von Laevius identifiziert Männlein-Robert (2017) 324–32 die bei Opt. Porf. 3 dargestellten Flügel ebenfalls mit einen Phoenix. Inhaltliche Verbindungen zu Laevius bestehen aber nicht. – Zur Entwicklung des Figurengedichts siehe Ernst (1991). Einen Vergleich zwischen Laevius’ Phoenix und Simias’ Erosflügeln zieht jetzt Kwapisz (2019) 72–8. Nach ihm spielt Laevius direkt auf Simias an. So auch Leo (1914) 184 f.
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terversammlung nach Art des römischen Senats tagt (met. 1.163–252), so laden Laodamia und Protesialos bei Laevius zu einem Fest ein, das ganz nach römischen Gewohnheiten gefeiert wird. Eine griechische Vorlage dafür kann es nicht gegeben haben. Das Vorgehen an sich, also die mythischen Helden in die Alltagswelt zu tragen, sie zu emotionalisieren und zu vermenschlichen, stammt jedoch aus der spätklassisch-hellenistischen Dichtung. Vermutlich hat sich Laevius mit seiner Apologie gegenüber den Freunden der Epik (F 22) sogar explizit in eine hellenistisch-kallimacheische Tradition gestellt. Bei seinen Formspielen F 26 und F 49 verhält es sich ähnlich. Ganz offensichtlich kannte Laevius Simias und seine Figurengedichte. Für seinen Phoenix orientierte er sich vermutlich an den Erosflügeln. Jedoch übernahm er nur die Methode, ging im Detail eigene Wege, und formte mit seinem Phoenix ein Gedicht, das, wie sich in den Untersuchungen zu F 26 zeigen wird, als eine Art Sphragis auf seine Erotopaegnia als Ganzes abgestimmt ist.
2.2.5 Aufbau und Anlage der Erotopaegnia Der Phoenix hat damit zugleich auch eine Bedeutung für Laevius’ Gesamtwerk und gibt Auskunft über das Selbstbild des Dichters. Nach Charisius’ Zeugnis bildete das ungewöhnliche Figurengedicht den Abschluss der Erotopaegnia. Es erfüllt eine Sphragis-Funktion: Indem Laevius sein Gedicht als einen Phoenix erscheinen lässt, beansprucht er für sein Werk die dem mythischen Vogel üblicherweise zugeordneten Eigenschaften der Unsterblichkeit und der Singularität.84 Unzweifelhaft ist die Stellung des Phoenix als letztes Gedicht innerhalb der gesamten Sammlung bewusst vom Dichter gewählt worden. Daraus ist klar ersichtlich, dass Laevius seine Erotopaegnia zu Lebzeiten vollendet hat. Der Anordnung der Gedichte innerhalb eines Buches maß er Gewicht bei. Das Werk wurde auch nicht als Ganzes, sondern vermutlich wie etwa auch Properzens Liebeselegien buchweise veröffentlicht. Andernfalls wäre es für Laevius unmöglich gewesen, aktuelle gesellschaftliche Themen pointiert und zeitnah zu kommentieren (F 42).85 Jedes Gedicht für sich muss eine erhebliche Länge von vermutlich mehreren hundert Versen aufgewiesen haben. Aus der Alcestis zitiert Gellius immerhin über 20 auffällige Wortprägungen oder Metaphern, die bestimmt nicht geballt auftraten (F 2–22). Sie müssen in einem Abstand von mehreren Versen aufeinan-
Zu den genauen Sphragis-Funktionen des Phoenix siehe zu F 26. Courtney (22003) 118 argumentiert mit F 22, F 27, F 46, die er als Antworten auf reale Kritiker fasst.
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dergefolgt sein. Auch aus der Protesilaodamia sind Bruchstücke unterschiedlicher Szenen erhalten: Es wird die Hochzeit des Paares (F 28 f.) dargestellt, eine Klagerede der zurückgelassenen Laodamia (F 30) oder die Sehnsucht des toten Protesilaos (F 31). Die Szenen dürften jeweils größeren Raum eingenommen haben, so dass das gesamte Gedicht auch entsprechend lang gewesen sein muss. Ähnlich wie spätere Epylliendichter hatte Laevius also ein Interesse daran, den Mythos oder einen bestimmten Abschnitt des Mythos als eine in sich geschlossene Einheit darzustellen. Es ist aber nicht mehr möglich, den genauen Aufbau der eigentlichen Erzählung und des eigentlichen Gedichts zu rekonstruieren. Aus den Fragmenten ist allein ersichtlich, dass die mythologischen Gedichte aus vermutlich größeren erzählenden Partien bestanden, die meist das Präsens als Erzähltempus aufwiesen (wohl F 1, 2, 25, 28, 29, 36). Einen großen Anteil hatte Laevius Figurenreden hauptsächlich weiblicher Charaktere eingeräumt (F 30, 34, ferner 26, vielleicht auch 9 und 11). Vermutlich waren die Gedichte auch mit Exkursen zu bestimmten Einzelheiten versehen: Ein sonst nicht näher zuzuordnendes Fragment besteht beinahe ausschließlich aus der Aufzählung abgelegener Zutaten für einen Liebeszauber (F 44). Das erinnert stark an die absurde Zurschaustellung von Gelehrsamkeit in den ennianischen Hedyphagetica, deren einziges Fragment aus einer Aneinanderreihung seltener Fischarten besteht. Laevius nutzte die sich ihm bietenden Gelegenheiten, das Dichterideal des poeta doctus zu repräsentieren. Vielleicht zielen die griechischen Kritiker bei Gellius genau darauf, wenn sie von Laevius’ carmina implicata sprechen (T 2). Die Wortverbindung ist in dieser Art sonst nirgends belegt und nicht sicher interpretierbar. Es bleibt unklar, ob sie sich auf eine schwere Verständlichkeit der Gedichte bezieht, die dem Aufbau und dem Inhalt geschuldet sein könnte, ob sie die exzentrische Dichtersprache des späten zweiten Jh. s charakterisiert oder ob sie womöglich auch eine Mischung aus beidem bezeichnet. Fragmente, in denen Laevius sich mit seiner eigenen Dichtung und der Kritik, die ihr womöglich zuteilgeworden ist, auseinandersetzt, werden von den Zitatträgern ebenfalls unter mythologischen Titeln zitiert (F 22 und vielleicht 27). Dichtungstheoretische Betrachtungen und die apologetische Behandlung des eigenen Stilideals (F 22) erschienen also nicht wie häufig in der späteren Liebeselegie als eigenes Gedicht.86 Sie waren wie bei späteren Epylliendichtern87 oder bei Vergils
Vgl. u. a. Ov. am. 1.1, Prop 3.1–3 oder auch Prop. 2.1, ferner 2.10; auch sonst etwa Hor. sat. 1.4 und 1.10, carm. 1.6 u. a.; vgl. die Behandlung der apologetischen Gedichte aus augusteischer Zeit bei Wimmel (1960). Am Anfang des Culex rechtfertigt der Dichter sich gegen mögliche Kritiker hinsichtlich der Themenwahl und Darstellungsform (v. 1–10); vgl. ebenso die Apologie in der Ciris 1–91. Ferner nennt Dracontius im Helena-Proöm seine Vorbilder Homer und Vergil (Drac. Romul. 8.11–30). In-
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sechster Ekloge in Einzelgedichte mit einem übergeordneten und mythologischen Thema eingebunden. Ob Laevius neben solchen Prologen oder Epilogen auch kleinere rein subjektive Gedichte verfasst hat, die mit Lucilius oder Catull vergleichbar wären, ist aus der Überlieferung heraus nicht mehr ersichtlich. Sollten die ohne Titel zitierten zeitgenössischen Anspielungen wie die Erwähnung der lex Licinia (F 42) oder die vertraute Ansprache an Vatiena (F 45) ebenfalls Teil der Prologe oder Epiloge mythologischer Gedichte gewesen sein, könnte sich eine Gemeinsamkeit mit der griechischen Liebeselegie ergeben: Vermutlich ging auch Antimachos’ Lyde von einem subjektiv geprägten Teil über den Tod der Lyde aus und kam danach zu den längeren Darstellungen trauriger Liebesgeschichten.88 Vergleichbar sind vielleicht auch die beiden mythologischen Gedichte von Properz über Hylas (1.20) und Dirke (3.15). Sie können eine Vorstellung von solchen objektiven Elegien mit subjektivem Ausgangspunkt geben: Der Sprecher beginnt beide Gedichte mit einer wenige Verse umfassenden Beschreibung eines persönlichen Erlebnisses. Daraus ergibt sich dann der Anlass für die ausführlichere Behandlung eines bestimmten Mythos, der in ein Verhältnis mit der subjektiven Partie gestellt wird. Ähnlich verhält es sich mit Horazens Europaode (carm. 3.27): Sie beginnt als Propemptikon mit einer Ansprache an die abreisende Galatea. Der Gedankengang führt nach diesem ersten Drittel des Gedichts schnell zu einer längeren Ausgestaltung des Europamythos (25–76). Ein Gedichtaufbau dieser Art ist auch für Laevius gut vorstellbar, aber nicht sicher.
2.3 Sprache Weil die Laevius zitierenden Autoren größtenteils Interesse an außergewöhnlichen Wortbildungen und grammatischen Phänomenen hatten, ermöglichen sie uns einen guten Einblick in die sprachlichen Eigenheiten der Erotopaegnia und ihrer Zeit. Zugleich gilt es im Auge zu behalten, dass diese Eigenheiten nicht das dichterische Gesamtwerk des Laevius repräsentieren können, sprachliche Besonderheiten in den Fragmenten also überrepräsentiert sind.
wiefern Cinna und Calvus dichtungstheoretische Betrachtungen in ihre Epyllien integrierten, ist heute unklar. Vgl. z. B. Cairns (1979) 219 f. und die Diskussion anderer Standpunkte bei Matthews (1995) 32–7.
2.3 Sprache
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2.3.1 Laevius als praeneoterischer Dichter? „Kühner Sprachneuerer“, „bizarre novelty“, „un neoterico o meglio un pre-neoterico“ – viele Urteile über Laevius’ Stil betonen den innovativen Charakter seiner Sprache oder rücken von ihm vorweggenommene neoterische Elemente ins Zentrum der Betrachtung.89 Sie gehen nicht gänzlich in die Irre, unterschlagen aber Laevius’ starke Abhängigkeit von der Dichtersprache des zweiten Jh. s und überbetonen seine sprachliche Nähe zu Catull. Laevius’ Wortneubildungen oder -zusammensetzungen sind nichts wirklich Neues und auch nichts, das gerade auf Catull weisen würde. Sie sind Zeichen einer sprachlichen Freiheit, die sich die altlateinischen Dichter vor Catull verstärkt herausnahmen. Neben Laevius hatte beispielsweise Pacuvius die dichterischen Möglichkeiten der Wortbildung besonders stark ausgeschöpft und genutzt. Bereits bei Lucilius findet sich darauf zielende Kritik.90 Einige der konstituierenden Elemente der altlateinischen Dichtersprache, neben der Wortbildungsfreiheit auch das Streben zum Gleichklang, heteroklitische Formen oder Analogiebildungen und -konstruktionen in der Morphologie und Syntax, sind bei Laevius, wie sich im Laufe des Kapitels zeigen wird, noch verstärkt nachzuweisen. Ein sprachlicher Wandel hinsichtlich dieser Besonderheiten ist später in Lukrezens De rerum natura schon gut fassbar, in Catulls Epigrammen dann nicht mehr zu übersehen.91 Nicht zuletzt wegen dieses später stattfindenden Bruchs zwischen der altlateinischen Dichtersprache und dem catullschen Purismus wäre es irreführend, Laevius als ‚Neoteriker‘ oder ‚Praeneoteriker‘ zu bezeichnen.92 Er ist ein altlateinischer Liebesdichter.
Zitate in dieser Reihenfolge aus von Albrecht (32012) i 283, Courtney (22003) 118, Marconi (1963) 135. Eine allgemeine Betrachtung von Laevius’ Sprache bei Traglia (1957), ferner Tempesti (1986). Siehe Lucilius (212 M.) und Quintilian (inst. 1.5.67) jeweils zum berühmten Vers Nerei repandirostrum incuruiceruicum pecus (238 Sch.); vgl. dazu Manuwald (2003) 120–2. Zu Catulls Sprache vgl. Ross (1969) und Chahoud (2021). Zu den bedeutenden Unterschieden zwischen Laevius’ und Catulls Sprache vgl. Ross (1969) 156–61, Perutelli (2002) 63–70 und A. Morelli (2000) 274–6. Zuletzt ist Laevius auch im HLL i 116 als ‚Neoteriker‘ geführt, weshalb ihm in der bis ins Jahr 78 reichenden Literaturgeschichte noch kein Kapitel gewidmet wurde. Bei Conte (1994) ist er zusammen mit Aedituus, Licinus und Catulus in die Kategorie „Pre-Neoteric Poets“ eingeordnet und hauptsächlich mit Blick auf Catull behandelt. Aber auch von der hocharchaischen poetischen Technik des Aedituus vermittelt der Begriff ein falsches Bild, obwohl mit dem erotischen Epigramm sicherlich eine beliebte neoterische Gattung vorweggenommen wird; vgl. dazu Pulz (2022).
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2.3.2 Laevius als altlateinischer Dichter Als wesentliches Merkmal von Laevius’ Sprache sind die zahlreichen (zu vermutenden) Neologismen und hapax legomena oder die ungewöhnlichen, von der Norm abweichenden Deklinationen oder Konjugationen als erstes bemerkenswert. Die Bildungen entsprechen in ihrer Praxis dem Stil der Sprache des frühen Epos, der Tragödie oder der Komödie und weisen Laevius als altlateinischen Dichter aus: Neue Bildungen inchoativer Verben (F 11 fortescere), Substantivbildungen auf -entia (F 12 dolentia), Abweichungen vom gewöhnlichen Genus (F 1 humus als Maskulinum/Neutrum), Adjektive, die aus Partizipien rückgebildet sind (F 3 oblitterus) oder Analogiebildungen (F 32 claustritumus gemäß aeditumus) sind die markantesten Beispiele. Hinzu kommen verhältnismäßig viele Gräzismen (beispielsweise F 25 herois, F 23 petra oder überall in F 44), wie sie in der lateinischen Dichtung vor allem bis zur Klassik gehäuft auftraten. Syntaktische Nachahmungen des Griechischen, etwa die Nachstellung von nam wie erstmals bei Catull oder die Nachstellung von et wie erstmals bei Vergil, sind in den Fragmenten nicht nachweisbar.93 Eine weitere zu Recht betonte Auffälligkeit liegt in den vielen freien Kompositumbildungen, die in der Forschungsliteratur des 19. und frühen 20. Jh. s ‚Wortmonstren‘ oder ‚Wortungeheuer‘ genannt wurden.94 Solche oft nur einmal belegbaren Komposita sind ein gattungsübergreifendes Merkmal der altlateinischen Dichtung.95 Das Nomen subductisupercilicarptores (F 22) erinnert am ehesten an die Sprache der Komiker; vergleichbar ist die plautinische Bildung Thensaurochrysonicochrysides (Capt. 285) oder die des Aristophanes ἀρχαιομελισιδωνοφρυνιχήρατα (Vesp. 220.). Andere Komposita (F 2 tardigenuclus, F 19 trisaeclisenex u. a.) standen dagegen in einem durchaus ernsten mythologischen Kontext und dürften kaum komisch gewirkt haben. Solche in der klassischen Dichtung wenig gebräuchlichen Wörter sind ein Merkmal der erwähnten Überspitzung dichterischer Praktiken des zweiten Jh.s. Mit Laevius in ihrer Freiheit vergleichbare Bildungen tauchen neben der Komödie vermehrt seit Ennius96 und vor allem bei Pacuvius auf (repandirostrus, incuruiceruicus).
[Laev]. F 12a C. (= 32 4FPL Bl. = [Liv. Andr.] TrRF i 16) mit nachgestelltem et in v. 2 stammt weder von Laevius noch von Livius Andronicus; siehe p. 129–43. Eine (heute amüsante) Beurteilung seines Stils im Sinne der stark vom Klassizismus geprägten Auffassung des 19. / frühen 20. Jh. s bei Ribbeck i (1887) 303–6 („frivoler Klingklang.“). Gegen Panagl (1986) 575 finden sich Komposita auch außerhalb der Dramatik; vgl. Lindners (2002) Zusammenstellungen. Für Livius und Naevius sind weniger exzessive Komposita belegt; vgl. ausführlicher unten Anm. 294.
2.3 Sprache
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Das pacuvianische tardigradus könnte sogar direkten Einfluss auf Laevius’ tardigenuclus (F 2) ausgeübt haben.97 Man schöpfte zu dieser Zeit die Bildungsmöglichkeiten der altlateinischen Dichtersprache verstärkt aus, stieß jedoch an seine Grenzen und war damit über das zweite Jh. hinaus kaum erfolgreich.98 Schon die vergleichsweise häufigen Komposita bei Catull büßten in ihrer Bildung an Freiheit ein und waren oft nur noch auf bestimmte Typen mit festem hinteren Bestandteil (-fer, -ficus, -gena, -ger, -pes, -potens, -uolus u. a.) beschränkt.99 Genauso ist das Streben zum Gleichklang bei Laevius wie auch bei anderen frühen lateinischen Dichtern noch stark ausgeprägt. Alliterationen, Homoioteleuta oder andere Klangfiguren unterschiedlicher Art begegnen in aller Regelmäßigkeit.100 Einige heteroklitische Deklinationen oder unklassische Bildungen liegen hierin begründet: Zum Beispiel behandelt Laevius das eigentlich feminine Nomen humus als Maskulinum (oder Neutrum), um die Häufung des u im Ausdruck humum humidum (F 1) zu erzielen.101 Wie der vermehrte Gebrauch von Wortneubildungen ist diese Technik keine Frage der Gattung, sondern der dichterischen Mode und des ästhetischen Empfindens der frühliterarischen Zeit: Sie ist im Epos des Ennius genauso präsent wie in der Komödie des Plautus. Erst die Dichtung des ersten Jh.s, allen voran wieder Catull, bricht damit, wenn auch nicht gänzlich. In seinem Peleus-Epyllion wird gerade die Alliteration vereinzelt etwa als Mittel zur Archaisierung oder zur Betonung emotionaler Stellen bewusst eingesetzt.102
repandirostrus und incuruiceruicus bei Pacuv. 238 Sch., tardigradus 3.1 Sch.; vgl. auch das wohl aus derselben Zeit stammende Adjektiv perterricrepus TrRF i adesp. 42 (auch noch bei Lucr. 6.129), das bei Cicero (orat. 164) wegen seiner zu freien Bildung kritisiert wird. Vgl. dazu Schierl (2006) 30. Vgl. Ross (1969) 19–22 mit einer Sammlung der Stellen. Vgl. F 8 silenta loca mit pestilenta und puluerulenta, F 26 amoris altrix genetrix cuppeditatis, F 35 cinctis uehiculis hippocampisque asperis (v. a. cinctis -culis -campis), F 36 gnobili ignobiles mit Hiat, F 41 lasciuiterque ludunt, F 42 lex Licinia introducitur / lux liquida haedo redditur; eine Zusammenstellung bei Alfonsi (1945) 20 f. Siehe ferner zu F 40 trepidans libens (Anm. 665), zu F 28 oder zu F 31. Vgl. zum Phänomen die grundlegende Studie von Traina (1999) 19–143, für Laevius speziell dort p. 31, 25–8, 34. – Das beste Beispiel zur Illustration ist der persönliche Gebrauch des Wortes pudeo, einmal Plaut. Cas. 877 ita nunc pudeo atque ita nunc paueo, einmal in dem frühen erotischen Epigramm von. Aedit. 1.4 dum pudeo, pereo. Ähnlich ist es beim transitiven crepo ‚lärmend über etwas reden‘: Plaut. F inc. 41 Lindsay/Leo (= inc. 55 De Melo) neque ego ad mensam publicas res clamo neque leges crepo. In solchen Fällen liegt der Grund für den ungewöhnlichen Gebrauch der Verben deutlich genug im Streben nach Klang begründet. Zu den Klangfiguren bis Lukrez und Catull siehe Norden (41957) 414–7, zum Unterschied zwischen den Altlateinern, Catull und den augusteischen Dichtern Coleman (1999) 47–9; dort auch zum Gebrauch der Alliteration bei Catull.
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2 Laevius und sein Werk: Die Erotopaegnia
2.3.3 Laevius als Dichter der gehobenen Sprachebenen Wenn es sich nicht gerade um (zu vermutende) Neubildungen handelt, hat Laevius viele Vokabeln oder Metaphern aus der gehobenen lateinischen Dichtung des Epos und der Tragödie entnommen. Insbesondere an Ennius lehnt er sich bewusst an. Parallelen zu den Annales oder zum epischen Stil überhaupt sind auffällig: Die Zusammensetzung foedifragus (F 4) ist vermutlich eine ennianische Prägung (vest. vi Sk.). Die Wörter ueliuolus und permetiri, der pleonastische Genitiv ponti maria (alle F 24) und der ungewöhnliche Ablativ impete (F 10) sind sowohl vor als auch nach Laevius in den allermeisten Fällen nur im Epos belegt.103 Ennius hatte als Vergil der Vorklassik gattungsübergreifend gewirkt, und allein schon deshalb konnte Laevius sich seinem Einfluss nicht entziehen. Viele Stoffe aus den Erotopaegnia waren aber auch episch und haben wie die Epylliendichtung episches Vokabular verlangt. Ähnlich verhält es sich bei Catulls PeleusThetis-Gedicht oder Properzens Hylas-Elegie (häufig auch mit gutem Grund als Hylas-Epyllion bezeichnet104) – die Gedichte unterscheiden sich stark von den sonstigen sprachlichen Gewohnheiten der beiden.105 Ferner spiegelt Laevius’ Vorgehen dabei manchmal die Praxis hellenistischer Dichter wie Kallimachos oder Apollonios von Rhodos wider, die bei aller Abgrenzung zu den homerischen Epen dennoch durch Sprache und Anspielungen die Nähe zu ihnen suchen. Die bei den griechischen Dichtern häufiger anzutreffende imitatio cum variatione, das heißt die Umdeutung homerischer Wörter,106 entspricht der laevianischen Neuinterpretation des ennianischen Wortes ueliuolus (F 24), das bei Ennius noch als aktiv ‚mit Segeln fliegend‘, bei Laevius hingegen als passiv ‚von Segeln durchflogen‘ aufgefasst wird. Direkt auf Homer (Od. 3.290) oder auf eine Homerübersetzung geht die Metapher der aufgetürmten Fluten (multigrumus, F 20) zurück.
2.3.4 Laevius als Dichter der niederen Sprachebenen Neben dem weitgehend stark gehobenen Vokabular und den epischen Metaphern stößt man in den Fragmenten auch auf andere Töne. Manchmal nutzt Laevius Ausdrücke, die sich sonst vorwiegend in der Komödie oder in Ciceros Briefen fin-
Siehe daneben auch zu F 11 fortescere, F 17 fiere, F 25 praecipem oder F 34 Laertie. Etwa bei Goold (21999) 37. Vgl. für Catull. 64 Kroll (71989) in der Einleitung zum Gedicht und für Prop. 1.20 Cairns (2006) 222. Zum Gebrauch homerischer Wörter bei Kallimachos siehe Rengakos (1992), zur imitatio cum uariatione dort p. 24–6.
2.3 Sprache
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den. Dieser kolloquiale Stil ist nirgends in den erzählenden Partien der Erotopaegnia nachweisbar: Die prägnante Partizipform meminens (F 39), hinter der wohl Umgangssprache zu vermuten ist, und die vertraute Ansprache amabo te (F 45) stammen aus Fragmenten, die entweder Teil eines eigenständigen subjektiven Gedichts oder eines subjektiven Prologs respektive Epilogs waren. Die an die Komödie erinnernde Univerbierung subductisupercilicarptores (F 22) klassifiziert der Zitatträger Gellius selbst als Spaßbildung aus dem Prolog oder Epilog der Alcestis. In solchen Passagen schlägt Laevius jeweils einen lockeren, in Teilen auch satirischen Jargon an. Eine ähnliche Bewandtnis hat es wohl mit den direkten Reden der Helden aus den mythologischen Gedichten. Laevius’ Hektor, um es an dem gut erkennbaren Fall F 40 festzumachen, spricht wenig wie der erhabene homerische Held aus der Ilias. Seine Sprache klingt vielmehr wie die eines verliebten Jungen bei Plautus oder wie die eines im Gedanken schwelgenden Sprechers aus einem der polymetrischen Gedichte Catulls:107 Grund dafür sind auch die in der Komödie und bei Catull häufig gebrauchten Deminutive, im angesprochenen Fragment speziell lasciuolus und – von Catull wohl direkt nachgeahmt – tenellulus.108 Diese Deminutive unterscheiden sich in ihrer Wirkung von denen bei Lucilius oder Varro. Während die Satiriker sie größtenteils in komischen Kontexten nutzen, begegnen die Formen bei Laevius nur an emotional-sinnlichen Stellen, die auch durchaus ernsten Charakter aufweisen können.109 Es ist sinnvoll, hier von einem erotischen Deminutiv zu sprechen, das ursprünglich in der römischen Umgangssprache anzusiedeln ist, von der erotischen Dichtung aber literarisiert und stilisiert wurde. Schon Plautus nutzte Deminutive häufig in erotischen Kontexten.110 Laevius erkannte darin ein geeignetes Mittel, um seine Charaktere von der lebensfremden und hocherhabenen Sphäre der epischen Krieger abzugrenzen und sie in die römische Alltagswelt zu verwurzeln. In vielen Fällen ist der Gebrauch der Deminutive bei Catull später ähnlich zu werten, auch in seinen sprachlich gehobenen längeren Gedichten.111 Zur klassi-
Zu sprachlichen und motivischen Gemeinsamkeiten zwischen der Komödie und der Liebesdichtung vgl. Jacoby (1905) (= 1961 ii, 65–121), Goldberg (2005) 99–114, Polt (2021) und Perutelli (2002) 31–58 speziell für die frühen erotischen Epigramme von Valerius Aedituus, Porcius Licinus und Lutatius Catulus. Catull. 17.15 puella tenellulo delicatior haedo; siehe dazu unten Anm. 656. F 26 hilarulus, F 15 manciolis tenellis, F 34 belle, F 44.4 radiculae ... surculi. Die ausführlichste Behandlung der lateinischen Deminutive bei Hanssen (1952); zur Unterscheidung der Wirkung der Deminutive in erotischen und satirischen oder komischen Kontexten dort p. 27–36 und 133–49; vgl. auch Coleman (1999) 58–60. Die Grenzen sind sicherlich fließend. Ross’ (1969, 158 f.) Urteil, Catulls und Laevius’ Deminutive hätten nicht dieselbe Wirkung, stimmt so pauschal nicht. Man muss von Fall zu Fall urteilen. Vgl. zu den Deminutiven bei Catull Ross (1969) 22–6.
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schen Zeit galt das Mittel den Liebesdichtern aber nichts mehr und wurde beinahe gänzlich gemieden.112
2.3.5 Laevius als Dichter aller Sprachebenen Indem er der lateinischen Dichtung mit seinen Erotopaegnia neue Inhalte erschloss, musste Laevius auch eine eigene Sprache erschließen. Ein wirklicher Sprachneuerer war er allerdings nicht, oder nicht mehr als die anderen Dichter seiner Zeit. Als sprachliche Innovation darf man ihm aber zuschreiben, dass er verschiedene Stile aus unterschiedlichen altlateinischen Dichtungsgattungen zusammen in ein ganzheitliches Werk band: die Höhe des Epos, das Pathos der Tragödie und die vertrauliche oder witzige Sprache der Komödie. Die bis dahin ungewöhnliche Mixtur hat dem Liebesdichter in der Forschung vereinzelt und garantiert zu Unrecht den Ruf eines Parodisten eingebracht.113 Die Fragmente zeigen, dass er den richtigen Ton an der richtigen Stelle gewählt haben dürfte: Wenn die vom Wahnsinn der Hera getriebene Ino mit ihrem Sohn im Arm von einer Klippe in den Tod springt, dann ist dies etwa mit einem zweigliedrigen Asyndeton im hocharchaischen und pathosreichen Stil dargestellt (F 25); wenn ein Zaubergebet dargestellt wird, bekommt die Sprache mysteriöse und dunkle Momente (F 48); wenn Hektor hingegen von Andromache träumt, wird auch der Ton lockerer (F 40), und wenn der Dichter selbst als Sprecher hervortritt und seine Kritiker attackiert, dann fallen satirisch-komische Elemente auf (F 22). So bewegt sich Laevius zwischen den verschiedenen Sprachebenen oder Stimmungen, und den sprachlichen Mitteln wird ihr passender Platz zugewiesen.
2.4 Metrik 2.4.1 Lyrica ante Horatium scripta Das wohl herausragendste Merkmal von Laevius’ Dichtung ist die auffällige Metrik. Zwar müssen einzelne Versmaße wegen der Kürze vieler Fragmente häufig ungeklärt bleiben, doch was mit Gewissheit zu erkennen ist, sollte genügen, um einen repräsentativen Einblick zu gewinnen.
Vgl. McKeown (1987) 84. Vgl. beispielsweise Granarolo (1971) 71–8, dort p. 71 „une dérision de la manie stylistique la plus voyante de Pacuvius et d’Accius.“
2.4 Metrik
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Während man die ausführlichen Erzählungen von Liebesmythen in den Erotopaegnia inhaltlich noch mit den griechischen und lateinischen Epylliendichtern, ferner auch mit der Liebeselegie vergleichen kann, gilt dies für die Metrik nicht. Sofern die Fragmente nicht gänzlich täuschen, nutzt Laevius für keines seiner Gedichte den stichischen Hexameter oder das elegische Distichon. Stattdessen macht er von einer metrischen Technik Gebrauch, die man in ähnlicher Weise sonst aus der frühen griechischen Lyrik und den gesungenen Partien der Dramatik kennt. Aus diesem Grund bezeichnet der Horazkommentator Porphyrio Laevius auch als ersten lyrischen Dichter lateinischer Sprache.114 Er bezieht sich mit seiner Aussage über die lyrische Dichtung in Rom auf Horazens Originalitätsanspruch in carm. 3.1.2–4 carmina non prius / audita Musarum sacerdos / uirginibus puerisque canto (T 1): CARMINA NON PRIUS AUDITA: Romanis utique non prius audita, quamuis Laeuius lyrica ante Horatium scripserit; sed uidentur illa non Graecorum lege ad lyricum characterem exacta.
NOCH NIE ZUVOR GEHÖRTE GEDICHTE: Noch nie zuvor von den Römern gehörte, obwohl vor Horaz schon Laevius lyrische Gedichte geschrieben hat. Aber jene scheinen nicht nach griechischer Art zu einem lyrischen Gesamtbild geformt worden zu sein.
Unter dem character von Literatur versteht Porphyrio auch an anderen Stellen seines Horazkommentars gattungsspezifische Merkmale, die jenseits der Metrik liegen, zum Beispiel den Inhalt, das Thema, die Erzählform oder die Tonlage des Gedichts. Er bescheinigt an anderer Stelle Horazens Schwätzersatire einen dramatischen Charakter, weil sie hauptsächlich von direkter Rede geprägt ist: totum hunc sermonem dramatico charactere alterno sermone uariat.115 Bei Laevius liegt der Fall andersherum: Er habe, so Porphyrio, zwar schon vor Horaz in lyrischer Versgestaltung gedichtet, die Gedichte selbst wiesen abseits der Metrik aber keine der üblichen Elemente auf, die man von der griechischen Lyrik sonst erwarten würde. Der Horazkommentator bezieht sich wohl darauf, dass bei Laevius anstelle der anlassbezogenen Dichtung, in der häufig ein lyrisches Ich präsent ist, wie im Epos zusammenhängende Geschichten mit großen Anteilen direkter Rede treten. So habe Laevius in metrischer Hinsicht also lyrische Gedichte geschrieben, die allerdings den Themen oder Inhalten der
Gellius beschreibt in 2.22.1 f. (T 5 dub), wie er bei einer cena ein altes Gedicht eines lyrischen Dichters (uetus carmen melici poetae) vorgelesen bekommen hat, in dem der Wind Iapyx erwähnt worden sei. Mit gutem Grund vermutet Holford-Strevens im Apparat z. St. einen Bezug auf Laevius. In Gell. 19.7 wird Laevius’ Alcestis ebenfalls während einer cena vorgelesen (F 2–22). Porph. zu Hor. sat. 1.9.1.
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2 Laevius und sein Werk: Die Erotopaegnia
Lyrik (character), wie sie die griechische Praxis verlangt (Graecorum lege)116, nicht entsprächen.117 Die von ihm zugrunde gelegten Gattungskritieren einmal beiseitegelassen, hatte Porphyrio durchaus volles Recht, die Lyrik als ein Kennzeichen der Erotopaegnia hervorzuheben. Die einzelnen Laeviusgedichte bestanden offenbar aus mehreren verschiedenen Versmaßen, die voneinander getrennt in unterschiedlichen Partien genutzt wurden. Innerhalb einer Partie mit demselben Versmaß dominieren wie auch bei den Lyrikern, den Dramatikern oder später auch manchmal bei Varro, Catull und Horaz metrische Systeme: In weiten Teilen reihte Laevius seine Verse gleichen Metrums nicht stichisch aneinander, sondern er band sie in Synaphie, ohne dass innerhalb der Systeme am Versende Katalexe aufträte, Hiat erlaubt wäre oder eine kurze Silbe als langes Element gelten dürfte (brevis in longo).118 Ein einzelnes Gedicht muss aus Aneinanderreihungen von Systemen gleicher und unterschiedlicher Versmaße (vor allem Iamben und Anapästen) bestanden haben. So lassen sich die meisten Fragmente metrisch am besten interpretieren.119 Vereinzelt finden sich dazu auch Versmaße, die für gewöhnlich nur stichisch in Gebrauch waren wie der trochäische Septenar oder der Hinkiambus. Die Interpretation dieser Einzelverse ist aber immer mit einem großen Maß an Unsicherheit verbunden, so dass weitere Schlussfolgerungen hier schwerlich möglich sind.
Granarolo (1971) 172–4 versteht dagegen unter non Graecorum lege ad lyricum characterem, dass Laevius nicht in äolischen Metra geschrieben habe (was in der Tat unsicher ist; F 51 dub). Doch das Wort character bezeichnet keine metrische Praxis. Darauf aufbauend sieht Styka (1995) 169–72 in den Ausdrücken Graecorum lege und ad lyricum characterem zwei unterschiedliche Aspekte: Letzteres bezeichne das Thematische, Ersteres beziehe sich auf die Nichtanwendung äolischer Versmaße bei Laevius, was mir schwierig zu sein scheint. Der Ablativ Graecorum lege spezifiziert ad lyricum characterem: Gemeint ist ‚ein lyrischer Charakter (Thema, Inhalt, Ton usw.) gemäß griechischem Gesetz (= wie es bei den Griechen üblich ist). Stachon (2021) 334 und 454 übersetzt „nicht formvollendet nach griechischer Art in lyrischem Stil“ und vermutet in einem der Ausdrücke eine wertende Kompenente. Bemerkenswert genug vor diesem Hintergrund ist Quintilians Äußerung at lyricorum idem Horatius fere solus legi dignus ... . si quem addicere uelis, is erit Caesius Bassus (inst. 10.1.96). Entweder Laevius ist für Quintilian nicht einmal mehr erwähnenswert oder er erkannte ihn wegen der Einschränkung, die Porphyrio erwähnt, nicht als Lyriker an. Zuerst machte Leo (1914) 181, Anm. 2 auf die Synaphie aufmerksam. Vgl. dazu vor allem die Fragmente der Protesilaodamia und ihre metrische Gestaltung.
2.4 Metrik
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2.4.2 Die Metra 2.4.2.1 Iamben Abgesehen von einem Hinkiambus in F 46 überwiegen bei Laevius Reihen an Iamben (F 1, 29, 30, 37, 40, 42, 44), die nirgends durch Katalexe unterbrochen werden: Weil sie ein Wortende nach jeweils zwei Metren anstreben, sind sie am besten als iambische Dimeter zu klassifizieren. In all diesen Stücken ist nirgendwo ein Hiat oder eine brevis in longo am Versende nachweisbar: Es herrscht Synaphie. Manchmal fallen Vers- und Wortschluss nicht zusammen (F 29). Die freieren iambischen Quaternare, die allein im letzten Fuß des Verses einen reinen Iambus aufweisen müssen, sonst stets auch spondeisch gebildet werden können, kannte Laevius schon aus der lateinischen Komödie von Plautus.120 Jedoch übernahm er von den Griechen, soweit heute sichtbar ist, als erster lateinischer Dichter eine stark ausgeprägte Tendenz zur strengen Bildung der Iamben mit obligatorischer Kürze im dritten Element eines jeden Metrums ˉ̆ ˉ ̆ ˉ. In allen erhaltenen iambischen Versen ist nur eine Ausnahme davon nachweisbar (F 40.4). Alkman und die lateinischen Dichter des zweiten Jh. n. Chr. gebrauchen den iambischen Dimeter im Gegensatz zu Laevius stichisch, lassen also Hiat und brevis in longo am Versende zu.121 Allein Anakreon machte von einer mit Laevius vergleichbaren Technik Gebrauch: Laut Hephaistion hat der griechische Lyriker ganze Gedichte in iambischen Dimetern verfasst, die, wie einige erhaltene Beispiele belegen, ebenfalls in Synaphie miteinander verknüpft waren.122 2.4.2.2 Anakreonteen und andere ionische Metra Insgesamt sind sechs anakreonteische Verse erhalten: drei Verse in F 48, zwei in F 28, und wohl jeweils einer in F 41 und F 45. Alle weisen sie nach dem Ende des ersten ionischen Monometers oder nach dem ersten Element des zweiten Monometers Wortende, das heißt Dihärese respektive Zäsur auf (abgesehen vom korrupten Vers F 48.2). Darin stimmt Laevius mit den griechischen und späteren lateinischen Dichtern überein.123
Vgl. zu den Quaternaren bei Plautus Questa (2007) 329–31. Für Alkman vgl. PMGF 20 und Wilamowitz (1921) 285 f.; fürs Lateinische z. B. Hadr. F 3 C./4FPL Bl./Matt., Apul. F 6 dub C.; mehr im Index bei Courtney (22003). Vgl. Anakr. PMG 427, einige weitere Verse sind im Zuge des erwähnten HephaistionTestimoniums zitiert (PMG 428); vgl. dazu West (1982) 52. Flor. F 1 C./4FPL Bl./Matt.; Hadr. F 1 ist als Antwort darauf metrisch gleichwertig gebaut. Sen. Med. 849–78 ist bei Crusius (81967) 99 als Beispiel für Anakreonteen genannt, doch wird man besser mit Zwierleins OCT-Ausgabe katalektische iambische Dimeter lesen. Die einzelnen Verse sind
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2 Laevius und sein Werk: Die Erotopaegnia
Im zweiten Jh. v. Chr. gab es vermutlich noch kein lateinisches Paradigma für das Metrum. Laevius schöpfte aller Wahrscheinlichkeit nach direkt aus dem Griechischen. Für längere Reihen an Anakreonteen finden sich Entsprechungen in der griechischen Tragödie,124 vor allem aber bei Anakreon selbst. Er bildete Systeme unterschiedlicher Ausprägungen.125 Die Verse stehen bei ihm wie bei Laevius in Synaphie und weisen ebenfalls nach dem ersten Metrum oder dem ersten Element des zweiten Metrums Wortende auf. Anakreon hatte vermutlich schon auf Laevius’ iambische Dimeter Einfluss ausgeübt. Vielleicht dürfen wir also auch hier Systeme annehmen, die mit Anakreon vergleichbar sind. Dass sich für anakreonteische Systeme keine Entsprechungen im Lateinischen finden lassen, soll dabei nicht weiter verwundern, weil Anakreonteen in der lateinischsprachigen Literatur allgemein nur wenig verbreitet waren. In seinem Figurengedicht Phoenix nutzt Laevius noch andere ionische Metren (ionici a maiore) unterschiedlicher Länge. Die Verse sind eigentümlich und werden daher im entsprechenden Kapitel zum Gedicht genauer besprochen. 2.4.2.3 Anapästische Dimeter Anapästische Verse liegen sowohl bei subjektiven als auch erzählerisch gehaltenen Fragmenten vor (F 2, 34, 39, 22[?]). Wegen ihres akribischen Baus mit Dihärese nach jeweils vier Elementen dürften sie in Dimeter einzuteilen sein, die monometrisch, das heißt mit strenger Mitteldihärese, gebaut sind. Laevius gehörte zu den wenigen Dichtern, die den anapästischen Dimeter außerhalb des Dramas nutzten.126 Für das griechische Drama hat man die Einteilung der monometrisch gebildeten Anapäste in Dimeter als modernes Konstrukt bewertet.127 Doch für das Lateinische ergibt die Entwicklung des Metrums von den frühesten Anfängen an, dass der Vers auch von den Römern als Dimeter wahrgenommen wurde. Denn die altlateinischen Dichter Plautus, Ennius und Pacuvius neigen zwar zu einer Mitteldihärese
ganz anders gegliedert als Anakreonteen. Von Catulls Anakreonteen (siehe Anm. 63) ist nichts mehr erhalten. Fürs Griechische siehe die folgenden Fußnoten. Vgl. z. B. Aischyl. Choeph. 327–30 ὀτοτύζεται δ’ ὁ θνῄσκων, / ἀναφαίνεται δ’ ὁ βλάπτων, / πατέρων δὲ καὶ τεκόντων / γόος ἔνδικος ματεύει. Zum Beispiel PMG 356 ἄγε δὴ φέρ’ ἡμὶν ὦ παῖ / κελέβην, ὅκως ἄμυστιν / προπίω, τὰ μὲν δέκ’ ἐγχέας / ὕδατος, τὰ πέντε δ’ οἴνου / κυάθους ὡς ἂν †ὑβριστιῶς† / ἀνὰ δηὖτε βασσαρήσω und zum genaueren Aufbau West (1982) 58 f. Längere Reihen an monometrisch gebildeten, in den Ausgaben als Dimeter abgegrenzten Anapästen sind neben dem Drama im Griechischen nur vereinzelt belegt, v. a. in einem Fragment des Dichters Timotheus von Milet (um 400 v. Chr.; 800 PMG/Hordern). Vgl. zusammenfassend mit Literatur für und wider Snell (41982) 31.
2.4 Metrik
39
nach dem vierten Element, halten sie aber nicht für obligatorisch, wohingegen nach einem aus zwei Monometern zusammengefasstem Kolon (also nach einem Dimeter) Wortende stärker gesucht wird. Spätestens Accius grenzte sich von seinen Vorgängern ab und hat den monometrischen Bau der Verse dann offenbar in Anlehnung an die Anapästreihen im griechischen Drama zur (beinahe?) unverrückbaren Regel erhoben, der später auch Varro in seinen Menipeen folgte;128 für Seneca und spätere Dichter gilt dasselbe. Auch für Laevius, der ähnliche Tendenzen zur Gräzisierung der Metra schon bei den Iamben zeigt, darf man dem metrischen Zeitgeist entsprechend eine durchgängig monometrische Bildung annehmen. Wenigstens lassen die erhaltenen Verse keine gegenteiligen Vermutungen zu. Die Daktylen im zweiten Fuß eines jeden Monometers sind (anders als bei Seneca) bei den Altlateinern wie bei Laevius ganz gewöhnlich. Von Laevius’ Gebrauch der anapästischen Reihen können die Dimeter bei Plautus, in der Tragödie und bei Varro Aufschluss gewähren. Sie treten wie im griechischen Drama gewöhnlich in Systemen mit Synaphie auf.129 Nach mehreren
Für die Sammlung der anapästischen Dimeter in der Tragödie siehe die Indices bei 2R. sowie in den neuen Ausgaben der TrRF; für die des Plautus siehe den Index der Ausgabe von Questa (1995), für Varro den Index in Astburys Teubnerausgabe, wo noch 199 Ast.. hinzuzufügen ist (508 Ast. ist aber kein anapästischer Dimeter). – Von Ennius’ anapästischen Dimetern sind etwa ein Viertel nicht monometrisch, von Pacuvius etwa ein Drittel, was aber kaum aussagekräftig ist, weil sein Corpus nur wenige Anapäste enthält. Mehr als 30 anapästische Dimeter sind von Accius erhalten, von denen allein trag. 62 2R. (= 610 Dang.) nicht monometrisch gebaut ist. Der Vers ist aber auch korrupt: qūod di īntērdum īnfĕrām pĕnĭtūs. L. Müllers bei 2R. gedruckte Konjektur qūod di īn sēdem īnfērnām pĕnĭtūs, wäre immerhin mit der Dihärese nach dem in- bei infernam möglich, doch wenn alle anderen accianischen Dimeter Wortende an dieser Stelle des Verses aufweisen, wird man den Text kaum so herstellen dürfen. Auch bei Varro sind Verse ohne Mitteldihärese korrupt: Men. 92.2 und 92.6 Ast. ist wohl jeweils ein unvollständiger Paroemiacus, in dem die Dihärese nach dem ersten Monometer wenig verbreitet ist. In Men 123 Ast., das gedruckt wird tertia Poenarum / infamia, liegt, wenn die Abgrenzung richtig ist, Synaloephe über die Versgrenze vor; Astburys nihil sunt Musae Polyclis / uestrae, quas aerifice duxit 201 Ast. sollte wie gewöhnlich nihil sunt Musae Polyclis uestrae / quas ... abgegrenzt werden. Men 508 Ast. stellt Astbury konjektural als falschen Dimeter ohne Mitteldihärese und zudem noch mit sonst nicht nachweisbarer brevis in longo am Versende her; siehe zu Varros Anapästen auch Bücheler (1865) 409–13 (= 1915, 543–7) und L. Müller (21894) 203 (mit falschem Urteil dagegen Riese [1866] 114–6). Die erhaltenen anapästischen Dimeter in der Tragödie und bei Varro stehen allesamt in Synaphie (für vereinzelte Ausnahmen bei Plautus siehe Questa [2007] 447). Es ist weder ein Hiat noch brevis in longo am Versende belegt. Bei Enn. TrRF ii 23.14 f. (= 91 f. Joc.) regefice / haec, wo etwa Jocelyn einen Hiat im Index angibt, liegt wohl Textausfall vor: Cicero zitiert die Verse bis 14, unterbricht das Zitat und setzt mit 15 wieder ein, wobei er wahrscheinlich wenigstens einen Vers unterschlägt. Dasselbe Phänomen begegnet bei Pacuv. 199.9 f. Sch., wo in den Ausgaben gedrucktes excrucior. / operite so nicht zusammengehören kann. Auch diese Verse zitiert Cicero in mehreren Blöcken, wobei er zwischen 264 und 265 kurz aussetzt und dabei wenigstens einen Vers
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2 Laevius und sein Werk: Die Erotopaegnia
akatalektischen Versen wird das System zum Schluss (auch anders als bei Seneca) durch einen katalektischen Dimeter, den Paroemiacus, geschlossen.130 Vielleicht nutzte Laevius auch den Ithyphallicus (F 23) zum Abschluss anapästischer Systeme.131 Erst spätantike Dichter haben das Versmaß, der Mode ihrer eigenen Zeit folgend, stichisch gebraucht.132 2.4.2.4 Trochäen Einige Fragmente subjektiven und mythologischen Inhalts weisen einen stark trochäischen Charakter auf. F 35 und F 36 sind als trochäische Septenare zu deuten, obwohl die archaische Freiheit im Versaufbau beider Fragmente Laevius’ sonstiger metrischen Technik entgegensteht.133 Die Versmaßbestimmung bei F 25 und 27 ist von textkritischen Problemen abhängig. Es könnten aber ebenfalls Septenare oder auch trochäische Systeme vorliegen. F 23 ist ein Ithyphallicus, der zum Abschluss trochäischer Systeme genutzt worden sein konnte.134 2.4.2.5 Daktylen und Epoden(?) Dass Laevius auch Daktylen nutzte, macht ein Helenafragment (F 24) wahrscheinlich. Die Deutung der Verse als katalektische Tetrameter (nach Anakreon)135 ist aber unsicher. – Mutmaßung bleibt auch die Existenz epodischer Verbindungen (F 38, 43). 2.4.2.6 Äolische Metra(?) Bei Macrobius ist ein Bruchstück bestehend aus mehreren Hendekasyllaben zitiert, als dessen Autor Naevius angegeben wird (F 51 dub). Viele Herausgeber beurteilten das Fragment als ein sicheres Laevianum. Zwar kann Naevius nicht der
auslässt. Zwar ist aus inhaltlicher Sicht in beiden Fällen ein Versausfall nicht zwingend, doch aus metrischen Gründen sollten zukünftige Ausgaben hier jeweils eine Lücke markieren. Vgl. Questa (2007) 447 für Plautus; dasselbe gilt, wie Analogie und die erhaltenen Fragmente (Enn. TrRF ii F 86 = 193 f. Joc. oder Acc. trag 569 f. 2R. = 455 Dang.) es nahelegen, auch für die Tragiker und später für Varro. So etwa bei Plaut. Pseud. 950a. Z. B. Boeth. cons. carm. 1.5, 3.2. Stichische Paroemiaci nutzten schon im zweiten Jh. n. Chr. Sept. Seren. F 13–15 C. (= 12–14 4FPL Bl./Matt.) oder Annian. 1–2 C./4FPL Bl./Matt.; mehr bei Münscher (1919) 12–4. Falsch wäre es, in die Texte einzugreifen, um andere Metra herzustellen. Vgl. den Fall F 35 unten p. 239f. Etwa bei Plaut. Epid. 542–6. PMG 394 Ἀνακρέων τούτῳ τῷ μέτρῳ καὶ ὅλα ἄισματα συνέθηκεν· ‚ἡδυμελὲς χαρίεσσα χιλιδοῖ.‘; vgl. West (1982) 57.
2.4 Metrik
41
Autor der Verse sein, doch bleiben auch erhebliche Zweifel an der Urheberschaft des Laevius. – Die Deutung von F 38 als Priapeum liegt ebenfalls jenseits aller Sicherheit.
2.4.3 Vorbilder und Fortleben der laevianischen Metrik Einige von Laevius genutzte Metra fanden schon im ersten Jh. v. Chr. vermehrt Eingang in die nicht-dramatische Dichtung: Varro nutzte in seinen Satiren auch ionici a maiore136 und anapästische Systeme. Catull verfasste vermutlich wenigstens ein (nicht erhaltenes) Gedicht in Anakreonteen.137 Zu klassischer Zeit waren die von Laevius genutzten Metra dann aber weniger verbreitet. Der iambische Dimeter oder die Anakreonteen finden sich erst wieder bei den Dichtern des zweiten und frühen dritten Jh.s, den Poetae Novelli. Dass seit der Zeit Hadrians ein außerordentlich großes Interesse an Laevius bestand, ergibt sich neben den metrischen Abhängigkeiten auch aus einigen sprachlichen, manchmal sogar fast als Zitat zu wertenden Anspielungen.138 Dank der Vermittlung der Poetae Novelli konnten sich viele laevianische Versmaße bis in die äußerste Spätantike halten, wenn auch in geänderter und (durch den stichischen Gebrauch) unlyrischer Variation. Die klassische Dichtung hatte hingegen ihre eigenen ästhetischen Auffassungen, die mit Laevius’ Ansprüchen nicht in Einklang zu bringen sind: Hier wäre allenfalls ein Einfluss äolischer Formen zu postulieren, wenn denn feststünde, dass Laevius Gedichte in Hendekasyllaben oder Priapeen verfasste. Außerordentlich erfolgreich waren zu allen Zeiten die Hinkiamben, die aber auch schon Matius für seine Mimiamben nutzte. Laevius’ Inspirationsquellen liegen sowohl in der lateinischen als auch in der griechischen Dichtung. Die Anakreonteen und vielleicht auch die äolischen Metra waren der lateinischen Sprache zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt. Laevius hatte sie wohl direkt von den Griechen übernommen, unter denen Anakreon als Vorbild wohl deutlich herausragt.139 Anderes wiederum (wie die Anapäste oder die Iamben) dürfte als Weiterentwicklung aus dem lateinischen Drama zu werten sein.140 Trotzdem ist Laevius’ Technik nicht mehr mit der des Ennius oder Plautus vergleichbar. Eine Tendenz zur Reglementierung nach Art der griechischen Dichtung ist bei seinen Iamben und Anapästen klar erkennbar. Aufgrund kleinerer
Zu Varros Ionikern siehe unten Anm. 427. Vgl. Caes. Bass. 27.12 Mor. = GLK vi 262.19 und Butrica (2007) 18. Vgl. zu den Poetae Novelli unten p. 48f. Zum Vorbild Anakreon siehe Courtney (22003) 118 f. und Leo (1914) 182. Vgl. Styka (1995) 172.
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2 Laevius und sein Werk: Die Erotopaegnia
Abweichungen im Falle der Iamben sollte aber nicht von einer unverrückbaren Regel gesprochen werden.141 Mit der puristischen Strenge von Catull oder Horaz in diesem Punkt dürfte er vermutlich noch nichts gemein haben. Laevius dichtete in einer Übergangszeit. Auch sonst wird häufiger vorcatullsche und vorklassische Technik deutlich. Mehrmals muss er seine Wörter durch ungewöhnliche Synkopen dem Versmaß anpassen (F 26, wohl auch F 15), es begegnen metrische Hiate im Figurengedicht F 26 und wohl nach dem 11. Element im trochäischen Septenar (F 36, Jacobsohnsche Lizenz), anderswo zeigen gehäufte Synaloephen die Nähe zum altlateinischen Versbau (F 2, 30). Tiefergehende Einblicke als diese gewähren die Fragmente nicht: Fälle von Iambenkürzung sind nicht nachweisbar, ebenso wenig die in archaischer Metrik lange Endung -ēt in der dritten Person Singular. Auch ob wortschließendes -s mit folgendem Konsonanten bei Laevius Positionslänge erzeugen musste und, wenn ja, in welchem Ausmaß, ist bei der geringen Anzahl an Wortverbindungen, in denen die Voraussetzungen erfüllt sind (F 1, 24, 26.2 wohl jeweils Längung) nicht zu sagen.
Courtney (22003) 118 f. und 135 irrt, wenn er diese Tendenz als feste Regel auslegt und die Abweichungen von der griechischen Strenge in F 35 und 40 konjektural beseitigt.
3 Rezeption Bei allem, was sich in den Erotopaegnia an Neuem finden lässt, könnte man meinen, dass ihre Wirkung auf die lateinische Literatur außerordentlich war: Laevius hatte wohl als Erster die mythologische Liebesdichtung nach Rom gebracht, sie mit subjektiven Elementen verbunden und damit neben den Komikern und frühen Epigrammatikern das Vokabular für erotische Poesie mitgeprägt. Ebenso war er mit Porphyrio (T 1) der erste Lyriker in lateinischer Sprache. Trotzdem schweigen sich spätere Dichter über seine mögliche Vorbildfunktion aus. Weil Laevius’ Art zu dichten in der lateinischen Literatur singulär blieb, sah sich niemand als sein Nachfolger an: Die kurze Zeit später auftretenden neoterischen Epylliendichter schrieben zwar ebenso mythologische Liebesdichtung, verfassten sie aber im Hexameter; Catull und Horaz waren zwar Lyriker, nutzten aber eher äolische Versmaße. Auch die Elegiker beriefen sich nie auf Laevius, weil die Erotopaegnia weniger subjektiv geprägt waren, es darin nicht um eine einzelne Geliebte ging142 und das elegische Distichon entweder gänzlich fehlte oder nur eine untergeordnete Rolle spielte. Was gattungsübergreifend auf die lateinische Literatur wirkte, waren eher hintergründige Elemente der Erotopaegnia, etwa die Metrik, der Stil, das Vokabular und einige Wortverbindungen oder Metaphern. Dass die Liebeselegiker Laevius nicht als Vorbild nennen, wäre deshalb zwar noch leicht zu erklären;143 dass er aber auch in Ovids umfassendem Dichterkatalog trist. 2.359–470 fehlt, bleibt auffällig: Die Aufzählung der Dichter von Homer bis in Ovids Gegenwart soll dem Leser veranschaulichen, dass poetische Texte keine Rückschlüsse auf den Charakter ihrer Autoren zuließen. Ovid war darum bemüht, möglichst viele Beispiele zu nennen: Viele lateinische Dichter, Catull, Calvus, Ticidas, Memmius, Cinna, Anser, Cornificius, Cato, Varro Atacinus, Hortensius, Gallus, Tibull, Properz und noch mehr, hätten sich nie moralischer Kritik aufgrund ihrer Themenwahl stellen müssen. Warum Laevius fehlt, bleibt offen. Man könnte vielleicht annehmen, dass er (gegen Ausonius’ späteres Zeugnis T 3) für den Zweck des Katalogs ein schlechtes Beispiel war, womöglich wurde er aber einfach von den großen Dichterpersönlichkeiten Pacuvius, Accius oder Lucilius, die allesamt ebenfalls im späteren zweiten Jh. tätig waren, überschattet. Auch andere Dichter kleinerer Gattungen derselben Generationen wie Sueius, Matius, Aedituus, Catulus oder Porcius Licinus bleiben im Katalog ungenannt.
Zu dieser Frage siehe unten p. 261–3. Vgl. zum Beispiel die Dichterkataloge bei Prop. 2.34.85–94, Ov. trist. 4.10.51–4 oder ferner später auch Apul. apol. 10. https://doi.org/10.1515/9783111237121-003
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3 Rezeption
Trotz des Schweigens der Dichter lässt sich anhand vieler Beispiele bestätigen, dass Laevius noch lange Zeit gelesen wurde. Zuerst haben Catull und die augusteischen Dichter einige Wortbildungen und Metaphern aus den Erotopaegnia übernommen. Von größerer Bedeutung war Laevius später für die archaistisch geprägten Autoren im zweiten Jh. Sogar Ausonius scheint ihn und die Erotopaegnia bei seinen gebildeten Zeitgenossen im vierten Jh. noch als bekannt vorausgesetzt zu haben (T 3). Die folgende Aufzählung soll die zu vermutenden Rezeptionsfälle zusammentragen, um einen möglichst umfassenden Blick auf das Fortwirken der Erotopaegnien zu ermöglichen. Von einer ausführlichen Behandlung der einzelnen Stellen wird hier aber abgesehen, weil sie die genaue Interpretation der Laeviusfragmente voraussetzt. Für mehr Details möchte ich daher auf die entsprechenden Kapitel im Kommentar verweisen.
3.1 Lucilius Lucilius dürfte Laevius einmal als Zeitgenossen und Gastgeber einer cena erwähnt haben, die streng nach den Gesetzen zur Aufwandsbeschränkung im zweiten Jh. organisiert wurde (T 4 dub). Das Testimonium ist im Kapitel zur Datierung behandelt.
3.2 Varro Wie Laevius hat auch Varro in seinen Menippeischen Satiren viele unterschiedliche Versmaße benutzt, darunter Systeme aus anapästischen Dimetern mit Mitteldihärese oder aus Ionikern a maiore. Wenigstens bei den Anapästen übernahm er die accianisch-laevianische Verstechnik der monometrischen Bildung. Die häufigen Komposita und Deminutiva bei Varro sollte man für unsere Fragestellung aber nicht überbewerten: Bei den spaßhaften Zusammensetzungen subductisupercilicarptores (Laev. F 22) und margariticandicantia (wie überliefert bei Varro Men. 97 Ast.) stehen beide Dichter in derselben Tradition, die auf griechische und lateinische Komiker zurückgeht. Die Deminutive haben in ihren Kontexten bei beiden unterschiedliche Wirkungen: Bei Laevius stehen sie stets in erotischen Kontexten, bei Varro häufig in satirisch-komischen Zusammenhängen.144
Zu den Deminutiven und den Spaßbildungen siehe oben p. 30. Auf die gemeinsame Tradition der beiden Dichter in bestimmten Punkten macht Della Corte (1972) 81–90 [= 1934–5]) auf-
3.3 Catull
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Dass der so sehr gebildete Forscher den Liebesdichter kannte, sollte aber nicht zweifelhaft sein, auch wenn ein direkter Einfluss an keiner Stelle wirklich festzumachen ist. Allenfalls hatte sich Varro für seine Satiren in der Technik der zusammengesetzten Titel (Oedipothyestes, Men. 347 Ast.) von Laevius inspirieren lassen, doch auch hier kann gemeinsame Tradition vorliegen. Andere vermeintlich direkte Bezüge, die in den Fragmenten der beiden gesehen wurden, beruhen auf zweifelhaften Texteingriffen.145 Ob der in Laev. F 39 erwähnte Varro der Reatiner ist, ist wenigstens fraglich. Würde man die beiden zu Zeitgenossen machen, wäre Laevius bis in die 70er Jahre und darüber hinaus zu datieren, was den anderen Zeugnissen (F 42 und T 4 dub), die eine frühere Datierung nahelegen, widerspricht.
3.3 Catull Für Catull dürfte Laevius allein schon als erster großer Liebesdichter der Römer von Interesse gewesen sein. Die poetischen Prinzipien der beiden haben sich aber vermutlich stark unterschieden. Während bei Laevius mythologische Liebesdichtung im Vordergrund stand, hatte sich Catull eher der subjektiven Liebesdichtung gewidmet. In den stärker mythologisch geprägten längeren carmina sind Anlehnungen an Laevius aber gut ersichtlich: Catulls ausdrucksstarker Ariadnemonolog im Peleus-Epyllion (carm. 64), der seinerseits entscheidend auf die lateinische Literatur wirkte, hatte in der Klage der alleingelassenen Laodamia bei Laevius (F 30) wohl schon einen Vorgänger. Dass die beiden Monologe stärkere Überschneidungen aufwiesen, ist wahrscheinlich: In dem Fragment aus der Laodamiaklage bei Laevius wird wie am Anfang der Ariadnerede bei Catull die Untreue des Partners thematisiert. Im mythologischen Fundament weisen Laevius’ Protesilaodamia und Catulls Allius-Elegie (carm. 68) Gemeinsamkeiten auf. Beide stellen das Schicksal des durch den Trojanischen Krieg voneinander getrennten Ehepaares ins Zentrum. Catulls
merksam. Er neigt aber, wie auch in Della Corte (1938) 81 f., trotzdem dazu, Varro unter direktem Einfluss von Laevius zu sehen. Salanitro (1979), Leonardis (2018) und Farese (2019) 75–8 haben Laevius und Varro zur selben Zeit datiert und eine literarische Auseinandersetzung der beiden vermutet. Ihre These beruht hauptsächlich auf Men. 58 Ast. und Laev. F 27, wo sowohl beim Laevius- als auch beim Varrofragment ein konjekturaler Eingriff nötig ist, um Gemeinsamkeiten zwischen beiden herzustellen, und auf 67 Ast. und Laev. F 42, wo eine zweifelhafte Konjektur für das Varrofragment vorausgesetzt ist. Für den ersten Fall siehe Anm. 548, für den zweiten oben Anm. 40.
46
3 Rezeption
Anspielung auf den sperrigen Titel seines Vorgängers im nicht weniger sperrigen Pentamenter Prōtĕsĭlāēām Lāŏdămīă dŏmūm (68.74) deutet wohl auf eine Auseinandersetzung mit der Protesilaodamia hin. Beide sind die einzigen lateinischen Dichter, die die Hochzeit des Paares behandeln. F. Cairns’ Urteil „Catullus’ version of the myth ... almost certainly derives from Laevius’ Protesilaodamia“ mag daher zutreffen, bleibt aber doch nur eine Vermutung.146 Endgültige Klarheit lässt sich aus den Fragmenten nicht gewinnen. Soweit heute noch ersichtlich ist, hat Catull in seinem metrischen Repertoire allein die Anakreonteen mit Laevius gemeinsam. Unsicher bleibt, ob Laevius vor Varro und Catull schon Hendekasyllaben schrieb. Ansonsten scheint seine Verstechnik vor allem in dem Punkte der Gräzisierung einiger Metra Einfluss ausgeübt zu haben. Laevius’ Tendenzen zum strengen Bau iambischer Verse mit der obligatorischen Kürze im dritten Element hat sich zuerst wieder Catull zu eigen gemacht und stärker ausgeprägt. Die von beiden Dichtern häufig genutzten Deminutive sind oben im Kapitel zur Sprache behandelt. An ihnen zeigt sich schon die Bedeutung, die Laevius für die Prägung der erotischen Sprache im Lateinischen hatte. Vor allem das Doppeldeminutiv tenellulus (F 40) findet bei Catull. 17.15 eine direkte Entsprechung. Die Praxis solcher Bildungen war in keiner Zeit sonderlich verbreitet und gerade dieser außerordentliche Fall ist künstlich und gesucht. Sofern die Wortbildung auf Laevius selbst zurückgeht, ist ein Zusammenhang in diesem Punkt sicher (Anm. 656).
3.4 Vergil Unter der falschen Annahme, vier von Terentianus Maurus und Asmonius zitierte (miurische) Hexameter würden aus Laevius’ Ino stammen, wurde das Auftreten der Venus als Jägerin im ersten Buch der Aeneis häufig als nahe Anknüpfung an Laevius gesehen (1.318–37). Doch die Verse sind erst spät entstanden und das Abhängigkeitsverhältnis stellt sich umgekehrt dar (p. 129–43). Dagegen könnte sich womöglich die Beschreibung des Liebeszaubers vor dem Selbstmord der Dido (4.513–6) an eine ähnliche Szenerie bei Laevius anlehnen: Das Vokabular und die erwähnten Zutaten für den Zaubertrank weisen jedenfalls leichte Übereinstimmungen auf (F 44). Auf der Wortebene hat Vergil zuerst das Adjektiv ueliuolus (F 24) mit der laevianischen Bedeutung ‚von Segeln durchflogen‘ gebraucht. Vielleicht griff Lukrez es zuvor aber schon in diesem Sinne auf. Der entsprechende Vers (Lucr. 5.1442)
Cairns (2012) 102 (= 2003, 168).
3.6 Liebeselegiker, insbesondere Ovid
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ist aber unheilbar korrupt, so dass seine Bedeutung ungeklärt bleiben muss. Bei Ennius stand ueliuolus ausschließlich für ‚mit Segeln fliegend‘.
3.5 Horaz Nicht sicher ist, inwiefern Horaz Abhängigkeiten von Laevius aufweist. Erwartbar wäre, dass er sich mit den lyrischen Versmaßen der Erotopaegnia auseinandersetzte, doch keines der horazischen Metra, weder die äolischen noch die epodischen Versmaße, sind bei Laevius sicher belegt (siehe vielleicht zu F 38 und F 43). Möglich ist allein ein inhaltlicher Bezug auf die Sirenocirca: In epist. 1.2.23–6 behandelt Horaz als einer der wenigen Dichter die beiden im Laeviustitel verschlungenen Mythen in enger Beziehung zueinander. Er bietet für die beiden Abenteuer zwar eine Interpretation im moralisierenden Sinne, wie man sie vom Liebesdichter nicht erwarten würde; dennoch kann der Vers epist. 1.2.23 Sirenum uoces et Circae pocula nosti vielleicht als Anspielung auf den Titel Sirenocirca verstanden werden.
3.6 Liebeselegiker, insbesondere Ovid Auch wenn bei Properz und Tibull keine direkten Anlehnungen erkennbar sind, dürfte Laevius durchaus einen Beitrag zur Entwicklung der Liebeselegie geleistet haben. Sprachliche und motivische Nähe zeigt sich vor allem bei der Beschreibung der Knechtschaft unter Venus (F 26) expauida grauis dura fera asperaque famultas, die in ihrem Vokabular das in der subjektiven Liebeselegie beliebte servitium amoris-Motivs vorwegnimmt, aber auch darüber hinaus (vor allem p. 160). Kaum zu unterschätzen ist Laevius’ Wirkung inhaltlicher Natur: Als erster objektiver Liebesdichter lateinischer Sprache brachte er erotische Deutungen unterschiedlicher Mythen endgültig nach Rom und war damit an der Erotisierung epischer oder tragischer Stoffe in der lateinischen Dichtung maßgeblich beteiligt. Er dürfte mit der Wahl und Gestaltung seiner Mythen das Repertoire mythologischer Exempla in der augusteischen Dichtung entscheidend beeinflusst haben. Jeder heute noch identifizierbare Stoff aus den Erotopaegnia findet wenigstens eine Entsprechung in den meist nur kurzen mythologischen Vergleichen bei den Elegikern. Unter allen augusteischen Dichtern stößt man wohl bei Ovid auf die meisten möglichen direkten Auseinandersetzungen mit Laevius. Die prägnanten Metaphern der schamroten Aurora (F 5, Ov. am. 1.13.47 f.) und der marmornen Eisdecke (F 21,
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3 Rezeption
z. B. Ov. fast. 4.918) finden sich erst in der Spätantike wohl in Anlehnung an Ovid wieder; wegen ihrer Seltenheit besteht wenig Zweifel an einer Abhängigkeit. Was die Stoffauswahl angeht, lassen sich viele Übereinstimmungen längerer Mythendarstellungen mit Laevius’ Gedichten feststellen, sogar in Einzelheiten: Beide Dichter beschrieben den Sturz der Ino mit ähnlichem Vokabular (F 25, Ov. fast. 6.495–8 und met. 4.528–30) und beide legten der Göttin Kirke bei Odysseus’ Abreise von Aiaia eine sehr menschliche Abschiedsrede in den Mund (F 34, Ov. rem. 273–84). Generell teilen sie ihr Interesse, Liebesdichtung aus der Perspektive mythischer Heldinnen zu verfassen.147
3.7 Poetae Novelli und Archaisten Zur Zeit Hadrians fand ein Paradigmenwechsel in der lateinischen Dichtung statt, der darin bestand, dass man sich wieder verstärkt auf die archaische Literatur besann. Wegen der sich abzeichnenden Änderung der ästhetischen Prinzipien bezeichnet man die lateinischen Dichter des zweiten und frühen dritten Jh. s oft als Poetae Novelli.148 Obwohl von ihrem Schaffen nur wenige Fragmente erhalten blieben, ist Laevius’ außerordentliche Bedeutung zu dieser Zeit erstaunlich offensichtlich zu erkennen. Eine Abhängigkeit ist heute noch am besten an der Übernahme vieler Versmaße ersichtlich, die zuvor schon Laevius genutzt hatte, seitdem aber außer Mode gekommen waren. Die Poetae Novelli ließen sich vielleicht von seinen iambischen Dimetern und Anakreonteen inspirieren. Auch der in Laev. F 24 vermutete daktylische Tetrameter mit Katalexe wurde wohl erst von ihnen wieder benutzt.149 Ebenfalls fanden sie Gefallen an freien altlateinischen Wortbildungen, die zu klassischer Zeit eher vermieden wurden. Neben seltenen Formen, die nach altlateinischer Praxis gebildet wurden, gibt es vermutlich auch einen konkreten Hinweis auf Laeviusrezeption. Die ungewöhnliche Deminutivform miserulus (F 31)
Zu Laevius’ möglichem Einfluss auf die Heroides vgl. weiterführend Tandoi (1992) 116–27. Die Fragmente bei Mattiaci (1982) und Courtney (22003). Zur Geschichte und Rechtfertigung des Begriff Poetae Novelli siehe Steinmetz (1989) 300–2. Ich sehe nicht, warum man die Bezeichnung mit Beck DNP s. v. Poetae Novelli heute ablehnen sollte. Sicherlich darf man keinen einzigen in sich geschlossenen Dichterkreis annehmen (obwohl Verbindungen der Dichter untereinander zweifelsohne bestanden; Steinmetz [1989] 301), aber das wird von dem Begriff m. E. auch nicht suggeriert. Siehe ausführlicher im Kapitel zur Metrik; für die einzelnen Metra der Poetae Novelli vgl. auch den Index bei Mattiaci (1982).
3.8 Optatianus Porfyrius
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findet nur bei Septimius Serenus in einem ähnlichen Zusammenhang eine Entsprechung.150 Das Wort ist in dieser Form sonst nirgends belegt. Etwa in dieselbe Zeit gehören die Archaisten Fronto, Gellius und Apuleius. Sie hatten noch Zugriff auf die Erotopaegnia und zitierten direkt aus ihnen. Von ihnen erhalten wir zugleich einen guten Einblick in die Laeviusrezeption des zweiten Jh. s und erfahren, dass die Erotopaegnia (wie die altlateinische Literatur überhaupt) zu dieser Zeit wieder verstärkt wertgeschätzt wurden. Gellius erwähnt gleich mehrere Male, wie man Laevius bei einer cena vorgelesen und über Inhalt und Stil seiner Gedichte diskutiert hatte (T 2, T 5 dub, F 2–22). Apuleius gibt in seiner Rede De magia unzweideutig zu verstehen, dass es für ihn ein unentschuldbarer Mangel an Bildung ist, Vergil und Laevius nicht gelesen zu haben (F 44). Auch Fronto erwähnt den Erotiker in einem Brief an den zukünftigen Kaiser Mark Aurel ganz selbstverständlich neben bedeutenden Dichtern wie Plautus oder Ennius (F 47). Nach Gellius’ eigener Aussage versuchten sich die Archaisten im Interesse ihrer eigenen schriftstellerischen Tätigkeit möglichst viele altlateinische Wortbildungen anzueignen und zu merken. Daher werden im zweiten Jh. sogar in prosaischen Texten dichterische Wörter gebraucht, die zuvor nur bei Laevius nachweisbar sind: Gellius (1.8.6, vielleicht 19.1.6) benutzt das vermutlich laevianische Adjektiv expauida (F 26), Apuleius (met. 8.5, 10.24) und Fronto (9.8 vdH = F 47) das seltene Substantiv decipulum, wobei wenigstens Fronto klar betont, dass er das Wort direkt von Laevius übernommen hat.151
3.8 Optatianus Porfyrius Mit Optatianus Porfyrius erlebt die visuelle Poesie in lateinischer Sprache Anfang des vierten Jh. s einen neuen Aufschwung. Seine Figurengedichte erhalten im Gegensatz zu denen von Simias und Laevius ihren Umriss nicht durch die Variation des Metrums der einzelnen Verse, sondern durch Veränderung der Buchstabenanzahl: Er eignete sich die alte Technik an, indem er sie weiterentwickelte. Dabei trägt Optatian mit seinen dargestellten Figuren die Anlehnung an griechische Vorgänger offen zur Schau.152 Ob er sich in seinen Gedichten auch stärker mit La-
Laev. F 31 cupidius miserulo obito und Sept. Sev. 17 C. (= 16 4FPL Bl./Matt.) animula miserula properiter obiit. Vgl. ferner humus als Maskulinum/Neutrum bei Apul. met. 1.3 wie in F 1; Apul. apol 9.33 dulcilocus ähnlich wie in F 19. Opt. Porf. 26 ist ein Altar (wie z. B. bei Besantinos A.P. 15.25), Opt. Porf. 27 eine Syrinx (wie Theokr. A.P. 15.21).
50
3 Rezeption
evius auseinandersetzte, ist nicht eindeutig zu sagen. In carm. 3 bildet er mit seinen Buchstaben ein geflügeltes Wesen ab, dessen Identifizierung aber umstritten ist. I. Männlein-Robert vermutete zuletzt ganz unabhängig vom laevianischen Gedicht einen Phoenix, der das wiederauferstehende goldene Zeitalter unter Kaiser Konstantin symbolisieren solle.153 Doch auch ohne dieses bestimmte Zeugnis darf man Laevius sicherlich in der Rolle eines Vermittlers sehen.154 Optatian hat die Erotopaegnia vermutlich genauso gekannt wie kurze Zeit später Ausonius.
3.9 Ausonius Ausonius ist der Letzte, von dem man annehmen darf, dass er Laevius aus erster Hand kannte. Im apologetischen Teil am Schluss seines obszönen Cento Nuptialis erklärt er anhand des Martialmottos lasciua est nobis pagina, uita proba (1.4.8), dass der Charakter eines Dichters nicht mit dem seines Gedichtes übereinstimmen muss. Zur Illustration nennt er eine reiche Zahl an Autoren und kontrastiert deren Werk und Leben miteinander, anfangs in Form einer Antithese, danach anhand rhetorischer Fragen. Anders als Ovid in seinem oben p. 43 angesprochenen, von der Konzeption her vergleichbaren Dichterkatalog, nennt Ausonius auch Laevius als Beispiel (T 3): nam quid Anniani Fescenninos, quid antiquissimi poetae Laeuii Erotopaegnion libros loquar? Während Ausonius viele andere der von ihm angeführten Autoren weit ausführlicher und oft anhand konkreter Anekdoten zu ihrem Leben behandelt, verhält er sich bei Annian und Laevius auffällig wortkarg.155 Vermutlich haben ihn keine Nachrichten über die Biografie der beiden Dichter erreicht, die er hätte anführen können. Dass Laevius dennoch neben Martial, Plinius, Sulpicia, Apuleius, Cicero, Platon, Annianus, Euenos, Menander und Vergil in den Katalog aufgenommen wurde, legt nahe, dass er von den Literaturkennern des vierten Jh. s noch Wertschätzung erfuhr. Die Erotopaegnia oder wenigstens Teile von ihnen müssen Ausonius’ Zeitgenossen daher noch zugänglich gewesen sein. Ein gänzlich verlorenes und nur dem Namen nach bekanntes Werk würde Ausonius auch kaum in die Reihe neben Vergil oder Apuleius aufgenommen haben.
Vgl. Männlein-Robert (2017) 324–32. Vgl. auch Wienand (2012) 361 und Kwapisz (2019) 75. Zum Beispiel fällt bei Plinius der Verweis auf die Zensur (probissimo uiro Plinio in poematiis lasciuiam, in moribus constitisse censuram), für Cicero nennt er ein konkretes Briefzeugnis (in praeceptis Ciceronis exstare seueritatem, in epistulis ad Caerelliam subesse petulantiam), für Euenos das Zeugnis von Menander (quid Euenum, quem Menander sapientem uocauit?).
3.9 Ausonius
51
Die Vermutung lässt sich anhand anderer Laeviusanspielungen bestätigen. In einem hexametrischen Gedicht, dessen Verse stets mit einem Monosyllabum beginnen und enden, stellt sich Ausonius in die Tradition hellenistisch-laevianischer Versexperimente. Dabei nennt er sein Gedicht Technopaegnion, zusammengesetzt, wie er selbst erklärt, aus ars (τέχνη) und ludus (παίγνιον).156 Der prägnante Titel ist eine klare Anlehnung an Laevius’ Erotopaegnia, die Gedichte mit vergleichbaren Formspielen enthalten haben (F 49).157 Dass Ausonius so deutlich auf Laevius anspielt und so wohl auch seine Techniken aufgreift, setzt nicht nur Kenntnisse über den Titel, sondern auch über die Inhalte der Erotopaegnia voraus. Ferner verwendet Ausonius in seinem Technopaegnion das vermutlich von Laevius gebildete Adjektiv nocticolor (F 6). Auch sein Schüler Paulinus von Nola macht von dem Wort in einem Kontext Gebrauch, der auf Laevius weisen könnte.158 Möglicherweise kannten die beiden das Kompositum aber auch nur indirekt vom Zitatträger Gellius. Wie bei Laevius F 39 begegnet bei Ausonius (11.1.40) auch das sonst häufiger gebrauchte Partizip meminens.
Vgl. Auson. 25.113–5, dessen Bildung prägend war: Noch heute spricht man in der Forschung zu solchen Gedichten von Technopaegnia; siehe dazu Kwapisz (2019) 139 f., Anm. 14. Courtney (22003) 119 setzt das Verhältnis umgekehrt an. Nach ihm ist der Begriff Technopaegnion alt: Laevius habe seinen Werktitel danach gebildet. Auson. 25.8.11 von der Styx. Bei Paulinus von Nola heißt es von den Äthopiern: carm. 28.249 f. Aethiopum populos non sole, / sed ... crimine nocticolores. Laevius nutzte das Wort vom Äthopierkönig Memnon (F 6).
4 Überlieferung 4.1 Chronologische Übersicht der Sekundärüberlieferung Zitatträger
Stelle
F
Überl.
Titel/
Name
Herkunft
Anlass
Zur Zitiertechnik
Sichere Fragmente
.– L.
Verrius
Laevius
in †Virgo†
Flaccus
(augusteische Zeit)
bei
.– L.
Livius
/
Hälfte des
.– L.
Ausgesprochene
Beleg für
Laevius/
Caesius
f. Mor.
Bassus
(GLK vi f.)
Lepidus
/
Beispiel für
p. :
Anakreonteen
Selbstständige
(aber
(erstes Jh.
laeuianum
Erweiterungen
n. Chr.)
metrum)
von Fragmenten
Fronto (Mitte
p. .– vdH
Laevius
/
Gelehrte
p. f.: Freier
Anspielung
Umgang mit Dichtertexten
Gellius (geb.
..–
Laelius
Erotopaegnia
zw. –) .
Laevius
Realien zur lex
p. –:
Licinia
Gedächtniszitate
Protesilaodamia Diskussion über Wörter auf -uus/-umus
Verse
Beleg für petra
Jh. s)
Zitieren ganzer
Centauri
des zweiten
Neigung zum
Livius
zweiten Jh. s)
p. :
gnobilis
reduuiosus
Festus (zweite
Beleg für
.
– Laevius
(= )
Alcestis
und syntaktische Integration von Zitaten p. : direkter
Laeviuslektüre
Zugang zum
bei Freunden
Laeviustext p. : Gebrauch von Wörtern altlateinischer Dichter in eigener Prosa p. : Gebrauch von inquit
Lebensdaten jeweils nach den Artikeln im DNP, wenn nicht anders angegeben. https://doi.org/10.1515/9783111237121-004
4.1 Chronologische Übersicht der Sekundärüberlieferung
53
(fortgesetzt) Zitatträger
Stelle
F
Überl.
Titel/
Name
Herkunft
Anlass
Zur Zitiertechnik
Sichere Fragmente
Apuleius (geb. Apol. f.
Laelius
/
um )
Belege für die Zutaten eines Liebeszaubers
/
Protesilaodamia Zitat für das
Aemilius
Schol. Ver.
Asper (spätes
Verg. Aen.
Wort stigmata
zweites Jh.)
.
zur Erklärung
p. B.
von pictus im Sinne vom stigmosus
Charisius (viertes Jh.)
. f. B.
Laevius
Erotopaegnia vi
Beleg lasciuiter
f. B.
Le ... us
Ode Phoenix
Metrische
aus den
Diskussion
Erotopaegnia
Nonius (spätes viertes o. frühes
M.
Naevius
Protesilaodamia Beleg gracilens
M.
Naevius
Sirenocirce
hippocampi
fünftes Jh.)
M.
Beleg
M.
Pacuvius
Naevius
Erotopaegnia ii
Erotopaegnia
M.
Naevius
M.
Naevius
(= )
gegenüber p. f.: Unzuverlässigkeit (am Beispiel einer Abhängigkeit von Gellius) p. : falsche
Vokabel
Protesilaodamia Genus von
Carmen
seiner Vorlage
hostire
iocus
Missverständnis
Bedeutung
latibulare/-i
p. :
Beleg obesum im Sinne von
Erklärung der Fragmente p. f.: Doppellemmata p. f.: flektierte Formen im Lemma
gracile
Macrobius (um )
Sat. ..–
Laevinus
/
Beleg für
p. :
eine männliche
Chronologische
Gottheit Venus
Reihungen fragmentarischer Dichter in Sat. . f.
Vgl. zur Datierung HLL vi.1 520–2, P.L. Schmidt (2008), Cameron (2011) 231–72.
54
4 Überlieferung
(fortgesetzt) Zitatträger
Stelle
F
Überl.
Titel/
Name
Herkunft
Anlass
Zur Zitiertechnik
Sichere Fragmente
Sat. ..–
Livius
Helena
Beleg für
p. : ererbte
ueliuolus vor
Fehler bei der
Vergil
Überlieferung des Namens Laevius
Priscian
GLK ii
(um )
.–
GLK ii
Naevius
Laevius
Protesilaolao-
Hetroklitische
p. : Neigung
damia
Deklination
zu grammatisch
quies
geschlossenen
Polymetra
.–
GLK ii .–
uersus, -i
Laevius/
Adonis
Livius
GLK ii
.–.
GLK ii f.
Deklination
Laevius/
Ino
Livius
GLK ii f.
Grammatiker generell zur
Deklination
Laevius/
Sirenocirca
Vokativ Laertie
Laevius/
Erotopaegnia iii
Aktives PPP
Laevius/
decretum Protesilaos
Livius GLK ii f.
Laevius/
Aktives PPP obitum
Laudamia
Perfekt perlicui
Erotopaegnia v
Beleg plecto
Erotopaegnia iv
PPP defektiver
Livius
GLK ii f.
Laevius/ Livius
GLK ii
.–
Laevius/ Livius
Verben (meminens)
Unsichere Fragmente
Sueton
gramm. .
(geb. )
(Laevius)
dub
Melissus
Servius
zu Verg. ecl.
antiqui
(um )
.
dub
lyrici
Macrobius
Sat. ..
Naevius
(um )
Vereinfachung von Gedichttiteln, die aus Komposita
Priscians und der
humus
praeceps
Livius
p. : Neigung
Genus von
Livius
Fragmenten
dub
/
Gelehrte Anspielung
/
Epitheta des Efeus
/
Sol-Epitheton uagus
bestehen
4.2 Die Zitatträger und ihre Zitiertechnik
55
4.2 Die Zitatträger und ihre Zitiertechnik Schon in augusteischer Zeit wurde Laevius von dem Lexikographen Verrius Flaccus zitiert. Das Lexikon selbst ist verloren, doch eine Epitome von Sextus Pompeius Festus blieb in Teilen erhalten. In der Mitte des ersten Jh. s n. Chr. zog Caesius Bassus, der Verfasser eines metrischen Lehrbuches, Laevius wegen seiner seltenen Metra heran: Mit F 45 demonstriert er seinem Leser den Aufbau anakreonteischer Verse. Danach setzt die Sekundärüberlieferung erst wieder im zweiten Jh. n. Chr. ein. Dies ist die Zeit der sogenannten Archaisten, die die in klassischer Zeit oft kritisierte archaische Literatur wieder für sich entdeckten, sie in Abhandlungen auswerteten und in eigener Dichtung nachahmten. Zu ihnen gehören der Prinzenerzieher Fronto, der Philosoph Apuleius und der Buntschriftsteller Gellius. Besonders Gellius bietet neben den vielen Zitaten in seinen Zitierkontexten und Testimonien auch ausführlichere literarische Würdigungen von Laevius’ Gedichten. Derartig tiefgreifende Betrachtungen der Erotopaegnia finden sich in der Folgezeit nur noch selten. Seit Anfang des dritten Jh. s wird Laevius meist von Kommentatoren wie Aemilius Asper, Lexikographen wie Nonius, Grammatikern wie Charisius oder Priscian und Schriftstellern wie Macrobius zitiert. Sie haben in aller Regel kein Interesse mehr an Laevius’ Dichtung. Es ging ihnen gewöhnlich nur noch um seltene Vokabeln oder Wortformen. Daher werden die Fragmente von ihnen meist auch nur als Beleg für bestimmte sprachliche Phänomene angeführt, ohne dass sie näher besprochen werden. Jeder Einzelne dieser Autoren weist besondere Eigenheiten in seiner Zitiertechnik auf. Fronto geht beispielsweise sehr frei mit den angeführten Dichterstellen um, Verrius Flaccus/Festus dagegen zitiert in den allermeisten Fällen nur ganze, metrisch in sich geschlossene Verse. Manchmal unterscheiden sich die Zitationsprinzipien bei ein und demselben Autor sogar innerhalb desselben Werkes. Solche Eigenheiten der Zitatträger müssen bei der Besprechung der einzelnen Fragmente stets berücksichtigt werden, um Entscheidungen in textkritischen, metrischen oder generell interpretatorischen Belangen treffen zu können. Sie hier für jeden der oben angeführten Autoren vorzustellen, wäre der Sache nicht förderlich, weil häufig von Fall zu Fall entschieden werden muss und sich Fragen erst aus der näheren Betrachtung des jeweiligen Fragments ergeben. Der Übersichtlichkeit halber sind die Besonderheiten der verschiedenen Zitiertechniken im Verzeichnis der Zitatträger jeweils mit Verweis auf die entsprechende Behandlung mitaufgenommen.
56
4 Überlieferung
4.3 Die Überlieferung des Namens Die Übersicht kann leicht zeigen, wieviel es der Philologie seit Jos. Scaliger abverlangt hat, den Dichter Laevius von Livius und Naevius zu scheiden, vor allem zu einer Zeit, in der textkritische Ausgaben, die die genaue Überlieferungslage dokumentieren, noch nicht vorhanden waren. Wenig überraschend spiegelt die Überlieferung des Namens Laevius häufig auch den Zustand der Überlieferung des Zitatträgers wider: Bei Gellius ist der Name meist heil erhalten, in der Überlieferung von Nonius’ Lexikon, das schon einen stark korrupten Archetypus aufweist, geht vieles durcheinander. Anhand der Priscianüberlieferung lässt sich der Korruptionsprozess des Namens Laevius gut illustrieren: Der Grammatiker selbst hat sehr sauber gearbeitet und gute Quellen benutzt. Allein in Nr. 21 der Tabelle (F 29) ist der falsche Name Naevius einhellig überliefert. Bei allen anderen Fragmenten bieten wenigstens einige Codices die richtige Zuweisung (immer die Hss. G L K, meist auch B). In vielen Fällen einer gespaltenen Überlieferung finden sich in einigen Handschriften auch vermeintliche Korrekturen wie leiuius: Im Prisciantext wurde offenbar sukzessive von Leuius zu Liuius verschlimmbessert. Bei vergleichbaren Überlieferungslagen sollte die Autorenschaft aber in jedem Falle feststehen, weil Leuius immer die lectio difficilior ist. Ganz anders ist bei Macrobius – ebenfalls bemerkenswert – nie der richtige Name erhalten, vielleicht wegen früh entstandener Korruptelen, vielleicht auch weil Macrobius’ Quellen in diesem Punkt korrupt waren.161 Wenn nur Livius oder Naevius als Autorenangabe erhalten blieb, ist Vorsicht geboten. Denn sobald die dazugehörigen Fragmente keinem der beiden so sehr archaischen Dichter zugeordnet werden können, heißt das noch nicht, dass das Fragment auch laevianisch ist. Durch diese Fehlannahme hatte sich ein bei Terentianus Maurus überliefertes Fragment, das (sicher fälschlicherweise) Livius zugeordnet wird, (ebenso fälschlicherweise) ins Laeviuscorpus eingeschlichen (p. 129–43). Auch bei der heute weniger hinterfragten Nr. 33 in der Tabelle (F 51 dub) muss der Autor ungewiss bleiben. Sicherheit ist nur zu erlangen, wenn gleichzeitig markante Titel wie Erotopaegnia (Nr. 15 [F 37]) oder Protesilaodamia (Nr. 17 [F 28]) bezeugt sind oder Stil und Inhalt den anderen Fragmenten des Laevius in einem ausreichenden Maße entsprechen (Nr. 2 [F 46])
Nr. 20 (F 24) hält er für ein Liviusfragment; vgl. unten p. 119.
5 Forschungsgeschichte und Forschungstendenzen 5.1 Frühe Erschließung der Laeviusfragmente Die systematische Erschließung der nur indirekt als Zitate überlieferten lateinischen Texte begann im 16. Jh. Zwar fanden auch die Überbleibsel der Erotopaegnia Eingang in die ersten Fragmentausgaben, doch ordnete man sie, weil ein Laevius kaum bekannt war, gewöhnlich Livius Andronicus oder Naevius zu.162 Nur wenige Herausgeber erwogen die Existenz eines Dichters namens Laevius und machten sich für eine separate Behandlung seines Werkes stark: Im ersten Teil seines Syntagma Tragoediae Latinae (1593) gibt Martin Anton Del Río (lateinisch Delrius) mehrere Male über die schwierige Überlieferungslage hinsichtlich der Autorenzuweisungen der Fragmente Auskunft. Er ordnet alle Laeviusgedichte mit bekanntem Titel verschiedenen Dramatikern zu, äußerte aber in einem Falle bei einer Sirene (gemeint ist die Sirenocirca) seine Zweifel, weil die besten Handschriften Leuius bieten würden. In diesem Zusammenhang erwähnt er auch die Erotopaegnia.163 Einen großen Anteil an Delrius’ kritischem Standpunkt hatte vermutlich der niederländische Forscher Joseph Justus Scaliger, der sich in seinen Kommentaren und Editionen merhmals für Laevius’ Existenz stark gemacht hatte. Er verbesserte die in vielen Handschriften korrupt überlieferten Namen Liuius oder Naeuius zu Laeuius und schied die Dichter so voneinander.164 Damit hat Scaliger der Philolo Einen kurzen Überblick über die Tragikereditionen gibt Schierl (2006) 66–8. Die erste, monumentale Fragmentausgabe besorgte Henri Estienne (lateinisch Stephanus) im Jahre 1564. Ein Laevius ist darin nicht zu finden. Der Anschaulichkeit halber seien die Zuordnung in dieser Edition genannt: die Centauri (dort p. 145), die Erotopaegnia F 38, 39, 40 (p. 146), die Helena (p. 146), die Ino (dort Io p. 146), die Laodamia F 30 (also Protesilaodamia, p. 147), die Polymetra (p. 148), der Protesilaos F 31 (also Protesilaodamia, p. 148), ein Serenus (also Sirenocirca, p. 148), eine Virgo (p. 149) und F 46 (p. 150) ordnet er Livius zu. Die Alcestis (p. 218), noch einmal die Erotopaegnia (nur F 43, p. 221), noch einmal Protesilaos F 33, 28, 29 (also Protesiloadamia, p. 229) sind bei Naevius zu finden; wieder Erotopaegnia F 37 (p. 244) bei Pacuvius. Den Adonis F 1 konnte ich bei Stephanus noch nicht finden. Erst Delrius (1593) 161 nahm ihn unter Livius Andronicus auf. Das Phoenixfragment F 26 sehe ich weder bei dem einen noch bei dem anderen. Titel und Überlieferung der Namen sind bei Delrius (1593) 161–88 diskutiert; zur Sirene siehe dort p. 163. Auch bei einem Protesilaos (gemeint ist die Protesilaodamia) erwähnt der Herausgeber überliefertes Leuius (p. 168 f.), spricht zuletzt aber doch von einem Stück des Livius oder Naevius. Zum Beispiel in seiner Festusausgabe (1576), seiner Varroausgabe (1585) oder in seinen Ausoniusanmerkungen (1595). https://doi.org/10.1515/9783111237121-005
58
5 Forschungsgeschichte und Forschungstendenzen
genwelt erstmals wieder ein Bewusstsein für den ersten großen lateinischen Liebesdichter verschafft. Der ebenfalls niederländische Humanist Gerhard Johannes Vossius ging Scaligers Weg in der Fragmenterschließung konsequent weiter.165 Gehör fanden die beiden zunächst nur bei den Herausgebern und Erklärern derjenigen antiken Autoren, durch die die Laeviusfragmente tradiert werden.166 Denn das Interesse an den fragmentarisch erhaltenen lateinischen Tragikern wuchs zu dieser Zeit so sehr, dass Laevius wieder außer Augen geriet: Man wollte den Dramatikern die laevianischen Fragmente nur ungern absprechen. Auch Peter Schrijver (lateinisch Scriverius), an dessen Tragikeredition die Castigationes seines Freundes Vossius mit vielen wichtigen Untersuchungen zu Laevius angehängt sind, teilte die Fragmente des Liebesdichters gegen Vossius und Scaliger hauptsächlich Livius oder Naevius zu.167 So verfuhr zuletzt Friedrich Heinrich Bothe in seiner Ausgabe der frühen Tragiker aus dem Jahr 1823 (nachgedruckt 1834).168 Die Neigung ging in ihrer äußersten Form sogar so weit, dass man am Anfang des 19. Jh. s wieder vereinzelt infrage stellte, dass es Laevius überhaupt gegeben hat, und die Vermutung äußerte, sein Name wäre nichts als ein Gespinst einiger korrupter Handschriften.169
5.2 Die erste Laeviusmonographie und -edition Zu dieser Zeit nahm sich August Weichert des fragmentarischen Dichters an und veröffentlichte seine Monographie De Laevio Poeta (1830).170 Er sammelte alle bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Laeviusfragmente, überprüfte die vorgenommenen Autorenzuweisungen kritisch und bot seinem Leser so ein erstes wirkliches Laeviuscorpus mit Untersuchungen zu Themenwahl und Sprache des Dichters. Der endgültige Nachweis, dass Laevius kein Dramatiker war und seine mit gesondertem Titel überlieferten Fragmente keine Überbleibsel von Tragödien, sondern von epyl-
Vor allem in seinen Castigationes aus dem Jahre 1620. Stellvertretend vgl. die Noniusausgabe von Mercier oder die Priscianausgabe von Krehl. Scriverius (1620); die Erotopaegnia-Fragmente schloss er aber wie zuvor schon Delrius aus. Er erkannte aber als erster die Einheit der Laodamia und des Protesilaos als Protesilaodamia und schrieb die Fragmente Livius (p. 4) und Naevius (p. 45) zu. Bothe wusste von Laevius und diskutierte manchmal die Autorenzuweisung im Apparat (etwa p. 7 zum Adonis). Er war aber nicht bereit, die Fragmente den Tragikern abzusprechen, selbst nicht bei der Alcestis, für die die Gelliuscodices Laevius’ Urheberschaft eindeutig und vor allem mehrfach bezeugen (p. 83 Naevius zugeordnet). Vgl. Santenius (1825) 232–5. Zuerst in zwei Heften 1826 und 1827.
5.2 Die erste Laeviusmonographie und -edition
59
lienartigen Gedichten darstellen, geht auf ihn zurück.171 Der Einfluss der Monographie war so groß, dass auch die kurze Zeit darauf erscheinenden Fragmentausgaben der alten Tragiker Fragen der Autorenzuweisungen verstärkt thematisierten und die von Weichert für Laevius ausgemachten Fragmente aus den Corpara von Livius, Naevius, Ennius oder Pacuvius ausschlossen.172 Erst nachdem diese grundlegenden Fragen zur Existenz des Dichters und zum Charakter seines Werks geklärt waren, konnte man sich in den folgenden Jahrzehnten anderen dringenden Problemen zuwenden, allen voran der Textkritik, der Metrik, aber auch der Rekonstruktion des Inhalts einzelner Gedichte. Wer aus der korrupten Überlieferung der Fragmente Adjektive wie tardigenuclus, ‚langsamknieig‘ (F 2), konjektural wiederherstellen muss, sollte seine Aufgabe mit viel Mut und Kreativität angehen, und an Mut und Kreativität fehlte es der Philologie im späten 19. und frühen 20. Jh. wirklich nicht. In der Fragmentforschung im Allgemeinen und für Laevius im Speziellen zeichnete sich zu dieser Zeit besonders Lucian Müller aus, der in seinem Metrikhandbuch (11861, 21894) wegweisende Untersuchungen zu Laevius‘ Versmaßen bieten konnte. Zuletzt hatte er noch 1880 vor den wichtigen Fragmenta Poetarum Romanorum von Emil Baehrens (1886) die erste Laevius-Ausgabe publiziert und sie mit originellen Emendationen und hilfreichen Anmerkungen versehen. Müller wurde nur verhältnismäßig wenig rezipiert,173 dabei ist er wohl derjenige, der neben Weichert die größten Fortschritte in der Erforschung des Erotopaegnien-Dichters erzielen konnte.
Allein Menozzi (1895) versuchte Weichert in diesem Punkt zu widerlegen, ohne dabei im Ansatz überzeugen zu können. Vor allem möchte ich Ernst Klussmann (1849) hervorheben, der das Livius-Corpus in seiner Ausgabe von Laeviusfragmenten reinigte: Den Adonis hat er nicht aufgenommen, die Centauri schreibt er Laevius zu (p. 13), ebenso die Protesilaodamia und die Sirene (Sirenocirca, p. 23), eine längere Diskussion gibt er über die Ino (p. 19–23); Ribbeck erkannte später (1R p. 245), dass die Helena von Laevius stammt. Ähnlich unterschätzt sind seine Ausgaben zu Lucilius und Nonius; Philologen aller Schulen schätzten ihn zu seinen Lebzeiten fachlich und menschlich gering. Nietzsche schreibt 1871 (Nr. 147 bei Colli/Montinari) an Rohde: „Ich verdanke diese Notiz [Anm.: über einige Berufungsverhandlungen] dem ekelhaften Lucian Müller, der von Petersburg [Anm.: dort hatte er eine Professur] aus nach der Schweiz kommt und mich — mich! — mich!! belästigt hat“; vgl. auch Nietzsche 1866 an v. Gersdorff (Nr. 523) „den höchst groben Lucian Müller“; Nietzsche 1868 an Deussen (Nr. 573), es herrsche „Selbstüberschätzung und Eitelkeit ... Ähnliches gilt von Lucian Müller, dem begabtesten Gassenjungen unsrer Philologie“. Rohde schreibt 1877 an O. Ribbeck (Haubold [2017] 3.90): „Nur Lukian Adamowitsch (wie er hier russisch heißt) kocht ab u. an einigen älteren Kohl nochmals wieder, unter gräulichem Gestanke, auf. Dem fällt nun vollends gar nichts Neues mehr ein!“, Wilamowitz (21929) 100 in seinen Erinnerungen: „Von der Konjekturenjagd will ich gar nicht reden ...; aus Berlin kamen die lüderlichen Ausgaben Eyßenharts und Lucian Müller“ und vor allem an anderer Stelle (p. 94): „Ein Privatdozent war freilich vorhanden
60
5 Forschungsgeschichte und Forschungstendenzen
5.3 Die zweite Laeviusmonographie und aktuelle Forschungstendenzen Daneben förderten große Namen wie Moritz Haupt, Franz Bücheler oder Louis Havet das Wissen um Laevius in kleineren Beiträgen auf unterschiedlichste Art.174 Am Ende des 19. Jh. s war aus diesem Grund Vieles zu sammeln, auszuwerten und ins rechte Licht zu rücken, so dass nunmehr eine zweite Laeviusmonographie gerechtfertigt war. Sie entstand aus einer Aufsatzsammlung des französischen Philologen Henri De la Ville de Mirmont, die in den Jahren 1900 und 1901 in der Revue des Études Anciennes erschien. Noch 1900 wurde sie mit Änderungen als gesondertes Buch mit dem Titel Le Poète Laevius publiziert.175 De Mirmonts Arbeit unterschied sich von allen bisherigen Beiträgen durch seine ausführlichen Erörterungen zur Rekonstruktion einzelner Gedichte. In einer eröffnenden Betrachtung wies er Laevius seinen Platz in der lateinischen Literaturgeschichte zu. Auf de Mirmonts Beitrag konnte schließlich auch Friedrich Leo zurückgreifen. Nachdem er bereits 1913 den ersten Band seiner lateinischen Literaturgeschichte veröffentlicht hatte, sollte bald darauf ein zweiter folgen. Das Buch kam aber nicht mehr zustande, weil Leo starb. Man publizierte im Hermes (1914) aus seinem Nachlass das Fragment Die römische Poesie in sullanischer Zeit, worin auch seine Untersuchungen zu Laevius zu finden sind. Die Ausführungen zeichnen sich vor allem durch kleine philologische Detailarbeiten in den Fußnoten aus, die nachhaltige Antworten auf textkritische, sprachliche und metrische Fragen geben konnten. Daraufhin legten die Fragmenta Poetarum Latinorum von Morel, Büchner und zuletzt Blänsdorf für jeweils ihre Generation den Grundstein zur Arbeit an der nicht-dramatischen fragmentarischen Dichtung. Folglich brachte man die Forschung durch viele kleinere Beiträge in Bereichen der Textkritik, Metrik, Sprache oder bei der Interpretation einzelner Fragmente voran. Allen voran sind zu nennen: Luigi Alfonsi, der im Zeitraum der 50er bis in die 80er Jahre in aller Regelmäßigkeit zu Laevius publizierte, Antonio Traglia mit seinen Untersuchungen [Anm.: in Bonn], der nicht gehört werden durfte, der schon damals unausstehliche Lucian Müller, dem der deutsche Boden auch bald zu heiß ward. Mit ihm hatten wir nur eine Begegnung. Als wir im Karneval als Bauern verkleidet (das billigste Kostüm) herumtollten, trafen wir ihn, wie er ohne Maske aus dem Gasthof zum Stern kam, er ward umringt und unter dem Gesange ‚ich bin Lucian Müller, Lucian Müller, Privatdozent in Bonn‘ mit wilden Grimassen umtanzt. Die Menge lief zusammen und hatte ihre Freude daran.“ Z. B. Havet (1891) und (1914), Bücheler (1927) 135–7 (= 1875, 305–7) und (1930) 92 f. (= 1886, 11 f.) oder Haupt (1875) 116 f. (= 1841, 44). Sie wurde 1903 nochmals in einem Band mit gesammelten Forschungen zur archaischen Literatur gedruckt, nach dem ich in dieser Arbeit zitiere.
5.3 Die zweite Laeviusmonographie und aktuelle Forschungstendenzen
61
zu Sprache und Stil (1957) des Dichters sowie seiner kurz kommentierten Edition Poetae Novi (11962, 21974), dann Aldo Lunelli (1969), der mit kleineren Beiträgen einige Fehlurteile der Vergangenheit korrigierte,176 oder Alfredo Morelli (2000) mit einer kurzen Gesamtinterpretation der Erotopaegnia. Dabei rückte die Nachwirkung des Dichters bei Catull und den Klassikern vermehrt ins Zentrum der Betrachtungen. Laevius wurde als ein ‚Praeneoteriker‘ ausgewiesen, der sich von der altlateinischen Dichtersprache abgegrenzt hätte. Manchmal datierte man ihn als ‚Neoteriker‘ ganz nahe bei Catull. G. Marconi schrieb in einem einflussreichen Beitrag aus dem Jahre 1963 ein von klassischer Literatur geprägtes Fragment Laevius zu.177 Ferner untersuchten Salanitro (1979) oder Leonardis (2018) Beziehungen zwischen Laevius und Varro. Sie postulierten einen literarischen Streit der beiden und datierten Laevius so in die 70er Jahre des ersten Jh. s. Unabhängig von diesen Tendenzen entstanden durch das in den letzten Jahrzehnten steigende Interesse an dichterischen Formspielereien vermehrt auch Beiträge zum laevianischen Figurengedicht Phoenix.178 Wenig prägend und kaum rezipiert war dagegen ein neuartiger Ansatz von Jean Granarolo (1971): Der zweite Teil seiner Monographie zur Dichtung in der Zeit zwischen Ennius und Catull enthält eine Diskussion über die Aufführungspraxis der laevianischen Gedichte – „interesting, but unacceptable“, wie Jocelyn (1973) 202 in seiner Rezension urteilt. Große Verdienste Granarolos liegen jedoch in seinen Detailanmerkungen zu den einzelnen Fragmenten im ersten Teil des Buches, vor allem zur Metrik. In seinem ANRW-Beitrag L’époque néoterique ou la poésie romaine d’avant-garde au dernier siècle de la République (Catulle excepte) (1973) zählt er Laevius zusammen mit Catull zur neoterischen „avantgarde“ des ersten vorchristlichen Jh. s. Hervorzuheben sind zuletzt Edward Courtneys (11993, 22003) Fragmentary Latin Poets. Anders als Granarolos Monographie ist sein Kommentar, auch nach eigener Aussage, nur schwer zugänglich und stark verdichtet.179 Eine Behandlung der gesamten fragmentarischen Dichtung der Lateiner (abgesehen von Ennius, Lucilius und der Dramatik) kann auch nicht dasselbe Detailreichtum wie andere Ansätze bieten. Trotzdem brachte der Kommentar die Forschung zu Laevius ein ganzes Stück voran, wovon zuletzt auch meine Arbeit stark profitieren konnte.
Vgl. p. 149 oder 195. Zum Begriff ‚Praeneoteriker‘ siehe oben p. 29. Hervorzuheben ist die Monographie von Kwapisz (2019). Vgl. dort p. viii–ix.
B Text
1 Testimonia T1 Porph. ad Hor. carm. 3.1.2 (uide p. 34–6) CARMINA NON PRIUS AUDITA: Romanis utique non prius audita, quamuis Laeuius lyrica ante Horatium scripserit. sed uidentur illa non Graecorum lege ad lyricum characterem exacta.
T2 Gell. 19.9.7 (uide p. 27) tum Graeci plusculi qui in eo conuiuio erant, homines amoeni et nostras quoque litteras haut incuriose docti, Iulianum rhetorem lacessere insectarique adorti sunt ... saepeque eum percontabantur, quid de Anacreonte ceterisque id genus poetis sentiret et ecquis nostrorum poetarum tam fluentes carminum delicias fecisset, ‚nisi Catullus‘ inquiunt ‚forte pauca et Caluus itidem pauca. nam Laeuius implicata et Hortensius inuenusta et Cinna inlepida et Memmius dura ac deinceps omnes rudia fecerunt atque absona‘.
T3 Auson. 18 p. 153sq. Gr. (OCT) (uide p. 50) ‚lasciua est nobis pagina, uita proba‘ ut Martialis (1.4.8) dicit. meminerint autem, quippe eruditi, probissimo uiro Plinio in poematiis lasciuiam, in moribus constitisse censuram, prurire opusculum Sulpiciae, frontem caperrare, esse Apuleium in uita philosophum, in epigrammatis amatorem, in praeceptis Ciceronis exstare seueritatem, in epistulis ad Caerelliam subesse petulantiam, Platonis Symposion composita in ephebos epyllia continere. nam quid Anniani Fescenninos, quid antiquissimi poetae Laeuii Erotopaegnion libros loquar? quid Euenum, quem Menander sapientem uocauit? quid ipsum Menandrum? quid comicos omnes? quibus seuera uita est et laeta materia. quid etiam Vergilium Parthenien dictum causa pudoris? qui in octauo Aeneidos, cum describeret coitum Veneris atque Vulcani, αἰσχροσεμνίαν decenter immiscuit. quid?
https://doi.org/10.1515/9783111237121-006
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1 Testimonia
T 4 (dub) Lucil. 202 M. (uide p. 13sq.) Laeuius pauperem ait se ingentia munera fungi laeuius L : laelius cett. codd. Non.
T 5 (dub) Gell. 2.22.1sq. (uide p. 35) apud mensam Fauorini in conuiuio familiari legi solitum erat aut uetus carmen melici poetae aut historia, partim Graecae linguae, alias Latinae. legebatur ergo ibi tunc in carmine Latino Iapyx uentus, quaesitumque est quis hic uentus et quibus ex locis spiraret et quae tam infrequentis uocabuli ratio esset. Iapyx Marshall CQ 10 (1960) 179 : Ἰᾶπυξ codd.
2 Fragmenta A. Ex carminibus certis Erotopaegnion Adonis F 1 (6 C., 9 4FPL) humum humidum pedibus fodit Prisc. GLK ii 269.5–9 ‚humus humi‘: hoc etiam neutrum in ‚um‘ desinens inuenitur apud ueteres, secundum quod oportune hanc declinationem seruauit Laeuius (uel Liuius codd.) in Adone: h u m u m – f o d i t . Gracchus in Thyeste (Gracch. TrRF i F 3 = 200 H.): ‚mersit sequentis humidum plantas (Bentley : -is codd.) humum‘.
Alcestis Fragmenta Alcestidis omnia uno loco Gelli (19.7.1–17) tradita sunt. F 2–18 Gellio auctore uerba sunt noue aut insigniter dicta, F 19–22 uerba nimium poetica et prosae alieniora. Gell. 19.7.1–3 in agro Vaticano Iulius Paulus poeta, uir bonus et rerum litterarumque ueterum inpense doctus, herediolum tenue possidebat. eo saepe nos ad esse sese uocabat et olusculis pomisque satis comiter copioseque inuitabat. atque ita molli quodam tempestatis autumnae die ego et Iulius Celsinus, cum ad eum cenassemus et apud mensam eius audissemus legi Laeuii Alcestin, rediremusque in urbem sole iam fere occiduo, figuras habitusque uerborum noue aut insigniter dictorum in Laeuiano illo carmine ruminabamur, et ut quaeque uox indidem digna animaduerti subuenerat qua nos quoque possemus uti, memoriae mandabamus. erant autem uerba quae tunc (prima add. Traenkle) suppetebant huiuscemodi: olusculis pomisque uestigium Laeui esse existimat Kwapisz (uide p. 85)
F 2 (p. 123 C., 11 4FPL) corpore pectoreque undique obeso ac mente exsensa tardigenuclo senio obpressum Gell. 19.7.3 c o r p o r e inquit p e c t o r e – o b p r e s s u m . ‚obesum‘ hic notauimus proprie magis quam usitate dictum pro ‚exili‘ atque ‚gracilento‘; uulgus enim ἀκύρως uel κατὰ ἀντίφρασιν ‚obesum‘ pro ‚uberi‘ atque ‚pingui‘ dicit.
https://doi.org/10.1515/9783111237121-007
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2 Fragmenta
Non. 361 M. ‚obesum‘, ‚gracile‘ et ‚exile‘. Laeuius (Mercier : neuius codd.) in carmine: corpore – senio. 2 mente exsensa uel mente extensa codd. Gell. : merito exeso codd. Non. | tardigenuclo L. Mueller : tardigemulo codd. Gell. : tardi ingenulo uel tardi ingenio codd. Non. || 4 senio] senis codd. Non. | obpressum om. codd. Non.
F 3–18 (p. 123sq. C., 12 4FPL) Gell. 19.7.4–12 item notauimus quod o b l i t t e r a m g e n t e m (F 3) pro ‚oblitterata‘ dixit; item quod hostis qui foedera frangerent f o e d i f r a g o s (F 4), non ‚foederifragos‘ dixit; item quod rubentem Auroram p u d o r i c o l o r e m (F 5) appellauit et Memnonem n o c t i c o l o r e m (F 6). item quod f o r t e (F 7) dubitanter, et ab eo quod est ‚sileo‘ s i l e n t a l o c a dixit et p u l u e r u l e n t a et p e s t i l e n t a (F 8), et quod c a r e n d u m t u i e s t (F 9) pro ‚te‘, quodque m a g n o i m p e t e (F 10) pro ‚impetu‘; item quod f o r t e s c e r e (F 11) posuit pro ‚fortem fieri‘, quodque d o l e n t i a m (F 12) pro ‚dolore‘ et a u e n s (F 13) pro ‚libens‘; item c u r i s i n t o l e r a n t i b u s (F 14) pro ‚intolerandis‘, quodque m a n c i o l i s inquit t e n e l l i s (F 15) pro ‚manibus‘ et q u i s t a m s i l i c e o
, item f i e r e inquit i m p e n d i o i n f i t (F 17), id est ‚fieri impense incipit‘, quodque a c c i p i t r e t (F 18) posuit pro ‚laceret‘. his inter uiam uerborum Laeuianorum adnotatiunculis oblectabamus. F 7 fonte codd., corr. o (cod. rec.), de Buxis || F 14 cur codd., corr. o, de Buxis || F 15 manicolis Ios. Scaliger : maniclis L. Mueller | tene illis codd., corr. Carrio || F 16 lac. statuit Dziatzko : p e c t o r e pro ‚duro‘ suppl. Courtney : p e c t o r e e s t pro ‚duro‘ suppl. HolfordStrevens : fortasse c o r d e pro ‚duro‘ || F 17 fiere uel fuere uel fliere codd. || F 18 a c c i p i t r e t (de Buxis) ... pro ‚laceret‘ (Iac./Ioh. Gronovius) : a c c i p i t r e i ... pro ‚iaceret‘ codd.
F 19–22 (p. 124sq. C., 12 4FPL) Gell. 19.7.13–16 cetera autem quae uidebantur nimium poetica et prosae orationis usu alienora praetermisimus; ueluti fuit quod de Nestore ait t r i s a e c l i s e n e x et d u l c o r e l o c u s (F 19), item quod (add. Carrio) tumidis magnisque fluctibus inquit m u l t i g r u m i s (F 20), et flumina gelu concreta t e g m i n a esse o n y c h i n o (F 21) dixit, et quae multiplica ludens conposuit, quale illud est, quod uituperones suos s u b d u c t i s u p e r c i l i c a r p t o r e s (F 22) appellauit. F 19 dulcorelocus L. Mueller : dulciorelocus codd. || F 20 fluctibus Marshall | mutigrumis codd., corr. de Buxis || F 22 subducti supercilii carptores codd., corr. Weichert
A. Ex carminibus certis Erotopaegnion
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Centauri F 23 (10 C., 13 4FPL) ubi ego saepe petris echo saepta Ios. Scaliger : echo saepe Baehrens | petris Gossens Fest. 226.12–16 L. ‚petrarum‘ genera sunt duo, quorum alterum naturale saxum prominens in mare, cuius Ennius meminit lib. xi (ann. 358 Sk.): ‚alte delata petrisque (A. Augustinus : ceterisque codd.) ingentibus tecta‘; et Laeuius in Centauris: u b i – p e t r i s .
Helena F 24 (11 C., 14 4FPL) tu qui permensus ponti maria alta ueliuola Macr. Sat. 6.5.1–10 multa quoque epitheta apud Vergilium sunt quae ab ipso ficta creduntur, sed et haec a ueteribus tracta monstrabo. ... (Verg. Aen. 1.224) ‚despiciens mare ueliuolum‘. Liuius (sic Macr., sed errauit : Laeuius Ribbeck) in Helena: t u – u e l i u o l a . Ennius in quarto decimo (Enn. ann. 379sq. Sk.): ‚quom procul aspiciunt hostes accedere uentis / nauibus ueliuolis‘. idem in Andromache: (Enn. TrRF ii 33 = 111 Joc.): ‚rapit ex alta naues ueliuolas‘. hexametrum tu qui ... / ueliuola fecit L. Mueller
Ino De fragmento ignoti poetae tradito a Terentiano Mauro et Asmonio (Laev. 12a C. = 32 4FPL Bl. = Liv. Andr. TrRF i 16) uide p. 129–43.
F 25 (12 C., 15 4FPL) seque in alta maria praecipem impos aegra sanitatis herois Prisc. GLK ii 280sq. antiqui tamen ‚ancipes‘ et ‚praecipes‘ et ‚bicipes‘ proferebant in nominatiuo, et sic secundum analogiam sequebatur genetiuus ‚ancipes ancipitis‘, ut ‚sospes sospitis‘. Plautus in Commorientibus (F 1 Lindsay/Leo/De Melo): ‚saliam in puteum praecipes‘. idem in Rudente (1158): ‚post altrinsecus est securicula ancipes, itidem aurea‘. idem tamen uetustissimi etiam ‚praecipis‘ genetiuum, qui a nominatiuo ‚praeceps‘ est, secundum analogiam no-
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2 Fragmenta
minatiui protulerunt. Laeuius (uel Liuius codd.) in Inone (G.I. Vossius : in inoe BDGL : inoe R : in ioe AK) s e q u e – h e r o i s . Ennius in xv Annali (389sq. Sk.): ‚obcumbunt multi letum ferroque lapique / aut intra muros aut extra praecipe casu.‘. scazontes seque ... praecipitem / inops ... fecit Ios. Scaliger : item L. Mueller seque ... praecipem (misit / animi Baehrens) | mittit post maria inserui : misit post sanitatis inseruerat Courtney
Phoenix F 26 (22 C., 8 4FPL) Venus amoris altrix genetrix cuppeditatis, mihi quae diem serenum hilarula praepandere cresti, opseculae tuae ac ministrae, etsi ne utiquam quid foret expauida grauis dura fera asperaque famultas, potui dominio accipere superbo Char. 375sq. B. sunt item Saturnii quinum denum et senum denum pedum, in quibus similiter nouum genus pedum est et ipsum ametron, de quibus nihil praecipitur, eoque nomine artis quidem (add. Leo) est. et solent esse summi pterygiorum senum denum, sequentes quinum denum, quales sunt in pterygio Phoenicis Laeuii (edd. : le . . us codd.) nouissimae odes Erotopaegnion: V e n u s – m i n i s t r a e , tum: e t s i – s u p e r b o . 1 ionicos a minore o Venus ... (Venus o ... Morel) fecit Leo | genetrix cuppedidatis scripsi praeeunte L. Mueller (genetrix cuppiditatis) : genetrix cupiditatis codd. : genetrixque cupiditatis Granarolo || 2 concipere sub superbo Courtney
Protesilaodamia F 27 (13 C., 16 4FPL) fac †papyrin✶✶✶† haec terga habeant stigmata Schol. Ver. Verg. Aen. 4.146 p. 90 B. (= Asper F 23 W. = p. 133 T.) PICTIQUE AGATHYRSI Asper: ‚pictos‘ stigmosos ut (Verg. georg. 2.115) ‚pictosque Gelonos‘. in Protesilaodamia: f a c – stigmata. papyrin ...] lacuna sequitur, quam 5–6 litteras continere existimat Lunelli : papyri nostrae flagris Baehrens : papyrĭna Leo : papyrīno stilo (uel scapo) Lunelli : papyrĭna ergo (uel exin) Courtney (sotadeos constituens)
A. Ex carminibus certis Erotopaegnion
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F 28 (14 C., 17 4FPL) tunc irruunt cachinnos ioca dicta risitantis Non. 209 M. ‚iocus‘ genere masculino. Cicero Pro Caelio (46): ‚ludus iocus, sermo paene est familiarium deserendus‘. neutro Laeuius (Weichert : Naeuius codd.) Protesilaodamia: tunc – risitantis. 1 (Protesilaodamia) tunc Leo : (Protesilaodam) ineunt uel iniunt codd. : (Protesilaodam) in eum G.I. Vossius : (Protesilaodam) inibi L. Mueller || 2 dicta risitantis edd. : dicta riisitantis uel dictari sitantis uel dictaria sitantis codd. : dicta fusitantis Havet
F 29 (15 C., 18 4FPL) complexa somno corpora operiuntur ac suaui quie rigantur Prisc. GLK ii 242.7–15 in ‚es‘ productam Latina ‚i‘ antecedente ablata ‚s‘, addita ‚i‘ faciunt genitiuum, ut ‚hic meridies huius meridiei‘, ‚hic‘ et ‚haec dies huius diei‘, ‚haec acies huius aciei‘. excipitur ‚haec quies quietis‘. uetustissimmi tamen hoc quoque secundum supra dictam proferebant declinationem. Afranius in Emancipato (com. 77 2R.): ‚sollicito corde corpus non potitur nunc quie‘. Laeuius (Osann [1816] 54 : Naeuius codd.) in Protesilaodamia (edd. : Protesilao Laodamia codd.): c o m p l e x a – r i g a n t u r . 1/2 corpora ope- / riuntur synaphian agnouit Leo : corpora / operiuntur nonnulli edd. || 3 rigantur G.I. Vossius : dicantur codd. : teguntur L. Mueller
F 30 (18 C., 21 4FPL) aut nunc quaepiam alia te †illo† Asiatico ornatu adfluens aut Sardiano ac Lydio fulgens decore et gloria perlicuit.
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Prisc. GLK ii 496sq. ‚perlicui‘ quoque pro ‚perlexi‘ ueteres protulerunt. Laeuius (uel Liuius codd.) in Laudamia: a u t – p e r l i c u i t . Osbernus p. 362 Busdraghi Liuius: q u e p i a m t e m u l i e r L i d i o f u l g e n s o r n a t u e t g r a t i a p e r l i c u i t ; p. 500 Busdraghi Liuius: q u e p i a m t e L i d i o f u l g e n s d e c o r e e t g r a t i a p e r l i c u i t ; p. 555 Busdraghi Liuius: q u e n a m m u l i e r te pellicuit. 1 aut] secl. L. Mueller || 2 nunc] num L. Mueller | illo] puella Leo || 4 ac Lydio] aut Lydio multi edd. || 5 gloria] gratia Osbern
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2 Fragmenta
F 31 (19 C., 22 4FPL) cupidius miserulo obito Prisc. GLK ii 483sq. et multa praeterea a uetustissimis similiter sunt prolata participia praeteriti a neutralibus uerbis, ut a ‚seneo senectus‘, ὁ γηράσας; ‚discedo discessus‘, ὁ ἀναχωρήσας; ‚intereo interitus‘, ὁ ἀναιρεθείς; ‚obeo obitus‘, ὁ τεθνεώς; ‚occido occasus‘, ὁ δύνας; ‚potus‘, ὁ πεπωκώς καὶ ὁ ποθείς, ut ‚iuratus‘ ὁ ὀμόσας καὶ ὁ ὀμοθείς. ... Laeuius (uel Liuius codd.) in Protesilao: c u p i d i u s – o b i t o .
F 32 (16 C., 19 4FPL) Gell. 12.10 ‚aeditimus‘ uerbum Latinum est et uetus, ea forma dictum qua ‚finitumus‘ et ‚legitumus‘. sed pro eo a plerisque nunc ‚aedituus‘ dicitur noua et commenticia usurpatione quasi a tuendis aedibus apellatus. ... M. Varro in libro secundo ad Marcellum De Latino sermone (F 56 G.-S. = 34 Fun.) ‚aeditumum‘ dici oportere censet magis quam ‚aedituum‘, quod alterum sit recenti nouitate fictum, alterum antiqua origine incorruptum. Laeuius quoque, ut opinor, in Protesilaodamia c l a u s t r i t u m u m dixit qui claustris ianuae praeesset, eadem scilicet figura qua ‚aeditumum‘ dici uidebat qui aedibus praeest. F 33 (17 C., 20 4FPL) gracilentis colorem †dum ex hoc gracilans fit† Non. 116 M. ‚gracilitudo‘ [et gracilens pro gracilis et gracilentum pro gracili et gracilium] (del. Onions) pro ‚gracilitas‘. Accius Amphitryone (88sq. 2R. = 639sq. Dang.): ‚tamen et staturae gracilitudo propemodum et luctus facit, ne dubitem‘. Ennius lib. vii (ann. 239 Sk.): ‚deducunt habiles gladios filo gracilento‘. Laeuius (Osann [1816] 55 : Naeuius codd.) Protesilaodamia: g r a c i l e n t i s – f i t . Turpilius Canephoro (com. 13 2R.): ‚nosti quam sit gracilo (Quicherat : -i uel -e codd.) corpore‘. colorem] color est Baehrens | dum] idem Nonio attribuens G.I. Vossius | gracilans] gracilens Ald. : ex hoc gracila(e)ns fit Nonio attr. Leumann
Sirenocirca F 34 (20 C., 23 4FPL) nunc, Laertie belle, para ire Ithacam Prisc. GLK ii 301sq. in ‚us‘ uero terminantia (sc. uerba), si sint propria, ‚i‘ ante ‚us‘ habentia, abiecta ‚us‘ faciunt uocatiuum, ut ‚hic Virgilius o Virgili‘, ‚hic Sallustius o Sallusti‘, ‚hic Pompeius o Pompei‘. haec tamen eadem etiam in ‚e‘ proferebant antiquissimi, ‚o Virgilie‘, ‚Mercurie‘ dicentes. Liuius Andronicus in Odissia (F 4 4FPL Bl.): ‚neque tamen te oblitus sum,
B. Ex carminibus incertis Erotopaegnion
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Laertie noster‘. Laeuius (uel Liuius) in Sirenocirca (unum esse uerbum uidit Hertz): n u n c – Ithacam. belle Hertz : uelle codd.
F 35 (21 C., 24 4FPL) delphino cinctis uehiculis hippocampisque asperis Non. 120 M. Hippocampi, equi marini, a flecu caudarum, quae piscosae sunt et est Graecum. Menander (PCG vii.2 F 511): οὐχ οὗτος ἱππόκαμπός ἐν αἰθέρι. Laeuius (Klussmann : Naeuius uel ne usus codd.) Sirenocirce (L. Mueller : sirenociter uel sireno circes codd.): d e l phino – asperis. delphino ... uehiclis Granarolo metri causa, fort. recte : delphine Pighi, ut dimeter iambicus cum dimetro trochaico catal. fiat | cinctis] iunctis Ios. Scaliger
In †Virgo† F 36 (Liv. Andr. com. 3 2R.)
ˉ ̆ ornamento incedunt gnobili ignobiles Fest. 182.12–7 L. ‚nobilem‘ antiqui pro noto ‚ponebant‘, et quidem per g litteram ut Plautus in Pseudolo (964): ‚Peregrina facies uidetur hominis, atque ignobilis‘. et (592): ‚oculis meis obuiam ignobilis obicitur‘. Accius in Diomede (283 2R. = 550 Dang.): ‚ergo me Argos referam, nam hic sum gnobilis‘. Laeuius in †uirgo† (Liuius in Verpo Ribbeck : Naeuius in Lycurgo L. Mueller : alii alia): o r n a m e n t o – i g n o b i l e s . orn. suppl. Leo, sed fortasse in corruptela uirgo non titulus, sed primum Laeuianum fragmenti uerbum latet (uide p. 226) | ornamento incedunt Scaliger : ornamentu incendunt codd. : gnobili nonnulli edd. : nobili codd.
B. Ex carminibus incertis Erotopaegnion F 37 (1 C., 1 4FPL) nunc quod meum admissum nocens hostit uoluntatem tuam? Non. 121 M. ‚hostire‘ est ‚comprimere‘, ‚caedere‘, dictum ab ‚hostia‘. Pacuuius Teucro (246 Sch.): ‚nisi coerceo / proteruitatem atque hostio ferociam‘. ‚hostire‘, ‚offendere‘, ‚laedere‘ (Hildebrand : caedere codd.). Laeuius (Merc. : Pacuuius codd.) Erotopaegnion ii: n u n c – t u a m . 1 nunc Perotti : hunc codd. : num Baehrens
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2 Fragmenta
F 38 (2 C., 2 4FPL) nocte dieque decretum et auctum Prisc. GLK ii 483sq. et multa praeterea a uetustissimis similiter sunt prolata participia praeteriti a neutralibus uerbis, ut a ‚seneo senectus‘, ὁ γηράσας; ‚discedo discessus‘, ὁ ἀναχωρήσας; ‚intereo interitus‘, ὁ ἀναιρεθείς; ‚obeo obitus‘, ὁ τεθνεώς; ‚occido occasus‘, ὁ δύνας; ‚potus‘, ὁ πεπωκώς καὶ ὁ ποθείς, ut ‚iuratus‘ ὁ ὀμόσας καὶ ὁ ὀμοθείς. ... a ‚decresco‘ quoque ‚decretum‘ Laeuius (uel Liuius codd.) protulit in iii Erotopaegnion: n o c t e – a u c t u m .
F 39 (3 C., 3 4FPL) meminens Varro corde uolutat Prisc. GLK ii 560.14–24 ‚coepi‘ non habet praesens et futurum nec participium, sed tantummodo ‚coeptus‘. similiter ‚odi‘, ‚noui‘, ‚osus‘, ex quo ‚perosus‘ et ‚exosus‘, ‚notus‘; Plautus in Amphitrione (900): ‚inimicos semper osa sum optuerier‘. et uerbale tamen nomen ex eo protulit idem Plautus in Asinaria (859): ‚madidum, nihili‘ incontinentem atque osorem uxoris suae‘, et ‚memini‘ meminens‘. Laeuius (uel Liuius codd.) Erotopaegnion in iiii: m e m i n e n s – u o l u t a t , quia ‚memini‘ tam praesentis quam praeteriti uim habet, quomodo ‚odi’. Serv. comm. Donat. GLK iv 440sq. ‚odi‘ uerbum participium habet ‚osus‘, quod licet in usu non sit, tamen conponatur, et in usu erit, ‚exosus‘ ‚perosus‘. ab eo quod est ‚memini‘ artis nullum participium reperitur: si ad usum, uerum est; si ad auctoritatem, falsum. nam inuenimus in Plauto ‚meminens‘ (Lindsay sine numero [‚uocabula dubia et suspecta‘] = F 25 dub. De Melo). Seruium in nomine errare existimat Keil. uide etiam anon. De uerbo Passalacqua (1984) 60.21–3 (= GLK v app. 654sq.) ‚odisse‘ ‚nouisse‘ ‚meminisse‘. nulla ex his participia ueniunt, quamuis lectum sit ‚meminens‘, sed apud rudem, et ‚osus‘, unde ‚perosus‘ et ‚exosus‘. 1 Varro] uaro Becker : uario Baehrens
F 40 (4 C., 4 4FPL) te Andromacha perdudum manu lasciuola ac tenellula capiti meo, trepidans libens, insolito plexit munere Prisc. GLK ii 536sq. ‚flecto‘ uero ‚flexi‘ et ‚plecto plexi‘ antique. Laeuius (uel Liuius codd.) in v (plerique codd. : vi K) Erotopaegnion: t e – m u n e r e . nunc enim ‚plector‘ et ‚amplector‘ dicimus. 1 te om. ed. Aldina, prob. Bücheler | perdudum uel per ludum codd. || 4 insolito plexit munere B. Brugnolus : insolito plexi munere codd. : insolita plexit munera Ios. Scaliger : tu ... insolita plexti munera Baehrens
C. Ex carminibus sedis incertae
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F 41 (5 C., 5 4FPL) lasciuiterque ludunt Char. 265.12sq. B. ‚lasciuiter‘ Laeuius Ἐρωτοπαιγνίων vi: ‚lasciuiterque ludunt‘.
F 42 (23 C., 6 4FPL) lex Licinia introducitur lux liquida haedo redditur Gell. 2.24.7–10 lex deinde Licinia rogata est, quae cum certis diebus, sicuti Fannia, centenos aeris inpendi permisisset, nuptiis ducenos indulsit ceterisque diebus statuit aeris tricenos, cum et carnis autem et salsamenti certa pondera in singulos dies constituisset, quidquid esset natum e terra uite arbore promisce atque indefinite largita est. huius legis Laeuius (Carrio : lelius codd.) poeta meminit in Erotopaegniis. uerba Laeuii (Carrio : lelii codd.) haec sunt, quibus significat haedum qui ad epulas fuerat adlatus dimissum, cenamque ita ut lex Licinia sanxisset pomis oleribusque instructam: l e x L i c i n i a , inquit, i n t r o d u c i t u r – r e d d i t u r . Lucilius (1200 M.) quoque legis istius meminit in his uerbis: ‚legem uitemus Licini‘. 2 liquida] licuida Havet, fort. recte : liquidula Leo
F 43 (24 C., 7 4FPL) nocte ut opertus amictu latibulet Non. 133 M. ‚latibulet‘ et ‚latibuletur‘ pro ‚lateat‘. Laeuius (Merc. : Naeuius codd.) Erotopaegnion ✶✶✶ (L. Mueller : Erotopaegnio Lindsay): ‚nocte – latibulet‘. Publilius Putatoribus (mim. 2 2R.): ‚progredere et nequis latibuletur, perspice‘. 2 latibulet L. Mueller : latibuletur codd.
C. Ex carminibus sedis incertae F 44 (27 C., 27 4FPL) philtra omnia undique eruunt: antipathes illud quaeritur trochisci, iynges, taeniae radiculae, herbae, surculi, saurae illices bicodulae hinnientium dulcedines
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2 Fragmenta
Apul. apol. 30sq. ‚pisces‘ inquit ‚quaeris‘. nolo negare. sed, oro te, qui pisces quaerit, magus est? ... at si Virgilium legisses, profecto scisses alia quaeri ad hanc rem solere; ille enim, quantum scio, enumerat uittas mollis et uerbenas pinguis et tura mascula et licia discolora, praeterea laurum fragilem, limum durabilem, ceram liquabilem, nec minus quae iam in opere serio scripsit (Verg. Aen. 4.513–6): ‚falcibus et messae ad lunam quaeruntur aenis / pubentes herbae nigri cum lacte ueneni. / quaeritur et nascentis equi de fronte reuulsus / et matri praereptus amor‘. ... igitur unum etiam poetam Latinum attingam, uersus ipsos, quos agnoscent qui Laeuium (Lipsius : Laelium codd.) legere: p h i l t r a – d u l c e d i n e s . haec et alia quaesisse me potius quam pisces longe uerisimilius confinxisses (his etenim fortasse per famam peruulgatam fides fuisset), si tibi ulla eruditio adfuisset; ... at uos soli reperti estis ex omni memoria, qui uim herbarum et radicum et surculorum et lapillorum quasi quadam colluuione naturae de summis montibus in mare transferatis et penitus piscium uentribus insuatis. 2 antipathes pauci recc. : antiphates Fφ || 3 trochisci iynges Scriverius : trochiscili unges F : trochiscili ungues φ || 5/6 hinnientum codd., corr. Pius
F 45 (28 C., 28 4FPL) mea Vatiena, amabo Caes. Bass. 26sq. (= GLK vi 261sq.) reliqua pars hendecasyllabi ‚lepidum nouum libellum‘, anacreonteon facit metron octo syllabarum iambicum ab anapaesto incipiens, quale est illud apud Laeuium (Orsinus : codd. Lepidum): m e a – a m a b o . De galliambo. ex hoc nascitur galliambus repitito hoc metro, sed una syllaba detracta, ut habeat semipedem clausulam, quale est hoc: ‚mea Vatiena, amabo‘, ut faciat: ‚mea Vatiena amabo, mea Vatiena ama‘, et illud similiter ‚lepidum nouum libellum, lepidus nouus liber‘. ... sed quo magis hic uersus, quod matri sacer est Idaeae, uibrare uideatur, proximum ab ultimo pedem brachysyllabon fecerunt et Graeci et hic ipse Maecenas iis, quos modo rettuli, proximum sic ... ut si facias illud ex Laeuiano metro ad hanc legem, ‚mea Vatiena amabo, mea cura, mea Venus‘.
F 46 (25 C., 25 4FPL) scabra in legendo reduuiosaue offendens Fest. 334.4–8 L. ‚rediuiam‘ quidam, ali ‚reluuium‘ appellant, cum circa unguis cutis se resoluit, †qui at uere† est soluere. Titinius in Setina (com. 131sq. 2R.): ‚lassitudo conseruum, rediuiae flagri‘; et Laeuius (Ios. Scaliger : Liui codd.): s c a b r a – o f f e n d e n s .
F 47 (29 C., 29 4FPL) Fronto p. 9.4–8 vdH ecce autem circa Q. Ennium aliam malitiosam plagam dedisti (sc. Marce Aureli), cum ais ‚nisi ex somno exsuscitatus esset, numquam somnium
C. Fragmenta dubia
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suum narrasset‘. at oderit me Marcus meus Caesar, si pote, argutius! praestrigiae nullae tam uersutae, nulla, ut ait Laeuius, d e c i p u l a tam insidiosa. n u l l a , ut ait Laeuius, d e c i p u l a t a m i n s i d i o s a Naber
F 48 (26 C., 26 4FPL) Venerem igitur almum adorans †siue femina† siue mas est ita uti alma Noctiluca est Macr. Sat. 3.8.1–3 nonnullorum quae scientissime prolata sunt male enuntiando corrumpimus dignitatem, ut quidam legunt (Verg. Aen. 2.632sq.): ‚discedo ac ducente dea flammam inter et hostes / expedior‘, cum ille doctissime dixerit ‚ducente deo‘, non ‚dea‘. nam et apud Caluum (F 7 C./4FPL Bl. = 32 H.) Haterianus adfirmat legendum, ‚pollentemque deum Venerem‘, non ‚deam‘. signum etiam eius est Cypri barbatum, corpore et ueste muliebri, cum sceptro ac natura uirili et putant eandem marem ac feminam esse. Aristophanes (PCG iii.2 F 325) eam Ἀφρόδιτον appellat. Laeuius (Haupt : Laeuinus codd.) etiam sic ait: V e n e r e m – e s t . Philochorus quoque in Atthide (FGrH 328 F 184) eandem adfirmat esse lunam et ei sacrificium facere uiros cum ueste muliebri, mulieres cum uirili, quod eadem et mas aestimatur et femina. 2 siue femina siue mas est codd. : seu femina Haupt hemiambos constituens : seu femina isue L. Mueller : seu femna Birt : si femina si Baehrens hemiambos constituens : si femina siue Leo ionicum a maiore constituens
F 49 (30 C., 30 4FPL) omnes sunt denis syllabis uersi Prisc. GLK ii 258.7–14 ‚uersi‘ quoque ‚uersus‘. Laberius in Lacu Auerno (F 37 Pan.): ‚uersorum non numerum numero studuimus‘. Valerius in Phormione (com. p. 302 2R.): ‚quid hic cum tragicis uersis et syrma facis?‘. Laeuius in polymetris (uario modo confundunt codd. polimentris polimenstris polometris polimerris etc.): o m n e s – u e r s i .
C. Fragmenta dubia F 50 (31 C., 34 4FPL) Πανὸς ἀγάπημα Suet. gramm. 3.5 pretia uero grammaticorum tanta mercedesque tam magnae ut constet Lutatium Daphnidem quem Laeuius (leuius codd. : Gaius Vahlen) Melissus per cauillationem nominis Πανὸς ἀγάπημα dicit, septingentis milibus nummum a Q. Catulo emptum ac breui
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2 Fragmenta
manumissum, L. Appuleium ab Aeficio Caluino equite Romano praediuite quadringenis annuis conductum ut Oscae doceret. Πανὸς ἀγάπημα Toup : panosagasema codd.
F 51 (32 C., 31 4FPL) hac qua Sol uagus igneas habenas immittit propius iugatque terrae Macr. Sat. 1.18.16 Liber a Romanis appellatur (sc. Sol), quod liber et uagus est, ut ait Naeuius (codd. : Laeuius Ios. Scaliger): h a c – t e r r a e .
F 52 (33 C., 33 4FPL) Serv. ad Verg. ecl. 4.19 ERRANTES HEDERAS P.C.B.T. passim uagantes: unde antiqui lyrici dixerunt f l e x i p e d e s h e d e r a s , quod hac atque illac uagantur. antiqui lyrici f l e x i p e d e s h e d e r a s (Ov. met. 10.99) Morel
C Interpretationskommentar
1 Adonis L. Müller (1880) 79, De la Ville de Mirmont (1903) 235–7, Granarolo (1971) 182, Traglia (21974) 125 f., Traina (1999) 24–8, Courtney (22003) 122 f.
Der Grammatiker Priscian führt in einem Kapitel zu unregelmäßigen Deklinationen und zu ungebräuchlichen Genera bestimmter Substantive aus, dass alte lateinische Schriftsteller das Wort humus manchmal nicht als Femininum, sondern als Neutrum genutzt hätten. Als Beleg wird ein Vers aus einem Adonis von Laevius angeführt.180
1.1 Der Adonismythos in der antiken Literatur Sowohl in der lateinischen als auch in der griechischen Dichtung war der Adonismythos über einen langen Zeitraum hinweg ein sehr beliebter Stoff. Die Dichter verfolgten dabei verschiedene Ansätze und setzten ihre Schwerpunkte unterschiedlich.181 Vor allem Adonis’ Zeugung und Geburt wurden mehrmals detailliert dichterisch behandelt, am ausführlichsten wohl von Catulls Zeitgenossen Helvius Cinna:182 In seinem Epyllion Zmyrna beschreibt er, wie die titelgebende Smyrna ihren Vater betrunken machte und mehrere Nächte unerkannt mit ihm schlief. Infolge der inzestuösen Beziehung wurde sie schwanger, floh und wurde in einen Myrrhebaum verwandelt, aus dem später ihr Sohn Adonis sprang.183 Viele andere Dichter, unter die auch Laevius zu rechnen ist, hatten ihr Interesse weniger an der Geburt als am Tod des Adonis. Ovid beschreibt in den Metamorphosen (10.519–60; 708–39), wie Venus sich in ihn verliebt und sich wegen der Gefahren seines Jägerlebens ständig um ihn sorgte: Ihre Mahnungen zur Vorsicht vor aggressiven Tieren seien jedoch vergebens gewesen. Adonis’ Leben habe ein Ende gefunden, als er von einem wilden Eber tödlich am Schenkel verwundet worden sei.184 Die untröstliche Venus habe daraufhin Anemonen aus seinem Blut Überliefert ist Laevius oder Livius als Autor. Zuerst hatte sich G.I. Vossius (1620) 1 für die lectio difficilior Laeuius als richtige Lesart ausgesprochen. Eine umfassende Studie zu Adonis in der antiken (v. a. griechischen) Literatur bei Atallah (1966). Für die griechische Liebesdichtung vgl. Antim. F 92 Matthews aus der Lyde und die Spuren bei Parthen. F 29 und 42 Lightfoot. Über die Tragödie Adonis, die Dionysius, der Tyrann von Syrakus, verfasst hat (TrGF i [76] F 1), sind keine Details bekannt. F 6–8 C./4FPL Bl. (= 7–10 H.). Nach Tzetz. zu Lykophr. 831 ist der Eber Ares gewesen; nach SD Verg. Aen. 5.72 hat Ares den Eber geschickt. https://doi.org/10.1515/9783111237121-008
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1 Adonis
entstehen lassen.185 Nach einigen Interpretationen ist sie schließlich in die Unterwelt gegangen und hat ein zweites Leben für Adonis erbeten. Es sei beschlossen worden, dass dieser jeweils sechs Monate im Jahr bei Aphrodite und sechs Monate bei Persephone weilen solle.186 Die meisten Behandlungen des Mythos in der griechischen Dichtung weisen eine enge Verbindung zu den Adonien, einem jährlich stattfindenden Fest zu Adonis’ Ehren, auf. Bei dem nur von Frauen praktizierten Kult wurde zu einem vorgetragenen Klagelied Aphrodites Trauer um seinen frühen Tod nachgestellt.187 Teile eines solchen Klageliedes – oder der Imitation eines solchen Klageliedes – sind zuerst von Sappho erhalten,188 später bietet Theokrit viele Informationen über den Kult, indem er in einem Mimos darstellt, wie zwei Frauen die Adonisfeier der ägyptischen Königin Arsinoe ii in Alexandria besuchen.189 Zuletzt gibt der wohl späthellenistische Dichter Bion in seinem Adonisgedicht ein Beispiel dafür, wie das rituelle Klagelied bei den Adonien ausgesehen haben könnte:190 Mit Verweisen auf die zentralen Elemente des Mythos, Aphrodites Warnungen vor der Jagd, den Angriff des Ebers, Adonis’ Gang in die Unterwelt und die Metamorphosen nach seinem Tod, nimmt Bion auch auf die konkreten Handlungselemente des eigentlichen Mythos Bezug. All diese Gedichte aus dem Griechischen stehen im Gegensatz zu dem, was uns aus der lateinischen Literatur erhalten ist. Die Römer kannten zwar die Bräuche um das Adonisfest, und vermutlich wurden die Adonien auch spätestens zu augusteischer Zeit in Rom praktiziert,191 doch die lateinischen Dichter hatten kein ausgeprägtes Interesse an den rituellen Klageliedern. Man darf Sapphos oder Theokrits Einfluss sicherlich nicht infrage stellen, aber bei den Römern stehen die Geschehnisse des Mythos selbst im Vordergrund, es geht den lateinischen Dichtern darum, eine Geschichte zu erzählen, wobei der Schwerpunkt meist auf dem tödlichen Jagdunfall und auf Venus’ Trauer um Adonins liegt.192
So in Ov. met. 10.731–9 und Nik. F 65 Gow/Scholfield; andere Variationen der Metamorphose zum Beispiel bei SD zu Verg. ecl. 10.18, in Bions Epitaph auf Adonis oder bei [Eudocia] viol. 27b. In einem wohl kaiserzeitlichen griechischen Gedicht aus elegischen Distichen (P. Oxy. 4711) spielte die Metamorphose ebenfalls eine Rolle; vgl. dazu Bernsdorff (2007). Vgl. Schol. zu Theokr. Id. 3.48, auch Theokrit selbst Id. 15.136 f.; mit etwas anderer Einteilung bei Apollod. bibl. 3.14.3 f. und Hyg. astr. 2.6. Vgl. Baudy (1986) 36–50 und in aller Ausführlichkeit Frazer (21907) 1–216. Vgl. 140 V. Page (1955) 127 geht von einem Kultlied aus; Reed von einem mimetischen Gedicht (1997) 22. Theokr. Id. 15. Wohl später zu datieren ist [Theokr.] εἰς νεκρὸν Ἄδωνιν (Bucolici Graeci, ed. Gow p. 166 f.). Vgl. dazu Reed (1997) 21–3. Vgl. Ov. ars 1.75, dazu Bömer (1980) Bd. v p. 171 und Merkelbach (1995) 49 f. Vgl. auch Varro Men. 540 Ast., Prop. 2.13.53 f., Ov. ars 1.512, 3.85, Gratt. Cyneg. 66 f. u. a.
1.2 Laevius’ Adonis (F 1)
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1.2 Laevius’ Adonis (F 1) Wie das einzig erhaltene Fragment zeigt, spielten diese Themen auch in Laevius’ Adonis eine Rolle. In dem von Priscian überlieferten Zitat ist von etwas die Rede, das mit seinen Füßen den Boden aufwühlt. Damit muss ein aggressiver Eber gemeint sein:193 hŭmum hūmĭdūm pĕdĭbūs fŏdīt den nassen Boden wühlt er mit seinen Füßen auf
Die Griechen und Römer kannten das Verhalten eines angreifenden Ebers aus eigener Erfahrung von der gefährlichen Wildschweinjagd. Vergil bringt die Raserei des Tieres dadurch zum Ausdruck, dass er es mit den Zähnen knirschen und den Boden aufscharren lässt, und Servius erklärt mit einem Vokabular, das mit Laevius vergleichbar ist, dass das Stampfen des Schweines (fodit et pedibus inpellit alternis) dazu diene, Kraft für den bevorstehenden Angriff zu sammeln.194 Mit präsentischem fŏdit am Ende des iambischen Dimeters gehört das Fragment also vermutlich zu einem narrativen Teil des Gedichts, in dem die Wildschweinjagd und Adonis’ tödlicher Unfall dargestellt werden.195 Mehr lässt sich auf der spärlichen Grundlage dieses einen Fragments aber nicht zum Gedicht sagen. Dass Venus’ Trauer und womöglich auch ihr Gang in die Unterwelt wie in den anderen griechischen und lateinischen Behandlungen des Mythos auch in Laevius’ Adonis thematisiert wurde, liegt aber nahe.196 Der Stoff bot Laevius eine gute Möglichkeit, Venus als liebende Göttin zu charakterisieren und ihre menschlichen Gefühle darzustellen. Gleichermaßen dürfte in der Ino (F 25) Heras Eifersucht wegen Iupiters Ehebruch den Ausgangspunkt der Geschichte bilden oder in der Sirenocirca (F 34 f.) die unerfüllte Liebe der Göttin Kirke zu Odysseus.
So die Deutung seit L. Müller (1880) 79. Vgl. Verg. georg. 3.255 f. ipse ruit dentesque Sabellicus exacuit sus / et pede prosubigit terram und Serv. zu Verg. georg. 3.256 fodit et pedibus inpellit alternis, quod pugnaturi sues facere consuerunt ad adquirendum robur. Unabhängig davon, wie man den Vers abgrenzt, muss das -o- kurz gemessen werden, weil Laevius’ Iamben im zweiten Versfuß eines Metrums gewöhnlich rein gebildet werden. Nach pĕdĭbūs muss es wohl fŏdīt heißen. Vgl. zu Unterweltsszenen in Adonisgedichten Cairns (2006) 81 und Reed (2002) 220–2.
84
1 Adonis
1.3 Stellenkommentar humum humidum Ob Laevius das gewöhnlicherweise feminine Substantiv humus als Neutrum oder Maskulinum nutzt, ist aus dem Fragment nicht ersichtlich. Der Zitatträger Priscian deutet es als Neutrum. Das dürfte wenigstens auf den gleich danach angeführten Vers des vermutlich augusteischen Tragikers Gracchus zutreffen, wenn man der Konjektur und Interpretation von Bentley, zuletzt verteidigt bei Hollis (2007) 335 und 337, folgt: mersit sequentis umidum plantas (Bentley : plantis codd.) humum, ‚Die nasse Erde lässt die nachfolgenden Füße / Füße des Verfolgers versinken‘ (Gracch. TrRF i F 3 = 200 H.), der Fuß bleibt also im sumpfigen Gelände stecken. Später übernimmt der Archaist Apuleius das ungewöhnliche Genus. Doch bleibt auch bei ihm mit paruo ... humo (met. 1.3) unklar, ob er das Neutrum oder das Maskulinum nutzt. Spätere, ebenfalls uneindeutige Fälle sammelt ThLL vi.3 3121.55–61. Es läge nahe, all diese Belege wie beim Gracchusvers als Neutrum zu werten, wenn Priscian nicht an anderer Stelle mitteilen würde, dass humus neben der femininen Form auch eine maskuline Form aufweise (Prisc. GLK ii 169.13 hic et haec humus). Deshalb muss die Frage ungeklärt bleiben. Unabhängig von der Bewertung des Genus macht Traina (1999) 25–8 darauf aufmerksam, dass die aspirierte Schreibung humidum, wie sie in den Prisciancodices überliefert ist, aus Gründen des Klangs und der Volksetymologie gehalten werden muss (anders als etwa bei 1–2FPL umidum; falsch ist die Angabe in 3FPL Bl., Traina habe humidum konjiziert, und in 4FPL Bl., Traina habe sich für umidum ausgesprochen). Laevius stellt so zwei Wörter, zwischen denen man eine etymologische Verwandtschaft vermutete (Varr. ling. 5.23 humor hinc, nämlich von humus), direkt nebeneinander. Die engere Verbindung zwischen Adjektiv und Substantiv wird mit dem auffälligen Gleichklang humum humidum gezielt gesucht. Der Dichter setzt sich zum Zwecke des Klangs über das gewöhnliche Genus des Substantivs hinweg; siehe neben Traina auch Jocelyn (1995) 65.
2 Alcestis Weichert (1830) 54–60, Reitzenstein (1898) 51, De la Ville de Mirmont (1903) 257–64, Traglia (1957) 95–7, Alfonsi (1958a) 354–6, Questa (1963) 77, Mari (1967), Alfonsi (1971) 337, Granarolo (1971) 190–203, Traglia (21974) 126 f., Polzonetti (1985), Nosarti (1999) 174–84, Perutelli (2002) 64–70, Courtney (22003) 123–7, Kwapisz (2019) 78–87
Von allen Laevius-Gedichten sind von der Alcestis die meisten Fragmente und Paraphrasen erhalten geblieben. Dass sie alle nur aus einem oder zwei Wörtern bestehen, bringt sicherlich Probleme mit sich, doch immerhin bietet die große Anzahl an kleinen Ausdrücken einen willkommenen Einblick in Laevius’ Stil, und mit einiger Vorsicht ist es sogar möglich, sich dem Inhalt des gesamten Gedichts wenigstens in groben Zügen anzunähern. Zuerst soll es aber um die Überlieferung und den Zitierkontext der Fragmente gehen.
2.1 Eine cena bei Iulius Paulus: Gell. 19.7 2.1.1 Der Aufbau des Kapitels Die erhaltenen Fragmente gehen allesamt auf ein einziges Gelliuskapitel (19.7) zurück, das sich allein der Alcestis widmet.197 Wie es auch sonst seiner Praxis entspricht, bindet Gellius die Dichterzitate in eine kleine Geschichte ein, deren Ausgangssituation er in den ersten Sätzen des Kapitels darstellt: Der Dichter Iulius Paulus, ein großer Kenner der Archaik, habe die Alcestis bei einer Party vorlesen lassen. Anscheinend hat das Gedicht großen Eindruck auf Gellius gemacht (Gell. 19.7.1–3): in agro Vaticano Iulius Paulus poeta, uir bonus et rerum litterarumque ueterum inpense doctus, herediolum tenue possidebat. eo saepe nos ad esse sese uocabat et olusculis pomisque satis comiter copioseque inuitabat.198 atque ita molli quodam tempestatis autumnae die ego et Iulius Celsinus, cum ad eum cenassemus et apud mensam eius audissemus legi Laeuii Alcestin, rediremusque in urbem sole iam fere occiduo, figuras habitusque uerborum noue aut insigniter dictorum in
Wenig zuverlässig ist F 2 auch bei Nonius überliefert; siehe dazu unten p. 97f. Kwapisz (2018) schlägt vor, schon olusculis pomisque als Laeviusfragment zu identifizieren, das er mit F 42 zur lex Licinia verbunden sieht. Eine Anspielung vermuteten bereits Granarolo (1971) 76 f., Anm. 1 und A. Morelli (2000) 267, Anm. 110. Die Suche nach solchen vestigia kann fruchtbar sein, vor allem bei Hexameterdichtern. Für diese Stelle können Kwapisz’ Argumente aber nicht endgültig überzeugen: Iambische Silbenfolgen wie olusculis pomisque können in lateinischer Prosa leicht zufällig entstehen und deuten nicht zwangsläufig auf Dichtung hin. Auch Deminutive nutzt Gellius öfter (dazu Holford-Strevens [22005] 55). https://doi.org/10.1515/9783111237121-009
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2 Alcestis
Laeuiano illo carmine ruminabamur, et ut quaeque uox indidem digna animaduerti subuenerat qua nos quoque possemus uti, memoriae mandabamus. erant autem uerba quae tunc suppetebant huiuscemodi ...199 Im Gebiet des Vatican besaß der Dichter Iulius Paulus, ein guter Mann und großer Kenner der alten Literatur, ein kleines geerbtes Stückchen Land. Häufig lud er uns zu sich ein und bewirtete uns freundlich und reichlich mit Obst und Gemüse. Eines schönen Herbsttages, nachdem wir bei ihm gegessen und am Tisch Laevius’ Alcestis vorgelesen bekommen hatten und als ich gerade zusammen mit (meinem Freund) Ilius Celsinus bei Sonnenuntergang zurück in die Stadt ging, riefen wir beide uns neuartige und auffallende Wortbildungen aus jenem laevianischen Gedicht in Erinnerung;200 wie uns daraus ein jeder erwähnenswerte Ausdruck, von dem wir auch selbst einmal Gebrauch machen können, in den Sinn kam, prägten wir ihn uns ins Gedächtnis ein. Dies aber waren die Wörter, die uns damals gerade einfielen ...
Ab dieser Stelle ist das Kapitel wie ein Kommentar aufgebaut: Zuerst wird in aller Knappheit ein Ausdruck aus der Alcestis angeführt, danach wird er mit wenigen Worten inhaltlich und grammatisch genauer erklärt.201 Die gesamte Aufzählung ist in zwei Teile zu gliedern:202 F 3–18 (Gell 19.4–11) enthalten Wörter und Wendungen, die Gellius im Gedächtnis behalten möchte, um sie später an passender Stelle in seiner eigenen Prosa zu nutzen. Die Besonderheiten der in diesem ersten Teil besprochenen Laeviusstellen sind hauptsächlich archaischer Natur: Einige zitierte Ausdrücke sind schon bei anderen Autoren belegt wie foedifragus (F 4; ‚bündnisbrüchig‘) bei Ennius.203 Andere sind nach unserem Wissensstand hapax legomena, weisen aber gewöhnlichen archaischen Stil auf: etwa die Substantivbildung auf -entia (F 12 dolentia), das Inchoativum fortescere (F 11, ‚beginnen tapfer zu werden‘) oder
Es folgt das erste längere Zitat. Tränkles (1983, 11 f.) Ergänzung quae tunc suppetebant ist unpassend: Er behält Recht darin, dass mit diesen Worten nur das erste Fragment und nicht die ganze Reihe an Laeviusbezügen eingeleitet wird. Doch das Fragment unterscheidet sich vom Folgenden dadurch, dass es ganze Verse enthält und ein echtes Zitat ist. Daher schließt Gellius den zweiten, ganz kurzen Laeviusausdruck (oblitteram gentem) mit item notauimus quod ... auch nicht an uerba, quae tunc suppetebant, huiuscemodi an, sondern an ‚obesum‘ hoc notauimus. Das Wort item bildet einen Anschluss an den Kommentar, nicht an das Fragment. Dadurch wird auch indirekt deutlich, dass nun keine eigentlichen Zitate mehr folgen, sondern nur noch in Erklärungen eingebundene Einzelausdrücke oder Paraphrasen. Wegen der parallel stehenden Ausdrücke ‚obesum‘ hoc notauimus und item notauimus quod ist dann auch kein prima mehr notwendig. Der Ausdruck figura bezeichnet hier keine Redefigur, wie Beall (2004) 215 übersetzt („rhetorical figure“), sondern die Gestalt eines Wortes, also die Wortbildung; vgl. Schad (2007) 166 s. v. figura und auch F 32 ‚claustritumum‘ dixit ... eadem scilicet figura qua ‚aeditumum‘. Das Nomen habitus ist in diesem Zusammenhang einmalig: Vermutlich ist es aber wie auch sonst oft (ThLL vi.3 2486.78) synonym zu figura gebraucht; Schad (2007) 195 s. v. habitus übersetzt „physical form of a word.“ Eine Erklärung fehlt allein bei ‚quis tam siliceo‘, wo aber vermutlich Textausfall vorliegt. Vgl. Lindner (2002) 178 f. Enn. ann. vest. 6 Sk.
2.1 Eine cena bei Iulius Paulus: Gell. 19.7
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das freie Kompositum pudoricolor (F 5). Ferner begegnen auch typische Laeviana wie die Deminutivformen manciola tenella (F 15, ‚zarte Händchen‘). All diese in der Regel archaischen Formen treffen den Geschmack der Prosaiker des späten zweiten Jh. s. Den Bildungen aus dem ersten Teil stellt Gellius in Form einer Praeteritio eine zweite Reihe an Formulierungen gegenüber, die er als zu poetisch beurteilt, um sie in Prosa zu verwenden (F 19–22). Iulius Celsinus und er hätten darüber gar nicht erst gesprochen, weil es wenigstens für den eigenen Prosastil nicht lohnenswert sei, sich für längere Zeit an sie zu erinnern. Darunter sind neugebildete Dreifachkomposita, wie sie selbst im Altlateinischen nur selten begegnen (z. B. F 19 trisaeclisenex, ‚Dreigenerationengreis‘), oder dichterische Metaphern, die teils ganz verbreitet (F 20 multigrumus, ‚vielbergig‘ von tobendem Gewässer), teils eher unüblich sind (F 21 tegmine onychino, ‚Onyxdecke‘, von gefrorenem Gewässer). Zuletzt notiert Gellius das bemerkenswerte subductisupercilicarptores (F 22, ‚Augenbrauenhochziehverreißer‘), das eine Sonderstellung innerhalb des zweiten Teiles der Aufzählung einnimmt: Das lange Kompositum sei von guter Prosa fernzuhalten, nicht nur, weil es zu poetisch sei, sondern auch weil es sich um eine reine Spaßbildung handle.204
2.1.2 Die Anordnung der Laeviusfragmente bei Gellius Neben der zweiteiligen Gliederung lassen sich in der Aneinanderreihung der Laeviuszitate und -paraphrasen keinerlei Ordnungsprinzipien erkennen. An einigen Stellen treten eng verbundene Fragmente mit übergeordnetem Thema nebeneinander. Sie dürften auch innerhalb Laevius’ Gedichts in unmittelbarem Zusammenhang gestanden haben: F 6 nocticolorem mit Bezug auf Memnon und F 5 pudoricolorem mit Bezug auf seine Mutter Aurora; die Nestorepitheta F 19 trisaeclisenex und dulcorelocus; die Beschreibung der Unterwelt F 8 mit silenta loca, puluerulenta und pestilenta. Daraus schloss man, dass Gellius die Fragmente streng chronologisch zitiert habe, das heißt in der Reihenfolge, in der sie auch im Laeviusgedicht gestanden hätten.205 Dazu gibt es aber keine Evidenz. Im Gegenteil kümmert sich Gellius in ähnlichen Kapiteln, die auf den Stil eines einzelnen Textes zielen, reichlich wenig um ein Ordnungsprinzip der von ihm gebotenen Zitate, so dass am Ende stets ein schwer zu strukturierendes Durcheinander entsteht.206 Vergleichbar ist der Aufbau
19.7.16 et quae (sc. uerba) multiplica ludens composuit, quale illud est ... . So v. a. Alfonsi (1958a) 355, Polzonetti (1985) 68. Courtney (22003) 126 geht von einer Chronologie im ersten Teil der Aufzählung Gell. 19.7.4–11 aus. Allein in Kapiteln wie Gell. 13.11, in dem der Inhalt eines einzelnen Gedichts (hier Varros nescis quid uesper uehat Men. 333–41 Ast.) nachvollzogen werden soll, ist die richtige Reihenfolge für Gellius notwendig.
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2 Alcestis
des Kapitels Gell. 17.2.207 Darin werden ohne sinnvolle Gliederung etwa 20 Stellen aus dem ersten Buch der Annalen des Geschichtsschreibers Q. Claudius Quadrigarius zitiert. Die Anordnung dieser Bruchstücke im Ursprungstext ist bis heute in der Forschung umstritten.208 Bei den Fragmenten der Alcestis wird es ähnlich bleiben müssen.
2.1.3 Zur syntaktischen Integration der Ausdrücke bei Gellius Schwierig zu beantworten bleibt auch die Frage nach der Wörtlichkeit der angeführten Fragmente. Zunächst darf man voraussetzen, dass Gellius die Laeviusstellen keiner Zwischenquelle entnommen hat. Denn auch wenn seine Geschichte aus 19.7 in Teilen einer Fiktion entspricht, wird der Kern des Kapitels, dass Gellius und seine Freunde die Alcestis gehört oder gelesen hätten, doch nicht ausgedacht sein. Es wäre kaum vorstellbar, dass er das Manuskript eines Textes, von dessen Existenz er nur aus zweiter Hand wüsste, erfinden und es als Besitz seines Freundes Iulius Paulus ausgeben würde.209 Auch wenn Gellius oft aus sekundären Quellen zitiert, im Falle der Alcestis ist der direkte Zugang zum Text wohl sicher. Das Zitieren aus erster Hand bringt aber nicht notwendigerweise eine höhere Verlässlichkeit der Laeviusausdrücke mit sich, zunächst einmal, weil es sich beim Gelliuskapitel trotz aller Ähnlichkeit zu einem Kommentar immer noch um einen erzählenden Text handelt. Dadurch lässt sich der Grad der syntaktischen Integrationen laevianischer Wörter und Wendungen in den Zitierkontext nicht immer eindeutig bestimmen.210 Das lässt sich gut am ersten Zitat veranschaulichen: Gellius zitiert mehrere Verse und erklärt ‚obesum‘ hic notauimus proprie magis quam usitate dictum pro exili usw., wohingegen Laevius in seinen Versen die Form obeso nutzt. Bei allen darauffolgenden Fragmenten wurde das direkte Zitat dann aber ausgelassen und Gellius bietet jeweils nur die Erklärung. Deshalb wird bei Formulierung wie bei-
Vgl. 17.2.1 cum librum ueteris scriptoris legebamus, conabamur postea memoriae uegetandae gratia indipisci animo ac recensere, quae in eo libro scripta essent in utrasque existimationes laudis aut culpae adnotamentis digna, eratque hoc sane quam utile exercitium ad conciliandas nobis, ubi uenisset usus, uerborum sententiarumque elegantium recordationes und 19.7.2 figuras habitusque ... ruminabamur et, ut quaeque uox indidem digna animaduerti subuenerat qua nos quoque possemus uti, memoriae mandabamus. Auch in 17.2.1 gibt er vor, aus dem Kopf zu zitieren. Zu einem ähnlichen Vorgehen in anderen Kapiteln vgl. Beall (2004) 215 f. und Heusch (2011) 148 f. Vgl. Quadrig. FRHist 24 F 131. Siehe dazu die Versuche in den Kommentaren: FRHist iii p. 30010 oder Beck/Walter ii (2004) 112. Die Person ist real; vgl. Gell. 1.22, 5.4, u. ö. sowie Holford-Strevens (22005) 147 f. Vgl. auch Courtney (22003) 125 und zur syntaktischen Integration kürzerer Zitate bei Gellius generell Heusch (2011) 137.
2.2 Literarische Bearbeitungen des Alkestismythos
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spielsweise in F 6 Memnonem nocticolorem appellauit niemand entscheiden können, ob der Akkusativ so auch in der Alcestis genutzt wurde oder nicht. In einigen anderen Fällen ist dagegen klar, dass Gellius das einzelne Wort so bietet, wie es sich bei Laevius fand: etwa dann, wenn er den Ausdruck eines bestimmten Kasus wegen zitiert (F 10 impete), ebenso, wenn keine Möglichkeit der Integration gegeben ist (F 18 ‚accipitret‘ posuit pro laceret). Wenn man in den letztgenannten Fällen also auch annehmen darf, dass Gellius von einer syntaktischen Integration absieht, so steht trotzdem immer noch nicht fest, dass es sich bei Erwähnungen aus zwei oder drei Wörtern auch um wörtliche Zitate handelt. Die Ausdrücke werden nur um ihrer selbst willen und (abgesehen vom ersten langen Fragment, das als Einstieg dient) isoliert, ohne jeglichen Zusammenhang und auch ungeachtet syntaktischer und metrischer Einheiten angeführt. Selbst bei der Wendung ‚manciolis‘ inquit ‚tenellis‘ ist jederzeit mit Umstellungen der Wortordnung, mit umgangenen Hyperbata oder sonstigen Auslassungen zu rechnen. Das gilt umso mehr, als Gellius angibt, alles aus dem Kopf niederzuschreiben. Ob dies zutrifft oder Teil einer Fiktion ist, kann heute nicht mehr mit Bestimmtheit gesagt werden; es spielt auch nur eine untergeordnete Rolle. Denn an anderen Stellen nutzt Gellius den Verweis auf sein Erinnerungsvermögen gern, um sich unabhängig vom Wahrheitsgehalt seiner Aussage eine Lizenz zum freieren Zitieren zu schaffen.211 Der gesamte Aufbau des Kapitels rät daher zur Vorsicht bei detaillierteren Deutungen etwa zur Metrik. Doch letztlich schmälern die unbeantworteten Fragen zur syntaktischen Integration und zur Wörtlichkeit der Zitate den Wert des Kapitels nur im geringen Maße. Starre Methoden zur Lösung solcher Probleme wird man ohnehin nicht finden können – es bleibt wie so oft die Entscheidung von Fall zu Fall. Wo derartige Fragen von Belang sind, gehe ich an entsprechender Stelle detaillierter darauf ein.
2.2 Literarische Bearbeitungen des Alkestismythos Wie in der Protesilaodamia stellt Laevius in seiner Alcestis eine Frau in den Mittelpunkt, die gerade bei den Römern als Prototyp der tugendhaften Gattin galt.212 Sie ist die Tochter des Pelias und der Anaxabia und die Gattin des Admetos, der, wie es sein späterer Schwiegervater als Voraussetzung für die Hochzeit mit Alkestis be Vgl. dazu Heusch (2011) 147–57. Z.B. in Ov. trist. 5.14.35–40 und Ov. Pont. 3.1.105–10 jeweils u. a. neben Laodamia genannt; siehe auch Prop. 2.6.23 u. ö. Einige Stellen in diesem Sinne sind bei Liebermann (1993) 189 f., Anm. 52 gesammelt.
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2 Alcestis
stimmte, zwei wilde Tiere vor seinen Wagen spannte, als er um seine zukünftige Frau warb. Dazu erhielt er die Hilfe von Apoll, der ihm regelmäßig unterstützte, weil er nach seiner Ermordung der Kyklopen einen irdischen Frondienst bei Admetos erbracht hatte und dieser sich als guter Freund erwies.213 Aus der Ehe gingen Eumelos und Perimele hervor.214 Als Admetos’ bevorstehender Tod bekannt wird, handelt Apoll mit den Moiren ein Geschäft aus: Admetos werde verschont, doch dann müsse jemand anderes freiwillig an seiner Stelle sterben.215 Weder sein Vater Pheres noch seine Mutter Klymene wollen das Schicksal auf sich nehmen, um ihren Sohn zu retten; allein Alkestis bietet ihr Leben an. In vielen Bearbeitungen des Mythos wird sie nach ihrem Tod dann unter unterschiedlichen Umständen gerettet. Bei Euripides erfuhr Herakles von ihrem Tod und führte sie nach einem Kampf mit Thanatos wieder ins Leben zurück.216 Von der vermutlich ersten literarischen Bearbeitung des Mythos bei Phrynichos217 bis hin zum späten Vergilcento (viertes bis sechstes Jh. n. Chr.) – das sind gute 1000 Jahre – griffen antike Autoren den Alkestisstoff immer wieder gerne auf. Trotz der großen Zeitspanne blieb der Mythos abgesehen von kleineren Abweichungen im Detail erstaunlich konsistent. Erhalten sind die Alkestis von Euripides, die sogenannte Alcestis Barcinonensis eines anonymen Dichters vermutlich aus dem frühen vierten Jh. und der erwähnte Vergilcento Alcesta.218 Euripides behandelt nach einem einführenden Prolog den Mythos von Alkestis’ Tod bis zu ihrer Rettung durch Herakles. Dazwischen nimmt er auf die in Dichtung und Mythographie immer wieder behandelten Kernthemen des Stoffes Bezug und/ oder konstituiert sie für die Zukunft: Alkestis’ letzte Worte mit der Bitte, Admetos
In der hellenistischen Dichtung wurde daraus eine Liebesgeschichte zwischen Admetos und Apoll; vgl. Kall. Hymn. Ap. 48 f. und vielleicht Rhianos F inc. 10 Pow.; im Lateinischen dann Tib. 2.3.11–32 und Lygd. 4.67–72. Mit dem Alkestismythos selbst wird diese Geschichte aber nicht in Verbindung gebracht, weshalb sie auch bei Laevius keine (große) Rolle gespielt haben dürfte. Vgl. Schol. Eur. Alk. 265 zu den Kindern und Il. 2.711–5 speziell zu Eumelos. Nur bei Apollod. bibl. 1.9.15 wird sein früh geplanter Tod dadurch gerechtfertigt, dass er vergaß, Artemis ein Hochzeitsopfer darzubringen; vgl. zur Frage der Motivierung des Todes Lesky (1925). Eur. Alk. 840–9 und 1139–42; bei Luc. Mort. 28.3 oder Hyg. fab. 51 steigt Herakles in die Unterwelt und verlangt ihr Leben zurück, bei Plat. Symp. 179cd entließen die von Alkestis’ Tugend beeindruckten Götter sie von selbst aus dem Hades. Nach Wilamowitz (1886) 57–77 und Dräger (1997) 67–112 hatte Hesiod ihr schon zuvor eine Ehoie gewidmet. Für die Entwicklung des Mythos siehe jetzt Paolucci (2015) xi–lii und knapp Parker (2007) xv–xxvi sowie id. (2003) 1–3. Speziell zu Phrynichos’ Alkestis TrGF i (3) F 1c–3 und entsprechender Literatur vgl. meinen Versuch bei Pulz (2020), zu Accius’ gleichnamigem Stück (57 2R. = 633 Dang.) v. a. die zusammenfassende Diskussion bei Nosarti (1999) 180–4 und zuletzt Aricò (2008), zu einem Praxilla-Skolion (PMG 749) vgl. Bowra (1936) 404–7 und Scodel (1979).
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solle nach ihrem Tod nicht noch einmal heiraten (305–10), der Ruhm der Alkestis (435–75), Admetos’ Gastfreundschaft gegenüber Herakles (476–605) und vor allem das Streitgespräch zwischen Admetos und seinem Vater Pheres, der trotz seines hohen Alters nicht bereit gewesen war, für das Leben seines Sohnes in den Tod zu gehen (606–740). Abgesehen von Herakles’ Auftritt und Alkestis’ Rettung finden sich all diese Elemente auch in der Alcestis Barcinonensis wieder.219 Das Interesse des anonymen Verfassers, der Euripides’ Drama kannte und kreativ damit umging, liegt in der Frage, wie die Eltern ihre Ablehnung und wie Alkestis ihre Bereitwilligkeit, für Admetos zu sterben, begründen.220 Über Euripides hinausgehend gestaltet er neben der Diskussion zwischen Admetos und Pheres auch ein Streitgespräch zwischen Admetos und seiner Mutter Klymene (vv. 21–72). Danach meldet sich Alkestis selbst zu Wort: Ihre Liebe übertreffe die der Eltern, denn sie sei bereit, sich dem Tod hinzugeben. Aus ihrem Ruhm solle die Nachwelt lernen, Admetos aber müsse versprechen, sich keine neue Gattin zu nehmen (74–102). Es folgt die Beschreibung ihres Todes (104–22). Anders liegt der Schwerpunkt der wohl späteren Alcesta221 neben der Centokunst auf dem linearen Erzählen des Mythos, beginnend mit Admets Werbung um seine zukünftige Frau (1–45). Auch hier ist das Gespräch mit Pheres ausgestaltet (67–83) und auch hier erklärt Alkestis in direkter Rede ihre Bereitschaft zu sterben (84–113). Höhepunkt des Centos ist die Todesszene (114–162) mit Alkestis’ letzten Worten und ihrer Bitte, Admetos solle kein zweites Mal heiraten. Wie die Alcestis Barcinonensis schließt die Alcesta mit ihrem Tod.
2.3 Die Themen der laevianischen Alcestis 2.3.1 Der Prolog/Epilog (F 3, 4, 22) Was Laevius’ Alcestis angeht,222 bezeugt Gellius zunächst einmal, dass der Dichter sich darin mit seinen Kritikern (uituperones suos) auseinandergesetzt hat. Das angeführte Wort subductisupercilicarptores (F 22, ‚Augenbrauenhochziehverreißer‘) kann daher nicht aus der Liebesgeschichte selbst stammen. Es hatte seinen Platz mit großer Si-
Die zahlreiche Literatur zum Gedicht ist bei Mantzilas (2011) v. a. 61 f., Anm. 1 und 65 f., Anm. 16 gesammelt. Vgl. dazu Liebermann (1993) 180 und zur Verbindung mit Euripides vgl. zuletzt Rossi (2011). AL 15 2R. Die neueste Ausgabe mit Einleitung, Kommentar und Übersetzung stammt von Paolucci (2015). Weder hier noch im Kommentar werde ich die unzähligen bisherigen Deutungsversuche der einzelnen Fragmente in ihrer Gesamtheit besprechen; für mehr vgl. Polzonetti (1985).
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cherheit in einer Art Prolog oder Epilog, wobei ein Ich zu Wort kam und seine Art zu dichten verteidigte. Bei den Kritikern mit hochgezogenen Augenbrauen handelt es sich vermutlich nicht um bestimmte Personen, deren Namen zu nennen wären; es ist der Typus eines, wie Varro ihn nennt, antiquus homo, der in der lateinischen Literatur auch sonst oft vorkommt: ein konservativer Kritiker der Liebesdichtung.223 Dieser Typus ist von Properz als ein Vertreter der alten Schule charakterisiert, die als Dichter überhaupt nur den anerkennt, der von Helden und Kriegen singt, wohingegen Neuerungen und andere Themen als poetischer Stoff nicht anerkannt werden.224 Laevius muss es in seiner Alcestis daher um die Verteidigung seiner dichterischen Themen gegangen sein. Zur selben Zeit begegnet Ähnliches auch bei Lucilius, doch vor allem sind aus der augusteischen Dichtung, insbesondere aus der Liebeselegie, apologetische Partien über die Themenwahl der eigenen Dichtung bekannt, wobei in aller Regel wie bei der zitierten Properzstelle das Epos als Maßstab vermeintlich echter und hoher Dichtung angesetzt wird.225 Prägend war der Aitienprolog, in dem Kallimachos sein Stilideal gegenüber seinen literarischen Gegnern verteidigte.226 Bei Kallimachos werden die Kritiker als Telchinen bezeichnet, bei Laevius sind es die subductisupercilicarptores. Auf dieser Grundlage lassen sich dem Prolog/Epilog vielleicht noch weitere aus der Alcestis überlieferte Wörter zuordnen, über deren Herkunft Gellius nichts berichtet. Speziell ist an F 4 foedifragos zu denken, wobei es sich wohl um eine Reminiszenz an einen damals berühmten Hexameteranfang foedifragi Puni aus den Annalen des Ennius handelt.227 Der offensichtliche Anklang an die Annales und die hostes qui
Varr. Men.167 Ast. ego, unus scilices antiquorum hominum, subductis / superciliis dicam: γαμήσει ὁ νοῦν ἔχων oder Priap. 49.3 f. uersibus obscaenis offendi desine, non est / mentula subducti nostra supercilia; Turp. com. 167 f. 2R. mit unklarem Kontext cum antehac uidebam stare tristis, turbido / uultu, subductis cum superciliis senes. Ähnliche Wörter gibt es auch schon im Griechischen, bemerkenswerterweise gerade in Euripides’ Alkestis, in der Herakles auf das Leben von strengen Menschen Bezug nimmt (v. 800 συνωφρυώμενος), wie Alfonsi (1971) 337 sah; vgl. auch ὀφρυανασπασίδαι in einem anonymen Epigramm FGE clv, worauf Courtney (22003) z. St. Laevius’ Kompositum zurückführt. Trotzdem liegt bei Laevius eher eine Univerbierung einer lateinischen Iunktur als eine Übersetzung aus dem Griechischen vor. Das dichtende Ich möchte sich in Prop. 2.10.8–10 von der Liebesdichtung ab- und dem Epos zuwenden: bella canam, quando scripta puella mea est. / nunc uolo subducto grauior procedere uultu;/ nunc aliam citharam me mea Musa docet. Viele Beispiele sind gesammelt und besprochen in der Monographe von Wimmel (1960). Kallimachos grenzt sich im Prolog seiner Aetien, wenn nicht vom Epos überhaupt, so doch von der Themenwahl des homerischen Epos ab (F 1 bei den Herausgebern); vgl. Harder (2012) z. St. mit Literaturangaben. Lucilius verteidigt sich, kein Epos geschrieben zu haben; vgl. die gesammelten Fragmente bei Christes (2001). Neben oben erwähntem Prop. 2.10 vgl. für die Liebeselegie vor allem Prop. 3.1 und 3.3. Siehe vestigia vi bei Skutsch und W.H. Friedrich (1977) 164 f. (= 1941, 116). Das Cicerozitat in den Horazscholien Pseudacr. Schol. zu Hor. carm. 4.8.17 Cicero in dialogis foedifragos dixit Afros
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foedera frangerent – so lautet Gellius’ Erklärung des Bruchstückes – sind nur schwer in die Erzählung der Alcestis einzubinden.228 Am ehesten ist das Fragment deshalb als Teil des Prologs zu verstehen: ‚Diese konservativen Kritiker mit ihrem verachtenden Blick halten meine Liebesdichtung für nichts wert; sie wollen lieber von Helden, von Krieg und von bündnisbrüchigen Feinden (wie Ennius sie beschrieb) hören. Ich dagegen will von Alkestis berichten.’ Vielleicht ist in diesem Zusammenhang auch das in Vergessenheit geratene Volk, die oblittera gens (F 3), die Laevius ebenfalls als ein von Epikern behandeltes Thema hätte darstellen können, zu verstehen.
2.3.2 Pheres’ Alter (F 5, 6, 19, 22) Für die Gestaltung des Mythos selbst stecken die drei oben beschriebenen Alkestisbearbeitungen den Rahmen ungefähr ab. Ihnen sind zwei große Themenblöcke gemein, die sich anhand der Fragmente auch für Laevius nachweisen lassen. Der erste Block thematisiert den Vorwurf, Pheres sei nicht bereit, anstelle seines Sohnes in den Tod zu gehen, obwohl er doch ohnehin nur noch wenige Jahre zu leben habe. Erhalten sind mit F 2 sogar mehrere Laeviusverse, die eindringlich das niederdrückende Alter einer männlichen Person darstellen. Vermutlich ist Pheres selbst beschrieben oder es besteht wenigstens ein Bezug zu ihm.229 Dieses Pheresfragment ist das einzige erhaltene Bruchstück aus der Alcestis, das mehrere Verse aus monometrisch gebauten anapästischen Dimetern umfasst. Trotz der Kürze der restlichen Fragmente ist es dadurch sicher, dass wie in der Protesilaodamia und der Sirenocirca auch in der Alcestis mindestens ein, vermutlich aber mehrere Metrumwechsel stattgefunden haben. Wörter mit einem Kretikus (F 8 pēstĭlēnta) sind schwer in ein anapästisches Maß zu integrieren. Man sollte zwar Abstand davon nehmen, im Umkehrschluss alle anderen anapästisch anmutenden Fragmente aus der Alcestis ebenfalls dem Themenblock Alter zuzuweisen, aber beim anapästischen Monometer dūlcōrĕlŏcūs und bei trĭsā̄ ̄eclĭsĕnēx, dem nur eine vorangehende Kürze zum Monometer fehlt (jeweils F 19), ist ein Zusammenhang mit F 2 gut denkbar. Die beiden Wörter beschreiben Nestor, dessen
ist mit Courtney (22003) 125 eine ungenaue Paraphrase von off. 1.38. Lange nach Cicero taucht das Adjektiv erst wieder bei Mart. Cap. 9.912 foedifragum chaos und Sidon. epist. 6.6.1 foedifragam gentem auf. Polzonetti (1985) 69 f. versteht foedifragus im übertragenen Sinne und stellt einen Bezug zu Admetos her, der seinen väterlichen Pflichten nicht nachkomme, und daher metaphorisch als ein bündnisbrüchiger Feind bezeichnet worden sein könnte. So zuerst G. Hermann (1824) cvii.
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hohes Alter innerhalb eines mythologischen Exemplums leicht ins Verhältnis zu Pheres gesetzt worden sein konnte. Anders könnte Nestor aber auch als Cousin der Alkestis an jeder anderen Stelle des Gedichts Erwähnung gefunden haben,230 nicht zuletzt, weil das Epithet trisaeclisenex inhaltlich schon seit Homer topisch ist und es so nicht unbedingt etwas über den Kontext der Stelle verraten muss. F 5 pudoricolor und F 6 nocticolor (von Aurora und Memnon), wurden ebenfalls in Verbindung mit dem Pheresfragment gebracht.231 Im Zuge der Erwähnung von Aurora könnte der Dichter auch auf ihren Geliebten Tithonos zu sprechen gekommen sein. Tithonos traf das Schicksal, ständig zu altern, ohne sterben zu dürfen. Mit Bezug auf Pheres ergäbe sich so ein eindrucksvoller Vergleich, und metrisch könnten auch hier Anapäste vorliegen, wenn auch der Grad der syntaktischen Integration in den Gelliustext nicht sicher bestimmt werden kann (pŭdōrĭcŏl[orem], nōctĭcŏl[orem]). Einen Beweis dafür kann es aber wieder nicht geben, und es wird wohl zuletzt bei einer Spekulation bleiben müssen.232
2.3.3 Tod, Schmerz, Trauer (F 7–16, 18, 20, 21) Der zweite Themenblock enthält Wörter und Wendungen, die sich direkt oder indirekt den Themen Trauer, Schmerz und Tod zuordnen lassen. Dazu gehören F 9 carendum tui est, F 11 fortescere, F 12 dolentiam, F 14 curis intolerantibus, F 16 quis tam siliceo ; ebenfalls ließe sich F 13 auens hier einordnen, sollte Polzonettis Vermutung, die für ihren Mann bereitwillig sterbende Alkestis sei gemeint, das Richtige treffen.233 Die Vielzahl der Ausdrücke um den Themenkreis Schmerz und Trauer lassen keinen Zweifel daran, dass bei Laevius Alkestis’ Tod im Zentrum des Gedichts gestanden hat. Die Ansprache an eine zweite Person F 9 carendum tui est könnte am ehesten Alkestis zu Admetos oder Admetos zu Alkestis sprechen und lässt daher einen Dialog der beiden vermuten.234 Von Alkestis’ großer Rede kurz vor ihrem Tod sind keine sicheren Bruchstücke nachweisbar, aber Laevius gibt den Liebesklagen weibli-
Vgl. L. Müller (1880) z. St. Zuerst Havet, mitgeteilt bei De la Ville de Mirmont (1903) 261, Anm. 1. Allenfalls mag es als Argument gelten, dass Tithonos und Nestor auch sonst wegen ihres hohen Alters in einem Atemzug erwähnt werden (etwa Prop. 2.25.10 und Stat. silv. 4.3.150 f.). Einen Alternativvorschlag zur Interpretation der Epitheta mache ich unten im Kommentar z. St. Gellius erklärt 19.7.8 posuit ... ‚auens‘ pro ‚libens‘. Polzonetti (1985) 73 f. vergleicht daher Alkestis’ Aussage Alc. Barc. 73 concedo libens; ebenso Courtney (22003) z. St. Vgl. Polzonetti (1985) 73 und Eur. Alk. 380 Admetos: οἴμοι, τί δράσω δῆτα σοῦ μονούμενος; ‚Ach, was soll ich nur tun, von dir beraubt?‘.
2.3 Die Themen der laevianischen Alcestis
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cher Protagonisten in seinen Gedichten auch sonst großen Raum.235 Eine Spur davon mag vielleicht im Verb F 11 fortescere stecken, das als eine Aufforderung der Alkestis an ihre Familie verstanden werden kann: Für den Römer galt es als Beleidigung der Manen, nach dem Tod einer geliebten Person zu sehr und zu offensichtlich zu trauern. Daher bitten Sterbende ihre Angehörigen häufig, sich dahingehend zurückzuhalten.236 Auch in der Alcestis Barcinonensis gibt es Vergleichbares: plangere sed prohibet (Alcestis) sese natosque uirumque (108).237 Spuren dieser Vorstellung sind vor allem in der lateinischen Liebeselegie zu finden, in der Szenen, die den fingierten Tod des dichterischen Ichs darstellen, zum festen Genrefundus gehören (Tib. 1.1.59–68): te (sc. Deliam) spectem, suprema mihi cum uenerit hora, te teneam moriens deficiente manu. flebis et arsuro positum me, Delia, lecto, tristibus et lacrimis oscula mixta dabis. flebis: non tua sunt duro praecordia ferro uincta, neque in tenero stat tibi corde silex. illo non iuuenis poterit de funere quisquam lumina, non uirgo, sicca referre domum. tu Manes ne laede meos, sed parce solutis crinibus et teneris, Delia, parce genis.
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Dich, Delia, möge ich dann anschauen, sobald meine letzte Stunde geschlagen hat, dich möge ich sterbend halten mit fallender Hand. Und du wirst weinen, wenn ich dann aufs Bett gelegt bin, das bald brennen wird, und du wirst mir Küsse geben, die vermischt sind mit bitteren Tränen. Weinen wirst du: Deine Brust ist nicht mit Eisen umwunden und du hast keinen Stein in deinem zarten Herzen. Kein Junge und kein Mädchen wird von meiner Beerdigung mit trockenen Augen nach Hause gehen können. Du aber verletze meine Manen nicht, sondern schone dein loses Haar und schone deine zarten Wangen, Delia.
Zwar sind hier die Geschlechterrollen gegenüber der Szenerie aus der Alcestis vertauscht, doch die Verse weisen neben der Bitte, nicht zu sehr zu trauern, noch eine weitere Parallele auf: Tibull nutzt das Motiv des gefühllosen steinernen Herzens nec in tenero stat tibi corde silex, das auch für Laevius überliefert ist und vermutlich im Zusammenhang mit Alkestis’ Tod stand (F 16, quis tam siliceo ).238 Wollte
Vgl. oben p. 27. Vgl. Prop. 4.11.1 f. desine, Paulle, meum lacrimis urgere sepulcrum: / panditur ad nullas ianua nigra preces. Vgl. zur Sache Nisbet/Hubbard (1978) zu Hor. carm. 2.9.9. In Alc. Barc. 108 ist sed prohibet Konjektur von Shackleton Bailey (ähnlich saepe uetat Jones). Beim überliefertem saepe iubet (verteidigt von Marcovich [1988] 87) ist sowohl das Verb als auch das Adverb unpassend. Alternativ zur hier vertretenen Deutung könnte in F 16 auch der mitleidlose Vater gemeint sein.
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man darüber hinaus die gesamte Szenerie der zitierten Elegie mit Laevius’ Gedicht vergleichen, wäre weiterhin manciolis tenellis (F 15) in Verbindung mit v. 60 te teneam moriens deficiente manu zu bringen. Zwar möchte ich nicht völlig ausschließen, dass bei Laevius die Händchen der beiden Kinder Eumelos und Perimele gemeint sein könnten,239 aber die Sprache weist doch eher auf Alkestis selbst: Das Deminutiv steht wie auch bei Catull gerade bei Laevius besonders häufig in einem erotischen Zusammenhang mit Bezug auf eine geliebte oder verliebte Frau.240 Auch das Vokabular weist mit tener, einem Wort, mit dem in der Liebesdichtung häufig Frauen bezeichnet werden, in dieselbe Richtung.241 Laevius selbst nutzt es einmal mit demselben Bezugswort in einem erotischen Kontext von Andromache: manu / lasciuiola ac tenellula (F 40). Die Wendung manciolis tenellis gehört damit wohl der erotischen Sprache an und könnte in einem ähnlichen Zusammenhang wie deficiens manus bei Tibull gestanden haben. Man wird nicht so weit gehen und eine Abhängigkeit zwischen Tibull und Laevius annehmen, zum einen, weil der hier gebotene Rekonstruktionsversuch des Laeviusgedichts jenseits aller Sicherheit liegt, zum anderen, weil gerade die Motive des Herzens aus Stein und der Bitte, nicht zu sehr zu trauern, weit verbreitet sind.242 Die Möglichkeit bliebe aber grundsätzlich bestehen, weil Ovid und Properz Laevius ebenfalls kannten und sich auch sonst direkter oder indirekter laevianischer Einfluss auf das Vokabular der lateinischen Liebeselegie nachweisen lässt.243 Aber auch ohne direkte Abhängigkeit gibt die Tibullstelle eine Vorstellung davon, wie Alkestis’ letzte Momente im Laeviusgedicht gestaltet worden sein könnten. Die Einordnung der Unterweltserwähnungen F 8 silenta loca, pestilenta und puluerulenta ist unsicher. Laevius könnte ebenfalls bei der Sterbeszene darauf zu sprechen gekommen sein. Womöglich folgte er aber auch den früheren Bearbeitungen des Mythos, ließ Alkestis von den Toten zurückkehren und hatte in diesem Zusammenhang Anlass, näher auf den Hades einzugehen. Gellius berichtet auch, dass in der Alcestis die Rede von Gewässern war: F 20 multigrumis von hochgetürmten Fluten und F 21 tegmine onychino von gefrorenem Wasser. Darin sah Polzonetti ebenfalls einen Verweis auf die Unterwelt: Die Styx ist bei Homer als
Vgl. u. a. Cichorius (1920) 125 f. oder Polzonetti (1985) 74. Für die Verbindung des Fragments mit Kindern spricht Catull. 61.211 matris e gremio suae / porrigens teneras manus. Vgl. oben p. 33 und Hanssen (1952) 27–36 zum erotischen Deminutiv; zu Deminutiven bei Kindern ibid. 36 f. Vgl. nur v. 64 und 68 aus der eben zitierten Tibullstelle. Siehe für F 16 den Stellenkommentar. Vgl. etwa p. 160.
2.4 F 2
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reißend beschrieben und ihr Wasser ist bei Hesiod eisig kalt sei.244 Aber mir ist kein gefrorener Fluss aus der Unterwelt bekannt und mit multigrumis vergleichbare Ausdrücke finden sich eher bei Meeresbeschreibungen. Laevius müsste gegenüber der sonstigen Tradition stark dramatisiert haben. Beschreibungen von Stürmen auf dem Meer werden in der lateinischen Dichtung aber auch gern benutzt, um menschliche Gefühle wie Liebe oder Trauer zu beschreiben.245 Es könnte sich bei den Fragmenten also auch um eine Darstellung des Innenlebens der Charaktere aus der Alcestis handeln. Ähnliches könnte bei F 18 accipitrare ‚zerfetzen‘ der Fall sein. Gellius erklärt das Wort mit dem Verb lacerare, vom Sinne her ist es so mit Ciceros ne me inparatum cura laceraret repens vergleichbar.246 Alfonsi sah in dem Fragment dagegen einen Verweis auf dem Zweikampf zwischen Herakles und Thanatos, wozu das Vokabular mir aber eher unpassend zu sein scheint. In gleicher Weise bezog er F 10 magno impete auf Herakles, wie er zu Thanatos eile, um ihn zu überwältigen.247 Aber es kann auch der Tod selbst sein, der Alkestis bedrängt, oder es liegt vielleicht auch wieder eine Metapher für die auf die Protagonisten eindringenden schmerzlichen Gefühle vor.248 Einen Beleg für Alkestis’ Rückkehr aus dem Hades bieten all diese Ausdrücke jedenfalls nicht. Wie die Fragmente erhalten sind, entspricht die laevianische Alcestis inhaltlich so am ehesten der Alcestis Barcinonensis.249
2.4 F 2 2.4.1 Zur doppelten Überlieferung F 2 wird von zwei Zitatträgern übermittelt, vom oben analysierten Gellius (19.7) und zusätzlich von Nonius (361 M). Dass Nonius von Gellius abhängt, ist sicher, sei es direkt, wovon L. Müller (wohl mit Recht) überzeugt ist, sei es indirekt, wie
Vgl. Polzonetti (1985) 76 und zur Styx Il. 15.37 κατειβόμενον Στυγὸς ὕδωρ sowie Hes. Theog. 786 ψυχρός. Vgl. Catull. 64.97 f. zu Cupido qualibus incensam iactastis mente puellam / fluctibus, in flauo saepe hospite suspirantem. Cic. Tusc. 3.29, der Eur. TrGF v.2 inc. F 964.6 μή μοι νεῶρες προσπεσὸν μᾶλλον δάκοι übersetzt; vgl. zur Erklärung des Fragments Polzonetti (1985) 75, Anm. 65 und zur Metapher ThLL vii.2 827.22–52. Vgl. Alfonsi (1958a) 355. Vgl. ThLL vii.1 610.51–76 und etwa Sen. Phoen. 347 f., wo von einem impetus doloris die Rede ist. So auch Polzonettis (1985) Gesamturteil.
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Lindsay vermutet, indem er ein Glossar als Zwischenquelle annimmt.250 Die Abhängigkeit selbst ist klar ersichtlich aus dem absurden Gedichttitel, den Nonius für die Laeviusverse nennt: Laeuius in Carmine. Solche sinnlosen Angaben sind symptomatisch für Nonius’ unsorgfältige Arbeit mit seinen Quellen.251 Wer den Anfang des Gelliuskapitels 19.7.1–2 liest, weiß, dass dort über die Alcestis gesprochen wird; wer jedoch nur Augen für das Zitat selbst hat, findet davor lediglich den Rückverweis Laeuiano in illo carmine, was Nonius wohl ohne weiteres Nachdenken ebenso übernommen hat wie danach die Erklärung obesum ... pro exili atque gracilento, die den Worten des Gellius ziemlich genau entspricht. Unzuverlässig und daher von wenig Wert für das Fragment ist auch der von Nonius gebotene Text, der mehrere Korruptelen aufweist und das letzte Wort obpressum ganz ausfallen lässt.252
2.4.2 Laevius, Phrynichos und Pacuvius Laevius’ Beschreibung des zerfallenden Alten ist mit die eindringlichste aus den uns erhaltenen Alkestisbearbeitungen: corpore pectoreque undique obeso ac mente exsensa tardigenuclo senio obpressum An Körper und Brust überall abgezehrt und mit unsinnigem Verstand, niedergedrückt vom lahmknieigen Alter
Euripides betont das Alter des Pheres häufig, beschränkt sich aber größtenteils auf kurze Anmerkungen;253 in der Alcestis Barcinonensis und in der Alcesta spielt es des Konflikts wegen eine wichtige Rolle, doch es wird beim Leser einfach als bekannt vorausgesetzt und nur nebenbei erwähnt.254 Dagegen ist uns als einziges echtes Fragment aus der Alkestis des frühen griechischen Dramatikers Phrynichos ein womöglich ebenfalls anapästisches Fragment erhalten geblieben, das mit
Vgl. L. Müller in seiner Noniusausgabe p. 586 und Lindsay (1901) 75. Vgl. L. Müller ebd., der seinen Frust bei der Arbeit an Nonius gern und oft ausdrückt. Die Codices bieten corpore pectoreque undique obeso ac merito exeso tardi ingenio (oder ingenulo) senis. V. a. 611 πατέρα γηραιῷ ποδὶ στείχοντα, ‚den Vater, der mit altem Fuß kommt‘, 635 γέρων ὤν oder (Herakles, der Admetos fragt, wer gestorben sei) 516 πατήρ γε μὴν ὡραῖος, εἴπερ οἴχεται ‚der Vater war betagt genug, falls er starb‘. In Alc. Barc. 36 f. spricht Pheres quanta senectae / uita meae superest, minimam ui tollere uis iam?; in der Alcesta 73 f. heißt es longaeuo dicta parenti / cum fletu precibusque tulit.
2.4 F 2
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hoher Wahrscheinlichkeit in einer Drastik, die mit Laevius vergleichbar ist, Pheres’ drückendes Alter beschreibt: σῶμα δ’ ἀθαμβὲς γυιοδόνητον τείρει am schamlosen Körper mit zitternden Gliedern nagt (wohl: das Alter)255
Reitzenstein, der σῶμα mit laevianischem corpore pectoreque und τείρει mit undique obeso vergleicht, ließ wenigstens für sich selbst kaum Zweifel an Laevius’ Abhängigkeit von Phrynichos. Wer sich seiner Vermutung anschließt, könnte darin sogar einen bemerkenswerten Beleg dafür finden, dass noch im späten zweiten Jh. v. Chr. im republikanischen Rom eine Leseausgabe des frühen Tragikers zugänglich war, wodurch sich auch eine (aus anderen Gründen veranlasste) Vermutung von Fr. Marx bestätigt hätte.256 Was aber Laevius’ Vokabular angeht, sind Entsprechungen weniger im Griechischen zu suchen als in einer lateinischen Tragödie. Mit folgendem Fragment beschreibt vermutlich Pacuvius in seinem Medus Aietes’ Alter:257 refugere oculi, corpus macie extabuit, lacrimae peredere umore exanguis genas, situm inter oris barba paedore horrida atque intonsa infuscat pectus inluuie scabrum. Die Augen sind eingesunken, der Körper ist von Magerkeit ausgezehrt, Tränen haben mit ihrer Feuchtigkeit die blutleeren Wangen zerfressen, im ungepflegten Gesicht beschattet der Bart, starrend vor Dreck und ungeschoren, die Brust, die rauh von Schmutz ist. (übers. von P. Schierl)
Ähnlich wie bei Laevius werden der abgezehrte Körper und die verwahrloste Brust beschrieben. Ein Kompositum von edere wird ebenfalls verwendet, wenn auch in anderem Zusammenhang. Pacuvius’ Verse waren sehr einflussreich und haben eine außerordentliche Wirkung auf die lateinische Literatur entfaltet.258
Phryn. TrGF i (3) F 2; vgl. zum Verständnis Reitzenstein (1898) 51 und Pulz (2020) 282–4. Vgl. Reitzenstein (1898) 51 und Marx (1928) 340, dessen These von v. Blumenthal RE xx.1 917 verworfen wird. Adesp. TrRF i 57 (= Pacuv. 181 Sch.). Der Zitatträger Cicero nennt den Urheber der Verse nicht, doch viel spricht für Pacuvius; vgl. dazu Schierl (2006) z. St. Vgl. Nosarti (1999) 69–72.
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2 Alcestis
Sollte es sich beim Medus nicht um ein allzu spätes Stück von ihm handeln,259 wären womöglich auch die erhaltenen Verse des Laevius unter die Rezeptionsfälle einzuordnen.
2.4.3 Metrik cōrpŏrĕ pēctŏrĕque ūndĭque ŏbēso āc mēnte ēxsēnsā tārdĭgĕnūclō sĕnĭo ōbprēssūm
Auch ohne L. Müllers (11869, 244 f.) Konjektur tardigenuclo (für Gellius’ tardigemulo und Nonius’ tardi ingenulo oder tardi ingenio), die aber nie ernsthaft beanstandet wurde, lässt das Ende des Fragments sĕnĭo ōbprēssūm erkennen, dass Anapäste vorliegen. Der akribische Bau der Verse mit Dihärese nach jeweils vier Elementen zeigt, dass es sich um anapästische Dimeter handelt, die monometrisch, das heißt mit strenger Mitteldihärese, gebildet sind. Sie waren vermutlich Teil eines längeren Systems, das zum Ende mit einem Paroemiacus oder Ithyphallicus geschlossen wurde.260 Weil im zweiten Versfuß eines jeden Monometers bei den Altlateinern auch Daktylen möglich sind und weil wegen der Synaphie grundsätzlich mit einer Synaloephe über die Versgrenze hinweg zu rechnen ist, bleibt die Verseinteilung unsicher. Mit G. Hermann wäre corpore pectore / undique ... genauso möglich wie mit A. Fleckeisen corpore pectore undique obeso ac / mente ... .261 Weil die Synaloephe zwischen den Versen aber weit ungewöhnlicher ist als in der Dihärese,262 drucke ich, ohne festen Anspruch darauf, richtig zu liegen, Fleckeisens Vorschlag; die Konjunktion ac am Versende ist unproblematisch.263
Die Datierungsversuche reichen vom Frühwerk (Arcellaschi [1990] 120–5) bis hin zum Spätwerk (Manuwald [2003] 143). Grundsätzliches zu Laevius’ Anapästen oben p. 38–40. Vgl. Fleckeisen (1854) 46 und G. Hermann (1824) xviii. In Enn. TrRF ii 23.10–17 (= 87–94 Joc.) gibt es drei Synaloephen in der Dihärese, keine über die Versgrenze hinweg (wobei aber Synaphie vorherrscht). Sicher ist auch wegen des Paroaemiacus im zweiten Vers Acc. trag. 71 f. 2R. (= 627 f. Dang.) mit Synaloephe in der Dihärese (und nicht am Ende des Verses) abgrenzbar. In Acc. trag. 2R. 569 f. (= 455 Dang.) und Enn. TrRF ii 13.8 f. (= 28 f. Joc.) begegnet in den Ausgaben Synaloephe am Versende, doch in beiden Fällen ist die Abgrenzung unsicher. Pace Traglia (21974); vgl. Laev. F 30 und ThLL ii 1049.56–69.
2.4 F 2
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2.4.4 Stellenkommentar corpore pectoreque Das zwischen den beiden Wörtern eingeschobene inquit bei Gellius – nicht bei Nonius – ist unverdächtig; Baehrens („inquit codd. Gell. sine ratione“) konjiziert z. St. in der Annahme früher Verderbnis tenuato. Gellius nutzt den Einschub aber auch sonst bei Dichterzitaten, z. B. 1.17.4 M. quoque Varro in satura Menippea, quam De officio mariti inscripsit: ‚uitium‘ inquit ‚uxoris aut tollendum aut ferendum est.‘ Auch die Einleitung erant autem uerba mit folgendem inquit ist so belegt. Vgl. 2.24.9 uerba Laeuii haec sunt ... : ‚lex Licinia‘ inquit ‚introducitur, / lux liquid
a haedo reditur‘ (Laev. F 42). obeso Das adjektivierte Partizip vom nicht belegten obedere ist mit Gellius im Sinne von gracilentus, exilis und nicht wie gewöhnlich als pinguis zu verstehen. Allein Laevius gebraucht obesus parallel zu den Partizipien exesus und peresus, die beide in der Bedeutung ‚zerfressen‘ verbreitet sind. Den Anlass dafür dürfte weniger die Metrik gegeben haben, die wenigstens an dieser Stelle des Verses weder exesus noch peresus zulässt, als ein grammatisches Spiel: Im Gegensatz zu Verrius Flaccus/Festus (obesus pinguis, quasi ob edendum factus, 207.8 L.) weiß der Dichter, dass es sich bei dem Adjektiv eigentlich um ein aktiv gebrauchtes Partizip Perfekt Passiv (wie cenatus; dazu KS i 97–9) von obedere handelt. So kann er das Wort experimentell-dichterisch in seinem ‚grammatisch korrekten‘ Sinne passiv gebrauchen. Auch Gellius verstand die Stelle richtig. Er lobt Laevius dafür, dass er das Adjektiv nicht wie in der gesprochenen Sprache κατ’ ἀντίφρασιν nutzt, das heißt entgegen dem eigentlichen Gebrauch (wenn man die ‚grammatisch korrekte‘ Sprache als Maßstab nimmt). Dabei ist eigentlich Laevius derjenige, der das Wort κατ’ ἀντίφρασιν etymologisiert (wenn man die gesprochene Sprache als Maßstab nimmt); vgl. dazu Cavazza (2004) 99 f., Granarolo (1971) 191 und für eine Sammlung ähnlicher Stellen bei Gellius R. Müller (2001) 152–5; zum etymologischen Spiel κατ’ ἀντίφρασιν generell vgl. O’Hara (1996) 66. ac Die Konjunktion verbindet die beiden ersten Kola, die explikativ zum dritten tardigenuclo senio (von obpressum abhängig) aufzufassen sind. Nicht zuletzt wird das Verhältnis der Ausdrücke zueinander durch die chiastische Stellung des letzten Ablativs (senio obpressum) zu den beiden davor parallel stehenden Ablativen (corpore ... obeso und mente exsensa) ausgedrückt; vgl. dazu Questa (1963) 77. Anders versteht Traglia (21974) 126 f. die Struktur des Satzes: Er stößt sich an der Konjunktion an letzter Versstelle und sieht alle drei Ablative auf gleicher Ebene. Deshalb folgt er Jos. Scaliger, der (1585, p. 115 im Kommentarteil seiner Varroausgabe) ac tilgt.
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mente exsensa Gellius hat mit mente exsensa (in der Handschriftengruppe δ aber extensa, das nicht passt) den richtigen Text: Die Wendung bezeichnet eine nachlassende Geisteskraft, die hier neben dem körperlichen Verfall als Zeichen des Alters gesehen wird. Die Noniuscodices (merito exeso), deren Verderbnis leicht nachzuvollziehen ist (ri > n; e anpassend zu o; exeso durch nachwirkendes obeso), sind zu vernachlässigen. Zu den verbreiteten Adjektivbildungen mit dem Präfix ex- (exsanguis, elinguis, edentulus usf.) vgl. Leumann 398. exsensus selbst ist in dieser Form kein zweites Mal belegt, bei Greg. Tur. Mart. 640.27 Krusch heißt es exsensis, -e. In eine der beiden Stellen einzugreifen, wäre aber falsch: Ebenso variiert exanimus und exanimis; vgl. Neue-Wagener ii 153 f. tardigenuclo Überliefert ist bei Gellius unmetrisches tardĭgĕmŭlo, bei Nonius unsinniges tardi ingenulo oder tardi ingenio. Dass es sich um ein Adjektiv zu senio handelt und ein Kompositum mit tard- als erstem Bestandteil vorliegt, ist wahrscheinlich: Komposita auf tard- sind verhältnismäßig weit verbreitet. Pacuvius nennt die Schildkröte tardigradus (3.1 Sch.), Catull. 36.7 den Gott Vulkan tardipes; mehr bei Lindner (1996) 184. Hermanns (1824, xviii) tardingemulo, ‚langsamseufzend/-klagend‘ oder eher ‚langseufzend/-klagend‘, ist, so einfach der Eingriff auch ist, inhaltlich nicht überzeugend. Eine Bildung mit ingemisco hieße wohl eher grauingemulus (gr. βαρύστονος). L. Müllers (11869, 244 f.) experimentelle Konjektur tardigenuclo rückt Laevius’ Kompositum in die Nähe von Pacuvius und Catull. Mit gleicher Bedeutung konjizierten später auch Bergk (1884) 360 (= 1874, 293) tardigeniculo und Quicherat in seiner Noniusausgabe von 1872 z. St. tardigeniclo. Müller weist mit congenuclare aber eine ungefähre Parallele hinsichtlich der Bildung nach (Coel. FRHist 15 F 41 congenuclat percussus, Sisenna FRHist 26 F 11 multi plagis aduersis icti et congenuclati). Mari (1967) 111 f. vergleicht das Kompositum mit griechischem βαρύγουνος (z. B. Kall. Hymn Del. 78), das Laevius mit dem euripideischen βραδύπους (Hek. 66), homerischen κυλλοποδίων (z. B. Il. 18.371) oder, wie Mari meint, mit pacuvianischen tardigradus zu einer Neubildung verwoben habe. Courtney (22003) z. St. vergleicht zur Verbindung der beiden Wörter passend Verg. Aen. 5.431 f. tarda trementi / genua labant. senio obpressum Im Gegensatz zu senectus bezieht senium stets die körperlichen und geistigen Zerfallsprozesse des Alters mit ein; daher oft in Verbindungen wie Enn. ann. 523 Sk. senio confectus, Val. Max. 7.3.6 senio confecta manus usf. (OLD s. v. 1); vgl. auch Polzonetti (1985) 66.
2.6 F 4
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2.5 F 3 oblitteram gentem Anders als jetzt in der Gelliusausgabe von Holford-Strevens legt der Satzbau Gell. 19.7.4 item notauimus quod oblitteram gentem pro oblitterata (sc. gente) dixit nahe, dass gentem noch Teil der Laeviusparaphrase und kein Zusatz von Gellius ist. Ob die beiden Wörter auch in dieser Form bei Laevius nebeneinanderstanden, ist ein andere Frage, die kaum zu beantworten ist. Der Zitatträger erklärt das Hapax mit pro ‚oblitterata‘ dixit, womit er auch richtig liegt. oblitterus ist eine archaische Rückbildung aus dem Partizip oblitteratus. Brender (1920) 42–7 hat vergleichbare Bildungen gesammelt, worunter sich auch ganz gebräuchliche Adjektive wie anhelus (seit Lucr. 4.875) von anhelare oder incuruus (seit Ter. Eun. 336) von incuruare finden. Aber häufig handelt es sich um allein im Alt- und v. a. Spätlateinischen vorkommende Adjektive wie obuallus nur bei Acc. trag. 111 2R. (= 385 Dang.) von obuallare (das Verb ist zwar erst ab Cicero belegt, aber vgl. Stolz i 404), reprobus (Vulg. Rom. 1.28) von reprobare u. a.; vgl. ergänzend auch Leumann 268, v. a. 398 und 400 sowie Fr. Skutsch (1914) 38 f. (= 1890, 22). Corssens (21870, ii, Anmerkung auf p. 521) Vermutung, dass ein Kompositum aus ob und littera vorliegt, erübrigt sich damit. Gemeint ist also „ein in Vergessenheit geratenes Volk/Geschlecht“ und nicht etwa „les gens de lettres“ oder „la race des gens de lettres“, wie Alfonsi (1958a) 355, Granarolo (1971) 121, Anm. 2 und id. (1973) 320 verstehen, um das Fragment in die Nähe eines literaturkritischen Prologs oder Epilogs zu stellen. Vielleicht stand die oblittera gens mit den foedifragi hostes aus dem nächsten Fragment in einem näheren Zusammenhang; vgl. dazu oben p. 92f.
2.6 F 4 foedifragos Bei Kompositumbildungen mit foedus fällt das zum Stamm gehörige -er- vor dem Kompositumvokal i aus: Es heißt auch etwa opifex, nicht operifex; vgl. zur Wortbildung Leumann 390. Das Adjektiv foedifragus ist morphologisch korrekt und eine für die vorklassische Dichtung gewöhnliche Kompositumbildung. Umso bemerkenswerter ist es, dass Gellius den Ausdruck mit hyperkorrektem foederifragus erklärt; vgl. dazu Cavazza (2004) 100. Es liegt vermutlich eine Enniusanspielung vor; vgl. meinen Interpretationsversuch oben p. 92f.
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2.7 F 5 und 6 pudoricolorem und nocticolorem Laut Gellius nutzte Laevius die Adjektive zur Beschreibung von Aurora und Memnon, wobei gellianisches Auroram und Memnonem nicht zwangsläufig Laevius zuzuweisen sind, der bei Götter- und Heldennamen auch eine Periphrase benutzt haben könnte. Komposita mit substantivischem Vorder- und substantivischem Nachglied auf -color sind zahlreich: z. B. auricolor, flucticolor, ignicolor, iricolor, lacticolor uvm. Sie begegnen vor allem in der Spätantike und nur vereinzelt im klassischen Latein. Davon zu scheiden sind die Adjektive auf -color mit Präposition als Vorderglied. Sie sind bei den Klassikern verbreitet, z. B. concolor seit Verg. Aen. 8.82. Einen Überblick bietet ThLL iii s. v. color 1722.79–83. nocticolor wird nach Laevius erst wieder im Technopaegnion des Ausonius nocticolor Styx (8.11) genutzt. Ausonius kannte Laevius noch, könnte also auf ihn anspielen. Zur selben Zeit schreibt sein Schüler Paulinus von Nola Aethiopum populos non sole, / sed ... crimine nocticolores (carm. 28.249 f.). Auch die Paulinusstelle entstand vermutlich in Anlehnung an Laevius, der das Adjektiv zum Aethiopierkönig Memnon setzt. Für beide Wörter, pudoricolor und nocticolor, sind mir im Griechischen keine Vorbilder bekannt. Das Aurora-Epithet pudoricolor bleibt auch im Lateinischen ohne Parallele. Laevius wählte den Begriff nocticolor für Memnon, um mit dem Kontrast zu spielen, dass Memnon trotz seiner Hautfarbe von der hell leuchtenden Aurora abstammt. Ähnliches ist für Ovid nachweisbar: Er behauptet von der stets betrunkenen lena Dipsas, dass sie niemals Aurora, die Mutter des schwarzen Memnon, in ihrem rotstrahlenden Wagen nüchtern sah: Ov. am. 1.8.3 f. nigri non illa parentem / Memnonis in roseis sobria uidit equis. Schwieriger ist die Deutung von pudoricolor. Es ist schwer zu glauben, dass die Bildung auf einem bloßen Farbvergleich beruht. Wahrscheinlich wird Auroras Rotschimmern in der Alcestis vielmehr als Scham gedeutet. Dass Aurora vor Scham errötet, ist eine Assoziation, die sich sonst nur noch einmal bei Ov. am. 1.13 wiederfindet; für einen vermeintlich ähnlichen Fall, den Vollmer im App. z. St. bei Drac. laud. dei 1.207 sehen will, vgl. jetzt Zwierlein (2019) 27. Bei Ovid verbringt ein Sprecher die Nacht mit einer Geliebten. Aus Furcht, er müsse das Bett wegen des anbrechenden Tages bald verlassen, beginnt er, die morgenbringende Aurora zu beschimpfen. Nach seinem Wutausbruch ist der Sprecher sich sicher, dass Aurora seine Worte gehört haben muss, weil sie beginnt (vor Scham) zu erröten: iurgia finieram; scires audisse: rubebat, / nec tamen assueto tardius orta dies. Weil nach Laevius allein Ovid eine Metapher, wie sie auch in pudoricolor angedeutet ist, nutzt und weil der augusteische Dichter auch sonst Laevius rezipierte (siehe oben p. 47f.), ist es gut denkbar, für die Alcestis eine ähnliche Pointe zugrunde zu legen. Beispielsweise wäre es möglich, dass sich Aurora, an
2.8 F 7
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dem Tag, der für Alkestis’ Tod festgesetzt worden war, schämt zu erröten. Der Gedanke wäre in etwa derselbe, wie ihn McKeown (1989) zu Ov. am. 1.13.47 f. erklärt „Dawn reddens and day comes. Dawn reddens but day comes“; zu einer verbreiteten anderen Deutung des Fragments siehe oben p. 94.
2.8 F 7 forte Die Gelliusstelle lautet item quod forte dubitanter ... dixit. Mit Courtney (22003) ist zu interpungieren item quod ‚forte‘ dubitanter ... dixit, ‚ebenso, dass Laevius forte im anzweifelnden Sinne nutzt‘, d. h. forte in der Bedeutung fortasse ohne vorangehendes si. Die Interpunktion forte ‚dubitanter‘ ... dixit, wie häufig und zuletzt bei 4FPL Bl. gedruckt, kann nicht richtig sein: dubitanter ist in der Grammatikersprache verbreitet, um dubitative Ausdrücke zu umschreiben: Beispielsweise benutzt Priscian das Adverb zur Erklärung des dubitativen Konjunktivs GLK iii 257.18 ‚quid ageret‘ dubitanter dixit, τί ἄϱα πϱάξοι; An anderer Stelle auch mit Bezug zu forte: GLK iii 86.27 dubitatiua (sc. aduerbia) ‚forsan, fortassis‘ et ‚fortasse, fors, forte‘; mehr im ThLL v.1 2103.35–9, ferner 2085.54–9. Der Gebrauch von forte ohne vorangehendes si in diesem Sinne ist ungewöhnlich, findet aber vor allem bei den Verba dicendi und putandi schon wieder in klassischer Zeit Parallelen, zuerst in Hor. epod. 16.15–21 forte quid expediat communiter aut melior pars / malis carere quaeritis laboribus. / nulla sit hac potior sententia: ... ire pedes quocumque ferent. Das Verständnis der Horazverse ist nicht zuletzt auch wegen forte derart umstritten, dass Watson (2003) 530–3 sie in ihrem Kommentar eigens in einer Appendix bespricht („an exceedingly problematical couplet which has generated as many explanations as the Hydra had heads“). Sie übersetzt „perhaps you in common, or the better part of you, ask what brings about being free from wretched sufferings ...“. Offenbar ist im mit forte eingeleiteten Satz eine konditionale Nuance erkennbar: Der Sinn lautet also wohl ‚wenn du fragst ..., so sei keine Antwort besser als diese ...‘; si forte quaeritis ..., wobei, wie mir scheint, weniger von einer Ellipse von si zu sprechen ist, als von einem implizierten Gedanken, der es erlaubt forte = fortasse zu nutzen. Das wird bestätigt durch Horazens Zeitgenosse Vitr. 5.5.7 dicet aliquis forte ... . sed errabit in eo: Genutzt wird auch hier ein Verb des Sagens in einem Zusammenhang mit konditionaler Färbung im Sinne von si quis forte dixerit ..., errabit, weshalb ohne Weiteres forte für fortasse stehen kann. Ähnlich ist der letzte Fall zu dieser Zeit mit einem Verb des Glaubens bei Vitr. 6 pr. 4 zu verstehen: haec est fructuum summa: nullas plus habendi esse necessitates eamque esse proprietatem, diuitiarum maxime nihil desiderare. sed forte nonnulli ... putant eos esse sapientes, qui pecunia sunt copiosi, wo der Gedanke mit konditional-konzessiver Färbung lautet haec est fructuum
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summa ..., (et)si forte nonnulli putant ... . Im späten zweiten Jh. wird der Gebrauch von forte ‚vielleicht‘ freier, wobei auch hier Verbindungen mit Verba dicendi gehäuft begegnen; vgl. die Stellen im ThLL vi.1 1131.71–1132.23.
2.9 F 8 silenta loca silenta ist mit Leumann (1947) 138, Anm. 40 (vgl. auch Lindsay [1894] 252, 401) nicht auf ein Adjektiv silentus (so Traglia [1957] 96 und Courtney [22003] z. St.) zurückzuführen, sondern als PPA Neutrum Plural zu sileo zu werten. Leumann vergleicht überzeugend fluenta (etwa Lucr. 5.949, Verg. Aen. 6.327), das Partizip Plural von fluens. Vergleichbar ist die Genitiv-Plural-Endung -um statt -ium für Partizipien wie amantum oder auch silentum bei Laevius’ Zeitgenossen Matius F 8 C./4FPL Bl. an maneat specii simulacrum in morte silentum (Courtney [22003] z. St.: „an image of the appaearance of those silent in death“) und auch noch häufig später: bei Verg. Aen. 6. 432 ille silentum / consiliumque uocat, bei Ov. met. 5.356 von Pluto rex pauet ipse silentum, fast. 5.483 mox etiam lemures animas dixere silentum. Gerade bei der Genitivendung auf -um geht die Neutrum Pluralendung auf -a in archaisch-dichterischer Art leicht von der Hand. Auch Gellius führt die Form richtigerweise direkt auf silere zurück: ab eo quod est sileo ‚silenta‘ loca dixit, nicht etwa pro tacita dixit. Die oben für den Genitiv silentum zitierten Belege beziehen sich jeweils auf die Schatten der Unterwelt, so dass auch für Laevius ein Bezug zum Hades, dem Ort, an dem die tote Alkestis verweilen wird, sicher ist. Die Unterwelt ist insofern schweigend, als die Schatten keine Stimme haben: Verg. Aen. 6.264 f. umbraeque silentes / ... loca nocte tacentia late, 6.386 tacitum nemus, Ov. fast. 2.609 duc hanc ad manes: locus ille silentibus aptus. Zur im Wortlaut vergleichbaren Iunktur Verg. Aen. 9.190 silent late loca, womit das Lager der Rutuler vor dem Angriff des Nisus und Euryalus beschrieben ist, siehe Wigodsky (1972) 23. pestilenta und puluerulenta Aus Gellius’ Erklärung ab eo quod est sileo ‚silenta loca‘ dixit et ‚puluerulenta‘ et ‚pestilenta‘ geht hervor, dass die letzten beiden Adjektive ebenfalls auf loca zu beziehen sind. Gellius stellt jedem aus Laevius angeführten Adjektiv das Bezugswort bei oder erwähnt es wenigstens innerhalb seiner Erläuterungen. pestilens locus ist eine vor allem in landwirtschaftlichen Schriften genutzte Wendung, die einen Ort bezeichnet, an dem nichts gedeihen kann (ThLL x.1 1923.56–71). Laevius überträgt sie auf die Unterwelt. Unter den vielen Vorstellungen vom Orcus findet sich auch die der kargen und unfruchtbaren Gegend: vgl. z. B. Tib. 1.10.35 f. non seges est infra, non uinea culta, sed audax / Cerberus et Sty-
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giae nauita turpis aquae; Ov. met. 4.436 pallor hiemsque tenent late loca senta und am ausführlichsten Sen. Herc. fur. 698–706. Im selben Sinne ist auch puluerulenta zu verstehen, das zwar nicht gerade ungewöhnlich ist, Gellius aber vielleicht der Vollständigkeit wegen zitiert. pestilenta könnte zu den vielen besonders in archaischer Zeit verbreiteten Adjektiven auf -ulentus gehören und auf pestilentus zurückgehen, für das aber wohl schon seit Cato agr. 14.5 pestilens begegnet; so Walde-Hofmann ii s. v. pestis, Traglia (1957) 96 und Courtney (22003) z. St. Womöglich ist die Form aber ähnlich wie bei silenta auf den Akkusativ Neutrum Plural von pestilens (pestilientia) zurückzuführen; so KH 352, ThLL x.1 1923.36–40 und Szemerényi (1954) 268. Der Effekt der Bildung ist leicht ersichtlich: Wie auch sonst nimmt Laevius Unregelmäßigkeiten in der Morphologie hin, um mit den Adjektiven silenta, puluerulenta und pestilenta einen auffälligen Gleichklang zu erzielen; vgl. dazu oben p. 31. Die von Gellius zitierten Ausdrücke dürften daher im Vers ganz nahe beieinandergestanden haben.
2.10 F 9 carendum tui est Zum altlateinischen careo mit Genitiv siehe KS i 468; ebenso in einer ähnlichen Wendung bei Ter. Haut. 399 f. nam dum abs te absum omnes mihi labores fuere quos cepi leues / praeter quam tui carendum quod erat.
2.11 F 10 magno impete Der archaisch-dichterische Ablativ impete ist vor allem noch bei Lukrez zu finden (2.330, 4.903 und öfter), bei späteren Dichtern (z. B. Ov. met. 8.359) nur noch vereinzelt. Leumann (1947) 138, Anm. 41 geht von einer dichterischen Ersatzform für das in Hexametern nicht unterzubringende impetu aus, die er auf Ennius zurückführt. Von einem Überbleibsel einer ursprünglich archaischen Form impes, die später durch impetus aus dem Sprachgebrauch verdrängt wurde, sprechen KH 481.
2.12 F 11 fortescere Das Verb ist sonst nicht belegt und womöglich eine laevianische Neubildung nach altlateinischen Mustern, wie longiscere (Enn. ann. 439 Sk.) eine ebenfalls nicht wieder aufgegriffene Bildung von Ennius ist; siehe Skutsch (1985) z. St. Etwa zu Laevius’ Zeit war der Dichter Furius Antias – jedenfalls wie es der Lexikograph
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Caesellius Vindex nach Gell. 18.11 darstellt – besessen von derartigen inchoativen Formen (Fur. Ant. F 1–6 C./4FPL Bl.): Neben gewöhnlichen Verben wie uirescere bildete er lutescere (von lutum), noctescere (von nox) und opulescere (von ops).
2.13 F 12 dolentiam Für Neubildungen auf -entia im Alt- und Spätlatein siehe Mannheimer (1975) 98 und 105 (etwa ualentia Naev. TrRF i 5 oder Titin. com. 127 2R.); dolentia selbst bleibt singulär. Einmal bildet auch Cicero ein neues Substantiv auf -entia aus dem griechischem Nomen εὐπρέπεια (vgl. Pease [1955] z. St.): nat. deor. 2.145 ut ita dicam, decentiam (auch in orat. 3.200 belegt, wo aber vermutlich Interpolation vorliegt). Im Gegensatz zu Laevius muss Cicero sich in klassischer Zeit jedoch dafür entschuldigen (ut ita dicam). Weniger ist das Wort als eine Rückbildung aus indolentia zu dolentia, wie Courtney (22003) z. St. vermutet, zu verstehen.
2.14 F 13 auens aueo ist weder in Dichtung noch in Prosa ein ungewöhnliches Verb. Die Besonderheit bei Laevius ist, wie Gellius notiert, der Gebrauch des Wortes im Sinne von libens, d. h. der absolute Gebrauch. Er ist nur selten belegt: Val. Flacc. 2.123 f. talem diua sibi scelerisque dolique ministram / quaerit auens. Vermutlich hat zuerst Ennius aueo absolut genutzt: TrRF ii 15 (= 62 Joc.) iam dudum ab ludis animus atque aures auent / auide exspectantes nuntium sollte als Parallele gelten, auch wenn nuntium ἀπὸ κοινοῦ zu auent und exspectantes stehen könnte (wie bei Lucretius 5.1019 f. tunc et amicitiem coeperunt iungere auentes / finitimi der Infinitiv amicitiam iungere ἀπὸ κοινοῦ zu coeperunt und auentes stehen könnte). Die Korruptel Lucr. 6.531 et mora quae fluuios passim refrenat †auintis† geht auf euntis, nicht auf absolutes auentis zurück, wie Deufert (2018) z. St. gezeigt hat. In Poet. inc. 45 4FPL Bl. uiuis ludis habes amas amaris, das im ThLL ii 1313.53 als Beleg für absolutes auere genannt wird, ist haues eine falsche Konjektur von Baehrens (21893) 244. Mit den Belegen bei Dahlmann (1987) 48 ist habere aliquem gleichbedeutend mit amare aliquem.
2.15 F 14 curis intolerantibus intolerans im Sinne von ‚unerträglich‘ ist anscheinend eine Eigenheit von Laevius. Die vereinzelten Parallelen bei und nach Tacitus (Tac. ann.
2.16 F 15
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3.45.12 quanto intolerantior seruitus iterum uictis und 11.10.12 regreditur ingens gloria atque eo ferocior et subiectis intolerantior) treten allesamt als Ersatz für den nicht vorhandenen bzw. ungebräuchlichen Komparativ von intolerandus und intolerabilis ein; vgl. dazu Hofmann (1917) 185. Zur „quasi-passiven“ Auffassung des Partizip Perfekt Aktiv siehe dort 184 f. Am ehesten vergleichbar sind Fälle wie infans = infandus allein bei Acc. trag. 189 2R. (= 437 Dang.) infans facinus; ebenso nefans = nefandus nur bei Lucil. 140 M. facta nefantia und 874 M. dissociataque omnia ac nefantia.
2.16 F 15 manciolis tenellis Während tenellus ein gerade in erotischer Sprache weitverbreitetes Deminutiv ist, handelt es sich bei manciola – so muss der Nominativ wohl lauten – um eine schwer nachvollziehbare Bildung, für die es verschiedene Eklärungsversuche gibt: Cichorius (1920) sieht in manciola das Deminutiv des nicht belegten, laut ihm umgangssprachlichen Wortes mancia (‚Hand‘), dessen Spur sich in Namen wie Helvius Mancia, der zu Laevius’ Zeit lebte, nachweisen lasse. Am ehesten überzeugt Walde (1921) 84 f.: Die Form sei aus manicula, ‚das Händchen‘ (Plaut. rud. 1169) entstanden, dass in Anlehnung an die Deminutive auf -io und -ia Stämmen (wie filiolus) erweitert wurde: ✶maniciola mit Synkope dann manciola. Die Bildung hätte so durchaus Parallelen: Auf selbem Wege ist über pediculus – ✶pediciolus, dann mit Synkope ✶pedciolus = peciolus entstanden, das von Afranius überliefert ist (155 2R.; bei Ribbeck noch petiolus, aber im ThLL x.1 jetzt unter dem Lemma peciolus zu finden). Während Afranius’ peciolus im Spätlatein wieder gebraucht wird, bleibt Laevius’ manciola unbelegt. Cichorius gibt ferner zu bedenken, dass später so vielleicht in Analogie zu Laevius auch brachiolum von Catull. 61.174 gebildet worden sei. Umgekehrt sieht Meyer-Lübke (1917) 153 f. in brachiolum die Priorität: Das (aber zuvor nicht belegte) Wort habe Laevius zur Bildung von manciola angeregt. Die hier vorgetragenen Erklärungen gelten nur, wenn nicht vielleicht doch wie bei Plaut. rud. 1169 manicolis zu schreiben ist. So zog es Jos. Scaliger in Erwägung, wie Caspar Schoppe mitteilt, dessen verlorene Anmerkungen zu Gellius wiederum in der Ausgabe von Jac. und Joh. Gronovius (1706) zur Gelliusstelle zitiert werden. L. Müller (1880) 80 schrieb hingegen maniclis. Scaligers und Müllers Konjekturen bleiben nach wie vor erwägenswerte und paläografisch einfache Alternativen.
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2 Alcestis
2.17 F 16 quis tam siliceo siliceus ist das regelmäßig zu silex gebildete Adjektiv, das nach Vitr. 2.7.1 auch öfter in der lateinischen Prosa begegnet; siehe zu den Adjektiven auf -eus Leumann 286. Da Gellius in diesem Passus ansonsten gewöhnlich eine Erklärung des zitierten Ausdrucks bietet (pro ‚...‘) und zu Laevius’ Adjektiven stets ein Bezugswort nennt oder zitiert, beides hier aber fehlt, ist mit Dziatzko (in Hertz’ Apparat) eine Lücke nach siliceo anzusetzen. Das inakzeptable Substantiv siliceo, -onis (angeblich ‚Kieselherz‘), das Georges noch als Lemma anführt, wäre unerklärlich. siliceus weist auf das verbreitete Motiv des steinernen und eisernen Herzens zur Beschreibung von Gefühllosigkeit hin. Auch in Il. 22.357 sagt der sterbende Hektor, Achilles habe ein eisernes Herz in seiner Brust ἦ γὰρ σοί γε σιδήρεος ἐν φρεσὶ θυμός. Meist besteht also wie bei Homer Bezug zu einem Körperteil: zum cor Enn. TrRF ii 50 (= 140 Joc.) lapideo sunt corde multi, quos non miseret neminis und danach auch Tib. 1.1.64 in tenero stat tibi corde silex (oben ausführlich zitiert), zum pectus etwa Ov. am. 3.6.59 f. ille habet et silices et uiuum in pectore ferrum, / qui tenero lacrimas lentus in ore uidet, Hor. carm. 1.3.9 f. illi robur et aes triplex / circa pectus erat oder zu den uenae Ov. trist. 1.8.41 et tua sunt silicis circum praecordia uenae, am. 1.11.9 f. nec silicum uenae nec durum in pectore ferrum u. ö.; reiches Material zum Motiv bietet Pease (1935) zu Verg. Aen. 4.366 v. a. auf Seite 317. Das Adjektiv sĭlĭcĕus selbst konnten Hexameterdichter nicht nutzen. Courtneys (22003, z. St.) Ergänzung siliceo sollte dem Sinne nach das Richtige treffen. Auch ist möglich. Inhaltlich sind beide Varianten gleichwertig. Man könnte zu pectore neigen, weil sich so ein iambischer Dimeter, wie Laevius ihn oft benutzt, ergäbe: quīs tām sĭlĭcĕō pēctŏrē ... (mit positionslangem -e oder Synaloephe/Aphärese). Holford-Strevens (2020, 156) vervollständigt den Dimeter mit quīs tām sĭlĭcĕō . Iambisch wäre aber auch quīs tām sĭlĭcĕō cōrdĕ. – Zur Ergänzung pro ‚duro‘ bei Gellius vgl. die Umschreibung der Metapher bei Porph. zu oben zitiertem Hor. carm. 1.3.9 dicitque eum durissimo corde ac pectore fuisse.
2.18 F 17 fiere impendio infit Gellius umschreibt fieri impense incipit, wohl ‚er/sie/es beginnt, heftig zu werden‘. Die altlateinsiche Form fiere ist neben Laevius noch bei Enn. ann. 11 und 352 Sk. nachzuweisen, jeweils gemessen mit langem -i-. Die aktive Form war schon zu Ennius’ Zeit, der übrigens auch fieri gebraucht (z. B. ann.
2.20 F 19
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449 Sk.), stark archaisierend-dichterisch: Naevius und Cato nutzten regelmäßig die Form des Infinitivs Passiv fieri. infit wird gewöhnlich mit einem abhängigen Verb des Sagens oder Vergleichbarem konstruiert oder es impliziert solche Verben (infit = ‚beginnt zu sprechen‘). Eine Ausnahme ist Lucr. 3.515. Laevius könnte den üblichen Gebrauch also vielleicht auch zugunsten der etymologischen Spielerei fiere infit, mit der die Vokalhäufung -i- und -eund die Alliteration impendio infit einhergeht, aufgegeben haben; zur Etymologie vgl. Paul. Fest. 100 L. diuersae significationis est ab eo, quod est fit. nam infit agentis, fit patientis. Zu impendio im Sinne von impense bei Verben oder Adjektiven im Positiv siehe ThLL vii.1 544.32–61: Nach Laevius verwendet es in Verbindung mit einem Verb offenbar archaisierend Apul. met. 10.4 wieder; mit Komparativen, v. a. magis, ist impendio als Ablativus mensurae dagegen weit verbreitet. Das Fragment ist äußerst kryptisch und sichere Schlussfolgerungen zum Gebrauch von impendio bei Laevius lassen sich wegen des mangelnden Kontextes nicht ziehen.
2.19 F 18 accipitret Überliefert ist accipit rei posuit pro ‚iaceret‘. Wer die Lesung accipitret (‚zerfleischen‘; ein hapax legomenon) aus de Buxis Gelliusausgabe akzeptiert, muss mit Jac. und Joh. Gronovius (1706, z. St.) nicht iaceret, sondern laceret lesen, damit sich eine stimmige Aussage ergibt (dort wird auch raperet erwogen). Zwar sind so zwei Änderungen nötig, um einen heilen Text herzustellen, doch sie sind jeweils so plausibel und leicht, dass sie aus gutem Grund allgemein akzeptiert werden. Als transitives Verb von einem Substantiv aus der 3. Deklination accipiter abgeleitet lautet der Infinitiv accipitrare. Gellius zitiert mit accipitret und laceret jeweils den Konjunktiv direkt aus Laevius.
2.20 F 19 trisaeclisenex und dulcorelocus dulc-ore-locus gehört zu den Kasuskomposita, die gewöhnlich aus altem Latein ererbt sind; vgl. dazu Lindner (2002) 32–8. Laevius nutzt eine Neubildung nach dieser extrem archaischen Art und bietet somit zugleich den experimentellsten Fall: Nirgends sonst gibt es eine Zusammensetzung aus drei Gliedern. Überliefert ist dulciorelocus, wobei -i- nicht als Kompositumvokal, sondern als Kasusendung zu verstehen wäre. Mit L. Müller (1867) 339 ist der Hiat aber zu beseitigen dulc[i]-ore-locus (Müller möchte kein zweigliedriges Kompositum aus dulcor und loqui herstellen, wie Lindner [2002] 34 ihn missversteht; die Konjektur liegt al-
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2 Alcestis
lein im Hiat begründet). Bei gewöhnlichen Komposita wird der Kompositumvokal beim Zusammentreffen zweier Vokale an der Fuge elidiert (dazu und zu den Ausnahmen Lindner [2002] 29–31), bei Kasuskomposita wie hier die Kasusendung: animaduertere (animum-aduertere), cauaedium (cauum-aedium) bei Plin. epist. 2.17.5; ferner z. B. Varr. Men. 517 Ast. mit Bücheler domusio (domum-usio, Lindner [2002] 34) oder curagere (curam-agere; nur inschriftlich CIL iii 3096 und öfter). Zum Sonderfall domu-itio (domum-itio), das aber auch sonst in allen erdenklichen Formen überliefert ist (domuitio, domutio, domitio, domum itio), vgl. Schierl (2006) 292. Neben domuitio stehen circuire (circum-ire) und der Infinitiv Futur Passiv datuiri (datum iri); vgl. dazu Leumann 224. Nicht vergleichbar ist der Hiat im Eigennamen Argentumextenebronides bei Plaut. Pers. 703 (neben Vaniloquidorus, Virginesuendonides u. a.). Es liegt zwar formal ein Kasuskompositum vor, die Spaßbildungen mit griechischen Suffixen folgt aber eigenen Regeln. trisaeclisenex ist dagegen ein – sofern man davon sprechen kann – gewöhnliches Trikompositum, das nicht nur der Komödie vorbehalten ist (z. B. turpilucricupidus Plaut. Trin. 100), sondern auch selten in der Tragödie begegnet: Pacuv. 238 Sch. Nerei repandirostrum incuruicercum pecus; TrRF i adesp. 42 (sogar bei Lucr. 6.129) perterricrepus. Solche Zusammensetzungen haben sich aber nie wirklich durchgesetzt: Wohl schon Lucil. 212 M. parodiert den angeführten Pacuviusvers und später kritisiert ihn auch Quint. inst. 1.5.67–70. Mit Gellius’ ... quod de Nestore ait handelt es sich um zwei Epitheta zu Nestor. Sein Alter und seine Eloquenz sind seit der Ilias verbreitete Topoi. Schon dort 1.248 wird Nestor das Epitheton ἡδυεπής beigestellt, dem noch vor Laevius das lateinische suauiloquens aus Enn. ann. 304 Sk. suauiloquenti / ore entspricht (vielleicht nach suauisonus Naev. TrRF i 31, wenn Scriverius’ Konjektur stimmt). Es wäre zu erwarten, dass auch Laevius das wohl von Ennius gebildete suauiloquens oder etwas wie suauilocus nutzt, doch scheint er sich hier explizit von seinen Vorgängern abheben zu wollen, indem er mit unübersehbarem Anklang an Ennius dulcorelocus statt suauiloquenti ore schreibt. Der Unterschied zwischen -locus und -loquens ist allein metrischer Natur; vgl. Skutsch (1985) zu Enn. ann. 304. Im späteren Latein ist weder Ennius’ suauiloquens noch Laevius’ dulcorelocus, sondern dulcilocus verbreitet (z. B. Apul. apol. 9). Für trisaeclisenex gibt es in der Ilias noch keine exakte Entsprechung. Dort findet sich nur eine Umschreibung: τῷ δ’ ἤδη δύο μὲν γενεαὶ μερόπων ἀνθρώπων / ἐφθίαθ’, οἵ οἱ πρόσθεν ἅμα τράφον ἠδ’ ἐγένοντο / ἐν Πύλῳ ἠγαθέῃ, μετὰ δὲ τριτάτοισιν ἄνασσεν (‚zwei Generationen an Menschen sind ihm schon geschwunden, die mit ihm zuvor gewachsen und geboren waren im heiligen Pylos; jetzt ist er der Herrscher unter der dritten‘, Il. 1.250–3). Anderswo ist aber das Epitheton τριγέρων belegt (A.P. 7.144 Erykios, nach Degani DNP s. v. zweite Hälfte des ersten Jh. s v. Chr.). Im La-
2.21 F 20
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teinischen gibt es sonst keine vergleichbaren Komposita. Hier wird Nestors Alter wie bei Homer umschrieben (Hor. carm. 2.9.13 ter aeuo functus ... senex).
2.21 F 20 multigrumis Mit der leichten Emendation von mutigrumis zu multigrumis (de Buxis) überliefert Gell. 19.7.14 item quod tumidis magnisque fluctibus inquit multigrumis. So wie die Stelle überliefert ist, müsste die Laeviusparaphrase lauten tumidis magnisque fluctibus multigrumis. Doch ist tumidis magnisque offenbar nichts anderes als eine prosaische Umschreibung des Wortes multigrumus. Wie der Gelliusherausgeber Carrio sah, kann de nach quod leicht ausfallen (nach meiner Einsicht der Codices ist de gegen Hertz und Hosius nicht überliefert), womit abzugrenzen ist quod tumidis magnisque fluctibus inquit ‚multigrumis‘. So sind die beiden Erläuterungen Gellius’ parallel gebaut quod de Nestore ait ..., item quod de tumidis magnisque fluctibus inquit ... . Das Verb inquit kann bei Gellius wie dicit stehen: vgl. Gell. 10.11.8 f. sicuti Afranius dixit in togata, cui titulus Omen est: ‚adpetis dominatum demens praemature praecocem‘, in quo uersu animaduertendum est, quod ‚praecocem‘ inquit, non ‚praecoquem‘, 13.21.16 ‚manifesto peccatu‘ inquit, non ‚peccato‘, 18.12.8 Varro libris, quos ad Marcellum de lingua Latina fecit: ‚in priore uerbo graues prosodiae, quae fuerunt, manent, reliquae mutant‘. inquit elegantissime pro ‚mutantur‘. Weder muss es ein längeres Zitat einleiten oder darin eingeschoben sein, noch ist inquit de oder inquit pro zu beanstanden. Gerade im Falle von inquit = dicit kann das Verb leicht auch vor das Zitat treten (ThLL vii.1 1795.55–1796.41). Daher ist Marshalls Ergänzung ... fluctibus inquit ‚multigrumis‘ nicht notwendig. Für Laevius bleibt allein multigrumis, das Gellius ohne syntaktische Anpassung als Ablativform direkt aus der Alcestis entnahm. Im Nominativ lautet das Adjektiv am ehesten multigrumus, weil die Deklinationsklasse des zweiten Gliedes eines Kompositums, hier grumus, gewöhnlich beibehalten wird. Fälle wie – um bei den Komposita mit multi- zu bleiben – multiiuges (bei Cic. Att. 14.9.1, sonst multiiugus) sind selten; vgl. Lindner (2002) 47–9. Zu den Komposita auf multi-, die nicht nur bei den sprachlich freieren alt- und spätlateinischen Autoren, sondern auch in der Klassik häufiger gebraucht werden, vgl. die Belege bei Lindner (1996) 117–20. Auch Gellius macht oft Gebrauch von ihnen. Demnach dürfte nicht das Adjektiv selbst, sondern die Metapher der Grund sein, aus dem Gellius die Stelle in diesem zweiten Teil seiner Aufzählung mit allzu poetischen Ausdrücken zitiert: Das Bild der Welle, die hoch ist wie ein Berg, kennt schon die Odyssee: κύματά τε τροφόεντα πελώρια, ἶσα ὄρεσσιν (‚eine ungeheure, riesige Welle, gleich einem Berg‘; Od. 3.290). Spätestens seit Verg. Aen. 1.105 insequitur cumulo praeruptus aquae mons ist sie auch in der lateinischen Dichtung geläufi-
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2 Alcestis
ger. Die Vokabel bleibt aber einzigartig. – Womöglich bezeichnete Laevius mit dem Adjektiv die Styx, doch vgl. dazu oben Anm. 244.
2.22 F 21 tegmine onychino Das Adjektiv onychinus ist der Dichtung gewöhnlich fremd. Das Substantiv onyx begegnet dagegen seit Catull häufig (ThLL ix.2 654.40 f.). Das, was Gellius zu poetisch an den hier angeführten Stellen nennt, ist also nicht das Wort onychinus für sich, sondern der metaphorische Gebrauch tegmen onychinum ‚Marmordecke‘ für eine Eisfläche (gelu). Zum Onyxmarmor sagt Plin. nat. 36.61 probantur quam maxime mellei coloris, in uertices maculosi atque non tralucidi. uitia in iis corneus colos aut candidus et quidquid simile uitro est. Die zuletzt beschriebene weißlich-glasige Beschaffenheit des Marmor vergleicht Laevius mit dem Aussehen von Eis. Das eigenwillige Bild hat zunächst allein bei Ovid Spuren hinterlassen. Er nutzt es mehrmals: fast. 4.917f. nес uenti tantum Cereri nocuere nес imbres, / nес sic marmoreo pallet adusta gelu, trist. 3.10.10 terraque marmoreo est candida facta gelu, trist. 3.10.47 inclusaeque gelu stabunt in marmore puppes. Nach Bömer (1958) ii zu Ov. fast. 4.918 (der Laevius übersieht) machte sonst erst wieder die Spätantike Gebrauch von ähnlichen Ausdrücken („Ovid hat mit dieser Metapher keinen Erfolg gehabt“). Man darf davon ausgehen, dass die befremdliche Metapher kein zweites Mal unabhängig gebildet wurde. Wie in ThLL ix.2 653.12–4 angemerkt bestehen wenig Zweifel, dass Ovid hier Laevius vor Augen hatte und Gefallen an seiner Metapher fand; zur Laeviusrezeption bei Ovid vgl. p. 47f.; speziell für die Alcestis siehe auch den unsicheren Fall oben zu pudoricolor. Ovid beschreibt das Eis anders als Laevius mit dem Adjektiv marmoreus, weil onychinus nicht in den Hexameter oder in das elegische Distichon passt; zu onychinus = marmoreus vgl. ThLL ix.2 s. v. onychinus 653.10–20.
2.23 F 22 subductisupercilicarptores Bedeutung und Art der Bildung dieses einmaligen Ausdruckes ist oben p. 91–3 besprochen. Zuerst sah Weichert (1830) 58, dass es sich mit der Erklärung des Gellius (quae multiplica ludens conposuit ... uituperones suos ... appellauit) nur um ein Kompositum handeln kann. Die Codices haben jeweils mit spatium subducti supercilii carptores. Gellius’ Einleitung ludens composuit grenzt das Substantiv von den übrigen bisher zitierten Ausdrücken als Spaßbildung ab, vergleichbar mit denen der Komödie (z. B. turpilucricupidus Plaut. Trin. 100). Wie sich das Wort bei Gellius findet, entspricht es einem einzelnen anapästischen Dimeter. Er könnte den Kasus aber auch an seine Syntax angepasst haben.
3 Centauri Weichert (1830) 61–3, De la Ville de Mirmont (1903) 264–9, Goossens (1951), Traglia (1957) 90 f., Alfonsi (1958b), Alfonsi (1966), Traglia (21974) 128, Courtney (22003) 127.
Es wird es nicht möglich sein, auch nur irgendeine gesicherte Erkenntnis über Laevius’ Centauri zu erlangen. Der Zitatträger Sextus Pompeius Festus (respektive seine Vorlage Verrius Flaccus) macht Anfang und Ende eines von ihm zitierten Beleges gewöhnlich von metrischen Einheiten abhängig, so dass häufig wie auch hier inhaltlich nicht zu erschließende Bruchstücke entstehen.264 Ebensowenig wird sich aus dem Titel Centauri etwas Sicheres gewinnen lassen:265 Er ist so allgemein, dass der Inhalt des Gedichts nicht notwendigerweise auf einen einzelnen Mythos eingeschränkt gewesen sein muss; und wenn er es war, dann lässt sich dieser bestimmte Mythos heute nicht mehr aus den vielen erotischen Geschichten rund um die Kentauren bestimmen. Daher können nur die Möglichkeiten erörtert werden, die ein Gedicht mit dem Namen Centauri inhaltlich geboten haben mag.
3.1 Kentauren in der erotischen Dichtung Abgesehen von den friedlichen Kentauren Pholos und Cheiron treten die aus menschlichem Oberkörper und Pferdeleib bestehenden Mischwesen als eine wilde und bösartige Masse mit Hang zu Wein und sexueller Gewalt auf. Ihr Verhalten sicherte ihnen einen festen Platz in der lateinischen Liebesdichtung, in der sie häufig innerhalb mythologischer Exempla Erwähnung fanden. Es kann daher nicht falsch sein, die potentiell in den Centauri behandelten Themen auf Grundlage solcher Erwähnungen zu diskutieren. Der bedeutendste Kentaurenmythos hängt mit der aus der Ilias bekannten Lapithenschlacht zusammen.266 Die Kentauren haben sich auf der Hochzeit des Lapi Vgl. Welsh (2015). Auf Basis der Beschreibung des Aristoteles Χαιρήμων ἐποίησε Κένταυρον μικτὴν ῥαψῳδίαν ἐξ ἁπάντων τῶν μέτρων (‚Chairemon hat eine aus allen Metren gemischte Rhapsodie namens Kentauros geschrieben‘; Aristot. poet. 1447b20–3) hat man versucht den Titel Centauri und Laevius‘ polymetrische Gedichte mit dem Chairemons Kentauros zusammenzubringen (TrGF i [71] F 9a–11); vgl. u. a. Weichert (1830) 61–3 oder Alfonsi (1958b) und dagegen u. a. De la Ville de Mirmont (1903) 267 f. Der Kentauros ist aber nach übereinstimmender Forschungsmeinung ein Satyrspiel; vgl. Shaw (2014) 130–3. Außerdem liegt der feine Unterschied im Numerus, wie Roßbach (1901) 1353 betont: In Chairemons Stück steht wohl Kentauros, der Vater der Kentauren, im Mittelpunkt. Vgl. Il. 1.266–8. In der erotischen Dichtung bei Prop. 2.2.9 f und 2.6.17 f. oder Ov. am. 2.12.19 f. https://doi.org/10.1515/9783111237121-010
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3 Centauri
thenkönigs Perithoos und seiner Frau Hippodameia an den weiblichen Gästen sexuell vergriffen. Daraus entstand zuletzt sogar eine große kriegerische Auseinandersetzung, in der die Kentauren unterlagen. Die ausführlichste Schilderung der Schlacht samt ihrer Vorgeschichte ist in Ovids Metamorphosen nachzulesen.267 Ovids Version unterscheidet sich von den anderen Gestaltungen des Mythos dahingehend, dass er noch ein neues, erotisches Element in die Geschichte einfügt, indem er ein Kentaurenliebespaar namens Kyllaros und Hylonome während des Schlachtgeschehens besonders in den Blick nimmt: Der äußerst attraktive Kyllaros sei im Kampf gegen Perithoos durch einen Speer schwer verwundet worden. Nachdem er in den Armen seiner Geliebten Hylonome gestorben sei, habe sie Selbstmord begangen, indem sie sich in denselben Speer gestürzt habe. Es ist unklar, ob die Geschichte auf Ovid selbst zurückgeht, oder ob er sie aus einer verlorenen Gestaltung des Stoffes geschöpft hat.268 Ebenso fanden zwei Kentauren namens Rhoikos und Hylaios häufiger Eingang in die erotische Dichtung. Wie Apollodor und Aelian berichten, wollten sie sich an der Jägerin Atalante vergreifen und seien von ihr getötet worden.269 Darauf spielen Properz und Ovid an. Anders als die Mythographen berichten sie zusätzlich davon, dass Atalantes Verehrer Milanion im Kampf gegen die beiden Kentauren schwer verletzt worden ist.270 Weil die beiden augusteischen Dichter bemerkenswerterweise nicht näher auf die Umstände, die zur Verletzung führten, eingehen und somit einige Fragen offenlassen, besteht Grund zur Vermutung, dass es eine größere, heute aber verlorene erotische Behandlung des Mythos gegeben hat, von der Properz und Ovid annehmen konnten, sie sei den Lesern bekannt.271 Sollte Laevius’ Gedicht nur einen einzelnen Mythos thematisiert haben, wäre hauptsächlich an die beiden soeben vorgestellten Geschichten, an den Lapithenkampf oder an Rhoikos und Hylaios, zu denken. Sichere Vergleichspunkte zwischen den Behandlungen dieser Mythen und dem Laeviusfragment können sich aber nicht ergeben. Meines Erachtens ist am ehesten eine allgemeine Ausgestaltung der Hochzeit von Perithoos und Hippodamia und der Schlacht der Lapithen ohne Bezug auf Kyllaros und Hylonome zu erwarten.272 Der Mythos entspräche dem Titel Centauri wohl am besten: Laevius benennt seine Gedichte gewöhnlich nach einem einzelnen oder nach zwei Hauptcharakteren aus dem Mythos, die
Ov. met. 12.210–535. Vgl. für Ersteres Papaioannou (2010) 173, für Letzteres etwa Bömer (1982) vi 133. Vgl. Apollod. bibl. 3.9.2 und vor allem Ail. var. 13.1. Vgl. Prop. 1.1.9–14 und Ov. ars 2.187–91. Vgl. Fedeli (1980) zu Prop. 1.1.9 Milanion. So erwägt es De la Ville de Mirmont (1903) 264 f.
3.2 F 23: Bedeutung und Metrik
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meist direkt, selten indirekt (Ino) in eine Liebesgeschichte verwoben sind. Würde also das Paar Kyllaros und Hylonome oder die Liebesgeschichte um Atalante im Vordergrund stehen, wäre auch ein entsprechender Titel wie etwa Atalanta zu erwarten. Bei der Lapithenschlacht geht es aber um die Kentauren als eine einheitliche Masse, ohne dass einzelne Individuen daraus hervorträten, so dass ein ganz allgemeines Centauri passend wäre.
3.2 F 23: Bedeutung und Metrik Festus zitiert das unübersetzbare Fragment folgendermaßen: ŭbi ĕgō̆ sā̄epĕ ̄ pē̆ trīs273
Die Kürze des Fragments lässt Vergleiche mit anderen Gedichten nicht zu, weil lediglich das Wort petris wirklich inhaltstragend ist. Den Gräzismus hatte zuerst Ennius in seinen Annales genutzt, wie Festus kurz vor dem Laeviuszitat ausführt.274 Wenn die beiden Zitate von Laevius und Ennius für sich auch unverständlich bleiben, gibt der Lexikograph wenigstens den Hinweis, dass petra hier saxum prominens in mare, also ‚Klippe‘ bedeute. An der Glaubwürdigkeit seiner Aussage wurde in jüngerer Zeit häufig gezweifelt, weil es weder im Laevius- noch im Enniuszitat irgendeine Grundlage gebe, seine Erklärung zu verifizieren.275 Doch ich sehe umgekehrt auch keinen Grund, warum man Festus hier nicht trauen sollte. Im Griechischen ist ‚Klippe‘ die gewöhnliche Bedeutung des Wortes, und auch Seneca nutzt es latinisiert später mit demselben Sinn.276 Weil der Ursprungskontext des Laeviusfragments rätselhaft bleiben muss, gibt es auch kein handfestes Urteilskriterium für konjekturale Eingriffe in den Text. Es kann daher auch keine Alternative sein, mit Jos. Scaliger echo saepta petris (‚das
Die Schlusssilbe in ego kann auch zu Laevius’ Zeit lang oder kurz gemessen werden (ThLL v.2 251.83–253.74) und eine Längung durch muta cum liquida pētris ist theoretisch möglich. Mit Timpanaro (1965) sind solche Fälle in der altlateinischen Dichtung gewöhnlich nicht zulässig (nie bei den Dramatikern, sonst nur selten), aber griechische Wörter sind davon ausgenommen; vgl. dazu Skutsch (1985) 55 zu Enn. ann. 358, ebenfalls mit langem pētris (konjektural hergestellt, aber wahrscheinlich; siehe die nächste Fußnote). Enn. ann. 358 Sk. alte delata petrisque ingentibus tecta, wobei ceterisque statt petrisque überliefert ist. Darauf aufbauende und wenig überzeugende Spekulationen zum Kontext bei Goossens (1951), Alfonsi (1966) und id. (1958b). Sen. Ag. 468 bei einem Sturm tractuque longo litus et petrae gemunt.
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3 Centauri
zwischen den Klippen [oder Felsen] eingeschlossene Echo‘) oder mit Baehrens echo saepe petris zu schreiben.277 Der Anfang des Fragments ubi ego gibt Aufschluss über das vorliegende Versmaß. Die beiden Wörter werden in dieser Verbindung meist zum Auftakt eines trochäischen Verses genutzt.278 In Festus’ Epitome werden gewöhnlich nur vollständige, metrisch in sich geschlossene Verse zitiert.279 Weil kein Grund besteht, hier Gegenteiliges anzunehmen, sollte das Bruchstück am besten als Ithyphallicus (eine trochäische Tripodie) gemessen werden. Über die metrische Gestaltung der übergeordneten Partie gibt der Ithyphallicus aber wenig Auskunft. Er wurde in der griechischen Lyrik und den plautinischen Cantica mit allen erdenklichen Metra verbunden. Meist bildet er einen Systemabschluss (zum Beispiel als Abschluss anapästischer oder, auch in Verbindung mit Kretikern, trochäischer Systeme); er fungiert auch oft als Epode (meist nach Daktylen oder Iamben).280 Beides ist für Laevius möglich. Zuletzt sind aber auch Verbindungen mit äolischen Metra nicht endgültig auszuschließen.281
Jos. Scaliger (1576; im Kommentar der Festus-Ausgabe) cxxxii hatte mit ubi echo saepta petris großen Erfolg; Baehrens’ (FPR) ubi echo / saepe petris (Hexameter) übernahm zuletzt ebenso Traglia (21974), aber gemessen als anapästischen Dimeter. Am Anfang trochäischer Verse bei Plaut. Amph. 439, 456, Asin. 267, Men. 449 u. ö., aber auch an sonstigen Stellen im Vers, sehr selten aber in iambischen Versmaßen (auch am Versanfang Pacuv. 49.1 Sch.). Für den Anfang eines trochäisches Maßes bei Laevius sprach sich Roßbach (1901) 1353 aus. Vgl. Skutsch (1985) 35, Pieroni (2004) 28–30 und vor allem Welsh (2015); dort p. 454 „An editor of fragments preserved in this text must habitually prefer to set Festus’ quotations as complete verses, unless an exception can be securely justified.“ Vgl. für Plautus Questa (2007) 356 f.; für die Abschlüsse trochäischer Systeme vgl. etwa Epid. 546, nach Anapästen Pseud. 950a (die Belege im Index bei Questa [1995]). Zu den epodischen Verbindungen siehe West (1982) 43. Vgl. Plaut. Men. 111 f., Pseud. 603 f.
4 Helena L. Müller (1880) 81, De la Ville de Mirmont (1903) 269–73, Traglia (1957) 87–90, Pighi (1963) 555, Granarolo (1971) 99–106, Traglia (21974) 128 f., Courtney (22003) 127 f., Spaltenstein (2008) 102 f.
4.1 Überlieferung und Autorenfrage Die Autorenzuweisung gestaltet sich bei der Helena schwierig. Das einzig daraus erhaltene Fragment ist in einem Saturnalien-Kapitel erhalten, in dem Caecina Albinus, laut Macrobius einer der gebildetsten Männer seiner Zeit (uiros inter omnes nostra aetate longe doctissimos, Sat. 6.1.1), zahlreiche bemerkenswerte Epitheta der vergilischen Dichtung auf die ueteres, also auf die vorvergilischen Dichter, zurückführt. Über viele Seiten hinweg belegt er seltene Adjektive aus der altlateinischen Dichtung bis Lukrez und vergleicht sie in aller Kürze mit der jeweils passenden Vergilstelle: Auch das Wort ueliuolus finde sich vor Vergil bereits in einer Helena des Livius: tu qui permensus ponti maria alta ueliuola der du die hohe segelbeflogene See durchmessen hast
Daraufhin folgen noch zwei weitere Zitate, eines aus den Annalen und eines aus der Andromacha des Ennius. Gegen Kasters Saturnalien-Ausgabe besteht wenig Zweifel, dass der einhellig überlieferte Name Liuius den Text so bietet, wie er für Macrobius zutreffend ist: Macrobius hebt stets den eigentlichen Urheber des untersuchten Adjektivs hervor, manchmal indem er die Priorität explizit erwähnt, meistens aber indem er die Belege der Chronologie nach beginnend mit dem ältesten Dichter ordnet.282 So ist es auch hier durch die Reihe Livius Andronicus und Ennius gegeben. Ribbecks Konjektur Laeuius283 wird dem genuinen Macrobiustext aus diesem Grund nicht gerecht. Trotzdem bleibt Ribbecks Zuweisung der Helena an Laevius in ihrer Gültigkeit unberührt. Stoffgeschichtliche und sprachliche Gesichtspunkte werden nahe-
Explizit erwähnt bei Macr. Sat. 6.4.6 sed et ante omnes Homerus ... . Die chronologische Reihenfolge ist sonst überall in den Kapiteln 6.4 und 6.5 eingehalten (etwa 30 Aufzählungen), abgesehen von 6.4.18 Ennius-Lukrez-Lucilius. Vgl. 1R. p. 245. https://doi.org/10.1515/9783111237121-011
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4 Helena
legen, dass Macrobius irrt und es sich bei der Helena eher um ein laevianisches Gedicht als um eine alte Tragödie handelt. Dass Livius Andronicus eine Helena geschrieben hat, wäre zunächst einmal nicht unwahrscheinlich, da er auch in anderen seiner Stücke Stoffe aus dem trojanischen Sagenkreis behandelt284 und den Dramen Andromeda oder Hermiona weibliche Titelgeber zuwies. Erste Helena-Tragödien gibt es vor Euripides schon bei Sophokles.285 Auffällig bleibt trotzdem, dass kein Nachfolger von Livius, weder Ennius, Pacuvius oder Accius noch irgendein anderer späterer Tragödiendichter, sich dazu berufen fühlte, den Helenastoff neu auf die römische Bühne zu bringen. Denn gerade der Blick auf die Geschichte der republikanischen Tragödie zeigt, dass Livius’ Stücke, was ihre spätere Rezeption anbelangt, außerordentlich erfolgreich waren und manchmal sogar mehrmals eine neue Gestaltung erfahren hatten.286 Ganz anders hat das lateinische Epos sowie die lateinische Liebes- und Epylliendichtung Themen rund um Helena mit beständiger Regelmäßigkeit und durch alle Zeiten hindurch gerne behandelt.287 Eine Helena würde ohne Zwang zu den laevianischen Gedichten Ino oder Alcestis passen, in denen Liebesgeschichten und das daraus entstandene Leid wohl mit Schwerpunkt auf die jeweilige Heldin geschildert wurden. Dass Laevius auch ursprünglich epische Stoffe gern behandelte, zeigt sein Gedicht über den griechischen Helden Protesilaos (Protesilaodamia) genauso gut wie die homerische Kirkeepisode in der Sirenocirca. Neben dem Thema weist auch die Sprache des Helenabruchstückes viel eher in Bereiche des Epos und Epyllions als zur Tragödie:288 permetior findet wie hier seit Ennius und vor Seneca insbesondere im Epos oder in Lehrdichtung Parallelen, nicht aber im Drama;289 der schmückende pleonastische Genitiv ponti maria geht ursprünglich auf das frühe griechische Epos zurück und weist im Lateini-
Aegisthus, Achilles, Aiax Mastigophoros, Equus Troianus. Vgl. Ἀλέξανδρος TrGF iv F 91a–100a und vor allem Ἑλένης ἀπαίτησις F 176–180a; vgl. ferner Ἑλένης ἁρπαγή von unsicherem Inhalt und ohne Fragment auf p. 180 f. und Ἑλένης γάμος F 181–84 (vielleicht ein Satyrspiel). Die Entsprechungen sind bei Suerbaum HLL i 99 gesammelt. Dass Livius’ Antiopa, wenn es denn eine gab, nicht wieder aufgegriffen wurde, stimmt nicht. Suerbaum übersah das Stück des Pacuvius. Eine Ino hat Livius nie geschrieben, und soweit bekannt auch kein anderer lateinischer Tragiker. Epos: vgl. die Übersetzung der Kyprien von einem gewissen Naevius (Naev. Iun. Cypr. Il. F 1–2 C./4FPL Bl.); Liebesdichtung: Ov. epist. 16 f. und etliche Anspielungen in der Liebeselegie; Epylliendichtung: Drac. Romul. 8 (De raptu Helenae). Zu gemeinsamen Sprachelementen des Epos und Epyllions siehe oben p. 32; speziell zu den hier behandelten Ausdrücken siehe ausführlicher den Stellenkommentar. Abgesehen von Plaut. Truc. 304, wo das Wort in bildhafter Sprache gebraucht wird; vgl. ThLL x.1 1537.4–47.
4.1 Überlieferung und Autorenfrage
121
schen zumeist nur in derselben Gattung Entsprechungen auf, nicht in der römischen Tragödie oder Komödie.290 Generell werden solche epischen Wendungen in Livius’ Dramen sonst gemieden.291 Einen vertiefenden Blick lohnt das ebenfalls hauptsächlich epische Wort ueliuolus, um das es dem Zitatträger hier eigentlich geht. Das Adjektiv ist ganz offensichtlich dichterischen Ursprungs und bedeutet nach den Regeln der Kompositumbildung ‚mit Segeln fliegend‘.292 Also nutzt es Ennius in seinem eigentlichen Sinne von Schiffen, die das Meer durchsegeln.293 Im vorliegenden Helenafragment ist diese Bedeutung wie auch bei Vergil ins Passive umgekehrt. Das Adjektiv bezeichnet ein Meer, das von Segeln durchflogen wird. Der Urheber der Helena muss daher schon Kenntnis von dem Adjektiv in seiner primären Bedeutung gehabt haben, bevor er ihm eine neue, sekundäre Bedeutung zuschreiben konnte. Wäre Livius als erster großer lateinischer Dichter der Autor der Helena, so müsste ihm das Wort entweder schon bekannt gewesen sein (was die Frage nach dem Ursprung des Adjektivs aufwürfe) oder er hätte es selbst gegen die Regeln der Kompositumbildung geprägt, ohne von seiner eigentlichen Bedeutung Gebrauch zu machen.294 Ohne Zweifel hat Ennius das Wort als erster genutzt und ihm seine erwartbare Bedeutung gegeben, während es ein nachennianischer Dichter vom Epiker übernahm und ihm einen neuen Sinn abrang. Allein schon aus chronologischen Gründen käme Livius Andronicus als Urheber der Helena also nicht Frage. Demgegenüber sind für Laevius’ Stil Parallelen mit dem Epos ganz natürlich: Häufig spielte er in den Erotopaegnia sogar direkt
Vgl. ThLL x.1 s. v. pontus 2690.32–44. Vgl. Wigodsky (1972) 18–21. So zuerst Enn. ann. 380 Sk. und außerhalb des Epos Enn. TrRF ii 33 (= 111 Joc.), jeweils mit nauis (vgl. auch Enn. TrRF ii 151.14 = 45 Joc. mit demselben Sinn ueliuolans); zur Bildung und zur primären Bedeutung vgl. Leumann 394 f. und Lindner (2002) 158. Vgl. Serv. zu Verg. Aen. 1.224 (mare ueliuolum) VELIVOLUM duas res significat, et quod uelis uolatur, ut hoc loco, et quod uelis uolat, ut Ennius (TrRF ii 33 = 111 Joc.) ‚naues ueliuolas‘, qui et proprie dixit, mit Goldberg/Manuwald (2018) 40 f. zu übersetzen ‚ueliuolum bezeichnet zwei Dinge, erstens, was mit Segeln durchflogen wird, wie hier, zweitens, was mit Segeln daherfliegt, wie bei Ennius naues ueliuolas, der es (mit dieser Wendung) auch im eigentlichen Sinne benutzt hat (im Gegensatz zu Vergil)’. Servius und Macrobius gehen auf eine gemeinsame Quelle zurück (Jocelyn [1965]). Ferner wird angenommen, dass Livius Andronicus noch gar keine Komposita des griechischen Typs ueliuolus bildete. Argumentiert wird mit dem ersten Odysseevers, in dem Livius πολύτροπον mit uersutum übersetzt; vgl. dazu Palmer (1954) 101–3, Erasmi (1975) 55 f. und 277 f. Zuletzt mahnt aber Lindner (2002) 236 f. wegen der geringen Textmenge, die von Livius erhalten ist, mit gutem Recht zur Vorsicht. Schon der zur selben Zeit tätige Naevius gebrauchte die Zusammensetzung morigerus (com. 91 2R.).
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4 Helena
auf Ennius an, manchmal auch wie hier mit einer kleinen Variation in Bildung und Bedeutung des entsprechenden Wortes.295 Macrobius’ Zuweisung des Bruchstückes an Livius Andronicus erweist sich somit als ein Irrtum, der vielleicht schon aus dem lexikographischen Werk, das er als Quelle nutzte, stammt.296 Der Titel des Gedichts Helena, der behandelte Stoff und die Sprache mit ihrer Anlehnung ans Epos entsprechen den sonstigen Gewohnheiten von Laevius und lassen am Ende kaum Zweifel daran, dass Ribbeck mit der Autorenzuweisung Recht behält.
4.2 F 24 und der Helenamythos bei Laevius Laevius übernahm mit seiner Helena einen Mythenkomplex, der undurchsichtig und variantenreich wie kaum ein anderer ist. Dichterische oder prosaische Texte, in deren Mittelpunkt sie steht, sind nur schwer zu überblicken.297 Die Masse der Bearbeitungen liegt neben dem starken Einfluss der Ilias und der Kyprien auch in der Anzahl der unterschiedlichen Mythen begründet, die mit Helenas Leben verknüpft sind: ihre Zeugung durch Zeus als Gänserich, ihre Geburt aus dem Helena-Ei, der Theseusraub in Helenas frühester Jugend, ihre Hochzeit mit Menelaos, der trojanische Krieg, das Wiedersehen mit ihrem Mann und zuletzt die Irrfahrt zurück in die Heimat Sparta.298 All diese Etappen wurden jenseits der üblichen Tradition zusätzlich mit heute nur schwer greifbaren, entlegeneren Erzählungen in Form kleinerer Liebesgeschichten geschmückt.299 Mit der stesichoreisch-euripideischen Variation der Helena in Ägypten und dem Helenaphantom in Troja, die auch den lateinischen Dichtern bekannt war,300 ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten an Themen, die einem Gedicht mit dem einfachen Titel Helena zugrunde gelegt worden sein könnten. Es wird daher nicht möglich sein, mit Sicherheit zu bestimmen, von welcher Art Laevius’ Gedicht gewesen war. Es bleibt nur eine Annäherung an das erhaltene Fragment und seinen Ursprungskontext möglich. Vgl. den Kommentar zu F 19 dulcorelocus, ferner zu F 4 foedifragus, F 10 impete, F 11 fortescere, F 17 fiere. Allgemein zu Laevius’ Anlehnung an die epische Sprache siehe auch oben p. 32. Vgl. zur Quelle Jocelyn (1965) 129–31. Vgl. Homeyer (1977) und Blondell (2013). In aller Kürze bietet Engelmann Helena in Roscher i 1927–78 einen Überblick über die einzelnen Episoden. Vgl. etwa Parth. erot. path. 34 oder Konon 23, ferner Eust. zu Hom. Od. 4.228 Stallbaum i p. 161.46–162.1 oder womöglich die Affäre zwischen Achill und Helena in den Kyprien Arg. 11b West (= EGF p. 32.77 f. = Bernabè p. 42.59 f.) Vgl. etwa Hor. epod. 17.39–44.
4.2 F 24 und der Helenamythos bei Laevius
123
Welche (männliche, permensus) Person darin von wem angesprochen wird, ist nicht mit letzter Sicherheit zu bestimmen: Vielleicht richtet sich Paris oder Priamos an den nach Troja gereisten Menelaos, um seine Abreise zurück nach Griechenland zu fordern, oder Menelaos redet in Sparta zu Paris. Möglicherweise wendet sich auch jemand an den Helenaräuber Theseus, der in der Vergangenheit die berühmte Reise nach Kreta zurücklegte, um gegen den Minotauros zu kämpfen. Unter den vielen grundsätzlich denkbaren Möglichkeiten verdient L. Müllers (1880, 81) Auffassung eine genauere Betrachtung. Ihm zufolge spricht Helena zu dem nach Sparta gereisten Paris. Schon in der Ilias wird die Tatsache betont, dass Paris allein wegen einer Frau den weiten Seeweg von der kleinasiatischen Küste bis nach Sparta einschlug.301 Auch die Kyprien widmeten der Expedition eine größere Episode.302 In späteren Gestaltungen des Helenaraubs betont Paris im ersten Gespräch mit Helena die zahlreichen Mühen, die er auf sich genommen habe, um nach Sparta zu gelangen. Er nutzt den Verweis auf die mit Aphrodites Hilfe unternommene Seereise als Mittel der Verführung gegenüber Helena. Im Gedicht Ἁρπαγὴ Ἑλένης (‚Der Raub der Helena‘) des spätantiken Dichters Kolluthos aus Lykopolis spricht Paris zu ihr (v. 292–96): ἡ δὲ (sc. Κύπρις) περικλήιστον, ἐμῶν ἀντάξιον ἔργων νύμφην ἱμερόεσσαν ἐμοὶ κατένευσεν ὀπάσσαι, ἣν Ἑλένην ἐνέπουσι, κασιγνήτην Ἀφροδίτης· ἧς ἕνεκεν τέτληκα καὶ οἴδματα τόσσα περῆσαι. δεῦρο γάμον κεράσωμεν, ἐπεὶ Κυθέρεια κελεύει. Sie (d. h. Kypris) aber versprach als geziemenden Lohn für alles, was ich für sie tat, mir die hochgefeierte, reizende junge Frau zu verschaffen, die sie Helena nennen, an Schönheit die Schwester der Kypris. Ihretwegen ertrug ich’s sogar, durch weite Meere zu fahren. Laß uns Vermählung feiern, denn Kypris befiehlt es! (Übers. Schönberger [1993])
Die Form der Argumentation ist weit älter als Kolluthos’ Gedicht. In den Heroides schreibt Paris an Helena, er komme zur Erfüllung des göttlichen Willens nach Sparta und habe den langen Seeweg unter Venus’ Führung auf sich genommen (16.17–24). namque ego diuino monitu – ne nescia pecces – aduehor et coepto non leue numen adest. praemia magna quidem, sed non indebita, posco: pollicita est thalamo te Cytherea meo. hac duce Sigeo dubias a litore feci longa Phereclea per freta puppe uias.
Vgl. v. a. Il. 5.59–64; 22.114–6. Vgl. Schol. zu Il. 3.443 (= Cypr. F 8 West = 37 dub Bernabé).
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4 Helena
illa dedit faciles auras uentosque secundos; in mare nimirum ius habet orta mari. Denn – damit du nicht unwissend gegen die Götter handelst – ich bin auf göttliche Anweisung hierher gekommen und eine nicht unbedeutende Gottheit hilft mir bei meinem Unternehmen. Zwar ist der Preis, den ich verlange, hoch, aber er ist nicht unpassend: Kytherea hat dich mir als Frau versprochen, unter ihrer Führung habe ich die schwierige Fahrt vom sigeischen Strand über das weite Meer auf einem pherekleischen Boot unternommen. Sie hat mir passende und günstige Winde gegeben, sie, die im Meer geboren wurde, und deshalb natürlich Macht darüber hat.
Die Gemeinsamkeiten beider Gedichte sind insofern erstaunlich, als sie sich im Detail ansonsten stark unterscheiden und auch in der Herangehensweise so weit voneinander abweichen, dass gewöhnlich kein direkter Zusammenhang zwischen ihnen gesehen wurde.303 Denkbar ist aber, dass eine gemeinsame Tradition vorliegt. Zu ihr könnte auch Laevius’ Helena gehören. Wenn sich L. Müllers Vermutung, dass Helena im vorliegenden Fragment spreche, als richtig erweisen sollte, wäre die Textstelle vielleicht als eine Reaktion auf Paris’ Verführungstrick zu verstehen. Helenas Ansprache an Paris fände dann in ihrem Antwortbrief bei Ovid (epist. 17) eine Entsprechung: Darin stellt sie die ungläubige Frage, ob man Paris nur zu diesem Zwecke in Sparta aufgenommen habe, dass er sie, die Frau des Menelaos, verführe und ihrem Haus so ein großes Unrecht antue (17.7–12) : scilicet idcirco uentosa per aequora uectum excipit portu Taenaris ora suo304 nec tibi, diuersa quamuis e gente uenires, oppositas habuit regia nostra fores, esset ut officii merces iniuria tanti? qui sic intrabas, hospes an hostis eras? Deswegen also nahm dich, nachdem du übers windige Meer gefahren bist, der taenarische Strand in seinem Hafen auf? Und deshalb hat unser Palast dir die Türen geöffnet, obwohl du aus einem anderen Volk kamst? Wie du dort so eingetreten bist, kamst du als Freund oder Feind?
Neben den zu vermutenden Gemeinsamkeiten zwischen Kolluthos, dem Doppelbrief und Laevius liegt nun im zitierten uentosa per aequora uectum eine Wendung vor, die inhaltlich an die Laeviusworte permensus ponti maria alta erinnert. L. Müllers Deutung des Fragments erhält dadurch eine hohe Wahrscheinlichkeit.
Vgl. z. B. Schönberger (1993) 9 f. oder Paschalis (2008) 136 f. Anders Rocca (1995) 46. Der Vergleich mit dem ersten Distichon bei De la Ville de Mirmont (1903) 272 f.; Liv. Andr. TrRF i 26 namque Taenari celsos ocris muss deswegen aber nicht zur Helena des Laevius gehören, wie de Mirmont vorschlägt.
4.3 Metrik
125
Unklar bleibt aber, was sich daraus für das Gesamtgedicht gewinnen lässt. Es bleibt die Möglichkeit, dass die Verführung der Helena lediglich eine Episode in einem umfassenden Gedicht ist, das Helenas Leben ab ouo bis zu ihrer Heimkehr nach Griechenland, womöglich sogar darüber hinaus, erzählt. Wahrscheinlicher ist aber wohl, dass die laevianische Helena genauso wie der Doppelbrief aus den Heroides und Kolluthos’ Epyllion allein den Helenaraub thematisierte. Auch andere Gedichte der Erotopaegnia widmen sich einzelnen Episoden aus dem Epos:305 Die Sirenocirca thematisiert das Kirkemärchen der Odyssee aus erotischer Perspektive, die Protesilaodamia den Tod des Helden aus den Kyprien. Ebenfalls könnte die Helena also eine Erotisierung des im Epos vorgegebenen Mythos rund um ihren Raub und ihre Verführung sein. Ausgangspunkt für Laevius wäre das erste Buch der Kyprien gewesen.
4.3 Metrik tū quī pērmēnsū̆ s pōntī mărĭa āltă uēlĭuŏlā̆
Zwar zitiert Macrobius in dem übergeordneten Saturnalienkapitel tendenziell vollständige Verse von Anfang bis Ende,306 doch gerade in diesem Teil Sat. 6.5.7–14 ist die Tendenz weniger ausgeprägt. Auch das dem Laeviusfragment vorangehende Ausgangszitat Vergils und das ihm nachfolgende Zitat von Ennius bilden keine ganzen Verse. Die metrische Interpretation bleibt daher schwierig. Am ehesten ist das Fragment wohl daktylisch.307 Mit der Silbenfolge āltă uēmuss zwangsläufig ein katalektisches Versende samt brevis in longo angenom-
Zu Laevius’ Umgang mit dem Epos siehe oben p. 32. Vgl. Jocelyn (1965) 129–31. Bothes (1834, 11) vollständiger Galliambus ist für mich unverständlich; G.I.Vossius’ (1620, 6) anapästische Dimeter tu qui / permensus ponti maria alta / ueliuola wären nicht monometrisch und wiesen keine Synaphie auf (vgl. oben 35 f.); Duentzers (1835) 54 iambische Senare tu qui permensus / ponti maria alta ueliuola sind inakzeptabel; Granarolo (1971) 105 f. erwägt kurz einen trochäischen Septenar tu qui permensus ponti maria alta ueliuola ̆ ˉ, verwirft ihn aber wegen der Auflösung des achten Elements vor Wortende mărĭa alta (wobei die Regel von Meyer hier gerade bei Synaloephe wohl nicht zu streng genommen werden sollte). Andere Abgrenzungen wären beim Trochäus ebenso schwer denkbar. Zuletzt bleiben Traglias (1957, 87–90) Reiziana mit folgendem daktylischen Versmaß tu qui permensus / ponti maria alta / ueliuola, die vielleicht vertretbar sind, aber auch wegen ihrer Freiheit sehr leicht zufällig zustande kommen und kaum bewiesen werden können. Traglias Verweis auf die angeblichen Reiziana in F 33 ist unstatthaft, weil die Textstelle eine einzige Korruptel ist.
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men werden. Stichische daktylische Tetrameter mit Katalexe sind für Anakreon nachgewiesen.308 Es ist daher wohl das Naheliegendste, mit Pighi Gleiches für das Helena-Fragment anzunehmen.309 tū quī pērmēnsūs pōntī mărĭa āltā uēlĭuŏl(ā)
mit Positionslänge uēlĭuŏlā oder Synaloephe uēlĭuŏla samt langer Anfangssilbe im folgenden Wort. Dass Laevius den Tetrameter stichisch nutzte, ist vor dem Hintergrund seiner häufigen Abhängigkeit von Anakreon gut möglich.310 Man erwog bei derselben Abgrenzung auch eine archilochische Epoden-Verbindung aus daktylischem Hexameter und katalektischem Tetrameter, wie sie auch bei Horaz begegnet (erste Archilochische Strophe).311 Schwieriger bleibt Leos folgendermaßen hergestellter Hexameter:312 ˉ ̆ ̆ tū quī pērmēnsūs pōntī mărĭa āltă uēlĭuŏl(ā)
ebenfalls mit Positionslänge oder Synaloephe nach ueliuola samt langer Anfangssilbe im folgenden Wort; auch hier muss der zweite Versanfang nicht zwangsläufig einen weiteren Hexameter einleiten. Eine Archilochische Strophe, sogar die Verbindung mit einem Pentameter zum elegischen Distichon ist zuletzt nicht völlig auszuschließen. Das Wortende nach dem neunten Element im Hexameter ponti, das für denjenigen, der klassische Texte gewöhnt ist, holprig klingt, ist in der altlateinischen Verstechnik ohne Anstoß.313 Trotzdem gewinnt der Vers mit seinen zwei lang
Vgl. zur Abhängigkeit von Anakreon oben p. 37–41. Vgl. Pighi (1963) 555 und Courtney (22003) 127 f. Vgl. PMG 394 und West (1982) 57. Vgl. Granarolo (1973) 106 f.; zur Archilochischen Strophe vgl. West (1982) 43 f. und z. B. Hor. carm. 1.7. – Zu tu qui am Ende eines Hexameters vgl. Hor. epist. 1.1.24 mit dem Versende id quod und generell die Sammlung bei Hellegouarc’h (1964) 55–62. Vgl. Leo (1914) 181, Anm. 2. Wenn Leo gegen L. Müllers (1880, 81) Ergänzung alta / ueliuolā einwendet, dass Macrobius den Beleg nur anführe, um die passive Bedeutung des Adjektivs zu belegen, dann ist das nicht richtig: Dem Zitatträger ist die Bedeutung gleich; ihn interessiert allein das Vorkommen des Wortes. Trotzdem gibt das Asyndeton alta ueliuola keinen Anlass zum Eingreifen (vgl. den Kommentar unten) und nur der Metrik wegen darf man hier nichts ergänzen, auch wenn tu qui permensus ponti maria alta carina / ueliuola ein eleganter Hexameter mit vergilischer Klausel (Aen. 10.197) wäre. Vgl. die Statistiken bei Skutsch (1985) 50 für Ennius und dann auch noch sehr häufig zu Laevius’ Zeit, etwa Porc. Lic. 7.3 C. (= 6.3 4FPL Bl.) si digito attigero, incendam siluam simul omnem oder bei Lut. Cat. 1.3 C./4FPL Bl. quid si non interdixem ne illunc fugitium.
4.4 Stellenkommentar
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gemessenen, einen Spondeus bildenden Monosyllaba im zweiten Versfuß tu qui, zudem noch mit darauffolgenden mehrsilbigen Wort permensus, nur schwer an Fahrt. Gewöhnlich folgt auf einen so gebildeten zweiten Versfuß ein dritter Einsilbler, so dass die Penthemimeres eingehalten werden kann.314 Aber auch hier gibt es Vergleichsverse,315 so dass der Hexameter für das Fragment nicht auszuschließen ist, obwohl er mit Courtney unzweifelhaft „limping“ bliebe.316
4.4 Stellenkommentar permensus Das Verb permetiri ist zu klassischer und vorklassischer Zeit hauptsächlich in der epischen Sprache beheimatet. Allein in Plaut. Truc. 304 damni permensust uiam wird es im übertragenen Sinne gebraucht. Später nutzen es Seneca und Statius, selten auch einige Prosaiker (ThLL x.1 1538.4–27). In Ennius’ Annalen steht das Verb mehrmals zur Bezeichnung einer zurückgelegten Strecke zu Lande. Lohnenswert ist der Vergleich mit Enn. ann. 461 Sk. sed sola terrarum postquam permensa parumper. Schon Traglia (1957) 88 machte auf die p-Alliteration bei Ennius und Laevius aufmerksam; zu Anspielungen mithilfe des Klangs vgl. Pulz (2022) 19 und 24. Auffälligerweise verbinden beide Dichter dasselbe Verb auch mit einem Objekt, von dem ein pleonastischer Genitiv abhängt: permensus ponti maria und sola terrarum postquam permensa. Eine Auseinandersetzung mit Ennius ist hier möglich, aber nicht beweisbar. Anders als bei Ennius wird permetior bei Laevius wie auch bei Verg. Aen. 3.157 permensi classibus aequor von einer zurückgelegten Meeresstrecke gebraucht. ponti maria Derartige pleonastische Genitive gehen auf das griechische Epos zurück (siehe Harrison [1991] zu Verg. 10.377): z. B. Il. 21.59 πόντος ἁλὸς πολιῆς oder Apoll. Rhod. 2.608 πέλαγός τε θαλάσσης. Nach Laevius lassen sich auch im Lateinischen, ohne dass jeweils eine bemerkbare Bedeutungswandlung durch den Genitiv einträte, etliche Parallelen für das Muster ‚ein Wasser bezeichnendes Substantiv‘ + Gen. ponti finden: etwa bei Lucr. z. B. 1.8 aequora ponti (auch Catull. 64.179), Verg. georg. 1.356 freta ponti und in vielen weiteren Variationen (ThLL x.1 s. v. pontus 2690.32–44). Laevius ist der erste lateinische Dichter, für den sich das Muster nachweisen lässt. maria alta ueliuola Die verbreitete Verbindung maria alta (ThLL i s. v. altus 1781.75–1782.8) ist ein einziger eng zusammengehöriger Begriff, so dass ohne wei Vgl. Enn. ann. 93 Sk. ast hic quem nunc tu, 95 hoc nec tu: nam mi, 97 astu non ui sum, 141 circum sos quae sunt. Vgl. Tib. 1.9.81 at tua tum me poena iuuet, Venerique merenti. Vgl. Courtney (22003) 106 f. und auch Granarolo (1973) 104.
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teres ein zweites Adjektiv asyndetisch hinzutreten kann; vgl. Timpanaro (1988) 262, Anm. 1. Speziell für die vorliegende Wendung maria alta + Adjektiv finde ich aber keine Parallele: In Cat. agr. 112 uinum Coum si uoles facere, aquam ex alto marinam sumito mari tranquillo, cum uentus non erit ist alto substantiviert, und mari tranquillo bereitet als adverbiale Bestimmung den cum-Satz vor. Das Adjektiv ueliuolus ist wohl von Ennius geprägt und wird eigentlich auf Schiffe bezogen genutzt, ‚mit Segeln fliegend‘: ann. 380 Sk. nauibus ueliuolis, TrRF ii 33 (= 111 Joc.) naues ueliuolas, danach Ov. Pont. 4.5.42 ueliuolas ... rates. Wie Lukrez das Adjektiv gebraucht, ist wegen der üblen crux iam mare ueliuolis florebat †propter odores† (5.1442) nicht klar. Laevius sucht und erreicht einen sehr künstlichen Ausdruck, indem er das Wort im passiven Sinn ‚mit Segeln durchflogen‘ dem Meer beistellt. Ihm folgt Vergil: Aen. 1.224 despiciens (sc. Iupiter) mare ueliuolum (und nach ihm Ov. Pont. 4.16.21 ueliuolique maris). Die Umwandlung eines Kompositums von dieser Art (Substantiv [meist Objekt] + Verb; Leumann 393–5) in solcher Weise ist sehr gesucht. Gewöhnlich sind Zusammensetzungen wie ueliuolus immer aktiv zu verstehen. Nur wenige Wörter, allen voran nau-fragus ‚schiffbrüchig‘, das bei Verg. Aen. 3.553 und Hor. carm. 1.16.10 aktiv ‚schiffbrechend‘ gebraucht wird, hatten auch passive Bedeutung. Laevius dürfte den Sinn von ueliuolus in Analogie zu solchen Komposita umgebogen haben; vgl. Anm. 293 zur Besprechung des Wortes bei Servius.
5 Ino 5.1 Vorbetrachtungen: Ein kaiserzeitliches Inofragment [Laev.] F 12a C. (= 32 4FPL Bl. = [Liv. Andr.] TrRF i 16) 5.1.1 Überlieferungslage und Forschungsstand Terentianus Maurus kommt in seinem Lehrgedicht De metris vv. 1920–49 auf miurische Hexameter zu sprechen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie auf einem Iambus statt wie gewöhnlich auf einem Spondeus enden.317 Das Versmaß sei zwar selten in der lateinischen Literatur, so Terentianus, doch immerhin gebe es aus der Ino ‚jenes alten Livius mit griechischem Cognomen‘ das hier besprochene Textbeispiel anzuführen (1931–8): Liuius ille uetus Graio cognomine suae inserit Inoni uersus, puto, tale docimen; praemisso heroo subiungit namque miuron, hymnum quando chorus festo canit ore Triuiae: ‚et iam purpureo suras include cothurno, balteus et reuocet uolucres in pectore sinus, pressaque iam grauida crepitent tibi terga pharetra: derige odorisequos ad certa cubilia canes‘. Der bekannte alte Livius mit dem griechischen Beinamen, fügte in seine Ino, glaube ich, folgendes Beispiel für den miurischen Hexameter ein; denn er verband ein miurisches Metrum mit einem vorangestellten heroischen Versmaß an der Stelle, an der der Chor mit feierlicher Stimme einen Trivia-Hymnos singt: „Und nun schließe deine Waden in purpurne Kothurne, und der Gürtel möge das flatternde Gewand an die Brust binden, und es möge dir nun der mit dem schwangeren Köcher beladene Rücken klappern: Führe die fährtenlesenden Hunde zum sicheren Bau“.
Später zitiert der Metriker Asmonius (beziehungsweise Aphtonius)318 in einem Kapitel De uitiis uersuum dasselbe Bruchstück. Ziel seiner Darstellung ist es zu zeigen, dass die üblichen metrischen Fehler, die man den alten Dichtern häufig vorwerfe, in Wirklichkeit gar keine Fehler seien. Man dürfe auch Hexameter mit
Gr. μύουρος, ‚mausschwänzig‘, hier ‚tapering hexameters‘ (LSJ s. v. μύουρος 2); zur negativen Bedeutung des Begriffes in der Rhetorik und Metrik siehe Markschies (1992) 221, Anm. 23. Auch Terentianus beurteilt das Versmaß des ‚Livius‘-Fragments abschätzig: v. 1939 dactylicum tamen hoc melius resonare poterit; Weiteres im Kapitel zur Metrik unten p. 132–4. Asmon. GLK vi 67–8. Zum Namen Asmonius/Aphthonius siehe P.L. Schmidt HLL v 136 f. https://doi.org/10.1515/9783111237121-012
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iambischem Schluss nicht als verpönte Miuren werten. Bei Livius sei viel eher von einem gesuchten Teliambus zu sprechen (GLK vi 67 f.): at cum Liuius Andronicus praemisso hexametro huius modi subnectat uersus per ordinem iambo terminatos, nouam potius hanc speciem quam miuron existimant uersum et teliambon appellant. nam in hymno Dianae apud eundem ita inueniuntur in fabula Inone: ‚sed319 iam ...‘ Weil aber Livius Andronicus Verse von solcher Art, die regelmäßig (und bewusst) mit einem Iambus geschlossen werden, an einen vorangehenden Hexameter knüpft, erkennt man darin eher ein neues Phänomen als einen miurischen Vers; man nennt ihn Teliambus. Im Diana-Hymnos seines Dramas Ino findet man bei dem Dichter zum Beispiel Folgendes: „Nun aber ...“
Das angebliche Liviusfragment wurde in den letzten beiden Jahrhunderten häufig untersucht, allerdings ohne dass man sich bisher darüber einig werden konnte, woher die Verse stammen könnten oder wer ihr Verfasser sei. Vor 170 Jahren urteilte E. Klussmann verzweifelt: „Dubito an in tota litterarum historia quaestionem invenias vexatiorem quam quae est de auctore Inonis“,320 und wer die Masse an Literatur zu den vier Hexameterversen überblickt, neigt fast dazu, ihm Recht zu geben. Immerhin darf es als communis opinio gelten, dass die Verse nicht Livius Andronicus zuzuordnen sind: Die Diktion ist, ohne an dieser Stelle auf Näheres einzugehen, nicht in Einklang mit dessen Stil zu bringen. Dagegen setzte sich inzwischen weitestgehend die Annahme durch, es handle sich um ein Laeviusfragment.321
Der Text sed iam, ist für das Fragment sicherlich der richtige: Terentianus’ et iam + Imperativ ist ungewöhnlich, sed iam + Imperativ dagegen in Prosa (Cic. leg. 1.14 sed iam ordire explicare) und Dichtung (Verg. Aen. 6.629 sed iam age, carpe uiam) geläufig. Klussmann (1849) 19. Überblickshalber hier die meisten Stimmen: Für Livius Andronicus spricht sich Lenchantin (1937) xx–xxi aus; für Laevius zuerst Jos. Scaliger (1597) 129, dann Weichert (1830) 63–71, Klussmann (1849) 19–23 (mit einer Behandlung der älteren, hier nicht aufgeführten Literatur), G. Hermann (41869) 111 f., Baehrens FPR, Havet (1891) 10 f., De la Ville de Mirmont (1903) 273–7, Knapp (1911) 15 mit Anm. 1, Marconi (1963), Wigodsky (1972) 18 f., Carratello (1979) 68 f., Mariotti (21986) 49 f. mit Anm. 81, Cignolo (2002) 500 f., Spaltenstein (2008) 169 sowie die jüngsten Herausgeber Courtney (22003) 128–30 und Blänsdorf 4FPL Laev. F 32, mit Vorbehalten ebenfalls Ribbeck (1875; u. a.) 33–5, Traglia (1957) 87, Granarolo (1971) 414–9, Erasmi (1975) 275–9. An eine Bearbeitung einer Liviustragödie (dazu unten p. 142f.) denken Duentzer (1838), Haupt (1875) 115–8 (= 1841, 43f.), L. Müller (1885) 43, Schenkl (1894), Leo (1913) 71, Anm. 2, Mette (1964) 48–50. Gegen Laevius argumentiert Holford-Strevens (1981) 182. Die Frage wird unentschieden gelassen bei Waszink (1972) 898 f. und TrRF i zu Liv. Andr. 16.
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Dass wenigstens Terantianus und Asmonius, die beide vermutlich auf dieselbe Quelle zurückgehen,322 davon überzeugt waren, dass sie einen echten Livius Andronicus zitieren, geht aus den Zitierkontexten deutlich genug hervor. Asmonius gibt an, Verse aus einer fabula, also aus einem Drama, anzuführen; Terentianus spricht von einem Chor und nimmt Bezug auf Livius’ griechischen Beinamen Andronicus.323 Marconis auf Jos. Scaliger beruhende Konjektur Laeuius ille uetus Graio cognomine, die zuletzt auch Blänsdorf in den Text seiner Ausgabe 4FPL aufnahm, geht daher schon grundsätzlich in die Irre.324 Selbst wenn Laevius den Beinamen Melissus, dem manche ihm zuschreiben,325 getragen hätte, wäre Terentianus’ Ausdruck Graio cognomine ohne Beweiskraft: Mĕlīssus hätte im Gegensatz zu Āndrŏnīcus leicht ins daktylische Metrum gepasst. Terentianus hätte sich keiner Umschreibung bedienen müssen.326 Die Frage, auf wen die Verse zurückgehen, ist damit trotzdem nicht beantwortet. Nicht einmal Laevius lässt sich anhand der Überlieferung als Verfasser der Hexameter ausschließen, weil der Korruptionsprozess des Namens Laeuius zu Liuius oder Naeuius schon tief in der Antike einsetzte, so dass Terentianus’ und Asmonius’ Quelle möglicherweise korrupt war.327 Eine genaue Untersuchung der Metrik, des Inhalts, der Sprache und der Parallelen zu anderen Dichtern wird aber zeigen, dass die Verse ohne Zweifel aus der Kaiserzeit stammen und wenigstens nach Vergil datiert werden müssen.
Asmonius kann nicht (allein) von Terentianus abhängig sein, wie gewöhnlich wegen seiner Aussage GLK vi 83.27 f. (quamquam, Terentianus non paenitendus inter ceteris artis metricae auctor, sedulo refragetur) angenommen wird: Neben eindeutigen Gemeinsamkeiten (Ter. Maur. v. 1933 praemisso heroo subiungit, Asmon. GLK vi 68.1 f. praemisso hexametro huiusmodi subnectat) weisen die Darstellungen klare Unterschiede auf. Allein schon die Anlage der beiden ist grundverschieden. Ferner misst Asmonius den ersten Vers als normalen und alle nachfolgenden als miurischen Hexameter (praemisso hexametro huius modi subnectat uersus per ordinem iambo terminatos, also v. 3 pharĕtra); Terentianus Maurus scheint aber sich abwechselnde Metra zu sehen (praemisso hexamtro subiungit namque miuron, also v. 3 pharētra); vgl. dazu Courtney (22003) 130, der aber trotzdem ein direktes Abhängigkeitsverhältnis der beiden sieht. Sein Einschub puto v. 1932 ist kein Ausdruck von Unsicherheit, sondern ein Versfüllsel; vgl. für Ähnliches Beck (1993) 521 f. zu De syllabis. Die Beobachtung wird sich ohne Weiteres auf De metris übertragen lassen. Vgl. Marconi (1963) 135 und Jos. Scaliger (1597) 129. Siehe oben p. 6–8. Vgl. Holford-Strevens (1981) 182. Terentianus nennt die zitierten Dichter immer beim Namen, sofern möglich: Etwa kann sich der Name Ānnĭānus mit seinem Kretikus in v. 1816 nicht in den anapästischen Vers fügen, so dass die Umschreibung pŏētă Fălīscūs nötig wird. So Courtneys (22003, 129) Argument für die Autorenschaft des Laevius.
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5.1.2 Metrik So rätselhaft das ganze Umfeld des Zitates bei Terentianus und Asmonius ist, so rätselhaft ist auch das Metrum. Es handelt sich um einen Hexameter, dessen sechster Fuß mit einem Iambus endet. Das Versmaß wurde in der Antike auf Homer selbst zurückgeführt: Il. 12.208 Τρῶες δ’ ἐρρίγησαν, ὅπως ἴδον αἰόλον ὄφιν. Terentianus zitiert die Stelle allein in der metrischen Übersetzung attoniti Troes uiso serpente pauitant (v. 1930), Asmonius führt auch den originalen griechischen Vers an und liefert sogleich eine Erklärung für die Unregelmäßigkeit: Homer bediene sich einer freien Art metrischer Dehnung am Hexameterende.328 Gezielt wurde der miurische Hexameter in griechischer Dichtung offenbar erst spät verwendet:329 Die frühesten Verse sind auf zwei Papyri womöglich aus dem ersten bzw. dritten Jh. n. Chr. überliefert und bestehen aus einer Reihe von vierzeiligen Skolia, zusammengesetzt aus je drei miurischen Hexametern mit einem abschließenden αὔλει μοι.330 Ein inhaltlicher Vergleich mit ihnen muss ergebnislos bleiben. Doch zwei andere Zeugnisse sind umso aussagekräftiger, weil sie aus dem Umfeld des Dramas stammen: Zuerst wird das Metrum in einem Mimus gebraucht, das auf einem Papyrus aus dem dritten Jh. n. Chr. erhalten ist.331 Danach lässt Lukian in seiner Tragödienparodie Tragopodagra den Chor einen Hymnos an die als Göttin gedachte Podagra singen (v. 312–24). Im Lateinischen ist das Maß schließlich ohne Parallele. Hier sind allein miurische daktylische Tetrameter bei den Poetae Novelli aus dem zweiten Jh. belegt.332 Es zeichnen sich folgende Punkte ab: Terentianus’ und Asmonius’ Zuordnung des Inofragments zum Chorlied einer Tragödie entspricht den anderen Belegen Vgl. Asmon. GLK vi 67.30 f. cui (sc. uersui) ita medentur, ut dicant Homerum, artis poeticae patrem, geminata littera ὄφφιν dixisse. Damit hat er Recht; vgl. Danielsson (1897) 48–50. West druckt in der Teubner-Ausgabe ὄπφιν. Die Zeugnisse bei West (1982) 173 f. Zum Metrum siehe weiterführend Higham (1936) 299–324. P.Ox. 15.1795 (erstes Jh. nach den Herausgebern) und 1.15 (drittes Jh. nach den Herausgebern), zuletzt ediert bei Heitsch (1963) 38–40. Maas (1922) 581 setzt beide Papyri in das zweite Jh. P. Brit. Mus. 2208 (drittes Jh.), zuletzt herausgegeben von Cunningham in der HerondasTeubneredition, dort in der Appendix F 13.13–17; zur Datierung siehe Cunninghams Apparat z. St. Das, was man mit Sicherheit zum Inhalt des Fragments sagen kann, bei Page (1941) 366–71. Etwa Annian. F 3 C./4FPL Bl./Matt.; weitere, spätere Belege zu den Tetrametern im Lateinischen bei Courtney (22003) 389, im Griechischen bei West (1982) 49 f. Die häufig angeführten Verse in Soph. Oid. K. 216–23 (im Wechsel mit Paroemiaci) sind nicht als miruische daktylische Tetrameter, sondern jeweils als ein Hemiepes mit folgendem Kretikus samt aufgelöster erster Länge zu verstehen; d. h. nicht ̶ ̆ ̆ , ̶ ̆ ̆ , ̶ ̆ ̆ , ̆ ̶ , sondern ̶ ̆ ̆ ̶ ̆ ̆ ̶ , ̆ ̆ ̆ ̶ ; vgl. Wilamowitz (1921) 364, Kamerbeek iv (1984) z. St. oder die Ausgabe von Dawe ii p. 262. Crönert (1929) 163 f. versetzt daktylische Miuren wegen der Sophoklesverse dagegen in „eine frühe Zeit“ (p. 163).
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für das seltene Metrum. Vor allem Lukians Zeugnis lässt auf den Gebrauch der Verse in der (griechischen) Tragödie und in hymnenartigen Texten schließen. Zudem weisen die Belege der miurischen Hexameter allesamt in die Kaiserzeit. Davor lassen sie sich nicht mit Sicherheit nachweisen: Die einzelnen Fälle im griechischen Epos sind erst später zu Miuren umgedeutet worden. Vielleicht sind die miurischen Verse also überhaupt nur ein Produkt metrischer Handbücher, entstanden durch Fehlinterpretationen weniger homerischer oder sophokleischer Verse. Das Metrum könnte erst zu späterer Zeit durch ebendiese Schultheorie gesellschaftsfähig geworden sein. Wer die Verse ohne Verfasserangabe liest, wird kaum auch auf die Idee kommen, sie auf Grundlage der Metrik in die Zeit von Livius oder Laevius zu datieren.333 Das auffälligste Merkmal der Verse ist eine mehrmals begegnende Wortstellung, die sehr verbreitet ist: Drei der vier Verse sind so gebaut, dass sie mit einem Substantiv schließen, auf das sich ein Attribut vor der Penthemimeres bezieht: purpureo | ... cothurno, grauida | ... pharetra, odorisequos | ... canes.334 C. Conrad (1965) widmete dem Phänomen umfassende Untersuchungen für den Fall des stichischen Hexameters: Seine Statistiken zeigen, dass bei den Altlateinern einschließlich Lukrez eine derartige Sperrung die seltene Ausnahme darstellt.335 Bei Ennius begegnet sie innerhalb des gesamten Corpus, das sind etwa 500 vollständige Hexameter, allein fünf Mal, im achten Lukrez-Buch auf 1094 Verse nur 23 Mal. Gerade Lukrez nutzt die Stellung, um die gesperrten Ausdrücke besonders zu betonen.336 Ein ganz anderes Bild zeichnet sich dann seit Cicero und Catull ab: Auf über 500 Verse der Aratea findet sich die Wortstellung 35 Mal, auf etwa 400 Verse im carm. 64 ganze 68 Mal. Bei Vergil geht die Anzahl der Sperrungen wieder zurück.337 Auch wenn Conrads Untersuchungen nur bis Vergil reichen, lässt sich leicht bestätigen, dass das Phänomen in Ovids stichischen Hexametern wieder gehäufter auftritt. Ich habe die MetamorphosenAusgabe von Tarrant aufs Geratewohl aufgeschlagen und fand in met. 9.509–609 auf 100 Verse 14 Belege.338 Spätestens bei Ovid ist also das, was bei Lukrez noch zur besonderen Betonung bestimmter Ausdrücke genutzt wurde, zur Gewohnheit geworden. Die Wortstellung ist schon fast als reines Stilideal aufzufassen. So auch das Urteil bei Holford-Strevens (1981) 182. Darauf macht Havet (1891) 10 f. aufmerksam, der die Sperrung mit der Konjektur von Baehrens auch im zweiten Vers herstellt: et reuocet uolucres in pectore balteŭs sinus. Die Konjektur ist aber falsch: Der Versanfang basiert auf Vergil; siehe den Kommentar z. St. Vgl. die Zusammenfassung bei Conrad (1965) 208. Vgl. Conrad (1965) 211. In Aen. 8 sind es 50 Fälle auf 731 Verse. 509, 516, 517, 519, 529, 563, 566, 571, 574, 575, 584, 588, 592, 597. Mit Genitivattribut vor der Penthemimeres in 511 und 512; umgekehrt mit Substantiv vor der Penthemimeres und Attribut am Versende 521.
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Allein die stilistische Konvention dürfte den Autor des Inofragments dazu gebracht haben, die Sperrung innerhalb der vier Verse ganze drei Male zu benutzen. Daher liegt dem Fragment entweder neoterische Praxis zugrunde, oder ein nachklassischer Autor ahmt das Stilideal von Catull oder Ovid nach. Man kann einwenden, dass solche Schlussfolgerungen, die auf allein vier überlieferten Versen beruhen, wenig aussagekräftig sind. Doch im gesamten Ennius- und Lukrez-Corpus, also vor den Neoterikern, werden sich (wenn überhaupt) wohl nur selten drei ähnlich gebaute aufeinanderfolgende Verse nachweisen lassen können. Sollte Laevius der Autor der Verse sein, wäre seine Stilisierung des Hexameters bahnbrechend gewesen.
5.1.3 Elemente des späten Hymnenstil im Fragment Von Terentianus und Asmonius erfahren wir, dass die vier Verse aus einem vom Chor vorgetragenen Hymnos eines Dramas entnommen sind. Das kann man im Einzelnen anzweifeln, wie man auch den von ihnen genannten Autor anzweifeln muss. Aber die Einordnung der beiden stimmt mit der Parallele des Versmaßes in Lukians Tragödienparodie sowie mit dem Stil und dem Inhalt des Fragments überein. Es ist zu allen Zeiten üblich, dass der Chor innerhalb eines Dramas einen Hymnos vorträgt,339 und auch Diana fände im Inomythos einen guten Platz: In vielen Versionen der Geschichte glaubt der vom Wahnsinn getroffene Athamas, dass er auf einer Jagd ist, und tötet seinen Sohn Learchos, weil er in ihm ein Löwenjunges sieht. Hinsichtlich des Stils ist die direkte Ansprache an die Gottheit in mehreren Kola ganz hymnengemäß. Weniger typisch für den Hymnenstil, wenigstens wie ihn Norden grundlegend darstellte, ist hingegen die Beschreibung der Gottheit mittels einer Aufforderung im Konjunktiv oder Imperativ, wo eigentlich Relativsätze oder Partizipien, in stärker literarisierten Hymnen vielleicht auch gesonderte mythische Erzählungen zu erwarten wären.340 Es liegt hier ein, wie mir scheint, verhältnismäßig spät in den Hymnos eingedrungenes Stilelement vor, das die Darstellung der Attribute einer besungenen Gottheit in eine Bitte um Epi-
Marconis (1963, 135) Behauptung, ein Hymnos als Chorlied in der römischen Tragödie sei unwahrscheinlich, ist schlichtweg falsch. Vgl. für das griechische Drama Furley/Bremer (2001) i 273–368 und ii 241–371 für das lateinische Schierl (2006) 93–7 und 204–9 sowie Kleinknecht (1937) 157–78 und Freyburger (2007). Vgl. Norden (1913) v. a. 166–76. Zu den Erzählungen, die insbesondere in den homerischen Hymnen den Relativsatz- und Partizipial-Stil ersetzen, siehe Burkert (1994) 15.
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phanie kleidet. Dazu werden Konjunktive und Imperative genutzt.341 Das früheste Beispiel in griechischer und lateinischer Literatur das ich finden konnte ist Tibulls Gedicht über die Ambarvalia. Der Hymnos an die heimischen Ackergötter beginnt mit der Bitte um Epiphanie an Bacchus und Ceres (Tib. 2.1.1–4): quisquis ades, faueas: fruges lustramus et agros, ritus ut a prisco traditus exstat auo. Bacche, ueni, dulcisque tuis e cornibus uua pendeat, et spicis tempore cinge, Ceres. Alle, die hier sind, seid still! Wir reinigen die Ernte und die Äcker nach einem Ritus, der uns von alten Ahnen überliefert wurde. Bacchus, komm her, süße Trauben sollen von deinen Hörnern hängen, und du Ceres, umwinde deine Schläfen mit Ähren.
Die Aufforderung zum Erscheinen ist durch den Konjunktiv und die Imperative mit einer Beschreibung der üblichen Attribute von beiden Göttern verbunden: Bacchus solle das Fest mit seinen traubenbehängten Hörnern begleiten, Ceres mit ihrem Ährenkranz. Die explizite Bitte um Epiphanie geht für Bacchus mit ueni voran. Dasselbe Bild gibt ein Hymnos von Caesius Bassus:342 huc ades Lyaee Bassareu bicornis, Maenale bimater, crine nitidus apto. luteis corymbis hedera te coronet, hasta uiridis armet. placidus ades ad aras Bacche Bacche Bacche.
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Komm her, o zweihörniger bassarischer Lyaeus, du arkadischer, von zwei Müttern geboren, glänzend am geschmückten Haar: Dich kröne der Efeu mit seinen gelblichen Blüten, mit deinem grünen Stab sollst du bewaffnet sein, uns gewogen komm zum Altar, Bacchus, Bacchus, Bacchus!
Bacchus solle mit Efeu gekränzt und mit seinem Tyrsosstab ausgestattet erscheinen. Die Beschreibung der beiden Attribute des Gottes stehen auch hier jeweils im Konjunktiv. Sie werden von den zwei Imperativen ades, der direkten Bitte um Epiphanie, umrahmt. Das Phänomen scheint mir bisher noch nicht beschrieben worden zu sein. Blänsdorf 4FPL führt ihn als Gedicht aus dem lyrischen Werk von Caesius Bassus an (F 2), Courtney (22003) 351 vermutet, es handle sich lediglich um eigens für Lehrzwecke verfasste metrische Beispiele für sein Lehrbuch über verschiedene Versmaße.
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Ein letztes Beispiel des Phänomens findet sich ebenfalls in einem DianaHymnos, der mit dem besprochenen Fragment offenbar in Verbindung steht. Es stammt aus Nemesians Lehrgedicht Cynegetica (86–92): tu modo, quae saltus placidos siluasque pererras, Latonae, Phoebe, magnum decus, heia age suetos sume habitus arcumque manu pictamque pharetram suspende ex umeris; sint aurea tela, sagittae; candida puniceis aptentur crura cothurnis; sit chlamys aurato multum subtegmine lusa corrugesque sinus gemmatis balteus artet nexibus
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Du, die du die ruhigen Gebirge und Wälder durchstreifst, Latonische, Phoebe, du großer Stolz, los, ergreife deine gewohnte Kleidung und den Bogen mit deiner Hand, der bemalte Köcher soll dir von den Schultern hängen. Golden sollen deine Waffen, die Pfeile, sein, deine glänzenden Waden sollen mit purpurnen Kothurnen gerüstet sein. Deine Chlamys sei vielfach umspielt von goldenem Gewebe und ein Gürtel aus Edelsteinen gewoben schnüre dein faltiges Gewand.
Die Vorbilder der Verse liegen zwar vor allem bei Vergil oder Ovid.343 Doch v. 92 f. zeigt im Vergleich mit F v. 2 balteus et reuocet uoculcres in pectore sinus bemerkenswerte Nähe zum Anonymus. Inhaltlich dürften die beiden Stellen aber weniger miteinander vergleichbar sein. Bei Nemesian tritt Diana als eine den Dichter inspirierende Göttin auf, was zu einem Lehrgedicht über die Jagd passt, aber weder für eine Tragödie noch für eine sonstige Behandlung des Inomythos vorstellbar ist. Das Vorgehen bei Nemesian bleibt jedenfalls ähnlich wie bei Tibull, Caesius Bassus und bei dem anonymen Dichter: Die Bitte um Epiphanie ist hier zwar nicht direkt ausgesprochen, doch durch die Konjunktive und Imperative in die Beschreibung der Göttin eingebettet.
5.1.4 Die Jägerin Venus (Verg. Aen. 1.318–37) als Vorbild Das literarische Vorbild der überlieferten Verse (und des oben zitierten Nemesiantextes) findet sich in der Aeneis.344 Im ersten Buch trifft Aeneas in den Wäldern bei Karthago auf die als Jägerin verkleidete Venus. Vergil folgt in der Beschreibung ihres Äußeren den Dianadarstellungen in der plastischen Kunst:345
Vgl. Jakobi (2014) 95–9. Zuerst von Schenkl (1894) näher beschrieben. Vgl. Austin (1971) 120 f.; v. a. LIMC 2.1 s. v. Artemis/Diana 24a.
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namque umeris de more habilem suspenderat arcum uenatrix dederatque comam diffundere uentis, nuda genu nodoque sinus collecta fluentis. ac prior ‚heus‘ inquit ... sic Venus et Veneris contra sic filius orsus: ... ‚namque haud tibi uultus mortalis, nec uox hominem sonat; o, dea certa (an Phoebi soror? an Nympharum sanguinis una?)’ ... Tum Venus: ‚haud equidem tali me dignor honore; uirginibus Tyriis mos est gestare pharetram purpureoque alte suras uincire coturno.
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Denn als Jägerin hatte sie über die Schultern den leichten Bogen gehängt, ganz wie es Brauch war, und sie ließ ihre Haare im Wind flattern, an den Knien war sie nackt und das fließende Gewand war zum Knoten gebunden. Sie sprach erst: „Heda“ ... So sprach Venus, und so gab Venus’ Sohn ihr die Antwort: „... Du hast kein sterbliches Gesicht und deine Stimme klingt nicht menschlich; du bist eine Göttin! Phoebus’ Schwester vielleicht? Oder eine vom Geschlecht der Nymphen?“ Venus sagte darauf: „Ich halte mich einer so großen Ehre nicht wert; Tyriens Jungfrauen haben den Brauch, einen Köcher zu tragen und und die Waden bis oben mit einem purpurnen Kothurn zu umschnüren.“ (Übers. nach Holzberg)
Vergil und der anonyme Dichter weisen so auffällige Gemeinsamkeiten auf, dass eine Abhängigkeit der beiden Stellen voneinander sicher ist. Allein anhand dieser Aeneisstelle wäre noch nicht sicher zu sagen, ob der anonyme Dichter oder Vergil der Gebende war. Mehrheitlich wird dem Anonymus die Priorität zugeschrieben.346 Es werden sich aber im Stellenkommentar über die Gemeinsamkeiten dieser beiden Texte hinaus in der ganzen Aeneis und auch bei Horaz weitere Verse zeigen lassen, die eine erstaunliche Nähe zum Fragment aufweisen, und letztlich belegen werden, dass die Priorität nur bei Vergil liegen kann.
5.1.5 Stellenkommentar: Sprache und Prioritätsbestimmungen purpureo suras include cothurno Neben der eben zitierten Vergilparallele Aen. 1.337 purpureo alte suras uincire coturno sind ferner Verg. ecl. 7.32 puniceo stabis suras euincta coturno (von einer Dianastatue) und Nemes. cyn. 90 candida puniceis aptentur crura cothurnis vergleichbar; dazu kommt die Beschreibung der vor Edelsteinen klappernden Stiefel (so deutet Petschenig [1885] 663) in Go-
Siehe die Literatur oben Anm. 321; kritisch Holford-Strevens (1981) 182.
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ripp. Iust. 2.104 f. purpureo surae resonant fulgente cothurno, von der man kaum sagen kann, ob sie auf das Fragment oder auf Vergil zurückgeht. Für die Verse des Anonymus lässt das Prädikat includere Vermutungen über die Prioritätsfrage zu. Das Verb findet im vorliegenden Sinne bei Kriegern Anwendung, die sich in eine Rüstung hüllen, sich also zum Schutz ‚einschließen‘: Prop. 3.18.25 ille licet ferro cautus se condat et aere, / mors tamen inclusum protrahit inde caput (mehr Belege in ThLL vii.1 952.30–40). Mit Bezug auf Kothurne, die eigentlich um die Waden geschnürt werden (uincire, wie es bei Vergil richtig heißt) und keinen echten Schutz bieten, begegnet das Wort allein hier. Die singuläre Verwendung von includere ist am ehesten mit einer Kontamination zweier vergilischer Hexameterklauseln zu erklären: einerseits natürlich aus Verg. Aen. 1.337 purpureoque alte suras uincire cothurno und ecl. 7.32 puniceo stabis suras euincta coturno, andererseits aus Verg. Aen. 11.488 bzw. 12.430 surasque incluserat auro bzw. suras incluserat auro: Hier ist das Verb includere angebrachter als im Fragment. Dass Vergil hingegen diesen einen Vers des Anonymus so sehr ausgebeutet hat und eindeutig erkennbare Wendungen an all den zitierten Stellen nutzte, ist weniger glaubwürdig. balteus et reuocet uolucres in pectore sinus Die Beschreibung der Diana stimmt inhaltlich noch immer mit der Beschreibung der verkleideten Venus aus dem ersten Buch der Aeneis überein, ist aber sprachlich nicht unmittelbar vergleichbar: Verg. Aen. 1.320 nuda (sc. Venus) genu nodoque sinus collecta fluentis. Vergils sinus ... fluentis entspricht uolucres ... sinus (einmalige Wendung); collecta entspricht von der Sache her reuocet ... in pectore – eine „sehr spezielle Verwendung von reuocare“, wie Zwierlein (1986) zu Sen. Thy. 685 post terga ... reuocat manus anmerkt. Sie begegnet erst ab Seneca, und seitdem öfter: Sen. Oed. 416 f., wieder in einem Hymnos an Bacchus, (sc. te decet) spargere effusos sine lege crines, / rursus adducto reuocare nodo und vor allem Claud. 5.79 ... barbariem, reuocat fuluas in pectora pelles mit derselben Wortstellung im Hexameter wie im Fragment: Wahrscheinlich kannte Claudian den anonymen Dichter. Fraglich bleibt aber, ob im Claudiantext pectora oder pectore zu lesen ist. Beides wird überliefert. Das nachgestellte et gehört erst zur klassischen und nachklassischen Dichtungstechnik. Als erster Beleg wird Verg. ecl. 1.34 angenommen. ThLL v.2 897.55–898.6 sammelt noch einige unsichere Fälle vor Vergil; CLE 55.6 crescente et (am Versanfang) geht nach allgemeiner Auffassung Vergil nicht weit voran. Das Fragment kann so keinesfalls von Livius Andronicus, aber ebenso wenig von Laevius stammen. Wenn Marconi (1963) 142 f. urteilt, das ‚neoterisch‘ nachgestellte et passe gut zu Laevius, weil der Dichter viele Gräzismen nutze, so ist das doppelt falsch: Weder ist nachgestelltes et bei Catull (57.9 ist nach allgemeiner Auffassung korrupt) oder anderen
5.1 Ein kaiserzeitliches Inofragment [Laev.] F 12a C.
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Dichtern seiner Zeit sicher belegt noch ist Laevius ein ‚Neoteriker‘. Seine Neigung zu Gräzismen ist oben p. 30 kurz betrachtet: Sie bewegt sich im Rahmen des Altlateinischen und erstreckt sich nicht auf die Syntax. Auch durch Baehrens’ (FPR) Umstellung et reuocet uolucres in pectore balteŭs sinus, die zuletzt Courtney (22003) druckt, kann die Zuweisung an Laevius nicht retten. Holford-Strevens (1981) 182 sah, dass der Versanfang auf Vergil beruht: Aen. 5.313 balteus et tereti subnectit fibula gemma; 12.274 balteus et laterum iuncturas fibula mordet, 12.942 balteus et notis fulserunt cingula bullis (danach Stat. Theb. 9.241, Val. Flac. 3.190 und Iuv. 6.256). Auch hier ist hinsichtlich der Prioritätsfrage zu vermuten, dass eher drei Verse aus Vergil einen Vers beim Anonymus beeinflussten als ein Vers beim Anonymus drei Verse bei Vergil. pressaque iam grauida crepitent tibi terga pharetra Der poetische Plural terga ist erst ab klassischer Zeit belegt, davor aber nicht grundsätzlich auszuschließen; siehe unten Anm. 550. – Zugrunde liegt die ursprünglich homerische Apollbeschreibung Il. 1.46 ἔκλαγξαν δ’ ἄρ’ ὀϊστοὶ ἐπ’ ὤμων χωομένοιο, ‚es klirrten die Pfeile an den Schultern des zürnenden (Apoll)‘. Vergil hat öfter ähnliche Wendungen benutzt: Aen. 4.149 tela sonant umeris von Apoll; 9.660 Dardanidae pharetramque fuga sensere sonantem von Apoll; 11.652 aureus ex umero sonat arcus et arma Dianae von Kamilla. Der Dichter des Fragments variiert das Bild, indem er es auf Apolls Schwester überträgt. Dabei nimmt er eine Subjektverschiebung vor, wie sie in der lateinischen Dichtersprache zu allen Zeiten üblich ist: terga pressa pharetrā crepitent ist gleich pharetră (in) tergis crepitet. Das Phänomen ist bei Hillen (1989) 163–9 beschrieben: Gewöhnlich wird im Zuge solcher Subjektverschiebungen aus der Ortsbezeichnung das Subjekt, aus dem ursprünglichen Subjekt ein Ablativ mit kausaler Färbung. Hier hängt grauida pharetra eher von pressa ab, vielleicht steht es auch ἀπὸ κοινοῦ zu pressa und crepitent. grauida pharetra ist elliptisch für den sonst seit Hor. carm. 1.22.3 f. begegnenden Ausdruck grauida sagittis ... pharetra (auch Sil. 7.445 grauidam telis ... pharetram). Der übertragene Gebrauch von grauidus = plenus wie bei Horaz ist schon ungewöhnlich (ThLL vi.2 2271.70–2272.10), der beim Anonymus begegnende absolute Gebrauch in diesem Sinne eine absolute Rarität: ThLL vi.2 2271.71–8 kennt als sichere Belege nur die Verbindung mit manus: Plut. Truc. 98 neu qui manus attulerit steriles intro ad nos, grauidas foras exportet. Die weiteren dort genannten Fälle, die allesamt Verg. georg. 1.111 grauidis ... aristis (‚fruchttragend‘) entsprechen, sind an der Schnittstelle zwischen eigentlicher und uneigentlicher Sprache anzusiedeln. Das gesamte Bild ist bei Horaz mit dem Ablativ sagittis sprachlich sowohl ausführlicher als auch gewöhnlicher, so dass Holford-Strevens (1981) 182 Recht behält, indem er die Priorität bei Horaz ansetzt.
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Auffällig ist der Ausdruck pressa terga: Weder kann der prall gefüllte Köcher so schwer noch die Göttin so schwach sein, dass ihr Rücken durch die Last der Waffen gebeugt wäre. Ähnliche Wendungen mit premi/pressus finden ihren Gebrauch im Bereich der Lebewesen gewöhnlich bei Lasttieren (Ov. met. 14.819 f. pressos temone ... equos) oder, wenn eine psychisch und physisch schwere Last getragen werden muss (Ov. epist. 7.80 presserunt umeros sacra paterque tuos von Aeneas). Mit Bezug auf waffentragende Menschen ist das Bild am ehesten vergleichbar bei Caes. Gall. 4.24.2 militibus ... graui onere armorum pressis zu finden. Caesar nutzt es, um die widrigen Umstände auszudrücken, die die Römer belasten und ihre schlechte Moral (und damit die zunächst drohende Niederlage) begründen. Vergleichbar ist ferner eine Stelle aus dem Jagdhymnos des Hippolytos bei Sen. Phaedr. 43 f. raras ceruice graui / portare plagas. Im Fragment ergibt sich wohl durch die Verbindung von grauidus und pressus ein einheitliches Bild. Womöglich ist das PPP pressa beim anonymen Dichter aber auch ganz unabhängig von der ursprünglichen Bedeutung des Verbs premere als ‚geschmückt/ausgestattet mit ...‘ zu verstehen. So wäre es üblich (v. a. bei Schmuck, [Ov.] epist. 15.74 premit articulos lucida gemma meos), wenn die Verbindung mit terga auch ungewöhnlich bliebe. Ganz anders urteilt Spaltenstein (2008) 175: „Cette notation pittoresque et ingénieuse e même temps semble bien alexandrine caractère“. Der Vers dürfte eine verdichtete Kontamination sein: zuerst aus der sachlichen Vorlage Verg. Aen. 1.336 mos est gestare pharetram, die der Anonymus auf die Partizipialkonstruktion pressa terga pharetrā verkürzt; danach aus der sprachlichen Vorlage Hor. carm. 1.22.3 f. grauida sagittis ... pharetra oder vielleicht sogar Sil. 7.445 monstrabat grauidam telis se ferre pharetram. odorisequos ... canes Das Kompositum wird häufig herangezogen, um das Fragment Laevius zuzuweisen: Es entspreche seinem Stil, weil er auch andere gewagte Zusammensetzungen wie pudoricolor (F 5) oder tardigenuclus (F 2) gebrauche. Komposita solcher Art sind aber keine laevianischen Spezifika, sondern im Altlateinischen überhaupt weit verbreitet. Ebenfalls schufen klassische Dichter zusammengesetzte Neubildungen, wenn auch nicht mehr so exzessiv. Ab den Archaisten in der zweiten Hälfte des zweiten Jh.s v. Chr. werden die Wortbildungen dann wieder freier. Einen Überblick über die Komposita bietet Lindner (2002) 236–312. odorisequus scheint ausgehend von pedisequus (‚fußfolgend‘, ‚der Diener‘) gebildet zu sein. Der Gedanke des Verses ist vergleichbar mit Verg. Aen. 4.132 Massylique ruunt equites et odora canum uis. Es wäre aber zu gesucht, wie Marconi (1963) 143 f. auch an dieser Stelle zwischen dem Anonymus und Vergil Abhängigkeiten zu vermuten: Dass Hunde einen hervorragenden Geruchssinn haben, ist allgemein bekannt. Wahrscheinlich hatte dagegen Servius den Anonymus im Kopf, als er die eben zitierte Vergilstelle kommentierte: ‚odorum‘ quod per se olet, ‚odoratum‘ quod aliunde
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accipit odorem, ‚odorisecum‘ quod odorem sequitur; sicut modo de canibus debuit dicere (Serv. zu Verg. Aen. 4.132). Holford-Strevens (1981) 182 vermutet ansprechend, dass der Ausdruck durch die Grammatiker bzw. Metriker zu Servius gelangt sein könnte. Das Fragment dürfte als einziges Zeugnis miurischer Hexameter im Lateinischen in allen Metrikbüchern zu finden gewesen sein. ad certa cubilia eine nicht ganz leicht verständliche Iunktur, die zu Konjekturen angeregt hat: Delrius (1593) 162 vermutete mit Lucr. 5.408 caecas latebras (im ähnlichen Zusammanhang) und Nemes. cyn. 236 leporum secreta cubilia monstrant (sc. canes) dafür caeca cubilia. Wakefields (1813, zu Lucr. 1.406) tecta cubilia wurde zuletzt wieder offenbar ohne Kenntnis von ihm bei Watt (1998) 157 f. vertreten. Baehrens erwägt in den FPR operta. Mehr Konjekturen sammelt Weichert (1830) 67 f. Mir scheint eine Prolepse vorzuliegen: certa cubilia sind die vom witternden Hund sicher bestimmten Orte gejagter Tiere, etwa ein Hasenbau: ‚ein sicher erkannter Bau; ein Bau, dessen Standort vom Hund sicher bestimmt ist‘. Spaltenstein (2008) 176 bewertet das Phänomen nach ThLL iii 912.31 f. als „proleptique et elliptique pour certo inuenta ou inuenienda, ... un hypallage“, wobei es Ellipse und Hypallage m. E. nicht ganz trifft. Unabhängig davon ist seine Klassifizierung des Stilmittels als ‚neoterisch‘ aber irreführend. Prolepsen sind vermehrt erst seit augusteischer Zeit verbreitet, davor nur vereinzelt. Die nachklassischen Dichter gehen dann mit voranschreitender Zeit immer freier damit um (H.-Sz. 414). Wer also akzeptiert, dass hier ein nachvergilischer Dichter schreibt, kann nicht in den Text eingreifen. Dem Altlateiner (nicht Neoteriker!) Laevius ist die Prolepse jedenfalls weniger zuzutrauen.
5.1.6 Zusammenfassender Ausblick Folgender Überblick verdeutlicht die Fülle von Anlehnungen: Hymnos
Augusteische und kaiserzeitliche Dichtung
sed iam purpereo suras include cothurno
purpureoque alte suras uincire coturno (Verg. Aen. .; sachliche Vorlage) puniceo stabis suras euincta coturno (Verg. ecl. .) surasque incluserat auro (Verg. Aen. .) suras incluserat auro (Verg. Aen ..)
balteus et reuocet uolucres in pectore sinus
nuda (sc. Venus uenatrix) genu nodoque sinus collecta fluentis (Verg. Aen. .; sachliche Vorlage) balteus et tereti (Verg. Aen. .) balteus et laterum (Verg. Aen. .)
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(fortgesetzt) Hymnos
Augusteische und kaiserzeitliche Dichtung
pressaque iam grauida crepitent tibi terga pharetra
uirginibus Tyriis mos est gestare pharetram (Verg. Aen. .; sachliche Vorlage) Dardanidae pharetramque fuga sensere sonantem (Verg. Aen. .) aureus ex umero sonat arcus et arma Dianae (Verg. Aen. .) grauida sagittis ... pharetra (Hor. carm. .. f.) ferner monstrabat grauidam telis se ferre pharetram (Sil. .; Priorität unklar, vllt. auch unabhängig)
Allein schon die Menge der Entsprechungen verdeutlicht, dass es der anonyme Dichter war, der sich bei Vergil und Horaz (vielleicht sogar Silius) bedient hat. Auch die erst seit klassischer oder nachklassischer Zeit gebräuchlichen Wörter (reuocare), Gräzismen (nachgestelltes et), Stilmittel (Prolepse certa cubilia), ferner die im Altlatein höchst seltene und nur an besonders pointierten Stellen genutzte Wortanordnung im Hexameter (grauida ... pharetra, purpureo ... cothurno, odorisequos ... canes) zeigen unmissverständlich, dass die Verse nachvergilisch sind. Die späten Belege der miurischen Hexameter weisen vielleicht sogar in die etwas fortgeschrittenere Kaiserzeit. Warum Terentianus und Asmonius die Verse Livius Andronicus zuschreiben und wer der eigentliche Verfasser der Miuren ist, lässt sich heute nicht mehr sagen. Auch weitere Erklärungsansätze sind inakzeptabel: Das Fragment kann keine spätere Einlage in eine tatsächlich existierende Inotragödie von Livius gewesen sein, wie noch Duentzer annahm.347 Solche Interpolationen sind nur im Zuge von Wiederaufführungen zu denken, die für Livius’ Dramen in nachvergilischer Zeit wohl ausgeschlossen werden dürfen.348 Prinzipiell wäre aber einzuräumen, dass frühere Interpolationen auch in der republikanischen Tragödie denkbar sind.349 Ebenso setzt Haupts These zu viel Unbekanntes voraus:350 Nach ihm hat die Vorlage des Terentianus, der Metriker Caesius Bassus, noch originale Miuren aus einem Dianahymnos der Liviustragödie Ino zitiert. Diese habe Terentianus Maurus, weil sie ihm zu archaisch schienen, dem Geschmack seiner Zeit angepasst und entsprechend
Vgl. Duentzer (1838) und unabhängig von ihm auch Schenkl (1894). Vgl. zur Wiederaufführung von republikanischen Tragödien Manuwald (2016) 84–6. Vielleicht liegt ein Fall von Interpolation in Enn. TrRF ii 42 (= 120–4 Joc.) vor. Zuletzt vertrat jedenfalls Soubiran (1984) nachdrücklich und mit guten Argumenten die Ansicht, dass die angeblichen Enniusverse aus dem ersten Jh. v. Chr. stammen würden. Womöglich ist aber auch hier die Autorenzuweisung unzutreffend oder korrupt. Vgl. Haupt (1875) 115–8 (= 1841, 43 f.) und anschließend L. Müller (1885) 43 und Leo (1913) 71.
5.2 Laevius’ Ino
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umgestaltet. Asmonius müsste dieser Auffassung gemäß allein von Terentianus abhängen, was aber wenigstens fraglich ist.351 Darüber hinaus ist es schwer vorstellbar, dass dem Fragment neben der eigentlichen Vorlage aus Verg. Aen. 1.318–37 und den vielen sprachlichen Vorlagen, die oben aufgeführt sind, noch echte Liviusverse als weiteres Vorbild zugrunde lagen. Zum Schluss ist allein so viel sicher, dass weder Livius noch Laevius die von Terentianus und Asmonius überlieferten Hexameter geschrieben haben. Alle anderen Fragen können nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Das größte Rätsel der Literaturgeschichte – um mit Klussmann zu sprechen352 – bleibt damit erhalten.
5.2 Laevius’ Ino Weichert (1830) 71–3, Pighi (1963) 555, Lunelli (1969) 109–14, Granarolo (1971) 132 f., Traglia (21974) 129, Courtney (22003) 128
Da das bei Terentianus Maurus und Asmonius überlieferte Fragment unter keinen Umständen von Laevius stammen kann, bleibt für ihn nur noch ein Inofragment zu besprechen.353 Es beschreibt, wie sich eine dem Wahnsinn verfallene Heroine ins Meer stürzt.
5.2.1 Der Inomythos bei Laevius Die Kadmos- und Harmoniatochter Ino und ihr Mann Athamas sind Ausgangspunkt verschiedener Erzählungen, die von zahlreichen Dichtern, Mythographen, Scholiasten, Ethnologen, Geographen und Historikern behandelt wurden. Die einzelnen Erzählungen werden teils miteinander verknüpft, teils voneinander getrennt dargestellt, so dass nicht nur das Geschehen des Mythos selbst stark variiert, sondern sich auch die Zeichnungen der beiden Charaktere erheblich unterscheiden. Nach der Entwirrung aller Angaben handelt es sich im Kern um drei Mythen.354
Vgl. Anm. 320. Siehe das Zitat oben p. 130. Die Prisciancodices überliefern Liuius oder Leuius. G.I. Vossius (1620) 7–9 schreibt in Inone im Prisciantext. Traglia (21974) 54, Courtney (22003) 128 und 4FPL Bl. übernehmen überliefertes in Inoe, was aber eine fragwürdige Form wäre: Entweder lautet der Ablativ Inone oder Ino. Vgl. dazu v. a. die Artikel Leukothea RE xii.2 2293–306 von Eitrem und Athamas RE ii.2 1923–33 von Wellmann. Einen tiefen Einblick gibt die Monographie von González (2017); vgl. ferner Lesky RE xv.1 s. v. Melikertes 514–20.
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Einmal ist Ino als zweite Frau des Athamas die böse Stiefmutter, die versucht, ihre Stiefkinder Phrixos und Helle zu töten, bis die beiden schließlich vom goldenen Widder gerettet werden und nach Kolchis aufbrechen. Nach einer bei Hygin überlieferten fabula, die angeblich auf Euripides zurückgeht, war Ino dagegen die erste Frau des Athamas: Nachdem sie eine Zeitlang auf dem Parnass als Bacchantin verbracht habe, sei sie in das Haus ihres Mannes zurückgekehrt und habe dort sehen müssen, dass er inzwischen eine kinderreiche Ehe mit Themisto eingegangen war. Daraufhin habe Themisto aufgrund einer List von Ino versehentlich ihre eigenen Kinder getötet und Selbstmord begangen. Athamas sei deswegen in Raserei geraten. Ino habe sich aus Angst vor ihm mit ihrem Sohn Melikertes ins Meer gestürzt.355 Im dritten, für Laevius relevanten Mythos ist Ino die fürsorgliche Erzieherin, die grausam von Hera bestraft wird, weil sie den kleinen Dionysos bei sich aufnahm. Die Geschichte erzählt der Mythograph Apollodor im Zusammenhang mit dem thebanischen Sagenkreis um Kadmos im dritten Buch seiner Bibliotheke: Die von Zeus geschwängerte Semele sei einem tödlichen Hinterhalt Heras zum Opfer gefallen. Der gemeinsame Sohn Dionysos sei daher vom Vater selbst ausgetragen worden. Hermes habe das Baby nach der Geburt zu Ino, der Schwester Semeles, gebracht: Sie sollte den Kleinen wie ein Mädchen aufziehen, damit er auf diese Weise unerkannt vor der todbringend eifersüchtigen Hera bleibe. Diese habe sich jedoch nicht täuschen lassen und Ino genauso wie ihren Mann Athamas mit Wahnsinn geschlagen. Athamas habe daraufhin ihren ersten gemeinsamen Sohn Learchos getötet. Ino sei mit dem zweiten Sohn Melikertes rasend von einer Klippe ins tiefe Meer gesprungen. Danach seien Mutter und Sohn zu Meeresgöttern geworden, Ino zu Leukotheia (Mater Matuta bei den Römern), Melikertes zu Palaimon (Portunus bei den Römern).356 Innerhalb dieser von Apollodor gebotenen Version ist der Mythos zu allen Zeiten sehr konsistent und weist bei den verschiedenen Bearbeitern abgesehen von einigen Hinzudichtungen oder Ausschmückungen keine Änderungen auf, die für seinen Handlungsablauf bedeutsam wären. Es ist daher ein besonderer Glücksfall, dass Laevius’ Inofragment genau die Informationen enthält, anhand derer sich sein Gedicht der zuletzt vorgestellten Mythenvariante zuordnen lässt.
Hyg. fab. 4 mit der Überschrift Ino Euripidis; vgl. dazu González (2017) 517–24. Vgl. Apollod. bibl. 3.4.3. Von anderen Zeugnissen abweichend findet sich dort die Angabe, dass Ino vor ihrem Sprung Melikertes zu Tode gekocht habe. Das ist offenbar eine falsch verstandene Wiederaufnahme der Nachricht, dass sie zunächst den gemordeten Learchos durch Kochen versucht habe wiederzubeleben (so wohl bei Pind. F 128d Maehler und im Athamas des Aischylos TrGF iii F ✶1 und F 2a); siehe dazu Lesky RE xv.1 s. v. Melikertes 515.
5.2 Laevius’ Ino
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seque in alta maria praecipem impos aegra sanitatis herois und sie stürzte sich kopfüber in die hohe See, die Heldin, nicht Herrin ihrer Sinne, geisteskrank
Mit der Angabe, Ino sei zum Zeitpunkt ihres Sprunges wahnsinnig und nicht bei Verstand gewesen, impos aegra sanitatis, lässt sich mit Sicherheit feststellen, dass Laevius’ Ino dem bei Apollodor erzählten Mythos entspricht. Umgekehrt besteht auch dahingehend Gewissheit, dass die anderen Inomythen, sowohl die Erzählung um Phrixos und Helle als auch die bei Hygin überlieferte Version, für die Annäherung an Laevius’ Ino irrelevant sind. Während die Mythographen, Scholiasten und wenige sehr späte Dichter dazu neigten, die verschiedenen Varianten zu einer in sich geschlossenen Geschichte zusammenzuschreiben,357 wurden die einzelnen Inomythen sonst stets strikt voneinander getrennt.
5.2.2 Die dichterische Tradition vom Wahnsinnssprung der Ino Von den dichterischen Behandlungen des Mythos, die Inos Sprung aufgrund ihres Wahnsinns in den Mittelpunkt stellen, sind abgesehen von Laevius’ Gedicht heute noch drei erhalten respektive rekonstruierbar. Die erste von ihnen stammt vermutlich aus einem Aition von Kallimachos, das, so die erhaltene Diegesis, den Ursprung der Menschenopfer auf Tenedos, einer in der Ostägäis gelegenen Insel, erklärte: Kallimachos habe zunächst Inos Sprung dargestellt und daraufhin beschrieben, wie die damaligen Bewohner der Insel Melikertes’ an die Küste gespülten Körper fanden und ihm zu Ehren einen Altar errichteten, um daran in Gefahrensituationen Opfer zu bringen.358 Zwar ist daraus noch nicht unmittelbar ersichtlich, worin Kallimachos Inos Selbstmord veranlasst sah, ob in ihrem Wahn oder in ihrer Angst vor Athamas, doch zusätzlich ist ein Kallimachosvers erhalten geblieben, der Aufschluss darüber bieten könnte (Kall. SH 275 = 194 Massimilla = 148 Asper): ἅλματος Ἰνῷοιο μεμηνότος ὅστις ἀπευθής Wer auch immer ohne Wissen ist vom wahnsinnigen Sprung der Ino
Vgl. etwa Paus. 1.44.6 oder Tzetz. Lyc. 22, wo die Mythen lose miteinander verknüpft sind. Wie in der spätantiken Dichtung häufig zu beobachten ist, führt auch Nonnus im neunten und zehnten Buch der Dionysiaka verschiedene Mythenvarianten in eine einzige Geschichte zusammen. Vgl. Dieg. Kall. PMil Vogliano col. iii 1–11 auch bei Massimilla (2010) p. 134 f., Harder (2012) p. 270.
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5 Ino
Das Bruchstück wird in einer Abhandlung über Prosodie vom griechisch-römischen Grammatiker Herodian aus der Zeit des Marc Aurel wegen der Form Ἰνῷοιο zitiert. Leider lässt uns Herodian in Unkenntnis darüber, welchem Werk er seinen Beleg entnommen hat und in welchem Zusammenhang er ursprünglich stand. Man geht heute mehrheitlich davon aus, dass der Grammatiker einen Vers aus der soeben beschriebenen Partie der Aitien zitiere. Weil aus der Diegesis dazu eindeutig hervorgeht, dass Kallimachos Inos Sprung beschrieben oder wenigstens erwähnt hat, ist die Verbindung plausibel, wenn auch nicht zwingend.359 Auch Ovid bietet in seinen Fasti ein Aition im Zusammenhang mit dem Inomythos.360 Er geht in Abgrenzung zu Kallimachos allerdings einen eigenen Weg, indem er die Divinisierung der Protagonistin in Verbindung mit dem genuin römischen Fest der Mater Matuta bringt, die schon spätestens seit Cicero mit Ino-Leukotheia gleichgesetzt wurde.361 Der Ausgangspunkt von Heras Zorn und vom Wahnsinn, mit dem sie das Paar schlägt, bleibt aber im Kern derselbe wie bei Apollodor. Dementsprechend ist auch die Schlüsselszene mit dem Kallimachos- und Laeviusfragment vergleichbar (fast. 6.495–8): est spatio contracta breui, freta bina repellit, unaque pulsatur, terra, duabus aquis: huc uenit insanis natum complexa lacertis, et secum celso mittit in alta iugo. Es gibt eine Gegend, die ist eingeengt zu einem schmalen Raum, hält das zweigeteilte Meer auseinander und wird durch die doppelte Brandung gepeitscht: Hierher kam sie von Sinnen, sie umfasste ihren Sohn mit den Armen und zusammen mit ihm warf sie sich von der hohen Klippe in die Tiefe.
Danach folgen Handlungsabläufe, die spezifisch für Ovids Fasti sind: Ino und Melikertes überleben den Sprung, weil sie von der Nymphe Panope gerettet werden, und gelangen nach einigen Wirrungen dann zur arkadischen Göttin Karmenta, die die Apotheose der beiden verkündet. Eine Gestaltung des Mythos aus den Metamorphosen weist gegenüber der Episode aus den Fasti wiederum einige Unterschiede auf, die ebenfalls vor allem aus der Anlage der Darstellung heraus zu erklären sind. Ovids größter Eingriff in den Ablauf des Geschehens besteht darin, dass Hera die Raserei des Ehepaares nicht
Vgl. Massimilla (2010) 428 und Harder (2012) 724. Ov. fast. 6.481–562. Vgl. Cic. Tusc. 1.28 und nat. deor. 3.48.
5.2 Laevius’ Ino
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selbst veranlasst, sondern die Furie Tisiphone in der Unterwelt um Hilfe bittet.362 Nachdem Athamas den kleinen Learchos ermorderte, weil er glaubte, dass er ein junger Löwe ist, wird auch Ino vom furor ergriffen (met. 4.528–30) : occupat hunc (sc. scopulum) (uires insania fecerat) Ino seque super pontum nullo tardata timore mittit onusque suum (sc. Melicertam); percussa recanduit unda. Den Felsen bestieg Ino (der Wahnsinn verlieh ihr die Kräfte dazu) und furchtlos warf sie sich und ihre Last, den Sohn Melicertes, ohne Zögern von oben ins Meer. Durchschlagen schäumten die Wellen.
Dann tritt mit der Vergöttlichung von Mutter und Sohn die eigentliche Metamorphose ein.
5.2.3 Die Ino als erotisches Gedicht Alle vorgestellten dichterischen Gestaltungen des Mythos heben Inos Wahnsinn zum Zeitpunkt ihres Sprunges noch einmal explizit hervor – offenbar in starker Abgrenzung zu den anderen beiden Mythenvarianten. Die Linie von Kallimachos über Laevius zu Ovid ist deutlich genug, und es ist sinnvoll anzunehmen, dass die jüngeren Dichter Kenntnis von den jeweils älteren hatten. Ferner hat sich gezeigt, dass der bei den dreien bearbeitete Mythos je nach Anlage des Werks variieren kann, ohne dabei seinen Kern zu verlieren. Bei Kallimachos erklärt der Verweis auf Ino wohl vorrangig den Brauch der Menschenopfer auf der Insel Tenedos, in Ovids Fasti stehen verschiedene Geschehnisse nach dem Sprung ins Meer im Vordergrund, um eine Verbindung zum Fest der Mater Matuta herzustellen, und in den Metamorphosen endet die Geschichte mit den Verwandlungen. Das alles dürfte für Laevius weniger bedeutend gewesen sein: Wie auch bei seinen anderen Gedichten ist für ihn eine Behandlung unter dem Gesichtspunkt des Erotischen erwartbar, vermutlich geht es ihm um die verletzte Göttin Hera. Der Ursprung des furchtbaren Unglücks liegt in Zeus’ Untreue ihr gegenüber. Er hat zusammen mit Semele das uneheliche Kind Dionysos gezeugt und dadurch Heras Eifersucht geweckt, die wie in vielen anderen Mythen später in Zorn gegenüber Zeus’ Affäre umschlug. Im Inomythos liegt der gesonderte Fall vor, dass
Ov. met. 4.416–542. Die Erweiterung liegt in Ovids Technik begründet, Szenen verschiedener Metamorphosen durch Rahmenhandlungen und fließende Übergänge miteinander zu verbinden; zum Aufbau der Szene vgl. Bernbeck (1967) 5–43.
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Hera, nachdem sie Semele in den Tod trieb, auch dem Babydionysos und seiner Erzieherin Ino nachsetzte. Von den angesprochenen Passagen aus den Texten von Kallimachos und Ovid wäre die Behandlung aus den Metamorphosen von der Anlage her vermutlich am ehesten mit Laevius’ Ino vergleichbar. Hier steht hauptsächlich Hera im Mittelpunkt des Geschehens: Ovid gibt ihrem Gefühlsleben sowohl zum Eingang seiner Erzählung als auch in ihrem Gespräch mit der Furie Tisiphone anders als in den Fasten großen Raum. Dadurch wird Hera über das übliche Maß des alten Epos hinaus vermenschlicht und dem Leser als Abbild der eifersüchtigen und betrogenen Ehefrau vor Augen gestellt.363 Dass auch Laevius dazu neigt, die intimen Emotionen von Frauen und Göttinnen ausführlicher darzustellen, hatte sich schon öfter gezeigt:364 Mit Heras Eifersucht nimmt er ein berühmtes und in der Liebesdichtung verbreitetes Motiv auf.365 Inos Leid ist dann ähnlich wie das Leid von Antiope in Properzens Dirkeelegie (3.15) ein Beispiel dafür, wie katastrophal Liebesgeschichten enden können.
5.2.4 Metrik und fehlendes Prädikat in F 25 Die Stellen aus Ovids Fasten und Metamorphosen können auch dabei helfen, Laevius’ Fragment auf Wortebene besser zu verstehen und ein Prädikat zu ergänzen. Dass in der Überlieferung des Fragments im Prisciantext ein finites Verb fehlt, ist jedenfalls verdächtig. Priscian neigt dazu, syntaktisch in sich geschlossene Einheiten zu zitieren.366 Das Laeviusfragment ist aber so, wie es überliefert ist, grammatisch nicht verständlich, allein schon, weil das eröffnende se ohne jeglichen Zusammenhang steht.367 Als Erster versuchte Jos. Scaliger das Problem zu lösen, indem er sich unmittelbar an Ovid orientierte und misit ergänzte.368 Obwohl Ovid Laevius nicht wörtlich zitiert, sind die Parallelen zwischen den Texten doch auffällig genug, dass man sich dem Ino-Fragment auf Basis der Fasten und Metamor-
Vgl. dazu Bernbeck (1967) 8–9. Vgl. zusammenfassend oben p. 27. In Verbindung mit Ino, Io, Semele, Kallisto etwa bei Prop. 2.28; am häufigsten bestehen Bezüge zu Zeus’ Affäre mit Io, z. B. Prop. 2.33a.6–12, Ov. am. 2.19.29 f. und bestimmt auch bei Calvus’ Io (9–15 C./4FPL Bl. = 20–5 H.). Zur Zitierweise Priscians vgl. auch unten p. 192. Alternativ müsste se reflexiv auf praecipem zu beziehen sein, wofür es keine Parallelen gibt. Vgl. Jos. Scaliger (1576) clxiii oder später G.I. Vossius (1620). Die Texte der beiden sind heute, von der Ergänzung des Verbs abgesehen, vernachlässigbar: Scaliger hatte seseque in alta maria praecipitem misit / inops et aegra sanitatis herois (Hinkiambus), wobei noch nicht einmal klar ist, was Konjektur und was Versehen ist. Vossius schreibt seque in alta maria praecipem / Ino aegra sanitatis herois dedit (zwei unvollständige iambische Senare).
5.2 Laevius’ Ino
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phosen nähern kann: Laev. seque in alta maria impos aegra sanitatis ~ Ov. fast. 6.497 f. huc uenit insanis ... et secum celso mittit in alta iugo ~ Ov. met. 4.528–30 occupat hunc (uires insania fecerat) Ino seque super pontum ... mittit. Das Verb mittere bleibt deshalb mit Scaliger die beste Wahl, auch wenn noch andere Verben mit dem Ausdruck se praecip(it)em verbunden werden können.369 Allerdings nehme ich das Präsens mittit in den Text auf, weil das Fragment offenbar aus einer erzählenden Passage stammt.370 Einen Hinweis darauf, an welcher Stelle das Verb ergänzt werden muss, kann Ovid aber nicht mehr bieten. Entscheidend ist zunächst, welches Metrum vorliegt. sēque ĭn āltă mărĭă prā̄ecĭp ̄ em īmpŏs ā̄egră ̄ sānĭtātĭs hērōīs
In den meisten Ausgaben wird das Fragment nach Scaligers Idee als Himkiambus gedruckt, was aber entweder weitere Konjekturen nach sich zieht wie in Morels Ausgabe oder metrisch nicht stimmig ist wie bei Büchner oder Blänsdorf.371 Ganz ohne Änderungen kommt aber Lunelli aus. Er liest zwei vollständige und einen beginnenden trochäischen Dimeter in Synaphie mit Annahme einer Positionslänge der letzten Silbe -īs:372 sēque ĭn āltă mărĭă prā̄ecĭp ̄ em īmpŏs ā̄egră ̄ sānĭtātĭs hērōīs
Die Verse wären vermutlich Bestandteil eines Systems aus trochäischen Dimetern, wie es auch Plautus nutzte.373 Das Verb mittit müsste hier im ersten Vers ergänzt werden, weil der gesamte Ausdruck impos aegra sanitatis herois mit dem
Möglich sind weiterhin se iacere, se deicere, se dare; vgl. ThLL x.2 s. v. praeceps 413.4–35. Siehe oben p. 17 zum Präsens als Erzähltempus. Vgl. 1FPL M. und Traglia (21974), wobei sie Scaligers offensichtlichen Fehler praecipitem kor̄ mīsīt / ĭnōps ĕt ā̄ egră ̄ sānĭtātĭs hērōīs. 2FPL Bü. und rigierten: sēsēque ĭn āltă mărĭă prā̄ ecĭpēm 4 FPL Bl. haben dieselben Hinkiamben, aber mit unmetrischem zweiten Versbeginn īmpŏs ĕt. Langes impōs findet nur im plautinischen Canticum Cas. 629a impōs animi (so bei Questa [1995]) eine Entsprechung; siehe zur Länge Leo (21912) 282 f., Anm. 9. Hinkiamben schreiben ebenfalls L. Mül̄ em īmmīsīt / mēnte īmpŏs, ā̄egră ̄ sānĭtātĭs hērōīs und Baehler (1880) sēsēque ĭn āltă mărĭă prā̄ecĭp ̄ mīsīt / ănĭmi īmpŏs ā̄egră ̄ rens (FPR) und Granarolo (1971) 132 f. sēsēque ĭn āltă mărĭă prā̄ecĭpēm sānĭtātĭs hērōīs, wobei L. Müllers Ergänzung von immisit paläographisch vor impos gut passt. Doch immittere ist sonst nirgends zusammen mit einer Form von praeceps belegt. – Für weitere, hier nicht eigens besprochene Vermutungen zum Versmaß siehe Lunelli (1969) 112, Anm. 5. Vgl. Lunelli (1969) 109 f. Etwa Plaut. Amph. 575–85; vgl. Questa (2007) 358.
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5 Ino
Asyndeton zweier Adjektive und dem dazugehörigen Genitiv sowie dem Bezugswort herois tendenziell zusammengehalten werden sollte.374 Es könnte vor oder nach maria ausgefallen sein, weil beide Wörter mit m- beginnen, auf -it oder -ia auslauten, im Codex in etwa dieselbe Länge aufweisen und so vom schriftlichen Erscheinungsbild her generell ähnlich sind. Beispielsweise: sēque ĭn āltă mărĭă ̄ sānĭprā̄ecĭp ̄ em īmpŏs ā̄egră tātĭs hērōīs ̆ ˉ ̆
Das Metrum ist für Laevius denkbar, aber sonst nicht belegt. Dagegen hat er vermutlich mit F 35 trochäische Septenare benutzt, die hier auch möglich wären. Dann gestaltet sich aber die Ergänzung von mittit als schwierig. In jedem Falle ist die Versgrenze praecipem / ... anzunehmen; wollte man mittit im ersten Vers ergänzen, etwa wie oben nach maria, ergäbe sich: ˉ ̆ ˉ ̆ sēque ĭn āltă mărĭă prā̄ecĭpēm ̄ īmpŏs ā̄egră ̄ sānĭtātĭs hērōīs
Dabei verstößt der zweite Vers gegen die Regel von Meyer, weil nach dem elften Element nach herois Wortende vorliegt, das vorangehende -o- aber eine Länge aufweist.375 Meyer beschrieb mit seiner Regel eher eine Neigung als ein striktes Gesetz, trotzdem ist es problematisch per Konjektur gegen sie zu verstoßen. Zur Einhaltung der Regel bliebe dann wieder die Möglicheit, das Verb im zweiten Vers zu ergänzen, aber nach wie vor scheint es mir problematisch den eng zusammengehörigen Ausdruck impos aegra sanitatis herois zu trennen. Eine Entscheidung zu treffen, ist schwierig, ich tendiere aber eher zu den trochäischen Dimetern.
5.2.5 Stellenkommentar praecipem Laevius folgt der archaisch-dichterischen Deklination des Adjektivs. Der Nominativ Singular lautet vor Cicero nicht praeceps, sondern praecipes (Genitiv -ipitis; genauso ancipes, nicht anceps; dazu Leumann 451). Wie die Nominativform praeceps mit dem obliquen Kasus praecipem (und noch einmal im Altlateinischen bei Enn. ann. 390 Sk. praecipe) zusammenhängt, ist im Einzelnen nicht sicher. Ge-
Vgl. die unten zur Stelle zitierten Belege und dagegen Courtney (22003) 128 mit herois. Bei herois sollte -o- als eigene Silbe lang gemessen werden. Die Kürzung des Vokals ist nicht belegt, die Synizese finde ich allein bei Auson. 19.95 ipsae intercedunt heroides et sua quaeque.
5.2 Laevius’ Ino
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wöhnlich wird angenommen, dass aus der für den Nominativ praecipes ungewöhnlichen Form praecipe(m) der Nominativ praeceps in Analogie zu princeps, -ipis oder particeps, -ipis entstanden ist; vgl. Leumann 450 f. und Timpanaro (1978a) 203 f. Umgekehrt stellt Priscian die Verbindung zwischen den Formen her: ‚praecipis‘ genitiuum, qui a nominatiuo ‚praeceps‘ est (GLK ii 281.2 f.). impos aegra sanitatis In der lateinischen Sprache ist die asyndetische Verbindung zweier Adjektive äußerst selten. Meist werden synonyme oder wenigstens bedeutungsverwandte Adjektive zusammengestellt, die wie hier oft durch Alliteration, Assonanz und ähnliche Klangspiele enger miteinander verbunden sind. Der Ursprung des Phänomens ist schwierig zu bestimmen, nach H.-Sz. 828 und Timpanaro (1988) liegt er vor allem in der Sakralsprache, kritisch ist jetzt aber Adams (2021) 233–71. Jedenfalls findet sich Vergleichbares verhältnismäßig häufig und auf freie Art in der altlateinischen Dichtersprache. Die oft schwierigen Stellen sind gesammelt bei Adams (2021) 231–404. Später nutzte Vergil ähnliche Asyndeta noch ab und an, bei Prozperz aber begegnen sie wohl gar nicht (vgl. Fedeli [2005] 928). – Bei Laevius ist dies hier der einzige Beleg für ein zweigliedriges Asyndeton. Grammatisch anders sind die Fälle in Laev. F 40 trepidans libens, F 24 maria alta ueliuola und F 44 saurae illices bicodulae zu bewerten. Eine differenzierte Studie zu den unterschiedlichen Wirkungen von Asyndeta bietet jetzt Adams (2021) 76–83. Zweigliedrige Adjektivasyndeta werden mit Timpanaro [1988] 288 häufig an besonders pathosreichen Stellen genutzt und so begegnet es auch bei Laevius in Versen, die den inhaltlichen Höhepunkt des Inomythos bilden. Der Genitiv sanitatis ist ἀπὸ κοινοῦ zu impos und aegra aufzufassen: In beiden Fällen spricht man am besten von einem Genitiv des Sachbetreffs, der mit impos seit jeher in fester Verbindung steht und später auch analog zu aeger trat (H.-Sz. 75). Den Genitiv auf beide Adjektive zu beziehen, ist deshalb ganz natürlich (anders spricht Lunelli [1969] 110 von einem harten Zeugma). Ähnliche Fälle der ἀπὸ κοινοῦ Stellung gibt es auch anderswo in asyndetischen Reihungen von Attributen: vgl. vielleicht Enn. ann. 280 Sk. suauis homo iucundus suo contentus beatus und dazu Timpanaro (1988) 286 und Adams (2021) 335 sowie Acc. trag. 376 2R. (= 328 Dang.) orbus exspes liberum und dazu D’Antò (1980) z. St. Weniger plausibel scheint es, bloßes impos als ‚von Sinnen‘ aufzufassen, wie Courtney (22003) 128 vorschlägt, auch wenn seine Parallele Acc. Didasc. 9 4FPL Bl. (= 5 f. Dang.) audax, falsidica, gnati mater pessimi, / odibilis, natura impos, excors, ecfera die grundsätzliche Möglichkeit belegt: Es wäre bei Laevius ebenso wie bei Accius aus dem Zusammenhang leicht ersichtlich, dass impos elliptisch für impos animi steht. – Unabhängig davon sind Ergänzungen wie L. Müllers Ablativ impos oder Baehrens’ impos nicht nötig.
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5 Ino
herois herois (hier zum ersten Mal belegt) könnte mit Blick auf die Vergöttlichung und spätere Verehrung der Ino-Leukothea genutzt sein. Ähnlich wird sie auch schon bei Pind. Pyth. 11.7 f. neben Semele und Alkmene unter die Heroinen gezählt (ἡρωΐδων / στρατὸν). Zur Vermischung von Götter- und Heroenkult bei Ino-Leukothea vgl. Lyons (1997) 128–30.
6 Phoenix Keil (1848), L. Müller (11861) 116, Bücheler (1927) 135–7 (= 1875, 305–7), L. Müller (21894) 119 f., De la Ville de Mirmont (1903) 293–306 Reitzenstein (1906), Leo (1914) 183–5, Alfonsi (1958a) 358 f., Lieberg (1962) 62–6, Pighi (1963) 556–8, Alfonsi (1964b), Granarolo (1971) 82–90, van den Broeck (1972) 268–71, Traglia (1974) 131 f., Courtney (22003) 136 f., Galasso (2004), Kwapisz (2019) 54–88, Henke (2020) 120–31
Bei allen Problemen, die die unbeständige und unzuverlässige Zitierweise der antiken Grammatiker bereitet, lassen sich aus den wenigen und oft missverständlichen Informationen, die sie überliefert, manchmal doch erstaunlich weitreichende Schlussfolgerungen ziehen. Das Kapitel Char. 375 f. B. ist für die Literaturgeschichte von höchstem Wert, einerseits weil es das wohl inhaltlich und formal spannendste (aber auch schwierigste) Laeviusfragment unter allen überliefert, andererseits weil es in seiner Kürze trotzdem zahlreiche Hinweise zur Interpretation des ungewöhnlichen Fragments bietet: Aus dem Kapitel lässt sich erkennen, dass die visuelle Poesie, die man für das Lateinische vor allem von Optatianus Porfyrius aus dem vierten Jh. kennt, bereits in republikanischer Zeit von Bedeutung war – jedenfalls für Laevius.376
6.1 Pterygium: ‚Ein Flügelgedicht‘ Das Fragment wird in einem Passus zum Saturnier, dem archaischen lateinischen Versmaß, zitiert: sunt item Saturnii quinum denum et senum denum pedum, in quibus similiter nouum genus pedum est et ipsum ametron, de quibus nihil praecipitur, eoque nomine artis quidem est. et solent esse summi pterygiorum senum denum, sequentes quinum denum, quales sunt in pterygio ‚Phoenicis‘ Laeuii nouissimae odes ‚Erotopaegnion‘. Genauso gibt es Saturnier von je fünfzehn und sechszehn Versfüßen. In diesen findet sich ebenso eine neue und an sich unmetrische Art von Versfüßen, über die nichts gelehrt wird; deshalb ist sie nicht als Kunst zu bezeichnen. Auch die ersten Verse377 der Pterygia pflegen je sechszehn Versfüße zu haben, die folgenden je fünfzehn, wie im laevianischen Pterygium Phoenix, der letzten Ode der Erotopaegnia.
Vor Bücheler (1927) 136 (= 1875, 306) schon Keil (1848) 95; vgl. zur Sache Kwapisz (2019), v. a. 64. Mit summi (sc. uersus) sind wohl nur die ersten Verse gemeint, weniger die ‚äußersten‘ (also die ersten und letzten), wie Henke (2020) 123 übersetzt. So wäre sequentes unpassend. https://doi.org/10.1515/9783111237121-013
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6 Phoenix
Charisius’ Erklärung einer bestimmten Form des Saturniers, die, so seine Worte, aus je sechzehn und fünfzehn Versfüßen bestünden, ist reichlich verworren und gibt der Forschung zum Saturnier nichts wirklich Hilfsreiches in die Hand. Vermutlich verstand Charisius selbst nicht einmal, was er schrieb, so dass das Kapitel allenfalls als ein rezeptionsgeschichtliches Dokument gelten kann.378 Für die Laeviusstelle ist der Passus dagegen weit bedeutsamer: Charisius merkt ausdrücklich an, dass er nur zwei Verse eines Gedichts zitiert, nämlich den ersten und den darauffolgenden;379 er grenzt sie durch ein eingeschobenes tum voneinander ab: ‚Venus amoris altrix genetrix cuppeditatis, mihi quae diem serenum hilarula praepandere cresti, opseculae tuae ac ministrae.‘ tum: ‚etsi ne utiquam quid foret expauida grauis dura fera asperaque famultas potui dominio accipere superbo‘ „Venus, der Liebe Nährerin, Erzeugerin der Lust, die du vor mir fröhlich einen heiteren Tag auszubreiten beschlossen hast, deiner untergebenen Dienerin.“ Dann: „auch wenn ich keinesfalls fassen konnte, was furchterregender, schwerer, harter, grausamer und rauer Sklavendienst unter deiner triumphalen Herrschaft bedeutet“
Die seltsame Angabe der Anzahl von Versfüßen ist hier nicht von Bedeutung. Vielleicht wollte der Grammatiker oder seine Quelle die beiden langen Verse als Trochäen skandieren, womit man wirklich mit Unebenheiten und Hiaten auf sechzehn und fünfzehn Füße käme.380 Weil inzwischen mit L. Müller aber klar ist, dass das Fragment in ionischen Metra geschrieben wurde,381 ist auch das ohne Bedeutung. Wichtig ist hier vielmehr die Aussage, dass die Anzahl der Versfüße des zweiten Verses gegenüber denen des ersten um eins gesunken ist. So lässt sich der erste Vers als ionischer Dekameter, der zweite als ionischer Enneameter deuten. Den Grund für die unterschiedlich langen Verse benennt der Grammatiker indirekt mit der Angabe, die zitierten Worte befänden sich in pterygio Phoenicis, ‚in dem Flügelchen des Phoenix‘: Dass pterygium nicht Teil des Titels ist, zeigt die Apposition nouissimae odes, die sich im Genitiv nur auf Phoenicis beziehen kann.382 In einem wenig rezipierten Aufsatz sah zuerst H. Keil Mitte des 19. Jh. s, dass mit pterygium vielmehr die Form, also der Umriss, des Gedichts beschrieben ist:383 Keil argumentiert mit dem Gebrauch des Wortes in den Anmerkungen eines antiken griechischen Scholiasten zum Figurenge-
Vgl. Kruschwitz (2002) 491–3. Beide Verse in der Ausgabe voneinander zu trennen und eine Lücke anzusetzen (wie etwa zuletzt 4FPL Bl.), scheint mir hyperkritisch. So versteht Keil (1848) 95 f. das Fragment mit Charisius. Zuerst L. Müller (11861) 116; die Metrik ist unten in einem eigenen Kapitel besprochen. Vgl. Morel 1FPL im Apparat z. St. Vgl. Keil (1848) 95.
6.1 Pterygium: ‚Ein Flügelgedicht‘
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dicht Πτέρυγες Ἔρωτος (den Erosflügeln, A.P. 15.24) des Dichters Simias: τὸ δὲ σχῆμα τοῦ πτερυγίου ... τὸ δὲ μέτρον τοῦ πτερυγίου ... .384 Die frühen Figurengedichte vor Optatian zeichnen sich dadurch aus, dass der dichterische Text durch eine Änderung der Anzahl der Versfüße (und damit der Länge) eines jeden Verses ein Muster ergibt, das in unterschiedlicher Weise mit dem Inhalt des Gedichts zusammenhängt.385 Simias’ Erosflügel beginnen mit fünf Choriamben + Baccheus, die sich je Vers um einen Choriambus verjüngen, bis im sechsten Vers allein der Baccheus stehenbleibt. Der wird im siebten wiederholt; danach wachsen die Verse wieder Zeile für Zeile um einen Choriambus an, bis zuletzt der zwölfte Vers in seiner metrischen Länge wieder dem ersten entspricht. So entsteht eine Flügelform, die der zitierte Scholiast mit πτερύγιον bezeichnet. Was auch immer sich genau dahinter verbirgt, sei es ein Alternativtitel für das in den Codices mit Πτέρυγες Ἔρωτος überschriebene Gedicht, sei es eine Art Fachausdruck zur Beschreibung der Figur:386 Das Wort πτερύγιον war der griechischen Sprache zur Erklärung eines Figurengedichts des Simias entsprungen und dürfte wohl von dort aus auch bis zu Charisius gelangt sein, der es dann offenbar allein zur Beschreibung des Umrisses oder der Gedichtart nutzte.387 Der Plural bei Charisius (summi) pterygiorum ‚(die ersten Verse) der Flügelgedichte‘, ist gegenüber dem folgenden Singular in pterygio am einfachsten daraus zu erklären, dass seine ursprüngliche Quelle eine vor allem hinsichtlich der Metrik breitere Diskussion mehrerer Flügelgedichte aufgewiesen hatte. Ein späterer Grammatiker, vielleicht Charisius selbst, übernahm diese ursprüngliche Abhandlung für seine Zwecke, kürzte sie dabei aber bedeutend. Er zitierte allein Laevius und ließ die anderen in der Quelle noch behandelten Figurengedichte beiseite. Der Plural pterygiorum blieb isoliert als Überbleibsel zurück. Welche Gedichte dadurch ausge-
Schol. Theokr. p. 341.11–13 Wendel = p. 547 Beckby iv, danach auch Schol. Theokr. p. 343.14–16 Wendel = p. 546 Beckby iv und öfter in diesem Abschnitt. In Simias’ Erosflügeln (A.P. 15.24) ist der Sprecher Eros die dargestellte Figur, was unmissverständlich aus den ersten Wörtern zu entnehmen ist (λεῦσσε με, ‚siehe mich‘), Simias’ Beil (A.P. 15.22) und Theokrits Syrinx (A.P. 15.21) sind als Weihinschrift auf den dargestellten Gegenstand gedacht, Simias’ Ei (A.P. 15.27) verkörpert die Dichtung des Simias selbst (siehe unten p. 157). Für mehr Beispiele vgl. Ernst (1991) 54–142, Luz (2010) 327–53, Kwapisz (2019) und die Kommentare von Strodel (2002) und Kwapisz (2013). Kwapisz (2019) 64, der ohne Kenntnis von Keils Aufsatz die Bezüge zum Simias-Scholion erkannte, weist darauf hin, dass es in der Antike keinen terminus technicus für Figurengedichte gab, und sich der Scholiast oder seine Vorlage daher mit dem Wort πτερύγιον geholfen haben könnte. Courtneys (22003, 137) Vermutung, hinter Charisius’ pterygium verberge sich eine Art Untertitel zum Phoenix, spricht wegen des Ursprungs des Wortes in der Gammatikersprache weniger an. Aus demselben Grund scheint mir Henkes (2020, 122, Anm. 655) Interpretation des Deminutivs vor dem Hintergrund des laevianischen Stils und Gedichts in die Irre zu gehen.
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6 Phoenix
fallen sind, ist heute nicht mehr zu sagen. Vielleicht bot die ursprüngliche Quelle einen Vergleich zwischen griechischer und lateinischer Dichtung – dann könnten womöglich sogar Simias’ Erosflügel aufgenommen gewesen sein. Vielleicht gab es aber auch weitere, uns unbekannte lateinische Figurengedichte, die die Grammatiker und Metriker mit dem des Laevius verglichen haben könnten.388 Zusammengenommen ergänzen sich das Wort pterygium und Charisius’ Angaben über die schwindenden Versfüße so gut, dass hinsichtlich der Natur des Laeviusgedichts kaum Zweifel bleiben.389 In formaler Hinsicht dürfte der Phoenix mit den Erosflügeln vergleichbar sein: Mit Simias’ Gedicht werden die Flügel des Eros, mit Laevius’ die des Vogels Phoenix nachgebildet.390 Es ergibt sich folgendes Muster mit 20 Versen, vom ionischen Dekameter zum Monometer und wieder zurück: Venus amoris altrix genetrix cuppeditatis, mihi quae diem serenum hilarula praepandere cresti, opseculae tuae ac ministrae etsi ne utiquam quid foret expavida grauis dura fera asperaque famultas potui dominio accipere superbo
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Für die erste Möglichkeit vgl. Kwapisz (2019) 64, für die zweite Leo (1914) 183 f. Anm. 1. Anders hält L. Müller (21894) 119 f., der zwar nicht Keil (1848), aber doch Bücheler (1927) 136 (= 1875, 306) kannte, Abstand von der These des Figurengedichts; Wilamowitz (1937) 5.1 503 (= 1899, 52) hält sie für eine „ansprechende, aber unbeweisbare Vermutung.“ Dass mit dem Titel der Vogel Phoenix gemeint ist, sollte daher sicher sein. L. Müllers (21894, 119 f). Annahme, die homerische Figur Phoenix, der Erzieher des Achill, sei gemeint, ist nicht mit dem Zitierkontext zu vereinbaren; ähnlich wie Müller urteilt auch Pighi (1963) 557.
6.2 Nouissima ode Erotopaegnion: Die Sphragis-Funktion des Phoenix
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6.2 Nouissima ode Erotopaegnion: Die Sphragis-Funktion des Phoenix Der Phoenix ist nach Charisius das letzte Gedicht der Erotopaegnia: nouissimae odes Erotopaegnion (gr. Plural). Es dürfte kaum Zufall sein, dass sich ein so außergewöhnliches Gedicht gerade am Ende eines mehrere Bücher umfassenden Werkes befindet. Die Anordnung muss auf eine bewusste Entscheidung des Dichters selbst zurückgehen, die auf den Effekt des Besonderen zielte.391 Ebensowenig möchte ich es dem Zufall zuschreiben, dass der Text an Venus gerichtet ist, an die Göttin, der sich die erotischen Dichter naturgemäß besonders verbunden fühlen.392 In der Position des Gedichts am Ende der Erotopaegnia liegt auch die Antwort auf die noch nicht entschiedene Frage, warum Laevius als erotischer Dichter gerade den Phoenix als Gedichtumriss auswählte und nicht etwa den Liebesgott Eros. Dadurch, dass ein Figurengedicht dem Leser in zweifacher Form begegnet, zunächst als literarischer Text, dann auch als der dargestellte Gegenstand, kann der Dichter metapoetische Aussagen zu sich und seinem Schaffen in das Gedicht binden. Indem Simias zum Beispiel eines seiner Gedichte als eine Eifigur darstellt, weist er es als ein unter Mühe geschaffenes Werk aus: Bei ihm heißt es von dem dargestellten Nachtigallenei und damit auch gleichermaßen vom Gedicht (A.P. 15.27.1–6): κωτίλας / ματέρος / τῆ τόδ’ ἄτριον νέον / Δωρίας ἀηδόνος· / πρόφρων δέ θυμῷ δέξο· δὴ γὰρ ἁγνᾶς / λίγειά μιν κάμ’ ἶφι ματρὸς ὠδίς393 Da, der zwitschernden Mutter, der dorischen Nachtigall neues Gewebe: Mit gewogenem Herzen nimm es: Denn der keuschen Mutter helltönender Geburtsschmerz hat es mit Mühe geschaffen
Damit tritt der Dichter selbst als Mutter, also als Nachtigall, auf.394 Sein Gedicht ist das unter Mühe hervorgebrachte Ei. Um Aussagen über das eigene Gedicht oder Gesamtwerk zu treffen, ist auch der unsterbliche Vogel Phoenix eine passende Wahl: Es ist ein verbreiteter Topos, am Ende von Gedichtsammlungen die Unvergänglichkeit oder wenigstens das zu
Vgl. dazu Kwapisz (2019) 60. Auch Ovid spricht in seiner letzten Elegie der Amores (3.15.1) Venus an: quaere nouum, uatem tenerorum mater Amorum; vgl. für einen möglichen Zusammenhang mit Laevius Reitzenstein (1906) 157. Ich zitiere hier die Verse in der Reihenfolge, in der sie gelesen werden müssen, d. h. zuerst den ersten, dann den letzten, danach den zweiten, dann den vorletzten usf. Siehe zu dieser Form und zur folgenden Interpretation Luz (2010) 335–41. Die Metapher ist üblich: vgl. Bakch. 3.97 f. und dazu Maehler (1997) i z. St. Dass Bakchylides dort die Nachtigallenmetapher in „einer Art Sphragis“ (Maehler) nutzt, spricht für Kwapisz (2013) 13, der das Ei als Sphragis interpretiert.
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6 Phoenix
erwartende hohe Alter des Geschaffenen zu betonen: Pindar erhoffte für sich und seine Gedichte langandauernden Ruhm, Horaz hat den Anspruch, mit seinen carmina etwas vollbracht zu haben, das aere perennius ist, Ovids Metamorphosen können nach seinen eigenen Worten weder die Götter noch Krieg oder hohes Alter etwas anhaben395 – und Laevius’ letztes Gedicht ist ein Phoenix, der wie kein anderes Wesen für sein hohes Alter und seine Unsterblichkeit bekannt ist, weil er sich stets aus sich selbst neu erschafft: una est quae reparet seque ipsa reseminet ales, / Asyrii phoenica uocant (Ov. met. 15.392 f.). Ovid fand im Verweis auf den Phoenix einen geeigneten Beleg für die pythagoreische Weltanschauung, dass nichts auf der Erde vergeht, sondern alles zu neuen Formen wird und unvergänglich ist. Bei christlichen Autoren wurde der Phoenix später ein beliebtes Symbol der Überwindung des Todes. Wie also das Figurengedicht bei Simias als Ei und damit als etwas unter Geburtsschmerzen, also unter Mühe und Anstrengung, Geschaffenes erscheint, so erscheint Laevius̕ Gedicht als ein Phoenix und damit als etwas Unvergängliches. Das lässt sich leicht pars pro toto auf seine gesamten Erotopaegnia beziehen. Die Wahl des Phoenix als Umriss erweist sich so als kreative Variation des aere perennius Gedankens.396 Daneben vertritt der Phoenix noch ein weiteres Sphragis-Motiv. Der Vogel ist stets das einzige Exemplar seiner Art: unica semper auis.397 Die Eigenschaft lässt sich mit dem literarischen Originalitätsanspruch vergleichen, den zum Beispiel auch Horaz in der erwähnten Ode 3.30.13 f. äußert: princeps Aeolium carmen ad Italos / deduxisse modos (sc. dicar):398 Er habe als erster äolische Verse nach Italien gebracht. Laevius kann mit dem Phoenix nicht nur wie Horaz die Priorität, sondern auch die Einzigartigkeit seiner Dichtung hervorheben. Er war, soweit wir wissen, wirklich der Einzige seiner Zeit, der in einer nichtdramatischen Gattung erotische Geschichten wie in einem Epyllion erzählte. Ferner waren seine Gedichte wohl größtenteils in unterschiedlichsten lyrischen Systemen verfasst, wodurch die Erotopaegnia eine ungemein große metrische Vielfalt aufwiesen. Auch hierzu eignet sich der Phoenix als Abbild. Die antiken Quellen betonten besonders oft sein farbenfrohes Äußeres und seine vielfarbigen Federn, wodurch er Vgl. Pind. Pyth. 3.110 f. ἐλπίδ’ ἔχω κλέος εὑρέσθαι κεν ὑψηλὸν πρόσω „Ich habe die Hoffnung hohen Ruhm zu finden für lange Zeit“ (πρόσω ist zeitlich verstanden wie der Kontext zeigt; vgl. Gildersleeve [1895] z. St.) und Pind. Ol. 1.115–8; danach Hor. carm. 3.30.1 und Ov. met. 15.871–9. Galasso (2004) 37 f. und Kwapisz (2019) 77 f. dachten ähnlich an ein selbstreferentielles und daher sphragisartiges Gedicht zum Ende der Erotopaegnia. Sie gehen von einem Phoenix als Sprecher aus, der das dichterische Ich symbolisiere (vgl. aber unten p. 161–3). Ov. am. 2.6.54; danach Mela 3.83 phoenix semper unica, Mart. 10.17.6 unica ... auis und andere. Das Originalitätsmotiv ist kallimacheisch (Ait. 1.25–8 bei allen Herausgebern) und hatte großen Einfluss auf die lateinischen Dichter; vgl. beispielsweise Lucr. 1.921–30, Verg. ecl. 6.1 f., Prop. 3.1.18.
6.3 Ministra Veneris: Die Sprecherin und ihre Situation
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schöner als alle anderen Vögel ist.399 Möglicherweise liegt darin sogar ein weiterer kompetitiver Gedanke, weil die Idee des Dichters oder seines Werkes als fliegender Vogel verbreitet gewesen zu sein scheint. Neben der Nachtigallenmetapher, die oben kurz angesprochen wurde, beschreibt beispielsweise Horaz, wie ihm Flügel wachsen, so dass sein Gedichtband zusammen mit ihm in verschiedene Erdteile fliegen und dadurch bekannter werden kann400. Neben der Form scheint mir auch der Inhalt wie ein Motto für die Erotopaegnia zu wirken. Die beiden erhaltenen Verse thematisieren die Ambivalenz der Liebe zwischen Freude und Leid, und dieses Thema zieht sich durch die gesamten Erotopaegnia: Die frisch verheiratete Laodamia wird durch den Tod ihres Mannes aus ihrem Glück gerissen (F 27–33); aus tiefer Verbundenheit zu ihrem Mann opfert sich Alkestis für sein Leben (F 2–22); Venus verliebt sich in Adonis und erleidet furchtbare Schmerz nach seinem Jagdunfall (F 1); Kirke will weiterhin glücklich mit Odysseus auf Aiaia leben, doch ihm ruft das Pflichtgefühl und die Heimat (F 30); dem Glück von Helena und Paris folgt mit dem trojanischen Krieg großes Leid für ganze Völker (F 24). Die beiden Phoenixverse verkörpern wie kein anderes Fragment diese Haupthemen der Erotopaegnia. Dass der Dichter in einem sphragisartigen Gedicht nicht als Ich begegnet, überrascht zwar. Doch auch die Wahl eines weiblichen Sprechers, fügt sich ganz seiner Neigung zu weiblichen Protagonisten und zu den verhältnismäßig häufig überlieferten emotionalen Reden, die er ihnen zuteilt.401
6.3 Ministra Veneris: Die Sprecherin und ihre Situation Es spricht eine weibliche Person, die sich in einem Gebet an Venus richtet. Der Stil ist entsprechend gehalten:402 Das Stückchen beginnt mit der Anaklese der Venus samt der zweifachen Apposition, die den allgemeinen Machtbereich der Göttin benennt. Es folgt dem Hymnenstil gemäß ein Relativsatz, in dem ganz herausragend an erster Stelle des Nebensatzes mit mihi das Ich hervortritt und sein Verhältnis zur angebeteten Göttin mit den Appositionen ministra und opsecula an letzter Stelle des Nebensatzes näher bestimmt. Der etsi-Satz im zweiten Vers schließt vermutlich an diese beiden Begriffe an, so dass der Gedankengang lautet: ‚Du, Venus, hast beschlossen mir einen heiteren Tag auszubreiten, mir, die ich deine Dienerin geworden bin, obwohl ich zuvor nicht wusste, wie grausam der
Vgl. u. a. Plin. nat. 10.3 f. Vgl. Hor. carm. 2.20. Vgl. F 30 (Protesilaodamia), F 24 (Helena), F 34 (Sirenocirca) und vermutlich F 9 und 11 (Alcestis). Vgl. zu den Stilelementen des Hymnos die Untersuchungen von Norden (1913) 143–76.
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6 Phoenix
Dienst an dir ist‘;403 opseculae und ministrae bilden den jetzigen Zustand ab, potui die Vergangenheit. Die Sprecherin ist zu einem nicht näher definierten Zeitpunkt eine Dienerin der Venus geworden, und damals war ihr noch nicht bewusst, wie schwer die Last ist, die sie damit auf sich genommen hat. Der starke Gegensatz der Stimmung zwischen Haupt- und Nebensatz (serenum hilarula und expauida grauis dura fera aspera) hat einige Erklärer veranlasst, eine Lücke zwischen den beiden Versen anzunehmen,404 doch der oben analysierte Charisiustext macht unmissverständlich klar, dass sie aufeinander folgten. Der kritisierte Kontrast ist gerade gesucht und erklärt sich aus dem ambivalenten Wesen der Liebe.405 Venus selbst, das heißt die Liebe, ist heiter, der unter ihr verrichtete Dienst aber hart. Ähnliche Ausdrücke sind der erotischen Dichtung ganz geläufig. Sie beschreiben gewöhnlich das Verhältnis zwischen geliebter und liebender Person. Der (oder meist die) Geliebte herrscht, und der Verliebte begibt sich in eine Sklaverei, in ein seruitium amoris, das in der späteren Liebesdichtung zum beliebten Motiv wurde. Bei Laevius liegen die Verhältnisse etwas anders. Der Unterschied besteht in der Person, von der die Herrschaft ausgeht: Weil dominio superbo inhaltlich nicht näher bestimmt ist und sich die Sprecherin schon zuvor als eine opsecula und ministra Veneris bezeichnete, dürfte von der Herrschaft der Venus selbst die Rede sein. Dennoch bleiben die Parallelen zum servitium amoris der Liebeselegie gerade im Vokabular expauida grauis dura fera asperaque famultas unübersehbar.406 So lässt sich die Sprecherin näher als eine Frau bestimmen, die sich durch ihre Liebe in ein sklavenähnliches Verhältnis zur Göttin Venus gesetzt sieht.407 Sie beschreibt einen serenus dies, den die Göttin ihr eröffnet habe. Inwiefern der
So Leo (1914) 184, Anm. 1, Courtney (22003) 137. Solange nicht klar ist, was nach dem zweiten Vers folgt, scheint mir die Verbindung von Vers 1 und 2 in dieser Art sinnvoll zu sein. Womöglich endet der erste Satz aber auch mit ministrae. Der Hauptsatz zum zweiten Vers würde in diesem Fall erst danach folgen. Etwa in der Ausgabe von 4FPL Bl. markiert; vgl. auch (aber ohne Annahme einer Lücke) Kwapisz (2019) 73. Alfonsi (1958a) 358 zitiert passend Catull. 68.18 quae (sc. Venus) dulcem curis miscet amaritiem. Vgl. zum Vokabular auch Henke (2020) 127; Prop. 1.5.19 f. tum graue seruitium nostrae cogere puellae / discere et exclusum quid sit abire domo, Prop. 2.34.49 f. nec tu tam duros per te patieris amores: / trux tamen a nobis ante domandus eris. [Tib.] 3.4.73 f. nescis quid sit amor, iuuenis, si ferre recusas / immitem dominam coniugiumque ferum. Dagegen wird asper weniger vom Liebesdienst als von Venus selbst genutzt: Tib. 1.9.19 f. diuitiis captus si quis uiolauit amorem, / asperaque est illi difficilisque Venus. – Obwohl sich das servitium amoris-Motiv erst bei den Liebeselegikern im vollen Maß zeigte, liegen seine Ursprünge schon in unterschiedlicher Variation in der griechischen Literatur seit klassischer Zeit vor; vgl. Hindermann im Handbuch der antiken Sklaverei iv s. v. servitium amoris. Vgl. dazu Lieberg (1962) 63 f. Wenig ansprechend ist es, mit Alfonsi (1958a) 358 f. opsecula und ministra wörtlich zu fassen und die Sprecherin als Venuspriesterin zu identifizieren.
6.3 Ministra Veneris: Die Sprecherin und ihre Situation
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Tag heiter ist oder Heiterkeit verspricht,408 muss unklar bleiben. Sicher wird ein Zusammenhang mit dem erotischen Grundthema bestehen: Vielleicht hat sich die Sprecherin verliebt und wurde dadurch der Herrschaft der Venus unterworfen.409 Allein die erhaltenen beiden Verse werden darauf aber keine sichere Antwort geben können. Unabhängig davon ist Venus der Sprecherin zu diesem Zeitpunkt offensichtlich gut gesonnen. Laevius legt seinen Versen die Vorstellung zugrunde, dass sich der Gemütszustand und die Erscheinung der Götter auf ihre Umwelt auswirkt: Die beiden Adjektive zur Beschreibung des Tages und der Venus stehen eng mit Synaloephe verbunden beieinander serenum hilarula. Das Motiv ist nicht allein im Zusammenhang mit Venus gebraucht, findet aber häufig bei ihr Anwendung. Besonders stark ist es im Proöm von Lukrezens De rerum natura ausgeprägt: Durch die Ankunft der Göttin wird der Himmel erhellt und die Flora und Fauna in Jubel versetzt: te, dea, te fugiunt uenti, te nubila caeli / aduentumque tuum, tibi suauis daedala tellus / summittit flores, tibi rident aequora ponti ... (1.6–20, zitiert bis 8). In Ovids Fasti erhellt Venus allein durch ihr Lächeln den Himmel: risit, et aether / protinus ex illa parte serenus erat (fast. 4.5 f.).410 Entgegen der hier vorgestellten Sprecherzuweisung hält sich seit Bücheler die meines Erachtens inakzeptable Auffassung, der Phoenix selbst sei der Sprecher der Verse.411 Weil die Interpretation sich inzwischen etabliert hat, möchte ich an dieser Stelle noch kurz darauf eingehen. Ausgangspunkt ist die Aussage v. 1, Venus habe der Sprecherin einen heiteren Tag eröffnet. Man hat darin Venus’ Funktion als Morgenstern erkennen wollen, der der Sonne vorausgeht und nach der Nacht den Anbruch des Tages verkündet,412 und nimmt an,
Vgl. zu dieser Bedeutung OLD s. v. serenus 3c, v. a. Lucr. 2.1094 uitamque serenam und Lygd. 6.31 f. at nos securae reddamus tempora mensae: / uenit post nimbos una serena dies. So Lieberg (1962) 64 f., der Laodamia als Sprecherin annimmt und das Fragment der Protesilaodamia zuteilt. Zur Stimmung der Götter, die sich auf die Umwelt auswirkt, vgl. mit besonderer Berücksichtigung von Venus Bömer (1958) ii zu fast. 4.5 f. Einen weiblichen Phoenix als Sprecher nehmen Bücheler (1927) 136 (= 1875, 306), De la Ville de Mirmont (1903) 302–6, Lecocq (2008) 222, Henke (2020) 120–31 an. Zur in Folge vorgestellten Interpretation des weiblichen Phoenix als Sonnenvogels in jüdischer Tradition vgl. zuerst Reitzenstein (1906), dann in unterschiedlichen Ausprägungen bei van den Broek (1972) 268–70, Galasso (2004) 36–8 oder Kwapisz (2019) 74–8. Vgl. neben der in der vorangehenden Anmerkung genannten Literatur zu diesem Punkt auch Courtney (22003) 136. Zur Kurzbezeichnung Venus als Morgenstern (stella/sidus Veneris) vgl. W. Gundel/H. Gundel RE xx.2 s. v. Planeten 2029–33 und zur Gleichsetzung des Gestirns mit der Göttin 2115–8. Henke (2020) 129 f. sieht die Verbindung zu Venus durch die Identifizierung des Phoenix als Morgenstern in ägyptischer Tradition gegeben.
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dass die Sprecherin ein Sonnenvogel gemäß jüdischer Vorstellung ist, der in einem alttestamentarischen Pseudepigraph, der griechischen Baruch-Apokalypse, ‚Phoenix‘ genannt wird:413 Darin heißt es, der riesengroße Vogel fliege zusammen mit der Sonne täglich über die Erde, um die Menschen mit seinen großen gespannten Flügeln vor der direkten Sonneneinstrahlung zu bewahren. Auf seinen Flügeln stehe in goldenen Lettern geschrieben οὔτε γῆ με τίκτει οὔτ’ οὐρανός, ἀλλὰ τίκτουσί με πτέρυγες πυρός ‚Weder die Erde gebiert mich noch der Himmel, sondern es gebären mich die Flügel des Feuers‘.414 Der Autor der Baruchapokalypse sei von einer griechischen Vorlage des Laevius zu der Inschrift auf den Phoenixflügeln inspiriert worden. Bei Laevius stehe ein weiblicher Phoenix, der allmorgendlich seinen Dienst antreten müsse, gleichermaßen unter der Herrschaft des den Tag ankündigenden Morgensternes Venus wie der Dichter unter der Herrschaft der Liebesgöttin Venus. Die Deutung ist mit zahlreichen Problemen verbunden: Zuerst darf die Identifikation der Venus als Morgenstern nicht hingenommen werden: Venus ist mit der zweifachen Apposition amoris altrix genetrix cuppeditatis deutlich genug als Liebesgöttin, nicht als Himmelskörper bezeichnet. Eine derartige Sprache lässt keine Doppeldeutigkeit zu. Damit ist fraglich, warum ein Phoenix, von welcher Art auch immer er sei, unter die Herrschaft einer Liebesgöttin geraten soll. Es bestehen sonst keinerlei Verbindungen zwischen Venus und Phoenix. Außerdem müsste gemäß der vorgestellten Interpretation ein weiblicher Phoenix sprechen, wie ihn die Römer erst in der Spätantike kannten.415 Überhaupt stellt sich die Frage, warum Laevius sich auf einen der römischen und griechischen Vorstellungen sonst ganz fremden Sonnenvogel beziehen sollte, der allein in wenigen griechisch-jüdischen Texten erst mehrere Jahrhunderte nach der Lebenszeit des Dichters zuweilen ‚Phoenix‘ genannt wird.416 Und was zuletzt die goldenen Buchstaben auf den Flügeln des Vogels in 3 Baruch anbelangt, so dürften sie kaum im Zusammenhang mit einem Figurengedicht, das
Vgl. 3 Baruch 6.1–12; siehe zur Tradition des dort ‚Phoenix‘ genannten Vogels Kulik (2010) 227–44, dort auf p. 227 f. finden sich zudem die Übersetzungen der griechischen und slawischen Version des Textes; vgl. auch van den Broek (1972) 261–84. 3 Baruch 6.8. Z.B. Drac. Romul. 10.104 (Medea), AL 385 SB (= 389.31 2Riese), wohl allesamt in der Nachfolge von Ps.-Lact. Phoen. 31 f.; vgl. dazu mit mehr Parallelen Walla (1969) 158. Bei Mela 3.83 de uolucribus praecipue referenda phoenix, semper unica sind die Adjektive wohl an ein gedachtes uolucris angepasst. Die Auffassung vom Phoenix, die wir von den Griechen und Römern kennen, und vom ‚Phoenix‘ aus der Baruchapokalypse sind grundverscheiden; vgl. Kulik (2010) 235–43 mit dem Schluss (p. 243) „The Sun Bird of 3 Baruch is ‚Phoenix‘ only in name. It bears the Greek name, but lacks the main features of the phoenix of Hellenistic and Christian traditions“. Zugrunde liegen Vorstellungen von anderen Vögeln aus der jüdischen Mythologie wie Ziz. ‚Phoenix‘ ist wohl allein eine Annäherung durch Übersetzung.
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Phoenixflügel abbildet, stehen:417 Auf der einen Seite handelt es sich um eine religiöse Vorstellung,418 auf der anderen Seite um eine literarische Kunstform.419
6.4 Metrik 6.4.1 Metrisches Schema: Ionici a maiore Ein Problem von fragmentarisch überlieferter Figurendichtung besteht darin, dass hinsichtlich der Metrik mit dem Ungewöhnlichsten zu rechnen ist. Das Ei des Simias etwa, nach M. West „the most complex product (metrically) of all Hellenistic book-poetry“,420 besteht anfangs aus katalektischen trochäischen Monometern, die dann Vers für Vers um iambische, kretische, spondeische und andere Versfüße zu Dekametern anwachsen und sich danach wieder im selben Maße verkürzen. Das Beil und die Erosflügel desselben Dichters werden dagegen einfach aus schwindenden und wachsenden Choriamben mit einem den jeweiligen Vers schließenden Baccheus gebildet.421 Die zwei Verse aus Laevius’ Phoenix sind mit den beiden letztgenannten Gedichten vergleichbar: Der erste Vers ist ein katalektischer Dekameter (a-j), der zweite Vers ein katalektischer Enneameter (a-i), jeweils bestehend aus Ionikern a maiore.422 Ich drucke die beiden Verse jetzt der Übersichtlichkeit halber auf mehrere Zeilen verteilt. Überliefert ist in den Manuskripten folgender Wortlaut: 1
Vĕnŭs ămōrĭs | āltrīx gĕnĕ|trīx cŭpĭdĭ|tātīs mĭhĭ | | ̄ quā̄ē dĭēm sĕ|rēnum hĭlărŭlă | prā̄epāndĕrĕ crēsti ōpsĕcŭ|lā̄ē tŭae āc mĭ|nīstrā̄ē |
abcd efg hij
2
ētsī ne ŭtĭ|quām quīd fŏrĕt | ēxpăuĭdă gră|uīs dūră fĕra | āspĕrăqŭe fă|mūltās pŏtŭ|ī dŏmĭnĭō̆ | āccĭpĕrĕ sŭ|pērbō
abcd efg hi
Das hatte Reitzenstein (1906) vermutet. Vergleichbares bei Kulik (2010) 250. Das Figurengedicht mag religiöse Ursprünge haben, wenn man etwa an ein beschriebenes Weihgeschenk denkt, aber das spielte wohl schon zu hellenistischer Zeit keine Rolle mehr; vgl. Ernst (1991) 91. West (1982) 151. West (1982) 151 spricht von einem Aristophaneus, der im ersten Vers um vier, im zweiten um drei Choriamben (und so weiter) erweitert ist. In der Auffassung der beiden Verse als ionici a maiore folge ich L. Müller (11861) 116 (wieder id. [21894] 119 f.) und Bücheler (1927) 136 (= 1875, 306).
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Ionici a maiore sind in der altlateinischen genauso wie auch in der hellenistischen Dichtung sehr flexible oder, mit West gesprochen, proteische Metra.423 Sie begegnen, von den plautinischen Cantica424 abgesehen, im Altlateinischen vor und nach Laevius auch in katalektischen ionischen Quaternaren a maiore (nach dem hellenistischen Dichter Sotades gewöhnlich Sotadeen genannt) bei Ennius,425 Accius426 und Varro. Letzterer nutzt auch anderswo Ioniker a maiore in Systemen, ohne dass sich in der sonstigen Verstechnik im Vergleich zu den Sotadeen ein Unterschied erkennen lässt.427 Noch vor den griechischen Autoritäten sind dies die Texte, an denen wir uns orientieren sollten, um zu bestimmen, welche Erscheinungsformen die einzelnen Versfüße im Phoenix annehmen können. Das reine Schema ˉ ˉ ̆ ̆ weisen bei Laevius 1b, 1d, 1g, 1h und 2a, 2b, 2d, 2 f auf; dasselbe Schema mit Auflösung des zweiten Elements ˉ ̆ ̆ ̆ ̆ dann 1 f, 2c, 2e, 2h (wie z. B. auch in Varro Men. 322 Ast. ŭbĭ lūcŭs ŏ|pācūs tĕnĕ|rīs frŭtĭcĭbŭs| āptūs). Häufig wird ein Ionicus a maiore durch einen Ditrochäus ˉ ̆ ˉ ̆ ersetzt: bei Laevius in 1e, 1i (wie z. B. bei Enn. var. 2 C./4FPL Bl. ălĭŭs īn mă|rī uūlt māg|nō tĕnērĕ| tōnsām). Dabei kann das erste Element auch aufgelöst werden ̆ ̆ ̆ ˉ ̆ wie in 1a (sonst z. B. auch am Versanfang Enn. var. 2 C./4FPL Bl. ălĭŭs īn mărī ...). Am Ende 1j und 2i findet sich jeweils katalektisches Versende wie beim Sotadeus ˉ ˉ. Hiat über die Versgrenze hinweg ist erlaubt. Allein 1c -trīx cŭpĭdĭ- und 2gh -ī dŏmĭnĭō (āc-) weisen Probleme auf und veranlassten manche Herausgeber und Interpreten zum Eingriff in den überlieferten Text.
West (1982) 145. Z.B. Plaut. Amph. 168–72; mehr bei Questa (1995) 447 im Index. Enn. Sota 1–6 C./4FPL Bl. und in den Satiren 18 C./4FPL Bl. Mit Sicherheit Acc. carm. 8 C. (= 19 4FPL Bl. = Sotad. 1 Dang.). Schwierig ist die Bestimmung der Versmaße in den Didascalica. Insgesamt wurden schon alle erhaltenen Fragmente daraus als Sotadeen gewertet; siehe zur Dokumentation jeweils den Apparat bei Dangel. Bücheler (1927) 389 f. (= 1880, 401) weist die Sotadeen überall zurück, Courtney (22003) 60 nimmt in Anlehnung daran an, dass das Werk allein in Prosa geschrieben war. Varros Sotadeen: Men. Ast.: 2, 3, 85, 112, 322, 342, 400, wohl 438, zuletzt auch 579 Ast., das die Herausgeber als einziges Varrofragment als ionici a minore deuten. M.E. ist es ökonomischer mit der generell akzeptierten Ergäzung et als Sotadeus abzugrenzen: uer / blandum uiget aruis, adest hospes hirundo (ein Sotadeus mit Monosyllabum am Versende wohl auch in Men. 438 Ast.); ein System aus ionici a maiore bei Men. 489 Ast., das mit wenigen inhaltlich nötigen Änderungen in den Ausgaben (Laevius’ erstem Phoenixvers entsprechend) als katalektischer Dekameter erscheint; zuletzt vielleicht auch Men. 87, wo aber einige Herausgeber eingreifen und gewöhnliche Sotadeen herstellen.
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6.4.2 Zum Hiat in v. 2 Der letztgenannte Fall ist verhältnismäßig einfach mit einem prosodischen oder metrischen Hiat zu klären, und so habe ich auch schon oben skandiert: -ī dŏmĭnĭō̆ | āccĭpĕrĕ sŭp-. Da der ganze zweite Laeviusvers so metrisch stimmig ist und weder sprachlich noch inhaltlich einen Eingriff benötigt, scheint mir der Hiat hinnehmbar zu sein. Zu seiner Begründung sehe ich drei Möglichkeiten. (1) Am wenigsten wahrscheinlich ist ein sogenannter Griechischer Hiat, eine besondere Form des prosodischen Hiats bei mehrsilbigen Wörtern zur Nachahmung des griechischen Rhythmus;428 zu messen wäre ein reiner Ioniker mit Auflösung der zweiten Länge -ī dŏmĭnĭŏ | (āc-). Diese Art des Kürzungshiats gibt es im Lateinischen nur selten und nur dann, wenn sich im selben Vers ein griechisches Fremdwort befindet, oder wenn spezifische griechische Verse und Wendungen imitiert werden.429 Sofern Laevius nicht auf ein uns verlorenes griechisches Vorbild aufmerksam machen will, entspricht der erste Vers des Phoenix diesen Kriterien aber nicht. Ferner ergibt sich das Problem, dass der Griechische Hiat sonst nur im Hexameter auftritt. (2) Die zweite Möglichkeit setzt einen metrischen Hiat voraus: -ī dŏmĭnĭō | (āc-), ein Ioniker a maiore in seiner häufig auftretenden Form ˉ ˉ ̆ ˉ, allerdings mit aufgelöster Länge im zweiten Element wie bei Acc. carm. 8 C. (19 4FPL Bl. = Sotad. 1 Dang.) nōn ērgo ăquĭ|la ĭta ŭtī prā̄ ̄edĭ|cānt scĭcĭdĕrāt| pēctūs.430 Die Lizenz kann in der altlateinischen Metrik fußen: Hier war der metrische Hiat in allen Gattungen verbreiteter, als das an klassischen Texten geschulte Auge zuerst glaubt.431 Am häufigsten Solchen Kürzungshiat nahm zuerst Bücheler (1927) 136 (= 1875, 306) für Laevius an, was daraufhin weitgehend akzeptiert wurde; siehe dazu zuletzt ausführlicher, aber auch zögernd, Kwapisz (2019) 63. – Bücheler spricht von einer ennianischen Systole und denkt wohl an Enn. op. inc. 5 Sk. Scipio inuicte, wo der Hiat wegen des Eigennamens erlaubt ist. Vgl. Conington/Nettleship i (51898) zu Verg. georg. 1.281 und Maas in Bailey iii (1947) 1758 und mit weiterer Literatur Deufert (2016) 315. Zur Messung siehe Courtney (22003) 61. Es ist wichtig sich vor Augen zu halten, dass das Phänomen nicht nur bei Plautus in der Komödie auftritt. Dort ist es nur aus Gründen der Überlieferung am ehesten fassbar (und daher in der Literatur am häufigsten behandelt); eine Sammlung für nichtplautinische Fälle in allen Gattungen des Altlateinischen bei Ax (1917). Für Hiate in der Tragödie siehe jetzt auch die Sammlung von Lennartz (2003) 125–34. Das Epos ist davon auszunehmen, weil der metrische Hiat bei Ennius in den Annalen, wenn überhaupt, nur selten eintritt (Skutsch [1985] 53 f.). Ein anderes Bild geben aber seine elf nicht-epischen Hexameter der Hedyphagetica (28 C./4FPL Bl.), wo Hiat in der Zäsur zugelassen wird. Einen Abriss des Hiatproblems in der Forschung mit Schwerpunkt auf Plautus bietet Deufert (2002) 340–4 und 362–77; generell vgl. Questa (2007) 185–96. Zur Verdeutlichung: Es ist die Rede von einer Anzahl an Fällen im eher niedrigen einstelligen Bereich auf 100 Verse.
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tritt er in den fest bestimmten Dihäresen trochäischer, iambischer, aber auch anapästischer und baccheischer Langverse auf.432 Das letzte Element vor der Dihärese kann dabei nicht nur Hiat, sondern auch brevis in longo aufweisen. Es kann also wie ein Versschluss behandelt werden. Ob Laevius bei seinen langen Ionikerreihen einem bestimmten Aufbauprinzip mit einer Einteilung durch festgelegte Dihäresen folgt, bleibt natürlich wegen der schlechten Überlieferungslage unklar. Allerdings findet sich auch im ersten Vers nach dem vierten und siebten Metrum (jeweils oben d und g) Dihärese, so dass man mutmaßen kann, dass Laevius zur Gliederung seiner langen Verse Wortende an dieser Stelle (oder an diesen Stellen) gesucht hat und dadurch das Element vor der Dihärese, in diesem Fall das -o, auch entsprechend freier behandeln konnte. Doch die zwei Dihäresen können bei beiden Versen ebenso gut nur durch Zufall zusammengefallen sein. (3) Dieselbe Messung lässt sich auch aus der griechischen Metrik heraus erklären. Die fallenden Ioniker sind dort wie im Lateinischen insbesondere in Sotadeen überliefert. Sotadeen fallen nicht nur durch ihre vielen prosodischen Lizenzen auf, sondern auch durch eine für die hellenistische Metrik erstaunlich hohe Anzahl an Hiaten.433 Vielleicht liegt die Begründung für den Hiat also darin, dass Laevius aus dem Griechischen zusammen mit dem Metrum auch die damit verbundenen Lizenzen übernommen hat434 – genauso wie er umgekehrt die strengere Bildung von Iamben aus der griechischen Metrik übernahm. Doch soweit das erhaltene Textmaterial Schlüsse zulässt, stünde Laevius damit in der lateinischsprachigen Dichtung allein. Bei keinem anderen Dichter lässt die Überlieferung einigermaßen sichere Schlussfolgerungen zu derartigen prosodischen Lizenzen in ionischen Versmaßen zu. Ich möchte mich nicht festlegen, welche der drei (sich gegenseitig ausschließenden) Begründungen des Hiats vorzuziehen ist, der Griechische Hiat, der Dihäresenhiat oder der Hiat infolge der Freiheit des Versmaßes in den griechischen Zeugnissen. Zu einem sicheren Schluss wird man auch nicht kommen, weil nur so wenig Vergleichsmaterial vorhanden ist. Wer dagegen partout nichts von einem Hiat wissen will, müsste auf Courtneys concipere zurückgreifen.435 Die Ver-
Siehe Questa (2007) 194 f. Vgl. West (1982) 144 f. So argumentiert Kwapisz (2019) 63. Vgl. Courtney (22003) 136–7. Sein concipere bleibt bedenkenswert, doch das zusätzlich eingefügte sub ist problematisch; damit nimmt er einen Metrumwechsel an und lässt den Vers in Anakreonteen (Muster: ̆ ̆ ˉ ̆ , ˉ ̆ ˉ ˉ ) ausklingen: cōncĭpĕrĕ sūb sŭpērbō, wobei die erste Doppelkürze als Länge, die erste Länge als Doppelkürze erscheint. Aber sub ist grammatisch nicht nötig und metrisch fragwürdig. Ionici a maiore mit Anakreonteen vermischt sind im Lateinischen nicht belegbar.
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schreibung acc-, conc- ist denkbar einfach, der Sinn bliebe erhalten und die Messung wäre dieselbe wie in den vorgestellten Möglichkeiten (2) und (3). Die älteren Versuche von L. Müller dominio ego accipere und Baehrens domnio in accipere sind zu vernachlässigen.436
6.4.3 Cuppeditas? Zur Metrik v. 1 Es bleibt zuletzt 1c (amoris altrix gene)-trīx cŭpĭdĭ-(tatis mihi) zu klären. Auch hier wäre es falsch, allzu stark in den überlieferten Text einzugreifen, um eine metrisch saubere Abfolge herzustellen. Denn inhaltlich und sprachlich fehlt dem Text nichts, und die auffällige Klangfigur im Gebetsstil scheint gesucht. Granarolos amoris altrix genetrīx cŭpĭdĭtatis ist ein leichter Eingriff; aber der Ioniker a maiore als Ditrochäus mit Auflösung der zweiten Länge ist sonst nirgends belegbar.437 Es bleibt noch eine Konjektur L. Müllers zu erwägen, der mit der ihm eigenen wissenschaftlichen Kreativität, eine Längung durch Konsonantenreduplikation, cuppiditatis, annahm. Als Parallele führte er Lukrezens Formen cuppedine/cuppedinis an, die den unmetrischen Ablativ und Genitiv cupidine/cupidinis in seinem Hexameter ersetzen.438 Was aber L. Müller und auch nach ihm Bücheler als homerische Reduplikation ansahen,439 ist eigentlich eine Bildung, die mit einem Adjektiv zusammenhängt, bei dem Reduplikation bereits vorlag: Das Adjektiv cuppes mit Genitiv cuppedis440 ist vom selben Stamm wie cupio/cupidus, weist aber die solchen Personaladjektiven eigene af-
L. Müller (11861) 116 (auch nach Büchelers Kritik noch einmal in id. [21894] 119 f.) und Baehrens in seiner FPR-Ausgabe. Vgl. Granarolo (1971) 85, der aber anders als ich mit Fr. Leos Konjektur ionici a minore im ersten Vers annimmt, wodurch sich ganz andere Abgrenzungen der einzelnen Metra ergeben; darüber ist gleich unten gesprochen. Der Ditrochäus mit aufgelöster zweiter Länge wäre als Ioniker a maiore in einem mehr als unsicheren Acciusfragment nachweisbar (carm. 8 4FPL Bl. = Didasc. 2 Dang.), das Dangel skandiert grātĭa ātque hŏ|nōrĭs pătĕră | Nēstŏrēm (Turnebus : pater honestorum codd.) māc|tāuīt. Weil hier aber weder Text noch Versabgrenzung sicher ist, beziehungsweise überhaupt noch nicht einmal klar ist, ob Dichtung oder Prosa vorliegt, gilt das Fragment allein wenig. Lucr. 1.1082, 3.994, 4.1090, 5.45, 6.25. Einen Bedeutungsunterschied zu cupido gibt es nicht. L. Müller (11861) 116 (wieder [21894] 119 f.) und auch Bücheler (1927) 136 (= 1875, 306) „cuppiditatis producens ex vetere licentia“. So erklärt auch Fliedner (1974) 29 die Form bei Lukrez; berechtigte Zweifel an dieser Herleitung wegen des Wechsels von -i- zu -e- dann aber bei Brown (1987) 32. Die Bedeutung scheint dieselbe wie bei cupidus zu sein: vgl. Plaut. Trin. 239 blandiloquentulus, harpago, mendax, cuppes, auarus, elegans, despoliator.
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fektische Konsonantenreduplikation auf.441 Damit verwandt ist das Nomen cuppedo (eigentlich wohl ‚Nascherei‘), das auch synonym zu cupido genutzt wurde.442 cuppedo ist keine lukrezische Neubildung: Der Dichter griff auf ein Wort zurück, das schon vor seiner Zeit im Sprachgebrauch verbreitet war.443 Wenn also eine metrische Sonderform von cupiditas bei Laevius vorliegen sollte, dann nicht cuppiditas, wozu es keine Parallelen gäbe. Denkbar ist aber cuppeditas, das aus dem Adjekitv cuppes in sprachlicher Analogie zu heres, hereditas gebildet worden sein könnte. Es ergibt sich mit -trīx cūppēdĭ- die Form ˉ ˉ ˉ ̆ für einen fallenden Ioniker, die im Griechischen und auch im Lateinischen bei Ennius ihre Parallelen findet, in diesem Gedicht aber singulär bliebe.444 Trotzdem scheint mir der Eingriff insgesamt die beste Lösung für den unmetrisch überlieferten Ioniker zu sein. Dass die Änderung sehr leicht ist, weil aus cuppeditatis in den Handschriften schnell cupiditatis entstehen kann, ist offensichtlich.
6.4.4 Fr. Leos Alternativvorschlag: Ionici a minore Weil bei diesem extravaganten Metrum zwangsläufig jede Interpretation auf schwankendem Boden steht, sollen auch Alternativen erwogen werden. Wie L. Müller sah auch Fr. Leo das oben umrissene Problem des im Kern wohl richtig überlieferten, aber dennoch unmetrischen genetrix cupiditatis mihi. Er griff an anderer Stelle in den Text ein. Durch den Einschub der Interjektion o am Anfang des Verses stellte er ein Versmaß her, dem sich genetrix cupiditatis ohne Weiteres fügt. Ich drucke wie Leo den ersten Vers jeweils in Dimeter zerlegt:
Vgl. Walde-Hofmann s. v. cuppes und zur Reduplikation Leumann 182, z. B. flaccus, crassus, gibber. Vgl. Ernout-Robin (1925) zu Lucr. 1.1082. Leumann 367 sieht einen Neologismus bei Lukrez, aber vgl. Varro ling. 5.146 vom forum cuppedinis, das im Volksmund auch forum cupidinis genannt wurde; siehe dazu De Melo (2019) z. St. Vgl. West (1982) 144 zum Griechischen und Enn. var. 18.3 C./4FPL Bl. nām sī sē|sē frūstrā|rī quēm frūstră | sēntīt. Das Adverb ist vorklassisch frustră (wie auch contră) zu messen; vgl. Courtney (22003) 17. Siehe gleich danach Enn. var. 18.4 C./4FPL Bl. quī frūstrātŭr | īs frūstrāst, | sī nōn īllē est | frūstrā und vllt. auch Acc. carm. 10.2 4FPL Bl. (= Didasc. 8 Dang.) ălĭtĕr āc sīt | rēllātūm rĕd|hōstĭānt rēs|pōnsūm, wenn man Dangel folgen mag. Bei Varro tritt der Versfuß in dieser Form nicht auf.
6.4 Metrik
1
Vĕnŭs 445 ă|mōrĭs āltrīx gĕnĕtrīx cŭ|pĭdĭtātīs mĭhĭ quā̄ē dĭ|ēm sĕrēnum hĭlă| dĕrĕ crēsti ōprŭlă prā̄epān ̄ | sĕcŭlā̄ē tŭ ae āc mĭnīstrā̄ē
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ab cd ef gh ij
Mit diesem Einschub, der aus stilistischer Sicht nicht notwendig ist, liegen im ersten Vers ionici a minore ( ̆ ̆ ˉ ˉ ) vor, die zum Teil in ihrer anaklastischen Form (Anakreonteen) erscheinen: ein Anakreonteum in ab, ef (mit Auflösung der letzten Länge) und ij; einfache ionici a minore in gh und auch cd, wobei c in der Form ̆ ̆ ˉ ̆ erscheint, die auch im Griechischen belegt ist: Die Praxis des ganzen Verses wäre etwa mit dem Paean des Isyllos von Epidauros zu vergleichen, der ebenfalls in als Dimeter erscheinenden ionici a minore geschrieben ist, die unregelmäßig als Anakreonteen auftreten, und manchmal auch das Muster ̆ ̆ ˉ ̆ , ̆ ̆ ˉ ˉ aufweisen.446 Im Lateinischen lassen sich für die Ioniker a minore nur bedingt Parallelen finden. Die Galliamben im Attisgedicht Catull. 63 und Horazens ionici a minore (z. B. carm. 3.12), in denen nur die Form ̆ ̆ ˉ ˉ zugelassen wird, sind wegen ihrer strengen Bildung nicht vergleichbar. Die von Einigen vermuteten ionici a minore in Varros Menipeen scheinen mir allesamt Sotadeen, vielleicht auch Systeme aus ionici a maiore zu sein; aber letzte Sicherheit kann hier nicht erreicht werden.447 Im Gesamtgebilde erscheint der erste Vers mit dem Einschub o als ein akatalektischer Dekameter, der im zweiten Vers, in dem Leo keine Änderungen vornimmt, zu einem katalektischen Dekameter um ein halbes Metrum verringert ist. Die Praxis entspricht Theokrits Figurengedicht Syrinx, in dem das Metrum je Vers um einen halben Versfuß verkürzt wird. Akatalektische und katalektische Metra, dort Daktylen, wechseln sich ab. Anders als bei der Syrinx fände zwischen den Versen des Phoenix zusätzlich noch ein Metrumwechsel von ionici a minore zu ionici a maiore statt. Ähnliche Wechsel zwischen diesen beiden Metra sind sonst nirgends belegt, doch mit Blick auf die frei gebildeten Verse im Ei des Simias bleibt grundsätzlich damit zu rechnen, dass sich in Laevius’ Figurengedicht einzelne Versmaße abwech-
Leo (1914) 183 f., Anm. 1 ursprünglich Venus amoris, was Morel in seiner Fragmentausgabe dann mit einem ganz üblichen Hiat zu Venus amoris variiert. So findet sich der Text seitdem in den Ausgaben. Vgl. West (1982) 142 f. genetrix cupiditatis (mihi) entspräche z. B. Isyllos 47 p. 134 Pow. δὲ Κορωνὶς ἐπεκλήθη. Vgl. dagegen Courtney (22003) 136, der Varro Men. 87 Ast, 489 Ast., vielleicht auch 19 Ast. als ionici a minore mit eingestreuten Anakreonteen auffasst. Die Herausgeber lesen ionici a maiore.
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6 Phoenix
seln können.448 Trotzdem schiene es mir methodisch falsch, das Versmaß mit einem Eingriff zu ändern, wenn beide Verse in ihrer Überlieferung bis auf die Korruptel in v. 1 dasselbe Metrum aufweisen und gemäß der Praxis anderer Figurengedichte, etwa des Beils und der Erosflügel, der zweite Vers gegenüber dem ersten um genau ein Metrum verkürzt wird. Es ist ansprechender, das naheliegende Hapax cuppeditas zu konjizieren als das im Ganzen sinnvoll überlieferte Metrum im ersten Vers komplett zu hinterfragen.449
6.5 Stellenkommentar amoris altrix genetrix cuppeditatis Was Ribbeck i (1887) 304 dem Urteil seiner Zeit entsprechend noch für „hohles mark- und seelenloses Wortgeklingel“ hielt, ist ein gesuchtes Klangspiel, das den Dichtern aus Laevius’ Zeit gefiel und ursprünglich ein konstituierendes Element des römischen Gebetes war (vgl. nur das Marsgebet bei Cato agr. 141.2 f. passim): Der Chiasmus ist mit den beiden beliebten Klangfiguren, der Alliteration (a- a- g- c-) und dem Reim (-is -ix -ix -is), geschmückt. Lieberg (1962) 63 f. erklärt den Sinn der Worte passenderweise mit den an Venus gerichteten Lukrezversen 1.19 f. omnibus incutiens blandum per pectora amorem (Laev. amoris altrix) / efficis ut cupide generatim saecla propagent (Laev. genetrix cuppeditas), wobei Laevius’ altrix, eine Bildung aus dem verbreiteten Venusattribut alma (u. a. Lucr. 1.2, der das Attribut aber kaum allein aus Laevius geschöpft hat, wie Flores [1965] 118 glaubt), noch das Moment der über die Erzeugung hinausdauernden Fürsorge enthält: Venus ist bei Laevius also anders als bei Lukrez neben der Erregerin auch die Erhalterin der Liebe. Die Ausdrücke selbst bleiben für Venus ohne eine genau entsprechende Parallele. Als genetrix kennt man sie vor allem, weil auf sie das Geschlecht der Römer zurückgeht (Lucr. 1.1 Aeneadum genetrix); vergleichbar ist ferner Hor. carm. 4.1.4 f. dulcium / mater saeua cupidinum (u. a. wohl nach pindarischem μᾶτερ ἐρώτων, F 122.4 Maehler). All diese Stellen bei Laevius, Horaz, Pindar und den anderen spielen mit der Bezeichnung des Sohnes der Venus als Amor/Cupido/Eros. famultas Die Synkope (sonst nur famulitas bei Pacuv. 55 Sch. und Acc. trag. 118 R. = 382 Dang.) ist zu allen Zeiten in der lateinischen Dichtung erlaubt, um ein
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Kwapisz (2019) 69, der Leos Konjektur übernimmt, rechnet mit einem versweisen Wechsel des Metrums. Kwapisz (2019) 60–2 und Henke (2020) 128 wollen sowohl Leos o als auch Müllers cuppiditatis in den Text setzen (Ähnliches erwägt Galasso [2004] 32), womit sie die Metrik allzu stark normieren. Nur eines von beiden ist nötig.
6.5 Stellenkommentar
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metrisch unbrauchbares Wort dem Vers anzpassen, ohne dass davon notwendigerweise eine Änderung der Sprachebene bewirkt wird. Synkopierte Formen können genauso gut im gehobenen Gebet wie in einem plautinischen Smalltalk vorkommen; vgl. dazu R. Coleman (1999) 38–40 und den Forschungsabriss bei Adams (2013) 90–3. hilarula Das Deminutiv ist gegen ThLL vi.3 2786.65 f. nicht zwangsläufig Ausdruck von Umgangssprache wie beim einzigen weiteren Beleg Cic. Att. 16.11.8 (oder wie das Deminutiv etwa in der Satire). Hier unterstreicht es, wenn man von metrischen Anlässen und dem sicherlich erstrebten Gleichklang zu opseculae absieht, auch den erotischen Kontext des Gedichts sprachlich; vgl. zu solchen Fällen R. Coleman (1999) 60 und weiterführend oben p. 33 zum erotischen Deminutiv. cresti Bloßes cernere im Sinne von decernere ist sprachlich sehr formal. Es wird häufig bei Senats- und Gerichtsbeschlüssen verwendet. Im Gebet steht eine so offiziell-feierliche Sprache sicher nicht unpassend; vgl. die Belege bei ThLL iii 864.66–864.83 und Alfonsi (1964b) 348. Synkopierte Perfektformen zu cernere sind selten. Sonst ist nur Lucr. 5.782 crerint belegt; der Infinitiv cresse Lucr. 3.683 ist Perfekt zu cresco. Ganz gewöhnlich und auch prosaisch sind die synkopierten Perfektformen bei decernere. expauida Das Adjektiv ist allein noch bei Gellius nachweisbar: 1.8.6 tali petulantia mulieris atque pecuniae magnitudine ictus expauidusque Demosthenes auertitur et discedens und ein weiteres Mal konjektural hergestellt in 19.1.6. Der Archaist übernimmt, wie er selbst an einigen Stellen betont, gerne außergewöhnliche Wörter der von ihm verehrten Schriftsteller, zu denen auch Laevius gehört, und führt sie in seinen eigenen Wortschatz über; vgl. dazu Heusch (2011) 148 f. und oben p. 86. Gleichzeitig ist expauida bei Laevius dadurch vor konjekturalen Eingriffen geschützt (L. Müller [1880] 78 experta, Baehrens in den FPR expauita). Bei Gellius bezeichnet das Adjektiv etwas, das von einem Zustand der Furcht betroffen ist, also das Passive (‚furchtsam‘), bei Laevius’ bezeichnet es dagegen etwas, das den Zustand der Furcht bewirkt, also das Aktive (‚furchterregend‘). Das Phänomen hat seine Parallelen in seltenen Fällen bei pauidus, z. B. Lucr. 6.645 pauidā complebant pectora curā, ‚sie füllten ihre Herzen mit furchterregender Sorge‘. Bei Adjektiven auf -idus ist die Bezeichnung des Aktiven gewöhnlich nur in der Dichtung verbreitet: etwa torridus ‚verbrannt‘ und (eher dichterisch) ‚Brand erregend‘, morbidus ‚krank‘ und (dichterisch) ‚krankheitserregend‘, horridus ‚starrend‘ und (dichterisch) ‚Starren erregend‘ oder (wie Deufert [2018] zu Lucr. 5.201 gezeigt hat) auidus ‚begehrend‘ und dichterisch ‚Begehren erregend‘; vgl. auch sonst Deufert ibid.
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6 Phoenix
opseculae opsecula ist die ‚Untergebene‘ (wohl im Hendiadyoin mit ministra). Das Hapax ist kein Deminutiv, sondern substantiviertes Tätigkeitsadjektiv auf -ulus zu obsequor. Laevius, wenn er es denn selbst prägte, formte es in Analogie zu assecula (von assequor); vgl. dazu Traglia (1957) 98. dominio ... superbo Die ‚triumphale Herrschaft‘: vgl. Tib. 1.9.80 et geret in regno regna superbo tuo und [Tib.] 3.11.3 f. (4.5.3 f.; über Cerinthus, den Geliebten der Sprecherin Sulpicia) te nascente nouum Parcae cecinere puellis / seruitium et dederunt regna superba tibi sowie einige ähnliche Stellen bei Seneca, etwa Ag. 10 superba sceptra; mehr bei Zwierlein (1986) zu Sen. Oed. 804. Zur gegebenen Übersetzung siehe Tränkle (1990) 283, der die passende Erklärung von Joh. Gronov (1682) zu Sen. Oed. 804 (regum superbam ... fidem) zitiert: „superbum interdum vocatur omne regnum, non vitii notatione, sed speciei et maiestatis“. Weil, wie oben in der Interpretation gezeigt, vermutlich Venus’ Herrschaft gemeint ist, dürfte der Ausdruck trotz der schwierigen Wortstellung mit Courtney (22003) 137 verschränkt als Bestandteil des quid-Satzes im Sinne von sub dominio zu verstehen sein. Man könnte vielleicht wie Courtney sub ergänzen, doch ich sehe keine Möglichkeit dazu, ohne die Metrik allzu sehr in Anspruch zu nehmen; siehe Anm. 435. Auch ohne Eingriff ist der Ablativ als Ablativ der begleitenden Umstände gut zu verstehen; vgl. dazu Bennett ii (1914) 301–5 und KS i 410. Zum Vergleich bieten sich die archaischen Wendungen mit auspicio oder imperio an: z. B. Plaut. Pseud. 761 f. (u. ö.) ducam legiones meas / aui sinistera auspicio liquido atque ex sententia oder Enn. TrRF ii 89 (= 213 f. Joc.) petebant pellem inauratam arietis / Colchis imperio regis Peliae per dolum. Galasso (2004) 36 zieht die Wendung dagegen als kausalen Ablativ in den quid-Satz (oder, wie er näher bestimmt, zu der Adjektivreihung), was grammatisch leichter zu klassifizieren ist, aber inhaltlich weniger passt. Kwapisz (2019) 63 fasst dominio superbo als vom Subjekt famultas abhängigen Dativ auf; vgl. zu solchen Fällen KS i 117: Kwapisz verweist auf Plaut. Amph. 166 opulento homini ... seruitus. Traglia (1957) 98 und (21974) 132 versteht den Ausdruck ohne weitere Begründung und Erklärung als vulgären Akkusativ (abhängig von accipere).
7 Protesilaodamia Weichert (1830) 76–80, L. Müller (1880) 81 f., Havet (1891) 6–13, De La Ville de Mirmont (1903) 279–90, Harmon (1912), Sciava (1926/7), Alfonsi (1958a) 356–8, Alfonsi (1959), Lieberg (1962) 214 f., Alfonsi (1964a), Lunelli (1969) 115–124; 149–51, Traglia (21974) 129–31, Frassinetti (1974), Salanitro (1979), Tandoi (1992), Fantuzzi (1995), Nosarti (1999) 187–92, Courtney (22003) 130–5, Cumino (2007)
7.1 Zum Titel Der Titel Laevius-Gedichts über das thessalische Ehepaar Protesilaos und Laodamia fällt ins Auge: Er setzt sich aus den Namen der beiden Figuren zusammen und weist die Eigentümlichkeit auf, dass bei der Kompositumbildung eine Haplologie eintrat, also die Auslassung einer sich wiederholenden oder ähnlich klingenden Silbenfolge.450 Die Namen Protesilaos und Laodamia würden gewöhnlich zu einem Kompositum verbunden werden, indem am Stamm des ersten Bestandteiles ein Bindevokal wie -o- gesetzt wird, woran sich wiederum der zweite Bestandteil hängt: Protesila-o-laodamia. Das doppelte -lao- wird aber zu einfachem -lao- verkürzt, Protesilaodamia. Es ist ein ganz gewöhnliches sprachliches Phänomen, das hier eintritt. Seine Besonderheit erhält der Titel aber dadurch, dass es sich um eine künstlich hergestellte, nicht sprachlich gewachsene Haplologie handelt, was von einem hohen Maße an Sprachreflexion zeugt. Die zeitgemäße Freude am kreativen Umgang mit den Wortbildungsmöglichkeiten der lateinischen Dichtersprache ist so schon im Titel erkennbar. Gleichzeitig fand Laevius mit seinem eng verschlungenen Kompositum auch einen geeigneten Ausdruck für die bis über den Tod hinausdauernde Liebe der beiden Protagonisten.451 Aus diesen Gründen der Wortbildung dürfte die Schreibung des Titels Protesilaodamia dem ebenfalls überlieferten Protesilaudamia (mit unreiner Haplologie) vorzuziehen sein und als gesichert gelten.452 Dass sich bei einem in dieser Art gebildeten Wort ferner auch Überlieferungsfehler häufen, ist nicht weiter verwunderlich. Bemerkenswert ist aber immerhin die ‚Verbesserung‘ in in Protesilaolaodamia bei Priscian und ebenfalls bei Priscian die Verkürzung des Titels in Laudamia oder in Protesilao,453 woraus aber nicht geschlossen werden darf, dass Laevius den beiden
Vgl. zum Phänomen Leumann 234 f., z. B. ist trucidare aus trux, -cis und caedere gebildet. Es hieße ohne Haplologie truc-i-cidare. Vgl. Séchan (1953) 19. So Courtney (22003) 134 f. Die Form Laudamia ist auch bei Catull. 68.74 und 80 überliefert, wo manche Herausgeber auch aus Gründen der Metrik Laodamia schrieben; vgl. Fordyce (1961) z. St. Vgl. in der genannten Reihenfolge F 29, F 30, F 31. https://doi.org/10.1515/9783111237121-014
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7 Protesilaodamia
noch ein zweites oder drittes Gedicht gewidmet hätte. Der Titel wurde schlicht verkürzt, wie es antike Grammatiker oder Lexikographen beim Zitieren von Gedichten mit zusammengesetzten Titeln häufiger taten.454 Die Praxis, Namen in dieser Art als Gedichttitel zusammenzusetzen, stammt ursprünglich aus der Alten und Mittleren Komödie und wurde später von wenigen lateinischsprachigen Autoren des zweiten und ersten Jh. s v. Chr. unabhängig von der Gattung wieder aufgegriffen.455 Weil jeder literarische Text mit zusammengesetztem Titel zu größten Teilen verloren gegangen ist, ergeben sich bei der Interpretation entsprechende Probleme. In der Komödie deutet sich nach ganz gewöhnlicher Weise das Schema an, dass der erste Teil des Kompositums den zweiten näher definiert, wie es auch im Deutschen wäre: Timokles’ Ὀρεσταυτοκλείδης ist ein Autokleides, der sich in einer Situation befindet, die vergleichbar mit der von Orest am Anfang der Eumeniden ist.456 Freier ist das Prinzip dagegen bei Kratinos’ Διονυσαλέξανδρος. Hier tritt der Gott Dionysos als Alexander (Paris) verkleidet auf.457 Das Schema ist bis zu einem nicht näher bestimmbaren Punkt dehnbar und lässt vielerlei verschiedene Formen der Verbindung zu, so dass sich die Bedeutung der jeweiligen Titel nur von Fall zu Fall erklären lässt. Schwierig bleibt auch die Interpretation der Beispiele aus der lateinischen Dichtung: Während der Dulorestes des Pacuvius wohl einen Orest in den Mittelpunkt rückt, der sich als Sklave ausgibt, ist die Handlung von Varros Satire Oedipothyestes vollkommen unklar.458 Ebenso bleiben für die unten diskutierte Sirenocirca des Laevius mehrere Verständnismöglichkeiten erwägenswert, und schließlich ist auch bei der Protesilaodamia letzte Sicherheit nicht möglich: Die Fragmente offenbaren nur so viel, dass beide Personen im Gedicht eine zentrale Rolle spielen. Vielleicht ist der Titel einfach als „Protesilaos und Laodamia“ zu verstehen. Vielleicht ist das Schicksal der einen Person dem der anderen aber auch untergeordnet, etwa
Für Timokles’ Ὀρεσταυτοκλείδης überliefert die Suda bloßes Ὀρέστης (Suda τ 624, p. 558.2 Adler = Timokles PCG vii T 1). Pacuvius schrieb einen Dulorestes 87–118 Sch., es sind aber auch Fragmente eines Orestes überliefert, was nach D’Anna (1965) und G. Manuwald (2003) 25 ein eigenständiges Drama ist. Das scheint mir aber hinterfragenswert. Vgl. Pacuv. Dulorestes 87–118 Sch., wenn es denn eine Tragödie ist (zur Komödie neigt wegen des Titels Gärtner [2015] 26, Anm. 1), Varros Satire Oedipothyestes Men. 347 Ast. und selbstverständlich Laevius’ Sirenocirca; vergleichbar ist ferner der übergeordnete Werktitel Erotopaegnia. Vgl. Timokles PCG vii F 27 f. und zur Deutung mit weiterer Literatur Farmer (2017) 109 f. Vgl. die Hypothesis des Stückes Kratin. PCG iv Dion. i und zum Titel Bianchi (2016) 198 f. Man könnte zuerst glauben, dass die vorgestellte Interpretation des Titels dem angenommenen Schema widerspricht, also eher ein Alexander mit Eigenschaften des Dionysos erwartbar wäre. Aber bei einer Verwechslungskomödie ist das am Ende auch nur eine Frage des Standpunktes. Zu Pacuvius vgl. von den neueren Rekonstruktionen des Dramas D’Anna (1967) 85–7, Manuwald (2003) 346 und 47–8 und Schierl (2006) 240–7; zu Varro Men. 347 Ast. vgl. die Diskussionen bei Krenkel (2002) ii 626 und Cèbe (1990) ix 1464–7.
7.2 Der Mythos und seine dichterischen Bearbeitungen
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indem der Schwerpunkt auf Laodamia liegt, Protesilaos hingegen vor allem als Laodamias Objekt der Sehnsucht eine Rolle spielt. Der Titel wäre dann etwa dem üblichen Schema entsprechend als „Laodamia, die Protesilaos liebt“ wiederzugeben. Das sind in diesem Fall aber nur Nuancen, über die die Interpretation der schwierigen Fragmente selbst keine Entscheidung ermöglichen kann.
7.2 Der Mythos und seine dichterischen Bearbeitungen 7.2.1 Homer und Euripides Die Geschichte über den thessalischen Helden Protesilaos, der als erster griechischer Krieger troischen Boden betreten hatte und auch als erster getötet wurde, war bei den lateinischen Liebesdichtern von so großer Beliebtheit wie wenig andere Mythen:459 Laevius, Catull, Properz und Ovid dient er in unterschiedlicher Ausprägung als Anlass für ganze Gedichte.460 Die Erzählung selbst ist alt: Nachdem schon die Ilias, ohne ihr einen Namen zu geben, das Leid der hinterbliebenen Laodamia thematisiert hatte,461 prägte Euripides mit seinem Drama Πρωτεσίλαος alle künftigen Dichter. Die Bedeutung der Euripidestragödie für die späteren Bearbeiter des Mythos lässt sich in ihrem Ausmaß nicht genau bestimmen, weil das Stück selbst verloren ist und die Rekonstruktion der Geschichte auf wenige Fragmente beruht. Scholien oder Mythographen können als Orientierung dienen, aber auch deren Texte sind zum Teil schwer wiederherstellbar und dazu noch kontaminiert. Daher liegen Details der Tragödie nach wie vor im Dunkeln.462 Sicher ist, dass Euripides Protesilaos’ Frau zum ersten Mal nachweislich den Namen Laodamia gab. Sie leidet nach seinem Tod an so unerträgliche Sehnsucht, dass sie sich ein wächsernes Ab-
Zum Mythos selbst, der Vielzahl seiner Variationen im Detail und zu weiteren weniger ausführlichen dichterischen Behandlungen siehe den Artikel Protesilaos von Türk in Roscher iii.2 3155–71 sowie Lyne (2007) 211–6 (= 1998, 200–4) und Maggiali (2008) 57–64. Der Humanist Antonius Volscus schrieb in seinem Ovidkommentar (Pacuv. T 9 Sch.): „Pacuvius et Titinius Protesilaum tragoediam ediderunt. ex qua multum in hanc epistolam Ovidius transtulit“. Beides ist wohl falsch. Im späten 15. und frühen 16. Jh. hielt man die Protesilaodamia noch für zwei Tragödien, Protesilaos und Laodamia. Man teilte sie unterschiedlichen Dramatikern zu, so dass Volscus hier falsche Informationen hatte; vgl. nur die Anordnung der Laeviusfragmente in der Stephanus-Edition oben Anm. 162. Vgl. Il. 2.698–702. Die möglichen Zeugnisse bei TrGF v.2 (58) i–✶iv(b), Rekonstruktionsversuche bei Collard/ Cropp (2007) 106–109, Jouan/van Looy (2000) 575–83 und spekulativer, aber noch bedeutend bei Mayer (1885). Zu den (vermeintlichen?) Euripidesscholien vgl. Lenz (1968).
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7 Protesilaodamia
bild von ihm erschafft, das sie umarmt, küsst und verehrt.463 Den Helden selbst quälen vermutlich ähnliche Gefühle. Er (oder für ihn Laodamia) erlangt von den Unterweltsgöttern die Erlaubnis, wieder zu den Lebenden hinaufzusteigen.464 Dass seine Rückkehr aus dem Hades auf eine bestimmte Zeit eingeschränkt ist, gehört zum festen Bestandteil der Geschichte und darf für Euripides genauso sicher zu erschließen sein wie der Tod der Laodamia nach Ablauf dieser Zeit.465
7.2.2 Catull, Properz und Ovid Im Detail hat das euripideische Drama, soweit es rekonstruierbar ist, nur wenig auf Catull gewirkt. In der vor allem hinsichtlich ihrer Struktur vielfach besprochenen Allius-Elegie466 zieht der Sprecher einen Vergleich zwischen seiner schönen domina und Laodamia, wodurch der Anlass gegeben ist, vertieft auf den Mythos einzugehen. Er erwähnt weder ein Abbild des Protesilaos noch seine Rückkehr von den Toten. Stattdessen gibt Catull ganz neuen oder wenigstens hier erstmals in der Literatur erkennbaren Motiven größeren Raum. Von ihnen ist die Hochzeit des Paares besonders hervorzuheben. Während das Fest in den anderen erhaltenen Gestaltungen des Mythos keine Rolle spielt,467 ist es für Catull von dringender Bedeutung für den Schicksalsverlauf der beiden Helden. Er sieht in den Hochzeitsfeierlichkeiten zugleich den Beginn allen kommenden Übels liegen und ver-
Vgl. TrGF v.2 (58) F 655 und Hyg. fab. 104 itaque fecit simulacrum cereum simile Protesilai coniugis et in thalamis posuit sub simulatione sacrorum, et eum colere coepit. Für TrGF v.2 (58) F 647 ist der zurückgekehrte Protesilaos als Sprecher bezeugt. Bei Hyg. fab. 103 erreicht Laodamia seine Rückkehr durch ihre Bitten, aber gewöhnlich (Prop. 1.19.7–10 und Lukian. dial. mort. 77.28) ist es Protesilaos selbst. So überliefert es das Scholion TrGF v.2 (58) ii, wenn dem im Detail zu trauen ist (vgl. Lenz [1968]). Im Groben gehören diese beiden Elemente aber stets zur Geschichte dazu, auch wenn wir nicht wissen, wie sie im Einzelnen bei Euripides ausgestaltet wurden: Bei Hyg. fab. 103 (= TrGF v.2 [58] ✶iii[b]) kehrt der Held für drei Stunden zurück, bei Schol. zu Aristid. or. 2.228.6 (iii p. 671 f. Dindorf = TrGF v.2 [58] ii; ähnlich bei Schol. Lukian. p. 119 f. Rabe) einen Tag. Auch für Laodamias Tod sind unterschiedliche Varianten überliefert: Gewöhnlich tötet sie sich selbst, was Mayer (1885) 106 f. auch für das Euripidesstück annimmt, wobei Protesilaos sie laut mancher Quelle (Philostrat. her. 2.10, Lukian. dial. mort. 77.28.2) sogar dazu überredet, ihm in den Tod zu folgen. Bei Eust. zu Il. 2.701 (v. d. Valk i p. 507.4–10) stirbt sie an gebrochenem Herzen; bei Serv. zu Verg. Aen. 6.447 vergeht sie in den Armen des Protesilaosschattens. Vgl. zum Gedicht den Kommentar von Maggiali (2008) und die Interpretation von Lieberg (1962) 152–263. Anaxandrides’ ausführliche Beschreibung einer Feier in der Komödie Πρωτεσίλαος PCG ii F 42 ist wohl weniger als Hochzeitsfest zu verstehen. Das Fest dürfte gattungstypisch am Schluss der Komödie stattgefunden haben, vermutlich nach einem Happy End; vgl. Nesselrath (1990) 214 f.
7.2 Der Mythos und seine dichterischen Bearbeitungen
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steht Protesilaos’ Tod anders als die gewöhnliche Tradition des Mythos als eine Rache der Götter. Nach seinem Gedicht hat das Ehepaar den Zorn der Götter auf sich gezogen, weil es ihnen das Hochzeitsopfer schuldig geblieben ist.468 In späteren Laodamiadichtungen findet sich davon keine Spur mehr. Properz übernimmt Protesilaos’ Rückkehr von den Toten und stellt sie in ein Verhältnis mit dem bevorstehenden Schicksal des Sprechers, der Cynthia über den Tod hinaus lieben werde.469 Ovid nimmt in seiner Epistel von Laodamia an Protesilaos (epist. 13) nirgends Bezug auf die Hochzeit, orientiert sich dagegen vermutlich stärker an Euripides: Er folgt der gängigen Motivierung von Protesilaos’ Tod, die in einer Prophezeiung liegt, wonach der erste Grieche, der trojanischen Boden betrete, als erstes Kriegsopfer fallen werde.470 Weiterhin nimmt er das euripideische Moment des Wachsbildes auf, modifiziert dagegen das Motiv von Protesilaos’ Rückkehr aus dem Hades, indem er es
Die Stelle ist schwierig: Catull. 68.73–6 flagrans aduenit amore / Protesilaeam Laodamia domum / inceptam frustra, nondum cum sanguine sacro / hostia caelestis pacificasset eros ... quam ieiunia pium desideret ara cruorem, / docta est amisso Laodamia uiro, / coniugis ante coacta noui dimittere collum, / quam ueniens una atque altera rursus hiems / noctibus in longis auidum saturasset amorem, ‚brennend vor Liebe kam Laodamia zum Haus des Protesilaos, dem vergeblich begonnenen, weil noch kein Opfer mit heiligem Blut die himmlischen Herren besänftigt hatte .... Wie sehr ein dürstender Altar frommes Blut verlangt, dies wurde Laodamia gelehrt, nachdem sie ihren Mann verloren hatte, gezwungen vom Hals des Frischvermählten abzulassen, ehe sie ihre gierige Liebe im Laufe zweier Winter in langen Nächten gesättigt hatte‘. Catull greift den homerischen Ausdruck vom δόμος ἡμιτελής (dem halbvollendeten Haus) wieder auf, verbindet aber einen neuen Gedanken damit. Denn der δόμος ἡμιτελής in der Ilias ist keine Ehe und keine wegen des fehlenden Opfers unvollendete Hochzeit, sondern eine „konkrete Gebäulichkeit“ (BK ii.2 zu v. 701). – Ein häufig mit Catull in Verbindung gebrachtes Scholion ist m. E. nicht vergleichbar (u. a. zieht Kroll [71989] zu Catull. 68.81 z. St. Parallelen). Darin heißt es Πρωτεσίλαος καὶ μετὰ θάνατον ἐρῶν τῆς γυναικὸς κατὰ μῆνιν Ἀφροδίτης ᾐτήσατο τοὺς κάτω σθένοντας ἀνελθεῖν ‚Protesilaos liebte wegen des Zorns der Aphrodite seine Frau auch noch nach seinem Tod und bat die Unterweltsgötter, wieder hinaufsteigen zu dürfen‘ (Eust. Il. 2.701, p. 507.1–3 v. d. Valk) und dann später ἕτεροι δὲ ἄλλως φασὶ τὴν Λαοδάμειαν καὶ τεθνεῶτος τοῦ Πρωτεσιλάου ἔρωτι ἐκκαίεσθσαι χόλῳ Ἀφροδίτης, ‚anders heißt es aber bei anderen, dass Laodamia auch nach Protesilaos‘ Tod wegen des Zornes der Aphrodite in Liebe zu ihm brannte’ (Eust. Il. 2.701, p. 507.4–6 v. d. Valk). Wie auch immer der Aphroditezorn darin zu deuten ist und wie er auch veranlasst sein mag, in ihm liegt lediglich die Erklärung dafür, dass Protesilaos auch nach dem Tod seine Geliebte nicht vergessen kann (oder weniger pointiert mit vertauschten Rollen im zweiten Zitat) – von der Tatsache, dass er vor Troja fiel, ist die Äußerung völlig unabhängig. Für Catull dagegen lassen die zitierten Verse wenig Zweifel, dass der Zorn der Götter Schuld an Protesilaos’ Tod ist. Mir will das Eustathios-Scholion daher nicht als ein Überbleibsel für die Tradition, in der Catull steht, gelten. Dass es diese Tradition aber gab und Catull den Mythos nicht eigenhändig variiert hat, halte ich anders als Lieberg (1962) 231–8 für wahrscheinlich. Vielleicht hat sogar Euripides dahintergestanden; vgl. dafür Maggiali (2008) 163. Siehe unten p. 182f. zur möglichen Verbindung mit Laevius. Thomas’ (1978) Ansatz, Catull meine hier das Opfer der Iphiginie, ist wenig ansprechend. Vgl. Prop. 1.19.7–10, besprochen und zitiert unten p. 193. Vgl. epist. 13.85–100.
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an die dem Brief zugrundeliegende Situation anpasst. Weil der Kern der Epistel darin liegt, dass Laodamia sich hinsichtlich des Schicksals ihres Mannes in Ungewissheit befindet, lässt Ovid sie die nächtlichen Zusammenkünfte mit seiner pallens imago als erotischen Traum deuten. Ob diese Deutung richtig ist oder der Held wie bei Properz nachts als Schatten erscheint, bleibt offen.471 Am Ende des Briefes ist im Gegensatz zu dem Schwerpunkt, den Catull und Properz wählten, Laodamias Selbstmord angekündigt.
7.3 Themen, Motive und Inhalte der Protesilaodamia Von Catull, Properz und Ovid sind uns drei wichtige Gedichte erhalten, die den Mythos von Protesilaos und Laodamia in ihrer eigenen Weise gestalteten, indem sie, jeweils um der poetischen Situation ihres Gedichts gerecht zu werden, teils euripideische Motive unverändert übernahmen oder modifizierten, teils neue, sonst nicht nachweisbare Elemente in den Mythos fügten. Die Geschichte wurde von ihnen unter verschiedenen Schwerpunkten unterschiedlich gewichtet. So wird jeder einzelne der drei vorgestellten Dichter mit seinem jeweiligen Fokus – Catull mit der Hochzeit des Paares, Properz mit dem liebenden Toten und Ovid mit der Ungewissheit der Ehefrau – einen Beitrag dazu leisten können, das Laevius-Gedicht in seiner Konzeption zu verstehen. Im Gegensatz zu seinen Nachfolgern war Laevius aber offenbar daran gelegen, die Liebesgeschichte in umfassender Weise darzustellen, „epyllii instar“, wie L. Müller (1880) 81 das Gedicht wohl treffend charakterisiert.
7.3.1 Die Hochzeit: Laevius und Catull (F 28, 29 und 32) 7.3.1.1 Die Fescennina iocatio (F 28) Die Verbindung zu Catulls Allius-Elegie lässt sich anhand von F 28 herstellen. Nonius zitiert die Verse als Beleg für die Neutrum-Plural-Form ioca (anstelle von ioci). tunc irruunt cachinnos ioca dicta risitantis472
Vgl. epist. 13.101–23 und die Diskussion bei Reeson (2001) 171–5. Havet (1891) 12 verbindet F 28 und F 41 aus dem sechsten Buch der Erotopaegnia und knüpft sie unmittelbar aneinander, so dass der Text entsteht: tunc irruunt cachinnos / ioca dicta risitantis / lasciuiterque ludunt. Wendungen wie lasciuiter ludere werden häufig im Umfeld von Festen mit ausgelassener Stimmung gebraucht: vgl. Mart. 14.79.1 ludite lasciui, sed tantum ludite, serui von den Saturnalien oder Liv. 1.5.1–2 ut nudi iuuenes ... per lusum atque lasciuiam currerent von
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dann strömen sie herbei, Lachen, Scherze, Witze herausprustend
Das Fragment ist textkritisch (tunc) und grammatisch umstritten und, auch wie ich es zitiert habe, nicht leicht zu übersetzen. Die unklaren und schwierigen Details sind im Stellenkommentar besprochen. Zunächst genügt es aber schon, nur das Vokabular näher ins Auge zu fassen, das mit den cachinni, den ioca, den dicta und dem Verb risitare (dem Intensivum von ridere) eindeutig in eine sorglos-heitere Sphäre einzuordnen ist. Dadurch sind die Gedichtstellen, aus denen das Fragment ursprünglich stammen könnte, schon erheblich eingeschränkt. Weil offenbar mehrere Menschen an der hier beschriebenen Situation teilnehmen (irruunt), hatte L. Müller vermutet, dass das Hochzeitsfest das übergeordnete Thema ist: „Hos [versus] ... ad homines in nuptiis eorundem [Protesilai et Laodamiae] praesentes et fescenninam licentiam exercentes retulerim“.473 Die fescennina licentia, von der Müller spricht, bezeichnet den alten römischen Brauch, bei feierlichen Zusammenkünften obszöne Scherzverse vorzutragen. Bei Hochzeiten war der Bräutigam die Zielscheibe dieser Witze. Eine der Hauptquellen zu den fescenninischen Versen ist Catulls Hochzeitsgedicht carm. 61,474 das uns mit seinem Spott über die homoerotischen Verhältnisse des Bräutigams vor seiner Ehe in v. 119–48 eine Vorstellung vom volkstümlichen Brauch geben kann. Die entsprechende Stelle wird markiert eingeleitet mit 119 f. ne diu taceat procax Fescennina iocatio.
Die Substantive iocus oder iocatio begegnen ganz regelmäßig im Zusammenhang mit fescenninischen Versen oder werden allgemein zur Bezeichnung von aggressiv-sexuellen Witzen genutzt.475 Dass dies auch auf die zitierten Laeviusverse zu-
den Lupercalien. Anders verortet Rivoltella (2009) dasselbe Fragment in der Sirenocirca: siehe dazu unten Anm. 574. L. Müller (1880) 81, dem viele folgten; hervorzuheben ist die Untersuchung von Nosarti (1999) 188 f. Die Quellen für die Fescenninen sind bei Wissowa RE vi.2 s. v. Fescennini versus 2222.42–2223.44 zusammengestellt; vgl. auch in aller Kürze Treggiari (1991) 166. Vgl. zum obszönen Moment ThLL vii.2 289.37–45, die Verweise in ThLL vii.2 287.5 f. und auch sonst überall verstreut im Artikel; siehe auch Bömer (1958) ii zu Ov. fast. 6.320 mit besonderem Blick auf Ovid. Vgl. weiter Hor. epist. 2.1.145 mit Bezug auf die Fescenninen in rabiem coepit uerti iocus (Porph. z. St. nennt sie dann iocosa conuicia); Macr. Sat. 3.14.9 führt Worte des alten Cato an, mit denen er gegen den Senator Caelius gewütet habe, der ein Fescenninus sei, mit der Begründung iocos dicit; Liv. 7.2.5 über in vorliterarischer Zeit aufgeführte Verse, die den Fescenninen geglichen hätten, imitari deinde eos iuuentus simul inconditis inter se iocularia fundentes uersibus coepere; Sen. Med. 113 f. festa dicax fundat conuicia fescenninus, / soluat turba iocos; Annian. F 4 C./4FPL Bl./Matt. in Versen, die wohl aus dichterischen Fescenninen stammen (vgl. Court-
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trifft, belegt die asyndetische Verbindung von ioca mit dem Substantiv dicta: Das Nebeneinander der beiden Synonyme476 kommt in dieser Art noch ein weiteres Mal in einem Abschnitt von Ovids Fasten vor, in dem der Ursprung des Festes zu Ehren von Anna Perenna erklärt wird. Die bei den Feiern vorgetragenen Fescenninen bezeichnet Ovid als ioci ueteres obscenaque dicta.477 Solche ioca und dicta können in der Protesilaodamia kaum irgendwo anders als bei der Hochzeit ihren Platz gefunden haben. Damit zeigt sich eindrucksvoll, wie Laevius mit den Mythen, die er häufig nur aus der griechischen Literatur kannte, umging: Er hat sie selbstständig bearbeitet und in eine römische Sphäre übertragen. Die Szenerie erinnert damit an die bei Ovid dargestellte Hochzeit von Medea und Iason:478 turba ruunt et ‚Hymen‘ clamant ‚Hymenaee‘ frequenter. Die Menge strömt herbei und ruft, „Hymen, Hymnenaeus“, in einem fort.
Das Verb ruere beschreibt bei Ovid, wie die Menschenmasse zum Hochzeitszug der beiden strömt, um volkstümliche Lieder zu singen. Daraus lässt sich das laevianische irruere gut erklären: Das Verb mit Praefix wird zwar häufig mit einem Akkusativobjekt zur Angabe des Ziels verbunden, ab und zu steht es aber auch absolut wie hier. Dann ist das Ziel impliziert und erklärt sich aus dem Kontext.479 Deshalb habe ich parallel zu Ovid übersetzt: ‚Das Volk stürmt herbei (etwa: zum Hochzeitsumzug) und singt Fescenninen‘. 7.3.1.2 Die Hochzeitsnacht (F 29 und 32)? Laevius wird sich in seiner Protesilaodamia wohl nicht allein auf die Fescenninen als einen Teil des Hochzeitsritus beschränkt haben. Es ist erwartbar, dass er der Feier eine ganze Reihe an Versen gewidmet hat. Ein weiteres Fragment (F 29) deutet darauf hin, dass er auch die Hochzeitsnacht schilderte:480 Es wird ein einschlafendes Paar dargestellt, wie es eng umschlungen beieinander liegt:
ney [22003] 387 und 390) pergat amica Venus ita iocis; noch mehr Belege für die ioci als Fescenninen sammeln Wallochny (1992) 93 und Mattiaci (1982) 104. Vgl. Macr. Sat. 2.1.14 iocos enim hoc genus ueteres nostri dicta dicebant von Ciceros Witzen. Ov. fast. 3.695. Ov. epist. 12.145; die Parallele sah Nosarti (1999) 188 f. Vgl. ThLL vii.2 449.80–450.47. So seit L. Müller (1880) 82 die gewöhnliche Interpretation.
7.3 Themen, Motive und Inhalte der Protesilaodamia
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complexa somno corpora operiuntur ac suaui quie rigantur. umschlungene Körper werden vom Schlaf bedeckt und von süßer Ruhe überströmt
Vereinzelt wurde Kritik an der vorgeschlagenen Deutung geäußert. Jacobson und Reeson geben zu bedenken, dass bei Ovid, Properz und in einigen Scholien beschrieben wird, wie Protesilaos nach seiner Rückkehr von den Toten noch einmal mit Laodamia schlief:481 Ein ähnliches Zeugnis dafür gibt der Vergilkommentator Servius. Er berichtet von einem Ende der Geschichte, das uns sonst gänzlich unbekannt ist: Laodamia habe den Schatten ihres Mannes in der Oberwelt in Empfang genommen und sei zuletzt in Umarmung mit ihm vergangen: quae (sc. Laodamia) cum maritum in bello Troiano primum periisse cognouisset, optauit ut eius umbram uideret: qua re concessa non deserens eam, in amplexibus eius periit (Serv. zu Verg. Aen. 6.447). Jacobson und Reeson sehen einen ähnlichen Zusammenhang bei Laevius. Mir scheint die Alternative weniger vertretbar zu sein, weil Laevius Protesilaos’ Erscheinung, die ihren Weg von der Unterwelt in die Oberwelt gefunden hat, wohl weniger als corpus bezeichnen würde. In der Serviusnote wie auch bei Properz ist von einer umbra, also von einer Art Gespenst, die Rede.482 Die Wahrscheinlichkeit ist wohl höher, dass Laevius, wenn er schon Details wie das Singen fescenninischer Verse in seine Beschreibung der Hochzeit miteinbezieht, auch die erste gemeinsame Nacht behandelt. Sie war für die römische Eheschließung obligatorisch.483 Sollte die Deutung zutreffen, könnte auch der claustritumus, den Gellius erwähnt (F 32, qui claustris ianua praeesset), hierher gehören. Della Corte sieht darin einen Wächter vor der Tür des Paares bei der Hochzeitsnacht. Aber für das Wörtchen gibt es auch zahlreiche alternative Deutungen.484
Vgl. Jacobson (1974) 210, Anm. 37 und Reeson (2001) 172–4; Prop. 1.19.7–10, Ov. epist. 13.101–22. Vgl. aber gegen mein Argument Lukian. dial. mort. 77.28.3: Protesilaos erhält seine körperliche Frische wieder, damit er mit Laodmia auch körperlich werden kann. Persephone spricht zu Pluto τὸν Ἑρμῆν κέλευσον, ἐπειδὰν ἐν τῷ φωτὶ ἤδη ὁ Πρωτεσίλαος ᾖ, καθικόμενον ἐν τῇ ῥάβδῳ νεανίαν εὐθὺς καλὸν ἀπεργάσασθαι αὐτὸν, οἷος ἦν ἐκ τοῦ παστοῦ, ‚Befiehl Hermes, sobald Protesilaos wieder in der Oberwelt ist, ihn mit dem Stab berührend wieder jugendlich-schön zu machen, wie als er das Brautgemach verließ‘; danach Pluto zu Hermes ποίησον νυμφίον ‚Mache ihn wieder zum Bräutigam‘. Siehe dazu Jacobson (1974) 211 f. Vgl. Treggiari (1993) 168 f. Vgl. Della Corte (mitgeteilt bei Frassinetti [1974] 319); Courtney (22003) z. St. „the doorkeeper [...] in the house of Laodamia“, L. Müller (1880) 82 „de custode Laudamiae agitur“. Mayer (1885) 130
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7.3.1.3 Gründe für die Aufnahme der Hochzeit in die Protesilaodamia Ganz gleich, wie man die beiden letzten Stellen verstehen mag, der Hochzeit in der Protesilaodamia wurden wohl mehr als die beiden Verse über die fescennina iocatio gewidmet. Laevius muss ihr für den Verlauf der Geschichte ein größeres Gewicht beigemessen haben als Properz oder Ovid. Es ist gut vorstellbar, dass er mit seiner Gestaltung der Hochzeit die Vorlage für Catull bildete.485 Er könnte das Fest in größerer Ausführlichkeit dargestellt haben, um den Ursprung allen Leids in einem unterlassenen Hochzeitsopfer zu begründen. Das gilt umso mehr, als die Verse aus der Allius-Elegie eher eine Anspielung auf eine verbreitete Variante des Mythos darstellen als eine ausführliche Erzählung: Vermutlich hatte Catull die Geschichte in dieser Form bei seinen Lesern vorausgesetzt. Ebenso kann er aber auch unabhängig von Laevius aus einer uns heute verlorenen griechischen Bearbeitung des Mythos geschöpft haben486. Dann wäre nicht zwangsläufig gesagt, dass auch die Protesilaodamia vom unterlassenen Hochzeitsopfer handelte.487 Eine zweite Möglichkeit, die Aufnahme der Hochzeitsfeier in die Protesilaodamia zu rechtfertigen, kann ein Aristidesscholion über die Vorgeschichte des Mythos bieten, das gewöhnlich genutzt wird, um Euripides’ Πρωτεσίλαος zu rekonstruieren.488 Wäh-
dachte an einen unterirdischen Torwächter wie Kerberus (z. B. bei Verg. Aen. 6.400 als ianitor bezeichnet) oder Aiakos (Aristoph. Ran. 460–78 und oft im Griechischen als Schlüsselmeister auftretend, nie aber im Lateinischen). Der Türhüter wurde auch in Zusammenhang mit dem euripideischen Πρωτεσίλαος gebracht: TrGF v.2 (58) F 648 οὐ γὰρ θέμις βέβηλον ἅπτεσθαι δόμων ‚nicht ist es Recht, dass ein Uneingeweihter mit diesem Zimmer in Berührung kommt‘. Man hatte das Euripidesfragment lange so verstanden, dass der Protesilaosschatten als etwas Unreines das Haus der Laodamia betreten möchte und ein Wächter zu ihm spricht (z. B. Mayer [1885] 115–20). Doch βέβηλον wäre in dieser Form als ‚unrein‘ singulär; LSJ s. v. gibt die Bedeutung nur mit Verweis auf diese Stelle an, wohingegen das Adjektiv gewöhnlich Menschen bezeichnet, die nicht in bestimmte Mysterien eingeweiht sind. Ferner ist δόμος bei Euripides ein Teil eines Hauses; vgl. dazu Frassinetti (1974) 324 f. und offenbar unabhängig davon Kannicht im App. z. St.: Beide vermuten, dass die mysterienhafte Verehrung des Protesilaosabbildes in Laodamias Schlafzimmer zentral für das Euripidesfragment ist. Frassinetti (1974) 324 f. überträgt den Kontext auf Laevius. Aber auch Laodamia könnte sich bei Euripides so äußern, womit die Wächterfigur für das Drama infrage stünde. So Cairns (2012) 102 (= 2003, 168). Lieberg (1962) 231–8 vertritt den Standpunkt, dass Catull die Mythenvariante selbst erfunden hat. Doch dazu scheint mir der Duktus der Verse zu dunkel und ungenau. Gegen Lieberg ist menschliches Leid infolge eines unterlassenen Opfers keine spezifisch römische Vorstellung; vgl. Od. 4.351–3 oder 4.472–81 und generell Grossardt (2012) 23f. Auch Hochzeitsopfer gab es in Griechenland, nur sind die Riten stärker lokal geprägt als in Rom; vgl. Blanck (21996) 106 und Burkert (21997) 73–5. Es ist aber klar, dass Catull die Protesilaodamia kannte; vgl. nur Catull. 68.74 Prōtĕsĭlāēām Lāŏdămīă dŏmūm: Der auffällige Vers kann nur eine Hommage an den sperrigen Laeviustitel sein (Mantero [1966] 202 Anm. 11). Schol. Aristid. or. 2.228.6 (iii p. 671 f. Dindorf, neu ediert bei Lenz [1968] und TrGF v.2 [58] ii; vgl. auch ähnlich Schol. Lukian. p. 119 f. Rabe) Πρωτεσίλαος δρᾶμα γέγραπται Εὐριπίδῃ. λέγει δὲ
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rend bei Catull das Paar noch ein gewisses Maß an gemeinsamer Zeit miteinander verbringen konnte,489 hat Protesilaos’ Aufbruch in den Krieg dem Scholion zufolge direkt am Tag nach der Hochzeit stattgefunden. Wenn diese Variante des Mythos in der griechischen Literatur verbreitet war, hätte Laevius wohl auch Kenntnis davon gehabt. Demnach wäre der freudige Eingang in ein neues, gemeinsames Leben für das Paar in gleicher Weise ein trauriger Abschied voneinander. Dieser starke Kontrast wäre literarisch wirkungsvoll und würde die Aufnahme einer ausführlich dargestellten Hochzeit in die Protesilaodamia ebenfalls ausreichend begründen.
7.3.2 Laodamias Einsamkeit (F 30 und 31) 7.3.2.1 Lydiens Verführungen (F 30) Nach der Abreise ihres Mannes bleibt Laodamia allein in Thessalien zurück. Sie bekommt keine Nachrichten von ihm und weiß nichts von seinem frühen Tod, wie es vor allem Ovid in der Laodamiaepistel darstellt. Ebenso ist aus Laevius’ Gedicht eine Reihe von Versen erhalten, die ganz offensichtlich Laodamia als Sprecher zugrunde legen: aut nunc quaepiam alia te †illo† Asiatico ornatu adfluens aut Sardiano ac Lydio fulgens decore et gloria perlicuit? oder hat dich jetzt irgendeine andere, mit asiatischem Schmuck übersät, vor sardischlydischen Glanz und Ruhm funkelnd, verführt?
Vermutlich beklagt Laodamia Protesilaos’ ausbleibende Rückkehr aus Troja. Sie wirft ihm Untreue vor und fürchtet, dass er sich mit lydischen Frauen eingelassen hat.490 ὅτι γαμήσας καὶ μίαν ἡμέραν μόνην συγγενόμενος τῇ γυναικὶ αὑτοῦ ἠναγκάσθη μετὰ τῶν Ἑλλήνων κατὰ τῆς Τροίας ἐλθεῖν, καὶ πρῶτος ἐπιβὰς τῆς Τροίας ἐτελεύτησεν, ‚Euripides hat ein Drama namens Protesilaos geschrieben. Er sagt, dass er nach der Hochzeit und nachdem er mit seiner Frau nur einen Tag zusammen war, gezwungen wurde, mit den Griechen nach Troja zu reisen, und dass er als erster troischen Boden betrat und starb‘. Ich habe den Text nach den TrGF gedruckt; zu den drängenden textkritischen Problemen, die daran zweifeln lassen, dass hier überhaupt vom euripideischen Drama die Rede ist, siehe Lenz (1968). Vgl. Catull. 68.81 f. coniugis ante coacta (sc. Laodamia) noui dimittere collum, / quam ueniens una atque altera rursus hiems. So L. Müller (1880) 82. Andere, kaum erwähnenswerte Deutungen bei Mayer (1885) 132 f. und Harmon (1912) 189–91. – De la Ville de Mirmont (1903) 288, Jacobson (1974) 334, Anm. 51 und
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Laevius nimmt durch diesen Verweis auf einen Topos Bezug, der hauptsächlich in der frühen griechischen Lyrik verbreitet war, also zu der Zeit, als Krösus noch über Lydien herrschte. Damals gab es das Klischee vom reichen Lydien, von seinem Luxus und den schönen und verführerischen Frauen dort.491 Wenn Sappho also in einem ihrer Gedichte ausführt, dass sie eine Kleis allen anderen Mädchen, selbst den lydischen, vorziehe, dann liegt darin eines der schönsten Komplimente, das sie ihr überhaupt machen kann.492 Lydiens Hauptstadt Sardis findet wie bei Laevius häufig gesonderte Erwähnung, weil sie über lange Zeit hinweg als Textil- und Modemetropole bekannt war.493 Anders als Sappho deuteten viele antike Schriftsteller Lydiens Reichtum und Überfluss als etwas Negatives. Man beklagte, dass von den Frauen Lydiens, von seinem Luxus, seinen Düften und seinen vielen Festen gleichzeitig eine Sogwirkung ausgehe, etwas Krankhaftes, das selbst den festesten Charakter verderbe, ihn weich und gefügig mache. Xenophanes schildert, wie seine Heimatstadt Kolophon unter dem schlechten Einfluss Lydiens gelitten habe, folgendermaßen (D.-K. B3): ἁβροσύνας δὲ μαθόντες ἀνωφελέας παρὰ Λυδῶν, / ὄφρα τυραννίης ἦσαν ἄνευ στυγερῆς, / ἤιεσαν εἰς ἀγορὴν παναλουργέα φάρε’ ἔχοντες, / οὐ μείους ὥσπερ χίλιοι εἰς ἐπίπαν, / αὐχαλέοι, χαίτηισιν ἀγάλμενοι εὐπρεπέεσσιν, / ἀσκητοῖσ’ ὀδμὴν χρίμασι δευόμενοι Weichlichen Prunk, nutzlosen, erlernten sie von den Lydern und, solange sie noch frei waren von der verhaßten Zwingherrschaft, schritten sie zur Versammlung mit ganz purpurnen Gewändern nicht weniger denn tausend zumal, vornehm tuend, prahlend mit ihren wohlgezierten Locken, triefend von Duft durch künstlich bereitete Salben (Übers. 5D.-K.).
Laevius’ Laodamia ahnt von ähnlichen schlechten Einflüssen Lydiens und befürchtet, dass auch Protesilaos ihm erliege und zu einem λυδοπαθής werde, zu jemandem, der unter dem schlechten Einfluss Lydiens leidet, wie es bei Anakreon heißt:494 Sie fürchtet, dass ihr Mann sich von all dem Luxus beeindrucken und von den auf Männer so stark wirkenden lydischen Frauen blenden lassen könnte. Der Ton der Xeno-
Courtney (22003) 134 erkennen ein Selbstgespräch. U. a. Wüstemann bei Weichert (1830) 78 und Frassinetti (1974) 321 oder Fantuzzi (1995) 342, Anm. 3 spekulieren über einen Brief, der in der Protesilaodamia eingelegt sei. Vgl. etwa Kistler (2012) 62–9. Vgl. Sapph. 132 V. Κλέις ἀγαπάτα, / ἀντὶ τᾶς ἔγωὐδὲ Λυδίαν παῖσαν οὐδ’ ἐράνναν ... ‚die geliebte Kleis, an ihrer statt ich weder das ganze Lydien noch die liebliche ...‘ (das Verb fehlt) oder Sapph. 96.6–9 V.: νῦν δὲ Λύδαισιν ἐμπρέπεται γυναί- /κεσσιν ὤς ποτ’ ἀελίω / δύντος ἀ βροδοδάκτυλος / πάντα περ έχοισ’ ἄστρα, ‚aber nun glänzt sie unter den lydischen Frauen hervor, wie manchmal bei untergehender Sonne der rosenfingrige Mond unter allen Sternen hervorsticht‘. Alfonsi (1958a) 357 und Fantuzzi (1995) bes. 345–7 versuchten zu zeigen, dass Laevius direkt von Sappho abhängt. Vgl. Bürchner RE xiii.2 s. v. Lydia 2139 f. PMG 481.
7.3 Themen, Motive und Inhalte der Protesilaodamia
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phanes-Stelle dürfte der übergeordneten Stimmung des Laeviusfragments daher gut entsprechen. Ohne es direkt zur Sprache zu bringen, verdeutlicht Laevius Laodamias Abneigung gegen Lydien allein durch die Erwähnung der üblichen Topoi: Durch die Attribute Sardianus und Lydius erhalten die Substantive decor und gloria eine stark negative Bedeutung:495 Sardisch-lydischer decor zeichnet sich dadurch aus, dass er allein auf Äußerlichkeiten, Mode und Reichtum beruhe. So gehen auch die Kolophoner bei Xenophanes wie die Lydier in Purpurgewändern zu Versammlungen (παναλουργέα φάρε’ ἔχοντες), und ebenso ist sardisch-lydische gloria in nichts anderem als in Schein und Angeberei begründet. Bei Xenophanes heißen die Kolophoner deshalb αὐχαλέοι.496 7.3.2.2 Ariadne, Dido, Arethusa und Laodamia (F 30) Aus diesem alten Motiv der Verführungen Lydiens leitet Laevius Laodamias Eifersucht ab. Er fügt daran ihren Untreuevorwurf, der wiederum ein beliebtes Motiv der Liebesdichtung bildet, vor allem dann, wenn sie aus der Perspektive von Frauen gedichtet wurde. Monologe einsamer Frauen, die von ihren Männern zurückgelassen wurden, waren in der lateinischen Dichtung seit Laevius ein beliebtes Subgenre, mit dem die Dichter einfühlsam eine intime Seite der epischen Heldenwelt beleuchten wollten. Allen voran sind Ovids Epistulae Heroidum vergleichbar:497 Der Dichter lässt seine Heldinnen immer wieder über die Untreue ihrer Männer klagen. Es spielt dabei keine Rolle, ob so das Thema des gesamten Gedichts gebildet oder ob der Vorwurf nur nebenbei erwähnt und ohne bestimmten Anlass geäußert wird.498 Auch für Catull und Properz war es eine reizvolle literarische Aufgabe, die Klagen allein gelassener Frauen in längeren Monologen darzustellen. Zuerst
Asiatico ornatu benennt das Übergeordnete, mit aut wird dann der nähere Ausdruck Sardiano ac Lydio angeschlossen; zu aut als Verbindung zum Zweck der Spezifizierung siehe KS ii 101. Häufige Fehlinterpretationen der Syntax liegen darin begründet, dass der falsche Text der Ausgaben seit Morel aut Sardiano aut Lydio zugrunde gelegt wurde. Er beruht vermutlich ursprünglich auf einem Druckfehler, dem ich unten im Kommentar kurz nachgehe. Die Bedeutung der beiden Wörter bei Laevius erklärte Sciava (1926/7) 206. decor (nicht decus, wie manchmal missverstanden wurde) meint vorrangig die äußere Schönheit; vgl. ThLL v.1 206.78 und 208.13. Zu gloria vergleicht Sciava Hor. epist. 1.18.21–5 quem damnosa uenus, quem praeceps alea nudat, / gloria quem supra uiris et uestit et unguit / ... amicus ... odit et horret, was ziemlich genau die Bedeutung des sardisch–lydischen Ruhms bei Laevius trifft; siehe ThLL vi.2 2084.59–2085.14. Das bei Laevius von den Herausgebern gedruckte gratia (anstelle von überliefertem gloria) passt inhaltlich weit schlechter; es ist unten im Kommentar besprochen. Vgl. zum Fragment vor dem Hintergrund der Heroides Tandoi (1992) 116–27. Omnipräsent ist das Thema bei epist. 5 (Oenone zu Paris), 6 (Hypsipyle an Iason) oder 9 (Deianira zu Hercules). – Ferner führt Courtney (22003) epist. 1.75 f. an; vgl. auch epist. 2.103 oder 3.41 f.
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stellte Catull die Rede der verzweifelten Ariadne, die von Theseus auf Naxos zurückgelassen worden war, ins Zentrum seines Peleus-Thetis-Epyllions. Auch diese Rede beginnt mit Vorwürfen (Catull. 64.132 f.): sicine me patriis auectam, perfide, ab aris, perfide, deserto liquisti in litore, Theseu? Also mich, du Treuloser, die ich fortgeführt wurde von den väterlichen Altären, du Treuloser, hast du, Theseus, an einem einsamen Strand zurückgelassen?
Der Ariadnemonolog wurde später zum Modell für eine der letzten Reden, die Dido in der Aenies hält. Sie hatte gerade erfahren, dass Aeneas weiterziehen möchte, und beginnt folgendermaßen (Verg. Aen. 4.305 f.): dissimulare etiam sperasti, perfide, tantum posse nefas tacitusque mea decedere terra? Du hast auch noch gehofft, du Treuloser, dass du solch Verbrechen verbergen und still und heimlich mein Land verlassen kannst?
Viele Philologen haben auch bei Laevius einen konkreten, mit der Situation von Ariadne oder Dido vergleichbaren Anlass dafür gesucht, dass Laodamia ihren Mann Untreue vorwürft.499 Aber der Vorwurf bedarf keiner äußeren Motivierung, weil er topisch ist, wie einige Verse von Properzens Arethusabrief (4.3.) zeigen. Properz formuliert in dem Gedicht einen Brief einer einsamen Arethusa an ihren in den Krieg gezogenen Mann Lykotas. Damit liegen die gleichen Voraussetzungen wie im Laeviusgedicht vor. Die einleitenden Verse des Briefes nutzt Properz, um die Hintergrundhandlung zu schildern und den Leser über die Grundsituation aufzuklären. Die ersten Verse, die Arethusa direkt an Lykotas richtet, enthalten wie auch bei Catull und Vergil den Vorwurf der Untreue (Prop. 4.3.11 f.; Text nach Heyworth): haecne marita fides et pacta haec foedera nobis, cum rudis urgenti bracchia uicta dedi? Dies ist deine eheliche Treue, dies unser geschlossener Bund, damals, als ich mich unerfahren deinen drängenden Umarmungen ergab?
Für Properzens Arethusa und Laevius’ Laodamia ist es allein schon ein Zeichen von Untreue, wenn ihre Männer in den Krieg ziehen. Laodamias Eifersucht fügt sich bei Laevius daher ohne Probleme in den Mythos, auch wenn in anderen Behandlungen oder in den Scholien keine vergleichbaren Stellen auffindbar sind. Die Frage wurde diskutiert, vgl. etwa Harmon (1912) oder Cairns (2012) 106 (= 2003, 173).
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7.3.2.3 Schlussfolgerungen für die Laodamiarede bei Laevius (F 30) Es sollte deshalb möglich sein, aus dem Vergleich der angeführten Textstellen noch weitere Schlussfolgerungen für Laevius’ Laodamia-Monolog zu ziehen: Die Monologe bei Catull, Properz und Vergil werden jeweils durch einen Vorwurf der Untreue eröffnet und umfassen in etwa 80 Verse. Das Laeviusfragment könnte also ebenfalls den Anfang einer Rede erhalten haben, die in ihrer Länge ursprünglich damit vergleichbar war. aut zu Beginn des Fragments verlangt noch einige vorangehende Wörter oder Verse, die mit dem erhaltenen Textteil wohl eng verknüpft waren, indem sie beispielsweise das jetzt isoliert und unpointiert stehende nunc vorbereiten (z. B. tunc ... nunc).500 Harmon sah sogar in F 37 den unmittelbar vorangehenden Text dieses Fragments, aber über Spekulationen ist bei solchen Verbindungen nicht hinauszukommen501 – hier helfen auch die angeführten Parallelen kaum mehr weiter. Zuletzt wird man am Ende des Laeviusfragments wohl genauso wie nach dem ersten Satz in den Reden von Catull, Properz und Vergil mit einem Fragezeichen interpungieren müssen;502 so ist auch das seltene Pronomen quispiam zu erklären.503 Laevius möchte sich in diesen Versen wieder als Dichter zeigen, der sich in Frauen mit Liebeskummer hineinversetzen und aus ihnen sprechen kann. Seine Protesilaodamia geht den bekannten Klagen der mythischen Heldinnen in der lateinischen Literatur, vor allem denen bei Catull, Properz und Vergil, voran, wobei aber auch Nähe zu Ovids Epistulae Heroidum gegeben ist. Im Speziellen führt Laevius wie Ovid in seiner Laodamiaepistel dem Leser einen Monolog vor Augen, der durch das Zusammenspiel zwischen Figuren- und Leserwissen seine besondere Wirkung erhält: Während Laodamia ihren (schon toten oder dem Tode geweihten) Mann noch in Troja wähnt und ihn der Untreue anklagt, weiß der Leser bereits, dass Protesilaos entweder schon gefallen ist oder fallen wird, sobald er einen Fuß auf trojanischen Boden setzt.
So Sciava (1926/7), doch nunc kann auch stehen, um das resultative Perfekt zu unterstreichen; vgl. Langen (1880) 39 f. Harmons (1912, 191–4) Verknüpfung von F 37 und 30 passt erstaunlich gut; sie beruht auf der Konjektur hunc zu num in F 37: num quod meum admissum nocens / hostit uoluntatem tuam? aut / nunc quaepiam alia te †illo† / Asiatico ornatu adfluens / aut Sardiano ac Lydio / fulgens decore et gloria, / perlicuit? Der parallele Bau der Verse spricht für Harmon: num quod meum admissum korrespondiert mit nunc quaepiam alia, ebenso die aktiven Partizipien nocens und adfluens/fulgens. Doch man würde wohl eher an statt aut erwarten. aut hat in Fragen weniger disjunktive als spezifizierende Funktion (KS ii 529 f.). L. Müller (1880) 82 setzt in seiner Ausgabe der Erotiker ein Fragezeichen, schreibt nunc anstelle von num und tilgt vorangehendes aut; aber auch einfaches aut nunc kann eine Frage fortführen. Baehrens FPR und Courtney (22003) interpungieren mit einem Punkt. Zu quispiam in Fragesätzen vgl. KS i 642.
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7.3.2.4 Die liebesblasse Laodamia? (F 33) Auch F 33 steht möglicherweise im Zusammenhang mit der an Liebeskummer leidenden Laodamia. Doch die Überlieferungslage ist dermaßen problematisch, dass es allein bei Mutmaßungen bleiben muss;504 zuerst deshalb einige Gedanken zum Zitierkontext und zur Überlieferung bei Nonius. Bei Nonius werden mehrere Belege für verschiedene Substantive und Adjektive vom Stamm gracil- angeführt: für gracilitudo etwas mehr als ein Vers aus Accius’ Amphitruo, für gracilentus ein Enniushexameter, für gracilens und vielleicht auch für gracilans das Stückchen von Laevius und zuletzt ein Teilvers vom Komödiendichter Turpilius vermutlich für gracilus.505 Als Lemma bieten die Handschriften für Non. 116 M. ein unverständliches Chaos: gracilitudo et gracilens pro gracilis et gracilentum pro gracili et gracilium pro gracilitas. Mit unterschiedlichen Ansätzen versuchten Herausgeber, Ordnung in den Text zu bringen, wobei allein Onions Tilgung vom ersten et bis zu gracilium Evidenz für sich beanspruchen kann:506 Wie die antiken Glossen im Leidenser Codex belegen, lautete das Lemma einfach gracilitudo pro gracilitas.507 Dass Nonius nach einem Beleg für gracilitudo auch noch Belege anderer Wörter vom selben Stamm anführt, entspricht seiner Praxis.508 Der von Onions getilgte Text et gracilens pro gracilis et gracilentum pro gracili et gracilium könnte eine in margine geschriebene und später auf falsche Weise in den Text gedrungene Glosse sein. Der Verfasser des Zusatzes wollte Erklärungen für jedes einzelne Zitat bieten: Mit gracilentum bezieht er sich auf den Ennius-, mit gracilens auf den Laevius- und mit der seltsamen Form gracilium auf den Turpilius-Beleg. Bei Laevius angekommen, heißt es ohne Interpunktion:
Die Forschungsmeinungen zum Fragment fasst Mordeglia (2007) 109–15 zusammen. Sie zitiert auch, wie der Humanist Nicollò Perotti (1526) das Fragment (direkt aus Nonius) in sein Cornu Copiae übernahm: Naeuius: ‚uide gracilentis colorem et quam subito factus est gracilens.‘ (606.7 f.). Quicherat emendiert das Turp. 13 2R. zu gracilo corpore. Überliefert ist sowohl gracile als auch gracili, aber Nonius würde kaum einen Beleg für das gewöhnliche gracilis zitieren. Das Adjektiv gracilus ist auch bei Lucilius 296 M. und Ter. Eun. 314 belegt und sollte auch für Turpilius übernommen werden. Vgl. ferner Quicherat: gracilitudo pro gracilitas, et gracilens, gracilentum et gracilum pro gracile; Müller in der Noniusausgabe: gracilitudo pro gracilitas et gracilentum et gracilens et gracilum pro gracile; Skutsch (1985) 420, Anm. 27 gracilitudo pro gracilitas, et gracilens pro gracilis, et gracilentum et gracilum pro gracili. Gloss. Non. G5 Gatti (= Gloss. v 641.78 Goetz). Zur Entsprechung der jeweiligen Glosse mit dem Noniuslemma in den meisten Fällen siehe Gatti (2005) 14 f. Vgl. z. B. kurz davor Non. 115 M. das Lemma grandire. Nach zwei Zitaten dazu folgen zwei weitere Zitate zu grandescere, eines zu pergrandescere und danach wieder eines zu grandire.
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Laeuius in Protesilaodamia gracilentis colorem dum ex hoc gracilans fit Turpilius Canephoro ...
Weil Nonius seine Zitate häufig ohne weitere Erklärungen aneinanderreiht, könnte sich das Laeviusfragment von gracilentis bis zu fit erstrecken. Es wurden zwei Reiziana, anapästische, trochäische oder ionische Verse vermutet:509 grăcĭlēntī̆ s cŏlōrē̆ m510 dum ēx hōc grăcĭlāns f ī̆ t
gracilans codd : gracilens ed. Ald.
Hinsichtlich der Wiederherstellung des Versmaßes kann man zu keiner Sicherheit gelangen, zumal mit -ēntī̆ s cŏl- Spielraum für unterschiedliche Auffassungen gegeben ist. Über die Metrik zu diskutieren, scheint mir deshalb nicht zielführend zu sein. Die Verbindung der beiden Wörter ‚mager‘ und ‚Farbe‘ könnte auf den Kontext deuten: Bei Ovid und Properz gehört der körperliche Zerfall zu den üblichen Symptomen des Liebeskummers. Manchmal wird er mit dem ursprünglich sapphischen Element der Blässe verknüpft. So können beide eigentlich unabhängigen Punkte, körperlicher Verfall und bleiche Gesichtsfarbe, in enger Verbindung miteinander gesetzt werden.511 Properz lässt Arethusa an ihren Mann Lykotas schreiben (Prop. 4.3.27 f.): diceris et macie uultum tenuasse; sed opto e desiderio sit color iste meo. Man sagt, dass du von Magerkeit geschwächt bist im Gesicht; aber ich hoffe, diese Farbe hast du aus Verlangen zu mir.
color iste greift die Magerkeit (macies) unmittelbar auf und zeigt die Nähe beider Gedanken zueinander. Vielleicht ist auch die ungewöhnliche Verbindung gracilentis colorem so zu verstehen. Sie könnte die alleingelassene Laodamia beschreiben.
L. Müller (1888) erwog in seiner Noniusausgabe Anapäste oder Ioniker. Granarolo (1971) 106–12 Reiziana, Anapäste oder Trochäen. Den ersten Teil des Fragments hatte Lindsay als gracilenti’ colorem gedruckt, um zu verdeutlichen, dass -s am Wortende nicht längt und ein Anapäst vorliegt. Leo (1914) 181 f., Anm. 2 sah darin ein Kompositum: „gracilenticolorem (das ist ein Wort)“. Offenbar glaubte er, der Text sei als gracilenti überliefert. Die irrtümliche Überlieferung wurde in die meisten Ausgaben des letzten Jahrhunderts übernommen. Selbst nachdem Courtney (1984) 133 und noch weitere Male (11993, 22003) z. St. auf den Fehler aufmerksam machte, wurde das überlieferte gracilentis colorem in 4FPL Bl. fälschlicherweise als Courtneys Konjektur ausgewiesen; zuvor korrigierten schon Housman (1972) iii 1151 (= 1928, 78 f.) und Lee (1963) 667 die vermeintliche Überlieferung der FPL. Vgl. zur Interpretation Alfonsi (1958a) 356 f.
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Zu klären bleibt, wie das Fragment syntaktisch zu verstehen ist und vor allem, was dum ex hoc gracilans/-ens fit bedeuten könnte. Versuche, den zweiten Teil des Fragments inhaltlich in Verbindung mit gracilentis colorem zu bringen, haben bisher zu keinem überzeugenden Ergebnis geführt.512 Vielleicht gibt es aber auch gar keinen Zusammenhang. Auffällig ist die Wiederholung des Wortes gracilens (oder seine Variation, wenn man gracilans beibehalten will), die nicht prinzipiell anstößig für Laevius wäre, aber doch innerhalb des Zitierkontextes zu ungewöhnlich wäre. Möglicherweise hat das Laeviuszitat schon davor ein Ende gefunden und Nonius bietet einen neuen Beleg. G.I. Vossius versuchte das Problem auf diese Weise zu lösen:513 ‚gracilentis colorem‘. idem: ‚ex hoc gracilens fit‘
So kommen sogar zwei Laeviusfragmente zustande, eines aus der Protesilaodamia, das sich in der oben vorgestellten Weise interpretieren ließe, und eines von unklarer Herkunft und Bedeutung. Metrisch ist auch hier wieder Vieles möglich, aber die Festlegung des Versmaßes wäre nach wie vor nicht gewinnbringend. Mit einem leichten Eingriff löst Vossius jedenfalls das aus der Konjunktion dum entstehende Problem, lagert das Vorkommen der Wörter gracilentis und gracilans/ gracilens in unterschiedliche Fragmente aus und trennt auf solche Weise das, was nur schwer zusammengehört. Damit behält er die strenge Aneinanderreihung der Zitate ohne Zwischenbemerkung in der Noniusnote bei. Seine Wiederherstellung bleibt daher auch heute noch eine sehr attraktive Lösung. Mir scheint Leumanns Ansatz in die richtige Richtung zu weisen. Er machte darauf aufmerksam, dass die Wendung ex hoc gracila(e)ns fit kaum dichterisch sein dürfte.514 Die Wortfolge ex hoc ... fit klingt viel eher nach Grammatiker- oder Lexikographensprache. Solche Verbindungen werden genutzt, um die Herkunft eines Wortes zu beschreiben.515 Vielleicht haben die Noniuscodices mit dem Ad-
Zu den Wenigen, die sich an einer Übersetzung versuchten, gehören Traglia (1957) 93 f. und (21974) 176 „pallida in volto, mentre da questo momento sempre piu si assottiglia“, Alfonsi (1958a) 357 „di colore macilento mentre per lui (o, meglio ancora, per la sua assenza) diventa gracile“, Granarolo (1971) 106 „pâle de visage, tandi qu’à partir de ce moment elle s’étiole toujours plus.“ Vgl. G.I. Vossius (1620) 72 und Lindsays Noniusausgabe. Vgl. den mündlich mitgeteilten Vorschlag in ThLL vi.2 s. v. gracilens 2129.38–42, bei Traglia (1957) 94 fälschlicherweise Housman zugeordnet, der im Thesaurusartikel zuvor zitiert wird. Um nur zwei Beispiele aus Priscian zu nennen Prisc. GLK ii 78.17 ‚lux lucis Lucanus‘ – ex quo compositum fit ‚antelucanus‘: ex eodem tamen nascitur etiam ‚Lucina‘ oder Prisc. GLK ii 158.13 f. ex quo et diminutio fit, ‚diecula‘ und viel öfter; bei Nonius begegnet Ähnliches, aber wegen der Natur seines Lexikons, das längere Erklärungen meist unterlässt, seltener: vgl. z. B. Non. 57 M. zum Wort ‚enixae‘ ... sed elegantior intellectus, ut ex hoc dictae esse credantur, quod uinculis quibusdam periculi, quibus inplicarentur, fuerint exsolutae: ‚nexum‘ enim dicimus aptum et conligatum. – Leumann fasst ex hoc gracilens fit (mit der Aldina-Konjektur) hingegen als Angabe der Nominativ-
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jektiv gracilans, dessen Entstehung aus gracilis erklärbar wäre,516 sogar das Richtige überliefert. Der Text könnte bedeuten ‚Laevius hat gracilens und daraus entstanden gibt es auch gracilans‘. So schiene es mir sprachlich akzeptabel, nur bliebe dum ungeklärt. Leumann vermutete eine größere Korruptel und sah in dum noch einen korrupten Bestandteil des Fragments.517 Man muss akzeptieren, dass der Text unheilbar verderbt ist. Die Wörter gracilentis colorem sind mit Alfonsi noch erklärbar und dürften so zu Laevius’ Fragment gehören. Trotzdem bleiben auch hier Zweifel, ob der Text so richtig sein kann. Ein Genitiv und ein Akkusativ ohne jegliche Bezugswörter oder ohne Verb wäre sogar für ein bei Nonius überliefertes Zitat ungewöhnlich kryptisch. Das gilt unabhängig davon, ob mit dum noch ein Nebensatz folgt, den man Laevius zuordnen möchte, oder nicht.518 Die unheilbare Korruptel dürfte sich wenigstens von dum bis zur Einleitung des Turpiliuszitates erstrecken. Wem dieser Text zuzuteilen ist, ob Laevius im selben Zitat, ob Laevius in einem neuen Zitat, ob Nonius, einer seiner Quellen oder einem Glossator, bleibt eine unbeantwortete Frage.
7.3.3 Die Begierden des Toten (F 31) F 31 handelt vermutlich von Protesilaos: cupidius miserulo obito
Das auffällige Partizip obitus erklärt schon der Zitatträger Priscian: obitus ist synonym zu ὁ τεθνεώς, also mortuus, zu verstehen. Danach kann der Deminutiv miserulus (anstelle des gewöhnlichen misellus) Auskunft zum Kontext geben: Er ist in dieser Form in der gesamten Literatur der Antike nur noch ein weiteres Mal in der ersten Hälfte des zweiten Jh. s bei Septimius Serenus belegt, der sich eng an die Wendung aus der Protesilaodamia anlehnt (F 17 C. = 16 4FPL Bl./Matt.): animula miserula properiter obiit Schnell ging diese elende Seele zugrunde.
form des laevianischen gracilentis auf, was aber nicht passt. Grammatiker nutzen hierfür andere Wendungen mit der Präposition a: vgl. Non. 119 M. ‚glis‘, nominatiuus ab eo quod sunt glires. Zu einem möglichen gracilare vgl. Samuelsson (1915) 250. Leumann (ThLL vi.2 s. v. gracilens 2129.38–42) konjiziert gracilenti corpore nudum. Baehrens FPR schrieb aus diesem Grund gracilentis color est, ohne mitzuteilen, welches Metrum er liest.
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Womöglich stammt sein Fragment aus einem Epitaph auf einen Hasen, doch das ist nicht restlos sicher.519 Wenigstens sind die Wörter dahingehend deutlich genug, dass die animula miserula das Subjekt zu obiit bildet, und miserulus dadurch etwas Totes bezeichnet, wie es auch beim Laeviusfragment naheliegt. Der Gebrauch entspricht dem gewöhnlichen Deminutiv misellus, der häufig in Epitaphien belegt ist und auch in anderen Texten von verstorbenen Tieren oder Menschen genutzt wird.520 Zuletzt bleibt die Frage zu klären, wie das seltene cupidius genau zu verstehen ist und in welchem syntaktischen Verhältnis es zu miserulo obito steht. Ich glaube kaum, dass der Ablativ (oder Dativ) gänzlich losgelöst vom Komparativ cupidius verstanden werden darf, wie es Traglia und Frasinetti versuchen. Sie beziehen cupidius auf Laodamia und erkennen in miserulo obito einen Ablativus Absolutus: ‚Laodamia begieriger , nachdem Protesilaos gestorben war‘.521 Gerade Priscian ist darum bemüht, grammatisch verständliche und einigermaßen in sich geschlossene Auszüge als Belege zu bieten. Für gewöhnlich integriert er keinen unnötigen Ballast in das Zitat, wie es cupidius nach Traglias und Frasinettis Interpretation an dieser Stelle wäre.522 Wenn der Grammatiker im vorliegenden Fall also miserulo obito als Beleg für obitus (τεθνεώς) nennt und dazu das Adverb cupidius setzt, so sollten die beiden Ausdrücke sofern möglich in ein grammatisches Verhältnis zueinander gesetzt werden. Das ist, wie Lieberg sah, dann am besten möglich, wenn miserulo obito ein Ablativus Comparationis ist:523 ‚begieriger als ein armer Toter‘. Weil das Fragment so einen geschlossenen Ausdruck enthält und der Gebrauch des Partizips obito allein anhand von cupidius hinreichend verstanden werden kann, braucht Priscian zur weiteren Erklärung des Partizips kein Verb mehr zu zitieren. Was für Priscian oder für seine Vorlage eine ganz gewöhnliche Beschränkung auf das Wesentliche war, ist heute für denjenigen, der den Inhalt des Gedichts nachzeichnen will, natürlich ärgerlich; man erfährt nicht, worauf cupidius sich bezogen hat. Es besteht nur in diesem einen Punkt Sicherheit, dass die Verbalhandlung ein Ziel verfolgen muss, das in unmittelbarem Zusammenhang mit dem
Vgl. Mattiaci (1982) 172 und Courtney (22003) 414. Vgl. ThLL viii 1099.45–56, Baehrens (21893) zu Catull. 3.16, Hanssen (1952) 159–61. Vgl. Frassinetti (1974) 322 und Traglia (21974) 130 f. Wenn Priscian in diesem Kapitel Ablativi Absoluti zitiert, dann nur mit finitem Verb, damit der Kontext und der aktive Gebrauch des PPP klar wird. Wenn dies nicht der Fall ist, lässt sich in diesem Paragraphen der zum Partizip gebotene Text syntaktisch stets aus dem Partizip selbst heraus klären; z. B. gleich darauffolgend Laev. F 38 nocte dieque decretum et auctum. Vgl. Lieberg (1962) 215, dessen Begründung, dass mit Priscians Erklärung obitus ὁ τεθνεώς das Partizip bei Laevius substantiviert werden müsse, aber nicht schlagend ist: Die anderen Priscianzitate in diesem Kapitel enthalten zum Teil auch Partizipien, die nicht substantivisch aufgefasst werden können: z. B. zu discessus ὁ ἀναχωρήσας der Beleg Coel. FRHist 15 F 29 custodibus discessis multi interficiuntur.
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Begehrten steht: Wenn jemand auf begierige Weise handelt, dann handelt er zu dem Zweck, das Begehrte zu erlangen.524 Deshalb folgt auf das Adverb cupide meist ein Verb des Strebens und Begehrens, vorrangig verschiedene Formen und Zusammensetzungen von petere, sequi oder studere.525 Im Zusammenhang mit der Wendung miserulo obito ist dieser Punkt insofern bedeutsam, als das vorliegende Laeviusfragment dadurch aus einer zentralen Stelle des Protesilaosmythos stammen könnte, in dem das Begehren der beiden Liebenden über den Tod hinaus thematisiert wird. Properz schreibt (1.19.7–10): illic Phylacides iucundae coniugis heros non potuit caecis inmemor esse locis; sed cupidus falsis attingere gaudia palmis Thessalus antiquam uenerat umbra domum. Der phylakidische Held konnte seine geliebte Gattin auch an diesem dunklen Ort (Hades) nicht vergessen, sondern begierig danach, mit trügerischen Händen seine Freude zu greifen, war der Thessalier als Schatten in sein altes Haus gekommen.
Auf die Übereinstimmung zwischen cupidus bei Properz und cupidius bei Laevius ist bei zwei Dichtern, denen es hauptsächlich um Liebe geht, wohl nicht viel zu geben. Eine direkte Anspielung auf Laevius anzunehmen, wäre falsch. Es kommt vielmehr auf das Bild an, das Properz darstellt und womöglich einen ungefähren Eindruck davon bietet, wie der nähere Kontext in der Protesilaodamia ausgesehen haben könnte: Im Gedicht des Properz sind es die gaudia mit seiner Frau, die Protesialos so sehr begehrt und ihn zuletzt auch veranlassen, aus der Unterwelt in sein Haus zurückzukehren. Wollte man die Situation eins zu eins übertragen, könnte man wie Lieberg, der auf die Parallele aufmerksam macht, die bei Priscian überlieferten Worte exempli gratia ergänzen cupidius obito miserulo (sc. Protesilao) „niemand liebt leidenschaftlicher als er, der arme, elende Tote“.526 Man kann wohl von einem diagnostischen Supplement sprechen, das inhaltlich in die Situation passen könnte, in die die Worte ursprünglich eingebunden waren. Dem Fragment liegt so mit hoher Wahrscheinlichkeit der euripideisch-properzische Ge-
KS i 237 f. sprechen hier zu pauschal von cupide „statt des prädikativen Adjektivs“, wie Pinkster (1987) 234 f. zeigt: Es liegt zwar häufig kein Bedeutungsunterschied darin, ob jemand beim Handeln cupidus ist oder ob die Handlung cupide vor sich geht, aber dennoch sind die beiden Ausdrücke nicht synonym. Es wäre daher auch ungewöhnlich mit L. Müller (1880) 82 und Courtney (22003) z. St. cupidius auf obito zu beziehen („De Protesilao qui sponte se obtulit morti pro Grais agitur“): Protesilaos opfert sich nicht freiwillig für die Griechen. Vgl. ThLL iv 1428.25–80. Lieberg (1962) 215, Anm. 189, dort auch die Texterweiterung und die Übersetzung; er nimmt einen direkten Zusammenhang zwischen der Properz- und Laeviusstelle an.
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danke zugrunde, dass Protesilaos nach seinem Tod den Wunsch hat, zu Laodamia zurückzukehren. Anders als bei den Gedichten von Catull oder Ovid war in der Protesilaodamia Protesilaos’ Rückkehr in die Welt der Lebenden wohl zentral gewesen.
7.3.4 Der Prolog/Epilog der Protesilaodamia (F 27) F 27 hatte vermutlich keinen Platz in der Erzählung an sich. Es dürfte wie auch F 22 in der Alcestis Teil eines Prologs oder Epilogs gewesen sein. fāc păpӯrī̆ n ... hā ̄ ec ̄ tērga hăbĕānt stīgmătā̆
Die Stelle ist neben den beiden Versen aus dem Phoenix das wohl meistbesprochenste Stück, das von Laevius erhalten blieb. Das schwierig zu deutende Vokabular, die unklare Metrik527 und die problematische Überlieferungslage veranlassten sogar den sonst zu Spekulationen neigenden L. Müller zur einfachen Bemerkung „verba ipsa fragmenti temptare supersedeo“.528 Es bietet sich an, all diese Probleme hier zusammenhängend zu besprechen. a) Überlieferung Das Fragment ist in den Veronenser Vergilscholien überliefert. Es liegt hier der besondere Fall vor, dass der eigentliche Zitatträger Aemilius Asper selbst nur sekundär von einem Scholiasten zitiert wird, und es scheint fast so, als wäre der in den Scholien erhaltene Text des frühen Vergilkommentators fragmentarischer als das Fragment selbst. Das Bruchstück der Protesilaodamia wird in einer Note zu Verg. Aen. 4.146 pictique Agathyrsi zitiert. Der Epiker beziehe sich damit, so Asper, auf die bei den Agathyrsen verbreitete Sitte, sich zu tätowieren: Der Kommentator umschreibt ‚pictos‘ mit dem Adjektiv stigmosos und fügt als weiteren Beleg eine Stelle aus Vergils Georgica an (2.115 pictosque Gelonos).529 Das Laeviuszitat selbst wird unmittelbar mit in Protesilaodamia eingeführt, ohne dass der Dichtername genannt oder auch nur eine ungefähre Verbindung zwischen den Vergilstellen und der
Je nach Verseinteilung ist Verschiedenes möglich. Am ehesten ist mit Leo (1914) 181, Anm. 2 ein trochäisches oder mit Courtney (22003) 131 ein ionisches Metrum denkbar. Müller (1880) xxxix. Er hatte das Fragment nur in seiner Einleitung erwähnt. – Für eine Forschungsübersicht vgl. Cumino (2007) und Lunelli (1969) 117 f. Hierin zeigt sich schon, dass etwas mit dem Aspertext nicht stimmt: Gewöhnlich wiederholt er bei der Erklärung einzelner Worte das Definiens und Definiendum in demselben Numerus und Kasus, wie es sich auch im zu kommentierenden Vergiltext findet; vgl. F xx, xxxiv, xxxvi Wessner und öfter. Hier ist die Wiederholung dagegen an das darauffolgende Zitat pictosque Gelenos angepasst.
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Laeviusstelle gezogen wird.530 Warum genau Asper gerade hier Laevius zitiert, bleibt also unklar. Doch er hätte kaum Anlass, wenn es in dem Fragment aus der Protesilaodamia nicht wie auch bei Vergil um Tattoos ginge. Die Veronenser Vergilscholien sind als Palimpsest erhalten. Auch der Text des Laeviuszitates litt stark: Der Anfang des Fragments steht im Codex am rechten oberen Rand, von dem der äußerste Teil auf der rechten Seite nach der Buchstabenfolge papyrin beschnitten wurde. Die Weiterführung des Zitats erfolgt mit haec in der nächsten Zeile: fac papyrin│✶✶✶ haec terga habeant stigmata
Der beschnittene Rand dieses Blattes ist nach Lunelli, der den Codex in den 1960er Jahren einsah, von einer solchen Breite, dass er in etwa fünf bis sechs Buchstaben enthalten haben muss.531 Anhand des Textausfalls am Ende des foliums in den nächsten Zeilen kann Lunelli seinen Eindruck bestätigen. Direkt auf das Laeviuszitat folgt mit den Ergänzungen der Herausgeber Keil und Baschera: ‚Cretes‘, quia responso accepto ex insula Creta profec│532 et ducem secuti Delphum Phocidam tenuisse dicuntur
und ut Phylarc│
mit vermutlich jeweils sechs Buchstaben.533
Berchem (1861) 99 f. hat das Fragment erstmals Laevius zugeordnet. Wessner (1905) ergänzt in seiner Asperausgabe dann auch in ..., was wohl nötig ist, weil Asper einen Dichter wie Laevius nicht ohne Nennung des Namens zitieren würde. Doch scheint es mir damit für die Wiederherstellung des eigentlichen Asperkommentars noch nicht getan. Womöglich hatte der Scholiast der Veronenser Vergilscholien einiges mehr übergangen und nur die Belegzitate aus Asper entnommen. Vgl. Lunelli (1969) 115 mit einer Abbildung der Stelle nach p. 120. Baschera (1999) vergisst in seiner Ausgabe an dieser Stelle anzuzeigen, dass ein Zeilenwechsel im Codex stattfindet; vgl. aber Keils Ausgabe (1848) p. 93. Traglia (1977) 70–2 möchte in einem stark gegen Lunelli polemisierenden Aufsatz im ersten Fall bloßes profect ergänzen, im zweiten ait Phylarc konjizieren. Die Autorität liegt aber sicherlich eher bei Lunelli und vor allem bei Keil und Baschera, die den Codex allesamt genau einsahen.
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b) Dichtung als stigma Die Lücke im Laeviusfragment wird man hingegen nicht so leicht füllen können. Eine Annäherung an den Sinn der Stelle ist aber möglich, wenn die Interpretation bei dem beginnt, was auch wirklich sicher überliefert ist. Es soll zunächst keine Rolle spielen, was sich genau hinter papyrin✶✶✶ verbirgt. Denn auch so ist es deutlich genug, dass im Fragment von einem Papyrus die Rede ist. In einem ganz unvorhergesehenen Zusammenhang damit steht das auffällige Wort stigmata: Ein stigma ist ein Tattoo, das in der griechischen Antike bis tief in die römische Kaiserzeit hinein hauptsächlich dem Zweck diente, Sklaven zu kennzeichnen.534 Oft wurden solche Sklaven tätowiert, die bereits einmal geflohen waren, um sie im Falle einer erneuten Flucht leichter aufgreifen zu können. Das Tattoo bestand wohl aus Aufschriften, die den Namen des Herrn angaben, oder auch aus kurzen Sätzen wie tene me, quia fugi. Sie wurden dem einmal Entflohenen meist auf der Stirn angebracht, damit sie sofort ins Auge fallen.535 Derartige stigmata waren also notae litterariae, Buchstaben, wie es Petron formuliert. Deshalb bezeichnete Plautus Sklaven mit solchen Tattoos scherzhaft als litterati ‚Beschriebene‘.536 Im Laeviusfragment müssen zwei Bedeutungsebenen miteinander in Beziehung gesetzt werden: das Beschreiben von Papyrus und das erniedrigende und schmerzhafte Tätowieren von Menschen.537 Wie die Verbindung gelingt, hat zuerst De la Ville de Mirmont gezeigt, indem er das Fragment mit einer Martialstelle verglich:538 Martial greift in dem Epigramm einen Kritiker an, der seine Gedichte verbessert und kritisiert habe. Das solle aber nicht ungestraft bleiben (Mart. 6.64.24–6): at si quid nostrae tibi bilis inusserit ardor, uiuet et haerebit, totoque legetur in orbe, stigmata nec uafra delebit Cinnamus arte.
Weniger ist an ein Brandzeichen zu denken; vgl. die grundlegende Studie von Jones (1987). Vgl. zur Stigmatisierung Bellen (1971) 24–9, die sich zwar hauptsächlich auf die römische Kaiserzeit erstreckt, doch sollte das dort Gesagte in etwa der Praxis aus früherer Zeit entsprechen; vgl. z. B. Aristoph. Av. 760, wo von einem δραπέτης ἐστιγμένος, einem tätowierten entflohenen Sklaven, die Rede ist, oder für die römische Republik Plaut. Cas. 401, wo litteratus mehrdeutig auch eine Bezeichnung für einen entflohenen Sklaven (v. 397 tute es fugitiuus) ist; vgl. dazu Habermehl (2006) 81 f. Vgl. Petron. 83.7 und in der vorangehenden Fußnote zitiert Plaut. Cas. 401. Der Bezug zu Tattoos ist durch den Zitierkontext gegeben. Nicht haltbar sind daher die Interpretationen von Traglia (21974) 129 (Laodamia schreibe einen Brief an Protesilaos), Frassinetti (1974) 316 f. und Zaffagno (1987) 95 (Laodamia schreibe einen Brief und ermahne den Schreiber, die Adresse auf der Rückseite des Papyrus nicht zu vergessen) sowie von Cumino (2007; Prolog: der mittellose Poet Laevius muss die Rückseite der Papyri für seine Gedichte nutzen). Vgl. De la Ville de Mirmont (1903) 282 f.
7.3 Themen, Motive und Inhalte der Protesilaodamia
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Wenn aber der Zorn meiner Galle dir irgendwas einprägt, dann soll es leben und an dir hängen, auf der ganzen Welt wird man es lesen, und kein Cinnamus wird dir mit seiner klugen Kunst diese Stigmata entfernen können.
Der Sprecher werde nicht davor zurückschrecken, Spottverse auf seinen Kritiker zu schreiben, die ihm wie stigmata anheften werden. Martials Gedichte werden so schmerzhaft und herabsetzend ausfallen, dass sie einer Tätowierung gleichkommen, und sie werden von so vielen Menschen gelesen werden, als stünden sie gut sichtbar auf der Stirn des Angegriffenen. Die Metapher war zu Martials Zeit geläufig.539 Ursprünglich stammt sie wohl aus der Alten Komödie,540 und spätestens zu hellenistischer Zeit hatte sie ihren Weg in die persönliche Spottdichtung gefunden; unter anderen auch zu Kallimachos. Sein 13. Iambus erscheint als Antwort auf eine bestimmte Kritik, die dem Sprecher zuteilgeworden sei. Dabei werden einige zentrale Punkte der vorgebrachten Polemik wiederholt (Iamb. 13.54–6): τὴν γενὴν ἀνακρίνει κα[ὶ] δοῦλον εἶναί φησι καὶ παλίμπρητον καὶ τοῦ πρ ...... ου τὴν βραχίονα στίζει (Der Kritiker) erforscht mein Geschlecht und sagt, dass ich ein Sklave bin und ein Wiederverkaufter, und ... er versieht mich auf dem Arm mit einem Stigma.
Das Kallimachosstück entspricht nicht genau den Martialstellen, schon weil die poetische Situation eine gänzlich andere ist. Kallimachos’ Sprecher geht auf einen Kritiker ein, der ihn als Sklave bezeichnet habe, was bildlich gesprochen einer Stigmatisierung auf dem Arm gleichkäme. Während bei Martial das stigma schon freier für jede Art der Erniedrigung durch üble Gerüchte steht, steht das Wort bei Kallimachos noch stärker im eigentlichen Sinne. Die Metapher kann also flexibel sein.
Vgl. Mart. 12.61.1–3 und 11 uersus et breue uiuidumque carmen / in te ne faciam times, Ligurra, / et dignus cupis hoc metu uideri ... / frons haec stigmate non meo notanda est, dann Suet. Iul. 73 Valerium Catullum, a quo sibi uersiculis de Mamurra perpetua stigmata imposita non dissimulauerat, satis facientem eadem die adhibuit cenae, auch im Griechischen etwa zur selben Zeit στίζω im Sinne von ‚beleidigen‘ Aristid. or. 3.651 zu Platon καὶ τῶν μὲν οἰκετῶν οὐδένα πώποτ’ ἔστιξας τῶν σαυτοῦ, τῶν δ’ Ἑλλήνων τοὺς ἐντιμοτάτους καὶ τοὺς ὑπὲρ τῆς κοινῆς ἐλευθερίας ἀγωνιζομένους ἴσα καὶ στίξας γεγένησαι ‚Zwar hast du niemals einen deiner eigenen Sklaven mit einem stigma versehen, aber du hast sozusagen die angesehensten Griechen und diejenigen, die um die gemeinsame Freiheit kämpften, tätowiert‘; mehr solcher Metaphern bei Jones (1987) 150 f. Vgl. etwa Aristoph. Ran. 1507–14, wo das Tätowieren metaphorisch für eine Bestrafung und Erniedrigung steht; für mehr Fälle aus der Komödie siehe Jones (1987) 147 f.
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c) Die Bedeutung der stigma-Metapher bei Laevius Berchems Annahme, dass das Laeviusfragment seinen Platz in einem Prolog oder Epilog der Protesilaodamia hatte, in dem sich ein Sprecher mit Feinden auseinandersetzt und ihnen Erniedrigung, Bestrafung oder öffentlich zur Schau gestellten Spott wünscht, lässt sich mit dem Vergleich der angeführten Stellen bestätigen.541 Die Wendung habeant stigmata ist wenigstens im eigentlichen Sinne idiomatisch.542 Mit fac könnte, gerade bei einem Prolog, eine Gottheit angesprochen sein, womöglich aber auch eine andere Person, vielleicht auch etwas Unbelebtes wie das Gedicht selbst oder der Kalamos, um eine noch engere Verbindung zum Schreiben auf Papyrus herzustellen.543 Trotzdem ist die Metapher bei Laevius mit den Beispielen von Martial und Kallimachos nicht gänzlich vergleichbar. stigmata wurden für gewöhnlich an ein gut sichtbares Körperteil angebracht. Ansonsten hätten sie ihren Zweck nicht erfüllen können. Der Rücken ist aber ein eher intimes Körperteil, das in der Öffentlichkeit gewöhnlich verdeckt ist.544 Laevius muss es daher weniger auf die Zurschaustellung von Spott als um den bloßen Akt der Bestrafung gegangen sein, wie es bei den erwähnten Belegen aus der Alten Komödie der Fall ist. Gut vergleichbar ist ein erotisches Gedicht aus der Zeit von Kallimachos, die sogenannte Tattoo-Elegie.545 Das Gedicht ist auf einem in Teilen stark beschädigten Papyrus überliefert. In den ersten lesbaren Zeilen ist die Wendung πυρὶ φλέγομαι erkennbar, was man wohl richtig mit ‚ich bin hoffnungslos verliebt‘ übersetzt hat.546 Gleich darauf folgt in mehreren Abschnitten ein Katalog bestehend aus Szenen berühmter mythischer
Berchem (1861) 99 f. und De la Ville de Mirmont (1903) 282 f. verstehen noch in Protesilaodamia ad Papirium ‚haec terga habeant stigmata‘; die Protesilaodamia sei Gnaeus Papirius Carbo, cos. 113 v. Chr., gewidmet, doch fac papyrin ist nach der neuen Ausgabe der Veronenser Vergilscholien von Baschera eindeutig überliefert, und man darf so eine Widmung wohl nicht konjektural herstellen. Vgl. Petr. 69.2 curabo stigmam habeat. Der Imperativ fac kann eine familiäre Umschreibung einer Bitte sein (H.-Sz. 530). Es gehört aber auch zum Sprachgebrauch des alten lateinischen Gebets; vgl. Appel (1909) 132 und Goldberg (1992) 223 f. mit viel Material; zum Beispiel Plaut. Rud. 698 f. fac ut ulciscare nosque ut hanc tua pace aram opsidere / patiare an Venus. Bei Ausonius sind in einem Epilog die Musen angesprochen: Auson. 27.14b.48 fac campum replices, Musa, papyrium, hier wohl zu verstehen ‚Bitte falte das Papyrusfeld nun zusammen, Muse‘, damit der Brief nicht allzu lang wird; vgl. zur Bedeutung von replicare Dräger iii (2015) z. St. Die Stelle ist daher von der Wortwahl her vergleichbar, nicht aber inhaltlich. So der Einwand von Courtney (22003) 130. P. Brux. Inv. E. 8934 + P. Sorb. Inv. 2254. Eine Übersicht zu den Thesen über die Autorenschaft der Elegie bei Bernsdorff (2008) 49 f; eine umfassende Behandlung des Gedichts bei Rawles (2017). Vgl. A.P. 5.139.6 mit demselben Wortlaut im selben Sinn; zum erotischen Hintergrund der Elegie vgl. u. a. Huys (1991) 97 f., Bernsdorff (2008) 53 und Rawles (2017) 47.
7.3 Themen, Motive und Inhalte der Protesilaodamia
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Frevler: Zuerst wird beschrieben, wie der Kentaur Eurytion getötet wurde, danach wie der gewaltige Stein über dem Kopf von Tantalos im Hades schwebt, zuletzt wie Meleager den kalydonischen Eber getötet hat. All dies möchte der Sprecher des Gedichts einer nicht näher benannten Person auf den Körper tätowieren: den Eber auf die Brust, den Stein des Tantalos auf die Stirn und (im Gedicht zuerst genannt) den Eurytion auf den Rücken (col. 1.5): ]νῶτον στίξω μέγαν Εὐρυτί[ω]να auf den Rücken werde ich den großen Eurytion stechen
Es steht außer Frage, dass eine dem Sprecher verhasste Person solch einem Akt der Erniedrigung unterzogen werden soll. Vielleicht ist eine Affäre der Geliebten oder die Geliebte selbst gemeint. Nur sind gerade diese Informationen vom Anfang des Gedichts heute verloren, weil der Papyrus zu stark beschädigt wurde. Trotzdem ist auch bei Laevius mit Ähnlichem zu rechnen: In der Protesilaodamia muss nicht zwangsläufig von einem Literaturkritiker die Rede sein, wie seit Berchem häufig angenommen wird.547 Ebenso gut ist es möglich, dass ein Sprecher in einem Prolog/Epilog die eigenen Liebesverhältnisse thematisiert und in diesem Zusammenhang einer bestimmten Person üble Strafen androht. Die Lücke des Fragments lässt sich trotz aller Parallelen schwer füllen. Fr. Leo behalf sich mit der Herstellung eines Adjektivs, das er zusammen mit dem Pronomen haec auf das Substantiv stigmata bezog: ˉ ̆ ˉ ̆ fāc păpȳrĭn hā ̄ ec ̄ tērga hăbĕānt stīgmătā (trochäischer Septenar). Er paraphrasierte „ihre Rücken sollen die Striemen seines Papiers tragen“. Leo hatte mit seinem Adjektiv papyrĭnus, ‚aus Papyrus gemacht‘ (gr. παπύρινος), großen Einfluss auf die Interpretation des Fragments.548 Die erwähnten stigmata sind insofern aus Papyrus gemacht, als sie durch die Inhalte des Lae-
Als Antwort auf Kritiker deutete neben Berchem (1861) 99 f. und De la Ville de Mirmont (1903) 282 f. auch Leo (1914) 181, Anm. 2 das Fragment. Vgl. Leo (1914) 181, Anm. 2 und 187. Man sah das Wort papyrĭnus nochmals bei Varro Men. 58 Ast. belegt: Überliefert ist unübersetzbar korrupt mihique diuidum stilo nostro papiri noleui (oder papirino leuii oder papirino leuiis) scapos capitio nouo partu poeticon. In papirino vermutete Della Corte (1938) 81 f. eine Anspielung auf Laevius. Sogar der Name Laevius wurde konjiziert: Nach Salanitro (1979) und Leonardis (2018) ist das Fragment Teil einer literarischen Auseinandersetzung: mihique diui, dum stilo nostro papyrinos / Laeui scapos captito, nouo partu poeticon ..., „e a me, mentre prendevo in mano per la nostra opera i cilindri papirini di Levio, gli dei ... un inusitato parto di cose poetiche“. Doch befindet sich der Text so wiederhergestellt schon jenseits der Grenze des sprachlich Möglichen. Abgesehen davon können mit der Konjektur auch keine trochäischen Septenare vorliegen, wie Salanitro will: papyrĭnos ‚aus Papier gemacht‘ wäre inhaltlich falsch, metrisch richtig; papyrīnos ‚zum Papier gehörig‘, wäre inhaltlich richtig, metrisch falsch. Außerdem fehlten in beiden Versen auch die Mitteldihäresen. – Mit 3Büchelers Satirikerausgabe ist wohl impleuit (statt noleui) zu lesen, um die Geburtsmetapher (nouo partu poeticon) zu erhalten: implere
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vius-Gedichts hergestellt oder erzeugt worden sind.549 Die Metapher kann zutreffend sein, das Supplement kann allerdings nicht passen, weil die Lücke Lunellis Untersuchungen zufolge ein ganzes Wort umfasst. Syntaktisch dürfte das kleine Stück leichter zu verstehen sein, wenn haec, wie es die Wortstellung nahelegt, zu terga gehört und das Wort stigmata prädikativ zu einem in der Lücke ausgefallenen Akkusativ aufgefasst wird. Ob ein Adjektiv papyrinus oder ein Genitiv papyri n ... vorliegt, spielt dabei keine Rolle. Die syntaktische Funktion wäre in beiden Fällen attributiv: ‚Mögen diese Rücken550 den/die/das Papyrus-(Inhaltsakkusativ) als stigmata aufweisen‘. So stünde das, was dem Feind auf dem Rücken tätowiert werden soll, wie bei Martial und dem anonymen Verfasser der Tattoo-Elegie in Verbindung mit dem von Laevius (auf Papyrus) geschriebenen Text selbst. Von einer wortgenauen Rekonstruktion der Lücke möchte ich allerdings absehen, weil sich aus keinem der eben zitierten Texte auch nur ein Anhaltspunkt für ein plausibles Supplement ableiten ließe. Die Möglichkeiten sind bei diesem schwierigen Fragment zu zahlreich und die Metapher zu dunkel. Es kann sein, dass Leo mit seinem Adjektiv papyrinus Recht behält und nur noch ein weiteres kurzes Wort zu ergänzen bleibt.551 Es kann aber ebenso gut sein, dass Baehrens’ Genitiv papyri mit
‚schreiben‘ ThLL vii.1. 630.37–40; implere ‚schwängern‘ ThLL vii.1 633.67–634.3. Damit ist im Fragment weder Platz für papyrinus noch für Laevius, wenn die Gesamtbedeutung auch unklar bleiben muss. Einige der vielen anderen Interpretationen stellt Cèbe ii (1974) 236–9 vor. Viele Erklärer, die mit Leo papyrinus schreiben, verstehen aber papyrīnus, ‚zum Papyrus gehörig‘, was ein Hapax sowohl im Griechischen als auch im Lateinischen wäre. Das hatte Leo aber nicht gemeint. Der poetische Plural terga ist nach Maas (1973) 574 f. (= 1902, 535–7) erst ab Cicero belegt, aber poetische Pluralformen von anderen Körperteilen begegnen, wie Maas ebenfalls ausführt, zuvor auch schon in der altlateinischen Dichtung. Lunelli (1969) 117 vergleicht den Sinn des Fragments mit Plaut. Pseud. 544af. quasi in libro quom scribuntur calamo litterae / stilis me totum usque ulmeis conscribito und stellt den Septenar fac papyrīno stilo haec terga habeant stigmata her, was dann ein kunstvoller Ausdruck für ʽich schlage Wunden auf ihre Rücken wie ich mit meinem Griffel schreibeʼ wäre. Die Metapher ist sehr gedrängt und wegen der stigmata sind die beiden Stellen auch nicht exakt vergleichbar. Lunellis Ergänzung selbst ist inakzeptabel, weil ein stilus ein Schreibgerät für die Wachstafel ist und nicht synonym für den calamus, die Schreibfeder, stehen kann, wie Traglia (1977) 69 eingewandt hat; vgl. zur Sache Birt (1882) 238–41 und Winsbury (2009) 17. – Courtney (22003) z. St. er̄ tērga hăbĕānt stīgmătă zu zwei halben Sotadeen. terga sei die weitert fāc păpyrī̆ na ēxĭn / hā ̄ ec Oberfläche des (oder aus?) Papyrus, die als Opfer angesehen werde: Der Dichter solle das Papier wie die terga eines Sklaven grün und blau schlagen (eine Selbstaufforderung zum Schreiben), was wegen der Verfärbung der Wunden als stigmata bezeichnet werde. Der Asperkontext ist dabei aber außer Acht gelassen. Ferner bleibt der Gebrauch von stigma in diesem Sinne ohne sicheren Beleg. Die möglichen Parallelen Men. Sam. 320–3 und Aristoph. Vesp. 1296 sind wohl
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folgendem auf n- anlautenden Wort dem Text entspricht:552 Die einzelnen Wörter wurden im Veronenser Codex jeweils ohne spatium aneinandergereiht.553
7.4 Zwischenfazit: Inhalte und Themen der Protesilaodamia Die Protesilaodamia hat offensichtlich viele verschiedene Themen des Mythos abgedeckt, enthielt aber auch eine Partie, in dem ein dichterisches Ich zu Wort kam: In einem Prolog oder Epilog wünscht ein Sprecher einer ihm unliebsamen Person oder Personengruppe, dass sie durch seine Dichtung wie ein Sklave bestraft und erniedrigt werde. Im mythologischen Teil behandelte Laevius die Hochzeit des Paares mit typischen römischen Hochzeitsriten (F 27 f.). Ebenso war die Trennung der beiden zentral: Während Laodamia verzweifelt und voller Ungewissheit in Thessalien verweilte (F 30), musste sich Protesilaos dem Schicksal seines frühen Todes vor Troja fügen, wobei seine Liebe zu Laodamia aber darüber hinaus dauerte (F 31). Seiner Rückkehr aus der Unterwelt ist in F 31 schon gedanklich impliziert, ein evidentes Zeugnis dafür lässt sich aber nicht finden.
7.5 Stellenkommentar 7.5.1 F 28 tūnc īrrŭūnt căchīnnōs iŏcă dīctă rīsĭtāntīs
Anakreonteen
tunc irruunt Die Überlieferung protesilaodam ineunt/iniunt wurde verschiedentlich emendiert. Das Versmaß erlaubt vor dem Wort irrunt eine Länge oder zwei Kürzen. Wie hier zu verfahren ist, hängt davon ab, wie das Verb irruere aufgefasst wird. Die genaue Interpretation des in dem Fragment genutzten Vokabulars oben p. ✶✶✶ hat gezeigt, dass ein Bezug zu den fescenninischen Versen besteht, die nach alter Sitte
anders zu interpretieren, wie Gomme/Sandbach zu Men. Sam. 323 darstellen. Schließlich ist die Metapher bei Laevius nur dann pointiert, wenn die stigmata und die Papyri durch die Vergleichsebene des Schreibens miteinander verbunden sind. Hier wäre sie ähnlich wie bei Lunelli durch die zusätzliche Bedeutungsebene des Schlagens wenig ansprechend (stigmata ‚Tattoos‘, metaphorisch als Buchstaben, die wiederum metaphorisch für Schläge stehen). Vgl. Baehrens FPR, dort F 13 fāc păpȳrī nōstrā ̄ ē flāgrīs hā ̄ ec ̄ tērga hăbĕānt stīgmătā, womit wiederum zu viele Buchstaben ergänzt sind. Er versteht die stigmata als Schläge auf dem Rücken einer Person. Vgl. die Abbildung bei Lunelli (1969) nach p. 120.
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7 Protesilaodamia
bei der Hochzeit gegen den Bräutigam Protesilaos vorgebracht wurden. Mit Ov. epist. 12.145 turba ruunt et ‚Hymen‘ clamant ‚Hymenaee‘ frequenter wurde ebd. paraphrasiert ‚das Volk stürmt herbei (etwa: zum Hochzeitsumzug) und singt dabei Fescenninen‘. Wenn die Situation im verlorenen Kontext schon hinreichend dargestellt worden wäre, bräuchte das Verb auch keine explizite Akkusativergänzung mehr. In diesem Falle böte Leos tunc die einfachste Lösung: Nach ihm entspricht protesilaodam ineunt/iniunt eigentlich protesilaodamia eunt/iunt, das heißt korruptes in gehört als -ia zum Titel, wohingegen sich hinter eunt/iunt Laevius’ tunc verbirgt. Die Erklärung der Korruptel ist leichter als die von L. Müller (1880) 81 vorgeschlagene mit einem Ausfall der Art Protesilaodam inibi. Letzte Bedenken bleiben, weil irruere gewöhnlich eine feindliche und aggressive Note in sich trägt: Man stürmt in ein Heer, in ein fremdes Land oder in ein verschlossenes Haus hinein (ThLL vii.2 448.84–450.4), weniger in einen Hochzeitsumzug. Als Alternative kommt G.I. Vossius’ (1620, 72) nach wie vor ansprechende Konjektur in eum infrage, für die zuletzt Nosarti (1999) 188 f. eintritt: ‚sie fallen über ihn her‘ (mit Spottversen). irruere wäre im Zwischenbereich von eigentlicher und übertragener Bedeutung anzusiedeln; zu irruere im Zusammenhang mit beleidigenden Worten vgl. ThLL vii.2 450.33–450.48. Paläographisch ist Vossius’ Ansatz aber weniger überzeugend, weil auch er wie L. Müller eine kompliziertere Korruptel samt Buchstabenausfall voraussetzt. Wem man sich auch anschließen mag, an der gewöhnlichen Bedeutung von irruere ist nicht zu rütteln: Vossius’ (1620, 72; trotz seiner ansprechenden Konjektur) und Georges’ singuläres irruere mit Akkusativ, also irruunt cachinnos ‚sie lassen Lachen losstürzen‘, ist genauso ungrammatisch und unidiomatisch wie Frassinettis (1974, 317 f.) irruunt cachinnos ioca dicta ‚sie verfallen in Lachen, Scherze und Witze‘. cachinnos ioca dicta risitantis Der Nominativ-Plural auf -īs lässt sich selten, aber regelmäßig nachweisen, weshalb von einer Änderung zu -es hier abzusehen ist; vgl. zur Form die Studie von Nyman (1990). Der Gebrauch des Nominativs auf -is wirkte vermutlich stark archaisch-dichterisch. Laevius nutzte die ungebräuchliche Form des Klangs wegen: cachinnos ioca dicta risitantis. Im Streben nach Klang liegt ebenso die Begründung für die Wahl des seltenen, aber zu allen Zeiten verbreiteten Neutrum-Plural ioca vor dicta; zum letzten Punkt siehe auch Traina (1999) 34–6. Die Reihung ist u. a. mit Leo (1914) 182 f., Anm. 2 („ioca dicta risitantis sehr fein“), Traglia (1957) 105 und zuletzt Courtney (22003) z. St. als innerer Akkusativ zum Hapax risitare (dem Intensivum von ridere) aufzufassen; vgl. v. a. Nosarti (1999) 188 f. Vergleichbar ist mit Courtney Catull. 31.14 ridete quidquid est domi cachinnorum oder auch Cic. fam. 7.25.1 rideamus γέλωτα. Die Abfolge von cachinnos ioca dicta auf einer Ebene ist unproblematisch: vgl. Lucr. 5.1397 f. tum ioca, tum sermo, tum dulces esse cachinni / consuerant.
7.5 Stellenkommentar
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Das in einigen Handschriften überlieferte dicta risitantis (dictari sitantis; sonst dicta riisitantis oder dictaria sitantis) sollte man aus diesen Gründen nicht anrühren, wenn auch mit Havets (1891, 11) fusitantis eine für den Kontext hervorragende Alternative bereitstünde; vgl. ThLL vi.1 s. v. fundo 1566.45–84, v. a. Hor. epist. 2.1.145 f. Fescennina per hunc inuenta licentia morem / uersibus alternis opprobria rustica fudit. An Bothes (1834, 91) missitantis, Loewes (1884, 243) lusitantis, Onions (1895, z. Noniusstelle) iactitantis oder Frassinettis (1974, 318) rixitantis (losgelöst von den Akkusativen, die er zu irruere zieht) ist weniger zu denken.
7.5.2 F 29 cōmplēxă sōmnō cōrpŏra ŏpĕrĭūntŭr āc suāuī quĭē rĭgāntŭr
Die meisten erhaltenen Verse von Laevius sind wie hier in iambischen Dimetern verfasst. In all diesen Bruchstücken herrscht Synaphie. Man darf sich daher auch nicht daran stoßen, wenn wie in diesem Fragment Vers- und Wortschluss nicht zusammenfallen.554 So entspricht sich auch -riuntur und rigantur an gleicher Versstelle klanglich. complexa somno corpora operiuntur Courtney (22003) z. St. verweist auf die Note von Housman (1913) zu Manil. 2.412, der Stellen sammelt, in denen die Pluralpartizipien complexi/amplexi im Sinne von ‚sich gegenseitig umarmend‘ gebraucht werden; vgl. etwa Ov. epist. 4.139 uiderit amplexos (sc. nos) aliquis, laudabimur ambo. Der Ablativ somno ist zu operiuntur zu ziehen. Gewöhnlich bedeckt der Schlaf nur die Augen (oculi/lumina oculorum somno operiuntur; vgl. ThLL ix.2 s. v. operio 684.32–46). Die Wendung ist von Laevius abgewandelt. quie rigantur Überliefert ist dicantur. Priscian zitiert das Fragment, um zu belegen, dass einige alte Dichter beim Substantiv quies der e-Deklination statt wie gewöhnlich der konsonantischen Deklination folgten. Das Phänomen ist mit Leumann 285 vermutlich als Analogiebildung zu den geläufigen Ablativ- und Akkusativformen requiem und requie zu werten. Den Ablativ quie hat auch Afranius, den Priscian zuerst zitiert: sollicito corde corpus non potitur nunc quie (com. 77 2R.). Bei Laevius liegt der Fall anders, weil das überlieferte Verb dicare eigentlich mit Dativ konstruiert wird:
Falsch ist es, wenn L. Müller (21894) 290 wie zuletzt 4FPL Bl. corpora / operiuntur mit Hiat am Versende, brevis in longo corporā und Synizese -ī̄untur ̄ lesen möchte.
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7 Protesilaodamia
Traglias (21974, 130) Verweis auf Cic. Arat. 283 f. huic orbi quinque tributae / nocturnae partes, supera tres luce dicantur für dicare + Ablativ hilft aber nicht weiter: Mit Soubirans (22002) Übersetzung z. St. ist huic orbi, nicht supera luce Objekt zu dicantur. Demnach müsste quie bei Laevius eine Dativform sein, die ohne Analogie oder Parallele wäre. Der Wechsel eines Nomens aus der konsonantischen zur e-Deklination begegnet nur im Akkusativ oder (meistens) im Ablativ (Sommer 406; Leumann 285). Ferner ist die Schreibung des Dativs auf -e in der e-Deklination nur für wenige festgelegte Wörter belegt, zu denen hauptsächlich fides mit Dativ fide (Hor. sat. 1.3.95) und vielleicht auch res mit Dativ re (in den Plautushandschriften Poen. 815) gehören; vgl. Leumann 446. Beide Unregelmäßigkeiten zusammen wiegen so schwer, dass aller Grund gegeben ist, Konjekturen für dicantur in Erwägung zu ziehen – zumal die Wendung mit dicare als solche ohnehin ungewöhnlich ist. Mit quie als Ablativ sind die Laeviusverse auch parallel gebaut somno ~ quie, operiuntur ~ rigantur. Die gedruckte Konjektur stammt von G.I. Vossius (1620) 72 mit Blick auf Bibac. 9 C./4FPL Bl. (= 74 H.) mitemque rigat per pectora somnum und Lucr. 4.907 f. somnus per membra quietem / inriget (auch Verg. Aen. 1.691 f.). Die Belege weisen zwar nicht exakt dieselbe Konstruktion wie das Laeviusfragment auf, zeigen aber doch, dass rigantur sprachlich passend ist. L. Müller, der später (1880) 81 und (21894) 290 den fragwürdigen Dativ akzeptierte, schrieb (11861) 249 noch teguntur in Anlehnung an Catull. 50.10 nec somnus tegeret quiete ocellos, was ebenfalls erwägenswert bleibt. Die Verbindung suaui quie ist sonst nicht belegbar (aber Lucr. 4.453 suaui ... sopore). Kuznetsov (2013) möchte in einer schwer zu interpretierenden Grabinschrift CIL IX 4463 (= CIL I2 1861 = CLE 361) suauei heicei situst ergänzen.
7.5.3 F 30 ā̄ ̄ ut ̄ nūnc quā̄ ̄ epĭ ̄ am ălĭă tē †illo† Ăsĭātĭco ōrnātu ādflŭēns ā̄ ̄ ut ̄ Sārdĭāno āc Lȳdĭō 5 fūlgēns dĕcōre ēt glōrĭā pērlīcŭīt?
Iambischer Dimeter
aut / nunc aut gehört nicht zum folgenden aut in v. 4, sondern führt die in den Versen dargestellte Situation als eine Erweiterung eines vorangehenden Szenarios ein: zu aut als Verknüpfung zweier Fragen zum Zweck der Spezifizierung siehe KS ii 529 f. Die Interpunktion des Satzes als Frage ist oben p. 187 begründet. Die Konjunktion am Versende ist hier gerade auch wegen der Synaphie genauso annehmbar wie ac am Versende von F 2.1. Einige ähnliche Fälle mit aut sind im ThLL ii 1565.5–8 gesammelt. Traglia (21974) zieht gefolgt von Fantuzzi
7.5 Stellenkommentar
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(1995) 341 aut in den folgenden Vers und stellt nach Jos. Scaliger (1585; Kommentarteil) 96 um: ā̄ ̄ ut ̄ nūnc ălĭă tē quā̄ ̄ epĭam ̄ īllo, was mit der Auflösung der Länge am Wortende alia unmetrisch ist, wie Questa (1963) 78 in seiner Rezension zur ersten Auflage der Poetae Noui (Traglia [11962]) erkannte (Regel von HermannLachmann). L. Müller (1880) 82 konjiziert ait, teilt das Verb Priscian zu und schreibt num anstelle von nunc. num ist aber nicht notwendig, weil die Fragepartikel im ersten, verlorenen Teil der Frage stehen oder auch gänzlich fehlen kann. Überliefertes nunc sollte daher im Text stehen bleiben. Es hebt das resultative Perfekt hervor (‚dich hat eine andere in ihren Bann gezogen‘, d. h. ‚du bist nun der Ihrige‘) oder beschreibt im Gegensatz zu einem früheren, vielleicht vor aut genannten Szenario die unmittelbare Vergangenheit; vgl. zu nunc mit Perfekt Langen (1880) 39 f. te †illo† Das Ende des Verses ist mit te illo unmetrisch überliefert, und Wortumstellungen wie in der vorangehenden Note besprochen verlagern das Problem nur. Man muss zur Emendation des Verses bei illo selbst ansetzen. Frühere Versuche missachten die Synaphie der Verse. Dazu gehören te Ilio (nicht de; G.I. Vossius [1620] 9), te ilico (Osann [1816] 54; Tandoi [1992] 114, der die Synaphie nicht anerkennt) und te, Ilias (Havet [1891] 7 f.), das als Apposition zu verstehen wäre: ‚irgendeine andere, eine Trojanerin ... ‘. Es bleibt allein Leos (1914, 181, Anm. 2) te puella möglich. Anders als Tandoi (1992) 114 glaube ich nicht, dass der Versuch paläographischen unwahrscheinlich ist. Allerdings behält er Recht darin, dass ein puella nach quaepiam alia wenig idiomatisch ist, weil in solchen Kontexten eigentlich bloßes (und dadurch betontes) alia genügt. Tandoi verweist auf Tib. 1.5.39 saepe aliam tenui, dem noch z. B. Prop. 1.12.19 oder 4.7.93 hinzuzufügen wäre. Ich möchte puella trotzdem nicht ausschließen, da die Verse generell inhaltlich nichts vermissen lassen, von dem man sagen könnte, es gehöre zwingend ans Versende. Es ist alles gesagt: Das Subjekt hat ein Attribut, die Verbalhandlung ist durch die Partizipien erläutert, lediglich te steht allein, doch auch das ist grundsätzlich in Ordnung. aut Sardiano ac Lydio In den neueren Editionen findet sich ausschließlich ein zweites aut anstelle von überliefertem ac, ohne dass bisher Argumente für die Konjektur oder gegen die Überlieferung vorgebracht wurden. Zuerst findet sich der Text so, wenn ich weit genug in die Vergangenheit zurückgegangen bin, in der Collectio Pisaurensis iv von Pasquale Amati (1766) 262, der das Fragment Livius Andronicus zuordnet. Vermutlich handelt es sich um einen Druckfehler. In den Ausgaben bis 1FPL M. wurde der Text in dieser Form sogar als Überlieferung behandelt. aut ... aut wäre bei zwei so nah zueinander gehörigen Adjektiven aber zu disjunktiv.
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7 Protesilaodamia
gloria Während bei Priscian eindeutig gloria überliefert ist, bietet Osbern von Gloucester, ein Lexikograph aus dem zwölften Jh., gratia: p. 362 Busdraghi quepiam te mulier Lidio fulgens ornatu et gratia pellicuit, p. 500 Busdraghi quepiam te Lidio fulgens decore et gratia pellicuit, p. 555 Busdraghi quenam mulier te pellicuit. Ohne Zweifel hatte Osbern seine Kenntnis des Textes von Priscian, den er auch sonst häufig zitiert (11 Busdraghi [~ 677, 490 f.], 113, 125 [~ 163], 133, 142 [~ 170], 144 [~ 230], 150, 468 [~491], 494, 502, 587, 639, 647 [~ 675]). Sein gratia ist gegen Priscian also sekundär. Ein Blick auf die Laeviuszitate und die Fragmente, die er Priscian entnommen hat, zeigt auch, dass Osbern nicht vertrauenswürdig ist. Weil zudem gloria und gratia häufig ineinander verschrieben werden (ThLL vi.2 s. v. gloria 2061.67 f.), sehe ich keinen Grund, den Worten bei Osbern eine größere Bedeutung beizumessen. Priscians gloria passt schließlich auch inhaltlich genau (siehe oben p. 185), wohingegen Laodamia ihrer Rivalin nie gratia zugestehen würde. Zu Recht betonte daher Fantuzzi (1995) 342 im Glauben, gratia sei überliefert (1FPL M. und 2 FPL Bü. versäumten eine Angabe im Apparat), die allzu positive Bedeutung, die gratia in diesem Kontext hätte. Auch Tandois (1992, 124) Verweis auf Ov. epist. 12.13 f. cur mihi plus aequo flaui placuere capilli / et decor et linguae gratia ficta tuae? ist wenig passend, weil gratia ficta die gespielte Dankbarkeit des Iason gegenüber Medea bezeichnet. Vergleichbar wäre mit Alfonsi (1959) 802 allein Stat. silv. 2.7.86 mit der Verbindung gratia, decōre (Ende eines Hendekasyllabus). perlicuit Die Verse werden von Priscian zitiert, um die ungewöhnliche Perfektform perlicuit anstelle des zu allen Zeiten erwartbaren perlexit nachzuweisen. Neben Laevius zitiert er auch den später lebenden Varro Atacinus mit dem Hexameter deinde ubi perlicuit dulcis leuis unda saporis (1 C. = 23 4FPL Bl. = 106 H.). Die Stammformen der Komposita von lacio variierten in vorklassischer Zeit noch stärker als sie es später taten. Auch Calpurnius Piso, ein Geschichtsschreiber aus der Mitte des zweiten Jh. s v. Chr., konnte noch adlicuit (FRHist 9 F 17) schreiben, während es gewöhnlich auch schon bei Plaut. Poen. 671 adlexero heißt; vgl. dazu Neue-Wagener iii 403. Die ungewöhnliche Form ist ein Phänomen, das die Zeit erlaubt.
7.5.4 F 31 miserulo Das Deminutiv zu miser lautet abgesehen von der Nachahmung dieser Stelle bei Sept. Ser. carm. 17 C. (= 16 4FPL Bl./Matt.) ausschließlich mit Synkope misellus, wie es bei Adjektiven und Substantiven der ersten und zweiten Deklination auf -er erwartet wird. Mit der Bildung ist allenfalls das Deminutiv zu puer, das in klassischer Zeit offenbar in Abgrenzung vom nicht mehr als Deminutiv
7.5 Stellenkommentar
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wahrgenommenen puella auch ohne Synkope puerulus heißt, vergleichbar. Traglia (1957) 101 f. spricht von archaischer Sprache, aber genauer ist von einer dichterischen Bildung nach archaisch-freier Art zu sprechen, die vielleicht in der nicht bestimmbaren Metrik oder im Klang (cupidius miserulo obito) begründet liegt. obito Das Partizip ist, wie Priscian mitteilt, im Sinne von mortuus zu verstehen und so vermutlich als eine dichterische Analogiebildung zu praeteritus aufzufassen. Ähnlich ist decretus in F 38 eine Analogiebildung zum aktiv verbreiteten concretus; vgl. dazu KS i 97–9 und Leumann 613. Zuerst nutzten die Archaisten das Partizip in diesem Sinne wieder; vgl. Apul. mund. 23 und weiter ThLL ix.2 49.53–71.
7.5.5 F 32 claustritimum Gellius möchte zeigen, dass es falsch sei, wenn viele seiner Zeitgenossen das lateinische Wort aeditumus (‚der Tempelhüter‘) ohne m, also aedituus, aussprechen und schreiben würden, als wäre es ein Kompositum aus aedes und tueri. Auch Varro spreche sich im zweiten Buch der heute verlorenen Schrift De sermone Latino dafür aus, dass aeditumus die ursprüngliche Form des Wortes sei, aedituus hingegen sekundär (= F 56 G.-S. = 34 Fun.); vgl. auch Varro rust. 1.2.1 Sementiuis feriis in aedem Telluris ueneram rogatus ab aeditumo, ut dicere didicimus a patribus nostris, ut corrigimur a recentibus urbanis, ab aedituo. Gellius’ und Varros sprachliche Erklärungen entsprechen auch der heutigen Auffassung; vgl. De Melo ii (2019) 912. Varro kannte die bei Gellius nur kurz erwähnte Volksetymologie sogar und nutzte sie, um die Bedeutung curare für tueri zu belegen: ling. 7.12 tueri duo significat, unum ..., alterum a curando ac tutela ..., a quo etiam quidam dicunt illum qui curat aedes sacras aedituum, non aeditomum. In einem anderen Kapitel ling. 8.61 bespricht Varro Komposita, von denen man annehme, sie seien aus einem Substantiv und einem Verb gebildet. Er äußert Zweifel an der allgemein angenommenen Herkunft einiger dieser Wörter: cum ab tibiis et canendo tibicines dicantur, quaerunt, si analogias sequi oporteat, cur non a cithara et psalterio et pandura dicamus citharicen et sic alia; si ab aede et tuendo potius atritumus sit quam atriensis (die Textlücke lässt sich durch den Kontext mit Goetz-Schoell gut füllen; durch überliefertes atritumus ist es auch sicher, dass Varro aeditumus schrieb). Wenn es also ausgemacht sei, dass das Nomen tibicen, der Flötenspieler, aus tibiae und canere gebildet sei, wieso heiße es dann nicht citharicen? Und ebenso, wenn aeditumus von aedes und tueri stamme, wieso sage man dann nicht atritumus, sondern atriensis zu einem Atriumsaufseher? Bestimmt kannte auch Laevius die
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verbreitete Meinung über die Herkunft des Wortes von aedes und tueri. Offenbar stellte er sich eine mit dem Varrotext vergleichbare Frage. Doch anders als Varro, dem die nicht vorhandenen Analogien zu anderen Wortbildungen Zweifel an der beschriebenen Etymologie des Substantivs brachten, schrieb Laevius keine Abhandlung über die lateinische Sprache: Er wollte die Möglichkeiten der lateinischen Dichtersprache ausschöpfen und schaffte sich seine Analogie selbst, indem er claustrum und tueri zu einem neuen Wort claustritumus verband.
8 Sirenocirca Havet (1891) 12 f., Pighi (1963) 556, Granarolo (1971) 164–71, 183–90, Traglia (21974) 131, Perutelli (2002) 59–62, Courtney (22003) 135, Rivoltella (2009).
8.1 Titel und Autor Der Lexikograph Nonius und der Grammatiker Priscian überliefern jeweils ein Fragment der Sirenocirca. In den Zitierkontexten tritt damit zu dem seltenen Namen Laevius noch ein hapax legomenon als Gedichttitel. Die sich daraus ergebende Überlieferungslage ist gut geeignet, um zu illustrieren, dass manchmal ein riesiger philologischer Kraftakt nötig war, um aus den korrupten Angaben der Grammatiker und Lexikographen Titel und Autor eines zitierten Gedichts zu gewinnen: In einigen Prisciancodices ist zwar neben Liuius auch der richtige Name Laevius erhalten, dennoch bleibt der überlieferte Text F 34 Leuius/Liuius in Sireno circa nunc Laertie uelle ... nur schwer verständlich. Erstmals zog Hertz das Wort circa zum Titel und las zusammen mit Sireno das singuläre Kompositum Sirenocirca.555 Man würde noch heute um die Wiederherstellung des Titels streiten, wenn nicht noch Nonius ein weiteres Fragment der Sirenocirca überliefert hätte (F 35). Dort heißt es in den meisten Codices neuius/ne usus in sirenociter/sirenocicer. Hier hat sich wohl Klussmann im Jahr 1849 als erster entschieden für Laevius als Autor des Verses ausgesprochen. Ihm folgte L. Müller (1880) 82 f., der dank Hertz’ Verbesserung des Prisciantextes erstmals den Titel als Sirenocirce (hier mit -e) für Nonius herstellen konnte und nach eigener Angabe später durch die Einsicht in den codex Bambergensis (sirenocirces) bestätigt wurde.556 Einige Deutungen des Textes vor Hertz sind bei Weichert (1830) 82–5 zusammengestellt. Delrius (1593) i 163 sprach sich als erster ganz unbemerkt für die Überlieferung Laeuius aus; danach erst wieder G. Hermann (1816) 619 mit dem Text Laeuius in Sirene ‚circa (Imperativ) nunc, Laertie: uela para ire Ithacam‘; vulgo wurde Liuius in Sereno ‚cura nunc Laertie uelle para ire Ithacam‘ gelesen. Zuerst versuchte Becker (1851), circa als Teil des Titels zu deuten. Doch erkannte er nicht das Kompositum: Sein Σειρήνιον Κίρκης (‚die Verzauberung der Kirke‘) verdient als wichtiger Schritt zur richtigen Textherstellung Erwähnung. Die Noniusherausgeber nennen bis zuletzt G. Hermann als Urheber der Konjektur Laeuius, was ich aber nicht verifizieren konnte. Hermann (1816) 619 behandelte nur das bei Priscian überlieferte Fragment. Die Falschzuweisung geht auf eine missverstandene Angabe in der Noniusausgabe von Gerlach/Roth (1842) 82 f. zurück, die zusammen mit Weichert auch Hermann im Apparat zitierten und damit auf einen möglichen Zusammenhang mit der von den beiden behandelten Priscianstelle aufmerksam machen wollten. Die bei Nonius überlieferten Wörter waren dagegen weder Hermann noch Weichert als Laeviusfragment bekannt. Gerlach/Roth sprechen https://doi.org/10.1515/9783111237121-015
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In seiner Erotikerausgabe lässt L. Müller den Titel in der Form, wie ihn Laevius schrieb, gegen den Noniustext aber mit guten Gründen auf -a enden. Im Latein der republikanischen Zeit ist es bis zu Cicero üblich, die griechischen Eigennamen auf -η zu latinisieren und damit der a-Deklination zuzuordnen. Erst ab klassischer Zeit, meist erst seit den augusteischen Dichtern, neigte man immer mehr dazu, auch die gräzisierende Form auf -e zu nutzen. Während es bei Plautus also noch Circa heißt, heißt es bei Cicero häufig neben Circa auch schon Circe.557 Laevius hingegen schrieb noch Circa (wie auch in F 40 Andromacha).558 Über Tradition und Praxis der Bildung zusammengesetzter Titel ist schon oben in der Einleitung zur Protesilaodamia gesprochen. Weil sich der Inhalt des vorliegenden Gedichts als Ganzes anhand der zwei überlieferten Fragmente schwer fassen lässt, wird es nicht möglich sein, den Titel mit letzter Sicherheit zu deuten. Vielleicht ist er als ‚Die Sirenenkirke‘ zu verstehen, das heißt ‚Die Kirke mit den Eigenschaften der Sirenen‘, vielleicht auch als ‚Die Sirenen und Kirke‘. Die Frage wird unten nach der Besprechung der Fragmente noch diskutiert werden.
8.2 Der Kirkemythos aus der Odyssee und seine erotische Rezeption Indem er zwei berühmte Episoden aus der Odyssee in seinem Titel miteinander verbindet, weckt Laevius sofort Assoziationen zum Epos. Beide Mythen stehen im homerischen Gedicht in unmittelbarer Beziehung zueinander:559 Nachdem Kirke auf ihrer Insel Aiaia die meisten umherirrenden Gefährten des Odysseus in wilde Tiere verwandelt hatte, überlistete der Held die Göttin mithilfe der Knolle Moly. Daraufhin nahm Kirke ihn und seine zurückverwandelten Gefährten in ihrem Palast auf, wonach sich eine erotische Beziehung zwischen dem Helden und der Göttin entwickelte. Es verstrich ein ganzes Jahr, bis sich Odysseus dazu durchringen konnte, wieder abzureisen. Nun zeigt sich die Zauberin als hilfreiche Freundin: Sie schickt Odysseus in die Unterwelt, um den Seher Teiresias über seine
sich aber nicht entschieden für Laevius aus, so dass wohl Klussmann (1849) 7 der Urheber der Zuweisung ist. – Anders als in seiner Erotikerausgabe (1880) schreibt L. Müller im Nonius (1888) p. 170 noch einmal Naeuius, was für den Text des Lexikographen an sich richtig sein könnte. Die Verwechslungen Liuius/Laeuius/Naeuius reichen bis in die Antike hinein (siehe p. 116–9). Plaut. Epid. 604; Cic. nat. deor. 3.54 (jeweils Circam), nat. deor. 3.48 (Circe); vgl. Neue-Wagener i 71 und generell 66. Zur Deklination vgl. Neue-Wagener i 69. Vgl. Od. 10.133–574 und 12.1–200.
8.2 Der Kirkemythos aus der Odyssee und seine erotische Rezeption
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Heimkehr zu befragen, und nach seiner Rückkehr aus dem Hades unterrichtet sie ihn über die bevorstehenden Gefahren auf der Heimfahrt. Dazu gehören auch die todbringenden Sirenen, die Schiffreisende durch bezaubernden Gesang und zahlreiche Versprechungen in den Tod locken. Odysseus befiehlt seinen Gefährten auf Anraten Kirkes, sich während der Reise die Ohren mit Wachs zu verstopfen und das Schiff sicher an den Sirenenfelsen vorbeizusteuern. Er selbst lässt sich aus Neugierde über die Wirkung des Sirenenzaubers an den Schiffmast festbinden und ordnet an, alle Befehle, die er unter dem Einfluss des verzaubernden Gesanges geben werde, zu missachten. Das beschriebene mythologische Fundament hat von der griechischen Archaik bis heute immer wieder neue Ausgestaltungen mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung erfahren. Schon früh bildete sich eine Bearbeitungstradition heraus, die hauptsächlich von sentimental-erotischen Themen geprägt ist.560 Dahingehende Tendenzen sind schon in der Odyssee selbst durch die Charakterzeichnung der Kirke angelegt: „a passionate woman, who can cooly give up the man she desires without protesting; a goddess, cold, distant, majestic, and at the same time a woman, warm, caring, and direct“.561 Der erste Teil des Zitates von Heubeck bezieht sich auf die homerische Episode, in der Kirke mit Odysseus zusammentrifft, um ihm letzte Hinweise für seine Fahrt nach Ithaka zu geben. Daraufhin verlässt sie ihn, ohne eine emotionale Regung zu zeigen oder auch nur Lebewohl zu sagen. Gleichzeitig bleibt auch nicht verborgen, dass die Göttin gegenüber Odysseus eine tiefe Liebe empfindet. Insgeheim hoffte sie noch, dass er als ihr Ehemann für immer in ihrem Palast auf Aiaia bleibt.562 Liebesdichter sahen auf der Suche nach einer einfühlsamen Geschichte in Kirkes Schmerz einen hervorragenden Stoff. Die griechischen Gestaltungen dieser Tradition sind aber allesamt verloren. Dass es sie jedoch gab, ist unzweifelhaft und wird durch erhaltene Fragmente aus der hellenistischen Dichtung belegt.563 Ihr erster für uns voll und ganz fassbarer Vertreter ist aber wie so oft erst Ovid. Daneben gibt es noch die derb-erotische Tradition, die in den Komödien und Satyrspielen der Griechen fassbar ist; vgl. Anaxilas PCG ii F 12–4; Ephippos PCG v F 11 und das Satyrspiel des Aischylos TrGF iii F 113a–5; vgl. auch Priap. 68.23 f. Heubeck in Heubeck/Hoeckstra ii (1989) zu Od. 10.133–75, p. 51; vgl. zum Charakter der Kirke auch Segal (1968) 419–28. Der Abschied in Od. 12.140–3. In Od. 9.31 f. spricht Odysseus Κίρκη (sc. με) κατερήτυεν ἐν μεγάροισιν / Αἰαίη δολόεσσα, λιλαιομένη πόσιν εἶναι, ‚Kirke von der Insel Aiaia suchte mich in ihrem Palast zurückzuhalten, sie sehnte sich danach, dass ich ihr Gatte bin‘. Vgl. schon Alkm. PMGF 80: καί ποκ’ Ὀδυσσῆος ταλασίφρονος ὤαθ’ ἑταίρων / Κίρκα ἐπαλείψασα ‚damals verstopfte Kirke die Ohren der Gefährten des duldenden Odysseus‘ mit der Betonung der Fürsorglichkeit der Göttin. Das Fragment ist wohl Teil eines mythologischen Exemplums; vgl Da-
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8 Sirenocirca
Ovid sah eine bittere Ironie darin, dass Kirke trotz ihrer großen Zauberkraft nicht dazu in der Lage war, Odysseus zum Bleiben zu bewegen:564 Sie habe es noch nicht einmal fertiggebracht, einen Trank zu brauen, der ihren Liebeskummer lindern konnte.565 Um Kirkes Schmerz geeignet darzustellen, gestaltete Ovid eine Abschiedsrede, in der die Göttin alles ihr noch Mögliche versucht, um Odysseus von seinem Aufbruch nach Ithaka abzuhalten: Verzweifelt möchte sie ihm ein Leben auf Aiaia schmackhaft machen und fleht ihn an (Ov. rem. 273–85): „non ego, quod primo, memini, sperare solebam, iam precor, ut coniunx tu meus esse uelis. et tamen, ut coniunx essem tua, digna uidebar, quod dea, quod magni filia Solis eram. ne properes oro: spatium pro munere posco; quid minus optari per mea uota potest? et freta mota uides, et debes illa timere: utilior uelis postmodo uentus erit. quae tibi causa fugae? non hic noua Troia resurgit, non aliquis socios rursus ad arma uocat. hic amor et pax est, in qua male uulneror una, tutaque sub regno terra futura tuo est.“ illa loquebatur, nauem soluebat Vlixes. „Nicht mehr erbete ich, was ich zuerst, wie ich mich erinnere, hoffte, dass du mein Ehemann sein willst. Und dennoch, ich schien mir würdig zu sein, deine Ehefrau zu sein, weil ich eine Göttin, weil ich die Tochter des großen Sol war. Ich bitte dich, eile nicht, ich verlange ein bisschen Zeit als Geschenk. Was kann ich erhoffen von meinem Bitten, das noch weniger wäre? Du siehst das stürmische Meer und du musst es fürchten: Später wird ein Wind kommen der deinen Segeln nützlicher sein wird. Was ist der Grund deiner Flucht? Kein neues Troja entsteht hier gerade wieder, niemand ruft seine Verbündeten erneut zu den Waffen. Hier ist Liebe und Frieden, in dem allein eine Person übel verwundet wird, und unter deiner Herrschaft wird dieses Land sicher sein.“ So sprach jene, Odysseus löste die Segel.
vies’ Anmerkung in den PMGF. Bedeutender für unsere Zwecke ist die Κίρκα von Alexander Aitolos aus dem frühen zweiten Jh. v. Chr., deren einzig erhaltenes Fragment gleich unten besprochen wird. Erotische Gestaltungen von Odysseus’ Abenteuern waren insgesamt beliebt: vgl. den Ἑρμῆς des Philetas von Kos, in dem Odysseus eine Affäre mit Polymele, der Tochter des Aiolos, eingeht (F 1–5 Span.); vgl. auch Parth. erot. path. 2. Vgl. Ov. ars 2.103 f. Circe tenuisset Vlixem, / si modo seruari carmine posset amor. Vgl. Ov. rem. 263 f. quid tibi profuerunt, Circe, Perseides herbae, / cum sua Neritias abstulit aura rates? Mit Blick auf diese Verse ist eine Zuordnung der Liebeszauberfragmente F 44 und vermutlich auch F 48 zur Sirenocirca denkbar; vgl. p. 253 und 273.
8.3 Kirkes Abschied (F 34)
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8.3 Kirkes Abschied (F 34) Vor dem Hintergrund dieser Ovidstelle ist das erste Laeviusfragment aus der Sirenocirca zu verstehen; vermutlich spricht Kirke (F 34): nunc, Laertie belle, para ire Ithacam Nun, mein liebster Laertiade, rüste dich, nach Ithaka zu reisen
Laevius’ Rezeption des Epos zwischen Übernahme der Themen und gleichzeitiger Abgrenzung in ihrer Ausführung schlägt sich in dem Sirenocirca-Fragment auch in der Sprache nieder. Neben dem archaisch-epischen Vokativ Laertie, der sich sonst nur in hochstilisierter Dichtung findet,566 tritt das umgangssprachliche Adjektiv bellus,567 das jeglicher Form der höheren Dichtung, selbst den Eligikern, gänzlich fremd ist. Es wird gewöhnlich nur in erotischen Kontexten bei Plautus, Terenz und Catull gebraucht und ist als inniger Ausdruck zur Bezeichnung geliebter und begehrter Personen zu verstehen.568 Bei seinen epischen Stoffen kam es Laevius häufig auf das emotionale Innenleben der Götter und Helden an. Hier verweist das Adjektiv auf ein vertrautes Verhältnis zwischen Odysseus und Kirke. Als eine liebende Frau richtet Kirke einige letzte Worte an den von ihr geliebten Mann. Sie bringt mit ihrer Anrede Laertie belle unmissverständlich ihre Gefühle zum Ausdruck. Von einem homo bellus Abschied zu nehmen, ist auch für eine Göttin nicht leicht – für Laevius’ Kirke genauso wenig wie für seine Venus im Adonis. Die unglückliche Liebesbeziehung zwischen dem großen Helden und der mächtigen Göttin war offenbar
Priscian zitiert neben der Laeviusstelle auch Liv. Andr. Od. 4 4FPL Bl. Laertie noster für die Vokativform auf -ie; vgl. auch Liv. Andr. Od. 2 4FPL Bl. filie oder Enn. ann. 444 Sk. Saturnie. Solche Formen sind in „stilisierter alter Dichtung“ (Leumann 424) beheimatet. Danach sind sie erst wieder spät nachweisbar; vgl. die gesammelten Belege bei Neue-Wagener ii 43 und zum Vokativ auf -ie generell weiterführend den Beitrag von Dickey (2000). – Zur Vermischung von epischem und umgangssprachlichem Vokabular bei Laevius siehe oben p. 32–4. Vgl. zum Folgenden und zur Interpretation des Adjektivs Perutelli (2002) 60. Vgl. zum Vorkommen des Wortes Tränkle (1990) 327 und McKeown (1989) ii 263. Die gesammelten Stellen von Catull sind bei Seager (1974) 894 besprochen; vgl. zur Veranschaulichung die Reihe Catull. 8.16–18 quis nunc te adibit? cui uideberis bella?, woraus der ganz natürliche Gedankengang folgt: quem nunc amabis? cuius esse diceris? / quem basiabis? cui labella mordebis? Die römische Frau nannte einen Mann genauso häufig bellus, wie der Mann die Frau bella (ThLL ii 1856.68–1857.30); etwa Catull. 24.7 f. ‚quid? non est homo bellus?‘ inquies. est: / sed bello huic neque seruus est neque arca, das heißt ‚ist er nicht so, dass man ihn lieben muss?‘. Vergleichbar ist die Bedeutung auch in der Komödie (Plaut. Asin. 674 nimis bella es atque amabilis, häufig ironisch).
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wenigstens eines der Themen aus der Sirenocirca. Es könnte sogar zutreffen, dass die Kirkerede bei Ovid eine Ahnung vom Ursprungskontext des Fragments gibt. Dennoch besteht ein großer Unterschied zwischen der laevianischen und ovidischen Kirke. Im Erotopaegnion hat sich die Göttin wenigstens nach außen hin damit abgefunden, dass Odysseus seine Reise nach Ithaka fortsetzt; so jedenfalls lässt es der Imperativ para ire Ithacam vermuten. Das Fragment eröffnet damit eine weitere Charakterfacette der Kirke, eine Eigenschaft, die auch in der Odyssee vordergründig ist: Obwohl die Göttin Odysseus liebt, ist sie nicht nur bereit, ihn ziehen zu lassen, sondern muntert ihn sogar dazu auf. Von ihren wahren Gefühlen gibt jedenfalls im Fragment nur das Wort belle eine Ahnung. Womöglich war die Stelle bei Laevius wie in der Odyssee auch mit den Ratschlägen zur Bewältigung der der Felsen der Sirenen verbunden.569
8.4 Delphine und schuppiges Meeresgetier: zwei Interpretationsmöglichkeiten für F 35 Das zweite erhaltene Fragment gibt über den sonstigen Handlungsverlauf der Sirenocirca nur bedingt Auskunft, weil es weit schwieriger in seinen Ursprungskontext einzuordnen ist. Es werden ein oder mehrere Schiffe umgeben von Delphinen und Hippokampen beschrieben (F 35): delphino cinctis uehiculis hippocampisque asperis Ein Schiff/Schiffe umgeben von Delphinen und schuppigen570 Hippokampen
-que verbindet offensichtlich delphino und hippocampis, die jeweils als Ablativus Instrumentalis zum Partizip cinctis aufzufassen sind. Auffällig ist der Singular delphino, der wohl nur kollektiv zu verstehen sein kann; das Bild ergäbe nur dann Sinn, wenn die Delphine ebenfalls als eine Schar auftreten würden.571 Der kollektive Singular erscheint auf den ersten Blick neben dem Plural hippocampis sehr hart, es gibt aber gerade bei der Bezeichnung von Tieren ähnliche Fälle, von denen Löfstedt einige in seinen Syntaktika bespricht.572 Laevius zeichnet in seinem Vers ein Bild, das in der griechischen wie lateinischen Dichtung eine lange Tradition aufweist. Problematisch für die Deutung des
Vgl. Od. 12.37–141. Vgl. ThLL i s. v. 807.34–43. Siehe die Zitate unten Anm. 574. Vgl. Löfstedt (21956) 18 f. Die Belege halten sich aber in Grenzen, vgl. wohl Sall. Iug. 6.1 leonem atque alias feras ... ferire.
8.4 Delphine und schuppiges Meeresgetier
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Fragments ist aber, dass dieses Bild Teil zweier unterschiedlicher Zusammenhänge sein kann: Entweder treten Delphine als warnende Vorboten eines Sturmes auf oder sie werden meist zusammen mit den Nereiden als rettende Helfer erwähnt, die in Not geratene oder verirrte Seefahrer den richtigen Weg nach Hause weisen. Je nach Beantwortung der Frage, welches der beiden Motive bei Laevius vorliegt, ergibt sich ein anderer Kontext für das Fragment innerhalb der Sirenocirca.
8.1.1 F 35 als Teil des Nostos-Sturms ... Unter anderen lässt sich bei Isidor die im Altertum weit verbreitete Annahme nachlesen, dass Delphine in der Lage wären, dem Menschen Seestürme vorherzusagen.573 Das schöne Spektakel, das die spielenden Tiere bieten, indem sie sich um ein Schiff tummeln, und das große Übel, das sie den unwissenden Seeleuten dabei voraussagen, stehen im krassen Gegensatz zueinander. Aus diesem Grund hat das Bild seinen festen Platz in den Seesturmbeschreibungen vor allem in der lateinischen Tragödie bei Livius Andronicus, Pacuvius und Seneca, bei denen das Unwetter durch das vorangehende freundlich erscheinende, aber Übel verheißende Spiel der Delphine eine besonders starke Wirkung auf Leser und Hörer entfaltet.574 Die drei genannten Tragödiendichter nutzen das Bild in einem Drama, das die Heimkehr der Griechen aus Troja behandelt, Livius Andronicus im Aegisthus, Pacuvius im Teucer und Seneca im Agamemnon. Soweit wir die Fragmente von Livius und Pacuvius fassen können, beschreiben die Tragödien allesamt den Sturm, der so vie-
Vgl. Isid. orig. 12.6.11 quando autem praeludunt in fluctibus et undarum se molibus saltu praecipiti feriunt, tempestates significare uidentur; auch Lucan. 5.552 nec placet incuruus qui prouolat aequore delphin. Vgl. Liv. Andr. TrRF i 6 tum autem lasciuum Nerei simum pecus / ludens ad cantum classem lustratur, Pacuv. 238 f. Sch. Nerei repandirostrum incuruiceruicum pecus und profectione laeti piscium lasciuiam / intuemur nec tuendi capere satietas potest sowie Sen. Ag. 449–55 tunc ... ludit ... nunc prima tangens rostra lasciuit chorus (sc. delphinum), / millesimam nunc ambit et lustrat ratem. Zum Vergleich der Stellen siehe Schierl (2006) 476–8. – Rivoltella (2009) sah die Parallelen mit den Wendungen lasciuum pecus, lasciuiam oder ludit ... lasciuit in so engem Zusammenhang mit Laevius, dass er F 41 lasciuiterque ludunt (wohl ein Anakreonteum) in die unmittelbare Nähe des hier besprochenen Bruchstückes verortet hat. Weil F 41 aus dem sechsten Buch der Erotopaegnia stammt, hätten wir auch für die Sirenocirca eine Buchangabe. Die Iunktur ist aber nicht auf das Spielen der Delphine beschränkt, wie Rivoltella einschränkend anmerkt; vgl. Mart. 14.79.1 mit Bezug auf die Saturnalien ludite lasciui, sed tantum ludite, serui oder Liv. 1.5.1–2 mit Bezug auf die Lupercalien ut nudi iuuenes ... per lusum atque lasciuiam currerent. Aufgrund der letztgenannten Parallelen hatte sich zuvor Havet (1891) 12 für eine Zuordnung desselben Fragments zur Hochzeitsszene der Protesilaodamia stark gemacht; siehe dazu Anm. 472.
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len Griechen den Tod brachte und auch Odysseus zu seinen Jahre dauerenden Irrfahrten zwang. Will man den Kontext der Tragiker auf Laevius übertragen, erwiese sich das Fragment der Sirenocirca entweder als Bestandteil einer Vorgeschichte oder als Bestandteil eines Rückblicks auf das Ende des Krieges und den Anfang der Heimreise von Odysseus und seinen Männern. Womöglich gibt es durch den Plural uehiculis sogar textinterne Evidenz dafür: Unmittelbar bevor Odysseus die Insel Aiaia erreicht, werden all seine Schiffe von den Laistrygonen versenkt. Nur eines gelangt schlussendlich zu Kirkes Insel. Danach ist in der Odyssee dementsprechend auch nur noch von einem Schiff die Rede. Sollte Laevius’ Plural uehiculis nicht etwa für ein einzelnes Schiff stehen, müsste sich das Fragment auf ein Ereignis vor der Ankunft auf Aiaia beziehen. Fraglich bleibt aber, ob Laevius sich in solchen Details an die homerische Vorlage gehalten hat.
8.1.2 ... oder als Hilfe der Göttin Die Interpretation des Fragments als Teil des Nostos-Sturmes ist plausibel, vernachlässigt aber doch, dass Laevius das Bild gegenüber den zitierten Stellen der Tragiker durch die Erwähnung der Hippokampen erheblich erweitert. Die mythischen Geschöpfe werden gewöhnlich als gezähmte Seepferde der Meeresgötter beschrieben. Parallelen aus der antiken Literatur und Kunst lassen Delphine und Hippokampen nur dann als Duo auftreten, wenn sie den Nereiden als Reittiere dienen.575 Die Nereustöchter erscheinen regelmäßig zusammen mit ihren Reittieren, um den Seefahrern den richtigen Weg zu weisen oder sie sicher durch gefährliche Gewässer zurück nach Hause zu führen.576 Wenn die Nereiden auch in der
Vgl. Plin. nat. 36.26 von einer Statue des Skopas Nereides supra delphinos et cete aut hippocampos sedentes sowie Philostrat. heroik. 45.3 von Thetis ἡ μὲν ἔτυχεν ἐπὶ δελφίνων τε καὶ ἱπποκάμπων ἀθύρουσα, ‚sie spielte auf den Delphinen und Hippokampen‘, und Grossardt (2006) ii z. St. für mögliche Vorbilder bei Aischylos oder aus hellenistischer Zeit. Allein treten die Hippokampen nur im Gedicht Peruigilium Veneris 9–11 zur Beschreibung der lebhaften Ereignisse bei der Geburt der Venus auf. Soweit ich die Quellen überblicke, werden sie sonst nirgends unabhängig von den Meeresgöttern oder Nereiden erwähnt. Daher rührt auch Jos. Scaligers (1585, 35 im Kommentarteil) Konjektur delphino iunctis uehiculis hippocampisque, Delphine und Hippokampen festgebunden an Neptuns Wagen. L. Müller (1880) 83 und ThLL iii s. v. cingere 1065.6 f. sehen diesen Sinn, ‚festgebunden‘, auch im Verb cingere, aber das Partizip ist leichter in seiner gewöhnlichen Bedeutung verstehen. Eur. El. 432–41 von der Reise nach Troja κλειναὶ νᾶες, αἵ ποτ’ ἔβατε Τροίαν / τοῖς ἀμετρήτοις ἐρετμοῖς / πέμπουσαι χορεύματα Νηρήιδων, / ἵν’ ὁ φίλαυλος ἔπαλλε δελ-/φὶς πρῴραις κυανεμβό-
8.4 Delphine und schuppiges Meeresgetier
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Sirenocirca auftreten sollten, ergäbe sich eine andere Perspektive für Laevius, zu deren Verständnis als erstes noch ein Blick zurück zur Odyssee nötig ist. Damit die Griechen auf ihrer Reise fort von der Insel Aiaia – beim ersten Mal zur Unterwelt, beim zweiten Mal zurück nach Ithaka – auch in die richtige Richtung geleitet werden, schickt Kirke ihnen in der Odyssee einen günstigen Fahrtwind.577 Dank dieser Hilfe kann Odysseus sein nächstes Ziel auch jeweils ohne weitere Umwege erreichen. Im frühen zweiten Jh. v. Chr. modifizierte Alexander Aitolos den Gedanken für sein Gedicht Κίρκα:578 πηδαλίῳ ἄκρῳ ἔπι πομπίλος ἁνιοχεύων ἧστ’ ἀκάτω κατόπισθε, θεᾶς ὕπο πόμπιμος ἰχθύς Am Ruderende war der lenkende Pompilos hinten am Schiff, von der Göttin geschickt als heimleitender Fisch
Wie Alexanders Gedicht im Einzelnen aussah, ist heute nur noch zu erraten. Die eben zitierten Verse bilden das einzige daraus erhaltene Fragment. Die im Kommentar von Magnelli vertretene Position, dass das erwähnte Schiff nur Odysseus’ Schiff sein kann, scheint mir aber sicher. Das Adjektiv πόμπιμος, ‚nach Hause geleitend‘, ist im Zusammenhang mit einem so lange umherirrenden Helden passend gewählt, um Ithaka als das Ziel der Reise betont vor Augen zu halten. Damit er dorthin findet, schickt ihm eine Göttin, die mit dem Gedichttitel und den zitierten Stellen aus der Odyssee Kirke sein dürfte, einen Lotsenfisch, den πομπίλος. Er heftet sich an das Schiff und lässt es nicht auf Abwege geraten. Vielleicht hat sich Laevius wiederum an der Homer-Rezeption bei Alexander Aitolus orientiert. Der πομπίλος findet bei ihm zwar keine Entsprechung, aber die schützenden Nereiden mit ihren lotsenden Delphinen und Hippokampen könnten an seine Stelle getreten sein. So wäre es mythologisch naheliegend, weil die Nereiden auch bei Ovid zu Kirkes Dienern gehören.579 Wer eine solche Abhängigkeit an-
λοι-/σιν εἱλισσόμενος, / πορεύων τὸν τᾶς Θέτιδος / κοῦφον ἅλμα ποδῶν Ἀχιλῆ / σὺν Ἀγαμέμνονι Τρωίας / ἐπὶ Σιμουντίδας ἀκτάς, ‚berühmte Schiffe, die ihr einst reistet nach Troja mit unermesslichen Rudern geleitend den Reigen der Nereiden, wo der flötenliebende Delphin sich windend spielte am dunkelgeschnäbelten Schiff. Er geleitete den schnellfüßigen Thetissohn Achilles zusammen mit Agamemnon zur Küste des Simois nach Troja‘. Dort wird auf die Herkunft des Achilles angespielt; vgl. auch Apoll. Rhod. 4.930–55, wo Thetis sogar ans Ruder greift, um die Argonauten an der Charybdis vorbei zu navigieren; hier sind die Delphine aber nur in einem Vergleich erwähnt (933 f.). Vgl. Od. 11.6–8 und 12.148–50. Alex. Ait. F 2 Magnelli (= 4 Lightfoot); vgl. auch Magnelli (1999) z. St. zur Interpretation. In Ov. met. 14.264 f. sammeln die Nereiden im Palast der Kirke Mittel zur Vorbereitung eines Zaubers zusammen; vgl. auch p. 273.
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nimmt, kann im nächsten Schritt konsequenterweise das überlieferte Laeviusfragment auch der entsprechenden Stelle der Sirenocirca zuzuordnen: Kirke könnte sie bei Laevius beauftragen, Odysseus mithilfe der Hippokampen und Delphine sicher nach Ithaka zu eskortieren.
8.5 Betrachtungen zur Anlage der Sirenocirca Nach wie vor blieb die Frage ungeklärt, warum Laevius den Titel Sirenocirca wählte, das heißt, ob als Übersetzung ‚die Sirenen und Kirke‘ oder ‚die sirenenhafte (das hieße verführerische) Kirke‘ vorzuziehen ist. Die Frage erhält ihren Reiz dadurch, dass aus jeder der beiden denkbaren Möglichkeiten ein anderer Inhalt und damit eine grundsätzlich andere Konzeption des Gedichts resultiert. Die erhaltenen Fragmente können sich nach den oben vorgeschlagenen Interpretationen in beide Deutungen des Titels fügen. Ich möchte deshalb im Folgenden einen Blick darauf werfen, wie und ob die beiden Mythen sonst in der antiken Literatur miteinander verbunden wurden. Die antike Rezeption des Sirenenmärchens aus der Odyssee580 steht im Widerspruch zur heute verbreiteten Auffassung der Geschichte: Seit Beginn des Christentums wird die Verführung durch die Sirenen vorrangig als eine erotische Verführung interpretiert.581 Für die vorchristliche Antike ist dieser Punkt hingegen nachrangig bis irrelevant.582 Hier sprechen die Sirenen andere menschliche Triebe an, vor allem zu große Neugierde und die Gier nach Schmeicheleien und Komplimenten,583 oder sie stehen überhaupt als Abbild der Verführung in jeglicher Hinsicht.584 Deshalb hat der Sirenenmythos nirgends Eingang in die antike Liebesdichtung gefunden. Er wurde auch nur selten mit dem von Vornherein erotisch angelegten Kirkemärchen verknüpft. Allein zwei nicht-christliche Schriftsteller interpretieren beide Mythen in ein und demselben Zusammenhang.
Das homerische Gedicht hat die Auffassung über die Sirenen weitgehend geprägt. Der ursprüngliche Volksglaube der Klage- und Grabsirenen ist in der Dichtung kaum mehr erkennbar; vgl. LIMC viii.1 s. v. Seirenes 1101–4. Vgl. zur christlichen Deutung Rahner (1945) 445–66. Rahner (1945) 446 irrt, wenn er die Sirenenepisode aus der Odyssee erotisch verstehen möchte. Prop. 3.12.23–36 und [Tib.] 3.7.52–78 (4.1.52–78) erwähnen die Sirenen nur nebenbei zusammen mit den übrigen Abenteuern des Odysseus ohne erotische Interpretation. So ist es in Od. 12.184–91 und daran anknüpfend dann Xen. mem. 2.6.11 f. und Cic. fin. 5.48 f. Bei Horaz wird die Trägheit als Sirene bezeichnet: Hor. sat. 2.3.14 f. uitanda est improba Siren / Desidia.
8.5 Betrachtungen zur Anlage der Sirenocirca
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8.1.3 ‚Die Sirenen und Kirke‘ ... In einem Abschnitt der horazischen Epistel 1.2, der zuerst näher ins Auge gefasst werden soll, geht es um sapientia und uirtus, die dort als die Eigenschaften dargestellt werden, die Odysseus dazu verhalfen, alle Hindernisse, die sich ihm entgegenstellten, zu überwinden und zurück zu Penelope nach Ithaka zu gelangen. Als Beispiel für solche Gefahren erwähnt Horaz die Gesänge der Sirenen und die Zaubertränke der Kirke (epist. 1.2.23–6): Sirenum uoces et Circae pocula nosti; quae si cum sociis stultus cupidusque bibisset, sub domina meretrice fuisset turpis et excors, uixisset canis inmundus uel amica luto sus. Du kennst die Gesänge der Sirenen und die Becher der Kirke. Wenn Odysseus sie zusammen mit seinen Gefährten dumm und gierig getrunken hätte, dann hätte er hässlich und dumm unter der Herrschaft dieser Hure gestanden, er hätte als dreckiger Hund gelebt oder als Sau, die den Schlamm liebt.
Der Sirenenmythos wird hier nur in aller Kürze angedeutet und zugunsten des Kirkemythos übergangen. Trotzdem bilden die vier Verse eine erkennbare Einheit. Sie verknüpfen die beiden Sinnbilder für „die Verführung der Sinnlichkeit“ und für die „entnervende Macht der Wollust“, wie es im Kommentar von Kiessling/Heinze formuliert ist:585 Damit ist das Sinnbild der Verführung durch oberflächliche äußere Eindrücke seitens der Sirenen und durch die körperlichen Reize seitens der Kirke gemeint. Dass Horaz zuerst die Sirenen, dann die Göttin Kirke erwähnt, widerspricht der Chronologie der Ereignisse in der Odyssee. Man kann die Reihenfolge als Gedanken vom Allgemeinen zum Bestimmten werten; vielleicht soll der Vers Sirenum uoces et Circae pocula aber auch Assoziationen zur Sirenocirca wecken,586 nicht zuletzt, weil das Nebeneinander in einer ähnlichen Form in der lateinischen und griechischen Literatur sonst niemals mehr begegnet. Das Konzept, das dem Vers epist. 1.2.23 zugrunde liegt, kann in ähnlicher Weise auch Laevius veranlasst haben, die Sirenen und Kirke in einem Gedicht miteinander in Verbindung zu bringen. Der Titel wäre mit ‚die Sirenen und Kirke‘ zu übersetzen. Laevius’ Gedicht würde sich inhaltlich im Wesentlichen mit dem zehnten
Dort werden auch Verknüpfungen zu Laevius hergestellt. Vgl. auch die Anspielung auf den Titel Protesilaodamia im ungewöhnlichen Pentameter Catull. 68.74 Prōtěsĭlāēām Lāŏdămīă dŏmūm.
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und beginnenden zwölften Buch der Odyssee decken. Thematisch stünde Odysseus’ Liebe zu Penelope und sein unbedingter Willen zur Heimkehr im Vordergrund.587
8.1.4 ... oder ‚Die sirenenhafte Kirke‘ Unter anderen in der Alten und Mittleren Komödie ist es bei ähnlichen zusammengesetzten Titeln dahingegen ganz gewöhnlich, dass der erste Bestandteil des Kompositums nicht eine im Stück auftretende Person, sondern einen Charakterzug kennzeichnet, der den zweiten Bestandteil des Titels näher bestimmt: Zum Beispiel ist Timokles’ Ὀρεσταυτοκλείδης ein Autokleides, der bestimmte Eigenschaften von Orestes aufweist.588 Übertragen auf die Sirenocirca wäre der Titel als ‚die sirenenhafte Kirke‘ zu verstehen. Sirenen sind ein in jeder Hinsicht geeignetes Mittel, um Kirkes verführerischen Charakter zu kennzeichnen. Durch die Wahl der beiden in der Odyssee benachbarten Mythen wäre ein solcher Titel äußerst pointiert, wie eine Stelle aus Petrons Satyricon zeigen kann: Encolpius/Polyaenus befindet sich hier im Gespräch mit einer Hetäre, deren Stimme bewundernswert sirenenhaft klingt und ihn verführt (127.5 f.): tanta gratia conciliabat uocem loquentis (sc. mulieris), tam dulcis sonus pertemptatum mulcebat aera, ut putares inter auras canere Sirenum concordiam. itaque miranti †et toto mihi caelo clarius nescio quid relucente libuit deae nomen quaerere. ‚ita‘ inquit ‚non dixit tibi ancilla mea me Circen uocari?‘ So eine Anmut war in ihrer Stimme, so ein süßer Ton streichelte und durchdrang die Luft, dass man glaubte, es tönte das Lied der Sirenen in den Lüften. Als ich daher staunte und der Himmel unfassbar hell leuchtete, mochte ich nach ihrem Namen fragen. Sie sagte: „Also hat meine Magd dir nicht gesagt, dass ich Kirke genannt werde?“
Petron vergleicht den Klang der Hetärenstimme mit dem der Sirenen und vollendet die Homerreminiszenz, indem er die Hetäre selbst Kirke nennt. Die Verbindung ist alles andere als abwegig und kann so auch schon der Sirenocirca zugrunde gelegt worden sein. In diesem Falle wäre die Episode um die Sirenen bei Laevius nicht eigens behandelt worden. Vielmehr stünde der Kirkemythos, die Verführung von Odysseus und Kirkes unglückliche Liebe im Vordergrund. Es wäre sogar vorstell-
Womöglich ist ein Fragment über Penelopes Webarbeit aus dem dritten Buch der Erotopaegnia erhalten: nocte dieque decretum et auctum (F 38). Es könnte aus der Sirenocirca stammen. Timokles PCG vii F 27 f.; zur Praxis zusammengesetzter Titel siehe oben p. 174.
8.6 F 34: Metrik
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bar, dass noch weitere erotische Geschichten um Kirke in das Gedicht eingefügt wurden, derer es im Epos und in der erotischen Dichtung zu Genüge gab.589
8.6 F 34: Metrik nūnc, Lāērtĭě bēllě, păra īre Ĭthăc(ā̆ m)
Ich fasse das Fragment als einen einzelnen anapästischen Dimeter. Der nächste Vers müsste mit einem Vokal beginnen, so dass Synaloephe über die Versgrenze hinweg stattfinden kann. Die geballte Reihung der Synaloephen ist auffällig, aber gerade in einer emotionalen Rede gewöhnlich.590 Sonst entspricht der Vers ganz den Regeln und Lizenzen, die in Laevius’ Zeit für den anapästischen Dimeter üblich waren: Der Bau ist monometrisch und lässt viele Synaloephen und aufeinanderfolgende Daktylen, selbst am Versende, zu.591 Eine andere Versabtrennung, nunc Laertie / belle para ire Ithacam, ist bei monometrisch gebildeten Anapästen immer möglich, aber der Vokativ Laertie belle sollte doch tendenziell ohne Enjambement in einem einzigen Vers zusammenbehalten werden.592 Die häufiger diskutierten Möglichkeiten, das Fragment daktylisch zu messen, können dagegen nicht überzeugen. Zuerst vermutete Havet einen Hexameteranfang nunc, Laertie belle, para ire Ithacam,593 den man schon beim ersten Lesen als ungewöhnlich empfindet: Das Wortende nach dem neunten Element Ithacam ließe sich noch als ein Merkmal altlateinischer Verstechnik erklären.594 Schwerer wiegt dagegen das Wortende nach dem zweiten und dritten Daktylus, nunc Laertie belle par(a) ire, wodurch der Vers leicht stottert. Aber die Synaloephe nach dem dritten Daktylus könnte den Effekt ein wenig mindern. Zusätzlich wiese der
In Ov. met. 14.320–96 verwandelt Kirke Picus, den König von Laurentum, in unglücklicher Liebe zu ihm in einen Vogel (auch bei Verg. Aen. 7.187–91 vorausgesetzt), in Ov. met. 14.1–74 die von Glaukos unglücklich geliebte Skylla aus Eifersucht in das bekannte Seeungeheuer. In Parth. erot. path. 12 geht es um den daunischen König Kalchos, der in Kirke verliebt war und in ein Schwein verwandelt wurde. Zur Telegonie, in der Telemach Kirke heiratet, vgl. EGF p. 71–3 (= PEG i p. 100–6 Bernabé) oder Soph. Ὀδυσσεύς ἀκανθοπλήξ (‚Der vom Rochenstachel getötete Odysseus‘) TrGF iv F 453–✶461a. Vgl. F 30, F 2.1 und zu ‚emotionalen Synaloephen‘ in Reden Ross (1969) 118 f. Vgl. zu Laevius’ Anapästen oben p. 38–40. Granarolos (1971, 183–9) Abgrenzung ̄ nūnc Lāērtĭě bēllě păra īre / Ĭthăcam ist ohne Mitteldihärese nicht die erste Wahl. Gleiches gilt für Baehrens’ Dimeter nūnc, Lērtĭě bēllě, păra īre Ĭthăcām, wenn er den Vers denn als solchen versteht. Außerdem ist dort gedrucktes Lertie, das in einigen Prisciancodices überliefert sei (aber doch nichts anderes als Laertie ist), ohne Parallele. Vgl. Havet (1891) 12 f. Vgl. die Beispiele oben Anm. 313.
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Vers durch den Einsilbler mit folgendem Ioniker a maiore nunc Laertie zu Beginn einen ganz behäbigen Einstieg auf. Wörter, die einen Ioniker a maiore bilden, sind in der gesamten lateinischen Hexameterdichtung der Antike abgesehen von vereinzelten Ausnahmen auf die zweite Vershälfte beschränkt geblieben.595 All diese Unregelmäßigkeiten schließen einen Hexameter aus. Als Alternative zu den Anapästen bleibt L. Müllers Messung als katalektischer daktylischer Tetrameter in syllabam (das heißt, mit nur einem Element des letzten Versfußes endend) ohne Synaphie denkbar:596 nūnc, Lāērtĭě bēllě, părā īre Ĭthăcām
Im Griechischen lässt sich kein wirklich belastbares Material für den Vers finden;597 im Lateinischen wären nur einige Fragmente von Septimius Serenus und wenige Gedichte von Ausonius vergleichbar.598 Weil Septimius Serenus als Dichter des zweiten Jh. s häufiger archaische, von altlateinischen Dichtern wie Laevius genutzte Metren aufgriff und sie durch besondere Strenge neu interpretierte, bleibt der Ansatz bedenkenswert.599 Dass aber die metrische Vielfalt der szenischen Dichter, allen voran Plautus, Ennius, Pacuvius und Accius, kein Vergleichsmaterial bieten, spricht gegen den daktylischen Vers.600
Vgl. die Tabelle von De Neubourg (1986) 212; nie bei Ennius, immerhin 13 Mal in den Büchern 1 und 3 des Lukrez und vier Mal in der horazischen Ars, im gesamten Werk des Vergil dagegen nur 3 Mal, bei Ovid nicht mehr. Vgl. L. Müller z. B. (21894) 68, Leo (1914) 181, Anm. 2 und zuletzt Courtney (22003) z. St., der das Maß irritierenderweise Alcmanicus nennt (worunter gewöhnlich ein daktylischer Tetrameter ohne Katalexe verstanden wird); zu Argumenten gegen diese Messung vgl. den ausführlichen Beitrag von Granarolo (1971) 183–9. Courtney (22003) 411 nennt: Alkm. PMGF 119, nur ein einziger Vers; Archiloch. dub 320 West, dort unter die „Testimonia de metris fide minus digna“ gereiht; Theokr. A.P. 15.21.11–12, ein daktylisches Figurengedicht, das sich Vers um Vers um eine Silbe vermindert, danach wieder um eine Silbe vermehrt; zuletzt A.P. 15.23 aus byzantinischer Zeit. Courtney (22003) 411 nennt Sept. Seren. 10/4FPL Bl./Matt. und Auson. 10.28 und 13.89. Zum möglichen Einfluss der laevianischen Metra auf die Poetae Novelli siehe oben p. 41. Auch Traglias (21974, 131) daktylischer Tetrameter mit Katalexe in bisyllabum nūnc, Lāērtĭě bēllě, păra īrě / Ĭthăcā̆ m würde einen Wechsel zu einem vermutlich anapästischen Vers voraussetzen, was mir unökonomisch erscheint.
8.7 F 35: Metrik
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8.7 F 35: Metrik In der metrischen Interpretation von F 35 spitzt sich eine Frage zu, die Laevius’ Metrik insgesamt betrifft. Überliefert ist: dēlphīnō cīnctīs uěhĭcŭlīs hīppŏcāmpīsque āspěrīs
Die lange Zeit vorherrschende Forschungsmeinung, der auch ich mich anschließe, sieht in dem Fragment einen trochäischen Septenar mit der charakteristischen Mitteldihärese nach dem achten Element.601 Seit einem Beitrag von Pighi greifen die Herausgeber in den Text ein und ändern zu delphine (konsonantische Deklination), um einen Septenar zu vermeiden.602 So entsteht die seltene Verbindung eines iambischen Dimeters mit einem Lekythion (katalektischer trochäischer Dimeter ˉ ̆ ˉˉ̆ ˉ ̆ ˉ):603 dēlphīně cīnctīs uěhĭcŭlīs hīppŏcāmpīsque āspěrīs
Der ursprüngliche Grund für Pighis Konjektur liegt in den fünf aufeinanderfolgenden Längen am Anfang des Fragments, delphino cinctis. Sie dürften nach Pighi in keinem iambischen oder trochäischen Versmaß bei Laevius begegnen, weil der Dichter die strenge griechische Bildung iambisch/trochäischer Metren übernommen habe. Laevius hätte stets bei Iamben im dritten Element, bei Trochäen im zweiten Element eines jeden Metrums eine Kürze gebildet. Pighi behält insoweit Recht, als Laevius sich wirklich in einigen Belangen an die strenge griechische Versbildung anlehnte, vor allem bei seinen Iamben. Auch Zuerst L. Müller z. B. (21894) 68 und Leo (1914) 181. – Gegen Courtneys (22003, z. St.) Einwand „the placing of the ictuses is ugly“, womit er vermutlich den Versbeginn Molossus + Spondeus/ Trochäus meint, vgl. aber Ter. Phorm. 867 suspenso gradu placide ire perrexi accessi astiti. Der Einwand ist trotzdem berechtigt. Schon Granarolo (1971) 162–71 hatte ihn vorweggenommen und umfangreiche Untersuchungen angestellt. Ihm zufolge ist der Versanfang in dieser Form wenigstens für Ennius und Terenz (nicht für Plautus) verhältnismäßig selten (p. 166, Anm. 1), ebenso der Paian vor der Dihärese. Er nimmt daher Synkope uehiclis (statt überliefertem -culis) an und stellt einen sauberen versus quadratus her, bei dem die erste Silbe fehlt. Wie er p. 165 f. ausführt, bestünde bei der korrupten Noniusüberlieferung sogar die Möglichkeit, dass ein Einsilbler am Anfang des Zitates bei Nonius ausgefallen ist: delphino cinctis uehiclis hippocampisque asperis. Womöglich trifft Granarolo das Richtige; für die zahlreichen Fälle, in denen Wörter mit Synkope im Laufe der Überlieferung verschlimmbessert wurden, vgl. ibid. p. 169. Das Passiv cingi mit der Präposition a ist aber selten; vgl. etwa Ov. trist. 5.2a.32 oder Pont. 2.8.69. Vgl. zur Konjektur Pighi (1963) 556; ihm folgt Courtney (22003) und 4FPL Bl. Pighi vergleicht das Archilochosspurium 322 West. Das ist eine dünne Beleglage, aber die Verbindung ist immerhin noch bei Asmon. GLK vi 143.9 f. besprochen. Verknüpfungen von Lekythia und vereinzelten Iamben gibt es aber häufiger; siehe bei West (1982) 99, 101, 103.
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seine anapästischen Dimeter sind vermutlich nach griechischer Art monometrisch gebildet. In drei Punkten irrt Pighi jedoch: Zunächst ist die Orientierung an der griechischen Strenge bei Laevius eine Tendenz, keine feste Regel. Selbst in seinen Iamben (F 40.3) weicht er einmal davon ab, was Pighi wiederum durch Konjektur beseitigt. Zweitens ging die Entwicklung des trochäischen Septenars hin zum Tetrameter nicht denselben Weg wie zum Beispiel die Entwicklung des iambischen Senars zum Trimeter. Die republikanischen Dichter hatten noch keine Neigung zur reinen Bildung der trochäischen Metra,604 und selbst nachdem das Metrum in der Kaiserzeit wieder in Mode gekommen war, verstieß man in einer Zeit, in der Iamben stets rein gebildet wurden, bei der Bildung von Trochäen gegen die griechische Technik.605 Zuletzt bleibt die Konjektur auch sprachlich inakzeptabel, weil die dritte Deklination delphin (oder delphis), -inis erst seit der augusteischen Dichtung gebräuchlich ist, so dass man sie keinesfalls konjektural herstellen darf.606 Deshalb sollte es mit der o-Deklination beim Septenar bleiben.
Vgl. (die Komödien- und Tragödiendichter einmal beiseitegelassen) die Septenare in den Büchern 26–30 von Lucilius, Porc. Licin. v. a. F 3 C./4FPL Bl.; Sueius 2–4 C./4FPL Bl.; Varro Men. 1, 26, 50, 51, 53, 138–40, 182–5, 211, 237, 246, 441, 578b Ast., Laber. mim. 10, 13, 22, 24, 39, 42, 46, 52, 83, 85, 94 nach Panayotakis (2010) 68. Bei keinem der genannten Autoren findet sich der Septenar durchgängig als Tetrameter; mehr Belege in den Indices der Fragmentausgaben. Das Material ist hier begrenzt: Vgl. Flor. 3 C. (= AL 245–52 2Riese = AL 238–46 SB), dort 246.1 und 247.3 als Fälle ohne reinen Trochäus im ersten Fuß des Metrums, später dann auch bei Tiberian. 4 C. (= AL 809 2R.) v. 6 und 14, Perv. Ven. 35, 50, 55, 60, 62, 91 – jeweils wie überliefert – und die anderen von Catlow (1980) 36–42 besprochenen Verse; dort auch eine behutsame Diskussion all dieser Stellen, in denen zuvor verstärkt reglementierend eingegriffen wurde. Erwartbar streng sind dagegen die Tetrameter bei Seneca Med. 740–51, Oed. 223–32, Phaedr. 1201–12. Die Deklination gemäß griechischem δελφίν/δελφίς gibt es erst ab Vergil, in Prosa später, vorher stets als o-Deklination, die auch für Laevius anzunehmen ist; vgl. ThLL v.1 s. v. delphinus 469.76–78.
9 Laevius in †Virgo† Havet (1914) 19–22, Erasmi (1975) 301–3, Carratello (1979) 763 f., Pieroni (2004) 149–51, Spaltenstein (2008) 190–5
9.1 Überlieferung und Metrik Die offensichtlich korrupte Überlieferung leuius in uirgo ornamentu ... hatte die Herausgeber dazu veranlasst, einen Titel zu konjizieren, der zu den Dramen von Livius oder Naevius passen könnte: Liuius in Virgine, Liuius in Verpo oder Naeuius in Lycurgo.607 Einen ernsthaften Grund, warum einer der beiden alten Dramatiker Urheber des Verses sein sollte, gibt es aber nicht. Die archaische Form gnobilis, die den Klang mit folgendem ignobilis sucht, spricht nicht gegen die Überlieferung leuius. Auch Laevius’ Zeitgenosse Accius nutzt sie aus demselben Grund: Acc. trag. 283 f. 2R. (= 550 f. Dang.) hic sum gnobilis, / ne cui cognoscar noto.608 Genauso wie derartige Klangspiele hatte auch der trochäische Septenar seinen Platz in den Erotopaegnia (F 35), weshalb das Fragment eindeutig Laevius zuzuweisen ist.609 Darüber, wie der Titel des Gedichts lautete, lässt sich aber nicht ernsthaft diskutieren. Alle bisherigen Ansätze gehen von einer Änderung eines korrupten Ablativs †uirgo† aus. Für Laevius wäre in diesem Fall spekulativ beispielsweise in Argo paläographisch leicht möglich, ein Gedicht über Iason und Medea. Doch es
Jos. Scaliger (1576) cxii Liuius in Virgine. Afranius schrieb eine Togata Virgo, Laberius einen Mimus, Novius eine Atellana Virgo pregnans. Liv. Andr. com. 3 2R. Liuius in Verpo. L. Müller (1885) 29 (akzeptiert von Leo [21912] 90, Anm. 1) orientierte sich an das bezeugte Naeviusstück Lycurgus; weitere zahlreiche Konjekturen zum Titel sammelt und diskutiert Spaltenstein (2008) 190–2. Zu den hauptsächlich inschriftlichen Belegen der Form auf gn- siehe Stephens (1980) 165. – Überliefert ist für das Laeviusfragment nobilis, aber das Klangspiel mit folgendem ignobilis und Festus’ Einleitung nobilem antiqui pro noto ponebant et quidem per g litteratum ut Plautus ... sollte gnobili für Laevius sichern. Auch für das angeführte Acciusfragment, das Festus im selben Lemma nur halb zitiert (vollständig bei Non. 351 M.), ist nobilis überliefert, wofür die Herausgeber aus gutem Grund gnobilis schreiben. Erstmals zog wieder Pieroni (2004) 149–51 Laevius als Urheber des Verses in Erwägung und verglich das Klangspiel mit F 1 humum humidum. Er ließ die Autorenfrage letztlich wegen der Metrik und der archaischen Form gnobilis, die nicht „auf das neoterische Milieu hindeute“ (p. 150), offen; vgl. aber zu Laevius’ altlateinischen Stil oben p. 28–34. Allein Havet (1914) 19–22 sprach sich aus Gründen der Überlieferung deutlich für Laevius aus: Seine Überlegungen zur Wiederherstellung des Fragments ornatu incedent nobili ignobiles (sc. uersus, iamb. Senar mit Hiat am locus Jacobsohn nach dem 8. Element) ist vernachlässigenswert, aber kreativ. https://doi.org/10.1515/9783111237121-016
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9 Laevius in †Virgo†
scheint eine größere Korruptel vorzuliegen, die sich noch auf den Anfang des Zitates erstreckt. Dabei ist wenigstens ein Wort ausgefallen, wie die genauere Betrachtung der Metrik zeigen wird: Laeuius in †uirgo ornamentu incendunt† gnobili ignobiles
Weil Festus zitiert, sollte seiner Gewohnheit entsprechend eine in sich geschlossene metrische Einheit zu erwarten sein.610 Die beiden letzten Wörter gnōbĭlī | īgnōbĭlēs weisen den Vers deutlich genug als trochäischen Septenar aus. Der Hiat erzielt am locus Jacobsohnianus nach dem 11. Element zwischen den beiden etymologisch verwandten Adjektiven eine effektvolle klangliche Wirkung.611 Die beiden vorangehenden Wörter ornamentu incendunt gehören ebenfalls noch sicher zum Zitat, doch ist eine Änderung für incendunt nötig, das inhaltlich nur schwer Sinn ergeben kann. Ios. Scaligers incedunt ist allgemein akzeptiert. Man sollte Scaliger am besten auch bei der Beseitigung der sonst nur sicher in der Vetus Latina belegten Ablativform ornamentu folgen und stattdessen ornamento lesen.612 Die für das Fragment gesicherten Wörter sind also: ˉ ̆ ōrnămēnto īncēdūnt gnōbĭlī īgnōbĭlēs
Der fehlende Beginn des Verses ist nicht etwa darauf zurückzuführen, dass Festus an dieser Stelle von seiner Gewohnheit, ganze Verse zu zitieren, abweicht. Die Lücke bildet mit dem vorangehenden Wort uirgo vermutlich eine einzige unheilbare Korruptel. Es ist daher nicht mehr zu sagen, ob uirgo eine verderbte Titelangabe ist und der Anfang des Fragments ausfiel, ob umgekehrt uirgo der verderbte Anfang des Fragments ist und die Titelangabe ausfiel oder ob vielleicht eine Verbindung aus beiden Erklärungen vorzuziehen ist.613 Daher besteht ebensowenig wie
Zu Verrius’/Festus’ Eigenheit, ganze Verse zu zitieren, vgl. Welsh (2015) und oben p. 117. Auch Questa (1968) 376 nahm das Fragment in seine Sammlung der Verse mit Hiat am locus Jacobsohn auf. Inakzeptabel sind Texteingriffe wie bei 2R. ... ornamento incedunt gnobiles ignobiles (unvollständiger Septenar); ebenso wenig ist die Ablativendung auf -d (gnobilid ignobiles, Leo [21912] 90, Anm. 1, Warmington ii [1936] z. St., Spaltenstein [2008] 192) die erste Wahl: Man zog die altertümliche Ablativendung zur Rechtfertigung des Hiats zu Leos Zeit noch häufiger heran, heute wird die Erklärung aber nicht mehr anerkannt; vgl. Deufert (2002) 342. Vgl. Vet. Lat. or. Man. 2 und die korrupten Stellen ohne Beweiskraft im ThLL ix.2 1008.48 f. und 57 f. – Für beide Verbesserungen siehe Jos. Scaliger (1576) cxii. Dagegen ist ornatu bei Annahme eines iambischen Senars (zuerst in Orsinis [1581, 24] Ausgabe) vernachlässigenswert. Iambische Senare hat Laevius, soweit wir wissen, nicht genutzt. Gewöhnlich ging man von der ersten Möglichkeit aus. 2R. gab istoc als Ergänzung am Versanfang zu bedenken. Leo (21912) 90, Anm. 1. füllte die Lücke mit dem Partizip ornati. Damit erzielt er eine Rahmenstellung zweier jeweils etymologisch verwandter Wörter (ornati ornamento ... gnobili ignobiles), die schon fast zu gesucht erscheint. Sollte ornamento ein Ablativ sein, wäre das Partizip
9.2 Bedeutung des Fragments
227
bei der Herstellung des Titels auch nur irgendein hinreichend sicherer Ansatzpunkt zum Konjizieren. Es muss wohl bei der Crux bleiben.
9.2 Bedeutung des Fragments Festus zitiert das Fragment als Beispiel für die Verwendung des Adjektivs nobilis im Sinne von notus. Laevius kommt es neben dem klanglichen Effekt auch auf die etymologische Verwandtschaft der Wörter gnobilis und ignobilis an.614 Während das Adjektiv ignobilis im gewöhnlichen Sprachgebrauch regelmäßig für ignotus steht, wird gnobilis meist im Sinne von ‚edel‘ und nur selten im Sinne von notus gebraucht.615 Eine Angleichung der Bedeutung beider Wörter wäre dichterisch pointiert. Dennoch lässt der Bezug von gnobili auf ornamento Zweifel aufkommen. Grundsätzlich erwartbar und idiomatisch wäre, dass gnobilis ein Attribut zur Bezeichnung der Qualität der Kleidung ist, also ‚Schmuck/Kleidung von edler Art‘.616 Deshalb übersetzt Warmington z. St. ungeachtet der Festusnote „in noble trappings march ignoble men“. Wir haben aber kein Mittel in der Hand, um Festus’ Erklärung des Verses zu verifizieren oder zu falsifizieren. Wegen des etymologischen Spiels muss mit Zweideutigkeiten, die sich nur aus dem Kontext erschließen lassen, gerechnet werden. Zuletzt ist aber noch nicht einmal der Kasus von ornamento wirklich sicher. Das Wort wird im Singular nur selten verwendet. Ein inhaltlicher Bedeutungsunterschied lässt sich zwar nicht feststellen, aber Formen auf -o werden in der überwältigenden Vielzahl der Fälle als finaler Dativ genutzt, während die Ablativform meist im Plural ornamentis begegnet.617 Ein finaler Dativ ist daher auch hier in
auch nicht notwendig, weil gerade Kleidungsbezeichnungen mit Attribut wie ornamento gnobili oft und ganz idiomatisch im bloßen Ablativ ohne cum oder Partizip stehen; vgl. KS i 408. Sollte ornamento dagegen ein finaler Dativ sein, wie der im Ablativ ungebräuchliche Singular erwarten lässt (ThLL ix.2 1013.38–72; siehe gleich unten), wäre das Partizip sogar kontraproduktiv. Weniger erwähnenswerte Versuche zur Emendation stellt Spaltenstein (2008) 192–5 zusammen. Von Paaren mit negativem und positivem Adjektiv machen die lateinischen Schriftsteller zu allen Zeiten Gebrauch; vgl. für Laevius [Sall.] Rep. 2.5.3. nobilis ignobilem anteibat und generell Willis (1996) 457 f. Vgl. zu den Formen auf -bilis als Ersatz des PPP Woytek (1972); für die möglichen Bedeutungen der Adjektive nobilis und ignobilis siehe dort 254–6. Vgl. OLD s. v. nobilis 8: Liv. 26.21.8 supellex pretiosaque uestis et multa nobilia signa, Curt. 10.1.24 nobiles gemmae, Plin. nat. 3.41 tam nobilia pecudi uellera. Z. B. Cic. Verr. 2.4.5 domus erat non domino magis ornamento quam ciuitati; vgl. die Fülle an Belegen im ThLL ix.2 1013.38–72.
228
9 Laevius in †Virgo†
Erwägung zu ziehen. Zu verstehen wäre dann gegen Festus: ‚Zum edlen Schmucke gehen die Unedlen einher‘. Unabhängig von dieser Frage ist Warmingtons Übersetzung und seine Interpretation der ignobiles als „men“ für Laevius vermutlich irreführend. Insbesondere in der Liebesdichtung, aber auch darüber hinaus, wird der Gang von Frauen häufig thematisiert, weil er Auskunft über ihren Charakter gebe. Ein guter Gang, wie ihn etwa die verstorbene Claudia in der Grabinschrift CLE 53.7 (= CIL vi 15346.7) hatte, weist für die Römer auf treue und liebevolle Ehefrauen. Umgekehrt beschreibt Catull eine unattraktive Haltung beim Gang, um Frauen zu beleidigen und sie als böswillige und unmoralische moechae darzustellen.618 Vielleicht spricht der Kontext daher für den Ablativ ornamento im Laeviusfragment. Damit könnte vielleicht eine Gruppe von Frauen beschrieben werden, die ihren unattraktiven Gang und damit ihren hässlichen Charakter versuchen, durch übertriebene Kleidung und teuren Schmuck zu überdecken. Alles weitere muss zwar noch unsicherer bleiben, aber die offensichtlichen Bezüge, die sich zur erotischen Dichtung herstellen lassen, zeigen zuletzt, dass es auch inhaltlich sinnvoll ist, das Fragment nicht Livius oder Naevius, sondern Laevius zuzusprechen.
In der Grabinschrift: incessu commodo; bei Catull. 42.7 turpe incedere, siehe auch Ov. ars 3.299 und vgl. Kroll (71989) zur Catullstelle.
10 F 37: hostire Harmon (1912) 191–4, Leo (1914) 187, Granarolo (1971) 120–2, Courtney (22003) 120
In F 37 äußert ein unbekannter Sprecher die Frage, was die von ihm angesprochene Person so sehr verletzt hätte, dass sie ihm gegenüber nun keine uoluntas mehr habe. Zitiert sind die beiden iambischen Dimeter aus dem zweiten Buch der Erotopaegnia bei Nonius wegen des ungewöhnlichen Gebrauchs des Verbs hostire im Sinne von offendere.619 nūnc quōd mĕum ādmīssūm nŏcēns hōstīt uŏlūntătēm tŭām? Welches schuldhafte Vergehen meinerseits hat jetzt dein Wohlwollen (mir gegenüber) verletzt?
10.1 Deutungsmöglichkeiten Weil Nonius wichtige Informationen wie den Titel des Gedichts verschweigt, sind die Erklärungsversuche zum Fragment zahlreich. Inhalt und Vokabular sind in verschiedenen Zusammenhängen vorstellbar. Die Bedeutung des Fragments kann am ehesten über die Bedeutung des zentralen Wortes uoluntas und der sich daraus ergebenden Beziehung zwischen Sprecher und Angesprochenem erschlossen werden. Unwahrscheinlich ist der für die Erotopaegnia zunächst plausibel klingende Ansatz, dass die Stelle einem Gespräch zweier Liebender oder einem Monolog eines einzelnen Liebenden entnommen ist, in dem ein Sprecher das ihm gegenüber abweisende Verhalten des oder der angesprochenen Geliebten zu verstehen versucht.620 Aber uoluntas, ‚Wohlwollen‘, ist etwas, das Freunde oder Familienmitglieder sich entgegenbringen; auch Götter können sie gegenüber Menschen empfinden, doch im Zusammenhang mit einer Liebesbeziehung ist das Wort nicht belegt,621 selbst nicht in
Statt Laeuius ist Pacuuius (von dem ein Fragment vorangeht) überliefert. Mercier erkannte zuerst, dass die Verse zu Laevius gehören. So verstanden De la Ville de Mirmont (1903) 320 (mit aller Vorsicht), Courtney (22003) 120 oder auch Harmon (1912) 191–4, der das Fragment auf Grundlage dieser Interpretation direkt mit F 30 aus der Protesilaodamia verknüpft; vgl. dazu ausführlicher Anm. 501. Vgl. die Belege im OLD s. v. 2101.8. https://doi.org/10.1515/9783111237121-017
230
10 F 37: hostire
der Elegie, in der sich der Sprecher gegenüber seiner domina häufig in einer sklavenähnlichen Position befindet. Falls die Akteure des Fragments in einer Freundschaft zueinander stünden, wäre eine subjektive Gedichtspartie oder an ein subjektives Gedicht möglich. Inhaltlich vergleichbare Verse schrieb Catull in einem an Calvus gerichteten Gedicht. Das dichtende Ich beklagt sich bei seinem Kollegen über eine Anthologie, die dieser ihm geschenkt habe und voll von furchtbaren Gedichten sei. Was, so der Einwand des Sprechers, habe er getan oder gesagt, dass Calvus ihm derart Übles antue?622 Ähnliche Fragen sind ebenfalls in empörten Ansprachen oder Gebeten an Götter nachweisbar. Lysidamus aus der plautinischen Casina oder der Sprecher aus einer Tibullelegie wenden sich jeweils mit vergleichbaren Wörtern an Venus, weil sie jegliche Hoffnung verloren haben und glauben, dass sie von ihrem Glück in der Liebe verlassen sind.623 Vergleichbar mit Tibull könnte sich auch bei Laevius ein dichterisches Ich so äußern; ebenso darf man an Sprecher aus dem Mythos denken, zum Beispiel an Andromache (F 40), nachdem sie ihren Mann Hektor verloren hat. Auch Odysseus könnte in der Sirenocirca solche Worte an Athene richten (F 34 f.). Überhaupt ließe sich das Fragment verschiedenen mythologischen Kontexten zuordnen. Die vorgestellten Möglichkeiten sollen genügen, um sich vor Augen zu halten, wie schwierig eine genaue Interpretation bleiben muss.
10.2 Stellenkommentar nunc quod Überliefert ist hunc quod. Mordeglia (2007) 116 wies nach, dass das in den Ausgaben bisher als anonyme Konjektur gekennzeichnete nunc auf Niccolò Perotti (1526) 520.13 f. zurückgeht, der in seinem Cornu Copiae paraphrasiert: nunc id mihi molestum est, quod hostit uoluntatem tuam (6.14.1–3). Einige Jahrhunderte später schlug Baehrens in den FPR numquod vor. Man kann sich keinen der bei-
Vgl. Catull. 14.4 f. nam quid feci ego quidue sum locutus, / cur me tot male perderes poetis? und zur Interpretation des Fragments vor diesem Hintergrund Granarolo (1971) 121. Plaut. Cas. 617 f. qua ego hunc amorem mi esse aui dicam datum / aut quot ego umquam erga Venerem inique fecerim, / quoi sic tot amanti mi obuiam eueniant morae? und Tib. 1.2.81 f. num Veneris magnae uiolaui numina uerbo, / et mea nunc poenas impia lingua luit? Die Parallelen wies Leo (1914) 187, Anm. 2 nach. Zur uoluntas der Götter vgl. Verg. Aen. 12.646 f. uos o mihi, Manes, / este boni, quoniam superis auersa uoluntas.
10.2 Stellenkommentar
231
den mit Sicherheit anschließen. Allein aus paläographischer Sicht wäre nunc quod vorzuziehen. quod meum admissum nocens Das substantivisch gebrauchte admissum ist zuerst bei Laevius belegt. Der ganze Vers ist eine überhöht-künstlerische Umschreibung von quid feci. hostit Die alten Grammatiker und Lexikographen waren sich über die Bedeutung des seltenen Verbs hostire uneinig. (1) ‚ausgleichen, vergelten‘: Fest. 334.14 L. ‚hostire‘ pro aequare posuerunt und Non. 3 M. ‚hostimentum‘ ... unde et ‚hostire‘ dicitur; (2) ‚hemmen, schlachten‘ Non. 121 M. ‚hostire‘ est conprimere, caedere, dictum ab hostia und ferner Paul. Fest. 91.9 L. hostia dicta est ab eo, quod est ‚hostire‘, ‚ferire‘; (3) ‚verletzen‘ an derselben Noniusstelle: ‚hostire‘, offendere, laedere (wonach das Laeviusfragment folgt). Nach heutiger Auffassung behalten Festus und Nonius unter (1) Recht, indem sie hostire wie redhostire mit hostimentum zusammenbringen: ‚vergelten‘; vgl. zur Wortherkunft Eichner (2002). So ist es klar ersichtlich aus Plaut. Asin. 377 (von Nonius unter [1] zitiert) quin promitto, inquam, hostire contra ut merueris (sc. ‚wenn du mich schlägst‘) und vermutlich auch aus dem von Festus unter (1) zitierten Enniusbeleg TrRF ii 56 (= 149 Joc.) quae mea comminus machaera atque hasta †hospius manu† (codd: hostibitis manu Vahlen). Vermutlich spricht Achill: ‚ihr Waffen, Schwert im Nahkampf und Lanze, die ihr durch meine Hand vergelten werdet ... ‘. Weniger eindeutig ist (von Nonius unter [2] von Festus unter [1] zitiert) Pacuv. 246 Sch. nisi coerceo / proteruitatem atque hostio ferociam. Hier dürfte hostio genauso synonym zu coerceo sein wie ferocia zu proteruitas. So wäre es zwar auch unter der Bedeutung comprimere, wie Nonius (2) angibt, aber coercere geht vermutlich genau wie hostire wieder in die Sinnrichtung ‚bestrafen, vergelten‘ (ThLL iii s. v. coerceo 1436.26–69). Hier liegt Nonius also falsch. In dem Laeviusfragment lässt sich nun selbst mit gutem Willen hostire nicht in dem üblichen Sinne verstehen, wie es etwa Schrift (1997) 37 versucht („compensate, counterbalance“). Wahrscheinlich hat Laevius die Bedeutung des Wortes umgebogen und es etymologisch mit hostis in Beziehung gesetzt, nicht mit hostimentum; zu dieser Pseudoetymologie vgl. Eichner (2002) 134–6 und auch Leos (1914, 182 f., Anm. 2) passende Übersetzung „zum Feinde machen“. Im Gegensatz zur Erklärung der Pacuviusstelle dürfte Nonius mit seiner Umschreibung des Verbs bei Laevius also Recht behalten.
11 F 38: Tag und Nacht De la Ville de Mirmont (1903) 320–2, Pighi (1963) 554, Courtney (22003) 121
F 38 ist bei Priscian wegen der Partizipbildung decretum zitiert. Es besteht nur aus einem kurzen Satzteil; noch nicht einmal das Subjekt ist bekannt. nocte dieque decretum et auctum Tag und Nacht geschrumpft und gewachsen
11.1 Deutungsmöglichkeiten Die Wendung nocte dieque ist wie das deutsche ‚Tag und Nacht‘ mit continenter gleichzusetzen. Es wird also etwas beschrieben, das in einem fort schrumpft (decretum) und wächst (auctum). Aus der Vielzahl der bisher vorgeschlagenen Interpretationen sind zwei besonders erwähnenswert:624 Pighi sah das Bezugswort zu den Partizipien decretum und auctum in einem gedanklich zu ergänzenden mare; gemeint seien Ebbe und Flut.625 Es gibt Beschreibungen von aufbrausenden und wieder versiegenden Gewässern mit ähnlichem Vokabular in der lateinischen Prosa. Dort sind aber Quellen oder Flüsse gemeint, die wie der Nil bald reißend strömen, bald versiegen.626 Möglich wäre daher auch ein Bezugswort wie flumen. Man kann sich dem Fragment auch von einem einzelnen Mythos ausgehend annähern. Unter diesem Ansatz hat De la Ville de Mirmonts Interpretation besondere Beachtung verdient: Weil die Liebesgeschichte zwischen Odysseus und Penelope in der lateinischen Liebeselegie zum allgemeinen Fundus mythologischer Exempla gehört und bei Laevius vielleicht sogar in der Sirenocirca thematisiert wurde, könnte eine Verbindung zu Penelopes Webarbeit bestehen. Indem sie tagsüber an dem vorgeblichen Leichentuch von Odysseus arbeitet, es nachts aber wiederauftrennt, umgeht sie drei Jahre lang die Hochzeit mit einem der ungeduldigen Freier, während der von Vielen totgeglaubte Odysseus noch auf den Meeren umherirrt. Vor der Fertigstellung des Tuches müssen die Freier Penelopes Trauer ak-
Spekulativ sind die Vorschläge von Roßbach (1901) 1353 (Bezug auf den am Felsen geketteten Prometheus und seine Leber, iecur) und wohl sehr abwegig Pöschl (1995) 62, Anm. 3 (eine Erektion sei beschrieben). So ist seine Weiterdichtung Pighi (1963) 554 nocte dieque / decretum et auctum wohl zu verstehen. Vgl. Plin. nat. 2.229 Inopus fons eodem quo Nilus modo ac pariter cum eo decrescit augeturue, Plin. epist. 4.30.2 fons oritur in monte .... ter in die statis auctibus ac diminutionibus crescit decrescitque. https://doi.org/10.1515/9783111237121-018
11.2 Metrik
233
zeptieren, so dass sie mit diesem Trick eine zweite Hochzeit vermeiden kann.627 Nachts nimmt das Gewebe, stamen, also ab, tagsüber nimmt es hingegen wieder zu.628 Der Gebrauch der Wendung nocte dieque wäre pointiert verschränkt: Die beiden Zeit- (nocte dieque) und Handlungsangaben (decretum et auctum) müssen voneinander getrennt und (um im Bild zu bleiben) neu zusammengewoben werden: nocte bezöge sich als Adverbialbestimmung auf decretum, die auf auctum. Es wäre also nach der Separierung der Begriffe zu verstehen nocte decretum et die auctum stamen.629
11.2 Metrik Für die Beurteilung der Metrik bietet womöglich der Anfang des Fragments einen hilfreichen Hinweis. Die Verbindung von nocte und die ist zwar sehr häufig in allen Textgattungen, doch ihre im gewöhnlichen Sprachgebrauch etablierte Form ist von der dichterischen Wendung bei Laevius zu unterscheiden. In Prosatexten heißt es eigentlich nocte et die oder nocte ac die. In metrisch gebundenen Texten müssen die Dichter dann zur Einhaltung des Versmaßes auf weniger gebräuchliche Erscheinungsformen der Wendung zurückgreifen, indem sie die Wörter umstellen oder andere Konjunktionen benutzen. Dabei haben sich verschiedene Verbindungsformen in Abhängigkeit des jeweils vorliegenden Versmaßes etabliert.630 nocte dieque findet sich so zuerst bei Laevius. Es folgen Ovid, Valerius Flaccus, Silius Italicus, Statius, Martial, Iuvenal und viele nach ihnen. Bis auf wenige Ausnahmen wird die Verbindung in dieser Form nur in Hexa- oder Pentametern genutzt.631 Dass nocte dieque als Adoneus dabei besonders häufig der bukolischen Dihärese folgt und ans Hexameterende tritt, ist ein starkes Argument für das von Leo vorgeschlagene epodische Versmaß:632
Vgl. Od. 2.85–110. Die Interpretation zuerst bei De la Ville de Mirmont (1903) 320–2, der von einem eigenständigen Gedicht ausgeht. Courtney (22003) z. St. ergänzte gedanklich stamen. Vgl. ähnlich Cic. nat. deor. 2.102 von der Sonne oriens et occidens diem noctemque conficit. Vergleichbar ist ferner die soeben zitierte Pliniusstelle epist. 4.30.2 fons oritur in monte .... ter in die statis auctibus ac diminutionibus crescit decrescitque. Vgl. zu den verschiedenen Verbindungen in Prosa und Dichtung ThLL v.1 s. v. dies 1038.12–1039.9. Einige Stellen sind im ThLL v.1 s. v. dies 1038.13–16 gesammelt. Nur bei Paul. Nola carm. 17.60 und Prud. cath. 8.56 bildet die Wendung einen Adoneus am Ende der sapphischen Strophe. Vgl. Leo (1914) 182 f., Anm. 2.
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11 F 38: Tag und Nacht
nōctĕ dĭēquĕ ̄ ̆m dēcrētum ĕt ā̄uctū
Denkbar ist eine Verbindung aus Hexameter und iambischem Dimeter, wie vielleicht auch in F 43. Doch dort ist eine epodische Verbindung ebenso wenig sicher nachweisbar.633 Deshalb hatte zuletzt Courtney einen ganz anderen Ansatz verfolgt. Er skandiert das Stückchen als Bruchteil eines Priapeums, der Verbindung aus Glykoneus und Pherekrateus:634 °° nōctě dĭēquĕ dēcrētum ĕt ā̄uct ̄ um ̆ ̆ ˉ ˉ̆
Für Laevius ist auch das Priapeum gut annehmbar. Von Anakreon, dessen metrische Technik Laevius offenbar stark beeinflusste, sind uns ebenfalls in längeren Reihen genutzte Priapeen bekannt.635 Es könnte also wie bei den iambischen Dimetern und Anakreonteen auch hier ein Versmaß vorliegen, das auf Kenntnis und Nachahmung von Anakreon beruht. Die Dihärese nach dem Glykoneus ist im Fragment mit de-cretum eingehalten. Auch die trochäisch gebildete äolische Basis im Pherekrateus (-crētum ĕt) ist unproblematisch. Das nächste Wort nach auctum müsste mit einem Vokal anlauten, damit -um nicht Positionslänge bildet. Die Annahme beider Metra ist vertretbar; ich bevorzuge das Priapeum, weil das Fragment so Laevius’ metrischen Gewohnheiten am ehesten entspräche.
11.3 Stellenkommentar decretum Zum aktiven Gebrauch der Partizip-Perfekt Formen bestimmter Intransitiva siehe Leumann 613 und die Sammlung bei KS i 97–9. Laevius’ decretus bleibt in dieser Liste singulär. concretus war im aktiven Gebrauch hingegen so verbreitet, dass auch Cicero in seiner Prosa (Tusc. 1.56, 5.69) davon Gebrauch machen konnte. Von concretus ausgehend hat Laevius oder ein ihm vorangehender Dichter in Analogie decretus gebildet. Ähnlich steht auch in der Protesilaodamia das PPP des Intransitivums obire analog zum PPP von praeterire; siehe also auch zu F 31. Spätestens Lukrez (2.906) hat dann auch cretus ‚gewachsen‘ der Dichtung zugeführt. Sein wohl ebenso analog zu concretus geformtes PPP blieb zwar der Prosa fremd, wurde aber im Gegensatz zu decretus in späterer Zeit häufig genutzt (Belege im ThLL iv 1184.27–54).
Vgl. unten p. 249f. Vgl. Courtney (22003) 121 und dagegen Mariotti (1998) 207. Vgl. 373 PMG. Zu Anakreons Einfluss auf Laevius siehe oben p. 37–41.
12 F 39: Varro Weichert (1830) 44, Becker (1851) 364f., Holford-Strevens (1981), De Nonno (1985) 241–3, Leonardis (2018) 539–44, Farese (2019) 75–8
Das bei Priscian für die Partizip-Präsens Form meminens zitierte Fragment mĕmĭnēns Vārrō cōrdĕ uŏlūtā̆ t, wohl ein anapästischer Dimeter mit Mitteldihärese, ist aufsehenerregend, weil darin vermutlich ein zeitgeschichtlicher Bezug vorliegt.636
12.1 Zur Identifizierung des Varro Ohne genauere Angaben ist der erwähnte Varro nicht eindeutig zu identifizieren. Laevius’ Verweis wurde auf verschiedene historische Persönlichkeiten bezogen, wobei der berühmte Forscher und Dichter Varro Reatinus, der 116 geboren wurde und erst gegen 80 größere Bekanntheit erlangte,637 immer wieder ins Zentrum der Betrachtungen rückte.638 Daraus würde für Laevius eine Datierung in die 70er Jahre und noch darüber hinaus resultieren, wenn die beiden sich nicht schon seit Varros frühester Jugend gekannt hätten. Diese späte Schaffenszeit wäre aber nur schwer mit den anderen Hinweisen und Zeugnissen zu Laevius’ Datierung in Einklang zu bringen.639 Auch die vielen Versuche, eine literarische Auseinandersetzung zwischen Laevius und Varro nachzuweisen, sind spekulativ und nicht überzeugend.640 Sollte wirklich eine uns aus der Geschichte bekannte Persönlichkeit und ein Zeitgenosse von Laevius gemeint sein, kämen zahlreiche Varrones infrage. Sie stammen allesamt aus der gens Terentia, die hohes Ansehen erlangte, nachdem C. Terentius Varro (cons. 216) zusammen mit L. Aemilius Paullus den Oberbefehl gegen Hannibal im zweiten punischen Krieg innehatte.641 Es muss auch
Baehrens schreibt in den FPR uario. Beckers (1851, 365) uaro hat zuletzt De Nonno (1985) 243 akzeptiert. Die Datierung der Satiren ab Ende der 80er Jahre bei Cichorius (1922) 207–28. Della Corte (1938) 49 und 57 datierte ab dem Jahr 75; weitere Literatur bei Cèbe i (1972) xv–xviii. Nicht viel vorher wird De antiquitate litterarum ad Accium (bei Funaioli p. 183f.) entstanden sein. Zuerst Bücheler (1886) 11, später Norden (1966) 169 (= 1925, 39), und danach wird die Identifizierung zur opinio communis. Zweifel äußerte Holford-Strevens (1981). Zur Datierung siehe oben p. 8–14. Vgl. die Beiträge von Salanitro (1979), Leonardis (2018) und Farese (2019) 75–8; siehe Anm. 40 und 549. Beispielsweise Terentius Varro der Quaestor (i.J. 156) in Hispania ulterior, A. Terentius Varro der Senator, der wegen seiner Verdienste um die römische Provinz Griechenland nach 146 zusammen mit anderen Senatoren durch eine Statue in Olympia geehrt wurde; vgl. die Artihttps://doi.org/10.1515/9783111237121-019
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12 F 39: Varro
nicht zwangsläufig ein Zusammenhang mit einem literarisch tätigen Mann bestehen:642 In den Erotopaegnia-Fragmenten mit zeitgenössischen Themen beschäftigte sich Laevius nicht nur mit Literatur und Literaturkritik, sondern auch mit Politk, Zeitgeschehen (F 42) und persönlichen Beziehungen oder Freundschaften (F 45).
12.2 Stellenkommentar meminens Das Präsens-Partizip des defektiven Verbs meminisse nutzt nach Laevius erst Ausonius wieder. Noch später wurde das Wort so präsentisch wahrgenommen, dass Formen wie meminens sogar prosatauglich wurden. In der ausgehenden Spätantike ist dann meminere und dergleichen schon ganz natürlich; vgl. Auson. 11.1.40 aeui, quod periit, meminens, Sidon. epist. 4.12 (u. a.) naturae meminens et professionis oblitus, danach häufiger auch bei anderen defektiven Verben (ThLL viii memini 645.80–646.11). Aus derselben Quelle wie der Zitatträger Priscian hat vermutlich auch Servius für seinen Donat-Kommentar geschöpft (GLK iv 440.34–441.3). Er bespricht wie Priscian zuerst die Partizipform osus, unterschlägt aber im Gegensatz zu diesem den dazugehörigen Beleg aus der plautinischen Asinaria. Das Wort meminens führt er nicht auf Laevius, sondern auf Plautus zurück: ‚odi‘ uerbum participium habet ‚osus‘, quod licet in usu non sit, tamen conponatur, et in usu erit, ‚exosus‘ ‚perosus‘. ab eo quod est ‚memini‘ artis nullum participium reperitur: si ad usum, uerum est; si ad auctoritatem, falsum. nam inuenimus in Plauto ‚meminens‘ (F 25 dub De Melo; bei Lindsay unter den „vocabula dubia et suspecta“). Servius’ Verweis auf Plautus wird spätestens seit Keil (im App. z. St.) als Irrtum bewertet. Nach heutiger Auffassung ist Servius bei der Arbeit mit seiner Quelle ein Fehler unterlaufen: Er habe versehentlich die Autorenangabe für den Beleg osus aus der Asinaria auf das Zitat meminens bezogen und das PPA so Plautus zugeschrieben; vgl. dazu De Nonno (1985) 241–3. Ein Irrtum seitens Servius ist vorstellbar, aber auch nicht zwingend. Möglich bleibt auch, dass die gemeinsame Quelle von Ser-
kel Terentius Nr. 76–85 von Münzer RE v.A1 676–90. Zum erwähnten Konsul von 216 siehe dort Nr. 83. Das oft angeführte Argument von Norden (1966) 169 (= 1925, 39) „die Worte würden auf einen ‚nachdenkenden‘ Gelehrten gut passen“ ist nicht stichhaltig. Die Wörter können sich auch auf einen Politiker, einen Feldherrn oder auf einen Freund in misslicher Lage beziehen. Nach den Stellensammlungen OLD s. v. uoluto und bei Pease (1935) zu Verg. Aen. 4.533 wird die Wendung im Gegenteil kaum von einem Gelehrten genutzt; vgl. allenfalls Cic. rep. 1.28 quod regnum potest esse praestantius, quam despicientem omnia humana et inferiora sapientia ducentem, nihil umquam nisi sempiternum et diuinum animo uolutare. Dort aber mit animus.
12.2 Stellenkommentar
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vius und Priscian einen Laevius- und einen Plautusbeleg für meminens angeführt hatte und Priscian den einen, Servius den anderen übernahm. Wenigstens gibt es keinen Grund, warum die seltene Form meminens, die im Spätlatein geläufig ist, nicht auch mehrmals im Altlateinischen hätte genutzt werden können. – Ein weiter Grammatikerbeleg für die Partizipbildung ist im Übrigen keine Hilfe bei der Frage, ob auch Plautus die Form benutzt hat: In der Abhandlung De uerbo eines anonymen Grammatikers (Passalacqua [1984] 60.21–3 = GLK v im App. 654f.) heißt es ‚odisse‘ ‚nouisse‘ ‚meminisse‘. nulla ex his participia ueniunt, quamuis lectum sit ‚meminens‘, sed apud rudem, et ‚osus‘, unde ‚perosus‘ et ‚exosus‘. Weil das Adjektiv rudis gattungsunabhängig zur Bezeichnung altlateinischer Dichter genutzt wird (vgl. Anm. 733), bleibt unklar, ob der anonyme Grammatiker damit Plautus (so Becker [1851] 364f.) oder Laevius (so De Nonno [1985] 242) meint. Die Bildung erklärt sich nach KH 826 aus der präsentisch wahrgenommenen Bedeutung des Verbs meminisse (ähnlich Leumann 545 nach „3. sing. quasipraesentisch[em] meminit“). Es handelt sich also wohl nicht um eine Übertragung aus dem griechischen μεμνημένος, wie es Leo (1914) 182, Anm. 2 und Courtney (22003) 121 vermuteten. Das Partizip meminens ergibt sich der Theorie nach aus dem Konjugationsparadigma. Laevius könnte dieses theoretisch denkbare Wort in dichterisch-kunstvoller Weise benutzt haben. Ebenso könnte es aber auch in der Umgangssprache präsent gewesen sein. Dass wenigstens ein Bewusstsein für solche Bildungen vorhanden war, zeigt Serv. zu Verg. Aen. 2.12. Er kommentiert die vergilische Wendung meminisse horret mit den Worten nec enim potuit dicere ‚meminere‘ (entweder, weil es nur gelehrte Sprachtheorie, oder, weil es unterstes Sprachniveau wäre – oder beides). Also dürfte das Wort bei Laevius wie bei Ausonius als einfaches Partizip ‚eingedenk‘, ‚sich errinnernd an‘ zu verstehen sein. Holford-Strevens (1981) zieht eine Bedeutung im Sinne von ὁ μνημονικός, ‚mit gutem Erinnerungsvermögen‘, in Erwägung, ohne aber ernsthaft zu argumentieren: Es gäbe dazu auch keinen Anlass. corde uolutat Die Wendung begegnet ähnlich schon ab Enn. ann. 203f. Sk. cum corde suo ... effatur oder 507 Sk. cum corde gubernas und in derselben Form wie hier ab Plaut. Most. 846f. in meo corde ... uolutaui et diu disputaui, Mil. 196 quod uolutas tute tecum in corde? u. ö., Lucil. 1017 M. in corde uolutas. In erzählerischen Texten folgen häufig innere Monologe (z. B. Enn. ann. 203f. Sk., Verg. Aen. 4.533, 6.185). corde uolutat bezeichnet jegliche Art des Nachdenkens, auch über Vergangenes, womit es inhaltlich zum Teil Übereinstimmungen mit meminens aufweist. Man kann deshalb vermuten, dass meminens und corde uolutat zwei voneinander verschiedene Objekte zu sich nahmen (A meminens, B corde uolutat), weil der Pleonasmus andernfalls vielleicht störend wäre; vgl. die erörterten syntaktischen Möglichkeiten bei HolfordStrevens (1981).
13 F 40: Hektors Kranz Weichert (1830) 45 f., Havet (1891) 8 f., De la Ville de Mirmont (1903) 306–9, Birt (1913) 51, Leo (1914) 186 f., Lunelli (1969) 103–7, Traglia (21974), Pöschl (1995), Schwind (1999), Perutelli (2002) 62 f.
Priscian zitiert das Fragment aus dem fünften Buch643 der Erotopaegnia für den Gebrauch des den klassischen Autoren fremden Wortes plecto, plexi.644 Es weist mit der Erwähnung der Andromache wieder auf einen ursprünglich epischen Stoff hin, der ins Emotional-Erotische übertragen wird, wie es schon bei der Sirenocirca, der Protesilaodamia oder der Helena zu beobachten war. Wenn die Verse am Ende nicht sogar einem dieser Gedichte selbst zuzuordnen sind, könnte es ein eigenständiges Gedicht mit der Liebesgeschichte zwischen Hektor und Andromache gegeben haben. Priscian nennt aber keinen individuellen Gedichttitel. Eine Vielzahl textkritischer Probleme erschwert das Verständnis des Fragments und zog zahlreiche unterschiedliche Interpretationen nach sich. Vor einer tiefergehenden Diskussion des möglichen Ursprungskontextes müssen erst weiter ins Detail reichende Fragen in den Vordergrund rücken, die sich am besten zusammenhängend besprechen lassen.
13.1 Vokabular und Textkritisches: Wer flicht wen? Zum Verständnis der grammatischen Struktur des Fragments muss der erste und letzte Vers genauer ins Auge gefasst werden. Die Codices überliefern einhellig te Andromacha ... insolito plexi munere; Objekt zu plexi könnte so nur das als Akkusativ aufzufassende Pronomen te sein; Andromachă wäre ein Vokativ – ‚Andromache, ... ich habe dich geflochten‘. Daraus ist kein wirklicher Sinn zu gewinnen. Man wird kaum eine plausible Erklärung dafür finden, wie ein Mensch einen anderen Menschen ‚flechten‘ kann. Auch wenn in diesem Punkt vereinzelt anders geurteilt wurde, und das Fragment in seiner überlieferten Form bei einigen Erklärern Assoziationen zu verschiedenen Sexualpraktiken weckte,645 ist es hier die
Der Prisciancodex K und nach ihm auch die editio Aldina (1527) teilen das Stückchen dem sechsten Buch der Erotopaegnia zu. Das Wort war von Laevius bis Catull und danach wieder ab Gellius häufiger im Gebrauch. In der Zwischenzeit nutzt es einmal Vitr. 10.1.2. Zu den Kuriositäten der Laeviusinterpretationen gehört ein Beitrag von Pöschl (1995): In einer zum Teil unangenehm polemischen Weise unterstellt er allen Erklärern des Fragments, sie hätten den Sinn des Textes nicht verstanden, weil sie zu prüde seien: Er liest wie überliefert insolito plexi munere und übersetzt: „Dich, Andromache, habe ich sehr lange mit lasziver und zärtlihttps://doi.org/10.1515/9783111237121-020
13.1 Vokabular und Textkritisches: Wer flicht wen?
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beste Lösung, mit den Herausgebern plexit zu lesen und Andromacha zum Subjekt des Satzes zu machen. Zwischen (plex)im(unere) kann ein t leicht ausgefallen sein.646 Das Pronomen te dürfte demnach den geflochtenen Gegenstand bezeichnen.647 insolito munere ist appositiver Ablativ,648 der in ähnlichen Wendungen sehr idiomatisch ist, wie zahlreiche Parallelen zeigen: etwa Lucil. 166 f. M.: hi prae se portant ingentes munere pisces / triginta numero, wohl ‚Diese tragen für mich riesige Fische vor sich her, an der Zahl dreißig, ein Geschenk‘.649 Oft wurde bei vergleichbaren Stellen in den Text eingegriffen, um den zunächst nicht ganz einfach zu deutenden Ablativ zugunsten eines Akkusativs zu beseitigen. Auch beim Laeviusfragment regiert seit Jos. Scaliger der Text insolita ... munera die Ausgaben.650 Ebenso wenig sprechen metrische Argumente für einen Texteingriff. Zwar
cher Hand lustvoll hin und her bewegend in ungewohnter Liebesgabe mit meiner Spitze verflochten“, was eine kunstvolle Umschreibung von Oralsex sei. Zu den grammatischen (plectere + Richtungs(?)-Dativ) und inhaltlichen (eine tenellula manus des Hektor?) Problemen der Deutung siehe Schwindt (1999). Auch die allgemeine Auffassung, F 38 nocte dieque decretum et auctum stehe im Zusammenhang mit der Webarbeit der Penelope, weist Pöschl mit der Anmerkung „Kommentar überflüssig“ zurück. Vielmehr sei damit eine Erektion gemeint (dort 62, Anm. 3). Noch kurioser ist, dass Pöschl bei seiner Klage über die Prüderie der Klassischen Philologie übersah, wie bereits Anfang des 20. Jh.s Th. Birt (1913) 51 eine ebenfalls aufs Sexuelle zielende Deutung vorgeschlagen hatte: Birt lässt mit der editio Aldina te zu Beginn des Fragments beiseite, liest zum Schluss insolita plexit munera und erklärt „Wer hier spricht, ist, kurz gesagt, der penis des Hektor.“ Die Konjektur ist nach Courtney (22003) 122 zuerst in der Priscianedition von B. Brugnolus (1485) gedruckt. Baehrens FPR schrieb mit mehreren Änderungen tu ... insolita plexti munera. Gewöhnlich tritt zu plecto das Ergebnis des Flechtens als Akkusativ: ThLL x.1 2395.4–25. Selten steht der Akkusativ für das Material, aus dem etwas geflochten wird: vgl. im Passiv Catull. 64.283 hos (sc. flores) indistinctis plexos tulit ipse corollis ‚er bringt die Blumen zu einem ungeordneten Kranz geflochten‘ (corollis: resultativer Ablativ; vgl. dazu Hillen [1989] 31–8). Zum appositiven Ablativ vgl. Friedrich (1908) 533, H.-Sz. 429 und dann ausführlich zu den fließenden Übergängen zwischen resultativem und appositivem Ablativ sowie zu den grammatischen Feinheiten Hillen (1989) 31–47. Auf die Idiomatik machte Lunelli (1969) 103 f. aufmerksam. Vgl. vielleicht noch im selben Sinne Catull. 65.19 f. ut missum sponsi furtiuo munere malum / procurrit casto uirginis e gremio, 101.7 f. nunc tamen interea haec, prisco quae more parentum / tradita sunt tristi munere ad inferias, Tib. 1.9.43 saepe insperanti uenit (sc. puella) tibi munere nostro oder Tac. ann. 1.62 caespitem Caesar posuit, gratissimo munere in defunctos. Im Einzelfall und für sich isoliert sind die Stellen schwer zu deuten: Z.B. übersetzt Christes beim Luciliusfragment final „zum Geschenk“; zur schwierigen grammatischen Einordnung solcher munus-Fälle siehe Hillen (1989) 37. Vgl. Jos. Scaliger (1595) 163; dass bereits die Aldina (1527) und auch die Basler Edition von 1568 den Akkusativ druckten, wie Pöschl (1995) 62 angibt, konnte ich nicht bestätigen. Die von mir eingesehenen digitalisierten Ausgaben der Bayerischen Staatsbibliothek haben jeweils den Ablativ.
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ist die archaische Länge insolitō im dritten Element des Iambus ungewöhnlich für die laevianische Verstechnik, vermutlich folgt Laevius in diesem Punkt aber eher einer flexiblen Regel als einem unverrückbaren Grundsatz.651 Auch der Gedanke, der hinter dem Textstück stehen könnte, erweist sich mit dem appositiven Ablativ insolito munere dann als unproblematisch, wenn L. Havet darin Recht behält, dass Hektor zu einem Kranz spricht, den Andromache geflochten habe.652 Havets Idee findet eine starke Stütze im Adjektiv insolitus, wozu der Dativ capiti meo ἀπὸ κοινοῦ neben plexit gehört: Ein Kranz für den großen Helden aus der Ilias ist in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich, zum einen schon, weil Hektor im Epos oft das Adjektiv κορυθαιόλος, ‚der den Helm schnell bewegt‘, zu sich nimmt und so schon durch sein Epitheton mit einer ganz anderen Kopfbedeckung assoziiert ist;653 zum anderen aber auch, weil den homerischen Heroen in der Ilias und der Odyssee Kränze gänzlich fremd sind. Dass Laevius mit dem Adjektiv insolito auch diesen Punkt vor Augen hatte, ist gerade deshalb gut möglich, weil schon die hellenistischen Philologen auf die in den homerischen Gedichten fehlenden Kränze aufmerksam machten und Erklärungen für den ungewöhnlichen Umstand suchten. Auch Laevius könnte die Diskussion darum wahrgenommen haben. Womöglich schloss er sich sogar einigen antiken Erklärern an, die den Grund für das Fehlen der Kränze bei Homer darin sahen, dass der Dichter sie den Heroen der Vorzeit aus moralischen Gründen nicht zugestehen wollte: Sie wären nur ein Zeichen der Verweichlichung.654 Laevius kann mit Bezugnahme auf den Kranz veranschaulichen, dass Hektor auch ein Leben jenseits des Schlachtfeldes führte, in dem er eben nicht der grimmige Helmschüttler, sondern der liebende Ehemann war.655 Der Ausdruck insolito zeugt dabei von einer aktiven und metaliterarischen, Auseinandersetzung mit dem Epos und gleichzeitig auch von der bewussten, dem Leser erkennbar signalisierten Abgrenzung von ihm. Es ist Hektor selbst, der sich in einer Metalepse mit seiner Charakterdarstellung in der Ilias auseinandersetzt.
Bereits G.I. Vossius (1635) im Kapitel „de vocum analogia et anomalia liber tertius“, p. 112 „sententia et metrum suadent“ und nach ihm Bücheler (1915) 79 (= 1857, 611). Vgl. dagegen Havet (1891) 8 f., Lunelli (1969) 104, Schwindt (1999) 86, Perutelli (2002) 62. Zu den iambischen Dimetern bei Laevius siehe oben p. 37. Jos. Scaliger (1595) 163 bringt das Fragment zuerst mit einem Kranz in Verbindung, Havet (1891) 8 f. teilt die Verse Hektor als Sprecher zu. Zuerst Il. 2.816.Vgl. Courtney (22003) 122 und generell Schwindt (1999) 86. Vgl. z. B. Ath. 1.18ef und dazu M. Schmidt (1976) 215–8 und Blech (1982). Dass den Römern die Tatsache bekannt war, zeigt Plin. nat. 16.9. Vgl. Perutelli (2002) 62 f.
13.1 Vokabular und Textkritisches: Wer flicht wen?
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In erotische Bereiche weist auch das Vokabular mit den Deminutiven tenellula und lasciuola,656 die beide von der flechtenden Hand der Andromache gebraucht werden. tener ist zur Beschreibung einer verehrten puella in erotischer Dichtung ein ganz gewöhnliches Adjektiv. Während die Verbindung manus tenera daher nicht selten gebraucht wird,657 gibt es die Wendung lasciuola/lasciua manus in der Liebesdichtung sonst nicht.658 Die Bedeutung des Adjektivs lasciuus ist häufig moralisierend in leicht obszöne Bereiche anzusiedeln. Es wird oft mit ‚geil‘ oder ‚verdorben‘ im sexuellen Sinne übersetzt. Dennoch reicht die Bedeutungsspanne des Wortes auch ohne jegliche Nebentöne des Moralischen ins eher Sinnlich-Erotische hinein.659 Weil das (sonst nicht belegte) Deminutiv lasciuolus die Bedeutung zudem ein wenig abschwächt, dürfte dies auch für Lavius passender sein. Wenn ein Körperteil als lasciuus bezeichnet wird, dann geht von ihm eine verführerische Wirkung aus. In der lateinischen Literatur werden häufig lange, schlanke Finger oder zarte Hände als weibliches Schönheitsideal beschrieben.660 Für Hektor liegt daher die Erinnerung an Andromaches schöne, im Kranzknüpfen gewandte Hände und Finger nahe. Parallel zu anderen Texten, in denen lasciuus auch von Oberschenkeln oder von Augen genutzt ist,661 ist die Bezeichnung einer Hand als lasciuolus an dieser Stelle gut verständlich.
Zum Deminutiv auf -olus nach i-, ĕ- oder u- vgl. KH 984. – Zu tenellulus vgl. Catull. 17.15 puella tenellulo delicatior haedo – sicherlich in Anlehnung an Laevius, denn solche Doppeldeminutiva (tener, tenellus, tenellulus) sind äußerst selten. Häufig begegnen sie in der Komödie, doch die meisten Fälle gehen auf die Verniedlichung eines kaum mehr wahrgenommenen Deminutivs zurück, z. B. bellulus (z. B. Plaut. Cas. 848), puellulus, ancillula (auch Cic. de orat. 1.236). Auch cistella nutzt Plautus so oft (nie dagegen cista), dass er daraus noch das Deminutiv cistellula formen kann (z. B. Cist. 731). Ähnlich umgangssprachlich und natürlich ist die mehrfache Deminuierung beim Quantitätsadjektiv pauxillulus (über paulus, pauxillus), dt. ‚ein klitzeklein wenig‘, wie es in der Kömodie häufig schon seit Naev. com. 49 2R. gebräuchlich ist. Später gibt es solche Bildungen wieder in der Nachahmung der Archaik (z. B. Apul. met. 2.25 tantillulus) oder noch später in der ausgehenden Antike. Laevius’ tenellulus ist schwerer zu deuten als die genannten Fälle und vermutlich künstlich gesucht; vgl. das ähnliche Urteil bei Jocelyn (1995) 64. Hinsichtlich der Bedeutung dürfte zwischen tenellus und tenellulus kein Unterschied bestehen. Vgl. nur oben zu F 15 manciolis tenellis (siehe dort auch zum Gebrauch des Adjektivs) und Prop. 3.7.48, 4.8.10, Tib. 2.3.10 u. a. Vgl. aber Sen. contr. 4.11 lasciua manu obscena iussisti. Vgl. etwa Ov. ars 3.331 nota sit et Sappho (quid enim lasciuius illa?). Vgl. z. B. Prop. 2.12.23 f. qui caput et digitos et lumina nigra puellae / et canat ut soleant molliter ire pedes? Auch bei jungen Männern: vgl. Prop. 1.20.39 tenero ... ungui (Hylas). Vgl. Ov. am. 3.7.10 lasciuum femori supposuitque femur, was etwas expliziter gemeint ist (dt. etwa ‚heiß‘), und Sil. 15.26 lasciuaque crebras / ancipiti motu iaciebant lumina (sc. Voluptatis) flammas, hier moralisch massiv abwertend (dt. etwa ‚verdorben‘).
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Zuletzt bleibt noch das textkritische Problem, ob Andromache diesen von Hektor angesprochenen Gegenstand per ludum, also ‚spielerisch‘, ‚mühelos‘ oder auch ‚zum Spaß‘, oder perdudum, ‚vor langer Zeit‘,662 geflochten hat; beides überliefern die Prisciancodices. Die Laeviusherausgeber entschieden sich meist für per ludum, jedoch hatte bisher noch niemand ein gewichtiges Argument dafür vorgebracht. Mir scheint, dass hier ohne Ursprungskontext aufgrund inhaltlicher Kriterien kaum eine Entscheidung getroffen werden kann. per ludum passt gut zum verspielten Charakter der Szene und zum Adjektiv lasciuola, das als Enallage zusammen mit ludum verstanden werden könnte.663 Mit perdudum wäre die Textstelle, wenn man sie als Erinnerung Hektors an alte Zeiten interpretiert, mit der wehmütigen Hervorhebung des langen Zeitraumes zwischen Vergangenheit und Gegenwart ebenso verständlich. Man sollte auch nicht aus den Augen verlieren, dass eine Steigerung des Adverbs dudum mit per sonst nur noch einmal in der Anm. 662 zitierten Plautusstelle belegbar ist und wegen seiner Seltenheit im Laufe der Überlieferung weniger schnell aus per ludum verschrieben werden kann als andersherum per ludum aus perdudum. Da beide Varianten denkbar sind und inhaltliche Argumente bei dem kurzen Fragment nicht viel gelten, folge ich in meinem Text der lectio difficilior: te Āndrŏmăchă pērdūdūm mănū lāscīuŏla āc tĕnēllŭlā căpĭtī mĕō, trĕpĭdāns lĭbēns, īnsŏlĭtō plēxīt mūnĕrē664 dich hat Andromache vor langer Zeit mit sinnlicher und zarter Hand in unruhiger Freude665 meinem Haupt geflochten, ein ungewohntes Geschenk
Das Adverb ist nur noch bei Plaut. Stich. 575 uidi edepol hominem hau perdudum belegt (bei Leumann 401 aber enklitisch aufgefasst und haud per dudum abgegrenzt), ‚Ich habe ihn vor nicht so langer Zeit gesehen‘. Weniger dürfte perdudum daher bei Laevius eine Zeitspanne bezeichnen. Wenn Leo (1914) 186 f. das Adjektiv mit „tändelnd“ übersetzt, dann ist das im Rahmen der Lesart per ludum gegen Pöschl (1995) 66 nicht verkehrt. Für Verbindungen mit lasciuus und ludus vgl. oben Anm. 574. Leo (1914) 181, Anm. 2 lässt den vierten Vers munere mit brevis in longo schließen, was gewiss am Ende eines Systems möglich ist, oder der nächste Vers kann mit zwei Konsonanten beginnen und möglicherweise auslautendes -e längen. Denkbar wäre auch, dass das nächste Wort mit langem Vokal beginnt, Synaloephe stattfindet und die erste Silbe des neuen Wortes die letzte Länge des vierten Verses bildet. libens ist wie gewöhnlich prädikativ aufzufassen. trepidans könnte für das Adverb trepidanter stehen und libens näher qualifizieren. Es wäre demnach vermutlich des Klanges wegen (-ens -ans) an libens angeglichen oder vielleicht auch als Ersatz für die ungewöhnliche (aber bei Suet. Nero 49.3 belegte) Adverbform trepidanter gewählt; vgl. dazu den Musterfall Plaut. Pers. 521 f. uirginem / furtiuam abductam ‚die Jungfrau diebisch entwendet‘ Das Phänomen ist, vielleicht weil es noch
13.2 Versuch zum Kontext
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13.2 Versuch zum Kontext Wenn man auf L. Havets plausible These aufbaut und Hektor zum Sprecher des Fragments macht, ist das Umfeld des kleinen Textstückes im Rahmen der Ereignisse der Ilias anzusiedeln. Vielleicht enthielten die Protesilaodamia oder die Helena666 einen Exkurs zu Hektor und Andromache. Weil das Fragment aber offenbar aus einer längeren Rede Hektors stammt, ist es wohl wahrscheinlicher, dass Laevius ihm ein eigenes Gedicht gewidmet hat.667 Die Geschehnisse von der letzten Umarmung des Paares im sechsten bis zum letztem Atemzug Hektors im 22. Buch der Ilias waren für die Liebesdichtung prädestiniert. Auch für die Tragödie war der Stoff geeignet.668 Ferner ist eine Liebesgeschichte, die über den Tod eines Partners und über die Trauer des anderen handelt, ein derart typisches Laevianum, dass es trotz fehlender letzter Beweise sinnvoll scheint, den Gedanken ein wenig weiter zu verfolgen. Das Grundkonstrukt für eine traurige Liebesgeschichte zwischen Hektor und Andromache ist in der Ilias gegeben. Sie beginnt mit der Abschiedsszene der beiden im sechsten Buch: Hektor eilt während der ersten Schlacht zwischen Griechen und Trojanern zurück in die Stadt, um Trojas Frauen zu Opfern und Gebeten aufzufordern. Er kommt ein letztes Mal mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn Astyanax zusammen.669 Danach sieht Andromache Hektor erst wieder, nachdem sein Leichnam schon an Achills Wagen gebunden wurde. Für das Laeviusfragment ist als erstes zu klären, welche Bedeutung der angesprochene Kranz haben könnte. Weil Hektor sich in einer Apostrophe an den Kranz selbst wendet, ist er kaum als beliebiger Symposionsschmuck zu werten. Es handelt sich offenbar um ein ganz persönliches Geschenk, das eine besondere Bedeutung haben muss. In der griechisch-römischen Antike flochten sich frisch verliebte Paare zum Ausdruck ihrer Gefühle häufig Kränze und überreichten sie sich noch vor ihrer Hochzeit. Vermutlich ist das Motiv typsich für Euripides gewesen. Aristophanes jedenfalls scherzt darüber, dass die Athener von seinen Tragödien in dieser Hinsicht so sehr beeinflusst gewesen waren, dass sie glauben würden, jede
nicht systematisch erforscht wurde, nur selten und nur im Alt- und Spätlatein belegbar; Löfstedts (1911, 214 oder 1933, 111–3) Sammlung wäre dieses Fragment also wohl noch hinzuzufügen. Zur Helena zieht Haeberlin (1887) 93 das Fragment. De la Ville de Mirmont (1903) 306 übertitelt das Fragment mit „Andromacha ou Hectorandromacha(?)“; Weichert (1830) 45 macht te Andromacha zu de Andromache und teilt die beiden Wörter Priscian zu. Vgl. Prop. 2.20.1 f., 2.22.29 f., Ov. am. 1.9.35 f., Ov. ars 2.709–14; schon Sapph. 44. V.; dann Ἕκτωρ Astyd. TrGF i (60) F ✶✶ 1h– ✶✶ 2a und Hector Proficiscens Naev. TrRF i 14 f. Il. 6.404–502.
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Frau, die einen Kranz flicht, sei gleichzeitig auch verliebt.670 Vergleichbar ist auch, dass Helena Menelaos einen Kranz auf den Kopf setzt, nachdem die Wahl über ihren zukünftigen Ehemann auf ihn fiel, was einerseits ein Ausdruck für seinen Sieg unter den vielen Freiern, andererseits aber auch ein Symbol der Liebe und der bevorstehenden Hochzeit darstellt.671 Das erotische Vokabular im Laeviusfragments deutet auf einen ähnlichen Brauch hin, und auch Andromaches Gemütsstimmung, in v. 3 als trepidans libens, ‚unruhig, freudig‘ oder besser ‚in unruhiger Freude‘, beschrieben, könnte dazu gut passen. Dass eine baldige Braut oder Ehefrau aufgeregt und in Sorge darüber ist (trepidans), ihre Eltern zu verlassen und Teil einer neuen Familie zu werden, ist ein beliebtes literarisches Motiv.672 Innerhalb eines Gedichts über Hektors Tod wäre die Erinnerung an die Hochzeit mit Andromache vor langer Zeit (perdudum) wirkungsvoll. Auch der Iliasdichter machte von einem vergleichbaren Rückblick Gebrauch, als er Andromache Gewissheit über Hektors Tod erlangen ließ (Il. 22.466–72) : τὴν δὲ κατ’ ὀφθαλμῶν ἐρεβεννὴ νὺξ ἐκάλυψεν, ἤριπε δ’ ἐξοπίσω, ἀπὸ δὲ ψυχὴν ἐκάπυσσεν. τῆλε δ’ ἀπὸ κρατὸς βάλε δέσματα σιγαλόεντα, ἄμπυκα κεκρύφαλόν τε ἰδὲ πλεκτὴν ἀναδέσμην κρήδεμνόν θ’, ὅ ῥά οἱ δῶκε χρυσῆ Ἀφροδίτη ἤματι τῷ, ὅτε μιν κορυθαιόλος ἠγάγεθ’ Ἕκτωρ ἐκ δόμου Ἠετίωνος, ἐπεὶ πόρε μυρία ἕδνα. ‚Über ihre Augen breitete sich hinab die finstere Nacht, sie fiel rückwärts nieder und hauchte ihr Bewusstsein aus. Und fern vom Kopf warf sie ihre glänzenden Haarbänder, ihren Reif und ihre Kappe sowie ihr geflochtenes Stirnband und den Schleier, den ihr die goldene Aphrodite übergab an dem Tag, als sie der helmschüttelnde Hektor führte aus dem Haus des Eetion, da er ihr zahlreiche Brautgaben brachte.‘
Hier ist anders als bei Laevius Andromaches Kopfschmuck die Rede: Als Zeichen der Hochzeit und damit der Verbindung des Paares fällt er nach Hektors Tod zu Boden.673 Die Verse regten schon Sappho zu einem vermutlich rein mythologi-
Vgl. Aristoph. Thesm. 400 f. ὥστ’ ἐάν τις πλέκῃ / γυνὴ στέφανον, ἐρᾶν δοκεῖ, Euripides habe es erreicht, ‚dass, wenn irgendeine Frau einen Kranz flicht, man glaubt, sie sei verliebt‘; in Prop. 1.3.21–4 übergibt der vom Symposion heimgekehrte Liebende der schlafenden Cynthia seinen Kranz; vgl. zur Sache Ganszyniec RE xi.2 s. v. Kranz 1594. Vgl. Hyg. fab. 78. Auch in Rom trug der Bräutigam bei der Hochzeitszeremonie einen Kranz; siehe Plaut. Cas. 793–7 und Blümner (31911) 353 f. Vgl. etwa Catull. 61.79–81 tardet ingenuus pudor / quem tamen magis audiens / flet quod ire necesse est. Auf die Gemeinsamkeit mit Laevius im Punkte des Kopfschmuckes weist Schwindt (1999) 86 f. hin.
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schen Hochzeitsgedicht über die beiden an.674 Vielleicht hat auch Laevius auf der homerischen Textgrundlage eine neue poetische Szenerie entworfen. Zum Beispiel könnte sich Hektor nach dem Abschied von seiner Familie an die Hochzeit erinnern. Dabei schweifen seine Gedanken zu dem ihm so ungewohnten Kopfschmuck. In einem pathosreichen Monolog könnte er den Kranz, den er vor dem geistigen Auge hat,675 direkt ansprechen. Auch dies kann sich als Auseinandersetzung mit den Epen- und Tragödiendichtern erweisen, die Helden vor großen Kämpfen häufiger zu ihren Waffen sprechen lassen.676 Laevius kann damit, ganz so wie es der Dichter der zitierten Iliasverse getan hatte, die sorglose Zeit Hektors vor dem trojanischen Krieg als Kontrast zum Jetzt in Erinnerung rufen. Das Urteil eines Homerscholiasten träfe auch auf Laevius zu: εἰς μνήμην ἄγει τῆς παλαιᾶς εὐδαιμονίας, ὅπως τῇ μεταβολῇ αὐξήσῃ τὸν οἶκτον, ‚er (Homer) ruft das frühere Glück in Erinnerung, um durch den plötzlichen Wechsel ihres Geschicks das Mitleid zu vergrößern‘ (Schol. zu Il. 22.468–72, p. 351.20 f. Erbse). Sollte diese Kontextualisierung in die richtige Richtung weisen, hätte Laevius eine berühmte epische Szene aus dem 22. Buch der Ilias mit seiner Motivik aufgegriffen und in einen neuen Zusammenhang gestellt. Auch dies wäre ganz laevianisch.
Vgl. Sapph. 44 V. und zur Verbindung des Gedichts mit der Ilias Xian (2019) 392–405. Schwindt (1999) 87 spricht von einem „Kranz in Hektors Händen“, doch der Kranz muss nicht zwangsläufig direkt vor dem Sprecher liegen: In einer gefühlvollen Rede ist der Schritt zur Ansprache eines Gegenstandes, den der Sprecher nur gedanklich vor Augen hat, ganz leicht; vgl. die Klage um den verstorbenen Bruder bei Catull. 68.89 f. Troia (nefas!) commune sepulcrum Asiae Europaeque, / Troia uirum et uirtutum omnium acerba cinis. Vgl. sogar aus der Hectoris lytra Enn. TrRF ii 56 (= 149 Joc.) quae mea comminus machaera atque hasta †hospius manu†, wenn Vahlens hostibitis manu richtig ist: ‚ihr Waffen, Schwert im Nahkampf und Lanze, die ihr durch meine Hand vergelten werdet‘ und Verg. Aen. 12.95–100 nunc, o numquam frustrata uocatus / hasta meos, nunc tempus adest.
14 F 41: Heiteres Spiel Havet (1891), Rivoltella (2009)
Obwohl F 41 nur aus zwei Wörtern besteht, wurde es jeweils sogar mit guten Gründen in Verbindung mit anderen Fragmenten aus der Protesilaodamia und der Sirenocirca gebracht. Die Verknüpfungen setzen eine genaue Interpretation der infrage kommenden Fragmente voraus und sind daher an entsprechender Stelle ausführlicher diskutiert.677 lāscīuĭtērquĕ lūdūnt
Das Fragment kann auf verschiedene Weise metrisch gedeutet werden. Weil nur ein einziger Vers überliefert ist, könnte es als katalektischer iambischer Dimeter den Abschluss eines iambischen Systems dargestellt haben. Vermutlich war es aber wie auch F 48 Bestandteil einer längeren Reihe anakreonteischer Verse. Das klassische Latein bildet bei Adjektiven der o-Deklination das Adverb beinahe ausschließlich auf -e, hier also lasciue (z. B. Ov. am. 2.10.27). Das Altlateinische kann dagegen sowohl in Prosa als auch in Dichtung bei beliebigen Adjektiven unabhängig von der Deklinationsklasse das Adverb ohne Weiteres auf -iter bilden.678 Bei den Poetae Novelli und den Archaisten kam diese Freiheit der Adverbbildung wieder verstärkt auf.679
Vgl. Havet (1891) 12 und Anm. 472 für die Zuordnung zur Protesilaodamia; Rivoltella (2009) und Anm. 574 für die Zuordnung zur Sirenocrica. Vgl. die Liste mit Belegstellen in KH 1008–10. Vgl. z. B. Sept. Seren. F 17 C. (= 16 4FPL Bl./Matt.) properiter. https://doi.org/10.1515/9783111237121-021
15 F 42: lex Licinia Havet (1881), Brown (1980), Holford-Strevens (1981), Aragosti (1985), Tempesti (1988), Courtney (22003) 137 f.
Die bei Gellius überlieferten iambischen Dimeter zur lex Licinia sind oben p. 8–14 im Kapitel zur Datierung ausführlicher besprochen. Das Fragment stammt vielleicht aus einem satirisch gehaltenen Prolog oder Epilog zu einem mythologischen Gedicht. Vielleicht war es aber auch Teil eines komplett subjektiven Gedichts.680 lēx Lĭcĭnĭa īntrōdūcĭtūr ̄ rēddĭtūr lūx līquĭda hā̄edō Die Lex Licinia wurde eingebracht, das gleißende Licht dem Bock zurückgegeben
Auffällig sind die sich im Klang entsprechenden Bestandteile der beiden Dimeter lēx ~ lūx, hā̄ ̄edō ~ īntrō-, -dūcĭtūr ~ rēddĭtūr und ebenso, auch wenn nicht ganz passend, Lĭcĭnĭa ~ līquĭda. Leo hatte der Entsprechung zu Lĭcĭnĭa halber das Deminutiv lĭquĭdŭla konjiziert681 – wie mir scheint unnötigerweise, denn das Klangspiel ist auch mit dem überlieferten Text klar erkennbar. Die Messung līquĭda ist in Ordnung und begegnet mehrmals bei Lukrez. Andernfalls ist Havets licuida (wie relicuus) der von Leo vorzuziehen.682
Die Gelliuscodices überliefern in der Einführung des Zitates lelius poeta und an anderer Stelle uerba lelii. Beides verbesserte Carrio in seiner Edition von 1585. Dass er nur im ersten Falle Laeuius poeta, im zweiten jedoch uerba Laelii geschrieben hätte, ist ein Druckfehler in HolfordStrevens Apparat. Stillschweigend Leo (1914) 180, Anm. 1. līquĭda bei Lucr. 1.349, 2.452, 3.427 und 4.1259, das Substantiv gelängt līquor in 1.453 beides offenbar nach dem Deponens līqui und dem dazugehörigen Partizip līquentia synonym neben lĭquentia von lĭquere; vgl. Leumann 117. Zu licuida siehe Havet (1891) 8; vgl. auch HolfordStrevens (2020) 44, der die Überlieferung hält; eine ausführliche Diskussion der Frage bei Aragosti (1985) 94–9, der schließlich zu Leos Konjektur neigt. https://doi.org/10.1515/9783111237121-022
16 F 43: ein nächtlicher Mantel De la Ville de Mirmont (1903) 325 f., Pighi (1963) 554, Granarolo (1971) 114 f., Traglia (21974) 133, Alfonsi (1986) 28, Courtney (22003) 138
16.1 Überlieferung In seinem Lexikon erklärt Nonius die Verbformen latibulet und latibuletur, die jeweils im Sinne von lateat stünden (pro ‚lateat‘), im Infinitiv also latibulare und latibulari lauten müssen.683 Dazu zitiert er zwei Belege: einen aus den Erotopaegnia684 und einen aus den Putatores des Mimen-Dichters Publilius Syrus (2 2R). Auffälligerweise nennt Nonius in seinem Lemma zwei unterschiedliche Verbformen von gleicher Bedeutung, den Konjunktiv Präsens aktiv, latibulet, und den Konjunktiv Präsens passiv, latibuletur. Seine Belegautoren bieten hingegen beide Male das Deponens. Versuche, die Stelle mit Nonius’ (sicherlich kaum anzuzweifelnder) Unzuverlässigkeit im Ordnen und Sortieren seiner Belege und Lemmata zu erklären, müssen dabei aber scheitern.685 Immer dann, wenn es dem Lexikographen auf das Erklären und Belegen mehrerer Wörter ankommt, ist er erstaunlich genau und beständig. Er folgt streng dem Muster: A et B et C pro X – Beleg(e) für A, Beleg(e) für B, Beleg(e) für C.686 Wenn er wie hier flektierte Verbformen im Lemma nutzt, weisen seine Belege in den allermeisten Fällen auch dieselbe Form
latibulare oder latibulari sind nur hier belegt; die Bildung ist denominativ von latibulum wie auch stabulare/stabulari von stabulum. Überliefert ist Naeuius. Den richtigen Namen stellte Mercier her. Non. 87 f. M., worauf Courtney (22003) zur Erklärung des Problems verweist, ist nicht vergleichbar: ‚cluet‘, nominatur. Lucilius lib. xxx ‚cuia opera Troginus calix per castra cluebat‘. ... Varro Ὄνος λύρας ‚... Pompilius clueor‘. Dort werden umgekehrt zuerst Belege, die dem Lemma genau entsprechen, zitiert und erst am Ende weicht Nonius mit clueor davon ab. Ähnliches, gewissermaßen eine Erweiterung des eigentlichen Lemmas, gibt es öfter (etwa Non. 115 M.; 154 f. M.) Vergleichbar könnte allenfalls die Note zu exterebrare sein, in der Nonius nur einen Beleg für terebrare bietet (62 f. M.). Aber Ritschl im App. zu Plaut. Astraba vi setzt eine Lücke an. Vgl. z. B. Non. 159 M. ‚pecua‘ et ‚pecuda‘ ita ut pecora ueteres dixerunt. Naeuius Gymnastico: ‚homines, pecua beluasque‘. Idem Lycurgo: ‚sine ferro pecua minibus ut ad mortem meant‘. Accius Astyanacte: ‚in clesis montibus / pecua atque inter colles pascunt Danai in Phrygiae terminis‘. idem Medea: ‚uagant, pauore pecuda in tumulis deserunt. / quis nos pascet postea?‘; auch Non. 76, 112, 156, 176 M. und viel öfter. Ausnahmen gibt es kaum: so bei Non. 184 M. ‚uetustas‘ et ‚antiquitas‘, wonach nur ein Terenzzitat zu uetustas folgt (das auch noch auf korrupter Überlieferung beruht: Ter. Hec. 848 schrieb uenustas), wenn nicht auch hier eine Lücke vorliegt. https://doi.org/10.1515/9783111237121-023
16.2 Metrik
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auf.687 Dass etwas mit dem Text nicht stimmt, scheint mir deshalb klar. Morel und Alfonsi vermuteten ein Aktiv für das Laeviusfragment, wobei sie ein Verschmelzen zweier Wörter zur Passivform latibuletur voraussetzen: latibulet uir oder latibulet fur.688 Es genügt aber auch die einfache Änderung von latibuletur in latibulet.689 Die Verderbnis ist auf einen Perseverationsfehler zurückzuführen: Nur wenige Wörter zuvor hatte der Kopist latibuletur geschrieben.690
16.2 Metrik Für die Metrik ergibt sich mit anapästischem oder daktylischem Rhythmus: nōcte ŭt ŏpērtŭs ămīctū lătĭbŭlē̆ t
Anapästische Dimeter werden häufiger von Laevius genutzt, sind hier aber schwer vertretbar, weil der Vers unabhängig von den verschiedenen Abgrenzungsmöglichkeiten691 doch zu viele Härten aufwiese, die so nicht angenommen werden sollten. In jedem Falle wäre die Mitteldihärese, die seit Accius und vermutlich auch bei Laevius entweder gänzlich oder wenigstens meistens eingehalten wird, missachtet.692 Danach ist auch der Prokeleusmatikus latibulet vielmehr die Ausnahme als die Regel, sei er fallend (am Versende Daktylus + Anapäst -tū lătĭ|bŭlĕt ˉ / ... ) oder steigend (am Versanfang Anapäst mit aufgelöster Länge ... / lătĭbŭlĕt). Beide Unregelmäßigkeiten zusammen machen den Anapäst für das Fragment unwahrscheinlich. Deutlicher als eine anapästische Reihe ist ein daktylisches Metrum im Fragment erkennbar. Von nocte bis amictu ergibt sich ein Maß, das dem Ende eines Hexameters oder eines anderen daktylischen Metrums mit Katalexe entspricht. Der folgende Prokeleusmatikus passt nicht so recht ins Bild, allerdings nur unter der
Vgl. z. B. Non. 104 M. expetunt im Lemma und Zitat, 121 M. hilaretur, 123 M. ingeneraretur, 133 M. lutescit. latibulet uir Morel 1FPL, Alfonsi (1986) 38 latibulet fur mit Catull. 62.34 nocte latent fures. Die Konjektur wird dem Nonius-Herausgeber Iunius (1556) zugeschrieben, was ich nicht bestätigen konnte. Im von mir eingesehenen Exemplar steht p. 162 latibuletur. L. Müller schreibt in der Noniusausgabe z. St. „latibulet ed. Bas. falso tribuit Iunio.“ In ähnlichen Noten gibt es auch sehr selten eine Vertauschung der Reihenfolge 76 M. ‚absente nobis‘ et ‚praesente nobis‘, woraufhin zuerst das Zitat für praesente, dann für absente folgt. Aber in unserem Fall ist latibuletur bei Publilius durch die Metrik (iambischer Senar) gesichert progredere et nequis latibuletur, perspice. Möglich ist theoretisch nōcte / ŭt ŏpērtŭs ămīctū lătĭbŭlĕt ˉ oder ̆ ̆ ˉ nōcte ŭt ŏpērtŭs ămīctū / lătĭbŭlĕt. Zur Bauart der Anapäste zu Laevius’ Zeit siehe oben p. 38–40.
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16 F 43: ein nächtlicher Mantel
Annahme stichischer Metra. Leo postuliert daher einen Metrumwechsel nach amictu wobei latibulet vielleicht etwas Iambisches oder Trochäisches sein kann.693 nōcte ŭt ŏpērtŭs ămīctū lătĭbŭlē̆ t
Sollte Leos metrische Interpretation zutreffen, könnte Laevius auch Epodisches geschrieben haben. Möglich ist eine Verbindung aus Hexameter und iambischem Dimeter (etwa Hor. epod. 14).
16.3 Syntax und Kontext Es wird etwas oder jemand beschrieben, das/der durch die Dunkelheit der Nacht wie durch einen Mantel bedeckt ist. ut ist wohl nicht der Auslöser des Konjunktivs, es geht eher mit dem prädikativen Partizip opertus zusammen: wörtlich ‚nachts/durch die Nacht ist er verborgen wie durch einen Mantel bedeckt‘.694 Unentschieden muss bleiben, ob nocte dabei instrumentaler oder temporaler Ablativ ist. Erwägungen über den näheren Kontext sind aber allesamt Rätselraterei. Es könnte ein Dieb gemeint sein oder ein Liebhaber auf dem heimlichen Weg zu seiner Geliebten.695 Unter den erhaltenen Gedichttiteln ist beispielsweise eine Zuordnung zur Protesilaodamia möglich. Protesilaos könnte verborgen vor allen anderen aus der Unterwelt zu Laodamia zurückkehren. Vielleicht ist auch (Dieb und Liebhaber) Paris aus der Helena gemeint, wie er sich heimlich zu Helena schleicht und durch den Mantel der Nacht verborgen bleibt.
Vgl. Leo (1914) 181 f., Anm. 2; siehe dazu auch Granarolo (1971) 114 f. und Pighi (1963) 554; in F 38 ist ein epodisches Metrum ebenfalls möglich. Die Metapher amictus noctis wird sonst erst wieder ab Sil. 5.36 (Belege im ThLL i s. v. amictus 1901.22–4) genutzt; vgl. auch Catull. 62.34 nocte latent fures und Ov. ars 1.249 nocte latent mendae. Wohl wenig zutreffend urteilt De la Ville de Mirmont (1903) 325 f. „il est apparemment question de la quelque amoureux qui, la nuit, pour ses expéditions galantes, se cache sou un vaste manteau“; so vermutlich auch Courtney (22003) 138, der nur auf Iuv. 8.144 f. quo, si nocturnus adulter / tempora Santonico uelas adoperta cucullo? verweist: latibulare/-i heißt ‚sich in ein Versteck begeben, damit man nicht gesehen wird‘; das ergibt von einem Mantel keinen Sinn, aber von der Nacht, die sich mit ihrer Dunkelheit wie ein Mantel um den Menschen legt (operire/uelare) und ihn so unsichtbar macht (latibulare/-i). Auch Traglia (21974) 133 möchte ut als finale Konjunktion verstehen, sieht in nocte aber einen Genitiv (nocte’ als nocti’; nach Morel, der nur schreibt „nocte gen.“) und übersetzt p. 177 „per nascondersi, coperto dall’ ammanto della notte.“ Vom Dieb spricht Pighi (1963) 554, vom Liebhaber De la Ville de Mirmont (1903) 325 f.
17 F 44: Liebeszauberei (Teil 1) Weichert (1830) 49–53, Haeberlin (1887) 92 f., Havet, (1891) 6 f., De la Ville de Mirmont (1903) 310–8, Abt (1908) 101–12, Tupet (1976) 212–9, Bartalucci (1985), Ingallina (1991), Courtney (22003) 140 f., Gordon (2009) 15 f.
17.1 Apuleius’ Verteidigungsstrategie In der Mitte des zweiten Jh.s verteidigte sich der Sophist Apuleius, der ein großer Freund und Kenner der altlateinischen Literatur war, mit seiner Rede De magia gegen den Vorwurf, er habe Zauberei betrieben und sei ein Hexer: Die Ankläger hätten ihre Anschuldigung darin begründet gesehen, dass Apuleius für längere Zeit versucht habe, Fische zu besorgen, die er für seine magischen Tätigkeiten hätte gebrauchen können: ‚piscis‘ inquit ‚quaeris‘. nolo negare. sed, oro te, qui pisces quaerit, magus est? Zur Entkräftung des Vorwurfes sammelt Apuleius Stellen aus der alten griechischen und lateinischen Literatur, in der gebräuchliche Zauberutensilien und Trankzutaten genannt werden. Darunter, so das Argument, befänden sich nirgends Fische. Zuerst beruft sich Apuleius auf Vergil: Im vierten Buch der Aeneis befiehlt Dido einer Priesterin zur Ablenkung von ihrem bereits beschlossenen Selbstmord, Aeneas’ Liebe durch Zauberei zurückzugewinnen oder dadurch wenigstens ihren Liebeskummer zu vertreiben. Apuleius zitiert, wie zwei Zutaten für einen Liebestrank, Kräuter und Hippomanes, zusammengesucht werden (Aen. 4.513–6): falcibus et messae ad lunam quaeruntur aenis pubentes herbae nigri cum lacte ueneni. quaeritur et nascentis equi de fronte reuulsus et matri praereptus amor Man besorgt bei Mond mit ehernen Sicheln geschnittene reifende Kräuter mit Saft aus schwarzem Gift, und man besorgt ein Zaubermittel, entrissen der Stirn eines eben geborenen Pferdes und der Mutter geraubt696
Apuleius lässt einige Beledeidigungen gegen die desaströse Bildung seiner Ankläger folgen: Hätten sie Vergil gelesen, wären sie niemals auf die seltsame Verbindung zwischen Fischen und Zauberei gekommen.697
Zum Hippomanes vgl. unten den Kommentar zu hinnientium dulcedines. 30.6 at si Virgilium legisses, profecto scisses alia quaeri ad hanc rem solere. https://doi.org/10.1515/9783111237121-024
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17 F 44: Liebeszauberei (Teil 1)
Nach der Bezugnahme auf relevante Texte aus der griechischen Literatur kommt Apuleius zu Laevius.698 Die Argumentation ist dieselbe wie zuvor beim Vergilzitat. Hätten die Ankläger auch nur ein wenig Ahnung von Literatur, hätten sie eine der im Laeviustext genannten Zauberutensilien und Trankzutaten für ihren Vorwurf gewählt, aber garantiert nicht die Fische, die gar nichts mit Magie zu schaffen hätten. Dass Apuleius hier Vergil und Laevius im selben Argumentationskontext zitiert, um nicht nur seine Unschuld, sondern auch das fehlende Allgemeinwissen seiner Ankläger zu belegen, zeigt, welchen Stellenwert Laevius im zweiten Jh. hatte: Wer ihn nicht kannte, besaß nach Apuleius eine peinliche Bildungslücke.699 Apuleius zitiert sechs iambische Dimeter aus einem nicht genannten Werk: phīltra ōmnĭa ūndĭque ērŭūnt: 700 āntĭpăthĕs īllūd quā̄erĭtūr ̄ trŏchīsci ĭȳngēs tā̄enĭā̄ ̄ ē rădīcŭlae hērbā̄ē sūrcŭlī sā̄ur ̄ ae īllĭcēs bĭcōdŭlae hīnnĭēntĭūm dūlcēdĭnēs701 Alle Zaubermittel kramen sie von überall her hervor: Jenes Antipathes wird besorgt, Zauberrädchen, Wendehälse, Bänder, Würzelchen, Kräuter, Sprösslinge, zweischwänzige Eidechsen mit anziehender Wirkung, Geilheiten der Wieherer
Untersuchungen zum Kontext des Fragments müssen spekulativ bleiben. Apuleius erwähnt noch nicht einmal den Namen des Gedichts. Auch F 48, das vermutlich mit dem vorliegenden Fragement in Verbindung zu bringen ist, kann keine hilfreichen Hinweise bieten.702 Sollte ein mythologischer Zusammenhang bestehen, wäre zuerst an ein Gedicht über Medea oder Kirke zu denken, die beide wegen ihrer Alchemie- und Zauberkünste in der erotischen Dichtung häufiger Erwähnung fanden.703 Mit der Sirenocirca fände sich daher sogar ein passendes Gedicht,
Als Autor der Verse ist Laelius überliefert, was Lipsius (mitgeteilt im Kommentarteil der Apuleiusausgabe von Colvius [1588] 246) verbesserte. Zur gleichen Verderbnis Laeuius zu Laelius siehe T 4 (dub) und F 42. 31.1 mit direktem Bezug zum Laeviusfragment: haec et alia quaesisse me potius quam pisces longe uerisimilius confinxisses ..., si tibi ulla eruditione adfuisset. Vgl. oben p. 48f. zur Rezeption des Laevius im zweiten Jh. Positionslänge -tur / tr- wegen der Synaphie; vgl. oben p. 37 zur Technik im iambischen Dimeter. ̄ dūlcēdĭnēs zu messen. Der Hiat Falsch wäre es, wie zuletzt 4FPL Bl. bĭcōdŭlā̄ē / hīnnī̄entĭūm würde gegen die Synaphie verstoßen. Vgl. unten p. 273. Vgl. für Medea und Kirke z. B. Ov. rem. 261–4 oder Prop. 2.1.51–4.
17.2 Vergil und Laevius
253
von dem Fragmente erhalten sind. Vielleicht beschrieben die erhaltenen Verse sogar Kirkes letzten Versuch, Odysseus mithilfe eines Liebeszaubers an seiner Heimreise nach Ithaka zu hindern und auf Aiaia zu halten.704 Dass Kirkes Versuche erfolglos blieben, wird mehrfach bei Ovid erwähnt, in der ars amatoria einmal: Circe tenuisset Vlixem, / si modo seruari carmine posset amor / nec data profuerint pallentia philtra puellis (2.103–5); in den remedia amoris ein weiteres Mal: quid tibi profuerunt, Circe, Perseides herbae, / cum sua Neritias abstulit aura rates? (263 f.)705
17.2 Vergil und Laevius Dass zwischen den beiden von Apuleius zitierten Fragmenten von Vergil und Laevius ein Abhängigkeitsverhältnis besteht, liegt nahe. Dafür spricht neben dem parallelen Gebrauch des Passivs quaeritur im Sinne von ‚hervorholen‘706 auch die auffällige Umschreibung der bei beiden letztgenannten Zauberzutat, des Hippomanes. Unter dem Namen Hippomanes wurden verschiedene Mittel verstanden: eine Pflanze, das Scheidensekret einer brünstigen Stute oder unverbrauchte Histiotrophe, die die Mutter nach der Geburt von der Stirn ihres Fohlens leckt.707 Letzteres hat Vergil vor Augen. Er beschreibt das Hippomanes als ‚amor, entrissen der Stirn eines frisch geborenen Pferdes und der Mutter geraubt‘. amor ist eigentlich das, was das Hippomanes in einen Trank gemischt hervorrufen soll. Vergil bezeichnet aber den Stoff selbst damit; man wird wohl konkret ‚Zaubermittel, Liebeszauber‘ verstehen müssen.708 Das dichterische Mittel, das man als einen Demgegenüber ist es weniger wahrscheinlich, dass das Stückchen aus der Protesilaodamia stammt, wie zuletzt Bartalucci (1985) 89–91 nach Haeberlin (1887) 92 versucht hat zu zeigen. Die Analyse der einzelnen Zaubermittel und Trankzutaten aus dem Fragment wird belegen, dass hier ein Bindezauber gewirkt werden soll, den Laodamia nicht nötig hat. Sie bräuchte allenfalls eine Herbeirufung oder Totenbeschwörung. Außerdem werden Laodamia sonst keine Zauberkräfte zugeschrieben. Vgl. auch eine ähnliche Szenerie bei Ov. met. 14.264–70 Nereides nymphaeque simul, quae uellera motis / nulla trahunt digitis nec fila sequentia ducunt; / gramina disponunt sparsosque sine ordine flores / secernunt calathis uariasque coloribus herbas. / ipsa (sc. Circe) quod hae faciunt opus exigit, ipsa quis usus / quoque sit in folio, quae sit concordia mixtis / nouit et aduertens pensas examinat herbas. Einen Zauber der Kirke beschreibt Ov. met. 14.43–4 protinus horrendis infamia pabula sucis / conterit et tritis Hecateia carmina miscet. Die Hecateia carmina aus dem Laeviusgedicht sind mit F 48 womöglich sogar erhalten. Zu dieser Gemeinsamkeit siehe Tupet (1976) 216. Vgl. die Quellen unten im Stellenkommentar zu hinnientium dulcedines. Prosaisch nach Vergil bei Plin. nat. 8.165 et sane equis amoris innasci ueneficium, hippomanes appellatum, in fronte; vgl. für amor bei Vergil z. B. Austin (1955) 154, auch Georges s. v. oder
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17 F 44: Liebeszauberei (Teil 1)
proleptischen Gebrauch des Abstrakten für das Konkrete bezeichnen könnte, erinnert an Laevius’ hinnientium dulcedines. Das Nomen dulcedo steht häufig für die sexuelle Erregung, also ebenfalls für das Ergebnis der Einnahme des Hippomanes. Gemeint ist aber das Mittel selbst: Der Plural ist offenbar aus dem Gedanken an den konkreten Stoff abzuleiten und kann daher in Analogie zu den anderen Pluralformen in der Aufzählung gebildet worden sein: ‚die Reizmittel, Aphrodisiaka‘.709 Somit erfolgt die Umschreibung des Hippomanes bei beiden Dichtern nach einem ähnlichen Muster.710
17.3 Stellenkommentar: Die Zaubermittel Einige der bei Laevius genannten Zaubermittel finden nur in abgelegeneren griechischen Texten ihre Parallelen, andere sind im Kontext der Liebeszauber einmalig und nur schwer zu deuten. Laevius zeigt seinem Leser eine große Fülle abseitiger Gräzismen, mit denen er aufgrund seiner Kenntnis der hellenistischen Dichtung, unter anderen des Hexenidylls von Theokrit (Id. 2), vertraut war.711 Nach den allgemein gehaltenen und übergeordneten omnia philtra enthält die erste Reihe mit antipathes, trochisci, iynges, taenia diejenigen Hilfsmittel, die benötigt werden, um einen Zauber zu sprechen; es folgt die zweite radiculae, herbae, surculi, saurae und hinnientium dulcedines mit den eigentlichen Zutaten des Trankes.712 philtra omnia eruunt Die Latinisierung des griechischen Wortes τό φίλτρον bezeichnet jegliche Art von Zaubermitteln („wether a potion, or any other means“; LSJ s. v.). Alles, was im Folgenden genannt wird, ist in diesem übergeordneten Begriff eingeschlossen, so dass nach v. 1 mit einem Doppelpunkt stärker interpungiert werden kann. Hiernach werden die einzelnen Gegenstände und Stoffe detaillierter erläutert. Seine Sonderstellung in dieser Reihe erhält der Ausdruck schon dadurch,
Lewis-Short s. v. ii D.; wohl weniger zutreffend reiht ThLL i 1970.26 die Stelle unter die Rubrik res amata. Vgl. zu Stellen mit ähnlicher Bedeutung ThLL v.1 2184.53–72, die aber allesamt den Singular aufweisen. Nach Courtney (22003) 141 ist der Plural eine Analogiebildung zu deliciae. Gordons (2009, 224, Anm. 63) Deutung „the word means ‚pleasantness, sweetness, charm‘, as usual“ erklärt nicht den Plural. Sonst heißt es schlicht hippomanes (Prop. 4.5.18, Tib. 2.4.58), nach Vergil Ov. ars 2.100 quod a teneri fronte reuellit equi oder ähnlich; die Stellen sind gesammelt bei Pease (1935) 426–9. Das zeigen v. a. die Eidechsen in v. 5. Seit Salmasius ii (1629) 662 (zuletzt Courtney [22003] 141) geht man von einer Anordnung nach leblosen Materialien v. 3 f, pflanzlichen v. 4 und mit Tieren zusammenhängenden Stoffen v. 5 f. aus; aber das wirkt unmotiviert und Scriverius’ exzellente Konjektur iynx v. 3 spricht dagegen.
17.3 Stellenkommentar: Die Zaubermittel
255
dass ihm mit eruunt ein eigenes Verb beigestellt wird. Ähnlich wie bei quaeritur ist die Bedeutung des Verbs allgemein gehalten. Man darf den Zusammenhang wohl nicht wie ThLL v.2 844.4 so verstehen, dass die philtra erst einmal ‚gesammelt‘ oder ‚ausgegraben‘ werden müssen. Auch hier ist etwas wie ‚hervorkramen‘ vorzuziehen, wie es ganz gewöhnlich für das Verb ist (ThLL v.2 845.22–70). antipathes illud Bereits in der Antike bestand kein Konsens über die Beschaffenheit des Antipathes. Generell bezeichnet das griechische Substantiv τὸ ἀντιπαθές ein Mittel gegen jegliche Formen von Leiden (LSJ s. v. ἀντιπαθής). Das kann gegen Traglia (1957) 103 an einer Stelle, an der ein Bindezauber dargestellt wird, aber kaum gemeint sein. Genauere Beschreibungen sind in der antiken Fachliteratur erhalten. Plinius stellt das Antipathes zu den Edelsteinen: Der Stein sei von schwarzer Farbe und werde von Magiern als Schutzmittel gegen Verzauberungen eingesetzt: antipathes nigra (sc. gemma; Tupet [1976] 58, Anm. 3) non tralucet. experimentum eius ut coquatur in lacte; facit enim id murrae simile. inmensum quiddam in hac fortassis aliquis expectet, in tot exemplis uni possessione huius nominis data. contra effascinationes auxiliari eam magi uolunt (37.145) . Wie Tupet (1976) 217 f. und 57 f. sah, hat auch Apuleius das Antipathes als Stein verstanden. Kurz nach dem Laeviuszitat fasst er den Inhalt des Fragments mit der Wendung uim herbarum et radicum et surculorum et lapillorum (31) noch einmal zusammen. Der erste Teil ist eine Paraphrase von v. 4 radiculae herbae surculi. Die uis lapillorum kann hingegen nur das Antipathes meinen. Vor Plinius kannte schon der griechische Arzt Ktesias von Knidos aus dem fünften/vierten Jh. v. Chr. einen Antipathes-Stein: γεννᾶται δ’ ἐν αὐτῷ [i. e. Teuthras] λίθος ἀντιπαθὴς καλούμενος, ὃς κάλλιστα ποιεῖ πρὸς ἀλφοὺς καὶ λέπρας δι’οἴνου τριβόμενος καὶ τοῖς πάσχουσιν ἐπιτιθέμενος καθὼς ἱστορεῖ Κτησίας Κνίδιος ἐν βʹ περὶ Ὀρῶν, ‚Auf dem Berg Teuthras gibt es einen Stein, Antipathes genannt, der mit Wein zerrieben und dem Patienten aufgetragen gegen Flecken auf der Haut und gegen Krätze wirksam ist, wie Ktesias von Knidos im zweiten Buch seines Werkes Über die Berge berichtet‘ ([Plut.] Fluv. 21.5 = Ktes. F 73 Lenfant [Authentizität nicht sicher]). Der Arzt Dioskurides klassifizierte es hingegen als Koralle: καὶ τὸ καλούμενον δὲ ἀντιπαθὲς κουράλιον οἰητέον ὑπάρχειν, εἰδικὴν ἔχον διαφοράν. ἔστι δὲ τῇ μὲν χρόᾳ μέλαν, δενδρίζον δὲ καὶ αὐτὸ καὶ ὀζῶδες μᾶλλον, ‚Man muss davon ausgehen, dass auch das sogenannte Antipathes eine Koralle ist, auch wenn es spezifische Unterschiede zu ihnen aufweist. Zwar hat es eine schwarze Farbe, aber es ist auch (wie andere Korallen) baumähnlich und zweigig‘ (Diosk. 5.122). Dioskurides und Plinius meinen dasselbe Material, klassifizieren es aber anders. Womöglich sah sich Dioskurides in seiner Beschreibung des Antipathes als Koralle bestätigt, weil er von der bei Plinius erwähnten apotropäischen Wirkung
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17 F 44: Liebeszauberei (Teil 1)
des Antipathes wusste. Auch Korallen schrieb man die Eigenschaft zu, Zauber abwenden zu können (Abt [1908] 103): Als Amulett dienten sie genauso wie bestimmte Steine zum Schutz vor Krankheiten, Zaubern oder Geistern und Göttern. Das laevianische Antipathes muss daher auch ein Stein oder eine Koralle sein, in jedem Fall ein Material, das sich der Zaubernde als Schutzmittel um den Hals hängt, damit er Immunität gegen Magie erlangt. Ein solcher Schutzgegenstand ist deshalb nötig, weil man die Zauberei immer auch mit Gefahren verbunden sah. Die Anweisungen in den griechischen Zauberpapyri enthalten häufig Mahnungen an ihre Leser: Man solle sich richtig schützen, damit die Zauber sich nicht gegen den Zaubernden selbst wenden und die angerufenen Götter oder Dämonen nicht erzürnt werden. In der Erklärung eines Liebeszaubers heißt es zum Beispiel: τήρει δὲ σεαυτόν, μὴ πληγῇς, ‚sei auf der Hut, dass du nicht selbst getroffen wirst!‘ (PGM xxxvi 76). Die üblichen vorbeugenden φυλακτήρια gegen solche Nebenwirkungen sind wie wohl auch bei Laevius Steine (PGM iv 2626 f.; 2878 f. und dazu LSJ s. v. φυλακτήριον 2), beschriebene Stofffetzen oder Papyri (PGM iv 79 f., 1072 f.), manchmal auch Anderes (z. B. Päonien: PGM lxii 24; ein Eselsschädel: PGM xi 26). Weniger annehmbar scheint mir Abts (1908, 103) Erklärungsversuch: Er versteht das Antipathes als ein unbestimmtes Mittel, dass bei unerwiderter Liebe eine Gegenliebe bewirkt („quod mutuum affectum provocat“). Einen Beleg für diese Bedeutung biete Pseudo-Lukian: In seinen Amores heißt es, homosexuelle Liebe sei unnatürlich, weil sie nur einem der beiden Sexualpartner, nämlich dem aktiven Teil, Lust beschere: τί δ’ οὐχὶ τῶν ἡδονῶν καὶ τὰς ἀντιπαθεῖς μεταδιωκτέον; ‚Warum aber soll man nicht auch die wechselseitigen Vergnügungen (in der Liebe) verfolgen?‘ ([Luk.] am. 27). ἀντιπαθής ist bei Lukian (τὰς ἀντιπαθεῖς [sc. ἡδονάς]) gut verständlich. Bei Laevius scheint mir antipathes (sc. pharmakon oder philtrum) ‚Zauber, der erwiderte Liebe bewirkt‘ dagegen sprachlich schwierig. trochisci iynges taenia Es folgen drei weitere Hilfsmittel, die zum richtigen Gelingen des Zaubers nötig sind. Überliefert ist trochiscili unges in Codex F, von dem alle anderen Codices der Apologie des Apuleius abhängen (zur Überlieferungslage der nicht-philosophischen Schriften siehe die OCT-Ausgabe der Metamorphosen von Zimmermann p. xii–xiv). Die direkte Abschrift φ verbesserte dann zu trochiscili ungues. Neben der unerklärlichen Form trochiscili (allenfalls eine Deminutivform statt trochisculi) sprechen auch die ungues gegen die Konjektur von φ. Fingernägel sind zwar als Zutat eines Liebestrankes belegbar (PDM xiv 447–51), sie fügen sich inhaltlich aber nicht in den Vers, der erst das nötige Equipment zum Wirken eines Zaubers enthält. Andere Emendationsversuche stellt Ingallina (1991) 645 zusammen. Die meisten von ihnen sind mit einer Länge im dritten Element des Iambus für Laevius weniger hinnehmbar: z. B. De la Ville de Mirmont (1903) 316 trochisci effegies; Barta-
17.3 Stellenkommentar: Die Zaubermittel
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lucci (1985) 84–6 trochisci lychnus. Andere vernachlässigen das eigentliche Problem, z. B. Baehrens’ trochi scyphi ungues. Stimmig ist die Konjektur trochisci[l] iunges. Sie geht auf die Apuleius-Ausgabe von P. Scriverius (1624) 208 zurück, nicht, wie es in den Ausgaben angegeben ist, auf Jos. Scaliger, der wenig überzeugend (1617; Kommentar zur Ciris) 74 trochili iunges ‚der Zaunkönig und der Wendehals‘ schrieb. Baehrens hatte L. Müllers (1880, 78) etwas unglücklich abgekürzte Apparatangabe „corr. Sc.“ (= „correxit Scriverius“; den Namen Scaliger schreibt L. Müller stets aus) falsch interpretiert. Scriverius’ trochisci iynges bietet bei einem leichten Eingriff in den Text jedenfalls entschiedene Vorteile gegenüber der Konjektur aus φ, wie Ingallina (1991) in einem ausführlichen Beitrag gezeigt hat. Siehe dort p. 653, Anm. 39 auch zur Synaloephe nach langem Genitiv-i; vgl. zur Rechtfertigung der Konjektur daneben auch Tupet (1976) 216–8. Der Ausdruck trochisci ist griechisch: ὁ τροχίσκος, ‚das Rädchen‘. In diesem Zusammenhang kann Laevius damit nur ein magisches Rädchen meinen, das beim Wirken von Liebeszaubern genutzt wurde. Es handelt sich dabei um eine meist vierspeichige flache Scheibe mit einigen Löchern, durch die man eine Schnur ziehen konnte. Man führte die lange Schnur durch ein erstes Loch hindurch und durch ein zweites Loch zurück. Danach band man die Enden zusammen. Durch die Verdrehung des Fadens auf beiden Seiten war es nun möglich, das Rad aufzuziehen. Wenn der verdrehte Faden mit beiden Händen straffgezogen wurde, das eine Ende in der linken, das andere in der rechten Hand, rotierte das Rad schnell und entwickelte die Schnur. Durch Lockerlassen verdrehte sich der Faden mit seinem eben erhaltenen Schwung wieder in die andere Richtung; nach nochmaligem Anspannen konnte er wieder entwickelt werden und so weiter. Hilfreich für das Verständnis ist der Beitrag von Gow (1934), der das Rädchen nachbaute und seine Versuche mit Bildern dokumentierte. Damit das magische Rädchen seine Wirkung entfalten konnte, wurde ein Iynx (Wendehals) darauf gespannt, von dem es hieß, dass er Bindezauber bewirken könne. Nach Pindar geht die Praxis auf Aphrodite selbst zurück: πότνια δ’ ὀξυτάτων βελέων / ποικίλαν ἴϋγγα τετράκναμον Οὐλυμπόθεν / ἐν ἀλύτῳ ζεύξαισα κύκλῳ / μαινάδ’ ὄρνιν Κυπρογένεια φέρεν, ‚Die Herrin der schärfsten Geschosse band den bunten Wendehals, befestigt an vier Speichen, unlösbar an ein Rad und sie, die Kyprische, brachte den wahnsinnigmachenden Vogel aus dem Olymp‘ (Pind. Pyth. 4.214–16). Das griechische Wort ἴυγξ wurde deshalb später übertragen für das Zauberrad selbst genutzt; vgl. Gow (1952) zu Theokr. Id. 2.17. Bei Laevius ist aber nach der Erwähnung des Zauberrädchens zuvor der Vogel gemeint. Die danach genannten Bänder (taeniae, gr. ταινία) erfüllen in der Zauberei verschiedene Funktionen. Vergil erwähnt in seiner achten Ekloge einige uittae molles, worauf Apuleius wenige Momente, bevor er Laevius zitiert, auch schon angespielt hat. Darin stellt Alphesiboeus den Liebeszauber eines Mädchens nach
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17 F 44: Liebeszauberei (Teil 1)
und beginnt seinen Gesang mit den Worten molli cinge haec altaria uitta (ecl. 8.64). Während Vergil den Altar mit den Bändern umwinden lässt, wird die taenia in der Zauberei gewöhnlich wie bei Priestern als Haarbinde mit Katharsis-Funktion verstanden; vgl. dazu Abt (1908) 70 f. radiculae herbae surculi Nun ist die Rede von den Substanzen, die ihre Wirkung entfalten, wenn sie (zumeist in Form von Tränken) eingenommen werden: Die Wurzeln, Kräuter und Sprösslinge umfassen das komplette Gebiet der pflanzlichen Zaubermittel, ohne dass man im Einzelnen sagen kann, was Laevius jeweils genau im Blick hatte. Auch bei den vielen anderen Beschreibungen von Zauber- und Liebestränken in der lateinischen Literatur wird selten detaillierter von bestimmten Rezepten gesprochen; meist werden schlicht die herbae erwähnt; vgl. Tupet (1976) 59–64. saurae illices bicodulae Den Vers hat zuerst Havet (1891) 6 richtig interpungiert, indem er in bicodulae ein Attribut zu saurae erkannte. Am besten ist es prädikativ aufzufassen, ‚zweischwänzige Eidechsen als Lockmittel‘. Nach Havet erklärte Abt (1908) 109–11 die Stelle inhaltlich: Eine Eidechse kann zerrieben und der zu verzaubernden Person verabreicht eine schädliche Wirkung entfalten. Auch die Zauberin im erwähnten Theokritidyll (2.58) macht von ihr Gebrauch: σαύραν τοι τρίψασα κακὸν ποτὸν αὔριον οἰσῶ ‚eine Eidechse zerreibe ich, als üblen Trank werde ich sie (ihm) morgen bringen‘; und aus einem demotischen Zauberpapyrus ist bekannt, dass die Wirkung offenbar besonders stark ist, wenn eine zweischwänzige Eidechse genutzt wird, also eine Eidechse, der nach den Teilverlust ihres Schwanzes ein neuer, zweiter Schwanz nachgewachsen ist: „If you put a two-tailed lizart into [the] oil, [cook] it, and anoint the man with it, [then he dies?]“ (PDM xiv 386 f. [col. xiii 23] nach der Übersetzung von Johnson in Betz [1984] 218; ebenfalls bei Griffith/Thompson [1904] 97); vgl. auch die Scholien zur zitierten Theokritstelle ἔστι δὲ αὕτη δίκερκος (Gow [1952] 46, Anm. 1: δύσκερκος codd. : δίσκερκος Abt [1904] 101) ‚gemeint ist eine zweischwänzige Eidechse‘. Bei Laevius wird der Eidechse hingegen keine schädliche Wirkung zugeschrieben. Sie wird zur Vermeidung von Missverständnissen klar als lockendes Mittel für einen Bindezauber hervorgehoben (illices); vergleichbar scheint mir Kyranid. 2.14 ἐὰν δὲ μιγνυμένας δύο (sc. σαύρας) ἀρσενόθηλυ ἀγρεύσῃς καὶ κόψῃς τὸ μόριον καὶ ξηράνῃς καὶ ποτίσῃς γυναικί, γίνεται φιλία ἄλυτος. ‚Wenn du aber zwei sich paarende Eidechsen, eine männliche, eine weibliche,713 fängst, dem
Die Bedeutung von ἀρσενόθηλυ (eigentlich ‚männlich-weiblich, hermaphroditisch‘) ist ungewöhnlich und erschließt sich mir nicht ganz. In der lateinischen Übersetzung der Kyraniden
17.3 Stellenkommentar: Die Zaubermittel
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Männchen das Geschlechtsteil abschneidest, es trocknest und einer Frau zu trinken gibst, dann entsteht eine unlösbare Liebe‘; zu Eidechsen als Potenzmittel siehe ferner die Fortsetzung bei Kyranid. 2.14 oder Plin. nat. 30.141; für weitere Wirkungen, die dem Tier nachgesagt wurden, Gow (1952) zu Theokr. Id. 2.58. – Die Bildung bicodulus (bi + cauda als Deminutiv) ist nur hier belegt. Sie ist vielleicht laevianisch. hinnientium dulcedines Der Ausdruck ist eine dichterisch-künstliche Umschreibung des griechischen τό ἱππομανές (siehe oben p. 253f.). Darunter wurden in der Antike verschiedene pflanzliche und tierische Mittel verstanden, denen aber allesamt gemein ist, dass sie wahnsinnige Liebe bewirken können. Bei Theokr. Id. 2.48 ist es eine Pflanze: ἱππομανὲς φυτόν ἐστι παρ’ Ἀρκάσι, τῷ δ’ ἔπι πᾶσαι / καὶ πῶλοι μαίνονται ἀν’ ὤρεα καὶ θοαὶ ἵπποι · / ὣς καὶ Δέλφιν ἴδοιμι, ‚Hippomanes ist ein arkadisches Gewächs, von dem alle Fohlen und schnellen Stuten im Gebirge geil werden: So möchte ich auch Delphis sehen‘; bei Aristot. hist. an. 605a 2–7 (und Plin. nat. 8.165) ist es eine Masse von der Größe einer getrockneten Feige, die sich auf der Stirn des neugeborenen Fohlens befinde und von der Mutter unmittelbar nach der Geburt abgeleckt werde. Damit ist wohl das gemeint, was noch heute Hippomanes genannt wird, also unverbrauchte und eingedickte Histiotrophe; vgl. dazu Schnieders (2019) 616 f. und Pease (1935) 428 f. Bei Aristot. hist. an. 572a20f. bezeichnet es zuletzt das Scheidensekret einer brünstigen Stute; vgl. zur Sache ebenfalls Schnieders (2019) 616 f. Wie Laevius das Hippomanes verstand, ist nicht eindeutig bestimmbar. In der lateinischen Dichtung ist hauptsächlich von dem Hippomanes als Scheidensekret die Rede: vgl. vor allem Verg. georg. 3.280–4 hic demum, hippomanes uero quod nomine dicunt / pastores, lentum destillat ab inguine uirus, / hippomanes, quod saepe malae legere nouercae / miscueruntque herbas et non innoxia uerba (auch Prop. 4.5.18, Tib. 2.4.58 u. ö.), dagegen vgl. aber die oben p. 251 zitierte Vergilstelle. Zu einer erschöpfenden Stellensammlung siehe Pease (1935) 426–9. Die Umschreibung eines Tieres mit seinem Laut (hinnientium) in der lateinischen Dichtung gibt es schon bei Ennius: ann. 169 Sk. balantum pecudes (häufig nachgeahmt z. B. Lucr. 2.369, Verg. Aen. 7.538, Hor. epod. 2.11 f.); vgl. zu derartigen Umschreibungen Skutsch (1985) zu Enn. ann. 169 und Adams (1973) 123, Anm. 29.
heißt es: si autem duas (sc. lacertas), masculum scilicet et feminam, inueneris commiscentes et ceperis ac sexum abscideris et desiccatum in potu dederis, fiet amicitia indissolubilis (p. 108.15–18 Delatte).
18 F 45: Vatiena De la Ville de Mirmont (1903) 327–30, Courtney (1989) 162, G. Morelli ii (2012) 92 f.
Der Lyriker Caesius Bassus zitiert bereits im ersten Jh. n. Chr. Laevius in seiner als Fragment erhaltenen Abhandlung De metris, um den Aufbau anakreonteischer Verse zu erklären (p. 27 f. Mor. = GLK vi 261 f.):714 mĕă Vātĭēna, ămābō
Kurz nach dem Zitat erweitert er diesen Vers noch auf unterschiedliche Weise, um verschiedene Bauarten eines Galliambus zu demonstrieren mĕă Vātĭēna, ămābō, mĕă Vātĭēna, ămā oder mĕă Vātĭēna, ămābō, mĕă cūră, mĕă Vĕnŭs. Kein Wort dieser Erweiterungen gehört zu Laevius und ebenso wenig spiegelt es den genaueren Kontext des Verses wider.715
18.1 Die gens Vatiena Trotz seiner Kürze ist das Fragment wegen des erhaltenen Namens Vatiena von größtem Interesse für die Forschung zu Laevius. Von der gens Vatiena716 sind heute noch einige Personen bekannt: allen voran P. Vatienus, dem, so Cicero, von Kastor und Pollux der Sieg von Pydna und die Gefangennahme des Makedonenkönigs Perseus berichtet worden sei, noch bevor wichtige Senatoren wie der alte Cato Kenntnis davon gehabt hätten.717 Er selbst stammte aus Reate, doch seine Nachfahren kamen zu einem unbekannten Zeitpunkt vor den frühen siebziger Jahren nach Rom. Sein Enkel scheint den Gesprächsteilnehmern von Ciceros De natura deorum, allesamt
Überliefert ist Lepidus als Urheber des Vatiena-Fragments, aber kurz nach dem Zitat steht in den Handschriften richtig ex Laeuiano metro. Die Konjektur Laeuius stammt nach G. Morellis Apparat z. St. vom Humanisten Fulvio Orsini (an den Rand der Handschrift A geschrieben). Ebendort ist zum selben Zweck auch Catull. 1.1 cui dono lepidum nouum libellum variiert in lepidum nouum libellum, lepidus nouus liber, ohne dass es inhaltlich irgendetwas für das Catullgedicht bedeuten würde. Münzer RE viii.A2 1394 hatte die gens Vatiena noch mit der gens Vatinia gleichgesetzt, aber das ist zumindest problematisch; vgl. schon Schulze (1904) 250, der die Gleichsetzung wegen der unterschiedlichen Quantitäten Vătinius und Vātienus zurückweist; siehe jetzt auch Marek (1977) 40. Unschlüssig ist Syme (1979) 320 (= 1956, 208). Vgl. Cic. nat. deor. 2.6 und 3.12 f. Die besten Handschriften überliefern die lectio difficilior Vatienus, andere Vatinius; vgl. neben Cicero auch Val. Max. 1.8.1 (Codex N mit Vacienus) und den Valerius-Epitomator Nepot. 1.8.1 (Vatienus). https://doi.org/10.1515/9783111237121-025
18.2 Laevius’ Vatiena
261
Angehörige der kulturellen Elite und höchsten Bildungsschicht, gut bekannt zu sein.718 Vermutlich gehört die gens daher ursprünglich zum sozial höherstehenden sabinischen Adel. Später erreichen uns die letzten Nachrichten einiger Vatieni durch inschriftliche Belege aus der Zeit des frühen Prinzipats. Sie bestätigen das bisherige Bild: Ein P. Vatienus war der Mann einer Cornelia, vermutlich der Tochter des L. Scipio Asiaticus (cons. 83 v. Chr.).719 Aus all dem geht deutlich hervor, wie angesehen und bekannt die gens Vatiena gewesen sein muss.720
18.2 Laevius’ Vatiena Die bei Laevius erwähnte Vatiena dürfte daher umso mehr eine reale Person sein und in einer Verbindung zu den hier vorgestellten Vatieni stehen. Entweder ist sie eine Freigelassene oder sie wurde in die Familie hineingeboren. Bekannt ist sie heute sonst jedenfalls nicht mehr. Wir wissen von ihr nur das, was aus diesem kurzen Fragment erfahrbar ist. Sie stand offenbar in einem engen Verhältnis zu dem Sprecher des Verses: amabo ist ein verbreiteter kolloquialer Ausdruck, um eine Bitte zu äußern. Er bezeugt in der Regel eine tiefe Vertrautheit zwischen Sprecher und Angesprochenem.721 Die Umstände zum Gebrauch des Verbs in diesem Sinne scheinen sich im ersten und zweiten Jh. gewandelt zu haben: Bei Plautus ist amabo als ‚ich bitte dich‘ fast nur von Frauen in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen gesprochen. Die wenigen Ausnahmen bei männlichen Sprechern stehen für gewöhnlich in erotischen Kontexten. Meist wendet sich ein Liebender an seine Geliebte, manchmal auch ein Sklave an seine Herrin. Etwas mehr als einhundert Jahre später kann Cicero als Mann amabo dagegen in seinen Briefen ganz frei auch gegenüber ihm vertrauten Männern benutzen.722
Vgl. Cic. nat. deor. 2.6 P. enim Vatienus auus huius adulescentis ... . Als dramatisches Datum des Dialogs gelten die Jahre 77–75; vgl. Pease (1955) 24–6. Vgl. CIL i2 821 (= CIL vi 1296) elia L. Scipion Vatieni; dort auch Mommsens Vorschlag zur Identifikation der Cornelia mit der Tochter des L. Scipio Asiaticus. Vgl. dazu Marek (1977) 38–42, auf dem der hier gebotene Abriss zur gens beruht. Häufig wird das Fragment mit Catull. 32.1 amabo, mea dulcis Ipsitilla in Verbindung gebracht (etwa Courtney [1989] 162). Alfonsi (1958a) 359 f. sieht eine Imitation von Titin. 109 f. 2R. Paula mea, amabo, pol tuam ad laudem addito ‚praefiscini‘; aber vgl. Plaut. Men. 541 amabo, mi Menaechme, Mos. 166 amabo, mea Scapha, auch Persa 336 amabo, mi pater und viel öfter (allein bei Plautus gibt es in etwa einhundert Belege für amabo und nicht selten tritt ein Vokativ dazu). Es wäre irreführend, hier literarische Abhängigkeiten zu postulieren. Die Wendung ist umgangssprachlich und wird in der Komödie, in der Liebesdichtung und auch in Ciceros Briefen genutzt. Vgl. Adams (1984) 63–7, Dutsch (2008) 50–3 und Barrios-Lech (2016) 115–23.
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18 F 45: Vatiena
Über die Identität und das Geschlecht des Sprechers bei Laevius haben wir keinerlei Kenntnis. Weil aber eine Person mit realem, nicht mythologischem Namen angesprochen wird, vermutet man, dass ein laevianisches Ich spricht. Ein erotischer Kontext wäre in diesem Fall aus sprachlicher Sicht nicht unwahrscheinlich. Davon ausgehend ist es auch nicht mehr weit, hinter Vatiena eine „maîtresse de Laevius“ zu erkennen, die in ein und derselben Reihe mit der catullschen Lesbia oder mit Properzens Cynthia stünde; es ist verführerisch, diesen Schritt auch wirklich zu gehen.723 Doch liegen die Schwierigkeiten klar auf der Hand: Im Unterschied zur Vatiena im Laeviusfragment tragen alle in der erotischen Literatur besungenen dominae und auch die männlichen Geliebten griechische Kunstnamen, nicht zuletzt wohl um ihre Charaktere als Fiktionen herauszustellen und keine böswilligen Verbindungen zu einer real existierenden Person zu ermöglichen:724 die Perilla des Ticida, die Lesbia des Catull, die Lycoris des Gallus, die Cynthia des Properz, die Delia, die Nemesis oder der Marathus des Tibull oder die Corinna des Ovid.725 Die Vatiena bei Laevius ließe sich hingegen weniger leicht als Fiktion erkennen, weil sie einen bekannten Gentilnamen trägt, der zudem nicht sonderlich verbreitet war. Dass sie unter diesem Namen mit den genannten Frauen aus der subjektiven Liebesdichtung vergleichbar wäre, ist deswegen nahezu auszuschließen. Es ist nicht vorstellbar, dass eine Frau aus der gens Vatiena, sei sie nun fingiert oder nicht, sei sie eine freigelassene Sklavin726 oder eine Römerin, als Liebesobjekt in Laevius’ Erotopaegnia erscheint und zu einer domina wird, aus deren Liebesleben intime Details wiedergegeben würden, wie man sie von Lesbia oder Cynthia erfährt. Es wäre viel zu naheliegend eine Verbindung zu der berühmten Familie herzustellen. Eine weibliche Person mit realem Namen spielt auch in der Liebesdichtung vom Catullfreund Calvus eine Rolle. Es sind wenige Fragmente eines Epicedions erhalten, das er für eine Quintilia verfasst hat (15 f. C./4FPL Bl. = 26–8 H.). Calvus hat sie, wie Catull. 96 mitteilt, geliebt. Wegen ihres echten Namens darf sie im Gegensatz zu den oben genannten Frauen aus der Liebesdichtung wohl auch als eine historische Persönlichkeit angesehen werden. Dass sie eine von Calvus oft besungene domina gewesen sein könnte, ist aber nur schwer vorstellbar. Von Quintilia gibt es je einmal bei Catull und Properz nur im Zusammenhang mit dem
So De la Ville de Mirmont (1903) 328 (dort auch das Zitat); vgl. auch Leo (1914) 187, Traglia (21974) u. a. Vgl. zu den besungenen Frauen als Fiktion Cairns (2006) 66–9. Die zwanghaften Versuche, die dominae der Liebesdichter nach Apul. apol. 10 mit bestimmten realen Personen zu identifizieren, sind inzwischen überholt. Zu Calvus’ Quintilia siehe gleich im Folgenden. So vermutet Courtney (22003) 141.
18.2 Laevius’ Vatiena
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für sie gedichteten Epicedion Nachricht.727 Vermutlich hat Calvus sie also auch nur in diesem einen Gedicht erwähnt. Von welcher Art die Beziehung zwischen den beiden genau war, ist wie bei Laevius nicht sicher zu sagen. Häufig wurde in Quntilia eine verstorbene reale Ehefrau oder eine reale Geliebte des Dichters erkannt. Beides ist möglich, doch es gibt keinen Anlass zu glauben, dass sie einen größeren Platz in Calvus’ Dichtung eingenommen hat.728 Für Laevius trifft vermutlich Ähnliches zu, es könnten aber auch ganz andere Zusammenhänge bestehen. Das Fragment könnte aus einer Widmung an eine Vatiena stammen, verbunden mit der Bitte um ihre Gunst, mit dem Lob ihrer Schönheit, ohne dass etwa ein subjektives Liebesgedicht von einer Intensität und Intimität der catullschen carmina vorliegen würde. Vielleicht pflegen der Sprecher und die Angesprochene auch eine intime Vertrautheit zueinander, die von einer erotischen Beziehung fern liegt. Wie die Cicerobelege zeigten, konnte die Wendung amabo te auch außerhalb einer erotischen Beziehung verwendet werden. Es mag sicherlich noch andere Ansätze zur Deutung des Fragments geben. Aber von dem Gedanken, dass Laevius ein zweiter Catull, Vatiena eine zweite Lesbia ist, ist Abstand zu nehmen.
Catull. 96 und Prop. 2.34.89 f; Properz erwähnt sie zwar zusammen mit Lesbia, aber man erfährt nur, dass Calvus über Quintilias Tod gedichtet habe. Pace Courtney (22003) 208 („dominant figure in the love poetry of Calvus“) und Hollis (2007) 4.
19 F 46: nietnaglige Dichtung Unter dem Lemma rediuia, ‚Nietnagel‘, zitiert Festus ein Fragment, das er, wenn man der Überlieferung glaubt, dem Dichter Livius zuteilt. Gemeint sein könnte dann nur Livius Andronicus. Dass er den zitierten Vers aber niemals geschrieben haben könnte, zeigt schon der Hinkiambus, der im Lateinischen sonst erst seit Gn. Matius und Varro zumeist in Mimiamben oder subjektiv-satirischen Gedichten genutzt wird:729 scăbra īn lĕgēndō rĕdŭuĭōsăue ōffēndēns beim Lesen am Rauen oder Nietnagligen anstoßend
Scaligers These, Festus führe hier in Wirklichkeit ein Fragment des Laevius an,730 hat schon von vornherein wegen der Verwirrungen der Codices bei den Namen Livus und Laevius Vieles für sich. Obwohl das Fragment ohne Angabe des Titels oder des inhaltlichen Zusammenhangs zitiert wird und äußere Belege für die Zuweisung fehlen, lässt sie sich nach der Analyse des Inhalts und der Wortwahl des Verses mit gutem Gewissen vertreten. Laevianisch ist der (zu vermutende) Adjektiv-Neologismus auf -osus. Vergleichbare Bildungen und hapax legomena sind insbesondere im Altlateinischen anzutreffen, wenn sie auch nicht allein darauf beschränkt bleiben.731 Es besteht auch kein Zweifel, dass der Inhalt literaturkritischer Art ist (in legendo ... offendens). Auch das passt gut zu Laevius, der sich, wie wir von Gellius wissen, in seinen Gedichten mit Personen oder bestimmten Personengruppen auseinandergesetzt hat, die seine Dichtung kritisierten: In der Alcestis befand sich vermutlich ein apologetischer Teil über die Themenwahl seiner Dichtung nach kallimacheischer Art (F 22 subductisupercilicarptores). Anders aber als bei den in der Alcestis erwähnten ‚Verreißern‘ zielt die Aussage im Fragment nicht auf inhaltliche, sondern auf stilistische Belange, die hauptsächlich Metrik und Versbildung betreffen. Das Adjektiv scaber benutzt später Macrobius in einem ähnlichen Kontext, wenn er am Beispiel von Ennius beschreibt, wie die Meinungen der Literaturkritiker sich mit den Jahrhunderten gewandelt hätten: Während die Zeitgenossen des Epikers noch nichts an seiner Dichtung ausgesetzt hätten, hätten viele nachkommende Generationen den ennianischen Stil als rau (scaber) empfunden. Die spätrepublikanische und augustei Für Varro siehe den Index bei Astbury, für die sonstige nicht-dramatische fragmentarische Dichtung Courtney (22003). Vgl. Jos. Scaliger (1576) clxii. Siehe dazu Leumann 341. https://doi.org/10.1515/9783111237121-026
19 F 46: nietnaglige Dichtung
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sche Zeit sei dagegen darum bemüht gewesen, ihrer Dichtung mehr Weichheit und Ruhe zu geben.732 scaber dürfte bei Macrobius und daher auch im Fragment in etwa dasselbe wie rudis bedeuten.733 Das singuläre reduuiosus, ‚nietnaglig‘, das eigentlich von Fingernägeln genutzt wird, ist wohl mit Blick auf den mehrmaligen Gebrauch von Verbindungen wie scabri ungues gebildet, womit raue und ungepflegte Fingernägel gemeint sind. Ovid kommt darauf als Merkmal von besonderer Hässlichkeit zu sprechen, das möglichst zu vermeiden sollte, um attraktiv zu wirken.734 Weil Laevius viele verschiedene, teils auch neue experimentelle Metra wie Anakreonteen oder sonst nicht belegte Zehnsilbler verwendete, könnte er mit seinen Gedichten seinerzeit wirklich Anstoß erregt haben. Vielleicht wiederholt das Fragment gegen Laevius vorgebrachte Polemik. Doch es kann auch umgekehrt eine gegen andere Dichter vorgebrachte Kritik sein. Unabhängig von solchen Detailfragen, darf das Fragment als laevianisch gelten. Wahrscheinlich gehört der Vers wie auch das erwähnte Fragment aus der Alcestis dem Anfang oder Ende eines mythologischen Gedichts an. Aber auch ein für sich selbst stehendes kleineres Gedicht ist nicht endgültig auszuschließen.735
Macr. Sat. 6.3.9 nemo ex hoc uiles putet ueteres poetas, quod uersus eorum scabri nobis uidentur. ille enim stilus Enniani saeculi auribus solus placebat, et diu laborauit aetas secuta ut magis huic molliori filo adquiesceretur. Vgl. zum Wort Prinzen (1998) 428, der mit Ov. trist. 2.1.424 Ennius ingenio maximus, arte rudis vergleicht. Vgl. Ov. ars 3.275 f. exiguo signet gestu, quodcumque loquetur, / cui digiti pingues et scaber unguis erit; die Verbindung auch bei Cels. 6.19, Plin. nat. 20.220 und öfter. Weichert (1830) 76 ging von einem Gedicht am Anfang eines Buches (oder des gesamten Werkes) aus. Vgl. u. a. Baehrens FPR: „ex prooemio quodam.“
20 F 47: decipulum In einem Briefwechsel mit dem zukünftigen Kaiser Marcus Aurelius aus den 140er Jahren erwähnt Fronto neben vielen anderen Dichtern auch einmal Laevius.736 Anlass dazu gab ihm ein Brief seines Schülers Marcus Aurelius, in dem der Schlaf angeklagt wird. Dieser führt darin nach zahlreichen Homerverweisen den Dichter Ennius als Musterbeispiel dafür an, dass Schlaf nachteilig, Wachen hingegen förderlich für den intellektuellen Werdegang sei. Denn Ennius hätte niemals dichten können, wenn er nicht aus dem am Anfang der Annales beschriebenen Traum wieder erwacht wäre.737 Fronto erkennt die Fadenscheinigkeit des Arguments und kritisiert seinen Schüler in einem Antwortbrief: Der Verweis auf Ennius sei viel zu subtil, sophistisch und aufgesetzt. Keine Argumente seien so irreführend, dass man ihnen nicht auf den Grund komme, keine Fallstricke, decipula, wie es bei Laevius heiße, so heimtückisch. Wie viele Wörter aus Frontos Satz auf Laevius zurückzuführen sind, ist nicht klar zu bestimmen. Manche Herausgeber interpungierten ‚nulla‘, ut ait Laeuius, ‚decipula tam insidiosa‘, was kaum möglich ist, wenn auch mit viel Wohlwollen und der seltenen Synaloephe nach tam zwei anakreontische Teilverse herstellbar wären.738 Fronto geht mit den von ihm angeführten dichterischen Ursprungstexten häufig sehr frei um.739 Selbst wenn er deutlich hervorhebt, dass er die Worte eines Dichters benutzt, lässt sich häufig nicht einmal mehr ansatzweise erkennen,
Sittl (1883) 1104 ändert Laeuius zu Nouius, weil sich die einige Zeilen auf das Fragment folgende Aussage aliud scurrarum prouerbium auf das Laeviusfragment beziehe und Laevius kein scurra sei. Aber aliud scurrarum prouerbium heißt wohl „now something different, an idler’s proverb“, weil vorher gar nicht von einem Sprichwort die Rede ist, es sei denn, in der Lücke noch vor dem Laeviusfragment ist eines ausgefallen; vgl. dazu und zur zitierten Übersetzung van den Hout (1999) 23. 7.15–17 vdH transeo nunc ad Q. Ennium nostrum, quem tu ais ex somno et somnio initium sibi fecisse. sed profecto nisi ex somno suscitatus esset, numquam somnium suum narrasset. ̆ ̆ nūllă dēcĭpŭlă tam īn- /sĭdĭōsă. Die Synaloephe nach tam gibt es einige Male bei Plautus, z. B. Aul. 237, auch bei Verg. Aen. 1.568 und 11.705; vgl. dazu Norden (41957) 457. Aus nūllă dēcĭpŭlă tăm īnsĭdĭōsă mit prosodischem Hiat (vgl. Plaut. Asin. 698) wäre noch weniger zu gewinnen. Einige Plautusreferenzen sammelt im Vergleich mit dem Originaltext Deufert (2002) 203; vgl. z. B. Fronto 229.1 f. vdH an alcedo cum pullis suis tranquillo otio dignior est quam tu cum tuis liberis? und Plaut. Poen. 355 f. nisi illam mihi tam tranquillam facis / quam mare olimst quom ibi alcedo pullos educit suos. https://doi.org/10.1515/9783111237121-027
20 F 47: decipulum
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dass der von ihm paraphrasierte Text einmal metrisch war.740 Manchmal ist nicht mehr als ein einzelnes Wort auf den genannten Dichter selbst zurückzuführen.741 Auch für Laevius bleibt nicht mehr als das seltene Wort decipulum übrig, weshalb der ursprüngliche Kontext der Paraphrase dunkel bleiben muss. Fronto fügt das Wort in seine eigene Argumentation ein, weshalb auch die Zusammenhänge bei Laevius von ganz anderer Art sein können. Vielleicht steht das Wort bei ihm sogar im Gegensatz zur Fronto-Stelle in seiner ursprünglichen Bedeutung ‚Jagdfalle, Jagdnetz‘.742
Schon Weichert (1830) 49: „mihi videntur haec Laevii verba memoriter et paullo liberius a Frontone esse laudata“; der Frontoherausgeber Naber etwa las nulla decipula tam insidiosa für Laevius, auch noch L. Müller (1880) 78 und FPR Baehrens (zuletzt gefolgt von van den Hout [1999] 23); seit 1FPL M. wird in den Fragment-Ausgaben wohl richtigerweise nur noch decipula Laevius zugeteilt. Nur zwei Beispiele: Fronto 15.6–8 vdH (Lab. mim. 70 Pan.) uerum est profecto quod ait noster Laberius, ad amorem iniciendum delenimenta esse deleramenta, beneficia autem ueneficia. Ältere Herausgeber stellten daraus Verse her, aber für Laberius sind nur die zentralen Begriffe delenimenta, deliramenta, beneficia, ueneficia sicher; siehe auch mit derselben Einleitung wie beim Laeviusfragment Fronto 153.14 vdH (Lab. mim. 72 Pan.) neque ignoro copiosum sententiis et redundantem hominem esse, uerum sententias eius tolutares uideo nusquam quadripedo concito cursu tenere, nusquam pugnare, nusquam maiestatem studere , ut Laberius ait, dictabolaria, immo dicteria, potius eum quam dicta confingere. Auch hier ist nur seltene Wort dictabolarium sicher; vgl. die Kommentare von Panayotakis (2010) zu Laberius und van den Hout (1999) zu Fronto jeweils z. St. decipulum ist zuerst bei Laevius, danach erst wieder beim Archaisten Apuleius (z. B. met. 8.5 oder 10.24) und später belegt, z. B. häufig bei Hieronymus (ThLL v.1 179.12–20). Seit Letzterem wird das Substantiv oft als Femininum der a-Deklination genutzt, wohingegen es bei Apuleius, Fronto (voran geht praestrigiae) und daher wohl auch bei Laevius wie der Bildung nach zu erwarten ein Neutrum der o-Deklination ist. Es bezeichnet als Substantiv auf -ulum, was zum Täuschen taugt (decipere); vgl. iaculum (zum Werfen), speculum (zum Sehen), uinculum (zum Fesseln); zu solchen Bildungen siehe Leumann 311. Daher ist ein decipulum wohl eigentlich ein Jagdnetz (siehe ThLL v.1 179.4–6). Es ist aber nur in seltenen Fällen in diesem Sinne genutzt. Bei Apuleius und im Zusammenhang bei Fronto ist damit schlicht eine Täuschung gemeint.
21 F 48: ein Venusgebet (Liebeszauberei Teil 2) Haupt (1875) 116 f. (= 1841, 44), Havet (1891) 9, De la Ville de Mirmont (1903) 302–6, Roßbach (1901) 1352, Granarolo (1971) 90–5, Granarolo (1973) 324 f., Courtney (22003) 138–40
Das Fragment, in dem eine unbekannte Person ein Gebet an die zweigeschlechtliche Venus richtet,743 wird von Macrobius in einer Diskussion über die tiefen religiösen Kenntnisse Vergils zitiert: Man dürfe die Verse Aen. 2.632 f. über Aeneas’ Flucht aus Troja unter Führung einer Gottheit nicht in der Form discedo ac ducente dea flammam inter et hostes / expedior lesen.744 Obwohl selbstverständlich Venus die helfende Göttin in Not sei, bleibe dennoch ducente deo die richtige Lesart für den Vergiltext.745 Schließlich, so heißt es weiter, gebe es auch andernorts Spuren davon, dass Venus als männliche Gottheit aufgefasst worden sei, etwa bei Calvus, der sie als deus, nicht dea, bezeichnet habe; auch eine zyprische Statue stelle Venus mit Bart als Zwittergottheit dar; Aristophanes nenne sie Ἀφρόδιτος, und bei Laevius746 sei sie mit dem Adjektiv almus in maskuliner Form beschrieben: Venerem igitur almum adorans †siue femina†747 siue mas est ita uti alma Noctiluca est
Baehrens (im Apparat z. St.) möchte anstelle des überlieferten Partizips adorans einen Imperativ adora oder adorna lesen. Er hat mit seiner Kritik soweit Recht, als Präsenspartizipien bei den altlateinischen Komikern und in der Prosa Catos äußerst selten mit einem Akkusativobjekt verbunden werden. Das ist aber keine Frage der Zeit, sondern eine Frage der Sprachebene. Schon für Ennius lässt sich eine Vielzahl an vergleichbaren Fällen (ann. 184, 251, 281 Sk. uvm.) nennen; siehe ausführlich Marouzeau (1910) 145–54 und für die vorliegende Stelle auch Jocelyn (1995) 65 f. discedo bei Macrobius, bei Vergil discendo. – Die Macrobiusstelle steht im engen Zusammenhang mit der Serviusnote zur Stelle (in der Laevius aber nicht erwähnt wird); vgl. dazu Goold (1970). Auch in den Handschriften variieren die Lesarten, aber es besteht kein Zweifel daran, dass Macrobius Recht hat; vgl. Horsfall (2008) z. St. Überliefert ist Laeuinus. Die Emendation stammt von Haupt (1875, 116 f. = 1841, 44). Die von Jacques Lefèvre d’Étaples (Jacobus Faber Stapulensis) revidierte Version der Aristotelesübersetzung De sophisticis elenchis von Boethius paraphrasiert das Fragment nach Macrobius ebenfalls unter dem Namen Laeuinus (Migne 64.1023c); zur Autorenschaft der bei Migne abgedruckten Version des Textes siehe Minio-Paluello (1952) 398. Boethius selbst greift an dieser Stelle (Aristoteles Latinus vi 1–3 p. 3.19 Dod) nicht auf Macrobius zurück. Die Korruptel ist nur metrischer Natur, inhaltlich ist der Text eindeutig. https://doi.org/10.1515/9783111237121-028
21.1 Aphrodite/Aphroditos
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Den nährenden Venus also anbetend sei er weiblich, sei er männlich, wie es die nährende Noctiluca ist
Auch berichte der griechische Geschichtsschreiber Philochoros von der verbreiteten Annahme, Venus sei gleichzeitig männlich und weiblich.748
21.1 Aphrodite/Aphroditos All die in dem Saturnalien-Kapitel gesammelten Textstellen können, sofern sie von Macrobius richtig interpretiert worden sind,749 nur in Verbindung mit einem Aphrodite-Ritus auf Zypern zu verstehen sein, der starke Einflüsse des ekstatischen Kultes der altbabylonischen Göttin Ištar aufweist.750 Unsere Kenntnisse über diese zweigeschlechtliche Aphrodite sind nur gering und gehen im Wesentlichen nicht über das hinaus, was Macrobius mitteilt.751 Allerdings kann seine Beschreibung der zyprischen Statue womöglich durch eine archaische Statuette aus Amathous bestätigt werden, von der man vermutet, sie stelle Aphrodite mit Frauenkleidern und langem Bart dar.752 Wie auch immer dieser Kult einer Zwitteraphrodite im Einzelnen ausgesehen haben mag und in welcher Zeit genau man ihm auch nachging, er blieb als Lokaltradition auf Zypern beschränkt. So war er für den Historiker Philochoros interessant genug, um ihn in seinem Geschichtswerk detaillierter zu besprechen; für Aristophanes war er bizarr genug, um Witze auf Kosten eines Ἀφρόδιτος zu machen. Die dünne Quellenlage lässt es daher umso bemerkenswerter erscheinen, Die erwähnten Stellen sind Calv. F 7 C./ 4FPL Bl. (= 32 H.), Aristoph. PCG iii.2 F 325, Philoch. FGrH 328 F 184. Zu der Statuette siehe unten Anm. 752. Für die Aeneisstelle ist es nicht sicher, ob Vergil mit ducente deo eine männliche Venus vor Augen hatte; vgl. die Diskussion bei Timpanaro (2001) 114 f. und Horsfall (2008) z. St.; ebenso bei Calvus pollentemque deum Venerem: Man hat erwogen, ob deum nicht ursprünglich ein falsch verstandener Genitiv war oder generell ganz geschlechtsneutral ‚Gottheit‘ bedeute (ThLL v.1 s. v. deus 890.16–40). Häufig wurde auch Catull. 68.51 duplex Amathusia als Hinweis auf die Zweigeschlechtlichkeit der Venus gewertet, doch duplex kann Vieles bedeuten und Amathusia ohne spezifischen Hinweis auf den zyprischen Kult in Amathous, von dem gleich noch zu sprechen sein wird, gewählt worden sein; vgl. zur Frage Ellis (21889) z. St. Zusammenfassend zu den möglichen Belegen und zu den Zweifeln daran, ob Macrobius und seine Quellen mit der Stellensammlung richtig liegen, siehe Courtney (22003) 139. Vgl. Groneberg (1997) xiii–xix und Burkert (22011) 236. Vgl. die ausführlichste Sammlung literarischer Quellen bei Sophocleous (1985) 79–81; zum Kult auch Eckert (2016) 309–11. Metropolitan Museum, inv. no. 74.51.1565; siehe dazu mit einer Abbildung Sophocleous (1985) 86 f.
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21 F 48: ein Venusgebet (Liebeszauberei Teil 2)
dass Laevius Kenntnisse von der zweigeschlechtlichen Aphrodite hatte. Da den Römern solch eine Art des Venuskultes fernlag,753 dürfte es sich bei seiner Anspielung auf die männlich-weibliche Gottheit um kaum etwas anderes als Buchgelehrsamkeit handeln. Einige Beachtung verdient die Art und Weise, wie Laevius den Verweis auf die zyprische Aphrodite in seine Verse baut. In der römischen Gebetssprache und in Weihinschriften ist es üblich, Götter, deren Identität unbekannt ist, mit der Wendung siue deus siue dea oder siue mas siue femina anzurufen.754 Damit stellt der Betende sicher, dass er sich nicht mit einer falschen Wesensbeschreibung an die nicht näher definierbare Gottheit wendet. Ähnlich werden bei Gebeten an bekannte Götter siue ... siue Wendungen genutzt, um einzelne Namen zur richtigen Evocatio zu variieren. Im carmen saeculare heißt es zu Diana siue tu Lucina probas uocari / seu Genetyllis.755 Das Geschlecht wird hier aber nicht infrage gestellt, weil die angerufene Gottheit bekannt ist. Aus religiöser Sicht ist siue mas siue femina für die laevianische Venus daher unpassend, weil auch hier die angerufene Gottheit und damit ihr Geschlecht bekannt ist: Es ist sowohl männlich als auch weiblich, nicht entweder männlich oder weiblich. Die sakrale Wendung ist bei androgynen Göttern ihrem eigentlichen Gebrauche nach fehl am Platze. Laevius nutzt sie außerhalb ihres üblichen religiösen Kontextes. Die Frage ist für den Betenden demnach eigentlich eine grammatische: Muss bei einer Zwittergottheit das maskuline oder feminine Attribut genutzt werden? Wenn Laevius hier trotzdem von der Wendung Gebrauch macht, dann sind die Verse umso weniger Ausdruck eines Gebetes, wie es einem Römer damals über die Lippen hätte gehen können. Laevius geht vielmehr kreativ mit der lateinischen Sakralsprache um. Er greift eine bekannte Gebetswendung auf und verknüpft mit ihr die Vorstellung der androgynen Venus von Zypern. Die Stelle kann daher äußerlich wie eine echte Venusanrufung wirken, inhaltlich sind in ihr aber verschiedene religiöse Vorstellungen, die einander eigentlich fremd sind, in ein einziges Gebet gebunden.756 Solche Einbettungen archaischer Sakralwendungen in neue, literarische Kontexte sind in der lateinischen Literatur sehr beliebt. Dabei ist es im Einzelnen
Eitrem (1923) hatte die Venus Calva androgyn interpretiert, aber vgl. Börtzler (1928) und die Anmerkungen bei Courtney (22003) 139. Siehe dazu Alvar (1985) mit Sammlung und Kommentierung der Belege. Vgl. Hor. carm. saec. 15 f. und dazu Norden (1913) 143–7. Anders als Alvar (1985) 261, der die Unterschiede der Laeviusstelle zu den anderen Belegen für siue deus siue dea betont und mit den Worten „le problème vaudrait bien une recherche indépendante“ schließt, glaube ich daher nicht, dass die Verbindung der bekannten Sakralwendung mit der zyprischen Venus für religionswissenschaftliche Fragestellungen Bedeutung hat.
21.2 Noctiluca als Trivia
271
immer schwer, kreative Dichtung von Religion zu trennen und die Wirkung der Sakralsprache innerhalb des neuen Kontextes zu bestimmen.757 Hier ist jeder Fall für sich zu analysieren. Der Effekt in Laevius’ Gedicht bleibt ohne Kontext unverständlich. Die Textstelle könnte auf den Leser dunkel, archaisch und geheimnisvoll oder auch wie Ἀφρόδιτος bei Aristophanes komisch gewirkt haben. Unabhängig davon zeigt der Verweis auf die für einen Römer bizarr anmutende zyprische Lokaltradition und ihre Einbindung in eine hocharchaische lateinische Sprache, wie sehr der Liebesdichter auf der Suche nach dem Besonderen ist.
21.2 Noctiluca als Trivia Mit v. 3 führt Laevius in weitere dem Römer fremd erscheinende Gebiete der Religiosität. Der Vergleich zwischen Venus und der Mondgöttin, die hier Noctiluca genannt wird,758 geht vordergründig von der Doppelgeschlechtlichkeit beider Gottheiten aus. Die Vorstellung eines männlichen Mondes ist in vielen Kulturen verbreitet und wird den Römern daher wohl bekannt gewesen sein, auch wenn sie sich bei ihnen nie durchgesetzt hat.759 Würde der Vergleich von Venus und Luna jedoch allein darauf beruhen, wäre er unpointiert und auch nicht ganz zutreffend, weil der Mond gewöhnlicherweise nur männlich oder weiblich, nicht aber zweigeschlechtlich ist. Laevius führt die Gottheit hier vielmehr ein, weil sie innerhalb des dargestellten Gebetes noch eine größere Rolle spielen wird. Daraus wird sich auch die Auffassung vom Zwittermond erklären lassen: Venus und Vgl. nur Hor. carm. 3.21 mit parodistischer Wirkung. Ganz anders zu werten, ist zum Beispiel die Reaktion der Trojaner nach dem Harpienangriff Verg. Aen. 3.261 f. sed uotis precibusque iubent exposcere pacem, / siue deae seu sint dirae obscenaeque uolucres mit offensichtlichem Anklang an die Sakralwendung siue deus siue dea – bis hin zum Anfangsbuchstaben von dirae – samt ihrer Abwandlung in einen neuen Kontext. Es soll wohl eine archaisch-ehrfürchtige Atmosphäre geschaffen werden; siehe dazu Hickson (1993) 43. Echten religiösen Vorstellungen entspricht auch diese Stelle nicht. uti alma Noctiluca est; nicht: „so, wie der Mond gütig ist“ (Lindner [1996] 124), sondern ‚so, wie es der nährende Mond ist (nämlich zweigeschlechtlich)‘. – Noctiluca, ‚Die Nachterhellerin‘, mit De Melo (2019) ii 706 „an old agent noun in -a, like agricola“, ist ein Beiname des Mondes (Hor. carm. 4.6.38 und später Avien. ora 424), den man wohl weit häufiger antreffen würde, wenn er hexameterfähig wäre. Varro erwähnt einen Tempel der Luna Noctiluca auf dem Palatin: Luna, quod sola lucet noctu. itaque ea dicta Noctiluca in Palatio: nam ibi noctu lucet templum (ling. 5.68). Der Name war den Römern also nicht so ungeläufig, wie die wenigen Belege aus der Literatur uns glauben machen. Ein Lunus ist in der lateinischen Literatur nur zur Beschreibung männlicher Mondgottheiten bei fremden Völkern erwähnt (HA Spart. Carac. 6.6).
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21 F 48: ein Venusgebet (Liebeszauberei Teil 2)
Luna sind die beiden Gottheiten, an die sich ein Betender im Rahmen eines Liebeszaubers wendet. In der magischen Literatur wurden sie sogar miteinander gleichgesetzt.760 Meist tritt der Mond dabei in Form der dreigestaltigen Göttin Trivia-Diana-Luna auf, die auch die Amme in der Phaedra des Seneca als caeli sidus et noctis decus anruft, um Hippolytos’ Liebe zur Stiefmutter zu wecken.761 Dass Laevius mit Noctiluca ebenfalls die Göttin der Magie anspricht, verdeutlicht er durch das Attribut almus, das Luna in alleiniger Funktion als Mondgöttin gänzlich fremd war. Für Trivia findet sich das Epitheton dagegen auch bei Vergil; und genauso wie Venus im zyprischen Kult wird Trivia-Diana-Luna in den griechischen Zauberpapyri als ἀρσενόθηλυς, ‚männlich-weiblich‘, bezeichnet.762 Wenn Laevius mit Noctiluca also den Mond als Trivia meint, ist der Vergleich mit der zyprischen Venus stimmig. Das Fragment war somit offensichtlich Teil einer größeren Beschreibung eines Liebeszaubers.
21.3 Für die Verbindung mit F 44, gegen die Verbindung mit F 26 In Apuleius’ Rede De magia ist mit F 44 noch ein weiteres Fragment überliefert, das von einem Liebeszauber handelt. Apuleius zitiert das kleine Stückchen, um seinen Zuhörern vor Augen zu halten, welche Mittel Zaubernde für ihre dunklen Künste verwenden. Kurz nach dem eigentlichen Zitat paraphrasiert Apuleius noch einmal den Inhalt. Folgende Sätze richtet er an seine Ankläger, die fälschlicherweise Fische mit Liebeszauberei in Verbindung gebracht hätten:763
Für Aphrodite in Liebeszaubergebeten siehe PGM iv 2902–39; zu Darstellungen von Aphrodite und Selene auf antiken Zaubersteinen vgl. Zwierlein-Diehl (2007) 216–18; zur Gleichsetzung der Gottheiten PGM iv 2557 f. πανγεννήτειρα καὶ ἐρωτοτόκεια Ἀφροδίτη, λαμπαδία, φαέθουσα καὶ αὐγάζουσα Σελήνη, ‚alleszeugende und liebegebärende Aphrodite, Fackelträgerin, leuchtende und erhellende Selene‘. Die Gleichsetzung geht vermutlich auf die ägyptische Vorstellung von Hathor-Isis zurück: Vgl. Plut. Amat. 19 über die Ägypter σελήνην δ᾽ Ἀφροδίτην καλοῦντες, ‚sie nennen den Mond aber Aphrodite‘, und siehe dazu Hani (1976) 214–24. Vgl. Sen. Phaed. 406–30 o magna siluas inter et lucos dea, / clarumque caeli sidus et noctis decus, / cuius relucet mundus alterna uice, Hecate triformis (409–12); vgl. auch PGM iv 2522–67 oder Theokr. Id. 2.10–16. Zum Attribut almus siehe die Sammlung im ThLL i 1703.39–79 (55 für Laevius mit dem Hinweis auf Vergil); Luna fehlt darin. Für Triuia alma vgl. Verg. Aen. 7.774; in Aen. 11.557 heißt auch Diana alma. – Zur androgynen Selene/Hekate vgl. PGM iv 2610–12 καλῶ σε, τριπόσωπον θεάν, Μήνην, ἐράσμιον φῶς, Ἑρμῆν τε καὶ Ἑκάτην ὁμου, ἀρσενόθηλυν ἔρνος, ‚ich rufe dich, dreigesichtige Göttin, Mene, liebliches Licht, Hermes und Hekate zugleich, männlich-weiblicher Spross‘. Apol. 31. Zum genauen Zitierumfeld siehe oben p. 251–3.
21.3 Für die Verbindung mit F 44, gegen die Verbindung mit F 26
273
at uos soli reperti estis ex omni memoria, qui uim herbarum et radicum et surculorum et lapillorum quasi quadam colluuione naturae de summis montibus in mare transferatis et penitus piscium uentribus insuatis. igitur ut solebat ad magorum cerimonias aduocari Mercurius carminum uector et illex animi Venus et Luna noctium conscia et manium potens Triuia, uobis auctoribus posthac Neptunus cum Salacia et Portuno et omni choro Nerei ab aestibus fretorum ad aestus amorum transferentur. Hingegen habt ihr euch als die einzigen seit Menschengedenken gefunden, die ihr die Wirkung der Kräuter, Wurzeln, Sprösslinge und Steinchen gleichsam in einer Art von Naturchaos von den höchsten Bergen ins Meer übertragt und tief in Fischbäuche einnäht. Folglich wird ebenso, wie zu der Zauberer Riten Merkur als Überbringer der Zaubersprüche, Venus als Verführerin der Seele, der Mond als Mitwisserin der Nächte, und die Dreiwegegöttin als Gebieterin über die Manen herbeigerufen zu werden pflegte, auf eure Veranlassung künftig Neptun mit Salacia und Portunus und dem ganzen Reigen des Nereus von den Wallungen der Meeresströmungen auf die Wallungen der Liebesleidenschaften übertragen. (übersetzt von Hammerstaedt [2002])
Apuleius zitiert Laevius noch aus erster Hand und kannte daher auch den Kontext des übergeordneten Gedichts. In dieser Partie spielt er mehrfach auf ihn an. Die uis herbarum et radicum et surculorum bezieht sich auf den von ihm zuvor zitierten Vers F 44.4 radiculae herbae surculi. Ferner scheint die illex Venus von dem seltenen Adjektiv illices F 44.5 beeinflusst. Es wäre nicht verwunderlich, wenn Apuleius auch das erwähnte Gebet an die Göttinnen Venus, Luna und Trivia aus einer Stelle des Gedichts entnommen hätte, die er selbst nicht mehr zitiert hat. Mit F 48 ist uns dank Macrobius ein Teil dieses Abschnitts vermutlich erhalten.764 Dass für die Verbindung von F 44 (iambischer Dimeter) und F 48 (Anakreonteen) ein Metrumweschsel postuliert werden muss, ist hinzunehmen. Laevius wechselte innerhalb ein und desselben Gedichts häufiger das Versmaß, und die beiden Stellen dürften auch nicht unmittelbar nebeneinandergestanden haben: In F 44 wird die Vorbereitung eines Zaubers beschrieben. Unbekannte Personen, vermutlich die Diener des Zaubernden, schaffen verschiedene Mittel und Zutaten herbei, die für die magische Praxis benötigt werden. Im weiteren nicht mehr erhaltenen Verlauf des Gedichts dürften die einzelnen Zauberhandlungen dargestellt worden sein. Danach folgte wohl wie auch in den Anleitungen der griechischen Zauberpapyri üblich ein Gebet an Trivia und Venus, woraus F 48 entnommen ist. Vielleicht stammen beide Fragmente aus der Sirenocirca F 34 f. aber auch ein Zusammenhang mit Medea oder einem nicht-mythologischem Thema bleibt vorstellbar.765
Die Verbindung von F 44 und F 48 wurde ohne ernsthafte Argumentation von Roßbach (1901) 1352 vorgeschlagen und blieb daher unbeachtet. Über Spekulationen zur Sirenocirca als übergeordnetem Gedicht von F 44 (und 48) vgl. p. 252f. Speziell zu einem Zaubergebet der Kirke vgl. Ov. met 14.42–4 protinus horrendis infamia pabula sucis / conterit et tritis Hecateia carmina miscet.
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21 F 48: ein Venusgebet (Liebeszauberei Teil 2)
Demgegenüber scheint mir eine Verbindung des vorliegenden Fragments mit dem Figurengedicht Phoenix (F 26), wie sie von vielen Erklärern vorgenommen wird,766 weniger plausibel. Im Phoenix spricht eine weibliche, nicht näher identifizierbare Person ein Gebet an Venus. Es wird die Ambivalenz der Liebe zwischen den schönen Momenten, die sie ermöglicht, und dem harten Sklavendienst, den sie vom Liebenden abverlangt, thematisiert. Ein Bezug zu Zauberei besteht nicht. Das erste Argument für die Zuordnung beruht auf einer vermutlich falschen Interpretation der im Phoenix genutzten Metrik. Anders als zuletzt angenommen, besteht das Figurengedicht nicht aus wechselnden ionischen Metren, sondern allein aus Ionikern a maiore, die Laevius hinsichtlich ihrer Länge in den unterschiedlichen Versen so anpasste, dass eine Flügelform entsteht. Während eine Vermischung der in F 48 genutzten Anakreonteen mit Ionikern a minore geläufig und häufiger in der griechischen Dichtung anzutreffen ist,767 sind Verbindungen aus Anakreonteen und Ioniker a maiore ungewöhnlich. Die Metrik ist daher kein überzeugendes Argument für die Zuordnung von F 44 zum Phoenix. Danach wurde ein Vergleich des laevianischen Phoenix mit dem spätantiken Gedicht De aue Phoenice angeführt, um die Einheit von F 26 und F 48 zu belegen. Der Vergleich beruht auf Pseud.-Lact. Phoen. 163: femina seu masculus est seu neutrum (vom Vogel Phoenix).768 Der Vers bei Pseudo-Laktanz wurde häufig als eine Auseinandersetzung mit dem laevianischen †siue femina† siue mas est bewertet und daher als Indiz dafür gesehen, dass F 48 aus dem Phoenix stamme. Der alleinige Gebrauch der siue ... siue Wendung bei Pseudo-Laktanz kann jedoch keine Anspielung auf das vorliegende Laeviusfragment beweisen, weil sie der römischen Sakralsprache angehört und vielfach jeweils unabhängig voneinander gebraucht wurde.769 Laevius nutzt die Wendung von der androgynen Venus, die man auf Zypern verehrte, Pseudo-Laktanz vom Phoenix, dessen unklares Geschlecht gerade in christlichen Texten eine größere Rolle spielte. Den beiden Stellen liegen zwei vollkommen unterschiedliche Vorstellungen zugrunde, die abgesehen von derselben Sakralwendung durch nichts miteinander verbunden sind. Die Zuordnung eröffnet zusätzlich Probleme aus stilistischer Sicht. Zwar weisen beide Fragmente religiöse Sprache auf, doch im Phoenix ist ein Gebet in direkter Rede dargestellt (F 26.1 mihi), wohingegen in F 48.1 eine betende Person beschrieben
Vgl. z. B. De la Ville De Mirmont (1903) 302–6 und zuletzt Henke (2020) 127–31, vorsichtiger sind Courtney (22003) 139 oder Kwapisz (2019) 69 f. Vgl. Isyllos 47 Pow. und West (1982) 142 f. Zur textkritisch schwierigen, aber inhaltlich verständlichen Stelle siehe den Kommentar von Walla (1969) z. St. Vgl. die Sammlung bei Alvar (1985); zum Beispiel die bei SD zu Verg. Aen. 2.351 mitgeteilte Inschrift genio urbis Romae, siue mas siue femina.
21.4 Metrik
275
ist (adorans). Ein Sprecherwechsel wäre für ein Figurengedicht, das von der kunstvollen Einheit aus Text und dargestelltem Gegenstand lebt, nur schwer vorstellbar. Anders als etwa die Protesilaodamia war der Phoenix kein erzählendes Gedicht.770 Ferner ist Venus in F 48 mit der Form almum als männliche Gottheit dargestellt, wohingegen sie im ersten Vers des Phoenix bereits unmissverständlich als weibliche altrix angesprochen wird.771 Ein Zusammenhang beider Fragmente ist nicht gegeben.
21.4 Metrik Das Fragment besteht aus drei Anakreonteen:772 Vĕnĕrem ĭgĭtŭr ālmum ădōrāns, †sīuĕ fēmĭnㆠsīuĕ mās ēst, ĭta ŭti ālmă Nōctĭlūcā est.
Vor L. Müller hatte man das Fragment auf unterschiedliche Weise iambisch gemessen, aber sowohl stichisch genutzte Hemiamben (katalektische iambische Dimeter) als auch Senare entsprechen nicht Laevius’ Gewohnheiten.773 Zweifelhaft bleibt aber, wie der zweite Vers wiederherzustellen ist. Das erste siue ist unmetrisch und wird leicht in sē̄ ̄u zu ändern sein. Dann weist der Vers mit
Gerade Kwapisz (2019) 69 f. und Henke (2020) 127–31 neigen zur Verbindung von F 48 mit dem Phoenix und müssen daher einen Sprecherwechsel annehmen. Sie gehen aber gleichzeitig davon aus, dass in F 26 wie in den Erosflügeln des Simias (A.P. 15.24) das vom Gedicht Dargestellte, also der Phoenix, selbst spricht. Beide Annahmen stehen im Widerspruch zueinander. Ein Sprecherwechsel würde die Einheit des Gedichts und die vom Figurengedicht angestrebte Fiktion, dass das Gedicht (oder der Sprecher des Gedichts) die dargestellte Form selbst ist, aufheben; vgl. zur Praxis Anm. 385. Courtney (22003) 139 ist deswegen skeptisch, aber letztlich doch bereit, den Widerspruch hinzunehmen. Zuerst L. Müller (11861) 78 und (21894) 69. Hemiamben, an die Haupt (1875) 116 f. (= 1841, 44) dachte, lassen sich hauptsächlich dann von Anakreonteen unterscheiden, wenn sie ihr erstes Element mit einer einzigen Kürze bilden. Sie sind aber sonst nicht sicher für Laevius belegt und auch vor ihm in der lateinischen Dichtung nicht stichisch genutzt. Ebenso wenig sind sie bei den griechischen Dichtern, deren Metrik für Laevius Vorbild gewesen sein dürfte (wie Anakreon), stichisch nachweisbar. Ferner wäre Haupts Verbesserung des zweiten Verses sē̄ū fēmĭnă sīuĕ mās ēst mit der Auflösung des dritten Elements als Hemiambus kaum hinnehmbar (wohl aber L. Müllers als Anakreonteum gedachtes sē̄ū fēmĭna īsuĕ mās ēst, das er [1880] 79 fälschlicherweise Haupt zuschreibt). Havet (1891) 9 greift stärker in den Text ein und liest iambische Senare Vĕnĕrem ĭgĭtŭr ālmum ădōrāns sīuĕ fēmĭnā est / ŭt ālmă Nōctĭlūcā est.
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21 F 48: ein Venusgebet (Liebeszauberei Teil 2)
fēmĭnă noch eine Kürze zu viel auf, die man mit L. Müllers fēmĭna īsue beseitigen könnte. Das ist aber gleichzeitig eine Variation der feststehenden sakralen Wendung, in der ein Pronomen sonst eigentlich keinen Platz hat und ein siue nirgends durch einfaches -ue ersetzt wird. Vielleicht ist es daher besser mit Th. Birt (1879) 7 eine Synkope fēmnă anzusetzen: Synkopen sind nicht nur auf die Umgangssprache beschränkt; auch im Phoenix macht Laevius in einem Venusgebet Gebrauch von dem Mittel (F 26 famultas statt famulitas).774 In seinen Oden schreibt Horaz ebenfalls aus metrischen Gründen lamna statt lamina (carm. 2.2.2) und für Plautus vermutet Leo in Cas. 722 domnus für dominus.775 Die Synkope femna selbst ist nur inschriftlich belegt.776 Mit Birts Konjektur ist kein Texteingriff in metrisch korrekt überliefertes sīuĕ mās ēst nötig, und auch die Eigenheiten der Sakralwendung blieben beibehalten. Dennoch sind nach wie vor zwei Änderungen vorzunehmen, seu und femna. Andere Vorschläge wie Fr. Leos sī fēmĭnă sīuĕ mās ēst lösen das eigentliche Problem nicht:777 Mit ionici a maiore versetzte Anakreonteen sind nicht akzeptabel.778 Der Text der Stelle bleibt insgesamt metrisch unsicher, inhaltlich ist an ihm aber nichts auszusetzen.
Vgl. den Kommentar zur Stelle und Coleman (1999) 39 f. So Leo im Apparat seiner Plautusausgabe; vgl. vertiefend Lindsay (1922) 146. CIL xi 3470 und CIL viii.3 15625. Vgl. Leo (1914) 181, Anm. 2 („richtig ionisch“). Dasselbe gilt von Baehrens’ (FPR) sī fēmĭnā sī mās ēst. Mit der Längung der Endsilbe feminā („si displicet, adde is“) scheint er aber eher an Iamben als an Anakreonteen gedacht zu haben. Auch in F 26 finden sich keine Anakreonteen; vgl. Anm. 435.
22 F 49: Polymetrisches Leo (1914) 185, De la Ville de Mirmont (1903) 227–34, A. Morelli (2000) 269–71
Zu Priscians ungewöhnlicher Angabe, das Fragment stamme aus den polymetra siehe oben p. 18f. Der Inhalt des Fragments erklärt den Aufbau des Verses: ōmnēs sūnt dēnīs sӯllăbīs uērsī779 alle Verse haben je zehn Silben
Alle Verse des Gedichts oder der Partie bestehen also wie das Fragment selbst aus genau zehn Silben. Da sich dem Fragment und dem Zitatträger sonst keine Hinweise entnehmen lassen, muss sich die Interpretation des Verses an Laevius’ möglichen Vorbildern orientieren. Aus der griechischen Literatur hätten dem Dichter vielleicht bestimmte zehnsilbige Metra bekannt gewesen sein können, etwa die aus Spondeen gebildeten Verse von Terpander780 oder der alkäische Zehnsilbler. Doch all das ist kaum mit dem Fragment vergleichbar. Denn bemerkenswerterweise erklärt Laevius selbst seinem Leser die Bedeutung des Verses: Wenn der Dichter es für nötig hielt, den gebildeten Adressaten seines Gedichts Hinweise auf Metrik und Dichtungsprinzipien zu geben, muss er sich darüber im Klaren gewesen sein, dass die dem Gedicht zugrunde gelegte Verstechnik nicht aus sich selbst heraus verständlich ist. Obwohl es dazu keine passgenauen Parallelen aus der Zeit vor Laevius gibt, ist eine Verwandtschaft zu den hauptsächlich seit hellenistischer Zeit verbreiteten Vers- und Formspielen erkennbar: zum Beispiel zu Lipogrammen, in denen einzelne Buchstaben im gesamten Gedicht gänzlich vermieden werden, zu isopsephischen Gedichten, deren Verse, wenn ihre einzelnen Buchstaben als Zahlen gefasst und addiert werden, stets dieselbe Summe aufweisen, oder zu den iambischen Trimetern in einem Hymnos des Kastorion von Soloi, in denen jeder einzelne Vers exakt elf Buchstaben enthält.781 Auch in solchen Experimenten findet der Leser manchmal integrierte Erklärungen zu Aufbau und Technik des Gedichts.782
Dass Nomen der u-Deklination auch nach der o-Deklination flektiert werden, ist gerade im Altlateinischen (vereinzelt bis Lukrez, aber auch noch darüber hinaus) über alle Gattungen hinweg gewöhnlich; vgl. Neue-Wagener i 779–87. Siehe zu Terpander (PMG 698) West (1982) 55 f. Zu den verschiedenen Formen solcher Dichtung siehe Luz (2010): 79–137 zu Buchstabenspielen, 223–45 zu Lipogrammen, 247–325 zur Isopsephie; zu Kastorion siehe Bing (1985). Vgl. im Falle der Isopsephie z. B. ein Epigramm von Leonides von Alexandria (Mitte des ersten Jh. s n. Chr.) A.P. 9.356.3 (= FGE 33) δίστιχα γὰρ ψήφοισιν ἰσάζεται. ἀλλὰ σύ, Μῶμε ..., ‚denn die Distichen gleichen sich in ihren Zahlen. Aber du, Momos, ...‘; siehe dazu auch Luz (2010) 256–8. https://doi.org/10.1515/9783111237121-029
278
22 F 49: Polymetrisches
All diese Arten der Technopaegnia, wie man sie heute nach Ausonius nennt,783 haben für gewöhnlich den Zweck, die vollendete Kunst eines Dichters zur Schau zu stellen, wie er sich an immer neue Aufgaben traut und sich die Versgestaltung durch das Auferlegen bestimmter Regeln erschwert. Je schwieriger diese Aufgaben sind, desto mehr kann der Dichter seine Technik präsentieren. Dieses Prinzip lässt kaum daran glauben, dass es für das Laeviusgedicht allein mit der einfachen Silbenzählung in jedem einzelnen Vers getan sein wird; das wäre wohl zu leicht. Laevius könnte sich also weiteren und schwierigeren Aufgaben gestellt haben, die wir heute nur noch erahnen können. Ich glaube kaum, dass er die quantitierende Metrik durch ein rein silbenzählendes Prinzip ersetzt hat. Deshalb ist es denkbar, dass er in dem Gedicht viele verschiedene Versmaße nutzt und sie dabei alle durch Zusammenfassungen von Kürzen oder Auflösungen von Längen genau auf eine Länge von zehn Silben bringt.784 Christ wollte das Fragment in seinem Metrikhandbuch als hinkenden Iambus messen, aber wegen der vielen Möglichkeiten bei den zahlreichen Längen, muss man von einem Urteil absehen.785 Ferner könnten in den folgenden oder vorangehenden Versen noch weitere Regeln enthalten gewesen sein, die Laevius seinem Leser zum Verständnis mitteilen möchte: nach ‚alle Verse haben je zehn Silben‘ etwa noch ‚die Buchstaben aller Verse ergeben dieselbe Summe‘ oder ähnliches.
Er hat das Wort wohl in Anlehnung an Laevius’ Erotopaegnia gebildet.; vgl. oben p. 51. So Leo (1914) 185, Anm. 1. Vgl. Christ (11874) 387, aber nicht mehr in der zweiten Auflage.
23 F 50 (dub): Laevius Melissus? Bücheler (1930) 91 (= 1886, 11 f.), Lammert (1927), Christes (1979) 12–15, Holford-Strevens (1981), Kaster (1992) 42–5, Kaster (1995) 82–4, Vacher (2003) 53–7
Zu diesem griechischen Fragment eines Melissus, das oft mit Laevius in Verbindung gebracht wurde, siehe oben p. 6–8.
https://doi.org/10.1515/9783111237121-030
24 F 51 (dub): die torrida zona Weichert (1830) 49, Baehrens (1885) 14, Granarolo (1971) 410–4, Granarolo (1973) 326, Dahlmann (1982) 7–10,
In einem Gespräch über den Sonnengott Apollo-Sol lässt Macrobius den Religionskenner Vettius Praetextatus literarische Belege dafür vorlegen, dass Helios auch den Namen Dionysos, Sol auch den Namen Liber trage. Das komme daher, dass Sol sich frei (liber) und umherschweifend in der Luft bewege. Entsprechend trage die Gottheit auch den Beinamen uagus, etwa in zwei Hendekasyllaben eines – von Vettius/Macrobius nicht näher benannten – Gedichts, als dessen Autor Naevius angegeben wird: hāc quā Sōl uăgŭs īgnĕās hăbēnās īmmīttīt prŏpĭūs iŭgātquĕ tērrā̄ē dort, wo der umherschweifende Sol die brennenden Zügel lockerlässt und sie in zu nahe Verbindung mit der Erde bringt
24.1 Autorenfrage Das größte Problem des Fragments liegt in der Frage der Urheberschaft. Längst wurde gesehen, dass die beiden Hendekasyllaben nicht vom Dramatiker und Epiker Naevius stammen können. Zuerst hatte Jos. Scaliger in den Text eingegriffen und Laeuius als Emendation vorgeschlagen.786 Damit wäre Laevius noch vor Varro der erste lateinische Dichter, der nachweislich Hendekasyllaben nutzte. Später fand Scaliger Gehör: Weichert sprach sich für die Konjektur aus, L. Müller sah in den Versen genauso wie Büchner, Blänsdorf und Courtney ein sicheres Laeviusfragment. Kritische Stimmen wie die der Herausgeber Baehrens und Morel hatten wenig Einfluss.787 Dabei gibt es kein wirklich überzeugendes Argument dafür, dass Laevius die beiden Verse verfasst hat. Man mag zutreffenderweise die paläographische Nähe seines Namens mit Naevius anführen und ebenso die vielen Fälle bei Priscian
Vgl. Jos. Scaliger (1595) 163. Vgl. Weichert (1830) 49 und die Ausgaben der Genannten; Baehrens war das Fragment bekannt, er nahm es aber nicht in die FPR auf. In Baehrens (1885) ii 14 schlug er Heluius (Cinna) anstelle von Neuius für den Macrobiustext vor. Doch Cinna wird sonst nie allein unter dem Namen Helvius zitiert. Einzig Traglia (21974) stellte das Fragment später wieder zu den incerta, ohne aber im Kommentar Näheres darüber auszuführen. https://doi.org/10.1515/9783111237121-031
24.1 Autorenfrage
281
oder anderen Zitatträgern, bei denen wirklich dieselbe Verderbnis von Laeuius zu Naeuius vorliegt. Restlos überzeugend ist allein dieser Punkt aber noch nicht: Wenn Naevius nicht der Autor der Verse sein kann, dann gehören sie ohne textinterne Argumente noch nicht zwangsläufig zu Laevius. Zudem wird mit dem im zweiten Vers nachgestellten -que (propius iugatque statt propiusque iugat) eine poetische Technik vorausgesetzt, die auch für Laevius wenigstens fragwürdig ist.788 Die Nachstellung von -que kommt erst in der augusteischen Dichtung in vollem Umfang auf, wohingegen die altlateinischen Dichter bis einschließlich Varro sie nirgends benutzen.789 Zuerst ist sie in vereinzelten Fällen bei Lukrez, einmal auch bei Catull nachweisbar. Offenbar ist die Traiectio bei ihnen aber noch an strengere Regeln gebunden. Die Wörter, über die hinaus -que gesperrt wird, gehören bei den beiden Dichtern in aller Regel ganz eng zusammen. Meistens sind es Präpositionen mit dazugehörigem Objekt wie bei Lukrezens in terraque oder Nomen mit dazugehörigem Attribut wie bei aequo animoque und ebenso im singulären Beleg bei Catull Mammurrae pathicoque.790 Nur einmal stellt Lukrez -que bei einer Verbindung von Verb und Adverb crescere itemque (5.680) nach, was schon gut mit dem in Rede stehenden propius iugatque vergleichbar ist. Aber dieser Fall bleibt im gesamten Lehrgedicht die Ausnahme. Man sollte daher fragen, ob nicht vielleicht ein späterer Dichter der Verfasser der zitierten Hendekasyllaben gewesen sein könnte. Für die Augusteer und vor allem für die ihnen nachfolgenden Dichter wäre die freie Handhabung des Phänomens im Gegensatz zu Lukrez, Catull und den Altlateinern ganz üblich. Untersuchungen zur Metrik helfen in der Frage aber nicht weiter, weil Aufbau und Technik der Hendekasyllaben von Varro bis Martial und zeitlich noch darüber hinaus sehr konstant sind.791 Wie sich zeigen wird, lassen sich ebenso
Zu immittere habenas ließe sich propius inhaltlich dagegen kaum verstehen. Die Wendung ist idiomatisch ‚die Zügel lockerlassen/loslassen‘: Lucr. 5.786 f. arboribusque datumst uariis exinde per auras / crescendi magnum inmissis certamen habenis: Die Bäume konnten munter wachsen, nachdem ihnen die Zügel lockergelassen wurden. Auch bei Verg. Aen. 6.1 heißt es classique immittit habenas ‚dem Schiff die Seile lockermachen/lösen‘; vgl. für mehr Belege Horsfall (2013) zur Vergilstelle. Hofmann (ThLL vii.1 s. v. iugo 469.54 f.) irrt, wenn er das Fragment von diesen Stellen sondert, die habenae mit den Sonnenstrahlen gleichsetzt, immittere als deducere versteht und mit propius verbindet, ‚er führt die Sonnenstrahlen näher zur Erde heran ...‘ . Im Fragment geht es ohne Zweifel um die Zügel des Sonnenwagens. Vgl. die Sammlung des Phänomens bei Schuenke (1906) 114–7. In dieser Reihenfolge Lucr. 1.1059, 3.939 und Catull. 57.2. Mit Deufert (2018) 349 f. begegnet (abgesehen von konjektural hergestellten Nachstellungen) der Fall Präposition + dazugehöriges Nomen 13 Mal bei Lukrez, fünf Mal Attribut + dazugehöriges Wort, einmal Objekt + Verb, einmal Verb + Adverb. Meistens findet die Traiectio wie bei Catull am Versanfang statt. Vgl. die umfassenden Untersuchungen zum Hendekasyllabus bei Loomis (1972) 34–62.
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24 F 51 (dub): die torrida zona
wenig aus dem Inhalt oder aus weiteren Vergleichen mit anderen Autoren ernsthafte Schlussfolgerungen ziehen, die für eine Datierung oder für die Zuteilung der Verse an einen bestimmten Dichter relevant wären.
24.2 Kontext Es wird eine Region beschrieben, in der Sols Sonnenwagen mit seinen feurigen Zügeln der Erde sehr nahekommt. Zugrunde liegt die vermutlich auf Parmenides zurückgehende Einteilung der Erde in fünf Zonen:792 in zwei frigidae zonae ganz außen, eine mittlere torrida zona ganz innen, und zwei bewohnbare Zonen jeweils dazwischen. Später haben sich die Stoiker die Auffassung zu eigen gemacht, weshalb der gebildete Römer mit der Einteilung vertraut war. Deshalb versuchten sich auch viele lateinische Dichter daran, die Lehre in Versen darzustellen, zuerst Varro Atacinus, dann Vergil, Ovid und der Autor des Panegyricus Mesallae,793 der sie wie folgt beschreibt (159–61) : at media (sc. zona) est Phoebi semper subiecta calori, seu propior terris aestiuum fertur in orbem seu celer hibernas properat decurrere luces Aber die mittlere Zone ist immer der Hitze des Phoebus unterworfen, sei es, dass er auf sommerlicher Umlaufbahn näher der Erde fährt, sei es, dass er die Wintertage schnell durcheilt794
Dass dem Fragment und dem Panegyricus dieselbe Vorstellung zugrunde liegt, ist klar ersichtlich. Für die Fragen nach dem erweiterten Kontext des Fragments ist damit aber noch nichts gesagt. Um nur bei den genannten Dichtern zu bleiben, beschreibt Vergil die fünf Zonen der Erde in seiner Darstellung der Jahreszeiten, Ovid einmal im Rahmen der Weltentstehung, einmal im Rahmen des Phaetonmythos,795 der Panegyricus-Autor hingegen, um Mesallas Triumphe rund um den Erdball zu Vgl. Poseid. F 49 Edelstein-Kidd/Theiler φησὶ δὴ ὁ Ποσειδώνιος τῆς εἰς πέντε ζώνας διαιρέσεως ἀρχηγὸν γενέσθαι Παρμενίδην, ‚Poseidonios sagt, dass Parmenides der Urheber der Einteilung [der Welt] in fünf Zonen war‘. Für den unbekannten Autor des Fragments sah zuerst Dahlmann (1983) 7 f. den Zusammenhang. Vgl. neben Verg. georg. 1.231–51 auch Varro Atac. frg 17 C. (= 13 4FPL Bl. = 112 H.), Ov. met. 1.45–51, 2.130–49, [Tib.] 3.7.151–74 (4.1.151–74). Zu den genannten Dichtern und dem geistesgeschichtlichen Hintergrund siehe Tränkle (1990) 151 f. Eine griechische dichterische Bearbeitung der Theorie bietet Eratosthenes in seinem Hermes F 16 Pow. Zum Verständnis von 160 (aestiuum in orbem) siehe Tränkle (1990) z. St. Den Mythos sieht Granarolo (1973) 326 Anm. 63 auch im Fragment behandelt.
24.3 Stellenkommentar
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würdigen. Darüber hinaus ist noch nicht einmal sicher, dass der Autor des Fragments eine gesamte Zusammenfassung der fünf Zonen bot.
24.3 Stellenkommentar Sol uagus Als uagus wird Sol auch sonst bezeichnet: Catull. 64.271, [Tib.] 3.7.76 (4.1.76); auch Diana als Mondgöttin in Manil 1.669; Liber uagus gibt es noch ein weiteres Mal bei Catull. 64.390. igneas habenas Viel Material zur Wendung sammelt Dahlmann (1982) 8 f. Der Gedanke von den brennenden Zügeln des Sonnenwagens ist wenig verbreitet. Er muss darauf zurückgehen, dass das Adjektiv igneus spätestens seit Vergil (und nach ihm erwartungsgemäß häufiger) der Sonne oder dem Sonnengott Sol selbst beigestellt wird: Verg. georg. 4.426, Aen. 8.97, Culex 42, Manil. 1.514 und öfter in späterer Zeit. Der Autor der vorliegenden Verse überträgt das üblicherweise für Sol selbst genutzte Adjektiv auf die Zügel des Sonnenwagens, was wohl als leichte Enallage zu verstehen ist. Dahlmann (1982) 8 sieht das Verhältnis, m. E. fälschlicherweise, umgekehrt: „Nun ist die Verbindung sol igneus u.ä., wobei das Epitheton des Gerätes, wie hier, dem Lenker selbst beigelegt ist, häufig“. Einmal ist auch die Wendung habenae uagae, die wohl ebenso als Enallage (eigentlich Sol uagus) aufzufassen ist, im selben Zusammenhang belegt (Stat. Theb. 7.738.). Ähnliche Verbindungen begegnen ab Petron. AL 463.2 SB. Er beschreibt den ausgehenden Sommer mit den Worten hiemem tepidis spectabat Phoebus habenis. Auch hier ist m. E. der tepidus sol von Verg. georg. 1.398 in Abänderung durch Enallage übernommen. Die brennenden Zügel selbst sind sonst erst ab Stat. Theb. 6.320 ignea lora nachweisbar; nach ihm nur noch vereinzelt (Claud. 1.1 flammigeris ... habenis). propius iugatque terrae Zum Bezug von propius siehe oben Anm. 788. Die Stelle ist mit Dahlmann (1982) 9 zu verstehen als ‚er bringt die Zügel in zu nahe Verbindung mit der Erde‘, weil dann wegen der unerträglichen Hitze kein Mensch mehr in diesem Teil der Welt leben könnte. Auch Horaz sagt von der mittleren Zone sub curru nimium propinqui / solis, ‚unter dem Wagen der allzu nahen Sonne’ (carm. 1.22.21 f.). Wenn der Satz des Fragmentes nicht vielleicht noch mit einem von Macrobius unterschlagenem currum o. Ä. fortgesetzt wurde, ist pars pro toto habenas Objekt zu iugare. Das Verb ist hier wie öfter sehr frei genutzt (ThLL vii.2 633.37–57): Dahlmann vergleicht Apul. Plat. 1.8 sicut ignis aeri cognatione coniungitur, ita umor
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24 F 51 (dub): die torrida zona
affinitati terrenae iugatur, doch trotzdem bleibt die Verbindung gerade mit propius einmalig. An Baehrens’ (1885, 14) uolatque ist nicht zu denken, weil dann nicht mehr mit terrae konstruiert werden kann: uolare mit einem Richtungsdativ zu verbinden, ist nicht die erste Wahl, und propius als Präposition nimmt den Akkusativ, nicht den Dativ zu sich (H.-Sz. 245).
25 F 52 (dub): dahergelaufener Efeu Norden (1966) 169 (= 1925, 39), 1FPL M. p. 63,
Der Vergilkommentator Servius erklärt zu ecl. 4.19 errantes hederas, dass Efeu in der Dichtung häufiger mit Epitheta wie errantes verbunden worden sei, weil er bekanntlich umherirrend wachse. Es gebe daher einige antiqui lyrici, die die Ranken flexipedes hederae genannt hätten. Servius’ Aussage ist in mehrfacher Hinsicht problematisch und erklärungsbedürftig. Das angeführte Zitat flexipedes hederas ist genau in dieser Wortreihenfolge auch in Ovids Metamorphosen zu finden: uos quoque, flexipedes hederae, uenistis (10.99). Es wird beschrieben, wie der Efeu mit seinen schlängelnden Ranken – im Gegensatz zum kletternden Efeu – zu Boden dahergelaufen kommt. flexipedes bedeutet also freier ‚mit sich (auf dem Boden) windendem Gang‘.796 Für Ovid ist die Bezeichnung antiqui lyrici aber alles andere als erwartbar. Auch wenn Servius den Begriff antiquus wohl noch auf den Augusteer ausweiten könnte, hätte er ihn sicherlich nicht unter die lyrici gezählt. Den sich daraus ergebenden Widerspruch hatte zuerst E. Norden versucht aufzulösen, indem er die Ovidstelle als eine Nachahmung einer an sich älteren Wendung zu erklären versuchte: Ursprünglich stamme die Wortverbindung, so seine These, aus einer vermutlich anapästischen Gedichtspartie des Laevius.797 Für die Zuordnung spricht sicherlich, dass Laevius anders als Ovid zu den wenigen lateinischen Dichtern gehört, die von Grammatikern oder Kommentatoren als lyricus bezeichnet werden.798 Nordens Versuch scheitert aber am Plural antiqui lyrici. Gewöhnlich verweist Servius auf die antiqui, die poetae oder auch auf die lyrici, wenn er allgemeine Vgl. Nonn. Dion. 12.188–90 καὶ νέον ἔπλετο θάμβος, ἐπεὶ τότε κοῦρος ἀθύρων, / εἰς φυτὸν ὑψιπέτηλον ἑὸν πόδα λοξὸν ἑλίσσων, / Κισσὸς ἀερσιπότητος ἑὴν δενδρώσατο μορφήν, ‚und noch etwas Erstaunliches ereignete sich, als der Jüngling Kissos spielend, auf den hohen Baum kletternd und den gewundenen Fuß rasch bewegend, hochfliegend seine Gestalt zu einer Pflanze wandelte’ (nämlich zum gleichnamigen Efeu, κισσός). Die Verse scheinen mir, weil das Bild keinen guten Sinn ergibt, eine etwas misslungene Nachahmung des Ovid zu sein; zu Nonnos und Ovid siehe D’Ippolito (1964) passim. Vgl. auch Simias A.P. 7.21.4 βλαισὸς Ἀχαρνίτης κισσὸς ἔρεψε κόμην, ‚der krumme acharnische Efeu hat das Haar geschmückt‘. βλαισὸς heißt häufig ‚krummfüßig‘, aber hier ist wie öfter einfach ‚gebogen‘ gemeint, womit die Fuß-Metapher nicht mit Ovid vergleichbar ist. Diese und ähnliche Stellen sind gesammelt bei Jacobs (1798) vi 330 f. Vgl. Norden (1966) 169 (= 1925, 39). Für Laevius siehe T 1, wo selbstverständlich auch Horaz unter die lyrici gezählt wird. Einmal bezeichnet Servius den Dichter Septimius Serenus als lyricus (zu Verg. Aen. 2.15). Sonst werden hauptsächlich die griechischen Lyriker so genannt. https://doi.org/10.1515/9783111237121-032
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25 F 52 (dub): dahergelaufener Efeu
Erklärungen zu Sprache oder Dichtung vorbringt, die nicht nur auf einen einzelnen Dichter, sondern auf eine größere Vielzahl der genannten Gruppen zutrifft. Einmal sagt er zum Beispiel von den lyrici, dass sie häufiger Enjambements gebrauchen als andere Dichter.799 Dass darauf im vorliegenden Fall eine so konkrete Wendung folgt, macht die Textstelle umso verdächtiger. Am besten ist es vermutlich, mit Morel eine Lücke anzusetzen:800 antiqui lyrici dixerunt ... . Was in der Lücke vor der Erwähnung von Ovid gestanden hätte, wäre dann aber nicht mehr zu sagen.
Vgl. Serv. zu Verg. Aen. 6.518 lyrici uero etiam incompositam partem orationis in duos diuidunt uersus; vgl. beispielsweise auch SD zu Verg. Aen. 1.378 piare enim antiqui purgare dicebant oder von Aeolus Serv. zu Verg. Aen. 1.52 poetae quidem fingunt hunc regem esse uentorum (und nach solchen Stellen häufig etwas wie ut + Zitat als Beispiel). Vgl. den Apparat von 1FPL M.
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2.6 Fronto Niebuhr, B.G., Berlin 1816. Van den Hout, M., Leipzig 1988.
2.7 Gellius De Buxis, Ioh. A., Rom 1472. Carrio, L., Paris 1585. Gronovius, Joh. / Gronovius, Jac., Leiden 1706. Hertz, M., Berlin 1883–5. Hosius, C., Leipzig 1903. Marshall, P.K., Oxford 21990. Holford-Strevens, L., Oxford 2020.
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2.12 Veronenser Vergilscholien Keil, H., Halle 1848. Baschera, C., Verona 1999.
Indizes Stellen (in Auswahl) Accius – carm. 8 FPL 167 – trag. 189 R. 109 – trag. 283f. R. 225 – trag. 62 R. 39 Aedituus – 1.4 C. 31 – 1–2 C. 29 Afranius – 155 R 109 Alcesta – AL 15 R. 91 Alcestis Barcinonensis – 108 95 Alexandros Aitolos – F 2 Magnelli 219 Antimachos – Lyde 24 Apuleius – apol. 31 255, 272 – met. 1.3 84 Asmonius – GLK vi 67f. 130 Ausonius – 25.113–5 51 Baruch – 6.1–12 162 Caesius Bassus – 2 C. 135 Calvus – 15f. C. 262 – 7 C. 269 Cato – agr. 112 128 Catullus – 14.4f. 230 – 17.15 241 – 32.1 261 – 42.7 228
https://doi.org/10.1515/9783111237121-034
– 57.2 292 – 61.119f. 179 – 64.132f. 186 – 68.51 269 – 68.73–6 177, 182 – 68.74 182, 219 – hendekasyllaba/-i? 19 Catulus – 1–2 C. 29 Chairemon – TrGF i [71] F 9a–11 115 Cicero – Arat. 283f. 204 – nat. deor. 2.102 233 – nat. deor. 2.145 108 CLE – 53.7 228 Dioskurides – 5.122 255 Ennius – ann. 358 Sk. 117 – ann. 380 Sk. 121 – ann. 461 Sk. 127 – op. min. 28 C. 165 – TrRF ii 15 108 – TrRF ii 23.14.f 39 – TrRF ii 33 121 – TrRF ii 42 142 – TrRF ii 56 245 Euripides – TrGF v.2 (58) F 647 176 – TrGF v.2 (58) F 648 182 – TrGF v.2 [58] ii 182 Eustathios – zu Il. 2.701, p. 507.1–6 v. d. Valk 177 Gellius – 10.11.8f 113 – 13.11 87
306
Indizes
– 13.21.16 113 – 17.2.1 88 – 18.12.8 113 – 2.22.1f. 35 – 2.24.7 10 Gracchus – TrRF i F 3 84 Homeros – Il. 22.446–72 244 – Od. 10.133–574 210 – Od. 12.1–200 210 – Schol. zu Il. 22.468–72, p. 351.20f. Erbse 245 Horatius – epist. 1.2.23–6 219 – epod. 16.15–21 105
– 5.1019f. 108 – 5.201 171 – 5.45 167 – 6.25 167 Lukianos – dial. mort. 77.28.3 181 Macrobius – Sat. 3.17.7–10 10 – Sat. 6.3.9 265 – Sat. 6.4f. 119 Martialis – 6.64.24–6 196 Mela – 3.83 162
Kallimachos – Iamb. 13.54–6 197 – (Ait.?) SH 275 145 Kolluthos – 292–96 123 Kratinos – PCG iv Dion. i 174 Kyranides – 2.14 258
Nemesianus – cyn. 86–92 136 Nonius – 184 M. 248 – 62f. M. 248 – 76 M. 249 – 87f. M. 248 Nonnus – Dion. 10 145 – Dion. 12.188–90 285
Laberius – mim. 70 Pan. 267 – mim. 72 Pan. 267 Lactantius (Ps.) – Phoen. 163 274 Livius Andronicus – TrRF i 26 124 Lucilius – 140 M. 109 – 202 M. 13 – 874 M. 109 Lucretius – 1.1059 281 – 1.1082 167 – 3.939 281 – 3.515 111 – 3.994 167 – 4.1090 167
Ovidius – am. 1.13 104 – am. 1.8.3f. 104 – ars 2.103–5 253 – ars 2.187–91 116 – ars 3.299 228 – epist. 12.145 180, 202 – epist. 16.17–24 123 – epist. 17.7–12 124 – fast. 3.10.10 114 – fast. 4.917f. 114 – fast. 6.495–9 146 – met 14. 43–4 253 – met 14.264–70 253 – met. 10.99 285 – met. 4.528–30 147 – rem. 263f. 253 – rem. 273–85 212
Stellen (in Auswahl)
– trist. 2.359–470 43 – trist. 3.10.47 114 P. Brux. Inv. E. 8934 198 P. Sorb. Inv. 2254 198 Pacuvius – 181 Sch. 99 – 199.9f. Sch. 39 – 246 Sch. 231 – 87–118 Sch. 174 – T 9 Sch. 175 Petronius – 127.5f. 220 – AL 463.2 SB 283 Phrynichos – TrGF i (3) F 2 99 Plautus – Cas. 617f. 230 – Cas. 722 276 – Cas. 877 31 – F 25 dub. De Melo 236 – F inc. 55 De Melo 31 – Stich. 575 242 – Truc. 98 139 Plinius maior – nat. 10.4–5 8 – nat. 7.128 7 Plinius minor – epist. 4.30.2 233 Plinus maior – 37.145 255 Porcius Licinus – 6 C. 29 Porphyrio – zu Hor. carm. 3.1.2–4 35 – zu Hor. sat. 1.9.1 35 Priscianus – GLK iii 257.18 105 – GLK iii 86.21 105 Propertius – 1.1.9–14 116 – 1.19.7–10 193 – 4.3.11f. 186 – 4.3.27f. 189 Publilius Syrus – 2 R. 248
Sappho – 132 V. 184 Satius – Theb. 7.738 283 Septimius Serenus – F 17 C. 191 Servius – GLK iv 440.34–441.3 236 – zu Verg. Aen. 6.447 181 Simias – A.P. 15.24 155 – A.P. 15.27.1–6 157 – Schol. zu A.P. 15.24 155 Sophokles – Oid. K. 216 223 132 Suetonius – gramm 3.5 6 Tacitus – ann. 11.10.12 109 – ann. 3.45.12 109 Terentianus Maurus – 1931–8 129 Terentius – Phorm. 867 223 Tibullus – 1.1.59–68 95 – 1.2.81f. 230 – 1.9.81 127 – 2.1.1–4 135 – 3.7.151–74 282 Timokles – PCG vii T 1 174 Titinius – 109f. R. 261 Turpilius – 13 R. 188 Varro – ling. 5.146 168 – Men. 123 Ast. 39 – Men. 19 Ast. 169 – Men. 199 Ast. 39 – Men. 201 Ast. 39 – Men. 489 Ast. 169 – Men. 508 Ast. 39
307
308
Indizes
– Men. 579 Ast. 164 – Men. 58 Ast. 199 – Men. 87 Ast. 169 – Men. 92.2 Ast. 39 – Men. 92.6 Ast. 39 Vergil – Aen. 3.261f. 271 Vergilius – Aen. 1.318–37 136 – Aen. 12.95–100 245
– Aen. 4.305f. 186 – Aen. 4.513–6 251 – ecl. 8.64 258 Vitruvius – 5.5.7 105 – 6 pr. 4 105 Xenophanes – D.-K. B3 184
Wörter und Wortformen accipitrare 111 aeditu(m)us 207 almus 272 amabo 261 amor 253 ancillula 241 aridus 10 auens 108 auidus 171
famultas 170 femna 276 fiere 110 figura 86 flexipes 285 foedifragus 92, 103 forte 105 fortescere 107 frustră 168
bellulus 241 bellus 213 bicodulus 259
gloria 185 gnobilis 225, 227 gracilare 191 gracilens/-ans 191 gracilus 188 grauidus 139
carere + Gen. 107 character 35 cistellula 241 claustritumus 207 coercere 231 congenuclare 102 contră 168 cresti (cernere) 171 cupide 192 cuppedine/-inis 167 cuppeditas 167 cuppedo 168 decipulum 267 decor 185 decretus 234 delphinus 223 dicare 203 dicere 8 dolentia 108 dubitanter/dubitativus 105 dulc(i)orelocus 111 dulcedo 254 et (nachgestellt) 138 exanimus/-is 102 expauidus 171 exsensus/-is 102
habitus 86 hilarulus 171 hippomanes 259 hostire 231 humus 84 ignobilis 227 immittere 281 impete 107 implicatus 27 impos 151 includere 137 infit 111 inquit 113 intolerans 108 introducere 9 iocus 179 irruere 201 Laertie 213 lasciuus – Adv. auf -iter 246 – Bedeutung 241 latibulare/-i 248 leuius 6
310
Indizes
lex 36 līquida 247 līquor 247 ludere 15 ludus 15 manciola 109 meminens 236 miserulus 192, 206 multigrumus 113 multiiuges 113 munus 13, 239 naufragus 128 nocticolor 104 obesus 101 obitus 207 oblitterus 103 odorisequus 140 onychinus 114 opseculus 172 ornamentum 227 papyrinus 199 peciolus 109 perdudum 242 perlicuit 206 permetiri 127 pestilens 106 petra 117 plectere 239 praeceps/-ipes 148, 150 pterygium 154 pudoricolor 104 puellulus 241 puerulus 207 -que, (nachgestellt) 281 reduuiosus 264 reuocare 138 rudis 265
scaber 264 senium 102 serenus 161 silens 106 subductisupercilicarptores 91, 114 superbus 172 tardigenuclus 102 Technopaegnion 51 tenellulus 241 tener 96 tergum 200 trisaeclisenex 111 ueliuolans 121 ueliuolus 121, 127 uoluntas 229 uolutare 236 ἀντιπαθής 255 ἀρσενόθηλυ 258 βέβηλον 182 γυιοδόνητος 99 ἡμιτελής 177 ἴυγξ 257 παίγνιον 15, 51 πολύμετρος 18 τέχνη 51 τροχίσκος 257 φίλτρον 254
Sachen und Namen Ablativ – appositiver 239 – bei dicare 204 – Endung auf -d 226 – resultativer 239 – von ornamentum 227 Accius – Didascalica als Prosa 164 – verkauft den Sklaven Daphnis 7 Adjektiv – aktive und passive Bedeutung im Wechsel 121, 128, 171 – auf -eus 110 – auf -idus 171 – auf -ĭnos und -īnos 199 – auf -osus 264 – auf -ulentus 107 – auf -ulus 172 – Ersatz des Komparativs 109 – im zweigliedrigen Asyndeton 151 – mit Konsonantenreduplikation 167 – negatives und positives nebeneinander 227 – prädikativ 193, 250, 258 – Rückbildung aus Partizip 30, 103 Adverb – auf -iter bei o-Deklination 191, 246 – von cupidus 192 Aemilius Scaurus – kauft den Sklaven Daphnis 7 Akkusativ – auf -a statt -ia 106–107 – innerer bei ridere 202 – mit PPA 268 Anakreon – Wirkung auf Laevius 37–38, 41 Analogiebildung – Adjektiv 30, 128, 150, 172, 208 – Nomen 109, 168, 203, 254 – Partizip 207, 234 Anapästischer Dimeter – mit Prokeleusmatikus 249 – monometrisch 38, 249 Aphrodite – zweigeschlechtlich 269
Apokalypse – Baruch 161 Apuleius – kennt Laevius aus erster Hand 49, 252 – nutzt archaische Wörter 49, 84, 267 Aratos – παίγνια 16 As, Abwertung 11 Asmonius – korrupte Quelle 131 Asyndeton – zweigliedriges 127, 151, 180, 242, 258 Botrys von Messina – παίγνια 15 Caesius Bassus – selbstständige Erweiterung von Versen 260 Catull – Autoschediasmus 182 – im Verhältnis zu Laevius 29, 31, 33, 241 – schrieb Anakreonteen 41 – Werktitel 19 Charisius – falsche Erklärung von Zitaten 154 – grobe Gattungsbegriffe statt Titel 19 Dativ – auf -e bei e-Deklination 204 – der Richtung 284 – von ornamentum 227 Delphine – als Reittiere der Nereiden 216 – sagen Seestürme voraus 215 Deminutiv – Bedeutungswandel 191 – doppeltes 46, 206, 241 – erotisches 33, 96, 171, 241 – im Zusammenhang mit Kindern 96 – komisches 33 – ungebräuchliche Bildung 109, 206 Domina – bei den einzelnen Liebesdichtern 262
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Indizes
Ellipse 105, 141 Enallage 242, 283 Ennius – Wirkung auf Laevius 32, 92, 107, 112, 120, 127 Epos und Liebesdichtung 32, 120, 210 Etymologie 84, 101, 111, 207, 226, 231 Festus – erklärt Zitate falsch 101, 117 – zitiert ganze Verse 115, 226 Figurendichtung 154, 274 Fronto – kennt Laevius aus erster Hand 49 – nutzt archaische Wörter 49 – zitiert frei 266 Gellius – Anordnung mehrerer Fragmente aus derselben Quelle 87 – Fehler bei der Erklärung von Zitaten 103 – Gebrauch von inquit bei Zitaten 101, 113 – grobe Gattungsbegriffe statt Titel 19 – guter Überlieferungszustand 56 – kennt Laevius aus erster Hand 49, 88 – nutzt archaische Wörter 49, 86, 171 – nutzt Deminutive 85 – syntaktische Integration von Zitaten 88 – zitiert aus dem Kopf 88–89 Genitiv – auf -um statt -ium 106 – des Sachbetreffs 151 – nach carere 107 – pleonastischer 32, 120, 127 Gnesippos 16 Gräzismus – auf Wortebene 30, 117, 152, 214, 254 – in der Deklination 210, 223 – syntaktischer 30, 138 Hapax legomenon 30, 109, 111, 140, 167, 172, 200, 202, 264 Haplologie 173 Hendiadyoin 172 Hermann-Lachmann – Regel von 205 Heteroklisie – Adjektiv 102, 150, 188
– Nomen 107, 203, 277 – Verb 206 Hexameter – miurischer 132 – Wortende nach neuntem Element 126, 221 – Wortstellung 132 Hiat – am locus Jacobsohnianus 9, 42, 226 – Häufung in Sotadeen 166 – metrischer 165 – prosodischer 165 – Vermeidung bei der Bildung von Komposita 111 – Vermeidung durch Ablativendung auf -d 226 Hymnenstil – allgemein 159 – Bitte um Epiphanie 134 – Chiasmus und Klang 170 – siue … siue 270 impos 151 Interpolation – in Tragödien 142 Klangspiel – als Zeichen altlateinischer Dichtung 31 – als Zeichen von Intertextualität 127 – bei Wörtern an gleicher Versstelle 203, 247 – beim Asyndeton 151 – im Gebet 170 – mit Deminutiv 171, 206 – verbunden mit Archaismus 225 – verbunden mit Verstoß gegen die Regelgrammatik/-morphologie 31, 84, 107, 111, 202, 206, 242 Kompositum – Adjektiv 102–103, 111, 113, 127, 140 – als Merkmal altlateinischer Dichtung 30 – bei Livius und Naevius 121 – Bildung 103, 111, 113, 121 – Kasuskomposita 111 – Nomen 114 – Titel 15, 17, 173, 209 Kranz – als Liebesbeweis und bei der Hochzeit 243 – fehlt bei Homer 240 Kürzung
Sachen und Namen
– contră 168 – einer Silbe im Hiat 165 – frustră 168 Laevius – als Lyriker 35 – apologetische Passagen / Literaturkritik 20, 27, 91, 264 – Originalität 15, 17, 25, 158, 178 – rezipiert Epos 22, 32–33, 91, 112, 120, 125, 127, 210, 232, 243 – rezipiert hellenistische Dichtung 24, 26, 32, 217, 277 – rezipiert Komödie 32, 114 – rezipiert Tragödie 23, 32, 99 – Verschreibung des Namens 6, 13, 52, 56, 81, 119, 131, 143, 209, 229, 247–248, 252, 260, 264, 268, 280 – zeitgenössische Bezüge 21, 28 Längung – bei muta cum liquida 117 – durch Konsonantenreduplikation 167 – līquĭda und līquor 247 Licinius Crassus Dives Mucianus 11 Licinius Crassus, Vater des Trimvirn 12 Livius Andronicus – Rezeption 120, 142 Lukrez – Gebrauch der Ersatzformen cuppidenis, cuppedine 167 – līquĭda und līquor 247 Lutatius Catulus – als Dichter erotischer Epigramme 3 – kauft den Sklaven Daphnis 6 Lutatius Daphnis 6 Lyrik – als παίγνια 16 Macrobius – korrupte Vorlage 119 Magie – apotropäische Mittel 255 – der Kirke 212 – Hippomanes 259 – Trivia-Diana-Luna 272 – Zauberrad 257
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– Zauberspruch 271 – Zaubertrank 251 – zweischwänzige Eidechse 258 Manlius 8 Martial – Titelgebung 18 Melissus – angeblicher Beiname von Laevius 6, 131 – Gaius 6 Metrik – griechische Strenge 37–38, 40–41, 224 Meyer, Regel von 125, 150 Mnaseas aus Lokroi (oder Kolophon) – παίγνια 16 Monosyllabum – am Versende 100, 164, 204 – zwei aufeinanderfolgende am Hexameteranfang 127 Motiv – Apostrophe an Waffen 245 – fingierter Tod des Dichters 95 – Gang von Frauen 228 – Lydien 183 – Nachtigall 157 – Nereidenbegegnung 216 – Nostossturm 215 – servitium amoris 47, 160 – steinernes/eisernes Herz 95, 110 – Stigmatisierung 196 – Vorwurf der Untreue 185 Mythos – Verbindung verschiedener Varianten bei Mythographen und späten Dichtern 145 Nachstellung – von et 30, 138 – von -que 281 Natur – bestimmt durch Stimmung der Götter 161 Neologismus – möglicher 29, 171, 231, 285 Neoteriker 29, 61 Nereiden 216 Nicollò Perotti 188 Nomen – auf -entia 30, 108
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Indizes
– Genuswechsel 30, 84, 202 – Plural des Abstrakten zur Bezeichnung des Konkreten 253 Nonius – falsche Erklärung von Zitaten 231 – flektierte Formen im Lemma 248 – grobe Gattungsbegriffe statt Titel 19 – mehrgliedrige Lemmata 248 – Zitathäufung 189 – Zitierfehler 97 Osbern von Gloucester – paraphrasiert Fragmente von Priscian 206 Ovid – Autoschediasmus 116 Pacuvius – Orestes und Dulorestes 174 – wirkt auf Laevius 99 Partizip Perfekt Passiv – aktiv gebraucht 101, 234 Partizip Präsens Aktiv – defektiver Verben 236 Philetas von Kos – παίγνια 16 Plautus – gebraucht das Wort meminens 236 Plural – poetischer 139, 200 Praeneoteriker 29, 61 Priscian – grobe Gattungsbegriffe statt Titel 19 – Neigung zu syntaktisch geschlossenen Zitaten 148, 192 – Vereinfachung von Kompositatiteln 173 Prolepse – weniger verbreitet im Altlatein 141 Quintilia – und Calvus 262 Sappho – Wirkung auf Laevius 184 Schönheitsideal – Gang 228 – Hände 241
Simias von Rhodos – Sphragis 157 Singular – kollektiver neben Plural 214 Sphragis 26, 157 Statius – Titelgebung 18 Stigma 196 Sumptuariengesetze 9 Synaloephe – gehäuft 42, 221 – in der Dihärese 100 – nach langem -i 257 – nach tam 266 – über die Versgrenze 39, 100, 221 Synaphie – als Merkmal laevianischer Metrik 36 – bei Anakreonteen 38 – im anapästischen Dimeter 39, 100 – im iambischen Dimeter 37, 203 – im trochäischen Dimeter 149 Synizese 150, 203 Synkope 42, 171, 206 Terentianus Maurus – korrupte Quelle 131 Thrasymachos – παίγνια 16 Timokles – Ὀρεσταυτοκλείδης und Ὀρέστης 174 Umgangssprache 16–17, 23, 32–33, 109, 171, 213, 237, 241, 261, 276 Varro Reatinus – Überlieferung der Menippeen 18 – und Laevius 9, 12, 61, 199, 235 Vatienus – Publius 260 Verb – Diathesenwechsel 110, 248 – inchoative 30, 107 – Intensivum 202 Vergil – als Vorlage angeblicher Laevius/Livius Verse 136
Sachen und Namen
Veronenser Vergilscholien – verkürzen Aspertext 194 Verschiebung – des Subjekts 139
Zitiertechnik sekundärer Autoren 52 Zonen – Theorie 282 ἀπὸ κοινοῦ 108, 139, 151, 240
Wortstellung – im Hexameter 133 – verschränkte 172, 233
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