Vom Exil bis zu den Makkabäern 9783666516757, 3525516754, 9783525516751


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Vom Exil bis zu den Makkabäern
 9783666516757, 3525516754, 9783525516751

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Grundrisse zum Alten Testament 8/2

V&R

Grundrisse zum Alten Testament Das Alte Testament Deutsch · Ergänzungsreihe Herausgegeben von Walter Beyerlin

Band 8/2 Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit Teil 2

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit Teil 2: Vom Exil bis zu den Makkabäern

von Rainer Albertz Zweite, durchgesehene Auflage Mit einem Schaubild im Text

Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Albertz, Rainer: Religionsgeschichte Israels in alttestamentlicher Zeit / von Rainer Albertz. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht. (Grundrisse zum Alten Testament; Bd. 8) NE: G T Teil 2. Vom Exil bis zu den Makkabäern. 2., durchges. Aufl. - 1997 ISBN 3-525-51675-4

© 1997, 1992 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt aus Garamond auf Digiset 200 Τ 2 Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

Inhalt 4. Die Religionsgeschichte der Exilszeit

375

4.1 Sozialgeschichtliche Entwicklungen während der Exilszeit

377

4.11 Die Lage bei den Daheimgebliebenen 4.12 Die Lage bei der babylonischen Gola 4.13 Die Lage bei der ägyptischen Gola 4.14 Grundzüge der sozialgeschichtlichen Entwicklung

378 379 381 382

4.2 Das Ringen um die theologische Interpretation der politischen Katastrophe

383

4.21 Die Trauerarbeit im exilischen Gottesdienst 4.22 Der Kampf um die Annahme der prophetischen Oppositionstheölogie 4.23 Die volksmissionarische Aufklärungsarbeit der JeremiaDeuteronomisten 4.24 Das Ringen um das theologische Verständnis der gescheiterten Geschichte

385 387 390 397

4.3 Die Stützung der Jahwereligion durch die familiäre Frömmigkeit . .

413

4.31 Die Anleihen an die persönliche Frömmigkeit 4.32 Der Rückgriff auf die Erzväter 4.33 Die Familie als ein neuer Träger der offiziellen Jahwereligion

415 419 422

.

4.4 Der Aufbruch zu einem neuen Anfang

427

4.41 Die Heilsverkündigung „Deuterojesajas" 4.42 Der Reformentwurf der Ezechiel-Schule

431 446

5. Die Religionsgeschichte der nachexilischen Zeit

461

5.1 Die politischen und sozialgeschichtlichen Entwicklungen der persischen Zeit

468

5.2 Das Schlüsselerlebnis der gescheiterten Restauration

478

5.21 Tempelbau und frühnachexilische Heilsprophetie 5.22 Das Fiasko der Heilsprophetie und ihre „Eschatologisierung" 5.23 Der zweite Tempel

.

479 483 487

VI

Inhalt 5.3 Das Ringen um die Identität des Gemeinwesens

495

5.31 Die Kanonisierung der Tora und die persische Reichsautorisation

497

5.32 Die vorpriesterliche Komposition des Pentateuch

504

5.33 Die priesterliche Komposition des Pentateuch

516

5.4 Die soziale und religiöse Aufspaltung des Gemeinwesens

536

5.41 Die soziale Krise des 5.Jahrhunderts

538

5.42 Die ethisch-religiöse Aufspaltung der Oberschicht

541

5.43 Prophetische Sektenbildungen in der Unterschicht

549

5.5 Die Annäherung der Religionsschichten und die Theologisierung und Aufspaltung der persönlichen Frömmigkeit

555

5.51 Die nachexilische Annäherung von persönlicher Frömmigkeit und offizieller Religion

555

5.52 Die „theologisierte Weisheit" als persönliche Oberschichtstheologie

561

5.53 Die „Armenfrömmigkeit" der Unterschichtszirkel

569

5.6 Die politisch-kultische Abspaltung der Samaritaner

576

5.61 Quellenlage und zeitlicher Rahmen

577

5.62 Sozial- und religionsgeschichdiche Einordnung

584

6. A u s b l i c k auf d i e R e l i g i o n s g e s c h i c h t e d e r hellenistischen Z e i t

. .

591

6.1 Die sozialgeschichtlichen Entwicklungen

591

6.2 Das schriftgelehrte Theokratie-Ideal (Chr)

605

6.3 Die Tora-Frömmigkeit

623

6.4 Spätprophetische und apokalyptische Widerstandstheologie

. . . .

6.41 Oppositionelle eschatologische Geschichtsdeutung (Sach 9-14)

633 637

6.42 Eine eschatologische Heilsvergewisserung aus Unterschichtszirkeln des 24-27)

643

6.43 Apokalyptische Belehrungen zum Widerstand

649

Sachregister

677

Stellenregister

705

4. Die Religionsgeschichte der Exilszeit Obwohl — wie sich gezeigt hat — die Übergänge historisch durchaus fließend waren, markiert die Exilszeit, die traditionell zwischen den Jahren 587 und 539 angesetzt wird, einen tiefen Einschnitt in der israelitischen Religionsgeschichte. Mit ihr geriet die bisherige Religion Israels in ihre schwerste Krise, aber in ihr wurde auch der Grundstein für ihre durchgreifendste Erneuerung gelegt.1 Fragt man, wie es überhaupt möglich war, daß die Religion Israels den für lange Zeit endgültigen Verlust staatlicher Einheit nicht nur überleben, sondern sogar als Chance zu ihrer Erneuerung nutzen konnte, so muß man berücksichtigen, daß ihre verschiedenen Ebenen und Schichten von der nationalen Katastrophe durchaus unterschiedlich betroffen waren: Tief in Mitleidenschaft gezogen wurde nur die offizielle Jahwereligion, während die persönliche Frömmigkeit zwar nicht unbehelligt, aber doch weitgehend intakt blieb. Und es wird sich zeigen, daß letztere nicht nur ganz wesentlich zur Stützung der in die Krise geratenen offiziellen Religion beitrug, sondern auch eine ganze Reihe ihrer Funktionen stellvertretend übernahm. 2 Aber auch innerhalb der offiziellen Religion waren nicht alle Schichten gleichermaßen vom politischen Desaster tangiert: Mit der Zerstörung des Jerusalemer Heiligtums und dem Untergang des Königtums waren die Tempelund Königstheologie alter Ausprägung mit ihren unbedingten Heilsgarantien total gescheitert. Das heißt, zu einem schlimmen Einbruch kam es nur bei den beiden Traditionslinien, die erst mit der Königszeit der offiziellen Jahwereligion zugewachsen waren. Nicht gescheitert war dagegen die dtn. Reformtheologie, die schon am Ende der Königszeit die Tempel- und Königstheologie erheblich zurückgeschnitten und in eine Synthese mit Traditionen der vorstaatlichen Jahwereligion überführt hatte.3 Zwar stellte der Landverlust infolge der Deportationen und Auswanderungen auch die an vorstaatliche Elemente anknüpfende Exodus-Landnahme-Konzeption zutiefst in Frage, doch konnte selbst dieser aufgrund der Bindung des Landbesitzes an das Gesetz noch innerhalb der dtn. Theologie eine theologische Antwort finden. 1 Hierin liegt die Berechtigung des Brauchs, für die Zeit nach dem Exil nicht mehr von der Religion Israels, sondern von der des Judentums bzw. des Frühjudentums zu sprechen. Doch wird damit die auch vorhandene Kontinuität — vor allem im Selbstverständnis der biblischen Tradenten — nicht gewürdigt. 2 S.u. 413 ff. 3 S.o. 3 50 ff.

376

Die Religionsgeschichte der Exilszeit

So ist es nicht verwunderlich, daß die Ausprägung der offiziellen Jahwereligion, die sie durch die dtn. Synthese erhalten hatte, in der Exilszeit zu der einen entscheidenden Basis wurde, von der aus eine Mehrzahl von Theologengruppen, die wir als „Deuteronomisten" zusammenfassen, die Krise zu meistern und einen Neuanfang zu formulieren suchte. Von der nationalen Katastrophe bestätigt wurde schließlich die Verkündigung und Theologie der prophetischen Oppositionsgruppen. Ihre Ankündigungen, daß sich Jahwe weder staatlich noch kultisch vereinnahmen lasse, sondern gegen sein Volk vorgehen werde, welches alle Ideale aus der Frühzeit der Jahwereligion vergessen habe, hatten sich bitter erfüllt. Die Gerichtspropheten gaben damit der Gesamtgesellschaft einen Schlüssel an die Hand, mit dem auch sie das Rätsel ihres dunklen Schicksals aufschließen und theologisch bewältigen konnte. So kam es dazu, daß die prophetische Oppositionstheologie, die in vorexilischer Zeit nur in kleinen religiösen Außenseitergruppen bzw. an deren Ende auch schon bei politischen Oppositionsgruppen Beachtung fand, 4 in der Exilszeit — wenn auch erst nach zähen Kämpfen — von der Gesamtgesellschaft als Teil ihrer offiziellen Theologie akzeptiert wurde. Sie wurde zu der zweiten entscheidenden Basis, von der aus die Krise der offiziellen Jahwereligion bewältigt werden konnte. Die Exilszeit führte somit zu einer tiefgreifenden Umschichtung innerhalb der offiziellen Jahwereligion und einer Aufwertung der bis dahin wenig beachteten persönlichen Frömmigkeit. Dieser Prozeß wurde nun noch durch einen Umstand begünstigt, der eigentlich eher bedrohlich war: die weitgehende Auflösung der politischen und kultischen Institutionen. Der Untergang der Institutionen des Tempelkultes und des Königtums führte nämlich zu einer weitreichenden Auflösung der institutionellen Bindung der religiösen Traditionsbahnen. Dies eröffnete die Chance, daß sich funktionslos gewordene Priester, Propheten, Beamte und sonstige Intellektuelle nach dem Vorbild der Gruppenbildung um die vorexilischen Gerichtspropheten 5 zu verschiedenen religiösen Vorreitergruppen zusammenschlossen, die ohne Rücksicht auf bestehende Institutionen und Machtverhältnisse, nur bezogen auf mündliche oder schriftliche Traditionen, Theologie trieben. Informelle Theologengruppen um Gerichtspropheten und deren Schriften, um Priester und deren Traditionen, um das Deuteronomium und die Geschichtsüberlieferung bilden in der Exilszeit die typischen Träger der offiziellen Jahwereligion. Sie entwickelten, herausgefordert von der Krise ihrer Zeit, eine breite literarische Tätigkeit, hinter der wir sie — da sie anonym bleiben — nur indirekt greifen können. Die Folge davon war ein geradezu explosionsartiges Aufblühen der Theologie in der Exilszeit, das allerdings auch die Gefahr des Realitätsverlustes und der Aufsplitterung 6 der offiziellen 4

Vgl. dazu die Verkündigung Jeremias, insbesondere seit 597, s.o. 369 f. S.o. 277 ff. 6 Einen Vorläufer hat diese Aufsplitterung im — noch institutionsbezogenen — Parteienkampf der spätvorexilischen Periode, s.o. 367 ff. 5

Sozialgeschichtliche Entwicklungen während der Exilszeit

377

Jahwereligion in divergierende theologische Ansätze in sich barg. Diese Gefahren werden aber erst in der folgenden frühnachexilischen Epoche voll sichtbar werden.

4.1 Sozialgeschichtliche Entwicklungen während der Exilszeit N . A V I G A D , Seals of Exile, IEJ 15, 1965, 222-230. - E.J.BICKERMAN, The Babylonian Captivity, W.D.Davies/L.Finkelstein (Hrsg.), The Cambridge History of Judaism, Vol. I, 1984, 342-358. — G . B U C C E L A T I , Gli Israelite di Palestina al tempo dell'esilio, BeO 2, 1960, 199-210. - M . D . C O O G A N , Life in the Diaspora, BA 37, 1974, 6-12. — I . E P H ' A L , On the political and social organization of the Jews in the Babylonian Exile, ZDMG Suppl. V, 1980, 106-112. - J . N . G R A H A M , Palestine during the Period of Exile, 586-539 B.C., Diss.theol Cardiff, 1977. — DERS., „Vinedressers and Plowmen". 2 Kings 25:12 and Jeremiah 52:16, BA 47, 1984, 55-58. - B . H A R T BERGER, „An den Wassern von Babylon...". Psalm 137 auf dem Hintergrund von Jeremia 51, der biblischen Edom-Traditionen und babylonischen Originalquellen, BBB 63, 1986. - E.JANSSEN, Juda in der Exilszeit, FRLANT 69, 1956. - H . K R E I S S I G , Die sozialökonomische Situation in Juda zur Achämenidenzeit, Schriften zur Geschichte und Kultur des alten Orients 7, 1973, 20-34. - Η . - P . M Ü L L E R , Phönikien und Juda in der exilisch-nachexilischen Zeit, WO 6, 1970, 189-204. — B . P O R T E N , The Jews in Egypt, W.D.Davies/L.Finkelstein (Hrsg.), The Cambridge History of Judaism, Vol. I , 1984, 372-400. - D . L . S M I T H , The Religion of the Landless. The Social Context of the Babylonian Exile, 1989. — G . W A L L I S , Die soziale Situation der Juden in Babylonien zur Achämenidenzeit aufgrund von fünfzig ausgewählten babylonischen Urkunden, Diss.phil. (Masch.) Berlin 1953. — R . Z A D O K , The Jews in Babylonia during the Chaldean and Achaemenian Periods according to the Babylonian Sources, Haifa 1979. —

Uber die geschichtlichen und damit auch über die sozialgeschichtlichen Entwicklungen der Exilszeit haben wir nur ganz umrißhafte Kenntnisse, da, abgesehen von der Zeit kurz nach 587 (Jer, Klgl), direkte Quellen fehlen. Das chronistische Geschichtswerk stellt es so dar, als sei ganz Israel deportiert und das Land Juda während der Exilszeit menschenleer gewesen (2.Chr 36,21); dies entspricht jedoch nicht den historischen Tatsachen. Auch wenn wir über die genaue Zahl der Exilierten im unklaren sind, 7 so können wir doch mit Sicherheit sagen, daß die Deportationen nur eine Minderheit, vor allem die Oberschicht, betrafen, während die Mehrzahl der Bevölkerung, vor allem die kleinen Bodenbesitzer und die landlose Unterschicht, im Lande blieb. 8 Wir haben somit in dieser Epoche die recht unterschiedlichen sozialen Gegebenheiten bei den Daheimgebliebenen und bei der babylonischen und ägyptischen Gola zu betrachten. 7

Vgl. die divergierenden Zahlenangaben 2.Kön 24,14.16 und Jer 5 2 , 2 8 - 3 0 und H.Donner, Geschichte II, 371 f. H.Kreissig, Juda, 22, rechnet mit 15600 Deportierten. * Vgl. dazu E.Janssen, Juda, 39 ff.; H.Kreissig, Juda, 34, rechnet mit ca. 60000 Einwohnern.

378

Die Religionsgeschichte der Exilszeit

4.11 Die Lage bei den Daheimgebliebeneti Von der gescheiterten Reform Gedaljas war schon die Rede gewesen. 9 Die dabei vollzogene Einweisung von Landlosen und Flüchtlingen in die verlassenen oder auch enteigneten (Klgl 5,2) Güter der Großgrundbesitzer (Jer 39,10; 40,10) läßt erkennen, daß die babylonische Besatzungsmacht durchaus Interesse daran hatte, die Lage in dem vom Krieg verwüsteten Land möglichst bald wieder zu konsolidieren. Wenn dagegen die Klagelieder von schlimmer Hungersnot bis hin zum Kannibalismus in Jerusalem (Klgl 1,11; 2,12.20; 4,4.10) und mancherlei Ubergriffen der Besatzungsmacht (5,11-13) zu berichten wissen, dann handelt es sich dabei einerseits wohl um zeitlich und örtlich begrenzte Erscheinungen, andererseits wird aber auch daraus deutlich, daß die babylonische Besatzungspolitik von den verschiedenen Bevölkerungsgruppen ganz unterschiedlich beurteilt werden konnte: Was dem ehemals nationalistisch eingestellten (vgl. Klgl 4,12.20), eher der verbliebenen Oberschicht zuzurechnenden Dichter der Klagelieder als ungerechte Enteignung (Klgl 5,2), Zwangsmaßnahme (5,12.13) und Entwürdigung (5,16a) erschien, wurde von den wieder zu Land gekommenen Kleinbauern eher als gerechter Ausgleich begrüßt. Jedenfalls kann man aus den Ez 11,15 und 33,24 überlieferten Slogans schließen, daß die Mehrzahl der Daheimgebliebenen die Besitzumverteilung bejahte und auch theologisch rechtfertigte. Für sie bedeutete die Exilierung Jahwes Gericht über die ausbeuterische Oberschicht und häufig sogar faktische Schuldenbefreiung. So kann man annehmen, daß sich das vom Krieg verwüstete Land unter der eher lockeren 10 babylonischen Verwaltung trotz gelegentlicher Konfrontationen 11 wirtschaftlich bald wieder erholte. 12 Da die Babylonier auf die Ansiedlung einer fremden Oberschicht verzichteten, konnten die Judäer offenbar sogar — in Revitalisierung vorstaatlicher Organisationsstrukturen — eine beschränkte Selbstverwaltung auf der Basis von Ältesten aufbauen (Klgl 5,12). An die Stelle der königlichen Zentralgewalt trat dagegen jetzt die babylonische Provinzverwaltung, für die Steuern und Spanndienste zu leisten waren (Klgl 5,12 f.) wie ehedem für den eigenen König. Insofern änderte sich für die Masse der kleinbäuerlichen Familien auf dem Lande wenig; innenpolitisch scheint die Lage für viele sogar eher leichter geworden zu sein. Die eigentliche Bedrohung, unter der die judäische Bevölkerung zu leiden hatte, war außenpolitischer Natur. Sie ging von den umliegenden Kleinstaaten aus, welche sich den judäischen Bevölkerungsverlust und die nur schwa' S.o. 372 f. 10 Juda wurde anscheinend keine eigene babylonische Provinz, sondern von Samaria aus mitverwaltet. 11 Vgl. die erneute Deportation 582 nach Jer 52,30, der wahrscheinlich noch einmal ein Aufstand voraufging. 12 Dies betont mit Recht H.Kreissig, Juda, 26 f., auch mit Hinweisen auf archäologische Befunde, dazu vgl. auch G.Buccelati, Israeliti, und N.Avigad, Seals.

Sozialgeschichtliche Entwicklungen während der Exilszeit

379

che babylonische Militärpräsenz zunutze machten, von allen Seiten in judäisches Siedlungsgebiet einzudringen und ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen geltend zu machen. 13 Wann dieser Vorgang einsetzte, ist umstritten. 14 Doch spätestens in fortgeschrittener exilischer Zeit ist der Negev (Am 1,11 f.; Ob 19; Ez 35,10; 36,5) und vielleicht auch schon der südliche Teil des judäischen Gebirges (vgl. Jer 32,44) an die Edomiter, die Schefela an die expandierenden Phönizier und Philister (Ob 19; Ez 26,2; 25,15) und Gilead an die Ammoniter (Jer 49,1) verloren. Dazu kamen militärische Übergriffe auf die Zivilbevölkerung (Am 1,9: Sklavenrazzien der Phönizier; vgl. Joel 4,6), vor denen man sich wegen der Schleifung fast aller Festungen nicht in Sicherheit bringen konnte. Auch Jerusalem war in dieser Zeit eine offene Stadt, und noch in frühnachexilischer Zeit suchten die Samarier ihre Befestigung zu verhindern, um den alten Konkurrenten im Süden kleinzuhalten (Esr 4,7-16). Und so verwundert es nicht, daß in dieser Zeit der Samarier Sanballat, der Ammoniter Tobias und der Araber Geschem in Jerusalem das Sagen haben (Neh 2,10.19). Die militärische Schwäche und Rechtsunsicherheit Judas in der Exilszeit führten somit zu einer Einengung und Durchlöcherung des judäischen Siedlungsraumes und zu einer stetigen Konfrontation mit Ausländern aus den umliegenden Staaten, deren politische und wirtschaftliche Einflußnahme man meist ohne Möglichkeit der Gegenwehr zähneknirschend hinnehmen mußte. Obwohl noch im eigenen Lande wohnend, hatten die Daheimgebliebenen ihre territoriale und gesellschaftliche Integrität zu einem guten Teil verloren. 4.12 Die Lage bei der babylonischen Gola Anders als bei den Daheimgebliebenen bedeutete der Untergang des judäischen Staates für die Deportierten eine tiefe soziale Entwurzelung. Sie hatten nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihren Grundbesitz und ihre meist einflußreiche soziale Stellung verloren; häufig waren ihre Sippen oder auch Familien zerrissen und sie dadurch ein Stück weit der verwandtschaftlichen Solidarität beraubt. Und verbittert mußten sie erleben, wie schnell sie vom Großteil der daheimgebliebenen Bevölkerung abgeschrieben und ihres Grundbesitzes beraubt wurden (Ez 11,15; 33,24). Das Gefühl, zwangsweise verschleppt worden zu sein, hielt ihre Hoffnung auf Rückkehr und auf Revision der geschichtlichen Fakten aufrecht. 15 13 Vgl. dazu das Urteil H.-P.Müllers, Phönikien, 206: „Die Einengung Judas durch seine Nachbarn, für die die phönizische Unterwanderung nur ein Beispiel ist, hat auf seine exilischnachexilische Geschichte nachhaltiger gewirkt als die Beeinträchtigung durch die Großmächte." 14 Vgl. B.Hartberger, "An den Wassern...", 198ff. 15 Von dieser Grundstimmung her ist möglicherweise auch die Entscheidung der babylonischen Gola zu verstehen, sich — anders als die ägyptische — nicht durch den Bau eines Tempels kultisch in der Fremde auf Dauer einzurichten; Tendenzen dazu hat es wahrscheinlich auch in ihr gegeben, sie wurden aber vom Ezechiel-Kreis schroff zurückgewiesen (vgl. Ez 20,32 und zum Problem LBronner, Sacrificial Cult [4.2], 69-71).

380

Die Religionsgeschichte der Exilszeit

Die Anpassungsschwierigkeiten müssen anfangs erheblich gewesen sein, wie die glühenden national-religiösen Hoffnungen zeigen.16 Doch nachdem diese sich nicht realisiert hatten, haben sich die Exulanten — dem Rat Jeremias folgend (Jer 29) — offenbar schnell in die babylonische Gesellschaft integriert, 17 ohne ihre ethnische und religiöse Identität aufzugeben. 18 Erleichtert wurde dieser Schritt durch die Politik der Babylonier, Kriegsgefangene der einzelnen Länder als geschlossene Gruppen anzusiedeln und mit Kronland zu belehnen. 19 So konnten sich auch die judäischen Exulanten als Volksgruppe in verschiedenen, z.T. verlassenen Ortslagen im Räume Nippur niederlassen.20 Vielleicht bildeten auch sie Genossenschaften (hatru), welche vom babylonischen Staat Kronland zur Bewirtschaftung verliehen bekamen und ihm dafür Lehensdienste schuldeten. 21 Sie lebten in den Ortschaften nach verwandten Familien (Esr 2,59) oder auch nach Berufsgruppen (Esr 8,17) zusammen, wobei Leviten, Priester und andere ehemalige Tempelangestellte — trotz ihrer Funktionslosigkeit — eigene Gruppen bildeten (Esr 2,36ff.). Neben Priestern und Propheten übernahmen Älteste Leitungsfunktionen (Jer 29,1; Ez 8,1; 14,1; 20,1) und konnten vielleicht sogar eine begrenzte kommunale Selbstverwaltung aufbauen. 22 Es hat den Anschein, daß nach einigen Anfangsschwierigkeiten die rechtliche und wirtschaftliche Lage für die judäischen Exulanten keineswegs drückend war. Das Archiv des agrarischen Handels- und Kredithauses Murasü aus Nippur bezeugt — wenn auch strenggenommen erst für eine spätere Zeit (455-403) - , daß die Judäer in Babylonien rechtlich voll integriert waren und ein normales wirtschaftliches Auskommen fanden. Meist gehörten sie einfachen Berufsgruppen an (Bauern, Hirten, Fischer), z.T. konnten sie aber auch in höhere Positionen im Dienste persischer Lehnsherren (z.B. als Wasserbauexperten) aufsteigen. Und einige wenige fanden, wie frühnachexilische biblische Texte bezeugen, ihren Weg in höchste politische Ämter (Scheschbazar, Zerubbabel, Nehemia, Esra). Sowohl die Spendenli-

16

S.o. 368 f. Die 2.Kön 25,27-30 mitgeteilte Begnadigung Jojachins am Hof Awil-Marduks 562 setzt ein kooperatives Verhältnis der judäischen Kolonie zum babylonischen Staat voraus. Der Wandel hat somit spätestens in der zweiten Generation stattgefunden. 18 Zu den leichten Synkretismen, die in der Personennamengebung sichtbar werden, s.o. 149. Sie sind aber deutlich geringer als in der ägyptischen Gola. " Vgl. dazu E.J. Bickerman, Captivity, 344 ff. 20 In der Bibel sind fünf Ortschaften bezeugt: Tel-äbib, Tel Harsä, Tel Melah, Kemb'addan Immer und Käsifija (Ez 3,15; Esr 2,59; Neh 7,61; Esr 8,17). Die Af«ra/»-Tafeln bezeugen Judäer in 28 der 200 genannten Siedlungen. 21 So die ansprechende Vermutung bei E. J. Bickerman, Captivity, 345 f., auch wenn eine Extrapolierung erst in persischer Zeit belegter Verhältnisse in die babylonische Epoche anfechtbar bleibt, vgl. G.Wallis, Soziale Situation, 194f. 22 Vgl. E.J.Bickerman, Captivity, 349 f.; I. Eph'al, Organization, 110, weist auf ein keilschriftliches Rechtsdokument aus dem Jahr 529, das in Babylon eine „Versammlung der Ältesten der Ägypter" erwähnt, die wahrscheinlich rechtliche Funktionen hat. Vielleicht wurde der judäischen Kolonie eine ähnliche Institution zugebilligt 17

Sozialgeschichtliche Entwicklungen während der Exilszeit

381

sten dieser Zeit (Esr 2,69; 8,30) als auch die Tatsache, daß nur eine begrenzte Anzahl zur Rückwanderung bereit war, weisen darauf, daß die Mehrheit der babylonischen Gola in der Fremde ihr gutes wirtschaftliches Auskommen gefunden hatte. 23 Ihre Nöte waren offensichtlich vornehmlich religiöser Natur (Ps 137; Jes 40,27; 50,1 f.). Die materiell und rechtlich gesicherte Position der babylonischen Gola, gepaart mit dem intellektuellen Potential der ehemaligen Oberschicht und einer nie aufgegebenen Orientierung auf die alte Heimat, machen es verständlich, daß gerade von ihr in der Exilszeit, aber auch darüber hinaus immer wieder wichtige Impulse zur Erneuerung der Jahwereligion ausgingen. 4.13 Die Lage bei der ägyptischen Gola Anders als die babylonische Gola entstand die ägyptische nicht durch erzwungene Deportation, sondern durch freiwillige Abwanderung. Aus Angst vor babylonischen Vergeltungsmaßnahmen nach der Ermordung Gedaljas entschloß sich eine Gruppe, die vornehmlich aus Soldaten bestand, — gegen den Rat Jeremias — lieber in Ägypten ihr Glück zu versuchen (Jer 42f.). Sie siedelte sich in verschiedenen Orten Unter- und Oberägyptens an (Jer 44,1); und aus der Tatsache, daß drei davon bekannte ägyptische Garnisonsstädte waren (Migdol, Daphne, Memphis), kann man schließen, daß die Gruppe vor allem als Soldaten in ägyptischen Diensten ihr Auskommen suchte und fand. Ob auch die spätere jüdische Militärkolonie in Elephantine (4.Jh.) auf diese Auswanderergruppe zurückgeht, ist unsicher, 24 doch bezeugt sie ein ähnliches soziales Milieu. Aus den Texten, die aus dieser Kolonie überlebt haben, wird erkennbar, daß sich die ägyptische Gola noch stärker als die babylonische sozial in die Gastgesellschaft integriert und konsequenter — auch in kultischer Hinsicht — für eine Dauerexistenz im Ausland eingerichtet hatte: Die Militärkolonie besaß einen eigenen Jahwe-Tempel, der vor 525, 25 möglicherweise noch in der Exilszeit gegründet worden ist. Diese starke Integration, verbunden mit einer religiös eher konservativen Selbstgenügsamkeit, 26 hat 23 Josephus, Ant XI, 9 gibt als Grund für die zögerlichen Rückwanderungen ausdrücklich an, daß die Exulanten an ihrem Besitz hingen. " Der Aristeasbrief (V.13) bringt die ersten judäischen Söldner in Ägypten mit einem Nubienfeldzug Psammetichs in Verbindung. Denkt man an Psammetich IL, gelangt man in das Jahr 591, d.h. noch in die Zeit der letzten vorexilischen antibabylonischen Aufstandsbewegung, als Zedekia um ein ägyptisches Militärbündnis warb. Das würde nicht schlecht in die Situation passen und könnte erklären, warum Johanan 587 darauf vertrauen konnte, mit seiner Truppe in Ägypten bessere Lebensverhältnisse vorzufinden. B.Porten, Jews, 378 f., denkt dagegen schon an eine Auswanderung unter Psammetich I. zur Zeit des Königs Manasse. 25 S. AP 30,13, TGI 2 86. 26 B.Porten hat gezeigt, daß der YHW-Kult in Elephantine eher konservative, an der Königszeit orientierte Züge trägt (Jews, 385) und daß sich der dortige Synkretismus entgegen häufig geäußerter Ansichten durchaus im Rahmen hält und auf den Bereich persönlicher Frömmigkeit beschränkt (AP 44: Anrufung Anat-YHW beim Schwur, vgl. Himmelskönigin Jer

382

Die Religionsgeschichte der Exilszeit

dazu geführt, daß die ägyptische Gola für die theologische Erneuerungsbewegung der Exilszeit weitgehend ausfiel und darum auch von dieser negativ beurteilt wurde (vgl. Jer 24,8; 44). 4.14 Grundzüge der sozialgeschichtlichen Entwicklung Fragt man nach den Grundzügen, welche die im einzelnen unterschiedlichen sozialgeschichtlichen Entwicklungen der Exilszeit bestimmen, so schälen sich folgende drei heraus: 1. Der Verlust der Staatlichkeit führte zu einer z.T. erzwungenen, z.T. freiwilligen Auflösung des Staatsverbandes. Das Israel der Exilszeit besteht aus mindestens drei größeren, territorial getrennten Gruppen, die unterschiedlichen geschichtlichen Entwicklungen ausgesetzt sind, unterschiedliche Interessen haben und darüber teilweise in Konflikt miteinander geraten. Verbunden sind sie nur durch das lockere Band gemeinsamer ethnischer Herkunft und gemeinsamer Religion. Damit setzt sich die schon in vorexilischer Zeit erkennbare Tendenz zur Aufspaltung in verschiedene territoriale Gruppen (Stämme, Nord-, Südreich) auf neuer Ebene verstärkt fort. 2. Der Verlust der politischen Zentralgewalt führte zu einem Wiedererstarken verwandtschaftlich organisierter, dezentraler Organisationsformen. Im Israel der Exilszeit wird die Familie bzw. der Familienverband zur tragenden sozialen Größe. Reste nie ganz vergessener tribaler Organisation erwachen zu neuem Leben: Die Ältesten erhalten wieder Bedeutung und übernehmen neben Priestern und Propheten lokale und politisch begrenzte Leitungsfunktionen. 3. Der Verlust des Staatsverbandes führte zu einer Durchlöcherung der Gruppengrenze nach außen. Die judäischen Familien lebten vor allem in der Gola, aber zunehmend auch in der Heimat in ständigem Kontakt bzw. ständiger Konfrontation mit Angehörigen anderer Nationalitäten. Auf der einen Seite war damit die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe nicht mehr selbstverständlich gegeben, sondern mußte durch Entscheidung des einzelnen immer wieder bewährt werden. Zur Sicherung der eigenen Identität kam dabei dem religiösen Bekenntnis erhöhte Bedeutung zu. Das Israel der Exilszeit erhält somit erstmals Züge einer religiös konstituierten Gemeinde. Auf der anderen Seite stellte die alltäglich gegenwärtige fremdreligiöse Umwelt eine ständige Herausforderung dar, die auch theologisch zu bewältigen war. Das ständige Schwanken zwischen universalistischen und schroff partikularistischen theologischen Ansätzen in der Religionsgeschichte der Exilszeit hat mit dieser neuen ambivalenten Gegebenheit der israelitischen Sozialgeschichte zu tun. 27 44,15 ff.); s.u. 395. Die ausführlichen Informationen, die in AP 30 dem judäischen Statthalter über den YHW-Kult gegeben werden, weisen darauf hin, daß sich die Elephantine-Kolonie erst im konkreten Notfall an Jerusalem wandte, doch davor offensichtlich kaum intensiveren Kontakt gehabt hat. 17 Vgl. dazu H.-P.Müller, Phönikien, 203.

Die theologische Interpretation der politischen Katastrophe

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Den Zeitgenossen der politischen Katastrophe von 587 war deren Verständnis keineswegs so eindeutig, wie es uns heute aus großem geschichtlichem Abstand erscheint. Vielmehr wurde von ihnen — wie schon die Krise zehn Jahre zuvor — der Zusammenbruch ihres Staates recht unterschiedlich

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erfahren und konnte darum auch verschieden gedeutet werden. Für Jeremia und kleine Gruppen der Reformfraktion bedeutete er Befreiung, Erleichterung und Bestätigung ihrer Prognose, aber gerade deswegen konnten sie ihn als gerechtes Gericht Jahwes über Juda erkennen und anerkennen (Jer 37,3-40,6). Für die Mehrheit der national-religiös Orientierten jedoch, die bis zuletzt auf eine wunderbare Rettung gehofft hatten, bedeutete er das totale politische Scheitern und den Zusammenbruch ihres theologischen Weltbildes. Die Stadt, die sie in den Bahnen der Zionstheologie für uneinnehmbar gehalten hatten (Klgl 4,12), war erobert, der Tempel, in dem sie Jahwe selber anwesend gesehen hatten (2,1), war verwüstet und von Heiden entweiht (1,10), und der König, der ihnen Leben und Sicherheit zu garantieren schien (4,20), war hingerichtet oder deportiert. V i r gehen wohl nicht fehl, wenn wir annehmen, daß sich unter den meisten Deportierten und auch den in den Trümmern Zurückbleibenden dumpfe Verzweiflung ausbreitete. Sie sahen sich von einem unerklärlichen Schicksalsschlag getroffen, der alles, was ihnen von Priestern, Tempelpropheten und Hoftheologen als Grundlage des offiziellen Jahweglaubens vermittelt worden war, in Frage stellte. Wo war denn der auf dem Zion thronende Jahwe, der mit Hilfe seines Gesalbten die Welt regierte? Hatte er nicht sinnenfällig seine Ohnmacht gegenüber den babylonischen Göttern erwiesen (Jes 50,2), da die Feinde triumphierten? Waren nicht seine Verheißungen, Schwüre und Selbstverpflichtungen als Trug entlarvt (Ps 77,9; 89,50)? Kümmerte er sich überhaupt noch um sein Volk (Jes 40,27), oder war Israel am Ende (Ez 37,11)? Aber auch die dtn. Reformtheologie mußte sich kritische Anfragen gefallen lassen. Was hatte denn die ganze Kultreform gebracht? Hatte sich die schroff exklusive Jahweverehrung und ihre Durchsetzung auch in den Familien nicht als ein großer Irrtum erwiesen, ja möglicherweise sogar andere Götter erzürnt? Jedenfalls konstatieren die Frauen der nach Ägypten geflohenen Judäer erbost gegenüber Jeremia, daß es ihren Familien gut ging, solange sie noch die Himmelskönigin in ihre Gottesverehrung einbezogen, und das Unheil erst über sie hereinbrach, nachdem sie deren Verehrung aufgegeben hatten (Jer 44,17-19). Man konnte somit den staatlichen Zusammenbruch sehr wohl auch als göttliches Gericht über die josianische Reform deuten. Und die Wiederbelebung des Synkretismus insbesondere auf der Ebene der familiären Frömmigkeit, die in der Exilszeit erkennbar wird, 1 gehört in diesen Zusammenhang. Wie die politische Katastrophe theologisch zu deuten war und welche Konsequenzen aus ihr zu ziehen waren, das mußte erst in einem längeren Prozeß durchgekämpft werden.

1 Jer 7,31; 8,2; 19,13; 44,15ff. (vgl. Elephantine-Papyri); Ez 13,17-23; 14,1-11; Jes 57,313; 65,3-5.11; 66,17; vielleicht ist auch schon Ez 8,14 ff. in diesem Zusammenhang zu interpretieren, s.o. 362.

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4.21 Die Trauerarbeit im exilischen Gottesdienst Ein wesentlicher Ort, an dem sich das Ringen um einen angemessenen theologischen Umgang mit der politischen Katastrophe vollzog, war der exilische Gottesdienst. Der Großkult der Exilszeit ist — soweit wir erkennen können — ganz überwiegend Klagegottesdienst gewesen. Selbst nach ihrem Ende war es noch üblich, zur Erinnerung an die wichtigsten Daten des staatlichen Zusammenbruchs: den Beginn der Belagerung im 10. Monat, das Schlagen der Mauerbresche im 4. Monat, die Verwüstung von Tempel und Palast im 5. Monat und die Ermordung Gedaljas im 7. Monat, alljährlich vier öffentliche Fastengottesdienste (söm) abzuhalten (Sach 7,2 ff.; 8,18 f.). Damit wurde diese kasuelle Gottesdienstform, die schon in vorexilischer Zeit nicht notwendig an einen heiligen Ort gebunden war, zum tragenden Element des stetigen Großkults in der Exilszeit.2 Von den Daheimgebliebenen wurde er wahrscheinlich in der zerstörten Tempelanlage gefeiert; dabei konnten auch vegetabilische Opfer und Räucheropfer dargebracht werden (Jer 41,5), jedoch keine Tieropfer, welche die kultische Reinheit der Anlage erfordert hätten. Auch wenn das Ausland als kultisch unrein galt (l.Sam 26,19; 2.Kön 5,17; Jer 5,19; Ps 137,4), waren Klagegottesdienste selbst unter den Exilierten möglich; durch die Gebetsrichtung nach Jerusalem waren auch sie auf das zerstörte Heiligtum bezogen (l.Kön 8,46-51). Doch trotz dieses Bezuges zum offiziellen Kultort unterschied sich der Großkult der Exilszeit von dem der Königszeit wesentlich darin, daß er nicht mehr unter königlicher Aufsicht stand. Er wurde dadurch offener und zu einem Forum, auf dem unterschiedliche Gruppen ihre theologischen Vorstellungen einbringen konnten. Dies macht sich u.a. dadurch bemerkbar, daß neben der normalen Gattung Klage des Volkes (Ps 44; 60; 74 (?); 79; 89; Jes 51,9f.; 63,7-64,11; Klgl 5) auch andere Gattungen in den Volksklagefeiern Verwendung fanden wie freie elegische Dichtungen im Stil der Totenklage (Klgl 1; 2; 4), zwischen Groß- und Kleinkult vermittelnde Kompositionen (Klgl 3; Ps 1023) oder auch Sammlungen prophetischer Gerichtsworte (z.B. Jer 8,4-10,25* 4 ). Erst durch diese größere institutionelle Offenheit konnte der exilische Gottesdienst zum Ort der theologischen Klärung in der politischen Krisensituation werden. Die Textgruppe, welche das theologische Ringen unter den Daheimgebliebenen in den Jahren unmittelbar nach der Katastrophe erkennbar werden läßt, sind die Klagelieder. Der Verfasser 5 dieser z.T. kunstvollen Dichtun2 Daneben hat es auch weiter kasuelle Fastengottesdienste aus bestimmten Anlässen gegeben, vgl. Esr 8,21.23. 3 Dazu s.u. 557. 4 Dazu s.u. 389 f. 5 Es sei hier dahingestellt, ob Klgl 1-5 alle von demselben Verfasser stammen (so B.Johnson, Form and Message, 72), sicher scheint mir dies für Klgl 2 und 4 zu sein; Klgl 3 halte ich dagegen für später, s.u. 415 f.

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gen6 hatte vor 587 wahrscheinlich eher den national-religiösen Kreisen angehört. 7 Um so bemerkenswerter ist es, wie er sich in den zwischen klagender Schilderung und Klagegebet pendelnden Texten ein gutes Stück weit von seinen ehemaligen Ansichten distanziert und seine Mitbürger in diesen Lernprozeß mit einbezieht (Klgl 2,18-22): In den langen klagenden Schilderungen macht er ohne alle Beschönigungen die schlimmen Folgen des Krieges namhaft; es geht ihm darum, daß die Not nicht verdrängt, sondern in ihrer ganzen Härte angenommen wird (Klgl 1; 2,1-10; 4,1-11; 5,l-16a). Des weiteren interpretiert er die Notlage, indem er sie streng theologisch auf Jahwe zurückführt: Es war kein blinder Schicksalsschlag, es war letztlich auch nicht die babylonische Militärmacht, sondern es war Jahwe selbst, der Jerusalem, den Tempel und das Königtum zerstört hat (Klgl 2,1-10; 4,1116). Und wenn der Dichter dabei bewußt Vorstellungen und Formulierungen der Zions- und Königstheologie aufgreift, dann will er mit schonungsloser Offenheit aufweisen. wie Jahwe in seinem Zorn selber die Grundlagen dieser theologischen Vorstellungswelt zerschlagen hat: Er zerstörte seinen Thronsitz auf dem Zion (2,1), annullierte den Weltherrschaftsanspruch (1,1; 2,15) und die Uneinnehmbarkeit (4,12) der Gottesstadt, verwarf sein Heiligtum und seinen Gottesdienst (2,6f.) und stieß sein Königtum zu Boden (2,2; 4,20; vgl. Ps 89). Mit seinem politischen Eingreifen gegen die Stadt hat Jahwe zugleich die Richtigkeit dieser beiden wichtigen Linien der offiziellen Jahwereligion zutiefst in Frage gestellt, er hat sich selber von seiner falschen theologischen Vereinnahmung distanziert. Diese theologische Einsicht führt den Dichter konsequent zum Eingeständnis kollektiver Schuld: Nicht Jahwe ist schuld an der Katastrophe, sondern Jerusalem selber (Klgl 1,18). Sie ist Gottes Gericht für ihre Sünden (1,5.8.22). Und der Dichter wirbt dafür, daß seine Mitbürger diesen Zusammenhang von Gericht und Schuld erkennen, ihre Schuld übernehmen und vor Gott bekennen (5,16b). Dies bedeutet im einzelnen erstens das Eingeständnis einer verfehlten Außenpolitik: Die alte Schaukelpolitik zwischen den Großmächten, auf die man bis zuletzt so große Hoffnungen gesetzt hatte (4,17), war Sünde gewesen (5,6 f.), deren verheerende Folgen man nun zu tragen habe.8 Und dies bedeutete zweitens das Eingeständnis

4 Klgl 1-4 sind Akrosticha; wahrscheinlich wurden sie ursprünglich für private Zwecke verfaßt, dann aber wohl bald im öffentlichen Kult verwendet. 7 Vgl. die zahlreichen, z.T. zitathaften Rückbezüge auf die Zions- und Königstheologie (Klgl 1,1; 2,1.6f. 15.20; 4,12; 5,19; 2,2; 4,20; vgl. Ps 99,5; 132,7; 110,1; Ex 15,13; Ps 48,3.14) und B.Albrektson, Studies. Daß auch Bezüge zum Dtn erkennbar sind (z.B. Klgl 1,10 vgl. Dtn 23,2 ff.), braucht nach der josianischen Kultreform nicht verwundern; diese wurde auch von National-Religiösen akzeptiert, s.o. 371; die Ansicht von G.Brunet, Lamentations, daß die Klgl antijeremianisch seien, geht angesichts Klgl 2,14.17 allerdings sicher zu weit. 8 Assur steht im Text für die mesopotamische Macht überhaupt; hier nimmt der Dichter die politische Anklage der Propheten Hosea und Jeremia auf (vgl. Hos 5,12-14; 7,11 f.; Jer 2,18.36f.) und läßt erkennen, daß es dabei auch um die Erlangung wirtschaftlicher Vorteile

ging·

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schwerer theologischer Irrtümer: Die herrschende offizielle Theologie, wie sie von Priestern und Tempelpropheten vertreten wurde, war falsch gewesen. Ihre Heilsgarantien und Heilsankündigungen hatten sich als Irreführung erwiesen; und indem sie es versäumten, die Verfehlungen in der Gesellschaft aufzudecken, waren sie selbst zu Sündern geworden (2,14; 4,13). Statt dessen hatte sich die oppositionelle Position der Gerichtspropheten bewahrheitet (2,17). Man spürt es den Texten noch an, welche Anstrengung es den Verfasser der Klagelieder gekostet hat, sich zu dieser theologischen Umorientierung durchzuringen. Er ist keineswegs schon in der Lage, alle gerichtsprophetischen Anklagen zu akzeptieren; er greift nur die politische und einen Teil der religiösen Anklage auf, läßt aber z.B. die soziale Anklage und damit den gesamten Bereich der verfehlten Wirtschafts- und Sozialpolitik außen vor. Und auch seine theologische Basis, von der aus er zaghaft eine Hoffnungsperspektive entwickelt, daß Jahwes ewige Herrschaft von der Katastrophe letztlich nicht tangiert sei (5,19) und er den Hohn und Triumph der Feinde über den Zusammenbruch Jerusalems schließlich nicht hinnehmen werde (1,9.21 f.; 4,20 ff.), bewegt sich nur wenig über die traditionelle Zionstheologie hinaus. Doch immerhin wurde hier schon in frühexilischer Zeit ein wichtiger erster Schritt vollzogen, im Gottesdienst die erfahrene Katastrophe als Gericht Gottes anzunehmen, Schuldübernahme einzuüben und durch Aufnahme der gerichtsprophetischen Verkündigung langsam eine neue theologische Orientierung zu finden. Weitere Schritte folgten in der ständigen Praxis der exilischen Klagegottesdienste, auch wenn wir den Lernprozeß, der infolge dieser Trauerarbeit geleistet wurde, nicht im einzelnen verfolgen können. 9 4.22 Der Kampf um die Annahme der prophetischen

Oppositionstheologie

Die nur zögernde Aufnahme gerichtsprophetischer Positionen durch den Dichter der Klagelieder läßt erkennen, daß die allgemeine und volle Anerkennung der Verkündigung der Gerichtspropheten mit dem Eintreffen ihrer Ankündigungen keineswegs automatisch und mit einem Schlage vonstatten ging. Dazu waren die im Parteienstreit vor 587 aufgerissenen Gräben zu tief, dafür war ihre Kritik zu radikal und ihre Vernichtungsankündigung zu total. Wenn selbst das durchaus selbstkritische spätere DtrG sich konsequent weigert, auch nur einen der Gerichtspropheten zu erwähnen, dann wird daraus ersichtlich, welche Vorbehalte an dieser Stelle zu überwinden waren. 10 So werden es am Anfang nur kleinere Gruppen gewesen sein, wel' Die wahrscheinlich exilischen Klagepsalmen Ps 44; 60; 74(?); 79; 89; Jes 63,7-64,11 sind nur schwer datierbar und lokalisierbar. Die Prosagebiete, die T.Veijola, Klagegebet, für die Exilszeit reklamiert (l.Sam 23,10-1 la; Ri 6,13; Jos 7,6-9), lassen sich noch weniger einordnen. An den letzten beiden läßt sich aber zumindest erkennen, daß sie um den Widerspruch zwischen Jahwes Verheißung und der realen Notlage kreisen; typisch für den exilischen Klagegottesdienst ist auch die Verbindung von individueller und kollektiver Perspektive, s.u. 415 ff.

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che sich — umgetrieben von dem nationalen Desaster — um eine größere Verbreitung und Anerkennung der gerichtsprophetischen Botschaft bemüht haben. Belegt ist dies für die Jeremiaprophetie, die durch Baruch und wohl auch andere Mitglieder der Reformpartei eine rechtfertigende und propagandistische Bearbeitung fand (Jer 36; 37,3-43,7). Ähnliches gilt für die Ezechielprophetie durch eine priesterliche Reformgruppierung. Aber man kann vermuten, daß sich aufgrund der Katastrophenerfahrungen auch noch weitere Theologengruppen um die Hinterlassenschaft der Gerichtspropheten scharten, sie lasen, auslegten und bearbeiteten, um so eine Orientierung für die Gegenwart zu gewinnen. Der Kampf um die Anerkennung der Gerichtspropheten als das jetzt wegweisende Gotteswort für die gesamte Gemeinschaft fand in zwei Richtungen statt: auf der einen Seite als literarische und mündliche Überzeugungsarbeit im gesellschaftlichen Alltag, 11 auf der anderen Seite durch die Lancierung gerichtsprophetischer Schriften in den Gottesdienst. Wir haben eine Vielzahl von Hinweisen in den Prophetenbüchern selber, daß sie gottesdienstlich verwendet worden sind.12 Auch wenn sich dabei nicht in jedem Fall beweisen läßt, daß solche kultischen Merkmale schon auf den Gottesdienst der Exilszeit zurückgehen, so kann man doch generell davon ausgehen, daß in den exilischen Klagefeiern kürzere oder längere gerichtsprophetische Schriften verlesen und z.T. auch ausgelegt worden sind. Denn zumindest ein Teil der in den Prophetenbüchern erkennbaren Redaktionsarbeit, das Bilden von Sammlungen bzw. die Aktualisierung und Kommentierung vorliegender Sammlungen, läßt sich aus solcher kultischen Verwendung plausibel machen. 13 Dies ist aufs ganze gesehen ein erstaunlicher Vorgang: Von Hause aus war ja das prophetische Gerichtswort eine Form des Gotteswortes gewesen, die im gesellschaftlichen Alltag zur Sprache gekommen war. Von dort her hatte es seine provokative Schärfe, und von dort her war es naturgemäß umstritten, nur gedeckt von dem theologischen Anspruch eines sich von Gott getrieben fühlenden Außenseiters. Jetzt jedoch wurde das Prophetenwort mit der ganzen Dignität eines kultischen Gotteswortes umkleidet, das als solches den Anspruch erhob, von der gesamten versammelten gottesdienstlichen Gemeinde akzeptiert zu werden. Dieser Vorgang läßt sich nur so verstehen, daß im Laufe der Exilszeit neben den traditionellen kultischen Fachleuten (Priestern, Sängern) auch solche 10 Vgl. dazu K.Koch, Profetenschweigen; nach ihm ist es speziell die Unbedingtheit der prophetischen Gerichtsankündigung, welche dem dtr. Verständnis des Gotteswortes widersprach (127 f.). 11 Dazu s.u. 390 ff. 12 Jes 2,6aa; 8,8b.l0; 10,24-26; 30,18-26; 33; Jer 10,25 = Ps 79,6f.; Am 4,13; 5,8f.; 9,5f.; vgl. 1,2; Mi 4,5.7b; 7,7.8-10 u.a. 13 Vgl. z.B. Jes 1,2-20; Jer 8,4-10,25«; Am 4,6-13; 5,1-17; auch die heilsprophetische Fortschreibung der Gerichtspropheten hängt wohl mit dieser Verwendung zusammen, dazu s.u. 431.

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Gruppen Einfluß auf die Gestaltung des Gottesdienstes bekamen, die sich um die Hinterlassenschaft der Gerichtspropheten geschart hatten und sich um deren Tradition und Verbreitung kümmerten. Indem sie dafür sorgten, daß dem Prophetenwort eine neue liturgische Funktion zuwuchs, trugen sie ganz erheblich dazu bei, daß die prophetische Oppositionstheologie in ihrer Breite überhaupt einem größeren Publikum bekannt und infolge stetiger gottesdienstlicher Lesung als Bestandteil der offiziellen Jahwereligion anerkannt wurde. Leider können wir diesen Vorgang nur indirekt aus der Redaktionsgeschichte der Prophetenbücher erschließen, da uns direkte Quellen fehlen. Er soll hier nur an zwei Beispielen verdeutlicht werden (Jer 8,4-10,25* und Am 4,6-13): Die Sammlung von Jeremiaworten, 14 die selbst schon von vielen Klagen: von Klagen Gottes (8,5a.7), Klagen des Volkes (8,14.19aß) und der Stadt (10,19-21), Aufrufen zur Totenklage (9,16-21) und Klagen des Propheten (8,18-23; 9,9), durchzogen ist, läuft auf eine regelrechte exilische Volksklage zu (10,23-25; vgl. Ps 79,6 f.) und ist darum sehr wahrscheinlich speziell für einen Klagegottesdienst geschaffen worden. Sie stellt aus Elementen von Jeremiaworten in zwei Durchläufen (8,4-23; 9,1-10,22*) die fortschreitende Realisierung des göttlichen Gerichts über Juda und Jerusalem dar: ausgehend von der Feststellung der ganz und gar unverständlichen Weigerung des Volkes umzukehren (8,4-6), erläutert durch erschütternde Beispiele eingebildeter Selbstgerechtigkeit (8,7-9) und sozialen Fehlverhaltens (8,10-12; 9,1-5.7) über Hinweise darauf, wie Jahwes Bemühen, durch nochmaliges Überprüfen das Gericht aufzuhalten (8,13; 9,6), fehlschlug, wie die Schuldeinsicht des Volkes zu spät kam (8,14) und so der Feind aufmarschierte (8,16-17; 10,18.22), bis zur Darstellung der erschreckten Reaktion der Betroffenen (8,15.18-23; 9,19-21). Ziel dieser Sammlung ist es somit, die exilischen Gottesdienstteilnehmer noch einmal den Ablauf der Katastrophe nacherleben zu lassen, aber nicht so, wie sie ihn zum großen Teil real historisch erlebt hatten, sondern in der theologischen Perspektive der Gerichtsprophetie. Sie sollen dabei lernen, daß nicht Jahwe, sondern sie selber daran schuld sind, daß das Unheil unaufhaltsam seinen Lauf nahm, sie sollen trauern lernen über ihr Fehlverhalten und ihre Unbußfertigkeit. Und erst aufgrund dieses Lernprozesses können sie sich in ihrer Klage erneut Gott zuwenden (10,23-25), um ihn, ihre ganze menschliche Fehlsamkeit und Nichtigkeit eingestehend (10,23), um eine Begrenzung des Gerichts angesichts gegenwärtiger Feindbedrohung zu bitten (10,24 f.). Eine andere Weise, die Gerichtsprophetie gottesdienstlich einzubinden, wird aus Am 4,6-13 deutlich. Hierbei handelt es sich um einen für den exilischen Gottesdienst neu gebildeten liturgischen Text, der in die Samm14 Daß es sich um eine gegenüber Jer 2-6* selbständige Sammlung handelt, zeigt die Doppelüberlieferung Jer 8,10aß-12 zu 6,13-15; noch nicht dazu gehörten Jer 9,11-15.22-25; 10,1-

16.

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lung der Amos-Worte eingefügt wurde. 15 Er hebt an mit einer langen göttlichen Beschuldigungsrede an die gottesdienstliche Gemeinde, die sie in Aufnahmen von Fluchreihen (Dtn 28,16 ff.; Lev 26,14 ff.) darüber belehrt, daß Jahwe immer wieder schlimme Plagen über Israel gebracht hat, um es zur Umkehr zu bewegen, doch immer wieder an seiner Unbußfertigkeit scheiterte (4,6-11). Darum blieb Jahwe gar nichts anderes übrig, als über Israel solch totales Gericht heraufzuführen, wie es von Arnos angekündigt war (4,12a 16 ). In einem regelrechten liturgischen Aufruf wird nun die Gemeinde aufgefordert, sich zur Begegnung mit diesem strafenden Gott bereitzuhalten (4,12b); das heißt, in den Worten des Gerichtspropheten Arnos wird Jahwe in seiner ganzen Majestät kultisch theophan (vgl. Am 1,217). Und die Gemeinde antwortet auf diese Gottesbegegnung mit einer Doxologie (4,13) und erkennt damit den in seiner Majestät strafenden Gott — und damit auch die Amosprophetie — ausdrücklich an. Wie aus den beiden Beispielen ersichtlich, beschritten die Theologengruppen, die sich der Pflege des gerichtsprophetischen Erbes verpflichtet fühlten, recht verschiedene Wege, um im exilischen Gottesdienst die Anerkennung der prophetischen Oppositionstheologie durchzusetzen. Damit veränderte sich auch der Charakter des Großkults. Er bekam nunmehr neben den rituellen Vollzügen eine starke erzieherische Komponente. Während das kultische Element durch die Zeitumstände sowieso zurückgedrängt wurde, gewann das Wortelement erhöhte Bedeutung. Damit werden schon Züge des späteren Synagogengottesdienstes erkennbar, in welchem das Wortelement (Schriftlesung, Bekenntnis, Gebet) dann ganz in den Mittelpunkt treten sollte. Wohl können wir mangels Quellen nicht genau erkennen, wann diese neue Gottesdienstform entstanden ist, 18 doch es läßt sich wohl sagen, daß der exilische Klagegottesdienst eine der Wurzeln darstellt, aus der heraus sich der Synagogengottesdienst entwickelt hat. 19 4.23 Die volksmissionarische Aufklärungsarbeit der Jeremia-Deuteronomisten Neben der kultischen hat es in der Exilszeit auch eine außerkultische Prophetenrezeption gegeben. Auch sie wird greifbar in einer breitgefächerten literarischen Aktivität innerhalb der Redaktionsgeschichte der Prophe15 H.W.Wolff, Joel-Amos (3.6), 136; 256 ff., wies den Text einer „Bethel-Interpretation der Josiazeit" zu, doch bleibt eine spätere Ansetzung plausibler, vgl. K.Koch, Rolle, 536. Sicher nicht zufällig ist die Anknüpfung an ein kultisches Prophetenwort (Am 4,4f.). " So ist doch wohl der pauschale Verweis durch das kö zu verstehen. 17 Dieses sog. „Motto" repräsentiert die Amosprophetie als Gerichtstheophanie Jahwes vom Zion. 18 Die exilischen und frtihnachexilischen Stellen, die dafür beigebracht werden (Ez 11,16b; Jer 52,13; Jes 56,7; Ps 74,7 f.; Esr 8,15-20), sind uneindeutig; erstmals sicher ist eine Synagoge im 3.Jh.v.Chr. aus Ägypten inschriftlich bezeugt, zur Diskussion vgl. S.Kraus, Altertümer; K.Galling, Erwägungen; H.E.v.Waldow, Origin. 19 Vgl. die Prophetenlesung neben der Toralesung im frühen Synagogengottesdienst Lk 4,17; Apg 13,15.

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tenbücher. 20 Ein Teil davon läßt sich sog. deuteronomistischen Redaktionsschichten zuweisen. 21 Und unter diesen ist die dtr. Bearbeitung des Jeremiabuches die breiteste und bei weitem interessanteste. Wer waren diese Jeremia-Deuteronomisten (JerD), welche in der fortgeschrittenen Exilszeit (um 550 2 2 ) ihre ganze literarische und theologische Aktivität der Pflege und Verbreitung der Hinterlassenschaft dieses letzten großen Gerichtspropheten widmeten? Man darf sich unter „den Deuteronomisten" keine einheitliche geschlossene Gruppe vorstellen. Der Deuteronomismus der Exilszeit — und frühnachexilischen Zeit — war eher eine theologische Zeitströmung, die recht unterschiedliche Gruppen erfaßte. Die Weite ihrer Verbreitung und die Kraft, die sie entwickelte, hängen ganz einfach damit zusammen, daß nach dem Kollaps, den die offizielle Königs- und Tempeltheologie mit der Katastrophe von 587 erfahren hatten, die dtn. Theologie — abgesehen von den Gerichtspropheten — als so ziemlich die einzige Ausprägung der offiziellen Jahwereligion übrigblieb, die sich dem, der in der Exilszeit seriös Theologie betreiben wollte, anbot. Daneben gab es nur noch die sich im Gefolge Ezechiels entwickelnde priesterliche Reform-Theologie, aber selbst diese ist von der dtr. Zeitströmung nicht unbeeinflußt23 Das heißt, die dtn. Reformtheologie, die in spätvorexilischer und frühexilischer Zeit noch auf bestimmte Trägergruppen begrenzt war, wurde im Laufe der weiteren Exilszeit zur wichtigsten theologischen Basis, an der recht unterschiedliche informelle Theologengruppen ihr theologisches Denken orientieren und schulen konnten. Und wenn man bedenkt, daß schon das Dtn eine großangelegte theologische Synthese repräsentiert, so verwundert es nicht, daß auch die deuteronomistisch orientierten Gruppen — bei aller Gemeinsamkeit bezüglich bestimmter Grundziele und einer bestimmten theologischen Begrifflichkeit — zu recht unterschiedlichen Ansätzen gelangen konnten, je nachdem welche Linien der Synthese sie betonten und welche sie mehr in den Hintergrund drängten. So unterscheiden sich JerD von den dtr. Gruppen, die sich um eine Aufarbeitung der historischen Traditionen bemühten, nicht nur grundsätzlich hinsichtlich ihrer Einschätzung der Gerichtsprophetie,24 sondern auch hinsichdich ihrer Bewertung der Zions- und Königstraditionen und — was noch wichtiger ist — bezüglich der sozialen Seite des dtn. Ansatzes.25 Damit erwiesen sie sich nicht nur als gelehrige Schüler Jeremias, sondern setzten auch tendenziell die stärker sozial und „demokratisch" geprägte Reformrichtung des Schafaniden Gedalja fort 2 6 Daß es sich bei den JerD um Nachkommen des Gedalja-Reformflügels der zweiten oder dritten Generation handelt, ist darum wahrscheinlich.27

20

Vgl. z.B. I.Willi-Plein, Vorformen; J.Jeremias, Deutung; Ders., Zur Eschatologie u.a. So im Arnos- und Michabuch; in ihrer Nähe auch Jes 1,2-20; vgl. W.H.Schmidt, Redaktion; W.Thiel, Redaktion I und II. 22 Vgl. Jer 27,7; 29,10 und W.Thiel, Redaktion II, 114. 23 Vgl. die Anklänge an die dtr. Sprache, die immer wieder auch im Ezechielbuch entdeckt worden sind; vgl. RLiwak, Probleme, 205 ff.; der eigenartige Tatbestand findet durch die vorgeschlagene Sicht des Deuteronomismus eine einfache Erklärung. 24 Bis auf — den heilsprophetisch umgedeuteten — Jesaja (2.Kön 18-20) wird kein einziger der klassischen Gerichtspropheten im DtrG erwähnt. 25 S.u. 404 f. und 405 f. 26 S.o. 372 f. 11 Vgl. schon die Erwägungen N.Lohfinks, Kurzgeschichte (3.8), 333ff., in diese Richtung. Der relativ geringe sprachliche und sachliche Abstand, der zwischen den Jeremia-Erzählungen, 21

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Die dtr. orientierte Theologengruppe, welche das Jeremiabuch redigierte, beschränkte ihre Aktivität keineswegs auf literarische Arbeit. Vielmehr gibt es eine ganze Reihe von Hinweisen, daß das, was wir als literarischen Niederschlag im Jeremiabuch vorfinden, auf eine mündliche Aufklärungsarbeit unter den Daheimgebliebenen 28 der zweiten und dritten Exilsgeneration zurückgeht. 29 So finden sich unter ihren Texten kleine Gerichtskatechesen, welche im Frage- und Antwortspiel die Hörer explizit über die Gründe der geschichtlichen Katastrophe belehren wollen (Jer 5,19; 9,11 -15; 16,10-13; 21,8f.; vgl. 7,13; 40,2f.). Und eine Gruppe von Reden, welche Jeremia in den Mund gelegt werden (7,1-15; 22,1-5; 17,19-27; vgl. 42,ΙΟΙ 7; l.Kön 9,1-9), lassen sich als regelrechte Predigten verstehen, die auf eine aktuelle Predigtpraxis der Gruppe zurückgehen: Sie sind alle im Tor lokalisiert, wo nach altem Brauch die Rechtsgemeinde zusammenkam, sie fußen auf dem „Text" eines Prophetenwortes, das ausgelegt wird, und sie sind alle nach dem gleichen Schema einer Mahnrede mit bedingter Heilsund Unheilsverheißung aufgebaut, um die Hörer weg von der falschen und hin zu der richtigen Handlungsalternative zu führen. Wir haben hier somit eine Form nichtkultischer Wortverkündigung vor uns, die eine andere Wurzel des Synagogengottesdienstes gewesen sein mag.30 Ein starker pädagogischer Impuls durchzieht die Praxis und Theologie der Gruppe. 31 Mit einer stark formelhaften, einfachen und einprägsamen Sprache bemüht sie sich darum, selbst noch den schlichtesten Zeitgenossen regelrecht einzubleuen, daß sie nun endlich — mehr als 30 Jahre nach der Katastrophe — aus den Fehlern der Vergangenheit lernen müßten, daß sie begriffen, was die wahren Ursachen ihrer notvollen Lage waren, und daß sie sich so umorientierten, daß weiteres Unheil vermieden und ein Neubeginn wirklich werden konnte. Man kann darum geradewegs von einer volksmissionarischen Aufklärungs-

die die Schafaniden feiern (z.B. Jer 36), und der dtr. Redaktion besteht (vgl. V.3.7.31 und E.W.Nicholson, Preaching, 38 ff.), könnte für eine kontinuierliche Traditionskette sprechen; wie die Schafaniden so sind auch die JerD grundsätzlich probabylonisch orientiert (vgl. Jer 27,5ff.; 28,14; 42,11; 43,10); ihre kritische Haltung gegenüber dem 'am hä'äres / 1 , 1 8 ; 34,19; 44,21) könnte mit dessen Aufspaltung in der spätvorexilischen Zeit erklärt werden (s.o. 364) und brauchte somit nicht unbedingt ein Gegenargument zu sein. 28 Zur Lokalisierung der JerD in Juda vgl. die von W.Thiel, Redaktion II, 113, zusammengetragenen Argumente; auch der eigenartige Rückfall in die Anrede der Daheimgebliebenen Jer 29,19 läßt sich dann einfach erklären. Ihre Ansiedlung in der babylonischen Gola durch E.W.Nicholson, Preaching, 116ff., ist deswegen ganz unwahrscheinlich, weil sein Hauptargument (127), das negative Urteil über die Daheimgebliebenen in Jer 24,8; 29,16-19, auf die Zeit bis 587 beschränkt bleibt; vgl. 32,15ff.; 42,10-12. " Vgl. W.Thiel, Redaktion I, 290 ff.; II, 107 ff. 30 Vgl. H.E.v.Waldow, Origin, 273 ff., und vergleichbare nachexilische Versammlungen wie Neh 8. 31 Vgl. den ständigen Vorwurf, Israel hätte in der Vergangenheit nicht auf Gottes Weisungen gehört und „keine Zucht angenommen" (läqah müsär Jer 7,28; 17,23; 32,33; 35,13; vgl. mit lämad pi. „belehren" Jer 32,33); die Zeit der theologischen Belehrung soll nach dieser Konzeption erst mit dem neuen Bund aufhören (Jer 31,34).

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arbeit der JerD sprechen. Mit ihr sahen sie sich in der Nachfolge des Propheten Jeremia. Dieser pädagogische Aspekt war nun auch das Mittel, mit dem die JerD das Deuteronomium und Jeremia miteinander verbanden und damit die prophetische Oppositionstheologie erstmals voll und systematisch in die offizielle Jahwereligion integrierten. Gesetz und Gerichtspropheten fanden ihre höhere Einheit in der Pädagogik Gottes, sie waren nur zwei Weisen des göttlichen Wortes (däbär),i2 mit dem er sein Volk auf dem rechten Weg durch die Geschichte leiten wolle. Nach Ansicht der JerD — die etwas von den anderen dtr. Gruppen abweicht33 — hat Jahwe mit Israel schon am Tage des Auszugs aus Ägypten seinen Bund geschlossen (Jer 11,3 f.6 f.; 31,32) und seine grundlegenden Forderungen (7,22 f.; 11,4.7; vgl. 31,32), d.h. den Dekalog und das dtn. Gesetz (34,13 f.) verkündet. Doch — in Radikalisierung der Ansichten Hoseas und Jeremias34 — war Israel ihrer Ansicht nach schon an diesem Tage ungehorsam, hörte nicht auf Gottes Stimme bzw. sein geleitendes Wort. Darum hat Gott ihm durch seine ganze Geschichte hindurch eine Kette von Propheten gesandt (7,25; 25,4; 26,5; 29,19; 35,15; 44,4; vgl. 26,18), die unermüdlich warnten, von Gott abzufallen. Die Gerichtspropheten werden damit für JerD Bußprediger, die das Volk immer wieder zur Umkehr (26,3; 36,3.7) und d.h. zur Befolgung des dtn. Gesetzes aufgerufen haben (26,4; vgl. 34,12 ff.).35 Der letzte Prophet in dieser Kette ist Jeremia gewesen. Als sein Umkehrruf ungehört verhallte (18,11 f.), ja die Judäer auch noch versuchten, ihn mundtot zu machen (11,9.21; 18,18), war der Bund endgültig gebrochen (11,10), und Jahwe war gezwungen, das schon im Deuteronomium (Dtn 28 f.; vgl. Jer 11,8) angedrohte Unheil über sein Volk kommen zu lassen. Es entspricht dieser Einordnung Jeremias in die dtn. Theologie, daß er ein Stück weit mit Mose parallelisiert (Jer l,7b.9.17 = Dtn 18,18b) und sogar durch einen fingierten Prozeß ausdrücklich als Prophet im Sinne des dtn. Prophetengesetzes (Jer 26,16 vgl. Dtn 18,20) erwiesen wird. Zweifellos wurde ihm in dieser Integration ein Stück weit die schroffe Härte seiner Anklagen und die Unbedingtheit seiner Gerichtsankündigung genommen, aber man kann nicht sagen, daß die JerD damit seine Verkündigung völlig verzeichnet hätten. Sie können sich nicht nur darauf berufen, daß sich auch

32

Die Kongenialität zwischen Prophetenwort und den „Worten des Bundes" wird am deutlichsten in Jer 11,1-14.17; vgl. Jer 7,23 u.ö.; daneben benutzen die JerD für die Gesetzesverlautbarung noch die Begriffe qöl „Stimme" 7,23; 9,12; 11,4.7; 32,23; törä „Weisung" 9,12; 16,11; 26,4; 32,23, die ebenfalls für das prophetische Wort gebraucht werden (vgl. 42,6; 44,23). 33 Nach Dtn 4,44 ff. fand die Kundgabe des Dekaloges und der Bundesschluß am Horeb statt, die Kundgabe des Dtn erst kurz vor dem Jordanübertritt, vgl. aber auch Dtn 29,24; l.Kön 8,21. 34 Nach Hos 9,10; 13,6 und Jer 2,7b begann der Abfall mit der Landnahme, so auch JerD in 32,23. 35 Ähnlich auch im DtrG 2.Kön 17,13 f.; vgl. Ri 6,7-10, aber ohne Bezug auf die Gerichtspropheten.

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Jeremia selber eine Zeitlang um eine Umkehr des Volkes bemüht hatte, 36 sondern nehmen auch seine Unheilsankündigungen für ihre eigene Gegenwart und Zukunft noch durchaus ernst. Aber anders als Jeremia mußte es ihnen in ihrer neuen geschichtlichen Lage darum gehen, ihren Zeitgenossen eine neue Hoffnungsperspektive anzubieten. Wenn es nun richtig war, daß aufgrund des Fehlverhaltens, das Jeremia aufgedeckt hatte und das die JerD nicht ganz zu unrecht 37 als Übertretung des Dekalogs bzw. des dtn. Gesetzes deuteten, das Gericht Jahwes über Juda hereingebrochen war, dann bestand auch Hoffnung, daß sich Jahwe dem Volk wieder zuwenden würde, wenn dieses sich durch Jeremia jetzt endlich zur Einhaltung des Gesetzes zurückrufen ließ. Im Nachdenken über den Zusammenhang, der zwischen dem Verhalten gegenüber dem Prophetenwort und dem Handeln Gottes in der Geschichte offenbar geworden war, meinten die Theologen sogar, ein regelrechtes Gesetz der göttlichen Weltregierung formulieren zu können, das weit über Juda hinaus universale Geltung habe: Das eine Mal plane Gott über ein Volk Heil; sei dieses dann ungehorsam und lasse sich durch den Propheten nicht warnen, so lasse sich auch Gott des Heils gereuen und führe es ins Unheil. Ein anderes Mal plane Gott über ein Volk Unheil; wenn sich aber ein solches durch den Propheten warnen lasse und umkehre, so lasse sich auch Gott des Unheils gereuen (Jer 18,7-10; vgl. 1,10; 26,3.13.19; 36,3.7). Eingedenk dieser göttlichen Pädagogik — so die JerD — komme darum alles darauf an, jetzt im Exil endlich auf Jeremia zu hören. Die Hauptforderung Jeremias nach der Sicht seiner dtr. Interpreten war die Einhaltung des ersten und zweiten Gebots. Der Abfall von Jahwe, die Fremdgötterverehrung und der Bilderdienst waren ihrer Meinung nach die Hauptgründe für die Katastrophe (Jer 5,19; 9,13; 16,11; vgl. 1,16b; 2,20b; 7,6.9; 11,10.17; 16,18; 19,13; 7,30; 32,34). Wenn die JerD die religiöse Anklage, die Jeremia vor allem in seiner Frühzeit erhoben hatte, 38 in dieser so starken Weise betonten, dann entsprachen sie damit wohl nicht nur einem Postulat dtn. Theologie, sondern fühlten sich wahrscheinlich auch dazu durch einen akuten Mißstand ihrer eigenen Gegenwart herausgefordert: den wiederauflebenden Synkretismus in der Exilszeit. Im einzelnen benannten sie: die Verehrung der Himmelskönigin (7,18 f.; 44,15 ff.), ein Greuelbild im Tempel (7,30; 32,34), die „Molochopfer" auf dem Tophet (7,31; 19,5; 32,35) und die Gestirnsanbetung (8,2; 19,13; 32,29). A u c h w e n n diese Formulierungen z . T . sehr allgemein klingen u n d sich an Bräuchen ausrichten, die s c h o n unter der assyrischen E x p a n s i o n n a c h Juda eingedrungen sind, k ö n n t e n damit — a b g e s e h e n v o m schwer deutbaren Greuelbild im T e m p e l — private

56

Jer 3,12.22; 4,1.3.14; 5,1-3; 6,8.27; 8,4-6. Die einmalige Sklavenfreilassung (deror) in Jer 34 war sachlich etwas anderes als die Entlassung der Schuldsklaven bzw. die Schemitta, die in Dtn 15,12-18.1-11 geregelt werden; dennoch widersprach ihre Annullierung zwar nicht dem Buchstaben, aber doch dem Geist dieser Sozialgesetzgebung. 38 Vgl. Jer 2,5-8.11.13.17.19.20.23f.27f.32; 3,1.2; 18,13-15. 37

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Synkretismen benannt sein, die durchaus noch unter babylonischer Herrschaft akut waren. Eindeutig nachweisbar ist dies für die familiäre Verehrung der Himmelskönigin, die in der ein Jahrhundert späteren Verehrung der Anat-JHW unter den Judäern von Elephantine ihr Äquivalent fand. 39 Sie entsprach nicht nur dem alten Brauch, neben Jahwe noch eine den alltäglichen Sorgen nähere Begleiterin Jahwes anzurufen, 40 sondern wird auch in Jer 44,18 f. explizit damit begründet, daß sich die exklusive Jahweverehrung seit der josianischen Reform als Fehler herausgestellt habe. Bei der „Gestirnsanbetung" auf den Dächern mag man an babylonische Omenund Beschwörungsrituale denken. 41 Wieweit die Kinderweihungen („Molochopfer") noch tatsächliche Praxis waren, ist schwer zu beurteilen. 42

Die JerD hielten die vornehmlich im privaten Bereich grassierenden Synkretismen für eine ernste Bedrohung. Sie wehrten sich damit nicht nur gegen eine Ausdeutung der nationalen Katastrophe als Strafe der durch eine exklusive Jahweverehrung vernachlässigten Götter, sondern sie kündigten auch ein furchtbares Weitergehen des Gerichts an, falls nicht alle von jeder nur möglichen Form des Synkretismus Abstand nehmen (Jer 8,2f.; 19,12 f.). Doch so wichtig den JerD die religiöse Selbstreinigung war, so beschränkten sie sich — anders als Theologen des DtrG — nicht auf sie. Sie erwiesen sich auch darin als gelehrige Schüler Jeremias, daß sie dessen soziale Anklagen voll übernahmen (7,1-15; 22,1-5) und mit der sozialen Gesetzgebung des Deuteronomiums in Verbindung brachten. Die widerrufene Sklavenbefreiung (deror) in der Zeit der Belagerungspause 588 (Jer 34) deuteten sie als Übertretung des dtn. Schemitta- und Sklavengesetzes (Dtn 15,lff.l2ff.), und sie hielten daran fest, daß in dieser Hinsicht die Angehörigen der Oberschicht die Hauptschuldigen waren (34,19 ff.; vgl. 1,18; 2,26b; 13,13; 32,32; 34,19; 44,21), die darum auch ein besonders hartes Gericht Gottes traf. Auch im sozialen Bereich vollzogen sich für sie Abfall und Bekehrung (34,14-17), und ihre Parole: „Bessert eure Wege und euer Handeln!" (7,3.5; 18,11; 26,13; 35,15; vgl. 25,5) umfaßte beides, den religiösen wie sozialen Gehorsam gegenüber Gott. Nur wenn beide Intentionen der unverkürzten dtn. Reformabsicht in der exilischen judäischen Gesellschaft verwirklicht werden konnten, bestand nach Auffassung der JerD die Chance für einen Neuanfang. Mit diesem ihrem Plädoyer für eine religiöse und soziale Erneuerung Judas grenzten sich die dtr. Jeremia-Interpreten wahrscheinlich gegen andere Heilshoffnungen ab, wie sie eindeutig in der frühnachexilischen Zeit belegt (Hag 1,3-11; 2,15-19), aber wohl schon in der fortgeschrittenen Exilszeit

" Vgl. AP 44; B. Porten, Jews (4.1), 393, hat wahrscheinlich gemacht, daß Anat, die in Ägypten den Titel nbtpt „Herrin des Himmels" trug, mit „Königin des Himmels" (semitische Titulatur) identisch ist. Unter dieser Bezeichnung hatte sie auch einen Tempel in Syene. 40 S.o. 132 f. 41 S.o. 301; 303. 42 Einerseits könnte man aus ihrer Deutung als regelrechte Kinderopfer (Jer 19,5-9) schon einen gewissen Abstand zur aktuellen Praxis entnehmen; andererseits scheinen sie noch für das — wahrscheinlich frühnachexilische — Heiligkeitsgesetz (Lev 20,1-5; 18,21) eine akute Gefahr gewesen zu sein.

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wieder aufgekommen waren: daß es nur darauf ankäme, den Tempel wieder zu errichten und den Opferkult in Gang zu bringen, um die Sicherheit und den Wohlstand des Landes wiederherzustellen. Dagegen machten die JerD kritisch das falsche Vertrauen auf den Tempel geltend, gegen das schon Jeremia gekämpft hatte (7,4), und bestritten grundsätzlich, daß der Opferkult je Bestandteil der ursprünglichen Willenskundgabe Gottes gewesen sei (7,21 f.; vgl. Am 5,25). Wohl gehört auch für sie — bzw. für ihre Nachinterpreten 43 — ein funktionierender Tempelkult zur erwarteten Heilszeit mit dazu (17,26), aber doch nur als deren Begleiterscheinung, nicht als deren Ermöglichungsgrund. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß die JerD — im Unterschied zum DtrG 44 — keine Erwählung des Zions kennen; Jahwes Beziehung zu ihm ist aufs äußerste zu einem „Ort, über dem Jahwe seinen Namen ausgerufen hat," (7,10.11.14.30; 32,34; 34,15)45 sublimiert. Der kritischen Haltung der JerD gegenüber dem Tempel entspricht ihre Zurückhaltung gegenüber dem Königtum. Anders als ihre Kollegen vom DtrG knüpften sie keine Hoffnungen an Jojachins Begnadigung unter AwilMarduk (2.Kön 25,27-30). Er blieb für sie der von Jahwe verworfene König (Jer 22,24-30). Das Königtum stand ihrer Meinung nach unter der gleichen bedingten Verheißung bzw. Unheilsankündigung wie das ganze Volk (22,15), es hatte nur eine Chance, wenn es sich auf seine vornehmste Aufgabe, den Schwachen Recht zu schaffen, besann. Wohl wird in der neuen Heilszeit eine Restitution des Königtums erwartet (17,25; 23,4), 46 aber nirgends wird dabei auf die Königserwählung bzw. die Bestandsgarantie für die Daviddynastie zurückgegriffen; diese ist zu der Formulierung „der auf dem Thron Davids sitzt" (22,2.4; 17,25) zurückgeschnitten. Die Verheißungen, welche die dtr. Tradenten der Jeremiaüberlieferung z.T. im Anschluß an den Propheten zuerst noch vorsichtig und dann immer vollmundiger ihren Zeitgenossen verkündeten, richten sich im Kern weder auf den Tempel noch auf das Königtum, sondern auf das Volk. Sie galten auf der einen Seite der babylonischen Gola, der Rückführung und Wiederansiedlungim Lande in Aussicht gestellt wird (Jer 24,6; 29,10-15; 30,3; 32,37.41). Sie galten aber auch — und das wird ζ. T. übersehen 47 — den Daheimgebliebenen, denen trotz aller Bedrängnis durch die Nachbarvölker ewiges Woh-

43 Mit seiner Sabbatthematik könnte Jer 17,19-27 auch schon in die frühnachexilische Zeit gehören, vgl. etwa Neh 13,15-22. 44 Vgl. Jos 9,27; l.Kön 8,16.44; 11,13.32.36; 14,21; 2.Kön 21,7; 23,27, dazu s.u. 406f. 45 Im DtrG nur,l.Kön 8,43, sonst dort massiver mit sim „setzen" l.Kön 11,36; 14,21; 2.Kön 21,4.7; 23,27 oder hjh „sein" l.Kön 8,16-29. 46 Eigenartigerweise werden in Jer 17,25; 22,2.4 zusammen mit dem König auch seine Beamten (s'dnm, 'äbädim) erwähnt Sollte sich darin die Hoffnung auf eine Wandlung des Königtums zur „konstitutionellen" Monarchie andeuten, wie sie vom Reformflügel der Beamtenschaft, besonders von den Schafaniden (vgl. Gedalja) seit der josianischen Zeit gehegt worden war? 47 So etwa von E.W.Nicholson, Preaching, 127; K.-F.Pohlmann, Studien, 186 u.ö.; die Verdikte über die Daheimgebliebenen (Jer 24,8; 29,16-18) sind auf die Zeit bis zum Fall Jerusalems beschränkt.

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nen im Lande (7,3.7; 25,5b; 35,15), Gottes Beistand gegenüber der babylonischen Oberherrschaft (42,10-12); die Wiederbesiedlung der verlorenen Gebiete im Süden und Südwesten (32,42-44; vgl. 17,26) und die Normalisierung und Sicherung des Lebens einschließlich Königtum und Kult (17,25 f.; vgl. 23,4) zugesagt wird. Nur die ägyptische Gola blieb wegen ihres eigenmächtigen Entschlusses, das Land zu verlassen, und infolge ihres Synkretismus weiter unter Jahwes Gericht (24,8; 42-44). Voraussetzung war für die JerD, daß ein Wille zur gehorsamen Hinkehr zu Jahwe vorhanden war (7,3.5 ff.; 24,7b; 29,13.20). Die eigentliche Wende zur neuen Heilszeit, so meinten die JerD, konnte nicht durch menschliche Anstrengungen, sondern nur durch Jahwe selber heraufgeführt werden. In einer eigenartigen Geschichtsspekulation rechneten sie mit drei Generationen (27,7) oder 70 Jahren (29,10) babylonischer Weltherrschaft, die Jahwe als Schöpfer der Welt und Herr der Geschichte „seinem Knecht" Nebukadnezar übertragen habe (27,5 f.; 43,10). Das ist eine etwas längere Zeitspanne, als sie tatsächlich gedauert hat, 48 die JerD sahen sich jedenfalls mit ihrer volksmissionarischen Tätigkeit in deren letztem Drittel (noch ca. 15 Jahre). Sie hatten den Boden zu bereiten, auf dem Jahwe dann aufbauen werde. Typisch für die Theologie der dtr. Jeremia-Interpreten ist nun, daß sie ins Zentrum ihrer Verheißungen nicht irgendwelche Äußerlichkeiten, sondern die Erneuerung des Gottesverhältnisses Israels stellten. Aufgrund seines vergebenden Handelns (31,34) würde Jahwe einen neuen bzw. ewigen Bund mit seinem Volk stiften (31,31.33; 32,40), der das ursprünglich bei der Herausführung aus Ägypten intendierte enge Verhältnis zwischen ihm und Israel endlich in Erfüllung bringen werde (31,33; 32,38 vgl. 7,23; 11,4; 24,7). Und damit dieser neue Bund nicht gleich wieder wie der alte gebrochen würde, werde Gott ihn diesmal direkt in den Herzen der Israeliten verankern (31,33) bzw. ihnen einen gehorsamen, solidarischen Willen und Wandel vermitteln (32,39). Dann endlich würde auch die anstrengende theologische Überzeugungs- und Erziehungsarbeit, für die sich die Gruppe jetzt noch einsetzte, überflüssig werden (31,34). Hätte die Theologengruppe mit ihrer Erwartung recht behalten, wäre die Religionsgeschichte Israels hiermit zu Ende. Doch dem war nicht so; das theologische Ringen ging weiter. 4.24 Das Ringen um das theologische Verständnis der gescheiterten Geschichte Es spricht für den hohen Stellenwert, welchen die Geschichte als Medium göttlichen Handelns in der Religion Israels von ihren Anfängen her eingenommen hat, daß es in der exilischen Krise zu einer groß angelegten theologischen Aufarbeitung der voraufgegangenen Geschichte gekommen ist. Angesichts des drohenden Abbruchs der israelitischen Geschichte entstand 48

535.

Vom Antritt der Herrschaft Nebukadnezars 605 aus gerechnet, käme man in das Jahr

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die erste zusammenhängende Geschichtsdarstellung, die von der Landnahme Israels bis zu seiner Exilierung läuft, das sogenannte Deuteronomistische Geschichtswerk (DtrG). Nachdem M.Noth 1947 die These eines einheitlichen DtrG, das von Dtn 1 bis 2.Kön 25 reiche, aufgestellt hatte, gestaltet sich die Forschungslage seit Anfang der 60er Jahre zunehmend diffus: Weder die literarische Einheidichkeit des DtrG noch sein Umfang, noch seine zeitliche Ansetzung sind heute unumstritten (vgl. H.Weippert). Sicher ist, daß das DtrG deutliche Wachstumsspuren erkennen läßt, die sich aber bisher weder durch ein literarkritisches Schichtenmodell (R.Smend, T.Veijola, W.Dietrich, W.Roth u.a.: DtrH, DtrP, DtrN) noch durch ein Blockmodell (F.M.Cross, RD.Nelson, H.Weippert u.a.) einer plausiblen umfassenden Entstehungshypothese haben zuführen lassen. Dies gilt insbesondere für die These einer noch vorexilischen ersten Fassung des DtrG, die — endend mit 2.Kön 23,2549 — eine Propagandaschrift der josianischen Religionspolitik gewesen sein soll.50 Angesichts dieser Diskussionslage scheint mir ein offeneres überlieferungsgeschichtliches Modell sinnvoller,51 das die Wachstumsspuren im DtrG auf die fortlaufende literarische Arbeit einer Gruppe und die leichten konzeptionellen Differenzen aus einer gruppeninternen Diskussion erklärt. Dabei besteht kein Grund, mit dem Beginn dieses Diskussionsprozesses vor das letzte berichtete Datum im Jahr 561 (2.Kön 25,27) hinaufzugehen.52 Was aber war das für eine Gruppe, die sich in den Jahren nach 561 daranmachte, im Licht der politischen Katastrophe die nationale Geschichte des eigenen Volkes aufzuschreiben? Ihre wichtigste theologische Basis hatte sie wie die JerD in der dtn. Reformtheologie, aber anders als diese hatte sie ein weiteres theologisches Standbein in der Jerusalemer Tempel- und Königstheologie. Das Interesse, das die Deuteronomisten (Dtr) dem Bau und der Ausstattung des Jerusalemer Tempels (l.Kön 6 - 8 ) wie seiner Zerstörung und Ausplünderung (2.Kön 24,13 f.; 25,13-17) entgegenbrachten, 53 die unverhohlene Art und Weise, mit der sie seine erst unter Josia realisierten Monopolansprüche zum Vernichtungsverdikt über die gesamte Nordreichsgeschichte erhoben (Ausbau von Bethel = „Sünde Jerobeams" l.Kön 4 ' Der Vers 2.Kön 23,25 ist keineswegs ein deutlicher Abschluß und setzt mit seiner Beurteilung Josias den Überblick über die abgeschlossene Königszeit voraus, vgl. 18,5. 50 So im Anschluß an F.M.Cross R.D.Nelson, Double Redaction, 119 ff.; vgl. H.Weippert, Geschichtswerk, 237 ff. 51 Auf dieser Linie auch H.-D.Hoffmann, Reform, 15 ff. 52 Vgl. die divergierenden zeitlichen Ansätze innerhalb der Vertreter des Schichten-Modells bei H.Weippert, Geschichtswerk, 232ff., die alle auf ganz unsicheren literarischen Abgrenzungen im Schlußkapitel des DtrG beruhen. Dagegen hat E.Zenger gezeigt, daß der Bericht über Jojachins Rehabilitierung 561 (2.Kön 25,27-30) fest im Schlußteil verankert ist und dessen „Sinnspitze" bildet (Rehabilitierung, 28 f.). Sie könnte historisch gut der Auslöser für die Abfassung des DtrG gewesen sein. 53 Vgl. schon Jos 6,19.24 und dann 2.Sam 8,11 f.; l.Kön 7,51; 14,25-28; 15,18f.; 2.Kön 11,10; die Bronze- und Goldgeräte l.Kön 7,13-47.48-50, die Salomo für den Tempel anfertigte, gehen 2.Kön 24,13 f.; 25,13-17 in umgekehrter Reihenfolge wieder verlustig. Dazu kommen noch weitere Berichte, die verschiedene Elemente des Jerusalemer Tempelkults betreffen (2.Kön 12; 16,8.16 ff.; 22 f.).

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12,27 ff.; 14,15 f.; 2.Kön 17,21 f.), und die Hochschätzung, die sie vor allem David (wie Mose Knecht Jahwes l.Kön 11,32.34.36.38; 14,8; 2.Kön 8,19), aber auch einem Teil seiner Nachfolger (Asa, Hiskia, Josia) zukommen ließen, sprechen dafür, sie unter den ehemals national-religiös eingestellten Gruppierungen zu suchen. Nimmt man noch das offensichtliche Interesse der Dtr hinzu, das sie an dem Phänomen Prophetie hegen, 54 so kann man näherhin vermuten, daß sie sich aus den weitgehend arbeitslos gewordenen Jerusalemer Priestern55 und Tempelpropheten und möglicherweise den Altesten56 rekrutiert haben. Es wären nach diesen Überlegungen Angehörige der Führungsschicht der daheimgebliebenen Judäer57 gewesen, welche sich der Aufgabe der Aufarbeitung der gescheiterten Nationalgeschichte unterzogen hätten. Aus dieser sozialgeschichtlichen Zuordnung lassen sich einige Eigentümlichkeiten des dtr. Geschichtsentwurfs erklären: die eigenartige Perspektive einer „Geschichtsschreibung von oben", nach der die Könige über das Wohl und Wehe des Volkes entscheiden, die einseitige Beschränkung des Bewertungsmaßstabes auf die religiöse, rituelle und kultpolitische Ebene und der merkwürdige Umstand, daß die dtr. Autoren zwar fortlaufend Propheten auftreten lassen, welche das gerechte und folgerichtige Handeln Jahwes in der Geschichte demonstrieren, aber die radikalen Gerichtspropheten, die an den Grundfesten der offiziellen Jahwereligion gerüttelt hatten, geflissentlich übergehen.

54 Vgl. Dtn 34,10; Ri 6,7-10; 2.Sam 12; l.Kön 11,29-39; 12,22-24; 13; 14,1-18; 17-21; 22; 2.Kön 1; 2-6; 8,7-15; 9; 13,14-21; 14,25-28; 17,13f.; 19f.; 21,10-15; 22,14-20. 55 Die „levitischen" Priester, hinter denen sich nach dtn. Terminologie die Jerusalemer Priester verbergen (s.o. 343 ff.), übernehmen im D t r G wichtige Funktionen: Sie verpflichten neben Mose das Volk auf das dtn. Gesetz (Dtn 27,9f.; vgl. Jos 8,33), erhalten neben den Altesten seine schriftliche Fassung von Mose (Dtn 31,9) zur gottesdienstlichen Verkündigung und sind Träger der Lade (Jos 3,3; 8,33); z.T. werden sie auch einfach nur „Priester" genannt (Jos 3,6ff.; 4,3 ff.; 6,4ff.; l.Kön 8,3ff.). In diesem Zusammenhang ist auch der Vorwurf l.Kön 12,31 zu verstehen, Jerobeam hätte keine „levitischen" Priester eingestellt. l.Sam 2,35f. beinhaltet sogar eine ausdrückliche göttliche Erwählung der zadokidischen Priester Jerusalems. Die wieder von W.Roth, Geschichtswerk, 547, erneuerte These, die Verfasser des D t r G seien „am Jerusalemer Tempel orientierte Leviten" gewesen, übersieht — abgesehen von der Schwierigkeit, die Leviten in vorexilischer Zeit als eigene Gruppe zu verifizieren — die Tatsache, daß die „Leviten" im DtrG fast keinerlei Funktion besitzen (Dtn 27,14; l.Sam 6,15) und ihre Beteiligung an kultischen Funktionen neben den Priestern (Jos 3,3; l.Kön 8,4; 2.Sam 15,24) textlich sekundär ist. Nach l.Kön 12 kommen im DtrG überhaupt keine Leviten bzw. levitischen Priester, sondern überhaupt nur noch Priester vor, z.T. in prominenter Rolle (vgl. 2.Kön 11;

22). 56 Dtn 31,9; l.Kön 8,1 u.a. erhalten auch die Altesten wichtige Funktionen. Die „Doppelgesichtigkeit" des DtrG, welche seit den Auslegungen G.v.Rads und H.W.Wolffs in der Forschung zum Problem geworden ist, läßt sich durch eine solche sozialgeschichtliche Ortung seines Verfasserkreises mühelos erklären, vgl. R.Albertz, Intentionen, 37-40; 46-50. 57 Die von M.Noth, ÜSt, 95 ff., vorgebrachten Argumente für eine Lokalisierung der Verfasser in Juda haben immer noch viel für sich, vgl. auch E.Janssen, Juda (4.1), 16-18, gegen eine Lokalisierung in die babylonische Diaspora, so etwa W. Roth, Geschichtswerk, 545, u. a.

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Daraus ergibt sich eine eigenartige Doppelgesichtigkeit des DtrG, die in der Vergangenheit immer wieder nach literarkritischen Lösungen hat suchen lassen, die aber besser als Folge eines theologischen Diskussionsprozesses in der Exilszeit erklärt werden kann: Auf der einen Seite hatten die Dtr ihre Lektion von den Gerichtspropheten durchaus gelernt, die Katastrophe von 587 war Jahwes Gericht infolge Israels fortwährendem Ungehorsam. Das Geschichtswerk, das sie schrieben, versuchte, diese These im einzelnen anhand des geschichtlichen Ablaufs zu verifizieren. Es ist ein einziges Sündenbekenntnis, das zu der Erkenntnis anleiten soll, daß nicht Jahwe, sondern Israel schuld an seinem staatlichen Untergang ist. Auf der anderen Seite setzten sich die dtr. Autoren ein Stück weit von den Gerichtspropheten ab, was sofort dann erkennbar wird, wenn man ihr Werk mit deren bzw. in deren Gefolge entstandenen Geschichtsreflexionen vergleicht, die eine totale Verfehltheit der Geschichte Israels von Anfang an predigten (Jer 3,611; 32,20-36; Ez 16; 20; 23). Gegen eine solche pauschalierende Sicht bemühten sich die Dtr darum, Schuld und Verhängnis zu begrenzen und zu differenzieren: Es war nicht alles grau in grau in Israels Geschichte, es gab lichte Epochen wie die Josua- und frühe Königszeit; es war auch nicht alles schlecht und verkehrt, es gab die Heilsgabe des Gesetzes, die Erwählung des Tempels und des davidischen Königtums, und es gab neben Perioden des Abfalls und des Gerichts auch immer wieder solche der Umkehr, Gnade und Rettung (Ri 2,10ff.; 10,6ff.; l.Sam 7,3f.; 2.Kön 13,4; 14,25-27; 18-20; 22-23). Die positiven Aspekte, welche die Dtr gegen eine total negative Geschichtssicht eines Ezechiel oder der JerD zur Geltung brachten, speisten sich neben der dtn. Theologie nachweislich aus Elementen der — nun dtn. interpretierten — ehemaligen offiziellen Jerusalemer Tempel- und Königstheologie.58 Unter der Voraussetzung, daß ihre Zuordnung zu einer von Hause aus national-religiösen Gruppierung zutrifft, wären diese Elemente als Relikte früherer Anschauungen zu werten, die sie trotz der nationalen Katastrophe weiter aufrechterhalten hätten. Damit stoßen wir aber auf einen interessanten Lernprozeß, den die National-Religiösen in der Exilszeit durchgemacht hatten: Sie hatten aus der dtn. Theologie gelernt, die unbedingten Heilszusagen der Königs- und Tempeltheologie zu konditionieren, verschoben aber deren Synthese, die der vorstaatlichen Religion den Vorrang gegenüber der staatlichen eingeräumt hatte, wieder ein Stück weit in Richtung auf eine stärkere Berücksichtigung der Königs- und Tempeltheologie zurück. Sie hatten von den Gerichtspropheten gelernt, die nationale Katastrophe als Gericht Jahwes über den Abfall Israels zu verstehen und anzunehmen, aber sie versuchten trotz allem, die zerbrochene alte Basis ihres früheren Glaubens als Vermächtnis der gescheiterten Geschichte zu 58 Zur Erwählung des Zions vgl. Ps 76,3; 132,13, zu der des Königs Ps 47,5; 89,4.20, zur Vorstellung, daß Jahwe dem König eine Leuchte bereitet, l.Kön 11,36; 15,4; 2.Kön 8,19 vgl. Ps 132,17 und 2.Sam 21,17.

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bewahren und als Hoffnungspotential für ihren Fortgang neu ins Spiel zu bringen. Vergleicht man den theologischen Kompromiß, der im DtrG vollzogen wurde, mit den scharf anti-gerichtsprophetischen Stellungnahmen der national-religiösen Partei der spätvorexilischen Zeit, 59 dann wird deutlich, wie tiefgreifend der Lernprozeß war, der ihnen in der Exilszeit abverlangt wurde. Das große Geschichtswerk (Dtn 1 — 2.Kön 25*), das aus dieser lebendigen Diskussion heraus in ständiger Auseinandersetzung mit den überkommenen Überlieferungen ausgearbeitet wurde, kann hier nur hinsichtlich seiner religionsgeschichtlich bedeutsamen Linien dargestellt werden. Das DtrG hebt an mit einer großen Abschiedsrede des Mose, in der dieser Israel — mit Rückblick auf die Ereignisse der Frühzeit — kurz vor dem Ubertritt ins Kulturland das dtn. Gesetz verkündet. Damit stellen die Dtr von Anfang an klar, was nach ihrer theologischen Überzeugung die wesentlichen Grundlagen der Existenz Israels sind: die wunderbaren Rettungserfahrungen der Frühzeit und die darauf begründeten göttlichen Forderungen, die im „Gesetz des Mose" niedergelegt sind. Die Dtr sorgen denn auch dafür, daß das Gesetz, das für Israel Jahwes heilvolle und fordernde Nähe repräsentiert, das Volk durch die weiteren Epochen seiner Geschichte begleitet. Es wird von Mose aufgeschrieben und den levitischen Priestern und Ältesten60 zur wiederholenden Verkündigung übergeben (Dtn 31,9 ff.), zusammengefaßt auf den Steintafeln des Dekalogs, von Josua unter Zeichen und Wundern, die an den Schilfmeerdurchzug erinnern (Jos 3), nach Kanaan gebracht, dort auf dem Ebal erneut aufgeschrieben und verkündet (Jos 8,3035), um schließlich mit der Lade im Jerusalemer Tempel seinen ständigen Ort zu finden (l.Kön 8,1.4.9), wo es allerdings später vergessen wird, um von Josia wieder aufgefunden zu werden (2.Kön 22). Die alternative Zukunft, die das dtn. Gesetz im Falle seiner Einhaltung oder Übertretung mit Segen und Fluch (Dtn 28) vor Augen stellt, steht über der ganzen Geschichte Israels.61 Das „Gesetz des Mose" bietet die Norm, an der sich für die Dtr ihr weiterer Ablauf entscheidet. Schaut man genauer hin, dann ist es allerdings nur ein Ausschnitt des dtn. Gesetzes, den die Dtr zum Kriterium ihrer weiteren Geschichtsdarstellung machen: zuvörderst das Fremdgötter- und Bilderverbot des Dekalogs (Dtn 5,6-10), 62 danach das Zentralisationsgesetz (Dtn 12),63 die Verbote heidnischer Praktiken wie bestimmte Formen der Mantik (Dtn 18,10.14),64 Kinderweihung (Dtn 18,10; vgl. 12,31)65 und Kultprostitution 59

S.o. 367 ff. D.h. den Gruppen, als deren Repräsentanten sich diejenigen fühlen, die das DtrG verfaßt haben. " In Dtn 29,15-27; 31,16 ff. wird schon vorausgreifend der negative Ausgang angesprochen, in 30,1-10 ein Neuanfang im Exil aufgrund von Umkehr. " Jos 23,7f.; Ri 2,11 passim; l.Kön 9,6.9; 11,7f.; 14,8f.; 16,30f.; 2.Kön 21,3-7 u.ö. 63 l.Kön 11,7; 12,31 f.; 14,23; 15,14; 22,44; 2.Kön 12,4; 15,4.35; 16,4; 18,4; 21,3; 23,8. 44 l.Sam 15,23; 28,3ff.; 2.Kön 9,22; 17,17; 21,6; 23,24. 60

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(Dtn 23,18 f.).66 Hinzu kamen noch das Banngebot des dtn. Kriegsgesetzes (Dtn 20,15-17; vgl. 7,2)67 und das damit zusammenhängende Bündnisund Mischehenverbot (Dtn 7,2 f.).68 Das heißt, es handelt sich nur um solche Gebote und Gesetze, welche die exklusive Jahweverehrung in scharfer Abgrenzung von der heidnischen Gottesverehrung sichern wollen, an denen sich nach Meinung der Dtr die Zukunft Israels entscheidet bzw. negativ entschieden hat. Dagegen werden alle sozialen Gesetze des Dtn, denen es um die Sicherung der Solidarität des Gottesvolkes nach innen zu tun war, von den Dtr schlichtweg übergangen. Man mag diese Einseitigkeit z.T. in den Erfordernissen der exilischen Gegenwart der Dtr begründet sehen, in der der Synkretismus erneut auflebte und nach Fortfall des einenden staatlichen Bandes die religiöse Identität der Judäer durch Arrangements und Mischehen mit den umliegenden und einsickernden Volksschaften bedroht war.69 Aber wahrscheinlicher wirkt hier auch eine Entwicklung weiter, die sich schon in der Jerusalemer Priesterschaft nach dem Tode Josias abzeichnete: das weitgehende Desinteresse an der sozialen Seite der dtn. Reform, nachdem die Kultreform durchgeführt war.70 Auch für Teile der Priesterschaft der frühnachexilischen Zeit ist diese Haltung typisch.71 So wirkten aktuelle Herausforderungen und eine klassenspezifische Interessenlage zusammen, daß die Dtr eine Geschichte Israels entworfen haben, die fast nur von religiösen Abwehrkämpfen erfüllt ist und in der der soziale Impuls der Jahwereligion, der den realen Geschichtsverlauf weit stärker bestimmte, fast ganz in den Hintergrund gedrängt wurde.72 Zur Gabe des Gesetzes kommt die Heilsgabe des Landes hinzu. Josua vollzieht dessen militärische Eroberung nach Maßgabe des dtn. Kriegsgesetzes. Der Gehorsam gegen Jahwe vollzieht sich in dieser Periode vor allem in der schonungslosen Vollstreckung des Banngebotes (Dtn 20,15-17; vgl. 7,2; Jos 6,18 f.21; 8,26; 10,28-33.39f. u.ö.), das nur einmal gebrochen (Jos 7) bzw. listig umgangen wird (Jos 9).73 Die — zum Glück rein theoretische — martialische Ausrottungspolitik gegenüber den übrigen Landesbewohnern, welche die Dtr in die Frühgeschichte Israels projizieren, ist wieder " " " *» "

2.Kön 16,3; 17,17.31; 21,6; 23,10. l.Kön 14,24; 15,12; 22,47; 2.Kön 23,7. Jos 6,17f.21; 7,10ff.; 8,26f.; 9,3ff.; 10,28ff.; vgl. l.Sam 15,9ff. Jos 9,6ff.; 23,7.12; Ri 2,2; 3,6; vgl. l.Kön 11,3f.; 16,31; 2.Kön 8,18. S.o. 378 f. 70 S.o. 363. 71 S.u. 519. 71 Soziale Vergehen finden sich fast nur in aufgenommenen Traditionen wie l.Sam 8,11 ff.; I.Kön 12; 21; der Ehebruch Davids findet in dem — nicht ganz sicher — dtr. Einschub 2.Sam II,27b-12,15a zwar eine begrenzte Verurteilung, bleibt aber im Gesamtduktus des DtrG eine läßliche Sünde (vgl. l.Kön 15,5). Der einzige König, dem neben religiös-kultischen auch soziale Vergehen vorgeworfen werden, ist Manasse (2.Kön 21,16). 71 Als den Dtr wichtige familiäre Riten der Exilszeit werden ausdrücklich Beschneidung und Passa Jos 5,3-9.10-12 vollzogen.

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aus der Furcht vor kultureller und religiöser Überfremdung in der Exilszeit geboren. Zugleich geht es ihnen in der bedrängten Lage Judas um eine machtvolle Präsentation Jahwes vor der Völkerwelt (Jos 3,11.13; 4,24). Mit der Verleihung des eroberten Landes haben sich alle Verheißungen Gottes (vgl. Dtn 28), speziell die Landverheißung an die Väter erfüllt (Jos 21,45; vgl. 23,14), trotz einiger kleiner Fehltritte (Jos 7; 9) ist diese Gründungsphase Israels für die Dtr noch eine heilvolle Epoche gewesen. Der Abfall Israels von Jahwe beginnt für die Dtr erst nach dem Tode Josuas (Jos 23,8). Er wird zweifach begründet: einmal durch das Vergessen der großen Machttaten Jahwes (Ri 2,10.12.19; 8,34f.; vgl. Dtn 6,12 ff.), zum anderen durch die Verführung anderer Völker (Jos 23,7; Ri 2,2f.; 3,6; vgl. Dtn 7,1 ff.). Vor letzterer warnt Josua in seiner großen Abschiedsrede (Jos 23). Um sie zu erklären, entwickelten verschiedene dtr. Autoren eine etwas komplizierte Theorie, daß Josua noch nicht das ganze Land erobert habe (Jos 13,1-6; 23,4f.; Ri 1; 3,3) und daß deswegen einige Völker zur Prüfung Israels übriggeblieben seien (Ri 2,21-23; 3,1-4). Darum wird Israel vor Mischehen und Bündnissen gewarnt (Jos 23,7; Ri 2,2; 3,6; vgl. Dtn 7,2f.). Die Gefahr, daß sich Israel durch die umliegenden Völker zum Abfall von Jahwe verführen läßt, schwebt nach dtr. Auffassung wie ein Fallbeil über der ganzen Geschichte Israels (Jos 23,12 ff.) Wieder sind Überfremdungsängste der Exilszeit mit Händen zu greifen. Doch trotz dieser großen Gefahr war die auf die Gründungsphase folgende Richterzeit (Ri 2 — l.Sam 12) keine reine Zeit des Abfalls. Die Dtr entnehmen vielmehr den Überlieferungen von den charismatischen Befreiungskriegen der vorstaatlichen Zeit die Erkenntnis, daß es immer wieder gnädige Zuwendungen Jahwes in dieser Epoche gegeben haben muß, und entwickeln daraus die Theorie einer ständigen Wellenbewegung von Abfall, Feindbedrohung, Umkehr und Rettung in der Richterzeit (2,10-16.18 f.). Die Lehre, die sie damit ihren exilischen Adressaten geben wollen, ist die, daß es durchaus Phasen in der eigenen Geschichte gegeben hat, wo eine Umkehr (Ri 2,16), d.h. entschlossene Abkehr vom Synkretismus (6,25-31), Sündenbekenntnis und Hinkehr zu Jahwe in der Klage (10,10.16) und zur alleinigen Jahweverehrung (l.Sam 7,3f.) möglich war und durch Jahwes Zuwendung und Rettung gewürdigt wurde (Ri 7; 11 f.; l.Sam 7,7ff.). Der Abfall in dieser Frühphase der Geschichte Israels wird von den Dtr ganz pauschal beschrieben, wahrscheinlich weil ihnen darüber konkrete Informationen fehlten. 74 Israel habe andere Götter (ielöhtm 'äherim Ri 2,12.17.19; 10,13; l.Sam 8, 8), fremde Götter ( e M e hannekär Ri 10,16; l.Sam 7,3; vgl. Jos 24,15), die Götter der Völker (Ri 2,3.12; 3,6) bzw. der Amoriter (Ri 6,10; vgl. Jos 24,15) oder anderer umliegender Völkerschaften (10,6) verehrt. Wohl werden einige Götternamen genannt, nämlich Baal (Ri

u Ein konkreter Synkretismus wird von den Dtr allein in Ri 8,33 aus der Sichemtiberlieferung Ri 9,4.46 gefolgert (El- bzw. Baal-berit).

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2,11.13; 3,7; 6,25.28.30-32; 8,33; 10,6.10; l.Sam 7,4; 12,10), Aschtarte (Ri 2,13; 3,7[?]; 10,6; l.Sam 7,4; 12,10) und Aschera (Ri 3,7; 6,25.28.30), doch sie werden zumeist schon im Plural gebraucht, 75 sind untereinander austauschbar (vgl. l.Sam 7,3f.) und stehen somit für die Fremdgötter schlechthin. Man könnte höchstens fragen, ob die Dtr mit der häufigen Kombination eines männlichen (Baal) und eines weiblichen (Aschtarte, Aschera) Gottes nicht konkret den alten, insbesondere auf der Ebene der familiären Frömmigkeit verbreiteten Brauch angreifen wollen, neben Jahwe eine göttliche Begleiterin zu verehren, 76 der ja auch noch in der Exilszeit greifbar ist.77 Ansonsten entspringt der pauschale Synkretismusvorwurf eher einer theologischen Theorie als wirklichen religionsgeschichtlichen Tatbeständen. Es ist nun schon erstaunlich zu sehen, daß die folgende Epoche der frühen Königszeit (l.Sam 13 — l.Kön 10), die, religionsgeschichtlich gesehen, eine Hochzeit des offiziellen Synkretismus gewesen ist, 78 von den Dtr als Epoche des reinen, unverfälschten Jahweglaubens gewertet wird. Israel vollzog ihrer Meinung nach am Ende der Richterzeit eine große Umkehr zur exklusiven Jahweverehrung (l.Sam 7,3 f.), und erst der alternde Salomo fiel — wiederum verführt von seinen ausländischen Frauen — erneut davon ab (l.Kön 11,1-13). In der ganzen Periode dazwischen, von Saul bis zur Vollendung des Tempelbaus, ist der Synkretismus für die Dtr kein Thema mehr, was um so auffälliger ist, als die verarbeitete Überlieferung durchaus manchen Anhalt dafür geliefert hätte. 79 Dieser eigenartige Tatbestand läßt sich doch wohl nur aus dem Anliegen der Dtr erklären, die für sie neben dem Gesetz und dem Land ebenfalls wichtigen Heilsgaben des Königtums und des Jerusalemer Tempels aus dem Geruch des Synkretismus herauszuhalten. Die Zeit unter David und Salomo bis zur Vollendung des Tempelbaus ist für sie wie die Gründungsphase Israels eine erneute Heilszeit, die durch die umfassende Umkehr Israels unter Samuel möglich wurde; an ihrem Ende wird, wie in Jos 21,45; 23,14, das Eintreffen der Verheißungen Jahwes noch einmal ausdrücklich konstatiert (l.Kön 8,56).80 Die theologische Verbindung zwischen den beiden Heilsepochen erreichen die Dtr über eine Erweiterung der dtn. Landverheißung: Sie ist nicht schon allein dadurch erfolgt, daß Israel das Land in Besitz genommen hat, sondern Jahwe hat

75

Baal im Singular begegnet nur in der aus dem Namen Jerubaal herausgesponnenen Szene Ri 6,25-32 und in 8,33. Der Singular in 2,13 neben dem Plural 'astäröt ist seltsam und vielleicht ein Textfehler. 74 S.o. 132 f. 77 S.o. 395. 78 S.o. 200 ff. " Vgl. die Teraphim Michals (l.Sam 19,13.16; negativ 2.Kön 23,24), Sauls Totenbeschwörung (l.Sam 28; V.3b.9 dtr. Korrekturen?) und Salomos „Höhenkult" in Gibeon (l.Kön 3,2ff.). eo Daß die Josuazeit und die frühe Königszeit als heilvolle Gründungsepochen verstanden werden sollen, zeigt auch die parallele Aufnahme der Mischehenthematik in Jos 23 und l.Kön

11.

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Israel darüber hinaus einen Ruheplatz (menühä) verheißen, auf dem es sicher vor allen umliegenden Völkern wohnen kann (Dtn 12,9.10; 25,19). Diesen Ruheplatz hat Jahwe aber unter Josua noch nicht endgültig (Jos 1,13.15; 21,44.45; 23,1), sondern erst durch die Siege Davids schaffen können (2.Sam 7,1.11), was Salomo dankbar konstatiert (l.Kön 5,18; 8,56). So wird von den Dtr die frühe Königszeit in die Fluchtlinie der heilvollen Frühzeit Israels gestellt und damit die Königs- und Tempeltheologie zu einem bestimmenden Bestandteil der Exodustheologie gemacht (vgl. l.Kön 8,16-21).

Mit dieser aus der Übersicht über die Gesamtepoche gewonnenen Einschätzung scheinen nun aber die dtr. Darstellungen von der Einführung des Königtums in l.Sam 8-12 nicht übereinzustimmen: Hier wird das Begehren Israels nach einem König ausgesprochen negativ gewertet, als unverständliche Angleichung an die Sitten der Völker (l.Sam 8,5.19f.), schlimmer noch als Verwerfung Jahwes (8,7; 10,19), als Zurückweisung seiner rettenden Macht als der eigentliche König Israels (10,19; 12,12.17). Und dabei kann dieses Begehren durchaus in die Linie des voraufgegangenen Synkretismus gestellt werden (8,8). Doch sieht man genauer hin, so wird erkennbar, daß sich die Dtr diese aus den alten königskritischen Oppositionsbewegungen stammenden Argumente nur bedingt zu eigen machen; auch die komplizierte Argumentation läßt vermuten, daß über die Notwendigkeit der Institution des Königtums kontroverse Diskussionen in der dtr. Gruppe geführt wurden. Denn eigenartigerweise reagiert Jahwe auf diesen „politischen Abfall" des Volkes sehr viel sanfter als gegenüber dem Synkretismus: Er läßt das Volk nur durch Samuel warnen, stimmt aber schließlich seinem Begehren zu (8,9) und nimmt die Erwählung (10,24) und Einsetzung des Königs (12,13) sogar selber vor. Und eine Fürbitte Samuels beseitigt schließlich auch noch den letzten Mißklang (12,20 ff.). Ziel dieser ambivalenten Sicht ist es einmal, auch das Königtum der Bedingung des dtn. Gesetzes zu unterwerfen (12,20ff.; l.Kön 2,1-4; 9,4f.) und warnend vorauszuweisen, daß es später Israel sogar teilweise zum Abfall verführen werde (l.Sam 12,21 vgl. l.Kön 11,1 ff.). Dies schließt aber nicht aus, daß sich das Königtum als Heilsgabe Jahwes in der Geschichte Israels voll verwirklichen könnte. Und dies geschah ihrer Meinung nach vor allem im Königtum Davids: Er war von Jahwe erwählt (l.Kön 8,16), er war Jahwe und seinem Gesetz voll und ganz gehorsam (l.Kön 11,38; 14,8; 15,5);81 seine Verdienste, die er erworben, und die Verheißung, die auf ihm ruhte (2.Sam 7,14-16; l.Kön 2,4; 8,25; 9,5), waren in der weiteren Geschichte immer wieder in der Lage, das drohende Gericht abzumildern (l.Kön 11,12f.) und aufzuhalten (l.Kön 15,4; 2.Kön 8,19). Bei aller Bedrohung, die vom Königtum für Israel ausging, war es nach Sicht der Dtr doch eine wesentliche Heilssetzung Jahwes, 81 Daß dieses aus einer dtn. interpretierten Königstheologie gewonnene theologische Postulat nur schwer mit dem Davidbild der älteren Tradition in Übereinstimmung zu bringen war, zeigen 2.Sam 12 und l.Kön 15,5.

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die nicht nur die Landverheißung voll realisierte, sondern auch dem drohenden Untergang immer wieder wirkungsvoll entgegensteuerte. Es ist darum auch kein Zufall, daß die Dtr in der Begnadigung Jojachins durch Awil-Marduk 561, die sie am Ende ihres Geschichtswerkes mitteilen, einen ersten Hoffnungsschimmer sahen, daß die abgebrochene Geschichte Jahwes mit seinem Volk weitergehen werde. Die — dtn. korrigierte — Königstheologie birgt für sie ein unverzichtbares Hoffnungspotential. Was für das Königtum mit gewissen Abstrichen galt, das gilt nach dtr. Ansicht erst recht für den Jerusalemer Tempel: Sein Bau wird von Jahwe ausdrücklich gutgeheißen (l.Kön 8,18f.),82 der Entschluß dazu schon auf den Heilskönig David verlagert und als Erfüllung des dtn. Zentralisationsgesetzes verstanden (8,16 vgl. Dtn 12,8 ff.). Der Bau und vor allem die Ausstattung des Tempels werden ausführlich berichtet (l.Kön 6-7), und die Dtr zeigen über die ganze israelitische Geschichte hin ein deutliches Interesse am Tempelschatz.83 Die Installation der Zadokiden als Gott wohlgefällige Priesterschaft wird ausdrücklich berichtet und theologisch ausgedeutet (l.Sam 2,2736; l.Kön 2,35). Und der Weg, den die Lade bis zu ihrer Überführung ins Allerheiligste des Tempels gemacht hat, wird in aller Breite verfolgt (Jos 3 f.; l.Sam 4-6; 2.Sam 6). Nimmt man dies alles zusammen, dann läßt sich die häufig geäußerte Meinung, daß die Dtr kein Interesse am Jerusalemer Kult gehabt hätten,84 einfach nicht halten. Die Ansicht entspringt aus dem Mißverständnis, daß in l.Kön 8 der Tempel vor allem als Ort der Gebetserhörung beschrieben wird. Hierbei handelt es sich aber nur um eine zeitbedingte Reduktion des Kults, mit der die Dtr der Funktion, die der zerstörte Tempel als Ort von Klagegottesdiensten gewonnen hatte, in ihrem Geschichtsbericht Rechnung tragen. Nichtsdestoweniger ist er für sie das Zentrum allen gottesdienstlichen Lebens, auf das selbst die Exilierten durch ihre Gebetsrichtung bezogen bleiben (8,48). Sie greifen ausdrücklich auf das Theologumenon der alten Zionstheologie von der Erwählung Jerusalems zurück (l.Kön 8,16 vgl. V.7.29),85 und diese Erwählung ist für sie in der weiteren Geschichte — neben der Königserwählung — ein wesentliches Element, welches Jahwes Gericht über Juda abmildert und aufschiebt (l.Kön 11,13.32.36; 14,21; 15,4). Allerdings nahmen die Dtr auf der Linie der dtn. Theologie ganz wesentliche Korrekturen an der Zionstheologie vor. Die Erwählung des Zions beinhaltet

82

Und dabei wird im dtr. Bericht von Salomos Tempelbau die synkretistische Vorgeschichte des Jerusalemer Tempels ganz bewußt unterdrückt, s.o. 195 f.; die grundsätzliche Zurückweisung des Baus in 2.Sam 7,4-8 entspringt wahrscheinlich erst der frühnachexilischen Diskussion, s.u. 480. 85 Vgl. Jos 6,19.24; 2.Sam 8,11 f.; l.Kön 7,13-47.48-50.51; 14,25-28; 15,15; 2.Kön 12,18f.; 16,8; 24,13 f.; 25,13-17. 84 So M.Noth, ÜSt, 104 ff., H.W.Wolff, Kerygma, 321 f., und abgeschwächter sogar noch H.-D.Hoffmann, Reform, 24. 85 Dies würde noch deutlicher greifbar, wenn 2.Chr 6,5f. gegenüber l.Kön 8,16 den ursprünglichen Text bieten würde; die etwas schiefe Alternative in l.Kön 8,16 ließe sich durch Homoioteleuton erklären.

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keine unbedingte Heilsgarantie mehr, Jahwes heilvolle Nähe wird materialiter über die Dekalogtafeln in der Lade vermittelt (8,6 ff.) und an die Einhaltung des dtn. Gesetzes gebunden (l.Kön 9,3.7b.8). So kann Jahwe auch im Falle des Abfalls Israels sein eigenes Heiligtum zerstören (9,9). Und die massive Vorstellung einer kultischen Anwesenheit Jahwes im Tempel wird gegenüber dem Deuteronomium noch weiter sublimiert: Eigentlich wohnt Jahwe im Himmel (8,27), er hat nur seinen Namen auf die erwählte Stadt gelegt. Er ist hier also nur auf besondere Weise anrufbar (8,29ff.), bleibt es aber auch dann, wenn durch Zerstörung des Tempels ein intakter Kult nicht mehr möglich ist (8,46ff.). Durch diese theologischen Korrekturen war es den Dtr möglich, sowohl dem Scheitern der alten Zionstheologie Rechnung zu tragen als auch an ihrem Anspruch einer ewigen Erwählung (9,3) als Hoffnungspotential für ihre Gegenwart festzuhalten. Nach der heilvollen Phase der frühen Königszeit ist die spätere Königszeit in den Augen der Dtr wieder eine Zeit des Abfalls. Wie Josua in seiner Abschiedsrede (Jos 23), so stellt Jahwe in seiner Antwort auf das Tempelweihgebet unmißverständlich klar, daß nicht nur die ältere Heilsgabe des Landes, sondern auch die neuen Heilssetzungen des Königtums und des Tempels unter der Bedingung des Gehorsams gegenüber dem Gesetz stehen (l.Kön 9,1-9), wodurch schon die Möglichkeit ihres Entzuges ins Auge gefaßt ist. Dennoch trieb die israelitische Geschichte dieser Epoche nach dtr. Ansicht keineswegs notwendig diesem angedrohten schlimmen Ende zu. Vielmehr haben die Dtr das Anliegen, durchaus unterschiedliche Arten des Abfalls — anders als für die Richterzeit — konkret namhaft zu machen, 86 in ihrer Gewichtigkeit zu unterscheiden und zwischen schlechteren und besseren Phasen zu differenzieren, um aus dem Ablauf der Geschichte bis ins einzelne hinein aufzuzeigen, wie schon vor der großen Katastrophe kleinere und größere nationale Krisen mit dem Abfall von Jahwe zusammenhingen und zum Teil durch entschlossene Umkehr überwunden werden konnten. Nach Ansicht der Dtr war die erste große Krise, die Loslösung des Nordreiches von der davidischen Krone, direkte Folge der Fremdkulte, die der alternde Salomo für seine ausländischen Frauen einrichtete (l.Kön 11,1-13). Schon sie führte zu einer weitgehenden Außerkraftsetzung der gesamtisraelitischen Nathan-Verheißung, dadurch daß auch der Rebell Jerobeam eine ähnlich lautende Dynastieverheißung erhielt (11,29-39). Nur in der reduzierten Form, David eine „Leuchte" vor Jahwe in Jerusalem zu wahren (sog. mr-Verheißung l.Kön 11,36; 15,4; 2.Kön 8,19), ging ihrer Meinung nach die Nathan-Verheißung in der Südreichgeschichte weiter 87 und bewahrte den Davididen eine Teilherrschaft.

" Der pauschale Synkretismusvorwurf findet sich nur noch selten in summierenden Anklagen bzw. Forderungen: l.Kön 9,6.9; 11,2.4.10; 14,8 f.15; 2.Kön 17,7.12.15.34-41; 21,21; sonst herrschen in den Königsbüchern konkrete Anklagen vor. " So N.Lohfink, Orakel, 150 f., allerdings nach ihm nur für seinen Dtrl, doch s. zur Fragwürdigkeit der literarkritischen Aufteilung des DtrG R-Albertz, Intentionen, 40.

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Doch trotz der Dynastieverheißung und des anfänglichen göttlichen Schutzes (l.Kön 12,24) kam es nach dtr. Ansicht im Nordreich schon unter dessen erstem König Jerobeam zu dem entscheidenden Abfall, der dessen ganze weitere Geschichte unheilvoll bestimmte: der kultischen Trennung von Jerusalem durch den Ausbau der Reichsheiligtümer von Bethel und Dan (l.Kön 12,26-32). Sie war in den Augen der Dtr ein Verstoß gegen das dtn. Zentralisationsgesetz (Dtn 12), damit „Höhenkult" und infolge der darin verwendeten Stiersymbole Übertretung des Bilderverbots (Dtn 5,8 f.), also Götzendienst (l.Kön 14,8 f.). Es ist zu beachten, daß für die Dtr nicht etwa der politische, sondern der kultische Abfall die „Sünde Jerobeams" ausmacht, der als dunkler Schatten über der ganzen Nordreichsgeschichte liegt, ihren turbulenten Verlauf mit wiederkehrenden Usurpationen und wechselnden Dynastien und schließlich ihren frühen Abbruch (722) verursachte. Darin läßt sich mit Händen der Monopolanspruch der Jerusalemer Priester in der dtr. Gruppe greifen, 88 mit dem sie nicht nur nachträglich die Zerstörung der Nordreichheiligtümer durch Josia legitimieren (l.Kön 13,2.32; 2.Kön 23,15-20), sondern den sie auch in der Exilszeit weiterhin gegen die Samarier erheben. Eine weitere Steigerung des Abfalls trat in der Nordreichsgeschichte nach Auffassung der Dtr ein, als sich zu der götzendienerischen Jahweverehrung auch noch der offene Baalkult gesellte, den Ahab, verführt durch seine ausländische Frau, einführte (l.Kön 16,31 ff.). Er war ihrer Meinung nach schuld an der Aramäernot. Eine Besserung brachte erst Jehu, der den verhaßten Baalkult mit Stumpf und Stiel ausrottete (2.Kön 10,18 ff.) und für seinen Eifer eine begrenzte Dynastieverheißung erhielt, die dem Nordreich nochmal eine gewisse Stabilität bescherte (2.Kön 10,30). Doch verhinderte das Festhalten an der kultischen Trennung zu Jerusalem einen wirklichen Wandel zum Besseren (2.Kön 10,29.31; vgl. 3,2 f.).89 So führen denn die Dtr auch das Zurückdrängen der Aramäer unter Joahas und Jerobeam II. nicht auf eine Umkehr der Könige, sondern auf das Erbarmen Jahwes in Analogie zur Richterzeit zurück (2.Kön 13,4; 14,25-27). Doch damit konnte seine Strafe für die „Sünde Jerobeams", die schon Ahia von Silo l.Kön 14,8-16 angekündigt hatte, nur aufgeschoben, aber nicht aufgehoben werden; sie ereilte das Nordreich in der Eroberung Samarias 722. Die große Geschichtsreflexion, welche die Dtr diesem Ereignis anfügen (2.Kön 17,7-23), listet noch einmal alle Vergehen des Nordreiches auf, die 88 Vgl. den Vorwurf, daß Jerobeam eine nicht-levitische, d.h. nicht-jerusalemische Priesterschaft an seinen Reichsheiligtümem einsetzte (l.Kön 12,31). Es ist darum nur konsequent, daß die Dtr alle außerhalb von Jerusalem tätigen Priester als „Höhenpriester" denunzieren, und zwar sowohl im Nordreich (l.Kön 13,33) bzw. in der Provinz Samaria (2.Kön 17,32) als auch im Südreich (2.Kön 23,8 f.) und daß sie letztere — entgegen Dtn 18,6 f. — nicht zum Opferdienst in Jerusalem zulassen wollen; vgl. die noch strengere zadokidische Sicht in Ez 43,19; 44,15. 89 Des weiteren ein Aschera-Bild, das Joahas in Samaria aufgerichtet haben soll, vgl. 2.Kön 13,6.

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zu seinem Untergang geführt haben. 90 Die Hauptschuld trifft den König Jerobeam, der mit seiner gegen Jerusalem gerichteten Kultpolitik Israel zur Sünde verführte (V.21-23), aber auch Israel selber hat sich vielfach verfehlt. Es hätte es besser wissen können, da Jahwe es unablässig zur Umkehr und zum Gehorsam gegenüber seinem Gesetz aufgefordert hatte (V.13-15). Die vielen Propheten, die die Dtr vor allem in der Nordreichsgeschichte auftreten lassen, haben neben der Funktion, durch ihre Strafankündigungen, die sich folgerichtig realisieren, die Gerechtigkeit des göttlichen Geschichtshandelns aufzudecken, 91 die Aufgabe, durch ihre Anklagen, Mahnungen und Warnungen immer wieder die Chance zur Umkehr zu eröffnen. 92 Die Nordreichsgeschichte ist nach dtr. Ansicht nicht zwangsläufig gescheitert, sondern nur deswegen, weil die prophetischen Mahnungen zur Umkehr nicht gehört wurden. Wenn die Dtr nach diesem summierenden Sündenregister noch einen ausgesprochen polemischen Ausblick auf die weitere Geschichte des ehemaligen Nordreichs anschließen (2.Kön 17,24-41), die ihrer Ansicht nach von einem blühenden Synkretismus zwischen der Verehrung Jahwes und der Götter der fremden angesiedelten Völkerschaften gekennzeichnet ist, dann sprechen sie damit ein scharfes theologisches Verdikt über die Samarier ihrer exilischen Gegenwart aus: Der Abfall von Jahwe ging hier auch nach dem Eintreffen des göttlichen Gerichts unvermindert weiter; der Umkehrruf der Propheten zur exklusiven Jahweverehrung wurde hier selbst dann nicht gehört. Ein Neuanfang der Geschichte Israels war ihrer Meinung nach von hier aus nicht mehr zu erwarten. Während die mit dieser düsteren Prognose endende Geschichte des Nordreiches nach dtr. Sicht total vom Abfall bestimmt war und nur graduelle Unterschiede hinsichtlich seines Ausmaßes kannte, entwerfen die Dtr für das Südreich einen deutlich anderen Geschichtsverlauf, der von einer Wellenbewegung zwischen Phasen des Abfalls und Phasen der Umkehr gekennzeichnet ist. Das erinnert an das dtr. Bild der Richterzeit, nur daß sich für die Dtr in der späteren Königszeit der Abfall in kultischen und rituellen ,0 Zur Verehrung anderer Götter 2.Kön 17,7.12.15 vgl. l.Kön 14,8f.; 16,13.26 und l.Kön 21,26; zum Baalkult 2.Kön 17,16 vgl. l.Kön 16,31; 22,54; zum Aschera-Kult 2.Kön 17,16 vgl. l.Kön 16,33; 2.Kön 13,6; zum Höhenkult 2.Kön 17,9-11 vgl. l.Kön 12,31; 2.Kön 23,15; zum Bilderkuh 2.Kön 17,16 vgl. l.Kön 12,28.32; 14,8f.; 2.Kön 10,29. Die letzten beiden Vorwürfe sind auch mit dem „Wandeln in der Sünde Jerobeams" gemeint (2.Kön 17,22), welches die ganze Geschichte durchzieht. Nicht gedeckt durch den Geschichtsbericht sind allein die Vorwürfe der Anbetung des Himmelsheeres (V.16) und der Kinderweihung und mantischer Praktiken (V.17); sie werden sonst nur in der Südreichgeschichte gegen Ahas und Manasse erhoben (2.Kön 16,3 f.; 21,3 f.6) und mögen dadurch veranlaßt sein, daß die Anklage 2.Kön 17,7 ff. nachträglich auf Juda hin ausgeweitet wurde (2.Kön 17,13.19). " Vgl. die prophetischen Ankündigungen mit Erfüllungsvermerken l.Kön 13 — 2.Kön 23,16-18; l.Kön 14,10 - l.Kön 15,29; l.Kön 16,1 ff. - 16,12; l.Kön 21,21 f. - 21,27-29; 2.Kön 1,6 - 1,17; 2.Kön 20,17 - 24,13; 2.Kön 21,10ff. - 24,3. ,2 Vgl. die prophetischen Anklagen, die zur Buße führen (2.Sam 12; l.Kön 21) bzw. in den Wind geschlagen werden (l.Kön 13).

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Verirrungen 93 und die Umkehr in mehr oder minder tiefgreifenden Kultreformen vollzog.94 Nachdem schon Salomo in den Synkretismus zurückgefallen war, erreichte die erste Welle des Abfalls ihren Höhepunkt unter den Königen Rehabeam und Abia: Sie bestand in dem Bau von Höhenheiligtümern und der Zulassung der Tempelprostitution (l.Kön 14,22 ff.). 95 Dies war ein Verstoß gegen Dtn 12 und 23,18 f. Während solche als „Höhen" bezeichneten Provinzheiligtümer vor dem Tempelbau noch zugelassen waren (l.Kön 3,2f.), werden sie nach der Erwählung Jerusalems zum zentralen Kultort (l.Kön 8,16) von den Dtr als die entscheidende Verirrung des Südreiches angesehen, 96 die erst in der Kultreform Hiskias vorläufig (2.Kön 18,4) und Josias endgültig (2.Kön 23,8) beseitigt wird. Wenn dieser abscheuliche Abfall, der ja durchaus mit der „Sünde Jerobeams" vergleichbar ist, von Jahwe nicht sogleich mit einem Vernichtungsbeschluß beantwortet wurde, so wird darin für die Dtr die Kraft der Verheißungen sichtbar, die auf David und dem Jerusalemer Tempel ruhen (l.Kön 14,21; 15,4f.). Jahwe begrenzte seine Strafe auf den Einfall des Pharao Schoschenk (l.Kön 14,25 ff.). Die gegenüber dem Nordreich längere und im ganzen ruhiger verlaufene Geschichte Judas wird von den Dtr somit theologisch damit erklärt, daß die am Königtum und Tempel hängenden Verheißungen Jahwes sein Gericht über den Abfall Judas abmildern und begrenzen. Zu einer gewissen Besserung der Lage kam es nach dtr. Ansicht unter Asa und Josaphat, welche Götzenbilder beseitigten und die Kultprostitution wieder abschafften (l.Kön 15,12f.; 22,47) und darum auch wieder eine militärische Stärkung Judas erreichen konnten. Doch schon bald darauf kam es erneut zu einem tiefen Einbruch, als durch Joram und Athalja die Baalverehrung aus dem Nordreich nach Juda übergriff (2.Kön 8,18; vgl. 2.Kön 11,18). Wenn es dennoch nicht zu einem totalen Gericht Jahwes über das Südreich kam, 97 dann war das wiederum nur der wir-Verheißung für die Davididen zu verdanken und dem mutigen Eingreifen eines Jerusalemer Priesters, der die exklusive Jahweverehrung erneuerte und die davidische Monarchie rettete (2.Kön 11,17 f.). Diese Mittellinie wurde von den folgenden vier Königen gehalten: Sie bewahrten die ausschließliche Jahweverehrung, versäumten es aber, den Hö-

93

Es sind dies verschiedene Fremdgötterkulte (beschränkt auf Salomo, Joram-Athalja und Manasse-Amon), Höhenkult, Kultprostitution, mantische Praktiken und „Kinderopfer". 94 Wenn H.W.Wolff als Kerygma des DtrG den Ruf zur Umkehr bestimmt hat (Kerygma, 321 f.), dann hat er damit zwar grundsätzlich das leitende Interesse seiner Autoren richtig erkannt, doch hat er übersehen, daß sich für die Dtr in der Königszeit diese Umkehr nicht wie in der Frühzeit (Ri 2,16; l.Sam 12,19 vgl. l.Kön 8,47) allein im Gebet, sondern in konkreten kultpolitischen und rituellen Maßnahmen vollzieht und als offene Möglichkeit auf Juda und Jerusalem beschränkt bleibt. 95 Nach M T ist Juda als ganzes verantwortlich für den Abfall, nach LXX Rehabeam. * Vgl. Anm. 63. 97 Die Dtr führen 2.Kön 8,20 ff. nur den Verlust Edoms auf diesen Abfall zurück.

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henkult zu beseitigen (2.Kön 12,4; 14,4; 15,4.35), was sie mit schweren persönlichen Schicksalen98 zu bezahlen hatten. Danach kam es unter Ahas zu einer erneuten Verschlechterung: Nicht nur, daß er selber den Höhenkult vollzog, er führte mit der Übernahme des Ritus der Kinderweihe „Greuel der Völker" ein (2.Kön 16,3f.) und griff aus lauter Liebedienerei zu den Assyrem eigenmächtig in den Tempel ein (16,10 ff.). Darum mußte er auch die Bedrohung Jerusalems im syrisch-ephraimitischen Krieg (16,5) und den Verlust Elaths an die Edomiter hinnehmen (16,6). Doch diese negative Entwicklung ist für Dtr nur die dunkle Folie, die Kultreform Hiskias (2.Kön 18,4) um so glänzender davon abzuheben; er, den sie erstmals seit Asa wieder so positiv wie David werten, beseitigte zum ersten Mal das Grundübel der Höhenheiligtümer und letzte Reste des Bilderkults im Tempel (Nehuschtan). So durfte er auch im Vertrauen auf Jahwe — im Gegensatz zum Nordreich — die wunderbare Bewahrung Jerusalems vor der assyrischen Übermacht erleben (18,9 ff.)." Bis hierhin wirkt die dtr. Geschichte des Südreiches durchaus hoffnungsvoll. Sie belehrt darüber, daß der Grund für seine Krisen der Vergangenheit im Abfall von Jahwe, speziell in der nicht vollzogenen Konzentration der Jahweverehrung auf das Jerusalemer Heiligtum lagen. Sie belehrt aber auch darüber, daß es in der Vergangenheit immer wieder möglich war, diese Krisen durch eine Kultreform im Sinne des dtn. Gesetzes zu überwinden, und dies nicht zuletzt deswegen, weil die Verheißungen, die auf dem davidischen Königtum und dem Tempel ruhten, Jahwe davon abhielten, seinem Zorn über den Abfall freien Lauf zu lassen. Damit war die Richtigkeit der religiös-kultischen Seite der dtn. Reformtheologie — vermehrt um Elemente der Königs- und Tempeltheologie — geschichtlich erwiesen. Das große Problem, das sich den Dtr stellte, war es nun, daß sich für den Rest der Geschichte Judas diese ihre hoffnungsvolle theologische These nur schwer am faktischen Geschichtsverlauf bewahrheiten ließ. Es war ja trotz allem zu einem dem Untergang des Nordreiches vergleichbaren staatlichen Zusammenbruch Judas gekommen, und zwar obgleich Josia eine noch viel tiefergehende Kultreform unternommen hatte. Daraus könnte man den viel näher liegenden Schluß ziehen, daß der Geschichtsverlauf die josianische Kultreform widerlegt habe, und dies ist in der Exilszeit sicher häufiger und grundsätzlicher geschehen, als uns dies in Jer 44,15 ff. belegt ist. Um einer solchen Schlußfolgerung den Boden zu entziehen und die Richtigkeit ihrer These zu retten, beschritten die Dtr

" Joas und Amasja wurden Opfer von Anschlägen, Asarja wurde von Aussatz heimgesucht, Jotham geriet unter den Angriff der syrisch-ephraimitischen Koalition. " Wenn die Dtr in 2.Kön 18-20 ihrem Werk das Pamphlet der National-Religiösen gegen Jeremia und die Reformpartei aus den letzten Monaten vor dem Fall Jerusalems einverleiben (dazu s.o. 370f.), dann paßt auch dies zu ihrer hier vorgeschlagenen Zuordnung zu diesem Spektrum.

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am Ende ihres Geschichtswerkes einen doppelten Weg: Sie konstruierten einmal eine extrem negative Entwicklung unter dem Nachfolger Hiskias, Manasse (2.Kön 21,2-9) 100 , die den Gerichtsbeschluß Jahwes über das Südreich provoziert habe (21,10-16), der von Josia zwar noch hinauszuschieben (22,18-20), aber nicht mehr zu annullieren gewesen sei (23,26f.). Und sie gestalteten den Bericht von der josianischen Kultreform (2.Kön 22,1-23,24) zum eigentlichen Ziel- und Höhepunkt der ganzen Südreichgeschichte: Hier werden nicht nur die Verirrungen Manasses wieder korrigiert, sondern überhaupt alle kultischen und rituellen Mißbräuche, die in der Geschichte Judas vorgekommen waren, abgeschafft. Alle partiellen Kultreformmaßnahmen (Asa, Hiskia etc.) kommen nach dieser dtr. Konzeption in der Kultreform Josias zu ihrem Ziel.101 Fragt man nach der Absicht dieser Darstellungsweise, so wird die Antwort klar, wenn man dazu noch einmal den dtr. Abschluß der Nordreichsgeschichte vergleicht: In der Geschichtsreflexion 2.Kön 17,7-23 hatten die Dtr dort zum Abschluß die Sünden des Nordreichs summiert, die zu dessen Untergang geführt hatten. Wenn sie antithetisch dazu kurz vor dem Ende der Südreichgeschichte im groß angelegten Bericht von der josianischen Kultreform alle kultisch-rituellen Umkehrinitiativen, die in Juda ergriffen wurden, summieren, dann wollen sie damit festhalten, daß allein Juda in seiner Geschichte schon den richtigen Weg eingeschlagen hat, der — wie aus der voraufgegangenen Geschichte erwiesen — eine positive Prognose eröffnet: Wohl können die Dtr nicht leugnen, daß auch die Südreichgeschichte ein schlimmes Ende fand, von dem sie nach dem ausführlichen Reformbericht — wenn auch auffallend wortkarg — berichten (2.Kön 23,3125,26), aber dies ist für sie nur Folge einer schlimmen, aber doch geschichtlich eng begrenzten Fehlentwicklung. Wichtiger ist ihnen der Nachweis, daß allein der Weg, den die dtn. Kultreform gewiesen hat, die konsequente Zentralisierung des Jahwekultes nach Jerusalem und die Reinigung der Jahweverehrung von heidnischen Einflüssen auf allen Ebenen, die Chance für eine Fortsetzung der Geschichte Israels über die nationale Katastrophe hinweg bietet. Es geht somit den Dtr in ihrem großen Geschichtswerk keineswegs nur darum, den staatlichen Zusammenbruch von 587 theologisch aufzuarbeiten, sondern auch ganz wesentlich darum, ihren judäischen Zeitgenossen gegen die unter ihnen grassierenden populären Synkretismen und 100 Es spricht einiges dafilr, daß diese Anwürfe stark übertrieben sind und sich die synkretistischen Entwicklungen unter Manasse eher auf den Bereich der persönlichen Frömmigkeit (assyrisches Omen- und Beschwörungswesen, aramäischer Brauch der Kinderweihung u.a. s.o. 300 f.) erstreckten. 101 Zur Zerstörung der Geräte für Baal, Aschera und das Himmelsheer 2.Kön 23,4 vgl. 21,3 f., zur Beseitigung ausländischer Mantik/Gestirnsomina 23,5.24 vgl. 21,6, zum Entfernen des Aschera-Bildes 23,6 vgl. 21,3 f., zur Beseitigung der Kultprostitution 23,7 vgl. l.Kön 22,47; 15,12; 14,24, zur Beseitigung des Höhenkultes vgl. 2.Kön 21,3f. passim, zur Beseitigung der Kinderweihung auf dem Tophet 23,10 vgl. 21,6; 16,3, zur Zerstörung der Dachaltäre 23,11 f. vgl. 21,4f., zur Beseitigung der Fremdkulte Salomos 23,13f. vgl. l.Kön 11,5-7.

D i e Stützung der Jahwereligion durch die familiäre Frömmigkeit

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gegen die vordeuteronomische Praxis, welche die Samarier vorleben, in einer exklusiven, auf Jerusalem ausgerichteten Jahweverehrung den ihrer Meinung nach einzig richtigen Weg aus der Krise zu weisen. Nicht die umfassend religiös-soziale Erneuerung des Volkes, für die die J e r D stritten, sondern die Wiederherstellung des Jerusalemer Staatskultes, wie ihn Josia vorbildlich geschaffen hatte, war ihrer Ansicht nach die entscheidende Bedingung für einen Neubeginn.

4.3 Die Stützung der Jahwereligion durch die familiäre Frömmigkeit RALBERTZ, Persönliche Frömmigkeit und offizielle Religion. Religionsinterner P l u r a l i s m u s in I s r a e l u n d B a b y l o n , C T M A 9 , 1 9 7 8 . -

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Hatten sich die bislang behandelten Bemühungen unterschiedlicher Theologengruppen um Bewältigung und Überwindung der Krise auf der Ebene der offiziellen Religion bewegt, so gab es daneben in der Exilszeit eine mehr untergründig verlaufende — und darum häufig übersehene — Entwicklung zu einer Aufwertung der persönlichen Frömmigkeit, von der ganz wesentliche Impulse zur Stützung und Rettung der angeschlagenen Jahwereligion ausgingen. 1 Der Grund für diese religionsgeschichtlich interessante Verschiebung zwischen den beiden Religionsschichten ist doppelter Natur: Er ist einmal in dem sozialgeschichtlichen Faktum zu suchen, daß trotz weitgehender Auflösung politischer Organisationsformen die Familie als der Träger der persönlichen Frömmigkeit in den exilischen judäischen Gemeinschaften — sei es nun in Babylonien oder in Palästina — intakt blieb. Und er ist ein andermal darin zu sehen, daß die Frömmigkeit, die in den judäischen Familien gepflegt wurde, zwar so weit — zuletzt noch einmal durch 1

Ausführlich d a z u R.Albertz, Frömmigkeit, 1 7 8 - 1 9 0 .

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die dtn. Reformbewegung 2 — in die Jahwereligion integriert war, daß sie die Verantwortung für ihren Bestand übernehmen konnte, 3 aber nichtsdestoweniger über eine eigenständige religiöse Struktur verfügte, die ihr gegenüber den offiziellen Ausprägungen der israelitischen Religion eine gewisse Unabhängigkeit verschaffte und verhinderte, daß sie voll in deren Krise mit hineingerissen wurde. Dazu muß man sich klarmachen, daß die Gottesbeziehung des einzelnen — anders als die Gottesbeziehung des Volkes — nicht geschichdich konstituiert war.4 Sie ruhte vielmehr auf der persönlichen Erschaffung und war damit auf einer kreatürlichen Tiefenschicht der Realität verankert, die von den Wechselfällen der Geschichte letztlich nicht erreichbar war, solange das Leben des einzelnen nicht ausgelöscht wurde. Dies bedeutete für die Überlebenden von 587, daß ihre persönliche Gottesbeziehung selbst durch eine geschichtlichpolitische Katastrophe diesen Ausmaßes nicht notwendigerweise ins Herz getroffen wurde. Wohl hatten viele schwere persönliche Schicksale durchmachen müssen, hatten ihre Heimat verloren und den Verlust von Angehörigen zu beklagen. Wohl litten viele seelische Qualen, wie es nur möglich war, daß Jahwe durch die Zerstörung aller seiner geschichdichen Heilssetzungen, des Landes, des Königtums und des Tempels, seine Geschichte mit Israel aufzukündigen schien (Ps 77,7-11). Dennoch hatten sie ihr Leben durch alle Strapazen und Entbehrungen hindurchgerettet, konnten allein schon darin ein Zeichen des Beistandes ihres persönlichen Gottes sehen und sich weiter vertrauensvoll an ihren göttlichen Schöpfer und Vater klammern. Ja, mehr noch, sobald sich die Lage in der Exilszeit wieder etwas konsolidiert hatte, wurden wieder Kinder glücklich geboren, erfuhr der eine oder andere wieder Genesung von schwerer Krankheit, wuchs das Korn wieder auf dem Acker und reiften die Trauben, hatte der eine mehr und der andere weniger Erfolg bei seiner Arbeit und fand daheim oder in der Fremde sein kleines privates Glück. Das heißt aber: Gottes Rettungs- und Segenshandeln am einzelnen ging auch nach dem nationalen Desaster weiter. Mochte sich Jahwe von Israel noch so im Zorn abgewandt haben und für das Volk im ganzen unerreichbar sein, so blieb er hier, im alltäglichen familiären Lebensbereich für den einzelnen während der ganzen Exilszeit weiter positiv erfahrbar. So ist es nicht erstaunlich, daß von unterschiedlicher Seite her versucht wurde, diesen Schatz persönlicher Gotteserfahrungen für die in Agonie liegende offizielle Jahwereligion brauchbar zu machen. Parallel dazu übernahm die Familie selber zunehmend stellvertretend religiöse Funktionen für die Volksgruppe als ganze. Die Folge davon war, daß in der Exilszeit die beiden Ebenen der israelitischen Religion noch enger aneinander, ja z.T. sogar ineinander rückten. 1

S.o. 327 ff. In der relativen Nähe der beiden Religionsschichten liegt ja eine Besonderheit der israelitischen etwa gegenüber der babylonischen Religion (vgl. R.Albertz, Frömmigkeit, 158 ff.), in der eine solche Funktionsübernahme deswegen auch undenkbar gewesen wäre. 4 S.o. 146. 3

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4.31 Die Anleihen an die persönliche Frömmigkeit Der erste Ort, an dem sich solch ein Zugriff auf die noch intakte persönliche Frömmigkeit vollzog, war der exilische Klagegottesdienst. Am deutlichsten erkennbar wird er in der in ihrem Grundbestand sicher exilischen Volksklage Jes 63,7-64,11. In dieser Klage begegnen neben dem traditionellen Element, Jahwes Zuwendung zu beschwören, dem Rückblick auf Gottes früheres Heilshandeln (63,11-14; 5 vgl. Ps 80,9-12) zwei pluralisch abgewandelte Bekenntnisse der Zuversicht (Jes 63,16; 64,7), die eigentlich in das individuelle Klagegebet gehören. Der Grund dafür ist einsichtig: Ganz offensichtlich hat für die Gemeinde nach den Erfahrungen von 587 die Heilsgeschichte ihre Eindeutigkeit als Grundlage ihrer Gottesbeziehung verloren.6 Sie suchte darum nach einer neuen Basis, auf die sie ihre Hoffnung gründen konnte, daß sich Jahwe trotz aller trennenden Sünden (64,4b6) ihrer doch wieder annehmen werde. Und sie fand sie in der urtümlichen Vertrauensbeziehung zwischen dem Schöpfer und seinem Geschöpf, auf die viele sich auch in ihren Privatgebeten stützten: Jes 64,7 Aber nun, Jahwe, du bist doch unser Vater, wir sind der Ton und du unser Schöpfer, das Werk deiner Hände sind wir alle.

Die in Analogie zu der kreatürlichen, letztlich unverlierbaren ElternKind-Beziehung konzipierte Gottesbeziehung der familiären Frömmigkeit sollte jetzt dazu helfen, über die tiefe Zerrüttung des Gottesverhältnisses Israels hinwegzukommen. 7 Eine ähnlich geartete Anleihe an die persönliche Vertrauensbeziehung zu Gott findet sich auch in der prophetischen Liturgie Mi 7,10-20 (V.7.8bß.9bf.). Der zweite Ort, an dem die persönliche Frömmigkeit ihre vertrauenstärkende Funktion in der Öffentlichkeit entfalten konnte, war wahrscheinlich die exilische Toda-Feier. Darauf läßt der Text Klgl 3 zurückschließen, der — obwohl es sich schon um eine literarische Stilisierung handelt — eine Mischform zwischen den Gattungen Danklied des einzelnen und Klage des Volkes darstellt. 8 War es schon immer möglich, daß ein einzelner aufgrund seiner Leidens- und Rettungserfahrungen, die er durchgemacht hatte, dem 5 Die Lobeinleitung 63,7-10 ist wahrscheinlich ein dtr. beeinflußter Zusatz im Stil nachexilischer Bußgebete (vgl. Neh 9). 4 Vgl. die Frageform V.l 1; V.10 nimmt sogar den Abfall Israels in den Rückblick mit hinein. 7 Das zweite Bekenntnis der Zuversicht 63,16 überbietet die Vaterschaft Abrahams durch die Vaterschaft Gottes; es setzt wahrscheinlich den exilischen Brauch voraus, sich gerne auf die Erzväter zu berufen (dazu s.u. 419ff.), der hier mit Rückgriff auf das Schöpfungshandeln Gottes noch einmal hinterfragt wird. 8 Zum Danklied gehören V.l-21 Rückblick auf die Klage, das Bekenntnis der Zuversicht (V.22-23) und die Feindklage (V.52-54), V.55-63 Bericht von der Errettung; Elemente der Volksklage liegen vor in V.40-47, der Klage über die zerstörte Stadt V.48-51. In der Schlußbitte V.64-66 sollen wahrscheinlich beide Linien zusammenkommen, vgl. im einzelnen R.A1bertz, Frömmigkeit, 184 f.

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kleinen Kreis seiner Gäste religiöse Ratschläge erteilte, 9 so konnten sich offenbar in der Exilszeit die einstmals familiären Dank-Gottesdienste zu Bestandteilen des kasuellen Großkultes entwickeln, bei dem ein Geretteter vor dem Publikum der ganzen Gemeinde seine Geschichte vortrug und dies mit einer öffentlichen Belehrung verband. Greifbar wird eine solche in Klgl 3,22-38, und ihre Basis ist nicht zufällig wieder das persönliche Vertrauensbekenntnis (V.24). Der Vortragende argumentiert hier, daß allein schon die Tatsache, daß er in seiner persönlichen Not seine Hoffnung auf Jahwe setzte und darin nicht enttäuscht wurde (V.55ff.), gegen die lamentierende These spreche (Ps 77,8-10), daß Jahwes Gnadentaten erschöpft seien (Klgl 3,22-24). Vielmehr belehre sein persönliches Beispiel, daß Jahwe nicht für immer und nicht gerne betrübe (V.31-33). Darum aber sei es gut und richtig, sich weiter in der demütigen Hoffnung auf Gott zu üben (V.26.27-30) und sich nicht in eine wilde Protesthaltung zu verrennen (V.34-39). Auf diese Weise wurde versucht, von der noch weitgehend intakten persönlichen Gottesbeziehung her für die Gemeinschaft als ganze eine Hoffnungsperspektive zu eröffnen und eine Leitlinie zur Orientierung zu finden. 10 Der dritte Bereich, in welchem an Vorgänge und Vorstellungen der persönlichen Frömmigkeit angeknüpft wurde, war die exilische Heilsprophetie. Hier, wo das Wagnis unternommen wurde, gegen lange leidvolle Erfahrungen und bittere Enttäuschungen eine neue Zuwendung Jahwes jenseits des Gerichts anzukündigen, empfand man die Notwendigkeit, positive Anknüpfungspunkte in der religiösen Erfahrungswelt der Adressaten zu suchen, um deren Mißtrauen und Skepsis zu überwinden. Und so verwundert es nicht, daß man diese gerade im Bereich der familiären Frömmigkeit fand, wo Jahwes Zuwendung und Nähe auch noch in der Exilszeit erfahrbar waren. Das Bemühen zeigt sich erstens daran, daß die Heilspropheten da, wo sie auf die Klagen ihrer Mitbürger eingehen, diese gerne als Klagen des einzelnen stilisieren (Jes 40,27; 49,14; Ez 37,11), weil ihnen solche vertraut waren und in der Exilszeit Erhörung gefunden hatten. In diesen Zusammenhang gehört auch die Übertragung der urtümlichen Klage der kinderlosen Frau auf Zion (Jes 49,21; 54,1-3); denn daß Jahwe diese Klage immer wieder erhört hat und ein Kind schenkte, war seit uralten Zeiten eine spezifisch weibliche elementare religiöse Erfahrung gewesen.11 Wie die Propheten sogar die Vorstellungswelt ihrer nationalen Heilsworte aus persönlichen Gebets- und Rettungserfahrungen entlehnen konnten, zeigt die berühmte Vision Ezechiels von der Belebung der Totengebeine (Ez 37). Sie ist herausgesponnen aus einer typischen Krankheitsklage, die in V. 11 zitiert wird:

' Vgl. Ps 32,8 ff.; 34,5 ff.; 40,5 ff. u.ö. 10 Eine ähnliche Absicht ist auch in der Klage Ps 130 zu erkennen, die aber vielleicht schon in die nachexilische Zeit gehört; hierhin gehören auch die Bezüge auf die Volksgeschichte in den individuellen Klagen Ps 102,14-23; 69,35-37; 25,22; 51,20; 59,6.9b. 12.14. 11 S.o. 154.

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Ez 37,11 Ausgedorrt sind unsere Gebeine, und vernichtet ist unsere Hoffnung, wir sind (vom Leben) abgeschnitten.12 Und wie sich der Kranke schon in den Fängen des Todes wähnte und seine Heilung als Rettung aus der Macht des Todes erfuhr, so schildert Ezechiel visionär, wie das Israel des Exils nur noch ein großer Haufen toter Knochen war und durch Jahwe wiederbelebt wird. Und wenn er dabei das Rettungshandeln Gottes im Bild des belebenden Geistes des Menschenschöpfers beschreibt, 13 dann knüpft er damit wieder an die Erfahrung der persönlichen Frömmigkeit an, daß es der Menschenschöpfer ist, der sein Geschöpf in Todesbedrohung am Leben erhält. Das Anliegen, persönliche Rettungserfahrungen für die Heilsverkündigung an Israel nutzbar zu machen, wird zweitens in dem eigenartigen Umstand greifbar, daß sich der Prophet Deuterojesaja gerade der Gattung des Heilsorakels bedient, um den Kern seiner Botschaft auszudrücken CJes 41,8-13.14-16; 43,1-4.5-7; 44,1-5; vgl. 54,4-6). Im Heilsorakel konnte einem Leidenden innerhalb der privaten Bittzeremonie auf seine Klage hin eine positive Gottesantwort vermittelt werden. 14 Und Klgl 3,57 belegt, daß dieses auch noch in der Exilszeit gängige Praxis persönlicher Frömmigkeit gewesen ist. Wenn Deuterojesaja gerade an sie anknüpfte, dann tat er dies einmal deswegen, weil er von den Erfahrungen der Zuwendung Jahwes zu den kleinen familiären Nöten her eine Vertrauensbasis für seine unglaubliche und z.T. sogar anstößige Heilsverkündigung schaffen wollte. Zum anderen ging es ihm darum, die geschichtliche Gottesbeziehung Israels in Analogie zum urtümlichen Vertrauensverhältnis des einzelnen neu auszudeuten und auf einer tieferen, personal-kreatürlichen Ebene zu verankern: Wie jeden einzelnen, so hat Jahwe seiner Ansicht nach Israel „von Mutterleib an geschaffen" (43,1; 44,2.21.24; 54,5; vgl. 49,5), wie er mit jedem einzelnen war (41,10; 43,5), ihn bei der Hand nahm (41,10) und ihm aufhalf (41,9.10.13.14; 44,2), so steht er jetzt seinem geschlagenen Volk bei, und wie zwischen jedem einzelnen und seinem Gott ein enges Vertrauensverhältnis bestand, so wirbt jetzt Jahwe beim Volk um dasselbe persönliche Vertrauen: „Ich bin dein Gott" und „du bist mein" (43,1; vgl. 44,21). Schließlich wird drittens die Aktivierung der Erlebniswelt familiärer Religiosität darin erkennbar, daß in der exilischen Heilsprophetie Jahwes Beziehung zu Israel gehäuft und z.T. massiv mit personalen Familienbindungen verglichen wird: Jahwe wird nicht nur als Vater angesprochen, der Israel

12 Auf den einzelnen Menschen bezogen begegnen diese Motive z.B. in Ps 102,4; Hi 14,19; Klgl 3,54. 13 Vgl. die Zweiaktigkeit von Erschaffen und Beleben in Gen 2,7; allerdings nennt Ezechiel den Lebensodem nicht nesämä, sondern rüäh, die eigentlich den Lebenselan bezeichnet, der bei der Heilung des Kranken wieder erwacht. " S.o. 153.

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geschaffen und versorgt habe (vgl. Dtn 32,6b; Jes 63,16; 64,7; Jer 3,4f.l9), 1 5 sondern sogar auch mit der Mutter verglichen, die ihr Kind Israel seit seiner Geburt schützend auf dem Arm trägt (Jes 46,3 f.), nicht vergessen kann (49,15) und tröstet (66,13). Jahrhundertelang war in der offiziellen israelitischen Religion eine gewisse Scheu spürbar gewesen, Jahwe Vater zu nennen, wahrscheinlich z.T. wegen der in der Vatervorstellung mitgegebenen sexuellen Konnotation, z.T. aber wohl auch, weil diese vertrauliche familiäre Anrede zu den geschichtlichen Erfahrungen, die Israel mit seinem Gott gemacht hatte, wenig paßte. Jahwe war der Gott Israels, sein Befreier, sein Herr und König, nicht aber sein Vater. So blieb die Vatervorstellung in vorexilischer Zeit — von einigen Ausnahmen abgesehen16 — in der offiziellen Theologie auf das Gottesverhältnis des Königs beschränkt. 17 Noch stärker waren die Vorbehalte gegen jede Art von weiblichen Gottesvorstellungen gewesen, die sich schließlich in der Denunzierung aller sog. „Höhenkulte" mit ihrer traditionell männlich-weiblichen Kultsymbolik in der hiskianischen und dtn. Reform religionspolitische Geltung verschafften. 18 Anders lagen die Dinge jedoch in der familiären Frömmigkeit. Hier war nicht nur die Vatervorstellung eng mit der Vorstellung vom persönlichen Schöpfer verbunden (Dtn 32,6b. 18; Jer 2,27; Jes 64,7; Mal 2,10), sondern hier war es auch recht populär, neben Jahwe eine weibliche Gottheit als dessen Begleiterin zu verehren. 19 Ja, mehr noch, die persönliche Frömmigkeit orientierte sich umfassend an der Eltern-Kind-Beziehung, wobei viele Elemente eher mütterliche Züge tragen, 20 selbst dann, wenn sie auf Jahwe als „männlichen" Gott bezogen sind. Wenn die Heilspropheten der Exilszeit zwar nicht einer Göttin neben Jahwe, wohl aber explizit weiblichen Wesenszügen in Jahwe Raum in der offiziellen Religion gaben, dann erkannten sie die zumindest partielle Berechtigung des in der familiären Religiosität entworfenen Gottesbildes an. Ein einseitig männliches Jahwebild war ihrer Meinung nach nicht in der Lage, Jahwes tiefe kreatürliche Bindung an Israel zu verdeutlichen, die über den Zusammenbruch der Heilsgeschichte hinweg einen neuen Anfang ermöglichen konnte: So selbstverständlich, wie eine Mutter ihr weinendes Kind auf den Arm nimmt und es tröstet, so selbstverständlich würde sich auch Jahwe von den Klagen seines Volkes rühren

15 Vgl. dazu Ps 68,6; 103,13 und Ps 27,10; Mal 2,10; polemisch auf fremde Familiengötter bezogen Jer 2,27. 14 Jer 2,27; 3,4f.l9; vgl. daneben auch die Vorstellung von Israel als Jahwes Sohn (Hos 2,1; 11,1; Jes 1,2; Ex 4,22f.). 17 So 2.Sam 7,14; Ps 2,7; 89,27; l.Chr 17,13; 22,10; 28,6. 18 S.o. 135; 28Iff.; 322f. » S.o. 132 ff.; 301 ff. 20 Vgl. z.B. die verbreitete Vorstellung in der Klage des einzelnen, sich bei Jahwe zu bergen (häsä Ps 7,2; 11,1; 16,1; 25,20; 31,2; 57,2; 71,1; 141,8), so wie sich ein Kind in der Angst im Schoß seiner Mutter birgt. Eigenartigerweise steht auch überall da, wo Jahwe Vater genannt wird, nicht seine „väterliche" Strenge, sondern seine fast „mütterliche" Fürsorge im Vordergrund.

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lassen und sich seiner annehmen. Die stützende, ja sogar korrigierende Funktion, die der familiären Religiosität in der Exilszeit zuwuchs, ist hier mit Händen zu greifen. 4.32 Der Rückgriff auf die Erzväter In den weiteren Zusammenhang des breiten Einströmens der persönlichen Frömmigkeit in die offizielle Religion der Exilszeit gehört nun auch das häufig notierte Phänomen, daß in dieser Epoche die Gestalten der Erzväter und die mit ihnen verbundenen Traditionen erhöhte Bedeutung erlangten. 21 Das hat erst einmal einen ganz einfachen sozialgeschichtlichen Grund: Nachdem Israel durch Wegfall der staatlichen Organisation weitgehend auf die Basis der Familie reduziert war, boten die Väterüberlieferungen, die in der Fiktion des genealogischen Modells die Frühgeschichte Israels als Familiengeschichte entworfen hatten, eine willkommene Identifikationsbasis. In den Vätern und ihren Familien konnten sich die staatenlos gewordenen judäischen Familien der Exilszeit wiederfinden. Hinzu kamen zwei weitere theologische Gründe: Der erste hat wieder mit der Infragestellung der übrigen heilsgeschichtlichen Traditionen zu tun. Angesichts der sich als brüchig erwiesenen Heilsgaben des Landes, des Tempels und des Königtums bot sich das Handeln Jahwes an den Vorvätern als die letzte nicht in Mitleidenschaft gezogene geschichtliche Basis an, auf die man weiter bauen konnte. Der zweite theologische Grund hängt mit einer Eigentümlichkeit der persönlichen Frömmigkeit zusammen, die man schon in der älteren Uberlieferungsphase auf die Väter projiziert hatte: Sie besteht in der Unbedingtheit der persönlichen Gottesbeziehung: 22 Schon die alte Sohnesverheißung an Abraham (Gen 18) war unbedingt gewesen, desgleichen die Beistandszusagen und Segnungen, die Jakob erfahren hatte (Gen 31,5.42; 27). Und auch die später hinzugefügten Landverheißungen an die Erzväter hatten unbedingten Charakter (13,14-16; 28,13f.). Indem nun die Väter nicht nur Einzelpersonen waren, sondern immer zugleich als Stammväter Israel repräsentierten, galten diese göttlichen Zusagen und Verheißungen, die sich im Kern aus dem Erfahrungshorizont der persönlichen Frömmigkeit speisten, auch Israel als ganzem. Und weil sie nicht von irgendeinem Wohlverhalten der Väter abhängig waren, konnten sie auch nicht durch ein noch so schlimmes Fehlverhalten Israels beeinträchtigt werden. So boten sie anders als die weithin bedingten dtn. Verheißungen, 23 die durch Israels Sünde außer Kraft gesetzt worden waren, einen positiven Anknüpfungspunkt, an dem sich eine nationale Zukunftshoffnung in der Exilszeit festmachen konnte. Auch über die Erzväter konnte somit die weithin unzerstörbare persön21 Bis auf die Aufnahme der Jakobsüberlieferung in Hos 12,3 ff. fehlt ein Rückbezug auf die Väter in der vorexilischen Prophetie; grundsätzlich dazu C.Hardmeier, Erzählen. " S. dazu o. 331 f. 23 Vgl. etwa die bedingten Segensverheißungen Dtn 7,12ff.; 11,8 ff.; 28.

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liehe Frömmigkeit der offiziellen exilischen Theologie einen Ansatz zur Überwindung der theologischen Krise vermitteln. Der Hoffnung stiftende Rückgriff auf die Erzväter erfolgte in verschiedenen Zusammenhängen und unterschiedlicher Funktion: Aus Ez 33,24 können wir entnehmen, daß schon in der frühen Exilszeit die Daheimgebliebenen ihre Landbesitzansprüche gegenüber den Deportierten unter Berufung auf Abraham, dem Jahwe das Land übereignet habe, begründet bzw. verteidigt haben.24 Und aus Jes 63,16 läßt sich erschließen, Jaß es in exilischen Volksklagen üblich wurde, sich auf die Vaterschaft Abi ahams zu berufen, um Jahwe zur Zuwendung zu seinen gegenwärtigen Nachkommen zu bewegen.25 Dieses Vertrauensmotiv wurde in der exilischen Heilsprophetie positiv aufgenommen: Deuterojesaja läßt Jahwe im Heilsorakel das exilierte Israel als „Same Abrahams" anreden und ihn ausdrücklich als „seinen Freund" bezeichnen (Jes 41,8). Gottes erneute Zuwendung zu seinem geschlagenen Volk hat somit in seiner ganz besonders engen Beziehung zum Erzvater ihren Grund, den er „von den Enden der. Erde" ergriff und berief (41,9). Damit wird die Erwählung Israels über die zerbrochene Exodus-Landnahmegeschichte 26 hinweg an Abraham zurückgebunden und dessen Berufung zugleich zum Vorbild für die zu erwartende Heimrufung der über die Welt verstreuten Exulanten gemacht. Ein weiterer tröstlicher Aspekt der Abrahamüberlieferung kommt mit der Disputation Jes 51,1 f. ins Spiel: Aus der Tatsache, daß sich — entsprechend der Konzeption des genealogischen Modells — die eine von Jahwe berufene Abrahamfamilie zum Volk Israel vermehrt hat, kann die immense Kraft des göttlichen Segens abgeleitet werden, aufgrund dessen auch die kleinen Exulantengruppen wieder Hoffnung schöpfen können, erneut zu einem großen Volk zu wachsen. Zu den knappen Bezugnahmen auf die Erzväter in der exilischen Heilsprophetie kommt noch eine großangelegte literarische Bearbeitung der Väterüberlieferung hinzu, die während der Exilszeit unternommen wurde.27 In ihr wurden den israelitischen Familien der Exilszeit die Väterfamilien der Frühzeit gleich in mehrfacher Hinsicht als Identifikationsfiguren präsentiert, als Träger unbedingter und noch nicht abgegoltener Verheißungen und als Vorbilder zur aktuellen Orientierung: Wenn Abraham gleich zu Beginn der exilischen Vätergeschichte die Verheißung erhält, Jahwe werden ihn „zu einem großen Volk machen" (Gen 12,2), und darauf geschildert wird, wie sich diese Verheißung trotz aller Schwierig24

Diesem Anspruch wurde vom exilierten Propheten Ezechiel vehement widersprochen; vgl. 11,14-21. 25 Die hier vollzogene kritische Überbietung setzt eine solche theologische Argumentation voraus. 26 In der dtn. Theologie war die Erwählungsvorstellung an den Exodus gebunden gewesen, vgl. Dtn 7,6 f. und o. 356. 27 Ich beziehe mich hier auf die Ergebnisse von E.Blum, Komposition, 297 ff., zurück, die ich im wesentlichen für überzeugend halte.

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keiten, Gefährdungen und Abspaltungen (21,13.18) Schritt für Schritt realisiert (46,3) dann war dies gegen die Minoritäts- und Überfremdungsängste der verstreuten kleinen exilischen Gruppen formuliert. Wenn dazu die Verheißungen an die Väter mit einer ganzen Kette von Aufbruchbefehlen (Gen 12,1-3; 46,1-3; älter 31,11.13) bzw. Auswanderungsverboten (26,2 f.) Gottes verbunden werden, dann war dies gegen die exilische Versuchung, sich im Ausland einzurichten bzw. dahin abzuwandern, gesprochen. Das Land Palästina wurde den exilischen Familien als der ihnen von Gott zugewiesene Lebensraum im Gedächtnis gehalten, die Berufung Abrahams aus allen seinen familiären Bindungen heraus (12,1) geradezu als Vorbild für die babylonische Gola stilisiert, sich für Rückwanderungen in die Heimat bereitzuhalten. Und wenn Abraham von Gott sogar die extreme Prüfung zugemutet wird, den verheißenen Sohn wieder zu opfern (Gen 22), dann sollte damit den z.T. schwer geprüften exilischen Zeitgenossen vor Augen gestellt werden, daß es manchmal nötig war, selbst dann noch an die Verheißungen Jahwes zu glauben, wenn dieser sie mutwillig zu zerstören schien. Schließlich wird Abraham verheißen, daß er zu einem so eindrucksvollen Inbegriff des Segens werden wird, daß sich „alle Sippen der Erde" in seinem Namen Segen wünschen (Gen 12,2b.3).28 Damit wurde erst einmal dem weit verbreiteten Minderwertigkeitsgefühl unter den Israeliten der Exilszeit widersprochen, als exemplarisch Verfluchte zu gelten und von allen anderen Völkern mit Spott und Hohn überschüttet zu werden. 29 Aber darin ist der Sinn dieser tiefsinnigen Verheißung noch nicht erschöpft. Denn sie nimmt auf die alte Vorstellung der Segensmittlerschaft des Königtums Bezug (Ps 72,1730). Diese war in der Königstheologie aber mit der Unterwerfung der Völker verbunden gewesen. Aber davon ist in dieser exilischen Verheißung nicht mehr die Rede. Hier wird vielmehr angedeutet, daß ein restituiertes Israel jenseits staatlicher Machtpolitik auf der Ebene der Familie zum Träger eines göttlichen Segens wird, an dem „alle Sippen der Erde", zu welchem Staat sie auch gehören mögen, Anteil bekommen. Hier deutet sich das Nachdenken über eine universale positive Funktion Israels an, die gerade durch die Auflösung des staatlichen Gefüges möglich geworden war und sich nicht zuletzt aus dem universalen Grundzug der persönlichen Frömmigkeit speiste.31 Ich stimme E.Blum, Komposition, 350ff., darin zu, daß das nif'al von brk in Gen 12,3b angesichts der hitpa'el Formen in Gen 22,18; 26,4; Ps 72,17 und Jer 4,2 in diesem Sinne zu verstehen ist (vgl. Gen 48,20). Doch seine Folgerung, es gehe nur um Abraham als „exemplarisch Gesegneten" und nicht um das Thema „Segen für andere", halte ich für zu überspitzt. Denn indem die „Sippen der Erde" sich im Namen Abrahams Segen wünschen, nehmen sie doch faktisch an seinem Segen teil. " Vgl. dazu Jer 24,9; Sach 8,13 u.ö. 30 Aus der Königstheologie stammt auch die Verheißung eines „großen Namens" Gen 12,2, vgl. 2.Sam 7,9; 8,13; l.Kön 1,47; Ps 72,17. 31 S. dazu o. 149 f. 28

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4.33 Die Familie als ein neuer Träger der offiziellen Jahwereligion In der Exilszeit gewann nun aber nicht nur die familiäre Frömmigkeit gesamtgesellschaftliche Bedeutung, sondern auch die Familie selber rückte erstmals in die Reihe der Träger der offiziellen Religion vor. Als die tragende soziale Organisationsform übernahm sie stellvertretend wichtige, die Identität der gesamten judäischen Volksgruppe stützende Funktionen, indem alte familiäre Bräuche eine neue bekenntnishafte Qualität gewannen oder früher offizielle Kultfeiern zu familiären Riten umgestaltet wurden. Das erste trifft für die Beschneidung und verschiedene Speisebräuche, das zweite für die Sabbatheiligung und das Passafest zu. Nichts macht deutlicher, in welche prominente religiöse Rolle die Familie seit der Exilszeit einrückte, als die Tatsache, daß in der etwas späteren priesterschriftlichen Geschichtskonzeption der Bund zwischen Jahwe und Israel nicht etwa mit dem Volk am Sinai, sondern mit der Familie Abrahams geschlossen wird (Gen 17). Der erste familiäre Brauch, der sich nach Auflösung der staatlichen und territorialen Einheit Israels in der Exilszeit — wahrscheinlich ausgehend von der babylonischen Gola — zu einem Bekenntniszeichen der Zugehörigkeit zur judäischen Volksgruppe und ihrer Jahwereligion entwickelte, war die Beschneidung. Die Autoren des DtrG räumten ihr — neben dem Passa — eine wesentliche Funktion in der Volkwerdung Israels ein (Jos 5,2-9), und die P-Theologen erhoben sie etwas später sogar in den Rang eines Bundeszeichens (Gen 17,10 f.), das den Bund Jahwes mit Abraham im Fleisch einer jeden israelitischen Familie verankern sollte. Die Beschneidung scheint ursprünglich ein alter apotropäischer Ritus im Zusammenhang der Pubertät bzw. der Ehevorbereitung gewesen zu sein (vgl. Ex 4,25; Gen 34). Dafür spricht die arabische und ägyptische Praxis, und auch in der Beschneidung des 10jährigen Ismael (Gen 17,25) und der nachgewachsenen Wüstengeneration (Jos 5 , 2 - 9 ) scheint noch dieser ältere Brauch nachzuklingen. 32 Möglicherweise ist sie erst in der Exilszeit, als sie zum Bekenntnis wurde, aus diesem Zusammenhang gelöst und mit der Geburt verbunden worden. 33 Nach Ρ soll sie acht Tage nach der Geburt an allen männlichen Familienmitgliedern vollzogen werden (Gen 17,12; 21,4; Lev 12,3). Die Einbeziehung der Sklaven und Fremdlinge (Gen 17,12f.) weist auf den familiären Haushalt als Träger der Beschneidung.

Es war in Israel bekannt, daß auch andere Völker die Beschneidung übten (Jer 9,24 f.: Ägypter, Araber, Edomiter, Moabiter, Ammoniter); nur die Philister galten seit alters her als die Unbeschnittenen (l.Sam 18,25 u.ö.). Somit eignete sich der Ritus von Hause aus eigentlich gar nicht als Unterscheidungsmerkmal für die judäische Volksgruppe. Wenn er dennoch dazu 32 Herkunft und Funktion der Beschneidung sind nach wie vor umstritten, vgl. die Übersichten von H.Wißmann, Beschneidung, 714-724, und W.H.Schmidt, Exodus, 220ff. 33 Schon Wellhausen, Prolegomena, 339, hatte vermutet, daß Ex 4,24-26 den Übergang zur Kinderbeschneidung legitimieren soll; nur muß man sich von dem Vorurteil lösen, daß es sich um einen alten Text handelt; er verwendet — sehr andeutend — nur alte Motive.

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werden konnte, dann ist dies wahrscheinlich aus dem Umstand zu erklären, daß die babylonische Gola in ihm einen wesentlichen Differenzpunkt zu ihrer Umwelt erblickte, denn in Mesopotamien war die Beschneidung unüblich. So läßt sich denn auch im Ezechielbuch, das in der babylonischen Gola entstand, die Tendenz erkennen, das Merkmal der Unbeschnittenheit auf alle Nachbarn Israels auszuweiten (28,10; 31,18, 32,19ff.). In der nachexilischen Zeit wurde die Beschneidung dann ein so selbstverständliches Kennzeichen jüdischen Glaubens, daß sie als Voraussetzung des Übertritts zu ihm gefordert wurde (Jud 14,10; Est 8,17LXX). Indem nun die Verantwortung für den Vollzug der Beschneidung in den Händen der Familienväter lag, fiel den einzelnen Familien faktisch die Verantwortung zu, für den Zusammenhalt und die Fortdauer der israelitischen Volks- und Religionsgemeinschaft Sorge zu tragen. Neben der Beschneidung gewannen in der Exilszeit wahrscheinlich erstmals auch die althergebrachten Speisebräuche eine Identität stiftende Bedeutung, auch wenn wir darüber im einzelnen wenig wissen. Auch hier wird die Entwicklung von den babylonischen Exulanten ausgegangen sein, die in der Fremde manche ihrer zuvor selbstverständlichen Eßgewohnheiten plötzlich als Besonderheit ihrer Volksgruppe erfuhren. Das Ausland (Am 7,17) und auch die Speise im Ausland galten als potentiell unrein (Hos 9,3; Ez 4,13); deswegen war es besonders wichtig, die Reinheitsregeln im Zusammenhang der Auswahl und der Zubereitung von Speisen zu beachten und im Zweifelsfall eindeutig festzulegen (vgl. den Reflex in Dan 1,8-16). Auch wenn eine Vielzahl der Speisebräuche und -geböte weit in die vorexilische Zeit hinabreichen (vgl. etwa das Schächten l.Sam 14,32-34; Dtn 12,23f.; 15,23) und sich in ihrem ursprünglichen Sinn weitgehend dem Verständnis entziehen, 34 so ist es doch wahrscheinlich, daß die detaillierte Kasuistik in der Definition reiner und unreiner Tiere, die in Dtn 14 und noch ausgefeilter Lev 11 vorliegt, diesem Bedürfnis der Exilssituation entsprang. Damit war den exilischen Familien ein wichtiges Identitätsmerkmal an die Hand gegeben, mit dessen Hilfe sie im alltäglichen Lebensvollzug demonstrieren konnten, ob sie sich noch zur judäischen Volksgruppe zählten und an deren religiösen Überlieferungen festhielten oder nicht. Neben diesen althergebrachten familiären Bräuchen wurde in der Exilszeit die Sabbatheiligung zu einer neuen und wichtigen Form des familiären Kleinkultes und entwickelte sich von da ab zu dem entscheidenden kultischen Bekenntniszeichen, mit dem die judäischen Familien allwöchentlich 34

Zu den älteren Erklärungsversuchen vgl. J.Döller, Reinheits- und Speisegesetze, 168 ff. Die in jüngerer Zeit gängig gewordene These, daß die Speiseverbote ursprünglich die Funktion einer Abgrenzung von Fremdkulten gehabt hätten, ist von W.Kornfeld, Reine und unreine Tiere, 135 f., mit guten Gründen widerlegt worden. Aber auch sein Versuch, für die unreinen Tiere eine gemeinsame Kategorie zu finden („Lebensfeindlichkeit ihrer Gewohnheiten oder Lebensbereiche", 146), gerät deutlich an Grenzen (z.B. für den Esel) und schließt wohl zu schnell aus der nachträglichen Systematisierung auf ein einheitliches ursprüngliches Auswahlprinzip.

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ihre Zugehörigkeit zur Jahwereligion unter Beweis stellen konnten (Ez 20,12.20; vgl. Ex 31,13.17). Herkunft und Geschichte des Sabbats sind noch immer nicht voll aufgeklärt. Es spricht aber viel dafür, daß der Sabbat in vorexilischer Zeit das israelitische Vollmondfest gewesen ist (2.Kön 4,23; Jes 1,13; Hos 2,13; Am 8,5).35 Als solches wurde er von den Priestern am Tempel regelmäßig kultisch begangen (Jes 1,13; Hos 2,13; 2.Kön 16,17f.; Klgl 2,6), und zwar — vergleichbar mit dem Tamid-Opfer — wohl unter weitgehendem Ausschluß der Öffentlichkeit. 36 Für die Bevölkerung hatte dieser Sabbat nur insofern eine Bedeutung, als er z.B. als günstig angesehen wurde, Omina einzuholen (2.Kön 4,23), und — wie wahrscheinlich auch andere Tempelfeste — mit einem Handelsverbot belegt war (Am 8,5). Der vorexilische Sabbat war somit weitgehend eine Sache des offiziellen Kultes gewesen und war mit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels zu einem Abbruch gekommen (Klgl 2,6). Daneben hat es in der vorexilischen Zeit den familiären Brauch gegeben, alle sieben Tage die ackerbäuerliche Arbeit zu unterbrechen und einen Ruhetag abzuhalten. Dieser wurde aber nicht Sabbat genannt (Ex 23,12; 34,21 begegnet nur das Verb säbat) und hatte auch keine direkte kultische Konnotation. Es handelte sich vielmehr um einen alten Tabu-Brauch, der wohl ursprünglich mit der Scheu zusammenhing, die Arbeitstiere bis zum letzten auszunutzen;37 im Bundesbuch wurde ihm zusätzlich eine soziale Abzweckung gegeben, den abhängigen Arbeitern in der Familie, dem Haussklaven und dem Fremdling, eine Erholungspause zu gönnen.38 Es spricht nun einiges für die These von G.Robinson, 39 daß in der Exilszeit beide Institutionen miteinander kombiniert worden sind.40 Die brachliegenden kultischen Funktionen des ehemaligen Vollmondfestes wurden auf den Brauch der siebentägigen Arbeitsruhe übertragen. Das Sabbatfest wurde zum „Sabbattag" (jom hassabbatAX) und damit vom Mondzyklus gelöst. Das einstmals auf den offiziellen Tempelkult beschränkte Fest wurde zur überall vollziehbaren familiären Begehung entschränkt, und die Arbeitsruhe am siebten Tag erhielt als solche kultische und religiöse Dignität (Dtn 5,12-15; vgl. Ex 20,8-11). Allerdings hat der Sabbat auch durch diese Umgestaltung seinen Bezug zum Tempelkult nicht völlig verloren. In der frühnachexilischen Zeit wird er wieder zu einem Tag, an dem am wiederaufgebauten Tempel besondere kultische Aktivitäten statt35 So in Aufnahme einer alten These von J.Meinhold jetzt die Mehrzahl der neueren Forscher, vgl. A.Lemaire, Sabbat, 162 ff.; G.Robinson, Origin, 29 ff.; C.Levin, Sturz, 39; F.Crüsemann, Bewahrung, 55; F.-LHoßfeld, Dekalog, 251. 36 Dies ist daraus zu erschließen, daß Voll- und Neumondfeier in alten Festkalendern Ex 23,14-17; 34,18.22-24; Dtn 16,1-17 fehlen; erst in dem frühnachexilischen Festkalender Lev 23,3 fand auch das Sabbatfest Aufnahme. 37 Vgl. die in Ex 23,12 an erster Stelle erwähnte Ruhe für Ochs (sor) und Esel (hämör); der Ochse wurde zum Pflügen (Dtn 22,10) und Dreschen (Dtn 25,4), der Esel als Pflug- (Dtn 22,10), Reit- (Gen 22,3) und Lasttier (Gen 42,26) gebraucht. 38 Als zweite Abzweckung in Ex 23,12, die o. 290 auf die hiskianische Reform zurückgeführt wurde. 39 Origin, 314 ff. 40 Die Kombination ist noch deutlich aus der umständlichen Formulierung der Dekaloggebote Dtn 5,12-15; Ex 20,8-11 zu erkennen; zu deren exilischer Herkunft vgl. F.-L.Hoßfeld, Dekalog, 247 ff. 41 So erstmals Dtn 5,12.15 und später gängig in Ex20,8.11; Ez 46,1.4.12; Jerl7,21ff.; Neh 10,32; 13,15ff.; Ex 35,3; Num 15,32.

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f a n d e n ( E z 46,1.3.6; Lev 2 3 , 3 ; N u m 2 8 , 9 f.), d o c h g e h e n diese neben der allgemeinen Sabbatheiligung einher. 4 2 D e r nachexilische Sabbat ist kein V o l l m o n d f e s t mehr, 4 3 s o n d e r n ein allwöchentlicher Festtag (vgl. E z 4 6 , 1 ! ) , den die Familien nicht nur durch Arbeitsruhe, sondern — sofern sie in Jerusalem u n d U m g e b u n g w o h n e n — auch durch T e i l n a h m e an einer Festversammlung im T e m p e l feiern k ö n n e n (Lev 2 3 , 3 ; vgl. E z 4 6 , 9 ) .

Die kultischen Aktivitäten der Familie waren ja schon durch die josianische Kultzentralisation ganz erheblich eingeschränkt worden. 44 Durch die Zerstörung des Tempels und die Zerstreuung in ferne Länder waren sie nochmals erheblich reduziert. Die Erntefeste konnten nicht mehr begangen, die Erstlingsopfer nicht mehr dargebracht werden. Das völlige Fehlen einer kultischen Einbindung des familiären Erwerbslebens ließ das Bedürfnis nach einem familiären Fest entstehen, das auch noch unter den Bedingungen der Exilszeit begangen werden konnte. Diesem Bedürfnis kam die Umgestaltung des Sabbats zur familiären Begehung entgegen. Indem der Arbeitsruhe als solcher kultische Dignität gegeben wurde, war ein religiöser Bezug des Arbeitslebens von allen Kultinstallationen unabhängig geworden und generell an jedem Ort, selbst im unreinen Ausland möglich. Dennoch war die Einführung dieses neuen familiären Brauchs offensichtlich nicht selbstverständlich. Das umfangreiche Sabbatgebot, das wahrscheinlich erst in der Exilszeit in den Dekalog eingebaut wurde, 45 läßt mit seinem mahnenden Ton und seinen umfangreichen Motivationen noch deutlich erkennen, daß es nötig war, für die Annahme dieser neuen Institution unter den Familienvätern zu werben. Seine ältere Fassung liegt in Dtn 5,1215 vor. 46 Sie führt in ihrem paränetischen Rahmen (V. 12.15b) die Beachtung des Sabbattages auf einen ausdrücklichen Befehl Jahwes zurück. Dann zitiert sie die ältere Ruhetagsregelung von Ex 23,12 und 34,21, um sie an dem entscheidenden Punkt abzuwandeln: Der siebte Tag ist ein „Sabbat für Jahwe, deinen Gott" (V.14),47 das heißt, mit Einhaltung der Arbeitsruhe am siebten Tag kann und soll Jahwe geehrt werden. Die soziale Funktion aus

42 Dies übersieht N.-E.A.Andreasen, Sabbath, 235 ff., wodurch er die Veränderungen, die der Sabbat in der Exilszeit durchgemacht hat, weit unterschätzt. Wenn dagegen A.Lemaire, Sabbat, 181 ff., und C.Levin, Sturz, 41 f., die Entwicklung des Sabbats zum allwöchentlichen Ruhetag erst in die frühnachexilische Epoche setzen wollen, dann übersehen sie — neben manch fraglicher literarischer Einschätzung - , daß nach dem Wiederaufbau des Tempels gar kein Anlaß bestanden hätte, das alte Vollmondfest abzuwandeln. 43 Auch wenn der Parallelismus „Sabbat und Neumond" noch in späterer Zeit als literarisches Fossil weitergeschleppt wird, vgl. Ez 45,17; 46,1.3; Jes 66,23. 44 S.o. 329 f. 45 Vgl. F.-LHoßfeld, Dekalog, 33-57; 247-252; wenn er das Gebot Dtn 5,12-15 für dtr. Ursprungs hält, so ist einschränkend zu bemerken, daß es kaum von den Autoren des DtrG stammen kann, da diese — wie gezeigt — an der sozialen Seite der dtn. Reform nicht interessiert sind. Eher kommen sozial orientierte Gruppen wie JerD in Betracht. 46 Den Nachweis hat F.-L.Hoßfeld, Dekalog, 33-57, geführt. 47 Vgl. Ex 20,10; Lev 23,3; ähnlich Ex 31,15; die Formulierung stammt aus der dtn. Bezeichnung der Jahresfeste (Dtn 16,1.10, vgl. 15), er tritt damit quasi als Ersatz an ihre Stelle.

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Die Religionsgeschichte der Exilszeit

Ex 23,12 wird beibehalten und sogar noch unterstrichen: Die Arbeitsbefreiung für Sklaven und Mägde wird ausdrücklich in das Licht der Befreiung Israels aus Ägypten gestellt (V.15 vgl. Dtn 15,15; 16,12). In Aufnahme der sozialen Impulse der dtn. Reform wurde hier die rituell festgelegte Arbeitsruhe zur zeichenhaften „Wahrnehmung und Praktizierung des von Jahwe geschenkten Status der Freiheit"48 gemacht. Indem die Familien so auf die letzte Ausnutzung ihrer betrieblichen Ressourcen verzichteten und damit auch wirtschaftliche Einbußen dafür hinnahmen, konnten sie auch ohne Opfer Jahwe, ihrem Befreier aus Ägypten, ihre Dankbarkeit erweisen. Die jüngere Version Ex 20,8-11 verzichtete auf diese soziale Konnotation und begründete die familiäre Sabbatregelung mit der otiositas dei nach Vollendung der Weltschöpfung (vgl. Gen 2,2 f.).49 Mehr in den Bahnen priesterlicher Theologie wurde damit der Sabbattag zu einem Ausfluß des Schöpfersegens (Ex 20,11) und bewegte sich in seinem Charakter auf andere kultische Feiertage zu (vgl.Jes 58,13; Neh 10,32). Der Vollzug der Arbeitsruhe erhielt hier im Laufe der Zeit die Dignität eines Bekenntniszeichens ('«) für das israelitische Gottesverhältnis (Ex 31,13.17) und wurde zum Ausdruck des ewigen Bundes (berit 'öläm) zwischen Jahwe und seinem Volk. Solange eine Familie den Sabbattag heiligte (qds pi.), 50 bekannte sie sich sichtbar zu Jahwe, sofern sie ihn entweihte (hll pi.), 51 kehrte sie sich erkennbar von ihm ab.52 So wurde der Sabbat zum wichtigsten Element der sozialen Kontrolle, das in der Exilszeit für den Zusammenhalt der judäischen Volksgruppe sogar dezentral auf familiärer Ebene wirksam werden konnte. Neben dem Sabbat wurde in der Exilszeit das Passafest zum bedeutendsten Element des familiären Kleinkults (vgl. Jos 5,10-12; Ex 12,1-14.43-50). Das ursprünglich familiäre Passa war ja im Zuge der dtn. Reform mit dem Mazzot-Fest verbunden und damit zu einem offiziellen Wallfahrtsfest umgestaltet worden. 53 Als solches war es mit der Zerstörung des Tempels und erst recht für die Exulanten in der Fremde nicht mehr feierbar. Es setzte darum in der Exilszeit die entgegengesetzte Entwicklung ein, das Passafest wieder zu einem familiären Fest zurückzuentwickeln, das dezentral in den einzelnen Wohnorten gefeiert werden konnte. In der priesterschriftlichen Passagesetzgebung Ex 12, die schon ein fortgeschrittenes Stadium dieser Entwicklung repräsentiert, ist für die Veranstaltung des Passa wieder der 4S

So F.Crllsemann, Bewahrung, 58. In der sozialen und rein kultischen Ausrichtung des Sabbatgebotes spiegelt sich die unterschiedliche Aufnahme der dtn. Reform durch JerD und DtrG. Die Mischform zwischen dtn. und priesterschriftlicher Sprache in Ex 20,8-11 könnte darauf hindeuten, daß diese Fassung des Sabbatgebotes von priesterlichen Nachfolgegruppen des DtrG in frühnachexilischer Zeit (vgl. auch die Anklänge an Neh 9,6) geschaffen worden ist. 50 Zu qds pi. vgl. Dtn 5,12; Ex 20,8; Ez 20,20; 44,24; Jer 17,22; Neh 13,22. 51 Zu hll pi. vgl. Ez 20,13.16.21.24; 22,8; Neh 13,17. 52 Eine weitere Verschärfung der Sabbatruhe wurde Ex 35,2 f.; Nu 15,32-36 vorgenommen. 53 S.o. 333; vgl. auch die dort genannte Literatur. 49

Der Aufbruch zu einem neuen Anfang

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Familienvater zuständig (V.3). Nur noch die Schlachtung der Passalämmer geschieht gemeinschaftlich (V.6); dagegen wird das eigentliche Passamahl im Kreis der Familie vollzogen (V.3f.8ff.; vgl. 43 ff.). Das ehemalige Mazzot-Wallfahrtsfest wird diesem familiären Ritus einfach angegliedert (V.1519) und verliert damit seinen Charakter als kultische Begehung der Gerstenernte. Da nun aber der wahrscheinlich von der dtn. Reform hergestellte Bezug des Passaritus auf die Herausführung aus Ägypten erhalten blieb (vgl. V.7ff.l2ff.l7), wurden die Familien in der Exilszeit zu dem eigentlichen Träger der offiziellen Exodustheologie, und sie blieben auch dann noch ein wichtiger, als es nach dem Wiederaufbau des Tempels erneut möglich wurde, das Passa-Mazzot-Fest wieder als Wallfahrtsfest zu feiern. Die Hauptprobleme bei einem solchen dezentralen familiären Passa waren natürlich, die Art der Teilnehmer zu regulieren und ein einheitliches Datum dafür festzulegen. Deswegen sehen wir die spätere Gesetzgebung mit diesen Problemen beschäftigt (Ex 12,43-50; Num 9,1-14). 54 So konnte der Charakter eines quasi offiziellen israelitischen Festes trotz familiärer Verantwortung gewahrt werden. So wurde die Familie in der Exilszeit auf verschiedene Weise zu einem ganz wesentlichen Träger der offiziellen Religion Israels. Diese Funktion ging ihr auch nach der Restitution des offiziellen Tempelkults 515 nicht wieder verloren, und sie bekam nach der Zerstörung des 2. Tempels 70 n.Chr. nochmals erhöhte Bedeutung. Das Erscheinungsbild des Judentums als einer stark familiär getragenen Religion hat hier in der Exilszeit seinen Ausgangspunkt. Diese stellvertretende Funktion konnte aber die Familie nur übernehmen, weil sie von der dtn. Reformbewegung als unverzichtbarer Träger von Religion anerkannt und seitdem durch immer neue Wellen theologischer Aufklärungsarbeit darauf vorbereitet worden war.

4.4 Der Aufbruch zu einem neuen Anfang R-ALBERTZ, Das Deuterojesaja-Buch als Fortschreibung der Jesaja-Prophetie, E.Blum/Chr.Macholz/E.W.Stegemann (Hrsg.),Die Hebräische Bibel und ihre zweifache Nachgeschichte, FS R.Rendtorff, 1 9 9 0 , 2 4 1 - 2 5 6 . - B.ALBREICT-SON, History and the Gods. An Essay on the Idea of Historical Events as Divine Manifestation in the Ancient Near East and in Israel, 1967. — J.BEGRICH, Das priesterliche Heilsorakel, ZAW52, 1934, 81-92 = Gesammelte Studien zum Alten Testament, TB 21, 1 9 6 4 , 2 1 7 - 2 3 1 . - W . A . M . B E U K E N , A Confession of God's Exclusivity by all Mankind. A Repraisal of Is. 4 5 , 1 8 - 2 5 , Bijdragen 3 5 , 1 9 7 4 , 3 3 5 - 3 5 6 . - J.BLENKINSOPP,

54 Um das Datum geht es möglicherweise auch im Passabrief aus Elephantine AP 21; vgl. auch die private Anfrage auf einem Ostrakon: „Teile mir mit, wann du das Passa halten wirst." Vgl. A.H.Sayes, PSBA 33, 1911, 183, Z.8f.

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Die Religionsgeschichte der Exilszeit

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Uns, die wir den weiteren Verlauf der Religionsgeschichte Israels kennen, scheint es selbstverständlich zu sein, daß die Exilszeit irgendwann zu Ende gehen mußte. Für die Zeitgenossen, für die die Zukunft noch offen war, war dies keineswegs selbstverständlich. Wohl hatten die Einübung der Schuldübernahme in den exilischen Gottesdiensten, die Aufnahme der gerichtsprophetischen Botschaft in das allgemeine religiöse Bewußtsein, das sorgsame Aufarbeiten der gescheiterten Geschichte und das stützende Einspringen der familiären Frömmigkeit die Voraussetzungen für eine Überwindung der nationalen Krise geschaffen und eine vage Hoffnung auf eine Fortsetzung der Geschichte Israels ermöglicht. Aber dies alles steuerte kei-

Der Aufbruch zu einem neuen Anfang

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neswegs automatisch auf einen neuen Anfang zu.1 Nein, es bedurfte der tiefgreifenden Veränderung der weltpolitischen Lage und einer ganz erheblichen argumentativen Kraft bei ihrer theologischen Interpretation, um diesen Neuanfang in Gang zu setzen. Um dies zu verstehen, müssen wir uns noch einmal die Situation der Exilierten vor Augen halten. Soweit erkennbar, litten sie materiell keine Not, sondern hatten — sozial und rechtlich weitgehend in die babylonische Gesellschaft integriert — ihr persönliches Auskommen gefunden. 2 Ihre Nöte waren vornehmlich psychischer und religiöser Natur. Zuerst zu den psychischen Nöten: Das exilische Lied Ps 137 bezeugt zweierlei: erstens ein trauerndes Heimweh nach Jerusalem, das sich aber nach den langen Jahren schon zu verflüchtigen droht und darum mit Selbstverfluchungen künstlich am Leben erhalten werden muß (V.l-6); zweitens ein dumpfes Ohnmachtsgefühl, irgend etwas an den politischen Zuständen ändern zu können, das sich in wilden Rachewünschen gegen die babylonische Fremdmacht und das von ihr profitierende edomitische Brudervolk entlädt (V.7-9). Nach Ez 11,15 und 33,24 mußten die Exulanten tatenlos hinnehmen, daß ihnen, den ehemaligen Angehörigen der Oberschicht und ihren Nachkommen, ihre Besitztitel und damit auch ihr Führungsanspruch von den Daheimgebliebenen abgesprochen wurde. Aus Ez 33,10 wird ersichtlich, wie sehr sie, die in ihren Gottesdiensten gelernt hatten, ihre Verfehlungen anzuerkennen, unter der übergroßen Last der Schuld litten und von ihr regelrecht gelähmt wurden. Und es scheint so zu sein, daß ihnen, den Söhnen und Enkeln der Hauptverantwortlichen für die nationale Katastrophe, von den Nachkommen ihrer ehemaligen politischen Gegner ihre besondere Schuld detailliert vorgerechnet wurde (Jer 36; 37 ff.), 3 und es ihnen bewußt schwergemacht wurde, sich von der Schuld ihrer Väter fortzustehlen (Ez 18,2.19).4 Wie groß die Verunsicherung des Selbstbewußtseins, die Irritation über die eigene soziale Rolle und der Schuldkomplex bei vielen Exulanten gewesen sein müssen, wird daraus ersichtlich, daß der Prophet Ezechiel bzw. seine Schüler unter ihnen eine regelrechte seelsor-

1

Die Geschichte der babylonischen Gola hätte sicher genauso verlaufen können wie die der jüdischen Militärkolonie von Elephantine. 2 S.o. 380 f. 5 Vgl. die auffällige Detaillierung der Erzählungen bei der Nennung der in den Auseinandersetzungen um Jeremia beteiligten Personen. Diese geben nur einen Sinn, wenn man sie als Versuch der Reformbeamten wertet, ihre nationalistischen Gegner als die Hauptschuldigen an der Katastrophe namhaft zu machen und sich zugleich zu entlasten. 4 A.Schenker, Saure Trauben, 456 ff., hat überzeugend nachgewiesen, daß entgegen der vorherrschenden Meinung das geflügelte Wort Ez 18,2 (vgl. Jer 31,29f.) nicht als bitter-ironische Kritik an Gottes Gerechtigkeit verstanden werden kann; in V.19 beharren die Gesprächspartner Ezechiels vielmehr auf dem Grundsatz, daß selbst der gerechte Sohn die Schuld des Vaters tragen muß. Nimmt man den Hinweis in V.2 ernst, daß das Sprichwort gerade „im Lande Israel", d.h. unter den Daheimgebliebenen (vgl. 12,22; 11,15; 33,24) umlief, dann mag es hier dazu verwendet worden sein, mit einer gewissen Genugtuung das anhaltend schwerere Los der nachgewachsenen Exulantengeneration zu rechtfertigen.

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Die Religionsgeschichte der Exilszeit

gerliche Tätigkeit entfalteten: Sie verhießen ihnen eine Restitution ihres Besitz- und Führungsanspruchs (Ez 11,16-21) und wiesen ihnen in der persönlichen Umkehr einen Weg, auf dem sie der lastenden Schuld ihrer Väter entkommen könnten (Ez 18).5 Zu den psychischen Nöten kamen die religiösen Nöte, die sich mit der Fortdauer des Exils verschärften: Die hochgespannten Erwartungen auf baldige Rückkehr 6 waren lange zerstoben, mehr als eine Generation lang hatte Jahwe nicht zugunsten Israels eingegriffen. Er schien das Lebensrecht seines Volkes einfach zu übergehen (Jes 40,27), sich von ihm getrennt (50,1) und seine Stadt vergessen zu haben (49,14). Während die babylonischen Götter, deren Bilder und Symbole bei pompösen Prozessionen durch die Straßen getragen und von jedermann bejubelt wurden (46,1 f.), offensichtlich Gesellschaft und Weltgeschichte beherrschten, fehlte scheinbar Jahwe der Wille oder die Macht (50,2), in die Geschichte einzugreifen. Mochten die Exulanten in ihrem privaten Lebensbereich durchaus immer einmal wieder die Nähe Jahwe verspüren, 7 so schien er ihnen im Bereich der politischen Geschichte über eine lange Zeit so ferne gerückt, daß sie hier nichts mehr von ihm erwarteten. So werden die meisten die Konsequenz gezogen haben, die nationalen Hoffnungen ad acta zu legen und ihr Glück im familiären Leben und beruflichen Fortkommen zu suchen. Stellt man diese psychische Verunsicherung und religiöse Resignation unter den Exulanten in Rechnung, dann wird es verständlich, daß sie in ihrer Mehrheit die sich ab Mitte des 6.Jhs. abzeichnenden politischen Kräfteverschiebungen im Vorderen Orient gar nicht wahrnahmen bzw. mit Gleichgültigkeit betrachteten. Wenn sich im fernen Medien rivalisierende Adelsgeschlechter um die Herrschaft stritten, wenn mit der Eroberung von Ektabana 550 ein persischer Prinz namens Kyros die Macht übernahm und in einem eindrucksvollen Blitzfeldzug 546 ganz Kleinasien eroberte, was sollte das schon mit Jahwe und dem eigenen Schicksal zu tun haben? Daß diese politischen Entwicklungen den entscheidenden Neuanfang bedeuten würden, erkannte in der judäischen Exulantenkolonie nur eine kleine prophetische Gruppe, die sich hinter der Bezeichnung „Deuterojesaja" verbirgt; und sie mußte diese ihre geschichtstheologische Interpretation gegen erhebliche Widerstände unter ihren Mitbürgern durchsetzen.

5 Häufig sieht man in Ez 18 den Durchbruch von einem kollektiven zu einem individuellen Schuldverständnis. Doch erstens geht es nicht allgemein um Kollektivschuld, sondern um das Fortwirken von Schuld in der Kette der Generationen (V.5-19; vgl. Dtn 5,9; Nu 14,18), und zweitens war — nach Ablösung der Blutrache — das juristische Schuldverständnis längst individuell (vgl. Dtn 24,16). Das Besondere der Argumentation Ezechiels liegt darin, daß er diese individuelle Schuldkategorie aus dem — sakralen — Rechtsverfahren auf den moralisch-geschichtlichen Schuldzusammenhang anwendet und diesen damit aufbricht. 6 S.o. 368. 7 S.o. 414.

Der Aufbruch zu einem neuen Anfang

4.41 Die Heilsverkündigung

431

„Deuterojesajas"

Die Gruppe, die sich im letzten Jahrzehnt vor dem Untergang des babylonischen Reiches 539 unter den Exulanten zu Wort meldet, ist sozialgeschichtlich nur schwer zu fassen. Ihre literarische Hinterlassenschaft, die sich in den Kapiteln 40 — 55 des Jesajabuches aufbewahrt findet, bleibt anonym und gibt sich — ohne besondere Einleitung — als Fortschreibung der Verkündigung des vorexilischen Gerichtspropheten aus. Die für sie in der Wissenschaft geprägte Bezeichnung „Deuterojesaja" ist ein reiner Notbehelf. Doch wer verbirgt sich hinter dieser Bezeichnung? Die Anonymität teilt Deuterojesaja mit dem größten Teil der exilischen und nachexilischen Prophetie. Insofern gehört er in den weiteren Prozeß der in der Exilszeit einsetzenden heilsprophetischen Bearbeitung der gerichtsprophetischen Uberlieferung. Auch dieser liegt für uns weitgehend im dunkeln, doch gibt es einige Hinweise darauf, daß er mit der gottesdienstlichen Verwendung der gerichtsprophetischen Schriften zusammenhängt:8 Sei es nun, daß Kultpropheten auf die Klage der Gemeinde hin Heilsworte verkündeten, 9 die dann nachträglich in die Prophetenbücher eingearbeitet wurden, oder sei es, daß die gerichtsprophetische Hinterlassenschaft von vornherein zum Zweck ihrer liturgischen Verwendung mit Heilsworten versehen wurde, 10 um der Gemeinde über die Einübung der Buße hinaus eine hoffnungsvolle Perspektive anzubieten. Uber diese „normalen" heilsprophetischen Kommentierungen, die wir allerdings zeitlich kaum näher festlegen können, geht Deuterojesaja insofern hinaus, als er ein ganzes heilsprophetisches Buch bildet und sich anders als die meisten von ihnen auf einen konkreten zeitgeschichtlichen Anlaß zurückbezieht, eben den Siegeszug des Perserkönigs Kyros 550-539 Qes 41,2; 44,28; 45,1-7.13; 46,11; 48,14). Zwar hat man gemeint, auch für Deuterojesaja einen kultischen Hintergrund annehmen zu müssen,11 doch sprechen die verwendeten Gattungen, vor allem die zahlreichen Disputationen eher für ein außerkultisches Wirken und eher für aktuelle Verkündigung12 als für pure Schriftstellerei.13 Allerdings bietet das Deuterojesajabuch hinsichtlich des letzten Punktes ein eigentümliches Doppelgesicht: Wohl lassen sich noch Elemente rhetorischer Einheiten erkennen, die auf aktuelle Verkündigung weisen, doch sind diese im vorliegenden Text zu einer wohldurchdachten Großkomposition verwoben, welche die Verkündigungsinhalte unter einer betont theologischen Perspektive darbietet.14 Dieser Über8 Vgl. dazu jetzt C.Westermann, Heilsworte, 208 ff. ' Vgl. z.B. Ps 60; 85; Jer 14. 10 Vgl. den heilvollen Schluß des Amosbuches (Am 9,11-15) bzw. die Kontrastierung des scharfen Gerichtswortes Michas gegen Jerusalem (Mi 3,9-12) mit der großen Heilsschilderung Mi 4,1-5, in der Jerusalem zum Zentrum eines universalen Friedensreiches aufsteigt. 11 So etwa H.E.von Waldow, Anlaß, 89; 101 f., der die bei Deuterojesaja verwendete Gattung des Heilsorakels direkt aus den exilischen Volksklagefeiern herleiten möchte. 12 Die Beobachtung von J.Begrich, Heilsorakel, 225 ff., daß das Heilsorakel Antwort auf die Klage des einzelnen ist und bei Deuterojesaja schon in einer Übertragung vorliegt, ist noch immer gültig. 13 So etwa B.Duhm, Jesaja, 287, und in seinem Gefolge manch anderer. u Die große Komposition 40,1 — 52,12 stellt die Befreiung Israels ganz aus der Perspektive Gottes, der Durchsetzung seiner Königsherrschaft gegen den Widerstand der Völker und den

432

Die Religionsgeschichte der Exilszeit

lieferungsbefund, der in manchem an das Hoseabuch erinnert, spricht neben anderem für die von D.Michel vorgetragene Hypothese, daß hinter diesem Buch keine Einzelperson, sondern eine ganze „Prophetenschule" steht.15 Wohl läßt sich meiner Meinung nach noch von einem Heilspropheten Deuterojesaja reden, der die ganz eigentümlich dichterisch-emphatische Sprache dieses Buches prägte, aber dieser stand nicht allein, sondern war Haupt einer Gruppe, die mit ihm die Inhalte seiner Botschaft diskutierte, intern theologische Voraussetzungen und Konsequenzen durchreflektierte und bis in die frühnachexilische Zeit hinein fortschrieb.16 Einen indirekten Hinweis auf die Einordnung dieser Gruppe können angesichts des Fehlens jeglicher biographischer Nachrichten allein die Sprache und die verwendeten theologischen Traditionen geben. Die eigentümliche Vermischung von Psalmen- und Prophetensprache läßt vermuten, daß sie sich aus den Nachkommen des nichtpriesterlichen Kultpersonals, d.h. vor allem der Tempelsänger,17 aber wohl auch der Kultpropheten rekrutiert hat. Der souveräne Umgang mit allen wichtigen religiösen Traditionen 18 spricht für eine profunde theologische Ausbildung; der prominente Platz, den die Zionstradition 19 in ihrem Denken einnimmt, weist näherhin auf den Kreis der ehemaligen Bediensteten des Jerusalemer Tempels. Mit dieser Zuordnung geraten wir in die Nähe vormals nationalistisch eingestellter Gruppierungen,20 deren Ansichten allerdings — wie wir noch sehen werden — korrigiert und in ganz neue Richtungen uminterpretiert werden. Für diese Einordnung spricht nicht zuletzt die Tatsache, daß die Gruppe sich gerade an die Jesajaüberlieferung anschloß. Hatte diese doch — in der Form der heilsprophetischen Bearbeitung der Josiazeit21 — schon einmal den national-religiös gesinnten Kreisen als theologische Basis ihrer Geschichtsdeutung gedient.22 Wir können uns also unter „Deuterojesaja" eine um einen Meister gescharte Theologengruppe vorstellen, die aus Kreisen der Nachkommen der traditionell nationalistisch eingestellten Tempelsänger und Kultpropheten des Jerusalemer Tempels stammte und sich intensiv mit der Jesajaprophetie beschäftigte. Es spricht einiges dafür, daß die Gruppe durch ihr Schriftstudium zu ihrer prophetischen Botschaft inspiriert wurde. Von der Hymnentradition, die sie pflegte, war es ihr geläufig, daß Jahwe der Herr der Weltgeschichte war, der die Mächtigen erniedrigt und die Geringen erhöht (Jes 40,23.29 Zweifel Israels dar (vgl. den Rahmen 40,3-5.9-11 und 52,7-10); im einzelnen ist die Frage der Komposition des Buches noch nicht endgültig geklärt. 15 Rätsel, 130-132; vgl. Ders., Deuterojesaja, 519-521; 527. 14 Das Buch läßt deutliche Wachstumsspuren erkennen, vgl. die sukzessiven „Schlüsse" 48,20-21; 52,11-12; 55,8-13; 62,10-12, die bis in das sog. „Tritojesajabuch" hineinreichen. 17 So die anregende Vermutung C.Westermanns, Jesaja, 11. " Bekannt sind ihr Traditionen der Welt- (40,22b.26.28; 44,24b; 45,6f. u.ö.) und Menschenschöpfung (43,1; 49,5; 42,5; 45,12 u.ö.), der Urgeschichte (Jes 51,9 f.; 54,9), der Vätergeschichte (41,8f.; 43,27; 51,1 f. vgl. 49,8), des Exodus (43,16f.; 51,9f.; 52,12) und der Königs- (55,3-5; vgl. 42,1) und Tempeltheologie (51,14.16; 52,7f.). 19 Neben den oben genannten Stellen vgl. 40,2.9-11; 41,27; 44,26.28; 45,13; 46,13 und den ganzen zweiten Buchteil 49,14 ff., in dem Zion im Mittelpunkt steht. 20 S.o. 367. 21 Gemeint ist die „Assurredaktion", die H.Barth herausgearbeitet hat, s.o. 371. 22 S.o. 370 ff. und R.Albertz, Deuterojesaja-Buch, 253 f..

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vgl. z.B. l.Sam 2,4-8). Von Jesaja konnte sie lernen, daß Jahwe die Weltgeschichte nach einem geheimnisvollen Plan regiert (Jes 5,19; 8,10; 14,24.26.27; 29,15; 30,1), nach dem er seinem Volk Epochen des Gerichts und des Heils zuteilt (6,11; 8,17 f.; 14,24-26) und zu deren Durchführung er sich auch fremder Mächte bedient (5,25 ff.; 10). Sensibilisiert durch dieses theologische Vorwissen, wurde die Gruppe bei ihrem Nachgrübeln, wo denn zu ihrer Zeit die Hand Gottes erkennbar sei, zu der überraschenden Einsicht inspiriert, daß Jahwe in dem spektakulären Siegeslauf des Perserkönigs Kyros am Werk sei. Er habe ihn erweckt (41,2.25; 45,13), ihn zur Ausführung seines Planes berufen (44,28; 45,4f.; 46,11; 48,15), und zwar einzig um Israels willen (45,4), damit er sein Volk aus der babylonischen Gefangenschaft befreie (43,14 f.) und Jerusalem wieder aufbaue (45,13). Die Gruppe fühlt sich mit dieser Einsicht quasi wie einst Jesaja in Kap. 6 in den himmlischen Thronrat versetzt (40,1-8), wo ihr mitgeteilt wird, daß nun die einst verkündete Zeit des Gerichts (6,11) endgültig vorbei sei, die Schuld Jerusalems abgezahlt (40,2; 44,22) und Jahwe eine neue Epoche des Heils heraufführen werde. Und sie sieht sich berufen, diese Trostbotschaft ihren Glaubensgenossen mitzuteilen (40,1). Die Deuterojesaja-Gruppe stieß mit dieser sie elektrisierenden Heilsbotschaft bei ihren resignierten und privatisierenden Mitbürgern auf weitgehende Ablehnung. Sie bezeichnet diese als Blinde und Taube, die weder auf die Zeichen der Zeit sehen noch auf ihr deutendes Gotteswort hören wollen (42,7.16.18-20.23; 43,8). Daß Jahwe im fernen Medien einen fremden König, der ihn noch nicht einmal kennt (vgl. 45,5), beauftragt haben solle, einen großen weltpolitischen Umsturz allein wegen der marginalen judäischen Exulantenkolonie in die Wege zu leiten, das klang völlig unwahrscheinlich, ja mehr noch, es hatte die ganze offizielle theologische Tradition gegen sich: Mochte Jahwe für sein Gerichtshandeln an Israel fremde Völker und Könige als seine Werkzeuge und Diener benutzen, wie es die Propheten gelehrt hatten (Jes 10; Jer 27,6), doch daß er einen fremden König zu seinem Gesalbten erkor (Jes 45,1), um Israel zu retten, hatte keinerlei Anhalt in der Tradition. Nach der Jerusalemer Königstheologie konnte nur ein Davidide diese Funktion übernehmen. Die Botschaft der DeuterojesajaGruppe war somit nicht nur politisch unglaubwürdig, sondern auch theologisch in hohem Maße anstößig. Und man kann vermuten, daß ihr — wenn die oben vorgenommene soziale Zuordnung zutrifft — diese theologischen Gegenargumente gerade von den traditionell nationalistisch eingestellten Kreisen früherer Tempelbediensteter vorgehalten wurden, aus der sie selber stammte. Die Deuterojesaja-Gruppe war somit gezwungen, ihre Botschaft argumentativ zu verteidigen und über ihre theologischen Voraussetzungen und Konsequenzen in bezug auf die bisherige offizielle Jahwereligion nachzudenken. Als erstes erinnert sie ihre Hörer an das hymnische Gotteslob, das einstmals im Tempel erklungen war. Hier war Jahwe als der mächtige Weltschöpfer und Herr der Geschichte gepriesen worden. Wenn diese halb vergessenen

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Lobaussagen wirklich ernstgenommen wurden, dann waren die kleingläubigen Einwände gegen ihre Botschaft unbegründet: Nicht die Weltmächte, sondern Jahwe regierte souverän die Weltgeschichte (Jes 40,12-17), nicht fremde Götter, sondern Jahwe saß im Regiment (V. 18-24), nicht die babylonischen Gestirnsgötter, sondern Jahwe bestimmte das Schicksal (V.25-26). Das heißt, all die Mächte, denen sich die kleine judäische Exulantenkolonie in Babylonien ohnmächtig ausgesetzt sah, schwanden vor dieser universalen Macht Jahwes zum „Tropfen im Eimer", zu hinfälligen Geschöpfen, über die Gott nach Belieben verfügen konnte. Wenn aber Gott als der Weltschöpfer alles schafft und die ganze Welt ohne Ausnahme regiert, dann ging auch das Auftreten des Kyros notwendig auf seine Initiative zurück (44,24-28). Er konnte auch einen fremden König zum Vollstrecker seines Willens berufen, und kein Sterblicher — auch kein noch so besorgter Theologe — hatte das Recht, ihm dabei in den Arm zu fallen (vgl. 45,9f.). Um ihren Gegnern jede Möglichkeit zu nehmen, ihrer Argumentation auszuweichen, stieß die Prophetengruppe in der Formulierung der Allmacht Jahwes sogar zu einer Letztaussage vor, die über die Tradition hinausgeht: Jahwe war nicht nur der, der das Licht und das Heil, sondern auch das Dunkel und das Unheil schafft (45,7 anders Gen 1,2); es gab nichts, das nicht von ihm gewirkt war. Als zweites knüpfte sie an das an, was ihre Hörer von den vorexilischen Gerichtspropheten hatten lernen können: die Planmäßigkeit des göttlichen Geschichtshandelns. Schon die nationale Katastrophe hatte Israel nicht wie ein blinder Schicksalsschlag getroffen, sondern war Folge seiner Sünde gewesen (42,24; 43,26-28). Es hätte nicht blind hineinrennen müssen, wenn es schon damals auf die Zeichen der Zeit und die prophetischen Ankündigungen gehört hätte; aber schon damals hatte es sich als blind und taub erwiesen (42,20-22). Das Gegenargument, das vielleicht aus dem Kollegenkreis ehemaliger Kultbediensteter stammt, daß Jahwes Gerichtshandeln doch unberechenbar gewesen sei, weil es Israel getroffen, obwohl dieses Jahwe treu im Kult verehrt habe, suchte die Deuterojesaja-Gruppe in Anlehnung an die vorexilische Kultkritik durch eine geschickte Spießumdrehung zu entkräften: Nicht Israel habe sich im Kult um Jahwe bemüht ('äbad = dienen), sondern habe Jahwe Mühe gemacht ('äbad hi. = dienen lassen) mit seinen Sünden (43,22-24). Gerade aus der gescheiterten Geschichte ließ sich nach Ansicht der Prophetengruppe die Verläßlichkeit des Handelns Jahwes in der Geschichte erweisen: Er handelt nicht willkürlich, er kündigt das Zukünftige an und läßt es dann genau so, wie er es angekündigt hat, eintreffen (46,9f.; 48,3.5f. u.ö.). Wenn dies schon bei den Gerichtspropheten sich bewahrheitet hatte, dann galt dies auch für die unglaubliche Ankündigung, zu welcher sich die Deuterojesaja-Gruppe gerufen fühlte. Auch sie würde Gott verläßlich erfüllen, stand sie doch formal in voller Kontinuität zur voraufgegangenen Geschichte und war darum vertrauenswürdig. Inhaltlich jedoch — und das wurde die Gruppe daneben auch nicht müde zu betonen — war das Heilshandeln Gottes, das sie anzukündigen hatte, etwas ganz Neues, was es noch nie gegeben hat (42,9; 43,18f.; 48,6b-8).

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Es ließ sich nicht einfach aus Israel früher gegebenen Verheißungen extrapolieren und darauf begrenzen. Es wäre darum ein Fehler, die Botschaft der Gruppe an dem früher theologisch Üblichen und Möglichen zu messen und sie nur deswegen abzulehnen, weil sie über dies hinausging. Jahwe die Möglichkeit zu einer ganz neuen Weise des Eingreifens für sein Volk absprechen zu wollen, würde letztendlich seine Geschichtsmächtigkeit leugnen. Das Bewußtsein, eine aufregend neue Botschaft zu verkünden, trieb die Deuterojesaja-Gruppe nun auch dazu, über deren Folgerungen für die offizielle Jahwereligion ihrer Zeit nachzudenken, wodurch diese nachhaltig verändert wurde. Als erstes stieß sie dabei — wahrscheinlich überhaupt zum ersten Mal in der Religionsgeschichte Israels 23 — zur Formulierung eines konsequenten Monotheismus durch. Daß die Gruppe dabei Anstöße von außen erhalten hat, wie jüngst wieder von H.Vorländer 24 und B.Lang25 vermutet wurde, ist eher unwahrscheinlich. Wohl lassen sich in der spätbabylonischen Zeit gewisse monolatrische (vgl. die Statueninschrift eines Assyrers aus dem 8.Jh. „Vertraue auf Nabu, nicht auf einen anderen Gott" ARAB 1, 264) bzw. gewisse „monotheistische Tendenzen" erkennen, doch gehen diese entweder theologisch ganz andere Wege (vgl. die „Gleichsetzungstheologie", die in dem Hymnus SAHG 258 f. die Körperteile Ninurtas mit anderen Göttern identifiziert) oder beinhalten, wie die Förderung des Nabü-Kultes durch die neubabylonischen Könige bzw. die des Sin-Kultes durch Nabonid, natürlich in keiner Weise die Leugnung anderer Götter. Weiter gehen die Entsprechungen zur zoroastrischen Religion, die in der Tat um 600 eine Verehrung Ahura Mazdas („weiser Herr") proklamierte, welche den traditionellen altiranischen Polytheismus ausschloß. Doch bleibt nicht nur die zeitliche Möglichkeit eines Einflusses fraglich, da die Vorstellungen Zarathustras nachweislich erst unter Darius I. (521-485) offiziell wirksam wurden, sondern es blieben auch erhebliche sachliche Differenzen. Der schroffe Dualismus zwischen Ahura Mazda und dem „bösen Geist" Angra Mainyu wird durch Jes 45,7 geradezu ausgeschlossen,26 und bei Deuterojesaja wird gerade nicht wie bei Zarathustra der Monotheismus über die Weltschöpfung begründet (Yasna 44,3-5), wie immer wieder — auch von Vorländer — behauptet wird, 27 sondern über die Geschichtsmächtigkeit Jahwes. So handelt es sich wohl um eine inner-israelitische Entwicklung.

25 Die einzigen Belege, die vielleicht etwas früher anzusetzen sind (Dtn 4,35.39; 2.Sam 7,22; l.Kön 8,60), gehören der dtr. Überlieferung an; in diesem Sinn G.Braulik, Deuteronomium, 153; umgekehrt H.Vorländer, Monotheismus, 95 f. 24 Monotheismus, 103-106. 25 Entstehung, 139, aber etwas zurückhaltender. 26 So mit Recht auch G.Lanczkowski, Iranische Religionen, 251. Er legt auch dar, daß sich in der Religion der Achämeniden schon bald wieder polytheistische Elemente der altiranischen Religion Geltung verschafften (254 f.). 27 Monotheismus, 107 f.; die einzigen Belege, in denen die monotheistische Selbstprädikation zusammen mit der Weltschöpfungsprädikation vorkommt, sind 45,7.18; aber hier wird nicht die eine aus der anderen gefolgert, sondern beide parallel bestreitend gegen Einwände angewandt. Gefolgert wird dagegen die alleinige Göttlichkeit Jahwes aus der Geschichtsmächtigkeit (vgl. 41,4; 44,6; 45,21.22 und 43,10-12; 44,8; 46,9f.). Als Voraussetzung von Schöpfungs- und Geschichtshandeln erscheint sie 48,12 f.

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Ausgangspunkt der Überlegungen ist auch hier wieder eindeutig die Erweckung (Jes 41,2 f.25) bzw. Berufung (45,4) des Kyros. Wenn es Jahwe war, der hinter dem kometenhaften Aufstieg des Perserkönigs stand, er es war, der die Machtkonstellation der ganzen vorderorientalischen Welt zum Kippen brachte, um sein kleines Volk zu befreien, und wenn schließlich er es war, der dieses sein weltgeschichtliches Handeln auch noch durch eine judäische Prophetengruppe ankündigen ließ, so daß jeder Zweifel an der Identität des Handelnden ausgeschlossen war, dann war Jahwe der einzige geschichtswirksame Gott überhaupt, und dann hatten sich alle Götter der übrigen Völker als wirkungslos erwiesen. Die Deuterojesaja-Gruppe versuchte, ihren Hörern, die sich gerade dem Wirken fremder Völker und deren Götter ohnmächtig ausgeliefert fühlten, diese ihre aufregende Einsicht in der Form fiktiver himmlischer Gerichtsszenen dramatisch nacherlebbar zu machen (41,1-5.21-29; 43,8-13; 44,6-8; 45,20-25): Jahwe, in diesem Verfahren zugleich Richter und Partei, lädt die Völker und ihre Götter zu einem förmlichen Rechtsprozeß vor (41,1.21 f.; 43,8; 44,7; 45,20). Es soll in einer Art Feststellungsverfahren geklärt werden, wer den Anspruch auf Göttlichkeit stellen kann. Die Götter sollen ihre Beweise vorlegen, doch sie verstummen (41,1.21 f.; 45,21; vgl. 41,28). Stichhaltige Beweise hat allein Jahwe; sie liegen wieder in der Planmäßigkeit seines Geschichtshandelns: Er hat nicht nur Kyros erweckt (41,2 f.25) und im Zusammenhang damit Israel Heil angekündigt (41,27), sondern er vermag generell das Künftige anzukündigen (41,22b.23a.26; 43,12; 44,7; 45,21) und hat dies schon in früheren Zeiten getan (44,7; 41,22a; 43,9), wie Israel bezeugen kann (43,10.12; 44,8). So kann das Urteil nicht anders lauten: Die Götter der Völker, die kein dergleichen planmäßiges Geschichtshandeln aufweisen können, sind ein Nichts und etwas Schändliches (41,24) bzw. „Wind und Wust" (rüäh wätöhü 41,29). Außer Jahwe gibt es keinen Gott (44,6.8; 45,21), keinen Retter und Fels, auf den man sich verlassen kann (43,11; 44,8; 45,21). Als das Erste und Letzte umfaßt er die ganze Weltgeschichte (41,4; 43,10; 44,6; vgl. 48,12). In diesen sog. „Gerichtsreden gegen die Völker" hat die monotheistische Argumentation eine entängstigende, befreiende Funktion. Sie geht von der polytheistischen Konkurrenzsituation aus, in der die judäische Exulantengruppe lebt und unter der sie leidet. Und in ihrem Verlauf lösen sich die scheinbar so einflußreichen fremden Götter in Nichts auf, werden als wirkungslose Popanze entlarvt.28 Anders als bei den Deuteronomikern und Deuteronomisten geht es dabei nicht um die Sicherung der alleinigen Verehrung Jahwes durch Israel. Diese ist bei Deuterojesaja vorausgesetzt. 29 Die 28 Vgl. die Götzenpolemiken (40,19; 41,6f.; 44,9-20; 45,20b; 46,6f.), die sarkastisch die Götter mit ihren handwerklich gefertigten Figuren gleichsetzen; die Texte stellen aber wahrscheinlich spätere Einschübe ins Deuterojesajabuch dar. " Israel soll die alleinige Göttlichkeit Jahwes bezeugen: 43,10-12; 44,8, auch wenn es dazu als blindes und taubes Volk (43,8) nicht voll in der Lage sein sollte; nicht der Abfall zu anderen

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Leugnung aller anderen Götter dient vielmehr dazu, der marginalen judäischen Randgruppe in ihrer fremdreligiösen Umwelt den Glauben an ein universales geschichtliches Handeln ihres Gottes zu ermöglichen. Darum taucht die gleiche Argumentation auch in Bestreitungen gegen Israel auf (45,18; 46,9; 48,12). Durch die Wahl der Redeform gibt die Autorengruppe zugleich zu erkennen, daß sie keine „objektive" Beschreibung der religionsgeschichtlichen Wirklichkeit geben will: Die monotheistische Aussage bleibt bestreitende Feststellung im Munde Jahwes, „Realität" ist der Monotheismus erst in der himmlischen Welt bei Gott selber. Dies wird noch klarer ersichtlich, wenn wir das Hauptargument, das die Deuterojesaja-Gruppe für die Einzigkeit Jahwes ins Feld führt, nämlich daß er in der Lage ist, Zukünftiges anzukündigen, mit der religionsgeschichtlichen Tatsache konfrontieren, daß gerade die babylonische Religion über ein hochentwickeltes Wahrsage- und Vorzeichenwesen verfügte. Das heißt, auch die babylonischen Götter kündigten ständig Zukünftiges an, ja man kann sagen, daß kein König und kein Privatmann in Babylonien irgendeine wichtige Aktion unternahm, ohne zuvor die göttliche Prognose über ihren Ausgang einzuholen. Diese Tatsache scheint auch der Gruppe bewußt gewesen zu sein (vgl. Jes 44,25;30 47,12 f.); insofern bestand an dieser Stelle — religionsgeschichtlich gesehen — eine echte Konkurrenzsituation. In diesem Zusammenhang muß auch erwähnt werden, daß sich Kyros selber nicht von Jahwe, sondern von Marduk berufen sah, Babylon von Nabonid zu befreien und dessen Eingriffe in den Mardukkult zugunsten Sins zu beseitigen (TGI 2 82 f.). Ob die ihn als Befreier begrüßende Mardukpriesterschaft seinen Einzug durch entsprechende Orakel propagandistisch vorbereitet hatte, wissen wir zwar nicht,31 es liegt aber durchaus im Bereich des Möglichen. Dann hätten wir es sogar mit einer Konkurrenz an der Zentralstelle der deuterojesajanischen Botschaft zu tun. Aus religionsgeschichtlicher Perspektive werden wir darum nicht leugnen können, daß auch die babylonischen Götter geschichtsmächtig waren;32 eine Differenz zu Jahwe würde ich nur darin erblicken, daß ihr Handeln meist nur auf beschränkte geschichtliche Ereignisse bzw. Epochen bezogen33 und nicht — wie in Israel — der Versuch gemacht wurde, eine Kontinuität göttlichen Handelns durch die Gesamtgeschichte im Wechselverhältnis von Verheißung und Erfüllung zu verfolgen. Vor allem fehlt in der babylonisch-assyrischen Religion der positive religiöse Rückbezug auf nationale Katastrophen, aus dem heraus die Deuterojesaja-Gruppe ja gerade ihre Einsicht in die Planmäßigkeit des Handelns Jahwes geschöpft hatte. Insofern

Göttern ist für Deuterojesaja das Problem, sondern das mangelnde Vertrauen zu Jahwes Zuwendung (vgl. 44,21 f.). 30 Sollte das schwierige baddttn 44,25 aus bärim verlesen sein, dann hätte die Gruppe sogar die häufigste babylonische Bezeichnung für den Omenexperten (barü) gekannt und als Lehnwort verwendet. 31 Das Schmähgedicht der Mardukpriester gegen Nabonid (ANET 312-315) weist leider zu viele Lücken auf. Immerhin werden Kol.IV, 10 in zerbrochenem Kontext Vorzeichen erwähnt. 32 S. B.Albrektson, History and the Gods. 33 Vgl. z.B. die theologischen Deutungen des Aufstiegs des altbabylonischen Reiches im Prolog des Codex Hammurabi (TUAT 1/1, 40 ff.) oder des Gutäer-Einfalls in der NaramSin-Legende (AnSt 5, 1955, 93-113; 6, 1956, 163 f.).

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markiert sie mit ihrer Argumentation in den Gerichtsreden eine gewisse sachliche Besonderheit, mit der sich das Geschichtshandeln Jahwes von dem anderer Götter ihres religiösen Umfeldes unterschied.

In ihrem Nachdenken über das universale geschichtliche Handeln Jahwes, das sie anzukündigen hat, geht die Deuterojesaja-Gruppe nun aber noch einen Schritt weit über das reine Postulat des Monotheismus hinaus. 34 Sie kommt zu der Überzeugung, daß die Erkenntnis der alleinigen Göttlichkeit Jahwes, die „im Himmel" schon gerichtlich erwiesen ist, sich im Verlauf des Heilswerkes, das Jahwe mit Kyros in Gang gesetzt hat, auch geschichtlich durchsetzen wird. Die Berufung des Kyros zielt nicht nur auf die Befreiung Israels (45,4), sondern auch darauf, daß der König Jahwe, den Gott Israels, als den einzigen Gott erkennt (45,3.5), ja letztendlich darauf, daß alle Welt anerkennt, daß es außer Jahwe keinen Gott gibt (45,6). Die Komposition 44,24 — 48,22, die ganz von Feststellungen der alleinigen Göttlichkeit Jahwes durchzogen ist (45,5f.l4.18.21.22; 46,9; 48,12; vgl. 47,8.10), läßt ansatzweise schon etwas von der Realisierung dieses Zieles erkennen: Die Völker, die Zeugen des universalen Rettungswerkes Jahwes für sein Volk werden (45,11-13), kommen nach Jerusalem und huldigen Jahwe (45,14), die Entronnenen der Völker werden zum Heil eingeladen (45,20-25), und das Lob der aus Babylon befreiten Israeliten soll bis an die Enden der Erde hinausgehen (48,20). Aber auch der Untergang des babylonischen Reiches wird unter dieser Perspektive des sich durchsetzenden Monotheismus dargestellt: Die babylonischen Götter Bei und Nebo (d.h. Marduk und Nabu) stürzen (46,1 f.) und mit ihnen die stolze Hauptstadt Babylon (47). Sie stürzt bezeichnenderweise über ihren Absolutheitsanspruch (V.8.10), der dem monotheistischen Anspruch Jahwes entgegensteht; sie hat mit ihrem selbstsicheren, totalitären Herrschaftsanspruch die alleinige Göttlichkeit Jahwes geleugnet. Der Monotheismus hat somit da, wo er sich in der Geschichte durchzusetzen beginnt, für die Deuterojesaja-Gruppe zwei weitere Merkmale: Er besitzt eine universalisierende Tendenz: Jahwe ist nicht mehr nur der Nationalgott Israels (45,3), sondern wird zum Gott aller Welt, zum „Gott" überhaupt. 35 Und er besitzt eine herrschaftskritische Tendenz: Selbstüberhebliche politische Herrschaft wird depotenziert, und ihre Opfer werden befreit. Die zweite Konsequenz, zu der sich die Deuterojesaja-Gruppe durch ihre Botschaft gezwungen sah, war eine universalisierende Öffnung der Jahwe-

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In der Komposition des Buches wird die Zweiphasigkeit dadurch ausgedrückt, daß die „Gerichtsreden gegen die Völker" fast alle vor dem Kyrosorakel angeordnet sind (41,1-5.2129; 43,8-13; 44,6-8); im einzigen Text nach dem Orakel (45,20-25) ist die Gerichtsrede zur Einladung an die Völker zum Heil abgewandelt. 35 Der Jahwename verwandelt sich in den monotheistischen Selbstprädikationen unter der Hand zum Appellativ: „Ich bin Jahwe (= Gott) und keiner sonst" (Jes 45,5); an seine Stelle tritt in 45,21 und 46,9 nicht zufällig 'el „Gott"; vgl. auch die Verwendung von 'el in 40,18; 42,5; 43,10.12; 45,14.

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religion. Wenn Jahwe einen fremden König zum Umsturz der gesamten politischen Machtverhältnisse der vorderorientalischen Welt beauftragte, um sein kleines Volk aus dem Exil zu retten, dann konnte sein Heilswirken nicht mehr einfach exklusiv auf Israel beschränkt werden. Vielmehr drängte sich dann die Frage auf, was aus den anderen Völkern werden und wie sich ihr Verhältnis zu Jahwe und zu Israel gestalten werde. Allerdings hatte die Gruppe an dieser Stelle ganz besondere Schwierigkeiten, sich aus altgewohnten Denkbahnen und vertrauten religiösen Vorstellungsmustern zu lösen, noch dazu wenn ihre Herleitung aus den traditionell nationalistisch gesinnten Kreisen der Jerusalemer Tempelbediensteten zutrifft. Jahrhundertelang war die Religion Israels eine Nationalreligion gewesen, in der die Volks- bzw. Staatsgrenze auch die natürliche religiöse Grenze bildete. 36 Von den politisch-religiösen Befreiungserfahrungen der Frühzeit her war mit der Rettung Israels immer zugleich auch der Sieg über das gegnerische Volk verbunden gewesen. Und in der Jerusalemer Königsund Zionstheologie, die nachweislich großen Einfluß auf das theologische Denken der Deuterojesaja-Gruppe ausgeübt hat, hatte sich zwar der Aktionsradius Jahwes auf die Völkerwelt erweitert, aber diese göttliche Weltregierung war hier nur als militärische Unterwerfung der Völker unter Jahwe und Israel vorstellbar gewesen. Die Prophetengruppe mußte somit ganz erheblich über ihren Schatten springen, wenn sie über das eingefahrene Denkschema: „Heil für Israel = Unheil für die Völker" hinauskommen wollte. Wenn gerade an dieser Stelle innerhalb der Gruppe unterschiedliche Positionen vertreten wurden, ist das nicht zu verwundern. Daß im Deuterojesaja-Buch unterschiedliche Aussagen über die Völker gemacht werden, die sich nur schwer auf eine Reihe bringen lassen, wurde häufig erkannt.37 Neben erstaunlich universalistisch klingenden Aussagen (45,20 ff.; 42,4.6; 49,6; 51,4-6), die eine Art von Bekehrung der Völker im Auge haben, stehen einige erschreckend nationalistische (45,14; 49,23.26), die weiter vorauszusetzen scheinen, daß die Völker Israel unterworfen werden. Von einer militärischen Unterwerfung der Völker — allerdings nicht unter Israel (!) — ist noch an weiteren Stellen die Rede: im traditionellen Hymnenmotiv Jahwe als Herr der Geschichte" (40,14.1517.20.23b-24), im traditionellen Motiv Jahwe als Krieger", das an die Frühzeit erinnert (42,13; 49,22.25; 51,22 f.), sodann dort, wo — in den Bahnen der Königstheologie - vom Auftrag desKyros die Rede ist (41,2.5.25; 45,1-3.13; 46,11; 48,14; vgl. 47), und schließlich kann Israel tröstend gesagt werden, daß es seine übermächtigen Gegner überwinden wird (41,11 f. 15 f.). Schon eine deutliche Abwandlung traditioneller Vorstellungen aus der Königs- und Zionstheologie liegt da vor, wo davon gesprochen wird, daß die Völker statt Tribut die verstreuten Exulanten zum Zion

36 Ausnahmen bilden Jetro (Ex 18,1-12) und Naeman (2.Kön 5), wobei die missionarische Gestaltung dieser Erzählungen auch erst in der Exilszeit erfolgt sein kann. 37 Vgl. D.E.Hollenberg, Nationalism, 23 ff., und die von ihm referierten Autoren. Während einige Autoren wie A.Schoors Deuterojesaja jeden Universalismus absprechen wollen, bemühen sich W.A.M.Beuken, H.Leene und J.Blenkinsopp um eine abgewogene Verhältnisbestimmung von Partikularität und Universalität.

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bringen werden (43,3b-4.6; 45,14(?); 49,22b-23). Daneben gibt es aber die andere Vorstellungskette, die gar keine militärische Konnotation mehr hat, daß die Völker zu Zeugen des Heilswerkes Jahwes an Israel werden (40,5; 48,20; 49,7; 52,10), sich zu Jahwe bekehren (45,6; 45,20-25; 51,4-6) bzw. sich an Israel anschließen (44,5 f.; 55,5) und daß Israel eine ganz neue Funktion für die Völker bekommt, Zeuge für Jahwe zu sein (43,10-12; 44,8; 55,4), den Völkern Recht und Weisung zu vermitteln (42,1-4; 51,5) und zum Licht für die Völker zu werden (42,6; 49,6; vgl. 49,8). Mit seinem Leiden hat es stellvertretend für die Sünden der Völker gelitten (53,1 ff.). 38 Man wird die Reihe dieser Aussagen wohl am besten als fortschreitenden Klärungsprozeß innerhalb der Prophetengruppe werten, die, ausgehend von den traditionellen theologischen Vorstellungen, von denen sie herkam, zu neuen Ufern vorstieß, ohne sie vollständig miteinander auszugleichen und sie zu einer geschlossenen Konzeption zu systematisieren.

Versucht man, die Universalismus-Vorstellung der Prophetengruppe systematisierend nachzuzeichnen, dann läßt sich dies am ehesten im Modell zweier konzentrischer Kreise tun: Im inneren Kreis steht die Beziehung zwischen Jahwe und Israel, im äußeren die zwischen Jahwe bzw. Israel und den Völkern. Das Geschehen des inneren Kreises bildet natürlich das Zentrum: Es geht in der zentralen Botschaft der Gruppe um die Befreiung des ohnmächtigen Israel aus der Gewalt der Völker, die es gefangenhalten. Da es sich hierbei um einen politischen Befreiungsprozeß handelt, ist notwendigerweise militärische Macht im Spiel, und Jahwe hat den persischen König beauftragt, den politischen Widerstand der Mächtigen, welcher der Befreiung Israels entgegensteht, mit militärischer Gewalt zu brechen (41,2.25; 45,1-3.13; 46,11; 48,14). Das heißt, solange Israel Opfer fremder Mächte ist, greift Jahwe mit seiner ganzen Macht auf seiten Israels ein, stürzt die Gewalthaber (40,23 f.) und bezwingt die Bedrücker (49,22-26), ganz auf der Linie der alten Befreiungserfahrungen (42,13). Doch was sollte dann aus den Völkern werden, nachdem Kyros bzw. Jahwe den politischen Widerstand, der der Befreiung seines Volkes entgegenstand, gebrochen hatte? Das ist nun der Punkt, wo die Prophetengruppe tastend ihre Vorstellungen zum äußeren Geschehenskreis entwickelte. Sie richtet ihre entscheidende universale Botschaft (45,20-25) an die „Entronnenen der Völker" (V.20), d.h. diejenigen, die den Zusammenbruch der babylonischen Weltmacht schon miterlebt und überlebt haben. Die vielen, die von dem weltumfassenden Befreiungswerk Jahwes für sein Volk mitbetroffen waren, konnten ihrer Meinung nach nicht mehr einfach theologisch übergangen bzw. einfach dem Untergang preisgegeben werden, zumal sie sich ja dann in einer ähnlichen Lage der Opfer politischer Entwicklungen befinden würden wie Israel vordem auch. Dabei ist zu berücksichtigen, daß die judäischen Exulanten in Babylonien eng mit Angehörigen anderer Nationalitäten zusammenlebten, geschäftliche Beziehungen pflegten und hie und da sogar Freundschaften unterhalten haben mögen. So werden wohl auch ganz einfache mitmenschliche Erfahrun-

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Zur kollektiven Deutung der „Gottesknechtslieder" s.u. 442.

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gen die Gruppe dazu gedrängt haben, nach einer neuen Lösung zu suchen. Die theologische Lösung, die sie fand, war die Erwartung, daß Jahwes weltweites Befreiungswerk für Israel nicht an den Grenzen seines Volkes haltmachen, sondern auch den weiteren Kreis der Völker einbeziehen werde (45,18.22ff.; 55,5). Wichtig dabei ist nun die Art und Weise, wie nach ihrer Meinung dieser Vorgang der Öffnung der Jahwereligion vonstatten gehen wird. Er geschieht nicht mehr durch politische Unterwerfung wie in der alten Jerusalemer Theologie (Ps 47,4.10), sondern freiwillig und durch Überzeugung: An die Angehörigen der Völker ergeht die große Einladung Jahwes, sich ihm zuzuwenden und durch ihn retten zu lassen (45,22). Niemand zwingt sie, diese Einladung anzunehmen; da sie sich aber am Befreiungswerk, das Jahwe für Israel geplant hat, überzeugen können, daß Jahwe der alleinige Gott und Retter ist (45,20-21), besteht die Gewißheit, daß sie die Nutzlosigkeit ihrer Götter erkennen und sich in Zukunft einmal alle zu Jahwe bekehren werden, selbst wenn sie ihn zuvor abgelehnt haben (45,23-24). Wegen der Attraktivität seines Gottes werden sie sich Israel anschließen (55,5), so daß Jahwe einmal die universale Anerkennung zuteil werden wird, die seiner von Israel geglaubten Stellung als alleinigem Gott entspricht. Die universalisierende Öffnung der Jahwereligion hebt somit nach der Konzeption der Gruppe die besondere partikulare Gottesbeziehung Israels nicht auf, sondern hat diese zu ihrer bleibenden Voraussetzung. Im Horizont dieser universalen Zukunftsperspektive verändern sich nun aber auch der Charakter Israels und seine Funktion für die Völkerwelt. Auch Israel muß sich nach Meinung der Gruppe zur Völkerwelt öffnen. Auf der einen Seite können Fremde durch ihr religiöses Bekenntnis zu Jahwe in die Gemeinschaft mit Israel aufgenommen werden (44,5). Damit gewinnt Israel erstmals Züge einer religiös konstituierten Gemeinde, welche zwar deren traditionell ethnische Basis nicht grundsätzlich in Frage stellen (45,25), 39 aber doch erheblich relativieren. Auf der anderen Seite gewinnt Israel gegenüber der Völkerwelt eine ganz neue religiöse Funktion, die es auf der Stufe der reinen Nationalreligion nicht geben konnte: Israel wird zum Zeugen Jahwes vor dem Forum der Völker (43,10-12; 44,8; 55,4): Es hat den Völkern die zentrale Erkenntnis zu vermitteln, die es selbst aus seiner Geschichte lernen konnte: daß Jahwe der einzige Gott und Retter ist, den es überhaupt gibt (43,10 f.). Die Mittlerfunktion, die Israel nach Sicht der Gruppe nun zwischen Jahwe und den Völkern bekommt, läßt sich noch etwas detaillierter beschreiben, wenn man die sog. „Gottesknechtslieder" in die Interpretation einbezieht. N a c h d e m B . D u h m diese T e x t e ( 4 2 , l - 4 . [ 5 - 8 ] ; 4 9 , 1 - 6 ; 5 0 , 4 - 9 ; 5 2 , 1 3 - 5 3 , 1 2 ) als b e s o n d e r e literarische Schicht hat aussondern w o l l e n , bedarf dies einer expliziten

" Der umstrittene Vers 44,25, der häufig als korrigierender Zusatz zur universalen Perspektive von V.22-24 betrachtet wird, scheint mir mit seinem Insistieren auf dem „Samen Israels" (zera'jisrä'et) die bleibende Bedeutung der biologisch-ethnischen Basis des Gottesvolkes sichern zu wollen.

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Begründung. N u n hat T . N . D . M e t t i n g e r ü b e r z e u g e n d g e z e i g t , d a ß die T e x t e k o m positorisch fest in d e n A u f b a u d e s Buches eingebaut sind, 4 0 s o d a ß die D u h m ' s c h e A u s s o n d e r u n g fragwürdig wird. D a z u mehren sich in jüngster Zeit die Stimmen, die d e n in den T e x t e n genannten „Knecht" alle 4 1 o d e r teilweise 4 2 kollektiv verstehen u n d auf Israel interpretieren wollen. Ich kann m i c h dieser Sicht w e i t g e h e n d anschließen. 4 3 N a c h meiner M e i n u n g ist allerdings 5 0 , 4 - 9 . ( 1 0 ) w e i t e r auf Deuterojesaja b z w . seine Schülergruppe z u beziehen.

Die Texte 42,1-4; 49,1-6; 52,13-53,12 lassen sich am ehesten als Produkte der fortschreitenden Reflexion 44 der Gruppe über die neue Rolle verstehen, die Israel gegenüber den Völkern zuwächst: In 42,1-4 wird Israel den Völkern von Gott als der Mittler präsentiert, der ihnen das Recht bringen wird, auf das sie warten (vgl. 51,4 f.). In 49,1-6 erzählt Israel dann selber den Völkern von seiner Geschichte mit Jahwe, die fast zu scheitern drohte (V.4), bis Jahwe ihm ankündigte, es zu sich zurückzuholen, wie es in der Verkündigung der Prophetengruppe geschehen war (V.5). Doch dann erhielt Israel von Jahwe einen universalen Auftrag: 4 9 , 6 Zu gering ist es, d a ß du mir K n e c h t bist, d a ß ich die Stämme Israels aufrichte und die Bewahrten Israels zurückbringe, sondern ich m a c h e dich hiermit z u m Licht für die V ö l k e r , damit mein H e i l bis an die E n d e n der Erde gelange.

Die Rettung und Rückführung Israels ist Jahwe — so erkannte die Prophetengruppe — noch nicht genug. Er will, daß sein Rettungswerk bis an die Enden der Erde gelangt; und dazu wächst Israel die entscheidende, den Völkern helfende Orientierung verleihende Funktion zu. In 52,13-53,12 erzählen schließlich die Völker, daß das unscheinbare und von ihnen verachtete Israel, das unter den Schlägen Jahwes schändlich „gestorben" war, bevor Gott es „wieder belebte", stellvertretend für ihre Sünden gelitten hat, um ihnen Heil zu schaffen. Dies alles ist nur ganz andeutend und schwebend gesagt und läßt sich auch nicht nahtlos mit der sonstigen Botschaft der Gruppe auf eine Linie

40 Farewell, 19-28; da 50,4-9.(10f.), wie Mettinger selbst beobachtet (28), außerhalb des Kompositionellen des Bezugssystems bleibt, ist dieser Text aus der Gruppe herauszunehmen und anders als diese zu deuten. 41 So T.N.D.Mettinger, Farewell, 29-46; einen guten Forschungsüberblick vermittelt H.Haag, Gottesknecht, 138 ff. 42 So M.Weippert, Konfessionen, 109 f., die „Er"-Lieder 42,1-4; 52 f.; dagegen sieht er in den „Ich"-Texten 49,1-6; 50,4-9 „Konfessionen" Deuterojesajas (110-112). 43 Zur Einzelbegründung s. T.N.D.Mettinger, Farewell, die durch die wortreiche Erwiderung von H.-J.Hermisson, Abschied, abgesehen von Einzelheiten, nicht erschüttert wird. 44 Allerdings in der für Deuterojesaja typischen Form fiktiver Dramatisierung. Für die sukzessive Entstehung der Texte spricht ihre kompositorische Stellung: 49,1-13 nach dem ersten Abschluß 48,20f. bildet die Klammer zum später angefügten „Zion-Teil" 49,14-52,12; 52,13-53,12 steht erst nach dem zweiten Abschluß 52,10-12 und geht auf eine nochmalige Erweiterung des Buches zurück.

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bringen. 45 Aber es wird hier doch das angestrengte Bemühen erkennbar, Israel von seiner ihm zugewachsenen Mittlerfunktion für die Völker her neu zu definieren. Dabei wird gerade der leidvollen exilischen Existenz Israels, der Auflösung seiner staatlichen Einheit und der Zerstreuung unter die Völker eine positive Funktion zugewiesen. Nur durch diese Zerstörung der alten ehernen Gruppengrenzen konnte Israel seine missionarische Funktion im universalen Heilsplan Gottes erlangen. Konträr zur Verfassergruppe des DtrG interpretierte die Deuterojesaja-Gruppe den Verlust staatlicher Einheit nicht vornehmlich als Bedrohung der eigenen Identität, gegenüber der man sich abschotten müsse, sondern als eine Chance zu einem neuen missionarischen Wirken Israels, dem es sich öffnen müsse. Die dritte Konsequenz, die die Deuterojesaja-Gruppe aus ihrer Botschaft zog, war die Auflösung der Verquickung zwischen göttlicher und politischer Macht, wie sie in der vorexilischen Königstheologie vollzogen worden war. 46 Wenn Jahwe einen fremden König zu seinem Gesalbten berufen hatte (45,1-7), um Israel zu befreien, dann war die These der Jerusalemer Königstheologie, daß Jahwe seine Weltherrschaft durch das politisch-militärische Handeln seiner davidischen Könige ausübe (Ps 2), so nicht mehr haltbar. Auch an dieser Stelle war die Gruppe gezwungen, sich kritisch mit ihrem theologischen Erbe auseinanderzusetzen, und auch hier braucht es nicht zu verwundern, daß sie nicht zu einem völlig in sich stimmigen neuen Konzept durchstieß. Aber sie erwies sich insofern als gelehriger Schüler ihres Meisters Jesaja, der schon im 8.Jh. gegen die Vereinnahmung Jahwes für die eigenen politischen Machtansprüche Sturm gelaufen war (Jes 31,1-3 u.a.), 47 daß sie eine Lösung in Richtung einer Trennung suchte. Noch ganz in den Bahnen der traditionellen Königstheologie wurde von der Gruppe das politisch-militärische Handeln des Kyros gedeutet. Er war von Jahwe zu seinem Gesalbten berufen, um seinen Willen auszuführen (45,1-4; 44,28; 48,14). Und bei seinen militärischen Eroberungen durfte er sich des Beistandes Gottes versichern (45,2f.). Insbesondere mit der Eroberung Babylons (48,14f.) vollstreckte er den Geschichtsplan Jahwes zur Rettung seines Volkes. Doch die Zeit, in der noch einmal Jahwes Macht mit der politischen Gewalt eines — allerdings fremden (!) — Herrschers verquickt war, ist beschränkt; sie reicht nur bis zum Sturz der in ihrem Absolutheitsanspruch widergöttlichen babylonischen Welt-

45 Die wichtigste Differenz liegt darin, daß in 40,2; 42,24; 43,24-28 die Sünde Israels als Ursache für seine Demütigung im Exil angesehen wird, während 53,9 die Unschuld Israels an seiner Erniedrigung betont. Doch handelt es sich bei den erstgenannten Stellen um Urteile Gottes, so in 53,9 um eine Wertung aus der Sicht der Völker, die sich ihrer großen Sünden bewußt werden. 46 S.o. 174 ff. 47 S.o. 261 ff.

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macht (47,8.10). Für die Zeit danach verschwindet Kyros ganz aus dem Blickfeld. Das Besondere ist nun, daß die Prophetengruppe dem durch diese gewaltige militärpolitische Aktion befreiten Israel keine staatliche Restitution mehr verheißt. Der davidische König war für sie nicht nur zeitweise durch Kyros aus seiner Position verdrängt, sondern hatte auch in ihrer Zukunftsschau überhaupt keinen Platz mehr. Ihrer Meinung nach würde Jahwe selber die Verbannten in einem triumphalen Marsch durch die Wüste nach Hause führen und auf dem Zion direkt die Königsherrschaft übernehmen (40,9-11; 52,7-12). Das theologische Konzept der Königsherrschaft Gottes ist für die Deuterojesaja-Gruppe von tragender Bedeutung. Ihr ganzes Buch Kap. 40-52 48 kann und soll unter dem Gesichtspunkt gelesen werden, wie sich Jahwes Königsherrschaft gegen alle politischen Widerstände der Völker, aber auch gegen alle Ängste und Zweifel Israels schließlich durchsetzt. 49 Mit der Aufnahme dieser Konzeption knüpfte die Gruppe durchaus an die Vorstellungswelt der Königs- und Zionstheologie an (vgl. Ps 47), 50 in der sie zu Hause war. Aber sie wandelte sie herrschaftskritisch ab. Das zeigt sich schon an den Stellen, wo sie sonst noch die Königstitulatur theologisch verwendet: Jahwe wird hier als „König Jakobs" (41,21) bzw. „Israels" (44,6) oder als „euer König" bezeichnet (43,15). Jahwe ist hier also weder König der Götter (Ps95,3) noch König der Völker (Ps47,8f.) — mit all den imperialen Konnotationen, die dieser Titel beinhaltet —, sondern „König Israels" wie in der königskritischen Argumentation der frühen Königszeit (l.Sam 8,7; 12,12):M Jahwes Königtum über Israel, so behaupteten damals die Gegner der davidischen Herrschaft, und so erkennen im Exil erneut die Prophetenschüler, schließt ein menschliches Königtum, d.h. die institutionalisierte Konzentration politischer Macht rundweg aus. Die gleiche herrschaftskritische Tendenz zeigt sich weiter, wenn man fragt, was alles durch die Königsherrschaft Gottes im Deuterojesajabuch ausgeschlossen wird. Als erstes ist zu nennen der politische Machtzuwachs Israels: So sehr die Prophetengruppe von der Macht Jahwes zu reden weiß und in ihrer theologischen Konzeption noch einmal gewaltig steigert, so wenig ist damit ein politischer Machtzuwachs Israels verbunden. Die alte Gleichung der vorderorientalischen Königsideologie, daß sich die göttliche Macht in der Größe staatlicher Macht spiegelt, ist damit aufgebrochen. Das 48 Vgl. die rahmende Entsprechung von Aufbruch (40,1-5.9-11) und Ankunft (52,7-10) des göttlichen Königs. Der Begriff melek kommt zwar nur 52,7 vor, die Sache ist aber mit der Vorstellung des Hirten (40,11), der Prozessionsstraße und der Herrlichkeit (käböd) Jahwes (40,5; vgl. 42,8.12) gegeben. 49 Vgl. dazu auch T.N.D.Mettinger, Hidden Structure, 148 ff., auch wenn die Struktur von Chaos-Kampf, Königsproklamation und Tempelbau (Enuma elis, Baal-Jam-Mythos) doch vielleicht schon ferner im Hintergrund liegt, als er meint. 50 S.o. 204 f. 51 S.o. 186.

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zweite ist die militärische Unterwerfung anderer Völker durch Israel: So sehr die Gruppe die Universalität Jahwes betont, so wenig ist damit die Vorstellung verbunden, daß Israel andere Völker unterworfen werden. An den Eroberungen des Kyros wird Israel nicht beteiligt. Damit ist die Vorstellung der Königstheologie negiert, daß der israelitische König durch militärische Unterwerfung anderer Völker die Anerkennung Jahwes in der Welt durchsetzt (Ps 2,8-12). 52 Nicht zufällig schildert die Gruppe Jahwes (!) Auseinandersetzung mit den Völkern und ihren Göttern nicht als Kampf, sondern als Rechtsstreit, an dem Israel nur als Zeuge beteiligt ist. Als drittes ausgeschlossen ist die Weltherrschaft Israels. Von dem monotheistischen Anspruch Jahwes auf alleinige Göttlichkeit kann Israel keinen Anspruch auf Weltherrschaft ableiten. Damit wird der Weltherrschaftsanspruch negiert, der zum festen Inventar der vorderorientalischen und auch israelitischen Königsideologie gehört (Ps 72,8-11). 53 Er war zwar nicht an eine monotheistische Gottesvorstellung gebunden, sondern konnte genauso in einer polytheistischen Konzeption erhoben werden, doch ist einsichtig, daß aus der monotheistischen These ein noch viel schärferer und gnadenloserer imperialer Anspruch hätte gefolgert werden können. Dem wollte die Deuterojesaja-Gruppe offensichtlich einen festen Riegel vorschieben. Angesichts der Eroberungsfeldzüge, die später unter christlicher Ägide auch vom Absolutheitsanspruch des Monotheismus her begründet wurden, ist es um so wichtiger, auf die sozialgeschichtliche Tatsache hinzuweisen, daß Israel zum Monotheismus in einer absoluten politischen Ohnmachtssituation durchgestoßen ist. Fragen wir, wie Königsherrschaft Gottes im Jesajabuch positiv qualifiziert ist, so bleiben Antworten eher vage. Die Prophetengruppe läßt völlig offen, wie die Herrschaftsausübung Jahwes auf dem Zion im einzelnen vorzustellen ist. Dachte sie an irgendeine menschliche Vermittlung, 54 oder waren für sie die Möglichkeiten des geschichtlich Realisierbaren grundsätzlich gesprengt? Man kann nur versuchen, einige Andeutungen zu finden: So scheint die Gruppe einige Ahnungen davon gehabt zu haben, daß sich die Königsherrschaft Gottes strukturell von menschlicher politischer Machtausübung unterscheidet: In der Situation der Befreiung ist sie zwar noch mit dem Sturz der totalitären Weltmacht verbunden, sie zielt aber im Endeffekt auf die Befreiung der Unterdrückten, die Stärkung der Schwachen und Müdegewordenen (40,29-31; 41,17; 42,22 u.ö.). Hier machen sich die uralten Befreiungserfahrungen wieder geltend, die an der Wiege der Jahwereligion gestanden hatten. Der Auszug aus Babylon wird ein neuer, noch wunderbarerer Exodus sein (52,12; vgl. Ex 12,11; Dtn 16,3). In der Zeit danach

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S.o. 181. S.o. 182. 54 An eine prophetische Vermittlung von Wort und Weisung Jahwes scheint in Jes 2,1-4 gedacht zu sein (zu törä vgl. Jes 5,24; 30,9). "

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ändert sich die Art und Weise der Herrschaft: An die Stelle der Macht tritt das Recht (Jes 42,1-4): Das Israel, das den Völkern als Knecht Jahwes präsentiert wird, trägt zwar noch erkennbar königliche Züge,55 aber anstatt die Völker zu unterwerfen, wird es ihnen Recht und Weisung (mispät, törä) herausbringen. Und dieses Recht wird nun wiederum nicht das Recht des Stärkeren sein, sondern ein Recht, das „den glimmenden Docht nicht auslöscht" (V.3). Der starke soziale Impuls der israelitischen Reformgesetzgebung56 zum Schutz des Lebensrechtes des Schwachen klingt hier von ferne an. In ähnliche Richtung geht die Übertragung des Davidsbundes auf Israel in Jes 55,3 ff. Anstelle der Davididen wird Israel in die Stellung eines Kronprätendenten (nägtd) und Befehlshabers (mesawwe) von Nationen eingesetzt. Aber diese Herrschertitel beinhalten keine politische Weltherrschaft mehr, sondern Israels Zeugenamt (ίed) für die Völker. Israel erhält keine politische, sondern eine moralisch-religiöse Autorität für die Welt, indem es ihr seinen Gott bezeugt. Der Unterschied zur politischen Autorität wird daran ersichtlich, daß jene keinerlei Zwang ausübt, sondern nur durch Überzeugung wirkt (vgl. 45,22 f.) und auf die freiwillige Zustimmung der Angesprochenen angewiesen bleibt. Hier stößt die Deuterojesaja-Gruppe nach bitteren Erfahrungen des Mißbrauchs Gottes für die Durchsetzung menschlicher Machtinteressen zu der Erkenntnis durch, daß Gottes Herrschaft für andere Menschen nur dann glaubwürdig und überzeugend ansichtig wird, wenn die, die in seinem Namen sprechen, auf jeglichen Zwang und eigenen Vorteil verzichten. Noch einen Schritt weiter geht das geheimnisvolle Lied vom leidenden Gottesknecht Israel (Jes 52,13-53,12). Der Gedanke, daß Israel nicht in seiner Macht, Größe und Berühmtheit, sondern gerade in der Phase seiner absoluten Ohnmacht den Völkern Heil hat schaffen können, indem es stellvertretend ihre Leiden und ihre Sünden trug, sucht dem politischen Machtverlust Israels erstmals einen positiven Sinn im Geschichtsplan Gottes zu geben und ist wohl die tiefsinnigste theologische Deutung, welche die leidvolle Exilszeit je erfahren hat. 4.42 Der Re/ormentwuif der Ezechiel-Schule Neben der Deuterojesaja-Gruppe, die sich wahrscheinlich aus dem nichtpriesterlichen Personal des Jerusalemer Tempels rekrutierte, meldete sich seit der fortgeschrittenen Exilszeit in der babylonischen Gola immer vernehmbarer eine priesterliche Reformgruppe zu Wort, die sich um den 597 deportierten Priester-Propheten Ezechiel (Ez 1,3) und seine literarische Hinterlassenschaft gebildet hatte. Doch während jene noch voll damit beschäftigt war, ihre resignierten Mitbürger durch ihre große Heilsbotschaft zum Aufbruch zu einem neuen Anfang zu aktivieren und sich be55 56

Vgl. die Anklänge an Ps 89,4.18.22; l.Sam 9,16; 2.Sam 6,21. S.o. 440 und 442.

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züglich der inneren N e u o r d n u n g auf einige A n d e u t u n g e n beschränkte, s o war diese intensiv mit der w e i t e r g e h e n d e n Frage beschäftigt, wie denn Israel nach der C h a n c e eines gewährten N e u a n f a n g s im einzelnen organisiert w e r d e n müsse, damit sich die alten Fehlentwicklungen der vorexilischen Zeit nicht w i e d e r h o l e n könnten. D e r detaillierte Entwurf, in d e m sie ihre Vorstellungen für die Zeit des W i e d e r a u f b a u s sukzessiv entwikkelten, findet sich in E z 4 0 - 4 8 . Der sogenannte „Verfassungsentwurf Ezechiels" (Ez 40-48) läßt sich heute kaum noch im ganzen auf den Propheten selber zurückführen; dazu weist er zu viele Spuren eines längeren literarischen Wachstums auf.57 Wohl ist es möglich, daß die Traditionsbildung auf eine Vision des alternden Ezechiel im Jahr 573 zurückgeht (40,1), in der dieser den neuen Tempel als eine befestigte „Stadt"-Anlage, isoliert auf einem Berg liegend, geschaut habe (40,2), doch die Ausarbeitung dieser „Tempelführungsvision" ist Produkt gelehrter Arbeit, die den Eindruck erweckt, als säßen ihre Autoren über einen immer detaillierter ausgearbeiteten Grundrißplan gebeugt. 58 Und in der Fülle weiterer zugefügter Texte ist die Visionsfiktion vollends verlassen. Andererseits haben die Kapitel, wie M.Greenberg gezeigt hat, durchaus einen durchdachten Aufbau 59 und weisen trotz mancher terminologischer und sachlicher Unstimmigkeiten60 eine große konzeptionelle Geschlossenheit auf. Auch Texte, die sich literarisch als Einschübe bzw. Anhänge zu erkennen geben, bringen nicht etwa alternative Konzepte ins Spiel, sondern entfalten nur, was in anderen schon impliziert oder angedeutet war. So lassen sich Ez 40-48 als das Werk einer geschlossenen Gruppe oder Schule fassen, die ihre Konzeption zum Wiederaufbau sukzessive über einen Zeitraum von ein bis zwei Generationen hin (573-520) 61 entfaltet hat. D i e priesterliche H e r k u n f t der Trägergruppe steht angesichts des Interesses, das sie für den Tempel hegt, ganz außer Frage. Ja, sie läßt sich n o c h näher dahingehend präzisieren, d a ß es sich wahrscheinlich um Angehörige der Z a d o k i d e n handelt, 6 2 das heißt des Priestergeschlechts, das seit S a l o m o 57 Vgl. H.Gese, Verfassungsentwurf, dessen Ergebnisse auch von W.Zimmerli in seinem Kommentar modifiziert übernommen worden sind; s. Ezechiel, 1240 ff. Ich würde aber nicht von „Schichten", sondern von Bearbeitungsstufen sprechen. 58 So anschaulich W.Zimmerli, Ezechiel, 1240 u.ö.; in der „Führungsvision" Ez 40,1-37.4749; 41,1 -4(5-15a); 42,15-20; 43,1-11.(12); 44,1-2 fehlen fast alle Höhenmaße. " Design, 189 ff.; er sieht den Stoff unter drei Gesichtspunkten geordnet: 1. Ez 40,1-43,12: Vision des zukünftigen Tempels; 2. Ez 44,1-46,24: 'Ein- und Ausgänge'. Regeln für den Zutritt zum Tempel und die Tätigkeiten in ihm; 3. Ez 47,13-48,35: Verteilung des Landes an das Volk, wobei die Abschnitte 43,13-17 und 47,1-11 die Funktion von Uberleitungen haben. Aufgrund dieser zutreffenden Einsicht jedes literarische Wachstum zu leugnen (181 ff.), geht aber wohl zu weit. 60 So z.B. hinsichtlich der Einteilung der Priesterschaft und ihrer Funktionen (vgl. 40,45.46a; 42,13 neben 40,46b; 43,19; 44,9-16; 48,11), der Opfergaben (vgl. 45,13-15 neben V.16-17) und der Qualifikation der Landanteile (vgl. 45,3 f. neben 48,10). 61 Den terminus ad quem bildet die Erwähnung eines Hohenpriesters Sach 3,1.8, der im Entwurf Ez 40 ff. noch fehlt; da Ρ ihn schon voraussetzt (Aaron, der Titel allerdings erst Lev 21,10; Nu 35,25 ff.), ist die priesterliche Komposition des Pentateuch generell später anzusetzen als Ez 40-48. 62 Vgl. 40,46b; 43,19; 44,15f.; 48,11; da die sog. „Zadokidenschicht" Geses durch 44,1-5 fest in die Komposition des Ganzen eingebunden ist (vgl. die Themaworte „Eingänge und

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das Monopol im Jerusalemer Tempel beanspruchte. Daß gerade von dieser Gruppierung ein Reformimpuls ausgehen konnte, ist einigermaßen erstaunlich. Bis 587 waren die Zadokiden die Träger des Jerusalemer Staatskultes gewesen und hatten zum harten Kern der Vertreter seiner Tempel- und Königstheologie gehört. 63 Ihr Status als königliche Beamte hatte sie eng an das davidische Königshaus gebunden und ihre theologischen Interessen ganz auf den Erhalt des bestehenden Staates beschränkt. Diese konservative Grundhaltung schloß nicht aus, daß Teile der Jerusalemer Priesterschaft sich an der von einer breiten Koalition getragenen josianischen Reform mitbeteiligt hatten, war es doch bei der Kultzentralisation auch um ihre Berufsinteressen gegangen.64 Aber schon bald war diese Koalition wieder auseinandergebrochen, wahrscheinlich nicht zuletzt wegen der Streitfrage, bis zu welchem Grade die arbeitslos gewordenen Landpriester zum Jerusalemer Tempeldienst zugelassen werden müßten. 65 Jedenfalls trafen wir die Spitze der Jerusalemer Priesterschaft in der spätvorexilischen Zeit unter den führenden Köpfen der national-religiösen Partei an.66 Das schließt auch nicht aus, daß sich nach der Katastrophe u.a. Angehörige des nichtdeportierten Teils der Jerusalemer Priesterschaft an der Aufarbeitung der gescheiterten Geschichte im DtrG beteiligten und dabei zu durchaus kritischer Einschätzung von bestimmten Entwicklungen der Jerusalemer Kultgeschichte durchstießen. 67 Blieben sie doch dabei immer noch in den Bahnen ihrer gewohnten Denkvoraussetzung, daß der israelitische Kult seit David und Salomo königlicher Staatskult sei, für den die Monarchen die Hauptverantwortung trugen. 68 Das wirklich Neue von Ez 40-48 ist demgegenüber, daß sich hier erstmals in der Religionsgeschichte Israels eine priesterliche Gruppierung ganz von sich aus und mit einer eigenen unverwechselbaren Stimme in die Reformdiskussion einschaltete. Sie, die Söhne und Enkel deportierter und aus dem königlichen Dienst gefallener Priester, wollten nicht länger Handlanger eines untergegangenen Staatskultes bleiben, sie wollten sich, befreit von allen weltlichen Bindungen und Rücksichtnahmen, allein auf das ureigene priesterliche Berufswissen ihres Geschlechts zurückbesinnen, um von hier aus ihren spezifischen Beitrag zur Gestaltung einer neuen israelitischen Gesellschaft zu leisten. Angestoßen wurde die zadokidische Reformgruppe sehr wahrscheinlich durch den Propheten Ezechiel, der selbst Priester (Ez 1,3), vielleicht auch Zadokide gewesen war, den aber seine Berufungsvision veranlaßte, sich von seiner Zunft scharf zu distanzieren (22,26). Seine kultische Anklage der Verunreinigung des Jerusalemer Tempels (8-11) und seine soziale Anklage gegen die Gewalt der Könige, Beamten Ausgänge" V.5), wird man sie kaum auf eine andere Trägergruppe zurückführen können. " S.o. 174 f.; 194 f. 64 S.o. 315. 65 S.o. 346. M S.o. 367. 67 S.o. 399. ω S.o. 412 f.

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und Reichen (21,30; 22,6.25 f.27.29 f.; 34,2 ff.) hatten auf sie ihre tiefe Wirkung hinterlassen.69 Es scheint jedoch so, daß der Schülerkreis Ezechiels nicht völlig einheitlich gewesen ist: Die heilsprophetischen Fortschreibungen seiner Prophetie in Ez 139 entwerfen ein weitaus traditionelleres Bild der Restitution Israels in den Bahnen des davidischen Großreiches (Ez 34,23f.; 37,22-25) als die reformpolitische Konzeption in Ez 40-48. 70 Deren Träger konnten sich offenbar stärker von ihren traditionell nationalistischen Bindungen befreien als die Verfasser der übrigen Heilsworte. Dennoch gibt es auch Gemeinsamkeiten.71 Am ehesten läßt sich Ez 40-48 als kritische und z.T. korrigierende Ausformulierung der mehr traditionellen Heilserwartungen des übrigen Buches begreifen. Dabei bezog der kritische Reformflügel der Ezechielschülerschaft seine Legitimation von einer speziellen Vision Ezechiels (40,1 f.) und begründete die Autorität seiner Gesetzgebung — anders als die in dtn./dtr. Tradition — nicht auf Mose, sondern auf den inspirierten alten Propheten.

Ausgangspunkt der Reformüberlegungen der Zadokiden-Gruppe war die Jerusalemer Heiligtumskonzeption vom Tempel als Thronsitz Jahwes in seiner Herrlichkeit (Ez 43,7; vgl. Jes 6,1 ff.) sowie die grundlegende priesterliche Unterscheidung zwischen Heiligem und Profanem (42,20). Wenn Ezechiel geschaut hatte, daß die Herrlichkeit Jahwes (keböd jhwh) den verunreinigten Tempel verlassen habe (8-11), und er den Priestern vorgeworfen hatte, sie würden die Unterscheidung von Heiligem und Profanem verwischen (22,26), dann konnte — so folgerte die Gruppe — die Herrlichkeitjahwes nur dann in seinen Tempel zurückkehren (43,1-12) und so Gott wieder inmitten Israels Wohnung nehmen (37,26-28; 43,7.9), wenn der Tempel in Zukunft vor jeder Profanisierung geschützt würde. Die gesamte Tempelvision Ez 40,1 — 43,12 dient dem Zweck, die baulichen Konsequenzen dieses theologischen Postulats zu veranschaulichen. Die Tempelanlage wird als ein durch eine Umfassungsmauer klar abgegrenzter heiliger Bezirk von ca. 260 m Kantenlänge vorgestellt. In ihm befinden sich drei Bereiche abgestufter Heiligkeit, die durch ihr Niveau und weitere Mauern abgegrenzt sind: Sieben Stufen geht es hinauf zum äußeren Vorhof (40,22), weitere acht Stufen zum inneren Vorhof (40,31.34.37) und zehn Stufen hinauf zum eigentlichen Tempelgebäude (40,49). Wie schon das salomonische Heiligtum ist auch der neu konzipierte Tempel nochmals in drei Bezirke aufsteigender Heiligkeit unterteilt: in die Vorhalle ('üläm), die Haupthalle (hekal) und das Allerheiligste (qödes haqqodäsim 40,48-41,4). Der traditionell dreifache Schutz der Heiligkeit des Allerheiligsten wird also nochmals um drei vorgelagerte Stufen verdoppelt und zur Rückseite hin mit einem mächtigen, 52 χ 40 m großen, sonst funktionslosen Bau (binjän 41,12-15) gegen die profane Außenwelt abgeschirmt. Wichtiger aber noch als die Mauern sind die je drei Tore, die den "

S.o. 368 f. Anders als in Ez 1-39 vermeidet Ez 40-48 den Königstitel (melek) für den zukünftigen Herrscher und bringt ihn nicht mit den Davididen in Verbindung. Ausgangspunkt der mehr kritischen Sicht des Königs könnte Ez 21,31 gewesen sein. 71 Z.B. die gesamtisraelitische Konzeption, vgl. Ez 37,15-28 mit 47,13 ff. 70

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Zugang zum äußeren und zum inneren Vorhof kontrollieren (40,6-27). Sie sind in Analogie zu den israelitischen Stadttoren konzipiert (drei Kammern, eine Vorhalle), übertreffen aber in ihren Ausmaßen von 26 x 13 m 72 noch die ausgegrabenen Tore der Festungsstädte Hazor, Megiddo und Gezer und sind sogar größer als die Haupthalle des Tempels (21 χ 10,5 m). Die Toranlagen geben dem Tempel den Charakter einer regelrechten Festung. Mögen solche gewaltigen Torbauten in der Außenmauer aus militärischen Gründen noch eine gewisse Berechtigung haben, so wirken sie zwischen dem äußeren und inneren Vorhof weit übertrieben. Sie sind nur aus dem theologischen Programm der Priestergruppe erklärbar, den Zugang zum heiligen Tempelbezirk im allgemeinen und den Zugang zum inneren Bezirk, wo die heiligen Handlungen vollzogen werden, unter allen Umständen — möglicherweise auch ohne staatliche Hilfe — für die Priesterschaft absolut kontrollierbar zu machen. 73 Niemals mehr soll ein Unberechtigter bis zum Ort der heiligen Handlung vordringen und in den priesterlichen Aufgabenbereich eingreifen können! Die verschärfte Heiligkeitsvorstellung, die sich im Bauplan des Tempels ausdrückt, hat nun eine ganze Fülle von kultischen, rechtlichen und politischen Auswirkungen: Die scharfe Trennung von innerem und äußerem Vorhof ermöglichte eine klare Absonderung von Priestern und Laien. Die Opfer wurden allein von den Priestern vollzogen, die Laien waren vom offiziellen Opferkult weitgehend ausgeschlossen und konnten seinen Vollzug an Festtagen nur als flüchtige Zuschauer von ferne aus verfolgen (46,8 f.). Die institutionelle Verselbständigung der Priesterschaft geschah somit um den hohen Preis einer fast vollständigen kultischen Entmündigung der Laien — an dieser Stelle wirkte das Konzept des älteren Jerusalemer Staatskultes durchaus weiter. Schwierigkeiten mußte dies natürlich bei den privaten Opfern machen (Gelübde, Opfermahl etc.). Auch hierbei wurde den Laien die Verfügung über die vorbereitenden Opferhandlungen entzogen (Schlachtung, Zubereitung der Tiere), was schließlich konsequenterweise in die Vorstellung zweier getrennter Opferküchen, im äußeren Vorhof zur Herrichtung der Laienopfer und im inneren Bezirk für die reinen Priesteropfer, einmündete (46,19-24 ).74 Religionsgeschichtlich noch folgenreicher waren Auswirkungen für das kultische Personal: Die strikte Trennung der Vorhöfe als Bezirke unterschiedlicher Heiligkeitsstufen erforderte eine Differenzierung der Priesterschaft in zwei Gruppen mit verschiedenen Aufgabenbereichen. Zuerst dachte

71 Die volle Breite ist noch größer vorzustellen, da der Text mit 25 Ellen (ca. 13 m) nur das Innenmaß der Torräume angibt. Die salomonischen Stadttore messen in Hazor 20,3 χ 18 m, in Megiddo 20,3 x 17,5 m und in Gezer 19 χ 16,2 m. " Der ganze Abschnitt 44,1-46,24 setzt sich, wie M.Greenberg gezeigt hat (Design, 194ff.), mit der Kontrolle des Zugangs auseinander. 74 Diese radikale Lösung hat sich nicht durchsetzen können, die Opfertöröt von Lev 1-3 sehen wieder eine Beteiligung der Laien bei der Vorbereitung des Opfers vor.

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die Gruppe mehr an eine funktionale Trennung und unterschied solche Priester, die den Altardienst (mismeret hammizbeäh), d.h. die heiligen Kulthandlungen des inneren Bezirks, von solchen, die den „Hausdienst" (mismeret habbajit), d.h. alle anderen weniger heiligen Dienste im Tempelbereich versahen (40,45.46a). Im weiteren Fortgang der Diskussion entschlossen sich die Kultreformer jedoch zu einer klaren gruppenmäßigen Differenzierung: Sie reklamierten nicht nur den Altardienst, sondern alle Kulthandlungen im inneren Vorhof und im Tempelgebäude allein für sich, die Priester aus dem Geschlecht der Zadokiden (40,46b; 43,19; 44,15 f.; 48,11) und teilten den „Hausdienst" den „Leviten" zu. Und diesen definierten sie näherhin einschränkend auf Tätigkeiten im äußeren Vorhof, den Türhüterdienst, das Schlachten der privaten Laienopfer und sonstige Dienste für die Laiengemeinde (44,11). Zugleich schlossen sie damit diese Gruppe von jedem Umgang mit heiligen und hochheiligen Dingen, d.h. vom eigentlichen Priesterdienst explizit aus (44,13). Wer ist mit den „Leviten" gemeint? Die Frage wird in der Forschung kontrovers diskutiert, und ihre Beantwortung hängt stark davon ab, wie man sich die weitgehend im dunkeln liegende vorexilische Geschichte der Priester und Leviten vorstellt (s.o. 92 ff.). Die „klassische" Lösung stammt bekanntlich von J.Wellhausen: Seiner Meinung nach handelt es sich bei den Leviten von Ez 44 um Nachkommen der durch die josianische Kultzentralisation arbeitslos gewordenen Landpriester. Diese hätten entgegen der Absicht von Dtn 18,6 f. keine volle Zulassung zum Jerusalemer Tempeldienst erreichen können (2.Kön 23,9), und dieser Logik der Tatsachen hänge Ezechiel nur „einen moralischen Mantel um". Nach Wellhausen hat „Ezechiel" die Unterscheidung von Priestern und Leviten überhaupt erst eingeführt, die Ρ später dann als „seit ewigen Zeiten" bestehend voraussetzt. 5 Gegen diese Hypothese hat A.H.J.Gunneweg Protest angemeldet: Er sah nicht nur die Beziehungen zwischen Ρ und Ez komplexer, sondern erhob Bedenken gegen die einfache Gleichsetzung der Leviten mit den Nachkommen der Provinzpriesterschaft. Seiner Meinung nach waren die Leviten eine besondere soziale Klasse und keineswegs notwendig Priester. Und die seiner Ansicht nach alte Nachricht über den besonderen Jahweeifer der Leviten (Ex 32,25-29) ist ihm so gewichtig, daß er sie unmöglich mit den „Hohenpriestern" von 2.Kön 23,9 gleichsetzen kann; auch die Polemik von Ez 44,10.12.13 sei darum völlig theoretisch. Die Leviten von Ez 44 seien darum Gruppen des clerus minor, die, wie auch in Ρ erkennbar (Nu 16 ff.; 4,5 ff.), ihre Kompetenzen erweitern wollten.76 Noch weiter setzte sich R.K.Duke von der Hypothese Wellhausens ab: Die Distinktion von Priestern und Leviten im israelischen Kult war seiner Meinung nach alt und Ezechiel vorgegeben. In Ez 44,6-16 sei gar keine Degradierung, sondern eine Wiedereinsetzung der Leviten in ihre angestammten Rechte gemeint.77 Einige Beobachtungen an Ez 44,6-16 können jedoch die Bedenken Gunnewegs zerstreuen, Duke widerlegen und die klassische Sicht Wellhausens stützen: 1. Die 75

Prolegomena, 116-121; 139f.; Zitate auf U 8 f . Vgl. Leviten, 81; 118 ff.; 188-203; ähnlich tut M.Haran, Temples, 107, Ez 44 als ideologisch ab. 77 Punishment, 62 ff. 76

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schroffe Polemik und die in der Beschreibung und Abgrenzung der Aufgabenbereiche keineswegs festgelegte Terminologie 78 machen es wahrscheinlich, daß die relativ klare und selbstverständliche Trennung von Priestern und Leviten bei Ρ den Autoren von Ez 44 noch unbekannt ist. Sie wollen eine neue Einteilung des Kultpersonals vornehmen, die es so vorher nicht gegeben hat. 2. Es ist eindeutig eine Degradierung der mit „Leviten" bezeichneten Gruppe gemeint; V.13 hätte sonst keine argumentative Funktion und setzt voraus, daß die Gruppe das volle Priesterrecht für sich beanspruchte. 79 3. Die Polemik, die „Leviten" hätten sich in der Zeit des Abfalls von Jahwe entfernt (44,10), hätten den Götzen gedient und Israel Anlaß zur Sünde gegeben (V.12) und somit ihren Anspruch auf den Priesterdienst verloren, liegt sachlich auf der gleichen Linie wie 2.Kön 23,9, wo sie als „Höhenpriester" denunziert werden. Der Vorwurf war somit unter der Jerusalemer Priesterschaft gängig, 80 nur erscheint er einmal im Gewand deuteronomistischer, ein andermal ezechielischer Terminologie. 4. Auch die Zadokidengruppe geht von der Vorstellung des Dtn aus, daß alle Priester, auch sie selber, Leviten sind (43,19; 44,15). Dies ist aber — und das muß noch klarer gesagt werden, als Wellhausen dies tut — ein archaisierendes Konzept, das mit der historischen Realität kaum etwas zu tun hat.81 Von dieser Theorie her ist es aber völlig verständlich, daß die Zadokiden alle nicht-zadokidischen Priester, die dem Jerusalemer Tempel durch die josianische Kultzentralisation

78 Gegen A.H.J.Gunneweg, Leviten, 192, der aus der angeblich technischen Verwendung des Begriffs mismeret („Dienst") schließt, daß die „Zadokidenschicht" ein so bezeichnetes spezielles levitisches Amt, wie es bei Ρ belegt ist, kenne. Doch erstens bezieht der Text den Begriff keineswegs nur auf die Leviten (V.14), sondern auch auf die Priester (V.15), das ausländische Kultpersonal (V.8b) und sogar auf die Israeliten allgemein (V.8a); und zweitens verwendet er ihn außer V.14, wo er 40,45 aufgreift, für vergangene Kultdienste und benutzt da, wo er die zukünftigen Aufgaben der beiden Gruppen beschreibt, völlig untechnische, vage Formulierungen (V.l 1.13.15bf.). Man muß also unterscheiden zwischen der unleugbaren Tatsache, daß mismeret ein Begriff priesterlicher Fachsprache ist, den die Autoren von Ez 44 verwenden, und der Frage, ob in Ez 44 schon eine geprägte Vorstellung der unterschiedlichen Aufgabenbereiche vorliegt, was verneint werden muß. Die Festlegung von mismeret speziell auf den Levitendienst bei Ρ ist eine spätere Spezialisierung. Daß auch in der P-Tradition noch der weitere Sinn von mismeret geläufig war, zeigen Nu 18,5 und 3,38. n Es geht also nicht nur um die Wahrung bzw. Erweiterung levitischer Rechte wie im Streit mit den Kehathitern (Nu 4,5 ff.), wie A.H.J.Gunneweg, Leviten, 203, glauben machen will. Wenn R.K.Duke, Punishment, 70, V. 13 f. zu einer „general summary of the role of the Levites" herunterspielt, dann übersieht er die polemische Funktion verneinter Aussagen. Sein Versuch, die Schuld des Götzendienstes nicht den Leviten, sondern den Israeliten in die Schuhe zu schieben, ist zwar ganz originell, scheitert aber an V.l0 und 12. 80 Zur Annahme, daß sich auch Jerusalemer Priester unter den Autoren des DtrG befanden, s.o. 399; Gunnewegs Bedenken gegen eine Verbindung von Dtn 18,6-8 und 2.Kön 23,9 (Leviten, 120) beruhen auf der Annahme der schlichten Identität der dtn. und dtr. Trägergruppe, die nicht zutrifft. Daß das Fehlen der (polemischen!) dtr. Begrifflichkeit von 2.Kön 23,9 in Ez 44 noch kein Gegenargument dafür ist, daß beide Male die gleiche Sache gemeint ist, hat er Leviten, 203, Anm. 1, selbst gespürt. 81 S.o. 344 f.; hier scheint mir eine methodische Schwäche der Rekonstruktion Gunnewegs zu liegen, daß er nicht klar genug zwischen historischer Entwicklung und theologischer Theorie unterscheidet. — Die Abhängigkeit von der dtn. Konzeption zeigt sich eindeutig in der Verwendung des Begriffs „levitische Priester" (hakkohänim hallewijjim Ez 43,19; 44,15) für die Jerusalemer Priesterschaft (Dtn 17,9.18; 18,1; 24,8; 27,9); wenn diese bei Ρ fehlt, dann zeigt das nur wieder, daß hier die Trennung von Priestern und Leviten schon viel selbstverständlicher vollzogen ist.

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zugewachsen waren, mit dem Begriff „Leviten" bezeichnete. Sie billigten damit der um ihre Rechte kämpfenden Konkurrenzgruppe ihre Zugehörigkeit zum Kultpersonal zu, degradierten sie zugleich aber zum clerus minor. Die Unterteilung des Jerusalemer Kultpersonals in (zadokidische) Priester und Leviten, die in der nachexilischen Zeit Schule machen sollte, 82 geht somit wahrscheinlich auf die Reformkonzeption der Ezechiel-Schule zurück. M a n kann d e r G r u p p e vorwerfen, d a ß sie mit ihr nur einen alten, seit der josianischen Kultreform schwelenden Streit unter dem Kultpersonal clever zu ihren Gunsten entscheiden wollte, bevor der neue Tempel wieder stand. D o c h man muß berücksichtigen, d a ß dahinter nicht nur egoistische Motive standen, sondern zugleich ein ernstes Bemühen greifbar wird, auch vom Kultpersonal her die Heiligkeit des Tempels sicherzustellen und jede Verunreinigungsmöglichkeit soweit wie möglich auszuschließen. Wollte man nicht die Priester, die die heiligen Handlungen vollzogen, der G e f a h r einer dauernden Verunreinigung aussetzen, und wollte man auch nicht, d a ß die mehr weltlichen Tätigkeiten im Tempel wie bislang durch ausländische K r ä f t e ausgeführt wurden (44,6-9), 8 3 dann waren die Leviten f ü r den Kultbetrieb absolut notwendig. Als Kultdiener mit einem verminderten Heiligkeitsgrad mußten sie zwischen Laien und den Priestern, zwischen dem Profanen und dem Heiligen nochmals vermitteln. Die einschneidendste Konsequenz, welche die Ezechielschüler aus ihrer verschärften Heiligkeitsvorstellung zogen, war die Loslösung des Kultes aus jeglicher staatlichen Bevormundung. D e r neue Kult nach dem Wied e r a u f b a u des Tempels sollte kein Staatskult mehr sein, wie es vordem seit den Tagen Davids und Salomos gewesen war. Das galt als erstes in baulicher Hinsicht: D e r alte Jerusalemer Tempel hatte mit dem königlichen Palast einen zusammenhängenden Baukomplex gebildet. 84 Von dieser Verquickung, so erkannten die Reformschüler, war eine wesentliche Verunreinigung des Tempels ausgegangen, und zwar nicht nur durch den Götzendienst der Könige, sondern auch durch ihre Gedenkstelen, 8 5 mit denen sie den Tempel zur Selbstdarstellung eigenen Ruhms und staatlicher M a c h t mißbraucht hatten (43,7b). Allein schon die bauliche N ä h e des Palastes war eine Entweihung des heiligen göttlichen Namens gewesen

82 Vgl. die priesterliche Komposition des Pentateuch und das chronistische Geschichtswerk, die von dieser Unterscheidung ausgehen, aber einen dauernden Streit um die Abgrenzung der Kompetenzen erkennen lassen. Generell kann man sagen, daß es den Leviten gelang, die schroffe Deklassierung von Ez 44 ein gutes Stück weit zu revidieren, s.u. 525 f.; 611 f. 83 Zu denken ist etwa an die gibeonitischen Holzhacker und Wasserträger Jos 9,23 und an die netinim („Tempelsklaven") bzw. „Sklaven Salomos" Esr 2,43-58; auch die Weiterverwendung letzterer blieb im nachexilischen Kult umstritten (vgl. Esr 7,24; 8,20: „Diener der Leviten"; auf der Linie von Ez 44 dagegen Ρ in Nu 3,9; 8,19). M S.o. 193. 85 In Ez 43,7.9 meint peger nicht „Leichnam", sondern „Stele", vgl. KBL 3 861bf.

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(43,8). Die Konsequenz konnte darum nur sein, den Tempel räumlich völlig vom Königspalast zu trennen. Das hatte zweitens Konsequenzen für die rechtliche Stellung des Tempels. Das alte Jerusalemer Heiligtum war Besitz des Königs gewesen; David hatte durch die Überführung der Lade für dessen Weihe gesorgt, und Salomo hatte es glanzvoll ausgebaut. 86 Der neue Tempel jedoch sollte von den Israeliten gebaut werden (43,10 ff.); er würde der königlichen Legitimation nicht mehr bedürfen, sondern durch den Einzug der Herrlichkeit Jahwes selber geweiht werden (43,1-5); selbst auf die Lade als Symbol göttlicher Anwesenheit war er nicht mehr angewiesen. Das hatte drittens Konsequenzen für die Organisation des Opferkults: War in der vorexilischen Zeit der König für die Belieferung des Tempels mit Opfern für den öffentlichen Kult verantwortlich gewesen, so mußten diese nach dem Wegfall der königlichen Aufsicht nunmehr vom ganzen Volk aufgebracht werden. Dabei scheint es die ältere Sicht der Gruppe gewesen zu sein, die Opfersteuer direkt an den Tempel zu zahlen (45,1315); diese wurde aber später insoweit revidiert, als 45,16-17 bestimmt, den König als Zwischeninstanz einzuschalten. Ihm wurde damit ein Rest von Verantwortung für die Unterhaltung des offiziellen Opferkults zugestanden (45,17-46,15), aber nur als Vermittler des Volkes. Die Auflösung des Staatskultes zwang die Gruppe viertens, über eine Neuordnung der Priesterversorgung nachzudenken. In vorstaatlicher Zeit waren die Jerusalemer Priester königliche Beamte gewesen und staatlich versorgt worden. 87 Daneben standen ihnen traditionell bestimmte Anteile an den Opfern zu. Doch diese reichten alleine kaum aus, noch dazu waren sie ungeeignet, die Leviten, denen man das Recht zu opfern ja gerade entziehen wollte, zu ernähren. So konzipierten die Ezechielschüler neben der Erweiterung der Opferanteile für die Priester (44,28 -31) 88 eine ganz neue Art der kultischen Abgabe (terümä): Aus dem Gebiet der Stämme sollte ein Landstreifen angegliedert werden, und daraus sollten die Priester und Leviten jeweils ein Gebiet von 25000 x 10000 Ellen, d.h. immerhin von je 67 km2 zugewiesen bekommen (45,1-8; 48,8-14). Die Priester sollten auf ihrem Land teil wohnen und wohl auch Viehbesitz unterhalten dürfen (4 5,4), 89 die Leviten auf ihrem Anteil sogar festen Bodenbesitz ('ähuzza) erhalten und damit Ackerbau treiben dürfen (45,5).90 Letzteres widersprach völlig der alten Levitenregel, die wohl noch aus der Zeit stammt, als die Leviten eine wandernde Priestergenossenschaft darstellten (Dtn 18,1 f.). Wenn die Kult-

86

S.o. 195 ff. S.o. 193. 88 So werden den Priestern z.B. auch die pflanzlichen Erstlinge zugewiesen, noch weitergehend dann die Opferanteile für die Priester bei Ρ Nu 18,8-19. 89 Lies nach der gängigen Textkonstruktion ümigrai lemiqnir, vgl. LXX und Jos 14,4; 21,2. ,0 Lies mit LXX 'ärim lasäbet Diese Versorgung der Leviten hat sich nicht realisieren lassen; sie wird Nu 18,25-32 über den Zehnten geregelt. 87

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reformer bereit waren, sich in bezug auf die von ihnen als Leviten definierte Gruppe nicht-zadokidischer Priesternachfahren so völlig über diesen alten Grundsatz hinwegzusetzen, dann beweist das nicht nur, daß diese für sie mit den alten Leviten nichts mehr zu tun hatten, sondern auch, daß sie trotz aller kultischen Degradierung um ihr gesichertes materielles Auskommen besorgt waren. Sie verlangten für sich nicht nur die alleinigen priesterlichen Rechte, sondern waren auch bereit, in Zukunft die Bürde der Levitenregel zu tragen (44,28).91 Die neuen „Leviten" sollten sich, wie alle anderen Israeliten auch, selbst ernähren können. Die Konsequenz, mit der die priesterliche Reformgruppe alle — auch die komfortablen — Bindungen des Staatskultes nach 500 Jahren Erfahrung mit ihm wieder kappte, ist ganz erstaunlich. Sie begriff den Untergang des Staatskultes 587 als Gottes Gericht über diese Form des Gottesdienstes und die zwangsweise „Entlassung" ihrer Väter und Großväter aus diesem Staatskult als Befreiung, die sie nicht wieder verspielen wollte. Sicher waren bei ihren Überlegungen auch berufsegoistische Interessen im Spiel, aber sie erklären die Radikalität ihres Vorgehens nur unzureichend. Wer bereit ist, so weitgehend die vertraute und auch sichere Basis der eigenen beruflichen Existenz aufzugeben und über ganz neue Möglichkeiten ihrer Sicherung nachzudenken, der ist von einer höheren Macht getrieben. Die Evangelischen Kirchen in Deutschland haben bis 1919 gebraucht, um einen entsprechenden Schritt — und dazu noch erzwungenermaßen — zu tun, und wagen bis heute nicht, den Weg einer völligen Trennung von Kirche und Staat zu Ende zu gehen. Das Merkwürdige ist, daß die Ezechielschüler von völlig anderen theologischen Voraussetzungen her etwa zu der gleichen Einsicht kamen wie die Deuterojesajaschüler: daß die Verquickung Gottes mit der staatlichen Macht die Göttlichkeit Jahwes beschädigt und deswegen beide voneinander getrennt werden müssen. Das antiherrschaftliche Potential dieses Gottes war ganz offensichtlich stärker als die Einbindung in Schulen und Denktraditionen. Dem schroffen Bruch mit der Staatskulttradition entspricht in der politischen Konzeption der priesterlichen Reformer eine starke Depotenzierung des Königs. Auch hier ist eine ähnliche Tendenz wie bei der Deuterojesaja-Gruppe erkennbar. Wohl leugneten sie nicht wie diese den König völlig, sondern räumten ihm — schon gezwungen durch die nationalen Verheißungen des übrigen Ezechielbuches 92 — eine gewisse Existenzberechtigung im zukünftigen Israel ein; aber im Vergleich mit dem Königtum der vorexilischen Zeit wurden seine Funktionen stark zurückgeschnitten. Das beginnt schon mit der Bezeichnung: Der Königstitel (melek) wird für den zukünf-

" Die entscheidende Verneinung ist im Text allerdings ausgefallen, möglicherweise weil man die Divergenz zu 45,4 spürte. " Vgl. Ez 34,23 f.; 37,22-25; kritischer allein 21,30-32; die Titel melek und näs'i' stehen hier nebeneinander.

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tigen König nicht mehr gebraucht; an dessen Stelle steht der Titel näsT, der meist mit „Fürst" übersetzt wird und wohl in vorstaatlicher Zeit den Stammesführer bezeichnen konnte. 93 Und das setzt sich darin fort, daß im Unterschied zu Ez 34,23 f.; 37,24 f. in Ez 40-48 nicht mehr auf die davidische Herkunft dieser Führergestalt Bezug genommen wird. Zeigt sich schon darin ein gewisser Versuch, über die Zeit der davidischen Dynastie hinweg an die Führungsämter der vorstaatlichen Zeit anzuknüpfen, so verfestigte sich dieser Eindruck dadurch, daß die Reformer den näsV der Sakralität orientalischen Königtums weitgehend entkleideten. Hatten die Könige seit David und Salomo aus ihrer Gottessohnschaft heraus selbstverständlich auch die Funktionen des Priesters für sich reklamiert, 94 so wurde ihnen nach dem Willen der Reformpriester das Recht zum Opfern entzogen (46,2). Dem König wurde versagt, den inneren Vorhof überhaupt nur zu betreten (V.2.8). Wohl wurden ihm beim Gottesdienst noch einige Rechte zugestanden, so das Recht, seine privaten Opfermahlzeiten im zugemauerten äußeren Osttor einzunehmen (44,3), oder das Vorrecht, den offiziellen Opferzeremonien von der Schwelle des inneren Osttores aus ganz in der Nähe beizuwohnen (46,2) — was noch von ferne an die kultische Mittlerschaft des sakralen Königtums erinnert - , aber das änderte nichts daran, daß er kultrechtlich den Laien zugeschlagen wurde: Der zukünftige König sollte nicht mehr Kultmittler, sondern nur noch vornehmster Repräsentant der Laiengemeinde sein (46,10).95 Mit der Entsakralisierung des Königtums sollte nach dem Willen der Reformpriester auch seine wirtschaftliche und politische Bändigung einhergehen. Um den unersättlichen Landverbrauch der Institution, der in vorexilischer Zeit durch die Schaffung immer neuer Krongüter und Lehensgüter zu starken Verwerfungen innerhalb der kleinbäuerlichen israelitischen Sozialstruktur geführt hatte, endgültig einzudämmen, teilten die Reformer dem näsf einen festumrissenen Erbbesitz ( ' ä h u z z ä 45,8a; nahälä 46,16) in dem als Abgabe (terümä) ausgegrenzten Landstreifen an beiden Seiten des Priesterlandes zu (45,7 f.; 48,21). Königliche Landschenkungen wurden nur noch innerhalb dieser festumrissenen Gebiete zugelassen, und dauernde Landübereignung durfte es nur noch innerhalb der königlichen Familie, nicht aber zugunsten königlicher Dienstleute geben (46,16-18). 96

"

S.o. 115. S.o. 183 f. ,5 Insofern wurde auch den freiwilligen Opfern des näsf ein gewisser öffentlicher Status eingeräumt (46,12). Daß der näsT eine zentrale Stellung in Ez 40-48 einnähme, wie O.Procksch, Fürst, 115 ff., und H.Gese, Verfassungsentwurf, 122 f., meinten, kann man wirklich nicht sagen; angemessener urteilen W.Zimmerli, Planungen, 243 ff., und G.Chr.Macholz, Planungen, 342 f. " Vorgesehen ist eine Annullierung aller Lehen im Jahr der Freilassung (Senat hadderor) Ez 46,17. Damit scheint den Ezechielschülern schon so eine ähnliche Institution vorzuschweben, wie sie etwas später in Lev 25,8 ff. unter dem Begriff Jobeljahr" (Senat hajjöbel 25,13 u.ö., der Begriff deror taucht noch in V.10 auf) entwickelt wurde. Andererseits setzt Lev 25 94

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Mit diesem typisch priesterlichen Mittel territorialer Abgrenzung versuchten die Reformer, die verhängnisvolle wirtschaftliche Dynamik, die in vorexilischer Zeit wesentlich zur Unterdrückung und Enteignung der traditionellen Kleinbauernschicht beigetragen hatte, im Keim zu ersticken (45,8b.9). Schließlich planten die Reformer, die Zentralisation politischer Macht dadurch einzuschränken, daß sie die Hauptstadt aus dem königlichen Besitz aussonderten. Seit der Eroberung Jerusalems durch David war die Stadt persönlicher Besitz des Königshauses und seine zentrale Machtbasis gewesen.97 Die neue Hauptstadt sollte dagegen nach Vorstellung der Reformer in einem eigenen Territorium außerhalb des Königslandes, südlich des Priester- und Levitenlandes angesiedelt werden und allen Stämmen Israels gemeinsam gehören (45,6; 48,15-18). Etwa 10 km vom im Priestergebiet liegenden Tempel getrennt, sollte die Stadt nur noch ein rein weltliches Verwaltungszentrum sein, und zwar nicht mehr getragen durch königliche Beamte, sondern durch Bedienstete aus allen israelitischen Stämmen. Diesen sollte im Umland der Stadt (etwa 26 km 2 ) eine eigene materielle Basis zur Verfügung stehen (48,18), so daß Steuern für ihre Versorgung nicht anfielen. Mit ihren zwölf Toren, welche die Namen der zwölf Stämme Israels trugen, sollte die Stadt noch einmal die Einheit Israels im kleinen repräsentieren (48,30-34). Und wenn der neue Name der Stadt lauten sollte Jahwe-schamma" (Jahwe ist dort"; V.35), dann war das nicht mehr im Sinne der alten Zionstheologie gemeint, daß Jahwe im königlichen Heiligtum wohnt und die Macht des Staates repräsentiert, sondern daß er mitten unter dem Volk anwesend ist98 und die oberste Machtposition gegen alle menschlichen Okkupationsversuche besetzt hält. Die territoriale und institutionelle Trennung des Königtums von Tempel und Hauptstadt war aber für die Ezechielschüler nur Teil weitergehender Überlegungen einer umfassenden Neuverteilung des Landes (47,13-48,29). Wenn sie dabei allen Stämmen recht schematisch einen gleich breiten Landstreifen des Westjordanlandes 99 zuteilten, dann orientierten sie sich dabei offensichtlich an einem Idealbild vom Israel der vorstaatlichen Zeit mit einer egalitären Gesellschaftsstruktur. Israel sollte sich nach ihren Vorstellungen die Neuverteilung des Landes von Ez 47,13 ff. voraus. Hier werden erstmals enge Verbindungen zwischen Ez 40-48 und Teilen der P-Tradition sichtbar. w S.o. 166. 98 Die Vorstellung einer allgemeinen Anwesenheit Gottes unter den Israeliten neben der speziellen kultischen findet sich auch schon in Ez 37,27; das Verhältnis beider Vorstellungen zueinander wird zwar nicht geklärt, doch wird man im Sinne der Reformpriester davon ausgehen müssen, daß für sie die kultische Anwesenheit das Primäre war. Man könnte hinter 48,35 ein Nachleben der Konzeption von Jerusalem als Gottesstadt (Ps 46,5) sehen, doch ist zu berücksichtigen, daß die Hauptstadt von Ez 48 nicht mehr am Zionsberg liegt. " Die Umschreibung der Grenzen 47,15-20 dehnt einerseits das Gebiet nach Phönizien hin aus und schränkt es andererseits auf das Westjordanland ein (vgl. Nu 34; ähnlich auch die Väterüberlieferung); diese Vorstellung ist wahrscheinlich an den Grenzen der ägyptischen Provinz Kanaan im 2.Jt. orientiert.

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wieder retribalisieren, und alle Stämme sollten etwa gleich groß sein und einen gleich großen Landanteil zum unveräußerlichen Erbbesitz ( n a h ä l ä ) erhalten (47,13f.). 100 Alle Besitzunterschiede, die in der Königszeit so gefährlich angewachsen waren, sollten wieder eingeebnet werden, kein Teil sollte den anderen überflügeln können, und eventuelle Unterschiede in der Fruchtbarkeit des Landes würden — wie im besonders krassen Fall der Wüste Juda — in wunderbarer Weise vom Tempel egalisiert werden. 101 Die gleichmäßige Verteilung des Bodeneigentums sollte durch keine königlichen Landschenkungen mehr beeinträchtigt (46,16-18) und durch keine hohen Steuerabgaben in Unordnung gebracht werden. Da sich — bis auf die Priester — alle übrigen Funktionäre, entsprechend dem Wirtschaftsprinzip der vorstaatlichen Zeit, selbst versorgen konnten, entfiel eine staatliche Steuer ganz. Es blieben allein die kultischen Abgaben, insbesondere die Aufwendungen für den offiziellen Opferkult. Aber verglichen etwa mit dem Zehnten bedeuteten die in 45,13-15 dafür geforderten Abgaben eine weitgehende Steuerreduktion. 102 Schließlich wurde das letzte verbleibende soziale Problem der grundbesitzlosen Fremdlinge (genm) durch deren volle Eingliederung in die neue Bodenordnung gelöst (47,22 f.). Alle Familien sollten gleichberechtigt, frei und unbelastet von staatlichem Eingriff wirtschaften können wie vormals in vorstaatlicher Zeit. Überblickt man die politisch-soziale Seite des Reformentwurfs, so kann man nur staunen, wie ernsthaft hier der Versuch gemacht wird, bei der Planung des Neuanfangs nach dem Exil die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen der staatlichen Epoche zu revidieren und wieder an die Freiheitsideale der vorstaatlichen Zeit anzuknüpfen. Wohl leugneten die Reformer die zentralen Institutionen nicht, die Israel in der Königszeit zugewachsen waren und denen auch ihr Priestergeschlecht seine prominente Stellung verdankte: das Königtum, die Hauptstadt und schon gar nicht das Zentralheiligtum. Aber sie sannen darauf, wie sie dieses religiös-politische Machtkonglomerat mit Hilfe ihres priesterlichen Denkmusters abgesonderter und gestaffelter Heiligkeitsbezirke so trennen und neu ordnen könnten, daß sich diese Institutionen ohne Schaden in die tribale Sozialstruktur integrieren 100 47,13b Joseph 'zwei' Teile" ist deutlich eine Glosse, die Ez 47,13 ff. mit Jos 17,14 ff. ausgleichen soll; vgl. W.Zimmerli, Ezechiel, 1204. Die einzige Abstufung, die zwischen den Stämmen gemacht wird, bezieht sich auf ihre Nähe bzw. Ferne zum Heiligtum: Die Stämme, die von den Stammüttern hergeleitet werden, sind im Kern, die von den Mägden an die Peripherie piaziert. Um Juda möglichst nah an das Heiligtum heranzurücken, wird es gegen die Tradition nördlich der terümä angeordnet, während der zweitwichtigste Stamm des Südreiches, Benjamin, an ihre Südseite rückte; im einzelnen dazu G.Chr.Macholz, Planungen, 333 ff., der die Auslegung Zimmeriis (Ezechiel, 1222) dahingehend korrigiert, daß das Priesterland mit dem Tempel an die nördliche Seite der terümä gelegt werden muß. 101 Die religionsgeschichtlich weit verbreitete Vorstellung, daß vom Tempel Ströme des Segens in das Umland ausgehen, wird in der Tempelquellenvision von Ez 47 bezeichnenderweise auf die Funktion des sozialen Ausgleichs zugespitzt. 102 Die Höhe der Abgaben beträgt nur 1,7% von Gerste und Weizen, 1% vom Öl und 0,5% von Schafen und Ziegen.

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ließen. Das Erstaunliche bei dieser neuen Zuordnung ist nun, daß der starken Heraushebung des Tempels über das Königtum und die Hauptstadt kein entsprechender politischer Machtanspruch der Priesterschaft entsprach. Die Priestergruppe forderte für sich keinen Kirchenstaat, beschränkte ihren Monopolanspruch auf die kultischen Belange und ließ für die weltlichen neben sich andere Autoritäten zu. Vielmehr zielte für sie die überragende Stellung des zentralen Heiligtums in der Gesellschaft auf die Stärkung der dezentralen politischen Kräfte des Volkes, auf seine Befreiung aus der Unterdrückung durch die königliche Zentralgewalt und auf Sicherung seiner wirtschaftlichen Egalität. Der Kampf um die Befreiung des Kultes aus der staatlichen Bevormundung und der Kampf um die soziale Befreiung des Volkes aus einer ungerechten Gesellschaftsstruktur gingen für die Reformpriester somit Hand in Hand. In dieser Verbindung verschaffte sich unter völlig veränderten Bedingungen noch einmal der uralte Befreiungsimpuls der vorstaatlichen Jahwereligion Raum. Darin liegt die bleibende Bedeutung dieses revolutionären Entwurfs eines radikal neuen Anfangs, auch wenn er beim praktischen Vollzug des Wiederaufbaus wenig Berücksichtigung fand. 103

103 Durchgesetzt haben sich bezeichnenderweise fast nur — wenn auch mit Abstrichen — speziell priesterliche Interessen: so die Teilung des Klerus in Priester und Leviten, die Selbstverwaltung des Tempels durch den Klerus, der priesterliche Anspruch, neben dem Laiengremium die Geschicke des Gemeinwesens zu leiten. Wohl läßt sich im frilhnachexilischen Juda ein Wiederaufleben tribaler Organisationsstrukturen erkennen, dies führte aber nicht zum sozialen Ausgleich im Sinne des vorstaatlichen Egalitätsideals. Da sich auch das Prinzip der Selbstversorgung für Klerus und Verwaltung nicht durchsetzen ließ, blieb auch das Freiheitsideal auf der Strecke; im Gegenteil, die Steuerbelastung wuchs gewaltig an.

5. Die Religionsgeschichte der nachexilischen Zeit J.BLENKINSOPP, Interpretation and Tendency to Sectarianism: An Aspect of the Second Tempel History, E.P.Sanders (Hrsg.), Jewish and Christian Self-Definition, Bd. II, 1981, 1-26. — E.BLUM, Studien zur Komposition des Pentateuch, BZAW 189, 1990. — F.CRÜSEMANN, Israel in der Perserzeit. Eine Skizze in Auseinandersetzung mit Max Weber, W.Schluchter (Hrsg.), Max Webers Sicht des antiken Christentums, 1985, 205-232. — P.D.HANSON, The Dawn of Apocalyptic. The Historical and Sociological Roots of Jewish Apocalyptic Eschatology, 2.Aufl. 1979. — DERS., Israelite Religion in Early Postexilic Period, Ancient Israelite Religion, FS F.M.Cross, 1987, 485-508. — H.D.MANTEL, The Dichotomy of Judaism during the Second Temple, HUCA 44, 1973, 55-87. — O.PLÖGER, Theokratie und Eschatologie, WMANT 2, 3.Aufl. 1968. - O.H.STECK, Das Problem theologischer Strömungen in nachexilischer Zeit, EvTh 28, 1969, 182-200. — DERS., Strömungen theologischer Tradition im Alten Israel (1978), ders., Wahrnehmungen Gottes im Alten Testament, TB 70, 1982, 291-317. -

In den gängigen Darstellungen der Religionsgeschichte Israels wird die nachexilische Epoche stiefmütterlich behandelt.1 Das hat nicht nur mit der Spärlichkeit des historischen Quellenmaterials zu tun, das uns nur für den Beginn (538-ca.400)2 und für das Ende (ca.200-150)3 dieses langen, von den alttestamentlichen Schriften abgedeckten Zeitraums einen genaueren — wenn auch tendenziös gefärbten — Einblick in die geschichtlichen Abläufe ermöglicht. Und das hat auch nicht nur mit der Schwierigkeit zu tun, viele Texte dieser Epoche auch nur einigermaßen sicher datieren zu können, 4 sondern das ist — zumindest — auch Folge einer tief eingefleischten dogmatisch christlichen Sicht, welche die Kirche als Zielpunkt der Religionsgeschichte Israels sieht, darum gerne den Bogen von den luftigen Höhen Deuterojesajas — vielleicht noch vermittelt über die späte Prophetie und Apokalyptik5 — direkt ins Neue Testament schlägt und für die die Religion des „Spätjudentums" in Gesetzlichkeit und Ritualismus verkommt. Auch die folgende Darstellung 1

G.Fohrer räumt den immerhin 400 Jahren gerade ein Sechstel des Gesamtumfanges ein (Geschichte, 338-402); das ist etwa ein Drittel dessen, was er zur Darstellung der etwa gleich langen Königszeit benötigt (114-312). Noch krasser ist das Mißverhältnis bei H.Ringgren und W.H.Schmidt. 2 Esr; Neh; Hag; Sach 1-8. 3 l./2.Makk; Dan. 4 Dies gilt insbesondere für die spätprophetischen Texte Jes 56-66; Sach 9-14; Joel; Jes 24-27, aber auch für Prov; Hi; Koh und das Chronikwerk. H.Ringgren, Religion, 276 ff., behilft sich denn auch damit, eine thematische Ubersicht zu geben. 5 Vgl. W.H.Schmidt, Glaube, 257ff.; aus der ganzen exilischen (!) und nachexilischen Zeit interessiert ihn nur die Apokalyptik!

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bleibt den Schwierigkeiten der Quellenlage unterworfen, möchte jedoch dieser Epoche mehr Gerechtigkeit widerfahren lassen.

Neuere Forschungen, die an vielen Stellen dazu geführt haben, üblich gewordene Frühdatierungen vieler biblischer Texte kritisch zu hinterfragen, 6 lassen immer deutlicher erkennen, daß die nachexilische, insbesondere die frühnachexilische Zeit (538-400) eine der produktivsten Epochen der Religionsgeschichte Israels gewesen ist. Herausgefordert von der Chance und den Problemen des Wiederaufbaus, wurden in dieser Zeit die Grundlagen gelegt, welche die spätere jüdische und christliche Religion maßgeblich prägen sollten: In dieser Zeit wurde der Weg der Kanonisierung in der Schaffung einer allgemein-verbindlichen heiligen Schrift beschritten, in dieser Zeit rückte der Tempel zum Mittelpunkt des religiösen Lebens und zum zentralen Symbol weitgespannter Hoffnungen auf und in dieser Zeit entstand ein eschatologischer Erwartungshorizont, der die Grenzen der politischen Geschichte und der menschlichen Existenz immer deutlicher übersprang. Die Lebendigkeit des theologischen Diskurses gerade in der nachexilischen Zeit zeigt sich in einer Vielzahl von „theologischen Strömungen", die von der Forschung schon seit langem in den Texten dieser Zeit wahrgenommen worden sind. Deuteronomistische, priesterliche, chronistische, weisheitliche, prophetische und psalmistische Traditionen stehen sichtbar neben- und gegeneinander und überkreuzen sich mannigfach. Ihre Vielfalt ist so groß, daß es bis heute schwerfällt, sie religionsgeschichtlich angemessen zu ordnen und sozialgeschichtlich zu verorten. G r o ß e n Einfluß hat das bipolare M o d e l l v o n O . P l ö g e r ausgeübt. 7 Er sieht die ganze nachexilische Religionsgeschichte v o m Gegenüber zweier großer Traditionsströme beherrscht: der theokratischen Tradition, die vor allem in der Priesterschrift, aber auch in der Chronik ihren Ausdruck findet und von den offiziellen Kreisen der nachexilischen Restauration getragen wird, und der eschatologischen Tradition spätprophetischer Texte (Joel 3 f., Sach 1 2 - 1 4 ; Jes 2 4 - 2 7 ) , die von kleinen Konventikeln entwickelt wird. D i e s e können als Vorläufer der in den Makkabäerbüchern erwähnten Chasidim ('Asidaioi l . M a k k 2,42; 7,13; 2 . M a k k 14,6) gelten, die nach Plöger Träger des apokalyptischen Danielbuches gewesen sind. Obgleich dieses Modell vielfache Aufnahme und Variationen erfahren hat, 8 ist es viel zu simpel, um die Vielzahl der religionsgeschichtlichen Entwicklungen angemessen zu beschreiben. Wichtige Traditionslinien wie die deuteronomistische und die Weisheits-Tradition bleiben unberücksichtigt.

6

Das gilt insbesondere für die neuere Pentateuchdiskussion; vgl. den neuesten Entwurf von E.Blum, Komposition (s.o. 4.3), 392ff.; 461 ff., und ders., Studien, 357, mit dem ein großer Teil der Texte, die traditionell der Pentateuchquelle J aus dem 10./9. Jh. zugewiesen wurden, in die frühnachexilische Zeit (1. Hälfte 5.Jh.) rutscht („vor-priesterliche Komposition K D "). 1 Theokratie und Eschatologie, bes. 129 ff. 8 Vgl. H.D.Mantel, Dichotomy; P.D.Hanson, Dawn; ders., Religion u.a.m. Bei Hanson kommt noch die fragwürdige Frühdatierung der Albright-Schule hinzu; zur Kritik vgl. J.Blenkinsopp, Interpretation, 13; F.Crüsemann, Israel, 212 f.

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Darum hat O.H.Steck versucht, Plögers Grundmodell zu erweitern und geschichtlich zu differenzieren. 9 Der theokratischen Position ordnet er neben der Priesterschrift auch die Nehemia-Denkschrift, die Haggai-Redaktion, die Jerusalemer Kulttradition und die Weisheitsströmungen zu. Für sie hat sich im Wiederaufbau des Tempels die Heilswende vollzogen. Die eschatologische Position, die die Heilswende erst noch in der Zukunft erwartete, sieht er dagegen nicht nur von der spätprophetischen, sondern auch von der „deuteronomistischen Strömung" vertreten. Doch bei diesem einfachen Gegenüber blieb es nach Stecks Meinung nicht, sondern es kam zu mehrfachen Verbindungen: Die Kanonbildung beurteilt er als theokratische Rezeption der dtr. Geschichtsüberlieferung. Und dem chronistischen Geschichtswerk schreibt er eine ähnlich integrative Bedeutung zu. In spätpersisch-hellenistischer Zeit habe sich zudem einerseits die prophetische Strömung der Jerusalemer Kulttradition (Jes 24-27; Joel 3 f., Deutero-Tritojesaja) geöffnet, andererseits die Weisheitstradition auch der prophetischen Strömung (JesSir). Und schließlich sei es in seleukidischer Zeit zur „antihellenistischen Koalition" der Asidäer gekommen, in der die eschatologische Strömung unter Führung der Weisheitstradition in die Apokalyptik einmündet. Dieses komplizierte „Strömungsdiagramm" wird zweifellos dem vielschichtigen Befund in den Texten besser gerecht, auch wenn eine Reihe von Ungereimtheiten bleibt.10 Um nur ein Beispiel zu nennen: Wie ist es zu erklären, daß Nehemia, den Steck zum Exponenten der theokratischen Tradition macht, in seinem Gebet (Neh 1,5-11) und auch sonst (13,26) ganz offensichtlich die dtr. Geschichtssicht teilt? Außerdem verzichtet Steck fast völlig darauf, seine „Strömungen" und Mischungen sozialgeschichtlich einzuordnen und plausibel zu machen." Demgegenüber bemühte sich F.Crüsemann, die religionsgeschichtlichen Entwicklungen der frühnachexilischen Zeit fest an sozialgeschichtliche Gegebenheiten zu koppeln. Er bestreitet — mit Recht — die Existenz einer Theokratie für die Perserzeit und entwickelt abweichend von O.Plöger ein tripolares Modell:12 Ausgehend vom Befund in der Nehemia-Denkschrift (Neh 5; 6,7.14), rekonstruiert er drei Gruppen: Eine starke Mittelgruppe bildet die Masse der kleinen, freien Bauern. Sie findet Unterstützung aus Kreisen der Gola (Nehemia) und ist nach Crüsemann fest mit der Priesterschaft verbündet. Diese Koalition steht hinter der Ausbildung des Pentateuch, der einerseits einen Kompromiß der Interessen der Priester- und verschuldeten Bauernschaft bietet, andererseits aber auch in seinen erzählerischen Partien (bes. Vätergeschichte) die Situation der Gola berücksichtigt. Die mit Unterstützung der Perser durchgesetzte Tora ist nach Crüsemanns Meinung bewußt unprophetisch. Daneben steht als zweite Gruppe die örtliche Aristokratie. Sie unterwirft sich nicht den Sozialgesetzen der Bruderschaftsethik, sondern entwickelt mit ihrer Weisheits-

' Das Referat folgt seiner neueren Darstellung, Strömungen, 310-315; vgl. bes. das Schaubild, 314. 10 Z.B. finden Haggai und Sacharja in dem Modell keinen Platz, da sie eine auf den Tempel („Theokratie") bezogene Perspektive repräsentieren. Die Zuordnung der dtr. Tradition zur „Eschatologie" bleibt schwierig, da sie nach Ausweis von Dtn 18,9-20; 34,10 f. eher ein kritisches Verhältnis zur Prophetie hat, vgl. auch Nu 11 f. und E.Blum, Studien, 194 ff., und den dtr. Rahmen des Protosacharjabuches (Sach 1,1-6; 7,4-14; 8,14-18). 11 Zumeist verzichtet Steck ganz auf die Rückfrage nach den Trägergruppen, zuweilen ordnet er Vertreter der alternativen Positionen ein und derselben Gruppe zu (so 310 Deuterojesaja und 311 f. die „Weisheitsströmung" den Tempelsängern). 12 Israel, 212-221.

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theologie eine Ethik an der Tora vorbei. Sie ist antieschatologisch eingestellt und offen gegenüber Fremden und anderen Völkern (Hi; Jona). Die dritte Gruppe läßt sich dagegen nur schwer fassen; es sind prophetische Konventikel, die gegen den Kompromiß, den die anderen beiden Gruppierungen mit der persischen Macht geschlossen haben, ihre eschatologischen Erwartungen auf einen politischen und sozialen Umsturz setzen. Sie rekrutieren sich vielleicht aus Teilen der landbesitzlosen Unterschicht und der Intellektuellen. Das Modell Crüsemanns steht gegenüber dem O.H.Stecks auf sehr viel festeren Füßen. Dennoch scheint auch es noch zu grobrastig zu sein: Crüsemann selber hat schon vermutet, daß zur Aristokratie auch „Teile der höheren Priesterschaft" gehörten. 13 Und so treffen wir Mitglieder höchster Priesterkreise ja auch gerade unter den Gegnern Nehemias an (13,10 ff.). Es können darum nur Teile der Priesterschaft gewesen sein, die nach Ausweis von Lev 19; 25 um den Schutz der Kleinbauernschaft bemüht waren.14 Andererseits gehört Nehemia eindeutig zur Aristokratie, die sich zu einem Teil wiederum nach Ausweis von Hi 29,12 ff.; 31,13 ff. sehr wohl an die „Bruderschaftsethik" gebunden sah und selbstlos gegen die Verelendung der Kleinbauern ankämpfte.15 Auch hier werden wir also mit einer Aufspaltung der Oberschicht in mindestens zwei verschiedene Gruppen rechnen müssen. Schließlich ist zu fragen, ob die Weisheitstheologie auf der gleichen Ebene liegt wie die offizielle Glaubensgrundlage der Tora. Nehemia jedenfalls, der sich in öffentlichen Belangen der Tora verpflichtet weiß (Neh 5; 13,4 ff.), bewegt sich in seinen privaten Gebetswünschen offenbar in den Bahnen der frommen Weisheit.16 Nach dem von mir verwendeten Modell des religionsinternen Pluralismus müßte man die Weisheitstheologie somit auf die Ebene der persönlichen Frömmigkeit einordnen. Mein eigener Entwurf wird darum versuchen, die von F. Crüsemann vorgetragene Konzeption in Richtung der drei gestellten Fragen zu verfeinern. Die Aufsplitterung der offiziellen Jahwereligion in konkurrierende Traditionen bzw. Konzeptionen, die in der nachexilischen Epoche so augenfällig wird, läßt sich am ehesten als späte Folge des Zusammenbruchs der staatlichen und kultischen Institutionen von 587 verstehen. In der Exilszeit hatte die offizielle Jahwereligion ihre institutionelle Stütze verloren. Ihre Träger in der Exilszeit waren — abgesehen von den stellvertretend einspringenden Familien — informelle Theologengruppen gewesen, die ihre theologischen Konzeptionen mehr oder minder freischwebend und mehr oder minder theoretisch entwickelt hatten.17 Aus diesem exilischen Erbe standen auf der Ebene der offi13

Crüsemann will die Koalition aus Neh 5,12 ableiten (Israel, 213), was aber kaum möglich ist, weil hier die Priester nur den Eid abnehmen und damit im Konflikt als die Unparteiischen erscheinen, so mit Recht E.Blum, Studien, 359. E.Blum hat hier auch darauf aufmerksam gemacht, daß der Pentateuch nicht in dem Sinne Kompromiß ist, daß Priester und Kleinbauern jeweils ihre Interessen schützen (so F.Crüsemann, Israel, 215). Vielmehr finden sich soziale Schutzgebote gerade auch in den priesterlichen Texten. Im Pentateuch kommt somit eine priesterliche Reformgruppe zum Zuge, die nicht nur ihre Interessen, sondern auch soziale Belange im Auge hat. 14 S.u. 517 f. 15 Gegen seine Feststellung Israel, 220. 16 Die ganz selbstverständliche Vergeltungsvorstellung in Neh 5,19; 13,14.22.31 erinnert an Hi 29,18 f. und die Auffassung der Freunde Hiobs vom Gebet; vgl. Hi 5,8 ff.; 22,21 ff. 17 S.o. 376 f.

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ziellen Jahwereligion in der frühnachexilischen Zeit mindestens drei konkurrierende Entwürfe zur Verfügung, die bei der Neugestaltung des judäischen Gemeinwesens um Einfluß rangen: die dtr. Theologie in ihren verschiedenen Spielarten (DtrG, JerD), die priesterliche Reformtheologie (Ezechiel-Schule) und die exilische Heilsprophetie (Deuterojesaja-Schule u.a.). Diese konnten aber nur partiell eine Basis in den neu geschaffenen Institutionen finden, die dtr. Theologie etwa im Laienkollegium und die priesterliche Reformtheologie im Priesterkollegium der judäischen Selbstverwaltung,18 die Heilsprophetie nur kurze Zeit im Rahmen des Tempelbaus (Hag, Sach). Sie blieben auf Fraktionen bzw. mehr oder minder kleine Gruppen von Aktivisten beschränkt, die für die Realisierung ihrer theologischen Konzeptionen innerhalb ihrer Gremien bzw. in der Bevölkerung werben mußten. Die Gründe dafür sind in zweierlei Richtung zu suchen: Erstens haftete allen exilischen Entwürfen ein utopisches Potential an — besonders Deuterojesaja, aber auch Ez 40-48, JerD und sogar DtrG —, das sich unter den beengten politischen und harten ökonomischen Bedingungen der frühnachexilischen Zeit nur zum geringsten Teil in die Realität umsetzen ließ. Sie konnten in dieser Form darum gar nicht zum Allgemeingut, sondern mußten selektiert bzw. angepaßt werden. Und zweitens fehlte es den Trägergruppen — da eine Restitution des Königtums nicht gelang — an der politischen Macht, ihre jeweilige Konzeption gegen die anderen als die alleinige offizielle Jahwereligion durchzusetzen. Sie waren weitgehend auf Überzeugungsarbeit und Konsensbildung zwischen den unterschiedlichen Interessen angewiesen. Wir werden darum in nachexilischer Zeit innerhalb der verschiedenen Institutionen (Ältestenrat, Priesterkollegium) und innerhalb der gesellschaftlichen Schichten (Aristokratie, Kleinbauern, Landlose) zwischen der Minderheit der eigentlichen Träger der offiziellen Theologien und der Mehrheit der mehr oder minder halbherzigen Mitläufer oder sogar Gegner zu unterscheiden haben. Die aus der Exilszeit ererbte Aufsplitterung setzte nun in der weiteren Entwicklung der offiziellen Jahwereligion der nachexilischen Zeit zwei gegensätzliche Bewegungen in Gang: die der Integration und die der Desintegration. Das wichtigste Beispiel für die Integration ist die Kanonbildung. Die — wahrscheinlich unter persischem Druck — im 5. Jh. geschaffene Tora ist ein Kompromiß zwischen den Anhängern der dtr. und der priesterlichen Theologie, welche die religiöse Identität und rechtliche Basis des judäischen Gemeinwesens im Sinne der beiden herrschenden Gruppierungen sichern sollte. Dadurch wurde zum ersten Mal ein schriftliches Dokument geschaffen, das die offizielle Jahwereligion — allerdings in der Form eines spannungsreichen, geronnenen Dialoges — normieren sollte. Wichtigste Folge dieser Normierung war es, daß die Königstheologie weitgehend ausgeschlossen wurde 19 und die Prophetie nur innerhalb des vom Gesetz um18

S.u. 473. Die einzigen Hinweise auf ein zukünftiges (!) Königtum finden sich in den Bileamsprüchen Nu 24,17 ff. 19

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schriebenen Rahmens Anerkennung behielt. Ein weiteres Beispiel eines integrativen Konzeptes war dann im ausgehenden 4. und beginnenden 3. Jh. das Chronistische Geschichtswerk, das dem davidischen Königtum unter kultischer Perspektive und einer „gebändigten" Prophetie wieder einen wichtigen Platz in der offiziellen Geschichtssicht einräumte. Erst im Gefolge dieser weitausgreifenden Integrationsbemühung erhielt schließlich auch der die Königszeit umfassende Teil des DtrG (Jos-2.Kön) im Zuge der Kanonisierung der Propheten im 3. Jh. allgemeine Anerkennung. Das wichtigste Beispiel der Desintegration hängt eng damit zusammen. Nach dem weitgehenden Fiasko, das die exilische und frühnachexilische Heilsprophetie erlitt, 20 wurde die Prophetie, die in der Exilszeit und während des Wiederaufbaus des Tempels breite offizielle Anerkennung genossen hatte (Hag, Sach), aus Gründen politischer Opportunität und der wirtschaftlichen Interessen der tonangebenden Gruppen wieder in die Rolle der Oppositionstheologie auf gesellschaftliche Randgruppen abgedrängt. Während sie von der priesterlichen Reformpartei völlig übergangen wurde (vgl. P), erhielt sie — auf der Linie der dtr. Prophetenbearbeitungen — von der laizistischen dtr. Partei immerhin eine begrenzte Anerkennung. 21 Verbannt in die gesellschaftliche Marginalisierung, stießen diese kleinen prophetischen Gruppen in Studium, Auslegung und Neuinterpretation älterer Prophetenschriften zur Konzeption eines eschatologischen, Welt und Gesellschaft umstürzenden Handelns Gottes vor. Dabei gewannen Elemente der Königsund Tempeltheologie in eschatologischer Brechung erstmals eine revolutionäre, subversive Funktion. Wegen ihrer politischen Brisanz unterdrückt, wurden diese umstürzlerischen Erwartungen erst in der antihellenistischen Front der 2. Hälfte des 3.Jhs. als unverzichtbarer Teil der offiziellen Jahwereligion allgemein akzeptiert (Prophetenkanon). In der neuen Ausprägung einer apokalyptischen Widerstandstheologie erhielten sie in den Religionskriegen des 2.Jhs. noch einmal kurzzeitig zentrale öffentliche Bedeutung, um danach wieder schnell ins gesellschaftliche Abseits zu geraten. Ein weiteres Merkmal der nachexilischen Zeit ist es, daß sich die in der Exilszeit eingeleitete Annäherung von offizieller Religion und persönlicher Frömmigkeit weiter fortsetzte. Da von einem geschichtlichen Handeln Jahwes infolge andauernder politischer Abhängigkeit von den Großmächten kaum noch etwas zu spüren war, griff die offizielle Religion zunehmend auf die kreatürliche Vertrauensbasis der persönlichen Frömmigkeit zurück. 22 Andererseits wirkten die Auseinandersetzungen innerhalb der offiziellen Religion auf die persönliche Frömmigkeit ein.23 Die Kanonisierung der Tora etwa erzeugte mit der Zeit in den Gruppen, die sich ihr als die „Frommen"

»

S.u. 480 ff. Vgl. die korrigierenden Redaktionen des Haggai- und Sacharjabuches, s.o. Anm. 10. " Vgl. Ps 33,20.22; 90; 123; 126. " So z.B. im abgrenzenden Vertrauensbekenntnis, Ps 115,9 par 62,6-8; 94 vgl. dazu R.A1bertz, Frömmigkeit, 190 ff. und unten 556. 21

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Offizielle Religion

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Persönliche Frömmigkeit

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ganz bewußt unterstellten, eine regelrechte Tora-Frömmigkeit, in der das Gesetz zum Unterpfand der persönlichen Vertrauensbeziehung zu Gott wurde (z.B. Ps 119). Im Zusammenhang mit dieser Annäherung kam es in der nachexilischen Zeit zu einer Theologisierung und Aufspaltung der persönlichen Frömmigkeit. In der Oberschicht, die sich in ihrer Lebensführung schon seit der Königszeit an weisheitlichen Maximen orientiert hatte, entwickelte deren „frommer", solidarischer Teil eine regelrechte persönliche Weisheitstheologie, die sogenannte „Theologisierte Weisheit", wie sie besonders in Prov 1-9 und dem Hiobbuch zum Ausdruck kommt. In der Unterschicht entwickelte sich dagegen auf der Basis der Klage- und Danklieder eine explizite Armenfrömmigkeit, in welcher Gruppen das eschatologische Erwartungspotential in ihr persönliches Gottesverhältnis ein- und gegen den sie bedrückenden Teil der Oberschicht (d.h. „die Frevler") zur Geltung brachten (vgl. Ps 9 f.; 12; 22 u.ö.). Doch läßt sich in der spätnachexilischen Zeit auch hier eine Gegenbewegung erkennen: Die Sammlung der Psalmen bzw. die Bildung des dritten Kanonteils läßt das Bemühen erkennen, den verschiedenen Frömmigkeitstypen innerhalb der Jahwereligion gleichberechtigt Raum zu geben. Die für die nachexilische Zeit so typische Dialektik von Aufsplitterung und Vereinigung setzte sich somit auch auf der Ebene der Kleingruppenreligion fort.

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Die eigentümliche Dialektik von Aufsplitterung und Integration in der Religionsgeschichte der nachexilischen Zeit hat direkt etwas mit den politischen und sozialgeschichtlichen Entwicklungen der persischen Zeit zu tun. Entscheidend ist dabei die Tatsache, daß Israel keine staatliche Restauration 1 nach vorexilischem Muster erreichte, sondern unter dem Druck der politischen Gegebenheiten zu einer neuen Form des Gemeinwesens fand, die sich eher an vorstaatlichen Strukturen orientierte. Diese Tatsache stand aber nun nicht von vornherein fest, sondern war eine Folge der persischen Reichspolitik und interner Auseinandersetzungen und Entscheidungen. Die Eroberung Babylons durch Kyros 539 brachte für die Judäer in Babylonien und Palästina nicht die triumphale Wende, welche die Deuterojesaja-Gruppe angekündigt hatte, sondern nur einen Wechsel der Oberherrschaft. Sie brachte aber insofern eine Wende, als die Perser zur Sicherung ihrer Herrschaft eine andere Politik als die Babylonier und Assyrer gegenüber den unterworfenen Völkern ihres Weltreiches einschlugen, die nicht mehr auf Zerschlagung, sondern Achtung und sogar Förderung deren kultureller und religiöser Identität aus war. Sie verzichteten auf Deportationen und sorgten sich um die Restitution lokaler Kulte.2 So ist es nicht unwahrscheinlich, daß Kyros schon im ersten Jahr seiner Regierung die Herausgabe der geraubten Tempelgeräte verfügte und eine Delegation unter Leitung von Scheschbazzar beauftragte, 3 sie nach Jerusalem zurückzubringen (Esr 1,7-11). Möglicherweise genehmigte er auch schon den Wiederaufbau des Tempels mit staatlicher Unterstützung (Esr 6,1-5) und eröffnete den Exulanten grundsätzlich die Möglichkeit zur Rückwanderung. 4 Für die Judäer in Babylonien und Palästina stellte sich damit die Entscheidungsfrage, ob sie diese recht begrenzte Chance zu einem gemeinsamen Neuanfang, die ihnen die persische Reichspolitik bot, annehmen wollten oder nicht. Und die 18 Jahre, die bis zur Aufnahme des Tempelbaus ver1 Der Begriff „Restauration", der vielfach zur Bezeichnung der friihnachexilischen Geschichte gebraucht wird, ist darum fragwürdig; so zu Recht F.Crüsemann, Geschichte, 163. 2 Vgl. H.Donner, Geschichte, 393 ff.; zum theologischen Hintergrund dieser Politik s. K.Koch, Weltordnung, 5 5 ff. 3 Der offensichtliche Mißerfolg seiner Mission und der geringe Eindruck, den sie in der Erinnerung hinterlassen hat (vgl. Esr 5,14.16), sprechen eher dagegen, ihn mit dem Davididen Schenazzar (l.Chr 3,18) gleichzusetzen; vielleicht war er Babylonier und fand deswegen keine Akzeptanz. 4 Zur Problematik des „Kyros-Edikts" vgl. K.Galling, Studien, 61 ff.

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strichen, machen es wahrscheinlich, daß eine positive Antwort für die meisten keineswegs auf der Hand lag.5 Da waren auf der einen Seite politische Bedenken: War der Preis, sich bei einem solchen Deal dauerhaft loyal an die persischen Machthaber zu binden, nicht zu hoch, werden sich die stärker national ausgerichteten Gruppierungen (etwa um DtrG und Ez) gefragt haben, die auf eine volle staatliche Restitution gehofft hatten. Und da waren auf der anderen Seite ökonomische Hemmnisse: Angesichts der ärmlichen wirtschaftlichen Lage (vgl. Hag 1,6.9-11; Sach 8,10) in Palästina erschien vielen Exulanten ihre berufliche Chance in Babylonien weitaus attraktiver. Und bei den Daheimgebliebenen löste die Vorstellung, daß eine große Anzahl von Exulanten zurückströmen und ihre angestammten Eigentumsrechte geltend machen würde, sicher auch nicht gerade Begeisterungsstürme aus. W