Babrios: Ein Interpretationskommentar zu den Prologen und Fabeln 1 bis 17 3515135154, 9783515135153

Babrios? Dieser Autor und sein Werk mit dem rätselhaften Titel 'Mythiamboi' rufen bei Lesern oftmals Verwunder

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German Pages 335 [337] Year 2023

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Table of contents :
Titel
Impressum
Danksagung
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Babrios – Person, Werk, Überlieferung
2.1.Der Autor Babrios
2.2.Die Mythiamboi
2.3.Der literarische Kontext
3. Die Sammlung – Aufbau und Struktur
3.1.Anordnung der Fabeln
3.2.Das Gedichtbuch
3.3.Schlussfolgerungen
4. Das poetische Programm
4.1.Dichter und Publikum
4.2.Vorbilder und Nachfolger
4.3.Poetologische Bildsprache
4.4.Schlussfolgerungen
5. Literarische und narrative Strategien
5.1.Themen, Aussagen und Akteure
5.2.Rhetorisierung
5.3.Beschreibend-psychologisierende Erzählung
5.4.Dekonstruktion
5.5.Schlussfolgerungen
6. Kommentar
6.1.Methodische Überlegungen
6.2.Babr. 1 prol
6.3.Babr. 2 prol
6.4.Babr. 1
6.5.Babr. 2
6.6.Babr. 3
6.7.Babr. 4
6.8.Babr. 5
6.9.Babr. 6
6.10.Babr. 7
6.11.Babr. 8
6.12.Babr. 9
6.13.Babr. 10
6.14.Babr. 11
6.15.Babr. 12
6.16.Babr. 13
6.17.Babr. 14
6.18.Babr. 15
6.19.Babr. 16
6.20.Babr. 17
7. Zusammenfassung
8. Verzeichnisse
8.1.Abkürzungen
8.2.Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen der Mythiamboi (in chronologischer Folge der Auflage)
8.3.Textausgaben antiker Autoren und Werke
8.4.Tabellenverzeichnis
8.5.Sekundärliteratur
9. Register
9.1.Stellenregister
9.2.Personen-, Orts- und Sachregister
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Babrios: Ein Interpretationskommentar zu den Prologen und Fabeln 1 bis 17
 3515135154, 9783515135153

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Lukas Spielhofer

Babrios Ein Interpretationskommentar zu den Prologen und Fabeln 1 bis 17

Franz Steiner Verlag

Hermes | Einzelschrift 125

H ER M ES

H E R M ES Zeitschrift für klassische Philologie Herausgegeben von: Prof. Dr. Hans Beck Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Seminar für Alte Geschichte, Institut für ­Epigraphik, Domplatz 20–22, 48143 Münster (verantwortlich für Alte Geschichte) Prof. Dr. Martin Hose Ludwig-Maximilians-Universität München, Fakultät für Sprachund Literaturwissenschaften, Griechische und Lateinische Philologie, Schellingstr. 3 (VG), 80799 München (verantwortlich für Gräzistik) Prof. Dr. Claudia Schindler Universität Hamburg, Institut für Griechische und Lateinische Philologie, Überseering 35, Postverteilerfach 1, 22297 Hamburg (verantwortlich für Latinistik) Einzelschrift 125

Babrios Ein Interpretationskommentar zu den Prologen und Fabeln 1 bis 17 Lukas Spielhofer

Franz Steiner Verlag

Die Arbeit entstand im Rahmen eines Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (DOC) am Institut für Antike der Universität Graz.

Umschlagbild: Statue des Hermes / röm. Kopie / Rom, Vatikanische Museen Quelle: akg-images / Tristan Lafranchis Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2023 www.steiner-verlag.de Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13515-3(Print) ISBN 978-3-515-13522-1 (E-Book) https://doi.org/10.25162/9783515135221

Danksagung Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Mai 2021 an der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz eingereicht und im Juli 2021 verteidigt wurde. Bei der Überarbeitung konnte ich bis einschließlich Januar 2023 erschienene Literatur berücksichtigen. Die Veröffentlichung dieser Arbeit markiert das Ziel einer bereits 2017 begonnenen Reise, die mein Leben in vielfacher Hinsicht verändert und bereichert hat. Ohne die Unterstützung zahlreicher Personen wäre dies nicht möglich gewesen; bei ihnen möchte ich mich im Folgenden bedanken: Die Anregung zu dieser Studie verdanke ich allen voran Prof. Dr. Ursula Gärtner, die mir als erste die Welt der antiken Fabel nähergebracht und meinen Drang, mehr über diese nach wie vor unterschätzte Gattung der antiken Literatur zu erfahren, stets gefördert hat. Dafür gilt ihr mein größter Dank, ebenso wie für ihre unablässige und gewissenhafte Betreuung in den vergangenen Jahren, die mich zu einem kritischeren und reflektierteren Philologen gemacht hat. Daneben habe ich Prof. Dr. Niklas Holzberg zu danken, der durch seine Expertise in der Fabel- und Babriosforschung maßgeblich zum Gelingen meines Vorhabens beigetragen hat  – sei es durch großzügige Literaturspenden oder durch scharfsinnige Anmerkungen. Auch für die Übernahme der Tätigkeit des Zweitgutachters danke ich ihm herzlich. Mein Dank gilt außerdem Prof. Dr. Martin Korenjak als drittem Mitglied der Prüfungskommission für die gute Zusammenarbeit in der Schlussphase des Promotionsprozesses. Ferner möchte ich mich beim Herausgebergremium und insbesondere Prof. Dr. Martin Hose für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe der Hermes – Einzelschriften sowie für die konstruktiven Anmerkungen und Hinweise bei der Vorbereitung des Manuskripts bedanken. Ermöglicht wurde mir die Durchführung dieser Untersuchung durch ein großzügiges Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (DOC), das es mir erlaubte, mich meinen Forschungen mit der dafür nötigen Ruhe und Genauigkeit zu widmen. Für diese Unterstützung bedanke ich mich ebenfalls herzlich. Im Laufe der Jahre durfte ich Teile dieser Arbeit sowie die ihr zugrundeliegenden Thesen bei verschiedenen wissenschaftlichen Veranstaltungen vorstellen. Für die Gelegenheit sowie für die vielen konstruktiven Diskussionen möchte ich all jenen, die

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Danksagung

diese organisiert oder daran teilgenommen haben, danken: so etwa die zahlreichen Workshops und Tagungen des Grazer Fabel-Forschungsteams oder die AKMe-Tagun­ gen in Graz, Innsbruck und Salzburg. Daneben gilt mein Dank Prof. Dr. Therese Fuhrer, die mich zu ihrem Forschungskolloquium an die LMU München eingeladen und mir wichtige literarische Anregungen geliefert hat. Schließlich schulde ich meinen geschätzten Kolleginnen und Kollegen der Universität Graz Dank – Sally Baumann, Enno Friedrich, Nora Kohlhofer, Blaz Ploj, Christopher Poms und Clemens Wurzinger. Sie haben durch ihren kritischen Blick entscheidende Impulse für das Gelingen der Arbeit gegeben. Zu danken habe ich ferner Lisa Peinhaupt und Andrea Faßwald für ihre Hilfe bei der Korrektur sowie Sophie Hollwöger, deren Lektorat sowohl in sprachlicher als auch philologischer Hinsicht für mich unbezahlbar war. Mein spezieller Dank gilt Vicente Flores Militello, der mich in der finalen Phase der Überarbeitung unterstützt und dazu ermutigt hat, meine Ideen (endlich!) zu Papier zu bringen. Widmen möchte ich dieses Buch meinen Eltern, Renate und Gerald. Sie haben mein Interesse für die Antike nicht nur von Anfang an gefördert, sondern mich die Jahre hindurch stets durch alle Höhen und Tiefen begleitet – bei der Abfassung der Arbeit und darüber hinaus. Graz, im Februar 2023

Lukas Spielhofer

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 2. Babrios – Person, Werk, Überlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.1. Der Autor Babrios . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2.2.Die Mythiamboi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.3. Der literarische Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 3. Die Sammlung – Aufbau und Struktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.1. Anordnung der Fabeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3.2. Das Gedichtbuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.3.Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 4. Das poetische Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.1. Dichter und Publikum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4.2. Vorbilder und Nachfolger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 4.3. Poetologische Bildsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 4.4.Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 5. Literarische und narrative Strategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5.1. Themen, Aussagen und Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 5.2.Rhetorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5.3. Beschreibend-psychologisierende Erzählung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5.4.Dekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5.5.Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 6. Kommentar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 6.1. Methodische Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 6.2. Babr. 1 prol. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 6.3. Babr. 2 prol. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 6.4. Babr. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 6.5. Babr. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 6.6. Babr. 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143

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Inhaltsverzeichnis

6.7. Babr. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 6.8. Babr. 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 6.9. Babr. 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 6.10. Babr. 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 6.11. Babr. 8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 6.12. Babr. 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 6.13. Babr. 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 6.14. Babr. 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 6.15. Babr. 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 6.16. Babr. 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 6.17. Babr. 14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 6.18. Babr. 15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 6.19. Babr. 16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 6.20. Babr. 17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 8. Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 8.1.Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 8.2. Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen der Mythiamboi (in chronologischer Folge der Auflage) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 8.3. Textausgaben antiker Autoren und Werke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 8.4.Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 8.5.Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 9. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 9.1.Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 9.2. Personen-, Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330

1. Einleitung Man darf es dreist sagen, daß abgesehen vom Hymnus auf Demeter kaum seit Jahrhunderten ein schöneres Denkmahl der griechischen Poesie wieder aufgefunden ist und daß […] der glückliche Finder und der gelehrte Herausgeber den gegründetsten Anspruch auf den Dank aller Gelehrten und Gebildeten sich erworben haben.1

Mit diesem Ausspruch reagierte der Philologe Friedrich Wilhelm Schneidewin auf die Erstausgabe eines Werks, dessen Existenz man zuvor lediglich aufgrund vereinzelter literarischer Hinweise vermuten konnte: Die Mythiamboi, eine Sammlung griechischer Versfabeln, zugeschrieben einem Autor namens Babrios, erschienen erstmals 1844 in Paris. Schneidewins Aussagen liefern ein eindrückliches, wenn auch seltenes Zeugnis für die Bewertung der Fabelsammlung, loben sie doch ausdrücklich deren literarischen und poetischen Charakter. Im Gegensatz dazu beachtete die gräzistische Forschung der vergangenen rund 180 Jahre die Fabeln des Babrios kaum und wusste sie noch weniger zu schätzen. Und dies, obwohl die Mythiamboi die heute einzige griechische Gedichtsammlung der Kaiserzeit darstellen, die zu einem Großteil erhalten geblieben ist. Umso bedauerlicher ist es, dass Babrios’ Fabeln bis heute kaum nach literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkten betrachtet wurden,2 wobei die Eigentümlichkeit und komplexe Gestaltung des Werks solche Untersuchungen erschweren. Förderlicher ist die Lage im Bereich der lateinischen Fabel: In den vergangenen Jahren trugen eine Reihe von Philologinnen und Philologen zur Weiterentwicklung dieses Forschungsfelds bei, allen voran Ursula Gärtner, die durch ihre langjährigen Bestrebungen gewissermaßen „die moderne Phaedrus-Forschung begründete“3 und der Versfabel im philologischen Kontext nicht nur im deutschsprachigen Raum zu beträchtlicher Aufmerksamkeit verhalf.4 Vergleichbare Unternehmungen sucht man im Bereich der griechischen Fabel allerdings vergeblich – hier scheitert es nach wie vor an den Grund-

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Schneidewin 1845, 2–3. Zu nennenswerten Ausnahmen vgl. die entsprechenden Titel in Kap. 2.2. Holzberg 2018a, Vorwort. Hervorzuheben sind hier insbesondere die Interpretationskommentare zu den ersten drei Büchern der Phaedrusfabeln: Gärtner 2015; 2021.

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Einleitung

lagen: Die deutschsprachigen Neuübersetzungen der Mythiamboi und der Fabeln der Collectio Augustana durch Niklas Holzberg stellen einen wichtigen Schritt in der Erschließung dieser Sammlungen dar;5 moderne Kommentierungen, die diese Ressourcen ergänzen, gibt es für beide Sammlungen bis dato jedoch nicht. Aus diesem Grund widmet sich die vorliegende Untersuchung einer dieser beiden Sammlungen, den Mythiamboi, und stellt den modernen Kommentaren zur römischen Versfabel der Kaiserzeit ein griechisches Pendant zur Seite. Die Kommentierung und Interpretation der beiden Prologe sowie der ersten siebzehn Fabeln der Mythiamboi leistet, so hoffe ich, neben Holzbergs obengenannter Einführung und Übersetzung einen weiteren Beitrag zur Erforschung eines unterschätzten Werks der griechischen Dichtung. Die Auswahl der kommentierten Gedichte orientiert sich an deren alphabetischer Reihenfolge in den Kodizes und umfasst neben den Prologen jene Fabeln, die mit Αlpha beginnen.6 Nach einer umfassenden Darstellung des bisherigen Forschungsdiskurses soll ein systematischer Interpretationskommentar die genannte Auswahl erschließen. Auf Basis dieser Arbeitsgrundlage werden zentrale und bislang weitgehend unbeantwortete literaturwissenschaftliche Fragestellungen diskutiert: Zunächst wird der Aufbau der Sammlung beleuchtet und untersucht, welche Gestaltungsprinzipien sowohl auf der Mikroebene der einzelnen Fabeln als auch auf der Makroebene des Gesamtwerks zur Anwendung kommen. Die Struktur des Fabelbuchs ist insofern von Interesse, als der Ursprung der alphabetischen Reihung in der einschlägigen Forschung noch nicht geklärt wurde – während viele diese auf eine byzantinische Redaktion zurückführen, gibt es Hinweise darauf, dass es sich bei der heute vorliegenden Gedichtsequenz um eine antike, vermutlich sogar auf den Autor selbst zurückgehende Anordnung handelt. Eine Analyse soll Impulse und Erklärungsansätze zu dieser Frage liefern. Darüber hinaus steht die Erforschung der den einzelnen Gedichten inhärenten Poetik im Mittelpunkt. Während das poetische Programm des Autors in den beiden Prologen durch Anknüpfung an traditionelle Topoi hervortritt, kann die poetische Intention der einzelnen Fabeln nur indirekt vermittels einer Analyse der Motive, der sprachlichen Figuren sowie der intertextuellen Bezüge erschlossen werden. Besonderes Augenmerkt liegt dabei auf der Identifizierung, Kategorisierung und Analyse literarischer Motive und sprachlicher Bilder, die in der Tradition eine nachgewiesene poetologische Konnotation aufweisen. Schließlich werden anhand von Beispielen die zentralen stilistischen und literarischen Strategien der Mythiamboi diskutiert, um zu bestimmen, was an der Sammlung

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Holzberg 2019; 2021. Zur Anordnung der Gedichte siehe Kap. 3.

Einleitung

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eigentlich ‚charakteristisch‘ ist und wodurch sie sich von anderen Fabelsammlungen unterscheidet. Kap. 2 gibt einen Abriss über die vielfältigen Probleme und Herausforderungen, die sich bei der Auseinandersetzung mit Autor und Werk ergeben. Dies umfasst Fragen nach der Datierung und Autorschaft des Werks, Fragen zur Textrekonstruktion und möglichen Interpolationen sowie einen Überblick über die Forschungsgeschichte. Die Analysekapitel 3 bis 5 informieren über die grundlegende Struktur der Fabelsammlung, über die ihr inhärente Poetik sowie über narrative Strategien, die die einzelnen Gedichte und die Sammlung als Ganzes bestimmen. Hierbei werden Erkenntnisse, die aus der Analyse und Interpretation der untersuchten Fabeln gewonnen wurden, zur Veranschaulichung und Ergänzung des Status quo herangezogen. Kap. 6, der Hauptteil der Untersuchung, besteht aus der Erschließung der beiden Prologe sowie der ersten 17 Gedichte der Sammlung in Form eines Interpretationskommentars. Die dabei angewandten Methoden werden in einem vorangestellten Unterkapitel gesondert diskutiert. Schließlich fasst Kap. 7 die Ergebnisse dieser Analysen zusammen, gibt einen Rückblick auf die behandelten Themen und formuliert davon ausgehend weitere Betätigungsfelder und Desiderata im Bereich der Babriosforschung.

2. Babrios – Person, Werk, Überlieferung 2.1 Der Autor Babrios Dem Autor der Babriosfabeln ein eigenes Kapitel zu widmen, stellt ein kühnes, ja fast hoffnungsloses Unterfangen dar. Wir haben es im Falle der Fabelsammlung im wahrsten Sinne mit einem auteur mort nach Roland Barthes zu tun. So viel vorweg: Über den empirischen Autor, also die historische Person Babrios, kann man im besten Fall Vermutungen anstellen und das meiste, das bislang über sein Leben gesagt wurde, ist in irgendeiner Form an die Sammlung, die seinen Namen trägt, gebunden. Dies betrifft zuallererst deren Datierung. Erste Versuche einer zeitlichen Einordnung, die unter anderen von Otto Crusius und Karl Johannes Neumann dokumentiert wurden,1 reichen vom dritten vor- bis in das dritte nachchristliche Jahrhundert.2 Als Kriterium wurde hier vor allem die Identität des im zweiten Prolog erwähnten βασιλεὺς Ἀλέξανδρος herangezogen.3 Man unternahm zahlreiche Versuche, diese Figur einem bestimmten Herrscher zuzuordnen, wobei die Datierung auf einen Zeitraum zwischen dem ersten und dem dritten Jahrhundert eingegrenzt wurde.4 Der Großteil der Forschung geht heute von einer Entstehung der Sammlung im ersten5 bzw. zwei-

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Vgl. Crusius 1879, 127–163; Neumann 1880, 301–305. Vgl. Orelli/Baiter 1845, vii–viii (Hellenistische Zeit), Bergk 1846, 130 (3.  Jahrhundert v. Chr.), Weise 1845, v (1. Jahrhundert v. Chr.), Lachmann 1845, xii (1. Jahrhundert); Eberhard 1875, iii–iv (1. Jahrhundert) oder Boissonnade 1844, xi–xii (3. Jahrhundert); Cornewall Lewis 1846, xiii–xiv (1. bis 4. Jahrhundert); Crusius 1879, 239–244 (3. Jahrhundert); Neumann 1880, 304–305 (3. Jahrhundert); Rutherford 1883, xi–xii (3. Jahrhundert); Crusius 1896, 2658 (3. Jahrhundert). Zu Babr. 2 prol. vgl. Kap. 6.3. Auf Basis von sprachlichen und stilistischen Besonderheiten, etwa der Verwendung der kaiserzeitlichen Koine, wurde eine Datierung vor dem ersten Jahrhundert ausgeschlossen; häufig wurden Rückschlüsse auf Entstehungszeit und -umfeld der Fabelsammlung aus der Sprache der Fabeln gezogen. Erste Untersuchungen stammen von Eberhard (1865), Zachariae (1875) oder Rutherford (1883, li–lxvi). Vgl. daneben auch Crusius 1879, 177–182; 196–201, sowie später Luzzatto 1975a; Luzzatto 1997. Marenghi (1955a, 117–118) merkt allerdings zu Recht an, dass vom sprachlichen Stil der Fabeln allein nicht auf den Entstehungszeitraum geschlossen werden kann, da dieser die Merkmale mehrerer Stilepochen kombiniert, weshalb sich in den Fabeln eine breite Auswahl an Ausdrücken verschiedener Phasen des Griechischen finden lässt. Zumeist wird der erwähnte König Alexander mit einem kilikischen Kleinkönig identifiziert, der in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts unter Vespasian geherrscht haben soll, so Perry 1965,

Der Autor Babrios

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ten6 Jahrhundert aus, auch wenn einige Vertreterinnen und Vertreter eine Datierung in die Zeit der severischen Kaiserdynastie im dritten Jahrhundert bevorzugen.7 In antiken Quellen werden die Fabeln erstmals in einem Brief des Kaisers Julian aus dem Jahr 3628 sowie in der Praefatio zur Fabelsammlung Avians (um 400)9 erwähnt. Einige am Beginn des 20. Jahrhunderts entdeckte und auf das dritte bzw. vierte Jahrhundert datierte Papyrusfragmente10 decken sich zeitlich mit diesen Erwähnungen. Lateinische Übersetzungen einzelner, auf den Papyri überlieferter Fabeln lassen darauf schließen, dass die Sammlung in dieser Zeit bereits gelesen und bearbeitet wurde. Ein Beweis dafür dürfte auch in den tabulae ceratae Assendelftianae vorliegen, einer Sammlung von Wachstafeln aus dem Schulbetrieb der antiken Handelsstadt Palmyra, auf denen Fabeln überliefert sind und die ebenfalls auf das dritte Jahrhundert datiert werden.11 Die Zerstörung Palmyras im Jahr 27212 liefert somit einen stichhaltigen terminus ante quem für die Entstehung der Sammlung. Jedoch scheint die Aussagekraft mancher antiken Zeugnisse durchaus fraglich, wie das Beispiel der Hermeneumata Pseudodositheana zeigt: Diese Sammlung antiker Sprachlehrmaterialien überliefert zwei Fabeln der Mythiamboi, Babr. 84 und 140; da in einem Vorwort des Werks auf das Konsulat von Maximus und Aper im Jahr 207 verwiesen wird,13 liegt die Annahme nahe, dieses Datum könne als terminus ante quem für die Abfassung der Babriosfabeln gelten. Folgt man diesem Datum – und dies tut ein Großteil der modernen Forschung –,14 so müsste die Fabelsammlung im zweiten Jahrhundert oder davor entstanden sein. Allerdings ist eine Datierung, die sich lediglich xlvii–l; Burkert 1984, 111; Weglage 1997, 134; Rodríguez Adrados 1999a, 103; Holzberg 2012, 65. Auch Mann (2018, 253) datiert die Fabelsammlung in das erste Jahrhundert, bringt sie allerdings nicht in Verbindung mit einem bestimmten Herrscher. Wie Hawkins (2014, 88, Anm. 3) gezeigt hat, basiert die Annahme einer Datierung in das erste Jahrhundert jedoch auf einer textkritisch korrputen Stelle in Flavius Josephus’ Antiquitates Iudaicae (18,140), was deren Wert infrage stellt. 6 So Getzlaff 1907, 32–34; Marenghi 1955a, 130; Keydell 1964, 795; Wagner 1977, 1124; Holzberg 2019, 13; Spielhofer 2021. Unschlüssig darüber, in welches Jahrhundert die Sammlung zu datieren ist, sind van Dijk (2000, 29) sowie Hawkins (2014, 88) – sie sprechen sich für das erste bis zweite Jahrhundert aus. 7 So etwa Luzzatto 1997, 383–384. 8 Iul. epist. 82,444B: τὸν μῦθον οὐκ ἀκήκοας τὸν Βαβρίου; [Hast du denn nicht die Fabel des Babrios gehört?]. 9 Avian. praef.,13–14: Quas [fabulas] Graecis iambis Babrius repetens in duo volumina coartavit [Diese [Fabeln] hat Babrios in griechischen Iamben wieder hervorgeholt und auf zwei Bücher herabgekürzt]. 10 Vgl. Grenfell/Hunt 1901, 26; Radermacher 1902, 143; Perry 1965, lxix–lxx; Luzzatto/La Penna 1986, XXIX; XXXI; Vaio 2001, xxii; Holzberg 2019, 11–12, sowie Kap. 2.2. 11 Vgl. Hesseling 1892–1893, 298; Crusius 1894, 250–251; Sitzler 1897, 111; Vaio 1984, 197; Luzzatto/La Penna 1986, XXX, sowie Kap 2.2. 12 Vgl. Hesseling 1892–1893, 299; Weil 1894, 142–143; Luzzatto/La Penna 1986, XXX. 13 Vgl. Gayraud 2011, 36; Dickey 2012, 37–38; Scappaticcio 2017, 50. 14 Vgl. Crusius 1897, 3; Getzlaff 1907, 32–34; Perry 1965, xlvii; Luzzatto 1997, 384; Dickey 2012, 37–38; Holzberg 2012, 65; Hawkins 2015, 305. Ich selbst stimme dieser Ansicht – mit gewissen Vorbehalten – grundsätzlich auch zu; vgl. Spielhofer 2021.

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auf dieses Zeugnis stützt, problematisch. Die Hermeneumata sind nämlich ihrerseits schwer zu datieren: Zwar erlaubt das Konsulatsjahr eine präzise Bestimmung, doch gilt diese nicht für das gesamte Material. Nach heutigem Stand dürfte die Sammlung nicht als in sich geschlossenes Gesamtwerk entstanden, sondern als Zusammenstellung verschiedener Übungen zum Spracherwerb aus unterschiedlichen Epochen gewachsen sein; die Beziehung der einzelnen Teile zueinander ist ungeklärt. Demnach markiert das Jahr 207 lediglich jenen Zeitpunkt, an dem der datierbare Teil der Sammlung an den Rest angefügt wurde; welche Teile des Werks mit diesem Jahr hinzu kamen und ob die beiden Fabeln der Mythiamboi unter ihnen waren, entzieht sich jedoch unserer Kenntnis.15 Darüber hinaus relativiert die Annahme, verschiedene Teile der Hermeneumata hätten im Laufe der Überlieferung ihre Position in der Sammlung verändert,16 die Aussagekraft für die Datierung der Mythiamboi noch weiter. Dies macht eine Entstehung der Sammlung im dritten Jahrhundert zumindest möglich. Neben außertextlichen Zeugnissen ermöglichen die Fabeln selbst Rückschlüsse auf ihre Entstehungszeit: Sowohl auf sprachlicher als auch stilistischer Ebene erweisen sich die Gedichte als Produkte der Kaiserzeit.17 Die verwendete Koine mit ionischen Einflüssen, das Auftreten zahlreicher nachklassischer Phänomene sowie die Häufung von Neologismen lassen an eine Entstehung nicht vor dem ersten, mitunter sogar nicht vor dem zweiten Jahrhundert denken.18 Aufgrund der behandelten Inhalte und der verwendeten Motive wird zudem eine Nähe zur Geistesströmung der Zweiten Sophistik angenommen, die die griechische Literatur zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert prägte.19 Hinzu kommen literarische Parallelen zur Fabelsammlung des Phaedrus (eher zweite Hälfte 1. Jahrhundert)20 und die für ein Werk der Kaiserzeit bemerkenswerte Versifizierungstechnik, die bereits auf eine Abwendung von klassischer, rein quantitierender Verslehre hinweist.21

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So Dickey (2012, 39), die hierzu erwähnt: „Dionisotti […] is clearly right to reject the further inference that the entire Hermeneumata collection, containing all the texts now associated with it, must have been put together by this same writer in AD 207: this preface mentions only the capitula and the Hyginus, and other texts could easily have been added separately at different times.“ Vgl. Dickey 2012, 39. Scappaticcio (2017, 50) nennt 207 in diesem Zusammenhang sowohl terminus ante quem als auch terminus post quem für bestimmte Teile der Sammlung. Zur Sprache und Stil der Sammlung vgl. Kap. 2.3. Vgl. Marenghi 1955a, 130; Marenghi 1955b, 240; Luzzatto 1997, 383–384; vgl. Luzzatto 1975a, 17–97. So etwa von Marenghi 1955a, 123; zu den Quellen und Einflüssen der Sammlung vgl. Kap. 2.3. Vgl. Gärtner 2015, 55–56. Vgl. dazu Kap. 2.3. So folgen die Choliamben der Regel, dass die Länge der vorletzten Silbe im letzten Versfuß, der durch die Anaklasis betont wird, stets mit dem Wortakzent zusammenfallen muss; vgl. Crusius 1879, 164; Ficus 1889, 821–822; Crusius 1897, XXXIV–XXXV; West 1982, 161; vgl. Luzzatto 1985, 97; Stephens 1985; Luzzatto/La Penna 1986, XCIX; Korzeniewski 1991, 62–63. Laut Silva Barris (2011, 104) könne eine solche Korrelation nur aus rhythmischen Zusammenhängen resultieren, die bei den Iambographen des Hellenismus noch nicht vorhanden waren. Als erster entdeckt habe die Regel Heinrich Ludolf Ahrens (Ahrens 1845, 31). Ein solches Modell taucht vor Babrios bei keinem griechischen Autor auf; erst in der spätantiken Dichtung des fünften und sechsten Jahrhunderts –

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Für das Werk (und damit den Autor) lässt sich daraus Folgendes schließen: Die Fabeln stellen in jedem Fall ein Werk der Kaiserzeit dar, hierfür sprechen sowohl der Text als auch außertextliche Quellen zur Sammlung. Auf Grundlage der präsentierten Erkenntnisse scheint eine Entstehung im zweiten, wenn nicht sogar in der ersten Hälfte des dritten Jahrhunderts, wahrscheinlich. Über den Autor der Fabeln wissen wir darüber hinaus kaum etwas. In den (spät-) antiken Quellen wird er gemeinhin als Babrios bzw. Babrius bezeichnet,22 in byzantinischer Zeit treten die Varianten Babrias,23 Fabrios/Fabrias, Chabrios/Chabrias oder Gabrios/Gabrias hinzu.24 Die Handschriften selbst führen entweder gar keinen Namen an oder überliefern ihn fehlerhaft.25 Zwar ist der Name in römischen Inschriften belegt,26 unklar ist jedoch, ob er lateinisch Babrius oder griechisch Babrios lautete und ob es sich dabei um einen römischen Bürger handelte oder nicht.27 Abgesehen von der Namensgleichheit lassen sich keine Verbindungen zum Autor der Fabelsammlung herstellen. Mit Ausnahme der Suda, die Babrios lediglich als μυθογράφος, also als Geschichtenschreiber oder Fabeldichter, bezeichnet,28 haben wird keine Anhaltspunkte über sein Umfeld und seine Lebensumstände. z. B. der sogenannten nonnianischen Schule – lässt sich Ähnliches nachweisen; vgl. Crusius 1879, 164; Luzzatto 1975a, 50. 22 So in Iul. epist. 82,444B und Avian. praef.,13–14. Für den Wortlaut vgl. Anm. 8 und 9. 23 Etwa in der Suda (s. v. Βαβρίας ἢ Βάβριος): Βαβρίας ἢ Βάβριος· Μύθους ἤτοι Μυθιάμβους. εἰσὶ γὰρ διὰ χωλιάμβων ἐν βιβλίοις ιʹ. οὗτος ἐκ τῶν Αἰσωπείων μύθων μετέβαλεν ἀπὸ τῆς αὐτῶν λογοποιΐας εἰς ἔμμετρα, ἤγουν τοὺς χωλιάμβους [Babrias oder Babrios: [Er schrieb] Fabeln oder ‚Mythiamben‘. Denn sie sind in Choliamben in zehn Büchern [verfasst]. Er adaptierte sie aus den ‚Äsopischen Fabeln‘, aus ihrer Prosaform im Metrum, das heißt in Choliamben]. 24 So in den Schriften des Ignatios Diakonos (erste Hälfte 9.  Jahrhundert). Weitere byzantinische Zeugnisse umfassen das Gnomologicon des Johannes Georgides (10. Jahrhundert), das Etymologicum Magnum (12. Jahrhundert) (s. v. ὄμφαξ; s. v. πεπρωμένον) oder das Werk des Johannes Tzetzes (12. Jahrhundert) (z. B. chil. 13,475,257–262); vgl. Luzzatto/La Penna 1986, VI; XLII. 25 In A ist ΒΑΛΕΒΡΙΟΥ überliefert, vgl. Crusius 1879, 192; Rutherford 1883, xix; Crusius 1897, 9; Perry 1965, lii; Vaio 1980, 1; Luzzatto/La Penna 1986, 1. Die ersten beiden Zeichen sind aufgrund der schweren Lesbarkeit nicht gesichert. Frühneuzeitliche Handschriften (z. B. cod. Harl. 3521, 17r) führen zusätzlich Βαβρίου Βαλερίου an. Perry (1965, lii–liii) identifizierte diesen fälschlich als gräzisierte Schreibweise von Valerius Babrius interpretierten Namen (vgl. Crusius 1879, 192; Rutherford 1883, xix–xx) jedoch als Abschreibfehler, der in der Vorlage nicht existiert. Es dürfte sich dabei um eine irrige Übertragung des ursprünglichen Βαβρίου handeln; für die Forschungsdiskussion vgl. Crusius 1879, 128, Perry 1965, lii–liii, Vaio 1980 und Luzzatto/La Penna 1986, VI. 26 So etwa CIL 1,1412 (= CIL 11,5390): POST · MIMESIVS · C · F · T · MIMESIVS · SERT · F · NER · CAPIDIAS · C · F · RVF | NER · BABRIVS · T · F · C · CAPIDIAS · T · F · C · N · V · VOLSIENVS · T · F · MARONES [Postumus Mimesius, Sohn des Gaius; Titus Mimesius, Sohn des Sertor; Nero Capidias Rufus, Sohn des Gaius; Nero Babrius, Sohn des Titus; Gaius Capidias, Sohn des Titus und Enkel des Gaius; Vibius Volsienus, Sohn des Titus, die Marones]. Die Inschrift stammt vermutlich aus dem frühen zweiten Jahrhundert v. Chr. Eine ausführliche Auflistung dieser und weiterer Inschriften, die den Namen überliefern, findet sich in Crusius 1879, 189–191. 27 Vgl. Crusius 1896, 2656. 28 Suda s. v. Στελεός: Βάβριος φησὶν ὁ μυθογράφος [das sagt Babrios der Fabeldichter].

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Dieser Mangel an außertextlichen Informationen hat die Forschung jedoch nicht davon abgehalten, die verschiedensten Vermutungen über das Leben des Babrios anzustellen. Von einer nicht-griechischen Herkunft29 bis hin zu einer römischen Abstammung wurden mehrere Szenarien vorgeschlagen. Großen Zuspruch fand insbesondere die These, hinter dem Autor stünde ein hellenisierter Römer, der zwar die griechische Sprache für sein Werk benutzt, in anderen Belangen jedoch stark von der römischen Kultur geprägt ist, vergleichbar mit seinem vermuteten Zeitgenossen Cassius Dio.30 Als Argumente dafür werden unter anderem metrische Eigenheiten der Gedichte, die an römische Iambographen wie Martial erinnern,31 sowie sprachliche Einflüsse des Lateinischen angeführt.32 Allerdings fußt auch dies auf unsicheren Annahmen, zumal ein Großteil der griechischen Iambendichtung verloren ist und somit nicht mehr als Vergleich herangezogen werden kann und eine Argumentation auf sprachlicher Basis angesichts der kaiserzeitichen Koine der Fabeln, die sich vom attischen Griechisch der Klassik bereits stark unterscheidet, ebenfalls wenig treffsicher sein dürfte. Gleichzeitig kann man den Babriosfabeln die Nähe zur römischen Literatur nicht in Bausch und Bogen absprechen, wie im Folgenden noch gezeigt wird. Ferner versuchte man des Öfteren, in biographischer Manier Informationen über das Leben und die Situation des Autors aus den Inhalten der Fabeln zu gewinnen – vor allem die Aussagen des Ichs in den beiden Prologen der Sammlung wurden hierzu herangezogen. So ging man etwa aufgrund der Nennung von Adressaten davon aus, Babrios sei der Lehrer eines gewissen Branchos, des Sohnes eines Königs Alexander,33 ge29 30

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So meinte man, der Name Babrios sei nicht-griechischen Ursprungs; vgl. Crusius 1896, 2656–2657; Luzzatto/La Penna 1986, VI–VII; Luzzatto 1997, 383. Vgl. Crusius 1896, 2657; Gasse 1955, 16; Marenghi 1955a, 130; Keydell 1964, 795; Perry 1965, lii–lv; Mader 1973, 23–24; Wagner 1977, 1123; Irmscher 1978, xiv; Weglage 1997, 134; Rodríguez Adrados 1999a, 103. Vorsichtiger bleibt Holzberg (2019, 25–26), der dem Autor zwar Vertrautheit mit der lateinischen Sprache und der römischen Literatur zuschreibt, daraus allerdings keine Rückschlüsse auf dessen Lebensumstände zieht. Dagegen Luzzatto/La Penna (1986, VII–XI), die in den lateinischen Spuren Irrungen anderer Bearbeiterinnen und Bearbeiter sehen und auf Grundlage der Fabelinhalte von einer syrisch-griechischen Herkunft sprechen. Wie ich in Spielhofer 2021 dargelegt habe, scheint es jedoch unzulässig, die Inhalte der Fabeln als biographische Informationsquellen heranzuziehen, da deren Historizität bzw. Fiktionalität nicht endgültig bestimmt werden kann. Z. B. Mart. 1,10; vgl. Lachmann 1845, XII–XIII; Crusius 1879, 164–166; Pelckmann 1908, 36; Marenghi 1955a, 128; Holzberg 2012, 64; Holzberg 2019, 25; 32. Ferner hat man auf Parallelen zu den Mimiaben des Gnaeus Matius (z. B. FPL fr. 11 Blänsdorf), Catulls iambischen Gedichten (Catull. 8; 22; 31; 37; 39; 44; 59; 60) oder dem Corpus Priapeorum (z. B. Priap. 31; 36; 47; 51; 58; 63; 78; 79) hingewiesen. Untermauert wird dies auch durch thematische Entsprechungen, so finden sich die ältesten Parallelen zu mehreren Fabeln bei römischen Autoren – etwa in den Satiren des Horaz oder in den Fabeln des Phaedrus; vgl. Holzberg 2019, 25–26. Dagegen Pelckmann (1908, 9–12) und Luzzatto/La Penna (1986, XCIX), die darauf hinweisen, dass es sich um ein allgemeines Merkmal der griechischen Dichtung ab dem ersten Jahrhundert handelt. Ficus (1889, 822–824) mutmaßt, dass das Prinzip auf den Regeln der semitischen Verskunst basieren könnte. Zu Sprache und Versmaß der Mythiamboi vgl. Kap. 2.3. Mangels näherer Informationen wurde vielfach angenommen, bei Branchos, dem Adressaten des ersten Prologs, und dem Sohn des Königs Alexander handle es sich um dieselbe Person;

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wesen und habe die Fabeln zur (moralischen) Erziehung seines königlichen Zöglings verfasst.34 Die Versuche, Vater und Sohn historischen Persönlichkeiten zuzuordnen, waren nur begrenzt erfolgreich: Branchos, ‚der Heisere‘, konnte historisch gar nicht festgemacht werden; Bezüge zum Gott Apollo und den kallimacheischen Iamboi35 weisen vielmehr auf eine literarisch-mythologische bzw. poetologische36 Bedeutung hin.37 König Alexander wurde zwar verschiedenen historischen Herrschern zugeordnet38 – von Severus Alexander39 oder Elagabal40 bis hin zu einem syrischen Klientelkönig unter Vespasian41 –, da diese Zuordnungen aber entweder der Datierung widersprechen oder zum Teil auf unsicheren Quellen basieren,42 wird auch die Historizität dieser Figur bisweilen angezweifelt.43 Weitere den Fabeln entnommene Vermutungen, wonach Babrios etwa aufgrund seiner schlechten Erfahrungen mit Arabern im nahöstlichen Raum anzusiedeln sei oder mit Nebenbuhlern am königlichen Hof zu kämpfen gehabt habe, fußen auf noch

vgl. Schneidewin 1845, 4; Mader 1973, 23; Luzzatto 1997, 383–384; Van Dijk 2000, 209; Holzberg 2012, 57. 34 Vgl. Crusius 1896, 2659; Bieber 1906, 13; Crusius 1920, VIII; Keydell 1964, 795; Burkert 1984, 111; Weglage 1997, 134; Holzberg 2012, 66; zu 1 prol. vgl. Kap. 6.2, zu 2 prol. Kap. 6.3. Als Beweis für diese These sah man unter anderem die tabulae ceratae Assendelftianae (vgl. Kap. 2.2) an, die das Werk ebenfalls in einen pädagogischen Kontext stellen. 35 Kall. fr. 194,28 Pf. 36 Zum poetologischen Gehalt des heiseren Krächzens in der Literatur vgl. Spielhofer 2021. 37 Hier ist besonders auf die Verbindung zu Kallimachos und seinen Iamboi hinzuweisen – der Name Branchos erscheint im vierten Iambos und bezeichnet ein kallimacheisches Einzelgedicht. Angesichts dessen scheint Tom Hawkins’ Einschätzung (2014, 101), der Name Branchus „amounts to a Callimachean calling card“, durchaus zutreffend; vgl. Pertsinidis 2010, 38–39. 38 Die ausführlichste Untersuchung dieser Art stellt Morgan 2007, 326–330, dar. 39 Vgl. Rutherford 1883, xi–xii; Crusius 1920, VIII. 40 Vgl. Luzzatto 1997, 384. 41 Vgl. Burkert 1984, 111; Weglage 1997, 134; Holzberg 2012, 65. Als Argument für die Verortung in Syrien hat man eine Aussage im zweiten Prolog genommen, wonach die alten Assyrer die Erfinder der antiken Fabel wären – dies muss jedoch nicht deren Einsatz in jener Region nahelegen, sondern könnte einer historischen Darstellung geschuldet sein: Tatsächlich scheinen frühe Fabeln aus dieser Region zu stammen, vgl. dazu Perry 1965, xxviii–xxix; xxxiv; Holzberg 2012, 15–16. 42 Hawkins (2014, 88, Anm. 3) hat gezeigt, dass die Information, zur Zeit Vespasians habe in Syrien ein Klientelkönig mit dem Namen Alexander geherrscht, auf eine textkritisch korrupte Passage in Flavius Josephus’ Antiquitates Iudaicae zurückgeht, deren Aussagekraft in Zweifel zu ziehen ist. 43 Vgl. schon Burges (1845, 460), der den Namen in Anlehnung an das homerische ἄναξ ἀνδρῶν zu Ἀναξάνδρου ändert, „ne quis forte suspicaretur virum esse non fictum.“ Auf eine moderne wissenschaftliche Argumentation stützt sich erstmals Van Dijk (2000, 209), der die unklare Identität des Herrschers betont. Ich selbst ziehe unter anderen mit Hawkins 2014 die Historizität des Herrschers in Zweifel und argumentiere, dass dieser ähnlich wie Branchos aus dem ersten Prolog einen literarischen Zweck erfüllt; vgl. dazu Spielhofer 2021 sowie Kap. 4.1. Der historische Informationsgehalt der Aussage παῖ βασιλέως Ἀλεξάνδρου ist in diesem Zusammenhang insofern weiter relativierbar, als auch die Formulierung παῖ unklar ist. Wie Luzzatto (1975a, 74) hervorhebt, ist die verallgemeinernde Verwendung von παῖς mit dem Genetiv für eine gesamte Gesellschaftsgruppe vor allem in der kaiserzeitlichen Literatur üblich – der ‚Sohn‘ könnte also durchaus stellvertretend für das Volk eines Herrschers stehen. Vgl. dazu Kap. 6.2.

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zweifelhafteren Argumentationen und stellen sich in einigen Fällen gar als Gemeinplätze heraus, die der Autor bedient, um sich in die Tradition bzw. den literarischen Diskurs einzuschreiben und nicht, um seinem Publikum den ‚historischen Babrios‘ zu präsentieren.44 Neben Zeit und Person bleibt schließlich noch zu fragen, welche Wirkungssphäre bzw. welches Einflussgebiet man für Autor und Werk annehmen darf. Auch hier kommt man über Vermutungen nicht hinaus. Auf die mögliche Verbindung zur Region des heutigen Syrien und dem Wirken unter einem syrischen Klientelkönig hat die Forschung nicht nur aufgrund des Königs Alexander sondern auch der Erwähnung der assyrischen Fabel im zweiten Prolog hingewiesen.45 Und auch außertextliche Quellen, insbesondere die Textzeugen selbst, scheinen auf diese Region zu verweisen: Die Papyri stammen aus Ägypten, die tabulae ceratae Assendelftianae aus der antiken Stadt Palmyra im heutigen Syrien; die Hermeneumata pseudodositheana dienten zum Erwerb der lateinischen Sprache, vor allem im Oströmischen Reich. Sowohl A als auch die Lexikoneinträge zu Babrios und zur Fabelsammlung stammen aus der byzantinischen Literaturproduktion. All dies spricht für eine Verbreitung bzw. Bekanntheit der Sammlung im östlichen Mittelmeerraum zwischen dem dritten Jahrhundert und der byzantinischen Zeit. Auskunft über Babrios’ persönlichen Einflussbereich gibt dies freilich nur begrenzt  – und davon auszugehen, dass der Dichter gar selbst in dieser Region gewirkt habe, wäre vorschnell. Wie vieles in seiner Biographie muss auch die regionale Verortung im Unklaren bleiben. 2.2 Die Mythiamboi Aufgrund dieser misslichen Quellenlage tritt der Autor aus heutiger Sicht hinter sein Werk, die Mythiamboi, zurück. Bezeugt wird deren ungewöhnlicher Titel in der Haupthandschrift A (10. Jahrhundert), in der byzantinischen Suda (10. Jahrhundert)46 oder auch bei Johannes Tzetzes (12. Jahrhundert)47. Zudem bezeichnet das Ich im zweiten Prolog die Gedichtform seiner Fabeln selbst als Mythiambos.48 Der Titel spiegelt dabei jene Teile wider, aus denen das Werk besteht: Es handelt sich um eine Sammlung von Fabeln, in der Kaiserzeit gemeinhin als μῦθοι bezeichnet,49 die in der Form des Iambos, 44

Zu solchen Vermutungen vgl. Nøjgaard 1967, 312; Luzzatto/La Penna 1986, XVIII; zur topisch-poetologischen Natur vermeintlich historischer Informationen in den Prologen vgl. Spielhofer 2021. 45 Vgl. Crusius 1896, 2657–2658; Koep 1969, 143; Wagner 1977, 1123–1124; Luzzatto 1997, 384; van Dijk 2000, 209; Holzberg 2012, 66. 46 Suda s. v. Βαβρίας ἢ Βάβριος. Für den Wortlaut vgl. Kap. 2.1, Anm. 23. 47 Tzetz. chil. 13,475,257–262. 48 Babr. 2 prol.,7–8: χαλινώσας | τὸν μυθίαμβον ὥσπερ ἵππον ὁπλίτην [Ich habe den Mythiambos wie ein Kriegspferd aufgezäumt]. Zu Babr. 2 prol. vgl. Kap. 6.3. 49 Vgl. van Dijk 1997, 86.

Die Mythiamboi

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des Versmaßes der griechischen Spottdichtung, verfasst sind.50 Dies erweckt bereits Erwartungen an das Werk im Hinblick auf Zugehörigkeiten zu bestimmten Gattungstraditionen und -konventionen.51 Der Überlieferungsstand der Babriosfabeln ist, ähnlich wie auch bei anderen antiken Fabelsammlungen, äußerst unübersichtlich:52 Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Fabeln nur fragmentarisch und in Prosaparaphrasen zugänglich.53 1844 erschien Boissonnades Editio princeps der Babriosfabeln nach einer vom Handschriftenjäger Minoides Mynas in den Athosklöstern neu entdeckten Handschrift (Mus. Brit. Addit. 22087)54, die heute als Haupthandschrift A (10. Jahrhundert) bekannt ist.55 Diese Handschrift enthält die ersten 123 Fabeln der Sammlung in annähernd alphabetischer Reihenfolge nach den Anfangsbuchstaben des jeweils ersten Wortes der Fabel. Daneben sind Fabeln in den Sammelhandschriften G (Bibl. Pierponti Morgan 397, 10./11. Jahrhundert)56 und V (Vaticanus graecus 777, 14./15. Jahrhundert)57 überliefert, die in der Ausgabe von Luzzatto/La Penna unter den Nummern 142–144 bzw. 124–135 an die Sammlung angefügt wurden. Die übrigen Fabeln haben sich zum einen in den bereits erwähnten tabulae ceratae Assendelftianae (Π2, Leiden PBC 109; Pack 174, Fabeln 136–139)58 und zum anderen als Zitate in anderen Werken erhalten: Babr. 140 in den Hermeneumata Pseudodositheana, Babr. 141 in den Mythologiae des Natalis Comes59 und den Chiliades des Johannes Tzetzes.60

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Iambische Versmaße wurden des Öfteren zur Vermittlung von Fabelinhalten verwendet. Zur Beziehung von Fabel und Iambos vgl. Kap. 2.3. 51 Das Gattungsverständnis des Dichters wird vor allem in den beiden Prologen reflektiert; vgl. dazu Kap. 2.3, Kap. 4, Kap. 6.2 und Kap. 6.3. 52 Grundsätzlich sei in allen Belangen der Textkonstitution auf die überaus gründliche Einführung in der Ausgabe von Luzzatto/La Penna 1986 verwiesen. 53 Eine Zusammenfassung der damals bekannten Fragmente der Myhiamboi bietet Tyrwhitt in seiner Dissertation (Tyrwhitt 1785), die später von de Furia in seiner eigenen Ausgabe (de Furia 1810) erneut abgedruckt wurde. de Furia war sich offensichtlich nicht bewusst, dass die babrianischen Fabeln, die er in seiner Ausgabe abdruckte, im Metrum verfasst waren; vgl. dazu Oldaker 1934, 88. 54 Vgl. Oldaker 1934, 89; Digitalisat verfügbar unter: http://www.bl.uk/manuscripts/Viewer.aspx? ref=add_ms_22087 [21.04.2023]; vgl. Dain 1960, 119; Perry 1965, lxvi, Anm. 1; Luzzatto/La Penna 1986, XXIII, Anm. 1; Vaio 2001, xxii; Irigoin 2003, 442–444. 55 Zu A vgl. Crusius 1897, III–VII; Perry 1952, 319; Luzzatto/La Penna 1986, XXIII–XXV. 56 Zu G vgl. die Übersicht in Crusius 1897, VIII–X; Perry 1952, 301–302; 318–319; Perry 1965, lxvii– lxviii; Luzzatto/La Penna 1986, XXV–XXVII; Vaio 2001, xxii; xxvii; Irigoin 2003, 446; Holzberg 2019, 12. Zur Datierung vgl. Husselman 1935; Luzzatto/La Penna 1986, XXV. 57 Zu V vgl. Knöll 1878, 661; Vaio 1977; Luzzatto 1989, sowie die Übersicht in Crusius 1897, VII–VIII; Perry 1952, 319; Luzzatto/La Penna 1986, XXVII–XXIX. Zur Datierung vgl. Knöll 1878, 661; Perry 1965, lxvii; Luzzatto/La Penna 1986, XXVII; Vaio 2001, xxiii; Holzberg 2019, 10. 58 Digitalisat verfügbar unter: https://socrates.leidenuniv.nl/view/item/1606764 [21.04.2023]. Ediert und untersucht wurden die Wachstafeln in Hesseling 1892–1893; vgl. daneben Crusius 1894; Polak 1894; Sitzler 1897, 111; Pack 1965, 27 (s. v. 174); Perry 1965, lxvii; Luzzatto/La Penna 1986, XXX; Vaio 2001, xxii; Irigoin 2003, 445; Holzberg 2019, 11. 59 Natalis Comes 1616, 502 (Cap. V De Rhea). 60 Tzetz. chil. 13,258–259; 261–265; vgl. Luzzatto/La Penna 1986, XVIII; 137–138.

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Babrios – Person, Werk, Überlieferung

Ferner sind für die Überlieferung der Fabelsammlung Papyrusfunde von Bedeutung, deren Ursprung bis in die Spätantike zurückreicht: Π1, ein Papyrusfund aus Oxyrhynchos (POxy 10,249 = Cambridge Addit. 5901; Pack 173, 3. Jahrhundert61), enthält Teile von Babr. 25, 43,62 110 und 118.63 Π3, ein Amherst Papyrus (PAmh 2,26; Pack 172, 3./4. Jahrhundert64), überliefert Babr. 11, 16 und 17 im griechischen Original sowie teilweise in lateinischer Übersetzung.65 Π4, ein Papyruskodex (PBouriant 1 = PSorbonne 826; Pack 2643, 4. Jahrhundert66) und vermutlich eine griechische Schulmitschrift,67 überliefert schließlich die ersten elf Verse des ersten Prologs.68 Geht man davon aus, dass der zweite Prolog an seiner Position in A die zweite Hälfte des Werks markiert, so lässt sich eine Sammlung von rund 200 Fabeln rekonstruieren, von denen uns 144 überliefert sind. Die Inhalte der restlichen verloreren Versfabeln können durch Prosaparaphrasen aus frühneuzeitilichen Kodizes erschlossen werden, die als Ba (Bodl. Auct. F.4.7 [= Bodl. misc. 2906], 15. Jahrhundert)69 und Bb (Vat. Palat. gr. 367, 14. Jahrhundert)70 bezeichnet werden.71 Darüber hinaus wird die Wiederherstellung des Textes der Sammlung durch Eingriffe in das Textmaterial erschwert. Angesichts der intensiven Rezeption im Zuge des an61

Ursprünglich wurde er auf das zweite Jahrhundert datiert, neuere Erkenntnisse weisen jedoch eher auf das frühe dritte Jahrhundert; vgl. Luzzatto/La Penna 1986, XXIX, Anm. 1; Irigoin 2003, 445; Holzberg 2019, 12. 62 Irrig Perry 1965, lxx, der Babr. 42 anführt. 63 Der Papyrus wurde in Grenfell/Hunt 1914, 133–135, ediert. 64 Vgl. Grenfell/Hunt 1901, 26–29; Perry 1965, lxix; Luzzatto/La Penna 1986, XXXI; Vaio 2001, xxii; Irigoin 2003, 445; Holzberg 2019, 11. 65 Digitalisat verfügbar unter: https://www.themorgan.org/manuscript/350230 [21.04.2023]; vgl. Luz­ zatto/La Penna 1986, XXXI; Radermacher 1902; Ihm 1902; Sitzler 1907; Kramer 2007; Scappaticcio 2017, 99–166; Kap. 6.14; Kap. 6.19; Kap. 6.20. Ediert wurde der Papyrus in Grenfell/Hunt 1901. 66 Vgl. Perry 1965, lxix; Luzzatto/La Penna 1986, XXXI; Vaio 2001, xxii; Irigoin 2003, 445. 67 So Jouguet/Perdrizet 1906, 148; Pack 1965, 137, s. v. 2643. 68 Digitalisat verfügbar unter: http://www.papyrologie.paris-sorbonne.fr/menu1/collections/pgrec/ 2Sorb0826.htm [21.04.2023]; vgl. Luzzatto/La Penna 1986, XXXI. Die Bedeutung dieses Papyrus wird unter anderen in Immisch 1930 diskutiert. Ediert wurde er in Jouguet/Perdrizet 1906. 69 Die Fabeln der Paraphrasis Bodleiana wurden zunächst in Tyrwhitt 1776, sodann in Knöll 1877 und schließlich in Chambry 1925 ediert; vgl. Perry 1965, lxvii; Luzzatto/La Penna 1986, XXXIII– XXXIV; Vaio 2001, xxii; Holzberg 2019, 11. Bezüglich ihres Werts für die inhaltliche Rekonstruktion der restlichen Fabelsammlung mahnt Rodríguez Adrados (1999a, 109–114) zu Recht zur Vorsicht, da nicht alle Paraphrasen mit Sicherheit Babrios zugeordnet werden können. Zur Beziehung zwischen Ba und den Mythiamboi vgl. Scognamiglio 2022. 70 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, XXXIV–XXXV; Vaio 2001, xxii. Die erste vollständige und sorgfältige Edition der Paraphrasen aus Ba und Bb stammt von Chambry (1925). 71 Weitere Kodizes, die Prosaparaphrasen zu Fabeln der Mythiamboi beinhalten, sind Bc (Paris. gr. 1277) und Bd (Vat. gr. 949) aus dem 14. bzw. 15. Jahrhundert. Andere Fabelsammlungen verschiedener Autoren (Mb – Vat. gr. 777 [= V]; Mg – Paris. gr. 994; Mi – Paris. gr. 2899; Mm – Laudianus 10) überliefern auch babrianische Prosaparaphrasen; zur weiteren Vertiefung kann schließlich auf deren Rezensionen (La – Laur. 89,79; Lc – Laur. 59,33; Lg – Ambros. F 46,340) zurückgegriffen werden.

Die Mythiamboi

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tiken bis zum neuzeitlichen Schulunterricht sind Interpolationen dieser traditionell ‚niederen Gattung‘ durch die Verwendung als Unterrichtsmittel nicht auszuschließen. Im Falle der Mythiamboi ist die Frage nach verschiedenen Überlieferungssträngen und Überarbeitungsphasen ungeklärt, die Möglichkeit einer nachträglichen ‚Kontamination‘ durch einen Redaktor kann nicht ausgeschlossen werden.72 Bei jenen Passagen, für die mehrere Zeugen vorliegen, zeigt sich eine Fülle an inkongruenten Lesarten, Einfügungen und Streichungen, die darauf hinweisen, dass zum Teil stark in den Text eingegriffen wurde.73 Daneben wurden bei der Edition der Sammlung oft ganze Fabeln, wie etwa die iambischen Tetrasticha, aufgrund ihrer Kürze als Interpolationen abgetan.74 Indizien für Interpolationen finden sich z. B. in der Haupthandschrift A, wo – neben deutlichen Markierungen am Textrand – durch die Verwendung von Minuskel- und Majuskelschrift zwischen Texten und Paratexten unterschieden wird.75 Dies betrifft vor allem die erhaltenen Epimythien der Fabeln, deren Rolle für die Überlieferung des Textes dadurch in den Fokus rückt. Im Gegensatz zu anderen antiken Sammlungen ist das Verhältnis der Babriosfabeln zum gattungstypischen fabula docet durchaus ungewöhnlich.76 Nur eine der drei Handschriften, A, weist solche Strukturelemente auf, wobei sich keine Pro-, sondern lediglich Epimythien finden.77 Allerdings treten diese Epimythien nicht an das Ende einer jeden Fabel; von den 123 Gedichten in A weisen lediglich 77 Prosaepimythien, 61 wiederum choliambische Epimythien auf, wobei auf viele Fabeln sowohl ein Vers- als auch ein Prosaepimythion folgen. Für die Prosaepimythien wird heute generell angenommen, dass es sich um spätere, byzantinische Hinzufügungen handelt.78 Schwieriger gestaltet sich die Bewertung der metrischen Epimythien. Frühere Ausgaben neigten dazu, ihnen die Authentizität abzusprechen und sie großzügig zu athe-

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Vgl. Vaio 2001, xli. Vgl. dazu z. B. den ersten Prolog (Kap. 6.2). Vgl. etwa Rutherford 1883 oder Rodríguez Adrados 1999a, 119. In der Entstehungszeit der Handschrift erhält die zunächst vorherrschende Majuskelschrift im Zuge des Übergangs zur Minuskelschrift als konventionelles Schriftsystem in byzantinischen Handschriften ab dem neunten Jahrhundert eine neue Funktion: Sie wurde einerseits für die Titelgestaltung und andererseits für Scholien und Marginalien verwendet; vgl. Hunger 1997, 30. Vgl. hierzu Christoffersson 1901, 165–176; Hohmann 1907; Perry 1965, lxi–lxiv; Luzzatto/La Penna 1986, XCI–XCVIII; Vaio 2001, xlii–lii; Becker 2006; Holzberg 2019, 13–17. In einem meines Erachtens höchst spekulativen Gedanken bemerkt Perry (1940, 418, Anm. 72) hierzu: „Babrius, unlike Phaedrus, apparently realized that they were not meant for poetry or lit­ erature; he avoids them.“ Vgl. Perry 1965, lxiii–lxiv; Luzzatto/La Penna 1986, XCVI–XCVII; Vaio 2001, xl; Holzberg 2019, 15. Einschränkend Nøjgaard (1967, 437–438), der sich auch hier für eine auf inhaltlichen Kriterien basierende Neubewertung einsetzt.

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Babrios – Person, Werk, Überlieferung

tieren.79 Doch Papyrusfunde und neuere Bewertungen des Textes80 lassen vermuten, dass in diesem Fall ein differenzierterer Blick notwendig ist: Abgesehen von metrisch fehlerhaften Epimythien81 gelingt eine Entscheidung in vielen Fällen erst durch eine Betrachtung im Kontext der zugehörigen Fabel. Hier kann die Authentizität der Epimythien etwa bei jenen Fabeln in Zweifel gezogen werden, deren narrativer Teil aufgrund inhaltlicher, sprachlicher und stilistischer Merkmale eine innerliche Abgeschlossenheit suggeriert. Das zugehörige fabula docet erscheint so oft als Nachtrag, der für das Verständnis der Erzählung überflüssig ist, dieser gar widerspricht oder sich vom Rest der Sammlung abhebt, indem er z. B. moralisiert, was für Babrios’ Fabeln eher ungewöhnlich ist.82 Eine solche Abgeschlossenheit wurde vor allem bei einem in den Mythiamboi häufig auftretenden Typ beobachtet – jenen Fabeln, die mit einer pointierten Schlussbemerkung eines der Akteure enden, die die Funktion eines Epimythions einnimmt und einen auktorialen Zusatz somit beinahe als Dublette erscheinen lässt.83 Mancherorts wurde das Prinzip, wonach ein Epimythion, das auf eine Fabel mit abschließender Figurenrede folgt, stets interpoliert ist, zu einem Garant für eine Interpolation erhoben;84 jedoch warnt Holzberg mit Verweis auf das uneinheitliche und mitunter eigentümliche Vorgehen des Autors, etwa im Hinblick auf stereotype Bauund Erzählformen der Fabeln, auch in diesen Fällen – meines Erachtens zu Recht – vor einem vorschnellen Urteil.85 Insgesamt ist die Beweislage zu uneindeutig, um sich pauschal für oder gegen alle in A überlieferten Versepimythien zu entscheiden. Wie Vaio resümiert, gilt es in dieser Frage, jeden Fall einzeln „on its own merits on the basis of internal criteria“86 zu überprüfen. Aus diesem Grund werden die relevanten Argumente und Erkenntnisse für und wider die Epimythien an entsprechender Stelle im Kommentarteil diskutiert. 79

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Vgl. Eberhard 1865; Rutherford 1883, lxxxvii; Crusius 1897. Gegenteilig etwa Hohmann (1907), der argumentiert, dass der Großteil der Epimythien authentisch sei. Luzzatto (Luzzatto/LaPenna 1986, XCVI) meint, dass entweder alle oder keines der Epimythien als authentisch anzusehen sei, wobei La Penna (Luzzatto/La Penna 1986, XCI, Anm. 1) ihr widerspricht und an der Authentizität aller Epimythien zweifelt. Auch Becker (2006, 171; 183–184) hält eine große Zahl der Epimythien für interpoliert, sie spricht hier von einer sogenannten „Schlussinterpolation“. Vgl. Nøjgaard (1964, 490; 1967, 432–438) und Rodríguez Adrados (2000, 194), die alle überlieferten Epimythien für authentisch erachten. Beispielsweise Babr.  10,13–14, wobei dieses Epimythion Versbildungsregeln missachtet, die im restlichen Werk akribisch eingehalten werden; vgl. dazu Kap. 2.1, Anm. 21 und Kap. 6.13. Im Gegensatz dazu finden sich auch unter den im Folgenden analysierten Fabeln Beispiele, bei denen sich das Epimythion inhaltlich, sprachlich und stilistisch auf die vorangehende Erzählung bezieht und bzw. oder für das Verständnis der Fabel notwendig ist. Zu einem gewissen Grad besteht hier jedoch Interpretationsspielraum. Wie Perry (1940, 403, Anm. 39) darlegt, betrifft dies rund 110 der 144 Fabeln. In den analysierten Fabeln ist dies in Babr. 9 (vgl. Kap. 6.12), 10 (vgl. Kap. 6.13), 12 (vgl. Kap. 6.15), 13 (vgl. Kap. 6.16) und 14 (vgl. Kap. 6.17) der Fall. Zu diesem Fabelschluss vgl. Nøjgaard 1967, 226–230. Vgl. Luck 1967, 569–570; Becker 2006, 180–181. Vgl. Holzberg 2019, 16. Vaio 2001, xlv.

Die Mythiamboi

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Neben diesen Eingriffen in den Text sind die Mythiamboi insofern bemerkenswert, als das Werk auch ‚Opfer‘ eines neuzeitlichen Imitators wurde.87 Minoides Mynas, jener Handschriftenjäger, der die Sammlung 1842 wiederentdeckt hatte, verkaufte im Jahr 1857 neben A noch einen zweiten Kodex an die Bibliothek des British Museum. Diese zweite Handschrift enthielt insgesamt 94 unentdeckte Babriosfabeln und einen dritten Prolog. Mynas behauptete, er hätte sie auf einer weiteren Reise in die Athosklöster erstanden; tatsächlich stammten die Gedichte jedoch aus seiner eigenen Feder, wie man aufgrund metrischer Abweichungen vom Original88 bereits kurze Zeit nach der Erstveröffentlichung dieses Pseudepigraphs im Jahr 1859 herausfand.89 Wie man anhand dieser Anekdote sieht, erregte die späte Entdeckung einer völlig neuen Fabelsammlung durchaus das Interesse der wissenschaftlichen Öfentlichkeit.90 Zwar beschäftigte sich die Forschung bereits vor der Entdeckung von A mit dem babrianischen Werk;91 ohne die Verfügbarkeit der heute bekannten Fabeln waren (und sind) diese Werke jedoch nur bedingt aufschlussreich und besitzen für uns eher forschungsgeschichtlichen Wert. Mit der Editio princeps Boissonades im Jahr 184492 setzte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch ein reger Forschungsbetrieb ein: Neben textkritischen Ausgaben im deutsch- und englischsprachigen Raum93 und ersten Forschungsüberblicken94 sind hier vor allem die Forschungen von Otto Crusius erwähnenswert, in denen er sich erstmals mit der Datierung und der Herkunft des Fa-

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Zu dieser Episode in der Rezeptionsgeschichte des Textes vgl. Spielhofer 2022a; Vaio 1977. Mynas hatte die Regel, im letzten Fuß des Choliambos den quantitativen mit dem Wortakzent zusammenfallen zu lassen, nicht eingehalten; vgl. zu dieser Regel Kap. 2.1, Anm. 21. 89 Ediert wurden die Fabeln in Cornewall Lewis 1859. Untersuchungen stammen von Cobet 1860 und Conington 1861; vgl. ferner Rutherford 1883, lxix–lxx, Anm. 1. Jedoch wird auch vermutet, dass es sich um eine byzantinische Nachahmung handeln könnte, so etwa Luzzatto/La Penna 1986, XXIII, Anm. 1, oder Dain 1960. Perry (1965, lxv) geht davon aus, dass Teile von Mynas selbst, andere jedoch aus einer byzantinischen Fabelsammlung stammen. 90 Der folgende Abriss der Forschung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Umfangreiche Bibliographien zur antiken Fabel bieten Sitzler 1897; 1900; 1907; 1922 (Babrios), Port 1933; 1939 (Fabel allgemein), Carnes 1985 (Fabel allgemein), Beschorner 1997 (Fabel allgemein), Gärtner 2017 (Phaedrus); besonders hervorzuheben ist hier Holzbergs Bibliographie zu Babrios: Holzberg 2018a. Ein einführender Überblick wird in Holzberg 2012, 69; 135, sowie Holzberg 2019, 219–222, gegeben. 91 Vgl. die Studien von Tyrwhitt (1785) und de Furia (1810), die eine Bestandsaufnahme der bis zu diesem Zeitpunkt bekannten Fabeln und Fragmente liefern. Cornewall Lewis (1832) bezieht sich lediglich auf wenige, verstreut überlieferte Einzelfabeln, ohne größere Teile der Fabelsammlung zu kennen. Er behandelt dabei vor allem Fragen des Metrums und versucht, eine gesammelte Darstellung aller Fragmente – in Summe 22 Fabeln – zu bieten. 92 Boissonade 1844. 93 Z. B. Lachmann 1845; Cornewall Lewis 1846; Eberhard 1875. 94 Eberhard 1865. Ebenso in diese Zeit fällt ein Aufsatz von Wilhelm Grimm (1865), in dem er sich mit stofflichen Parallelen zwischen Babr. 74 und einer hessischen Volkssage befasst.

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Babrios – Person, Werk, Überlieferung

beldichters auseinandersetzt.95 Auf ihn gehen unter anderem der Artikel zu Babrios in Paulys Realencyclopädie96 sowie die für den Großteil des 20. Jahrhunderts wegweisende textkritische Ausgabe der Fabeln97 zurück. In dieser Zeit wurden die Fabeln auch zum ersten Mal kommentiert  – ein 1883 entstandener Schülerkommentar des britischen Philologen William Gunion Rutherford stellt die bis dato einzige systematische Bearbeitung der Fabeln dar, die der Definition eines wissenschaftlichen Kommentars entspricht.98 Nach der Entdeckung neuer Textzeugen um die Jahrhundertwende99 und der Aufarbeitung dieser ersten Phase der Babriosphilologie100 blieb die Textrekonstruktion und -edition auch für das 20. Jahrhundert bestimmend. Bedeutend sind hier die Arbeiten von Ben Edwin Perry, der sich im Zuge seiner umfassenden Edition der Aesopica101 auch mit den Babriosfabeln beschäftigte und neben allgemeinen Fragestellungen102 vor allem Probleme der Textkritik103 und der Übersetzung104 behandelte, sowie das Werk von John Vaio, der in seinen Veröffentlichungen seit den ausgehenden 1960er Jahren eine Reihe textkritischer Fragen diskutiert,105 und für die neueste monographische Untersuchung zur Fabelsammlung aus dem Jahr 2001106 verantwortlich zeichnet. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts halten erstmals die Theorien und Methoden der modernen Literaturwissenschaft Einzug in die Fabelforschung. Morten Nøjgaards großangelegte zweibändige Analyse der antiken Fabeldichtung107 stellt die einzige umfassende Interpretation der Fabeln dar, deren Wert trotz der teilweise un-

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Crusius 1879. Obwohl Crusius zum inzwischen widerlegten Schluss kommt, Babrios sei vermutlich Lehrer des Sohnes des Kaisers Alexander Severus gewesen, ist die Studie aufgrund der akribischen Quellenarbeit bis heute wertvoll. Crusius 1896. Crusius 1897. Zu weiteren wichtigen Arbeiten zählen Crusius 1891 und Crusius 1894. Rutherford 1883. Sein Kommentar enthält ausführliche Einleitungen, etwa in das Leben des Autors, die Geschichte der Fabel, in sprachliche Aspekte sowie in die Textgeschichte. Der Schwerpunkt des Fußnotenkommentars liegt auf der sprachlich-stilistischen Gestaltung der Fabeln. Hier spielten insbesondere die Papyri und Wachstafeln eine Rolle. Daneben beschäftigte man sich auch mit anderen Textzeugen, etwa den Hermeneumata Pseudodositheana (vgl. Getzlaff 1907) und stellte die Authentizität der Epimythien infrage (vgl. Hohmann 1907). Selten beschäftigte man sich mit vergleichenden, stoff- und motivgeschichtlichen Fragestellungen, so etwa in Giurdanella 1901. Eine Forschungsübersicht der Jahre 1891 bis 1920 wurde von Jakob Sitzler (Sitzler 1897; 1900; 1907; 1922), jene der Jahre 1925 bis 1937 von Wilhelm Port (Port 1933; Port 1939) zusammengestellt. Perry 1952. So zeichnet er in Perry 1940 die Entstehung des Epimythions in der äsopischen Fabeltradition nach und gibt in Perry 1959 einen grundlegenden Gesamtüberblick über die antike Fabel. Vgl. Perry 1957, wo textkritische Problemstellungen einzelner Fabeln diskutiert werden. Perry 1965. Vgl. Vaio 1969; 1970; 1973; 1977; 1980; 1982; 1987; 1994; 2008. Für Überlegungen zum Verhältnis der babrianischen Fabeln zu byzantinischen Fabelversionen vgl. Vaio 1984. Vaio 2001. Nøjgaard 1964 behandelt die griechische Fabel vor Phaedrus, Nøjgaard 1967 vor allem die Fabelsammlungen des Phaedrus und des Babrios (im Vergleich mit den Fabeln der Collectio Augustana).

Die Mythiamboi

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übersichtlichen strukturalistischen Herangehensweise108 nicht hoch genug geschätzt werden kann. Daneben finden sich vor allem in der italienischen Forschung Ansätze, anstelle ihrer Quellen die Babriosfabeln selbst in den Blick zu nehmen: Dies geschieht zumeist unter sprachlichen Gesichtspunkten.109 Ebenfalls in diese Phase fällt die Besorgung einer neuen textkritischen Ausgabe, die Crusius’ Edition grundlegend ersetzt  – die Teubneriana von Luzzatto und La Penna aus dem Jahr 1986.110 Hinzu kommt der 1990 erschienene Index der Babriosfabeln.111 Der Übergang vom 20. zum 21.  Jahrhundert war schließlich durch die Veröffentlichung zweier umfassender und einflussreicher Werke gekennzeichnet: Niklas Holzbergs Einführung in die antike Fabel, die heute als Standardwerk der Fabelforschung gilt und auch Babrios ein eigenes Kapitel widmet,112 sowie Francisco Rodríguez Adrados’ dreibändige Untersuchung zur Geschichte der griechischen und lateinischen Fabel, in der Babrios und seine Fabelsammlung ausführlich behandelt werden.113 Nach wenigen Arbeiten des ersten Dezenniums114 lässt sich vor allem im vergangenen Jahrzehnt wieder ein verstärktes Interesse an den Fabeln und ihrem literarischen Gehalt erkennen. Eine Reihe von Veröffentlichungen bieten Einzeluntersuchungen gewisser Fabeln115 oder behandeln diese im Kontext der Interpretation anderer Fabelsammlungen.116 Ferner entstanden in dieser Zeit Dissertationen, die sich mit der Fa108 Zu dieser Bewertung vgl. Holzberg 2012, 9–11. 109 So in Untersuchungen zu sprachlichen Einflüssen in den Fabeln: Marenghi 1954 und Marenghi 1955a thematisieren die Einflüsse der äsopischen Tradition bzw. einer römischen Autorschaft auf die sprachliche Gestaltung; Luzzatto 1975a bietet eine ausführliche sprachliche Analyse der Sammlung, in der sie die Einflüsse der antiken Literatur auf die Sprache der Fabeln aufzeigt. Daneben hat sich Luzzatto auch mit metrischen (Luzzatto 1985), textkritischen (Luzzatto 1975b) und allgemeinen Fragestellungen (Luzzatto 1997) auseinandergesetzt. 110 Vor allem das ausführliche Vorwort der Ausgabe, das mit einer umfassenden Bibliographie in vielen Fragen zum Werk Auskunft gibt, ist hier hervorzuheben. Allerdings – und hierauf wurde in den Rezensionen (vgl. Ferrari 1988; als Antwort darauf Luzzatto 1989) hingewiesen – räumt die Ausgabe in Fragen der Textrekonstruktion A einen großen Stellenwert ein, was nicht für alle Fälle schlüssig ist, wie sich in mitunter auch widersprüchlichen Ansichten der beiden Autoren zu textkritischen Fragen zeigt. 111 Martín García / Róspide López 1990; mit Martín García / Róspide López 1991 erschien ebenfalls ein Index für die äsopischen Fabeln der Collectio Augustana. 112 Mit Holzberg 2012 liegt die aktuell dritte und damit neueste Auflage des Werks vor. 113 Rodríguez Adrados 1999a; 2000; 2003. Die Untersuchung verschreibt sich der klassischen Quellenfrage und versucht, durch Vergleiche bestimmte Überlieferungstraditionen zu identifizieren. Dabei bezieht sich Rodríguez Adrados auf seine These, wonach sich in Prosafabeln Spuren ursprünglicher Versvorlagen erhalten hätten. Seine Ergebnisse sind umstritten (vgl. z. B. West und Vaio in Vaio 1984, 221–224; Holzberg 2012, 5; 8–9; 105) und beschränken sich auf text- und quellenkritische Probleme; Fabeln als Texte mit Eigenwert nimmt er jedoch nicht in den Blick. 114 Neben vereinzelten Neuübersetzungen (Duflot 2004; Tournier 2006) lag der Fokus hauptsächlich auf textkritischen Fragen (Vaio 2001; Becker 2006). 115 So etwa Telò 2006 zu Babr.  10 oder Seibold 2016 zu Babr.  11; vgl. Scognamiglio 2020a für eine (textkritische) Einzeluntersuchung zu Babr. 117 sowie Hertel 2007 für eine auf stoffliche Parallelen konzentrierte Untersuchung zu Babr. 32. 116 So Dunsch 2013, Gärtner 2015 und Gärtner 2021.

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belsammlung auseinandersetzen.117 Daneben sind umfangreiche Studien hervorzuheben, die Babrios und sein Werk im Kontext der antiken Literatur betrachten, darunter insbesondere Tom Hawkins’ Untersuchung zur Iambendichtung in der römischen Kaiserzeit, in der er Babrios ein längeres Kapitel widmet.118 Hawkins thematisiert Ba­ brios’ Konzeption von Iambos anhand der beiden Prologe und argumentiert, dass der Autor, obwohl er sich in Opposition zur bestehenden iambischen Tradition stellt, in seinen Fabeln dennoch immer wieder auf diese rekurriert. Daneben beschäftigen sich weitere Veröffentlichungen mit den beiden Prologen,119 unter anderem im Kontext der literarischen Taktik der Fabelsammlung: So etwa ein Beitrag von Kristin Mann,120 die das Verhältnis des ersten Prologs zum Rest der Sammlung in den Blick nimmt und dabei programmatische Brüche identifiziert, die den Leser zur genauen Lektüre und Bewertung des Gelesenen auffordern. Schließlich erkannte man jüngst das Potenzial der Mythiamboi für das Feld der Human-Animal Studies, wie etwa ein Beitrag von Sonia Pertsinidis zeigt, die sich mit Tiersprache in der Sammlung beschäftigt.121 Darüber hinaus hat sich die Lage insbesondere im Bereich der Grundlagenforschung gebessert: Neben einer modernen Bibliographie122 liegen nun eine grundlegende deutsche Übersetzung und die bislang ausführlichste Einführung zu Babrios und seinem Werk vor123 – beides ist Niklas Holzberg zu verdanken, der in diesen Arbeiten Thesen formuliert, die insbesondere in der literaturwissenschaftlichen Erforschung der Sammlung neue Impulse setzen, etwa das Prinzip der Dekonstruktion, auf das in Kap. 5.4 Bezug genommen wird. Die hier nachgezeichnete Forschungsgeschichte zeigt, dass der Fokus bislang großteils auf Problemen der Textkonstruktion lag und der Eigenwert der Fabeln erst in den vergangenen Jahren verstärkt in den Blick genommen wurde. Dies trifft auch auf die Fabelforschung im Allgemeinen zu, in der ein literaturwissenschaftlich orientierter Ansatz erst in den letzten zwei Jahrzehnten erkennbar wird; hier gibt es im Bereich der griechischen Fabel dringenden Aufholbedarf. Besonders eine systematische Behandlung der Babriosfabeln in Form eines Kommentars fehlt zur Gänze. Und obwohl in den vergangenen Jahren Gesamtüberblicke und Studien (Holzberg, Hawkins, Pertsinidis) 117 Pertsinidis 2010 nimmt werkübergreifende Themen in den Blick und geht auf die – ihrer Ansicht nach – moralisierend-psychologisierende Technik des Autors ein. Laruelle 2017 bietet eine Textedition mit Übersetzung und Kommentar der Fabeln. Beide Arbeiten sind (noch) nicht erschienen. 118 Hawkins 2014, 87–141. Leider nimmt er dabei nicht auf die neueren Studien zur römischen Fabeldichtung, z. B. Gärtner 2000; 2007; 2011, Bezug. 119 Vgl. Hunter 2014 und Spielhofer 2018, die sich mit Hesiodrezeption respektive poetologischen Aspekten in diesen Gedichten auseinandersetzen. 120 Mann 2018. 121 Pertsinidis 2020. Für Untersuchungen anderer Sammlungen unter diesem Gesichtspunkt vgl. Gärtner 2020 (Phaedrus) sowie Schmalzgruber 2020 (Avian). 122 Holzberg 2018a. 123 Holzberg 2019.

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und vermehrt Einzelinterpretationen (Mann) entstanden sind, finden sich bisher keine tiefgreifenden Analysen der Mythiamboi als Sammlung. Schließlich stellt auch die Aufarbeitung der Poetologie der Fabeln ein Desiderat dar, das bisher erst vereinzelt betrachtet wurde.124 Dies bildet die Grundlage für die vorliegende Untersuchung; ihr Ziel ist es, neue Erkenntnisse in den genannten Bereichen zu liefern. 2.3 Der literarische Kontext Wenden wir uns zunächst aber der Frage zu, warum man die Fabeln des Babrios überhaupt unter literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkten untersuchen sollte. Obwohl die antike Fabel in der Vergangenheit lange als anspruchslose Gattung gesehen wurde, zeigen moderne Untersuchungen immer deutlicher, dass insbesondere die Versfabelbücher der Kaiserzeit und Spätantike literarische Ansprüche erheben und sich als Werke auszeichnen, die nicht anders als etwa hellenistische oder augusteische Gedichtbücher in einer reichen Tradition stehen und sich gleichzeitig in den literarischen Diskurs ihrer Zeit einschreiben.125 Auch die Mythiamboi stellen hier keine Ausnahme dar. Da die Entstehung der Sammlung großteils im Dunkeln bleiben muss, lässt sich auch die an antike Literatur oft gestellte Quellenfrage nicht eindeutig beantworten: Wie Avian in der Praefatio zu seiner Fabelsammlung darlegt, habe Babrios sich auf äsopische Fabeln gestützt und diese versifiziert.126 Ähnliches bekennt das Ich im ersten Prolog der Mythiamboi.127 Tatsächlich nahm man Fabeln der äsopischen Tradition als Hauptstoffquelle für die Sammlung an.128 Ob man darunter ein oder mehrere konkrete Fabelrepertorien wie etwa die hellenistische Fabelsammlung des Demetrios von Phaleron oder eine kaiserzeitliche Vorlage verstehen darf, oder ob es sich dabei um einzelne, lediglich unter dem Namen Aesops überlieferte Erzählungen handelt, ist unklar.129 Für Babrios besonders ist der Umstand, dass daneben auch Stoffe der jüdischen, orientalischen oder hebräischen Fabeltradition in die Sammlung eingeflossen sein dürf-

124 Vgl. Spielhofer 2018. 125 Vor allem die Fabelsammlung des Phaedrus erfuhr in diesem Zusammenhang eine Neubewertung, so etwa in Gärtner 2007; Gärtner 2011; Gärtner 2015; Gärtner 2021; Holzberg 2018b. 126 Avian. praef.,7–14. Zum Unterschied von Aesopfabeln und äsopischen Fabeln vgl. Spielhofer 2020. 127 Babr. 1 prol.,15–20; vgl. Kap. 6.2. 128 Vgl. Perry 1965, lix; Wagner 1977, 1125; Luzzatto 1997, 384; Holzberg 2019, 27. Holzberg (2012, 65) mutmaßt, dass es sich dabei auch um die Fabeln der Collectio Augustana handeln könnte. Wie Luz­zatto/La Penna (1986, XI–XXII) anmerken, gestaltet sich eine Quellenrekonstruktion insofern schwierig, als keine Fabelsammlungen für die Zeit vor der Entstehung der Phaedrusfabeln erhalten sind. 129 Erschwerend hinzu kommt, dass der Bezug auf Aesop zur Gattungstopik gehört und nicht notwendigerweise eine konkrete Quelle bezeichnen muss; zur Versifizierung äsopischer Fabeln als literarischem Topos vgl. etwa die bekannte Passage aus Platons Phaidon (60C–D), in der Sokrates im Gefängnis ebenfalls Aesopfabeln versifiziert.

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ten,130 was sich mitunter darin zeigt, dass rund ein Drittel der Fabeln in den Mythiamboi keine Entsprechungen in anderen, der äsopischen Tradition zugeschriebenen Fabelsammlungen aufweisen, sehr wohl jedoch in nichtgriechischen Fabelsammlungen.131 Damit verbunden ist auch die Frage nach der literaturgeschichtlichen Einordnung der Sammlung. Als choliambische Fabeln stehen die Mythiamboi gleichzeitig in zwei Traditionen, deren Annäherung bereits im Hellenismus erkennbar wird und die ihren Höhepunkt allem Anschein nach mit Babrios selbst erreicht: Einerseits rekurriert das Ich in den beiden Prologen namentlich auf den Gattungsvater Aesop, dessen Name bereits seit dem sechsten Jahrhundert v. Chr. mit der griechischen Fabel in Verbindung steht.132 Wenn also auf die Stoffe der äsopischen Fabel Bezug genommen wird, weckt dies beim Leser Erwartungen an die Inhalte der babrianischen Gedichte, zumal ein Gutteil der äsopischen Fabeln stereotype Handlungselemente aufweist. So zeigt sich in dieser Fabeltradition häufig eine Entwicklung, in der der Schwächere zum Stärkeren wird (Bottom-up).133 Angesichts der markierten Zugehörigkeitsbekundung im Prolog überrascht bei der Lektüre der Fabeln jedoch die oftmals nichtgriechische stoffliche Grundlage sowie die Erkenntnis, dass die beschriebene Bottom-up-Struktur bei Babrios keineswegs häufig vorkommt und sich im Gegenteil viele Fabeln finden, in denen der Stärkere obsiegt. So entsteht der Eindruck, Babrios verpflichte sich zwar der äsopischen Fabeldichtung, greife daneben jedoch auf Fabelstoffe anderer, nichtgriechischer Traditionen zurück oder schaffe durch Adaptation aus anderen literarischen Gattungen gänzlich neue Fabeln.134 Andererseits stehen die Mythiamboi, wie der Name bereits erkennen lässt, in der Tradition der iambischen Dichtung. Während die äsopische Tradition beim Publikum primär stoffliche Erwartungen weckt, ruft die Einschreibung in die antike Iambik Erwartungen sowohl im Bereich der Form als auch der Inhalte hervor: Iambische Dichtung zeichnet sich vor allem durch ihr Versmaß und ihren spottenden Charakter aus; insbesondere der Choliambos, in dem die Fabeln verfasst sind, war seit Hipponax 130 Rodríguez Adrados (2000, 206–207) sowie Luzzatto/La Penna (1986, XVII–XVIII) führen die orientalischen bzw. hebräisch-jüdischen Ursprünge einiger ausgewählter Fabeln an. Zum Einfluss der orientalischen auf die griechische Fabel vgl. Burkert 1984, 110–114. Auch wird angenommen, dass Stoffe des assyrischen Achikar-Romans als Vorlage für einige Fabeln dienen, vgl. Perry 1965, lx. 131 Vgl. Rodríguez Adrados 2000, 205–206; vgl. Pertsinidis 2010, 56–57. Doch besteht stets der Vorbehalt, dass der Umfang der äsopischen Fabeltradition aufgrund der unvollständigen Überlieferungslage nicht zur Gänze erfasst werden kann. Die Verbindungslinien zwischen der griechischen und der orientalischen Fabeltradition könnten sogar an der Figur Aesops selbst sichtbar werden, dessen Legende nach Holzberg (2012, 18) „die ‚Invasion‘ der orientalischen Fabel in Griechenland widerspiegelt“ und der „den Typ des hellenisierten orientalischen Geschichtenerzählers“ darstellt. 132 Bereits Herodot (Hdt. 2,134) berichtet, dass Aesop im sechsten Jahrhundert v. Chr. als Sklave auf der Insel Samos gelebt haben soll; vgl. Spielhofer 2020. 133 Vgl. Hawkins 2014, 114. Unter den analysierten Fabeln weisen etwa Babr. 4 (vgl. Kap. 6.7) oder 5 (vgl. Kap. 6.8) diesen Typus auf; zum Sturz des Mächtigen in der antiken Fabel vgl. Schindel 2000. 134 Rodríguez Adrados (2000, 206–207) sieht die Quellen dieser Stoffe in der orientalischen Tradition oder führt sie auf Eigenkreation zurück.

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(6.  Jahrhundert v. Chr.) als Versmaß der Spottdichtung bekannt.135 Die Verbindung zwischen der iambischen Dichtung und der antiken Fabel ist jedoch noch älter – bereits in der archaischen Poesie des siebten Jahrhunderts v. Chr. behandelt Archilochos Fabelinhalte in seinen Iamben, wie aus Fragmenten hervorgeht.136 In dessen Nachfolge verbindet auch der Iambograph Semonides Inhalte der Tierfabel mit dem iambischen Versmaß.137 In der Literatur der Klassik werden die Inhalte der äsopischen Fabeln vermehrt mit der sokratischen Literatur in Verbindung gebracht, wobei die Figur des Sokrates zumeist ähnlich den archaischen Iambographen inszeniert wird.138 Ab dem Hellenismus lässt sich eine stärkere Verbindung nachweisen, etwa in den Iamboi des Kallimachos, den Mimiamboi des Herondas139 und den kynisch beeinflussten Meliamboi des Kerkidas, die alle wichtige Bezugspunkte für die hellenistische iambische Fabel darstellen.140 Besonders die kallimacheischen Iamboi erscheinen als Vorbild für die babrianischen Iamben, zumal auch sie in der Tradition stehen, Fabelstoffe in iambischen Versmaßen zu erzählen und sich in diesem Werk erstmals umfangreiche Beweise dafür finden lassen, dass Fabel und Iambos miteinander verbunden waren.141 Über die Vermittlung durch die römische Dichtung der augusteischen Zeit lässt sich ein Wiederaufleben dieser Gattung besonders in der Literatur der Kaiserzeit beobachten, so etwa in Martials Epigrammen. Auch in der Dichtung des ersten und zweiten Jahrhunderts ist diese Verbindung erkennbar, etwa in den senarischen Fabeln des Phaedrus im Bereich der lateinischen Literatur.

135 Vgl. Korzeniewski 1991, 61–62; Brown 1997, 84; Dihle 1998, 55; Latacz 1998, 285; Battezzato 2009, 137. 136 So etwa ‚Fuchs und Adler‘ (Archil. fr. 174–181 West = Aisop. 1 P.), ‚Affe und Fuchs‘ (fr. 185–187 West = Aisop. 81 P.) und ‚Wolf und Hund‘ (fr. 237 West = Aisop. 346 P.); vgl. van Dijk 1997, 138–148. Die Iambendichtung dient zwar nicht als ältestes poetisches Medium für die Darstellung von Fabelstoffen – die erste erhaltene Fabel der griechischen Literatur, die Fabel von Habicht und Nachtigall in Hesiods Erga kai Hemerai (201–211), ist im Hexameter verfasst –, doch behandelt auch sie den hesiodeischen Fabelstoff bereits früh. Eine ausführliche Übersicht über Fabelinhalte in der iambischen Tradition findet sich in Hawkins 2014, 89–93. 137 So etwa ‚Reiher und Bussard‘ (Semon. fr. 9 West = Aisop. 443 P.) sowie ‚Mistkäfer und Adler‘ (fr. 13 West = Aisop. 3 P.); vgl. van Dijk 1997, 148–150; Dihle 1998, 55. 138 Vgl. Hawkins 2014, 92; 2015, 293. In diesem Zusammenhang ist auch die Passage in Platons Phaidon (60 C–D) relevant, in der Sokrates im Gefängnis die Prosafabeln Aesops in Verse fasst. 139 Wie etwa Hawkins (2014, 93) vermutet, könnte die Bezeichnung Mythiamboi an die Mimiamboi angelehnt sein, wobei dort Elemente des Mimos, hier jedoch Fabelinhalte in Iamben integriert werden; vgl. dazu auch Holzberg 2019, 214 (s. v. Prolog). 140 Eine Übersicht über Fabeln in der erhaltenen Literatur des Hellenismus findet sich in van Dijk 1997, 230–257; vgl. Hawkins 2014, 93. 141 Vgl. van Dijk 1997, 230–250; Hawkins 2014, 92–93; Hunter 2014, 229. Allerdings lässt sich angesichts des nur fragmentarisch erhaltenen Werks des Hipponax nicht ausschließen, dass die hellenistische iambische Fabel bereits auf dem Werk des Iambographen fußte; vgl. Hawkins 2015, 311, Anm. 32.

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In diese Tradition reihen sich die Mythiamboi durch die Verwendung des Choliambos ein.142 Dies wird insbesondere sichtbar, wenn das Prolog-Ich zum iambischen Versmaß der Fabeln Stellung nimmt. Dessen Behauptung, die scharfen Iamben geglättet zu haben,143 stellt eine Ablehnung der spottenden Dichtungen der älteren Iambographen und eine Hinwendung zur hellenistischen Vorstellung der iambischen Fabel dar.144 Diese ablehnende Haltung dürfte jedoch topisch zu verstehen sein, wie die Lektüre der einzelnen Fabeln verrät, die inhaltlich durchaus der älteren Spottdichtung entsprechen.145 Während diese beiden Gattungstraditionen den Inhalt und die Form der Fabeln grund­ legend bestimmen, treten die Mythiamboi als literarische Produkte der Kaiserzeit auch in den Diskurs mit verschiedenen gattungsübergreifenden Strömungen. Die Spuren dieses Diskurses lassen sich in den Fabeln selbst beobachten und beeinflussen diese sprachlich, inhaltlich und programmatisch. Zunächst sticht hier die Verbindung zur alexandrinisch-hellenistischen Dichtung hervor, die sich vor allem in der programmatischen Ausrichtung der Mythiamboi zeigt. Da diesem Thema ein eigenes Kapitel (vgl. Kap.  4) gewidmet ist, erwähne ich hier nur das Wichtigste: Die in den beiden Prologen und den übrigen Fabeln präsentierte Dichter-Persona wird – z. B. durch das Autorkonzept des poeta doctus – in die Nähe eines hellenistischen Dichters gerückt. Entsprechende Bildsprache und gezielte Allusionen auf Dichter der hellenistischen Zeit, wie Kallimachos oder Theokrit, unterstreichen diesen Eindruck. Besonders ersterer dürfte als Vorbild gedient haben, denn die Parallelen zu den Iamboi sind prominent und wurden bereits zu Beginn der Babrios­ forschung und insbesondere in den letzten Jahren in den Blick genommen.146 Ob diese Verbindungen vom Autor intendiert waren oder lediglich seinem Arbeitsprozess geschuldet sind – es wurde vermutet, er habe sich auf versifizierte hellenistische Fabelsammlungen gestützt  –,147 lässt sich nicht genau bestimmen; für die erstere Annahme spricht meines Erachtens jedoch, dass neben inhaltlichen und sprachlichen auch programmatische Parallelen bestehen, die in den Fabeln und den beiden Prologen, in denen sich das Ich seiner Originalität rühmt, so deutlich hervortreten.148 Überdies wirft die Datierung der Sammlung in das zweite Jahrhundert die Frage auf, wie sich diese zur Zweiten Sophistik verhalten.149 Die Auseinandersetzung mit dieser 142 143 144 145 146 147 148 149

So West 1982, 175; Holzberg 2012, 57. Babr. 1 prol.,20; 2 prol.,15–16; vgl. Kap. 6.2 und Kap. 6.3. Vgl. Holzberg 2012, 57, sowie Kap. 4.2. Vgl. Hawkins 2014, 87–136, sowie Kap. 5.4. Vgl. z. B. Hawkins 2014, 88–89; Hunter 2014; Mann 2018; Spielhofer 2018. So etwa Rodríguez Adrados 2000, 218. Zum Originalitätsanspruch vgl. Kap. 4.2, Kap. 6.2 und Kap. 6.3. Für Überblicksdarstellungen zur Zweiten Sophistik vgl. Schmitz 1997; Whitmarsh 2005; Borg 2008; Richter/Johnson 2017.

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großen literarischen Strömung der Kaiserzeit lässt sich an den folgenden Gestaltungsprinzipien festmachen: Zum einen spielen die Fabeln häufig im ländlich-bäuerlichen Milieu, das bisweilen bukolisch inszeniert wird; eine solche Inszenierung ist für die antike Fabel im Allgemeinen nicht ungewöhnlich, doch scheint sie in den Babriosfabeln besonders stark betont150 und in dieser Prägnanz gleichzeitig den Geschmack der Zeit zu treffen, wie sich an Parallelen in verschiedenen Werken des zweiten Jahrhunderts erkennen lässt.151 Daneben wird der Einfluss der Strömung an der Erzählstruktur der Fabeln deutlich. Im Vergleich zu Bearbeitungen anderer Fabelautoren sind diese auffällig rhetorisiert. Zwar weisen Fabeln traditionell viele Reden auf, doch bietet Babrios seinen Sprechern besonders häufig die Gelegenheit, rhetorisch zu beeindrucken: In vielen Fällen sind Redepartien, die bei anderen Autoren indirekt wiedergegeben werden, in den Mythiamboi in direkter Rede gestaltet; sie sind in Länge und Argumentation elaboriert und mit rhetorisch-emotionalem Pathos ausgeschmückt, was vergleichbaren Bearbeitungen oft fehlt. Bisweilen erwecken Fabeln sogar den Anschein, sie dienen lediglich als Rahmen für zentrale und prominente Redepartien.152 Ferner lassen sich sowohl lexikalische als auch motivisch-intertextuelle Berührungspunkte mit Autoren der Zweiten Sophistik erkennen: Sprachlich zeigt sich dies an der Verwendung einer kaiserzeitlichen Koine,153 die durch ein reiches poetisches Vokabular,154 Einflüsse des Lateinischen155 und eine gewisse Formelhaftigkeit,156 darüber hinaus je-

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Vgl. dazu die semantische Aufladung des Wortfelds αγρ- in Kap. 5.4. Vgl. z. B. Babr. 9 (Kap. 6.12) oder 15 (Kap. 6.18). Vgl. dazu Kap. 5.2 sowie Pertsinidis 2022. Vgl. Rutherford 1883, lxii; Crusius 1896, 2664–2665; Luzzatto 1975a, 77–78; Luzzatto/La Penna 1986, CVII; Holzberg 2019, 39. Zu den ionischen Einflüssen in den Fabeln vgl. Crusius 1897, XXX; Marenghi 1955a, 118–120; Luzzatto/La Penna 1986, CVII–CVIII. Daneben belegen das Zusammenspiel verschiedener Dialektalformen sowie Parallelen zur Septuaginta oder dem Neuen Testament den Einfluss der Volkssprache; vgl. Zachariae 1875, 23–26; Marenghi 1955a, 122–123. Eine Übersicht der sprachlichen Parallelen bietet Luzzatto 1975a, 51–63. 154 Sprachlich fallen die Fabeln durch verschiedenste poetische Wendungen auf, so aus den homerischen Epen und frühgriechischen Werken (Hesiod), dem Drama und der alexandrinischen Dichtung (Kallimachos oder Theokrit). Daneben werden Fachtermini der Kaiserzeit und der Zweiten Sophistik verwendet; vgl. Crusius 1896, 2664–2665; Holzberg 2019, 39–40. Für eine Übersicht vgl. Zachariae 1875, 4–6; Luzzatto 1975a, 19–51. Überdies sind sprachliche Parallelen zur spätantiken Dichtung (z. B. Oppian, Nonnos und Quintus Smyrnaeus) und zur nonnianischen Schule (5.– 6. Jahrhundert) auffällig, was die Frage nach der Datierung der Sammlung aufwirft; vgl. Luzzatto 1975a, 44–51. 155 Dies zeigt sich am semantischen Gehalt gewisser Begriffe sowie an idiomatischen Wendungen, die am Lateinischen orientiert scheinen und im klassischen Griechisch noch nicht vorhanden sind. Eine Übersicht bieten Crusius (1879, 177–182) sowie Marenghi (1955a, 125–128); vgl. Zachariae 1875, 18; Rutherford 1883, lxiii–lxiv; Marenghi 1955b, 241. 156 Vgl. Crusius 1897, XXXIII; Luzzatto/La Penna 1986, CVIII–CIX. Besonders das Adjektiv πλήρης fällt hier ins Auge, das einen häufigen Versschluss darstellt. Dieser findet sich meist in den ersten drei Versen einer Fabel (Babr. 1,3; 4,2; 5,3; 10,3; 19,2; 31,2; 71,1; 86,3; 100,3), wobei er gehäuft bei Fabeln am Beginn der Sammlung auftritt – in den ersten 17 Fabeln insgesamt sechs Mal: Babr. 1,3; 4,2; 5,3; 10,3; 11,7; 19,2. Auf die restlichen 124 Fabeln entfallen neun weitere Nennungen, so in Babr. 31,2;

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doch vor allem durch eine für die Zweite Sophistik typische Vorliebe für entlegene Nebenformen157 oder Neologismen auffällt.158 Dies dürfte programmatisch als Beweis für die Bildung des Autors gelten (poeta doctus) und den sprachlichen Konventionen der Zweiten Sophistik entsprechen, die sich durch eine hohe Dichte an technischen Wendungen und Neologismen als Ausdruck der rhetorischen Finesse auszeichnet.159 Zudem finden sich die verwendeten Ausdrücke gehäuft in rhetorischen Schriften und der prosaischen Fachschriftstellerei dieser Zeit; schließlich legen inhaltliche Parallelen mit Progymnasmata zur Rednerausbildung160 eine solche Verbindung ebenso nahe wie entsprechende rhetorische Termini technici der Zeit.161 Abgesehen von den Einflüssen gattungsübergreifender Strömungen lassen sich auch Spuren einzelner Literaturgattungen in den Mythiamboi identifizieren: Gewisse Fabeln weisen aufgrund ihres Inhalts oder ihrer Form Bezüge zum antiken Epos auf,162 andere wiederum können durch ihre Kürze und Pointiertheit in die Nähe des antiken (Spott-) Epigramms gerückt werden.163 Ferner finden sich unter den betrachteten Fabeln Beispiele für eine tragische, elegisch-spöttische, bukolische oder satirische

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33,17; 71,1; 86,3; 95,67; 97,6; 100,3; 132,6; 136,7. In der Forschung wurde gemutmaßt, dies könnte mit formelhaften Wendungen in einer nicht erhaltenen Vorlage (Rodríguez Adrados 2000, 179) oder mit dem Einfluss der griechischen Volkssprache zusammenhängen (Marenghi 1955a, 122). Es stellt sich die Frage, ob dies den Kern des Phänomens trifft oder ob gar andere Thesen, etwa die Annahme, die formelhaften Wiederholungen seien als Reminiszenz an die homerische Tradition gestaltet, eine überzeugende Erklärung für ihre Existenz liefern. Die Variation zeigt sich nicht nur in sprachlichen Sonderformen; häufig werden auch verschiedene Formen für ein Wort oder synonyme Begriffe für dieselbe Handlung verwendet. Eine Übersicht über Synonyme und Sonderformen bieten Luzzatto/La Penna 1986, CVIII; vgl. Rutherford 1883, lxiii. Allein in den 19 analysierten Gedichten finden sich sieben hapax legomena. Weitere Beispiele wurden von Schneidewin (1845, 30–31) und Zachariae (1875, 16–17) gesammelt. Parallelen zu Autoren der Zweiten Sophistik bieten Marenghi (1955a, 123–124) und Luzzatto (1975a, 66–78). Die Verwendung von Nebenformen, Neologismen und hapax legomena war bei Autoren dieser Zeit geläufig; vgl. Schmid 1887, 67; 165–166; 197. Ein Beispiel liefert etwa Lukians Schrift Rhetorum praeceptor (vgl. Lukian. rh. pr. 17), wo die hyperattizistische Redeweise dieser Strömung verspottet wird. Im Werk fordert der Rhetoriklehrer den Schüler dazu auf, fremde und ungebräuchliche Wörter zu verwenden und neue Begriffe zu erfinden; vgl. Zweimüller 2008, 321–324; 330. Lukian vewendet in seinen Werken auch Neologismen, Latinismen und insbesondere hapax legomena, vgl. dazu allgemein Schmid 1887, 402–403, sowie zu spezifischen Werken, wie De Mercede Conductis Potentium Familiaribus, Hafner 2017, 82. Die Affinität der Mythiamboi zu rhetorischen Werken der Zweiten Sophistik zeigt sich auch in lexikalischen Parallelen; vgl. Luzzatto 1975a, 66–78. So z. B. in Babr. 12 (vgl. Kap. 6.15). So in Fabeln, die sich mit den Qualitäten der Stimme und Rede beschäftigen, etwa Babr. 12 (vgl. Kap. 6.15) oder 15 (vgl. Kap. 6.18). Beispielsweise Babr. 1 prol. (vgl. Kap. 6.2), 1 (vgl. Kap. 6.4), 12 (vgl. Kap. 6.15), 31 und besonders deutlich 95, ein ‚Fabelepyllion‘ und mit 102 Versen die längste erhaltene Fabel der Sammlung; vgl. Nøjgaard 1967, 316–328; Holzberg 2012, 64; Holzberg 2019, 37. So etwa die zahlreichen Tetrasticha, wie z. B. Babr. 8 (vgl. Kap. 6.11) und 14 (vgl. Kap. 6.17); vgl. Holzberg 2012, 64; Holzberg 2019, 32–33; 204 (s. v. 14). Auf motivische Parallelen zwischen Epigrammen in Fabeln, besonders mit Bezug auf Phaedrus, hat bereits Weinreich (1931) hingewiesen.

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Transformation der Fabelstoffe,164 sodass der Eindruck entsteht, die Fabeln setzen sich insgesamt mit einem ganzen Spektrum an Literaturgattungen auseinander. Neben der Verbindung zu anderen literarischen Gattungen und Strömungen lässt sich die Sammlung auch zum eigenen Genre, der antiken, spätantiken und byzantinischen Fabeldichtung, in Beziehung setzen.165 Von den Bezügen zur äsopischen Fabel ausgehend stellt sich hier zunächst die Frage nach dem Verhältnis der Mythiamboi zur kaiserzeitlichen Versfabel im Allgemeinen und zur Fabelsammlung des Phaedrus im Speziellen:166 Phaedrus, dessen Lebens- und Schaffenszeit heute eher in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts vermutet wird,167 gilt als Verfasser einer Sammlung äsopischer Versfabeln in fünf Büchern.168 Das in iambischen Senaren abgefasste Werk zeigt bei näherer Betrachtung erstaunliche Parallelen zu den Mythiamboi: So sind beide Fabelbücher in ihrer programmatischen Ausrichtung dem Ideal der alexandrinisch-hellenistischen Dichtung verpflichtet, die in der römischen Literatur intensiv rezipiert wurde.169 Obwohl Phaedrus als Vorbild in den beiden Prologen der babrianischen Sammlung nicht erwähnt wird, zeigt ein Vergleich mit den phaedrianischen Pro- und Epilogen Parallelen sowohl hinsichtlich der Struktur als auch der verwendeten Motive und Metaphern, die nicht nur den genretypischen Konventionen geschuldet sein dürften.170 Auch lassen sich inhaltliche Übereinstimmungen ausmachen, so teilen die babrianischen Fabeln etwa zwei Drittel ihrer Stoffe mit Phaedrus’ Sammlung.171 Ob diese Parallelen auf eine gegenseitige Beeinflussung zurückzuführen sind  – die unscharfen Datierungen der beiden Fabelsammlungen würden einen solchen Kontakt durchaus ermöglichen – oder ob sie eher auf eine gemeinsame Vorlage hinweisen, lässt

164 Tragödie: Babr. 7 (vgl. Kap. 6.10); Iambus bzw. Elegie: Babr. 10 (Kap. 6.13); Bukolik: Babr. 3 (vgl. Kap.  6.6), 6 (vgl. Kap.  6.9) oder 15 (vgl. Kap.  6.18); Satire: Babr.  2 (vgl. Kap.  6.5) oder 11 (vgl. Kap. 6.14), die man als Göttersatire verstehen kann; vgl. Nøjgaard 1967, 329–331. 165 Für einen Überblick über die Fabeln dieser Zeit vgl. Zafiropoulos 2001, 19–26, sowie Rodríguez Adrados 1999b, Rodríguez Adrados 2000, Rodríguez Adrados 2003, Holzberg 2012 oder Vaio 1984. 166 Zu Babrios’ Verhältnis zur römischen Fabel allgemein vgl. Marenghi 1955b. 167 Vgl. Gärtner 2015, 55–56; Holzberg 2018b, 13. 168 Vgl. zu Phaedrus grundlegend Nøjgaard 1967, 17–188; Rodríguez Adrados 2000, 121–174; Gärtner 2015; einführend Holzberg 2012, 43–56; Holzberg 2019, 9–37. 169 Vgl. Gärtner 2007; Gärtner 2011; Gärtner 2015; Holzberg 2018b, 10, sowie Kap. 4 für Babrios. 170 Bereits der Vergleich des ersten Prologs bei Phaedrus mit den babrianischen weist auf parallele Motive hin: So etwa die stoffliche Vorlage Aesops, die Thematisierung des Versmaßes, pflanzliche und handwerkliche Metaphorik sowie die Tatsache, dass in den Prologen beider Autoren auch die in der äsopischen Tradition eher seltene Pflanzenfabel explizit genannt wird. 171 Vgl. Rodríguez Adrados 2000, 206. Dieses Verhältnis spiegelt auch die stoffliche Übereinstimmung der Babriosfabeln mit jenen der Collectio Augustana wider, vgl. dazu Kap. 2.3. Im Allgemeinen ist zu bemerken, dass sich die Fabeln in den Mythiamboi stärker auf bereits bestehende Stoffe beziehen, während Phaedrus auf diesem Gebiet innovativer vorgeht; vgl. Rodríguez Adrados 2000, 218.

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Babrios – Person, Werk, Überlieferung

sich letztlich jedoch nicht klären.172 Trotz dieser deutlichen Parallelen finden sich auch Unterschiede, vor allem hinsichtlich der Erzähltechnik: In der Forschung heißt es dazu etwa, Phaedrus verändere seine Stoffe stärker, dramatisiere sie und lege den Fokus auf Action, Moral oder auf den Bruch mit Traditionen, während Babrios sich gemeinhin durch den Fokus auf eine anschauliche Erzählung und Beschreibungen auszeichne, die visuell-pittoresk, romanhaft-erzählend oder stark rhetorisiert ausfallen.173 Eine eingehende vergleichende Analyse der beiden Werke zur Überprüfung dieser Theorien steht jedoch noch aus.174 Noch schwieriger gestaltet sich das Verhältnis zur Collectio Augustana, einer weiteren griechischen Fabelsammlung, die vermutlich wenig vor, zugleich mit oder kurz nach den Mythiamboi entstanden ist.175 Dieses als äsopische Fabeln titulierte und anonym überlieferte Werk stellt die Forschung nach wie vor vor Rätsel: Sowohl die Datierung – ein vorsichtiger Konsensus geht heute von einer Entstehung zwischen dem ersten und dritten Jahrhundert176 aus – als auch die Verfasserschaft – die Fabeln wurden als ‚Fabeln Aesops‘ gemeinsam mit der Vita Aesopi177 überliefert178 – sind höchst umstritten. Daher fällt es schwer, ein Abhängigkeitsverhältnis der beiden Sammlungen zu beschreiben. Das babrianische Prolog-Ich erwähnt zwar, sich auf äsopische Fabeln gestützt zu haben; ob damit allerdings eine Sammlung wie die Collectio Augustana oder die äsopische Fabeltradition im Allgemeinen gemeint ist, geht aus den Aussagen nicht hervor. Nimmt man die Entstehungszeit der beiden Sammlungen als Kriterium, wäre 172 Rutherford (1883, xx–xxi) geht davon aus, dass Babrios die Fabeln des Phaedrus gekannt hat; Rodríguez Adrados (1999a, 107) hingegen meint, die Phaedrus- und Babriosfabeln entstammen zwei unterschiedlichen Traditionen, da sich keine Babriosfabeln fänden, die auf Phaedrus zurückzuführen sind. Ich kann mich diesem Urteil nicht anschließen; allein auf programmatischer Ebene sind die Parallelen zu deutlich, als dass die Sammlungen unabhängig voneinander entstanden sein könnten. 173 Vgl. Rodríguez Adrados 2000, 188–191; 216; Holzberg 2012, 60–64; 2019, 34–40. 174 Pertsinidis (2010, 127–133) bietet einen exemplarischen, auf Themen und Motive konzentrierten Vergleich der beiden Sammlungen. 175 Zur Collectio Augustana vgl. grundlegend Nøjgaard 1964, 131–419; van Dijk 1997; Rodríguez Adrados 2000, 275–356; Zafiropoulos 2001; einführend Holzberg 2012, 94–105; 2021. 176 Für eine Übersicht siehe Zafiropoulos 2001, 23, Anm. 73; Perry (1965, xvi) geht von einer ersten Version aus dem zweiten Jahrhundert aus, Holzberg (2012, 3; 83) spricht sich für eine Datierung in das zweite bzw. dritte Jahrhundert aus, wobei er (Holzberg 2019, 27) auch eine frühe Entstehung im ersten Jahrhundert in Betracht zieht. Rodríguez Adrados (1999a, 60–90) schlägt eine Datierung in das vierte bzw. fünfte Jahrhundert vor; vgl. hierzu auch Rodríguez Adrados 2000, 351–355. 177 Zum Aesoproman vgl. grundlegend Holzberg 1992; Luzzatto 1996; Avlamis 2010; Holzberg 2012, 84–93; 2021; aktuelle Ausgaben und Übersetzungen bieten etwa Michelacci (2017), Biscéré (2019), Holzberg (2021) und Karla (im Druck). 178 Unklar ist, ob die Fabeln tatsächlich auf Aesop  – und damit wohl in das sechste Jahrhundert v. Chr. – zurückgehen, in der äsopischen Tradition überliefert und später zu einer Sammlung zusammengefasst wurden oder ob sie überhaupt erst mit der Intention entstanden sind, lediglich den Anschein äsopischer Autorschaft zu erwecken; vgl. zu dieser Problematik Holzberg 2012, 80–105; 2021; daneben auch Spielhofer 2020. Wie Holzberg darlegt, sprechen einige Indizien für die letzte Annahme.

Der literarische Kontext

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es sogar denkbar, dass die Mythiamboi als Vorbild für die Collectio Augustana gedient hätten. Auch hier bedürfte es einer vergleichenden Untersuchung, um etwaige Verbindungen, die über rein stoffliche Parallelen hinausgehen, zu identifizieren.179 Angesichts des bedauerlichen Forschungsstands stellt eine solche Untersuchung ebenfalls ein Desiderat dar. Neben den Verbindungen der Mythiamboi zur kaiserzeitlichen Fabel ist deren Beziehung zu den Fabeln der Spätantike beachtenswert: Sowohl in der lateinischen als auch der griechischen Literatur finden sich für diese Periode Werke, die auf Babrios’ Fabeln zurückzugehen scheinen: Im römischen Bereich habe Iulius Titianus (3. Jahrhundert) diese bereits kurz nach ihrer Veröffentlichung in lateinische Prosa übertragen, wie Ausonius berichtet;180 seine Übertragung ist nicht erhalten. Avian (ca. um 400) bekennt in der Praefatio seiner Fabelsammlung schließlich, sich auf Babrios und die durch ihn vertretene Tradition zu berufen,181 und auch spätere griechische Fabelsammlungen zeigen Parallelen zu den Mythiamboi: So weist etwa eine Sammlung von vierzig Prosafabeln, die Aphthonios von Antiochia (4. bzw. 5. Jahrhundert) zugeschrieben wird,182 stoffliche Parallelen zu den Mythiamboi auf, wobei eine direkte Vorlage umstritten ist.183 Schließlich finden sich auch in Fabelsammlungen der byzantinischen Zeit (6. bis 15.  Jahrhundert) Parallelen zu den Mythiamboi, etwa in den äsopischen Dodekasyllabi: Dabei handelt es sich um vermutlich byzantinische metrische Zwölfsilbler. Sie sind hauptsächlich in der recensio Vindobonensis184 (cod. Vindob. gr. hist. 130) aus dem 14. Jahrhundert185 und in V überliefert. Aufgrund ihrer sprachlichen und inhaltlichen Nähe zu den Prosaparaphrasen in Ba wurde vermutet, sie seien nach dieser Vorlage entstanden.186 Wie die Fabeln der Mythiamboi folgen auch die Dodekasyllabi der Regel, dass Wortakzent und Länge auf der vorletzten Silbe des Verses stets zusammenfallen.187 Darüber hinaus sind einerseits die Tetrasticha des Ignatios Diakonos, eines byzantinischen Hagiographen des achten bzw. neunten Jahrhunderts,188 sowie andererseits eine 179 Pertsinidis (2010, 123–127) vergleicht die beiden Sammlungen im Hinblick auf ihre thematische Ausrichtung und die stoffliche Umsetzung, geht dabei jedoch lediglich exemplarisch vor. 180 Vgl. Auson. epist. 9,74–81 Green; Rutherford 1883, xxii; Luzzatto/La Penna 1986, XIX. 181 Avian. praef.,13–14. Für den Wortlaut vgl. Kap. 2.1, Anm. 9. Der Einfluss der Mythiamboi wird in den Avianfabeln vor allem auf inhaltlicher Ebene deutlich; vgl. Duff/Duff 1935, 671. Luzzatto/La Penna (1986, XIX–XXII) bieten einen stofflichen Vergleich. Grundlegend zu Avian vgl. Küppers 1977; Gaide 1980; Luzzatto 1984; Rodríguez Adrados 2000, 254–274; Scanzo 2001; Holzberg 2012, 69–79. 182 Vgl. Sbordone 1932; Rodríguez Adrados 2000, 236–253. Ediert wurden die Fabeln in Hausrath 1959. 183 So spricht sich Sbordone (1932) dafür aus, dass Aphthonios die Fabeln des Babrios als Vorlage verwendet hat, während Rodríguez Adrados (2000, 236–253) dies verneint und argumentiert, Aph­ thonios gehe auf hellenistische Fabeln zurück, auf die auch Babrios zurückgegriffen habe. 184 Zu den recensiones der Werkausgabe Leben und Fabeln Äsops vgl. Holzberg 2012, 81; 2021. 185 Vgl. Hunger 1961, 132–133. 186 Vgl. Vaio 1984, 206. 187 Vgl. Rodríguez Adrados 1999a, 114–115. 188 Ediert wurden diese von Müller in Crusius 1897.

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Babrios – Person, Werk, Überlieferung

Fabelsammlung, die vermutlich von Michael Andreopoulos im elften Jahrhundert aus dem Syrischen übersetzt und unter dem Namen des Syntipas (= Sindbad) überliefert wurde,189 zu nennen. Beide weisen Parallelen zur babrianischen Fabelsammlung auf.

189 Vgl. dazu Perry 1952, 511–528; Rodríguez Adrados 1999a, 132–135. Ediert wurde die Sammlung in Perry 1952 sowie in Hausrath 1959.

3. Die Sammlung – Aufbau und Struktur1 3.1 Anordnung der Fabeln Vor der Entdeckung der Haupthandschrift A machten die Mythiamboi den Eindruck fragmentarischer, mehr oder minder zufällig festgehaltener Einzelgedichte. Durch Verweise in der antiken Literatur, etwa bei Avian2 oder in der Suda,3 war jedoch bekannt, dass die Fabeln ursprünglich als Sammlung gelesen und rezipiert wurden. Mit der Veröffentlichung von A konnten erstmals in einem Sammlungsverband überlieferte Babriosfabeln nachgewiesen werden. Fortan wurde die Rolle der Mythiamboi als Sammlung und deren Bedeutung für die Interpretation der Fabeln relevant. Der Begriff ‚Sammlung‘ impliziert zweierlei: erstens, dass dem vorliegenden Textganzen ein gewisser Sammlungsanspruch innewohnt – die literarische Form wird als Repositorium oder Anthologie mehrerer Einzeltexte verschiedener Herkunft verstanden.4 Ein solcher Sammlungskontext ist für die Geschichte der antiken Fabel spätestens seit der ersten nachweisbaren Zusammenstellung von Fabeln, der Fabelsammlung des Demetrios von Phaleron (3. Jahrhundert v. Chr.), belegt. Daneben erhält der Begriff im Kontext der antiken Dichtung noch eine weitere Bedeutung: die Sammlung als poetische Form. So wird der Begriff ‚Gedichtsammlung‘ synonym mit dem Gedichtbuch oder dem Gedichtzyklus, also einem Gesamtkunstwerk aus poetischen Eigenkreationen, verwendet. Literaturgeschichtlich betrachtet handelt es sich dabei um ein relativ junges Phänomen: Antike Gedichtbücher etablierten sich ab dem vier1

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Das vorliegende Kap. 3 sowie die folgenden Kap. 4 und Kap. 5 basieren grundsätzlich auf den Analysen zu den in Kap. 6 präsentierten Gedichten. Die hier gemachten Beobachtungen können bis zu einem gewissen Grad auf die gesamte Sammlung übertragen werden, erheben jedoch keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit. Zur Frage, ob es sich bei den Mythiamboi um ein antikes Gedichtbuch handelt, vgl. grundlegend Holzberg 2012, 58–60; Holzberg 2019, 19–24. Dieser erwähnt beispielsweise, dass Babrios den Stoff der äsopischen Fabeln auf zwei Bücher (duo volumina) verkürzt habe; vgl. Avian. praef.,13–14. Für den Wortlaut vgl. Kap. 2.1, Anm. 9. Der Eintrag in der Suda geht von einer Sammlung von zehn Büchern (εἰσὶ γὰρ διὰ χωλιάμβων ἐν βιβλίοις ιʹ) aus; vgl. Suda s. v. Βαβρίας ἢ Βάβριος. Für den Wortlaut vgl. Kap. 2.1, Anm. 23. Für eine derartige Buchstruktur liegen keine weiteren Hinweise vor, weshalb in der Forschung generell von einer Struktur in zwei Büchern ausgegangen wird, wie sie von A nahegelegt wird; vgl. hierzu Kap. 3.2. Vgl. dazu Degani 1996b; Schwindt 1996.

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Die Sammlung – Aufbau und Struktu

ten Jahrhundert v. Chr., wobei die Aitia des Kallimachos5 und das Epigrammbuch des Poseidipp6 im dritten Jahrhundert v. Chr. zu den ersten Sammlungen mit einer nachgewiesenen Buchkomposition zählen. Greifbar wird die Form des Gedichtbuchs in der römischen Literatur mit den Werken der augusteischen Dichter, wo sie sich zur beliebtesten Publikationsform für Poesie entwickelt – Beispiele umfassen die Eclogae Vergils, die Gedichtbücher des Horaz und des Ovid sowie die Elegien des Tibull und des Properz; die rege Produktion solcher Sammlungen setzt sich bis in die Kaiserzeit und die Spätantike fort.7 Charakteristisch für diese Werke sind klar erkennbare Kompositionsprinzipien, die auf eine Intention bei der Konzeption hinweisen. Als konstitutiv werden dabei unter anderem die einheitliche Gattung und Form der Gedichte, deren intentionale Anordnung, die Rahmung durch Einleitungs- bzw. Schlussgedichte und die Gruppierung thematisch verwandter oder kontrastierender Gedichte genannt.8 Mit Blick auf die Mythiamboi stellt sich die Frage, welche der beiden Definitionen von Sammlung auf die Fabeln zutrifft – handelt es sich dabei lediglich um eine wahllose Aneinanderreihung verschiedener Einzeltexte oder liegen dem Werk Gestaltungsprinzipien zugrunde, die auf eine Gesamtkomposition schließen lassen? Bei der Bewertung der Fabeln sticht ein Detail besonders hervor: In A (und G) sind die Gedichte alphabetisch nach dem Anfangsbuchstaben des ersten Wortes einer jeden Fabel angeordnet.9 Da jedoch nicht alle Textzeugen nach diesem System organisiert sind, besteht Uneinigkeit darüber, ob die alphabetische Anordnung jene bei Avian bzw. in der Suda erwähnte antike Buchstruktur der Mythiamboi abbildet. Lange Zeit plädierte man dafür, die in A überlieferte Anordnung der Fabeln gehe auf eine spätere, byzantinische Redaktion zurück. Die Vertreterinnen und Vertreter dieses Ansatzes argumentieren, dass die ursprüngliche Struktur der Mythiamboi, selbst wenn diese in der Antike als Gedichtbuch konzipiert gewesen seien, im Zuge einer schulmeisterlichen Redaktion aufgebrochen und die einzelnen Gedichte  – vermutlich zur besseren enzyklopädischen Benutzung – alphabetisch reorganisiert wurden.10

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Vgl. Fantuzzi 1998, 847. Vgl. dazu Höschele 2010, 148–170. Vgl. Fuhrer 1998, 850. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Gedichtbücher des Phaedrus und des Martial sowie der Satiriker Persius und Iuvenal von Bedeutung. Vgl. Fuhrer 1998, 848–849. Die Bezeichnung κατὰ στοιχεῖον im Titel der Fabelsammlung in A nimmt darauf Bezug. Auch die Fabeln in G sind κατὰ στοιχεῖον angeordnet; vgl. Luzzatto/La Penna 1986, XXV. Diese Bedeutung von στοιχεῖον findet sich ferner in Anth.Gr. 11,15 (Ammianos); vgl. LSJ s. v. στοιχεῖον II 1. Die Handschrift V überliefert die Fabeln in einem Konglomerat äsopischer Fabeln; dieses ist zwar insgesamt alphabetisch organisiert, doch sind die Babriosfabeln quer über die Sammlung verteilt. So etwa Wotke 1893, 305; Crusius 1897, 2660; Daly 1967; Vaio 1984, 198; Rodríguez Adrados 1999a, 103; Rodríguez Adrados 2000, 176; Vaio 2001.

Anordnung der Fabeln

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Die wichtigsten Argumente für diese Annahme sind die Beweiskraft der Papyri,11 die die alphabetische Reihung nicht abbilden, sowie die durchlaufende alphabetische Ordnung durch beide Bücher.12 Ein anderer Ansatz geht hingegen davon aus, dass die Mythiamboi in der heute vorliegenden Form zumindest Elemente eines antiken Gedichtbuchs überliefern, wenn die Anordnung in A nicht gar die ursprüngliche, auf den Autor zurückgehende Struktur des Werks darstellt. Folgt man diesem Ansatz, wäre die babrianische Fabelsammlung ein Beispiel für die kaiserzeitliche Produktion von Gedichtbüchern nach hellenistischem Vorbild in der Nachfolge der genannten augusteischen Werke. Kurioser Weise basieren die bis dato vorgebrachten Argumente für die Authentizität ebenfalls auf den Papyrusfunden und der durchlaufenden alphabetischen Ordnung: So sah man in der Fabelsequenz des Papyrus Π3 (Babr. 11, 16 und 17) den Beweis dafür, dass die Anordnung bereits auf die Antike zurückgehe.13 Und auch die durchlaufende Reihung wird erneut als Argument aufgegriffen: Holzberg hinterfragt – meines Erachtens zu Recht –, ob die Tatsache, dass die Anordnung beide Bücher durchläuft und nicht jedes Buch jeweils Fabeln von Alpha bis Omega enthält, die Authentizität dieser Anordnung wirklich in Zweifel ziehen kann.14 Angesichts dessen behalf man sich in der Vergangenheit unter anderem mit der Vermutung, es habe bereits in der Antike Ausgaben mit unterschiedlichen Anordnungen gegeben,15 oder man ließ die Frage gänzlich offen.16 Vor allem in der neueren Forschung erfreut sich jedoch jener Ansatz, der in A die Gestalt der antiken Fabelsammlung ver11 12 13 14

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Gegen eine antike alphabetische Anordnung wird ins Feld geführt, dass die Reihenfolge auf gefundenen Papyri und den tabulae ceratae Assendelftianae mit der Abfolge der Kodizes nicht übereinstimmt; vgl. Daly 1967, 43; Vaio 2001, xxxiii. So meinen etwa bereits Crusius (1896, 2660), Daly (1967, 43) oder Perry (1965, lviii), dass bei zwei Büchern Mythiamben beide eine vollständige Reihung von Alpha bis Omega aufweisen müssten. Vgl. Grenfell/Hunt 1901, 26. Auch Vaio (1970) erklärt, auf einem Papyrusschnipsel das Ende einer Paraphrase von Babr. 8 und den Anfang von Babr. 9 und somit einen Beweis für die vorliegende sequenzielle Anordnung der Sammlung gefunden zu haben. Vgl. Holzberg 2012, 59–60. Er stellt die Möglichkeit in den Raum, dass der Autor eine Buchrolle mit den Fabeln bis Lambda gefüllt und die zweite prägnant mit den Fabeln ab My (für μῦθος, also ‚Fabel‘) beginnen lassen haben könnte. Die auch in anderen Fabelsammlungen bedeutsamen Löwenfabeln würden so am Ende des ersten Buchs besonders betont; Mann (2018, 271, Anm. 35) geht ebenfalls davon aus, dass die Anordnung in A das antike Fabelbuch abbildet. Als Beispiel für derartige Anordnungen dient etwa der Stephanos des Philipp von Thessalonike, der ebenfalls eine buchübergreifende alphabetische Anordnung aufgewiesen haben dürfte; vgl. Höschele 2017. So z. B. Perry (1965, lvii–lviii): „It is evident that the ancient edition of the Babrian text from which codex A is descended contained something like 200 fables arranged in alphabetical order and divided into two books. […] Such was the arrangement of material in the ancient edition of Ba­ brian fables from which A is descended and which antedates the fourth century; but an equally old edition, that namely from which the series of fables in manuscripts G, V, and the paraphrase B are descended, had a very different order of fables.“ So Nøjgaard (1967, 351): „Nous sommes même incapables de déterminer avec certitude si le principe est alphabétique ou non.“ Als Argument gegen die alphabetische Reihung führt er die Stellung des zweiten Prologs an und erklärt dies dadurch, dass dieser Prolog als Vorwort zu einer zweiten Edition in das Textgefüge geraten und so alphabetisch angeordnet worden sein könnte.

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Die Sammlung – Aufbau und Struktu

mutet, größerer Beliebtheit. So sprechen sich Luzzatto/La Penna dafür aus, dass die Reihung in G und Ba auf einen byzantinischen Ursprung zurückgehe und sich von jener in A klar unterscheide;17 Luzzatto vermutet den Ursprung der Reihung in A in einem antiken Fabelbuch.18 Holzberg fasst das für diese Annahme meines Erachtens gewichtigste Argument zusammen: Die alphabetische Reihenfolge in A wird nicht streng eingehalten, was bei einer nachträglichen Edition zu erwarten wäre, wie sich etwa in G oder den Prosaparaphrasen in Ba zeigt, die vermutlich eine spätere Stufe der Überlieferung darstellen; die auffällige Abweichung von einer strengen Alphabetisierung in A ließe sich in manchen Fällen etwa mit dem Bestreben erklären, Fabeln thematisch miteinander zu verbinden.19 Hinzu kommt, dass die alphabetische Anordnung der Fabelsammlung gut zur literarischen Tradition von Fabeln bzw. Tier­ erzählungen passt: Bereits sumerische Tier-Sprichwortsammlungen aus dem zweiten Jahrtausend v. Chr. weisen eine solche alphabetische Reihung, die sich aus der thematischen Gruppierung nach Tieren entwickelt hat, auf;20 das Prinzip ist neben weiteren Fabelsammlungen, etwa der Collectio Augustana,21 auch in anderen Literaturgattungen, z. B. in Abecedarien oder in antiken Epigrammsammlungen,22 sowie in anderen literarischen Traditionen, wie der hebräischen Literatur,23 üblich. Daneben weisen auch die für die Mythiamboi überaus einflussreichen Iamboi des Kallimachos24 eine enge thematische Verbindung in jenen aufeinanderfolgenden Gedichten auf, die Parallelen in der Fabelsammlung haben.25 Hawkins thematisiert die alphabetische Ordnung in seiner Bewertung der Babriosfabeln und geht sogar noch einen Schritt weiter: Er sieht darin einen Ausdruck des poetischen Programms des Autors, mit dem dieser einerseits dem enzyklopädischen Anspruch der Literatur seiner Zeit sowie der systematischen 17 18 19

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Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, LXIV–LXXVI. Vgl. Luzzatto 1997, 384. Beispiele dafür werden etwa in Holzberg 2012, 59–60, genannt. So auch Luzzatto/La Penna 1986, LXV; zustimmend etwa Becker 2006, 178, Anm. 32; Mann 2018, 271, Anm. 35. Die korrekte alphabetische Anordnung der anderen Textzeugen könnte darauf zurückzuführen sein, dass spätere Bearbeiter Babrios’ Gliederungssystem ‚korrigieren‘ wollten; vgl. Holzberg 2019, 20. Vgl. Holzberg 2012, 59; Holzberg 2019, 19. Nøjgaard 1964, 511–513. Ähnliches lässt sich in Ansätzen auch am Beginn des ersten Buchs der Phaedrusfabeln erkennen, wo Phaedr. 1 prol. sowie Phaedr. 1,1; 1,2 und 1,4 mit ‚A‘ beginnen, während die Person Aesops, die ebenfalls mit ‚A‘ beginnt, in Phaedr. 1,3; 1,6 und 1,10 prominent am Beginn der Fabel angeführt wird. So soll die Epigrammsammlung des Philipp von Thessalonike ebenfalls eine alphabetisierende Buchstruktur aufgewiesen haben; vgl. Holzberg 2019, 19; Höschele 2017; 2019. So hat die Gedichtform des Abecedarius, bei dem die Anfangsbuchstaben jedes Verses oder jeder Strophe nach dem Alphabet verlaufen, ihre Wurzeln vermutlich in hebräisch-alttestamentlicher Weisheitsliteratur, vgl. Thraede 2001, 11–12; es wird vermutet, dass auch die Ursprünge der orientalischen Fabel in dieser Art von Literatur zu finden sind. Zumindest für den Abecedarius lässt sich also feststellen, dass dessen alphabetische Anordnung Teil der literarischen Komposition ist. Vgl. dazu Kap. 2.3. So etwa der erste, der zweite oder der vierte Iambos; vgl. dazu van Dijk 1997, 235–236 bzw. 249–250, wo insbesondere die Iamboi 1 bis 4 als thematische Einheit dargestellt werden.

Das Gedichtbuch

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Wissenschaftlichkeit der alexandrinischen Autoren gerecht wird; durch die Durchbrechung der strengen Systematik nutze dieser andererseits aber auch die Möglichkeit für gelehrte literarische Spielereien.26 Es lassen sich also sowohl dafür, dass es sich bei der Struktur in A um eine byzantinische Redaktion handelt, als auch dafür, dass die Reihung der Fabeln tatsächlich das antike Gedichtbuch widerspiegelt, triftige Argumente finden. Jedoch legen vor allem die Erkenntnisse der letzten Jahre nahe, dass ein antiker Ursprung der Anordnung nicht ohne Weiteres verworfen werden kann. Insbesondere die Vermutung, dass sich das literarische Spiel des Autors mit dem didaktischen und enzyklopädischen Anspruch, den ein antikes Publikum in der Zeit der Zweiten Sophistik an eine Fabelsammlung gestellt haben dürfte,27 in der Struktur des Fabelbuchs widerspiegelt, würde eine verlockende Erklärung darstellen. Vor diesem Hintergrund betrachte ich im Folgenden das in Kap. 6 analysierte Textmaterial, wobei ich ebenfalls einen Ausblick auf andere, im Kommentarteil nicht behandelte Fabeln der Sammlung gebe. Zwar wird so nur ein Teil in den Blick genommen, doch lässt dies auch Schlüsse auf die Gesamtstruktur der Sammlung zu, insofern als eine willkürliche Anordnung ausgeschlossen werden könnte. 3.2 Das Gedichtbuch Formal betrachtet liefern die Mythiamboi insgesamt ein homogenes Bild: Alle erhaltenen Gedichte sind metrisch einheitlich im Versmaß des Choliambos verfasst, wobei sich die Sammlung durch metrische Spezifika von anderen choliambischen Dichtungen unterscheidet.28 Die Länge der Einzeltexte variiert zum Teil deutlich – von einer Reihe kurzer Tetrasticha bis zu einem Gedicht von 102 Versen, das fast an ein Epyllion erinnert, finden sich verschiedenste Spielarten der Fabel; diese Beispiele machen jedoch lediglich einen Bruchteil der Sammlung aus und lassen sich im Kontext eines Gedichtbuchs durchaus mit dem Ziel der Variatio erklären. Das Gros der Einzelfabeln weist rund zehn bis zwanzig Verse auf, längere Texte finden sich nur vereinzelt.29 Auch ein Blick auf die Gattung der einzelnen Gedichte zeigt ein weitgehend einheitliches Bild: In den beiden Prologen zur Sammlung werden die Texte als Mythiamboi, eine  – so der Autor  – spezifische Form der iambischen Fabel ausgewiesen. Deren Merkmale sind an den Akteuren, Inhalten, Motiven und an der Struktur der Gedichte festzumachen. Daneben lassen sich Einflüsse anderer literarischer Gattungen erken-

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Vgl. Hawkins 2014, 114. Zum Einfluss der Zweiten Sophistik auf die Mythiamboi vgl. Kap. 2.3. Vgl. dazu Kap. 2.1, Anm. 21. So etwa (abweichende Zahlen je nach Berücksichtigung oder Nicht-Berücksichtigung der vermutlich unechten Verse) Babr. 12 mit 24 bzw. 28 Versen, Babr. 31 mit 21 bzw. 23 Versen, Babr. 95 mit 102 Versen, Babr. 106 mit 30 Versen oder Babr. 108 mit 32 Versen.

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Die Sammlung – Aufbau und Struktu

nen, etwa des Epos, des Epigramms und der Tragödie.30 Solche genreübergreifenden Einflüsse in antiken Fabeln sind auch für andere Versfabelsammlungen, vor allem für die Fabelbücher des Phaedrus, belegt.31 Sie sind Ausdruck der Variatio und des literarischen Spiels des Autors und machen daher die gattungsspezifische Einheitlichkeit nicht zunichte. Ein weiteres Merkmal antiker Gedichtbücher stellt deren Einleitung bzw. Rahmung durch vom Rest des Buches abgesetzte pro- und/oder epilogische Gedichte dar. Im Falle der Mythiamboi übernehmen diese Funktion zwei Prologgedichte, die die zwei überlieferten Bücher des Werks einleiten.32 Beide Prologe reihen sich in Inhalt, Intention und Motivik in die Tradition klassischer Prologgedichte ein. Es handelt sich dabei um Texte primär programmatischen Inhalts, die die Intention des sich in ihnen präsentierenden Ichs verdeutlichen und dabei einerseits an bestehende poetische Traditionen anknüpfen, andererseits jedoch auch einen Anspruch auf literarische Innovation erheben.33 Eine solche Ausrichtung ist für antike Prologe, insbesondere in Gedichtbüchern, typisch. Die Position des zweiten Prologs im Werkganzen, der ebenfalls alphabetisch angeordnet ist, hat Zweifel daran aufkommen lassen, ob es sich bei Gedichten, die diesem folgen, um das unvollständig überlieferte zweite Buch der Fabeln handelt. Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Wenn man zu den 144 Fabeln die Anzahl jener lediglich in Paraphrasen überlieferten Stoffe, die den Mythiamboi zugeschrieben werden, hinzuzählt, ergibt sich eine Anzahl von ungefähr 200 bis 215 Fabeln für die vollständige antike Sammlung. In einem solchen Werk befände sich der zweite Prolog, der in den heutigen Ausgaben zwischen Babr. 107 und 108 gereiht ist, keineswegs an einer ‚unpassenden‘ Position. Vielmehr würde er genau die Mitte der Sammlung markieren und diese so in zwei in etwa gleich lange Fabelbücher teilen, wobei die Betonung der Mitte eines Werks ebenfalls ein typisches Merkmal des literarischen Spiels in antiken Gedichtbüchern darstellt.34 Die Tatsache, dass das durch den zweiten Prolog eingeleitete Fabelbuch betont mit My für μῦθος beginnt,35 verleiht diesem Argument zusätzliches Gewicht.36 Betrachtet man unter dieser Annahme jene Fabel, die das erste Fabelbuch beschließt, Babr. 107, so findet man darin zahlreiche Motive, die Elemente aus den ersten Fabeln des Buchs ringkompositionsartig aufgreifen und eine neue Erzählung daraus formen – unter anderem die Bitte eines kleinen an ein großes Tier, es nicht zu fressen, das Befreien aus Netzen und die Auseinandersetzung zwischen Löwen und Men30 31 32 33 34 35 36

Vgl. dazu Kap. 3.2. Vgl. dazu etwa Gärtner 2000; 2011; 2015, 41–43; Holzberg 2018b, 23. Zu Babr. 1 prol. und 2 prol. vgl. Kap. 6.2 und Kap. 6.3. Zur Programmatik, die in den beiden Prologen entwickelt wird, vgl. Kap. 4. Vgl. Fuhrer 1998, 849. So lässt sich auch die Anorndnung bekannter Werke in 3- bzw. 5-Buch-Strukturen erklären, wie dies auch bei Phaedrus der Fall ist. Vgl. z. B. auch die klassische Bücherzählung der homerischen Epen, wo die letzten Bücher der ersten Hälfte und somit auch die Mitte von Ilias und Odyssee ebenfalls mit My bezeichnet werden. Vgl. Holzberg 2019, 21–22.

Das Gedichtbuch

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schen, die das Einleitungsgedicht Babr. 1 bestimmt. Auch Anklänge an Babr. 4 und 6 werden dort erkennbar. Weil das große Tier, der Löwe, das kleine Tier, die Maus, aber laufen lässt, wird er, anders als die Akteure am Beginn des Buchs, schließlich aus seiner misslichen Lage befreit. Somit könnte man diesem Schlussgedicht des ersten Buchs eine gewisse intentionale Rahmung zuschreiben. Neben formalen, gattungsspezifischen und programmatischen Kriterien zeigt sich die Einheit der Mythiamboi in der Gruppierung der einzelnen Fabeln. Durchwegs sind thematisch verwandte Gedichte im Werk in mehr oder weniger losen kleineren Verbänden gruppiert. Diese Gruppierung scheint zunächst ausschließlich der alphabetischen Reihung geschuldet, doch in vielen Fällen stehen die entsprechenden Fabeln unabhängig davon auch in einem thematischen Zusammenhang zueinander. Unter den analysierten Fabeln fällt in der Tat eine Konzentration bestimmter Themen und Motive am Beginn der Sammlung auf. So bestehen bereits zwischen den ersten drei Fabeln deutliche Verbindungen: Neben der Verortung im ländlich-bukolischen Raum und den drei menschlichen Akteuren, die als Jäger, Weinbauer und Hirte ebenfalls bukolische Züge tragen, bestehen Parallelen insbesondere darin, dass die ländliche Idylle mit ihrem Prinzip der Harmonie zwischen Menschen, Tieren und Göttern, das im ersten Prolog proklamiert wurde, durch verhängnisvolle Gewalttaten der Menschen an den anderen Akteuren durchbrochen wird. Wenn Menschen in Babr. 1 (ἄνθρωπος) und Babr.  3 (αἶγάς) etwa Tieren Gewalt antun und in Babr.  2 (ἀνὴρ) gegen Götter schimpfen, so greifen sie gemeinsam das Thema des Prologs auf und konterkarieren es.37 Ein weiteres Beispiel für die inhaltliche und thematische Gruppierung der Gedichte bieten die Fischerfabeln Babr. 4, 6 und 9. Obwohl es sich dabei um drei Fabeln handelt, die allesamt einen Fischer als Hauptakteur aufweisen und jeweils mit dem Wort ἁλιεύς beginnen, folgen diese nicht – wie bei einer strikt alphabetischen Reihung zu erwarten – direkt, sondern jeweils im Abstand von einer oder zwei Fabeln aufeinander. Alle drei Fabeln behandeln die Figur des Fischers, das Motiv des Fischfangs sowie das Thema des erfolgreichen oder erfolglosen Entkommens aus einer Gefahrensituation. Die verwendete Motivik und die lexikalischen und inhaltlichen Bezüge legen des Weiteren eine poetologische Deutung nahe. Durch diese werden sie nicht nur auf der Handlungs-, sondern auch auf einer abstrakten Ebene miteinander verbunden. Weitere thematische Verbindungen, die nicht auf die alphabetische Anordnung zurückzuführen sind, finden sich in Babr. 7 (ἄνθρωπος) und 8 (ἄραψ), in denen jeweils Lasttiere unter Menschen zu leiden haben, sowie in Babr.  10 (αἰσχρῆς) und 11 (ἀλώπηξ), die beide die Rache einer jeweils namentlich genannten Gottheit thematisieren. Es lässt sich also zeigen, dass die Anordnung der Gedichte neben einem alphabetischen durchaus einem nachvollziehbaren thematischen Prinzip folgt. Gewisse Fabeln

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Vgl. dazu Mann 2018; Holzberg 2019, 17–19, sowie Kap. 5.4.

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Die Sammlung – Aufbau und Struktu

scheinen aus inhaltlichen Gründen zusammengestellt zu sein, unabhängig davon, ob sie dieselben oder gänzlich andere Figuren beinhalten, und ebenso unabhängig davon, mit welchem Wort sie beginnen. Solche Muster würden sich nicht ergeben, wenn der einzige Zweck der Anordnung eine alphabetische Auflistung verschiedener voneinander unabhängiger Einzelfabeln wäre. Obwohl die meisten Fabeln in sich geschlossen und daher für sich allein verständlich und sinnvoll sind, ergeben sich, nimmt man eine intentionale Anordnung der einzelnen Gedichte an, durch die lineare Lektüre Wechselwirkungen, die gewissen Fabeln zusätzliche oder abweichende Bedeutungen verleihen. Obgleich dieses Phänomen nicht über die gesamte Sammlung oder über alle analysierten Gedichte hinweg gleich prominent ist, könnte es dennoch darauf hinweisen, dass Fabeln, die auf den ersten Blick thematisch nicht direkt aufeinander bezogen sind, dennoch eine gewisse gedichtübergreifende Verbindung aufweisen, die ihre Deutung erweitert. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Sequenz des Prologs und der drei darauffolgenden Fabeln: Während der Prolog verspricht, die Fabeln seien in einer Zeit angesiedelt, in der Frieden zwischen Göttern, Menschen und Tieren herrsche, beweisen bereits die ersten Fabeln der Sammlung das Gegenteil – in Babr. 1 geht ein Jäger in den Bergen auf die Jagd und versetzt die Tierwelt in Angst und Schrecken, in Babr. 2 beschimpft ein Bauer einen Gott und stellt dessen Autorität in Frage. Babr. 3 schließlich illustriert menschliche Gewalt am Tier, wenn ein Ziegenhirte eine Ziege mit einem Stein bewirft und eines ihrer Hörner zertrümmert. So werden die Aussagen des Prologs konterkariert und dessen Wahrheitsgehalt gleich zu Beginn der Sammlung infrage gestellt. Dieser Effekt ergibt sich allerdings erst durch eine lineare Lektüre der vier Gedichte.38 Auch eine Betrachtung der Fabeln Babr. 4 und 5 ist in dieser Hinsicht aufschlussreich:39 Während sich die Akteure – Babr. 4 dreht sich um Fische, Babr. 5 um Hähne – und Handlungen der beiden Fabeln grundlegend unterscheiden, finden sich Parallelen in Struktur und Aufbau, die Einfluss auf die Deutung haben. Ein Leser, dem das Schicksal des großen Fischs in Babr. 4 präsent ist, kann bei linearer Lektüre das Unheil des stärkeren Hahns im Kontext des Bottom-up-Settings von Babr. 5 von Beginn an voraussehen. Dies mag zwar einerseits an der recht generischen Struktur dieses Fabeltyps liegen, allerdings stellt Babr. 4 eigentlich keine Bottom-up-Fabel im engeren Sinn dar, da die Akteure weder erhöht noch erniedrigt werden; und trotzdem schwingt das Unheil des großen und der Gewinn des kleinen Fischs mit, wenn man die Handlung in Babr. 5 betrachtet. Ferner wird die Parallele nicht nur inhaltlich, sondern auch an der Textgestaltung ersichtlich: Durch die Nennung der vier Figuren jeweils am Beginn von v.3 und v.5 beider Fabeln und die parallelen grammatischen Strukturen, die 38 39

Dieses Beispiel weist auf ein narratives Phänomen der analysierten Gedichte hin: Viele der Fabeln scheinen in verschiedener Weise auf den ersten Prolog rückbezogen; vgl. dazu Kap. 5.4. Zu dieser Deutung vgl. Kap. 6.7 sowie Kap. 6.8.

Das Gedichtbuch

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bei deren Einführung und Kontrastierung zur Anwendung kommen, kann man den großen Fisch und den starken Hahn sowie den kleinen Fisch und den unterlegenen Hahn gleichsetzen. Somit nimmt man bei einer linearen Lektüre durch die Kenntnis der ersten gleichzeitig den Ausgang der zweiten Fabel vorweg. Die Tatsache, dass das Epimythion zu Babr. 4 – eines der wenigen aus sämtlichen betrachteten Fabeln, die mit großer Wahrscheinlichkeit als echt gelten – gleichzeitig auf beide Fabeln anwendbar ist, verstärkt den Eindruck, dass diese denselben Gedanken in unterschiedlicher Gestaltung ausdrücken. Ähnliche Verbindungen lassen sich bei der Lektüre von Babr. 11 und 12 beobachten: Während inhaltliche Parallelen nur schwer auszumachen sind, fallen die beiden Fabeln vor allem durch die Kontinuität der Erzähltechnik auf: Das Ergebnis von Babr. 11, die Frage, wie es zum Verlust des Getreides kommt, wird durch eine Leerstelle in der Erzählung ausgespart, die das Publikum selbst füllen muss – ebenso wie dies in Babr. 12, der Fabel um Schwalbe und Nachtigall, der Fall ist, wo das Publikum den Mythos um Tereus, Prokne und Philomela zugrunde legen muss, um der Erzählung folgen zu können. Eine Parallelität der zwei Fabeln wird außerdem durch die stoffliche Vorlage nahegelegt: Bei beiden Gedichten handelt es sich um Bearbeitungen mythischer bzw. aitiologischer Themen, die nicht der Fabeltradition entstammen, sondern auf externen Vorlagen basieren; besonders auffällig scheint, dass beide Fabeln Verbindungen zu ovidischen Erzählungen aufweisen, was bei den anderen betrachteten Gedichten nicht der Fall ist. Eine solche Gemeinsamkeit in angrenzenden Fabeln scheint mir nicht allein dem Zufall geschuldet. Bewertet man die Mythiamboi anhand der genannten Kriterien von Form, Gattung, programmatischer Rahmung, thematischer Gruppierung und linearer Anordnung, so kommt man meines Erachtens bereits hier nicht umhin, im Werk zumindest Elemente einer antiken Buchstruktur zu erkennen. In diesem Sinne könnte es ein griechisches Pendant zu den Fabelbüchern des Phaedrus darstellen, mit denen es viele der beschriebenen Eigenschaften teilt.40 Im Gegensatz zu diesem und zu den anderen genannten Gedichtbüchern sprechen jedoch noch weitere, spezifische Eigenschaften dafür, dass die Sammlung ein in sich geschlossenes Gesamtwerk darstellt: die bereits angesprochene alphabetische Anordnung des Werks einerseits und die sprachlich-lexikalischen Verbindungen zwischen einzelnen Fabeln andererseits. Auf den ersten Blick wirkt die Tatsache, dass die Fabeln der Mythiamboi alphabetisch angeordnet sind, als ein Beweis dafür, dass sie eher einem Repertorium mit enzyklopädischem Charakter gleichen als einem kunstvoll gestalteten Gedichtbuch. Doch diese Annahme erweist sich als Trugschluss, der auf einem zu kurz gegriffenen 40

Da die Gedichtbücher der Phaedrusfabeln heute ebenfalls nur in einer fragmentarischen Ausgabe vorliegen, können diese keine vollständige Analogie liefern; vgl. Gärtner 2015, 47–50; Holzberg 2018, 16–17.

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Die Sammlung – Aufbau und Struktu

Verständnis alphabetischer Anordnungen beruht: Zwar ist belegt, dass solche Ordnungen tatsächlich bereits in der Antike als Form der Wissensorganisation und zur schnelleren Auffindbarkeit von Inhalten gebräuchlich waren, insbesondere im Zuge der Systematisierung wissenschaftlicher Erkenntnisse in alexandrinischer Zeit.41 Damit lassen sich die oben diskutierten Phänomene, die die Fabeln über ihre alphabetische Anordnung hinaus miteinander verbinden, jedoch nicht erklären. Hinzu kommt, dass alphabetische Ordnungsprinzipien bereits für die frühesten Fabelsammlungen aus dem sumerischen Bereich, für die erhaltenen griechischen Fabelwerke, allen voran die Collectio Augustana, sowie für eine Reihe weiterer Sammlungen anderer Gattungen in der hellenistischen, kaiserzeitlichen und spätantiken Literatur belegt sind,42 was darauf schließen lässt, dass die alphabetische Konzeption einer Fabelsammlung also keineswegs ein ungewöhnlicher oder gar ein Einzelfall in der antiken Literatur wäre. Ein wichtiges Argument für die Annahme, die alphabetische Anordnung der Fabeln stelle die ursprüngliche Struktur des antiken Fabelbuchs dar, besteht darin, dass dieses Prinzip in A nicht konsequent im gesamten Werk eingehalten wird, während die in den byzantinischen Handschriften G und Ba überlieferten Fabeln bzw. Paraphrasen in ihrer Anordnung viel exakter sind.43 So ist die Reihung nach dem Anfangsbuchstaben in A zwar weitgehend korrekt, jedoch finden sich Ausnahmen von der Regel, die durch eine lexikographische Neuordnung der Fabelsammlung nicht erklärbar sind: Etwa die drei Fischerfabeln Babr. 4, 6 und 9, die nicht direkt aufeinanderfolgen, obwohl sie alle mit genau demselben Begriff, ἁλιεύς, beginnen, oder der erste Prolog der Sammlung, der mit γενεή beginnt und vor die Alpha-Fabeln gestellt wird, während der zweite Prolog an der alphabetisch ‚korrekten‘ Stelle steht. In vielen Fällen lassen sich diese Widersprüche durch eine literarische Intention begründen, wie Holzberg exemplarisch an den Lambda-Fabeln Babr. 90 bis 107 am Ende des ersten Buchs demonstriert.44 Dort dreht sich eine Gruppe von Fabeln um die Figur des Löwen (λέων). Diese wechseln sich regelmäßig mit Fabeln ab, in denen ein Wolf (λύκος) im Mittelpunkt steht, darunter Babr. 101: Hier ist der Protagonist ein Wolf, der so groß ist, dass er von seinen Artgenossen auch ‚Löwe‘ genannt wird; er schließt sich daraufhin den Löwen an, um unter ihnen zu leben, und wird von einem Fuchs dabei verspottet. Auf diese Fabel folgen Babr. 102 und 103, zwei weitere Löwenfabeln, sowie Babr. 104, eine Hundefabel, bis Wolf und Löwe schließlich in Babr. 105 zusammentreffen: Der Löwe entreißt dem Wolf dabei die Jagdbeute und spottet über 41 42 43 44

Vgl. dazu Daly 1967. Für die hellenistische Zeit ist hier z. B. der Stephanos des Philipp von Thessalonike zu nennen, der neben einer alphabetischen Anordnung noch andere Formen der Verbindung zwischen einzelnen Gedichten aufgewiesen haben dürfte; vgl dazu Höschele 2017; 2019; Holzberg 2019, 19. Eine Liste der Abweichungen zwischen A, G und Ba findet sich in Luzzatto/La Penna 1986, LXIV– LXVII. Wie Holzberg (2012, 60) vermutet, dürfte es sich bei dieser divergierenden Anordnung um den Versuch gehandelt haben, die ungenaue Anordnung in A zu ‚berichtigen‘. Holzberg 2012, 59–60; Holzberg 2019, 20–21.

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Das Gedichtbuch

dessen Reaktion. Die einzelnen Fabeln erzählen durch ihre Anordnung also gewissermaßen eine gemeinsame Geschichte, ihre Position lässt einen literarischen Zweck in der Makrostruktur des Buchs erkennen. Dieser Zweck ergibt sich in diesem Beispiel aber gerade erst durch die inkonsequente alphabetische Ordnung – wenn zuerst alle Löwenfabeln und erst danach alle Wolfsfabeln aufgeführt wären, wie es bei einer lexikonartigen Anordnung zu erwarten wäre, ginge das literarische Spiel mit Wölfen und Löwen verloren. Während die hier untersuchten Fabeln vielleicht keine ähnlich eindrucksvollen Beispiele für das fabelübergreifende literarische Spiel bieten, zeugen sie von einer anderen, faszinierenden Eigenschaft: Einzelne Fabeln der Sammlung werden durch lexikalische Signale sowohl mit den vorangehenden wie auch den nachfolgenden Fabeln sowie werkübergreifend mit anderen Gedichten verknüpft.45 Auffällig ist, dass es sich dabei nicht um Funktionswörter oder allgemeine Begriffe handelt, wie sie in zahlreichen Fabeln zu finden wären, sondern in den meisten Fällen um sehr spezifisch gewählte Formulierungen, die für die Deutung der Fabel meist Schlüsselbegriffe darstellen (vgl. Tabelle 1). Tabelle 1 Lexikalische und inhaltliche Parallelen in aufeinanderfolgenden Fabeln Lexik

Inhalt

Babr. 1 prol. – Babr. 1

Babr. 1 prol.,20: πικρῶν ἰάμβων Babr. 1,15: πικρὸν ἄγγελον

Gewalt gegen Tiere und Götter

Babr. 1 – Babr. 2

Babr. 1,8: τί σοι ποιητόν ἐστιν Babr. 2,4: οὐκ ἔχων δ’ ὃ ποιήσει

Babr. 2 – Babr. 3

Babr. 2,8: τὰ πάντ‘ ἐποπτεύειν Babr. 3,7: ὃς νάπας ἐποπτεύει

Babr. 3 – Babr. 4 Babr. 4 – Babr. 5

Babr. 4,2: ποικίλου πλήρης Babr. 5,3: τραυμάτων … πλήρης

Bottom-up-Fabeln

Babr. 5 – Babr. 6 Babr. 6 – Babr. 7 Babr. 7 – Babr. 8

Beschwerlichkeit des Lebens von Lasttieren

Babr. 8 – Babr. 9

45

Einzelne Beispiele für solche Verbindungswörter sind in Holzberg 2019, 22–23, aufgeführt. Auf fabelinterne lexikalische Verbindungen als Hinweise auf Ringkompositionen, wie sie Holzberg (2019, 24) erwähnt, wird in den Einzelanalysen der Fabeln jeweils eingegangen. Für vergleichbare Verbindungen in Catulls carmina und dem Corpus priapeorum vgl. Claes 2002 und Kloss 2003.

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Die Sammlung – Aufbau und Struktu

Lexik

Inhalt

Babr. 10 – Babr. 11

Babr. 10,3: χρυσίου πλήρης Babr. 11,7: ἐλπίδων πλήρης

Rache einer Gottheit

Babr. 11 – Babr. 12

Babr. 11,4: ἐπίσκοπος δαίμων Babr. 12,9: πικρὸς δαίμων

Babr. 12 – Babr. 13

Babr. 12,17: ἀγρότιν Babr. 13,1: ἀγρότης

Babr. 9 – Babr. 10

Babr. 13 – Babr. 14 Babr. 14 – Babr. 15 Babr. 15 – Babr. 16

Babr. 15,13: πέπαυσο Babr. 16,2: παῦσαι

Babr. 16 – Babr. 17

Babr. 16,7: παρεδρεύσας Babr. 17,1: ἐνεδρεύων

So verweist etwa der πικρὸς ἄγγελος (v.15) in Babr. 1 auf die spitzen Iamben (πικρῶν ἰάμβων, v.20) am Ende des ersten Prologs zurück. Der Ausspruch des Menschen in Babr. 1, τί σοι ποιητόν ἐστιν (v.8), findet seine Entsprechung wiederum in Babr. 2, wo der Bauer nicht weiß, was er tun soll (οὐκ ἔχων δ’ ὃ ποιήσει, v.4). Eine andere Passage dieser Fabel, in der beschrieben wird, wie einfältig ländliche Gottheiten seien, während Stadtgötter τὰ πάντ’ ἐποπτεύειν (v.8), wird in der darauffolgenden Fabel Babr. 3 in der Beschreibung des Pan als ὃς νάπας ἐποπτεύει (v.7), aufgegriffen. So lassen sich neben thematischen Parallelen auch Formulierungen finden, die diese Fabeln wie die Glieder einer Kette miteinander verbinden. Die verbindende Funktion sprachlicher Ausdrücke zeigt sich auch in Babr. 4 und 5, die einerseits durch den Versschluss πλήρης mit vorangestelltem Genetiv in v.2 bzw. v.3 der beiden Fabeln,46 andererseits durch die lautlichen und syntaktischen Parallelen in der Präsentation der Akteure47 miteinander in Beziehung gesetzt werden. Weitere Verbindungen lassen sich zwischen Babr. 11 und 12 erkennen, in denen jeweils ein δαίμων das Geschehen lenkt,48 der nirgends sonst in den Mythiamboi auftaucht, und an deren Beginn mit ἀρούρας bzw. ἀγροῦ jeweils die Sphäre der Landwirtschaft evoziert wird. Augenfällig sind Verknüpfungen auch in Babr. 15, 16 und 17: Während der Boioter dem Athener am Ende von Babr. 15 mit dem Imperativ πέπαυσο (v.13) Einhalt gebietet, eröffnet die Amme in Babr. 16 ihre Warnung betont mit παῦσαι (v.2). In v.7 dieser Fabel heißt es, der Wolf sei falschen Hoffnungen 46 47 48

Zu diesem Versschluss, die die Fabeln auch mit Babr. 10 und 11 teilen, vgl. Kap. 2.3, Anm. 156. Hier steht τῶν δ’ ἰχθύων ὁ λεπτὸς in Babr. 4,3 τούτων ὁ λειφθείς in Babr. 5,3 gegenüber, daneben ὁ μέγας δ’ in Babr. 4,5 parallel zu ὁ δ’ ἄλλος in Babr. 5,5. Vgl. Kap. 6.7 und Kap. 6.8. Babr. 11,4 bzw. 12,9.

49

Schlussfolgerungen

‚aufgesessen‘ (παρεδρεύσας); dies wird schließlich in Babr. 17,1 wieder aufgegriffen, wo der Kater den Hühnern des Hauses ‚auflauert‘ (ἐνεδρεύων). So entsteht der Eindruck, dass in angrenzenden Fabeln gezielt ähnliche Wörter bzw. Phrasen eingesetzt werden, die neben und unabhängig von der alphabetischen oder der thematischen Gruppierung Einzelgedichte miteinander verbinden und so für einen inneren Zusammenhang der Sammlung sorgen. Neben diesen lexikalischen Entsprechungen fallen jedoch auch sprachliche Verbindungen zwischen nicht direkt aufeinanderfolgenden Gedichten ins Auge  – so etwa durch den Versschluss πλήρης, auf den bereits hingewiesen wurde. Im Kontext der für diese Untersuchung analysierten Fabeln ist jedoch vor allem Babr. 17 interessant, scheint sie als letzte der Alpha-Fabeln doch auffallend viele vorangehende Gedichte aufzugreifen. Wie Tabelle 2 zu entnehmen ist, finden sich in Babr. 17 sowohl lexikalische als auch inhaltliche Parallelen zu Babr. 1, 5, 9, 12 sowie der angrenzenden Fabel 16. Dies könnte darauf hinweisen, dass diese Fabel für die Substruktur der Alpha-Fabeln innerhalb des ersten Fabelbuchs die Rolle eines Abschlussgedichts einnimmt, was die These untermauern würde, dass die lexikalischen Verbindungen zwischen den einzelnen Gedichten nicht nur den inneren Zusammenhang der Sammlung festigen, sondern darüber hinaus einem abstrakten literarischen Zweck dienen. Tabelle 2 Lexikalische und inhaltliche Parallelen zwischen anderen Alpha-Fabeln und Babr. 17 Lexik Babr. 17 – Babr. 1

Inhalt

Babr. 1,14: ἐνεδρεύσεις Babr. 17,1: ἐνεδρεύων

Babr. 17 – Babr. 5

Motiv des spottenden Hahns

Babr. 17 – Babr. 9

Babr. 9,8: ἐκερτόμησε Babr. 17,4: ἐκερτόμησεν

Babr. 17 – Babr. 12

Babr. 12,3: ὀξύφωνος Babr. 17,4: ὀξὺ φωνήσας

Babr. 17 – Babr. 16

Babr. 16,7: παρεδρεύσας Babr. 17,1: ἐνεδρεύων

Motiv des Spotts

3.3 Schlussfolgerungen Wie in diesem Kapitel gezeigt wurde, kann eine literaturwissenschaftliche Betrachtung, die die Mythiamboi als Gesamtkunstwerk mit einem übergreifenden Konzept in den Blick nimmt, neue Impulse für die Beantwortung der Frage nach der ursprünglichen Anordnung der Fabeln liefern. Anhand ausgewählter Beispiele aus den im Kommentarteil behandelten Fabeln sowie anderen Gedichten der Sammlung wurden Gesichtspunkte aufgezeigt, die bei der Komposition des Werks eine Rolle gespielt haben

50

Die Sammlung – Aufbau und Struktu

könnten. So lassen sich neben gattungs- und formspezifischen, programmatischen und lektürechronologischen Phänomenen sowohl thematische als auch lexikalische Hinweise darauf finden, dass die Sammlung in der uns vorliegenden Form als Einheit konzipiert wurde. Die nicht streng alphabetische Ordnung der Fabeln, die entgegen der Erwartung gerade nicht den Anschein erweckt, lediglich aus enzyklopädischen Bestrebungen heraus entstanden zu sein, sondern darüber hinaus auf die bereits vorgriechische Tradition der alphabetisch geordneten Fabelsammlung zu rekurrieren, verstärkt diesen Eindruck.49 Es spricht also vieles dafür, dass die überlieferte Form der Sammlung zumindest in Teilen, wenn nicht sogar zur Gänze, auf deren ursprüngliche Textgestalt zurückgeht und – ähnlich wie die Fabelsammlung des Phaedrus – ein Gedichtbuch darstellt, wie sie ab der augusteischen Zeit weit verbreitet waren. Diese Annahme gründet sich auf lexikalischen und motivischen Gemeinsamkeiten, die die ersten siebzehn Fabeln der Sammlung strukturieren. Die präsentierten Ergebnisse legen nahe, dass diese Fabelgruppe miteinander verknüpft ist und innerhalb der Mythiamboi eine in sich geschlossene Einheit bildet, was durch das Abschlussgedicht Babr.  17 mit der pointierten Wiederaufnahme mehrerer vorhergehender Gedichte untermauert wird. Verfolgt man diese Idee weiter, so drängt sich die Frage auf, ob man unter der alphabetischen Anordnung nicht eine zusätzliche Binnenstruktur der Mythiamboi verstehen kann, die die zwei Fabelbücher in 24 Untereinheiten teilt. Eine solche Zahl bzw. ein Teil davon ist ein nicht unübliches Einteilungsprinzip für ganze Werke, würde als Struktur innerhalb von Büchern jedoch ein ungewöhnliches Novum darstellen. Demzufolge bestünde das erste Buch der Mythiamboi aus elf Untereinheiten, das zweite sodann aus dreizehn, von denen vier heute erhalten sind. Dieses Spiel mit der Mitte des Werks, die knapp, aber doch verfehlt wird, würde sich gut in das babrianische Programm einfügen, eine Kenntnis der Gepflogenheiten zur Schau zu stellen, diese dann jedoch nicht einzuhalten.50 Ein vollständiges Urteil kann freilich erst gefällt werden, wenn die gesamte Fabelsammlung nach dem vorgeschlagenen Ansatz analysiert worden ist – eine umfassendere Arbeit zur Komposition des Gesamtwerks, die im Rahmen dieser Studie nicht geleistet werden kann, wäre in jedem Fall ein wünschenswerter Anknüpfungspunkt für künftige Forschung. Jedoch ist bereits die Identifizierung konkreter kompositorischer Auffälligkeiten innerhalb des ersten Abschnitts der Mythiamboi meines Erachtens ein deutlicher Hinweis darauf, dass die alphabetische Ordnung allem Anschein nach nicht willkürlich vorgenommen wurde.

49 50

Vgl. Kap. 6.8, Anm. 439, für ein archäologisches Zeugnis, das auf diese Anordnung hinweisen könnte. Vgl. Holzberg 2012, 59–60, sowie 2019, 21–22, wo die Asymmetrie dieser Anordnung auch damit erklärt wird, dass der Autor das erste Buch mit den oben diskutierten Löwenfabeln so markant enden und das zweite gezielt mit My wie μῦθος beginnen lässt.

4. Das poetische Programm So umstritten Vieles zu Babrios und seinem Werk sein mag, so deutlich gibt sich die Sammlung dem Leser als poetisches Produkt zu erkennen. Sowohl aus den beiden Prologen als auch aus den Fabeln selbst geht hervor, dass die Mythiamboi die Konventionen prosaischer Fabeldichtung überschreiten und ihren formalästhetischen Anspruch durch eine textimmanente Dichtungsprogrammatik offenbaren. Viele der im Folgenden präsentierten Aussagen basieren auf Beobachtungen zu diesen beiden Prologen. Auf die programmatische Funktion von Prologgedichten in der antiken Tradition wurde bereits in Kap. 3 eingegangen; auch für die Mythiamboi dienen sie als Ausdrucksmittel einer Dichterinstanz, die Auskunft über ihr poetisches Programm gibt. In diesen Gedichten (sowie in den einzelnen Fabeln) wird teils explizit, großteils jedoch implizit durch Bilder, Topoi und intertextuelle Bezüge eine dem Werk „immanente Poetik“1 ausgebreitet, deren Analyse eines der Anliegen des Kommentars in Kap. 6 darstellt. Das folgende Kapitel fasst die Ergebnisse dieser Analyse vorwegnehmend zusammen. 4.1 Dichter und Publikum Wenn wir im Folgenden über den Dichter sprechen, der sich in den Mythiamboi präsentiert, ist damit zunächst der diegetische Erzähler bzw. das Ich gemeint, das am prominentesten in den beiden Prologen in Erscheinung tritt und den Inhalt der Fabeln in einer fiktiven Erzählsituation vermittelt. Im ersten Prolog präsentiert sich dieser Erzähler als ein Dichter, der erklärt, für die vorliegende Sammlung verantwortlich zu zeichnen. Es handelt es sich dabei also um eine narrative Künstlerfigur im Sinne eines eng gefassten Narrativitätsbegriffs.2 Biographisch erfährt man über diesen Erzähler nicht viel, er gibt lediglich Informationen über seine literarisch-poetische Bildung:

1 2

Nünlist 1998, 10. Zu anderen Künstlerfiguren, die in den einzelnen Fabeln auftreten und die mitunter auch poetologisch gedeutet werden können, vgl. Kap. 4.3.

52

Das poetische Programm

ἐκ τοῦ σοφοῦ γέροντος ἧμιν Αἰσώπου μύθους φράσαντος τῆς ἐλευθέρης μούσης ὧν νῦν ἕκαστον ἀνθίσας ἐμῇ μνήμῃ μελισταγές σοι νοῦ τὸ κηρίον θήσω πικρῶν ἰάμβων σκληρὰ κῶλα θηλύνας.3 20

Formal ist der Erzähler hier in der ersten Person ἧμιν (v.16) erkennbar, wenn er mitteilt, auch er habe die Fabeln Aesops gehört,4 daneben in ἐμῇ μνήμῃ (v.18) sowie in den Verbformen ἀνθίσας (v.18), θήσω (v.19) und θηλύνας (v.20), mit denen er seinen poetischen Schaffensprozess, dessen Resultat und seinen Umgang mit dem Versmaß beschreibt.5 Die Verweise auf ein erzählendes Ich im ersten Prolog vermitteln also mehrheitlich literaturprogrammatische Informationen – der Erzähler tritt nur dort in Erscheinung, wo über derlei berichtet wird. Ähnliches lässt sich im zweiten Prolog beobachten: ἀλλ’ ἐγὼ νέῃ μούσῃ δίδωμι καθαρῷ χρυσέῳ χαλινώσας τὸν μυθίαμβον ὥσπερ ἵππον ὁπλίτην. ὑπ’ ἐμοῦ δὲ πρώτου τῆς θύρης ἀνοιχθείσης εἰσῆλθον ἄλλοι, καὶ σοφωτέρης μούσης 10 γρίφοις ὁμοίας ἐκφέρουσι ποιήσεις, μαθόντες οὐδὲν πλεῖον ἤ με γινώσκειν. ἐγὼ δὲ λευκῇ μυθιάζομαι ῥήσει, καὶ τῶν ἰάμβων τοὺς ὀδόντας οὐ θήγω, ἀλλ’ εὖ πυρώσας, εὖ δὲ κέντρα πρηύνας, 15 ἐκ δευτέρου σοι τήνδε βίβλον ἀείδω.6

Auf formaler Ebene wird der Erzähler hier zunächst im adversativen ἀλλ’ ἐγὼ (v.6) sowie in den Verbformen δίδωμι (v.7) und χαλινώσας (v.7) sichtbar, wobei er sich programmatisch von seinen Vorgängern abgrenzt und in metaphernreicher Sprache darlegt, welche Art von Fabeldichtung er bietet.7 Weitere Erwähnungen der eigenen Person folgen mit ὑπ’ ἐμοῦ (v.9) sowie με γινώσκειν (v.12). Auch hier tritt die Erzählerfigur im literarischen Kontext, konkret bei der Auseinandersetzung mit Nachahmern und dem poetischen Motiv des Protos Heuretes in Erscheinung.8 Die abschließenden Aussagen der vv.13–16, 3 4 5 6 7 8

Babr. 1 prol.,16–20; für die Übersetzung siehe Kap. 6.2. Zum programmatischen Vorbild Aesop vgl. Kap. 2.3, Kap. 4.2 sowie Kap. 6.2 und Kap. 6.3. Vgl. dazu Kap. 4.2 sowie Kap. 6.2. Babr. 2 prol.,6b–16; für die Übersetzung siehe Kap. 6.3. Vgl. dazu Kap. 4.3 sowie Kap. 6.3. Im Sinne einer biographischen Deutung wurde diese Aussage als Beweis dafür gesehen, Babrios hätte mit Nachahmern am königlichen Hof zu kämpfen gehabt; für meine Einwände gegen diese Vorgehensweise vgl. Kap. 2.1 und Spielhofer 2021.

Dichter und Publikum

53

die sich auf die Erzählerfigur beziehen – so μυθιάζομαι (v.13), θήγω (v.14), πυρώσας und πρηύνας (v.15) sowie ἀείδω (v.16) – zielen ebenso darauf ab, den poetischen Schaffensprozess und die daraus entstehende Dichtung zu beschreiben.9 Abseits der beiden Prologe sind Fälle, in denen der Erzähler diegetisch in Erscheinung tritt, selten und zumeist auf Aussagen in den Epimythien beschränkt. Da in vielen Fällen unklar ist, ob Fabel und Epimythion als Einheit konzipiert wurden oder ob es sich bei jenen nicht vielmehr um spätere Hinzufügungen handelt, relativiert dies die Bewertung von Selbstaussagen eines Erzähler-Ichs.10 Zwei Beispiele aus den analysierten Gedichten verdeutlichen dies: ἔστιν τις ὀργῆς νέμεσις, ἣν φυλαττοίμην11 ὁ ζῶντα βλάπτων μὴ νεκρόν με θρηνείτω.12

Auch in diesen Fällen wird der Erzähler nicht ausdrücklich beschrieben. Durch die Selbstansprache des Ichs wird eine indirekte Handlungsanweisung an den Leser gegeben, ausgedrückt in der optativen Funktion von φυλαττοίμην (v.11) sowie dem Imperativ με θρηνείτω (v.5). Darin besteht ein grundlegender Unterschied zu den Beispielen in den Prologen, in denen das Ich in erster Linie als Dichter und Schöpfer der vorliegenden Texte in Erscheinung tritt. Wie die Analysen der Prologe zeigen, stellt sich dieses Ich dabei als Vertreter der römisch-alexandrinischen Dichtungstradition dar. Als poeta doctus, der als Erster seiner Art zum Ziel von Neid und Nachahmung wird und die Sammlung erst durch sein Genie zu dem macht, was sie ist, versieht er sich selbst und sein Werk mit zentralen Attributen alexandrinischer Programmatik – dem Ideal der Gelehrtheit, der Neuheit bzw. Originalität und des genialen Talents. Hinzu kommt die Selbstdarstellung als Handwerker, der die Verse in mühevoller Arbeit ‚ausfeilt‘, was insbesondere daran erkennbar wird, dass er ausführlich auf das ‚Glätten‘ des Versmaßes eingeht.13 Die Verwendung einer der Dichtungstradition entsprechenden Bildsprache unterstreicht diesen Eindruck noch weiter.14 Neben dem Ich der Fabeln ist in diesem Zusammenhang auch die Frage nach einem wie auch immer gearteten Du von Relevanz. Die Frage nach dem Leser15 der Myth9 10 11 12 13 14 15

Vgl. dazu Kap. 4.3 sowie Kap. 6.3. Vgl. dazu Kap. 2.2. Babr. 11,11; für die Übersetzung siehe Kap. 6.14. Babr. 14,5; für die Übersetzung siehe Kap. 6.17. So etwa in Babr. 1 prol.,20; 2 prol.,14–15. Zur poetologischen Bildsprache vgl. Kap. 4.3. Mit dem Begriff des ‚Lesers‘ ist, insbesondere im Kommentarteil in Kap. 6, eine abstrakte, antike bzw. überzeitliche Rezeptionsinstanz im Sinne eines Textadressaten gemeint; zur vielfältigen Definition des Begriffs und den damit verbundenen Bedeutungszuschreibungen vgl. Schmid 2013; Willand 2014. Als anerkannter Fachterminus der Literaturwissenschaft ist dieser Begriff mangels adäquater Alternativen dezidiert nicht als Ausdruck einer Geschlechterpräferenz zu verstehen; vgl. Kap. 5.1, Anm. 1, zum Begriff des ‚Akteurs‘.

54

Das poetische Programm

iamboi ist ebenso vielschichtig wie es der Begriff selbst ist. Auf der Ebene der textinternen Narration tritt ein fiktives Gegenüber in den beiden Prologen der Sammlung auf: In diesen richtet der Erzähler seine Fabeln an zwei Adressaten, ein nicht näher bestimmtes Kind mit dem Namen Branchos im ersten Prolog (ὦ Βράγχε τέκνον, v.2) und einen Sohn des Königs Alexander im zweiten Prolog (ὦ παῖ βασιλέως Ἀλεξάνδρου, v.1). Während diese Figuren in der älteren Forschung häufig als historische Personen interpretiert wurden, die Auskunft über den empirischen Autor Babrios geben, geht man heute vielfach davon aus, dass es sich um literarische Konstrukte handelt, die keinen vordergründigen historischen, sondern vielmehr literarischen Wert besitzen.16 So fordert der poetologisch konnotierte Name Branchos Assoziationen sowohl zu Apoll,17 dem Gott der Dichtkunst, als auch – und dies gleich auf zweifache Weise – zum Werk des alexandrinischen Dichters Kallimachos heraus, einem einflussreichen Vorbild für die Mythiamben.18 Der Sohn des Königs Alexander lässt sich keinem historischen Herrscher zuverlässig zuordnen; anstelle einer historischen Deutung wurde hinter diesem Namen in der neueren Forschung immer wieder eine programmatische Aussage vermutet:19 Es könnte sich dabei um eine Anspielung auf Alexander den Großen handeln, der als Paradefigur eines alexandrinischen Herrschers und angesichts von Kallimachos’ Wirkstätte Alexandria ein angemessener Adressat für ein Werk kallimacheischer Prägung wäre.20 Diese am Beginn der beiden Prologe eingeführten Adressaten werden im weiteren Verlauf der Gedichte immer wieder angesprochen. Greifbar werden sie etwa durch einzelne Anreden an ein unbestimmtes Du bzw. man, wie an der folgenden Passage des ersten Prologs ersichtlich wird: μαθὼν δ’ ἄρ’ οὕτω ταῦτ’ ἔχοντα καὶ γνοίης 15 ἐκ τοῦ σοφοῦ γέροντος ἧμιν Αἰσώπου μύθους φράσαντος τῆς ἐλευθέρης μούσης ὧν νῦν ἕκαστον ἀνθίσας ἐμῇ μνήμῃ μελισταγές σοι νοῦ τὸ κηρίον θήσω21

Der Erzähler spricht sein Gegenüber mit γνοίης (v.15) direkt an; ferner tritt dieses im kollektiven ἧμιν (v.15) sowie in der zweiten Person σοι (v.19) in Erscheinung. Alle drei Nennungen erfolgen im Kontext programmatischer Aussagen: Der Erzähler fordert den Leser dazu auf, die bekannte äsopische Fabeltradition als stoffliche Vorlage für

16 17 18 19 20 21

Vgl. dazu Kap. 2.1, Kap. 6.2, Kap. 6.3 sowie Spielhofer 2021. Branchos war der Name eines mythischen Apollonpriesters von Didyma; vgl. dazu Kap. 6.2. So findet sich der Name Branchos einerseits in einem von Kallimachos’ Iamboi, andererseits ist er als Titel für eines seiner nicht erhaltenen Gedichte belegt. Vgl. Van Dijk 2000, 209; Pertsinidis 2010, 38–39; Hawkins 2014, 101; Spielhofer 2021. Zur Bedeutung dieser beiden Namen vgl. Kap. 2.1, Kap. 6.2 und Kap. 6.3 sowie Spielhofer 2021. Babr. 1 prol.,15–19; für die Übersetzung siehe Kap. 6.2.

Dichter und Publikum

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die Sammlung zu erkennen, und bietet ihm schließlich das Produkt seines poetischen Schaffens dar. Im zweiten Prolog wird ein Gegenüber – abgesehen von der Nennung des Adressaten – lediglich in der folgenden Passage sichtbar: ἐκ δευτέρου σοι τήνδε βίβλον ἀείδω.22

Das Pronomen σοι findet sich im letzten Vers des Prologs, in dem der Erzähler das Programm, das er in den vorangehenden Versen ausgebreitet hat, zusammenfasst und die poetische Qualität seiner Arbeit mit ἀείδω unterstreicht. Auch hier erfährt man also nichts über das Gegenüber, es bleibt genauso unbestimmt wie der Adressat des ersten Prologs und das Dichter-Ich selbst und tritt nur dann in Erscheinung, wenn Aussagen über die literarische Qualität der Sammlung getätigt werden. Abgesehen von diesen Beispielen wird die Analyse des Gegenübers in den Fabeln selbst dadurch erschwert, dass viele der vorhandenen Anreden parallel zu den Selbstaussagen des Erzählers ebenfalls aus den Epimythien und damit aus jenen Teilen der Fabeln stammen, deren Status und Authentizität nicht gesichert sind. In den analysierten Gedichten betrifft dies etwa Anreden in den Epimythien von Babr. 4, 5, 9 und 13: σπανίως ἴδοις ἂν ἐκφυγόντα κινδύνου.23 ἄνθρωπε, καὶ σὺ μη ποτ’ ἴσθι καυχήμων ἄλλου σε πλεῖον τῆς τύχης ἐπαιρούσης24 ὅταν καμὼν δὲ τοῦθ’ ἕλῃς ὅπερ βούλει τοῦ κερτομεῖν σοι καιρός ἐστι καὶ παίζειν.25 κακοῖς ὁμιλῶν ὡς κακὸς μισηθήσῃ κἂν μηδὲν αὐτὸς τοὺς πέλας καταβλάψῃς.26

Ähnlich wie bei den Beobachtungen zum Erzähler unterscheiden sich die Anreden an ein Gegenüber in den Epimythien in ihrer Funktion grundlegend von jenen in den Prologen; während Letztere meist einen programmatischen Zweck erfüllen, dienen Erstere dazu, einen Appell an ein Du auszudrücken, was insbesondere am Optativ ἴδοις sowie dem Imperativ ἴσθι in den ersten beiden Beispielen zu erkennen ist. Dieses Gegenüber dürfte nicht auf die diegetischen Adressaten der Prologe beschränkt sein, sondern ein weiter gefasstes, abstraktes Leserkonzept voraussetzen, etwa wenn

22 23 24 25 26

Babr. 2 prol.,16; für die Übersetzung siehe Kap. 6.3. Babr. 4,8; für die Übersetzung siehe Kap. 6.7. Babr. 5,10–11; für die Übersetzung siehe Kap. 6.8. Babr. 9,12–13; für die Übersetzung siehe Kap. 6.12. Babr. 13,13–14; für die Übersetzung siehe Kap. 6.16.

56

Das poetische Programm

der Mensch (ἄνθρωπε) in Babr. 5,10 paradigmatisch für die Menschheit als Ganzes angesprochen wird. Abseits direkter Anreden in der konkreten Erzählsituation werden in den einzelnen Fabeln auch implizite Erwartungen an eine potenzielle Leserschaft gestellt: So erfordern die einzelnen Erzählungen zu ihrem Verständnis ein gemeinsames kulturelles Wissen, etwa was den Götter- und Heroenkult (Babr. 2; 3; 10; 11; 15), Mythologie und Volksaitien (Babr. 11; 12), das antike Alltagsleben (Babr. 10), die symbolische Bedeutung von Tieren (Babr. 12; 13), ländliche Arbeitsweisen (Babr. 11; 13) oder volkstümliche Erzählungen zu bestimmten Tieren (Babr. 5; 14) oder Menschen (Babr. 15) betrifft. Man kann also davon ausgehen, dass ein unterstellter Adressat über diese kulturellen Hintergrundinformationen verfügt, da bestimmte Inhalte ansonsten nicht erschließbar wären. Darüber hinaus sprechen die vermuteten poetologischen Anspielungen, die sich in den Prologen und in einigen Fabeln finden lassen, dafür, dass ein idealer antiker Leser diese verstanden haben muss. Dies widerlegt die lange vertretene These, wonach Fabeln stets Literatur der Unterschicht gewesen seien,27 insofern für das Verständnis bestimmter Inhalte der Mythiamboi ein gewisses Maß an kulturell-sprachlicher Bildung Voraussetzung war. Das belegen auch die Einzelanalysen in Kap. 6. 4.2 Vorbilder und Nachfolger In den beiden Prologen thematisiert das Dichter-Ich seine Loyalität gegenüber der antiken Fabeldichtung, indem es sich auf Aesop beruft und behauptet, dessen Fabelstoffe neu ausgestaltet zu haben: μαθὼν δ’ ἄρ’ οὕτω ταῦτ’ ἔχοντα καὶ γνοίης ἐκ τοῦ σοφοῦ γέροντος ἧμιν Αἰσώπου μύθους φράσαντος τῆς ἐλευθέρης μούσης ὧν νῦν ἕκαστον ἀνθίσας ἐμῇ μνήμῃ28

15

Auf die Tatsache, dass diese angebliche Orientierung an der äsopischen Fabeltradition jedoch nicht immer eingehalten wird, wurde bereits hingewiesen.29 Daneben wird der Rekurs auf die Tradition vor allem im zweiten Prolog deutlich, den eine kurze Geschichte der antiken Fabel eröffnet:

27 28 29

So sieht Spoerri (1942–1943; vgl. Crusius 1920; La Penna 1961; Guaglianone 2000, 7–8) die Fabel als Ausdrucksmittel niedriger sozialer Schichten; vgl. dagegen Perry 1959, 23–25; Holzberg 2012, 18–19. Babr. 1 prol.,15–18; für die Übersetzung siehe Kap. 6.2. Vgl. Kap. 2.3.

Vorbilder und Nachfolger

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Μῦθος μέν, ὦ παῖ βασιλέως Ἀλεξάνδρου, Σῦρων παλαιῶν ἐστιν εὕρεμ’ ἀνθρώπων, οἳ πρίν ποτ’ ἦσαν ἐπὶ Νίνου τε καὶ Βήλου. πρῶτος δέ, φασίν, εἶπε παισὶν Ἑλλήνων Αἴσωπος ὁ σοφός, εἶπε καὶ Λιβυστίνοις 5 λόγους Κυβίσσης.30

Auffällig ist hier, dass Aesop als Erzähler griechischer Fabeln in eine weitere, überregio­ nale Tradition eingereiht31 und mit Kybisses auch ein Vertreter der nichtgriechischen Fabel genannt wird. Diese Figuren verkörpern die Einflüsse jener Fabeltraditionen, die die Mythiamboi bestimmen: die äsopische Fabel einerseits und die orientalische Fabel andererseits. Im Gegensatz dazu finden sich gerade keine Äußerungen, mit denen das Ich seine Zugehörigkeit zur iambischen Tradition bekennt – im Gegenteil: Die Erklärung, man habe die scharfen oder bitteren Iamben ‚geglättet‘, findet sich in beiden Prologen und bezieht sich primär auf die Inhalte traditioneller Spottdichtung, die dadurch gezielt abgelehnt werden.32 Deutlich wird dagegen die Anlehnung an die hellenistische iambische Dichtung, die ebenfalls den Topos bedient, dass Iamben gerade nicht für Spottdichtung verwendet werden.33 Diese Anlehnung wird durch inhaltliche Parallelen bereits im ersten Prolog markiert; durch Anspielungen werden dort etwa die Iamboi 2 und 4 des Kallimachos, des aus heutiger Sicht wichtigsten Vertreters dieser Strömung, aufgerufen.34 Während das Ich den inhaltlichen Bezug zur iambischen Tradition also dezidiert ablehnt, reiht es sich in formaler Hinsicht sehr wohl in die Reihe der Iambographen ein. Allein der Titel Mythiamboi stellt die Bedeutung der Iambendichtung für das Werk zur Schau – während die μῦθοι vordergründig den Inhalt der Fabeln repräsentieren, bestimmen die ἴαμβοι deren Form. Hinzu kommt, dass die physische Beschaffenheit des Iambos in beiden Prologen thematisiert wird. Im ersten Prolog erzählt das Ich, es habe ‚die Spitzen der bitteren Iamben weich gemacht‘ (πικρῶν ἰάμβων σκληρὰ κῶλα θηλύνας, v.20). Der durch die Handwerksmetapher betonte Charakter des Versmaßes 30 31 32 33

34

Babr. 2 prol.,1–6a; für die Übersetzung siehe Kap. 6.3. Vgl. Nøjgaard 1967, 191. Vgl. Holzberg 2012, 58. Wie Hawkins (2014, 87–136) argumentiert, zeigt sich diese Ablehnung jedoch keineswegs in den Inhalten der Fabeln. So etwa in Kall. fr. 191,1–4 Pf.: Ἀκούσαθ’ Ἱππώνακτος· οὐ γὰρ ἀλλ’ ἥκω | ἐκ τῶν ὅκου βοῦν κολλύβου πιπρήσκουσιν, | φέρων ἴαμβον οὐ μάχην ἀείδοντα | τὴν Βουπάλειον. [Hört Hipponax: Denn tatsächlich komme ich von dort, wo sie ein Rind um einen Spottpreis verkaufen, und bringe einen Iambos, der nicht vom Kampf mit Bupalos singt.] Das Ich präsentiert sich hier als vom Hades zurückgekehrter Hipponax, der nicht seine übliche Spottdichtung zum Besten gibt – Bupalos war ein häufiges Opfer des hipponakteischen Spotts; vgl. Anth.Gr. 7,405,2–3 (Philipp von Thessalonike); Clayman 1980, 11; Hunter 2014, 229. Hawkins 2014, 101–105; Hunter 2014, 229; vgl. Kap. 6.2.

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Das poetische Programm

als schleif- und bearbeitbarer Gegenstand wird im zweiten Prolog aufgegriffen: Hier besitzt der Iambos Zähne, die sich schleifen und einschmelzen lassen: καὶ τῶν ἰάμβων τοὺς ὀδόντας οὐ θήγω, | ἀλλ’ εὖ πυρώσας, εὖ δὲ κέντρα πρηύνας (vv.14–15). Das bildhafte Schleifen des iambischen Verses findet seine Vorlage im ersten Iambos des Kallimachos, wo die Ablehnung von Inhalten der klassisch hipponakteischen Spottdichtung auf ähnliche Weise ausgedrückt wird.35 Obwohl sich das Dichter-Ich der beiden Prologe also in eine bestehende Tradition einreiht, legt es großen Wert darauf, die Neuartigkeit seines Unterfangens zu betonen. Dies zeigt sich bereits an der Bezeichnung für die Gedichte – der im zweiten Prolog programmatisch präsentierte Mythiambos,36 respektive die Mythiamboi als Titel der Sammlung37 seien so neu, dass herkömmliche Bezeichnungen für diese Art von Dichtung nicht mehr ausreichen: Die Mythiamben stellen einen neuen Fabeltypus dar. Der dadurch begründete Originalitätsanspruch stützt sich auf die Verbindung der beiden Gattungen Fabel (μῦθος) und Iambos (ἴαμβος).38 Unterstrichen wird dieser Anspruch durch das Motiv des Protos Heuretes: Anschließend an die Geschichte der antiken Fabel, die den zweiten Prolog einleitet, positioniert sich das Ich selbstbewusst als (Neu-)Erfinder der Fabeldichtung, indem es formuliert, es biete seine Dichtung ‚in neuer Muse‘ dar (ἀλλ’ ἐγὼ νέῃ μούσῃ | δίδωμι, vv.6–7) und habe als Erster diese ‚poetische Türe‘ geöffnet (ὑπ’ ἐμοῦ δὲ πρώτου τῆς θύρης ἀνοιχθείσης, v.9). Darin zeigt sich ein in der antiken Dichtung verbreiteter Neuerungs- und Innovationstopos, der sich seit der griechischen Klassik und vor allem ab der hellenistischen Zeit großer Beliebtheit erfreute.39 Die verwendete Türmetapher, die als poetisches Motiv unter anderem in Platons Phaidros belegt ist,40 dürfte als Parallele zur Wegmetapher zu deuten sein, die etwa in den Prologen von Babrios’ Vorbild Kallimachos41 oder der Fabelsammlung des Phaedrus42 als Ausdruck ebendieser Innovationsrhetorik auftritt.43 In diesem Zusammenhang scheint vor allem die Aussage bemerkenswert, durch die Tür, die das Ich geöffnet habe, seien andere eingetreten, die versucht hätten, seine Dichtung zu imitieren, an seine Originalität jedoch nicht heranreichen könnten: εἰσῆλθον ἄλλοι, καὶ σοφωτέρης μούσης | γρίφοις ὁμοίας ἐκφέρουσι ποιήσεις, | μαθόντες

35 Für den Wortlaut bei Kallimachos vgl. Anm. 33. 36 Babr. 2 prol.,8. 37 Vgl. Kap. 2.2. 38 Vgl. dazu Hose 2000, 16–17. 39 Für Beispiele aus diesen Epochen vgl. etwa Hose 2000. 40 Plat. Phaidr. 245A. Für den Wortlaut vgl. Kap. 6.3, Anm. 166. 41 Kall. fr. 1,25–28 Pf. 42 Phaedr. 3 prol.,38–39. 43 Zur Rezeption der Wegmetapher in der augusteischen Dichtung, etwa bei Vergil (georg. 3,8; 3,40– 41; 3,291), Ovid (am. 3,15,18), Horaz (epist. 1,19,21) oder Properz (3,1,14; 3,1,18; 3,3,26) vgl. Wimmel 1960, 103–111.

Vorbilder und Nachfolger

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οὐδὲν πλεῖον ἤ με γινώσκειν (vv.10–12). In der Vergangenheit wurde die Existenz von Nachahmern, die mit Babrios am Herrscherhof konkurriert hätten, häufig als Teil der Biographie des historischen Autors akzeptiert.44 Während sich durchaus fragmentarisch erhaltene antike Nachdichtungen der Fabeln finden lassen,45 spricht vieles dafür, die Erwähnung von Nachahmern als literarischen Gestus zu verstehen: Speziell in der lateinischen Literatur der augusteischen Zeit wird der ursprünglich kallimacheische Topos46 des Neids anderer auf das eigene dichterische Talent häufig als programmatisches Statement eingesetzt;47 auch in den Pro- und Epilogen des Phaedrus ist Neid stets präsent.48 In der Nachfolge dieser Tradition lässt das Ich in den Mythiamboi das Bild des Neiders mit jenem des poetischen Nachahmers zusammenfallen und streicht so sein eigenes Talent als nachahmens- und beneidenswerter Dichter hervor. Angesichts dieses expliziten Originalitätsanspruchs in den Prologen stellt sich die Frage, ob die proklamierte Rolle als Protos Heuretes tatsächlich ernst zu nehmen ist oder ob es sich dabei nicht vielmehr um einen literarischen Kniff handelt, den das Ich anwendet, um sich in eine Tradition zu stellen und zugleich von derselben abzuheben. Auf die Gattungstradition mit der Verbindung von Fabel und Iambendichtung wurde bereits in Kap. 2.3 hingewiesen.49 Wie dort dargelegt, bildet das äsopische Fabelrepertoire – mit Einflüssen der orientalischen Fabeldichtung – die inhaltliche Grundlage der Mythiamboi. Ein Großteil der babrianischen Fabeln kann auf Stoffe aus diesen Traditionen zurückgeführt werden, Neuschöpfungen liegen, obwohl durchaus vorhanden, verglichen mit anderen Fabeldichtern wie Phaedrus in relativ geringer Zahl vor. Ferner orientieren sich die Mythiamboi auf formaler Ebene an der iambischen Dichtung. Besonders angesichts des Vorgängers Kallimachos dürfte die Behauptung des babrianischen Ichs, der Protos Heuretes der iambischen Fabel zu sein, eher als Ausdruck der kaiserzeitlichen Auseinandersetzung mit diesem literarischen Diskurs denn als ernstgemeinter Anspruch verstanden werden. Auch weitere Äußerungen des Ichs in den Prologen, die sich auf die Neuartigkeit seiner Dichtung beziehen – etwa die Ablehnung spöttischer Inhalte zugunsten angenehmerer Themen oder die Formulierung in klarer und verständlicher Sprache, durch die es sich von anderen abheben will –,

44 45 46

Vgl. Nøjgaard 1967, 191–194; Luzzatto/La Penna 1986, XVIII. Diese werden in Rutherford 1883, xx–xxii, diskutiert; vgl. Wagner 1977, 1125–1126. So in den Aitia (Kall. fr. 1,17 Pf.), in den Iambi (Kall. fr. 194 Pf.), im Apollonhymnos (Kall. h. 2,105– 112) sowie in den Epigrammen (Kall. epigr. 21 Pf.). 47 So bei Vergil (georg. 3,37–39), Properz (3,1,21–24), Horaz (sat. 2,1,74–79; carm. 2,20,4–5; 4,3,16) oder Ovid (am. 1,15,1–6; 39–42; rem. 389; trist. 2,531–532); vgl. Wimmel 1960, 61–123; Holzberg 2006; Gärtner 2007, 437; 447. 48 Phaedr. 1 prol.,5; 2 epil.,10–11; 3 epil.,26–35; 4 prol.,15–16; 4 epil.,3–4; 5 prol.,9; Nachahmer werden insbesondere in 4 prol. thematisiert; vgl. Gärtner 2015, 44–45. 49 In diese Gattungstradition schreibt sich das Ich bereits im ersten Prolog durch die Erwähnung Aesops sowie die Thematisierung des Versmaßes unmissverständlich ein; vgl. Kap. 6.2.

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Das poetische Programm

stellen sich bei näherer Betrachtung als Trug heraus: Letztendlich sind die Themen der Mythiamboi genauso spöttisch und ihre Sprache ist stellenweise alles andere als klar. Somit zeigt sich, dass die Sammlung dem Leser zwar als originelles Werk angepriesen wird, dass sich jedoch die dazu verwendeten Argumente sowohl durch inner- als auch außertextliche Hinweise widerlegen lassen, was den Innovationscharakter augenblicklich konterkariert. Im Gegensatz dazu finden jene Eigenschaften, die die Mythiam­ boi vor dem Hintergrund der vorangegangenen literarischen Tradition  – zumindest aus heutiger Sicht  – tatsächlich innovativ wirken lassen, keine direkte Erwähnung. Der erhobene Anspruch auf Neuheit, der das poetische Programm der Sammlung bestimmt, und die damit verbundene Lesererwartung bleiben letzten Endes also genau das: eine Erwartung bzw. ein Anspruch, die sich aber nicht erfüllen. In diesem Sinne fordern die Mythiamboi den Leser also dazu auf, ein gewisses Bild vom Ich der Prologe zu konstruieren, das das Werk, mit dem es assoziiert wird, jedoch zugleich dekonstruiert. Diese Aufforderung, alles Gesagte kontinuierlich zu evaluieren und Behauptungen über Intention oder Eigenschaften des Werkes auf ihre Gültigkeit zu überprüfen, stellt ein wiederkehrendes Spezifikum der Mythiamboi dar.50 4.3 Poetologische Bildsprache Um sein poetisches Programm und seinen Zugang zur Dichtung darzulegen, bedient sich der Autor der Mythiamboi einer Reihe sprachlicher Bilder, die seine Bemühungen und die Charakteristika seiner Dichtung beschreiben. Dabei schöpft er aus einem reichhaltigen Fundus poetologischer Ausdrücke und Metaphern. Im Folgenden werden die häufigsten und prägnantesten Bilder in den Mythiamboi präsentiert und in der literarischen Tradition verortet; der Fokus liegt dabei auf jenen Bildern, die sich sowohl in den Prologen der Sammlung als auch in den analysierten Gedichten wiederfinden.51 Die vergleichende Darstellung besitzt exemplarischen Charakter; sie dient dazu, Babrios’ poetische Bestrebungen vor dem Hintergrund der antiken Dichtung zu betrachten.52 Zunächst fällt in den Gedichten eine Reihe von Bildern auf, die der Sphäre der Natur, genauer der Flora und Fauna, entnommen sind und die im Allgemeinen der Charakterisierung des Dichters, des Dichtungsprozesses und des dichterischen Produkts dienen. Drei eng verwandte Vorstellungen aus diesem Feld inszenieren den Dichter als Biene, seinen Stoff und seine Quellen als Blüten und seine Arbeitsweise als Honig50 51 52

Vgl. dazu auch Mann 2018 sowie Kap. 5.4. Zu poetologischen Bildern in den Prologen vgl. die Einzelinterpretationen in Kap. 6.2 und Kap. 6.3. Für umfassende Untersuchungen zur poetologischen Bildsprache vgl. Nünlist 1998 für die frühgriechische sowie Gundlach 2019 für die augusteische Dichtung.

Poetologische Bildsprache

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produktion. Die Blüte als poetische Krönung ist in der antiken Literatur bereits seit der Dichtung der Chorlyriker regelmäßig zu finden.53 Die Tendenz, den poetischen Schreibprozess mit der Tätigkeit der Biene zu illustrieren, ist bereits in der frühgriechischen Dichtung54 oder bei Platon55 belegt, vor allem jedoch findet sie in Gedichten ab der hellenistischen Zeit Verbreitung, wie zwei Epigramme aus der Anthologia Graeca verdeutlichen: So findet sich das Bild der Bienen, die den Dichter ‚weihen‘, in einem Epigramm auf Menander;56 und die hellenistische Dichterin Erinna wird gar selbst als Biene, die die Blüten der Musen pflückt, beschrieben.57 In der kaiserzeitlichen Literatur wird die Metapher schließlich besonders eindrücklich von Seneca dem Jüngeren verwendet, wenn er in seinen Epistulae morales auf den Schreibprozess zu sprechen kommt; dabei verbindet er sie mit dem stoischen Prinzip des secundum naturam vivere.58 Diese Tradition evoziert das Ich im ersten Prolog, wenn es erwähnt, es habe die Stoffe Aesops ‚blumig verziert‘ (ἀνθίσας, v.18) und biete diese als ‚honigtriefende Wabe‘ (μελισταγές […] κηρίον, v.19) dar.59 Seine Aussagen bedienen sich einer Bildsprache, die auch in der neuzeitlichen Rezeption untrennbar mit dem poetischen Prozess verbunden bleibt.60

So vor allem bei Pindar (O. 6,105; 7,11–12; 9,48–49; 11,10; 13,22–23; P. 2,62–63) und Bakchylides (13,228–229; 16,8–12; fr. 4,61–63 SM; fr. 20C,2–6 suppl. Snell); vgl. Nünlist 1998, 209–212; zur Geschichte der drei genannten Bilder vgl. Waszink 1974. 54 Hier etwa bei Simonides (593), Pindar (P. 6,52–54; 10,53–54; fr. 97) und Bakchylides (10,9–10); vgl. Nünlist 1998, 60–63. 55 So etwa in Plat. Ion 534B. 56 Anth.Gr. 9,187,1–2 (anonym): Αὐταί σοι στομάτεσσιν ἀνηρείψαντο μέλισσαι | ποικίλα Μουσάων ἄνθεα δρεψάμεναι. [Bienen selbst haben dir auf den Mund die bunten Blüten der Musen gelegt, die sie gepflückt hatten]. 57 Anth.Gr. 7,13 (Leonidas oder Meleagros): Παρθενικὰν νεαοιδὸν ἐν ὑμνοπόλοισι μέλισσαν | Ἤρινναν Μουσῶν ἄνθεα δρεπτομέναν | Ἅιδας εἰς ὑμέναιον ἀνάρπασεν. Ἦ ῥα τόδ’ ἔμφρων | εἶπ’ ἐτύμως ἁ παῖς· „Βάσκανός ἐσσ’, Ἀίδα.“ [Das jugendlich singende Mädchen unter den Dichtern, die Biene Erinna, die sich die Blüten der Musen pflückte, raubte sich Hades zur Heirat. Im Wissen um diese Sache sagte das Mädchen zu Recht: „Hades, du bist boshaft!“] Vgl. dazu auch ein vermutlich hellenistisches Fragment, in dem das Ich bekennt, seine Dichtung als Sappho-Rezeption geschaffen zu haben (SH fr. 1001 Lloyd-Jones/Parsons): ἐκ Σάπφως τόδ’ ἀμελγόμενος μέλι τοι φέρω [Aus Sappho saugend bringe ich dir diesen Honig]. 58 Sen. epist. 84,2–3: Invicem hoc et illo commeandum est et alterum altero temperandum, ut quidquid lectione collectum est stilus redigat in corpus. [3] Apes, ut aiunt, debemus imitari, quae vagantur et flores ad mel faciendum idoneos carpunt, deinde quidquid attulere disponunt ac per favos digerunt [Hingegen muss man hierhin und dorthin gehen und das eine mit dem anderen im richtigen Verhältnis mischen, damit das Schreiben in ein Ganzes einbezieht, was auch immer bei der Lektüre zusammengesammelt wurde. [3] Die Bienen, wie sie sagen, müssen wir nachahmen, die umherschwirren und Blumen, die zur Honigherstellung passend sind, aussaugen, dann ordnen, was auch immer sie zusammengetragen haben, auf die Waben verteilen]. 59 Vgl. Kap. 6.2. 60 Vgl. hier als Beispiel für eine neuzeitliche Verwendung Amadis Jamins Vorwort zu Pierre de Ronsards Franciade aus dem Jahr 1573, in dem dieser die poetische Arbeit des Autors in Anlehnung an antike Autoren ebenfalls mit einer Biene vergleicht ( Jamin 1573): „Il ressemble à l’abeille, laquelle tire son proffit de toutes fleurs pour en faire son miel.“ 53

62

Das poetische Programm

Neben dem geläufigen poetischen Topos der Biene als Beispiel oder Vorbild für den Dichter ist diese Metapher insbesondere im Kontext der Iambendichtung relevant: Ein für diese Gattung traditionell verwendetes Bild setzt den Dichter bzw. seine Dichtung mit der stechenden Wespe gleich.61 Indem diese sich in den Mythiamboi in eine honigproduzierende Biene verwandelt, symbolisiert sie in der veränderten bzw. abgeschwächten Metaphorik die in den Prologen proklamierte Transformation des Iambos hin zur angenehmen Dichtung.62 Schließlich steht auch die poetologische Bedeutung der Bienenwabe in einer längeren Tradition, wie etwa im Prolog zum Stephanos des Meleagros belegt ist: Dort wird beschrieben, wie Eros geschmolzenes Wachs auf die Tafeln der Dichterin Nossis fließen lässt, damit diese schreiben kann.63 Das Bienenwachs wird also, ähnlich wie im obengenannten Epigramm auf Menander, dazu verwendet, die Dichterin zu weihen und ihr so das poetische Schaffen zu ermöglichen. Von der Verwendung des Wachses als Beschreibstoff leitet sich zudem eine weitere Bedeutung ab: In der antiken Literatur wird der Begriff ‚Bienenwabe‘ (κηρίον bzw. favus) als Titel oder Bezeichnung für literarische Werke verwendet, etwa in einem Epigramm auf Erinna aus der Anthologia Graeca,64 in den Noctes Atticae des Aulus Gellius65 oder in der Naturalis historia Plinius’ des Älteren.66 In diesem Sinne deckt die Wabe bei Babrios mehrere Aspekte ab – einerseits steht sie für den Werktitel und das Produkt des Dichters,67 andererseits beschreibt sie dieses noch genauer: Die Wabe ist gefüllt mit Honig. Die Beschreibung von Dichtung als (honig-)süß stellt einen weitverbreiteten Topos dar. Bereits in der frühgriechischen Literatur wird die Darbietung eines inspirierten

Für Beispiele für die Verwendung dieses Bildes vgl. Anth.Gr. 7,71 (Gaetulicus) und Anth.Gr. 7,405 (Philipp von Thessalonike), Epigramme auf Archilochos bzw. Hipponax, die Hauptvertreter der iambischen Dichtung. 62 Vgl. Hawkins 2014, 98; vgl. ferner den Frauen-Iambos des Semonides (fr. 7 West), in dem die Biene das einzige positiv konnotierte Tier darstellt. 63 Anth.Gr. 4,1,9–10: σὺν δ’ ἀναμὶξ πλέξας μυρόπνουν εὐάνθεμον ἶριν | [10] Νοσσίδος, ἧς δέλτοις κηρὸν ἔτηξεν Ἔρως [Damit vermischt flocht er die süßduftende, blühende Iris der Nossis ein, für deren Schreibtafeln Eros das Wachs schmolz]. 64 Anth.Gr. 9,190,1–2 (anonym): Λέσβιον Ἠρίννης τόδε κηρίον· ἁδύ τι μικρόν, | ἀλλ’ ὅλον ἐκ Μουσέων κιρνάμενον μέλιτι. [Dies ist die lesbische Wabe Erinnas: Sie ist etwas kleines Süßes, doch ganz gefüllt mit dem Honig der Musen.] Vgl. Hunter 2014, 233. 65 Gell. praef.,6: Namque alii Musarum inscripserunt, alii siluarum, ille πέπλον, hic Ἀμαλθείας κέρας, alius κηρία, partim λειμῶνας, quidam lectionis suae, alius antiquarum lectionum atque alius ἀνθηρῶν et item alius εὑρημάτων [Denn die einen betitelten sie ‚der Musen‘, die anderen ‚der Wälder‘, jener ‚Peplos‘, dieser ‚Horn der Amaltheia‘, ein anderer ‚Waben‘, teils ‚Wiesen‘, ein gewisser ‚seiner Auswahl‘, ein anderer ‚alter Auswahl‘, ein anderer ‚der Blüten‘ und wieder ein anderer ‚der Fundstücke‘]. 66 Plin. nat. praef.,24: Inscriptionis apud Graecos mira felicitas: κηρίον inscripsere, quod volebant intellegi favum, alii κέρας Ἀμαλθείας, quod copiae cornu, ut vel lactis gallinacei sperare possis in volumine haustum [Eine wundersame Fruchtbarkeit an Werktiteln findet sich bei den Griechen: Sie betitelten ‚κηρίον‘, was als Wabe verstanden werden will, ein anderes ‚κέρας Ἀμαλθείας‘, was Füllhorn bedeutet, sodass du hoffen könntest, im Buch einen Schluck Hahnenmilch zu trinken]. 67 Vgl. Vaio 1987, 869. 61

Poetologische Bildsprache

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Sängers als süß bezeichnet, so schon bei Homer68 oder in Hesiods Theogonie,69 sowie in der chorlyrischen Dichtung, etwa bei Pindar.70 Insgesamt finden sich in Texten dieser Zeit bemerkenswert viele Adjektive, die der Dichtung Süße oder andere Qualitäten von Honig zuschreiben.71 Besonders häufig taucht das Bild zudem in der hellenistischen Dichtung auf, etwa im Prolog der Aitia des Kallimachos,72 in den Eidyllia Theokrits,73 im oben erwähnten Kranzgedicht des Meleagros,74 sowie in einem Epigramm auf Arat in der Anthologia Graeca.75 Diese poetologische Tradition wird durch das Bild

68 Hom. Il. 1,249: τοῦ καὶ ἀπὸ γλώσσης μέλιτος γλυκίων ῥέεν αὐδή [Dem floss von der Zunge die Stimme süßer als Honig]. 69 Hes. theog. 94–97: Ἐκ γάρ τοι Μουσέων καὶ ἑκηβόλου Ἀπόλλωνος  | [95] ἄνδρες ἀοιδοὶ ἔασιν ἐπὶ χθόνα καὶ κιθαρισταί, | ἐκ δὲ Διὸς βασιλῆες· ὃ δ’ ὄλβιος, ὅντινα Μοῦσαι | φίλωνται· γλυκερή οἱ ἀπὸ στόματος ῥέει αὐδή. [Denn von den Musen und vom Ferntreffer Apoll her [95] gibt es Sänger und Kitharaspieler auf der Erde, von Zeus her Könige. Derjenige ist glückselig, den die Musen lieben: Süß fließt ihm vom Mund die Rede.] Insbesondere Hesiods Werk wird explizit mit dem Prädikat ‚süß‘ beschrieben, worauf in der Dichtung des Hellenismus Bezug genommen wird; vgl. Hunter 2014, 234; 294. 70 Pind. O. 10,97–99: ἐγὼ δὲ συνεφαπτόμενος σπουδᾷ, κλυτὸν ἔθνος  | Λοκρῶν ἀμφέπεσον, μέλιτι  | εὐάνορα πόλιν καταβρέχων [Ich aber griff mit Eifer zu, gewann mir das berühmte Volk der Lokrer lieb, um mit Honig die glorreiche Stadt zu tränken]; I. 5,53b–54: ἐν δ’ ἐρατεινῷ | μέλιτι καὶ τοιαίδε τιμαὶ καλλίνικον | χάρμ’ ἀγαπάζοντι [Bei lieblichem Honig heißen auch solche Ehren die Freude eines glorreichen Sieges willkommen]; fr. 40 (= 52f Snell),58b–59: ἔρα[ται] δέ μο[ι] | γλῶσσα μέλιτος ἄωτον γλυκὺν [Es liebt mir die Zunge den besten süßen Honig]. 71 Eine Darstellung findet sich in Nünlist 1998, 303–306. 72 Kall. fr. 1,11–16 Pf.: τοῖν δὲ] δυοῖν Μίμνερμος ὅτι γλυκύς, αἱ κατὰ λεπτόν | […] ἡ μεγάλη δ’ οὐκ ἐδίδαξε γυνή. | […] ἐπὶ Θρήϊκας ἀπ’ Αἰγύπτοιο [πέτοιτο | αἵματ]ι Πυγμαίων ἡδομένη [γ]έρα[νος, | [15] Μασσαγέται καὶ μακρὸν ὀϊστεύοιεν ἐπ’ ἄνδρα | Μῆδον]· ἀ[ηδονίδες] δ’ ὧδε μελιχρ[ό]τεραι. [Dass Mimnermos süß ist, haben von den beiden die feinen […], nicht die große Frau gelehrt. […] Zu den Thrakern von Ägypten aus möge der Kranich fliegen, der sich am Blut der Pygmäen erfreut, [15] und die Massageten mögen von weitem auf den Mann, den Meder schießen: Um so viel honigsüßer sind die Nachtigallen]. 73 Theokr. eid. 7,80–85: ὥς τέ νιν αἱ σιμαὶ λειμωνόθε φέρβον ἰοῖσαι | κέδρον ἐς ἁδεῖαν μαλακοῖς ἄνθεσσι μέλισσαι, | οὕνεκά οἱ γλυκὺ Μοῖσα κατὰ στόματος χέε νέκταρ. | ὦ μακαριστὲ Κομᾶτα, τύ θην τάδε τερπνὰ πεπόνθεις· | καὶ τὺ κατεκλᾴσθης ἐς λάρνακα, καὶ τὺ μελισσᾶν | [85] κηρία φερβόμενος ἔτος ὥριον ἐξεπόνασας. [und wie ihn die plattnasigen Bienen, die von der Wiese her zur süßen Zeder kamen, mit frisch gepflückten Blüten fütterten, weil ihm die Muse süßen Nektar auf den Mund gegossen hatte. O glücklichster Komatas, wahrlich angenehme Dinge sind dir widerfahren: Du wurdest in die Kiste gesperrt und hast, dich erfreuend an den Honigwaben der Bienen, ein frühlingshaftes Jahr verbracht.]. 74 Hier einerseits über Kallimachos (Anth.Gr. 4,1,21–22): ἐν δ’ ἄρα Δαμάγητον, ἴον μέλαν, ἡδύ τε μύρτον  | Καλλιμάχου, στυφελοῦ μεστὸν ἀεὶ μέλιτος [darauf Damagetos, das schwarze Veilchen, und die süße Myrte des Kallimachos, stets voll von bitterem Honig] und andererseits über Parthenis (Anth.Gr. 4,1,31–34): ἐν δὲ καὶ ἐκ λειμῶνος ἀμωμήτοιο σέλινα,  | βαιὰ διακνίζων ἄνθεα, Παρθενίδος,  | λείψανά τ’ εὐκαρπεῦντα μελιστάκτων ἀπὸ Μουσέων,  | ξανθοὺς ἐκ καλάμης Βακχυλίδεω στάχυας [dazu auch von der makellosen Weide Eppich – er pflückte ein paar Blüten – der Parthenis, und fruchtreiche Überreste von den honigreichen Musen, die goldenen Ähren vom Stiel des Bakchylides]. 75 Anth.Gr. 9,507 (Kallimachos): Ἡσιόδου τό τ’ ἄεισμα καὶ ὁ τρόπος· οὐ τὸν ἀοιδῶν  | ἔσχατον, ἀλλ’ ὀκνέω μὴ τὸ μελιχρότατον  | τῶν ἐπέων ὁ Σολεὺς ἀπεμάξατο. χαίρετε, λεπταὶ  | ῥήσιες, Ἀρήτου σύμβολον ἀγρυπνίης [Das ist das Lied und die Art des Hesiod: Nicht den schlechtesten Sänger,

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Das poetische Programm

der süßen Honigwabe im ersten Prolog aufgerufen. Doch auch in den analysierten Fabeln hallt das Motiv nach, etwa in den poetologisch deutbaren Fischerfabeln Babr. 4, 6 und 9, wenn der Fischer in Babr. 6,2 mit seiner Angel ‚sein süßes Leben lebt‘ (τὸν γλυκὺν βίον ζώων) und der Fischer in Babr. 9,3 hofft, die Fische würden ‚zum süßen Klang seines Aulos‘ (πρὸς αὐλῶν ἡδυφωνίην) kommen. Daneben ist in der poetischen Tradition die antithetische Vorstellung verbreitet, dass Dichtung gleichzeitig süß und bitter sei. Dies ist insbesondere für die Gattung des Lehrgedichts belegt. Abgesehen von der ‚würzigen Süße‘ der Dichtung Hesiods, die bereits in der antiken Rezeption Erwähnung findet,76 ist hier vor allem die Lehrdichtung des Lukrez ein Bezugspunkt. In den Proömien zu De rerum natura wird die programmatische Vorstellung eines Miteinanders von Süße und Bitterkeit ausgedrückt, die primär im didaktischen Anspruch des Werks begründet liegt.77 Eine solche Antithese zeigt sich auch in den Mythiamboi, vor allem am Beginn der Sammlung. Im ersten Prolog wird zunächst das Bild der süßen Honigwabe (μελισταγές […] κηρίον, v.19) für die Dichtung aufgerufen; bereits im nächsten Vers tauchen jedoch die ‚harten Spitzen‘ der ‚bitteren Iamben‘ (πικρῶν ἰάμβων σκληρὰ κῶλα, v.20) auf, die das DichterIch zugunsten der süßen Dichtung glätten möchte. Eine ähnliche Antithese prägt die inhaltliche Ebene, insofern im ersten Prolog das friedliche und damit ‚süße‘ Zusammenleben von Menschen, Tieren und Göttern heraufbeschworen wird, eine Vorstellung, die in Babr. 1 jedoch dadurch zunichtegemacht wird, dass der Menschen einen Pfeil, seinen πικρὸν ἄγγελον (v.15), auf die Tiere abschießt. Dieser Kontrast illustriert einerseits die Abwendung vom Ideal des ‚bitteren Iambos‘, wie er vor allem durch Hipponax vertreten ist;78 andererseits nimmt er damit auf die literarische Mischung von Gattungen und Traditionen Bezug, die in den Fabeln

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sondern – ich zögere nicht – das süßeste epische Lied hat der Solier imitiert. Seid gegrüßt, ihr feinen Erzählungen, Zeichen von Arats schlaflosen Nächten]. So etwa bei Proklos (Schol.Hes. erg. prol. 3); vgl. Hunter 2014, 234. Etwa im Binnenproöm in Buch 1 (Lucr. 1,933–950) bzw. in einer geringfügig abgeänderten Version im Proöm zu Buch 4 (Lucr. 4,8–25), insbesondere 11–22: nam ueluti pueris apsinthia taetra medentes | cum dare conantur, prius oras pocula circum | contingunt mellis dulci flauoque liquore, | ut puerorum aetas inprouida ludificetur | [15] labrorum tenus, interea perpotet amarum | apsinthi laticem deceptaque non capiatur, | sed potius tali pacto recreata ualescat, | sic ego nunc, quoniam haec ratio plerumque uidetur | tristior esse quibus non est tractata, retroque | [20] uolgus abhorret ab hac, uolui tibi suauiloquenti | carmine Pierio rationem exponere nostram | et quasi musaeo dulci contingere melle. [denn so, wie die Ärzte, wenn sie den Knaben abscheulichen Wermut zu geben versuchen, zuerst die Becher an den Rändern rundum mit der süßen und goldgelben Flüssigkeit des Honigs bestreichen, damit sie das nichtsahnende Jugendalter der Knaben bis zu den Lippen täuschen, [15] dieses inzwischen die bittere Flüssigkeit des Wermuts austrinkt und, überlistet, nicht getäuscht wird, sondern, auf diese Art und Weise wieder gekräftigt, eher erstarkt; so wollte auch ich jetzt, da dieses Gebiet ja zumeist jenen zu bitter erscheint, von denen es nicht untersucht wurde, [20] und das Volk vor diesem zurückschreckt, dir in einem süß sprechenden pierischen Lied unseren Gegenstand darlegen und ihn quasi mit dem süßen Honig der Musen bestreichen.] Vgl. Pertsinidis 2010, 67. Vgl. dazu etwa auch Plin. nat. 36,12, wo von der amaritudo der Verse des Hipponax die Rede ist.

Poetologische Bildsprache

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fassbar wird.79 Im rhetorischen System des zweiten Jahrhunderts, wie es durch die Handbücher des Hermogenes von Tarsos belegt ist, wurde die Süße explizit mit der Fabel in Verbindung gebracht. Demnach seien Fabeln grundsätzlich vergnüglich, weshalb ihr sprachlicher Stil ebenfalls möglichst süß zu sein habe. Diese Süße soll dadurch entstehen, dass dem eigentlich Stimmlosen bzw. Irrationalen menschliche Eigenschaften zuerkannt werden – wie es bei den sprechenden Tieren dieser Textform der Fall ist.80 Somit symbolisiert die Süß-bitter-Antithese, die einen Kommentar sowohl zur Form als auch zum Inhalt der Fabeln darstellt, die Kombination der zwei Gattungen, die in den Mythiamboi zusammenfließen. So lässt sich schließlich zeigen, wie die Metaphern der Blüte, der Biene, der poetischen Süße und deren antithetisches Verhältnis mit der Bitterkeit auf zahlreiche Topoi antiker Bildsprache rekurrieren, diese kombinieren und so innovativ auf verschiedenen poetologischen Ebenen wirken können. Ein weiteres Motiv, das sich durch das Werk zieht, beruht auf der Vorstellung, die Dichtung, die Arbeit des Dichters oder dessen Werkzeug seien zart bzw. fein. Während die Fabeln selbst im zweiten Prolog als γρῖφοι (v.11), also als ‚rätselhafte Spielereien‘ in Analogie zu den neoterischen nugae bezeichnet werden – was im Sinne des poeta ludens-Ideals die spielerische Kleinheit der dichterischen Form impliziert –, finden sich unter den analysierten Fabeln auffallend viele poetologisch konnotierte Begriffe, die das Motiv der Zart- oder Feinheit aufgreifen. So angelt der Fischer in Babr. 6 mit einer ‚zarten Schilfrohrangel‘ (καλάμῳ […] λεπτῷ, v.2). λεπτός wird als poetologisch konnotiertes Adjektiv vor allem in der hellenistischen Programmatik intensiv verwendet – vgl. etwa die Μοῦσα λεπταλέη in Kallimachos’ Aitienprolog.81 Bei Babrios dient es zur Beschreibung der Angel des Fischers, wobei κάλαμος als Bezeichnung für die Schreibfeder seinerseits in einer poetologischen Tradition steht.82 Diese ist jedoch nicht einfach nur zart: Sie besteht nur aus einem einzigen Pferdehaar (ὁρμιῆς ἀφ’ ἱππείης, v.3) – das Motiv wird also noch gesteigert. Zart ist bei Babrios neben der Angel auch das goldverzierte Kleid einer Sklavin in Babr. 10,4 oder Fangnetze für Tiere wie die λεπταὶ παγίδες in Babr. 13,1. Der Erzähler verwendet das Motiv der Feinheit jedoch nicht nur für sich genommen, sondern auch im Kontext der Antithese klein/zart – groß/stark, 79 Vgl. Hunter 2014, 233–234. 80 Hermog. 318 Rabe: ἀπήλλακται μέντοι γε οὐδ’ οὕτω γλυκύτητος, ἀλλὰ ποιεῖ μὲν κἀνταῦθα οὐδὲν ἧττον τὴν ἡδονὴν τὰ τοιαῦτα νοήματα, μετριωτέραν δὲ ἢ ἐν τοῖς ἄλλοις. ταὐτὸν δὲ συμβαίνει καί, εἴ τις τοῖς ἀλόγοις ζῴοις τὰ ἀνθρώπου ἴδια περιθείη. [So ist aber auch nicht frei von Süße, im Gegenteil schaffen solche Gedanken hier sogar ein nicht schwächeres Vergnügen, wenn auch in geringerem Maße als bei den anderen . Dasselbe geschieht auch, wenn wohl jemand den sprachlosen Lebewesen die Eigenschaften eines Menschen verleiht.]; vgl. Hunter 2014, 233–234. 81 Kall. fr. 1,23–24 Pf.: ἀοιδέ, τὸ μὲν θύος ὅττι πάχιστον  | θρέψαι, τὴν Μοῦσαν δ’ ὠγαθὲ λεπταλέην [Sänger, das Opfer nähre möglichst fett, die Muse aber, mein Bester, zart]. 82 Vgl. etwa die programmatische Aussage bei Phaedrus (4,2,1–2): levi […] calamo ludimus [ich spiele mit zartem Rohr]; vgl. Gärtner 2007.

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Das poetische Programm

die im poetologischen Sinne vor allem im alexandrinischen Kontext den Gegensatz zwischen poetischer Klein- und Großform ausdrücken kann. So ist der kleine Fisch bei der Gegenüberstellung der zwei Fische in Babr. 4 ὁ λεπτὸς (v.3), der große ὁ μέγας (v.5). Ein ähnlicher Kontrast prägt Babr. 5, wo ὁ λειφθείς (v.3) den schwachen Hahn, ὁ δ’ ἄλλος (v.5) sein überlegenes Pendant beschreibt. Daneben wird in den programmatischen Aussagen der beiden Prologe unter anderem auf Bilder zurückgegriffen, die die Arbeit des Dichters mit einem Handwerker gleichsetzen. Diese stammen hauptsächlich aus dem Bereich der Metallverarbeitung. Metaphern, die Dichtung mit einem Kunstwerk aus zu bearbeitendem Metall vergleichen, gehen bereits auf die frühgriechische Tradition zurück, vor allem auf Pindar, der sowohl das Schleifen von Metall83 als auch die Goldprobe zur Veredelung des Werkstoffs84 im poetologischen Kontext verwendet. In der augusteischen Dichtung ist das Bild des Schmiedens oder Feilens weit verbreitet, vor allem bei Horaz und Ovid.85 Babrios selbst greift diese Bilder auf, wenn er am Ende beider Prologe die Bearbeitung des iambischen Versmaßes thematisiert. So erklärt er im ersten Prolog, die Spitzen der bitteren Iamben geglättet zu haben (πικρῶν ἰάμβων σκληρὰ κῶλα θηλύνας, v.20), wobei das Verb θηλύνω übertragen auch im Kontext der Eisenverarbeitung gebraucht wird.86 Neben den obengenannten Parallelen in der Chorlyrik entspricht das Bild zudem der vor allem in der neoterischen, augusteischen und kaiserzeitlichen Dichtung beliebten Metapher des poetischen Feilens, repräsentiert durch die lima, die beispielsweise in programmatischen Äußerungen in Phaedrus’ Fabeln eine Rolle spielt.87 Ein Echo dieses Motivs findet sich auch in anderen Gedichten der Mythiamboi, so etwa in der poetologisch aufgeladenen Fabel Babr. 6, wo die Bewegung des Fischers an der Meeresküste mit ξύω (‚schleifen‘) geschildert wird. Das erwähnte Bild der Goldbearbeitung bzw. -prüfung wird bei Babrios im zweiten Prolog aufgegriffen: Dieser führt das Gold als Material zunächst in einer Passage ein, in der der Mythiambos mit einem golden aufgezäumten Kriegspferd verglichen wird

83 Pind. O. 6,82: δόξαν ἔχω τιν’ ἐπὶ γλώσσᾳ λιγυρᾶς ἀκόνας [Auf der Zunge habe ich einen Einfall eines schrill-klaren Wetzsteines]. 84 Pind. N. 4,82–83a: ὁ χρυσὸς ἑψόμενος | αὐγὰς ἔδειξεν ἁπάσας, ὕμνος δὲ τῶν ἀγαθῶν | ἐργμάτων βασιλεῦσιν ἰσοδαίμονα τεύχει | [85] φῶτα [Gold, das durch Feuer gereinigt wurde]; N. 8,20–21: [20] πολλὰ γὰρ πολλᾷ λέλεκται, νεαρὰ δ’ ἐξευ- | ρόντα δόμεν βασάνῳ | ἐς ἔλεγχον, ἅπας κίνδυνος [Denn viel ist auf viele Art erzählt, dass jemand aber etwas Neues findet und es auf den Stein zur Prüfung gibt, birgt jede Gefahr]. 85 Z. B. in Hor. ars 285–294; 438–441; sat. 1,10,65; epist. 2,2,92; Ov. trist. 1,7,27–32; Pont. 1,5,19; 1,5,61; 2,4,18; vgl. Gundlach 2019, 206–216. 86 So etwa in Soph. Ai. 651: βαφῆι σίδηρος ὥς, ἐθηλύνθην στόμα [Wie Eisen durch das Eintauchen in Wasser, so wurde ich am Mund erweicht]. 87 So etwa im ersten Prolog (Phaedr. 1 prol.,1–2): Aesopus auctor quam materiam repperit | hanc ego polivi versibus senariis. [Den Stoff, den der Urheber Aesop gefunden hat, den habe ich in senarischen Versen aufpoliert.] Vgl. dazu Gärtner 2007.

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(καθαρῷ χρυσέῳ χαλινώσας | τὸν μυθίαμβον ὥσπερ ἵππον ὁπλίτην, vv.7–8). Das Ende des Prologs nimmt erneut auf die Bearbeitung des Iambos Bezug. Das Ich erklärt, die Zähne der Iamben nicht zu schärfen, sondern sie mit Feuer zu behandeln und so die Stacheln zu mildern (καὶ τῶν ἰάμβων τοὺς ὀδόντας οὐ θήγω, | ἀλλ’ εὖ πυρώσας, εὖ δὲ κέντρα πρηύνας, vv.14–15). Sowohl θήγω als auch πυρόω sind Begriffe, die in Bezug auf Metall- respektive Goldverarbeitung verwendet werden.88 πυρόω im Speziellen ist der Terminus technicus für die oben beschriebene Feuerprobe von Gold, durch die dessen Reinheit festgestellt wird.89 Auffällig ist außerdem die häufige Präsenz von Netzen in den analysierten Fabeln, oft mit poetologischen Untertönen. Das Netz bzw. Gewebe als Sinnbild für die Dichtung ist in der antiken Literatur vielfach belegt und auf die wohl ursprünglich indogermanische Metapher des Webens bzw. Flechtens von Dichtung zurückzuführen.90 In der augusteischen Zeit erfreute sich der Vergleich von Dichtung mit dem Spinnen, dem Weben oder dem Auftrennen des Gewebten einiger Beliebtheit.91 Schließlich belegen Beispiele aus der Dichtung der Spätantike, dass das Bild wohl die gesamte Antike hindurch nicht an Aktualität verloren haben dürfte.92 In den Mythiamboi wird das Bild als Jagd- bzw. Fischernetz, einer Variation der traditionellen Webmetapher, aufgerufen, wobei die Verbindung beider Bilder auf der Technik der Herstellung basiert – Netze wurden in der Antike ebenso geknüpft oder geflochten wie Textilien.93 Das Ich bezeichnet seine Fabeln im zweiten Prolog als γρῖφοι (v.11) – als komplexe poetische Rätsel, doch wörtlich bedeutet der Begriff ‚Fischernetz‘. Des Weiteren spielen Netze in den poetologisch aufgeladenen Fischerfabeln eine Rolle, so etwa in Babr. 4, wo der ‚zarte‘ Fisch (λεπτὸς, v.3) dem Fischer durch das ‚viellöchrige Netz‘ (δικτύου πολυτρήτου, v.4) entkommt, wobei alle drei Begriffe poetologische Konnotationen besitzen; darüber hinaus legt der flötenspielende Fischer in Babr. 9,4 sein Netz ab, um die Fische allein mit der ἡδυφωνίη seines Flötenspiels – ebenfalls poetologisch aufgeladen – anzulocken. Daneben fällt Babr. 13 ins Auge, wo der Bauer ‚zarte Netzfallen‘ (λεπτὰς παγίδας, v.1) auslegt, um die Kraniche auf seinem Feld zu fangen – hier werden gleich mehrere poetologisch konnotierte Begriffe kombiniert: Das Netz, das die Dichtung repräsentiert, die Feinheit, die für die feine Dichtung steht, sowie das Fangen der Kraniche, die in hellenistischer Tradition die unerwünschte Großdichtung darstellen. 88 89 90 91 92 93

So θήγω etwa in Eur. Or. 1036. So in Offb 3,18; LXX Ps 17; Phil 1,57. Vgl. Scheidegger Lämmle 2016; für die Verwendung des Bildes in der frühgriechischen Dichtung vgl. Nünlist 1998, 110–118. So etwa bei Horaz, Ovid oder Properz; vgl. Gundlach 2019, 226–239. So z. B. in Claudians De raptu Proserpinae (1,246–269). Vgl. etwa Plin. nat. 21,114, wo beschrieben wird, dass geflochtenes Schilfrohr zur Herstellung von Fischreusen verwendet wird.

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Das poetische Programm

Neben dem Dichter-Ich der beiden Prologe94 treten in den analysierten Gedichten weitere Künstlerfiguren auf, die im weitesten Sinne poetologisch gedeutet werden können. Die poetologische bzw. selbstreferenzielle Tradition von Künstlerfiguren in literarischen Werken geht bereits auf die homerische Epik zurück.95 Insbesondere in der römischen Dichtung der augusteischen Zeit finden sich zahlreiche Künstlerfiguren, etwa in Ovids oder Vergils Werken.96 Zu den Künstlerfiguren in den Mythiamboi zählt unter anderem der Fischer in Babr. 9, der sich als Flötenspieler versucht, um Fische anzulocken, wobei er gelehrt (σοφῶς ηὔλει, v.1) und voller Musenkunst (ἐτερέτιζεν εὐμούσως, v.4) spielt. Besonders deutlich wird die Künstlerrolle einer Figur in Babr. 12, wo die Nachtigall als Vogel mit durchdringender Stimme (ἀηδόν’ ὀξύφωνον, v.3) einen Threnos auf ihren Sohn singt (ἀπεθρήνει, v.3). Auch ihr Gegenüber, die Schwalbe, spricht vom Gesang der Nachtigall (ᾄσεις, v.13) und verwendet dabei denselben Ausdruck, den das Ich am Ende des zweiten Prologs für seine eigene literarische Tätigkeit verwendet (ἀείδω, v.16). Während der Fischer als Künstler in der antiken Dichtung nicht belegt ist, gilt der Vogel – und insbesondere die Nachtigall – als ein beliebtes poetologisches Motiv.97 Vor diesem Hintergrund erscheint der Wunsch der Nachtigall, lieber in der Einsamkeit und weit weg von der Zivilisation ihr Leben zuzubringen, in neuem Licht – sie entspricht damit dem Ideal des mythisch entrückten Dichters als vates.98 Nicht zuletzt werden auch in Babr. 15 zwei Figuren eingeführt, die entfernt an Künstler erinnern: Der Athener und der Boioter treten miteinander in einen Redeagon, der in seiner Gestaltung an Künstler- bzw. Gesangsagone erinnert, wie sie in der bukolischen Dichtung Theokrits oder Vergils verbreitet sind.99 Die Tatsache, dass im Kontext dieses Agons auch Aussagen zur Sprechweise und Fähigkeit der Redner getätigt werden, weist darauf hin, dass die beiden Figuren zur Illustration allgemeiner poetologischer Überlegungen genutzt werden. Schließlich stellen auch die Stimme und die Rede Motive dar, die sich in den betrachteten Gedichten häufig im Zusammenhang mit poetologischen Aussagen finden. Deren Bedeutung wird bereits im ersten Prolog unterstrichen, wenn als Grundlage für die Existenz von Fabeln angeführt wird, dass diese in einer Zeit angesiedelt sind, in der 94 Zu dieser Künstlerfigur und ihrem dichtungsprogrammatischen Gehalt vgl. neben den Einzeluntersuchungen der Prologe (Kap. 6.2 und Kap. 6.3) auch Kap. 4.1. 95 So wurde die Rolle und Funktion des Demodokos und des Phemios, der zwei namentlich genannten Sänger der Odyssee, in den Blick genommen; für einen Überblick vgl. Kailbach-Mehl 2020, 35–47. 96 Z. B. Iopas in der Aeneis, Daphnis, Menalcas und Mopsus in den Eclogae, Orpheus in den Georgica sowie in den Metamorphosen oder Pygmalion, Arachne und Daedalus in den Metamorphosen sowie der Ars amatoria. Für eine umfassende Untersuchung der poetologischen Künstlerfiguren in den Werken Ovids und Vergils siehe Kailbach-Mehl 2020. 97 Vgl. Nünlist 1998, 39–56; Spielhofer 2018, 111–114. 98 So etwa in Hor. carm. 3,1–4; vgl. dazu Tiedemann 2006. 99 Vgl. z. B. Theokr. eid. 5; 7; Verg. ecl. 3; 5; 7.

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alle Lebewesen eine verständliche Stimme (φωνὴν ἔναρθρον, v.7) besaßen, dieselben Wörter kannten (λόγους ᾔδει, v.7), derer sich die Menschen bedienen (οἵους περ ἡμεῖς μυθέομεν ἐς ἀλλήλους, v.8), und Versammlungen und Unterredungen in den Wäldern abhielten (ἀγοραὶ δὲ τούτων ἦσαν ἐν μέσαις ὕλαις, v.9). Wenn in den Mythiamboi über Sprache gesprochen wird, kommen dabei einige Adjektive zur Beschreibung ihres Klangs zum Einsatz, die ihren Ursprung in der poetologischen Terminologie der Antike bzw. in der rhetorischen Theorie haben: Das Ich im zweiten Prolog spricht etwa davon, in hellem Fluss zu fabulieren (λευκῇ μυθιάζομαι ῥήσει, v.13), wobei sich hier das Bild des Redeflusses100 mit der Helligkeit des Klangs verbindet. Zum süßen Wohlklang der Rede sei auf die ἡδυφωνίη in Babr. 9,3 verwiesen, einen Ausdruck, der deutlich auf Handbücher der Zeit verweist, in dem das rhetorische Stilideal derart beschrieben wird. Daneben können Reden bzw. Lieder in den Mythiamboi traurig bzw. durchdringend klingen, wie Babr. 12, die Fabel von Schwalbe und Nachtigall, zeigt: Die Nachtigall wird dort mit dem Epitheton ὀξύφωνος (v.3; 5) beschrieben. Sie beklagt Itys (ἀπεθρήνει, v.3), und die beiden Schwestern erkennen einander an ihrem Lied (ἐκ τοῦ μέλους δ’ ἔγνωσαν αἱ δ’ ἀλλήλας, v.5), wodurch der Stimme in dieser Fabel eine identitätsstiftende Funktion zukommt. Schließlich wird die Stimme in den Mythiamboi entgegen den Ankündigungen der Prologe sehr wohl auch zum Spott eingesetzt: So lässt sich bereits das lautstarke Krähen des Hahns in Babr. 5 (ἐπικροτῶν τε τοῖς πτεροῖς ἐκεκράγει, v.6) als Verspottung des Verlierers deuten, während in Babr. 17 der Hahn den Kater mit seiner ‚scharfen Stimme‘ ganz eindeutig verlacht: καὶ ταῦτ’ ἐκερτόμησεν ὀξὺ φωνήσας (v.4). Es stellt sich die Frage, ob diese spottenden Stimmen in den Fabeln auf die Tradition verweisen sollen, in der die Fabeln aufgrund ihres Versmaß stehen, und auf die damit verbundenen programmatischen Aussagen – denn die geradezu anti-iambische Einstellung des Ichs der Prologe wird durch solche spöttischen Stimmen markant unterminiert, sodass der Leser sich spätestens am Ende von Babr. 17 veranlasst fühlen müsste, die Aussagen des PrologIchs zu hinterfragen. Überdies wird in den Fabeln der Umstand thematisiert, dass gewisse Figuren imstande sind, besser zu sprechen als andere. So siegt der Athener im Redewettstreit in Babr. 15 dadurch, dass er ein wortgewandter Redner ist (στωμύλος γὰρ ἦν ῥήτωρ, v.10) und dass der Boioter ihm mit seiner ἀγρίῃ μούσῃ (v.12) rhetorisch nicht das Wasser reichen kann. Obgleich hier zwar keine konkreten Aussagen über Dichtung getroffen werden, zeigt diese vom Erzähler vorgebrachte Passage doch, dass dieser über rhetorische Stile, ihre Wirkung und Wirksamkeit reflektiert – Reflexionen, die sich in den Fabeln niederschlagen.

100 Ähnlich wird dieses Bild auch in Babr. 15,3 aufgegriffen: ῥέων δ’ ὁ μῦθος ἦλθε μέχρις ἡρώων [Im Fluss gelangte das Gespräch bis zu den Heroen].

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Das poetische Programm

4.4 Schlussfolgerungen Wie dieser ausgewählte Einblick veranschaulicht, werden in den verschiedenen Gedichten verschiedene Strategien ersichtlich, um (Selbst-)Aussagen über Literatur und Dichtung zu treffen. Die beiden Prologe der Sammlung gehen dabei offensiv vor: Das in ihnen eingeführte Dichter-Ich expliziert durch Rückgriff auf traditionelle Motive und Bilder, unter welchen Aspekten die Fabeln betrachtet werden sollen. Dabei werden fabeltypische Topoi wie die Berufung auf Aesop oder die Widmung an einen zu belehrenden Zögling ebenso bedient wie poetische Gemeinplätze. Diese weisen Pa­ rallelen zur poetologischen Bildersprache der hellenistisch-alexandrinischen Zeit auf, z. B. die Betonung der Neuheit, Verspieltheit und Süße der Dichtung und eine auf handwerkliche Arbeit konzentrierte Metaphorik; unterstrichen wird dies unter anderem durch mehr oder weniger deutliche Anspielungen auf die Dichtung des Kallimachos, etwa auf dessen Iamboi. Anders verhält es sich mit den eigentlichen Fabeln: Hier spielen Motivübernahmen und die Verwendung poetischer Topoi eine untergeordnete Rolle. Verweise finden hier eher auf lexikalischer Ebene statt – dabei dient die poetologische Sprache als eine Art Code, mit dem durch Einsatz gewisser Schlüsselbegriffe Assoziationen beim Leser hervorgerufen werden können. In der Regel sind diese Begriffe durch ihre Seltenheit, ihre Position im Vers oder andere Auffälligkeiten markiert; sie beeinflussen zwar den Fortgang der Handlung nicht grundlegend, stellen aber dennoch eine Strategie dar, die Poetizität der Fabeln hervorzuheben und auch ohne Übernahme oder Einbettung entsprechender Bilder die programmatischen Aussagen über die beiden Prologe hinaus als poetisches Echo weiterzutragen.101 Diese poetologischen Untertöne können in den Fabeln zu einer erweiterten Deutung führen, insbesondere dann, wenn sie im Einklang mit den Aussagen der Epimythien stehen; häufig scheint jedoch lediglich das Spiel mit der Poetologie und der Gelehrsamkeit der Dichtung an sich im Mittelpunkt zu stehen. Die Analyse dieser Reminiszenzen fördert jedoch noch ein weiteres Merkmal zutage: Die Sammlung scheint nicht nur alexandrinischen Idealen verpflichtet. Die poetologischen Anklänge in den Fabeln zeigen eine Färbung durch hellenistische Ideen, die in ähnlicher Weise bereits in der neoterischen und augusteischen Dichtung Ausdruck findet: Diese zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihre Dichtung in der Tradition der Alexandriner als klein, neu, verspielt, ausgefeilt und gelehrt versteht – alle diese Eigenschaften haben Entsprechungen in den analysierten Fabeln. Der Fokus auf die Kleinform zeigt sich inhaltlich in Babr. 4 und 6 sowie sprachlich in den Erwähnungen der Zartheit und Feinheit in verschiedenen Fabeln; daneben werden die Verspieltheit, poetische Ausgefeiltheit und Gelehrtheit der Dichtung insbesondere in den Prologen

101 Vgl. Spielhofer 2022b, wo diese Strategie am Beispiel von Babr. 4, 6 und 9 beleuchtet wird.

Schlussfolgerungen

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thematisiert.102 Weitere Parallelen finden sich in Babr. 6 und 9, wo das Konzept des poetischen otium eine Rolle spielt, aber auch in Babr. 8, wo neoterische Ideale einerseits durch die epigrammatische Kleinform, andererseits durch die Tatsache aufgegriffen werden, dass die Fabel als Versinnbildlichung der aurea mediocritas in Stilfragen interpretiert werden kann; ferner in Babr. 10, wo erotisch-iambische Themen ähnlich der Dichtung Catulls behandelt werden, sowie in Babr. 12, wo die einsam lebende Künstlerfigur das Ideal des poeta vates repräsentiert. Der Eindruck, dass römische Vorstellungen von Dichtung die poetische Ausrichtung der Mythiamboi beeinflusst haben, wird insbesondere dadurch verstärkt, dass diese Parallelen zur Programmatik von Dichtern wie Catull, Lukrez und Horaz, aufweisen, wie aus den Einzelanalysen in Kap. 6 hervorgeht. Nicht zuletzt ist auch Phaedrus’ Versfabelsammlung ein Beweis dafür, dass die Gattung – unter Einbeziehung der römischen Rezeption und Transformation im Zuge der neoterischen und augusteischen Dichtung – auf die Inhalte und Ideale der Alexandriner Bezug nahm.103 Vergleicht man etwa die beiden babrianischen Prologe mit den Pro- und Epilogen des Phaedrus, so offenbaren sich in Hinblick auf die poetologischen Motive und Bilder zahlreiche Parallelen, die darauf schließen lassen, dass die Mythiamboi in einer vergleichbaren Tradition stehen.104

102 Vgl. etwa die νέη und σοφωτέρη μούση und die γρῖφοι in Babr. 2 prol. sowie die ‚Schleifung‘ des Versmaßes in 1 prol. 103 Vgl. dazu Gärtner 2007; 2011; 2015; 2021. 104 Zum Verhältnis der Phaedrusfabeln zu den Mythiamboi vgl. Kap. 2.3.

5. Literarische und narrative Strategien In seiner Kürze kann der folgende Abriss der in den Mythiamboi eingesetzten Strategien eine eingehende Analyse der babrianischen Erzählkunst – ein weiteres Forschungsde­ siderat – nicht ersetzen; dennoch soll durch eindrückliche Beispiele versucht werden, einen Überblick über die häufigsten literarischen Techniken zu geben, die die Fabeln von anderen vergleichbaren Werken unterscheiden. 5.1 Themen, Aussagen und Akteure Die Akteure1 der Fabeln lassen sich allgemein verschiedenen Kategorien zuordnen – Tieren, Menschen, mythologischen Figuren, Pflanzen und Gegenständen. Eine Vielzahl der Fabeln handelt von Tieren, wobei sowohl stereotype Figuren wie etwa der Löwe, der Fuchs oder der Wolf als auch seltene Fabeltiere wie etwa der Fisch, das Kamel oder der Bär auftreten. Die Tiere verhalten sich zum Teil gemäß jenen Eigenschaften, die ihnen in der Antike gemeinhin zugeschrieben wurden; besonderen Reiz besitzen jedoch jene Fabeln, in denen die Tiere im Gegensatz zur Lesererwartung agieren – etwa, wenn der Wolf, der fabeltypisch als wild und gefräßig gilt, als armer Pantoffelheld von seiner Frau getadelt wird, weil er ohne Beute nach Hause kommt (Babr. 16),2 oder wenn sich der Löwe tapfer dem Kampf stellt, dann jedoch bereits vor dem Zusammenstoß verwundet vom Ort des Gefechts fliehen muss (Babr. 1).3 Der erste Prolog erklärt das anthropomorphe Verhalten der Figuren: Fabeln, zumindest jene der Mythiamboi, spielen in der Goldenen Zeit, in der Menschen und Tiere dieselbe Sprache sprechen. Oftmals werden diese gerade aufgrund der Tatsache reizvoll, dass das fabeltypische Verhalten der Akteure mit ihrem real-tierischen Verhalten in Konflikt gerät.4

1 2 3 4

Ähnlich wie auch der Begriff des ‚Lesers‘ (vgl. Kap. 4.1, Anm. 15) ist der Begriff des ‚Akteurs‘ ein literaturwissenschaftlicher Fachterminus, der die handelnden Figuren einer Erzählung bezeichnet. Er ist in dieser Verwendung dezidiert nicht als Ausdruck einer Geschlechterpräferenz zu verstehen. Zu Babr. 16 vgl. Kap. 6.19. Zu Babr. 1 vgl. Kap. 6.4. Vgl. dazu auch Kap. 5.4.

Themen, Aussagen und Akteur

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Daneben spielen eine ganze Reihe von Menschen Hauptrollen in den Fabeln. Zwar treten sie in den Mythiamboi ungefähr mit derselben Häufigkeit wie Tiere auf,5 ihre Bedeutung bei Babrios wird jedoch nicht zuletzt an der Tatsache erkennbar, dass alleine in zwölf der ersten siebzehn Fabeln der Sammlung eine menschliche Figur als Akteur handelt.6 In der Regel bleiben die Figuren dabei typenhaft bzw. unbestimmt, so treten der Fischer, der Hirte, der Bauer, die Amme, der Arzt, der Jäger, der Knecht, die Sklavin oder einfach nur ‚ein Mann / eine Frau‘ auf, konkreter bestimmt werden etwa Figuren wie der Araber, der Athener oder der Thebaner.7 Darüber hinaus finden sich Figuren des Mythos in den Fabeln, etwa Herakles, Theseus, Prokne und Philomela oder Prometheus,8 die auf einen gemeinsamen kulturellen Hintergrund des Leserkreises schließen lassen. Verbunden damit ist die Präsenz von Göttern, die zumeist in der Gestalt homerischer Gottheiten auftreten – so zählen unter anderem Aphrodite, Hermes, Apollon, Zeus, Poseidon und Athene, Boreas, Helios, Polemos und Hybris oder Iris9 zu den Akteuren der Fabeln. Ferner ist das Göttliche auch in einer nicht personell gedachten Gottheit präsent, die vom Erzähler ὁ δαίμων genannt wird. Diese kann strafenden Charakter haben und repräsentiert zumeist das Schicksal.10 Daneben werden nicht namentlich genannte Gottheiten, die mit ὁ θεός bezeichnet werden, als Teil des antiken Kultwesens dargestellt.11 Im Unterschied zu den Fabeln des Phaedrus finden sich in den Mythiamboi, wie im ersten Prolog angekündigt12 und vermutlich durch die Tradition der orientalischen Fabel beeinflusst, einige Fabeln, in denen Pflanzen Akteure darstellen;13 diese weisen anthropomorphe Züge auf, so etwa die Eiche, das Schilfrohr, die Fichte oder der Dorn-

5 6

7 8 9 10 11 12 13

So treten in 78 der 125 Fabeln des Phaedrus menschliche Akteure auf (Pro- und Epiloge ausgenommen), während sich in 80 der 144 Fabeln der Mythiamboi menschliche Akteure finden lassen. So in Babr. 1; 2; 3; 4; 6; 8; 9; 10; 11; 13; 15; 16; hinzu kommen der Mensch in Babr. 7, dessen Rolle als Akteur allerdings fraglich ist, sowie die Schwalbe und Nachtigall in Babr. 12, die ursprünglich Menschen waren. Erklärbar ist diese Häufung unter anderem dadurch, dass jene Fabeln, die mit ἄνθρωπος oder etwa ἀνήρ beginnen, unter diese Gruppe von Fabeln gezählt werden. Ähnliche namenlose Typen treten in Deklamationen und anderen rhetorischen Kunst- und Übungsformen auf. Herakles: Babr. 15 und 20; Theseus: Babr. 15; Prokne und Philomela: Babr. 12; Prometheus: Babr. 66. Aphrodite: Babr. 10 und 32; Hermes: Babr. 30; 48; 52; 117; 119; Apollon: Babr. 68; Zeus: Babr. 56; 58; 59; 68; 127; 142; Poseidon und Athene: Babr. 59; Boreas: Babr. 18; Helios: Babr. 18 und 24; Polemos und Hybris: Babr. 70; Iris: Babr. 72. Ein δαίμων ist etwa in Babr. 11 und 12 am Werk. Vgl. Babr. 2; 37; 78; 92; 132. Vgl. Babr. 1 prol.,10; vgl. dazu auch Phaedr. 1 prol.,6, wo ebenfalls Pflanzenfabeln angekündigt werden, die in der Sammlung allerdings nicht vorkommen; es ist unklar, ob diese verloren sind. Zur Geschichte der Pflanzenfabel und ihren Ursprüngen in der orientalischen bzw. indischen Literatur vgl. Wünsche 1905; für eine Liste der bekannten Pflanzenfabeln in der griechisch-römischen Literatur vgl. Wienert 1925, 73–74.

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Literarische und narrative Strategien

busch.14 Vereinzelt treten auch Gegenstände als Akteure auf, wie eine Leuchte, die in Babr. 114 zu sprechen beginnt.15 Thematisch sind die Fabeln oft als episodisch-anekdotenhafte Situationsfabeln gestaltet, die häufig ein agonales Element, typischerweise mit zwei Reden von zwei Akteuren, aufweisen. Daneben fällt eine Tendenz zu Figurenreden, die die Fabeln beschließen, auf.16 Behandelt werden Themen aus dem Bereich des Landlebens wie Landbau, Fischerei oder Jagd, ferner allgemein menschliche Verhaltensweisen, etwa Machtkonflikte, Wettkämpfe, Lügen, Diebstahl, Strafe, Heuchelei und Spott, aber auch Liebe, die Beziehung zu den Göttern oder mythologisch-aitiologische Stoffe. Im Allgemeinen zeichnet sich die Sammlung durch eine thematische Vielfalt aus, die wohl unter anderem auf die zugrundeliegenden Fabeltraditionen zurückzuführen ist.17 Die Aussagen der einzelnen Erzählungen zu erkennen und zu bestimmen, fällt bei den Fabeln der Mythiamboi umso schwerer, als durch eine fehlende Kontextualisierung der Versfabel kein generelles Deutungsangebot vorliegt. Zudem werden nicht alle Fabeln von Epimythien begleitet, die einen bestimmten Kontext suggerieren, ganz zu schweigen vom Umstand, dass nicht geklärt ist, ob und welche Epimythien Teil der antiken Komposition gewesen sein könnten und welche auf spätere Bearbeitungen zurückzuführen sind.18 Auch die Prologe der Sammlung liefern hierfür keine konkreten Anhaltspunkte: Sie sagen nichts darüber aus, wie die Fabeln zu deuten sind und welchem Zweck sie dienen – abgesehen davon, dass sie eine angenehme Unterhaltung für den Leser darstellen sollen.19 In diesem Zusammenhang hat man auf den auffällig amoralischen Ton der Fabeln hingewiesen, vor allem im Vergleich zu anderen Fabelsammlungen.20 Dem Leser wird es in den meisten Fällen selbst überlassen, die Fabeln zu kontextualisieren und somit individuell mit Bedeutung zu versehen. Daher wird in den nachfolgenden Analysen in Kap. 6 darauf eingegangen, welche Strategien der Le14 15 16 17 18 19 20

Eiche: Babr. 36 und 142; Schilfrohr: Babr. 36; Fichte: Babr. 38 und 64; Dornbusch: Babr. 64. Für eine Liste der Fabeln dieses Typs in der griechisch-römischen Literatur vgl. Wienert 1925, 75–76. So z. B. in Babr. 1; 2; 3; 6; 7; 8; 9; 10; 12; 13; 14; 15; 16; 17. Zur Bedeutung der abschließenden Figurenreden für die Epimythienfrage vgl. Kap. 2.2. Vgl. hierzu Kap. 2.3. Vgl. Kap. 2.2. Vgl. Babr. 1 prol.,18–20. Vgl. Perry 1965, xxiv–xxv; Nøjgaard 1967, 192; Holzberg 2012, 58; 60; Holzberg 2019, 16–17; dagegen Pertsinidis (2010, 144–194; 2020), die den Mythiamboi eine umfassende didaktisch-moralische Intention zugrunde legt. Auch wenn Pertdinidis’ Argumente eine andere Perspektive auf die Sammlung erkennen lassen, schließe ich mich jenen Philologen an, die der Sammlung keinen vordergründig moralischen Charakter zuschreiben, zumal Pertsinidis ihre Argumentation auf eine Interpretation des ersten Prologs stützt, die dessen Motive als Ausgangspunkt für eine moralische Unterweisung deutet; wie ich in meiner eigenen Interpretation des Prologs zeige, dürften diese jedoch vielmehr als Ausdruck der literarisch-poetischen Konventionen der Fabeldichtung zu verstehen sein (vgl. dazu Kap. 6.2).

Rhetorisierung

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serlenkung die einzelnen Fabeln aufweisen und wie dadurch gewisse Deutungen suggeriert werden. Die Identifikation und die Erklärung intertextueller Allusionen spielt dabei eine zentrale Rolle. 5.2 Rhetorisierung Eines der auffälligsten Merkmale der babrianischen Fabeln stellt ihre – vor allem im Vergleich zu anderen Umsetzungen der behandelten Stoffe – betonte Rhetorisierung dar. Dies zeigt sich etwa in der Gestaltung der verschiedenen Sprechpartien: Die Figurenreden in den Mythiamboi zeichnen sich durch rhetorische Ausgefeiltheit aus.21 Vielfach werden Reden, die auch in parallelen Bearbeitungen vorhanden sind, bei Babrios quantitativ wie qualitativ ausgestaltet und mit zusätzlichen Argumenten versehen, was ihre Überzeugungskraft erhöht; Passagen, die anderswo lediglich in indirekter Rede geschildert werden, erhalten in den Mythiamboi eigene Redepartien und werden zu dramatischen Szenen ausgebaut.22 Hand in Hand mit dieser rhetorischen Ausgestaltung geht eine in vielen Fabeln erkennbare Figurencharakterisierung, die deren psychisch-emotionale Disposition in den Vordergrund stellt: So halten Akteure, die sich in Gefahrensituationen befinden, des Öfteren gefühlsbetonte Reden, in denen sie z. B. durch Referenz auf Familienmitglieder oder Schilderung ihrer ausweglosen Situation versuchen, beim Gegenüber Mitgefühl zu erwecken, wie etwa der Hirte in Babr. 3, der kleine Fisch in Babr. 6, der Esel in Babr. 7 oder der Storch in Babr. 13.23 Dies kann mit einer dramatisch-tragischen Ausgestaltung der Rede kombiniert werden, etwa in Babr. 7. Als Beispiel sei hier Babr. 6 genannt. Ein Fischer fängt mit seiner Angel einen kleinen Fisch; dieser fleht ihn an, sein Leben zum jetzigen Zeitpunkt zu verschonen und ihn erst dann zu fangen, wenn er ausgewachsen und damit für den Fischer ertragreicher ist. Seine Argumente führt er in einer elaborierten Rede aus: τί σοι τὸ κέρδος; ἢ πόσου με πωλήσεις; οὐκ εἰμὶ γὰρ τέλειος, ἀλλά με πρῴην πρὸς τῇδε πέτρῃ φυκὶς ἔπτυσεν μήτηρ. νῦν οὖν ἄφες με, μὴ μάτην μ’ ἀποκτείνῃς.

21 22

23

Vgl. hierzu Kap. 2.3, wo dieses Charakteristikum unter Bezugnahme auf die Zweite Sophistik eingeordnet wird. So etwa in Babr. 3 (vgl. Kap. 6.6); 6 (vgl. Kap. 6.9); 12 (vgl. Kap. 6.15). Vgl. Nøjgaard 1967, 277, wo die Prominenz der direkten Rede in Babrios’ Fabeln hervorgehoben wird, sowie Pertsinidis 2020, wo die rhetorische Ausgestaltung der Reden auch als Ausdruck der moralischen Intention der Fabeln interpretiert wird. Meines Erachtens ist diese Rhetorisierung in Anbetracht der prominenten Stellung der Rhetorik in der Zeit der Zweiten Sophistik eher als gelehrter literarischer Kniff zu bewerten, insbesondere wenn man bedenkt, dass zahlreiche rhetorisch ausgefeilte Reden trotz allem gerade nicht zum erhofften Erfolg führen; vgl. dazu Kap. 5.4. Vgl. Kap. 6.6 zu Babr. 3, Kap. 6.9 zu Babr. 6, Kap. 6.10 zu Babr. 7 und Kap. 6.16 zu Babr. 13.

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Literarische und narrative Strategien

ἐπὴν δὲ πλησθεὶς φυκίων θαλασσαίων μέγας γένωμαι, πλουσίοις πρέπων δείπνοις, τότ’ ἐνθάδ’ ἐλθὼν ὕστερόν με συλλήψῃ.24

10

Der Fisch leitet seine Rede mit zwei rhetorischen Fragen ein (v.6), versucht anschließend mit der Anspielung auf sein junges Alter und seine Mutter Mitleid bei und eine emotionale Verbindung mit seinem Gegenüber aufzubauen (vv.7–8) und bietet schließlich eine Alternative an, bei der er sich sogar in die Lage des Fischers versetzt und aus einer nutzenorientierten Perspektive Argumente für sein Überleben aufbringt (vv.10–12). Der Vergleich mit parallelen Bearbeitungen in der Collectio Augustana (Aisop. 18 P.) oder in den Fabeln Avians (Avian. 20) zeigt, dass die Formulierung der Bitte in direkter Rede und der Appell an das Mitgefühl des Hörers wohl Spezifika der babrianischen Bearbeitung sind, die in der Rezeption der Babriosfabel bei Avian sogar noch an Pathos gewinnt. Während Fabeln im Allgemeinen eine tendenziell dramatische Gattung in dem Sinne darstellen, dass sie häufig Dialoge zwischen Akteuren in nicht-narrativer Form wiedergeben, unterscheiden sich die Fabeln der Mythiamboi durch den Grad ihrer Rhetorisierung deutlich von vergleichbaren Fabelsammlungen der Antike. Für eine poetische Fabelsammlung der Zweiten Sophistik scheint ein solcher Fokus auf die rhetorische Gestaltung der Gedichte keineswegs abwegig, sondern geradezu exem­ plarisch dafür, wie rhetorische Grundsätze und Diskurse auch in die poetische Produktion dieser Zeit Eingang finden.25 5.3 Beschreibend-psychologisierende Erzählung Eine weitere Eigenschaft der babrianischen Fabeln besteht in der offensichtlichen Erzählfreude des Autors, die sich unter anderem in zahlreichen beschreibenden Passagen offenbart. Auf allen Gestaltungsebenen demonstrieren die Gedichte eine außergewöhnliche Detailverliebtheit insbesondere in der Beschreibung von Personen oder Situationen: So finden sich häufig Epitheta ornantia, die die Herkunft, Beschaffenheit oder den seelischen Zustand von Figuren beschreiben und auf den ersten Blick eine rein dekorative Funktion besitzen, in vielen Fällen aber zur inneren Logik der jeweiligen Erzählungen beitragen, wie in den Einzelanalysen der Fabeln gezeigt wird.26 Eng verbunden mit diesem Streben nach genauer und anschaulicher Darstellung wird in der Figurencharakterisierung außerdem ein Fokus auf die Beschreibung der inneren

24 25 26

Babr. 6,6–12. Für die Übersetzung und Gesamtinterpretation vgl. Kap. 6.9. Vgl. dazu auch Kap. 2.3 sowie Pertsinidis 2022. Dies unterscheidet ihn von anderen Fabeldichtern, wie etwa Phaedrus; vgl. Marenghi 1955b, 244.

Beschreibend-psychologisierende Erzählung

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Zustände und psychologischen Vorgänge der Akteure erkennbar.27 Das ermöglicht es, in deren Inneres zu blicken und deren Intentionen, Gefühle und Gedanken direkt mitzuerleben; diese Technik der Introspektion spielt oft eine bedeutende Rolle für den fabelinternen Erzählzusammenhang. Als Beispiel sei hier Babr. 12 genannt.28 Die beschreibende Psychologisierung lässt sich insbesondere an der Figur der Nachtigall zeigen: Der Detailreichtum der Erzählung äußert sich einerseits in der Verwendung von Epitheta und anderen Beschreibungen, etwa ἀηδόν’ ὀξύφωνον (v.3) bzw. ἀηδὼν ὀξύφωνος (v.19), die der Nachtigall eine für sie typische Eigenschaft, den hellen Klang ihrer Stimme, zuschreiben. Zugleich liefert dies einen Hinweis auf ihren Gemütszustand, da ihr durchdringender Schrei, wie sich herausstellt, ein Klageruf ist. In diesem Sinne hat das vermeintlich beschreibende Epitheton in Babr. 12 eine auf die Vorgeschichte zurück- bzw. auf die folgende Erzählung vorausweisende Funktion. Weitere Spezifika umfassen die Erwähnungen des Gebiets Thrakien und der Stadt Athen, denen ebenfalls eine narrative Funktion zukommt, da dadurch der Konnex mit der implizit präsenten Vorgeschichte der Fabel – dem Mythos um Tereus, Prokne und Philomela – hergestellt wird. Ähnlich spezifische Schilderungen finden sich unter anderem in der Digression in Babr. 2,6–8, wo über die Zuständigkeiten von Land- und Stadtgöttern sinniert wird, in Babr. 3,4, wo die Arten der Gräser, die die Ziege frisst, genau benannt werden, ferner in Babr. 4,4, wo das Netz des Fischers als vielmaschig beschrieben wird, in Babr. 5,1, wo es sich nicht um beliebige, sondern dezidiert um tanagräische Hähne handelt, in Babr. 6,3, wo der Fischer den Fisch nicht mit einer herkömmlichen, sondern mit einer sehr feinen Pferdehaarangel fängt, in Babr.  8,1, wo der Protagonist explizit als Araber bezeichnet wird, in der ausführlichen Schilderung des Aussehens der Sklavin in Babr. 10,3–5, in der Beschreibung der Felder in Babr. 11,6–7, in der Figurenzeichnung des Atheners und des Thebaners in Babr. 15 sowie in der Zuordnung von Epitheta für den Hahn in Babr. 17,3.29 Auch hier lässt sich zeigen, dass Beschreibungen, die auf den ersten Blick ornamental scheinen, allusiven bzw. narrativen Gehalt besitzen. Die Psychologisierung der Nachtigall in Babr. 12 erreicht ihren Höhepunkt in der die Fabel beschließenden Rede, in der sie bekennt, lieber in der Einsamkeit der Wildnis leben zu wollen, als zu den Menschen zurückzukehren (vv.20–24). Sie präsentiert sich dabei als menschen- und zivilisationsscheue Figur, die sich aufgrund des in der Vergangenheit erfahrenen Unglücks zurückgezogen hat, um mit ihrer eigenen Trauer 27

28 29

Vgl. Nøjgaard 1967, 272–288; Holzberg 2012, 63–64; Holzberg 2019, 29. Pertsinidis (2020, 82) setzt diese Eigenschaft der babrianischen Fabel mit der in Kap. 5.2 diskutierten Rhetorisierung in Beziehung. Durch die häufige Verwendung direkter Reden gewährt der Autor dem Leser einen Einblick in die Gedanken und Gefühle der (tierischen) Akteure. Zu Babr. 12 vgl. Kap. 6.15. Zu Babr.  2 vgl. Kap.  6.5, zu Babr.  3 Kap.  6.6, zu Babr.  4 Kap.  6.7, zu Babr.  5 Kap.  6.8, zu Babr.  6 Kap. 6.9, zu Babr. 8 Kap. 6.11, zu Babr. 10 Kap. 6.13, zu Babr. 11 Kap. 6.14, zu Babr. 15 Kap. 6.18, zu Babr. 17 Kap. 6.20.

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Literarische und narrative Strategien

und den dafür verantwortlichen Geschehnissen nicht erneut konfrontiert zu werden. Das Motiv der Trauer bezieht sich ringkompositionsartig auf das Epitheton ὀξύφωνος zurück, das diese implizit bereits am Beginn der Fabel einführt und so zu einem Beispiel für die babrianische Beschreibungskunst wird. Vergleichbare Introspektionen bieten etwa Babr. 1 und 2, wo Vermutungen der Akteure zum Motor der Handlung werden, oder Babr. 6, wo der Fisch glaubt, den Fischer mit seiner Rede umstimmen zu können, zudem Babr. 9, wo die Hoffnungen des Fischers geschildert werden, Babr. 10, wo sich die Annahmen der Protagonistin als falsch herausstellen, Babr. 11, wo der Denkprozess des Bauern bei der Bestrafung des Fuchses geschildert wird, sowie Babr. 16, wo sich ebenfalls die Erwartungen des Protagonisten als falsch herausstellen.30 5.4 Dekonstruktion Erst die Forschung der letzten Jahre hat damit begonnen, den ungewöhnlichen und zum Teil subversiven Charakter antiker Fabelsammlungen näher in den Blick zu nehmen. Dabei hat sich herausgestellt, dass Fabeln regelmäßig die Erwartungen des Lesers, z. B. in literarischer und gattungsspezifischer Hinsicht, die sie auch selbst evozieren, auf vielfache Weise konterkarieren. Diese Widersprüche können als metaliterarische Reflexe gelesen werden, durch die sich die Fabel in Bezugnahme auf den literarischen Diskurs gewissermaßen selbst dekonstruiert. Der reflexive Blick auf die Grundlagen, Entwicklungen und Ideale einer solchen traditionsreichen Gattung unter dem Aspekt des gelehrten literarischen Spiels, der sich darin zeigt, scheint für die Fabel­dichtung der Kaiserzeit (und darüber hinaus) typisch – so konnte dies neben Babrios auch für die Fabeln des Phaedrus und Avian gezeigt werden.31 Zur Beschreibung dieses Phänomens wurde der – semantisch durchaus nicht unproblematische – Begriff der Dekonstruktion gewählt.32 Die hier und im Folgenden zugrundegelegte Auffassung der Dekonstruktion ist vom gleichnamigen durch Jacques Derrida geprägten literarur­theoretischen Analyseansatz abzugrenzen, wenngleich gewisse Parallelen (etwa der Fokus auf Dissonanzen oder Oppositionen des Textes) bestehen. Über ein Mittel der Textanalyse hinausgehend verstehe ich darunter vielmehr eine textuelle Strategie des Werks – oder anders betrachtet: ein Gedankenkonstrukt, das, wie ich im Folgenden argumentieren möchte, dazu dient, die Charakteristika der einzelnen Gedichte und der Sammlung als Ganzes zu begreifen. Denn dekonstruktive Elemente, die sich in den Mythiamboi

30 31 32

Zu Babr. 1 vgl. Kap. 6.4, zu Babr. 2 Kap. 6.5, zu Babr. 6 Kap. 6.9, zu Babr. 9 Kap. 6.12, zu Babr. 10 Kap. 6.13, zu Babr. 11 Kap. 6.14, zu Babr. 16 Kap. 6.19. Vgl. Gärtner 2022. Zur Prägung des Begriffs im Kontext der Fabel vgl. Holzberg 2019, 17–19; zum dekonstruktiven Potenzial antiker Fabelsammlungen im Allgemeinen vgl. Gärtner 2022.

Dekonstruktion

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in widersprüchlichen Aussagen und Darstellungen verschiedenster Art manifestieren, stellen, so meine These, einen konstitutiven Bestandteil dieses Werks dar. Beginnen wir zunächst auf der Ebene des Autors. Die Sammlung lädt in mehrfacher Hinsicht dazu ein, diesen zu dekonstruieren.33 Die Dekonstruktion der gedichtimmanenten Autorpersona aus den beiden Prologen wird dadurch sichtbar, dass sich die Informationen, die man dort auf den ersten Blick als Hinweise auf den empirischen Autor – d. h. die historische Person Babrios – verstehen könnte, bei näherer Betrachtung als literarische Topoi herausstellen, die wenig bis keine Aussagekraft über dessen Biographie besitzen. Dies ist insofern relevant, als man heute davon ausgehen muss, dass bereits in den Jahrhunderten nach der Entstehung des Werks kaum Informationen zum empirischen Autor verfügbar waren.34 Die Sammlung gibt hierzu keine Anhaltspunkte – ganz im Gegenteil: Indem sie ‚falsche Fährten‘ legt, erschwert sie eine biographische Einordnung sogar. Die Dekonstruktion bezieht sich jedoch nicht nur auf vermeintliche Informationen zum Autor und seinem Leben: Vielmehr stellen sich auch die programmatischen Versprechungen des Prologerzählers als trügerisch heraus, wenn sie bereits in den unmittelbar darauffolgenden Fabeln nicht mehr eingehalten werden.35 Die so erzeugten Brüche in der werkimmanenten Erzähllogik machen den Erzähler unzuverlässig; die einzelnen Gedichte scheinen den Leser geradezu dazu aufzufordern, sich selbst eine Meinung zu bilden und die Autorpersona der Prologe kritisch zu hinterfragen. Doch nicht nur der Autor wird dekonstruiert – bei genauerer Lektüre der Fabeln im Sammlungszusammenhang stellt sich auch die in den Gedichten dargestellte Welt selbst infrage. Als prominentes Beispiel, an dem die Inkonsistenzen und Bruchlinien zwischen einer faktualen bzw. fiktionalen Darstellung der Fabelwelt deutlich werden, dient etwa die Inszenierung von Menschlichkeit sowie die Ausgestaltung der verschiedenen Kommunikationssituationen in den Fabeln. Auch dafür legt der erste Prolog die Grundlage: Dort wird ausführlich erklärt, im Goldenen Zeitalter, in dem die Fabeln spielen, kommunizieren Menschen und Tiere mit derselben, universell verständlichen Sprache miteinander.36 In diesem Punkt unterscheidet sich die Darstellung tierischer Rede in den Mythiamboi allerdings deutlich von anderen Fabelsammlungen, nämlich in dem Sinne, dass die Tiere in den Fabeln grundsätzlich nicht ‚vermenschlicht‘ sind. Die Möglichkeit des sprachlich artikulierten Ausdrucks zählt zu ihrem ureigenen We33 34 35 36

Zur Dekonstruktion von Autorschaft in den Mythiamboi vgl. Spielhofer 2021. Vgl. dazu Kap. 2.1. Vgl. Holzberg 2019, 17–19; Hawkins 2014, 87–141; Mann 2018; Gärtner 2022, 66–68; Pertsinidis (2010, 87–95) argumentiert ähnlich, erklärt den Widerspruch jedoch eher durch den satirischen Charakter der Mythiamboi. Vgl. 1 prol.,6–9 (Kap. 6.2); zur Tierrede in Babrios’ Fabeln und ihrem Ursprung im ersten Prolog vgl. Pertsinidis 2020 sowie Allgaier 2020.

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Literarische und narrative Strategien

sen, das sie später verlieren, die Menschen jedoch behalten, weshalb die Bezeichnung ‚anthropomorph‘ in diesem Zusammenhang nicht wirklich passend erscheint. Umso aufschlussreicher sind jene Fabeln der Sammlung, in denen Tiere von dieser Vorgabe – tierischer Charakter mit menschenähnlicher, sprachlicher Artikulation – abweichen und entweder gänzlich tierisch oder tendenziell menschlich inszeniert werden: Tabelle 3 Auffälligkeiten in der Rolle und Kommunikationsituation tierischer Akteure in den analysierten Fabeln Babr. 1

Hier findet sprachliche Kommunikation sowohl zwischen Mensch und Tier als auch zwischen Tier und Tier statt; bereits zu Beginn der Sammlung wird gezeigt, dass Tiere in gleicher Weise mit Menschen und mit anderen Tieren kommunizieren können.

Babr. 2

Keine tierischen Akteure.

Babr. 3

Mensch und Tier kommunizieren in direkter Rede – die Fabel endet mit einer pointierten Antwort des Tiers.

Babr. 4 + Babr. 5

Hier findet keine Kommunikation zwischen Mensch und Tier statt – in beiden Fabeln werden die Tiere rein als Tiere inszeniert, obwohl gerade die Hähne in Babr. 5 explizit als besonders menschenähnlich bezeichnet werden. Sprechakte gibt es keine.

Babr. 6

Mensch und Tier kommunizieren miteinander; das Tier argumentiert tendenziell menschlich, versucht an die Emotionen des Menschen zu appellieren und versetzt sich in seiner Argumentation empathisch in dessen Rolle.

Babr. 7

In dieser Fabel findet ungeachtet der Tatsache, dass die Tiere untereinander in artikulierter Sprache kommunizieren, keine Kommunikation mit dem Menschen statt, der diese eigentlich verstehen müsste. Hier bleibt zu fragen, ob bzw. inwiefern dies mit der Vorstellung von einer gemeinsamen Sprache im ersten Prolog in Einklang zu bringen ist.

Babr. 8

Mensch und Tier kommunizieren in direkter Rede – die Fabel endet mit einer pointierten Antwort des Tiers.

Babr. 9

Die Tiere werden hier ganz als Tiere inszeniert, sie haben keine Sprache; der Mensch spielt in seiner Rede mit der Frage, ob man ihr Verhalten ‚tierisch‘ oder ‚menschlich‘ interpretieren soll.

Babr. 10

Keine tierischen Akteure.

Babr. 11

Das Tier ist in dieser Fabel ganz Tier, es spricht nicht; Kommunikation zwischen Mensch und Tier findet nicht statt.

Babr. 12

Hier kommunizieren zwei Tiere miteinander, die stark vermenschlicht sind – nicht zuletzt, weil sie früher Menschen waren, die in Tiere verwandelt wurden.

Babr. 13

Mensch und Tier kommunizieren, dabei argumentiert das Tier vermeintlich wie ein Mensch; seine Argumentation wurde in der Antike aber offenbar als tierischer Instinkt verstanden.

Dekonstruktion

81

Babr. 14

Tiere kommunizieren untereinander in direkter Rede; ein Tier versucht sein tierisches Gebaren durch Rückgriff auf ‚menschliche‘ Verhaltensweisen zu erklären.

Babr. 15

Keine tierischen Akteure.

Babr. 16

Mensch kommuniziert mit Mensch, Tier mit Tier. Die Kommunikation zwischen Mensch und Tier funktioniert nicht bzw. nur eingeschränkt: Das Tier versteht den Menschen, interpretiert die Nachricht jedoch aufgrund des fehlenden Verständnis für menschliche Kommunikationsmuster falsch.

Babr. 17

Tier und Tier kommunizieren in direkter Rede miteinander.

In den betrachteten Fabeln finden sich sowohl Beispiele, in denen die Akteure gänzlich dem Muster eines realen Tiers entsprechen, wie etwa Babr. 4, 5, 9 und 11, als auch Fabeln, in denen Tiere, abgesehen von ihrem Äußeren, durch und durch menschlich erscheinen, etwa die beiden Vögel in Babr. 12 oder der Bär in Babr. 14, der bewusst den Eindruck von Menschlichkeit erwecken möchte. Dabei können dieselben Tiere in unterschiedlichen Fabeln unterschiedliche Rollen einnehmen: Während beispielsweise der Fuchs in Babr. 11 als sprachloses Tier auftritt, erweist er sich in Babr. 1 und 14 als durchaus eloquent. Besonders in jenen Fabeln, die vom im ersten Prolog skizzierten Schema abweichen, zeigt sich, dass der Bruch zwischen der realen und der Fabelwelt entlang des Kommunikationskonflikts zwischen Mensch und Tier zu verlaufen scheint. Wenn ein Leser also in Babr. 5 erfährt, dass die streitenden Hähne Menschen besonders ähnlich seien (οἷς θυμὸν εἶναί φασιν οἷον ἀνθρώποις, v.2), diese dann aber bis auf das spottende Verhalten letztlich keinerlei menschliche Verhaltensweisen im Sinne einer artikulierten Sprache zeigen, dürfte er sich über diesen Widerspruch ebenso wundern wie über jenen in Babr. 9, wo der Fischer die Fische zuerst als menschlich, dann als tierisch und in seiner abschließenden Rede im Spott wieder als menschlich interpretiert. Hinzu kommen die beiden Vögel in Babr. 12, die infolge ihrer Verwandlung gewissermaßen Mischwesen darstellen, der Bär in Babr.  14, der zwar gänzlich als Tier agiert, seine Handlungen jedoch als menschliche Verhaltensweisen darstellt und erst durch den Fuchs entlarvt wird, sowie Pferd und Esel in Babr. 7, die zwar artikuliert in direkter Rede miteinander kommunizieren, vom Menschen aber offenbar dennoch nicht verstanden werden. Diese Beispiele werfen die Frage auf, inwiefern solche kommunikativen Konstellationen mit der im Prolog präsentierten Ausgangssituation in Einklang zu bringen sind. Auch hier scheint die vielfältige Darstellung in den Fabeln die programmatischen Ankündigungen des Prologs zu unterlaufen. Eine Schlüsselfunktion in der Inszenierung dieser Konflikte kommt dabei der Wortfamilie αγρ- zu: Mit der Evozierung einer ländlichen Sphäre als Kontext, in dem Menschen und Tiere aufeinandertreffen können, wird eine semantische Markierung gesetzt. Konflikte, ob sie rhetorisch ausgetragen werden oder nicht, finden fast ausschließlich in einer bäuerlichen bzw. ländlichen Umgebung statt, und häufig ist ein

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Literarische und narrative Strategien

Wort dieses Stamms präsent, wenn Brüche auftreten: so etwa im Falle der Schwalbe, die in Babr. 12 vom Feld in die Wildnis fliegt und die Nachtigall bittet, mit ihr dorthin zurückzukehren (ἀγροῦ, v.1; ἀγρὸν, v.11), des Storchs, der den Bauern in Babr. 13 vergeblich um Gnade anfleht (ἀγρότης, v.1), oder des Boioters, der in Babr. 15 mit ländlicher Muse (ἀγρίῃ μούσῃ, v.12) spricht.37 Die ländliche Sphäre wird somit als Übergang zwischen dem vom Menschen bestimmten, zivilisierten Bereich der Stadt, der in Babr. 2 oder 10 präsent ist, einerseits, und der wilden Natur, der Sphäre der Tiere, die in Babr. 1 oder 12 zum Schauplatz wird, andererseits inszeniert. Diese Mittelstellung erklärt, warum ein Großteil der Tier-Mensch-Konflikte in ebendieser Sphäre angesiedelt sind. Diese und ähnliche Beobachtungen zeigen, dass die hier analysierte Sequenz der Fabeln keine konsistente Erzählwelt nahelegt. Ein Leser, der die Fabeln also sukzessive rezipiert, ist mit dem Eindruck konfrontiert, dass diesen keine allgemeingültigen Parameter, z. B. hinsichtlich der Charakterdarstellung, zugrundeliegen; das Wissen, das man über Menschen, Tiere und ihr Verhältnis zueinander aus einer früheren Lektüre mitbringt, muss also für jede Fabel neu überprüft und gegebenenfalls angepasst oder korrigiert werden. Auch diese zur Reflexion und Re-evaluation auffordernde Inkonsistenz kann als Dekonstruktion beschrieben werden. Neben der Autorfigur und der fabelimmanenten Erzählwelt werden dekonstruktive Potenziale schließlich auch an den literarischen Parametern der Sammlung ersichtlich. Zum einen zeigt sich dies auf Ebene des Genus: Die Fabeln scheinen oftmals die Grenzen der Gattung auszuloten oder konterkarieren die Lesererwartung hinsichtlich ihrer Konventionen regelrecht. Mehrere der betrachteten Fabeln gehen in andere Gattungen über und hinterfragen dadurch die Gattung Fabel in einer gelehrt-spielerischen Auseinandersetzung.38 Beispiele hierfür sind unter anderem Babr. 7, 8, 10, und 12.39 Häufig wird die Nähe zu einer anderen Textgattung durch eine Figur in der jeweiligen Fabel repräsentiert, die am Ende oft als Verlierer dasteht – so etwa das Pferd in Babr. 7, das die Tragödie verkörpert, oder die Sklavin in Babr. 10, die stellvertretend für die erotische Dichtung steht. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach dem poetologischen Gehalt der jeweiligen Fabel. Insbesondere jene Fabeln, in denen Sein und Schein kontrastiert werden, wie Babr. 17,40 in der sich der Kater als etwas auszugeben versucht, was er nicht ist, und sich dadurch der Lächerlichkeit preisgibt, können als poetologische Autorenkommentare verstanden werden. Zum anderen bestimmen dekonstruktive Phänomene die Darstellung und Umsetzung programmatischer Aussagen, der sich die Sammlung verpflichtet. Hier kommt

37 38 39 40

Für weitere Beispiele vgl. Babr. 2,3 (ἀγροίκων); 2,7 (ἀγροὺς); 4,5 (ἀγρευθεὶς); 6,4 (ἤγρευσεν); 12,11 (ἀγρὸν); 12,17 (ἀγρότιν); 16,1 (ἄγροικος). Vgl. dazu Kap. 2.3, wo die Einflüsse anderer Gattungen auf die Sammlung diskutiert werden. Zu Babr. 7 vgl. Kap. 6.10, zu Babr. 8 Kap. 6.11, zu Babr. 10 Kap. 6.13, zu Babr. 12 Kap. 6.15. Vgl. Kap. 6.20.

Dekonstruktion

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insbesondere dem ersten Prolog eine zentrale Rolle zu – zahlreiche Gedichte scheinen auf dessen Ausführungen Bezug zu nehmen. Der Prolog fordert eine solche Rückbindung sogar heraus, indem er proleptisch vorwegnimmt, welche Begegnungen in der Fabelwelt der Goldenen Zeit stattfinden;41 und so verwundert es nicht, dass die meisten dieser Vorausdeutungen – zumindest näherungsweise – ihre thematische Entsprechung in der darauffolgenden Fabelsammlung finden.42 Doch auch andere Fabeln lassen immer wieder an den Prolog zurückdenken – insbesondere dann, wenn dort implizit dichtungsprogrammatische Inhalte vermittelt werden.43 Vergleicht man die Fabeln mit den Prologen und reflektiert deren Aussagen unter diesem Gesichtspunkt, so scheinen die Fabeln den Prologen sowie einander häufig zuwiderzulaufen. Das wohl eindrücklichste Beispiel dafür, dass die Ansprüche der Prologe angesichts der nachfolgenden Fabeln neu bewertet bzw. revidiert werden müssen, stellt Babr. 1 dar: Nachdem im ersten Prolog beschrieben wurde, wie Menschen und Tiere miteinander in Frieden und Harmonie leben, beginnt die erste Fabel der Sammlung folgendermaßen: Ἄνθρωπος ἦλθεν εἰς ὄρος κυνηγήσων, τόξου βολῆς ἔμπειρος· ἦν δὲ τῶν ζῴων φυγή τε πάντων καὶ φόβου δρόμος πλήρης.44

Der Mensch, der Tiere jagt und in Angst und Schrecken versetzt, steht im krassen Widerspruch zur Darstellung des Prologs. Die Rückbindung an diesen wird nicht nur durch den inhaltlichen Gegensatz deutlich; vielmehr markieren auch lexikalische Übernahmen eine bewusste Verbindung beider Gedichte  – etwa, wenn der bittere Pfeil des Jägers (πικρὸς ἄγγελος, v.15) in Babr. 1 die im Prolog zuvor postulierte Harmonie in der Fabelwelt konterkariert und gleichzeitig die bitteren Iamben (πικροὶ ἴαμβοι, v.20) ins Gedächtnis ruft, die das Prolog-Ich kategorisch von sich weist.45 Aus diesen Verbindungen ließe sich folgern, dass ein Leser den Prolog und Babr. 1 also bewusst als Einheit rezipieren und die Dissonanz zwischen beiden Texten wahrnehmen soll. Auch in vielen anderen Fabeln lassen sich Verstöße gegen oder Widersprüche zu den Aussagen der Prologe feststellen:

41 42 43 44 45

Babr. 1 prol.,10–14; vgl. Kap. 6.2. So z. B. in Babr. 38 (sprechende Pflanzen), Babr. 6 und 9 (Fische, die mit Menschen sprechen), Babr. 12 und 13 (Vögel, die mit Menschen zusammenleben bzw. mit ihnen sprechen) oder Babr. 14 (Harmonie zwischen Menschen und Tieren); vgl. dazu Spielhofer 2018, 50–52, sowie Kap. 6.2. Vgl. am Beginn der Sammlung z. B. Babr. 4 (Kap. 6.7), 6 (Kap. 6.9) und 9 (Kap. 6.12), die durch die in ihnen vermittelten poetologischen Bilder auf die Programmatik der beiden Prologe zurückweisen. Babr. 1,1–3. Für die Übersetzung und Gesamtinterpretation vgl. Kap. 6.4. Vgl. Kap. 6.2; Mann 2018, 272–273; Holzberg 2019, 17–19; Allgaier 2020, 262–266; Allgaier 2022; dagegen Pertsinidis (2020, 87, Anm. 41), die festhält, dass die Fabeln aus diesem Grund nicht in der Goldenen Zeit spielen können.

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Literarische und narrative Strategien

Tabelle 4 Dekonstruktive Widersprüche zu den Prologen in den analysierten Fabeln Babr. 1–3

Gewalt und Feindseligkeit der Menschen gegenüber Tieren und Göttern46

Babr. 7

Kommunikation zwischen Mensch und Tier funktioniert nicht

Babr. 9

Kommunikation zwischen Mensch und Tier funktioniert nicht; die Erde gewährt nichts von sich aus

Babr. 10

Iambische Inhalte, Einfluss der Spottdichtung; keine harmonische Kommunikation zwischen Menschen und Göttern

Babr. 16

Kommunikation zwischen Mensch und Tier trotz gleicher Sprache nicht möglich

Babr. 17

Iambische Inhalte, Einfluss der Spottdichtung und Fokus auf Spott

Entlang dieser Widersprüche laden die Fabeln den Leser dazu ein, die Sammlung Stück für Stück zu dekonstruieren, angefangen bei der Dichterpersona, die zum unzuverlässigen Erzähler wird; aber auch die Aussagen zur allgemeinen programmatischen Ausrichtung der Fabeln in den Prologen, die angenehme, harmonische und dem spöttischen Iambos abgeneigte Gedichte versprechen, erweisen sich als unhaltbar: Die Fabeln der Mythiamboi können ebenso stechend sein wie der typische Iambos. Und selbst wenn man diese Widersprüche in Bezug auf den Erzähler und die Ideale des Werks hinnimmt, so werden Dissonanzen sogar in der erzählten Welt selbst erkennbar: Die Fabeln zeichnen zersplitterte, in sich widersprüchliche Welten, die keine Rückschlüsse auf allgemeine Gesetzmäßigkeiten zulassen; vielmehr muss jede Fabel für sich genommen und hinterfragt werden, ob jene Regeln, die in der vorhergehenden Fabel galten, in der aktuellen auch noch anwendbar sind. Auch darin zeigt sich der reflexive Blick, der durch die Dekonstruktion nahegelegt wird. Wenngleich diese Dissonanzen nicht klar als intentional gekennzeichnet sind, lassen sie sich meines Erachtens doch hervorragend als Ausdruck eines spielerischen, selbstreflexiven Umgangs mit einem literarischen Genus beschreiben, wie er sich für die Literatur der Kaiserzeit auch an vielen anderen Gattungen beobachten lässt. Indirekt könnte in dieser Textstrategie also ein Kommentar zur Sammlung und Gattung Fabel selbst vorliegen: Ihr dekonstruktiver Charakter ist Ausdruck einer Auseinandersetzung mit den verschiedenen literarischen Traditionen, die die Fabeldichtung von ihren Ursprüngen bis in die Kaiserzeit geprägt haben, und, darüber hinaus, mit den Erwartungen hinsichtlich Uniformität und Einheitlichkeit der Fabel, die ein Leser bei der Lektüre eines solchen Werks hegen mag. Gerade weil die Gedichte diese Erwartungen nicht erfüllen, stellen sie einen Beitrag zum literarischen Diskurs ihrer Zeit dar.

46

Zur implizit kritischen Rede der Ziege in Babr. 3 vgl. überdies Allgaier 2020, 255–257.

Schlussfolgerungen

85

5.5 Schlussfolgerungen Aus den hier präsentierten Beobachtungen lassen sich folgende, für die Mythiamboi typische erzähltechnische Merkmale ableiten: Das Hauptaugenmerk der Fabeln liegt auf einer möglichst anschaulichen, in sich geschlossenen Erzählung, die den Leser aktiviert und seine Aufmerksamkeit fesselt. Die Mittel, durch die dies erreicht wird, sind zum einen die detailverliebte, deskriptive Erzählung, die den Stoff plastisch erscheinen lässt; zum anderen fallen die Gedichte durch ihre rhetorische Ausgestaltung auf, die zur psychologisierenden Charakterisierung der Akteure beiträgt, wodurch die Fabeln – trotz ihrer zum Teil fantastischen Inhalte – eine realistische Wirkung erzielen. Dies ermöglicht, sich mit den Figuren stärker zu identifizieren und so in die Erzählung einzutauchen. In diesem Sinne erfüllen die Fabeln den im ersten Prolog formulierten Anspruch, ein erfreuliches und unterhaltsames Leseerlebnis zu bieten. Darüber hinaus verfügen die Fabeln über das Potenzial, die Aufmerksamkeit des Publikums auch auf einer abstrakten Ebene auf sich zu ziehen und dieses zu involvieren: Die vorgestellten Strategien der Dekonstruktion rufen den Leser unentwegt dazu auf, die Aussagen der einzelnen Gedichte sowie der Sammlung als Ganzes zu hinterfragen, was einen hohen Beteiligungsgrad seinerseits voraussetzt. Der Leser muss die Fabeln stets auf ihren Wirklichkeits- bzw. Wahrscheinlichkeitsgehalt hin bewerten und sie schließlich mit den grundlegenden programmatischen Eigenschaften, die die Sammlung sich selbst zuschreibt, vergleichen. So kann er zur Einsicht gelangen, dass die Fabeln in sich, untereinander sowie in Hinblick auf den programmatischen Rahmen der Prologe unstimmig sind, wodurch nicht zuletzt auf einer Metaebene Aussagen über die Fabel als nur vermeintlich uniforme Gattung des Widerspruchs getroffen werden. Eine solche Lektüreanforderung setzt freilich ein gebildetes und reflektiertes Publikum voraus; nimmt dieses den Aufwand auf sich, präsentiert sich ihm eine Sammlung an Gedichten, die nicht nur auf der Ebene der Erzählung von Interesse sind, sondern darüber hinaus auch spannende Reflexionsmöglichkeiten zu literarischen und poetologischen Fragestellungen bieten.

6. Kommentar 6.1 Methodische Überlegungen Der nachfolgende Kommentar behandelt die beiden Prologe der Sammlung sowie die Fabeln 1 bis 17. Zum einen handelt es sich bei den Prologen um die Einleitung und den programmatischen Rahmen, unter dem die Sammlung gelesen wurde; zum anderen machen Babr. 1 bis 17 jene Fabeln aus, die mit dem Buchstaben Alpha beginnen und somit eine in sich geschlossene Gruppe in der überlieferten alphabetischen Anordnung bilden.1 Der Aufbau des Kommentars richtet sich nach der hybriden Gattung des sogenannten ‚Interpretationskommentars‘, der sich bereits als adäquates Mittel zur fruchtbaren Erschließung der antiken Fabel etablieren konnte.2 Da die Babriosfabeln, insbesondere was sprachliche und textkritische Fragen betrifft, besondere Umsicht erfordern, wurde diesem Umstand durch eine geringfügige Modifikation des Modells Rechnung getragen. Für jedes Gedicht wird der vollständige griechische Text mit einer neuen Übersetzung geboten.3 Der Fokus der Übersetzung, die sich am Prinzip des dokumentarischen Übersetzens nach Schadewaldt orientiert,4 liegt darauf, die ursprüngliche Textgestalt möglichst genau wiederzugeben, weshalb auf stilistische Anpassungen und Abweichungen vom Ursprungstext großteils verzichtet wurde. Auf eine inhaltliche und strukturelle Gliederung der Texte folgt ein lemmatischer Kommentar, der sich mit Frage- und Problemstellungen zu sprachlichen, grammatischen und textkritischen Phänomenen beschäftigt. Im Anschluss an den lemmatischen Kommentar folgt der Hauptteil, die interpretierende Analyse der Fabel. Sie ist nach dem Prinzip des close bzw. wide reading gestaltet und erschließt den Text linear mittels einer fortlaufenden Interpretation, wobei strukturelle Analysen sowie Sacherklärungen zu einzelnen Phänomenen und Bezüge zu anderen Texten geboten werden. Parallelstellen sowie weiterführende Hinweise be-

1 2 3 4

Zur alphabetischen Anordnung der Mythiamboi vgl. Kap. 3. Vgl. dazu Ursula Gärtners Interpretationskommentare zum ersten bzw. zweiten und dritten Buch der Phaedrusfabeln: Gärtner 2015; 2021. Vgl. daneben Holzbergs Neuübersetzung der Babriosfabeln: Holzberg 2019. Vgl. Schadewaldt 1958, 433–441.

87

Babr. 1 prol.

finden sich jeweils in ausführlichen Anmerkungen in den Fußnoten. Die angeführten Textstellen wurden zur besseren Verwendung mit einer wörtlichen Übersetzung versehen. Auf bereits besprochene Erklärungen im lemmatischen Kommentarteil wird bei Bedarf verwiesen. Der interpretierenden Analyse jeder Fabel folgt ein Vergleich mit parallelen Bearbeitungen anderer antiker Autoren sowie mit Texten, die die Rezeption der Babriosfabeln illustrieren. Eine Einordnung der Fabeln in ihre Tradition sowie eine Darstellung aller antiken Fabelsammlungen findet sich im Kap. 2.3, weshalb auf diese Spezifika nicht in jeder Fabel einzeln eingegangen wird. Grundsätzlich gilt: Als zeitgenössisch (oder älter) stufe ich die Fabeln der Collectio Augustana bzw. des Phaedrus und andere, einzelne Vorkommen in antiken Werken ein. Fabelsammlungen, die chronologisch nach den Mythiamboi entstanden sind, umfassen die Sammlungen des Avian, des Syntipas, des Aphthonios, des Libanios sowie des Igantios Diakonos. Anhand dieser Vergleiche werden Folgerungen, die sich für die Deutung des Babriostextes ergeben, diskutiert. Eine Gesamtbetrachtung, die die vorangehenden Analysen bzw. den Vergleich mit den Paralleltexten miteinbezieht und jede Fabel im Gesamtkontext der Sammlung bewertet, schließt die Interpretation ab. 6.2 Babr. 1 prol. Γενεὴ δικαίων ἦν τὸ πρῶτον ἀνθρώπων, 1 ὦ Βράγχε τέκνον, ἣν καλοῦσι χρυσείην, 2 μεθ’ ἣν γενέσθαι φασὶν ἀργυρῆν ἄλλην· 3 τρίτη δ’ ἀπ’ αὐτῶν ἐγενήθη χαλκείη. 4 [τρίτη δ’ ἀπ’ αὐτῶν ἐγένεθ’ ἥ [γε] χαλκείη.] [τρίτη δ’ ἀπ’ αὐτῶν ἐσμεν ἡ σιδηρείη.] [μεθ’ ἣν γενέσθαι φασὶ θείαν ἡρώων] μεμπτὴ σιδηρὰ ῥίζα καὶ γένος χεῖρον. 5 ἐπὶ τῆς δὲ χρυσῆς καὶ τὰ λοιπὰ τῶν ζῴων 6

5

Α, Π4, LLaP [1]5 Α, Π4, LLaP [2] Π4, LLaP [3] A [3] LLaP [4] Π4 [4] A [4] A, LLaP [5] A, Π4, LLaP [6]

Für diesen sowie den im Folgenden verwendeten Text der Mythiamboi vgl. Luzzatto/La Penna 1986, Holzberg 2019 sowie zusätzlich Vaio 2001. Texte und Übersetzungen wurden von mir erstellt. Textkritische Probleme werden im lemmatischen Kommentar der einzelnen Kapitel diskutiert. Aufgrund der unübersichtlichen Überlieferungslage dieses Prologs wurde hier neben einer durchlaufenden Verszählung für jene Verse, die in mehreren Textzeugen überliefert sind, auch angeführt, welche Textzeugen sie jeweils überliefern, ob sie in Luzzatto/La Penna 1986 aufgeführt werden, und an welcher Stelle im Text sie in der Ausgabe bzw. den Textzeugen vorkommen. Die Abkürzungen beziehen sich auf die in Kap. 2.2 präsentierten Zeugnisse; z. B.: μεθ’ ἣν γενέσθαι φασὶν ἀργυρῆν ἄλλην, in der vorliegenden Ausgabe als v.3 angeführt, findet sich in Π4 sowie in Luzzatto/La Penna 1986 ebenfalls als v.3. A hingegen führt als v.3 τρίτη δ’ ἀπ’ αὐτῶν ἐγενήθη χαλκείη an, was hier unverändert sowie in Luzzatto/La Penna 1986 mit einer Konjektur als v.4 übernommen wurde.

88

Kommentar

φωνὴν ἔναρθρον εἶχε καὶ λόγους ᾔδει 7 οἵους περ ἡμεῖς μυθέομεν ἐς ἀλλήλους, 8 ἀγοραὶ δὲ τούτων ἦσαν ἐν μέσαις ὕλαις· 9 ἐλάλει δὲ πεύκη καὶ τὰ φύλλα τῆς δάφνης, 10 [ἐλάλει δὲ πέτρα καὶ τὰ φύλλα τῆς πεύκης] [ἐλάλει δὲ πέτρη καὶ τὰ φύλλα τῆς πεύκης] καὶ πρῶτος ἰχθὺς συνελάλει φίλῳ ναύτῃ, 11a ἐλάλει δὲ κἰχθὺς, Βράγχε, νηὶ καὶ ναύτῃ, 11b στρουθοὶ δὲ συνετὰ πρὸς γεωργὸν ὡμίλουν. 12 ἐφύετ’ ἐκ γῆς πάντα μηδὲν αἰτούσης, 13 θνητῶν δ’ ὑπῆρχε καὶ θεῶν ἑταιρείη. 14 μαθὼν δ’ ἄρ’ οὕτω ταῦτ’ ἔχοντα καὶ γνοίης 15 ἐκ τοῦ σοφοῦ γέροντος ἧμιν Αἰσώπου 16 μύθους φράσαντος τῆς ἐλευθέρης μούσης 17 ὧν νῦν ἕκαστον ἀνθίσας ἐμῇ μνήμῃ 18 μελισταγές σοι νοῦ τὸ κηρίον θήσω 19 πικρῶν ἰάμβων σκληρὰ κῶλα θηλύνας. 20

A, Π4, LLaP [7] Π4 [8] A, LLaP [8] Π4 [9] A [9] LLaP [9] Π4 [10] A, LLaP [10] A, Π4, LLaP [11] A, Π4, LLaP [12]

[1] Ein Geschlecht gerechter Menschen gab es zu Beginn, [2] mein Kind Branchos, das sie das Goldene nennen. [3] Danach, sagen sie, sei ein weiteres, Silbernes entstanden: [4] Als drittes nach diesen entstand ein Bronzenes. [Als drittes nach diesen sind wir nun das Eiserne.] [Danach, sagen sie, sei das göttliche der Heroen entstanden] [5] die tadelnswerte eiserne Ader und ein schlechteres Geschlecht. [6] Zur Zeit des Goldenen besaßen auch die übrigen Lebewesen [7] eine verständliche Stimme und kannten eben die Wörter, [8] die auch wir zueinander sprechen. [9] Doch ihre Versammlungen fanden mitten in den Wäldern statt. [10] Da plauderten die Fichte und die Blätter des Lorbeers, [Da plauderten der Stein und die Nadeln der Fichte] [11a] und der erste Fisch unterhielt sich mit dem geschätzten Seemann/ [11b] und es plauderte auch der Fisch, Branchos, mit dem Schiff und dem Seemann, [12] auch die Sperlinge hielten verstehbar Zwiesprache mit dem Bauern. [13] Alles wuchs aus der Erde, die nichts forderte, [14] und zwischen den Sterblichen und den Göttern herrschte Freundschaft. [15] Nachdem du erfahren hast, dass sich dies so verhält, [16] mögest du es auch vom weisen Alten Aisopos erkennen, [17] der uns Fabeln der freien Muse erzählt hat, [18] von denen ich nun eine jede mit meiner Erinnerung blumig ausgeschmückt habe [19] und sie dir als honigtriefende Wabe eines Geistes vorsetzen werde, [20] nachdem ich die harten Füße bitterer Iamben weich gemacht habe.

Babr. 1 prol.

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1) Gliederung vv.1–14 Narrative Einführung – Mythische Fabeln in der Goldenen Zeit. vv.1–5: Darstellung des Weltaltermythos. vv.6–14: Beschreibung der Goldenen Zeit. vv.15–20 Programmatische Aussage des Ichs. vv.15–17: Aesop als Vorbild. vv.18–20: Neuerung durch das Ich. v.20: Umgang mit der iambischen Form. 2) Kommentar v.3  μεθ’ […] ἄλλην: Die Überlieferung des Prologs ist überaus komplex, insbesondere dessen Beginn:6 A überliefert v.3 als τρίτη δ’ ἀπ’ αὐτῶν ἐγενήθη χαλκείη, Π4 hingegen bietet μεθ’ ἣν γενέσθαι φασὶν ἀργυρῆν ἄλλην. Da v.3 in A an dieser Stelle logisch nur schwer zu halten ist und der Papyrus mit der Einführung der Silbernen Zeit diese inhaltliche Lücke füllt, wird dessen v.3 in den neueren Ausgaben mehrheitlich zwischen v.2 und v.3 in A gesetzt.7 Die verschiedenen Textzeugen überliefern unterschiedliche Weltalter – man hat vermutet, spätere Interpolatoren hätten den dargestellten Mythos gemäß der hesiodeischen Vorlage von fünf Stufen ‚berichtigt‘ und fehlende Inhalte hinzugefügt.8 So ergeben sich Versionen mit drei, vier oder fünf Weltaltern, die allesamt Entsprechungen in der antiken Literatur finden.9 v.4  τρίτη […] χαλκείη: In A erscheint dieser Vers als v.3,10 für v.4 findet sich dort μεθ’ ἣν γενέσθαι φασὶ θείαν ἡρώων, was in der Regel als Interpolation athetiert wird.11 Luzzatto/La Penna übernehmen den Vers in A, allerdings

6 7 8

9 10 11

Daher sind diesem zahlreiche Untersuchungen gewidmet, so Knöll 1881, 188–195; Immisch 1930, 158–169; Perry 1957, 17–; Vaio 1969, 154–155; Williams 1981; Vaio 1982, Vaio 1987; Vaio 2001, 1–15. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 1; Vaio 2001, 4–5; Holzberg 2019, 50. So vermutet Perry (1957, 17), dass dies in A der Fall gewesen sei: Die vv.3–4 stellten demnach eine Vervollständigung der hesiodeischen Weltalter dar, die nach dem Beispiel der vv.3–4 in Π4 gestaltet wurden; das in A fehlende aber in Π4 vorhandene Silberne Zeitalter sei in einem Überlieferungsstadium nach der Interpolation ausgefallen. Allerdings liefert diese Erklärung keine Antwort darauf, wieso ein Interpolator die beiden Verse, in denen das Silberne und das Heroenzeitalter eingeführt werden, mit demselben Halbvers, μεθ’ ἣν γενέσθαι φασὶ(ν), beginnen lassen würde. Vgl. dazu die weiter unten angeführten literarischen Parallelen. Immisch (1930, 158–163), Port (1933, 79), Perry (1965, 2) und Vaio (1982, 233; 1987, 867; 2001, 4–5) plädieren für die drei Weltalter in Π4. Vgl. den Kommentar zu v.3 (μεθ’ […] ἄλλην). Luzzatto/La Penna (1986, 1) sehen darin eine Dublette zur Silbernen Zeit, die sie aus dem Papyrus übernehmen; Vaio (2001, 4) schließt ihn hingegen aufgrund metrischer Argumente aus und Holzberg (2019, 50) führt ihn ebenfalls nicht an. Auch hier könnte man die Einführung des Heroenzeitalters als ‚Korrekturmaßnahme‘ verstehen; klar ist, dass der erste Halbvers v.3 wiedergibt, was gegen die Authentizität des Verses spricht; nimmt man jedoch an, dass der folgende v.5 wenigstens

90

Kommentar

mit Gitlbauers Konjektur ἐγένεθ’ ἥ [γε] statt ἐγενήθη. Sie rechtfertigen dies mit dem Argument, dass eine Länge in der neunten Silbe des Verses ansonsten bei Babrios nicht vorkommt.12 Meines Erachtens ist die Konjektur nicht notwendig: Erstens basieren metrische Ausschlüsse in den Mythiamboi, die eine freiere Verwendung des iambischen Verses aufweisen, auf einem unsicheren Fundament.13 Zweitens ist ἐγενήθη als Aorist zu γίνομαι belegt.14 Drittens wäre der Vers nach den Regeln klassischer Metrik mit oder ohne Konjektur fehlerhaft. Zudem weist die Lesart in A die für den Choliambos üblichen zwölf, Giltbauers Konjektur jedoch dreizehn Silben auf. Aus diesem Grund wurde die Lesart in A beibehalten, wobei die metrische Unregelmäßigkeit bestehen bleibt.15 Während der erste Halbvers in Π4 mit A übereinstimmt, führt der Papyrus in v.4 als dritte die Eiserne Zeit ein: τρίτη δ’ ἀπ’ αὐτῶν ἐσμεν ἡ σιδηρείη. In der Forschung wurde daher die Frage gestellt, ob der Prolog die Abfolge von drei (Goldene, Silberne und Eiserne Zeit; Π4), oder vier bzw. fünf (Goldene, Silberne, Bronzene [Heroen] und Eiserne Zeit; A) Weltaltern überliefert.16 Obwohl Π4 einen metrisch korrekten Vers bietet, überwiegen meines Erachtens die inhaltlichen Argumente für A: Der Papyrus dürfte eine Verkürzung des ursprünglichen Stoffs darstellen. Zwar finden sich auch andere Werke, die die Anzahl der Weltalter auf drei reduzieren, allerdings wird dort die klassische Abfolge nie unterbrochen, was durch die Reihung in Π4 der Fall wäre.17 Aus diesem Grund wurde die Lesart in A übernommen; die unklare Überlieferungslage lässt jedoch keine eindeutige Entscheidung zu, weshalb die Alternativen parallel dazu angegeben wurden. v.5  μεμπτὴ […] χεῖρον: A führt hier μεμπτὴ σιδηρὰ ῥίζα καὶ γένος χεῖρον an, in Π4 fehlt der Vers. Luzzatto/La Penna konjizieren μεμπτῆς σιδηρῆς ῥίζα und beziehen die Aussage auf die zuvor eingeführte Bronzene als Ur-

12 13 14 15 16 17

zum Teil ursprünglich sein könnte, würde dieser aufgrund seiner fortlaufenden Zählung der Weltalter darauf hinweisen, dass dieser Vers zumindest inhaltlich das Heroenzeitalter einführen muss; vgl. dazu den Kommentar zu v.5 (μεμπτὴ […] χεῖρον). Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 1; zustimmend Holzberg 2019, 50. Dasselbe Phänomen findet sich in v.5, der ebenfalls in Zweifel gezogen wurde. In den Mythiamboi selbst kommt die Form als ἐγεννήθη(ν) in Babr. 89,5; 101,1 und 142,7 vor. Ein weiteres Argument dafür, die Einführung des direkten Artikels durch die Konjektur zurückzuweisen, besteht in der Tatsache, dass die bereits in v.3 vorangehende Silberne Zeit (ἀργυρῆν ἄλλην) ebenfalls ohne bestimmten Artikel eingeführt wird. Immisch (1930, 158–163), Vaio (2001, 4–5) und Perry (1965, 2) tendieren zur ersten, Luzzatto/La Penna (1986, 1–2) und Holzberg (2019, 50; 201 [s. v. Prolog]) hingegen zur zweiten Annahme. Sowohl in Arat. 100–136 als auch in Anth.Gr. 5,31 (Antipatros) wird die Abfolge von Goldener, Silberner und Bronzener Zeit geschildert; vgl. Vaio 2001, 4.

Babr. 1 prol.

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sprung der nachfolgenden Eisernen Zeit,18 was jedoch den zweiten Halbvers unverständlich macht.19 Ich schlage vor, die Lesart in A zu belassen: Anstatt v.5 auf die vorhergehende Zeit zu beziehen, könnte μεμπτὴ σιδηρὰ (bzw. σιφηρᾶ) ῥίζα καὶ γένος χεῖρον mit einer Ellipse von ἦν/ ἦσαν (vgl. v.1) oder ἐγενήθη/-ησαν (vgl. v.4) bedeuten: ‚Es war/entstand die tadelnswerte eiserne Ader und ein (noch) schlechteres Geschlecht‘. Hierzu würde die Annahme passen, dass μεμπτή eine Form von πεμπτή sei oder lautlich im Sinne des traditionellen Weltaltermythos an die Zahl Fünf erinnern soll.20 Damit würde der Vers lauten: ‚Als fünfte war/entstand die tadelnswerte eiserne Ader und ein (noch) schlechteres Geschlecht‘.21 v.7  εἶχε […] ᾔδει: Die beiden Prädikate beziehen sich auf τὰ λοιπὰ τῶν ζῴων (v.6) und drücken die Handlungen eines kollektiven Singulars aus. v.8  οἵους […] ἀλλήλους: Es ist nicht geklärt, ob dieser Vers in Π4, der in A fehlt, Teil der Fabel ist oder eine Glosse darstellt.22 Der Ausschluss wurde wiederum mit metrischen Eigenschaften begründet;23 ähnlich wie in v.4 ist eine solche Argumentation aufgrund des freieren Metrums der Mythiamboi jedoch nur bedingt haltbar. Zudem wurde auf das seltene μυθέω statt μυθέομαι hingewiesen.24 In seiner medialen Form wird das Verb gemeinhin in der Bedeutung ‚sprechen‘, ‚erzählen‘ bzw. ‚sich unterhalten‘ verwendet; der aktive Gebrauch ist tatsächlich kaum belegt.25 Doch gerade darin scheint mir ein Argument für die Authentizität des Verses zu liegen, würde er so doch die für die Sammlung typische Vorliebe zu ungewöhnlichen Wortformen illustrieren.26 Angesichts der Tatsache, dass die Prologe das Genre der Fabel deutlich referenzieren (vgl. z. B. μῦθος am Beginn des zweiten Prologs),27 wäre die Betonung gerade jenes Verbs, auf das die Gattungsbezeichnung zurückgeht, durch die wenig gebräuchliche Form (sowie durch die Auflösung im vierten Versfuß) durchaus 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27

Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 2; bestätigend Holzberg 2019, 50. Gemäß dem hesiodeischen Mythos gibt es kein schlechteres Geschlecht (γένος χεῖρον) als das eiserne. Daher setzen Luzzatto/La Penna (1986, 2) diesen Halbvers unter cruces desperationis; vgl. Holzberg (2019, 50), der in Anlehnung an ein Scholion χείρονος γέννης anführt. Boissonnade 1844, 4; Crusius 1897, 9; vgl. Immisch 1899, 406; Sitzler 1907, 164. Dies setzt allerdings voraus, dass die Einführung des Heroenzeitalters vor v.5 authentisch ist; vgl. dazu den Kommentar zu v.4 (τρίτη […] χαλκείη). Perry (1965, 2) und Vaio (2001, 7) führen ihn an; vgl. dagegen aber Luzzatto/La Penna 1986, 2; Holzberg 2019, 50; gegensätzlich Vaio 1969, 154–155, wo μεθίεμεν als Konjektur vorgeschlagen wird. So könne man Babrios den Anapäst dieses Verses nicht zuschreiben; vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 2. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 2. So etwa in Phot. s. v. μυθήσας (M 577): μυθήσας· εἰπών [‚μυθήσας‘: sprechend]. Ein Beleg bei Demokrit (Demokr. fr. 297) lässt sich nur für das Verbalkompositum μυθοπλαστέω finden. Vgl. Immisch (1930, 164–165), der zu Recht infragestellt, ob beim Versuch der Texterklärung eine Form in den Text aufgenommen wird, die diesen noch schwerer verständlich werden lässt. Zu 2 prol. vgl. Kap. 6.3.

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plausibel.28 Aus diesem Grund scheint es meines Erachtens zulässig, v.8 in den Text aufzunehmen und ihn „from the obscurity of the apparatus“29 zu bewahren, wenngleich der Anschein einer Glosse nicht von der Hand zu weisen ist. v.9  ὕλαις: ὕλη wurde – vermutlich in Analogie zu lat. silvae – erst ab römischer Zeit im Plural verwendet. Die Form kommt bei Babrios mit ungewöhnlicher Häufigkeit vor.30 v.10  ἐλάλει […] δάφνης: Auch für diesen Vers weisen A und Π4 unterschiedliche Lesarten auf. A führt ἐλάλει δὲ πέτρα καὶ τὰ φύλλα τῆς πεύκης an, wobei Luzzatto/La Penna πέτρη anstelle von πέτρα konjizieren.31 Π4 hingegen führt ἐλάλει δὲ πεύκη καὶ τὰ φύλλα τῆς δάφνης an.32 Im Goldenen Zeitalter in A sprechen ein Stein und Fichtennadeln, in Π4 jedoch eine Fichte und die Blätter des Lorbeers; für die übrigen Akteure im Prolog lassen sich Entsprechungen in den erhaltenen Fabeln finden, für den Stein in A jedoch nicht – es wäre überdies der einzige Fall, in dem ein Stein als unbelebter Gegenstand als Akteur einer griechischen Fabel auftritt.33 Zudem könnte in Π4 ein Bezug auf die Fabel vom Wettstreit zwischen Lorbeer und Olive im vierten Iambos des Kallimachos vorliegen, wie im Folgenden gezeigt wird.34 Daher folge ich in dieser Frage Vaio und

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Hinzu kommt, dass, wie Williams (1981, 207–209) argumentiert, der Vers eine Anspielung auf eine Passage in Platons Politikos darstellen könnte, in der von der Kommunikation zwischen Menschen und Tieren in der Zeit des Kronos berichtet wird (272C): ἐμπιμπλάμενοι σίτων ἅδην καὶ ποτῶν διελέγοντο πρὸς ἀλλήλους καὶ τὰ θηρία μύθους οἷοι δὴ καὶ τὰ νῦν περὶ αὐτῶν λέγονται [Zur Genüge mit Speisen und Getränken gesättigt, erzählten sie einander und den Tieren Geschichten, die auch heute darüber erzählt werden]. Aufgrund der ungewöhnlichen Konstruktion hat man versucht, μύθους aus dem Text zu streichen; vgl. Williams 1981, 209. Allerdings überzeugen Williams Argumente meines Erachtens nicht vollends, zumal sie eine Interpolation nicht ausschließen: So könnte sich auch der Autor der Glosse an die Formulierung bei Platon angelehnt haben. Vaio 2001, 7. Vgl. Marenghi 1955a, 125; Crusius 1879, 177. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 2. Laut Vaio (2001, 7–8) geben die vorliegenden Argumente weder für A noch für Π4 den Ausschlag; angesichts ihres Alters tendiert er zur Lesart im Papyrus  – seine Überlegungen bleiben jedoch vage. Vgl. Van Dijk 1995, 254–255. Luzzatto/La Penna (1986, 2) argumentieren, dass der Stein als Beispiel für alle unbelebten Gegenstände in den Fabeln genannt wird. Als Untersützung der Lesart in A führt Holzberg (2019, 201 [s. v. Prolog]) an, dass „ein sprechender Felsen und ein sprechendes Schiff – beide könnten das Produkt der Metamorphose eines Lebewesens sein – bestens in Babrios’ ‚Paradies‘ passen.“ Andererseits argumentiert Immisch (1930, 166), das Ich erkläre in v.6, dass die übrigen Lebewesen (τὰ λοιπὰ τῶν ζῴων) sprechen, und er hinterfragt meines Erachtens zu Recht, ob ein Stein überhaupt in diese Kategorie fallen könne. Dies wäre auch für die Frage nach einer möglichen Glosse relevant: Eine intertextuelle Anspielung auf die kallimacheischen Iamboi in eine Anmerkung zur Erklärung des Textes einzubauen scheint mir unwahrscheinlicher als eben diese Anspielung durch etwas leichter Verständliches – wie einen Stein – zu ersetzen. Somit wäre die Lesart in Π4 die lectio difficilior; vgl. zudem Phaedr. 1 prol, wo

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damit dem Papyrus; jedoch sind die Lesart in A und Luzzatto/La Pennas Konjektur ebenfalls angeführt. v.11  καὶ πρῶτος/ἐλάλει […] ναύτῃ: A bietet für v.11 ἐλάλει δ’ … ἰχθὺς, βράγχε, νηὶ καὶ ναύτῃ während Π4 καὶ πρῶτος ἰχθὺς συνελάλει φίλῳ ναύτῃ anführt. Für A würden etwa die für Babrios häufige Anapher der vv.10–11 (ἐλάλει – ἐλάλει) sowie die Nennung des Adressaten sprechen,35 wobei das Schiff, das als Akteur in den Fabeln nicht vorkommt, dies jedoch wieder zu einem gewissen Grad entkräftet. Für Π4 spricht, dass der Vers im Papyrus zusammen mit dem übernommenen v.10 überliefert wurde und sich die darin geschilderte Szene tatsächlich in den Mythiamboi findet.36 Letztlich ist die Faktenlage jedoch so unklar, dass beide Verse als 11a und 11b in den Text übernommen wurden. v.15  μαθὼν δ’ ἄρ’: Diese Junktur in A ist umstritten, es wurden sowohl μάθοις δ’ ἄν37 als auch μαθὼν δ’ ἄρ’38 als Lesarten vorgeschlagen. Vaio führt μάθοις δ’ ἄν auf Minoides Mynas’ fehlerhafte Lektüre von A, auf der Boissonnades Editio princeps basiert und die dieser in einer späteren Kopie korrigiert,39 zurück und schlägt μαθὼν δ’ ἄρ’ als Lesart vor.40 Luzzatto/La Penna lesen nach A μαθω-, folgen jedoch schließlich den älteren Editionen und führen μάθοις an.41 Da Knölls und Vaios Interpretation fundiert und schlüssig erscheint und μαθω-, worauf sich die meisten Editionen einigen, mit der geringsten Änderung übernimmt, scheint es meines Erachtens gerechtfertigt, μαθὼν δ’ ἄρ’ zu übernehmen. Dies ermöglicht eine faktisch-temporale anstelle der durch μάθοις δ’ ἄν nahegelegten potenzialen Bedeutung.42 v.15  ἔχοντα: ἔχω wird hier intransitiv im Sinne von ‚sich verhalten‘ verwendet. v.17  τῆς ἐλευθέρης μούσης: Entgegen der Konjektur οὐκ ἐλευθέρης μούσης von Luzzatto/La Penna, die darin einen Kommentar des Ichs zu den äsopischen Fabeln als Ausdrucksform der ‚Unfreien‘, also des Sklavenstandes sehen,43 habe ich das in den Handschriften überlieferte τῆς ἐλευθέρης

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ebenfalls auf die Pflanzenfabel angespielt wird, wobei explizit von arbores im Plural gesprochen wird; A würde jedoch nur einen Baum sprechen lassen. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 2. Vaio (2001, 7–8) stützt sich auf das Alter des Papyus als Kriterium, bleibt jedoch unentschlossen. Vgl. etwa Boissonnade 1844, 4; Crusius 1897, 10; Perry 1965, 2. Vgl. Knoell 1881, 193; Vaio 1982, 233–234; Vaio 2001, 11. Vatopedi cod. 736, 58r. Vgl. Vaio 1982, 233–234. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 2. Zur temporalen Interpretation des Partizips mit δ’ ἄρ’ vgl. Vaio 1982, 234. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 3. Wobei La Penna eingesteht, dass auch die in A überlieferte Lesart denkbar ist: „nam Babrium finxisse Aesopum, quamquam servum, libero ore locutum.“ Auf die Möglichkeit, dass damit das Versmaß gemeint sein könnte, gehen jedoch beide nicht ein.

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Kommentar

μούσης übernommen; es handelt sich dabei meines Erachtens um eine Aussage über die Form der Fabel – ‚freie Fabeln‘ wären demnach Fabeln in Prosa. Vgl. dazu die Ausführungen in der folgenden Analyse. v.18  ἀνθίσας: A überliefert für diesen Vers die metrisch fehlerhafte Lesart ἂν θείης. Mehrere Konjekturen wurden hierfür vorgeschlagen, unter anderem ἂν θέλῃς,44 ἵνα τιθῇς45 oder ἀνθίσας.46 Da sich letztgenannte im Gegensatz zu den relativ inhaltsleeren Alternativvorschlägen am besten in den poetologischen Rahmen des Textes einfügt, in dem die dichterischen Bestrebungen des Ichs mit Bienen- und Blumenmetaphorik beschrieben werden,47 wurde ihr in den neuesten Ausgaben – meines Erachtens zu Recht – der Vorzug gegeben.48 v.19  νοῦ: Diese Zeichenfolge in A bereitet Schwierigkeiten: Viele Editionen lesen νῷ anstelle von νοῦ.49 Während die Ähnlichkeit zwischen ου und ω in der Handschrift nicht zu bestreiten ist, scheint mir der Dativ an dieser Stelle unwahrscheinlich, da die charakteristische morphologische Markierung durch ein Iota fehlt; in den unmittelbar auf 1 prol. folgenden Fabeln in A wird der Dativ hingegen durch ein jeweils adskribiertes Iota deutlich gekennzeichnet.50 Luzzatto/La Penna scheinen daher zu Recht den Genetiv zu bevorzugen.51 Parallelen: Hes. erg. 109–200; Kall. fr. 192 Pf.; Ov. met. 1,89–150 3) Analyse Von allen Texten, die Babrios zugeschrieben werden, wurde der erste Prolog der Fabelsammlung mit Abstand am meisten beachtet, wie eine Reihe von Einzeluntersuchungen und Analysen belegen, die sich ausschließlich diesem Gedicht widmen.52 Und in der Tat ist seine Bedeutung für das Verständnis der Mythiamboi zentral, ist er doch in der Regel das erste Gedicht, mit dem ein Leser in Kontakt kommt, wenn er sich mit den Fabeln beschäftigt. Doch so bedeutend der Inhalt des Prologs ist, so schwer fällt es, des ursprünglichen Textes habhaft zu werden: Wie bereits am lemmatischen 44 45 46 47 48 49 50 51 52

Vgl. Lachmann 1845, 2; Crusius 1897, 10. Vgl. Schneidewin 1845, 18; Bergk 1868, XXIV; Schneidewin 1865, 1: ἵνα θέῃς. Vgl. Tucker 1887, 26–27; Crusius 1897, 10. Vgl. Immisch 1930, 167–168. Zu den verwendeten poetologischen Bildern vgl. Kap. 4.3. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 3; Holzberg 2019, 50. Unter anderem Boissonnade 1844, 6; Crusius 1897, 10; Vaio 2001, 14. Anders etwa Immisch (1930, 168–169), der λωτοκηρίον sowie Vaio 1987, 869, der νοῦντι vorschlägt. So etwa in Babr. 1,5: αὑτῶι; 1,6: αὐτῶι; 1,7: τῶι δ’ ἀγγέλωι. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 3. Vgl. z. B. Knöll 1881; Immisch 1930; Herrmann 1949; Herrmann 1966; Williams 1981; Vaio 1982; Vaio 1987; Mann 2018. Im Zuge seiner Untersuchung der kaiserzeitlichen Iambendichtung widmet Hawkins (2014, 87–136) den Mythiamboi und insbesondere dem Prolog ein eigenes Kapitel.

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Kommentar zu erkennen ist, gestaltet sich dessen Rekonstruktion aufgrund stark divergierender Überlieferungen als schwierig: So ist das erste Gedicht der Sammlung aus textkritischer Sicht zugleich das problematischste. In den meisten Fällen wurden die Abweichungen von Luzzatto/La Pennas Text erklärt; der Nachvollziehbarkeit der Interpretation wegen habe ich jedoch in einigen Fällen relevante Alternativen angegeben, ohne eine Präferenz für die eine oder andere Lesart anzuführen. Der Prolog kann grundsätzlich in zwei Teile gegliedert werden, eine mythologisch narrative Passage, die die vv.1–14 umfasst, sowie einen kommentierend-programmatischen Prologteil (vv.15–20). Der erste Abschnitt des Prologs beginnt mit der Schilderung eines Mythos – ein Stoff, der für die Gattung Fabel zunächst durchaus ungewöhnlich erscheint.53 Einen betonten Auftakt für die folgende Sammlung liefert bereits das Geschlecht (γενεὴ, v.1), das am Beginn der Erzählung (τὸ πρῶτον, v.1) und des Gedichts eingeführt wird, durch die Auflösung im ersten Versfuß. Dieses Geschlecht wird durch ein Genetivobjekt näher beschrieben: Es ist jenes der gerechten Menschen (δικαίων ἀνθρώπων, v.1). Bereits an dieser Stelle unterscheidet sich der erste Prolog der Mythiamboi entscheidend von anderen erhaltenen Prologen antiker Fabelsammlungen: Während ein antiker Leser beim Gedanken an einen Prolog Äußerungen des Autors und dichtungstheoretische Aussagen erwarten dürfte, wird hier zunächst eine Geschichte erzählt – ein Prolog zum Prolog sozusagen. Welcher Mythos genau behandelt wird, erfährt man im folgenden Vers. Davor allerdings wendet sich das Ich in einer Apostrophe an seinen Adressaten, einen gewissen Branchos (ὦ Βράγχε τέκνον, v.2).54 Die Identität (und zweifelhafte Historizität) dieses Adressaten wurde bereits ausführlich an anderer Stelle besprochen,55 daher sei hier nur kurz darauf hingewiesen, dass zwar mehrere Erklärungsansätze hinsichtlich seiner Biographie existieren, Verbindungen zu historischen Personen in den meisten Fällen jedoch kaum überzeugen. Es handelt sich hierbei wohl vielmehr um einen ersten programmatischen Wink des Ichs, an den sich eine Reihe von poetologischen Bildern, verteilt über die beiden Prologe, anschließt.56 Zwei Bedeutungen des Namens Branchos, die meines Erachtens für einen antiken Leser besonders deutlich mitschwingen dürften, bringen diesen einerseits mit Apoll, dem Gott der Dichtkunst,57 sowie andererseits mit Kallimachos und der kallimacheischen Dichtung in Verbindung.58 So wird am Beginn des Werks indirekt sowohl

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Zu anderen Fabeln, die mythologische Inhalte bearbeiten, vgl. Babr. 12 (Kap. 6.15); 15 (Kap. 6.18). Angesprochen wird der Adressat Branchos des Weiteren in Babr. 74,15. Zur Branchos′ Identität, Erklärungsansätzen und seiner biographischen Bedeutung vgl. Kap. 2.1. Für eine ausführliche Zusammenstellung der dichtungsprogrammatischen Aussagen in den beiden Prologen sowie in den übrigen behandelten Gedichten vgl. Kap. 4. Branchos soll der Name eines mythischen Apollonpriesters gewesen sein, wie nicht nur in Kallimachos’ viertem Iambos (Kall. fr. 194,28–31 Pf.), sondern auch in einem seiner lyrischen Fragmente belegt ist, das den Titel Branchos trägt (Kall. fr. 229 Pf.); vgl. dazu Trypanis 1958, 168–169. Sowohl der Name Branchos, der als Figur bei Kallimachos in den Iamboi auftritt (Kall. fr. 194,28 Pf.) und als Titel ein weiteres Einzelgedicht des Kallimachos bezeichnet (Kall. fr. 229 Pf.), als auch

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Kommentar

Apoll als Begleiter der weiteren poetischen Unternehmungen als auch Kallimachos als direkter Vorgänger und Inspirationsquelle59 angerufen.60 Der durch die Anrede des Adressaten unterbrochene Erzählfluss wird mit einer Beschreibung des gerade erst eingeführten Geschlechts fortgesetzt, das in einem Relativsatz als ‚golden‘ bezeichnet wird (ἣν καλοῦσι χρυσείην, v.2). Nun ist klar, welcher Mythos hinter der Erzählung steht – es handelt sich um das Goldene Zeitalter, ein Teil des Weltaltermythos. Wirkmächtige Darstellungen dieses Mythos finden sich bei Hesiod, Kallimachos und Ovid.61 Die Bewertung des Mythos bei Babrios wird dadurch erschwert, dass aufgrund textkritischer Dilemmata unklar ist, ob in 1 prol. drei, vier oder die hesiodeischen fünf Weltalter dargestellt sind62 – und die Variationen in der Überlieferung beweisen, dass dies Leser bereits in der Vergangenheit beschäftigte. An die Beschreibung der Goldenen Zeit in den vv.1–2 schließt sich in je einem Vers die (vermutlich) dem traditionellen Deszendenzprinzip folgende Sequenz der restlichen Weltalter an, bis mit der Eisernen Zeit schließlich die Gegenwart erreicht und der erste Teil der Narration abgeschlossen ist. Mit dem Beginn von v.6 (ἐπὶ τῆς δὲ χρυσῆς), markiert durch eine Auflösung im ersten Versfuß, wird der zweite Teil dieses narrativen Pro-Prologs eingeleitet. Das Publikum springt aus der negativ konnotierten Gegenwart zurück in die Goldene Zeit, die den Rahmen für die Geschehnisse der vv.6–14 bildet. Die vv.6–8 eröffnen den Grund dafür, das Goldene Zeitalter einer Einleitung für ein Fabelbuch zugrunde zu legen: In dieser Zeit sprechen nicht nur Menschen, sondern auch die übrigen Tiere (τὰ λοιπὰ τῶν ζῴων, v.6).63 Sie besitzen eine verständlich artikulierte Sprache (φωνὴν ἔναρθρον, v.7 – beachtenswert ist der rhetorisch-sophistische Charakter dieser Wendung)64 und kennen dieselben Worte, die die Menschen zur Kommunikation verwenden (λόγους ᾔδει | οἵους περ ἡμεῖς μυθέομεν ἐς ἀλλήλους, vv.7–8).65 Geradezu kontrastierend wirkt die darauffolgende Aussage in v.9, wonach die Tiere zwar mit der Sprache der Menschen

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die Erwähnung der Auseinandersetzung zwischen Lorbeer und Fichte im vierten Iambos verbinden 1 prol. deutlich mit den kallimacheischen Iamboi; vgl. dazu Hawkins 2014, 97. Zu Babrios’ Quellen und Einflüssen vgl. Kap. 2.3. Vgl. Pertsinidis 2010, 38–39; zum Leser, der in den Gedichten angelegt ist, vgl. Kap. 4.1. Vgl. Hes. erg. 109–200; Kall. fr. 192 Pf.; Ov. met. 1,89–150. Besonders der Bezug zu Hesiods Erga kai Hemerai scheint hier insofern interessant, als Hesiod neben Aesop eine bedeutende Figur für die griechische Fabel darstellt, da im erwähnten Werk die erste antike griechische Fabel überliefert ist und er somit als erster Fabeldichter der griechischen Antike gilt; zur Rezeption des hesiodeischen Motivs bei Babrios vgl. Hunter 2014, 227–236. Erschwerend kommt hinzu, dass in der antiken Literatur alle drei Möglichkeiten belegt sind. Ein lexikalisches Echo hiervon findet sich in der nachfolgenden Fabel, Babr. 1 (vgl. Kap. 6.4). Dieser Terminus technicus für die artikulierte Stimme wird auch in sophistischen Werken der Zeit erwähnt, so etwa in Philostr. Ap. 6,10: καὶ προσεῖπε μὲν αὐτόν, ὡς ἐκελεύσθη, τὸ δένδρον, ἡ φωνὴ δὲ ἦν ἔναρθρός τε καὶ θῆλυς [Und es sprach ihn an der Baum, wie ihm befohlen worden war, seine Stimme aber war klar verständlich und sanft]. Zu dieser Darstellung der Sprache als allgemein verfügbar vgl. Gera 2003, 19–22; zur Tiersprache bei Babrios vgl. Pertsinidis 2020 und Allgaier 2020.

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sprechen, ihre Versammlungen und Besprechungen jedoch mitten in den Wäldern abhalten. So wird die ungewöhnliche Situation und der Kontrast zwischen Mensch und Tier, zwischen Wildnis und Zivilisation, einerseits durch die Auflösung am Beginn des Verses (ἀγοραὶ, v.9), andererseits durch die Aussage betont, die Versammlungen seien nicht etwa am Waldesrand, also an der Grenze zum Menschen, sondern mitten in den Wäldern (μέσαις ὕλαις, v.9), einem Bereich, in den die zivilisatorische Errungenschaft der Sprache nur selten gelangt, angesiedelt.66 Die Kontrastierung und gleichzeitige Betonung dieses Verses weisen den Leser dabei auf die Bedeutung der bisherigen Erzählung für die Fabel hin: Die Goldene Zeit, in der Menschen und Tiere dieselbe Sprache sprechen, Tiere wie Menschen erscheinen, aber doch ganz Tier bleiben,67 stellt das Setting für die Fabeln dar. Dem Leser wird so vor Augen geführt, dass am Beginn der Mythiamboi also ein Mythos steht,68 aus dem wiederum die folgenden Fabeln erwachsen; dieser kontextualisiert die einzelnen Erzählungen und dient somit als Rahmenerzählung für die gesamte Fabelsammlung.69 Gleichzeitig vermittelt der Prolog damit allerdings auch, dass die Erzählungen, die ihm folgen, von der Lebenswelt des Lesers weit entfernt (und somit von einer konkreten Deutungsabsicht befreit) sind.70 Vor diesem Hintergrund lassen sich die folgenden vv.10–14 in den Prolog einordnen: Das Bild der sprechenden Tiere wird fortgeführt und man erfährt, wer in der Goldenen Zeit überhaupt spricht, eingeleitet durch ἐλάλει (v.10), das durch die Auflösung im ersten Versfuß betont wird: Von der Fichte (πεύκη, v.10) über den Lorbeer (τὰ φύλλα τῆς δάφνης, v.10), einem Fisch (ἰχθὺς, v.11), einem Seemann (ναύτῃ, v.11), und Sperlingen (στρουθοὶ, v.12) bis zu einem Bauer (γεωργὸν, v.12) – in den vv.10–12 werden die einzelnen Geschehnisse, die sich in der Goldenen Zeit abspielen, und mit ihnen die Fülle an Kommunikationsformen in den babrianischen Fabeln beschrieben. Die ‚Kleinstfabeln‘, die in diesen drei Versen erzählt werden, haben zumeist Entsprechungen im folgenden Fabelbuch und bieten ganz in der Tradition von Prologen eine Inhaltsangabe respektive ein Potpourri der Themen, die in den Fabeln behandelt werden.71

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Vgl. dazu auch Allgaier 2020, 255. Der hier geschilderte Kontrast bzw. das Verhältnis zwischen Mensch und Tier spielt in vielen behandelten Fabeln eine zentrale Rolle – in diesem Sinne verweisen die Darstellungen im Prolog also auch auf die Themen der folgenden Fabeln. Zur Verortung der Fabeln in der mythischen Sphäre durch 1 prol. vgl. Nøjgaard 1967, 191–192; 262. Dies würde des Weiteren erklären, wieso 1 prol. gegenüber dem zweiten Prolog eine übergeordnete Rolle einnimmt – während 2 prol. sich der alphabetischen Anordnung ‚beugt‘, steht 1 prol. unabhängig der alphabetischen Kriterien (das Gedicht beginnt nicht mit Α, sondern mit Γ) am Beginn der Sammlung; zur alphabetischen Anordnung der Sammlung vgl. Kap. 3. Vgl. Holzberg 2012, 57–58; dagegen Pertsinidis (2010, 148–152), die den moralischen Aspekt des Weltaltermythos als Ausdruck einer didaktischen Intention des Ichs interpretiert; zur Deutungsabsicht der Mythiamboi im Hinblick auf die Epimythien-Debatte vgl. Kap. 2.2. Vgl. Van Dijk (1995, 254–255), der in diesem Zusammenhang auf die Vielfalt der aufgeführten Figuren hinweist – neben Menschen und Tieren sind Pflanzen und auch Objekte präsent.

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Kommentar

Das erste aufgerufene Bild, jenes der Fichte und des Lorbeers in v.10, scheint für die Darstellung einer Fabel gleichsam ungewöhnlich wie vielsagend: Während reine Pflanzenfabeln in der äsopischen Tradition eine eher untergeordnete Rolle spielen – verbreiteter ist dieser Fabeltyp vermutlich in der syrischen und nahöstlichen Fabeltradition72 –, finden sich Verweise auf sprechende Pflanzen nicht nur im vorliegenden Prolog, sondern auch im Prolog zum ersten Fabelbuch des Phaedrus.73 Das Motiv, auf das sich die beiden Fabelautoren beziehen, hat sich vermutlich in einem Fragment aus Kallimachos’ Iamboi erhalten: Im vierten Iambos74 wird die Fabel von Olive und

72

Die Entstehung der Pflanzenfabel lässt sich zu den Literaturen dieser Regionen zurückverfolgen; vgl. dazu Wünsche 1905, 8–9; zu den Einflüssen nichtgriechischer Fabeltraditionen auf die Mythiamboi vgl. Kap. 2.3 sowie Kap. 4.2. 73 Dort wird die ungewöhnliche, vielleicht sogar Kritik motivierende Situation explizit angesprochen (Phaedr. 1 prol.,5–7): [5] Calumniari si quis autem voluerit, | quod arbores loquantur, non tantum ferae, | fictis iocari nos meminerit fabulis [[5] Wenn jemand aber bekriteln will, dass Bäume sprechen, nicht nur Tiere, soll er sich daran erinnern, dass wir mit erfundenen Geschichten scherzen]. 74 Kall. fr. 194,1–43 Pf.: Εἷς–οὐ γάρ;–ἡμέων, παῖ Χαριτάδεω, καὶ σύ | […] | [5] ἡ μὲν..[.]ηνέκ[ | ἄκουε δὴ τὸν αἶνον· ἔν κοτε Τμώλῳ | δάφνην ἐλαίῃ νεῖκος οἱ πάλαι Λυδοί | λέγουσι θέσθαι καὶ γα[ | καλόν τε δένδρε[ον | [10] σείσασ[α] τοὺς ὅρπηκ[ας | […] | […] | […] | †ἐγὼ φαύλη πάντων τῶν δένδρων εἰμί† |[…]| [15] τάλαινα[  | ἐμεῦ πα[  | τῇ δ’ αὖτι[ς  | „ὤφρων ἐ[λαίη  | ἐγὼ δεμ.[  | [20] ὁ Δῆλον ο[ἰκέων | καί μευ τ[ | […] | ὡριστερὸς μὲν λευκὸς ὡς ὕδρου γαστήρ, | ὁ δ’ ἡλιοπλὴξ ὃς τὰ [π]ολλὰ γυμνοῦται. | τίς δ’ οἶκος οὗπερ [ο]ὐκ ἐγὼ παρὰ φλιῇ; | [25] τίς δ’ οὔ με μάντις ἢ τίς οὐ θύτης ἕλκει; | καὶ Πυθίη γὰρ ἐν δάφνῃ μὲν ἵδρυται, | δάφνην δ’ ἀείδει καὶ δάφνην ὑπέστρωται. | ὤφρων ἐλαίη, τοὺς δὲ παῖδας οὐ Βράγχος | τοὺς τῶν Ἰώνων, οἷς ὁ Φοῖβος ὠ[ργίσθη, | [30] δάφνῃ τε κρούων κἦπος οὐ τομ[ὸν λαοῖ]ς | δὶς ἢ τρὶς ε[ἰ]πὼν ἀρτεμέας ἐποίη[σε; | κ]ἠγὼ μὲν ἢ ‘πὶ δαῖτας ἢ ‘ς χορὸν φ[οι]τέω | τὸν Πυθαϊστήν· γίνομαι δὲ κἄεθλον· | οἱ Δωριῆς δὲ Τεμπόθεν με τέμνουσιν | [35] ὀρέων ἀπ’ ἄκρων καὶ φέρουσιν ἐς Δελφούς, | ἐπὴν τὰ τὠπόλλωνος ἵρ’ ἀγινῆται. | ἱρὴ γάρ εἰμι· πῆμα δ’ οὐχὶ γινώσκω | οὐδ’ οἶδ’ ὁκ[οίη]ν οὑλαφηφόρος κάμπτει, | ἁγνὴ γάρ εἰμι, κοὐ πατεῦσί μ’ ἄνθρωποι, | [40] ὤφρων ἐλαίη, σοὶ δὲ χὠπότ’ ἂν νεκρόν | μέλλωσι καίειν ἢ [τά]φ[ῳ] περιστέλλει[ν, | αὐτοί τ’ ἀνεστέψ[αντο χ]ὐπὸ τὰ πλευρά | τοῦ μὴ πνέοντ[οσ…]παξ ὑπ[έ]στ[ρωσαν.“ [„Einer von uns – nicht wahr? – auch du sein, Sohn des Charitades. […] [5] Höre nun die Fabel: Einst, sagen die alten Lyder, habe auf dem Tmolos der Lorbeer mit der Olive Streit begonnen und […] ein schöner Baum, [10] er schüttelte seine Schösslinge. […] Ich bin minderwertig unter allen Bäumen. […] [15] ich Unglückliche, […] mein […] der aber wieder […] „Du törichte Olive […] Ich, [20] der ich Delos bewohne […] und mein […]. Die linke Seite ist weiß wie der Bauch einer Wasserschlange, die andere, die großteils ungeschützt ist, sonnengebrannt. Welches Haus gibt es, wo ich nicht neben dem Tor stehe? [25] Welcher Seher oder wer, der Opfer darbringt, trägt mich nicht? Sogar die Pythia sitzt auf Lorbeer, sie besingt Lorbeer und hat sich auch Lorbeer aufgebreitet. Törichte Olive, hat nicht Branchos die Kinder der Ionier, denen Phoibos Apollo zürnte, [30] wieder unversehrt gemacht, indem er sie mit Lorbeer schlug und ein für das gemeine Volk nicht verständliches Wort zwei oder dreimal sagte? Auch zu den Speisungen oder zum Tanz derer, die nach Delphi ziehen, komme ich immer wieder: Ich werde auch zum Siegespreis: Die Dorer schneiden mich von den Berggipfeln am Tempe [35] und bringen mich nach Delphi, wann immer die heiligen Festlichkeiten des Apollon vollzogen werden. Denn heilig bin ich: Kein Leid kenne ich und nicht einmal weiß ich, wohin sich der Totengräber wendet. Rein bin ich nämlich und nicht steigen die Menschen auf mir herum, [40] törichte Olive, aus dir aber, wann auch immer sie einen Leichnam verbrennen oder zu Grabe tragen wollen, flechten sie sich Kränze und unter die Seiten des nicht Atmenden breiten sie dich.“] In der Antwort der Olive werden einige weitere Bäume aufgezählt, darunter auch die Fichte.

Babr. 1 prol.

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Lorbeer erzählt; diese streiten sich darum, wer von ihnen der bessere Baum sei.75 Die Parallele in 1 prol. ist erkennbar, der Lorbeer tritt in der Kallimachosfabel selbst auf, die Olive bei Kallimachos ist hier eine Fichte. Die Bedeutung dieses Iambos für den Prolog ist darüber hinaus insofern deutlich, als das Fragment ein Zeugnis für den Namen Branchos darstellt – in 194 Pf. bezeichnet er den bereits genannten Apollonpriester. Eine rein zufällige Parallele zweier derart distinktiver Motive in zwei aufeinanderfolgenden Passagen desselben Gedichts ist kaum wahrscheinlich. Durch den doppelten Bezug auf den vierten Iambos zeigt sich für einen antiken Leser also einerseits die Zugehörigkeit zur iambischen Fabeltradition; durch die Verbindung zu Kallimachos wird jedoch andererseits das Bewusstsein für die bekannte kallimacheische Programmatik im Hinblick auf die Bewertung von Dichtung geweckt, die in den folgenden poetologischen Bildern noch deutlicher zum Vorschein tritt. Wollte man schließlich der ‚Kleinstfabel‘ in 1 prol. eine Entsprechung in der Fabelsammlung zuordnen, so wäre hier z. B. Babr. 38 zu nennen, die Fabel von der Fichte und den Holzfällern, in der sich diese über ihr Leid beklagt. Die Tatsache, dass sich keine Fabel finden lässt, die den Lorbeer thematisiert, verleiht dem Argument, dass es sich hierbei um eine geschickte Anspielung auf Kallimachos’ Iamboi und somit die iambische Fabeltradition handelt, noch mehr Gewicht. Das daran anschließende Bild des Fischs, der sich mit dem Seemann unterhält (v.11, betont durch eine Auflösung im vierten Versfuß), hat seine Entsprechung in Babr. 6, der Fabel von Fisch und Fischer, in der der Fisch den Fischer erfolglos um Gnade anfleht.76 Die Sperlinge, die sich mit einem Bauern unterhalten (v.12), stellen ein weiteres Bild dar, das die Kommunikation zwischen Tier und Mensch illustriert. Eine Entsprechung findet sich beispielsweise in Babr. 12, wo eine Schwalbe am Land friedlich mit Bauern zusammenlebt, wobei auch hier keine genaue Übereinstimmung vorliegt.77 Den Abschluss der Geschehnisse im Goldenen Zeitalter und damit den Abschluss des narrativen Teils des Prologs bilden die vv.13–14, die ein traditionelles Motiv des Weltaltermythos abbilden – die Erde, die alles ohne fremdes Zutun hervorbringt, einerseits (ἐφύετ’ ἐκ γῆς πάντα μηδὲν αἰτούσης, v.13)78 und den paradiesischen Frieden

75 76 77 78

Vgl. Hawkins 2015, 313. Der Fischer in Babr. 6 wird insofern als Seemann charakterisiert, als er die ‚Meeresküste streift‘, eine Formulierung, die auch für die Bewegung von Schiffen verwendet wird; zu Babr.  6 vgl. Kap. 6.9. Zu Babr. 12 vgl. Kap. 6.15. Im Umkehrschluss zu behaupten, es gebe gar keine genauen Übereinstimmungen, scheint jedoch angesichts der unvollständigen Überlieferung nicht zulässig. Vgl. die entsprechende Parallele in Hes. erg. 117b–118a: καρπὸν δ’ ἔφερε ζείδωρος ἄρουρα | αὐτομάτη πολλόν τε καὶ ἄφθονον [Frucht brachte die Getreide spendende Erde von selbst – viel und neidlos]. Vgl. Hunter (2014, 232, Anm. 12), der darauf hinweist, dass bei der babrianischen Formulierung eine sexuelle Konnotation mitschwingen könnte, wie dies bei anderen Darstellungen des Motivs, etwa in Ov. met. 1,101, oder Max.Tyr. 36,1–2, nahegelegt wird.

100

Kommentar

zwischen Göttern und Sterblichen andererseits (θνητῶν δ’ ὑπῆρχε καὶ θεῶν ἑταιρείη, v.14). Angesichts der Erde, die ihre Früchte von selbst gibt, scheint die Präsenz des zuvor erwähnten Landmanns in der Goldenen Zeit wie ein Anachronismus, da Landwirtschaft erst im Silbernen Zeitalter eingeführt wird.79 Diese merkliche Abweichung vom traditionellen Mythos könnte dazu dienen, die Aufmerksamkeit des Lesers auf den γεωργός in v.12 zu lenken und somit eines jener Themen zu betonen, die in den Fabeln der Mythiamboi besonders häufig vorkommen – die Landwirtschaft.80 Was den geschilderten Frieden betrifft, so findet sich – sofern man unter der der Bezeichnung θνητῶν auch Tiere versteht81 – eine Entsprechung zum friedvollen Umgang zwischen Göttern und Lebewesen beispielsweise in Babr.  32, in der Aphrodite ein verliebtes Wiesel wohlwollend in eine Frau verwandelt. Im Allgemeinen gestaltet sich die Beziehung zwischen Tieren, Menschen und Göttern in den Fabeln in der Regel jedoch kaum als friedlich,82 was die Glaubwürdigkeit dieser Aussagen des Ichs infrage stellt, wie im Folgenden noch diskutiert wird. V.15 markiert eine deutliche Zäsur in der Struktur des Prologs: Während die vv.1–14 erzählend mythologische Inhalte schildern, folgen in den vv.15–20 jene Inhalte, die sich ein antiker Leser vermutlich von einem Prolog erwartet hätte. In diesem Abschnitt tritt ein Dichter-Ich zum Vorschein, das sich als Erzähler des Weltaltermythos präsentiert und im Folgenden darlegt, nach welchen Prinzipien es die Fabelsammlung gestaltet hat.83 Die Häufung an Enjambements in diesen letzten 6 Versen  – der gesamte Abschnitt besteht aus einem durchlaufenden Satz – macht deutlich, dass hier ein konziser und abgeschlossener Gedanke vermittelt werden soll, der vom Vorhergehenden unabhängig, mit diesem jedoch durchaus durch Textbezüge verbunden ist. Dazu wird der Leser mit γνοίης (v.15) zunächst in der Rolle des Adressaten Branchos angesprochen.84 Dieser hat gelernt (μαθὼν, v.15), dass sich die Erzählung – ταῦτα bezeichnet dabei den Inhalt der vv.1–14 – so verhält, wie das Ich es dargelegt hat. Die Quelle dieses Wissens wird über ein Enjambement in v.16 nachgereicht: Die Figur Aesops wird als alter und weiser Lehrmeister (ἐκ τοῦ σοφοῦ γέροντος, v.16) eingeführt, der als Fabelerzähler (μύθους φράσαντος, v.17) die inhaltliche Grundlage85 für die Fa-

79 80 81 82 83 84 85

Vgl. Immisch 1930, 163; Hunter 2014, 232–233. Allein in den analysierten Fabeln findet sich dieses Sujet bereits in Babr. 2 (vgl. Kap. 6.5), 11 (vgl. Kap. 6.14), 12 (vgl. Kap. 6.15) und 13 (vgl. Kap. 6.16). Ähnliche Verwendungen des Begriffs für alle Lebewesen finden sich in Plat. soph. 265C; Hdt. 2,68,2. Für die Beziehung zwischen Menschen und Göttern vgl. beispielsweise Babr. 2 (Kap. 6.5), wo der Bauer den Gott schmäht, sowie Babr. 10 (Kap. 6.13), wo Aphrodite sich über eine Sklavin lustig macht, die die Bestrafung ihres Herrn für eine Segnung der Göttin hält. Zur Figur des Dichter-Ichs vgl. Kap. 4.1. Vgl. hierzu auch Kap. 4.1. Bereits der Titel der Fabelsammlung selbst zeigt an, dass das Verhältnis zwischen Inhalt und Form für das poetische Verständnis des Dichters essenziell ist: Aesop mit seinen μύθους bildet den In-

Babr. 1 prol.

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beldichtung bildet.86 Bei der Wiedergabe von Fabeln Aesop, den Archegeten und besten Erzähler,87 als Quelle und Beleg anzuführen, ist ein häufig verwendeter Topos.88 Insbesondere in der antiken Fabeldichtung ist es daher üblich, sich auf diesen als Quelle zu stützen und sich damit in eine literarische Tradition einzuordnen.89 Das DichterIch stellt sich dabei mit dem Pronomen der ersten Person Plural, ἧμιν (v.16), auf eine Stufe mit dem Adressaten, sie beide lauschen den Fabeln Aesops – dem gemeinsamen Fabelerzähler der griechischen Welt. Allein der Bezug auf Aesop macht die babrianische Fabel jedoch noch nicht aus, wie aus der Beschreibung des Vorbilds in v.17 hervorgeht: Die Fabeln, die Aesop erzählt, sind in ‚freier Muse‘ (ἐλευθέρης μούσης, v.17) gestaltet. Auf die Verständnisfrage wurde bereits im Zuge der textkritischen Erläuterung hingewiesen: Während in der Tradition einer biographischen Auslegung hinter dieser Erwähnung ein Hinweis auf Aesops Stand als Sklave vermutet wurde,90 finden sich auch Versuche, den Ausspruch auf die literarische Form der Fabeln zu beziehen – Fabeln in ‚freier Muse‘ bedeuten demnach Fabeln in Prosa.91 Aus mehreren Gründen scheint mir diese Annahme im Kontext von 1 prol. plausibler: Erstens wird berichtet, dass die Fabeln, die unter dem Namen Aesops in der Antike in Umlauf waren, tatsächlich Prosafabeln waren und die Gattung der äsopischen Versfabel erst danach

halt, eine Hälfte der Mythiamboi. Der zweite Teil, die iambische Form, folgt in den folgenden Versen; vgl. Kap. 2.2 zum Titel der Sammlung sowie 2 prol. (Kap. 6.3) zum Begriff Mythiambos. 86 Interessanterweise finden die Beispiele der vv.1–14 in den erhaltenen Sammlungen gerade keine stofflichen Entsprechungen. Einer konkreteren Deutung der vv.15–16 zufolge könnte mit der Autorschaft Aesops nicht nur die Quelle der Fabeldichtung im Allgemeinen gemeint sein, sondern auch spezifisch seine Schilderung sprechender Tiere im Goldenen Zeitalter, wie von Kallimachos im zweiten Iambos geschildert wird; die Parallele wird im Folgenden noch behandelt. 87 So wird dieser beispielsweise in Aphth. prog. 10,1 bezeichnet: νικᾷ δὲ μᾶλλον Αἰσώπειος λέγεσθαι τῷ τὸν Αἴσωπον ἄριστα πάντων συγγράψαι τοὺς μύθους [Sie wird jedoch am meisten ‚äsopisch‘ genannt, aufgrund der Tatsache, dass Aesop von allen am besten Fabeln verfasste.] Vgl. daneben Theon. prog. 3,173: Αἰσώπειοι δὲ ὀνομάζονται ὡς ἐπίπαν, οὐχ ὅτι Αἴσωπος πρῶτος εὑρετὴς τῶν μύθων ἐγένετο, […] ἀλλ’ ὅτι Αἴσωπος αὐτοῖς μᾶλλον κατακόρως καὶ δεξιῶς ἐχρήσατο. [‚äsopisch‘ werden sie für gewöhnlich genannt, nicht weil Aesop der erste Erfinder der Fabeln wurde, […] sondern weil Aesop sie im Überfluss und besonders erfolgreich einsetzte]. 88 So beispielsweise in Aristoph. Av. 471–475; 651–653; Aristot. meteor. 356B; Kall. fr. 192,15–16 Pf.; Plat. Alk. 1,123A; Plut. Arat. 30,8. 89 Verweise auf Aesop finden sich in den Prologen aller erhaltenen Versfabelsammlungen: Phaedrus bezieht sich in 1 prol., 2 prol., 2 epil., 3 prol., 4 prol., 5 prol. sowie in einigen Fabeln auf diesen, Babrios in 1 prol., 2 prol. sowie in den Epimythien einiger Fabeln und Avian in der Einleitungsepistel seines Fabelbuchs, wo er Aesop als huius […] materiae ducem [Anführer auf diesem (Stoff-)Gebiet] bezeichnet; vgl. Holzberg 2012, 17. 90 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 3. Die sozialkritische Komponente, die an dieser Stelle angemerkt wurde, war jedoch zu keiner Zeit die primäre bzw. alleinige Aussageabsicht von Fabeln; vgl. Perry 1965, xxiv–xxv; Schmidt 1979, 79–80; Gärtner 2011, 277. 91 Vgl. Rutherford 1883, 4; Immisch 1930, 167; Vaio 2001, 11–12. Holzberg (2019, 201 [s. v. Prolog]) stimmt zu, hält jedoch auch die andere Annahme für nachvollziehbar. Hawkins (2014, 108) sieht darin einen Bezug zu Ovids liber iambus (Ib. 53), was die freizügige Natur des iambischen Genres und seiner Themen unterstreichen soll.

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Kommentar

entstanden sein dürfte.92 Zweitens ist eine auf Literatur bezogene Aussage im Kontext anderer programmatischer Äußerungen naheliegend – schließlich thematisiert das Ich nur drei Verse weiter sein eigenes Versmaß; man kann daher annehmen, dass es sich auch hier auf den literarischen Charakter der Fabeln bezieht und das Motiv der Prosaerzählungen aufruft, um im Anschluss seine eigenen Versfabeln als Kontrast dazu zu positionieren und dadurch seine Einzigartigkeit sowie sein Innovationspotenzial hervorzuheben.93 Die letzten drei Verse (vv.18–20) bilden den Abschluss der programmatischen Schilderung und damit des Prologs. Das Ich greift die Stoffquelle in der Form der äsopischen Fabel durch einen Relativsatz, eingeleitet durch ὧν (v.18), wieder auf und führt an, inwiefern sich seine Bearbeitung vom äsopischen Original unterscheidet: Es habe eine jede äsopische Fabel (ἕκαστον, v.18) geschmückt und blumig ausgestaltet (ἀνθίσας, v.18); dabei sei es nach eigenem geistigen (Erinnerungs-)Vermögen (ἐμῇ μνήμῃ, v.18) vorgegangen. Der deutliche Beleg der stofflichen Quelle streicht hervor, dass die Eigenleistung des Ichs nicht in inhaltlicher Innovation liegt, sondern in der poetischen Ausgestaltung der Fabeln: Die florale Metaphorik, die dabei durch das Verb ἀνθίζω aufgerufen wird,94 repräsentiert diese Eigenleistung; es handelt sich dabei um ein typisch poetisches Sprachbild, dessen Klimax im darauffolgenden Vers präsentiert wird. Daneben unterstreicht ἐμῇ μνήμῃ einerseits die Eigenleistung des Dichter-Ichs noch weiter  – dessen Erinnerungsvermögen dient als Mittler zwischen dem äsopischen Stoff als Ausgangsbasis und dem innovativen poetischen Werk als Endprodukt; somit ist diesem die Freiheit gegeben, aus bestehenden Stoffen auszuwählen und sie entsprechend zu verändern. Andererseits schwingt in ἐμῇ μνήμῃ auch die Bedeutung ἐμῇ μούσῃ mit: Als Mutter der Musen stellt Mneme bzw. Mnemosyne selbst eine Muse dar – durch die Mehrdeutigkeit des Begriffs μνήμῃ wird also nicht nur das Motiv des dichterischen ingenium illustriert, sondern auch die musische Inspiration als Quelle für das Verfassen von Literatur eingeführt. Die Wahl für die Bezeichnung μνήμη statt μούση könnte entweder der Variatio geschuldet sein – immerhin ist der wörtliche Bezug mit ἐλευθέρης μούσης bereits im vorangehenden Vers gegeben95 – oder es sollen die beiden Aspekte, die Mneme repräsentiert, explizit gemeinsam betont werden – das Ich wählt die Stoffe also nach eigenem Gutdünken aus und versieht sie anschließend

92

So wird bei Platon (Phaid. 60C–D) beispielsweise erzählt, Sokrates hätte sich die Zeit im Gefängnis damit vertrieben, Aesopfabeln in Verse zu fassen. 93 Auch im zweiten Prolog wird das Versmaß der Fabeln thematisiert; zu 2 prol. vgl. Kap. 6.3. Insgesamt wird μούση in allen Fabeln der Mythiamboi im Kontext von sprachlicher oder literarischer Produktion verwendet, so etwa in Babr. 8 (vgl. Kap. 6.11), 12 (vgl. Kap. 6.15) oder 15 (vgl. Kap. 6.18). 94 ἀνθίζω bedeutet in der Regel ‚mit Blumen bestreuen‘ bzw. ‚mit Blumen verzieren‘, so in Eur. Ion 890; Philostr. imag. 1,15. Der Begriff kann auch übertragen, beispielweise zur Beschreibung der Rede, verwendet werden, etwa in Dion.Hal. Isokr. 13. Daneben bedeutet ἀνθίζω auch ‚(um)-färben‘, wie etwa in Aristot. hist.an. 547A18; Hdt. 1,98. 95 Vgl. Immisch 1930, 167; Vaio 1987, 869; Vaio 2001, 13.

Babr. 1 prol.

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mit ‚seiner Muse‘,96 das heißt seiner Inspiration und bzw. oder dem Versmaß des Iambos – wofür μούση in v.17 ja steht – im Vergleich zu den äsopischen Prosafabeln. In diesem Sinne wird ein Leser gleichzeitig auf mehrere literarisch-poetologische Eigenschaften hingewiesen, die die Fabeln der Mythiamboi besonders machen.97 V.19 führt die bereits im vorangehenden Vers begonnene poetologische Bildsprache weiter: Das Ich präsentiert dem Leser bzw. Branchos (σοι, v.19) sein Werk – das Produkt des poetischen Prozesses – als honigtriefende Wabe (μελισταγές98 […] κηρίον, v.19) seines Geistes (νοῦ, v.19).99 Sowohl die Verzierung mit Blüten als auch das Bild der Dichtung als Honigwabe stehen in einer langen poetischen Tradition: Die Biene für den Dichter, das Sammeln und Auswählen verschiedener Blüten für den Dichtungsvorgang sowie der Honig bzw. die Honigwabe als Ergebnis dieses Vorgangs sind beliebte Sprachbilder, um den künstlerischen Entstehungsprozess zu beschreiben.100 Die Schlüsse, die sich daraus ziehen lassen, wurden für die Darstellung im Prolog bereits in Kap. 4 eingehend besprochen, jedoch sei an dieser Stelle noch auf zwei Dinge hingewiesen. Erstens ist augenfällig, dass der gesamte zweite Teil des Prologs den Fokus allmählich immer stärker auf die Figur des Dichters lenkt, was vor allem an der grammatischen Abfolge der Personen deutlich wird: Während zu Beginn der Fokus noch auf dem Adressaten liegt (γνοίης, v.15: 2. P. Sg.), bildet das Dichter-Ich anschließend mit diesem eine Gemeinschaft (ἧμιν, v.16: 1. P. Pl.), bevor die finalen drei Verse zur Gänze auf das Ich konzentriert sind (ἐμῇ μνήμῃ, v.18; θήσω, v.19: 1. P. Sg.). Zweitens illustriert die honigtriefende Bienenwabe, die das Ich darbringen möchte, die Süße, die seiner Dichtung innewohnt und von seinem Geist (vgl. μνήμη) ausgeht – die Fabeln sollen unterhalten und erfreuen, ihre Lektüre ist so angenehm wie eine Süßspeise. Dieser Aspekt ist besonders für den abschließenden v.20 relevant. Hier geht das Ich darauf ein, wie es mit dem Versmaß der Sammlung umgeht.101 Es berichtet, die

96 Dass alte Fabelstoffe mit der neuen Muse des Dichters versehen werden, findet sich auch in 2 prol.,6 (dort als νέῃ μούσῃ); zu 2 prol. vgl. Kap. 6.3. Dagegen Luzzatto 1985, 105–106, Anm. 35. 97 Daneben könnte der Begriff auch auf die intertextuelle Natur der Fabeln anspielen, die das Ich gemäß seiner Erinnerung mit anderen Texten verknüpt; vgl. Holzberg 2019, 17; 201 (s. v. Prolog). 98 Ein typisches Epitheton in spätantiker griechischer Dichtung, so etwa in Nonn. Joh. 19,155; Tryph. 119; Anth.Gr. 5,295 (Leontios). 99 Vgl. Luzzatto (1985, 106) bzw. Luzzatto/La Penna (1986, 3), die hierzu anführen, dass es sich beim νοῦς ebenso um den Geist des Adressaten handeln könnte, der wie eine Wabe mit dem poetischen Honig der Fabeln gefüllt wird. 100 Zur poetologischen Metaphorik des Blüten- und Honigsammelns bzw. der Biene als Bild für den Dichter vgl. Waszink 1974; Nünlist 1998; Kap. 4.3. Eine spätantike Parallele, die das poetologische Bild der honigsüßen Bienenwabe in ganz ähnlicher Form umsetzt, findet sich in einem epischen Fragment des Christodoros in der Anthologia Graeca (Anth.Gr. 2,1,340b–343a): ἀλλ’ ἐνὶ κείναις | αὐτογενής, Χαρίτεσσι συνέστιος, ἵζανεν Αἰδώς. | Πιερικὴ δὲ μέλισσα περὶ στόμα θεῖον ἀλᾶτο, | κηρίον ὠδίνουσα μελισταγές [Aber unter jenen saß die verwandte Aidos, die mit den Chariten den Herd teilt. Die pierische Biene tänzelte um ihren göttlichen Mund und brachte in mühevoller Arbeit eine honigtriefende Wabe hervor]. 101 Vgl. hierzu die entsprechenden Passagen im zweiten Prolog (Kap. 6.3).

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Kommentar

‚harten Spitzen der stechenden Iamben‘ (πικρῶν ἰάμβων σκληρὰ102 κῶλα, v.20) weichgemacht zu haben.103 Dieses poetologische Bild der Dichtung als handwerkliche Bearbeitung eines Werkstoffs104 stellt einen Kommentar zum Versmaß des Iambos dar, der, da er hauptsächlich für Spottdichtung verwendet wurde, den Ruf hatte, besonders ‚stechend‘ zu sein.105 Wenn das Ich also die spitzen Iamben glättet und ihnen ihr Stechen nimmt, dann bezieht es sich nicht nur auf die metrische Form der Verse, sondern auch auf das Genre der Iambendichtung im Allgemeinen:106 Es befreit diese von ihrem spöttischen Äußeren und macht sie für andere Inhalte zugänglich – so wie die süße und daher angenehm-unterhaltsame Dichtung der Mythiamboi.107 Ob diese programmatische Umorientierung der Gattung tatsächlich gelingt, offenbart sich in den folgenden Gedichten.108 Ferner findet die Aussage eine Parallele in der kallimacheischen Iambendichtung, wo ein aus der Unterwelt wiedergekehrter Hipponax im ersten Iambos programmatisch verkündet, er bringe einen Iambos, der nicht von feindlicher Auseinandersetzung handelt.109 Somit stellt sich das Ich auch in dieser Hinsicht in die Nachfolge des Kallimachos. Im Zentrum dieser programmatischen Abwandlung der

102 Neben der vorliegenden Bedeutung findet sich eine Verwendung von σκληρός als Terminus technicus zur Beschreibung von Stimme und Rede vor allem in kaiserzeitlicher rhetorischer Literatur, so etwa in Dion.Hal. Thuk. 30, wo σκληραγωγῶν τὴν λέξιν die Art zu sprechen bezeichnet. 103 Vgl. den Prolog zu Phaedrus’ erstem Fabelbuch (Phaedr. 1 prol.,2), wo ein ähnliches Bild zur Bearbeitung des Stoffes verwendet wird: Hanc ego polivi versibus senariis [Diesen habe ich in senarischen Versen aufpoliert]. 104 Vgl. dazu Kap. 4.3. 105 So etwa in Diog.Laert. 5,85, wo über einen Iambendichter gesagt wird, er sei ein πικρὸς ἀνήρ [bitterer Mann] oder ein Epigramm des Julian, in dem der Tod des Archilochos folgendermaßen beschrieben wird (Anth.Gr. 7,69,3–4): Ἀρχίλοχος τέθνηκε· φυλάσσεο θυμὸν ἰάμβων | δριμὺν, πικροχόλου τικτόμενον στόματος [Archilochos ist tot: Hüte dich vor dem bissigen Geist der Iamben, der aus seinem Mund voll bitterer Galle hervorgebracht wird]. 106 Vgl. Hunter (2014, 97–98), der die Verwendung des Begriffs Iambos hier als „generic marker rather than a strictly metrical classification“ bezeichnet. Auch Rodríguez Adrados (1999a, 103,) meint, die Anpassung des Iambos umfasse nicht nur metrische, sondern auch inhaltlich-literarische Änderungen; wie Luzzatto (1985) jedoch dargelegt hat, könnte sich die Aussage sogar auch auf metrische Eigenschaften des babrianischen Choliambos beziehen, der durch einen Spondeus anstelle eines Trochäus im letzten Versfuß als weniger ‚hart‘ wahrgenommen wird. 107 Vgl. Perry 1965, 4–5; Vaio 2001, 15; Pertsinidis 2010, 67; Holzberg 2019, 57–58; zum Versmaß der Mythiamboi und dem poetologischen Gehalt der Prologpassagen, die den Umgang mit diesem thematisieren vgl. Kap. 2.3 sowie Kap. 4.2. Auch auf inhaltlicher Ebene könnte eine Verbindung zwischen der Iambendichtung und dem Bild der honigsüßen Dichtung bestehen. So wird in Hes. theog. 96–103 z. B. berichtet, der Dichter, den die Musen lieben und dessen Sprache süß dahinfließt, helfe den Besorgten und Leidenden, ihre Sorgen zu vergessen. Auf 1 prol. übertragen könnte dieses Motiv bedeuten, dass jene, die sich vielleicht am stechend-spöttischen Charakter der iambischen Dichtung stören, ihre Besorgnis beruhigt ablegen können angesichts der Süße der iambischen Fabeln. 108 Vgl. hierzu insbesondere Babr. 1 (Kap. 6.4), wo mit πικρός dieses programmatische Bild wieder aufgegriffen und konterkariert wird, sowie Mann 2018; Holzberg 2019; Allgaier 2022. 109 Kall. fr. 191,3 Pf.: φέρων ἴαμβον οὐ μάχην ἀείδοντα [ich bringe einen Iambos, der nicht vom Kampf singt]; vgl. Hunter 2014, 229.

Babr. 1 prol.

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iambischen Dichtung steht das Bild der Honigbiene, die in den Mythiamboi nun die stechende Wespe der Iamben ersetzt.110 Die antithetische Verbindung von Süße und Bitterkeit am Ende des Gedichts ruft des Weiteren traditionelle poetologische Bilder der Lehrdichtung auf, wie sie etwa bei Hesiod und Lukrez vorkommen,111 wodurch sich das Ich wiederum in eine bestehende poetische Tradition einordnet.112 4) Parallelen Die Parallelen zu 1 prol. betreffen in erster Linie die Schilderung des Weltaltermythos im ersten Teil des Gedichts. Die älteste und bekannteste Darstellung dieses Mythos findet sich, wie bereits erwähnt, in Hesiods Erga Kai Hemerai,113 wobei eine Abfolge von ursprünglich fünf Weltaltern beschrieben wird. Eine weitere Bearbeitung liegt in Ovids Metamorphosen vor,114 die die hesiodeischen fünf auf vier Weltalter verkürzt.115 Ob sich der Text des Prologs in eine der beiden Traditionen einreiht oder gar einen dritten Weg geht und die Weltalter in einem weiteren Schritt auf lediglich drei verkürzt,116 lässt sich aufgrund der textkritischen Unsicherheiten in Bezug auf den Prologanfang nicht mit Sicherheit beantworten. Die Idee, die Welt der Fabel – und damit jene der sprechenden Tiere – mit dem Weltaltermythos zu verbinden, ist nicht neu. Ein bedeutendes Vorbild findet sich in den Iamboi des Kallimachos, über dessen Einfluss auf die Mythiamboi bereits oben sowie an anderer Stelle ausführlich berichtet wurde.117 Neben den erwähnten Parallelen aus dem vierten Iambos stellt vor allem der zweite Iambos118 einen wichtigen Bezugs110 Vgl. Hunter 2014, 98; Hawkins 2015, 309–310; Kap. 4.3. 111 So in Schol.Hes. erg. prol.,3; Lucr. 1,933–950; 4,8–25; vgl. Pertsinidis 2010, 67; Hunter 2014, 234–235. 112 Angesichts der zahlreichen Rückgriffe auf bereits Bestehendes ist die Frage nach dem Innovationsgehalt der babrianischen Dichtung, die in Kap. 4.2 sowie Kap. 6.3 Thema ist, interessant. 113 Hes. erg. 109–200. 114 Ov. met. 1,89–150. 115 Das Motiv der Goldenen Zeit unter der Herrschaft des Kronos findet sich in der griechischen Literatur auch bei Pindar (O. 2,70–75) oder Platon (polit. 271C), in der lateinischen Literatur neben Ovid auch bei Horaz (epod. 16,64–65; carm. 4,2,37–40) sowie Vergil (ecl. 5); vgl. Pertsinidis 2010, 147. 116 Dieses Vorgehen würde er mit den Darstellungen des Arat (Arat. 100–136) und des Antipatros v. Thessalonike (Anth.Gr. 5,31) teilen, die ebenfalls eine Abfolge in drei Weltaltern (Gold – Silber – Bronze) darstellen, wobei im Prolog Bronze mit Eisen ersetzt würde; vgl. Hunter 2014, 228, Anm. 1. 117 Vgl. dazu unter anderem Kap. 2.3 sowie Kap. 4. 118 Kall. fr. 192 Pf.: Ἦν κεῖνος οὑνιαυτός, ᾧ τό τε πτηνόν  | καὶ τοὐν θαλάσσῃ καὶ τὸ τετράπουν αὔτως  | ἐφθέγγεθ’ ὡς ὁ πηλὸς ὁ Προμήθειος  | […]  | τἀπὶ Κρόνου τε καὶ ἔτι τὰ πρὸ τη[  | [5] λ..ουσα και κως [.]υ σ[.]νημεναισ.[  | δίκαιος ὁ [Ζε]ύς, οὐ δίκαι[α] δ’ αἰσυμνέων  | τῶν ἑρπετῶν ̣ [μ]ὲν ἐξέκοψε τὸ φθέ[γμα, | γένος δὲ τ.υτ.[.].ρον–ὥσπερ οὐ κάρτ[ος | ἡμέων ἐχόντων χἠτέροις ἀπάρξασθαι– | [10] …]ψ ἐς ἀνδρῶν· καὶ κυνὸς [μ]ὲ[ν] Εὔδημος, | ὄνου δὲ Φίλτων, ψιττακοῦ δε[ | οἱ δὲ τραγῳδοὶ τῶν θάλασσαν οἰ[κεύντων | ἔχο[υ]σι φωνήν· οἱ δὲ πάντες [ἄνθρωποι | καὶ πουλύμυθοι καὶ λάλοι πεφ[ύκασιν | [15] ἐκεῖθεν, ὠνδρόνικε· ταῦτα δ’ Αἴσωπος | ὁ Σαρδιηνὸς εἶπεν, ὅντιν’ οἱ Δελφοί | ᾄδοντα μῦθον οὐ καλῶς ἐδέξαντο [Es war jene Zeit, in der geflügelte, meeres- und Tiere, die sich auf allen Vieren fortbewegen, eben solche Laute von sich gaben wie auch der Ton des Prometheus […] in der Zeit des Kronos und noch davor […] [5] Gerecht ist Zeus, in ungerechter Herrschaft

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punkt dar. Eine Szene dieses Iambos scheint der Ausgangssituation in 1 prol. sehr ähnlich zu sein. In der Diegesis zu diesem Fragment wird berichtet, dass die Erzählung in einer Zeit stattfindet, in der Menschen und Tiere dieselbe Sprache sprechen und frei miteinander kommunizieren. Nach der waghalsigen Aussage des Fuchses, Zeus herrsche nicht gerecht, beschließt dieser jedoch, den Tieren die Sprache zu nehmen und sie den Menschen allein zu überlassen.119 Darauf basiert der vermutlich komische Ausspruch am Ende des Fragments, wo erwähnt wird, dass Menschen die Stimmen der Tiere erhalten hätten. Intertextuell besonders aufschlussreich ist diese Parallele angesichts ihrer kontextuellen Einbettung im zweiten Iambos: Das Ich erzählt dort, dass diese Fabel die letzte gewesen sein soll, die Aesop erzählt habe, bevor er von den Delphiern in den Tod getrieben wurde. Die Parallele zu 1 prol. ist somit sowohl im Hinblick auf den Inhalt – beide Texte behandeln eine Frühzeit, in der Menschen und Tiere miteinander kommunizieren können – als auch im Hinblick auf die kontextuelle Einbettung gegeben: Während die Fabel bei Kallimachos die letzte Erzählung Aesops vor seinem Tod darstellt, ist sie in 1 prol. die erste, die Babrios seinem Publikum erzählt – wodurch sein poetischer Anspruch als alter Aesopus, den er im ersten und zweiten Prolog deutlich zur Schau stellt, noch weiter unterstrichen wird.120 Und auch die bereits im Zuge der Weltaltererzählung behandelten Parallelen in Kallimachos’ viertem Iambos lassen sich mit der vorliegenden Passage in Verbindung bringen: Der Streit von Olive und Lorbeer, auf den v.10 des Prologs anspielen dürfte, spielt am Tmolos-Gebirge in Lydien,121 er verweist also auf die Gegend, aus der Aesop kommen soll – nach der Erzählung im zweiten Iambos stammt er aus Sardes, der Hauptstadt Lydiens. Daneben sei nochmals auf die bereits besprochene Parallele zum Prolog zu Phaedrus’ erstem Fabelbuch hingewiesen, in dem sich dieser ebenfalls auf den Stoff Aesops bezieht und den Umstand thematisiert, dass in seinen Fabeln sprechende Pflanzen vorkommen. Aus beiden Prologen geht hervor, dass diese wohl in einer gemeinsamen Tradition stehen, die womöglich auf die erwähnte kallimacheische Darstellung der antiken Fabel zurückgeht.122 Besonders für Babrios zeigt sich dieser kallimacheische Einschlag angesichts der zahlreichen Parallelen zu den Iamboi sehr deutlich.

aber entzog er den Tieren, die sich am Boden fortbewegten, ein … Geschlecht, die Stimme – als ob wir nicht die Kraft hätten, einen Teil davon mit den anderen zu teilen – … [10] zu den … der Menschen: Und Eudemos hat die Stimme eines Hundes, Philton die eines Esels, … die eines Papageien und die Tragödiendarsteller die Stimmen der Lebewesen, die das Meer bewohnen. Alle Menschen aber sind daher wortgewandt und redselig, Andronikos: [15] Dies hat Aesop aus Sardis erzählt, den die Delphier nicht wohl aufgenommen haben, als er diese Fabel vortrug]. 119 Vgl. Kall. fr. 192 dieg. 4,22 Pf.; vgl. Schneidewin 1845, 6–7. 120 Ursula Gärtner, die mich auf diesen Aspekt hingewiesen hat, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. 121 Kall. fr. 194,6 Pf.: ἔν κοτε Τμώλῳ [einst auf dem Tmolos]. 122 Weitere Parallelen zu den Prologen des Phaedrus finden sich auch in Babr. 2 prol. (vgl. Kap. 6.3).

Babr. 1 prol.

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Innerhalb der Fabelsammlung findet sich die bedeutendste Parallele zum vorliegenden Prolog schließlich im zweiten Prolog, der im folgenden Kapitel ausführlich diskutiert wird.123 5) Gesamtbetrachtung Der erste Prolog der Fabelsammlung führte eine Reihe von Motiven, Themen und Problemen ein, die ebenfalls für viele der folgenden Gedichte bestimmend sind. Erstens scheinen viele der textkritischen Schwierigkeiten, die das Verständnis und die Deutung des Prologs erschweren, paradigmatisch für die gesamte Literaturgattung zu stehen: Durch die schlechte Überlieferungssituation finden sich zahlreiche alternative Lesarten, die weite Teile des Gedichts umfassen und dieses inhaltlich verändern. Viele dieser Abweichungen dürften auf Glossen oder Interpolationen – vielleicht sogar im Zuge der Rezeption der Fabeln im Schulunterricht124 – zurückgehen, die versuchen, den Text zu ‚vervollständigen‘ oder zu erklären. In den meisten Fällen ist eine klare Entscheidung für oder gegen bestimmte Verse angesichts der unsicheren Faktenlage jedoch nicht möglich. Zweitens ist die situierende bzw. kontextualisierende Funktion des Prologs für die restliche Sammlung von großer Bedeutung: Er erschafft (gemeinsam mit dem zweiten Prolog) einen literarischen Raum, der den Leser – unabhängig vom historischen Gehalt der dargestellten Handlungen und Inhalte – bei seiner Lektüre der Sammlung beeinflusst. Die Fabeln werden dabei in einer mythischen, vermeintlich Goldenen Zeit angesiedelt, in der das gemeinsame Sprachvermögen es Menschen, Tieren und Pflanzen ermöglicht, miteinander in Kontakt und somit als in der Erzählung gleichgestellte Akteure aufzutreten – dieser literarische Raum schafft somit erst die logische Grundlage für die einzelnen Fabelhandlungen. Der Raum wird ferner als von paradiesischen Zuständen und einem friedlichen gemeinsamen Umgang geprägt dargestellt. Dadurch werden die sozialen Parameter festgelegt, die ein Leser bei der Lektüre der folgenden Fabeln als Kategorien zur Bewertung der Handlung heranzieht. In vielerlei Hinsicht präfiguriert die narrative Ausgangssituation des Prologs also bereits dessen Rezep­ tions- und Erwartungshaltung. Ob diese sich als verlässlich herausstellt, muss der Leser jedoch erst selbst durch Anwendung in den folgenden Gedichten überprüfen.125 Schließlich wird der erste, wie auch der zweite Prolog durch seinen dichtungsprogrammatischen Gehalt charakterisiert. Der Verweis auf das Gattungsvorbild Aesop, die floral-poetische Ausgestaltung des Stoffs, das Bild der Dichtung als honigtriefende Süßspeise oder die handwerkliche Bearbeitung und Glättung des ‚spitzen‘ iambischen

123 Vgl. dazu Kap. 6.3. 124 Vgl. dazu Kap. 2.2. 125 Die dekonstruktive Durchbrechung dieses literarischen Raums und die Widerlegung des damit verbundenen Blicks auf die Welt der Fabel stellt in vielen betrachteten Gedichten ein wichtiges Mittel der Erzählung dar; vgl. zu diesem Gestaltungsmerkmal Kap. 5.4.

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Kommentar

Versmaßes stellen Bilder dar, die, wie gezeigt wurde, durchgängig dem literarisch-poetischen Diskurs der Antike entnommen sind und in vielfacher Weise sowohl allgemein poetologisch konnotiert werden als auch auf spezifische Dichtungstraditionen hinweisen. Insbesondere die deutliche Referenz auf die Dichtung des Kallimachos, die zuerst im Namen des Adressaten, sodann in den intertextuellen Bezügen auf die Iamboi sichtbar wird, dient dazu, die Autorperson, die sich in den Prologen zeigt, einer dichterischen Strömung zuzuordnen, in deren Tradition sie ihre Fabeln verstanden haben will. Somit evoziert die poetische Bildsprache des Textes eine Erwartungshaltung beim Leser, die im zweiten Prolog bestätigt und erweitert wird und das Verständnis der übrigen Fabeln beeinflusst. Die bestimmende Rolle des Prologs in der Leserlenkung sowie seine Bedeutung für den Rest der Fabelsammlung wurde in der Forschungsliteratur, insbesondere im vergangenen Jahrzehnt, ausführlich diskutiert. Dabei wurden Thesen und Ansätze formuliert, denen ich in meiner Interpretation des Prologs durchwegs gefolgt bin, die ich jedoch angesichts ihrer grundlegenden Gültigkeit für das Verständnis der gesamten Sammlung an dieser Stelle gesondert wiedergeben möchte. Zunächst ist hier Tom Hawkins zu nennen, der im Zuge seiner Untersuchung zur iambischen Dichtung der Kaiserzeit den Mythiamboi ein eigenes Kapitel widmet und dort nachweist, dass der erste Prolog nicht nur poetologisch aufgeladen und anspielungsreich ist, sondern darüber hinaus das Bild eines Werks skizziert, das sich bei Betrachtung desselben als glatte Lüge herausstellt.126 Er bezieht diesen Widerspruch hauptsächlich auf die Aussage des bzw. der Prologe, das Ich würde die Iamben weich machen und – so Hawkins – angenehmere Stoffe als die typischen Invektiven der iambischen Spottdichtung präsentieren.127 Auf Hawkins Überlegungen aufbauend zeigt Kristin Mann überzeugend, dass dieser Widerspruch sich nicht nur auf die Aussagen zur Iambendichtung bezieht, sondern, dass dadurch auch der Mythos der Goldenen Zeit, der als Einführung in die babrianische Fabelwelt dient, konterkariert wird. Sie sieht diesen programmatisch-­ inhaltlichen Bruch zwischen Prolog und Fabeln als bewusste Aufforderung des Autors an den Leser, mitzudenken, und vermutet dahinter die pädagogische Intention, dem Adressaten am Praxisbeispiel zu demonstrieren, wie man Literatur rezipiert und interpretiert.128 Mit derselben Klarheit, durch die bereits seine Einführung in die antike Fabel besticht,129 bringt Niklas Holzberg die Diskussion um die Bedeutung des Prologs in seiner Neuübersetzung der Fabelsammlung treffend auf den Punkt: Ausgehend von Hawinks sowie Manns Thesen charakterisiert er die Fabeln der Mythiamboi als grundsätzlich dekonstruktiv. Er erläutert dies am Kontrast zwischen der vermeintlich idyllischen Goldenen Zeit des ersten Prologs und der Gewalt der drei darauffolgen126 127 128 129

Vgl. Hawkins 2014, 87–141. Vgl. Hawkins 2014, 134–136. Vgl. Mann 2018. Holzberg 2012.

Babr. 2 prol.

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den Fabeln, die dem Mythos zuwiderlaufen und diesen für den Leser rückblickend ‚dekonstruieren‘.130 Dass mit dem Begriff der Dekonstruktion eine Reihe von Phänomenen in bzw. um die Fabeln erklärt werden können, wird in Anlehnung an diese Thesen unter anderem in Kap. 5.4 demonstriert; darüber hinaus untermauern die Einzelanalysen der nachfolgenden Fabeln die hier dargelegte Auffassung, wonach der Leser bei der Lektüre der Sammlung immer wieder auf den Prolog zurückgelenkt werden soll, damit er diesen kritisch reflektiert. In diesem Sinne scheint der Prolog einen Punkt darzustellen, der die übrigen Fabeln, unabhängig von einzelnen Bezügen untereinander, als Gesamtwerk verbindet.131 6.3 Babr. 2 prol. Μῦθος μέν, ὦ παῖ βασιλέως Ἀλεξάνδρου, Σῦρων παλαιῶν ἐστιν εὕρεμ’ ἀνθρώπων, οἳ πρίν ποτ’ ἦσαν ἐπὶ Νίνου τε καὶ Βήλου. πρῶτος δέ, φασίν, εἶπε παισὶν Ἑλλήνων Αἴσωπος ὁ σοφός, εἶπε καὶ Λιβυστίνοις λόγους Κυβίσσης. ἀλλ’ ἐγὼ νέῃ μούσῃ δίδωμι καθαρῷ χρυσέῳ χαλινώσας τὸν μυθίαμβον ὥσπερ ἵππον ὁπλίτην. ὑπ’ ἐμοῦ δὲ πρώτου τῆς θύρης ἀνοιχθείσης εἰσῆλθον ἄλλοι, καὶ σοφωτέρης μούσης γρίφοις ὁμοίας ἐκφέρουσι ποιήσεις, μαθόντες οὐδὲν πλεῖον ἤ με γινώσκειν. ἐγὼ δὲ λευκῇ μυθιάζομαι ῥήσει, καὶ τῶν ἰάμβων τοὺς ὀδόντας οὐ θήγω, ἀλλ’ εὖ πυρώσας, εὖ δὲ κέντρα πρηύνας, ἐκ δευτέρου σοι τήνδε βίβλον ἀείδω.

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Die Fabel, Sohn des Königs Alexandros, ist eine Erfindung der alten Syrer, die einst zur Zeit des Ninos und des Belos lebten. Als Erster, so sagt man, erzählte sie dann den Kindern der Hellenen [5] der weise Aesop und auch den Libyern erzählte Kybisses Fabeln. Ich aber gebe sie euch in neuer Muse, der ich den Mythiambos wie ein Kriegspferd mit reinem Gold aufgezäumt habe. Nachdem die Türe von mir als Erstem geöffnet worden war, [10] traten andere ein und veröffentlichen Dichtwerke, die den Rätseln einer weiseren Muse 130 Vgl. Holzberg 2019, 17–19; vgl. dazu auch Allgaier 2022, der insbesondere auf die Verbindung sowie den Kontrast zwischen dem ersten Prolog und Babr. 1 (vgl. Kap. 6.4) eingeht. 131 Vgl. Kap. 3 sowie Kap. 5.4.

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ähnlich sind, wobei sie nichts weiter gelernt haben, als mich zu erkennen. Ich aber erzähle meine Mythiamboi in klarem Fluss und schärfe die Zähne der Iamben nicht, [15] sondern behandle sie wohl mit Feuer, mildere wohl die Stacheln und trage dir auf zweite Art und Weise dieses Buch vor.

1) Gliederung vv.1–6a Narrative Einführung – die Geschichte der antiken Fabel. vv.1–3: Ursprünge in Syrien. vv.4–6a: Die Fabel in Griechenland und Libyen. vv.6b–16 Programmatische Aussage des Dichter-Ichs. vv.6b–8: Dichterische Eigenleistung. vv.9–12: Protos Heuretes-Motiv und Nachahmungstopos. vv.13–16: Formale Innovation. 2) Kommentar v.5  Λιβυστίνοις: Bezeichnet die Libyer. Im Gegensatz zu Λίβυες oder Λιβυκοί wird der Begriff in der griechischen Literatur nur selten verwendet,132 er findet sich hauptsächlich in lateinischen Texten.133 v.7  καθαρῷ χρυσέῳ: Zur der Lesart καθαρῷ χρυσέῳ in A wurden mehrere Konjekturen vorgeschlagen, so καθαρῷ χρυσίῳ134 oder φαλάρῳ χρυσέῳ.135 Diese wurden offenbar unter der Annahme vorgenommen, es könne sich bei χρύσεος nur um ein Adjektiv handeln, dem ein zugehöriges Sub­ stantiv – sinngemäß in der Bedeutung ‚Zaumzeug‘ – fehle. Jedoch kann χρύσεον durchaus substantiviert in der Bedeutung ‚etwas Goldenes‘ verwendet werden, wie eine griechische Inschrift aus dem fünften Jahrhundert v. Chr. belegt.136 Diese Bedeutung scheint auch in der vorliegenden Passage möglich, zumal der Kontext eine Verbindung zum Zaumzeug suggeriert. Somit dürfte χρύσεον hier für das goldene Zaumzeug des Pfer-

132 Neben der Verwendung bei Babrios taucht der Begriff lediglich bei Aelian (nat. 14,14; 17,39), in den Dionysiaka des Nonnos (44,276) sowie in den Ethnika des Stephanos von Byzanz (s. v. Λιβυστῖνοι) auf. 133 So bei Catull (60,1): montibus Libystinis [in den libyschen Bergen]; vgl. Marenghi 1955a, 125. 134 Vgl. unter anderen Boissonnade 1844, 208; Bergk 1868, 279; Holzberg 2019, 156. Luzzatto/La Penna übernehmen die Konjektur und begründen dies mit Luzzatto 1985, 106, wo auf die Verbindung zwischen der Metapher des golden aufgezäumten Pferdes und der Glättung des Goldes in v.15 hingewiesen wird. Da dies jedoch auch für die Lesart in A und die zweite Konjektur zutrifft, kann das Argument meines Erachtens nicht ausschlaggebend sein. 135 Vgl. Dübner 1844, 62–63; Crusius 1897, 98; Perry 1965, 140. 136 SIG 1122,7. Dittenberger (1920, 287) merkt dazu an: „χρύσεον substantive de tabula vel lamina aurea dici videtur.“

Babr. 2 prol.

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des stehen, weshalb eine Emendation des Textes in A meines Erachtens nicht notwendig ist.137 v.8  τὸν μυθίαμβον: Der Begriff μυθίαμβος als Bezeichnung für die spezielle babrianische Gedichtform ist ein hapax legomenon.138 v.13  μυθιάζομαι: Ebenso wie das Substantiv μυθίαμβος ein hapax legomenon.139 Parallelen: Babr. 1 prol.; Phaedr. 3 prol. 3) Analyse Der zweite Prolog der Mythiamboi findet sich in A zwischen der 107. und 108. Fabel der Sammlung. Er schließt an eine Reihe von Löwenfabeln an und eröffnet die Gruppe derjenigen Gedichte, die mit My beginnen. Im Aufbau ähnelt der Prolog jenem des ersten Buchs, – auf einen narrativen Einführungsteil (vv.1–6a) folgt die programmatische Aussage des Dichter-Ichs (vv.6b–16). Auffällig ist, dass die Anteile, die in den Prologen auf diese beiden Passagen entfallen, annähernd umgekehrt proportional erscheinen: Während der narrative Teil im ersten Prolog 14 von 20 (bzw. 13 von 19)140 Versen, der programmatische dagegen nur 6 Verse einnimmt, folgt in 2 prol. auf einen kurzen narrativen Teil (5,5 von 16 Versen) eine lange programmatische Passage (10,5 von 16 Versen).141 Die beiden Prologe scheinen insofern also auf kompositorischer Ebene aufeinander abgestimmt, was deren Betrachtung als programmatische Einheit auch strukturell rechtfertigt. Bezeichnenderweise beginnt der Prolog mit μῦθος (v.1), das Genre der Fabel steht also von Beginn an im Mittelpunkt.142 Sogleich wird der Adressat, ein nicht namentlich genannter Sohn eines ‚Königs Alexander‘ (ὦ παῖ βασιλέως Ἀλεξάνδρου, v.1), durch eine Apostrophe eingeführt. Die Auflösung im vierten Versfuß sowie die Position des Namens am Versende lenken die Aufmerksamkeit auf diesen Herrscher. Wen soll man sich darunter vorstellen? Es wurden bereits zahlreiche – mehr oder weniger überzeugende – Identifizierungsversuche angestellt.143 Dies zeigt, dass man ständig versucht ist, die Gedichte zu kontextualisieren, daran aber schlussendlich scheitert, zumal die

137 Hinzu kommt, dass der Begriff χρυσίον auch in Babr. 10,3 (vgl. Kap. 6.13) dazu verwendet wird, Goldornamente auf einem Kleidungsstück zu bezeichnen. 138 Zum Begriff μυθίαμβος vgl. Kap. 2.2, Kap. 2.3 sowie Kap. 4.2. 139 Vgl. Kap. 2.3. 140 Die divergierende Verszählung ist auf die textkritischen Unsicherheiten des ersten Prologs zurückzuführen; vgl. dazu Kap. 6.2. 141 Dies entspricht einem Verhältnis von 7,1 zu 2,9 (bzw. 6,8 zu 3,2) für 1 prol. und einem Verhältnis von 3,4 zu 6,6 für 2 prol. 142 Dieser Beginn könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Prolog an der richtigen Stelle in der Sammlung stehe; vgl. Holzberg 2012, 59–60; Holzberg 2019, 22; vgl. auch μυθέομεν in 1 prol., 8 (Kap. 6.2). 143 Vgl. dazu Kap. 2.1 sowie Spielhofer 2021.

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Kommentar

Fabeln in ihrer Buchform von einem konkreten Kontext losgelöst sind. Auf wen sich die Apostrophe also bezieht, ist eigentlich nicht relevant – allein die literarischen Konventionen würden die Nennung eines Adressaten nahelegen und so sind ‚König Alexander‘ und sein Sohn vielleicht nichts als literarische Konstrukte. V.2 führt das Thema dieses ersten Abschnittes ein: Der μῦθος aus v.1 sei eine Erfindung der alten Syrer (Σῦρων παλαιῶν ἐστιν εὕρεμ’ ἀνθρώπων). Es folgt ein Abriss der Geschichte der antiken Fabel, die wie in 1 prol. in einer mythischen Vorzeit angesiedelt ist und ähnlich wie der Weltaltermythos eine chronologische Abfolge bis in die Gegenwart nachzeichnet. Die Behauptung, die Fabel stamme aus Syrien, ist dabei keineswegs arbiträr – vergangene Untersuchungen haben gezeigt, dass sich erste Vertreter dieses Genres in der genannten Region bereits im 18. Jahrhundert v. Chr. finden und die Fabel somit tatsächlich nahöstlichen Ursprungs sein dürfte.144 Durch einen Relativsatz in v.3 wird die Gruppe, der man diese Erfindung zu verdanken habe, weiter eingegrenzt: Es handle sich um jene Syrer, die zur Zeit des Ninos und des Belos gelebt hätten (οἳ πρίν ποτ’ ἦσαν ἐπὶ Νίνου τε καὶ Βήλου). Der griechische Name Belos verweist dabei auf den westsemitischen Gott Baal, der in Syrien und der Levante verehrt wurde, Ninos hingegen bezeichnet Baals mythischen Sohn, der als Gründer der assyrischen Stadt Ninive gilt. In den Persika des Ktesias von Knidos wird Ninos als erster König der Assyrer genannt, eine zuverlässige Datierung ist dadurch allerdings nicht möglich.145 Nach den Ursprüngen in Syrien behandelt das Ich in den vv.4–6a die Entwicklung der antiken Fabel in Griechenland und Libyen: Dabei steht zunächst Aesop im Fokus, dessen Bedeutung für die griechische Fabel durch die Stellung der Begriffe πρῶτος (v.4) und Αἴσωπος (v.5) jeweils am Versanfang sowie durch das Enjambement besonders betont wird – dieser sei der erste Fabelerzähler der Griechen (εἶπε παισὶν Ἑλλήνων, v.4). παισὶν scheint zunächst auf die Verbindung zwischen Fabeln und Kinderliteratur zu verweisen, doch kann sich der Ausdruck παῖδες, wie Luzzatto bemerkt, statt auf die Kinder im engeren Sinne auch auf die Angehörigen der betreffenden Volksgruppe

144 Vgl. Falkowitz (1984), der die Ursprünge der europäischen Fabel etwa in Mesopotamien verortet, sowie Perry (1959, 25–26) und Holzberg (2012, 15–16), die auf die sumerisch-akkadischen Weisheitsbücher der altorientalischen Literatur als Ausgangspunkt der antiken Fabel verweisen; vgl. dazu auch Burkert (1984, 111), der die Verbindung zur Achiqar-Erzählung und die Aussagen in 2 prol. ebenfalls als Argument für die Hypothese heranzieht, Babrios habe unter einem syrischen Kleinkönig geschrieben. Doch stellt sich hier die Frage, ob die Darstellung des Fabelursprungs im Nahen Osten tatsächlich ein Hinweis darauf sein kann, dass der historische Autor Babrios mit der entsprechenden Kultur und ihren Quellen in engerem Kontakt stand oder ob nicht vielmehr das Wissen um den Ursprung der Fabel bereits lose mit der Kenntnis Aesops verbunden und damit allgemein verbreitet war; vgl. Trencsényi-Waldapfel (1959, 327) sowie Holzberg (2019, 19), der vermutet, der Autor deute durch die Erwähnung der orientalischen Fabel an, dass er eine solche Sammlung kenne. 145 Vgl. Ktes. fr. F1b,1,4 Lenfant. Die Aussagekraft dieser Quelle wird aufgrund ihres romanhaften Charakters jedoch in Zweifel gezogen.

Babr. 2 prol.

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beziehen.146 Aesop selbst wird als Weiser (ὁ σοφός, v.5) dargestellt; die Rolle als der Fabelerzähler schlechthin, die er in 1 prol. innehatte, büßt er hier durch die Einreihung in eine ältere Fabeltradition jedoch ein. Neben der griechischen Fabel kommt das Ich auch auf die libysche Fabeltradition zu sprechen (εἶπε καὶ Λιβυστίνοις | λόγους Κυβίσσης, vv.5–6). In anderen Quellen ist nicht mehr als der Name Kybisses für einen libyschen Fabelerzähler belegt,147 allerdings lassen der parallele Satzbau in 2 prol. sowie die betonte Position des Namens nach dem Enjambement darauf schließen, dass Kybisses für die libysche Fabel von ähnlicher Bedeutung war wie Aesop für den griechischen Bereich. Λιβυστῖνοι anstelle der in der griechischen Literatur gebräuchlichen Bezeichnungen Λίβυες oder Λιβυκοί für die Libyer könnte auf die für Babrios typische Vorliebe für entlegene Wendungen,148 wenn nicht gar auf einen Latinismus hinweisen, zumal der Begriff offenbar zum ersten Mal bei Catull belegt ist.149 λόγος als Bezeichnung für die Erzählungen der beiden Fabeldichter ist wohl im Kontext der μύθους τῆς ἐλευθέρης μούσης des ersten Prologs zu verstehen: Im Unterschied zu μῦθος bezeichnet dieser Begriff die Prosaform der äsopischen bzw. kybissischen Fabeln, die im Anschluss mit Babrios’ poetischer Form kontrastiert wird.150 Eingeleitet durch das adversative ἀλλ’ stellt die Mitte von v.6 eine spürbare Zäsur zwischen den zwei Teilen des Prologs dar; der programmatische Abschnitt schließt allerdings direkt an die Geschichte der antiken Fabel an, wobei beide Teile durch das Ich miteinander verbunden werden, das nun mit ἐγὼ (v.6) in den Vordergrund tritt.151 Die in den vv.1–6a präsentierte Geschichte der antiken Fabel dient als Hintergrund bzw. Reflexionsfläche für die Errungenschaften des Dichter-Ichs, die die folgenden Verse bestimmen.152 Der erste (vv.6b–8) von drei durch markante Ich-Begriffe einge146 So in Dion.Hal. comp. 22; Lukian. dial.deor. 11,1; Lukian. dips. 5; Lukian. am. 49; Him. or. 48,158, wo der Ausdruck zur Umschreibung des Genetivobjekts dient, so etwa im letztgenannten Beispiel σοφῶν παῖδες anstelle von σοφοί; vgl. Luzzatto 1975a, 74. In diesem Zusammenhang ist auch der Adressat, der als παῖς βασιλέως Ἀλεξάνδρου bezeichnet wird, zu sehen; vgl. dazu Kap. 2.1. 147 Herrmann (1966, 440) hat die in Perry 1952 angeführten Testimonien zusammengefasst: So erwähnt Aelius Theon Kybisses (prog. 3), wenn er auf die Geschichte der antiken Fabel zu sprechen kommt. Auch Diogenian (praef.,1,53–56) spricht die Erfindung der lybischen Fabel Kybisses zu. Daneben wird der Name bei Hesychios (s. v. Λιβυκοὶ λόγοι.) erwähnt; dieser nennt als Quelle den (vermutlich) hellenistischen Literaturhistoriker und -theoretiker Chamaileon, der im Rahmen seiner Arbeiten auch eine Darstellung der nichtgriechischen Fabeltraditionen vorgelegt haben soll. Die Gattung der libyschen Fabel scheint in der Antike bekannt gewesen zu sein; so wird sie beispielsweise in Schol.Aristoph. Av. 808 erwähnt. 148 Zur Sprache der Mythiamboi vgl. Kap. 2.3. 149 Catull. 60,1; vgl. dazu den Kommentar zu v.5 (Λιβυστίνοις). 150 So etwa in Aristot. rhet. 2,20; Quint. inst. 5,11; vgl. Luzzatto 1975a, 67. 151 Vgl. dazu Kap. 4.1 sowie die programmatischen Aussagen in Kall. fr. 1,31–32 Pf.: θηρὶ μὲν οὐατόεντι πανείκελον ὀγκήσαιτο | ἄλλος, ἐγ]ὼ δ’ εἴην οὑλ[̣ α]χύς, ὁ πτερόεις [Ein anderer möge dem langohrigen Tier gleich schreien, ich aber möge der Kleine, der Geflügelte sein] bzw. Phaedr. 3 prol.,38: Ego porro illius semita feci viam [Dann habe ich aus seinem Pfad eine Straße gemacht]. Der Vergleich mit Phaedr. 3 prol. wird im Folgenden noch von Bedeutung sein. 152 Vgl. Marenghi 1954, 343.

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Kommentar

leiteten Kleinabschnitten wirkt dank mehrerer Enjambements innerlich abgeschlossen. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern will das Ich die (Stoffe der) Fabeln nun ‚in neuer Muse‘ darbringen (νέῃ μούσῃ | δίδωμι, vv.6–7). Zwei Deutungen scheinen mir hier naheliegend: Einerseits könnte die ‚neue Muse‘ auf die Form der Gedichte verweisen – im darauffolgenden Vers fällt ja das Stichwort Mythiambos – und so einen Bezug zu den vv.17–18 des ersten Prologs herstellen, wo erwähnt wird, dass Aesop Fabeln in Prosa (τῆς ἐλευθέρης μούσης, v.17) verfasst habe, die das Ich nun mit seiner eigenen μνήμῃ ausschmücke. Unter diesem Gesichtspunkt würde μούση für das Versmaß stehen. Andererseits könnte die Muse die Inspiration, das dichterische ingenium, bezeichnen, durch das sich die Gedichte der Mythiamboi von anderen Fabeln unterscheiden. Auch diese Deutung findet ihre Entsprechung in denselben beiden Versen des ersten Prologs; dies zeigt, dass sich das poetische Programm des Autors konsequent durch beide Prologe zieht. Daneben wird erkennbar, dass der Vergleich und die Auseinandersetzung mit anderen Dichtern zum Programm der Mythiamboi zählen: Das Ich baut aus seinen Vorgängern eine Kulisse auf und stellt sich anschließend selbst kontrastiv davor: „Ich jedoch gebe die Fabeln in neuer Muse“.153 Vermutlich sollen beide Assoziationen aufgerufen werden, in den folgenden vv.7–8 wird aber lediglich das Thema der Neuerung durch die Form fortgeführt. Das Ich beschreibt seinen Umgang mit dem Versmaß  – es habe den Mythiambos154 wie ein Kriegspferd mit goldenem Zaumzeug aufgezäumt (καθαρῷ χρυσέῳ χαλινώσας155 | τὸν μυθίαμβον ὥσπερ ἵππον ὁπλίτην). Dieses Bild, das prominent in der Mitte des Prologs steht, kombiniert mehrere poetologische Bilder: Zunächst stellt die Verzierung des Verses mit Gold eine Verbindung zum ersten Prolog her, wo das Ich behauptet, die Fabeln mit Blüten ausgeschmückt zu haben156 – die Ausschmückung eines zuvor schmucklosen Ausgangsmaterials unterstreicht in den beiden Passagen die dichterische Leistung des Ichs.157 Der Vergleich des iambischen Versmaßes mit einem Kriegspferd, das aufgezäumt wird, vermittelt den Eindruck, das Ich habe einen ‚wilden‘ Vers ‚gezähmt‘, also gemeistert und für die weitere Verwendung nutzbar gemacht.158 Dies deckt sich ebenfalls mit Aussagen aus dem ersten Prolog, wonach der Iambos zuvor 153 Zur „Innovationsrhetorik“ des Prologs vgl. Hose 2000, 16–17. Zur Verwendung von μούση vgl. neben Babr. 1 prol. (Kap. 6.2) und 2 prol. auch Babr. 8 (Kap. 6.11), 12 (Kap. 6.15) und 15 (Kap. 6.18). 154 Zu dieser Neuschöpfung vgl. Kap. 2.2; Kap. 2.3 sowie Kap. 4.2. 155 Das Verb χαλινόω (‚aufzäumen‘, ‚zügeln‘) findet sich gemeinhin in Verbindung mit Reittieren, so etwa in Xen. Kyr. 3,3,27; Pol. 3,65,6, oder in übertragener Bedeutung mit abstrakten Begriffen, wie z. B. mit Zorn (Ps.-Phok. 57) oder Gier (Lib. or. 47,35). Die metaphorische Verwendung im Kontext literarischer Formen, wie des Versmaßes, ist außer bei Babrios nicht belegt. 156 Vgl. 1 prol.,18 (Kap. 6.2). Besonders auffällig ist, dass in beiden Fällen die ‚Ausschmückung‘ auf das Versmaß Bezug nimmt; in 1 prol. sind es die Prosafabeln Aesops, hier ist es der ‚wilde‘ Iambos. 157 Vgl. Holzberg (2019, 37; 214 [s. v. Prolog]), der beide Bilder völlig zu Recht als Ausdruck der „erlesene[n] Formkunst seiner Dichtungsweise“ interpretiert. 158 Vgl. dazu auch die vor allem in der augusteischen Literatur verbreitete metaphorische Lenkung von Pferden als Versinnbildlichung des dichterischen ingenium; vgl. Gundlach 2019, 103–112.

Babr. 2 prol.

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‚bitter‘ war, nun aber ‚süß‘, mithin für den Genuss bereit ist.159 Des Weiteren evoziert der Hinweis auf die Goldschmiedekunst das hellenistische Bild vom Autor als bildendem Künstler, das am Ende des Prologs erneut aufgegriffen wird. Schließlich spielt auch das goldgeschmückte Pferd selbst auf hellenistische Dichtungsmetaphorik an: Anklänge an Pegasos, der mit seinem Hufschlag die Apoll und den Musen geweihte Quelle Hippokrene erschaffen haben soll, scheinen nicht zufällig, trägt dieser doch in der antiken Tradition das Epitheton χρυσοχάλινος, ‚golden aufgezäumt‘ oder ‚mit goldenem Zaumzeug‘.160 Im vorliegenden Fall hat also der Mythiambos, der persönliche Pegasos des Ichs, dessen Inspirations-Quelle begründet, sodass dieses nun mit ‚neuer Muse‘ dichten kann.161 Der nächste Kleinabschnitt, der die vv.9–12 umfasst, führt das in v.6 eröffnete Thema der Originalität fort und setzt das Ich in Beziehung zu Nachahmern.162 Dieses behauptet, als Erstes ‚die Türe geöffnet zu haben‘ (ὑπ’ ἐμοῦ δὲ πρώτου τῆς θύρης ἀνοιχθείσης, v.9), woraufhin andere eingetreten seien (εἰσῆλθον ἄλλοι, v.10) und Dichtung verfasst hätten (ἐκφέρουσι163 ποιήσεις, v.11), die den ‚Spielereien einer weiseren Muse‘ (σοφωτέρης μούσης | γρίφοις, vv.10–11) ähnlich sei. Dies hätten sie nur fertiggebracht, indem sie lernten, ihn zu erkennen (μαθόντες οὐδὲν πλεῖον ἤ με γινώσκειν, v.12), also seinen Stil zu imitieren. Die Betonung der eigenen Person in v.9 ist mit ὑπ’ ἐμοῦ am Versanfang und der Auflösung im ersten Versfuß nicht zu übersehen. Die Metapher des Türen-Öffnens mit dem vorangestellten πρώτου (v.9) stellt eine Abwandlung des in der antiken Dichtung verbreiteten Protos Heuretes-Motivs dar:164 Das Ich öffnet als Erstes die Tür für eine neue Art von Dichtung, durch die nach ihm andere eintreten,

159 Vgl. 1 prol.,19–20 (Kap.  6.2); vgl. Pertsinidis 2010, 24–25; 68, wo die Kriegspferdmetapher auch als Ausdruck der „beauty and impressiveness of the fable as well as its ability to introduce new information by breaking through intellectual defences“ bezeichnet wird. Nach Pertsinidis (2020, 88–89) drücke dieses Bild die gesellschaftskritische bzw. moralische Intention der Fabeln aus; während ich Pertsinidis darin zustimme, dass das Kriegspferd die poetische Pracht der Mythiamboi verdeutlicht, bin ich skeptisch, was eine darüber hinausgehende, didaktisch-moralische Bedeutung betrifft, zumal ich mit Holzberg und anderen der Ansicht bin, die moralische Komponente der Fabeln trete bei Babrios zugunsten einer poetischen und anspielungsreichen Erzählfreude in den Hintergrund, was nicht zuletzt durch das häufige Fehlen von Pro- und Epimyhtien unterstrichen wird. 160 So etwa in Aristoph. Pax 154–156: ἀλλ’ ἄγε Πήγασε, χώρει χαίρων, | [155] χρυσοχάλινον πάταγον ψαλίων | διακινήσας φαιδροῖς ὠσίν [Doch wohlan, Pegasos, tanze und freu dich, [155] das goldgezäumte Rasseln der Ketten erzeuge durch Bewegung mit deinen strahlenden Ohren]; vgl. Luzzatto 1985, 107; Holzberg 2019, 37–38; 214 (s. v. Prolog). 161 Zum poetologischen Bild der Quelle vgl. Nünlist 1998, 178–199; Gundlach 2019, 170–202. 162 Zu diesem verbreiteten poetischen Topos vgl. beispielsweis Hor. epist. 1,19,19–20. 163 ἐκφέρω stellt dabei den Terminus technicus für die Veröffentlichung eines literarischen Werks dar, so beispielsweise in Isokr. or. 9,74; Aristot. poet. 1447b17; Dion.Hal. comp. 1,49. 164 In der römischen Dichtung finden sich zahlreiche Autoren, die diesen Titel aufgrund der Leistung für sich beanspruchen, neue oder ungewöhnliche Versmaße bzw. Gattungen in die Dichtung ihrer Zeit eingeführt zu haben, so beispielsweise Hor. carm. 1,32,3–12; 3,30,13–14; sat. 1,10,20–24; Lucr. 4,1–5; Phaedr. 2 epil.,5–6; Prop. 3,1,1–4; Verg. ecl. 6,1–5; georg. 2,176.

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Kommentar

was durch das Enjambement εἰσῆλθον ἄλλοι (v.10) auch stilistisch unterstrichen wird. Das Bild der Tür ist dabei eng vewandt mit dem poetologischen Bild des Wegs,165 in der griechischen Literatur treten beide bereits früh gemeinsam auf;166 daneben kann die Tür-Metapher auch in der Tradition des Motivs des Entriegelns167 betrachtet werden; diese Bilder illustrieren poetische Innovation.168 Die folgenden vv.10b–11 sind durch ihre Gestaltung hervorgehoben: Ganz an den Anfang gestellt ist σοφωτέρης μούσης (v.10), was inhaltlich und aufgrund der Position im Vers auf die νέῃ μούσῃ des Dichter-Ichs in v.6 rekurriert. Das Enjambement in v.11 reicht nach, worauf sich σοφωτέρης μούσης bezieht: Spielereien (γρίφοις) einer weiseren Muse. Der Begriff γρῖφος bezeichnet grundsätzlich die Maschen eines Fischernetzes,169 kann übertragen aber für jede Art von verworrener, komplexer oder undurchsichtiger Thematik verwendet werden und so beispielsweise auch ‚Rätsel‘ bedeuten.170 Im vorliegenden Fall werden damit die kleinen komplexen poetischen Spielereien bezeichnet, die die babrianische Dichtung auszeichnen. Damit wird auf das Bild der Dichtung als spielerisches Vorhaben oder Rätsel Bezug genommen, vergleichbar etwa mit dem nugae-Begriff der Neoteriker.171 Der Rest von v.11 erklärt, die Dichtungen (ποιήσεις)172 der Nachahmer seien diesen musischen Rätseln lediglich ähnlich (ὁμοίας, v.11). So wird suggeriert, dass es sich bei 165 Dieses findet sich etwa bei Kallimachos (fr. 1,25–28 Pf.) und Phaedrus (3 prol.,38–39), die in vielen Belangen direkte Vorbilder für die Mythiamboi darstellen. Zur Rezeption dieser hellenistischen Metapher in der römischen Dichtung vgl. Wimmel 1960, 103–111; Gundlach 2019, 23–60. 166 Die Verbindung von Weg, Wagen und Tür bzw. Tor findet sich bereits bei Parmenides (fr. 1 D-K), wo sich philosophische mit poetologischen Metaphern zu verbinden scheinen; vgl. auch Bakchyl. fr. 5,3–4 SM. Als selbständiges Bild ist die Tür bei Platon belegt (Phaidr. 245A): ὃς δ’ ἄν ἄνευ μανίας Μουσῶν ἐπὶ ποιητικὰς θύρας ἀφίκηται, πεισθεὶς ὡς ἄρα ἐκ τέχνης ἱκανὸς ποιητὴς ἐσόμενος, ἀτελὴς αὐτός τε καὶ ἡ ποίησις ὑπὸ τῆς τῶν μαινομένων ἡ τοῦ σωφρονοῦντος ἐφανίσθη [Wer aber ohne die Begeisterung der Musen zu den Toren der Dichtung gelangt, in der Überzeugung, dass er durch seine Kunstfertigkeit ein fähiger Dichter werde, der ist selbst unfähig, und die Dichtung des Vernünftigen wird von jener der Wahnsinnigen verdeckt]. Allerdings dürfte deren Verwendung im poetologischen Kontext weitaus älter sein und bis in die vedische Literatur zurückreichen; vgl. dazu Nünlist 1998, 260–261, Anm. 9. 167 Vgl. hier vor allem in der lateinischen Dichtung Enn. ann. 7,210: Nos ausi reserare [Wir haben gewagt zu öffnen] bzw. Verg. georg. 2,175: sanctos ausus recludere fontis [ich, der ich es gewagt habe, die heilige Quelle wieder zu öffnen]. 168 Vgl. dazu auch das in der augusteischen Dichtung verbreitete Bild, (als erster) einen poetischen Ort zu betreten, so etwa in Prop. 3,1,1–6; vgl. Gundlach 2019, 51–55. 169 Vgl. Babr. 4 (Kap. 6.7) und 9 (Kap. 6.12), wo für das Fischernetz in beiden Fällen eine poetologische Deutung nahegelegt wird; zum poetologischen Gehalt des Netzes vgl. Kap. 4.3. 170 So z. B. in Aristoph. Vesp. 20; Athen. 10,72. 171 Die Bezeichnung ‚Rätsel‘ könnte sich jedoch auch darauf beziehen, dass viele Fabeln der Mythiamboi erst durch Kenntnis von Prae- und Paralleltexten ihre abstraktere Bedeutung offenbaren. Mann (2018, 259; 259, Anm. 18) interpretiert Babrios’ ‚Rätsel‘ auch als Hinweis auf die versteckte didaktische Aussage der Fabeln, die sich einem Leser erst bei genauer Überlegung erschließt. 172 Auch diese Formulierung beweist, dass der Anspruch, den das Ich an an seine Dichtung stellt, hoch ist, wird der Begriff ποίησις doch vor allem mit dem griechischen Drama und Epos in Verbindung gebracht; vgl. Plat. Gorg. 502A–B; rep. 394C.

Babr. 2 prol.

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den γρίφοις σοφωτέρης μούσης um die eigene Dichtung des Ichs handelt, die als unerreichtes Vorbild für Nachahmer dient.173 Diese Vermutung wird durch die deutliche Aussage von v.12 bestätigt: Die anderen Dichter hätten nicht mehr (οὐδὲν πλεῖον) gelernt als das Ich zu ‚erkennen‘ (με γινώσκειν, v.12). Inhaltlich kann damit nur gemeint sein, die stilistischen bzw. künstlerischen Eigen-, oder Besonderheiten eines Autors zu erkennen und zu imitieren. Die Nachfolger erkennen und imitieren also das Ich, erreichen damit jedoch keine poetische Mehrleistung.174 Die vv.13–16 beginnen erneut betont mit dem Dichter-Ich: ἐγὼ δὲ. Dieses legt im letzten programmatischen Kleinabschnitt dar, was die Nachahmer, von denen zuvor die Rede war, zu erkennen und zu imitieren versuchen. Seine Art zu dichten wird mit dem hapax legomenon μυθιάζομαι (v.13) beschrieben – die Neuerungen für die Fabeldichtung scheinen also so weitgehend, dass dafür neue Begriffe gefunden werden müssen. Das Dativobjekt λευκῇ ῥήσει (v.13) charakterisiert das Produkt dieser Dichtung weiter: Die Gedichte seien ‚von klarem Fluss‘.175 ῥῆσις beschreibt in der literarischen Fachsprache vor allem dramatische Passagen im Epos176 und wird im Allgemeinen als Bezeichnung für den sprachlichen Stil verwendet. Auch Kallimachos spricht von seinen Gedichten als λεπταὶ ῥήσιες177 und verbindet den Begriff so mit dem hellenistischen Zartheitsideal, das in den Mythiamboi an zahlreichen Stellen anklingt. λευκός wiederum wird hier im übertragenen Sinne für die Klarheit der Stimme des DichterIchs178 bzw. der Dichtung selbst gebraucht. Die literarische Verwendung zur Beschreibung von Literatur erfolgt typischerweise im Kontext von Werken, die in der Tradition der kallimacheischen Dichtung stehen, wie etwa ein Epigramm des Philippos aus der Anthologia Graeca bezeugt;179 dem λευκὸς στίχος, mit dem die Dichtung der 173 Anders etwa Mann (2018, 259), die in den γρῖφοι die rätselhaften Werke der Nachfolger sieht. Jedoch spricht das Genetivobjekt σοφωτέρης μούσης zu γρίφοις gegen eine solche Deutung. 174 Vgl. hierzu Hunter (2014, 236), der das Verb γινώσκειν nicht auf den Stil, sondern auf die verarbeiteten Inhalte und ihre Quellen bezieht. 175 Zum Bild des Sprachflusses in Verbindung mit ῥῆσις vgl. Babr. 15 (Kap. 6.18). 176 So etwa in Phot. s. v. ῥῆσεις (P 101): ῥήσεις καλεῖται τὰ ὑπὸ τῶν εἰσαγομένων προσώπων λεγόμενα· ἀναμέσον δὲ τούτων τὰ ὑπὸ τοῦ ποιητοῦ, οἷον „τὸν δ’ ἀπαμειβόμενος“ [‚ῥήσεις‘ nennt man das, was von den eingeführten Figuren gesagt wird: Darunter etwa Phrasen des Dichters [= Homer], wie „dem antwortete er“]. 177 Anth.Gr. 9,507,3–4. 178 So etwa auch in Aristot. top. 106A,25; S.Emp. adv.math. 6,41. 179 Anth.Gr. 11,347 (Philippos): Χαίροιθ’, οἱ περὶ κόσμον ἀεὶ πεπλανηκότες ὄμμα, | οἵ τ’ ἀπ’ Ἀριστάρχου σῆτες ἀκανθολόγοι. | Ποῖ γὰρ ἐμοὶ ζητεῖν, τίνας ἔδραμεν ἥλιος οἴμους, | καὶ τίνος ἦν Πρωτεὺς, καὶ τίς ὁ Πυγμαλίων;  | [5] Γινώσκοιμ’ ὅσα λευκὸν ἔχει στίχον· ἡ δὲ μέλαινα  | ἱστορίη τήκοι τοὺς Περικαλλιμάχους. [Lebt wohl, ihr, die ihr das Auge immer rund um den Kosmos schweifen lasst, die ihr seit Aristarchos, ihr Motten, Dornensammler seid. Welchen Zweck für mich nämlich zu forschen, welche Pfade die Sonne durchläuft, wessen Sohn Proteus war und wer Py­ gmalion? [5] Möge ich erkennen, was einen ‚hellen Vers‘ besitzt: Die dunkle Wissenschaftlichkeit möge euch Über-Kallimacheer dahinschmelzen lassen!] Das Schmähgedicht scheint sich an übertrieben korrekte und somit ‚falsche‘ Anhänger der alexandrinischen Tradition zu wenden, die das Ich von ‚echten‘ Kallimacheern dadurch unterscheidet, dass diese in klarem Vers schreiben, jene

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Kommentar

Alexandriner im zitierten Gedicht bezeichnet wird, entspricht dabei die λευκὴ ῥῆσις in 2 prol. Die Kombination der beiden poetologischen Ausdrücke unterstreicht im babrianischen Prolog daher die Verbindung zur kallimacheischen Bildsprache weiter. Der Gegensatz, der zwischen dem Ich und seinen Nachfolgern begründet wird, lässt sich auch auf die Aussage umlegen, die Mythiamboi seien klar und verständlich, die Dichtungen der Rivalen hingegen düster und nur schwer nachvollziehbar. Dies scheint insofern merkwürdig, als die Gedichte der Mythiamboi in Thematik und Sprache alles andere als ‚klar verständlich‘ erscheinen, zumal eine Vielzahl an kaum gebräuchlichen Ausdrücken oder hapax legomena für diese typisch ist.180 Dass ausgerechnet im selben Vers, der von klarer und verständlicher Sprache spricht, ein solches hapax legomenon (μυθιάζομαι) das Ich Lügen straft, lässt sich bereits als erster Beweis dafür deuten, dass die hier formulierten Prinzipien in den Gedichten selbst nicht eingehalten werden.181 Das Ich fährt mit der Charakterisierung seines Werkes fort und greift dabei ein Motiv auf, das auch in 1 prol.182 eine Rolle spielt: die Auseinandersetzung mit dem Versmaß. Es zeigt sich, dass die Verse in 1 prol. und 2 prol. annähernd parallel gebaut sind: Nach einem vorangestellten Genetiv ἰάμβων183 folgt ein Akkusativobjekt, das die Spitzen bzw. Zähne benennt,184 wiederum gefolgt von einem Verb, das die Bearbeitung einer Oberfläche beschreibt.185 In beiden Prologen wird das Versmaß anschaulich als physisches Gebilde mit Spitzen und Zähnen dargestellt, das vom Dichter wie von einem Handwerker bearbeitet werden kann.186 V.14 legt zunächst dar, was das Dichter-Ich nicht vorhat: Es will die Iamben nicht anspitzen und damit noch schärfer machen,187 vielmehr erklärt es in v.15, sie mit Feuer behandelt (εὖ πυρώσας) und so ihre Spitzen weich gemacht zu haben (πρηύνας).188

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sich aber durch düstere Wissenschaftlichkeit auszeichnen. Die Motive der Astronomie (vertreten durch Aristarchos), der Aitiologie sowie der Mythologie verweisen auf zentrale Themen in der hellenistischen Literatur; vgl. Aubreton 1972, 193; 282. Zur Sprache der Mythiamboi vgl. Kap.  2.3. Hoerschelmann/Crusius (1894, 220) stoßen sich an diesem Paradoxon ebenfalls, stellen der λευκὴ ῥῆσις jedoch „überladene Sätze“ gegenüber. Zu diesem Gestaltungsprinzip vgl. Kap. 5.4. Zu 1 prol. vgl. Kap. 6.2. 1 prol.,20: πικρῶν ἰάμβων [der bitteren Iamben] – 2 prol.,14: καὶ τῶν ἰάμβων [und der Iamben]. 1 prol.,20: σκληρὰ κῶλα [die harten Spitzen] – 2 prol.,14: τοὺς ὀδόντας [die Zähne]. 1 prol.,20: θηλύνας [ich glätte]  – 2 prol.,14: οὐ θήγω [ich spitze nicht an]. θήγω stellt einen poetischen Ausdruck für ‚schärfen‘, ‚anspitzen‘ dar und wird vor allem konkret in Verbindung mit Zähnen – so etwa in Hom. Il. 11,416; Aristoph. Ran. 815 – oder Waffen – beispielsweise das Schwert (Eur. Or. 1036), den Pfeil (Iul. or. 7,229A) oder den Speer (Hom. Il. 2,382) –, aber auch übertragen, etwa in Verbindung mit Worten, wie in Eur. Or. 1625; Soph. Ai. 584; Porph. 42, verwendet. Zu diesem poetologischen Bild vgl. Kap. 4.3. Diese Formulierung findet sich vor allem in epischen Texten (Hom. Il. 11,415; 13,474–475; Apoll. Rhod. 3,1351–1352; Hes. scut. 388; Nik. Alex. 222; Q.Smyrn. 5,20) und wird meist in Szenen mit physischen Auseinandersetzungen gebraucht, etwa in Hes. scut. 388, wo ein Eber vor dem Kampf seine Zähne wetzt; vgl. Luzzatto 1975a, 26. Das Verb πραύνω wird in der Bedeutung ‚mild stimmen‘, ‚weich machen‘ (Hes. theog. 254; Plat. leg. 731D; Hdt. 2,25) oder ‚zähmen‘ (z. B. Hes. erg. 797; Xen. mem. 2,3,9; equ. 9,10) verwendet.

Babr. 2 prol.

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Auch hier wird also auf das Bild eines physischen Prozesses zurückgegriffen – πυρόω (‚mit Feuer behandeln‘, ‚verbrennen‘) ist dabei als Fachbegriff dem Bereich der Metallurgie und Goldverarbeitung entnommen, wo es das Erhitzen von Metall189 und insbesondere die Feuerprobe bei Gold190 bezeichnet; κέντρα πρηύνας (v.15) stellt dabei eine Variation von κῶλα θηλύνας aus 1 prol.,20, dar. Die metallurgische Komponente greift das Bild des golden aufgezäumten Pferdes (das ja für den Mythiambos steht) der vv.7–8 wieder auf: Dessen Goldschmuck wird nun in einem letzten Schritt mit Feuer bearbeitet, was zur Glättung der ‚stechenden‘ Iamben beiträgt.191 Das Verb πραύνω rekurriert auf dasselbe Bild, beschreibt aber nicht den Vorgang der Glättung, sondern jenen der Zähmung – es wird mit der Bändigung wilder Tiere in Verbindung gebracht, ebenso wie das Ich in 2 prol.,7–8, das wilde Kriegspferd aufzäumt und somit zähmt. So beziehen sich die beiden poetologischen Bilder in v.15 auf die Bilder in der Mitte des Prologs (vv.7–8) zurück, was die Auseinandersetzung mit dem Versmaß und die Charakterisierung des Mythiambos buchstäblich zum zentralen Thema des Prologs macht. Wie in 1 prol. wird das iambische Versmaß auch hier umgedeutet und anstelle von Spottdichtung für angenehme und unterhaltsame Themen einsetzbar gemacht.192 Dadurch knüpft das Ich wiederum an die parallele programmatische Aussage des ersten Iambos des Kallimachos an.193 V.16 fasst abschließend die Aussagen der vorangehenden Verse zusammen: Ἐκ δευτέρου am Versanfang dürfte dabei auf v.15 zurückweisen – das Ich präsentiert dem Leser in der Rolle des Adressaten (σοι)194 das vorliegende Buch (τήνδε βίβλον, v.16) auf die zweite Art und Weise, also indem es die Iamben nicht anspitzt, sondern mildert.195 Der Prolog schließt mit dem epischen ἀείδω,196 einem weiteren Ausdruck, der die programmatische Funktion der Prologe unterstreicht und Babrios’ Dichtung deutlich von Aesops Schaffen abgrenzt (vgl. dazu die unterschiedlichen Begriffe ἀείδω in v.16 für Babrios und εἶπε in v.4 für Aesop).197 Das Spiel mit der epischen Sprache, durch die Position am Ende des Gedichts betont, illustriert einerseits den hohen künstlerischen 189 190 191 192 193 194 195

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So etwa in Phil. 1,625. Beispielsweise in Offb 3,18; LXX Ps 17; Phil 1,57. Vgl. Luzzatto 1985, 106–107. Vgl. Nøjgaard (1967, 301), der darin, ähnlich wie Hunter (2014), den Ausdruck des vermeintlich antisatirischen Charakters der babrianischen Fabeln sieht; zur Tatsache, dass sich dieser Eindruck in den Fabeln selbst nicht bestätigt, vgl. Kap. 5.4. Vgl. Hunter 2014, 229; Kap. 6.2. Vgl. Kap. 4.1. Anders etwa Holzberg (2019, 214 [s. v. Prolog]), der die Formulierung als „dieses Buch als das zweite“ interpretiert. Dies wurde als Beleg dafür gesehen, dass Babrios zwei Ausgaben der Mythiamboi veröffentlicht habe, wobei dieser Prolog der zweiten Edition vorangestanden habe; vgl. Werner 1891, 5; Nøjgaard 1967, 351. Rutherford (1883, 105) weist auf diese Interpretation hin, hält es aber für wahrscheinlicher, dass der zweite Prolog als Einleitung einer einzigen Edition diente. Am prominentesten bereits in der epischen Dichtersprache Homers, etwa in Hom. Il. 1,1; 9,189; 18,570; Od. 1,325–326; 8,83. Vgl. Schneidewin 1845, 8.

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Kommentar

Anspruch, den das Ich an die Fabeln stellt; zum anderen klingen hierdurch die stofflichen, motivischen und sprachlichen Reminiszenzen an das antike Epos an, die sich im ersten Prolog sowie einigen analysierten Fabeln finden.198 4) Parallelen Ein Vergleich mit parallelen Bearbeitungen fällt im Falle von 2 prol. kurz aus; zwar finden die poetologischen Metaphern Entsprechungen in anderen Werken und für den Typus des Prologs bieten andere Fabeldichter Vergleichbares, doch lässt sich kein Text ausmachen, der als direkte Parallele zu 2 prol. gelten könnte. Auf folgende Parallelen sei dennoch hingewiesen: Zunächst stellt der erste Prolog den wichtigsten Vergleichs- und Bezugspunkt innerhalb der Fabelsammlung dar.199 Wie oben dargelegt, teilen die beiden Prologe den Großteil der dichtungsprogrammatischen Aussagen und scheinen hinsichtlich ihrer Struktur (narrativer Teil – programmatischer Teil) sowie ihrer Thematik (Mythos – ‚Historie‘) aufeinander bezogen und miteinander verbunden, sodass sie als Einheit verstanden werden können. Ferner finden sich viele Motive, die 2 prol. bestimmen, auch im Prolog zum dritten Buch der Fabelsammlung des Phaedrus wieder: Dort ist unter anderem davon die Rede, die ‚Schwelle der Musen‘ zu betreten,200 was der Tür-Metapher in Babr. 2 prol. entspricht. Dessen Darstellung der Entstehung der Fabel201 spiegelt wiederum die Geschichte der Fabel in Babr. 2 prol.,1–6a, wider. Die Wegmetapher bei Phaedrus, die das Dichter-Ich betont mit ego ins Zentrum rückt,202 ist mit Babr. 2 prol.,9–10, vergleichbar. Schließlich zeigt der phaedrianische Prolog mit dem Rekurs auf Aesop203 sowie der 198 Vgl. Kap. 2.3 für eine Liste der relevanten Gedichte. Holzberg (2019, 39) sieht in der Verwendung episch-homerischer Wendungen in den Fabeln unter anderem eine parodistische Intention des Autors, billigt diesem Vorgehen in Holzberg 2012, 64, jedoch auch einen gewissen Selbstzweck zu. Während ein parodistischer Grundtenor für andere Beispiele sicherlich zutrifft, scheinen mir die oben dargelegten Bezüge im vorliegenden Fall wahrscheinlicher, zumal das epische Vokabular hier vom Dichter-Ich selbst verwendet wird. 199 Zu Babr. 1 prol. vgl. Kap. 6.2. 200 Phaedr. 3 prol.,15–16: [15] Mutandum tibi propositum est et vitae genus, | intrare si Musarum limen cogitas [[15] Du musst Plan und Art deines Lebens ändern, wenn du erwägst, die Schwelle der Musen zu betreten]. 201 Phaedr. 3 prol.,33–37: Nunc fabularum cur sit inventum genus, | brevi docebo. servitus obnoxia, | [35] quia quae volebat non audebat dicere, | affectus proprios in fabellas transtulit | calumniamque fictis elusit iocis [Nun will ich kurz darlegen, warum die Gattung der Fabel erfunden wurde. Die unterworfene Sklavenschaft übertrug, [35] weil sie nicht wagte zu sagen, was sie wollte, ihre eigenen Gefühle in Fabeln und verhöhnte den Betrug mit erfundenen Scherzen]. 202 Phaedr. 3 prol.,38–40: Ego porro illius semita feci viam, | et cogitavi plura quam reliquerat, | [40] in calamitatem deligens quaedam meam [Danach habe ich aus jenem Weg eine Straße gemacht, habe mehr hinzugedichtet, als er zurückgelassen hatte, [40] und wählte einiges zu meinem Schaden aus]. 203 Phaedr. 3 prol.,29: Librum exarabo tertium Aesopi stilo [Mit dem Stil Aesops werde ich das dritte Buch ausarbeiten].

Babr. 2 prol.

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Auseinandersetzung des Ichs mit der Dichtungstradition und dem Wettstreit mit anderen Dichter-Figuren,204 dass es sich dabei um für Prologe typische Diskurse handelt und dass diese in der Fabeldichtung keine Ausnahmeerscheinung darstellen. Ob sie einen direkten Bezug zu Phaedrus’ Werk nahelegen – für diese Annahme gibt es angesichts der zahlreichen Parallelen berechtigte Gründe – oder ob beide Prologe lediglich die programmatischen Vorgaben derselben Dichtungstradition in paralleler Weise ausformen, lässt sich meines Erachtens nicht mit Sicherheit sagen. In jedem Fall zeigt der Vergleich jedoch, dass sich Babr. 2 prol. nahtlos in eine zu seiner Zeit bestehende poetisch-programmatische sowie literarische Tradition einfügt. 5) Gesamtbetrachtung Der zweite Prolog scheint als gezielte Entsprechung zu 1 prol. konzipiert zu sein, sowohl, was seine Inhalte, als auch, was seinen poetologischen Gehalt betrifft. Die beiden Prologe liefern somit den programmatischen Rahmen für die Lektüre der Fabeln. Die Topoi und poetologischen Bilder, die bereits in 1 prol. eingeführt wurden, ziehen sich ebenso durch den zweiten Prolog – so etwa die (in ihrer Aussage veränderte) Bezugnahme auf Aesop, die Weisheit der Dichtung oder der Anspruch, die iambische Form zu ‚glätten‘. Zusätzlich wird eine Reihe neuer Bilder eingeführt, die die programmatischen Aussagen konkretisieren und weiter zuspitzen, darunter die Geschichte der Fabel, der Originalitätsanspruch und die Selbstdarstellung des Ichs als (zweiter) Begründer der Gattung sowie das Motiv des Goldes, das auf die Dichtung bezogen wird. Es wurde bereits in Kap. 6.2 darauf hingewiesen, dass die beiden Prologe der Sammlung sich so sehr ähneln, dass sogar diskutiert wurde, es könnte sich um zwei Teile desselben Prologs handeln, wie Léon Herrmann vermutet hat.205 Während sich Herrmanns Ideen nicht durchzusetzen vermochten, werfen sie dennoch die Frage auf, ob die beiden Prologe bereits als ein Paar konzipiert wurden, das ein poetisches Konzept in zwei Teilen ausdrückt oder ob der zweite in gezielter Bezugnahme auf den ersten

204 Phaedr. 3 prol.,52–61: Si Phryx Aesopus potuit, Anacharsis Scytha | aeternam famam condere ingenio suo: | ego, litteratae qui sum propior Graeciae, | [55] cur somno inerti deseram patriae decus? | Threissa cum gens numeret auctores suos, | Linoque Apollo sit parens, Musa Orpheo, | qui saxa cantu movit et domuit feras | Hebrique tenuit impetus dulci mora. | [60] ergo hinc abesto, Livor, ne frustra gemas, | quoniam mihi sollemnis debetur gloria [Wenn der Phryger Aesop und der Skythe Anacharsis durch ihr Talent ewigen Ruhm begründen konnten: [55] Warum soll ich dann, der ich dem kultivierten Griechenland näher bin, im untätigen Schlaf den Stolz der Heimat im Stich lassen? Da das thrakische Volk seine Autoren aufzählt und Apollo Linus’ Vater, die Muse Orpheus’ Mutter ist, der Felsen durch seinen Gesang bewegte, wilde Tiere zähmte und die Wucht des Hebrus mit süßer Ruhe aufhielt. [60] Darum, Neid, sei fort von hier, damit du nicht umsonst seufzt, da mir feierlicher Ruhm geschuldet wird]. 205 Herrmann 1949, 353–356; Herrmann 1966, 433–442.

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Kommentar

Prolog gestaltet ist und eine Fortsetzung desselben darstellt.206 Meines Erachtens spricht Vieles für die zweite Annahme: Während der erste Prolog in die Fabelwelt einführt und ein grundlegendes poetisches mission statement darstellt, in dem das Ich den Stoff seiner Fabeln, die grundlegende poetische Technik, seine Beziehung zum Versmaß sowie das Resultat dieses Prozesses präsentiert, baut das Ich des zweiten Prologs auf diesen Grundlagen auf und entwickelt sie weiter, indem es neue Facetten einführt; zum einen zeigt sich dies daran, dass in 2 prol. andere Aspekte priorisiert werden – etwa die Entstehung der Fabel, die den Fokus auf die literarische Geschichte im Gegensatz zum mythischen Ursprung legt. Zum anderen fällt im Vergleich zum ersten Prolog die Prävalenz dichtungsprogrammatischer Aussagen auf, die das Verständnis des DichterIchs und seiner Dichtung noch präziser ausmalen: die neue Muse des Dichters, das golden aufgezäumte Kriegspferd, die Tür, die gelehrten Rätsel, der klare Fluss sowie die Reinigung der Iamben im Feuer. Diese Bilder illustrieren eine noch feinere Ausgefeiltheit und einen noch größeren Anspielungsreichtum.207 Insgesamt sind die Topoi, die im zweiten Prolog bedient werden, durchgehend dem gängigen poetischen Diskurs der Antike entnommen. Die Dichterfigur ist, was ihren Anspruch an sich selbst und ihre Dichtung betrifft, ohne Vorbehalte mit Figuren bei Horaz, Catull oder Kallimachos vergleichbar. Dies mag zunächst verwundern, wenn man davon ausgeht, dass die Mythiamboi lediglich im Schulbetrieb gelesen wurden. Dass Intention und intendiertes Publikum der Fabelsammlung jedoch radikal von dem abweichen, was in der Forschung lange angenommen wurde, lässt sich an Texten wie 2 prol. meines Erachtens zuverlässig demonstrieren. Schließlich kann man angesichts der Tatsache, dass der zweite Prolog gegen Ende des erhaltenen Teils der Fabelsammlung überliefert wurde,208 die Frage stellen, wie sich dieser in das Bild der Dekonstruktion fügt, die den ersten Prolog sowie die übrigen analysierten Fabeln bestimmt.209 Hier zeigt sich, dass die programmatischen Aussagen des zweiten zwar mit jenen des ersten Prologs konform gehen und diese weiterentwickeln, dass jedoch die behandelten Themen, etwa die explizite aggressive Schmähung der Nachahmer in den vv.10–12, den Forderungen nach Erzählungen in einer friedlichen, konfliktfreien Welt nicht gerecht werden.210 Dies ist umso auffälliger, 206 Vgl. hier auch jene Untersuchungen, die beide Prologe stets gemeinsam behandeln, so z. B. Herrmann 1949, 353–356; Herrmann 1966, 433–442; Hunter 2014, 227–236; Hawkins 2014; Hawkins 2015; Mann 2018; Spielhofer 2021. 207 Man könnte in diesem Sinne sogar von einer poetischen Entwicklung des Ichs vom ersten zum zweiten Prolog sprechen; seine Bilder werden klarer, präziser und anspielungsreicher, sodass ein Leser schlussfolgern könnte, das Ich ist im zweiten Prolog poetisch erfolgreicher. Dass das PrologIch auch in anderen Fabelbüchern eine Entwicklung durchläuft, wurde etwa auch für Phaedrus Fabelsammlung gezeigt; vgl. dazu Gärtner 2007. 208 Vgl. Holzberg 2012, 59, sowie Kap. 3 zur Stellung des zweiten Prologs im Gesamtwerk. 209 Zu den zentralen Thesen in Hawkins 2014, Mann 2018 sowie Holzberg 2019 vgl. die Analyse zu 1 prol. (Kap. 6.2) sowie Kap. 5.4. 210 Vgl. Hawkins 2014, 93.

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als das Ich unmittelbar nach dieser Schmähung mit der Glättung des Versmaßes in den vv.14–15 die Abkehr vom spottenden Charakter des Iambos aus dem ersten Prolog aufgreift.211 In diesem Sinne würde also sogar der zweite Prolog dekonstruktive Elemente aufweisen, die die Aussagen des ersten Prologs zugleich stützen und konterkarieren; damit würde er diese Ansätze besonders eindrücklich bestätigen. 6.4 Babr. 1 Ἄνθρωπος ἦλθεν εἰς ὄρος κυνηγήσων, τόξου βολῆς ἔμπειρος· ἦν δὲ τῶν ζῴων φυγή τε πάντων καὶ φόβου δρόμος πλήρης. λέων δὲ τοῦτον προὐκαλεῖτο θαρσήσας αὑτῷ μάχεσθαι. „μεῖνον“ εἶπε „μὴ σπεύσῃς“ ἅνθρωπος αὐτῷ, „μήδ’ ἐπελπίσῃς νίκῃ· τῷ δ’ ἀγγέλῳ μου πρῶτον ἐντυχὼν γνώσῃ τί σοι ποιητόν ἐστιν.“ εἶτα τοξεύει μικρὸν διαστάς. χὠ μὲν οἰστὸς ἐκρύφθη λέοντος ὑγραῖς χολάσιν· ὁ δὲ λέων δείσας ὥρμησε φεύγειν ἐς νάπας ἐρημαίας. τούτου δ’ ἀλώπηξ οὐκ ἄπωθεν εἱστήκει. ταύτης δὲ θαρσεῖν καὶ μένειν κελευούσης „οὔ με πλανήσεις“ φησίν, „οὐδ’ ἐνεδρεύσεις· ὅπου γὰρ οὕτω πικρὸν ἄγγελον πέμπει, πῶς αὐτὸς ἤδη φοβερός ἐστι γινώσκω.“

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Ein Mensch kam auf einen Berg, um zu jagen; im Bogenschuss war er erprobt: Da gab es ein Fliehen aller Tiere, und voller Furcht war ihr Lauf. Der212 Löwe aber nahm seinen Mut zusammen und forderte diesen heraus, [5] mit ihm zu kämpfen. „Bleib und überstürze nicht!“ sagte ihm da der Mensch, „und setze deine Hoffnung nicht auf Sieg: Wenn du erst auf meinen Boten getroffen bist, wirst du erkennen, was du zu tun hast.“ Dann schoss er, während er wenig entfernt stand. Und der Pfeil vergrub sich in den weichen Eingeweiden des Löwen. [10] Der Löwe erschrak und trat schleunigst die Flucht in einsame Waldtäler an. Nicht weit entfernt von ihm stand der Fuchs. Als dieser ihn aufforderte, Mut zu beweisen und zu bleiben, sagte er: „Du wirst mich weder täuschen noch mir eine Falle stellen: [15] Denn da er ja einen so einen stechenden Boten schickt, erkenne ich, wie furchterregend er dann selbst erst ist.“ 211 Es ist allerdings unklar, ob sich die Forderungen des ersten Prologs nur auf die Welt der einzelnen Fabeln beziehen, oder ob dies auch die Welt der Prologe auf einer abstrakten Ebene umfasst. 212 Zur Verwendung des bestimmten Artikels vgl. Holzberg 2019, 202 (s. v. 1).

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1) Gliederung vv.1–3 Exposition – Ein Mensch kommt in die Berge, um zu jagen. Alle Tiere fliehen. vv.4–5a Actio 1  – Der Löwe stellt sich dem Jäger entgegen und will gegen ihn kämpfen. vv.5b–8a Reactio 1 – Der Jäger antwortet dem Löwen; er fordert ihn auf, nichts zu überstürzen und sich zuerst mit seinem Boten zu unterhalten. vv.8b–11 Folge – Der Jäger schießt, sein Pfeil bohrt sich in den Körper des Löwen. Der Löwe erschrickt und flieht in die Wildnis. vv.12–13 Actio 2 – Der Fuchs fordert den Löwen dazu auf, Stärke zu zeigen. vv.14–16 Reactio 2 (~ Epimythion) – Der Löwe lässt sich von der Flucht nicht abbringen. Wenn sein Bote bereits so schrecklich sei, fürchte er den Mann umso mehr. 2) Kommentar v.2  τόξου βολῆς ἔμπειρος: Auf ἔμπειρος folgt regulär ein Substantiv im Genetiv. Für die Bezeichnung von Tätigkeiten erscheint allerdings klassisch ein substantivierter Infinitiv.213 Der Begriff βολή bezeichnet üblicherweise den (konkreten) Wurf eines Geschosses,214 als Bezeichnung für den (generellen) Akt des Wurfes ist er allerdings nur selten belegt.215 v.3  φόβου […] πλήρης: Zu diesem typischen Versschluss mit vorangestelltem Genetiv vgl. Kap. 2.3, Anm. 156 sowie Kap. 3. v.6  ἐπελπίσῃς νίκῃ: Das Verb ἐπελπίζω mit Dativobjekt findet sich in der Bedeutung ‚seine Hoffnung in/auf etwas setzen‘.216 v.9 χὠ: = καὶ ὁ. v.11 ἐρημαίας: Poetische Nebenform zum Adjektiv ἔρημος.217 v.15  ὅπου: ὅπου kann in Verbindung mit den Partikeln γάρ oder γε eine kausale Bedeutung annehmen, vergleichbar mit lat. quippe.218 Parallelen: Avian. 17; Ba 11 (Knoell = 281 Hsr.); Tetr. 1,20

So etwa in Antiph. 5,7; Apopht.patr. 10,88; Epikt. 4,1,117–118; vgl. Rutherford 1883, 15. So in Hom. Od. 17,283; Eur. Or. 59; vgl. Anth.Gr. 12,160,3 (anonym), bezogen auf die Pfeile des Eros. So etwa in Soph. fr. 429 Radt, dort bezogen auf den Würfelwurf. Vgl. Hld. 7,26; Cass.Dio 41,11. Diese wird ausschließlich von alexandrinischen Dichtern verwendet, so etwa Apoll.Rhod. 2,672; 4,1298; Mosch. 3,21; 3,63; vgl. Luzzatto 1975a, 41. Eine derartige Bezeichnung für ein Waldtal findet sich etwa auch in Anth.Gr. 16,94 (Archias). 218 So in Antiph. 1,7; Demosth. or. 21,205; Hdt. 1,68; 4,195; vgl. LSJ s. v. ὅπου II 2. 213 214 215 216 217

Babr. 1

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3) Analyse Babr. 1 ist eine Doppelfabel mit drei Akteuren, dem Menschen, dem Löwen und dem Fuchs.219 Sie besteht aus sechs Abschnitten, an die Exposition der vv.1–3 schließen zwei Actio-Reactio-Paare an (vv.4–8a bzw. 12–16), die durch die Folge des ersten Paars in den vv.8b–11 verbunden werden. Für den Leser schließt die Handlung der Fabel an die Schilderungen des Prologs an, was sogleich durch lexikalische Verbindungen markiert wird, wenn etwa ἄνθρωπος am Beginn von v.1 auf die ἄνθρωποι δίκαιοι im ersten Vers des Prologs anspielt.220 Ein Leser, der die im Prolog geschilderte Harmonie der Goldenen Zeit und die Freundschaft zwischen Mensch und Tier erwartet, wird in Babr. 1 bereits am Beginn enttäuscht: Der Mensch, der in v.1 eingeführt und in einer Apposition in v.2a als ein geübter Bogenschütze beschrieben wird, kommt in die Berge, um dort zu jagen (κυνηγήσων, v.1).221 In den vv.2b–3 wird die Reaktion der Tiere auf sein Erscheinen geschildert – sie ergreifen angsterfüllt die Flucht.222 Eine Häufung von Stilmitteln gestaltet die Szene aus: Durch ein Enjambement steht die Flucht (φυγή, v.2) der Tiere betont am Versanfang und wird vom Hyperbaton τῶν ζῴων […] τε πάντων (vv.2–3) umschlossen, wodurch die Größenordnung der Tierflucht ausgedrückt wird. Die Alliteration (φυγή – φόβου, v.3) verstärkt die Dramatik der Szene und bringt in Verbindung mit dem Versschluss φόβου δρόμος πλήρης (v.3) die Furcht der Waldbewohner zum Ausdruck. In dieses betont negativ inszenierte Bild tritt nun ein zweiter Akteur: Als Einziger fasst der Löwe, diejenige Figur, die in der Fabeldichtung und insbesondere bei Babrios als Anführer der Tierwelt dargestellt wird, den Mut, den Menschen zum Kampf he­ rauszufordern.223 Die Antithese ζῴων πάντων – λέων hebt zunächst seine außerordentliche Position unter den Tieren hervor – er ist der Einzige, der sich dem Menschen entgegenstellt. Auch durch ihre Stellung im Vers werden die beiden Akteure als Widersacher inszeniert: Ebenso betont wie ἄνθρωπος in v.1 wird der Löwe am Beginn von v.4 als sein tierisches Gegenüber eingeführt. Sein Auftritt und seine Beschreibung lassen 219 Zum Löwen in anderen Fabeln der Mythiamboi vgl. Babr. 44; 67; 82; 90; 95; 97; 98; 99; 102; 103; 105; 106; 107. Füchse kommen in den Mythiamboi auch in Babr. 11 (vgl. Kap. 6.14), 14 (vgl. Kap. 6.17), 19, 50, 53, 77, 82, 86, 95, 101, 103, 106, 120, 130 und 133 vor. 220 Vgl. Mann 2018, 270. 221 Die ländliche Szenerie findet Parallelen in anderen Fabeln, etwa Babr.  2 (vgl. Kap.  6.5), 3 (vgl. Kap. 6.6), 11 (vgl. Kap. 6.14), 12 (vgl. Kap. 6.15) und 13 (vgl. Kap. 6.16). Zur ländlich-idyllischen Inszenierung einer Fabel als Kontrast und Verstärkung schrecklicher Geschehnisse vgl. Babr.  3 (Kap. 6.6), 12 (Kap. 6.15) und 13 (Kap. 6.16). 222 Eine sehr ähnliche Szene findet sich in Babr. 139,3, wo umgekehrt Menschen die Flucht vor einem in Löwenfell gehüllten Esel ergreifen. Hier greift die Formulierung τῶν ζῴων […] πάντων (vv.2–3) wiederum τὰ λοιπὰ τῶν ζῴων aus 1 prol.,6 auf (vgl. Kap. 6.2); vgl. Mann 2018, 270. 223 Das Motiv, dass Mensch und Löwe bei der Jagd auf einem Berg aufeinandertreffen, scheint in der Literatur durchaus verbreitet. So berichtet etwa der frühchristliche Physiologus (ca. 2.–4. Jahrhundert) davon, dass ein Berglöwe, sobald er den Geruch von Jägern wahrnimmt, seine Spuren verwischt, damit er von diesen nicht gefangen wird (vgl. Physiologus 1). Im Gegensatz dazu stellt sich der Löwe in Babr. 1 mutig der Auseinandersetzung.

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an eine epische Szene denken, was durch entsprechendes homerisches Vokabular in den vv.4–5 unterstrichen wird: So scheint die Wendung προὐκαλεῖτο θαρσήσας αὑτῷ μάχεσθαι formelhafte Wendungen zur Einführung einer direkten Rede aufzurufen,224 zumal das Verb θαρσέω bei Babrios gleich wie in den entsprechenden Parallelen im Partizip des Aorists auftritt225 und die Kombination von προκαλέομαι mit dem Verb μάχεσθαι ebenfalls auf die homerische Epik zurückdeutet.226 Vergleichbare sprachliche Phänomene lassen sich in den Mythiamboi in Fabeln finden, die episch-mythologische Themen aufgreifen – z.B Babr. 31, einer Version der Batrachomyomachie, wo eine ähnliche Wendung verwendet wird, um den Beginn der Schlacht zu kennzeichnen.227 Insbesondere die Figur des Löwen unterstreicht die epische Inszenierung: In der antiken Literatur galt er als Symbol für Tapferkeit, Stärke und Mut228 und war ein häufiges Motiv in epischen Vergleichen.229 Der Mensch antwortet auf die Herausforderung des Löwen in direkter Rede: Er befiehlt ihm, innezuhalten, sich nicht zu bemühen und sich keine Hoffnung auf Sieg zu machen. Erst nach dem Treffen mit seinem Boten (τῷ δ’ ἀγγέλῳ μου, v.7) werde er wissen, was zu tun sei. Der Mensch beendet seine Rede und schießt einen Pfeil auf den Löwen ab, wobei ein weiteres Enjambement in v.9a betont, dass er dabei nur wenig entfernt steht (μικρὸν διαστάς, v.9). Diese Handlung leitet einen Subjekts- und Per­ spektivenwechsel ein: Der Mensch, in der vorangehenden Rede handelndes Subjekt, übergibt diese Funktion in den vv.9b–10a dem Pfeil. Dieser trifft den Löwen, der in der Folge als Subjekt reagiert. Anschaulich wird in den vv.9–10 beschrieben, wie sich der Pfeil in die Eingeweide des Löwen bohrt – die Verbform ἐκρύφθη (v.9) sowie der Dativ ὑγραῖς χολάσιν (v.10)230 zeichnen ein dramatisches Bild, das durch die Antithese des harten Pfeils, der tief in den weichen Eingeweiden – durch eine Auflösung im zweiten Versfuß zusätzlich betont – verborgen ist, noch verstärkt wird. Mit dem Flug des Pfeiles verfolgt der Leser gleichzeitig den Wechsel der Perspektive vom Menschen

Vgl. dazu Hom. Il. 1,85; 1,92; Od. 3,67. Vgl. Luzzatto 1975a, 24. Beispielsweise Hom. Il. 3,432–433; 7,39–40; vgl. Luzzatto 1975a, 25. Babr. 31,12: καί τις γαλῆν μῦς προὐκαλεῖτο θαρσήσας [Und eine Maus fasste Mut und forderte das Wiesel zum Kampf heraus]. 228 Vgl. Hünemörder 1999, 392. In den Oneirokritika des Artemidor von Daldis (ca. erste Hälfte 2. Jahrhundert) wird geschildert, dass der Löwe in Träumen für mutige, edle und fürchtenswerte Staatsmänner steht (vgl. Artem. 4,56). In diesem Zusammhang ist relevant, dass der Löwe bei Artemidor als φοβερός bezeichnet wird, während er in Babr. 1 den Menschen bzw. seinen Pfeil so bezeichnet. 229 In den homerischen Epen werden zentrale Helden, oftmals im Kampf, mit Löwen verglichen, so in Hom. Il. 20,165–174; 24,41–44; 24,572 (Achilleus); 15,271–280 (Hektor); 5,161–165 (Diomedes); Od. 6,130–134 (Odysseus); vgl. Létoublon 2016. 230 Im vorliegenden Kontext wird das Adjektiv ὑγρός in der Bedeutung ‚weich‘ vergleichbar mit lat. mollis verwendet. Die Bezeichnung χολάδες für die Eingeweide ist dem Vokabular der homerischen Epen entnommen, so etwa in Hom. Il. 4,526; 21,181. 224 225 226 227

Babr. 1

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zum Löwen mit. In diesem Sinne markiert dies den Übergang vom ersten zum zweiten Handlungsstrang.231 Im zweiten Teil der Fabel gerät der Löwe entgegen der Erwartung nach einem epischen Zweikampf, auf den die sprachlich-stilistische Inszenierung hindeutet, getroffen vom Pfeil des Menschen (markiert durch eine Auflösung im fünften Versfuß) in Furcht und flüchtet sich in abgelegene Waldtäler (ἐς νάπας ἐρημαίας, v.11).232 Die Formulierung νάπη ἐρημαία in Verbindung mit einer Löwendarstellung findet sich in einem Epigramm des Archias in der Anthologia Graeca.233 Dieses ist dem Nemeischen Löwen, einer bekannten mythologischen Figur, gewidmet. Dort wird erwähnt, dass Echo das Waldtal des Nemeischen Löwen bewohnt – sie wird als ἐρημαίης ἐνναέτειρα νάπης bezeichnet. Die lexikalische Verbindung könnte darauf hinweisen, dass die Babriosfabel auf das Archiasepigramm bzw. dadurch auf den darin dargestellten Mythos Bezug nimmt: Babrios’ Löwe sucht buchstäblich das Waldtal des Nemeischen Löwen auf. Dies würde die im ersten Prolog formulierte Intention des Autors fortsetzen, Geschichten aus der mythischen Zeit zu erzählen – auf das Goldene Zeitalter von 1 prol. folgt nun die Erlegung des Nemeischen Löwen durch Herakles.234 Das Spiel mit diesem bekannten Motiv zeigt sich nicht nur am Schauplatz, sondern auch an der Jagdwaffe: Laut des Mythos schießt Herakles zunächst zahlreiche Pfeile auf den Nemeischen Löwen ab, die zunächst an jenem abprallen,235 und trifft ihn dann mit einem Schlag, der ihn in sein Waldtal flüchten lässt. Als der Löwe sein Versteck schließlich verlässt, wird er von Herakles erwürgt. Der Jäger in Babr. 1 stellt sogar noch eine Steigerung dazu dar, er trifft den Löwen bereits mit seinen Pfeilen und muss ihn nicht bis in sein Versteck verfolgen: Ein Leser mit Kenntnis des Mythos könnte ein ebenso düsteres Ende für den Löwen erwarten. Doch diese Erwartung wird enttäuscht, schließt die Fabel doch mit einem alternativen Ende: Im Waldtal – der Erwartung des Lesers nach die letzte Station des Löwen vor seinem Tod – tritt nun der Fuchs (ἀλώπηξ, v.12) in Aktion: Diese Figur nimmt bei Babrios 231 Dies wird auch dadurch untermauert, dass der Perspektivenwechsel fast genau in der Mitte des Gedichts steht. Setzt man den Wechsel bei v.9b an, so befinden sich davor 8,5 Verse, danach 7,5 Verse. Durch diese zentrale Stellung kommt der Schilderung verstärkte Bedeutung zu. 232 Zum Waldtal in den analysierten Fabeln vgl. Babr. 12 (Kap. 6.15). 233 Anth.Gr. 16,94 (Archias): Μηκέτι ταυροβόροιο βαρὺ βρύχημα λέοντος | πτήσσετε. ληινόμοι γειαρόται Νεμέης· | ἦ γὰρ ὑφ’ Ἡρακλῆος ἀριστάθλοιο δέδουπεν | αὐχένα θηροφόνοις ἀγχόμενος παλάμαις. | [5] ποίμνας ἐξελάσασθε· πάλιν μυκηθμὸν ἀκούοι  | Ἠχώ, ἐρημαίης ἐνναέτειρα νάπης.  | καὶ σύ, λεοντόχλαινε, πάλιν θωρήσσεο ῥινῷ | Ἥρης πρηΰνων μισονόθοιο χόλον [Versteckt euch nicht mehr in Furcht vor dem tiefen Brüllen des stierverschlingenden Löwen, landbewohnende Erdbepflüger Nemeas: Denn schwer ist er gefallen durch Herakles, dem Sieger im Wettkampf, erwürgt durch die wildtiertötenden Hände. [5] Treibt die Herden heraus: Wieder möge Echo das Ochsengebrüll hören, die Bewohnerin des entlegenen Waldtals. Auch du, in Löwenfell Gekleideter, bewaffne dich wieder mit dem Ochsenfellschild und mildere den Zorn der Hera, die uneheliche Kinder hasst]. 234 Zu 1 prol. vgl. Kap. 6.2; mit Babr. 12 (vgl. Kap. 6.15) findet sich eine weitere Fabel, die mythologische Inhalte, genauer den Mythos um Tereus, Prokne und Philomela, vermittelt. 235 So z. B. in Theokr. eid. 25, wo die Szene ausführlich geschildert wird.

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eine besondere Stellung ein, wird sie doch gemeinhin als gerissen beschrieben und des Öfteren mit Attributen versehen, die sie in die Nähe von Künstlerfiguren rücken und die somit eine Verbindung zum Künstler-Ich der Prologe ermöglichen.236 Ob es sich beim Fuchs hier tatsächlich um die Repräsentation des (Wort-)Künstlers handelt, bleibt zwar offen; die oft kommentierende bzw. Sachverhalte infrage stellende Rolle des Fuchses in den analysierten Fabeln deutet jedoch darauf hin.237 Der Fuchs steht nicht weit entfernt vom Löwen und fordert diesen dazu auf, Mut zu beweisen und dem Jäger nicht zu weichen.238 Seine Aufforderung wird parallel zur ersten Aufforderung des Löwen und im Gegensatz zur Rede des Menschen in indirekter Rede vermittelt, wobei mit θαρσεῖν ebenfalls episches Vokabular239 vorliegt. So könnte man die Rede des Fuchses als Versuch werten, den Löwen zurück in die Welt des Epos zu führen; dessen Antwort zeigt, dass dies jedoch alles andere als gut gemeint sein dürfte. Der Löwe hält in den vv.14–16 eine Schlussrede, die die Funktion eines Epimythions übernimmt.240 In dieser adressiert er den Fuchs und versichert, dieser werde ihn nicht täuschen oder in eine Falle locken („οὔ με πλανήσεις“ φησίν, „οὐδ’ ἐνεδρεύσεις, v.14). Insbesondere ἐνεδρεύω ist hier auffällig, bezeichnet der Begriff doch in anderen Fabeln das Auflauern, vor allem, um Beute zu fangen.241 Vor diesem Hintergrund könnte man die vordergründig aufbauenden Worte des Fuchses als Täuschung oder gar als Falle verstehen. In anderen Babriosfabeln steht der Fuchs dem Löwen wohlgesinnt242 oder neutral243 gegenüber – im Gegensatz zum Fuchs in Babr. 1, dessen ambivalente Darstellung in den parallelen Bearbeitungen auffällig fehlt,244 die jedoch Parallelen zu anderen

236 So wird der Fuchs vielfach als κερδώ bezeichnet (etwa in Babr. 19; 50; 81; 82; 95; 101; 106), was auf κέρδος zurückgeführt wird, einen Begriff, der Klugheit und Kunstfertigkeit anzeigen kann; vgl. LSJ s. v. κέρδος II. Der Fuchs in Babr. 95 wird als eine Figur charakterisiert, die mit λόγοισι ποιητοῖσι (Babr. 95,37), konstruierten Worten, (oder: den Worten eines Dichters!) sein Gegenüber verzaubert. 237 Vgl. neben Babr. 1 etwa auch Babr. 14 (Kap. 6.17). 238 Das Verb μένω schein hier diese Bedeutung anzunehmen. 239 Der Infinitiv θαρσεῖν verweist lexikalisch auf das Partizip θαρσήσας (‚Mut fassen‘) in v.4 zurück. Ähnliche Verwendungen finden sich in Babr. 25,8 und 32,12 und deuten aufgrund ihres Kontextes auf einen gezielten Bezug zur homerischen Dichtung (beispielsweise Il. 1,85; 1,92 sowie Od. 3,76) hin. In allen drei Fabeln wird das Verb in Verbindung mit einer anderen homerischen Phrase verwendet, προὐκαλεῖτο in Babr. 1 und 32, ἂψ νῦν ἴωμεν in Babr. 25; vgl. Luzzatto 1975a, 24, Anm. 21. 240 Diese Form der abschließenden Rede, die als Epimythion einem Akteur in den Mund gelegt wird, ist in den Fabeln des Babrios sehr häufig und ist mitunter ein Argument dafür, dass die überlieferten Versepimythien eine spätere Hinzufügung darstellen; vgl. Becker 2006, 182–183; Kap. 2.2. Zu dieser Fabel ist kein Versepimythion überliefert; zu den Prosaepimythien vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 4. 241 Vgl. Babr. 17 (Kap. 6.20), wo der Kater den Hühnern auflauert. 242 So in Babr. 95. 243 So z. B. in Babr. 103. 244 Angesichts dessen ist Nøjgaards Argument (1967, 225), der Fuchs werde lediglich in der Funktion eines Prosopon protaktikon eingeführt wird, um die abschließende Rede des Löwen zu motivieren, nicht haltbar. Sie ist vielmehr ein Beispiel für Babrios’ Charakterisierungskunst, die im Unter-

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antiken Werken aufweist.245 Der Löwe schätzt ihn als hinterhältig und falsch ein, da er ihn wieder zum Kampf bewegen möchte, eine Auseinandersetzung, die der Löwe nach eigener Einschätzung nur verlieren kann, wie er in den folgenden vv.15–16 ausführt: Er erkenne, wie fürchtenswert jemand selbst ist, der bereits einen so stechenden Boten (πικρὸν ἄγγελον, v.15) schickt. Der Bote in v.15 bezieht sich auf die vorangehende Rede und Tat des Menschen. Dieser bezeichnet den Pfeil, mit dem er den Löwen trifft, ebenfalls als Boten (τῷ δ’ ἀγγέλῳ μου, v.7). Der Verletzte hat aus seinen Erfahrungen und Fehlern gelernt, und leistet daher der Aufforderung des Fuchses nicht Folge; ob diese Einschätzung korrekt ist, wird nicht aufgelöst, Einiges spricht jedoch dafür, dass der Löwe aus einer direkten Auseinandersetzung womöglich sogar als Sieger hervorgehen würde, etwa die Tatsache, dass der Jäger zu nahe steht, um sich mit seinem Pfeil ausreichend verteidigen zu können.246 Unabhängig davon könnte ein aufmerksamer Leser in den Erfahrungen des Löwen auch eine Anspielung auf den erwähnten Mythos um den Nemeischen Löwen erkennen: Im Gegensatz zu diesem erkennt (γινώσκω, v.16) der Löwe in Babr. 1 die Gefahr, die bereits vom Vorboten ausgeht, zieht sich deshalb zurück und teilt daher nicht dessen Schicksal. Schließlich verdeutlicht φοβερός, das in zentraler Position in v.16 (Auflösung im vierten Versfuß) steht, die aus der vergangenen Erfahrung resultierende Furcht des Löwen. Anknüpfend an die Inszenierung des Pfeils in v.7 bzw. den vv.9–10 wird in v.15 mit der Ambiguität des Begriffs ἄγγελος gespielt, der gewöhnlich auf eine Person bezogen, hier jedoch metaphorisch für einen unbelebten Gegenstand verwendet wird. Auch seine Beschreibung als πικρός (v.15), einem typischen Epitheton für den Pfeil seit Homer,247 trägt zu dieser Ambiguität bei: Einerseits werden damit die physischen Eigenschaften des Pfeils beschrieben – er ist spitz und fügt scharf schmerzende Wunden zu. Andererseits wird das Adjektiv neben der konkreten Beschreibung von Gegenständen248 in übertragener Bedeutung für die Charakterisierung von Personen als böse, verbittert oder hasserfüllt verwendet.249 Diese Bedeutungen überlagern sich in der Beschreibung des Boten, sodass ungeachtet der Handlung in 8b–10a aus den direkten Reden nicht klar hervorgeht, ob es sich um einen Menschen oder einen Gegenstand handelt, bzw. wie viel Person im unbelebten (Pfeil-)Boten steckt.250

245 246 247 248 249 250

schied zu zahlreichen anderen griechischen Fabeln, etwa der Collectio Augustana, darauf abzielt, möglichst große Plastizität und Anschaulichkeit zu schaffen. Vgl. z. B. Aristot. hist.an. 488B, wo der Fuchs als gerissenes Tier dargestellt wird. Auch in der Tierliteratur der Zeit wird der Fuchs als verschlagen, mithin sogar durchtrieben charakterisiert, so in Artem. 4,56; Physiologus 15; vgl. auch die negative Darstellung des Fuchses in Babr. 11 (Kap. 6.14). Vgl. Allgaier 2022, 140. Etwa Hom. Il. 4,118: αἶψα δ’ ἐπὶ νευρῇ κατεκόσμει πικρὸν ὀιστόν [schnell legte er den scharfen Pfeil auf der Sehne zurecht]. Vgl. ferner den Pfeil, der bei Homer (Il. 22,206) vorkommt, oder den Stachel von Tieren, so in Ail. nat. 2,36; 17,45; Long. 1,18,1. So etwa in Sol. fr. 13,5 West; Soph. Phil. 254; Eur. Med. 224; Men. fr. 10. Allgaier (2022, 9) weist ebenfalls auf diese Ambiguität hin.

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Kommentar

Daneben stellt der Begriff πικρός eine Verbindung zum vorangehenden ersten Prolog her: Dort erklärt das Dichter-Ich, die Spitzen der stechenden Iamben (πικρῶν ἰάμβων, v.20) seiner Vorgänger geglättet zu haben. Wie bereits in Kap. 4.2 sowie der Interpretation des ersten Prologs251 dargestellt, bezieht sich diese Aussage auf die iambische Tradition, die vor allem wegen ihres spottenden und daher stechend-scharfen Charakters bekannt ist.252 Das Ich möchte das Stechen aber mildern und die Verse für angenehme und harmlose Themen passend machen. In Babr. 1 wird diese Metaphorik des spitzen Iambos, der ja – sofern man dem Prolog Glauben schenkt – in den Mythiamboi geschliffen und somit nicht mehr existent ist, durch den Pfeil indirekt wieder aufgegriffen. Die Aufmerksamkeit des Lesers wird so auf die programmatischen Aussagen des Prologs über den Inhalt der Fabeln zurückgelenkt, wodurch deutlich wird, dass bereits die erste Fabel in ihrem Inhalt und durch ihren spottenden Charakter253 auffällig dem widerspricht, was das Ich einleitend versprochen hat.254 Doch nicht nur programmatisch, auch inhaltlich werden die Aussagen des Prologs in der negativen Reaktion des Löwen konterkariert: Dieser interpretiert die täuschenden Worte des Fuchses als Form verbaler Gewalt; indem der Fuchs versucht, den Löwen mit Worten in eine Gefahrensituation zu bringen, fügt er ihm indirekt selbst Gewalt zu.255 Diese Darstellung verbaler Gewalt steht im starken Gegensatz zum Bild, das im ersten Prolog gezeichnet wird, wo Sprache als Kommunikationsmittel zur Wahrung

251 Vgl. Kap. 6.2. 252 Anschaulich wird die Bedeutung der Metapher des ‚spitzen Iambos‘ für die iambische Dichtungstradition in einem Epigramm des Gaetulicus auf Archilochos illustriert (Anth.Gr. 7,71): Σῆμα τόδ’ Ἀρχιλόχου παραπόντιον, ὅς ποτε πικρὴν | μοῦσαν ἐχιδναίῳ πρῶτος ἔβαψε χόλῳ | αἱμάξας Ἑλικῶνα τὸν ἥμερον. Οἶδε Λυκάμβης, | μυρόμενος τρισσῶν ἅμματα θυγατέρων. | [5] Ἠρέμα δὴ παράμειψον, ὁδοιπόρε, μή ποτε τοῦδε  | κινήσῃς τύμβῳ σφῆκας ἐφεζομένους. [Dies ist das am Meer gelegene Grabmal des Archilochos, der einst als Erster die bittere Muse in die Galle der Echidna getaucht und den sanften Helikon mit Blut befleckt hat. Lykambes weiß es, der die Galgen seiner drei Töchter beweint. [5] Geh sanft daran vorbei, Reisender, und störe nicht die Wespen, die auf seinem Grab sitzen.] Die bittere Muse, die stechende Galle und die Wespen sind drei Metaphern für die iambische Dichtung, die alle auf dem Konzept der stechenden Dichtung basieren. Die Verbindung zu Babr. 1 ist hier auch an den Motiven Jagd und Berglandschaft erkennbar; vgl. Hawkins 2014, 135–136. Im konkreten Fall, in dem das Bild des Stichs mit jenem des spitzen Pfeils verbunden wird, könnte auch ein Epigramm des Philipp von Thessalonike auf Hipponax eine Parallele bieten (Anth. Gr. 7,405): Ὦ ξεῖνε, φεῦγε τὸν χαλαζεπῆ τάφον | τὸν φρικτὸν Ἱππώνακτος, οὗ τε χἀ τέφρα | ἰαμβιάζει Βουπάλειον ἐς στύγος, | μή πως ἐγείρῃς σφῆκα τὸν κοιμώμενον, | [5] ὃς οὐδ’ ἐν ᾅδῃ νῦν κεκοίμικεν χόλον  | σκάζουσι μέτροις ὀρθὰ τοξεύσας ἔπη. [Fremder, fliehe vor dem worthagelnden, dem schrecklichen Grab des Hipponax, dessen Asche sogar noch Iamben als Ausdruck seines Hasses gegenüber Bupalos spricht, damit du nicht vielleicht die schlafende Wespe weckst, die ihren Groll auch jetzt im Hades nicht zur Ruhe gelegt hat und in hinkenden Metern ihre Worte geradewegs geschossen hat]; vgl. Allgaier 2022, 146–150. 253 So etwa die Aussage des Menschen in den vv.5–6 oder die abschließende Antwort des Löwen; in beiden Fällen könnten Spott bzw. Ironie mitschwingen. 254 Vgl. hierzu auch Allgaier 2022. 255 Vgl. Mann 2018, 265; 270.

Babr. 1

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des Friedens eingesetzt wird. So erscheint die physische und verbale Gewalt in Babr. 1 den Erwartungen, die ein Leser nach der Lektüre des Prologs hat, zuwiderzulaufen. 4) Parallelen Es existieren mehrere Bearbeitungen des Stoffs, die in der Rezeption der babrianischen Fabel entstanden sind: So sind Versionen in den Fabeln Avians, in der Paraphrasis Bodleiana (Ba) sowie in den Tetrasticha des Ignatios Diakonos aus byzantinischer Zeit erhalten. In Avian. 17256 ist der erste Teil annähernd parallel zu Babr. 1 gestaltet; hingegen unterscheidet sich vor allem die tierische Unterredung im zweiten Teil von der Version bei Babrios: Mit der Flucht der Tigerin, die in der Avianfabel an die Stelle des Löwen tritt, scheint die Gefahr, die vom Menschen ausgeht, nicht mehr relevant für den weiteren Handlungsverlauf; im Gegensatz zu Babr. 1 äußert der Fuchs keine Handlungsaufforderung, sondern reflektiert mit der Tigerin die Aspekte des Konflikts rückblickend. Hierdurch lassen sich die unterschiedlichen Reaktionen in den beiden Bearbeitungen erklären: Während die Tigerin in Avian. 17 aus objektiven Kriterien (dort wirft der Jäger einen Speer, anstatt Pfeil und Bogen zu benutzen) Rückschlüsse auf die Körperkraft des Schützen zieht,257 erkennt der Löwe bei Babrios den Überredungsversuch des Fuchses angesichts der Gefahrensituation.

256 Avian. 17: De venatore et tigride. Venator iaculis haud irrita vulnera torquens, | turbabat rapidas per sua lustra feras. | tum pavidis audax cupiens succurrere tigris | verbere commotas iussit abesse minas. | [5] ille tamen solito contorquens tela lacerto: | „nunc tibi, qualis eram, nuntius iste refert.“ | et simul emissum transegit vulnera ferrum, | praestrinxitque citos hasta cruenta pedes. | molliter at fixum traheret cum saucia telum, | [10] a trepida fertur vulpe retenta diu, | dum quisnam ille foret, qui talia vulnera ferret, | aut ubinam iaculum delituisset agens. | illa gemens fractoque loqui vix murmure coepit | (nam solitas voces ira dolorque rapit): | [15] „nulla quidem medio convenit in aggere forma, | quaeque oculis olim sit repetenda meis; | sed cruor et validis in nos directa lacertis | ostendunt aliquem tela fuisse virum“ [Der Jäger und die Tigerin. Ein Jäger, der mit seinem Speerwurf ausgesprochen wirksame Wunden zufügte, trieb flinke Tiere durch ihre Lager. Da forderte ihn die kühne Tigerin, die gewillt war, den Angsterfüllten zu Hilfe zu kommen, dazu auf, die mit dem Schuss verübten Drohungen sein zu lassen. [5] Jener jedoch schleuderte sein Geschoss von der geübten Schulter und sagte: „Nun berichtet dir dieser Bote, wer ich war.“ Und sofort durchdrang und verletzte sie das eiserne Geschoss, das er geschleudert hatte; und der blutige Speer durchbohrte ihre schnellen Füße. Aber als die verletzte behutsam das Geschoss zog, [10] soll sie lange vom vorsichtigen Fuchs aufgehalten worden sein, der sie fragte, wer denn jener sei, der solche Wunden zufüge oder wo er sich denn versteckt hätte, während er den Speer führte. Jene begann unter Stöhnen und in gebrochenem Murmeln kaum erst zu sprechen (denn der Zorn und der Schmerz raubten ihr die normale Stimme): [15] „Freilich traf keine Gestalt mit mir mitten auf offener Straße zusammen, die ich vor meinem inneren Auge wieder aufrufen könnte, doch das Blut und die Waffen, die von starken Armen auf mich gerichtet wurden, zeigen an, dass es ein Mann gewesen sein muss“]. 257 Sie meint allerdings, dass sie den Jäger nicht mit eigenen Augen gesehen habe; vermutlich war die Entfernung zu groß oder der Mensch hält sich vor den Blicken der Tiere versteckt.

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Kommentar

Die Prosaparaphrase Ba 11258 stellt den Inhalt der babrianischen Bearbeitung großteils zusammengefasst dar. Ein Unterschied zu Babr.  1 besteht etwa darin, dass der Mensch, der im Titel als Bogenschütze (τοξότης) bezeichnet wird, seinen Pfeil zuerst abschießt und sich erst dann an den Löwen wendet. Aufschlussreich ist schließlich auch das Epimythion der Paraphrase, das anzeigt, dass das Gespräch zwischen Löwe und Fuchs die eigentliche exemplarische Handlung darstellt und die Auseinandersetzung mit dem Jäger/Bogenschützen lediglich den Hintergrund für diese liefert. Eine dritte Parallele, ein byzantinisches Tetrastichon,259 präsentiert schließlich eine auf den eigentlichen Konflikt verkürzte Bearbeitung der Fabel. Löwe und Bogenschützte treten in eine Auseinandersetzung, der Löwe wird vom Pfeil getroffen und wendet sich an die anderen Tiere. Auch hier schließt er von der ‚Vorhut‘ des Menschen auf dessen Stärke und Beschaffenheit. Die dramatische Einleitung mit der Flucht der Tiere aus dem Wald und die epische Auseinandersetzung zwischen Mensch und Löwe fehlt gänzlich. Der zweite Teil der Fabel, die Unterhaltung mit dem Fuchs, wurde lediglich auf die abschließende Aussage des Löwen verkürzt, der anstelle des Fuchses nun alle Tiere kollektiv adressiert. Der Vergleich mit diesen Bearbeitungen lässt die Aussagen von Babr. 1 noch deutlicher erscheinen: Der Fokus der Fabel liegt auf der Auseinandersetzung zwischen Löwen und Fuchs. Dieser stellt, im Unterschied zu anderen Versionen, ein Hindernis dar, das der Löwe überwinden muss – er agiert als advocatus diaboli. Der Löwe erklärt, aus seiner Erfahrung gelernt zu haben und sich nicht von anderen verleiten zu lassen, von seiner Flucht abzulassen. In Babr. 1 wird also die psychologische Entwicklung einer Figur demonstriert, die durch Erfahrungen lernt und (vermeintlich) evidenzbasiert handelt. In diesem Sinne handelt die Fabel davon, dass es nicht möglich ist, jemanden von

258 Ba 11 (Knoell = 281 Hsr.): ΤΟΞΟΤΗΣ ΚΑΙ ΛΕΩΝ. ἀνῆλθέ τις εἰς ὄρος τοξικῆς ἔμπειρος κυνηγῆσαι. πάντα δὲ τὰ ζῷα τοῦτον θεασάμενα ἔφυγε, λέων δὲ μόνος προεκαλεῖτο αὐτὸν εἰς μάχην. ὁ δὲ βέλος πέμψας καὶ τὸν λέοντα βαλὼν ἔφη· „δέξαι καὶ ἰδὲ τὸν ἐμὸν ἄγγελον οἷός ἐστιν καὶ τότε κἀγὼ ἐπέρχομαί σοι.“ ὁ δὲ λέων φοβηθεὶς ὥρμησε φεύγειν. ἀλώπεκος δὲ τούτῳ θαρρεῖν καὶ μὴ φεύγειν λεγούσης ὁ λέων ἔφη· „ὦ οὗτος, οὐδαμῶς με πλανήσεις. ὅπου γὰρ τοιοῦτον πικρὸν ἄγγελον ἔχει, ἐὰν αὐτὸς ἐπέλθῃ, οὐκ ἂν ὑποίσω.“ ὁ μῦθος δηλοῖ μηδαμῶς πλησιάζειν τοὺς πόρρωθεν χαλεπὰ πράττοντας [Der Bogenschütze und der Löwe. Einer, der in der Bogenkunst bewandert war, ging zum Jagen auf einen Berg. Alle Lebewesen, die diesen erblickten, flohen, ein Löwe aber rief ihn als einziger zum Kampf auf. Der schickte ein Geschoss los und nachdem er den Löwen getroffen hatte, sagte er: „Nimm auf und sieh meinen Boten, wie beschaffen er denn ist, und dann nähere auch ich mich dir.“ Der Löwe geriet in Furcht und trat die Flucht an. Als ein Fuchs diesem sagte, er solle tapfer sein und nicht fliehen, sagte der Löwe: „Ach du, niemals wirst du mich täuschen. Denn da er schon einen solchen bitteren Boten besitzt, werde ich ihm nicht standhalten, wenn er selbst kommt.“ Die Fabel macht deutlich, sich niemals jenen zu nähern, die fernab an Beschwerlichem leiden]. 259 Tetr. 1,20: Μάχην λέων συνῆπτεν ἀνδρὶ τοξότῃ.  | βέλει τυπεὶς δὲ θηρσὶν εἶπε τοιάδε·  | „εἰ δὴ προπομποὺς εὐπορεῖ τοίους ὅγε, | τίς αὐτὸς εἴη συστάδην ὡρμημένος;“ [Der Löwe trat gegen einen Bogenschützen in den Kampf. Von einem Geschoss getroffen sagte er den Tieren folgendes: „Wenn er tatsächlich schon eine solche Vorhut aufbringt, wer dürfte er dann selbst sein, wenn er nähergekommen ist?“].

Babr. 1

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einer Sache zu überzeugen, wenn dieser aus eigener Erfahrung gegenteilige Schlüsse gezogen hat; oder anders ausgedrückt: Wer es selbst besser weiß, der lässt sich von anderen nichts einreden – eine Deutung, die angesichts der Tatsache, dass in den Fabeln mit der Lesererwartung häufig gespielt wird, darauf hinweisen könnte, dass der Leser in Babr.1 darauf aufmerksam gemacht werden soll, seiner Erfahrung zu trauen und den Erzählungen des Prolog-Ichs nicht unhinterfragt Glauben zu schenken.260 5) Gesamtbetrachtung Behandelt wird in dieser Doppelfabel also (evidenzbasiertes und faktengeleitetes) Bewerten. Der Löwe trifft auf Basis seiner Erfahrungen im ersten Teil der Fabel Entscheidungen und lässt sich dabei vom hinterhältigen Fuchs in seiner Bewertung der Lage nicht beirren. Seine Argumentation, wonach ein Bote auf seinen Sender schließen lässt, wird hier auf Pfeil und Bogenschützen übertragen. Eine Auseinandersetzung ist daher auf Basis der Faktenlage nicht sinnvoll. Mit seiner Bewertung kann der Löwe schließlich die Erwartungen, die der Leser angesichts der episch-mythologischen Anspielungen haben könnte, nicht erfüllen. Die exponierte Stellung von Babr. 1 am Beginn der Sammlung verleitet ferner dazu, diese Fabel im Kontext der Aussagen des vorangehenden ersten Prologs zu betrachten. Hier zeigt sich, dass Elemente aus 1 prol. in Babr. 1 fortgeführt, gleichzeitig aber im Prolog geweckte Erwartungen im folgenden Gedicht auf mehrfache Weise enttäuscht oder gar umgekehrt werden: So trägt Babr. 1 den epischen Ton des Prologs weiter – es treten epische Figuren auf, der Leser erwartet eine bedeutende Schlacht. Doch anstatt sich einem Kampf epischer Größenordnung zu stellen, flieht der Löwe und trifft auf den Fuchs. Dieser versucht den Löwen augenscheinlich zu täuschen – er hat das Geschehen mitangesehen und müsste ebenso evidenzbasiert handeln – und ihn zum Kampf zu bewegen. Der Löwe lässt sich davon nicht beirren und kann damit als personifizierte Warnung an den Leser dienen: ‚Bewerte evidenzbasiert und lass dich vom Dichter nicht in die Irre führen!‘ Doch auch an weiteren Beispielen lässt sich zeigen, wie die Erwartung der Leserschaft mit Blick auf den Prolog getäuscht wird: Während in 1 prol. die paradiesischen Zustände der Goldenen Zeit geschildert werden und man den Eindruck bekommt, die folgenden Fabeln würden in ähnlichem Ton folgen, so wird diese Illusion bereits in der ersten Fabel durchbrochen, wenn jegliche Freundschaft zwischen Menschen und Tieren zunichte gemacht scheint und selbst unter den einzelnen Tieren Gewalt

260 Genau dieses Vertrauen auf bekannte Motive und Muster bildet allerdings die Grundlage für das weitere Spiel mit den Lesererwartungen; der spielerische Charakter der Fabel zeigt sich noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass die Schlussfolgerungen des Löwen eigentlich zu kurz greifen und die Fabel dem Leser recht deutlich vor Augen führt, dass der Löwe in einer Auseinandersetzung eigentlich die Oberhand hätte. In diesem Sinne verwendet der Mensch die Sprache als Mittel zur Manipulation; vgl. dazu Allgaier 2020, 262–266, sowie Allgaier 2022.

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Kommentar

auf physischer und verbaler Ebene zum Alltag gehört; die Goldene Zeit ist bereits wieder Geschichte.261 In dieser Fabel stellen Misstrauen und Gewalt nicht die Ausnahme, sondern die Regel dar.262 Ihr gesamter Handlungsverlauf basiert darauf, dass der Löwe durch Erfahrung lernt und somit die Situation, genauer gesagt den ‚Boten‘ des Menschen, richtig einzuschätzen weiß; diese Aufforderung wird auch an den Leser gerichtet.263 Bezeichnend dafür ist das letzte Wort der Fabel, γινώσκω, das ebenso wie andere Begriffe eine Entsprechung im ersten Prolog hat: γνοίης (v.14) befindet sich genau an jener Stelle, an der dazu aufgefordert wird, die Darstellungen der Goldenen Zeit auf die konkreten Fabeln nach dem Vorbild Aesops zu übertragen. Während die Erkenntnis dort allerdings noch in Aussicht gestellt wird, hat der Löwe diese am Ende von Babr. 1 bereits erlangt.264 Schließlich besteht der Widerspruch zwischen Babr. 1 und dem ersten Prolog, den ein aufmerksamer Leser erkennen soll, auch auf abstrakter Ebene. Ausgehend vom an den Iambos erinnernden πικρός in v.15 wird man dazu angeregt, die Aussagen des Dichter-Ichs des Prologs genau zu bewerten: Der thematischen Neubesetzung des iambischen Genres mit harmonischen und angenehmen Inhalten steht die brutale und durchaus mit spöttischen Aussagen versehene Erzählung in Babr. 1 entgegen. Der Inhalt der ersten Fabel bestätigt die Beschreibung der Sammlung im Prolog also in keinster Weise. Vielmehr wird mit dem Stichwort πικρός in inhaltlicher und stilistischer Hinsicht klar: „Iambos is back, and it stings like hell.“265 All diese Widersprüche lassen sich letzten Endes auf das in der Interpretation des ersten Prologs besprochene Konzept der Dekonstruktivität der Fabeln zurückführen, das darauf beruht, dass sich die Sammlung vor allem durch ihre Widersprüche auszeichnet und dass die einzelnen Fabeln den programmatischen Vorgaben des Prologs bzw. der Prologe konsequent widersprechen:266 Durch seine Position direkt nach dem ersten Prolog lässt Babr. 1 diese Widersprüche besonders deutlich hervortreten.267

261 Vgl. Hawkins 2014, 134–136. 262 Vgl. Mann 2018, 272. 263 Die Aufforderung an den Leser, eine Situation korrekt einzuschätzen, spielt auch in der folgenden Fabel Babr. 2 (vgl. Kap. 6.5) eine Rolle. 264 Vgl. dazu Mann 2018, 274–275. Die Parallelen zwischen 1 prol. und Babr. 1 sind frappierend, was Manns Interpretation ausgesprochen überzeugend wirken lässt. 265 Hawkins 2014, 136. 266 Zu diesem Konzept vgl. Kap. 6.2 sowie Kap. 5.4. 267 Vgl. Kap. 5.4 für eine Betrachtung des Phänomens im Kontext aller analysierten Fabeln.

Babr. 2

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6.5 Babr. 2 Ἀνὴρ γεωργὸς ἀμπελῶνα ταφρεύων καὶ τὴν δίκελλαν ἀπολέσας ἐζήτει μή τις παρόντων τήνδ’ ἔκλεψεν ἀγροίκων. ἠρνεῖθ’ ἕκαστος. οὐκ ἔχων δ’ ὃ ποιήσει, εἰς τὴν πόλιν κατῆγε πάντας ὁρκώσων· τῶν γὰρ θεῶν δοκοῦσι τοὺς μὲν εὐήθεις ἀγροὺς κατοικεῖν, τοὺς δ’ ἐσωτέρω τείχους εἶναί τ’ ἀληθεῖς καὶ τὰ πάντ’ ἐποπτεύειν. ὡς δ’ εἰσιόντες τὰς πύλας ἐπὶ κρήνης τοὺς πόδας ἔνιζον κἀπέθεντο τὰς πήρας, κῆρυξ ἐφώνει χιλίας ἀριθμήσειν μήνυτρα σύλων ὧν θεὸς ἐσυλήθη. ὁ δὲ τοῦτ’ ἀκούσας εἶπεν· „ὡς μάτην ἥκω· κλέπτας γὰρ ἄλλους πῶς θεὸς ἂν εἰδείη, ὃς τοὺς ἑαυτοῦ φῶρας οὐχὶ γινώσκει, ζητεῖ δὲ μισθοῦ μή τις οἶδεν ἀνθρώπων;“

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Der Bauer, der Gräben in seinem Weingarten zog und dabei seine Hacke verloren hatte, stellte Nachforschungen an, ob nicht einer der anwesenden Landarbeiter sie gestohlen habe. Ein jeder verneinte es. Da er nicht wusste, was er tun sollte, [5] führte er sie alle hinab in die Stadt, um sie einen Eid schwören zu lassen. Man meint nämlich, die einfältigen Götter würden am Land leben, diejenigen aber, die innerhalb einer Mauer leben, seien unfehlbar und würden alles überblicken. Als sie nun die Stadttore passierten, [10] bei einem Brunnen ihre Füße wuschen und ihre Taschen ablegten, verkündete ein Herold, dass zehntausend an Belohnung für Auskünfte über Diebesgut, das dem Gott gestohlen worden war, ausgesetzt würden. Als er dies hörte, sagte er: „Wie bin ich umsonst gekommen! Denn wie könnte ein Gott denn andere Diebe kennen, [15] der seine eigenen Räuber nicht erkennt und um eine Belohnung herauszufinden sucht, ob es nicht ein Mensch wisse?“

1) Gliederung vv.1–8 Vorgeschichte – Land. vv.1–2a: Exposition – Ein Bauer hat seine Hacke verloren. vv.2b–3: Actio 1 – Er verdächtigt und befragt die Arbeiter. v.4a: Reactio 1 – Diese bestreiten, mit dem Verschwinden zu tun zu haben. vv.4b–5: Actio 2 – Der Bauer bringt sie in die Stadt, um sie vor den Göttern schwören zu lassen.

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Kommentar

vv.6–8: Digression – Götter am Land seien einfältiger, Götter in der Stadt scharfsinniger. vv.9–16 Haupthandlung – Stadt. vv.9–12: Die Gruppe hält an einem Brunnen; Actio 3 – Ein Herold verspricht eine Belohnung für Informationen zu gestohlenen Tempelutensilien. vv.13–16: Reactio 3 des Bauern – Er meint, ein Gott, der auf die Hilfe von Menschen angewiesen ist, um seinen eigenen Besitz wiederzufinden, kann ihm keine Hilfe beim Aufspüren des Diebes sein. 2) Kommentar v.1 ἀμπελῶνα ταφρεύων: Das Verb ταφρεύω wird hier transitiv verwendet.268 v.3  μή τις: Indirekte Fragesätze mit μή sind in klassischer Zeit äußerst selten.269 Das Phänomen verbreitet sich ab der Kaiserzeit270 und ist besonders für das Griechisch der Spätantike271 und der byzantinischen Zeit272 typisch. v.4  ὃ ποιήσει: Hier steht Indikativ Futur anstelle des dubitativen Konjunktivs.273 v.6  δοκοῦσι: δοκέω wird hier in der Bedeutung ‚meinen‘ synonym mit attisch ἐμοὶ δοκῶ bzw. ἐμοὶ δοκεῖ verwendet.274 v.9  ὡς δ’ εἰσιόντες: Entgegen der klassischen futurischen Verwendung ist εἴσειμι hier präsentisch zu verstehen.275 Die Einschätzung Rutherfords,

268 So z. B. in Ain.Takt. 33,4; Polyain. 3,9,35; Plat. leg. 760E; Poll. 1,224; vgl. Rutherford (1883, 6), der diese Bedeutung infrage stellt; dagegen jedoch Crusius 1891, 318. 269 Selten ist dies ab Euripides belegt (so etwa in Heraclid. 482) und scheint in der attischen Prosa nicht vor Platon (z. B. in Phaidr. 273A) existiert zu haben. 270 Vgl. beispielsweise Epikt. 3,2,9–10. 271 Vgl. Lukian. Hermot. 35,18–19; Alex.Trall. febr. 303,9: ὑπονόει καὶ ζήτει, μή ποτε … [überlege und forsche nach, ob nicht …] (6. Jahrhundert). 272 Vgl. Tzetz. Schol.chil. 7,764. Post vs. 764: Ζήτει μὴ παρέλειψε στίχον [forsche nach, ob er nicht einen Vers ausgelassen hat] (12. Jahrhundert). 273 So z. B. auch in Plat. Krit. 50B; Prot. 333C; vgl. Kühner/Gerth 1898, 173–176, § 387, 5; Schwyzer/ Debrunner 1950, 291. Für parallele Konstruktionen in den Fabeln vgl. dazu beispielsweise den Kommentar zu v.10 (κρύψω) in Babr. 3 (Kap. 6.6) sowie Babr. 112, 7. 274 Vgl. Rutherford 1883, 6–7. Man hat dies auf ionischen Einfluss zurückgeführt, so ruft ein Ionier in Aristoph. Pax 47 aus: δοκέω μέν, ἐς Κλέωνα τοῦτ’ αἰνίσσεται [ich meine, dies soll auf Kleon verweisen]. Dass beide Konstruktionen synonym verwendet wurden, beweisen Passagen bei Julius Pollux, in denen er dasselbe in unterschiedlicher Weise zitiert – Poll. 6,103: δίμυξον ἢ τρίμυξον, ἐμοὶ δοκεῖ [mit zwei oder drei Dochten, scheint mir] bzw. Poll. 10,115: δίμυξον ἢ τρίμυξον, ὡς ἐγὼ δοκῶ [mit zwei oder drei Dochten, wie ich meine]. 275 Vgl. LSJ s. v. εἴσειμι. Eine solche Verwendung ist für Dichtung belegt, so in Theokr. eid. 25,90; Aischyl. Eum. 242. Als Beispiel für eine Verwendung in klassischer Prosa vgl. Plat. symp. 174B.

Babr. 2

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εἰσιόντες stehe fälschlicherweise für εἰσελθόντες,276 ist daher nicht nachvollziehbar. v.9  ἐπὶ κρήνης: In A wurde diese Junktur durch einen späteren Bearbeiter mit schwarzer Tinte nachgezogen, weshalb die Endung von κρήνη nicht mehr deutlich lesbar ist.277 Es wurde neben dem Genetiv -ης auch der Dativ -ηι278 vorgeschlagen. Nach Autopsie des Digitalisats von A deutet hier jedoch meines Erachtens alles auf die Genetivendung -ης hin. Der Gebrauch von ἐπί mit dem Genetiv in der Bedeutung ‚an‘ bzw. ‚auf ‘ ist wohl belegt.279 In diesem Sinne könnte damit gemeint sein, dass die Reisenden an bzw. auf dem Brunnen sitzend ihre Füße wuschen. v.10 κἀπέθεντο: = καὶ ἐπέθεντο. v.11 χιλίας: Bei diesem Zahlwort ist die Währungseinheit δραχμάς elidiert.280 v.11  ἀριθμήσειν: Der Infinitiv Futur ist dadurch motiviert, dass die Aussage des Herolds als Versprechen aufgefasst werden kann.281 v.16  μισθοῦ: Ein Genetivus pretii. Er wird auch allgemein für die Angabe von Lohn oder Bezahlung ohne konkrete Maßangabe verwendet.282 v.16 μή τις: Vgl. den Kommentar zu v.3 (μή τις). Parallelen: Babr. 23 3) Analyse Im Gegensatz zur vorangehenden Fabel beschreibt Babr. 2 durchaus reale Geschehnisse und weist keinerlei Tiere als Akteure auf.283 Ein nicht näher bestimmter Bauer, der am Beginn von v.1 als ἀνὴρ γεωργὸς eingeführt wird, ist Protagonist der Handlung.284 Die Fabel besteht aus zwei gleich langen Teilen zu je acht Versen, die an unter-

276 Vgl. Rutherford 1883, 7. ὡς stellt in diesem Fall keine Partikel zum Partizip dar, sondern leitet als Konjunktion mit ἔνιζον und κἀπέθεντο einen Temporalsatz ein. 277 Vgl. Crusius 1897, 12. Luzzatto/La Penna (1986, 5) übergehen die Geschichte des Genetivs gänzlich. 278 Vgl. Rutherford 1883, 7–8. Er begründet dies mit der Präposition ἐπί, die in attischer Prosa stets mit Dativ auftritt. Da es sich hier allerdings weder um einen Text der griechischen Klassik noch um einen Prosatext handelt, kann diese Argumentation jedoch kaum überzeugen. 279 So z. B. in Hom. Il. 1,536; 13,12; Plat. leg. 728A. Ähnlich wird die Präposition auch in Babr. 10 verwendet, vgl. dazu den Kommentar zu v.4 (ἐπὶ κνήμης) in Kap. 6.13. 280 Vgl. beispielsweise Demosth. or. 22,21; 22,26. 281 Vgl. Rutherford 1883, 8. 282 So z. B. auch in Thuk. 7,25,7; Xen. Kyr. 3,2,7; vgl. Schwyzer/Debrunner 1950, 125–126. 283 Diese Eigenschaft sowie die Tatsache, dass sie das Verhältnis zwischen Göttern und Menschen thematisiert, teilt sie auch mit anderen Fabeln, etwa mit Babr. 10 (vgl. Kap. 6.13). 284 Neben der vorliegenden Fabel spielen Bauern in den Mythiamboi noch in Babr. 11 (vgl. Kap. 6.14), 13 (vgl. Kap. 6.16), 26, 33, 71, 138 und 143 eine Rolle.

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schiedlichen Schauplätzen spielen285 und wiederum in je zwei annähernd gleiche Teile unterteilt werden können. So gibt der erste Teil die Einführung und Präsentation des Problems, die zwei Actiones und eine Reactio in fünf (vv.1–5), daraufhin die Digression in drei (vv.6–8) Versen wieder. Der zweite Hauptteil ist hingegen symmetrisch aufgebaut – hier finden sich eine Actio und Reactio zu je exakt vier Versen (vv.9–12 bzw. 13–16).286 Nach der Einführung des Akteurs, der als Landmann bei der Arbeit in einem Weingarten beschrieben wird (ἀμπελῶνα ταφρεύων, v.1), entwickelt sich die ländliche Vorgeschichte zur Handlung in der Stadt in der zweiten Hälfte der Fabel.287 Der Bauer hat seine Hacke verloren (τὴν δίκελλαν ἀπολέσας, v.2; Auflösung im vierten Versfuß).288 Über ihren Verbleib stellt er nun Nachforschungen an (ἐζήτει, v.2): Er hat den Verdacht, einer der Arbeiter könnte sie entwendet haben (μή τις παρόντων τήνδ’ ἔκλεψεν ἀγροίκων, v.3). Dabei wird die Situation stufenweise entwickelt: In v.1 wird der Bauer eingeführt und verortet, in v.2 erfährt man vom Verlust des Werkzeugs und seiner Suche, bevor v.3 eröffnet, dass er die Arbeiter des Diebstahls bezichtigt. Deren Antwort fällt am Beginn von v.4 kurz aus: ἠρνεῖθ’ ἕκαστος, niemand will mit dem Verschwinden etwas zu tun gehabt haben. Da der Bauer nicht weiß, wie er vorgehen soll, beschließt er, alle Verdächtigen in die Stadt zu führen, um sie vor den Göttern schwören zu lassen und den Diebstahl mit deren Hilfe aufzuklären (vv.4–5). Ein solches Vorgehen – die Konsultierung der Götter durch Orakel z. B. bei Rechtsstreitigkeiten – war zumindest für die klassische Periode, aber auch für das zweite Jahrhundert nicht ungewöhnlich.289 In den vv.6–8 unterbricht der Erzähler die Handlung, um eine allgemeine Aussage über den Wohnort und der Scharfsinnigkeit der Götter zu treffen.290 Er gibt dadurch eine Erklärung für das Handeln des Bauern ab, alle in die Stadt zu bringen und vor Stadtgöttern anstelle von ländlichen Gottheiten schwören zu lassen, wie γὰρ in v.6 nahelegt. Die Idee, dass Götter, die ländliche Gebiete ‚bewohnen‘, also dort verehrt werden, gemeinhin fehlbarer (τοὺς μὲν εὐήθεις, v.6) sind als Stadtgötter (τοὺς δ’ ἐσωτέρω

285 Dies ist für eine Doppelfabel nach äsopischem Vorbild, in der bei Schauplatzwechseln nie dieselben drei Akteure zugleich auftreten, durchaus ungewöhnlich; vgl Nøjgaard 1964, 180. 286 Eine ähnlich symmetrisch konstruierte Struktur findet sich auch in Babr. 3 (vgl. Kap. 6.6). 287 Die ländliche Thematik teilt Babr.  2 etwa mit Babr.  1 (vgl. Kap.  6.4), 3 (vgl. Kap.  6.6), 5 (vgl. Kap. 6.8), 11 (vgl. Kap. 6.14), 12 (vgl. Kap. 6.15) oder 13 (vgl. Kap. 6.16). 288 Bei einer δίκελλα handelt es sich um eine zweizackige Hacke (bidens), die im Weinbau unter anderem für die ablaqueatio, das Grabenziehen und die Auflockerung der Erde um den Weinstock (OLD s. v. ablaqueatio; vgl. z. B. Colum. 4,4,2.), verwendet wurde; vgl. dazu Christmann 1998, 49–50. 289 Vgl. Rosenberger 2000, 5–6. 290 Die strukturelle Einheit dieser drei Verse wird durch zwei Enjambements in den vv.6–7 (εὐήθεις | ἀγροὺς) sowie 7–8 (τείχους | εἶναί) verdeutlicht. Die Aussage wird in der Bitte des Hirten in Babr. 3 (vgl. Kap. 6.6) durch ὃς νάπας ἐποπτεύει (v.7) lexikalisch wieder aufgegriffen.

Babr. 2

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τείχους, v.7),291 ist in ähnlicher Weise bei Ovid belegt, so z. B. in einer Beschreibung des Olymps im ersten Buch der Metamorphosen.292 Auch der Sophist Claudius Aelianus, der in die Entstehungszeit der Mythiamboi oder wenig später datiert wird, lässt in seinen Epistulae rusticae den Sprecher eine ähnliche Aufteilung in ländliche und städtische Götter schildern.293 Die Behauptung in Babr. 2 dürfte daher durchaus in einer längeren Tradition stehen. Eine weitere Funktion der Digression neben der Erklärung des Verhaltens des Bauern könnte darin liegen, durch das Verlassen der Erzählsituation zugleich einen örtlichen Wechsel zu markieren, da andernfalls die lange Reise der Landbewohner in die Stadt nicht darstellbar gewesen wäre.294 Die zweite Hälfte des Gedichts (vv.9–16) handelt von den Geschehnissen in der Stadt. Die Reisenden haben mittlerweile die Stadt erreicht und durchqueren die Stadttore (ὡς δ’ εἰσιόντες τὰς πύλας, v.9), stellen an einem Brunnen ihr Gepäck ab und waschen sich die Füße (ἐπὶ κρήνης | τοὺς πόδας ἔνιζον κἀπέθεντο τὰς πήρας, vv.9–10), während ein Herold eine Ankündigung macht (κῆρυξ ἐφώνει, v.10). Augenfällig dabei ist, dass die Handlungen, wie durch das Präsenspartizip εἰσιόντες (v.9) sowie die 291 Der Komparativ ἐσωτέρω von ἔσω (‚innen, innerhalb‘) ist hier inhaltlich nicht motiviert, da der Gegensatz zwischen inner- und außerhalb der Stadtmauer hervorgehoben werden soll und der Komparativ ‚weiter innen‘ nicht notwendig wäre; vgl. Rutherford 1883, 7. Erklären könnte man die Formulierung, indem man annimmt, der Tempelbezirk sei durch eine weitere Abgrenzung vom Rest der Stadt getrennt oder im Stadtzentrum angesiedelt. Aus archäologischen Zeugnissen geht heror, dass Wohnviertel bereits in griechischen Koloniestädten von Heiligtümern baulich getrennt wurden. Auch Neugründungen in der griechischen Klassik waren durch ein klares Flächennutzungskonzept gegliedert, das Wohnareale, öffentliche Flächen und sakrale Gebiete klar voneinander trennte; vgl. Höcker 2001, 906–907. Eine solche bauliche Aufteilung ist auch für die römische Kaiserzeit denkbar. 292 Ov. met. 1,171b–174: dextra laeuaque deorum | atria nobilium ualuis celebrantur apertis. | plebs habitat diuersa locis; hac parte potentes | caelicolae clarique suos posuere Penates [Rechts und links werden die Hallen der ehrbaren Götter mit offenen Türen besucht. Das Volk lebt an anderen Orten; in dieser Gegend haben die mächtigen und berühmten Himmelsbewohner ihre Penaten aufgestellt]. In der darauffolgenden Rede erwähnt Jupiter, dass niedrigstehende Götter – in der Passage als plebs bezeichnet  – ländliche Gebiete bewohnen (met. 1,192–195): sunt mihi semidei, sunt rustica numina nymphae | Faunique Satyrique et monticolae Siluani; | quos, quoniam caeli nondum dignamur honore, | [195] quas dedimus certe terras habitare sinamus [Ich habe Halbgötter, ländliche Nymphen, Faunen, Satyrn und bergbewohnende Silvanen; diese will ich, da ich sie der Ehre, im Himmel zu wohnen, nicht mehr für würdig erachte, [195] sicher die Länder bewohnen lassen, die ich ihnen gegeben habe]. 293 Ail. epist. 19,1–3: Ἐγὼ μὲν ἔθυον γάμους ὁ χρυσοῦς μάτην καὶ περιῄειν ἐστεφανωμένος οὐδὲν δέον, καὶ τούς τε ἔνδον καὶ τοὺς ἔξω θεοὺς ἐκολάκευον. [Freilich führte ich der Hochzeit wegen, ich grundlos großzügiger Typ, kultische Handlungen durch und ging bekränzt herum, obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre, und ich versuchte die Götter gnädig zu stimmen, sowohl die, die innerhalb als auch die, die außerhalb leben.] In der Folge wird erwähnt, dass der Sohn des Sprechers vom Land, seine Braut aber aus der Stadt stammt, wodurch der Kontrast Stadt – Land auch an dieser Stelle den Kontext der Aussage bildet. 294 Die Technik dient also auch zur Verkürzung der Erzählzeit. Mit diesem Sprung stellt die Fabel eine Weiterentwicklung der äsopischen Doppelfabel dar, die durch ihre zeitliche Kontinuität gekennzeichnet ist; vgl. Nøjgaard 1967, 234. Ähnliche beschreibende Digressionen finden sich in den analysierten Fabeln in Babr. 10 (vgl. Kap. 6.13) oder 11 (vgl. Kap. 6.14).

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Formen im Imperfekt ἔνιζον (v.10), κἀπέθεντο (v.10) und ἐφώνει (v.11)295 angezeigt, als gleichzeitig erscheinen – anstelle einer linearen Handlungsabfolge zielt die Erzählung darauf ab, das Geschehen im Sinne einer bildlichen Beschreibung nebeneinander darzustellen.296 Ein Chiasmus in v.10, bei dem die beiden Akkusativobjekte τοὺς πόδας und τὰς πήρας den Vers begrenzen und die Verben ἔνιζον κἀπέθεντο zentral in der Mitte stehen, illustriert die Rast auch strukturell: zur linken Seite des Brunnens waschen die Reisenden ihre Füße, auf der rechten Seite steht ihr Gepäck. Ihre Ankunft und Rast, ausgedrückt in den vv.9–10, bilden dabei eine Einheit, die durch das Enjambement ἐπὶ κρήνης | τοὺς πόδας verdeutlicht wird; die Rede des Herolds wird ebenfalls durch ein solches Enjambement (ἀριθμήσειν | μήνυτρα, vv.11–12) markiert. Von dieser bildhaften Erzählsituation hebt sich die Rede des Herolds ab, die in den vv.11–12 in indirekter Rede wiedergegeben wird: Der Tempel der in der Stadt verehrten Gottheit – genauere Informationen über deren Identität erhält man nicht–,297 ist geplündert worden und auf Informationen über den Verbleib des Diebesguts ist eine Beloh­nung ausgesetzt.298 Durch die Aoristform ἐσυλήθη wird klar, dass der Raub vor der Handlung der Fabel stattgefunden hat. Die persönliche Konstruktion σύλων ὧν θεὸς ἐσυλήθη (v.12)299 verdeutlicht, dass der Diebstahl der Tempelschätze als Diebstahl am Gott selbst verstanden wird, der deshalb mit dem Finden und Bestrafen der Täter betraut ist und durch die Tempeldiener wirkt. Die Reaktion des Bauern auf diese Verlautbarung folgt in den vv.13–16, seine abschließende Rede erfüllt dabei die Funktion eines Epimythions: Durch die Auflösung am Beginn von v.13 werden dessen Worte betont – somit grenzen sich die abschließenden vier Verse auch metrisch vom bisherigen Handlungsverlauf ab und sind als Klimax des Gedichts markiert. Der Bauer macht seinem Unmut über die Worte des Herolds 295 Hier wird das Verb φωνέω, das grundsätzlich ‚einen Laut produzieren‘ oder, auf Menschen bezogen, meist ‚sprechen‘ bedeutet, in Verbindung mit dem Substantiv κῆρυξ als Synonym des Verbs κηρύττω (‚ankündigen‘) verwendet. Auch dies könnte ein Indiz für den Einfluss der gesprochenen Sprache der Zeit sein; vgl. Marenghi 1955a, 123. 296 Daher ist Rutherfords Einschätzung (1883, 7), es handle sich bei εἰσιόντες (v.9) um eine fälschlich anstelle der Aoristform εἰσελθόντες verwendete Präsensform, nicht haltbar. 297 Sie bleibt ähnlich unbestimmt wie der δαίμων in Babr. 11 (vgl. Kap. 6.14) oder 12 (vgl. Kap. 6.15). 298 Tempelraub (ἱεροσυλία) wurde in der Antike als besonders schwerwiegende Form eines Wegnahmdelikts gesehen und anders als bei einem privaten Delikt durch den athenischen Staat selbst verfolgt; vgl. Schiemann 2001, 787. Bei einer Verurteilung drohte die Todesstrafe (so belegt etwa in Xen. mem. 1,2,62; apol. 25; hell. 1,7,22; Plat. rep. 344B; Demosth. or. 22,69), der Verfall des Vermögens sowie die Verweigerung der Bestattung in Attika; vgl. Thür 1998, 554. Für eine genauere Bestimmung des Tatbestands der Hierosylie sowie der entsprechenden Strafen, siehe Cohen 1983. 299 Der Begriff σύλη bzw. σῦλον bezeichnete ursprünglich das Recht, die Fracht eines Händlers oder eines Handelsschiffs in seinen Besitz zu bringen, so etwa in Aristot. oec. 1347B,23; Demosth. or. 35,13; 51,13; Lys. or. 30,22. Eine Bedeutungsübertragung führte dazu, dass mit diesem Begriff ferner die konfiszierte Fracht selbst bezeichnet wurde, so etwa in Strab. 17,1,8. Die vorliegende Bedeutung ‚Diebesgut eines Tempelraubs‘, ähnlich etwa in Cass.Dio 36,22,3 oder Hld. 1,33; 5,5, könnte auf eine Verwechslung mit σκῦλον bzw. σκῦλα zurückgehen (vgl. Rutherford 1883, 8), was meines Erachtens jedoch auch angesichts der Figura etymologica nicht wirklich überzeugt.

Babr. 2

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Luft. Der Ausruf ὡς μάτην ἥκω (v.13) zeugt von der Frustration, die er angesichts seiner vergeblichen Reise verspürt. In seiner eigenen Ohnmacht (οὐκ ἔχων δ’ ὃ ποιήσει, v.4) habe er auf die Verlässlichkeit der Götter vertraut, von denen er sich nun enttäuscht fühlt, da diese nicht einmal ihre eigenen materiellen Angelegenheiten regeln können. Es folgt eine rhetorische Frage,300 in der der Bauer seine Zweifel äußert, wie denn ein Gott, der nicht in der Lage ist, die Diebe seiner eigenen Besitztümer aufzuspüren, ihm bei der Lösung seines Problems behilflich sein kann. Der Relativsatz in den letzten beiden Versen (vv.15–16) charakterisiert den Gott; zunächst wird angeführt, was dieser nicht vermag – die Diebe seines eigenen Besitzes zu finden –, bevor erwähnt wird, was er stattdessen tut: Er bittet Menschen um Mithilfe bei der Aufklärung. Dies verstärkt den Eindruck göttlichen Unvermögens zusätzlich. Die Opposition Gott  – Mensch wird außerdem durch die Wortstellung unterstrichen: Während θεὸς in v.14 im vierten Versfuß steht, wird sein Gegenüber, die Menschheit, prominent an das Ende von v.16 und somit des Gedichts gestellt, was durch den Wechsel vom Iambos zum Spondeus im letzten Versfuß des Choliambos in einer besonders starken Betonung resultiert.301 Die Pointe der Fabel, die in der Rede des Bauern ersichtlich wird und auf der Unfähigkeit des Gottes beruht, erscheint umso prägnanter, als dieser genau zu jenen Gottheiten zählt, die in der Digression als scharfsinnig und eher dazu geeignet, die Wahrheit herauszufinden, beschrieben werden. 4) Parallelen Für Babr. 2 sind keine vergleichbaren parallelen Bearbeitungen bekannt,302 auch wenn das Sujet des Tempelraubs in anderen Fabeln generell eine Rolle spielt.303 In Babrios’ eigener Sammlung findet sich eine inhaltlich verwandte Fabel, Babr. 23.304 Diese handelt von einem Hirten, der ein gestohlenes Rind sucht und dabei göttliche Hilfe erbittet, von der Erfüllung seiner Bitte jedoch überfordert wird. Sie weist in Inhalt, Aussage und Vokabular Ähnlichkeiten mit Babr. 2 auf: Beide Fabeln spielen im länd300 Diese Art der rhetorischen Frage gefolgt von einem Relativsatz findet sich in der finalen Rede bei Babrios häufig, vgl. Babr. 16,10 (Kap. 6.19); 42,7–8; 50,16; 120,7–8. 301 Vgl. Nøjgaard 1967, 338–339. 302 Vgl. van Dijk 2015, 738. 303 Vgl. z. B. Phaedr. 4,11; app. 15. 304 Babr. 23: Βοηλάτης ἄνθρωπος εἰς μακρὴν ὕλην | ταῦρον κεράστην ἀπολέσας ἀνεζήτει. | ἔθηκε δ’ εὐχὴν ταῖς ὀρεινόμοις νύμφαις, | Ἑρμῇ νομαίῳ, Πανί, τοῖς πέριξ, ἄρνα | λοιβὴν παρασχεῖν, εἰ λάβοι γε τὸν κλέπτην. | ὄχθον δ’ ὑπερβὰς τὸν καλὸν βλέπει ταῦρον | λέοντι θοίνην· δυστυχὴς δ’ ἐπαρᾶται | καὶ βοῦν προσάξειν, εἰ φύγοι γε τὸν κλέπτην. | ἐντεῦθεν ἡμᾶς τοῦτ ἔοικε γινώσκειν, | ἄβουλον εὐχὴν τοῖς θεοῖσι μὴ πέμπειν | ἐκ τῆς πρὸς ὥρην ἐκφορουμένης λύπης [Der Ochsentreiber, der in einem großen Wald einen gehörnten Stier verloren hatte, suchte . Er legte ein Gelübde ab den bergbewohnenden Nymphen, dem Hermes Nomaios, Pan und denen ringsum, dass er ein Lamm als Opfer darbringe, wenn er den Dieb ertappe. Als er über einen Hügel geht, erblickt er den schönen Stier als Mahl für den Löwen: Unglücklich gelobte er, auch ein Rind darzubringen, wenn er dem Dieb entkäme. Es ziemt sich, dass wir daraus erkennen, den Göttern kein unüberlegtes Gebet zu schicken aus einem aktuell sich ergebenden Kummer].

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Kommentar

lichen Milieu, wobei ein Bauer respektive ein Rinderhirte als Akteure fungieren. Beide haben ein für die Ausübung ihrer Tätigkeit notwendige Element verloren – der Bauer seine Hacke, der Rinderhirt einen Stier305 – und beide verlassen sich auf die göttliche Hilfe bei der Wiederbeschaffung ihres Besitzes. Schließlich ergibt sich für beide Akteure ein Ausgang, den sie weder erwartet noch erwünscht haben: Während der Bauer in seiner Hoffnung, die Stadtgötter mit ihrem Scharfsinn würden den Täter aufspüren, enttäuscht wird, entdeckt der Rinderhirte zwar seinen Dieb, muss jedoch feststellen, dass es sich dabei um einen Löwen handelt, dem er nicht gewachsen ist, weshalb bittet, ihm heil zu entkommen. Ob diese tätig wurden, oder ob der Hirte den Löwen zufällig entdeckt, bleibt auch in Babr. 23 offen. Der Vergleich verdeutlicht, dass Götter als Akteure von Fabeln bei der Wiederbeschaffung von Verlorenem keine Rolle spielen; dies trifft auch auf Babr. 2 zu, die vielmehr die Menschen und ihre Vorstellungen in den Mittelpunkt der Erzählung stellt. 5) Gesamtbetrachtung Die Fabel spielt mit der Annahme der beteiligten Akteure, dass Götter mehr vermögen als Menschen. Die Bemerkung des Bauern am Ende der Fabel, ein Gott benötige Hilfe von Menschen, drückt aus, dass die Götter in seinen Augen in gewissen Situationen sogar noch weniger Macht haben, wodurch er ihre Allwissenheit infrage stellt. Der Mensch wendet sich an die Götterwelt, da er nicht mehr weiterweiß (οὐκ ἔχων δ’ ὃ ποιήσει, v.4), die Götter selbst jedoch reagieren auf diese Bitte gar nicht, wobei dies in der Vorstellung des Menschen auf deren Unfähigkeit zurückgeführt wird. Ist diese Fabel also als Götterkritik zu verstehen? Die Antwort liefert ein Blick auf die Parallele: Die Götter selbst werden in den Angelegenheiten überhaupt nicht tätig und was als Eingreifen der Götter interpretiert wird, ist entweder auf menschliche Handlungen oder einfach auf Zufall zurückzuführen. Auf Babr. 2 bezogen könnte diese Darstellung einen Kommentar auf eine lebensweltlich immer noch aktive306 oder retrospektiv – es ist schwer vorstellbar, dass die Gottheit im zweiten Jahrhundert noch als persönlich gegenwärtig vorgestellt wurde – komisch anmutende religiöse Praxis abgeben. Die Pointe beruht darauf, dass der Akteur die Handlungen der Diener des Gottes mit jenen des Gottes gleichsetzt und daher eine vermenschlichte Darstellung desselben bewertet, der selbst aber nie präsent ist. In diesem Sinne stellt die Fabel meines Erachtens eher eine pointierte Auseinandersetzung mit gelebten oder vergangenen Kultpraktiken dar als eine Kritik an den Göttern, wie in der Forschung vermutet wurde.307

305 Vgl. hierzu die strukturellen, lexikalischen und inhaltlichen Parallelen zwischen ταὐρον κεράστην ἀπολέσας ἀνεζήτει (Babr. 23,2) und καὶ τὴν δίκελλαν ἀπολέσας ἐζήτει (Babr. 2,2). 306 Es finden sich Hinweise auf eine Wiederbelebung des klassischen Orakelwesens (beispielsweise in Delphi, Didyma oder Gryneion) im zweiten Jahrhundert; vgl. Rosenberger 2000, 6. 307 Vgl. Nøjgaard 1967, 358–359; Bartonková 2013, 38.

Babr. 3

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Darüber hinaus könnte die Fabel auch allgemein als Beweis dafür gesehen werden, wie schnell Erwartungen enttäuscht werden können. Der Bauer findet keine Lösung für sein Problem und verlässt sich auf eine Gottheit, in der Annahme, Stadtgötter seien kompetenter als ihre ländlichen Pendants. Schließlich muss er sich jedoch eingestehen, dass er mit seiner Einschätzung falsch lag. In diesem Sinne könnte Babr.  2 im Kontext der Sammlung und der Nachfolge von Babr. 1 auch hinsichtlich der These zu verstehen sein, dass die Fabeln am Beginn der Sammlung dem Leser vermitteln, die Erzählungen der Mythiamboi genau zu bewerten und nicht vorschnell Einschätzungen vorzunehmen.308 Schließlich illustriert die Feindseligkeit, die der Bauer der Gottheit gegenüber zeigt, wie wenig gemeinschaftlich der Umgang zwischen Göttern und Menschen ist. Auch hier werden, ebenso wie in Babr. 1, Aussagen über die Fabelwelt, wie sie im ersten Prolog getätigt werden,309 in den Fabeln selbst durchwegs konterkariert. Dieses Element der Dekonstruktion wird sich in den folgenden Fabeln fortsetzen.310 6.6 Babr. 3 Αἶγάς ποτ’ εἰς ἔπαυλιν αἰπόλος κλείζων [ἐπὶ σηκὸν ἦγεν· αἱ μὲν ἦλθον, αἱ δ’ οὔπω.] μιῆς ἀπειθοῦς ἐν φάραγγι τρωγούσης κόμην γλυκεῖαν αἰγίλου τε καὶ σχίνου, τὸ κέρας κατῆξε μακρόθεν λίθῳ πλήξας. τὴν δ’ ἱκέτευε· „μή, χίμαιρα συνδούλη, πρὸς τοῦ σε Πανός, ὃς νάπας ἐποπτεύει, τῷ δεσπότῃ, χίμαιρα, μή με μηνύσῃς· ἄκων γὰρ ηὐστόχησα τὸν λίθον ῥίψας.“ ἡ δ’ εἶπε „καὶ πῶς ἔργον ἐκφανὲς κρύψω; τὸ κέρας κέκραγε, κἂν ἐγὼ σιωπήσω.“

5

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Als der Ziegenhirte einmal Ziegen in ihren Stall rief, [Er trieb sie ins Gehege: Und manche kamen, andere wiederum nicht] traf er das Horn einer Ungehorsamen, die in einer Schlucht das süße Kraut des Hafers und des Mastixstrauches abknabberte, [5] von weitem mit einem Stein und brach es ab. Er flehte sie an: „Oh junge Ziege, meine Mitsklavin, ich flehe dich an, bei Pan, der die Waldtäler bewacht! An den Herrn, meine Ziege, verrate mich nicht: Denn ohne Absicht traf ich mit dem Steinwurf.“ [10] Sie aber sagte: „Und wie soll ich eine offensichtliche Tat verstecken? Das Horn schreit, auch wenn ich schweigen werde.“

308 Zu diesem von Mann 2018 formulierten Ansatz vgl. Babr.  1 (Kap.  6.4); vgl. dazu auch Babr.  10 (Kap. 6.13), wo die Sklavin einer ähnlich falschen Einschätzung zum Opfer fällt. 309 Zu Babr. 1 prol. vgl. Kap. 6.2. 310 Vgl. dazu Kap. 5.4.

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Kommentar

1) Gliederung vv.1–5 Exposition und Vorgeschichte. vv.1(–2): Ein Hirte treibt seine Ziegen zusammen (einige folgen, andere nicht). vv.3–5: Er wirft einen Stein nach einer ungehorsamen Ziege und bricht eines ihrer Hörner ab. vv.6–11 Konflikt und Schluss. vv.6–9: Actio – Rede des Hirten: Er bittet die Ziege, ihn nicht an seinen Herrn zu verraten. Außerdem versucht er, seine Tat zu beschönigen. vv.10–11 Reactio – Antwort der Ziege: Sie meint, der Anblick ihres Horns werde alles verraten, selbst wenn sie schweige. 2) Kommentar v.1  κλείζων: Entgegen den Lesarten in A und G übernehmen Luzzatto/La Penna hier das Futurpartizip κλείσων, das auf eine Konjektur von Bergk zurückgeht311 und zur Konstruktion nötig ist, wenn man v.2 als authentisch ansieht (siehe unten). Ohne den Vers ist die Konjektur aber überflüssig, weshalb die ursprüngliche Lesart beibehalten wurde.312 v.2  ἐπὶ σηκὸν ἦγεν· αἱ μὲν ἦλθον, αἱ δ’ οὔπω: Der Vers ist vermutlich interpoliert, unter anderem werden die Doppelung von ἔπαυλιν und σηκὸν313 und die unsichere Lesart von ἄγω314 als Gründe für eine Athetierung angeführt.315 In jedem Fall dürfte es sich um eine frühe Interpolation handeln, die in einer gemeinsamen Vorlage von A und G ihren Anfang genommen haben könnte.316 v.5  τὸ κέρας κατῆξε μακρόθεν λίθῳ πλήξας: Sowohl hier als auch in v.11 ist die Wortfolge am Versanfang umstritten. Während A τὸ κέρας κατέαξε überliefert, bietet G κατεάξαι τὶσ τὸ κέρας. Luzzatto/La Penna entscheiden sich aus metrischen Gründen für die Lesart von G und konjizieren

311 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 5. 312 Vgl. Vaio 2001, 19. Rutherford (1883, 8) nimmt an, dass κλείζων hier für die Formen κλῄζων (‚rufen, herbeirufen‘) oder κλείων (‚einschließen‘) steht. Vaio (2001, 18) tendiert zur ersten Bedeutung und betont, dass aufgrund verschiedener Konventionen in der Schreibung (Iota subscriptum oder adscriptum) κλῄζων als antike Lesart durchaus möglich gewesen sein könnte. 313 Vgl. Perry 1957, 20–21; Husselman 1935, 109–110, der in diesem Zusammenhang auf Fehler in G hinweist. Vaio (2001, 18) geht davon aus, dass σηκὸν als Glosse den Weg in den Text gefunden habe. 314 Vgl. Vaio 2001, 17–18. Luzzatto/La Penna (1986, 5) konjizieren hier, indem sie die überlieferten Partizipien/Infinitive zu einem finiten Verb machen. 315 Vgl. für gegenteilige Einschätzungen Ferrari 1988, 93; Luzzatto 1989, 277; Knöll 1909, 206. 316 Vgl. Vaio 2001, 18; Nøjgaard (1967, 238–239; 336) führt als strukturelles Argument für die Interpolation an, dass in den vv.1–5 inhaltliche und Versgrenzen nicht zusammenfallen, sodass diese auch auf Textebene miteinander verbunden scheinen, was auf v.2 jedoch nicht zutrifft.

Babr. 3

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κατέαξε für κατεάξαι,317 vermutlich aufgrund veränderter Ausspracheregeln zur vermuteten Zeit der Niederschrift; da die vv.5–6 in G jedoch stark korrumpiert zu sein scheinen, wird hier die Lesart in A wiedergegeben.318 Das metrische Problem ist dadurch zu erklären, dass ionisch κατῆξε, das auch in der entsprechenden auf dem Babriostext basierenden Fabel der Tetrasticha des Ignatios Diakonos belegt ist,319 im Zuge der Attizisierung verloren ging.320 v.7  πρὸς τοῦ σε Πανός: πρός mit dem Genetiv nimmt bei Bitten und Schwüren die Bedeutung ‚im Namen von‘ oder ‚bei‘ an, wobei das Verb, das das Akkusativobjekt σε verlangen würde,  – etwa γουνάζομαι, ἱκετεύω oder Ähnliches – in dieser Formel oft elidiert wird.321 v.10  κρύψω: Der Indikativ Futur steht hier anstelle des dubitativen Konjunktivs.322 v.11  τὸ κέρας κέκραγε, κἂν: Hier liegt eine ähnliche Situation vor wie in v.5: Wiederum ist die Position der Wörter am Versanfang unsicher. Luzzatto/ La Penna bieten wie in v.5 eine konjizierte Form, κέκραγε τὸ κέρας κἂν.323 Parallelen: Aphth. 5; Phaedr. app. 24 3) Analyse Die vorliegende Fabel führt die in Babr. 1 und 2 begonnene ländliche Thematik fort.324 Das Gedicht ist in zwei bzw. drei Teile geteilt, wobei der erste die Exposition und Vorgeschichte in vier Versen wiedergibt (vv.1–5), der zweite (vv.6–11) die Konflikthandlung und die Bitte des Hirten in vier Versen (vv.6–9) beinhaltet, und der dritte die Antwort der Ziege in zwei Versen (vv.10–11) darstellt. Somit ergibt sich ein Schema von 4–4–2 Versen.325

317 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 6. 318 Vgl. Vaio 2001, 19–20. 319 Tetr. 1,35,1: Ῥάβδῳ κατῆξεν αἰγὸς αἰπόλος κέρας [Mit einem Stab zerbrach ein Ziegenhirt das Horn einer Ziege]. 320 Vgl. Vaio 2001, 20. 321 So in Eur. Hec. 551; Soph. Oid.T. 1037; Aristoph. Vesp. 760. Vgl. hierzu auch LSJ s. v. πρός A I 4. 322 So z. B. in Eur. Ion 758; vgl. Kühner/Gerth 1898, 173–176, § 387, 5; Schwyzer/Debrunner 1950, 291 sowie den Kommentar zu v.4 (ὃ ποιήσει) in Babr. 2 (Kap. 6.5) und Babr. 112, 7. 323 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 6. 324 Zu Babr. 1 vgl. Kap. 6.4, zu Babr. 2 Kap. 6.5. Für weitere Fabeln, die im ländlichen Milieu spielen, vgl. Babr. 5 (Kap. 6.8), 11 (Kap. 6.14), 12 (Kap. 6.15) und 13 (Kap. 6.16). 325 Auf die Vorliebe für Zahlenspiele in Nachahmung alexandrinischer Dichter wurde bereits in Babr. 2 (vgl. Kap. 6.5) hingewiesen.

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Kommentar

Die Einleitung der Fabel eröffnet dem Leser eine bukolische Szene: Der Akteur, ein Ziegenhirte (αἰπόλος), der in v.1 eingeführt wird,326 ruft seine Ziegen gerade in ihren Stall (εἰς ἔπαυλιν, v.1).327 Zwar ist der Mensch bislang der einzige Akteur und als Hirte den Ziegen gegenüber in einer dominanten Position, doch zeigt bereits die Stellung von αἶγάς am Beginn von v.1, dass die Ziegen in dieser Fabel ein zentrales Element darstellen, ein Eindruck, der sich im zweiten Teil der Fabel noch verstärkt.328 Der v.2, vermutlich eine Glosse, führt die Tätigkeit des Hirten weiter aus, er treibt die Ziegen ins Gehege (ἐπὶ σηκὸν, v.2; Auflösung im ersten Versfuß),329 wobei diese ihm nur teilweise folgen. Die vv.3–4 führen schließlich den zweiten Akteur der Handlung, eine ungehorsame Ziege, die lieber fernab vom Stall Pflanzen frisst, ein. Das Genetivobjekt bzw. der Genetivus absolutus μιῆς ἀπειθοῦς […] τρωγούσης weist die Ziege zunächst als noch nicht handelnde Figur aus – dies geschieht erst am Ende in v.10. Es wird beschrieben, wie sie in v.4 Hafer (αἰγίλου)330 und die Blätter des Mastixstrauches (σχίνου)331 frisst, zwei Pflanzen, die in bukolischen Landschaften typisch sind. Als Bezug kann ein Ausschnitt aus Theokrits fünftem Idyll dienen,332 in dem beide Pflanzen gemeinsam in Bezug auf Ziegen genannt werden – denn der Sprecher Komatas ist ebenfalls Ziegenhirte. Er sagt: ταὶ μὲν ἐμαὶ κύτισόν τε καὶ αἴγιλον αἶγες ἔδοντι, καὶ σχῖνον πατέοντι καὶ ἐν κομάροισι κέονται.333

326 Der Ziegenhirte kommt als Figur auch in Babr. 45, 69, 86 und 91 vor; zu Figuren, die in ihrer Charakterisierung an Hirten erinnern, vgl. Kap. 6.9 zu Babr. 6 sowie Kap. 6.12 zu Babr. 9. 327 Gemeinhin bezeichnet der Begriff ἔπαυλις ein Gehöft, so in Hdt. 1,111; Pol. 5,35,13, als militärische Metapher auch eine Behausung im Allgemeinen, etwa in Plat. Alk. 2,149C; Pol. 16,15,5. Angesichts von σηκός in v.2, der als interpolierte Glosse zu ἔπαυλις aufgefasst werden kann, sowie aufgrund der Tatsache, dass der Begriff (metaphorisch) als Bezeichnung für das Quartier von Tieren verwendet wird, etwa in Pol. 5,35,13, dürfte es sich hier um den Stall der Ziegen handeln. 328 Jedoch wird bis zum Ende des Gedichts nicht festgelegt, mit welchem der beiden Akteure der Leser sich identifizieren soll; vgl. Nøjgaard 1967, 204. 329 σηκός bezeichnet eine Einfriedung, um junge Lämmer, Zicklein oder Kälber zu halten, so in Hom. Il. 18,589; Od. 9,219; 9,227; 9,319; 9,439; 10,412; Hes. erg. 787; vgl. dazu auch LSJ s. v. σηκός I. Daneben kann der Begriff auch allgemein für eingezäunte oder abgetrennte Bereiche (auch im sakralen Sinne) stehen, wie etwa in Hdt. 4,62 oder Soph. Phil. 1328; vgl. LSJ s. v. σηκός II. 330 Dieser Begriff bezeichnet  – ebenso wie die verwandte Bezeichnung αἰγίλωψ  – ein haferartiges Gras, das dem Namen nach (vgl. ἡ αἶξ) vor allem bei Ziegen beliebt war (dt.: ‚Eiförmiger Walch‘). So in Verbindung mit σχῖνος etwa bei Theokr. eid. 5,128–129. 331 Ein Hartlaubgewächs  – auch Wilde Pistazie genannt  –, das im gesamten Mittelmeergebiet vorkommt. So in Verbindung mit αἴγιλος etwa bei Theokr. eid. 5,128–129. 332 Vgl. Luzzatto 1975a, 42. 333 Theokr. eid. 5,128–129 [Meine Ziegen fressen Schneckenklee und Hafer, sie trampeln über den Mastixstrauch und liegen in Erdbeersträuchern.] Bei bukolischen Szenen in den Mythiamboi lassen sich des Öfteren Bezüge zu Theokrit feststellen, wie man an lexikalischen Parallelen feststellen kann. So findet sich im obengenannten Idyll (5,126–127) das Verb βάψαι, das in dieser eigentümlichen Verwendung auch in Babr. 71,2 vorkommt; vgl. Rutherford 1883, 68–69.

Babr. 3

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Durch die Nennung derselben Pflanzen, mit denen schon Theokrit die Landschaften seiner Eidyllia ausgestaltet hat, schafft der Autor in Babr. 3 einen bukolisch inszenierten Raum, der beim Leser einen entsprechenden Eindruck mit allen damit verbundenen Erwartungen erweckt.334 Diese Inszenierung ist dem Inhalt der Fabel geschuldet, sie stellt jedoch auch ein erzähltechnisches Mittel dar, wie der nachfolgende Vers beweist: In v.5 findet ein klarer Bruch mit der bisherigen pittoresken Darstellung der Hirtenidylle statt, der die folgende Handlung mit dem zuvor Beschriebenen kontrastiert. Der Hirte wirft einen Stein nach der ungehorsamen Ziege und bricht damit eines ihrer Hörner ab. Diese inhaltliche wie strukturelle Zäsur wird durch poetische Techniken hervorgehoben: So wird der Bruch selbst durch die Auflösung im ersten Versfuß (τὸ κέρας [κατῆξε]) betont; daneben strotzt der gesamte v.5 (τὸ κέρας κατῆξε μακρόθεν λίθῳ πλήξας) von gutturalen Lauten, die das Zerbrechen des Horns onomatopoetisch nachahmen – ähnlich wie in v.11, wo dieselbe Technik zum Einsatz kommt. Ferner wird dieser Vers durch ein langes Hyperbaton, das sich von v.1 bis hierher zieht, besonders betont, da durch die Stellung des finiten Verbs am Ende des Satzes für den Leser lange ungewiss bleibt, welche Handlung sich genau vollzieht. Angesichts dessen dient die idyllische Inszenierung der vorhergehenden Verse dazu, den Kontrast zur Tat des Hirten zu verstärken – so gesehen erscheint diese tatsächlich als Schreckenstat in einer ansonsten friedlichen Welt.335 Hier zeigt sich zudem die Verbindung und dekonstruktive Konterkarierung der Aussagen des ersten Prologs, in dem ein friedliches Miteinander zwischen Mensch und Tier dargestellt wird.336 Die Tat des Hirten stellt den Auslöser für den nun folgenden Wortwechsel dar – erst ab diesem Punkt verhält sich Babr. 3 wie eine klassische Fabel, davor könnte es auch Bukolik sein. Der zweite Teil der Erzählung (vv.6–11) behandelt nun den Konflikt der beiden Akteure. Die Schwere der Tat spiegelt sich im Schrecken und der Reaktion des Hirten wider. In den vv.6–9 hält er eine emotionale Rede, in der er die Ziege flehentlich da­ rum bittet, ihrem gemeinsamen Herrn nichts von seiner Untat zu erzählen.337 Er spricht die Ziege dabei als χίμαιρα συνδούλη (v.6) an. Entgegen der bekannteren Verwendung von χίμαιρα für das gleichnamige feuerspeiende Monster aus dem Mythos handelt es sich hierbei um eine Bezeichnung für eine weibliche Ziege,338 genauer um eine junge

334 Ein Rückgriff auf theokriteische Begriffe zur bukolischen Inszenierung der Fabel findet darüber hinaus auch in Babr. 13 (vgl. Kap. 6.16), der Fabel von Bauer, Storch und Kranichen, statt. 335 Vgl. Nøjgaard (1967, 258), der feststellt, dass die durch die pittoreske Darstellung erzeugte Sentimentalität stets Vorbote für Gefahr ist. Für andere Fabeln, in denen idyllische Szenerien zum Schauplatz für gewaltsame Handlungen werden, vgl. Babr.  1 (Kap.  6.4); 12 (Kap.  6.15); 13 (Kap. 6.16). 336 Vgl. zu diesem allgemeinen Gestaltungsmerkmal der Mythiamboi Holzberg 2019, 18, sowie Kap. 5.4. 337 Vergleichbare Reden finden sich in Babr. 6 (vgl. Kap. 6.9), 12 (vgl. Kap. 6.15) oder 13 (vgl. Kap. 6.16). 338 Vgl. Hom. Il. 6,181; Hes. theog. 322.

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Kommentar

weibliche Ziege339 als Pendant zum gebräuchlichen χίμαρος, einem weiteren typisch theokritischen Begriff.340 Die Ziege wird als συνδούλη (‚Mitsklavin‘) charakterisiert. Dies weist darauf hin, dass der Hirte selbst ein Sklave ist, was durch δεσπότῃ in v.8 bestätigt wird.341 Die Anrede als Mitsklavin zeugt außerdem von der Eindringlichkeit des Appells des Hirten, er wendet sich als Leidensgenosse an die Ziege mit dem Zweck, durch seine Anrede ihr Mitgefühl zu erwecken und so einen Dialog auf Augenhöhe zu schaffen, in der Hoffnung, sie sei so eher gewillt, ihm zur Seite zu stehen. Die Ausführungen des Hirten werden in einer pathetischen Rede dargelegt. Dies ist erkennbar an häufigen Ausdrücken des Bittens (ἱκέτευε, v.6; σε, v.7), zahlreichen (verneinten) Imperativen (μή, v.6; μή με μηνύσῃς, v.8), und der mehrmaligen direkten Ansprache der Person, der die Bitte gilt (χίμαιρα συνδούλη, v.6; χίμαιρα, v.8).342 Ferner trägt das Flehen bei einer Gottheit – in diesem Falle passend beim Hirtengott Pan343 – zum rhetorischen Pathos bei.344 Auf der lexikalischen Ebene stellt die Bitte und insbesondere die Beschreibung Pans (ὃς νάπας ἐποπτεύει, v.7) einen Bezug zu Babr. 2 her, wo erwähnt wird, dass die ländlichen Gottheiten einfältiger seien und die Stadtgötter τὰ πάντ’ ἐποπτεύειν.345 Abschließend erklärt der Bittstellende in v.9, die Tat nicht vorsätzlich begangen zu haben (ἄκων γὰρ ηὐστόχησα τὸν λίθον ῥίψας),346 ein Versuch, Verständnis beim Opfer hervorzurufen. Dahingehend ist der euphemistische Begriff ηὐστόχησα in v.9 zu verstehen, mit dem der Hirte seine Tat beschönigt. Die Antwort der Ziege bildet den Schluss dieser Fabel und übernimmt gleichsam die Funktion eines Epimythions (vv.10–11): Diese erkundigt sich zunächst in einer rhe339 Vgl. LSJ s. v. χίμαιρα I. So beschrieben beispielsweise in der Suda (s. v. Χίμαρος): Χίμαρος: ὁ τράγος. καὶ Χίμαιρα, ἡ αἴξ [‚Χίμαρος‘: Der Bock. Und ‚Χίμαιρα‘, die Ziege]. 340 χίμαρος ist etwa in Theokr. epigr. 4,15 oder LXX Lev 4,23 belegt. Für die Bezeichnung einer jungen weiblichen Ziege vgl. Theokr. eid. 1,6. Der Begriff geht auf die Wortwurzel χι- zurück, der auch χεῖμα und χειμών entstammen und die anzeigt, dass das Junge erst einen Winter alt ist. Da Ziegenkitze im Frühjahr auf die Welt kommen, bestätigt dies ein Theokrit-Scholion, wonach die Bezeichnung für Tiere von vier Monaten bis zu einem Jahr zulässig ist; vgl. Rutherford 1883, 8–9. 341 δεσπότης kann unter anderem auch den Besitzer von Sklaven bezeichnen, so etwa in Plat. Parm. 133D; leg. 757A; Aristot. pol. 1253B6. 342 van Herwerden (1900, 157) nimmt aufgrund der Wiederholung an, dass χίμαιρα in v.8 interpoliert ist. Da es sich dabei allerdings nicht um die einzige Wiederholung handelt und diese zur Steigerung des Pathos beitragen, scheint eine Interpolation an dieser Stelle meines Erachtens unwahrscheinlich. 343 Pan als Schwurgottheit wird fast ausschließlich im bukolischen Kontext angeführt, so in den Epistulae rusticae des Claudius Aelianus (1,7), bei Longos (3,16,3) oder in der Anthologia Graeca (9,237,1 [Erykios]; dort an einen Rinderhirten gerichtet). Auch in einer Deklamation des Libanios findet sich ein Schwur bei Herakles und Pan, vgl. Lib. decl. 11,35. Pans Schutzfunktion zeigt sich in Babr. 3 am Verb ἐποπτεύει (v.7). 344 Vgl. Luzzatto (1975a, 35), die auch auf Parallelen der Fabel zur Tragödie hingewiesen. hat. 345 Babr. 2,8 (vgl. Kap. 6.5). Zur Verbindung und Struktur der Fabeln vgl. Kap. 3; vgl. daneben auch die νάπαι ἐρημαῖαι, in die sich der verwundete Löwe in Babr. 1,11 (Kap. 6.4) flüchtet. 346 Vgl. Marenghi (1954, 347), der die Tendenz des Autors hervorhebt, für jede Handlung seiner Akteure eine Grundlage zu bieten. Indem er sich vor der Ziege rechtfertigt, erklärt der Hirte auch dem Leser, warum er auf eine bestimmte Weise gehandelt hat.

Babr. 3

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torischen Frage, wie sie denn etwas so Offensichtliches verheimlichen solle (πῶς ἔργον ἐκφανὲς κρύψω;, v.10). Die Wahl des Indikativ Futur anstelle des Konjunktivs verdeutlicht ihre Einstellung: Während der Hirte durch die Wahl des Konjunktivs (μηνύσῃς, v.8) noch die Möglichkeit eines anderen Ausgangs in Aussicht stellt, weist der Indikativ κρύψω (v.10) darauf hin, dass die Ziege jeglichen Versuch, das Missgeschick zu verstecken, von vornherein als zwecklos ansieht. Die Erklärung folgt in v.11: Selbst, wenn sie schwiege, würde ihr Horn die Wahrheit doch metaphorisch herausschreien (τὸ κέρας κέκραγε, κἂν ἐγὼ σιωπήσω). Auffällig ist hier der Versanfang, der sich anaphorisch auf den Beginn von v.5 bezieht. So finden einerseits phonetisch ähnliche onomatopoetische Begriffe Anwendung – τὸ κέρας κέκραγε (v.11) und τὸ κέρας κατῆξε (v.5) –, andererseits wird v.11 ebenfalls durch eine Auflösung im ersten Versfuß sowie eine Alliteration betont. Unabhängig davon, ob die Ziege aus moralischen Gründen schweigt,347 oder ob sie sich unkollegial verhält und die Tat des Hirten anzeigt, ihr zerbrochenes Horn als materieller Beweis bewirkt in jedem Fall dasselbe, was die Bitte des Hirten auffällig fehlgeleitet erscheinen lässt.348 Die Aussage kann als Rechtfertigung ihrer Handlungen, als Vorwand, der mögliche Gegenargumente des Hirten vorwegnimmt, oder lediglich als nüchterne Schilderung des Unausweichlichen gesehen werden. Dabei wird die Bedeutung des schreienden Horns durch seine Personifizierung unterstrichen: Als Bild lässt es die Szene durch die antithetische Gegenüberstellung von Schweigen und Schreien349 besonders prägnant wirken, zumal hier ein Signal auf visueller und akustischer Ebene den Gegenstand mittels einer ungewöhnlichen Formulierung betont und so erlebbarer macht.350 4) Parallelen Zwei parallele Bearbeitungen lassen sich in den Fabelsammlungen finden: Fabel 24 aus der Appendix Perottina des Phaedrus sowie die fünfte Fabel aus der Samlung des Aphthonios v. Antiochia (4. bzw. 5.  Jahrhundert), entstanden in der Nachfolge der Mythiamboi.351

347 Vgl. Nøjgaard (1967, 99–100), der die Antwort der Ziege insofern moralisch deutet, als sie einer Bitte aufgrund einer unveränderlichen äußeren Gegebenheit nicht nachkommen kann; meines Erachtens ist die Antwort weniger moralisch als eher Ausdruck eines gewissen Pragmatismus. 348 Vgl. Allgaier 2020, 257. 349 Vgl. Allgaier 2020, 257. 350 Vgl. Nøjgaard 1967, 342. Durch das schreiende Horn werden zwei verschiedenen Sinnen zugeordnete Eindrücke miteinander verknüpft; sein Anblick verrät, was vorgefallen ist, auch wenn die Ziege selbst kein akustisches Zeichen setzt, indem sie schweigt. Das Horn schreit also an ihrer statt. Darüber hinaus wird durch die onomatopoetischen Begriffe κατῆξε – κέκραγε ein Spiel mit der Verbform getrieben: Beim Steinwurf ‚krachte‘ das Horn; jetzt klagt es in präsentischer Form stumm an. 351 Zum Verhältnis der Phaedrusfabeln zu den Mythiamboi vgl. Kap. 2.3.

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Kommentar

Phaedr. app. 24352 unterscheidet sich von der babrianischen Bearbeitung durch ihre Länge: Die Handlung wird bei Phaedrus in fünf, bei Babrios hingegen in elf Versen wiedergegeben. Dies ist auch am Fabelschluss erkennbar, der bei Babrios zwei von elf Versen einnimmt, bei Phaedrus allerdings zwei von vier Versen (das Promythion ausgenommen) – also die Hälfte der gesamten Fabel.353 Inhaltlich zeigt sich die Kürze bei Phaedrus dadurch, dass die bei Babrios in den vv.1–4 dargelegte Exposition fehlt; die Erweiterung des Stoffs könnte auf Babrios selbst zurückgehen. Die Bitte des Hirten bei Babrios scheint im Vergleich zu Phaedrus ausführlicher; sie wird nicht nur in direkter Rede geschildert, auch alle Elemente des Pathos, etwa die Anreden und die Beschwörung eines Gottes, fehlen bei Phaedrus. Inhaltliche Unterschiede finden sich etwa in der Antwort der Ziege: Diese verspricht bei Phaedrus, über den Vorfall zu schweigen, die Tat schreie jedoch selbst (res clamabit ipsa, v.4); im Gegensatz dazu stellt die Ziege bei Babrios es gar nicht zu Debatte, für ihn einzutreten, sondern hinterfragt die Sinnhaftigkeit eines solchen Einsatzes, da dies angesichts ihres Zustands – ihr Horn schreie ohnehin (τὸ κέρας κέκραγε, v.11) – wenig erfolgversprechend sei. Die Version des Aphthonios354 weist dieselbe babrianische Exposition auf, die bei Phaedrus noch nicht vorhanden war. Der Leser erfährt zunächst von den Beweggründen des Hirten, den Stein zu werfen, die sich grundlegend mit der babrianischen Version decken. Seine rhetorisch ausformulierte Bitte fehlt bei Aphthonios jedoch, sie wird lediglich als indirekte Frage ausgedrückt. In der Version des Aphthonios wird der Hirte nach der Tat als negativ charakterisiert, besonders hervorgehoben durch die Anrede als ἀνούστατος im Superlativ. Die offensichtliche Wertung in Aphth. 5 weist darauf hin, dass die Fabel eine allgemeine moralische Lehre transportiert, was sowohl durch die Überschrift ΜΥΘΟΣ […] ΠΑΡΑΙΝΩΝ als auch durch das Epimythion οὕτω λίαν εὐήθεις οἱ τὰ πρόδηλα κρύπτειν ἐθέλοντες nahegelegt wird. Beide explizit moralisierenden Elemente fehlen in der Bearbeitung von Babrios. 352 Phaedr. app. 24: Nihil ita occultum esse quod non reveletur. | pastor capellae cornu baculo fregerat: | rogare coepit ne se domino proderet. | „quamvis indigne laesa, reticebo tamen; | [5] sed res clamabit ipsa quid deliqueris“ [Nichts sei so versteckt, dass es nicht enthüllt werden könnte. Ein Hirte hatte das Horn einer Ziege mit seinem Stab zerbrochen: Er begann sie zu bitten, ihn nicht an seinen Herrn zu verraten. „Obwohl ich unverdient verletzt wurde, werde ich dennoch schweigen; [5] aber die Sache wird selbst herausschreien, was du verbrochen hast“]. 353 Vgl. Nøjgaard 1967, 37. 354 Aphth. 5: ΜΥΘΟΣ Ο ΤΗΣ ΑΙΓΟΣ ΠΑΡΑΙΝΩΝ ΜΗ ΚΡΥΠΤΕΙΝ ΤΑ ΠΡΟΔΗΛΑ. αἶγα ἀποστᾶσαν ἀγέλης ἐπανάγειν αἰπόλος ἐπειρᾶτο πρὸς τὰς λοιπάς. ὡς δὲ φωναῖς καὶ συριγμοῖς χρώμενος οὐδὲν μᾶλλον ἤνυεν, λίθον ἀφεὶς καὶ τοῦ κέρως τυχὼν ἐδεῖτο τῷ δεσπότῃ μὴ κατειπεῖν. ἡ δὲ „ἀνούστατε“, εἶπεν, „αἰπόλων, τὸ κέρας κεκράξεται, κἂν ἐγὼ σιωπήσωμαι.“ οὕτω λίαν εὐήθεις οἱ τὰ πρόδηλα κρύπτειν ἐθέλοντες [Die Fabel der Ziege, die dazu rät, das Offensichtliche nicht zu verstecken. Ein Ziegenhirt versuchte, eine Ziege, die von ihrer Herde entfernt stand, wieder zu den übrigen hinzuführen. Als er mit Worte und Pfiffen nicht mehr erreicht hatte, warf er einen Stein und flehte sie, nachdem er das Horn getroffen hatte, an, dem Herrn nichts zu verraten. Sie aber sagte: „Du Dümmster aller Ziegenhirten, das Horn wird schreien, auch wenn ich schweigen werde.“ So sind diejenigen allzu leichtsinnig, die Offensichtliches verstecken wollen].

Babr. 3

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Diese Vergleiche illustrieren die Charakteristika der babrianischen Bearbeitung: Im Unterschied zu den beiden anderen Versionen zeichnet sich Babr. 3 sowohl durch eine ausführliche Einführung und Vorgeschichte, die die Beweggründe des Hirten darlegt, als auch durch eine rhetorisch ausgestaltete Bitte desselben aus. Ferner finden sich in der babrianischen Bearbeitung weder Pro- noch Epimythien, die eine Umlegung auf eine allgemeine Situation nahelegen würden. Der Fokus liegt offensichtlich auf der durchdachten Schilderung einer Handlung, die motiviert und ausgestaltet wird und schließlich mit einer pointierten Aussage endet, ohne die moralische Übertragbarkeit des Geschilderten in den Blick zu nehmen. 5) Gesamtbetrachtung In dieser Fabel wird das Unglück eines Einzelnen und die Ausweglosigkeit seiner Situation in einer präzisen Erzählung beschrieben. Nach der Einführung des Lesers in eine an Szenen aus der Bukolik erinnernde Welt wird kontrastierend die Untat des Akteurs präsentiert, an der dieser das restliche Gedicht zu leiden hat. Dabei greift Babr. 3 die bereits in Babr. 1 und 2 thematisierte Praxis der Dekonstruktion des vorangehenden ersten Prologs auf: Die Brutalität, die durch den Steinwurf des Hirten in die Idylle eindringt, steht im Gegensatz zum friedlichen Umgang zwischen Mensch und Tier der Goldenen Zeit, die im Prolog dargestellt wird.355 Während sich ähnliche Beobachtungen auch durch die übrigen Fabeln ziehen, werden diese Widersprüche in den ersten drei Fabeln, die auf den Prolog folgen, besonders deutlich.356 Der Hirte selbst gesteht seinen Fehler in einer emotionalen Rede ein und bittet um Nachsicht. Seine Erkenntnis spiegelt eine nahezu tragische Weltauffassung wider – als Stärkerer erkennt er seinen Fehler zu spät, sodass der Schwächere nichts mehr tun kann, um sein Unglück abzuwenden. Nicht einmal die Anrufung der Götter können die Realität ändern, die durch die Ziege verkörpert wird. Diese macht deutlich, dass jede Anstrengung, ja selbst die Anrufung höherer Mächte, letztendlich vergebens ist. In diesem Punkt stellt Babr. 3 eine inhaltliche Parallele zur vorangehenden Fabel Babr. 2 dar, wo der fehlende Nutzen göttlichen Beistands in konkreten weltlichen Angelegenheiten in anderer Form behandelt wird.357 Durch die im Vergleich zu parallelen Bearbeitungen ausführliche Schilderung des vorhandenen Stoffs unter Einbeziehung teils sehr spezifischer Elemente – so etwa der bukolischen Inszenierung oder der rhetorischen Ausgestaltung  – hat der Autor mit Babr. 3 eine Fabel geschaffen, die mit ihren idyllischen Szenerien und mit ihrer rhetorischen Ausgefeiltheit ein typisches Beispiel für die Literatur des zweiten Jahrhunderts darstellt. 355 Vgl. Holzberg 2019, 17–19. 356 Vgl. Kap. 6.2 zu Babr. 1 prol., Kap. 6.4 zu Babr. 1, Kap. 6.5 zu Babr. 2 sowie Kap. 5.4 zum dekonstruktiven Gestaltungsprinzip in den Mythiamboi. 357 Zu Babr. 2 vgl. Kap. 6.5.

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Kommentar

6.7 Babr. 4358 Ἁλιεὺς σαγήνην, ἣν νεωστὶ βεβλήκει, ἀνείλετ’· ὄψου δ’ ἔτυχε ποικίλου πλήρης. τῶν δ’ ἰχθύων ὁ λεπτὸς εἰς βυθὸν φεύγων ὑπεξέδυνε δικτύου πολυτρήτου, ὁ μέγας δ’ ἀγρευθεὶς εἰς τὸ πλοῖον ἡπλώθη. σωτηρίη πώς ἐστι καὶ κακῶν ἔξω τὸ μικρὸν εἶναι· τὸν μέγαν δὲ τῇ δόξῃ σπανίως ἴδοις ἂν ἐκφυγόντα κινδύνου.

5

Der Fischer zog ein Netz, das er jüngst erst ausgeworfen hatte, wieder ein: Es war voller verschiedener Köstlichkeiten. Von den Fischen aber schlüpfte der Zarte bei seiner Flucht in die Tiefe durch das viellöchrige Netz, [5] der Große aber wurde gefangen und lag ausgestreckt auf dem Schiff. Irgendwie ist es Rettung und fern von Üblem, das Kleinsein. Den, der aufgrund seines Ansehens groß ist, siehst du wohl nur selten der Gefahr entkommen.

1) Gliederung vv.1–2 Actio – Ein Fischer holt ein Netz, das er kurz zuvor ausgeworfen hat, wieder ein. Das Netz ist voller bunter bzw. verschiedenfarbiger Fische. vv.3–4 Reactio 1 – Der kleine Fisch entkommt dank seiner Größe aus dem Netz. v.5 Reactio 2 – Der große Fisch ist gefangen und wird aufs Schiff gezogen. vv.6–8 Epimythion – Klein zu sein bedeutet, in Sicherheit und außer Gefahr zu leben. Der Große hingegen entkommt dem Unheil nur selten. 2) Kommentar v.1  βεβλήκει: Die Verwendung des Plusquamperfekts ohne Augment scheint hier ungewöhnlich;. für die nachklassische Zeit ist die Annäherung des Perfekts von aktiven transitiven Verben (wie beispielsweise βάλλω) an den Aorist als Erzählzeit belegt.359 Es kann also davon ausgegangen werden, dass das Plusquamperfekt analog ebenfalls einen Bedeutungswandel vollzogen hat.360 Darüber hinaus könnte νεωστὶ die Handlung als eine solche charakterisieren, die gerade erst beendet worden (und nun zu Ende) war.

358 Eine Gesaminterpretation des vorliegenden Gedichts wird unter Einbeziehung der inhaltlich verwandten ‚Fischerfabeln‘ Babr. 6 und 9 in Kap. 6.12 geboten; vgl. daneben Spielhofer 2022b. 359 So z. B. in Offb 5,7; vgl. Schwyzer/Debrunner 1950, 287–288. 360 Rutherford (1883, 9) führt die Form auf die Vermeidung zweier aufeinanderfolgender Vokale sowie das Verschwinden des Augments beim Plusquamperfekt in nachmakedonischer Zeit zurück.

Babr. 4

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v.2  ὄψου […] ποικίλου πλήρης: Ergänze σαγήνη. Die Konstruktion mit τυγχάνω verzichtet hier auf das Partizip οὖσα.361 Zu diesem typischen Versschluss mit vorangestelltem Genetiv vgl. Kap. 2.3, Anm. 156 sowie Kap. 3. v.3  τῶν δ’ ἰχθύων ὁ λεπτὸς: Der Ausdruck bildet einen Gegensatz zu ὁ μέγας (v.5), daher vermutlich die ungewöhnliche Konstruktion; in beiden Fällen kommt ein kollektiver Singular zum Einsatz, der meines Erachtens zu Unrecht als „solecism of a grave kind“362 verurteilt wurde; zur Funktion dieser Zuspitzung vgl. die folgende Analyse. v.4  ὑπεξέδυνε: Die Konstruktion ὑπεκδύομαι mit Genetivobjekt ist für die nachklassische Literatur geläufig.363 v.5 ἡπλώθη: Aorist Passiv des Verbs ἁπλόω (‚ausbreiten‘). v.6 κακῶν ἔξω: Ergänze εἶναι. Parallelen: Aisop. 74 P.; Babr. 6 3) Analyse Babr. 4 stellt die erste von insgesamt drei Fischerfabeln am Beginn der Mythiamboi dar und ist für die Interpretation und Bewertung der darauffolgenden Fabeln Babr. 6 und 9 von großer Bedeutung.364 Ihre Struktur erscheint ungewöhnlich, verglichen mit den anderen analysierten Fabeln: Die Handlung wird durch einen Fischer angestoßen, der ohne Exposition direkt in der Actio der vv.1–2 tätig wird, was zwei Reaktionen hervorruft, die das Schicksal zweier Fische beschreiben (vv.3–4 bzw. v.5). Als Kommentator folgt die auktoriale Stimme des Epimythions, die das Beispiel zu einer allgemeinen Aussage abstrahiert (vv.6–8). Die Fabel besteht also aus vier Teilen, besitzt keine Exposition, dafür jedoch zwei Reactiones auf lediglich eine Actio. Der Fischer (ἁλιεύς) wird exponiert am Beginn des Gedichts eingeführt und durch den Anapäst im ersten Versfuß fokussiert. Er holt ein Fischernetz ein (ἀνείλετ’, v.2), das durch einen Relativsatz (ἣν, v.1) näher beschrieben wird. Die Formulierung νεωστὶ βεβλήκει schafft ein relatives Zeitverhältnis zur Haupthandlung und legt dar, was vor der Erzählung geschehen ist. Mit dieser einleitenden Actio endet die Handlung des Fischers sogleich wieder, implizit ist er danach nur mehr in v.5 präsent, wenn der große Fisch gefangen wird. Bereits in v.2b wird sein Netz in den Mittelpunkt gerückt: Es strotzt vor Fischen (ὄψου δ’ ἔτυχε ποικίλου πλήρης; Auflösung im vierten Versfuß). Der Ausdruck ὄψον ποίκιλον bzw. ὄψα ποίκιλα wurde für ein bereits zubereitetes Fischgericht verwendet und war in der Literatur des zweiten Jahrhunderts ge-

361 362 363 364

Vgl. Rutherford 1883, 10. Rutherford 1883, 10. So etwa in Plut. Dem. 9,2. Zu Babr. 6 vgl. Kap. 6.9; zu Babr. 9 vgl. Kap. 6.12. Daneben tritt der Fischer noch in Babr. 61 auf.

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Kommentar

bräuchlich.365 Die durchaus komische Vorstellung, der Fischer ziehe Fischgerichte aus dem Meer, weist darauf hin, dass die gefangenen Fische für eine Zubereitung und den Verzehr geeignet sind, vergleichbar mit dem kleinen Fisch in Babr. 6, der als ‚für die Bratpfanne reif ‘ beschrieben wird.366 Darüber hinaus wirkt der Ausdruck durch seine Polyvalenz: ὄψον konnte als Kollektivbezeichnung für mehrere Fische verwendet werden. Durch deren Charakterisierung als ποίκιλον wird auf die Vielfalt an Fischarten im Netz hingewiesen, wobei das Schimmern der Fischschuppen mit den Reflexionen auf der Wasseroberfläche beinahe sinnlich wahrnehmbar gemacht wird und schließlich eine poetologische Perspektive eröffnet: Der Begriff ποικιλία wird sowohl konkret im Kunsthandwerk (für Ausschmückungen und Stickereien in verschiedenen Farben)367 als auch übertragen in der musischen Kunst (für literarische und künstlerische Vielfalt, Feinheiten oder Verzierungen)368 verwendet.369 Die durch den poetologisch konnotierten Begriff eingeführte Perspektive wird im weiteren Verlauf der Fabel aufgegriffen: Das Einholen des Netzes führt zu zwei unterschiedlichen Reaktionen, die einen kleinen und einen großen Fisch betreffen  – der kleine Fisch entkommt durch die Maschen des Netzes (ὁ λεπτὸς εἰς βυθὸν φεύγων | ὑπεξέδυνε δικτύου πολυτρήτου, vv.3–4), der große wird gefangen und aufs Boot gezogen (ὁ μέγας δ’ ἀγρευθεὶς εἰς τὸ πλοῖον ἡπλώθη, v.5). Die beiden Akteure werden asymmetrisch hervorgehoben: der kleine Fisch durch die Konstruktion mit vorgelagertem Genetiv (τῶν δ’ ἰχθύων ὁ λεπτὸς, v.3), der große Fisch durch die exponierte Stellung am Versanfang sowie die Auflösung im ersten Versfuß (ὁ μέγας δ’, v.5).370 Die Bezeichnung von nur zwei Akteuren ist bemerkenswert: Das Netz ist voller Fische, trotzdem wird nur vom Schicksal jeweils eines Fisches berichtet. Diese Kollektivierung des Fischschwarms bzw. die Reduzierung desselben auf zwei Einzelakteure, die zum Teil als Fehler des Autors aufgefasst wurde, hebt den Fokus auf die Dichotomie ‚klein‘ gegen

365 So in Lib. decl. 30,1,24; Clem. epist. 74; Phryn. s. v. παροψίδες; Greg.Nyss. epist. 20,20. Grundsätzlich bezeichnet der Begriff ὄψον eine Art Zukost, die zu Brot und Wein gegessen wurde. In der Region um Athen war damit ein Fischgericht gemeint, wodurch sich die Bedeutung zu ‚Fisch‘ bzw. im Falle dieser Fabel zu einer kollektiven Bezeichnung für mehrere Fische wandelte, vgl. dazu Plut. mor. 667E–F. Der Begriff wird neben Babr. 4 noch in Babr. 9,2 (vgl. Kap. 6.12) verwendet. 366 Vgl. dazu Kap. 6.9. 367 Vgl. Plat. rep. 2,373A; 3,401A; Xen. mem. 3,8,10. 368 Vgl. Isokr. or. 5,27; Dion.Hal. comp. 11; Plat. leg. 812D, dort unmittelbar im musischen Kontext: τὴν δ’ ἑτεροφωνίαν καὶ ποικιλίαν τῆς λύρας [die Vielfalt der Lyra in Tonhöhe und Klangfarbe]. 369 Vgl. hierzu eine Passage in Platons Politeia (3,401A), in der über Anmut in den bildenden Künsten gesprochen wird und die lexikalische Parallelen zur vorliegenden Fabel aufweist: Ἔστιν δέ γέ που πλήρης μὲν γραφικὴ αὐτῶν καὶ πᾶσα ἡ τοιαύτη δημιουργία, πλήρης δὲ ὑφαντικὴ καὶ ποικιλία καὶ οἰκοδομία καὶ πᾶσα αὖ ἡ τῶν ἄλλων σκευῶν ἐργασία, ἔτι δὲ ἡ τῶν σωμάτων φύσις καὶ ἡ τῶν ἄλλων φυτῶν· ἐν πᾶσι γὰρ τούτοις ἔνεστιν εὐσχημοσύνη ἢ ἀσχημοσύνη [Denn die Malerei und jegliche derartige Handwerkskunst ist voll von ihnen, auch die Webkunst, die Stickerei, die Baukunst und jegliche Herstellung anderer Haushaltsgegenstände, dazu noch die natürliche Gestalt aller Körper und Pflanzen: Denn in all diesen liegen Anmut oder Plumpheit]. 370 Eine parallele Struktur lässt sich ebenfalls im folgenden Gedicht, Babr. 5, finden; vgl. dazu Kap. 6.8.

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‚groß‘ (ὁ λεπτὸς […] ὁ μέγας δὲ)371 hervor, wobei δὲ (wie in der Kombination μέν – δέ) diese Gegenüberstellung unterstreicht. Zudem lenkt die Fremdartigkeit des Ausdrucks die Aufmerkamkeit auf das Objekt.372 Auch hier sind die einzelnen Charakterisierungen bedeutsam: Während der größere der beiden Fische als ὁ μέγας (v.5) bezeichnet wird, ist der kleine entgegen der Erwartung nicht ὁ μικρός, sondern ὁ λεπτός (v.3). Nachdem die ποικιλία bereits auf eine mögliche poetologische Deutung des Gedicht hinweist, folgt mit dem Adjektiv λεπτός ein Begriff, der in der antiken Literatur wie kein anderer in poetologischem Sinne verwendet wurde und Assoziationen mit der alexandrinischen Dichtungsprogrammatik he­rausfordert;373 den primären Bezugspunkt liefert dabei Kallimachos’ Aitienprolog.374 Die bei Kallimachos proklamierte Zartheit und Feinheit der Dichtung als Ideal wurde fester Bestandteil der antiken poetologischen Metaphorik375 und war auch in der Fabeldichtung geläufig, wie Phaedrus beweist.376 Die Beschreibung eines der beiden Fische mit einem Adjektiv, das generisch für Aussagen über Dichtung zum Einsatz kommt, lädt diesen poetologisch auf, was eine Deutung auf einer abstrakteren Ebene, die über die offenkundig-textimmanente Handlung hinausgeht, motiviert. Diese Bedeutung wird weiter dadurch unterstrichen, dass ὁ λεπτός in v.3 – sofern man das Epimythion nicht beachtet – genau im Zentrum des Gedichts steht, sowohl in der Mitte von v.3 als auch in der Mitte der fünf Verse der szenischen Handlung, was den Begriff zusätzlich betont.377

371 Nøjgaards Bezeichnung dieser Ausdrücke als „poétismes“ (1967, 342), die mehr der Ästhetik des Gedichts als der Narration dienen, scheint mir hier nicht den Kern der Sache zu treffen, zumal den Begriffen, wie ich meine, sowohl erzähltechnische als auch poetologische Funktion zukommt. 372 Vgl. Nøjgaard 1967, 342. Strukturelle Entsprechungen findet die Konstruktion in der darauffolgenden Fabel Babr. 5 (vgl. Kap. 6.8). 373 Zum poetologischen Gehalt der Feinheit, insbesondere in den Mythiamboi vgl. Kap. 4.3. 374 Dort heißt es (Kall. fr. 1,21–24 Pf.): καὶ γὰρ ὅτε πρώτιστον ἐμοῖς ἐπὶ δέλτον ἔθηκα | γούνασιν, Ἀ[πό] λλων εἶπεν ὅ μοι Λύκιος· | […] ἀοιδέ, τὸ μὲν θύος ὅττι πάχιστον | [θρέψαι, τὴ]ν Μοῦσαν δ’ ὠγαθὲ λεπταλέην· [Denn als ich zum ersten Mal eine Schreibtafel auf meine Knie legte, da sagte mir Apollon Lykios Folgendes: […] Sänger, das Opfer möglichst fett, die Muse aber, mein Bester, zart]; vgl. dazu Asper 1997; Asper 2004. 375 Vgl. auch Catulls Werk, wo der äquivalente lateinische Begriff lepidus des Öfteren in poetologisch konnotierten Passagen auftritt. In Gedicht 1 nennt der Autor seine Gedichtsammlung ein lepidum nouum libellum (1,1), wodurch dieses als fein, neu und klein charakterisiert wird. In Gedicht 6 bittet Catull den Adressaten darum, ihm seine Liebschaften zu erzählen, sofern sie nicht illepidae atque inelegantes (6,2) sind, weil er diesen und seine liebschaften ad caelum lepido uocare uersu (6,17) möchte. Schließlich taucht der Begriff noch in Gedicht 36 auf, das generell als programmatische Aussage gegen die Großform des Epos nach Vorbild des Ennius gedeutet wird; vgl. Morgan 1980, 59; 64–67. Der Dichter bemerkt, dass seine puella den Göttern geschworen hat, Werke zu verbrennen, die Catull durch die cacata carta (36,1) des Volusius substituieren würde. Das Mädchen schwört dabei iocose und lepide (36,10). Der Dichter betet zu Venus und beschwört sie, den Wunsch zu erfüllen, si non illepidum neque inuenustum est (36,17), bevor er die cacata charta des Volusius aufgrund ihrer Geschmacklosigkeit nochmals schwer beschimpft. 376 Vgl. Phaedr. 4,2,1–2; vgl. dazu Kap. 6.9, Anm. 463. 377 Das Motiv der Feinheit spielt auch in anderen Fabeln eine Rolle, unter anderem in Babr. 6 (vgl. Kap. 6.9), 10 (vgl. Kap. 6.13) und 13 (vgl. Kap. 6.16); zu seiner poetologischen Bedeutung in den

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Folgt man zunächst dem Handlungsverlauf, so erfährt man, dass der kleine Fisch dem Gefangenwerden dadurch entgeht, dass er durch die groben Maschen des Netzes in die Tiefe entkommt (ὑπεξέδυνε, v.4).378 Das Netz, an sich bereits Teil der poetologischen Bildsprache,379 wird dabei als δίκτυον πολύτρητον (v.4) bezeichnet. Innerhalb des Gedichts wird bei der Beschreibung desselben Netzes auffällig zwischen σαγήνη und δίκτυον unterschieden. Im Vergleich dazu werden in Babr.  9, in dem ebenfalls Netze eine Rolle spielen, mit den zwei Bezeichnungen unterschiedliche Netzarten definiert: δίκτυον bezeichnet dabei kleinere und feinere Netze, speziell dann, wenn der Fokus auf einzelnen Elementen – in diesem Fall auf den Löchern bzw. Maschen – liegen soll, im Unterschied zum Schleppnetz, das repräsentativ für die Gesamtheit des Fischens mit Netzen steht.380 Die Beschreibung des Netzes als πολύτρητος (‚viellöchrig‘) fällt in diesem Kontext ebenfalls ins Auge: Das Adjektiv bezeichnet gemeinhin Gegenstände wie etwa der Flöte381 oder die Honigwabe.382 Beide Begriffe können in der antiken Bildsprache für musische Produktion stehen und finden in dieser Funktion auch in Babrios’ Werk Anwendung, die Flöte in der bereits erwähnten Fabel Babr. 9, in der der Fischer zum Flötenspieler wird, die Honigwabe hingegen im programmatischen ersten Prolog als Sinnbild für Babrios’ Dichtung an sich.383 So lädt πολύτρητος das Netz, das für sich genommen bereits als poetologische Metapher existiert, noch zusätzlich auf. Diese Instrumentalisierung des Netzes setzt sich in anderen Fabeln der Sammlung fort.384 Zudem könnte das Netz neben den Bezügen zu anderen Fabeln und zum ersten Prolog auch auf den zweiten Prolog anspielen: Mit einer poetologischen Metapher wird dort die Dichtung der Mythiamboi als γρῖφοι bezeichnet, was übertragen verrätselte und komplexe Gedichte bezeichnen kann, grundsätzlich allerdings ‚Fischernetze‘ bedeutet.385 Auch dies weist darauf hin, dass das Netz in Babr. 4 sowie in anderen Fabeln als Sinnbild für die Dichtung gedeutet werden kann. Als Akteur der zweiten Reactio wird in v.5 der große Fisch (ὁ μέγας δ’) eingeführt. Er handelt im Gegensatz zum erfolgreichen kleinen Fisch niemals aktiv, sondern bleibt stets Opfer der Erzählung, wie die Passivformen ἀγρευθεὶς bzw. ἡπλώθη in v.5 belegen,

Mythiamboi vgl. Kap. 4.3. Eine lexikalische Verbindung könnte darüber hinaus zu Babr. 5,3 (vgl. Kap. 6.8) bestehen, wo der unterlegene Hahn als ὁ λειφθείς bezeichnet wird. 378 Dabei handelt es sich um einen Terminus technicus des Fischfangs, der in dieser Form etwa auch in Opp. hal. 3,384; 3,594 belegt ist. Eine vollständige Übersicht zur Fischfangterminologie und den Parallelen mit Oppian findet sich in Luzzatto 1975a, 46–47. 379 Vgl. Nünlist 1998, 110–116; zum poetologischen Gehalt des Netzes in den Mythiamboi vgl. Kap. 4.3. 380 Vgl. Rutherford (1883, 10), der δίκτυον als das „generic word“ bezeichnet; zur Verwendung der Begriffe in Babr. 9 vgl. Kap. 6.12. 381 Vgl. Anth.Gr. 9,266,1 (Antipatros); Or.Sib. 8,115. 382 Vgl. Anth.Gr. 9,363,15 (Meleagros). 383 Vgl. Kap. 6.12 zu Babr. 9 sowie Kap. 6.2 zu Babr. 1 prol. 384 Vgl. hierzu neben Babr. 4 auch Babr. 9 (Kap. 6.12) und 13 (Kap. 6.16); vgl. Kap. 4.3. 385 Zu Babr. 2 prol. vgl. Kap. 6.3.

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und erliegt noch im selben Vers seinem Schicksal, wodurch die Handlung der Fabel beschlossen wird. Im Epimythion in den vv.6–8 folgt ein distanzierter Kommentar des Erzählers, der die Vorzüge und die Gefahrlosigkeit der Kleinheit hervorhebt. Es bestehen in diesem Fall keine konkreten Argumente, die dagegensprechen, die betreffenden Verse in den Text aufzunehmen.386 Zudem lässt sich eine inhaltliche Kontinuität zwischen dem Epimythion und dem Rest der Fabel feststellen: Der Gegensatz groß – klein/fein aus der szenischen Handlung wird im Epimythion wieder aufgegriffen, wobei das Gegensatzpaar λεπτός (v.3)  – μέγας (v.5) durch μικρός (v.7) und μέγας (v.7) ersetzt wird. Angesichts dieser Variation tritt λεπτός noch deutlicher als ungewöhnliche und damit bedeutsame Formulierung hervor. Durch das Epimythion wird eine gesellschaftliche bzw. soziale Deutung nahegelegt:387 ὁ μικρός und ὁ μέγας stehen hierbei für den gesellschaftlich unbedeutenden bzw. den einflussreichen Bürger, im weitesten Sinne also für den ‚kleinen Mann‘ gegen den Mächtigen. Das Urteil des Erzählers fällt zugunsten des Schwächeren aus, er streicht die Nachteile des Stärkeren, die Unmöglichkeit (σπανίως, v.8; Auflösung im ersten Versfuß), durch die eigene Anonymität Gefahren zu entkommen, heraus. Dass eine solche Deutung grundsätzlich überzeugt, leuchtet ein. Überdies deutet die zahlreichen poetologisch konnotierten Begriffe (ποικίλου in v.2; λεπτός in v.3; δικτύου πολυτρήτου in v.4) jedoch darauf hin, dass Babr. 4 auf einer abstrakten Ebene eine Aussage über die Dichtung beinhaltet. Insbesondere in Verbindung mit den anderen Fischerfabeln, die ähnliche poetologische Tendenzen aufweisen, erhält eine solche Deutung Gewicht.388 Sofern man den Schluss der Fabel als echt ansieht, könnten die vv.7–8 als Kommentar dazu verstanden werden, dass großen und umfangreichen Werken oftmals ein schnelles Dasein in der Vergessenheit der Nachwelt beschieden ist.389 τῇ δόξῃ in v.7 sowie κινδύνου in v.8 würden diese Deutung untermauern: Während κινδύνου dann den Zustand der Vergessenheit meint, bezieht sich τῇ δόξῃ auf die öffentliche Meinung über ein Werk. In diesem Sinne würden die Aussagen in Babr. 4 an gängige poetologische Diskurse, insbesondere der hellenistischen390

386 Vgl. Nøjgaard (1967, 314), der in der Tatsache, dass das Wertesystem der Fabel ohne das Epimy­ thion nicht zu erkennen wäre, den Beweis dafür sieht, dass es für das Gesamtverständnis notwendig ist; bezieht man allerdings die bereits angeführten sprachlichen Bilder in die Bewertung mit ein, bestätigt sich dieser Eindruck nicht zwingend. 387 Zur Anrede an den Leser im Epimythion vgl. Kap. 4.1. 388 Vgl. dazu Kap. 6.9, Kap. 6.12 sowie Spielhofer 2022b. 389 Peter Kuhlmann und Johannes Park, die mich auf diesen Aspekt aufmerksam gemacht haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. 390 Vgl. etwa die bekannte Szene in Kallimachos’ Apollonhymnos (h. 2,108–112), in der sich Apoll und der Neid darüber unterhalten, wie viel ein Dichter dichten soll und Apoll bemerkt: „Ἀσσυρίου ποταμοῖο μέγας ῥόος, ἀλλὰ τὰ πολλά | λύματα γῆς καὶ πολλὸν ἐφ’ ὕδατι συρφετὸν ἕλκει. | [110] Δηοῖ δ’ οὐκ ἀπὸ παντὸς ὕδωρ φορέουσι μέλισσαι, | ἀλλ’ ἥτις καθαρή τε καὶ ἀχράαντος ἀνέρπει | πίδακος ἐξ ἱερῆς ὀλίγη λιβὰς ἄκρον ἄωτον“ [„Der Strom des assyrischen Flusses ist groß, aber viel Schlamm der Erde und und viel Schmutz führt er auf seinem Wasser. [110] Die Bienen bringen Deo nicht

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und neoterischen Dichtung,391 anschließen, die der Kleinform den Vorzug gegenüber der Großform geben. Durch das die Fabel beschließende ἴδοις ἂν in v.8 wird der Leser direkt adressiert und in diesen Diskurs miteingebunden. 4) Parallelen Zu Babr. 4 finden sich keine direkten parallelen Bearbeitungen. Das Motiv, groß und klein einander gegenüberzustellen, wird jedoch sowohl in den Mythiamboi als auch in anderen Fabelsammlungen aufgegriffen: So illustriert Babr. 6, eine weitere Fischerfabel, diesen Gegensatz und führt die Aussage in Babr.  4 fort, wenn der Fisch dort für seine Freilassung mit seiner Kleinheit argumentiert, der Fischer ihn aber trotzdem fängt und tötet.392 Eine motivische Parallele findet sich darüber hinaus in einer Fabel der Collectio Augustana,393 in der eine Hirschkuh sich mit der Pracht ihres Geweihs394 (μέγεθος; ποικιλία) brüstet, sich allerdings der Zartheit (λεπτοῖς) ihrer Beine schämt. Als sie von einem Löwen gejagt wird, ist sie dank ihrer flinken Beine in der Lage, ihren Verfolger auf offener Ebene abzuhängen. In waldigem Gebiet fängt dieser sie jedoch, da ihr Ge-

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Wasser von jedem (Fluss), sondern nur den kleinen Strom, der rein und klar hervorspringt aus heiliger Quelle, das Höchste und Beste“]. Vgl. z. B. Catulls Kritik an den Annales des Volusius, die er als cacata carta (36,1; 36,20) bezeichnet und dem Feuer übergeben möchte und denen er in Catull. 95 voraussagt, sie würden dem Ruhm des Epyllions des Cinna niemals gleichkommen. Catull bedient sich hier des Bildes des langsamen, schlammigen Flusses für das große Epos im Unterschied zum schmalen, flinken Fluss, der für die neoterisch-kallimacheische Dichtung steht; vgl. Morgan 1980, 66–67. Zu Babr. 6 vgl. Kap. 6.9. Aisop. 74 P.: ἔλαφος δίψῃ συσχεθεῖσα παρεγένετο ἐπί τινα πηγήν. πιοῦσα δὲ, ὡς ἐθεάσατο τὴν ἑαυτῆς σκιὰν κατὰ τοῦ ὕδατος, ἐπὶ μὲν τοῖς κέρασιν ἠγάλλετο ὁρῶσα τὸ μέγεθος καὶ τὴν ποικιλίαν, ἐπὶ δὲ τοῖς ποσὶ σφόδρα ἤχθετο ὡς λεπτοῖς οὖσι καὶ ἀσθενέσιν. ἔτι δὲ αὐτῆς διανοουμένης λέων ἐπιφανεὶς ἐδίωκεν αὐτήν. κἀκείνη εἰς φυγὴν τραπεῖσα κατὰ πολὺ αὐτοῦ προεῖχεν. μέχρι μὲν οὖν ψιλὸν ἦν τὸ πεδίον, ἡ μὲν προθέουσα διεσῴζετο, ἐπειδὴ δὲ ἐγένετο κατά τινα ὑλώδη τόπον, τηνικαῦτα συνέβη, τῶν κεράτων αὐτῆς ἐμπλακέντων τοῖς κλάδοις, μὴ δυναμένην τρέχειν συλληφθῆναι. μέλλουσα δὲ ἀναιρεῖσθαι ἔφη πρὸς ἑαυτήν „δειλαία ἔγωγε, ἥτις ὑφ’ ὧν μὲν ᾠόμην προδοθήσεσθαι, ὑπὸ τούτων ἐσῳζόμην, οἷς δὲ καὶ σφόδρα ἐπεποίθειν, ὑπὸ τούτων ἀπωλόμην.“ Οὕτω πολλάκις ἐν κινδύνοις οἱ μὲν ὕποπτοι τῶν φίλων σωτῆρες ἐγένοντο, οἱ δὲ σφόδρα ἐμπιστευθέντες προδόται [Eine Hirschkuh, die von Durst geplagt wurde, gelangte zu einer Quelle. Als sie nun trank und ihren eigenen Schatten im Wasser betrachtete, da war sie zwar voll Freude und Stolz über ihr Geweih, als sie dessen Größe und Feinheit sah, sie war aber auch sehr betrübt über ihre Füße, weil sie ja zart und schwach seien. Als sie nun so nachdachte, tauchte ein Löwe auf und verfolgte sie. Und jene wandte sich zur Flucht und war diesem weit voraus. Solange nun die Ebene offen war, konnte sie sich retten, indem sie fortlief, als sie aber zu einem bewaldeten Gebiet gelangte, da ereignete es sich, dass sie, da sich ihr Geweih in den Ästen verheddert hatte, nicht mehr weiterlaufen konnte und gefasst wurde. Als sie kurz vor dem Tode stand, sagte sie zu sich selbst: „Armselig bin ich, die ich von dem gerettet wurde, von dem ich im Stich gelassen zu werden glaubte, aber von dem dahingerafft wurde, auf das ich mich völlig verlassen habe.“ So werden in Gefahrensituationen häufig die Freunde, denen man nicht vollkommen traut, zu Rettern, die hingegen, denen man sehr vertraut, zu Verrätern]. Ob es sich bei dieser Darstellung um einen Fehler des Autors handelt oder ob die Protagonistin zu einer der Wildtierarten zählt, bei denen auch weibliche Tiere ein Geweih tragen, sei dahingestellt.

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weih im Geäst hängen bleibt. So wird ihr die Eigenschaft, auf die sie stolz ist, zum Verhängnis. Inhaltlich gesehen werden hier dieselben Themen behandelt, und sprachlich sind Parallelen erkennbar, etwa bei identischen Charakterisierungen. Im Unterschied zu Aisop. 74 P. werden die zu vergleichenden Eigenschaften in Babr. 4 auf zwei verschiedene Akteure, den kleinen und den großen Fisch, aufgeteilt. Dadurch wird der Gegensatz beider Positionen stärker hervorgehoben – in der babrianischen Fabel es ist nicht möglich, gleichzeitig das eine und das andere zu sein; die beiden Figuren stellen komplementäre Konzepte dar. 5) Gesamtbetrachtung Mit Babr. 4 wird dem Leser ein neues und für Fabeln durchaus ungewöhnliches Themengebiet, der Fischfang, eröffnet.395 Darüber hinaus zeigt sich der innovative Charakter des Gedichts insbesondere in der Verbindung dieses Themas mit der bereits aus anderen Fabeln bekannten Dichotomie von Größe und Klein/Feinheit – ein babrianisches Unikum. Neben einer plausiblen sozialkritischen Deutung eröffnet sich in dieser Fabel durch die Motivik sowie durch die gewählte Metaphorik meines Erachtens eine weitere, poetologische Deutungsebene, auf der die Fische die Dichtung bzw. den poetischen Erfolg für die Dichtung repräsentieren. Die poetologische Aufladung vor allem des kleinen bzw. zarten Fischs durch derart konnotierte Adjektive kontextualisiert dessen Erfolg – im Gegensatz zum Misserfolg des großen Fischs – vor dem Hintergrund gängiger antiker Diskurse über die Vorzüge und Schwachstellen der poetischen Klein- bzw. Großform, also des Produkts der Dichtung, über die der Autor mit diesem Bild also implizit einen Kommentar abgeben mag. In Fortsetzung dessen wird die (poetologische) Rolle des Fischers, der hier nur am Rande tätig ist, in den kommenden Fabeln eingehend thematisiert.396 So etabliert Babr. 4 eine textübergreifende poetologische Motivik, die sich auch in den nachfolgenden (Fischer-)Fabeln fortsetzt. 6.8 Babr. 5 Ἀλεκτορίσκων ἦν μάχη Ταναγραίων, οἷς θυμὸν εἶναί φασιν οἷον ἀνθρώποις. τούτων ὁ λειφθείς (τραυμάτων γὰρ ἦν πλήρης) ἐκρύπτετ’ οἴκου γωνίην ὑπ’ αἰσχύνης· ὁ δ’ ἄλλος εὐθὺς εἰς τὸ δῶμα πηδήσας 5

395 Zwar behandeln zwei Fabeln der Collectio Augustana das Thema Fische, Fischer oder den Fischfang – Aisop. 13 P. und Aisop. 18 P. –, bei Phaedrus finden sich jedoch keine Parallelen und bei Avian lediglich Avian. 20, eine Fabel, die grundlegend auf Babr. 6 basiert; vgl. dazu Kap. 6.9. 396 Vgl. dazu Kap. 6.9 sowie 6.12.

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ἐπικροτῶν τε τοῖς πτεροῖς ἐκεκράγει. καὶ τὸν μὲν αἰετός τις ἐκ στέγους ἄρας ἀπῆλθ’· ὁ δ’ ἄλλος ἀμφέβαινε θηλείαις, ἀμείνονα σχὼν τἀπίχειρα τῆς ἥττης. [ἄνθρωπε, καὶ σὺ μη ποτ’ ἴσθι καυχήμων ἄλλου σε πλεῖον τῆς τύχης ἐπαιρούσης· πολλοὺς ἔσωσε καὶ τὸ μὴ καλῶς πράσσειν.]

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Ein Kampf fand statt zwischen tanagräischen Hähnen, die, so sagt man, ein Gemüt wie Menschen besitzen. Von ihnen versteckte sich derjenige, der unterlag, (denn von Wunden war er voll) vor Scham im Winkel eines Hauses; [5] der andere aber sprang sogleich auf den Dachfirst, flatterte mit seinen Flügeln und krähte laut. Und den hob dann ein Adler vom Dach und flog davon: Der andere aber schritt schützend um seine Weibchen, wobei er für seine Unterlegenheit am Ende die bessere Belohnung erhielt. [10] [Mensch, sei auch du niemals überheblich, wenn das Schicksal dich mehr als einen anderen emporhebt: Viele hat auch gerettet, dass sie nicht erfolgreich waren.]

1) Gliederung vv.1–2 Exposition – Zwei menschenähnliche Hähne kämpfen miteinander. vv.3–4 Actio a) – Der unterlegene Hahn zieht sich in die Ecke eines Hauses zurück. vv.5–6 Actio b) – Der Gewinner setzt sich auf den Giebel und kräht lautstark. vv.7–8a Reactio a) – Ein Adler erbeutet den krähenden Hahn. vv.8b–9 Reactio b) – Der Unterlegene geht als eigentlicher Gewinner hervor und bekommt Zugang zu allen Hennen. vv.10–12 (Vermutlich unechtes) Epimythion – Ein Mensch soll sich nicht zu sehr seines Glückes rühmen; zu verlieren bedeutet manchmal auch zu gewinnen. 2) Kommentar v.1  Ἀ λεκτορίσκων: Diminutiv zu ἀλέκτωρ. Neben Babrios auch in der Suda397 belegt.398 v.3  ὁ λειφθείς: Partizip Aorist passiv des Verbs λείπω, hier in der Bedeutung ‚unterliegen‘ ähnlich den Verben ἐλαττοῦσθαι oder ἡττᾶσθαι.399 v.3  τραυμάτων […] πλήρης: Zu diesem typischen Versschluss mit vorangestelltem Genetiv vgl. Kap. 2.3, Anm. 156 sowie Kap. 3.

397 Suda s. v. Ταναγραῖοι ἀλεκτορίσκοι. 398 Bei Babrios selbst findet sich der Begriff noch in Babr. 97,9 und 124,12. 399 So etwa in Hdt. 1,99; 7,8; 7,86; vgl. dazu LSJ s. v. λείπω III 3.

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v.4  ἐκρύπτετ’ οἴκου γωνίην ὑπ’ αἰσχύνης: In den Handschriften ist ἐκρύπτετ’ οἴκου γωνίην (A) bzw. ἐκρυπρετοῖκον γονίην (G) überliefert.400 Das präpositionslose Akkusativobjekt in Abhängigkeit von κρύπτομαι ist nur schwer zu erklären, man hat dahinter den Ausdruck eines Verbs der Bewegung (‚laufen und sich verstecken‘), auf das regulär reiner Akkusativ folgt, oder die nachklassische Tendenz des Akkusativs, Funktionen anderer Fälle und Präpositionalausdrücke zu übernehmen, vermutet.401 Als Konjekturen wurden ἐκρύπτετ’ bzw. ἐκρύβετ’ ,402 ἔκρυπτ’ 403 sowie ἔκυπτ’ 404 vorgeschlagen. Vaio tendiert zu letzterer, zeigt sich jedoch nicht restlos überzeugt.405 Hier wurde die von Ahrens vorgeschlagene und von Luzzatto/La Penna übernommene Konjektur ἐκρύπτετ’ 406 beibehalten – mit dem Vorbehalt, dass die Präposition ἐς nach Ursing ausfallen könnte. v.5 ὁ δ’ ἄλλος: Anstelle des klassischen ὁ δ’ ἕτερος.407 v.9 τἀπίχειρα: = τὰ ἐπίχειρα. vv.10–12  ἄνθρωπε […] πράσσειν: Es ist unsicher, ob dieses Epimythion, eines der wenigen in G enthaltenen Epimythien,408 authentisch ist. In A wird es durch Kreuze vom restlichen Gedicht abgesetzt.409 Luzzatto/La Penna und Holzberg führen es im Text an;410 Rutherford, Crusius und Perry hingegen athetieren es vollständig.411 Hier lässt sich keine eindeutige Lösung finden, auch wenn die folgende Interpretation der Fabel eher gegen die Authentizität des Epimythions spricht. Parallelen: Aisop. 20 Ch. (T); Aphth. 12; Babr. 4; Syntipas 7

400 Vgl. Vaio 2001, 20. 401 Vgl. Ursing 1930, 87. Ein solcher archaischer Akkusativ ist in der Dichtung geläufig, so in Hom. Il. 1,322; 10,195; vgl. Kühner/Gerth 1898, 311–312, § 410, 4; Schwyzer/Debrunner 1950, 67–68. 402 Beide von Ahrens (1845, 30) vorgeschlagen. 403 Vgl. Bergk 1868, 224. 404 Sowohl von Ahrens (1845, 30) als auch von Haupt in Lachmann 1845, 4, vorgeschlagen. 405 Vgl. Vaio 2001, 21. Bei Annahme des Verbs κύπτω (‚sich hinabbeugen, den Kopf hängen lassen‘) würde der Aspekt der Bewegung verloren gehen, was die Präposition ἐς überflüssig macht. 406 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 7; Vaio (2001, 21) lehnt diese Lesart ab, da der so entstehende Anapäst an dieser Stelle im Vers ungewöhnlich wäre. Meines Erachtens wäre dies jedoch dem inhaltlichen Verlust, der aus Vaios Streichung resultieren würde, vorzuziehen, zumal der babrianische Choliambos den Vorgaben der klassischen Metrik weniger streng folgt. 407 Vgl. Rutherford 1883, 10. 408 Vgl. Husselman 1935, 111. 409 Zur Frage der Echtheit der Epimythien in den Kodizes vgl. Kap. 2.2. 410 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 7–8; Holzberg 2019, 56. 411 Vgl. Rutherford 1883, 10; Crusius 1897, 14; Perry 1965, 10.

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Kommentar

3) Analyse Ähnlich den vermeintlichen Idyllen von Babr. 2 und 3 spielt die vorliegende Fabel in der ländlich-bäuerlichen Welt,412 die auch in den folgenden Fabeln als Ort der Handlung dient.413 Das Gedicht weist eine annähernd distichische Bauweise auf, die Exposition (vv.1–2) sowie beide Actiones werden in jeweils zwei Versen wiedergegeben (vv.3–4 bzw. 5–6); lediglich die beiden Reactiones der Fabel folgen nicht diesem Schema, sie kommen gemeinsam auf drei Verse (vv.7–8a bzw. 8b–9). Das abschließende Epimythion umfasst ebenfalls drei Verse (vv.10–12). Vv.1–2 führen in die Handlung ein – es findet ein Kampf zwischen zwei Hähnen (Ἀλεκτορίσκων, v.1) statt, die prominent an der ersten Stelle im Vers stehen.414 Sie werden als Ταναγραίων (v.1) – also der böotischen Stadt Tanagra zugehörig – beschrieben, ein Ausdruck, der sie als starke415 und streitsame Tiere kennzeichnet.416 Ihre Auseinandersetzung ist auch auf der Textebene erkennbar: Durch ein Hyperbaton werden Ἀλεκτορίσκων und Ταναγραίων an die Enden des Verses gerückt, der Kampf (μάχη, v.1) nimmt die Mittelposition ein und stellt die Hähne nicht nur inhaltlich sondern auch syntaktisch gegenüber. Durch einen Relativsatz in v.2, eingeleitet durch οἷς, wird dargelegt, dass diese Vögel in ihrem θυμός den Menschen sehr ähnlich seien. Neben des in der antiken Literatur verbreiteten Motivs der kampflustigen tanagräischen Hähne ist diese Aussage vor allem im Kontext der Gattung Fabel relevant, wo oftmals davon ausgegangen wird, dass Tiere menschliche Züge tragen.417 Ein Leser könnte die Vermenschlichung also konret auf die genannte Hühnerart, darüber hinaus aber auch auf Tiere im Allgemeinen beziehen – dann handelt es sich um einen Kommentar zur anthropomorphisierenden

412 413 414 415

Zu Babr. 2 vgl. Kap. 6.5; zu Babr. 3 vgl. Kap. 6.6. Vgl. dazu Babr. 11 (Kap. 6.14); 12 (Kap. 6.15); 13 (Kap. 6.16). Hähne bzw. Hühner treten daneben noch in Babr. 17 (vgl. Kap. 6.20), 121 und 123 auf. Der Ausdruck Ταναγραίων φύη sei, so der griechische Lexikograph Hesychios von Alexandria (s. v. Ταναγραίων φυήν [T 118]), ein Ausdruck, um die Ähnlichkeit zu einem gewaltigen Tier auszudrücken: Ταναγραίων φυήν κήτει ὁμοιοτάτην. Ἔφορος λέγει εἶναί τινα ἐν Τανάγρᾳ παχύτατον, ὃς ἐλέγετο Κητεύς. [Von Statur der Tanagräer [bedeutet] einem gewaltigen Tier (Ungeheuer) ähnlich. Ephoros sagt, dass es in Tanagra jemand sehr Korpulenten gibt, der Keteus (‚Ungeheuer‘) genannt wird.] Wie im Eintrag zu erkennen, soll der Geschichtsschreiber Ephoros von Kyme (vgl. fr. 225 [= FGrH 70]) den Begriff auf einen Einwohner von Tanagra zurückgeführt haben, der für seinen starken Körperbau bekannt gewesen sein soll. 416 Die hier genannte Hühnerart, der tanagräische Hahn, wird bei Pausanias (9,22,1; 9,22,4) und Plinius dem Älteren (nat. 10,48) erwähnt. Aus diesen Texten geht hervor, dass es sich um kriegerische und gefürchtete Vögel handelt, die für ihre Wildheit und Kampfbereitschaft bekannt waren. Auch die Suda (s. v. Ταναγραῖοι ἀλεκτορίσκοι) vermerkt über tanagräische Hähne, dass sie μαχηταὶ καὶ θυμικοί, ὡς ἄνθρωποι [kampfwütig und tapfer wie Menschen] seien. Vgl. überdies Nøjgaard (1967, 258), der diese Zuschreibung als Versuch des Autors versteht, die Fabel mittels Lokalkolorits individueller zu gestalten. 417 Das menschliche Verhalten babrianischer Tiere wird bereits in 1 prol.,6–9 (Kap. 6.2) thematisiert.

Babr. 5

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Typisierung der Tiere in der Fabel;418 dass dies jedoch nicht immer der Fall ist und Tiere in der Fabel sehr wohl ‚ganz Tier‘ sein können, zeigen andere Beispiele.419 Ferner illustriert dies die psychologisierende Darstellung, die darauf basiert, dass tierische Figuren einerseits die ihrer Art eigenen Charakteristika beibehalten, andererseits jedoch den Regeln der menschlichen Gedankenwelt unterworfen sind; sie denken und verhalten sich gleichzeitig wie Menschen und Tiere.420 Unerwähnt bleibt in der Fabelexposition der Grund für den Kampf der beiden Häh­ ne.421 Die eigentliche Handlung der Fabel setzt erst nach dem Kampf ein und behandelt die Reaktion beider Seiten auf dessen Ausgang. Dabei beschreiben die vv.3–4 zunächst den Unterlegenen (ὁ λειφθείς, v.3): Voller Wunden (τραυμάτων γὰρ ἦν πλήρης, v.3) versteckt er sich nach seiner Niederlage aus Scham (ὑπ’ αἰσχύνης, v.4) im letzten Winkel eines Hauses.422 Bereits hier fällt auf, dass die Erzählstruktur in Babr. 5 parallel zur vorhergehenden Fabel, Babr. 4, gestaltet ist: In v.3 wird der erste Akteur mit τούτων ὁ λειφθείς eingeführt, also parallel zu Babr. 4,3, wo der kleinere Fisch, der aus dem Netz entkommt, mit der ungewöhnlichen Formulierung τῶν δ’ ἰχθύων ὁ λεπτὸς bezeichnet wird.423 Doch nicht nur in der Position und der syntaktischen Struktur, auch klanglich könnte die Ähnlichkeit von ὁ λειφθείς und ὁ λεπτὸς eine Parallele suggerieren.424 Nimmt man an, die Sammlung sei in der überlieferten Reihenfolge und mit der Intention einer linearen Lektüre konzipiert,425 könnte ein aufmerksamer Leser die Parallelen in den beiden Fabeln erkannt und dadurch Rückschlüsse auf den Handlungsverlauf in Babr. 5 gezogen bzw. Erwartungen an diesen entwickelt haben. In den folgenden vv.5–6 fällt der Blick nun auf den Sieger des Kampfes: Dieser wird am Beginn von v.5 mit ὁ δ’ ἄλλος eingeführt, er steigt auf den Dachfirst (εἰς τὸ δῶμα πηδήσας, v.5),426 flattert mit seinen Flügeln (ἐπικροτῶν […] τοῖς πτεροῖς, v.6) und kräht lautstark (ἐκεκράγει, v.6). Hier verweist ὁ δ’ ἄλλος am Beginn von v.5 wiederum auf Babr. 4,5, wo der große Fisch

418 Vgl. dazu die Passage bei Ephoros, in der sich dieses Adjektiv auf Menschen mit starkem Körperbau bezieht, was die Frage aufwirft, inwiefern die beiden Hähne Typen von Menschen repräsentieren. 419 Zur ‚Anthropomorphisierung‘ in den Mythiamboi vgl. Kap. 5.4. 420 Vgl. Nøjgaard 1967, 272–273, sowie Kap. 5.3. 421 Eine Antwort hierauf würde die weiter unten behandelte Fabel aus den Dodekasyllabi (Aisop. 20 Ch. [T]) liefern, wo die Hähne sich darum streiten, wer eine Henne in seine Schar aufnehmen darf. 422 Zum Motiv der Vögel, die bei bzw. in Häusern leben, vgl. Babr. 12 (Kap. 6.15) und 17 (Kap. 6.20). 423 Zu Babr. 4 vgl. Kap. 6.7. 424 Eine lexikalische Verbindung besteht ferner in der Wendung τραυμάτων […] πλήρης in v.3, wobei dieser Versschluss in Babr. 4,2 ebenfalls auftritt, dort jedoch auf das Netz voller Fische bezogen. 425 Zur Anordnung der Fabeln vgl. Kap. 3. 426 Obwohl das Wort synonym mit dem vorhergehenden οἶκος (v.4) verwendet wird, wurde hier die Konnotation eines speziellen Teils des Hauses, des Dachfirsts, vorgeschlagen – vgl. dazu auch ἐκ στέγους (v.7). Diese Bedeutung ist vor allem ab der nachklassischen Zeit belegt, so in LXX Dtn 22,8; Mt 24,17; POxy 475,22 – dieser wird ebenfalls auf das zweite Jahrhundert datiert; vgl. LSJ s. v. δῶμα.

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Kommentar

mit ὁ μέγας δ’ bezeichnet wird. In beiden Fabeln folgen die Akteure also in derselben Reihenfolge, derselben Position, einer parallelen Satzstruktur sowie durch lautlich ähnliche Begriffe beschrieben aufeinander. Der unterlegene und der siegreiche Hahn in Babr. 5 entsprechen also dem kleinen und dem großen Fisch in Babr. 4. Der v.6, ἐπικροτῶν τε τοῖς πτεροῖς ἐκεκράγει, ahmt das Gekrächze des Hahns durch die Häufung von Guttural-, Dental- und Labiallauten onomatopoetisch nach. Er trägt einerseits zur Charakterisierung des Siegreichen bei, der dadurch als hochmütig erscheint,427 und setzt durch die lautliche Markierung andererseits einen Akzent, der den Höhepunkt und den pointierten Schluss der Erzählung einleitet. Die Wendung in den vv.7–8a vollzieht sich mit der Ankunft des Adlers428 in aller Kürze und ist für den Leser auf den ersten Blick unerwartet, was durch die Satzstruktur unterstützt wird: καὶ τὸν μὲν am Beginn von v.7 bezeichnet den siegreichen Hahn; dieser ist jedoch nur mehr Objekt. Als dritte handelnde Figur erscheint ein Adler (αἰετός τις, v.7), der diesen, vermutlich vom Lärm angelockt, vom Dach (ἐκ στέγους, v.7) schnappt und fortträgt (ἄρας | ἀπῆλθ’, vv.7–8). Er stellt eine mit dem Deus ex Machina aus der Tragödie vergleichbare Instanz dar,429 in jenem Sinne, dass sein Auftauchen nicht vorhersehbar ist und das Machtverhältnis unerwartet verändert. Nachdem der siegreiche Hahn so sein Ende gefunden hat, ist der schwächere (ὁ δ’ ἄλλος, v.8) letztendlich der Sieger und Anführer der Hühner, er streift um diese herum und beschützt sie (ἀμφέβαινε θηλείαις, v.8).430 Der Handlungsabschnitt, der in v.7 durch die Einführung des Adlers beginnt, verläuft in seiner Struktur genau parallel zu jenem der vv.3–6: Während dort zunächst die schwache Partei (ὁ λειφθείς, v.3), im Anschluss die starke (ὁ δ’ ἄλλος, v.5) angeführt wird, tritt nun der ehemals Stärkere als schwächeres Glied zuerst (τὸν μὲν, v.7), danach der ehemals Schwächere als siegreicher Hahn(ὁ δ’ ἄλλος, v.8) auf. So kehren sich die Rollen der beiden Hähne um, der Sieger wird zum Verlierer, der Verlierer schließ-

427 Vgl. Nøjgaard 1967, 261. 428 Der Adler tritt als Figur auch in Babr. 99, 115 und 137 auf. 429 Der Adler könnte hier als Ausdruck des babrianischen Nemesis-Konzepts annähernd mit der τύχη gleichgesetzt werden; vgl. Nøjgaard 1967, 362. Dies ist insofern relevant, als die Nemesis vor allem in jenen Fabeln präsent ist, die Anklänge an die antike Tragödie erkennen lassen, was den Vergleich mit dem Deus ex Machina durchaus passend erscheinen lässt; zum Nemesis-Konzept in den Mythiamboi vgl. Babr. 7 (Kap. 6.10) sowie 11 (Kap. 6.14). 430 Es stellt sich die Frage nach der genauen Bedeutung von ἀμφέβαινε (v.8). Hierbei dürfte es sich nicht nur um einen Ausdruck für das Paarungsverhalten von Hühnern handeln, wie etwa Perry (1965, 10) und Holzberg (2019, 57) argumentieren. Der Begriff beschreibt das Verhalten, das Tiere zum Schutze ihres Nachwuchses an den Tag legen, vgl. z. B. Eust. Hom. ad Il. 1,54,7–8; 2,12,18; 2,160,10; 4,2,8. In der Epik wurde daraus das Beschützen des Leichnams eines Gefallenen, so in Hom. Il. 14,477; Q. Smyrn. 3,213. Während die sexuelle Konnotation in Hinblick auf die Verspottung des Stärkeren durch den Schwächeren sicherlich mitschwingt, sprechen die Polysemie des Ausdrucks sowie der Objektskasus – Die Bedeutung ‚sich rittlings auf etwas schwingen‘ wird mit Akkusativobjekt konstruiert wird, so in Hom. Od. 5,371; Kall. h. 4,113; die Bedeutung ‚bewachen‘ hingegen durchgehend mit Dativobjekt, wie in ἀμφέβαινε θηλείαις – dafür, dass mit dem Verb vor allem das Beschützen der Hühnerschar gemeint ist.

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lich zum Sieger, was auch durch die syntaktische Gestaltung der Fabel unterstrichen wird. Besonders markant und spöttisch scheint dabei die Benennung des schwächeren Hahns in v.8 mit derselben Formulierung, mit der anfangs der stärkere Hahn eingeführt wurde – ὁ δ’ ἄλλος. Unter diesem Blickwinkel scheint die Konjektur ἀδεῶς für ἄλλος431 in v.8 nicht überzeugend, da so die chiastische Rollenzuordnung und die in der Formulierung bedingte pointierte Zuspitzung verloren ginge.432 V.9 führt den Ausgang der Handlung für den Verlierer näher aus und erfüllt so gewissermaßen die Funktion eines Epimythions. Der Besitz und Schutz der Hennen stellt für den Hahn die Belohnung (τἀπίχειρα, v.9)433 für seine Niederlage (τῆς ἥττης, v.9) dar. Durch die Antithese und das Hyperbaton ἀμείνονα […] τῆς ἥττης in v.9 wird das Paradoxon der gesamten Fabel, die Tatsache, dass der Unterlegene letztendlich zum Überlegenen wird, hervorgehoben. Der Vers ist ferner parallel zu v.1 gebaut und bildet mit diesem eine Art Ringkomposition. Diese innere Abgeschlossenheit spricht dafür, dass das folgende Epimythion, das vor der menschlichen Überheblichkeit warnt, ursprünglich nicht Teil des Gedichts gewesen sein dürfte – zumal dessen Aussage sogar im Widerspruch zur Deutung der Fabel steht: Während zunächst in Anlehnung an Babr. 4 der Gedanke fortgeführt wird, der Schwächere/Kleinere werde schlussendlich doch der Sieger sein, legt das Epimythion in einer moralisierenden Form nahe, sich nicht zu sehr zu erheben, da viele auch durch Schwächen gerettet worden seien.434 4) Parallelen Wie bereits dargelegt, kann Babr. 4 aufgrund ähnlicher Satzstrukturen, der Lexik sowie der inhaltlichen Aussage als Paralleltext zu Babr. 5 gelesen werden.435 Bei linearer Lektüre kann der Leser so bereits Aussagen über die Handlung in Babr. 5 treffen; allerdings liegt hier keine motivische Parallele im Sinne einer vergleichbaren Bearbeitung desselben Stoffes vor. Daneben finden sich Bearbeitungen, die in der Nachfolge der Mythiamboi entstanden sind: eine Fabel aus der Fabelsammlung des Aphthonios v. Antiochia (4. bzw. 5. Jahrhundert),436 eine Fabel aus der Sammlung des Syntipas, deren syrisches Original 431 Vgl. Eberhard 1865; Crusius 1897, 14; Perry 1965, 10; Vaio 2001, 21–22. 432 Dieses Argument deckt sich mit dem Konzept der strukturellen Komik der babrianischen Fabel, die darauf basiert, dass beide Akteure durch strukturell entsprechende Elemente einander gegenübergestellt werden; vgl. Nøjgaard 1967, 304. 433 Hiermit wird die Entlohnung für körperliche Arbeit bezeichnet, die auch für eine Belohnung im Allgemeinen stehen kann, so in Aristoph. Vesp. 581; vgl. die Defintion des Begriffs in der Suda (s. v. Ἐπίχειρα): Ἐπίχειρα· μισθούς, τὰ διὰ τῶν χειρῶν κέρδη. ἀνθ’ ὧν τὰ ἐπίχειρα ἠνέγκαντο ἀλλήλοις πρεπωδέστατα [Ἐπίχειρα: Belohnung/Sold, der Profit, der durch die Hände verdient wird. „wofür sie die Belohnung erhielten, die für sie untereinander am passendsten war“]. 434 Vgl. den Kommentar zu den vv.10–12 (ἄνθρωπε […] πράσσειν); zur Leseranrede vgl. Kap. 4.1. 435 Zu Babr. 4 vgl. Kap. 6.7. 436 Aphth. 12: ΜΥΘΟΣ Ο ΤΩΝ ΑΛΕΚΤΡΥΟΝΩΝ ΜΕΤΡΙΑΖΕΙΝ ΠΑΡΑΙΝΩΝ ΕΝ ΤΟΙΣ ΕΥΤΥΧΗΜΑΣΙ. ἀλεκτρυόνες συμπεσόντες ἀλλήλοις ὡς νόμος εἶχεν ἐμάχοντο. καὶ ὁ μὲν νικηθεὶς

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Kommentar

im elften Jahrhundert ins Griechische übersetzt wurde,437 sowie eine dritte Bearbeitung aus einer byzantinischen Sammlung äsopischer Dodekasyllabi.438 Diese Fabeln behandeln zwar denselben Stoff, sie unterscheiden sich von Babr. 5 jedoch in Länge und Detailreichtum – die ersten beiden Parallelfabeln verkürzen den Stoff stark, die Bearbeitung aus den Dodekasyllabi hingegen erweitert die Babriosfabel um ein Vielfaches. Ferner fehlt die bei Babrios betonte Menschenähnlichkeit in diesen späteren Bearbeitungen. Schließlich sind alle drei Paralleln stark moralisierend, während Babr. 5 angesichts der zweifelhaften Authentizität des Epimythions primär beschreibend und nur sekundär belehrend wirkt. Die Bearbeitungen von Aphthonios und Syntipas fügen anstelle des ausgelassen-humorvollen Schlusses von Babr. 5 moralisierende Epimythia an und die Bearbeitung der Dodekasyllabi bewertet neben einem kurzen Epimythion die Überheblichkeit des siegreichen Hahns durch einen prahlerischen Monolog. Im κλίνῃ ὑποδὺς ἀπεκρύπτετο, ὁ δὲ νενικηκὼς ἐπὶ στέγους ἀρθεὶς ἀνέκραγε μέγιστον τὴν νίκην κατάδηλον ἐξ ᾠδῆς ἐργαζόμενος. καὶ καταπτὰς ἀετὸς τοῦτον ἁρπάζει λαβών. νίκης ἀσφάλεια μετριότης φρονήματος [Fabel von den Hähnen, die lehrt, sich bei Erfolg zu mäßigen. Hähne, die gewaltsam aufeinandertrafen, kämpften, wie das so üblich war. Und der eine versteckte sich nach seiner Niederlage, indem er unter eine Liege kroch, der Sieger aber war auf das Dach geflogen und verkündete laut krähend und für alle hörbar seinen Sieg, indem er ihn in einem Lied darbot. Und da flog ein Adler herab, griff sich diesen und riss ihn davon. Die Sicherheit des Sieges liegt in der Mäßigung des Hochmuts]. 437 Syntipas 7: ΑΛΕΚΤΟΡΕΣ. δύο ἀλέκτορες ἀλλήλοις ἐμάχοντο. καὶ ὁ μὲν εἷς ἡττηθεὶς τόπῳ ἐν παραβύστῳ ἐκρύβη, ὁ δὲ ἕτερος τὴν νίκην ἀράμενος ἐφ’ ὑψηλοῦ τινος ἕστηκε δωματίου τὰ μεγάλα φρυαττόμενος καὶ τῇ νίκῃ ἐγκαυχώμενος, ἕως ἀετὸς καταπτὰς τοῦτον ἐκεῖθεν ἀνήρπασεν. ὁ μῦθος δηλοῖ, ὡς οὐ χρή τινα ἐπ’ εὐτυχίᾳ καὶ δυνάμει μέγα φρονεῖν καὶ ἀφρόνως σοβαρεύεσθαι [Die Hähne. Zwei Hähne kämpften miteinander. Und der eine, der unterlag, versteckte sich in einer Ecke, der andere aber pries seinen Sieg, indem er auf einem hohen Hausdach saß, groß gackerte und umherstolzierte und sich seines Siegs so lange rühmte, bis ein Adler herabflog und diesen von dort fortriss. Die Fabel zeigt, dass sich niemand wegen Erfolg und Macht viel auf sich einbilden und sich törichterweise aufgeblasen geben darf]. 438 Aisop. 20 Ch. (T): Μαχομένων δέ ποτε τῶν ἀλεκτόρων | διὰ τὴν ὄρνιν τὸ τίς αὐτὴν ἐγγήμῃ, | ὁ εἷς ἡττηθεὶς ἐκρύπτετ’ ἐν γωνίᾳ, | ὡς δειλιάσας καὶ εἰς τροπὴν χωρήσας. | [5] Ὁ δὲ ἕτερος σφοδρῶς μέγα κοκκύσας | ἀνεπέτασεν ἐπάνω τῶν δωμάτων, | ὡς τροπαιοῦχος κατὰ τοῦ πολεμίου, | φωνῶν· „Ἥττησα τὸν ἴδιον ἐχθρόν μου | τροπωσάμενος ἀντίπαλον εἰς κράτος.“ | [10] Ὡς οὖν ἐβόα τοιαῦτα ὁ ἀλέκτωρ, | ἧκεν ἀετὸς καταπτὰς ἐκ τῶν ἄνω | καὶ καταλαβὼν τὸν νικήτην ἐκεῖνον | ἤγαγεν αὐτὸν τοῖς τέκνοις παραυτίκα  | βρῶμα ποιήσας τοῖς νεοττοῖς καὶ πόμα.  | [15] Ὁ δὲ ἕτερος ἐλευθερίως ζήσας  | διῆγεν οὕτως ἐν ἀδείᾳ τυγχάνων | λαβὼν εὔκλειαν κατὰ τοῦ πολεμίου | τοῦ ἐκπορθοῦντος καὶ τροπώσαντος τοῦτον | καὶ καυχωμένου ὡς ὄντος νικηφόρου. | [20] Ὁ λόγος πρὸς ἄνδρας θεομάχους [Als einmal Hähne miteinander um eine Henne kämpften, welcher sie denn in seine Schar aufnehmen dürfe, versteckte sich der eine, der unterlegen war, in einer Ecke, da er ja Angst hatte und flüchtete. [5] Der andere krähte sehr laut herum und flog auf die Spitze des Hauses, wie jemand, der Siegespreise von seinem Kriegsfeind erhalten hat, und sprach: „Besiegt habe ich meinen Erzfeind, indem ich ihn in die Flucht geschlagen habe angesichts meiner feindlichen Stärke.“ [10] Als der Hahn nun solches ausrief, kam ein Adler, der von oben herabgeflogen war, fasste jenen Sieger und brachte ihn sofort seinen Kindern, indem er ihn zu Speis und Trank für seine Jungen machte. [15] Der andere aber, der nun frei lebte, verbrachte sein Leben in Sicherheit, wie das Schicksal es so will, nachdem er den Ruhm seines Feindes erhalten hatte, der jenen ausgeraubt, in die Flucht getrieben und sich lautstark so verhalten hatte, als wäre er siegreich. [20] Die Fabel ist für Männer gedacht, die wider (einen) Gott kämpfen]. Zur Datierung der Dodekasyllabi vgl. Kap. 2.3.

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Vergleich mit den drei Bearbeitungen des Stoffs zeigt sich also die Besonderheit in Babr. 5 in der spezifischen Charakterzeichnung der Akteure sowie im auffälligen Fehlen moralisierender Tendenzen. Der Text wirkt damit stärker durch die reine Erzählung, die ohne Zweckgebundenheit als ästhetisches Kunstwerk für sich steht.439 Eine weitere Parallele ermöglicht einen anderen Blick auf die Fabel, ein Epigramm des Meleagros aus der Anthologia Graeca.440 In diesem rätselhaften Gedicht auf den alexandrinischen Epigrammatiker Antipatros von Sidon versucht ein Betrachter, die Darstellungen auf dessen Grab – einen Hahn (ἀλέκτωρ, v.1) mit Szepter unter seinen Flügeln, einen Palmenzweig in seinen Krallen und daneben einen geworfenen Wür439 Eine Parallele zu dieser Fabel wurde in den bildlichen Darstellungen der Zeit vermutet, etwa in einem Mosaik des Minerva-Tempels von Tebessa, das auf den Beginn des dritten Jahrhunderts datiert wird. In den Medaillons dieses als Darstellung von Apollo und Daphne interpretierten Mosaiks (vgl. dazu auch Ferdi 2001) seien, so Leschi (1924, 100), Tierszenen dargestellt, die auf der literarischen Vorlage der Mythiamboi basieren könnten. Ein Medaillon stelle Babr. 5 dar – erkennbar seien die beiden Hähne und ein Raubvogel sowie das Haus. Leschi resümiert, dass der Künstler der literarischen Vorlage bis auf ein Detail – der prahlerische Hahn sitze nicht auf dem Dach des Hauses, sondern auf einem Podest oder einer Säule (vgl. dazu die folgende Parallele der Anthologia Graeca!) – minutiös gefolgt sei. Da in einem anderen Medaillon eine Fischerszene (vgl. Babr. 4; 6; 9) dargestellt ist, könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass im Mosaik die Abfolge der ersten Fabeln der Sammlung bildlich umgesetzt wurde. Obwohl Leschis Beobachtungen durchaus erwähnenswert sind, scheinen mir die Darstellungen zu allgemein, um eine direkte Verbindung zu den Mythiamboi zu belegen. Darüber hinaus weisen die übrigen Darstellungen keine erkennbaren Parallelen auf, wie Leschi (1924, 101) selbst zugibt, weshalb sein Argument meines Erachtens spekulativ bleiben muss. 440 Anth.Gr. 7,428 (Meleagros): Ἁ στάλα, σύνθημα τί σοι γοργωπὸς ἀλέκτωρ  | ἔστα, καλλαΐνᾳ σκαπτοφόρος πτέρυγι, | ποσσὶν ὑφαρπάζων νίκας κλάδον; ἄκρα δ’ ἐπ’ αὐτᾶς | βαθμῖδος προπεσὼν κέκλιται ἀστράγαλος.  | [5] ἦ ῥά γε νικάεντα μάχᾳ σκαπτοῦχον ἄνακτα  | κρύπτεις; ἀλλὰ τί σοι παίγνιον ἀστράγαλος;  | πρὸς δέ, τί λιτὸς ὁ τύμβος; ἐπιπρέπει ἀνδρὶ πενιχρῷ  | ὄρνιθος κλαγγαῖς νυκτὸς ἀνεγρομένῳ. | οὐ δοκέω· σκᾶπτρον γὰρ ἀναίνεται. ἀλλὰ σὺ κεύθεις | [10] ἀθλοφόρον νίκαν ποσσὶν ἀειράμενον.  | οὐ ψαύω καὶ τᾷδε. τί γὰρ ταχὺς εἴκελος ἀνὴρ  | ἀστραγάλῳ; νῦν δὴ τὠτρεκὲς ἐφρασάμαν· | φοῖνιξ μὲν νίκαν ἐνέπει πάτραν τε μεγαυχῆ | ματέρα Φοινίκων, τὰν πολύπαιδα Τύρον· | [15] ὄρνις δ’, ὅττι γεγωνὸς ἀνὴρ καί που περὶ Κύπριν | πρᾶτος κἠν Μούσαις ποικίλος ὑμνοθέτας· | σκᾶπτρα δ‘ ἔχει σύνθημα λόγου· θνᾴσκειν δὲ πεσόντα | οἰνοβρεχῆ προπετὴς ἐννέπει ἀστράγαλος. | καὶ δὴ σύμβολα ταῦτα, τὸ δ’ οὔνομα πέτρος ἀείδει, | [20] Ἀντίπατρον, προγόνων φύντ’ ἀπ’ ἐρισθενέων [Säule, wofür steht dir der wild blickende Hahn, der mit seinem grün schimmernden Flügel ein Szepter trägt und mit seinen Füßen einen Siegeszweig fortreißt? Ein gefallener Würfel liegt vor dessen Sockel, der fast hinabfällt. [5] Verbirgst du denn einen szeptertragenden und im Kampf siegreichen Herrscher? Aber welches Spiel symbolisiert dann der Würfel? Dazu noch: Warum ist das Grab so klein? Das passt zu einem armen Mann, der sich noch des Nachts zum Krähen des Vogels erhebt. Ich glaube nicht: Denn das Szepter verhindert das. [10] Aber dann verbirgst du einen Athleten, der den Sieg mit seinen Füßen davongetragen hat. Auch dadurch treffe ich es nicht. Denn was hat jemand wie ein schneller Mann mit einem Würfel zu tun? Nein, jetzt habe ich das richtige gesehen: Die Palme zeigt Sieg an, aber auch Heimat, die glorreiche Mutter der Phoinikier, das kinderreiche Tyros: [15] Und der Vogel, dass es ein Mann mit laut widerhallender Stimme war, der auch, was die Kypris anbelangt, als einer der besten und als ein in der Musenkunst vielfältiger Dichter galt. Das Szepter steht als Symbol für das Wort: Der fallende Würfel zeigt an, dass er, schwer vom Wein, gefallen und so gestorben ist. Und dies erzählen die Zeichen, der Stein aber den Namen Antipatros, [20] der von mächtigen Vorfahren abstammt]. Zum poetologischen Gehalt literarischer Epitaphien vgl. Kanellou (im Druck).

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fel – zu deuten. Er kommt zum Schluss, dass der Hahn für Antipatros stehe und ihn als vielseitigen lyrischen Dichter (κἠν Μούσαις ποικίλος ὑμνοθέτας, v.16) mit lauter, widerhallender Stimme (γεγωνὸς ἀνὴρ, v.15) ausweise, der in Liebesdingen herausragend (που περὶ Κύπριν | πρᾶτος, vv.15–16) ist. Angenommen, dieses Epigramm vermittelt poetologische Topoi, so würde dies auch die Deutung von Babr. 5 beeinflussen: Erstens würde die Aussage, dass die handelnden Hähne den θυμός von Menschen besitzen, den Eindruck verstärken, dass diese Fabel eigentlich von Menschen, genauer gesagt Dichtern, handelt. Zweitens könnte die poetische Antithese klein – groß, die sich an ὁ λειφθείς (v.3; vgl. die Ähnlichkeit zu ὁ λεπτὸς in Babr. 4,3) sowie ὁ δ’ ἄλλος (v.5) zeigt und in den Mythiamboi häufig in poetologischer Funktion auftritt,441 ähnlich wie in den Gedichten Babr. 4 und 6 für die Dichtung der Groß- und Kleinform bzw. die sie vertretenden Dichter stehen. Drittens würde das durch das Meleagrosepigramm vermittelte Bild des stimmgewaltigen und widerhallenden Dichters in Babr. 5 dadurch komisch rezipiert werden, dass der Hahn durch sein (onomatopoetisch verdeutlichtes) lautes Geschrei sein eigenes Unheil, den Adler, anlockt. Umgelegt auf Babr. 5 würde der antipatrische Hahn schließlich seines Liebesglücks beraubt, wenn nicht der große, lautstarke und in Liebesdingen erfolgreiche Hahn, sondern sein genaues Gegenteil die Schar der Hennen als Belohnung erhält. Unter diesem Gesichtspunkt könnte sich in Babr. 5 ein Kommentar verbergen, der ähnlich wie Babr. 4 und 6 die alexandrinische Programmatik, die Kleinform der Großform vorzuziehen, durch ein weiteres Bild aus der Fabelwelt ausmalt:442 Obwohl Antipatros nicht als Gegenkonzept zu den Alexandrinern gesehen werden kann, entsprach er trotz der Verwendung der poetischen Kleinform wohl nicht dem Ideal eines hellenistischen Dichters.443 Wenn dieser von Melea­ gros also als laut krähender Hahn dargestellt wird, der letzten Endes stirbt, könnte der Leser vor diesem Hintergrund bei der Lektüre der Babriosfabel den Schluss ziehen, dass derjenige (Dichter), der leiser kräht, überlebt und daher schlussendlich siegreich ist.444 5) Gesamtbetrachtung In Babr. 5 erlebt ein zunächst überlegener Akteur in seinem Sieg den Grund für seine Niederlage, die durch eine dritte Kraft herbeigeführt wird.445 Die Fabel illustriert

441 Vgl. hierzu Kap. 4.3. 442 Da der Stoff in einer Fabelsammlung vor Babrios nicht belegt ist, würde dies ebenso dafürsprechen, dass es sich um eine Adaptation eines anderen, vielleicht poetologischen Motivs handelt. 443 Antipatros galt zu seiner Zeit als zwar sprachlich eleganter, aber oft technisch-nachahmender und wenig kreativer Autor, der sich durch seinen dramatischen Stil und sprachliche Dorismen auszeichnet. Er verfasste hauptsächlich Weihe- und Grabepigramme; vgl. Degani 1996a. 444 Im Kontext der Epigrammdichtung stellt sich die Frage, inwiefern Babrios’ eigene Tetrasticha nicht die siegreichen kleineren bzw. leiseren Epigramme darstellen. 445 Vgl. dazu Nøjgaard 1967, 269–270. Ob ein Unterschied zwischen drei handelnden Figuren und der Einführung einer ‚dritten Kraft‘ im nichtpersonalen Sinn besteht, bleibt bei Nøjgaard jedoch offen.

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demnach, dass derjenige, der Macht innehat und sich nicht mäßigt, sondern seine Dominanz über das Maß ausreizt, schnell den Preis für seinen Übermut zahlt und diese Position schlussendlich verliert. Vor allem im direkten Vergleich mit anderen Bearbeitungen des Stoffes, in denen eindeutig moralische Aussagen getroffen werden, ist augenfällig, dass Babrios eher die Vorteile der vermeintlich schwächeren Partei hervorstreicht als die moralischen Fehler des Stärkeren anzuprangern. Durch die chiastisch angeordneten, veränderbaren Rollenzuschreibungen und die syntaktische Struktur wird das Thema der Macht in dieser Fabel zudem auf ironisch-komische Art thematisiert, wodurch diese auf eine ausgelassene, betont unmoralische Note endet. Daneben ist die Position der Fabel in der Makrostruktur der Mythiamboi auffällig: Sie scheint Teil des poetischen Spiels des Autors mit der Abfolge verschiedener Einzeltexte zu sein.446 Dies zeigen zum einen die parallelen Strukturen in Babr. 4 und 5, die bei linearer Lektüre bereits auf das Ende der zweiten Fabel vorausweisen, sowie zum anderen die dargestellte motivische Parallele, die Babr. 5 auch im Hinblick auf ihren möglichen poetologischen Gehalt mit den beiden umliegenden Fabeln Babr. 4 und 6 verbindet. Diese Parallelen weisen darauf hin, dass das Gedicht als Einheit mit den genannten Fabeln gestaltet worden sein könnte und neben seiner Bedeutung als in sich geschlossenes Kunstwerk auch einen Beitrag zur werkübergreifenden babrianischen Programmatik leistet. 6.9 Babr. 6 Ἁλιεὺς θαλάσσης πᾶσαν ᾐόνα ξύων καλάμῳ τε λεπτῷ τὸν γλυκὺν βίον ζώων μικρόν ποτ’ ἰχθὺν ὁρμιῆς ἀφ’ ἱππείης ἤγρευσεν, ἐκ τῶν εἰς τάγηνον ὡραίων. ὁ δ’ αὐτὸν ἱκέτευε προσδοκῶν πείσειν· „τί σοι τὸ κέρδος; ἢ πόσου με πωλήσεις; οὐκ εἰμὶ γὰρ τέλειος, ἀλλά με πρῴην πρὸς τῇδε πέτρῃ φυκὶς ἔπτυσεν μήτηρ. νῦν οὖν ἄφες με, μὴ μάτην μ’ ἀποκτείνῃς. ἐπὴν δὲ πλησθεὶς φυκίων θαλασσαίων μέγας γένωμαι, πλουσίοις πρέπων δείπνοις, τότ’ ἐνθάδ’ ἐλθὼν ὕστερόν με συλλήψῃ.“

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So zählt er Babr. 5 zu anderen Fabeln, in denen die dritte Figur eine tragende Rolle als Individuum spielt oder generell von Beginn an als eigener Charakter auftritt; vgl. Nøjgaard 1967, 202. Meines Erachtens ist der Adler jedoch nicht zu solchen Figuren zu ziehen, da er als Abbild einer außenstehenden, unpersönlichen Macht gesehen werden kann. 446 Zur Struktur und Anordnung der Mythiamboi vgl. Kap. 3.

170 τοιαῦτα μύζων ἱκέτευε καὶ σπαίρων, ἀλλ’ οὐκ ἔμελλε τὸν γέροντα θωπεύσειν· ἔφη δὲ πείρων αὐτὸν ὀξέῃ σχοίνῳ· „ὁ μὴ τὰ μικρά, πλὴν βέβαια, τηρήσας μάταιός ἐστιν, ἢν ἄδηλα θηρεύῃ.“

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Der Fischer, der die gesamte Meeresküste absuchte und mit zartem Rohr sein süßes Leben lebte, fing einmal einen kleinen Fisch mit der Pferdehaarangel, einen derer, die für die Bratpfanne reif sind. [5] Der flehte ihn nun an, in der Erwartung, ihn umzustimmen: „Was ist der Nutzen für dich? Oder um wie viel willst du mich denn verkaufen? Ich bin ja noch gar nicht ausgewachsen, ja meine Mutter, die Seegrasbewohnerin, hat mich kürzlich erst bei diesem Felsen ausgespuckt. Nun lass mich also los und töte mich nicht umsonst! [10] Wenn ich aber vom Seegras genährt groß geworden und passend für reiche Speisen bin, dann kannst du hierherkommen und mich später schnappen.“ Solches glucksend und keuchend flehte er ihn an, doch vermochte er den Alten nicht zu umschmeicheln: [15] Als er ihn mit spitzem Schilf durchbohrte, sagte er: „Wer sich das Kleine, aber Sichere, nicht behält, der ist leichtfertig, wenn er Ungewissem nachjagt.“

1) Gliederung vv.1–4 Exposition  – Ein Fischer bestreitet seinen Lebensunterhalt, indem er entlang der Küste Fische fängt. Er fängt dabei einen noch kleinen Fisch. vv.5–12 Actio  – Rede des Fisches. Er meint, er wäre erst geboren worden und würde dem Fischer keinen Gewinn (κέρδος) einbringen. Er solle ihn entkommen lassen und könne ihn später, wenn er groß geworden sei, wieder einfangen. vv.13–17 Reactio  – Gegenreaktion des Fischers. Er lässt sich nicht überzeugen, spießt den Fisch auf und antwortet sinngemäß: „Wer das Kleine nicht ehrt, ist das Große nicht wert.“ 2) Kommentar v.3 ὁρμιῆς ἀφ’ ἱππείης: ἀπό wird hier instrumental verwendet.447 v.5  ἱκέτευε προσδοκῶν πείσειν: Neben ὁ δ’ αὐτὸν οὕτως ἱκέτευεν ἀσπαίρων in A sowie ὁ δ’ αὐτὸς οὗτος ἱκέτευεν ἀσπαίρων in At überliefert G für diesen Vers ὁ δ’ αὐτὸν ἱκέτευε προσδοκῶν πείσειν. Da die anderen Varianten

447 Vielleicht in Analogie zu Homer, z. B. Il. 24,605: τοὺς μὲν Ἀπόλλων πέφνεν ἀπ’ ἀργυρέοιο βιοῖο [die einen tötete Apollon mit silbernem Bogen]; vgl. Rutherford 1883, 10.

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eine Dublette zu v.13 darstellen,448 wurde hier die Lesart in G übernommen.449 v.8  πρὸς τῇδε πέτρῃ φυκὶς ἔπτυσεν μήτηρ: Entgegen der üblichen Bedeutung ‚ausspeien‘, ‚ausspucken‘450 bedeutet πτύω hier in etwa ‚laichen‘.451 Diese Verwendung ist in der griechischen Literatur einzigartig. v.16  πλὴν: πλήν als Konjunktion besitzt in kaiserzeitlichem Griechisch schwach adversativen Sinn in der Bedeutung ‚aber‘.452 Parallelen: Aisop. 18 P.; Avian. 20; Babr. 13 3) Analyse Das vorliegende Gedicht, eine Fabel mit zwei Akteuren, einem Fischer und einem kleinen Fisch, führt die Thematik des Fischfangs aus Babr. 4 fort und bildet mit diesem und Babr. 9 eine thematische Gruppe am Beginn der Fabelsammlung.453 Der Konflikt der Erzählung besteht darin, dass der Fischer den Fisch als Fang behalten, der Fisch jedoch seine Freiheit wiedererlangen möchte. Um diesen Interessenskonflikt entwickelt sich eine Auseinandersetzung, die der Fisch verliert: Seine Bitte um Gnade wird ihm verwehrt.454 Die Fabel besteht aus drei Teilen, auf eine Exposition von vier Versen (vv.1–4) folgt eine Actio von acht Versen (vv.5–12), die die Rede des Fischs beinhaltet; die Reactio mit der die Fabel beschließende Gegenrede des Fischers nimmt die letzten fünf Verse des Gedichts ein (vv.13–17). Die Exposition führt den Fischer (ἁλιεύς) bereits am Beginn des ersten Verses ein und hebt ihn durch seine Position und die Auflösung im ersten Versfuß als Akteur hervor. In den vv.1–2 wird er mittels zweier Partizipialkonstruktionen (ξύων, v.1; ζώων, v.2) ausführlich beschrieben: Er ‚grast‘ die Küste des Meeres auf der Suche nach Fischen ab, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. In der Beschreibung ist der Begriff ᾐόνα ξύων (v.1) auffällig, ein Latinismus,455 wie durch eine Parallele in Vergils Aeneis ersichtlich

448 Vgl. Vaio 2001, 23. 449 Dies würde auch die Änderungen durch Lachmann überflüssig machen; vgl. Ferrari 1988, 93–94; Husselman 1935, 111; dagegen Luzzatto/La Penna 1986, 9, sowie Luzzatto 1989, 277. 450 In Bezug auf das Meer v. a. bei Autoren der Kaiserzeit, z. B. Opp. hal. 5,597; Anth.Gr. 7,283 (Leonidas). 451 LSJ, s. v. πτύω I 2: „Spawn“. 452 So etwa in Herodian. 3,4,1; Hld. 6,7. 453 Zu Babr. 4 vgl. Kap. 6.7; zu Babr. 9 vgl. Kap. 6.12. 454 Bereits hier zeigt sich also, dass der Fischer dem Fisch gegenüber nicht friedfertig handelt; er widerspricht also den Aussagen im ersten Prolog, in dem von einer friedfertigen Unterhaltung zwischen Fisch und Mensch gesprochen wird; vgl. dazu Kap. 5.4 sowie Kap. 6.2; Allgaier (2020, 260) spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Deszendenz der Zeitalter“ des Prologs. 455 Ähnliche Formulierungen lassen sich in der griechischen Literatur nicht ausmachen; zu Latinismen und ihrer Bedeutung für die Rekonstruktion von Babrios’ Biographie vgl. Kap.  2.1 sowie Kap. 2.3.

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wird.456 Die Wendung raduntur litora ist dort Teil einer einleitenden Schilderung der Fahrt der Trojaner zu den Ländern der Kirke am Beginn des siebten Buchs der Aeneis. In Anschluss wird Kirke als zaubernde Person beschrieben, die singt und webt, wobei sie tenuis telas durchfährt. Die Parallele ist auf zweifache Weise poetologisch relevant: Sowohl Gesangs- als auch Webkunst werden in der antiken Metaphorik gemeinhin als Bilder für die dichterische Tätigkeit verwendet – der Gesang aufgrund des performativen Aspekts, die Webkunst aufgrund des kompositorischen Aspekts von Dichtung.457 Wenn der Leser hier also angesichts der außergewöhnlichen Formulierung458 eine Parallele zur Passage in der Aeneis zieht, evoziert dies einen betont feierlich-epischen Beginn der Fabel, zumal der Ausdruck in der Aeneis ein neues Buch einleitet. Zudem könnte insbesondere der Kontext der Parallele bereits auf die Auseinandersetzung mit poetologischer Bildsprache vorverweisen, die den Rest von Babr. 6 bestimmt. Doch nicht nur die Parallele lässt an entsprechende Aussagen denken, vielmehr kann das Motiv, nahe an der Küste zu bleiben und diese zu streifen selbst poetologisch gedeutet werden: Zum einen könnte dies auf die Metapher der hohen See anspielen, die im poetologischen Sinne gemeinhin die poetische Großform repräsentiert.459 Wenn der Fischer, dem im Folgenden Eigenschaften eines Künstlers zugeschrieben werden, mit seinem Boot gerade nicht auf die hohe See hinausfährt, sondern ganz nahe an der Küste bleibt, könnte man dies als Bekenntnis zur Kleinform verstehen, wie sie für einen alexandrinischen Dichter typisch wäre.460 Zum anderen suggeriert die Materialität der Wendung selbst eine dichtungsprogrammatische Aussage: Das verwendete Verb ξύω, das ‚streifen‘, ‚kratzen‘, ‚schleifen‘ oder ‚hobeln‘ bedeutet,461 lässt in diesem Kontext an

456 Verg. Aen. 7,10–14: [10] proxima Circaeae raduntur litora terrae, | diues inaccessos ubi Solis filia lucos | adsiduo resonat cantu, tectisque superbis | urit odoratam nocturna in lumina cedrum | arguto tenuis percurrens pectine telas [[10] als nächstes wurden die Küsten der Kirke gestreift, wo die reiche Tochter des Sol unzugängliche Haine mit fortwährendem Gesang erklingen lässt und in ihren erhabenen Gemächern im nächtlichen Licht duftende Zeder verbrennt, während sie mit spitzem Webkamm zarte Gewebe durchfährt]. 457 Zur Webkunst als Metapher für die Poesie in griechischer Dichtung vgl. Nünlist 1998, 110–118; zur Verwendung in den Mythiamboi vgl. Kap. 4.3. 458 Der Bezug könnte für einen antiken Leser insofern auffällig gewesen sein, als der latinisierende Ausdruck Sprechern der griechischen Sprache wenig idiomatisch erschienen sein dürfte. Angesichts der Veränderungen, die das Griechische in der Kaiserzeit auch unter dem Einfluss des Lateinischen unterlief, ist das Argument jedoch im Kontext dieser Entwicklungen zu sehen. 459 So vor allem in der augusteischen Dichtung z. B. in Prop. 3,3,22–24; 3,9,1–6; 3,9,35–36; Hor. carm. 4,15,1–4; Ov. trist. 2,327–332; 2,547–548; fast. 2,1–8; vgl. Gundlach 2019, 130–147; vgl. hierzu auch das kallimacheische Bild des breiten Stroms, das im Zusammenhang mit dem Flussmotiv in Babr. 15 (Kap. 6.18) diskutiert wird. 460 Vgl. hierzu als Beispiel der augusteischen Dichtung insbesondere Prop. 3,3,23–24: alter remus aquas, alter tibi radat harenas; | tutus eris: medio maxima turba mari est [ein Ruder soll dir das Wasser, das andere den Sand streifen; wirst du sicher sein: Mitten auf dem Meer ist der Tumult am größten]; Properz’ Bild des Ruders, das den Sand streift, entspricht dabei genau ᾐόνα ξύων in Babr. 6,1. 461 Vgl. LSJ s. v. ξύω I; III.

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die hellenistische Metapher des arbeitsreichen Feilens an feiner Dichtung denken, die bei den Neoterikern durch die lima versinnbildlicht wird und etwa auch in Phaedrus’ erstem Prolog präsent ist.462 Die Charakterisierung führt in v.2 weitere poetologisch aufgeladene Bilder auf: Der Fischer lebt sein süßes Leben (γλυκὺν βίον, v.2) mittels des zarten Rohres (καλάμῳ τε λεπτῷ, v.2). Betont wird dieses ‚zarte Rohr‘ einerseits durch die exponierte Stellung mit der Auflösung am Beginn des Verses sowie andererseits durch die Parallele zu ἁλιεὺς in derselben Position in v.1. Derselbe bzw. ein semantisch entsprechender Begriff für das Schilfrohr tritt in den Werken anderer Fabeldichter auf, so etwa bei Phaedrus.463 Bezeichnet wird hier mit κάλαμος eine Angel aus Schilfrohr.464 In der griechischen Literatur findet sich der Begriff häufig in übertragener Bedeutung, nämlich als Bezeichnung für ein flötenartiges Musikinstrument aus Schilfrohr – so etwa in einem Aristophanes-Fragment.465 Obwohl der Kontext des Fragments nicht mehr rekon­ struierbar ist, darf man angesichts der verwendeten Bildsprache und der Tatsache, dass ein Chor diese Worte spricht,466 davon ausgehen, dass es sich dabei um eine Aussage poetologischer Natur handelt. Die Sprecherinnen evozieren einen bukolischen Jagdkontext, indem sie bekennen, Zikaden mit dem Kalamos zu jagen, wobei die Ambivalenz dieses Begriffs ausschlaggebend ist, da er sowohl für ein Jagdwerkzeug als auch für ein Musikinstrument aus Schilfrohr verwendet werden kann. Die Frauen könnten sich die poetologisch bedeutsamen Tiere auch durch ihr süßes Spiel erjagt haben.467 Das so vermittelte Ideal der Feinheit wurde später von den alexandrinischen Dichtern übernommen und war zentral für deren dichtungsprogrammatische Sprache: Kallimachos selbst spricht im Prolog zu den Aitien davon, die Μοῦσαν […] λεπταλέην,468 die zarte Muse, zu bevorzugen, und vergleicht sich selbst und seine Dichtung mit einer hellklin-

462 Phaedr. 1 prol.,2; vgl. dazu Kap. 4.3. 463 Phaedr. 4,2,1–2: levi […] calamo ludimus [Ich spiele mit zartem Rohr]. Dort wird die Formulierung in einem poetologischen Kontext verwendet; vgl. Gärtner 2007, 453–454. Der für die Phaedrusfabel vorgeschlagene intertextuelle Bezug zu Verg. ecl. 1,9–10 könnte auch hier zur Vorbereitung des bukolischen Motivs der Geburt auf dem Stein (vv.7–8) dienen, das vom Fisch in seiner Rede angeführt wird, um Sympathie bei seinem Gegenüber zu wecken. 464 So auch in Lukian. dial.mort. 22,9; Plato Com. fr. 11; Theokr. eid. 21,43. Der Begriff kann für mehrere andere Werkzeuge aus Schilfrohr stehen, z. B. für ein Schreibwerkzeug (analog zu σχοῖνος in v.15). 465 Aristoph. fr. 51: πρὸς θεῶν ἔραμαι τέττιγα φαγεῖν | καὶ κερκώπην θηρευσαμένη | καλάμῳ λεπτῷ [Bei den Göttern, ich liebe es, die singende und die langschwänzige Zikade zu essen, die ich mit zartem Rohr gejagt habe]. 466 Chöre hatten im antiken Drama kommentierende Funktion; daher ist es verständlich, dass Autoren, die sich ebenfalls kommentierend über ihre Dichtung äußerten, sich deren Bildsprache bedienten. 467 Vgl. Babr. 9 (Kap. 6.12), wo der Fischer eine ähnliche Fangmethode versucht, daran jedoch scheitert. 468 Kall. fr. 1,24 Pf.

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genden Zikade.469 Babrios selbst verwendet λεπτός in anderen Fabeln, die eine poetologische Deutung nahelegen, so etwa Babr. 4, wo das Adjektiv für die Beschreibung kleiner Fische, die einen Vorteil gegenüber großen Fischen haben, verwendet wird.470 In Babr. 6 würde dies dem durch die Meeresmetapher in v.1 evozierten Gegensatz zwischen Groß- und Kleinform entsprechen und darüber hinaus eine gezielte Fortführung derselben Bildsprache in den einzelnen Fischerfabeln nahelegen. Die Verbindung der Zartheit und des Schilfrohrs als poetologische Metapher, bereits seit Aristophanes belegt, war vor allem im Kreise der kallimacheischen Dichter beliebt.471 Es ist daher einerseits aufgrund der beschriebenen metaphorischen Aufladung der beiden Bilder, andererseits aufgrund der Anzahl an Belegen, in denen κάλαμος und λεπτός miteinander im poetologischen Kontext auftreten,472 wahrscheinlich, dass auch im Bild in Babr. 6 eine poetologische Bedeutung vorliegt. Der Begriff κάλαμος taucht bei Babrios lediglich in einer weiteren Fabel, Babr. 36,473 auf, einer Pflanzenfabel, in der eine Eiche und das Schilf sich darüber unterhalten, wer bei einem Windstoß besser geschützt sei. In dieser Fabel wird das Schilfrohr aufgrund seiner Zartheit und Biegsamkeit als der Eiche überlegen eingestuft, da es dank dieser Eigenschaft einem Windstoß standhält, während die Eiche entwurzelt wird. Es wird dabei explizit erwähnt, dass die Eiche groß und wuchtig (πελώριον φύτευμα, v.3; τόσση φηγὸς, v.8), das Schilfrohr hingegen klein und zart (λίην λεπτός, vv.6–7) ist. Im Gegensatz zu der äsopischen Version der Fabel (Aisop. 70 P.) werden die Worte des Schilf469 Vgl. Kall. fr. 1,29–30 Pf.: ἐνὶ τοῖς γὰρ ἀείδομεν οἳ λιγὺν ἦχον | [30] τέττιγος, θόρυβον δ’ οὐκ ἐφίλησαν ὄνων [Denn mit diesen singen wir, die den hellen Klang der Zikade, [30] nicht das Brüllen der Esel lieben]. 470 Vgl. Babr. 4,3–4 (Kap. 6.7); daneben findet sich das Motiv der Feinheit auch in anderen Fabeln, so etwa Babr. 10 (vgl. Kap. 6.13) oder 13 (vgl. Kap. 6.16); zur Feinheit in den Mythiamboi vgl. Kap. 4.3. 471 Dass Babrios sich an zahlreichen Stellen, am prominentesten in den beiden Prologen, mit kallimacheischem Gedankengut auseinandersetzt, wurde unter anderem in Kap. 2.3 und Kap. 4 besprochen. 472 So z. B. in Theokr. eid. 5,110–111; Aristot. hist.an. 601A; resp. 475A; Paus.Soph. s. v. κεκρώπη. Daneben lässt sich die Wendung auch in der übrigen Literatur der Zeit im musikalischen Kontext finden, so etwa bei Longos (1,10,2), der sie bei der Beschreibung der Beschäftigung des Hirten Daphnis verwendet. 473 Babr. 36: Δρῦν αὐτόριζον ἄνεμος ἐξ ὄρους ἄρας | ἔδωκε ποταμῷ· τὴν δ’ ἔσυρε κυμαίνων, | πελώριον φύτευμα τῶν πρὶν ἀνθρώπων. | πολὺς δὲ κάλαμος ἑκατέρωθεν εἱστήκει | [5] ἔλαφρον ὄχθης ποταμίης ὕδωρ πίνων. | θάμβος δὲ τὴν δρῦν εἶχε, πῶς ὁ μὲν λίην | λεπτός τ’ ἐὼν καὶ βληχρὸς οὐκ ἐπεπτώκει, |αὐτὴ δὲ τόσση φηγὸς ἐξεριζώθη. | σοφῶς δὲ κάλαμος εἶπε „μηδὲν ἐκπλήσσου. | [10] σὺ μὲν μαχομένη ταῖς πνοαῖς ἐνικήθης, | ἡμεῖς δὲ καμπτόμεσθα μαλθακῇ γνώμῃ, | κἂν βαιὸν ἡμῶν ἄνεμος ἄκρα κινήσῃ.“ | κάλαμος μὲν οὕτως· ὁ δέ γε μῦθος ἐμφαίνει | μὴ δεῖν μάχεσθαι τοῖς κρατοῦσιν, ἀλλ’ εἴκειν [Der Wind hob eine Eiche mitsamt ihren Wurzeln vom Berg und gab sie dem Fluss: Und wogend riss dieser sie davon, die gigantische Pflanze früherer Menschen. Viel Schilf stand da auf allen Seiten [5], das das leicht fließende Wasser der Flussbank trinkt. Staunen erfasste die Eiche, wie dieses denn, da es allzu zart und schwach ist, nicht umgefallen, sie selbst aber, eine so große Eiche, entwurzelt worden sei. Klug sprach das Schilfrohr: „Wundere dich nicht! [10] Du wurdest besiegt, weil du mit den Winden gekämpft hast, wir aber beugen uns weichen Sinnes, wenn der Wind unsere Spitzen auch nur ein wenig bewegt“].

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rohrs in Babr. 36 ausdrücklich als weise bezeichnet (σοφῶς δὲ κάλαμος εἶπε, v.9); seine Methode ist, sich anschmiegsam (μαλθακῇ γνώμῃ, v.11) zu bewegen. Zur Charakterisierung des Schilfrohres werden typische poetologisch konnotierte Bilder eingesetzt, was den Eindruck verstärkt, dass der Begriff κάλαμος bei Babrios also allgemein mit dem poetologischen bzw. fabeltypischen Gegensatz ‚groß/stark‘ und ‚klein/zart‘ in Verbindung steht.474 Der so aufgeladene Begriff κάλαμος λεπτός dürfte also suggerieren, dass der Fischer in Babr. 6 mit Kunstproduktion in Verbindung gebracht und so im poetologischen Sinne gedeutet werden soll. In ähnlicher Weise kann der darauffolgende Begriff des ‚süßen Lebens‘ (γλυκὺν βίον, v.2) im übertragenen Sinne verstanden werden. Die Annahme, der Fischer stehe in Babr. 6 für einen Dichter, wird durch dieses Bild ebenso unterstützt, dürfte hier doch eine Anspielung auf die in 1 prol. eingeführte süße Honigwabe vorliegen, die ihren Ursprung in der kallimacheisch-alexandrinischen Dichtungssprache hat.475 Zudem könnte sich diese Formulierung auf das von der neoterischen Dichtung idealisierte süße, sorgenfreie Leben im otium476 beziehen, das ebenfalls auf kallimacheische Prinzipien zurückgeht.477 Der Fischer, der sein süßes Leben lebt, erinnert hier an einen Dichter, der in poetologischer Selbstdarstellung Muße zur Dichtung genießt. Es ist daher bezeichnend, dass die Charakterisierung des Fischers bei Babrios nicht dem gängigen Motiv in der Literatur folgt: Dessen beschwerliches Leben auf hoher See findet sich zum ersten Mal bei Sappho478 und ist noch in der Literatur des Hellenismus, so etwa bei Moschos,479 verbreitet. Dort wird der Fischfang als beschwerliches Gegenkonzept 474 Vgl. hierzu auch die Fabel Avian. 16, die Babr. 36 rezipiert und die die Gegensätze wuchtig (grande onus, v.6; tam vasto trunco, v.9) und fein (fragiles calamos, v.6; exiguo conectens caespite ramos […] harundo, vv.7–8; tenui cortice, v.10) ebenfalls mit poetologisch aufgeladenem Vokabular illustriert. 475 Vgl. Babr. 1 prol.,19 (Kap. 6.2); zum poetologischen Motiv der Süße der Dichtung vgl. Kap. 4.3. 476 Der Begriff bezeichnet freie, ungenutzte Zeit, die besonders für kulturelle Aktivitäten genutzt wird; auch kann darunter eine Ruheperiode von Arbeit oder negativen Gefühlszuständen gemeint sein; im politischen Sinne kann otium darüber hinaus als Zeit politischen Friedens verstanden werden; ferner wird dadurch auch ein allgemeiner Zustand der Inaktivität bezeichnet; vgl. OLD s. v. otium 1–5. 477 Dass Babrios in seiner Gedankenführung durchaus ein durch die römische Literatur geprägtes Bild der hellenistischen Programmatik aufweist, wurde in Kap. 2.3 und Kap. 4.4 bereits dargelegt. 478 Anth.Gr. 7,505 (Sappho): Τῷ γριπεῖ Πελάγωνι πατὴρ ἐπέθηκε Μενίσκος | κύρτον καὶ κώπαν, μνᾶμα κακοζοΐας [Dem Fischer Pelagon hat sein Vater Meniskos eine Reuse und ein Ruder aufgestellt, ein Mahnmal seines elenden Lebens]. 479 In Mosch. fr. 1,9–13 vergleicht das Ich das Leben an Land mit jenem auf hoher See und somit das Leben eines Hirten mit dem eines Fischers. Dabei wird folgendes erwähnt: ἦ κακὸν ὁ γριπεὺς ζώει βίον, ᾧ δόμος ἁ ναῦς, | [10] καὶ πόνος ἐντὶ θάλασσα, καὶ ἰχθύες ἁ πλάνος ἄγρα. | αὐτὰρ ἐμοὶ γλυκὺς ὕπνος ὑπὸ πλατάνῳ βαθυφύλλῳ, | καὶ παγᾶς φιλέοιμι τὸν ἐγγύθεν ἆχον ἀκούειν | ἃ τέρπει ψοφέοισα τὸν ἄγρυπνον, οὐχὶ ταράσσει. [Wahrlich, ein schlechtes Leben lebt der Fischer, der das Schiff zum Haus hat; [10] das Meer ist Mühsal und die Fische eine unsichere Beute. Mir jedoch wird süßer Schlaf unter der dichtbelaubten Platane zuteil und lieber habe ich es, von Nahem den Klang der Quelle zu hören, die sprudelnd die ländliche Ruhezeit erfreut, und sie nicht stört.] Die Opposition ‚Meer – Unglück‘ und ‚Heimat/Land – Glück‘ geht in dieser Form bereits auf Homer (vgl. z. B. Od. 5,151–153) zurück.

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zum süßen Leben (γλυκὺς ὕπνος, v.11) auf dem Lande inszeniert. Babr. 6 stellt diesen Gegensatz auf den Kopf, denn plötzlich ist die Lebensweise, die dem süßen Leben entgegensteht, Mittel, um ein solches zu erreichen. Die Umkehrung des altbekannten Topos hebt die Ungewöhnlichkeit, einen Fischer mit dem süßen Leben zu verbinden, hervor und betont diese Paarung dadurch. Das Motiv des κάλαμος λεπτός wird in v.3 wieder aufgegriffen, wo die Angel des Fischers näher beschrieben wird: Sie ist so fein, dass sie nur aus einem Pferdehaar (ὁρμιῆς ἀφ’ ἱππείης, v.3) besteht. Die Formulierung stellt dabei eine Verdoppelung dar, die semantisch nicht nötig wäre.480 Angesichts des Adjektivs ἵππειος lag es dem Autor offensichtlich am Herzen zu betonen, dass die Angel tatsächlich nur aus einem Pferdehaar besteht, dass sie also extrem fein ist.481 Mit diesem Werkzeug fängt der Fischer einen kleinen Fisch, der in anderen Fabeln ebenfalls vorkommt, dort als Gegenteil des großen Fischs.482 Sowohl die feine Angel als auch der kleine Fisch verweisen vermittels des Konzepts ‚feines Werkzeug für feine Dichtung‘ auf poetologische Reflexionen. Zwar ist die in dieser Passage enthaltene Jagdmetaphorik im Sinne der Jagd an Land als Metapher für die Dichtung belegt,483 jedoch bezieht diese sich gewöhnlich nicht auf den Fischfang. Indem der Autor in Babr. 6 das Fangen von Fischen mit poetologischer Metaphorik in Verbindung bringt, schafft er gleichsam ein Novum. Der mit diesem Werkzeug gefangene Fisch wird als ἐκ τῶν εἰς τάγηνον ὡραίων (v.4) beschrieben. Es wurde bemerkt, dass es sich hierbei um eine Sardellenart (ἀφυή) handeln könnte, da diese typischerweise in einer Bratpfanne zubereitet wurden.484 Daneben könnte diese Aussage jedoch ein Hinweis darauf sein, dass der kleine (im Sinne von junge) Fisch bereits groß genug für den Verzehr ist, was den Leser zu einer Bewertung der in der folgenden Rede präsentierten Argumente einlädt. Der Fisch hält im Anschluss ein langes Plädoyer für seine Freilassung, das beinahe die Hälfte der gesamten Fabel einnimmt (vv.6–12). Gerahmt wird diese Rede von je einem Vers, der durch die Wiederholung von ἱκέτευε (vv.5; 13) in derselben Position markiert wird. Durch den Einleitungsvers (v.5) werden die Umstände der Rede bzw. ihr Zweck dargelegt – der Fisch geht davon aus (προσδοκῶν), den Fischer zu überreden (πείσειν). Diese mentale Innensicht des Fisches illustriert einerseits die psychologisierende Darstellung in den

480 ὁρμιά bedeutet bereits ‚Angel aus Pferdehaar‘, so in Antiph. fr. 28; Aristot. hist.an. 621A; Plato Com. fr. 11; S. Emp. adv.math. 9,3; vgl. LSJ s. v. ὁρμιά. 481 Auch bei anderen Autoren wird die Feinheit dieser Art von Angel betont, so etwa in Opp. hal. 3,469: λεπτή θ’ ὁρμιὴ κούφης τριχός [die zarte Pferdehaarangel von leichtem Haar]. Das epische Epitheton findet sich etwa auch in Opp. hal. 3,75. Zu Oppians terminologischem Einfluss auf Babrios im Bereich des Fischfangs vgl. Luzzatto 1975a, 46–47. 482 Vgl. Babr. 4 (Kap. 6.7). Die Figur des Fisches taucht außerdem noch in Babr. 9 (vgl. Kap. 6.12) auf. 483 Vgl. Nünlist 1998, 142–161. 484 Vgl. Vaio 2001, 23. Eine Darstellung dieser Fischart findet sich in Athen. 285A–D (7,22–23 K). Vgl. auch Aisop. 18 P., wo von einer μαινίς gesprochen wird, was ebenfalls eine Sardellenart bezeichnet.

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Mythiamboi; daneben erinnert der Vers aus einem performativen Blickwinkel auch an Regieanweisungen aus dem Drama.485 Hinsichtlich des Inhalts dieser Rede ist auffällig, dass der Fisch logisch, realistisch und wirtschaftlich argumentiert und rationale Gründe dafür angibt, warum er freigelassen werden sollte (γὰρ, v.7): Aufgrund seiner Größe – er sei gerade erst geboren486 – könne er dem Fischer keinen finanziellen Gewinn (κέρδος, v.6)487 einbringen, sein Tod sei also für jenen ohne wirtschaftlichen Vorteil. Er möge ihn wieder freilassen, um zu einem späteren Zeitpunkt umso mehr an ihm zu verdienen, wenn er herangewachsen sei. Die rhetorisch-pathetische Natur der Rede zeigt sich in zahlreichen Elementen, so etwa in den beiden rhetorischen Fragen in v.6 (τί σοι τὸ κέρδος; ἢ πόσου με πωλήσεις;), in der Betonung seines jungen Alters in v.7 (οὐκ εἰμὶ γὰρ τέλειος), in der Rührszene der vv.7–8, die als captatio benevolentiae dienen könnte (ἀλλά με πρῴην | πρὸς τῇδε πέτρῃ φυκὶς ἔπτυσεν μήτηρ), im Appell in v.9 (νῦν οὖν ἄφες με, μὴ μάτην μ’ ἀποκτείνῃς) sowie im unterbreiteten Alternativvorschlag in den vv.10–12 (ἐπὴν δὲ πλησθεὶς φυκίων θαλασσαίων488 | μέγας γένωμαι, πλουσίοις πρέπων δείπνοις, |τότ’ ἐνθάδ’ ἐλθὼν ὕστερόν με συλλήψῃ). Diese rhetorischen Werkzeuge dienen in erster Linie dazu, beim Fischer (und damit dem Leser) Sympathie für und Solidarität mit dem Fisch zu erzeugen,489 und die abzuwendende Situation anschließend als eine von mehreren Ausgängen darzustellen, wobei die anderen als für den Fischer noch lukrativer dargestellt werden. Während die Argumente des Fischs auf den ersten Blick nachvollziehbar erscheinen, zeigt sich, dass dessen rhetorische Tricks wohl ein Beispiel für style over substance sind: Falls es sich beim kleinen Fisch tatsächlich um die Sardellenart ἀφυή handelt, dürfte dieser auch im ausgewachsenen Zustand nichts sein, was man als πλουσίοις πρέπων δείπνοις bezeichnen könnte; und sollte v.4 darauf hinweisen, dass der Fisch sehr wohl bereits für den Verzehr geeignet ist, wären die Einwände, die dieser aufbringt, noch unglaubwürdiger. Die Argumentation des Fisches basiert also in jedem Fall auf leeren Behauptungen, die durch rhetorische Finesse überspielt werden. Verglichen mit anderen Sprechpartien – z. B. der Bittrede des Hirten in Babr. 3 –, scheint die vorliegende

485 Vgl. Nøjgaard 1967, 279. 486 Erwähnenswert ist hier, dass Babrios eine Art ‚Unterwasserversion‘ bekannter bukolischer Darstellungen von Jungtieren bietet, so etwa Babr. 89,5: „ἐγώ σε πέρυσιν, ὅς ἐπ’ ἔτος ἐγεννήθην;“ [„Ich dich vor einem Jahr, das ich doch in diesem Jahr geboren wurde?“] bzw. 89,9: „θηλὴ μεθύσκει μέχρι νῦν με μητρῴη.“ [„Das mütterliche Euter tränkt mich bis jetzt“] oder Verg. ecl. 1,14–15: hic inter densas corylos modo namque gemellos, | [15] spem gregis, a! silice in nuda conixa reliquit [Denn hier zwischen dichten Haselsträuchern hat sie Zwillingsböckchen, [15] die Hoffnung der Herde – ach! – zurückgelassen, die sie gerade erst auf dem nackten Fels geboren hat]. 487 Dazu korrespondierend v.6: πόσου με πωλήσεις. 488 Die gewählten Formulierungen – φυκίον bzw. φῦκος bezeichnet Seegras, das Adjektiv θαλασσαῖος stammt aus dem Repertoire frühgriechischer Chorlyriker (so etwa in Sim. fr. 262 [= PMG 581],4; Pind. P. 2,50) – trägt zur idyllischen Inszenierung bei. 489 Vgl. Nøjgaard 1967, 299; ähnlich ausformulierte und emotional behaftete Reden finden sich z. B. in Babr. 3 (vgl. Kap. 6.6), 12 (vgl. Kap. 6.15), 13 (vgl. Kap. 6.16) oder 124.

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Rede sachlich-argumentierend und beinahe konstruiert emotional.490 Der Fisch zieht alle Register eines geübten Redners, um Sentimentalität hervorzurufen und seinen Standpunkt selbst dann zu vertreten, wenn die Fakten gegen ihn sprechen. Mit seiner Argumentation hat der Fisch beim Fischer keinen Erfolg. Der Infinitiv θωπεύσειν (v.14), der zum Spezialvokabular der Tragödie zählt,491 weist bereits auf einen unglücklichen Ausgang für den sich abmühenden Fisch (σπαίρων, v.13) voraus:492 Der Fischer, hier als γέρων charakterisiert, spießt diesen auf, um ihn über dem Feuer zu braten, und spricht zu ihm, wobei seine Worte gleichsam das Epimythion der Fabel bilden. Das Tötungswerkzeug wird als ὀξεῖα σχοῖνος (v.15) bezeichnet. Der Begriff σχοῖνος beschreibt einen Bratspieß aus einer besonders robusten Gräserart,493 kann darüber hinaus aber als Bezeichnung für andere Werkzeuge,494 im Speziellen – analog zum κάλαμος – für ein Schreibwerkzeug verwendet werden, das aus jenem Gras hergestellt wird.495 So ist er auf beiden Deutungsebenen dem Fischer/Dichter zugehörig. Die Antwort des Fischers (vv.16–17) fällt vergleichsweise kurz aus. Auffällig ist, dass es sich– wie des Öfteren in den Babriosfabeln – um eine Reactio handelt, die in ihrer gnomischen Aussage496 gleichzeitig die Funktion eines Epimythion übernimmt, das dem Handelnden in den Mund gelegt wird.497 Die Zusammenfassung, deren Ausdruck im Text bereits in der Vergangenheit Kopfzerbrechen bereitet hat,498 ist Folgende: Kleines, aber Sicheres ist Großem, aber Unsicherem vorzuziehen. Wer nicht den Vorteil von kleinen Dingen sichert (ὁ μὴ τὰ μικρά, πλὴν βέβαια, τηρήσας,499 v.16), ist

490 Diese Konstruktion wird unter anderem auch durch die Verwendung von Tragödienvokabular nahegelegt, etwa in der einleitenden Frage τί σοι τὸ κέρδος; (v.6), die im attischen Drama häufig vorkommt: Aischyl. Prom. 747; Soph. Oid.K. 579; El. 352–353; sowie durch πλουσίοις […] δείπνοις (v.11), was an Sophokles (El. 361–362) bzw. Euripides (Hel. 295–296) erinnert. 491 Vgl. Luzzatto 1975a, 31. 492 Vgl. hier auch Babr. 9,7 (Kap. 6.12), wo σπαίρω für die an Land zappelnden Fische verwendet wird. 493 Es handelt sich dabei um eine Gattung von Gräsern, die ein hartes Äußeres und einen weichen, schwammartigen Kern aufweisen. Konkret dürfte die Art ὀξύσχοινος gemeint sein, die Stechende Binse (Juncus acutus), die im gesamten Mittelmeerraum verbreitet war. 494 Z. B. werden in der Batrachomyomachie Wurfgeschosse als ὀξύσχοινος (Batr. 164; 253) bezeichnet. 495 So in LXX Jer 8,8. 496 Dies stellt in Babrios’ Werk eher die Seltenheit denn die Norm dar. Ein weiteres Beispiel wäre Babr. 112; vgl. Nøjgaard 1964, 228; 499; Perry 1940, 401–402. Laut Perry (1959, 29–30) handelt es sich bei der Fabel mit gnomischem integriertem Epimythion um die literarisch ältere Form der Fabel. 497 Vgl. Perry 1940, 403, Anm. 39. Diesem Umstand ist es vermutlich auch geschuldet, dass sie bei der Erstellung der Prosaparaphrasen als moralische Beifügung verstanden und entfernt wurde; vgl. Nøjgaard 1967, 438. Die Authentizität der Verse ist jedoch im metrischen Original der Handschriften gesichert, so Luzzatto/La Penna (1986, 9). 498 Vgl. Rutherford (1883, 11), der die Verse als umständlich formuliert bezeichnet: „These lines are awkwardly expressed“; auch Crusius (1879, 204) bezeichnet den Schluss als „vere scholasticus“. 499 τηρέω bedeutet hier in etwa ‚etwas in einen sicheren Zustand versetzen, in dem es nicht mehr verloren gehen kann, und diesen Zustand auf Dauer bewahren‘; vgl. LSJ s. v. τηρέω I 1: „maintain.“ In dieser Bedeutung auch in Diod. 17,15,1 (dort figurativ gebraucht für das Ansehen einer Stadt).

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leichtfertig, wenn er diese aufs Spiel setzt, um größerem, aber unsicherem nachzujagen (μάταιός ἐστιν, ἢν ἄδηλα θηρεύῃ, v.17) 4) Parallelen Es existieren zwei parallele Umsetzungen der Fabel in der Collectio Augustana sowie in der Fabelsammlung Avians. Die Version der Collectio Augustana,500 deren Verhältnis zu den Mythiamboi unklar ist,501 unterscheidet sich hinsichtlich ihres Umfangs und ihres Informationsgehalts deutlich von Babr. 6 – die babrianische Umsetzung legt den Stoff detaillierter und ausführlicher dar. Dies zeigt sich darin, dass eben jene Schlüsselwörter, die nach der oben dargelegten Interpretation in Babr. 6 als poetologische Begriffe verstanden werden können – so etwa der κάλαμος λεπτός oder das ‚süße Leben‘ des Fischers –, in Aisop. 18 P. gar nicht vorkommen. Auch die restlichen Passagen erscheinen in Babr. 6 im Vergleich mit dieser Bearbeitung stärker ausgeschmückt: Die Argumentation des Fisches, in Aisop. 18 P. lediglich in einer Partizipialkonstruktion und schlichter indirekter Rede ausgedrückt, wird in Babr. 6 in einer rhetorisch durchkomponierten Bittrede an den Fischer wiedergegeben, die mehrere Verse und eine idyllische Rührszene, die die Geburt des Fischs darstellt, umfasst.502 Die Avianfabel Avian. 20503 ist in Aufbau und Komposition eng an die babrianische Vorlage angelehnt, es werden teils spezifische Details – z. B. die Angelschnur aus Pfer-

500 Aisop. 18 P.: ἁλιεὺς καθεὶς τὸ δίκτυον ἀνήνεγκε μαινίδα. τῆς δὲ ἱκετευούσης αὐτὸν πρὸς τὸ παρὸν μεθεῖναι αὐτήν, ἐπειδὴ μικρὰ τυγχάνει, ὕστερον δὲ αὐξηθεῖσαν συλλαβεῖν εἰς μείζονα ὠφέλειαν, ὁ ἁλιεὺς εἶπεν· „ἀλλ’ ἔγωγε εὐηθέστατος ἂν εἴην, εἰ τὸ ἐν χερσὶ παρεὶς κέρδος ἄδηλον ἐλπίδα διώκοιμι.“ ὁ λόγος δηλοῖ, ὅτι αἱρετώτερόν ἐστι τὸ παρὸν κέρδος, κἂν μικρὸν ᾖ, τοῦ προσδοκωμένου, κἂν μέγα ὑπάρχῃ [Ein Fischer, der sein Netz ausgeworfen hatte, holte eine Sardelle heraus. Als sie ihn anflehte, sie fürs Erste gehen zu lassen, da sie ja noch klein sei, später aber, nachdem sie gewachsen sei, einen größeren Vorteil bringe, sagte der Fischer: „Aber ich dürfte doch wohl sehr leichtsinnig sein, wenn ich den Profit in meinen Händen gehen lassen und einer unklaren Hoffnung nachjagen sollte.“ Die Fabel zeigt, dass der gegenwärtige Gewinn, auch wenn er klein ist, dem erwarteten vorzuziehen ist, auch wenn dieser groß ist]. 501 Zum Verhältnis der beiden Fabelsammlungen vgl. Kap. 2.3. 502 Zur rhetorischen Ausgestaltung gegenüber Parallelfabeln vgl. Rodríguez Adrados 2000, 192–193. 503 Avian. 20: De Piscatore et Pisce. Piscator solitus praedam suspendere saeta, | exigui piscis vile trahebat onus. | sed postquam superas captum perduxit ad auras, | atque avido fixum vulnus ab ore tulit: | [5] „parce, precor“, supplex lacrimis ita dixit obortis: | „nam quanta ex nostro corpore lucra feres? | nunc me saxosis genitrix fecunda sub antris | fudit et in propriis ludere iussit aquis. | tolle minas, tenerumque tuis sine crescere mensis: | [10] haec tibi me rursum litoris ora dabit: | protinus, immensi depastus caerula ponti, | pinguior ad calamum sponte recurro tuum.“ | ille nefas captum referens absolvere piscem, | difficiles queritur casibus esse vices: | [15] „nam miserum est“, inquit „praesentem amittere praedam, | stultius et rursum vota futura sequi“ [Der Fischer und der Fisch. Ein Fischer, der seine Beute mit einer Angelschnur an Land zu bringen pflegte, zog eines kleinen Fisches geringe Last herauf. Doch nachdem er den Gefangenen an die Luft gebracht hatte und jener wegen seines gierigen Mauls eine Wunde davongetragen hatte, da sprach der Bittsteller mit hervorbrechenden Tränen folgendermaßen: [5] „Ich bitte dich, verschone mich! Denn wie großen Gewinn wirst du von meinem Körper davontragen? Gerade erst hat mich meine Mutter trächtig in einer felsigen Höhle geboren und in eigenen Gewässern spielen lassen. Lass ab von den Drohungen und mich, noch zart, ohne

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dehaar oder die Geburtsszene des Fisches – übernommen, die etwa in der Version in der Collectio Augustana nicht vorkommen. Das Pathos der rhetorischen Ausgestaltung wird in der Version bei Avian nochmals gesteigert: Der Fisch fleht dort unter Tränen um sein Leben. Die poetologische Konnotation scheint bei Avian jedoch weniger prominent; das Hauptaugenmerk liegt hier eher auf der Bewertung die Reaktion des Fischers. Die Fabel weist daraufhin, dass es miserum und stultius wäre, etwas Vorliegendes gegen etwas Unsicheres zu tauschen. Ferner dient Babr. 13504 als Vergleich, wo eine ähnliche Ausgangssituation vorliegt: Beide Akteure verteidigen sich in gefühlsbetonten Reden und betonen dabei ihre Beziehung zu Verwandten. Der Fisch erscheint in seiner Rede jedoch erfolgreicher, wenn er sich auf sein Alter und seine Geburt bezieht und dem Fischer mit der Sorge um dessen finanzielle Situation einen konkreten Anreiz für die Freilassung gibt. Der Storch versucht zwar, sich als sympathisch oder moralisch gut darzustellen, indem er seine Taten und seinen Status lobt, führt jedoch keine wirklichen Argumente zu seinen Gunsten an. Der Vergleich mit den besprochenen Parallelen hebt einige Besonderheiten in Babr. 6 hervor: Zum einen scheinen vor allem jene Begriffe charakteristisch, für die eine mögliche poetologische Konnotation vermutet wurde. Die Tatsache, dass diese Schlüsselbegriffe in anderen Bearbeitungen fehlen, stärkt also die These, dass ihnen eine besondere, auf die Dichtungsprogrammatik der Sammlung verweisende Bedeutung zukommt. Zum anderen stellt die rhetorische Ausgestaltung dramatischer Szenen ein wiederkehrendes Markmal der Mythiamboi dar, wie der Vergleich mit Babr. 13 zeigt, wobei Avian die emotionale Komponente noch weiter ausbaut. Im Gegensatz zu Avian. 20 ist Babr. 6 in seiner Erzählstruktur weniger moralisierend und beinhaltet keine offensichtlichen Wertungen der Handlungen oder Aussagen. 5) Gesamtbetrachtung Angesichts der ausgefeilten Argumentation des Fisches könnte man erwarten, dass der Fischer durch dessen Argumente überzeugt würde, ihn freizulassen; dies tut er jedoch nicht. Er lässt sich von den Bemühungen des Fisches nicht umstimmen, weil dessen Argumentation nicht stimmig erscheint und er eben nicht derjenige sein möchte, der das Nachsehen hat. In diesem Sinne verdeutlicht Babr. 6, dass selbst die beste rhetorische Argumentation in gewissen Situationen erfolglos bleibt.505 deinen Esstisch heranwachsen: [10] Dieser Strand wird mich dir wiederbringen: Gerne will ich dann sofort, wenn ich das Blau des unendlichen Meeres abgegrast habe, üppiger zu deiner Angel zurückkehren.“ Jener aber erklärte, es sei unsäglich, einen gefangenen Fisch zu entlassen, und klagte, dass sein Schicksal durch solche Zufälle ärgerlich sei: [15] „Denn es ist ein Elend“, sagte er, „die vorhandene Beute zu verlieren, noch dümmer aber, zukünftigen Versprechungen zu folgen“]. 504 Zu Babr. 13 vgl. Kap. 6.16. 505 Vgl. hierzu auch Pertsinidis (2010, 117–118) sowie Allgaier (2020, 259–261), die ebenfalls auf die rhetorisch-überzeugende, doch letzten Endes erfolglose Rede des Fischs hinweisen.

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Darüber hinaus weist die Fabel eine Fülle an literarisch-poetologischen Bildern und Anspielungen auf, die meines Erachtens darauf hinweisen, dass hier mehr vermittelt wird als lediglich die Schwachstellen gekonnter Rhetorik. Sowohl die Präsenz rhetorischer Mittel als auch die zahlreichen Bilder, die den Fischer mit einer Künstlerfigur gleichsetzen erwecken den Eindruck, Babrios habe einen bereits überlieferten Fabelstoff durch literarische Mittel mit zusätzlicher Bedeutung angereichert. So bleibt der Gehalt des Exemplums erhalten und gültig, zusätzlich werden dadurch aber literarische und poetologische Themen wie Rhetorik, die Darstellung von Dichtern und Dichtung sowie Regeln der Dichtung subtil, aber für ein entsprechend gebildetes Publikum klar erkennbar eingeführt und reflektiert. Unter diesem Gesichtspunkt wandelt sich etwa die vom Fischer geäußerte Gnome, das Kleine sei dem Großen im Zweifelsfall vorzuziehen, zum Ausdruck für das alexandrinische Stilideal der Überlegenheit der Kleinform gegenüber der Großform;506 bedenkt man schließlich die Verbindung zum bereits am Beginn der Fabel aufgerufenen Bild der Meeresküste im Gegensatz zur hohen See, die ebenfalls auf diesen Diskurs Bezug nimmt, verstärkt sich der poetologische Gehalt der Aussagen noch weiter. So wird Babr. 6 zum literarischen Spiel mit der Gattung Fabel selbst: Die Fabel als kleine Dichtung, repräsentiert durch den Fisch, mag vielleicht einige davon überzeugen, dass sie es nicht wert ist, gefangen zu werden; derjenige, der um ihre poetische Feinheit weiß – in diesem Fall der Alte, der gut und gerne auf den alten Weisen Aesop im ersten Prolog507 verweisen könnte! –, lässt sich von ihr jedoch nicht täuschen und kommt so in ihren süßen Genuss. 6.10 Babr. 7 Ἄνθρωπος ἵππον εἶχε. τοῦτον εἰώθει κενὸν παρέλκειν, ἐπετίθει δὲ τὸν φόρτον ὄνῳ γέροντι. πολλὰ τοιγαροῦν κάμνων ἐκεῖνος ἐλθὼν πρὸς τὸν ἵππον ὡμίλει· „ἤν μοι θελήσῃς συλλαβεῖν τι τοῦ φόρτου, τάχ’ ἂν γενοίμην σῷος· εἰ δὲ μή, θνῄσκω.“ ὁ δ’ „οὐ προάξεις“ εἶπε, „μηδ’ ἐνοχλήσεις;“ εἷρπεν σιωπῶν, τῷ κόπῳ δ’ ἀπαυδήσας πεσὼν ἔκειτο νεκρός, ὡς προειρήκει. τὸν ἵππον οὖν παρ’ αὐτὸν εὐθέως στήσας ὁ δεσπότης καὶ πάντα τὸν γόμον λύων

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506 Dieser Gegensatz wird bereits in Babr. 4, einer anderen Fischerfabel, illustriert; vgl. Kap. 6.7. 507 Babr. 1 prol.,16; vgl. Kap. 6.2.

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ἐπ’ αὐτὸν ἐτίθει τὴν σάγην τε τοῦ κτήνους, καὶ τὴν ὀνείην προσεπέθηκεν ἐκδείρας. ὁ δ’ ἵππος „οἴμοι τῆς κακῆς“ ἔφη „γνώμης· οὗ γὰρ μετασχεῖν μικρὸν οὐκ ἐβουλήθην, τοῦτ’ αὖτ’ ἐμοὶ πᾶν ἐπιτέθεικεν ἡ χρείη.“

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Ein Mensch besaß ein Pferd. Dieses pflegte er lose neben sich herzuführen, sein Gepäck aber lud er einem alten Esel auf. Als jener nun sehr erschöpft war, ging er zum Pferd und sprach zu ihm: [5] „Wenn du mir ein wenig von der Last abnehmen möchtest, könnte ich schnell wieder frisch und gesund werden; falls nicht, so sterbe ich.“ Das (Pferd) aber sagte: „Ja, wirst du denn weitergehen und mich nicht stören?“ So trottete er schweigend dahin, brach dann aus Erschöpfung zusammen und lag tot da, wie er es vorhergesagt hatte. [10] Sofort ließ nun der Herr das Pferd neben ihm stehen bleiben, dann löste er die gesamte Ladung, lud ihm den Packsattel des Lasttieres auf und gab obendrauf noch das Eselfell, nachdem er es abgezogen hatte. Das Pferd aber sagte: „Oh weh, welche üble Erkenntnis: [15] Denn woran ich mich nicht zu einem kleinen Teil beteiligen wollte, das hat mir das Schicksal nun zur Gänze aufgebürdet.“

1) Gliederung vv.1–3a Exposition  – Ein Mensch besitzt ein Pferd und einen alten Esel. Das Pferd führt er frei bei sich, der Esel muss die Lasten schleppen. vv.3b–6 Actio 1 – Der Esel ist erschöpft und bittet das Pferd, ihm einen Teil der Last abzunehmen, da er sonst sterben werde. v.7 Reactio 1 – Das Pferd schlägt dem Esel seine Bitte aus. vv.8–9 Actio 2 – Der Esel bricht erschöpft zusammen und stirbt. vv.10–13 Reactio 2 – Der Besitzer lädt die gesamte Last auf den Rücken des Pferdes, darauf legt er noch das abgezogene Fell des Esels. vv.14–16 Schluss – Rede des Pferdes: Es beklagt seinen Zustand und die späte Einsicht. 2) Kommentar v.4  ἐλθὼν πρὸς τὸν ἵππον ὡμίλει: Apokoinu: πρὸς τὸν ἵππον bezieht sich sowohl auf ἐλθὼν als auch auf ὡμίλει. vv.5–6  θελήσῃς […] γενοίμην […] θνῄσκω: Der Gebrauch der Modi in diesem Konditionalsatz ist auf den futurischen Potentialis ἂν γενοίμην zurückzuführen; durch den Konjunktiv des Aorists wird die Vorzeitigkeit

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im Sinne einer Bedingung ausgedrückt.508 θνῄσκω wird hier in der Funktion des rhetorischen praesens pro futuro verwendet.509 v.7  μηδ’ ἐνοχλήσεις: In A ist für diese Junktur μηδ’ ἐνοχλήσηις überliefert, Luzzatto/La Penna übernehmen Schneidewins Konjektur μὴ μ’ ἐνοχλήσῃς.510 Vaio verweist auf die Möglichkeit, dass mit μηδ’ die futurische Frage οὐ προάξεις fortgeführt werden könnte, und plädiert für Ahrens Konjektur μηδ’ ἐνοχλήσεις;511 Inhaltlich sowie aufgrund der Satzstruktur scheint mir hier eine futurische Doppelfrage mit prohibitiver Funktion am sinnvollsten. v.8  εἷρπεν σιωπῶν: Die Lesart in A ist εἷρπεν σιωπῶν, Luzzatto/La Penna schlagen die Konjektur εἷρπε σιγῶν vor.512 Die Ausgaben sind in dieser Frage geteilt: Jene vor Luzzatto/La Penna führen die Lesart in A an,513 neuere übernehmen die Konjektur,514 die hinsichtlich der Subjektsverhältnisse Klarheit schafft. Meines Erachtens stellt sich trotz der Nachvollziehbarkeit die Frage, ob ein solcher Eingriff in den Text (beispielsweise die Einfügung des Esels, die nirgends belegt ist) gerechtfertigt ist. Daher übernehme ich die Lesart in A. v.14  οἴμοι τῆς κακῆς […] γνώμης: Der Klageausdruck οἴμοι steht gelegentlich mit einem Genetivus causae bzw. respectus, der den Grund der Klage angibt.515 v.15  ἐβουλήθην: Während A und V ein reguläres syllabisches Augment (ἐ) überliefern, findet sich in der Edition von Boissonade, die auf eine Abschrift von Minoides Mynas zurückgeht, sowie in jener von de Furia die Konjektur ἠβουλήθην mit temporalem Augment. Zwar handelt es sich bei βούλομαι um ein Verb, das beide Arten der Augmentbildung aufweist,516 die Belege sprechen hier allerdings überwiegend für ein syllabisches Augment. Parallelen: Aisop. 286 Hsr.; Babr. 55; Plut. mor. 137D

508 509 510 511 512 513 514 515 516

So auch in Hdt. 1,71; Xen. apol. 6; vgl. Kühner/Gerth 1904, 474, § 575, 1. So z. B. in Hdt. 7,140; Thuk. 6,91,3; vgl. Schwyzer/Debrunner 1950, 273. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 9. Als Grund führt er die funktionale Ähnlichkeit dieser beiden Verbformen (Futur und Konjunktiv Aorist) an; vgl. Vaio 2001, 24; Holzberg (2019, 58) fasst den Vers ebenfalls als Frage auf. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 9. Sie stützen sich dabei auf Babr. 37,4, wo der Angesprochene, der namentlich genannt wird, in einer ähnlichen Situation schweigt (ὁ βοῦς δ’ ἐσίγα); analog dazu fügen sie hier den Esel hinzu, um den Subjektswechsel zu kennzeichnen, und ändern σιωπάω zu σιγάω. Vgl. Rutherford 1883, 12; Crusius 1897, 15; Perry 1965, 12. Vgl. Holzberg 2019, 58. Z. B. Soph. El. 1179: οἴμοι ταλαίνης ἆρα τῆσδε συμφορᾶς [Oh weh diesem verfluchten Unglück!]. Vgl. Rutherford 1883, 12–13.

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Kommentar

3) Analyse Babr. 7 stellt zusammen mit Babr. 8 ein Fabelpaar dar, das von den Aufgaben von Lasttieren handelt. Die Fabel selbst ist annähernd symmetrisch gebaut: Die Exposition und die Bitte des Esels umfassen sechs Verse (vv.1–3a bzw. 3b–6); die Reaktion des Pferdes wird zentral in einem Vers wiedergegeben (v.7); die Folgen der Reaktion des Pferdes werden ebenfalls in sechs Versen dargelegt (vv.8–9 bzw. 10–13); dessen die Fabel beschließende Monolog in drei Versen kann als Kommentar zur Handlung gelesen werden (vv.14–16). Die in der Fabel präsentierte Situation wird in der Exposition (1–3a) eingangs umrissen: Ein Mensch besitzt zwei Reit- bzw. Lasttiere, ein Pferd und ein Esel,517 zwischen denen sich im Folgenden ein Konflikt entwickelt. Der Mensch wird am Beginn von v.1 eingeführt, er agiert aber im Hintergrund und kommt an keiner Stelle im Gedicht zu Wort – im Gegensatz zum Araber in Babr. 8 ist er nicht Teil der Kommunikationssitua­ tion.518 Im Vergleich zu anderen Fabeln (z. B. Babr. 5)519 ist auffällig, dass der Mensch als dritter Faktor nicht überraschend auftritt, er wird bereits mit dem ersten Wort der Rahmenhandlung vorgestellt und ist die gesamte Erzählung über präsent. Dies variiert das bekannte Schema  – anstelle des plötzlichen Erscheinens einer dritten Kraft verschwindet eine der drei bestehenden Parteien und ändert so die Machtverhältnisse.520 Die Reihenfolge, in der die Akteure genannt werden, zeigt deren Hierarchie: ἄνθρωπος (v.1), ἵππον (v.1) sowie ὄνῳ γέροντι (v.3); durch den Umgang des Menschen mit den beiden Tieren wird ihre Position im Machtgefüge deutlich: Das Pferd wird unbeschwert neben dem Menschen hergeführt (κενὸν παρέλκειν, v.2), während der explizit als alt charakterisierte Esel die volle Last tragen muss (ἐπετίθει δὲ τὸν φόρτον, v.2), was durch eine Auflösung im dritten Versfuß betont wird. Der Gegensatz zwischen dem alten, sich abmühenden Esel und dem Pferd, das keine Last trägt, wird durch κενὸν παρέλκειν noch verstärkt: Während das Verb παρέλκω zum einen in Situationen verwendet wird, in denen ein Reiter auf einem Reittier ein anderes, reiterloses Tier hinter sich herzieht,521 wird die Phrase κενὸν παρέλκειν in der aristophanischen Komödie dazu verwendet, den bloßen Anschein von Arbeit zu bezeichnen.522 Das Pferd vermittelt also lediglich den Anschein harter Arbeit, während der Esel diese tatsächlich verrichtet.523

517 Das Pferd tritt auch in Babr. 29, 74, 76, 83 und 144 auf, der Esel wiederum in Babr. 55, 111, 122, 125, 129, 133, 139 und 141. 518 Zu Babr. 8 vgl. Kap. 6.11. 519 Vgl. Kap. 6.8. 520 Zu dieser Funktion des dritten Handlungsträgers vgl. Nøjgaard 1967, 269–270. 521 So beispielsweise in Hdt. 3,102; vgl. Rutherford 1883, 12. 522 So in Aristoph. Pax 1306; vgl. LSJ s. v. παρέλκω I 3. 523 Die Charakterisierung des Esels und des Pferds entspricht dabei der Darstellung in der Tierliteratur der Zeit. So meint Artemidor von Daldis (erste Hälfte 2. Jahrhundert) in seinen Oneirokritika (4,56), Esel würden arbeitssame unterworfene Menschen symbolisieren, Pferde allerdings zügellosige und hochmütige Menschen, die keine Arbeit verrichten.

Babr. 7

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Ausgehend davon wendet sich der Esel, von seinen Strapazen ermüdet, in den vv.3b–6 an das Pferd mit der Bitte um Hilfe; dieses wird durch die Apokoinu-Stellung ἐλθὼν πρὸς τὸν ἵππον ὡμίλει (v.4) ins Zentrum der Handlungen gestellt. In der folgenden Rede behauptet der Esel, sein weiteres Wohlergehen hänge von der Bereitschaft des Pferdes ab, die Last mit ihm zu teilen; wenn es keinen Teil seines Gepäcks (τι τοῦ φόρτου, v.5) übernehme, folge sogar sein eigener Tod. Zeit, Modus und Position des Verbs θνῄσκω (v.6) sind auffällig: Durch seine Stellung am Ende des Verses erhält es als Schlüsselbegriff besonderes Gewicht.524 Der Indikativ Präsens anstelle des Futurs unterstreicht die Dringlichkeit der Bitte– ohne fremde Hilfe falle der Esel auf der Stelle tot um. Die Antwort des Pferdes (v.7) fällt knapp aus: In nur einem Vers legt es dem Esel in zwei rhetorischen Fragen nahe, weiterzugehen und es nicht zu belästigen. Vor allem μηδ’ ἐνοχλήσεις (v.7) ist dabei relevant: Während das Verb grundsätzlich ‚belästigen‘525 bedeutet, wird auch eine Konnotation ‚mit Arbeit überladen werden‘ angenommen,526 was in diesem Kontext aus dem Munde des Pferdes äußerst zynisch wirkt, da es offensichtlich keinerlei Arbeit verrichtet. Wie sich am Schluss des Gedichts zeigt, stellt dessen Antwort die zentrale Aussage dar, von der die weitere Handlung abhängt, was sich auch in seiner Position widerspiegelt: Der Vers steht, abgesehen von der finalen Figurenrede, genau in der Mitte des Gedichts. Interessant ist an diesem Gespräch ferner die ungewöhnliche Position des Menschen: Im Grunde wäre es denkbar, dass der Esel sich nach dem erfolglosen Bittversuch an diesen wendet; dies geschieht allerdings nicht, da der Mensch nicht in derselben Kommunikationssphäre wie Pferd und Esel agiert. Die Mensch-Tier-Kommunikation in den ersten sieben Fabeln der Sammlung entspricht nicht dem, was im ersten Prolog dargestellt wurde: Die Akteure sind einander entweder feindlich gesinnt, wie etwa in Babr. 1, 3, 4 und 6,527 oder sie haben gar nicht die Möglichkeit zu kommunizieren, wie es in Babr. 7 der Fall scheint. Erst in Babr. 8 entspricht die Kommunikationssituation dem, was im Prolog geschildert wird.528 An diesen Dialog schließen sich in narrativer Darstellung die Folgen der Hilfeverweigerung an. Diese treten in zwei Stufen ein: Zunächst folgt in den vv.8–9 der Tod des Esels, der sich nach seiner erfolglosen Bitte weiter abmühen musste. Mit dem Partizip σιωπῶν (v.8) wird dem Trott des Esels, einer eigentlich neutralen Handlung, ein gewisses Maß an affektivem Pathos verliehen: Der Esel leidet innerlich und der Leser fühlt umso stärker mit ihm, als er dies still tut.529 Nach seinem Zusammenbruch (ἀπαυδήσας, v.8)530 tritt in v.9 das Vorausgesagte ein – der Esel erliegt seinen Anstrengungen und 524 525 526 527 528 529 530

Vgl. Nøjgaard 1967, 339. So beispielsweise in Plat. Alk. 1,104D; Xen. mem. 3,8,2; vgl. dazu auch LSJ s. v. ἐνοχλέω Ι 1. So in PHamb 27,18 belegt. Zu Babr. 1 vgl. Kap. 6.4; zu Babr. 3 vgl. Kap. 6.6; zu Babr. 4 vgl. Kap. 6.7; zu Babr. 6 vgl. Kap. 6.9. Zu Babr. 8 vgl. Kap. 6.11. Vgl. Nøjgaard 1967, 276. Neben ‚erschöpft sein‘ kann das Verb auch in der Bedeutung ‚in Ohnmacht fallen und zusammenbrechen‘ verstanden werden, so in Theophr. char. 8,14; Lukian. Luct. 24; vgl. LSJ s. v. ἀπαυδάω III.

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Kommentar

stirbt. Sein Tod wird anschaulich beschrieben, indem kleine Details hinzugefügt werden, die für die bloße Wiedergabe der Geschichte überflüssig wären, die jedoch beim Leser den Eindruck verstärken, es handle sich angesichts der Eigentümlichkeit des Dargestellten um eine realistische bzw. wahrscheinliche Beschreibung.531 Der Esel fällt nicht einfach tot um, er fällt und liegt als Leichnam tot am Boden (πεσὼν ἔκειτο νεκρός, v.9). Der Autor zieht das konkrete Beispiel einer abstrakteren Darstellung vor und ermöglicht es dem Leser, sich die Szene plastisch vorzustellen. Daneben wurde darauf hingewiesen, dass die Beschreibung auf lexikalischer Ebene an Schilderungen aus der attischen Tragödie erinnert, was die Dramatik der Szene noch weiter steigert und die pathetische Rede des Pferds am Ende der Fabel vorbereitet.532 Die Folgen setzen sich in den vv.10–13 fort: Der Mensch nimmt die Lasten (τὴν σάγην, v.12)533 vom Rücken des toten Esels, hier nun als κτῆνος534 bezeichnet, und lädt sie allesamt auf den Pferderücken (ἐπ’ αὐτὸν ἐτίθει, v.12; Auflösung im zweiten Versfuß), wobei er das abgezogene Eselfell (ὀνείην; erg. δοράν) noch zusätzlich darauflegt (προσεπέθηκεν, v.13; Auflösung im vierten Versfuß). Als Reaktion spricht das Pferd in den vv.14–16 einen Abschlussmonolog, der als Ringkomposition535 die vorhergehenden Ereignisse aus dessen Sicht zusammenfasst und die Funktion eines Epimythions übernimmt. Diese für Fabeln charakteristische Art der klagenden Rede536 ist hier von typischen Tragödienelementen geprägt: Zunächst spricht sich das Pferd mit dem Ausruf οἴμοι (v.14) selbst an. Diese Interjektion wurde als typischer Klageruf des Dramas verstanden.537 Durch die Verwendung bereits am Beginn der Rede wird dem Leser so ein tragödienhafter Monolog suggeriert. Und auch der Inhalt der Rede steht im Kontext des Tragischen: Das Pferd beklagt seine κακὴ γνώμη, gemeinhin als schlechtes Urteilsvermögen interpretiert.538 Im Hinblick auf die tragisch-fatalistische Grundstimmung der Rede handelt es sich dabei wohl um seine üble, weil zu späte Erkenntnis; es sieht seinen Fehler erst dann ein, als sich das Unglück bereits vollzogen hat.539 Auch auf 531 Vgl. Nøjgaard 1967, 260–261. 532 Vgl. Luzzatto (1975a, 37), die ἔκειτο νεκρός mit einer Beschreibung in Soph. Ant. 1240 vergleicht. 533 Obwohl der Begriff ursprünglich ‚Last‘ oder ‚Gepäck‘ bedeutete, wurde er in späterer Zeit Synonym für den Pack- oder Lastensattel (σάγμα), so auch in Poll. 1,185; 10,54; Ios. ant.Iud. 1,322; Suda s. v. Σάγη, die sogar den vorliegenden Vers zitiert. Der Bedeutungswandel könnte ein Hinweis auf den Einfluss der Koine auf die Sprache der Mythiamboi sein; vgl. Marenghi 1955a, 122, sowie Kap. 2.3. 534 Das Substantiv κτῆνος im Singular (im Plural werden damit Herden beschrieben) bezeichnet das domestizierte Tier im Gegensatz zu θηρίον; meist ist damit ein Pferd oder ein Esel gemeint, so in Lk 10,34; LXX Act 23,24; vgl dazu LSJ s. v. κτῆνος I 2. 535 Vgl. Becker 2006, 182, Anm. 39. 536 Vgl. dazu Holzberg 2012, 97; 101; Nøjgaard 1964, 168. 537 Typische Verwendungen finden sich beispielsweise in Aristoph. Ach. 590; Equ. 139; Pax 257; Eur. Hipp. 1454; Soph. Ai. 354; Ant. 86; El. 1179; Trach. 971. 538 Perry 1965, 15: „How poor was my judgement“; Irmscher 1978, 247: „Wie war ich dumm!“; Mader 1973, 248: „Das hab ich von der Erzdummheit!“ 539 Derartige tragische Einsichten werden auch in anderen Fabeln thematisiert, etwa in der abschließenden Rede des Fischers an die Fische in Babr. 9 (vgl. Kap. 6.12).

Babr. 7

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formaler Ebene sind Parallelen zum Drama erkennbar: So korrespondieren die drei Akteure mit den seit Sophokles üblichen drei Theaterschauspielern; zusätzlich rückt der hohe Anteil der Figurenrede am Gesamttext das Genre Fabel generell in die Nähe dramatischer bzw. rhetorischer Gattungen; schließlich lässt die strukturelle Gliederung der Fabel, in der das Schicksal ab einem entscheidenden Punkt unaufhaltsam abläuft, im weitesten Sinne an die typische Tragödienstruktur denken. Neben der klagenden Einleitung οἴμοι sind Ausdrücke des tragischen Pathos bereits davor, etwa in der Todesangst des Esels in v.6 sowie der Schilderung seines Todes in vv.8–9, präsent.540 Aufschlussreich ist in dieser Hinsicht die Verwendung der Tempora im letzten Satz: Dieser legt dar, was das Pferd tun hätte müssen, um sein gegenwärtiges Unglück abzuwenden – es hätte sich nur zu einem kleinen Teil an der Gepäcklast beteiligen müssen (μετασχεῖν μικρὸν, v.15). ἐβουλήθην (v.15) weist diese Möglichkeit aber als vergangen und daher unzugänglich aus. In v.16 hingegen wird seine gegenwärtige Situation dargestellt – die χρείη hat ihm die ganze Last aufgebürdet (πᾶν ἐπιτέθεικεν, v.16). Das Perfekt ἐπιτέθεικεν vergegenwärtigt die nunmehrige Lage und betont den Kontrast zwischen damals und jetzt in den beiden Versen, wiederum verstärkt durch die Antithese μικρὸν (v.15) und πᾶν (v.16), die das Übel beschreiben und an korrespondierenden Stellen in der Mitte des jeweiligen Verses stehen. Auf die fatalistische Bedeutung des Schlusswortes χρείη, das für gewöhnlich den Bedarf oder Mangel an einer Sache bezeichnet,541 hier allerdings eher ‚Schicksal‘ bedeutet,542 wird in der Gesamtdarstellung noch näher eingegangen. 4) Parallelen Eine parallele Bearbeitung zu Babr. 7 lässt sich in den Fabeln der Collectio Augustana finden, Aisop. 286 Hsr.543 Im Vergleich erscheint die babrianische Erzählung ausdifferenzierter und speziell im Hinblick auf die Figurenzeichnung akzentuierter: Während 540 Aus diesen Gründen ist Nøjgaard (1967, 230) meines Erachtens zu widersprechen, der den Schluss als „réplique plaintive“ bezeichnet und meint, dass die Rede des Pferdes rein explanativ sei und keinerlei Leidenschaftlichkeit beinhalte; vgl. auch Luzzatto (1975a, 36), die feststellt, dass diese sowie weitere Reden eindeutig an Reden der attischen Tragödie (Sophokles und Euripides) angelehnt sind. 541 So beispielsweise in Plat. leg. 834B; Aischyl. Prom. 168–170; Aristoph. Plut. 534. 542 Vgl. Nøjgaard 1967, 363. Zu diesem Konzept vgl. weiter Babr. 5 (Kap. 6.8) und 11 (Kap. 6.14). 543 Aisop. 286 Hsr.: ἄνθρωπός τις εἶχεν ἵππον καὶ ὄνον. ὁδευόντων δὲ ἐν τῇ ὁδῷ εἶπεν ὁ ὄνος τῷ ἵππῳ· „ἆρον ἐκ τοῦ ἐμοῦ βάρους, εἰ θέλεις εἶναί με σῶν.“ ὁ δὲ οὐκ ἐπείσθη. ὁ δὲ ὄνος πεσὼν ἐκ τοῦ κόπου ἐτελεύτησεν. τοῦ δὲ δεσπότου πάντα ἐπιθέντος αὐτῷ καὶ αὐτὴν τὴν τοῦ ὄνου δορὰν θρηνῶν ὁ ἵππος ἐβόα· „οἴμοι τῷ παναθλίῳ. τί μοι συνέβη τῷ ταλαιπώρῳ; μὴ θελήσας γὰρ μικρὸν βάρος λαβεῖν ἰδοὺ ἅπαντα βαστάζω καὶ τὸ δέρμα.“ ὁ μῦθος δηλοῖ, ὅτι τοῖς μικροῖς οἱ μεγάλοι συγκοινωνοῦντες ἀμφότεροι σωθήσονται ἐν τῷ βίῳ [Ein Mensch besaß ein Pferd und einen Esel. Als sie einmal auf einem Weg reisten, sagte der Esel zum Pferd: „Nimm etwas von meiner Last, wenn du willst, dass ich wohlauf bin.“ Dieses ließ sich aber nicht überzeugen. Der Esel aber stürzte aus Erschöpfung und starb. Als sein Herr dem Pferd dann alles auflud – selbst das Fell des Esels – rief dieses klagend: „Oh weh mir Allerelendstem! Was geschieht mir Ärmstem? Denn da ich keine kleine Last übernehmen wollte, siehe, da trage ich nun alles und dazu noch sein Fell.“ Die Fabel zeigt, dass, wenn die Großen sich

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Kommentar

der Esel in der Collectio Augustana lediglich als Lastenträger charakterisiert wird, ist er in Babr. 7 alt, müht sich ab und sieht in seinen Mühen bereits seinen eigenen Tod voraus. Dies trifft auch auf das Pferd zu – in Aisop 286 Hsr. wird knapp erwähnt, dass es sich vom Esel nicht überzeugen lässt (ὁ δὲ οὐκ ἐπείσθη), in Babr. 7 hingegen antwortet es in einer direkten Rede in deutlich negativem Ton. Die Reaktion des Esels auf die Verweigerung des Pferds – er trottet in schweigender Qual dahin –, die in Aisop. 286 Hsr. überhaupt nicht dargestellt wird, trägt dazu bei, seine Figur anschaulicher zu gestalten und so für den Leser als Sympathieträger zu kennzeichnen.544 Daneben fällt die pathetische Ausgestaltung der finalen Figurenrede des Pferds in Babr. 7 ins Auge: Während beide Reden mit dem Klageruf οἴμοι eingeleitet werden, steigert das Pferd bei Babrios das Pathos noch weiter, etwa indem es die ‚üble Erkenntnis‘ seiner Verfehlung (τῆς κακῆς […] γνώμης, v.14) anspricht und die Notwendigkeit, seine Strafe zu verbüßen (ἡ χρείη, v.16) thematisiert, was in der Bearbeitung der Collectio Augustana fehlt. Eine weitere Parallele findet sich in der Literatur der griechischen Kaiserzeit: Plutarchs Moralia,545 entstanden vermutlich 50 bis 100 Jahre vor den Mythiamboi, stellen denselben Stoff mit einem Rind und einem Kamel dar. Die Fabel illustriert dort als Exemplum die Opposition Seele – Körper, ist also in einen konkreten Kontext eingebettet. Auch bei Plutarch ist sie Ausdruck der Vorstellung, dass der Stärkere zur Entlastung des Schwächeren kleinere Mühen auf sich nehmen soll, um größeren Mühen zu entgehen. Dabei lässt der Kontext darauf schließen, dass die Fabel eine allgemeine moralische Maxime verdeutlicht – ebenso wie es das Epimythion der Version in der Collectio Augustana nahelegt. Die Ausschmückungen in Babr. 7, die dazu dienen, der Erzählung dramatisches Pathos zu verleihen, fehlen bei Plutarch völlig. Schließlich behandeln auch Fabeln in Babrios’ eigener Sammlung eine ähnliche Thematik, etwa Babr. 55,546 wo ein Esel und ein Ochse gemeinsam unter ein Joch ge-

mit den Kleinen zusammentun, beide im Leben gerettet werden]. Zum Verhältnis der beiden Fabelsammlungen vgl. Kap. 2.3. 544 Vgl. hierzu auch das hierarchische Verhältnis zwischen dem Menschen, dem Pferd und dem Esel in Babr. 7, das durch ihre unterschiedlichen Aufgaben illustriert wird. 545 Plut. mor. 137D: εἶθ’ ὥσπερ ὁ βοῦς πρὸς τὴν ὁμόδουλον ἔλεγε κάμηλον ἐπικουφίσαι τοῦ φορτίου μὴ βουλομένην, „ἀλλὰ κἀμὲ καὶ ταῦτα πάντα μετὰ μικρὸν οἴσεις“, ὃ καὶ συνέβη τελευτήσαντος αὐτοῦ, οὕτω συμβαίνει τῇ ψυχῇ· μικρὰ χαλάσαι καὶ παρεῖναι μὴ βουλομένη πονοῦντι καὶ δεομένῳ, μετ’ ὀλίγον πυρετοῦ τινος ἢ σκοτώματος ἐμπεσόντος ἀφεῖσα τὰ βιβλία καὶ τοὺς λόγους καὶ τὰς διατριβὰς ἀναγκάζεται συννοσεῖν ἐκείνῳ καὶ συγκάμνειν [Denn wie das Rind zum Kamel, seinem Mitsklaven, der es nicht um seine Last erleichtern wollte, sagte: „Aber dann wirst du in Kürze sowohl mich als auch dies alles tragen“, was sich auch so zutrug, nachdem es gestorben war: So verhält es sich auch mit der Seele – weil sie Kleines nicht loslassen und dem leidenden und bedürftigen (Körper) nicht beistehen will, ist sie, wenn ihn Fieber oder Schwindel befällt, bereits nach kurzer Zeit dazu gezwungen, ihre Bücher und Reden und Studien wegzulegen und mit jenem gemeinsam zu kranken und zu leiden]. 546 Babr. 55: Ἕνα βοῦν τις εἶχε, τὴν ὄνον δὲ συζεύξας | ἠροτρία, πτωχῶς μέν, ἀλλ’ ἀναγκαίως. | ἐπεὶ δὲ τοὔργον ἐτετέλεστο καὶ λύειν | ἔμελλεν αὐτούς, ἥ τ’ ὄνος διηρώτα | τὸν βοῦν „τίς ἄξει τῷ γέροντι τὰ σκεύη;“ | ὁ δὲ βοῦς πρὸς αὐτὴν εἶπεν „ὅσπερ εἰώθει“ [Einer hatte einen Ochsen und pflügte, nach-

Babr. 7

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spannt werden. Im Unterschied zu Babr. 7 übernimmt der Ochse in Babr. 55 die Last wieder, sodass der Esel im Anschluss zu seiner gewohnten Tätigkeit zurückkehren kann; das Pferd in Babr. 7 verweigert hingegen die Hilfe und muss schließlich die Konsequenzen tragen. Angesichts der Tatsache, dass der Ochse in Babr. 55 dem Esel im vollen Besitz seiner Kräfte die Last abnimmt, sowie dass es sich in Babr. 7 um einen betont alten Esel handelt, was seine Fähigkeit, die ihm abverlangten Aufgaben auszuführen, einschränkt, wiegt das Verhalten des Pferdes umso schwerer. Aus diesen Vergleichen lässt sich für Babr.  7 schließen, dass ihre detailliert ausgeschmückte und spezifische Gestaltung der Erzählung bzw. der Figurenzeichnung einzigartig ist. Ähnlich spezifische Beschreibungen finden sich weder in der Collectio Augustana noch bei Plutarch. Jene Details, die in anderen Bearbeitungen fehlen, tragen in Babr. 7 zur Charakterisierung der Akteure und zum besseren Verständnis der Erzählung bei, etwa wenn der Esel bei Babrios explizit als alt charakterisiert wird, was die Folgen der Entscheidung des Pferdes erklärt und motiviert. Ferner unterscheidet sich Babr. 7 von den übrigen Bearbeitungen durch die betont dramatische Ausgestaltung, der eine tragische Grundhaltung zugrunde liegt. Anklänge an das klassische Drama zeigen sich in der Bitte des Esels, seinem dramatischen Tod sowie dem Abschlussmonolog des Pferdes. 5) Gesamtbetrachtung Bei Babr. 7 handelt es sich um die an der Tragödie orientierte Ausgestaltung eines bereits bekannten Fabelstoffes. Die ἁμαρτία des des Pferdes wird im zentralen Vers des Gedichts geschildert, nachdem dessen angenehmes Leben mit dem qualvollen Dasein des Esels kontrastiert wurde. Ab dem Moment der Verfehlung laufen die negativen Konsequenzen seiner Handlung unermüdlich ab – das Pferd hat keine Möglichkeit ihnen zu entkommen. Zusätzlich trägt die sehr ausdifferenzierte Charakterisierung des Esels dazu bei, ihn als lebende und fühlende Figur darzustellen, mit der sich der Leser identifizieren kann. Die tragische Perspektive der Fabel eröffnet sich erst mit dem abschließenden Monolog des Pferdes, in dem es sich selbst beklagt und betont, dass es sein eigenes Vergehen zu spät erkannt hat. Die fatalistische Vorstellung der tragischen Handlung steht im Mittelpunkt, wenn das Gedicht mit den Worten ἡ χρείη endet. Da der Großteil der Elemente, die der Leser als tragisch auffassen könnte – der Wandel vom Positiven zum Negativen mittels eines einzelnen Verses, dem eine Scharnierfunktion zukommt, die Konstruktion einer tragischen Weltauffassung sowie der fatalistische Gedanke in der Rede des Pferdes – in keiner Parallelversion vorliegt, kann man darin wohl den dem er einen Esel dazugespannt hatte, zwar erbärmlich, aber durchaus notgedrungen. Nachdem das Werk vollendet war und er sie wieder voneinander lösen wollte, fragte der Esel den Ochsen: „Wer wird nun dem Alten das Werkzeug tragen?“ Der Ochse sagte zu diesem: „Der, der es sonst auch tut“].

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Kommentar

Mehrwert von Babr. 7 erkennen. Neben der in anderen Bearbeitungen gebräuchlichen moralischen Deutung kann diese Fabel als Ausarbeitung eines Kurzdramas verstehen, dessen Ausgang angesichts des elenden Todes des Esels und seiner Folgen für den eigentlichen Protagonisten, das Pferd, im klassischen Sinne als tragisch bezeichnet werden kann. Im Kontext des Fabelbuchs und der vorausgehenden Gedichte repräsentiert Babr. 7 nach der Einführung des Epos (im ersten Prolog und Babr. 1) sowie der ‚kleinen‘ Dichtung (in Babr. 4, 5 und 6) das Drama als dritte Literaturgattung in der Welt der Mythiamboi. Gerade nach Babr. 6, wo durch die programmatische Metaphorik der Vorzug der Kleinform gegenüber der Großform verkündet wurde, fällt eine Fabel, die mit sechzehn Versen vergleichsweise lang erscheint und Elemente der Tragödie – neben dem Epos eine der ‚großen‘ Dichtungsgattungen – aufweist, besonders ins Auge. Somit könnte mit Babr. 7 gleichsam der Gegensatz zwischen der dichterischen Groß- und Kleinform bzw. deren Verbindung zum Ausdruck gebracht werden, wenn ausladende Elemente der Tragödie in die sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch des Inhalts ‚kleine‘ Fabel integriert werden. Die Auseinandersetzung der Gattung Fabel mit verschiedenen Formen der Literatur wird thematisch im folgenden Gedicht, Babr. 8,547 weitergeführt, das schließlich auch das Epigramm an die Fabel heranträgt. 6.11 Babr. 8 Ἄραψ κάμηλον ἀχθίσας ἐπηρώτα πότερ’ ἀναβαίνειν μᾶλλον ἢ κάτω βαίνειν αἱροῖτο. χὠ κάμηλος οὐκ ἄτερ μούσης εἶφ’ „ἡ γὰρ ὀρθὴ τῶν ὁδῶν ἀπεκλείσθη;“ Ein Araber hatte ein Kamel mit Lasten beladen und fragte es, ob es bevorzuge, hinauf oder hinunter zu gehen. Und das Kamel sagte nicht ohne Muse: „Wurde der Weg geradeaus denn versperrt?“

1) Gliederung v.1a Exposition – Ein Araber hat ein Kamel mit Lasten beladen. vv.1b–3a Actio  – Der Araber fragt das Kamel, ob es hinauf- oder hinabgehen möchte. vv.3b–4 Reactio und Schluss – Das Kamel antwortet mit der Gegenfrage, ob der mittlere, gerade Weg denn nicht offenstehe.

547 Vgl. Kap. 6.11.

Babr. 8

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2) Kommentar v.1 ἀχθίσας: Ein seltenes und nur vereinzelt belegtes Verb.548 v.2  ἀναβαίνειν μᾶλλον ἢ κάτω βαίνειν: Entgegen des geläufigeren ἀναβαί­ νειν  – καταβαίνειν wird hier βαίνειν mit dem Adverb κάτω verwendet. Diese Kombination ist zwar alt,549 doch findet sie sich selten und gehäuft erst spät in der griechischen bzw. byzantinischen Literatur.550 v.3 χὠ: = καὶ ὁ. v.4  ἀπεκλείσθη: Es ist unklar, ob die Rede des Kamels als Aussage oder als Frage aufgefasst werden soll.551 Die Partikel γάρ kann als Einleitung einer ironischen rhetorischen Frage gedeutet werden,552 weshalb (auch aus inhaltlichen Gründen) hier die zweite Interpretation angenommen wurde. Parallelen: Babr. 80; Anakr. fr. 50 Page 3) Analyse Dieses Tetrastichon  – es ist das erste in einer Reihe von Vierzeilern in den Mythiamboi553 – legt die wesentlichen Faktoren der Handlung in der Exposition in v.1a in äußerster Kürze dar: Mit den ersten beiden Worten in v.1 werden die beiden Akteure angeführt. Ein Araber, der sein Kamel belädt, ist Handlungsträger der Exposition sowie der nachfolgenden Actio (vv.1b–3a); die Reactio des Kamels und der Schluss der Fabel nehmen schließlich die vv.3b–4 ein. Sowohl der Araber als auch das Kamel stellen keine ‚typischen‘ Fabelfiguren dar und kommen in der Sammlung nur vereinzelt vor.554 Die Nennung der Nationalität des Kamelbesitzers ist auffällig, scheint sie doch eine Kontextualisierung der Fabel nahezulegen und gleichzeitig die ungewöhnliche Spezifität in der babrianischen Figurenzeichnung zu illustrieren.555 Neben ungewöhnlichen Akteuren weist Babr. 8 auch

548 Das Verb findet sich im Lexikon des Hesychios (s. v. ἀχθίσας) sowie in den Scholien zur Odyssee (Schol.Hom. Od. 3,312B1). Das Substantiv ἄχθισις ist darüber hinaus bei Vettius Valens (4,7) belegt. 549 Vgl. Hom. Il. 17,136; Od. 23,91; Hdt. 8,53. 550 So in Greg. Naz. or. 36,269; Eust. 18,296; Greg. M. epist. 44,21. 551 Crusius (1897, 16), Perry (1965, 14) und Holzberg (2019, 58) entscheiden sich für die Frage; hingegen folgern Luzzatto/La Penna (1986, 10): „falso interrogandi signo interpunxerunt.“ 552 Vgl. Vaio 2001, 24–25. 553 Neben Babr. 8 finden sich folgende Vierzeiler in der Sammlung: Babr. 14 (vgl. Kap. 6.17); 29; 39; 40; 41; 54; 60; 73; 80; 81; 83; 90; 96; 109; 110; 113; 121; 133. 554 Der Araber noch in Babr. 57, das Kamel noch in Babr. 40 und 80, zwei weiteren Tetrasticha, was auf eine Verbindung dieser drei Fabeln hinweisen könnte. 555 Insofern ist es besonders auffallend, dass in zwei fast direkt aufeinanderfolgenden Fabeln, Babr. 5 (vgl. Kap. 6.8) und 8, Lokalisierungen der Protagonisten – in Babr. 5 wurden Hähne aus Tanagra eingeführt – vorgenommen werden.

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Kommentar

sprachliche Eigenheiten auf: So zeigt sich mit dem Verb ἀχθίζω die Vorliebe des Autors für entlegene Formulierungen, Wortneuschöpfungen und hapax legomena.556 Nach der Exposition setzt die Actio mit der Frage des Arabers (ἐπηρώτα, v.1b) ein. Es handelt sich um eine Doppelfrage (πότερ’ […] ἢ, v.2), die durch das Enjambement βαίνειν  | αἱροῖτο bis v.3 reicht. Die Auflösung im ersten Versfuß am Beginn von v.2 (πότερ’) markiert die beiden Wahlmöglichkeiten. Der Araber erkundigt sich beim Kamel, ob es lieber als Reiter aufsteigen (ἀναβαίνειν, v.2) oder als Lasttier hinuntergehen (κάτω βαίνειν, v.2) möchte.557 Das für die meisten Tetrasticha gültige Kompositionsprinzip lässt sich nicht auf die vorliegende Fabel umlegen, wodurch Babr. 8 auf struktureller Ebene hervorsticht: Die Symmetrie zwischen der Einführung (zwei Verse) und dem Fabelschluss (ebenfalls zwei Verse), die sich durch unterschiedliche Akteure voneinander abheben, ist hier nicht gegeben.558 Die Wahl des Kamels (αἱροῖτο) wird durch das Enjambement am Beginn von v.3 besonders in den Fokus gerückt. Die Komik der Fabel ergibt sich aus dem Rollenunterschied von Tieren und Menschen. Wäre das Kamel nicht vermenschlicht, würde sich die Frage, wer Reiter und wer Reittier sein soll, gar nicht stellen. Der Kontrast zwischen der Rolle als Tier am Beginn der Fabel (der Mensch belädt das Kamel mit Lasten) und dessen anschließende Vermenschlichung durch eine Frage, die man wohl eher in einer Unterhaltung zwischen zwei Menschen erwarten würde,559 erzeugt Spannung.560 Bedeutend ist meines Erachtens dabei die Tatsache, dass die freundliche Kommunikation zwischen Mensch und Tier hier eine Neuheit darstellt: In der vorangehenden Fabel Babr. 7 kommunizieren Mensch und Lasttier gar nicht – es unterhalten sich nur die beiden Tiere miteinander; der Mensch agiert so, wie er es auch in einer nicht-fabelhaften Darstellung tun würde, und macht sie so ganz zu Tieren.561 Im Unterschied dazu behandelt der Araber das Kamel am Beginn von Babr. 8 ähnlich, mit der Ansprache an dieses kommuniziert er so, wie dies im ersten Prolog beschrieben wird. Zur Erklärung der zwei Wahlmöglichkeiten, hinauf oder hinunterzugehen, hat die Forschung andere literarische Genera hinzugezogen. Giangrande stellt diesbezüglich eine interessante Interpretation des Gedichts vor:562 Auf der Suche nach dem Humor

556 Vgl. den Kommentar zu v.1 (ἀχθίσας). 557 Daneben bezeichnen die beiden Verben häufig eine Reise über das Landesinnere (so in Hdt. 5,100; Xen. an. 1,1,2.) bzw. die Küstenregion (so etwa in Hdt. 1,94; Plat. rep. 327A; Tht. 142A). 558 Vgl. Nøjgaard 1967, 238. 559 Wobei die Situation im Kontext auch nur dann funktioniert, wenn man ein Last- bzw. Reittier als Gegenüber annimmt; zur Fortbewegung würden Menschen wohl nicht aufeinander reiten. 560 Weitere Fabeln, die die Rolle und das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren in der Fabel und der Realität thematisieren, finden sich in Babr. 9 (vgl. Kap. 6.12), 12 (vgl. Kap. 6.15), 13 (vgl. Kap. 6.16), 14 (vgl. Kap. 6.17) und 16 (vgl. Kap. 6.19); vgl. auch Kap. 5.4 zu dieser Thematik. 561 Zu Babr. 7 vgl. Kap. 6.10. 562 Vgl. Giangrande 1982, 72–77.

Babr. 8

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der Fabel vergleicht er Babr. 8 mit einem Gedicht von Anakreon von Teos.563 Er folgert, dass das Ich in diesem Gedicht den Tod fürchte, da es ihm im Hades nicht mehr möglich sei, dem Liebesspiel zu frönen. Giangrande führt dies auf die Doppeldeutigkeit der Begriffe καταβαίνειν und ἀναβαίνειν zurück, die nicht nur geographisch verstanden werden können, da ἀναβαίνειν im Sinne von ‚besteigen‘ auch jene Handlungen in einem sexuellen Akt bezeichnet, die ein aktiver mit einem passiven Partner vornimmt. Der humoristische Aspekt basiere demnach auf einem „double entendre“,564 wobei sich καταβάντι ausschließlich auf den Hades bezieht, ἀναβῆναι jedoch gleichzeitig in örtlichem und sexuellem Sinn zu verstehen sei. Auf Babr. 8 übertragen argumentiert Giangrande, die Frage des Arabers, ob das Kamel ἀναβαίνειν μᾶλλον ἢ κάτω βαίνειν (v.2) wolle, werde vom männlichen (χὠ, v.3) Kamel in ihrer sexuellen Bedeutung aufgefasst, wonach der Araber also frage, ob er selbst oder das Kamel eher die Rolle des pathicus einnehmen solle. ὀρθὴ (v.4) als Beschreibung des Wegs, auf den das Kamel hinweist, spiele demnach (im Gegensatz zu σκολιός) auf heterosexuelle Beziehungen an. Falls in Babr. 8 eine ähnliche Doppeldeutigkeit der Begriffe gegeben wäre und somit eine spottend-frivole Komponente mitschwänge, würde dies den humoristischen Effekt der Antwort des Kamels noch verstärken. Jedoch wirkt das Spiel mit den Wortbedeutungen auch auf anderen Ebenen als der erotischen, sodass dieser Aspekt bei der Interpretation der Fabel meines Erachtens nicht so unverzichtbar ist, wie dies bisweilen dargestellt wurde.565 Die Antwort des Kamels ist als epigrammatische Pointe gestaltet: οὐκ ἄτερ566 μούσης (v.3) antwortet es mit der rhetorischen Frage,567 ob der gerade Weg, bzw. der Weg in der Mitte denn verschlossen sei (ἀπεκλείσθη, v.4). Wiederum fällt die Charakterisierung des Kamels ins Auge: Durch die Litotes οὐκ ἄτερ μούσης wird betont, dass es in der Lage sei, durchaus mit Muse zu sprechen. Hier wird eine gewitzte oder wortgewandte Sprechweise suggeriert, was sowohl auf die verständlich ausformulierte Sprache (φωνὴ ἔναρθρος)568 aus dem ersten Prolog als auch auf die ländliche Muse (ἀγρίῃ μούσῃ)569 563 Anakr. fr. 50 Page: πολιοὶ μὲν ἡμὶν ἤδη | κρόταφοι κάρη τε λευκόν, | χαρίεσσα δ’ οὐκέτ’ ἥβη | πάρα, γηραλέοι δ’ ὀδόντες, | [5] γλυκεροῦ’ οὐκέτι πολλὸς | βιότου χρόνος λέλειπται· | διὰ ταῦτ’ ἀνασταλύζω | θαμὰ Τάρταρον δεδοικώς· | Ἀίδεω γάρ ἐστι δεινὸς | [10] μυχός, ἀργαλῆ δ’ ἐς αὐτὸν | κάτοδος· καὶ γὰρ ἑτοῖμον | καταβάντι μὴ ἀναβῆναι [Grau sind mir schon die Schläfen und weiß der Kopf. Das liebliche Alter ist nicht mehr bei mir, und alt sind meine Zähne. [5] Nicht mehr viel Zeit für ein süßes Leben bleibt übrig: Deshalb weine ich oft, weil ich den Tartaros fürchte: Denn des Hades’ Innerstes ist fürchterlich, [10] beschwerlich ist der Weg hinab zu ihm: Und für den, der hinabgestiegen ist, ist auch gewiss, dass er nicht mehr hinaufsteigen wird]. 564 Giangrande 1982, 77, Anm. 6. 565 Vgl. Holzberg 2019, 203 (s. v. 8). 566 ἄτερ ist eine episch-tragische Präposition (vgl. Hom. Il. 15,292; Pind. P. 5,76; Aischyl. Suppl. 377) die erst in späterer Zeit auch in der Prosa üblich wurde (z. B. Mk 12,15; Lk 22,6; Dion.Hal. 3,10; Vett. Val. 1,4; 3,7; 3,134; 7,18). 567 Eine solche ist bei Babrios als Fabelschluss eher selten. Ähnliche Schlüsse finden sich in Babr. 78; 52; 93; 99; vgl. Nøjgaard 1967, 229. 568 Babr. 1 prol.,7 (vgl. Kap. 6.2). 569 Babr. 15,12 (vgl. Kap. 6.18).

194

Kommentar

in Babr. 15 anspielt. Des Weiteren evoziert μούση 1 prol., wo sich der Begriff auf das (fehlende) Versmaß der äsopischen Fabeln sowie in μνήμη auf das Talent des Dichters bezieht.570 In Babr. 8 antwortet das Kamel also ebenfalls mit μούση, da es buchstäblich im Versmaß spricht, zumal seine Antwort genau in einem choliambischen Vers Platz findet.571 Letztlich ist der Begriff an dieser Stelle aber vor allem deshalb relevant, da er in den Mythiamboi insgesamt lediglich an fünf Stellen auftaucht, davon dreimal in den beiden Prologen, wo er neben dem Vers vor allem die dichterische Inspiration bezeichnet.572 Dass in Babr. 8 also ausgerechnet ein Kamel mit μούση, also inspiriert, spricht, ist ungewöhnlich: Auf die Wortgewandtheit, die dadurch ausgedrückt wird, wurde bereits verwiesen; die Verwendung des Begriffs in den beiden Prologen rückt die Figur des Kamels jedoch auch in die Nähe eines wortgewandten oder inspirierten Künstlers; dies wird auch durch die Formulierung οὐκ ἄτερ unterstützt, die Ausdrücke geistiger Leistung begleitet.573 Die so eingeleitete Antwort ist wohl ironisch zu verstehen. Sie greift die beiden Formulierungen ἀνα- bzw. κάτω βαίνειν in ihrer Bedeutung als ‚hinauf-‘ bzw. ‚hinuntergehen‘ auf und stellt den beiden Möglichkeiten unerwartet eine dritte Wahl entgegen. Im Vergleich mit den vorhergehenden Fabeln, die das Machtgefüge zwischen Stärkerem und Schwächerem thematisieren – etwa Babr. 4, 5, 6 oder 7574 – gibt der Stärkere in Babr. 8 seine Machtposition im Gespräch mit dem Schwächeren nicht zu erkennen; er vermittelt dem Kamel, es besitze Entscheidungsfreiheit und wäre ihm somit ebenbürtig. Das Kamel durchbricht das vom Araber konstruierte Machtverhältnis durch die Einführung einer dritten Option; es lässt sich durch die beiden Vorschläge nicht in Zugzwang bringen und gibt zu erkennen, dass es die geführte Entscheidungsfreiheit durchschaut hat. Dadurch verliert der Araber schließlich seine (rhetorische) Machtposition. Wie über andere Tetrasticha wurden auch über Babr. 8 teils vernichtende Urteile gefällt. So meint beispielsweise Rutherford, Babrios habe „camelo suo totum ipsius ingenium deposuisse.“575 Die poetische Finesse, die Rutherford im genannten Zitat vermisst, zeigt sich jedoch in einer Technik, die zur inneren Kohäsion des Gedichts beiträgt: Die logischen Grenzen der Erzählung stimmen nicht mit den Versgrenzen überein,576 durch Enjambements werden die Inhalte der Fabel strukturell miteinander verbunden, wodurch der Eindruck einer in sich abgeschlossenen Gesamtkomposition entsteht. Die inhaltliche Komplexität des Gedichts ergibt sich aus der Spannung im 570 Babr. 1 prol.,17–18 (vgl. Kap. 6.2). Wie Immisch (1930, 167) darlegt, könnte μνήμη im Prolog als Anspielung an Mnemosyne, die Mutter der Musen, verstanden werden. In diesem Sinne wäre auch eine Interpretation von μούση als ‚Schlauheit‘, ‚Gewitztheit‘ (lat. ingenium) denkbar. 571 Zur weiteren Verwendung von μούση in den Fabeln vgl. Babr. 2 prol. (Kap. 6.3) sowie 12 (Kap. 6.15). 572 So in Babr. 1 prol.,17; 2 prol.,6; 2 prol.,10; vgl. Kap. 6.2 sowie 6.3. 573 Z. B. in Pind. P. 2,32–33: οὐκ ἄτερ τέχνας [nicht ohne Gerissenheit]. 574 Zu Babr. 4 vgl. Kap. 6.7, zu Babr. 5 Kap. 6.8, zu Babr. 6 Kap. 6.9 und zu Babr. 7 Kap. 6.10. 575 Rutherford 1883, 13. 576 Vgl. Nøjgaard 1967, 239.

Babr. 8

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Verhältnis zwischen Mensch und Tier, verbunden mit der Frage nach dem Machtverhältnis der beiden Akteure. Wichtig scheint mir hier die Neuartigkeit der Kommunikationssituation, in der Mensch und Tier friedfertig miteinander kommunizieren, sowie die Tatsache, dass das Kamel den Trick des Arabers durchschaut und somit, obwohl es als Lasttier ihm untergeordnet ist, seine rhetorische Machtposition infrage stellen kann. Die Kombination beider Aspekte macht die Komik dieser Fabel aus. Schließlich beweisen mehrere Beispiele, die auf eine poetologische Deutung hinweisen, den poetischen Anspruch von Babr. 8. So wird das Kamel mit Attributen (οὐκ ἄτερ μούσης, v.3) versehen, die andernorts lediglich für Redner, Dichter oder gar das Dichter-Ich der Prologe verwendet werden. Der Begriff μούση dient dazu, die Schlagfertigkeit bzw. das kreative Potenzial des Sprechers zu betonen. Seine Aussage ist ebenfalls poetologisch konnotiert: Der Weg der Mitte, den das Kamel einschlagen möchte, erinnert an die aristotelische Mesotes-Lehre,577 die sowohl in lebensphilosophischer als auch in rhetorisch-poetischer Weise durch das horazische Ideal der aurea mediocritas repräsentiert wird: Horaz definiert den Begriff als ethisches Prinzip explizit im zweiten Buch seiner Oden;578 in der Dichtung hält er den Mittelweg jedoch für unzureichend.579 Das Motiv wurde auch von anderen Autoren der augusteischen Zeit, so etwa Ovid, rezipiert.580 Der Mittelweg in Babr. 8 könnte sich so also auf die intendierte Stilhöhe der Literatur beziehen. Einerseits weisen mehrere Fabeln der Mythiamboi Einflüsse literarisch ‚hoher‘ Gattungen, etwa des Epos oder der Tragödie, auf, darunter Babr. 7, die der vorliegenden Fabel in A direkt vorangeht. Andererseits wird in beiden Prologen darauf eingegangen, dass es sich bei Babrios’ Gedichten nicht um Prosafabeln handelt, sondern dass sie eine poetische Bearbeitung von Fabelstoffen darstellen, wobei insbesondere das Versmaß des Choliambos und die damit verbundenen Folgen thematisiert werden.581 Die Aussage des Kamels, den mittleren Weg gehen zu wollen, könnte also als geschickter literarischer Witz bzw. als spielerische Auseinandersetzung mit diesem Diskurs zu verstehen sein und die babrianische Fabel stilistisch in der Mitte zwischen Prosatext und hochpoetischer Versdichtung situieren. Nicht unbedeutend

577 Aristoteles führt die Prinzipien dieses Denkansatzes in der Nikomachischen Ethik (1106B) aus: καὶ διὰ ταῦτ’ οὖν τῆς μὲν κακίας ἡ ὑπερβολὴ καὶ ἡ ἔλλειψις, τῆς δ’ ἀρετῆς ἡ μεσότης [Und deshalb sind Übermaß und Unzulänglichkeit Zeichen des Schlechten, das beständige Mittel hingegen Zeichen des Ehrbaren]. 578 Vgl. Hor. carm. 2,10,5. 579 Hor. ars 372b–373: mediocribus esse poetis  | non homines, non di, non concessere columnae [mittelmäßig zu sein gewähren den Dichtern weder Menschen noch Götter oder der Aushang der Buchhändler]; ars 378: si paulum summo decessit, vergit ad imum [wenn ein wenig vom Gipfel entfernt ist, neigt es sich ganz zum Boden]. 580 Vgl. etwa Ov. met. 8,183–235 oder ars 2,21–98. In der Erzählung um Daedalus und Icarus wird dasselbe Bild zur Illustrierung des Konzepts verwendet: die Metapher des Weges (durch die Luft sowie am Boden), wobei hier vor der Höhe gewarnt wird. Angesichts Daedalus’ Bedeutung als Künstlerfigur ist also eine Verbindung des Motivs zum poetologischen Diskurs der Antike möglich. 581 Zu Babr. 1 prol. bzw. 2 prol. vgl. Kap. 6.2 bzw. Kap. 6.3.

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Kommentar

ist dabei das Motiv des Wegs, eine mögliche Anspielung auf die kallimacheische Wegmetapher,582 die den poetologischen Gehalt der Aussage unterstreichen würde. Auch in Babr. 80, einem weiteren Tetrastichon, spielt der ‚rechte Weg‘ des Kamels eine Rolle, dort sogar im musischen Kontext: Das Kamel soll für seinen Besitzer beim Gelage tanzen. Es hofft, auf dem Weg zu bleiben und sich nicht der Lächerlichkeit preiszugeben, wenn es sich in wildem Tanz allzu sehr verrenkt.583 Schließlich ist auch die Bewegung entsprechend aufgeladen, beschreiben ἀναβαίνειν und κάτω βαίνειν doch die Bewegung von Kometen über den Himmel,584 ein Bild, das ebenfalls das Wirken von Künstlern bezeichnen kann.585 4) Parallelen In der modernen Forschung wird gemeinhin die Ansicht vertreten, es handle sich bei Babrios’ Tetrasticha um Eigenkompositionen ohne direkte Parallelen zu anderen Fabelsammlungen.586 Abgesehen von den präsentierten Bezügen (Anakr. fr. 50 Page; Babr. 80) finden sich keine vergleichbaren Bearbeitungen. 5) Gesamtbetrachtung Es handelt sich bei Babr. 8 um eine Fabel, die in extremer, beinahe epigrammatischer Verkürzung587 die Machtverhältnisse zwischen zwei ungleichen Parteien und die damit verbundenen psychologischen Vorgänge beschreibt: Der Araber glaubt, dem Kamel Wahlfreiheit vorspielen zu können, hat damit jedoch keinen Erfolg, da das Kamel die Taktik durchschaut. Gleichsam reflektiert das Gedicht die den Menschen und Tieren eigenen Rollen. Der Kontrast zwischen dem Umgang mit dem Kamel wie mit einem Tier am Beginn und der anschließenden Anthropomorphisierung desselben in der Rede des Arabers, macht den Reiz der Fabel aus. Schließlich deutet Einiges darauf hin, dass selbst in einem so kurzen Gedicht wie Babr. 8 dichtungsprogrammatische Statements vermittelt werden: Der Diskurs über den ‚rechten Weg‘, der (neben der diskutierten sexuellen Konnotation) übertragen

582 Kall. fr. 1,25–29a Pf. 583 Vgl. Babr. 80: Κάμηλον ἠνάγκαζε δεσπότης πίνων | ὀρχεῖσθ’ ὑπ’ αὐλοῖς κυμβάλοις τε χαλκείοις. | ἡ δ’ εἶπ’ „ἐμοὶ γένοιτο κἀν ὁδῷ βαίνειν | μὴ καταγέλαστον, μήτι πυρρίχην παίζειν“ [Das Kamel zwang sein Herr, beim Gelage zu tanzen zu Auloi und ehernen Zimbeln. Es aber sagte: „Möge es mir doch gelingen, am Weg zu bleiben und nicht lächerlich noch seltsam übermäßig zu tanzen“]. Mit ὁδῷ βαίνειν in v.3 werden sowohl der Weg als auch das Begriffspaar ἀναβαίνειν – κάτω βαίνειν aus Babr. 8 wieder aufgegriffen. 584 So etwa in Aristot. meteor. 344A. 585 So wird Homer in Anth.Gr. 7,1,8 (Alkaios v. Messene) etwa als Μουσάων ἀστέρα καὶ Χαρίτων [Stern der Musen und Chariten] bezeichnet. 586 Vgl. Holzberg 2012, 64–65. 587 Wie sich noch herausstellen wird, variiert Babrios bei der Komposition seiner Fabeln bestehende Stoffe sowohl durch extreme Verkürzung als auch Ausdehnung (vgl. etwa Babr. 12 in Kap. 6.15 sowie 95); zum Einfluss anderer literarischer Gattungen auf die Mythiamboi vgl. Kap. 2.3.

Babr. 9

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auch für die literarische Stilhöhe stehen kann, oder die Beschreibung des Kamels mit Eigenschaften von Künstlerfiguren verstärken diesen Eindruck. Dies steigert die Komik der Situation und beweist, dass sich das Gedicht – anders als Kritiker behaupten – stimmig in den Rest der Sammlung einfügt. 6.12 Babr. 9 Ἁλιεύς τις αὐλοὺς εἶχε καὶ σοφῶς ηὔλει· καὶ δή ποτ’ ὄψον ἐλπίσας ἀμοχθήτως πολὺ πρὸς αὐλῶν ἡδυφωνίην ἥξειν τὸ δίκτυον θεὶς ἐτερέτιζεν εὐμούσως. ἐπεὶ δὲ φυσῶν ἔκαμε καὶ μάτην ηὔλει, βαλὼν σαγήνην ἔλαβεν ἰχθύας πλείστους. ἐπὶ γῆς δ’ ἰδὼν σπαίροντας ἄλλον ἀλλοίως, τοιαῦτ’ ἐκερτόμησεν τὸν βόλον πλύνων· „ἄναυλα νῦν ὀρχεῖσθε. κρεῖσσον ἦν ὕμας πάλαι χορεύειν, ἡνίκ’ εἰς χοροὺς ηὔλουν.“ [οὐκ ἔστιν ἀπόνως κἀλύοντα κερδαίνειν· ὅταν καμὼν δὲ τοῦθ’ ἕλῃς ὅπερ βούλει τοῦ κερτομεῖν σοι καιρός ἐστι καὶ παίζειν.]

5

10

Der Fischer besaß einen Aulos und spielte gekonnt darauf: Und in der Hoffnung, dass viel Fischkost ohne Aufwand zum süßen Klang des Aulosspiels kommen würde, legte er einmal sein Netz ab und spielte kunstvoll ein Liedchen. [5] Nachdem er aber beim Blasen ermüdet war und lange vergeblich spielte, da warf er ein Schleppnetz aus und fing damit sehr viele Fische. Und als er sie da so auf der Erde zappeln sah – einen jeden auf andere Weise – da bemerkte er spöttisch, während er sein Netz wusch, Folgendes: „Nun tanzt ihr ohne die Flöte. Besser wäre es gewesen, [10] wenn ihr vorher getanzt hättet, als ich zum Tanze spielte.“ [Es ist nicht möglich, ohne Mühe und im Müßiggang Gewinn zu machen: Wenn du aber das erlangt hast, was du willst, nachdem du dich dafür abgemüht hast, dann hast du Gelegenheit zu spotten und zu spielen.]

1) Gliederung v.1 Exposition  – ein Fischer besitzt einen Aulos und kann gelehrt darauf spielen. vv.2–4 Actio 1 – Der Fischer legt sein Netz beiseite und hofft, durch sein Spiel Fische anzulocken. Die Fische zeigen jedoch keine Reaktion (implizite Reactio 1).

198

Kommentar

vv.5–6 Actio 2 – Als Antwort wendet der Fischer Gewalt an und fängt sie mit einem größeren Schleppnetz. Die Fische zappeln auf dem Boden (Re­ actio 2). vv.7–10 Schluss – Der Fischer sieht die Fische zappeln und bemerkt in seiner abschließenden Rede, sie hätten früher zu seiner Musik tanzen sollen, dann müssten sie nun nicht im Trockenen tanzen. v.11–13 (Vermutlich unechtes) Epimythion – Gewinn ist nur durch Mühe zu erreichen. Wer durch harte Arbeit Erfolg hat, hat Zeit zu spotten und sich zu vergnügen. 2) Kommentar v.2  ἀμοχθήτως: Seltene Nebenform von ἄμοχθος.588 Das Adverb ἀμοχθήτως findet sich nur bei Babrios (neben Babr. 9 noch in Babr. 103,9 und 111,7). vv.2–3  ἐλπίσας […] ἥξειν: A überliefert hier ἡζειν, G hingegen ἥξειν. Der Gebrauch des Verbs ἐλπίζω (‚hoffen‘) ist sowohl mit Infinitiv Futur als auch Aorist belegt.589 Aus diesem Grund wurde die Lesart in G übernommen, zumal die Tempusverwendung in den Mythiamboi im Allgemeinen eingehalten wird.590 v.5  ἐπεὶ […] ἔκαμε […] ηὔλει: ἐπεὶ als temporale Subjunktion tritt regelmäßig mit dem Aorist (ἔκαμε), nur selten hingegen mit dem Imperfekt (ηὔλει) auf, der auf die Gleichzeitigkeit von Neben- und Hauptsatz hinweist.591 v.6  ἔλαβεν ἰχθύας πλείστους: Neben dieser Lesart in A bietet G εἷλκεν ἰχθύων πλήρης. Man hat letztere als lectio difficilior und die Version in A als Glosse bezeichnet.592 Dies scheint einerseits zutreffend, zumal πλήρης eine Parallele zu mehreren Fabeln mit ähnlichen Versschlüssen am Beginn der Mythiamboi bilden würde.593 Andererseits könnte hierin der Grund für einen Abschreibfehler oder eine Interpolation liegen. Letztendlich muss die Frage offenbleiben, weshalb hier mit Luzzatto/La Penna 1986594 der Text in A wiedergegeben wird.

588 Vgl. Opp. kyn. 1,456; Alk. fr. 61A Lobel–Page. Zum Einfluss von Oppians Terminologie für Fischfang und Jagd vgl. Luzzatto 1975a, 44; 46–47. 589 Infinitiv Futur etwa in Hdt. 3,143; Lys. or. 16,2. Infinitiv Aorist bei Soph. Phil. 629; Xen. Ag. 7,6. 590 Vgl. hierzu Rutherford 1883, 13; Perry 1965, 14; Luzzato/La Penna 1986, 11; Holzberg 2019, 60. Eberhard (1875, 8) und Crusius (1897, 16) bevorzugen hingegen die Konjektur ἕλξειν. 591 So etwa in Aristoph. Nub. 1354–1355; Xen. an. 1,1; vgl. Schwyzer/Debrunner 1950, 658–659. 592 Vgl. Husselman 1935, 111–112. 593 Zu diesem typischen Versschluss mit vorangestelltem Genetiv vgl. Kap. 2.3, Anm. 156 sowie Kap. 3. 594 Luzzatto/La Penna (1986, 11) plädieren aufgrund einer Parallele in Aisop. 11 P. (πολλοὺς ἰχθύας ἤγρευσεν) für diese Lesart.

Babr. 9

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v.7  ἐπὶ γῆς: ἐπί in der Bedeutung ‚auf ‘ wird mit Dativ oder Genetiv kon­ struiert. Dichter variieren die Verwendung meist in Abhängigkeit der metrischen Voraussetzungen, während in der Prosa die Konstruktion mit Dativ vorherrscht.595 v.8  τοιαῦτ’ ἐκερτόμησεν: Auf κερτομέω kann ein Accusativus cognatus folgen, der den Inhalt des Spotts bezeichnet.596 v.9 ἄναυλα: hier als Adverb zu verstehen. v.9  κρεῖσσον ἦν: In diesem Irrealis fehlt die Partikel ἄν, parallel zur lateinischen Verwendung des Indikativs für nicht wirklich Geschehenes, z. B. bei unpersönlichen Ausdrücken wie melius est – ‚es wäre besser‘.597 Angesichts anderer Latinismen in den Mythiamboi könnte dies auch hier zur vorhandenen Wendung geführt haben. Eine vergleichbare Konstruktion findet sich in Babr. 14.598 v.10  εἰς χοροὺς: Der Plural des Substantivs (‚zu den Tänzen‘) wird hier anstelle des substantivierten Infinitivs (= εἰς τὸ ὀρχείσθαι, ‚zum Tanzen‘) verwendet.599 vv.11–13  οὐκ ἔστιν […] καὶ παίζειν: Das Epimythion wird zumeist als Interpolation deklariert.600 Der eigentliche Abschluss der Fabel erfolgt bereits in der Rede der vv.9–10, die die Funktion eines Epimythions übernimmt.601 Deren Aussage ist an die Fische gerichtet, während sich vv.11–13 hingegen auf den Fischer beziehen. Daher wurden die Verse hier in Klammern gesetzt. Parallelen: Aesopi Prov. 115; Aisop. 11 P.; Aphth. 33; Hdt. 1,141 3) Analyse Nach Babr. 4 und 6 folgt mit Babr. 9 die dritte Fabel, die sich um den Fischer als Protagonisten dreht.602 Sie kann grundlegend in vier bzw. fünf Teile geteilt werden: Nach der Exposition in v.1 nimmt die Actio 1 des Fischers mit der impliziten Reactio der Fische die vv.2–4 ein; die Actio 2 des Fischers folgt in den vv.5–6. Der Schluss mit der 595 Vgl. LSJ s. v. ἐπί B I. 596 So etwa in Hom. h. 4,55–56; vgl. LSJ s. v. κερτομέω. Spott in Verbindung mit dem Verb κερτομέω findet sich auch in Babr. 17,4 (vgl. Kap. 6.20). 597 So in Cic. off. 1,44; Tusc. 1,116; vgl. Menge 2007, 153–154, § 106, 2b. Goodwin gibt eine Stelle aus Vergil (Aen. 11,115) als Testimonium an: aequius huic Turnum fuerat se opponere morti. Er erklärt (Goodwin 1879, 97): „it had been more just, &c., where fuisset would have been the regular form.“ 598 Vgl. dazu den Kommentar zu v.3 (μᾶλλον ᾑρούμην) in Kap. 6.17. 599 Eine solche Konstruktion findet sich auch in Thuk. 4,55; vgl. Rutherford 1883, 15. 600 Vgl. Crusius 1897, 17; Perry 1965, 16; Vaio 2001, 25–26; Becker 2006, 175–178; Holzberg 2019, 60–61; dagegen Nøjgaard 1967, 314; 436; Luzzatto/La Penna 1986, 11. 601 Vgl. Kap. 2.2 zu diesem Typ der Schlussrede. 602 Zu Babr. 4 und 6 vgl. Kap. 6.7 sowie Kap. 6.9.

200

Kommentar

abschließenden Rede des Fischers nimmt im Vergleich zum Rest der Fabel mit 4 Versen viel Platz ein (vv.7–10). Das vermutlich unechte Epimythion umfasst schließlich die vv.11–13. Der Fischer wird bereits mit dem ersten Wort in v.1 eingeführt und durch die Auflösung am Versanfang betont. Er ist als einziger Akteur der Handlung in finiten Verbformen aktiv und wird in der Exposition charakterisiert. Die zwei Verben εἶχε bzw. ηὔλει im Imperfekt bezeichnen allgemeine Eigenschaften bzw. Verhaltensweisen des Fischers: Er tritt als Flötenspieler auf und übt sein Hobby mit Kunstfertigkeit aus. Dabei besitzt er einen Doppelaulos, wie der Plural αὐλοὺς εἶχε in v.1 nahelegt.603 Die Art seines Aulosspiels wird ebenfalls in der Exposition beschrieben: er spielt ‚gelehrt‘ (σοφῶς ηὔλει, v.1). Wie in den Fischerfabeln Babr. 4 und 6 dargelegt, finden sich einige Hinweise darauf, dass die Fische und die Figur des Fischers in diesen Fabeln erstens in ähnlicher Weise dargestellt werden und zweitens mit poetologischen Topoi in Bildern in Verbindung stehen. In diesem Sinne fällt auf, dass der Fischer als Flötenspieler in Babr.  9 bereits im ersten Vers als Künstlerfigur markiert wird, was eine Kontinuität mit den anderen Fischerfabeln schafft und die Lesererwartung rückblickend bestätigt. Diese Erwartung wird ferner erfüllt, wenn man erfährt, der Fischer spiele σοφῶς, ein Adverb, das mehrere Beschreibungen der Fischer- als Künstlerfigur in den folgenden vv.2–4 einleitet und selbst poetologisch konnotiert ist: Das in v.1 dargestellte gelehrte musische Spiel spielt auf das Konzept des poeta doctus an, das seit dem Hellenismus typisch für die Inszenierung antiker Dichter- bzw. Künstlerfiguren ist und die Gelehrsamkeit der Kunst als qualitatives Merkmal kennzeichnet. Die Bedeutung der Passage wird auch durch das Verb αὐλέω ersichtlich, das abgesehen von Babr.  9 lediglich in Babr. 140,8 – der Fabel über Ameise und Zikade – vorkommt und dort deren Zirpen beschreibt. Angesichts des poetologischen Charakters der Zikade in der hellenistischen Bildsprache seit Kallimachos,604 scheint es meines Erachtens plausibel, dass der Fischer, der in Babr. 9 so spielt, wie die Zikade in Babr. 140 singt, mit seinem Aulosspiel dem Stilideal der kallimacheischen Dichtung nacheifert.605

603 Als Aulos bezeichnete man ein Rohrblattinstrument, das spätestens um die Mitte des fünften Jahrhunderts v. Chr. zum beliebtesten Blasinstrument der Antike wurde und bis in die Spätantike im Mittelmeerraum verbreitet war. Das Rohrblatt dieses Instruments wurde aus Schilfrohr (κάλαμος) gefertigt; es wurde – vor allem im östlichen Mittelmeerraum – als Doppelaulos gespielt; vgl. Zaminer 2000, 547–549. 604 Kall. fr. 1,29–30 Pf.: τῷ πιθόμη]ν· ἐνὶ τοῖς γὰρ ἀείδομεν οἳ λιγὺν ἦχον | τέττιγος, θ]όρυβον δ’ οὐκ ἐφίλησαν ὄνων [Dem habe ich gehorcht: Denn wir singen unter jenen, die den hellen Klang der Zikade, nicht das Gebrüll der Esel lieben]. 605 Bestärkt wird diese Annahme dadurch, dass die ‚Süßstimmigkeit‘, die dem Fischer zugeschrieben wird, auch mit dem hellen Klang der Stimme gleichgesetzt wurde – so etwa in der Suda (s. v. Λιγύφωνος: Λιγύφωνος: ἡδύφωνος [Hellklingend: süßstimmig]); dieser wiederum wird im Kallimachosfragment als Charakteristikum der Zikade (λιγὺν ἦχον | τέττιγος, vv.29–30) angeführt.

Babr. 9

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Auch die folgende Handlung in den vv.2–4 weist Elemente hellenistischer Bildsprache auf: Der Fischer erhofft sich (ἐλπίσας, v.2), die Fischkost (ὄψον, v.2)606 mühelos (ἀμοχθήτως, v.2) zu fangen. Vor dem Hintergrund von Babr. 4 und 6, wo der Fischer fischt oder angelt, ist diese Fangmethode durchaus überraschend. Die erhoffte Mühelosigkeit verweist einerseits auf Babr. 6, wo beschrieben wird, dass der Fischer durch den Fischfang ein ‚süßes Leben‘ (γλυκὺν βίον, v.2) führt. Andererseits wird damit auf das Motiv des unbeschwerten Künstlerdaseins und die spielerische Leichtigkeit der Musenkunst angespielt, die beispielsweise das otium-Konzept der neoterischen Dichtungsprogrammatik charakterisiert607 und in den Fabeln mit dem ansonsten eher als beschwerlich beschriebenen Fischerberuf verbunden wird; dieser wird dadurch heiter und unbeschwert, wie etwa die Hirten der bukolischen Dichtung; mit diesen teilt der Fischer in den drei Fischerfabeln erstaunlich viele Eigenschaften.608 Seine Hoffnung wird in v.3 ausgedrückt: Die Fische werden der Süße seines Spiels folgen und ihm so ins Netz gehen (πρὸς αὐλῶν ἡδυφωνίην ἥξειν). Insbesondere der Begriff ἡδυφωνίη (‚Süßstimmigkeit‘) ist hier wegen seines poetologischen Gehalts auffällig: In unterschiedlicher Form ist er bereits seit der (vor-) klassischen Zeit belegt,609 aber vor allem in der Literatur der Kaiserzeit, besonders bei Vertretern der Zweiten Sophistik,610 sowie in der griechischen Literatur der Spätantike611 ist er geläufig und steht sowohl mit dem Aulosspiel als auch mit der verzaubernden Wirkung von Musik in Verbindung.612 Innerhalb der Mythiamboi ist verweist dieses Stichwort zunächst auf die programmatische Honigwabe des ersten Prologs sowie auf das bereits erwähnte ‚süßen Leben‘ in Babr. 6; beide Bilder verkörpern das poetologische Ideal der ‚süßen‘ Dichtung, das der Fischer durch das süße Spiel in Babr. 9 weiterführt.613 Des Weiteren stellt der Begriff eine Verbindung zu rhetorischen Schriften der Zweiten Sophistik her, da ἡδυφωνίη in diesen häufig als Terminus technicus Anwendung findet. Iulius Pollux verwendet den Begriff etwa in einer Abhandlung über die verschiedenen Stimm- und

606 Grundsätzlich bezeichnet dieser Begriff eine Art Zukost, die zu Brot und Wein gegessen wurde. In Attika verstand man darunter ein Fischgericht, wodurch sich die Bedeutung zu ‚Fisch‘ bzw. im Fall dieser Fabel zu einer kollektiven Bezeichnung für mehrere Fische wandelte, so verwendet etwa in Athen. 7,276E (7,3–4 K); Plut. mor. 667E–F; Zenob. 4,13; vgl. Babr. 4,2 (Kap. 6.7). 607 In Catulls Gedichten finden sich zahlreiche Beispiele für die neoterische Bildsprache, so unter anderem in 1; 13,9–10; 61,6–7; vgl. hierzu auch insbesondere die vita iners Tibulls, so z. B. in 1,1,57–58: Non ego laudari curo: Mea Delia, tecum | dum modo sim, quaeso segnis inersque vocer [Ich kümmere mich nicht darum, gelobt zu werden: Meine Delia, solange ich nur bei dir sein darf, möge ich, bitte, träge und untätig genannt werden]. 608 So etwa das süße und unbeschwerte Leben, das der Fischer führt, das Flötenspiel, die Vorliebe für kleine und einfache Dinge etc; für Hirtenfiguren vgl. Kap. 6.6 zu Babr. 3 sowie Kap. 6.9 zu Babr. 6. 609 Als ἁδύφωνος bei Sappho (fr. 153 Lobel-Page) oder Pratinas (fr. 4 Page); vgl. Luzzatto 1975a, 72. 610 So bei Alki. 2,9,2; Poll. 2,112; Tim.Soph. s. v. Κηλούμενος; Aisop. 11 P.; LXX Ez 33,32. 611 Beispielsweise Hesych. s. v. μελῳδία; Ioh.Chrys. ascet.facet. 48,1060. 612 Suda s. v. Κηλούμενος. 613 Zu diesen Elementen der babrianischen Dichtungsprogrammatik vgl. Kap. 4.3.

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Kommentar

Sprecharten, die in der Rede eingenommen werden können.614 Besonders relevant scheint die Passage eines Briefes Alkiphrons (2. Jahrhundert), in der er eine bukolische Szenerie und ein der vorliegenden Fabel sehr ähnliches Motiv beschreibt.615 Verglichen mit der Parallele bei Alkiphron mutet die Bearbeitung in Babr.  9 wie eine regelrechte Parodie des Stoffes an. Pratinas, Alkiphrons Protagonist und ebenfalls jemand, der von der Arbeit mit den Tieren zum Musizieren übergeht, spielt so süß, dass ihm plötzlich die Ziegen folgen; der Fischer in Babr. 9 scheitert mit seiner süßen Stimme jedoch. Auch an diesem Beispiel lässt sich die Nähe des Fischers zur Figur des bukolischen Hirten erkennen. Der Unterschied zwischen den beiden besteht darin, dass der Hirte in der Muße das Verlangen zu spielen verspürt und ihm unerwartet die Tiere zulaufen, der Fischer jedoch mit dem Ziel spielt, die Fische durch sein Flötenspiel anzulocken – in seiner Handlung entspricht er dem Ideal also genau nicht, denn dementsprechend kann gute Dichtung nur im otium entstehen. Nach dieser beschreibenden Passage, die den Fischer mit zahlreichen Attributen typischer Künstlerfiguren versieht, schreitet dieser in v.4 schließlich zur Tat: Er legt sein Netz zur Seite (τὸ δίκτυον θεὶς, v.4) und beginnt, musisch inspiriert auf seinem Aulos zu spielen (ἐτερέτιζεν εὐμούσως, v.4),616 eine Technik, die, anders als etwa das Fischen mit Fackeln,617 nicht belegt ist. Die Form ἐτερέτιζεν – durch die Auflösung im vierten Versfuß zusätzlich betont – fällt durch ihren lautmalerischen Charakter auf,

614 Vgl. Poll. 2,111–113; 2,117. 615 Alki. 2,9: Μεσημβρίας οὔσης σταθερᾶς φιλήνεμόν τινα ἐπιλεξάμενος πίτυν καὶ πρὸς τὰς αὔρας ἐκκειμένην, ὑπὸ ταύτῃ τὸ καῦμα ἐσκέπαζον. καί μοι ψυχάζοντι μάλ’ ἡδέως ἐπῆλθέ τι καὶ μουσικῆς ἐπαφήσασθαι, καὶ λαβὼν τὴν σύριγγα ἐπέτρεχον τῇ γλώττῃ, στενὸν τὸ πνεῦμα μετὰ τῶν χειλέων ἐπισύρων, καί μου ἡδύ τι καὶ νόμιον ἐξηκούετο μέλος. ἐν τούτῳ δέ, οὐκ οἶδ’ ὅπως, ὑπὸ τῆς ἡδυφωνίας θελγόμεναι πᾶσαί μοι πανταχόθεν αἱ αἶγες περιεχύθησαν, καὶ ἀφεῖσαι νέμεσθαι τοὺς κομάρους καὶ τὸ ἀνθέρικον ὅλαι τοῦ μέλους ἐγίνοντο. ἐγὼ δὲ ἐν μέσαις τὸν Ἠδωνὸν ἐμιμούμην τὸν παῖδα τῆς Καλλιόπης. ταῦτά σοι οὖν εὐαγγελίζομαι, φίλον ἄνδρα συνειδέναι βουλόμενος ὅτι μοι μουσικόν ἐστιν τὸ αἰπόλιον [Als es gerade Punkt Mittag war, suchte ich mir eine windliebende und den Lüften zugeneigte Fichte und trotzte unter dieser der Hitze. Und als ich mich da im Schatten ganz angenehm erfrischte, überkam es mich, mich auch ein wenig an der Musenkunst zu versuchen; und ich nahm die Syrinx und ließ meine Zunge darüber laufen, wobei ich mit den Lippen sanft einen zarten Hauch ausstieß und so hörte man von mir etwas Süßes, ein Hirtenlied. Dabei aber scharrten sich, ich weiß auch nicht, wie, alle Ziegen von überall her um mich, da sie von der Süße meines Spiels verzaubert wurden, und sie hörten auf, die Erdbeerbäume und den Affodil abzuweiden, und waren dem Lied ganz unterworfen. Ich in der Mitte war wie der Edoner, der Sohn der Kalliope. Dies nun verkünde ich dir, da ich will, dass auch ein lieber Freund weiß, dass ich eine den Musen geweihte Ziegenherde besitze]. 616 τερετίζω wird für die Erzeugung sowohl tierischer (‚zirpen‘, ‚zwitschern‘, ‚trällern‘; so in Poll. 5,90; Etym.m. s. v. τερετίσματα) als auch menschlicher Laute (‚pfeifen‘, ‚singen‘, ‚plappern‘; so in Aristot. probl. 918A; Hesych. s. v. τερετίζοντα; Dion Chrys. or. 32,69) verwendet. In diesem Zusammenhang bezeichnet das Verb das Spiel auf dem Aulos; vgl. Philostr. Ap. 6,36. Im Kontext von Instrumentalmusik auch bei Ps.-Zon. s. v. τερετίζειν (für die Kithara). 617 Vgl. Plat. soph. 220D.

Babr. 9

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der entfernt an die bukolische Onomatopoiie in Vergils erster Ekloge erinnert.618 Neben den onomatopoetischen Elementen führt das Adverb εὐμούσως die Bildsprache der vorhergehenden Verse fort: εὔμουσος (‚kunstfertig‘, ‚begabt in der Musenkunst [= Dichtung/Musik/Tanz]‘)619 wird häufig in Verbindung mit Musik, Dichtung und Kunst verwendet,620 ist jedoch nicht nur auf die musische Sphäre beschränkt, sondern findet generell im Kontext von Vortrag und öffentlichem Auftritt Anwendung.621 Das dazugehörige Substantiv εὐμουσία steht beispielsweise für musikalischen Wohlklang oder die metaphorische ‚Süße‘ eines Liedes,622 was wiederum den Bogen zur bereits besprochenen ἡδυφωνία spannt. Somit wird das Produkt des künstlerischen Schaffens nach v.1 (σοφῶς) und v.3 (ἡδυφωνίην) in v.4 zum dritten Mal charakterisiert. Die vv.1–4 stellen also eine heitere und beschwingte Szene dar: Das Element des fröhlichen Flötenspiels, die zahlreichen positiv konnotierten Ausdrücke (σοφῶς, ἡδυφωνίην, εὐμούσως) sowie das Fehlen von Beschwerlichkeit (ἀμοχθήτως) zeichnen eine entspannte Situation. In den darauffolgenden Versen vollzieht sich allerdings ein Stimmungsumschwung ins Negative, eingeleitet durch v.5. Der Anfangsoptimismus des Fischers wird in diesem Vers zunichte gemacht, er spielt vergeblich (μάτην ηὔλει) und verausgabt sich dabei bis zur Erschöpfung (φυσῶν ἔκαμε, betont durch die Auflösung im vierten Versfuß). Da die Fische jedoch nicht wie erwartet durch das Flötenspiel angelockt werden, greift er in den vv.6–10 zu anderen Maßnahmen: Er fängt viele Fische (ἔλαβεν ἰχθύας πλείστους, v.6; betont durch eine Auflösung im vierten Versfuß), lässt sie an Land zappeln und spottet dabei über sie. Zum Fischfang verwendet er statt des δίκτυον nun ein Schleppnetz (βαλὼν σαγήνην, v.6). Diese bereits aus Babr. 4 bekannten Netzarten werden hier unterschiedlich verwendet: Ersteres kommt vor dem feinen, gewitzten (Flöten-)Spiel zum Einsatz, zweiteres hingegen beim groben, gewaltsamen Fang, um eine möglichst große Wasserfläche abzufischen. Angesichts der Bilder der vv.1–4 fällt wiederum die poetologische Konnotation des Netzes sowie der Wechsel vom feinen zum groben Netztyp ins Auge.623 In den vv.7–8 betrachtet der Fischer die am Boden (ἐπὶ γῆς, v.7; Auflösung im ersten Versfuß) zappelnden Fische und setzt zur abschließenden Rede an. Der Ausdruck

618 Vgl. Verg. ecl. 1,1: Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi [Tityrus, der du zurückgelehnt unter dem Dach der ausladenden Buche liegst]. Die Lautmalerei könnte den Klang einer Flöte nachbilden und würde der Szene in Verbindung mit der Parallele bei Vergil eine bukolisch-heitere Note verleihen. 619 So etwa in Manetho 4,60; 5,269; vgl. LSJ s. v. εὔμουσος I 1. 620 Vgl. beispielsweise Eur. Iph. T. 145; Manetho 4,60; 5,269. 621 So in Plut. mor. 1119D, wo es das Geschick eines Redners bezeichnet; vgl. Luzzatto 1975a, 74. 622 So in Schol.Theokr. 5; vgl. LSJ s. v. εὐμουσία ΙΙ. 623 Zur Bedeutung des Netzes bei Babrios vgl. neben Babr. 4 (Kap. 6.7) auch 2 prol. (Kap. 6.3), wo davon gesprochen wird, die babrianische Dichtung sei eine komplexe poetische Spielerei, bezeichnet mit γρῖφοι. Der Begriff bedeutet buchstäblich ‚Fischernetz‘; zur poetologischen Bedeutung des Gewebes/Netzes vgl. Nünlist 1998, 110–116, sowie Kap. 4.3.

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Kommentar

σπαίροντας ἄλλον ἀλλοίως (v.7),624 der die Beobachtung des Fischers beschreibt, stellt dabei sowohl eine Verbindung zu Babr. 6 (dort bezeichnet σπαίρω die Verbalisierung einer vergeblichen Bitte nach Gnade)625 als auch einen Konnex mit Babr. 4 her – dort fängt der Fischer ein Netz voller bunt schillernder Fische, hier zappelt jeder Fisch auf andere Weise, was auf das bunte Schillern der Fische bzw. auf die Vielfalt der Arten verweist. Während er seinen βόλος  – sein Fangnetz626 oder seinen Fang Fische627  – wäscht, verspottet er (ἐκερτόμησεν, v.8) diese mit einem Ausspruch, der die Funktion eines Epimythions übernimmt. Die Rede des Fischers in den vv.9–10 wird durch ein doppeltes gesperrtes Polyptoton gerahmt: ἄναυλα (v.9)  – ηὔλουν (v.10) sowie χορεύειν (v.10)  – χοροὺς (v.10), wobei die beiden Elemente zueinander nochmals chiastisch gestellt sind. Er bemerkt, die Fische hätten damals tanzen sollen, als er für sie gespielt hat, jetzt allerdings müssten sie an Land tanzen. Die Pointe der Fabel beruht darauf, dass der Sprecher das Todeszappeln der Fische als Tanz ansieht und dies mit seinem bisherigen Aulosspiel in Beziehung setzt  – als komische Basis dient also der Unterschied zwischen dem angenommenen fabelimmanenten Verhalten von Fischen einerseits, die, wie etwa durch die Rede des Fischs in Babr. 6 demonstriert, durchaus menschenähnlich agieren, und ihrem realistischen tierischen Verhalten andererseits. Der Fischer bezeichnet dieses realistische Verhalten, also das Zappeln an Land, mit einem menschenähnlichen Verhalten, dem Tanz, und hebt somit die unterschiedlichen Rollen, die Tiere in Fabeln einnehmen können, hervor. In seiner Antwort greift der Fischer das Verhalten der Fische auf und spiegelt dieses: Als er sie, in der Annahme, sie würden wie Menschen reagieren, mit seiner Musik fangen wollte, hatte er keinen Erfolg; daher behandelt er sie nun, nachdem er sie mit einer wirksamen Methode gefangen hat, seiner Erfahrung gemäß wie Tiere, auch wenn sie dadurch größerem Leid ausgesetzt sind, wobei er sie in ihrem Todeskampf letztlich wieder vermenschlicht. Ihren Nachteil drückt er dabei mit dem Bild des Tanzes zur Musik aus.628 Dass der Kunst als Mittel des Ausdrucks dieses Konflikts zwischen menschlichem und tierischem Charakter eine große Bedeutung in der Fabel zukommt, zeigt sich in deren Gesamtstruktur: Der letzte Ausdruck in v.10,

624 (ἀ)σπαίρω bedeutet grundsätzlich ‚keuchen‘ und wird bei Homer (etwa in Il. 13,443) für sterbende Figuren verwendet. Der Ausdruck kann sich ebenfalls auf Fische an Land beziehen (so in Hdt. 9,120), wobei das Verb die Bedeutung ‚zappeln‘ annimmt. 625 Babr. 6,13; zu Babr. 6 vgl. Kap. 6.9. 626 So in Herodian. 7,75; Ail. nat. 8,3. In diesem Fall würden im Gedicht drei verschiedene Bezeichnungen für das Fischernetz vorkommen. 627 So in Aischyl. Pers. 424; Plut. mor. 91C,7–8. 628 Die Formulierung ἄναυλα ὀρχεῖσθαι bzw. χορεύειν wird bei Euripides (Phoen. 790) beispielsweise verwendet, um den Komos zu charakterisieren, hat ihren Ursprung also in der Terminologie für die Bezeichnung musischer Produktion; vgl. Luzzatto 1975a, 38. Zu weiteren Fabeln, die sich mit dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier in der Fabel auseinandersetzen, vgl. Babr. 8 (Kap. 6.11), 12 (Kap. 6.15), 13 (Kap. 6.16), 14 (Kap. 6.17) und 16 (Kap. 6.19); zur Thematik vgl. Kap. 5.4.

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ηὔλουν, greift ringkompositionsartig den letzten Ausdruck in v.1, ηὔλει, auf.629 Damit ergibt sich ein Gedicht von zehn Versen, das inhaltlich und strukturell symmetrisch gebaut ist, wobei der Akteur (bzw. die Akteure) in der Mitte der Fabel auf einer realen Ebene, am Beginn und am Schluss jedoch auf einer fabelinternen literarischen Ebene agieren. Parallel dazu lässt sich ein Verlauf von einer positiven zu einer negativen Inszenierung erkennen, wobei die positive Inszenierung auf der literarischen Ebene, die negative jedoch auf der realen Ebene abläuft. V.5 kommt durch seine Mittelstellung bei diesem Verlauf eine Scharnierfunktion zu, hier schlägt die positive Grundstimmung in den negativen Ausgang für die Fische um.630 Daneben drückt die Äußerung des Fischers aus, dass (zu späte) Einsicht nicht vor Schaden schützt. Dies würde einem tragischen Weltbild gleichkommen, das etwa in Babr. 7 ebenfalls eine Rolle spielt.631 Die beschriebene symmetrische Struktur des Gedichts mit der Peripetie von der positiven in die negative Grundhaltung sowie die herodoteische Parallele,632 auf die im Folgenden eingegangen wird, bekräftigen diesen Eindruck. 4) Parallelen Bei dieser Fabel handelt es sich um einen der bekanntesten und meistbearbeiteten Fabelstoffe der Antike,633 von dem eine Umsetzung aus vorhellenistischer Zeit vorliegt. Sie findet sich im ersten Buch von Herodots Historiae634 (5. Jahrhundert v. Chr.) und ist als eine der wenigen erhaltenen Fabeln in einen konkreten Kontext eingebettet: Nachdem die Perser unter der Herrschaft des Kyros das Lyderreich und dessen König Kroisos unterworfen haben, schicken die Volksstämme Gesandte zum persischen

629 Vgl. hierzu auch Becker (2006, 175–176, Anm. 26), die die vv.1b–2a dennoch athetiert. 630 Die hier vorgeschlagene Struktur wäre ein weiteres Argument dafür, dass das Epimythion nicht Teil des ursprünglichen Textes war; zur Anrede des Lesers in diesem Epimythion vgl. Kap. 4.1. 631 Zu Babr. 7 vgl. Kap. 6.10. 632 Herodots Geschichtswerk wird ebenfalls eine tragische Grundauffassung der Welt zugrunde gelegt. 633 Die Paraphrase der babrianischen Version findet sich auch auf einem Papyrus aus dem dritten Jahrhundert; vgl. Rodríguez Adrados 1999b, 9–10. Vaio (1970) resümiert, dass in der Antike noch andere Bearbeitungen und Paraphrasen gegeben haben dürfte. Für einen Überblick über die hier behandelten Parallelversionen vgl. West 1984, 108, Anm. 7, Kurke 2011, 400–404, sowie van Dijk 2015, 771–772. 634 Hdt. 1,141: ὁ δὲ ἀκούσας αὐτῶν τὰ προΐσχοντο ἔλεξέ σφι λόγον, ἄνδρα φὰς αὐλητὴν ἰδόντα ἰχθῦς ἐν τῇ θαλάσσῃ αὐλέειν, δοκέοντά σφεας ἐξελεύσεσθαι ἐς γῆν· ὡς δὲ ψευσθῆναι τῆς ἐλπίδος, λαβεῖν ἀμφίβληστρον καὶ περιβαλεῖν τε πλῆθος πολλὸν τῶν ἰχθύων καὶ ἐξειρύσαι, ἰδόντα δὲ παλλομένους εἰπεῖν ἄρα αὐτὸν πρὸς τοὺς ἰχθῦς· Παύεσθέ μοι ὀρχεόμενοι, ἐπεὶ οὐδ’ ἐμέο αὐλέοντος ἠθέλετε ἐκβαίνειν ὀρχεόμενοι [Nachdem er von ihnen das gehört hatte, was sie vorgebracht hatten, erzählte er ihnen eine Fabel, wobei er sagte, dass ein Mann, ein Aulosspieler, Fische im Meer sah und auf seinem Aulos spielte, da er meinte, diese würden dadurch an Land kommen. Als er in seiner Hoffnung getäuscht worden war, habe er ein Netz genommen, es auf eine große Menge der Fische geworfen und diese herausgezogen. Als er sie dann herumzappeln sah, habe er Folgendes zu den Fischen gesagt: „Hört mir auf zu tanzen, da ihr auch nicht herauskommen und tanzen wolltet, als ich gespielt habe“].

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Kommentar

Großkönig, um darum zu bitten, ihm unter denselben Bedingungen Untertanen sein zu dürfen, wie sie es Kroisos zuvor waren. Als Antwort erzählt Kyros den Gesandten die vorliegende Fabel, wodurch er zum Ausdruck bringt, dass sie diese Zugeständnisse erhalten hätten, wenn sie zuvor auf seine Aufforderung hin von Kroisos abgefallen wären und sich ihm angeschlossen hätten. Im Vergleich mit Babr.  9 fällt neben der erwähnten Kontextualisierung bei Herodot das Fehlen jeglicher spezifischen Terminologie für den Fischfang auf, die in Babr. 9 stärker ausgeprägt ist. Im Gegensatz zur Version in den Mythiamboi wird der Protagonist bei Herodot schon von Anfang an als Flötenspieler (αὐλητής) und nicht als Fischer (ἁλιεύς) bezeichnet. Dieser will mithilfe seiner Musik – von der Süße des Spiels wird nicht gesprochen – Fische fangen, er wendet sein Können also auf Bereiche an, die mit dem Flötenspiel eigentlich gar nichts zu tun haben. Im Gegensatz dazu ist der Protagonist in Babr. 9 bereits ein Fischer, der versucht, zusätzlich zu herkömmlichen Methoden mithilfe des Aulosspiels schneller und leichter zum Ziel zu gelangen. Man könnte daher davon ausgehen, dass die Charakterisierung als ἁλιεύς am Beginn von Babr. 9 also eingefügt wurde, um die aus der Fabeltradition bekannte Figur mit der Person des Fischers zu verknüpfen. Eine weitere Bearbeitung des Stoffs findet sich in der Collectio Augustana.635 Ähnlich der babrianischen Bearbeitung charakterisiert dies Fabel den Protagonisten ebenfalls als einen im Flötenspiel bewanderten Fischer. In beiden Fällen spielt die ἡδυφωνία für dessen Erfolg eine Rolle; in der Version der Collectio Augustana liegt der Fokus auf den Fischen, sie sollen von selbst zum Fischer springen (αὐτομάτους […] ἐξάλλεσθαι). Babr. 9 hingegen nimmt die Folgen für den Fischer stärker in den Blick, seine Tätigkeit wird durch das Flötenspiel mühelos (ἀμοχθήτως, v.2). Diese Mühelosigkeit ist zwar implizit auch in Aisop. 11 P. präsent, jedoch weist αὐτομάτους auf den eigenen Antrieb der Fische hin. Dabei drängt sich eine Parallele mit dem αὐτόματος βίος des Goldenen Zeitalters auf, der das Leben der Menschen mühelos macht, seinen Ausgangspunkt jedoch nicht bei ihnen selbst nimmt. Umgekehrt wird bei Babrios somit der

635 Aisop. 11 P.: ἁλιεὺς αὐλητικῆς ἔμπειρος ἀναλαβὼν αὐλοὺς καὶ τὰ δίκτυα παρεγένετο εἰς τὴν θάλασσαν καὶ στὰς ἐπί τινος προβλῆτος πέτρας τὸ μὲν πρῶτον ᾖδε, νομίζων αὐτομάτους πρὸς τὴν ἡδυφωνίαν τοὺς ἰχθύας ἐξάλλεσθαι. ὡς δὲ αὐτοῦ ἐπὶ πολὺ διατεινομένου οὐδὲν πέρας ἠνύετο, ἀποθέμενος τοὺς αὐλοὺς ἀνείλετο τὸ ἀμφίβληστρον καὶ βαλὼν κατὰ τοῦ ὕδατος πολλοὺς ἰχθύας ἤγρευσεν. ἐκβαλὼν δὲ αὐτοὺς ἀπὸ τῶν δικτύων ἐπὶ τὴν ἠιόνα ὡς ἐθεάσατο σπαίροντας, ἔφη· „ὦ κάκιστα ζῷα, ὑμεῖς, ὅτε μὲν ηὔλουν, οὐκ ὠρχεῖσθε, νῦν δέ, ὅτε πέπαυμαι, τοῦτο πράττετε.“ πρὸς τοὺς παρὰ καιρόν τι πράττοντας ὁ λόγος εὔκαιρος [Ein Fischer, der im Aulosspiel bewandert war, nahm Aulos und Netze und begab sich zum Meer. Er stellte sich auf einen markanten Felsen und spielte zuerst in der Meinung, die Fische würden von selbst zur Süße seines Spiels herausspringen. Als er, obwohl er sich aufs Äußerste anstrengte, schlussendlich nichts erreicht hatte, legte er den Aulos beiseite, nahm sein Netz zur Hand, warf es ins Wasser und fing so viele Fische. Als er sie vom Netz an den Strand warf und beobachtete, wie sie zappelten, sagte er: „Ihr schlimmsten Tiere, ihr habt, als ich auf dem Aulos spielte, nicht getanzt, nun aber, wo ich aufgehört habe, tut ihr es.“ Die Fabel passt gut zu denen, die etwas zur falschen Zeit tun]. Zum Verhältnis der Mythiamboi und der Collectio Augustana vgl. Kap. 2.3.

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Aspekt der menschengeschaffenen Mühelosigkeit hervorgehoben.636 Weitere Unterschiede bestehen in der Überanstrengung des Fischers  – in der Collectio Augustana wird sie als allgemeine körperliche Erschöpfung, in den Mythiamboi als unmittelbare Folge des Aulosspiels beschrieben –, in den verschiedenen Bezeichnungen für Netze (ἀμφίβληστρον in der Collectio Augustana vs. σαγήνη bei Babrios) sowie in den abweichenden Schlüssen, wobei Aisop. 11 P. auf moralische Weise die Angewohnheit, Dinge zur falschen Zeit zu tun, kritisiert, während Babr. 9 für die Fische anstelle einer Moral eher Spott und Hohn übrighat. Neben diesen Parallelen finden sich Bearbeitungen, die in der Nachfolge der Mythiamboi entstanden sind, etwa in der Fabelsammlung des Aphthonios v. Antiochia (4.  bzw. 5.  Jahrhundert).637 Neben einer stofflichen Kürzung und deutlichen lexikalischen Bezügen zur Version in der Collectio Augustana fällt auf, dass der Vorgang des Fischfangs in Aphth. 33 völlig ausgespart bleibt und sich nur in umschriebenen Formulierungen (εἷλεν, οὓς αὐλῶν οὐκ ἐθήρασεν) wiederfindet. Die gesamte humorvolle Pointe, die Fische hätten früher zur Musik des Fischers tanzen sollen, wurde mit einem Epimythion ersetzt, das die Fabel zu einem Beispiel dafür macht, dass Kenntnisse nur in den richtigen Situationen Erfolg bringen. Weniger ertragreich für die Interpretation der Fabel scheint schließlich ein fragmentarisch überlieferter, gnomischer Ausspruch in den Aesopi Proverbia,638 dessen Kontext nicht genau rekonstruierbar ist, für den allerdings angenommen wird, dass er sich auf diesen Fabelstoff bezieht. Der Vergleiche mit parallelen Bearbeitungen zeigt neben der unterschiedlich ausgeprägten Rolle des Fischfangs vor allem, dass jene Bilder in Babr. 9, die den Fischer charakterisieren und poetologischen Topoi entsprechen, fast ausschließlich in der babrianischen Version zu finden sind. Dies betrifft das kunstfertige Spiel – in den anderen Bearbeitungen wird der Fischer als lediglich des Aulosspiels kundig (ἔμπειρος639 bzw. ἐπιστάμενος640) beschrieben, bei Herodot fehlt das Detail, dass er σοφῶς oder εὐμούσως spielt, ganz – oder die Aussage, der Fischer bediene sich seiner Fangstrate636 In diesem Sinne würde die Darstellung in Babr. 9 den Zuständen widersprechen, die im ersten Prolog dargestellt werden; vgl. dazu Babr. 1 prol. (Kap. 6.2). 637 Aphth. 33: ΜΥΘΟΣ Ο ΤΟΥ ΑΛΙΕΩΣ ΑΥΛΗΤΟΥ ΠΑΡΑΙΝΩΝ ΤΑΙΣ ΤΕΧΝΑΙΣ ΠΡΟΣΦΟΡΩΣ ΧΡΗΣΘΑΙ. ἀνὴρ ἁλιεὺς ὁμοῦ καὶ αὐλεῖν ἐπιστάμενος τοὺς αὐλοὺς λαβὼν καὶ τὰ δίκτυα παρὰ τὴν θάλασσαν οὐδὲν εἶχε λαβεῖν. ὡς δὲ τοῖς αὐλοῖς ἠπόρει θηρᾶν, τούτους ἀφεὶς ἐπὶ τὸ δίκτυον ᾔει καὶ χρώμενος εἷλεν, οὓς αὐλῶν οὐκ ἐθήρασεν. γέρας αἱ τέχναι τοῖς προσήκουσι πράγμασι νέμουσιν [Die Fabel des aulosspielenden Fischers, die dazu rät, seine Fertigkeiten sinnvoll einzusetzen. Ein Mann, ein Fischer, der es gleichsam auch verstand, auf dem Aulos zu spielen, nahm seinen Aulos und seine Netze zum Meer mit, konnte aber nichts fangen. Als er nicht mehr weiterwusste, wie er mit seinem Aulosspiel Fische fangen sollte, legte er diesen beiseite, ging zum Netz und fing mit dessen Hilfe, was er durch das Aulosspiel nicht gefangen hatte. Ein Geschenk sind die Fertigkeiten für jene, die sie auf geeignete Dinge anwenden]. 638 Aesopi Prov. 115: Ὡς αὐλεῖς, ὀρχοῦμαί σοι. | Ἑρμηνεία. Πηδατα σ< > | < >χης< >σ. [Wie du spielst, so tanze ich dir. Erklärung eines Sprungs (?)]. 639 Aisop. 11 P. 640 Aphth. 33.

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gie, um die Fische mühelos zu fangen. Es hat den Anschein, als würden auch hier die poetologisch konnotierten Elemente das Unikum der Babriosfabel darstellen. Daneben weisen die parallelen Bearbeitungen eine stärkere Kontextualisierung der Fabel auf, bei Herodot etwa durch die narrative Einbettung, bei Aphthonios durch Pro- und Epimythien sowie in der Collectio Augustana durch moralisierend-wertende Tendenzen. Dagegen finden sich in Babr. 9 lediglich spöttische Bemerkungen vonseiten des Fischers, die der Moral jedoch entbehren. 5) Gesamtbetrachtung Der Stoff, auf dem Babr. 9 basiert, ist keineswegs neu, wie die zahlreichen Bearbeitungen zeigen. Spannung in der babrianischen Version entsteht durch einen Konflikt auf Ebene der Mensch-Tier-Beziehung. Zunächst geht der Fischer bei seiner ungewöhnlichen Fangmethode davon aus, dass die Fische wie Menschen durch seine Kunst gefesselt werden, er anthropomorphisiert sie, wie dies für die Fabel durchaus typisch ist.641 Erfolg hat er dann jedoch nur mit einer üblichen Fangmethode, die die Fische wieder zu Tieren macht, die dem Fischer ins Netz gehen. Trotz dieses Umstands vermenschlicht dieser sie am Ende jedoch erneut, indem er sie anspricht und ihr real-animalisches Zappeln als fabeltypisch-anthropomorphes Tanzen bezeichnet. Während die tanzenden oder die von der Musik betörten Fische eher an jene Figur erinnern, die sich in Babr. 6 flehentlich mit dem Fischer unterhält, sind sie beim Fang durch das Netz ganz Tier. Die Bemerkung des Fischers am Ende greift diese Gegensätze gezielt auf. Hinzu kommt, dass sein Handeln in allen Schritten mit poetologisch aufgeladenen Begriffen geschildert wird, was die Verbindung zwischen den Fischerfabeln und der babrianischen Dichtungsprogrammatik, ähnlich wie in Babr. 4 und 6, auch hier hervorhebt. Die verwendeten Bilder beziehen sich auf verschiedene poetische Aspekte, so etwa auf den Dichter und die Dichtung selbst, sie spiegeln Motive in anderen literarischen Texten wider und beziehen die drei Fabeln zusätzlich durch entsprechende Verweise aufeinander.642 Während Babr. 9 für sich genommen schlüssig und sinnvoll erscheint, ermöglicht das Gedicht einem Leser, der das Werk sukzessive liest, Synergien zu erkennen, die sich auf die Interpretation aller drei Fabeln auswirken, etwa wenn der Fischer durch seine durchgehende Charakterisierung als Künstler als fester Typ erscheint oder der Fisch immer wieder poetologisch instrumentalisiert wird: Nach dem Entkommen durch das grobmaschige Netz in Babr. 4, einem Zeichen der Niederlage der Großform,

641 So etwa in Babr.  1 prol. (vgl. Kap.  6.2), wo Tiere sogar die menschliche Sprache besitzen; vgl. Kap. 5.4 zur ‚Anthropomorphisierung‘ in den Mythiamboi. 642 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, inwiefern der Versuch des Fischers, Fische mit Musik zu fangen, auf die poetologisch deutbare Szene des in Babr. 6 erwähnten Aristophanesfragments (fr. 51) anspielt, in dem die Sprecherinnen mit ihrem zarten Rohr, das sowohl ein Jagd- als auch Musikinstrument bezeichnen kann, Zikaden jagen; vgl. dazu Kap. 6.9.

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sowie der Verkörperung der feinen Dichtung in Babr. 6 steht der Fisch in Babr. 9 für die vermeintliche Belohnung für musische Ambitionen, die oftmals ausbleibt. Insgesamt handelt es sich bei Babr. 9 also um den letzten Teil einer über drei Fabeln verteilten Zurschaustellung dichtungsprogrammatischer Ideen, die die Ausführungen in den Prologen fortführen. Darüber hinaus stellt die Fabel jedoch ein prägnantes Beispiel für ein wiederkehrendes Gestaltungsprinzip der analysierten Gedichte dar: Die präsentierte Situation steht im direkten Widerspruch zu den Schilderungen des ersten Prologs. Kommunikation zwischen Mensch und Tier ist hier gerade nicht möglich und der Fischer hat keinen Erfolg, weil die Erde gerade nichts von sich aus gibt, wie dies im Goldenen Zeitalter des Prologs der Fall wäre – illustriert durch das die Fische beschreibenden Stichwort αὐτομάτους in der Parallelbearbeitung Aisop. 11 P., das auf den αὐτόματος βίος der Goldenen Zeit verweist, in Babr. 9 jedoch auffällig fehlt. 6.13 Babr. 10 Αἰσχρῆς τις ἤρα καὶ κακορρύπου δούλης ἰδίης ἑαυτοῦ, καὶ παρεῖχεν αἰτούσῃ ἅπανθ’ ἑτοίμως. ἡ δὲ χρυσίου πλήρης, σύρουσα λεπτὴν πορφύρην ἐπὶ κνήμης, πᾶσαν μάχην συνῆπτεν οἰκοδεσποίνῃ· τὴν δ’ Ἀφροδίτην ὥσπερ αἰτίην τούτων λύχνοις ἐτίμα, καὶ καθ’ ἡμέρην πᾶσαν ἔθυεν ηὔχεθ’ ἱκέτευεν ἠρώτα· ἕως ποτ’ αὐτῶν ἡ θεὸς καθευδόντων ἦλθεν καθ’ ὕπνους, καὶ φανεῖσα τῇ δούλῃ „μή μοι χάριν σχῇς ὡς καλήν σε ποιούσῃ· τούτῳ κεχόλωμαί“ φησιν „ᾧ καλὴ φαίνῃ.“ [ἅπας ὁ τοῖς αἰσχροῖσιν ὡς καλοῖς χαίρων, θεοβλαβής τίς ἐστι καὶ φρένας πηρός.]

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Einer liebte eine hässliche und ausgesprochen schmutzige Sklavin – seine eigene – und gewährte ihr bereitwillig alles, wenn sie es forderte. Diese – sie war voll von Goldschmuck und schleppte ein zartes Purpurgewand bis zu ihren Knöcheln – [5] fing jeglichen Streit mit der Herrin des Hauses an. Aphrodite ehrte sie mit Lampen, als wäre sie der Grund dafür, und jeden Tag opferte sie ihr, betete zu ihr, flehte sie an und wandte sich fragend an sie, bis einmal die Göttin, als sie schliefen, [10] im Traum zu ihr kam. Sie erschien der Sklavin und sagte: „Sei mir nicht dankbar, als ob ich dich schön gemacht hätte: Diesem zürne ich, dem du schön erscheinst.“ [ Jeder, der sich über schändliche Dinge wie über schöne freut, der ist gottgestraft und geistesabwesend.]

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1) Gliederung vv.1–3a Exposition  – Ein Herr verliebt sich in seine hässliche Sklavin und gewährt ihr jeden Wunsch. vv.3b–5 Beschreibung des Aussehens der Sklavin; Streit mit der Hausherrin. vv.6–8: Actio – Die Sklavin hält eine Segnung der Aphrodite für den Grund ihrer glücklichen Lage, bringt ihr daher ständig Opfer dar und verehrt sie eifrig. vv.9–12 Reactio und Schluss. vv.9–10: Aphrodite erscheint der Sklavin eines Nachts im Traum. vv.11–12: Rede der Göttin – Sie habe nicht die Sklavin gesegnet, sondern zürne ihrem Herrn, dem diese schön erscheine. vv.13–14 (Vermutlich unechtes) Epimythion – Wer sich über Hässliches wie über Schönes freut, ist nicht bei klarem Verstand. 2) Kommentar v.1  Αἰσχρῆς: In A und G sowie in der Suda wird diese Form als αἰσχρᾶς überliefert. Ein konjiziertes ionisches η findet sich erstmals bei Crusius643 und wurde in den nachfolgenden Editionen übernommen. v.1  ἤρα: Imperfekt von ἐράω mit Genetivobjekt. Der vorliegende Vers wird in der Suda als Beispiel für diese Verwendung von ἤρα zitiert.644 v.1  κακορρύπου: Ein hapax legomenon.645 Während in G κακοτρόπου überliefert wird,646 dürfte es sich bei κακορρύπου im Sinne der lectio difficilior um die korrekte Lesart handeln. v.3  πλήρης: Zu diesem typischen Versschluss vgl. Kap.  2.3, Anm.  156 und Kap. 3. v.4  ἐπὶ κνήμης: Zur vergleichbaren Verwendung von ἐπὶ mit dem Genetiv in Babr. 2 vgl. Kap. 6.5, Kommentar zu v.9 (ἐπὶ κρήνης). vv.13–14  ἅπας […] πηρός: Die Interpolation dieses Epimythions in A ist an πηρός in v.14 erkennbar: Die Regel, im letzten Versfuß Quantitäten und Wortakzent zusammenfallen zu lassen, wird in den übrigen Fabeln akribisch eingehalten, in diesem Fall allerdings nicht.647 Hinzu kommt, dass das Epimythion in G fehlt.648 Eine Aufnahme in den Text kann durch eine Konjektur gerechtfertigt werden: φρενῶν ἔξω statt φρένας πηρός.649 Allerdings widersprechen Luzzatto und La Penna einander in dieser Frage: 643 Vgl. Crusius 1897, 17. 644 Suda. s. v. Ἤρα. 645 Vgl. LSJ s. v. κακόρρυπος. Vgl. Kap. 2.3. 646 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 12. 647 Vgl. Hohmann 1907, 113–114; 124; Ferrari 1988, 94; Vaio 2001, 26; Kap. 2.1, Anm. 21. 648 Vgl. Husselman 1935, 110. 649 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 12.

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Während erstere das Epimythion für authentisch hält, sieht zweiterer es als eine Interpolation an.650 Unter anderem wurde der inhaltliche Widerspruch zwischen Epimythion und Handlung der Fabel als Hinweis auf eine Interpolation angesehen.651 Parallelen: Ba 6 (Knöll = 18 Ch.); Tetr. 1,10 3) Analyse Babr.  10 stellt nach Babr.  2 über einen Bauern, der sein Werkzeug verliert und vergeblich um göttliche Hilfe beim Wiederfinden bittet, die zweite Fabel der Sammlung dar, die gänzlich ohne tierische Figuren auskommt und die ebenfalls das Verhältnis von Göttern und Menschen thematisiert.652 Sie lässt sich in vier bzw. fünf Teile gliedern. Auf die Exposition der vv.1–3a folgt eine ausführliche Beschreibung der Sklavin (vv.3b–5). Ihre Actio nimmt die vv.6–8 ein, die Reactio der Aphrodite und ihre die Fabel beschließende Rede die vv.9–12. Ein angefügtes Epimythion umfasst die vv.13–14. Eingeleitet wird das Gedicht durch die Beschreibung einer Sklavin, die den ganzen v.1 einnimmt. Diese wird als hässlich (αἰσχρῆς) und äußerst schmutzig (κακορρύπου) bezeichnet, was zugleich ihren sozialen Stand verdeutlicht. Durch die Stellung dieser Adjektive am Beginn und gegen Ende sowie durch die Platzierung des Bezugswortes δούλης an der finalen Position im Vers wird die Figur der Sklavin besonders hervorgehoben. Diese ist lediglich Objekt der Handlung, während das Subjekt mit einem enklitischen und damit unscheinbaren τις eingeführt wird: ‚Jemand‘ liebt diese Sklavin. Im Enjambement am Beginn von v.2 wird eröffnet, wer die unbestimmte Figur ist: ihr Herr – sie ist sein Eigentum (ἰδίης ἑαυτοῦ, v.2), was durch eine Auflösung im ersten Versfuß unterstrichen wird. Auch im zweiten Vers bleibt die Sklavin im Dativ (αἰτούσῃ) Objekt der Handlung, Subjekt ist nach wie vor ihr anonymer Herr: Bereitwillig (ἑτοίμως) – wiederum durch ein Enjambement betont – gewährt er ihr in seiner Liebe alles, was sie von ihm verlangt (παρεῖχεν αἰτούσῃ | ἅπανθ’, vv.2–3). Die dadurch illustrierte Umkehr der sozialen Verhältnisse  – ein Herr, der seiner Sklavin dient  – 650 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 205. Luzzatto hat die Aufnahme des Epimythions zu einem späteren Zeitpunkt verteidigt; vgl. Luzzatto 1989, 277. 651 Vgl. Crusius 1896, 2661; Hohmann 1907, 113–114. Hauptargument ist, dass die Fabel von der Situation der Sklavin handelt, das Epimythion sich jedoch auf das Unglück ihres Herrn bezieht. Allerdings sollte diesem Umstand nicht zu große Bedeutung beigemessen werden; im Laufe der Analyse stellt sich heraus, dass der Herr indirekt sehr wohl im Zentrum der Handlung steht. Die metrischen Eigenheiten sprechen dennoch gegen die Authentizität des Epimythions. Vaio (2001, 26) argumentiert, dass Babrios auch πῆρος geschrieben haben könnte, weshalb er mehr Gewicht auf das inhaltliche Argument legt. In jedem Fall spricht einiges dafür, das Epimythion nicht in die Interpretation mit einzubeziehen; vgl. auch Holzberg 2019, 60. Becker (2006, 183) bezeichnet das Epimythion als „erklärende Interpolation“, die durch einen Redaktor vorgenommen worden sein könnte, um die ansonsten schwer verständliche Fabel zu erläutern; vgl. Becker 2006, 84, Anm. 46. 652 Zu Babr. 2 vgl. Kap. 6.5.

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scheint mit dem elegischen Motiv des servitium amoris zu spielen: In der Elegie dient der Verliebte zumeist als ‚Sklave‘ einer als schön dargestellten ‚Herrin‘, hier allerdings ist seine Herrin überaus unattraktiv653 und noch dazu selbst Sklavin. Dass es sich bei der Herrin der Elegie meist um eine Hetäre handelt, wird in Babr. 10 wiederum aufgegriffen, wenn die Sklavin im Folgenden mit den Attributen dieses Berufsstandes ausgestattet wird. Augenfällig ist in der Exposition, dass die Sklavin zwar in den Mittelpunkt gerückt wird, ihr Herr jedoch die handelnde Person darstellt, obwohl er in der folgenden Erzählung nur marginal präsent ist.654 Diese Inkongruenz könnte die Erklärung für die Rede der Aphrodite am Ende und für die Bedeutung der Fabel insgesamt bieten, wie sich im Verlauf der Erzählung herausstellt. In der folgenden Passage, der Reaktion der Sklavin auf die Geschehnisse der Einleitung, wird diese selbst zum handelnden Subjekt (vv.3b–5): Sie wird als voll von Goldschmuck und goldenen Ornamenten (χρυσίου πλήρης, v.3)655 und in purpurne Gewänder (λεπτὴν πορφύρην, v.4)656 gehüllt beschrieben, die ihr bis zu den Knöcheln hinabreichen.657 Ihre Kleidung verleiht der Sklavin Züge einer Hetäre, was in absurdem Gegensatz zu ihrem schmutzigen Äußeren steht. Die Beschreibung, wie die Sklavin das goldbesetzte Kleid trägt, verstärkt diesen Eindruck: σύρουσα λεπτὴν πορφύρην ἐπὶ κνήμης (v.4). Sie schleift das Kleid bis zu den Knöcheln hinter sich her, ein Bild, das Dekadenz vermittelt,658 jedoch im Gegensatz zur sozialen Stellung der Frau steht; die Kleidung wirkt, als ob sie für sie zu schwer und damit buchstäblich nicht ‚tragbar‘ wäre, was ihr lächerliches Auftreten noch verstärkt.659 Die kurze, aber detaillierte Beschreibung zeugt von einer geringen Distanz zwischen Beobachtenden und Objekt660 und greift mehrere Bilder auf, die bereits aus vorhergehenden Fabeln bekannt sind: Zum einen könnte der Goldschmuck der Frau aufgrund lexikalischer Parallelen – in beiden

653 Vgl. Seibold 2016, 301. 654 Vgl. Nøjgaard (1967, 285), der dies als perspektivische Inkongruenz auf inhaltlicher und grammatischer Ebene erklärt. 655 χρύσιον bezeichnet die goldenen Ornamente auf der Kleidung der Sklavin. Gewöhnlich tritt das Substantiv in dieser Verwendung im Plural auf, so etwa in Plut. mor. 472A; vgl. dazu auch Rutherford 1883, 15. Es ist jedoch nicht abwegig, dass bei Babrios auch die Singularform in dieser Bedeutung vorkommt: Bereits im zweiten Prolog bezeichnet χρύσιον einer möglichen Lesart zufolge das goldene Zaumzeug eines Pferdes – eine Verzierung, die als Metapher für das Gesamtwerk steht, vgl. dazu 2 prol.,7 (Kap. 6.3). 656 πορφύρη ist im Sinne eines abstractum pro concreto als purpurfarbenes Kleid bzw. Gewänder zu verstehen, in dieser Verwendung etwa auch in Aischyl. Ag. 957; Aristot. eth.Nic. 1123A; Plut. mor. 472A (wo das Purpurgewand sogar, wie hier, mit Goldverzierungen beschrieben wird). 657 Ähnlich ausführliche beschreibende bzw. erklärende Passagen finden sich in den analysierten Fabeln etwa in Babr. 2 (vgl. Kap. 6.5) oder 11 (vgl. Kap. 6.14). 658 Vgl. dazu etwa Phaedr. 5,1,12, wo der Dichter Menander als parfümierter und in wallende Gewänder gehüllter (vestitu fluens) Schnösel dargestellt wird. Sklaven tragen Kleider in der Regel geschürzt, um arbeiten zu können; ein Kleid bis zu den Knöcheln verhindert dies. 659 Vgl. Seibold 2016, 301; Telò 2006, 43–44. 660 Vgl. Nøjgaard 1967, 283.

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Gedichten wird derselbe Begriff, χρύσιον, verwendet – auf die goldene Verzierung des Mythiambos aus dem zweiten Prolog anspielen, wo diese Metapher zur Charakterisierung der eigenen Dichtung herangezogen wird. Auch der Versschluss πλήρης in v.3 verweist auf bereits besprochene Fabeln zurück.661 Zum anderen treten vor allem in den Anfangsgedichten der Sammlung Ausdrücke der Zartheit gehäuft auf, von denen einige als Bezug zum hellenistisch-programmatischen Ideal der poetischen Kleinform verstanden werden können.662 Die Beschreibung der Sklavin kann ebenfalls in diesem Kontext gedeutet werden.663 Man könnte die gewählte Wortwahl daher zum Anlass für eine poetologische Deutung der Fabel nehmen, deren Erkenntnisse in einer abschließenden Gesamtbetrachtung nochmals thematisiert werden. Bereits die Beschreibung ihrer Erscheinung vermittelt den Eindruck, dass die Sklavin sich nicht ihrer sozialen Stellung gemäß verhält, da sie in kostbaren Gewändern und reich verziert auftritt, und dieser Eindruck wird noch unterstrichen, wenn v.5 beschreibt, wie die Sklavin sogar mit der Hausherrin in direkte Konkurrenz tritt. Die Wendung μάχην συνάπτειν ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, die einerseits als Teil des militärischen Vokabulars der Historiographie664 die Intensität, andererseits als Begriff der griechischen Tragödie665 die Emotionalität der Konfliktsituation vor Augen führt. Hier wird deutlich: Die Sklavin stellt sich mit ihrem Auftreten und ihrem Verhalten auf dieselbe Stufe wie die legitime Ehefrau ihres Herrn. In der Folge wird in den vv.6–8 beschrieben, worauf die Sklavin ihre vorteilhafte Position zurückführt und wie sie darauf reagiert: Im Glauben, Aphrodite habe ihr das gegenwärtige Liebes- und Lebensglück beschert, bringt sie der Göttin jeden Tag Opfer dar und betet zu ihr. Bereits die Formulierung ὥσπερ αἰτίην τούτων in v.6 deutet proleptisch an, dass Aphrodite nur scheinbar der Grund für den Glückszustand der Sklavin ist. Im Sinne des Spiels mit der Lesererwartung dient dies bereits als Motor der Komik, da ein vom Text zunächst suggerierter Zustand am Ende der Erzählung nicht oder zumindest nicht in der erwarteten Art und Weise eintritt. Besonders ὥσπερ in der Mitte des Verses zeigt an, dass hier auf den Schluss der Fabel, der diese Formulierung mit ὡς in v.11 wieder aufgreift, vorausgewiesen wird. Die Ehrerbringungen der Sklavin werden mit λύχνοι vollzogen, die durch ein Enjambement prominent am Beginn von v.7 stehen. Bei diesem Objekt, der Lampe oder Laterne, handelt es sich um ein Symbol, das bereits seit der Alten Komödie mit Liebschaften und daher explizit mit Aphrodite666 in Verbindung gebracht wurde: So ist die Lampe bei Aristophanes die 661 662 663 664 665

Zum Phänomen der lexikalischen Verknüpfung der Fabeln bei Babrios vgl. Kap. 3. So in Babr. 4,3 (vgl. Kap. 6.7); 6,2 (vgl. Kap. 6.9); 13,1 (vgl. Kap. 6.16). Zum poetologischen Motiv der Feinheit in den Mythiamboi vgl. Kap. 4.3. So etwa bei Herodot (6,108), wo sie eine feindliche Konfrontation bezeichnet. So etwa in Eur. Alc. 1140; Heraclid. 808, wo die Phrase eine emotionale Auseinandersetzung zwischen zwei Menschen bezeichnet. 666 Die Verbindung zwischen Aphrodite und der Lampe als Zeugin des nächtlichen Liebesspiels findet sich ab dem fünften Jahrhundert v. Chr. sowohl in literarischen als auch archäologischen Zeug-

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einzige Zeugin der nackten weiblichen Körper während des Liebesspiels.667 Auch die brennende Lampe in Klytaimnestras Schlafgemach in Aischylos’ Agamemnon668 ist ein Zeichen dafür, dass sie auf die Ankunft ihres Liebhabers Aigisthos wartet.669 Ab dem Hellenismus tritt die Lampe in Epigrammen hauptsächlich als Sinnbild für unehrenhafte Liebe zu Frauen von geringem Ansehen sowie zu treubrüchigen Frauen – meist Hetären670 – auf, wobei die Lampe sowohl Zeugin der Liebesschwüre als auch deren Bruchs ist.671 Ausgehend von dieser Darstellung wird die Lampe in der Dichtung der Kaiserzeit und besonders der Spätantike672 mit Aphrodite in Verbindung gebracht und tritt sogar als personifizierte Figur auf.673 Die Assoziation mit Aphrodite erklärt sich daraus, dass sich das Einflussgebiet der Göttin als Schutzherrin mitunter geheimer Liebschaften auf Situationen erstreckt, die im Geheimen und im Dunkel der Nacht stattfinden. Die Lampe wird somit als Mitwisserin einer nächtlichen, geheimen Liebe gesehen.674 Daher könnte die vorliegende Formulierung einerseits bedeuten, dass die Sklavin Aphrodite durch das Entzünden von Lampen verehrt,675 andererseits könnte es sich aber um eine Metapher für den nächtlichen Geschlechtsverkehr im Sinne eines Dienstes an der Göttin handeln. Diese Deutung wird darüber hinaus durch αὐτῶν […] καθευδόντων (v.9) unterstützt, was nahelegt, dass damit die Sklavin und ihr Herr nach dem Liebesspiel gemeint sind. Weitere Gesten der göttlichen Verehrung werden in den vv.7–8 vorgestellt: Durch das Enjambement καθ’ ἡμέρην πᾶσαν | ἔθυεν in vv.7–8 wird eine Reihe von Prädikaten im Imperfekt eingeführt, die die wiederholten Handlungen der Sklavin bei Tageslicht beschreiben. καθ’ ἡμέρην πᾶσαν betont diese Wiederholung, handelt es sich dabei

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nissen. Darstellungen der Aphrodite auf Lampen sind bereits seit dem siebten Jahrhundert v. Chr. belegt, so Parisinou (2000, 24–28), wobei Lampen wiederum häufig gemeinsam mit anderen Votivgaben in Heiligtümern der Aphrodite in Kleinasien und benachbarten Gebieten gefunden wurden; vgl. Greaves 2004, 28–29. Vgl. Aristoph. Eccl. 1–13. Vgl. Aischyl. Ag. 880–885. Vgl. Parisinou 2000, 27. Die Lampe verdeutlicht bei der Charakterisierung von Hetären deren luxuriösen Lebensstil im Gegensatz zur Bescheidenheit der idealtypischen keuschen Ehefrau, wie sich etwa an der aufwendigen Gestaltung und Verarbeitung von beispielsweise bronzenen Hetärenlampen mit mehreren Hälsern im Vergleich zu einfachen einhälsigen Haushaltslampen aus Ton erkennen lässt; vgl. Parisinou 2000, 24–25. Auch bei Babrios wird die Sklavin mit wallenden goldverzierten Gewändern wie eine luxuriöse Hetäre dargestellt, die in Konkurrenz zur Ehefrau tritt. So etwa in Anth.Gr. 5,7 (Asklepiades) und 5,8 (Meleagros); vgl. Parisinou 2000, 27–28. So etwa in Nonn. Dion. 2,323–324; Mus. 5–6; Hld. 1,17,2; Antiph. fr. 1 Meineke. So bezeichnet der Grammatiker und Epiker Musaios in seinem Epyllion über Hero und Leander (5–6) die Laterne als Dienerin der Aphrodite. Heliodor (1,17,2) beschreibt eine nächtliche Vereinigungsszene, wobei der junge Mann gerade erst in den ‚Sport der Aphrodite‘ eingeführt worden ist und eine nächtliche Lampe gelöscht wird, damit die Beteiligten nicht verraten werden. Vgl. Holzberg (2019, 203 [s. v. 10]), der die Entzündung der Lampen bzw. Fackeln als Bitte der Sklavin an die Göttin sieht, die Liebesflamme des Herrn zu erhalten.

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doch um die Verbindung zweier Wendungen, die für sich genommen bereits zeitliche Häufigkeit und Dauer ausdrücken, καθ’ ἡμέραν und πᾶσαν τὴν ἡμέραν. Die Kombination könnte als Verstärkung im Sinne eines Hendiadyoins verstanden werden: Die Sklavin ehrt Aphrodite jeden Tag und das den ganzen Tag lang; die rhythmische Aufzählung ihrer Tätigkeiten in v.8 betont dieser Aspekt weiter. Dass sie Aphrodite sowohl tagsüber als auch nachts dient, wird in v.7 in einem Vers dargestellt – λύχνοις symbolisiert dabei ihre nächtlichen Dienste, ἡμέρην πᾶσαν jene, die sie bei Tag durchführt. Die Position der Begriffe am Beginn und Ende des Verses hebt die Antithese Tag – Nacht zusätzlich hervor. Die beständige Wiederholung der Tätigkeiten wird erstens durch die Erwähnung der Tageszeiten, zweitens durch die vier Verben im (iterativen) Imperfekt in v.8,676 und drittens durch dessen lautliche Beschaffenheit677 verstärkt. Die als wiederholt geschilderten Tätigkeiten der Sklavin stellen so eine ironische Übertreibung von kultischer Verehrung dar.678 Die statisch-lineare Schilderung wird in v.9 durch das Adverb ποτ’ und in v.10 durch ἦλθεν (und damit die erste Verwendung des Aorists in dieser Fabel) abrupt unterbrochen;679 hier setzt eine spezifische Handlung ein: Während die Sklavin und ihr Herr schlafen, erscheint Ersterer die Göttin Aphrodite (ἡ θεὸς, v.9) im Traum.680 Durch die Stellung von τῇ δούλῃ an der letzten Position von v.10, also in Parallele zu δούλης in v.1, wird hier bereits die Ringkomposition vorbereitet, die in den folgenden beiden Versen ihren Abschluss findet. Die vv.11–12 bestehen, wie sehr oft bei Babrios, aus einer abschließenden Figurenrede, die die Geschichte in eine Pointe münden lässt: Aphrodite spricht zur Sklavin und fordert sie auf, ihr nicht zu danken, als ob sie sie schön gemacht hätte. Strukturell wird v.11 von der Partizipialkonstruktion μοι […] ποιούσῃ umschlos676 Vgl. Seibold (2016, 302), die das iterative Imperfekt als Übersteigerung der kultischen Handlungen als Ausgangspunkt für die folgende Peripetie bezeichnet sowie Nøjgaard (1967, 339–340), der die vorliegende Passage als besonders prägnantes Beispiel für eine negative Wirkung asyndetischer Aufzählungen in den Mythiamboi anführt. 677 Der lautliche Charakter dieses Verses errgibt sich aus einer Kombination des Versmaßes und der assonanten Silben εθ – εθ – ετ – ωτ sowie υ – ηυ – ευ. Durch die Wiederholung ähnlicher Silben über mehrere Worte hinweg wird so der Eindruck der Zirkularität der Handlung verstärkt. Über die genaue rhythmische Wirkung des Versmaßes sowie über eine zusätzliche Wiederholung des Lautes η/υ/ι (durch den Iotazismus phonetisch identisch realisiert) kann hier nur spekuliert werden. 678 Vgl. Nøjgaard 1967, 293. 679 Dieser Tempuswechsel kann als starke Zäsur innerhalb der Fabel gesehen werden. Während die bisherige Schilderung den Eindruck eines statischen Bildes erweckt (alle Prädikate im Imperfekt), setzt erst mit v.9 die tatsächliche Handlung im Aorist ein. Vgl. Nøjgaard (1967, 236), der hier von der „Situation statique“, die sich durch den völligen Stillstand der Erzählung auszeichne, und der „partie active“ spricht. 680 Bezeichnend ist dabei die Formulierung καθ’ ὕπνους: Während das Substantiv ὕπνος (‚Schlaf ‘) bisweilen in der allgemeinen Bedeutung ‚Traum‘ im Plural und in Verbindung mit Präpositionen auftreten kann, findet sich die spezifische Wendung κατὰ τοὺς ὕπνους in den Biographien Plutarchs (so etwa in Rom. 2,5; Per. 3,3; Alc. 39,1; Sull. 9,7), wo sie im Kontext von verheißungsvollen Traumbildern, die von Gottheiten eingegeben werden, verwendet wird. Eine ähnliche Bedeutung liegt hier angesichts der inhaltlichen Parallelen nahe.

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sen und durch die Partikel ὡς in der Mitte geteilt. Das dabei eine zentrale Position einnehmende ὡς stellt gleichsam einen Verweis auf das bereits erwähnte ὥσπερ in derselben Position in v.6 dar, sodass eine Vergleichspartikel sowohl die Mitte als auch das Ende des Gedichts markiert. Somit wird ὥσπερ in v.6 zum Kommentar des Erzählers, dessen Wissen erst mit der Rede der Göttin den Figuren und dem Lesepublikum bekannt wird: Die Göttin erklärt, dass sie nicht der Sklavin gewogen sei, sondern deren Herrn zürne. Ob das unrechtmäßige Begehren des Herrn der Grund für Aphrodites Groll ist, oder ob dieser umgekehrt zur strafenden Folge hat, dass die schmutzige Sklavin ihm schön erscheint, bleibt dabei offen. Diese Aussage in v.12, durch den Anapäst κεχόλωμαί im zweiten Versfuß betont, bezieht sich auf die Einleitung der Fabel zurück, wo zwar die Sklavin prominent am Anfang steht, jedoch nur als grammatisches Objekt auftritt, während das Augenmerk auf ihren Herrn gerichtet ist. Durch die grammatische Struktur der Einleitung ist der Ausgang der Fabel bereits vorbereitet: Die Figur des Herrn dient anfangs lediglich der Charakterisierung der Sklavin und verschwindet nach der Einleitung sofort wieder. Aus der Rede der Aphrodite wird allerdings deutlich, dass der Herr der eigentliche Fokus der Geschichte und die Sklavin entweder der Grund für seinen Leidensweg oder lediglich ein Symptom dessen war. Somit wird diese Fabel von einer Ringkomposition gerahmt – sie ist in zwei gleich lange Teile geteilt, die jeweils am Anfang und Ende inhaltlich und zusätzlich in der Mitte und am Ende lexikalisch (siehe ὡς – ὥσπερ) markiert sind. Auf das mit großer Wahrscheinlichkeit interpolierte Epimythion, das die Liebe zum Schändlichen anprangert, wurde oben verwiesen.681 4) Parallelen Es ist keine antike Fabel bekannt, die inhaltlich mit der vorliegenden vergleichbar wäre. Dies legt nahe, dass es sich um eine Eigenkreation des Autors handelt.682 Lediglich spätere byzantinische Bearbeitungen des Stoffs rezipieren die Babriosfabel. Die erste Version findet sich in den Tetrasticha des Ignatios Diakonos.683 Einen auffälligen Unterschied zu Babr. 10 stellt neben der Verkürzung des Stoffs die Exposition des Tetrastichons dar, in der beschrieben wird, dass es Kypris, also Aphrodite, gewesen sei, die dem Herrn die Liebe zu seiner Sklavin eingegeben habe. Diese veränderte Exposition beeinflusst das Verständnis der Fabel: Bei Babrios wird anfangs eben nicht dargelegt, dass Aphrodite die Liebschaft der beiden Akteure zu verschulden hat, wodurch die prägnante Pointe am Schluss überhaupt erst möglich wird – zuerst ist dem Leser 681 Vgl. dazu den Kommentar zu den vv.13–14 (ἅπας […] πηρός). 682 Vgl. Seibold 2016, 299. 683 Tetr. 1,10: Ἀνδρὸς πόθον μετῆξεν εἰς δούλην Κύπρις. | ἣ δ’ αὖ γ’ ἐτίμα τὴν θεὰν καθ’ ἡμέραν, | ἕως καθ’ ὕπνους φησὶ „μὴ τίμα σύ με· | τὸν ἄνδρα πημαίνω γάρ, οὐ ποθῶ σέ γε“ [Kypris entfesselte die Begierde eines Mannes nach einer Sklavin. Diese brachte der Göttin nun täglich Ehrbezeugungen dar, bis sie ihr im Schlaf sagte: „Ehre du mich nicht: Dem Mann will ich Schaden antun, dich liebe ich nicht“].

Babr. 10

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nicht klar, wer dafür verantwortlich ist; dann vermutet er aus Sicht der Sklavin Aphrodite, allerdings aus den falschen Gründen, bevor die Göttin in ihrer Rede die Situation auflöst. Im Vergleich mit dem Tetrastichon wird dieser Aspekt der Leserlenkung bei Babrios besonders deutlich. Des Weiteren ist eine byzantinische Prosaparaphrase des Textes überliefert.684 Sie gibt den Inhalt großteils unverändert wieder und übernimmt dabei sprachliche Wendungen aus der babrianischen Vorlage. Im Gegensatz zum Epimythion bei Babr. 10 ist der Paraphrase ein moralisierendes Promythion vorangestellt, das davor warnt, sich von unehrenhaften Menschen hinters Licht führen zu lassen. Der Inhalt der Fabel scheint als Illustration dieser Mahnung allerdings unpassend gewählt, da die Sklavin zwar vorgibt, etwas zu sein, was sie nicht ist, selbst aber einer Täuschung zum Opfer fällt. Die Paraphrase untermauert einige der dargelegten Deutungen, unter anderem, was die häufige und wiederholte Verehrung der Gottheit  – vgl. συνεχῶς (‚unablässig‘) – oder den Fokus der Erzählung auf die pointierte Schlussrede Aphrodites betrifft, die in der Paraphrase erst im letzten Satz direkt spricht. 5) Gesamtbetrachtung In mehrfacher Hinsicht wird mit Babr. 10 ein Bogen zu Babr. 2 gespannt: So handelt es sich bei beiden Gedichten nicht nur um Fabeln, die gänzlich ohne tierische Figuren auskommen, sondern auch um thematisch verwandte Erzählungen: In Babr. 2 und 10 wird das Wirken der Götter thematisiert und gewissermaßen entzaubert. Während der Bauer in der zweiten Fabel feststellen muss, dass ihm kein Gott bei der Aufklärung eines Diebstahls helfen, ja diesen nicht einmal in seinem eigenen Tempel verhindern kann, ist die Sklavin hier ernüchtert, da die angenommene Gunst einer Göttin in Wahrheit die Bestrafung eines anderen darstellt oder zu dessen Bestrafung führt.685 Im Gegensatz zu Babr. 2, wo die Fähigkeit und der Zuständigkeitsbereich einer Gottheit geschmälert werden, bewahrt Aphrodite in Babr. 10 jedoch ihre Macht über den Menschen. Der Fehler liegt allein bei der Sklavin, die die Situation falsch eingeschätzt

684 Ba 6 (Knöll = 18 Ch.): Ὅτι οὐ δεῖ τυφοῦσθαι τοὺς δι’ αἰσχρὰ πλουτοῦντας καὶ μάλιστα, εἰ ἀγενεῖς εἰσι καὶ ἄμορφοι [πρὸς αἰσχύνην μείζονα]. | Αἰσχρᾶς καὶ κακοτρόπου δούλης ἤρα δεσπότης· ἡ δὲ χρυσίον λαμβάνουσα λαμπρῶς ἑαυτὴν ἐκόσμει καὶ τῇ ἰδίᾳ δεσποίνῃ μάχας συνῆπτε· τῇ δὲ Ἀφροδίτῃ ἔθυεν συνεχῶς καὶ ηὔχετο ὡς ὡραίαν αὐτὴν ποιούσῃ. ἡ δὲ καθ’ ὕπνους φανεῖσα τῇ δούλῃ ἔφη, μὴ ἔχειν αὐτῇ χάριν ὡς καλὴν αὐτὴν ποιούσῃ· „ἀλλ’ ἐκείνῳ θυμοῦμαι καὶ ὀργίζομαι, ᾧ σὺ φαίνῃ καλή“ [, dass man sich nicht von denjenigen blenden lassen soll, die durch Schändliches reich sind und besonders, wenn sie unehrenhaft und hässlich sind [ zu größerer Schande ]. | Ein Herr liebte seine hässliche und hinterhältige Sklavin: Diese nahm Goldschmuck, schmückte sich selbst prachtvoll und zettelte mit ihrer eigenen Herrin Streitereien an; Aphrodite opferte sie unentwegt und betete zu ihr, als ob sie sie schön gemacht hätte. Diese erschien der Sklavin im Schlaf und sagte, dass sie ihr nicht danken solle, als ob sie sie schön gemacht hätte: „Denn jenem zürne ich heftig, dem du schön scheinst“]. 685 Diese Desillusionierung im Kontakt mit dem Göttlichen findet sich nicht nur in den beiden genannten Gedichten; so beispielsweise auch in Babr. 20 und 30.

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Kommentar

hat. Die Tatsache, dass die Göttin ihr in Folge ihrer übertriebenen Dankbarkeitsbezeugungen686 persönlich im Traum erscheint – aller Erwartung nach, um ihr Segen oder eine schicksalshafte Prophezeiung zu offenbaren  –, sie dann allerdings lediglich auf ihre Fehleinschätzung hinweist, lässt diese Fabel auf eine besonders bösartige Note enden.687 Doch auch die übrigen in der Fabel behandelten Themen sind im Kontext der Fabelsammlung relevant, zumal sie hier ein Spiel mit verschiedenen literarischen Gattungen nahelegen: Die Verbindung eines erotischen Themas (die Liebe des Herrn und der Sklavin sowie ihr Liebesspiel – symbolisiert durch die Lampen der Aphrodite), das die antike Liebeselegie evoziert, mit der ästhetischen Bewertung des weiblichen Aussehens (die Sklavin ist hässlich, sie hält sich für von Aphrodite gesegnet, ist es in Wahrheit aber keineswegs) ist ein typisches Element iambischer Dichtung, das auf berühmte Vorgänger im sogenannten Frauen-Iambos des Semonides688 oder in Archilochos’ Schmähdichtung auf Neobule689 zurückblickt. Neben dem Epos, der Tragödie oder dem Epigramm in den vorangehenden Gedichten halten mit Babr. 10 also die Liebeselegie und die iambische Dichtung Einzug in die Fabel. Damit zeigt sich auch die poetologische Bedeutung des Gedichts: Markiert durch das Motiv der Feinheit illustriert die Figur der Sklavin die Idee, dass jemand der sich mangels entsprechender Erkenntnis unpassend inszeniert, sich der Lächerlichkeit preisgibt. Im Kontext der Mythiamboi könnte dies, ähnlich wie in Babr. 17,690 auf die Unmöglichkeit verweisen, den Iambos von seinem iambischen Charakter zu befreien. In diesem Sinne zeigt Babr. 10, dass die Ankündigung der Prologe, den Fabeln das Stechen zu nehmen und die Form für völlig neue Inhalte passend zu machen, in den einzelnen Fabeln keineswegs erfüllt wird und dass im Gegenteil an vielen Stellen typisch iambische Inhalte nach wie vor präsent sind. Da man gerade beim Stoff dieser Fabel annehmen kann, er stamme von Babrios selbst, verstärkt dies diesen Eindruck noch weiter. 6.14 Babr. 11 Ἀλώπεκ’ ἐχθρὴν ἀμπέλων τε καὶ κήπων ξένῃ θελήσας περιβαλεῖν τις αἰκείῃ τὴν κέρκον ἅψας καὶ λίνου τι προσδήσας ἀφῆκε φεύγειν. τὴν δ’ ἐπίσκοπος δαίμων ἐς τὰς ἀρούρας τοῦ βαλόντος ὡδήγει

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686 Die Sklavin übertreibt durch ihre kultischen Dienste sowie durch ihr unangemessenes Gebaren, was bereits zu Beginn der Fabel eine komische Grundstimmung erzeugt; vgl. Nøjgaard 1967, 304. 687 Auch hier zeigt sich, dass der friedfertige Umgang zwischen Menschen und Göttern aus dem ersten Prolog in den Fabeln nicht realisiert wird; vgl. dazu Kap. 6.2 sowie Kap. 5.4. 688 Semon. fr. 7 West; vgl. Hawkins 2014, 125–126. 689 Vgl. z. B. Archil. fr. 196a West. 690 Zu Babr. 17 vgl. Kap. 6.20.

Babr. 11

τὸ πῦρ φέρουσαν. ἦν δὲ ληίων ὥρη καὶ καλλίπαις ἀμητὸς ἐλπίδων πλήρης. ὁ δ’ ἠκολούθει τὸν πολὺν κόπον κλαίων, οὐδ’ εἶδεν αὐτοῦ τὴν ἅλωα Δημήτηρ. χρὴ πρᾶον εἶναι μηδ’ ἄμετρα θυμοῦσθαι. ἔστιν τις ὀργῆς νέμεσις, ἣν φυλαττοίμην, αὐτοῖς βλάβην φέρουσα τοῖς δυσοργήτοις.

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10

Den Fuchs, den Feind der Weinberge und der Gärten, wollte einer mit einer ausgefallenen Misshandlung bestrafen, zündete seinen Schwanz an, band auch ein Stück Leinen daran und ließ ihn dann fliehen. Den aber führte eine wachsame Gottheit [5] auf die Felder dessen, der ihn bestraft und fortgejagt hatte – während er das Feuer mit sich trug. Es war gerade die Zeit der reifen Kornfelder, und die Ernte mit ihren schönen Kindern war voller Hoffnungen. Er nun verfolgte ihn und weinte um seine viele Mühe, doch nicht erblickte Demeter seine Tenne. [10] Nötig ist es, mild zu sein und nicht übermäßig zu zürnen. Es gibt für Zorn eine gewisse Vergeltung, vor der ich mich hüten möge, die den Jähzornigen selbst Schaden bringt.

1) Gliederung vv.1–2 Exposition – Ein Bauer will einen Fuchs bestrafen. vv.3–4a Actio – Er zündet den Schwanz des Fuchses an, bindet ein Stück Leinen daran und lässt ihn laufen. vv.4b–6a Reactio – Eine Gottheit lenkt den Fuchs mit dem brennenden Schwanz auf das Feld desselben Bauern, der ihn in Brand gesteckt hat. vv.6b–7 Digression – Es ist gerade Erntezeit. vv.8–9 Schluss – Der Bauer läuft dem Fuchs weinend nach, doch kann er seine Ernte nicht mehr vor dem Feuer retten. vv.10–12 Epimythion – Auf übermäßigen Zorn folgt die Vergeltung, daher sollte man Milde walten lassen. 2) Kommentar v.2  περιβαλεῖν: περιβάλλειν erhält bisweilen im Kontext des Strafvollzugs mit dem Dativ die Bedeutung ‚jemanden mit einer Strafe belegen bzw. versehen‘.691 v.3  τὴν κέρκον ἅψας καὶ λίνου τι προσδήσας: Hysteron-Proteron. Zum gegensätzlichen Verhältnis von grammatischer und logischer Handlungsabfolge vgl. die folgende Analyse.

691 Vgl. Clem.Al. strom. 4,7,52,3 (Verbannung); Plut. Arist. 4,4 (Strafe); auch übertragen: Demosth. or. 22,35 (Schande); Eur. Or. 906 (Übel); Lys. or. 4,20 (unheilbares Übel).

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Kommentar

v.4  τὴν: Hier wird die homerisch noch stark, später nur mehr schwach demonstrative Qualität des Artikels deutlich, der sich als Demonstrativum meist auf bereits Erwähntes (in diesem Fall ἡ ἀλώπηξ) bezieht.692 v.7  καὶ καλλίπαις ἀμητὸς ἐλπίδων πλήρης: In den Textzeugen A, G und Π3 werden unterschiedliche Lesarten überliefert. Da die Texte in G und Π3 jedoch durch metrische und lexikalische693 Unregelmäßigkeiten sowie durch die Aufnahme von Glossen in den Vers auffallen, scheint A am plausibelsten.694 v.7  ἀμητὸς: Entgegen der Konjektur ἄμητος695 ist die Endbetonung dieses Wortes möglich, der bewegliche Akzent dient bei Grammatikern zur Unterscheidung des Substantivs (nicht endbetont) vom Adjektiv (endbetont).696 Allerdings scheint diese Unterscheidung nicht konsequent befolgt worden zu sein, zumal die Zuschreibung mitunter auch umgekehrt ist.697 Da A, G und die Prosaparaphrase Ba die Endbetonung anführen, wurde die Lesart hier beibehalten.698 v.7  ἐλπίδων πλήρης: Zu diesem typischen Versschluss vgl. Kap. 2.3, Anm. 156 sowie Kap. 3. Eine ähnlicher Ausdruck bei Landschaftsbeschreibungen lässt sich bei zeitgenössischen Autoren, finden.699 v.11  φυλαττοίμην: Der Optativ φυλαττοίμην ist hier im engeren Sinne als Wunsch des Sprechers an sich selbst aufzufassen.700 v.12  δυσοργήτοις: Hierbei handelt es sich um eine Nebenform zu δύσοργος (‚jähzornig‘). Sie kommt vor allem in fachwissenschaftlichen Werken, etwa in Lexika701 sowie medizinischen702 und rhetorischen Schriften,703 vor. Ihre Verwendung außerhalb von wissenschaftlichem Spezialvokabular illustriert Babrios’ Vorliebe für entlegene und ungebräuchliche Formen. Parallelen: LXX Iudc 15,4–5; Ov. fast. 4,701–712; Aphth. 38; PAmh 2,26.

692 So z. B. in Hom. Il. 1,33; 1,346; vgl. Schwyzer/Debrunner 1950, 20. In ähnlicher Weise kommt der Artikel in Babr. 17 zum Einsatz, vgl. dazu den Kommentar zu v.3 (τὸν) in Kap. 6.20. 693 G überliefert am Beginn dieses Verses das unverständliche τοιθηδὲ; vgl. Husselman 1935, 112. 694 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 13; Vaio 2001, 27–28; Holzberg 2019, 62. 695 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 13. 696 Vgl. LSJ s. v. ἄμητος Ι 2. 697 Vgl. LSJ s. v. ἄμητος Ι 2; Chandler 1881, § 324; Vaio 2001, 28–29. 698 Bestätigend Rutherford 1883, 17; Crusius 1897, 18. 699 Z. B. Lukian. Hes. 7, dort wird die Ernte als θέρους ἐλπίδα [Hoffnung des Sommers] bezeichnet; vgl. Luzzatto 1975a, 71. 700 Wie z. B. in Hom. Il. 22,304. 701 So in der Suda s. v. Ὀρέστης; Hesych. s. v. δυσόργητον; Phot. s. v. Ἀπαρηγόρητος ὀργή. 702 Insbesondere in Schriften zur Physiognomik, etwa in Aristot. phgn. 811A; 812A; Adamant. phgn. 1,7; 1,11; 2,21; 2,22; Ps.-Polem. phgn. 11; 37. 703 So in Lib. decl. 16,51; 16,53; Poll. 1,39; 1,42; 5,80; 6,29; 6,125; 8,12.

Babr. 11

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3) Analyse Babr. 11 stellt die zweite Fabel der Sammlung in der überlieferten Form dar, in der ein Fuchs als Akteur auftritt.704 Sie besteht aus sechs Teilen: Die Exposition, die die vv.1–2 umfasst, leitet die Actio des Bauern (vv.3–4a) ein. Die Reactio der Gottheit wird in den vv.4b–6a ausgedrückt. Eine Digression (vv.6b–7) unterbricht die Handlung vor dem Schluss der vv.8–9 und dem Epimythion der vv.10–12. Der Fuchs, eine der bekanntesten Figuren in der antiken Fabel, steht prominent an erster Stelle in v.1, der Rest des Verses dient seiner Charakterisierung: Der Fuchs wird durch eine Apposition beschrieben – er ist der Feind der Weinberge und Gärten.705 Entgegen Nøjgaards Ansicht, wonach allen Beschreibungen des Fuchses in den Mythiamboi rein ausschmückende Funktion zukomme,706 scheint die vorliegende Passage bedeutungstragend: Zum einen verweist die Beschreibung auf ein in der Antike verbreitetes Bild ; die Vorstellung, dass der Fuchs Weinbergen und Obstgärten verhasst war, lässt sich auf einige Eigenschaften zurückführen, die dem Fuchs in der Antike zugeschrieben wurden. So nahm man an, er ernähre sich von Trauben707 und sein Urin würde den Boden ein Jahr lang unfruchtbar machen.708 In der Vorstellung der Römer galt der Fuchs gar als ‚Korndämon‘, der an den Cerealia mit angebundenen Fackeln durch den Circus getrieben wurde.709 Zum anderen spielt die Passage auf eine konkrete Fabel an, jene vom Fuchs und der Weinrebe, in der der Fuchs versucht, die Trauben zu erhaschen und seinen Misserfolg mit der Aussage kommentiert, dass die Trauben noch gar nicht reif seien. Die Fabel, die diesen Stoff in den Mythiamboi umsetzt, Babr. 19, hebt dabei ein weiteres Charakteristikum der Fuchsfigur in der antiken Fabel bzw. in der antiken Literatur im Allgemeinen hervor – sein gerissenes Wesen:710 Die Tatsache, dass der Fuchs in Babr. 19 nie namentlich genannt, sondern lediglich als κερδώ,711 der Gerissene, bezeichnet wird, legt nahe, dass ein antiker Leser mit ihm als Sinnbild der Schläue vertraut gewesen sein muss und mit einer gewissen Erwartungshaltung an eine Fabel wie Babr. 11, die ἀλώπεκ’ an ihren Anfang stellt, herangeht. Dieser 704 Zum Fuchs als Akteur in den Mythiamboi vgl. Babr. 1 (Kap. 6.4), Anm. 219. 705 Das bereits mit dieser Beschreibung eingeführte ländliche Milieu findet Parallelen etwa in Babr. 1 (vgl. Kap. 6.4), 2 (vgl. Kap. 6.5), 3 (vgl. Kap. 6.6), 5 (vgl. Kap. 6.8), 12 (vgl. Kap. 6.15) und 13 (vgl. Kap. 6.16). Vgl. hierzu insbesondere Babr. 13,2 (Kap. 6.16), wo die Kraniche parallel zum Fuchs in dieser Fabel als Feinde des kultivierten Landes dargestellt werden. 706 Vgl. Nøjgaard 1967, 197, Anm. 6. 707 Vgl. Theokr. eid. 1,48–49 und 5,112–113, wo Füchse Trauben stehlen und fressen, sowie Varro rust. 1,8,5. 708 Schol.Kall. h. 3,79; vgl. Ar.Byz. Epit. 2,406; Tim.Gaz. 5,13. Auf diese ‚Feindschaft‘ ist vielleicht auch die Aussage zurückzuführen, sein Fleisch wäre genau zur Zeit der Traubenreife am schmackhaftesten; vgl. Gal. 15,882; Nik. Alex. 185. 709 Vgl. Wellmann 1910, 192; Hünemörder 2006. Dieses Motiv findet sich auch in Ov. fast. 4,681; 4,701– 712; 6,197; 6,302. Eine mögliche Verbindung könnte ferner zur Abwehr gegen Getreidebrand (robigo) bestehen, der eine rötliche Verfärbung des Getreides hervorruft. 710 Für entsprechende Zeugnisse vgl. Babr. 1 (Kap. 6.4, Anm. 236) sowie Babr. 14 (Kap. 6.17, Anm. 901). 711 Babr. 19,3.

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Kommentar

Erwartung kann der Fuchs in Babr. 11 jedoch nicht gerecht werden, wie sich im Verlauf der Fabel herausstellt: Entgegen der Annahme, der Fuchs trete hier wie in Babr. 19 als Akteur in Aktion, wird dieser bereits von Beginn der Fabel an nie als Akteur, sondern lediglich als Objekt, nicht als Spieler, sondern eher als ‚Spielball‘ außenstehender Kräfte charakterisiert. Dies spiegelt sich auch in seiner grammatischen Rolle im Satz wider – er wird als Akkusativobjekt eingeführt (ἀλώπεκ, v.1) und legt diese Rolle die gesamte Fabel über nicht ab. Eine der handelnden Kräfte wird in v.2 präsentiert: Ein zunächst unbestimmter τις – im Verlauf der Fabel stellt sich heraus, dass es sich dabei um einen Bauern handelt712 – möchte den Fuchs bestrafen. Wo die beiden Figuren aufeinandertreffen, ist zunächst nicht klar, die Charakterisierung des Fuchses würde allerdings nahelegen, dass es sich um den ländlichen Raum eines Obst- oder Weingartens bzw. einer anderen Anbaufläche handelt. Die Bestrafung durch den so eingeführten unbestimmten Akteur wird durch das Verb περιβαλεῖν, betont durch die Mittelstellung in v.2 und durch die Auflösung im vierten Versfuß, ausgedrückt. Die Art der Strafe – sie ist ungewöhnlich, ja sogar fremdartig (ξένῃ […] αἰκείῃ, v.2) – ist durch ein Hyperbaton auffällig an den Anfang und das Ende des Verses gerückt, was den Fokus ebenfalls auf das Zentrum, die Bestrafung, lenkt. Deren Ausführung wird in v.3 beschrieben: Der handelnde τις steckt den Schwanz des Fuchses in Brand, indem er ein Stück Leinen daran festbindet und anzündet, und jagt diesen anschließend davon. Mit ἀφῆκε (v.4) findet sich die erste finite Verbform der Fabel, davor bezeichnen lediglich Partizipien die Handlung, was das Zeitverhältnis der einzelnen Handlungsabschnitte mitunter unklar werden lässt. Dies betrifft insbesondere v.3: Die beiden Aoristpartizipien ἅψας und προσδήσας lassen grundsätzlich kein Tempusrelief erkennen; würde man den chronologischen Ablauf mit der sequenziellen Anordnung der beiden Partizipien gleichsetzen, würde der Protagonist den Schwanz des Fuchses anzünden, bevor er ein Stück Stoff daran bindet. Der Versbau, der die beiden Handlungen mit καί voneinander trennt, lässt das Erzählte merkwürdig, gar unlogisch erscheinen. Zwar könnte die zweitgenannte Handlung angesichts der Aoristpartizipien vor der erstgenannten geschehen sein – der Protagonist bindet das Stoffstück fest und setzt es anschließend in Brand – oder der Form προσδήσας könnte eine explanative Funktion zukommen – Er setzt den Schwanz des Fuchses in Brand, indem er (zuvor) ein Stück Stoff daran festbindet – jedoch dürfte eine solche Satzstellung auch für einen antiken Leser auffällig gewesen sein. In diesem Sinne würde sie die Aufmerksamkeit des Lesers auf jene Tat lenken, von der im Folgenden das weitere Geschehen ausgeht. Während die vv.1–3 eher eine vorbereitende Beschreibung der Situation darstellen, liefert die finite Verbform ἀφῆκε am Beginn von v.4 den Anstoß zur eigentlichen Handlung – hier beginnt das Bild, Dynamik zu entwickeln.

712 Zum Bauern in anderen Fabeln der Mythiamboi vgl. Babr. 2 (Kap. 6.5, Anm. 284).

Babr. 11

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Das demonstrative τὴν – gemeint ist damit sowohl der Fuchs als auch τὴν κέρκον (v.3), sein Schwanz – eröffnet ein Hyperbaton, das erst zwei Verse weiter mit φέρουσαν (v.6) abgeschlossen wird. Dieses Stilmittel zögert den Ausgang der Handlung hinaus und steigert so die Spannung. Der Leser erfährt noch in v.4, dass der vom Protagonisten fortgejagte Fuchs von einem ἐπίσκοπος δαίμων gelenkt wird. Auf die Identität dieser Gottheit wird nicht weiter eingegangen, sie bleibt ähnlich unbestimmt wie der Gott in Babr. 2713 oder die Gottheit in Babr. 12.714 Der Begriff ἐπίσκοπος ist mehrdeutig: Während damit einerseits die beschützende Funktion der Gottheit betont wird,715 die den Fuchs lenkt, kann ἐπίσκοπος andererseits für Personen verwendet werden, die ein scharfes Auge, mithin Treffsicherheit besitzen.716 In diesem Sinne wäre die Gottheit der ‚Bogenschütze‘ und der von ihr gelenkte Fuchs ihr ‚Pfeil‘, den sie zielsicher auf denjenigen abschießt, der Unrecht tut. Damit etabliert sich der δαίμων als zweiter Akteur, der erst im Epimythion als Nemesis, die Vergeltung, identifiziert wird.717 Die Folge wird in den nächsten Versen Schritt für Schritt entwickelt: Nachdem der Protagonist den Fuchs von seinen Feldern vertrieben hat, wird dessen Ziel in einem Enjambement in v.5 genannt – die Gottheit führt ihn auf das Feld des Akteurs, der ihn bestrafen wollte. Das Genetivobjekt τοῦ βαλόντος (v.5) lässt mehrere Deutungen zu: Entweder wird der Bauer dadurch als derjenige charakterisiert, der den Fuchs weggeschickt hat (vgl. ἀφῆκε in v.4), oder als derjenige, der ihn bestrafen wollte (vgl. περιβαλεῖν in v.2).718 Während diese buchstäbliche ‚Wendung‘ des Fuchses vom Weg in die Wildnis hin zum Feld bereits eine Überraschung darstellt, wird in v.6 mit einem weiteren Enjambement, τὸ πῦρ φέρουσαν, die Situation noch verschärft: Der Fuchs kehrt nicht nur auf das Feld zurück, von dem er vertrieben wurde, er bringt auch das Feuer mit. Das Partizip φέρουσαν und der bereits erwähnte Artikel τὴν (v.4) bilden 713 Vgl. Kap. 6.5. 714 Vgl. Kap. 6.15; zum δαίμων und den Göttern in der Fabel vgl. Kap. 5.1. 715 In erster Linie bezeichnet ἐπίσκοπος den Inhaber einer Überwachungs- bzw. Schutzfunktion  – einen ‚Aufpasser‘ oder ‚Beschützer‘. Als Epitheton für Götter (seit Homer, so etwa in Il. 22,255; vgl. auch Sol. 4,3; Plat. leg. 795D) wird es insbesondere für Schutzgottheiten verwendet, so beispielsweise bei Plutarch, wo die römischen Laren als ἐπίσκοποι βίων καὶ οἴκων (Plut. mor. 277A [Beschützer der Leben und Häuser]) bezeichnet werden. Weitere Beispiele für die Kombination ἐπίσκοπος δαίμων finden sich in Plut. mor. 417A; Prokl. comm. in Plat. rep. 2,306. 716 ἐπίσκοπος als Adjektiv kann insbesondere in Verbindung mit Verben, die einen Akt des Werfens oder Schießens benennen, die Bedeutung von ‚treffsicher‘ oder ‚erfolgreich‘ annehmen, so etwa in Hdt. 3,35; Him. or. 13,17; Lib. decl. 16,23. In Cornut. nat. 68,1 wird beispielsweise Apoll als ἐπίσκοπος bezeichnet. Vgl. dazu auch die Verwendung des Begriffs mit dem Verb βάλλω, etwa in Them. or. 11,143A: βάλλειν ἐπισκοπώτατος [im Schießen der Treffsicherste], das seine Entsprechung hier in v.5 (τοῦ βαλόντος) findet. 717 Entgegen der Ansicht von Nøjgaard (1967, 202) argumentiere ich, dass Babr. 11 kein Beispiel für die Befolgung der äsopischen Regel darstellt, der zufolge sich bei drei Akteuren nie mehr als zwei gleichzeitig die Szene teilen. Während die Regel zwar eingehalten wird, gibt es mit dem unbestimmten τις und dem δαίμων nur zwei Akteure, der Fuchs ist ein Spielball der handelnden Parteien. Zum Nemesis-Konzept in den analysierten Fabeln vgl. Babr. 5 (Kap. 6.8) und 7 (Kap. 6.10). 718 Vgl. Vaio 2001, 27.

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dabei eine Klammer, innerhalb derer sich die Handlung erst schrittweise entfaltet. Die so erzeugte Spannung wird durch die beiden Enjambements in den vv.5 und 6 weiter gesteigert. Des Weiteren ist unter Einbeziehung von τὸ πῦρ φέρουσαν in v.6 nicht mehr eindeutig, wofür τὴν in v.4 eigentlich steht: Obwohl der Fuchs (ἡ ἀλώπηξ) als logisches Objekt im Hintergrund der Handlung steht, verweist das schwach deiktische τὴν auf das ihm direkt vorangehende Objekt, den Schwanz (ἡ κέρκος) des Fuchses. Im Sinne eines pars pro toto wird somit τὸ πῦρ φέρουσαν genauer bestimmt – es ist nicht einfach der Fuchs, der das Feuer bringt, sondern ein Teil des Fuchses, sein Schwanz. Diese dynamische Szene kommt in den vv.6b–7 abrupt zum Stillstand. Das deskriptive ἦν in v.6b leitet eine statische Schilderung der äußeren Umstände ein, die die Erzählung unterbricht:719 Es ist gerade Erntezeit und die Kornfelder stehen in voller Pracht, bereit, geerntet zu werden.720 Zunächst erscheint diese Digression als bloße Ausschmückung zur Veranschaulichung der Szene, hat sie doch auf den ersten Blick keine handlungstragende Funktion. Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, dass der Autor die entscheidende Szene der Fabel – die Beschreibung, wie der Fuchs die Kornfelder in Brand setzt  – gezielt auslässt, sodass der Leser sich diesen Ausgang mithilfe seiner eigenen Vorstellungskraft ergänzen muss. Im Sinne der Leserlenkung gibt Babrios hier jedoch Anhaltspunkte, wie die folgenden Abläufe zu verstehen sind: Der Leser muss wissen, dass Erntezeit, das Getreide also trocken und leicht entflammbar ist und dass es, obwohl die Zeit bereits reif wäre, noch nicht abgeerntet und daher noch nicht in Sicherheit ist. Wie in den vv.8–9 ersichtlich wird, ist die Fabel bzw. das Ergebnis der geschilderten Handlung ohne den Einschub verständlich, doch kann der Leser durch diesen die Schritte, die zum Ausgang der Fabel führen, nachvollziehen, ohne dass der Autor diese explizieren muss.721 Bei dieser Schilderung bedient sich Babrios einiger erklärenswerter Ausdrücke, etwa des v.7, um die bevorstehende Ernte darzustellen: So wird das Getreidefeld (ἀμητὸς), begleitet vom Epitheton καλλίπαις, geradezu personifiziert. Dieser Begriff wird zwar auch für Pflanzen und Tiere verwendet,722 beschreibt jedoch ursprünglich Göttinnen, die schöne Kinder haben, etwa Leto,723 und insbesondere Persephone, die Tochter Demeters, die selbst als schönes Kind gilt.724 Während das Epitheton das Getreidefeld also einerseits als fruchttra719 Eine ähnliche deskriptive Schilderung findet sich in den untersuchten Fabeln lediglich in Babr. 10, wo das Aussehen der Sklavin ähnlich bildhaft beschrieben wird; eine die Handlung unterbrechende Digression findet sich etwa auch in Babr. 2; zu Babr. 10 vgl. Kap. 6.13, zu Babr. 2 vgl. Kap. 6.5. 720 λήιον bezeichnet das stehende (und damit erntereife) Kornfeld; vgl. LSJ s. v. λήιον I 1. 721 Diese narrative Technik unterscheidet Babr. 11 von vergleichbaren parallelen Bearbeitungen des Stoffes, aus denen der hier fehlende Teil der Erzählung erschlossen werden kann. 722 Vgl. Eur. Herc. 839. 723 Etwa in TrGF 2 fr. 178 (adesp.). Daneben für das personifizierte Schicksal in Aischyl. Ag. 762. 724 So wird sie in Eur. Or. 964 etwa als Περσέφασσα καλλίπαις θεά [Persephone, das schöne Götterkind] bezeichnet. In Schol.Eur. Or. 964 wird auf die Bezeichnung Persephones als καλλίπαις Bezug genommen und folgende Erklärung geliefert: ἡ οὖσα καλὴ παῖς τῆς Δήμητρος [Sie ist das schöne Kind der Demeter].

Babr. 11

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gend charakterisiert,725 schlägt es andererseits die Verbindung zur Göttin Demeter und bereitet so ihren metonymischen Auftritt in v.9 vor. Allein schon deswegen geht der Einschub über die von Nøjgaard formulierte poetisch-dekorative Ausschmückung726 hinaus. Er dient der Ausgestaltung und Veranschaulichung der narrativen Situation, indem er den Ort der Handlung nachliefert, der zunächst unerwähnt blieb, und weist durch Bezüge auf die Fortsetzung der Handlung voraus, die er damit einleitet. Mit der zweiten Beschreibung ἐλπίδων πλήρης wird schließlich die Hoffnung auf eine ertragreiche Ernte thematisiert, was die Passage auf eine positive Note enden lässt, die sich sogleich als trügerisch herausstellt. Nach dieser idyllischen Landschaftsbeschreibung setzt in v.8 wieder die Erzählung ein: Der Protagonist verfolgt – wie das Imperfekt ἠκολούθει (v.8) anzeigt, über einen längeren Zeitraum hinweg und offensichtlich erfolglos – den Fuchs und beweint dabei sein Schicksal. Worin genau dieses besteht, wird nicht sofort enthüllt, im Gegenteil wird die Ausdrucksweise in v.9 noch vager: Demeter bekommt seine Tenne nicht zu Gesicht. In dieser Metonymie steht Demeter für das Getreide, das in den vv.6b–7 beschrieben und sogar mit einem Epitheton aus ihrem Wirkungsbereich versehen ist. Die Personifizierung des unbelebten Getreides hat denselben erzähltechnischen Effekt wie der Fokus auf den Schwanz des Fuchses in vv.4b–6a: Babrios betrachtet das Geschehen aus der Perspektive unbelebter Teile eines Ganzen, während die eigentlichen Figuren, der Mensch, der Daimon und der Fuchs, wenig bis gar nicht ins Blickfeld gerückt werden. Erst in den vv.5 und 9 wird der Mensch, der in v.2 lediglich als τις eingeführt wurde, näher charakterisiert: Er ist Bauer und besitzt Felder (ἀρούραι, v.5) und eine Tenne (ἅλως, v.9). Schließlich wird das Resultat der Handlung präsentiert: Demeter sieht seine Tenne727 nicht.728 Durch die metonymische Verwendung der personifizierten Göttin der Feldfrüchte wird umschrieben, dass kein Korn in der Tenne ankommt. Wie es allerdings dazu kommt – aus den anderen Bearbeitungen des Stoffs geht stets hervor, dass der Fuchs die Ähren des Bauern in Brand steckt, sodass seine gesamte Ernte verbrennt –, wird nicht geschildert.; es wird dem Leser überlassen, diese Leerstelle in der Erzählung selbst zu füllen. Die Eigentümlichkeit dieser Technik zeigt sich insbesondere in Anbetracht der Fabeln, die Babr. 11 in der Sammlung vorausgehen bzw. folgen:

725 Die Bezeichnung ‚mit schönen Kindern‘ beschreibt wohl die Frucht der bevorstehenden Ernte; vgl. dazu Perry (1957, 17–19), der allerdings auf Basis der Lesart in PAmh 2,26 die Konjektur ποίη δὲ καλλίκαρπος ἐλπίδων πλήρης vorschlägt. 726 Vgl. Nøjgaard 1967, 342–343. 727 Eine Tenne – auch Dreschplatz genannt – ist ein Platz in einer Scheune, an dem das Getreide nach der Ernte gedroschen und dadurch von abfallenden Hülsen und Pflanzenresten getrennt wird. 728 Die von Rutherford (1883, 17) vorgeschlagene und an lat. visere angelehnte Übersetzung von οὐδ’ εἶδεν als „visited not“, die er als „very rare“ bezeichnet, verkompliziert die Interpretation unnötig. Angesichts der Personifikation des Getreides ist die Bedeutung ‚sehen‘ meines Erachtens plausibel.

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Mit Ausnahme von Babr. 12,729 lässt sich ein solches Verfahren in keinem der umgebenden Gedichte feststellen. Den Abschluss der Fabel bildet ein (vermutlich authentisches)730 Epimythion von drei Versen, das mit v.10 einsetzt. Der Erzähler gibt den allgemeinen moralischen Grundsatz vor, anderen gegenüber Milde walten zu lassen und nicht über das rechte Maß hinaus zu zürnen. Den Grund dafür liefern die vv.11–12: Man solle sich mäßigen, da übermäßiger Zorn Vergeltung (νέμεσις, v.11) nach sich ziehe, die die Jähzornigen bestraft und vor der der Erzähler sich hütet. In zentraler Position fällt νέμεσις, die Vergeltung, ins Auge. Der Nemesis-Begriff in der antiken Literatur ist zweigestaltig: Einerseits wird dadurch ein abstraktes Konzept der Bestrafung menschlichen Fehlverhaltens beschrieben,731 andererseits tritt Nemesis als personifizierte Gottheit auf, die diese Bestrafung vollzieht.732 Um welche Darstellung es sich hier handelt, ergibt sich durch die folgenden intratextuellen Verbindungen: Durch die Auflösung im dritten Versfuß wird ein rhythmischer Akzent gesetzt, der νέμεσις mit dem Verb περιβαλεῖν in v.2 verbindet, das ebenfalls in der Versmitte und in der Auflösung steht; die Untat des Bauern und die Vergeltung dafür sind durch Metrik und Wortstellung aufeinander bezogen. Doch nicht nur der Grund für die Vergeltung ist mit dieser verbunden: Vielmehr weist das Hyperbaton νέμεσις […] φέρουσα (vv.11a–12a) auf τὴν […] φέρουσαν (vv.4b–6a) zurück, wobei sowohl τὴν und νέμεσις als auch φέρουσαν und φέρουσα an jeweils derselben Stelle im Vers stehen. Inhaltlich ist der Bezug ebenfalls erklärbar: Der Fuchs (bzw. sein brennender Schwanz) steht in der szenischen Handlung für die Bestrafung des Bauern, er ist somit ein Werkzeug der Nemesis, jenes ἐπίσκοπος δαίμων, der in v.4b den Lauf des Fuchses lenkt.733 Wie der Fuchs im konkreten Exempel den Feldern des Bauern das Feuer bringt (τὸ πῦρ φέρουσαν), so bringt also die Vergeltung als allgemeine Maxime den Jähzornigen Schaden (αὐτοῖς βλάβην φέρουσα). Die Einführung der Nemesis reicht die Identität des ἐπίσκοπος δαίμων nach und deutet diesen so rückwirkend. Dadurch wird das Epimythion für die Wirkung der Fabel als Ganzes relevant, was als Argument dafür gelten kann, dass es authentisch ist. Ferner sprechen hierfür

729 Zu Babr. 12 vgl. Kap. 6.15. 730 Dagegen Becker (2006, 173), die die Authentizität in Zweifel zieht. 731 Diese Bestrafung kann von Göttern ausgehen (wie etwa in Hdt. 1,34; Soph. Phil. 518; 602), dies muss jedoch nicht der Fall sein (so beispielsweise in Hom. Il. 6,351; Od. 2,136). 732 Etwa in Eur. Phoen. 182–184; Soph. El. 792. In der lateinischen Literatur vgl. Catull. 68,77–80. Als personifizierte Göttin ist Nemesis auch im griechischen Mythos präsent, wo sie häufig als Mutter der Helena dargestellt wird; vgl. Stenger 2000, 818–819. 733 Vgl. dazu auch Plat. leg. 717D, wo die personifizierte Nemesis als Botin der Dike mit diesem Epitheton bezeichnet wird: πᾶσι γὰρ ἐπίσκοπος τοῖς περὶ τὰ τοιαῦτα ἐτάχθη Δίκης Νέμεσις ἄγγελος [Denn als Wächterin für alle solche Dinge wurde Nemesis, die Botin der Dike, eingesetzt]. Der weitere Kontext der Passage, Tadel an Menschen, die sich übermäßig verhalten und die positive Gegenüberstellung der Maßvollen, legt nahe, dass die Vergeltung angesichts des auffälligen lexikalischen Bezugs auch in Babr. 11 als Wächterin maßvollen Handelns auftritt.

Babr. 11

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unter anderem die Umstände, dass die Fabel ohne abschließende Figurenrede endet734 und dass das Epimythion bereits in antiken Papyri vorhanden ist.735 Allerdings fehlt es in A, was seine Echtheit angesichts dessen unsicherer Überlieferung jedoch nicht grundsätzlich infrage stellt. Das Epimythion macht also deutlich, dass die Bestrafung des Bauern das Exempel darstellt, das die abschließenden Aussagen verdeutlichen soll. Angesichts der prominenten Einführung des ‚schlauen Fuchses‘ als vermeintlichem Protagonisten am Beginn der Fabel scheint es bezeichnend, dass es letztlich doch die Tat des ‚dummen Bauern‘ ist, die am Ende im Mittelpunkt der Erzählung steht. In diesem Sinne wird der Ausgang von Babr.  11 neben der eingangs erwähnten Rolle des Fuchses zu einem weiteren Beweis, dass in dieser Fabel mit der Erwartung des Lesers an eine Fuchsfabel gespielt wird. In einem abschließenden Relativsatz meldet sich der Erzähler zu Wort: Augenfällig ist die erste Person Singular φυλαττοίμην. Dies ist in den Mythiamboi mit Ausnahme der direkten Figurenreden äußerst selten.736 Der Erzähler meint sich damit selbst – was neben den beiden Prologen eine der wenigen Nennungen einer Erzählinstanz im Werk wäre. In diesem Sinne kann das Epimythion als dessen persönlicher Kommentar verstanden werden – er trifft eine klare Wahl für sein Verhalten, nachdem er die Gefahren des Jähzorns dargelegt hat. Durch die betont persönliche Note relativiert der Erzähler so die eigentliche Funktion eines Epimythions, die Erzählung auf eine möglichst allgemeine Maxime zurückzuführen. Dadurch wird das stereotype Epimythion, das in den Mythiamboi generell die Ausnahme bildet, modifiziert: In den Fällen, wo ein solches vorliegt, sind dessen Regeln außer Kraft gesetzt – dem Leser wird somit die Illusion einer Fabel im ‚klassischen‘ Sinne geraubt, wie für die Mythiamboi typisch. 4) Parallelen Der Stoff dieses Gedichts entstammt vermutlich nicht dem Kanon äsopischer Fabeldichtung, sondern – wie Babr. 12 – dem Bereich des antiken Mythos. Zwei Parallelen können zum Vergleich mit der Fabel herangezogen werden: eine Passage aus der Septua­ ginta einerseits sowie eine Bearbeitung aus Ovids Fasti andererseits. Der Version der Septuaginta737 und Babr. 11 ist lediglich der Ausgang gemein – die Felder verbrennen 734 Zur Figurenrede und ihrer Bedeutung bei der Echtheitsbestimmung der Epimythien vgl. Kap. 2.2. 735 Ein Papyrus aus dem späten dritten oder frühen vierten Jahrhundert (PAmh 2,26) überliefert zwar nicht den griechischen Text, jedoch eine lateinische Übersetzung des griechischen Epimythions; vgl. dazu Grenfell/Hunt 1901, 27–28; Ihm 1902, 148; Radermacher 1902, 143. 736 Weitere Beispiele sind etwa Babr. 65,7 oder 14,5 (vgl. Kap. 6.17); vgl. Kap. 4.1. 737 LXX Iudc 15,4–5: καὶ ἐπορεύθη Σαμψων καὶ συνέλαβεν τριακοσίας ἀλώπεκας καὶ ἔλαβεν λαμπάδας καὶ συνέδησεν κέρκον πρὸς κέρκον καὶ ἔθηκεν λαμπάδα μίαν ἀνὰ μέσον τῶν δύο κέρκων ἐν τῷ μέσῳ· [5] καὶ ἐξῆψεν πῦρ ἐν ταῖς λαμπάσιν καὶ ἐξαπέστειλεν εἰς τὰ δράγματα τῶν ἀλλοφύλων καὶ ἐνεπύρισεν τοὺς στάχυας καὶ τὰ προτεθερισμένα ἀπὸ στοιβῆς καὶ ἕως ἑστῶτος καὶ ἕως ἀμπελῶνος καὶ ἐλαίας [Und Simson brach auf, versammelte dreihundert Füchse, nahm Fackeln, band Schwanz an Schwanz und befestigte eine Fackel genau in der Mitte der beiden Schwänze: [5] Und er entzündete Feuer an den Fackeln, schickte sie fort in die Getreidefelder der Philister und verbrannte so die Ähren,

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durch das Feuer, das die Füchse bringen. Die Ausgangssituation unterscheidet sich hingegen deutlich: Simson, einer der Richter Israels aus dem Alten Testament, wendet die ‚Technik‘, Füchse aneinander zu binden und sie mit Fackeln in die Felder laufen zu lassen, dazu an, die Ernte der Philister zu zerstören. Die beschriebene Praktik dient nicht als Bestrafung für die Füchse selbst, sie instrumentalisiert diese vielmehr, um beim Feind Schaden anzurichten. Daher werden die Füchse selbst nicht in Brand gesteckt, sondern mit Fackeln ausgestattet, was auf keine böswillige Absicht den Tieren gegenüber schließen lässt. Schließlich richtet sich die Zerstörung im Unterschied zur Fabel nicht gegen den Verursacher selbst, sondern, wie vorgesehen, gegen den Feind. Der Stoff war auch in der römischen Literatur zumindest seit der augusteischen Zeit bekannt, so in einem Beispiel aus Ovids Fasti.738 Als Lokalaition eines Gesetzes aus Carseoli (Mittelitalien) scheint es in Verbindung zu dem bereits erwähnten Brauch an den Cerealia zu stehen und diesen zu erklären, wie Ovid selbst bemerkt.739 Der Protagonist, ein Kind von zwölf Jahren, fängt einen Fuchs und steckt ihn als Bestrafung dafür, dass er Vögel vom Hof geraubt hat, in Brand; dieser wiederum lässt bei seiner Flucht die umliegenden Felder in Flammen aufgehen. Hier lassen sich einige Parallelen zu Babr. 11 ausmachen: Sowohl der Umgang mit Feuer in der Absicht, das Tier zu bestrafen, als auch die Wendung, dass der Schaden auf die bestrafende Person zurückfällt, verbinden die Darstellung in den Fasti mit den Mythiamboi. Dennoch sprechen einige entscheidende Unterschiede für die Eigenständigkeit der Babriosfabel, unter anderem

das Getreide, das noch nicht geerntet worden war, und sogar alles, was dort noch stand, den Weingarten und den Ölbaum]. 738 Ov. fast. 4,701–712: filius huius erat primo lascivus in aevo, | addideratque annos ad duo lustra duos. | is capit extremi volpem convalle salicti: | abstulerat multas illa cohortis aves. | [705] captivam stipula fenoque involvit et ignes | admovet: urentes effugit illa manus: | qua fugit, incendit vestitos messibus agros; | damnosis vires ignibus aura dabat. | factum abiit, monimenta manent: †nam dicere certam† | [710] nunc quoque lex volpem Carseolana vetat,  | utque luat poenas, gens haec Cerialibus ardet,  | quoque modo segetes perdidit ipsa perit [Ihr Sohn, in seinen ersten Lebensjahren, war verspielt; zwölf Jahre war er schon alt. Dieser fing einen Fuchs in einem Tal im äußersten Winkel eines Weidenbuschs: Jener hatte schon viele Vögel vom Hof geraubt. [705] Seinen Gefangenen wickelte er in Stroh und Heu und zündete ihn an: Und während die Hände ihn verbrannten, floh jener vor ihnen: Wohin er floh, steckte er die Felder, die in Feldfrüchte gehüllt waren, in Brand; ein Windhauch gab dem unheilbringenden Feuer Kraft. Das Geschehnis ist lange vorbei, nur ein Andenken bleibt: [710] Denn auch jetzt verbietet es ein Gesetz aus Carseoli, einen Fuchs auch nur zu nennen. Und um die Strafe zu büßen, brennt an den Cerialia seine Spezies, und wie sie die Saat vernichtet hat, so geht sie selbst zugrunde]. 739 Ov. fast. 4,681–684: cur igitur missae vinctis ardentia taedis | terga ferant volpes causa docenda mihi est. | frigida Carseolis nec olivis apta ferendis | terra, sed ad segetes ingeniosus ager; [Ich muss also den Grund darlegen, warum Füchse losgelassen werden und Fackeln, die an ihre brennenden Rücken gebunden wurden, mit sich führen. Das Land bei Carseoli ist kühl und nicht dazu geeignet, Oliven anzubauen, aber der Ackerboden ist für Saatfelder geeignet.] Die Parallele zu aitiologischen bzw. mythologischen Stoffen ist angesichts der Tatsache, dass auch die in A nachfolgende Fabel, Babr. 12, eine Erzählung des Mythos rezipiert, auffällig; vgl. Kap. 6.15.

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die Schadensabsicht der Akteure,740 die höhere Macht, die den Lauf des Fuchses in Babr. 11 lenkt und die bei Ovid fehlt, sowie die Tatsache, dass in der Passage bei Ovid – ebenso wie in der Septuaginta – beschrieben wird, wie der brennende Fuchs die Kornfelder in Brand steckt, was in der Darstellung der Mythiamboi jedoch ausgespart und auf das Ergebnis, die leere Tenne, zugespitzt wird. Eine dritte Parallele, die 38. Fabel aus der Fabelsammlung des Aphthonios v. Antiochia (4. bzw. 5. Jahrhundert),741 findet sich in der Nachfolge der Fabel. Unterschiede zu Babr. 11 lassen sich etwa in der Instrumentalisierung des Fuchses – dieser fungiert hier ähnlich wie in der Septuaginta aber im Gegensatz zur Version bei Babrios lediglich als Mittel zum Zweck – sowie im Neid finden, der in Aphth. 38 den Bauern antreibt. Auch in dieser Version wird ausgeführt, wie der Fuchs das Feld des neidischen Bauern in Brand steckt. Im Vergleich mit den präsentierten Parallelen erscheint die Einführung einer göttlichen Instanz als eine original babrianische Variation, die in den früheren Bearbeitungen noch nicht vorhanden ist und erst in den zeitlich nachfolgenden Versionen übernommen wird. Daneben wird in allen Parallelen explizit darauf Bezug genommen, dass der Fuchs die Felder in Brand steckt; bei Babrios allerdings wird diese Schilderung lediglich angedeutet und für das Verständnis der Fabel implizit vorausgesetzt. Wie aus den Textstellen, die Babr. 11 zeitlich vorausgehen, zu entnehmen ist, dürfte der Stoff in der (vor allem römischen) Antike generell bekannt gewesen sein, war er doch Teil lokaler und allgemeiner Handlungen des römischen Staatskultes und in Ansätzen bereits im Alten Testament präsent. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass in Babr.  11 nicht alle Handlungsschritte einzeln benannt werden, da sie als bekannt vorausgesetzt werden konnten. Weniger zuträglich für die Deutung von Babr. 11 als vielmehr ein interessanter Beweis für die Nachwirkung der Fabel ist schließlich die folgende Parallele: Babr. 11 ist eine der wenigen Fabeln, von denen eine spätantike lateinische Übersetzung exis-

740 In den Fasti ist der Täter ein verspieltes Kind (lascivus, v.701), was dessen Intention, den Fuchs zu bestrafen, gewissermaßen relativiert. Im Gegensatz dazu ist es in Babr. 11 der ausdrückliche Wunsch des Bauern (θελήσας, v.2), den Fuchs durch eine ausgefallene Bestrafung zu quälen. 741 Aphth. 38: ΜΥΘΟΣ Ο ΤΟΥ ΓΕΩΡΓΟΥ ΚΑΙ ΤΗΣ ΑΛΩΠΕΚΟΣ. γεωργῷ πονηρῷ φθόνον ἐνεποίει τὸ τοῦ γείτονος αὐξανόμενον λήιον καὶ διαφθείρειν τοὺς ἐκείνου πόνους ἐζήτει. καὶ θηράσας ἀλώπεκα προσάψας δαλὸν πρὸς τὸ τοῦ γείτονος ἀφίησι λήιον. ἡ δὲ καθ’ ἣν ἀφεῖτο μὴ παριοῦσα βουλομένου τοῦ δαίμονος τὸ τοῦ πέμψαντος ἐνέπρησε λήιον. πονηροὶ γείτονες πρῶτοι τῆς ἑτέρων μετέχουσι βλάβης [Fabel vom Bauern und dem Fuchs. Einen bösen Bauern machte das große Getreidefeld seines Nachbarn neidisch und er trachtete danach, dessen Mühen zunichtezumachen. Und nachdem er einen Fuchs gefangen und seinen Schwanz wie eine Fackel angezündet hatte, schickte er ihn zum Getreidefeld des Nachbarn. Der aber ging nicht dorthin, wohin er weggeschickt worden war – eine Gottheit wollte es so –, sondern steckte das Getreidefeld desjenigen, der ihn geschickt hatte, in Brand. Böse Nachbarn nehmen als erste Anteil am Schaden der anderen].

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tiert.742 Der Text wird auf einem Papyrus (PAmh 2,26)743 aus dem späten dritten bzw. frühen vierten Jahrhundert überliefert; es handelt sich um eine Version, die die Philologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgrund einiger Ungereimtheiten in der Übersetzung dazu veranlasst hat, sie als Produkt eines „ägyptische(n) Lateinschütze(n)“744 zu bezeichnen, der „das lateinische (sic!) noch viel schlechter konnte, als […] die Schüler unserer heutigen Gymnasien.“745 5) Gesamtbetrachtung Babr. 11 stellt eine Fabel dar, die sich aus altbekannten Stoffen speist, die allerdings in der vorliegenden Bearbeitung um eine entscheidende göttliche Komponente erweitert wurde: Nemesis, die Vergeltung, bestraft diejenigen, die ihre Emotionen nicht im Zaum halten. Daneben ist die Fabel ein Beispiel dafür, dass ein vorhandenes Epimythion inhaltlich, syntaktisch und lexikalisch sinnvoll in das Gesamtgefüge des Textes eingebettet ist und daher als authentisch angesehen werden kann. Die neu hinzugekommene göttliche Ebene tritt gleichzeitig einem traditionellen Götterbild entgegen: Demeter als Schutzherrin des Ackerbaus ist nicht in ihrer göttlichen Gestalt präsent, sie wird lediglich zum Synonym für das, was sie verkörpert: das Getreide. Bestimmt wird das Geschehen hingegen von einer anderen Instanz, die im weitesten Sinne auf einer ethisch-konzeptuellen Ebene wirkt: die Vergeltung, die menschliches Fehlverhalten bestraft. So spielt das Göttliche zwar eine zentrale Rolle, kann jedoch eher über­ tragen im Sinne einer ethischen Maxime oder als Versinnbildlichung eines abstrakten Konzepts verstanden werden: Die Götter treten in dieser Fabel nicht in ihrer anthropo­ morphen Gestalt auf, vielmehr führen sie die Menschen (anhand eines Negativbei-

742 Bulbeculam (= vulpeculam) imfortunam binearisque (= vinearisque) hortisque | peregrine volens circomitti quis saevitia, | codam succensus et linei quidem alligatus | sinuit fugere. hanc speculator genius malus | [5] infra aruras missuro procedebat | ignem babbandam. erat autem tempus sectilis | et pulcheri fructus spaearum (= sperarum) sorsus. […] | nec vidit eius ariis Cereris. | [10] opportet ergo serenae magis aut inequa irasci. | est quidam ira ultricis, quem custodiamus, | ipsismet nocentiam ferentes animosalibus. [Ein Füchslein, ein Unglück für Weinberge und Gärten, wollte jemand mit unbekannter Grausamkeit belegen: Er zündete seinen Schwanz an, nachdem er etwas Leinen daran gebunden hatte, und ließ es entkommen. Dieses ließ ein böser Schutzgott, der dies beobachtet hatte, [5] weiterlaufen, um es in die Felder zu führen, während es noch das Feuer trug (?). Es war gerade die Zeit, das Getreide zu schneiden, und besonders die Zeit der Hoffnung auf eine fruchtreiche Ernte. […] Aber nicht sah Ceres dessen Tennen. [10] Daher muss man ruhiger sein oder (sic!) übermäßig zürnen. Es gibt einen gewissen rächenden Zorn, vor dem wir uns hüten wollen, der den Jähzornigen selbst Schaden bringt.] Zur Textgestalt vgl. Grenfell/Hunt 1901; Ihm 1902; Radermacher 1902; Kramer 2007; vgl. daneben auch Babr. 16 (Kap. 6.19), für die ebenfalls eine lateinische Übersetzung vorliegt, sowie Babr. 17 (Kap. 6.20), die auf demselben Papyrus überliefert wurde. 743 Vgl. dazu Kap. 2.2. 744 Radermacher 1902, 142. 745 Ihm 1902, 147; vgl. Kramer (2007, 51–52), der auf diese einseitige und in ihrer Wertung für die Zeit typische Sichtweise auf diesen Text hinweist und die einzigartigen und aufschlussreichen Erkenntnisse zur Übersetzungstechnik eines antiken Lateinschülers hervorhebt.

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spiels) zu richtigem Handeln und können daher als Personifizierung moralischer Prinzipien verstanden werden.746 Schließlich legt auch das Spiel mit der Lesererwartung, das anstelle des prominent präsentierten schlauen Fuchses den dummen Bauern als seinen komplementären Gegenpart in den Mittelpunkt der Erzählung stellt, nahe, dass Babr. 11 seinen Leser bei der Interpretation und Bewertung der Fabel zur Mitarbeit auffordert. Während also ein bekannter Stoff um neue Aspekte erweitert wurde, fallen Auslassungen in der Erzähllogik auf, die für eine Komposition sprechen, die den Leser dazu ermuntert, die Erzählung durch sein eigenes Wissen zu erweitern und diesen so aktiv in die Bedeutungskonstruktion einbindet. Die Technik, die Aufmerksamkeit des Lesers mittels ‚Leerstellen‘ in der Erzählung zu lenken und seine Partizipation, sofern er das entsprechende Weltwissen dafür mitbringt, durch eine erweiterte bzw. vertiefte Textbedeutung – in diesem Fall durch das Wissen um den präziseren Handlungsablauf und die kultische Komponente der Fabel – zu belohnen, findet sich nicht nur am Ende von Babr. 11: Auch Babr. 12, die Fabel um Schwalbe und Nachtigall, baut darauf auf, dass sich, während die Fabel für sich genommen geschlossen wirkt, gewisse Teile der Erzählung nur dann erschließen, wenn man entsprechende Bezugstexte oder zusätzliche Informationen zugrunde legt – in Babr. 12 betrifft dies die Vorgeschichte der Fabel, die dem Leser sonst verborgen bleibt.747 Die Tatsache, dass dies gerade in zwei aufeinanderfolgenden Fabeln der Fall ist, sowie dass in beiden Fällen Ovid-Texte im Hintergrund stehen, spricht meines Erachtens dafür, dass Babr. 11 und 12 gezielt nacheinander angeordnet wurden.748 In diesem Sinne stärkt diese Fabel Manns These, Babrios wolle seiner Leserschaft mithilfe der Mythiamboi Prinzipien des Denkens und Interpretierens von Gegebenheiten (und Literatur) näherbringen.749 6.15 Babr. 12 Ἀγροῦ χελιδὼν μακρὸν ἐξεπωτήθη, εὗρεν δ’ ἐρήμοις ἐγκαθημένην ὕλαις ἀηδόν’ ὀξύφωνον· ἡ δ’ ἀπεθρήνει τὸν Ἴτυν ἄωρον ἐκπεσόντα τῆς ὥρης. ἐκ τοῦ μέλους δ’ ἔγνωσαν αἱ δ’ ἀλλήλας,

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746 Die moralische Komponente, die Babr. 11 durchzieht, zeigt sich auch darin, dass das (authentische) Epimythion ebenfalls in Form eines Imperativs gestaltet ist: χρὴ πρᾶον εἶναι (v.10). Der hier ausgedrückte Aufruf zur Milde wird durch den Rekurs auf das Konzept der Nemesis als Hauptaussage der Fabel konsolidiert, wie Nøjgaard (1967, 356) zu Recht bemerkt. Zu Göttern als Figuren in den Mythiamboi vgl. Kap. 5.1. 747 Zu Babr. 12 vgl. Kap. 6.15. Ähnliches lässt sich auch in Babr. 17 (vgl. Kap. 6.20) beobachten. 748 Zur Anordnung der Fabeln vgl. Kap. 3. 749 Vgl. Mann 2018, 254–255.

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καὶ δὴ προσέπτησάν τε καὶ προσωμίλουν. ἡ μὲν χελιδὼν εἶπε· „φιλτάτη, ζώεις; πρῶτον βλέπω σε σήμερον μετὰ Θρᾴκην. ἀεί τις ἡμᾶς πικρὸς ἔσχισεν δαίμων καὶ παρθένοι γὰρ χωρὶς ἦμεν ἀλλήλων. ἀλλ’ ἔλθ’ ἐς ἀγρὸν καὶ πρὸς οἶκον ἀνθρώπων σύσκηνος ἡμῖν καὶ φίλη κατοικήσεις, ὅπου γεωργοῖς, οὐχὶ θηρίοις ᾄσεις. ὕπαιθρον ὕλην λεῖπε, καὶ παρ’ ἀνθρώποις ὁμώροφόν μοι δῶμα καὶ στέγην οἴκει. τί σοι δροσίζει νῶτον ἔννυχος στίβη, καὶ καῦμα θάλπει; πάντα δ’ ἀγρότιν τήκει. ἄγε δὴ σεαυτήν, σοφὰ λαλοῦσα, μηνύσῃς.“ τὴν δ’ αὖτ’ ἀηδὼν ὀξύφωνος ἠμείφθη· „ἔα με πέτραις ἐμμένειν ἀοικήτοις, καὶ μή μ’ ὀρεινῆς ὀργάδος σὺ χωρίσσῃς. μετὰ τὰς Ἀθήνας ἄνδρα καὶ πόλιν φεύγω· οἶκος δέ μοι πᾶς κἀπίμιξις ἀνθρώπων λύπην παλαιῶν συμφορῶν ἀναξαίνει.“ [Παραμυθία τίς ἐστι τῆς κακῆς μοίρης λόγος σοφὸς καὶ μοῦσα καὶ φυγὴ πλήθους· λύπη δ’ ὅταν τις εὐθενῶν ὤφθη, τούτοις ταπεινὸς αὖθις ὢν συνοικήσῃ.]

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Die Schwalbe – sie war weit vom Feld fortgeflogen – fand die Nachtigall, den Vogel mit durchdringender Stimme, die in entlegenen Wäldern saß: Jene beweinte ihren Itys, der verfrüht seiner Jugend beraubt worden war. [5] Die beiden erkannten einander an ihrem Lied, und so flogen sie zueinander und unterhielten sich. Die Schwalbe sagte: „Liebste, du lebst? Zum ersten Mal erblicke ich dich heute seit Thrakien. [9] Stets trennte uns eine trauerbringende Gottheit, [10] und auch als junge Frauen waren wir voneinander getrennt. [11] Aber komm doch aufs Feld und du wirst beim Haus der Menschen wohnen, uns zur Mitbewohnerin und Freundin, [13] wo du für Bauern, nicht für wilde Tiere singen wirst. [14] Verlasse den Wald unter freiem Himmel und bewohne bei den Menschen [15] gemeinsam mit mir Haus und Dach. [16] Warum bedeckt dir den Rücken der nächtliche Reif und warum verbrennt die Hitze der Sonne ihn dir? Ganz und gar lässt sie die Landbewohnerin vergehen. Aber wohlan, die du Weises trällerst, erkläre dich.“ Dieser wiederum antwortete die Nachtigall, jene mit durchdringender Stimme: [20] „Lass mich auf unbewohnten Steinen verweilen und trenne mich nicht vom Berghain. Nach Athen meide ich Mann und Stadt: Jedes Haus und jeder Umgang mit Menschen reißen den Schmerz des alten Unglücks wieder auf.“ [25] [Gewissermaßen eine Art Trost bei schlimmem Schicksal ist ein weises Wort, die Musenkunst und die Flucht vor der Menge: Traurig ist es, wenn

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jemand erniedrigt mit denen wieder zusammenlebt, von denen er einst erfolgreich gesehen wurde.]

1) Gliederung vv.1–6 Exposition – Eine Schwalbe fliegt vom kultivierten Land in die Wildnis, wo sie eine Nachtigall in ihrer Einsamkeit antrifft. Die beiden Akteurinnen erkennen einander und beginnen ein Gespräch. vv.7–18 Actio – Rede der Schwalbe. vv.7–9: Rückblick auf die gemeinsame Vergangenheit der beiden. vv.11–18: Einladung an die Nachtigall, mit ihr bei den Menschen zu leben. vv.19–24 Reactio – Gegenrede der Nachtigall. vv.19–21: Die Nachtigall besteht auf ihrer abgeschiedenen Lebensweise. vv.22–24: Begründung ihres Wunsches, Ereignisse um Athen. vv.25–28 (Vermutlich unechtes) Epimythion – Trost und Linderung bei schlimmem Schicksal. 2) Kommentar v.1  ἐξεπωτήθη: Aorist des Verbs ἐκπωτάομαι, einer Nebenform von ἐκποτάομαι750 und ein hapax legomenon.751 v.7  φιλτάτη, ζώεις: Es ist unklar, ob hier ζώεις (belegt in A), ζῶον (belegt in G) oder ζῴων (Konjektur von Luzzatto/La Penna 1986) gelesen werden soll. Während die Konjektur auf einer Parallele aus der Fabelsammlung basiert,752 wird ζώεις als lectio difficilior gesehen.753 Da ζῶον und ζώεις in den Handschriften belegt und beide Argumente nachvollziehbar sind, muss die Frage bis auf Weiteres offenbleiben. Meines Erachtens ist eine Konjektur nicht notwendig bzw. gerechtfertigt, daher wurde die Rede der Schwalbe als Frage an ihre verloren geglaubte Schwester interpretiert.754 v.9  ἀεί: Obwohl diese Lesart in A, G und V belegt ist, wurde angesichts des punktuellen Aspekts des Aorists ἔσχισεν die Konjektur ἐπεί vorgeschlagen.755 Da der Aorist jedoch auch gnomisch für allgemeingültige Aussagen verwendet wird und eine Argumentation auf Grundlage des Aspektsystems, das in nachklassischer Zeit weniger rigide gehandhabt wurde,

750 Vgl. LSJ s. v. ἐκπωτάομαι. 751 Vgl. Kap. 2.3. 752 Babr.  103,13: κἀκεῖνος εἶπε· „χαῖρε, φιλτάτη ζῴων. [und jener sagte: „Sei gegrüßt, Liebster unter den Tieren.]; vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 14. 753 Vgl. Vaio 2001, 29. 754 Vgl. hierzu auch Holzberg (2019, 62), der den Halbvers als Ausruf auffasst. 755 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 14.

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Kommentar

nur bedingt überzeugt, scheint es meines Erachtens ratsam, die Lesart der Kodizes beizubehalten. v.10  καὶ παρθένοι γὰρ χωρὶς ἦμεν ἀλλήλων: Der Vers steht nur in A an dieser Stelle, in G und V jedoch nach v.13, weshalb seine Authentizität in Zweifel gezogen wurde. Als Argument wird dabei angeführt, dessen Aussage stehe im inhaltlichen Widerspruch zu der Erzählung: Prokne und Philomela waren als Mädchen nicht voneinander getrennt.756 Um ihm im Text zu behalten, sind Konjekturen notwendig: ἀεί in v.9 zu ἐπεί, καὶ zu αἳ sowie γὰρ zu γ’οὐ.757 Ein derart umfassender Eingriff in den Text ist meines Erachtens nicht gerechtfertigt. Der Begriff παρθένοι bietet allerdings Deutungsspielraum: Wenn damit dezidiert die Zeit vor Proknes Heirat gemeint sein sollte, ist der Vers in dieser Form nur schwer zu halten. Falls der Begriff jedoch eine Zeit in der Jugend der beiden Frauen bezeichnet, wäre eine logische Deutung möglich.758 Letztlich lässt sich die Frage nicht mit Sicherheit beantworten. Im vorliegenden Text wurde der Vers trotz dieser Unsicherheiten übernommen. v.12  κατοικήσεις: Der futurische Imperativ (ἔλθ’) und der Indikativ Futur (κατοικήσεις) werden hier synonym verwendet. vv.14–15  ὕπαιθρον […] οἴκει: Auch die Echtheit dieser Verse (belegt in A, G und V) ist umstritten.759 Als Hauptargument für eine Athetese wird eine Dublette zu den vv.11–13 angeführt.760 Während dies nachvollziehbar ist, würde eine sprachliche Parallele zu Lukian für die Authentizität der beiden Verse sprechen.761 Auch hier lässt sich keine definitive Lösung finden; 756 Vgl. Perry 1965, 20; Vaio 2001, 30. 757 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 14. Die Konjekturen werden jedoch nur dürftig gerechtfertigt, unter anderem mit dem oben genannten Argument der inhaltlichen Diskrepanz. 758 Vgl. dazu Holzberg 2019, 62–63. 759 Gewisse Editionen (Luzzatto/La Penna 1986, 14; van Herwerden 1900, 158) geben ihnen den Vorzug gegenüber vv.11–12. Anderorts werden sie selbst als Interpolationen angesehen; vgl. Lachmann 1845, 9; Perry 1965, 20; Vaio 2001, 31; Holzberg 2019, 62; 203 (s. v. 12). Crusius (1897, 19) sieht sie als falsch überlieferte Hinzufügung des Autors an und fügt sie zwischen v.18 und v.19 ein. 760 Zu den Argumenten vgl. Vaio 2001, 31. 761 Lukian. Trag. 42–65: ἡμεῖς δὲ σοί, Ποδάγρα, | πρώταις ἔαρος ἐν ὥραις | μύσται τελοῦμεν οἴκτους, | [45] ὅτε πᾶς χλοητόκοισιν  | ποίαις τέθηλε λειμών,  | Ζεφύρου δὲ δένδρα πνοιαῖς  | ἁπαλοῖς κομᾷ πετήλοις, | ἁ δὲ δύσγαμος κατ’ οἴκους | [50] μερόπων θροεῖ χελιδών, | καὶ νύκτερος καθ’ ὕλαν | τὸν Ἴτυν στένει δακρύουσ’ | Ἀτθὶς γόοις ἀηδών. ΠΟΔΑΓΡΟΣ | Ὤμοι πόνων ἀρωγόν, ὦ τρίτου ποδὸς | [55] μοῖραν λελογχὸς βάκτρον, ἐξέρειδέ μου | βάσιν τρέμουσαν καὶ κατίθυνον τρίβον, | ἴχνος βέβαιον ὡς ἐπιστήσω πέδῳ. | ἔγειρε, τλῆμον, γυῖα δεμνίων ἄπο | καὶ λεῖπε μελάθρων τὴν ὑπώροφον στέγην. | [60] σκέδασον δ’ ἀπ’ ὄσσων νύχιον ἀέρος βάθος | μολὼν θύραζε καὶ πρὸς ἡλίου φάος | ἀθόλωτον αὔραν πνεύματος φαιδροῦ σπάσον·  | δέκατον γὰρ ἤδη τοῦτο πρὸς πέμπτῳ φάει,  | ἐξ οὗ ζόφῳ σύγκλειστος ἡλίου δίχα | [65] εὐναῖς ἐν ἀστρώτοισι τείρομαι δέμας. [Und wir, o Podagra, deine Eingeweihten, bringen dir unsere Klagen dar, in den ersten Tagen des Frühlings, [45] wenn jede Wiese voll von grünem Gras ist und die Bäume durch den zarten Hauch des Zephyrs mit Blättern belaubt sind, die Schwalbe aber, die unglücklich Verheiratete, [55] durch die Häuser der Menschen

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aufgrund des auffälligen Bezugs wurden die Verse dennoch in den Text aufgenommen.762 v.16  δροσίζει: ‚Mit Tau/Raureif bedecken‘. Die aktive Verwendung ist selten und auf nachklassische Autoren beschränkt.763 v.17  δ’ ἀγρότιν τήκει: In A ist ἀγρώτην τήκει belegt, in V und G findet sich stattdessen καὶ κατακαίνει. Der Vers wird in den verschiedenen Editionen sehr unterschiedlich wiedergegeben,764 unter anderem wurden für ἀγρώτην die Konjekturen ἀγρίην765, ἀγρότην766 und ἀγρότιν767 vorgeschlagen. Für den vorliegenden Text wurde letztere Konjektur übernommen, da sie die metrische Unstimmigkeit von ἀγρώτην korrigiert, eine feminine Form ermöglicht, dem Umstand Rechnung trägt, dass die Nachtigall ursprünglich aus dem ländlichen Umfeld stammt (Bezüge in v.1, ἀγροῦ, sowie v.11, ἀγρὸν) und den Text in A mit nur geringer Veränderung wiedergibt. v.23 κἀπίμιξις: = καί ἐπίμιξις, eine Nebenform von ἐπιμειξία (‚Umgang‘).768 vv.25–28  Παραμυθία […] συνοικήσῃ: Das Epimythion ist in A überliefert, fehlt jedoch in V. In den Editionen wird es zum Teil für authentisch gehalten,769 zum Teil athetiert.770 Für die Athetese spricht, dass Babr.  12 zu jenen Fabeln zählt, in denen eine Figurenrede die Funktion eines Epimythions übernimmt und eine weitere Erklärung überflüssig macht, die zudem für das Verständnis inhaltlich nicht relevant ist.771 Daneben wider-

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klagend schreit, und die attische Nachtigall des Nachts den Wald hindurch weinend mit Klagen ihren Itys beweint. PODAGROS: Oh weh! Du, der du mich bei meinen Mühen unterstützt, o Stock, der du das Los eines dritten Fußes erlangt hast, unterstütze meinen zittrigen Schritt und halte ihn gerade, damit ich mit meinem Fuß sicher auf den Boden trete! Erhebe, Erbärmlicher, deine Glieder vom Bett und verlasse die Kammer unter dem Dach des Hauses. [60] vertreibe von den Augen die nächtliche Tiefe des Schleiers, gehe zur Tür hinaus und ins Licht der Sonne und atme die frische Luft eines klaren Hauchs: Denn dies ist der zehnte Tag nach noch einmal fünf, seit ich von der Sonne entfernt eingeschlossen in der Dunkelheit [65] meinen Körper hinschinde im ungemachten Bett.] Vgl. Luzzatto 1975a, 71; Luzzatto 1989, 278. Das Argument wird im Folgenden näher besprochen. Vgl. hierzu auch Scognamiglio (2020b, 305), die sich auf Grundlage der Prosaparaphrase in Ba ebenfalls für die Authentizität der vv.14–15 ausspricht. Neben Babrios etwa in Poseid. fr. 179. Für eine Auflistung dieser Unterschiede vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 15. Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 15. Vgl. Sitzler 1907, 164. Vgl. Vaio 2001, 34; zustimmend Holzberg 2019, 62. So auch in Theogn. 1,297–298: ἐπίμειξις | ἀνδρὸς τοιούτου [der Umgang mit einem solchen Mann]. Vgl. Lachmann 1845, 9; Bergk 1868, 228; Luzzatto/La Penna 1986, 15. Vgl. Crusius 1897, 20; Perry 1965, 22; Holzberg 2019, 64. Becker (2006, 184, Anm. 46) zählt das Epimythion zum Typ der „erklärenden Interpolation“. Zur zweifelhaften Authentizität der Epimythien, die auf diesen Fabeltyp folgen, vgl. ferner Kap. 2.2.

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sprechen sich die Aussagen der verschiednenen Pro- und Epimythien in A, V und Ba.772 Daher wird es hier athetiert. Parallelen: A  isop. 9 Ch.; Anth.Gr. 9,451 (Philemon); 9,452 (Philemon); Manutius 1505; Ov. met. 6,412–674 3) Analyse Babr. 12 ist als Fortsetzung773 des Mythos um Tereus, Prokne und Philomela gestaltet, dessen heute bekannteste Umsetzung sich in Ovids Metamorphosen findet.774 Von diesem Hintergrund erfährt der Leser jedoch vorerst nichts. Die Fabel präsentiert zunächst lediglich eine Unterhaltung zweier Vögel. Sie besteht aus drei bzw. vier Teilen: Auf die ausführliche Exposition der vv.1–6 folgt die Actio, die Rede der Schwalbe, in zwölf Versen (vv.7–18). Die Gegenrede der Nachtigall (Reactio), die den Schluss der Fabel beinhaltet, umfasst sechs Verse (vv.19–24). Daran schließt sich ein vermutlich unechtes Epimythion von vier Versen an (vv.25–28). Die beiden Hauptfiguren, eine Schwalbe und eine Nachtigall, werden in der Exposition (vv.1–6) eingeführt. Die Schwalbe (χελιδών),775 die erst an zweiter Stelle in v.1 genannt wird, weicht der Ortsangabe ἀγροῦ, welche das Gedicht eröffnet. Diese verweist auf die kultivierte, von Menschen beherrschte Welt – den Ackerbau und die Landwirtschaft als Inbegriff menschlicher Kulturtechnik. Die Fabel beginnt also in jener Sphäre, die dem Leser bereits durch vorangehende Erzählungen am vertrautesten ist, der ländlichen, zivilisierten Welt der Menschen.776 Jedoch wird mit dem folgenden μακρὸν ἐξεπωτήθη (ebenfalls in v.1) klar, dass ebendieser Bereich schon zu Beginn der Handlung wieder verlassen wird und man mit dem Flug der Schwalbe (ἐξεπωτήθη, v.1) in einer entfernten, nicht unmittelbar zugänglichen Welt landet, in der sich die Handlung der Fabel abspielt. Die Entlegenheit dieses Schauplatzes wird bereits in v.2 durch die Wendung ἐρήμοις […] ὕλαις verdeutlicht.777 Die betonte Entrückung der Fabelhandlung aus einem dem Leser bekannten in einen urtümlich-entlegenen Kontext knüpft an jenen Diskurs an, der bereits im ersten Prolog behandelt wurde, wo die

772 Vgl. Vaio 2001, 36. 773 Vgl. Rodríguez Adrados 1980, 201. Fortsetzungen bereits bestehender Fabelstoffe als Neuschöpfungen im Zuge des Unterrichts waren in den antiken Rhetorenschulen sehr beliebt, vgl. dazu Hausrath 1909, 1733; zu Fortsetzungen bekannter Stoffe in der Fabelsammlung vgl. auch Babr. 14 (Kap. 6.17). 774 Vgl. Ov. met. 6,412–674. Zu anderen Fabeln, die in mythischer Zeit spielen oder auf den antiken Mythos Bezug nehmen vgl. Babr. 1 prol. (Kap. 6.2) bzw. 15 (Kap. 6.18). 775 Die Figur der Schwalbe tritt auch in Babr. 72 sowie in 118 auf. 776 Die primär ländliche Szenerie von Babr.  12 findet Parallelen in Babr.  1(vgl. Kap.  6.4), 2 (vgl. Kap. 6.5), 3 (vgl. Kap. 6.6), 5 (vgl. Kap. 6.8), 11 (vgl. Kap. 6.14) und 13 (vgl. Kap. 6.16). 777 Aufgegriffen wird dies in der Rede der Nachtigall, die in v.20 von πέτραις […] ἀοικήτοις spricht.

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Fabel als eine Erzählung von Ereignissen aus einer archaischen, beinahe vergessenen ‚Goldenen Zeit‘ charakterisiert wird.778 Aus v.2 geht weiter hervor, dass die Schwalbe – bislang die einzige handelnde Figur  – jemanden in dieser Einsamkeit trifft (εὗρεν, v.2), der buchstäblich in der beschriebenen Szenerie sitzt (ἐγκαθημένην, v.2).779 Um wen es sich handelt, wird durch ein Enjambement erst in v.3 aufgedeckt: ἀηδόν’ ὀξύφωνον, eine Nachtigall, die durch das für sie typische Epitheton ornans charakterisiert ist. Die Figur der Nachtigall im Allgemeinen und in der Fabeldichtung im Speziellen tritt bereits in der ältesten erhaltenen griechischen Fabel auf, der Fabel von Habicht und Nachtigall in Hesiods Erga kai hemerai.780 Aufgrund der natürlichen Charakteristika des für seinen bezaubernden Gesang bekannten Vogels steht die Nachtigall in der griechischen Literatur häufig für eine Sänger- und in Fortführung dieses Gedankens für eine Dichterfigur.781 Auch mit der Rolle des göttlichen vates, die antike Dichter häufig für sich beanspruchen, wird die Nachtigall in Verbindung gebracht, wie ein Ausschnitt aus Aischylos’ Agamemnon belegt.782 Dort wird Kassandra im Anschluss an eine unheilverkündende Vision vom Chor als Nachtigall bezeichnet und der Name Itys mit diesem Vogel in Verbindung gesetzt, wodurch der bei Babrios präsente Mythos ebenfalls aufgerufen wird.783 In Babr. 12 tritt die Nachtigall als Sängerin auf: Sie singt einen Threnos, ein Klagelied, auf ihren verstorbenen Sohn (ἀπεθρήνει, v.3). Dieser Threnos – eine typische Form griechischer Klagedichtung  – ist einer der Grundelemente der griechischen Tragödie. Nicht nur durch diese Charakterisierung, auch durch zahlreiche weitere Bezüge

778 Zu 1 prol. vgl. Kap. 6.2. 779 Die Position dieser Figur wird syntaktisch dadurch verstärkt, dass das sie beschreibende Partizip ἐγκαθημένην in v.2 durch die Sperrung ἐρήμοις […] ὕλαις gerahmt wird. 780 Vgl. Hes. erg. 201–211. 781 Auch für die Fabel bei Hesiod wurde die These vertreten, dass es sich beim Habicht um das Sinnbild eines Machthabers, bei der Nachtigall jedoch um das Bild einer Dichterperson handeln könnte; vgl. z. B. Schmidt 1979, 82. Ähnliche Identifikationen finden sich auch in der Tierliteratur der Kaiserzeit, etwa in den Oneirokritika des Artemidor von Daldis (erste Hälfte 2. Jahrhundert), wo sowohl die Nachtigall als auch die Schwalbe für musisch begabte Menschen und Literaten stehen; vgl. Artem. 4,56. 782 Aischyl. Ag. 1136–1145: Κα. ἰὼ ἰὼ ταλαίνας κακόποτμοι τύχαι· | τὸ γὰρ ἐμὸν θροῶ πάθος ἐπεγχύδαν. | ποῖ δή με δεῦρο τὴν τάλαιναν ἤγαγες;  | οὐδέν ποτ’ εἰ μὴ ξυνθανουμένην; τί γάρ;  | [1140] Χο. φρενομανής τις εἶ θεοφόρητος, ἀμ- | φὶ δ’ αὑτᾶς θροεῖς | νόμον ἄνομον, οἷά τις ξουθὰ | ἀκόρετος βοᾶς, φεῦ, φιλοίκτοις φρεσὶν | Ἴτυν Ἴτυν στένουσ’ ἀμφιθαλῆ κακοῖς | ἀηδὼν βίον [Ka: Ach, ach, mein unheilvolles Schicksal, ich Unglückliche: Denn mein eigenes Leid beweine ich laut, das ich mir eingegossen habe. Zu welchem Zweck hast du mich Unglückliche hierhergeführt? Zu keinem anderen, als mitzusterben? Was sonst? [1140] Cho: Rasend im Geiste bist du und von einem Gott besessen, und beweinst dein eigenes , wie eine Braune brüllst du immerwährend dein Lied, das gar kein Lied mehr ist, ach, und in deinem jämmerlichen Gemüt seufzt du „Itys, Itys“, [1145] die du als Nachtigall ein Leben voller Übel ]. 783 Vgl. zur Rolle der Nachtigall als Seherin z. B. eine Passage aus Platons Phaidon (85A–B), in der Sokrates erklärt, gewisse Vögel, darunter die Nachtigall, seien die Vögel Apolls und besäßen daher die Gabe der Vorsehung, könnten also beispielsweise die Geschehnisse nach dem Tod sehen.

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Kommentar

zum griechischen Drama wird klar, dass die Nachtigall hier wie eine tragische Figur inszeniert wird.784 Ferner wird deren lautliche Äußerung mit dem Verb ἀείδω (ᾄσεις, v.13) bezeichnet, das neben der Bedeutung ‚singen‘ auch als Ausdruck für die Aufführung bzw. Rezitation von Dichtung verwendet wird. Schließlich tritt der Vogel in der Bildsprache der kallimacheischen Dichtung auf: Im Aitienprolog spricht das Ich vom Produkt seiner Dichtkunst als ἀηδονίδες […] μελιχρότεραι.785 Die süß singende Nachtigall steht somit metaphorisch für seine ‚süße‘ und ‚feine‘ Dichtung.786 Daneben weist eine weitere Passage bei Kallimachos darauf hin, dass die Nachtigall als Bezeichnung für kleine bzw. kurze Gedichte verwendet wurde.787 Sowohl das Motiv der Süße (in Gestalt der Honigwabe im ersten Prolog) als auch der Nachtigall in Babr. 12 können in der kallimacheischen Metaphorik für das Produkt der Dichtung stehen; bei Kallimachos treten diese beiden Motive innerhalb eines Sprachbildes auf, in den Mythiamboi allerdings getrennt voneinander. Obwohl es meines Erachtens kein Indiz dafür gibt, die Nachtigall in Babr. 12 als poetisches Produkt zu interpretieren, spielt die poetologische Aufladung der Figur bei der Rezeption und Bewertung der Fabel eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Aufschluss darüber gibt ihre Charakterisierung in der Fabel selbst: Das Adjektiv ὀξύφωνος, mit dem die Nachtigall in den vv.3 und 19 bezeichnet wird, ist das typische Epitheton dieses Vogels in der antiken Literatur. So wird die Bezeichnung bei Sophokles fast zum Sprichwort (ὀξύφωνος ὡς ἀηδών788) und in den Trachinerinnen in Verbindung mit Ausdrücken der Klage verwendet – In diesem Fall könnte sich ὀξύφωνος auf den durchdringenden Klang ihrer Stimme beziehen – ihre Klage geht den Menschen durch Mark und Bein und ruft eine emotionale Reaktion hervor. Dass die Konnotation ausnahmslos negativ ausfällt, wird dadurch jedoch nicht nahegelegt:789 Es ist davon auszugehen, dass der antike Leser mit dem Ruf der Nachtigall vordergründig – wie in den Parallelen aus Mythos und Tragödie – den Schrei einer klagenden Frau assoziiert haben dürfte. Darüber hinaus ist bei der Bewertung des Begriffs der abstrakte, poetische oder symbolische Gehalt der Figur von Bedeutung: In ὀξύφωνος sticht das Element der Stimme (φωνή) hervor, die bei der

784 Neben dem bereits erwähnten Klagelied (ἀπεθρήνει, v.3) sind als Hinweise darauf insbesondere das Epitheton ὀξύφωνος in v.3, das sich beispielsweise auch in Soph. Trach. 963 findet, sowie der oben diskutierte Bezug zur Figur der Nachtigall bei Aischylos zu nennen. Auch in der Rede der Schwalbe finden sich Bezüge zum antiken Drama, etwa v.17 (καῦμα θάλπει), der sich in ähnlicher Form auch in Soph. Ant. 417 (καῦμ’ ἔθαλπε) findet. 785 Kall. fr. 1,16 Pf. [süßere Nachtigallen]. 786 Auf das Element der Süße bei Kallimachos wurde bereits im Zuge der Analyse von 1 prol., genauer bei der Darstellung von Babrios’ Dichtung als süße Honigwabe, eingegangen; vgl. dazu Kap. 4.3 sowie Kap. 6.2. 787 Anth.Gr. 7,80,5 (Kallimachos): αἱ δὲ τεαὶ ζώουσιν ἀηδόνες [Deine Nachtigallen aber leben]. 788 Soph. Trach. 963. 789 Telestes von Selinus (fr. 6) beispielsweise verwendet den Begriff, um den Klang lydischer Saiteninstrumente zu beschreiben: τοὶ δ’ ὀξυφώνοις πηκτίδων ψαλμοῖς κρέκον Λύδιον ὕμνον [sie ließen mit den durchdringenden Tönen der Pektiden einen lydischen Hymnos erklingen].

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Beschreibung poetischer Phänomene oder Sachverhalte häufig eine Rolle spielt. Dass einer Figur, deren poetologische Symbolkraft auch andernorts belegt ist, zugeschrieben wird, ihre Stimme vermöge es, Personen, die sie hören, zu ‚durchdringen‘, kommt daher selbst einer poetologischen Charakterisierung gleich. Die Figur der Nachtigall vereint durch ihre Rolle in der literarischen Tradition also einerseits Assoziationen mit mythologischen Themen und dem klassischen Drama und andererseits mit poetologisch-kallimacheischer Bildsprache, in der sie für die Künstlerfigur und das Produkt des künstlerischen Akts stehen kann. Diese Assoziationen und Erwartungen werden beim Leser in Babr. 12 nicht nur durch die Figur selbst, sondern auch durch entsprechende Markierungen, etwa die gewählten Epitheta, aufgerufen und sind somit bei der Lektüre und Bewertung der Fabel präsent. In der Folge wird die so eingeführte Figur genauer beschrieben: Sie beweint Itys, der verfrüht aus dem Leben geschieden ist.790 An dieser Stelle ist einem in der griechischen Mythologie bewanderten Leser klar, wer hier dargestellt wird und auf welchen Mythos die Fabel Bezug nimmt. Die Handlung dieser Fabel ist also vor dem Hintergrund des Mythos zu sehen, als dessen Fortsetzung sie dargestellt wird.791 Die vv.5–6 behandeln die Wiedererkennungsszene der beiden Schwestern. Als Erkennungsmerkmal dient ihr Lied (ἐκ τοῦ μέλους δ’ ἔγνωσαν, v.5); dies ist nicht nur auf die oben beschriebene Klage der Nachtigall zu beziehen, wie durch das Reziprokpronomen ἀλλήλας (ebenfalls in v.5) nahegelegt wird. Vielmehr handelt es sich beim μέλος der beiden Vögel um ein ebenso einzigartiges Charakteristikum wie bei der menschlichen Stimme.792 Auch vor dem Hintergrund der oben diskutierten symbolisch-poetologischen Bedeutung der Nachtigall ist die Eigenheit der (Vogel-)Stimme relevant. Auf die Erkennungsszene folgt das Gespräch der beiden. Sie fliegen aufeinander zu (προσέπτησάν, v.6) und beginnen eine Unterhaltung (προσωμίλουν, v.6), deren Reden, ähnlich anderen Fabeln,793 rhetorisch ausgestaltet sind und die den Großteil der Erzählung einnimmt.794 Dabei markiert die Alliteration προσέπτησάν – προσωμίλουν das Ende der Exposition 790 Die Verwendung von ἐκπίπτω mit dem Genetiv in der Bedeutung ‚einer Sache beraubt werden‘ ist hauptsächlich im politischen Kontext belegt, so in Aischyl. Prom. 756 (Tyrannis); 757 (Herrschaft); Plut. Num. 22,6 (Herrschaft). Die hier vorliegende metaphorische Verwendung zur Beschreibung des (zu) frühen Ablebens einer Person ist sonst nicht überliefert, wenn auch ein antikes Graffito in einer römischen Villa darauf hinweist, dass ἐκπίπτειν, absolut verwendet, ‚dahinscheiden, sterben‘ bedeuten kann – Der Ausdruck ΧΘΩΝ ΕΚΠΙΠΤΟΝΤΩΝ wird laut Academia dei Lincei 1923, 35, als terra decessorum übersetzt. 791 Wenn auch die genaue Zeitspanne, die seit den aus dem Mythos bekannten Ereignissen verstrichen ist, aus dem Text nicht hervorgeht, legt die Rede der Schwalbe („φιλτάτη, ζώεις; | πρῶτον βλέπω σε σήμερον μετὰ Θρᾴκην, vv.7–8) einen längeren Zeitraum nahe. 792 In dieser Fabel wird die Beziehung zwischen tierischer Darstellung und menschlicher Identität besonders deutlich: Nicht nur können die Figuren als Menschen gedeutet werden, aus der Hintergrundgeschichte geht vielmehr hervor, dass es sich um in Tiere verwandelte Menschen handelt. 793 Zu diesem stilistischen Gestaltungsmerkmal der Mythiamboi vgl. Kap. 5.2. 794 Die emotionale Ausgestaltung der Reden scheint dabei parallel zu anderen Reden in den analysierten Fabeln, so in Babr. 3 (vgl. Kap. 6.6), 6 (vgl. Kap. 6.9) und 13 (vgl. Kap. 6.16).

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als narrativer Passage, bevor der dramatische Hauptteil beginnt. Der folgende Wechsel von Rede und Gegenrede ist nicht durch einen Konflikt bedingt, der sich im Rahmen der Erzählung auftut oder schon vor dem Einsetzen der Fabelhandlung besteht; vielmehr liefert der zugrunde liegende, aber nur implizit thematisierte Mythos den kommunikativen Impetus für das Gespräch der beiden Vögel. Den Anfang macht die Schwalbe, deren Rede in den vv.7–18 wiedergegeben wird. In einem ersten Teil (vv.7–9) geht sie auf die gemeinsame Vergangenheit mit ihrer Gesprächspartnerin und die Gründe für ihre Trennung ein. Sie zeigt sich zunächst überrascht, dass ihre Schwester noch lebt (φιλτάτη, ζώεις;, v.7). In v.8 liefert sie dem Leser weitere Hinweise zur Rekonstruktion ihrer Beziehung, indem sie auf den Vorfall in Thrakien (μετὰ Θρᾴκην, v.8) anspielt, seit dem die beiden sich nicht mehr gesehen hätten (πρῶτον βλέπω σε σήμερον, v.8), und beklagt, welch ein grausames Schicksal sie damals getrennt habe (ἐπεί τις ἡμᾶς πικρὸς ἔσχισεν δαίμων, v.9). Der Hauptteil des Mythos um Tereus, Prokne und Philomela spielt sich am thrakischen Königshof ab. Obwohl die Schwalbe hier also durch eine Ortsangabe einen konkreten Anhaltspunkt zur gemeinsamen Vorgeschichte gibt, bleibt sie dem Leser eine Erklärung schuldig: Wer nicht weiß, worauf mit dem Stichwort ‚Thrakien‘ angespielt wird, für den hat diese Information kaum Mehrwert. Der δαίμων am Ende von v.9 steht stellvertretend für eine schicksalshafte göttliche Instanz, vergleichbar mit Babr.  11,4, wo ebenfalls ein δαίμων die Handlung lenkt.795 Im zweiten Teil ihrer Rede (vv.11–18) drückt der Schwalbe den Wunsch aus, die Nachtigall möge die Wildnis verlassen und mit ihr gemeinsam bei den Menschen leben.796 Die direkte Anrede der Gesprächspartnerin in v.7 (φιλτάτη) sowie die Imperative in v.11 (ἔλθ’) und v.18 (ἄγε) drücken einen persönlichen und emotional motivierten Wunsch aus. ἐς ἀγρὸν in v.11 stellt einen Bezug zu ἀγροῦ in v.1 her – die Schwalbe möchte an den Punkt, von dem aus sich die Erzählung entwickelt hat, zurückkehren und dabei ihre Schwester mitnehmen. Zusätzlich wird in v.11 deutlich, dass das Feld in die Sphäre des menschlichen Einflusses gehört; πρὸς οἶκον ἀνθρώπων soll die Nachtigall kommen und dort als Nachbarin der Schwalbe und Menschen leben. Der Ort wird in v.13 beschrieben: Nach ihrer Ankunft werde die Nachtigall den Landarbeitern (γεωργοῖς, v.13), nicht den wilden Tieren (θηρίοις, v.13) singen. Das Stichwort γεωργοῖς lässt an 1 prol. denken, wo davon die Rede ist, dass sich in der ‚Goldenen Zeit‘ Bauern 795 Vgl. Kap. 6.14; er bleibt damit ähnlich unbestimmt wie die Gottheit in Babr. 2 (vgl. Kap. 6.5); zum δαίμων und den Göttern in den Mythiamboi vgl. Kap. 5.1. 796 Das Motiv, dass die Schwalbe ein Tier sei, dass nahe der Menschen lebe, findet sich auch in der Tierliteratur der Zeit, so etwa in den Oneirokritka des Artemidor von Daldis (erste Hälfte 2. Jahrhundert), wo über diese gesagt wird (4,56): τὰ φιλόχωρα (Ort liebend) τοὺς πλησίον οἰκοῦντας καὶ τοὺς ἐγγὺς θυρῶν, ὡς χελιδὼν καὶ λαγώς [Die , die einen bestimmten Ort lieben, jene , die in Nähe und nahe der Türen leben, wie die Schwalbe und der Hase]. Zum Motiv der Vögel, die in oder bei Häusern leben, vgl. Babr. 5 (Kap. 6.8) und 17 (Kap. 6.20).

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mit Vögeln unterhalten hätten.797 Die Ausdrucksweise der Schwalbe – sie verwendet indikativische Futurformen und Imperative – lässt dabei auf ihre Haltung schließen: κατοικήσεις (v.12) und ᾄσεις (v.13) signalisieren die Endgültigkeit der Angelegenheit aus Sicht der Schwalbe – sie hat für sich bereits entschieden, was die Nachtigall tun wird. Die Frage nach der Authentizität der vv.14–15 wurde bereits diskutiert.798 Während die gebotene Information auf den ersten Blick redundant scheint, spezifiziert die Schwalbe jedoch, wo genau die beiden Vögel bei den Menschen leben werden: δῶμα καὶ στέγην (v.15) soll die Nachtigall gemeinsam mit ihr bewohnen. Die Passage könnte einen Bezug zu Lukians Tragoedopodagra darstellen: Dort spricht der Chor vom Beginn des Frühlings und charakterisiert ihn als die Jahreszeit, in der Schwalbe und Nachtigall umherfliegen und Itys beklagen.799 Daraufhin spornt sich der Sprecher selbst dazu an, aus dem dunklen, stickigen Haus in die freie Natur zu gehen.800 In der Selbstaufforderung (λεῖπε, ὑπώροφον, στέγην) und der vorangehenden Schilderung des Chors801 lassen sich lexikalische Parallelen zu Babrios finden, die nahelegen, dass Babr. 12 auf Lukian anspielen könnte. Auffällig ist jedoch, dass die beide Passagen gegenteilige Funktionen erfüllen: Während sich der Sprecher bei Lukian dazu auffordert, in die Natur zu gehen, versucht die Schwalbe in Babr. 12, die Nachtigall zu überreden, aus der Natur ins Haus und unter den Schutz des Daches zu kommen. Mit einer rhetorischen Frage versucht die Schwalbe in den folgenden vv.16–17, ihren Standpunkt zu untermauern, und geht dabei auf die Beschwerlichkeiten des rauen Lebens in der Wildnis ein. Dabei greift sie auf die topische Antithese Hitze – Kälte zurück,802 wobei sie einerseits den nächtlichen Tau (ἔννυχος στίβη, v.16),803 anderer-

797 Auch wenn dort von Sperlingen, nicht Schwalben oder Nachtigallen die Rede war, ist dieser Bezug beachtenswert, zumal auch an anderen Stellen in Babr. 12 auf 1 prol. (vgl. Kap. 6.2) angespielt wird. 798 Vgl. dazu den Kommentar zu vv.14–15 (ὕπαιθρον […] οἴκει). 799 Vgl. Lukian. Trag. 42–53; vgl. Luzzatto 1975a, 71. 800 Lukian. Trag. 58–59: ἔγειρε, τλῆμον, γυῖα δεμνίων ἄπο | καὶ λεῖπε μελάθρων τὴν ὑπώροφον στέγην [Erhebe, Erbärmlicher, deine Glieder vom Bett und verlasse die Kammer unter dem Dach des Hauses]. 801 Lukian. Trag. 49–53: ἁ δὲ δύσγαμος κατ’ οἴκους | μερόπων θροεῖ χελιδών, | καὶ νύκτερος καθ’ ὕλαν |τὸν Ἴτυν στένει δακρύουσ’ | Ἀτθὶς γόοις ἀηδών [ aber die Schwalbe, die unglücklich Verheiratete, [55] durch die Häuser der Menschen klagend schreit, und die attische Nachtigall des Nachts den Wald hindurch weinend mit Klagen ihren Itys beweint]. 802 Diese Antithese wird in der antiken Literatur vielfach angeführt, wenn die negativen Aspekte der Natur (Caes. Gall. 6,22,3; Cic. nat. 3,83,14–15; Varro rust. 2,1,22; 2,2,17; Verg. catal. 13,3–4) und/oder die positiven Eigenschaften gewisser Personen oder Dinge angesichts widriger Umstände (Lucr. 5,925–930; Plin. nat. 13,134; 14,40; Plut. mor. 841C; 842C; Sall. Iug. 85,33; Sen. epist. 15,5; negativ: Liv. 5,6,4; 5,48,3; Suet. Aug. 81,2; Tac. Germ. 4,3; ironisch: Tib. 1,4,1–6) hervorgehoben werden sollen. Der natürliche Wechsel dieser beiden Temperaturextreme im Jahreslauf kann auch zur Charakterisieung der Zeitdauer verwendet werden – ‚bei Hitze und Kälte‘ impliziert dann schlicht ‚immer‘, wie etwa bei Phaedr. 4,25,19–20; Theokr. eid. 11,36–37; Verg. ecl. 2,22. 803 Mit dem Begriff στίβη greift die Schwalbe einen Begriff auf, der in der Odyssee (5,467; 17,25) die Beschwerlichkeiten des Odysseus auf seiner Reise beschreibt. In beiden Bezugsstellen wird also der Schutz vor der unbezwingbaren Natur thematisiert. Die intertextuellen Bezüge sind deutlich:

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seits die Tageshitze (καῦμα, v.17) als Unannehmlichkeiten anführt. Diese Darstellung gipfelt in der zweiten Hälfte von v.17, wo die Schwalbe behauptet, eine Landbewohnerin würde durch diese Strapazen gänzlich vergehen (πάντα δ’ ἀγρότιν τήκει, v.17).804 Damit beendet sie ihre Argumentation und fordert die Nachtigall in einem letzten Vers durch den Imperativ ἄγε (v.18, Auflösung im ersten Versfuß) auf, auf das Gesagte zu reagieren. Hier spricht sie die Nachtigall erneut an und bezeichnet sie als σοφὰ λαλοῦσα, ‚Weises oder Kluges Trällernde‘. Das Verb λαλέω ist für die Charakterisierung der Nachtigall von Bedeutung: Bereits seit Semonides kommt es im poetologischen Kontext vor. So wird bei Plutarch an mehreren Stellen auf eine Gnome Bezug genommen, die auf den Jambendichter zurückgehen soll: Πλὴν ὁ Σιμωνίδης τὴν μὲν ζωγραφίαν ποίησιν σιωπῶσαν προσαγορεύει, τὴν δὲ ποίησιν ζωγραφίαν λαλοῦσαν.805 Die Gegenüberstellung von Dichtung und Malerei macht die Besonderheit der Dichtung deutlich: Sie ‚spricht‘ (λαλοῦσαν) zum Leser. Dass diese Qualität in der Formulierung σοφὰ λαλοῦσα mit einem zweiten poetischen Ideal, jenem der gelehrten Dichtung, verbunden und als Eigenschaft der poetologisch konnotierten806 Nachtigall zugeschrieben wird, spricht dafür, dass hier mit poetologischen Motiven gespielt wird. Den dritten Teil der Fabel nimmt die Reactio, die Antwortrede der Nachtigall, ein, eingeleitet mit v.19. Dieser Vers sowie die gesamte Rede der Nachtigall besitzen epischen Charakter und erinnern etwa an bekannte Überleitungsverse aus dem homerischen Epos. Erkennbar ist dies erstens an der Stellung des Personalpronomens τὴν am Beginn des Verses,807 zweitens an der Nennung des Namens der Nachtigall mit Epitheton ornans (ἀηδὼν ὀξύφωνος, v.19) sowie drittens an der Verwendung des Verbs ἀμείβομαι,808 das in Epen typischerweise den Sprecherwechsel markiert. Die Wahl dieDas mühselige Leben der Nachtigall in der Wildnis wird von der Schwalbe mit den Mühsalen des Odysseus verglichen; diese Parallelen sind nicht unbegründet, zumal erwähnt wird, dass beide Figuren lange Wege zurückgelegt haben. Die so gestaltete Inszenierung der Nachtigall als Odysseus, der zum Spielball der wilden Natur wird, dient der Schwalbe zur Stärkung ihres Arguments; vgl. Marenghi 1954, 119; Luzzatto 1975a, 23. 804 τήκω findet sich hier in der Bedeutung ‚jemanden bzw. etwas vergehen lassen, zugrunde richten‘, so beispielsweise auch in Hom. Od. 19,264; Plat. rep. 609C. 805 Plut. mor. 346F [Obwohl Simonides die Malerei schweigende Dichtung, die Dichtung aber sprechende Malerei nennt]; daneben auch in mor. 17F; 58B. 806 Die Wiederholung des Epithetons ὀξύφωνος in v.19 ruft die traditionelle Charakterisierung der Nachtigall am Beginn des Gedichts auf. 807 Oftmals werden in der homerischen Epik typische Verben mit Versatzstücken, die der Benennung des Subjekts dienen, kombiniert, sodass formelhafte Verse entstehen. Viele solcher Versatzstücke beginnen mit dem demonstrativen Artikel in Spitzenstellung, so etwa τὸν δ’ ἀπαμειβόμενος (Hom. Il. 1,84; 1,130; 8,412 etc.), τὸν δ’ ἠμείβετ’ ἔπειτα (Il. 1,121; 1,172; 1,413 etc.), τὴν δ’ ἠμείβετ’ ἔπειτα (Il. 1,544; 5,375; 5,381 etc.) oder τὸν δ’ αὖτε προσέειπε (Il. 1,206; 5,179; 5,229 etc.) bzw. τὴν δ’ αὖτε προσέειπε (Il. 6,440; 8,357; 14,211 etc.). 808 ἀμείβομαι wird im antiken griechischen Epos stets für den Sprecherwechsel in dialogischen Reden verwendet. Der Aorist ἠμείφθην ist für die homerische Epik nicht belegt, er taucht erst in der Literatur der Kaiserzeit auf, vgl. etwa Opp. kyn. 1,19; Athen. 603E–604D (13,81 K); Anth.Gr. 7,589,6 (Agathias Scholastikos); 7,638,5 (Krinagoras).

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ses Sprachregisters könnte der Natur des Stoffs geschuldet sein809 oder dazu dienen, den Unterschied zur kolloquialen Rede der Schwalbe zu unterstreichen, was zur Charakterisierung der beiden Figuren beiträgt: die lebensnahe Schwalbe, die mit Menschen und Tieren in Interaktion tritt, hingegen die feierliche Nachtigall, die durch ihre getragene Redeweise ehrwürdige Distanz vermittelt; ihre Anrede als σοφὰ λαλοῦσα unterstreicht dies. Die so charakterisierte Nachtigall antwortet in den vv.20–24 auf den Vorschlag der Schwalbe: In den vv.20–21 bittet sie diese, sie in ihrer Wildnis und Einsamkeit zu belassen. Dabei spiegelt das Hyperbaton πέτραις ἐμμένειν ἀοικήτοις in v.20 die erste Beschreibung der Nachtigall in v.2 (ἐρήμοις ἐγκαθημένην ὕλαις); der geradezu bildliche Eindruck einer Bergidylle wird durch die Beschreibung in v.20 (μή μ’ ὀρεινῆς ὀργάδος σὺ χωρίσσῃς) noch verstärkt. Durch den Imperativ ἔα (v.20), den Prohibitiv μή χωρίσσῃς (v.21) sowie das Personalpronomen σὺ (v.21) wirkt die Bitte der Nachtigall nachdrücklich und entschlossen. Die Formulierungen πέτραις ἀοικήτοις (v.20) sowie ὀρεινῆς ὀργάδος (v.21) lassen ferner auf eine romantisierende Darstellung der Gegend schließen. Der wilde Berghain fügt sich dabei in die bukolisch-ländliche Szenerie ein, die auch in anderen Fabeln, etwa Babr. 11 und 13,810 aufgerufen wird und zumeist als Kontrast dient: Die Lieblichkeit des Ortes unterstreicht die Schrecklichkeit der Dinge, die sich dort abspielen.811 In Babr. 12 wird dieses Motiv dahingehend verändert, dass nicht mehr die Idylle der Schauplatz von Untaten ist, sondern der Zufluchtsort des Opfers nach der Tat.812 Auf diese Weise rückt der Gegensatz zwischen der Stadt und dem Land in den Fokus. Als Grund für ihre Entscheidung, nicht mit der Schwalbe in das Gebiet der Menschen zurückzukehren, führt die Nachtigall in den vv.22–24 an, ‚nach Athen‘ scheue sie diese, ja sogar jegliche Zivilisation. Die Betonung durch die Auflösung μετὰ τὰς (Ἀθήνας) im ersten Versfuß am Beginn von v.22 lenkt die Aufmerksamkeit auf diesen Begriff. Indem sie eine Stadt, in diesem Fall Athen, nennt, bezieht sich die Nachtigall, wie die Schwalbe, auf den zugrunde liegenden Mythos, geht allerdings auf die Umstände nicht genauer ein,813 sondern erwähnt lediglich die Folge der Geschehnisse: Sie

809 Mythen sind traditionelle Stoffgebiete des antiken Epos. Die Parallelen zur epischen Dichtung bei Babr. 12 liegen hauptsächlich in Stoff und Sprache vor; strukturell gesehen finden sich zwar Bauelemente des Epos – Reden und Gegenreden – die allerdings nicht als spezifisch episch zu bezeichnen sind, und auch beispielsweise im Drama, in rhetorischen Schriften oder in der Fabel selbst vorkommen; vgl. Nøjgaard 1967, 317. 810 Zu Babr. 11 und 13 vgl. Kap. 6.14 und 6.16. 811 Ähnliches findet sich auch in Babr. 1 oder 3, wo die idyllische Szenerie ebenfalls als Schauplatz für schreckliche Geschehen dient; vgl. Kap. 6.4 und Kap. 6.6. 812 Vgl. dazu die Funktion des Waldtals in Babr. 1 (Kap. 6.4). 813 Beide Städte werden durch das Metrum zusätzlich betont: Die Schwalbe erwähnt in v.8 Thrakien, das aufgrund der Stellung im letzten Versfuß des Choliambos besonders betont wird; dasselbe gilt für Athen in der Rede der Nachtigall, hier dank der Auflösung am Beginn des Verses. Die Nachtigall, die anfangs den Tod ihres Sohnes beweint, nennt Athen als Grund für ihre Trauer; wie Crusius (1879, 204–205) anmerkt, stirbt Itys allerdings nicht in Athen, sondern in Thrakien. Wenn

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meidet Menschen und Städte. Die Formulierung ἄνδρα καὶ πόλιν in v.22 lässt sich in diesem Kontext auf dreifache Weise deuten: Erstens könnte damit als concretum pro abstracto die Menschheit und Zivilisation im Allgemeinen gemeint sein; zweitens könnten Bezüge zu Tereus und Thrakien (bzw. Athen) bestehen; drittens könnte damit die Charakterisierung der Nachtigall durch das von ihr verwendete homerisch-epische Sprachregister fortgeführt werden: In Anlehnung an den Anfangsvers aus Vergils Aeneis (arma virumque cano) könnten die Begriffe ἄνδρα καὶ πόλιν im weitesten Sinne für die homerischen Epen stehen, womit der lexikalische mit einem poetologischen Bezug verbunden würde. Die Nachtigall schließt ihre Antwortrede mit einer Erläuterung der vorhergehenden Aussage in den vv.23–24: Häuser und jeglicher Umgang mit Menschen reißen alte Wunden wieder auf. Charakteristisch für die gesamte Rede und insbesondere für diesen Abschnitt ist, dass sich die Nachtigall an keinem Punkt wie ein Tier äußert. Während sich die Schwalbe noch eher als Tier gibt (sie will bei den Menschen wohnen, die Nachtigall könnte den Bauern singen, sie muss nicht in der rauen Wildnis leben), passen die Aussagen der Nachtigall allesamt auf einen Menschen: Sie meint, der Umgang mit ihren Mitmenschen bereite ihr Schmerzen. Zeigen lässt sich dies beispielsweise in v.23: οἶκος δέ μοι πᾶς κἀπίμιξις ἀνθρώπων – die Nachtigall verwendet nicht den Begriff ἀνθρώπειος oder ἀνθρώπινος, um sich selbst von der menschlichen Sphäre abzugrenzen, sondern wählt die Formulierung κἀπίμιξις ἀνθρώπων, was zwar als Umgang mit den Menschen (im Gegensatz zu den Tieren), aber auch als der Umgang mit Menschen im Allgemeinen verstanden werden kann. Hier wird also klar: Die Nachtigall spricht noch als Prokne, die ihre Gestalt zwar abgelegt hat, sich jedoch im Geiste nach wie vor als Mensch fühlt. Dieses Selbstbild steht im Einklang mit dem Verständnis, wonach die verwandelte Person auch in ihrer neuen Gestalt die ihr vor ihrer Metamorphose eigene Denkweise beibehält. Schließlich gilt auch für v.24, was bei den vv.8 und 22 beobachtet wurde: Ein unwissender Leser bleibt im Dunkeln darüber, worauf sich λύπην παλαιῶν συμφορῶν (v.24) bezieht. Das als nicht authentisch eingestufte vierzeilige Epimythion leistet hier keine Abhilfe; stattdessen preist es sehr allgemein die Einsamkeit und die Beschäftigung mit den musischen Künsten als Trost bei widrigen Umständen, was auf einer oberflächlichen Ebene durchaus vertretbar ist, der gesamten Erzählung jedoch keinesfalls gerecht wird.814

sich die Erwähnung Athens nicht auf den Ort beziehen sollte, an dem die gesamte Erzählung ihren Anfang genommen hat, sondern konkret auf den Schauplatz von Itys’ Tod, so könnte man annehmen, Babrios habe den Mythos missverstanden oder gezielt verändert („mythum aut non satis recte intellexisse aut temere mutasse“). Dies würde sich wiederum mit Babrios’ Tendenz, Mythen in abgewandelter Form wiederzugeben, decken, wie sie sich auch beim Weltaltermythos in 1 prol. (vgl. Kap. 6.2) bemerkbar macht. 814 Zur Verwendung von μούση in den anderen Fabeln vgl. Babr. 1 prol. (Kap. 6.2), 2 prol. (Kap. 6.3), 8 (Kap. 6.11) und 15 (Kap. 6.18).

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4) Parallelen Auf den Mythos in Ovids Metamorphosen wurde zu Beginn bereits eingegangen. Ob Babrios seine Erzählung auf Basis einer ovidischen Vorlage konzipiert hat, oder ob er sich lediglich auf den allgemein bekannten Mythos stützt, lässt sich nicht genau sagen. Inhaltlich findet sich das Motiv, wonach eine Figur nicht an den Ort zurückkehren möchte, an dem sie Schmerzen erlitten oder an dem ihr Unheil ihren Ausgang genommen hat, etwa bei Phaedrus,815 wo eine Frau nicht in dem Bett gebären möchte, das sie als Ursprung ihrer Schmerzen versteht. Vergleichbar wären hier etwa die Verbindung eines Ortes mit Schmerz sowie der sexuelle Kontext. Ansonsten ist Babr. 12 in der erhaltenen Fabeldichtung einzigartig – angesichts des ungewöhnlichen Sujets dürfte die Fabel in der Ausgestaltung und Fortsetzung des Mythos von Tereus, Prokne und Philomela eine babrianische Eigenkreationen darstellen.816 Nachweisbare Parallelen finden sich erst in der Rezeption der Babriosfabel, so etwa eine Prosaparaphrase in der Paraphrasis Bodleiana,817 die die Bildhaftigkeit der babrianischen Erzählung illustriert: Die Paraphrase setzt direkt bei der Rede der Schwalbe ein, die Schilderung ihrer Reise zur Nachtigall sowie die Verortung in der idyllischen Wildnis fehlen völlig. Auch die ausgefeilte Rhetorik der Redepartien in Babr. 12 geht in dieser Version verloren, da diese zumeist in indirekter Rede zusammengefasst werden. Die Antwort der Nachtigall lässt wichtige Details, etwa die Schilderung des idyllischen Zuhauses oder die Erwähnung der beiden Städte, aus; ebenso wurde auf episches Vokabular verzichtet. Babr. 12 hingegen beschreibt die Szene bildhaft und spielt dabei auf den Mythos sowie auf das Genre des Epos an. In der Paraphrase, die auf die Wiedergabe des grundlegenden Inhalts beschränkt ist, fehlen diese literarischen Feinheiten. Eine späte Bearbeitung von 815 Phaedr. 1,18: Mulier parturiens. Nemo libenter recolit qui laesit locum. | instante partu mulier actis mensibus | humi iacebat flebilis gemitus ciens. | vir est hortatus, corpus lecto reciperet, | [5] onus naturae melius quo deponeret. | ‚minime‘ inquit ‚illo posse confido loco | malum finiri, quo conceptum est initio‘ [Die gebärende Frau. Niemand sucht gerne wieder einen Ort auf, der verletzt hat. Als die Geburt bevorstand, lag eine Frau, nachdem die Monate vergangen waren, auf dem Boden und stöhnte weinend. Der Mann forderte sie auf, ihren Körper ins Bett zu legen, [5] um so die Last der Natur besser ablegen zu können. ‚Keineswegs‘, sagte sie, ‚vertraue ich darauf, dass an jenem Ort das Übel sein Ende findet, an dem es am Anfang empfangen wurde‘]. 816 Das Fehlen eines entsprechenden Motivs in der älteren Fabeltradition veranlasste Crusius (1879, 226–228) dazu, anzunehmen, dass die Fabel das Werk eines Autors sei, der als Sophist oder Rhetor unter römischer Herrschaft gewirkt haben müsse, da der Stoff erst in dieser Zeit besonders beliebt war. Angesichts der derzeitigen Datierung (vgl. Kap. 2.1) ist die Entstehung unter römischer Herrschaft wahrscheinlich, alles andere ist aus heutiger Sicht jedoch nicht mehr als Spekulation. 817 Aisop. 9 Ch.: Ἀηδὼν καὶ χελιδών. Ἀηδόνι συνεβούλευε χελιδὼν τοῖς ἀνθρώποις εἶναι ὁμόροφον καὶ σύνοικον ὡς αὐτή. ἡ δὲ εἶπεν· „οὐ θέλω τὴν λύπην τῶν παλαιῶν μου συμφορῶν μεμνῆσθαι, καὶ διὰ τοῦτο τὰς ἐρήμους οἰκῶ.“ [ὅτι] τὸν λυπηθένθα ἔκ τινος τύχης καὶ τὸν τόπον φεύγειν ἐθέλειν ἔνθα ἡ λύπη συνέβη [Nachtigall und Schwalbe. Einer Nachtigall riet eine Schwalbe, mit den Menschen unter einem Dach zu leben und wie sie selbst deren Mitbewohnerin zu sein. Diese aber sagte: „Ich will mich nicht an den Schmerz meines alten Unglücks erinnern und aus diesem Grund bewohne ich verlassene Orte.“ [ dass] derjenige, der aufgrund einer Fügung des Schicksals verletzt worden ist, auch vor dem Ort fliehen will, wo sich der Schmerz ergeben hat].

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Babr.  12 findet sich in einer Fabelausgabe des Aldus Manutius aus dem Jahr 1505,818 in der die ursprünglichen 24 Verse auf lediglich 13 Verse komprimiert wurden.819 Die Fabel wurde zusammen mit mehreren Tetrasticha überliefert,820 trägt jedoch kaum zur weiteren Deutung von Babr. 12 bei. Inhaltlich finden sich Parallelen in den rhetorischen Ethopoiien der Progymnasmata, beispielsweise des Aphthonios v. Antiochia (4. bzw. 5. Jahrhundert) oder des Libanios (4. Jahrhundert), die zu den babrianischen Fabeln allgemein auf inhaltlicher und sprachlicher Ebene Berührungspunkte aufweisen.821 Zwei Ethopoiien, die Prokne und Philomela zum Thema haben, sind in der Anthologia Graeca überliefert.822 Beide thematisieren, was Philomela ihrer Schwester Prokne wohl sagen könnte, wenn sie ihre Stimme wiedererlangte und die beiden sich wieder träfen.823 Die Begegnung der beiden Vögel in Babr. 12 erinnert an ein ebensolches hypothetisches Wiedersehen, das in den Progymnasmata der Kaiserzeit oftmals als Ausgangspunkt für rhetorische Übungen im Schulunterricht genutzt wurde. 5) Gesamtbetrachtung Babr. 12 stellt eine spielerische Auseinandersetzung mit einem bekannten Stoff des antiken Mythos dar, der auf einzigartige Weise weitergesponnen wird. Sowohl das Sujet mythologischer Stoffe als auch deren Verarbeitung in Form von Fortsetzungen war in der Spätantike häufig und beliebt, was die vorliegende Version als einen frühen Reflex dieses Trends in der Dichtung der Kaiserzeit erscheinen lässt.824 Die einzigartige Ver818 819 820 821 822

Manutius 1505. In dieser Version fehlen die vv.5; 6; 9–10; 14–18; 21–22; 25–28; vgl. Crusius 1879, 19; Vaio 1994. Vgl. Vaio 1984, 201. Zur Beziehung der Mythiamboi zu den Progymnasmata vgl. Kap. 2.3 sowie Luzzatto 1975a, 69. Anth.Gr. 9,451 (Philemon): Σός με πόσις κακοεργὸς ἐνὶ σπήλυγγι βαθείῃ | μουνώσας βαρύποτμον, ἐμὴν ἀπέκερσε κορείην· | στυγνὰ δέ μοι πόρεν ἕδνα πολυτλήτοιο γάμοιο· | γλῶσσαν ἐμὴν ἐθέρισσε καὶ ἔσβεσεν Ἑλλάδα φωνήν [Dein böser Ehemann hat mich trauernd in der tiefen dunklen Behausung alleine gelassen, meine Jungfräulichkeit hat er geraubt: Verhasst ist mir geworden das Geschenk der elenden ‚Hochzeit‘: Meine Zunge hat er mir abgeschnitten und ausgelöscht die griechische Sprache]; Anth.Gr. 9,452 (Philemon): Χαῖρε, Πρόκνη, παρὰ σεῖο κασιγνήτης Φιλομήλης, | χαίρειν εἰ τόδε γ’ ἔστιν· ἐμοῦ δέ σοι ἄλγεα θυμοῦ | πέπλος ἀπαγγείλειε, τά μοι λυγρὸς ὤπασε Τηρεύς, | ὅς μ’ ἕρξας βαρύποτμον ἐν ἕρκεσι μηλονομήων, | [5] πρῶτον παρθενίης, μετέπειτα δ’ ἐνόσφισε φωνῆς [Freu dich, Prokne, von deiner Schwester Philomela, wenn es möglich ist sich zu freuen: Das Gewebe möge dir von den Schmerzen meines Geistes berichten, die mir der unselige Tereus angetan hat, der mich Elende in einem Verschlag für Hirten eingesperrt hat, [5] und mir zuerst meine Jungfräulichkeit und danach meine Stimme raubte]. 823 Der Kontext, in dem die Gedichte stehen, könnte auch darauf hindeuten, dass es sich dabei um ein Wiedersehen in der Unterwelt handelt. So bekennt der Sprecher im vorhergehenden Gedicht, Anth.Gr. 9,450 (Philemon), dass er gerne sterben würde, um bekannten Persönlichkeiten in der Unterwelt, beispielsweise Euripides, begegnen zu dürfen. 824 Vor allem die Epik der Spätantike hat sich häufig mit Vorgeschichten oder Fortsetzungen bekannter mythologischer Stoffe beschäftigt, etwa die Harpage Helenes des Kolluthos, die die Geschehnisse vor dem trojanischen Krieg behandelt, das Excidium Ilii des Triphiodor, die als Fortsetzung der Geschehnisse in der Ilias gestaltet ist, oder die Posthomerica des Quintus von Smyrna, die sowohl

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bindung der Mythenfortsetzung mit der Praxis rhetorischer Übungen in einer literarischen Form weist Babr. 12 besonders deutlich als eigenständiges und innovatives Werk des Dichters aus. Ferner setzt sich der Autor in Babr. 12 mit dem Phänomen des unwissenden Lesers bzw. mit der Frage auseinander, was dieser wissen muss, um einer Erzählung folgen zu können. Man wird in dieser Fabel Zeuge eines ausgedehnten Gesprächs zwischen zwei Figuren, die offensichtlich über mehr Hintergrundwissen verfügen als in der Erzählung vermittelt wird. An mehreren Stellen des Gedichts stößt man so auf Situationen, die die beiden Gesprächspartnerinnen zu verstehen scheinen, die sich Außenstehenden ohne die nötigen Hintergrundinformationen jedoch nicht sofort erschließen, wodurch der Gesprächsverlauf sprung- und lückenhaft wirkt. Bedenkt man jedoch die fehlenden Informationen – die aus der mythologischen Tradition bekannte Erzählung –, erklären sich die andernfalls rätselhaften Anspielungen und der Leser kann der Handlung und der Argumentation folgen. Die Tatsache, dass gerade keine weiteren Erklärungen gegeben werden, spricht daher dafür, dass für das Verständnis der Erzählung ein mit jenem der Gesprächspartnerinnen vergleichbares mythologisches Wissen vorausgesetzt wird.825 Schließlich stellt sich auch bei dieser Fabel die Frage, inwieweit sie poetologische Inhalte vermittelt. Hier liegt der Fokus vor allem auf der Figur der Nachtigall, die als Sängerin (und damit als Seherin) charakterisiert wird, was das Bild des Dichters als vates aufruft – zumal mit 2 prol. vergleichbare Gesangsmetaphern zum Einsatz kommen. Hinzu kommt, dass der Mythos, der dieser Darstellung zugrunde liegt, in der Bearbeitung bei Ovid vielfach poetologisch gedeutet wurde: Philomela webt ein Gewebe (textum), in dem sie eine Geschichte erzählt (also: dichtet). Schließlich entspricht die Nachtigall in Babr. 12, die fernab der Menschen in der Einsamkeit leben möchte, dem horazischen Ideal des distanzierten, dem gemeinen Volk entrückten Sängers, dessen Dichtung nur Auserwählten offensteht.826 Wenngleich dadurch kein durchgehendes Programm dargelegt wird, so fügen sich diese Elemente durchaus harmonisch in das bereits in den beiden Prologen gezeichnet Bild eines babrianischen Dichters ein.

als Fortsetzung der Ilias und als Vorgeschichte zur Odyssee dienen; vgl. Nøjgaard (1967, 308), der sich in diesem Zusammenhang ebenfalls auf den mythologischen Stoff von Babr. 12 bezieht und die Fabel als Epenparodie bezeichnet. Dies kann jedoch nicht überzeugen, da primär nicht der eigentliche Stoff des Mythos in übertriebener oder spöttischer Weise verarbeitet, sondern vielmehr eine Fortsetzung nach dem Typus rhetorischer Übungen im Schulbetrieb der Kaiserzeit geboten wird. Die Aufgabenstellung für solche Aufgaben, die häufig mythologische Themen betreffen, hätte in etwa folgendermaßen lauten können: „Wenn Prokne und Philomela sich nach ihrer Verwandlung wiederträfen, worüber würden sie sprechen?“ 825 Ähnliche Verkürzungsprozesse, die dem Spannungsaufbau und der Leserlenkung dienen, finden sich auch in Babr. 11 (vgl. Kap. 6.14) und 17 (vgl. Kap. 6.20). 826 Vgl. etwa Hor. carm. 3,1,1: Odi profanum vulgus et arceo [Ich hasse das nicht eingeweihte Volk und halte es fern].

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6.16 Babr. 13 Αὔλαξι λεπτὰς παγίδας ἀγρότης πήξας γεράνους σποραίων πολεμίας συνειλήφει. τοῦτον πελαργὸς ἱκέτευε χωλεύων, ὁμοῦ γὰρ αὐταῖς καὶ πελαργὸς ἡλώκει, „οὐκ εἰμὶ γέρανος, οὐ σπόρον καταφθείρω. πελαργός εἰμι χἠ χρόη με σημαίνει, πτηνῶν πελαργὸς εὐσεβέστατον ζῴων· τὸν ἐμὸν τιθηνῶ πατέρα καὶ νοσηλεύω.“ κἀκεῖνος „ὦ πελαργέ, τίνι βίῳ χαίρεις οὐκ οἶδα“, φησίν, „ἀλλὰ τοῦτο γινώσκω· ἔλαβόν σε σὺν ταῖς ἔργα τἀμὰ πορθούσαις, ἀπολῇ μετ’ αὐτῶν τοιγαροῦν μεθ’ ὧν ἥλως.“ [κακοῖς ὁμιλῶν ὡς κακὸς μισηθήσῃ κἂν μηδὲν αὐτὸς τοὺς πέλας καταβλάψῃς.]

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In den Furchen hatte der Bauer zarte Netze befestigt und damit Kraniche, die Feinde der Saat, gefangen. Diesen flehte der hinkende Storch an, denn gemeinsam mit ihnen war auch ein Storch gefangen worden: [5] „Ich bin kein Kranich, nicht zerstöre ich die Saat. Ein Storch bin ich und meine Färbung weist mich aus, als Storch, das pflichtbewussteste aller geflügelten Lebewesen: Ich pflege und kümmere mich um meinen kranken Vater.“ Und jener sagte: „Mein lieber Storch, ich weiß ja nicht, an welchem Leben du dich erfreust, [10] aber dies erkenne ich: Ich habe dich mit denen gefangen, die meine Arbeit zunichtemachen, daher wirst du auch mit jenen sterben, mit denen du gefangen wurdest.“ [Wenn du mit Schlechten verkehrst, wirst du wie ein Schlechter gehasst werden, auch wenn du selbst deinen Nachbarn gar keinen Schaden zugefügt hast.]

1) Gliederung vv.1–2 Exposition – Ein Bauer hat auf seinem Feld mit Netzen Kraniche gefangen, die seine Saat zunichtemachen. vv.3–8 Actio – Ein mit den Kranichen gefangener Storch fleht den Bauern an, ihn zu verschonen. vv.5–8: Rede des Storchs. Er sei kein Kranich, das erkenne man an seiner Zeichnung, sondern ein Storch, der im Tierreich nützlich und pflichtbewusst sei – als Beispiel führt er an, dass er seinen kranken Vater pflege. vv.9–12 Reactio des Bauern als abschließende Rede: Er wisse nicht, welches Leben jener sonst führe, aber da er nun mit denen gefangen worden sei, die seine Arbeit zunichtemachen, müsse er auch mit jenen sterben. vv.13–14 (Vermutlich unechtes) Epimythion – Der Umgang mit Schlechten schadet.

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2) Kommentar v.1  Αὔλαξι: Ein lokaler Dativ auf die Frage ‚wo?‘ ohne einleitende Präposition.827 v.1  παγίδας πήξας: Figura etymologica zu πήγνυμι (‚festmachen‘). v.2  σποραίων: Ein hapax legomenon, das dem Adjektiv σπόριμος (‚besät‘, ‚für die Saat geeignet‘)nahesteht.828 Es bezieht sich auf die Saat oder Dinge, die mit der Saat in Verbindung stehen.829 v.4  ὁμοῦ: Synonym zu ἅμα kann ὁμοῦ präpositional verwendet und mit dem Dativ konstruiert werden.830 v.5 σπόρον: Vgl. den Kommentar zu v.2 (σποραίων). v.6 χἠ: = καὶ ἡ. v.6 χρόη: Eine Nebenform zu χρώς. v.11 πορθούσαις: Eine Nebenform zu πέρθω (‚zerstören‘, ‚verwüsten‘). v.12  ἥλως: Aorist des Verbs ἁλίσκομαι, ‚gefangen werden‘. Die Nebenform zu attisch ἑάλων ist bereits bei Homer und Herodot belegt.831 vv.13–14  κακοῖς […] καταβλάψῃς: Die Echtheit dieses Epimythions ist angezweifelt worden; während einige Editionen es als authentisch ansehen,832 wird es in anderen athetiert,833 wobei auch Konjekturen, insbesondere für den metrisch problematischen v.13, vorgenommen wurden.834 Da sich das metrische Problem trotz Konjekturen nicht lösen lässt, wird im Folgenden angenommen, dass es sich bei dem Epimythion um eine Interpolation handelt; untermauert wird dieser Verdacht durch die Tatsache, dass dieses auf eine abschließende Figurenrede folgt, die ihrerseits bereits die Funktion eines Epimythions einnimmt.835 Parallelen: Aisop. 208 P.; Aisop. 285 Ch.; Aphth. 14; Babr. 6; Tetr. 1,2

827 So z. B. auch in Hom. Il. 1,45; 4,166; Soph. El. 174; vgl. Schwyzer/Debrunner 1950, 154. 828 Vgl. LSJ s. v. σποραῖος. Vgl. dazu auch Theokr. eid. 25,219, wo αὖλαξ σπόριμος den zu besäenden Acker bezeichnet; vgl. Kap. 2.3. 829 Vgl. Rutherford 1883, 19. Laut LSJ s. v. σποραῖος bezeichnen τὰ σποραῖα die Saat selbst. Im Unterschied dazu bezeichnet ὁ σπόρος einerseits den Akt des Säens (vgl. LSJ s. v. σπόρος I 1), andererseits das Saatgut (vgl. LSJ s. v. σπόρος II 1). 830 So z. B. in Hom. Il. 15,118; Od. 4,723; Aischyl. Pers. 426–427; Soph. Ai. 767–768; Hdt. 2,101. 831 Hom. Od. 22,230; Hdt. 1,78; 1,84; 3,15; 7,195; 8,92. 832 Vgl. Boissonnade 1844, 34; Hohmann 1907, 30–31. 833 Vgl. Lachmann 1845, 10; Crusius 1897, 21; Perry 1965, 22; Holzberg 2019, 64; 203 (s. v. 12). 834 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 17. Luzzatto/La Penna greifen bei ihrer Edition auf eine Konjektur von Hohmann (ὡς κακὸς μισηθήσῃ) zurück, die ihrerseits auf einem metrischen Irrtum Hohmanns basiert; vgl. Vaio 2001, 38, Anm. 153. 835 Zur fragwürdigen Authentizität der Epimythien bei Fabeln des beschriebenen Typs vgl. Kap. 2.2.

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Kommentar

3) Analyse Als Fabel, die ebenfalls im ländlichen Raum spielt, knüpft Babr. 13 an das Thema der vorhergehenden Erzählungen an.836 Die beiden Akteure, ein Storch und ein Bauer,837 diskutieren, ob der Storch, der mit Kranichen838 auf dem Feld des Bauern gefangen worden ist, den Tod verdient. Der Storch legt sein Plädoyer in einer Rede dar, in der er sich von den Kranichen, für die die Falle, in der er gefangen wurde, gedacht war, abgrenzt und seine Nützlichkeit hervorstreicht. Er hat jedoch keinen Erfolg, der Bauer meint, er könne ihn lediglich anhand seiner aktuellen Lage beurteilen.839 Das Gedicht kann in drei Blöcke zu je vier Versen unterteilt werden, wobei der erste und der dritte Block jeweils durch eine Verbform von ἁλίσκω begrenzt werden. Der erste Block, der mit ἡλώκει in v.4 endet, enthält die Exposition (vv.1–2) und den ersten Teil der Actio, die vorbereitende Handlung bis zur Rede des Storchs (vv.3–4). Der zweite Block (vv.5–8) umfasst die verbleibende Actio, die Rede des Storchs. Zuletzt wird die Fabel durch den dritten Block, die Reactio des Bauern (vv.9–12), beschlossen; dieser endet auf ἥλως in v.12, was sich lexikalisch sowie durch die Position am Versende auf ἡλώκει in v.4 bezieht. Die Struktur der Fabel ist klar und in sich geschlossen. Das Epimythion, das in den vv.13–14 angehängt wurde, wurde vermutlich nachträglich angefügt. Wie schon in Babr. 12 wird die Erzählung auch in Babr. 13 bereits mit dem ersten Wort örtlich verankert: Der lokativische Dativ αὔλαξι vermittelt auf den ersten Blick, dass man sich nach dem entlegenen Wald nun wieder in der Welt der Menschen, genauer gesagt auf den Feldern eines Bauern (ἀγρότης) befindet, der in v.1 eingeführt wird.840 Dieser Bauer spannt Fallen – zarte Netze (λεπτὰς παγίδας, v.1) –, und fängt damit Kraniche, die seine Saat zunichtemachen. Augenfällig ist zunächst die Beschreibung der Kraniche (γεράνους, v.2; betont durch die Auflösung im ersten Versfuß) als ‚Feinde der Saatfelder‘ – parallel zur Charakterisierung des Fuchses in Babr. 11,1, der dort als ‚Feind der Weinberge und Gärten‘ (ἐχθρὴν ἀμπέλων τε καὶ κήπων) bezeichnet wird.841 Sprachliche Indizien sprechen zudem dafür, dass mit der einleitenden Schilderung eine theokritische Landschaft aufgebaut werden soll, denn sowohl αὔλαξι (v.1) als auch σποραίων (v.2) knüpfen an in dessen Werk verwendetes Vokabular an: So ist z. B. in Theokr. eid. 25,219 von einem αὖλαξ σπόριμος, einer ‚Saatfurche‘, die Rede. Diese Übereinstimmungen evozieren also das Bild einer ländlichen Idylle.842 Die in diesen Raum eingebettete Rührszene des Storchs (vv.5–8) würde einen aufmerksamen Le836 So Babr. 1 (Kap. 6.4), Babr. 2 (Kap. 6.5), Babr. 3 (Kap. 6.6), Babr. 5 (Kap. 6.8), Babr. 11 (Kap. 6.14) und Babr. 12 (Kap. 6.15). 837 Zum Bauer in anderen Fabeln der Sammlung vgl. Babr. 2 (Kap. 6.5), Anm. 284. 838 Kraniche finden sich in den Mythiamboi auch in Babr. 26 und 65. 839 Zur Erfolglosigkeit des Storchs vgl. Allgaier 2020, 261–262. 840 Zu Babr. 12 vgl. Kap. 6.15. 841 Zu Babr. 11 vgl. Kap. 6.14. 842 Eine ähnliche Technik, über sprachliche Bezüge zu Theokrits Werk eine idyllische Landschaft zu inszenieren, finden sich in Babr. 3, der Fabel vom Hirten und der Ziege; vgl. Kap. 6.6.

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Babr. 13

ser zur Annahme führen, der Konflikt werde versöhnlich ausgehen, da die Gestaltung der Szene Erwartungen an einen versöhnlichen Ausgang erweckt und der Storch sich überdies in seiner Rede als Sympathieträger darstellt.843 Dies gilt insbesondere angesichts der harmonischen Welt der Goldenen Zeit im ersten Prolog. Die Erwartung des Lesers wird am Ende enttäuscht, der Storch versagt mit seinem Anliegen und wird sogar getötet – vor einem idyllischen Hintergrund wirkt eine solche Entwicklung also umso schockierender.844 Das Motiv, mit feinen Netzen Tiere zu fangen, betont durch die figura etymologica λεπτὰς παγίδας […] πήξας (v.1), findet sich bereits in vorangehenden Fabeln, vor allem in den Fischerfabeln Babr. 4 und 6.845 Der potenzielle poetologische Gehalt dieses Motivs, der dort thematisiert wurde,846 legt die Vermutung nahe, dass auch hier eine entsprechende Bedeutung mitschwingt, zumal die Netze erneut mit dem poetologisch aufgeladenen Adjektiv λεπτός kombiniert werden. Die Betonung durch P-Alliterationen (λεπτὰς παγίδας […] πήξας) sowie durch die Auflösung bei παγίδας im vierten Versfuß, würden die These bekräftigen, dass hier nicht einfach nur die Vorgeschichte der Erzählung dargelegt, sondern bereits bekannte Motive aufgerufen werden sollen. Im Kontext dieser Bilder ist auch die Rolle des Kranichs (γεράνους, v.2) relevant: In anderen Fabeln wird dieser gemeinhin als simple, aber positive Figur dargestellt, die die negativen Eigenschaften des Gegenübers aufzeigt.847 Hier jedoch werden Kraniche auffällig negativ charakterisiert: Sie werden als πολεμίαι, Feinde oder Schädlinge, bezeichnet, die die Saat des Bauern zerstören, wie der Storch in v.5 selbst bemerkt.848 Diese fabeluntypische Zeichnung weist meines Erachtens auf eine Verbindung zu anderen literarischen Motiven hin. Vor allem angesichts der feinen Netze, die der Bauer zum Fangen verwendet, könnte eine poetologische Deutung vorliegen. Hier gibt eine Parallele aus Kallimachos’ Aitienprolog Aufschluss: .....]ον ἐπὶ Θρήϊκας ἀπ’ Αἰγύπτοιο [πέτοιτο αἵματ]ι Πυγμαίων ἡδομένη [γ]έρα[νος, Μασσαγέται καὶ μακρὸν ὀϊστεύοιεν ἐπ’ ἄνδρα Μῆδον]· ἀ̣[ηδονίδες] δ’ ὧδε μελιχρ[ό]τεραι.849

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843 Ähnliche Reden finden sich auch in Babr. 3 (vgl. Kap. 6.6), 6 (vgl. Kap. 6.9) und 12 (vgl. Kap. 6.15). 844 Ähnliche kontrastierende Juxtapositionen von ländlicher Idylle und Gewalttaten finden sich auch in Babr. 1 (vgl. Kap. 6.4), 3 (vgl. Kap. 6.6) und 13 (vgl. Kap. 6.16). 845 Vgl. daneben Babr. 10 (vgl. Kap. 6.13); zum poetologischen Motiv in den Mythiamboi vgl. Kap. 4.3. 846 Zu Babr. 4 und 6 vgl. Kap. 6.7 und 6.9. Zur Poetologie des Netzes bei Babrios vgl. Kap. 4.3. 847 So z. B. in Babr. 65; vgl. Phaedr. 1,8; Aisop. 249 P. und Aisop. 256 P. 848 Zusätzlich werden die beiden Begriffe dadurch aufeinander bezogen, dass sowohl γεράνους als auch πολεμίας durch Auflösungen betont sind. 849 Kall. fr. 1,13–16 Pf. [Zu den Thrakern von Ägypten aus möge der Kranich fliegen, der sich am Blut der Pygmäen erfreut, [15] und die Massageten mögen von weitem auf den Mann, den Meder schießen: Um so viel honigsüßer sind die Nachtigallen]. Mit dem Begriff ἀηδών (‚Nachtigall‘) dürfte ein kurzes Gedicht gemeint sein, wie Kallimachos in Anth.Gr. 7,80,5 beschreibt; vgl. Trypanis 1958, 7.

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Kommentar

Unmittelbar zuvor stellt sich Kallimachos als Vertreter der zarten Dichtung dar und grenzt diese von der seiner Kritiker ab.850 Dabei erwähnt er den Kranich, der sich am Blut der Pygmäen erfreue. Es wird angenommen, dass der Kranich bzw. dessen weiter Flug im Aitienprolog programmatisch für eine Art von Dichtung steht, die sich durch gewaltige Ausmaße auszeichnet und das Kleine und Feine der kallimacheischen Dichtung geradezu vernichtet, um zum Ziel zu gelangen.851 Mit dem Wissen um dieses Motiv könnte man in der Figur des Kranichs bzw. der Kraniche in Babr. 13 angesichts ihrer Konkurrenz zu den feinen Netzen des Bauern einen Kommentar über Kritiker oder die im zweiten Prolog thematisierten plumpen Nachahmer852 erkennen, die die Feinheit von Babrios’ Dichtung nicht erreichen können und daher in seinem feinen ‚Netz‘ gefangen werden. So ließe sich erklären, wieso ein einzelner Gefangener so zu betonen bemüht ist, dass er nicht zu den anderen gehört, und seinen Vater, der womöglich für ein Vorbild stehen könnte,853 stets ehrt. Die andauernden Bemühungen des gefangenen Storchs (πελαργὸς), der in v.3 eingeführt wird, werden durch die imperfektive Verbform ἱκέτευε (v.3) ausgedrückt. Die Erwähnung seines Hinkens (χωλεύων, v.3) führt dem Leser außerdem eine Figur vor Augen, die Mitleid erregt, was zur Darstellung des Storchs als Sympathieträger beiträgt.854 Jedoch scheinen in Fortführung der Allusionen auf die alexandrinische Dichtung in den vv.1–2 auch hier poetologische Aussagen durch: Der Storch hinkt, was auf die Verwendung des Choliambos (vgl. χωλεύων) in den Fabeln anspielen könnte; verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass das Hinken des Storchs genau an der für den Choliambos typisch betonten Stelle im letzten Versfuß erwähnt wird und so noch deutlicher ins Auge sticht.855 Daneben führt die Eindringlichkeit des Storchs dazu, dass die verwendeten Tierbezeichnungen mehrmals wiederholt werden: Sowohl in den vorbereitenden Versen (vv.3–4) als auch in dessen Rede selbst (bis zum vorletzten Vers: vv.5–7) findet sich in jeder Zeile das Wort ‚Storch‘ (πελαργὸς); und dieser erklärt am Beginn seiner Rede explizit, er sei kein Kranich (οὐκ εἰμὶ γέρανος),856 sondern ein Storch. Die häufige Wiederholung des Namens, die für das Verständnis der Fabel an

850 Kall. fr. 1,1–12 Pf. 851 Zahlreiche Stimmen der Forschung zählen das Bild des Kranichs, der Ägypten verlässt, zu einer Reihe von Kontrastierungen, die allesamt den Gegensatz Großform  – Kleinform, also traditionelle Dichtung gegenüber alexandrinischer Dichtung, verdeutlichen sollen, so Massimilla 1996, 213; Asper 1997, 199–200; Sier 1998, 24; van Tress 2004, 28–29; vgl. dazu Harder 2012, 44–49. Vgl. neben Babr. 13 auch Babr. 26,9–10, wo die Kraniche davon sprechen, vom Feld des Bauern zu den Pygmäen fliehen zu wollen. Auch Babr. 65, wo der graue Kranich mit dem goldgefiederten Pfau streitet, ließe eine poetologische Deutung zu – man beachte etwa den Fokus auf das Gefieder der Vögel, die Erwähnung des Krächzens und das Motiv, den Sternen nah zu sein. 852 Zu 2 prol. vgl. Kap. 6.3. 853 Diese Bedeutung von πατήρ findet sich etwa in Pind. P. 4,176; Plat. symp. 177D; Gal. 1,246. 854 Vgl. Marenghi 1954, 344–345; Nøjgaard 1967, 260. 855 Vgl. Korzeniewski 1991, 63. 856 Betont wird diese Aussage durch eine Auflösung im zweiten Versfuß.

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sich nicht notwendig wäre, fokussiert die Aufmerksamkeit des Lesers und bereitet die Schlusspointe vor – sowohl der Erzähler857 als auch der Storch gehen sicher, dass alle verstehen, dass es sich bei diesem Vogel um einen Storch und eben keinen Kranich handelt. Der Storch selbst greift in v.5 mit οὐ σπόρον καταφθείρω die Charakterisierung der Kraniche als σποραίων πολεμίας (v.2) auf und beteuert, anders als diese die Saat des Bauern nicht zu zerstören. Als Beweis für seine Identität nennt er seine Gefiederzeichnung (χρόη858 με σημαίνει, v.6). Schließlich bezeichnet er den Storch als ‚pflichtbewusstestes aller geflügelter Lebewesen‘ (πτηνῶν […] εὐσεβέστατον ζῴων, v.7) und führt seine eigene Fürsorge seinem Vater gegenüber an (v.8). Die Argumentation des Storchs basiert also darauf, Kraniche als böswillig und schädlich, Störche hingegen als pflichtbewusst und nützlich darzustellen.859 Die Wirksamkeit dieser Argumentation wird sich in der Antwort des Bauern zeigen. Eine Parallele zur dargestellten Kontrastierung von Kranich und Storch findet sich in den Oneirokritika des Artemidor von Daldis, ein Traumdeutungsbuch aus dem zweiten Jahrhundert. Das Werk, das in etwa zeitgleich mit den Mythiamboi entstanden sein dürfte, behandelt unter anderem die Bedeutung verschiedener Vogelarten.860 In Anbetracht der Tatsache, dass offenbar beide Vogelarten in Kombination für gesellige Menschen (κοινωνικοὺς καὶ συναγελαστικοὺς ἀνθρώπους) und für Räuber und Feinde (λῃστὰς καὶ πολεμίους) stehen, ist die Abgrenzung in der Rede des Storchs auffällig. Noch prägnanter wird die Beziehung der beiden Vogelarten in einer Passage des zweiten Buchs der Oneirokritika beschrieben.861 Aus den beiden Textstellen lässt sich schließen, dass die Vogelarten erstens des Öfteren gemeinsam angeführt wurden und zweitens zu einem gewissen Grad sowohl positive als auch negative Assoziationen hervorriefen. Vor diesem Hintergrund ist die Argumentation des Storchs aus seiner

857 V.4 ist ein Beispiel dafür, wie der Erzähler hier in den Vordergrund tritt, indem er, eingeleitet durch γὰρ, eine Erklärung für den in v.3 eingeführten Storch ‚nachreicht‘; vgl. Nøjgaard 1967, 287. 858 In Anlehung an die Bedeutung ‚Hautfarbe‘ oder ‚Zeichnung‘ bezeichnet χροή hier die Gefiederzeichnung eines Vogels, so auch in einer anderen Fabel, Babr. 65, 3, wo das Gefieder eines Kranichs gemeint ist. Der Begriff entstammt dem Vokabular Nikanders (Alex. 407; Ther. 859). 859 Die Betonung des pflichtbewussten Verhaltens könnte dazu dienen, den Storch in die Nähe des Menschen zu rücken und vom Kranich abzugrenzen; vgl. dazu Allgaier 2020, 261–262. 860 Artem. 4,56: τὰ δὲ συναγελαζόμενα κοινωνικοὺς καὶ συναγελαστικοὺς ἀνθρώπους, ὅθεν καὶ πρὸς κοινωνίαν ἐστὶ σύμφορα, ὡς πελαργοὶ καὶ γέρανοι καὶ ψᾶρες καὶ κολοιοὶ καὶ περιστεραί. τούτων δὲ ἔνια καὶ χειμῶνας προαγορεύει, ὡς κολοιοὶ καὶ ψᾶρες, καὶ λῃστὰς καὶ πολεμίους, ὡς γέρανοι καὶ πελαργοί [Die , die sich in Gruppen aufhalten, gesellige und gemeinschaftsliebende Menschen, weshalb sie auch für eine Gemeinschaft nützlich sind, wie Störche, Kraniche, Stare, Dohlen und Tauben. Von diesen sagen aber einige auch Stürme voraus – wie die Dohlen und Stare – oder auch Räuber und Feinde – wie die Kraniche und Störche]. 861 Artem. 2,20: Γέρανοι δὲ καὶ πελαργοὶ κατ’ ἀγέλας μὲν καὶ συστροφὰς ὁρώμενοι λῃστῶν ἔφοδον καὶ πολεμίων σημαίνουσι καὶ χειμῶνα ἐπάγουσι χειμῶνος φαινόμενοι, θέρους δὲ αὐχμόν [Kraniche und Störche, die in Schwärmen oder großen Ansammlungen gesehen werden, zeigen den Einfall von Räubern und Feinden an und den Wintersturm führen sie herbei, wenn sie im Winter erscheinen, im Sommer wiederum die Dürre].

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Kommentar

Sicht zwar nachvollziehbar – in seiner misslichen Lage möchte er nicht als schlecht angesehen werden, unabhängig davon, ob dies der Wahrheit entspricht –, doch scheint die Selbstbeschreibung des Storchs geradezu komisch übertrieben: Der Storch misst mit zweierlei Maß, indem er sich selbst als ausschließlich positiv, den Kranich als ausschließlich negativ darstellt. Ihren Höhepunkt erreicht diese Kontrastierung im durch zwei Auflösungen im ersten und vierten Versfuß betonten v.8, wo der Storch zum Beweis seiner Redlichkeit ein pathetisches Bild von der Pflege seines Vaters zeichnet:862 Dieses Argument basiert auf der Vorstellung, die Ägypter ehrten Störche, da diese ihre Alten ehren und pflegen, was auf ihre Gutmütigkeit zurückzuführen sei, wie etwa bei Aelian berichtet wird.863 Die Darstellung dieses Stoffes in der Rede des Storchs zeugt einerseits vom rhetorisch-emotionalen Pathos, über das eine solche Szene verfügt und mit dem der Storch seine Rede anreichert, und wirft andererseits wie in anderen Fabeln, die menschliche und tierische Akteure aufweisen,864 die Frage nach dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier auf: Während es nachvollziehbar scheint, dass sich ein Tier selbst als pflichtbewusst bezeichnet, erweckt die Schilderung der liebevollen Pflege eines Elternteils eher den Eindruck, dass hier Menschen dargestellt werden. Die verwendeten Verben τιθηνῶ und νοσηλεύω865 (v.8) weisen ebenfalls darauf hin: Diese drücken einerseits aus, wie Menschen sich um andere (kranke) Menschen kümmern,866 aber auch, wie Tiere sich um Menschen kümmern  – wie z. B. in einer Erzäh­lung des Geschichtsschreibers Phylarchos von einem Kind, dem ein zahmer Adler Beistand leistet.867 Jedoch bezeichnen die Ausdrücke nie die Fürsorge, die Tiere füreinander aufbringen, wie dies etwa bei τρέφειν oder γηρωκομεῖν in den Parallelen bei Aelian der Fall ist. Die so bewirkte Vermenschlichung des Storchs trägt weiter dazu bei, ihn als Identifikationsfigur und somit für den Leser als Sympathieträger zu inszenieren. Vor diesem Hintergrund scheint die Reaktion des Bauern auf die Rede des Storchs auf den ersten Blick unerwartet: Er behandelt diesen alles andere als menschlich, lässt sich von seiner Geschichte nicht beeindrucken und möchte ihn aufgrund des gegen-

862 Die Fürsorge des Storchs drückt sich auch in der Satzstruktur aus, insofern als die Begriffe für die Pflege, τιθηνῶ und νοσηλεύω, den Vater (πατέρα) durch ein Hyperbaton buchstäblich ‚umarmen‘. 863 Vgl. Ail. nat. 3,2; 10,16. Auch die folgende Fabel, Babr. 14, weist Bezüge zu Aelian auf; vgl. dazu Kap. 6.17. Daneben erinnert das Motiv der Pflege des Vaters auch an epische Dichtung, vor allem an die Aeneis, in der Aeneas sich fürsorglich um seinen alten Vater kümmert. 864 Vgl. für ähnliche Diskussionen unter anderem etwa Babr. 8 (vgl. Kap. 6.11), 9 (vgl. Kap. 6.12), 12 (vgl. Kap. 6.15), 14 (vgl. Kap. 6.17), 16 (vgl. Kap. 6.19) sowie Kap. 5.4. 865 Die Suda (s. v. Νοσηλεύω) definiert dieses Verb folgendermaßen: νοσοῦντα θεραπεύω [ich behandle einen Kranken]. Es beschreibt also die Pflege einer kranken Person, so etwa in Phylarch. fr. 61 J.; Dion Chrys. or. 52,8; Anaxil. fr. 19. Es wird zumeist mit ‚behandeln‘ oder ‚pflegen‘ wiedergegeben. Vor allem ist νοσηλεύω in der epischen Dichtung der Kaiserzeit geläuftg, etwa in Opp. hal. 1,508; 1,636; 1,650; 3,484; 3,486; 4,357; kyn. 4,258; Q.Smyrn. 7,363; Nonn. Dion. 1,447. 866 So etwa in Dion Chrys. or. 52,8; Anaxil. fr. 19. 867 Vgl. Ail. nat. 6,29.

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wärtigen Tatbestands gemeinsam mit den Kranichen töten.868 Die Gegenrede des Bauern ist rhetorisch ausgefeilt: Er greift mit dem Vokativ ὦ πελαργέ (v.9) den in der Rede zuvor ständig wiederholten Namen des Storchs auf, benützt ihn nun aber für seine Gegenargumentation: Nach der Anrede relativiert er zunächst die Argumente des Storchs (τίνι βίῳ χαίρεις | οὐκ οἶδα, vv.9–10). Das Enjambement, gefolgt vom die Rede unterbrechenden φησίν (v.10), erhöht die Dynamik und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Versende: ἀλλὰ τοῦτο γινώσκω (v.10) – was folgt, ist, worauf der Bauer sein Urteil gründet. Die vv.11–12, die die Funktion eines Epimythions übernehmen und so die Fabel beschließen, werden jeweils durch eine Auflösung im ersten Versfuß betont. Die beiden Worte, die davon betroffen sind, ἔλαβόν (‚ich habe dich gefangen‘) und ἀπολῇ (‚du wirst sterben‘), besiegeln das Schicksal des Storchs, bezeichnen somit den Ausgang der Fabel und betonen die prägnante Schlusspointe des Bauern. Sein Argument stützt sich darauf, dass er nur den gegenwärtigen Augenschein, nicht die Vorgeschichte des Storchs zur Bewertung heranziehen kann: Da der Storch offenbar Teil einer Gruppe ist, die die Mühen des Bauern zunichtemacht (σὺν ταῖς ἔργα τἀμὰ869 πορθούσαις,870 v.11), soll er gemeinsam mit jenen den Tod finden, mit denen er gefangen wurde. 4) Parallelen Eine Parallele zu Babr. 13 innerhalb der Mythiamboi findet sich in Babr. 6, der Fabel über den Fischer und den kleinen Fisch.871 Die beiden Fabeln weisen eine sehr ähnliche Ausgangssituation auf: Eingebettet in eine idyllisch-bukolische Szenerie fleht der schwächere Akteur um sein Leben und versucht, den Stärkeren mit einer Mitleid heischenden Argumentation, die den sozialen, insbesondere den familiären Kontext (der Fisch beruft sich auf seine Mutter, der Storch auf seinen Vater) evoziert, dazu zu bewegen, ihn zu verschonen.872 Die Bemühungen sind in beiden Fabeln vergeblich, die Schwächeren werden von ihrem Gegenüber getötet.873 868 Durch den Wechsel in der Art der Darstellung (menschlich in der Rede des Storchs, tierisch in der Rede des Menschen) wird hier ein Thema aufgebracht, das auch in Babr. 14 (vgl. Kap. 6.17) eine wichtige Rolle spielt. Babr. 13 kann als thematische Vorstufe zu dieser Fabel angesehen werden. 869 Gemeint sind die σποραῖα aus v.2, also die Bemühungen des Bauern, Ernte zu produzieren. 870 Besonders interessant ist die Verwendung von πορθέω bei der Zerstörung von Landflächen. Ein Bezug lässt sich zu Hom. Od. 14,264 herstellen, wo Odysseus von seinen Reisen erzählt und erklärt, seine Reisegefährten hätten das Land der Ägypter verwüstet, obwohl er sie gewarnt und ihnen aufgetragen habe, bei den Schiffen zu bleiben. Indem der Bauer die Homerstelle lexikalisch aufgreift, zeichnet er, vielleicht spöttisch, den Storch wie einen Odysseus, der als Unbeteiligter das Verhalten seiner Gefährten verurteilt, was am Verbrechen selbst jedoch nichts ändert. Und genauso wie Odysseus mit den Ägyptern kämpfen musste, muss der Storch mit seinen Gefährten die Strafe erleiden. 871 Zu Babr. 6 vgl. Kap. 6.9. 872 Im Gegensatz zum Fisch in Babr. 6 argumentiert der Storch jedoch, zu Unrecht gefangen worden zu sein; vgl. dazu Allgaier 2020, 261. 873 Vgl. hierzu nochmals die Aussagen des ersten Prologs zum harmonischen Umgang zwischen Menschen und Tieren (Kap. 6.2), denen sowohl die Handlung in Babr. 6 als auch in Babr. 13 wider-

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Kommentar

Parallele Bearbeitungen dieser Fabel finden sich in der Collectio Augustana sowie in spätantiken und byzantinischen Fabelsammlungen, die im Wesentlichen auf Babr. 13 basieren. Die aufschlussreichste Bearbeitung, eine Fabel aus der Collectio Augustana,874 deckt sich über weite Strecken mit Babr. 13, unterscheidet sich von der babrianischen Version jedoch in der Argumentation des Storchs: Während dieser in Aisop. 208 P. zu seiner Verteidigung vorbringt, er sei nützlich (ὠφελιμώτατος) und halte Kleintier vom Feld fern, versucht der Storch in Babr. 13 den Bauern durch die rührselige Darstellung der Pflege seines Vaters auf der Gefühlsebene zu überzeugen. Dies weist darauf hin, dass die gefühlsbetonte Argumentation des Storchs eine Eigenheit der babrianischen Bearbeitung darstellt. Die drei Fabelversionen, die in der Tradition und Nachfolge von Babr. 13 stehen, behandeln den Stoff in kaum abgeänderter Form. Sowohl der Version des Aphtho­ nios v. Antiochia (4. bzw. 5. Jahrhundert)875 als auch jener der Tetrasticha876 des Ignatios Diakonos fehlen die meisten Redepartien des Originals. Daneben ist die babrianische sprechen. Fabeln, die sich um erfolglose Bittgesuche drehen, sind auch bei anderen Fabelautoren vertreten, so z. B. Aisop. 18 P.; Avian. 20; Phaedr. 1,22. 874 Aisop. 208 P.: ΟΡΝΙΘΟΘΗΡΑΣ ΚΑΙ ΠΕΛΑΡΓΟΣ. ὀρνιθοθήρας δίκτυα γεράνοις ἀναπετάσας πόρρωθεν ἀπεκαραδόκει τὴν ἄγραν. πελαργοῦ δὲ σὺν ταῖς γεράνοις ἐπικαθίσαντος ἐπιδραμὼν μετ’ ἐκείνων καὶ αὐτὸν συνέλαβε. τοῦ δὲ δεομένου μὴ θῦσαι αὐτὸν καὶ λέγοντος, ὡς οὐ μόνον αὐτὸς ἀβλαβής ἐστι τοῖς ἀνθρώποις, ἀλλὰ καὶ ὠφελιμώτατος· τοὺς γὰρ ὄφεις καὶ τὰ λοιπὰ ἑρπετὰ συλλαμβάνων ἀναιρεῖ, ὁ ὀρνιθοθήρας ἀπεκρίνατο· „ἀλλ’ εἰ τὰ μάλιστα οὐ φαῦλος εἶ, διὰ τοῦτο γοῦν ἄξιος εἶ κολάσεως, ὅτι μετὰ τῶν πονηρῶν κεκάθικας.“ ἀτὰρ οὖν καὶ ἡμᾶς δεῖ τὰς τῶν πονηρῶν συνηθείας ἀποφεύγειν, ἵνα μὴ καὶ αὐτοὶ τῆς αὐτῶν κακίας κοινωνοὶ δόξωμεν [Der Vogelfänger und der Storch. Ein Vogelfänger hatte Netze für Kraniche ausgelegt und wartete in der Ferne gespannt auf seine Beute. Als sich ein Storch mit den Kranichen niedergelassen hatte, lief dieser herbei und fing mit jenen auch ihn. Er flehte ihn darum an, ihn nicht zu töten, und meinte, dass er selbst für die Menschen nicht nur schadlos, sondern sogar sehr nützlich sei: Denn er fange und vernichte Schlangen und die übrigen Kriechtiere. Da antwortete der Vogelfänger: „Aber auch wenn du noch so wenig schlecht bist, so hast du durch Folgendes doch Strafe verdient, weil du dich mit den Bösen zusammengesetzt hast.“ So also müssen auch wir den Umgang mit den Bösen meiden, damit wir nicht selbst als Komplizen ihrer Schlechtigkeit erscheinen]. 875 Aphth. 14: ΜΥΘΟΣ Ο ΤΟΥ ΠΕΛΑΡΓΟΥ ΠΑΡΑΙΝΩΝ ΜΗ ΣΥΝΕΙΝΑΙ ΚΑΚΟΙΣ. γεωργὸν ἠδίκουν οἱ γέρανοι τὰ καταβαλλόμενα τῇ γῇ προαρπάζοντες σπέρματα. πελαργὸς δέ τις τοῖς γεράνοις συνῆν, τῆς μὲν διατριβῆς κοινωνῶν, τῆς δὲ βλάβης οὐ μετασχών. ἀπειπὼν δὲ πυρῶν τὴν βλάβην ὁ γεωργὸς βρόχους στησάμενος μετὰ τῶν γεράνων εἷλε τὸν πελαργὸν καὶ δίκην ὑπεῖχεν, ὧν οὐδὲν προηδίκησεν. ὁ συνὼν πονηροῖς τὴν αὐτὴν αὐτοῖς ὑποστήσεται δίκην [Die Fabel vom Storch, die dazu rät, nicht mit Bösen zu verkehren. Einem Bauern fügten Kraniche Unheil zu, indem sie die ausgesäten Samen aus der Erde rissen. Ein Storch war bei den Kranichen, der zwar ihre Lebensart teilte, jedoch am Schaden keinen Anteil hatte. Nachdem sich der Bauer vom Schaden durch Verbrennen losgesagt hatte, stellte er Netze auf und fing mit den Kranichen den Storch, und er büßte Strafe für Untaten, die er vorher nie begangen hatte. Wer mit den Bösen zusammen ist, wird denselben Strafen unterworfen sein wie diese]. 876 Tetr. 1,2: Ἔθνει γεράνων πῆξέ τις σπορεὺς πάγην, | μεθ’ ὧν πελαργὸν εἷλεν· ὃς θρήνει μέγα. | ἔφη δ’ ἀροτρεύς „ὡς φίλος μὲν εἶ, λέγω· | ἀλλ’ ἡ πάγη λαβοῦσα σὺν κακοῖς σ’ ἔχει“ [Ein Säer spannte ein Netz für einen Schwarm Kraniche, mit denen zusammen er einen Storch fing: Der klagte laut. Da sagte der Pflüger: „Dass du ein Freund bist, sage ich zwar; aber das Netz hat dich mit Schlechten gefangen“].

Babr. 13

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Vorlage in einer Version in den Dodekasyllabi erkennbar:877 Erweiterungen finden sich dort in der Verletzung des Storchs vor dessen Rede, seiner pathetischen Bitte sowie der übersteigerten Reaktion des Bauern. Anhand der Vergleiche sticht vor allem die zentrale Rede des Storches hervor: Dieser argumentiert emotional und bezieht sich dabei, wie bereits andere Akteure in babrianischen Fabeln, auf seine Familie, um – erfolglos – Sympathien bei seinem Gegenüber zu wecken. Insbesondere das Motiv des die Älteren pflegenden Storchs, der bei den Ägyptern verehrt wird, stellt eine Eigenheit der babrianischen Bearbeitung dar. 5) Gesamtbetrachtung Auf den ersten Blick thematisiert Babr. 13 die Erfolglosigkeit einer rhetorisch-emotionalen Argumentation angesichts realer und belegbarer Tatsachen. Jedoch eröffnen sich angesichts der dargelegten Phänomene auch weitergehende Deutungen der Fabel: So bieten z. B. Rede und Gegenrede in ihrer Struktur Einblick in die formalen Voraus­ setzungen erfolgreicher Rhetorik. Die gefühlsbetonte Argumentation des Storchs steht im Gegensatz zur sachbezogenen Rhetorik, die in anderen Bearbeitungen (so etwa in der Collectio Augustana) überliefert ist, – offenbar eine babrianische Eigenheit. Dies könnte ein Indiz dafür sein, dass die Fabel aufzeigen soll, wie bei (vermeintlich) überzeugender Beweislast selbst eine auf Sympathie und Mitleid abzielende Verteidigungsstrategie nicht erfolgversprechend ist. Da diese Beweislast in den Augen des Bauern bereits durch die Assoziation mit den Übeltätern gegeben ist, wird der Nutzen des überschwänglichen Pathos weiter herabgesetzt. Schließlich legen Hinweise am Beginn des Gedichts eine poetologische Deutung nahe: Die Fallen des Bauern und die ägyptischen Kraniche, die in diesen gefangen 877 Aisop. 285 Ch.: Γεωργὸς καὶ πελαργός. Ἐν τῇ ἀρούρῃ γεωργὸς πάγας ἵστη | εἰς τὸ θηρεῦσαι γεράνους τε καὶ χῆνας | τὰς ἐσθιούσας τὰ βλάστη τῆς ἀρούρης. | ὁ δὲ σὺν αὐτοῖς καὶ πελαργὸν εἰλήφει, | [5] ὅστις ἐκθλασθεὶς αὐτοῦ τὸν ποῦν τὸν ἕνα  | καθικέτευεν αὐτὸν ἀπολυθῆναι,  | καὶ δὴ πρὸς αὐτὸν τοιαῦτα ἀνεβόα· | „σῶσον, ὦ ἄνερ, ἀπόλυσον ἐντεῦθεν, | ἐλέησόν με τὸν κατακεκλασμένον. | [10] νῦν οὖν καθῖσα γενόμενος ἐνταῦθα· | οὐ γὰρ γέρανός εἰμι· δεῦρο καὶ ἰδέ· | πελαργός εἰμι, εὐσεβέστατον ζῷον, | ὅστις πατέρι καὶ μητέρι δουλεύω. | ὅρα καὶ χροιὰν ὡς οὐχ ὁμοία τούτων.“ | [15] ὁ δὲ γεωργὸς μέγα γελάσας ἔφη· | „οἶδά σε κἀγὼ οὐδ‘ ὅλως ἀγνοῶ σε· | ἐπιγινώσκω καὶ τίς ὑπάρχεις οἶδα, | ἀλλὰ συλληφθεὶς μετ’ αὐτῶν καὶ τεθνήξῃ.“ | ὁ μῦθος δηλοῖ ὅτι καλόν ἐστι φεύγειν καὶ μὴ συγκοινωνεῖν τοῖς κακοῖς ἀνδράσι, μήπως σὺν αὐτοῖς κινδύνοις περιπέσωμεν [Bauer und Storch. Auf dem Feld stellte ein Bauer Fallen auf zum Fangen von Kranichen und Gänsen, die die Sprösslinge der Erde fressen. Er fing mit diesen auch einen Storch, [5] der, nachdem ihm eines seiner Beine zerquetscht worden war, ihn eindringlich anflehte, ihn gehen zu lassen, und zu ihm mit lautem Geschrei Folgendes sagte: „Rette, mein Herr, und erlöse mich von hier und erbarme dich meiner, der ich so laut jammere. [10] Nun aber sitze ich hier: Denn ich bin kein Kranich. Sieh auch hier: Ich bin ein Storch, das pflichtbewussteste Lebewesen, der Vater und Mutter dient. Sieh auch meine Gefiederzeichnung, sie ist der von ihnen nicht gleich.“ [15] Der Bauer lachte laut und sagte: „Auch ich kenne dich und verwechsle dich ganz und gar nicht: Ich erkenne und weiß genau, wer du bist, aber du wurdest mit ihnen gefangen und sollst auch sterben.“ Die Fabel zeigt, dass es gut ist, böse Männer zu meiden und mit ihnen nicht gemeinsame Sache zu machen, damit wir mit ihnen nicht in Gefahr geraten]. Zur Datierung der Dodekasyllabi vgl. Kap. 2.3.

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Kommentar

werden, finden sich in der poetischen Bildsprache der Alexandriner. Auf Elemente dieses Motivs wird schließlich in der Rede des Storchs verwiesen, wenn dieser den von den Ägyptern verehrten Storch einführt, der in anderen Bearbeitungen des Stoffs nicht vorhanden ist. Die Fabel und insbesondere die Rede des Storchs könnte dabei als die selbstironisch überzeichnete Klage des Erzählers aufgefasst werden, der vom Bauer (= dem Kritiker) fordert, ihn nicht mit den Kranichen (= jene Dichter, die unerwünschte Dichtung produzieren) in einen Topf zu werfen und über die mangelnde Anerkennung seiner Leistung klagt, da er anders ist als die anderen – was als ein Bezug zum zweiten Prolog verstanden werden kann. Dort setzt sich der Erzähler mit seinen Nachahmern auseinander und bemerkt, sie könnten seine poetischen Leistungen nicht erreichen; da sie nicht in der Lage sind, so fein und geistreich zu dichten wie der Erzähler, werden sie in Babr. 13 daher in den Netzen der Kritiker gefangen; der Erzähler möchte diesem Schicksal entgehen, er findet bei ihnen jedoch kein Gehör. Hinzu kommt schließlich, dass der hinkende Storch buchstäblich den Choliambos als lexikalische und metrische Markierung in die Fabel einbringt, um die poetologische Aufladung noch zu verstärken. In diesem Sinne würde sich Babr. 13 in die Reihe jener Fabeln einreihen, die literarische Aspekte auf einer poetologischen Ebene thematisieren. 6.17 Babr. 14 Ἄρκτος φιλεῖν ἄνθρωπον ἐκτόπως ηὔχει· νεκρὸν γὰρ αὐτοῦ σῶμ’ ἔφασκε μὴ σύρειν. πρὸς ἣν ἀλώπηξ εἶπε· „μᾶλλον ᾑρούμην εἰ νεκρὸν εἷλκες, τοῦ δὲ ζῶντος οὐχ ἥπτου.“ [ὁ ζῶντα βλάπτων μὴ νεκρόν με θρηνείτω.]

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Der Bär rühmte sich damit, den Menschen außerordentlich zu lieben: Denn er versicherte, dessen Leichnam nicht fortzuschleifen. Zu dem sagte der Fuchs: „Eher würde ich es bevorzugen, wenn du den Toten fortzögest, den Lebenden aber nicht anfassen würdest.“ [5] [Der, der mir schadet, wenn ich am Leben bin, soll mich als Toten nicht beweinen.]

1) Gliederung vv.1–2 Actio – Rede des Bären. v.1: Der Bär rühmt sich seiner Menschenfreundlichkeit. v.2: Diese äußere sich darin, dass er niemals dessen Leiche anrühre. vv.3–4 Reactio – Rede des Fuchses. vv.3b–4: Der Fuchs meint, es wäre besser, der Bär würde die lebenden Menschen schonen, nicht deren Leichen. v.5 (Vermutlich unechtes) Epimythion – Wer jemandem als Lebenden schadet, soll ihn als Toten nicht beweinen.

Babr. 14

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2) Kommentar v.1  ηὔχει: Auf αὐχέω in der Bedeutung ‚sich einer Sache rühmen‘ bzw. ‚etwas laut oder stolz verkünden‘ folgt in der Regel ein Akkusativobjekt oder ein Infinitiv.878 In den Mythiamboi findet sich das Verb in zwei weiteren Fabeln, Babr. 43 und 114.879 v.2  ἔφασκε: Frequentativum zu φημί. Daneben kann das Verb ‚versichern, bestätigen‘ bedeuten.880 v.2  μὴ σύρειν: Während φημί oder φάσκω in der Regel die Verneinung οὐ verlangen, kann μή mit einem Infinitiv folgen, wenn der Wille das Sprechers zum Ausdruck gebracht werden soll.881 Dies ist vor allem im nachklassischen Griechisch geläufig.882 v.3 μᾶλλον ᾑρούμην: Ein irrealer Konditionalsatz mit Imperfekt ohne ἄν.883 v.5  ὁ ζῶντα […] θρηνείτω: Einige Editionen folgen in der Frage der Interpolation des Epimythions der Lesart in A – sie behalten es im Text;884 andere wiederum athetieren den Vers.885 Gegen die Authentizität des Epimythions spricht Folgendes: Es wird in A durch eine graphische Markierung am Rand vom Rest der Fabel abgehoben und als gesonderter Textteil ausgewiesen. Ferner ergibt der Vergleich mit den übrigen Tetrasticha der Sammlung, dass deren Epimythia durchgehend zu athetieren sind bzw. (mit Ausnahme von Babr. 39, 41 und 73) im vierten Vers durch eine Figurenrede enden, wie dies auch in Babr. 14,4 der Fall ist;886 ein fünfter, erklärender Vers kommt in keinem anderen Vierzeiler vor. Zudem finden sich neben metrischen Ungereimtheiten inhaltliche Argumente: Der Vers liefert im Wesentlichen keine neuen Informationen und fasst den Inhalt der Fabel sogar falsch auf, wie der Vergleich mit der Prosaparaphrase des Textes zeigt.887 Die Wortwiederholungen ζῶντα und νεκρόν sowie die ungewöhnliche Verwendung von θρηνέω weisen ferner

878 Vgl. LSJ s. v. αὐχέω ΙΙ 1. Die Konstruktion mit Infinitiv scheint nicht besonders verbreitet, findet sich aber beispielsweise in Hdt. 2,160; Thuk. 2,39; Ios. ant.Iud. 7,304. 879 Vgl. Babr. 43,5; 114,1. Dort wird das Verb allerdings nicht transitiv, sondern in Verbindung mit dem reinen Dativ bzw. der Präposition ἐπί und dem Dativ verwendet. 880 Vgl. LSJ s. v. φάσκω Ι 1. 881 So beispielsweise in Xen. mem. 1,2,39; Plat. Tht. 155A. 882 Etwa in Mt 2,12; Lukian. De mort. Peregr. 44. 883 Vgl. dazu den Kommentar zu v.9 (κρεῖσσον ἦν) in Babr. 9 (Kap. 6.12), wo ein irrealer Konditionalsatz ebenfalls ohne ἄν konstruiert wird. 884 Vgl. Lachmann 1845, 10; Bergk 1868, 229; Hohmann 1907, 34–35; Perry 1965, 24; Luzzatto/La Penna 1986, 17. Vgl. zudem Holzberg (2019, 64; 204, s. v. 14), der das Epimythion aufnimmt, es jedoch als späteren Zusatz bezeichnet, der auf eine direkte Rede sowie eine epigrammatische Pointe folgt. 885 Vgl. Eberhardt 1875, 12; Naber 1876, 422; Crusius 1897, 21. 886 Zur zweifelhaften Authentizität der Epimythien, die auf solche Schlussreden enden, vgl. Kap. 2.2. 887 Vgl. Ba 13 (Knoell = 63 Ch.), die im Folgenden besprochen wird.

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Kommentar

auf eine Interpolation hin.888 Aus diesem Grund wird hier davon ausgegangen, dass es sich um eine spätere Hinzufügung handelt.889 Parallelen: Aisop. 63 Ch.; Ba 13 (Knoell = 63 Ch.) 3) Analyse Nach Babr. 8 folgt mit dieser Fabel das zweite Tetrastichon der Mythiamboi.890 Anders als die Fabel vom Araber und dem Kamel folgt Babr. 14 dem Kompositionsprinzip, das für die Vierzeiler der Fabelsammlung beobachtet wurde: Die Erzählung ist symmetrisch mit einer einführenden Schilderung der Situation (vv.1–2) – hier als Actio ohne eigene Exposition – sowie einem daran anschließenden Fabelschluss (vv.3–4) von je zwei Versen; beide Teile werden durch unterschiedliche Akteure gekennzeichnet.891 Das Epimythion (v.5) dürfte interpoliert sein. Der erste Akteur wird am Beginn von v.1 eingeführt: Ein Bär (ἄρκτος) rühmt sich, den Menschen (ἄνθρωπον, v.1) besonders (ἐκτόπως, v.1)892 zu lieben (φιλεῖν, v.1). Das Objekt seiner Zuneigung steht prominent in der Mitte des Verses; so wird er von dieser Liebesbekundung auch formal umschlossen. Die Darstellung erinnert an die Aussagen des ersten Prologs, in der vom freundschaftlichen Umgang zwischen Menschen und Tieren die Rede ist.893 Auffällig ist an dieser Stelle die Verbform: Der Bär prahlt (ηὔχει, v.1). Die Wahl des Verbs αὐχέω im Imperfekt drückt eine (übertriebene) Intensivierung des Sich-Rühmens aus. Der Bär rühmt sich seiner Zuneigung zum Menschen wiederholt, lange und lautstark.894 Laut eigener Aussage sei die besonders wohlwollende Behandlung ἐκτόπως (v.1), außer- bzw. ungewöhnlich.895 Die Zuneigung des Bären zum Menschen äußere sich darin, dass er dessen Leichnam (νεκρὸν […] σῶμ’, v.2)896 888 889 890 891 892

893 894 895

896

Vgl. Vaio 2001, 38–39. Zur Anrede an den Leser in diesem Epimythion vgl. Kap. 4.1. Zu Babr. 8 vgl. Kap. 6.11. Vgl. Nøjgaard 1967, 238. In der Suda (s. v. ἐκτόπως) wird zu ἐκτόπως einleitend Folgendes angemerkt, bevor der erste Vers von Babr. 14 zitiert wird: Ἐκτόπως: μεγάλως, ἀπρεπῶς. παρηλλαγμένως, ἀφορήτως [Außergewöhnlich: großartig, unpassend. Seltsam, unerträglich]. Im kaiserzeitlichen Griechisch wird das Adverb in der Bedeutung ‚außergewöhnlich, ungewöhnlich‘ gebraucht; vgl. LSJ s. v. ἔκτοπος II 2; Rutherford 1883, 20. Zur Rückbindung der Gedichte an den Prolog als narrative Strategie vgl. Kap. 5.4. Durch die Tempuswahl wird auch die Unterteilung in Ausgangssituation und Handlung deutlich: In der Exposition kommen nur imperfektive Formen zum Einsatz, ab dem Einsetzen der Handlung in v.3 dominiert der Aorist. In der Tierliteratur der Zeit, wie etwa in Artemidors Oneirokritika (4,56), wird der Bär als ‚gewalttätig‘, ‚rau‘ und ‚unumgänglich‘ charakterisiert. In den Mythiamboi selbst kommt der Bär als Figur nur in der vorliegenden Fabel vor; im Widerspruch zu seiner Aussage verhält er sich in jenen Fabeln, in denen er mit Menschen interagiert (Aisop. 65 P. bzw. Avian. 9), alles andere als ungewöhnlich – vielmehr handelt er genau so, wie er es bei Babrios beschreibt. νεκρός (‚Toter‘, ‚Leichnam‘) wird im klassischen Griechisch beinahe ausschließlich als Substantiv verwendet; das Adjektiv νεκρός (‚tot‘) ist erst bei späteren Autoren belegt, so beispielsweise in

Babr. 14

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nicht anrühre, um ihn fortzuschleifen. Dies greift einen zeitgenössischen Gedanken auf: Wie Aelian in De natura animalium über die Natur des Bären berichtet, sei dieser ein Tier, das Leichen im Allgemeinen verabscheue897 und, wenn er Menschen, die sich totstellen, begegnet, beschnuppere er sie nur kurz und lasse sie anschließend zurück. Wenn der Bär in Babr. 14 also bestärkt, er würde den toten Menschen nicht fortschleifen, so argumentiert er mit dem in der Literatur des zweiten Jahrhunderts verfügbaren Wissen über das Wesen von Tieren.898 Einen komischen Effekt erhält die durch das Frequentativum ἔφασκε (v.2) eingeführte Aussage, wenn man den Ausdruck νεκρὸν σῶμα bzw. νεκρὰ σώματα betrachtet: Dieser taucht zeitgleich im griechischen Roman auf,899 z. B. in einer Szene, in der die Protagonistin ihren toten Geliebten im Arm hält. Die Parallele illustriert die Skurrilität der Szene in Babr. 14, in der die liebevolle Beziehung zwischen Mensch und Tier ins Komische übersteigert wird, da hier ein Bär über einen toten Menschen wie über einen toten Geliebten spricht, während der Mensch, wie man aus Aelian weiß, sich eigentlich nur tot stellt, um nicht gefressen zu werden. In v.3 tritt der zweite Akteur in Erscheinung: Ein Fuchs (ἀλώπηξ) hat das Selbstlob des Bären gehört und spricht ihn nun an (πρὸς ἣν ἀλώπηξ εἶπε, v.3).900 Seine Rede besteht aus einem irrealen Konditionalsatz und bildet gleichermaßen Pointe und Abschluss der Fabel: In v.3b meint der Fuchs, ihm wäre es lieber (μᾶλλον ᾑρούμην), wenn der Bär den Leichnam des Menschen fortzöge (εἰ νεκρὸν εἷλκες, v.4), solange er den Lebenden nicht anrühre (τοῦ δὲ ζῶντος οὐχ ἥπτου, v.4). Das Enjambement am Beginn von v.4 zögert die Auflösung der epigrammatischen Pointe bis zum Schluss hinaus und erhöht so die Spannung. Durch den Irrealis ᾑρούμην […] εἷλκες […] ἥπτου werden außerdem die realen Gegebenheiten deutlich: Auch wenn der Bär die Situation in seiner Rede durch rhetorisches Geschick zu beschönigen versucht, indem er sein Wohlwollen gegenüber den Toten unterstreicht, täuscht dies nicht über die Tatsache hinweg, dass er mit den Lebenden nicht ebenso wohlwollend verfährt – er zeigt ihnen keine Zuneigung, sondern tötet sie. Es ist bezeichnend, dass gerade der Fuchs als Gegenüber des Bären in seiner Rede eine kommentierende Position einnimmt, wird doch gerade diese Figur in der antiken Fabel gemeinhin als schlaues und gerissenes Tier dargestellt, das in diesem Fall die Rolle einer kollektiven Leserschaft ein-

897 898

899 900

Ach.Tat. 3,5; Lukian. dial.deor. 7,4; Plut. mor. 336F; 658C; 685B; Xen.Ephes. 5,1. Hier liegt eine adjektivische Verwendung vor, νεκρὸν σῶμα ist wohl als ‚Leichnam‘ zu verstehen. Vgl. Ail. nat. 5,49. Zudem ist auffällig, dass Tiere in aufeinanderfolgenden Fabeln Elemente zeitgenössischer Fachschriftstellerei zum Wesen von Tieren aufgreifen – der Bär in Babr. 14 sowie der Storch in Babr. 13, wobei sich jeweils Bezüge zur Tiergeschichte des Aelian finden. Diese Gruppierung wäre ein Indiz dafür, dass die Fabeln in der vorliegenden Reihenfolge konzipiert worden sein könnten; zu Babr. 13 vgl. Kap. 6.16. Vgl. Hld. 1,2,7; Ach.Tat. 3,5. Zum Fuchs in den Mythiamboi vgl. Babr. 1 (Kap. 6.4), Anm. 219.

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Kommentar

nimmt.901 Das angeschlossene Epimythion deutet die Fabel auf einer sehr konkreten moralischen Ebene und prangert aus der Perspektive der Erzählers diejenigen an, die Personen, wenn sie am Leben sind, schlecht, als Tote jedoch gut behandeln.902 Auf die geschilderten Gegensätze zwischen der rhetorischen Argumentation und der Realität wird nicht eingegangen.903 4) Parallelen Es finden sich keine antiken Parallelen, die den Stoff von Babr. 14 behandeln; das Motiv des Bären, der den sich totstellenden Menschen nicht anrührt, wird hingegen in zwei Parallelen in der Collectio Augustana904 und der Fabelsammlung Avians905 thematisiert,

901 Die Listigkeit des Fuchses war in der Antike sprichwörtlich, so in Archil. fr. 81 D.; Pind. I. 3,65; Aristoph. Pax 1067; Plat. rep. 365C; Cic. off. 1,41; Hor. sat. 2,3,186; vgl. Hünemörder 2006. In Babr. 19,3 wird er sogar ausschließlich als κερδώ, der Gerissene, bezeichnet. 902 Zur Figur des Erzählers vgl. Kap. 4.1. 903 Neben den dargelegten Argumenten  – vgl. den Kommentar zu v.5 (ὁ ζῶντα […] θρηνείτω)  – spricht auch dieser Umstand dafür, dass das Epimythion nicht mit der Fabel zusammen entstanden ist. 904 Aisop. 65 P.: ΟΔΟΙΠΟΡΟΙ ΚΑΙ ΑΡΚΤΟΣ. δύο φίλοι τὴν αὐτὴν ὁδὸν ἐβάδιζον. ἄρκτου δὲ αὐτοῖς ἐπιφανείσης ὁ μὲν ἕτερος φθάσας ἀνέβη ἐπί τι δένδρον καὶ ἐνταῦθα ἐκρύπτετο. ὁ δὲ ἕτερος μέλλων περικατάληπτος γίνεσθαι πεσὼν κατὰ τοῦ ἐδάφους τὸν νεκρὸν προσεποιεῖτο. τῆς δὲ ἄρκτου προσ­ ενεγκούσης αὐτῷ τὸ ῥύγχος καὶ περιοσφραινούσης τὰς ἀναπνοὰς συνεῖχε· φασὶ γὰρ νεκροῦ μὴ ἅπτεσθαι τὸ ζῷον. ἀπαλλαγείσης δὲ καταβὰς ἀπὸ τοῦ δένδρου ἐπυνθάνετο αὐτοῦ, τί ἡ ἄρκτος πρὸς τὸ οὖς εἴρηκεν. ὁ δὲ εἶπε· „τοιούτοις τοῦ λοιποῦ μὴ συνοδοιπορεῖν φίλοις, οἳ ἐν κινδύνοις οὐ παραμένουσιν.“ ὁ λόγος δηλοῖ, ὅτι τοὺς γνησίους τῶν φίλων αἱ συμφοραὶ δοκιμάζουσιν [Die Reisenden und die Bärin. Zwei Freunde gingen denselben Weg. Als ihnen eine Bärin erschien, kam der eine dem anderen zuvor, stieg auf einen Baum und versteckte sich dort. Der andere, im Begriff, überwältigt zu werden, warf sich auf den Boden und spielte den Toten. Als die Bärin ihre Schnauze zu ihm bewegte und herumschnüffelte, hielt er seinen Atem an: Man sagt nämlich, dass das Tier einen Toten nicht berühre. Als diese fortgegangen war, stieg der andere vom Baum und erkundigte sich bei ihm, was die Bärin in sein Ohr gesagt hatte. Er sagte: „, mit solchen Freunden in Zukunft nicht gemeinsam zu reisen, die einem bei Gefahren nicht beistehen.“ Die Fabel zeigt, dass unglückliche Umstände die wahren Freunde prüfen]. 905 Avian. 9: De Duobus Sociis et Ursa. Montibus ignotis curvisque in vallibus artum | cum socio quidam suscipiebat iter, | securus, cum quodque malum Fortuna tulisset, | robore collato posset uterque pati. | [5] dumque per inceptum vario sermone feruntur, | in mediam praeceps convenit ursa viam. | horum alter, facili comprendens robora cursu, | in viridi trepidum fronde pependit onus. | ille trahens nullo iacuit vestigia gressu,  | [10] exanimem fingens, sponte relisus humi.  | continuo praedam cupiens fera saeva cucurrit, | et miserum curvis unguibus ante levat. | verum ubi concreto riguerunt membra timore | (nam solitus mentis liquerat ossa calor), | [15] tunc olidum credens, quamvis ieiuna, cadaver | deserit et lustris conditur ursa suis. | sed cum securi paulatim in verba redissent, | liberior iusto, qui fuit ante fugax: | „dic, sodes, quidnam trepido tibi rettulit ursa? | [20] nam secreta diu multaque verba dedit.“ | „magna quidem monuit, tamen haec quoque maxima iussit, | quae misero semper sunt facienda mihi: | ‚ne facile alterius repetas consortia, dixit, | rursus ab insana ne capiare fera‘ [Die zwei Gefährten und die Bärin. Durch unbekannte Berge und gewundene Täler und auf schmalem Weg unternahm einer eine Reise mit seinem Gefährten, sicher, weil sie beide, egal welches Übel Fortuna auch bringe, dieses mit ihrer vereinten Kraft ertragen konnten. | [5] Und während sie bei einem vielfältigen Gespräch auf der begonnenen dahingingen, traf blindlings eine Bärin mitten am Weg auf sie. Der eine von ihnen griff im mühelosen Lauf nach einer Eiche und hängte seine zitternde Last ins grüne Laub;

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in denen eine Bärin einen Wanderer, der sich totstellt, beschnuppert und anschließend davonzieht. Spätere Bearbeitungen der Babriosfabel sind in einer Sammlung äsopischer Dodekasyllabi sowie in Prosaparaphrasen erhalten. Die Bearbeitung in den Dodekasyllabi906 bewahrt die Symmetrie der babrianischen Bearbeitung – die Exposition und der Fabelschluss sind um je einen Vers erweitert. Der Vergleich der beiden Bearbeitungen zeigt, dass die iterative Behauptung des Bären (ἔφασκε in Babr. 14,2 im Vergleich zu φασὶ γὰρ in v.3 in den Dodekasyllabi) eine Eigenheit bei Babrios ist, während im Zwölfsilbler der Fokus auf die Intensität der Aussage, ausgedrückt durch den Superlativ φιλανθρωπότατόν, gelegt wird. Die Reaktion des Fuchses in den Dodekasyllabi (ἐμειδίασε, v.5) deutet bereits früh auf ein pointiertes Ende der Erzählung voraus; im Gegensatz dazu lässt die Reaktion des Fuchses in Babr. 14 auf keinen finalen ‚Twist‘ schließen – das Enjambement verrät die Pointe erst an der letztmöglichen Stelle im Vers. Die Prosaparaphrase907 und die Bearbeitung in den Dodekasyllabi ähneln sich inhaltlich und lexikalisch stark.908 Die Fabel selbst zeichnet sich vor allem durch ihre Schlichtheit aus, die den Inhalt auf das Wesentliche reduziert: Weder ist die Zuneigung des Bären ‚außergewöhnlich‘, noch ist er der ‚menschenfreundlichste‘. Aber auch die Nähe zum babrianischen Text lässt sich erkennen, so ist etwa die Antwort des Fuchses fast wörtlich an dessen Replik in Babr. 14 angelehnt.

jener bewegte sich mit keinem Schritt und legte sich hin, [10] stellte sich tot und warf sich absichtlich auf den Boden. Sofort rannte das wilde Tier, gierig nach der Beute, und hob den Armen zunächst mit seinen gekrümmten Krallen hoch; sobald aber seine Glieder starr waren vor Angst (denn die gewohnte Wärme des Geistes hatte die Knochen verlassen), [15] da hielt die Bärin ihn für einen stinkenden Kadaver, ließ ihn, obwohl sie hungrig war, zurück und verschwand in ihrem Lager. Aber nachdem sie in Sicherheit allmählich wieder zu Worten zurückgekehrt waren, sagt derjenige, der vorher geflohen war, allzu frei heraus: „Sag, Freund, was hat dir die Bärin erzählt, als du da gezittert hast? [20] Denn lange, viel und heimlich hat sie gesprochen.“ „An wichtige Dinge hat sie freilich erinnert, dennoch befahl sie das Folgende als bedeutendste Sache, die ich Armer immer tun muss: ‚Suche nicht leichtfertig wieder Gemeinschaften mit einem anderen auf ‘, sagte sie, ‚damit du nicht wieder von einer rasenden Bestie gefasst wirst‘“]. 906 Aisop. 63 Ch.: Ἄρκτος καὶ ἀλώπηξ. Ἄρκτος δέ ποτε μεγάλως ἐκαυχᾶτο | ὡς φιλανθρωπότατόν ἐστι τῶν ζῴων· | φασὶ γὰρ τὴν ἄρκτον νεκρὸν μὴ θοινεῖσθαι. | Ἡ δὲ ἀλώπηξ ἀκηκουῖα ταῦτα | [5] ἐμειδίασε καὶ πρὸς αὐτὴν ἐλάλει·  | „Εἴθε τοὺς νεκροὺς ἤσθιες καὶ μὴ ζῶντας.“| Ὁ μῦθος οὗτος ἐλέγχει τοὺς πλεονέκτας καὶ ἐν ὑποκρίσει βιοῦντας [Bär und Fuchs. Ein Bär prahlte einmal groß, dass er von allen Lebewesen am menschenfreundlichsten sei: Denn man sagt, dass der Bär keine Leichen frisst. Der Fuchs, der dies hörte, [5] lächelte und sagte zu ihm: „Wenn du doch nur die Toten äßest und nicht die Lebenden!“ Diese Fabel überführt diejenigen, die vorgeben, mehr zu haben, und nur in Scheinheiligkeit leben]. Zur Datierung der Dodekasyllabi vgl. Kap. 2.3. 907 Ba 13 (Knoell = 63 Ch.): Οὗτος ὁ μῦθος πλεονέκτας τοὺς ἐν ὑποκρίσει καὶ κενοδοξίᾳ βιοῦντας ἐλέγχει. Ἄρκος μεγάλως ἐκαυχᾶτο ὡς φιλάνθρωπος ὤν, ἐπεὶ νεκρὸν σῶμα οὐκ ἐσθίει· πρὸς ὃν ἡ ἀλώπηξ εἶπεν· „Εἴθε νεκροὺς εἷλκες, ἀλλὰ μὴ τοὺς ζῶντας.“ [Diese Fabel überführt diejenigen, die vorgeben, mehr zu haben, und nur in Scheinheiligkeit und leerer Einbildung leben. Ein Bär prahlte groß, dass er menschenfreundlich sei, da er Leichnam nicht fresse: Zu dem sagte der Fuchs: „Wenn du nur die Toten fortzögest, aber nicht die Lebenden!“]. 908 Zum Verhältnis der Dodekasyllabi und der Prosaparaphrasen in Ba vgl. Kap. 2.3.

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Kommentar

Der Vergleich mit beiden nachfolgenden Bearbeitungen zeigt, dass weder das Epimythion in den Dodekasyllabi – dieses bezieht sich auf die Scheinheiligkeit (ὑπόκρισις) der Lage und thematisiert dadurch den Konflikt zwischen Argumentation und Wirklichkeit in der Fabel – noch das Promythion in der Prosaparaphrase – es ist nicht nur an Angeber und Scheinheilige, sondern ausdrücklich auch an jene, die ihr Leben auf leere Einbildungen stützen, gewandt – hinsichtlich ihres Inhalts oder ihrer Textgestalt Ähnlichkeiten zum überlieferten Epimythion in Babr. 14 aufweisen.909 Daneben treten durch die Zusammenschau der drei Bearbeitungen die Besonderheit der Darstellung in Babr. 14 noch deutlicher hervor – der epigrammatische Charakter der Fabel, der die unerwartete Pointe bis zum Schluss offenlässt und so den Kontrast zwischen Schein und Sein illustriert. 5) Gesamtbetrachtung Babr. 14 stellt die kreative Bearbeitung eines bekannten Motivs dar, in der einerseits auf das tierische Fachwissen der Zeit sowie auf den darauf basierenden Diskurs in der Fabeltradition Bezug genommen wird, wodurch die Fabel, ähnlich wie Babr. 12,910 als Fortsetzung einer bereits bestehenden Erzählung erscheint: Der Leser kann sich vorstellen, dass der Bär dem Fuchs von seinem Erlebnis, festgehalten in der Fabel der Collectio Augustana oder bei Avian, erzählt. Spannung entsteht dadurch, dass die gekonnt rhetorisierte Selbstdarstellung des Bären im Widerspruch zu jenem realistischen Verhalten steht, das in der Fachliteratur sowie in anderen Fabeln erkennbar wird.911 Spielerisch demaskiert der Fuchs als Gegenüber diesen Widerspruch schließlich in einer zugespitzt formulierten literarischen Pointe. 6.18 Babr. 15 Ἀνὴρ Ἀθηναῖός τις ἀνδρὶ Θηβαίῳ κοινῶς ὁδεύων, ὥσπερ εἰκός, ὡμίλει. ῥέων δ’ ὁ μῦθος ἦλθε μέχρις ἡρώων, μακρὴ μὲν ἄλλως ῥῆσις οὐδ’ ἀναγκαίη· τέλος δ’ ὁ μὲν Θηβαῖος υἱὸν Ἀλκμήνης μέγιστον ἀνδρῶν, νῦν δὲ καὶ θεῶν ὕμνει· ὁ δ’ ἐξ Ἀθηνῶν ἔλεγεν ὡς πολὺ κρείσσων Θησεὺς γένοιτο, καὶ τύχης ὁ μὲν θείης ὄντως λέλογχεν, Ἡρακλῆς δὲ δουλείης.

5

909 Zu dieser Frage vgl. den Kommentar zu v.5 (ὁ ζῶντα […] θρηνείτω). 910 Zu Babr. 12 vgl. Kap. 6.15. 911 Zu anderen Fabeln, die den Gegensatz zwischen Mensch und Tier in der Fabel thematisieren vgl. Babr. 8 (Kap. 6.11), 9 (Kap. 6.12), 12 (Kap. 6.15), 13 (Kap. 6.16) und 16 (Kap. 6.19) sowie Kap. 5.4.

Babr. 15

λέγων δ’ ἐνίκα· στωμύλος γὰρ ἦν ῥήτωρ. ὁ δ’ ἄλλος ὡς Βοιωτὸς οὐκ ἔχων ἴσην λόγοις ἅμιλλαν, εἶπεν ἀγρίῃ μούσῃ· „πέπαυσο· νικᾷς. τοιγαροῦν χολωθείη Θησεὺς μὲν ἡμῖν, Ἡρακλῆς δ’ Ἀθηναίοις.“

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10

Ein Athener reiste gemeinsam mit einem Thebaner und unterhielt sich mit ihm, wie es nur wahrscheinlich ist. Im Fluss gelangte das Gespräch bis zu den Heroen, es war nur lang und außerdem nicht nötig; [5] schließlich aber pries der Thebaner den Sohn der Alkmene als größten unter den Menschen, jetzt auch unter den Göttern. Der aus Athen aber sagte, dass um vieles mächtiger Theseus sei und dass er ein wahrlich göttliches Schicksal erlangt habe, Herakles jedoch das eines Sklaven. [10] Und mit diesen Worten siegte er, denn er war ein wortbegabter Redner. Der andere aber, der als Boioter keinen ebenbürtigen Wettkampf mit Worten liefern konnte, sagte mit ländlicher Muse: „Hör auf: Du gewinnst. Dann möge Theseus uns zürnen, Herakles aber den Athenern.“

1) Gliederung vv.1–4 Exposition – Ein Athener und ein Thebaner sind gemeinsam auf Reisen und unterhalten sich über ihre Lokalheroen. vv.5–6 Actio – Der Thebaner preist Herakles als größten Heros. vv.7–9 Reactio  – Der Athener preist Theseus als größten Heros und erwähnt den Lebensstil der beiden. v.10 Sieg des Atheners und Einwurf des Erzählers, dieser sei der bessere Redner. vv.11–12 Charakterisierung des Thebaners – Als Boioter sei er dem Athener rhetorisch nicht gewachsen. vv.13–14 Antwort des Thebaners und Schluss  – Er gesteht seine Niederlage ein und meint, als athenischer Heros möge Theseus den Thebanern zürnen, der thebanische Heros Herakles jedoch den Athenern. 2) Kommentar v.9  λέλογχεν: λανχάνω mit Genetivus partitivus wird in der Bedeutung ‚etwas erringen, einer Sache habhaft werden‘ verwendet.912 Parallelen: Alki. 3,29,3; Aristeid. or. 5,33; Theokr. eid. 5; 7; Theon. prog. 10,236

912 So in Hom. Il. 24,76; Od. 5,311; Soph. Ant. 699; Eur. Suppl. 1986; Tro. 1192.

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Kommentar

3) Analyse Mit Babr. 15 folgt eine Fabel, die im menschlichen Milieu spielt und wie bereits Babr. 12 auf Inhalte des griechischen Mythos Bezug nimmt.913 Sie kann grundsätzlich in sechs Abschnitte unterteilt werden: Die vv.1–4 bilden die Exposition der Erzählung; daran anschließend werden Actio und Reactio der beiden Akteure in den vv.5–6 bzw. 7–9 wiedergegeben. Der Sieg des Atheners wird mit einem Einwurf des Erzählers kommentiert (v.10), bevor der Thebaner näher charakterisiert wird (vv.11–12). Die die Fabel beschließende Rede des Thebaners umfasst schließlich die vv.13–14. Die vv.1–2 führen in die Situation ein: Die beiden Akteure, ein Athener (Ἀνὴρ Ἀθηναῖός τις, v.1) sowie ein Thebaner (ἀνδρὶ Θηβαίῳ, v.1), reisen miteinander (κοινῶς ὁδεύων, v.2) unterhalten sich, wie es nur natürlich ist (ὥσπερ εἰκός, v.2) – so meint der Erzähler. Die beiden werden zunächst nicht näher charakterisiert, auch Namen werden nicht genannt. τις in der Mitte von v.1 zeigt die Verallgemeinerbarkeit der beiden Charaktere an: Sie stehen, wie sich später noch herausstellen wird, stellvertretend für ‚die Athener‘ sowie ‚die Thebaner‘. Das Motiv eines Gesprächs, das sich während der gemeinsamen Reise entspinnt, findet eine Parallele in der bukolischen Dichtung des Theokrit, im berühmten Thalysien-Idyll, dessen Ausgangssituation ebenso ein musischer Agon auf dem Weg zum Thalysien-Fest bildet.914 Auch wenn die Erzählung also in der Welt der Menschen spielt, lässt sie über ihre Motivik doch Anklänge an die idyllisch-natürliche Szenerie, die zahlreiche andere Fabeln prägt, erkennen. Die vv.3–4 gehen näher auf das Gespräch ein: Der Redefluss ‚fließt‘ bis zum Thema der Heroen (ῥέων δ’ ὁ μῦθος ἦλθε μέχρις ἡρώων, v.3).915 Das Flussmotiv für die Beschreibung sprachlicher Produktion könnte den Leser an die Aussagen des zweiten Prologs erinnern, in dem das Ich davon spricht, seine Gedichte ‚in klarem Fluss‘ (ἐγὼ δὲ λευκῇ μυθιάζομαι ῥήσει, v.13) verfasst zu haben, und dem Begriff dadurch eine poetologische Qualität zukommen lässt. v.4 (ῥῆσις: ‚Gespräch‘, ‚Rede‘ bzw. ‚Wortfluss‘) greift diesen Schlüsselbegriff wieder auf, dort sogar in direkter Parallele zu 2 prol.916 Tatsächlich ist der Fluss als poetologische Metapher in der hellenistischen Dichtung geläufig: So spricht Kallimachos etwa davon, die kleine Quelle dem breit fließenden Fluss vorzuziehen, was als Preis der Klein- und Abwertung der epischen Großform interpretiert wurde;917 angesichts der lexikalischen Parallele mit dem programmatischen Prolog der Mythiamboi könnte die fließende Qualität der Fabeln und der darin eingebetteten 913 Zu Babr. 12 vgl. Kap. 6.15. 914 Vgl. Theokr. eid. 7. 915 Der Ausdruck ῥέω für den Redefluss findet sich auch bei anderen Autoren des zweiten Jahrhunderts, so etwa bei Plutarch (Cim. 9,2) oder Alkiphron (3,22,1). 916 Auch wenn die beiden Begriffe etymologisch nicht verwandt sind, liegt es angesichts der lautlichen Ähnlichkeit nahe, dass ῥῆσις hier ῥέων aufgreifen soll. Die metaphorische Verwendung des Verbs zur Beschreibung sprachlicher Produktion ist in der antiken Literatur vielfach belegt (vgl. etwa Hom. Il. 1,249; Hes. theog. 39–40; 97; Demosth. or. 18,136); zu 2 prol. vgl. Kap. 6.3. 917 Vgl. Kall. h. 2,108–112.

Babr. 15

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Reden also als poetologischer Kommentar gelesen werden. Diese rhetorisch-sprachliche Dimension ist angesichts der Tatsache, dass der Erzähler die Reden der beiden Akteure bewertet, von Bedeutung. Dieser bemerkt in v.4: Die folgenden Reden seien lang und eigentlich gar nicht nötig (μακρὴ μὲν ἄλλως ῥῆσις οὐδ’ ἀναγκαίη).918 Er weist also darauf hin, dass die beiden Akteure die Reden nicht aus pragmatischen Gründen, etwa zur Konfliktlösung – denn dann wären sie wohl nicht überflüssig, – sondern zur Unterhaltung auf der Reise vortragen und so in eine Art Redeagon miteinander treten – ein gängiger Topos der antiken Literatur.919 Gleichzeitig wird durch μακρὴ und οὐδ’ ἀναγκαίη ein Witz auf Kosten der antiken Rhetorik vorbereitet – die Reden der beiden Akteure sind lang und ohnehin überflüssig, sie müssten eigentlich gar nicht gehalten werden. Eingeleitet durch das Temporaladverb τέλος (v.5) wird in den vv.5–9 auf den Inhalt bzw. das Argument dieser beiden Reden näher eingegangen: Sie werden trotz des Redecharakters erzählend wiedergegeben. Entgegen der Lesererwartung beginnen die beiden Akteure gerade nicht selbst zu sprechen. Dies ist bemerkenswert, da sich die babrianischen Fabeln unter anderem durch ihre ausgestalteten Reden auszeichnen, während die Fabel, in der es explizit um die Rede geht, bis auf die Schlussrede gar keine Sprechpartien enthält.920 Allerdings sind die beiden Reden, wenn auch indirekt wiedergegeben, auf syntaktischer Ebene sehr wohl rhetorisch durchkomponiert, etwa die Verwendung der Korrelativpartikel μέν – δέ, die typisch die rhetorische Gegenüberstellung von Elementen bezeichnet und hier auf die Redner angewandt wird, belegt. Der Thebaner (ὁ μὲν Θηβαῖος, v.5) macht den Anfang: Er besingt (ὕμνει, v.6) den Sohn der Alkmene, also Herakles, als größten unter den Menschen und Göttern. Namentlich wird dieser gar nicht genannt, die Bezeichnung υἱὸν Ἀλκμήνης (v.5) spielt aber auf seine Herkunft und seinen Geburtsmythos an.921 Alkmene soll nach der Zeugung des Herakles durch Zeus gemeinsam mit ihrem Mann Amphitryon nach Theben gezogen sein, wo Herakles und sein Halbbruder Iphikles schließlich zur Welt kommen.922 Auch v.6, μέγιστον ἀνδρῶν, νῦν δὲ καὶ θεῶν, bezieht sich auf den Herakles-Mythos: Nach zahlreichen Prüfungen wird dieser am Ende seines Menschenlebens vergöttlicht und auf den Olymp entrückt. Das Verb ὕμνει, das die Schilderung in v.6 beschließt, unterstreicht den hymnischen Ton der Rede des Thebaners.

918 Luzzatto (1975a, 77) interpretiert diese Aussage des Erzählers – zu Unrecht, wie ich meine – als Beweis dafür, dass der Autor kein Redner gewesen sein könne, wenn er sich so abschätzig über das Reden äußert. Zu meinen Bedenken, biographische Informationen aus den Fabeln zu gewinnen, vgl. Spielhofer 2021. 919 Das Motiv des Redewettstreits ist in der antiken Literatur weit verbreitet, so etwa im Kontext der Fabel, der Bukolik oder der Sophistik und Rhetorik. Eine angesichts der Breite des Themas nur auszugsweise Kategorisierung in der antiken Literatur findet sich etwa in Froleyks 1973. 920 Vgl. Nøjgaard 1967, 279–280; zur Rhetorisierung der Fabeln vgl. Kap. 5.2. 921 Herakles tritt auch selbst als Akteur in den Mythiamboi auf, etwa in Babr. 20. 922 So beispielsweise in der Version des Mythos bei Homer (Il. 19,96–99).

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Kommentar

Es folgt in den vv.7–9 die Rede des Atheners (ὁ δ’ ἐξ Ἀθηνῶν, v.7), ebenfalls in indirekter Rede: Das Verb ἔλεγεν in der Auflösung in der Versmitte sowie im zentralen Vers des Gedichts  – es befindet sich in v.7 von 14  – unterstreicht den logisch-argumentativen Charakter923 und hebt die wohlargumentierte Rede als zentrales Thema von Babr. 15 hervor. Der Athener hält dem Thebaner den Heros Theseus als attische Antithese zu Herakles entgegen und führt als Argument dafür, dass ersterer mächtiger als zweiterer sei (ὡς πολὺ κρείσσων | Θησεὺς γένοιτο, vv.7–8), an, dass diesem ein göttliches Schicksal zuteilgeworden sei, Herakles jedoch nur das eines Sklaven. Diese Charakterisierung nimmt Bezug auf die mythische Tradition: Das ‚göttliche Schicksal‘ (τύχης θείης, v.8) des Theseus könnte auf mehrere Elemente seines Mythos anspielen. Erstens gibt es unterschiedliche Überlieferungen hinsichtlich seiner Herkunft; in manchen Versionen wird er als Sohn des Poseidon bezeichnet924 – darauf könnte sein göttliches Schicksal zurückzuführen sein. Zweitens muss Theseus im Laufe seines Lebens zahlreiche Prüfungen und Herausforderungen meistern, unter anderem rettet er die athenischen Kinder vor dem Minotauros,925 und erhält als mythischer König Athens schließlich staatstragende Funktion  – das göttliche Schicksal könnte sich somit auf Theseus’ Taten und gesellschaftliche Stellung beziehen, die eines Gottes würdig scheinen. Drittens wurde Theseus in Attika als göttlicher Lokalheros verehrt und häufig auf eine Stufe mit Herakles gestellt; ein ihm geweihtes Heiligtum in Athen bezeugt sein Ansehen in der Region.926 Auch darauf könnte sein göttliches Schicksal verweisen.927 Im Gegensatz dazu spielt das sklavenhafte Schicksal (Ἡρακλῆς δὲ δουλείης, v.9) des Herakles wohl auf dessen zwölf Aufgaben an, die er im Dienst des Königs Eurystheus verrichten muss, um für den Mord an seiner Frau und seinen Kindern Sühne zu leisten.928 Durch den Parallelismus, abermals durch μέν – δέ (ὁ μὲν θείης – Ἡρακλῆς δὲ δουλείης) ausgedrückt, wird die Gegenüberstellung von Theseus und Herakles besonders deutlich. Das Argument des Atheners beruht darauf, dass Theseus ein göttliches Schicksal zuerkannt worden ist, Herakles aber ein sklavenhaftes. Diese Bewertung des Schicksals liegt in den Mythen der beiden Figuren begründet, die für einen antiken

923 Man vergleiche hier die logisch-sachliche Qualität von ἔλεγεν im Unterschied zur lobpreisenden Konnotation von ὕμνει. 924 So etwa in Plut. Thes. 6,1; 36,5; Plat. rep. 391C; Schol.Eur. Hipp. 45. Bei Ovid (Her. 4,109; 17,21; met. 9,1) wird er als Neptunius heros bezeichnet. 925 Erwähnt beispielsweise in Plut. Thes. 19,1; Diod. 4,60,1; 4,61,4. 926 So erwähnt in Paus. 1,17,2. 927 Vgl. Holzberg (2019, 204 [s. v. 15]), der noch eine weitere Deutung anführt: Theseus selbst habe wie ein Gott gelebt. 928 Rutherford (1883, 22) meint, dass sich diese Aussage auf Herakles’ Heirat mit der Göttin Hebe beziehe. Da der Vergleich der beiden Heroen jedoch klar deren Bedeutung und Stellung kontrastiert, erscheint es mir naheliegender, dass Herakles’ Sklavendienst bei Eurystheus als Gegenkonzept zu Theseus staatstragender Funktion angeführt wird.

Babr. 15

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Leser als bekannt vorausgesetzt werden. Das Verb λέλογχεν929 in v.9 unterstreicht den schicksalhaft-zufälligen Aspekt: Das Walten des Schicksals selbst hat Theseus zu höheren Ehren auserkoren als Herakles; dem zu widersprechen würde bedeuten, göttlicher Macht zu widersprechen – ein Totschlagargument. Dabei lassen die Wortwahl ἔλεγεν in v.7 (im Gegensatz zum ὕμνει des Thebaners) und der Optativ γένοιτο in v.8 eine gewisse Distanz in der Wiedergabe der Argumente erkennen: Der Erzähler gibt die Rede des Atheners im obliquen Optativ wieder, mithin unterscheidet er zwischen seiner eigenen Meinung und den Aussagen des Atheners. V.10 widmet sich dem Ausgang des Redeagons: Der Athener gewinnt mit seiner Rede. Die Wendung λέγων δ’ ἐνίκα hat ihren Ursprung im griechischen Drama. Entsprechende parallele Wendungen, die einem ähnlichen Kontext entnommen sind, etwa Passsagen in Aristophanes’ Wolken,930 beziehen sich in diesem Zusammenhang explizit auf die Theorie von der stärkeren und der schwächeren Rede. Diese besagt, dass die wahre Kunst der Rhetorik darin besteht, das schwächere Argument zum stärkeren zu machen. Ein antiker Leser, der angesichts der lexikalischen Parallelen den Bezug zu rhetorischen Reflexionen in der Literatur herstellt, dürfte daher auch den Inhalt von Babr. 15 mit dieser Theorie in Verbindung bringen; und wie sich noch herausstellen wird, dient die vorliegende Fabel als anschauliches Beispiel für diese Auffassung von Rhetorik. Der Erzähler erklärt den Sieg des Atheners dadurch, dass dieser ein wortbegabter Redner sei (στωμύλος γὰρ ἦν ῥήτωρ, v.10). Das Adjektiv στωμύλος, das in der Regel mit ‚redselig‘, ‚geschwätzig‘ oder ‚schlagfertig‘ übersetzt wird, findet sich des Öfteren im Zusammenhang mit Rhetorik bzw. dem Redewettstreit, wo es die fließende, übersprudelnde oder angenehme stimmliche Qualität eines Redners bezeichnet.931 Bei Theokrit932 und Alkiphron933 wird damit die Fähigkeit einer Person bezeichnet, eloquent

929 Die Grundbedeutung des Verbs – ‚durch Los erwerben‘ (vgl. LSJ s. v. λαγχάνω I) – weist darauf hin, dass die ausgedrückte Handlung durch den Einfluss des Zufalls oder Schicksals bewirkt wird. 930 Aristoph. Nub. 112–115: εἶναι παρ‘ αὐτοῖς φασιν ἄμφω τὼ λόγω, | τὸν κρείττον’, ὅστις ἐστί, καὶ τὸν ἥττονα. | τούτοιν τὸν ἕτερον τοῖν λόγοιν, τὸν ἥττονα, | [115] νικᾶν λέγοντά φασι τἀδικώτερα. [Man sagt, dass es bei ihnen zwei Reden gibt, die stärkere, was auch immer das heißt, und die schwächere. Sie meinen, dass von diesen beiden eine, die schwächere, [115] siege, obwohl sie Ungerechteres spreche.]; 1334–1337: Φε. ἔγωγ’ ἀποδείξω καί σε νικήσω λέγων. | [1335] Στ. τουτὶ σὺ νικήσεις; – Φε. πολύ γε καὶ ῥᾳδίως. | ἑλοῦ δ’ ὁπότερον τοῖν λόγοιν βούλει λέγειν. | Στ. ποίοιν λόγοιν; – Φε. τὸν κρείττον’ ἢ τὸν ἥττονα [Phe.: Ich werde es aufzeigen und dich in der Rede besiegen. [1335] St.: Darin wirst du siegen? – Phe.: Deutlich und auch leicht. Wähle aus, welche der beiden Redeweisen du bevorzugst. St.: Welcher Redeweisen? – Phe.: Die stärkere oder die schwächere]. 931 So etwa in Anth.Gr. 9,187,4 (anonym, über Menander); Theokr. eid. 5,79; Alki. 3,29,3. Das Bild der Rede als Fluss wird bereits mit ῥέων und ῥῆσις in den vv.3–4 aufgerufen. 932 Theokr. eid. 5,78–79: ΛΑ. εἶα λέγ’, εἴ τι λέγεις, καὶ τὸν ξένον ἐς πόλιν αὖθις | ζῶντ’ ἄφες· ὦ Παιάν, ἦ στωμύλος ἦσθα, Κομᾶτα [Lakon: Ei sag, wenn du etwas sagst, und schicke den Gastfreund wieder lebend in die Stadt zurück: Oh Paian, wahrlich warst du redselig, Komatas]. 933 Alki. 3,29,3: ἔστι δὲ καὶ ὀφθῆναι κεχαρισμενώτατος καὶ τὸ πρόσωπον αὐτοῦ τὰς Ὥρας ἐνορχουμένας ἔχει, καὶ τὴν Πειθὼ τῷ στόματι ἐπικαθῆσθαι εἴποις ἄν· προσπαῖσαί τε γλαφυρὸς καὶ λαλῆσαι

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Kommentar

und schlagfertig zu sprechen. In den Progymnasmata des Aelius Theon wird ferner erwähnt, dass die Athener von Natur aus στωμύλοι seien;934 der redegewandte, schlagfertige Athener ist offenbar also ein topisches Bild in der Rhetorik der Zweiten Sophistik.935 Darüber hinaus zeichnet sich der Ausdruck durch seinen poetologischen Gehalt aus: Die Passage in den Briefen Alkiphrons beschreibt einen als στωμύλος bezeichneten Mann. Für dessen Charakterisierung zitiert der Erzähler wörtlich einen Vers aus Theokrits siebtem Idyll: οὕνεκά οἱ γλυκὺ Μοῖσα κατὰ στόματος χέε νέκταρ.936 Der bei Theokrit so beschriebene Hirte, Komatas, tritt bereits in Theokrits fünftem Idyll auf, wo er ebenfalls als στωμύλος bezeichnet wird.937 Neben dem literarischen Motiv des redseligen Atheners könnte ein antiker Leser in Babr. 15 also, ähnlich wie bei Alkiphron, aufgrund der Bezeichnung στωμύλος eine Verbindung zur Figur des Komatas erkennen. Dies ist insbesondere in Anbetracht der thematischen Parallelen zwischen der vorliegenden Fabel und Theokrits fünftem bzw. siebtem Idyll wahrscheinlich, da im fünften Idyll der Redeagon, im siebten die Unterhaltung während einer Reise im Zentrum stehen und in allen drei Texten von einem begabten Redner die Rede ist – bei Theokrit heißt dieser Komatas, wird als στωμύλος bezeichnet und gewinnt den Agon, bei Babrios ist er Athener, στωμύλος und der Sieger des Agons. Stellt man diese Verbindung her, ergeben sich weitere Parallelen: So wird Komatas im siebten Idyll938 mit Bildern charakterisiert, die poetologisch gedeutet werden können und besonders das Bild des Honigs und der Süße für die Dichtung in den Mittelpunkt stellen. Dieses wiederum findet sich bei Babrios prominent in den beiden Prologen sowie in weiteren anderen Fabeln.939 Angesichts der auffälligen Markierung durch den Begriff στωμύλος und den inhaltlichen Entsprechungen bei Theokrit, scheint es also naheliegend, bei der vorliegenden Passage von einem literarischen Bezug auszugehen, der durch seine intertextuelle Natur gleichsam einen Reflex jener Bildsprache darstellt, die die Mythiamboi insgesamt durchzieht. Eine solche poetologische Deutung scheint insbesondere στωμύλος ‚οὕνεκα οἱ γλυκὺ Μοῦσα κατὰ στόματος χέε νέκταρ‘. εἰπεῖν γὰρ οὐ χεῖρον κατὰ τοὺς παιδείᾳ σχολάζοντας ἐξ Ἀθηνῶν ὁρμώμενον, ἐν αἷς οὐδὲ εἷς τούτων ἄγευστος [Er ist auch höchst ansehnlich und auf seinem Gesicht tanzen die Horen, und man könnte sagen, dass Peitho auf seinem Mund sitze: Er ist fein im Scherzen und gewandt im Gespräch, „weil ihm die Muse süßen Nektar auf den Mund gegossen hat“. Denn nicht schlecht ist es, dass einer, der aus Athen kommt, ganz nach denen spricht, die sich der freien Bildung gewidmet haben, wovon nicht einer von diesen unberührt ist]. 934 Theon. prog. 116: καὶ διὰ γένος ἕτεροι μὲν λόγοι τοῦ Λάκωνος παῦροι καὶ λιγέες, ἕτεροι δὲ τοῦ Ἀττικοῦ ἀνδρὸς στωμύλοι [und wegen ihrer Herkunft sind die Reden des Spartaners kurz und klar, die des Atheners hingegen redselig]. 935 Aus der Textstelle in den Progymnasmata geht auch hervor, dass στωμύλος jene Redner bezeichnet, die lange Reden halten; auch die Rede des Atheners ist bei Babrios länger ist als jene des Thebaners. 936 Theokr. eid. 7,82 [Weil ihm die Muse süßen Nektar auf den Mund gegossen hat]. 937 Theokr. eid. 5,79; vgl. Anm. 932. 938 Theokr. eid. 7,82; vgl. Anm. 936. 939 Zum Bild der Süße für die Dichtung bei Babrios vgl. Kap. 4.3.

Babr. 15

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plausibel, als bereits mit dem Thema der Fabel, der Rhetorik, Raum für derartige Inhalte geschaffen wird. Neben dem Urteil, dass der Athener besonders redegewandt sei, wird in den vv.11– 12 ausführlich auf die rhetorischen Defizite des Thebaners eingegangen: Er sei Boioter und könne daher rhetorisch mit dem Athener nicht konkurrieren (οὐκ ἔχων ἴσην | λόγοις ἅμιλλαν,940 vv.11–12). Bereits in früher Zeit wurde den Einwohnern Boiotiens Einfältigkeit und ein Mangel an höherer Bildung nachgesagt.941 Daher wird dessen Antwort auf den Ausgang des Wettstreits mit den Worten kommentiert, er spreche mit ἀγρίῃ μούσῃ (v.12). In anderen Fabeln ist der Begriff μούση bereits in Verbindung mit poetologischen Aussagen aufgetaucht.942 Vor allem in den Prologen steht er für die künstlerische Inspiration, das Genie des Dichters, das sich in den Gedichten manifestiert. Auf die Verbindung zwischen der Dicht-/Musen- und der Redekunst wurde bereits hingewiesen. Die Muse, die beispielsweise im angeführten Theokrit-Zitat oder bei Alkiphron einen Dichter oder Redner redegewandt macht, steht hier metonymisch für dessen Art zu sprechen. Im Gegensatz zum eloquenten Athener spricht der Boioter als Landbewohner in einer Sprache, die nicht von urbaner Bildung geprägt ist, sondern seine ländliche Herkunft verrät. Eine konkret poetologische Konnotation, wie sie der Begriff μούση in den Prologen erkennen lässt, scheint hier vordergründig nicht gegeben, könnte allerdings angesichts der oben angeführten poetologischen Deutungsmöglichkeiten durchaus mitschwingen. Darüber hinaus wird die Muse des Thebaners durch das ambivalente ἄγριος weiter beschrieben: Das Adjektiv wird despektierlich im Sinne von ‚wild‘, ‚roh‘, ‚unwirtlich‘ oder ‚böswillig‘ verwendet, es finden sich allerdings auch zahlreiche positive Zuschreibungen wie ‚unerschrocken‘, ‚stark‘ oder ‚leidenschaftlich‘.943 Die Rückkehr vom Kommentar des Erzählers zur Erzählsituation erfolgt mit der Antwort des Thebaners auf die Rede des Atheners in den vv.13–14; diese übernimmt

940 Der ionische Begriff ἅμιλλα (‚Wettstreit‘) wird im Attischen hauptsächlich im Kontext der Rhetorik verwendet, so etwa im attischen Drama, beispielsweise in Eur. Med. 546; Suppl. 428: ἅμιλλαν … λόγων [Wortwettstreit]; vgl. Luzzatto 1975a, 37. 941 So wird beispielsweise zum Sprichwort ὗς Βοιωτία [böotisches Schwein] in Pind. O. 6,90 erwähnt, dass damit die ἀλογία [Irrationalität], ἀγροικία [bäuerliche Derbheit] und ἀπαιδευσία [Mangel an Bildung] der Boioter bezeichnet werden, so in Schol.Pind. O. 6,148b. Die Interpretation Nøjgaards (1967, 258), wonach Thebaner und Athener eingeführt werden, um die Anschaulichkeit der Szene durch Lokalkolorit zu verstärken, ist zwar prinzipiell nachvollziehbar, scheint aber angesichts der inhaltlichen Bedeutung, die die Herkunft der Akteure für das Verständnis der Erzählung hat, zu kurz zu greifen. 942 So etwa in Babr. 8 (Kap. 6.11), 12 (Kap. 6.15) sowie in 1 prol. (Kap. 6.2) und 2 prol. (Kap. 6.3). 943 Vgl. Nøjgaard (1967, 359), der den Begriff eindeutig als negativ deutet, wenn er den Thebaner als „prototype du provincial stupide“ bezeichnet. Da jedoch keine eindeutige positive oder negative Konnotation zugeschrieben werden kann und sich somit kein aussagekräftiges Werturteil durch den Sprecher festmachen lässt, würde ich Nøjgaards Einwände an dieser Stelle differenzierter betrachten. Zum Wortfeld αγρ-, das in eine wichtige Rolle in den Fabeln einnimmt, vgl. Kap. 5.4.

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Kommentar

gleichsam die Funktion eines Epimythions.944 Sie ist die erste Äußerung in Babr. 15, die in direkter Rede wiedergegeben wird. Der Thebaner beginnt mit der Aufforderung an den Athener, seiner Rede ein Ende zu setzen (πέπαυσο, v.13), da er seine eigene Niederlage ein- und dem anderen den Sieg zugestehe (νικᾷς, v.13). πέπαυσο verbindet diese Fabel lexikalisch mit Babr. 16,2, wo die Amme dem Kleinkind mit παῦσαι einen ähnlichen Befehl erteilt.945 Daneben wirft νικᾷς die Frage nach der Informationsvergabe im Hinblick auf den Sieg des Agons auf. Sowohl der kommentierende Erzähler in v.10 (λέγων δ’ ἐνίκα) als auch der Unterlegene selbst in v.13 (νικᾷς) erklären, dass der Athener den Sieg davonträgt. Während in v.10 also bereits die Entscheidung des Wettstreits vorausgenommen wird, verliert die entsprechende Aussage des Thebaners, obwohl sie für die Erzählung relevant ist, für den Leser an Bedeutung; stattdessen wird dessen Aufmerksamkeit auf den zweiten Teil der Rede des Thebaners gelenkt, der als Pointe der Fabel dadurch zusätzliche Bedeutung erhält. Die folgenden eineinhalb Verse (vv.13b–14), die die Fabel beschließen, stellen eine Antwort auf den Vergleich des Atheners dar und beziehen sich auf das von ihm angesprochene göttliche bzw. sklavische Schicksal der beiden Heroen. In einem Wunsch – ausgedrückt durch den Optativ χολωθείη in v.13 – beschwört der Thebaner den Zorn des Theseus auf die Thebaner herab, jenen des Herakles aber auf die Athener. Auch hier dient der Parallelismus in v.14 (Θησεὺς μὲν ἡμῖν – Ἡρακλῆς δ’ Ἀθηναίοις) der Kontrastierung der beiden Figuren. Der Sprecher geht bei der Nennung der beiden Heroen in derselben Reihenfolge vor wie der Athener in seiner vorangehenden Rede. Daneben greift der Thebaner die Argumente seines Kontrahenten inhaltlich auf und nützt sie für seine Zwecke: Dessen Argument war, Theseus sei ein göttliches Schicksal zuteilgeworden, Herakles jedoch nur das eines Sklaven. Bereits in v.6 hatte der Thebaner jedoch dargelegt, dass Herakles tatsächlich ein Gott ist (und nicht nur an einem göttlichen Schicksal Anteil hat). Daher folgt in seiner abschließenden Antwort das Zugeständnis, der Athener möge den Redewettstreit nur gewinnen – unausgesprochen bleibt hier, dass Theseus’ menschlicher Groll den Thebanern gegenüber im Vergleich zu Herakles’ göttlichem Groll den Athenern gegenüber vernachlässigbar sei. Durch dieses Beispiel wird also der Gegensatz zwischen der ‚Realität‘ und der rhetorischen Darstellung derselben illustriert; in der ‚realen‘ Welt richtet ein Halbgott mehr Schaden an als ein bloßer Heros. In der Welt der Redner siegt jedoch der Heros, sozusagen das ‚schwächere Argument‘, dank des besseren Redners. In diesem Sinne stellt der Redewettstreit der beiden Reisenden ein Beispiel für die Theorie der Redekunst an sich dar.

944 Becker (2006, 182, Anm. 39) spricht hier von einer ringkompositionsartigen Struktur. Der Bezug auf die Rede des Atheners ist in der Antwort des Thebaners zwar gegeben, allerdings scheint mir dies eher der fabeltypischen Abfolge von Rede und Gegenrede geschuldet und weniger Zeichen für eine wirkliche Ringkomposition zu sein. 945 Zu Babr. 16 vgl. Kap. 6.19. Zur lexikalischen Verbindung der Fabeln vgl. Kap. 3.2.

Babr. 15

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4) Parallelen In den erhaltenen antiken Fabelsammlungen finden sich keine vergleichbaren Bearbeitungen. Der ungewöhnliche Stoff, der sich auf mythologische und rhetorisch-poetische Themen bezieht, weist jedoch Parallelen zu anderen Literaturgattungen auf. Für das Motiv der Rahmenhandlung – den Redewettstreit als Zeitvertreib auf einer Wanderung – stellen die bereits erwähnten Eidyllia Theokrits mögliche Vorbilder dar: das fünfte Idyll vom Wettgesang zwischen Lakon und Komatas einerseits, das siebte Idyll von der Reise und dem Redewettstreit des Lykidas und Simichidas andererseits.946 Des Weiteren lässt der Inhalt der Reden Anklänge an bevorzugte Themen der Rhetorik der Zweiten Sophistik erkennen.947 Als Beispiel hierfür dient etwa der Redner Aelius Aristides, dessen Werk in die Zeit der Entstehung der Mythiamboi datiert wird. In einer fiktiven enkomiastischen Rede auf Herakles erwähnt dieser, dass sogar die Athener Herakles statt Theseus verehrten.948 Die Passage bei Aristides ist einerseits insofern aufschlussreich, als sie zeigt, dass die Herakles-Theseus-Antithese als Motiv in der Rhetorik der Zeit eine Rolle spielt. Andererseits wird durch die Feststellung, Theseus sei zwar der beste Bürger (Mensch), Herakles aber übermenschlicher Natur, der Gegensatz zwischen Theseus’ Menschlichkeit und Herakles’ Göttlichkeit thematisiert. Sowohl der Diskurs an sich als auch der Fokus auf die Gegenüberstellung des Menschen und des Gottes ist in der Literatur der Zeit belegt. Einen zentralen Hinweis auf die motivische und gattungsspezifische Einordnung von Babr. 15 liefert eine bereits erwähnte Parallele in den Progymnasmata des Aelius Theon, einem rhetorischen Lehrwerk, das vermutlich einige Jahrzehnte vor den Fabeln der Mythiamboi entstanden ist. Theon kommt darin auf die rhetorische Übung der Prosopopoiie zu sprechen und weist dabei darauf hin, dass man, bevor man darüber nachdenke, was eine Person in einer bestimmten Situation gesagt haben könnte, sich zuerst über gewisse Grundvoraussetzungen im Klaren sein müsse.949 Bereits 946 Die Parallelen werden durch lexikalische Anspielungen verstärkt, so durch στωμύλος für den Athener bei Babrios und Komatas im fünften Idyll, sowie durch die Reise im siebten Idyll: vgl. ὁδίταν in eid. 7,11 sowie κοινῶς ὁδεύων in Babr. 15,2. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls die Parallele in den Briefen des Alkiphron relevant, die zwar speziell in Hinblick auf die Bedeutung von στωμύλος aufschlussreich erscheint, daneben aber den Bezug zu Theokrit nochmals unterstreicht. 947 Zum Verhältnis der Mythiamboi zur Zweiten Sophistik vgl. Kap. 2.3. 948 Aristeid. or. 5,33 (Herakles): καὶ τοσοῦτόν γε τὸ ἐναργὲς τῆς σπουδῆς ἐγένετο καὶ οὕτω σφόδρα τῆς κρείττονος μοίρας ἐκρίθη τὸ ἐκείνου πρᾶγμα ὥστε καὶ ὅσα Θήσεια ἦν κατὰ δήμους, ἅπαντα μετεσκεύασαν καὶ κατέστησαν Ἡράκλεια ἀντὶ Θησείων, νομίσαντες Θησέα μὲν ἄριστον εἶναι τῶν πολιτῶν, Ἡρακλέα δὲ ὑπὲρ ἀνθρώπου φύσιν [Und so groß und offensichtlich wurde das Ansehen und so sehr wurde seine Stellung eines überlegenen Schicksals für wert befunden, dass sie alle Einrichtungen, die dem Theseus in den einzelnen Demen geweiht waren, umwandelten und anstelle des Theseus dem Herakles weihten, im Glauben, Theseus sei zwar der beste unter den Bürgern, Herakles gehe aber über die Natur eines Menschen hinaus]. 949 Theon. prog. 10,236: καὶ διὰ φύσιν γυναικὶ καὶ ἀνδρὶ ἕτεροι λόγοι ἁρμόττοιεν ἄν, καὶ διὰ τύχην δούλῳ καὶ ἐλευθέρῳ, καὶ δι’ ἐπιτήδευμα στρατιώτῃ καὶ γεωργῷ, κατὰ δὲ διάθεσιν ἐρῶντι καὶ σωφρονοῦντι, καὶ διὰ γένος ἕτεροι μὲν λόγοι τοῦ Λάκωνος παῦροι καὶ λιγέες, ἕτεροι δὲ τοῦ Ἀττικοῦ ἀνδρὸς στωμύλοι

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Kommentar

die Übereinstimmung in der Wortwahl für die Rede des Atheners – stets spricht er στωμύλος – macht die Relevanz dieser Passage für Babr. 15 deutlich. Im Kontext dieser Anleitung wirken die beiden babrianischen Akteure fast wie wandelnde Klischees: Sie sprechen so, wie sich ein typischer Vertreter ihrer Region ausdrückt – daher vermutlich die ἀγρίῃ μούσῃ (v.12) des Thebaners im Gegensatz zum Athener –, und gleichzeitig worüber sich solche Personen aller Wahrscheinlichkeit nach unterhalten würden. 5) Gesamtbetrachtung Das Gespräch und die Kunst der Rede stehen im Zentrum dieser Fabel.950 Der Erzähler, der in v.10 in Erscheinung tritt, erzählt von Akteuren, die ihrerseits auf einer gemeinsamen Reise Geschichten über Herakles und Theseus erzählen. Den Fokus der Erzählung macht eine Häufung rhetorischer Ausdrücke deutlich, die dazu dienen, gutes von schlechtem Sprechen zu unterscheiden; der Erzähler selbst fällt ein Urteil über die Fähigkeiten der beiden Akteure, wenn er anmerkt, dass der Athener redegewandt sei und der Thebaner mit ἀγρίῃ μούσῃ spreche. Die beiden werden hinsichtlich ihres rhetorischen Könnens als stereotype Vertreter ihrer jeweiligen Bevölkerungsgruppen dargestellt, die so sprechen, wie sich ein antiker Leser Menschen aus diesen Regionen vorgestellt haben mag – sowohl was ihre Art zu sprechen als auch, was den Inhalt ihrer Rede betrifft. Die Pointe der Fabel resultiert aus der Tatsache, dass der zweite Sprecher seinen Heros zwar überzeugender vertritt, sodass sein Kontrahent die Niederlage im Agon eingestehen muss, de facto aber dennoch für den schwächeren Kandidaten argumentiert und diesem nur durch sein Redetalent zum Sieg verhilft. Bereits seit der Sophistik ist die Auffassung bekannt, die Kunst der Rhetorik bestehe darin, das schwächere Argument zum stärkeren zu machen. Der Athener ist ein Beispiel für eine solche Rhetorik, wie entsprechende Parallelen aus der attischen Komödie illustrieren. In der Pointe der Erzählung führt der rhetorisch schwächere Kontrahent den Fokus von der bloßen Rede jedoch wieder zu einer pragmatischen Betrachtungsweise zurück, der zufolge ein (Halb-)Gott wie Herakles dem Menschen Theseus klar überlegen sein muss. So wird also dem Leser die Wirkung der antiken Rhetorik vor Augen geführt: Rhetorik als Kunst, Dinge, die in der Realität überhaupt nicht überzeugen, durch gekonnte Ausge-

[Und wegen ihrer natürlichen Anlage passen für eine Frau und einen Mann wohl unterschiedliche Sprecharten, und wegen ihrer Stellung für einen Sklaven und einen Freigeborenen, und wegen ihrer Beschäftigung für einen Soldaten und einen Bauern, wegen ihrer Verfassung auch für einen Liebenden und einen klar Denkenden, und wegen ihrer Herkunft sind die Worte des Spartaners knapp und klar, anders als jene des Atheners, die redselig sind]. 950 Die von Nøjgaard (1967, 303) diagnostizierte Kritik am Heroenkult, die die Grundlage der Erzählung bilde, stellt meines Erachtens nicht das Hauptthema dar. Die Tatsache, dass Babr. 15 sich eher darum dreht, wie jemand etwas sagt, als darum, was gesagt wird, spricht dafür, dass die Rhetorik als solche im Mittelpunkt steht und die mythologische Erzählung – eingebettet in eine bekannte Rahmenhandlung – eher als ‚Aufhänger‘ für diese Reflexion dient.

Babr. 16

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staltung der Rede trotzdem als überlegen darzustellen. Eine rhetorisch geschickt komponierte Argumentation kann folglich nur durch den Rekurs auf die Realität ausgehebelt werden. Eine solche Kontrastierung der rhetorisch-literarischen mit der realen Sphäre ist neben Babr. 15 auch in zahlreichen anderen analysierten Fabeln präsent.951 Für den vorliegenden Fall kann der Rahmen antiker Rhetorikübungen eine Deutung bieten: Durch den Vergleich mit entsprechenden Parallelen stellt sich die Frage, ob Babr. 15 nicht im Kontext der Übungsaufgaben zeitgenössischer Rhetorenschulen zu sehen ist. Die Fabel könnte dabei ein Beispiel für eine Prosopopoiie sein, etwa nach der Vorgabe: ‚Wie würde ein Gespräch zwischen einem Athener und einem Thebaner über Lokalheroen aussehen?‘952 Der mögliche Inhalt einer solchen Aufgabe – die Gegenüberstellung von Theseus und Herakles – ist bei den Rhetoren der Zeit belegt.953 Der Rekurs auf die Realität ist im Rahmen einer rhetorischen Übung nicht zwingend nötig bzw. im Falle der hier thematisierten Prosopopoiie sogar unmöglich – eine solche kann niemals vera, sondern lediglich verisimilia erschaffen. So gibt es einen Platz für eine Rhetorik, die sich konkret auf die Lebenswelt der Menschen bezieht; genauso verbreitet und im Laufe der Kaiserzeit zunehmend beliebt ist aber auch jene Art von Rhetorik, die sich als Spiel mit der Realität sieht und als Selbstzweck im Sinne eines ‚was wäre, wenn …‘ entsteht: Im Kontext der Zeit ist die vorliegende Fabel eindeutig als Illustration für letztere zu sehen. In diesem Sinne betreibt der Autor hier also Literaturkritik, was ihren metaliterarischen Charakter im Kontext der Fabelsammlung unterstreicht. 6.19 Babr. 16 Ἄγροικος ἠπείλησε νηπίῳ τίτθη κλαίοντι· „παῦσαι, μή σε τῷ λύκῳ ῥίψω.“ ὁ λύκος δ’ ἀκούσας τήν τε γραῦν ἀληθεύειν νομίσας ἔμεινεν ὡς ἕτοιμα δειπνήσων, ἕως ὁ παῖς μὲν ἑσπέρης ἐκοιμήθη,

5

951 Unter anderem in Babr. 14 (vgl. Kap. 6.17), die der Fabel in A direkt vorangeht; vgl. dazu Kap. 5.4. 952 Luzzatto (1975a, 69–70) plädiert ebenfalls für eine solche Verbindung der Fabel mit der Rhetorikkunst. Sie führt die Fabel auf die antike rhetorische Synkrisis zurück, für die der Vergleich zwischen Theseus und Herakles das älteste und bekannteste Beispiel ist. 953 Vgl. die genannten Beispiele unter Punkt 4; daneben finden sich sowohl lexikalische als auch inhaltliche Parallelen zur allgemeinen und schulischen Literatur der Zeit, die Rhetorik(-theorie) behandeln, so etwa bei Aelius Theon. Weitere Bezüge zu Redewettkämpfen, etwa bei Theokrit und Alkiphron, die eine poetologische Dimension in Verbindung mit dem Motiv der ‚Süße‘ der Dichtung bzw. des Gesprächs nahelegen, stellen eine Verbindung zwischen dem poetischen Anspruch, der auch in anderen Gedichten bei Babrios an den Tag gelegt wird, und dem Genre der Rhetorik, dem der Stoff der Fabel entnommen ist, her; vgl. dazu Kap. 4.3.

276 αὐτὸς δὲ πεινῶν καὶ λύκος χανὼν ὄντως ἀπῆλθε νωθραῖς ἐλπίσιν παρεδρεύσας. λύκαινα δ’ αὐτὸν ἡ σύνοικος ἠρώτα· „πῶς οὐδὲν ἄρας ἦλθες, ὥσπερ εἰώθης;“ ὁ δ’ εἶπε „πῶς γάρ, ὃς γυναικὶ πιστεύω;“

Kommentar

10

Eine Landbewohnerin drohte einem Kleinkind – sie war seine Amme –, weil es weinte: „Hör auf! Auf dass ich dich nicht dem Wolf vorwerfe.“ Der Wolf hatte dies gehört und in der Meinung, die Alte sage die Wahrheit, verblieb er, um das vorbereitete Mahl zu verspeisen, [5] bis das Kind dann aber abends einschlief und er selbst hungrig und wahrlich als ‚Wolf mit klaffendem Maul‘ fortging, nachdem er törichten Hoffnungen aufgesessen war. Die Wölfin, die mit ihm zusammenwohnte, fragte ihn: „Warum bist du gekommen, ohne etwas gebracht zu haben, wie du es sonst gewohnt warst?“ [10] Er aber sagte: „Wie sollte ich denn, der ich einer Frau vertraue?“

1) Gliederung vv.1–5 Haupthandlung 1. vv.1–2: Exposition und Actio 1 – Eine Amme droht einem Kleinkind, es dem Wolf vorzuwerfen, wenn es nicht zu weinen aufhört. vv.3–4: Reactio 1 – Der Wolf hört die Drohung der Amme und wartet im Glauben, dass diese sich erfüllen werde, auf seine Mahlzeit. v.5: Actio 2 – Die Drohung wird nicht wahr gemacht, das Kind schläft ein. vv.6–10 Haupthandlung 2. vv.6–7: Reactio 2/Exposition 2 – Der Wolf kehrt hungrig nach Hause zurück. vv.8–9: Actio 3 – Die Wölfin fragt den Wolf, warum er keine Beute mitbringe. v.10: Reactio 3 – Antwort des Wolfs, er habe keine Beute gemacht, weil er einer Frau vertraut habe. 2) Kommentar v.1  ἠπείλησε: Auf das Verb ἀπειλέω (‚bedrohen; drohen‘) kann neben dem Akkusativ auch ein Dativ der Person folgen.954 v.2  παῦσαι: Hier überliefert A παῦσαι, Π3 jedoch σίγα. In der Forschung wird die Frage ohne Entscheidung für eine Lesart diskutiert;955 lexikalische Argumente scheinen für die die Lesart in A zu sprechen: παῦσαι am Beginn von Babr. 16 spielt auf Babr. 15,13 an, wo πέπαυσο eine prominente 954 So etwa in Hom. Od. 20,272; Hdt. 1,128; Xen. Kyr. 6,3,27; Demosth. or. 8,62. 955 Während Perry (1965, 26) die Version des Papyrus bevorzugt, plädieren Luzzatto/La Penna (1986, 18) für die Lesart in A.

Babr. 16

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Position am Ende des Gedichts einnimmt.956 Die gezielte Verbindung aufeinanderfolgender Fabeln durch Schlüsselwörter stellt ein Gestaltungprinzip der Fabeln in den Mythiamboi dar.957 Daher wurde, auch im Sinne der Einheitlichkeit, die Lesart von A übernommen, wenngleich die Frage offenbleiben muss.958 v.2  μή […] ῥίψω: μή mit Konjunktiv Aorist ist hier sowohl final (‚damit nicht‘) als auch konsekutiv (‚sodass nicht‘) zu verstehen. Eine Verbindung mit dem Imperativ war beispielsweise in der griechischen Komödie gängig.959 v.9 εἰώθης: Plusquamperfekt zum Perfekt εἴωθα (‚gewohnt sein‘). Parallelen: Aisop. 158 P.; Aphth. 39; Avian. 1; PAmh 2,26 3) Analyse Nach Babr. 15, einer Fabel, die im menschlichen Milieu spielt,960 treffen in Babr. 16 wieder Menschen und Tiere aufeinander. Es handelt sich um eine Doppelfabel mit zwei Handlungssträngen und zwei Schauplätzen, verbunden durch die Figur des Wolfs.961 Sie kann in zwei Teile zu je fünf Versen gegliedert werden, wobei der erste (vv.1–5), der die Exposition, Actio 1, Reactio 1 und Actio 2 umfasst, die Vorgeschichte bzw. die Grundlage für die Handlung des zweiten (vv.6–10) bildet, der die Reactio 2, Actio 3 sowie Reactio 3 der Fabel wiedergibt. Die Exposition führt in die Situation ein: Eine Amme (τίτθη), die am Beginn des ersten Verses als Landbewohnerin (ἄγροικος) bezeichnet wird, droht ihrem weinenden Schützling (νηπίῳ […] κλαίοντι, vv.1–2), den das Partizip κλαίοντι am Beginn von v.2 charakterisiert. Die Kohäsion dieser beiden Verse wird sowohl durch das Enjambement in v.2 sowie durch die parallele und ineinander verschränkte Stellung der jeweiligen Attribute zu den beiden Personen (ἄγροικος – νηπίῳ – τίτθη – κλαίοντι) geschaffen – Letzteres könnte zudem die Bindung des Kindes zu seiner Amme ausdrücken. Deren Drohung wird in v.2b in direkter Rede wiedergegeben: Sie gebietet dem Kind, mit dem Weinen aufzuhören (erkennbar am Imperativ Aorist παῦσαι.962 Die hypothetische Konsequenz weiteren Ungehorsams folgt sogleich mit μή σε τῷ λύκῳ ῥίψω (v.2): Die Amme werde das Kind dem Wolf zum Fraß vorwerfen.

956 957 958 959 960 961 962

Zu Babr. 15 vgl. Kap. 6.18. Zur lexikalischen Verbindung der Fabeln vgl. Kap. 3.2 sowie Holzberg 2019, 23. Vgl. Vaio 2001, 39–41. So beispielsweise in Athen. 14,17 (Eubulos); Men. Sent. 358; Zon. 2,1168 (Kratinos). Zu Babr. 15 vgl. Kap. 6.18. Wölfe finden sich in den Mythiamboi auch noch in Babr. 53, 89, 94, 96, 100, 101, 105, 122, 130 und 132. Zur Verbindung zu πέπαυσο in Babr. 15,13 vgl. den Kommentar zu v.2 (παῦσαι). Daneben korrespondiert ἄγροικος mit der ἀγρίῃ μούσῃ des Thebaners in Babr. 15,12.

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Kommentar

In den darauffolgenden vv.3–4 tritt der genannte Wolf als weiterer Akteur in Erscheinung: Seine Position in der Auflösung im ersten Versfuß markiert seinen Auftritt und seine Bedeutung für die Handlung. Er hat das Gespräch der beiden mitangehört (ἀκούσας, v.3) und wartet nun (ἔμεινεν, v.4) im Glauben, die Amme habe ihre Worte ernst gemeint, auf das in Aussicht gestellte Mahl (ὡς ἕτοιμα δειπνήσων, v.4). Wiede­ rum sind die beiden Verse durch ein Enjambement miteinander verbunden: νομίσας am Beginn von v.4 zeigt, dass der Wolf nicht auf der Basis von Faktenwissen agiert, sondern die Worte der Amme für bare Münze nimmt (τήν τε γραῦν ἀληθεύειν, v.3). Die Position des Aoristpartizips in der Auflösung im ersten Versfuß spiegelt dabei ὁ λύκος in v.3 und unterstreicht so diesen Umstand zusätzlich. Auch die Bezeichnung ἕτοιμα963 für den Zögling sowie das Futurpartizip δειπνήσων (v.4) lassen keinen Zweifel daran, dass der Wolf mit der Intention wartet, das Kind als Beute zu verspeisen. ἕτοιμα beschreibt sein Handeln dabei genauer und gibt einen Einblick in die wölfische Psyche:964 Der Begriff impliziert, dass der Wolf das Kind als leichte Beute ansieht, die wie eine zubereitete Mahlzeit für ihn bereitgestellt wird. Anhand dieser Darstellung zeigt sich die Fokalisierung des Erzählten durch den Wolf, die sich im darauffolgenden zweiten Teil der Fabel fortsetzen wird. Die Hoffnung des Wolfs auf eine mühelose Jagd findet allerdings ein jähes Ende: Es wird Abend (ἑσπέρης, v.5) und das Kind schläft ein (ὁ παῖς μὲν […] ἐκοιμήθη, v.5). Die Prägnanz und Dynamik der Szene wird an der Verwendung der Tempora ersichtlich: Die Exposition präsentiert mit einem ersten Aorist (ἠπείλησε, v.1) den Ist-Zustand; in der Folge treten ausschließlich nicht-indikative Verbformen (Partizipien, Imperative, Konjunktive) sowie ein Imperfekt (ἔμεινεν, v.4) auf, wodurch das Bild weiter ausdifferenziert wird. Erst mit ἕως und dem Aorist ἐκοιμήθη in v.5 gewinnt die Handlung an Dynamik, die sich im zweiten Teil des Gedichts fortsetzt. Die Kommunikation zwischen Mensch und Tier im ersten Handlungsstrang beschränkt sich auf das einseitige Belauschen des menschlichen Gesprächs durch den Wolf; ein wirklicher Austausch findet dagegen nicht statt. Dies hat wiederum eine entscheidende Bedeutung für die Auflösung der Fabel.965 Im zweiten Teil der Fabel folgt der Blick dem Wolf, der in den vv.6–7 als Reaktion auf das Einschlafen des Kindes (vgl. die Korrelativpartikel μέν – δέ: ὁ παῖς μὲν – αὐτὸς δὲ) hungrig (πεινῶν, v.6) und ohne Beute den Rückzug antritt. Erneut stellt ein Enjambement den Zusammenhang zwischen den beiden Versen her; mit dem Aorist ἀπῆλθε am Beginn von v.7 wird ein Ortswechsel vollzogen und zum Schauplatz der folgenden 963 Das Adjektiv ἑτοῖμος (oder in einer späteren Form, ἕτοιμος [‚bereit, bereitet‘]) wird in der Bedeutung ‚zubereitet‘ häufig für Speisen verwendet – so wird es bei Herodot (1,119) auf Fleisch bezogen, bei Theokrit (eid. 13,63) auf das Mahl als solches. In Euripides’ Kyklops (357) werden damit die Gliedmaßen der Menschen bezeichnet, die der Protagonist verspeist. 964 Zum psychologisierenden Charakter der Passage vgl. auch Nøjgaard 1967, 273. 965 Den Hinweis auf diesen für das Verständnis der Fabel essenziellen Aspekt habe ich von Hedwig Schmalzgruber bekommen; ihr sei herzlich dafür gedankt.

Babr. 16

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Handlung übergeleitet. Der Wolf wird dabei durch πεινῶν und χανὼν (v.6) in seiner neuen Lage beschrieben. Die Bezeichnung λύκος χανὼν ὄντως (v.6), ‚der Wolf mit dem klaffenden (= leeren) Maul‘, geht auf eine Redewendung zurück, die vermutlich aus dem Bereich der Komödie stammt und Personen beschreibt, die sich falsche Hoffnungen machen, welche sich letztlich nicht erfüllen.966 Somit wird der Wolf buchstäblich zur Verkörperung eines geflügelten Wortes: Durch sein eigenes Beispiel illustriert er die Bedeutung dieser Wendung. Auffällig ist auch hier die Fokalisierung der Darstellung: Es wird berichtet, der Wolf sei ‚trägen (= vergeblichen und daher törichten) Hoffnungen aufgesessen‘ (νωθραῖς ἐλπίσιν παρεδρεύσας, v.7), was aus der Sicht des Wolfs, des Erzählers und des Lesers zutreffend ist. Die Verbalform παρεδρεύσας verbindet Babr. 16 an dieser Stelle lexikalisch mit der folgenden Fabel Babr.  17, die mit ἐνεδρεύων im ersten Vers beginnt.967 Die Konnotation des Adjektivs νωθρός (‚träge‘), das geistige Zustände (etwa Faulheit, Dummheit etc.) näher beschreibt,968 legt nahe, dass hier aus Sicht des Erzählers eine Beurteilung vorgenommen wird – die Hoffnungen des Wolfs sind töricht. Die vv.6–7 lesen sich wie das pointierte Ende einer Fabel, der eine moralische Wertung bzw. eine Verallgemeinerung, ähnlich einem Epimythion, angefügt ist. Ein Leser könnte erwarten, dass die Erzählung hier endet; umso überraschender, dass die Fabel in den vv.8–10 fortgeführt wird. Der Schauplatz der Handlung wird indirekt über die Beschreibung des zweiten Akteurs ausgestaltet: Die Wölfin (λύκαινα, v.8) wird als seine ‚Mitbewohnerin‘ (σύνοικος, v.8) bezeichnet, man kann also davon ausgehen, dass sich die folgende Handlung im οἶκος der beiden abspielt. Die Wölfin stellt dem heimkehrenden Wolf eine Frage (αὐτὸν 966 So etwa in Aristoph. Lys. 629; Athen. 14,17 (Eubulos); Men. Asp. 372; Lukian. Gallus 11; Diogenian. 6,20. Die Suda liefert zwei Erklärungen (s. v. Λύκος χανών, bzw. s. v. Λύκος ἔχανεν), die das Scheitern des Wolfes als zentral hervorheben: Λύκος χανών: ἐπὶ τῶν ἀπράκτων. Αἰλιανός· ὁ δὲ ἐδεῖτο τοῦ θεοῦ ἐπικουρῆσαί τε αὐτῷ καὶ λύκους κεχηνότας ἀναφῆναι τοὺς τὰ ἐκείνου ἑαυτοῖς καταγράφοντας, ἵνα μὴ αὐτὸς ὄφλῃ γέλωτα ἄλλοις, ἀλλ’ ἐκεῖνοι αὐτῷ [‚Klaffender‘ Wolf. Eine Redewendung in Bezug auf nicht erfolgreiche Personen oder Dinge. Ailianos schreibt: Er bat den Gott darum, ihm zur Seite zu stehen und jene als ‚klaffende Wölfe‘ aufzuzeigen, die dessen Besitztümer für sich selbst veranschlagen, damit er nicht selbst für die anderen zum Lachobjekt werde, sondern jene für ihn]; Λύκος ἔχανεν: ἐπὶ τῶν ἐλπιζόντων μέν τι ἕξειν, διαμαρτόντων δὲ τῆς ἐλπίδος. λέγουσι δὲ τὸν λύκον, ἐπειδὰν ἁρπάσαι τι βούληται, κεχηνότα παραγίνεσθαι ἐπ’ αὐτό. ὅταν οὖν μὴ λάβῃ ὃ προαιρεῖται, κατὰ κενοῦ αὐτὸν χανεῖν φασιν. ἐπὶ τῶν συνελπιζόντων χρηματιεῖσθαι, διαμαρτανόντων δὲ λέγουσιν. Ἀριστοφάνης Θεσμοφοριαζούσαις β’ [Ein Wolf ‚klaffte‘. Eine Redewendung in Bezug auf jene, die hoffen, etwas zu bekommen, aber darin versagen, das Objekt ihrer Hoffnung zu erlangen. Man sagt, dass der Wolf, wenn er etwas rauben will, dorthin mit aufgerissenem Maul kommt. Wenn er also nicht fasst, was er sich vorher aussucht, sagt man, dass er in die Leere ‚klafft‘. Man sagt es in Bezug auf jene, die hoffen, Geld zu machen, aber scheitern. Aristophanes in den Thesomophoriazusen II]. Die erwähnte Komödie Thesmophoriazusen II ist heute verloren, der Ausdruck findet sich jedoch auch an anderen Stellen; vgl. Aristoph. Lys. 629. 967 Vgl. Kap. 6.20; zu dieser Art der Verbindung der einzelnen Fabeln und ihrer Rolle für die Bewertung der Sammlung als antikes Gedichtbuch vgl. Kap. 3.2. 968 Etwa in Plat. Tht. 144B; Aristot. probl. 954A31; Pol. 31,23,11; 3,90,6.

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Kommentar

[…] ἠρώτα, v.8), die in v.9 in direkter Rede ausformuliert wird: „πῶς οὐδὲν ἄρας ἦλθες, ὥσπερ εἰώθης;“ Dies legt nahe, dass der Wolf gewöhnlicher Weise (εἰώθης) Nahrung beschafft und mit Beute nach Hause zurückkehrt. Ob in der Frage der Wölfin eine Anschuldigung anklingt, lässt sich an der Formulierung nicht festmachen; die Rahmensituation, in der sie darauf wartet, dass er mit Futter nach Hause kommt, würde dies jedoch nahelegen. Die Antwort des Wolfs auf ihre Frage – ebenfalls in direkter Rede formuliert (ὁ δ’ εἶπε, v.10) – fällt knapp aus: „πῶς γάρ, ὃς γυναικὶ πιστεύω;“ – wie solle er denn, da er einer Frau Glauben schenke? Die beiden Reden sind durch das parallele πῶς jeweils am Beginn der Frage aufeinander bezogen. Mit γυναικί in v.10 ist erneut die Amme des ersten Teils der Fabel gemeint, wodurch beide Handlungen am Ende des Gedichts zusammenlaufen. Das abschließende πιστεύω (v.10) subsumiert gleichsam den Inhalt des gesamten Gedichts aus der Sicht des Wolfs – es handelt vom Vertrauen und dessen Gefahren. Auch wenn hier der nötige Raum fehlt, um diesen Punkt ausführlich zu behandeln, sei kurz auf die Kommunikation zwischen den beiden Tieren im Vergleich zur bereits erwähnten Kommunikationssituation im ersten Teil der Fabel verwiesen: Wolf und Wölfin – die beiden werden annähernd menschlich beschrieben – treten in ein Gespräch miteinander. Die Wölfin stellt eine Frage, der Wolf reagiert darauf. Durch die Antwort des Wolfs wird auf die erste Szene und ihre Kommunikationssituation verwiesen  – wirkliche Kommunikation findet dort nämlich nicht statt  –, wodurch ein Vergleich der beiden Situationen angeregt wird. Die Bezeichnung γυναικὶ referiert konkret auf die Menschenfrau, die Amme des Kindes, während die Wolfsfrau, die λύκαινα, als σύνοικος (v.8), nicht als γυνή bezeichnet wird.969 Dieser Unterschied zwischen Mensch und Tier im Hinblick auf die erfolgreiche Kommunikation ist für das Verständnis der Fabel zentral – zwischen Mensch und Tier funktioniert sie in Babr. 16 nicht, zwischen Tier und Tier sehr wohl. Die Kommunikation zwischen den zwei Wölfen spielt sich dabei an einem eigenen, von der ersten Handlung getrennten Schauplatz ab, wodurch die beiden Szenen als örtlich und zeitlich voneinander unabhängige und – wie sich noch zeigen wird – durchaus gegensätzliche Kommunikationssituationen wahrgenommen werden können. 4) Parallelen Drei antike Bearbeitungen des Fabelstoffs sind bekannt: in der Collectio Augustana, in der Fabelsammlung des Aphthonios von Antiochia (4. bzw. 5. Jahrhundert) und in den Fabeln Avians.

969 Auf diesen Umstand ist es zurückzuführen, dass die Fabel keine allgemein misogyne Aussage illustriert, wie etwa Nøjgaard (1964, 534 sowie 1967, 435) andeutet, denn nicht die Unterscheidung zwischen Mann und Frau, sondern die zwischen Mensch und Nicht-Mensch ist entscheidend.

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Der Vergleich mit der Version in der Collectio Augustana970 verdeutlicht mehrere Unterschiede in der Umsetzung des Stoffs: Einerseits wird die Perspektivierung in den beiden Bearbeitungen verschieden gehandhabt; Aisop. 158 P. wird gänzlich aus der Sicht des Wolfs erzählt, in Babr. 16 tritt dieser hingegen erst in v.3 in Erscheinung, davor liegt der Fokus auf Kind und Amme. Andererseits bietet Aisop. 158 P. ein statisches Bild mit einem Schauplatz, in Babr. 16 bleibt die Dynamik der Erzählung jedoch durch die zahlreichen direkten Reden, den Perspektivenwechsel von Mensch zu Tier971 sowie die Einführung eines zweiten Schauplatzes aufrecht. Die babrianische Doppelfabel führt als zusätzlichen Akteur die Wölfin ein und stellt eine ausführlichere und dynamischere Bearbeitung desselben Stoffes dar; mangels eines antiken Vorbildes könnte man diese Erweiterung Babrios selbst zuschreiben.972 Die beiden weiteren Parallelbearbeitungen, Aphth. 39 und Avian. 1, sind nachweislich in der Nachfolge der Mythiamboi entstanden. Aphth. 39973 vereint dabei Eigenschaften der beiden beschriebenen Versionen: Zwar bleibt die Fabel stofflich der Vorlage aus der Collectio Augustana mit deren Einzelschauplatz treu, jedoch ist der multiperspektivische Blick auf die Handlung nach dem Vorbild von Babr. 16 gestaltet.

970 Aisop. 158 P.: ΛΥΚΟΣ ΚΑΙ ΓΡΑΥΣ. λύκος λιμώττων περιῄει ζητῶν ἑαυτῷ τροφήν. ὡς δὲ ἐγένετο κατά τινα ἔπαυλιν, ἀκούσας γραὸς παιδὶ κλαίοντι ἀπειλουμένης, ἐὰν μὴ παύσηται, βαλεῖν αὐτὸν τῷ λύκῳ, προσέμενεν οἰόμενος ἀληθεύειν αὐτήν. ἑσπέρας δὲ γενομένης ὡς οὐδὲν τοῖς λόγοις ἀκόλουθον ἐγένετο, ἀπαλλαττόμενος ἔφη· „ἐν ταύτῃ τῇ ἐπαύλει οἱ ἄνθρωποι ἄλλα μὲν λέγουσιν, ἄλλα δὲ ποιοῦσιν.“ οὗτος ὁ λόγος ἁρμόσειεν ἂν πρὸς ἐκείνους τοὺς ἀνθρώπους, οἳ τοῖς λόγοις ἀκόλουθα τὰ ἔργα οὐκ ἔχουσιν [Der Wolf und die Alte. Ein hungernder Wolf ging umher auf der Suche nach Nahrung für sich. So gelangte er zu einem Landhaus, hörte dort, wie eine Alte einem weinenden Kind drohte, es dem Wolf vorzuwerfen, wenn es nicht aufhöre, und wartete dort im Glauben, sie sage die Wahrheit. Als es Abend geworden und den Worten nichts gefolgt war, machte er sich davon und sagte: „In diesem Haus sagen die Menschen das Eine, tun aber das Andere.“ Diese Fabel passt wohl zu jenen Menschen, die ihren Worten keine Taten folgen lassen]. 971 Zum mehrfachen Perspektivenwechsel in dieser Fabel vgl. Nøjgaard 1967, 243; 285. 972 Auch die durch die Epimythia nahegelegten Deutungsanleitungen weichen wesentlich voneinander ab – in der Collectio Augustana wird die Fabel auf Personen bezogen, die ihren Worten keine Taten folgen lassen, in Babr. 16 dagegen beklagt der Wolf seine Gutgläubigkeit einer Frau gegenüber – und verdeutlichen so die unterschiedliche Herangehensweise an denselben Stoff. 973 Aphth. 39: ΜΥΘΟΣ Ο ΤΗΣ ΤΡΟΦΟΥ ΚΑΙ ΤΟΥ ΛΥΚΟΥ ΠΑΡΑΙΝΩΝ ΜΗ ΕΛΠΙΔΙ ΜΕΝΕΙΝ ΠΡΟ ΕΚΒΑΣΕΩΣ. τηθὴν ἐλύπει δακρύον παιδίον. ὡς δὲ ἐνοχλούμενον οὐκ ἐπαύετο, ἠπείλει λύκῳ παραβαλεῖν, εἰ μὴ παύσαιτο. λύκος δέ τις παρατυχὼν ἔμενε τὸν λόγον ἐκβῆναι πρὸς ἔργον. καὶ τὸ μὲν παιδίον ἐδεδώκει πρὸς ὕπνον. κενὸς δὲ ὁ λύκος ἀπεχώρει θήρας τῆς τε παρούσης καὶ τῆς ἀλλαχόθεν ἐλπιζομένης γενήσεσθαι. ἄπορον ἐλπὶς μὴ προσλαβοῦσα τὴν ἔκβασιν [Fabel von der Amme und dem Wolf, die rät, bei einer Hoffnung nicht vor dem Ausgang zu bleiben. Ein weinendes Kleinkind bereitete einer Amme Ärger. Weil es sie störte und nicht aufhörte, drohte sie, es dem Wolf vorzuwerfen, wenn es nicht aufhöre. Ein Wolf, der gerade in der Nähe war, wartete darauf, dass das Wort zur Tat übergehe. Und da hatte sich das Kleinkind dem Schlaf hingegeben. Der Wolf aber ging mit leeren Händen davon, obwohl die Jagdbeute dort war und auch die Hoffnung bestand, dass sie von anderswoher kommen könnte. Ausweglos ist die Hoffnung, die keinen klaren Ausgang nimmt].

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Kommentar

Anders verhält es sich mit der Bearbeitung Avians.974 Hier wurde der Stoff, die erweiterte Version der Erzählung und die Perspektivierung von Babr. 16 übernommen; die Eigenleistung Avians zeigt sich in der Umsetzung des zweiten Handlungsstrangs: Das Gespräch zwischen Wolf und Wölfin ist dort deutlich ausgebaut. Der Wolf legt die Vorgeschichte ausführlich dar, damit die Wölfin die gegebene Situation nachvollziehen kann; in Babr. 16 liegt der Fokus weniger auf dem Verständnis der Wölfin als vielmehr auf dem Leser, der die Handlung im ersten Teil der Fabel mitverfolgt hat und daher keine Wiederholung der Ereignisse benötigt. Abgesehen von diesen Parallelen wurde neben Babr. 11 auch für Babr. 16 eine lateinische Übersetzung auf einem Papyrus (PAmh 2,26)975 aus dem dritten oder vierten Jahrhundert gefunden, die für ihre Deutung jedoch nichts Substanzielles beiträgt.976 Der Text der Übersetzung ist nicht vollständig erhalten und beginnt mit v.3 der Fabel.977

974 Avian. 1: De Nutrice et Infante. Rustica deflentem parvum iuraverat olim, | ni taceat, rabido quod foret esca lupo. | credulus hanc vocem lupus audiit et manet ipsas | pervigil ante fores, irrita vota gerens. | [5] nam lassata puer nimiae dat membra quieti, | spem quoque raptori sustulit inde fames. | hunc ubi silvarum repetentem lustra suarum | ieiunum coniunx sensit adesse lupa: | „cur, inquit, nullam referens de more rapinam, | [10] languida consumptis sed trahis ora genis?“ | „ne mireris, ait, deceptum fraude maligna | vix miserum vacua delituisse fuga. | nam quae praeda, rogas, quae spes contingere posset, | iurgia nutricis cum mihi verba darent?“ | [15] haec sibi dicta putet seque hac sciat arte notari, | femineam quisquis credidit esse fidem [Die Amme und das Kind. Eine Landbewohnerin hatte einem weinenden Kleinen einst geschworen, dass er Futter für den rasenden Wolf würde, wenn er nicht schweige. Gutgläubig hörte der Wolf dieses Wort und blieb wachsam vor dem Tor und trug vergebliche Wünsche mit sich. [5] Denn der Knabe gab seine erschöpften Glieder der tiefen Ruhe hin, und der Hunger raubte dem Jäger dadurch die Hoffnung. Sobald seine Frau Wölfin bemerkte, dass dieser die Höhle seines Waldes wieder aufsuchte und hungrig anwesend war, sagte sie: „Wa­ rum bringst du gar keine Beute mit, wie gewohnt, [10] sondern schleppst dein mattes Gesicht mit ausgezehrten Wangen daher?“ „Wundere dich nicht“, sagte er, „dass ich, der ich von bösartigem Trug getäuscht wurde, ich Ärmster, mich kaum davonstehlen konnte und die Flucht beutelos war. Denn welche Beute, fragst du, welche Hoffnung könnte gelingen, wenn mich die Drohworte einer Amme täuschten?“ [15] Dass dies ihm gesagt wurde und dass er mit dieser Lehre bezeichnet wird, soll glauben, wer auch immer an die Zuverlässigkeit einer Frau glaubt]. 975 Vgl. Kap. 2.2. 976 Für weitere Informationen zu lateinischen Übersetzungen der Babriosfabeln vgl. die Ausführungen zu Babr. 11 (Kap. 6.14) und 17 (Kap. 6.20). 977 luppus (sic!) autem auditus anucellam uere dictu[m | putatus m[a]nsit quasi parata cenaret | dum puer quidem sero dormisset | ipse porro esuriens et luppus enectus uer[e | rediuit frigiti spebus frestigiatur | luppa enim eum coniugalis interrogabat | quomod[o n]ihil tulitus uenisti s[i]cut sole[bas | et ille [dix] it quomodo enim quis mulieri cr[edo. [Weil der Wolf (dies) aber gehört und geglaubt hatte, dass die Dienerin wahr gesprochen habe (?), blieb er, als ob er bereitete Speisen verzehren würde, so lange, bis der Knabe schließlich spät eingeschlafen war. Der Wolf selbst aber kehrte dann hungernd und wahrlich entkräftet zurück, er wurde von toten Hoffnungen … (?). Jedenfalls fragte ihn die Wölfin, seine Ehefrau: „Warum bist du gekommen, ohne etwas zu bringen, so wie du es gewohnt warst?“ Und jener sagte: „Wie (sollte ich) denn, der ich einer Frau glaube?“] Text nach Grenfell/Hunt 1901; Ihm 1902; Kramer 2007, 45; vgl. Radermacher 1902, 142–144.

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5) Gesamtbetrachtung Formal fällt Babr. 16 besonders durch die strenge Struktur und den sprachlichen Zusammenhalt auf: Zwei gleich lange und parallel konstruierte Teile demonstrieren die Raffinesse des Aufbaus ebenso wie die häufige Verwendung von Enjambements in Verbindung mit Verbformen, die dem Gedicht Kohäsion verleihen und so trotz Schauplatzwechsels eine kompakte Erzählung ermöglichen. Inhaltlich wird durch die abschließende Aussage des Wolfs nahegelegt, das zentrale Thema der Fabel wäre blindes Vertrauen. Auch die Parallelbearbeitungen und deren Epimythia weisen auf die unglücklichen Folgen hin, die Vertrauen in die falsche Person haben kann. Doch ist der Deutungskontext in Babr. 16 durch die Einführung eines zweiten Handlungsstrangs im Gegensatz zu parallelen Bearbeitungen erweitert. Durch diese Erweiterung und Kontrastierung mit einer zweiten Szene gelingt es dem Autor, den Fokus von einem eher moralphilosophischen Problem auf eine sehr viel abstraktere Thematik, der Kommunikation im Allgemeinen, zu lenken und damit eine Umdeutung des Fabelstoffs zu erreichen. Der Leser erkennt, dass nicht nur die Gutgläubigkeit des Wolfs, sondern auch die gescheiterte Kommunikation zwischen ihm und seiner ‚Gesprächspartnerin‘ zum Misserfolg geführt hat. Während das Gespräch der beiden Wölfe die Umstände funktionierender Kommunikation illustriert, fehlt diese Komponente im ersten Teil. Der ebenfalls präsente misogyne Unterton stellt, anders als durch die Schlussrede des Wolfs suggeriert, nicht das Hauptthema dar; vielmehr steht die Kommunikation zwischen Wolf und Menschenfrau als der Punkt, an dem sein Vorhaben scheitert, im Fokus. Dieses Scheitern sowie die Erzählung als Ganzes greifen dabei einen Diskurs auf, dem andernorts in den Mythiamboi ebenfalls Raum gegeben wird – jenem über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier in der Fabel.978 Entgegen der Annahme, dass die Kommunikation an der Sprachbarriere zwischen Tieren und Menschen scheitern könnte, wird in dieser Fabel klar, dass der Wolf die Drohung der Amme auf sprachlicher Ebene durchaus versteht und sich entsprechend verhält; der Bruch in der Kommunikation der beiden vollzieht sich jedoch auf der Ebene der Bedeutung, die diese Drohung als Zeichen erhält. Zu keiner Zeit bezweckt die Amme ihre Drohung in die Tat umzusetzen, sie dient als Überzeugungsmittel. Der Wolf versteht dies jedoch nicht, da er, obwohl er die Sprache mit den Menschen teilt, offensichtlich ihr sprachliches Zeichensystem nicht nachvollziehen kann. In diesem Sinne steht die Realität der Fabeln erneut im Gegensatz zu dem, was im ersten Prolog als Ideal dargestellt wird – Menschen und Tiere sprechen sogar untereinander, sie verstehen sich jedoch nicht.979

978 Vgl. Babr. 8 (Kap. 6.11), 9 (Kap. 6.12), 12 (Kap. 6.15), 13 (Kap. 6.16), 14 (Kap. 6.17) sowie Kap. 5.4. 979 Zur fortschreitenden Dekonstruktion des bzw. der Prologe vgl. Kap. 5.4.

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Kommentar

6.20 Babr. 17 Αἴλουρος ὄρνεις οἰκίης ἐνεδρεύων ὡς θύλακός τις πασσάλων ἀπηρτήθη. τὸν δ’ εἶδ’ ἀλέκτωρ πινυτὸς ἀγκυλογλώχιν, καὶ ταῦτ’ ἐκερτόμησεν ὀξὺ φωνήσας· „πολλοὺς μὲν οἶδα θυλάκους ἰδὼν ἤδη· οὐδεὶς δ’ ὀδόντας εἶχε ζῶντος αἰλούρου.“

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Der Kater, der den Hennen des Hauses auflauerte, hängte sich wie ein Sack an Haken auf. Den sah der kluge Hahn mit gekrümmten Krallen, und er sagte spöttisch und mit scharfer Stimme Folgendes: [5] „Viele Säcke habe ich schon gesehen und kenne ich: Aber keiner hatte die Zähne eines lebenden Katers.“

1) Gliederung v.1 Exposition – Der Kater will Hühner fangen. v.2 Actio – Er hängt sich dazu wie ein Sack auf einen Wandhaken. vv.3–4 Reactio – Der Hahn sieht dies und schmäht ihn lautstark. vv.5–6 Schluss – Rede des Hahns: Er habe bereits viele Säcke gesehen, aber keiner davon habe Zähne wie ein lebender Kater gehabt. 2) Kommentar v.2  ἀπηρτήθη: ἀπαρτάω (‚aufhängen‘) kann in der medialen Bedeutung ‚sich aufhängen‘ bzw. intransitiv ‚an etwas hängen‘ bedeuten. v.3  τὸν: Zur demonstrativen Qualität des Artikels vgl. den Kommentar zu v.4 (τὴν) in Babr. 11 (Kap. 6.14). v.3  ἀγκυλογλώχιν: Ein hapax legomenon.980 Epitheta, die auf -γλώχις/ν enden, sind vor allem in der epischen Sprache verbreitet.981 v.4  ταῦτ’ ἐκερτόμησεν: Zur Konstruktion von κερτομέω mit Accusativus cognatus, der den Inhalt des Spotts bezeichnet, vgl. den Kommentar zu v.8 (τοιαῦτ’ ἐκερτόμησεν) in Babr. 9 (Kap. 6.12). v.6  οὐδεὶς […] αἰλούρου: A überliefert die vorliegende Lesart,982 während G οὖτως εἶχεν anführt. Auf dieser Grundlage schlägt Luzzatto die Konjektur οὗτος, εἶχεν vor. Ihr Mitautor La Penna zweifelt diese Interpretation der

980 Vgl. Marenghi 1955a, 123; Luzzatto 1975a, 76; Nøjgaard 1967, 342. Vgl. Kap. 2.3. 981 So etwa bei Homer (Il. 8,297: τανυγλώχις [mit langer Spitze]; 5,393 und 11,507: τριγλώχις [dreigezackt]) und Nonnos (Dion. 1,151: πυριγλώχις [feuergezackt]; 2,676: πολυγλώχις [vielgezackt]). Die Epitheta bezeichnen jeweils Geschosse oder ähnlich spitze Gegenstände, etwa Hörner. 982 Von Crusius (1897, 23) und Perry (1965, 28) übernommen.

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Passage jedoch an, was deren Wert infrage stellt.983 Angesichts der offensichtlichen Umstellung der Wortreihenfolge zwischen den beiden Kodizes984 wird Luzzattos Konjektur in der neueren Forschung gemeinhin angezweifelt und die Konjektur ζῶντος εἶχεν von Haupt unterstützt.985 Aufgrund der unsicheren Beweislage habe ich mich hier an A orientiert, kann aber der Argumentation zugunsten von Haupts Konjektur grundsätzlich folgen. Parallelen: Aisop. 79 P.; PAmh 2,26; Phaedr. 4,2 3) Analyse Obwohl es sich um kein Tetrastichon handelt, stellt Babr. 17 neben Babr. 8 ein weiteres Gedicht dar, das in seinem Aufbau Parallelen zur antiken Epigrammatik erkennen lässt. Grundsätzlich kann es in drei Teile zu je zwei Versen unterteilt werden, wobei die vv.1–2 die Exposition und Actio des ersten Akteurs, die vv.3–4 die Reactio des zweiten Akteurs umfasst; schließlich kommt in der Rede der vv.5–6 die epigrammatische Pointe der Fabel zum Ausdruck. Die Exposition in v.1 legt die Ausgangssituation dar: Das erste Wort, αἴλουρος, führt den Kater,986 einen der beiden Akteure, ein und beschreibt ihn mittels einer Partizipialkonstruktion näher: Er will in einem Haus Hühner987 fangen und lauert ihnen deshalb auf (ὄρνεις οἰκίης ἐνεδρεύων). Das Verb ἐνεδρεύων stellt dabei einen lexikalischen Bezug zum vorhergehenden Gedicht, Babr. 16, her, wo das Partizip παρεδρεύσας (v.7) beschreibt, dass sich der Wolf vergeblich Hoffnungen auf Beute macht.988 Ein aufmerksamer Leser könnte nach der Lektüre von Babr. 16 hier also bereits am ersten Vers erkennen, dass das Vorhaben des Katers nicht von Erfolg gekrönt sein wird. Das Motiv der Hühner bzw. Vögel, die im oder beim Haus leben, findet sich bereits in Babr. 12, wo die Schwalbe die Nachtigall dazu überreden möchte, mit ihr in die Behausungen der Menschen zu kommen, sowie in Babr. 5, wo sich der unterlegene Hahn in einer Hausecke versteckt.989

983 Vgl. Luzzatto/La Penna 1986, 20. Für Luzzattos Vorschlag spricht sich lediglich Ferrari (1988, 94) in seiner Rezension der Ausgabe aus. 984 Zur Transposition als Fehlerquelle in G vgl. Vaio 1969, 158, Anm. 49; vgl. auch Husselman 1935, 110. 985 Vgl. Vaio 2001, 42; Holzberg 2019, 68. 986 Die Katze als Akteur findet sich neben Babr. 17 noch in Babr. 121 und 135. 987 Während ὄρνις in klassischer Zeit als Bezeichnung für Vögel verschiedener Arten dient, legt eine Passage bei Athenaios (373A [9,15 K]) nahe, dass ὄρνις und ἀλέκτωρ/ἀλεκτρυών in der Kaiserzeit konkret für Henne und Hahn verwendet wurden. Im vorliegenden Fall dürfte es sich bei den ὄρνεις οἰκίης also um die im Haushalt gehaltenen Hennen handeln; vgl. Rutherford 1883, 24. 988 Zu Babr. 16 vgl. Kap. 6.19. 989 Zu Babr. 5 und 12 vgl. Kap. 6.8 bzw. Kap. 6.15.

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Kommentar

V.2 gestaltet die beschriebene Situation weiter aus und führt die zentrale Handlung ein: Der Kater hängt sich auf Haken (πασσάλων ἀπηρτήθη), um die Hühner zu fangen. Dabei wird er mit einem Sack verglichen (ὡς θύλακός τις, v.2), den man normalerweise auf diese hängt. Hierbei handelt es sich um eine Anmerkung des Erzählers, wie sie sich auch in anderen besprochenen Fabeln findet. Aufgrund der Knappheit der Darstellung wird der Zusammenhang zwischen der zuvor beschriebenen Ausgangssituation und der daraus resultierenden Handlung nicht erklärt, dieser muss vom Leser erst erschlossen werden: Parallele Bearbeitungen des Stoffes erklären, dass diese Vorgehensweise gewählt wird, weil der Protagonist anders nicht (mehr) in der Lage ist, seine Beute zu erreichen.990 Die Bezeichnung θύλακος für den Kater bereitet die komisch-spottende Note des Gedichts vor, die mit der Einführung des zweiten Akteurs offenbar wird: Der Begriff bezeichnet einen Beutel zur Aufbewahrung von Lebensmitteln,991 dem ein Kater mit vollem Bauch nach erfolgreicher Jagd durchaus ähneln mag; gleichzeitig könnte der Erzähler mit dieser Wortwahl jedoch einen abschätzigen Blick auf diesen werfen,992 wie auch das Ende der Fabel nahelegt. Der folgende Abschnitt beschreibt die Reaktion des zweiten Akteurs. Die vv.3–4 betonen durch Alliterationen und Parallelismen (τὸν […] ἀλέκτωρ – ταῦτ’ ἐκερτόμησεν) folgendes Geschehen: Den Kater beobachtet ein Hahn (ἀλέκτωρ), der in v.3 als schlau (πινυτὸς) und mit krummen Krallen ausgestattet (ἀγκυλογλώχιν) beschrieben wird. Dieses Epitheton – ein weiteres in einer Reihe von zahlreichen hapax legomena, die sich bei Babrios nachweisen lassen – lässt ihn ebenso wie πινυτὸς angesichts der epischen Konnotation der beiden Adjektive993 würdevoll und erhaben erscheinen; zudem wird seine Klugheit durch die Position von πινυτὸς in der Auflösung im vierten Versfuß betont; diese Darstellung steht in gezieltem Gegensatz zur lächerlichen Figur, als die der Kater sich präsentiert.994 Der Hahn, neben seinen Hennen ebenfalls eines der Opfer, reagiert in v.4 auf den Anblick des Katers: Er verspottet diesen und seine Versuche, die Hühner zu fangen, lautstark (καὶ ταῦτ’ ἐκερτόμησεν ὀξὺ φωνήσας).995 Der Zusammenhang der beiden Verse wird durch die parallele Anordnung von Demonstrativpronomen und finiter Verbform (τὸν δ’ εἶδ’ – ταῦτ’ ἐκερτόμησεν) sowie durch die 990 Die Parallelen in der Collectio Augustana und bei Phaedrus werden im Folgenden diskutiert. 991 So etwa in Hdt. 3,46; Aristoph. Plut. 763; Diog.Laert. 6,9; Gal. 8,671. Die Suda (s. v. Θύλακος) versteht unter θύλακος einen Brotkorb oder eine Speisekammer für Brot. 992 θύλακος kann im übertragenen Sinn abschätzig für Dinge oder Personen verwendet werden, so z. B. in Plat. Tht. 161A, wo der Begriff einen ‚Dampfplauderer‘ bezeichnet. 993 Zur archaisch-homerischen Einfärbung von πινυτὸς  – so etwa in Hom. Od. 1,229  – vgl. Luzzatto 1975a, 23. Zu bemerken ist ferner, dass die Charakterisierung sich sowohl auf körperliche als auch auf geistige Eigenschaften bezieht; vgl. Nøjgaard 1967, 198. Der epische Charakter von ἀγκυλογλώχιν zeigt sich in der Endung -γλώχις/ν, die für epische Beiwörter typisch ist; vgl. dazu den Kommentar zu v.3 (ἀγκυλογλώχιν). 994 Dem Urteil Nøjgaards (1967, 260), die Charakterisierung des Hahns sei „uniquement pittoresque“, kann ich mich daher nicht anschließen. 995 Das Motiv des spottenden Hahns ist bereits aus Babr. 5 bekannt, vgl. dazu Kap. 6.8.

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Alliterationen τὸν – ταῦτ’ jeweils am Beginn der beiden Verse markiert, wodurch die Handlung auf das Wesentliche reduziert und sehr prägnant dargestellt erscheint: Der Hahn sieht den Kater, sodann verspottet er ihn. Augenfällig ist dabei die Beschreibung seines Spotts: Er spricht ὀξὺ φωνήσας (v.4). Einerseits wird durch das expressive Adverb ὀξὺ die Reaktion des Hahns anschaulicher996 und funktionalisiert sie, sein Geschrei warnt die Hennen und macht die Taktik des Katers somit zunichte; andererseits ruft die Passage inhaltlich und lexikalisch zwei bereits analysierte Fabeln auf, sofern man die vorliegende Anordnung der Sammlung zugrunde legt: Das Motiv des vernehmlich spottenden bzw. prahlenden Hahns findet sich in ähnlicher Form in Babr. 5997 – dort wird der Hahn für seine Prahlerei jedoch umgehend bestraft, indem er von einem Adler entführt wird. Lexikalisch erinnert die Formulierung ὀξὺ φωνήσας wiederum an Babr. 12, wo die Nachtigall durch das typische Epitheton ὀξύφωνος beschrieben wird und mit ihrem durchdringenden Gesang ihren verstorbenen Sohn beklagt.998 Das Adjektiv ist dort als Zuschreibung einer Stimmqualität zu verstehen, die nicht nur oberflächlich wirkt, sondern die Menschen durchdringt und im Inneren bewegt. Dass die Klage dies vermag, zeigt Babr. 12; dass auch Spott eine ähnlich bewegende Wirkung haben kann, scheint Babr. 17 nahezulegen. ταῦτ’ am Beginn von v.4 stellt schließlich die Überleitung zum letzten der drei Teile her: In den vv.5–6 wird in einer finalen direkten Rede ausgedrückt, wie der Hahn den Kater mit einer ironischen Schlussbemerkung verspottet: Er habe zwar schon viele Säcke gesehen, aber keiner habe bisher die Zähne eines lebenden Katers besessen. Besonders diese abschließende Rede lässt den epigrammatischen Charakter der Fabel erkennen, zumal sie im Unterschied zu anderen Schlussreden nicht unbedingt die Funktion eines Epimythions übernimmt, sondern in eine humorvolle Pointe endet. Die beiden Verse sind durch korrespondierende Begriffe am Versanfang sowie durch die Wortstellung (Pronomen – finite Verbform) aufeinander bezogen: πολλοὺς μὲν οἶδα (v.5) schafft die Basis, οὐδεὶς δ’ ὀδόντας εἶχε (v.6) als Antithese leitet die Auflösung und damit die Pointe ein. Die Verbformen οἶδα und ἰδὼν in v.5 verweisen auf den Auslöser der komischen Handlung, das Erblicken (εἶδ’) in v.3; das Substantiv θυλάκους nimmt schließlich Bezug auf den Vergleich in der Exposition und verbindet das Ende des Gedichts somit wieder mit dessen Beginn. Der Leser dürfte sich zu Recht fragen, was die Schlusspointe des Hahns eigentlich bedeutet bzw. was daran eigentlich komisch ist. Zugrunde liegen könnte die bildliche Vorstellung, dass eine an einem Haken aufgehängte Katze mit offenem Maul der Öffnung eines Beutels ähnelt, in dem sich Zähne befinden. Der Kater wird mit einem Behältnis aus Stoff verglichen und auch der Hahn treibt mit diesem Bild sein Spiel, wenn er die optische Wirkung der Szene thematisiert – die Häufung von Ausdrücken des 996 Vgl. Nøjgaard 1967, 261. 997 Zu Babr. 5 vgl. Kap. 6.8. 998 Zu Babr. 12 vgl. Kap. 6.15.

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Kommentar

Sehens (εἶδ’; οἶδα; ἰδὼν), verstärkt diesen Eindruck.999 Die Mehrdeutigkeit der Darstellung abhängig von θύλακος spielt ebenfalls eine Rolle – so erweckt der Kater den Anschein eines Beutels für Proviant und erscheint dadurch gleichzeitig als nicht wirklich ernst zu nehmende Figur.1000 Der Hahn thematisiert diese Darstellung auf komischspöttische Weise, weist aber am Ende seiner Rede und des Gedichts auf Folgendes hin: Auch wenn der Kater-Beutel den Eindruck eines unbelebten Gegenstands macht, so sind seine Zähne dennoch weiterhin Teil eines lebenden Tiers (ζῶντος αἰλούρου, v.6), was die Darstellung, mit der der Hahn seine Rede beschließt, für den Leser noch absurder erscheinen lässt. 4) Parallelen Parallele Bearbeitungen des Stoffs liegen in der Collectio Augustana und bei Phaedrus vor. Beiden Parallelen gemein ist im Unterschied zu Babr. 17, dass die Katze (beziehungsweise das Wiesel) nicht Hühner, sondern Mäuse fangen will und zu einem Trick greifen muss, weil diese für sie zu schnell oder zu klein sind. Die Version der Collectio Augustana1001 ist in ihrer narrativen Struktur mit Babr. 17 vergleichbar: Der Kater hängt sich auf einen Haken, um Mäuse zu fangen; diese durchschauen jedoch seinen Trick, sodass er erfolglos bleibt. Er hängt sich auf den Haken, um sich tot zu stellen und so die Mäuse aus ihrem Versteck zu locken. Hingegen wird der Grund für das Verhalten des Katers in Babr. 17 nicht näher ausgeführt, was offenbar dem Spannungsaufbau im Sinne einer Verkürzung des Erzählten dient.1002 Jedoch

999 Dass das verwendete Vokabular auf einer visuellen Ebene wirkt, wird neben der Bedeutung der Verben durch eine Parallele bei Heliodor (3,4,7) belegt, in der sich derselbe Wortlaut findet: ὦ πάτερ, θεωρεῖν αὐτοὺς καὶ ἀπόντας ᾠήθην, οὕτως ἐναργῶς τε καὶ οὓς οἶδα ἰδὼν ἡ παρὰ σοῦ διήγησις ὑπέδειξεν [O Vater, ich glaubte, sie sogar abwesend genau zu betrachten, so anschaulich hat deine Erzählung jene, die ich ja selbst kenne, dargestellt]; vgl. dazu Luzzatto 1975, 73. 1000 So etwa das Bild des ‚Dampfplauderers‘ bei Platon; vgl. dazu Anm. 992. 1001 Aisop. 79 P.: ΑΙΛΟΥΡΟΣ ΚΑΙ ΜΥΕΣ. ἔν τινι οἰκίᾳ πολλοὶ μύες ἦσαν. αἴλουρος δὲ τοῦτο γνοὺς ἧκεν ἐνταῦθα καὶ συλλαμβάνων ἕνα ἕκαστον κατήσθιεν. οἱ δὲ μύες συνεχῶς ἀναλισκόμενοι κατὰ τῶν ὀπῶν ἔδυνον, καὶ ὁ αἴλουρος μηκέτι αὐτῶν ἐφικνεῖσθαι δυνάμενος δεῖν ἔγνω δι’ ἐπινοίας αὐτοὺς ἐκκαλεῖσθαι. διόπερ ἀναβὰς ἐπί τινα πάσσαλον καὶ ἑαυτὸν ἐνθένδε ἀποκρεμάσας προσεποιεῖτο τὸν νεκρόν. τῶν δὲ μυῶν τις παρακύψας ὡς ἐθεάσατο αὐτόν, εἶπεν· „ἀλλ’, ὦ οὗτος, σοί γε, κἂν θύλαξ γένῃ, οὐ προσελεύσομαι.“ ὁ λόγος δηλοῖ, ὅτι οἱ φρόνιμοι τῶν ἀνθρώπων, ὅταν τῆς ἐνίων μοχθηρίας πειραθῶσιν, οὐκέτι αὐτῶν ταῖς ὑποκρίσεσιν ἐξαπατῶνται [Kater und Mäuse. In einem Haus waren viele Mäuse. Ein Kater wusste dies, kam dorthin, schnappte sie sich und verschlang eine jede. Die Mäuse aber versteckten sich, wenn sie gefangen wurden, ständig in ihren Löchern, und nachdem der Kater so nicht mehr in der Lage war, sie zu erreichen, erkannte er, dass er sie mit einem Trick herauslocken müsse. Deshalb kletterte er auf einen Haken, ließ sich selbst von dort herabhängen und spielte den Toten. Als eine der Mäuse aus ihrem Loch herausspähte und ihn erblickte, sagte sie: „Aber zu dir, du da, werde ich nicht kommen, auch wenn du zum Wächter geworden bist.“ Die Fabel zeigt, dass die verständigen Menschen, wenn sie mit der Schlechtigkeit einige Erfahrung gemacht haben, nicht mehr durch deren Schauspiel getäuscht werden]. 1002 Ob man mit Luzzatto/La Penna (1986, xii–xiii) so weit gehen sollte, durch einen Motivvergleich in der Version der Collectio Augustana eine kontaminierte Erzählung zu sehen und die ursprüngliche

Babr. 17

289

könnte man vermuten, dass er sich auch in der Version bei Babrios zunächst totstellen wollte, um die Beute aus der Reserve zu locken. Auffällig fehlt der Spott, der in der babrianischen Bearbeitung durch die Rede des Hahns zum Ausdruck kommt, in Aisop. 79 P. – dort ist lediglich davon die Rede, dass die intendierten Opfer auf die List des Jägers nicht hereinfallen, und das Epimythion legt ebenfalls nahe, dass der Fokus auf dem Durchschauen von Täuschungen liegt. Da die phaedrianische Parallele1003 auf den ersten Blick mit dem Stoff freier umgeht und somit weniger Anhaltspunkte für einen Vergleich bietet, ist hier nicht so sehr die Narration von Bedeutung – die Akteure ähneln jenen in der Collectio Augustana, der Trick des Jägers ist jedoch ein anderer: Anstatt sich tot zu stellen, bedeckt er sich mit Mehl und lockt so die Mäuse, die glauben, es handle sich um Futter, an; im Unterschied zu den beiden anderen Bearbeitungen ist er damit sogar erfolgreich, erst eine erfahrene Maus erkennt seine Täuschung. Für die Interpretation von Babr. 17 ist jedoch die ausführliche poetologische Vorbemerkung von Bedeutung: Der Erzähler bringt darin zum Ausdruck, dass der äußere Anschein oftmals täuschen kann und dass vieles nicht so ist, wie es zunächst scheint. Die poetologische Aufladung dieses Stoffes durch Phaedrus wirft daher die Frage auf, ob Babr. 17 unter diesem Blickwinkel gedeutet werden kann. Als letztes Gedicht der ersten Fabelgruppe der Fabelsammlung kommt Babr. 17 natürlich ebenso wie dem Prolog und der ersten Fabel durch seine Stellung eine gewisse Prominenz zu, die poetologische Aussagen nahelegen – oder zumindest begünstigen – würde.

Version bei Babrios zu suchen, sei dahingestellt. Ähnliche Verkürzungen bekannter Stoffe finden sich auch in anderen Fabeln der Sammlung, etwa Babr. 11 (Kap. 6.14) und 12 (Kap. 6.15). 1003 Phaedr. 4,2: Ioculare tibi videtur, et sane levi, | dum nihil habemus maius, calamo ludimus. | sed diligenter intuere has nenias: | quantam sub titulis utilitatem reperies! | [5] non semper ea sunt quae videntur; decipit | frons prima multos: rara mens intellegit | quod interiore condidit cura angulo. | hoc ne locutus sine mercede existimer, | fabellam adiciam de mustela et muribus. | [10] mustela cum annis et senecta debilis | mures veloces non valeret assequi, | involvit se farina et obscuro loco | abiecit neglegenter. mus escam putans | assiluit et compressus occubuit neci. | [15] alter similiter, deinde perit et tertius. | mox venit aliquot saeculis retorridus | qui saepe laqueos et muscipula effugerat; | proculque insidias cernens hostis callidi: | „sic valeas“, inquit, „ut farina es quae iaces!“ [Ich scheine dir zu scherzen und wahrlich, solange ich nichts Gewichtigeres habe, spiele ich mit leichtem Rohr. Aber sieh dir diese Spielereien genau an: Wie viel Nutzen du doch unter den Titeln finden wirst! [5] Nicht immer sind die Dinge so, wie sie scheinen; viele täuscht der erste Blick: Nur selten erkennt ein Geist, was die Sorgsamkeit im inneren Winkel versteckt hat. Damit man nicht glaubt, dass ich dies ohne Lohn gesagt habe, will ich die Fabel vom Wiesel und den Mäusen hinzufügen. [10] Als ein Wiesel, durch die Jahre und das Alter geschwächt, die schnellen Mäuse nicht mehr erreichen konnte, bedeckte es sich mit Mehl und warf sich gleichgültig an einem dunklen Ort nieder. Eine Maus hielt es für Futter, sprang heran, wurde niedergeschlagen und starb. [15] Eine andere tat es ähnlich, dann starb auch eine dritte. Bald kam eine Maus, gerissen durch einige Jahre, die oft Schlingen und Mausefallen entkommen war; von der Ferne erblickte sie die Falle des schlauen Feindes und sagte: „So gesund mögest du sein wie das Mehl, als das du daliegst!“].

290

Kommentar

Schließlich ist an dieser Stelle eine weitere – fehlende – Parallele zu nennen: Wie Babr. 11 und 16 ist auch Babr. 17 in einem Papyrusfragment (PAmh 2,26)1004 überliefert.1005 Während der Papyrus von Babr.  11 und 16 lateinische Übersetzungen liefert, findet sich für Babr. 17 lediglich der griechische Text in einer teilweise, jedoch nicht signifikant von A abweichenden Form.1006 5) Gesamtbetrachtung Es ist bezeichnend, dass Babr. 17 am Ende jener Fabeln steht, die mit Alpha beginnen: erstens, da sie keine ‚typische Fabel‘ im eigentlichen Sinne ist. Vielmehr stellt Babr. 17 die epigrammatisch verkürzte und damit prägnant zugespitzte Fassung eines bekannten Fabelstoffs dar. Nicht nur die äußere Form, auch die Thematik der Fabel  – der Spott – passen zum Epigramm. Diese Komponente ist Babrios’ Eigenleistung in der Bearbeitung des Fabelstoffs: Die Kondensierung und Fokussierung auf den pointierten Spott des Hahns rücken die eigentliche Handlung in den Hintergrund. Zweitens spannt sie einen Bogen zum Prolog, dem ersten Gedicht der Fabelsammlung (sowie zu dessen Pendant im zweiten Buch), und widerlegt die dort aufgestellten Behauptungen. Das Ich in 1 prol. und 2 prol. möchte die Iamben vom beißenden Spott befreien, mit Babr. 17 findet dieser, ähnlich wie in Babr. 11,1007 aber doch wieder seinen Weg in die Mythiamboi. Die Aussage des Hahns, er habe schon viele ‚weiche Lappen‘ gesehen, aber noch keinen, der die ‚Zähne‘ eines lebenden Tiers habe, lässt im Kontext eines Gedichtes, das hauptsächlich durch Spott bestimmt ist, aufhorchen. In beiden Prologen wird darauf eingegangen, dass das Dichter-Ich die ‚Zähne der Iamben‘, also den stechenden Schmerz (des Spotts), gemildert habe. Könnte die Aussage des Hahns1008 in diesem Zusammenhang also bedeuten, dass es lächerlich anmutet, wenn sich etwas Spöttisch-Stechendes wie der Iambos als etwas anderes auszugeben versucht und dass der aufmerksame Leser (hier in der Rolle des Hahns, dessen Klugheit betont wird) eine solche Täuschung schnell erkennt? Die Tatsache, dass die Zähne des Katers trotz seiner Verstellung sichtbar bleiben, stünde dann dafür, dass die Spottdichtung nicht den Anschein eines anderen Genres erwecken kann, ohne sich ihrerseits dem Spott auszusetzen, da ihre charakteristischen ‚spitzen Zähne‘, stets hervorblitzen. Dies entspricht einem Prinzip, das dem Leser bereits seit Babr. 1 vorgeführt wird: Die Charakteristika, die das Dichter-Ich seiner Sammlung in den Prologen (vorgeblich) 1004 Vgl. Kap. 2.2. 1005 Zu Babr. 11 vgl. Kap. 6.14, zu Babr. 16 vgl. Kap. 6.19. 1006 Zu diesem Papyrus vgl. Grenfell/Hunt 1901, 26–29; Ihm 1902, 147; Radermacher 1902, 142–145; Sitzler 1907, 163; Kramer 2007, 45–46. 1007 Zu Babr. 11 vgl. Kap. 6.14. 1008 Trifft die Einschätzung Nøjgaards (1967, 228), wonach die erste Person in der direkten Rede des Hahns ein „déguisement fragile de l’auteur“ darstelle, zu, würde das den poetologischen Charakter des Gesagten unterstreichen, wenn es durch den Hahn indirekt aus dem Mund des Erzählers (der beiden Prologe) kommt.

Babr. 17

291

zuschreibt, werden in den Fabeln nicht um-, sondern außer Kraft gesetzt, ja geradezu konterkariert1009 – diese programmatische Aussage wäre somit ein sehr pointiertes Finale für die Fabelgruppe 1 bis 17. Drittens ruft Babr.  17 durch inhaltliche und lexikalische Bezüge viele der in der Sammlung vorangehenden Fabeln wieder auf, allein der Kater als Figur kommt neu hinzu. Durch das ‚Zusammenfließen‘ der bisherigen Fabeln in Babr.  17 erweist sich dieses Gedicht im wahrsten Sinne als Abschluss einer in sich geschlossenen Gruppe und damit als weiterer Hinweis darauf, dass die vorliegende Reihung der Gedichte intentional ist und man hier tatsächlich von einer Art Buchstruktur sprechen kann.1010

1009 Vgl. dazu beispielsweise neben den Interpretationen von 1 prol. (Kap. 6.2) und 1 (Kap. 6.4) die Untersuchungen von Hawkins 2014 und Mann 2018 sowie Kap. 5.4. 1010 Zur Anordnung und Struktur der Sammlung vgl. Kap. 3.

7. Zusammenfassung Die Einführung in die Forschungsgeschichte sowie in die wichtigsten Probleme des Textes (vgl. Kap. 2) konnte zeigen, zu welchen Themen kein wissenschaftlicher Konsens besteht, wo Fragen aufgrund des fragmentarischen Wissensstands offen sind und wo sie dies bleiben müssen, wie etwa jene nach der Identität oder der Lebenszeit des Autors. Nachgewiesen werden konnten hingegen die vielschichtigen Gattungstraditionen und die literarischen Einflüsse, die hinter den Mythiamboi stehen: Die Gedichte erweisen sich als Verbindung der äsopischen Fabel mit dem antiken Iambos; sie zeichnen sich durch poetische Ausgefeiltheit, Anspielungsreichtum und sprachliche Originalität aus und stellen in ihrer idyllisierten und rhetorisierten Inszenierung ein anschauliches Beispiel für ein poetisches Werk der Zweiten Sophistik dar. Neue Erkenntnisse konnten über die Anordnung und Struktur der Fabelsammlung erzielt werden (vgl. Kap. 3): Auf Basis der Analysen wurde die These, wonach die Anordnung der Fabeln in Kodex A entgegen der verbreiteten Ansicht tatsächlich die Gestalt eines antiken Gedichtbuchs abbildet, untermauert. Es zeigte sich, dass einzelne Fabeln lexikalisch und thematisch miteinander verknüpft sind, was bei einer willkürlichen Anordnung nach dem alphabetischen Prinzip nur bedingt wahrscheinlich wäre. Aber auch die Rahmung durch programmatische Prologe oder die inkonsequente Einhaltung der alphabetischen Reihenfolge weisen darauf hin, dass wir es bei den Mythiamboi mit einem seltenen Beispiel eines griechischen, nach hellenistischer Manier gestalteten Fabelgedichtbuchs zu tun haben. Diese ausgeprägte Poetizität konnte ferner in der Diskussion des poetischen Programms der Fabeln aufgezeigt und beleuchtet werden (vgl. Kap. 4). Hier wurde deutlich, dass die Mythiamboi, besonders die beiden Prologe, stark in der dichterischen Bildsprache der Antike verwurzelt sind und Parallelen insbesondere zur hellenistischen Dichtung aufweisen. Weitere literarische Strategien, die die Fabeln auszeichnen, umfassen die auffällige Rhetorisierung, die detaillierte psychologisierende Beschreibung sowie den selbstreferenziellen und häufig dekonstruktiven Charakter vieler Fabeln (vgl. Kap. 5); insbesondere Letzterer deutet auf eine der Sammlung eingeschriebene, spielerische Reflexion der Gattung hin, die sie mit vergleichbaren Texten, vor allem aus der römischen kaiserzeitlichen Literatur, in Beziehung setzt. Grundlage all dieser Beobachtungen bildet der Interpretationskommentar zu den beiden Prologen sowie den ersten siebzehn Gedichten der Sammlung (vgl. Kap. 6). Im

Zusammenfassung

293

Rahmen dieser Interpretationen wurden die Fabeln sowohl sprachlich als auch inhaltlich analysiert und in den literarisch-poetischen sowie den soziokulturellen Diskurs ihrer Zeit eingeordnet. In dieser Studie wurden 19 Gedichte einer über 140 Fabeln umfassenden Sammlung behandelt; die darauf basierenden Analysen können selbstverständlich nicht den Anspruch auf Aussagekraft für das gesamte Werk erheben, sondern lediglich darauf, Möglichkeiten und Wege für die weitere Forschung aufzuzeigen. So steht z. B. eine Untersuchung, die die Mythiamboi in einen größeren literarischen Zusammenhang einbindet und die Verbindung der Fabeldichtung zur antiken Rhetorik bzw. der antiken Iambendichtung oder der Zweiten Sophistik behandelt, noch aus. Die bereits erzielten Ergebnisse sind meines Erachtens aber ein überzeugender Beweis dafür, dass es sich bei den Mythiamboi keineswegs nur um ‚einfache‘ Unterhaltungsliteratur handelt, die einen genauen philologischen Blick weder verdient hat noch ihm standhält. Im Gegenteil eröffnen sie, wie schon Schneidewin 1845 in der eingangs zitierten Passage1 erkannt hat, durch ihre Erzähl- und Detailfreude, ihre vielfältigen poetischen Einflüsse sowie durch die zahlreichen Ungewissheiten rund um ihre Entstehungsgeschichte eine Fülle an möglichen Interpretationen und mindestens ebenso viele noch unbekannte Pfade auf dem Gebiet der Fabelforschung.

1

Vgl. Kap. 1.

8. Verzeichnisse Die Abkürzungen für Primär- und Sekundärquellen richten sich grundsätzlich nach dem Abkürzungsverzeichnis in Der Neue Pauly sowie im Oxford Classical Dictionary. Neben den Abkürzungen gängiger Textsammlungen und den Ausgaben der Babriosfabeln werden für Primärliteratur jene Ausgaben angeführt, aus denen längere Textpassagen zitiert wurden. 8.1 Abkürzungen CIL Inscriptiones Latinae antiquissimae ad C. Caesaris mortem, hg. v. T. Mommsen, Berolini 1863 FGrH Die Fragmente der Griechischen Historiker, hg. v. F. Jacoby, Berlin/Leiden 1923–2019 FPL Fragmenta Poetarum Latinorum epicorum et lyricorum praeter Enni annales et Ciceronis Germanicique aratea, hg. v. J. Blänsdorf, Berlin/New York 2011 LSJ A Greek-English Lexicon, with a Supplement, hg. v. H. G. Liddell, R. Scott, H. S. Jones und R. McKenzie, Oxford 1968 OLD Oxford Latin Dictionary, hg. v. Peter G. W. Glare, 2 Bde., Oxford 1968–1976 PMG Poetae Melici Graeci, hg. v. D. Page, Oxford 1962 SH Supplementum Hellenisticum, hg. v. H. Lloyd-Jones und P. Parsons, Berlin 1983 SIG Sylloge inscriptionum Graecarum. Vol. III, hg. v. G. Dittenberger, Lipsiae 3 1920 TrGF Tragicorum Graecorum Fragmenta, hg. v. B. Snell, R. Kann nicht und S. Radt, 5 Bde., Göttingen 1986–2004

Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen der Mythiamboi

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8.2 Textausgaben, Kommentare und Übersetzungen der Mythiamboi (in chronologischer Folge der Auflage) de Furia 1810 = Fabulae Aesopicae quales ante Planudem ferebantur ex vetusto codice Abbatiae Florent. nunc primum erutae una cum aliis partim hinc inde collectis partim ex codd. depromptis latina versione notisque exornatae cura ac studio F. de Furia, Lipsiae 1810 Boissonade 1844 = Babrii fabulae iambicae CXXIII nunc primum editae. Ioh. Fr. Boissonade recensuit latine convertit annotavit, Paris 1844 Dübner 1845 = Babrius. Fables. Texte revue par F. Dübner, Paris 1845 Lachmann 1845 = Babrii Fabulae Aesopeae. C. Lachmannus et amici emendarunt. Ceterorum poetarum choliambi ab A. Meinekio collecti et emendati, Berolini 1845 von Orelli/Baiter 1845 = Babrii fabellae iambicae CXXXIII in Monte Atho nuper repertae. Ex recensione I. Fr. Boissonadii passim reficta cum brevi adnotatione critica ediderunt von I. C. Orellius et I. G. Baiterus, Turici 1845 Weise 1845 = Babrii fabulae choliambicae cum fragmentis et fabulis aliunde notis. Editio stereotypa curante C. H. Weise, Lipsiae 1845 Cornewall Lewis 1846 = Babrii fabulae Aesopeae, cum fabularum deperditarum fragmentis. Recensuit et breviter illustravit G. Cornewall Lewis, Oxford 1846 Passerat 1850 = Fables de Babrius en vers choliambes. Texte grec, soigneusement revu sur l’édition princeps, accompagné de notes critiques, philologiques, grammaticales et littéraires de rapprochements avec les écrivains anciennes et modernes, et d’un index, à l’usage des classes par M. L. Passerat, Paris 1850 Hartung 1858 = Babrios und die älteren Jambendichter. Griechisch mit metrischer Uebersetzung und prüfenden und erklärenden Anmerkungen von J. A. Hartung, Leipzig 1858 Cornewall Lewis 1859 = Babrii Fabulae Aesopeae. E codice manuscripto partem secundam nunc primum edidit G. Cornewall Lewis, London 1859 Schneidewin 1865 = Babrii fabulae aesopiae. Edidit F. G. Schneidewin, Lipsiae 1865 Bergk 1868 = Anthologia Lyrica continens Theognim, Babrium, Anacreontea cum ceterorum poetarum reliquiis selectis. Curavit T. Bergk, Lipsiae 1868 Eberhard 1875 = Babrii fabulae. Ex recensione A. Eberhard, Berolini 1875 Knöll 1877 = Fabularum Babrianarum Paraphrasis Bodleiana. Edidit P. Knoell, Vindobonae 1877 Gitlbauer 1882 = Babrii fabulae. Recensuit M. Gitlbauer, Vindobonae 1882 Rutherford 1883 = Babrius. Edited with introductory dissertations, critical notes, commentary and lexicon by W. G. Rutherford, London 1883 Crusius 1897 = Babrii fabulae Aesopeae. Recognovit O. Crusius. Accedunt fabularum dactylicarum et iambicarum reliquiae. Ignatii et aliorum tetrasticha iambica recensita a C. F. Mueller, Lipsiae 1897 Desrousseaux 1902 = Babrius: Fables. Texte grec, publié à usage des classes, avec une introduction, des notes et un lexique par A. M. Desrousseaux, Paris 1902 Perry 1952 = Aesopica. A series of texts relating to Aesop or ascribed to him or closely connected with the literary tradition that bears his name, collected and critically edited, in part translated from oriental languages, with a commentary and historical essay by B. E. Perry. Volume one: Greek and Latin Texts, Urbana, IL 1952 (= 2007) Perry 1965 = Babrius and Phaedrus. Edited and translated by B. E. Perry, Cambridge, MA/London 1965

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Verzeichnisse

Mader 1973 = Antike Fabeln, mit 97 Bildern des Ulmer Aesop von 1476, eingeleitet und neu übertragen von L. Mader, München 21973 Irmscher 1978 = Sämtliche Fabeln der Antike. Aus dem Griechischen und Lateinischen übersetzt und herausgegeben von J. Irmscher, Berlin/Weimar 1978 (= Köln 2011) Luzzatto/La Penna 1986 = Babrii Mythiambi Aesopei. Ediderunt M. J. Luzzatto et A. La Penna, Lipsiae 1986 Duflot 2004 = Babrius. Fables ésopiques. Traduites du grec et présentées par R. Duflot, Paris 2004 Tournier 2006 = Tournier, H.: Fables grecques et latines: Babrius et Phèdre. Préface de J.-P. Chausserie-Laprée, Aix-en-Provence 2006 (collection Textuelles poèsie) Holzberg 2019 = Babrios. Fabeln. Griechisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von N. Holzberg, Berlin/Boston 2019

8.3 Textausgaben antiker Autoren und Werke Aesopi Prov. = Aesopica. A series of texts relating to Aesop or ascribed to him or closely connected with the literary tradition that bears his name. Vol. I. Collected and critically edited, in part translated from oriental languages, with a commentary and historical essay by B. E. Perry, Urbana, IL 1952 (= 2007) Ail. epist. = Claudii Aeliani epistulae et fragmenta. Edidit D. Domingo-Forasté, Stutgardiae 1994 – nat. = Claudius Aelianus. De natura animalium. Ediderunt M. García Valdés, L. Alfonso Llera Fueyo, L. Rodríguez-Noriega Guillén, Berolini et Novi Eboraci 2009 Aischyl. = Aeschyli Tragoediae. Edidit M. L. West, Stutgardiae 1990 Aisop. = Aesopica. A series of texts relating to Aesop or ascribed to him or closely connected with the literary tradition that bears his name. Vol. I. Collected and critically edited, in part translated from oriental languages, with a commentary and historical essay by B. E. Perry, Urbana, IL 1952 (= 2007) – Corpus Fabularum Aesopicarum. Vol. I. Fasc. 1. Edidit A. Hausrath, Lipsiae 21970 – Corpus Fabularum Aesopicarum. Vol. I. Fasc. 2. Edidit A. Hausrath, Lipsiae 21959 – Aesopi Fabulae. Recensuit A. Chambry, Paris 1925 Alex.Trall. = Alexander von Tralles. Original-Text und Übersetzung nebst einer einleitenden Abhandlung. Ein Beitrag zur Geschichte der Medicin von T. Puschmann, Wien 1878 (= Amsterdam 1963) Alki. = Alciphronis Rhetoris epistularum libri IV. Edidit M. A. Schepers, Lipsiae 1905 Anakr. = Poetae Melici Graeci. Edidit D. L. Page, Oxford 1967 Anth.Gr. = Anthologie Grecque. Première partie. Anthologie Palatine. Tome I. Texte établi et traduit par P. Waltz, Paris 21960 – Anthologie Grecque. Première partie. Anthologie Palatine. Tome IV. Texte établi par P. Waltz, Paris 21960 – Anthologie Grecque. Première partie. Anthologie Palatine. Tome V. Texte établi par P. Waltz, Paris 21960 – Anthologie Grecque. Première partie. Anthologie Palatine. Tome VII. Texte établi par P. Waltz, Paris 1957 – Anthologie Grecque. Première partie. Anthologie Palatine. Tome X. Texte établi et traduit par R. Aubreton, Paris 1972 – Anthologia Graeca: griechisch-deutsch. Band 2. Hg. v. H. Beckby, München 1957

Textausgaben antiker Autoren und Werke

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– Anthologia Graeca: griechisch-deutsch. Band 4. Hg. v. H. Beckby, München 1958 Aphth. = Corpus Fabularum Aesopicarum. Vol. I. Fasc. 2. Edidit A. Hausrath, Lipsiae 21959 – prog. = Aphthonii Progymnasmata. Edidit H. Rabe, Lipsiae 1926 Aristeid. = Aristides. Vol. I. Ex recensione G. Dindorfii, Hildesheim 1964 Aristoph. = Aristophanis comoediae. Tomus I. Recognoverunt brevique adnotatione critica instruxerunt F. W. Hall et W. M. Geldart, Oxonii 1970 – Aristophanis comoediae. Tomus II. Recognoverunt brevique adnotatione critica instruxerunt F. W. Hall et W. M. Geldart, Oxonii 1959 Aristot. hist.an. = Aristotelis opera. Vol. I. Ex recensione I. Bekkeri. Edidit Academia Regia Borussica, Darmstadt 1960 (= Berlin 2011) – resp. = Aristotelis opera. Vol. I. Ex recensione I. Bekkeri. Edidit Academia Regia Borussica, Darmstadt 1960 (= Berlin 2011) – eth.Nic. = Aristotelis opera. Vol. II. Ex recensione I. Bekkeri. Edidit Academia Regia Borussica, Darmstadt 1960 (= Berlin 2011) Artem. = Artemidori Daldiani Onirocriticon libri V. Recognovit R. A. Pack, Lipsiae 1963 (= Berlin/Boston 2011) Athen. = Athenaeus. The learned banquet. Edited and translated by S. D. Olson, Cambridge/London 2008 Avian. = Aviani Fabulae. Recensuit A. Guaglianone, Torino 1958 Catull. = C. Valerii Catulli carmina. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit R. A. B. My­ nors, Oxonii 1958 Diogenian. = Corpus paroemiographorum Graecorum. Tomus I. Ediderunt E. L. a Leutsch et F. G. Schneidewin, Gottingae 1839 Enn. = The Annals of Quintus Ennius. Edited with introduction and commentary by O. Skutsch, Oxford 1985 Etym.m. = Etymologicon Magnum seu verius Lexicon. Ad codd. mss. recensuit et notis variorum instruxit T. Gaisford, Amsterdam 1967 Schol.Eur. = Scholia Graeca in Euripidis Tragoedias. Tomus II. Edidit G. Dindorfius, Oxonii 1863 Gell. = A. Gelli Noctes Atticae. Tomus I. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit P. K. Marshall, Oxonii 1968 Hdt. = Herodotis Historiae. Tomus I. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit C. Hude, Oxonii 31963 – Herodotis Historiae. Tomus II. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit C. Hude Oxonii 31990 Hermog. = Hermogenis opera. Edidit H. Rabe, Lipsiae 1913 Hes. = Hesiodi Theogonia, Opera et dies, Scutum. Edidit F. Solmsen. Fragmenta selecta ediderunt R. Merkelbach et M. L. West, Oxonii 21983 Hesych. = Hesychii Alexandrini Lexicon. Vol. IV. Recensuerunt et emendaverunt P. A. Hansen et I. C. Cunningham, Berlin/New York 2009 Hld. = Héliodore. Les Éthiopiques. Texte établi par R. M. Rattenbury et T. W. Lumb et traduit par J. Maillon, Paris 1960 Hom. = Homeri opera. Tomus I. Recognoverunt brevique adnotatione critica instruxerunt D. B. Monro et T. W. Allen, Oxonii 1959 – Homeri opera. Tomus II. Recognoverunt brevique adnotatione critica instruxerunt D. B. Monro et T. W. Allen, Oxonii 1966 Hor. = Q. Horati Flacci opera. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit E. C. Wickham. Editio altera curante H. W. Garrod, Oxonii 1975

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Verzeichnisse

Iul. = L’Empereur Julien. Œuvres complètes. Tome I – 2e partie. Texte revu et traduit par J. Bidez, Paris 1924 Kall. fr. = Callimachus. Vol. I. Edidit R. Pfeiffer, Oxonii 1949 – h. = Callimachus. Vol. II. Edidit R. Pfeiffer, Oxonii 1953 Long. = Longus. Pastorales (Daphnis et Chloé). Texte établi et traduit par J.-R. Vieillefond, Paris 1987 Lucr. = Titus Lucretius Carus. De rerum natura libri VI. Edidit M. Deufert, Berlin/Boston 2019 Lukian. Hes. = Luciani opera. Tomus III. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit M. D. Macleod, Oxonii 1980 – rh. pr. = Luciani opera. Tomus II. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit M. D. Macleod, Oxonii 1974 – Trag. = Luciani opera. Tomus IV. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit M. D. Macleod, Oxonii 1987 LXX = Septuaginta. Id est Vetus Testamentum Graece iuxta LXX interpretes. Edidit A. Rahlfs, Stuttgart 91971 Mosch. = Bucolici Graeci. Recensuit A. S. F. Gow, Oxonii 1952 Nonn. = Nonni Panopolitani Dionysiaca. Vol. I. Recensuit A. Ludwich, Lipsiae 1909 Opp. = Oppianus. Halieutica. Einführung, Text, Übersetzung in deutscher Sprache, ausführliche Kataloge der Meeresfauna von F. Fajen, Stuttgart/Leipzig 1999 Ov. fast. = P. Ovidi Nasonis Fastorum libri sex. Recensuerunt E. H. Alton, D. E. W. Wormell, E. Courtney, Leipzig 1978 – met. = P. Ovidi Nasonis Metamorphoses. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit R. J. Tarrant, Oxonii 2004 Paus. = Pausaniae Graeciae descriptio. Vol. III. Edidit M. H. Rocha-Pereira, Leipzig 1981 Paus.Soph. = Erbse, H.: Untersuchungen zu den attizistischen Lexika, Berlin 1950 Phaedr. = Phaedri Augusti liberti liber fabularum. Recensuit A. Guaglianone, Torino 1969 Philostr. = Flavii Philostrati opera. Vol. I. Edidit C. L. Kayser, Lipsiae 1870 Phot. = Photii Patriarchae Lexicon. Volumen II. Edidit C. Theodoridis, Berlin/New York 1998 – Photii Patriarchae Lexicon. Volumen III. Edidit C. Theodoridis, Berlin/Boston 2013 Pind. = Pindari carmina cum fragmentis. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit C. M. Bowra, Oxford 21958 Plat. leg. = Platonis opera. Tomus V. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit I. Burnet, Oxonii 1984 – Phaidr. = Platonis opera. Tomus II. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit I. Burnet, Oxonii 1960 – polit. = Platonis opera. Tomus I. Recognoverunt brevique adnotatione critica instruxerunt E. A. Duke, W. F. Hicken, W. S. M. Nicoll, D. B. Robinson, J. C. G. Strachan, Oxonii 1995 – rep. = Platonis opera. Tomus IV. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit I. Burnet, Oxonii 1984 – Tht. = Platonis opera. Tomus II. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit I. Burnet, Oxonii 1960 Plin. = C. Plini Secundi Naturalis Historiae libri XXXVII. Volumen I. Edidit C. Mayhoff, Stutgardiae 1967 – C. Plini Secundi Naturalis Historiae libri XXXVII. Volumen II. Edidit C. Mayhoff, Stutgardiae 1967 Plut. = Plutarichi Moralia. Vol. I. Recensuerunt et emendaverunt W. R. Paton et I. Wegehaupt. Editionem correctiorem curavit H. Gärtner, Stutgardiae/Lipsiae 1993

Tabellenverzeichnis

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– Plutarichi Moralia. Vol. II. Recensuerunt et emendaverunt W. Nachstädt, W. Sieveking, J. B. Titchener, Leipzig 1971 Poll. = Pollucis Onomasticon. Fasciculus II. E codicibus ab ipso collatis denuo edidit et adnotavit E. Bethe, Lipsiae 1931 Prop. = Sexti Properti elegos. Critico apparatu instructos edidit S. J. Heyworth, Oxonii 2007 Sen. = L. Annaei Senecae ad Lucilium epistulae morales. Tomus I. Recognovit et adnotatione critica instruxit L. D. Reynolds, Oxonii 1965 Soph. = Sophoclis Tragoediae. Tomus I. Edidit R. D. Dawe, Leipzig 21984 – Sophoclis Tragoediae. Tom. II. Edidit R. D. Dawe, Leipzig 1979 Suda = Suidae Lexicon. Pars I. Edidit A. Adler, Lipsiae 1928 – Suidae Lexicon. Pars II. Edidit A. Adler, Lipsiae 1931 – Suidae Lexicon. Pars III. Edidit A. Adler, Lipsiae 1933 – Suidae Lexicon. Pars IV. Edidit A. Adler, Lipsiae 1935 Suet. = C. Suetoni Tranquili De vita Caesarum libros VIII et De grammaticis et rhetoribus librum. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit R. A. Kaster, Oxonii 2016 Syntipas = Aesopica. A series of texts relating to Aesop or ascribed to him or closely connected with the literary tradition that bears his name. Vol. I. Collected and critically edited, in part translated from oriental languages, with a commentary and historical essay by B. E. Perry, Urbana, IL 1952 (= 2007) – Corpus Fabularum Aesopicarum. Vol. I. Fasc. 2. Edidit A. Hausrath, Lipsiae 21959 Telest. = Poetae Melici Graeci. Edidit D. L. Page, Oxford 1967 Tetr. = Babrii fabulae Aesopeae. Recognovit O. Crusius. Accedunt fabularum dactylicarum et iambicarum reliquiae. Ignatii et aliorum tetrasticha iambica recensita a C. F. Mueller, Lipsiae 1897 Them. = Themistii orationes quae supersunt. Vol. I. Recensuit H. Schenkl. Opus consummavit G. Downey, Lipsiae 1965 Theogn. = Theognis. Post E. Diehl edidit D. Young, Lipsiae 1961 Theokr. = Theocritus. Vol. I. Edited with a Translation and Commentary by A. S. F. Gow, Cambridge 1952 Theon. = Rhetores Graeci. Vol. II. Ex recognitione L. Sprengel, Lipsiae 1854 (= Frankfurt 1966) Thuk. = Thucydidis Historiae. Tomus I. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit H. S. Jo­ nes, Oxonii 1974 Tib. = Albii Tibulli aliorumque carmina. Edidit G. Luck, Stutgardiae 1988 Tzetz. = Ioannis Tzetzae historiarum variarum Chiliades. Instruxit T. Kiesslingius, Hildesheim 1963 Verg. = P. Vergili Maronis opera. Recognovit brevique adnotatione critica instruxit R. A. B. Mynors, Oxonii 1969

8.4 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Lexikalische und inhaltliche Parallelen in aufeinanderfolgenden Fabeln (vgl. Kap. 3.2) Tabelle 2: Lexikalische und inhaltliche Parallelen zwischen anderen Alpha-Fabeln und Babr. 17 (vgl. Kap. 3.2) Tabelle 3: Auffälligkeiten in der Rolle und Kommunikationsituation tierischer Akteure in den analysierten Fabeln (vgl. Kap. 5.4)

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Tabelle 4: Dekonstruktive Widersprüche zu den Prologen in den analysierten Fabeln (vgl. Kap. 5.4)

8.5 Sekundärliteratur Academia dei Lincei 1923 = Academia Nazionale dei Lincei: Notizie degli Scavi di Antichità, Roma 1923 (Atti della R. Accademia nazionale dei Lincei 5) Ahrens 1845 = Ahrens, H. L.: De crasi et aphaeresi cum corollario emendationum Babrianarum, Stolberg 1845, URL: https://archive.org/details/decrasietaphres00ahregoog [21.04.23] Allgaier 2020 = Allgaier, B.: Tierisch eloquent? Sprachliche Kommunikation zwischen Mensch und Tier in den Versfabeln des Babrios, Gymnasium 127, 2020, 251–268 Allgaier 2022 = Allgaier, Benjamin: Word and Weapon. The Role of Language in Babrius 1, in: Ancient Fables – Sour Grapes? New Approaches, hg. v. U. Gärtner und L. Spielhofer, Hildesheim/Zürich/New York 2022 (Spudasmata 195), 135–152 Asper 1997 = Asper, M.: Onomata allotria. Zur Genese, Struktur und Funktion poetologischer Metaphern bei Kallimachos, Stuttgart 1997 (Hermes Einzelschriften 75) Asper 2004 = Asper, M.: Kallimachos. Werke: griechisch und deutsch, Darmstadt 2004 Aubreton 1972 = Aubreton, R.: Anthologie Grecque. Première partie. Anthologie Palatine. Tome X (Livre XI), Paris 1972 Avlamis 2010 = Avlamis, P.: Aesopic Lives: Greek Imperial Literature and Urban Popular Culture, Diss. Princeton 2010 Bartonková 2013 = Bartonková, D.: Die Rolle der Götter in der antiken Fabel, SPFB (klas) 18, 2013, 33–41 Battezzato 2009 = Battezzato, L.: Metre and music, in: The Cambridge Companion to Greek Lyric, hg. v. F. Budelmann, Cambridge 2009, 130–146 Becker 2006 = Becker, M.: Gefälschtes fabula docet in der Fabeldichtung des Babrios, RhM 149, 2006, 168–184 Bergk 1846 = Bergk, T.: On the Age of Babrius, Classical Museum 3, 1846, 115–134 Beschorner 1997 = Beschorner, A.: Bibliographie, in: Fabeln der Antike. Griechisch – Lateinisch – Deutsch, hg. v. H. C. Schnur, München/Zürich 31997, 344–362 Biscéré 2019 = Biscéré, A.: Ésope, Fables, précédées de la Vie d’Ésope. Traduction nouvelle de J. Bardot, Paris 2019 (Folio Classique) Borg 2008 = Borg, B. (Hg.): Paideia. The World of the Second Sophistic, hg. v. B. Borg, Berlin/ Boston 2008 (Millenium-Studien 2) Brown 1997 = Brown, C. G.: Iambos, in: A compantion to the Greek Lyric Poets, hg. v. D. E. Gerber, Leiden/New York/Köln 1997, 11–88 Browning 1997 = Browning, R.: Von der Koine bis zu den Anfängen des modernen Griechisch, in: Einleitung in die griechische Philologie, hg. v. H.-G. Nesselrath, Wiesbaden 1997 (Einleitung in die Altertumswissenschaft), 156–168 Burges 1845 = Burges, G.: In Pseudo-Babriana nuperrime reperta notulae, RPh 1, 1845, 454–463 Burkert 1984 = Burkert, W.: Die orientalisierende Epoche in der griechischen Religion und Literatur, Heidelberg 1984 Carnes 1985 = Carnes, P.: Fable scholarship. An Annotated Bibliography, New York/London 1985 Chandler 1881 = Chandler, H. W.: A Practical Introduction to Greek Accentuation, Oxford 21881

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Verzeichnisse

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Verzeichnisse

Willand 2014 = Willand, M.: Lesermodelle und Lesertheorien: Historische und systematische Perspektiven, Berlin/Boston 2014 Williams 1981 = Williams, F.: Articulate Beasts in Plato and Babrius, MPhL 4, 1981, 207–209 Wimmel 1960 = Wimmel, W.: Kallimachos in Rom: die Nachfolge seines apologetischen Dichtens in der Augusteerzeit, Wiesbaden 1960 (Hermes Einzelschriften 16) Wotke 1893 = Wotke, K.: Beiträge zu Babrios, WS 15, 1893, 301–305 Wünsche 1905 = Wünsche, A.: Die Pflanzenfabel in der Weltliteratur, Leipzig/Wien 1905 Zachariae 1875 = Zachariae, T.: De Dictione Babriana, Diss. Göttingen, Lipsiae 1875 Zafiropoulos 2001 = Zafiropoulos, C. A.: Ethics in Aesop’s Fables: The Augustana Collection, Leiden/Boston/Köln 2001 (Mnemosyne Suppl. 216) Zaminer 2000 = Zaminer, F.: Art. Musikinstrumente. V. Griechenland, in: Der Neue Pauly, Bd. 8, 2000, 543–551 Zgoll 2012 = Zgoll, C.: Römische Prosodie und Metrik. Ein Studienbuch mit Audiodateien, Darmstadt 2012 Zweimüller 2008 = Zweimüller, S.: Lukian. Rhetorum praeceptor. Einleitung, Text und Kommentar, Göttingen 2008 (Hypomnemata 176)

9. Register 9.1 Stellenregister Achilleus Tatios (Ach.Tat.) 3,5: 261896;899 Adamantios (Adamant.) phgn. 1,7: 220702 1,11: 220702 2,21: 220702 2,22: 220702 Aesopi Proverbia (Aesopi Prov.) 115: 199, 207 Ailianos (Ail.) epist. 1,7: 148343 19,1–3: 139293 nat. 2,36: 129248 3,2: 254863 5,49: 261897 6,29: 254867 8,3: 204626 10,16: 254863 14,14: 110132 17,39: 110132 17,45: 129248 Aineias Taktikos (Ain.Takt.) 33,4: 136268 Aischylos (Aischyl.) Ag. 762: 224723

880–885: 214668 957: 212656 1136–1145: 237782 Eum. 242: 136275 Pers. 424: 204627 426–427: 249830 Prom. 168–170: 187541 747: 178490 756: 239790 757: 239790 Suppl. 377: 193566 Aisopos bzw. Aesopica (Aisop.) 9 Ch.: 236, 245 11 P.: 199, 201610, 206 f., 209 13 P.: 159395 18 P.: 76, 159395, 171, 176484, 179, 256873 20 Ch. (T): 161, 163421, 166 f. 63 Ch.: 260, 263906 65 P.: 260895, 262 70 P.: 174 74 P.: 153, 158 f. 79 P.: 285, 288 f. 158 P.: 277, 281 208 P.: 249, 256 249 P.: 251847 256 P.: 251847 285 Ch.: 249, 257 286 Hsr.: 183, 187 f.

312 Alexander Trallianus (Alex.Trall.) febr. 303,9: 136271 Alkaios (Alk.) fr. 61A Lobel-Page: 198588 Alkiphron (Alki.) 2,9: 202615 2,9,2: 201610 3,22,1: 266915 3,29,3: 265, 269931;933 Anakreon (Anakr.) fr. 50 Page: 191, 193, 196 Anaxilas (Anaxil.) fr. 19: 254865 f. Anthologia Graeca (Anth.Gr.) 2,1,340b–343a: 103100 4,1,9–10: 6263 4,1,21–22: 6374 4,1,31–34: 6374 5,7: 214671 5,8: 214671 5,31: 9017, 105116 5,295: 10398 7,1,8: 196585 7,13: 6157 7,69,3–4: 104105 7,71: 6261, 130252 7,80,5: 238787, 251849 7,283: 171450 7,405: 6261, 130252 7,405,2–3: 5733 7,428: 167440 7,505: 175478 7,589,6: 242808 7,638,5: 242808 9,187,1–2: 6156 9,187,4: 269931 9,190,1–2: 6264 9,237,1: 148343 9,266,1: 156381 9,363,15: 156382 9,450: 246823

Register

9,451: 236, 246822 9,452: 236, 246822 9,507: 6375 9,507,3–4: 117177 11,15: 389 11,347: 117179 12,160,3: 124214 16,94: 124217, 127233 Antiphon (Antiph.) 1,7: 124218 5,7: 124213 fr. 1 Meineke: 214672 fr. 28: 176480 Apollonios Rhodios (Apoll.Rhod.) 2,672: 124217 3,1351–1352: 118187 4,1298: 124217 Apophthegmata Patrum (Apopht.patr.) 10,88: 124213 Aphthonios (Aphth.) 5: 145, 150 12: 161, 165–167 14: 249, 256 33: 199, 207 38: 220, 229 39: 277, 281 prog. 10,1: 10187 Aratos (Arat.) 100–136: 9017, 105116 Archilochos (Archil.) fr. 81 D.: 262901 fr. 174–181 West: 29136 fr. 185–187 West: 29136 fr. 196a West: 218689 fr. 237 West: 29136 Ailios Aristeides (Aristeid.) or. 5,33: 265, 273

Stellenregister

Aristophanes (Aristoph.) Ach. 590: 186537 Av. 471–475: 10188 651–653: 10188 Eccl. 1–13: 214667 Equ. 139: 186537 Lys. 629: 279966 Nub. 112–115: 269930 1334–1337: 269930 1354–1355: 198591 Pax 47: 136274 154–156: 115160 257: 186537 1067: 262901 1306: 184522 Plut. 534: 187541 763: 286991 Ran. 815: 118185 Vesp. 20: 116170 581: 165433 760: 145321 fr. 51: 173465, 208642 Aristophanes Byzantinus (Ar.Byz.) Epit. 2,406: 221708 Aristoteles (Aristot.) eth.Nic. 1106B: 195577 1123A: 212656 hist.an. 488B: 129245 547A18: 10294 601A: 174472 621A: 176480

313

meteor. 344A: 196584 356B: 10188 oec. 1347B23: 140298 phgn. 811A: 220702 812A: 220702 poet. 1447b17: 115163 pol. 1253B6: 148341 probl. 918A: 202616 954A31: 279968 resp. 475A: 174472 rhet. 2,20: 113150 top. 106A25: 117178 Artemidoros (Artem.) 2,20: 253861 4,56: 126228 ,129245, 184523, 237781, 240796, 253860, 260895 Athenaios (Athen.) 285A-D (7,22–23 K): 176484 373A (9,15 K): 285987 603E–604D (13,81 K): 242808 7,276E (7,3–4 K): 201606 10,72: 116170 14,17: 277959, 279966 Ausonius (Auson.) epist. 9,74–81 Green: 35180 Avianus (Avian.) praef.,7–14: 27126 praef.,13–14: 13, 15, 35181, 372 1: 277, 281 f. 9: 260895, 262 16: 175474 17: 124, 131 20: 76, 159395, 171, 179 f., 256873

314 Paraphrasis Bodleiana (Ba) 6 (Knoell = 18 Ch.): 211, 217 11 (Knoell = 281 Hsr.): 124, 132 13 (Knoell = 63 Ch.): 259 f., 263907 Babrios (Babr.) 1 prol.: 32162, 42–44, 68 f., 71102, 82 f., 87–109, 111 f., 114153, 118–123, 130, 133 f., 143309, 156, 171454, 193, 195581, 201, 207636, 209, 236774, 240 f., 244813 f., 251, 255873, 260, 271942, 283, 289–292 1 prol.,6: 125222 1 prol.,6–9: 79, 162417 1 prol.,7: 194568 1 prol.,7–9: 69 1 prol.,8: 111142 1 prol.,10: 7312 1 prol.,10–14: 83 1 prol.,15–18: 5628 1 prol.,15–19: 5421 1 prol.,16: 181507 1 prol.,16–20: 523 1 prol.,17–18: 194570 1 prol.,18: 114156 1 prol.,18–20: 7419 1 prol.,19: 175475 1 prol.,19–20: 64, 115159 1 prol.,20: 30143, 47, 5313, 57, 66, 83, 118 f. 2 prol.: 42, 71102, 91, 9769, 101 f., 106122, 109–123, 156, 194 f., 203613, 213, 221704 f.;710, 244814, 247, 252, 266, 271942, 283979, 290, 292 2 prol.,1–6a: 5730 2 prol.,6: 10396, 194572 2 prol.,6b–16: 526 2 prol.,6–7: 58 2 prol.,7: 212655 2 prol.,7–8: 1848, 66 f. 2 prol.,8: 5836 2 prol.,9: 58 2 prol.,10: 194572 2 prol.,10–12: 59 2 prol.,11: 65, 67 2 prol.,13: 69 2 prol.,14–15: 5313, 58, 67 2 prol.,15–16: 30143 2 prol.,16: 5522, 68

Register

1: 32162, 43 f., 47–49, 72 f., 7416, 78, 80, 83 f., 109130, 123 f., 138287, 143308, 145324, 147335, 151, 185, 236776, 243811 f., 250836, 289–291 1,1–3: 8344 1,3: 31156 1,5: 9449 1,6: 9449 1,7: 9449 1,8: 47 1,11: 148345 1,14: 49 1,15: 47, 64, 83 2: 43 f., 47 f., 56, 73 f., 78, 80, 82, 84, 10080;82, 125221, 135–143, 145324 f., 148, 151, 162, 211 f., 221705–224719, 236776, 240795, 250836 f. 2,3: 8237 2,4: 47 2,6–8: 77 2,7: 8237 2,8: 47, 148345 3: 43 f., 47 f., 56, 73 f., 75, 80, 84, 125221, 138287, 143–151, 162, 177, 185, 201608, 221705, 236776, 239794, 250 f. 3,4: 77 3,7: 47, 148343 3,10: 136273 4: 28133, 43 f., 46–48, 64, 70, 736, 80 f., 8343, 116169, 152–159, 161, 163–165, 167439–169, 171, 176482, 181506, 185, 194, 199–201, 203, 208, 251 4,2: 31156, 47, 163424, 201606 4,3: 4847, 66 f., 163, 168, 213662 4,3–4: 174470 4,4: 67, 77 4,5: 4847, 66, 8237, 163 4,8: 5523 5: 28133, 44, 47–49, 56, 80 f., 138287, 145324, 154 f., 159–169, 184, 187542, 191555, 194, 221705, 223717, 236776, 240796, 250836, 285–287 5,1: 77 5,3: 31156, 47 f., 66, 155377 5,5: 4847, 66 5,6: 69 5,10–11: 5524, 56 6: 43, 46, 64, 66, 70 f., 73 f., 75, 78, 80, 8342 f., 99, 146326, 147337, 153–155377, 158, 167 f., 169–181, 185, 194, 199–201, 204, 208 f., 239794 6,2: 64 f., 213662, 249, 251, 255

Stellenregister

6,3: 65, 77 6,4: 8237 6,6–12: 75 f. 6,13: 204625 7: 43, 73 f., 75, 80–82, 84, 164429, 181–190, 192561, 194, 205, 223717 8: 32163, 3913, 43, 71, 73 f., 80, 82, 10293, 114153, 184 f., 190–197, 204628, 244814, 254864, 260, 264911, 271942, 283978, 285 8,1: 77 9: 2283, 3913, 43, 46, 49, 64, 70 f., 73 f., 78, 80 f., 83 f., 116169, 146326, 153, 156, 167439, 171, 173467, 176482, 186539, 192560, 197–209, 254864, 259883, 264911, 283978 9,1: 68 9,2: 154365 9,3: 64, 69 9,4: 67 f. 9,7: 178492 9,8: 49 9,12–13: 5525 10: 2283, 25115, 43, 48, 56, 71, 73 f., 78, 80, 82, 84, 10082, 137279;283, 139294, 143308, 155377, 174470, 209–218, 224719, 251845 10,3: 31156, 48, 111137 10,3–5: 77 10,4: 65 10,13–14: 2281 11: 25115, 39, 43, 45, 48, 56, 736;10, 78, 80 f., 10080, 125219;221, 129245, 137284, 138287, 139294, 140297, 145324, 162413, 164429, 187542, 212657, 218–231, 236776, 243, 247825, 250836;841, 282, 284, 289 f. 11,1: 250 11,4: 48, 240 11,6–7: 77 11,7: 31156, 48 11,11: 5311 12: 2283, 32160-162, 45, 48 f., 56, 71, 73 f., 7522, 77 f., 80–82, 8342, 9553, 99 f., 10293, 114153, 125221, 127232, 138287, 140297, 145324, 147335;337, 162 f., 177489, 192560, 194571, 196587, 204628, 221705, 223, 226 f., 231–247, 250 f., 254864, 264, 266, 271942, 283978, 285, 287, 2891002 12,3: 49, 68 f. 12,5: 69 12,9: 48 12,11: 8237

315

12,13: 68 12,17: 48, 8237 13: 2283, 56, 73 f., 75, 80, 82 f., 10080, 125221, 137 f., 145324, 147334 f.;337, 155 f., 162413, 171, 174, 177489, 180, 192560, 204628, 221705, 236776, 239794, 243, 248–258, 264911, 283978 13,1: 48, 65, 67, 213662 13,2: 221705 13,13–14: 5526 14: 2283, 32163, 56, 7416, 81, 8342, 125219, 128237, 191 f., 199, 204628, 254 f., 258–264, 283978 14,5: 5312, 227736 15: 32161, 48, 56, 68, 73 f., 77, 81 f., 9553, 10293, 114153, 117175, 172459, 236774, 244814, 264–275, 277 15,3: 69100 15,10: 69 15,12: 69, 194569, 277962 15,13: 48, 277962 16: 39, 48 f., 72–7416, 78, 81, 84, 192560, 204628, 230742, 254864, 264911, 272945, 275–283, 285, 290 16,1: 8237 16,2: 48, 272 16,7: 48 f. 16,10: 141300 17: 39, 48 f., 69, 7416, 81 f., 84, 128241, 162 f., 218, 220692, 230 f., 240796, 247825, 279, 282976, 284–291 17,1: 48 f. 17,3: 77 17,4: 49, 69, 199596 18: 739 19: 125219, 128236, 221 19,2: 31156 19,3: 221711, 262901 20: 738 23: 141 f. 23,2: 142305 24: 739 25,8: 128239 26: 137284 26,9–10: 252851 29: 184517, 191553 30: 739 31: 32162, 126 31,2: 31156 31,12: 126227

316 32: 25115, 739, 100 32,12: 128239 33: 137284 33,17: 32156 36: 7414, 174 f. 37: 7311 37,4: 183512 38: 7414, 8342, 99 39: 191553, 259 40: 191553 f. 41: 191553, 259 42,7–8: 141300 43,5: 259879 44: 125219 45: 146326 48: 739 50: 125219, 128236 50,16: 141300 52: 739, 193567 53: 125219, 277961 54: 191553 55: 183–184517, 188 f. 56: 739 57: 191554 58: 739 59: 739 60: 191553 61: 153364 64: 7414 65: 251 f. 65,7: 227736 66: 738 67: 125219 68: 739 69: 146326 70: 739 71: 137284 71,1: 31 f. 72: 739, 236775 73: 191553, 259 74: 2394, 184517 74,15: 9554 76: 184517 77: 125219 78: 7311, 193567 80: 191, 196 81: 128236

Register

82: 125219, 128236 83: 184517, 191553 84: 13 86: 125219, 146326 86,3: 31 f. 89: 277961 89,5: 177486 89,9: 177486 90: 125219, 191553 91: 146326 92: 7311 93: 193567 94: 277961 95: 32162, 125219, 128236;242, 196587 95,67: 32156 96: 191553, 277961 97: 125219 97,6: 32156 97,9: 160398 98: 125219 99: 125219, 164428, 193567 100: 277961 100,3: 31 f. 101: 46, 125219, 128236, 277961 102: 46, 125219 103: 46, 125219, 128243 103,9: 198 103,13: 233752 104: 46 105: 46, 125219, 277961 106: 125219, 128236 107: 42, 125219 109: 191553 110: 191553 111: 184517 111,7: 198 112: 178496 112,7: 136273 113: 191553 114: 74 114,1: 259879 115: 164428 117: 25115, 739 118: 236775 119: 739 120: 125219 120,7–8: 141300

Stellenregister

121: 162414, 191553, 285986 122: 184517, 277961 123: 162414 124: 19, 177489 124,12: 160399 125: 19, 184517 126: 19 127: 19, 739 128: 19 129: 19, 184517 130: 19, 125219, 277961 131: 19 132: 19, 7311, 277961 132,6: 32156 133: 19, 125219, 184517, 191553 134: 19 135: 19, 285986 136: 19 136,7: 32156 137: 19, 164428 138: 19, 137284 139: 19, 184517 139,3: 125222 140: 13, 19, 200 141: 19, 184517 142: 19, 73 f. 143: 19, 137284 144: 19, 184517 Bakchylides (Bakchyl.) 10,9–10: 6154 13,228–229: 6153 16,8–12: 6153 fr. 4,61–63 SM: 6153 fr. 5,3–4 SM: 116166 fr. 20C,2–6 suppl. Snell: 6153 Batrachomyomachia (Batr.) 164: 178494 253: 178494 Caesar (Caes.) Gall. 6,22,3: 241802

Cassius Dio (Cass.Dio) 36,22,3: 140299 41,11: 124216 Catullus (Catull.) 1: 201607 1,1: 155375 6,2: 155375 6,17: 155375 8: 1631 13,9–10: 201607 22: 1631 31: 1631 36: 155375 36,1: 155375, 158391 36,10: 155375 36,17: 155375 36,20: 158391 37: 1631 39: 1631 44: 1631 59: 1631 60: 1631 60,1: 110133, 113149 61,6–7: 201607 68,77–80: 226732 95: 158391 Cicero (Cic.) nat. 3,83,14–15: 241802 off. 1,41: 262901 1,44: 199597 Tusc. 1,116: 199597 CIL 1,1412 (= CIL 11,5390): 1526 Claudius Claudianus (Claud.) rapt.Pros. 1,246–269: 6792 Clemens Romanus (Clem.) epist. 74: 154365

317

318 Clemens Alexandrinus (Clem.Al.) strom. 4,7,52,3: 219691 Columella (Colum.) 4,4,2: 138288 Cornutus (Cornut.) nat. 68,1: 223716 Demokritos (Demokr.) fr. 297: 9125 Demosthenes (Demosth.) or. 8,62: 276954 18,136: 266916 21,205: 124218 22,21: 137280 22,26: 137280 22,35: 219691 22,69: 140298 35,13: 140299 51,13: 140299 Diodorus Siculus (Diod.) 4,60,1: 268925 4,61,4: 268925 17,15,1: 178499 Diogenianos (Diogenian.) praef.,1,53–56: 113147 6,20: 279966 Diogenes Laertios (Diog.Laert.) 5,85: 104105 6,9: 286991 Dion Chrysostomos (Dion Chrys.) or. 32,69: 202616 52,8: 254865 f. Dionysios Halicarnasseus (Dion.Hal.) 3,10: 193566

Register

comp. 1,49: 115163 11: 154368 22: 113146 Isokr. 13: 10294 Thuk. 30: 104102 Ennius (Enn.) ann. 7,210: 116167 Epiktetos (Epikt.) 3,2,9–10: 136270 4,1,117–118: 124213 Etymologicum magnum (Etym.m.) s. v. ὄμφαξ: 1524 s. v. πεπρωμένον: 1524 s. v. τερετίσματα: 202616 Euripides (Eur.) Alc. 1140: 213665 Cycl. 357: 278963 Hec. 551: 145321 Hel. 295–296: 178490 Heraclid. 482: 136269 808: 213665 Herc. 839: 224722 Hipp. 1454: 186537 Ion 758: 145322 890: 10294 Iph. T. 145: 203620 Med. 224: 129249 546: 271940

Stellenregister

Or. 59: 124214 906: 219691 964: 224724 1036: 6788, 118185 1625: 118185 Phoen. 182–184: 226732 790: 204628 Suppl. 428: 271940 1986: 265912 Tro. 1192: 265912 Eustathios (Eust.) 18,296: 191550 Hom. ad Il. 1,54,7–8: 164430 2,12,18: 164430 2,160,10: 164430 4,2,8: 164430 FGrH 70: 162415 FPL fr. 11 Blänsdorf: 1631 Galenos (Gal.) 1,246: 252853 8,671: 286991 15,882: 221708 Aulus Gellius (Gell.) praef.,6: 6265 Gregorius Magnus (Greg.M.) epist. 44,21: 191550 Gregorius Nazianzenus (Greg.Naz.) or. 36,269: 191550

Gregorius Nyssenus (Greg.Nyss.) epist. 20,20: 154365 Herodotos (Hdt.) 1,34: 226731 1,68: 124218 1,71: 183508 1,78: 249831 1,84: 249831 1,94: 192557 1,98: 10294 1,99: 160399 1,111: 146327 1,119: 278963 1,128: 276954 1,141: 199, 205 f. 2,25: 118188 2,68,2: 10081 2,101: 249830 2,134: 28132 2,160: 259878 3,15: 249831 3,35: 223716 3,46: 286991 3,102: 184521 3,143: 198589 4,62: 146329 4,195: 124218 5,100: 192557 6,108: 213664 7,8: 160399 7,86: 160399 7,140: 183509 7,195: 249831 8,53: 191549 8,92: 249831 9,120: 204624 Hermogenes (Hermog.) 318 Rabe: 6580 Herodian (Herodian.) 3,4,1: 171452 7,75: 204626

319

320 Hesiodos (Hes.) erg. 109–200: 94, 9661, 105113 117b–118a: 9978 201–211: 29136, 237780 787: 146329 797: 118188 scut. 388: 118187 theog. 39–40: 266916 94–97: 6369 96–103: 104107 97: 266916 254: 118188 322: 147338 Hesychios (Hesych.) s. v. ἀχθίσας: 191548 s. v. δυσόργητον: 220701 s. v. Λιβυκοὶ λόγοι: 113147 s. v. μελῳδία: 201611 s. v. Ταναγραίων φυήν: 162415 s. v. τερετίζοντα: 202616 Himerios (Him.) or. 13,17: 223716 48,158: 113146 Heliodoros (Hld.) 1,17,2: 214672;674, 261899 1,33: 140299 3,4,7: 288999 5,5: 140299 6,7: 171452 7,26: 124216 Homeros (Hom.) h. 4,55–56: 199596 Il. 1,1: 119196 1,33: 220692 1,45: 249827 1,84: 242807 1,85: 126224, 128239

Register

1,92: 126224, 128239 1,121: 242807 1,130: 242807 1,172: 242807 1,206: 242807 1,249: 6368, 266916 1,322: 161401 1,346: 220692 1,413: 242807 1,536: 137279 1,544: 242807 2,382: 118185 3,432–433: 126226 4,118: 129247 4,166: 249827 4,526: 126230 5,161–165: 126229 5,179: 242807 5,229: 242807 5,375: 242807 5,381: 242807 5,393: 284981 6,181: 147338 6,351: 226731 6,440: 242807 7,39–40: 126226 8,297: 284981 8,357: 242807 8,412: 242807 9,189: 119196 10,195: 161401 11,415: 118187 11,416: 118185 11,507: 284981 13,12: 137279 13,443: 204624 13,474–475: 118187 14,211: 242807 14,477: 164430 15,118: 249830 15,271–280: 126229 15,292: 193566 17,136: 191549 18,570: 119196 18,589: 146329 19,96–99: 267922 20,165–174: 126229

Stellenregister

21,181: 126230 22,206: 129248 22,255: 223715 22,304: 220700 24,41–44: 126229 24,76: 265912 24,572: 126229 24,605: 170447 Od. 1,229: 286991 1,325–326: 119196 2,136: 226731 3,67: 126224, 128239 4,723: 249830 5,151–153: 175479 5,311: 265912 5,371: 164430 5,467: 241803 6,130–134: 126229 8,83: 119196 9,219: 146329 9,227: 146329 9,319: 146329 9,439: 146329 10,412: 146329 14,264: 255870 17,25: 241803 17,283: 124214 19,264: 242804 20,272: 276954 22,230: 249831 23,91: 91549 Horatius (Hor.) ars 285–294: 6685 372b–373: 195579 378: 195579 438–441: 6685 carm. 1,32,3–12: 115164 2,10,5: 195578 2,20,4–5: 5947 3,1,1: 247826 3,1,1–4: 6898 3,30,13–14: 115164 4,2,37–40: 105115

4,3,16: 5947 4,15,1–4: 172459 epist. 1,19,19–20: 115162 1,19,21: 5843 2,2,92: 6685 epod. 16,64–65: 105115 sat. 1,10,20–24: 115164 1,10,65: 6685 2,1,74–79: 5947 2,3,186: 262901 Iohannes Chrysostomos (Ioh.Chrys.) ascet.facet. 48,1060: 201611 Iosephos (Ios.) ant.Iud. 1,322: 186533 7,304: 259878 18,140: 135 Isokrates (Isokr.) or. 5,27: 154368 9,74: 115163 Iulianos (Iul.) epist. 82,444B: 13, 15 or. 7,229A: 118185 Kallimachos (Kall.) epigr. 21 Pf.: 5946 h. 2,105–112: 5946 2,108–112: 157390, 266917 4,113: 164430 fr. 1,1–12 Pf.: 252850 fr. 1,11–16 Pf.: 6372 fr. 1,13–16 Pf.: 251849 fr. 1,16 Pf.: 238785 fr. 1,17 Pf.: 5946

321

322 fr. 1,21–24 Pf.: 155374 fr. 1,23–24 Pf.: 6581 fr. 1,24 Pf.: 173468 fr. 1,25–28 Pf.: 5841, 116165 fr. 1,25–29a Pf.: 196582 fr. 1,29–30 Pf.: 174469, 200604 fr. 1,31–32 Pf.: 113151 fr. 191,1–4 Pf.: 5733 fr. 191,3 Pf.: 104109 fr. 192 Pf.: 94, 9661, 105118 fr. 192 dieg. 4,22 Pf.: 106119 fr. 192,15–16 Pf.: 10188 fr. 194 Pf.: 5946, 99 fr. 194,1–43 Pf.: 9874 fr. 194,6 Pf.: 106121 fr. 194,28 Pf.: 17, 9558 fr. 194,28–31 Pf.: 9557 fr. 229 Pf.: 9557 f. Ktesias (Ktes.) fr. F1b,1,4 Lenfant: 112145 Libanios (Lib.) decl. 11,35: 148343 16,23: 223716 16,51: 220703 16,53: 220703 30,1,24: 154365 or. 47,35: 114155 Livius (Liv.) 5,6,4: 241802 5,48,3: 241802 Lk 10,34: 186534 22,6: 193566 Longos (Long.) 1,10,2: 174472 1,18,1: 129248 3,16,3: 148343

Register

Lucretius (Lucr.) 1,933–950: 6477, 105111 4,1–5: 115164 4,8–25: 6477, 105111 5,925–930: 241802 Lukianos (Lukian.) am. 49: 113146 De mort. Peregr. 44: 259882 dial.deor. 7,4: 261896 11,1: 113146 dial.mort. 22,9: 173464 dips. 5: 113146 Gallus 11: 279966 Hermot. 35,18–19: 136271 Hes. 7: 220699 Luct. 24: 185530 rh. pr. 17: 32159 Trag. 42–53: 241799 42–65: 234761 49–53: 241801 58–59: 241800 Lysias (Lys.) or. 4,20: 219691 16,2: 198589 30,22: 140299 Septuaginta (LXX) Act 23,24: 186534 Dtn 22,8: 163426 Ez 33,32: 201610

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Iudc 15,4–5: 220, 227 f. Jer 8,8: 178495 Lev 4,23: 148340 Ps 17: 6789, 119190 Phil 1,57: 6789, 119190 Manetho 4,60: 203619 f. 5,269: 203619 f. Martialis (Mart.) 1,10: 1631 Maximos Tyrios (Max.Tyr.) 36,1–2: 9978 Menandros (Men.) Asp. 372: 279966 Sent. 358: 277959 fr. 10: 129249 Mk 12,15: 193566 Moschos (Mosch.) 3,21: 124217 3,63: 124217 fr. 1,9–13: 175479 Mt 2,12: 259882 24,17: 163426 Musaios (Mus.) 5–6: 214672 f. Nikandros (Nik.) Alex. 185: 221708 222: 118187

407: 253858 Ther. 859: 253858 Nonnos (Nonn.) Dion. 1,151: 284981 1,447: 254865 2,323–324: 214672 2,676: 284981 44,276: 110132 Joh. 19,155: 10398 Offb 3,18: 6789, 119190 5,7: 152359 Oppianos (Opp.) hal. 1,508: 254865 1,636: 254865 1,650: 254865 3,75: 176481 3,384: 156378 3,469: 176481 3,484: 254865 3,486: 254865 3,594: 156378 4,357: 254865 5,597: 171450 kyn. 1,19: 242808 1,456: 198588 4,258: 254865 Oracula Sibyllina (Or.Sib.) 8,115: 156381 Ovidius (Ov.) am. 1,15,1–6: 5947 1,15,39–42: 5947 3,15,18: 5843 ars 2,21–98: 195580

323

324 fast. 2,1–8: 172459 4,681: 221709, 228 f. 4,701–712: 220, 221709, 228 f. 6,197: 221709 6,302: 221709 Her. 4,109: 268924 Ib. 53: 10191 met. 1,89–150: 94, 9661, 105114 1,101: 9978 1,171b–174: 139292 1,192–195: 139292 6,412–674: 236 8,183–235: 195580 9,1: 268924 Pont. 1,5,19: 6685 1,5,61: 6685 2,4,18: 6685 rem. 389: 5947 trist. 1,7,27–32: 6685 2,327–332: 172459 2,531–532: 5947 2,547–548: 172459 Parmenides (Parm.) fr. 1 D-K: 116166 Pausanias (Paus.) 1,17,2: 268926 9,22,1: 162416 9,22,4: 162416 Pausanias Sophista (Paus.Soph.) s. v. κεκρώπη: 174472 Phaedrus (Phaedr.) 1 prol.: 4021, 9234, 10189, 106 1 prol.,1–2: 6687 1 prol.,2: 104103, 173462 1 prol.,5: 5948 1 prol.,5–7: 9873

Register

1 prol.,6: 7312 1,1: 4021 1,2: 4021 1,3: 4021 1,4: 4021 1,6: 4021 1,8: 251847 1,10: 4021 1,18: 245815 1,22: 255873 2 prol.: 10189 2 epil.: 10189 2 epil.,5–6: 115164 2 epil.,10–11: 5948 3 prol.: 10189, 111, 120 3 prol.,15–16: 120200 3 prol.,29: 120203 3 prol.,33–37: 120201 3 prol.,38: 113151 3 prol.,38–39: 5842, 116165 3 prol.,38–40: 120202 3 prol.,52–61: 121204 3 epil.,26–35: 5948 4 prol.: 5948, 10189 4 prol.,15–16: 5948 4,2: 285, 2891003 4,2,1–2: 6582, 155376, 173463 4,11: 141303 4,25,19–20: 241802 4 epil.,3–4: 5948 5 prol.: 10189 5 prol.,9: 5948 5,1,12: 212658 app. 15: 141303 app. 24: 145, 150 Philon (Phil.) 1,625: 119189 Philostratos (Philostr.) imag. 1,15: 10294 Ap. 6,10: 9664 6,36: 202616

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Pseudo-Phokylides (Ps.-Phok.) 57: 114155 Photios (Phot.) s. v. Ἀπαρηγόρητος ὀργή: 220701 s. v. μυθήσας: 9125 s. v. ῥῆσεις: 117176 Phrynichos (Phryn.) s. v. παροψίδες: 154365 Phylarchos (Phylarch.) fr. 61 J.: 254865 Physiologus 1: 125223 15: 129245 Pindar (Pind.) I. 3,65: 262901 N. 4,82–83a: 6684 O. 2,70–75: 105115 6,82: 6683 6,90: 271941 6,105: 6153 7,11–12: 6153 9,48–49: 6153 10,97–99: 6370 11,10: 6153 13,22–23: 6153 P. 2,32–33: 194573 2,50: 177488 2,62–63: 6153 4,176: 252853 5,76: 193566 6,52–54: 6154 10,53–54: 6154 fr. 40 (= 52f Snell): 6370 fr. 97: 6154 Platon (Plat.) Alk. 1,104D: 185525

1,123A: 10188 2,149C: 146327 Gorg. 502A–B: 116172 Ion 534B: 6155 Krit. 50B: 136273 leg. 717D: 226733 728A: 137279 731D: 118188 757A: 148341 760E: 136268 795D: 223715 812D: 154368 834B: 187541 Parm. 133D: 148341 Phaid. 60C–D: 27129, 29138, 10292 85A–B: 237783 Phaidr. 245A: 5840, 116166 273A: 136269 polit. 271C: 105115 272C: 9228 Prot. 333C: 136273 rep. 327A: 192557 344B: 140298 365C: 262901 373A: 154367 391C: 268924 394C: 116172 401A: 154367;369 609C: 242804 soph. 220D: 202617 265C: 10081 symp. 174B: 136275 177D: 252853 Tht. 142A: 192557

325

326 144B: 279968 155A: 259881 161A: 286992 Plato Comicus (Plato Com.) fr. 11: 173464, 176480 Plinius maior (Plin.) nat. praef.,24: 6266 10,48: 162416 13,134: 241802 14,40: 241802 21,114: 6793 36,12: 6478 Plutarchos (Plut.) Alc. 39,1: 215680 Arat. 30,8: 10188 Arist. 4,4: 219691 Cim. 9,2: 266915 Dem. 9,2: 153363 mor. 17F: 242805 59B: 242805 91C,7–8: 204627 137D: 183, 188545 277A: 223715 336F: 261896 346F: 242805 417A: 223715 472A: 212655 f. 658C: 261896 667E–F: 154365, 201606 685B: 261896 841C: 241802 842C: 241802 1119D: 203621 Num. 22,6: 239790 Per. 3,3: 215680

Register

Rom. 2,5: 215680 Sull. 9,7: 215680 Thes. 6,1: 268924 19,1: 268925 36,5: 268924 Polybios (Pol.) 3,9,60: 279968 3,65,6: 114155 5,35,13: 146327 16,15,5: 146327 31,23,11: 279968 Pseudo-Polemon (Ps.-Polem.) phgn. 11: 220702 37: 220702 Pollux (Poll.) 1,39: 220703 1,42: 220703 1,185: 186533 1,224: 136268 2,111–113: 202614 2,112: 201610 2,117: 202614 5,80: 220703 5,90: 202616 6,29: 220703 6,103: 136274 6,125: 220703 8,12: 220703 10,54: 186533 10,115: 136274 Polyainos (Polyain.) 3,9,35: 136268 Porphyrios (Porph.) 42: 118185 Poseidonios (Poseid.) fr. 179: 235762

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Pratinas (Pratin.) fr. 4 Page: 201609 Priapea (Priap.) 31: 1631 36: 1631 47: 1631 51: 1631 58: 1631 63: 1631 78: 1631 79: 1631 Proklos (Prokl.) comm. in Plat. rep. 2,306: 223715 Schol.Hes. erg. prol. 3: 6476, 105111 Propertius (Prop.) 3,1,1–4: 115164 3,1,1–6: 116168 3,1,14: 5843 3,1,18: 5843 3,1,21–24: 5947 3,3,22–24: 172459 3,3,23–24: 172460 3,3,26: 5843 3,9,1–6: 172459 3,9,35–36: 172459 Quintilianus (Quint.) inst. 5,11: 113150 Quintus Smyrnaeus (Q.Smyrn.) 3,213: 164430 5,20: 118187 7,363: 254865 Sallustius (Sall.) Iug. 85,33: 241802 Sappho (Sapph.) fr. 153 Lobel-Page: 201609

Scholia (Schol.) Aristoph. Av. 808: 113147 Eur. Hipp. 45: 268924 Eur. Or. 964: 224724 Hom. Od. 3,312B1: 191548 Kall. h. 3,79: 221708 Pind. O. 6,148b: 271941 Theokr. 5: 203622 Tzetz. chil. 7,764. Post vs. 764: 136272 Semonides (Semon.) fr. 7 West: 6262, 218688 fr. 9 West: 29137 fr. 13 West: 29137 Seneca minor (Sen.) epist. 15,5: 241802 84,2–3: 6158 Sextus Empiricus (S.Emp.) adv.math. 6,41: 117178 9,3: 176480 SH fr. 1001 Lloyd-Jones/Parsons: 6157 SIG 1122,7: 110136 Simonides (Sim.) fr. 262: 177488 fr. 593: 6154 Solon (Sol.) 4,3: 223715 fr. 13,5 West: 129249

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328 Sophokles (Soph.) Ai. 354: 186537 584: 118185 651: 6686 767–768: 249830 Ant. 86: 186537 417: 238784 699: 265912 1240: 186532 El. 174: 249827 352–353: 178490 361–362: 178490 792: 226732 1179: 183515, 186537 Oid.K. 579: 178490 Oid.T. 1037: 145321 Phil. 254: 129249 518: 226731 602: 226731 629: 198589 1328: 146329 Trach. 963: 238784;788 971: 186537 fr. 429 Radt: 124215 Stephanos Byzantios (Steph.Byz.) s. v. Λιβυστῖνοι: 110132 Strabon (Strab.) 17,1,8: 140299 Suda s. v. Βαβρίας ἢ Βάβριος: 1523, 1846, 373 s. v. ἐκτόπως: 260892 s. v. Ἐπίχειρα: 165433 s. v. Ἤρα: 210644 s. v. Θύλακος: 286991 s. v. Κηλούμενος: 201612 s. v. Λιγύφωνος: 200605

Register

s. v. Λύκος ἔχανεν: 279966 s. v. Λύκος χανών: 279966 s. v. Νοσηλεύω: 254865 s. v. Ὀρέστης: 220701 s. v. Σάγη: 186533 s. v. Στελεός: 1528 s. v. Ταναγραῖοι ἀλεκτορίσκοι: 160397, 162416 s. v. Χίμαρος: 148339 Suetonius (Suet.) Aug. 81,2: 241802 Syntipas 7: 161, 165–167 Tacitus (Tac.) Germ. 4,3: 241802 Telestes (Telest.) fr. 6: 238789 Tetrasticha (Tetr.) 1,2: 249, 256 1,10: 211, 216 f. 1,20: 124, 132 1,35,1: 145319 Themistios (Them.) or. 11,143A: 223716 Theognis (Theogn.) 1,297–298: 235768 Theokritos (Theokr.) eid. 1,6: 148340 1,48–49: 221707 5: 6899, 265, 273 5,78–79: 269932 5,79: 269 f. 5,110–111: 174472 5,112–113: 221707 5,126–127: 146333

Stellenregister

5,128–129: 146330 f.;333 7: 6899, 265 f., 273 7,11: 273946 7,80–85: 6373 7,82: 270936;938 11,36–37: 241802 13,63: 278963 21,43: 173464 25: 127235 25,90: 136275 25,219: 249 f. epigr. 4,15: 148340 Theon (Theon.) prog. 3: 10187, 113147 116: 265, 270934, 273949 Theophrastos (Theophr.) char. 8,14: 185530 Thukydides (Thuk.) 2,39: 259878 4,55: 199599 6,91,3: 183509 7,25,7: 137282 Tibullus (Tib.) 1,1,57–58: 201607 1,4,1–6: 241802 Timotheus Gazensis (Tim.Gaz.) 5,13: 221708 Timotheus Sophista (Tim.Soph.) s. v. κηλούμενος: 201610 TrGF 2 fr. 178 (adesp.): 224723 Triphiodor (Tryph.) 119: 10398

Tzetzes (Tzetz.) chil. 13,258–259: 1959 13,261–265: 1959 13,475,257–262: 1524, 1847 Varro rust. 1,8,5: 221707 2,1,22: 241802 2,2,17: 241802 Vergilius (Verg.) Aen. 7,10–14: 171 f. 11,115: 199597 catal. 13,3–4: 241802 ecl. 1,1: 203618 1,9–10: 173463 1,14–15: 177486 2,22: 241802 3: 6899 5: 6899, 105115 6,1–5: 115164 7: 6899 georg. 2,175: 116167 2,176: 115164 3,8: 5843 3,37–39: 5947 3,40–41: 5843 3,291: 5843 Vettius Valens (Vett.Val.) 1,4: 193566 3,7: 193566 3,134: 193566 4,7: 191548 7,18: 193566 Xenophon (Xen.) Ag. 7,6: 198589 an. 1,1: 198591

329

330

Register

1,1,2: 192557 apol. 6: 183508 25: 140298 equ. 9,10: 118188 hell. 1,7,22: 140298 Kyr. 3,2,7: 137282 3,3,27: 114155 6,3,27: 276954 mem. 1,2,39: 259881 1,2,62: 140298

2,3,9: 118188 3,8,2: 185525 3,8,10: 154367 Xenophon Ephesius (Xen.Ephes.) 5,1: 261896 Zenobios (Zenob.) 4,13: 201606 Zonaras (Zon.) 2,1168 (Kratinos): 277959 Pseudo-Zonaras (Ps.-Zon.) s. v. τερετίζειν: 202616

9.2 Personen-, Orts- und Sachregister A Abecedarius (Gedichtform)  40 Achikar-Roman  28130, 112144 Adler 29136 f., 159–169, 254, 287 Ägypten  18, 230, 254 f., 257 f. Aeneas 254863 Aesop  27 f., 34, 52, 56 f., 5949, 61, 70, 89, 9661, 100 f., 106 f., 109, 112–114156, 119–121, 134, 181, 207 Aigisthos 214 Alexander 125, 16–18, 2495, 54, 111 f. Alexander der Große  54 Alkiphron  202, 270 f., 273946, 275953 Alkmene  265, 267 Alphabetische Anordnung  10, 19, 38–47, 49 f., 86, 9769, 292 Altes Testament s. Septuaginta Amme  48, 73, 272, 275–283 Amphitryon 267 Anthropomorphismus  65, 72, 79 f., 142, 162 f., 166, 192, 196, 204, 208, 230, 239792, 244, 254, 280, 283 Antipatros von Sidon  167 f. Aphrodite  73, 100, 209–218 Aphthonios von Antiochia  35, 87, 149 f., 165 f., 207 f., 229, 246, 256, 280

Apoll  17, 54, 5946, 73, 95 f., 99, 115, 157390, 223716, 237783 Araber  17, 73, 77, 184, 190–197, 260 Arachne 6896 Arat  63, 9017, 105116 Archilochos  29, 6261, 104105, 130252, 218 Aristophanes  173 f., 208642, 213 f., 269, 279966 Arzt 73 Athen  48, 68 f., 73, 77, 154365, 232 f., 243 f., 264–275 Athene 73 Athener s. Athen Augusteische Zeit  27, 29, 38 f., 50, 58–60, 66–68, 70 f., 114158, 116168, 172459 f., 195, 228 aurea mediocritas  71, 195 Ausonius 35 Autor  9–12, 15–18, 30, 32, 39–42, 54, 60, 76, 79, 82, 95, 147, 154, 159, 169, 176, 186, 192, 216, 224, 247, 275, 283, 292 Avian  13, 27, 35, 37 f., 76, 78, 87, 131, 159395, 179 f., 262, 264, 280–282 B Baal s. Belos Barthes, Roland  12 Batrachomyomachie  126, 178494

Personen-, Orts- und Sachregister

Bauer  44, 48, 67, 73, 78, 82, 88, 97, 99, 135–143, 147334, 211, 217–232, 240, 244, 248–258 Bär  72, 81, 258–264 Belos  109, 112 Biene  60–62, 65, 94, 103, 105 Bitterkeit  57, 64–66, 83, 88, 105, 115 Boioter s. Boiotien Boiotien  48, 68 f., 82, 264–275 Boreas 73 Branchos  16 f., 54, 88, 95, 99 f., 103, 108 Bukolik  31–33, 43, 68, 74, 138, 145–148343, 151, 162, 173, 177486, 201–203, 243, 250, 255, 266 f. Byzantinische Zeit  10, 15, 18, 21, 23 f., 33, 35, 38, 40 f., 46, 131 f., 136, 166, 191, 216 f., 256 C Carseoli 228 Catull 1631, 4745, 71, 110133, 113, 122, 155375, 158391, 201607, 226732 Cassius Dio  16 Cerealia  221, 228 Choliambos  14 f., 2388, 28, 30, 41, 90, 104106, 141, 161406, 194 f., 243813, 252, 258 Cinna 158391 Collectio Augustana  10, 24 f., 27128, 33–35, 40, 46, 76, 87, 129244, 158 f., 179 f., 187–189, 206– 208, 256 f., 262, 264, 280 f., 286990, 288 f. Corpus Priapeorum 1631, 4745 D Daedalus 6896, 195580 Daimon  48, 73, 140297, 218, 223, 225 f., 229741, 232, 240 Daphnis 6896, 174472 Dekonstruktion  26, 43 f., 60, 78–85, 107–109, 122 f., 134, 143, 147, 151, 209, 283, 291 f. Demeter  9, 219, 224 f., 230 Demetrios von Phaleron  27, 37 Derrida, Jacques  78 Didaktik s. Schule und Unterricht Dodekasyllabi  35, 163421, 166438, 257, 262–264 Drama 31154, 75 f., 116 f., 173466, 177 f., 186 f., 189 f., 238 f., 243809, 269, 271940 Drohung  276 f., 283

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E Editio princeps  19, 23, 93, 183 Elagabal 17 Elegie  32 f., 38, 211 f., 218 Epigramm  29, 32, 38, 40, 42, 59, 61–63, 71, 104105, 117, 127, 130252, 167 f., 190, 193, 196, 214, 218, 259884, 261, 264, 285, 287, 290 Epimythion  21 f., 24102, 45, 53, 55, 70, 74, 9770, 10189, 124, 128, 132, 148, 150–153, 155, 157, 160–162, 165 f., 178, 186, 188, 198–200, 204 f., 207 f., 210 f., 216 f., 219, 221, 223, 226 f., 230 f., 233, 235 f., 244, 248–250, 255, 258–260, 262, 264, 271 f., 279, 281972, 283, 287, 289 Epos  31 f., 42, 103100, 116172–118187, 119 f., 126–128, 132 f., 155375, 158391, 164430, 172, 176481, 190, 193566, 195, 218, 242–246824, 254863;865, 266, 284, 286993 Erinna  61 f. Eros  62, 124214 Esel  75, 81, 125222, 181–190 Ethopoiie 246 Euripides 136269, 178490, 187540, 204628, 246823, 278963 Eurystheus 268 F Fackel  202, 214675, 221, 228 Feinheit  65, 67, 70, 77, 117, 122, 154–157, 159, 173–176, 181, 203, 209, 213663, 218, 238, 251 f., 258 Fiktion 1630, 79, 272 Fisch  43–45, 64, 66–68, 72, 75–78, 81, 8342, 88, 97, 99, 152–159, 169–181, 197–209, 255 Fischer  43, 46, 64–68, 73–78, 81, 99, 116, 152–159, 169–181, 197–209, 251, 255 Flöte  67 f., 156, 173, 197, 200–203, 206 Fuchs 29136, 46, 72, 78, 81, 106, 123–134, 218– 231, 250, 258–264 G Gattung  19, 21, 27–30, 32 f., 38, 40–42, 45, 58 f., 64 f., 76, 78, 82, 84 f., 91, 101, 104, 107, 111 f., 121, 134, 162, 181, 187, 190, 192, 195 f., 218, 245, 273, 275953, 290, 292 Gewalt  43 f., 84, 108, 130, 133 f., 147, 151, 251844 Gewebe s. Netz

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Register

Gold  65–67, 96, 109–111137, 114 f., 119, 121 f., 209, 212–214670, 252851 Goldene Zeit  72, 79, 83, 88–90, 92, 96 f., 99–10186, 105115, 107 f., 125, 127, 133 f., 151, 206, 209, 237, 240, 251 H Hades 5733, 193 Hahn s. Huhn Handwerk 33170, 53, 57, 66, 70, 104, 107, 115, 118 f., 154, 173 Hapax Legomenon 32158 f., 111, 117 f., 192, 210, 233, 249, 284, 286 Hebe 268928 Helios 73 Hellenismus 122, 1421, 16, 27–30, 33, 39, 46, 57 f., 61, 6369, 65, 67, 70, 113147, 115–118, 157, 168, 173, 175, 200 f., 213 f., 266, 292 Herakles  73, 127, 148343, 264–275 Hermeneumata Pseudodositheana  13 f., 18 f., 2499 Hermes 73 Hermogenes von Tarsos  65 Herondas 29 Heros  56, 88 f., 9121, 265 f., 268, 272, 274 f. Hesiod 26119, 29136, 31154, 63 f., 9119, 96, 105, 237 Hetäre  212, 214 Hippokrene 115 Hipponax  28 f., 58, 6261, 64, 104, 130252 Hirte  43 f., 73, 75, 138290, 141–151, 174 f., 177, 201 f., 250842, 270 Historiographie 162415, 213, 254 Homer 1743, 31154, 4235, 63, 68, 73, 119 f., 126, 128 f., 170447, 175479, 196585, 204624, 220, 223715, 242, 244, 249, 267922, 284981, 286993 Honig  60–65, 88, 103–105, 107, 156, 175, 201, 238, 270 Horaz 1631, 38, 58 f., 66 f., 71, 105115, 122, 195, 247 Huhn  44 f., 49, 66, 69, 77, 80 f., 128241, 156377, 159–169, 191555, 284–291 Human-Animal-Studies  26, 79–82 Hybris 73 Hymnos  9, 5946, 157390, 267

I Iambos  16–19, 26, 28–30, 33164, 41, 57–5949, 62, 64, 66 f., 71, 84, 90, 99, 103–105, 107 f., 114, 118 f., 121–123, 130, 134, 141, 218, 290, 292 f. Ignatios Diakonos  1524, 35, 87, 131, 145, 216, 256 Innovation  42, 58, 60, 65, 70, 102, 105112, 110, 114153, 116, 159 Interpolation  11, 21 f., 89, 9228, 107, 144, 146327, 148342, 198 f., 210 f., 216, 234 f., 249, 259 f. Invektive  19, 28–30, 32, 46, 49, 57–60, 69, 74, 81, 84, 104, 108, 119, 122 f., 130, 134, 164 f., 193, 197–199, 203 f., 207 f., 218, 255870, 284, 286–290 Iopas 6896 Iphikles 267 Iris 73 Itys  69, 232, 237, 239, 241, 243813 J Jäger  43 f., 73, 83, 124 f., 127–129, 131 f., 289 Julian  13, 104105 Juvenal 3838 K Kaiserzeit  9 f., 124, 14–18, 26 f., 29–31, 33, 35, 38 f., 46, 59, 61, 66, 78, 84, 9452, 104102, 108, 136, 139291, 171 f., 188, 201, 214, 237781, 242808, 246 f., 254865, 260892, 275, 285987, 292 Kallimachos 1737, 29–31154, 38, 40, 54, 57–59, 63, 65, 70, 92, 95 f., 98 f., 101, 104–106, 108, 116 f., 119, 122, 155, 157390, 173, 200, 238, 251 f., 266 Kamel  72, 188, 190–197, 260 Kassandra 237 Kater s. Katze Katze  49, 69, 82, 128241, 284–291 Kerkidas 29 Klytaimnestra 214 Knecht 73 Koine 124, 14, 16, 31, 186533 Kolluthos 246824 Komatas  146, 270, 273 Kommunikation  79–81, 84, 9228, 96 f., 99, 130, 184 f., 192, 195, 209, 278, 280, 283 Komödie  184, 213 f., 269, 274, 277, 279 Kranich  67, 147334, 221705, 248–258 Kriegspferd  66, 109, 114 f., 119, 122

Personen-, Orts- und Sachregister

Kritik 9873, 142, 158391, 197, 252, 258, 274950 Kritiker s. Kritik Kroisos  205 f. Kult  56, 215, 218686, 229, 231, 274950 Künstler  51, 68, 71, 115, 128, 172, 181, 194–197, 200–202, 208, 239 Kybisses  57, 109, 113 Kyros  205 f. L Lakon 273 Lampe  209, 213 f., 218 Latinismus  16, 31 f., 113, 171, 199 Lehrgedicht  64, 105 Leto 224 Libanios  87, 148343, 246 Libyen  110, 112 f. Löwe 3914, 42 f., 46 f., 5050, 72, 111, 123–134, 142, 148345, 158 Lukian 32159, 234, 241 Lukrez  64, 71, 105 Lykidas 273 M Manutius, Aldus  246 Martial  16, 29, 387 Maus  43, 288 f. Medizin 220 Meleagros  62 f., 167 f. Menalcas 6896 Menander  61 f., 212658, 269931 Mensch  43 f., 48, 56, 64 f., 69, 72–74, 77, 79–84, 88, 9228, 95–97, 99 f., 106 f., 123–160, 162 f., 165, 168–233, 236–241, 243 f., 247–283, 285, 287 Mimos 29139 Minoides Mynas  19, 23, 93, 183 Minotauros 268 Misogynie 280969, 283 Mnemosyne  102, 194570 Mopsus 6896 Moral  17, 22, 26117, 34, 74 f., 9770, 115159, 149–151, 165–167, 169, 178497, 180, 188, 190, 207 f., 217, 226, 231, 262, 279, 283 Muse  58, 61, 68, 82, 88, 101–104107, 109, 114–116, 120, 122, 173, 190, 193–196, 201–203, 232, 265, 271

333

Mythos  45, 56, 72–74, 77, 89, 91, 95–97, 99 f., 105, 108 f., 112, 120, 126 f., 129, 133, 147, 226732– 228, 236–240, 243–247, 266–268, 273 f. N Nachtigall 29136, 45, 68 f., 736, 77, 82, 231–247, 285–287 Neid und Nachahmer  52 f., 59, 110, 115–117, 122, 157390, 229, 252, 258 Nemeischer Löwe  127, 129 Nemesis 164429, 223, 226, 230 f. Neobule 218 Neologismus  14, 32, 59, 115154, 192 Neoteriker  65 f., 70 f., 116, 158, 173, 175, 201 Netz  42, 65, 67, 77, 116, 152–154, 156, 163, 197 f., 201–204, 207 f., 248, 250–252, 258 Neues Testament 31153 Ninive 112 Ninos  109, 112 Nonnos 1421, 31154, 110132, 284981 Nossis 62 O Odysseus 241803, 255870 Olymp  139, 267 Oppian 31154, 156378, 176481, 198588 Orakel  138, 142306 Originalität  30, 53, 58, 60, 115, 121, 292 Orpheus 6896 otium  71, 175, 201 f. Ovid  38, 45, 58 f., 66–68, 96, 10191, 105, 139, 195, 227–229, 231, 236, 245, 247, 268924 P Palmyra  13, 18 Pan  48, 143, 148 Papyrus  13, 18, 20, 22, 2499, 39, 89 f., 92 f., 205633, 227, 229 f., 276955, 282, 285, 290 Paraphrase  19 f., 35, 39 f., 42, 46, 132, 178497, 205633, 217, 220, 235762, 245, 259, 263 f. Paraphrasis Bodleiana  20, 131, 245 Pegasos 115 Persephone 224 Perser 205 Persius 387

334

Register

Persona  18, 30, 42, 51–56, 79, 82, 84, 101, 108, 113–117, 120, 127 f., 130, 133 f., 227, 253, 258, 266, 271, 279, 286, 289 f. Pferd  65 f., 77, 81 f., 109 f., 114 f., 119, 122, 170, 176, 181–190, 212655 Phaedrus  9, 14, 1631, 2177, 29, 32163–34, 387, 4021, 42, 45, 50, 58 f., 65 f., 71, 73, 7626, 78, 87, 98, 10189, 104103, 106, 116165, 120–122207, 149 f., 155, 159395, 173, 245, 286990, 288 f. Philipp von Thessalonike  39 f., 4642, 5733, 6261, 117, 130252 Philister 228 Philomela  45, 73, 77, 127234, 234, 236, 240, 245–247 Philosophie 116166, 195, 283 Phylarchos 254 poeta – doctus  30, 32, 53, 200 – ludens  65 – vates  68, 71, 237, 247 Poetologie  10, 17, 26 f., 40–43, 51–71, 78 f., 82 f., 85, 94 f., 99, 102–105, 107 f., 111, 113–122, 130, 154–159, 167440–169, 172–176, 179–181, 190, 195 f., 200 f., 203, 207–209, 213, 218, 238 f., 242, 244, 247, 251 f., 257 f., 266 f., 270 f., 275, 289, 292 Polemos 73 Poseidipp 38 Poseidon  73, 268 Progymnasmata  32, 246, 270, 273 Prokne  45, 73, 77, 127234, 234, 236, 240, 244–246 Prometheus 73 Properz  38, 58 f., 6791, 172460 Prosopopoiie  273, 275 Protos Heuretes  52, 58 f., 110, 115, 121 Pseudepigraphie 23 Psychologie 26117, 75–78, 85, 132, 163, 176 f., 196, 278, 292 Pygmalion 6896 Q Quintus Smyrnaeus  31154, 246824

R Rezeption  20, 2387, 26119, 39, 5843, 61, 65, 71, 76, 87, 9661, 104, 107, 116165, 131, 149, 165, 207, 229 f., 238, 245, 256, 281 Rhetorik  31 f., 65, 68 f., 737, 75 f., 85, 96, 104102, 148, 150 f., 176 f., 179–181, 187, 194 f., 201, 220, 239, 243809, 245–247, 250, 253–255, 257, 261 f., 265, 267, 269–275, 292 f. Roman (Gattung)  28130, 34, 261 S Sammlung  9, 11, 13 f., 18–23, 27, 37–50, 58, 60, 64, 70 f., 73, 78–80, 82–87, 95, 97, 99–101, 109, 111142, 120, 122, 133 f., 141, 143, 156, 158, 163, 167439, 171, 185, 188, 191, 211, 213, 221, 225, 233, 236773, 250, 259 f., 275, 279967, 287, 289–293 Sardes 106 Satire  32 f., 7935, 119192 Schule und Unterricht  13, 17 f., 20 f., 32159, 38, 107, 116171, 122, 229 f., 236773, 246 f., 275 Schwalbe  45, 68 f., 736, 82, 99, 231–247, 285 Semonides  29, 6261, 218, 242 Septuaginta  31153, 4023, 227–229 servitium amoris  211 f. Severus Alexander  17, 2495 Simichidas 273 Simson 228 Sklave bzw. Sklavin  28132, 65, 73, 77, 82, 93, 100 f., 120201, 143, 148, 209–218, 224719, 265, 268, 272 Sokrates  29, 10292, 237783 Sophokles 178490, 187, 238 Sozialkritik 10190, 157, 159 Spätantike 1421, 20, 27, 31154, 33, 35, 38, 46, 67, 10398, 136, 200 f., 214, 229 f., 246824, 256 Spott s. Invektive Stil  10, 124, 14, 22, 65, 69, 71, 115–117, 127, 134, 168443, 181, 195, 197, 200, 223, 239793 Storch  75, 82, 147334, 180, 248–258 Süße  62–65, 69 f., 103–105, 107, 115, 143, 170, 173, 175 f., 179, 181, 197, 200605–203, 206, 238, 270, 275953 Syntipas  36, 87, 165 f. Syrien  17 f., 36, 98, 109 f., 112

Personen-, Orts- und Sachregister

T Tereus  45, 77, 127234, 236, 240, 244 f. Tabulae ceratae Assendelftianae  13, 17–19, 3911 Tetrasticha  21, 32163, 35, 41, 131 f., 145, 168444, 190–197, 216 f., 246, 256, 259 f., 285 Textkritik s. Überlieferung Thebaner  73, 77, 82, 264–275, 277962 Theokrit  30 f., 63, 68, 146–148, 250, 266, 269–271, 273, 275953, 278963 Aelius Theon  113147, 270, 273, 275953 Theseus  73, 264–275 Thrakien  77, 232, 240, 243 f. Threnos  68, 237 Tibull  38, 201607 Iulius Titianus  35 Tragödie  32 f., 42, 75, 82, 148344, 151, 164, 178, 186 f., 189 f., 193566, 195, 205, 213, 218, 237 f. Traum 126228, 209 f., 215, 218, 253 Triphiodor 246824 Türmetapher  58, 109, 115 f., 120, 122 U Überlieferung 13–1525, 19–24, 35, 37 f., 40, 42, 46, 50, 875, 89 f., 93 f., 96, 9977, 122, 128240,

335

144, 161, 163, 170, 183, 198, 210, 220, 227, 230, 234 f., 264, 276, 284, 290 Übersetzung  13, 20, 24, 26, 36, 166, 227735, 229 f., 282, 290 V Vergil  38, 58 f., 68, 105115, 171, 199597, 203, 244 Verknüpfung (lexikalisch)  47–50, 213661, 292 Vespasian 125, 17 Vita Aesopi 34 W Wiesel  100, 288 Wolf 29136, 46–48, 72, 275–283, 285 Wölfin s. Wolf Z Zeus  73, 106, 267 Ziege  44, 77, 8446, 143–151, 202, 250842 Zikade  173 f., 200, 208642 Zweite Sophistik  14, 30–32, 41, 75 f., 201, 270, 273, 292 f.

Babrios? Dieser Autor und sein Werk mit dem rätselhaften Titel ‚Myth­ iamboi‘ rufen bei Lesern oftmals Verwunderung hervor. Auf abenteu­ erlichen Wegen im 19. Jahrhundert wiederentdeckt, wurden die in der Nachfolge Aesops verfassten griech­ ischen Versfabeln des Babrios bislang kaum beachtet, geschweige denn als das geschätzt, was sie sind: literari­ sche Kleinode, die vor Erzählfreude, gelehrtem Witz und Anspielungsreich­ tum nur so sprühen. Dieser Interpreta­ tionskommentar führt in die zentralen Fragen der Babriosforschung ein und

liefert neue Erkenntnisse zur Struktur, literarischen Gestaltung und Poeto­ logie der Mythiamben. Er bietet Text, Übersetzung, Kommentar und Inter­ pretation zu den beiden Prologen und den ersten 17 Fabeln der Sammlung. Damit bildet er die Grundlage für eine moderne literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dieser faszinieren­ den kaiserzeitlichen Fabelsammlung, einem seltenen Beispiel für ein grie­ chisches Gedichtbuch der Zweiten Sophistik.

ISBN 978-3-515-13515-3

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