Kirchenasyl und staatliches Recht [1 ed.] 9783428498970, 9783428098972

Das sogenannte Kirchenasyl, also die Gewährung einer Schutzmöglichkeit für Verfolgte vornehmlich innerhalb von Kirchen-

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Kirchenasyl und staatliches Recht [1 ed.]
 9783428498970, 9783428098972

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Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft

Band 129

Kirchenasyl und staatliches Recht Von

Christoph Görisch

Duncker & Humblot · Berlin

CHRISTOPH GÖRISCH

Kirchenasyl und staatliches Recht

Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft Herausgegeben im Auftrag der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster durch die Professoren Dr. Hans-Uwe Erichsen Dr. Helmut Kollhosser Dr. Jürgen Welp

Band 129

Kirchenasyl und staatliches Recht

Von

Christoph Görisch

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Görisch, Christoph: Kirchenasyl und staatliches Recht / von Christoph Görisch. Berlin : Duncker und Humblot. 2000 (Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft; Bd. 129) Zugl.: Münster (Westfalen). Univ.• Diss .• 1998 ISBN 3-428-09897-8

D6 Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH. Berlin

Fremddatenübemahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH. Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5383 ISBN 3-428-09897-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 1998/99 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster angenommen wurde. Sie befindet sich - auch orthographisch - auf dem Stand von Ende Juli 1998. Nicht mehr berücksichtigt wurden daher insbesondere Gabriela Stukenborgs Arbeit über das "Kirchen asyl in den Vereinigten Staaten von Amerika" sowie die im Erscheinen begriffenen Arbeiten von Jochen Grefen über das "Kirchenasyl im Rechtsstaat: Christliche Beistandspflicht und staatliche Flüchtlingspolitik" und von Markus H. Müller über "Rechtsprobleme beim ,Kirchenasyl'''. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle zuallererst sehr herzlich bei Herrn Prof. Dr. Bodo Pieroth, und zwar nicht nur für die engagierte und inspirierende Betreuung dieser Arbeit, sondern ebenso für die langjährige, weitreichende Förderung, die er mir auch darüber hinaus in vielfältiger Weise hat zukommen lassen. Weiterhin danke ich Herrn Prof. Dr. Dirk Ehlers für die kurzfristige Erstellung des Zweitgutachtens und einige wertvolle Hinweise. Den Herausgebern der Schriftenreihe "Münsterische Beiträge zur Rechtswissenschaft" bin ich für die Aufnahme der Dissertation in diese Reihe, der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster für die Gewährung eines Druckkostenzuschusses, dem Verlag für Entgegenkommen bei der Herstellung zu Dank verpflichtet. Für die Bereitstellung von unveröffentlichtem oder schwer zugänglichem Material habe ich insbesondere den Herren Prof. Dr. Gerhard Robbers, Hermann Uihlein, Martin Rapp und Markus H. Müller sowie dem schweizerischen Bundesamt für Justiz, dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und der Zeitschrift ,,Publik-Forum" zu danken. Weiterführende Diskussionen zu verschiedenen Einzelproblemen der Arbeit habe ich mit Herrn Dr. Fridtjof Filmer geführt, dem ebenfalls herzlich gedankt sei. Und auch meinen Eltern möchte ich Dank sagen - für tatkräftige Mithilfe bei der Materialsammlung und für all ihre Unterstützung, die sie mir nicht nur in den Jahren der Entstehung dieser Arbeit gewährt haben. Ein ganz besonderer Dank gilt schließlich Herrn Prof. Dr. Klaus Schlaich für seine Anteilnahme am Fortgang dieser Arbeit, weitergehende Förderung, insgesamt für die unvergeßliche Zeit, die ich am Kirchenrechtlichen Institut der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn verbringen durfte. Dort konnte diese Arbeit unter optimalen Bedingungen entstehen. Münster, im April 1999

Christoph Görisch

Inhaltsverzeichnis Einleitung .............................................................................

19

A. Ausgangspunkt ..................................................................

19

B. Tenninologische Klärung des Untersuchungsgegenstandes .......................

20

C. Zum Gang der Untersuchung ....................................................

22

1. Teil Kirchenasyl und einfaches Recht

I. Kapitel: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

A. Die Zulässigkeit von Ergreifungsmaßnahmen gegen Kirchenasylflüchtlinge ......

25

I. Verwaltungsrechtliche Ergreifungsmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

I. Aufenthaltsbeendende Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

a) Abschiebung ..........................................................

26

aa) Abschiebungsvoraussetzungen ....................................

26

(I) Positive Abschiebungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

(2) Hinderungsgründe.............................................

27

(a) Duldung ..................................................

28

(b) Duldungsgrund ............................................

29

(aa) Staatskirchenvertragliches Kirchenasylrecht als Duldungsgrund ..........................................

29

(bb) Gewohnheitsrechtliches Kirchenasylrecht als Duldungsgrund ..........................................

32

bb) Rechtsfolge .......................................................

33

cc) Richtervorbehalt ...................................................

34

b) Zutilckschiebung .............................................. . .......

34

c) Abschiebungs- oder Zurückschiebungshaft .............................

35

aa) Voraussetzungen der Haftanordnung ...............................

36

(I) Haftgrund i. S. d. § 57 11 lAusiG .............................

36

8

Inhaltsverzeichnis (a) Aufenthaltswechsel ohne Anschriftangabe. § 57 11 1 Nr. 2 AuslG ..................................... , ........ .......

37

(b) Entziehung in sonstiger Weise. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG ......

37

(c) Verdacht einer Entziehungsabsicht. § 57 11 I Nr. 5 AuslG ..

41

(aa) Tatsächliche Flucht ins Kirchenasyl ..................

43

(bb) Beabsichtigte Flucht ins Kirchenasyl .................

44

(d) Versäumung eines Abschiebungstermins. § 57 11 1 Nr. 3 AuslG ..... ....... ........ ... ...... .............. ..........

45

(e) Unerlaubte Einreise. § 57 11 1 Nr. 1 AuslG .................

45

(2) Durchführbarkeit der Abschiebung ............................

45

bb) Rechtsfolge ............................................... . .......

48

cc) Vollstreckung der Haftanordnung ..................................

48

2. Soldatenrechtliche Maßnahmen ..........................................

50

3. Maßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts ................

51

11. Strafprozessuale Ergreifungsmaßnahmen ...................................

53

I. Untersuchungshaft ............................ . .................... . .....

a) Voraussetzungen des Haftbefehls .............................. . .......

53 54

aa) Dringender Tatverdacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

bb) Bestehen eines Haftgrundes .......................................

54

(1) Flucht. § 11211 Nr. I StPO ............................ . .......

54

(2) Fluchtgefahr. § 11211 Nr. 2 StPO ..............................

55

(3) Andere Haftgründe ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

cc) Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft........................

56

(1) Einschränkung der Untersuchungshaft bei geringer Strafdrohung. § 113 StPO .............................................

56

(2) Allgemeiner Verhältnismäßigkeitsgrundsatz für die Untersuchungshaftanordnung. § 112 I 2 StPO .........................

57

(3) Aussetzung des Haftbefehlsvollzugs. § 116 StPO ..............

57

b) Rechtsfolge ............................................................

58

c) Vollstreckung des Haftbefehls .........................................

58

d) Vorläufige Festnahme .................................................

58

2. Vorführung ...............................................................

60

3. Maßnahmen der Strafvollstreckung.......................................

60

B. Die Zulässigkeit von mittelbaren Beendigungsmaßnahmen gegen Kirchenasylgewährer........ ........ ... ...... ...... ................. ...... ...... ........ .......

61

I. Verwaltungsrechtliche Maßnahmen .........................................

61

I. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

Inhaltsverzeichnis

9

2. Voraussetzungen

63

3. Richtervorbehalt ..........................................................

65

4. Rechtsfolge ..............................................................

65

5. Durchführung ............................................................

66

11. Strafprozessuale Maßnahmen ...............................................

68

1. Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

2. Voraussetzungen .........................................................

69

3. Richtervorbehalt ..........................................................

70

4. Rechtsfolge ..............................................................

71

5. Durchführung .............................................................

72

2. Kapitel: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

A. Strafbarkeit des Kirchenasylflüchtlings ..........................................

73

I. Tatbestandsmäßigkeit ........................................... . . . . . . . . . . . .

73

11. Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

1. Formlose Duldung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

2. Notwehr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

3. Notstand .................................................................

77

a) Notstandslage .........................................................

78

b) Notstandshandlung .............................................. . .....

81

c) Erforderlichkeit der Notstandshandlung ................................

82

d) Wesentliches Überwiegen des von § 34 StGB geschützten Interesses ...

82

111. Schuld ..................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

I. Verbotsirrtum ............................................................

84

2. Entschuldigender Notstand ...............................................

85

IV. Strafverfolgung .............................................................

86

B. Strafbarkeit des Kirchenasylgewährers .......................................... .

86

I. Tatbestandsmäßigkeit .......................................................

86

1. Die einzelnen Straftatbestände und ihre gesetzlichen Voraussetzungen ....

87

a) Teilnahme.............................................................

87

aa) Anstiftung ........................ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

bb) Beihilfe ...........................................................

88

Inhaltsverzeichnis

10

91

b) Täterschaft aa) Einschleusung ........................................... . . . . . . . . . .

92

bb) Begünstigung .....................................................

94

cc) Strafvereitelung ...................................................

96

dd) Weitere Straftatbestände ............................... . . . . . . . . . . . .

99

2. Sozialadäquanz als Tatbestandsausschlußgrund ........................... 100

11. Rechtswidrigkeit . ... ... . . . .. . ... .. . ... . . . .. ... ...... ... . . . .... . . ..... . . . .... 104 111. Schuld ...................................................................... 107 1. Verbotsirrtum ............................................................ 107 2. Entschuldigender Notstand ................. . ............................. 107 IV. Strafverfolgung............................................................. 109

2. Teil

Kirchenasyl und Verfassungsrecht 3. Kapitel: Das Grundrecht auf Asyl als Grundlage eines Kirchenasylrechts . . . . . . . . . . . . 111 A. Eingriff in den Schutzbereich des Asylgrundrechts ............................... 111 I. Bestandsaufnahme .................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

II. Der Begriff •.Asylrecht" i. S. d. Art. 16a I GG ............................... 114 III. Das Verhältnis von Kirchenasyl und staatlichem Asylverfahren ............. 115 I. Die Bedeutung des Körperschaftsstatus der Kirchen im Hinblick auf das Asylgrundrecht ........................................................... 115 2. Kirchenasyl als subsidiäre Gewährleistung des Asylgrundrechts .......... 117 B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs ................ 121

4. Kapitel: Die Unverletzlichkeit der Wohnung als Grundlage eines Kirchenasylrechts 123 A. Eingriff in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung.... .. ... . .. ... . 123 I. Bestandsaufnahme .................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

11. Der Wohnungsbegriff des Art. 13 GG ....................................... 125

Inhaltsverzeichnis

11

III. Kirchenasylbezogene staatliche Maßnahmen als Schutzbereichseingriff ..... 125 1. Die Grundrechtsberechtigung in bezug auf das von Art. 13 GG geschützte Kirchenasyl .............................................................. 126 2. Die Reichweite des Schutzes aus Art. 13 GG in Kirchenasylfallen ........ 127 B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs ................ 129

I. Bestandsaufnahme .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 129 11. Die Abgrenzung der Schranken des Art. 13 11 und VII GG .................. 131 III. Die Anwendung des Art. 1311 GG in Kirchenasylfällen ..................... 135 I. Die richterliche Entscheidung nach Art. 13 11, 1. Var. GG ................. 135 2. Die Ausnahmeregelung des Art. 13 11, 2. Var. GG ......................... 137

5. Kapitel: Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als Grundlage eines Kirchenasylrechts ............................................................................... 139 A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ...... 140

I. Bestandsaufnahme ..................................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 140 11. Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts............................ 141 1. Religion im verfassungsrechtlichen Sinne ................................ 142 2. Die geschützten Organisationsformen kirchlichen Handeins .............. 144 111. Eigene Angelegenheit der Religionsgemeinschaften......................... 146 I. Der Kreis der eigenen Angelegenheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 146 a) Abzulehnende Extrempositionen: Bestimmung der eigenen Angelegenheiten durch Gesetzgeber oder Religionsgemeinschaften............... 147 b) Vermittelnde Position: Zweckbeziehung als objektiver Auslegungsmaßstab unter Berücksichtigung des kirchlichen Selbstverständnisses ...... 149 2. Kirchenasyl als eigene Angelegenheit .................................... 154 a) Die Bedeutung des Kirchenasyls nach kirchlichem Selbstverständnis. . . 155 aa) Konkrete kirchliche Verlautbarungen zum Kirchenasyl ............ 157 bb) Kirchenrechtliche Beurteilung des Kirchenasyls ................... 158 (I) Kanonisches Recht .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 159 (2) Evangelisches Kirchenrecht ................................... 160

12

Inhaltsverzeichnis cc) Selbstverständnisbezogene Einzelfragen ........................... 165 (1) Kirchliche Stellungnahmen zur staatlichen Rechtslage .. . . . . . . . 165 (2) Verwendung des Begriffs Kirchen"asyl" ....................... 166 (3) Beanspruchung eines gewaltfreien Raumes.................... 168 (4) Ausnutzung eines staatlichen Respekts vor der Heiligkeit des Kirchenraumes ................................................ 168 b) Die Schlüssigkeit des kirchlichen Selbstverständnisses .. . . . . . . . . . . . . . . . 169 aa) Einordnung des Kirchenasyls in die Kirchentradition .............. 169 bb) Weitere Schlüssigkeitsaspekte ..................................... 172 (1) Zugehörigkeit des Kirchenasyls zu den karitativen Handlungen

173

(2) Biblische Begründbarkeit des Kirchenasyls ..... . . . . . . . . . . . . . .. 173 (3) Deckungsgleichheit von Kirchenasylgründen und staatlichen Asylgründen .................................................. 174 (4) Kirchliche Ablehnung des Kreuzes als Zwangsinstrument ..... 177 (5) Staatliche Anerkennung kirchlicher Obdachgewährung an Flüchtlinge ............................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 177 (6) Begründung des Kirchenasyls mit der Heiligkeit des Kirchenraumes ........................................................ 178 (7) Politisch motivierte Kirchenasylgewährung ................... 178 IV. Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes.......... . . . .......... . ........... 181 I. Bestandsaufnahme .......................................................... 181 11. Der Begriff des für alle geltenden Gesetzes ................................. 183 1. Heckeische Formel ....................................................... 183 2. Jedermann-Formel ....................................................... 184 3. Sonderrechts- und Abwägungslehre ...................................... 185 III. Die in Kirchenasylfällen einschlägigen Normen als für alle geltende, die Kirchenfreiheit beschränkende Gesetze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 I. Die schrankengesetzlich geschützten Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Rangverhältnis zwischen Kirchenfreiheit und schrankengesetzlich geschützten Rechtsgütem ................................................... 191 a) Allgemeines Rangverhältnis ........................................... 191

Inhaltsverzeichnis

\3

b) Spezielle verfassungsrechtliche Gesichtspunkte hinsichtlich eines eindeutigen Vorrangverhältnisses ......................................... 192 aa) Staatliches Asylgewährungsmonopol .............................. 192 bb) Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung ............................. 193 cc) Der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. . .. .. ... 197 dd) Der Körperschaftsstatus der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften ...................................................... 197 3. Erforderlichkeit einer Durchsetzung der Schrankengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Schutz der staatlichen Finanzkraft ..................................... 198 b) Schutz des Wohnungs- und Arbeitsmarktes ................... . ........ 201 c) Schutz der Integrationsfähigkeit ....................................... 202 d) Mittelbarer Schutz von staatlicher Finanzkraft, Wohnungs- und Arbeitsmarkt und Integrationsfähigkeit .. . .. .. . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . .. . . . . ... 202 4. Herstellung praktischer Konkordanz zwischen Kirchenfreiheit und Schrankengesetzen in Kirchenasylfällen (Abwägung Le.S.) ............... 203 a) Die Bedeutung des Kirchenasyls innerhalb der Kirchenfreiheit .. . . . . . .. 204 b) Unmittelbare Gegenüberstellung von Kirchenfreiheit und Schrankengesetzen: Kirchenasylgewährung zur Abwendung einer ernsthaft befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr als maßgebliches Abwägungskriterium .................................................................... 206 c) Weitere konkrete Voraussetzungen einer von der Kirchenfreiheit gegenüber den Schrankengesetzen vorrangig geschützten Kirchenasylgewährung ................................................................... 207 aa) Ausschöpfung aller staatlichen Rechtsschutzmöglichkeiten ........ 208 bb) Öffentlichkeit der Kirchenasylgewährung .......................... 211 cc) Aufenthalt in kirchlichen Räumen ................................. 212 dd) Ordnungsgemäßer Beschluß der zuständigen kirchlichen Organe. .. 213 ee) Keine besondere Schaffung von Einwanderungsanreizen ........... 214 5. Vom Ausgangsfall abweichende Kirchenasylkonstellationen .............. 218 a) Heiligkeit des Ortes als Kirchenasylgrund ............................. 219 b) Politisch motivierte Kirchenasylgewährung ............................ 219 c) Kirchenasylgewährung an inländische Flüchtlinge ........ . ............ 220 6. Prozessuale Aspekte bezüglich der von der Kirchenfreiheit gegenüber den Schrankengesetzen vorrangig geschützten Kirchenasylgewährungen ...... 221 7. Einfachrechtliche Auswirkungen des Kirchenasylschutzes durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ....................................... 223

14

Inhaltsverzeichnis

6. Kapitel: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts ............ . ... 226 A. Eingriff in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit ............................... 226 I. Bestandsaufnahme .......................................................... 226 11. Grundrechtsträgerschaft .................................................... 227 111. Der Schutzumfang der Glaubens(betätigungs)freiheit ....................... 228

1. Kultushandlungen ........................................................ 229 2. Kulturvölker-Formel ............................ . .............. . ... . ..... 229 3. Glaubensverpflichtung ................................................... 230 4. Glaubensbetätigung im umfassenden Sinne ............................... 231 5. Verhältnis von Art. 4 I GG und Art. 137 111 I WRV i. Y.m. Art. 140 GG ... 231 IV. Kirchenasylbezogene staatliche Maßnahmen als Schutzbereichseingriff ..... 233 B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs ................ 233 I. Bestandsaufnahme .......................................................... 233 11. Die Schranken der Glaubensfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 236

1. Schrankenleihe ........................................................... 236 2. Die Schrankenregelung des Art. 136 I WRV i.Y.m. Art. 140 GG .......... 236 111. Die kirchenasylrelevanten Bestimmungen als Schrankengesetze . . . . . . . . . . . .. 239 1. Übertragbarkeit der zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht vorgenommenen Güterabwägung ................................................... 240 a) Unterschiedliche Finanzkraft .......................................... 240 b) Unterschiedliche Bedeutungszumessung ............................... 241 c) Unterschiedliche Informationsmöglichkeiten ........................... 241 d) Unterschiedliche GrundeinsteIlung zum Staat .......................... 242 2. Einfachrechtliche Auswirkungen des Kirchenasylschutzes durch die Glaubensfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 243 7. Kapitel: Die Gewissensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts ............... 245 A. Eingriff in den Schutzbereich der Gewissensfreiheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 245 I. Bestandsaufnahme .......................................................... 245 11. Grundrechtsträgerschaft .................................................... 246 III. Der Schutzumfang der Gewissensfreiheit ................................... 247

1. Gewissensentscheidung .................................................. 247

Inhaltsverzeichnis

15

2. Geschützte Verhaltensmodalitäten ........................................ 248 a) Abwehr aufgezwungener Konflikte durch gewissensbedingtes Unterlassen .................................................................... 248 b) Gewissensbetätigung im individuellen Verantwortungsbereich ......... 250 c) Gewissensbetätigung im umfassenden Sinne........................... 251 IV. Kirchenasylbezogene staatliche Maßnahmen als Schutzbereichseingriff ..... 253 B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs ................ 254

I. Bestandsaufnahme .......................................................... 254 11. Die Schranken der Gewissensfreiheit ................... . ................... 254 1. Schrankenleihe ........................................................... 255 2. Die Schrankenregelung des Art. 136 I WRV i. V.m. Art. 140 GG .......... 255 III. Die kirchenasylrelevanten Bestimmungen als Schrankengesetze . . . . . . . . . .. .. 258 8. Kapitel: Weitere Verfassungsbestimmungen als Grundlage eines Kirchenasylrechts 260 A. Weitere Grundrechte .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 260 B. Das Widerstandsrecht des Art. 20 IV GG ........................................ 261

c.

Übergeordnete Verfassungsprinzipien ............................................ 262

Zusammenfassung ..................................................................... 266 Literaturverzeichnis ................................................................... 268 Sachwortverzeichnis ................................................................... 290

Abkürzungsverzeichnis Für nachfolgend nicht erläuterte Abkürzungen wird verwiesen auf das ,,Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache" von Hildebert Kirchner, 4. Aufl., Berlin, New York 1993.

abw.M,

abweichende Meinung

apf

Ausbildung, Prüfung, Fortbildung, Zeitschrift für die staatliche und kommunale Verwaltung

Apg

Apostelgeschichte Asylbewerberleistungsgesetz

AsylbLG AuAS Ausg.

Ausländer- und Asylrecht Schnelldienst Ausgabe

bes. bzw.

besonders beziehungsweise

C. CA ders. dies.

Causa Augsburgische Konfession (Confessio Augustana)

D.

DS epd EU EZAR FAZ FoR

FR Frhr. GFK

derselbe dieselbe(n) Distinctio Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt, zwischenzeitlich: Das Sonntagsblatt Evangelischer Pressedienst Europäische Union Entscheidungssammlung zum Ausländer- und Asylrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Forum Recht Frankfurter Rundschau Freiherr Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ( ..Genfer Flüchtlingskonvention")

GO

Grundordnung

ggf.

gegebenenfalls

HdbStKR

Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland

HdbStR Hervorh.

Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Hervorhebung Herder- Korrespondenz

HK Hrsg./ hrsg. i.E.

Herausgeber / herausgegeben im Ergebnis

Abkürzungsverzeichnis

i. e.

im einzelnen

i. S. (d.)

im Sinne (des! der)

Jes

Jesaja

KOO

Kirchengemeindeordnung

KNA

Katholische Nachrichten-Agentur

KuR

Kirche und Recht - Zeitschrift für die kirchliche und staatliche Praxis

Lfg.

Lieferung

Lit. L. Rev.

Literatur Law Review

m.

mit

Mt

Mattbäusevangelium

N., Nachw.

Nachweis(e)

o.

oben

o. J.

17

ohne Jahr

Orig.

Original

q.

Quaestio

Röm

Römerbrief

RV 1849

Verfassung des Deutschen Reiches vorn 28. März 1849 ("Paulskirchenverfassung")

s.

siehe

SchwStOB

Schweizerisches Strafgesetzbuch

sog.

sogenannte(n)

SZ

Süddeutsche Zeitung

taz

die tageszeitung

TRE TIhZ

Theologische Realenzyklopädie

u.

unten

u. a.

und anderen! unter anderem

Trierer Theologische Zeitschrift

üb.

über

v. v. a.

vorn! von

Var.

Variante

vor allem

VPB

Verwaltungspraxis der Bundesbehörden

z. z. B.

zur zum Beispiel

Ziff.

Ziffer(n)

zug\.

zugleich

2 Gocrisch

Einleitung A. Ausgangspunkt Das "berühmteste [ ... ] Beispiel für das Kirchenasyl"l ist kein reales, sondern ein literarisches: In seinem 1832 veröffentlichten Roman ,,Notre-Dame de Paris", dessen Handlung im Paris des ausgehenden 15. Jahrhunderts spielt, schildert Victor Hugo an zentraler Stelle zunächst konkret die Flucht der beiden Hauptfiguren Esmeralda und Quasimodo ins Kirchenasyl, um kurz darauf zur Erklärung den Gedanken des Kirchenasyls im mittelalterlichen Verständnis in allgemeinerer Form zu erläutern? Auf dieses Beispiel wird - mit unterschiedlicher Tendenz - noch in der aktuellen Diskussion um die rechtliche Beurteilung des Kirchenasyls in Deutschland Bezug genommen. Die kategorische Feststellung "Wir leben nicht mehr im Zeitalter des Glöckners von Notre-Dame,,3 steht dabei der sorgenvollen Frage "Quo vadis, Quasimodo?,,4 gegenüber. Die damit bereits angedeuteten Schwierigkeiten bei der Einordnung des Kirchenasyls in die grundgesetzliche Rechtsordnung spiegeln sich am deutlichsten in Presseüberschriften wider, die schlagwortartig diametral entgegengesetzte Positionen zu dieser Frage benennen: "Das sogenannte Kirchenasyl verletzt Gesetz und Verfassung"S einerseits, "Kirchenasyl kein Gesetzes-Verstoß"6 andererseits. In den widersprüchlichen Äußerungen kommen Unklarheiten zum Ausdruck, die nach einer vertieften Untersuchung der juristischen Dimension der mit dem Begriff "Kirchenasyl" verbundenen Erscheinung verlangen. Diese Erscheinung, die an eine lange, bis vor die Anfange unserer Zeitrechnung zurückreichende Tradition anknüpft,7 wurde in Deutschland zuletzt vor dem Hintergrund der Asylrechtsreform von 1993 in verstärktem Maße aktuell. 8 Daran hat auch die grundSo M. H. Müller; apf 1994,189 (190). Hugo, Notre-Dame de Paris, S. 454 ff., 473 f., in der deutschen Übersetzung Der Glöckner von Notre-Dame, S. 386 ff., 403 f. 3 So Bundesinnenminister Kanther laut Bericht in Welt am Sonntag vorn 15.5. 1994. 4 So der Titel des Beitrags von Winkler, FoR 1994, Nr. 3, S. 93. I

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Schoh, Welt arn Sonntag vorn 15.5. 1994. Schmude, EXPRESS vorn 16.5.1994. 7 Vgl. zur Geschichte des Kirchenasyls an dieser Stelle nur Landau, in: Asyl arn Heiligen Ort, S. 47 ff.; Wißmann, in: TRE, Band IV, S. 315 ff.; Falk, ebd., S. 318 f.; Landau, ebd., S.319ff. 5

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Einleitung

sätzliche Billigung dieser Reform durch das Bundesverfassungsgericht nichts geändert. 9 Von Anfang 1997 bis Anfang 1998 hielten sich nach Informationen der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche insgesamt 334 flüchtlinge in 92 Kirchenasylen auf, von denen 59 neu eröffnet wurden; al1e Zahlen sind im Vergleich zum Vorjahr leicht, im Vergleich zur Zeit vor 1993 deutlich angestiegen. 10 Die anhaltende Aktualität der Kirchenasylproblematik und die bislang al1enfal1s ansatzweise beantwortete juristische Frage nach der Einordnung des Kirchenasyls in die grundgesetzliehe Rechtsordnung Jl bilden den Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung. Deren Ziel ist dementsprechend die umfassende Klärung der mit der Gewährung bzw. Inanspruchnahme von Kirchenasyl in rechtlicher Hinsicht verbundenen Fragen.

B. Terminologische Klärung des Untersuchungsgegenstandes Der Begriff des Kirchenasyls als Untersuchungsgegenstand bedarf zunächst der terminologischen Klärung, da es keine einheitliche Definition dieses Begriffes gibt. 12 Im Rahmen einer erschöpfenden Untersuchung ist dabei von einem möglichst umfassenden Begriffsverständnis auszugehen, das al1e in diesem Zusammenhang stehenden Fal1gestaltungen erfaßt. Als der "wohl klassische Fal1" wird die Konstel1ation bezeichnet, daß eine Kirchengemeinde von Abschiebung (oder einer anderen aufenthaltsbeendenden Maßnahme) bedrohten Ausländern, vor al1em abgelehnten Asylbewerbern, in ihren 8 Vgl. die 0., S. 19 Fn. 3-6. genannten. sämtlich aus dem Jahre 1994 stammenden Nachw.• die einen exemplarischen Ausschnitt aus der zu diesem Zeitpunkt aufflammenden Diskussion um das Kirchenasyl darstellen. 9 Zu unmittelbaren Reaktionen auf die Asylrechtsurteile BVerfGE 94. 49 ff.; 115 ff.; 166 ff. im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik vgl. z. B. die Berichte in FAZ vom 17.5.19%. S. 6; SZ vom 17.5.1996. S. I und in HK 1996.274. 10 Vgl. zu den aktuellen Zahlen und den Vorjahreszahlen Rapp. Entwicklung der Kirchenasylinitiativen 1997/98. S. 2; daneben die Berichte in Der Spiegel Nr. 21/1998. S. 60 und in Junge Kirche 1998. 233 f.; ebenfalls von seiten der Bundesarbeitsgemeinschaft wurde Anfang 1993 für die vorangegangenen acht Jahre eine Gesamtzahl von mindestens 1900 Kirchenasylflüchtlingen in 95 Kirchengemeinden ermittelt. vgl. Just. in: Asyl von unten. S. 110 (\ 17f.). 11 Den ersten. allerdings keineswegs erschöpfenden Versuch einer monographischen Abhandlung dieser Frage hat im Jahre 1997 Andreas Siegmund mit seiner Konstanzer Dissertation über "Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls" unternommen. 12 Vgl. Just. in: Asyl von unten. S. 110 (\16); Niebch. in: Asyl am Heiligen Ort. S. 17 (39); ferner Ehnes. in: Das Recht der Kirche. Band III. S. 601 (61 \); Heimbach-Steins. Stimmen der Zeit 214 (\ 996).291 (294 f.).

B. Tenninologische Klärung des Untersuchungsgegenstandes

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Räumen Zuflucht gewährt. 13 Mit Blick auf die Person des Kirchenasylgewährers wird dafür gelegentlich der Ausdruck "Gemeindeasyl" vorgeschlagen. 14 Auf diese Konstellation, die die öffentliche ebenso wie die versteckte Zufluchtgewährung umfaßt,15 beziehen sich wohl auch die eingangs erwähnten statistischen Angaben ganz überwiegend. 16 Aber auch andere Fallgestaltungen sind unter den Begriff des Kirchenasyls einzuordnen: In Betracht kommt zum einen eine Inanspruchnahme von Kirchenasyl durch inländische Flüchtlinge, namentlich durch Personen, die strafrechtlicher Verfolgung ausgesetzt sind (z. B. fahnenflüchtige Soldaten)17. Diese Konstellation läßt sich sogar ebenfalls als der "klassische Sachverhalt" bezeichnen, nämlich in einem mehr historischen Sinne. 18 Als Kirchenasylgewährer kommen zum anderen außer Kirchengemeinden auch davon unabhängige Personengruppen und Einzelpersonen in Betracht. 19 Diesbezüglich findet vielfach die Bezeichnung "Privatasyl" Verwendung. 2o Wegen des sachlichen Zusammenhangs mit den zuvor genannten Fällen soll aber auch diese Konstellation unter den Begriff des Kirchenasyls (trotz der in13 Nagel, Flüchtlinge und "Kirchenasyl", S. 20; vgl. auch die Kirchenasyldefinition von Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 16, den von RadtkelRadtke. ZevKR 42 (997), 23 (24 f.) geschilderten "typischen, Kirchenasylfall"', den von Kardinal Sterzinsky. in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 12 zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen gemachten "Grundsachverhalt" bzw. "typische[n] Fall" und den "exemplarischen Kirchenasylsachverhalt" - so Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (74 Anm. 5) - von Grote I Kraus, JuS 1997, 345 [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 f.]. 14 SO Z. B. von W. Huber; in: Gerechtigkeit und Recht, S. 416. 15 Vgl. Uihlein. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 131 (145), der unter dem Begriff des "Kirchenasyl[s] im engeren Sinn" beide Fälle ausdrücklich erwähnt. Einschränkend hinsichtlich der tatsächlichen Häufigkeit versteckt gewährter Kirchenasyle in Deutschland äußern sich demgegenüber Radtke I Radtke. ZevKR 42 (1997),23 (25). 16 Vgl. lust. in: Asyl von unten, S. 110 (116 f.), der im übrigen - wie auch Rapp. Entwicklung der Kirchenasylinitiativen 1997/98, S. 2 - darauf hinweist, daß sich über die Zahl der versteckt gewährten Kirchenasyle von vornherein keine genauen Angaben machen lassen. 17 Dieser Fall wird besonders erwähnt von M. Heckel. in: HdbStKR, Band I, S. 157 (62); vgl. dazu ferner Mieth, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 97 (10). 18 lacobs. ZevKR 35 (990), 25 (35); vgl. auch Geis. JZ 1997,60 (61): ",klassische[s), Kirchenasyl"; weitergehend Robbers, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (23): sowohl der "historisch" als auch der "sachlich" typische Kirchenasylfall. 19 Vgl. exemplarisch zur schweizerischen "Aktion für abgewiesene Asylbewerber (AAA)" deren Initiator Zuber; in: Asyl von unten, S. 170 ff.; ausführlicher zu dieser Aktion auch Niebch. in: Asyl am Heiligen Ort S. 17 (36 f.); daran - unausgesprochen - anschließend Demand. Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestfonn, S. 25. Zur vergleichbaren, aber wohl in kleinerem Rahmen agierenden Bürgerinitiative "Asyl Regensburg" vgl. den Bericht in SZ vom 22./23. 3. 1997, S. 9, wo in diesem Zusammenhang auch der Vorschlag eines (etwa durch Parteien oder Gewerkschaften gewährten) Verbandsasyls erwähnt wird. 20 So bei Zuber; in: Asyl von unten, S. 179 (73); daneben z. B. bei Gramlich. in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (96); lacobs, ZevKR 35 (990),25 (34, 38); lust. in: Asyl von unten, S. 110 (17); Rothkegel. ZAR 1997, 121 023 f.); vgl. auch Leuninger; in: Auflehnung gegen Unmenschlichkeit, S. 97 (02): "Hausasyl".

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Einleitung

soweit nicht ganz passenden Wortbedeutung) eingeordnet und in die Untersuchung einbezogen werden. In diesen Zusammenhang gehört schließlich noch der Fall der Inanspruchnahme von Kirchenasyl gegen den Willen des Kirchenasylgewährers,21 der daher ebenfalls Berücksichtigung finden soll.

c. Zum Gang der Untersuchung Vor der Untersuchung verfassungsrechtlicher Fragen steht generell die Beurteilung des "sachnäheren" einfachen Rechts. Dieses ist trotz fehlenden Geltungsvorrangs immer vorrangig anzuwenden. 22 Verwehrt bereits das einfache Recht dem Staat ein Tatigwerden in Kirchenasylfällen, so erübrigt sich in der Praxis eine verfassungsrechtliche prüfung. 23 Durch eine Trennung von einfachrechtlicher und verfassungsrechtlicher Prüfung wird gleichzeitig deutlich, daß eS im Rahmen der einfachrechtlichen Untersuchung in erster Linie um die Rechtsgrundlagen eines staatlichen Tätigwerdens in Kirchenasylfällen und erst in zweiter Linie um einem solchen Tätigwerden entgegenstehende Rechtspositionen der vom staatlichen Handeln Betroffenen geht, die dann bei der verfassungsrechtlichen Untersuchung in den Vordergrund rücken. Zu beachten ist indessen, daß der Eingriffscharakter des Staatshandelns in Kirchenasylfällen eine gesetzliche Handlungsgrundlage im einfachen Recht überhaupt erst erforderlich macht. 24 Andererseits kann erst nach Feststellung der einfachrechtlichen Rechtslage geklärt werden, inwieweit diese bei Ermöglichung eines staatlichen Tätigwerdens mit dem Verfassungsrecht in Einklang steht. In jedem Falle muß die Möglichkeit eines höherrangigen Kirchenasylrechts schon im Rahmen der einfachrechtlichen Untersuchung berücksichtigt werden, sofern sich daraus einfachrechtliche Folgeprobleme ergeben. Ferner können auch im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik einfachrechtliche Normen relevant werden, die Ausprägungen spezieller verfassungsrechtlicher Gebote sind und sich daher generell nicht ohne Rückgriff auf das Verfassungsrecht anwenden lassen (z. B. eine einfachrechtliche Normierung eines verfassungsrechtlichen Richtervorbehaltes). Eine strikte Trennung zwischen einfachrechtlicher und verfassungsrecht21 Vgl. Ehnes. in: Das Recht der Kirche, Band I1I, S. 601 (607 f.). der sich - im Rahmen des Versuchs einer ausführlichen Phänomenologie des modemen Kirchenasyls - insoweit um eine exakte Unterscheidung von Kirchenasyl und bloßer Kirchenbesetzung (z. B. zu Demonstrationszwecken) bemüht. 22 Maurer. Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 42. § 8 Rn. 11; vgl. auch ausführlich Habermehl. Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 261 ff. 2J Vgl. allgemein Pierolh/Schlink. Grundrechte, Rn. 14. 24 Zum (rechtsstaatlichen) Vorbehalt des Gesetzes allgemein Kunig. Das Rechtsstaatsprinzip. S. 316 ff. m. w. N.

C. Zum Gang der Untersuchung

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licher Prüfung ist ohnehin nicht möglich?5 Unauflösliche Verschränkungen sind durch Verweisungen kenntlich zu machen. Entscheidend für die nachfolgend vorgenommene grundsätzliche Unterteilung der rechtlichen Prüfung in einen einfachrechtlichen und einen verfassungsrechtlichen Teil spricht letztlich speziell im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik, daß allein eine solche Gliederung geeignet ist, nach der einfachrechtlichen Klärung der verschiedenen von dieser Problematik berührten Rechtsbereiche eine umfassende und einheitliche verfassungsrechtliche Beurteilung zu ermöglichen. Auch kann auf diese Weise am besten verdeutlicht werden, wo die entscheidenden Ansatzpunkte einer rechtlichen Betrachtung der Kirchenasylproblematik zu finden bzw. einzuordnen sind, indem eine vorschnelle Heranziehung der allgemein gehaltenen Regelungen des Verfassungsrechts, bevor die Inhalte des einfachen Rechts als solchen geklärt sind, ausgeschlossen wird. Vor der verfassungsrechtlichen Prüfung ist demnach zu untersuchen, wie die Gewährung bzw. Inanspruchnahme von Kirchenasyl nach einfachem Recht - unter Ausklarnmerung aller (kirchenasylspezifischen) verfassungsrechtlichen Aspekte - zu beurteilen ist. Die einfachrechtliche Untersuchung muß sich mit zwei verschiedenen Problembereichen beschäftigen: Zunächst geht es um die Möglichkeiten einer staatlichen Beendigung des Kirchenasyls. Dafür sind die Voraussetzungen der bezüglich der Beendigung des Kirchenasyls in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen zu prüfen. Auch wenn diese Bestimmungen als solche nicht speziell auf das Kirchenasyl zugeschnitten, sondern ganz allgemeiner Art sind und ihre Anwendung in Kirchenasylfällen vielfach ebenfalls keine Besonderheiten aufweist, ist eine umfassende einfachrechtliche Prüfung, die die allgemeinen Ermächtigungsgrundlagen einbezieht (und dort den in Einzelpunkten doch festzustellenden Besonderheiten hinsichtlich der Anwendung auf die Kirchenasylproblematik im übrigen um so mehr Beachtung schenkt), schon wegen des erwähnten Anwendungsvorrangs des einfachen Rechts unverzichtbar. Auf die erschöpfende Betrachtung der einfachrechtlichen Rechtslage kann aber auch deshalb nicht verzichtet werden, weil die verfassungsrechtliche Prüfung auf die nach den einfachrechtlichen Bestimmungen vorgenommenen Maßnahmen Bezug nimmt und fragt, ob sich vielleicht erst aus dem Verfassungsrecht Besonderheiten bei der Beurteilung des Kirchenasyls ergeben. Von vornherein deutlicher ist der Kirchenasylbezug bei der gleichfalls auf einfachrechtlicher Ebene zu stellenden Frage nach der strafrechtlichen Sanktionierung des Kirchenasyls, indem dort nicht in erster Linie das auf allgemeine Ermächtigungsgrundlagen gestützte staatliche Handeln, sondern das Handeln der arn Kirchenasyl beteiligten Personen in den Blick genommen und auf seine Strafbarkeit hin untersucht wird. Im einzelnen zu prüfen ist dabei, ob sich die Beteiligung arn Kirchenasyl als rechtswidrige und schuldhafte Erfüllung eines Straftatbestandes darstellt, woran sich die Frage nach der Verfolgbarkeit anschließt. 25 V gl. allgemein etwa BVerfGE 96. 345 (367) m. w. N.; aus der Lit. exemplarisch Habermehl. Polizei- und Ordnungsrecht. Rn. 264; Pierothl Sehlinie, Grundrechte. Rn. 76 ff.

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Einleitung

Auf der verfassungsrechtlichen Ebene ist dann zu untersuchen, ob sich aus den Bestimmungen des Grundgesetzes ein Kirchenasylrecht (oder auch dessen Ausschluß) ergibt und wie dieses ggf. auf das einfache Recht - soweit danach ein staatliches Tätigwerden in Kirchenasylfallen überhaupt zulässig ist - einwirkt. Diese Untersuchung ist für jede der ernsthaft in Betracht kommenden Bestimmungen gesondert vorzunehmen, wobei die Prüfung zumindest bei den Grundrechten entsprechend den allgemeinen Grundrechtslehren jeweils in die beiden Teilfragen des Schutzbereichseingriffs und der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung aufzuteilen ist. 26 Ein Kirchenasylrecht besteht demnach dann, wenn die auf das einfache Recht gestützten Maßnahmen zur Beendigung oder Sanktionierung des Kirchenasyls einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts eines am Kirchenasyl Beteiligten darstellen. Neben den Grundrechten (und grundrechtsähnlichen Rechten) ist im übrigen aber auch das objektive Verfassungsrecht auf seine Kirchenasylrelevanz hin zu überprüfen. Zu Beginn der einzelnen verfassungsrechtlichen Prüfungspunkte soll dabei der bisher erreichte Diskussionsstand aufgezeigt werden, indem die dazu - sehr viel zahlreicher als zur einfachrechtlichen Beurteilung der Kirchenasylproblematik - zu findenden Stellungnahmen der Untersuchung jeweils in einer Bestandsaufnahme vorangestellt sind. Aufgrund des Umstands, daß die verfassungsrechtlichen Normen generell sehr wenig konkret gehalten sind, ist bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Kirchenasylproblematik bereits die allgemeine Bestimmung des Regelungsgehalts der anzuwendenden Normen in weiterem Umfang zum Gegenstand eigenständiger Erörterungen zu machen, als dies bei der einfachrechtlichen Betrachtung erforderlich ist. Letztlich geht es aber in beiden Teilen der Untersuchung nicht darum, das Verständnis der anzuwendenden Normen oder die Definition darin vorkommender Rechtsbegriffe am Beispiel der Kirchenasylproblematik grundlegend neu zu entwickeln, sondern es geht vorrangig um die Anwendung der Rechtsnormen in ihrem unabhängig von der Kirchenasylproblematik entwickelten Verständnis auf diese spezielle Problematik. Läßt sich allerdings kein Mindestmaß an Einverständnis über den allgemeinen Bedeutungsgehalt einer Norm feststellen oder stehen einem bestimmten Normverständnis unüberwindbare Bedenken entgegen, so ist eine eigene Stellungnahme unumgänglich und in diesem Zusammenhang können dann auch grundlegendere Ausführungen erforderlich sein. Dazu wird es aus dem genannten Grund bei der verfassungsrechtlichen eher als bei der einfachrechtlichen Untersuchung kommen.

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Vgl. dazu nur PierothlSchlink, Grundrechte, Rn. 9,195 ff.

1. Teil

Kirchenasyl und einfaches Recht 1. Kapitel

Staatliche Beendigung des Kirchenasyls Die Zu lässigkeit einer staatlichen Beendigung des Kirchenasyls ist vor allem im Hinblick auf Maßnahmen zu untersuchen, bei denen der Staat zur Ergreifung des Flüchtlings in das diesem gewährte Kirchenasyl räumlich eindringt. Durch staatliches Handeln im Vorfeld solcher Maßnahmen wird das Kirchenasyl als solches noch nicht angetastet. Für den Fall des Bestehens eines direkte Beendigungsmaßnahmen hindernden Kirchenasylrechts ist allerdings zu prüfen, inwieweit dieses bereits einem vorbereitenden (oder sonstigen) staatlichen Tätigwerden entgegensteht. Die staatliche Beendigung eines Kirchenasyls durch Ergreifung des Flüchtlings im Kirchenasylraum erfordert verschiedene Maßnahmen gegen unterschiedliche Adressaten. Es ist daher zu unterscheiden zwischen der Untersuchung der Zulässigkeit von unmittelbaren Beendigungsmaßnahmen, d. h. Ergreifungsmaßnahmen gegen Kirchenasylflüchtlinge, und der Untersuchung der Zulässigkeit von (eine Ergreifung ermöglichenden) mittelbaren Beendigungsmaßnahmen gegen Kirchenasylgewährer.! Ein völliges Auseinanderhalten der Zulässigkeitsprüfungen ist dabei u.U. nicht möglich. Dies kann bereits bei der Prüfung der Ergreifungsmaßnahmen eine Bezugnahme auf die Erörterungen zu den mittelbaren Beendigungsmaßnahmen (und umgekehrt) notwendig machen.

A. Die Zulässigkeit von Ergreifungsmaßnahmen gegen Kirchenasylflüchtlinge Die unmittelbare Beendigung des Kirchenasyls wird gegenüber dem Kirchenasylflüchtling durch seine Ergreifung und Entfernung aus dem Kirchenasyl gegen I Zur Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Maßnahmen vgl. Honnakker/Beinhofer, Polizeiaufgabengesetz - PAG -, Art. 5 Anm. 6. Zur (letztlich verfassungsrechtlichen) Frage, inwieweit auch gegen den Kirchenasyltlüchtling entsprechende mittelbare Beendigungsmaßnahmen erforderlich sind, vgl. u., S. 63, 126 f.

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I. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

seinen Willen erreicht. Bei der Untersuchung der Zulässigkeit solcher Maßnahmen soll unterschieden werden zwischen im Bereich des Verwaltungsrechts angesiedelten (präventiven) und im Bereich des Strafprozeßrechts angesiedelten (repressiven) Maßnahmen. In der ersten Fallgruppe geht es vor allem um die Zulässigkeit von Abschiebung, Zurückschiebung und Abschiebungs- bzw. Zurückschiebungshaft, also von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen ins Kirchenasyl geflüchtete Ausländer, daneben um die Zu lässigkeit von soldatenrechtlichen Maßnahmen und von Maßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts in den übrigen Kirchenasylfallen. In der zweiten Fallgruppe ist die Zulässigkeit eines strafprozessualen Vorgehens gegen ins Kirchenasyl geflüchtete Straftäter (bzw. Verdächtige) zu untersuchen; im einzelnen soll insoweit die Zulässigkeit von Untersuchungshaft, Vorführung und Maßnahmen der Strafvollstreckung erörtert werden. Strafprozessuale (repressive) und verwaltungsrechtliche (präventive) Ergreifungsmaßnahmen stehen dabei prinzipiell unabhängig nebeneinander und sind daher ggf. auch gleichzeitig zulässig?

I. Verwaltungsrechtliche Ergreifungsmaßnahmen 1. Aufentbaltsbeendende Maßnahmen

a) Abschiebung

Eine Ermächtigung zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gegen ins Kirchenasyl geflüchtete Ausländer kann sich zunächst aus den ausländerrechtlichen Bestimmungen über die Abschiebung (§§ 49 ff. AuslG) ergeben. Zuständig für Abschiebemaßnahmen sind nach der allgemeinen Regelung des § 63 I AuslG die Ausländerbehörden, für die Durchführung der Abschiebung nach § 63 VI AuslG auch die Länderpolizeien. 3 aa) Abschiebungsvoraussetzungen Die Voraussetzungen einer Abschiebung ergeben sich aus §§ 49 ff. AuslG. Dort finden sich sowohl positive Abschiebungsvoraussetzungen als auch Hinderungsgründe, die einer Abschiebung (als negative Abschiebungsvoraussetzungen) entgegenstehen. 2 Vgl. allgemein Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 546 ff. m. w. N. gegen BayVGH. BayVBI. 1986, 337 f.; dazu auch Gornig I lahn, Fälle zum Sicherheits- und Polizeirecht, S. 183 (187 ff.). 3 Dazu Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, S. 267 f.; lakoberl LehlelSchwab, Aktuelles Ausländerrecht, § 63 AuslG Rn. 20,49 ff. Zur örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörden vgl. auch den Nachw. u., S. 49 Fn. 96 a. E. Unklar zur Zuständigkeit der Ausländerbehörden speziell in Kirchenasylfallen Rothkegel. ZAR 1997, 121 (125 f.); vgl. dazu auch noch u., S. 49 Fn. 99 a. E.

A. Zulässigkeit von Ergreifungsmaßnahmen

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( I ) Positive Abschiebungsvoraussetzungen

Nach § 49 AuslG ist ein Ausländer abzuschieben, wenn er vollziehbar ausreisepflichtig ist und einer der in der Vorschrift genannten Abschiebungsgründe vorliegt. Vollziehbar ausreisepflichtig i. S. d. § 42 AuslG wird etwa ein abgelehnter Asylbewerber regelmäßig mit dem Ablauf der Ausreisefrist, die in der - gemäß § 34 AsylVfG nach nicht erfolgter Asylanerkennung zu erlassenden - Abschiebungsandrohung festgesetzt wird.4 Zugleich erfüllt er damit den Abschiebungsgrund des § 49 11 2 Nr. 1 AusiG. Damit sind die Abschiebungsvoraussetzungen des § 49 AuslG gegeben. In den übrigen Fällen zum Schutz vor Abschiebung gewährten Kirchenasyls sind sie im einzelnen entsprechend festzustellen. 5 Die Flucht ins Kirchenasylläßt eine bestehende Ausreisepflicht nicht entfallen. Für ein derartiges Kirchenasylrecht finden sich keinerlei Anhaltspunkte im einfachen Recht. Vielmehr liegt nach einer Flucht ins Kirchenasyl (ergänzend zu bereits gegebenen Abschiebungsgründen) immer auch der Abschiebungsgrund des § 49 I, 1. Var. AuslG vor; ein solches Verhalten ist ein eindeutiges Indiz für die fehlende Bereitschaft zur freiwilligen Erfüllung der Ausreisepflicht. Der Erlaß einer Abschiebungsandrohung ist nach § 34 AsylVfG ausnahmslos vorgeschrieben,6 nach § 50 I I AuslG im Regelfall. 7 Einer Abschiebungsanordnung bedarf es grundsätzlich nicht;8 daß die Abschiebung allerdings mehr ist als lediglich ein Realakt, ergibt sich vor allem aus § 63 VI Aus1G. 9 (2) Hinderungsgründe

Hinderungsgründe, die einer Abschiebung trotz Erfüllung der positiven Abschiebungsvoraussetzungen entgegenstehen, ergeben sich aus §§ 51 ff. AusiG. Eine Abschiebung scheidet danach aus, wenn eine Duldung oder ein Duldungsgrund vorliegt.

4 Kaneinl Renner. Ausländerrecht, § 34 AsylVfG Rn. 5 ff.; Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, § 43 Rn. 2 ff. ~ Überblicksartig zu den Abschiebungsvoraussetzungen des § 49 AuslG Funke-Kaiser. in: .. Unschuldig im Gefangnis?", S. 49 ff. 6 Dazu Funke-Kaiser. in: Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, II-§ 34 Rn.17ff. 7 Dazu Funke-Kaiser. in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 50 Rn. 3 ff., bes. 92 ff. K Vgl. Funke-Kaiser. in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 49 Rn. 30 ff. m. w. N., auch zur ganz vereinzelt vertretenen Gegenansicht. 9 Dazu JakoberlLehlelSchwab. Aktuelles Ausländerrecht, § 63 AuslG Rn. 50 f.; insoweit etwas unklar Funke-Kaiser. in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 49 Rn. 39. Vgl. auch schon 0., S. 26.

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1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

(a) Duldung Eine der Abschiebung entgegenstehende Duldung gemäß § 55 AuslG liegt in Kirchenasylfällen regelmäßig nicht vor, da andernfalls für eine Flucht ins Kirchenasyl kein Anlaß besteht. Eine konkludente Duldung (z. B. bei längerer Untätigkeit der Behörden) scheidet schon wegen der förmlichen Ausgestaltung der Duldungserteilung durch die Regelungen der §§ 55, 56, 66 lAusIG aus. 1O Überdies wird eine Duldungserteilung nach bloßem Ermessen durch § 55 I AuslG nunmehr weitgehend ausgeschlossen. 11 Etwas anderes gilt gemäß § 55 III, 1. Var. AuslG nur vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ausreisepflicht. Das Kirchenasyl bewirkt aber unter einfachrechtlichen Gesichtspunkten - auch in Anbetracht der Rechtsposition des Kirchenasylgewährers - keine diesbezügliche Ermessensreduzierung auf Null,12 auch nicht als dringender humanitärer oder persönlicher Grund oder wegen eines erheblichen öffentlichen Interesses i. S. d. § 55 III, 2. - 4. Var. AuslG. Nicht einmal das Vorliegen der letztgenannten Duldungsvoraussetzungen ist eine notwendige Konsequenz des Kirchenasyls, sondern in jedem in Betracht kommenden Kirchenasylfall gesondert zu prüfen. Generell ist die Vorschrift des § 55 III AuslG als Ausnahmevorschrift dabei eng auszulegen. 13 Vor allem ein kirchliches Interesse an einer Aussetzung der Abschiebung kommt aber als (erhebliches) öffentliches Interesse in Kirchenasylfällen durchaus in Betracht, besonders wenn es das Interesse einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaft ist. 14 Bei der Ermessensausübung nach § 55 III AuslG ist das Kirchenasyl dann in jedem Falle zu berücksichtigen. Diese Vorschrift ermächtigt damit ohne zu verpflichten - zu einer Duldungserteilung in Kirchenasylfällen, jedenfalls vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Ausreisepflicht, im übrigen bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Zulässigkeit der Abschiebung (vgl. § 55 IV AuslG) unter den genannten Voraussetzungen. Insbesondere wenn eine solche rechtskräftige Entscheidung aber erst Anlaß für eine Flucht ins Kirchenasyl ist, bleibt für die Regelung des § 55 III AuslG kein Raum. Immerhin kann danach eine Ermächtigung zur Duldungserteilung in den Fällen bestehen, in denen die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Abschiebemaßnahmen ausgeschlossen ist. 15

10 Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 188; insoweit zustimmend auch RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997),23 (47). 11 Vgl. Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, S. 291. 12 Vgl. dazu auch u. S. 53. 13 Vgl. Cremer, Der Schutz vor den Auslandsfolgen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, S. 89; Kloesel/ChristIHäußer, Deutsches Ausländerrecht, § 55 AuslG Rn. 17 f. Zur Auslegung des § 55 III AuslG im einzelnen vgl. daneben auch Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 55 Rn. 26 ff.; KaneinlRenner, Ausländerrecht, § 55 AuslG Rn. 9 ff. 14 Zur Bedeutung des Körperschaftsstatus für Religionsgemeinschaften vgl. u. a. noch u., S. 66 ff., 214 (m. Fn. 341).

A. Zulässigkeit von Ergreifungsmaßnahmen

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(b) Duldungsgrund Soweit keine Duldung erteilt wurde, steht einer Abschiebung bereits das Vorliegen einer rechtlichen oder tatsächlichen Unmöglichkeit, die nach § 55 11, IV AuslG zugleich einen Duldungsgrund darstellt, entgegen. 16 In Kirchenasylfällen kommt insbesondere das Bestehen einer rechtlichen Unmöglichkeit in Betracht. Für die Feststellung eines Eingreifens der ausländerrechtlichen Abschiebungshindernisse gemäß § 51 ff. AuslG sind dabei in §§ 4,42 AsylVfG und § 70 III AuslG einige besonders zu beachtende Regelungen normiert. 17 In Kirchenasylfällen ist von einer staatlichen Ablehnung dieser Feststellung auszugehen, da anderenfalls für eine Flucht ins Kirchenasyl wiederum kein Anlaß besteht. Es stellt sich aber die Frage, ob ein Kirchenasylrecht im einfachen Recht verankert ist, das die rechtliche Unmöglichkeit einer Abschiebung in diesen Fällen bewirkt. (aa) Staatskirchenvertragliches Kirchenasylrecht als Duldungsgrund Eine ausdrückliche Normierung eines Kirchenasylrechts enthält das einfache Recht ebensowenig wie das Verfassungsrecht. Es wird aber bisweilen erwogen, ob die in staatskirchenrechtlichen Verträgen enthaltene Freundschaftsklausel 18 dem Staat eine Beendigung des Kirchenasyls zumindest für eine gewisse Zeit verbietet. 19 Die Umsetzung der Staatskirchenverträge in innerstaatliches Recht erfolgt regelmäßig in der Form des (einfachen) Gesetzes,20 so daß eine derartige Auslegung der Freundschaftsklausel zu einem im Bereich des einfachen Rechts angesiedelten umfassenden, wenn auch u.U. zeitlich begrenzten Kirchenasylrecht führt. UnabVgl. Kaneinl Renner; Ausländerrecht, § 49 AuslG Rn. 14 f., § 72 AuslG Rn. 9 f. Vgl. Brühl, JuS 1991,399 (402 ff.); Kloesel/ChristIHäußer; Deutsches Ausländerrecht, § 55 AuslG Rn. la. 17 Vgl. dazu Funke-Kaiser; in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 55 Rn. 18, 1I-§ 70 Rn. 10 ff.; zum letzteren auch Kaneinl Renner; Ausländerrecht, § 70 AuslG Rn.14ff. IH Z. B. Art. 33 des Reichskonkordats v. 20. 7. 1933; Art. 22 des Loccumer Vertrags v. 19.3. 1955, beide abgedruckt bei Erler; Kirchenrecht, S. 203, 226. 19 In diese Richtung Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band IJI, S. 601 (618); Aumhammer; Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 191; Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vom 8. 3. 1996, S. 2; von einem "interessante[n] Hinweis" ist insoweit bei Jacobs. KuR 2/1995, 69 (73) =991, I (5) die Rede; vgl. auch Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S.39. 20 Erler; Kirchenrecht, S. 119; Hollerbach. in: HdbStKR, Band I. S. 253 (275 f.); MüllerVolbehr; ebd., S. 289 (292 f.), auch zum damit verknüpften Streit zwischen Transforrnationsund Vollzugslehre; insoweit unzutreffend und irreführend Renck. DÖV 1997,929 (934), der verkennt, daß auch die Vollzugslehre einen Anwendungsbefehl in Gesetzesforrn verlangt. Zu mit dem Umsetzungsgesetz weiterhin verbundenen (ggf. zu beachtenden) Kompetenz- und Rangfragen vgl. Hollerbach und Müller- Volbehr; a. a. 0., S. 253 (276 ff.), 289 (295 ff., 303 f.). 15

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hängig davon, ob ein solches Recht einer Festnahme des Kirchenasylflüchtlings oder einem Eindringen in den Kirchenasylraum entgegenstehen soll, kann es jedenfalls nur das Recht einer Kirche (als vertragschließender Partei) sein. Es kommt also von vornherein lediglich in den Fällen in Betracht, in denen tatsächlich eine Kirche Kirchenasyl gewährt. In diesen Fällen bewirkt es - sofern es besteht - zwar nicht eine subjektivrechtliche Unmöglichkeit auf seiten des Flüchtlings, aber doch eine objektivrechtliche Unmöglichkeit der Abschiebung, die gleichfalls einen Hinderungsgrund darstellt. Ein Kirchenasylrecht der genannten Art setzt zunächst voraus, daß die staatskirchenvertragliche Freundschaftsklausel in Kirchenasylfällen überhaupt anwendbar ist. Zwar mag die Freundschaftsklausel, insbesondere i.V.m. einer Klausel über das "institutionalisierte Partnergespräch", in ihrer Wirkung nicht ganz auf den jeweiligen Vertrag beschränkt, sondern Ausdruck eines in umfassender Weise freundschaftlichen Verhältnisses sein. 21 Konkrete Streitfragen im Verhältnis von Staat und Kirche können unter bloßem Rückgriff auf die Freundschaftsklausel aber nicht entschieden werden, wenn sie im Vertrag nicht wenigstens erkennbar berührt werden. Eine weitergehende Regelungswirkung läßt sich dem ausdrücklich auf die Vertragsbestimmungen bezogenen Wortlaut der Freundschaftsklausel nicht entnehmen. 22 Keinesfalls bewirkt die Freundschaftsklausel eine Transformation sämtlicher kirchlicher Auffassungen in staatliches Recht. Die Frage des Kirchenasyls wird in den Konkordaten und Kirchenverträgen für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht deutlich berührt. 23 Wo (allgemeine) verfassungsrechtliche Gewährleistungen, die für die Kirchenasylproblematik relevant sind, vertraglich wiederholt werden, wird damit keine eigenständige Regelung, sondern allenfalls eine gesteigerte Bestandskraft bezweckt;24 die mit diesen Gewährleistungen verbundenen inhaltlichen Fragen sind daher auf der verfassungsrechtlichen Ebene zu klären. 25 Die Vereinbarungen zwischen LänderverVgl. Hollerbach. in: HdbStKR. Band I, S. 253 (281). Dieser Einwand wird von Ehnes. in: Das Recht der Kirche. Band III, S. 601 (618) immerhin angedeutet. 23 Anders als im Vertrag über rechtliche Angelegenheiten zwischen dem Heiligen Stuhl und Spanien von 1979 oder im Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Italien von 1984; zu beiden GÖbel. Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem Codex Iuris Canonici des Jahres 1983, S. 125; Guth. in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 47 (51); Roßkopf, AWR BulIetin 1996,93 (101); Robbers. AöR 113 (1988), 30 (39) m.N.; letzteres erwähnt auch Riedel-Spangenberger, TIbZ 100 (1991), 126 (127). Zur Rechtslage in der Schweiz vgl. Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft SOlI, Nr. 5, S. 45 (48); daneben aber auch den Bericht von Eicher, in: Publik-Forum Materialmappe Kirchenasyl, S. 10 (ll). Auf fortbestehende Freistattprivilegien im anglo-amerikanischen Rechtsbereich weist Bianchi. Alternativen zur Strafjustiz, S. 154 hin, ohne dies näher zu präzisieren. Zur Rechtslage in den Niederlanden vgl. Evangelische Kirche im Rheinland/Landeskirchenamt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 54 (57); dazu auch noch u., S. 101 Fn. 134 a. E. 24 Vgl. dazu (alIgemein) nur v. Mangoldt/ Klein/ A. v. Campenhausen, Das Banner Grundgesetz, Art. 140 Rn. 53. 21

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tretern und Vertretern der Evangelischen Kirche im Rheinland über das Vorgehen in Kirchenasylfallen, in denen es hauptsächlich um den gegenseitigen Infonnationsaustausch geht,26 sind weder selbst Kirchenverträge, die in Gesetzesrecht umgesetzt wurden und damit Gesetzeskraft haben, noch lassen sie sich unmittelbar auf solche Kirchenverträge zurückführen. Auch fonnlose Mitteilungen von Landesseite an Kirchengemeinden darüber, "daß polizeiliche Maßnahmen (Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Durchführung der Abschiebung) [ ... ] weder in Kirchen noch anderen Räumen der Kirchengemeinde getroffen werden",27 erfüllen diese Anforderungen nicht. Wahrend diejenigen Äußerungen im Verhältnis von Staat und Kirche, die sich gezielt mit der Kirchenasylproblematik befassen, also keinen kirchenvertraglichen Charakter haben (und damit im übrigen auch nicht als solche verbindlich sind), wird das Kirchenasyl in den Kirchenverträgen nicht einmal ansatzweise berührt. Demzufolge läßt sich die Kirchenasylproblematik unter direkter Heranziehung der Freundschaftsklausel nicht lösen. Außerhalb der vertraglichen Streitfragen kann die Freundschaftsklausel allenfalls ergänzend zu Auslegungszwecken berücksichtigt werden, so z. B. als ein Gesichtspunkt (neben anderen) im Rahmen der Ennessensverwaltung mit dem Ziel der Konfliktvenneidung. Im Bereich der gebundenen Verwaltung28 kann sie dagegen nicht von der Pflicht zur Gesetzesanwendung dispensieren, also die gebundene Verwaltung nicht in Ennessensverwaltung überführen. Wo die Freundschaftsklausel direkte Anwendung findet, ennöglicht sie im übrigen zwar in weitem Umfang Vergleichslösungen. Daraus folgen allerdings keinesfalls von vornherein konkrete Rechte einer Vertragspartei. Als Grundlage eines Kirchenasylrechts, welches einer Beendigung des Kirchenasyls definitiv entgegensteht, scheidet die Freundschaftsklausel demnach aus. Auch enthält sie, wenngleich sie Vergleichslösungen immerhin ennöglichen kann, nicht einmal das Gebot einer solchen Lösung. Vielmehr entfaltet sie verbindliche Wirkung letztlich nur als allgemeine, eher auf eine Regelung der Umgangsfonnen als auf eine inhaltliche Regelung abzielende Verfahrensmaxime. 29 Eindeutige Postulate im Hinblick auf die Kir-

25 Vgl. dazu - insoweit im Ansatz zutreffend - auch Renck, OÖV 1997, 929 (936), dessen Auffassung, die vertragliche Wiederholung der Gewährleistungen sei ein "verfassungsrechtlicher Verstoß gegen die guten Sitten" und daher "verfassungswidrig", freilich nicht nachvollziehbar ist; vgl. auch noch u., S. 173. 26 Vgl. das in NVwZ 1997, 778 abgedruckte Rundschreiben des Ministeriums des Innem und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz vom 11. 3. 1997 (wo in einem ergänzenden Hinweis festgestellt wird, daß ein Kirchenasylrecht nicht bestehe) und den Bericht in OS vom 4.4. 1997, S. 27; daneben Grote/Kraus, JuS 1997,345 (349 Fn. 48) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (72 Fn. 48)]; Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (77 Anm. 33); Rüssmann, Publik-Forum 1997, Nr. 8, S. 26 f. 27 So eine im Schreiben des niedersächsischen Landtagspräsidenten an die St. Laurentius Gemeinde Liebenau vom 6.12.1995 betreffend die Eingabe Nr. 2184/02/13 enthaltene Mitteilung des niedersächsischen Innenministeriums. 28 Vgl. dazu u., S. 33.

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1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

chenasylproblematik sind der staatskirchenrechtlichen Freundschaftsklausel mithin unter keinen Umständen zu entnehmen. Ein abschiebungshindemder Duldungsgrund rechtlicher Unmöglichkeit ergibt sich aus der Freundschaftsklausel nicht. (bb) GewohnheitsrechtIiches Kirchenasylrecht als Duldungsgrund Während das geschriebene Recht ein Kirchenasylrecht im einfachrechtIichen Bereich also nicht kennt, liegt angesichts der vielfach zu beobachtenden tatsächlichen Zurückhaltung der Behörden bei der Festnahme von in Kirchen- bzw. Gemeinderäumen befindlichen Kirchenasylflüchtlingen 30 die Frage nahe, ob insoweit ein Kirchenasylrecht auf gewohnheitsrechtIicher Grundlage besteht. Gewohnheitsrecht entsteht durch längere und gleichmäßige Übung und die Überzeugung der Beteiligten, daß diese Übung rechtlich geboten sei. 31 Im Hinblick auf - allerdings vereinzelt gebliebene - Fälle der polizeilichen Beendigung eines Kirchenasyls durch Ergreifung von Flüchtlingen innerhalb kirchlicher Räume 32 ist bereits zweifelhaft, ob von einer für die Entstehung eines gewohnheitsrechtlichen Kirchenasylrechts ausreichenden tatsächlichen Übung auszugehen ist. In jedem Falle fehlt es aber an einer allgemeinen, bei allen Beteiligten übereinstimmenden Überzeugung von dem Be29 In diesem Sinne auch Hollerbach. Verträge zwischen Staat und Kirche in der Bundesrepublik Deutschland. S. 252 ff.; Schlaieh. in: Nordrhein-westfälisches Staats- und Verwaltungsrecht. S. 704 (715 f.). 30 Vgl. dazu besonders Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht. S. 186: faktisches Asyl; Flor, Asylrecht. S. 144: de-facto-Asyl; so auch Ehnes. in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (602,611,632); Honecker, in: Asyl in der Gemeinde, S. 41 (48); Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (207) [= ders., in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 574 (599)]; ders., ZRP 1996,97 (100); A. Stein. in: Leidenschaft für das Recht, S. 1 (7); aus der Rspr. vgl. OLG Köln, NVwZ 1993, 707 (708); AG Wolfratshausen, NJW 1996, 942; ferner BayObLG, NJW 1997, 1713 (1714). Vgl. auch die schon 0., S. 31 m. Fn. 27, wiedergegebene Mitteilung des niedersächsischen Innenministeriums. 31 Vgl. zu Begriff, Voraussetzungen und Geltungskraft des Gewohnheitsrechts Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 19 ff., 35, 43; Wolff/Bachoj/Stober, Verwaltungsrecht I, § 25 Rn. 12 ff. 32 Drei solcher Fälle stellt Just. in: Asyl von unten, S. 110 (113, 132) dar; auf diese Fälle beziehen sich auch die Schilderungen von Müller-Münch. ebd., S. 145 (147); Nagel. F1üchtlinge und "Kirchenasyl", S. 20 f.; Quaritsch. Recht auf Asyl. S. 52 f. Fn. 102; Riemer, Diakonia 24 (1993). 343 (346 f.); Wilhelm. in: Kirche und Asyl, S. 51 (55). Von einer Verhaftung in einem Gemeindehaus wird darüber hinaus etwa in Evangelische Kirche im Rheinland/ Landeskirchenamt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 14 f. berichtet. Wohl zu einer Verhaftung von Kirchenasylflüchtlingen in einem Gemeindezentrum, jedenfalls zu einem entsprechenden Eindringen, ist es nach der Sachverhaltsschilderung auch in dem vom OLG Hamm, NJW 1998, 463 entschiedenen Fall gekommen. Umstritten und in Einzelheiten unklar sind die Fälle, um die es in FAZ vom 5. 9.1996, S. 4; SZ vom 5.9. 1996, S. 41; 6.9.1996, S. 19; 14./15.9. 1996, S. 51 und in FAZ vom 22. 7. 1997, S. 2; 23. 7. 1997, S. 4; SZ vom 26./ 27.7. 1997, S. 10; DS vom 8. 8. 1997, S. 24 geht. Vgl. auch Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls. S. 11 m. Fn. 69 und - weniger konkret - Rapp. Entwicklung der Kirchenasylinitiativen 1997/98, S. 3 f. sowie die Berichte in Der Spiegel Nr. 21/1998, S. 60 (64) und in Junge Kirche 1998,233 f.

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stehen eines zu solcher Übung, also zur staatlichen Zurückhaltung, verpflichtenden Gebots. 33 Auch ein den Duldungsgrund rechtlicher Unmöglichkeit nach sich ziehendes gewohnheitsrechtliches Kirchenasylrecht besteht folglich nicht. Im einfachen Recht fehlt es also nicht nur an einer ausdrücklichen Normierung eines wie auch immer gearteten Kirchenasylrechts. Auch aus der staatskirchenrechtlichen Freundschaftsklausel oder dem Gewohnheitsrecht ergibt sich ein solches Recht nicht, und zwar weder hinsichtlich der zur Beendigung des Kirchenasyls notwendigen Ergreifungsmaßnahmen noch hinsichtlich darüber hinaus erforderlicher mittelbarer Beendigungsmaßnahmen 34 . Der Duldungsgrund rechtlicher Unmöglichkeit scheidet daher insoweit aus. bb) Rechtsfolge Soweit eine Abschiebung in Kirchenasylfällen danach zulässig ist, muß sie auch durchgeführt werden. Ein Ermessen ist der Ausländerbehörde diesbezüglich nicht eingeräumt. 35 Gegenteilige Äußerungen im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik 36 lassen sich mit dem geltenden Recht - abgesehen von der erwähnten, in Kirchenasylfällen nur selten einschlägigen Regelung des § 55 III AuslG, von der auch nur durch ausdrückliche Duldungserteilung Gebrauch gemacht werden kann nicht vereinbaren. Die Vorschrift des § 49 AuslG beinhaltet vielmehr die Pflicht, die zwingend vorzunehmende Abschiebung auch unverzüglich durchzuführen?7 Es besteht lediglich ein gewisses Auswahlermessen 38 hinsichtlich der Modalitäten des Einschreitens in der konkreten Situation,39 das aber die Pflicht zum Einschreiten in Form der Durchführung der Abschiebung unberührt läßt. Vgl. Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 186 m.N. Ausführlicher dazu u., S. 61 ff. 35 Vgl. allgemein Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, 11§ 49 Rn. 26; Jakober/Lehle/Schwab, Aktuelles Ausländerrecht, § 49 AuslG Rn. 2; Kanein/ Renner, Ausländerrecht, § 49 AuslG Rn. 2; Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, § 49 AuslG Rn. I, 24; Cremer, Der Schutz vor den Auslandsfolgen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, S. 88 m. w. N. 36 Vgl. Jacobs, ZevKR 35 (1990),25 (39); Kaltenborn, DVBI. 1993,25 (27 f.); Schmude, in: epd-Dokumentation Nr. 31/%, S. 15 (16); in diese Richtung auch Heimbach-Steins, Stimmen der Zeit 214 (1996),291 (296); Nagel, Flüchtlinge und .. Kirchenasyl", S. 35 ff.; daneben OLG Köln, NVwZ 1993, 707 (708); unklar M.H. Müller, apf 1994, 189 (191); Rothkegel, ZAR 1997, 121 (126); kritisch dagegen bereits EIsner, FR vorn 21. 8. 1995, S. 12; wohl auch Grote/ Kraus, JuS 1997,345 (349 m. Fn. 44) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (70 m. Fn. 44)]; vgl. auch schon 0., S. 31. 37 So ausdrücklich Bamberger, Ausländerrecht und Asylverfahrensrecht, Rn. 340; Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, S. 269; Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 49 Rn. 18 m. w. N. 38 Zu diesem Begriff Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 7. 39 Vgl. Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 49 Rn. 18, 27; insoweit zutreffend auch Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (39). 33

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3 Görisch

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1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

cc) Richtervorbehalt Umstritten ist, ob auch eine Direktabschiebung eine Freiheitsentziehung darstellt und deshalb dem Richtervorbehalt nach den Vorschriften des FrhEntzG unterliegt. 40 Die unter Richtervorbehalt stehende Freiheitsentziehung ist - letztlich im Hinblick auf Art. 104 GG - abzugrenzen von der bloßen Freiheitsbeschränkung. Eine Freiheitsbeschränkung ist mit jeder unmittelbaren Zwangsmaßnahme verbunden. Die typischen freiheitsbeeinträchtigenden Begleiterscheinungen einer bestimmten, auf einen anderen Erfolg abzielenden Zwangsmaßnahme können aber noch nicht als Freiheitsentziehung angesehen werden. Erst wenn die Freiheitsbeeinträchtigung nicht mehr lediglich eine notwendige Begleiterscheinung der Zwangsmaßnahme ist, sondern ein eigenständiges Gewicht erlangt hat, kann sie zur Freiheitsentziehung werden. Eine Direktabschiebung stellt daher nur ausnahmsweise eine Freiheitsentziehung dar, die dem Richtervorbehalt unterliegt. 41 Dies gilt auch in Kirchenasylfällen. Tritt der Ausnahmefall einer als Freiheitsentziehung anzusehenden Abschiebung einmal ein, so entspricht die Rechtslage in bezug auf die Modalitäten der Freiheitsentziehung und ihrer Anordnung weitgehend - vor allem in Hinblick auf den Prüfungsumfang des über die Freiheitsentziehung entscheidenden Richters - derjenigen im Falle der Abschiebungshaft. 42 Festzuhalten bleibt zur einfachrechtlichen Beurteilung der Abschiebung in Kirchenasylfällen, daß die Abschiebung unter den üblichen Voraussetzungen ohne besondere Einschränkungen zulässig und (vom seltenen Fall der Möglichkeit einer Duldungserteilung nach § 55 III AuslG abgesehen) auch geboten ist. b) Zurückschiebung

Die Zurückschiebung stellt im Verhältnis zur Abschiebung eine unmittelbare, verfahrensverkürzte und im Ausgangspunkt speziellere aufenthaltsbeendende Maßnahme dar,43 die in Kirchenasylfällen ebenfalls in Betracht kommt. Zuständig für Zurückschiebungen sind neben Ausländerbehörden (§ 63 I AuslG) und LandesVgl. einerseits Weite. DÖV 1989. 114; andererseits Rittstieg, NJW 1996,545 (550). Vgl. BVerwGE 62,325 (327 ff.). 42 Vgl. dazu auch BVerwGE 62,317 (320), wonach ein polizeilicher Gewahrsam bei richterlicher Anordnung in Abschiebungshaft übergehen kann (wobei heute allerdings zu prüfen ist, inwieweit eine Ingewahrsamnahme zum Zwecke der Abschiebung von den landesrechtlichen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts - vgl. dazu auch u., S. 51 m. Fn. 116 überhaupt noch gedeckt ist); ferner Zeitler, NVwZ 1997, 628 (631). Zur Rechtslage bei der Abschiebungshaft vgl. ausführlich U., S. 35 ff. 43 Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 61 Rn. 6, auch zur Abgrenzung von der Zurückweisung. Zum Verhältnis zum Asylverfahrensrecht vgl. ebd., Rn. 7 ff. 40 41

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vollzugspolizeien (§ 63 VI AuslG) unter Umständen auch die Grenzbehörden (§ 63 IV Nr. 1 AusIG).44 Nach § 61 I AuslG darf ein Ausländer, der unerlaubt einreist und aufgrund dessen vollziehbar ausreisepflichtig ist, innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem Grenzübertritt oder im Rahmen einer völkerrechtlichen Rückübernahmevereinbarung auch darüber hinaus zurückgeschoben werden. 45 Einer Zurückschiebung stehen die Abschiebungsverbote und -hindernisse entgegen, auf die § 61 III AuslG verweist. 46 Als Rechtsfolge räumt die Soll-Vorschrift des § 61 I AuslG den zuständigen Behörden ein eingeschränktes Ermessen ein, in dessen Rahmen auch die von der Verweisung des § 61 III AuslG nicht erfaßten Duldungsgründe im Sinne von § 55 11, III AuslG zu berücksichtigen sind; eine - in Kirchenasylfällen mangels eines einfachrechtlichen Kirchenasylrechts insoweit nicht bestehende - rechtliche Unmöglichkeit steht infolgedessen einer Zurückschiebung gleichfalls entgegen. 47 Dem Richtervorbehalt nach den Vorschriften des FrhEntzG unterliegt die Zurückschiebung in dem gleichen (sehr begrenzten) Umfang wie die Abschiebung. 48 Auch eine Zurückschiebung ist nach alledem in Kirchenasylfallen unter den üblichen Voraussetzungen ohne besondere Einschränkungen zulässig und im Regelfall - im Unterschied zur Abschiebung allerdings nicht zwingend - geboten. c) Abschiebungs- oder Zurückschiebungshajt

Eine Beendigung des Kirchenasyls im Rahmen aufenthaltsbeendender Maßnahmen kann auch dadurch erreicht werden, daß der ins Kirchenasyl geflüchtete Ausländer gemäß § 57 AuslG (ggf. i.V.m. § 61 III AuslG) in Abschiebungshaft (bzw. Zurückschiebungshaft) genommen wird. Diese Vorschrift ermächtigt zur Inhaftierung eines Ausländers auf richterliche Anordnung zur Vorbereitung der Ausweisung (§ 57 lAusiG, Vorbereitungshaft) oder Sicherung der Abschiebung (§ 57 11 AuslG, Sicherungshaft). Zuständig für die Abschiebungshaftanordnung sind ge44 Dazu Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, S. 263 f.; FunkeKaiser; in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 61 Rn. 13; JakoberlLehlel Schwab, Aktuelles Ausländerrecht, § 61 AuslG Rn. 12. Unzutreffend wird in BayVGH, BayVBI. 1993, 244 (245) die Zuständigkeit der Ausländerbehörden für (die Anordnung von) Zurückschiebungen verneint; vgl. dazu Brückl/ Peißl, BayVBI. 1993, 245 f. 45 Fraenkel, Einführende Hinweise zum neuen Ausländergesetz, S. 264 f.; Funke-Kaiser; in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 61 Rn. 15 ff., 22 ff. Zu § 6111 AuslG vgl. Jakoberl LehlelSchwab, Aktuelles Ausländerrecht, § 61 AuslG Rn. 27. 46 Dazu Funke-Kaiser; in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 61 Rn. 18 ff. 47 Vgl. Funke-Kaiser; in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 61 Rn. 20, 25 ff. Zu § 55 11, 111 AuslG vgl. ausführlich 0., S. 28 ff. 48 V gl. 0., S. 34.

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1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

mäß § 10311 1 Aus1G LV.m. §§ 1,3 FrhEntzG die Amtsgerichte als Gerichte der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Zuständig für die Beantragung der Abschiebungshaft als zuständige Verwaltungsbehörden i. S. d. § 3 FrhEntzG und für die Vollstrekkung der Haftanordnung sind nach § 63 I AuslG die Ausländerbehörden. Im Zusammenhang mit ihrer Zuständigkeit bezüglich Abschiebung und Zurückschiebung sind für Festnahme und Beantragung der Haft nach § 63 VI AuslG auch die Länderpolizeien, bezüglich der Zurückschiebung an der Grenze nach § 63 IV Nr. 1 AuslG daneben die Grenzbehörden zuständig. 49 aa) Voraussetzungen der Haftanordnung Voraussetzung für eine Vorbereitungshaftanordnung ist nach § 57 I AuslG, daß über die Ausweisung nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde. 50 Eine Sicherungshaftanordnung ist unter der Einschränkung des § 57 11 4 AuslG zulässig, wenn einer der in § 57 11 1 AuslG genannten zwingenden Haftgründe oder der in § 57 11 2 AuslG genannte fakultative Haftgrund vorliegt. 51 Speziell im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik ist zunächst zu prüfen, ob die Aucht ins Kirchenasyl einen Haftgrund L S. d. § 57 11 I AuslG darstellt. Sodann stellt sich die - wiederum auch speziell im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik zu erörternde Frage, inwieweit sich aus der Zweckbestimmung des § 57 11 I AuslG ("zur Sicherung der Abschiebung") die Durchführbarkeit der Abschiebung als zusätzliches Erfordernis einer Abschiebungshaftanordnung ergibt. In entsprechender Weise stellt sich diese Frage im übrigen auch in bezug auf die Vorbereitungshaft, die gegenüber der Sicherungs haft lediglich eine Sonderfonn darstellt. 52 ( I) Haftgrund i. S. d. § 57 lJ lAusiG Bei der Betrachtung der einzelnen Haftgründe des § 57 11 I AuslG soll unter Relevanzgesichtspunkten zunächst auf die in Rechtsprechung und Literatur zur Kirchenasylproblematik behandelten, dann auf die übrigen HaftgTÜnde eingegangen werden. Daraus ergibt sich die von § 57 11 I AuslG abweichende Reihenfolge ihrer Erörterung. 49 Vgl. zum Ganzen - allerdings in bezug auf die Zuständigkeit der Länderpolizeien noch zur (einschränkenden) Bestimmung des § 63 VI AuslG a.F. - R. Wolf, in: .. Unschuldig im Gefängnis?", S. 59 (63 ff.); GÖbel-Zimmermann. ebd., S. 23 (28, 45 ff.); ferner ders., ZAR 1996,110 (\ 18 f.); daneben Zeitler, NVwZ 1997,628 (632). so Vgl. dazu Remmel. in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 57 Rn. 100ff. 51 Vgl. dazu Remmel. in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 57 Rn. 133 ff. 52 Vgl. dazu Remmel. in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 57 Rn. 26, 100f.

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(a) Aufenthaltswechsel ohne Anschriftangabe, § 57 TI 1 Nr. 2 AuslG Bei einer Flucht ins Kirchenasyl kommt zunächst der Haftgrund des § 57 11 1 Nr. 2 AuslG in Betracht. Die Anordnung von Sicherungshaft ist danach vorgesehen, wenn der Ausländer nach Ablauf der Ausreisefrist seinen Aufenthaltsort ohne Angabe einer Anschrift gewechselt hat, unter der er erreichbar ist. Dieser Haftgrund ist ohne weiteres erfüllt, wenn das Kirchenasyl als Versteck eines Ausländers, dessen Ausreisefrist abgelaufen ist, dient. Demgegenüber greift § 57 TI 1 Nr. 2 AuslG nicht ein, wenn die Flucht ins Kirchenasyl der Ausländerbehörde von seiten des Ausländers unter Angabe einer geänderten Anschrift unverzüglich mitgeteilt wird. Dasselbe gilt nach Wortlaut und Sinn und Zweck des § 57 TI I Nr. 2 AuslG bei einer erst nachträglichen Mitteilung der Anschriftänderung, wenn die Mitteilung vor der Festnahme und nicht in unmittelbarem Zusammenhang damit im Hinblick auf die drohende Inhaftierung erfolgt (nicht ausgeschlossen ist die Haftanordnung dabei, wenn die Kenntnis der Ausländerbehörde von der neuen Anschrift nicht auf einer vom Ausländer ausgehenden Mitteilung, sondern auf Recherchen der Behörde beruht). Unter diesen Voraussetzungen kann eine vorübergehend unterlassene Anschriftangabe nach einer Flucht ins Kirchenasyl im jeweiligen Einzelfall aufgrund konkreter Umstände lediglich den Verdacht einer Entziehungsabsicht i. S. d. § 57 11 1 Nr. 5 AuslG begründen. 53 Die Bestimmung des § 57 11 1 Nr. 2 AuslG hingegen soll eine Anordnung der Abschiebungshaft nach ihrem Wortlaut und Sinn und Zweck nur in bezug auf eine Verletzung der konkreten Mitwirkungspflicht des Ausländers an der Abschiebung in Fonn der Mitteilung jedes Aufenthaltswechsels ennöglichen. Sobald der Ausländer der Mitteilungspflicht - auch nachträglich - nachgekommen ist, entfällt damit der Haftgrund des § 57 11 1 Nr. 2 AuslG auch in Kirchenasylfällen. Über diese differenzierte Auslegung des § 57 11 1 Nr. 2 AuslG im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik ist man sich in Rechtsprechung und Literatur weithin einig. 54 Ein Kirchenasylrecht, welches einem Ausländer einen Aufenthaltswechsel ohne Anschriftangabe auch nach Ablauf der Ausreisefrist erlaubt und damit einer diesbezüglichen Abschiebungshaftanordnung weitergehend entgegenstehen könnte, ergibt sich zumindest aus dem einfachen Recht nicht. 55 (b) Entziehung in sonstiger Weise, § 57 11 1 Nr. 4 AuslG Eine Sicherungshaftanordnung nach § 57 11 1 Nr. 4 AuslG setzt voraus, daß sich ein Ausländer in sonstiger Weise der Abschiebung entzogen hat. Dieser Haftgrund greift in Kirchenasylfällen ein, wenn die Flucht ins Kirchenasyl eine Entziehung in sonstiger Weise i. S. d. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG darstellt. Eine Entziehung "in sonsti53

Dazu u., S. 43.

Vgl. OLG Köln, NVwZ 1993,707 f.; M. H. Müller, ZAR 1996, 170 (172); ferner insoweit ohne eigene Stellungnahme - BayObLG, NJW 1997, 1713 (1714). 55 Vgl. dazu allgemeiner schon 0., S. 29 ff. 54

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ger Weise" kommt dabei nur in Betracht, soweit kein vorher aufgeführter spezieller Entziehungstatbestand eingreift. Genauer zu bestimmen ist demgegenüber, inwieweit eine Flucht ins Kirchenasyl überhaupt eine Entziehung i. S. d. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG darstellt. Die dazu in Rechtsprechung und Literatur zu findenden Stellungnahmen sind nicht ganz einheitlich und bedürfen im einzelnen weiterer Präzisierung. Verneint wurde das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 11 1 Nr. 4 AuslG bezüglich einer Flucht ins Kirchenasyl von der Rechtsprechung mit dem Argument, der Zugriff auf den Ausländer sei der zuständigen Behörde aus Rechtsgründen im Kirchenbereich nicht verwehrt. Mit dem Aufenthalt dort sei eine den Zugriff erschwerende Entziehung in rechtlicher Hinsicht nicht verbunden. Eine eventuelle Zurückhaltung, die sich die Behörde im Kirchenbereich mit Rücksicht auf religiöse Empfindungen und überkommene gesellschaftliche Anschauungen bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges auferlege, beruhe auf freiwilliger Selbstbeschränkung und rechtfertige die Annahme einer dem Ausländer anzulastenden Entziehung nicht. 56 In der Literatur wird gesagt, entgegen Äußerungen in der Rechtsprechung stelle nach dem Wortlaut des § 57 11 1 Nr. 4 AuslG nur die Vereitelung einer Abschiebung eine Entziehung i.S. dieser Vorschrift dar; eine bloße Erschwerung, wie sie sich bei einer Flucht ins Kirchenasyl aus der behördlichen Pflicht zur Berücksichtigung der Rechte des kirchenasylgewährenden Dritten ergeben könne, reiche insoweit nicht aus. Eine tatsächliche Zurückhaltung der Behörde, ohne daß ein entsprechendes Kirchenasylrecht bestehe, dürfe dem Ausländer nicht zugerechnet werden. Bei Bestehen eines die Abschiebung hindernden Kirchenasylrechts müsse dieses indessen auch einer Abschiebungshaft entgegenwirken, und es könne dann allenfalls eine Duldungserteilung gemäß § 55 AuslG in Betracht kommen. Unabhängig davon, ob ein Kirchenasylrecht tatsächlich bestehe, werde der Haftgrund des § 57 11 1 Nr. 4 AuslG durch eine Flucht ins Kirchenasyl daher nicht verwirklicht. 57 Eine durch den Ausländer bewirkte Erschwerung der Abschiebung kann zwar in jedem Falle ein Indiz für eine Entziehungsabsicht i. S. d. § 57 11 I Nr. 5 AuslG sein. 58 Eine Entziehung i. S. d. § 57 11 I Nr. 4 AuslG liegt hingegen dem Wortsinne nach nur vor, wenn es darüber hinausgehend zu einer Vereitelung der Abschiebung gekommen ist. 59 Gleichzeitig verbietet es bereits der Wortsinn, von einer Entziehung zu sprechen, wenn die Undurchführbarkeit eines Abschiebungsvorhabens OLG Köln, NVwZ 1993,707 (708); vgl. auch BayObLG, NJW 1997, 1713 (1714). M. H. Müller, ZAR 1996, 170 (172 f.). S8 Allein darum - und nicht um § 57 11 I Nr. 4 AuslG - ging es in dem Beschluß des AG Wolfratshausen, NJW 1996, 942, auf den M.H. Müller, ZAR 1996, 170 (172 f.) im vorliegenden Zusammenhang gleichwohl Bezug nimmt (s.o., bei Fn. 57). Zu § 57 11 I Nr. 5 AuslG vgl. ausführlich u., S. 41 ff. S9 Insoweit zutreffend M. H. Müller, ZAR 1996, 170 (172 f.); vgl. auch Kanein/Renner, Ausländerrecht, § 57 AuslG Rn. 18: "Verhinderung der Abschiebung". ~

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eine Folge der Inanspruchnahme von Rechtsschutzmöglichkeiten des Ausländers ist. 60 Im übrigen ist entscheidend, daß ein konkretes Abschiebungsvorhaben durch ein Verhalten des Ausländers verhindert wurde. 61 Macht ein Verhalten des Ausländers behördlicherseits in dem Umfang oder der Intensität neue Maßnahmen erforderlich, daß ein konkretes Abschiebungsvorhaben als gescheitert und ein neues Abschiebungsvorhaben als notwendig anzusehen ist (besonders wenn eine Abschiebung aufgrund geänderter Voraussetzungen nicht zu einem fest geplanten Termin durchgeführt werden kann), so liegt danach bereits eine Entziehung i. S. d. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG vor, selbst wenn man insoweit auch noch von einer wesentlichen Erschwerung der Abschiebung sprechen kann. 62 Die Unterscheidung der Begriffe der Entziehung und der Erschwerung ist also im Rahmen des § 57 11 1 Nr. 4 AuslG letztlich nicht entscheidend, da eine vorläufige Vereitelung der Abschiebung sich immer auch als Erschwerung bezeichnen läßt. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG betrifft aber nur den Fall der vorläufigen Entziehung; eine endgültige Vereitelung der Abschiebung kann dort nicht vorausgesetzt sein, da sie eine Inhaftierung "zur Sicherung der Abschiebung" ausschließt. 63 Eine Entziehung in diesem Sinne ist auch in Kirchenasylfällen Voraussetzung einer Sicherungshaftanordnung gemäß § 57 11 1 Nr. 4 AusiG. Eine Flucht ins Kirchenasyl läßt sich danach als Entziehung i. S. d. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG ansehen, wenn dadurch ein konkretes Abschiebungsvorhaben vereitelt wird und ein neues Abschiebungsvorhaben in die Wege geleitet werden muß. Keine Entziehung stellt dementsprechend die Ausnutzung einer bloß tatsächlichen Zuriickhaltung der Behörden dar. Von einer Entziehung kann man allerdings ebenfalls nicht sprechen, wenn der Ausländer durch sein Verhalten (genauso wie bei der Ausschöpfung von Rechtsschutzmöglichkeiten) eine eigene Rechtsposition verwirklicht; in diesem Fall sieht die Rechtsordnung eine Verhinderung der Abschiebung durch den Ausländer gerade vor, so daß ihm dieses Verhalten auch im Hinblick auf eine Abschiebungshaftanordnung nicht zum Nachteil gereichen und Grundlage einer Inhaftierung sein kann. Anders ist es, wenn durch eine Flucht ins Kirchenasyl eine Abschiebung allein aufgrund einer fremden Rechtsposition vereitelt wird. Soweit das Recht des Dritten kein eigenes Recht des Ausländers beinhaltet, spricht nichts dagegen, dessen Verhalten als Entziehung i. S. d. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG anzusehen. Denn die Anordnung von Abschiebungshaft ist eine gegen den 60 VgI. dazu auch - allerdings nicht speziell im Hinblick auf § 57 11 1 Nr. 4 AuslG und den Begriff der Entziehung - Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, § 57 AuslG Rn. 32. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter "entziehen" etwa nach Brockhaus - Wahrig, Deutsches Wörterbuch, Band 2, S. 526 "entfliehen", "entkommen" (im Sinne von "sich dem Zugriff der Polizei durch Flucht entziehen") bzw. "einer Sache nicht nachkommen" (im Sinne von "sich seinen Verpflichtungen entziehen"), also ein rechtlich gerade nicht vorgesehenes Verhalten verstanden. 61 VgI. BTDrucks 12/2062, S. 45; daneben M. H. Müller, ZAR 1996, 170 (173), der von einem bereits fehlgeschlagenen Abschiebungsversuch spricht. 62 In diesem Sinne wohl OLG Köln, NVwZ 1993, 707 (708). 63 Insoweit unklar M. H. Müller, ZAR 1996, 170 (172 f.). VgI. dazu auch u., S. 45 ff.

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Ausländer gerichtete Maßnahme, deren Zulässigkeit grundsätzlich nicht von ihrer tatsächlichen Durchführbarkeit, also beispielsweise auch nicht von der Kenntnis des Aufenthaltsorts des Ausländers,64 abhängig ist. 65 Die Abschiebungshaftanordnung kann - in den Grenzen des § 57 11 4 AuslG - auch für den Fall beantragt werden, daß die Inhaftierung wie u.U. auch die Abschiebung selbst erst nach Wegfall eines objektivrechtlichen Hindernisses erfolgen kann, sei es, weil dieses einer Ergreifung, sei es, weil es erforderlichen mittelbaren Maßnahmen gegen Dritte66 entgegensteht. Lediglich an ein dem Ausländer von der Rechtsordnung als solches erlaubtes Verhalten, das ein subjektivrechtliches Hindernis zur Folge hat, kann für den Ausländer nicht ein seinem Recht zuwiderlaufender Nachteil in Form der Inhaftierung geknüpft werden. Die Ausnutzung eines objektivrechtlichen Hindernisses durch den Ausländer ist dagegen kein an sich erlaubtes Verhalten, sondern eine zumindest auch dem Ausländer zuzurechnende Verhinderung der Abschiebung auf einem von der Rechtsordnung für ihn nicht vorgesehenen Weg und damit eine Entziehung i. S. d. § 57 11 I Nr. 4 AuslG, mit der die nachteilige Folge der Zulässigkeit einer Abschiebungshaftanordnung verbunden ist. Daran ändert auch die Möglichkeit einer Duldungserteilung nach § 55 AuslG nichts; das Vorliegen einer Entziehung i. S. d. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG ist wie überhaupt die Zulässigkeit einer Abschiebungshaft davon prinzipiell unabhängig zu beurteilen. 67 Ob der Haftgrund des § 57 11 1 Nr. 4 AuslG durch eine Flucht ins Kirchenasyl verwirklicht wird, hängt damit letztlich doch auch vom Bestehen oder Nichtbestehen eines Kirchenasylrechts ab. Ein der Abschiebung entgegenstehendes Kirchenasylrecht des Ausländers schließt eine Beurteilung der Flucht ins Kirchenasyl als Entziehung i.S. dieser Vorschrift aus, während bei Bestehen eines Kirchenasylrechts eines Dritten die Flucht des von Abschiebung bedrohten Ausländers ins Kirchenasyl eine solche Entziehung darstellt. Da sich aus dem einfachen Recht ein Kirchenasylrecht weder in der einen noch in der anderen Hinsicht ergibt,68 ist eine Flucht ins Kirchenasyl im Rahmen einer einfachrechtlichen Untersuchung nur dann als Entziehung i. S. d. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG anzusehen, wenn die dadurch ggf. erforderlichen zusätzlichen Maßnahmen 69 ein konkretes Abschiebungsvorhaben (insbesondere eine Abschiebung an einem fest geplanten Termin) scheitern lassen und ein neues Abschiebungsvorhaben erforderlich machen. Dies richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles. Eine bloß tatsächliche Zurückhaltung der Behörden macht die Flucht ins Kirchenasyl jedenfalls noch nicht zu einer Entziehung i. S. d. § 5711 1 Nr. 4 AusiG. Vgl. BGH, NJW 1993,3069 (3070). Dies verkennt M. H. Müller, ZAR 1996, 170 (173). 66 Vgl. dazu u., S. 61 ff. 67 Vgl. Remmel, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 57 Rn. 233 f. m. w. N. Dazu auch noch u., S. 47. 68 Vgl. schon 0., S. 29 ff. 69 Vgl. dazu bes. wiederum u., S. 61 ff. 64

6S

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(c) Verdacht einer Entziehungsabsicht, § 57 II 1 Nr. 5 AuslG Eine Sicherungshaftanordnung nach § 57 II 1 Nr. 5 AuslG setzt einen begründeten Verdacht voraus, daß sich ein Ausländer der Abschiebung entziehen will. Ob diese Voraussetzung durch eine Flucht ins Kirchenasyl erfüllt wird, darüber gibt es bislang noch ganz unterschiedliche Auffassungen. In einem Fall der nachträglichen Mitteilung einer Anschriftänderung nach einer Flucht ins Kirchenasyl wurde der Haftgrund des § 57 11 1 Nr. 5 AuslG in der Rechtsprechung mit der Begründung abgelehnt, es sei nicht zu befürchten, der Ausländer wolle sich durch die Verdunkelung seines Aufenthaltsortes der Abschiebung entziehen. Vielmehr habe er durch die Flucht ins Kirchenasyl die ",Flucht' in die Öffentlichkeit" angetreten. 70 Andererseits wurde der Verdacht einer Entziehungsabsicht L S. d. § 57 II 1 Nr. 5 AuslG in einem ähnlich gelagerten Falle bejaht, in dem allerdings der Aufenthaltswechsel vom Ausländer erst nach Verstreichen eines vorgesehenen Abschiebungstermins bekanntgegeben wurde. Zur Begründung heißt es, das zwar nur vorübergehende, aber auf den geplanten Abschiebungstermin ausgerichtete Untertauchen des Ausländers lasse befürchten, daß dieser seine Abschiebung auch in Zukunft in einer Weise behindern werde, die nicht durch einfachen, keine Freiheitsentziehung bildenden Zwang überwunden werden könne. Diese Gefahr, insbesondere die Gefahr eines erneuten Untertauchens durch Flucht in ein anderes sog. verdecktes Kirchenasyl, werde nicht dadurch gemindert, daß sich der Ausländer nun im sog. offenen Kirchenasyl befinde. 71 Schließlich findet sich in der Rechtsprechung auch die Auffassung, eine beabsichtigte Inanspruchnahme von Kirchenasyl verwirkliche generell den Haftgrund des § 57 II 1 Nr. 5 AuslG. Danach läßt sich eine Entziehungsabsicht LS. dieser Vorschrift auch dadurch verwirklichen, daß der Ausländer von einem (öffentlichen) Angebot der Kirchenasylgewährung Gebrauch macht. Es wird gesagt, bei der Gewährung von Kirchenasyl hätte die Ausländerbehörde die beabsichtigte Abschiebung nicht mehr durchführen können. Zumindest wäre die Abschiebung wesentlich erschwert worden. 72 In der Literatur wird unter Verweisung auf die Erörterungen zu § 57 11 1 Nr. 4 AuslG festgestellt, auch im Fall des § 57 II 1 Nr. 5 AuslG sei der Begriff der Entziehung ausschlaggebend. In der Absicht eines Ausländers, sich in ein Kirchenasyl zu begeben, liege danach keine Vereitelung einer Abschiebung, sondern nur deren Erschwerung. Diese sei jedoch kein Haftgrund für eine Abschiebungshaft. Sehe man im Kirchenasyl ein Abschiebungshindemis, scheine § 57 II 1 Nr.5 AuslG seinem Wortlaut nach zwar erfüllt zu sein, solange ein Ausländer ein Kirchenasyl suche. Zu berücksichtigen sei aber auch, daß durch das Kirchenasyl eine Abschie70 OLG Köln, NVwZ 1993,707 (708); zustimmend Senge. in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 57 AuslG (A 215) Rn. 12; vgl. ferner ebd .• Rn. 14. 71 BayObLG, NJW 1997. 1713 (1714). 72 AG Wolfratshausen, NJW 1996, 942.

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bung niemals endgültig vereitelt werden solle und könne. Im übrigen rechtfertige die Ausschöpfung von die Abschiebung faktisch hindernden rechtlichen Möglichkeiten keine Abschiebehaft. Bei Bestehen eines Kirchenasylrechts müsse das Kirchenasyl auch als Rechtsschutzmöglichkeit im weiteren Sinn wie eine Petition verstanden werden, so daß eine Abschiebehaft nicht gerechtfertigt sei. Bei Nichtbestehen eines Kirchenasylrechts stelle das Kirchenasyl hingegen keinen Hinderungsgrund einer Abschiebung dar, so daß eine Abschiebehaftanordnung ebenfalls nicht ergehen dürfe?3 In dem konkret entschiedenen Fall, daß ein Aufenthaltswechsel durch Flucht ins Kirchenasyl erst nach Verstreichen eines vorgesehenen Abschiebungstermins bekanntgegeben wird, greift ersichtlich bereits der gegenüber dem bloßen Verdacht einer Entziehungsabsicht vorrangige Entziehungstatbestand des § 57 11 1 Nr. 2 AuslG ein. 74 Im übrigen ist zunächst genauer zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen ein Verdacht der Entziehungsabsicht i. S. d. § 57 11 1 Nr. 5 AuslG generell besteht, um deren Vorliegen dann in bezug auf die Fälle der entweder tatsächlichen oder auch erst beabsichtigten Flucht ins Kirchenasyl prüfen zu können. Ein begründeter Verdacht einer Entziehungsabsicht gemäß § 57 11 1 Nr. 5 AuslG besteht nach verbreiteter Auffassung dann, wenn konkrete Umstände für einen Willen des Ausländers erkennbar sind, die Abschiebung so zu behindern, daß sie nicht durch Anwendung einfachen Zwangs erreicht werden kann bzw. ohne Festnahme möglich ist. Eine weitergehende Präzisierung wird in bezug auf den häufigen Fall einer beharrlichen Ausreiseverweigerung dem Wortlaut der Norm entsprechend zu Recht dahingehend vorgenommen, daß diese Weigerung als solche noch nicht den Verdacht einer Entziehungsabsicht begründet, sondern erst bei einer daraus im konkreten Fall gleichzeitig zu ersehenden beharrlichen Weigerung, sich abschieben zu lassen. 75 In Übereinstimmung mit dieser Definition läßt sich die Entziehungsabsicht i. S. d. § 57 II 1 Nr. 5 AuslG ausgehend vom Begriff der Entziehung, der sich bereits in § 57 II 1 Nr. 4 AuslG findet, und den im dortigen Zusammenhang gewonnenen Erkenntnissen76 auch fassen als Absicht, bei bevorstehender Abschiebung einen der in § 57 II I Nr. 2-4 AuslG genannten Entziehungstatbestände zu verwirklichen. Es müssen also tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Ausländer ein konkretes Abschiebungsvorhaben unberechtigterweise verhindern will, um so die (zeitweilige oder auch endgültige) Undurchführbarkeit einer Abschiebung zu erreichen. Dabei hat § 57 11 1 Nr. 5 AuslG als Generalklausel zugleich die Wirkung eines Auffangtatbestandes für von den spezielleren Haftgründen nicht erfaßte FälIe. 77 M. H. Müller, ZAR 1996, 170 (173 f.). Zur Bezugnahme auf die Erörterungen zu § 57 11 0., S. 38 (bei Fn. 57). 74 Vgl. 0., S. 37; dazu auch u., S. 43. 75 Vgl. umfassend Remmel, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, ll-§ 57 Rn. 145 ff. m. w. N. 76 Vgl. dazu 0., S. 37 ff. 73

I Nr. 4 AuslG vgl.

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(aa) Tatsächliche Flucht ins Kirchenasyl Wenn ein Ausländer ins Kirchenasyl geflohen ist, hat er sich dadurch unter bestimmten Umständen der Abschiebung entzogen und den Haftgrund des Aufenthaltswechsels ohne Anschriftangabe gemäß § 57 11 I Nr. 2 AuslG oder den Haftgrund der Entziehung in sonstiger Weise gemäß § 57 11 I Nr. 4 AuslG erfüllt. 78 Soweit der Haftgrund des § 57 11 I Nr. 2 AuslG wegen rechtzeitiger nachträglicher Mitteilung einer neuen Anschrift ausscheidet, kann ein zunächst ohne diese Mitteilung erfolgter Aufenthaltswechsel gleichwohl den Verdacht einer Entziehungsabsicht begründen. Zu denken ist dabei etwa an eine verspätete Mitteilung, nachdem der Ausländer erfährt, daß ein konkretes Abschiebungsvorhaben noch gar nicht in die Wege geleitet ist. Soll dieses dann später geschehen, kann sich die zuständige Behörde nicht auf den Haftgrund des § 57 11 I Nr. 2 AuslG, wohl aber auf denjenigen des § 57 11 I Nr. 5 AuslG berufen, wenn der Ausländer seine neue Anschrift ursprünglich deshalb nicht mitgeteilt hatte, weil er fälschlicherweise davon ausging, ein konkretes Abschiebungsvorhaben sei schon im Gange. Ein solches Verhalten kann aber den Verdacht begründen, der Ausländer wolle sich einer Abschiebung durch einen erneuten Aufenthaltswechsel ohne sofortige oder rechtzeitig nachgeholte Abschriftangabe oder auch auf andere Weise entziehen. Ebenso kann der Verdacht einer Entziehungabsicht gegeben sein, wenn der Haftgrund des § 57 11 I Nr. 4 AuslG wegen der bloßen Erschwerung eines konkreten Abschiebungsvorhabens ausscheidet. Führt die Flucht ins Kirchenasyl lediglich zu einer solchen Erschwerung (etwa aufgrund einer behördlichen Pflicht zur Berücksichtigung der Rechte Dritter), so kann dieses Verhalten durchaus den Verdacht begründen, der Ausländer wolle sich der Abschiebung noch in irgendeiner Weise entziehen, wenn das Abschiebungsvorhaben trotz der Erschwerung weiter durchgeführt werde. Ob der Haftgrund des § 57 11 I Nr. 5 AuslG in den soeben genannten Fallkonstellationen eingreift, kann lediglich im Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Begleitumstände festgestellt werden. Nur bei Bestehen eines dem Ausländer als eigenes Recht zustehenden Kirchenasylrechts läßt sich aus einer Flucht ins Kirchenasyl der Verdacht einer Entziehungsabsicht unter keinen Umständen ableiten. In bezug auf die Ausschöpfung von Rechtsschutzmöglichkeiten ist anerkannt, daß dadurch der Verdacht einer Entziehungsabsicht nicht begründet werden kann. 79 Von einer erlaubten Handlung kann aber generell nicht auf eine Absicht zur uner77 Vgl. zum Charakter der Bestimmung als Generalklausel Remmel. in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 57 Rn. 122. Vgl. auch 0., S. 37 f., ferner S. 42. 7S Vgl. 0., S. 37 ff. 79 GÖbel-Zimmermann. ZAR 1996, 1\0 (\ 12); ders., in: "Unschuldig im Gefängnis?", S. 23 (35); Kaneinl Renner; Ausländerrecht, § 57 AuslG Rn. 20. alle m. w. N.

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laubten Verhinderung der Abschiebung geschlossen werden, so daß eine erlaubte Flucht ins Kirchenasyl als Grundlage einer Haftanordnung gemäß § 57 11 1 Nr. 5 AuslG ebenfalls ausscheidet. (bb) Beabsichtigte Flucht ins Kirchenasyl Bei einer erst beabsichtigten Flucht ins Kirchenasyl scheiden die Entziehungstatbestände des § 57 11 1 Nr. 2-4 AuslG von vornherein aus. Allerdings greift insoweit der Haftgrund des § 57 11 1 Nr. 5 AuslG ein, wenn bei einer Verwirklichung des Fluchtplans eine Entziehung zu bejahen wäre. Käme es zu einer bloßen Erschwerung, so kann die zunächst darauf gerichtete Absicht nach den Umständen des Einzelfalls aber - entsprechend der Möglichkeit einer Bejahung dieses Haftgrunds bei einer tatsächlichen Flucht ins Kirchenasyl - ebenfalls schon den Verdacht einer Entziehungsabsicht begründen. Nur wenn eine Entziehung aufgrund eines dem Ausländer zustehenden Kirchenasylrechts nicht in Betracht kommt, steht dieses Recht auch einer auf die Absicht einer Flucht ins Kirchenasyl gestützten Haftanordnung gemäß § 57 11 1 Nr. 5 AuslG entgegen. Auch für die Absicht einer Ausschöpfung aller Rechtsschutzmöglichkeiten ist anerkannt, daß sie keinen Verdacht einer Entziehungsabsicht begründet. 8o Diese Aussage läßt sich auf den Fall einer Absicht zur erlaubten Flucht ins Kirchenasyl wiederum übertragen. Eine solche Absicht scheidet danach als Grundlage einer Haftanordnung gemäß § 57 11 1 Nr. 5 AuslG gleichfalls aus. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß der Haftgrund des § 57 11 1 Nr. 5 AuslG durch eine beabsichtigte Flucht ins Kirchenasyl erfüllt wird, wenn bei Verwirklichung des Fluchtplans ein Entziehungstatbestand gemäß § 5711 1 Nr. 2-4 AuslG eingreifen würde. Ein Verdacht einer Entziehungsabsicht i. S. d. § 57 11 1 Nr.5 AuslG kann nach den Umständen des Einzelfalls begründet sein, wenn eine tatsächliche Flucht ins Kirchenasyl wegen rechtzeitiger nachträglicher Mitteilung einer Anschriftänderung nicht unter § 57 11 1 Nr. 2 AuslG fällt oder wenn in bezug auf eine tatsächliche Flucht ins Kirchenasyl (oder die unterstellte Verwirklichung einer entsprechenden Fluchtabsicht) der Haftgrund der Entziehung in sonstiger Weise gemäß § 57 11 1 Nr. 4 AuslG wegen bloßer Erschwerung ausscheidet. Steht dem Ausländer hingegen ein Recht zu einer tatsächlichen oder beabsichtigten Flucht ins Kirchenasyl zu, so kommt der Haftgrund des § 57 11 1 Nr. 5 AuslG insoweit von vornherein nicht in Betracht. Auch die Erfüllung dieses Haftgrunds hängt damit wesentlich davon ab, ob ein Kirchenasylrecht des Ausländers einerseits oder eines Dritten andererseits besteht, was zumindest nach einfachem Recht nicht der Fall iSt. 81

80 81

Remmel. in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 57 Rn. 178 m. w. N. Vgl. wiederum schon 0., S. 29 ff.

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(d) Versäumung eines Abschiebungstermins, § 57 II 1 Nr. 3 AuslG Der Haftgrund des § 57 11 1 Nr. 3 AuslG ist bislang in Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik noch nicht erörtert worden. Er ist in der Regel ohne weiteres erfüllt, wenn ein ins Kirchenasyl geflohener Ausländer zu einem ordnungsgemäß bekanntgegebenen 82 Abschiebungstermin vorsätzlich oder fahrlässig nicht erschienen ist. Etwas anderes gilt entsprechend dem zu den anderen Haftgründen Gesagten nur dann, wenn der Ausländer zu seinem Verhalten durch ein Kirchenasylrecht berechtigt war, wobei sich eine solche Berechtigung jedoch aus dem einfachen Recht nicht ergibt. (e) Unerlaubte Einreise, § 57 11 1 Nr. 1 AuslG Eine Abschiebungshaftanordnung nach § 57 II 1 Nr. 1 AuslG setzt eine vollziehbare Ausreisepflicht aufgrund unerlaubter Einreise voraus. Auf das Vorliegen dieses Haftgrundes, der immer unter Berücksichtigung des § 57 11 3 AuslG zu prüfen ist, hat eine Flucht ins Kirchenasyl zumindest bei einfachrechtlicher Betrachtung wiederum wegen des Fehlens eines (die Ausreisepflicht oder ihre Vollziehbarkeit beseitigenden) Kirchenasylrechts keinen Einfluß. (2) Durchführbarkeit der Abschiebung

Durch die Worte "zur Sicherung der Abschiebung" bringt § 57 11 1 AuslG zum Ausdruck, daß die Abschiebungshaft dem ausschließlichen Zweck dient, die tatsächliche Abschiebung eines bestimmten (u.U. momentan nicht auffindbaren)83 Ausländers zu sichern. Eine Sicherungshaftanordnung ist danach nicht geboten, wenn die Haft zur Sicherung der Abschiebung (ausnahmsweise) nichts beitragen kann. 84 Weitergehend muß zumindest die endgültige Undurchführbarkeit der Abschiebung einer Sicherungshaftanordnung dann gänzlich entgegenstehen. Für die Anordnung von Vorbereitungshaft ergibt sich aus § 57 lAusiG ("zur Vorbereitung der Abschiebung") Entsprechendes, zumal die Vorbereitungshaft gegenüber der Sicherungshaft lediglich eine Sonderform ist. 85 Noch nicht geklärt ist damit die in bezug auf das Erfordernis der Durchführbarkeit der Abschiebung problematische Frage nach der diesbezüglichen Prüfungskompetenz des Haftrichters. Eine eigenständige Prüfung der Durchführbarkeit der Abschiebung steht dem Haftrichter nach herrschender Meinung nicht zu. Es wird gesagt, aufgrund der geVgl. alJgemein Kanein/ Renner, Ausländerrecht, § 57 AuslG Rn. 17. D.h. eine momentane Unauffindbarkeit steht dem Erlaß einer Abschiebungshaftanordnung nicht entgegen; vgl. dazu schon 0., S. 39 f. (bei Fn. 64). 84 OLG CelJe, Nds.Rptl 1995, 214 (215), mit ergänzender verfassungsrechtlicher Argumentation unter Verweisung auf BVerfG, DVBI. 1994, 1404 (1405). 85 V gl. dazu schon 0., S. 36. 82 K3

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setzlich vorgesehenen Aufspaltung der gerichtlichen Zuständigkeiten im Abschiebungsverfahren hätten über die Haftanordnung die ordentlichen Gerichte und über die Rechtmäßigkeit der der Ausweisung und Abschiebung zugrundeliegenden Verwaltungsakte die Verwaltungsgerichte zu befinden. Soweit der von diesen gewährte Rechtsschutz reiche, sei der Haftrichter zur Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung der Abschiebungshaft nicht befugt, sondern an die der Ausweisung und Abschiebung zugrundeliegenden Verwaltungsakte - außer bei deren etwaiger Nichtigkeit - gebunden. Infolgedessen habe er nicht zu prüfen, ob die Ausländerbehörde die Abschiebung zu Recht betreibe. 86 Eine so weitgehende Bindung des Haftrichters an behördliche (und verwaltungsgerichtliche) Entscheidungen wird in der Literatur teilweise abgelehnt. Danach ist die Kompetenz des Haftrichters zur Prüfung der Durchführbarkeit der Abschiebung nicht auf den gemäß § 44 I VwVfG lediglich bei besonders schweren und offensichtlichen Mängeln eintretenden Fall des nichtigen Verwaltungsakts beschränkt. Zur Begründung wird gesagt, der Haftrichter habe sich vom Vorliegen aller tatbestandlichen Voraussetzungen einer Freiheitsentziehung zu überzeugen. Allein dies verpflichte ihn, auch bei fehlender Nichtigkeit der zugrundeliegenden Verwaltungsakte allen Zweifeln am Vorliegen der Voraussetzungen der Abschiebungshaft von Amts wegen nachzugehen. Dies gelte vor allem für die Abschiebungshindernisse der §§ 51 ff. Aus1G. 87 Eine eigenständige Prüfungskompetenz hinsichtlich des Bestehens eines als Abschiebungshindernis wirkenden oder sonst eine Abschiebung hindernden Kirchenasylrechts kommt dem Haftrichter im Rahmen des Erfordernisses der Durchführbarkeit der Abschiebung also nur nach der zuletzt genannten Mindermeinung zu. Die Argumentation, mit der diese Auffassung begründet wird, ist allerdings letztlich nicht stichhaltig. Zwar hat sich der Haftrichter vom Vorliegen aller tatbestandlichen Voraussetzungen der Abschiebungshaftanordnung zu überzeugen, wozu auch die Durchführbarkeit der Abschiebung gehört. Bei Einwendungen gegen die Zu lässigkeit der Abschiebung ist der Ausländer allerdings auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen. Diese Verweisung kann er auch im Falle einer Beantragung von Abschiebungshaft durch die Behörde nicht dadurch umgehen, daß er vor dem Haftrichter die Unzulässigkeit der Abschiebung geltend macht, um dann u.U. die von der zuständigen Behörde für zulässig erklärte Abschiebung zu verhindern. Soweit die für die Abschiebung generell zuständige und insoweit verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterliegende Behörde die Abschiebung für zulässig erklärt, ist 86 Vgl. etwa OLG Karlsruhe, NVwZ 1993, 8ll (812); Funke-Kaiser, in: "Unschuldig im Geflingnis?", S. 49 (54 ff.); Kloesel/ChristIHäußer, Deutsches Ausländerrecht, § 57 AuslG Rn. 10,28; ferner die Nachw. in BVerfG, NJW 1987,3076 (zur insoweit gleichlautenden Regelung des § 16 AuslG a. F.). 87 R. Marschner, in: Saage I Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 2 § I Rn. 20; ebenso ansatzweise Remmel, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, 11§ 57 Rn. 98, 202 ff. m. w. N.; ferner lakoberl LehlelSchwab, Aktuelles Ausländerrecht, § 57 AuslG Rn. 7, 11.

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daher auch der Haftrichter an diese Entscheidung gebunden. Bereits durch den Haftantrag oder dessen Aufrechterhaltung bringt die Behörde allerdings konkludent und in den Haftrichter bindender Weise ihre Auffassung von der Durchführbarkeit der Abschiebung zum Ausdruck. 88 Dagegen kann der Ausländer vor den Verwaltungsgerichten vorgehen, indem er sich gegen die insoweit ergangenen Verwaltungsakte wendet und versucht, eine den Haftrichter in entgegengesetzter Weise bindende Entscheidung zu erwirken. 89 Fehlen solche Verwaltungsakte noch (etwa bei einem behördlichen Antrag auf Anordnung von Vorbereitungshaft), kann der Ausländer vor den Verwaltungsgerichten eine Verpflichtung der Ausländerbehörde verlangen, den Haftantrag zurückzunehmen.90 Auf diese Weise lassen sich die Entscheidungskompetenzen von Verwaltungsbehörden und -gerichten einerseits und Haftgerichten andererseits eindeutig und den gesetzlichen Vorgaben entsprechend gegeneinander abgrenzen. Eine eigenständige Prüfungskompetenz hinsichtlich des Bestehens eines als Abschiebungshindernis wirkenden oder sonst eine Abschiebung hindernden Kirchenasylrechts kommt dem Haftrichter im Rahmen des Erfordernisses der Durchführbarkeit der Abschiebung mithin nicht zu. Unbeachtlich ist für den Haftrichter eine behördlicherseits festgestellte - mangels Bestehen eines einfachrechtlichen Kirchenasylrechts insoweit aber ohnehin nicht in Betracht kommende - kurzfristige Undurchführbarkeit der Abschiebung. Jedenfalls aus § 57 n 4 AuslG ergibt sich eindeutig, daß eine nur kurzfristige Undurchführbarkeit der Abschiebung einer Anordnung von Abschiebungshaft nicht entgegensteht. 91 Zwar setzt also eine Abschiebungshaftanordnung immer eine zumindest mittelfristige Durchführbarkeit der Abschiebung voraus. In bezug auf dieses Erfordernis ist der Haftrichter allerdings durch die behördlichen Entscheidungen (abgesehen vom Fall der Nichtigkeit) gebunden. Auch in bezug auf das Bestehen eines die Abschiebung hindernden Kirchenasylrechts - für das indessen, wie nochmals zu betonen ist, jedenfalls im einfachen Recht letztlich keine Grundlage gefunden werden kann - hat der Haftrichter daher insofern keine Prüfungskompetenz. Vgl. BVerfG, NJW 1987,3076. Vgl. OVG Koblenz, NVwZ-RR 1989,441 (442). 90 Vgl. etwa Göbel-Zimmennann, in: "Unschuldig im Gefängnis?", S. 23 (31); ders., ZAR 1996, 110 (118). Insoweit unklar OVG Koblenz, NVwZ-RR 1989,441 (442). Zur in dieser Hinsicht berechtigten Kritik an der dort vertretenen Auffassung von der prinzipiellen Unzulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Rücknahmeklage vgl. auch Remmel, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 57 Rn. 83 ff. Vgl. ferner ebd., Rn. 74 zur Notwendigkeit einer Rücknahme des Haftantrags (trotz fehlenden Zwanges zum Vollzug einer Haftanordnung - dazu auch u., S. 48 -, woran ein Klagebegehren ebenfalls anknüpfen könnte, nämlich als Unterlassungsbegehren). 91 Vgl. dazu auch KloesellChristl Häußer; Deutsches Ausländerrecht, § 57 AuslG Rn. 23 ff.; R. Marschner; in: Saage I Göppinger, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 2 § I Rn. 19 f. 88 89

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1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

bb) Rechtsfolge Aufgrund des Wortlauts des § 57 AuslG ("ist ... in Haft zu nehmen") ist der Erlaß einer Abschiebungshaftanordnung nicht nur zulässig, sondern vielmehr geboten, wenn die genannten Voraussetzungen vorliegen. 92 Ebenso ist die zuständige Behörde bereits zur Beantragung einer Haftanordnung verpflichtet, wenn sie diese Voraussetzungen als gegeben ansieht. cc) Vollstreckung der Haftanordnung Soweit die vorgenannten Voraussetzungen in Kirchenasylfällen erfüllt sind, stellt sich die Frage, ob eine daraufhin erlassene Haftanordnung ohne weiteres vollstreckt werden kann. Erst die Vollstreckung der Haftanordnung bewirkt eine Beendigung des Kirchenasyls. Allein die zuständige Verwaltungsbehörde, also in erster Linie die Ausländerbehörde, hat als "Herrin des Vollzugs" darüber zu entscheiden, ob, wann, wo und wie lange die Haftanordnung im Rahmen ihrer Gültigkeitsdauer vollstreckt wird. Sie wird durch einen gerichtlich angeordneten Abschiebungshaftbefehl nicht gezwungen, diesen auch zu vollstrecken. Findet eine Vollstreckung statt, so unterliegt die Behörde dabei nach wie vor der durchgängigen Überprüfungspflicht in bezug auf das Vorliegen der Haftvoraussetzungen. 93 Eine behördliche Vollstreckungspflicht ergibt sich allerdings nach dem Gesetzeswortlaut direkt aus § 57 AuslG, soweit die Voraussetzungen der Vorbereitungs- oder Sicherungshaft als gegeben angesehen werden und eine diesbezügliche richterliche Haftanordnung ergangen ist. 94 Der Vollzug der Abschiebungshaft ist nicht umfassend gesetzlich geregelt. 95 In bezug auf die Ingewahrsamnahme, durch die ein Kirchenasyl unmittelbar beendet wird, kommt eine Geltung der landesrechtIichen Regelungen des Polizei- und Ordnungsrechts (vgl. etwa §§ 35 ff. PolG NW, ggf. i.V.m. § 24 OBG) in Betracht. Diese Vorschriften gelten in jedem Falle bei einem (vollzugs-)polizeilichen Tätigwerden. Für die Ausländerbehörden können diese Regelungen besonders dann Anwendung finden, wenn als Ausländerbehörden landesrechtlich die Polizei- bzw. Ordnungsbehörden bestimmt sind. 96 Die Ausländerbehörden werden dann entwe92 Vgl. KloesellChristl Häußer; Deutsches Ausländerrecht, § 57 AuslG Rn. 2, 7, 17, 22 (dort auch zu verfassungsrechtlichen Einschränkungen aufgrund des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes). 93 Gäbel-Zimmermann, in: "Unschuldig im Gefängnis?", S. 23 (45); ders., ZAR 1996, 110 (118 f.); Remmel, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 57 Rn. 72 ff. m. w. N. 94 Vgl. auch 0., bei Fn. 92 (zur entsprechenden richterlichen Pflicht zum Erlaß der Haftanordnung). 95 Vgl. dazu Gäbel-Zimmermann, in: "Unschuldig im Gefängnis?", S. 23 (45 ff.); ders., ZAR 1996, 110 (119).

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der zur Gefahrenabwehr (vgl. § 1 I, 11 OBG) oder zur Erfüllung sonstiger Aufgaben (vgl. § 1 III OBG) tätig, je nachdem, ob das Ausländerrecht dem Recht der Gefahrenabwehr zugeordnet wird oder nicht. 97 Entscheidend wird diese Zuordnungsfrage dann, wenn als Ausländerbehörden landesrechtlich nicht die Polizeibzw. Ordnungsbehörden bestimmt sind. Eine Geltung der polizei- bzw. ordnungsrechtlichen Bestimmungen kommt dann nur in Betracht, wenn die Ausländerbehörden als besondere Polizei- bzw. Ordnungsbehörden (vgl. § 12 OBG: "Sonderordnungsbehörden") anzusehen sind. 98 Andernfalls sind die Ausländerbehörden - soweit nicht spezielle Regelungen bestehen - bei der Vollstreckung der Haftanordnung von vornherein auf die Vollzugshilfe der Polizei angewiesen. Dies kann aber auch dann der Fall sein, wenn die Ausländerbehörden als (Sonder-)Ordnungsbehörden tätig werden. Inwieweit den Ordnungsbehörden die Standardmaßnahmebefugnisse zustehen, ist nämlich in den Bundesländern sehr unterschiedlich geregelt. 99 Während die Anordnung der Abschiebungshaft von ihrer Durchführbarkeit unabhängig ist,IOO kommt es auf diese für den Vollzug der Abschiebungshaft entscheidend an. Ebensowenig wie ein die Abschiebung hinderndes Kirchenasylrecht ergibt sich aber aus dem einfachen Recht ein dem Vollzug der Abschiebungshaft entgegenstehendes Kirchenasylrecht, und zwar weder auf seiten des Ausländers noch auf seiten eines kirchenasylgewährenden Dritten. 101 Daher ist an dieser Stelle 96 V gl. etwa § I der nordrhein-westfalischen VO üb. Zuständigkeiten im Ausländerwesen v. 6. 12. 1990, GV.NW 1990, S. 661; ferner die ausländerrechtIiche Bestimmung des § 45 OBG sowie die aufgrund § 9 II Buchst. a OBG erlassene AAnw z. AuslVwV, MBI. NW (Ausg. A) 1977, S. 1250 ff. Zur entsprechenden hessischen VO üb. die Zuständigkeiten der Ausländerbehörden vgl. HessVGH, EZAR 601 Nr. 5, S. 2 f. (in dieser Entscheidung ging es um die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Ausländerbehörden nach dem HSOG). 97 V gl. dazu Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. I; lakober / Lehle / Schwab. Aktuelles Ausländerrecht, § 63 AuslG Rn. 3; Mußmann. Allgemeines Polizeirecht in BadenWürttemberg. Rn. 106; WeIte. DÖV 1989, 114 gegen HessVGH, EZAR 601 Nr. 5, S. 3 f. m.N. Vgl. auch - i.S. einer Anwendbarkeit des § 1 III OBG - Rietdorf/Heise/Böckenjörde/ Strehlau. Ordnungs- und Polizeirecht in Nordrhein-Westfalen, § I OBG Rn. I, 68 ff., bes. 72. 98 Vgl. allgemein zur Abgrenzung von allgemeinen Ordnungsbehörden und Sonderordnungsbehörden Rietdorf/ Heise / Böckenförde / Strehlau. Ordnungs- und Polizeirecht in Nordrhein-Westfalen, § 12 OBG Rn. I; zur unterschiedlichen Benennung der Sonderordnungsbehörden in den verschiedenen Bundesländern Habermehl. PoJizei- und Ordnungsrecht, Rn. 39. 99 Überblicksartig zur Regelung der Standardmaßnahmebefugnisse in den einzelnen Bundesländern Habermehl. PoJizei- und Ordnungsrecht, Rn. 336; zur besonderen Rechtslage in Bayern vgl. Brückl/ Peißl. BayVBI. 1993, 245. Vgl. auch Weite. DÖV 1989, 114, der darauf hinweist. daß in der Praxis mit der Durchführung von Abschiebungen (d. h. im weiteren Sinne mit Abschiebungsmaßnahmen jeder Art) grundSätzlich der Polizeivollzugsdienst betraut wird; nur insoweit zutreffend Rothkegel. ZAR 1997, 121 (125 f.), der die Beendigung des Kirchenasyls ohne weitere Begründung generell als "Sache der allgemeinen Polizeibehörden. also nicht der Ausländerbehörden" ansieht. 100 Vgl. 0., S. 39 f. 101 Vgl. 0., S. 29 ff.; ausführlich zur Zulässigkeit von mittelbaren Maßnahmen gegen den Dritten noch u., S. 61 ff.

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auch nicht zu prüfen, ob ein Kirchenasylrecht (besonders ein solches des Dritten) bereits der Vollstreckung einer Abschiebungshaftanordnung bei bloß geplanter Flucht ins Kirchenasyl entgegenstehen kann. Der Vollzug der Abschiebungshaft wird aus einfachrechtlicher Sicht weder durch eine geplante noch durch eine durchgeführte Flucht ins Kirchenasyl gehindert. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, daß eine (geplante oder durchgeführte) Flucht ins Kirchenasyl bei einfachrechtlicher Betrachtung mangels eines insoweit bestehenden Kirchenasylrechts für die Anordnung oder den Vollzug der Abschiebungshaft grundsätzlich nicht von Bedeutung ist. Etwas anderes gilt lediglich bei einer dadurch (etwa aufgrund notwendig werdender mittelbarer Maßnahmen gegen den kirchenasylgewährenden Dritten) hervorgerufenen wesentlichen Erschwerung oder zeitweiligen Verhinderung der Ergreifung des Ausländers. 2. Soldatenrechtliche Maßnahmen

Eine soldatenrechtliche Ermächtigungsgrundlage für die polizeiliche Vorführung bzw. Zuführung fahnenflüchtiger Wehrpflichtiger ergibt sich aus § 44 11, 1lI WpflG. 102 Polizeiähnliche Befugnisse Vorgesetzter unmittelbar gegen fahnenflüchtige Soldaten bestehen darüber hinaus im Rahmen der durch § 10 11, V 2 SG eingeräumten Befehlsbefugnis, 103 ferner aufgrund der disziplinarrechtlichen Festnahmebefugnis des § 17 WDO,I04 nicht hingegen (etwa für ein Feldjäger-Dienstkommando) nach den Vorschriften des UZwGBw lO5 oder erwähntem § 44 11, III WpflG Hl6 • Aus den danach bestehenden soldatenrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen ergibt sich unter den üblichen Voraussetzungen ohne kirchenasylspezifische Besonderheiten eine Befugnis zu Ergreifungsmaßnahmen gegen ins Kirchenasyl geflüchtete Soldaten. Ein entgegenstehendes Kirchenasylrecht läßt sich dem einfachen Recht nicht entnehmen. 107 Für ein gewohnheitsrechtliches Kirchenasylrecht in bezug auf soldatenrechtliche Maßnahmen fehlt es dabei mangels irgendwelchen bekanntgewordenen Fallmaterials aus neuerer Zeit - die Konstellationen, um die es hier geht, werden in der Kirchenasyldiskussion überhaupt nur ganz am Rande ohne konkrete Bezüge erwähnt - 108 sogar schon an einem Anhaltspunkt für das Vorliegen der erforderlichen tatsächlichen Übung. 109 Im Rahmen der bei der Anwendung der solVgl. allgemein zu dieser Bestimmung Steinlechner, Wehrpflichtgesetz, § 44 Rn. 31 ff. Vgl. dazu Lingens, Die Polizeibefugnisse der Bundeswehr, S. 85, 99; ferner Dau, Wehrdisziplinarordnung, § 17 Rn. 13; Scherer / Alff, Soldatengesetz, § 10 Rn. 58. 104 Vgl. Dau, Wehrdisziplinarordnung, § 17 Rn. 8. 105 Vgl. Heinen, NZWehrr 1992, 114 ff.; ferner Großmann, Bundeswehrsicherheitsrecht, 1II.§ 3 Rn. 1. Zum präventiven Charakter des Zugriffs aufgrund des UZwGBw vgl. Jess/ Mann, Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges bei der Bundeswehr, § 6 Rn. 1. 106 Vgl. Steinlechner, Wehrpflichtgesetz, § 44 Rn. 37,43. 107 Vgl. 0., S. 29 ff. 108 Vgl. 0., S. 21 m. Fn. 17 f. 102

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datenrechtlichen Ennächtigungsgrundlagen gebotenen Ennessensausübung ist das Kirchenasyl allerdings zu berücksichtigen, wenn auch nicht im Sinne einer Ennessensreduzierung auf Null. 110 In bezug auf die Durchsetzung der genannten Ergreifungsmaßnahmen ist allerdings zu beachten, daß es kein soldatenrechtliches Wohnungsbetretungsrecht gibt. 111 Die Befugnisse der Vollzugskräfte der Bundeswehr, vor allem auch der Feldjäger, enden daher, sobald ein solches Betretungsrecht erforderlich ist. 112 Dies ist in Kirchenasylfällen letztlich eine verfassungsrechtliche Frage. 1I3 3. Maßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts

Unter den üblichen Voraussetzungen kommen auch Maßnahmen zur Beendigung eines Kirchenasyls gegen den dorthin Geflüchteten nach den Vorschriften des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts in Betracht. Zu denken ist beispielsweise an eine polizeiliche Ingewahrsamnahme, die zwar als Gefahrenabwehnnaßnahme nicht der Strafverfolgung dienen kann, aber etwa nach § 35 I Nr. 2, III PolG NW besonders zur Verhinderung der Begehung oder Fortsetzung von Straftaten oder zur Rückführung aus Justizvollzugsanstalten Entwichener erfolgen kannY4 Als (noch nicht vollendete) Straftaten, deren Begehung oder Fortsetzung durch eine Ingewahrsamnahme verhindert werden kann, kommen in Kirchenasylfällen besonders solche nach §§ 15 f. WStG (eigenmächtige Abwesenheit, Fahnenflucht) und nach § 92 I Nr. 1 AuslG (unberechtigter Aufenthalt im Bundesgebiet) in Betracht. 115 Die Abschiebungshaftregelung des § 57 AuslG schließt eine Ingewahrsamnahme wegen unberechtigten Aufenthalts strafbarer Ausländer nach den Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts nicht aus. 116 Vgl. dazu 0., S. 32 f. Vgl. ausführlicher u., S. 52 f. 111 Vgl. auch u., S. 61 Fn. 173. 112 Vgl. Großmann, Bundeswehrsicherheitsrecht, II Rn 260 f., III.§ 9 Rn. 51 f. 113 Vgl. dazu u., S. 63 ff. und 125. 114 Vgl. Tegtmeyer; Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, § 35 Rn. 1,7 ff., 17; daneben (zum insoweit gleichlautenden § 13 PolG NWa.F.) Wagner; Kommentar zum Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen, § 13 Rn. 2, 11 ff., 23 ff.; kritisch zur kompetenzrechtlichen Zulässigkeit des § 35 III PolG NW Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 127 Rn. 32; vgl. dagegen Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 584 m. w. N. IIS Vgl. dazu auch noch u., S. 73 f. 116 Vgl. Meixner; Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG), § 32 Rn. 17; kritisch, aber angesichts des klaren Wortlauts der Gewahrsamsregelungen nicht überzeugend Göbel-Zimmermann, in: "Unschuldig im Gefängnis?", S. 23 (27) m. w. N., auch zur Gegenansicht; ebenso ders., ZAR 1996, 110 (116). Zur in diesem Zusammenhang durchgängig erwähnten Entscheidung BVerwGE 62, 317 (320) vgl. schon 0., S. 34 Fn. 42. Zur unproblematischen polizeirechtlichen Befugnis bzgl. Straftaten nach §§ 15 f. WStG vgl. Großmann, Bundeswehrsicherheitsrecht, II Rn. 264. 109

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Sofern ein Fall der Aucht ins Kirchenasyl gegen den Willen des (unfreiwilligen) Kirchenasylgebers vorliegt, kann das polizeiliche Tätigwerden auch die Verhinderung oder Beendigung eines Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB bezwecken. Speziell bei gewaltsamen Kirchenbesetzungen liegt daneben Ld.R. eine Störung des religiösen Friedens als Schutzgut im Rahmen der öffentlichen Sicherheit vor (vgl. auch § 167 StGB, Störung der Religionsausübung), aufgrund derer eine Ingewahrsamnahme oder ein sonstiges polizeiliches Einschreiten zulässig sein kann. 117 Ein Maßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungrechts entgegenstehendes Kirchenasylrecht ergibt sich aus dem einfachen Recht nicht. 118 Auch für ein gewohnheitsrechtliches Kirchenasylrecht im Hinblick auf Maßnahmen mit strafrechtlichem Bezug fehlt es dabei bereits an einem Anhaltspunkt für die erforderliche tatsächliche Übung. 1I9 Die Maßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts stehen weiterhin zwar sämtlich unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit (vgl. etwa §§ 2 PolG NW, 15 OBG). Ennöglicht bzw. betont werden soll damit indessen die Geltung und Anwendung der Grundrechte in diesem Bereich. 12o Bei einer bloß einfachrechtlichen Betrachtung ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Kirchenasylfällen keine Einschränkung in bezug auf Maßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts. Steht die betreffende Maßnahme unter einem Richtervorbehalt (vgl. etwa § 36 PolG NW), so ist dieser ebenfalls zu beachten. Dabei ist in bezug auf eine Ingewahrsamnahme auch in Kirchenasylfallen nach Möglichkeit eine vorherige richterliche Entscheidung einzuholen. 121 Die Maßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts fallen generell in den Bereich der Ennessensverwaltung (vgl. etwa §§ 3 PolG NW, 16 OBG).122 Bei der Ennessensausübung ist auch das Kirchenasyl zu berücksichtigen, und zwar nicht nur in bezug auf das Eindringen in das Kirchenasyl,123 sondern ebenso in bezug auf Ergreifungsmaßnahmen gegen den Kirchenasylflüchtling. In diesem Rahmen hat dann ggf. die Vorschrift des § 167 StGB (Störung der Religionsausübung) auch in entgegengesetzter Weise Beachtung zu finden,124 und "angesichts der be117 Vgl. BayVGH, BayVBI. 1986,337 f.; GomiglJahn. Fälle zum Sicherheits- und Polizeirecht, S. 4 (8); ferner Ehnes. in: Das Recht der Kirche, Band I1I, S. 601 (618). 118 Vgl. 0., S. 29 ff. 119 Vgl. dazu auch noch u., S. 55. 120 Vgl. Götz. Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 321, 323 ff.; daneben Drewsl Wacke I K. Vogel! Martens. Gefahrenabwehr, S. 389 ff., wo die Verhältnismäßigkeit im Rahmen des sogleich zu behandelnden Ermessens erörtert wird. Vgl. auch noch u., S. 135 ff. 121 Vgl. dazu allgemein nur Tegtmeyer. Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, § 36 Rn. 3. 122 Dazu allgemein Götz. Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 347 ff. 123 Vgl. dazu U., S. 65 f. 124 Insoweit zutreffend Jacobs. ZevKR 35 (\990), 25 (39); vgl. auch Gramlich. in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (206); Radtke I Radtke, ZevKR 42 (\ 997),23 (39 f., 48).

A. Zulässigkeit von Ergreifungsmaßnahmen

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sonderen Situation in einer Kirche,,125 kann die Behörde ,.zurückhaltung [ ... ] aufgrund freiwilliger Selbstbeschränkung,,126 üben. Allerdings wiegen diese im Bereich des einfachen Rechts angesiedelten Ermessensgesichtspunkte gegenüber den für die Eingriffsmaßnahme sprechenden polizei- und ordnungsrechtlichen Schutzgütern der Ermächtigungsgrundlage nicht so schwer, daß sie von vornherein eine "Ermessensreduzierung auf Null,,127 bewirken. Insbesondere führt die Strafvorschrift des § 167 I 1 Nr. 1 StGB nicht zur generellen Unzulässigkeit von polizeilichen Ergreifungsmaßnahmen während eines Gottesdienstes, schon gar nicht mit der Folge, daß durch die ununterbrochene Abhaltung von Gottesdiensten quasi ein diesbezügliches Kirchenasylrecht begründet werden könnte. 128 Im Hinblick auf Ergreifungsmaßnahmen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts ist das Kirchenasyl also bei der Ermessensausübung durchaus von Bedeutung. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Ergreifungsmaßnahmen hat es dagegen keinen speziellen Einfluß.

11. Strafprozessuale Ergreifungsmaßnahmen 1. Untersuchungshaft

Als Grundlage gegen einen Kirchenasylflüchtling gerichteter strafprozessualer Ergreifungsmaßnahmen, mit denen eine Beendigung des Kirchenasyls erreicht wird, kommen zunächst die Vorschriften über die Untersuchungshaft in Betracht. Die Untersuchungshaft ist in jedem Abschnitt des Strafverfahrens und auf jeder Stufe bis zur Rechtskraft des Urteils statthaft. 129 Zuständig für die Anordnung der Untersuchungshaft ist nach § 125 StPO grundsätzlich der in dem jeweiligen Verfahrensabschnitt funktionell zuständige Richter. 130 Die Staatsanwaltschaft ist nach § 36 TI 1 StPO für die Vollstreckung (unter Zuhilfenahme der Hilfsbeamten und der Polizei, §§ 152 GVG, 161 StPO) und - soweit erforderlich - nach § 125 StPO auch für die Beantragung der Haftanordnung zuständig. 131 So BayVGH, BayVBI. 1986,337 (338). So - allerdings in einem Falle fehlenden Ermessensspielraums, vgl. 0., S. 33 m. Fn. 36 - OLG Köln, NVwZ 1993.707 (708). Zur Bedeutung der staatskirchenrechtlichen Freundschaftsklausel in diesem Zusammenhang vgl. schon 0 .• S. 31. 127 Dazu allgemein Maurer; Allgemeines Verwaltungsrecht. § 7 Rn. 24 f. m. w. N. 128 Auch RadtkelRadtke. ZevKR 42 (1997). 23 (39 f.) - wie auch Jacobs. ZevKR 35 (1990). 25 (38 f.); GramIich. in: Recht und Rechtsbesinnung. S. 195 (205 f.) - erwähnen § 167 StGB eher beiläufig im Rahmen ihrer letztlich verfassungsrechtlichen Argumentation; vgl. dazu u., S. 235 m. Fn. 42. 129 Boujong. in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 112 Rn. 55; Paeffgen. in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz. § 112 Rn. 49, beide m. w. N. 130 Vgl. Roxin. Strafverfahrensrecht, § 30 Rn. 22. 12S

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a) Voraussetzungen des Haftbefehls

Die Anordnung der Untersuchungshaft erfolgt gemäß § 114 StPO durch richterlichen Haftbefehl. Der Erlaß eines Haftbefehls setzt nach § 112 I StPO einen dringenden Tatverdacht, das Bestehen eines Haftgrundes sowie die Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft voraus. aa) Dringender Tatverdacht Ein dringender Tatverdacht ist gegeben, wenn nach dem bisherigen Ermiulungsergebnis in seiner Gesamtheit eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, daß der Beschuldigte als Tater oder Teilnehmer eine Straftat begangen hat. 132 In Kirchenasylfäl1en kann sich dabei ein Tatverdacht sowohl auf vor der Aucht ins Kirchenasyl bereits vol1endete Straftaten als auch auf solche Straftaten beziehen, die während der Flucht ins Kirchenasyl verwirklicht werden (z. B. Straftaten nach §§ 15 f. WStG oder § 92 I Nr. 1 AuslG).133

bb) Bestehen eines Haftgrundes In §§ 112 II Nr. 1- 3, III, 1I2a I StPO sind als Haftgründe genannt: Aucht, Auchtgefahr, Verdunkelungsgefahr, besondere Tatschwere und Wiederholungsgefahr. l34 Inwieweit in Kirchenasylfäl1en die Erfül1ung dieser Haftgründe durch einen Kirchenasylflüchtling in Betracht kommt, ist nun im einzelnen zu prüfen. (1) Flucht, § 112 11 Nr. 1 StPO

Ein Haftgrund besteht nach § 112 II Nr. 1 StPO dann, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen festgestel1t wird, daß der Beschuldigte l35 flüchtig ist oder sich verborgen hält. Aüchtig ist, wer, um unerreichbar zu sein, seine Wohnung verlassen hat, ohne eine neue zu beziehen. 136 Eine Flucht ins Kirchenasyl erfül1t diesen Tatbestand, wenn das Kirchenasyl eine Station eines fortdauernden Aufenthaltswechsels mit dem Ziel der Unerreichbarkeit ist. Ist das Kirchenasyl hingegen in der Weise \31 Vgl. nur Wendisch. in: Löwe-Rosenberg. Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 114 Rn. 29, § 125 Rn. 7 ff. 132 Vgl. i.e. Boujong. in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung. § 112 Rn. 3 ff.; Kleinknecht / Meyer-Goßner. Strafprozeßordnung, § 112 Rn. 5 ff. 133 Vgl. schon 0., S. 51. 134 Vgl. überblicksartig Roxin. Strafverfahrensrecht, § 30 Rn. 7 ff. m Dazu Schoreit. in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung. § 157 Rn. I. 136 Kleinknecht / Meyer-Goßner. Strafprozeßordnung, § 112 Rn. 13; Wendisch. in: LöweRosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz. § 112 Rn. 32.

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Zufluchtsort, daß der Kirchenasylflüchtling dort nunmehr prinzipiell erreichbar ist, so stellt der Aufenthalt im Kirchenasyl keine Flucht L S. d. § 112 TI Nr. 1 StPO dar. Auch dann kann allerdings noch ein Verbergen LS. dieser Vorschrift vorliegen. Verborgen hält sich, wer seinen Aufenthalt vor den Behörden, um für diese unauffindbar zu sein, verschleiert, also unangemeldet, unter falschem Namen oder an einem unbekannten Ort lebt. 137 Dieser Tatbestand wird erfüllt, wenn ein Kirchenasyl als Versteck dient. Subjektiv setzt der Haftgrund des § 112 TI Nr. 1 StPO allerdings immer voraus, daß der Beschuldigte, der möglicherweise aus anderen Gründen (beispielsweise um sich ausländerpolizeilichen Maßnahmen zu entziehen) auf der Flucht ist oder sich verborgen hält, eine Verhinderung des Strafverfahrens zumindest in Kauf nimmt. 138 Dies gilt auch in Kirchenasylfällen. Ein Kirchenasylrecht, welches eine Verwirklichung dieses Haftgrunds erlaubt und damit einem diesbezüglichen Haftbefehl generell entgegenstehen könnte, ergibt sich aus dem einfachen Recht nicht. 139 Für ein gewohnheitsrechtliches Kirchenasylrecht in bezug auf strafprozessuale Maßnahmen fehlt es dabei wiederum sogar schon an einem Anhaltspunkt für das Vorliegen der erforderlichen tatsächlichen Übung. 140 Der Haftgrund des § 112 TI Nr. 1 StPO ist daher auch in Kirchenasylfällen unter den genannten Voraussetzungen gegeben. (2) Fluchtgefahr, § 112 Il Nr. 2 StPO

Nach § 112 II Nr. 2 StPO besteht ein Haftgrund, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Einzelfallumstände die Gefahr besteht, daß der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen werde. Unter Sichentziehen ist das vom Beschuldigten oder mit seinem Wissen von anderen vorgenommene Verhalten zu verstehen, das den vom Beschuldigten beabsichtigten, erkannten oder in Kauf genommenen Erfolg hat, den Fortgang des Verfahrens dauernd oder vorübergehend durch Aufheben der Bereitschaft zu verhindern, für Ladungen, Vollzugs- und Vollstreckungsmaßnahmen zur Verfügung zu stehen. 141 Damit entspricht der Begriff des Sichentziehens in § 112 TI Nr. 2 StPO demjenigen in § 57 TI 1 Nr. 5 AuslG (wie auch in § 57 TI 1 Nr. 4 AusIG). Ob eine tatsächliche oder beabsichtigte Flucht ins Kirchenasyl ein in Entziehungsabsicht vorgenommenes Verhalten ist und als 137 Boujong, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 112 Rn. 12; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 112 Rn. 33. 138 Vgl. LG Hamburg, StV 1987, 399; KleinknechtIMeyer-Goßner; Strafprozeßordnung, § 112 Rn. 13 f. 139 Vgl. 0., S. 37 (zum gleichgelagerten Fall der Abschiebungshaftanordnung wegen eines Aufenthaltswechsels ohne Anschriftangabe) und - allgemeiner - S. 29 ff. 140 Vgl. dazu - in bezug auf die insoweit gleichgelagerten soldatenrechtlichen Maßnahmen - 0., S. 50 f. m. Fn. 108 f. 141 BGHSt 23, 380 (384); Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 112 Rn. 35 m. w. N.

1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

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solches den strafprozessualen Haftgrund der Fluchtgefahr i. S. d. § 112 TI Nr. 2 StPO begründet, ist daher entsprechend der Prüfung des ausländerrechtlichen Haftgrundes des § 57 TI 1 Nr. 5 AuslG zu beurteilen. 142 Mangels eines einfachrechtlichen Kirchenasylrechts des Kirchenasylflüchtlings oder des Kirchenasylgewährers spricht somit bei einfachrechtlicher Betrachtung nichts von vornherein gegen bzw. für das Vorliegen einer Fluchtgefahr, welches infolgedessen nur aufgrund der konkreten Einzelfallumstände festgestellt werden kann. (3) Andere Haftgründe

Das Vorliegen der übrigen Haftgründe der Verdunkelungsgefahr, der besonderen Tatschwere und der Wiederholungsgefahr gemäß §§ 112 TI Nr. 3, m, 112a I StPO ist völlig unabhängig von einer Flucht ins Kirchenasyl und auch in Kirchenasylfällen unter den üblichen Voraussetzungen festzustellen. cc) Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft Die Untersuchungshaft darf nach § 112 I 2 StPO nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe außer Verhältnis steht. Besondere Ausprägungen dieses strafprozessualen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes finden sich in §§ 113, 116 StPO. 143 (J) Einschränkung der Untersuchungshaft bei geringer Strafdrohung, § JJ3 StPO

Eine Einschränkung der Untersuchungshaft ergibt sich für Taten, die nur mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig Tagessätzen bedroht sind, aus § 113 StPO. Nach § 113 II StPO darf die Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr in diesem Falle nur unter bestimmten Voraussetzungen angeordnet werden. Zulässig ist die Anordnung gemäß § 112 II Nr. 1 StPO, wenn sich der Beschuldigte dem Verfahren bereits einmal entzogen hatte oder Fluchtanstalten getroffen hat. Ob die Flucht ins Kirchenasyl eine Entziehung i.S. dieser Vorschrift darstellt, läßt sich entsprechend dem ausländerrechtlichen Entziehungstatbestand in bezug auf die Abschiebungshaft, § 57 TI 1 Nr. 4 AuslG, feststellen. l44 Ebenfalls zulässig ist eine Untersuchungshaftanordnung aufgrund der Bestimmung des § 113 II Nr. 2 StPO, wenn der Beschuldigte in der Bundesrepublik keinen festen Wohnsitz oder Aufenthalt hat, wobei es für einen festen Aufenthalt ausreicht, daß der Beschuldigte für eine gewisse Dauer an einem Ort tatsächlich Dazu 0., S. 41 ff. Vgl. Boujong, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, Vor § 112 Rn. 7, § 113 Rn. I, § II6 Rn. 1. Vgl. auch 0., S. 52 und u., S. 263. 144 Vgl. dazu 0., S. 37 ff.; ferner bei Fn. 142. 142 143

A. Zulässigkeit von Ergreifungsmaßnahmen

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verweilt. 145 Bei einer Flucht ins Kirchenasyl ist ein solcher fester Aufenthalt regelmäßig gegeben, so daß die Voraussetzung des § 113 II Nr. 2 StPO in diesem Falle nicht erfüllt wird.

(2) Allgemeiner Verhältnismäßigkeitsgrundsatzfiirdie Untersuchungshaftanordnung, § 112 12 StPO Nach § 112 I 2 StPO darf eine Untersuchungshaftanordnung im Hinblick auf die Bedeutung der Sache und die zu erwartende Strafe nicht unverhältnismäßig sein. Gegeneinander abzuwägen sind für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit die Schwere des Eingriffs in die Lebenssphäre des Beschuldigten einerseits und die bei den genannten Gesichtspunkte andererseits. 146 Soweit dabei die Bedeutung der Sache auch unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses festzustellen ist,147 kann in Kirchenasylfällen vor allem ein kirchliches Interesse im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung beachtlich sein. 148

(3) Aussetzung des HaftbeJehlsvollzugs, § 116 StPO Nach § 116 I I StPO ist der Vollzug eines lediglich wegen Fluchtgefahr gerechtfertigten Haftbefehls auszusetzen, wenn der Zweck der Untersuchungshaft voraussichtlich auch durch weniger einschneidende Maßnahmen erreicht werden kann. Beispiele für weniger einschneidende Maßnahmen sind in § 116 I 2 StPO genannt. 149 In Kirchenasylfällen kommt davon insbesondere ein "Hausarrest" gemäß § 116 I 2 Nr. 2 StPO in Betracht, der auch unter Aufsicht nicht-staatlicher Stellen denkbar ist. 150 Eine Aufenthaltsbeschränkung auf den Bereich des Kirchenasyls kann durchaus als weniger einschneidende Maßnahme geeignet sein, den Zweck der Untersuchungshaft zu erfüllen. Sobald der Kirchenasylflüchtling dann einer ordnungsgemäßen Ladung ohne genügende Entschuldigung - das Kirchenasyl kann bei einfachrechtlicher Betrachtung wiederum mangels eines Kirchenasylrechts keine ausreichende Entschuldigung darstellen - nicht nachkommt, verpflichtet § 116 IV Nr. 2 StPO den Richter allerdings zur Anordung des Haftbefehlsvollzugs.

145 Vgl. Boujong, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 113 Rn. 6. Boujong, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 112 Rn. 45; Kleinknecht/ Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 112 Rn. 11. 147 Vgl. dazu Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 112 Rn. 15 f. 148 Vgl. dazu auch schon 0., S. 28. 149 Vgl. Kleinknecht / Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 116 Rn. 6. 150 Vgl. allgemein Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 116 Rn. 12 f., 15. 146

1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

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b) Rechtsfolge Der Wortlaut des § 112 I StPO signalisiert, daß der Erlaß eines Haftbefehls bei Vorliegen aller Voraussetzungen nicht obligatorisch ist, sondern im pflichtgemäßen Ermessen des Richters steht. Dies wird ebenfalls als Ausfluß des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesehen. ISI Da die ermessensrelevanten Gesichtspunkte schon bei der Prüfung der Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls umfassend zu berücksichtigen sind, ist der Richter bei Bejahung des Vorliegens dieser Voraussetzungen praktisch zum Erlaß verpflichtet. IS2 Auch das bereits auf der Tatbestandsebene beachtliche Kirchenasyl ist danach auf der Rechtsfolgenseite bedeutungslos.

c) Vollstreckung des Haftbefehls Soweit keine Haftverschonung gemäß § 116 StPO eingreift, ist der richterlich erlassene Haftbefehl vollstreckbar. Dazu enthält § 36 11 1 StPO die allgemeine Regelung, daß die Staatsanwaltschaft "das Erforderliche veranlaßt".IS3 Ein (lediglich) die Vollstreckung hinderndes Kirchenasyirecht ergibt sich aus dem einfachen Recht nicht. IS4 Die Vollstreckung des Haftbefehls erfolgt im Wege der Ergreifung. ISS

d) Vorläufige Festnahme In Eilfällen kann sich schon vor dem Erlaß eines Haftbefehls, also im Vorfeld der Untersuchungshaftanordnung, 156 eine Befugnis zur vorläufigen Festnahme aus § 127 StPO ergeben. Diese Befugnis besteht nach § 127 11 StPO für die Staatsanwaltschaft und die Polizeibeamten bei Gefahr im Verzug unter den Voraussetzungen eines Haft- oder Unterbringungsbefehls. 157 Zur Festnahme eines auf frischer BVerfGE 19,342 (349). Vgl. Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 112 Rn. 48 m. w. N.; kritisch Deckers, in: Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, § 112 Rn. 10. 153 Vgl. KleinknechtIMeyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 36 Rn. 12 f.; Maul, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 36 Rn. 12, 16. 154 Vgl. 0., S. 49 (zur entsprechenden Problematik der Vollstreckung einer Abschiebungshaftanordnung). Zur abweichenden Rechtslage in den Niederlanden vgl. Bianchi, Alternativen zur Strafjustiz, S. 155 f.; Gutheil, in: Asyl von unten, S. 177 (182); ferner Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (605); vgl. daneben auch den Nachw. 0 .• S. 30 Fn. 23 a. E. IS5 Roxin. Strafverfahrensrecht. § 30 Rn. 23. 156 Vgl. Boujong. in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 127 Rn. I; Krause, in: Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung. § 127 Rn. I; Roxin, Strafverfahrensrecht. § 31 Rn. I; Wendisch. in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz. § 127 Rn. 1 f. 157 Vgl. dazu Boujong. in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung. § 127 Rn. 34 ff.; KleinknechtIMeyer-Goßner, Strafprozeßordnung. § 127 Rn. 18 ff.: speziell in beISI

IS2

A. Zulässigkeit von Ergreifungsmaßnahmen

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Tat betroffenen oder verfolgten Straftäters ist darüber hinaus bei Fluchtgefahr oder Unmöglichkeit der sofortigen Identitätsfeststellung gemäß § 127 I StPO jedennann befugt. 158 Diese Bestimmung gibt neben Privatpersonen auch staatlichen Organen, also beispielsweise auch Angehörigen des militärischen Wach- und Sicherheitsdienstes ein Festnahmerecht; die vorläufige Festnahme eines ins Kirchenasyl geflüchteten unerlaubt abwesenden oder fahnenflüchtigen Soldaten (vgl. §§ 15 f. WStG) durch eine Feldjägerstreife, um ihn der Strafverfolgung zuzuführen, kann daher prinzipiell auf § 127 I StPO gestützt werden. 159 Eingeschränkt werden die Festnahmerechte aus § 127 StPO nicht durch ein einfachrechtliches Kirchenasylrecht, 160 aber allgemein durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, wie er in § 112 I 2 StPO nonniert iSt. 161 Die Reichweite dieses Grundsatzes im Bereich der vorläufigen Festnahme ist allerdings umstritten. 162 Soweit der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz anzuwenden ist, hat in diesem Rahmen auch ein Kirchenasyl Berücksichtigung zu finden. 163 In bezug auf die Durchsetzung der Festnahme ist in Kirchenasylflillen zu beachten, daß § 127 StPO nicht zur Durchsuchung von Wohnungen ennächtigt. Weil eine solche Durchsuchung nur unter den Voraussetzungen der §§ 102 ff. StPO zulässig ist,l64 kommt in den entsprechenden Fällen eine Festnahme nach § 127 I StPO nur durch Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft, nicht hingegen durch Private in Betracht. 165 zug auf ausländerrechtliehe Straftaten Zeitler, NVwZ 1997,628 (631 f.). Zur Anwendbarkeit des § 127 II StPO im Fall des entwichenenen Strafgefangenen vgl. Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 127 Rn. 32. Zur letztlich auch auf § 127 II StPO gegründeten Festnahmebefugnis im Zusammenhang mit § 131 II StPO (Steckbrief bei entwichenen Festgenommenen) vgl. Wendisch, in: Löwe-Rosen berg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 131 Rn. 6; Paeffgen, a. a. 0., § 131 Rn. 2, 6, 9; dazu vgl. auch noch u., S. 60. Zu den Voraussetzungen eines Haftbefehls in Kirchenasylfällen vgl. ausführlich 0., S. 54 ff. IS8 Vgl. dazu Boujong, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 127 Rn. 6 ff.; Kleinknecht/Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 127 Rn. 2 ff. Zur Beurteilung der Fluchtgefahr in Kirchenasylfällen vgl. 0., S. 55 f. IS9 Vgl. allgemein Heinen, NZWehrr 1992, 114 (115 f.); ferner Jess/Mann, Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Bundeswehr, § 6 Rn. 10 ff. Zum Nichtbestehen von Festnahmebefugnissen militärischer Vorgesetzter aufgrund § 127 11 StPO vgl. Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 127 Rn. 43. 160 Vgl. 0., S. 55. 161 Vgl. Roxin, Strafverfahrensrecht, § 31 Rn. 7; Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 127 Rn. 18, 38. 162 Vgl. Kleinknecht / Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 127 Rn. 16, 20 m. N. 163 Vgl. zur Bedeutung des § 112 I 2 StPO in Kirchenasylfällen schon 0., S. 57. 164 Vgl. dazu u., S. 68 ff. 165 Vgl. Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 127 Rn. 34.

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1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

2. Vorführung

Grundlage gegen einen IGrchenasylflüchtling gerichteter strafprozessualer Ergreifungsmaßnahmen können weiterhin die Regelungen über die Vorführung sein. In Betracht kommt dabei eine Vorführung zur Vernehmung gemäß §§ 133 f. StPO (ggf. i.V.m. § 163a III StPO) ebenso wie eine Vorführung (oder sogar eine Verhaftung) zur Hauptverhandlung gemäß §§ 230 11, 236 StPO bzw. zur Berufungsverhandlung gemäß § 329 IV StPO. 166 Die Vollstreckung eines Vorführungsbefehls erfolgt wiederum nach § 3611 1 StPO. 167 3. Maßnahmen der StrafvoUstreckung

Nach § 457 11 StPO kann zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bei Nichtgestellung, Fluchtverdacht oder Entweichen eines Gefangenen ein Vorführungs- oder Haftbefehl erlassen werden, der zur Ergreifung des Verurteilten ermächtigt. 168 Aufgrund der Bestimmung des § 33 V StVollstrO können um die Vollziehung von Vorftihrungs- und Haftbefehlen i. S. d. § 457 StPO nicht nur die Polizeidienststellen des Landes ersucht werden, sondern bei Soldaten auch die Feldjägereinheiten. Demgegenüber wird in der Praxis allerdings das Gebrauchmachen von der Befehlsbefugnis vorrangig sein, soweit damit dasselbe Ziel erreicht werden kann. 169 Eine unabhängig von § 457 StPO bestehende Befugnis der Polizei zur Festnahme entwichener Strafgefangener ergibt sich nicht im Zusammenhang mit § 131 11 StPO (Steckbrief bei entwichenen Festgenommenen). Andernfalls könnten die bei einer Festnahme aufgrund der diesbezüglichen landesrechtlichen Polizeivorschriften allerdings ebenfalls nicht geltenden - Voraussetzungen des § 457 StPO unterlaufen werden. 170 Ein Wiederaufgreifungsrecht in bezug auf entwichene oder sich sonst unerlaubt außerhalb der Anstalt aufhaltende Gefangene, bei dem es eines Vollstreckungshaft166 V gl. überblicksartig Roxin, Strafverfahrensrecht, § 31 Rn. 22 ff. Zur VeIWeisung auf die Haftbefehlsvoraussetzungen in § 134 I StPO (sofortige Vorführung) und zur Ermessensausübung vgl. - auch hinsichtlich der Berücksichtigung eines Kirchenasyls - 0., S. 54 ff., 58. 167 V gl. Kleinknecht / Meyer-Goßner. Strafprozeßordnung, § 134 Rn. 5, § 230 Rn. 20 f., § 236 Rn. 8. Zur Vollstreckung nach § 36 11 1 StPO vgl. schon 0., S. 58. 168 Vgl. dazu Fischer. in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 457 Rn. 2 ff. Zum Vorliegen eines Fluchtverdachts in Kirchenasylfällen vgl. die Ausführungen zur Fluchtgefahr i. S. d. § 112 11 Nr. 2 StPO 0., S. 55 f. 169 Vgl. Pohlmann, in: ders./Jabel, Strafvollstreckungsordnung, § 27 Rn. 16, § 33 Rn. 27. Zum Gebrauchmachen von der Befehlsbefugnis in Kirchenasylfällen vgl. 0., S. 50. 170 Vgl. Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 127 Rn. 32, § 131 Rn. 6 gegen Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 131 Rn. 4. Zu § 131 11 StPO vgl. schon 0., S. 59 Fn. 157. Zu den einschlägigen landesrechtlichen Polizeivorschriften vgl. 0., S. 51 m. Fn. 114.

B. Zulässigkeit mittelbarer Beendigungsmaßnahmen

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befehls nach § 457 StPO nicht bedarf, wird aber durch § 87 StVollzG den Vollzugsbehörden eingeräumt. Dieses Recht, das unter Zuhilfenahme der Polizei durchgesetzt werden kann, gilt aber nur, solange noch ein unmittelbarer Bezug zum Vollzug (besonders in zeitlicher Hinsicht) gegeben ist.!7! Auch in Kirchenasylfällen ist zumindest bei einfachrechtlicher Betrachtung weder der Aufenthalt eines Gefangenen außerhalb der Anstalt erlaubt noch der Erlaß oder Vollzug eines Vollstreckungshaftbefehls unzulässig. Ein entsprechendes Kirchenasylrecht besteht nicht. 172

B. Die Zulässigkeit von mittelbaren Beendigungsmaßnahmen gegen Kirchenasylgewährer Die unmittelbare Beendigung des Kirchenasyls durch Ergreifung des Flüchtlings setzt ein Eindringen in den Kirchenasylraum voraus. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit von für ein solches Eindringen erforderlichen mittelbaren Beendigungsmaßnahmen gegen den Kirchenasylgewährer. Bei der Untersuchung dieser Frage soll wiederum zwischen verwaltungsrechtlichen und strafprozessualen Maßnahmen unterschieden werden. I. VerwaItungsrechtliche Maßnahmen

Als auf ein staatliches Eindringen in den Kirchenasylraum gerichtete verwaltungsrechtliche Maßnahmen kommen vor allem die in den landesrechtlichen Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts normierten Standardmaßnahmen des Betretens bzw. der Durchsuchung von Wohnungen (vgl. etwa §§ 41 f. PolG NW, ggf. i.V.m. § 24 OBG) in Betracht.!73 1. Zuständigkeit

Die Standardmaßnahmebefugnisse stehen je nach landesrechtlicher Regelung der (Vollzugs-)Polizei und U.U. (vgl. etwa § 24 OBG) auch den Ordnungsbehörden ZU.!74 Soweit das staatliche Eindringen in bestimmte Räumlichkeiten einer richterVgl. Calliess/ Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, § 87 Rn. I ff. Vgl. nochmals 0., S. 55. 173 Zum in Kirchenasylfällen kaum einschlägigen polizeilichen Wohnungsbetretungsrecht des § 44 IV WpflG, das für andere Räumlichkeiten als diejenigen des Wehrpflichtigen auf den Fall unmittelbarer Verfolgung beschränkt ist, vgl. allgemein Steinlechner, Wehrpflichtgesetz, § 44 Rn. 46 ff.; im übrigen besteht ein soldatenrechtliches Wohnungsbetretungsrecht nicht, vgl. 0., S. 51 m. Fn. 112. 174 Vgl. schon 0., S. 49 m. Fn. 99. 171

172

1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

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lichen Anordnung bedarf (vgl. etwa § 42 I PolG NW), ist das ortszugehörige Amtsgericht zuständig. 175 Wird das Kirchenasyl durch eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Kirche gewährt, so stellt sich unter dem Gesichtspunkt der Zuständigkeit darüber hinaus die Frage, inwieweit polizeiliche Anordnungen gegen eine solche Kirche überhaupt zulässig sind, oder anders gesagt, inwieweit die Kirche formell polizeipflichtig ist. Ausgehend von dem anerkannten Grundsatz, daß die Ordnungsbehörde gegenüber Trägem öffentlicher Gewalt für Gefahrenabwehrmaßnahmen generell nicht zuständig ist, stellt sich die Frage, ob auch die als öffentlichrechtliche Körperschaften anerkannten Kirchen in diesem Sinne als Träger öffentlicher Gewalt anzusehen sind. 176 Zur prinzipiellen Unzulässigkeit ordnungs behördlicher Maßnahmen gegenüber Trägem öffentlicher Gewalt führt indessen von dem (übergeordneten) Gesichtspunkt der für die eigenständige Aufgabenerfüllung zuerkannten Ordnungsgewalt abgesehen - zumindest auch der Umstand, daß für die Rechtsdurchsetzung bei Hoheitsträgern 177 in erster Linie das Institut der Aufsicht vorgesehen ist. 178 Durch eine öffentlich-rechtliche Rechtsform geraten die Kirchen aber keineswegs automatisch unter staatliche Rechtsaufsicht. 179 Die innerkirchliche Aufsicht ist hinsichtlich der staatlichen Rechtsdurchsetzung ohne Bedeutung. Soweit es an einer staatlichen Rechtsaufsicht fehlt, bleiben die als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Kirchen daher ohne Einschränkung formell polizeipflichtig. Überdies findet sich in der Literatur im Hinblick auf andere Anwendungsfälle der Zuständigkeitsproblematik (etwa das polizeiliche Tätigwerden auf Universitätsgelände) 180 der Hinweis, daß jedenfalls die spezialpolizeilichen Zuständigkeiten auch gegenüber Trägem öffentlicher Gewalt fortbestehen. 181 Abschließend ist anzumerken, daß die praktische Bedeutung der formellen Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 630. Überblicksartig zum Streitstand Gomig / lahn, Fälle zum Sicherheits- und Polizeirecht. S. 13 (23 ff.) m.N. 177 Deren materielle Polizeipflichtigkeit ist heute unbestritten, vgl. nur Gomig / lahn. Fälle zum Sicherheits- und Polizeirecht, S. 13 (27). Vgl. aber auch u .• S. 66. 178 Vgl. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 240; Habermehl. Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 220; Knemeyer; Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 273. Das Institut der Aufsicht erwähnen auch Gomig / lahn, Fälle zum Sicherheits- und Polizeirecht, S. 13 (23), ohne daraus nachfolgend Konsequenzen zu ziehen. 179 Vgl. nur Ehlers. in: Sachs, Grundgesetz, Art. 1401 Art. 137 WRV Rn. 19; Schlaich. in: Nordrhein-westfälisches Staats- und VerwaItungsrecht, S. 704 (714 f.). Zur Bedeutung des Körperschaftsstatus in bezug auf die Kirchenasylproblematik vgl. schon 0 .• S. 28. 180 Diesbezüglich wird im Zusammenhang mit der Zuständigkeitsfrage auch die generelle Ablehnung eines Asylrechts der Hochschulen geäußert, so von Karpen, WWW 1972, 195 (215 Fn. 92) m.N.; ähnlich Sonderkötter; WWW 1969,22 (23); vgl. ferner Knoke, AöR 94 (1969),388 (412, 417); offenlassend Quandt, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 53 (55). 181 Knoke. AöR 94 (1969),388 (412) m.N.; vgl. auch Schotz, DVBI. 1968,732 (740). Dagegen ist die Abgrenzung von mittelbaren und unmittelbaren Konkflikten zwischen Hoheitsträgern, von der Rudolf, Polizei gegen Hoheitsträger, S. 8 f. allgemein spricht, gerade in Kirchenasylfällen uneindeutig und daher unergiebig. 175

176

B. Zulässigkeit mittelbarer Beendigungsmaßnahmen

63

Polizeipflichtigkeit von Trägem öffentlicher Gewalt letztlich von der ebenfalls nicht unproblematischen Frage der zwangsweisen Durchsetzbarkeit entsprechender Polizeiverfügungen abhängt. 182

2. Voraussetzungen

Als Standardmaßnahmen werden das Betreten und die Durchsuchung von Wohnungen, etwa in § 41 PolG NW, an besondere Voraussetzungen geknüpft. Mit dem Begriff der Wohnung wird dabei der Kreis von Räumlichkeiten, in die staatlicherseits nur unter besonderen Voraussetzungen eingedrungen werden darf, entsprechend der Bestimmung des Art. 13 GG umschrieben. Aus der strikten Anlehnung an das Wohnungsgrundrecht erklärt sich weiter die Unterscheidung zwischen den Eindringensmodalitäten der Durchsuchung .einerseits und des sonstigen Eingriffs in Form des Betretens andererseits. 183 Bei der Anwendung dieser Rechtsbegriffe, auch wenn sie Bestandteil der einfachrechtlichen Normen oder sogar Gegenstand einfachrechtlicher Legaldefinitionen (vgl. § 41 I 2 PolG NW für den Begriff der Wohnung) sind, geht es letztlich um die Anwendung verfassungsrechtlicher Rechtsbegriffe, die als solche dann zum Ausgangspunkt einfachrechtlicher Ausführungsbestimmungen werden. Aus diesem Grund soll auf sie, zumal wegen ihres unmittelbaren Kirchenasylbezuges, erst im verfassungsrechtlichen Teil der Untersuchung bei der Erörterung des Art. 13 GG eingegangen werden. 184 Die einfachrechtliche Betrachtung beschränkt sich nachfolgend auf die mit den Standardmaßnahmeregelungen verbundenen und in Kirchenasylfallen beachtlichen weiteren Rechtsfragen, die keiner (kirchenasylspezifischen) verfassungsrechtlichen Prägung unterliegen. 18S Es soll also zunächst untersucht werden, unter welchen einfachrechtlichen Voraussetzungen die beiden Eindringensmodalitäten der Durchsuchung und des Betretens (das bereits Art. 13 VII GG von ausdrücklichen inhaltlichen Rahmenvorgaben abhängig macht) zulässig sind, um später auf der verfassungsrechtlichen Ebene klären zu können, ob in Kirchenasylfallen überhaupt ein Eindringen in eine Wohnung vorliegt (u.U. auch oder sogar nur in eine solche des Kirchenasylflüchtlings, was dann entsprechende Maßnahmen gegen diesen erforderlich macht) und welche Eindringensmodalität in der jeweiligen Situation einschlägig ist. 182 Vgl. Drews/Wacke/K. Vogel/Martens. Gefahrenabwehr, S. 243 f. Zur Frage der zwangsweisen Durchsetzbarkeit vgl. (im Rahmen der Ausführungen zum Anordnungsvollzug) u.• S. 66 f. 183 Vgl. Drews/Wacke/K. Vogel/Martens. Gefahrenabwehr, S. 203 f.; Götz. Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht. Rn. 300; Habermehl. Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 621; Wagner; Kommentar zum Polizeigesetz von Nordrhein-Westfalen, vor §§ 19,20 Rn. 1 ff., § 19 Rn. 1. 184 Vgl. u., S. 123 ff. 18S Vgl. zur eigenständigen Bedeutung des einfachen Rechts neben Art. 13 GG allgemein auch BVerfGE 57,346 (355).

l. Kap.: Staatliche Beendigung des IGrchenasyls

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Von vornherein bedarf es keiner Ennächtigungsgrundlage für das Betreten oder Durchsuchen einer Wohnung, wenn der Wohnungsinhaber freiwillig Einlaß gewährt (vgl. § 41 PolG NW: "ohne Einwilligung des Inhabers"). Auch dafür liegt die Begründung letztlich bei Art. 13 GG, nämlich in der Figur des Grundrechtsverzichts. 186 Einwilligung heißt insoweit - wie allgemein - vorherige Zustimmung (vgl. § 183 BGB).187 Dies ist auch in Kirchenasylfällen zu beachten. Eine generelle Aussage, die Polizei habe durchaus bzw. grundsätzlich Zutritt zu Kirchenräumen, 188 stellt dabei - unabhängig von der Frage der Einwilligungsberechtigung schon deshalb keine im Einzelfall wirksame Einwilligungserklärung dar, weil es ihr an einem eindeutigen Aussagegehalt fehlt. Als Ennächtigungsgrundlage für ein Betreten oder eine Durchsuchung von Wohnungen gegen den Willen des Berechtigten zwecks Ergreifung einer darin befindlichen Person kommen die Vorschriften in Betracht, die dafür die Erfüllung der Voraussetzungen einer Ingewahrsamnahme fordern, also auf die Voraussetzungen der mit der Durchsuchung oder dem Betreten eigentlich bezweckten Standardmaßnahme verweisen (vgl. § 41 I 1 Nr. 1 PolG NW).189 Diese Voraussetzungen sind in Kirchenasylfällen weithin erfüllt. l90 Wahrend der Nachtzeit gilt die Ennächtigung allerdings überwiegend nicht (vgl. § 41 11 PolG NW),l9l was gerade in Kirchenasylfallen bedeutsam sein kann. 192 Ein jederzeitiges Betretungsrecht kommt demgegenüber auch in Kirchenasylfallen aufgrund von Nonnen in Betracht, die einen Verdacht voraussetzen, daß in einer Wohnung Personen Straftaten (von erheblicher Bedeutung) verabreden, vorbereiten oder verüben, sich Straftäter verbergen oder auch gegen Aufenthaltsvorschriften verstoßende Personen treffen (vgl. § 41 m PolG NW).193 Zu beachten ist dabei, daß man beispielsweise nicht bei allen ausländerrechtlichen Straftaten eine erhebliche Bedeutung annehmen kann (sofern diese gefordert ist). Ein Verbergen scheidet regelmäßig aus, wenn der zuständigen Behörde Mitteilung vom Kirchenasyl gemacht wurde. Von einem Treffen gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften verstoßender Personen kann man kaum sprechen, wenn mehrere solcher Personen gemeinsam im Kirchenasyl Zuflucht suchen, Dazu nur Pieroth/Schlink. Grundrechte, Rn. 131 f., 137 f. Meixner. Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG), § 38 HSOG Rn. 8. Zur damit verbundenen Frage des Grundrechts- und somit Einwilligungsberechtigten vgl. u., S. 126 f.; diese Frage hat im übrigen auch eine entscheidende Bedeutung bei der Beurteilung von Hausbesetzungen - vgl. nur Tegtmeyer. Polizeigesetz NordrheinWestfalen, § 41 Rn. 10 f. - und entsprechenden Kirchenasylkonstellalionen. 188 So etwa Bischof Lehmann. in: epd-Dokumentation Nr. 43/94. S. 59 (60). 189 Vgl. überblicksartig Habermehl. Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 624. 190 Vgl. 0., S. 51 ff. 191 Dazu Habermehl. Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 626. 192 Von kirchenasylbezogenen Polizeieinsätzen in den frühen Morgenstunden berichten Müller-Münch. in: Asyl von unten, S. 145 (147); Riemer. Diakonia 24 (1993), 343 (346 f.) sowie SZ vom 26./27. 7.1997, S. 10; OS vom 8.8.1997, S. 24. 193 Zu den insoweit sehr unterschiedlichen landesrechtlichen Bestimmungen vgl. die Normenübersicht bei Habermehl. Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 627 a. E. 186 187

B. Zulässigkeit mittelbarer Beendigungsmaßnahmen

65

bei einem einzelnen Flüchtling fehlt es daran von vornherein. Für die erleichterten Betretungsrechte in bezug auf Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume (vgl. § 41 IV PolG NW) ist schließlich wiederum auf die verfassungsrechtIichen Erörterungen zu Art. 13 GG zu verweisen. 194 Ein der Durchsuchung oder dem Betreten entgegenstehendes Kirchenasylrecht (des Kirchenasylgewährers) ergibt sich aus dem einfachen Recht nicht. 195 Auch das polizeirechtliche Verhältnismäßigkeitsgebot (vgl. §§ 2 PolG NW, 15 OBG) steht diesen Maßnahmen in Kirchenasylfällen unter einfachrechtlichem Gesichtspunkt nicht entgegen. 196 3. Richtervorbehalt

Besondere gesetzliche Regelungen bestehen entsprechend Art. 13 11 GG für das Verfahren bei der Durchsuchung von Wohnungen (vgl. § 42 PolG NW). Vor allem darf danach eine Durchsuchung grundsätzlich nur durch den Richter angeordnet werden,197 wobei zu beachten ist, daß sich eine richterliche Entscheidung über eine Ingewahrsamnahme nicht automatisch auf die Durchführung einer Wohnungsdurchsuchung erstreckt. 198 Eine Ausnahme vom Richtervorbehalt machen Gesetz und Verfassung nur bei Gefahr im Verzug. In der Praxis spielt allerdings diese Ausnahme eine größere Rolle als der rechtlich vorgesehene Regelfall. l99 Auch in Kirchenasylfällen ist das Vorliegen einer Gefahr im Verzug bei entsprechenden Einzelfallumständen möglich. 200 4. Rechtsfolge

Die Vornahme von Standardmaßnahmen steht generell im behördlichen Ermessen (vgl. §§ 3 PolG NW, 16 OBG),201 das auch durch eine richterliche Anordnung nicht eingeschränkt wird. 202 Soweit eine Pflicht zur Ergreifung eines Kirchenasylflüchtlings besteht,203 ist allerdings davon auszugehen, daß dadurch eine ErmesVgl. u., S. 127 f. Vgl. 0., S. 29 ff., ggf. auch S. 52. 196 Vgl. - im Hinblick auf die Zulässigkeit von Ergreifungsmaßnahmen nach allgemeinem Polizei- und Ordnungsrecht - 0., S. 52. 197 Zum Prüfungsumfang des Durchsuchungsrichters vgl. noch u., S. 136. 198 Vgl. dazu nur Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 630; daneben noch u., S. 136 f. 199 Vgl. nur Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 629, auch zu den einzelnen Landesregelungen. 200 Vgl. dazu ausführlicher U., S. 137. 201 Dazu auch schon 0., S. 52. 202 Vgl. 0., S. 48 (zum insoweit gleichgelagerten Fall des gerichtlich angeordneten Abschiebungshaftbefehls). 203 Vgl. 0., S. 33,48. 194

195

5 Görisch

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l. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

sensreduktion in bezug auf solche mittelbaren Maßnahmen eintritt, die für die Ergreifung unverzichtbar sind.204 Auch für Maßnahmen gegen als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannte Kirchen (als Kirchenasylgewährer) ergeben sich insoweit keine Besonderheiten. Zwar ist bei Maßnahmen gegen Hoheitsträger der Grundsatz der "elastischen Polizeirechtsbindung,,20S zu beachten. Dahinter steht der Gedanke, daß die der betreffenden Hoheitstätigkeit zugrundeliegenden Nonnen des öffentlichen Rechts zu einer besonderen, polizeilichen Maßnahmen entgegenstehenden Rechtfertigung der Tätigkeit führen können. 206 Mangels eines einfachrechtlichen Kirchenasylrechts führt der Grundsatz der "elastischen Polizeirechtsbindung" in Kirchenasylfällen aber nicht weiter. Eine Rechtfertigung der Kirchenasylgewährung kann sich nur aus Verfassungsrecht ergeben. 201 Dem Grundsatz der "elastischen Polizeirechtsbindung" kann dabei keine eigenständige Bedeutung mehr zukommen, sondern es geht dann entscheidend um den rechtsstaatlichen Vorrang der Verfassung gemäß Art. 20 III GG.2°8 Eine durch eine Ergreifungspflicht ausgelöste Ermessensreduktion in bezug auf mittelbare Maßnahmen gegen den Kirchenasylgewährer bleibt daher auch dann bestehen, wenn als solcher eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Kirche tätig wird. 5. Durchführung

Die behördliche Befugnis, eine Standardmaßnahme selbst tatsächlich durchzuführen, ist in der gesetzlichen Regelung derselben enthalten.209 Soweit gegen die Durchführung einer Standardmaßnahme wirksamer Widerstand geleistet wird, kann daneben der Erlaß einer Begleitverfügung notwendig sein, die dann u. U. im Zum bestehenbleibenden Auswahlennessen vgl. 0., S. 33. So Gomig/ lahn, Fälle zum Sicherheits- und Polizeirecht, S. 13 (27 f., 32). 206 Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 239. 207 Auch Gomig / lahn, Fälle zum Sicherheits- und Polizeirecht, S. 13 (33 f.) argumentieren in ihrer Fallbearbeitung (zum kirchlichen Glockenläuten) vornehmlich verfassungsrechtlich. Zur verfa.~sungsrechtlichen Beurteilung der Kirchenasylproblematik s.u., S. 111 ff. 208 Vgl. dazu allgemein Görisch, JuS 1997, 988 (989) m. w. N. Auch der Grundsatz der "elastischen Polizeirechtsbindung" läßt sich im übrigen mit Art. 20 III GG begründen; allerdings ergibt sich aus dieser Bestimmung bei einer einfachrechtlichen Nonnenkollision kein klares Vorrangverhältnis, was eine von vornherein relativ freie Abwägung zur Folge hat, vgl. dazu Gomig / lahn, Fälle zum Sicherheits- und Polizeirecht, S. 13 (27 f.); einschränkend Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 239; Schoch, JuS 1994, 849 (852). 209 Vgl. Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 512 f., 530, 735 f.; ferner Götz. Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 375. Die etwa von Honnacker/Beinhojer, Polizeiaufgabengesetz - PAG -, Art. 53 Rn. 3 vertretene Gegenansicht verkennt den spezialgesetzlichen Charakter der Standardmaßnahmeregelungen und die Unterscheidung zwischen tatsächlicher Durchführung einer Standardmaßnahme und der Durchsetzung einer dabei notwendig gewordenen Begleitverfügung (vgl. dazu sogleich im Text). 204

205

B. Zulässigkeit mittelbarer Beendigungsmaßnahmen

67

Vollstreckungswege durchzusetzen ist?10 Eine besondere Bedeutung kommt einem solchen Widerstand in Kirchenasylfällen wiederum dann zu, wenn er von einer als öffentlich-rechtliche Körperschaft organisierten Kirche (bzw. deren Bevollmächtigten) geleistet wird. 2l1 Zu berücksichtigen sind in diesem Fall nämlich möglicherweise diejenigen vollstreckungsrechtlichen (Landes-)Bestimmungen, die wie auch § 17 VwVG des Bundes - Zwangsmittel gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts prinzipiell für unzulässig erklären (vgl. § 76 VwVG NW)?12 Diese Bestimmungen gelten nach ihrem eindeutigen Wortlaut auch für die als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Kirchen. 213 Ein Widerspruch zur Anerkennung der formellen Polizeipflichtigkeit der als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannten Kirchen liegt darin nicht. 214 Die ausnahmsweise Zulässigkeit eines Zwanges im Notfall kommt in Kirchenasylfällen kaum in Betracht. 21S Inwieweit die vollstreckungsrechtlichen Bestimmungen in Kirchenasylfällen Anwendung finden können, ist allerdings in jedem Einzelfall gesondert festzustellen. Enthält ein Polizeigesetz eigene Zwangsvorschriften, in denen Zwangsmittel gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts nicht für unzulässig erklärt werden (vgl. §§ 50 ff. PolG NW), so ist zu prüfen, ob das jeweilige Verwaltungsvollstreckungsgesetz ergänzend herangezogen werden kann?16 Keine Probleme ergeben sich dagegen in bezug auf eine Anwendung etwa des VwVG NW bei einem

Vgl. Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 514. So etwa in dem Fall, um den es in FAZ vom 22.7. 1997, S. 2; 23. 7. 1997, S. 4; SZ vom 26./27.7. 1997, S. 10; DS vom 8. 8. 1997, S. 24 geht (Blockade von Polizeifahrzeugen durch Nonnen eines Benediktinerinnenklosters im niedersächsischen Dinklage). Wie etwa die bereits zitierte - vgl. 0., S. 64 m. Fn. 188 - und insoweit aufschlußreiche Äußerung von Bischof Lehmann, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 59 (60) zeigt, wird ein solcher Widerstand allerdings in Kirchenasylfällen regelmäßig nicht stattfinden. 212 Übersichten über die einzelnen Landesregelungen finden sich bei Engelhardt / App, Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz, Verwaltungszustellungsgesetz, § 17 Anm. 4; Lemke, Verwaltungsvollstreckungsrecht des Bundes und der Länder, S. 144; Sadler; Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz, § 17 Rn. 24. 213 Vgl. Sadler; Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz, § 17 Rn. 4; daneben Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 17; v. Mangoldt/Klein/A. v. Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, Band 14, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 179 m. w. N.; ferner App/Wettlau/er; Verwaltungsvollstreckungsrecht, § 39 Rn. 7. 214 Vgl. (allgemeiner) Schoch, JuS 1994, 849 (853 m.Fn. 52); ferner BVerwGE 29, 52 (59 f.). 215 Vgl. die Beispiele bei Sadler; Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz, § 17 Rn. 21 ff., in denen jeweils ein konkreter schwerer und nachträglich nicht mehr zu beseitigender Schaden unmittelbar droht. 216 Vgl. dazu allgemein - etwas unklar - Meixner; Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG), § 47 HSOG Rn. 3 m. N.; zur Rechtslage in Hessen auch Hommann, Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG), § 48 Rn. 3. Eindeutig ausgeschlossen wird etwa der Rückgriff auf § 22 LVwVG (BW) bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges durch §§ 49, 52 IV PolG BW, vgl. Wöhrle/Belz. Polizeigesetz für Baden-Württemberg, § 32 Rn. 18,29 (zu §§ 32, 35 IV PolG BW a.F.); dennoch gilt 210

211

S'

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1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

ordnungsbehördlichen Tätigwerden, da § 24 OBG nicht auf §§ 50 ff. PolG NW verweist. Zur KlarsteIlung ist abschließend darauf hinzuweisen, daß auch bei Bestehen eines vollstreckungsrechtlichen Verbots der Anwendung von Zwangsmitteln gegen als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannte Kirchen in Kirchenasylfällen ein materielles Kirchenasylrecht mit diesem Verbot nicht verbunden ist.

n. Strafprozessuale Maßnahmen Als auf ein staatliches Eindringen in den Kirchenasylraum gerichtete strafprozessuale Maßnahme kommt eine Durchsuchung gemäß §§ 102 ff. StPO (ggf. i. V. m. § 457 III StPO)217 in Betracht. Eine Befugnis zum bloßen Betreten ist in der StPO nicht normiert. Aufgrund des Gesetzesvorbehalts des Art. 13 VII GG gelten daher insoweit ebenfalls die Bestimmungen der §§ 102 ff. StPO?18 Damit zeigt sich bereits, daß auch in strafprozessualer Hinsicht eine einfachrechtliche Betrachtung der mittelbaren Maßnahmen nicht ohne Bezugnahme auf Art. 13 GG möglich ist. 1. Zuständigkeit

Für die Durchsuchungsanordnung ist nach § 105 I StPO grundSätzlich der Richter zuständig, bei Gefahr im Verzug ausnahmsweise auch die Staatsanwaltschaft und ihre Hilfsbeamten. Die Durchführung einer richterlichen Durchsuchungsanordnung liegt nach § 36 11 1 StPO in der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft; in den übrigen Fällen hat der Anordnende selbst für die Ausführung zu sorgen. 219 Auch wenn das Kirchenasyl durch eine als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Kirche gewährt wird, ergeben sich dabei keine Besonderheiten. Eine Beschränkung der Zuständigkeit der Strafverfolgungsbehörden bei andere Hoheitsträger betreffenden Durchsuchungen wird bisweilen ausdrücklich vemeint. 22o Im übrigen geht man davon aus, daß § 103 StPO eine Durchsuchung auch bei Hoheits§ 22 LVwVG etwa bei Abschiebungshandlungen, da auf sie in Baden-Württemberg das LVwVG anwendbar ist, vgl. dazu Weite. DÖV 1989, 114 (116). 217 Vgl. dazu nur Fischer. in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 457 Rn. 10. 218 Vgl. - zu Art. 13 III GG a.F. - G. Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 102 Rn. 6 gegen Kleinknecht / Meyer-Goßner. Strafprozeßordnung, § 102 Rn. 8. 219 Kleinknecht/Meyer-Goßner. Strafprozeßordnung, § 105 Rn. 2, 8. 220 Vgl. - zur Durchsuchung auf Universitätsgelände - Sonderkötter. WWW 1969, 22

(33).

B. Zulässigkeit mittelbarer Beendigungsmaßnahmen

69

trägern für zulässig erklärt?21 Jedenfalls gelten insoweit die in verwaltungsrechtlicher Hinsicht zur Zuständigkeitsfrage angestellten Überlegungen entsprechend. 222

2. Voraussetzungen

Eines Rückgriffs auf die strafprozessualen Durchsuchungsbestimmungen bedarf es wiederum von vornherein nicht bei einer Einwilligung des Inhabers der zu durchsuchenden Räumlichkeit. 223 Davon abgesehen ist eine Durchsuchung zur Ergreifung 224 eines straftatverdächtigen Kirchenasylflüchtlings bei diesem selbst gemäß § 102 StPO zulässig, bei anderen Personen gemäß § 103 StPO dann, wenn der Verdächtige zum Beschuldigten gemacht wurde 225 und Tatsachen vorliegen, aus denen zu schließen ist, daß er sich in den zu durchsuchenden Räumen befindet. Dabei dehnen beide Vorschriften in zulässiger Erweiterung der Vorgabe des Art. 13 GG den Kreis der Räumlichkeiten, die von ihnen erfaßt werden, über den Bereich der Wohnung hinaus auch auf andere Räume aus. 226 Entscheidend für die Abgrenzung von § 102 StPO und § 103 StPO ist die Frage, ob eine Durchsuchung "bei" dem Tatverdächtigen oder "bei" einer anderen Person stattfindet. Die Bestimmung des § 102 StPO ist danach nur anwendbar, wenn sich die Räumlichkeit in einer bestimmten Nähebeziehung zum Verdächtigen befindet. 227 Dazu reicht es aus, daß eine Räumlichkeit zumindest auch vom Verdächtigen tatsächlich für eine gewisse Zeit als Wohnung oder fester Aufenthaltsort genutzt wird. Unerheblich ist, ob ein Dritter als - u.U. sogar bevorrechtigter - Mitbenutzer bzw. Inhaber der Räumlichkeit ebenfalls von der Durchsuchung betroffen ist. 228 Die Voraussetzung der tatsächlichen Nutzung durch den zu ergreifenden 221 Vgl. KleinknechtIMeyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 103 Rn. 2; G. Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 103 Rn. 4; vgl. dazu auch noch u., S. 72 Fn. 246. 222 Vgl. 0., S. 62 f. 223 Vgl. G. Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 102 Rn. 7 ff.; vgl. dazu auch 0., S. 64. 224 Zu diesem Begriff Kleinknechtl Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 102 Rn. 12; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 102 Rn. 11. Zu den in Kirchenasylfallen jeweils einschlägigen Rechtsgrundlagen der Ergreifung vgl. 0., S. 53 ff. m Dazu Kleinknechtl Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 103 Rn. 5. 226 Vgl. dazu auch G. Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 102 Rn. 26. 227 Amelung, in: Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, § 102 Rn. 16 f. 228 Vgl. KleinknechtIMeyer-Goßner, Strafprozeßordnung, § 102 Rn. 7; Nack, in: Karlsruher Kommentar zur Strafprozeßordnung, § 102 Rn. 8; G. Schäfer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 102 Rn. 27 ff.; i. E. wohl auch Amelung, in: Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, § 102 Rn. 17 ff.

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I. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

Verdächtigen wird in den betreffenden Kirchenasylfällen zumeist erfüllt sein. Im übrigen sind aber auch die Voraussetzungen des § 103 StPO in Kirchenasylfällen regelmäßig unproblematisch, da eine Durchsuchung der betreffenden Räumlichkeiten ohnehin erst in Betracht zu ziehen ist, wenn die Strafverfolgungsbehörden vom Kirchenasyl erfahren haben und damit ein tatsächlicher Anhaltspunkt für den Aufenthaltsort des Gesuchten ohne weiteres gegeben ist. Immerhin schließt § 103 StPO eine Durchsuchung etwa von Kirchen auf bloßen unbestimmten Verdacht hin aus. Eine Durchsuchung zur Nachtzeit wird durch § 104 StPO wiederum im Grundsatz ausgeschlossen?29 Die drei in § 104 I StPO aufgeführten Ausnahmen (Verfolgung auf frischer Tat, Gefahr im Verzug, Wiederergreifung eines entwichenen Gefangenen) können in Kirchenasylfällen allerdings durchaus einschlägig sein. Ist der Polizei ein Kirchenasylort bereits (aufgrund dortiger früherer Kirchenasylgewährungen) als Herberge bestrafter Personen bekannt, so scheidet die Einschränkung der Durchsuchungsbefugnis gemäß § 104 11 StPO ebenfalls aus. Ein der Durchsuchung entgegenstehendes Kirchenasylrecht ergibt sich aus dem einfachen Recht nicht. 23o Die im Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gründenden Durchsuchungshindernisse sind, soweit sie in Kirchenasylfällen überhaupt bestehen, letztlich verfassungsrechtlicher Natur?31 Auf sie ist daher erst im verfassungsrechtlichen Teil der Untersuchung einzugehen. 232

3. Richtervorbehalt

Das Durchsuchungsverfahren ist entsprechend Art. 13 11 GG in §§ 105 ff. StPO im einzelnen gesetzlich geregelt. Vor allem darf auch eine strafprozessuale Durchsuchung, außer bei Gefahr im Verzug, gemäß § 105 I StPO nur durch den Richter angeordnet werden. 233 Dabei spielt in der Praxis wiederum die Ausnahme eine größere Rolle als der Regelfall. 234 Auch in Kirchenasylfällen ist das Vorliegen einer Gefahr im Verzug im Einzelfalle möglich. 235 Im Hinblick auf eine Durchsuchung zur Ergreifung eines Tatverdächtigen nach § 102 StPO ist eine besondere richterliche Anordnung gemäß § 105 I StPO nach Vgl. dazu auch 0., S. 64. Vgl. 0., S. 29 ff., 55. 231 Vgl. G. Schäfer. in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 102 Rn. 36, § 103 Rn. 7. 232 Vgl. dazu - auf der verwaltungsrechtlichen Ebene - schon 0., S. 52, 65; zur einfachrechtlichen Normierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bezüglich der Untersuchungshaft, v.a. in § 11212 StPO, vgl. 0., S. 57. 233 Zum Prüfungsumfang des Durchsuchungsrichters vgl. wiederum u., S. 136. 234 V gl. Amelung. in: AIternativkommentar zum Strafprozeßordnung, § 105 Rn. 8. 235 Vgl. ausführlicher wiederum u., S. 137. 229

230

B. Zulässigkeit mittelbarer Beendigungsmaßnahmen

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überwiegender Ansicht entbehrlich, wenn ein Haft- oder Vorführungsbefehl vorliegt. Zumindest, soweit Art. 13 II GG reicht, kann dieser Auffassung allerdings nicht gefolgt werden. Um den verfassungsrechtIichen Anforderungen gerecht zu werden, ist auch in den genannten Fällen - im übrigen entsprechend der insoweit vergleichbaren polizeirechtlichen Rechtslage - stets eine besondere Durchsuchungsanordnung gemäß § 105 I StPO erforderlich.236 Dies gilt besonders dann, wenn zwar von einer Durchsuchung i. S. d. § 102 StPO beim Verdächtigen auszugehen ist, aber zugleich Dritte von der Durchsuchung mitbetroffen werden, deren eigenständiger Schutz aus §§ 102 ff. StPO bzw. letztlich aus Art. 13 GG nicht mit einem Haft- oder Vorführungsbefehl gegen den verdächtigen Mitinhaber der Räumlichkeit untergeht (ebensowenig wie etwa mit einer Einwilligung desselben).237 So verhält es sich, das Vorliegen eines Haft- oder Vorführungsbefehls einerseits und den Schutz des Kirchenasylgewährers aus Art. 13 GG andererseits vorausgesetzt,238 auch in den betreffenden Kirchenasylfällen, in denen eine besondere Durchsuchungsanordnung gemäß § 105 I StPO dementsprechend unentbehrlich ist. Eine Verbindung des Durchsuchungsbefehls mit dem Haft- oder Vorführungsbefehl ist dabei generell möglich. 239

4. Rechtsfolge

Nach dem Wortlaut der §§ 102 f. StPO ist eine Durchsuchung bei Erfüllung der Voraussetzungen nicht obligatorisch, sondern nach Ennessen zulässig. 240 Soweit eine Ergreifungspflicht besteht,241 ist aber - auch gegenüber als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Kirchen - von einer Ennessensreduktion in bezug auf für die Ergreifung unverzichtbare mittelbare Maßnahmen auszugehen. 242

236 Vgl. umfassend Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § \05 Rn. 4 m. w. N., auch zur Gegenansicht. Aus § 127 StPO läßt sich dagegen eine entsprechende Durchsuchungsbefugnis von vornherein nicht herleiten, vgl. nur Wendisch, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 127 Rn. 34,44. Zur polizeirechtlichen Rechtslage vgl. 0., S. 65. 237 Vgl. 0., S. 69 f. Zur Einwilligungsproblematik vgl. allgemein 0., S. 69. 238 Vgl. dazu 0., S. 53 ff., und u., S. 123 ff. 239 Vgl. Amelung, in: Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, § \05 Rn. 16. 240 Zur Bindungswirkung einer richterlichen Durchsuchungsanordnung vgl. Amelung, in: Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, § 105 Rn. 18 ff.; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § \05 Rn. 8. 241 Vgl. - zur (praktischen) Pflicht zum Erlaß eines Haftbefehls - 0., S. 58. 242 Vgl. - zur entsprechenden verwaltungsrechtlichen Rechtslage - 0., S. 65 f.

72

1. Kap.: Staatliche Beendigung des Kirchenasyls

5. Durchführung

Weitergehend als bei den polizeirechtlichen Durchsuchungsbefugnissen entnimmt man den §§ 102 ff. StPO die Befugnis, eine zulässige Durchsuchung im Wege des unmittelbaren Zwanges durchzusetzen. 243 Zusätzlich wird insoweit allerdings vielfach auf die bundes- und landesrechtlichen Normen über den Einsatz unmittelbaren Zwanges pauschal verwiesen. 244 Ob damit auch auf § 17 VwVG und entsprechende landesrechtliche Bestimmungen verwiesen wird, ist fraglich. Inwieweit diese Bestimmungen Anwendung finden sollen, läßt sich bereits auf der verwaltungsrechtlichen Ebene nicht immer sicher feststellen. 245 Mangels einer eindeutigen Regelung ist daher jedenfalls auf der strafprozessualen Ebene im Zweifel von ihrer Unanwendbarkeit auszugehen, so daß sich dann auch für die Durchführung der Durchsuchung gegenüber als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Kirchen keine Besonderheiten ergeben. 246

2A3 Vgl. Amelung, in: Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, § 105 Rn. 37; KleinknechtIMeyer-Goßner; Strafprozeßordnung, § 105 Rn. 13; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 105 Rn. 21; G. Schäfer; in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 105 Rn. 29; zu diesem Unterschied von präventiven und repressiven Befugnissen allgemein etwa Habermehl, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 515. 2A4 Amelung, in: Alternativkommentar zur Strafprozeßordnung, § 105 Rn. 37; Rudolphi, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 105 Rn. 21, vor § 94 Rn. 36, beide m. w. N. 2A~ Vgl. dazu 0., S. 67f. 246 Vgl. auch die Nachw. 0., S. 69 Fn. 221, wo letztlich nicht ganz deutlich wird, ob es um die Zuständigkeits- oder die Vollstreckungsproblematik geht.

2. Kapitel

Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls Nicht weniger bedeutsam als die Frage der Zulässigkeit einer staatlichen Beendigung des Kirchenasyls ist für die Beteiligten die Frage nach der strafrechtlichen Sanktionierung. Zwar sind die Flucht ins oder der Aufenthalt im Kirchenasyl als solche nicht strafrechtlich sanktioniert. Gleichwohl ist zunächst die Strafbarkeit des Kirchenasylflüchtlings zu untersuchen. Denn diese kann nicht nur Ansatzpunkt für Maßnahmen zur Beendigung des Kirchenasyls sein,l sondern ist auch für die Strafbarkeit des Kirchenasylgewährers von Bedeutung, um die es anschließend gehen soll. Zu klären ist jeweils im einzelnen, ob die am Kirchenasyl beteiligten Personen sich tatbestandsmäßig, rechtswidrig und schuldhaft verhalten und inwieweit die Staatsanwaltschaft zur Verfolgung der festgestellten Straftaten verpflichtet ist.

A. Strafbarkeit des Kirchenasylflüchtlings I. Tatbestandsmäßigkeit Unproblematisch sind die Fälle einer Flucht vor strafrechtlicher Verfolgung ins Kirchenasyl. Generell kommt dabei eine Verwirklichung jeglicher Straftatbestände durch den Kirchenasylflüchtling in Betracht, konkret geht es um eine Verwirklichung der Straftatbestände, auf die sich die Verfolgung bezieht. Die Tatbestandsverwirklichung ist in diesen Fällen von der Flucht ins Kirchenasyl prinzipiell unabhängig. Es ist immerhin möglich, daß die Tatbestandsverwirklichung während des Aufenthalts im Kirchenasyl andauert (etwa im bereits mehrfach erwähnten Fall der eigenmächtigen Abwesenheit bzw. Fahnenflucht gemäß §§ 15 f. WStG)2. Andererseits kann sich die Verfolgung aber auch auf eine bereits erfolgte Verurteilung beziehen. Sucht ein ausländischer Kirchenasylflüchtling nicht vor strafrechtlicher Verfolgung, sondern vor einer bevorstehenden Abschiebung Zuflucht, so stellt sich denVgl. dazu schon 0., S. 51 f., 54. Vgl. zur Abgrenzung beider Delikte voneinander und zu ihrem Charakter als Dauerstraftaten Sehölzl Lingens. Wehrstrafgesetz, § 15 Rn. 2, 12, § 16 Rn. 2. I

2

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

noch gleichfalls die Frage nach seiner Strafbarkeit. In Betracht kommt insoweit vor allem eine Verwirklichung der ausländerrechtlichen Straftatbestände. Nach § 92 I Nr. 1 AuslG macht sich ein Ausländer strafbar, der sich ohne erforderliche Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung im Bundesgebiet aufhält. Dieser Tatbestand des unberechtigten Aufenthalts wird durch ausländische Kirchenasylflüchtlinge regelmäßig erftillt. 3 Ist die Aufenthaltsberechtigung aufgrund einer behördlichen Verfügung (etwa der Ablehnung eines Asylantrags) entfallen, so ist deren Rechtmäßigkeit - abgesehen vom nur ganz ausnahmsweise vorliegenden Fall der Nichtigkeit gemäß § 44 VwVfG - aufgrund der strengen Verwaltungsakzessorietät des Ausländerstrafrechts keine Voraussetzung der Tatbestandserfüllung. 4 Außer dem Tatbestand des unberechtigten Aufenthalts nach § 92 I Nr. 1 AuslG können Kirchenasylflüchtlinge auch die übrigen in dieser Vorschrift aufgeführten Straftatbestände (insbesondere Nr. 2 - paßloser Aufenthalt, Nr. 5 - Weigerung gegenüber erkennungsdienstlichen Maßnahmen, Nr. 6 - unberechtigte Einreise) erfüllen. 5 Bei Wiedereinreise nach Ausweisung oder Abschiebung bzw. bei Vornahme bestimmter Täuschungshandlungen liegen auch die Tatbestandsvoraussetzungen des § 92 11 AuslG vor. Ferner können ausländische Kirchenasylflüchtlinge auch die Straftatbestände des § 85 AsylVfG (Verletzung von Aufenthaltsbeschränkungen) erfüllen. 6 Festzustellen ist bei einer Erfüllung der ausländer- bzw. asylverfahrensrechtlichen Straftatbestände wiederum im Einzelfall, ob die Tatbestandserfüllung während des Aufenthalts im Kirchenasyl andauert. Wird die Gewährung von Kirchenasyl gegen den Willen des in Anspruch Genommenen erzwungen, so erfüllt der Flüchtling im Regelfall den allgemeinen Straftatbestand des Hausfriedensbruchs gemäß § 123 StGB. Daneben kommt tatbestandlich das Vorliegen einer Nötigung gemäß § 240 StGB, u.U. auch einer Störung der Religionsausübung gemäß § 167 StGB in Betracht. 7 Im Falle einer staatlichen Beendigung des Kirchenasyls kann es schließlich zu einer Erfüllung des Straftatbestands des § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstrekkungsbeamte) durch den Kirchenasylflüchtling kommen, wenn er sich gegen seine Ergreifung zur Wehr setzt. 8 3 B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (100) [= ders., ZAR 1988, 153, dort allerdings zur (insoweit inhaltsgleichen) früheren Rechtslage; nachfolgend wird nur noch die aktuelle Fassung zitiert]; ders., in: Asyl von unten, S. 91 (101); Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 81; ausführlicher Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 187; Radtke / Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (36 f.). 4 Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 187 f.; Radtke / Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (37 f.). S Vgl. Robbers, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (118 ff.); ferner Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 81 f. 6 V gl. Robbers, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (121). 7 Vgl. Robbers, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117; ferner Flor, Politische Aktion, Kirche und Recht, S. 99 f.; ders., Evangelische Kommentare 1980,284 f. Vgl. auch schon 0., S. 52. K V gl. etwa den Bericht von lust, in: Asyl von unten, S. 110 (113).

A. Strafbarkeit des Kirchenasylflüchtlings

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11. Rechtswidrigkeit Zur Strafbarkeit eines Kirchenasylflüchtlings kann ein tatbestandsmäßiges Verhalten nur dann führen, wenn es auch rechtswidrig ist, d. h. wenn es nicht durch einen anerkannten Rechtfertigungsgrund erlaubt wird. Eine Rechtfertigung kommt dabei nur in Betracht, sofern die Tatbestandserfüllung während des Kirchenasyls andauert, keinesfalls also insbesondere in bezug auf bereits abgeurteilte Straftaten. Ein Kirchenasylrecht des Flüchtlings, das für die Zeit des Aufenthalts im Kirchenasyl einer Strafbarkeit als Rechtfertigungsgrund entgegensteht, ergibt sich aus dem einfachen Recht nicht. 9 Zu überlegen ist allerdings generell, inwieweit das Verhalten eines Flüchtlings, der einer staatlichen Ergreifung zu entkommen versucht, durch fonnlose Duldung, Notwehr oder Notstand gerechtfertigt ist. 1. Formlose Duldung

In bezug auf einen ins Kirchenasyl geflohenen Ausländer, dessen Abschiebung behördlicherseits trotz Erfüllung der Abschiebungsvoraussetzungen nicht verfolgt wird, kommt das Vorliegen einer rechtfertigend wirkenden fonnlosen Duldung in Betracht. Unabhängig davon, ob sich ein behördliches Verhalten im Einzelfall als aktive oder als passive Duldung darstellt, 10 scheidet eine rechtfertigende Wirkung allerdings generell jedenfalls dann aus, wenn die Duldung als solche rechtswidrig ist. 11 Da nach § 55 I AuslG die Abschiebung eines Ausländers nur im Wege der fönnlichen Duldung ausgesetzt werden kann, stellt sich eine diesbezügliche fonnlose Duldung immer als rechtswidrig dar. Eine rechtfertigende Wirkung kann ihr daher unter keinen Umständen zukommen. 12 Das bloße Bestehen eines Duldungsanspruchs (etwa bei zu Unrecht abgelehnter fönnlicher Duldungserteilung durch die zuständige Behörde) hat im übrigen - zumindest bei einfachrechtlicher Betrachtung - weder eine tatbestandsausschlie6ende noch eine rechtfertigende Wirkung. 13 2. Notwehr

Es fragt sich, ob das Verhalten eines Flüchtlings, der staatlicher Ergreifung zu entkommen versucht, als Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt ist. GrundvorVgl. 0., S. 29 ff., 55. Vgl. dazu allgemein Hirsch. in: Leipziger Kommentar, Vor § 32 Rn. 170; Lenckner, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 62 a. E. 11 Vgl. Hirsch, in: Leipziger Kommentar, Vor § 32 Rn. 172. 12 So i.E. - mit teilweise abweichender Begründung - auch Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 188; Radtkel Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (47 ff.). 13 Vgl. zur Tatbestandsfrage - dazu auch schon 0., S. 74 - Kaneinl Renner, Ausländerrecht, § 92 AuslG Rn. 4; zur Rechtfertigungsfrage allgemein Hirsch, in: Leipziger Kommentar, Vor § 32 Rn. 169; Lenckner, in: Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 62. 9

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aussetzung einer Notwehrrechtfertigung ist gemäß § 32 11 StGB das Vorliegen einer Notwehrlage, also eines gegenwärtigen rechtswidrigen Angriffs. Ein Angriff ist die unmittelbare Bedrohung rechtlich geschützter Güter durch menschliches Verhalten. 14 In Kirchenasylfällen kann ein Angriff danach allenfalls darin liegen, daß die betreffende Behörde zur Ergreifung eines Kirchenasylflüchtlings konkret tätig wird. Maßnahmen im Vorfeld einer Ergreifung (etwa die Ablehnung eines Asylantrags) stellen regelmäßig noch keine unmittelbare Bedrohung rechtlich geschützter Güter des Flüchtlings dar, und in bezug auf die daraufhin möglichen zukünftigen Ergreifungsmaßnahmen fehlt es an der Gegenwärtigkeit des Angriffs, solange die Behörde tatsächlich noch untätig ist. 15 Ein unerlaubter Aufenthalt i. S. d. ausländerrechtlichen Straftatbestände beispielsweise kann dann also schon in Ermangelung eines (gegenwärtigen) Angriffs nicht als Notwehr gerechtfertigt sein. Werden staatlicherseits konkrete Ergreifungsmaßnahmen vorgenommen, die sich als unmittelbarer Rechtsgüterangriff verstehen lassen, so setzt eine Notwehrrechtfertigung von Widerstandshandlungen eines Kirchenasylflüchtlings die Rechtswidrigkeit dieses Angriffs voraus. Zu überlegen ist nun, ob bereits eine (strafrichterlich angenommene) objektive Rechtswidrigkeit der Ergreifungsmaßnahme zur Erfüllung dieser Voraussetzung einer Notwehrlage führt. Nach dem nicht ganz unumstrittenen sog. strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff macht auch ein Fehlen von sachlichen Eingriffsvoraussetzungen ein hoheitliches Handeln solange nicht rechtswidrig, als der betreffende Amtsträger nach pflichtgemäßer Prüfung von deren Vorliegen ausgehen durfte. 16 Auch von Kritikern des strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriffs wird aber eine Duldungspflicht des Bürgers gegenüber staatlichen Maßnahmen weitgehend angenommen. Die Beurteilungskriterien sind dabei zwar nicht immer ganz eindeutig. Eine Duldungspflicht wird aber ohne weiteres beispielsweise gegenüber solchen Maßnahmen bejaht, die notwendigerweise ein Prognoseelement beinhalten oder Vollstreckungshandlungen einer außenwirksamen staatlichen Entscheidung darstellen. 17 Danach fehlt es an einem rechtswidrigen Angriff in Kirchenasylfällen zunächst dann, wenn eine vorläufige Festnahme vorgenommen oder eine Haftanordnung vollstreckt wird. Im Hinblick auf Maßnahmen zur Durchführung einer Abschiebung oder Zurückschiebung ist darüber hinaus zu beachten, daß für die Überprüfung der Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen dieser Maßnahmen die Verwaltungsgerichte zuständig sind. 18 Aus strafrechtlicher bzw. -richterlicher Sicht ist daher prinzipiell Vgl. nur Lenckner, in: Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch, § 32 Rn. 3. Zum Merkmal der Gegenwärtigkeit allgemein Lenckner, in: Schönke I Schröder, Strafgesetzbuch, § 32 Rn. 16. 16 Vgl. Lenckner, in: Schönkel Schröder, Strafgesetzbuch, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 86 m. w. N. 17 Vgl. etwa Spendet, in: Leipziger Kommentar, § 32 Rn. 69, 73, 105 ff.; dazu auch Lenckner, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 86 f.; ferner Hirsch, in: Leipziger Kommentar, Vor § 32 Rn. 147b. 14 IS

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von ihrer Rechtmäßigkeit auszugehen. Die Durchführung einer Abschiebung oder Zurückschiebung läßt sich demzufolge - abgesehen von dem Fall, daß sich eine Rechtswidrigkeit der behördlichen Maßnahme aus der Nichtigkeit eines verwaltungsgerichtlich bislang nicht überprüften Verwaltungsakts gemäß § 44 I VwVfG ergibt - ebenfalls unter keinen Umständen als rechtswidriger Angriff i. S. d. § 32 TI StGB auffassen. 19 Eine Rechtfertigung straftatbestandsmäßiger Handlungen eines Kirchenasylflüchtlings gemäß § 32 StGB scheidet also regelmäßig schon mangels Notwehrlage aus. In bezug auf den ausländerrechtlichen Straftatbestand des unerlaubten Aufenthalts läßt sich im übrigen - selbst bei gegebener Notwehrlage - die Tatbestandserfüllung, also der unerlaubte Aufenthalt (im Kirchenasyl), kaum als gegen den Angreifer gerichtete Verteidigungshandlung i. S. d. § 32 TI StGB qualifizieren. 2o 3. Notstand

Möglicherweise sind die tatbestandsmäßigen Handlungen eines Kirchenasylflüchtlings aber unter Notstandsgesichtspunkten gerechtfertigt. Eine entsprechend dem zuvor Gesagten festgestellte und zum Ausschluß einer Notwehrrechtfertigung führende Rechtmäßigkeit der staatlichen Verfolgungsmaßnahmen steht dabei einer Rechtfertigung aufgrund der gesetzlichen Notstandsregelung des § 34 StGB nicht von vornherein entgegen. 21 Diese Bestimmung steht insofern vielmehr selbständig neben § 32 StGB. 22 Voraussetzung einer Rechtfertigung nach § 34 StGB ist zunächst das Bestehen einer Notstandslage. Sodann muß sich die Tatbestanderfüllung als Notstandshandlung darstellen. Weiterhin setzt § 34 StGB die Erforderlichkeit der Notstandshandlung sowie eine positiv ausfallende Interessenabwägung voraus. Abschließende Voraussetzung einer Rechtfertigung aufgrund der gesetzlichen Notstandsregelung ist gemäß § 34 S. 2 StGB die Angemessenheit der Tat. 23 18 Vgl. (zur Prüfungskompetenz des über die Abschiebungshaftanordnung entscheidenden Richters) 0., S. 45 ff. 19 Vgl. mit ähnlicher Begründung Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 189; daneben RadtkeI Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (49); ferner Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (40); Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band 111, S. 601 (617); Katholisches Büro, in: "Schützende Gemeinde werden", S. 26 (27); Maaßen, KuR 1/1997, 37 (45) = 885, 7 (15); Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 117; unklar Gramlieh, in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (207). 20 V gl. dazu - etwas unklar - Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 188 f. 21 Anders wohl M. H. Müller, apf 1994, 189 (191). 22 Vgl. allgemein Lenckner, in: Schönkel Schröder, Strafgesetzbuch, § 34 Rn. 6 m. w. N. 23 Überblicksartig zu den Voraussetzungen des § 34 StGB Hirsch, in: Leipziger Kommentar, § 34 Rn. 21.

2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

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a) Notstandslage

Eine Notstandslage gemäß § 34 S. 1 StGB ist dann gegeben, wenn eine gegenwärtige Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut einer Person besteht. In Kirchenasylfällen kommt zunächst das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr für die Freiheit des Flüchtlings durch die bevorstehende Ergreifung in Betracht. Besonders im Falle des unerlaubten Aufenthalts nach den ausländerrechtlichen Straftatbeständen ist darüber hinaus das Bestehen einer (bei Ausreise oder Abschiebung drohenden) Freiheitsgefahr oder gar einer Gefahr für Leib oder Leben zu prüfen. Insoweit ist allerdings fraglich, ob das dem Kirchenasyl vorangegangene Verwaltungsverfahren, ggf. auch Verwaltungsgerichtsverfahren, Auswirkungen auf die strafrichterliche Prüfungskompetenz hinsichtlich der Feststellung einer Notstandslage hat. Nach § 53 VI AuslG kann die Abschiebung eines Ausländers bei einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit ausgesetzt werden. Ein Abschiebungsverbot besteht nach § 53 I, 11, IV AuslG bei Gefahr der Folter oder Todesstrafe sowie entsprechend den Bestimmungen der EMRK. In diesen Fällen ist dem Ausländer gemäß § 55 11 AuslG eine Duldung zu erteilen. Dies kann auch von Amts wegen geschehen. 24 Aus diesem Grund hat die jeweils zuständige Behörde - also im Falle eines Asylbewerbers nach §§ 2411,31 III AsylVfG i.d.R. das Bundesamt - im Rahmen des Untersuchungsgrundsatzes (§ 24 VwVfG i.V.m. § 67 AuslG) zu prüfen, ob die Voraussetzungen der genannten Bestimmungen vorliegen. In Anbetracht des Umstandes, daß schon die Verwaltungsbehörde und ggf. auch das Verwaltungsgericht die Frage der Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des betroffenen Ausländers zu berücksichtigen haben, könnte eine strafrichterliche Überprüfung dieser Frage ausgeschlossen sein. 25 Grundsätzlich kommt Aufenthaltsgenehmigung deren Nichterteilung für aussetzungen des § 92 I

der Entscheidung der Verwaltungsbehörden über die bzw. Duldung eine Bindungswirkung dergestalt zu, daß die Bejahung der entsprechenden tatbestandlichen VorNr. 1 AuslG ausreicht. Die Voraussetzungen der Ertei-

Kaneinl Renner, Ausländerrecht, § 55 AuslG Rn. 3. In diese Richtung RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997), 23 (50); daneben Maaßen, KuR 1/1997,37 (45) 885, 7 (15), unter nicht ganz zutreffender Berufung auf Jacobs, ZevKR 35 (1990),25 (40); unklar Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (617); Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 117 f.; vgl. auch B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (1l4 Anm. 55), m. Hinweis auf insoweit zu beachtende Differenzen zum (früheren) schweizerischen Recht; zu letzterem vgl. ausführlicher Friederich, in: Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 141 (169 f.); daneben Blättier, Asyl 2/1986, 7 (8); Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft 50/1, Nr. 5, S. 45 (53); zur heutigen, dem deutschen Recht insoweit entsprechenden Rechtslage in der Schweiz vgl. Friederich, in: Kirche und Asyl, S. 61 (68), allerdings mit etwas unklaren Ausführungen zum nach der früheren Rechtslage weitergehend möglichen - dazu Blättier, a. a. 0.; Friederich, in: Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 141 (171) - Putativnotstand (vgl. zum Putativnotstand mit entschuldigender Wirkung nach deutschem Recht noch u., S. 85 f.). 24

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lung sind im Strafverfahren insoweit also nicht zu prüfen. 26 Problematisch ist allerdings die Frage, ob die Strafgerichte aufgrund der Bindungswirkung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung auch an die dieser Entscheidung zugrundeliegenden Feststellungen gebunden sind. 27 Im Zusammenhang mit § 34 StGB ist diesbezüglich zu untersuchen, ob verwaltungsbehördliche Feststellungen über das Vorliegen einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit eines Ausländers, der den Straftatbestand des unerlaubten Aufenthalts erfüllt, im Strafverfahren verbindlich sind. Auch nach der weitgehenden Ansicht, derzufolge sich die Bindungswirkung einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung auf den Inhalt dieser Entscheidung erstreckt,28 besteht grundsätzlich keine Bindung an der Entscheidung zugrundeliegende tatsächliche Feststellungen. Zu einer solchen Bindungswirkung in tatsächlicher Hinsicht (Feststellungswirkung) kann es nur ausnahmsweise aufgrund einer Anordnung durch besondere Rechtsvorschrift kommen. 29 Die ausdrückliche Anordnung einer Feststellungswirkung von behördlichen oder gerichtlichen Entscheidungen in bestimmten Vorschriften (wie z. B. §§ 33, 77 WDO, 118 III BRAO, 4 III StVG, 35 m GewO)30 zeigt gerade, daß eine allgemeine Feststellungswirkung im deutschen Rechtssystem nicht besteht. 3l Dies entspricht dem in § 262 StPO zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, nach dem die Entscheidungen anderer Gerichte und Behörden für die Strafgerichte grundsätzlich unverbindlich sind. 32 Eine auch die Strafgerichte bindende Feststellungswirkung entfaltet gemäß § 4 AsylVfG die Entscheidung über einen Asylantrag in Angelegenheiten, in denen die Asylanerkennung oder das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 lAusiG 26 Vgl. Haa/, Die Fernwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S. 214, 250 ff.; Jörgensen, Die Aussetzung des Strafverfahrens zur Klärung außerstrafrechtlicher Rechtsverhältnisse, S. 116 ff., bes. S. 144, 162; daneben allgemein Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 262 Rn. 15 ff., 20 ff.; Schlüchter, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 262 Rn. 3 ff., 7 ff. Vgl. auch schon 0., S. 74 f. 27 Vgl. Haa/, Die Fernwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S. 82. 28 Zusammenfassend dazu m. Nachw. und Kritik Haa/, Die Fernwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S. 83 ff.; Jörgensen, Die Aussetzung des Strafverfahrens zur Klärung außerstrafrechtlicher Verhältnisse, S. 118 f. 29 Vgl. dazu Haa/, Die Fernwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S. 101; Seibert, Die Bindungswirkung von Verwaltungsakten, S. 130 f.; F. O. Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz, Vorbem § 35 Rn. 32 ff.; ders./ Schenke, Verwaltungsgerichtsordnung, § 121 Rn. 5 f. m. w. N.; vgl. auch schon Kormann, JöR 7 (1913), I (13 f., 18 f.). 30 Weitere Vorschriften bei Haa/, Die Fernwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S. 101 m. Fn. 4. 31 BVerwG, DVBI. 1984, 1226 (1227). 32 Vgl. dazu nur Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, § 262 Rn. 8; Schlüchter, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozeßordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, § 262 Fn. 2.

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

rechtserheblich ist. 33 Nicht ganz eindeutig geregelt ist allerdings das Verhältnis zwischen § 4 AsylVfG und der Bestimmung des § 42 AsylVfG, die eine Bindung (nur) der Ausländerbehörde, also nicht der Strafgerichte, an eine im Asylverfahren ergangene Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG normiert. 34 Die eingeschränkte Bindungswirkung des § 42 AsylVfG gilt in jedem Falle auch im Hinblick auf die - zumindest der Formulierung nach kein zwingendes Abschiebungshindernis enthaltende Bestimmung des § 53 VI Aus1G?5 Diese letztgenannte Vorschrift ist als Auffangtatbestand für die vorangegangenen Regelungen der §§ 51,53 I-IV AuslG und im Hinblick auf das Merkmal der Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit als mit § 51 lAusiG inhaltsgleich anzusehen. 36 Eine negative Feststellung im Asylverfahren hinsichtlich des Vorliegens einer Lebens- oder Freiheitsbedrohung i. S. d. § 51 I AuslG führt damit automatisch zu einer ebensolchen Feststellung in bezug auf das Bestehen einer Leibes-, Lebens- oder Freiheitsgefahr i. S. d. § 53 AuslG, die aufgrund der bereits erwähnten Bestimmungen der §§ 24 II, 31 III AsylVfG gleichfalls im Asylverfahren zu treffen ist. Bezüglich dieser Tatsachenfeststellung kann dann sowohl die umfassende Bindungswirkung des § 4 AsylVfG als auch die eingeschränkte Bindungswirkung des § 42 AsylVfG eintreten. Ersteres ist der Fall, wenn in einer Angelegenheit das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 I AuslG als Ganzes relevant ist. 37 Geht es dagegen in einer vom Asylverfahren getrennten Sache allein um das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 AuslG, so gilt dafür lediglich die eingeschränkte Bindungswirkung des § 42 Asy1VfG?8 Auf diese Weise lassen sich § 4 33 Vgl. - im Hinblick auf den Strafausschließungsgrund des Art. 31 I GFK - OLG Celle, NVwZ 1987,533; OLG Köln, StV 1988,300 f. (zur dem heutigen § 4 AsylVfG entsprechenden Regelung des § 18 AsylVfG a.F.). 34 Vgl. bes. die unklaren Ausführungen von Funke-Kaiser; in: Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, II-§ 4 Rn. 11, wo letztlich nicht deutlich wird, ob es um das Verhältnis zwischen § 4 AsylVfG und § 42 AsylVfG bzw. zwischen § 51 I AuslG und § 53 AuslG oder um die Abgrenzung der Zuständigkeiten und Prüfungsbefugnisse von Bundesamt und Ausländerbehörden gehen soll; vgl. ferner die knappen und ebenso unergiebigen Ausführungen zum Verhältnis von § 4 AsylVfG und § 42 AsylVfG bei Treiber; ebd., II-§ 42 Rn. 17; Kaneinl Renner; Ausländerrecht, § 42 AsylVfG Rn. 2; Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, § 4 Rn. I, § 42 Rn. I. 3S Treiber; in: Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, II-§ 42 Rn. 33 ff. Zur begrenzten Reichweite der Ermessenseinräumung nach § 53 VI AuslG vgl. ders., in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 53 Rn. 19, 234, 244; daneben Kaneinl Renner; Ausländerrecht, § 53 Rn. 15. 36 Vgl. Treiber; in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 53 Rn. 233, 235; zur partiellen Übereinstimmung von § 51 AuslG und § 53 AuslG daneben Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, § 31 Rn. 12; Weberndörjer; Schutz vor Abschiebung nach dem neuen Ausländergesetz, S. 43. 37 So in den Entscheidungen OLG Celle, NVwZ 1987,533; OLG Köln, StV 1988,300 f. zu Art. 31 I GFK; vgl. auch die Beispiele bei Funke-Kaiser; in: Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, II-§ 4 Rn. 18. 38 Vgl. das Beispiel des Auslieferungsverfahrens bei Treiber; in: Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, II-§ 42 Rn. 43 f.

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AsylVfG und § 42 AsylVfG widerspruchslos und ihrem Wortlaut entsprechend miteinander in Einklang bringen. Im Rahmen des § 34 StGB kommt es wie bei § 53 AuslG allein auf das Bestehen einer Leibes-, Lebens- oder Freiheitsgefahr an. Nach der insoweit maßgeblichen Bestimmung des § 42 AsylVfG sind die Strafgerichte an eine entsprechende Entscheidung des Bundesamtes im Asylverfahren nicht gebunden. Dagegen greift auch der im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik geäußerte Einwand, es laufe dem Grundverständnis rechtsstaatlicher Ordnung zuwider, wenn die Gefahreinschätzung eines Kirchenasylgebers an die Stelle der zu dieser Einschätzung ebenfalls verpflichteten Behörde gesetzt werde,39 nicht durch. Denn bei einer solchen Argumentation wird übersehen, daß im Hinblick auf § 34 StGB letztlich nicht die Einschätzung des Kirchenasylgebers (ebensowenig wie diejenige des Kirchenasylnehmers), sondern die strafgerichtliche Entscheidung maßgeblich ist. Gegen den Umstand, daß im deutschen Rechtssystem eine auch die Strafgerichte bindende allgemeine Feststellungswirkung eben gerade nicht vorgesehen ist, greift auch die Berufung auf das Grundverständnis rechtsstaatlicher Ordnung als übergeordnetes Prinzip nicht durch. Für den Fall einer bestehenden ausländerbehördlichen Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen gemäß § 53 AuslG gibt es im übrigen keine Bestimmungen, die eine irgendwie geartete Feststellungswirkung normieren. Die Strafgerichte haben also hinsichtlich der Frage der Notstandsrechtfertigung eines Kirchenasylflüchtlings ohne Einschränkung selbst darüber zu entscheiden, ob eine Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit i. S. d. § 34 StGB vorliegt. Läßt sich das Vorliegen einer solchen Gefahr und ihrer Gegenwärtigkeit ftir einen Kirchenasylflüchtling feststellen, so besteht eine Notstandslage gemäß § 34 S. 1 StGB. b) Notstandshandlung

Als Notstandshandlung kann die Verwirklichung jedes Straftatbestandes in Betracht kommen. Als mögliche Notstandshandlung wird etwa auch die in Kirchenasyl fällen häufig einschlägige Erfüllung der Tatbestände der eigenmächtigen Abwesenheit gemäß § 15 WStG oder des Verstoßes gegen das Ausländergesetz genannt. 40

39 So Jacobs. ZevKR 35 (1990). 25 (40); allgemein zu Versuchen, eine Bindungswirkung von Verwaltungsentscheidungen aus übergeordneten RechtsgrundSätzen herzuleiten, Haaf, Die Fernwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen. S. 38 ff.; JÖrgensen. Die Aussetzung des Strafverfahrens zur Klärung außerstrafrechtlicher Rechtsverhältnisse. S. 92 ff.• 114 ff., beide m. w. N. 40 Vgl. Hirsch. in: Leipziger Kommentar, § 34 Rn. 42, 44 m.N. 41 Dazu Hirsch. in: Leipziger Kommentar, § 34 Rn. 45 ff.

6 Gürisch

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

Die Tatbestandserfüllung durch einen Kirchenasylflüchtling stellt sich als Notstandshandlung dar, wenn sie zur Gefahrabwendung erfolgt. 41 Bei bestehender Notstandslage ist also zu prüfen, ob der Wille zur Gefahrabwendung der Grund für die tatbestandmäßige Handlung ist. Eine solche Motivation wird bei einer Flucht ins Kirchenasyl häufig eine wichtige Rolle spielen und macht die Tatbestandserfüllung dann auch zu einer Notstandshandlung gemäß § 34 S. 1 StGB. c) Erforderlichkeit der Notstandshandlung

Die Notstandsrechtfertigung setzt weiter voraus, daß die Gefahr nicht anders abwendbar ist, daß also die Tatbestandserfüllung zur Gefahrabwendung erforderlich, d. h. geeignet und gleichzeitig das relativ mildeste Mittel ist.42 Eine tatbestandsmäßige Handlung zur Verhinderung einer staatlichen Ergreifung kann erst dann erforderlich sein, wenn alle Rechtsmittel gegen die Ergreifung ausgeschöpft sind. Auch in Kirchenasylfällen müssen daher vorrangig alle zur Gefahrabwendung geeigneten, rechtlichen Möglichkeiten wahrgenommen werden, bei denen die Tatbestandserfüllung unterbleibt. 43 d) Wesentliches Überwiegen des von § 34 StGB geschützten Interesses

Bei Vorliegen der bisher genannten Notstandsvoraussetzungen bleibt im Rahmen des § 34 S. 1 StGB zu prüfen, ob auch die Abwägung der widerstreitenden Interessen zugunsten eines tatbestandsmäßig handelnden Kirchenasylflüchtlings ausfällt. In diesem Rahmen ist nun der Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung im ganzen, auf den besonders die Literatur zur Kirchenasylproblematik vielfach schon an früherer Stelle eingehen will, durchaus zu berücksichtigen. Allgemein wird gesagt, die Interessenabwägung stehe einer Notstandsrechtfertigung entgegen, wenn die Konfliktlösung ausschließlich einem besonderen Verfahren vorbehalten sei. 44

Verwirklicht ein ausländischer Kirchenasylflüchtling den Straftatbestand des unerlaubten Aufenthalts oder widersetzt er sich seiner Ergreifung zwecks Abschiebung, so ist danach zu beachten, daß die im Ausländergesetz vorgesehenen und im Verwaltungsverfahren festzustellenden Duldungsgründe - besonders deutlich z. B. die Bestimmung des § 53 VI AuslG - gerade den Fall der Notstandssituation re42 Vgl. Hirsch, in: Leipziger Kommentar, § 34 Rn. 50 ff.; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 34 Rn. 18 ff. 43 Insoweit zutreffend RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997), 23 (50); alIgemeiner dazu Hirsch, in: Leipziger Kommentar, § 34 Rn. 52; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 35 Rn. 13,26. Vgl. auch noch u., S. 209 f. 44 Hirsch, in: Leipziger Kommentar, § 34 Rn. 67; Lenckner, in: Schönkel Schröder, Strafgesetzbuch, § 34 Rn. 40 f. m. w. N., auch zu der dogmatischen Streitfrage, ob es insoweit nicht erst an der Angemessenheit i. S. d. § 34 S. 2 StGB fehlt. 45 Vgl. Aurnhammer, SpezielIes Ausländerstrafrecht, S. 172.

A. Strafbarkeit des Kirchenasylflüchtlings

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geln, auf die der Flüchtling sich beruft. 45 Demzufolge steht einer Notstandsrechtfertigung seiner tatbestandsmäßigen Handlung im Rahmen der Interessenabwägung prinzipiell entgegen, daß der behaupteten Gefahrenlage ausschließlich im Wege des gegenüber § 34 StGB speziellen ausländer- bzw. asylrechtlichen Verfahrens zu begegnen ist. 46 Zu überlegen ist allerdings, ob am Schutz höchstrangiger Rechtsgüter (wie beispielsweise Leben) dennoch ein überwiegendes Interesse i. S. d. § 34 S. 1 StGB bestehen kann, soweit die Strafvorschriften des Ausländerrechts lediglich dem Schutz von untergeordneten Ordnungswerten dienen. 47 Grundsätzlich muß eine Rechtfertigung nach § 34 StGB aber immer ausscheiden, wenn für die Abwendung von Rechtsgutsgefahren ein rechtlich geordnetes Verfahren zur Verfügung steht. Die Notstandsrechtfertigung schützt nicht vor Konsequenzen in strafrechtlicher Hinsicht, die sich für den Betroffenen daraus ergeben, daß er einen gegen ihn vermeintlich zu Unrecht erlassenen Verwaltungsakt im Prozeßwege nicht zu beseitigen verrnag. 48 Es liegt allein in der Macht des Gesetzgebers, den Anwendungsbereich seiner eigenen Regelung der Notstandsrechtfertigung durch besondere Verfahrensregelungen konkludent, d. h. ohne daß der Ausschluß der Berufung auf § 34 StGB jeweils ausdrücklich erwähnt werden muß, zu beschränken. Auch eine Verletzung von Strafvorschriften, die lediglich dem Schutz untergeordneter Ordnungswerte dienen, kann nicht unter Berufung auf § 34 StGB gerechtfertigt werden, wenn der Gesetzgeber die Berücksichtigung einer Notstandssituation des Betroffenen einem besonderen Verfahren zugewiesen hat. Dies gilt zumindest dann, wenn dieses besondere Verfahren die Möglichkeit einer gerichtlichen Kontrolle beinhaltet, wie dies im ausländer- bzw. asylrechtlichen Verfahren nach deutschem Recht der Fall ist. 49 Speziell im Hinblick auf die ausländerrechtlichen Strafvorschriften ist überdies schon zweifelhaft, ob sie lediglich dem Schutz untergeordneter Ordnungswerte dienen. 5o Schließlich spricht insoweit gegen eine Notstandsrechtfertigung, daß dadurch die Beschränkung des § 53 AuslG auf den Schutz der Rechts46 Vgl. Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 189 f., letztlich offenlassend, ob insoweit statt dessen § 34 S. 2 StGB einschlägig ist (vgl. dazu schon 0., S. 82 Fn. 44). 47 In diese Richtung wohl OLG Frankfurt, NVwZ 1988, 286 (287) im Anschluß an Lenckner, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 34 Rn. 23, wobei das Gericht allerdings verkennt, daß der von Lenckner (ohne Auseinandersetzung mit dem Gesichtspunkt der Spezialität besonderer Verfahren) angesprochene Fall der unerlaubten Einreise, um den es etwa auch in der Entscheidung des AG Münden, StV 1988, 306 f. geht, nicht ohne weiteres auf den für die Kirchenasylproblematik relevanten - Fall des unerlaubten Aufenthalts übertragen werden kann, vgl. dazu RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997),23 (50 m. Fn. 123). 48 Samson, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 34 Rn. 52; vgl. auch Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, § 16 Rn. 46 f. 49 Vgl. zur insoweit abweichenden früheren Rechtslage in der Schweiz nochmals den Hinweis von B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (114 Anm. 55); dazu schon 0., S. 78 m. Fn. 25. Zu den eingeschränkten Rechtsschutzmöglichkeiten in bezug auf die Einreise nach Deutschland vgl. nochmals Radtke I Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (50 m. Fn. 123); dazu schon 0., Fn. 47. so Dazu eingehend Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 76 ff.

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

güter Leib, Leben und Freiheit in strafrechtlicher Hinsicht durch die Berufung auf § 34 StGB mit seinem weiterreichenden Rechtsgüterschutz umgangen werden könnte. Für einen ausländischen Kirchenasylflüchtling, der den Straftatbestand des unerlaubten Aufenthalts verwirklicht oder sich einer Ergreifung zwecks Abschiebung widersetzt, scheidet eine Notstandsrechtfertigung nach § 34 StGB demnach mangels eines überwiegenden Rechtfertigungsinteresses aus. Entsprechendes gilt in den übrigen KirchenasylfaJlen. So kommt auch für einen als Straftäter gesuchten Kirchenasylflüchtling eine Rechtfertigung nach § 34 StGB nicht in Betracht, weil insoweit jedenfalls das Strafverfahren als solches das gegenüber der Notstandsrechtfertigung speziellere Verfahren darstellt. 51 Die Handlungen eines Kirchenasylflüchtlings, der staatlicher Ergreifung zu entkommen versucht, werden also generell nicht von einem anerkannten Rechtfertigungsgrund umfaßt. Ein allgemeiner übergesetzlicher Rechtfertigungsgrund der Wahrnehmung berechtigter Interessen besteht nicht und kann daher auch in Kirchenasylnmen von vornherein nicht eingreifen. 52 Der tatbestandsmäßige Aufenthalt im Kirchenasyl erfüllt daher auch die Stratbarkeitsvoraussetzung der Rechtswidrigkeit.

III. Schuld

Stratbarkeitsvoraussetzung einer tatbestandsmäßigen und rechtswidrigen Handlung ist, daß sie auch schuldhaft war. In Kirchenasylfällen kommt insoweit auf einfachrechtlicher Ebene ein Schuldausschluß sowohl unter Irrtumsgesichtspunkten nach § 17 StGB als auch unter Notstandsgesichtspunkten, vor allem nach § 35 StGB, in Betracht 1. Verbotsirrtum

Ein Flüchtling, der irrig glaubt, sein Verhalten sei während des Aufenthalts im Kirchenasyl gerechtfertigt, befindet sich in einem Verbotsirrtum. Ein solcher Irrtum führt dann gemäß § 17 StGB für die Dauer des Aufenthalts im Kirchenasyl bzw. für die Dauer des Irrtums zu einem Schuldausschluß, wenn er unvermeidbar war, anderenfalls zu einer fakultativen Strafmilderung. Unvermeidbar ist der Verbotsirrtum eines Kirchenasylflüchtlings entsprechend der allgemeinen Auslegung des Vermeidbarkeitskriteriums besonders dann, wenn er auf der Auskunft einer verläßlichen rechtskundigen Person, also beispielsweise eines Anwaltes beruhte. Vgl. nur allgemein Lenckner. in: Schänke/ Schröder, Strafgesetzbuch, § 34 Rn. 41. Vgl. dazu auch (zum schweizerischen Recht) Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 78 ff., wo keineswegs übergesetzlich, sondern v.a. auf der Basis des (geschriebenen) Verfassungsrechts argumentiert wird. 51

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A. Stratbarkeit des Kirchenasylflüchtlings

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Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 StGB in der Person eines Kirchenasylflüchtlings ist mithin nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles durchaus möglich. 53 2. Entschuldigender Notstand

Scheidet bei gegebener Notstandslage und Notstandshandlung eine Rechtfertigung nach § 34 StGB mangels überwiegenden Rechtfertigungsinteresses wegen der Spezialität eines besonderen Verfahrens aus, so kommt ein entschuldigender Notstand gemäß § 35 StGB in Betracht. 54 Eine Entschuldigung ist nach § 35 S. 2 StGB allerdings ausgeschlossen, wenn dem Betroffenen die Hinnahme der Gefahr zumutbar war. Zur Zumutbarkeit der Gefahrhinnahme führt u. a. das Bestehen einer Duldungspflicht. Gegen eine in einem rechtsstaatlichen Verfahren auferlegte Freiheitsentziehung gerichtete Handlungen des Betroffenen sind daher nicht gemäß § 35 StGB entschuldigt. 55 Kirchenasylflüchtlinge, die Zuflucht vor einer final auferlegten Freiheitsentziehung suchen (also besonders als Straftäter Verurteilte), handeln also gemäß § 35 S. 2 StGB bei einer gegen die Ergreifung gerichteten Erfüllung von Straftatbeständen nicht im entschuldigenden Notstand. Ausländische Kirchenasylflüchtlinge, denen bei Abschiebung nach strafrichterlicher Erkenntnis eine Lebens- oder Leibesgefahr droht, sind davon allerdings nicht betroffen. In bezug auf diese Gefahren wurde ihnen auch im zu ihren Ungunsten entschiedenen ausländer- bzw. asylrechtlichen Verfahren keine Duldungspflicht final auferlegt. Vielmehr wurde lediglich ftir dieses Verfahren das Vorliegen solcher Gefahren verneint, woran die Strafgerichte mangels einer diesbezüglich bestehenden Feststellungswirkung aber, wie im Zusammenhang mit § 34 StGB gezeigt,56 gerade nicht gebunden sind. 57 Zumutbar kann die Gefahrhinnahme insoweit allenfalls unter der Voraussetzung sein, daß der Ausländer vor dem Entstehen der nicht mehr anders abwendbaren Gefahrensituation Möglichkeiten der präventiven Gefahrabwendung versäumt hat. 58 Wird das Vorliegen einer Lebens- oder Leibesgefahr entgegen der Überzeugung des Auslän53 Ausführlicher dazu Radtke / Radtke. ZevKR 42 (1997). 23 (56 f.); vgl. - zur Frage eines Verbotsirrturns im Falle der Erfüllung ausländerrechtlicher Straftatbestände - auch allgemeiner OLG Frankfurt, NVwZ 1988, 286 (287), wo zusätzlich auf die Möglichkeit eines Strafaufhebungsgrundes hingewiesen wird, falls die zur Stratbarkeit führende Verwaltungsentscheidung nachträglich zugunsten Ausländers revidiert wird. Zum Verbotsirrtum in Kirchenasylfallen nach schweizerischem Recht vgl. Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 78; ferner Blättier. Asyl 2! 1986, 7 (8). 54 V gl. auch den Hinweis auf § 35 StGB im Rahmen der Ausflihrungen zu § 34 StGB von I..enckner. in: Schönke! Schröder, Strafgesetzbuch, § 34 Rn. 41. 55 Vgl. Hirsch. in: Leipziger Kommentar, § 35 Rn. 60; Rudolphi. in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, § 35 Rn. 12; einschränkend, aber letztlich wohl ebenfalls in diese Richtung I..enckner. in: Schönke! Schröder, Strafgesetzbuch, § 35 Rn. 9, 26 m. w. N. 56 V gl. 0., S. 78 ff. 57 Dies verkennen Radtke / Radtke. ZevKR 42 (1997), 23 (55 f.). 58 Vgl. zu den Möglichkeiten einer anderweitigen Gefahrabwendung noch u., S. 209 f.

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

ders auch strafgerichtlich verneint, so kann immerhin § 35 11 StGB (Schuldausschluß bei unvermeidbarem Irrtum oder Schuldminderung) eingreifen. Ein Schuldausschluß oder eine Schuldminderung kann sich in Kirchenasylfällen also sowohl aus § 17 StGB als auch aus § 35 StGB ergeben. In jedem Falle sind die Beweggrunde für die Tatbestandserfüllung und für die Flucht ins Kirchenasyl im Rahmen der Schuldprüfung zu berücksichtigen und können zu einer Schuldminderung und Strafmilderung führen. 59 Ein allgemeiner übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund der Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, der insoweit zu einem gänzlichen Schuldausschluß führen könnte, besteht aber nicht. 60

IV. Strafverfolgung Besonders im Falle einer Schuldminderung kommt bereits auf seiten des Kirchenasylflüchtlings eine Einstellung des Strafverfahrens gemäß § 153 StPO oder § 153a StPO in Betracht. 61 Eine Verfahrenseinstellung kann aber ausgeschlossen sein, wenn sich die Schuldminderung nur auf den Aufenthalt im Kirchenasyl bezieht, während die Tatbestandsverwirklichung einen größeren Zeitraum umfaßt.

B. Stratbarkeit des Kirchenasylgewährers I. Tatbestandsmäßigkeit Im Rahmen der Untersuchung der Tatbestandsmäßigkeit einer Kirchenasylgewährung ist zunächst nach den einzelnen Straftatbeständen zu fragen, die dabei zunächst in der Form der Teilnahme an den zuvor genannten Taten des Kirchenasylflüchtlings, aber auch in der Form der eigenen Taterschaft - erfüllt sein können. Anschließend stellt sich die Frage, inwieweit im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik der Gesichtspunkt des sozialadäquaten Verhaltens eingreift und zu einem Tatbestandsausschluß führt.

Aurnhammer. Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 190; Rothkegel. ZAR 1997, 121 (124). Vgl. allgemein Lenckner. in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 122 ff. m. w. N. 61 Überblicksartig zu den Möglichkeiten einer Einstellung des Strafverfahrens allgemein Roxin. Strafverfahrensrecht, § 14 Rn. 6 ff. Im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik werden diese Möglichkeiten aber gemeinhin nur in bezug auf den Kirchenasylgewährer erörtert, vgl. dazu u., S. 109 f. S9

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B. Strafbarkeit des Kirchenasylgewährers

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1. Die einzelnen Straftatbestände und ihre gesetzlichen Voraussetzungen

a) Teilnahme In bezug auf die Straftatbestände, die ein Kirchenasylflüchtling während des Aufenthalts im Kirchenasyl verwirklicht (also beispielsweise in bezug auf den Straftatbestand des § 92 I Nr. 1 AuslG oder i. V. m. § 1 IV WStG in bezug auf die Straftatbestände der §§ 15 f. WStG), kommt eine Teilnahme des Kirchenasylgewährers in Betracht, und zwar sowohl in Form der Anstiftung gemäß § 26 StGB als auch in Form der Beihilfe gemäß § 27 StGB.

aa) Anstiftung Als Anstifter wird nach § 26 StGB gleich einem Tater bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat. Soweit der Aufenthalt eines Flüchtlings im Kirchenasyl die rechtswidrige Erfüllung eines Straftatbestandes und damit eine teilnahmefähige Haupttat darstellt,62 kommt die Bereitstellung eines Kirchenasyls oder die Aufforderung zur Flucht ins Kirchenasyl als Anstiftungshandlung des Kirchenasylgewährers in Betracht. Voraussetzung des § 26 StGB ist dabei, daß der Anstifter den Haupttäter zur Straftat bestimmt hat. Dazu muß der Kirchenasylgewährer den Entschluß des Kirchenasylflüchtlings zur Begehung der Haupttat hervorgerufen haben. Dafür kann es ausreichen, daß der Flüchtling den unerlaubten Aufenthalt von der Kirchenasylgewährung abhängig gemacht hat und der Kirchenasylgewährer diese Bedingung erfüllt. 63 Eine Anstiftung scheidet hingegen aus, wenn der Tatentschluß bereits vorher feststeht, wenn also beispielsweise ein ausländischer Kirchenasylflüchtling vor der Einflußnahme des Kirchenasylgewährers bereits fest zum unerlaubten Verbleib im Bundesgebiet entschlossen ist. 64 Im zuvor genannten Falle ist allerdings zu beachten, daß eine Anstiftung schon dann ausgeschlossen ist, wenn die während des Aufenthalts im Kirchenasyl andauernde Haupttat schon vor der Flucht ins Kirchenasyl bzw. der Einflußnahme des Kirchenasylgewährers vollendet war, der ausländische Kirchenasylflüchtling also Vgl. dazu 0., S. 73 ff. Vgl. zur Möglichkeit einer Anstiftung bei einem bedingten Tatentschluß des Haupttäters eramer; in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 26 Rn. 7, 9. Zur im Zusammenhang mit einem Kirchenasylgewährungsbeschluß dann möglicherweise problematischen Frage der Erfüllung des Teilnahmetatbestandes bei einer Gremienentscheidung vgl. u., S. 90 f. 64 Vgl. Aurnhammer; Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 190; B. Huber; in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (100); ders., in: Asyl von unten, S. 91 (101); RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997), 23 (26); Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 22; Senge. in: Erbs I Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 92 AuslG (A 215) Rn. 6; Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 83. 62 63

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

etwa bereits vor der Flucht ins Kirchenasyl den Tatbestand des unerlaubten Aufenthalts erfüllt hat. Tritt die Tatbestandsverwirklichung aber erst mit Beginn oder während des Aufenthalts im Kirchenasyl ein, so erfüllt der Kirchenasylgewährer den Tatbestand der Anstiftung gemäß § 26 StGB i.Y.m. der entsprechenden Haupttat, wenn er den Tatentschluß im Kirchenasylflüchtling hervorruft. 65 bb) Beihilfe Soweit der Kirchenasylgewährer nicht den Tatbestand der Anstiftung erfüllt, ist zu untersuchen, ob sein Verhalten tatbestandsmäßig eine Beihilfe gemäß § 27 StGB darstellt. Wegen Beihilfe wird nach dieser Vorschrift bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat. Als Haupttat kommt insoweit wiederum die rechtswidrige Tatbestandserfüllung durch den Kirchenasylflüchtling in Betracht. 66 Umstritten ist, bis zu welchem Begehungsstadium der Haupttat eine Beihilfe möglich ist. Einig ist man sich aber darüber, daß die Möglichkeit der Beihilfe zumindest bei Dauerdelikten erst dann endet, wenn der vom Täter aufrechterhaltene rechtswidrige Zustand aufhört. 67 Bildet der Aufenthalt im Kirchenasyl als Dauerdelikt die Haupttat, so schließt demnach deren bereits vor Kontaktaufnahme zwischen Kirchenasylflüchtling und Kirchenasylgewährer eingetretene Vollendung die Möglichkeit einer Beihilfe dazu (im Gegensatz zur Möglichkeit einer Anstiftung) nicht von vornherein aus. Beispielsweise kann eine tatbestandsmäßige Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt eines ausländischen Kirchenasylflüchtlings gemäß § 92 I Nr. I AuslG also auch dann vorliegen, wenn der unerlaubte Aufenthalt bereits vor der Kontaktaufnahme mit dem Kirchenasylgewährer begonnen hat. 68 Als Beihilfehandlung läßt sich eine Kirchenasylgewährung aber nur dann qualifizieren, wenn dadurch eine Hilfe zur Haupttat geleistet wird. Mit dem Begriff der Hilfeleistung umschreibt § 27 StGB die Tathandlung der Beihilfe allerdings nicht in eindeutiger Weise. Schwierigkeiten bereitet dabei die Frage, ob der Tatbestand der Beihilfe einen ursächlichen Beitrag zur Tatbestandsverwirklichung des Haupttäters voraussetzt oder eine Förderung der Handlung des Haupttäters ausreichen läßt. 69 Auch die erstgenannte Ansicht stellt allerdings insoweit keine allzu strengen 65 Zum Anstiftervorsatz als subjektiver Tatbestandsvoraussetzung der Anstiftung vgl. die entsprechenden Ausführungen zur Beihilfe u., S. 91. 66 Vgl. dazu nochmals 0., S. 73 ff. 67 Vgl. Roxin. in: Leipziger Kommentar. § 27 Rn. 39, der sich im Vorhergehenden zur wohl herrschenden Meinung. die eine Beihilfe generell bis zum Beendigungszeitpunkt zuläßt, kritisch äußert; zusammenfassend dazu auch Cramer, in: Schönke I Schröder, Strafgesetzbuch, § 27 Rn. 17 m. w. N. 68 Vgl. auch Robbers. Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 11. 69 Vgl. dazu Cramer, in: Schönke I Schröder, Strafgesetzbuch, § 27Rn. 4 ff. m. w. N.

B. Strafbarkeit des Kirchenasylgewährers

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Anforderungen an das Kausalitätskriterium. Einigkeit herrscht darüber, daß eine Kausalität (im Sinne einer Zurechenbarkeit) nicht nur dann besteht, wenn ohne den Gehilfenbeitrag der Erfolg entfallen wäre; es genügt in jedem Falle eine sog. Modifikationskausalität.7o Besteht die Haupttat eines ausländischen Kirchenasylflüchtlings in einem unerlaubten Aufenthalt gemäß § 92 I Nr. 1 AuslG, so stellt die Gewährung von Kirchenasyl danach ohne weiteres eine Beihilfehandlung i. S. d. § 27 StGB dar. 71 Dagegen läßt sich auch bei einer öffentlich bekannten Kirchenasylgewährung nicht einwenden, es mache keinen Unterschied, ob sich der Flüchtling an seinem den Ausländerbehörden bekannten Wohnsitz oder im öffentlich bekannten Kirchenasyl aufhalte. 72 In jedem Falle ermöglicht die Kirchenasylgewährung den unerlaubten Aufenthalt des Flüchtlings in seiner konkreten Form. Damit beeinflußt der Kirchenasylgewährer zugleich entsprechend dem Begriff der Modifikationskausalität die Art und Weise der Tatbestandsverwirklichung. Ebenso gilt dies im übrigen in den Fällen, in denen eine tatsächliche Zurückhaltung der Behörden bei der Beendigung des Kirchenasyls nicht feststellbar ist,13 etwa im Falle der Kirchenasylgewährung in einer Privatwohnung.74 Auch eine solche Kirchenasylgewährung ermöglicht jeweils erst den unerlaubten Aufenthalt in seiner konkreten Form und ist damit als Beihilfehandlung i. S. d. § 27 StGB zu qualifizieren. 75 Auch jede mit der Kirchenasylgewährung in Zusammenhang stehende Tätigkeit kommt als Beihilfehandlung in Betracht, und zwar sowohl als Beihilfe zur Tatbe70 Roxin, in: Leipziger Kommentar, 4 § 27 Rn. 3; vgl. auch eramer, in: Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch, § 27 Rn. 7. 71 Vgl. auch Senge, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 92 AuslG (A 215), Rn. 6. 72 So aber Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (616); wohl auch Wenzel, DRiZ 1995,7 (ll); ferner Just, in: Asyl von unten, S. 110 (128); offenlassend und unklar zum möglichen Grund der Nichterfüllung des Beihilfetatbestandes im Falle des öffentlich bekannten Kirchenasyls Winter, KuR 4/1995,37 (40) = 885, 1 (4). 73 Vgl. dazu 0., S. 32,52,55. 74 In diese Richtung auch Katholisches Büro, in: "Schützende Gemeinde werden", S. 26; Nagel, Flüchtlinge und "Kirchenasyl", S. 23 f. (unter Berufung auf B. Huber, in: Asyl von unten, S. 91 (101». Insoweit unklar Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 190; Radtkel Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (42 f.), die beide im Falle der öffentlich bekannten Kirchenasylgewährung den Umstand der tatsächlichen Zurückhaltung der Behörden als kausalitätsbegründend für eine Beihilfehandlung ansehen; vgl. dagegen auch die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Heidelberg vom 19.7.1995-15 Js 22884/94 -, S. 3 f., wo von einer Erfüllung des Beihilfetatbestandes durch Gewährung von Wohnung und Verpflegung ohne weiteres (allerdings auch ohne Eingehen auf den Gesichtspunkt der Sozialadäquanz, vgl. dazu noch u., S. 100 ff.) ausgegangen und die im Rahmen der rechtlichen Würdigung des Falles vorher nicht erwähnte öffentliche Bekanntgabe des Kirchenasyls dann ausdrücklich als schuldmindernd berücksichtigt wird. 7S Die von RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997), 23 (40) und Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 22 angeführten, z.T. unterschiedlich verstandenen Entscheidungen BGH, NJW 1990,2207 und

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

standserfüllung des KirchenasylflüchtIings 76 wie auch als Beihilfe zu einer Haupttat des Kirchenasylgewährers77 • Soweit sich eine Hilfeleistung dabei nicht in einem physischen Tatbeitrag niederschlägt, ist die Möglichkeit einer psychischen Beihilfe zu untersuchen. 78 Besondere Relevanz gewinnt dabei noch einmal die umstrittene Frage nach der Erforderlichkeit der Kausalität der Beihilfehandlung, die vor allem bei einer bloßen Bestärkung des Tatentschlusses des Haupttäters im Einzelfall nur schwer feststellbar sein wird?9 Ein Sonderproblem im Bereich der mit der Kirchenasylgewährung zusammenhängenden Tätigkeiten bildet die Frage nach der Erfüllung des Beihilfetatbestandes durch kirchenasylbezogene Gremienentscheidungen, beispielsweise durch Kirchenvorstandsbeschlüsse im Rahmen einer Kirchenasylgewährung in einer evangelischen Kirchengemeinde. Soweit solche Gremienentscheidungen einen Gehilfenbeitrag i. S. d. § 27 StGB darstellen, erfüllen die die Entscheidung tragenden Gremienmitglieder ohne weiteres den Beihilfetatbestand. Umstritten ist dagegen die Beurteilung des Verhaltens von Beschlußgegnern innerhalb des Gremiums, für die eine aktive Beihilfehandlung mangels eines die Begehung der Haupttat fOrdernden Abstimmungsverhaltens ausscheidet. 80 Haben die Beschlußgegner über die Ablehnung der entsprechenden Gremienentscheidung hinaus keine auf die Verhinderung der Kirchenasylgewährung gerichteten Aktivitäten entfaltet, kommt für sie eine Erfüllung des Beihilfetatbestandes durch Unterlassen in Betracht. Die Tatbestandserfüllung durch Unterlassen setzt nach § 13 StGB allerdings immer das Bestehen einer Garantenpflicht zur Schadensabwehr voraus. 81 Eine solche Garantenpflicht kann sich für die Mitglieder des Kirchenvorstands aus ihrer Verantwortlichkeit für die kirchlichen Räumlichkeiten (z. B. nach Art. 36 m GO der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck) ergeben. 82 Soweit die Garantenpflicht eines GreOLG Zweibrücken, MDR 1992, 894 sind diesbezüglich weitgehend unergiebig: Soweit in diesen Entscheidungen eine Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt durch Bereitstellung einer Wohnung verneint wird, soll den (allerdings, wie auch RadtkelRadtke, a. a. O. feststellen, nicht ganz eindeutigen) Entscheidungsbegründungen zufolge dafür ausschlaggebend wohl der Gesichtspunkt der Sozialadäquanz - vgl. dazu wiederum noch u., S. 100 ff. - sein. 76 Zur Qualifizierung auch einer Beihilfe zur Beihilfe als Beihilfe zur Haupttat und ähnlichen Konstellationen vgl. allgemein nur eramer, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 27 Rn. 18. 77 Vgl. zur Tatbestandserfüllung des Kirchenasylgewährers als Haupttäter sogleich u., S. 91 ff. 78 Auch die in der Kirchenasylgewährung selbst liegende psychische Unterstützung kommt, worauf Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 22 hinweist, als psychische Beihilfe in Betracht; vgl. auch ebd., S. 11; ders., in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (119). 79 Vgl. dazu allgemein Roxin, in: Leipziger Kommentar, § 27 Rn. 10 ff. m. w. N. 80 Insoweit noch übereinstimmend Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 193 f.; Radtkel Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (45). 81 Dazu ausführlich Stree, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 13 Rn. 7 ff. m. w. N. 82 Vgl. allgemein zur Garantenpflicht aufgrund verantwortlicher Stellung für bestimmte Räumlichkeiten Stree, in: Schönke I Schröder, Strafgesetzbuch, § 13 Rn. 54 m. w.. N.

B. Strafbarkeit des Kirchenasylgewährers

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mienmitglieds reicht, hat es dann alles ihm Mögliche und Zumutbare zur Schadensabwehr zu tun. 83 Ein Kirchenvorstandsmitglied - und entsprechend im übrigen jeder gegen seinen Willen als Kirchenasylgewährer in Anspruch genommene Rauminhaber - kann daher eine tatbestandsmäßige Beihilfe durch Unterlassen i. S. d. §§ 13, 27 StGB auch dadurch begehen, daß es über die bloße Ablehnung eines Beschlusses zur Kirchenasylgewährung hinaus keine Aktivitäten unternommen hat, um diesen Beschluß zu verhindern. 84 Die fehlende Beanstandung von Kirchenvorstandsbeschlüssen zur Kirchenasylgewährung im Rahmen der kirchlichen Aufsichtspflicht (z. B. nach Art. 13911 Buchst. I i.Y.m. Art. 134 m GO der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck) kann demgegenüber keine Erfüllung des Beihilfetatbestandes durch Unterlassen darstellen, weil die kirchliche Aufsichtspflicht zwar auch die Rechtsaufsicht, aber nur im Hinblick auf das kirchliche, nicht im Hinblick auf das staatliche Recht umfaßt; aus den Bestimmungen über die kirchliche Aufsichtspflicht kann sich also keine Garantenpflicht zur Verhinderung von Verstößen gegen das staatliche Recht ergeben. 85 In subjektiver Hinsicht setzt der Beihilfetatbestand das Vorliegen des auf die Hilfeleistung wie auch auf die Ausführung der Haupttat gerichteten sog. doppelten Gehilfenvorsatzes voraus. 86 Der Gehilfenvorsatz eines Kirchenasylgewährers entfällt allerdings nicht schon dann, wenn die Beihilfehandlung letztlich auf eine Legalisierung des Aufenthaltes gerichtet ist.87 Der Gehilfe muß vielmehr (wie auch der Anstifter) nur die Umstände kennen, welche die Strafbarkeit der Haupttat begründen; er muß also Kenntnis von der tatbestandsmäßigen, rechtswidrigen Haupttat haben. Nicht erforderlich ist, daß er sich der Strafbarkeit der Haupttat bewußt ist, sondern es genügt insoweit der Vorsatz im gleichen Sinn und Umfang wie beim Haupttäter. 88

b) 1äterschaft

Wenn sich die Kirchenasylgewährung auch typischerweise als Unterstützung einer tatbestandsmäßigen Handlung des Kirchenasylflüchtlings darstellt, so schließt dieser Umstand doch eine täterschaftliche Erfüllung von Straftatbeständen durch den Kirchenasylgewährer keineswegs aus. Dabei kommen vor allem diejenigen Vgl. BGHSt 37,106 (130 ff.). V gl. i.E. - allerdings ohne ausreichende Begründung - Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 193 f. gegen Radtkel Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (45 f.). 8S Insoweit zutreffend RadtkelRadtke. ZevKR 42 (1997), 23 (46) gegen Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht. S. 194. 1!6 Vgl. Roxin. in: Leipziger Kommentar, § 27 Rn. 45. 87 So aber Robbers. Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 22. 88 Vgl. allgemein eramer, in: Schönkel Schröder, Strafgesetzbuch. Vorbem §§ 25 ff. Rn. 43. § 26 Rn. 19. 83

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

Tatbestände in Betracht, die Unterstützungshandlungen in bezug auf fremde Straftaten als eigenständige Straftatbestände normieren, wie die ausländerrechtlichen Einschleusungstatbestände und im allgemeinen Strafrecht vor allem die Regelungen der Begünstigung und der Strafvereitelung. Weitere Straftatbestände können darüber hinaus von einem Kirchenasylgewährer im Einzelfall möglicherweise ebenfalls verwirklicht werden. aa) Einschleusung In Form von eigenständigen Straftatbeständen normiert die Bestimmung des § 92a AuslG die Anstiftung oder Hilfeleistung zur Erfüllung der Tatbestände des unerlaubten Aufenthalts und der unerlaubten Einreise nach § 92 I Nr. I, 2, 6, TI AuslG unter qualifizierten Voraussetzungen als Einschleusen von Ausländern. Die Erfüllung der Straftatbestände des § 92a AuslG ist neben der Erfüllung des Tatbestandes der einfachen Beihilfe möglich. 89 In bezug auf die Mitwirkung an der Kirchenasylgewährung zugunsten ausländischer Flüchtlinge stellt sich die Frage, ob dadurch die Tatbestände des § 92a I Nr. 2, TI Nr. 2 AuslG erfüllt werden können, in denen die wiederholte Einschleusung bzw. das Handeln zugunsten von mehreren Ausländern und die Einschleusung als Mitglied einer Schleuserbande unter Strafe gestellt werden. Schon durch zweimalige als Anstiftung oder Beihilfe zu qualifizierende Mitwirkung an einer Kirchenasylgewährung zugunsten von Ausländern, die den Tatbestand des unerlaubten Aufenthalts i. S. d. in § 92a AuslG genannten Bestimmungen verwirklichen,90 wird der Einschleusungstatbestand nach seinem Wortlaut ebenso erfüllt wie durch die Mitwirkung an einer einmaligen Kirchenasylgewährung zugunsten von mehreren solcher Ausländer. 91 Dabei ist zu beachten, daß der Tatbestand der wiederholten Einschleusung bzw. Einschleusung zugunsten von mehreren Ausländern (§ 92a I Nr. 2 AuslG) nach der gesetzlichen Regelung klar vom Tatbestand der Einschleusung zur Erlangung eines Vermögensvorteils (§ 92a I Nr. 1 89 Vgl. Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 152 f.; Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 20; daneben (zu § 92 Il AuslG a.F.) ders., in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (119 f.). 90 Zu den Anforderungen des § 92a AuslG an die Haupttat und an die darauf bezogene Teilnahmehandlung vgl. ausführlich Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 156 ff.; zum Vorliegen von Haupttat und Teilnahmehandlung in Kirchenasylfällen vgl. 0., S. 73 ff., 87 ff. 91 Radtke / Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (27 f.); Robbers, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (120); vgl. auch ders., Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 23 (dort auch zum in Kirchenasylfällen von vornherein fernliegenden Tatbestand des § 92a I Nr. lAusiG - Einschleusung zur Erlangung eines Vermögensvorteils); ferner Katholisches Büro, in: ..Schützende Gemeinde werden", S. 26; alle zu § 92a I Nr. 2 AuslG a.F., wo neben der wiederholten Einschleusung die Einschleusung zugunsten von mehr als fünf Ausländern unter Strafe gestellt war.

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AuslG) getrennt ist. Angesichts dieser klaren Trennung ist eine teleologische Reduktion des Einschleusungstatbestandes in der Weise, daß eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 92a I Nr. 2 AuslG in Kirchenasylfällen mangels eines auf Erlangung eines Vermögensvorteils gerichteten Handeins ausgeschlossen wird, nicht möglich. 92 Vor allem in bezug auf Mitglieder von Kirchenasylinitiativen, die in organisierter Form an Kirchenasylgewährungen mitwirken, kommt in den genannten Fällen auch der Qualifikationstatbestand der bandenmäßigen Einschleusung von Ausländern gemäß § 92a 11 Nr. 2 AuslG in Betracht. 93 Eine Bande LS. dieser Vorschrift besteht dann, wenn sich eine Mehrzahl von Personen zur Begehung selbständiger, im einzelnen noch ungewisser Straftaten nach § 92a I AuslG verbunden hat. 94 Dies bedeutet zugleich, daß die Straftatbegehung nicht nur ein Nebenzweck der Verbindung sein darf. 95 Eine zumindest auch mit dem hauptsächlichen Zweck der Unterstützung des unerlaubten Aufenthalts von Ausländern in dem von § 92a lAusiG vorausgesetzten Umfang gegründete Kirchenasylinitiative stellt danach eine Bande i. S. d. § 92a 11 Nr. 2 AuslG dar. Das Bestehen weiterer Hauptzwecke, wie etwa die generelle Unterstützung von Ausländern in der Bemühung um Erlangung eines legalen Aufenthalts, schließt die Einordnung einer solchen Initiative als Bande nicht aus, solange die Begehung von tatbestandsmäßigen Handlungen nach § 92a I AuslG einen der Hauptzwecke darstellt. Hingegen stellt demnach die bloße Mitgliedschaft in einer Kirchengemeinde, in der planmäßig unter den Einschleusungstatbestand fallende fortgesetzte Kirchenasylgewährungen stattfinden, regelmäßig keine Mitgliedschaft in einer Bande gemäß § 92a 11 Nr. 2 AuslG dar. Zwar kann eine Bande auch aus einern zunächst zu anderen Zwecken erfolgten Zusammenschluß hervorgehen. 96 In der Vornahme von Kirchenasylgewährungen der be92 Vgl. nur Robbers, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (120) gegen RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997),23 (28 f.). Vgl. auch Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 93 ff., 155, die sich generell kritisch zur Vereinbarkeit des § 92a I Nr. 2, I. Var. AuslG mit dem verfassungsrechtlichen Schuldgrundsatz äußert und eine strafmildernde Berücksichtigung von bestimmten in Kirchenasylfallen häufigen Konstellationen im Rahmen des § 92a I Nr. 2, 2. Var. AuslG (a.F.) verlangt; zu letzterem vgl. ferner Senge, in: Erbsl Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 92a AuslG (A 215) Rn. 7. 93 Vgl. Maaßen, KuR 1/1997,37 (44) = 885, 7 (14); ferner - nicht speziell zur Kirchenasylproblematik - Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 24 (dort auch zum in Kirchenasylfallen wiederum von vornherein fernliegenden Tatbestand des § 92a 11 Nr. lAusiG - gewerbsmäßiges Einschleusen). 94 Vgl. Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 24 m.N.; unklar Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 83 f.; allgemein zum strafrechtlichen Bandenbegriff, auch zur umstrittenen Frage der Mindestzahl von Bandenmitgliedern, ausführlich Schild, GA 1982, 55 ff., bes. 80 ff. 9S Schild, GA 1982,55 (81 f.). 96 Eser, in: Schönkel Schröder, Strafgesetzbuch, § 244 Rn. 25; Ruß, in: Leipziger Kommentar, § 244 Rn. 12a m.N.

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schriebenen Art wird aber in aller Regel weder anfänglich noch zu einem späteren Zeitpunkt der oder ein Hauptzweck des Zusammenschlusses in einer Kirchengemeinde liegen. Läßt sich eine Mitgliedschaft in einer als Schleuserbande zu beurteilenden Kirchenasylinitiative feststellen, so setzt der Tatbestand des § 92a 11 Nr. 2 AuslG daneben noch eine konkrete Erfüllung des Schleusertatbestandes i. S. d. Bandenzwecks, also eine konkrete Mitwirkung an einer unter den Tatbestand des § 92a I AuslG fallenden Kirchenasylgewährung voraus. bb) Begünstigung Wer einem anderen, der eine rechtswidrige Tat begangen hat, in der Absicht Hilfe leistet, ihm die Vorteile der Tat zu sichern, macht sich nach § 257 I StGB wegen Begünstigung strafbar. Ein Kirchenasylgewährer erfüllt den Begünstigungstatbestand danach, wenn sein Handeln eine Hilfeleistung zu einer rechtswidrigen Vortat darstellt und in Vorteilssicherungsabsicht geschieht. Als Vortat kommt dabei jede rechtswidrige Straftatbestandserfüllung durch den Kirchenasylflüchtling in Betracht, die dem Vortäter irgendeinen Vorteil eingebracht hat. Unerheblich ist dabei für den Tatbestand der Begünstigung, ob die Vortat noch andauert oder bereits abgeschlossen ist. 97 Weiterhin verlangt der Begünstigungstatbestand zum einen das Handeln in Vorteilssicherungsabsicht und zum anderen eine Hilfeleistung, die zwar nach der Fassung des § 257 I StGB nicht zur tatsächlichen Vorteilssicherung führen, aber entsprechend dem Begriff der Hilfeleistung zumindest objektiv geeignet sein muß, den Vortäter besserzustellen. 98 Die Kirchenasylgewährung als solche kann sich zunächst als Begünstigungshandlung in bezug auf die Erfüllung eines ausländerrechtlichen Straftatbestandes durch einen ausländischen Kirchenasylflüchtling darstellen. Im Falle einer unerlaubten Einreise oder eines unerlaubten Aufenthaltes liegt ein sicherungsfähiger Vorteil im Verbleib des Ausländers in der Bundesrepublik. Entsprechend der Auslegung des - dort allerdings nicht allein auf den Erfolg der Haupttat bzw. den daraus erlangten Vorteil, sondern auch auf die Tathandlung bezogenen - Begriffs der Hilfeleistung in § 27 StGB99 stellt die Kirchenasylgewährung insoweit auch in jedem Falle eine Hilfeleistung dar, indem sie den Verbleib in seiner konkreten Form ermöglicht und zumindest zu einer Erschwerung des (v.a. durch Abschiebung drohenden) Vorteilsverlusts und damit zu einer Besserstellung des Vortäters objektiv geeignet ist. 100 Eine Hilfeleistung ist daher sogar dann anzunehmen, wenn einem 97 Vgl. nur Stree, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 257 Rn. 5, 8 m. w. N., auch zur im einzelnen umstrittenen Abgrenzung zwischen Begünstigung und Beihilfe (vgl. dazu auch u., S. 95). Zu den als Vortat in Betracht kommenden Delikten des Kirchenasylflüchtlings vgl. 0., S. 73 ff. 98 Vgl. dazu ausführlich Ruß, in: Leipziger Kommentar, § 257 Rn. 12 ff., 18 m. w. N., auch zu abweichenden Ansichten. 99 Vgl. 0., S. 88 f.

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vorher versteckt lebenden Vortäter öffentlich bekanntes Kirchenasyl gewährt wird. Die darüber hinaus erforderliche Vorteilssicherungsabsicht ist bei einer erstrebten Erschwerung der Wiederherstellung des rechtmäßigen Zustands bereits gegeben. 101 Auch in bezug auf andere Delikte als Vortaten kann die Kirchenasylgewährung als solche die Voraussetzungen einer Begünstigungshandlung erfüllen. So stellt die Kirchenasylgewährung zugunsten eines eigenmächtig abwesenden oder fahnenflüchtigen Soldaten ebenfalls eine tatbestandsmäßige Begünstigung dar, wenn sie in Vorteilssicherungsabsicht geleistet wird. Dagegen läßt sich nicht einwenden, dem Täter könnten die durch die Tat erlangten Vorteile nicht wieder abgenommen werden. 102 Der aus der Vortat erlangte Vorteil liegt im Falle von eigenmächtiger Abwesenheit und Fahnenflucht in der in tatsächlicher Hinsicht bestehenden Loslösung von den soldatischen Pflichten. Der Sicherung dieses Vorteils kann die Begünstigungshandlung dienen. 103 Dabei stellt eine Kirchenasylgewährung wiederum ohne weiteres eine Hilfeleistung i. S. d.§ 257 StGB dar, so daß die Voraussetzungen dieser Bestimmung dann problemlos erfüllt sind. Im Zusammenhang mit der Kirchenasylgewährung stehende Handlungen auf seiten des Kirchenasylgewährers können darüber hinaus im Einzelfall den Tatbestand der Begünstigung erfüllen. Soweit die Kirchenasylgewährung als solche eine Begünstigungshandlung darstellt, erfüllt eine die Kirchenasylgewährung bloß unterstützende Tätigkeit ihrerseits als mittelbare Förderungshandlung in bezug auf die Vortat des Kirchenasylflüchtlings den Tatbestand des § 257 StGB nicht; die Begünstigung ist aber in diesem Falle eine teilnahmefähige Haupttat. 104 Die Prüfung, ob ein Kirchenasylgewährer wegen Begünstigung strafbar ist, kann bereits auf der Tatbestandsebene von der Regelung des § 257 m StGB beeinflußt sein, wonach der Vortatbeteiligte grundsätzlich nicht wegen Begünstigung bestraft wird. 105 Dieser Strafausschließungsgrund ist gerade in den dargestellten Kirchenasylkonstellationen häufig von Bedeutung. 106 Der Begünstigungstatbestand bleibt aber nicht nur im Hinblick auf ohne Mitwirkung des Kirchenasylgewährers abgeschlossene Vortaten (etwa die unerlaubte Einreise eines ausländischen Kirchenasylflüchtlings), sondern ebenso im Hinblick auf den zuletzt angesprochenen Fall der bloßen Teilnahme an der Begünstigungshandlung relevant. 107 100 V gJ. i. E. - weitgehend ohne Begründung - Robbers, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (124); ders., Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 8; daneben Radtke/Radtke. ZevKR 42 (1997), 23 (31), die aber wiederum maßgeblich auf den Gesichtspunkt der staatlichen Zurückhaltung in Kirchenasylfällen (als den eine Vorteilssicherung bewirkenden Umstand) abstellen, vgJ. auch dazu schon 0., S. 88 f.; unklar Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 85. 101 VgJ. dazu allgemein Stree, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 257 Rn. 24 a. E. 102 So aber Schälz/ Lingens, Wehrstrafgesetz, § 15 Rn. 37, § 16 Rn. 23. 103 VgJ. auch RGSt 50,218 ff. 104 VgJ. dazu allgemein Stree, in: Schönkel Schröder, Strafgesetzbuch, § 257 Rn. 19, 28. 105 VgJ. auch schon 0., S. 94 Fn. 97. 106 Zur Erfüllung der Teilnahmetatbestände durch den Kirchenasylgewährer vgJ. 0., S. 87 ff.

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cc) Strafvereitelung Wegen Strafvereitelung wird gemäß § 258 I, 11 StGB bestraft, wer absichtlich oder wissentlich die gegen eine andere Person gerichtete gesetzmäßige Bestrafung oder Strafvollstreckung vereitelt. Ein Kirchenasylgewährer erfullt diesen Straftatbestand also, wenn durch sein Handeln ein Vereitelungserfolg in bezug auf eine verfolgbare Vortat des Kirchenasylflüchtlings 108 oder eine gegen diesen verhängte vollstreckbare Entscheidung lO9 absichtlich oder wissentlich herbeigeführt wird. Dabei kann eine Verfolgungsvereitelung nach § 258 I StGB zumindest tatbestandlich auch begangen werden, solange die Vortat noch andauert. 110 Genauer zu untersuchen ist die Frage, ob eine Kirchenasylgewährung einen Vereitelungserfolg bewirken und damit eine Tathandlung gemäß § 258 I, 11 StGB sein kann. Ein Vereiteln i. S. d. § 258 StGB setzt zunächst die Verhinderung der Bestrafung oder Vollstreckung voraus. Zu einer endgültigen Verhinderung muß es dabei allerdings nicht kommen, da sonst der Tatbestand bereits dann leerlaufen würde, wenn es irgendwann (z. B. im Zusammenhang mit den Ermittlungen zur Strafvereitelung) doch noch zu einer Bestrafung bzw. Vollstreckung kommt. Ausreichend ist daher eine Verzögerung der Bestrafung oder Vollstreckung um eine geraume Zeit, worunter ein Zeitraum von mindestens mehreren Tagen oder Wochen zu verstehen ist. Eine konkrete Handlung stellt danach ein Vereiteln dar, wenn sie kausal für eine entsprechende Verzögerung war. Es muß also feststehen, daß ohne die betreffende Handlung die Bestrafung oder Vollstreckung geraume Zeit früher erfolgt wäre. ll1 Auch eine Kirchenasylgewährung an einen nach ausländerrechtlichen Tatbeständen stratbaren Ausländer kann demnach von vornherein nur dann ein tatbestandsmäßiges Vereiteln i. S. d. § 258 StGB darstellen, wenn tatsächlich eine Bestrafung bzw. Strafvollstreckung verhindert wird. Daran fehlt es etwa, wenn behördlicherseits eine Strafverfolgung überhaupt nicht betrieben wird, sondern nur eine Ab107 Vgl. RadtkelRadtke. ZevKR 42 (1997). 23 (30); Robbers. in: Asyl am Heiligen Ort. S. 117 (124), wobei zu beachten ist. daß § 257 III StGB auch für die Teilnahme an einer Begünstigung gilt, die zugleich (als Teilnahme an einer Teilnahme) eine Teilnahme an der Vortat sein kann (vgl. dazu 0., S. 89 f. m. Fn. 76). 108 Vgl. dazu allgemein Stree. in: Schönke! Schröder, Strafgesetzbuch, § 258 Rn. 3 ff.; zu den in Kirchenasylfällen in Betracht kommenden Vortaten vgl. wiederum 0., S. 73 ff. 109 Vgl. dazu allgemein Stree. in: Schönke!Schröder, Strafgesetzbuch, § 258 Rn. 26. 110 Vgl. Stree. in: Schönke! Schröder, Strafgesetzbuch, § 258 Rn. 6 f. Letztlich ist dabei (auch mangels einer dem § 257 III StGB entsprechenden Bestimmung im Rahmen des § 258 StGB) von der Möglichkeit eines tateinheitIichen Zusammentreffens der Strafvereitelung mit einer Beihilfe zur Vortat (wie im übrigen auch mit einer Begünstigung) auszugehen, vgl. Ruß. in: Leipziger Kommentar, § 258 Rn. 42 m.N.; etwas unklar insoweit RadtkelRadtke. ZevKR 42 (1997), 23 (33). 111 Vgl. Ruß. in: Leipziger Kommentar, § 258 Rn. 10, 12, 24, 25; Stree. in: Schönke! Schröder, Strafgesetzbuch. § 258 Rn. 16 f., 19a, 27. beide m. w. N., auch zu teilweise umstrittenen Einzelfragen der Auslegung des Strafvereitelungstatbestandes.

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schiebung. Selbst durch Verhinderung einer mit der Abschiebung drohenden Strafverfolgung im Ausland kann der Strafvereitelungstatbestand dann nicht erfüllt werden, da § 258 StGB nur dem Schutz der inländischen Strafrechtspflege dient. 112 Kommt es zu einer mindestens zeitweiligen Verhinderung der Strafverfolgung gegenüber einem (ausländischen oder inländischen) Kirchenasylflüchtling, so kann die Kirchenasylgewährung den Tatbestand der Strafvereitelung nur dann erfüllen, wenn sie dafür ursächlich ist. Die Ursächlichkeit als Tatbestandsvoraussetzung des § 258 StGB ist stets unter Berücksichtigung der konkreten Umstände im Einzelfall festzustellen. 113 Soweit die Behörden bei der Strafverfolgung gegenüber einem Kirchenasylflüchtling lediglich eine tatsächliche Zurückhaltung üben (im Falle des öffentlich bekannten Kirchenasyls) bzw. geübt hätten (sofern ein verborgen gebliebener Aufenthalt im Kirchenasyl entdeckt worden wäre),114 ist das öffentliche oder als Versteck gewährte Kirchenasyl für die eingetretene Verhinderung im rechtlichen Sinne nicht ursächlich. Denn ein solcher Vereitelungserfolg ist nicht dem Kirchenasylgewährer zuzurechnen, sondern beruht letztlich allein auf der freien Entscheidung der Behörden, die von dem Handeln des Kirchenasylgewährers (anders als etwa bei einer Tauschungshandlung) nur mittelbar beeinflußt wird und von der dessen Strafbarkeit daher nicht entscheidend abhängen kann. 115 An einer Vereitelung soll es ebenso bei einer berechtigten Herbeiführung der Verzögerung fehlen. 116 Ein entsprechendes Recht kann - ebenso wie dem Vortäter - auch demjenigen zustehen, der eine Verzögerung zugunsten des Vortäters bewirkt. 117 Eine Vereitelungshandlung scheidet danach also auch im Falle einer 112 Vgl. allgemein - auch zum demgegenüber umstrittenen Fall einer auf den Schutz vor Auslieferungshaft gerichteten Vereitelungshandlung - Ruß. in: Leipziger Kommentar, § 258 Rn. I; Stree. in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, § 258 Rn. 9, \3. 113 Vgl. BGH, NIW 1984, 135; zu dieser Entscheidung vgl. auch Küpper, GA 1987,385 (387); Ruß. in: Leipziger Kommentar, § 258 Rn. lOa a. E. (vgl. ferner ebd., Rn. 35 zur in der genannten Entscheidung ebenfalls erwähnten, mit der Kausalitäts- bzw. Zurechnungsfrage zusammenhängenden Problematik der Abgrenzung von täterschaftlichen Vereitelungshandlungen und straflosen Unterstützungshandlungen). Auch in BGH, Urteil vom 5. 2. 1985, 1 StR 833/84 (insoweit nicht abgedruckt in: NStZ 1985, 261 f.) geht es entscheidend um die Kausalitätsfrage; dies wird bei Tröndle. Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 258 Rn. 6, der ebenfalls auf die Entscheidung verweist, nicht ganz deutlich. 114 Vgl. dazu 0., S. 32, 55. l1S Vgl. auch die entsprechenden Ausftihrungen zum Abschiebungshaftgrund der Entziehung i. S. d. § 57 11 1 Nr. 4 AuslG 0., S. 39. 116 Vgl. Ruß. in: Leipziger Kommentar, § 258 Rn. 10a: Vereitelung als "ungerechtfertigte" Besserstellung des Vortäters. 117 Vgl. die Ausftihrungen zur als Vereitelungshandlung in Betracht kommenden Strafverteidigertätigkeit von Stree. in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, § 258 Rn. 20 mit dem berechtigten Hinweis, daß insoweit sowohl Tatbestands- als auch Rechtswidrigkeitsebene - zu letzterer vgl. noch u., S. 104 ff. - berührt sein können. Im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik findet sich eine Bezugnahme auf die rechtliche Beurteilung der Verteidiger-

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durch eine Kirchenasylgewährung eingetretenen Verzögerung aus, sofern ein diesbezügliches Kirchenasylrecht besteht. Ein solches Kirchenasylrecht ergibt sich aus dem einfachen Recht allerdings weder auf seiten des Kirchenasylflüchtlings noch auf seiten des Kirchenasylgewährers. 118 Wird ein Flüchtling im Kirchenasyl versteckt, so ist eine Verzögerung i. S. d. Vereitelungstatbestandes - soweit es nicht anderweitig am erforderlichen Kausalzusammenhang fehlt - dem Kirchenasylgewährer nach alledem dann zuzurechnen, wenn die Strafverfolgungsbehörden bei Kenntnis oder Entdeckung des Kirchenasyls keinesfalls eine tatsächliche Zurückhaltung geübt hätten. Entsprechende Feststellungen werden sich häufig treffen lassen, so daß das Verstecken eines Kirchenasylflüchtlings vor den Strafverfolgungsbehörden die von § 258 StGB geforderten Voraussetzungen einer Vereitelungshandlung regelmäßig erfüllt. 119 Eine öffentlich bekannte Kirchenasylgewährung stellt demgegenüber nur dann eine Vereitelungshandlung dar, wenn aufgrund dadurch erforderlicher zusätzlicher behördlicher Maßnahmen die Bestrafung mindestens um geraume Zeit verzögert wird. 120 In subjektiver Hinsicht setzt die Erfüllung des Strafvereitelungstatbestandes hinsichtlich des Vereitelungserfolges Absicht oder Wissentlichkeit voraus. Dieses Erfordernis kann zwar auch dann erfüllt sein, wenn der Tater auch oder sogar in erster Linie andere Zwecke verfolgt. Eine billigende Inkaufnahme des Vereitelungserfolgs reicht aber als bloß bedingter Vorsatz insofern nicht aus. 121 Handelt ein Kirchenasylgewährer also in erster Linie aus anderen Motiven (z. B. zur Verhinderung einer Abschiebung), so muß er zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes der Strafvereitelung entweder sicheres Wissen vom gleichzeitigen Eintreten eines Strafvereitelungserfolges haben oder es muß ihm auf den Strafvereitelungserfolg als Zwischenziel (etwa zur Verhinderung einer unmittelbar aus der Strafhaft erfolgenden Abschiebung) ankommen. Zweifelt ein Kirchenasylgewährer, vor allem bei öffentlich bekannter Kirchenasylgewährung, von vornherein an der tatsächlichen Wirksamkeit seines Handeins, so kann der subjektive Tatbestand des § 258 StGB demnach nur noch in der Form der absichtlichen Begehung erfüllt werden. An einem zur Erfüllung des subjektiven Tatbestandes einer Verfolgungsvereitelung darüber hinaus erforderlichen mindestens bedingten Vorsatz in bezug auf das Vorliegen einer rechtswidrigen Vortat fehlt es, wenn der Kirchenasylgewährer datätigkeit (allerdings ohne deutliche Unterscheidung der Ausführungen zum Gesichtspunkt der Sozialadäquanz, vgl. dazu u., S. 100 ff.) auch bei Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 12 ff. 118 Vgl. schon 0., S. 29 ff., 55, 70, 75. 119 Vgl. i. E. - ohne nähere Begründung - auch RadtkelRadtke. ZevKR 42 (1997), 23 (33); Robbers, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (124); ferner Ehnes. in: Das Recht der Kirche. Band III, S. 601 (616); unklar Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls. S. 85. 120 Vgl. wiederum schon die Ausführungen zu § 57 11 1 Nr. 4 AuslG 0 .• S. 39 f. 121 Ruß. in: Leipziger Kommentar. § 258 Rn. 21, 26; Stree, in: Schönkel Schröder, Strafgesetzbuch, § 258 Rn. 22, 30.

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von überzeugt ist, der Flüchtling habe eine solche Tat nicht begangen. Im Falle der Vollstreckungsvereitelung begründet die Annahme, ein verurteilter Kirchenasylflüchtling habe die seiner Verurteilung zugrunde liegende Tat nicht begangen und sei daher zu Unrecht verurteilt worden, hingegen allenfalls einen (vermeidbaren) Verbotsirrtum und steht der subjektiven Tatbestandsmäßigkeit nicht entgegen, wenn die Verurteilung als solche bekannt ist. 122 Zu beachten ist, daß es auf die Erfüllung des subjektiven Tatbestandes auch im Hinblick auf § 258 IV StGB ankommt, wonach die versuchte Strafvereitelung ebenfalls strafbar ist. 123 Am Tatentschluß eines Kirchenasylgewährers fehlt es dabei entsprechend den zum objektiven Tatbestand gemachten Ausführungen vor allem dann, wenn von seinem (direkten) Vorsatz nur die Bewirkung einer tatsächlichen Zurückhaltung der Strafverfolgungsbehörden, nicht aber ein zurechenbarer Vereitelungserfolg umfaßt ist. Auch im Zusammenhang mit der Kirchenasylgewährung stehende (Unterstützungs-)Handlungen können im Einzelfall den Tatbestand der Strafvereitelung erfüllen. Soweit die Kirchenasylgewährung als solche eine Strafvereitelungshandlung darstellt, kommt insoweit aber auch eine bloße Teilnahme in Betracht. 124 dd) Weitere Straftatbestände Ob im Zusammenhang mit einer Kirchenasylgewährung weitere Straftatbestände erfüllt werden, ist von der konkreten Fallgestalt in besonderem Maße abhängig. Möglich sind beispielsweise tatbestandsmäßige Handlungen nach §§ 84 AsylVfG (Verleitung zur mißbräuchlichen Asylantragstellung)125, 111 StGB (Öffentliche Aufforderung zu Straftaten)126, 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte)127, 129 StGB (Bildung krimineller Vereinigungen)128. Dagegen kann der Straftatbestand des § 357 StGB (Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat) nicht 122 Vgl. al1gemein Ruß. in: Leipziger Kommentar, § 258 Rn. 22, 26; Stree. in: Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch, § 258 Rn. 23, 30. Zum Vorliegen eines Verbotsirrtums auf seiten des Kirchenasylgewährers vgl. auch noch u., S. 107. 123 Vgl. auch den Hinweis bei Robbers. Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 8. 124 Vgl. die entsprechenden Ausführungen zu § 257 StGB 0., S. 95. 125 Vgl. dazu - al1gemeiner - Robbers. Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 30 ff. 126 Vgl. Katholisches Büro, in: "Schützende Gemeinde werden", S. 26. 127 Vgl. bes. B. Huber. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (100 f.); Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 85 f. Zur Behauptung einer fehlenden praktischen Relevanz des Widerstandes gegen Vol1streckungsbeamte in Kirchenasylfal1en von Radtke / Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (34 f.) vgl. die Ausführungen 0., S. 67 m. Fn. 211. 128 Vgl. B. Huber. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (101); Nagel. Flüchtlinge und "Kirchenasyl", S. 24; unklar Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 86. Zu pauschal auch insoweit Radtke / Radtke. ZevKR 42 (1997), 23 (26, 34).

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etwa durch einer kirchenasylgewährenden Kirchengemeinde übergeordnete Stellen verwirklicht werden; 129 Kirchenbeamten fehlt es bereits an der dafür erforderlichen AmtsträgersteIlung i. S. d. § 11 I Nr. 2 StGB, soweit ihr Handeln keiner Staatsaufsicht unterliegt. 130 Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß sich von den genannten zahlreichen durch einen Kirchenasylgewährer möglicherweise verwirklichten Straftatbeständen, die in der Literatur verbreitet auch in dieser Vielzahl zumindest angesprochen werden,131 in der bisherigen Strafverfolgungspraxis lediglich einzelne wiederfinden. So wurde gegen einen als Mitorganisator eines Kirchenasyls in Erscheinung getretenen Pfarrer staatsanwaltschaftlich wegen des Anfangsverdachts der Strafvereitelung, der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt sowie der Einschleusung ermittelt. 132 In Berichten über die bisherige - vereinzelte - Verhängung von Geldstrafen wegen Kirchenasylgewährung in Deutschland und der Schweiz wird im übrigen als (einziger) Tatvorwurf ,,Beihilfe zum Verstoß gegen das Ausländergesetz" bzw. ,,Beihilfe zum illegalen Aufenthalt" genannt. 133 2. Sozialadäquanz als Tatbestandsausschlußgrund

In bezug auf die Kirchenasylgewährung durch einen Pfarrer wird in der Literatur, soweit dieser Fall besonders problematisiert wird, verbreitet die Auffassung vertreten, daß für die schlichte Beherbergung eines Flüchtlings - also die Aufnahme und die Gewährung von Essen und Kleidung, nicht hingegen das Verstecken oder eine Behinderung staatlicher Festnahmehandlungen - ein Tatbestandsausschluß unter dem Gesichtspunkt des sozialadäquaten Verhaltens eingreift. Zur Begründung wird gesagt, ein vergleichbarer Tatbestandsausschluß sei auch für den Arzt, der einen flüchtigen Straftäter behandle, anerkannt. Unklar bleibt allerdings zumeist, weIche Rolle im Falle der Beherbergung eines Flüchtlings durch einen 129 Insoweit unklar Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 194; vgl. dagegen auch RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997), 23 (46). Vgl. zur ebenso abzulehnenden Erfüllung des Beihilfetatbestandes durch übergeordnete Stellen schon 0., S. 90 f. 130 Vgl. allgemein Eser, in: Schönke/ Schröder, Strafgesetzbuch, § 11 Rn. 26 m. w. N. Zur regelmäßig fehlenden Staatsaufsicht über die Kirchen vgl. 0., S. 62. 131 Vgl. neben den bisher genannten Nachw. übersichtsartig auch M. H. Müller, apf 1994, 189 (191); Roßkopf, AWR Bulletin 1996,93 (99 f.). 132 Vgl. den Einstellungsbescheid - zur Verfahrenseinstellung vgl. noch u., S. 109 f. - der Staatsanwaltschaft Bremen, der in Evangelische Erwachsenenbildung Niedersachsen (Hrsg.), "Schützende Gemeinde werden", S. 30 abgedruckt ist; vgl. auch Radtke I Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (25 f.). 133 Vgl. Pro Asyl/Publik-Forum (Hrsg), Kirchenasyl: Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben, S. 4 (5), wo die Schilderung eines Nürnberger Falles zu finden ist, in der allerdings nicht ganz deutlich wird, ob es tatsächlich zur Verurteilung zu einer Geldstrafe - oder etwa nur zur Verfahrenseinstellung gegen Auflage einer Geldzahlung - gekommen ist (vgl. dazu auch noch u .• S. 109 f. Fn. 177); ausdrücklich von Urteilen wegen Kirchenasylgewährungen in der Schweiz wird berichtet in Junge Kirche 1994,630.

B. Strafbarkeit des Kirchenasylgewährers

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Pfarrer das Verfassungsrecht, namentlich das Grundrecht der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 GG, im Hinblick auf den Gesichtspunkt der Sozialadäquanz spielen sol1. 134 Es stellt sich jedoch ohnehin die Frage, ob die bloße Beherbergung von Flüchtlingen - sofern sie entsprechend dem zuvor Gesagten bei äußerlicher Betrachtung tatbestandsmäßig ist - nicht in jedem Fall, also für jedermann, unter dem Gesichtspunkt des sozialüblichen Verhaltens aus dem Tatbestand der in Betracht kommenden Strafvorschriften auszuklammern ist. In bezug auf die Strafvereitelung nach § 258 StGB hat die Rechtsprechung entschieden, daß nicht jedes Beherbergen einer von den Strafverfolgungsbehörden gesuchten Person den Tatbestand dieses Delikts erfüllt. Zur Begründung wird gesagt, ein Gebot zu aktiver Unterstützung der Fahndung enthalte das geltende Recht nicht. Daher bestehe auch keine generelle Abweisungspflicht in bezug auf flüchtlinge, so daß allein die Gewährung von Obdach den Tatbestand der Strafvereitelung nicht erfülle. Eine Tatbestandserfüllung komme aber dann in Betracht, wenn der Flüchtling zur Verheimlichung seines Aufenthalts versteckt werde. In diesem Falle soll also der zuvor beschriebene Tatbestandsausschluß nicht gelten. Als Versteck wird dabei jeder Ort angesehen, wo den Gesuchten niemand vermutet bzw. wo sich der Gesuchte im Hinblick auf die Fahndungsmaßnahmen verborgen halten kann. Ob eine Wohnung im Einzelfall als Versteck gewährt wurde, ist danach Tatfrage und deshalb anhand aller konkreten Umstände zu entscheiden. 135 In bezug 134 Vgl. Aurnhammer. Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 191 f.; Robbers, AöR 113 (1988), 30 (49 f.) und in: Asyl arn Heiligen Ort, S. 117 (127 f.), der ferner die Zimmervermietung durch einen Hotelier und die Essensabgabe durch einen Lebensmittelhändler als Vergleichsfälle heranzieht (kritisch dazu Aurnhammer. a. a. 0., S. 191 Fn. 16\); im Anschluß daran auch Roßkopf, AWR Bulletin 1996,93 (104); unklar mit methodischer Kritik an der Lehre von der Sozialadäquanz als solcher und an der Heranziehung des Art. 4 GG in ihrem Rahmen, aber dennoch die Anerkennung der dargestellten Position in einern "Kernbereich" nicht ausschließend RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997), 23 (41 ff.). Alle Vorgenannten berufen sich dabei letztlich auf das (von Müller-Volbehr für das Kirchenrechtliche Institut der EKD verfaßte) Gutachten in A. v. Campenhausen, Münchener Gutachten, S. 154 (155 ff.), wo das Verfassungsrecht keine Erwähnung findet und außer mit dem Vergleich zum hilfeleistenden Arzt auch mit dem Zeugnisverweigerungsrecht Geistlicher gemäß § 53 I Nr. I StPO als Ausdruck der staatlichen Akzeptanz einer seelsorgerischen Betreuung polizeilich gesuchter Personen argumentiert wird (einen Zusammenhang zwischen dem kirchenrechtlichen Beichtgeheimnis - als Gegenstück zum staatlichen Zeugnisverweigerungsrecht - und der Kirchenasylproblematik stellt im übrigen auch N. Becker. Die Kirchenordnung der Evangelischen Kirche im Rheinland mit Erläuterungen, Art. 71 Rn. 8 her, und zwar im Hinblick auf die Reichweite des Beichtgeheimnisses). Zum schweizerischen Recht, wo in diesem Zusammenhang auch die in ihrer Reichweite und Auslegung allerdings insoweit keineswegs eindeutige - Bestimmung des Art. 32 SchwStGB ("Die Tat, die [ ... ] eine Amts- oder Berufspflicht gebietet, [ ... ] ist kein Verbrechen oder Vergehen.") zu berücksichtigen ist, vgl. Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 76 f.; dazu auch Niebch, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 17 (35). Zur Rechtslage in den Niederlanden vgl. ebd., S. 39; Evangelische Kirche im Rheinland/Landeskirchenarnt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 54 (57); ferner die Nachw. 0., S. 58 Fn. 154. 135 OLG Stuttgart, NJW 1981, 1569 f.; OLG Koblenz, NJW 1982,2785 (2786); ähnlich bereits LG Hannover, NJW 1976,979. Zur abweichenden Beurteilung der Rechtslage durch

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

auf die Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt nach dem Ausländergesetz wurde höchstrichterlich festgestellt, das Gewähren von Wohnung an einen unerlaubt im Bundesgebiet befindlichen Ausländer erfülle für sich allein den Beihilfetatbestand nicht, wenn die Beherbergung lediglich dazu diene, dem Flüchtling eine Unterbringung "in menschenunwürdigen Verhältnissen" zu ersparen. 136 Die Literatur stimmt mit der dargestellten Rechtsprechung weitgehend überein, wobei trotz im einzelnen abweichender Begründungsansätze letztlich wohl durchweg entscheidend auf den Gesichtspunkt der Sozialadäquanz abgestellt wird. 137 Speziell in diesem Zusammenhang wird auch darauf hingewiesen, daß der Tatbestandsausschluß aufgrund sozialadäquaten Verhaltens nicht auf bestimmte Tatbestände beschränkt ist, sondern alle in Betracht kommenden Tatbestände erfaßt. 138 Wird eine Kirchenasylgewährung als solche also unter diesem Gesichtspunkt als nicht tatbestandsmäßig angesehen, so muß dies für alle durch diese Handlung anderenfalls verwirklichten Tatbestände gelten. 139 Soweit eine schlichte Unterkunftgewährung als sozialadäquate Handlung LS. eines Tatbestandsausschlusses zu betrachten ist, gilt dies auch für Kirchenasylgewährer. l40 Dabei hat nach den dargestellten Äußerungen aus Rechtsprechung und das Schweizerische BG vgl. Küpper, GA 1987,385 (387); Schubarth, in: Lebendiges Strafrecht, S. 158 ff., beide m.N. 136 BGH, NJW 1990, 2207 f.; die auf dieses Urteil bezugnehmende Entscheidung OLG Zweibrücken, MDR 1992, 894 bleibt insoweit unklar. Zu beiden Entscheidungen vgl. auch schon 0., S. 89 f. Fn. 75. Vgl. aber auch die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Heidelberg vom 19.7.1995 -15 Js 22884/94 -, S. 3, wo die Erfüllung des Beihilfetatbestandes aufgrund der bloßen Gewährung von Wohnung und Verpflegung ohne weiteres bejaht wird, vgl. dazu schon 0., S. 89 Fn. 74. 137 Vgl. den grundlegenden Beitrag von Schubarth, in: Lebendiges Strafrecht, S. 158 ff.; zu den unterschiedlichen, aber im Hinblick auf die Beherbergungsproblematik im wesentlichen zu gleichen Ergebnissen führenden Auslegungsansätzen eingehend Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 13 ff.; allgemeiner Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 76 ff.; Küpper, GA 1987, 385 ff.; aus der Kommentarliteratur zustimmend Kühl, in: Lackner, Strafgesetzbuch, § 258 Rn. 7 (allerdings auch unter Verweisung auf BGH, NJW 1984, 135, vgl. dazu die Nachw. 0., S. 97 Fn. 113); Trondle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, § 258 Rn. 6 (allerdings auch unter Verweisung auf BGH, Entscheidung vom 5. 2. 1985, I StR 833/84, vgl. dazu 0., S. 97 Fn. 113 a. E.); wohl auch Stree, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, § 258 Rn. 17,21; kritisch Ruß, in: Leipziger Kommentar, § 258 Rn. lOa (deutlich ablehnend demgegenüber noch in der Vorauflage: Leipziger KommentarIO, § 258 Rn. 10). 138 In diesem Sinne Schubarth, in: Lebendiges Strafrecht, S. 158 (159 ff.); Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 9, 13 ff., 22; allgemein Tröndle, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, Vor § 32 Rn. 12 m. w. N. 139 Vgl. nochmals Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 13; im Hinblick auf die Tatbestände der Strafvereitelung und der Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt nach dem Ausländergesetz auch Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 191; Radtke / Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (34, 41).

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Schrifttum die Einordnung unter den Gesichtspunkt der Sozialadäquanz mit dem christlichen Hilfsgebot unmittelbar nichts zu tun. 141 Beschränkt sich die Kirchenasylgewährung auf die bloße Beherbergung, so läßt sich aber umgekehrt ein qualitativer, eine Heranziehung des Sozialadäquanzgedankens ausschließender Unterschied zu anderen Beherbergungsfällen auch dann nicht ausmachen, wenn kirchliche Stellen als Kirchenasylgewährer in Erscheinung treten. 142 Keine sozialadäquate Verhaltensweise stellt allerdings bereits eine über die Unterkunftgewährung hinausgehende psychische Unterstützung dar. Eine solche Unterstützung auf der subjektiven Ebene kann zwar richtigerweise nicht dazu führen, daß ein objektiv sozialadäquates Verhalten nunmehr den Tatbestand der Strafvereitelung erfüllt, da dieser Tatbestand maßgeblich eine objektive Vereitelungshandlung voraussetzt. 143 Erfüllt der Kirchenasylgewährer aber einen Beihilfetatbestand in Form der psychischen Beihilfe,l44 so kann insoweit bei Vemeinung eines sozialadäquaten Verhaltens kein Tatbestandsausschluß eingreifen. Wird ein Kirchenasylflüchtling über eine bloße Unterkunftgewährung hinaus versteckt, so liegt nach den erwähnten Äußerungen in Rechtsprechung und Literatur ebenfalls kein sozialadäquates Verhalten vor. 145 Die entscheidende Bedeutung kommt dabei der Frage zu, ob der Kirchenasylgewährer mit erkennbarer Verstekkungsabsicht gehandelt hat oder nicht. Diese Frage ist im Einzelfall anhand aller problembezogenen, der Kirchenasylgewährung vorausgehenden, ihr innewohnenden und sie begleitenden Umstände zu entscheiden. 146 Bei einer Kirchenasylge140 Vgl. Schmude, in: epd-Dokumentation Nr. 31196, S. 15 (16 f.) unter Bezugnahme auf die Thesen des Rates der EKD, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 47 ff. (dazu auch Just, ebd., S. 1 (7); zur insoweit unberechtigten, aber an den EKD-Thesen - die neben Eberhard Jüngel maßgeblich von Jürgen Schmude mitgestaltet wurden, vgl. dazu Trunk, FR vom 29.8. 1994; Schmude, a. a. 0., S. 15 (18) - insgesamt verbreitet geübten Kritik vgl. z. B. die in Junge Kirche 1994, 564 ff. wiedergegebenen Äußerungen); vgl. auch schon Schmude, taz vom 18.4. 1994; ders., EXPRESS vom 16.5.1994; ebenso (als Mitglied des Rates der EKD) Leuze, in: Bericht über die fünfte Tagung der achten Synode der EKD (Halle/Saale 1994), S. 374 (375). 141 Dies verkennen Radtkel Radtke, ZevKR 42 (1997),23 (42). 142 Insoweit ebenfalls unzutreffend Radtkel Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (44). 143 Ablehnend gegenüber Tendenzen, einen Tatbestandsausschluß in bezug auf § 258 StGB bei einer objektiv sozialadäquaten Handlung allein von der Einstellung des Handelnden abhängig zu machen, auch Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, Rn. 78 f.; Küpper, GA 1987, 385 (398 ff.). 144 Vgl. 0., S. 90 m. Fn. 78. Zur fehlenden Tatbestandsmäßigkeit von bloßen psychischen Unterstützungshandlungen des Vortäters in bezug auf den Strafvereitelungstatbestand vgl. BGH, NJW 1984, 135; dazu auch schon 0., S. 97 Fn. 113. 14~ In diesem Sinne auch Schmude, in: epd-Dokumentation Nr. 31196, S. 15 (16 f.); ders., taz vom 18.4. 1994; ebenso wiederum Leuze, in: Bericht über die fünfte Tagung der achten Synode der EKD (Halle/Saale 1994), S. 374 (376); vgl. auch die These 6 des Rates der EKD, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 47 (48); ferner die Nachw. 0., S. 101 Fn. 134. 146 Vgl. (allgemein zur Feststellung einer Versteckgewährung in Beherbergungsfällen) Küpper, GA 1987,385 (398, 401 f.).

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

währung durch eine kirchliche Stelle, insbesondere eine Kirchengemeinde, kommt es dabei maßgeblich darauf an, ob das Kirchenasyl öffentlich gewährt wird. 147 Eine solche öffentliche Kirchenasylgewährung liegt jedenfalls dann vor, wenn die zuständigen Behörden umfassend informiert werden. Da die Kirchenasylgewährung durch eine Kirchengemeinde schon wegen der großen Zahl der damit in Berührung kommenden Personen (etwa der ordnungsgemäß beteiligten Kirchenvorstandsmitglieder oder auch der einfachen Gemeindemitglieder) unter normalen Umständen schnell bekannt wird, ist von einer öffentlichen Kirchenasylgewährung, die eine Versteckungsabsicht nicht erkennen läßt, in dieser Konstellation aber immer schon dann auszugehen, wenn keine besonderen Aktivitäten zur Geheimhaltung getroffen werden. Dementsprechend handelt auch bei nach äußerlicher Betrachtung gegebener Tatbestandserfüllung dennoch nicht tatbestandsmäßig, wer öffentlich Kirchenasyl gewährt (oder eine öffentliche Kirchenasylgewährung unterstützt) und über die bloße Beherbergung eines Flüchtlings hinaus nicht in strafrechtsrelevanter Weise tätig wird. Hingegen greift der Tatbestandsausschluß aufgrund sozialadäquaten Verhaltens nicht ein, soweit ein Kirchenasyl nicht öffentlich, sondern mit erkennbarer Versteckungsabsicht gewährt wird. Dies gilt unterschiedslos für Pfarrer ebenso wie für alle anderen Personen, die an einer Kirchenasylgewährung beteiligt sind. 11. Rechtswidrigkeit Zur Rechtswidrigkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens eines Kirchenasylgewährers gelten zunächst die in bezug auf den Kirchenasylflüchtling gemachten Ausführungen entsprechend. 148 Insbesondere eine Rechtfertigung in Form der Notstandshilfe scheidet danach generell aus. 149 Dabei ist zu beachten, daß die Feststel147 Zur (bestehenden oder nicht bestehenden) Bedeutung des Öffentlichkeitskriteriums in bezug auf andere mit der rechtlichen Beurteilung der Kirchenasylproblematik zusammenhängende Fragen vgl. 0., S. 37,41 ff., 89. 148 Vgl. 0., S. 75 ff. 149 Vgl. auch die Berichte über die Verhängung von Geldstrafen wegen Kirchenasylgewährung 0., S. 100, in denen die Möglichkeit einer Notstandsrechtfertigung nicht einmal erwähnt wird; zur schweizerischen Gerichtspraxis vgl. aber auch Just (Hrsg.), Asyl von unten, S. 223, wo vom Freispruch eines Kirchenasylgewährers von Schuld und Strafe durch ein letztinstanzliches Gericht aufgrund "echten Notstandes" berichtet wird. Zur Frage der Notstandsrechtfertigung eines Kirchenasylgewährers aus schweizerischer Sicht vgl. aus der Literatur zur aktuellen Rechtslage Friederich. in: Kirche und Asyl, S. 61 (67 f.); zum früheren Recht Blättier, Asyl 2/1986, S. 7 f.; Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft 5011, Nr. 5, S. 45 (53 f.); Friederich, in: Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 141 ff.; ferner den unklaren Bericht in HK 1986, 118 (119 f.); dazu auch schon 0., S. 78 Fn. 25. Zum amerikanischen Recht, wo nach umstrittener Rechtsprechung in Verfahren um die Strafbarkeit der Gewährung von Kirchenasyl ("Sanctuary") in bezug auf die die Notstandslage betreffenden Umstände aufgrund eines Antrags der Staatsanwaltschaft ("motion in limine") von vornherein ein Zeugnis- und Beweisausschluß eingreifen kann, Phelps, Washington and Lee L. Rev. 48

B. Strafbarkeit des Kirchenasylgewährers

lOS

lung des Nichtbestehens einer einfachrechtlichen Notstandsrechtfertigung des Kirchenasylgewährers aus § 34 StGB von der Frage einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung (etwa aus Art. 4 GG) strikt zu trennen iSt. 150 Besonders im Zusammenhang mit der Frage des überwiegenden Rechtfertigungsinteresses bei der Prüfung einer Notstandsrechtfertigung nach § 34 StGB 151 ist in bezug auf den Kirchenasylgewährer allerdings der Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams ergänzend zu erwähnen. Unter diesen Begriff wird das Kirchenasyl verbreitet ohne weiteres eingeordnet. 152 Es ist allerdings schon fraglich, ob diese Einordnung zutrifft. Im Unterschied zu den ursprünglich mit dem Begriff des zivilen Ungehorsams verbundenen Erscheinungen geht es bei der Kirchenasylgewährung regelmäßig zumindest primär nicht um ein bloß demonstratives, zeichenhaftes Handeln, sondern um ein unmittelbares Tätigwerden zugunsten des Kirchenasylflüchtlings. 153 Das Kirchenasyl ist mit diesem Begriff daher allenfalls "partiell deckungsgleich".154 Auch in den Fällen des zivilen Ungehorsams schließt überdies die notwendige Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges der Rechtsordnung im ganzen als entscheidender Abwägungsgesichtspunkt bei der Prüfung des überwiegenden Rechtfertigungsinteresses eine Notstandsrechtfertigung gemäß § 34 StGB aus. 155 Um eine Aushöhlung des § 34 StGB mit den dort gezogenen Grenzen und maßgebenden Wertungsrichtlinien zu vermeiden, kann der zivile Ungehorsam im übri(1991),123 (132 ff.); Lavarnway, University ofRichmond L. Rev. 25 (1991), 367 (372 ff.) m.w.N. ISO Insoweit unklar B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (109); ders., in: Asyl von unten, S. 91 (105); daran (unausgesprochen) anschließend Demand, Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestform, S. 35. Zur Bedeutung des Art. 4 GG im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik vgl. u., S. 226 ff. 151 Vgl. dazu 0., S. 82 ff. 152 Exemplarisch Demand, Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestform, S. 91 ff.; Eid, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 63 ff.; B. Huber, in: Asyl von unten, S. 91 ff.; Just, ebd., S. 72 ff.; Nagel, Flüchtlinge und "Kirchenasyl", S. 25 ff.; Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 97 ff. (mit sehr ausführlichen, dabei aber vielfach in ihrer rechtlichen Bedeutung unklaren - z.T. verfassungsrechtsbezogenen - Ausftihrungen); vgl. auch den Untertitel des u. a. die zwei genannten Einzelbeiträge enthaltenden Sammelbandes von Just (Hrsg.), Asyl von unten: "Kirchenasyl und ziviler Ungehorsam - Ein Ratgeber"; ferner Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft 5011. Nr. 5, S. 45 (52 f.). Diese Einordnung findet sich auch bei Püttmann, Ziviler Ungehorsam und christliche Bürgerloyalität, S. 224 f. und der (insgesamt unkritischen) Rezension dazu von Kahl, Die neue Ordnung 1996,69. 153 Vgl. bes. Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 251; W. Huber, Gerechtigkeit und Recht, S. 418 f.; Lesch, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 77 (79, 84); Rothkegel, ZAR 1997, 121 (122f.). 154 So Geis, JZ 1997,60 (62). ISS Vgl. Lenckner, in: Schönkel Schröder, Strafgesetzbuch, § 34 Rn. 41a m. w. N.; daneben Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 16 Rn. 50, der aber entgegen der h. M. - vgl. nur Lackner, in: ders., Strafgesetzbuch, Vor § 32 Rn. 32; Lenckner, a. a. O. - immerhin einen übergesetzlichen Verantwortungsausschluß für möglich hält (dazu auch noch u., S. 108 f. m. Fn. 172).

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

gen nicht als eigenständiger Rechtfertigungsgrund unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen anerkannt werden. 156 Eine überpositive Notstandsrechtfertigung einer tatbestandsmäßigen Kirchenasylgewährung kann sich daher auch aus einer Einordnung derselben unter den Begriff des zivilen Ungehorsams nicht ergeben. 157 Schließlich taugt die Berufung auf die Handlungsform des zivilen Ungehorsams generell bereits deshalb nicht als Rechtfertigungsgrund, weil sie - wie sich schon aus dem Begriff "Ungehorsam" ergibt - per definitionem illegale Mittel einschließt. 1S8 Es wird daher zu Recht darauf hingewiesen, daß die Einordnung des Kirchenasyls unter den Begriff des zivilen Ungehorsams zugleich eine u.U. voreilige Annahme der Rechtswidrigkeit signalisiert. 1s9 Soweit nach alledem die Kirchenasylgewährung als rechtswidrige Erfüllung eines Straftatbestandes zu beurteilen ist, ist schließlich zu beachten, daß diese Feststellung nicht nur für die Strafverfolgungsbehörden relevant sein kann. Beantragt eine Kirchenasylinitiative die Eintragung als Verein, so kommt es nach §§ 61,63 BGB i.V.m. Art. 9 11 GG, § 3 VereinsG I60 darauf an, ob Vereinstätigkeit und -zweck mit den Strafgesetzen vereinbar sind. Wird eine Kirchenasylinitiative dann tatsächlich als Verein eingetragen,161 so ist ein Strafgericht zwar an die Beurteilung der Rechtslage durch die im Eintragungsverfahren zuständige Verwaltungsbehörde. die sich möglicherweise gar nicht geäußert hat, nicht gebunden. Bei der Beurteilung der Strafbarkeit der Mitglieder einer als Verein eingetragenen Kirchenasylinitiative wird es über eine im Eintragungsverfahren erfolgte Feststellung fehlender Strafrechtswidrigkeit aber nicht ohne weiteres, d. h. begründungslos, hinweggehen können. 162 156 V gl. Lenckner, in: Schönke / Schröder, Strafgesetzbuch, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 79 f., unter Berufung auf OLG Stuttgart, NStZ 1987, 121 (122). Zum Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen in Kirchenasylfal1en vgl. auch (aus schweizerischer Sicht) Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 78 ff. 157 Vgl. auch Ehnes. in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (617); unklar Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 121 ff. 158 BVerfGE 73. 206 (252); daran anschließend z. B. Flor, Politische Aktion, Kirche und Recht, S. 87 f.; speziel1 zum Kirchenasyl RadtkelRadtke, ZevKR 42 (1997), 23 (51 f.); vgl. daneben etwa Gramlieh. in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (208); B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort. S. 99 (110 f.); ders., in: Asyl von unten, S. 91 (106); Nagel. Flüchtlinge und .. Kirchenasyl", S. 27 f.; Robbers. AöR 113 (1988),30 (47); Wenzel. DRiZ 1995,7 (11); in diesem Sinne auch die Einordnung des Kirchenasyls unter den Begriff des zivilen Ungehorsams bei Renek. NJW 1997.2089 (2091). 159 Vgl. Geis. JZ 1997.60 (62); Schmude. in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 15 (16); ferner Niebch. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 17 (32). 160 Vgl. dazu nur Habennann. in: Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, § 61 Rn. 6. 161 Vgl. dazu z. B. Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (Hrsg.), Erstinformation .. Kirchenasyl". S. 37. 162 Zu den Konsequenzen der Eintragung auf der Schuldebene vgl. u., S. 107.

B. Strafbarkeit des Kirchenasylgewährers

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ßI. Schuld Zur Schuldfrage ist zunächst wiederum auf die entsprechenden in bezug auf den Kirchenasylflüchtling gemachten Ausführungen zu verweisen. 163 Diese Ausführungen sind für die Person des Kirchenasylgewährers aber sowohl hinsichtlich der Frage eines Verbotsirrturns als auch hinsichtlich der Frage eines entschuldigenden Notstands ergänzungsbedürftig. 1. Verbotsirrtum

Wird einem Verurteilten Kirchenasyl zum Schutz vor Vollstreckungsmaßnahmen gewährt, so kann sich ein Kirchenasylgewährer, der den Straftatbestand des § 258 11 StGB (Vollstreckungsvereitelung) erfüllt, auch dann in einem Verbotsirrtum befinden, wenn er die Verurteilung für rechtswidrig hält. Ein solcher Verbotsirrtum wird allerdings stets vermeidbar sein. 164 Befinden sich Mitglieder einer als Verein eingetragenen Kirchenasylinitiative in einem Verbotsirrtum über die Frage der Rechtmäßigkeit einer dem Vereinszweck und der Vereinstätigkeit, wie sie Gegenstand der Prüfung im Eintragungsverfahren waren, entsprechenden Kirchenasylgewährung, so kommt ihnen eine fehlende Beanstandung der Strafrechtswidrigkeit im Eintragungsverfahren 165 zugute. In diesem Falle ist von der Unvermeidbarkeit des Verbotsirrturns und damit gemäß § 17 S. I StGB von einem Schuldausschluß auszugehen. 2. Entschuldigender Notstand

Ein entschuldigender Notstand gemäß § 35 StGB kommt für den Kirchenasylgewährer nur in Form der Notstandshilfe in Betracht. Insoweit setzt dieser Entschuldigungsgrund zusätzlich voraus, daß der Flüchtling Angehöriger des Kirchenasylgewährers i. S. d. § 11 I Nr. 1 StGB oder eine andere ihm nahestehende Person ist. Daß diese Voraussetzung in Kirchenasylfällen erfüllt ist, läßt sich nicht von vornherein ausschließen. 166 Unter einer dem Angehörigenverhältnis im Rahmen des § 35 StGB gleichstehenden Nähebeziehung ist eine auf Dauer angelegte persönliche Beziehung zu verstehen, die beispielsweise auch bei einer Hausgemeinschaft oder einem Betreuungsverhältnis mit persönlichem Charakter bestehen kann. 167 Vgl. 0., S. 84 ff. Vgl. schon 0., S. 99 m. Fn. 122. 165 Vgl. dazu 0., S. 106. 166 So aber - ohne nähere Erläuterung - Radlke/Radlke. ZevKR 42 (1997), 23 (53); Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls. S. 120. 167 Dazu umfassend Hirsch. in: Leipziger Kommentar, § 35 Rn. 33 ff. m. w. N. 163 164

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2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

Zwar ist dieses Erfordernis auch bei einer christlich bzw. religiös motivierten Kirchenasylgewährung nicht schon unter dem Gesichtspunkt der ,,Nächstenliebe" automatisch als erfüllt anzusehen. Durch umfangreiche Kontakte, wie sie im Vorfeld einer Kirchenasylgewährung regelmäßig stattfinden,168 kann ein einem persönlichen Betreuungsverhältnis gleichkommendes Näheverhältnis aber durchaus begründet werden. Ob das Verhältnis zwischen einem Kirchenasylgewährer und dem Flüchtling in bezug auf die Intensität des Kontakts und das Kriterium der Dauer den Anforderungen des § 35 StGB tatsächlich entspricht, hängt dann letztlich entscheidend von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles ab. Für die Person des Kirchenasylgewährers wird auf die generelle Pflicht zur Berücksichtigung der Beweggründe des tatbestandsmäßigen Handeins und die in diesem Zusammenhang bestehende Möglichkeit einer Schuldminderung und Strafmilderung wie auch auf das Nichtbestehen eines allgemeinen Schuldausschlußgrundes, der insoweit zu einem gänzlichen Schuldausschluß führen könnte, besonders hingewiesen. 169 Im einzelnen läßt sich eine Schuldminderung dabei regelmäßig damit begründen, daß ein Kirchenasylgewährer "aus humanitären Erwägungen und nicht etwa aus eigennützigen Gründen oder Rechtsfeindschaft" handelt. 170 Dieser Umstand, der häufig nur im Zusammenhang mit dem Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams erörtert wird,171 ist also durchaus rechtlich von Bedeutung,

168 Vgl. bes. Heimbach-Steins. Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (294 f.): Gewährung von Kirchenasyl ,,meistens [ ... ] als Konsequenz bzw. im Zusammenhang mit intensiver Betreuungsarbeit". Dementsprechende Empfehlungen finden sich auch verbreitet etwa in Leitlinien zur Kirchenasylgewährung, vgl. z. B. Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vorn 8. 3. 1996, S. 5 (insoweit inhaltlich übereinstimmende Stellungnahmen weiterer evangelischer Landeskirchen sind in epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 14 ff. abgedruckt); Pro Asyl/Publik-Forum (Hrsg.), Kirchenasyl: Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben, S. 6 f.; Quandt. in: Asyl von unten, S. 193 (197 ff.); Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 83 ff. Vgl. ferner exemplarisch Pi/gram. in: Wir wollen, daß ihr bleiben könnt, S. 106 (109), der von der jedenfalls im Verlauf eines Kirchenasyls wohl regelmäßig entstehenden "sehr tiefe[n] Beziehung" zwischen Kirchenasylgewährer und Flüchtling berichtet. 169 Vgl. B. Huber; in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (111); ders., in: Asyl von unten, S. 91 (106); ferner - allerdings primär unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - Aurnhammer; Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 192 f.; zum schweizerischen Recht Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 78. 170 So der in Evangelische Erwachsenenbildung Niedersachsen (Hrsg.), "Schützende Gemeinde werden", S. 30 abgedruckte Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Bremen, in dem daneben auch das Vorliegen eines Verbotsirrturns andeutungsweise angesprochen wird, allerdings insgesamt nicht ganz deutlich wird, ob sich diese Ausführungen auf die Schuldfrage oder auf die Frage des öffentlichen Verfolgungsinteresses (dazu noch u., S. 109) beziehen. Zum in diesem Zusammenhang U.U. ebenfalls zu berücksichtigenden Kriterium der Öffentlichkeit einer Kirchenasylgewährung vgl. schon 0., S. 89 Fn. 74 a. E. 171 Vgl. die Nachw. 0., S. 105 Fn. 152.

B. Strafbarkeit des Kirchenasylgewährers

109

auch wenn sich ein übergesetzlicher Verantwortungsausschluß aus dem Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als eigenständigem Rechtsgrund nach richtiger Auffassung nicht ergibt. 172

IV. Strafverfolgung

Hinzuweisen ist zunächst darauf, daß sich ein generelles Verfolgungshindemis speziell für Geistliche, welches auch der Strafverfolgung wegen Kirchenasylgewährung entgegenstünde, nicht aus einem "privilegium fori" ergibt. Für eine derartige Befreiung der Kleriker vom weltlichen Gerichtsstand gibt es heute keine Rechtsgrundlage mehr. 173 In der Literatur wird auf die Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung gemäß § 153 StPO oder § 153a StPO im Falle einer Schuldminderung für die Person des Kirchenasylgewährers wiederum besonders hingewiesen. 174 Aus der Praxis sind einige Fälle der Einstellung von Ermittlungsverfahren gegen Kirchenasylgewährer bekannt geworden. Darunter waren sowohl sanktionslose Einstellungen gemäß § 153 StPO als auch Einstellungen gegen Geldauflagen gemäß § 153a StPO. 175 In bezug auf das insoweit relevante öffentliche Verfolgungsinteresse bzw. in bezug auf das im Rahmen des § 153 12 StPO beachtliche Ausmaß der Tatfolgen ist besonders eine nachträglich das Ergreifungsinteresse gegenüber einem Kirchenasylflüchtling beseitigende Entscheidung von staatlicher Seite (z. B. die Legalisierung des Aufenthalts eines ausländischen Flüchtlings) zugunsten des (im Beispielsfall wegen Unterstützung des zuvor unerlaubten Aufenthalts strafbaren) Kirchenasylgewährers zu berücksichtigen. 176 Festzuhalten bleibt in diesem Zusammenhang 172

Vgl. dazu schon 0., S. 105 Fn. ISS a. E.

173

Vgl. nur Hollerbach. in: HdbStR, Band VI, § 139 Rn. 30 m.N.

Vgl. B. Huber. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (111); ders., in: Asyl von unten. S. 91 (\06); daneben - allerdings wiederum primär unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten - Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 193; ähnlich, aber (als Konsequenz aus den verfassungsrechtlichen Überlegungen) einschränkend im Hinblick auf § 153a StPO Radlke / Radlke, ZevKR 42 (1997), 23 (58 f.). 174

175 Vgl. Radlke/Radlke. ZevKR 42 (1997). 23 (23 f., 56); ferner Robbers. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (128). Vgl. exemplarisch den in Evangelische Erwachsenenbildung Niedersachsen (Hrsg.), ..Schützende Gemeinde werden", S. 30 abgedruckten, schon mehrfach erwähnten Bescheid der Staatsanwaltschaft Bremen über eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153 StPO. 176 Vgl. die (nach § 153 I 2 StPO ergangene) Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Heidelberg vom 19.7.1995-15 Js 22884/94 -, S. 4. Zur diesbezüglichen Rechtslage im Hinblick auf den Kirchenasylflüchtling vgl. schon 0., S. 84 Fn. 53. Zur Frage des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung gegenüber dem Kirchenasylgewährer vgl. auch schon 0., S. 108 Fn. 170. Vgl. ferner 0., S. 28, zur Berücksichtigung eines kirchlichen Interesses als öffentliches Interesse.

HO

2. Kap.: Strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls

noch, daß eine Verfahrenseinstellung derzeit in der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle erfolgt, in denen es überhaupt zu einem Ermittlungsverfahren gegen Kirchenasylgewährer kommt. 177

177 Vgl. nur Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (Hrsg.), Erstinformation "Kirchenasyl", S. 28, wo darüber hinaus ausdrücklich festgestellt wird, daß es in der Vergangenheit zu keiner rechtskräftigen Verurteilung wegen Kirchenasylgewährung gekommen ist. Vgl. zum letzteren auch schon 0., S. 100 f. m. Fn. 133; neben den dort erwähnten Verurteilungen ist es in der Schweiz im übrigen auch zu gerichtlichen Freisprüchen (mangels objektiver oder subjektiver Tatbestandsmäßigkeit) gekommen, vgl. Friederich, in: Kirche und Asyl, S. 61 (64), dessen Schilderung die präzisen Begründungen allerdings ebenso vermissen läßt wie die 0., S. 104 Fn. 149, erwähnte Notiz eines Freispruchs aufgrund "echten Notstandes". Lediglich eine Randbedeutung bei der Betrachtung der Strafverfolgungspraxis in Kirchenasylfällen hat schließlich der Freispruch eines wegen Kirchenasylgewährung angeklagten Kölner Pfarrers aus tatsächlichen Gründen, von dem Radtke / Radtke, ZevKR 42 (1997),23 (24) m.N. berichten.

2. Teil

Kirchenasyl und Verfassungsrecht 3. Kapitel

Das Grundrecht auf Asyl als Grundlage eines Kirchenasylrechts Am Beginn der verfassungsrechtlichen Untersuchung steht die Frage, ob sich ein Kirchenasylrecht aus der Bestimmung des Grundgesetzes ergibt, die - zunächst ganz allgemein, ohne nähere Konkretisierung - den Begriff "Asylrecht" verwendet, nämlich aus dem Asylgrundrecht des Art. 16a GG. Zu prüfen ist also, ob eine staatliche Beendigung bzw. strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls aufgrund der im ersten Teil der Untersuchung erörterten einfachrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 16a GG ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung darstellt.

A. Eingriff in den Schutzbereich des Asylgrundrechts I. Bestandsaufnahme Zum Fall der Kirchenasylgewährung an einen von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bedrohten Ausländer in einer Kirche bzw. durch eine Kirchengemeinde wird zunächst gesagt, trotz des engen historischen Zusammenhangs mit den religiösen Ursprüngen des Asylrechts finde das Kirchenasyl seine Verortung nicht in Art. 16a GG! Ausführlicher heißt es, nur der Staat, nicht aber die Kirchen seien Adressat des Grundrechts auf Asyl. Anderenfalls wären die Kirchen zur Gewährung des Asylrechts nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. Dies wäre auch im Hinblick auf das Gleichheitsgrundrecht der Asylbewerber aus Art. 3 I GG bedenklich, da eine Asylgewährung durch die Kirchen vom Willen des Pfarrers oder der Gemeindemitglieder abhängig und damit völlig willkürlich wäre. Wegen der Unübertragbarkeit der Grundrechte könne die Gewährung eines kirchlichen Asylrechts ebensowenig als treuhänderische Ausübung des Asylrechts des Art. 16a I I Bleckmann, Staatsrecht 11 - Die Grundrechte, § 37 Rn. 2, der statt dessen auf Art. 4 GG verweist.

112

3. Kap.: Das Grundrecht auf Asyl als Rechtsgrundlage

GG durch die Kirchengemeinde oder einzelne kirchliche Amtsträger zugunsten des betreffenden Asylbewerbers gedeutet werden. 2 Im übrigen ergebe sich aus Art. 16a GG kein Leistungsanspruch der Kirchen gegen den Staat auf Einräumung der staatlichen Rechtsposition eines Asylberechtigten an Kirchenasylflüchtlinge nach den kirchlichen Maßstäben. 3 Weiterhin wird festgestellt, auch der Körperschaftsstatus der Kirchen gemäß Art. 137 V WRV LV.m. Art. 140 GG ermögliche nicht die Berufung auf Art. 16a GG in Gestalt eines kirchlichen Asylrechts, da die Kirchen mangels Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt nicht durch Art. 1 In GG gebunden seien. Im übrigen stehe das Asylgrundrecht unter einem Verfahrensvorbehalt, so daß die einfachgesetzliche Kompetenzregelung des Asylverfahrens von den Kirchen selbst bei Bejahung einer Grundrechtsbindung zu beachten sei. Auch eine Baubehörde könne sich nicht unter Berufung auf Art. 1 III GG die Befugnis anmaßen, aus eigener Zuständigkeit über eine Asylgewährung gemäß Art. 16a GG zu befinden. 4 Entsprechend den vorgenannten Einwänden gegen eine originäre Kompetenz zur Kirchenasylgewährung aus Art. 16a GG erkennt man kirchlicherseits an, daß es allein Sache der zuständigen staatlichen Behörden und Gerichte ist, einem Flüchtling Asyl zu gewähren oder zu verwehren. Zur Unterscheidung von Kirchenasyl und staatlichem Asyl wird gesagt, Kirchenasyl komme nur als zeitlich befristete Notmaßnahme in Betracht. Deren Ziel sei es, einen staatlichen Asylschutz für den Kirchenasylflüchtling in der Bundesrepublik Deutschland, nicht in der Kirche, doch noch zu erwirken. Auf diese Weise solle dem Staat geholfen werden, das geltende Recht anzuwenden. 5 Die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen dem Kirchenasyl und dem staatlichen Recht deutet darauf hin, daß dabei letztlich doch das Asylgrundrecht zur Legitimierung des Kirchenasyls dienen soll. In der Literatur wird die kirchliche Position dementsprechend so verstanden, daß die Rechtstitel, die einer Abschiebung entgegenstehen, danach zugleich als rechtliche Grundlage des Kirchenasyls dienen sollen, daß sich also ein Kirchenasylrecht gerade aus diesen Rechtstiteln, deren wichtigster das Asylgrundrecht ist, ergeben soll.6 In diesen Zusammenhang gehört auch die in der Literatur zu findende Überlegung, wonach Art. 16a GG i.V.m. Art. 19 II GG als Grundlage eines Kirchenasylrechts in Betracht zu ziehen ist. 7 2 v. Münch, NJW 1995,565 f.; zustimmend Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 249. 3 Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (63). 4 B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (102 f.); daran anschließend Roßkopf, AWR Bulletin 1996,93 (100); ebenso (ohne ausdrückliche Bezugnahme) Demand, Kirchenasyl Rechtsinstitut oder Protestform, S. 29 f.; i. E. - ohne nähere Begründung - auch Geis, JZ 1997,60 (62). 5 Vgl. die in epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 14 ff. abgedruckten, inhaltlich übereinstimmenden kirchlichen Stellungnahmen, bes. die Thesen 2 bis 4 des Rates des EKD, ebd., S. 47; dazu auch Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (63 f.). 6 Roos, Vorgänge 1994, Heft 3, S. 58 (68).

A. Eingriff in den Schutzbereich des Asylgrundrechts

113

Hinter diesen Argumentationsansätzen steht erkennbar der Gedanke, das Asylgrundrecht lasse sich zur Begründung eines Kirchenasylrechts hilfsweise heranziehen, wenn der Staat seiner Pflicht zur Asylgewährung nicht nachkommt. Dieser Gedanke wird - auf der Basis eines über Art. 16a GG hinausgehenden, sowohl "großes" als auch ,,kleines" Asyl umfassenden weiten Verständnisses des Asylrechts als Ausprägung der Menschenrechte und der Menschenwürde (Art. 1 GG)8 - verbreitet auch ausdrücklich ausgesprochen, indem das übergangs- bzw. hilfsweise anstelle des staatlichen Asyls zum Schutz vor Abschiebung gewährte Kirchenasyl als "subsidiärer Menschenrechtsschutz" gedeutet wird. 9 Gegen eine solche Sichtweise wird über die eingangs dargestellte Position hinaus vorgebracht, ein subsidiäres Handeln der Kirchen sei auch im menschenrechtsgarantierenden Staat nicht zulässig. Das Asylgewährungsmonopol gehöre zum Selbstverständnis des Staates, der als demokratischer Rechtsstaat (Art. 20 I, m, 28 I I GG) einen Anspruch auf Rechts- bzw. Gesetzesgehorsam auch im Bereich des Asylrechts habe. 10 In diesem Zusammenhang wird von der mit dem staatlichen 7 Mühleisen. HK 1994,350 (354); in diese Richtung auch K. Schmidt. Beiheft zur Jungen Kirche 6/95, 1 (U.). 8 Zum Verhältnis von Art. 16a GG und Art. 1 I GG allgemein etwa PierothlSchlink, in: Gegenrede, S. 669 (672 ff.), die allerdings feststellen, Art. 1 I GG sei "kein kleines Asylrecht"; zu den Begriffen des "großen" und "kleinen" Asyls im herkömmlichen Verständnis allgemein Gusy. ZAR 1988, 158 ff. 9 So Reuter. Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (198 ff.) [= ders., in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 574 (589 ff.)]; ders .• ZRP 1996,97 (98 ff.); daran anschließend Heimbach-Steins. Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (299); Winter. KuR 4/1995,37 (39 ff.) = 885, 1 (3 ff.); ferner Rothkegel, ZAR 1997, 121 (126); ebenso Honecker. in: Asyl in der Gemeinde, S. 41 (48); ähnlich ein vom Rat der EKD vorgelegter und von der Synode zustimmend zur Kenntnis genommener Kommissionsbericht, vgl. Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Bericht über die sechste Tagung der achten Synode der EKD, S. 991 (1029), 1179 (zu diesem Bericht vgl. auch Just. in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 1 (3»; daneben etwa W. Huber. Gerechtigkeit und Recht, S. 418; Quandt. in: Asyl von unten. S. 193 (195); Uihlein, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 131 (146); ders., in: Auflehnung gegen Unmenschlichkeit, S. 57 (58); v. Weizsäcker. DRiZ 1994,271; vgl. auch die Nachw. zum insoweit häufig als Ausgangspunkt genommenen Gedanken des zivilen Ungehorsams 0., S. 105 Fn. 152; aus schweizerischer Sicht Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 22 f.• 74. Auch in der amerikanischen Kirchenasyldiskussion wird verbreitet in diese Richtung argumentiert, wobei insoweit die Zulässigkeit eines Zeugnis- und Beweisausschlusses in bezug auf die tatsächlichen Umstände (dazu schon 0., S. 104 f. Fn. 149 a. E.) wiederum umstritten ist, vgl. Phelps. Washington and Lee L. Rev. 48 (1991)123 (132 ff.); Pirie. Yale Journal of Law & the Humanities 2 (1990), 381 (407,410); Lavarnway. University of Richmond L. Rev. 25 (1991), 367 (379 ff.) m. w. N.; ferner Koranyi. in: Asyl von unten, S. 160 (167); Nientiedt. HK 1986,216 (218); Niebch. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 17 (32); im Anschluß daran (ohne ausdrückliche Bezugnahme) Demand. Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestform, S. 23. 10 Ehnes. in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (6130; Jacobs. ZevKR 35 (1990), 25 (38 f.); ferner Hund. DRiZ 1994,362; Maaßen. KuR 1/1997,37 (41 f.) 885, 7 (11 f.); ansatzweise Rethmann. Asyl und Migration, S. 310 f. (über die rechtlichen Einwände gegen ein subsidäres Handeln der Kirche - im Rahmen einer nicht streng juristischen Argumenta-

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8 Görisch

114

3. Kap.: Das Grundrecht auf Asyl als Rechtsgrundlage

Asylrecht verbundenen Personal- und Territorialhoheit des modemen Staates auch weitergehend auf die absolute Unmöglichkeit eines Kirchenasylrechtes geschlossen. 11 11. Der Begriff "Asylrecht" i. S. d. Art. 16a I GG Betrachtet man Art. 16a GG im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik nun näher, so ist zunächst zu prüfen, ob sich ein Kirchenasylrecht unmittelbar aus dem im Normtext verwendeten Begriff des Asylrechts ergibt. In bezug auf die mit diesem Begriff ausgesprochene Rechtsfolge ist die Bestimmung des Art. 16a I GG identisch mit der des wortgleichen Art. 16 11 2 GG a.F., d. h. zum früheren Recht insoweit bestehende materiellrechtliche Erkenntnisse gelten unverändert fort. 12 Aus der Entstehungsgeschichte des Asylgrundrechts ergibt sich aber, daß mit dem Begriff des Asylrechts nicht etwa speziell das Kirchenasylrecht gemeint ist, sondern das staatliche Asylrecht, also das Asylrecht zwischen Staaten, das an das völkerrechtliche Institut des Asyls anknüpft. \3 Dieser - nunmehr in Anbetracht des (nicht auf ein Kirchenasylrecht zugeschnittenen) Art. 16a lI-IV GG von vornherein als selbstverständlich anzusehenden - Auslegung des Asylgrundrechts hat sich auch die Rechtsprechung ausdrücklich angeschlossen. 14 Dies bedeutet zugleich, daß Art. 16a GG in jedem Falle nur für Ausländer praktisch wird,15 demnach auch nur im Zusammenhang mit einem solchen Kirchenasyl relevant werden kann, das einem ausländischen Flüchtling gewährt wird. Ob sich insoweit aus dem Asylgrundrecht trotz der Beschränkung des darin enthaltenen Asylbegriffs auf das staatliche Asyl ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht ergibt, oder anders gesagt, ob auch die Kirchenasylgewährung vom Schutz des staatlichen Asyls umfaßt tion - allerdings schnell hinweggehend); vgl. auch Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft 5011, Nr. 5, S. 45 (51 f.). 11 So v.a. Randelzlwfer, in: Maunz I Dürig, Grundgesetz, Art. 16 Abs. 11 S. 2 Rn. 7 m. Fn. 3 (ohne auf weitere Begründungsmöglichkeiten eines Kirchenasylrechts auch nur ansatzweise einzugehen); in diese Richtung letztlich auch v. Münch, NJW 1995, 565 (566), der das Kirchenasyl sehr weitgehend als "anti-rechtsstaatliches Handeln" bezeichnet, und Bell/Skibitzki, "Kirchenasyl" - Affront gegen den Rechtsstaat?, S. 51, wo die im Titel gestellte Frage letztlich bejaht wird. 12 Bonk, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 10. 13 Vgl. - insoweit zutreffend - Randelzlwfer, in: Maunz I Dürig, Grundgesetz, Art. 16 Abs. 11 S. 2 Rn. 2 ff. Ausführlich ist die Entstehungsgeschichte des Art. 1611 2 GO a.F. dokumentiert von Matz. in: v. Doemming I Füßlein I Matz, JöR N.F. 1(1951), S. I (165 ff.). 14 Vgl. BVerfGE 74, 51 (57 ff.), wo in diesem Zusammenhang sogar das Kirchenasyl dessen rechtlicher Würdigung sich das Bundesverfassungsgericht im übrigen (wie auch im Karnmerbeschluß BVerfG, AuAS 1996, 31 f., vgl. dazu Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des IGrchenasyls, S. 29 f.) enthalten hat - ausdrückliche Erwähnung findet, indem, allerdings ohne weitere Konkretisierung, von einer ,.zurückdrängung des kirchlichen [ ... ] Asyls" gesprochen wird; daneben BVerwGE 49, 202 (205 f.) . ., Vgl. Pieroth, in: Jarass I Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 16a Rn. 19 m. w. N.

A. Eingriff in den Schutzbereich des Asylgrundrechts

115

wird, hängt entscheidend vom Verhältnis des Kirchenasyls zur auf Art. 16a GG basierenden Regelung des staatlichen Asylverfahrens ab. IIT. Das Verhältnis von Kirchenasyl und staatlichem Asylverfahren Genauer zu untersuchen ist zunächst die Frage, ob sich aus Art. 16a GG in den Fällen, in denen eine Kirche bzw. Kirchengemeinde Ausländern, die sich auf politische Verfolgung berufen, daraufhin Kirchenasyl gewährt, ein Kirchenasylrecht aufgrund des Körperschaftsstatus der Kirchen ergibt. Daran anschließend ist zu klären, ob sich ein Kirchenasylrecht zumindest mittelbar aus Art. 16a GG ergibt, nämlich unter dem Gesichtspunkt des "subsidiären Menschenrechtsschutzes".

1. Die Bedeutung des Körperschaftsstatus der Kirchen im Hinblick auf das Asylgrundrecht

Sofern eine Kirche bzw. Religionsgesellschaft gemäß Art. 137 V WRV i.V.m. Art. 140 GG Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, stellt sich die Frage, ob sie damit über Art. I m GG zur Asylgewährung nach Art. 16a GG (oder entsprechend nach Art. I I GG in bezug auf den darin enthaltenen Asylgedanken)16 nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet ist. Es ist allerdings umstritten, inwieweit die öffentlich-rechtlichen Religionsgesellschaften über Art. I III GG an die Grundrechte gebunden sind. Immerhin spricht der Körperschaftsstatus als solcher im Grundsatz für eine umfassende Bindung. 17 Dann bleibt aber immer noch zu untersuchen, wozu die Grundrechtsbindung die Religionsgesellschaften im Hinblick auf Art. 16a GG überhaupt verpflichtet. Als Abwehrrecht 18 schützt das Asylgrundrecht vor Eingriffen in Form von aufenthaltsverweigernden oder -beendenden Maßnahmen gegenüber dem Asylberechtigten. 19 Danach verbietet Art. 16a GG den Kirchen als Grundrechtsverpflichteten derartige belastende Maßnahmen. Zu solchen Maßnahmen ist die Kirche mangels Ermächtigungsgrundlage (vgl. in diesem Zusammenhang vor allem die Regelung der Zuständigkeit für aufenthaltsbeendende Maßnahmen in § 63 AuslG)2o a1ler16 Vgl. dazu 0., S. 113 m. Fn. 8. 17 Vgl. Jarass, in: ders.lPieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 3. Aufl., Art. I Rn. 16 (anders - mit der h.M., vgl. etwa Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. I Rn. \02 f. - allerdings in der 4. Aufl.). Vgl. auch noch u., S. 197 Fn. 274; ferner, auch allgemeiner zur Bedeutung des Körperschaftsstatus für Religionsgesellschaften, schon die Nachw. 0., S. 62 Fn. 179. 18 Zur Streitfrage, ob Art. 16a GG ein Abwehrrecht oder ein Leistungsrecht enthält, vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 986 m.N. (ausführlicher in der 12. Aufl., Rn. \056 ff.). 19 Vgl. dazu Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 16a Rn. 20 m. w. N. 20 Ausführlicher dazu schon 0., S. 27,34 f.

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116

3. Kap.: Das Grundrecht auf Asyl als Rechtsgrundlage

dings von vornherein überhaupt nicht befugt, und zwar nicht einmal gegenüber ausreisepflichtigen Ausländern. Darum geht es in Kirchenasylfallen aber auch gar nicht, denn die Kirchen wollen solche Maßnahmen ja gerade verhindern. Eine weitergehende, der mit dem Kirchenasyl verbundenden Absicht entsprechende Bedeutung hätte Art. 16a GG für die Kirchen nur dann, wenn ihnen die für alle staatlichen Stellen verbindliche Entscheidung über die Asylanerkennung zukommen würde. Eine Kirchenasylgewährung müßte dann die staatliche Asylanerkennung zwingend nach sich ziehen. Für eine solche Verbindlichkeit der kirchlichen Entscheidung gibt es hingegen keine rechtliche Grundlage. Der Verfahrensvorbehalt, unter dem das Asylgrundrecht steht,21 normiert vielmehr die Konzentration aller Entscheidungen über Asylanträge beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (§§ 5 AsylVfG, 51 TI AusIG),22 dessen - positive wie negative - Entscheidung für andere staatliche Stellen verbindlich ist (§ 4 AsyIVfG),23 also prinzipiell auch für die Religionsgesellschaften. Von unmittelbarer Bedeutung ist der Verfahrensvorbehalt allerdings nur für diejenigen staatlichen Stellen, die zu Eingriffsmaßnahmen überhaupt befugt sind, was bei den Religionsgesellschaften eben schon nach einfachem Recht gar nicht der Fall ist. Die Verbindlichkeit einer Entscheidung der Kirchen - als Grundrechtsverpflichteter - über die Asylberechtigung eines Ausländers läßt sich aus Art. 16a GG auch unabhängig vom asylrechtlichen Verfahrensvorbehalt in seiner konkreten Gestalt nicht ableiten, solange nicht ein entsprechender Verfahrens vorbehalt gerade zugunsten der kirchlichen Entscheidung besteht. Der bloße Wegfall der derzeitigen Ausgestaltung des Verfahrensvorbehalts, also der verbindlichen Entscheidung des Bundesamts, würde der Beurteilung der Kirchen noch nicht zur Verbindlichkeit gegenüber anderen Behörden verhelfen. Eine gerichtliche Kontrolle der kirchlichen Entscheidung würde indessen selbst ein zu ihren Gunsten bestehender Verfahrensvorbehalt grundsätzlich nicht ausschließen können. An dem Ergebnis, daß sich eine Berechtigung bzw. Verpflichtung der öffentlichrechtlichen Religionsgesellschaften zur Kirchenasylgewährung aus Art. 16a GG direkt nicht ableiten läßt, ändert auch die Sichtweise dieses Grundrechts als Leistungsrecht nichts. Denn die durch Leistungsgrundrechte vermittelte staatliche Schutzpflicht in bezug auf Grundrechtseingriffe Dritter greift lediglich bei Grundrechtsverletzungen durch Private ein; bei staatlichen Grundrechtsverletzungen ist von vornherein nur der direkte Maßstab des Abwehrrechts anwendbar?4 Die Kirchen können also auch unter dem Aspekt des Leistungsgrundrechts keinesfalls zur Gewährleistung des Asylgrundrechts gegenüber anderen staatlichen Stellen (also z. B. den eine Abschiebung durchführenden Ausländerbehörden) verpflichtet sein. Vgl. BVerfGE 56,216 (236); 60, 253 (294 f.); BVerwGE 78,332 (343). Zur Herleitung des § 5 AsylVfG aus dem asylrechtlichen Verfahrensvorbehalt vgl. Fritz, in: Gemeinschaftskommentar zum Asylverfahrensgesetz, II-§ 5 Rn. 3. 23 Vgl. dazu schon 0., S. 79 f. 24 Vgl./sensee. in: HdbStR, Band V, § 111 Rn. 116 f. 21

22

A. Eingriff in den Schutzbereich des Asylgrundrechts

117

Im übrigen steht der Annahme einer solchen Verpflichtung der - dann auch im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik relevante - asylrechtliche Verfahrensvorbehalt in seiner gegenwärtigen Gestalt entgegen. Ein das Kirchenasyl einschließendes Asylrecht der in öffentlich-rechtlicher Form organisierten Religionsgesellschaften, das in diesem Falle sogar zur Asylpflicht würde, ergibt sich also unmittelbar aus Art. 16a GG selbst dann nicht, wenn man solche Religionsgesellschaften aufgrund ihres Körperschaftsstatus als Grundrechtsverpflichtete gemäß Art. 1 m GG ansieht. Insoweit sind die Kirchen mithin in der Tat Baubehörden oder anderen "fachfremden" Behörden gleichzustellen, für die eine Asylbefugnis ebenfalls abzulehnen ist. 2s Eine im Gegensatz zu diesen Behörden bestehende und den §§ 4, 5 AsylVfG entsprechende Kompetenz der Kirche zur Gewährung staatlichen Asyls gemäß Art. 16a GG läßt sich auch aus Art. 137 m 1 WRV i.Y.m. Art. 140 GG oder aus Art. 4 GG nicht entnehmen. Inwieweit sich aus diesen Bestimmungen ein vom staatlichen Asylrecht verschiedenes Kirchenasylrecht eigener Art ergibt, ist für jede einzelne Bestimmung bzw. darin enthaltene Gewährleistung gesondert zu prüfen?6

2. Kirchenasyl als subsidiäre Gewährleistung des Asylgrundrechts

Ein Kirchenasylrecht kann sich also allenfalls mittelbar aus Art. 16a GG ergeben, nämlich unter dem Gesichtspunkt des "subsidiären Menschenrechtsschutzes" . Berufen sich die Kirchen insoweit auf das Asylgrundrecht, so treten sie nicht als grundrechtsverpflichteter Hoheitsträger, sondern wie ein privater Asylgeber als Nothelfer gegen staatliche Grundrechtsversagung auf. Mithin ergeben sich dabei für kirchliche und private Kirchenasylgewährer in der rechtlichen Bewertung, die im übrigen ebenso für den Kirchenasylflüchtling gilt, keine Unterschiede. Grundsätzlich läßt sich ein Selbst- bzw. Nothilferecht gegen staatliches Handeln - allerdings nur in besonderen Ausnahmefällen - durchaus aus den Grundrechten selbst und damit auch aus Art. 16a GG (oder in entsprechender Weise aus dem Asylgedanken des Art. 1 I GG)27 ableiten. Soweit der die regelmäßige Friedenspflicht begründende effektive staatliche Rechtsschutz gemäß Art. 19 IV GG (oder 2S Würden sich hingegen ganze Städte, Gemeinden und Länder zu Asylorten erklären vgl. zu derartigen Fällen in den USA Lavamway, University ofRichmond L. Rev. 25 (1991), 367 (389 Fn. 158) m. w. N., ferner Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (605 f.) m. w. N. - mit der Folge, daß nach negativem Ausgang des staatlichen Asylverfahrens abzuschiebende Ausländer nicht abgeschoben würden, so wäre dies wegen des insoweit maßgeblichen Verfahrensvorbehaltes, dessen einfachrechtliche Ausgestaltung die Zuständigkeit des Bundesamtes nicht nur für die Feststellung der Asylberechtigung, sondern gemäß § 31 III 1 i.V.m. § 42 AsylVfG auch für die Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG vorsieht (vgl. auch dazu schon 0., S. 79 f.), rechtswidrig. 26 Dazu u., S. 139 ff. 27 Vgl. dazu wiederum 0., S. 113 m. Fn. 8.

118

3. Kap.: Das Grundrecht auf Asyl als Rechtsgrundlage

eine gleichwertige Rechtskontrolle)28 nicht zu erreichen ist, kann die Selbsthilfe zulässig sein als einziger Weg, das von der Verfassung zuerkannte Freiheitsrecht durchzusetzen. 29 In bezug auf die Kirchenasylproblematik heißt Selbst- bzw. Nothilfe dabei Verhinderung einer voreiligen Abschiebung durch Inanspruchnahme bzw. Gewährung von Kirchenasyl. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: Ein Selbsthilferecht ist jedenfalls dann gegeben, wenn dem Betroffenen eine ihm zustehende Möglichkeit staatlicher Rechtskontrolle vorenthalten wird. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Asylbewerber unter Berufung auf Art. 16a 11 GG zurückgewiesen wird, obwohl er aus einem verfolgungsfreien Herkunftsstaat i. S. d. Art. 16a m GG einreist und einstweiligen Rechtsschutz begehrt. 3o Allerdings wird die Vorenthaltung einer dem Betroffenen zustehenden Rechtsschutzmöglichkeit in Kirchenasylfallen regelmäßig überhaupt nicht geltend gemacht; vielmehr ist eine solche Situation typischerweise gerade nicht die von Kirchenasyl.31 Ein Kirchenasylrecht als Selbst- oder Nothilferecht aus Art. 16a GG scheidet in dieser Konstellation also praktisch weitgehend aus. Problematischer ist die Frage, ob ein Selbsthilferecht auch dann bestehen kann, wenn nicht eine Vorenthaltung, sondern das Ergebnis - also die "Effektivität" - der staatlichen Rechtskontrolle gerügt wird. Keinesfalls ist ein Selbsthilferecht diesbezüglich schon dann gegeben, wenn dem Betroffenen der Schutz des (Grund-)Rechts tatsächlich zusteht, also zu Unrecht verweigert wurde. Vielmehr muß ein rechtskräftiges bzw. vollziehbares Urteil zunächst befolgt werden, auch wenn es später für verfassungswidrig erklärt wird. 32 Als Voraussetzungen eines in diesem Zusammenhang demzufolge nur ganz ausnahmsweise in Betracht Dazu allgemein BVerfGE 30, I (25,27 ff.). Vgl./sensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 58 f., bes. Fn. 139. 30 Zu den unterschiedlichen Rechtsfolgen von Abs. 2 und Abs. 3 des Art. 16a GG vgl. Pieroth, in: Jarass I Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 16a Rn. 28, 31. Wird dagegen ein tatsächlich aus einem sicheren Drittstaat i. S. d. Art. 16a 11 GG eingereister Asylbewerber gemäß dieser Vorschrift - die die inhaltliche Gewährleistung des Art. 16a I GG unberührt lassen soll, vgl. BVerfGE 94, 49 (85 ff., 95 f.) - zurückgewiesen, so liegt darin jedenfalls nach der Kontrolle und Billigung der konkreten Drittstaatenregelung durch das BVerfG (wie durch die genannte Entscheidung), solange die einer solchen Entscheidung zugrundeliegenden Umstände unverändert bleiben, zumindest keine völlige Vorenthaltung staatlichen Rechtsschutzes; vgl. dazu auch BVerfG, a. a. 0., S. 99 f., 104, wo sogar allein das Konzept normativer Vergewisserung gemäß Art. 16a 11 GG als prinzipiell ausreichender Rechtsschutz angesehen wird; kritisch zur FeststeIlbarkeit einer generellen Sicherheit in einem Drittstaat und insbesondere zur Regelung des Art. 16a 11 3 GG etwa Pierothl Sehlinie, in: Gegenrede, S. 669 (681 ff.); daneben Pieroth, in: Jarass I Pieroth, a. a. 0., Rn. 28 f.; ferner - speziell im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik - Heimbach-Steins, Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (294); Schlag, Zeitschrift für Evangelische Ethik 40 (1996), 38 (48 f.). 31 Insoweit zutreffend Hund, DRiZ 1994, 362 (363). Dies verkennen Heimbach-Steins. Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (294); Schlag. Zeitschrift für Evangelische Ethik 40 (1996). 38 (48 f.). 32 BVerfGE 93, 381 (385); insoweit zustimmend R. Schmidt. JuS 1997, 701 (705). 28

29

A. Eingriff in den Schutzbereich des Asylgrundrechts

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kommenden Selbsthilferechts werden eine evidente Rechtswidrigkeit des staatlichen Verhaltens und die Unzumutbarkeit der Hinnahme genannt. 33 Die regelmäßige Urteilsbefolgungspflicht gilt auch in bezug auf die rechtskräftige bzw. vollziehbare Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes im Asylverfahren. 34 Ein entgegenstehendes Selbsthilferecht kommt demnach auch in Kirchenasylfällen nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Hat über die Asylberechtigung gemäß Art. 16a GG oder auch nur über einen diesbezüglichen vorläufigen Rechtsschutz des betroffenen Ausländers bereits das Bundesverfassungsgericht negativ entschieden,35 scheidet ein durchsetzbares Selbsthilferecht allerdings definitiv aus, soweit die verfassungsgerichtliche Entscheidung bindende Wirkung entfaltet. 36 Liegt eine solche von vornherein bindende Entscheidung nicht vor, so ist über das Vorliegen des Selbsthilferechts unverzüglich eine nachträgliche Feststellung herbeizuführen. Ob im konkreten Fall ein Selbsthilferecht besteht bzw. bestand, kann nicht der alleinigen Entscheidung des Betroffenen überlassen bleiben. 37 Für die abschließende Entscheidung über das aus Art. 16a GG abgeleitete Selbsthilferecht ist dabei wiederum das Bundesverfassungsgericht zuständig. 38 An der absoluten Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung in bezug auf das Asylgrundrecht auch in dieser Hinsicht kann die Berufung auf dessen menschenrechtlichen Gehalt 39 ebensowenig etwas ändern wie die ergänzende 33 Vgl. al1gemein lsensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 58 Fn. 139 (al1erdings mit dem unklaren Erfordernis einer aus der evidenten Rechtswidrigkeit folgenden Rechtsunwirksamkeit des Staatshandeins, die bei gerichtlichen Entscheidungen kaum in Betracht kommt und dort al1enfal1s erst die Folge eines bestehenden Selbsthilferechts ist). Auf Zumutbarkeitserwägungen wird wohl letztlich auch in BVerfGE 93,381 (385) entscheidend abgestel1t. 34 Vgl. - unter Bezugnahme auf BVerfGE 93,381 (385), ohne dabei auf mögliche Unterschiede zu dieser Entscheidung im Hinblick auf die Zumutbarkeitsfrage einzugehen BVerfGE 94, 166 (211 ff., bes. 212 f.). Vgl. speziel1 im Hinblick auf das Kirchenasyl auch noch u., S. 193 Fn. 246. 35 Praktisch bedeutsam ist insoweit, daß in BVerfGE 94, 166 (211 ff., bes. 219) als Konsequenz aus der auch im Asylverfahren geltenden Rechtsbefolgungspflicht bei einer Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Instanzgerichte der Erlaß einstweiliger Anordnungen gemäß § 32 BVerfGG im Hinblick auf eine Verletzung des Art. 16a GG weitgehend ausgeschlossen wird (wovon der Fal1 der evident rechtswidrigen und unzumutbaren Entscheidung eines Instanzgerichts al1erdings ausgenommen sein dürfte); zu dieser Rechtsprechung und ihren Folgen anschaulich Alleweldt, NVwZ 1996, 1074 (1075). 36 Vgl. al1gemein zur Bindungswirkung der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen nur Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht. Rn. 439 ff. 37 Zum in anderem Zusammenhang aufgestellten generel1en Feststel1ungserfordernis für Rechtfertigungsgründe vgl. BVerfGE 88, 203 (274). 38 Zur in bezug auf das Asylgrundrecht auch hinsichtlich der einfachrechtlichen Ausgestaltung vom Bundesverfassungsgericht in Anspruch genommenen weitgehenden Prüfungsbefugnis vgl. Schlaich. Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 299 (S. 207). 39 Vgl. auch - nicht speziel1 im Hinblick auf das Asylgrundrecht -lsensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 59: "menschenrechtliche Substanz". Zur Frage, ob die Menschenrechte gemäß Art. I 11 GG Prüfungsmaßstab staatlichen Handeins sind, vgl. Jarass, in: ders.! Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. I Rn. 12 f. m. w. N.

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3. Kap.: Das Grundrecht auf Asyl als Rechtsgrundlage

Berufung auf die Wesensgehaltgarantie des Art. 19 11 GG40. Eine über die bundesverfassungsgerichtliche Prüfung hinausgehende rechtfertigende Wirkung der Menschenrechte (oder grundrechtlicher Wesensgehalte) ist im Rahmen der grundgesetzlichen Rechtsordnung nicht aktuell durchsetzbar, sondern kann sich allenfalls im Rahmen einer zukünftigen juristischen Vergangenheitsbewältigung entfalten. 41 Eine solche zukünftige Aufarbeitung der gegenwärtigen Rechtswirklichkeit in der Bundesrepublik ist freilich wohl nur theoretisch, nicht praktisch denkbar. Abgesehen davon bleibt es also bei der Möglichkeit eines kurzzeitigen, äußerstenfalls bis zur Herbeiführung einer verfassungsgerichtlichen Letztentscheidung bestehenden Selbsthilferechts aus dem Asylgrundrecht in besonderen Ausnahmefallen. Dieses Ausnahmerecht kann auch in Form des Kirchenasyls wahrgenommen werden. Durch eine Beendigung des Kirchenasyls zum Zwecke der Aufenthaltsverweigerung oder -beendigung wird in den grundrechtlichen Schutzbereich dann trotz rechtskräftiger bzw. vollziehbarer förmlicher Ablehnung des Asylschutzes ebenso eingegriffen42 wie durch eine strafrechtliche Sanktionierung des in den Schutzbereich fallenden Kirchenasyls. Ob die Kirchenasylgewährung als treuhänderische Grundrechtsausübung angesehen werden kann oder ob dies wegen der Unübertragbarkeit der Grundrechte ausgeschlossen ist,43 kann dahingestellt bleiben. Selbst wenn man die Möglichkeit einer treuhänderischen Grundrechtsausübung annimmt, führt das keineswegs zu einem eigenständigen Kirchenasylrecht, sondern es geht auch dann nur um die Geltendmachung der dem ursprünglich Betroffenen zustehenden Rechte im vorgesehenen Verfahren; ein Mehr an Rechten kann aus der bloßen Übertragung von Grundrechten nicht erwachsen, insbesondere nicht die Befugnis desjenigen, an den die Übertragung erfolgte, zur eigenmächtigen Durchsetzung (i. S. d. Selbsthilfe).44

40 Vgl. Maunz. in: ders.lDürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. 11 Rn. 25: "Die Einhaltung dieser Schranke ist gerichtlich überprütbar". 41 Zur entsprechenden juristischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, bei der (evidenten) Menschenrechtsverletzungen im nachhinein Relevanz beigemessen wurde, vgl. bes. BVerfGE 95, 96 (133, 135); zur Kritik an der menschenrechtlichen Argumentation in dieser Entscheidung vgl. Dreier, JZ 1997,421 (428). 42 Vgl. dazu schon 0., S. 115, und allgemein Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 240 m. w. N.; zum Verhältnis von Schutzbereich und Eingriff ebd., Rn. 226,236. 43 Zu möglichen Ausnahmen vom Grundsatz der Nichtwahrnehmbarkeit der Grundrechte durch Dritte vgl. Zuck, Das Recht der Verfassungsbeschwerde, Rn. 554. 44 Auch in den von v. Münch, NJW 1995,565 in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidungen geht es nur um das Problem der Selbstbetroffenheit bei gewillkürter Prozeßstandschaft im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung von Verfassungs beschwerden.

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

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B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs Von den verfahrensrechtlichen Einschränkungen abgesehen ist das Asylgrundrecht des Art. 16a GG vorbehaltlos gewährleistet. 4s Über Art. 16a lI-V GG hinausgehende (verfassungsimmanente) Einschränkungen oder Einschränkungsmöglichkeiten bestehen nicht. 46 Dies gilt ebenso für das dem Asylgrundrecht zu entnehmende Selbsthilferecht, das damit auch als Kirchenasylrecht keinen weiteren Einschränkungen unterliegt. Ein Kirchenasylrecht ergibt sich aus Art. 16a GG mithin nicht unmittelbar, aber in besonderen Ausnahmefällen unzumutbarer Nichterreichbarkeit eines effektiven staatlichen Rechtsschutzes mittelbar als Selbst- bzw. Nothilferecht. Dieses Recht ist aber von vornherein äußerstenfalls auf die Zeit bis zur Erlangung einer letztverbindlichen bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung beschränkt. Es steht dem Kirchenasylflüchtling wie dem Kirchenasylgewährer gleichermaßen zu, berechtigt beide zur Verhinderung einer staatlichen Aufenthaltsbeendigung oder -verweigerung und steht einer strafrechtlichen (oder anderweitigen) Sanktionierung dieses Verhaltens als Rechtfertigungsgrund entgegen. 47 Außer dem Bundesverfassungsgericht hat damit zunächst der über die nachträgliche Sanktionierung entscheidende Strafrichter, darüber hinaus aber gegebenenfalls auch schon ein im Rahmen des Verfahrens zur Beendigung des Kirchenasyls als spezielle richterliche Instanz eingeschalteter Haft- oder Durchsuchungsrichter dieses Recht zu beachten: Zwar haben Haft- und Durchsuchungsrichter die der beantragten Haft oder Durchsuchung zugrundeliegende materielle Rechtslage grundSätzlich nicht mitzuprüfen, wenn dafür ein anderes Gericht zuständig ist,48 aber dies gilt eben nur grundsätzlich und damit nicht im Ausnahmefall der evidenten Rechtswidrigkeit und Unzumutbarkeit der Entscheidung des für die materielle Beurteilung zuständigen Gerichts. Eine erhebliche praktische Relevanz hat dieses subsidiäre - d. h. eben nur bei einer staatlichen Grundrechtsversagung im ordentlichen Rechtsschutzverfahren (in 4S Vgl. Bonk, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 44; daneben auch schon 0., S. 118 Fn. 30 mit dem Hinweis, daß die inhaltliche Gewährleistung des Art. 16a I GG von den verfahrensmäßigen Einschränkungen des Asylgrundrechts unberührt bleiben soll. 46 Überzeugend Lübbe-Wolf, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 16a Rn. 103 m. w. N., auch zur Gegenansicht. Unklar ist allerdings die Reichweite der in Art. 16a lI-V GG selbst normierten Einschränkungen ist, insbesondere im Hinblick auf den - auch in Kirchenasylfallen u.U. relevanten (vgl. 0., S. 115 m. Fn. 16 und S. 117 m. Fn. 27) - asylrechtlichen Gehalt der Menschenwürdegarantie des Art. I I GG, vgl. dazu überblicksartig ebd., Rn. 73 f., 84 m. w. N. 41 Vgl. allgemein zum Asylgrundrecht als strafrechtlichem Rechtfertigungsgrund Aurnhammer; Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 163 ff. m. w. N. Der allgemeine, nicht speziell auf das Asylgrundrecht bezogene Hinweis von Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 58 Fn. 139 auf mögliche Notwehr oder Nothilfe bzw. ein Entfallen des Straftatbestandes des § 113 StGB bei rechtswidrigen und rechtsunwirksamen Staatsakten greift insoweit etwas zu kurz, vgl. dazu schon 0., S. 76 f. und S. 119 Fn. 33. 48 Vgl. dazu 0., S. 45 ff., und U., S. 136 m. Fn. 59.

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3. Kap.: Das Grundrecht auf Asyl als Rechtsgrundlage

dem im übrigen auch die weiteren, noch zu erörternden verfassungsrechtlichen Bestimmungen zu berücksichtigen sind) eingreifende und als durchsetzbares Recht letztlich hauptsächlich auf die Institution des Bundesverfassungsgerichts als außerordentliche Rechtsschutzinstanz für Grundrechtsverletzungen gestützte - Kirchenasylrecht angesichts seiner strengen Voraussetzungen allerdings nicht. 49 Die prinzipielle Unzulässigkeit einer eigenbestimmten und unkontrollierten Selbsthilfe in bezug auf das Asylgrundrecht ist zugleich Ausdruck des staatlichen Asylgewährungsmonopols. Dieses taugt indessen nicht als durchgreifendes Argument gegenüber einem Kirchenasylrecht jeglicher Art. Ein vom staatlichen Asylrecht (hinsichtlich Rechtsgrundlage, Verfahren und Inhalt) abweichendes Kirchenasylrecht wird durch das insoweit nicht betroffene Asylgewährungsmonopol keineswegs ausgeschlossen. so

49 Zur praktischen Bedeutsamkeit der mit der Argumentation mit dem Gedanken des "subsidiären Menschenrechtsschutzes" zusammenhängenden Motivation der Inanspruchnahme oder Gewährung von Kirchenasyl auf der einfachrechtlichen Ebene vgl. schon 0., S. 85 f., 107 f. so Vgl. bes. Bleckmann, Staatsrecht 11 - Die Grundrechte, § 37 Rn. 2; Geis, JZ 1997, 60 (61 f., 64); Grote/Kraus, JuS 1997, 345 (348) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (67 ff.); Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (63 ff.); vgl. daneben schon 0., S. 117, und noch u., S. 192 f. Zur Kennzeichnung des Umstands, daß ein Kirchenasylrecht in erster Linie als "aliud" gegenüber dem staatlichen Asylrecht in Betracht kommt, könnte man eine wegen möglicher Mißverständnisse verschiedentlich befürwortete exemplarisch Schmude. in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 15 (18); vgl. auch schon die Nachw. 0., S. 20 Fn. 12 a. E. - Ersetzung des Begriffs "Kirchenasyl" durch andere Formulierungen erwägen, wogegen allerdings entscheidend bereits die Eignung des herkömmlichen Kirchenasylbegriffs zur schlagwortartigen Bezeichnung des dahinterstehenden Phänomens spricht, vgl. dazu auch 0., S. 20 ff. Aus kirchlicher Sicht kann man dem gegen den Kirchenasylbegriff vorgebrachten Einwand möglicher Mißverständnisse darüber hinaus - unabhängig von der rechtlichen Beurteilung des Kirchenasyls im Zusammenhang mit den religiösen und speziell kirchlichen Freiheitsrechten (vgl. dazu schon 0., S. 117 mit dem Verweis auf u., S. 139 ff.) - entgegenhalten, daß die Institution des Asyls bzw. das Asylrecht als solches immerhin religiösen Ursprungs ist, vgl. dazu nur Tremmel. Grundrecht Asyl, S. 5; Wollenschläger. in: Handbuch des Asylrechts, Band I, S. 53 (56), beide m. w. N.; vgl. ferner schon 0., S.I11.

4. Kapitel

Die Unverletzlichkeit der Wohnung als Grundlage eines Kirchenasylrechts Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG hat für die Kirchenasylproblematik eine besondere Bedeutung, die sich daraus ergibt, daß die einfachrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen für mittelbare Maßnahmen zur Beendigung eines Kirchenasyls sehr eng an dieses Grundrecht angelehnt sind. l Zu untersuchen ist daher nun, ob durch eine staatliche Beendigung bzw. strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls in den Schutzbereich des Grundrechts ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung eingegriffen wird und sich aus Art. 13 GG auf diese Weise ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht ergibt.

A. Eingriff in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung I. Bestandsaufnahme

Soweit Art. 13 GG im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik erwähnt wird, ist man sich darüber einig, daß der weit auszulegende verfassungsrechtliche Wohnungsbegriff, der über Privatwohnungen hinaus beruflich genutzte Räume aller Art umfasse, auch kirchliche Räume einschließt. 2 Ergänzend wird festgestellt, eine öffentliche Zugänglichkeit kirchlicher Räume ändere an diesem Grundrechtsschutz nichts. Zur Begründung wird entweder auf den Willen der kirchlichen Hausrechtsinhaber verwiesen, deren Zutrittsgestattung - wie im übrigen auch eine entsprechende Zutrittsgestattung durch die Inhaber von Arbeits-, Betriebs- oder GeVgl. 0., S. 63 ff., 68 ff. Ausführlicher Grote/Kraus, JuS 1997,345 (350) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (73 f.)]; Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (69 f.); i.E. ohne nähere Begründung - auch Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 185; Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (614 f.); Gramlieh, in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (205); M. H. Müller, ZAR 1996, 170 (172 m. Fn. 29); Robbers, AöR 113 (1988), 30 (48); unklar Wenzel, DRiZ 1995, 7 (11); vgl. auch Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, Art. I3 Rn. 20, der im Zusammenhang mit der Feststellung der Möglichkeit einer Grundrechtsträgerschaft von juristischen Personen beispielhaft die "Kirchen beim Kirchenasyl" erwähnt. I

2

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4. Kap.: Unverletzlichkeit der Wohnung als Rechtsgrundlage

schäftsräumen - sich nicht auf ein amtliches Betreten beziehe, 3 oder man erklärt die für öffentlich zugängliche Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume anerkannten Einschränkungen des Schutzes aus Art. 13 während der Öffnungszeiten für nicht auf Kirchenräume übertragbar, weil hier der besondere, religiös begründete Zweck der Öffnung, der gemäß Art. 4 I GG erhöhten Schutz genieße, besonders ins Gewicht falle. 4 Das Eindringen von Polizeibeamten in ein Kirchengebäude wird dementsprechend bei Nichtvorliegen eines grundrechtsausschließenden Eingriffsverzichts oder einer Einwilligung als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 GG angesehen. 5 Zwar geht man ferner allgemein davon aus, daß in dem ursprünglich sakralen Status der Wohnung eine der Wurzeln des Art. 13 GG liegt. 6 Die Erörterungen zum speziellen Status kirchlicher Gebäude als ,,res sacrae" oder zu ihrem Charakter als "Heilige Orte" im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik nehmen aber auf Art. 13 GG keinen Bezug. 7 Einen speziellen Schutz kirchlicher Räumlichkeiten entnimmt man diesem Grundrecht insoweit also nicht. Ohne Verweis auf die Kirchenasylproblematik wird im Zusammenhang mit Art. 13 GG schließlich allgemein festgestellt, eine Wohnung sei nicht "Asyl" des Rechtsbrechers. 8 Bereits zur Formulierung des Art. 115 WRV ("Die Wohnung jedes Deutschen ist für ihn eine Freistätte und unverletzlich.") wurde darauf hingewiesen, daß mit der Bezeichnung der Wohnung als Freistätte ,,kein Asylrecht gewährt werden" sollte. 9

3 So Grote/Kraus, JuS 1997,345 (350) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (74)]; Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (70). 4 So Robbers, AöR 113 (1988), 30 (48). , Grote/ Kraus, JuS 1997,345 (350) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (74)]. 6 Vgl. dazu Berkemann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 1; Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 4; lIermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 1; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 13 Rn. 2 m.w.N. 7 Vgl. etwa - eine rechtliche Bedeutung der genannten Gesichtspunkte in Kirchenasylfallen pauschal verneinend - Barwig/Bauer, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 7 (11 f.); Jacobs, ZevKR 37 (1990), 25 (37); v. Münch, NJW 1995, 565; Riedel-Spangenberger, TThZ 100 (1991), 126 (140); Rothkegel, ZAR 1997, 121 (124 f.); Schütz, in: HdbStKR, Band H, S. 3 (12); ferner verschiedene kirchliche Stellungnahmen in epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 25 ff.; aus schweizerischer Sicht Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 57. Zum Begriff der ,,res sacrae" auch noch u., S. 161 Fn. 91, S. 197 f. Fn. 275. 8 So - allerdings im Rahmen der Erörterungen zu den Grundrechtsschranken - Dagtoglou, JuS 1975,753 (755); Maunz, in: ders.lDürig, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 11; vgl. daneben Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 13 Rn. 23 m. w. N., der sich kritisch zur Einordnung dieses Gesichtspunkts auf der Schrankenebene äußert und auf seine mögliche Berücksichtigung bereits auf der Schutzbereichsebene hinweist. 9 Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 115 Anm. 4 m.N.; vgl. in diesem Zusammenhang ferner Sommermeyer, JR 1990,493

A. Eingriff in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung

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11. Der Wohnungsbegriff des Art. 13 GG Vor der genauen Prüfung des Vorliegens eines Schutzbereichseingriffs in bezug auf Art. 13 GG in Kirchenasylfällen steht die Frage, ob die Räume, die als Kirchenasyl dienen, überhaupt prinzipiell als Wohnung in den Schutzbereich dieses Grundrechts fallen können. Wohnung i. S. d. Art. 13 GG ist die räumliche Privatsphäre. 10 Zum geschützten Bereich privater Lebensgestaltung werden neben Hauptwohnräumen und sonstigen Privaträumen auch kirchliche Räume gezählt. ll Für die Einbeziehung von Kirchenräumen in den Schutzbereich des Art. 13 GG spricht bereits die Tatsache, daß eine der Wurzeln des Art. 13 GG im ursprünglichen sakralen Status der Wohnung liegt. Dieser Bereich bleibt auch dann im räumlich-gegenständlichen Sinne schutzbedürftig, wenn er aus der einzelnen Privatwohnung ausgelagert und in selbständigen Kirchenräumen zusammengefaßt ist. Gerade in Kirchenräumen zieht sich der einzelne auf sich selbst zurück, so daß diese Räume sogar ein besonders wichtiger Teil der räumlichen Privatsphäre sind. Über die Kirchenräume i.e.S. hinaus gehören dabei auch zugehörige gemeindliche Räume noch in den beschriebenen Bereich privater Lebensgestaltung und werden daher ebenfalls von Art. 13 GG geschützt. Der räumliche Schutz von Religionsgemeinschaften und Kirchen kann im übrigen zwar mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 137llI 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG in Verbindung stehen, aber durchaus auch eine von Art. 13 GG allein erfaßte Bedeutung im Sinne der Schutzzwecke und -wirkungen speziell dieses Grundrechts haben. 12 Sowohl Privaträume als auch kirchliche Räume, die als Kirchenasyl dienen, fallen daher prinzipiell in den Schutzbereich des Art. 13 GG.

111. Kirchenasylbezogene staatliche Maßnahmen als Schutzbereichseingriff Zu untersuchen ist, ob kirchenasylbezogene staatliche Maßnahmen einen Eingriff in den Schutzbereich des Wohnungsgrundrechts darstellen. Ausgeschlossen sein kann ein solcher Eingriff zum einen durch eine Einwilligung des Berechtig(494). An die Formulierung des Art. 115 WRV wird bei der Umschreibung des Schutzguts des Art. 13 GG angeknüpft von Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 11. 10 BVerfGE 32, 54 (72); 65, I (40); aus der Literatur statt aller Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 872. 11 So - ohne nähere Begründung - Berkemann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 23. 12 Insoweit etwas undeutlich BVerfGE 57, 220 (243 f.), wonach "die aus dem Hausrecht der Anstalten (Art. 13 GG) [ .. . ] sich ergebenden Rechtspositionen und Abwehransprüche ihre Zusammenfassung und Konkretisierung" im kirchlichen Selbstbestimmungsrecht finden; vgl. dazu - im Rahmen der Erörterungen zu Art. 137 III I WRV i.Y.m. Art. 140 GG - auch noch u., S. 213 m. Fn. 334.

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4. Kap.: Unverletzlichkeit der Wohnung als Rechtsgrundlage

ten,13 der daher in Kirchenasylfällen einer genauen Bestimmung bedarf. 14 Darüber hinaus ist zu fragen, wie weit der Schutz aus Art. 13 GG in Kirchenasylfällen konkret reicht, ob dieser Schutz also, von der Frage des Grundrechtsverzichts abgesehen, in Kirchenasylfällen eingeschränkt iSt. 15

1. Die Grundrechtsberechtigung in bezug auf das

von Art. 13 GG geschützte Kirchenasyl

Grundrechtsberechtigt ist der tatsächliche Bewohner der geschützten Räumlichkeit; regelmäßig ist dies der unmittelbare Besitzer. 16 Bei einer Kirchenasylgewährung in einer Privatwohnung ist danach zunächst der kirchenasylgewährende private Wohnungsinhaber grundrechtsberechtigt. Die Grundrechtsberechtigung an kirchlichen Räumen steht dem tatsächlichen Inhaber, also regelmäßig der jeweiligen Kirchengemeinde, sozusagen stellvertretend für die Gemeindeglieder, deren Privatsphäre in den kirchlichen Räumen mitgeschützt wird, zu. 17 Auch als Kirchenasylgewährer bleibt die Kirchengemeinde tatsächlicher Inhaber und Nutzer der kirchlichen Räumlichkeiten und damit in jedem Falle grundrechtsberechtigt. Es fragt sich, ob die Grundrechtsberechtigung aus Art. 13 GG auch einem Kirchenasylflüchtling zustehen kann. In diesem Fall wäre ein Grundrechtsverzicht in bezug auf die Unverletzlichkeit der Wohnung auch vom Willen des Kirchenasylflüchtlings abhängig, da das Schutzbedürfnis eines Grundrechtsberechtigten nicht mit der Einwilligung eines anderen Grundrechtsberechtigten entfällt. 18 Generell können sich schwierige Abgrenzungsprobleme in bezug auf den Grundrechtsberechtigten ergeben, wenn eine Wohnung von mehreren Personen gemeinsam ge13

Vgl. dazu schon 0., S. 64, 69.

14 Allgemein wird die Abhängigkeit der Einwilligungsfrage von der Grundrechtsträger-

schaft auch betont von Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 18. Zur Bedeutung der Grundrechtsträgerschaft auf Schrankenebene vgl. noch u., S. 136 f. 15 Vgl. dazu schon 0., S. 65. 16 Vgl. Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 18 f. m. w. N., auch zur umstrittenen, etwa auch im Fall der Kirchenbesetzung bzw. Kirchenasylgewährung gegen den Willen des in Anspruch Genommenen relevanten Frage, ob die Wohnungsnutzung dabei rechtmäßig sein muß. 17 Insoweit unklar Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 25 m. Fn. 86 unter Verweisung auf BVerfGE 57, 220 (243 f.); zu dieser Entscheidung vgl. schon 0., S. 125 Fn. 12; auf sie verweist - anstelle einer Begründung für die Bejahung der Grundrechtsberechtigung von Religionsgemeinschaften - auch Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 40; vgl. auch 0., S. 123 Fn. 2 a. E. Zur Grundrechtsberechtigung speziell der als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften vgl. allgemein schon die Nachw. 0., S. 62 Fn. 179. 18 Zum diesbezüglichen Streit in Rechtsprechung und Literatur - mit eigener, letztlich differenzierender und auf Zumutbarkeitserwägungen abstellender Lösung - vgl. Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 23 f. m. w. N.; vgl. daneben schon 0., S. 71.

A. Eingriff in den Schutzbereich der Unverletzlichkeit der Wohnung

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nutzt wird;19 entscheidend sind dabei die tatsächlichen Umstände des Einzelfalles. Eine Kirchenasylgewährung führt nur dann zur Berechtigung des Flüchtlings aus Art. 13 GG, wenn das Kirchenasyl für ihn tatsächlich eine - wenn auch mit anderen Personen geteilte - räumliche Privatsphäre bildet. Davon wird man regelmäßig auszugehen haben, wenn der Aufenthalt im Kirchenasyl nicht nur von ganz kurzer Dauer ist, sondern dieses für eine gewisse Zeit sogar als einziger Aufenthaltsort den räumlichen Lebensmittelpunkt des Flüchtlings darstellt. Dies gilt unabhängig davon, ob das Kirchenasyl in einer Privatwohnung oder in kirchlichen Räumen gewährt wird. In beiden Fällen wird letztlich ein von vornherein bestehender Grundrechtsschutz aus Art. 13 GG wegen der Bedeutung der Wohnung als räumliche Privatsphäre auch auf den Kirchenasylflüchtling, der zu den ursprünglichen Grundrechtsberechtigten durch Inanspruchnahme der von diesen gewährten Zuflucht in eine vergleichbare Stellung hinzutritt, ausgedehnt. Dadurch unterscheiden sich die Kirchenasylfälle wesentlich von den hinsichtlich der Frage der Grundrechtsberechtigung umstrittenen Fällen der Unterbringung von Personen in einer Gemeinschaftsunterkunft, beispielsweise einer Unterkunft für Asylbewerber,2o mit denen sie daher auch nicht vergleichbar sind.

2. Die Reichweite des Schutzes aus Art. 13 GG in Kirchenasylf'liUen

Genauer zu untersuchen ist die Frage, ob für öffentlich zugängliche Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume gemachte Begrenzungen des Schutzes aus Art. 13 GG während der Öffnungszeiten entsprechend anwendbar sind, wenn Kirchenasyl in mindestens zeitweise öffentlich zugänglichen Kirchenräumen gewährt wird. In den genannten Fällen wird ein Schutz aus dem Wohnungsgrundrecht - unter Verweisung auf den verbleibenden Schutz aus Art. 2 I GG - weithin abgelehnt, und zwar entweder wegen mangelnder Schutzbereichsbetroffenheit oder wegen des fehlenden Eingriffscharakters eines staatlichen Eindringens.2 1 Selbst wenn man diesen Begrenzungen zustimmt, sind sie allerdings nicht auf Kirchenräume übertragbar. Anders als bei gewerblichen Räumen kann die Öffentlichkeit des Zugangs 19

Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 18 m. Fn. 57.

V gl. dazu - wobei al1erdings nicht immer ganz deutlich wird, ob speziel1 die Grundrechtsberechtigung oder überhaupt der Wohnungsbegriff angesprochen werden sol1 - Berkemann, in: Altemativkommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 18 (tendenziel1 für eine weitgehende Annahme der Grundrechtsberechtigung); Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 36 (nach der Art der Gemeinschaftsunterkunft differenzierend); aus polizeirechtlicher Sicht etwa Tegtrneyer. Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen, § 41 Rn. 12 (tendenziell für einen Ausschluß der Grundrechtsberechtigung, auch für den Fal1 des Obdachlosenasyls; ebenso die ebd., vor Rn. I abgedruckte Verwaltungsvorschrift Nr. 41.11 b) zu § 41 PoIGNW). 2\ Vgl. dazu - auch zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in BVerfGE 32, 54 (75 f.) die in der Literatur vielfach kritisierte zweitgenannte Auffassung entwickelt hat - Jarass, in: ders./ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 13 Rn. 2, 5; ausführlicher Herrnes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 20 ff. m. w. N. 20

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4. Kap.: Unverletzlichkeit der Wohnung als Rechtsgrundlage

bei kirchlichen Räumen nicht ihren Charakter als schutzwürdige räumliche Privatsphäre aufheben. Vielmehr macht die Zugangseröffnung eine umfassende Nutzung der Kirchenräume im Sinne einer räumlichen Privatsphäre für die Kirchenbesucher erst möglich. Bildet der Kirchenraum darüber hinaus für den Kirchenasylflüchtling die (einzige) räumliche Privatsphäre, so ändert die öffentliche Zugänglichkeit dieses Raums daran ebenfalls nichts. Daß der Zweck der Öffnung religiös begründet und von Art. 4 I GG geschützt wird, fällt insoweit nicht besonders ins Gewicht. Ein erhöhter Schutz im Rahmen des Art. 13 GG kann sich aus Art. 4 GG nicht ergeben. Eine Grundrechts- oder Wertkumulation kommt generell nicht in Betracht. 22 Denkbar wäre allenfalls eine Mitberücksichtigung spezifischer Gehalte des Art. 4 GG im Rahmen des Art. 13 GG. 23 Eine solche Lösung würde indessen die prinzipiell eigenständige Bedeutung beider Grundrechte gerade im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik verkennen; Art. 4 GG bedarf insoweit einer separaten Erörterung. 24 Wie zuvor gezeigt, gelten auch unabhängig von der Garantie des Art. 4 GG die für Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume gemachten Begrenzungen des Schutzes aus Art. 13 GG für Kirchenräume, die als Kirchenasyl dienen, keinesfalls entsprechend. Als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 GG ist daher jedes körperliche oder sich technischer Hilfsmittel bedienende unkörperliche Eindringen in den als Wohnung anzusehenden - privaten oder kirchlichen - Kirchenasylraum zu betrachten. 25 Dementsprechend stellt ein Eindringen staatlicher Organe zur Beendi22 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, 12. Aufl., Rn. 373 m.N. (knapper, aber i. E. unverändert in der 13. Aufl., Rn. 343). Im Verhältnis von Art. 13 GG und Art. 4 GG geht Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 13 Rn. 51 dementsprechend von einer Grundrechtskonkurrenz aus, nachdem er generell festgestellt hat, daß ..Art. 13 [ ... ] überwiegend neben [Hervorh. im Orig.] anderen Grundrechten zu prüfen" ist. Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 13 spricht demgegenüber insoweit lediglich undeutlich von ..bislang wenig geklärten Konkurrenzlagen"; unklar auch Maunz. in: ders./Dürig, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 23, der zum Verhältnis von Art. 13 GG zu Art. 4 (und 5) GG bemerkt, ..daß Handlungen, die diese Grundrechte verletzen, nicht dadurch gerechtfertigt werden können, daß sie mit dem Grundrecht der Wohnungsfreiheit begründet werden". 23 Vgl. zum Gedanken der Mitberücksichtigung spezifischer Gehalte eines Grundrechts im Rahmen eines anderen Grundrechts allgemein Jarass, in: ders./ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Vorbem. vor Art. I Rn. 18, wobei im Hinblick auf die dort angeführten Entscheidungen zu beachten ist, daß sie diese Lösung der Grundrechtskonkurrenz sämtlich allein im Zusammenhang mit Art. 3 GG vorsehen. Zur Mitberücksichtigung anderer Grundrechte im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vgl. noch u., S. 136. 24 Vgl. u., S. 226 ff. Eher denkbar als die Mitberücksichtigung eines religiösen Freiheitsrechts im Rahmen des Wohnungsgrundrechts, aber letztlich ebenso problematisch ist im übrigen umgekehrt eine Mitberücksichtigung der Unverletzlichkeit der Wohnung im Rahmen des religiösen Freiheitsrechts, vgl. dazu schon 0., S. 125 m. Fn. 12. 2S Vgl. die entsprechende allgemeine Umschreibung der möglichen Wohnungseingriffe von Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 877; ähnlich, aber weniger prägnant Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 42; Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 21 f.

B. VerfassungsrechtIiche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

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gung des Kirchenasyls ohne weiteres einen Schutzbereichseingriff dar. Die Strafbarkeit von Vorgängen innerhalb von Wohnungen, also etwa der Flucht ins oder der Gewährung von Kirchenasyl,26 kommt hingegen mangels physischer oder vergleichbarer Einwirkung nicht als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 13 GG in Betracht. 27

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs I. Bestandsaufnahme Es ist unumstritten, daß staatliche Eingriffe in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Kirchenasylfällen wie auch sonst nicht generell unstatthaft sind. Häufig sind die Ausführungen zur Schrankenfrage dabei sehr knapp gehalten. Es wird festgestellt, das Grundrecht aus Art. 13 GG verhindere nicht im übrigen rechtmäßige Verhaftungen bzw. Freiheitsbeschränkungen,28 soweit das einschlägige Verfahrensrecht beachtet und die gebotene Rücksicht auf die religiöse Widmung des Ortes genommen werde. 29 Zu den bei einer insoweit vorgenommenen Durchsuchung zu beachtenden Formalien gehöre vor allem ein richterlicher Beschluß. 30 Ergänzend wird darauf hingewiesen, daß die Polizei auch gegen den Willen des Berechtigten gemäß Art. 13 V1I GG Kirchenräume betreten könne, wenn dies zur Verhütung einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich sei. Dies sei dann der Fall, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigten, daß sich in dem Kirchenraum eine Person befinde, die vorgeführt oder in Gewahrsam genommen werden dürfe. In Fällen des Kirchenasyls dürfte diese Voraussetzung regelmäßig erfüllt sein. Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz müßten aber auch dabei die besondere Umstände des Zugriffs in einem kirchlichen Raum bedacht werden, weshalb die staatlichen Behörden prinzipiell keine Verhaftung in einen Gottesdienst hinein vornehmen dürften?)

V gl. dazu 0., S. 73 ff. V gl. auch Maunz, in: ders./ Dürig, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 11; dazu auch schon 0., S. 124 m. Fn. 8. 28 Gramlieh, in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (205). 29 Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 185 f.; ähnlich, aber ohne den religiösen Aspekt Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (615), obwohl er in Ausübung des grundrechtlieh geschützten Hausrechts getroffene Beschlüsse zur Kirchenasylgewährung - wie im übrigen auch der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vom 8. 3. 1996, S. 3 - immerhin als "beachtliche Rechtsgrundlage" kirchlichen HandeIns bezeichnet; unklar Just, in: Asyl von unten, S. 110 (132), der ohne nähere Erläuterung von einer Mißachtung des Hausrechts durch ein staatliches Eindringen in das Kirchenasyl spricht. 30 M. H. Müller, ZAR 1996, 170 (172). 26 27

9 Görisch

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4. Kap.: Unverletzlichkeit der Wohnung als Rechtsgrundlage

Von einem etwas dogmatischeren Ansatz aus wird festgestellt, die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs richteten sich nach der Art des Eingriffs. Für Durchsuchungen sei Absatz 2, für sonstige Eingriffe und Beschränkungen sei Absatz 7 des Art. l3 GG einschlägig (woraus sich ergebe, daß Durchsuchungen ohne Rückgriffsmöglichkeit auf Art. 13 vn GG nur über Art. l3 II GG gerechtfertigt werden könnten). Eine Durchsuchung sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen und Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Grundrechtsträger von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben wolle. Eine Durchsuchung wird auch bei einem öffentlich bekannten Kirchenasyl angenommen, wenn Polizeibeamte zur Festnahme eines ausländischen Kirchenasylflüchtlings zum Zwecke der Abschiebung in einen Kirchenraum eindringen. Dafür sei nach Art. l3 II GG grundsätzlich ein richterlicher Durchsuchungsbefehl erforderlich, der nur bei einer aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmenden Gefahr im Verzuge (beispielsweise bei Unaufschiebbarkeit der Abschiebung oder bei einer - im Falle des öffentlichen Kirchenasyls allerdings mit der entsprechenden Rechtsprechung zur Abschiebungshaftanordnung nach § 57 II 1 Nr. 4, 5 AuslG generell als unwahrscheinlich anzusehenden - drohenden Flucht oder drohendem Untertauchen) entbehrlich sei. 32 Zusammenfassend wird gesagt, Art. 13 GG vermittele den Kirchen keinen rechtsfreien Asylraum?3 Ablehnende ÄuBerungen zum Vorliegen eines rechtsfreien Raums in Kirchenasylfällen finden sich im übrigen vielfach unter AuBerachtlassung des raum- bzw. räumlichkeitsbezogenen Grundrechts aus Art. l3 GG. 34 Ein 31 Robbers, AöR 113 (1988), 30 (48), zum mit Art. 13 VII GG wortgleichen Art. 13 III GG a.F. (wie auch alle übrigen auf diese Bestimmung bezogenen bereits - vgl. 0., S. 68 m. Fn. 218 - und nachfolgend genannten Äußerungen). 32 Grote / Kraus, JuS 1997, 345 (350 f.) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (74 f.)], unter Bezugnahme auf OLG Köln, NVwZ 1993, 707 (zur Frage der Abschiebungshaftanordnung im Falle des öffentlichen Kirchenasyls, vgl. dazu auch 0., S. 37 ff.); knapper und unklar zum Verhältnis von Art. 13 11 und VII GG Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte Erfahrungen, S. 58 (70). 33 Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 185; vgl. allgemeiner auch schon 0., S. 124 f. m. Fn. 8 f. 34 Vgl. Flor, Politische Aktion, Kirche und Recht, S. 95 ff.; Heimbach-Steins, Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (294); Kaltenborn, DVBI. 1993,25 (26 f.); Lob-Hüdepohl, in: epdDokumentation Nr. 31/96, S. 32 (34); Winkler, FoR 1994, Nr. 3, S. 93; Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 m. w. N.; ferner Nagel, Flüchtlinge und .. Kirchenasyl", S. 27 f. Zwischen (nicht existierenden) rechtsfreien und (respektierten bzw. zu respektierenden) gewaltfreien Räumen unterscheiden Jüngel, FAZ vom 4. 6. 1994, S. 6; Theologische Fakultät der Universität Zürich, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 73 ff.; im Anschluß daran Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (206 f.) [= ders., in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 574 (599)]; ders., ZRP 1996, 97 (100); ebenso W. Huber, Gerechtigkeit und Recht, S. 418; aus einfachrechtlicher Sicht dazu auch 0., S. 66 f.; vgl. ferner - mit Blick auf den Kirchenasylgewährer - Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 92; vgl. schließlich noch u., S. 168.

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

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rechtsfreier Raum wird in bezug auf die Kirchenasylproblematik auch von kirchlicher Seite allgemein nicht in Anspruch genommen. 35 11. Die Abgrenzung der Schranken des Art. 13 11 und VII GG

Fragt man im einzelnen nach der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Schutzbereichseingriffs in Kirchenasylfällen, so ist zunächst festzustellen, welche der in Art. 13 GG enthaltenen Schrankenregelungen insoweit anzuwenden ist. Nach Art. 1311 GG dürfen Durchsuchungen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die gesetzlich vorgesehenen anderen Organe angeordnet und nur in der gesetzlich vorgeschriebenen Form durchgeführt werden. Nach Art. 13 VII GG dürfen Eingriffe und Beschränkungen im übrigen - abgesehen von der im Hinblick auf das Kirchenasyl nicht einschlägigen Regelung des Art. 13 III-VI GG - nur zur Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne Personen, aufgrund eines Gesetzes auch zur Verhütung dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorgenommen werden. Man ist sich weithin darüber einig, daß eine Durchsuchung damit nur unter den Voraussetzungen des Art. 13 TI GG möglich ist und Art. 13 VII GG insoweit verdrängt wird.3 6 Einer exakten Abgrenzung bedürfen daher die Begriffe der Durchsuchung gemäß Art. 13 TI GG, worunter bereits dem Wortlaut nach nicht nur strafprozessuale Durchsuchungen zu verstehen sind,37 und der Eingriffe und Beschränkungen im übrigen gemäß Art. 13 VII GG, worunter besonders das bloße Betreten fällt. 38 35 Vgl. exemplarisch Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vorn 8. 3. 1996, S. 2 f. (entsprechende Stellungnahmen anderer evangelischer Landeskirchen finden sich in epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 14 ff.); die Bischöfe Engelhardt und Lehmann sowie weitere Kirchenvertreter werden mit entsprechenden Äußerungen z. B. zitiert in Junge Kirche 1994, 360 ff.; vgl. auch schon Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Flüchtlinge und Asylsuchende in unserem Land, S. 34. 36 Vgl. BVerwGE 28, 285 (286 f.); daneben Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 49; Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 26; Jarass, in: ders. / Pieroth. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 13 Rn. 6 m. w. N.; daneben - in Auseinandersetzung mit der vereinzelten abweichenden Ansicht - Berkemann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 44. 37 Vgl. nur BVerwGE 28, 285 (286 ff.); Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 29 gegen Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 6, 25 ff., bes. 30, der den Begriff der Durchsuchung unabhängig von der Bedeutung dieses Begriffs allein von der Rechtsfolge des Richtervorbehalts her auslegen und - unter Bezugnahme auf die Unterscheidung von strafprozessualen und administrativen Durchsuchungen - ein nicht überfallartig erfolgendes Eindringen mangels Schutzbedürfnis in jedem Falle vorn Durchsuchungsbegriff und vorn RichtervorbehaIt ausnehmen will. 38 Vgl. zur Einordnung des bloßen Betretens - allerdings ohne zu sagen, was darunter genau zu verstehen ist, da dies maßgeblich von der Reichweite des Durchsuchungsbegriffs abhängt - unter Art. 13 VII GG nur Berkemann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 52; Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 39. Zur Abgrenzung von Durchsuchung und Betreten vgl. auch schon 0., S. 64, 68.

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4. Kap.: Unverletzlichkeit der Wohnung als Rechtsgrundlage

Inwieweit ein körperliches Eindringen staatlicher Organe in eine Wohnung mit dem Ziel der Ergreifung einer darin befindlichen Person eine Durchsuchung gemäß Art. 13 11 GG darstellt, ist umstritten. Die anerkannte verfassungs gerichtliche Definition, wonach eine Durchsuchung durch "das ziel- und zweckgerichtete Suchen staatlicher Organe nach Personen oder Sachen oder zur Ermittlung eines Sachverhalts, um etwas aufzuspüren, was der Inhaber der Wohnung von sich aus nicht offenlegen oder herausgeben will", gekennzeichnet wird,39 ist nicht sonderlich präzise. 40 Man kann diese Definition so verstehen, daß jedes Eindringen in eine Wohnung zur Ergreifung einer darin befindlichen Person ohne Einwilligung des Wohnungsinhabers (deren Vorliegen bereits einen Schutzbereichseingriff ausschließt)41 als Durchsuchung anzusehen ist, weil von einer freiwilligen "Herausgabe" der gesuchten Person in diesem Falle nicht ausgegangen werden kann. Die Definition läßt sich unter Betonung des Begriffs des Suchens aber auch so auffassen, daß eine Durchsuchung nur dann vorliegt, wenn der Wohnungsinhaber den Sachverhalt, um den es geht (also im vorliegenden Zusammenhang den Aufenthalt einer Person in der Wohnung), geheimhalten möchte bzw. wenn in seinem Eigentum "wahllos herumgewühlt" werden muß. 42 Entsprechend den unterschiedlichen Auslegungsmöglichkeiten des Durchsuchungsbegriffs in der Definition des Bundesverfassungsgerichts wird dieser Begriff auch in der Literatur unterschiedlich verstanden. So wird im Sinne der erstgenannten Auslegungsmöglichkeit festgestellt, ein Eindringen mit dem Ziel der Festnahme von Personen sei stets Durchsuchung i. S. d. Art. 13 GG. 43 Diese Konsequenz beinhaltet auch die Aussage, der Begriff der Durchsuchung sei entscheidend durch seine Zielrichtung auf ein konkretes Objekt gekennzeichnet bzw. für das Vorliegen einer Durchsuchung komme es entscheidend darauf an, ob ein staatliches Eindringen von vornherein auf bestimmte Objekte ausgerichtet sei.44 Aber auch die zweit39 Vgl. etwa BVerfGE 51, 97 (106 f.); zustimmend aus der Literatur z. B. Herdegen. in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 50; Jarass. in: ders./ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 13 Rn. 6. Auf diese Entscheidung nehmen auch GrotelKraus, JuS 1997,345 (351) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (75)] Bezug. 40 Auf Unschärfen dieser Definition weist auch Berkemann, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 52 hin; die Abgrenzung des Begriffs der Durchsuchung von Eingriffen und Beschränkungen im übrigen wird in BVerfGE 51, 97 (106) dementsprechend ausdrücklich offengelassen. 41 Vgl. schon 0., S. 125 f. 42 So ausdrücklich BVerfGE 75, 318 (327); vgl. dazu aber auch Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 28, der darauf hinweist, daß diese Aussage vereinzelt geblieben ist. In BVerwGE 47,31 (37) - auf diese Entscheidung verweisen BVerfGE 51, 97 (106 f.) und 75, 318 (327) - heißt es zur Abgrenzung der Durchsuchung vom bloßen Betreten nicht ganz eindeutig, ein Kennzeichen für eine Durchsuchung sei auch, wenn es darum gehe, "etwas nicht klar zutage Liegendes, vielleicht Verborgenes aufzudecken oder ein Geheimnis zu lüften". 43 Berkemann. in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 52. 44 Herdegen. in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 50 f.; so i. E. wohl auch Kunig. in: v. Münch / Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 13 Rn. 26, der alles, was sich innerhalb der Wohnung befindet als vor dem Zugriff des nachspähenden Staates ge-

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

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genannte Auslegungsmöglichkeit des Durchsuchungsbegriffs wird in der Literatur vertreten, indem davon ausgegangen wird, eine Durchsuchung liege nur vor, wenn die Lage des Gesuchten der Durchsuchungsbehörde unbekannt sei und vom Wohnungsinhaber auch nicht freiwillig offenbart werde. Ein Suchen sei dagegen nicht erforderlich, wenn die Lage des Gesuchten der Behörde bekannt sei, weswegen das darauf bezogene behördliche Eindringen keine Durchsuchung darstelle. 45 Soweit der zweitgenannten Auslegungsvariante eine subjektivierende Tendenz innewohnt, verdient sie nicht nur wegen der daraus folgenden beweismäßigen Schwierigkeiten Kritik. 46 Der Wille des Grundrechtsinhabers ist allein für die Frage des Grundrechtsverzichts entscheidend. Liegt ein solcher nicht vor, so ist der Schutz des Art. 13 GG in seiner Reichweite maßgeblich nach objektiven Kriterien zu bestimmen. 47 In objektiver Sicht hat der Ausschluß des Vorliegens einer Durchsuchung entsprechend der zweiten Auslegungsvariante bei einem auf ein bestimmtes Objekt gerichteten Eindringen, wenn die Lage des Objekts der Behörde bekannt ist, eine zu weitgehende Beschränkung des Schutzes aus Art. 13 11 GG auf die absolute Geheimsphäre zur Folge, die sich dem Durchsuchungsbegriff nicht entnehmen läßt. Der mit dem Durchsuchungsbegriff verbundene spezifische Charakter, aufgrund dessen und der aus ihm resultierenden besonderen Schwere des Eingriffs als spezifische Eingriffsvoraussetzung prinzipiell das Vorliegen einer richterlichen Entscheidung gefordert wird, liegt zwar vor allem darin, daß ein für die freie Entfaltung der Persönlichkeit wichtiger Lebensbereich unter Umständen bis in die - tatsächlich in besonderem Maße als Geheimsphäre anzusehende - Intimsphäre hinein ausgeforscht wird.48 Damit schützt Art. 13 11 GG indessen bei genauer Betrachtung nicht nur absolute GeheimhaItungsinteressen, sondern der Schutzumfang erstreckt sich auch auf eine potentielle Verletzung der Geheimsphäre, also auf die bloße Gefahr einer solchen Verletzung. Diese Gefahr besteht aber letztlich in allen Fällen, in denen ein körperliches Eindringen auf einen bestimmtes Objekt gerichtet ist,49 selbst wenn dessen Lage im Raum bekannt ist (mag die Eingriffsintensität in diesem Falle auch etwas geringer sein): Zwar bezieht sich der Schutz des Art. 13 GG und damit auch des Art. 13 11 GG nicht auf ein entsprechendes Durchsuchungsobjekt als solches bzw. auf die Maßschützt ansieht, wenn nicht umgekehrt der Berechtigte ihm den Schutz (i.S. eines Grundrechtsverzichts ) entzieht. 45 Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 30. 46 Vgl. Kühne, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 28 m. w. N. 47 Vgl. Kunig, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 13 Rn. 26; vgl. dazu schon 0., Fn. 44 a. E. 48 Vgl. BVerwGE 47,31 (37); daran anschließend Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 50. 49 Auch darauf stellt Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 50 f. zutreffend ab, vgl. schon 0., S. 132 m. Fn. 44.

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4. Kap.: Unverletzlichkeit der Wohnung als Rechtsgrundlage

nahmen, die sich an eine erfolgreiche Durchsuchung anschließen. 5o Mit einem auf ein bestimmtes Objekt gerichteten Eindringen ist aber immer ein gewisses Element des Suchens, an das der Begriff der Durchsuchung anknüpft und das neben dem spezifischen Charakter eines solchen Eindringens auch dessen besondere (raumbezogene) Eingriffsintensität bewirkt, verbunden. 51 Damit unterscheidet sich ein solches Eindringen wesentlich etwa von einer unspezifischen - eher oberflächlichen und damit wie ein bloßes Betreten anzusehenden - Nachschau. 52 Deutlich tritt das auch bei einem auf ein Objekt, dessen Lage bekannt ist, gerichteten Eindringen vorhandene Suchelement dann zutage, wenn die Lage des Objekts im Raum nur grob bekannt ist, wie es meistens der Fall sein wird. Insofern ergeben sich im Rahmen der zweiten Auslegungsvariante überdies schwierige Abgrenzungsfragen im Hinblick darauf, wann man überhaupt davon sprechen kann, daß die Lage des Objekts bekannt ist, oder im Hinblick auf den Fall, daß die (bekannte) Lage des Objekts im Raum nachträglich verändert wird. Von einem Suchen (mindestens im Sinne des Aufsuchens) kann man aber auch dann noch sprechen, wenn die Lage des Objekts tatsächlich einmal genau bekannt ist, so daß sich der Begriff der Durchsuchung ohne weiteres auf diese Konstellation erstrecken läßt. Die einheitliche Betrachtung aller Fälle, in denen ein staatliches Eindringen auf ein bestimmtes Objekt gerichtet ist, als Durchsuchung wird auch durch die Systematik der Abs. 2 und 7 des Art. 13 GG und den Sinn und Zweck dieser Schrankenregelung nahe gelegt. Während für die Durchsuchung im Sinne des Abs. 2 die verfahrensrechtliche Einschränkung des Richtervorbehalts besteht, stehen die sonstigen Eingriffe und Beschränkungen nach Abs. 7 unter strengen materiellen Voraussetzungen. Der eindeutige Wortlaut des Abs. 7 läßt es auch nicht zu, vom Durchsuchungsbegriff nicht erfaßte Einwirkungen nach Abs. 2 zu rechtfertigen. 53 so Vgl. dazu BVerfGE 76,83 (90 ff.); Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 29. Eine (im vorliegenden Zusammenhang irrelevante) Ausnahme gilt allenfalls dann, wenn das Objekt auf das sich das Eindringen bezieht, ortsfest in der Wohnung installiert ist, vgl. den vom VGH München, NJW 1991,688 (689) dann nach Art. 13 VII GG entschiedenen Fall der Entnahme einer Wasserprobe; vgl. zu diesem Fall auch Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 39 m. Fn. 147 f. 52 Vgl. dazu etwa BVerwGE 78, 251 (254), wo der Durchsuchungscharakter einer lebensmittelrechtlichen Nachschau allerdings zu pauschal und mit fehlerhafter Begründung - unter Bezugnahme auf die Entscheidung BVerfGE 75,318 (327) - wegen des fehlenden Geheimhaltungswillens des Grundrechtsberechtigten generell verneint wird, ohne zwischen dem sehr wohl als Durchsuchung anzusehenden Fall des auf ein konkretes Objekt gerichteten Eindringens und der als bloßes Betreten anzusehenden unspezifischen Nachschau zu unterscheiden und die maßgeblich vom Willen des Grundrechtsträgers abhängige Frage eines Grundrechtsverzichts getrennt davon zu erörtern; etwas unklar zur Einordnung der Nachschau auch Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 51 m. w. N.; weitgehend zutreffend hingegen die diesbezügliche Argumentation von Sachs, NVwZ 1987,560 f., der dabei allerdings weniger überzeugend die Nachschau immer als Durchsuchung ansieht, weil er die durchaus bestehende Möglichkeit einer unspezifischen (z. B. nur auf irgendwe1che Auffälligkeiten achtenden) Nachschau übersieht bzw. nicht anerkennt. Zum bloßen Betreten als Eingriffsmodalität vgl. schon 0., S. 131 m. Fn. 38. 51

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

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Diese Gesetzessystematik kann sich nur daraus erklären, daß zwischen Durchsuchungen und Eingriffen und Beschränkungen im übrigen ein wesentlicher Unterschied besteht. Ein solcher Unterschied liegt aber, wie zuvor gezeigt, nicht darin, daß bei einem auf ein bestimmtes Objekt gerichteten Eindringen einmal die Lage des Objektes unbekannt und ein anderes Mal bekannt ist. Daher ist auch die letztere Konstellation - neben der eindeutigen ersteren - unter den Durchsuchungsbegriff gemäß Art. 13 II GG einzuordnen, soweit die Wortbedeutung dies zuläßt (wovon, wie ebenfalls zuvor gezeigt, auszugehen ist). Wenn Art. 1311 GG ein auf ein bestimmtes Objekt gerichtetes Eindringen in Wohnungen grundsätzlich zuläßt, sofern dessen Lage im Raum unbekannt ist, wäre es widersinnig, ein solches Eindringen bei bekannter Lage - also geringerer Intensität des ansonsten gleichartigen Eingriffs - nur unter strengen inhaltlichen Voraussetzungen zuzulassen, wodurch für diesen Fall ein (im anderen Falle prinzipiell möglicher) Zugriff auf das Objekt u.U. sogar unmöglich gemacht würde. Auch dies spricht dafür, daß ein Eindringen in eine Wohnung mit dem Ziel der Festnahme von Personen stets eine Durchsuchung i. S. d. Art. 13 11 GG ist. Dieser Schrankenauslegung ist daher zu folgen. Ein staatliches Eindringen in das Kirchenasyl zur Beendigung desselben stellt mithin immer eine Durchsuchung i. S. d. Art. 13 II GG dar. 54

111. Die Anwendung des Art. 13 11 GG in Kirchenasylrällen Zu Recht wird in der Literatur, auch speziell zur Kirchenasylproblematik, darauf hingewiesen, daß Art. 13 GG ein staatliches Eindringen in eine von diesem Grundrecht geschützte Wohnung zur Ergreifung einer vorzuführenden oder in Gewahrsam zu nehmenden Person durchaus zuläßt. 55 Art. 13 11 GG stellt diese Eingriffe aber unter einen prinzipiellen Richtervorbehalt als Verfahrensanforderung.

1. Die richterliche Entscheidung nach Art. 13 II, 1. Var. GG

Der regelmäßig einfachgesetzlich konkretisierte,56 ansonsten verfassungsunmittelbar geltende 57 Richtervorbehalt nach Art. 13 11, 1. Var. GG dient vor allem der 53 Vgl. nur - allerdings fälschlich auf den ,,klaren Wortlaut von Absatz 2" verweisend Hermes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. \3 Rn. 26 f. m. umfangreichen Nachw. S4 Auch in der Entscheidung OLG Harnm, NJW 1998,463 ff. und dem zugrundeliegenden Fall wird in bezug auf das betreffende Eindringen in das öffentliche Kirchenasyl zur Festnahme des ausländischen Flüchtlings dementsprechend durchweg ohne weiteres vom Vorliegen einer Durchsuchung ausgegangen (über deren Zulässigkeit wegen Unzulässigerklärung des Rechtsmittels dann aber nicht mehr entschieden wird). 55 Insofern ist der 0., S. 124 f. m. Fn. 8 f .• angesprochene Gesichtspunkt also durchaus auch auf Schrankenebene von Bedeutung. 56 Vgl. zu den in Kirchenasylfällen einschlägigen Regelungen 0., S. 65, 70 f.

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4. Kap.: Unverletzlichkeit der Wohnung als Rechtsgrundlage

Sicherung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. 58 Der Richter darf demgemäß, ohne im Falle der Vollstreckungsdurchsuchung eine weitere Instanz zur materiellen Überprüfung der vollstreckbaren Entscheidung zu bilden, eine Durchsuchungsanordnung nur erlassen, wenn die Durchsuchung im konkreten Fall keine unverhältnismäßige Härte bedeutet. 59 Ein gänzliches Durchsuchungsverbot kann sich aber aus der Gegenüberstellung von Eingriffsmaßnahme und Wohnungsschutz im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung in Kirchenasylfällen grundsätzlich nicht ergeben. Ein Eindringen in das vom Schutz des Wohnungsgrundrechts umfaßte Kirchenasyl ist allenfalls dann nicht erforderlich und in der Abwägung mit der Unverletzlichkeit der Wohnung unzumutbar, wenn das Kirchenasyl von vornherein auf ganz kurze Zeit (z. B. einen Tag: ,,Auf einen Tag mehr oder weniger kommt es in der Regel nicht an.") beschränkt ist. Andere Grundrechte können bei der im Rahmen des Richtervorbehaltes gemäß Art. 13 11 GG vorgenommenen Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenfalls Berücksichtigung finden. 60 Dies gilt aber nur, soweit sie nicht als eigenständige Grundrechte einer anderweitigen gerichtlichen Prüfung unterliegen und damit der Prüfungsbefugnis des Durchsuchungsrichters entzogen sind.61 So betrifft beispielsweise das Eindringen in einen im Kirchenasyl gehaltenen Gottesdienst hinein maßgeblich die religiösen Freiheitsrechte, die bereits etwa im Verfahren um die Zulässigkeit einer Abschiebung zu berücksichtigen sind. 62 Ein dauerhaft überwiegendes Interesse des Wohnungsschutzes, für den speziell der Durchsuchungsrichter zuständig ist, läßt sich insoweit jedenfalls nicht feststellen, so daß sich im Hinblick darauf ein Eindringen nicht als unverhältnismäßige Härte darstellt und deshalb auch nicht etwa durch die Abhaltung von Dauergottesdiensten verhindert werden kann. 63 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung sind die Interessen aller Wohnungsinhaber zu berücksichtigen, auch wenn die Durchsuchungsanordnung nur an einen von ihnen ergeht. 64 Dies ist in Kirchenasylfällen bei Feststellung der Grund57 Vgl. zur entsprechenden Rechtsprechung und den geteilten Reaktionen in der Literatur (mit eigener kritischer Stellungnahme) Herrnes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 34

m.w.N.

58 Vgl. zu diesem Grundsatz schon 0., S. 52, 65, 70. Zu seiner dogmatischen Begründung vgl. auch noch u., S. 263. 59 BVerfGE 51, 97 (113); 57, 346 (356); Herrnes, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 13 Rn. 35.' Zum beschränkten Prüfungsumfang des Durchsuchungsrichters vgl. auch schon 0., S. 133 f. m. Fn.50. 60 Vgl. Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 57; Kunig, in: v. Münch I Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 13 Rn. 28. 61 Vgl. dazu 0., bei Fn. 59; ferner S. 121. 62 Vgl. bes. u., S. 195,223. 63 Zur (einfach)rechtIichen Relevanz der Abhaltung von Dauergottesdiensten in Kirchenasylfällen vgl. auch schon 0., S. 53. 64 Vgl. Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 13 Rn. 58; Kunig, in: v. Münch I Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 13 Rn. 30

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

137

rechtsberechtigung mehrerer Beteiligter besonders zu beachten. 65 In der Pflicht zur Berücksichtigung der Interessen aller Grundrechtsberechtigten liegt auch ein Grund dafür, daß die Durchsuchungsanordnung regelmäßig Gegenstand einer speziellen richterlichen Entscheidung sein muß. Eine Mitentscheidung über die Durchsuchungsanordnung in einem gerichtlichen Verfahren über einen anderen Gegenstand (etwa über eine Freiheitsentziehung) ist nur dann anzuerkennen, wenn der Richter die Frage der Wohnungsdurchsuchung einzelfallbezogen mitbedenkt, entscheidet und ausspricht. 66 2. Die Ausnahmeregelung des Art. 13 n, 2. Var. GG

Eine richterliche Durchsuchungsanordnung ist nach Art. 13 11, 2. Var. GG bei Gefahr im Verzuge im Rahmen gesetzlicher Vorgaben67 ausnahmsweise entbehrlich. Gefahr im Verzuge liegt vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung wegen der damit verbundenen Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde. 68 Ob in Kirchenasylfällen die Einholung einer richterlichen Anordnung den Durchsuchungserfolg gefährdet, ist im Einzelfall anhand der konkreten Umstände zu entscheiden. Dabei kann der Aufenthalt in einem öffentlichen Kirchenasyl als solcher zwar in der Tat ebensowenig immer als eindeutiges Indiz für eine direkte Weiterflucht angesehen werden wie die Flucht in ein solches Kirchenasyl bei der Prüfung des Abschiebungshaftgrundes des § 57 11 1 Nr. 5 AuslG, bei der es letztlich ebenfalls entscheidend auf die Einzelfallumstände ankommt. 69 Beachtlich ist in diesem Zusammenhang aber auch, daß ein (durch die richterliche Prüfung einer Durchsuchungsanordnung angezeigtes) unmittelbares Bevorstehen der Beendigung des Kirchenasyls durchaus eher die Gefahr einer Flucht aus dem Kirchenasyl - auch wenn es öffentlich bekannt ist - begründen kann als eine U.U. erst in ungewisser Zukunft erfolgende Abschiebung (die ohne besonderen Anlaß allein aufgrund einer gerade erfolgten Flucht ins öffentliche Kirchenasyl eben noch nicht durch Abschiebungshaft gesichert werden muß). Aus Art. 13 GG ergibt sich also weder ein Kirchenasylrecht, das einer Strafbarkeit der Beteiligten entgegensteht, noch - vom Ausnahmefall des von vornherein auf ganz kurze Zeit beschränkten Kirchenasyls abgesehen - ein solches, das ein staatliches Eindringen in das Kirchenasyl zur Beendigung desselben gänzlich unzulässig macht. Immerhin greift der Schutz des Art. 13 GG in Kirchenasylfällen Vgl. zur Frage der Grundrechtsberechtigung 0., S. 126 f. So Kunig, in: v. Münch I Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 13 Rn. 29; etwas großzügiger Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. l3 Rn. 59, heide m. w. N., auch zu abweichenden Ansichten; vgl. schon 0., S. 65, 70 f. 67 Vgl. zu den einschlägigen einfachgesetzlichen Regelungen 0., S. 65, 70. 68 BVerfGE 51,97 (111); Herdegen, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. l3 Rn. 62; Kunig, in: v. Münchl Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. l3 Rn. 32 m. w. N. 69 Vgl. insoweit zu § 57 111 Nr. 5 AuslG 0., S. 43. 6S

66

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4. Kap.: Unverletzlichkeit der Wohnung als Rechtsgrundlage

aber ein und stellt dabei auf der Schrankenebene in Art. 1311 GG einen prinzipiellen Richtervorbehalt als verfahrensmäßige Anforderung des staatlichen Eindringens in das Kirchenasyl in Form der Durchsuchung auf, dessen Nichtbeachtung eine Grundrechtsverletzung bedeutet.

5. Kapitel

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als Grundlage eines Kirchenasylrechts Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 137 m 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG spielt in der Diskussion um die rechtliche Beurteilung des Kirchenasyls eine wichtige Rolle. Diese nicht nur insoweit als bedeutsam angesehene, sondern auch allgemein als "lex regia des Staatskirchenrechtes"l bezeichnete Verfassungsgarantie ist als speziellere Regelung noch vor der "religionsrechtliche[n] Grundnonn,,2 des Grundgesetzes, nämlich der Verbürgung der Glaubensfreiheit in Art. 4 I GG, daraufhin zu untersuchen, ob sich aus ihr ein Kirchenasylrecht ergibt. Dies ist dann der Fall, wenn das Kirchenasyl tatbestandlich vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht umfaßt wird, ohne daß dessen Schranken eine staatliche Beendigung oder strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls zulassen. 3 Die der Prüfung wiederum abschnittsweise vorangestellten Bestandsaufnahmen sollen dabei nur die Grundlinien der Diskussion um die Bedeutung des Art. 137 m 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik aufzeigen. Die eingehende Erörterung der einzelnen Argumente erfolgt dann im Verlaufe der eigentlichen Prüfung im jeweiligen Sachzusammenhang. Dort ist im Sinne einer möglichst umfassenden Untersuchung gegebenenfalls auch auf anderweitig (etwa zu Art. 4 GG) geäußerte Gesichtspunkte einzugehen, sofern sie bereits für das kirchliche Selbstbestimmungsrecht von Belang sind. I M. Heckel. ZevKR 12 (1966/67), I (35 Fn. 7); vgl. schon J. Heckel. VerwArch 37 (1932),280 (292) [= ders., Das blinde, undeutliche Wort "Kirche", S. 591 (dort durch Zusammenfassung an hervorgehobene Stelle gerückt)]. 2 Herzog. in: Maunz 1Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 27. 3 Die abweichende Terminologie der Prüfungspunkte im Vergleich zur Grundrechtsprüfung, die in die Untersuchung von Schutzbereichseingriff und verfassungsrechtlicher Rechtfertigung untergliedert ist (vgl. schon 0., S. 24), erklärt sich daraus, daß Art. 137 II1 I WRV i.V.m. Art. 140 GG trotz grundrechtsähnlicher Struktur kein Grundrecht im eigentlichen Sinne enthält; ausführlicher dazu und zu den rechtlichen Konsequenzen noch u., S. 231 f. Hinsichtlich der Untergliederung der Prüfung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in tatbestandliche Voraussetzungen und Schranken - die allerdings auch in bezug auf die Grundrechte zu finden ist (vgl. etwa noch Pieroth/Schlink. Grundrechte, 12. Aufl., Rn. 214, so aber nicht mehr in der 13. Aufl., Rn. 197), zumal der Begriff der Schranken etwa auch in Art. 5 11 GG verwendet wird - ist im übrigen zu beachten, daß der Begriff des Tatbestandes in diesem Zusammenhang nicht den Gegensatz zu einer nicht weiter auslegungsbedürftigen Rechtsfolge, sondern eben zu den (sehr wohl ebenfalls auslegungsbedürftigen) Schranken bezeichnet.

140

5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts I. Bestandsaufnahme In bezug auf die Gewährung von Kirchenasyl durch kirchliche Stellen an von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bedrohte Ausländer vertritt ein Teil der Literatur die Ansicht, es handele sich dabei nicht um eine eigene Angelegenheit der Kirchen L S. d. Art. 137 III 1 WRV LV.m. Art. 140 GG. Zur Begründung wird festgestellt, eine eigene Angelegenheit der Kirchen sei nur anzunehmen, wenn keine übergreifenden Wirkungen in den weltlichen Zuständigkeitsbereich auszumachen seien; Asylgewährung sei aber nie eine unangefochtene Domäne religiöser Vereinigungen geblieben. Vielmehr seien die Kirchen der Asylhoheit des modemen Staates ebenso untergeordnet wie jeder andere Verband. 4 Zu demselben Ergebnis einer Vemeinung der tatbestandlichen Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gelangt man daneben vereinzelt mit dem Argument, dieses Recht sei dem Umfang nach auf den Bereich organisatorischer Struktur und institutioneller Stellung beschränkt. 5 Die Gegenauffassung lehnt eine Beschränkung des Begriffs der eigenen Angelegenheiten auf ein Tätigwerden mit rein innerkirchlichen Wirkungen oder im organisatorischen bzw. institutionellen Bereich ab und orientiert sich bei der Bestimmung dessen, was als eigene Angelegenheit L S. d. Art. 137 III I WRV i.V.m. Art. 140 GG anzusehen ist, am Selbstverständnis der Kirchen. Daraus ergebe sich eine Zugehörigkeit des Kirchenasyls zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen. Dafür sei unerheblich, daß ein Kirchenasylrecht weder im evangelischen noch im katholischen Kirchenrecht ausdrücklich festgeschrieben seL Auch die Streichung der Regelung des can. 1179 CIC 1917, der ein kirchliches Asylrecht normierte, im Rahmen der Codexrevision 1983 schließe die Zugehörigkeit des Kirchenasyls zum Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nicht aus. Vielmehr lasse sich die Praxis des Kirchenasyls insbesondere auf can. 1213 CIC, wonach die kirchliche Autorität ihre Vollmachten und Aufgaben an heiligen Orten frei ausübt, und auf den im christlichen Gebot der Nächstenliebe wurzelnden karitativen Auftrag der Kirchen stützen, der die Fürsorge für hilfsbedürftige Menschen und damit besonders für durch Todesstrafe oder Folter bedrohte Aüchtlinge umfasse. 6 4 Gramlieh, in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (202 ff.); Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (37 f.); Maqßen, KuR 1/1997, 37 (39 f.) = 885, 7 (9 f.); ähnlich, allerdings ohne deutlich

zu machen, ob es dabei um die Tatbestandsvoraussetzungen oder um die Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gehen soll, Renck. NJW 1997, 2089 (2090); unklar auch Rothkegel, ZAR 1997, 121 (125), der das Vorliegen einer "eigenen Angelegenheit" verneint und dennoch davon ausgeht, daß die Kirchenasylgewährung an den Schranken des Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG zu messen ist; daran anschließend Bell/Skibitzki, "Kirchenasyl" - Affront gegen den Rechtsstaat?, S. 11 f. 5 So Grote / Kraus, JuS 1997,345 (350) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (72 f.)].

A. Tatbestandliehe Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

141

11. Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

Als Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nennt Art. 137 m 1 WRV die Religionsgesellschaften, denen - was nachfolgend vorausgesetzt und nicht mehr jeweils gesondert erwähnt wird - nach der ebenfalls über Art. 140 GG ins Grundgesetz übernommenen Bestimmung des Art. 137 VII WRV die Weltanschauungsgemeinschaften gleichgestellt sind. Religionsgesellschaft i. S. d. Art. 137 m 1 WRV bzw. nach der heute üblichen Terminologie Religionsgemeinschaft oder Kirche ist ein die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses für ein Gebiet zusammenfassender Verband zur allseitigen Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben. 7 Einer genaueren Erörterung bedarf dabei zunächst der Begriff der Religion, der den Gegenstand des Zusammenschlusses zu einer Religionsgemeinschaft bildet. Zwar hat der Religionsbegriff als solcher für die Kirchenasylproblematik noch keine direkte Bedeutung, aber auch insoweit ist seine ausführliche Erörterung nicht nur wegen seiner Stellung als Zentralbegriff 6 Ausführlich B. Huber; in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (104); daran - ohne ausdrückliche Bezugnahme - anschließend Demand, Kirchenasyl- Rechtsinstitut oder Protestform, S. 30 ff.; vgl. daneben Bayer; Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 250; Kaltenborn, DVBI. 1993, 25 (26 f.); M. H. Müller; apf 1994, 189 (190); Roßkopf, AWR Bulletin 1996,93 (101 f.); sehr großzügig - unter Verweisung auf BVerfGE 24, 236 (247 f.) - Geis, JZ 1997,60 (62); vgl. ferner Robbers, AöR 113 (1988), 30 (38 ff., 43 f.) und knapper ders., in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (126); Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 70 (der wegen des Schutzes aus Art. 4 GG eine Subsumtion des Kirchenasyls unter das kirchliche Selbstbestimmungsrecht allerdings für überflüssig hält); i. E. - ohne Begründung - auch Aurnhammer; Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 185; wohl auch (im Zusammenhang mit dem kirchlichen öffentlichen Sachenrecht) Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, S. 135, der auch den Fall des ins Kirchenasyl geflüchteten Straftäters erwähnt; offenlassend Bleckmann, Staatsrecht 11 - Die Grundrechte, § 25 Rn. 38; Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (614); v. Münch, NJW 1995,565; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 520; wohl auch Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Der aktuelle Begriff Nr. 9/96 vom 7.5. 1996, S. 2; unklar Isensee, in: HdbStKR, Band 11, S. 665 (734 f.); Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (61 f. m. Anm. 16); Scholz, Welt am Sonntag vom 15.5. 1994; ders., in: Auflehnung gegen Unmenschlichkeit, S. 55; in bezug auf die Caritas, deren Berufung auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht prinzipiell zugelassen wird, ohne den Fall des Kirchenasyls insoweit besonders zu untersuchen, auch Robbers, Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 37 f., 41. 7 Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (534) unter Verweisung auf Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 137 Anm. 2; dazu auch Muckei, DÖV 1995, 311 (312), der insoweit - wie schon Wieland, Staat 25 (1986), 321 (342) - von der "klassischen Definition" spricht, sowie BVerwGE 99, I (3 f.) und die Nachw. bei Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 213; vgl. daneben ausführlich Jurina, in: HdbStKR, Band I, S. 689 (690 ff.) m. w. N.; ferner BVerfGE 83,341 (353,355); speziell zu den Begriffen "Religionsgesellschaft", "Religionsgemeinschaft" und "Kirche" auch Podlech, Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, S. 80 Fn. 14 und - vor allem mit Blick auf Art. 7 III 2 GG - Korioth, NVwZ 1997, 1041 (1046 ff.); daneben etwa Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 39 Fn. 10 m. w. N.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

der religiösen Freiheitsrechte und Grundvoraussetzung ihrer Anwendung, sondern vor allem auch wegen des naheliegenden engen Zusammenhangs mit dem später zu erörternden und für die Kirchenasylproblematik dann unmittelbar bedeutsamen Begriff der eigenen Angelegenheiten unverzichtbar. Bereits direkten Kirchenasylbezug hat die im Anschluß an die Feststellung der Voraussetzungen einer Religion bzw. Religionsgemeinschaft zu klärende Frage, in weIcher Organisationsform eine Religionsgemeinschaft handeln muß, um den Schutz des Art. 137 m 1 WRV i.Y.m. Art. 140 GG zu genießen. 1. Religion im verfassungsrechtlichen Sinne

In der Verwendung des Religionsbegriffs kommt die enge Verbindung zwischen Art. 137 ml WRV i.Y.m. Art. 140 GG und Art. 4 GG zum Ausdruck. s Als Verfassungsbegriff muß dieser Begriff für alle grundgesetzlichen Bestimmungen, für die er eine Rolle spielt, einheitlich ausgelegt werden. 9 Unter Religion oder Weltanschauung ist nach einer in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts zu findenden Definition eine mit der Person des Menschen verbundene Gewißheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens zu verstehen, wobei die Religion eine den Menschen überschreitende und umgreifende ("transzendente") Wirklichkeit zugrundelegt, während sich die Weltanschauung auf innerweltliche ("immanente") Bezüge beschränkt. 10 Nicht ausreichend sind nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Behauptung und das Selbstverständnis, daß sich eine Gemeinschaft zu einer Religion bekennt und als Religionsgemeinschaft ansieht, sondern es wird gefordert, auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, müsse es sich um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln. Dafür seien aktuelle Lebenswirklichkeit, Kulturtradition und allgemeines wie religionswissenschaftliches Verständnis bedeutsam. 11 Diesen Umschreibungen des Religionsbegriffs, die auch in der Literatur trotz des verbreiteten Hinweises auf ihre Unbestimmtheit Anerkennung finden, ist zuzustimmen. 12 Da der weltanschaulich neutrale Staat den Glauben oder Unglauben 8 Vgl. zur Diskussion um das Verhältnis der beiden Bestimmungen an dieser Stelle nur überblicksartig etwa [sale, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 201 ff. und Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 181 ff. sowie die lebhafte Aussprache in Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 17 (1983), S. 32 ff.; ferner schon 0., S. 139. 9 Mucket, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 131 m. Fn. 40. 10 BVerwGE 90, 112 (115); daran anschließend BAG, JZ 1995,951 (952). 11 BVerfGE 83,341 (353); daneben BVerfG, NVwZ 1993,357 (358); ferner BVerfGE 33, 23 (29 f.), wo (zur Überprüfung einer individuellen Glaubensüberzeugung) theologische und nicht: religionswissenschaftliche - Erkenntnisse herangezogen werden. 12 Vgl. umfassend [sale, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 201 ff., 221 f. m. Fn. 172;

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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seiner Bürger nicht bewerten darf,I3 ist eine nähere Bestimmung des verfassungsrechtlichen Religionsbegriffs nicht möglich, aber auch gar nicht notwendig: Als entscheidendes Erfordernis einer Religion ergibt sich aus den genannten Kriterien das Vorhandensein eines Gedankensystems von einer gewissen thematischen Breite und Geschlossenheit. 14 Mit der Forderung nach thematischer Breite kann dabei allerdings nicht mehr vorausgesetzt sein als eine Bezugnahme auf das Weltganze (wie sie schon der Begriff der "Welt"anschauung verlangt), so daß daraus keine Benachteiligung auf einfache Glaubenslehren gestützter Religionsgemeinschaften folgt. Auch schließt die Forderung eines geschlossenen Gedankensystems keineswegs aus, daß "eine einzige Antwort - und sei sie noch so simpel - auf alle Fragen" die Grundlage einer Religion bildet. 15 Das Mindestmaß an Geschlossenheit, das letztlich neben dem inhaltlichen Erfordernis der Bezugnahme auf das Weltganze die einzige Voraussetzung dafür darstellt, daß ein Gedankengebilde als Religion im verfassungsrechtlichen Sinne zu betrachten ist, bedeutet zum einen, daß "einzelne Erkenntnisspliuer" als solche noch nicht den Charakter einer Religion haben können. 16 Zum anderen entspricht es der an jeden Rechtsanwender zu stellenden Forderung nach "rationaler Argumentation".17 Nicht auf die Rationalität oder gar eine Richtigkeit des Ergebnisses kommt es dabei an, sondern allein auf die Wahrung logischer Grundregeln der Gedankenführung im Sinne einer Schlüssigkeitskontrolle, bei der allerdings "an die innere Konsistenz der Lehre keine besonders hohen Maßstäbe gestellt werden" dürfen. 18 Mit dieser Auslegung des Religionsbegriffs wird eine strikte Neutralität ohne weiteres gewahrt. 19

Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 131 ff. (allerdings ablehnend zur Unterscheidung von Religion und Weltanschauung), beide m. zahlreichen weiteren Nachw. aus Lit. und Rspr., auch zu abweichenden Auslegungsansätzen; daneben Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 36 ff. 13 So schon BVerfGE 12, 1 (4). Zum staatskirchenrechtlichen Neutralitätsprinzip grundlegend Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 129 ff.; ferner BVerfGE 93, 1 (16 f.); A. v. Campenhausen, in: HdbStKR, Band I, S. 47 (77 ff.). 14 Vgl. Herzog, in: Maunz/DUrig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 67, der dieses Erfordernis allerdings nicht aus Überlegungen zum Religionsbegriff als solchem gewinnt, sondern "die im abendländischen Kulturkreis bekannten Religionen" als Ausgangs- und Bezugspunkt nimmt; daran anschließend v. Mangoldt/Klein/Starcle, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 18,31; ferner BVerwGE 89, 368 (371); vgl. auch die insoweit berechtigte Kritik von Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, § 25 Rn. 16; [sale, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung flir die Auslegung staatlichen Rechts, S. 206 f.; Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 152. IS Insoweit geht die Kritik von [sale, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 207 ins Leere. 16 Anders wohl Bleckmann, Staatsrecht II - Die Grundrechte, § 25 Rn. 16; Mucket, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 152 Fn. 189; zutreffend betonen dagegen Heintschel v. Heinegg/O. Schäfer, DVBI. 1991, 1341 (1342), daß eine nur "partielle Sinnerklärung" die Voraussetzungen des Religionsbegriffs nicht erfUllt. 17 So allgemein BVerfGE 34, 269 (287); vgl. - insoweit zutreffend - auch nedemann, DÖV 1984,61 (62).

144

5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Im einzelnen ist auf die genannten Kriterien nur einzugehen, wenn der Charakter eines Glaubens als Religion bzw. einer Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft nicht offenkundig ist. 2o In diesem Falle ist bei ihrer Anwendung vom Selbstverständnis der betreffenden Gemeinschaft21 auszugehen, das vor allem als authentische Beschreibung der gedanklichen Inhalte, um deren Religionscharakter es geht und die für die Eigenschaft der Gemeinschaft als Religionsgemeinschaft entscheidend sind, nicht unberücksichtigt bleiben darf. 22 Auch in Kirchenasylfällen ist dementsprechend zu prüfen, ob auf der Seite des Kirchenasylgewährers eine Gemeinschaft steht, die einer Religion anhängt (bzw. sich ihre Pflege zur Aufgabe gemacht hat) und sich damit als Religionsgemeinschaft überhaupt auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 137 III 1 WRV i.Y.m. Art. 140 GG berufen kann. 2. Die geschützten Organisationfonnen kirchlichen Handeins

Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht steht nach Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG jeder Religionsgesellschaft zu. Der klare Wortlaut der Bestimmung schließt es aus, das Selbstbestimmungsrecht nur denjenigen Religionsgemeinschaften zukommen zu lassen, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts haben. 23 18 So Heintschel v. Heinegg/O. Schäfer; DVBI. 1991, 1341 (1342 f.); zu weitgehend demgegenüber Bleckmann, Staatsrecht 11- Die Grundrechte, § 25 Rn. 16, der rationale Begründbarkeit und logische Geschlossenheit des Gedankensystems als Voraussetzungen des Religionsbegriffs strikt ablehnt (ohne dies näher zu begründen). 19 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 31; kritisch, aber mit unklarer Begründung [sak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 207. 20 Vgl. dazu BVerfGE 83, 341 (353). Die in diesem Falle gegebene Offenkundigkeit der Religionseigenschaft macht die dortigen Ausführungen zum Religionsbegriff übrigens keineswegs zu einem bloßen obiter dictum (so aber [sak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung flir die Auslegung staatlichen Rechts, S. 66; Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 7 m. Fn. 16), sondern lediglich eine eingehende Prüfung der genannten Merkmale entbehrlich. 21 Erst in diesem Zusammenhang kommt es dann auch darauf an, daß Religionen regelmäßig "sozial geteilte Sinnsysteme" sind, was entgegen Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 42 f. für den Religionsbegriff selbst unbedeutend ist, da dieser im Rechtssinne nicht eine Glaubensbewegung, sondern einen Glaubensinhalt als gedankliches Phänomen umschreibt (wovon auch Morlok, a. a. O. ausgeht; vgl. im übrigen zum Verhältnis von Religion und Glauben Bayer; Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 43): Auch für einen einzigen - etwa den letzten - Anhänger einer bestimmten Religion bleibt diese eine Religion. 22 Vgl. zur - selten speziell im Zusammenhang mit dem Religionsbegriff, dessen Voraussetzungen eben ohnehin häufig schon offensichtlich zu bejahen oder zu verneinen sind, erörterten - Bedeutung des Selbstverständnisses bei der Auslegung der religiösen Freiheitsrechte an dieser Stelle nur überblicksartig Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 5 ff. m. w. N.

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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Unerheblich ist auch, in welcher Organisationsform eine Religionsgemeinschaft im konkreten Fall handelt. Die Religionsgemeinschaften sind nicht verpflichtet, ausschließlich als solche ihre Angelegenheiten wahrzunehmen. Die konkrete Unterstützung auch ihnen nicht unmittelbar verbundener Einrichtungen im Sinne einer Aufgabenübertragung reicht aus, um diesen gleichfalls die Trägerschaft des Selbstbestimmungsrechts zuzuerkennen (womit allerdings noch nicht entschieden ist, ob eine eigene Angelegenheit wahrgenommen wird). Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sind im Einzelfall daher auch alle den Religionsgemeinschaften auf diese Weise zuzuordnenden Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform. 24 Das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 III 1 WRV LY.m. Art. 140 GG kommt dementsprechend auch in Kirchenasylfällen zwar insbesondere den Kirchen und Religionsgemeinschaften selbst sowie ihren rechtlich selbständigen Untergliederungen bis hin zu den Kirchengemeinden ZU,25 darüber hinaus aber auch Einrichtungen sonstiger Art, soweit sie den Kirchen zuzuordnen sind. Dies gilt etwa für die Caritas 26 , einen Unterstützerkreis27 oder eine kirchlich geförderte Kirchenasylinitiative 28 , in der Regel aber nicht für Kirchenbesetzer29 • Private Kirchenasylge-

Maunz. in: ders./Dürig. Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 16 m. w. N. Vgl. Morlok. Selbstverständnis als Rechtskriterium. S. 391 f.; Muckei. Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 193 f.; ähnlich BVerfGE 46. 73 (85 ff.) m. w. N., vgl. speziell zu dieser Entscheidung auch Christoph. ZevKR 34 (1989), 406 (424); daneben etwa BVerwGE 72, 135 (138 ff.); Ehlers. in: Sachs, Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 5; Pahlke. Kirche und Koalitionsrecht, S. 91 ff.; ausführlich Schleithoff, Innerkirchliche Gruppen als Träger der verfassungsmäßigen Rechte der Kirchen, S. 123,131 ff.; unklar Wieland. Staat 25 (1986), 321 (344 f.), der nicht eindeutig zwischen der Frage der Trägerschaft des Selbstbestimmungsrechts und dem Begriff der eigenen Angelegenheiten differenziert, ohne zu erkennen, daß die Nichtwahmehmung einer Angelegenheit durch eine Religionsgemeinschaft als solche das Vorliegen einer eigenen Angelegenheit ebensowenig ausschließt wie die bloße Wahrnehmung einer Angelegenheit durch eine Religionsgemeinschaft das Vorliegen einer eigenen Angelegenheit bewirkt (vgl. dazu gerade ebd., S. 345; ausführlich dazu u., S. 146 ff.). 25 Vgl. - speziell für die katholische und die evangelische Kirche - Geis. JZ 1997, 60 (62); allgemein Hesse. in: HdbStKR, Band I, S. 521 (534). Zur Organisationsstruktur der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften Schlief, ebd., S. 347 ff., O. v. Campenhausen. ebd., 383 ff., Solte. ebd., 417 ff.; zu den privatrechtlichen Religionsgemeinschaften Jurina. ebd., S. 689 ff. 26 Vgl. (generell im Hinblick auf die Ausländerarbeit ohne direkte Bezugnahme auf das Kirchenasyl) Robbers. Ausländerarbeit der Caritas zwischen strafrechtlicher Verantwortung und verfassungsrechtlichem Schutz, S. 37; allgemeiner Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 91 f. m. w. N. 27 Vgl. beispielsweise die diesbezügliche Beschreibung von Just. in: Asyl von unten, S. 11 0 (124 ff.). 28 Vgl. Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 66 f.; daneben (zur Zusammenarbeit von Kirchenasylinitiativen und Kirchen) z. B. Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (Hrsg.), Erstinfonnation ..Kirchenasyl", S. 35 f. 23

24

10 Görisch

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

währer ohne Bezug zur Kirche genießen nicht den Schutz des Art. 137 m 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG, ebensowenig generell die Kirchenasylflüchtlinge (da sie nicht auf seiten der Kirchen tätig werden, sondern sozusagen Gegenstand der kirchlichen Tätigkeit sind).

m. Eigene Angelegenheit der Religionsgemeinschaften Nachdem festgestellt wurde, daß kirchliche Stellen in weitem Umfang Träger des Selbstbestimmungsrechts gemäß Art. 137 m 1 WRV i.Y.m. Art. 140 GG sind, ist nun zu untersuchen, ob die Gewährung von Kirchenasyl eine eigene Angelegenheit der Religionsgemeinschaften ist, um anschließend gegebenenfalls klären zu können, wie weit der durch die Begriffe des Ordnens und Verwaltens gekennzeichnete Schutzumfang des Selbstbestimmungsrechts insoweit reicht. Zu fragen ist im vorliegenden Zusammenhang zunächst, welche Umstände eine bestimmte Angelegenheit zu einer Angelegenheit einer Religionsgemeinschaft i. S. d. Art. 137 m 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG machen. Anhand dessen kann dann geprüft werden, inwieweit diese Umstände im Hinblick auf die Gewährung von Kirchenasyl gegeben sind. 1. Der Kreis der eigenen Angelegenheiten

In einem ersten Schritt ist also zu untersuchen, welche Umstände gegeben sein müssen, damit von einer Angelegenheit einer Religionsgemeinschaft auszugehen ist. Lediglich der KlarsteIlung halber soll dabei zu Beginn auf die Selbstverständlichkeit hingewiesen werden, daß es bei der Wendung "ihre Angelegenheiten" in Art. 137 m 1 WRV um einen Rechtsbegriff geht, der als solcher auch justiziabel ist. Die Entscheidungsbefugnis hinsichtlich des Vorliegens einer eigenen Angelegenheit liegt damit bei den Gerichten, letztlich also beim Bundesverfassungsgericht. 30 Welche Kriterien die Auslegung dieses Begriffs bestimmen, worauf sich die gerichtliche Entscheidungsbefugnis also im einzelnen bezieht, bedarf allerdings einer genauen Klärung. 29 Vgl. den von lust, in: Asyl von unten, S. 110 (126) berichteten Fall; dazu ferner die Kontroverse zwischen Flor und Hengesbach, Evangelische Kommentare 1980,284 ff., 605; einen Grenzfall schildert Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (607). 30 Vgl. - insoweit zutreffend - lurina, Der Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, S. 61 f.; Wieland, Staat 25 (1986), 321 (345 f.), beide allerdings mit der unzutreffenden Konsequenz, daß sich allein daraus schon die Richtigkeit oder Falschheit bestimmter Auslegungskriterien ergebe; vgl. dagegen, wiederum noch unabhängig von dem von ihnen vertretenen - und verteidigten - (entgegengesetzten) Auslegungsergebnis, Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (543 m. Fn. 73); Isale, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 149 ff. Zu generellen Problemen staatlicher Rechtsprechung im religiösen Bereich Kästner, Staatliche Justizhoheit und religiöse Freiheit, S. 4 ff. m. w. N.

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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a) Abzulehnende Extrempositionen: Bestimmung der eigenen Angelegenheiten durch Gesetzgeber oder Religionsgemeinschaften Die zur Weimarer Zeit in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, der (Landes-)Gesetzgeber habe gemäß Art. 137 VIII WRV zu bestimmen, was im einzelnen als eigene Angelegenheit der Religionsgemeinschaften anzusehen sei,31 findet heute zu Recht keine Gefolgschaft mehr. Gegen diese Ansicht spricht schon unter systematischen Gesichtspunkten entscheidend, daß danach hinsichtlich des vom Selbstbestimmungsrecht geschützten Bereichs weitergehende Einschränkungsmöglichkeiten bestehen als auf der eigentlichen Schrankenebene, d. h. die Schranke des "für alle geltenden Gesetzes" ist dann praktisch bedeutungslos. 32 Nach der heute verbreiteten extremen Gegenposition zur vorgenannten Ansicht sollen allein die Religionsgemeinschaften darüber zu bestimmen haben, was "ihre Angelegenheiten" sind. Zur Begründung wird vorgebracht, Inhalt und Umfang der eigenen Angelegenheiten der Kirchen seien in Art. 137 WRV nicht geregelt, und was nicht geregelt sei, könne auch nicht durch Auslegung ennittelt werden. Nur diese Lösung entspreche dem grundgesetzlichen Gebot religiöser und weltanschaulicher Neutralität des Staates. 33 Ebensowenig wie einer staatlichen Bestimmung durch Ausführungsgesetze kann der Bereich der eigenen Angelegenheiten i. S. d. Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG aber letztlich einer Bestimmung durch die Kirchen als Träger des Selbstbestimmungsrechts entsprechend ihrem Selbstverständnis unterliegen: Zwar ist auch die selbstverständnisbestimmte Auslegung durchaus eine Art der Auslegung, bei der die Feststellung des Selbstverständnisses Aufgabe des Rechtsanwenders bleibt. 34 Sie ist allerdings an einem rein subjektiven Maßstab ausgerichtet. 31 Vgl. PrOVG 82, 196 (204 f.) m.N.; dazu besonders Hesse. in: HdbStKR, Band I, S. 521 (538); [sak. Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Be-

deutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 28 f., 104. 32 Vgl. i.E. auch Hesse. in: HdbStKR. Band I, S. 521 (541 f.), der auf die "durch das Grundgesetz konstituierte religiöse und weltanschauliche Neutralität des Staates" verweist. In PrOVG 82, 196 (204 f.) bleibt die Abgrenzung von Schutzbereichs- und Schrankenebene unklar. 33 So Hesse. in: HdbStKR, Band I, S. 521 (540 ff.) m. w. N., vgl. dazu auch schon 0., Fn. 32; ebenso wohl Muckei. Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 192, dessen vorangegangene ausführliche und zutreffende Kritik an der allerdings ohnehin unklaren vgl. 0., S. 145 Fn. 24 - Position von Wieland. Staat 25 (1986), 321 ff. aber keine ausreichende Begründung seiner eigenen selbstverständnisbestimmten Auslegung enthält; ferner - in ausführlicher Auseinandersetzung mit verschiedenen gegen eine solche Auslegung vorgebrachten Einwänden - [sak. Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. llO ff., 201 ff.• 284 f., zugleich m. ausführlicher Literaturübersicht, ohne dabei allerdings systematisch zwischen lediglich selbstverständnisorientierter und ausschließlich selbstverständnisbestimmter Auslegung zu unterscheiden. 34 Insoweit zutreffend Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, S. 413 f.; vgl. dazu ferner schon 0., S. 146 m. Fn. 30.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Dagegen ist einzuwenden, daß auch unbestimmte Rechtsbegriffe grundsätzlich deshalb nach einem objektiven Maßstab auszulegen sind, weil sie sonst als Rechtsbegriffe weitgehend bedeutungslos sind. 35 Ein rein subjektiver Maßstab gilt allenfalls für das sich (nach ganz herrschender Meinung)36 aus Art. 2 I GG ergebende Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit, insbesondere in Anbetracht der dieser Bestimmung zugrundeliegenden Entwurfsfassung ("Jeder kann tun und lassen, was er will,,)37. Diese in der Besonderheit des Art. 2 I GG liegende Auslegung läßt sich nicht verallgemeinern, ohne die vom Verfassungstext vorgegebenen Unterschiede der einzelnen grundrechtlichen und grundrechtsähnlichen Gewährleistungen völlig zu verwischen. 38 Bei einer ausschließlich selbstverständnisbestimmten Auslegung des Begriffs "ihre Angelegenheiten" können die Religionsgemeinschaften aufgrund bloßer, wenn auch glaubhaft zu machender Beanspruchung39 jedwede Angelegenheit zu einer eigenen machen. Die eingrenzende Bedeutung, die dieser Begriff nach der Fassung des Art. 137 III 1 WRV hat und die diese Bestimmung einer Auslegung nach objektivem Maßstab zugänglich macht, geht dann - gerade auch im Hinblick auf die Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit40 - völlig verloren. Sofern man an der vom Grundgesetz vorgesehenen und daher nicht zur freien Disposition des Rechtsanwenders stehenden abgestuften Schrankensystematik festhält,41 kann man auf die unbegrenzte Schutzbe35 Vgl. Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 53 ff.; ferner MuckeI. Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 122: ,,Maxime objektiver Auslegung des sachlichen Schutzbereichs". 36 Vgl. dazu Pieroth. AöR 115 (1990), 33 ff. m. w. N. 37 Vgl. nur PierothlSchlink, Grundrechte, 12. Aufl., Rn. 401 (in der 13. Aufl., Rn. 367 wird die Entwurfsfassung nicht mehr wörtlich zitiert). 38 Anders - ohne auf eine mögliche Besonderheit des Art. 2 I GG einzugehen - Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, S. 440, der allerdings letztlich doch nur eine selbstverständnisorientierte, also unter Berücksichtigung gewisser objektiver Maßstäbe erfolgende Auslegung der Grundrechtsschutzbereiche fordert (vgl. ebd., S. 396 ff., ferner S. 442 f.). Zu beachten ist zum Ganzen, daß der herkömmliche Streit zwischen "subjektiver" und "objektiver" Auslegungstheorie - vgl. dazu Zippelius. Juristische Methodenlehre, S. 18 ff. m. w. N. dabei nicht betroffen und von der angesprochenen Problematik strikt zu trennen ist (dazu auch Morlok. a. a. 0., S. 224 f.). 39 Dazu ausführlich [sak. Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung bei der Auslegung staatlichen Rechts, S. 149 ff., der einerseits dafür etwa kirchliche Rechtssätze heranziehen will. so daß die kirchenrechtliche Normierung danach zur Begründung einer eigenen Angelegenheit in jedem Falle ausreichen müßte, andererseits allerdings spätestens unter dem Etikett der Beweiswürdigung ebenfalls objektive Kriterien aufstellt und damit seinen ausschließlich selbstverständnisbestimmten Ansatz selbst nicht konsequent durchführt (vgl. ebd., S. 162 f.), dazu auch noch u., S. 156 f. m. Fn. 76; insoweit undeutlich Hesse. in: HdbStKR. Band I, S. 521 (543 Fn. 73). 40 Vgl. etwa - zur entsprechenden Problematik in bezug auf den Schutzbereich des Art. 4 GG - Kokott. in: Sachs, Grundgesetz. Art. 4 Rn. 14 m. w. N. Auf das Problem weist im übrigen auch [sak. Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung f1ir die Auslegung staatlichen Rechts. S. 20, 30 hin, ohne daraus aber Konsequenzen zu ziehen.

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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reichserweiterung im übrigen auf der Schrankenebene nicht beliebig reagieren. Auch unter diesem systematischen Aspekt erscheint es sachgerecht, den Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts nach Möglichkeit nicht allein dem Selbstverständnis der Religionsgemeinschaften zu unterwerfen. Das Neutralitätsgebot ist dabei nicht verletzt, solange in bezug auf alle Religionsgemeinschaften ein gleicher Auslegungsmaßstab, der unabhängig von bestimmten Religionsinhalten ist, angelegt wird. b) Vermittelnde Position: Zweckbeziehung als objektiver Auslegungsmaßstab unter Berücksichtigung des kirchlichen Selbstverständnisses

Der in den abzulehnenden Extrempositionen jeweils richtig erkannten, aber übersteigerten Bedeutung der staatlichen Letztentscheidungsbefugnis in der Frage der Rechtsauslegung einerseits und des kirchlichen Selbstverständnisses andererseits wird nur eine vennittelnde Position gerecht, die die subjektive Einschätzung der Religionsgemeinschaften im Rahmen eines konkreten - unter strikter Wahrung des staatlichen Neutralitätsgebotes anzulegenden - objektiven Auslegungsmaßstabes berücksichtigt.42 Ungeeignet als objektiver Auslegungsmaßstab für den Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ist ein "ordre public"-Vorbehalt, wie er bisweilen in diesem Zusammenhang befürwortet wird.43 Ein unmittelbarer Zusammenhang 41 Dagegen Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, S. 409 f., wobei die dort konstatierte dogmatische Entwicklung hin zu einer weitgehend einheitlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung eine wesentliche Berücksichtigung der Schrankenabstufungen für die Gewichtung der beteiligten Rechtsgüter im Rahmen der dort zu treffenden Abwägungen indessen keineswegs ausschließt. Zum der angesprochenen Problematik zugrundeliegenden grundrechtstheoretischen Streit vgl. etwa die Nachw. bei Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 8 ff. m. w. N.; zur Schrankensystematik des Grundgesetzes vgl. auch ebd., S. 237 f. 42 Vgl. etwa Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 79 f. m. w. N., unter Verweisung auf BVerfGE 24, 236 (248), wo zwar allein Art. 4 II GG den Prüfungsmaßstab bildete, als solcher aber nach den genannten - vgl. 0., S. 144 f. - Kriterien immerhin auch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in Betracht kam (in diesen Zusammenhang ordnet im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit der hier dargestellten Position auch H. Weber. NJW 1983, 2541 (2551) die Entscheidung ein; dagegen allerdings ausdrücklich Pahlke, a. a. 0., S. 75), und auf BVerfGE 53, 366 (401), wo sich nicht nur bei der Schrankenauslegung, sondern schon vorhergehend die von H. Weber. a.a.O im Zusammenhang mit der Bestimmung der eigenen Angelegenheiten der Kirchen noch vermißte ausdrückliche Erwähnung des Selbstverständnisses findet (vgl. BVerfG, a. a. 0., S. 399); vgl. auch die Nachw. 0., S. 147 f. Fn. 33 a. E. (zur lediglich selbstverständnisorientierten Auslegung) und 35; mit Einschränkungen ferner Jurina, Der Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, S. 62 f. 43 Vgl. BVerfGE 70, 138 (168); Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 62 f., unter Verweisung auf die in BVerfGE 24, 236 (246) eher beiläufig verwendete "Kulturvölker"-Formel (die schon in BVerfGE 12, I (4) zu finden ist, worauf Isak, Das Selbstverständnis der

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zwischen dem ordre public und den eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften i. S. d. Art. 137 m 1 WRV besteht nicht. Den ordre public bilden letztlich - mit dem Selbstbestimmungsrecht u.U. kollidierende - Verfassungsgüter, insbesondere die Grundrechte (so ausdrücklich Art. 6 EGBGB). Er ist infolgedessen im Hinblick auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht schon auf der Schutzbereichsebene, sondern allenfalls auf der Schrankenebene zu berücksichtigen.44 Von einem objektiven Auslegungsmaßstab geht auch die Auffassung aus, wonach der Kreis der eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften maßgeblich "materiell, der Natur der Sache oder Zweckbeziehung nach" zu bestimmen ist. Dieses Kriterium wurde zunächst vom Bundesverfassungsgericht ohne Trennung zwischen Schutzbereichs- und Schrankenebene zur Bestimmung der rein innerkirchlichen Angelegenheiten verwendet, in die der Staat überhaupt nicht, also auch nicht aufgrund der Schrankenklausel des Art. 137 m 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG eingreifen darf. 45 In der Literatur wird auf diese Rechtsprechung vielfach zur generellen Bestimmung des mit dem Begriff der eigenen Angelegenheiten umschriebenen Schutzbereichs des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zurückgegriffen,46 wie es auch dem früheren Verständnis des genannten Kriteriums entspricht. 47 Genau gesehen handelt es sich bei der Natur der Sache und der Zweckbeziehung allerdings um zwei verschiedenartige Kriterien, die im Hinblick auf die Auslegung des Begriffs der eigenen Angelegenheiten voneinander getrennt zu betrachten sind: Das rein objektive Kriterium von der Natur der Sache führt zu bzw. folgt aus einer eindeutigen, ausschließlichen Zuordnung. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Umstand zutreffend folgendermaßen beschrieben: "Schlußfolgerungen ,aus der Natur der Sache' müssen begriffsnotwendig sein und eine bestimmte Lösung unter Ausschluß anderer Möglichkeiten sachgerechter Lösung zwingend fordern. Argumente aus der Natur der Sache versagen aber, wenn sich [ ... ] auch eine anKirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung einfachen Rechts, S. 59 m. Fn. 190 im Zusammenhang mit der Wiedergabe der erstgenannten Entscheidung kurz eingeht; vgl. zu dieser Formel auch noch u., S. 229 f.). 44 Vgl. Goerlich, JZ 1995,955 (957); Hollerbach, in: HdbStR, Band VI, § 138 Rn. 118; Neumann, in: Arbeitsleben und Rechtspflege, S. 353 (357 f., 367 f.); ferner Mainusch. Die öffentlichen Sachen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, S. 39 m. w. N. Entsprechend dem Ansatz in ByerfGE 41,29 (50) ist gegenüber der unbestimmten Berufung auf den ordre public im übrigen aber auch auf der Schrankenebene eine konkrete Benennung der kollidierenden Verfassungsgüter in jedem Falle vorzugswürdig. So BVerfGE 18,385 (387); 42, 312 (333 f.); vgl. dazu auch Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung. S. 184 f., der darauf hinweist, daß dieses Kriterium - das er selbst nicht weiter erörtert - inzwischen vom Bundesverfassungsgericht nicht mehr benutzt wird. 46 Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 78 m. w. N.; so wohl auch abw.M. BVerfGE 42.

4'

366/408 (410). 47

Vgl. Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland. S. 258 m.N.

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dere Lösung mit beachtlichen Gründen rechtfertigen läßt".48 Damit eignet sich das Kriterium der Natur der Sache zwar durchaus zur Feststellung des Kreises der rein innerkirchlichen Angelegenheiten, die staatlicher Einwirkung gänzlich entzogen sind. 49 Der Schrankenvorbehalt des Art. 137 m 1 WRV zeigt aber gerade an, daß eigene Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften nicht nur solche sein sollen, die eine staatliche Einwirkung wesensnotwendig ausschließen. Dementsprechend umfaßt der Schutzbereich des Selbstbestimmungsrechts nicht nur die absolut geschützten rein innerkirchlichen Angelegenheiten, sondern auch die sog. gemeinsamen Angelegenheiten, die sowohl den staatlichen als auch den kirchlichen Wirkungskreis berühren.50 Folglich kann das die gemeinsamen Angelegenheiten nicht erfassende Kriterium der ,,Natur der Sache" für die Bestimmung der eigenen Angelegenheiten letztlich nicht maßgeblich sein. Daraus folgt im übrigen speziell für das Kirchenasyl, daß dessen Eigenschaft als eigene Angelegenheit durch den bloßen Außenbezug und mögliche Regelungen auch im staatlichen Recht noch nicht entfällt. 51 Demgegenüber läßt das Kriterium der Zweckbeziehung eine Einbeziehung der gemeinsamen Angelegenheiten in den Kreis der eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften ohne weiteres zu, indem ein und dieselbe Angelegenheit eine Zweckbeziehung sowohl zum kirchlichen als auch zum staatlichen Bereich haben kann, d. h. eine Zweckbeziehung zum staatlichen Bereich schließt eine solche zum kirchlichen Bereich, die für eine eigene Angelegenheit erforderlich ist, nicht aus. 52 Gegen dieses Kriterium ergeben sich von daher also keine Einwände, so daß es zur Bestimmung des Kreises der eigenen Angelegenheiten durchaus ge48 So - im Zusammenhang mit der Gesetzgebungskompetenz kraft Natur der Sache BVerfGE 11,89 (99). Vgl. dazu auch den Hinweis von F. Müller. Strukturierende Rechtslehre, S. 105 auf die (allerdings gerade im vorliegenden Zusammenhang nicht nachvollziehbare) Begrenzung dieses Verständnisses der Natur der Sache in der Rspr. auf den Bereich der Kompetenzherleitung. 49 Insoweit zutreffend BVerfGE 18,385 (387); 42, 312 (333 f.); ferner abw.M. BVerfGE 53,366/408 (410); vgl. auch die entsprechende Argumentation von W. Weber. in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber, S. 181 (194 f.) und die auf demselben Verständnis von der Natur der Sache basierende Kritik an der vorgenannten Rspr. von lsak. Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 215 ff. m. w. N. so Vgl. BVerfGE 72, 278 (289); ferner BVerfGE 42,312 (334 f.). Zum Begriff der gemeinsamen Angelegenheiten vgl. etwa v. Mangoldt/ Klein/A. v. Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 30, 115 ff. (dessen Unterscheidung zwischen gemeinsamen und gemeinschaftlichen Angelegenheiten allerdings kaum nachvollziehbar ist); vgl. auch die präzisierende Begriffsbestimmung - nach einem einführenden Überblick über die Bestimmung des Art. 137 III I WRV LV.m. Art. 140 GG mit überzeugenden Stellungnahmen zu vielen der (hier bereits erörterten oder noch zu erörternden) Einzelfragen - von Ehlers, ZevKR 32 (1987), 158 (171 ff.); allgemein zu den Entstehungsgründen der gemeinsamen Angelegenheiten Peters, VVDStRL 11 (1954), 177 (182 ff.). SI Zutreffend Geis, JZ 1997,60 (62). 52 Vgl. schon Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, S. 260 f., der im übrigen bei seinen Ausführungen durchweg auf dieses Kriterium und nicht auf das lediglich eingangs er-

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eignet erscheint. Es ist allerdings aus sich heraus nicht ohne weiteres anwendbar und bedarf weiterer Konkretisierung, um als objektiver Auslegungsmaßstab in bezug auf den Begriff der eigenen Angelegenheiten i. S. d. Art. 137 m 1 WRV dienen zu können. S3 Nach dem Kriterium der Zweckbeziehung gehört zu den eigenen Angelegenheiten alles, was dem Zweck der Pflege der Religion dient, weil in diesem Zweck die Aufgabe der Religionsgemeinschaften besteht. S4 Es verweist also wiederum auf den Begriff der Religion. ss Ob eine bestimmte Gemeinschaft eine Religionsgemeinschaft ist, läßt sich nach den zum Religionsbegriff gemachten Ausführungen letztlich anhand der objektiven Kriterien der Bezugnahme der Glaubensinhalte auf das Weltganze sowie eines Mindestmaßes an Geschlossenheit dieser Inhalte entsch~iden.s6 Müssen nun die eigenen Angelegenheiten in einer Zweckbeziehung im beschriebenen Sinne zu den Glaubensinhalten stehen, denen die betreffende Religionsgemeinschaft anhängt, so liegt in einer Schlüssigkeitsprüfung entsprechend derjenigen zum Religionsbegriff auch das entscheidende objektive Kriterium zur Bestimmung des Kreises der eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaft: Daß eine Angelegenheit dem Zweck der Religionspflege dient, läßt sich nur dann annehmen, wenn sie einen hinreichenden Bezug zur Religion, also zu den jeweiligen Glaubensinhalten hat. Ein hinreichender Religionsbezug setzt voraus, daß sich die Angelegenheit folgerichtig und widerspruchlos in die Gesamtheit der Glaubenslehren der betreffenden Religionsgemeinschaft einordnen läßt. Im einzelnen ist dabei mit der Schlüssigkeitsprüfung zu klären, ob ein entsprechendes Selbstverständnis der Religionsgemeinschaft - das den Ausgangspunkt der Prüfung bildet nachvollziehbar ist. Dem Staat ist eine solche Feststellung der eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften ebensowenig verwehrt wie die Feststellung des Religionscharakters bestimmter Glaubensinhalte. Die Schlüssigkeitskontrolle ist zur Konkretisierung des objektiven Auslegungskriteriums der Zweckbeziehung erforderlich. Zugleich gewährleistet sie die notwendige Abgrenzung des kirchlichen Selbstbewähnte der Natur der Sache abstellt; daneben wiederum Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 215 ff., der allerdings vorweg - mit BVerfGE 18, 385 (387); 42,312 (333 f.); ferner abw.M. BVerfGE 53, 366/408 (410) - irrig davon ausgeht, auch das Kriterium der Zweckbeziehung sei auf eine ausschließliche Zuordnung angelegt (was er anschließend selbst widerlegt, ohne dieses Kriterium daraufhin noch einmal genauer zu untersuchen). 53 Vgl. - ohne Differenzierung zwischen den Kriterien der Natur der Sache und der Zweckbeziehung - Jurina, Der Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, S. 60 f.; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 78; ferner Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (541), der bereits aufgrund dessen beide Kriterien ablehnt. 54 Ebers, Staat und Kirche im neuen Deutschland, S. 258; vgl. dazu auch die Definition des Begriffs der Religionsgemeinschaft 0., S. 141. 55 Vgl. dazu schon den Hinweis 0., S. 141 f. 56 Vgl. 0., S. 142 ff.

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stimmungsrechts von der allgemeinen Handlungsfreiheit. Es kommt dabei nicht zu einer Kontrolle der inhaltlichen Richtigkeit einer Wahrnehmung bestimmter Angelegenheiten als eigener durch eine Religionsgemeinschaft; das Neutralitätsgebot ist nicht verletzt. Der Gedanke der Schlüssigkeitsprüfung im Hinblick auf das Kriterium der Zweckbeziehung trifft sich mit den in der Literatur zur Überprüfung des Selbstverständnisses einer Religionsgemeinschaft von der Zugehörigkeit einer Angelegenheit zum Kreis ihrer Angelegenheiten i. S. d. Art. 137 III 1 WRV angestellten Überlegungen einer objektiven Kontrolle, ob die Ableitung eines bestimmten Verhaltens aus einer religiösen Überzeugung zumindest "nachvollziehbar,,57 ist, ob das Selbstverständnis im Inhalt der betreffenden Religion "begründet,,58 ist bzw. ob die Behauptung des Religionsbezuges der Angelegenheit "plausibel,,59 ist. 60 Genauer zu bestimmen bleibt, welche Gesichtspunkte im einzelnen im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind. Ansatzpunkte dafür liefert noch einmal bereits der Blick auf die Kriterien zur Bestimmung der Begriffe der Religion und der Religionsgemeinschaft. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung sind für die Beurteilung des Selbstverständnisses einer sich als Religionsgemeinschaft verstehenden Gruppe die aktuelle Lebenswirklichkeit, die Kulturtradition und das allgemeine wie religionswissenschaftliche Verständnis bedeutsam. 61 Dazu passen die bereits vorher in der Literatur zur Berücksichtigung des Selbstverständnisses im Staatskirchenrecht und damit auch in bezug auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht entwickelten Gesichtspunkte des anzuerkennenden "gelebten, praktizierten, also verwirklichten,,62 Selbstverständnisses und der not57 So A. v. Campenlulusen, in: HdbStR, Band VI, § 136 Rn. 70 m. w. N., der dies allerdings durch Abwägung feststellen will (vgl. dazu die insoweit zutreffende Kritik von Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 168 Fn. 133). 58 So Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S.54f. 59 So Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 56 in einer zwar auf Art. 4 GG bezogenen Äußerung, die aber nur eine Anwendung des von ihm entwickelten allgemeinen Gedankens - vgl. Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, S. 405, wo als objektives oder objektivierendes Kriterium gegenüber der ausschließlichen Orientierung am Selbstverständnis des Grundrechtsträgers bei der Schutzbereichsbestimmung generell eine ..gewisse Plausibilität" der Grundrechtsbehauptung verlangt wird - auf die Religionsfreiheit darstellt und ebenso auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und den Begriff der eigenen Angelegenheiten übertragbar ist; unklar zur Bedeutung der Plausibilität des Selbstverständnisses Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 42, 241 f., 263. 60 Ob eine soIche Schlüssigkeitsprüfung auch von Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (543 Fn. 73) gemeint ist, wenn er - unter Verweisung auf BVerfGE 83, 341 (353) - nach Maßgeblicherklärung des Selbstverständnisses vom Erfordernis ..schlüssiger Darlegung" spricht, bleibt unklar. 61 Vgl. 0., S. 142 m. Fn. 11.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

wendigen "Kontinuität: Entwicklung nach identischen Prinzipien,,63. Schließlich wird allgemein eine Heranziehung religionswissenschaftlicher Äußerungen in der staatskirchenrechtlichen Literatur ebenfalls - wenn auch vorsichtig - für möglich gehalten, wobei daneben ebenso eine mögliche Berücksichtigung theologischer wie auch philosophischer oder soziologischer Erkenntnisse erwähnt wird. 64 Bei der Anwendung des Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG entscheidet über das Vorliegen einer eigenen Angelegenheit also die Zweckbeziehung der zu beurteilenden Angelegenheit zu den Glaubensinhalten, denen die betreffende Religionsgemeinschaft anhängt. Ob einer solche Zweckbeziehung besteht, ist (wie bei der Bestimmung des Religionsbegriffs) anhand einer vom Selbstverständnis der betreffenden Religionsgemeinschaft ausgehenden Schlüssigkeitsprüfung festzustellen, bei der es darauf ankommt, daß sich die Angelegenheit folgerichtig und widerspruchslos in die Gesamtheit der Glaubenslehren der Religionsgemeinschaft einfügt. Dies wird besonders dann regelmäßig der Fall sein, wenn sich die Angelegenheit - auch unter Berücksichtigung theologischer und religionswissenschaftlicher Erkenntnisse - aus der Kirchentradition ableiten läßt und damit in den Rahmen einer historischen Entwicklung einzuordnen iSt. 65

2. Kirchenasyl als eigene Angelegenheit

Nach diesem Maßstab ist auch zu beurteilen, inwieweit die Gewährung von Kirchenasyl eigene Angelegenheit einer bestimmten Religionsgemeinschaft ist. Im Hinblick auf die praktische Relevanz soll diese Frage exemplarisch für die beiden "Großkirchen", also evangelische und katholische Kirche,66 die als "Volkskirehen [ ... ] herkömmlich das religiöse Leben in Deutschland bestimmt haben",67 was 62 So Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 207; daran anknüpfend Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 61. 63 So Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 61; vgl. auch Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 150 ff.: "Kriterium der Tradition". 64 Vgl. Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 44 f. Zum (bes. auch gegenüber der Theologie, vgl. dazu bereits 0., S. 142 Fn. 11) abgrenzungsbedürftigen Begriff der Religionswissenschaft vgl. exemplarisch Bürkle, in: Staatslexikon, Band 4, Sp. 845 ff. 65 Entgegen Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S!' 192, der in seiner insoweit zu oberflächlichen Argumentation insbesondere den Widerspruch zu seinen eigenen, in den beiden vorstehenden Fn. nachgewiesenen Äußerungen übersieht, kann damit der "Maxime objektiver Auslegung des sachlichen Schutzbereichs" - vgl. dazu schon 0., S. 148 Fn. 35 - auch bei der Bestimmung des Begriffs der eigenen Angelegenheiten sehr wohl Rechnung getragen werden. Gerade eine besondere Berücksichtigung einer feststellbaren Kirchentradition erkennt ders., a. a. 0., S. 150 ff. durchaus an. 66 Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 74. 67 v. Mangoldt/ Klein/ A. v. Campenhausen. Das Bonner Grundgesetz, Art. 1401 Art. 137 WRV Rn. 19.

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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sich in bezug auf das Kirchenasyl entsprechend sagen läßt,68 untersucht werden. Dies heißt aber nicht, daß für andere Religionsgemeinschaften69 eine Zugehörigkeit des Kirchenasyls zu den eigenen Angelegenheiten von vornherein ausgeschlossen ist. 7o Zu beachten ist dabei allerdings, daß bei neueren religiösen Bewegungen vor allem das Fehlen einer Kirchentradition im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung eine besonders sorgfältige Überprüfung des Selbstverständnisses auf seine Übereinstimmung mit den für die betreffende Religionsgemeinschaft geltenden Glaubenslehren in ihrer Gesamtheit erforderlich machen kann. 71 Im einzelnen soll nachfolgend also untersucht werden, inwieweit das Kirchenasyl zu den eigenen Angelegenheiten der evangelischen bzw. katholischen Kirchen und Kirchengemeinden gehört. Voraussetzung dafür ist zunächst, daß sich die Gewährung von Kirchenasyl (in den verschiedenen Fallgruppen mit kirchlicher Beteiligung) nach evangelischem bzw. katholischem Selbstverständnis als Angelegenheit mit religiöser Zweckbeziehung darstellt. Läßt sich ein solches Selbstverständnis feststellen, so ist es anschließend auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, wobei vor allem darauf zu achten ist, ob sich das im kirchlichen Sinne verstandene Kirchenasyl bruchlos in eine feststellbare Kirchentradition einfügt. a) Die Bedeutung des Kirchenasyls nach kirchlichem Selbstverständnis

Mögliche Erkenntnisquellen für ein kirchliches Selbstverständnis sind kirchliche Rechtssätze und sonstige Äußerungen kirchenrechtlich zuständiger Stellen, wozu nicht nur kirchenamtliche, sondern auch formlose Verlautbarungen gehören. 72 Da68 Vgl. etwa Geis, JZ 1997,60 (62) und die dementsprechende Beschränkung der bundesweit angelegten Untersuchung zur Praxis des Kirchenasyls, von der Vogelskamp, in: Zufluchtsort Kirche, S. 5 ff. berichtet, auf evangelische und katholische Gemeinden. 69 Ein Kirchenasyl in einer altkatholischen Gemeinde ist Gegenstand der Falldarstellung von Bell/Skibitzki, "Kirchenasyl" - Affront gegen den Rechtsstaat?, S. 20. Von einer Kirchenasylgewährung durch eine freikirchliche Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten wird mit Stellungnahmen aus dieser Gemeinschaft in SZ vom 5. 9. 1996, S. 41; 14./ 15. 9. 1996, S. 51 berichtet. Kooperationen muslimischer Gemeinschaften mit christlichen Gemeinden in Kirchenasylfällen erwähnt Just, in: Asyl von unten, S. 110 (125), während Mieth, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 97 (109) sogar von einem möglichen "Moscheenasyl" spricht. Zu einer beiläufigen Äußerung der Scientology-Organisation im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl vgl. den Bericht in SZ vom 12. 9. 1996, S. 44, wobei allerdings bereits heftig umstritten ist, ob diese Organisation überhaupt eine Religionsgemeinschaft darstellt, vgl. dazu überblicksartig Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 17a m.N. 70 Eine andere Sicht läßt sich - entgegen der Unterstellung von Renck, NJW 1997,2089 (2090) - auch den Äußerungen von Geis, JZ 1997,60 (62) nicht entnehmen. 71 In diese Richtung allgemein auch Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 150 ff. (im Rahmen der Erörterung des Art. 4 11 GG). 72 Vgl. Jsak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 152 ff.; daneben Hollerbach, in: HdbStR, Band VI, § 138 Rn. 95; Jsensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 61.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

gegen sind biblische Äußerungen, obwohl die Bibel (als ius divinum) unter Umständen zu den Kirchenrechtsquellen gezählt werden kann,73 wegen ihres besonderen Charakters nur als Auslegungs- und Überprüfungskriterium des (dem ius humanum oder eben sonstigen Äußerungen zu entnehmenden) Selbstverständnisses heranzuziehen. 74 Vorweg klärungsbedürftig ist der Fall, daß mehrere Erkenntnisquellen zu widersprüchlichen Ergebnissen hinsichtlich des Selbstverständnisses bezüglich der Zweckbeziehung einer Angelegenheit führen. Unzutreffend ist es, in diesem Fall eine der Quellen als maßgeblich anzusehen und daraus dann das wirkliche Selbstverständnis zu entnehmen. Weicht etwa eine zu den formlosen oder unter Umständen sogar zu den förmlichen Äußerungen zu rechnende Kirchenpraxis von einer kirchenrechtlichen Normierung ab, so kann man nicht einfach das wirkliche Selbstverständnis der Kirchenpraxis entnehmen, solange die kirchenrechtliche Normierung nicht aufgehoben wurde (was allerdings auch im Wege der Verdrängung durch die Kirchenpraxis geschehen kann, aber nur wenn diese gewohnheitsrechtlich verfestigt ist).75 Die genannten Erkenntnisquellen stehen vielmehr gleichrangig nebeneinander. Widersprüche zwischen mehreren von ihnen sind aber festzuhalten und dann im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung zu berücksichtigen, die - wie generell - letztlich darüber entscheidet, inwieweit eine Angelegenheit zu den eigenen gehört (und welches Selbstverständnis in diesem Sinne das wirkliche ist). In diesem Zusammenhang ist zugleich noch einmal gegen die alleinige Maßgeblicherklärung des kirchlichen Selbstverständnisses für den Begriff der eigenen Angelegenheiten zu bemerken, das keinesfalls allein die beharrliche Wahrnehmung irgendeiner Angelegenheit durch eine Religionsgemeinschaft dazu fuhren kann, daß diese Angelegenheit als eigene i. S. d. Art. 137 III I WRV anzusehen ist, ohne daß es dabei auf irgendeinen Religionsbezug ankommt. 76 73 Vgl. zu Einzelheiten und auch zu insoweit bestehenden Unklarheiten etwa Schlaich, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1689 (1690); Listl, ebd., Sp. 1691 f.; E. Wolf, Ordnung der Kirche, S. 193, 458 ff. 74 Insoweit unklar Isensee, Wer definiert die Freiheitsrechte?, S. 14, der dort neben kirchlicher Lehre und Kirchenrecht das Neue Testament als Erkenntnisquelle kirchlichen Selbstverständnisses nennt. Im übrigen sind die an dieser Stelle ebenfalls selbständig erwähnten Staatskirchenverträge, die allerdings unter Umständen noch eher als die Bibel zu den Kirchenrechtsquellen gezählt werden können (vgl. dazu Erler, Kirchenrecht, S. 169 gegen E. Wolf, Ordnung der Kirche, S. 487), jedenfalls in bezug auf das Kirchenasyl unergiebig, vgl. schon 0., S. 30. 75 Anders Isak. Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung flir die Auslegung staatlichen Rechts, S. 153 f., 167 f., der für den Fall, daß sich die Kirche auf eine in der Praxis weithin nicht angewendete Norm des kanonischen Rechts beruft, von einem Vorrang der Kirchenpraxis gegenüber der kirchenrechtlichen Normierung ausgeht. 76 Dies verkennt Isak. Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung flir die Auslegung staatlichen Rechts, S. 149 ff., dessen Verweisung auf die Pflicht zum Beweis eines kirchlichen Selbstverständnisses nach den allgemeinen Beweis-

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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Für die Beurteilung der Frage, inwieweit das Kirchenasyl nach evangelischem bzw. katholischem Selbstverständnis eine Angelegenheit mit religiöser Zweckbeziehung darstellt, sind also die diesbezügliche kirchenrechtliche Rechtslage und sonstige Äußerungen nebeneinander zu betrachten, wobei mit den konkreteren sonstigen Äußerungen begonnen werden soll. Nach der dann folgenden Erörterung der kirchenrechtlichen Rechtslage soll in einer gesonderten Betrachtung noch Raum für die Klärung von Einzelfragen sein, die im Gesamtzusammenhang mit den davor getroffenen Feststellungen zum kirchlichen Selbstverständnis ebenfalls zu berücksichtigen sind. aa) Konkrete kirchliche Verlautbarungen zum Kirchenasyl Zunächst ist also zu fragen, ob das Kirchenasyl nach den in großer Anzahl existierenden konkreten kirchlichen Verlautbarungen eine religiöse Zweckbeziehung aufweist. Als formlose Verlautbarungen, in denen sich das kirchliche Selbstverständnis neben kirchenamtlichen Äußerungen 77 widerspiegelt, sind dabei vor allem gegenüber der Presse oder sonst in der Öffentlichkeit abgegebene Stellungnahmen, auch aus der unmittelbaren Kirchenasylpraxis, zu berücksichtigen. Bei öffentlichen Stellungnahmen kirchlicher Funktionsträger ist insoweit davon auszugehen, daß die Äußerungen in der jeweiligen Funktion - und nicht von den betreffenden Personen als Privatleuten - abgegeben werden. 78 Hinsichtlich der kirchenrechtlichen Zuständigkeit ist diesbezüglich etwa auf die weitestgehende Äußerungsbefugnis der Bischöfe (z. B. nach can. 381 § 1 CIC, Art. 113 GO der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck) hinzuweisen. Die bei den großen christlichen Kirchen begründen die Gewährung von Kirchenasyl in zahlreichen Stellungnahmen von Bischöfen und anderen äußerungsberechtigten Stellen auf den Ebenen der Kirchenleitung 79 und der Gemeinden 80 mit der regeln deshalb - obwohl sogar die Berücksichtigung gewisser objektiver Kriterien im Rahmen der allgemeinen Beweisregeln nicht ausgeschlossen wird - die notwendige Abgrenzung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts von der allgemeinen Handlungsfreiheit eben keineswegs gewährleisten kann, sondern lediglich die Maßgeblichkeit einer willkürlichen Behauptung eines Selbstverständnisses entgegen einer gefestigten Kirchenpraxis ausschließt (vgl. den ebd., S. 167 f. geschilderten Fall einer von der sonstigen Kirchenpraxis abweichenden, also ungleichen Behandlung eines bestimmten religiösen Vereins). Vgl. zum Ganzen ausführlich bereits 0., S. 147 ff., bes. Fn. 39. 77 Als kirchenamtliche Äußerungen erwähnt Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 159 allgemein etwa bischöfliche Rundschreiben und Synodenbeschlüsse. 78 In diese Richtung Uihlein, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 11; unklar - in anderem Zusammenhang - Haeffner. FAZ vom 10. 2. 1997, S. 6. 79 Vgl. Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Rundbrief vom 8. 3. 1996 mit Anlage und das Statement von Kardinal Sterzinsky, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 12 f.; daneben die von Gross, in: Im Schatten deiner Flügel finde ich Zuflucht (ps 57, 2), S. 16 (27 ff.) zusammengestellten bischöflichen Äußerungen; ferner die in epd-

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

kirchlichen Pflicht zum Schutze verfolgter Menschen. Darin drückt sich ein Selbstverständnis aus, demzufolge die Kirchenasylgewährung einen unmittelbaren religiösen Zweckbezug aufweist, und zwar ganz umfassend letztlich immer dann, wenn Verfolgung, Bedrängung, Ungerechtigkeit, Unmenschlichkeit droht (wobei es auf die Differenzierungen, die innerhalb dieser allgemeinen Formel vielfach noch gemacht werden, für die bloße Feststellung des Selbstverständnisses vom religiösen Zweckbezug des Kirchenasyls nicht ankommt).81 In einem Gemeinsamen Wort gehen die beiden großen Kirchen in bezug auf das Kirchenasyl ausdrücklich davon aus, daß es "von ihrem Selbstverständnis her Aufgabe der Kirchen [ist], immer dort mahnend einzugreifen, wo Rechte von Menschen verletzt sind und sich eine kirchliche Beistandspflicht für bedrängte Menschen ergibt". 82

bb) Kirchenrechtliche Beurteilung des Kirchenasyls In bezug auf das Kirchenrecht als Erkenntnisquelle kirchlichen Selbstverständnisses ist davon auszugehen, daß die kirchenrechtliche Normierung einer Angelegenheit ohne weiteres Ausdruck eines kirchlichen Selbstverständnisses von der religiösen Zweckbeziehung der Angelegenheit ist. Denn das - evangelische wie katholische - Kirchenrecht dient in allem der Erfüllung des jeweiligen kirchlichen Auftrags. 83

Dokumentation Nr. 43/94, S. 14 ff. zu findenden kirchlichen Stellungnahmen. Zur Position der EKD vgl. die - zurückhaltenden - Thesen des Rates der EKD, ebd., S. 47 ff.; dazu einerseits Just, ebd., S. 1 (6), andererseits Schmude, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 15 ff.; weitergehend die EKD-Synode, vgl. Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Bericht über die sechste Tagung der achten Synode der EKD, S. 991 (1028 f.), 1179; zu den genannten EKD-Äußerungen auch schon 0., S. 103 Fn. 140, S. 113 Fn. 9; vgl. daneben bes. noch u., bei Fn. 82. 80 V gl. die entsprechenden Schilderungen in den ausflihrlichen Einzelfalldokumentationen von Falkenberg, in: Publik-Forum Materialmappe Kirchenasyl, S. 24 ff.; Bleckwehl, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 113 ff.; Dorsch/Rosemann, ebd., S. 121 ff.; Goeken, in: Asyl von unten, S. 137 ff.; LuilBlechinger, ebd., S. 142 ff.; Müller-Münch, ebd., S. 145 ff.; Passoth, ebd., S. 149 ff.; Riemer, Diakonia 24 (1993),343 ff.; Thomä-Venske, in: Schutz für De-facto-Flüchtlinge, S. 187 ff.; Weingärtner-HennannilKeienburg, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 11 f.; Unterstützerkreis Kirchenasyl Weißenburg (Hrsg.), Leben in Angst, S. 12 ff.; daneben die Kurzdarstellungen im Rahmen der Liste kirchenasylgewährender Gemeinden bei Tocha/Drobinski (Hrsg.), Publik-Forum Materialmappe Kirchenasyl, S.20ff. 81 Vgl. v.a. noch einmal die in epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 14 ff. zu findenden kirchlichen Stellungnahmen. Einen Extremfall, der danach vom kirchlichen Schutzauftrag nicht mehr erfaßt wird, schildert Kardinal Sterzinsky, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 12 (13). 82 So Kirchenamt der EKD 1Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), " ... und der Fremdling, der in deinen Toren ist.", Ziff. 257. 83 Vgl. etwa Schlaich, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1676 (1680); Krämer, ebd., Sp. 1682 (1687).

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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An dieser Stelle ist also festzustellen, wie die Gewährung von Kirchenasyl nach kirchlichem Recht zu beurteilen ist. Insoweit ist also das Kirchenrecht für die Anwendung des staatlichen Rechts von Bedeutung und in dessen Rahmen zu berücksichtigen. 84 Dabei ist zu beachten, daß der staatliche Richter bei der Heranziehung des innerkirchlichen Rechts bestimmten Bindungen unterliegt.85 Eine insoweit etwa besonders beachtliche kirchliche Rechtsprechung oder anderweitige Einzelfallentscheidung existiert zum Kirchenasyl allerdings soweit ersichtlich nicht. Die kirchenrechtliche Beurteilung des Kirchenasyls soll nachfolgend auf der Basis der diesbezüglich geäußerten Literaturmeinungen untersucht werden, wobei zwischen dem - zum Gegenstand mehrerer ausführlicher Erörterungen gemachten - katholischen Kirchenrecht (kanonischen Recht) und dem - seltener bzw. weniger ausführlich behandelten - evangelischen Kirchenrecht zu unterscheiden ist.

(1) Kanonisches Recht

Ein ausdrückliches Kirchenasylrecht enthält das kanonische Recht nicht mehr. Im Rahmen der Codexrevision im Jahre 1983 wurde die Regelung des can. 1179 CIC 1917 gestrichen. Dazu wird in der Literatur allerdings gelegentlich bemerkt, daß insbesondere die allgemeinere Regelung des can. 1213 CIC an die Stelle des can. 1179 CIC 1917 getreten sein könnte. 86 Dagegen wird von anderer Seite aber auf die Entstehungsgeschichte des aktuellen CIC verwiesen, wonach die in can. 1179 CIC 1917 enthaltene Normierung des kirchlichen Asylrechts ersatzlos gestrichen werden sollte. 87 Bei eingehenderer Untersuchung der angesprochenen Problematik wird der Blick zunächst darauf gerichtet, daß die Asylregelung des CIC 1917 im Abschnitt über die Heiligen Orte zu finden war. Dementsprechend habe der Sinn der Regelung vor allem im Schutz der kirchlichen Hoheit über die sakralen Stätten gelegen. Daher stehe auch die bewußt erfolgte Streichung der Asylvorschrift in diesem Sinnzusammenhang. Zwar ergebe sich daraus die Unzulässigkeit einer Heranziehung des - wiederum im Abschnitt über die Heiligen Orte stehenden - can. 1213 CIC als Auffangtatbestand für das Asylrecht in Kirchen. Genuin kirchlicher Rechtsinhalt des Kirchenasy Is sei aber seit jeher der Schutz verfolgter Personen im Sinne eines Interzessionsrechts, worauf sich can. 1179 CIC 1917 nicht unmittelbar V gl. dazu allgemein Schlaich, Neutralität als verfassungsrechtliches Prinzip, S. 188. Dazu ausführlich [sale, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 154 ff. 86 Vgl. Gramlieh. in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (200); Robbers. AöR 113 (1988),30 (38 f.); Kaltenborn. DVBI. 1993,25 (26) m. w. N. 87 Vgl. Aurnhammer. Spezielles Ausländerstrafrecht. S. 184 f.; GÖbel. Das Verhältnis von Kirche und Staat nach dem Codex Iuris Canonici des Jahres 1983, S. 123 ff.; Theler. in: Kirche und Asyl. S. 27 (32 f.); Jacobs. ZevKR 35 (1990), 25 (32 ff.) m. w. N.; vgl. auch Reinhardt. in: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici. can. 1213 Rn. 2. 84

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

bezogen habe und folglich auch die Streichung dieser Vorschrift nicht beziehe. Ein fortgeltendes kanonisches Kirchenasylrecht könne sich also durchaus - immerhin andeutungsweise - aus solchen Normen ergeben, die den kirchlichen Schutz Verfolgter regelten, so aus can. 225 § 2 bzw. 222 § 1 CIC für alle Christgläubigen, aus can. 383 und 394 CIC rur den Diözesanbischof, in besonderer Weise aus can. 529 § 1 CIC für den Pfarrer und schließlich aus can. 747 § 2 CIC rur die Kirche als ganze. 88 Insoweit ist möglicherweise auch can. 839 § 1 CIC zu berücksichtigen, der (wie can. 222 § 1 CIC) von der Caritas-Verpflichtung handelt. Vereinzelt wird schließlich darauf hingewiesen, daß der 1993 erschienene Katechismus der katholischen Kirche mit der unmittelbaren Aufeinanderfolge der Ziff. 2241 und 2242 unter dem Gesichtspunkt des Verfolgtenschutzes gleichfalls eine zumindest im Ansatz kirchenasylfreundliche Position vertritt. 89 Die exakte kirchenrechtliche Qualifizierung dieses Katechismus ist allerdings unklar. 90 Demzufolge läßt sich das kanonische Recht zwar nicht (mehr) unter dem räumlich-gegenständlichen Gesichtspunkt der Exemtion kirchlicher Stätten von der staatlichen Hoheitsgewalt wegen ihres sakralen· Charakters kirchenasylfreundlich auslegen. Möglich ist eine solche Auslegung aber sehr wohl (weiterhin) unter dem personal-handlungsbezogenen Gesichtspunkt des kirchlichen Auftrags der Schutzgewährung gegenüber Verfolgten. Insofern ergibt sich aus dem kanonischen Recht also jedenfalls kein den zuvor behandelten konkreten Äußerungen widersprechendes Selbstverständnis bezüglich der religiösen Zweckbeziehung des Kirchenasyls. (2) Evangelisches Kirchenrecht

Das evangelische Kirchenrecht kennt keine Vorschriften über den Schutz der Heiligkeit kirchlicher Räume. 91 Es enthält aber in den Kirchenverfassungen ver88 Riedel-Spangenberger. TThZ 100 (1991), 126 (137 ff.); in diese Richtung auch Guth. in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 47 (50 ff.), der allerdings unter Verweisung auf can. 6 § 2 eIe - vgl. zur dort in Bezug genommenen kanonischen Tradition daneben noch u., S. 163 ff. - und die offizielle Ausgabe des Quellencodex überdies eine Heranziehung des can. 1213 eIe für möglich hält (vgl. dazu auch Rothkegel. ZAR 1997, 121 (125), der wohl - unter Verkennung der kirchlicherseits keineswegs verbindlich entschiedenen Uneinigkeit über die Auslegung des can. 1213 eIe - davon ausgeht. daß dies die ..offizielle" kirchliche Position ist); daran anschließend Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls. S. 17 ff.; ferner Roßkopf, AWR Bulletin 1996,93 (101 f.); unklar M. H. Müller. Das .. Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. I Fn. 2 und S. 4 m. Fn. 21, der einerseits wohl von einer kirchenrechtlichen Beistandspflicht ausgeht, aber andererseits ein Kirchenasylrecht im kirchlichen Recht von vornherein verneint. 89 Vgl. Uihlein. in: Asyl am Heiligen Ort. S. 131 (140 f.); ferner Gross. in: Im Schatten deiner Flügel finde ich Zuflucht (Ps 57, 2), S. 16 (23 f.); Lang. in: Wir wollen, daß ihr bleiben könnt, S. 51 (54); Pilgram. ebd., S. 161 (164). 90 Vgl. dazu ausführlich Riedel-Spangenberger. KNA Ökumenische Information 44 (27.10. 1993), S. 14 f.

A. Tatbestandliehe Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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schiede ne allgemeine - und auslegungsfahige - Normierungen der kirchlichen Verpflichtung zu karitativem bzw. diakonischem Wirken (so in Art. 15 I GO der EKD; ebenso in den im einzelnen unterschiedlichen landeskirchlichen Regelungen, wie etwa Art. 86 GO der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und besonders Art. 36 I Nr. 3 derselben GO, wo eine spezielle Schutzverpflichtung des Kirchenvorstands - ähnlich der des can. 529 § I CIC für die katholischen Pfarrer - normiert ist). Kirchenrechtliche Äußerungen, die im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl auf diese - dem kanonischen Recht in vielem entsprechenden - Rechtssätze eingehen, gibt es nur ganz vereinzelt. 92 Überwiegend finden sich unter dem Etikett des Kirchenrechts statt dessen nur allgemeine Erörterungen, in deren Rahmen zwar auf den fehlenden Schutz der Heiligkeit kirchlicher Räume hingewiesen, aber daneben unter Bezugnahme auf solche kirchlichen Äußerungen, die keineswegs zu den positiven Rechtsquellen zählen, sondern - wie etwa Denkschriften, Thesen oder synodale Meinungsbeschlüsse - allenfalls als Auslegungshilfen von kirchenrechtlicher Bedeutung sind,93 mehr auf theologische als auf kirchenrechtliche Gesichtspunkte eingegangen wird. 94 Ansatzweise finden sich auch darüber hinausgehende kirchenrechtliche Überlegungen zur Kirchenasylproblematik. Von lediglich rechtspolitischer Bedeutung ist dabei der - bislang auf wenig Resonanz gestoßene - Vorschlag einer Institutionalisierung des Kirchenasyls im evangelischen Kirchenrecht, die ihre Wurzeln übrigens ebenfalls im Gedanken des Verfolgtenschutzes und nicht im Schutz der Heiligkeit kirchlicher Räume haben soll.95 Die Frage der Rechtswidrigkeit des Kirchenasyls nach innerkirchlichem Recht aufgrund von Vorschriften, die die Überlassung kirchlicher Räume zu anderen als gottesdienstlichen Veranstaltungen nur bei Wahrung der Bestimmung des Raumes 91 Unerheblich ist insoweit, daß auch evangelische Kirchenräume "res sacrae" (vgl. dazu schon 0., S. 124) darsteUen können, da dieser Begriff heute keine innerkirchliche, sondern eine staatskirchenrechtliche RechtssteUung bezeichnet, vgl. Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, S. 8 ff.; Schütz. in: HdbStKR, Band 11. S. 3 ff. 92 Vgl. Geis. JZ 1997.60 (63). 93 Vgl. dazu aUgemein A. Stein, Evangelisches Kirchenrecht, S. 36. 94 Vgl. z. B. Kaltenborn. DVBI. 1993, 25 (26); Robbers, AöR 113 (1988), 30 (40), der überdies unzutreffend auf E. Wolf. Ordnung der Kirche, S. 326 verweist (wo es nicht um das evangelische, sondern um das katholische Kirchenrecht geht); ausdrücklich von theologischen Überlegungen spricht insoweit immerhin Roßkopf, AWR BuUetin 1996, 93 (102). Zu den Äußerungsformen der thesenförmigen (EKD-)Denkschrift und des synodalen Meinungsbeschlusses vgl. schon 0., S. 157 m. Fn. 79. 95 Reute" Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (206 f.) [= ders., in: Das Recht der Kirche. Band III, S. 574 (598 f.)] und - optisch (Groß-/Kleindruck) verdeutlicht - ders .• ZRP 1996, 97 (100); zustimmend Guth. in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen. S. 47 (53); kritisch Barth, in: epd-Dokumentation Nr. 41/96, S. 11 (18 Anm. 8); ablehnend Ehnes. in: Das Recht der Kirche, Band III. S. 601 (614.619); offenlassend Jacobs, KuR 2/1995,69 (73) 991. 1 (5).

=

11 Görisch

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

zulassen,96 hängt maßgeblich davon ab, ob sich das Kirchenasyl mit dem kirchlichen Auftrag in Einklang bringen läßt. 97 Auch dort geht es also um die religiöse Zweckbeziehung. Für den innerkirchlichen Bereich kann die Kirche diese aber gänzlich nach ihren eigenen Maßstäben feststellen. Eine Kirchenasylgewährung ist demnach allenfalls einer kircheninternen Prüfung auf ihre Vereinbarkeit mit den evangelischen Glaubensinhalten zu unterziehen. Es zeigt sich damit, daß die Anwendung von lediglich mittelbar religionsbezogenen Vorschriften der genannten Art letztlich von Vorfragen abhängig ist, die unmittelbar mit dem kirchlichen Auftrag zu tun haben. Ob das Kirchenrecht selbst - neben den sonstigen Äußerungen Aussagen zu diesen Vorfragen enthält, ist der eigentliche Gegenstand dieser kirchenrechtlichen Untersuchung. Die Vorschriften, die die Zulässigkeit der Überlassung kirchlicher Räume von der Einhaltung des kirchlichen Auftrags abhängig machen, enthalten jedenfalls keine eigenständigen Aussagen zur kirchenrechtlichen Zulässigkeit speziell des Kirchenasyls. Für die Ermittlung des evangelischen Selbstverständnisses von der religiösen Zweckbeziehung des Kirchenasyls im Rahmen des Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG sind sie damit unbeachtlich. Die Augsburgische Konfession ist im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik zwar auch Gegenstand eher theologischer Überlegungen,98 sie findet aber ebenso im Rahmen kirchenrechtlicher Ausführungen Erwähnung. 99 Inwiefern die Bekenntnisschriften zu den Kirchenrechtsquellen gehören, ist allerdings unklar. loo Jedenfalls lassen sich mit den in ihnen enthaltenen Aussagen inhaltlich sogar entgegengesetzte Positionen in der Kirchenasylfrage begründen. Auf der einen Seite wird der "Lehre von den zwei Regimenten" nach Art. XXVIII CA eine Ablehnung des Kirchenasyls entnommen. IOI Auf der anderen Seite wird Art. XVI CA a. E. ("Wenn man ... den Anordnungen der Regierenden nicht ohne Sünde folgen kann ... ") als Rechtfertigung des Kirchenasyls verstanden. 102 Beide Positionen vernach96 Vgl. - unter Verweisung auf § 28 III KGO der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau - Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (42), der die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit als Frage des Einzelfalls ansieht; ferner Robbers, AöR 113 (1988), 30 (41 f.), auch zu davon zu unterscheidenden reinen Zuständigkeitsfragen. Zu den der genannten Bestimmung entsprechenden Normen in den anderen Landeskirchen vgl. die allgemeine Übersicht bei Dehnen, ZevKR 40 (1995), 1 (9 ff.). 97 Sehr oberflächlich und wenig eindeutig dazu Dehnen, ZevKR 40 (1995),1 (14 f.). 98 So in These 5 der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland, in: Asyl in der Gemeinde, S. 52 (53) im Rahmen ihrer theologischen Thesen zum Kirchenasyl. 99 So bei v. Münch, NJW 1995, 565, der die Confessio Augustana (allerdings ohne ausdrückliche kirchenrechtliche Einordnung) parallel zum cle erwähnt. 100 Während etwa Erler, Kirchenrecht, S. 168; Schlaich, in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1689 (1690) insoweit die Ähnlichkeit der Bekenntnisschriften zur Bibel - vgl. dazu 0., S. 155 f. - herausstellen, zählt E. Wolf, Ordnung der Kirche, S. 480 ff. die Bekenntnisschriften zum vom ius divinum unterschiedenen positiven Kirchenrecht. 101 v. Münch, NJW 1995,565. 102 Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland, in: Asyl in der Gemeinde, S. 52 f. (These 5).

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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lässigen allerdings das auch bei der Auslegung kirchenrechtlicher Texte zu beachtende Gebot der Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs. 103 Eindeutige Aussagen zum Kirchenasyllassen sich allein aus den genannten allgemeinen Aussagen der Augsburgischen Konfession indessen nicht mehr gewinnen, wenn sie nicht separat betrachtet, sondern einander gegenübergestellt werden. 104 Zu beachten ist an dieser Stelle ohnehin, daß eine Anwendung der genannten Aussagen der Augsburgischen Konfession auf die Kirchenasylproblematik in der einen wie in der anderen Richtung voraussetzt, daß die Kirchenasylgewährung gegen staatliche Anordnung, also staatliches Recht verstößt. Ob dies tatsächlich der Fall ist, wird aber gerade erst geklärt. Eine eingehendere Betrachtung verdient dagegen der vereinzelt zu findende Hinweis auf eine mögliche Fortgeltung der Asylvorschriften des mittelalterlichen Corpus Iuris Canonici, wobei vor allem an C. 17, q. 4 des Decretum Gratiani gedacht wird. Dazu wird gesagt, grundsätzlich gelte das Corpus Iuris Canonici als subsidiäre Rechtsquelle aus vorreformatorischer Zeit auch in den Kirchen der Augsburgischen Konfession fort, was aber heute kaum noch praktische Bedeutung habe. Immerhin sei das Kirchenasyl auch dem Protestantismus nicht grundsätzlich fremd gewesen. Ein Problem stelle aber seit langem die "Verschweigung" der gratianischen Canones dar. 105 Untersucht man nun die zuletzt angesprochene Frage der Fortgeltung der Asylvorschriften des Corpus Iuris Canonici etwas ausführlicher, so ist zunächst zu beachten, daß in diesen Vorschriften zur Begründung des Asylschutzes sowohl auf 103 Dazu und darüber hinaus zur besonderen Schwierigkeit der Auslegung kirchenrechtlicher Texte allgemein A. Stein. Evangelisches Kirchenrecht, S. 35 f. (der die Bekenntnissätze allerdings nur als Auslegungshilfe erwähnt, also scheinbar nicht als Rechtsquelle auffaßt). 104 Ein ebenso unauflösliches Spannungsverhältnis, das allgemein und im Hinblick auf das Kirchenasyl auch als solches erkannt wird, besteht zwischen Apg 5, 29 - auf diese Bibelstelle verweisen im übrigen sowohl Art. XVI CA a. E. (worauf These 5 der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland, in: Asyl in der Gemeinde, S. 52 (53) durch gleichzeitige Nennung beider Stellen Bezug nimmt) als auch, allerdings erst an späterer Stelle, Art. XXVIII CA (was v. Münch. NJW 1995,565 unerwähnt läßt) - und Röm 13. I; vgl. dazu im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 252 Fn. 101; Just. in: Asyl von unten, S. 72 (73,82 f.); Lesch. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 77 (84); Lob-Hüdepohl. in: epd-Dokumentation Nr. 31196, S. 32 (35); Maaßen. KuR 1/1997. 37 (44) 885, 7 (14); Quandt. in: epd-Dokumentation Nr. 20/94, S. 3 (8); Rauchwarter, Kirchenasyl. Eine theologische Annäherung, S. 54 ff.; Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 49; ferner W Huber, Gerechtigkeit und Recht, S. 400 f. (am Beginn eines Abschnitts. in dem später auch das Kirchenasyl behandelt wird); allgemein etwa Radbruch. SJZ 1946, 105 (107); vgl. schließlich auch Ziff. 2242 des Katechismus der katholischen Kirche (zu dessen Kirchenasylbezug vgl. schon 0., S. 160). Zu einem Fall der unproblematischen allgemeinen - im Gegensatz zur problematischen konkreten - Berufung auf Apg 5, 29 vgl. Pieroth/Schlink. JuS 1984,345 (346). lOS Vgl. Jacobs. ZevKR 35 (1990), 25 (37), der für die prinzipielle Kirchenasylfreundlichkeit des Protestantismus im übrigen besonders auf Luthers "Traktat über das kirchliche Asylrecht" - das in seiner Urheberschaft allerdings nicht unumstritten ist - hinweist (Jacobs. a. a. 0., S. 31 m. Fn. 31).

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

den Gedanken der Heiligkeit des Ortes als auch auf den des Verfolgtenschutzes abgestellt wird. Besonders deutlich wird dies in der ausdrücklichen Bezugnahme auf beide Gedanken in C. 17, q. 4, c. 9 und in D. 87, c. 6 des Decretum Gratiani. 106 Ist damit der Inhalt der Asylvorschriften des Corpus Iuris Canonici etwas näher bestimmt, so kann nun an die Klärung ihrer aktuellen kirchenrechtlichen Bedeutung herangegangen werden. Eine Fortgeltung des Corpus Iuris Canonici als subsidiäres evangelisches Kirchenrecht ist grundsätzlich möglich. Vorausgesetzt wird dafür entweder eine gewohnheitsrechtliche Rezeption durch die evangelische Kirche lO7 oder zumindest eine Vereinbarkeit mit dem vorrangigen evangelischen Glaubensund Rechtsbegriff lO8 • Danach scheidet aufgrund der evangelischen Ablehnung der Vorstellung heiliger Räume, gerade auch im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik,l09 eine Fortgeltung der Asylvorschriften des Corpus Iuris Canonici jedenfalls insoweit aus, als sie auf diesen räumlich-gegenständlichen Gedanken Bezug nehmen. Soweit sie auf dem Gedanken des Verfolgtenschutzes beruhen, läßt sich hingegen sogar eine gewohnheitsrechtliche Rezeption dieser Vorschriften annehmen, wenn man von einer bis heute kontinuierlichen Entwicklung des Kirchenasyls ausgeht. 110 Anders als eine gewohnheitsrechtliche Geltung ist eine unmittelbare Fortgeltung der früheren kanonischen Asylvorschriften im evangelischen Kirchenrecht von vornherein nur möglich, falls es für das Gebiet der betreffenden Landeskirche keine zwischenzeitliche kirchenrechtlich verbindliche Aufhebung des Kirchenasylrechts gegeben hat; dabei ist vor allem an die ausdrückliche Regelung des 11 11 § 175 ALR zu denken, 111 die sich - anders als im kanonischen Recht 106 Vgl. zu D. 87, c. 6 und insgesamt zu C. 17, q. 4 auch Landau, in: TRE, Band IV, S. 319 (324); zu C. 17, q. 4 daneben Riedel-Spangenberger; TIbZ 100 (1990),126 (135); vgl. - auch zu den in D. 87, c. 6 zur Bezeichnung beider Positionen verwendeten Begriffen der reverentia loci und der intercessio - ferner noch u., S. 170 f. m. Fn. 144. 107 SO Z. B. R. Schäfer; ZRG Kan. Abt. V (1915),165 (410 ff.). 108 So J. Heckel, Studia Gratiana III (1955),483 (490 f., 536 f.), wobei allerdings die Frage der einer unmittelbaren FortgeItung entgegenstehenden Verdrängung durch das preußische Allgemeine Landrecht unklar bleibt (vgl. ebd., S. 533, 535). 109 Dazu ausdrücklich etwa die These 7 der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland, in: Asyl in der Gemeinde, S. 52 (53); vgl. daneben die in epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 14 ff., bes. S. 25, 36 f. zu findenden Stellungnahmen; ebenso Theologische Fakultät der Universität Zürich, ebd., S. 73 f.; ferner - mit maßgeblichem Eintluß auf die Formulierung der EKD-Position (vgl. dazu 0., S. 103 Fn. 140) - Schmude. in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 15 (18) und Jüngel, FAZ vom 4.6. 1994, S. 6 sowie das Gutachten des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD in: A. v. Campenhausen. Münchener Gutachten, S. 154; vgl. auch ausführlich Becker-Hinrichs. Theologia Practica 1989, 102 (108); vgl. schließlich auch schon 0., S. 160. 110 Vgl. dazu u., S. 169 ff. Zu den Voraussetzungen des Gewohnheitsrechts, das es auch im evangelischen Kirchenrecht entsprechend den alIgemeinen Regeln gibt (vgl. z. B. Schlaich. in: Evangelisches Staatslexikon, Sp. 1689 (1690); ferner A. Stein. Evangelisches Kirchenrecht, S. 33 f.), und deren Nichterfüllung im Hinblick auf ein staatliches Kirchenasylrecht vgl. schon 0., S. 32 f. 111 Zur kirchenrechtlichen Bedeutung des preußischen Allgemeinen Landrechts vgl. allgemein etwa Erler; Kirchenrecht, S. 169; Robbers. in: Das Recht der Kirche, Band I, S. 474

A. Tatbestandliehe Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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der bloße Wegfall des can. 1179 CIC 1917 - trotz der systematischen Einordnung unter die Bestimmungen für Kirchengebäude wegen ihres klaren Wortlauts auch nicht auf einen lediglich im räumlich-gegenständlichen Sinne an eine Heiligkeit des Ortes anknüpfenden Kirchenasylgedanken beschränken läßt, andererseits aber nach demselben Wortlaut auch nur auf den damals ausschließlich relevanten Fall des Kirchenasyls für "Verbrecher", also inländische Flüchtlinge zum Schutze vor Strafverfolgung bezogen ist. Die kirchenrechtliche Beurteilung des Kirchenasyls ist mithin sowohl aus katholischer als auch aus evangelischer Sicht vor allem im Hinblick auf die verschiedenen Caritas-Vorschriften zumindest offen, selbst wenn man den zuvor dargestellten Versuchen der Herleitung eines Kirchenasylrechts nicht in allen Punkten folgen mag. Das Kirchenrecht steht den sonstigen kirchlichen Äußerungen, die heute durchweg vom kirchlichen Schutzauftrag gegenüber Verfolgten als Grundlage des Kirchenasyls ausgehen, also jedenfalls nicht entgegen. cc) Selbstverständnisbezogene Einzelfragen Nach den bisherigen Feststellungen weist die Gewährung von Kirchenasyl im Selbstverständnis der beiden großen Kirchen, wie es besonders in den konkreten Äußerungen zum Ausdruck kommt, denen der kirchenrechtliche Befund entspricht oder jedenfalls nicht widerspricht, in weitem Umfang einen religiösen Zweckbezug auf. Ob ein solches Selbstverständnis tatsächlich besteht und sich auch nur auf den Gedanken des Verfolgtenschutzes bezieht, kann aber nur nach Klärung weiterer diesbezüglicher Einzelfragen entschieden werden. ( I ) Kirchliche Stellungnahmen zur staatlichen Rechtslage

Eine etwaige - unter Umständen voreilige 1J2 oder mißverständliche Wendungen zugrundelegende 113 - auf das staatliche Recht bezogene juristische Beurteilung von seiten der Kirche 114 hat auf das kirchliche Selbstverständnis keinen Einfluß (475); Schlaich, in: TRE, Band XIX, S. 45 (46); ausführlicher Landau, in: 200 Jahre Allgemeines Landrecht für die preußischen Staaten, S. 145 Cf., der auch auf 11 II § 175 ALR (unter entstehungsgeschichtlichem Gesichtspunkt) kurz eingeht. 112 Vgl. Geis, JZ 1997,60 (62). 113 Vgl. dazu 0., S. 122 Fn. 50, und sogleich u., S. 166 Cf. 114 Vgl. Z. B. die äußerst skeptische Beurteilung der Zulässigkeit einer Kirchenasylgewährung nach staatlichem Recht durch Bischof Lehmann, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 59 (60 f.) oder die Verneinung der Existenz eines Kirchenasylrechts innerhalb des staatlichen Rechts in These 3 des Rates der EKD, ebd., S. 47 (und in weiteren kirchlichen Stellungnahmen ebd., S. 14 Cf.). Was mit derartigen allgemein gehaltenen Stellungnahmen wirklich gesagt werden soll, ist aber schon angesichts durchaus entgegengesetzter spezieller Aussagen - vgl. 0., S. \02 Cf. (m. Fn. 140. 145), 113 (m. Fn. 9) - nicht ganz klar. Die Ansicht von M. H. Müller, Das .. Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. I Fn. 2, die Kirchen woll-

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

und bei dessen Enniulung daher außer Betracht zu bleiben. 115 Denn mit der Ermittlung des kirchlichen Selbstverständnisses soll gerade die rein innerkirchliche Sicht von den Angelegenheiten mit religiöser Zweckbeziehung Berücksichtigung finden. Bei Erfüllung des Schlüssigkeitserfordemisses sind diese Angelegenheiten dann als eigene i. S. d. Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG anzusehen und werden darüber erst in das staatliche Recht integriert. Wollte man kirchlicherseits einen Rechtsgrund für das Kirchenasyl im staatlichen Recht gar nicht,116 könnte dies allerdings ein Indiz dafür sein, daß es sich im kirchlichen Selbstverständnis um eine eher allgemeinpolitische (und nicht nur um eine auf konkreten Verfolgtenschutz im Einzelfall gerichtete) Einmischung handelt, bei der die Gesetzesverletzung also als Mittel zu politischer Veränderung angesehen wird. 117 Ob auch eine solche politische Handlungsweise nach dem kirchlichen Selbstverständnis einen religiösen Zweckbezug aufweist, müßte dann gesondert ennittelt werden. Der gerade mit dem Gedanken der Einzelfallhilfe und nicht mit allgemeinpolitischen Überlegungen begründete religiöse Bezug des Kirchenasyls wird aber kirchlicherseits letztlich durchweg betont, so daß sich ein davon abweichendes Selbstverständnis gegenwärtig nicht tatsächlich feststellen läßt. 118

(2) Verwendung des Begriffs Kirchen"asyl" Auch aus einem Festhalten am Begriff Kirchen"asyl,,119 in kirchlichen Äußerungen oder einer bloßen Ersetzung des Kirchenasylbegriffs durch andere Wendungen, in denen weiterhin von Asyl die Rede ist (Asyl in der Kirche 120, Asyl mit der ten ihr mögliches Recht aus Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRVohnehin nicht geltend zu machen (weshalb man sich mit dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gar nicht zu beschäftigen brauche). findet in diesen Stellungnahmen jedenfalls keine Stütze. 1IS Vgl. auch Kirchenamt der EKD 1Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.) • ..... und der Fremdling. der in deinen Toren ist. ... Ziff. 257. wo vom Nichtbestehen eines Kirchenasylrechts und vom in bezug auf das Kirchenasyl bestehenden kirchlichen Auftrag ausdrücklich nebeneinander die Rede ist; vgl. dazu auch schon 0 .• S. 158. 116 Vgl. die entsprechende Äußerung von Just. FR vom 24. 7. 1995. S. 4 (in Ablehnung des sog. Beckstein-Vorschlags einer Schaffung von bestimmten Kirchenasylkontingenten. vgl. zu diesem Vorschlag etwa den Bericht in SZ vom 15.7. 1995. S. 4; dazu auch noch u.. S. 176 Fn. 166) und die in die gleiche Richtung weisende Vermutung von Dehnen. ZevKR 40 (1995). 1 (15). 117 Deutlich in diese Richtung Just. FR vom 24. 7. 1995. S. 4. 118 Vgl. die in epd-Dokumentation Nr. 43/94. S. 14 ff. (bes. S. 15.27.38.48) zu findenden kirchlichen Stellungnahmen; ferner schon 0 .• S. 105; vgl. daneben auch bes. Robbers. AöR 113 (1988). 30 (44). An anderer Stelle betont auch Just, in: Asyl von unten. S. 110 (122 ff.) die vorrangige Bedeutung des Kirchenasyls als konkrete Einzelfallhilfe aus dem kirchlichen Auftrag heraus. Vgl. auch noch u.• S. 178. 119 Vgl. 0 •• S. 122 Fn. 50. 120 So die Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (Hrsg.). Erstinformation .. Kirchenasyl". S. 20.

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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Kirche l21 ), läßt sich kein anderes, mehr raum- bzw. gegenstandsbezogenes Selbstverständnis entnehmen. Zwar enthielt der griechische Wortursprung möglicherweise immer eine räumlich-gegenständliche Komponente. 122 Heute versteht man unter Asyl jedenfalls generell "die Gewährung von Schutz vor Verfolgung auf Grund besonderer, zumeist persönlicher oder räumlicher Bedingungen".123 Ein Festhalten am überkommenen Begriff des Kirchenasyls läßt daher als solches keine Schlüsse auf einen lediglich räumlich-gegenständlich verstandenen Kirchenasylschutz ZU. 124 Sogar die in jedem Falle irreführende englische Bezeichnung des Kirchenasyls als "Sanctuary"125 (also: Heiligtum) wird heute ohne weiteres verwendet, obwohl in den entsprechenden Äußerungen ebenfalls der Gedanke des Verfolgtenschutzes im Vordergrund steht. 126 Abzugrenzen ist das Kirchenasyl an dieser Stelle schließlich noch von einer anderen Erscheinung, die (abgesehen vom bereits betrachteten staatlichen Asylrecht) mit dem Asylbegriff bezeichnet wird. Es geht dabei um das sog. diplomatische Asyl. Bei diesem gibt die Rede vom "Asyl" insoweit keinen Anlaß zu Mißverständnissen, da es im Unterschied zum Kirchenasyl maßgeblich auf einen räumlich-gegenständlichen Bezugspunkt zurückgeführt wird. 127 Gerade wegen dieses Unterschieds sind beide Erscheinungen aber im übrigen kaum vergleichbar, wenn auch das diplomatische Asyl in Äußerungen zum Kirchenasyl bisweilen erwähnt wird. 128 Vielmehr bedürfen beide Erscheinungen So Lob-Hüdepohl. in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 32 (33). So dezidiert Heimbach-Steins. Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 f.; ausführlich dazu allgemein Tremmel. Grundrecht Asyl, S. 3 f. m. w. N. 123 Jacobs. ZevKR 35 (1990), 25; ebenso Riedel-Spangenberger, TThZ 100 (1991). 126 (128, 130); vgl. allgemeiner Wollenschläger, in: Handbuch des Asylrechts, Band 1, S. 53 (55) m.w.N. 124 Auch Specht. in: Wir wollen, daß ihr bleiben könnt, S. 89 (91 ff.) begründet sein entschiedenes Festhalten am Kirchenasylbegriff unter räumlich-gegenständlichem Aspekt lediglich damit, daß das Kirchenasyl eine räumliche Einengung für den betreffenden Flüchtling bedeutet, nicht aber damit, daß ein räumlich-gegenständlicher Asylschutz besteht (insoweit wird vielmehr auch dort allein auf den Aspekt des Verfolgtenschutzes abgestellt). Zur zwangsläufig weiterhin bestehenden räumlich-gegenständlichen Komponente des Kirchenasyls vgl. noch u., S. 212 f. 125 Vgl. schon 0., S. 104 f. Fn. 149. 126 Vgl. etwa Nientiedt, HK 1986, 216 ff.; ferner Lesch. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 77 (80 f.). Dem festgestellten kirchlichen Selbstverständnis wie dem heutigen Verständnis des Sanctuary-Begriffs nicht gerecht wird nach alledem auch der, wie im Untertitel (Sanctuary und Kirchenasyl. Vom Rechtsanspruch zur ethischen Verpflichtung) deutlich wird, an die englische Bezeichnung anknüpfende Titel des - u. a. den letztgenannten Beitrag enthaltenden - Sammelbandes von Barwig/Bauer (Hrsg.), Asyl am Heiligen Ort, die den Gedanken des Verfolgtenschutzes zwar nicht ganz übersehen, aber dessen soeben beschriebene, nach ganz verbreiteter Sicht vorrangige Bedeutung zu wenig deutlich machen (vgl. dies., ebd., S. 7 (11»; auch allein auf eine katholische Sichtweise läßt sich dieser Titel - entgegen Rauchwarter, Kirchenasyl. Eine theologische Annäherung, S. 45 - dementsprechend nicht zurückführen. 127 Vgl. dazu bes. Tremmel. Grundrecht Asyl, S. 4. 128 SO Z. B. von Ehnes. in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (617 f.); Gramlich. in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (206). 121

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

unter Umständen sogar einer ganz besonders präzisen Abgrenzung, nämlich in bezug auf den Fall der Zuflucht in einer Botschaft des Vatikanstaats (der generell zunächst nur unter dem Gesichtspunkt des diplomatischen Asyls zu beurteilen ist). 129 (3) Beanspruchung eines gewaltfreien Raumes

Auch die Beanspruchung eines gewaltfreien Raumes für die Kirchen im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl130 könnte man der Ausdrucksweise nach als Zeichen für ein räumlich-gegenständliches Verständnis des Kirchenasylschutzes ansehen. 131 Entscheidend wird aber in den entsprechenden Äußerungen letztlich ebenfalls auf den Aspekt des Verfolgtenschutzes abgestellt. Eine besondere Dignität der betreffenden Räumlichkeiten als solcher im Sinne einer Heiligkeit des Raumes wird dabei sogar ausdrücklich abgelehnt. 132 Der Feststellung eines prinzipiell raum- bzw. gegenstandsunabhängigen kirchlichen Selbstverständnisses von der religiösen Zweckbeziehung des Kirchenasyls steht auch diese Ausdrucksweise daher nicht entgegen. (4) Ausnutzung eines staatlichen Respekts vor der Heiligkeit des Kirchenraumes

Unerheblich im Hinblick auf das festgestellte Selbstverständnis ist ferner, ob eine faktische Zurückhaltung der Behörden bei der Festnahme von in Kirchenbzw. Gemeinderäumen befindlichen Kirchenasylflüchtlingen 133 auf dem staatlichen Respekt vor einer angenommenen (über das tatsächliche kirchliche Selbstverständnis hinausgehenden) Heiligkeit des Raumes beruht. 134 Dies gilt auch dann, wenn ein solcher Respekt kirchlicherseits ausgenutzt wird,135 solange er nicht als solcher von der Kirche beansprucht wird. 136 Letzteres ist nach den zum kirchlichen Vgl. dazu Tremmel, Grundrecht Asyl, S. 47. Vgl. dazu auch schon 0., S. 130 Fn. 34. 131 Vgl. auch Barth, in: epd-Dokumentation Nr. 41/96, S. 11 (15), der seine dahingehend ansatzweise geäußerte Kritik sowohl auf den Kirchenasylbegriff als auch auf die Redeweise vom gewaltfreien Raum bezieht. 132 Theologische Fakultät der Universität Zürich, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 73 f.; daran anschließend Reuter. Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (206 f.) [= ders., in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 574 (599)]; ders., ZRP 1996,97 (100); ebenso W. Huber. Gerechtigkeit und Recht, S. 418. 133 Vgl. schon 0., S. 32. 134 Vgl. dazu Heimbach-Steins, Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (292); daneben Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft 5011, Nr. 5, S. 45 (49); ferner etwa Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (602,611), im Anschluß an Flor. Asylrecht, S. 144. 135 Vgl. dazu Geis, JZ 1997,60 (61). 136 Diesen Unterschied verkennt Jüngel, FAZ vom 4. 6. 1994, S. 6; gegen den dort erhobenen Vorwurf, die Kirchen mißbrauchten ihre Stellung durch Ausnutzung der staatlichen Scheu vor der Heiligkeit sakraler Räume, bereits zutreffend W. Huber. Gerechtigkeit und Recht, S. 418. 129

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A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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Selbstverständnis getroffenen Feststellungen, wonach das Kirchenasyl maßgeblich auf den Gedanken des Verfolgtenschutzes gestützt wird, aber eben gerade nicht der Fall. 137 Auch unter Berücksichtigung der genannten weiteren Gesichtspunkte bleibt also abschließend die bereits aus der Betrachtung der konkreten kirchlichen Äußerungen zum Kirchenasyl und der kirchenrechtlichen Rechtslage gewonnene Erkenntnis festzuhalten, daß das Kirchenasyl nach evangelischem wie katholischem Selbstverständnis aufgrund des kirchlichen Schutzauftrags zugunsten Verfolgter (und zwar letztlich nur aufgrund dieses Auftrags) eine religiöse Zweckbeziehung aufweist.

b) Die Schlüssigkeit des kirchlichen Selbstverständnisses

Zu den eigenen Angelegenheiten i. S. d. Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG der beiden großen Kirchen zählt die Gewährung von Kirchenasyl erst dann, wenn das soeben festgestellte kirchliche Selbstverständnis von der religiösen Zweckbeziehung des Kirchenasyls auch in den Gesamtzusammenhang der evangelischen und katholischen Glaubensinhalte schlüssig eingeordnet werden kann und eine religiöse Zweckbeziehung damit tatsächlich als gegeben anzusehen ist. Dafür ist vorrangig zu untersuchen, ob sich das im kirchlichen Sinne verstandene Kirchenasyl - auch unter Berücksichtigung theologischer und religionswissenschaftlicher Erkenntnisse - bruchlos in die insoweit ohne weiteres feststellbare Kirchentradition einordnen läßt. Im Anschluß daran ist auf weitere Schlüssigkeitsaspekte einzugehen, die nach einer Feststellung bruchloser Einordnung in die Kirchentradition die Zugehörigkeit der Gewährung von Kirchenasyl zu den eigenen Angelegenheiten der bei den großen Kirchen allerdings nur noch ausnahmsweise ausschließen können. aa) Einordnung des Kirchenasyls in die Kirchentradition Maßgebliche Bedeutung kommt im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung also zunächst der Frage zu, ob sich das im kirchlichen Sinne verstandene Kirchenasyl bruchlos in die Kirchentradition einfügt. An dieser Stelle ist folglich die Geschichte des Kirchenasyls, die auch in juristischen Abhandlungen häufig vorweg und ohne erkennbaren rechtlichen Bezugspunkt dargestellt wird,138 von unmittelbarer rechtlicher Bedeutung. Die historische Betrachtung muß dabei nur soweit rei137 Realitätsfern daher die Forderung von Prantl, SZ vom 5./6. 7. 1997, S. 9, der in völliger Verkennung des bestehenden kirchlichen Selbstverständnisses im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl einen kirchlichen "Appell an den Staat, die Sakralität kirchlicher Räume zu achten", verlangt. 138 Vgl. etwa Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 ff.; Robbers, AöR 113 (1988), 30 (32 ff.).

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

ehen, als es zur Schlüssigkeitsfeststellung, an die wiederum keine zu hohen Anforderungen zu stellen sind,139 erforderlich ist. Eine umfassende Darstellung der Geschichte des Kirchenasyls ist daher nicht notwendig. 140 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, daß sich eine gewisse historische Kontinuität des Kirchenasyls bereits in der kirchenrechtlichen Untersuchung angedeutet hat. 141 Im Rahmen einer darüber hinausgehenden Schlüssigkeitsprüfung läßt sich eine Kontinuität allerdings möglicherweise schon auf die biblische Botschaft als Urgrund der Kirchentradition zurückführen und von dort aus bis heute verfolgen: Das Alte Testament berichtet von religiösen Asylstätten sowohl im Protektionsbereich mächtiger Persönlichkeiten als auch im Gebiet ganzer Städte. Flüchtlinge erlangten Sicherheit vor ihren Verfolgern, wenn sie eine geheiligte Stätte erreicht hatten, von der sie nicht gewaltsam entfernt werden durften. Ziel der Asylgewährung war vor allem die Überwindung des Systems der Blutrache sowie der Schutz von Fremden und Sklaven. Auch unabhängig von örtlichen Zusammenhängen tritt der Asylgedanke allein unter dem Gesichtspunkt des Verfolgtenschutzes in Erscheinung (so in Jes 16,3).142 In Anknüpfung an diese alttestamentliche Tradition wird die besondere Bedeutung von Gastfreundschaft und Aufnahme von Fremden und Flüchtlingen auch im Neuen Testament - ohne daß dabei ausdrücklich von Asylgewährung die Rede ist - immer wieder betont (am deutlichsten wohl in Mt 25,35/40).143 In der frühen Kirche entwickelt sich sehr bald eine Asyltradition, die zunächst in der Erwähnung faktischer Asylgewährungen (Konzil von Serdica 343), später auch in der rechtlichen Anerkennung (Konzil von Orange 441) ihren Ausdruck findet. Dabei werden dann auch die eigentlichen Wurzeln des Kirchenasyls ausdrücklich bezeichnet, die zum einen in der Heiligkeit kirchlicher Stätten (reverentia 10ci), zum anderen in der Pflicht der Kleriker zum Beistand (intercessio, also wörtlich: Dazwischentreten) liegen. Speziell damit spielt also eine zentrale Rolle wiederum die kirchliche Pflicht, für Schutzbedürftige und Notleidende einzutreten. 144 Vgl. auch dazu die entsprechenden Ausführungen zum Religionsbegriff 0., S. 143. Ausführliche Darstellungen aus neuerer Zeit (m.N. der älteren Lit.) finden sich bei Becker-Hinrichs, Theologia Practica 1989, 102 (104 ff.); Demand, Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestform, S. 12 ff.; lust, in: Asyl von unten S. 72 (74 ff.); Flor; Asylrecht, S. 126 ff.; lacobs, ZevKR 35 (1990), 25 ff.; Riedel-Spangenberger; TThZ 100 (1991), 126 (130 ff.); Robbers, AöR 113 (1988), 30 (32 ff.); daneben schon die Nachw. 0., S. 19 Fn. 7; vgl. ferner den Hinweis auf eine im Entstehen begriffene umfassende Darstellung der Geschichte des Kirchenasyls bei Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (74 Anm. 2 a. E.). 141 Vgl. 0., S. 159 f., 163 ff. 142 Vgl. bes. Bader; in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 17 ff.; Crüsemann, in: Asyl von unten, S. 48 (49 ff.); Dudda, ZAR 1996,32 ff. m. w. N. 143 Vgl. bes. Quandt, in: epd-Dokumentation Nr. 20/94, S. 3 ff., mit einer Gegenüberstellung von diesbezüglichen alt- und neutestamentlichen Bibelstellen. 144 Vgl. Landau, in: TRE, Band IV, S. 319 (320, 322); Reuter; Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (192 f.) [= ders., in: Das Recht der Kirche, S. 574 (582 f.)]. Zur Begrün139 140

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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Damit war der Grundstein einer über Spätantike und Mittelalter hinaus andauernden Periode gelegt, während derer ein kirchliches Asylrecht unter im einzelnen wechselnden Voraussetzungen bestand und auch obrigkeitlich anerkannt wurde. 145 Zwar wurde die obrigkeitliche Anerkennung des Kirchenasyls mit der Zeit immer schwächer und in der Folge von Absolutismus und Aufklärung dann weitgehend aufgegeben (vgl. z. B. 11 11 § 175 ALR). Die Kirche hielt indessen weiterhin an ihrer Praxis der Schutzgewährung gegenüber Verfolgten fest. So konnte das Kirchenasyl vor allem auch zur Zuflucht vor nationalsozialistischer Verfolgung werden (so etwa ftir Konrad Adenauer im Jahre 1933 im Kloster Maria Laach). In der Bundesrepublik kam es dann beispielsweise schon einmal in den Jahren von 1984 - 87 zu einer Reihe von Kirchenasylgewährungen. 146 Der Überblick über die Geschichte des Kirchenasyls zeigt also, daß sich zumindest das Element des Verfolgtenschutzes als kirchliches Anliegen durch diese Geschichte zieht und damit eine Kontinuität von den Anfängen kirchlicher Asylgewährung bis heute herstellt. 147 Zwar tritt anders als in der Anfangszeit das Kirdung des Kirchenasyls mit den Gedanken der reverentia loci und der intercessio in dem als D. 87, c. 6 des Decretum Gratiani in das CIC übernommenen Konzilskanon von Orange vgl. schon 0., S. 163 f. m. Fn. 106; dazu überblicksartig ferner Roßkopf, AWR Bulletin 1996,93 (95 f.) m. w. N., der ergänzend auf den Zusammenhang des Kirchenasyls zum Rechtsinstitut der Immunität eingeht. Zum Übergang von der faktischen Kirchenasylgewährung zum Kirchenasylrecht im 4. und 5. Jahrhundert vgl. auch ausführlich Ducloux, Ad ecclesiam confugere: Naissance du droit d'asile dans les egli ses (lVC- milieu du VC s.), S. 15 ff., die allerdings das Konzil von Orange nicht mehr in ihre Darstellung einbezieht. 145 Umfassend zur Entwicklung des Kirchenasyls zwischen Spätantike und Mittelalter die unter genau diesem TItel erschienene Abhandlung von Siems, in: Libertas. Grundrechtliche und rechtsstaatliche Gewährungen in Antike und Gegenwart, S. 139 Cf. m. zahlreichen weiteren Nachw. Speziell für das mittelalterliche Kirchenasylverständnis wird auch besonders auf die Beschreibung in Hugos "Notre-Dame de Paris" (dazu schon 0., S. 19) hingewiesen, vgl. Grözinger, in: Asyl in der Gemeinde, S. 32 (35). Für ein entsprechendes kirchliches Verständnis noch in der Reformationszeit verweist man besonders auf Luthers "Traktat über das kirchliche Asylrecht", vgl. schon 0., S. 163 Fn. 105; dazu ferner Reuter, Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (193 Fn. 28) [= ders., in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 574 (584 Fn. 28)]; differenzierend Robbers, AöR 113 (1988), 30 (35 f.), der in diesem Zusammenhang darauf hinweist, daß die reformatorische Theologie keine heiligen Orte mehr kennt, aber am Gedanken des Verfolgtenschutzes festhält (vgl. dazu schon 0., S. 160 f., 164). 146 Zur Entwicklung vom beginnenden Wegfall der obrigkeitlichen Anerkennung des Kirchenasyls bis in unsere Zeit vgl. die anschauliche Schilderung von Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (28 Cf., 34, 36) m. w. N. Zu II 11 § 175 ALR vgl. schon 0., S. 164 f. Einen besonders eindrucksvollen Fall von Kirchenasylgewährungen durch eine französische Kirchengemeinde und ihre Mitglieder während des 2. Weltkriegs schildert zusammenfassend M. Vogel, Theologia Practica 1989, 168 f. 147 In diese Richtung etwa auch Just, in: Asyl von unten, S. 72 (76, 80 f.); Robbers, AöR 113 (1988), 30 (37 f.); Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 61; ferner Lang, in: Wir wollen, daß ihr bleiben könnt, S. 82 (85); Mieth, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 97 (105 ff.); Kraus, ebd., S. 58 (64); Grote/Kraus, JuS 1997, 345 (348 Fn. 35 a. E.) [trotz im übrigen wörtlicher Übereinstimmung fehlt diese Passage allerdings in dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (67 Fn. 35)]; Roßkopf, AWR Bulletin

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

chenasyl in unserer Zeit zwangsläufig in Konkurrenz zum Staat, der nunmehr das Gewaltmonopol beansprucht und überdies mit der Ausbildung eines geordneten Rechts- und Asylwesens wesentlichen Anliegen des frühen Kirchenasyls nachgekommen ist. 148 Auch unter diesen veränderten äußeren Bedingungen ist aber kirchlicherseits das Grundanliegen des von anderer Seite nicht gewährleisteten Verfolgtenschutzes gleich geblieben. 149 Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang noch einmal, daß dem Gedanken des Verfolgtenschutzes keineswegs erst heute eine maßgebliche Bedeutung für die Kirchenasylgewährung zukommt. Er bestand von Anfang an neben dem in bezug auf das Kirchenasyl inzwischen zurückgetretenen Gedanken der Heiligkeit kirchlicher Räume. ISO Die festgestellte historische Kontinuität bezieht sich dementsprechend speziell auf das Kirchenasyl unter dem Aspekt des Verfolgtenschutzes. Keinesfalls überzeugen kann demgegenüber die bloße apodiktische Vemeinung einer historischen Kontinuität, wie sie vereinzelt ohne jegliches Eingehen auf die historische Entwicklung geäußert wird. 151 Festzuhalten bleibt damit, daß sich das entsprechend dem kirchlichen Selbstverständnis unter dem Aspekt des Verfolgtenschutzes gewährte Kirchenasyl aus einer mit der biblischen Überlieferung beginnenden Kirchentradition bruchlos ableiten läßt. Dies spricht im Rahmen der Prüfung des Vorliegens einer eigenen Angelegenheit i. S. d. Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG nachdrücklich für die Schlüssigkeit des kirchlichen Selbstverständnisses von der religiösen Zweckbeziehung des Kirchenasyls. bb) Weitere Schlüssigkeitsaspekte Nach der Feststellung der bruchlosen Ableitbarkeit des im kirchlichen Sinne verstandenen Kirchenasyls aus der Kirchentradition fragt sich, ob weitere Aspekte im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung Beachtung verdienen. Dabei soll es nicht nur um solche Aspekte gehen, die die Schlüssigkeit des festgestellten kirchlichen Selbstverständnisses betreffen (also etwa trotz der nachdrücklich für deren Vorlie1996, 93 (102); vgl. auch Bleekmann, Staatsrecht 11 - Die Grundrechte, § 37 Rn. 2, der das Kirchenasyl in einen "engen historischen Zusammenhang mit den religiösen Ursprüngen des Asylrechts" stellt (vgl. schon 0., S. III m. Fn. I); unklar Rothkegel, ZAR 1997, 121 (122); Tremmel, Grundrecht Asyl, S. 192. 148 Vgl. bes. die dahingehenden Hinweise auf Unterschiede des früheren zum heutigen Kirchenasyl bei Heimbaeh-Steins, Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (292 f.); Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (36). 149 Vgl. Dudda, ZAR 1996,32 (37); Landau, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 47 (60); Reute" ZRP 1996,97 (98); daran anschließend Barth, in: epd-Dokumentation Nr. 41/96, S. 11 (15). 150 Unzutreffend daher Geis, JZ 1997, 60 (62), der hierin einen grundlegenden Unterschied zwischen früherem und heutigem Kirchenasyl sieht. 151 So von Maaßen, KuR 1/1997,37 (38) 885, 7 (8), der lediglich die veränderten äußeren Bedingungen knapp erwähnt; nicht einmal eine derartige Erläuterung findet sich bei Renek, NJW 1997,2089 (2090).

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A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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gen sprechenden Kirchentradition möglicherweise ausnahmsweise zu einem anderen Ergebnis führen), sondern ergänzend sollen abschließend für ein abweichendes kirchliches Selbstverständnis - wie es nach den diesbezüglichen Erörterungen zwar nicht aktuell besteht, aber doch immerhin durchaus denkbar ist - anzustellende Schlüssigkeitsüberlegungen berücksichtigt werden. ( 1) Zugehörigkeit des Kirchenasyls zu den karitativen Handlungen

Es fragt sich zunächst, wie ausführlich die Schlüssigkeitsprüfung in bezug auf die Kirchenasylgewährung unter dem Gesichtspunkt des Verfolgtenschutzes überhaupt sein muß bzw. mußte. Man könnte daran denken, die Feststellung ausreichen zu lassen, es handele sich dabei um eine karitative Tätigkeit der Kirchen, die als solche zu den eigenen Angelegenheiten der christlichen Kirchen gehöre. 152 Letzteres entbindet aber nicht von der im Einzelfall zu treffenden Feststellung der "religiösen Dimension" (also der Zweckbeziehung) der jeweiligen Tätigkeit. 153 Auch ein "erst recht"-Schluß etwa aus der "Lumpensammler"-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts 154 ist daher als alleiniges Argument für eine Einordnung des Kirchenasyls in den Bereich der Caritas nicht ausreichend. Rechtlich ist die Caritas-Einordnung einer Angelegenheit der Kirchen aber dennoch von Bedeutung, nämlich in kirchenrechtlicher l55 und staatskirchenvertragsrechtlicher l56 Hinsicht und auch im Rahmen des Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG durch Herstellung eines Bezuges zu anderen kirchlichen Angelegenheiten (nur eben nicht im Sinne eines "erst recht"-Schlusses). (2) Biblische Begründbarkeit des Kirchenasyls

Ob sich das Kirchenasyl im kirchlichen Verständnis direkt aus der Bibel begründen läßt, ist für die Feststellung der Schlüssigkeit nur soweit zu prüfen, wie die Bibel als Ausgangspunkt der Kirchentradition eine Rolle spielt. Eine darüber hinausgehende rein theologische Betrachtung ist im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung nicht mehr vorzunehmen, wenn eine entsprechende Kirchentradition feststellbar ist. Daher steht auch eine theologische Kritik an einer unmittelbar und allein 152 Vgl. dazu BVerfGE 53, 366 (393, 399), unter Verweisung auf BVerfGE 24, 236 (248 f.). 153 Vgl./sensee, in: HdbStKR, Band 11, S. 665 (726) m. w. N. 154 So Geis, JZ 1997,60 (63); in diese Richtung wohl auch Rothkegel, ZAR 1997, 121 (125); dagegen - allerdings weniger in methodischer Hinsicht als im Hinblick auf die Ergebnisse - Renck, NJW 1996, 2089 (2090), dessen eigene Vorstellung von der Auslegung des Begriffs der eigenen Angelegenheiten indessen völlig unklar bleibt. Zur "Lumpensammler"Entscheidung BVerfGE 24,236 (247 f.) vgl. auch schon 0., S. 149 Fn. 42. 155 Vgl. schon 0., S. 159 ff. 156 Vgl. ansatzweise Geis, JZ 1997, 60 (63); allgemeiner v. Mangoldt/ Klein/ A. v. Campenhausen, Art. 140 Rn. 53; dazu aber auch schon 0., S. 30; ferner S. 156 Fn. 74.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

biblischen Begründung des Kirchenasyls 157 der Schlüssigkeitsfeststellung aufgrund bruchloser Kirchentradition nicht entgegen.

(3) Deckungsgleichheit von Kirchenasylgründen und staatlichen Asylgründen Einzugehen ist an dieser Stelle weiterhin auf den Umstand, daß die ausländerrechtlichen Abschiebungshindernisse vielfach mit den Gründen übereinstimmen, aus denen Kirchenasyl gewährt wird,158 daß also die Kirchenasylgründe weitgehend im staatlichen Asylverfahren bzw. Verfahren um die Zulässigkeit einer Abschiebung berücksichtigt werden. Daraus wird im Hinblick auf Art. 4 GG der Einwand formuliert, in Kirchenasylfällen bestehe lediglich ein Konflikt in der Beurteilung von Tatsachen, nämlich über die Frage des Bestehens einer Gefahrenlage. Eine bloße abweichende Tatsachenbeurteilung sei aber kein Gegenstand einer ernsthaften Glaubensentscheidung und daher grundrechtlich nicht geschützt. 159 Diese Argumentation läßt sich auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ohne weiteres übertragen. Danach schließt die Deckungsgleichheit der gesetzlichen und der kirchlichen Verhaltensanforderungen gegenüber den betreffenden Ausländern bei bloß unterschiedlicher Auslegung und Bewertung der Sachverhaltsumstände des Einzelfalls eine religiöse Zweckbeziehung des Kirchenasyls aus. Letztlich bezieht sich diese Argumentation auf das staatliche Asylgewährungsmonopol. 160 Eine bloße abweichende Tatsachenbeurteilung liegt allenfalls in bezug auf die Frage vor, ob die Voraussetzungen der einschlägigen Rechtsnormen, von denen die Zulässigkeit der Abschiebung abhängt, erfüllt sind. Dieser Konflikt ist mit Hilfe der Kirchenfreiheit in der Tat nicht zu entscheiden. Ob die rechtlichen Voraussetzungen einer Abschiebung erfüllt sind, ist in jedem Falle eine Frage ohne religiösen Zweckbezug. Dem Staat kann die kirchliche Tatsachenbeurteilung nicht aufgrund der Kirchenfreiheit aufgezwungen werden. Dies gilt übrigens nicht nur hinsichtlich abweichender Tatsachenbeurteilungen, sondern generell für alle mit 157 Vgl. Honecker, in: Asyl in der Gemeinde, S. 41 (48), der seine Ablehnung einer - besonders deutlich etwa in der Auflistung von Bibelstellen bei Gross, in: Im Schatten deiner Flügel finde ich Zuflucht (Ps 57, 2), S. 16 (22 f.) zum Ausdruck kommenden - unmittelbaren Heranziehung der Bibel indessen ebenfalls biblisch begründet, nämlich unter Verweis auf den barmherzigen Samariter (auf den im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl im übrigen auch Geis, JZ 1997,60 (62) hinweist); vgl. auch noch u., S. 178. Zur Bedeutung der Bibel in diesem Zusammenhang vgl. ferner schon 0., S. 155 f. 158 Vgl. exemplarisch Evangelische Kirche im Rheinland 1Landeskirchenamt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 24: ..Kirchenasyl ist eine letzte Möglichkeit (ultima ratio), um Menschen, für die eine Gefahr an Leib, Leben oder Freiheit besteht zu schützen (vgl. § 53.6 AusIG)". 159 So - im Anschluß an Bergmann, in: Seifert 1Hömig, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4 Rn. 8 - Maaßen, in: KuR 1/1997,37 (47 f.) = 885, 7 (17 f.), der in den Fällen einer über die gesetzlichen Abschiebungshindernisse hinausgehenden Motivation zur Kirchenasylgewährung einen grundrechtsausschließenden Verstoß gegen den ordre public annimmt (vgl. dazu schon 0., S. 149 f., und noch u., S. 194). 160 Vgl. dazu auch noch u., S. 192 f.

A. Tatbestandliehe Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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der Nonnauslegung zusammenhängenden Fragen, also etwa auch diejenige, mit welcher Wahrscheinlichkeit in Asylsachen das Risiko eines Fehlurteils hinzunehmen ist und welcher Maßstab sich daraus für die insoweit zu treffenden Prognoseentscheidungen ergibt. 161 Von der allein staatlicher Entscheidungsbefugnis unterliegenden Nonnauslegung ist allerdings die Frage nach dem kirchlichen Handeln, hier also der Kirchenasylgewährung, zu unterscheiden. 162 Daß dieses Verhalten möglicherweise durch eine bloß abweichende Tatsachenbeurteilung im oben beschriebenen Sinne motiviert ist, ändert nichts daran, daß das kirchliche Verhalten als solches darüber hinaus nun sehr wohl einen religiösen Zweckbezug aufweisen kann. Das staatliche Asylgewährungsmonopol steht einem anderweitig begründeten Kirchenasylrecht nicht entgegen. 163 Kirchenfreiheit wie auch die Glaubens- und Gewissensfreiheit dienen nicht allein dem Schutze von staatlichen Zielsetzungen abweichender, sondern aller glaubens- und gewissensgeleiteten Handlungen des (Grund-)Rechtsträgers. Eine solche Handlung verliert diesen Charakter nicht dann, wenn sie sich mit einer staatlichen Zielsetzung deckt. Der Staat kann nicht durch entsprechende Nonnierungen das Vorliegen einer eigenen Angelegenheit der Kirchen bzw. die Zulässigkeit oder die Art und Weise der Wahrnehmung einer solchen Angelegenheit beeinflussen. Das Vorliegen einer eigenen Angelegenheit ist generell unabhängig von rechtlichen Nonnierungen auf staatlicher Seite. Solche Nonnierungen können zwar das Vorliegen einer gemeinsamen Angelegenheit bewirken, womit aber kein Ausschluß des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts verbunden ist. 164

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161 Vgl. dazu MlUlßen, KuR 1/1997,37 (43) 885, 7 (13), der das - trotz aHer Gründlichkeit des staatlichen Asylverfahrens, vgl. dazu eingehend Bell/Skibitzki, .. Kirchenasyl" - Affront gegen den Rechtsstaat?, S. 26 ff., nicht gänzlich auszuschließende - Risiko eines Fehlurteils (unter Verweisung auf BVerfGE 60, 253 (269, 295 f.) und den dort erwähnten Grundsatz der Rechtssicherheit) ohne weiteres mit dem Argument in Kauf nimmt, es bestehe bei jeder Gerichtsentscheidung, und dabei übersieht, daß im Unterschied zu sonstigen belastenden Fehlurteilen bei einem solchen in Asylsachen u.U. eine unumkehrbare Lebens- oder Leibesgefahr droht (dementsprechend wird übrigens auch in BVerfGE 60, 253 (299 f.) die Frage von Aufenthalt und Abschiebung gesondert und ohne Erwähnung eines Vorrangs des Grundsatzes der Rechtssicherheit angesprochen); einer weitgehenden Inkaufnahme eines Fehlurteils entspricht es dann bezüglich des Prognosemaßstabs, wenn wie in BVerwGE 102, 249 (258) - vgl. dazu auch Rittstieg, JZ 1997,511 (512) - die FeststeHung eines Abschiebungshindernisses maßgeblich davon abhängig gemacht wird, ob ..der Ausländer im FaHe seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde", während kirchlicherseits insoweit wohl weniger strenge Wahrscheinlichkeitsanforderungen gesteHt werden; vgl. dazu etwa Pro Asyl/Publik-Forum (Hrsg.), Kirchenasyl: Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben, S. 6; Quandt, in: Asyl von unten, S. 193 (199): möglicher Vorwurf an die Behörden, "nicht die richtigen Konsequenzen gezogen zu haben"; zum Ganzen auch - al1erdings wohl eine (etwas unklare) Einwirkung der Kirchenfreiheit auf die staatliche Tatsachen- bzw. Prognoseentscheidung unzutreffenderweise bejahend-Rothkegel, ZAR 1997,121 (126,129). 162 Vgl. - zu Art. 4 GG - auch Bayer; Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 251 f. 163 Vgl. schon 0., S. 122.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Ebensowenig wie der Staat bei der Normauslegung an die kirchliche Beurteilung gebunden ist, sind die Kirchen bei der Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten im übrigen an staatliche Tatsachenfeststellungen gebunden. So kann beispielsweise auch der (anerkanntermaßen zu den eigenen Angelegenheiten gehörende)165 Betrieb eines kirchlichen Krankenhauses nicht allein mit dem Hinweis untersagt werden, nach staatlichen Erkenntnissen gebe es keinen Bedarf für ein Krankenhaus und wegen der übereinstimmenden Zielsetzung der Sicherstellung der Krankenversorgung liege insoweit nur eine abweichende Tatsachenbeurteilung und keine kirchliche Angelegenheit vor. Eine Bindung der Kirchen an staatliche Tatsachenfeststellungen bei der Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten käme einer weitgehenden Aushöhlung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gleich. Auch im Bereich der gemeinsamen Angelegenheiten, in dem sich kirchliche und staatliche Tätigkeit berühren steht den Kirchen zur Wahrnehmung ihrer Angelegenheiten zunächst die Kompetenz zu eigener Tatsachenfeststellung zu (ohne daß damit bereits die - erst auf der Schrankenebene zu klärende - Frage beantwortet ist, ob sich die aufgrund eigener Tatsachenbeurteilung getätigten kirchlichen Handlungen im konkreten Fall gegen das staatliche Recht durchsetzen). Aus alledem ergibt sich, daß die weitgehende Deckungsgleichheit von Kirchenasylgründen und staatlichen Asylgründen die religiöse Zweckbeziehung des Kirchenasyls keineswegs ausschließt. Der diesbezüglich vorgebrachte Einwand gegen das Vorliegen einer eigenen Angelegenheit der Kirchen ist nur insoweit berechtigt, als der Inhalt eines entsprechenden verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts nicht in einem kirchlichen Anspruch auf eine Entscheidung des staatlichen Verfahrens unter Zugrundelegung der kirchlichen Tatsachenbeurteilung bestehen kann (z. B. in einem Anspruch auf Rücknahme einer Asylantragsablehnung und Stattgabe aufgrund kirchlicher Tatsachenfeststellungen). Damit ist zwar eine kirchliche Bemühung um eine ihrer Tatsachenbeurteilung entsprechende Entscheidung im staatlichen Verfahren nicht ausgeschlossen. 166 Eine verbindliche Einwirkung eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts auf das staatliche Verfahren kann aber allenfalls in der Weise bestehen, daß dabei (wie etwa bei der Annahme eines 164 Vgl. dazu 0., S. 151. Dies gilt im übrigen auch für den von Maaßen, KuR 1/1997,37 (48) = 885, 7 (\8) in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnten Fall der Befreiung eines Inhaftierten (bzw. entsprechend den Fall der Kirchenasylgewährung - unter dem Aspekt des Verfolgtenschutzes - an einen nach kirchlicher Überzeugung zu Unrecht verurteilten inländischen Straftäter). 165 Vgl. BVerfGE 53, 366 (393, 399); eingehend Isensee. in: HdbStKR, Band H, S. 665 (675 ff.). 166 Daß eine solche Bemühung mit der Schaffung von festen Kirchenasylkontingenten quasi aussichtslos wird, ist im übrigen wohl der hauptsächlich geäußerte Einwand gegen den - bereits 0., S. 166 Fn. 116 erwähnten - sog. Beckstein-Vorschlag, vgl. bes. Schlag, Zeitschrift für Evangelische Ethik 40 (1996), 38 (50 f.); zu zusätzlichen Bedenken gegen diesen Vorschlag aus kirchlicher und vor allem auch zu Bedenken aus staatsrechtlicher Sicht knapp. aber im wesentlichen überzeugend Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (75 f. Anm. 21).

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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Abschiebungshindernisses wegen rechtlicher Unmöglichkeit 167 gemäß Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG) nicht an die unterschiedlichen Tatsachenbeurteilungen angeknüpft wird. Ob das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ein solches Kirchenasylrecht tatsächlich enthält, entscheidet sich aber auch bei einer Feststellung der Zugehörigkeit des Kirchenasyls zu den eigenen Angelegenheiten letztlich erst auf der Schrankenebene.

(4) Kirchliche Ablehnung des Kreuzes als Zwangsinstrument Ebensowenig wie die weitgehende Deckungsgleichheit von Kirchenasylgründen und staatlichen Asylgründen läßt sich dem kirchlichen Selbstverständnis von der religiösen Zweckbeziehung des Kirchenasyls entgegenhalten, die Kirchen lehnten es generell ab, im Kreuz ein Zwangsinstrument zu sehen und dürften es daher nicht zulassen, daß ihre Amtsträger es als solches durch ein Kirchenasyl gegen das staatliche Gesetz wendeten. 168 Unabhängig davon, inwieweit mit dem Kirchenasyl überhaupt kirchlicherseits ein Zwang ausgeübt wird, läßt sich der Kreis der kirchlichen Angelegenheiten mit einer schlagwortartigen Formel wie der von der kirchlichen Ablehnung des Kreuzes als Zwangsinstrument genausowenig generell von vornherein beschränken wie für die evangelische Seite mit dem Hinweis auf die "Lehre von den zwei Regimenten".169

(5) Staatliche Anerkennung kirchlicher Obdachgewährung an Flüchtlinge Am Rande kann man - zugunsten einer Schlüssigkeit des festgestellten kirchlichen Selbstverständnisses - als zusätzlichen Schlüssigkeitsgesichtspunkt anführen, daß etwa hinsichtlich der Zulassung einer Einreise von Kriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina (also nicht direkt im Hinblick auf das Kirchenasyl) von der kirchlichen Obdachgewährung sogar staatlicherseits wie selbstverständlich ausgegangen wird. 17o Ob zwischen der dort angesprochenen Obdachgewährung gegenüber Flüchtlingen und der Kirchenasylgewährung so große Unterschiede bestehen, daß die staatliche Anerkennung der ersteren als kirchliche Angelegenheit auf letztere nicht übertragen werden kann, erscheint zumindest zweifelhaft. Zu beachten ist andererseits, daß die staatliche Anerkennung einer Obdachgewährung als kirchliche Angelegenheit sich noch nicht speziell auf die im Rahmen des Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG erforderliche religiöse Zweckbeziehung bezieht.

Vgl. dazu schon 0., S. 29 ff. (zur Frage der einfachrechtlichen Unmöglichkeit). So aber - nicht speziell im Hinblick auf Art. 137 III I WRV i. V. m. Art. 140 GG Merten. VVDStRL 55 (1996), 7 (32). 169 Vgl. dazu 0., S. 162 f. 170 Vgl. den in InfAuslR 1992,318 abgedruckten Runderlaß des nordrhein-westfälischen Innenministeriums. 167

168

12 Görisch

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

(6) Begründung des Kirchenasyls mit der Heiligkeit des Kirchenraumes Würde das Kirchenasyl kirchlicherseits mit dem Gedanken der Heiligkeit des Kirchenraumes (und nicht mit dem des Verfolgtenschutzes) begründet,171 so müßte im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung der Einwand der widersprüchlichen kirchenrechtlichen Normierung mit der Streichung des can. 1179 CIC 1917 172 bzw. der generellen Nichtanerkennung der Heiligkeit kirchlicher Räume l73 überwunden werden. Fraglich wäre dann letztlich, welche der widerstreitenden Erkenntnisquellen sich als schlüssig durchsetzt. 174 Zugleich spielt der genannte Einwand auf einen Bruch in der diesbezüglichen, vom reverentia loci-Gedanken ausgehenden Kirchentradition an. In diesem Zusammenhang gewinnt bei der Schlüssigkeitsprüfung andererseits möglicherweise die gerade maßgeblich auf dem Gedanken der Heiligkeit des Ortes beruhende staatliche Zurückhaltung beim Eindringen in Kirchenräume l75 noch einmal an Bedeutung. Letztlich müßte in dieser Frage dann unter Umständen eine Prüfung der Vereinbarkeit des Kirchenasyls mit den übrigen aktuellen Glaubensinhalten darüber entscheiden, ob das Schlüssigkeitserfordemis erfüllt ist. Verlangt wird dafür allerdings - worauf noch einmal hinzuweisen ist - nur ein Mindestmaß an innerer Konsistenz,176 womit sich die Prüfung im übrigen wiederum von einer rein theologischen Erörterung unterscheidet, in der es mehr um die Frage nach der richtigen und nicht nur nach einer unter Schlüssigkeitsgesichtspunkten vertretbaren Begründung des Kirchenasyls geht. (7) Politisch motivierte Kirchenasylgewährung Ob eine in erster Linie politisch motivierte Kirchenasylgewährung 177 aus der Kirchentradition abgeleitet werden könnte, ist höchst zweifelhaft. Anstelle einer historischen Kontinuität könnte es dann auch insoweit auf eine Vereinbarkeit mit der Gesamtheit der aktuellen Glaubensinhalte ankommen. 178 Dabei wäre beispielsweise im einzelnen festzustellen, ob und gegebenenfalls mit welcher Reichweite ein spezifisch kirchlicher Auftrag zur politischen Einmischung in Ausländer- und Asylangelegenheiten 179 besteht, der entsprechende Kirchenasylgewährungen umfaßt. 171

172 173 174 17S 176

Im Sinne der Forderung von Prantl, SZ vom 5./6. 7. 1996, S. 9; vgl. 0., S. 169 Fn. 137. Vgl. 0., S. 159. Vgl. 0., S. 160 f., 164. Vgl. zur Einordnung dieser Frage in die Sch1üssigkeitsprufung schon 0., S. 156. Vgl. dazu 0., S. 168. Vgl. 0., S. 170 m. Fn. 139.

177 Entsprechend etwa dem Vorschlag einer "Politisierung des Kirchenasyls", den ein in Evangelische Erwachsenenbildung Niedersachsen (Hrsg.), "Schützende Gemeinde werden", S. 31 abgedruckter Bericht wiedergibt; vgl. auch schon 0., S. 166. 178 Vgl. dazu auch - allgemein zum Verhältnis von Religion und Politik im rechtlichen Zusammenhang - Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 134 f. 179 Vgl. auch noch u., S. 209.

A. Tatbestandliche Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts

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In bezug auf die Gewährung von Kirchenasyl entsprechend dem festgestellten kirchlichen Selbstverständnis hat sich also jedenfalls gezeigt, daß weitere Schlüssigkeitsaspekte neben der Kirchentradition keine entscheidende Bedeutung haben oder zusätzlich für die Schlüssigkeit des kirchlichen Selbstverständnisses sprechen. Damit ist das kirchliche Selbstverständnis von der religiösen Zweckbeziehung des Kirchenasyls unter dem Gesichtspunkt des Verfolgtenschutzes als schlüssig anzusehen. Die Kirchenasylgewährung stellt demzufolge in dem unter dem Aspekt des Verfolgtenschutzes beanspruchten Umfang eine eigene Angelegenheit gemäß Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG der beiden großen Kirchen dar.

IV. Ordnung und Verwaltung der eigenen Angelegenheit Es bleibt zu fragen, weIche Art und Weise der Wahrnehmung der eigenen Angelegenheiten durch die Kirchen vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht geschützt wird. Art. 137 III I WRV verwendet in diesem Zusammenhang die Begriffe der Ordnung und Verwaltung. Zu untersuchen ist also, inwieweit die Kirchenasylgewährung als Ordnung und Verwaltung im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist. Man könnte die Begriffe der Ordnung und Verwaltung gemäß Art. 137 III I WRV so verstehen, daß das Selbstbestimmungsrecht ausschließlich organisatorische Befugnisse beinhaltet. 180 Diese Begriffe lassen sich aber auch in einem umfassenderen Sinne dahingehend verstehen, daß darunter alle Maßnahmen fallen, die zur Erfüllung der eigenen Angelegenheiten zu treffen sind. 181 Dahinter steht das Bild der Wahrnehmung der Grundfunktionen Normsetzung, Regierung bzw. Verwaltung sowie Rechtsprechung durch die Religionsgemeinschaften. 182 Schon wegen der äußerlich (auch im Hinblick auf Art. 4 GG) selbständigen Stellung des Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG verdient diese weitere Auslegung der Be180 So wohl Grote/ Kraus, JuS 1997,345 (350) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (72 f.)]; allgemein Preuß, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 140 Rn. 31; andeutungsweise Schlaich, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 4 (1970), S. 48 (50), wohingegen ders., in: HdbStKR, Band H, S. 131 (164) allerdings nicht (mehr) in diesem Sinne verstanden werden kann; ferner (in bezug auf das Schweizer Recht) Bundesamt fur Justiz, VPB 1986, Heft 50/1, Nr. 5, S. 45 (50); unklar Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 34 ff. 181 Vgl. v. Mangoldt/ Klein/ A. v. Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, Art. 1401 Art. 137 WRV Rn. 29: "alle erforderlichen Wirkungsmöglichkeiten"; ebenso wohl etwa BVerfGE 70,138 (164 f.); vgl. dazu auch lsensee, in: HdbStKR, Band 11, S. 665 (725). 182 Vgl. Hollerbach, in: HdbStR, Band VI, § 138 Rn. 114 (der allerdings die Zugehörigkeit der "inhaltlichen Kirchenfreiheit" zu Art. 137 III I WRV offenläßt, andererseits lediglich eine Akzentuierung des organisatorischen Aspekts - also keinen gänzlichen Ausschluß anderer Regelungsgehalte - annimmt), unter Bezugnahme auf BVerfGE 42, 312 (332); 53, 366 (40 I). 12·

180

5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

griffe der Ordnung und Verwaltung den Vorzug. 183 Sie entspricht auch der ursprünglich getrennten Regelung der individuellen Glaubensfreiheit in Art. 135 f. WRV - eine dem Art. 19 m GG entsprechende Regelung enthielt die Weimarer Reichsverfassung nicht - auf der einen Seite und der kollektiven Glaubensfreiheit in Art. 137 f. WRV auf der anderen Seite. 184 Auch im verwaltungsrechtlichen Sprachgebrauch sind als Verwaltungshandeln im übrigen nicht nur Maßnahmen organisatorischer Art, sondern gerade auch konkrete, einzelfallbezogene Maßnahmen anzusehen. 18S Ordnung und Verwaltung i. S. d. Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG bedeutet dementsprechend zum einen Rechtsetzung und zum anderen Aufgabenerfüllung durch Normanwendung bzw. Betätigung im nicht normgebundenen Bereich sowie Rechtsprechung. 186 Im Hinblick auf die Kirchenasylgewährung als eigene Angelegenheit bedeutet dies: Rechtliche Normierungen eines Kirchenasylsl87 fallen unter den Begriff der Ordnung, alle anderen mit der Gewährung von Kirchenasyl zusammenhängenden Maßnahmen unter den Begriff der Verwaltung i. S. d. kirchlichen Selbstbestimmungsrechts. 188 Damit steht fest, daß die Kirchenasylgewährung (durch die bei den großen Kirchen als Religionsgemeinschaften) die Ordnung bzw. Verwaltung einer eigenen Angelegenheit gemäß Art. 137 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG darstellt und somit die tatbestandlichen Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts erflillt.

m

183 Die (Überschneidungen mit Art. 4 GG nicht ausschließende) rechtliche Selbständigkeit der Gewährleistung des Art. 137 III I WRV i. Y. m. Art. 140 GG betont - neben den in den beiden vorstehenden Fn. genannten Entscheidungen - auch BVerfGE 72, 278 (289). Zum Verhältnis des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu Art. 4 GG vgl. schon 0., S. 139, 142. 184 Vgl. dazu bes. Gebhard. Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Vorbemerkungen zu den Art. 135 -141 Anm. I. 18S Vgl. Jurina, Der Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, S. 137; aus verwaltungsrechtlicher Sicht Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § I Rn. 12. 186 Vgl. Maunz. in: ders./Dürig, Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 17 f.; daneben v. Mangoldt/Klein/A. v. Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 29; ferner Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 6; Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (535 ff.). 187 Zur kirchenrechtlichen Rechtslage vgl. 0., S. 158 ff. 188 Unklar v.a. zur Bedeutung des Begriffs der Verwaltung in Kirchenasylfällen - auf der Basis einer allgemein befürworteten weiten Auslegung dieses Begriffs - Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 67 f.

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes I. Bestandsaufnahme

Für den Fall, daß das Kirchenasyl als eigene Angelegenheit der Kirchen i. S. d. Art. 137 ml WRV i. V. m. Art. 140 GG angesehen wird, greifen nach überwiegender Auffassung in der Literatur die Schranken "des für alle geltenden Gesetzes" ein. So wird gesagt, die das Abschiebungsverfahren regelnden Vorschriften gehörten ebenso wie die in Kirchenasylfällen in Betracht kommenden Strafvorschriften zu diesen allgemeinen Gesetzen, da sie für die Kirchen dieselbe Bedeutung hätten wie für jedermann. Das Institut der Abschiebung betreffe die Kirche in ihrer Besonderheit nicht härter als jedes andere staatliche Zugriffsrecht auf gesuchte Personen, etwa nach der Strafprozeßordnung. 189 Zu demselben Ergebnis kommt man mit dem Argument, Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG verbiete es lediglich, Sondergesetze gegen die Kirchen zu erlassen. Diese Auslegung entspreche der Forderung nach einer klaren Bereichsscheidung zwischen kirchlichem Innenbereich und dem Tätigwerden der Kirchen mit Außenwirkung über den kirchlichen Bereich hinaus. Im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik wird festgestellt, weder die einschlägigen Strafrechtsnormen noch die ausländerrechtlichen Vorschriften richteten sich speziell gegen die Kirchen; mithin könnten sie das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wirksam einschränken. l90 Schlagwortartig wird schließlich mit ebendemselben Ergebnis gesagt, die Frage, ob Pfarrer oder Gemeindeglieder einen Kirchenasylsuchenden dem staatlichen Zugriff entziehen dürften oder aber ihn ausliefern müßten, stehe prinzipiell unter der Letztentscheidung des staatlichen Rechts. 191 Nach dieser Auffassung gehen in Kirchenasylfällen die das polizeiliche Einschreiten und die Stratbarkeit der Beteiligten regelnden staatlichen Normen aufgrund der Schrankenbestimmung des Art. 137 m 1 WRV dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht in jedem Falle vor. 192 Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (38). B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (105 f.), der die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten und in der Literatur im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik aufgegriffenen Formeln zum Begriff des "für alle geltenden Gesetzes" (einschließlich der zuvor genannten ,,Jedermann"-Formel) wegen zu großer Unbestimmtheit ablehnt; daran (wiederum unausgesprochen) anschließend Demaml, Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestform, S. 32 f.; ebenso - unter Berufung auf Wielaml, Staat 25 (1986), 321 (346 ff.) - wohl auch Gramlieh, in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (205), der zusätzlich feststellt, etwas anderes könne auch nicht deshalb angenommen werden, weil allein die Personengruppe nichtdeutscher politisch Verfolgter von Asylrechtsnormen betroffen wäre, sondern diese Vorschriften würden für jeden Flüchtling gelten; ferner - trotz vorheriger Erwähnung der Notwendigkeit einer Güterabwägung - Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Der aktuelle BegriffNr. 9/96 vom 7. 5.1996, S. 2. 191 Robbers, AöR 113 (1988), 30 (43); ders., in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (126); ähnlich lsensee, in: HdbStKR, Band 11, S. 665 (735); M. H. Müller, apf 1994,189 (190); Scho/z, Welt am Sonntag vom 15.5. 1994; ders., in: Auflehnung gegen Unmenschlichkeit, S. 55. 189 190

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Es wird aber auch die Ansicht geäußert, wenn die Praxis des Kirchenasyls einem für alle geltenden Gesetz z. B. des Ausländer- oder Strafrechts widerspreche, bedeute dies keineswegs den zwingenden Vorrang dieser staatlichen Rechtsetzung. Nach neuerer Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei in den Fällen, in denen die Anwendbarkeit eines Schrankengesetzes i. S. d. Art. 137 m WRV in Frage stehe, der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck durch entsprechende Güterabwägung Rechnung zu tragen, wobei - auch in Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - dem Selbstverständnis der Kirchen ein besonderes Gewicht zugemessen werden müsse. Das Gebot der Güterabwägung habe in Kirchenasylfällen eine nicht unerhebliche Bedeutung bei der Interpretation und Anwendung der einschlägigen Schrankengesetze. Nach dieser Auffassung ergibt sich aus der Schrankenbestimmung des Art. 137 m 1 WRV in bezug auf die Kirchenasylproblematik kein eindeutiger Vorrang der das polizeiliche Einschreiten und die Strafbarkeit der Beteiligten regelnden staatlichen Normen gegenüber dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Nähere Kriterien, an denen sich die insoweit für erforderlich gehaltene Abwägung der betroffenen Rechtsgüter auszurichten hat, werden dabei aber kaum genannt, so daß das Ergebnis der Güterabwägung und damit die Frage, ob die Schrankengesetze in Kirchenasylfällen anwendbar sind oder nicht, im Grundsatz offenbleibt; maßgeblich soll es wohl letztlich auf die Umstände des Einzelfalles ankommen. 193 Ergänzend wird darauf hingewiesen, verfassungsrechtlich sei die Gewährung von (grundrechtlichen) ,,Freiräumen" eine triviale Selbstverständlichkeit, die nicht von vornherein gegen die rechtliche Anerkennung eines Kirchenasyls spreche. Als einfachrechtlicher Ansatzpunkt einer diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Gewährleistung aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht wird § 55 AuslG genannt. 194

Auch speziell im Hinblick auf Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG wird schließlich gesagt, ein rechtsfreier Raum werde den Kirchen durch diese Bestimmung nicht eingeräumt. Solche Äußerungen kommen von Vertretern der beiden genannten Auffassungen gleichermaßen. 195 192 So i. E. auch (ohne nähere Begründung) Aumhammer; Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 185; Bayer; Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 250 f.; Ehnes, in: Das Recht der Kirche, S. 601 (614); v. Münch, NJW 1995,565 f. (der dies als "unbestreitbare Feststellung" und "unzweifelhaft" ansieht und für die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften insoweit überdies eine besondere Verpflichtung zur Gesetzestreue aus dem Körperschaftsstatus gemäß Art. 137 V WRV i. V. m. Art. 140 GG annimmt; vgl. dazu auch 0., S. 114 Fn. 11); daneben (im Zusammenhang mit dem kirchlichen öffentlichen Sachenrecht) Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, S. 135, bes. auch für den Fall des ins Kirchenasyl geflüchteten Straftäters; wohl auch Dehnen, ZevKR 40 (1995), I (15); Siegmund. VerfassungsrechtIiche Aspekte des Kirchenasyls, S. 68 ff., unter Verweisung auf (seine Ausführungen zu) Art. 4 GG; ferner Renck, NJW 1997,2089 (2090). vgl. dazu schon 0 .• S. 140 Fn. 4. 193 Vgl. Kaltenbom. DVBI. 1993. 25 (26 f.); ähnlich wohl Rothkegel. ZAR 1997. 121 (125 ff.), vgl. dazu auch 0., S. 140 Fn. 4. 194 Vgl. Geis. JZ 1997,60 (62 f., 65 ff.).

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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11. Der Begriff des für aUe geltenden Gesetzes Die Gewährleistung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts besteht nach Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG nur "innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes". Die Bedeutung dieser Schrankenregelung ist nunmehr zunächst allgemein zu bestimmen. Dabei muß Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG auch insoweit in jedem Falle - wegen der (trotz innerer Verbindung) äußerlich getrennten und eigenständigen Stellung - gesondert von Art. 4 GG betrachtet werden,196 ohne daß die Auslegung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts allerdings von der Glaubensfreiheit als religiöser Grundnorm völlig unbeeinflußt bleibt. 197 Weithin unumstritten ist, daß nicht jedes allgemeine 198 staatliche Gesetz Schranke für die in Art. 137 1lI 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG anerkannte Regelungs- und VerwaItungsbefugnis der Kirchen ist. 199 Im einzelnen gibt es zur Bestimmung des Begriffs des für alle geltenden Gesetzes indessen unterschiedliche Auslegungsansätze. 1. Heckelsche Fonnel

Zunächst wurde verbreitet die Auffassung vertreten, für die Auslegung der Schrankenregelung des Art. 137 m 1 WRV sei die besondere Stellung der Kirchen gegenüber dem Staat maßgeblich. Nach der bereits in der Zeit der Weimarer Republik entwickelten und später vielfach aufgenommenen sog. HeckeIschen Formel ist das "für alle geltende Gesetz" dementsprechend aufgrund seiner Funktion als Regelung der Grenzziehung zwischen gewaltigen öffentlichen Gemeinwesen (und nicht der bürgerlichen Freiheit) ein Gesetz, das trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als sachlich notwendige 195 B. Huber, in: Asyl arn Heiligen Ort, S. 99 (106); Kaltenborn, DVBI. 1993, 25 (27); daneben Roßkopf, AWR Bulletin 1996, 93 (103), nachdem er bei der Güterabwägung entsprechend der Wechselwirkungslehre zu einem weitgehenden Vorrang der Schrankengesetze gekommen ist; vgl. ferner schon 0., S. 130 f. 196 So wohl auch lsak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 230, unter Verweisung auf Friesenhahn, in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 17 (1983), S. 40; anders etwa lsensee, in: HdbStKR, Band 11, S. 665 (731) m.N.; vgl. aber auch ders., in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche 17 (1983), S. 54. 197 Vgl. dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 27 f.; ferner schon 0., S. 139; zum Verhältnis von Art. 137 III I WRV i. V. m. Art. 140 GG und Art. 4 GG ferner bereits 0., S. 142, 179 f.; ausführlicher noch u., S. 231 f. 198 Darüber, daß das Wort "alle" in Art. 137 III I WRV nicht adjektivisch (i. S. von "alle Religionsgesellschaften"), sondern substantivisch zu verstehen ist, daß also das für "alle" geltende Gesetz das allgemeine, für jedermann geltende Gesetz bedeutet, ist man sich seit langem einig, vgl. nur Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (544) m. N. 199 BVerfGE 42,312 (333) m. w. N.; zur ganz vereinzelt vertretenen Gegenauffassung vgl. noch u.. S. 186.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Schranke der kirchlichen Freiheit anerkannt werden muß; dies ist mit anderen Worten jedes für die Gesamtnation als politische, Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliche Gesetz, aber auch nur ein solches Gesetz. 2OO Diese Formel wird allerdings wegen ihrer Unbestimmtheit und wegen ihrer problematischen Konsequenzen in der Praxis kritisiert. 201 Man könnte zwar in der Singularfassung der Schrankenbenennung in Art. 137 1lI 1 WRV mit dem Begriff "des für alle geltenden Gesetzes" (vgl. dagegen § 147 I RV 1849, der - wie auch Art. l35 S. 3 WRV - von "den allgemeinen Staatsgesetzen" als Schranke spricht; ebenso Art. 5 11 GG und Art. 118 I WRV: Schranken "der allgemeinen Gesetze") durchaus einen gewissen, für die HeckeIsche Formel sprechenden Anhaltspunkt erkennen.2°2 Dennoch spricht der Wortlaut des Art. l37 1lI 1 WRV letztlich entscheidend gegen eine derartige Auslegung der Schrankenregelung. Denn in der Verfassungsbestimmung ist ja gerade nicht vom "für alle unentbehrlichen Gesetz", sondern vom "für alle geltenden Gesetz" die Rede. Überdies widerspricht die HeckeIsche Formel deutlich der Intention des Verfassungsgebers.2° 3

2. Jedennann-Fonnel

Derselbe Ausgangspunkt wie der HeckeIschen Formel liegt Aussagen zugrunde, wonach bei der Auslegung der Schrankenregelung des Art. 137 1lI 1 WRV auf das im Vergleich zu den übrigen gesellschaftlichen Großgruppen qualitativ andere Verhältnis der Kirchen zum Staat Rücksicht genommen werden müsse; das folge nicht nur aus der Verschiedenheit, daß jene Gruppen lediglich partielle Interessen vertreten würden, während die Kirchen ähnlich wie der Staat den Menschen als Ganzes in allen Feldern seiner Betätigung und seines Verhaltens anspreche, sondern insbesondere auch aus dem Spezifikum des geistig-religiösen Auftrags der Kirchen. Daraus wird nun gefolgert, zu den für alle geltenden Gesetzen i. S. d. Art. 137 1lI 1 WRV könnten nur solche Gesetze rechnen, die für die Kirchen dieselbe Bedeutung hätten wie für den Jedermann. Wenn ein Gesetz die Kirche nicht wie den Jedermann treffe, sondern in ihrer Besonderheit als Kirche härter, ihr Selbstverständnis, insbesondere ihren geistig-religiösen Auftrag beschränkend, also anders als den 200 J. Hecket, VerwArch 37 (1932), 280 (283 f.) [= ders., Das blinde, undeutliche Wort "Kirche", S. 591 (592)]; daran anschließend BGHZ 22,383 (387); weitere Nachw. bei Jurina, Der Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, S. 42 f. 201 Vgl. Jurina, Der Rechtsstatus der Kirchen und Religionsgemeinschaften im Bereich ihrer eigenen Angelegenheiten, S. 43 f. m. w. N. 202 In diese Richtung wohl auch Winter, in: Staatskirchenrecht in der Bundesrepublik Deutschland, S. 9 (21). 203 Vgl. Pahtke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 81 m. w. N.; vgl. auch schon 0., S. 183 Fn. 198. und sogleich noch u., S. 185 f. Zu den Besonderheiten und Grenzen einer historischen Auslegung der aus der WRV übernommenen Kirchenartikel vgl. allerdings auch allgemein Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (530 f.).

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

185

normalen Adressaten, dann bilde es insoweit keine Schranke (sog. Jedermann-Formel).204 Diese Auffassung ist schon deshalb zweifelhaft, weil man daraus folgern könnte, alle die eigenen Angelegenheiten betreffenden Gesetze seien keine allgemeinen Gesetze, da bei Betroffenheit der eigenen Angelegenheiten die Kirchen in ihrer Besonderheit als Kirchen immer härter betroffen seien als andere. Jedenfalls ist die Jedermann-Formel aber aus dem Grund abzulehnen, daß sie das Eingreifen der Schrankenregelung letztlich vom Selbstverständnis der Kirchen abhängig macht, d. h. in die Definitionsmacht der Kirchen stellt.205 Generell nimmt ein verbindliches Abstellen auf das Selbstverständnis bei der Normauslegung den betreffenden Rechtsbegriffen weitgehend ihre eigentliche Funktion. 206 Im Hinblick auf den Begriff des für alle geltenden Gesetzes i. S. d. Art. 137 m 1 WRV würde eine rein selbstverständnisbestimmte Auslegung praktisch eine völlige Schrankenlosigkeit des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts bewirken.

3. Sonderrechts- und Abwägungslehre

Den richtigen Ansatzpunkt für die Auslegung der Schrankenregelung des Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG liefert die Auseinandersetzung mit dem Ausgangspunkt der Heckeischen Formel wie auch der Jedermann-Formel. Beide Formeln gehen nämlich davon aus, die besondere Stellung der (öffentlich-rechtlichen) Kirchen gegenüber dem Staat führe dazu, daß die Schrankenregelung des Art. 137 III 1 WRV insoweit prinzipiell anders auszulegen sei als in bezug auf privatrechtliche Religionsgemeinschaften. 207 Diese Unterscheidung ist indessen mangels irgendeiner Andeutung im Wortlaut der Regelung unzutreffend. Vielmehr ist auch unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte der Bestimmung - davon auszugehen, daß die Kirchen zunächst grundsätzlich als "Bürger unter Bürgern" 204 BVerfGE 42, 312 (333 f.); daran anschließend etwa Neumann, in: Arbeitsleben und Rechtspflege, S. 353 (360, 365, 368); vgl. auch Hemmrich, in: v. Mönch I Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 140 Rn. 20; weitere Nachw. bei Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 86 f.; unklar Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 80 ff. Zur früheren, auf der sog. Bereichsscheidungslehre aufbauenden Rechtsprechung - BVerfGE 18, 385 (387); vgl. vorher bereits Quaritsch, Staat I (1962), 289 (295 f.) -, auf die in der genannten Entscheidung verwiesen wird, vgl. schon 0., S. 150 ff.; ausführlicher zur Bereichsscheidungslehre und der gegen sie gerichteten Kritik Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 132 ff., 209 f., 215 ff., 234 m. w. N. 205 Vgl. Schlaich, JZ 1980,209 (214 f.); daran anschließend Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 87 f. m. w. N. 206 Vgl. schon 0., S. 148. 207 So ausdrücklich J. HeckeI, VerwArch 37 (\932), 280 (282 f.) [= ders., Das blinde, undeutliche Wort "Kirche", S. 590 f.]: "sinnvariierende Formel"; in diese Richtung, aber letztlich offenlassend auch BVerfGE 42, 312 (332 f.).

186

5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

unter die für alle gültigen Gesetze gestellt werden sollten?08 Überwiegend wird demgemäß in neuerer Zeit die Schrankenregelung des Art. 137 III I WRV entsprechend der vergleichbaren grundrechtlichen Regelung des Art. 5 11 GG ausgelegt,209 und zwar nach den Grundsätzen der Sonderrechts- und Abwägungslehre: Nach der Sonderrechtslehre sind allgemeine Gesetze bzw. für alle geltende Gesetze i. S. d. Art. 137 III 1 WRValle nicht speziell gegen die Kirchen gerichteten Gesetze. Die Schrankenbestimmung beinhaltet danach ein Verbot von Sonderrecht gegen die Kirchen. 210 Vereinzelt werden die Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts sogar - der zur Weimarer Zeit vorherrschenden Auffassung entsprechend - ausschließlich mit Hilfe dieser Sonderrechtslehre bestimmt. 2l1 Allerdings stellt das Sonderrechtsverbot nur sehr geringe Anforderungen an den Gesetzgeber und ermächtigt diesen damit zu sehr weitgehenden Einschränkungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts, so daß von der Schutzfunktion dieses Rechts kaum etwas übrig bleibt. 212 Letztlich beinhaltet die Sonderrechts lehre nur eine Konkretisierung des - gemäß Art. 3 I GG i. V. m. Art. 19 III GG auch für die Kirchen geltenden - allgemeinen Gleichheitssatzes. 213 Die Beschränkung darauf wird dem Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG als Freiheitsrecht214 nicht gerecht und ist daher abzulehnen. 215 Nach überwiegender Auffassung geht dementsprechend ein den Maßstäben der Sonderrechtslehre genügendes und in diesem Sinne allgemeines Gesetz dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht nicht in jedem Falle vor. Vielmehr führt das Verbot einer völligen Vernachlässigung der Kirchenfreiheit gegenüber dem Schrankenzweck zu einer Wechselwirkung beider Rechtsgüter, der durch eine - der zu Art. 5 11 GG entwickelten Wechselwirkungslehre entsprechende und wie diese am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte - Abwägung Rechnung zu tragen ist (sog. Abwägungslehre).216 Danach kann das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aufVgl. RGZ 114,220 (224) m.N. Vgl. v. Mangoldt/Klein/A. v. Campenlulusen. Das Bonner Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 123 m. w. N.; ausdlÜcklich, aber unzutreffend dagegen noch BVerfGE 42, 312 (333). Zur Heranziehung des Art. 5 11 GG vgl. schon 0., S. 184. 210 Vgl. schon 0., S. 183 m. Fn. 198 und S. 184 m. Fn. 203. 211 So von Preuß. in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 140 Rn. 27 f.; aus der Weimarer Zeit vgl. etwa die bereits erwähnte Entscheidung RGZ 114,220 (224 f.); vgl. dazu ferner Hesse. in: HdbStKR, Band I, S. 521 (544,548). Zur entsprechenden Sonderrechtslehre zu Art. 5 11 GG vgl. nur Pieroth/Schlink. Grundrechte, Rn. 588 ff. 212 Vgl. Hesse. in: HdbStKR, Band I, S. 521 (554). 213 Deutlich in diese Richtung Wieland. Staat 25 (1986), 321 (350). 214 So ausdrücklich etwa v. Mangoldt / Klein/ A. v. Campenhausen. Das Bonner Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 123 a. E. 215 Vgl. auch die ähnliche Argumentation zu Art. 4 GG von Freihalter. Gewissensfreiheit. S. 225 f. m.N. 216 Vgl. BVerfGE 53,366 (400 f.), unter Bezugnahme auf Maunz. in: ders./Dürig, Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 20; ausflihrIich Bock. Das für alle geltende Gesetz und 208 209

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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grund des Vorbehalts des Art. 137 III 1 WRV gesetzlich nur soweit eingeschränkt werden, als dies zum Schutz eines höherrangigen Rechtsguts erforderlich ist. Damit gewährleistet diese Formel eine angemessene Berücksichtigung aller betroffenen Rechtsgüter, indem sie eine exakte Benennung derselben und eine nachvollziehbare Begründung der Vorrangigkeit des einen Rechtsguts gegenüber dem anderen im konkreten Fall verlangt. 217 Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht im übrigen, daß sie Raum für eine Einbeziehung der von der Heckeischen Formel und der Jedermann-Formel betonten Gesichtspunkte des kirchlichen Selbstverständnisses und einer etwaigen Sonderstellung der Kirchen läßt. 218 Maßgeblich für die Auslegung der Vorbehaltsregelung des Art. 137 III 1 WRV ist demnach die (kombinierte) Sonderrechts- und Abwägungslehre. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht wird daher nur durch solche Gesetze wirksam beschränkt, die sich zum einen nicht speziell gegen die Kirchen richten und die zum anderen zum Schutze eines gegenüber der Kirchenfreiheit höherrangigen Rechtsguts erforderlich sind.

111. Die in Kirchenasylfällen einschlägigen Nonnen als für alle geltende, die Kirchenfreiheit beschränkende Gesetze Nachdem der Begriff des für alle geltenden Gesetzes gemäß Art. 137 In 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG geklärt wurde, stellt sich nun die Frage, ob darunter auch die in Kirchenasylfällen einschlägigen einfachrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen eines staatlichen Tätigwerdens 219 fallen. Der erste PTÜfungsschritt ist dabei unproblematisch: Da sowohl die verwaltungsrechtlichen als auch die strafrechtlichen die kirchliche Selbstbestimmung, S. 272 ff.; Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (552 ff.); Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 235 ff.; Pahlke, Kirche und Koalitionsrecht, S. 83 ff.; W Weber, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber, S. 181 ff.; ferner Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften, S. 41 ff., aUe m. w. N.; kritisch Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 277 ff., dessen eigener (vermittelnder) Ansatz einer typisierenden Güterabwägung aber verschwommen bleibt; unklar Wieland, Staat 25 (1986), 321 (347 ff.), der im Anschluß an Quaritsch, Staat I (1962),289 (299) eine Abwägung ablehnt (vgl. schon 0., bei Fn. 213), aber zugleich - ohne nähere Konkretisierung - die Bedeutung des Art. 4 GG als Schranken-Schranke besonders betont (was i. E. wohl ebenfaUs auf eine Abwägungslösung hinausläuft). Zur Wechselwirkungslehre zu Art. 5 " GG vgl. ergänzend nur Pierothl Schlink, Grundrechte, Rn. 595 ff. Als Alternative zur dort genannten verfassungskonformen Auslegung hat die Rspr. in bezug auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht in EinzelfäUen eine Unvereinbarerklärung ausgesprochen, vgl. BVerfGE 53, 366 (407); 72, 278 (295); dazu Hein, Die Unvereinbarerklärung verfassungswidriger Gesetze durch das Bundesverfassungsgericht, S. 82 f., 131. 217 Vgl. Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 237 ff. 21S In diese Richtung auch Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (553,555 f.). 219 Vgl. 0., S. 25 ff.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Nonnen, auf die ein staatliches Handeln in Kirchenasylfällen gestützt werden kann, sämtlich nicht speziell gegen kirchliches Handeln gerichtet sind, sind sie allgemeine Gesetze i. S. d. Sonderrechtslehre. 22o Daraufhin ist nun in einem zweiten Schritt nach den Maßstäben der Abwägungslehre der Wechselwirkung zwischen den im staatlichen Interesse erlassenen Schrankengesetzen und dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Rechnung zu tragen. Dazu bedarf es ausführlicherer Erörterungen. Es stellt sich also nunmehr die Frage, inwieweit die die Kirchenfreiheit beschränkenden Gesetze im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik ihrerseits durch die Kirchenfreiheit beschränkt werden. Dabei ist im Rahmen einer umfassenden, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Güterabwägung zu untersuchen, ob die einschlägigen einfachgesetzlichen Regelungen zum Schutz eines gegenüber dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht höherrangigen Rechtsguts erforderlich und damit insoweit uneingeschränkt verfassungsgemäß sind oder ob dies nicht der Fall ist und das einfache Recht infolgedessen verfassungswidrig oder verfassungskonfonn auszulegen ist. Im einzelnen ist dabei zunächst zu klären, welchem Rechtsgut die Schrankengesetze dienen und ob dieses Rechtsgut gegenüber der Kirchenfreiheit als höherrangig anzusehen ist. Ergibt sich in diesem Zusammenhang ein Zurücktreten der Kirchenfreiheit gegenüber den betreffenden Schrankengesetzen oder auch ein Zurücktreten letzterer gegenüber der Kirchenfreiheit noch nicht unmittelbar, so ist anschließend im einzelnen festzustellen, inwieweit eine Einschränkung der Kirchenfreiheit überhaupt erforderlich ist, um den schrankengesetzlich bezweckten Rechtsgüterschutz in Kirchenasylfällen zu erreichen. Ist die Eingriffsmaßnahme zur Zweckerreichung erforderlich, ohne daß zwischen der Kirchenfreiheit und den schrankengesetzlich geschützten Rechtsgütern von vornherein ein absolutes Vorrangverhältnis besteht, so muß eine konkrete Verhältnisbestimmung zwischen den beteiligten Rechtsgütern über den Vorrang in Kirchenasylfällen entscheiden. Dafür ist dann entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Abwägung i.e.S. ausschlaggebend. Klarstellend ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, daß es bei einer solchen Abwägung nicht darum gehen kann, subjektive Urteile (und Vorurteile) des Abwägenden zur Geltung zu bringen. 221 Die Abwägung muß vielmehr i.S. einer Herstellung praktischer Konkordanz darauf abzielen, alle beteiligten Rechtsgüter zu optimaler Entfaltung gelangen zu lassen. 222 Mit Recht wird 220 Vgl. Geis, JZ 1997, 60 (63): "zweifellos"; Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 75: "selbstverständlich"; daneben - die SchrankenpTÜfung auf diese Feststellung beschränkend - B. Huber; in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (106); ebenso v. Münch, NJW 1995,565, der wohl auch die Beschränkung auf die Sonderrechtslehre als "unbestreitbare Feststellung" und "unzweifelhaft" - vgl. schon 0., S. 182 Fn. 192 - ansieht, ohne die Abwägungslehre (oder andere Auffassungen) überhaupt zu erwähnen. 221 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 293. 222 Vgl. dazu Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 317 ff.; speziell zur Kirchenfreiheit ders., in: HdbStKR, Band I, S. 521 (554 f.).

B. Die Schranken des für aHe geltenden Gesetzes

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aber besonders betont, daß eine verhältnismäßige Zuordnung der beteiligten Rechtsgüter in erster Linie nicht erst aufgrund der eigentlichen Abwägung, sondern bereits unter dem Gesichtspunkt der Erforderlichkeit der Eingriffsmaßnahme zur Zweckerreichung vorzunehmen ist, daß die Verhältnismäßigkeitsprüfung also vor allem eine Notwendigkeitsprüfung sein muß, um die mit einer Abwägung i. e. S. in jedem Falle verbundenen Schwierigkeiten nach Möglichkeit zu vermeiden. 223 Die Untersuchung soll ausgehen vom derzeit praktisch häufigsten Fall der Kirchenasylgewährung zum Schutz von Abschiebung bedrohter Ausländer, und zwar unter dem auf der Tatbestandsebene als für die Kirchen maßgeblich festgestellten Gesichtspunkt des Verfolgtenschutzes (intercessio-Gedanke). Für bezüglich der anderen - vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht tatbestandlich ebenfalls erfaßten 224 oder zumindest nicht definitiv auszuschließenden 225 - Kirchenasylfälle erforderliche zusätzliche Erwägungen soll im Anschluß an die zum Ausgangsfall gemachten Ausführungen in einer zusammenfassenden Betrachtung Raum sein. Sodann ist auch noch auf mit den zuvor erörterten materiellen Fragen eng zusammenhängende prozessuale Aspekte einzugehen, bevor es abschließend um die einfachrechtlichen Auswirkungen der vorangegangenen verfassungsrechtlichen Erkenntnisse geht. 1. Die schrankengesetzlich geschützten Rechtsgüter

Die in Kirchenasylfällen einschlägigen ausländerrechtlichen Regelungen über die Ausreisepflicht und ihre Durchsetzung nebst den damit (direkt oder indirekt) verbundenen Strafvorschriften bezwecken - neben der Sicherung der Integration und der Förderung grenzüberschreitender Beziehungen als Grundzielen des Ausländergesetzes - eine Zuwanderungsbegrenzung im Hinblick auf Ausländer aus Nicht-EU-Staaten auf der Grundlage der staatlichen Personal- und Gebietshoheit zum Schutze des Staatswohls und des Wohls der eigenen Bevölkerung. 226 Darauf nimmt etwa der allgemeine Ausweisungstatbestand des § 45 I AuslG erkennbar Bezug, wenn er (wie auch § 7 11 Nr. 3 AuslG) von den "Interessen der Bundesrepublik Deutschland" spricht. 227 Eine Konkretisierung der insgesamt von den AufentVgl. PierothlSchlink, Grundrechte, Rn. 294. Zum umfassenden - und danach auch auf "inländische Flüchtlinge" (vgl. schon 0., S. 21) bezogenen - tatbestandlichen Schutz des im Gedanken des Verfolgtenschutzes begründeten Kirchenasyls vgl. 0., S. 179. 225 Vgl. dazu 0., S. 178: Heiligkeit des Kirchenraumes oder politische Motivation ansteHe des Gedankens des Verfolgtenschutzes als Kirchenasylgrund. 226 Vgl. BTDrucks 11/6321, S. 40 ff. 227 Vgl. dazu KaneinlRenner, Ausländerrecht, § 7 AuslG Rn. 20, § 45 AuslG Rn. 10. Von "nationalen Interessen des Staates" ist in BTDrucks IV 1868, S. 9 im Hinblick auf die Grundgedanken des Fremdenrechts die Rede. 223

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

haltsbeendigungsregelungen geschützten Rechtsgüter erfolgt dementsprechend vor allem im Zusammenhang mit der Auslegung dieses Begriffs. Dabei wird zum einen auf die beispielhafte Aufzählung des § 46 AuslG verwiesen. 228 Zum anderen werden - auch unter dem Gesichtspunkt der Auswirkungen auf (zukünftige) Vergleichsfälle - bei der Bestimmung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland politische, wirtschaftliche, finanzielle, kulturelle und soziale Grundsätze und Entwicklungen berücksichtigt, und zwar insbesondere in bezug auf die Bereiche Versorgung, Ausbildung, Arbeitsmarkt sowie öffentliche Sicherheit und Ordnung als konkrete Schutzgüter. 229 Auch wenn sich zusammenfassend sagen läßt, daß öffentliche Interessen grundsätzlich gegen eine Einwanderung (und damit für eine Aufenthaltsbeendigung) sprechen, solange sich die Bundesrepublik nicht als Einwanderungsland versteht,230 kann auf eine Individualisierung und Benennung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter nicht verzichtet werden, wenn es um die Interessen der Bundesrepublik Deutschland geht. 231 Von den genannten ausländerrechtlich geschützten Rechtsgütern sind in Kirchenasylfallen generell - auch im Hinblick auf zukünftige Auswirkungen und dabei besonders auf mögliche Handlungsanreize für andere Ausländer in vergleichbarer Situation und die daraus entstehenden Folgen - die Bewahrung öffentlicher Mittel vor ungewollter Inanspruchnahme, die Sicherung des Wohnungs- und Arbeitsmarktes gegen vermeidbare Belastungen sowie die Erhaltung der Integrationsfähigkeit zum Schutz vor gesellschaftlichen Spannungen aufgrund mangelnder Ausländerintegration von Bedeutung. Sind über diese in Kirchenasylfallen generell zu berücksichtigenden Rechtsgüter hinaus im Einzelfall weitere ausländerrechtliche Schutzgüter (etwa die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die auch durch die - zu den häufigsten Ausweisungsgründen zählende - Begehung von Straftaten beeinträchtigt wird)232 berührt, so sind derartige zusätzliche Gesichtspunkte zugunsten der ausländerrechtlichen Schrankengesetze besonders zu berücksichtigen. 233 Demgegenüber ist zu beachten, daß Vgl. nur Kanein/Renner, Ausländerrecht, § 46 AuslG Rn. 2. Vgl. BVerfGE 49, 168 (182 f.); BVerwGE 42, 148 (154 ff.); 56, 254 (259); 57, 252 (254 ff.); Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, § 7 AuslG Rn. 9, 37, 43, wo es - unter Bezugnahme auf BVerwG, DÖV 1982,40; ebenso BVerwG, NVwZ 1982,632 (633); vgl. auch BVerfGE 94, 166 (217 f.) - auch um die Ausreisepflicht abgelehnter Asylbewerber geht; ebenfalls im Hinblick auf das Asylrecht Selk, NVwZ 1993,144 (146); vgl. ferner - bes. unter historischem Aspekt - Jakober / Lehle / Schwab, Aktuelles Ausländerrecht, § 45 Aus1G Rn. 1 f. 230 Vgl. etwa Kanein/Renner, Ausländerrecht, § 7 Rn. 22. 231 Vgl. - im Rahmen allgemeiner Ausführungen zum ausländerbehördlichen Ermessen Rittstieg, JZ 1971, 113 (114 ff.); daran anschließend Rose, JZ 1971, 721 (723). 232 Vgl. dazu allgemein Kanein/Renner, Ausländerrecht, § 45 Aus1G Rn. 8 f., § 46 AuslG Rn. 13 ff., wobei in bezug auf eine ausländerrechtliche Strafbarkeit zu beachten ist, daß für Kirchenasylfälle gerade erst geprüft wird, inwieweit das Verfassungsrecht einer bei rein einfachrechtlicher Betrachtung bestehenden - akzessorischen, vgl. 0., S. 74 - Strafbarkeit entgegensteht. 228 229

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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spezielle für einen Verbleib des Ausländers sprechende Umstände (z. B. in bezug auf Art. 6 GG) zwar bei der Ermittlung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung bedeutsam sind,234 aber - sofern ein solches Interesse dennoch als überwiegend angesehen und festgestellt wird - nicht zugunsten der Kirchenfreiheit ins Gewicht fallen. Für die nachfolgende Untersuchung soll aber nun vom Fehlen besonderer Fallumstände auf der einen wie auf der anderen Seite ausgegangen werden. 2. Rangverhältnis zwischen Kirchenfreiheit

und schrankengesetzlich geschützten Rechtsgütern

Nach der Feststellung der schrankengesetzlich geschützten Rechtsgüter, die dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht in Kirchenasylfällen gegenüberstehen, stellt sich die Frage nach dem Rangverhältnis zwischen beiden Rechtspositionen. Zu prüfen ist dabei vor allem, ob insoweit ein absolutes Vorrangverhältnis besteht, das von vornherein aufgrund eindeutiger verfassungsrechtlicher Vorgaben23s eine Unterordnung der Kirchenfreiheit unter die Schrankengesetze oder umgekehrt bewirkt. Zunächst ist aber das allgemeine Rangverhältnis zwischen den beteiligten Rechtsgütern zu klären.

a) Allgemeines Rangverhältnis

Das Staatswohl und das Wohl der eigenen Bevölkerung sind wichtige Schutzgüter eines jeden Staates. 236 Die Sicherung des Wohnungs- und Arbeitsmarktes und die Erhaltung der Integrationsfähigkeit wie auch die Bewahrung öffentlicher Mittel vor ungewollter Inanspruchnahme sind dabei von großer Bedeutung. Insoweit ist eine staatliche Zuwanderungsbegrenzung verfassungsrechtlich zwar im Normalfall nicht geboten, aber durchaus zulässig. 237 Der Kirchenfreiheit grundsätzlich über233 Vgl. auch Geis. JZ 1997.60 (64). der im Hinblick auf Art. 4 GG leibes- oder lebensbedrohende strafbare Handlungen des Ausländers als besonders zu berücksichtigende Einzelfallumstände unter dem Aspekt des kollidierenden Verfassungsrechts erwähnt; ferner M. H. Müller, Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre. S. 10; andeutungsweise auch Lisken. Polizei-heute 1995, 168 (170). 234 Vgl. dazu Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, § 7 Rn. 9, 37. m Zur - U.U. auch noch einmal im Rahmen der Abwägung i.e.S. relevanten - Einbeziehung des (mit der Kirchenfreiheit) kollidierenden Verfassungsrechts in die Schrankenprüfung vgl. nur Isak. Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 248. 236 Vgl. BTDrucks 11/6321, S. 43. 237 Vgl. BVerfGE 76, I (47 f.); vorsichtig ("wohl") unter Berufung auf ein grundgesetzliches Nationalstaatsprinzip weitergehend Bleckmann. DÖV 1988,437 (443); skeptisch gegenüber der Annahme einer verfassungsrechtlichen Verankerung der genannten einzelnen Rechtsgüter Selk, NVwZ 1993. 144 (146 f.), wohingegen BVerfGE 94,166 (217 f.) in diesem

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

geordnet im Sinne eines festen Rangverhältnisses sind die solchermaßen geschützten Rechtsgüter damit allerdings ebensowenig wie ihnen gegenüber ein absoluter Vorrang der Kirchenfreiheit festgestellt werden kann.

b) Spezielle veifassungsrechtliche Gesichtspunkte hinsichtlich eines eindeutigen Vorrangverhältnisses Möglicherweise ist eine strikte Überordnung der Schrankengesetze über die Kirchenfreiheit in Kirchenasylfällen aber aus zusätzlichen verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Insoweit ist auf verschiedene Gesichtspunkte einzugehen: aa) Staatliches Asylgewährungsmonopol Zunächst ist an dieser Stelle noch einmal auf das Argument einzugehen, einem Kirchenasylrecht stehe das staatliche Asylgewährungsmonopol entgegen. 238 Es wurde allerdings bereits gezeigt, daß es in Kirchenasylfällen nicht um eine Asylgewährung gemäß Art. 16a GG durch die Kirchen geht. 239 Insoweit bleibt das Asylgewährungsmonopol unangetastet. Eine generelle Verdrängung anderer verfassungsrechtlicher Gewährleistungen ist mit dem Bestehen des Asylgewährungsmonopols im übrigen nicht verbunden, auch wenn dies ein Verbleiben abgelehnter Asylbewerber im Bundesgebiet zur Folge haben kann. 24o Einem in Voraussetzungen und Rechtsfolgen vom staatlichen Asylrecht unterschiedenen verfassungsrechtlichen Kirchenasylrecht steht das Asylgewährungsmonopol also nicht von vornherein entgegen. 241 Eine Relevanz dieses Gesichtspunkts bei einer eventuellen Abwägung i.e.S. wird dadurch nicht ausgeschlossen. Nichts anderes gilt für den ebenfalls in diesen Zusammenhang gehörenden Gesichtspunkt der Deckungsgleichheit von Kirchenasylgründen und staatlichen Asylgründen. 242 Dieser Gesichtspunkt wird im Abwägungsrahmen aber üblicherweise Zusammenhang auf Art. 16a IV GG verweist; unklar - speziell im Hinblick auf das Kirchenasyl, aber zu Art. 4 GG - Lisken, Polizei-heute 1995, 168 (170), der die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Verankerung wohl übersieht, wenn er der formellen Abschiebungsbefugnis des Staates "keinen grundrechtsgleichen Wert" zuerkennt, ohne dies irgendwie zu erläutern; kritisch gegenüber der Existenz eines grundgesetzlichen Nationalstaatsprinzips und seiner Einschlägigerklärung in Kirchenasylfällen - ebenfalls zu Art. 4 GG - M. H. Müller. Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. 8 ff. 238 Vgl. schon 0., S. 113 f. 239 Vgl. 0., S. 111 ff. 240 Vgl. nur Funke-Kaiser. in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 55 Rn. 18, 20 (allgemein zum Problem verfassungsrechtlicher Abschiebungshindernisse. die eben auch für abgelehnte Asylbewerber gelten). 241 Vgl. schon 0., S. 122. 242 Vgl. dazu schon 0., S. 174 ff.

B. Die Schranken des für aUe geltenden Gesetzes

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sogar eher zugunsten eines Kirchenasylrechts angeführt. 243 Der Hinweis auf die bereits nach staatlichem Recht zu berücksichtigenden Abschiebungshindernisse verdeutlicht andererseits, daß die Zulässigkeit einer Kirchenasylgewährung nach staatlichem Recht nicht von einer (vermeintlich eindeutig ausfallenden) Abwägung des Unrechts eines Verstoßes gegen das Ausländergesetz gegen das Unrecht einer drohenden Menschenrechtsverletzung abhängen kann. 244 Diese Frage stellt sich zwar unter Umständen für denjenigen, der Kirchenasyl gewährt. 245 Im staatlichen Verfahren wurde aber insoweit bereits - aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidungen und der konkreten Tatsachenfeststellungen - entschieden, daß ein Unrecht einer drohenden Menschenrechtsverletzung aus staatlicher Sicht nicht besteht. Daran kann eine abweichende kirchliche Tatsachenbeurteilung im Rahmen der Kirchenfreiheit nichts ändem. 246 Vielmehr ist eben gerade die Kirchenfreiheit als solche gegen die ausländerrechtlichen Regelungen abzuwägen, und ein eindeutiges Vorrangverhältnis ergibt sich dabei aus dem Gesichtspunkt der weitgehenden Dekkungsgleichheit von Kirchenasylgründen und staatlichen Asylgründen in keiner Richtung. bb) Funktionsfahigkeit der Rechtsordnung Von einem der Anerkennung eines Kirchenasylrechts absolut entgegenstehenden "Vorbehalt der Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung,,247 geht die allgemeinere Argumentation aus, wonach die Möglichkeit zur Durchsetzung der Schrankengesetze in Kirchenasylfällen aus der Letztentscheidungsbefugnis des staatlichen Rechts 248 bzw. aus dem Nichtbestehen rechtsfreier Räume 249 folgt. Richtig ist an dieser Argumentation, daß eine gesetzgeberische Entscheidung der Kollision zwischen der Kirchenfreiheit und einem anderen Rechtsgut bei der verhältnismäßigen Zuordnung auf Schrankenebene im Rahmen der Prüfung des Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG durchaus von Bedeutung ist. 25o Eine Ent243 Vgl. exemplarisch These 4 des Rates der EKD, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 47; deutlich in diese Richtung auch Rothkegel. ZAR 1997, 121 (128 f.) m. w. N. 244 So aber (nicht speziell in bezug auf die Kirchenfreiheit) v. Weiz.s·äcker. DRiZ 1994, 271. 245 Vgl. z. B. Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vom 8. 3. 1996, S. 2; Heimbach-Steins. Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (297. 300). 246 Vgl. dazu wiederum 0., S. 174 f. Zu Art. 16a GG und der prinzipiellen Unbeachtlichkeit einer abweichenden Tatsachenbeurteilung aUein unter dem Gedanken des subsidiären Menschenrechtsschutzes vgl. - allgemeiner - schon 0., S. 118 f. 247 Vgl. zu diesem Begriff etwa Robbers. AöR 113 (1988), 30 (45), der diesen Vorbehalt in bezug auf Art. 4 GG allerdings selbst nicht absolut setzt. 248 So in bezug auf Art. 137 III I WRV i. V. m. Art. 140 GG Robbers. AöR 113 (1988), 30 (43); weitere Nachw. 0., S. 181 Fn. 191. 249 Vgl. B. Huber. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (106); dazu schon 0., S. 182.

\3 Görisch

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

scheidung des Gesetzgebers zur Kirchenasylproblematik als solcher läßt sich den allgemein gehaltenen einfachrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen allerdings kaum entnehmen. 25 I Jedenfalls aber ist auch die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung kein Verfassungswert, der aUen anderen Verfassungsgütern ohne weiteres vorgeordnet ist. Vielmehr wirken die Grundrechte und grundrechtsähnlichen Rechte gerade auch in der Weise, daß der Staat gehindert wird, sich über bestimmte Rechtspositionen durch beliebigen Erlaß von Gesetzen hinwegzusetzen. 252 Andernfalls würde der in Art. 20 In GG (und für die Grundrechte zusätzlich in Art. 1 In GG) normierte Vorrang der Verfassung vor dem einfachen Gesetz 253 praktisch umgekehrt. 254 Von einer prinzipiell unbeschränkten staatlichen Gewalt läßt sich insoweit gerade nicht sprechen. 255 Daran können weder die Institute der Rechts- und Bestandskraft etwas ändern,256 noch kommt dem Rechtsstaats- oder Demokratieprinzip insoweit von vornherein eine eigenständige einschränkende Wirkung ZU,257 und auch aus dem ordre public ergibt sich kein genereller Vorrang der Schrankengesetze. 258 Außer2~O Vgl. allgemein Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 250 f. m. w. N.; vgl. auch speziell im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik, aber zu Art. 4 GG - Geis. JZ 1997, 60 (64). 251 Vgl. zu derartigen Fällen allgemein v. Mangoldt/ Klein/ A. v. CampenlUlusen. Das Bonner Grundgesetz, Art. 1401 Art. 137 WRV Rn. 133; in bezug auf die Kirchenasylproblematik auch schon 0., S. 23. m So - zu Art. 4 GG - zutreffend Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (64 f.); ebenso Grote / Kraus, Jus 1997, 345 (348) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (68)]; Rothkegel, ZAR 1997, 121 (129); ferner Geis, JZ 1997,60 (64); Kaltenborn, DVBI. 1993, 25 (28); ansatzweise auch Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 74 f. 2~3 Dazu allgemein Görisch, JuS 1997,988 (989) m. w. N.; vgl. schon 0., S. 66. 254 Zu den Konsequenzen dieser Auffassung für die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte vgl. u., S. 195 Fn. 259. 255 Vgl. Geis, JZ 1997,60 (62) gegen Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (35); skeptisch gegenüber letzterem (aus kirchenrechtlicher Sicht) Riedel-Spangenberger, TThZ 100 (1991), 126 (137); unzutreffend demgegenüber auch Merten, VVDStRL 55 (1996), 7 (32) mit der pauschalen Aussage, ein Kirchenasyl könne "der Staat um seiner Souveränität willen nicht tolerieren". ~6 Vgl. Lisken, Polizei-heute 1995, 168 (,,Eine bestandskräftige Abschiebeanordnung ist also gegebenenfalls nicht das ,letzte Wort' im Staat des Grundgesetzes.") gegen Renck, NJW 1997,2089 (2090), der die Institute der Rechts- und Bestandskraft absolut setzt, ohne dabeiabgesehen von der Abqualifizierung der Wechselwirkungslehre als "Auslegungsartistik" auf die Schrankenregelung des Art. 137 III I WRV i. V. m. Art. 140 GG im einzelnen einzugehen. m Vgl. nur Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 256 ff. (zu Art. 4 GG) gegen Jacobs, ZevKR 35 (1990),25 (39); v. Münch, NJW 1995,565 (566); Robbers, AöR 113 (1988), 30 (46); vgl. dazu auch schon 0., S. 113 f. 258 Dies verkennt Maaßen, KuR 1/1997,37 (48) = 885, 7 (18); dazu schon 0., S. 174 Fn.159.

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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dem gehören die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte ebenfalls zur Rechtsordnung, mit der das einfache Recht in Einklang stehen muß. 259 Ein echter rechtsfreier Raum kann lediglich bei der Ableitung eines Kirchenasylrechts aus dem reverentia loci-Gedanken entstehen, nämlich dann, wenn es als Inhalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes angesehen wird, daß kirchliche Räume jeglichem staatlichem Zugriff entzogen sind. Ein so weitgehendes Kircheninteresse - das über die Fälle des Kirchenasyls hinaus z. B. auch baupolizeilichen Maßnahmen ohne Einwilligung der Kirche entgegenstünde - müßte in der Tat zurücktreten gegenüber dem schutzwürdigen staatlichen Interesse an der Durchsetzung der (einfachen) Rechtsordnung, die nicht für bestimmte Teile des Staatsgebietes völlig preisgegeben werden darf. Darin liegt im übrigen wiederum der Unterschied zum diplomatischen Asyl: Botschaftsgelände wird zumindest so behandelt, als sei es exterritorial. 260 Aus dem besonderen Charakter kirchlicher Räume, der auch in dem Begriff der "Heiligkeit des Kirchenraumes" zum Ausdruck kommt, folgt zwar eine Pflicht zu einer gewissen Zurückhaltung bei einem staatlichen Eindringen, besonders im Hinblick auf die Schonung des Gottesdienstes,261 für den der Kirchenraum als Kultraum dient. Wenngleich dieses Gebot (heute) durchaus im kirchlichen Selbstbestimmungsrecht wurzelt,262 ergibt es sich indessen bereits weitgehend aus dem einfachen Recht 263 und hat auch keinesfalls den Charakter eines Kirchenasylrechts. 264 Demgegenüber betrifft eine Kirchenasylgewährung unter dem Interzessionsgedanken beispielsweise schon den polizeilichen Zugriff im Falle einer echten Kirchenbesetzung265 oder einer (kirchenasylunabhängigen) Straftatbegehung im Kirchenraum 266 - diesbezüglich geht es auch um ein polizeiliches Eindringen zu Er259 Geis, JZ 1997,60 (64) spricht insoweit mit Recht von einern ,,Zirkelschluß" (mit dessen Hilfe insbesondere das als vorbehaltlos gewährleistet - vgl. dazu aber noch u., S. 236 ff., 254 ff. - angesehene Grundrecht des Art. 4 GG quasi doch mit einern einfachen Gesetzesvorbehalt versehen wird, um auf diese Weise noch zu einer umfassenden Güterabwägung zu gelangen, so die übrigen Nachw. 0., S. 194 Fn. 252; dazu ansatzweise auch Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 253 ff.; M. H. Müller, Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. 8; ferner schon 0., S. 194, bei Fn. 254); vgl. daneben Rothkegel, ZAR 1997, 121 (128); ferner Dorsch/Rosemann, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 121 (124). 260 Vgl. schon 0., S. 167 f. 261 Vgl. bereits Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts, Band IV, Abt. I, S. 397 f. 262 Vgl. - zu Art. 4 GG - auch noch u., S. 229. 263 Vgl. 0., S. 52 f., 65 f. 264 Im übrigen ist der Gottesdienstcharakter von - kirchenasylbezogenen - ,,Dauergottesdiensten" (mit dem Ziel eines verstärkten Kirchenasylschutzes, vgl. dazu auch schon 0., S. 136) genau zu prüfen, und bes. in diesem Falle kommt auch eine stärkere Beeinträchtigung der staatlichen Interessen (vgl. u., S. 214 ff.) in Betracht. 265 Zu problematischen Fällen vgl. Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (607 f.); dazu schon 0., S. 145 f. m. Fn. 29.

13·

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

mittlungszwecken - grundsätzlich nicht, so daß ein polizeilicher Zugriff auch ohne Einholung einer kirchlichen Genehmigung zulässig ist. Denn diese Fälle sind eben keine einer Interzession und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht steht daher regelmäßig dem polizeilichen Zugriff bereits mangels einer eigenen Angelegenheit nicht entgegen. Von einem mit der Anerkennung eines entsprechenden Kirchenasylrechts entstehenden rechtsfreien Raum kann also keine Rede sein, so daß die diesbezügliche (schlagwortartige) Argumentation für einen Vorrang der Schrankengesetze ins Leere geht. Ein gewisser rechtsfreier Raum im Sinne eines Freiraums, eines "exemten" Bereichs ist freilich mit jeder Grundrechtsgewährleistung verbunden,267 ohne daß dadurch der Schutz der staatlichen Souveränität oder eben die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung beeinträchtigt würde. 268 Als Argument für einen Vorrang der Schrankengesetze gegenüber der Grundrechtsgewährleistung reicht das Entstehen dieses partiellen Freiraums daher gleichfalls nicht aus. Nichts anderes gilt, wenn man in diesem Zusammenhang den Rechtsfrieden als einen Wert, den es zu bewahren gilt, berücksichtigt. 269 Der Gedanke des Rechtsfriedens kann ebenso wie die Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung als absolute Schranke der Kirchenfreiheit im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik erst dann eingreifen, wenn - etwa durch eine ausufernde Kirchenasylpraxis - die Gefahr einer völligen Außerkraftsetzung bestimmter ausländerrechtlicher Bestimmungen oder gar eines generellen Rechtsungehorsams begründet wird. Die bloße Ausübung eines verfassungsmäßigen (und justiziablen) Kirchenasylrechts kann aber weder als "Relativierung des Rechtsstaats im Sinne individueller Beliebigkeit,,270 noch als Aufforderung zu generellem Rechtsungehorsam 271 verstanden werden, so daß Rechtsfrieden und Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung dadurch nicht beeinträchtigt werden.

266 Vgl. etwa den tragischen Fall, der sich - höchstwahrscheinlich nach dem Vorbild eines kurz zuvor gezeigten Fernsehfilms - an Heiligabend 1996 in einer Frankfurter Kirche ereignet hat; dazu nur Wejing, FAZ vom 18. I. 1997, S. 27. Berühmtes(tes) Beispiel eines Verbrechens im Kirchenraum ist der von T. S. Eliot zum Gegenstand des gleichnamigen Dramas gemachte ,,Mord im Dom"; vgl. Eliot, Murder in the Cathedral, S. 82 ff., in der deutschen Übersetzung Mord im Dom, S. 69 ff. 267 BVerfGE 42,312 (332) spricht in bezug auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht sogar ausdrücklich von ..einem für die Staatsgewalt unantastbaren Freiheitsbereich". 268 Geis, JZ 1997, 60 (62); vgl. auch Lisken, Polizei-heute 1995, 168 (175); ferner (zu Art. 4 GG) Rothkegel, ZAR 1997, 121 (128). 269 Dies verkennt der nordrhein-westfalische Innenminister Schnoor; in: epd-Dokumentation Nr. 20/94, S. 42 (46); vgl. dazu ferner Grote/Kraus, JuS 1997,345 (348) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (68)]; Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (64). 270 So Schnoor, in: epd-Dokumentation Nr. 20/94, S. 42 (48); zur Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips in diesem Zusammenhang vgl. schon 0., S. 194. 271 So Maaßen, KuR 1/1997,37 (49 ff.) =885, 7 (19 ff.).

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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cc) Der Gleichheitssatz des Art. 3 I GG Auch dem Einwand, der Gleichheitssatz stehe einem Kirchenasylrecht entgegen,272 ist an dieser Stelle zu begegnen. Soweit Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG ein solches Recht gewährt, liegt gerade darin - wie in jeder Grundrechtsgewährleistung - jedenfalls ein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung. Dies gilt auch dann, wenn sich die Ungleichbehandlung nicht allein auf den Grundrechtsberechtigten, sondern wie hier auf einen von der Grundrechtsausübung betroffenen Dritten, den Kirchenasylflüchtling, bezieht. Ein Grundrecht oder grundrechtsähnliches Recht verstößt nicht wegen der darin enthaltenen Beschränkung auf die tatbestandiich erfaßten Fälle gegen Art. 3 I GG; vielmehr sind die Grundrechte ein entscheidender Wertungsmaßstab bei der Anwendung des Gleichheitssatzes. 273 Art. 3 I GG steht daher einem verfassungsrechtlichen Kirchenasylrecht nicht entgegen. 274

dd) Der Körperschaftsstatus der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften Die aus dem Körperschaftsstatus der öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften gemäß Art. 137 V WRV i. V. m. Art. 140 GG abgeleitete Pflicht zur Respektierung der Bindungen des öffentlichen Rechts ist ebenfalls kein Argument gegen ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht. Insoweit gilt wiederum, daß eben auch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht zum öffentlichen Recht gehört. Dementsprechend sind die Einschränkungsmöglichkeiten verfassungsmäßiger Rechte der Kirchen vom Körperschaftsstatus (der im übrigen auch nicht in entgegengesetzter Richtung als eigenständige Grundlage eines materiellen Kirchenasylrechts in Betracht kommt)275 unabhängig. 276 272 v. Münch, NJW 1995,565 (566), vgl. dazu schon 0., S. 111 f.; ferner BelllSkibitzki, "Kirchenasyl" - Affront gegen den Rechtsstaat?, S. 50; Demand, Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestform, S. 7; Gramlieh, in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (207). 273 E. Stein, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 3 Rn. 34, 37; v. Mangoldtl KleinlStarck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 3 Rn. 15 ff. 274 Ebenso - mit ähnlicher Begründung - zu Art. 4 GG Geis, lZ 1997,60 (64 f.); M. H. Müller, Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. 8; ferner Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 74; unklar Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 256; Rothkegel, ZAR 1997, 121 (129). Auch eine kirchliche Bindung an Art. 3 I GG wird man im übrigen mit der h.M. al1gemein verneinen müssen, vgl. dazu schon 0., S. 115 (m. Fn. 17), 117 (wo es auf die Frage der Grundrechtsbindung der Kirchen aber letztlich nicht ankam). 275 Vgl. dazu - im Zusammenhang mit dem staatskirchenrechtlichen (vgl. 0., S. 161 Fn. 91) Begriff der ,,res sacrae" - Schütz, in: HdbStKR, Band H, S. 3 (12); etwas unklar Mainusch, Die öffentlichen Sachen der Religions- und WeItanschauungsgemeinschaften, S. 135, in dessen Erörterungen das Verhältnis von Art. 137 V WRV und Art. 137 III 1 WRV (auf dessen Schranken es in diesem Zusammenhang richtigerweise gar nicht ankommt, da ein

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Damit bleibt an dieser Stelle festzuhalten, daß keine absoluten (verfassungsrechtlichen) Gründe einem aus Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG abgeleiteten Kirchenasylrecht entgegenstehen und eine strikte Überordnung der in Kirchenasylfällen relevanten Schrankengesetze über das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gebieten. Ein eindeutiges Vorrangverhältnis zwischen der Kirchenfreiheit und den Schrankengesetzen kann vielmehr nicht festgestellt werden.

3. Erforderlichkeit einer Durchsetzung der Schrankengesetze

Aufgrund des fehlenden absoluten Vorrangverhältnisses zwischen Kirchenfreiheit und Schrankengesetzen in Kirchenasylfällen ist nun entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu fragen, inwieweit die Durchsetzung der ausländerund asylrechtlichen Schrankengesetze im Hinblick auf die gesetzlichen Schutzgüter überhaupt erforderlich ist, oder anders gesagt: ob die Schutzgüter dieser Schrankengesetze durch die Gewährung von Kirchenasyl überhaupt beeinträchtigt werden. Unter diesem Aspekt ist auf die Schutzgüter nun noch einmal im einzelnen einzugehen. 277 a) Schutz der staatlichen FinanzkraJt Eine Beeinträchtigung der staatlichen Finanzkraft durch die Gewährung von Kirchenasyl kann sich aus dem möglichen Sozialhilfe- oder Sozialleistungsanspruch im Bundesgebiet lebender Ausländer gemäß § 120 BSHG bzw. gemäß den Regelungen des (dort genannten) AsylbLG ergeben. Anspruchsbegründend ist danach der tatsächliche Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet. 278 Kirchenasylrecht schon tatbestandlich nicht aus Art. 137 V WRV folgen kann) nicht ganz deutlich wird. Zur möglichen formellen Unzulässigkeit von Maßnahmen gegen die Kirchen aufgrund des Körperschaftsstatus vgl. schon 0., S. 67 f., 72. 276 Insoweit zutreffend (allerdings generell eine mit dem Körperschaftsstatus verbundene verstärkte Pflichtenbindung gegenüber dem Staat zu pauschal verneinend, vgl. dazu noch u., S. 214 f. m. Fn. 341 ff.) bes. Geis. JZ 1997,60 (62) gegen v. Münch. NJW 1995. 565 (566); wie dieser allgemeiner Muckei, DÖV 1995,311 (314) m. w. N. zur (von ihm abgelehnten, eine Einschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts durch den Körperschaftsstatus entsprechend den obigen Feststellungen verneinenden) h.M. 277 Vgl. dazu auch - allgemeiner zur Notwendigkeit einer differenzierten und nicht bloß pauschalen Betrachtung der schrankengesetzlichen Schutzgüter im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik - Eid. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 63 (69 f.). Im Ansatz unzutreffend demgegenüber schon Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 75 ff., der nicht auf die schrankengesetzlich geschützten Rechtsgüter eingeht, sondern - in überdies wenig klaren Ausftihrungen - lediglich die dort geregelten Tatbestände der Kirchenfreiheit gegenüberstellt. 278 Ausftihrlich zu diesen Ansprüchen Dahlinger; in: Mergler I Zink, Bundessozialhilfegesetz, § 120 BSHG Rn. 3 ff.; speziell zum Anspruchsausschluß auch Niebch, in: Asyl am

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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Üblicherweise kommt allerdings für den Unterhalt eines in gemeindliches Kirchenasyl geflüchteten Ausländers die Kirchengemeinde auf.279 Die Versorgung des Beherbergten ist seit den Anfängen des Kirchenasyls dessen selbstverständlicher Bestandteil. 280 Die Versorgung als Teil der Beherbergung ist letztlich geradezu notwendig mit der Kirchenasylgewährung verbunden. Die Möglichkeit einer Inanspruchnahme der staatlichen Sozialleistungen wird dadurch freilich nicht zwingend ausgeschlossen. 281 Diese Möglichkeit besteht erst dann nicht mehr, wenn sich die Kirche als Kirchenasylgewährer verbindlich zur Versorgung und allen damit verbundenen Unterhaltsleistungen verpflichtet hat. 282 Eine derartige Verpflichtung ermöglicht § 84 AuslG (Haftung für den Lebensunterhalt).2 83 Heiligen Ort, S. 17 (23). Zu aktuellen gesetzgeberischen Bemühungen um eine Einschränkung der Leistungen nach dem AsylbLG vgl. etwa die Berichte in Das Parlament vom 24.7. 1998,S. 1, 14. 279 Vgl. lust, in: Asyl von unten, S. HO (124); Quandt, ebd., S. 193 (200); M. H. Müller; ZAR 1996, 170 (174); Nagel, Flüchtlinge und "Kirchenasyl", S. 37; Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 153; Uihlein, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 131 (147); entsprechende Einzelfalldarstellungen bei Pro Asyl/Publik-Forum (Hrsg.), Kirchenasyl: Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben, S. 5; Riemer; Diakonia 24 (1993), 343 (346); Schmoll, FAZ vom 31. 5. 1994; vgl. auch die Nachw. 0., S. 158 Fn. 80; ferner Kardinal Sterzinsky, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 12 (14); daneben Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (607); Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (63); Pro Asyl/Publik-Forum (Hrsg.), a. a. 0., S. 6 f.; Robbers. AöR 113 (1988), 30 (49). Insoweit greift daher auch die Kritik von v. Münch, NJW 1995,2271 (2272) an der kirchlichen Reaktion auf den sog. Beckstein-Vorschlag (vgl. dazu schon 0., S. 176 Fn. 166) zu kurz. 280 Vgl. Becker-Hinrichs. Theologia Practica 1989, 102 (106); lacobs. ZevKR 35 (1990), 25 (29); lust. in: Asyl von unten, S. 72 (78 f.); umdau. in: TRE, Band IV, S. 319 (326); Riedel-Spangenberger; TfhZ 100 (1991),126 (136); Robbers. AöR H3 (1988), 30 (34 f.). 281 Vgl. z. B. Evangelische Kirche im Rheinland/Landeskirchenamt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 30, wo in Kirchenasylfallen zur Prüfung des Bestehens von Sozialhilfeansprüchen geraten wird; Pro Asyl/Publik-Forum (Hrsg.), Kirchenasyl: Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben, S. 7, wo nach der Feststellung eines möglichen Wegfalls solcher Ansprüche die Prüfung des Bestehens von Ansprüchen auf Krankenbehandlung empfohlen wird; ebenso Quandt. in: Asyl von unten, S. 193 (201). 282 Der von Uihlein. Zur Notwendigkeit des "Kirchenasyls", S. 8 gemachte Vorschlag einer Eigenfinanzierung der Kirchenasylflüchtlinge durch Arbeitsaufnahme führt insoweit nicht weiter, da die Schrankengesetze auch den Schutz des Arbeitsmarktes bezwecken, vgl. dazu ausführlicher u., S. 201 f. 283 Vgl. M. H. Müller, Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. 10, 13 f.; Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 153; ferner Niebch. in: Asyl von unten, S. 17 (24), die von Fällen einer Übernahmeverpflichtung gemäß § 84 AuslG (allerdings unter Ausklammerung der Krankenkosten) berichtet; Dorsch/ Rosemann. in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen. S. 121 (127), die Fälle der Übernahme selbstschuldnerischer Bürgschaften erwähnen; vgl. auch die Fälle, von denen in Evangelische Kirche im Rheinland / Landeskirchenamt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 13 f. berichtet wird. Eine Kostenübernahmeverpflichtung durch den Kirchenasylgewährer sieht auch der sog. Beckstein-Vorschlag vor, vgl. dazu schon 0., Fn. 279. Eine U.V. nur vorläufige Kostenübernahmeverpflichtung wird - im Zusammenhang mit dem Vorschlag eines nicht auf dem

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Zu einer verbindlichen Haftungsübernahme kann zwar niemand verpflichtet werden. An einer Erforderlichkeit der Durchsetzung der Schrankengesetze in Kirchenasylfällen fehlt es hinsichtlich des Schutzes der staatlichen Finanzkraft aber nur dann, wenn eine solche Haftungsübernahme vorliegt. Eine staatliche Verpflichtung zur Übernahme der Unterhaltskosten kann auch nicht etwa aus der Bestimmung des Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG abgeleitet werden. Von der Gewährleistung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts ist eine Kostenübernahme für die Kirchenasylgewährung auch dann nicht umfaßt, wenn sich aus dieser Bestimmung tatsächlich ein Kirchenasylrecht ergibt. Der Staat ist nicht verpflichtet, dem einzelnen die zur umfassenden Grundrechtsausübung erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen. 284 Dies gilt ebenso für die Kirchen und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Darin liegt keinesfalls ein Eingriff in das Vermögen des Kirchenasylgewährers,285 da dieser nicht staatlicherseits zur Kirchenasylgewährung und eben auch nicht zur Haftungsübernahme verpflichtet wird. Das aus der erfolgten Übernahme entstehende haftungsrechtliche Risiko überschreitet unter Berücksichtigung des sogleich anzusprechenden Ausschlusses einer unbegrenzten Verpflichtungserklärung auch nicht die zur Demonstrationsfreiheit entwickelten286

Grenzen eines solchen Risikos. Eine unzulässige Belastung bzw. ein unzulässiger Eingriff in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht liegt in der Kostenübernahmeverpflichtung also unter keinen Umständen. Für den Fall einer erfolgten Haftungsübernahme gemäß § 84 AuslG ist davon auszugehen, daß jedenfalls die öffentlich-rechtlich verfaßten Kirchen ihrer damit übernommenen Zahlungsverpflichtung auch nachkommen können,287 so daß der

kirchlichen Selbstbestimmungsrecht, sondern einer erst noch zu treffenden staatlichen Regelung beruhenden Kirchenasylrechts - von Roßlwpf, AWR Bulletin 1996,93 (105 f.) befürwortet. Von der generellen Möglichkeit einer kirchlichen Haftung für den Lebensunterhalt gemäß § 84 AuslG geht der in InfAuslR 1992, 318 abgedruckte Runderlaß des nordrheinwestfälischen Innenministeriums (vgl. dazu schon 0., S. 177) aus. Allgemein zu § 84 AuslG und den mit dieser Regelung verbundenen Rechtsfragen Schlette, NVwZ 1998, 125 ff. 284 Vgl. BVerwGE 65, 52 (57) zu Art. 4 GG; daran anschließend BVerwGE 72, 113 (118) zu Art. 8 GG; daneben (zu § 21 S. 3 StVollzG) CalliessIMüller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, § 21 Rn. 5 m. w. N. Da es auf irgendeinen Erfolg der Grundrechtsausübung dabei nicht ankommt (also z. B. auch ein Demonstrant, der eine Gesetzesänderung angestoßen hat, für die Demonstrationskosten aufkommen muß), findet im übrigen der von Roßkopf, AWR Bulletin 1993,93 (l05 f.), vgl. schon 0., Fn. 283, gemachte Vorschlag einer Kostenerstattung bei erfolgreicher - vgl. dazu aber auch lust, in: Zufluchtsort Kirche, S. 24 (29 f.) - Kirchenasylgewährung keine Stütze in der Verfassung. 285 Insoweit unklar M. H. Müller; Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. 13. 286 Vgl. Schulze-Fielitz, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 68 m. w. N. 287 Vgl. BVerfGE 66, I (24), unter Verweisung auf das kirchliche Besteuerungsrecht gemäß Art. 137 VI WRV i. V. m. Art. 140 GG, wobei die darin liegende (zulässige) staatliche Förderung der Kirchen in finanzieller Hinsicht von der Frage nach einer weitergehenden Förderung der Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts zu unterscheiden ist, zu der der Staat zwar möglicherweise ebenfalls berechtigt, aber eben keinesfalls verpflichtet ist; vgl.

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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Schutz der staatlichen Finanzkraft dann auch tatsächlich gesichert ist. 288 Eine unbegrenzte Haftungsübernahme ist allerdings nach verbreiteter Auffassung nicht möglich. 289 Bereits eine zeitlich und inhaltlich begrenzte Verpflichtungserklärung nach § 84 AuslG kann eine Belastung der staatlichen Finanzkraft indessen weitgehend ausschließen. Eine freiwillige Übernahme darüber hinaus anfallender Kosten bleibt dem Verpflichteten unbenommen. Erst wenn er dazu im Einzelfall nicht bereit ist, kann der Schutz der staatlichen Finanzkraft eine Durchsetzung der Schrankengesetze wiederum erforderlich machen; eine vorherige Durchsetzung allein aufgrund der (notwendigen) Begrenzung der Verpflichtungserklärung wäre jedenfalls unangemessen. Für vom Staat selbst verursachte Belastungen (z. B. durch Auferlegung einer Schulpflicht) muß der Staat im übrigen als Verursacher von vornherein selbst aufkommen. Auch wenn diese Kosten von einer Haftungsübernahmeverpflichtung nach § 84 AuslG nicht umfaßt werden, kann daher die Erforderlichkeit einer Durchsetzung der Schrankengesetze unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der staatlichen Finanzkraft insoweit nicht angenommen werden. Aufgrund der Möglichkeit, die Ausübung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts in Kirchenasylfällen von einer Haftungsübernahme gemäß § 84 AuslG abhängig zu machen, läßt sich eine Beeinträchtigung der staatlichen Finanzkraft also wirksam verhindern. Eine Durchsetzung der ausländer- und asylrechtlichen Schrankengesetze ist daher unter diesem Gesichtspunkt nicht erforderlich. b) Schutz des Wohnungs- und Arbeitsmarktes

Ebensowenig wie der Schutz der staatlichen Finanzkraft erfordert der Schutz des Wohnungs- und Arbeitsmarktes eine Durchsetzung der ausländer- und asylrechtlichen Schrankengesetze in Form einer Abschiebung: Der Wohnungsmarkt wird durch den Aufenthalt eines Ausländers in kirchlichen Räumen290 von vornherein nicht belastet. Zum Schutz des inländischen Arbeitsmarktes vor der Konkurrenz ausländischer Arbeitskräfte bestehen gesetzliche Regelungen, die in KirchenasyWil1en ohne weiteres Anwendung finden können: So enthält § 284 SGB III zum Schutz des inländischen Arbeitsmarktes ein grundsätzliches Arbeitsverbot mit dazu auch v. Mangoldt/ Klein/ A. v. Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 182, 188 m. w. N. 288 Vgl. dazu Kloesel/Christ/Häußer; Deutsches Ausländerrecht, § 84 Rn. 6, wo auf die Möglichkeit einer Ablehnung der Entgegennahme einer Verpflichtungserklärung bei fehlender Finanzkraft des Verpflichtungswilligen hingewiesen wird. 289 Vgl. Schielte, NVwZ 1998, 125 (127 f.) m. w. N., auch aus der Rspr.; speziell zum Kirchenasyl daneben M. H. Müller; Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S.13m.Fn.81. 290 Vgl. dazu Quandt, in: Asyl von unten, S. 193 (199); daneben die Nachw. 0., S. 158 Fn. 80; ferner Landau, in: TRE, Band IV, S. 319 (325); Riedel-Spangenberger; TI1tZ 100 (1991), 126 (136) m.N.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Erlaubnisvorbehalt. 291 Für den Fall der Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung sieht § 1411 AuslG darüber hinaus die besondere Möglichkeit einer Beschränkung der Erwerbstätigkeit von Ausländern vor; im Falle einer Duldungserteilung ermöglicht § 56 III 3 AuslG die besondere Anordnung von Arbeitsbeschränkungen. 292 Ein wirksamer Arbeitsmarktschutz wird auch in Kirchenasylfällen bereits durch diese Regelungen, die ebenfalls keine Beschränkung des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts enthalten, gewährleistet. Darüber hinausgehende (Abschiebungs-) Maßnahmen sind insoweit nicht erforderlich. c) Schutz der Integrationsjähigkeit

Nicht notwendig ist in Kirchenasylfällen eine Durchsetzung der ausländer- und asylrechtlichen Schrankengesetze durch Abschiebung schließlich zum Schutz vor gesellschaftlichen Spannungen aufgrund mangelnder Ausländerintegration. Vielmehr führen die Gewährung von Kirchenasyl und die damit verbundenen Gemeindeaktivitäten regelmäßig zu einer besonders starken Integration der ausländischen Flüchtlinge. 293 Nicht als Ausdruck gesellschaftlicher Spannungen - deren Verhinderung legitimer Schutzzweck von Schrankengesetzen und als solcher in der Verhältnismäßigkeitspriifung von Gewicht ist -, sondern rechtswidrige und unter keinen Umständen schutzwürdige Einzelaktionen sind extremistische Gewaltakte, auch speziell aus Anlaß von Kirchenasylgewährungen?94 Derartige Auswirkungen des Kirchenasyls haben daher bei der Erforderlichkeitspriifung unbedingt außer Betracht zu bleiben. Es bleibt also dabei, daß eine Durchsetzung der ausländer- und asylrechtlichen Schrankengesetze in Kirchenasylfällen unter dem Aspekt des Schutzes der Integrationsfähigkeit nicht erforderlich ist. d) Mittelbarer Schutz von staatlicher Finanzkrajt, Wohnungs- und Arbeitsmarkt und Integrationsjähigkeit

Auch wenn eine Durchsetzung der ausländer- und asylrechtlichen Schrankengesetze in Form einer Abschiebung im Hinblick auf den jeweiligen konkreten Kir291 Dazu allgemein A. Marschner, BB 1998, 370 f.; zur früheren Regelung des § 19 AFG vgl. Kaneinl Renner, Ausländerrecht, § 10 AuslG Rn. 22 ff. 292 Dazu allgemein Kaneinl Renner, Ausländerrecht, § 14 AuslG Rn. 9 ff., § 56 AuslG Rn. 8. 293 Vgl. Z. B. den Bericht von Falkenberg, in: Publik-Forum Materialmappe Kirchenasyl, S. 24 ff.; daneben nochmals die (weiteren) Nachw. 0., S. 158 Fn. 80. 294 Vgl. zur mit dem Brandanschlag auf eine Lübecker Kirche im Mai 1997, vermutlich aus Anlaß einer Kirchenasylgewährung, begonnenen Serie von Anschlägen auf Kirchengebäude in Norddeutschland die Berichte in SZ vom 26. 5. 1997, S. I; 16.6. 1997, S. 1,3; I. 7. 1997, S. 5; 2. 7. 1997. S. 6; allgemeiner auch BelllSkibitzki. "Kirchenasyl" - Affront gegen den Rechtsstaat?, S. 49 f.

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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chenasylfall also weder unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der staatlichen Finanzkraft noch unter den Gesichtspunkten des Schutzes von Wohnungs- und Arbeitsmarkt oder der Erhaltung der Integrationsfähigkeit erforderlich ist, so bleibt doch die Möglichkeit eines durch die Anerkennung eines Kirchenasylrechts ausgelösten Ausländerzustroms, der dann letztlich doch eine Beeinträchtigung der genannten Schutzgüter zur Folge haben könnte. 295 Diese Möglichkeit ist angesichts der schon bislang relativ breiten öffentlichen Diskussion um das Kirchenasyl,296 die auch für den Fall der Anerkennung eines Kirchenasylrechts im Hinblick auf mögliche (oder sogar wahrscheinliche) Publizitätswirkungen zu berücksichtigen ist, keineswegs so unbedeutend, daß sie etwa zu vernachlässigen wäre. Zwar ist durchaus davon auszugehen, daß die Kostenübernahmepflicht eine faktische Begrenzung der Kirchenasylfälle als solcher auf ein nicht ausuferndes Maß bewirkt. Die durch diese Fälle ausgelöste Anreizwirkung auf einreisewillige Ausländer wird dadurch aber nicht unbedingt gemindert. Ebensowenig wie das Kriterium der Kostenübernahmeverpflichtung überhaupt als alleiniges Kriterium für die Durchsetzung der Schrankengesetze in Betracht kommt (weil das staatliche Asylund Ausländerrecht sonst durch das bloße Vorhandensein ausreichender Geldmittel unterlaufen werden könnte), kann dieses Kriterium daher auch in der Frage der Wechselwirkung von Kirchenfreiheit und Schrankenzweck allein ausschlaggebend sein. Um eine mittelbare Beeinträchtigung der genannten Schutzgüter gänzlich auszuschließen, ist es in jedem Falle notwendig, in Kirchenasylfällen den weiteren Verbleib der betreffenden Ausländer im Bundesgebiet letzten Endes im Wege der Abschiebung zu verhindern.

4. Herstellung praktischer Konkordanz zwischen KirchenCreiheit und Schrankengesetzen in Kirchenasylf"ällen (Abwägung i.e.S.)

Soweit damit die Erforderlichkeit einer Durchsetzung der Schrankengesetze zur Verwirklichung des durch sie bezweckten Rechtsgüterschutzes besteht, kommt es nun also noch zur eigentlichen Güterabwägung mit dem Ziel der Herstellung praktischer Konkordanz. Diese konkrete Abwägung erfordert zunächst eine Feststel295 Vgl. Roßkopf. AWR Bulletin 1996, 93 (102 f.), der daraus allerdings praktisch ohne weitere Abwägung und damit in Verkennung des Gehalts der Wechselwirkungslehre einen absoluten Vorrang der Schrankengesetze folgert. Insoweit liegt im übrigen entgegen den Ausführungen zu Art. 4 GG von Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 54 - der zudem verkennt, das es hier nicht um die zukünftige Zahl der Kirchenasylfalle, sondern um einen dadurch möglicherweise ausgelösten Ausländerzustrom geht - auch keine unzulässige "Hochrechnung" vor, sondern allein um eine umfassende Beurteilung der Betroffenheit der schrankengesetzlich geschützten Rechtsgüter. 296 Vgl. dazu Just, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. I (3 f.); Roßkopf. in: AWR Bulletin 1996,93 (98); Schlag, Zeitschrift für Evangelische Ethik 40 (1996), 38 (41 ff.); zu der U.U. erheblichen Öffentlichkeitswirkung sogar einer einzelnen Kirchenasylgewährung vgl. die Falldokumentation von Führer, in: Wir wollen, daß ihr bleiben könnt, S. 115 ff.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

lung der Bedeutung des Kirchenasyls innerhalb der - den schrankengesetzlich geschützten Rechtsgütern gegenüberzustellenden - Kirchenfreiheit (entsprechend der Gewichtung der ausländergesetzlichen Schutzzwecke im Rahmen der staatlich geschützten Rechtsgüter). Sodann sind kirchliches und staatliches Interesse unter Berücksichtigung der differenzierten Gewichtungen auf bei den Seiten einander unmittelbar gegenüberzustellen. Ausgehend von dem dabei gefundenen Abwägungsergebnis ist daraufhin speziell für den Fall eines Vorrangs der Kirchenfreiheit gegenüber den Schrankengesetzen noch einmal abschließend zu fragen, wie weit dieser Vorrang konkret reicht; die Voraussetzungen einer entsprechenden Kirchenasylgewährung sind also soweit wie möglich zu konkretisieren.

a) Die Bedeutung des Kirchenasyls innerhalb der Kirchenfreiheit Vor der konkreten Abwägung ist nun also zuerst die Bedeutung, also der Stellenwert, des Kirchenasyls im Gesamtzusammenhang des vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht geschützten Bereichs der Wahrnehmung der eigenen Angelegenheiten zu bestimmen. Dazu ist auf das kirchliche Selbstverständnis abzustellen, das in dieser Hinsicht im Rahmen des Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG auch auf der Schrankenebene von Bedeutung ist. 297 Die intensive kirchliche Beschäftigung mit der Kirchenasylproblematik zeigt bereits an, daß diesem Thema eine herausragende Stellung beigemessen wird. In den entsprechenden Stellungnahmen von kirchlicher Seite kommt dies zum Ausdruck, wenn im Hinblick auf das Kirchenasyl etwa die Rede davon ist, die Aufnahme von Flüchtlingen sei in biblischen Erfahrungen "tief verwurzelt", der Schutz für Verfolgte und Flüchtlinge gehöre zum "genuinen kirchlichen Auftrag".298 297 Vgl. - insoweit zutreffend - allgemein [sak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 247 f.; Morlok, Selbstverständnis als Rechtskriterium, S. 438; ferner, dem Selbstverständnis allerdings in etwas unklarer Weise ein "besonderes" Gewicht beimessend (vgl. dazu Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (555 Fn. 112 a. E.); daneben noch u., S. 209 Fn. 314) BVerfGE 72, 278 (289); v. Mangoldt/Klein/A. v. Campenhausen, Das Bonner Grundgesetz, An. 140/ An. 137 WRV Rn. 133, beide m. w. N.; speziell zum Kirchenasyl Kaltenborn, DVBI. 1993, 25 (27); Rothkegel, ZAR 1997, 121 (126). 298 So die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 30; ähnlich weitere ebd., S. 14 ff. zu findende kirchliche Stellungnahmen; von einer der "elementaren Aufgaben der Kirche" spricht der Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Rundbrief vom 8. 3. 1996, S. 1. Vgl. dazu auch aus der theologischen Literatur Becker-Hinrichs, Theologia Practica 1989, 102 (109, 113): "ureigene Verpflichtung der Gemeinden", "Kennzeichen des Kircheseins"; Heimbach-Steins, Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (299): "genuine Aufgabe" der Kirchen; ebenso - unter ausdrücklicher Verweisung auf das kirchliche Selbstverständnis - Reuter, ZRP 1996, 97 (100); ähnlich ders., Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (206) [= ders., in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 574 (598 f.)]; daneben Riedel-Spangenberger, TfhZ 100 (1991), 126 (129): für die Kirchen zentrales Gebot; ähnlich Quandt, in: epd-Dokumentation Nr. 20/94, S. 3 (9).

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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Eine genauere Betrachtung ergibt allerdings, daß nicht alle innerhalb des mit dem Begriff des Verfolgtenschutzes bezeichneten weitgesteckten Rahmens liegenden und damit tatbestandlich von Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG umfaßten Kirchenasylfälle von gleicher Bedeutung für die Kirchen sind: Eine besondere Bedeutung im genannten Sinne wird zunächst den Kirchenasylfällen beigemessen, in denen eine kirchlicherseits befürchtete konkrete Lebens- oder Leibesgefahr, insbesondere eine Foltergefahr, abgewendet werden soll;299 die herausragende Bedeutung der Kirchenasylgewährung für die Kirchen in diesen Fällen erklärt sich bereits aus den historischen Anfängen des Kirchenasyls mit dem Ziel der Überwindung des lebens- und leibesbedrohenden Systems der Blutrache. 300 In einer Reihe mit den Fällen der befürchteten Lebens- oder Leibesbedrohung wird bisweilen die Kirchenasylgewährung wegen einer befürchteten Freiheitsbedrohung genannt. 301 Weitere andernorts gelegentlich erörterte Kirchenasylkonstellationen bleiben in kirchlichen Äußerungen weitestgehend unerwähnt, woraus sich auf eine deutlich geringere Bedeutung dieser Konstellationen nach kirchlichem Selbstverständnis schließen läßt, auch wenn sich die Kirchen insoweit ebenfalls zur Kirchenasylgewährung verpflichtet fühlen können. Im einzelnen geht es dabei um Kirchenasylgewährungen wegen vermeintlich drohender "Entwurzelung" oder wirtschaftlicher Schwierigkeiten (d. h. an sog. "Wirtschaftsflüchtlinge"), mitunter in Verbindung mit dem Protest gegen die staatliche Asylpolitik zugleich als Aktionen mit symbolischem Charakter. 302 Beachtlich sind in diesem Zusammenhang auch die kirchli299 Vgl. exemplarisch die Äußerungen der Bischöfe W Huber. Die Zeit vom 20. 5. 1994. S. 6 und Lehmann. in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 59 (61); sehr deutlich auch Kardinal Sterzinsky, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96. S. 12 (13); aus der Sicht der Caritas Uihlein, in: Asyl am Heiligen Ort. S. 131: "besondere Verpflichtung"; auch in Kirchenamt der EKD / Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.). " ... und der Fremdling, der in deinen Toren ist. ... Ziff. 255 ist zunächst nur von einer Lebens- oder Leibesgefahr die Rede. Vgl. ferner Heimbach-Steins. Stimmen der Zeit 214 (1996). 291 (295.302); Pro Asyl/Publik-Forum (Hrsg.). Kirchenasyl: Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben. S. 4 (5); Schmoll. FAZ vom 31. 5. 1994; Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.). Widerstand? Christen. Kirchen und Asyl. S. 23. 300 Vgl. unter diesem Aspekt zur Geschichte des Kirchenasyls v.a. lacobs. ZevKR 35 (1990).25 ff.; daneben Landau. in: TRE. Band IV. S. 319 (321); vgl. auch schon 0 .• S. 170. 301 Vgl. etwa Bischof der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg. in: epd-Dokumentation Nr. 43/94. S. 20 (21); ebenso W Huber. Gerechtigkeit und Recht. S. 418; vgl. auch Kirchenamt der EKD/ Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.). " ... und der Fremdling. der in deinen Toren ist. ... Ziff. 255; allgemeiner die Äußerung von Kardinal Sterzinsky. in: epd-Dokumentation Nr. 31/96. S. 12 (13): "garantiertes und hohes Gut"; ähnlich Bischof Lehmann. in: epd-Dokumentation Nr. 43/94. S. 59 f. Vgl. ferner lust. in: Asyl von unten. S. 1\0 (122); Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.). Widerstand? Christen. Kirchen und Asyl. S. 30 f .• 79. 84. 93; Thomä-Venske. in: Schutz für De-facto-Flüchtlinge. S. 187 (200. 203); Uihlein. in: Asyl am Heiligen Ort. S. 131 (142); undeutlich Ehnes. in: Das Recht der Kirche. Band 111. S. 601 (6\0 f.); Lesch. in: Asyl am Heiligen Ort. S. 77 (84); zur historischen Entwicklung Landau. ebd .• S. 47 (58). 302 Vgl. zu diesen Fällen etwa Quandt. in: Asyl von unten. S. 193 (\94 f .• 197 f.); Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.). Widerstand? Christen. Kirchen und Asyl. S. 76 ff.;

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

cherseits geäußerte Beschränkung des Kirchenasyls auf "Ausnahmefälle,,303 und die grundsätzliche Anerkennung der Möglichkeit von Zuzugsbeschränkungen im staatlichen Recht durch die Kirchen 304 . b) Unmittelbare Gegenüberstellung von Kirchenfreiheit und Schrankengesetzen: Kirchenasylgewährung zur Abwendung einer ernsthaft befürchteten Lebens- oder Leibesgejahr als maßgebliches Abwägungskriterium

Stellt man nun kirchliches und staatliches Interesse unter Berücksichtigung der differenzierten Gewichtungen auf bei den Seiten einander unmittelbar gegenüber, so wird eine dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechende Zuordnung der kollidierenden Rechtsgüter i. S. d. Grundsatzes der Herstellung praktischer Konkordanz dadurch erreicht, daß die staatlichen Interessen immer dann als vorrangig angesehen werden, wenn die Kirchenasylgewährung für die Kirchen nicht von herausragender Bedeutung ist. Lediglich im Falle der Kirchenasylgewährung zur Abwendung einer kirchlicherseits ernsthaft befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr, insbesondere einer Foltergefahr, genießt die Kirchenfreiheit danach einen Vorrang. In den übrigen Fällen ist den Kirchen eine Einschränkung ihrer Kirchenfreiheit vor allem deshalb zumutbar, weil den Betroffenen, zu deren Schutz sich die Kirche verpflichtet sieht, keinesfalls endgültige, irreparable Schäden, die bei einer Leibesgefahr immerhin sehr wahrscheinlich sind, drohen. Das staatliche Interesse an einer größtmöglichen Einschränkung der potentiellen Anreize für einen Ausländerzustrom ist daher insoweit vorrangig. Dies gilt regelmäßig auch für den Fall einer Kirchenasylgewährung wegen einer befürchteten bloßen - also nicht von einer Leibesverletzung begleiteten oder einer solchen gieichkommenden 305 - Freiheitsentziehung, der von kirchlicher Seite auch nur ganz vereinzelt dem Fall der vermeintlich drohenden Lebens- oder Leibesgefahr erkennbar gleichgestellt wird. Demgegenüber ist dem Staat eine Einschränkung seiner Interessen im Fall der Kirchenasylgewährung wegen ernsthaft befürchteter Lebens- oder Leibesgefahr zumutbar, da für eine derartige Kirchenasylgewährung nur eine sehr begrenzte daneben - im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zum zivilen Ungehorsam (vgl. insoweit zur Abgrenzung von nur symbolischen Handlungen zu Kirchenasylgewährungen wegen unmittelbarer Gefahrdung auch die Nachw. 0., S. 105 Fn. 153) - Eid, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 63 (66 ff.); undeutlich Lesch, ebd., S. 77 (84); Uihlein, ebd., S. l31; Mieth, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 97 (98 ff.): Kardinal Sterzinsky, in: epdDokumentation Nr. 31/96, S. 12 (14 Anm. 3). 303 So Bischof Lehmann, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 59; ähnlich etwa Bischof W. Huber, in: Die Zeit vorn 20.5.1994, S. 6: "Grenzsituationen", "äußerstes Notrnittel". 304 Vgl. dazu etwa Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Flüchtlinge und Asylsuchende in unserem Land, S. 20 ff., 35 und die in HK 1992, 496 berichtete Äußerung Bischof Lehmanns; ferner die Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz vom 26. 11. 1992, zit. nach Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Bericht über die sechste Tagung der achten Synode der EKD, S. 991 (994). 305 Vgl. dazu beiläufig Landau, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 47 (58).

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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Zahl von Ausländern in Betracht kommt. Insbesondere sog. "Wirtschaftsflüchtlingen" wird damit kein Einwanderungsanreiz gegeben. Die Differenzierung der Abwägungsverhältnisse nach dem Kriterium der Befürchtung irreparabler Schäden trägt mithin sowohl den staatlichen als auch den kirchlichen Interessen Rechnung. Das damit verbundene Unterscheidungsmerkmal der ernsthaft befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr als Kirchenasylgrund beschränkt den Vorrang der Kirchenfreiheit auf einen eng umgrenzten und genau bestimmbaren Kreis von Kirchenasylfällen, denen nach kirchlichem Verständnis eine gegenüber den übrigen Kirchenasylfällen deutlich herausgehobene Bedeutung zukommt, während der ansonsten gegebene Vorrang der Schrankengesetze die im Hinblick auf die staatlichen Interessen besonders bedeutsamen Fälle erfaßt. 306 c) Weitere konkrete Voraussetzungen einer von der Kirchenfreiheit gegenüber den Schrankengesetzen vorrangig geschützten Kirchenasylgewährung

Für den Fall des Vorrangs der Kirchenfreiheit gegenüber den in Kirchenasylfällen einschlägigen Schrankengesetzen aufgrund einer ernsthaft befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr als Kirchenasylgrund stellt sich nun noch die Frage, unter welchen konkreten Umständen dieser Vorrang im einzelnen besteht und eine Durchsetzung der Schrankengesetze damit unzulässig ist. 307 Den in diesem Zusammenhang anzustellenden Überlegungen liegt vor allem ein Gedanke zugrunde: Ebenso wie für einen Vorrang der staatlichen Interessen die Erforderlichkeit einer Durchsetzung der Schrankengesetze vorausgesetzt ist, kann sich die Kirchenfreiheit nur insoweit durchsetzen, als die kirchlichen Interessen dies tatsächlich erfordern. 308 Einbezogen werden dabei - ebenso wie in die übrigen an dieser Stelle im Hinblick auf die von der Kirchenfreiheit vorrangig geschützten Kirchenasylgewährungen abschließend anzustellenden Abwägungsüberlegungen - auch Gesichtspunkte, die zwar bereits die Tatbestandsebene des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts berühren, sich aber letztlich erst aus dem Gesamtzusammenhang der bishe306 Die Gesichtspunkte der kirchlicherseits beflirchteten Lebens- oder Leibesgefahr bzw. irreparablen Schädigung erwähnen auch Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 254 f. (zu Art. 4 GG); Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 84 (unter ethischen, nicht rechtlichen Gesichtspunkten). Letztlich auf eine tatsächlich drohende Lebens- oder Leibesgefahr bzw. irreversible Schädigung stellen (ebenfalls zu Art. 4 GG) unzutreffend Grote/Kraus, JuS 1997,345 (349) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (70 f.») und - unter Einbeziehung einer drohenden Freiheitsentziehung (entsprechend der Normierung des § 35 StGB) - Radtke / Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (55) ab; vgl. dazu noch u., S. 221 f. 307 Zu der damit noch nicht beantworteten Frage nach den Auswirkungen der Unzulässigkeit im einfachen Recht vgl. u., S. 223 ff. 308 In diese Richtung auch Rothkegel, ZAR 1997, 121 (129): Beschränkung des Kirchenasyls auf "notwendige" Maßnahmen.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

rigen Erörterungen ergeben oder, soweit sie schon erwähnt wurden, an dieser Stelle noch einmal aufzugreifen sind, weil sie für die Frage der verhältnismäßigen Zuordnung i. S. d. Herstellung praktischer Konkordanz gleichermaßen von Bedeutung sind. Zusammen mit den unter Umständen ebenfalls noch einmal aufzugreifenden bereits erörterten Schrankenfragen ergeben sich aus alledem die im einzelnen zu erfüllenden konkreten Voraussetzungen einer von der Kirchenfreiheit gegenüber den Schrankengesetzen vorrangig geschützten Kirchenasylgewährung. aa) Ausschöpfung aller staatlichen Rechtsschutzmöglichkeiten Zunächst ist noch einmal darauf einzugehen, daß die Kirchenasylgründe bereits im staatlichen Verfahren berücksichtigt werden. Dieser Umstand läßt weder die Zugehörigkeit des Kirchenasyls zu den eigenen Angelegenheiten der Kirchen entfallen noch führt er von vornherein zu einer strikten Überordnung der Schrankengesetze über die Kirchenfreiheit in Kirchenasylfällen. 309 Ebensowenig fehlt es insoweit im Rahmen der Abwägung an der Erforderlichkeit der Durchsetzung der Kirchenfreiheit für die Kirchen in den betreffenden Fällen. Dies ergibt sich nicht nur daraus, daß die Kirchen aufgrund anderer Wertungen zu unterschiedlichen Einschätzungen in bezug auf die zu treffenden Prognoseentscheidungen kommen können?1O Dazu kommt vielmehr, daß die Kirchen selbst in Flüchtlings- und Asylfragen eine eigene Kompetenz besitzen. Sie schließt das Bestehen eigener Informationsmöglichkeiten ein, die eine eigenständige Beurteilung von Tatsachenfragen in besonderem Maße ermöglichen?1I Die Kirche kann ihre Einschätzung also in jedem Falle auch auf eigenes, zusätzliches Tatsachenmaterial stützen und ist schon aus diesem Grund selbst bei übereinstimmenden Wertungen nicht in der Weise von staatlichen Informationen vollkommen abhängig, daß sie in der Frage des Vorliegens einer Lebens- oder Leibesgefahr immer zu den gleichen Ergebnissen wie die staatliche Entscheidung kommen müßte und für ein Kirchenasyl unter diesem Gesichtspunkt keine Notwendigkeit bestünde. Vgl. 0., S. 174 ff., 192f. Vgl. dazu schon 0., S. 174 f. 311 Vgl. These 4 des Rates der EKD, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 47; daneben etwa GrotelKraus, JuS 1997,345 (349 Fn. 92) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (69 Fn. 42)]; Heimbach-Steins, Stimmen der Zeit 214 (1996), 291 (295 f.); Schlag, Zeitschrift für Evangelische Ethik 40 (1996), 38 (49); Rothkegel, ZAR 1997, 121 (126); Uihlein, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 131 (145 f.); v. Weizsäcker. DRiZ 1994, 271; vgl. auch Just. in: Asyl von unten, S. 1\0 (134 f.), Rethmann. Asyl und Migration. S. 316, beide mit dem gleichzeitigen auch bei Rössel-Marxen. in: Auflehnung gegen Unmenschlichkeit, S. 39 (43) und allgemein bei A. BeckerlBruns. InfAuslR 1997, 119 ff.; Kohnert. NVwZ 1998,136 (140 ff.) zu findenden - Hinweis auf die fehlende Objektivität der im staatlichen Verfahren (vgl. dazu auch § 67 AuslG) häufig maßgeblichen Lageberichte des Auswärtigen Amtes (vgl. zu diesem Vorwurf aber auch BelilSkibitzki. "Kirchenasyl" - Affront gegen den Rechtsstaat?, S. 39). Unzutreffend daher nach alledem Hund. DRiZ 1994. 362 (363): "bloße prinzipielle Besserwisserei von Kirchenleuten und juristischen Laien". 309 310

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Die eigene kirchliche Kompetenz in diesem Bereich ist staatlicherseits im übrigen durchaus anerkannt, wie etwa die Beteiligung der Kirchen an gesetzgeberischen Anhörungen zu F1üchtlings-, Aufenthalts- und Asylfragen zeigt. 312 Besondere Rechte, die dann auch anderen an solchen Verfahren in gleicher Weise beteiligten Verbänden (wie z. B. Gewerkschaften)313 - deren Schutz aus Art. 9 I GG demjenigen der Kirchen aus Art. 137 m I WRV i. V. m. Art. 140 GG nicht vergleichbar ist 314 - zustehen würden, ergeben sich aus dieser Art der staatlichen Anerkennung allein allerdings nicht. Sie bewirkt aber, daß der Gesichtspunkt der weitgehenden Deckungsgleichheit von Kirchenasylgründen und staatlichen Asylgründen letztlich sogar eher für ein Kirchenasylrecht spricht,315 soweit es nach dem oben Gesagten auf die Anerkennung einer eigenen Kompetenz der Kirchen im Bereich der mit dem Kirchenasyl verbundenen Tatsachen- und Prognose fragen ankommt. Der grundsätzliche Vorrang der Schrankengesetze trägt der Tatsache, daß der Staat regelmäßig von der Richtigkeit seiner (Tatsachen-)Beurteilungen und der diesbezüglichen Priorität seiner Entscheidungen ausgehen darf, hinreichend Rechnung. In den hier in Rede stehenden verbleibenden Kirchenasylfällen ändert die staatliche Berücksichtigung der Kirchenasylgründe an der Erforderlichkeit einer Durchsetzung der Kirchenfreiheit für die Kirchen unmittelbar nichts. Indirekt ist dieser Umstand allerdings insoweit durchaus von Bedeutung: Nicht erforderlich ist die Durchsetzung der Kirchenfreiheit gegenüber den Schrankengesetzen nämlich, soweit ein Schutz des Flüchtlings, also ein Abschiebungsschutz auch auf andere Weise erreicht werden kann. Insbesondere sind zunächst eben alle im staatlichen Verfahren vorgesehenen Möglichkeiten auszunutzen, einen Abschiebungsschutz zu erreichen. Die Ausschöpfung aller Rechtsschutzmöglichkeiten im staatlichen Bereich wird dementsprechend bereits kirchlicherseits weithin zur VorV gl. etwa BTDrucks 11/ 6321, S. 52f. und den Bericht in SZ vom 19. 3. 1992, S. 2. V gl. den Vorschlag eines "Gewerkschaftsasyls", der in dem Bericht in SZ vom 22./ 23.3. 1997, S. 9 erwähnt wird; dazu schon 0., S. 21 Fn. 19. 314 Vgl. dazu - mit gutem Überblick über den Diskussionsstand - nur Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 9 Rn. 16 ff., bes. Rn. 20, wonach das "vereinszweckrealisierende Außenwirken" nicht von Art. 9 I GG, sondern von den jeweils (materiell) einschlägigen Grundrechten geschützt wird; daher zu Unrecht kritisch gegenüber der Annahme einer generellen Einräumung von Sonderrechten für die Kirchen durch Art. 140 GG i. V. m. den Weimarer Kirchenartikeln Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 30 f. (dessen Position wohl letztlich der Beschränkung der Begriffe der Ordnung und Verwaltung i. S. d. Art. 137 III I WRV auf organisatorische Befugnisse - vgl. dazu 0., S. 179 - entspricht); vgl. gegen diesen auch Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 188; vgl. daneben schon 0., S. 183 ff., 187, ferner S. 204 Fn. 297 (zur richtigerweise wohl in diesem Sinne zu verstehenden Redeweise vom besonderen Gewicht des kirchlichen Selbstverständnisses). Nicht nur einen generell möglichen (grund-)rechtlichen Schutz des Kirchenasyls, sondern auch den besonderen rechtlichen Schutz der Kirchen verkennt Garhöfer, in: "Unschuldig im Gefängnis?", S. 69 (77 f.), wenn er das Kirchenasyl als bloße Anmaßung einer gesellschaftlich bedeutenden Institution oder Gruppe für unzulässig erklärt. 315 Vgl. auch schon 0., S. 192 f. 312 313

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aussetzung einer Kirchenasylgewährung gemacht. 316 Zu fordern ist insoweit vor allem eine Erschöpfung des Rechtswegs,317 wozu kirchlicherseits auch das Hinwirken auf die Nichtversäumung von Rechtsmittelfristen gehört, daneben in den entsprechenden Fällen auch die Bemühung um ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG bzw. die Stellung eines Asylfolgeantrags nach der speziellen Regelung des § 71 AsylVfG. Weitere - außerordentliche bzw. indirekte - Rechtsschutzmöglichkeiten, wie Eingaben, Petitionen, Unterschriftenlisten,318 sind nur dann in Anspruch zu nehmen, wenn sie tatsächlich gewisse Erfolgsaussichten haben. So muß beispielsweise kirchlicherseits nicht unbedingt ein Petitionsausschuß angerufen werden, der Kirchenasylgewährungen ausdrücklich mißbilligt und zu deren Unterlassung auffordert?19 Von einer anstelle der Kirchenasylgewährung wahrzunehmenden Rechtsschutzmöglichkeit i.w.S. kann man schließlich noch sprechen, wenn eine Ausreise in einen (auch nach kirchlicher Auffassung) sicheren Drittstaat erreicht werden kann;32o eine solche Möglichkeit läßt die Notwendigkeit einer Kirchenasylgewährung ftir die Kirchen ebenfalls entfallen. Erforderlich ist die Kirchenasylgewährung allerdings, soweit die Inanspruchnahme staatlicher Rechtsschutzmöglichkeiten nicht mehr oder noch nicht möglich ist oder keine abschiebungshemmende Wirkung hat. Zum einen ist dies der Fall, solange ein kirchliches Vorbringen behördlicherseits noch geprüft wird, ohne daß bereits eine aufschiebende Wirkung eingetreten ist. Aber auch dann, wenn ein kirchliches Vorbringen im staatlichen Verfahren noch nicht möglich ist (z. B. im Stadium der kirchlichen Prüfung eines Kirchenasylbegehrens nach vorläufiger Gewährung von Kirchenasyl aufgrund des Vorbringens des Betroffenen) oder wenn 316 Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vom 8. 3. 1996, S. 2, 5; ebenso die in epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 14 ff. zu findenden weiteren kirchlichen Stellungnahmen; daneben Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Aüchtlinge und Asylsuchende in unserem Land, S. 34 f.; Kardinal Sterzinsky, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 12 (13); vgl. dazu auch Eid, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 63 (73); Uihlein, ebd., S. 131 (146 ff.); Just, in: epd-Dokumentation Nr. 20/94, S. 39 (41); ders., in: Asyl von unten, S. 72 (89); Quandt, ebd., S. 193 (197 f.); Pro Asyl 1Publik-Forum (Hrsg.), Kirchenasyl: Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben, S. 6; Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 86 f., 93; ferner Wenzel, DRiZ 1995,7 (11). 317 Just, in: Asyl von unten, S. 72 (89). 318 Vgl. z. B. Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vom 8. 3. 1996, S. 5; daneben die weiteren Nachw. 0., Fn. 316. Allgemein zur Petition gegen eine Abschiebung Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, II-§ 49 Rn. 57 ff.; vgl. dazu ferner noch u., S. 261. 319 So der Petitionsausschuß des Nordrhein-Westfälischen Landtages in dem in NVwZ 1997,257 f. abgedruckten Beschluß, der allerdings eine Anrufung im Vorfeld einer Kirchenasylgewährung möglicherweise gerade nicht betreffen soll. 320 Vgl. auch Evangelische Kirche im Rheinland/Landeskirchenamt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 25; Geis. JZ 1997,60 (65); Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (Hrsg.), Erstinformation Kirchenasyl, S. 33; Vogelskamp, in: Zufluchtsort Kirche. S. 15 ff. und die Berichte in FAZ vom 30. 7. 1997, S. 5; SZ vom 30. 7. 1997, S. 5 zu einem der bereits 0., S. 32 Fn. 32 erwähnten Fälle.

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es erfolglos geblieben ist (etwa bei unterschiedlicher Beurteilung von Lebensoder Leibesgefahr durch Staat und Kirche), ist die Kirchenasylgewährung für die Kirche erforderlich. Der Vorrang der Kirchenfreiheit ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung 321 auf den ersteren Fall, also den der behördlichen Prüfung, beschränkt. 322 Denn solange die Befürchtung einer drohenden Lebens- oder Leibesgefahr nicht ausgeräumt ist - was allerdings auch im staatlichen Verfahren durchaus geschehen kann -, bleibt die Kirchenasylgewährung für die Kirchen nach wie vor von höchster Bedeutung, während bereits die genannten Modalitäten eines Vorrangs der Kirchenfreiheit, von denen vor allem die befürchtete Lebens- oder mindestens Leibesgefahr als Kirchenasylgrund und die Verpflichtung zur Kostenübernahme zu nennen sind, auch in diesen Fällen den staatlichen Interessen in ausreichendem Maße Rechnung tragen. Überdies dient auch die Verhinderung eines anderenfalls kirchlicherseits möglicherweise als geboten angesehenen Versteckens von Flüchtlingen wegen befürchteter Lebens- oder Leibesgefahr 323 in gewisser Weise der Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung.

bb) Öffentlichkeit der Kirchenasylgewährung Das ganz zuletzt angesprochene Argument geht bereits davon aus, daß bei einem Vorrang der Kirchenfreiheit gegenüber den Schrankengesetzen nur eine öffentliche Kirchenasylgewährung für die Kirchen erforderlich ist. 324 Eine Kirchenasylgewährung kann also nur dann vom kirchlichen Selbstbestimmungsrecht geschützt sein, wenn sie öffentlich erfolgt. Die staatlichen Informationsinteressen verlangen die Kenntnis der von Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG geschützten Kirchenasylfalle. Insoweit geht es tatsächlich um die Funktionsfahigkeit der Rechtsordnung, da derjenige, der staatliche Rechte in Anspruch nimmt, dies gegenüber dem Staat offenlegen muß. Dies gilt besonders dann, wenn damit Ausnahmen von der einfachen Rechtsordnung verbunden sind. 325 Andernfalls ist den staatlichen Organen eine Bestimmung dessen, was im konkreten Falle Recht ist, unmöglich. 326 Vor allem ermöglicht erst die Offenlegung einer Kirchenasylgewährung letztlich die Feststellung, daß die Voraussetzungen für einen Vorrang der Kirchenfreiheit überhaupt gegeben sind. Die nach alledem zu verlangende öffentliche Kirchenasylge-

Vgl. dazu schon 0., S. 193 ff. So aber Kraus. in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (67 f.); dazu auch noch u., S. 221 f. 323 Vgl. nur Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Flüchtlinge und Asylsuchende in unserem Land, S. 34. 324 Vgl. dazu auch schon 0., S. \03 f. 325 Zu den einfachrechtlichen Auswirkungen vgl. wiederum noch u., S. 223 ff. 326 Ähnlich - zu Art. 4 GG - Lisken. Polizei-heute 1995, 168 (175). 321

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

währung entspricht bereits verbreiteter Praxis 327 und Forderungen aus der Literatur. 328 ce) Aufenthalt in kirchlichen Räumen Ähnlich wie die Versorgung der Flüchtlinge (in finanzieller Hinsicht)329 ist ihr Aufenthalt in kirchlichen Räumen als Teil der Beherbergung letztlich geradezu notwendig mit der Kirchenasylgewährung verbunden. 330 Schon unter diesem Aspekt kann der Schutz des Kirchenasyls aus Art. 137 III I WRV i. V. m. Art. 140 GG nicht über den kirchlichen Verfügungsbereich in räumlicher Hinsicht hinausgehen. Eine weitere räumliche Ausdehnung des Kirchenasylschutzes (z. B. durch vollkommene Bewegungsfreiheit für durch kirchliche Erklärung geschützte Flüchtlinge)33! ist für die Kirchen auch nicht erforderlich, während für den Staat dadurch durchaus Belastungen entstehen würden, deren Verhinderung die der Kirchenfreiheit entgegenstehenden Schrankengesetze gerade dienen (z. B. verstärkte bzw. erschwerte Integrationsaufgaben). Die Kirchenasylgewährung ist insofern zugleich ein Gebrauchmachen vom Hausrecht an kirchlichen Gebäuden. 332 Der Begriff des Hausrechts umschreibt dabei exakt den kirchlichen Verfügungsbereich in räumlicher Hinsicht. Dies bedeutet keineswegs eine Anknüpfung des Kirchenasylschutzes an die Heiligkeit kirchli327 Vgl. nur Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche (Hrsg.), Erstinformation "Kirchenasyl", S. 21; Pro Asyl/Publik-Forum (Hrsg.), Kirchenasyl: Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben, S. 4. 328 Vgl. etwa Reuter; Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (208) [insoweit knapper bei bis dahin wörtlicher Übereinstimmung ders., in: Das Recht der Kirche, Band 111, S. 574 (600)]; ders., ZRP 1996,97 (101). 329 Vgl. 0., S. 198 ff. 330 Vgl. auch schon 0., S. 199,201. 33\ Vgl. dazu auch Evangelische Kirche im Rheinland I Landeskirchenamt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 30, wonach ein "Kirchen ausweis" den Kirchenasylflüchtlingen die Möglichkeit geben kann, sich auch außerhalb der Gemeinde zu bewegen. 332 So Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band 111, S. 601 (614 f.), dazu schon 0., S. 129 Fn. 29; vgl. auch Becker-Hinrichs, Theologia Practica 1989, 102 (107,111 f.); Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vom 8. 3. 1996, S. 3 und - mehr oder weniger deutlich - weitere in epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 15 ff., bes. S. 40, 42 zu findende kirchliche Stellungnahmen; unter historischem Aspekt daneben - Z.T. mit dem, soweit praktisch überhaupt noch bedeutsam, auch heute noch zu beachtenden Hinweis auf ein Belagerungsverbot, das als Bestandteil des Kirchenasylschutzes einen freien Zugang zu den Flüchtlingen und die Versorgung derselben sicherte - etwa Bindschedler; Kirchliches Asylrecht (Immunitas ecclesiarum localis) und Freistätten in der Schweiz, S. 9, 21 ff., 30 f.; Bulmerincq, Das Asylrecht in seiner geschichtlichen Entwickelung beunheilt vom Standpunkte des Rechts und dessen völkerrechtliche Bedeutung für die Auslieferung flüchtiger Verbrecher, S. 86 und aus neuerer Zeit Landau. in: Asyl am Heiligen Ort, S. 47 (53, 58); ders., in: TRE, Band IV, S. 319 (324 f.), dort z. B. auch zur Frage des Kirchenasyls an Wegekreuzen; Riedel-Spangenberger; TThZ 100 (1991), 126 (133. 135 f.); vgl. ferner Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (61).

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cher Räume (reverentia loci-Gedanke),333 was sich schon darin zeigt, daß danach alle kirchlicher Verfügungsgewalt unterstehenden Orte (und nicht nur die "heiligen") vom Kirchenasylschutz umfaßt werden. Die Verbindung des Kirchenasylschutzes mit dem Hausrecht steht im übrigen mit der allgemeinen Aussage in Einklang, daß das kirchliche Hausrecht generell als Teil der Kirchenfreiheit von Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG geschützt ist. 334 Auch außerhalb des räumlichen Verfügungsbereichs der Kirchen besteht der Kirchenasylschutz allerdings im Falle einer staatlichen Vorladung (z. B. zu einem Gerichtstennin) oder sonstigen Verlassenspflicht (z. B. zur Erfüllung der staatlichen Schulpflicht) fort. Durch die Ergreifung kirchenasyl- bzw. aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen einen Kirchenasylflüchtling bei solcher Gelegenheit 335 kann der Staat das Kirchenasyl also nicht unterlaufen. Konsequenterweise ist bereits der Weg ins Kirchenasyl als in gleicher Weise geschützt anzusehen, sobald eine - in diesem Falle ausreichende - kirchliche Schutzerklärung vorliegt und die übrigen Voraussetzungen des Kirchenasylschutzes aus Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG erfüllt sind.

dd) Ordnungsgemäßer Beschluß der zuständigen kirchlichen Organe Kirchlicherseits setzt eine Kirchenasylgewährung noch voraus, daß ein ordnungsgemäßer Beschluß der für karitative Maßnahmen bzw. für die Ausübung des Hausrechts zuständigen Organe vorliegt. 336 Denn ein kirchliches Recht aus Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG kann nur durch vertretungsberechtigte Organe der Kirchen wahrgenommen werden; andernfalls scheidet das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage zwangsläufig aus. Eine über einen ordnungsgemäßen (Mehrheits-)Beschluß hinausgehende Einstimmigkeit i. S. einer Übereinstimmung aller Mitglieder des beschlußfassenden Organs oder gar aller 333 So aber wohl M. H. Müller; ZAR 1996, 170 (174 Fn. 38), der sich dabei indessen auch auf die tatsächlich wohl verbreitet den reverentia loci-Gedanken zugrundelegende staatliche Praxis - vgl. schon 0., S. 168 - bezieht; insoweit unklar die im Schreiben des niedersächsischen Landtagspräsidenten an die St. Laurentius Gemeinde Liebenau vom 6. 12. 1995 betreffend die Eingabe Nr. 2184/02/13 enthaltene Mitteilung des niedersächsischen Innenministeriums, vgl. dazu schon 0., S. 31. 334 Vgl. BVerfGE 57,220 (243 f.): "Konkretisierung" (vgl. dazu 0., S. 125 Fn. 12); daran anschließend etwa Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 140/ Art. 137 WRV Rn. 8. 335 Vgl. den Bericht in SZ vom 12.9. 1997, S. 2 zur Festnahme eines KirchenasylflüchtIings bei der Abgabe eines persönlich einzureichenden Asylfolgeantrags. 336 Vgl. Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (615); Just, in: Asyl von unten, S. 1\0 (124); ders./ Vogelskamp, in: Auflehnung gegen Unmenschlichkeit, S. 15 (25); Robbers, AöR 113 (1988), 30 (41 ff.); Rothkegel, ZAR 1997, 121 (126); Schmude, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 15 (16); Kardinal Sterzinsky, ebd., S. 12 (13); Uihlein, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 131 (145); unklar Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vom 8. 3. 1996, S. 3; vgl. auch schon 0., S. 90 f.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Gemeindeglieder ist indessen auch unter Abwägungsgesichtspunkten nicht zu fordern,337 zumalletztere praktisch kaum je zu erreichen sein wird.

ee) Keine besondere Schaffung von Einwanderungsanreizen Den Ausgangspunkt der Abwägung Le.S. bildete das Argument, ein durch die Anerkennung eines Kirchenasylrechts möglicherweise ausgelöster Ausländerzustrom könne letztlich doch eine Beeinträchtigung der schrankengesetzlichen Schutzgüter zur Folge haben. 338 Darauf ist abschließend noch einmal unmittelbar zurückzukommen. Es wurde bereits festgestellt, daß von den durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vorrangig geschützten Kirchenasylgewährungen aufgrund der diesbezüglich gestellten Anforderungen über die auf diese Weise eng umgrenzten Fälle hinaus keine Einwanderungsanreize ausgehen. 339 Dies setzt allerdings voraus, daß die Kirchen durch ihr Verhalten nicht noch zusätzliche Einwanderungsanreize setzen. Insbesondere im Hinblick auf die gemäß Art. 137 V WRV i. V. m. Art. 140 GG als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaften - wie die beiden Volkskirchen, von deren Kirchenasylpraxis ein Einwanderungsanreiz vor allem ausgehen könnte 340 - darf der Staat dabei darauf vertrauen, daß sie nicht in einer prinzipiellen Frontstellung zum Staat stehen. 341 Dies gilt auch, soweit die Kirchen einen Öffentlichkeitsauftrag in Anspruch nehmen, der sich in besonderen Situationen zum Wächteramt verdichten kann. 342 Mit diesen Begriffen läßt sich sich das Dialogverhältnis von (Groß-)Kirchen und Staat generell bezeichnen, ohne daß damit eine eigenständige kirchliche Rechtsposition verbunden ist. 343 Zwar können sich die Kirchen aus diesem Auftrag heraus über ihre staatlichen 337 Vgl. Kraus. in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (61); unklar Jüngel, FAZ vom 4. 6. 1994, S. 6. 338 Vgl. 0., S. 202 f. 339 Vgl. dazu 0., S. 207. 340 Vgl. auch 0., S. 154 f. 341 Zum Erfordernis einer gewissen Loyalität zum Staat für die Körperschaftsanerkennung vgl. nur BVerwG, NIW 1997,2396 (2398 f.); vgl. dazu ferner schon 0., S. 197 f. m. Fn. 276. 342 So für das Kirchenasyl die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 30; Bischof Lehmann. ebd., S. 59 (60); vgl. auch Robbers. AöR 113 (1988), 30 (48). 343 Dazu ausführlich Schlaich. in: HdbStKR, Band H, S. 131 (160 ff.); daneben Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 188 f.; weitere Nachw. bei Kästner. Staatliche lustizhoheit und religiöse Freiheit, S. 6 Fn. 5. Unklar im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik Rothkegel. ZAR 1997, 121 (125), der aus dem Kooperationsverhältnis von Kirche und Staat insoweit ein Abwägungsgebot im Rahmen der Schrankenklausel des Art. 137 1II I WRV i. V. m. Art. 140 GG folgert, obwohl er das Vorliegen einer eigenen Angelegenheit verneint, vgl. 0., S. 140 Fn. 4. Zum Unterschied von Kirchen und anderen Verbänden vgl. 0., S. 209 m. Fn. 313 f.

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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Rechte hinaus zum Widerstand verpflichtet fühlen,344 also etwa bezüglich der vom staatlichen Recht letztlich nicht geschützten Kirchenasylgewährungen. Aufgrund des grundsätzlichen Verhältnisses von Kirchen und Staat im Sinne eines Miteinanders ist gleichwohl nicht davon auszugehen, die Kirchen wollten durch ihre Kirchenasylpraxis über die Hilfe in Notsituationen hinaus entgegen den staatlichen Interessen beispielsweise durch weitestmögliche Aufnahme aller von Abschiebung bedrohter Ausländer oder dadurch, daß die Befürchtung einer Lebens- oder Leibesgefahr für den betroffenen Flüchtling bloß vorgeschoben wird,345 in verstärktem Umfang Einwanderungsanreize geben. Dem wirken im übrigen vor allem schon die mit der Kirchenasylgewährung verbundenen finanziellen Belastungen entgegen. 346 Außerdem entspricht die bisherige Kirchenasylpraxis weitgehend einer restriktiven Handhabung durch die Kirchen, die den Ausnahmecharakter von Kirchenasylgewährungen und das prinzipielle Kooperationsverhältnis von Kirche und Staat betonen sowie eine ernsthafte und gewissenhafte Prüfung der Entscheidung über eine Kirchenasylgewährung anmahnen. 347 Die Annahme einer restriktiven Handhabung des Kirchenasyls durch die Kirchen findet auch darin eine Bestätigung, daß die Kirchenasylgewährungen in vielen Fällen zu einer Änderung der staatlichen Entscheidungen zugunsten des Flüchtlings geführt haben. Ein Abschiebungsschutz wird bzw. wurde nach neueren Untersuchungen in rund 70% der Kirchenasylfälle erreicht. 348 Von Kirchenasylfällen, in denen sich eine behauptete Lebens- oder Leibesgefahr nachträglich als so nicht existent herausgestellt hat und die diesbezügliche Prüfung durch die Kirchen möglicherweise unsorgfältig war, wird bislang nur ganz vereinzelt berichtet. 349 Zwar läßt sich die Möglichkeit eines solchen Irrtums bei derartigen Entscheidungen, bei denen ein Prognoseelement eine wichtige Rolle spielt,350 nie ganz vermeiVgl.Schlaich. in: HdbStKR,Bandll,S.131 (179f.). Vgl. dazu auch Kraus. in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (61), der nachdrücklich auf die Unzulässigkeit einer Verschleierung der kirchlichen Handlungsmotivation hinweist; ferner Isensee. in: HdbStKR, Band 11, S. 665 (735 Fn. 252). J46 Vgl. nochmals 0., S. 199 ff. 347 Vgl. etwa die Thesen 4 ff., 8 des Rates der EKD, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 47 ff.; Bischof Lehmann. ebd., S. 59 ff.; daneben bes. die vennittelnden Ausführungen von GrÖzinger. in: Asyl in der Gemeinde, S. 32 (39 f.); ferner schon 0., S. 205 f. m. Fn. 303. 348 Rapp. Entwicklung der Kirchenasylinitiativen 1997/98, S. 3 f.; vgl. auch den ausführlichen Bericht über eine statistische Untersuchung aus dem Jahre 1995 von Vogelskamp. in: Zufluchtsort Kirche, S. 5 ff.; daneben ders., in: epd-Dokumentation Nr. 31/96. S. 5 ff. Der von Hund. DRiZ 1994, 363 (364) geforderte Nachweis ist damit wohl erbracht. 349 So etwa in SZ vom 24. 3. 1997, S. 30 (zu einem der bereits 0., S. 32 Fn. 32, erwähnten Fälle). Keinesfalls steht das Vorliegen eines solchen Irrtums indessen in den von Bell/Skibitzki, "Kirchenasyl" - Affront gegen den Rechtsstaat?, S. 10 ff. untersuchten - i. Ü. nicht generell verallgemeinerungsfähigen (anders wohl ebd., S. 10 f.; zutreffend demgegenüber Renner in seinem Vorwort, ebd., S. 5 (6» - Fällen einer Kirchenasylgewährung an kurdische Flüchtlinge fest, zumal der angebliche Nachweis fehlender politischer Verfolgung ebd., S. 48 letztlich allein damit begründet wird, daß das staatliche Asylverfahren "erfolglos durchlaufen" wurde. 344

345

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

den (auf staatlicher ebensowenig wie auf kirchlicher Seite). Die Irrtumsgefahr wird aber bei Einhaltung der kirchlicherseits geforderten Sorgfalt bei der Prüfung von Kirchenasylbegehren in jedem Falle auf ein dem Kriterium der ernsthaft befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr angemessenes Maß gesenkt. 35I Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, daß bei einem später festgestellten kirchlichen Irrtum zunächst nicht vorgenommene staatliche Abschiebemaßnahmen in der Regel ohne weiteres nachholbar sind, so daß ein potentieller Einwanderungsanreiz dann immerhin noch nachträglich ausgeschaltet werden kann. Auch bei Erfüllung der bis hierher genannten Voraussetzungen für eine gegenüber den Schrankengesetzen von der Kirchenfreiheit vorrangig geschützte Kirchenasylgewährung, also insbesondere bei einer ernsthaft befürchteten Lebensoder Leibesgefahr als Kirchenasylgrund, ist allerdings zu prüfen, ob mit der Kirchenasylgewährung abwägungsrelevante besondere Einwanderungsanreize gesetzt werden. Diese Möglichkeit besteht besonders dann, wenn mit Hilfe des Kirchenasyls ein öffentlicher Druck gegen den Staat erzeugt werden soll. Zwar kann es bei der eigentlichen Gesetzesauslegung zur Ermittlung individueller Rechte gegen den Staat prinzipiell nicht darauf ankommen, ob der Betreffende eine kooperative Grundhaltung gegenüber dem Staat einnimmt. Bei der Abwägung und hier speziell im Hinblick auf die Frage, ob die Kirchenasylgewährung auf die Schaffung von besonderen Einwanderungsanreizen angelegt ist oder eine entsprechende Gefahr beinhaltet, ist dieser Umstand aber sehr wohl von Bedeutung. Eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit bewirkt vor allem dann eine zusätzliche Beeinträchtigung, wenn man kirchlicherseits geradezu einen Konfrontationskurs gegenüber dem Staat eingeschlagen hat. Dazu ist es bislang aber allenfalls vereinzelt gekommen. 352 Daß überhaupt eine Öffentlichkeitsarbeit stattfindet (insbesondere wenn eine öffentliche Kirchenasylgewährung staatlicherseits geradezu verlangt wird)353 und dabei auch Differenzen zwischen staatlicher und kirchlicher Beurteilung angesprochen werden, ist allein noch kein Zeichen einer auf Konfrontation angelegten Kirchenasylgewährung. Es ist aber zumindest denkbar, daß der Kirchenasylgewährer schon allein um des unmittelbaren Verfolgtenschutzes willen die direkte Konfrontation mit dem Staat sucht oder in Kauf nimmt. 354 Bereits aufgrund dessen können die staatlichen Vgl. 0., S. 174 f. Vgl. dazu bes. auch Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 15 (18). 352 In Betracht kommen insoweit neben dem von Führer, in: Wir wollen, daß ihr bleiben könnt, S. 115 ff. geschilderten Verhalten einer kirchenasylgewährenden Gemeinde (vgl. dazu schon 0., S. 203 Fn. 296 a. E.) vor allem die Fälle des sog. "Wanderkirchenasyls" aus dem Jahre 1998, von denen etwa in Der Spiegel Nr. 21/1998, S. 60, 64 und in Junge Kirche 1998, 234 f. berichtet wird. Demgegenüber stellt Quandt. in: Asyl von unten, S. 193 (202) ausdrücklich fest, es sei ,,für eine Kirchengemeinde im allgemeinen nicht unbedingt üblich, gegenüber staatlichen Behörden auf direkten Konfrontationskurs zu gehen". 353 Vgl. 0., S. 211 f. 350 351

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Interessen unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung von Einwanderungsanreizen ein zusätzliches Gewicht gewinnen, so daß die Durchsetzung der Schrankengesetze in der Abwägung nicht mehr hinter der Kirchenfreiheit zurücktreten muß. Dies gilt um so mehr, als bei einer solchermaßen "aggressiven" Kirchenasylgewährung möglicherweise sogar der Punkt erreicht wird, an dem es staatlicherseits zudem tatsächlich um die Wahrung des Rechtsfriedens (im Hinblick auf die Akzeptanz des staatlichen Asylverfahrens) als eines schutzwürdigen Gutes geht. 355 Darüber hinaus kann die Gefahr einer besonderen Schaffung von Einwanderungsanreizen dann bestehen, wenn sich die Kirchen nicht auf den unmittelbaren Verfolgtenschutz durch Aufnahme des Flüchtlings beschränken, sondern daneben andere gleichbedeutende Ziele verfolgen, etwa politische Forderungen über den Einzelfall hinaus erheben. 356 Unter ergänzender Berücksichtigung der für die rein politischen Kirchenasylgewährungen anzustellenden357 Abwägungsüberlegungen können die staatlichen Interessen dann noch stärker beeinträchtigt werden. Nicht zuletzt spielt dabei eine Rolle, daß der Blick durch ein solches kirchliches Verhalten vom einzelnen Flüchtlingsschicksal weggelenkt wird,358 so daß die konkrete kirchliche Sorge um diesen nur noch als ein Faktor von mehreren angesehen werden kann und dadurch letztlich an Gewicht verliert. Bislang sind aber insgesamt - von den erwähnten gegenläufigen und auch innerkirchlich durchaus deutlicher Kritik ausgesetzen 359 Ansätzen in wenigen Einzelfällen einmal abgesehen - entsprechend der ganz überwiegenden Betonung des kooperativen Verhältnisses von Kirche und Staat auch im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik und nicht zuletzt der immer wieder deutlich geäußerten kirchlichen Ablehnung des Kirchenasyls als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele 360 für eine extensive, auf die Schaffung von besonderen Einwanderungsanreizen ausgerichtete Kirchenasylpraxis keine Anhaltspunkte erkennbar. Die den Regelfall bildende, schlichte Kirchenasylgewährung begründet unter den genannten Modalitäten keine diesbezügliche Gefahr. Völlig überzogen ist es beispielsweise, davon zu sprechen, es würden (ungewollt) "die Geschäfte der Schlepper gefördert, die sich schon wieder die Hände reiben, weil sich ihre Gewinnmöglichkeiten auch nach der Neuordnung des Asylrechts dank des sogenannten Kirchenasyls 354 Dieser Fall soll wohl in Evangelische Kirche im Rheinland/Landeskirchenamt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 28 f. angesprochen werden. 355 Vgl. dazu schon 0., S. 196. 356 So im Hinblick auf die Wanderkirchenasylbewegung Rapp, Entwicklung der Kirchenasylinitiativen 1997/98, S. 4; vgl. auch schon 0., S. 178 m. Fn. 177. 357 Vgl. U., S. 219 f. 358 Zu Recht weist Führer, in: Wir wollen, daß ihr bleiben könnt, S. 115 (127) darauf hin, daß diese Gefahr letztlich in jedem Falle eines "lauten" Kirchenasyls besteht. 359 Vgl. auch dazu die Nachw. 0., S. 216 Fn. 352. 360 SO Z. B. in Evangelische Kirche im Rheinland 1Landeskirchenamt (Hrsg.), Asyl in der Gemeinde, S. 24 (mit dem zutreffenden Hinweis auf die ohnehin eintretenden politischen Auswirkungen); vgl. daneben schon 0., S. 166 m. Fn. 118.

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

nicht eben verschlechtem".361 Auszugehen ist auch nach den zuvor angestellten Überlegungen vielmehr davon. daß dem Argument eines durch Kirchenasylgewährungen möglicherweise ausgelösten Ausländerzustroms bereits dann hinreichend Rechnung getragen wird. wenn man der Kirchenfreiheit im Rahmen der aus der Abwägung heraus im einzelnen entwickelten Modalitäten den Vorrang vor einer Durchsetzung der Schrankengesetze einräumt. Als Abwägungsergebnis läßt sich damit zusammenfassend festhalten. daß das kirchliche Selbstbestimmungsrecht im Falle des unter dem karitativen Motiv der kirchlichen Beistandspflicht für Verfolgte (intercessio-Gedanke) gewährten Kirchenasyls an von Abschiebung bedrohte Ausländer den Vorrang vor den - sonst ihrerseits als allgemeine Gesetze i. S. d. Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG vorrangigen - Schrankengesetzen genießt. wenn das Kirchenasyl (1) zur Abwendung einer kirchlicherseits ernsthaft befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr gewährt wird. (2) die Gewährung von einem vertretungsbefugten Organ ordnungsgemäß beschlossen wurde und (3) öffentlich erfolgt. (4) ein Schutz des Flüchtlings nicht auf andere Weise erreicht werden kann. insbesondere alle nicht von vornherein aussichtslosen staatlichen Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft (oder unverschuldet - in bezug auf die Kirchen - versäumt) wurden. (5) die Kirchen zu einer Versorgungsübernahme gemäß § 84 AuslG bereit sind. (6) der räumliche Verfügungsbereich der Kirchen nicht überschritten wird und schließlich (7) zusätzliche Einwanderungsanreize. vor allem durch eine ..aggressive" Kirchenasylgewährung. nicht gesetzt werden. Dieses Abwägungsergebnis. das allerdings durch besondere Umstände noch beeinflußt werden kann. 362 trägt staatlichen und kirchlichen Interessen gleichermaßen Rechnung.

S. Vom Ausgangsfall abweichende Kirchenasylkonstellationen

Da die vorangegangenen Überlegungen allein auf den Fall der Kirchenasylgewährung an von Abschiebung bedrohte Ausländer unter dem Gesichtspunkt des Verfolgtenschutzes bezogen sind. ist nun noch kurz auf abweichende Kirchenasylkonstellationen einzugehen. sofern sich für diese eine unterschiedliche rechtliche Beurteilung ergibt. Dabei geht es um die Fälle der Kirchenasylgewährung unter dem reverentia loci-Gedanken. um bloß politisch motivierte Kirchenasylgewährungen und schließlich um Kirchenasylgewährungen zum Schutz vor inländischer (Straf-)Verfolgung. 363

36\ So Riegel, FAZ vom I!. 7. 1997, S. 9 (deren anschließender, nicht weniger origineller Gedanke, am Ende "wären dann auch wieder alle Kirchen voll", im übrigen ebenfalls etwas neben der Sache liegt); ähnlich, wenngleich weniger drastisch in der Formulierung Bell/Skibitzki, "Kirchenasyl" - Affront gegen den Rechtsstaat?, S. 50. 362 Vgl. dazu schon 0., S. 190 f. 363 Vgl. 0., S. 189 m. Fn. 224 f.

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a) Heiligkeit des Ortes als Kirchenasylgrund Wird das Kirchenasyl als eigene Angelegenheit i. S. d. kirchlichen Selbstbestimmungsrechts maßgeblich mit dem reverentia loci-Gedanken begründet,364 so scheidet im Rahmen der Abwägung i.e.S. eine Differenzierung der kirchlichen Interessen aus. Zwar könnte man an eine Differenzierung nach der Intensität des staatlichen Eindringens denken, z. B. mit oder ohne Gewalt,365 worauf indessen das Verhalten der Kirche selbst einen wesentlichen Einfluß hat. Ein umfassender Vorrang der kirchlichen Interessen am Schutz der Heiligkeit des Kirchenraums kommt aber nicht in Betracht, da sonst tatsächlich ein rechtsfreier Raum entstünde?66 Unter diesen Umständen stellen die in Kirchenasylfällen einschlägigen Schrankengesetze also generell allgemeine Gesetze gemäß Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG dar, die das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, soweit dessen tatbestandlicher Schutz überhaupt gegeben ist, jedenfalls wirksam beschränken.

b) Politisch motivierte Kirchenasylgewährung Auch bei einer bloß oder in erster Linie politisch motivierten Kirchenasylgewährung 367 sind die Schrankengesetze zumindest als vorrangige allgemeine Gesetze i. S. d. Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG anzusehen: Den Kirchen stehen in allgemeinpolitischen Fragen keine weitergehenden Möglichkeiten einer direkten Einflußnahme auf den Staat zur Verfügung als anderen, d. h. es bestehen insoweit keine weiter als die Demonstrations- und Meinungsfreiheit, die ihrerseits schon sehr weitgehend gewährleistet sind und einen spezifischen Politikbezug368 aufweisen, reichenden religiösen Sonderrechte. Nicht ein - wenn auch religiös begründetes - politisches Mandat der Kirchen als solches kann den Schrankengesetzen entgegenstehen, sondern nur die unverhältnismäßige Beschränkung einer bestimmten eigenen Angelegenheit durch die konkrete Anwendung eines solchen Gesetzes. Ein Recht zur Nichtanwendung von Gesetzen aus einem politischen Auftrag heraus wäre vor allem auch im Hinblick auf das Demokratieprinzip (Art. 20 I, 11 GG) problematisch, das zwar nicht von vornherein gegen ein verfassungsrechtliches Freiheitsrecht 369 und gegen die einzelne materielle Gewährleistung eben auch darüber Vgl. 0., S. 178. Vgl. dazu 0., S. 168. 366 Vgl. schon 0., S. 195 f. 367 Vgl. 0., S. 178, ferner S. 214 f., 217. Bei seiner im Zusammenhang mit dem Hinweis auf die Unzulässigkeit einer Verschleierung der kirchlichen Handlungsmotivation (vgl. dazu 0., S. 215 Fn. 345) geäußerten Ablehnung einer "Instrumentalisierung von Asylbewerbern" verkennt Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (61), daß auch insoweit eine religiöse Zweckbeziehung in Betracht kommt. Zur ausländerpolitischen Position der Kirchen vgl. 0., S. 205 f. 36R Vgl. dazu etwa Schulze-Fielitl. in: Dreier, Grundgesetz, Art. 8 Rn. 9. 369 Vgl. 0., S. 194. 364 365

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

hinaus nicht ins Feld geführt werden kann, aber bei der Frage nach der Reichweite eines aus einem verfassungsrechtlichen Gewährleistungsrecht abgeleiteten politischen Auftrags durchaus relevant wird. c) Kirchenasylgewährung an inländische Flüchtlinge

Im Gegensatz zu von Abschiebung bedrohten Ausländern können inländischen Kirchenasylflüchtlingen durch die staatlichen (Verfolgungs-)Maßnahmen, vor denen die Kirchenasylgewährung schützen soll, niemals Lebens- oder Leibesgefahren drohen. Insbesondere gibt es in der Bundesrepublik weder Todes- noch Züchtigungsstrafen (und einer Ausweisung bzw. Auslieferung deutscher Staatsbürger, wodurch für diese entsprechende Gefahren entstehen könnten, stehen Art. 11, 16 GG entgegen)370. Inländischen Flüchtlingen wird Kirchenasyl grundsätzlich nicht wegen des Drohens irreparabler Schäden gewährt. Für die Kirchen hat eine solche Kirchenasylgewährung - unter dem Grundgesetz - dementsprechend auch nicht dieselbe herausragende Bedeutung wie die Kirchenasylgewährung an von Abschiebung bedrohte Ausländer wegen Lebens- oder Leibesgefahr. Denkbar ist eine (mittelbar) drohende Lebens- oder Leibesgefahr allenfalls im Falle des fahnenflüchtigen Soldaten. Umstritten ist allerdings bereits, ob Soldaten gegen ihren Willen zu nicht mit der Landesverteidigung zusammenhängenden Einsätzen herangezogen werden können. 37 ! Soweit dies staatlicherseits angenommen wird, ist davon auszugehen, daß der Staat damit - wie auch im Falle der Landesverteidigung - ganz überwiegende Interessen für sich in Anspruch nimmt, hinter denen nicht nur die persönlichen Interessen der Soldaten, sondern auch die Kirchenfreiheit zurücktreten müssen. Wird als Straftätern verurteilten Flüchtlingen Kirchenasyl gewährt, so stehen der Kirchenfreiheit die Strafzwecke (Schuldausgleich, Generalprävention, Spezialprävention)372 gegenüber. Bei der Abwägung bei der Positionen fällt dementsprechend zusätzlich ins Gewicht, daß die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit der Bürger geboten ist. 373 Selbst ein zeitweiliger Aufschub durch eine Kirchenasylgewährung kann insoweit eine erhebliche Beeinträchtigung der auf staatlicher Seite stehenden Interessen zur Folge haben. Diese Überlegungen machen bereits deutlich, daß die staatlichen Interessen im Falle einer Kirchenasylgewährung an inländische Flüchtlinge durchweg als vorrangig anzusehen sind. Anders als bei einer Kirchenasylgewährung an von Abschie370 Vgl. nur Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 16 Rn. 6 ff. 371 Vgl. Kokott. in: Sachs, Grundgesetz, Art. 87a Rn. 25 f. m. w. N. 372 Vgl. nur Jescheck/Weigend. Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, S. 77 ff. 373 Vgl. dazu BVerfGE 51, 324 (343 f.); ferner schon 0., S. 190 f.

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

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bung bedrohte Ausländer wegen befürchteter Lebens- oder Leibesgefahr werden gewichtige kirchliche Interessen dadurch nicht beeinträchtigt, während andernfalls die staatlichen Interessen in erheblichem Maße beeinträchtigt werden. Es zeigt sich also, daß die Kirchenfreiheit allein im Falle der Kirchenasylgewährung an von Abschiebung bedrohte Ausländer unter den genannten Voraussetzungen den Vorrang vor den staatlichen Schrankengesetzen genießt. 6. Prozessuale Aspekte bezüglich der von der Kirchenfreiheit gegenüber den Schrankengesetzen vorrangig geschützten Kirchenasylgewährungen

Soweit die Kirchenfreiheit den staatlichen Schrankengesetzen vorgeht, gewährt Art. 137 ITI 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht, das die Kirchen - wie jedes ihnen zustehende staatliche Recht - auch vor den staatlichen Gerichten durchsetzen können. 374 Dabei stellt sich den staatlichen Behörden und Gerichten die Aufgabe, die genannten Voraussetzungen dieses Rechts nachzuprüfen. 375 Probleme bereiten kann insbesondere die Feststellung, ob ein Kirchenasyl (unter dem Gesichtspunkt des Verfolgtenschutzes) zur Abwendung einer Lebens- oder Leibesgefahr gewährt wird?76 Die bloße Behauptung von kirchlicher Seite kann diesbezüglich nicht ausreichen, da eine allein vom Selbstverständnis bestimmte Auslegung von Rechtsbegriffen grundsätzlich unzulässig ist. 377 Eine entsprechende Behauptung ist daher staatlicherseits soweit wie möglich daraufhin zu überprüfen, ob sie kirchlicher Überzeugung entspricht. Dabei kommt es vor allem darauf an, daß die Kirche eine eingehende Auseinandersetzung mit dem Vorbringen und der Situation des Flüchtlings darlegen kann, aufgrund derer sie sich zur Kirchenasylgewährung entschlossen hat. Insoweit kann eine Offenlegung der kirchlichen Aktivitäten im Zusammenhang mit der Kirchenasylgewährung, insbesondere der herangezogenen Beurteilungsgrundlagen und der daraus gezogenen Schlüsse, verlangt werden, in denen die behauptete kirchliche Motivation eine Grundlage finden muß. 378 374 Vgl. Rothkegel, ZAR 1997, 121 (125). Nicht nachvollziehbar ist es daher, wenn in SZ vom 11. 4. 1997, S. 1 ("Das Streiflicht") in bezug auf das Kirchenasyl gesagt wird, "das wäre eine merkwürdige Kirche, die sich [ ... ] von staatlichen Gerichten unter die Arme greifen lassen müßte". 375 Allgemein zur gerichtlichen Nachprüfbarkeit der Voraussetzungen des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts Hesse, in: HdbStKR, Band I, S. 521 (534 Fn. 37; 543 Fn. 73); Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 150 ff.; vgl. auch schon 0., S. 146, 152 ff. 376 Vgl. schon 0., S. 215 m. Fn. 345. 377 Vgl. 0., S. 148. 378 Vgl. - insoweit zutreffend - Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (66 f.); daneben Rothkegel, ZAR 1997, 121 (129); vgl. auch Bayer; Das Grund-

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Unzutreffend ist es, daraus die Konsequenz zu ziehen, die behördliche bzw. gerichtliche Prüfung habe derjenigen eines Asylfolgeverfahrens oder einer Entscheidung über ein Wiederaufgreifen des Verfahrens zu entsprechen. 379 Ebensowenig, wie der Inhalt eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts in einem kirchlichen Anspruch auf Entscheidung des staatlichen Verfahrens unter Zugrundelegung der kirchlichen Tatsachenbeurteilung bestehen kann,38o läßt sich ein bloßer Anspruch auf Berücksichtigung der kirchlichen Tatsachenbeurteilung im staatlichen Verfahren aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht entnehmen. Die Prüfung eines Asylfolgeantrags oder eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens bleibt von der Kirchenfreiheit unbeeinflußt. Damit nicht zu verwechseln ist im übrigen der Umstand, daß ein solcher Antrag nach Möglichkeit zu stellen ist, um den Kirchenasylschutz nicht zu verlieren. 381 Das Erfordernis der Kirchenasylgewährung zur Abwendung einer Lebens- oder Leibesgefahr ist im Gegensatz zu den Voraussetzungen eines Asylfolgeverfahrens oder eines Wiederaufgreifens des Verfahrens subjektiver Art, auch wenn diese subjektive Voraussetzung in irgendeiner Weise objektiv belegt werden muß. Für die insoweit zur Entscheidung berufene staatliche Instanz geht es letztlich darum, die Glaubwürdigkeit des kirchlichen Vorbringens zu beurteilen. Können Behörde oder Gericht davon überzeugt werden, daß das Kirchenasyl gewährt wird, um den betroffenen Flüchtling vor einer kirchlicherseits befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr zu schützen, so ist die subjektive Voraussetzung als erfüllt anzusehen. Die Prüfung der weiteren genannten Voraussetzungen eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts wirft daneben keine vergleichbaren Probleme auf. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang lediglich noch, daß für das soeben bereits erwähnte Erfordernis der Ausschöpfung aller erfolgversprechenden Rechtsschutzmöglichkeiten ein ganz fester Maßstab fehlt. 382 Die weiteren verfahrensrechtlichen Fragen eines aus Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG abgeleiteten Kirchenasylrechts beurteilen sich nach den allgemeinen Grundsätzen des jeweiligen behördlichen bzw. gerichtlichen Verfahrens. Besondere verfahrensrechtlichen Probleme ergeben sich dabei nicht. Unbegründet ist insbesondere die Annahme, bei Anerkennung eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts könne eine Verfahrensbeteiligung aller potentiellen Kirchenasylgewährer recht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 252, 254 f. und die weiteren Nachw. 0., S. 207 Fn. 306; ferner etwa die entsprechenden - nicht speziell im Hinblick auf die Frage der gerichtlichen Prüfung erhobenen - Forderungen von lust, in: Asyl von unten, S. 110 (134 f.); Quandt, ebd., S. 193 (197 f.); Pro Asyl/Publik-Forum (Hrsg.), Kirchenasyl: Gewissen läßt sich nicht einfach abschieben, S. 6. 379 So Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (77 Anm. 34); ähnlich wohl Geis, JZ 1997,60 (66) und die Nachw. 0., S. 207 Fn. 306 a. E.; vgl. zu dieser Auffassung auch schon 0., S. 211. 380 Vgl. 0., S. 176 f. 381 Vgl. dazu 0., S. 209 f. 382 Vgl. schon 0., S. 210.

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geboten sein. 383 Eine rechtliche Grundlage für diese Annahme ist nicht ersichtlich. Aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht läßt sie sich ebensowenig ableiten, wie etwa aus Art. 8 GG folgt, daß die gesamte Bundesbevölkerung in allen behördlichen und gerichtlichen Verfahren - die allesamt Demonstrationsgegenstand sein können - als grundrechtlieh geschützter potentieller Demonstrationsteilnehmer betroffen und aus diesem Grunde verfahrensbeteiligt ist. Unproblematisch zu verwirklichen ist im übrigen gegebenenfalls eine gebotene Verfahrensbeteiligung eines tatsächlichen Kirchenasylgewährers (während ein potentieller Kirchenasylgewährer generell nicht mehr als ein potentieller - also gerade noch nicht tatsächlicher - Verfahrensbeteiligter ist). Die genannten Voraussetzungen eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts halten der Forderung nach penibler Durchrechnung384 mithin auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht ohne weiteres stand. 7. Einfachrechtliche Auswirkungen des Kirchenasylschutzes durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht

Abschließend bleibt zu klären, auf welche Weise das unter den genannten Voraussetzungen bestehende verfassungsrechtliche Kirchenasylrecht auf die einfache Rechtsordnung einwirkt. Besonders zu beachten ist dabei, daß das Recht aus Art. 137 ml WRV i. V. m. Art. 140 GG ein solches der kirchenasylgewährenden religiösen Vereinigung - und nicht: des Kirchenasylflüchtlings - ist. Die Rechtsposition der Kirchen steht zum einen einer Beendigung des Kirchenasyls entgegen. Dabei sind nicht nur Beendigungsmaßnahmen gegen den Kirchenasylgewährer als Rechtsinhaber unmittelbar kraft Verfassungsrechts ausgeschlossen, sondern als objektives Verfassungsrecht wirkt das Kirchenasylrecht zugleich auf die Rechtsposition des Flüchtlings ein, indem es eine als Abschiebungshindernis wirkende rechtliche Unmöglichkeit i. S. d. § 55 11 AuslG begründet. Eine diesbezügliche Duldungserteilung liegt allerdings im Falle des § 55 IV AuslG im Ermessen der Behörden; eine Abschiebung ist aber jedenfalls auch dann ausgeschlossen. 385 So Renck. NJW 1997.2089 (2091). Insoweit durchaus zutreffend Renck, NJW 1997.2089 (2091). 38S Ähnlich M. H. Müller; Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. 12; daneben - allerdings ohne nachvollziehbare Begründung zwischen dem Begriff der rechtlichen Unmöglichkeit in § 55 11 AuslG einerseits und § 55 IV AuslG andererseits differenzierend und eine objektivrechtliche Unmöglichkeit nur unter letzteren Begriff einordnend Geis. JZ 1997,60 (65 ff.); daran anschließend RadtkelRadtke. ZevKR 42 (1997), 23 (49); unklar Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 153, der § 55 AuslG erwähnt, aber dennoch nur einen verfassungsunmittelbaren Duldungsgrund in Betracht zieht. Vgl. daneben allgemein Funke-Kaiser; in: Gemeinschaftskommentar zum Ausländerrecht, 11§ 55 Rn. 18,20 (wo zutreffenderweise eine rechtliche Unmöglichkeit gemäß § 55 11 AusiGund nicht etwa nur gemäß § 55 IV AuslG - wegen des Grundrechts eines deutschen Staatsan383

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5. Kap.: Kirchliches Selbstbestimmungsrecht als Rechtsgrundlage

Zum anderen steht das Kirchenasylrecht aus Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG einer Strafbarkeit der auf kirchlicher Seite an einer Kirchenasylgewährung heteiligten Personen als Rechtfertigungsgrund entgegen. Nach dem auch im Bereich des Strafrechts geltenden Prinzip der Einheit der Rechtsordnung schließt die Rechtmäßigkeit einer Handlung nach öffentlichem Recht (aus dem das Strafrecht in diesem Zusammenhang als eigenständiges Rechtsgebiet ausgeklammert wird)386 ihre strafrechtliche Rechtswidrigkeit aus?87 Für den Kirchenasylflüchtling muß insoweit schon das bloße Bestehen eines Duldungsanspruchs (aufgrund objektiven Verfassungsrechts ) zumindest ebenfalls rechtfertigend wirken. 388 Andernfalls würde die bloße Inanspruchnahme einer rechtmäßigen Handlung, also quasi deren Kehrseite, als rechtswidrig angesehen. Es wäre aber widersprüchlich, eine Schutzgewährung als gerechtfertigt anzusehen, während die geschützte Person, also das Schutzobjekt, gerade dadurch eine rechtswidrige Handlung begeht. Auch der Aufenthalt eines Ausländers, dessen Abschiebung aufgrund des Grundrechts seiner deutschen Ehefrau aus Art. 6 GG unmöglich ist,389 stellt als solcher keine rechtswidrige Handlung dar. Denn sonst würde der Rechtsträger indirekt zum Rechtsverzicht gezwungen, um ein rechtswidriges Handeln des nicht unmittelbar geschützten Dritten zu venneiden. 390 Die Rechtfertigung des Kirchenasylflüchtlings bleibt damit allerdings immer abhängig von der Rechtfertigung der kirchenasylgewährenden Personen. Besonders in bezug auf letztere ist an dieser Stelle im übrigen noch einmal ergänzend darauf hinzuweisen, daß sogar in den Fällen des Nichtbestehens eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts ein Tatbestands- oder Schuldausschluß schon nach einfachem Recht bestehen kann?91 Das verfassungsrechtliche Kirchenasylrecht aus Art. 137 III I WRV i. V. m. Art. 140 GG wirkt also als subjektives Recht der kirchenasylgewährenden Religionsgemeinschaft wie auch als entsprechendes objektives Verfassungsrecht (oder als dem Kirchenasylflüchtling zugute kommender Rechtsreflex)392 auf das einfagehörigen aus Art. 6 GG bejaht wird, das der Abschiebung seines ausländischen Partners entgegensteht, für den insoweit ein Fall objektiver Unmöglichkeit vorliegt); ferner schon 0 .• S. 176 f., 192 m. Fn. 240. 386 Zum prinzipiellen Charakter des Strafrechts als Teilgebiet des öffentlichen Rechts vgl. nur Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil, S. 16 m. w. N. 387 Vgl. BGHSt 11,241 (244); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts. Allgemeiner Teil, S. 327; Lenckner; in: Schönkel Schröder, Strafgesetzbuch, Vorbem §§ 32 ff. Rn. 27 m.w.N. 388 Vgl. - zur entgegengesetzten einfachrechtlichen Beurteilung - auch 0 •• S. 75. 389 Vgl. 0., Fn. 385. 390 Diesen Widerspruch übersieht Rothkegel, ZAR 1997, 121 (124), der - prinzipiell zutreffend - eine Rechtfertigung des Kirchenasylflüchtlings und darüber hinaus wohl auch eine strafrechtliche Reflexwirkung zu dessen Gunsten ablehnt. 391 Vgl. dazu 0., S. 73 ff., bes. S. 100 ff., \07 f. 392 Vgl. (in bezug auf Art. 4 GG) M. H. Müller, Das .. Kirchen asyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. 11; ders .• ZAR 1996, 170 (173); daran anschließend Rothkegel, ZAR 1997. 121 (124); ferner Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls. S. 154.

B. Die Schranken des für alle geltenden Gesetzes

225

che Recht ein. Es steht dabei einer Beendigung des Kirchenasyls ebenso wie einer Strafbarkeit der Beteiligten entgegen. Zusammenfassend läßt sich damit festhaIten: Die Gewährung von Kirchenasyl fällt in weitem Umfang in den Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gemäß Art. 137 m I WRV i. V. m. Art. 140 GG. Auf der Schrankenebene ergibt die aufgrund der Wechselwirkung vorgenommene Güterabwägung allerdings, daß die Kirchenfreiheit insoweit nur unter bestimmten Voraussetzungen (Kirchenasylgewährung aufgrund des Interzessionsgedankens zur Abwendung einer befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr, ordnungsgemäßer Beschluß, öffentliche Gewährung, keine andere Möglichkeit der Gefahrabwendung, Bereitschaft zur Versorgungsübernahme, Beschränkung auf den räumlichen Verfügungsbereich der Kirchen, keine Schaffung besonderer Einwanderungsanreize) den Vorrang vor den staatlichen Schrankengesetzen genießt. Unter diesen Voraussetzungen steht ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht aus Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG einer staatlichen Beendigung des Kirchenasyls ebenso entgegen wie einer Strafbarkeit der Beteiligten.

15 Görisch

6. Kapitel

Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts Als ,,religionsrechtliche Grundnonn'" des Grundgesetzes schützt Art. 4 I GG die Freiheit des Glaubens. Damit kommt auch diese Gewährleistung als Grundlage eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts in Betracht. Ein solches Recht besteht dann, wenn durch eine staatliche Beendigung bzw. strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls in den Schutzbereich des Grundrechts ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung eingegriffen wird.

A. Eingriff in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit J. Bestandsaufnahme Nach ganz verbreiteter Auffassung fällt die Gewährung von Kirchenasyl in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit, soweit sie unter Geltendmachung von Glaubensgründen erfolgt. Zur Begründung wird gesagt, der Grundrechtsschutz aus Art. 4 GG sei nicht auf das sog. forum internum beschränkt, sondern umfasse das Recht des einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und seiner Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln. Unter diesen Schutz, der im übrigen im kollektiven Sinne auch den Religionsgemeinschaften zustehe, falle die Gewährung von Kirchenasyl insbesondere unter dem Gesichtspunkt des karitativen Handelns. 2 Vgl. schon 0., S. 139. Bleckmann, Staatsrecht 11 - Die Grundrechte, § 25 Rn. 38; Geis, JZ 1997, 60 (63 f.); Grote/Kraus, JuS 1997, 345 (347) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (64 ff.)]; B. Huber; in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (106 f.); ders., in: Asyl von unten, S. 91 (102 f.); Demand, Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestform, S. 33 f. (im Anschluß an B. Huber; a. a. 0., aber ohne ausdrückliche Bezugnahme); Kaltenborn, DVBI. 1993, 25 (27); Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (60 f.); Lisken, Polizei-heute 1995, 168 ff. (auch in bezug auf die mit dem Vollzug von Abschiebungen betrauten staatlichen Amtswalter); M. H. Müller, apf 1994, 189 (190); ders., Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. 4 ff. (mit längeren Ausführungen zur Eingriffsfrage); Robbers, AöR 113 (1988), 30 (43 ff.); ders., in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (125 f.); Roßlwpf, AWR Bulletin 1996, 93 (103); Rothkegel, ZAR 1997, 121 (127); Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 48 f., 54 ff. (unter Ablehnung von - allgemeinen - Versuchen einer restriktiven Tatbestandsauslegung in bezug auf Art. 4 GG); Wissenschaftliche Dienste I

2

A. Eingriff in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit

227

Vereinzelt wird dagegen die Ansicht geäußert, ein Konflikt zwischen Staat und Bürger beruhe in Kirchenasylfällen nicht auf einer Glaubensüberzeugung, sondern auf einer abweichenden Tatsachenbeurteilung. Danach stellen staatliche Beendigungs- oder Sanktionierungsmaßnahmen gegen einen Kirchenasylgewährer schon keinen Eingriff in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 GG dar. 3

11. Grundrechtsträgerschaft

Träger des Grundrechts der Glaubensfreiheit aus Art. 4 I GG sind natürliche und nach Art. 19 III GG auch juristische Personen. 4 Dementsprechend steht dieses Grundrecht auch in Kirchenasylfällen gleichermaßen Einzelpersonen und organisierten Personenmehrheiten zu. Als organisierte Personenmehrheiten kommen insoweit neben Kirchengemeinden beispielsweise Kirchenasylinitiativen in Betracht. Dabei steht ein gemäß Art. 137 V WRV i. V. m. Art. 140 GG bestehender öffentlich-rechtlicher Körperschaftsstatus von Kirchen oder Kirchengemeinden einer Trägerschaft des Grundrechts der Glaubensfreiheit nicht entgegen. 5

des Deutschen Bundestages, Der aktuelle Begriff Nr. 9/96 vom 7. 5. 1996, S. 2 f.; vgl. auch Just, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 1 (7) und die ebd., S. 16,26 f., 29, 37 f., 40 abgedruckten kirchlichen Stellungnahmen; i. E. (ohne nähere Begründung) auch Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 185; Grethlein/Böttcher/Hojmann/Hübner, Evangelisches Kirchenrecht in Bayern, S. 89; Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (38); Winter, KuR 4/ 1995,37 (40 f.) 885,1 (4 f.); offenlassend Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (614); unklar Gramlich, in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (203 f.); Mühleisen, HK 1994,350 (354); v. Münch, NJW 1995,565; Schoh. Welt am Sonntag vom 15.5. 1994; ders., in: Auflehnung gegen Unmenschlichkeit, S. 55 (56). Zum schweizerischen Recht vgl. Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft 5011, Nr. 5, S. 45 (49). Zur umstrittenen Bedeutung der Glaubens- bzw. Religionsfreiheit in der amerikanischen Kirchenasyldiskussion vgl. eingehend Lavarnway, University of Richmond L. Rev. 25 (1991), 367 (383 ff.) m. w. N.; ferner Phelps, Washington and Lee L. Rev. 48 (1991), 123 (133, 136 Fn. 60); Pirie, Yale Journal of Law & the Humanities 2 (1990), 381 (410); daneben Koranyi, in: Asyl von unten, S. 160 (167); Nientiedt, HK 1986,216 (218); Niebch, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 17 (32); im Anschluß daran (auch insoweit ohne ausdrückliche Bezugnahme) Demand, a. a. 0., S. 23. 3 Vgl. Maaßen, KuR 1/1997, 37 (47 0 885, 7 (17 0, dazu schon 0., S. 174; i. E. - auf der Basis einer unklaren allgemeinen Schutzbereichsbestimmung - kritisch gegenüber einer Einbeziehung des Kirchenasyls in den Schutzbereich des Art. 4 GG auch Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 152 f. Fn. 192; vgl. ferner Rencle, NJW 1997, 2089 (2090), der einen Grundrechtsschutz aus Art. 4 GG ohne nähere Auslegung dieser Bestimmung mit dem Hinweis auf die Rechts- und Bestandskraft hoheitlicher Entscheidungen ablehnt. 4 Vgl. etwa BVerfGE 53, 366 (386 f.); daneben - auch zur dogmatischen Streitfrage, ob sich das kollektive Freiheitsrecht unmittelbar aus Art. 4 I GG (ohne daß zusätzlich Art. 19 III GG heranzuziehen wäre) ergibt - Pieroth / Sehlinie, Grundrechte, Rn. 517. 5 Vgl. BVerfGE 53,366 (387); ausflihrlich Dürig, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 19 Abs. III Rn. 41.

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15"

228

6. Kap.: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

IH. Der Schutzumfang der Glaubens(betätigungs)freiheit

In sachlicher Hinsicht schützt die Glaubensfreiheit die religiöse und gleichennaßen die weltanschauliche Überzeugung. 6 Glaubensfreiheit ist daher Religions- und Weltanschauungsfreiheit. 7 Spezielle Ausprägungen dieses Freiheitsrechts enthält Art. 4 I, 11 GG mit der Bekenntnisfreiheit und der Ausübungsfreiheit, wobei die Begriffe des Bekenntnisses und der Ausübung verdeutlichen, daß der Schutz des Freiheitsrechts der Intensität nach neben dem Denken auch das Äußern und Handeln umfaßt; auf der Schutzbereichsebene werden damit also in erster Linie drei Verhaltensmodalitäten eines einheitlichen Grundrechts benannt, 8 und zugleich werden auf dieser Weise mögliche Besonderheiten bei den einzelnen Verhaltensmodalitäten angedeutet. So bedarf insbesondere der Schutzbereich für das Handeln, also die Glaubensbetätigung oder - in der Fonnulierung des Art. 4 11 GG die Ausübung von Religion (bzw. Weltanschauung), näherer Bestimmung,9 wobei besonders auch an die notwendige Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit zu denken ist. \0 Fragt man nun, was Ausübung von Religion bzw. Weltanschauung heißt, so ist wiederum bei den Begriffen der Religion und Weltanschauung anzusetzen. Dazu wurde bereits festgestellt, daß unter Religion oder Weltanschauung eine mit der Person des Menschen verbundene Gewißheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens zu verstehen 6 BVerfGE 12, 1(3); 32, 98 (106); Jarass, in: ders. 1Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4 Rn. 6 (auch m.N. zum dogmatisch abweichenden Ansatz, wonach der Begriff des Glaubens auf Überzeugungen religiöser Art zu begrenzen und der Schutz der weltanschaulichen Überzeugungen durch Art. 4 I GG aus dem Begriff des "weltanschaulichen Bekenntnisses" abzuleiten ist; vgl. dazu auch u., Fn. 8). 7 Jarass. in: ders./Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4 Rn. 6. Zum spezielIen Begriff der Religionsfreiheit i. S. d. Art. 136 I WRV vgl. u., S. 255 ff. 8 Vgl. dazu BVerfGE 24,236 (245); daneben mit unterschiedlichen Akzentuierungen Herzog. in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 99; Morlok. in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 31; PierothlSchlink, Grundrechte, Rn. 503, 506 f.; zur genannten Entscheidung ferner /sak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 31 Fn. 26. Demgegenüber läßt sich die diesbezüglich geäußerte dogmatische Kritik - vgl. etwa Muckei. Religiöse Freiheit und staatliche letztentscheidung, S. 125 ff.; ferner Zippelius. in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Rn. 96 f., \03 - spätestens in bezug auf die GleichstelIung von Religion und Weltanschauung, die sich auch aus Art. 137 VII WRV i. V. m. Art. 140 GG ergibt (dazu v. Mangoldtl KleinlA. v. Campenhausen. Das Bonner Grundgesetz, Art. 1401 Art. 137 WRV Rn. 217), nicht konsequent durchhalten, vgl. dementsprechend undeutlich Muckei. a. a. 0., S. 149 und auch den Hinweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz von Zippelius. a. a. 0., Rn. 21; zur insoweit wenig aussagekräftigen Entstehungsgeschichte des Art. 4 GG vgl. Matz. in: v. Doemming 1 Füßlein 1Matz, JöR N.F. I (l95\), I (74). Vgl. auch die vermittelnde Auffassung von Bayer. Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 53 ff. 9 Vgl. PierothlSchlink, Grundrechte, Rn. 509. 10 Vgl. dazu schon 0., S. 148 m. Fn. 40.

A. Eingriff in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit

229

ist, wobei die Religion eine den Menschen überschreitende und umgreifende ("transzendente") Wirklichkeit zugrundelegt, während sich die Weltanschauung auf innerweltliche ("immanente") Bezüge beschränkt. 11 Wie weit der Begriff der Ausübung einer Religion oder Weltanschauung, also der Begriff der Glaubensbetätigung reicht, ist damit allerdings noch nicht geklärt und im einzelnen umstritten.

1. Kultushandlungen

Unbestritten ist, daß die Glaubensbetätigungsfreiheit jedenfalls die Kultusfreiheit i. S. d. traditionellen exercitium religionis schützt, also kultische Handlungen und Ausübung sowie Beachtung religiöser Gebräuche wie Gottesdienst, Gebete, Sakramente, Prozessionen, kirchliche Kollekten, Zeigen von Kirchenfahnen, (sakrales) Glockengeläute. 12 Eine diesen Glaubensbetätigungen vergleichbare kultische Handlung ist das Kirchenasyl, auch in Anbetracht seiner karitativen Bedeutung,13 nicht. 14 Aus dem Wortlaut des Art. 4 n GG und der historischen Entwicklung der Glaubensfreiheit ergibt sich allerdings nicht, daß die Glaubensbetätigungsfreiheit auf derartige Kultushandlungen beschränkt ist. 15 Vielmehr ist der Begriff der Religionsausübung angesichts seiner zentralen Bedeutung für jeden Glauben und jedes Bekenntnis gegenüber der eingeschränkten historischen Bedeutung unter der Geltung des Grundgesetzes extensiv auszulegen. 16 Davon ausgehend herrscht aber Uneinigkeit darüber, nach welchen Kriterien der Schutzbereich der Glaubensbetätigungsfreiheit über die kultischen Handlungen hinaus auszudehnen ist. 2. Kulturvölker-Formel

Im Anschluß an die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird die Auffassung vertreten, Art. 4 I GG schütze jede freie Betätigung von Religion und Weltanschauung, soweit sie sich im Rahmen gewisser übereinstimmender Ausführlich dazu 0 •• S. 142 ff. Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 101; Morlok, in: Dreier. Grundgesetz, Art. 4 Rn. 52; Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung. S. 149; Preuß, in: Altemativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1,2 Rn. 24. 13 Vgl. 0., S. 173. 14 Zum Schutz des Gottesdienstes im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl vgl. auch schon 0., S. 195. 15 In diese Richtung aber Pieroth/Schlink. Grundrechte. Rn. 509. Selbst wenn man Art 4 11 GG so versteht. liegt eine weite Auslegung des Art. 4 I GG um so näher. vgl. Freihalter, Gewissensfreiheit. S. 45 f. 16 BVerfGE 24. 236 (246); A. v. Campenhausen, in: HdbStR. Band VI. § 136 Rn. 68; Listl, in: HdbStKR, Band I. S. 439 (440 f.) m. w. N. 11

12

230

6. Kap.: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

sittlicher Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker halte. 17 Diese Formel ist allerdings schon wegen der vielen gänzlich unbestimmten Begriffe, die sie enthält, abzulehnen. So läßt sich im Falle des Kirchenasyls keine übereinstimmende Anschauung über dessen sittliche Beurteilung feststellen, aber ob damit der Rahmen gewisser (welcher?) übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker (welche sind das?) überschritten ist, läßt sich kaum sagen. 18 Überdies birgt der Begriff der gewissen sittlichen Grundanschauungen die Gefahr einer unzulässigen inhaltlichen Qualifizierung der Religion. 19

3. Glaubensverpflichtung

Nach anderer Ansicht schützt Art. 4 I GG jede Glaubensbetätigung, soweit der Handelnde wegen seines Glaubens nicht ohne innere Not von dem betreffenden Handeln absehen kann?O Auch im Falle des Kirchenasyls ist danach eine Glaubensverpflichtung, deren Nichtbefolgung eine innere Not nach sich zieht, für die Eröffnung des Schutzbereichs der Glaubensfreiheit erforderlich. Das Kriterium der bindenden Verpflichtung bzw. inneren Not wird von dieser Ansicht ausdrücklich von der Gewissensfreiheit auf die Glaubensfreiheit übertragen?1 Unter Glaubensbetätigung oder Religionsausübung ist indessen nicht nur ein innerlich als unbedingt verpflichtend empfundenes Handeln anzusehen. Glaube und Weltanschauung erschöpfen sich nicht im Aufstellen von Geboten. Auch ein bloß als richtig, nicht als unbedingt verpflichtend erkanntes Handeln wird als Glaubensbetätigung von Art. 4 GG geschützt. 22 Andernfalls müßte konsequenterweise auch das Recht aus Art. 4 I GG, seinen Glauben zu bekennen und zu verbreiten, auf den Fall der inneren Verpflichtung zu solcher Tätigkeit beschränkt sein; dies wird soweit ersichtlich von keiner Seite erwogen. 17 Listl, in: HdbStKR, Band I, S. 439 (452), unter Berufung auf BVerfGE 12, I (4); 24, 236 (246), wobei allerdings in der erstgenannten Entscheidung unklar bleibt, ob sich die Kulturvölker-Formel- vgl. schon 0., S. 149 f. Fn. 43 - nicht erst auf die Schrankenebene bezieht, vgl. dazu auch Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung für die Auslegung staatlichen Rechts, S. 30 f.; Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 86; Zippelius, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Rn. 85. 18 Ebenso M. H. Müller, Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre, S. 4. 19 Vgl. Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 42; daneben, auch zum vorher Gesagten Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 55 ff. 20 Jarass, in: ders./Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4 Rn. 9; ähnlich Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 528 (andernfalls fehle staatlichen Maßnahmen mangels Identitätsgefährdung der Eingriffscharakter). 21 Jarass. in: ders./Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4 Rn. 6; vgl. auch (konsequent) ebd., Rn. 40: Glaubensfreiheit als Unterfall der Gewissensfreiheit. Zu letzterer vgl. insoweit noch u., S. 245 ff. 22 Vgl. BVerfGE 32, 98 (106 f.). Auch das Argument der Identitätsgefährdung - vgl. 0., Fn. 20 - gilt für die Glaubensfreiheit nicht.

A. Eingriff in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit

231

Richtig ist allerdings, daß ein aufgrund einer Glaubensverpflichtung erfolgendes Handeln besonders schutzwürdig sein kann. Entsprechende Differenzierungen sind aber erst auf Schrankenebene der grundrechtlichen Prüfung vorzunehmen. 4. Glaubensbetätigung im umfassenden Sinne

Überwiegend wird mit der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Auffassung vertreten, daß die Glaubensfreiheit das Recht des einzelnen umfaßt, sein gesamtes Verhalten an den Lehren des Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu handeln?3 Diese weite Auslegung des Schutzbereichs der Glaubensbetätigungsfreiheit trägt den Bedenken gegen die einschränkenden Auffassungen Rechnung. Erforderlich ist allerdings - auch zur Abgrenzung von der allgemeinen Handlungsfreiheit -, daß die Glaubensbestimmtheit der Handlung, auf die sich der Schutz aus Art. 4 I GG beziehen soll, schlüssig dargelegt werden kann. 24 Soweit diese Voraussetzung erfüllt ist, fallen auch die vereinzelt auftretende Glaubensüberzeugung und das an ihr ausgerichtete Handeln in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit. 25 Nach diesen Kriterien ist also auch in Kirchenasylfällen festzustellen, ob durch staatliche Maßnahmen in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit eingegriffen wird. S. Verhältnis von Art. 4 I GG und Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG

Zuvor stellt sich allerdings im Hinblick auf die kollektive Glaubensbetätigungsfreiheit die Frage nach dem Verhältnis von Art. 4 I GG und Art. 137 III 1 WRV i. V.m. Art. 140 GG. Auf die enge Verbindung zwischen beiden Bestimmungen wurde bereits hingewiesen. 26 Es zeigt sich aber, daß Glaubensfreiheit und kirchliches Selbstbestimmungsrecht trotz der bei Auslegung in der genannten Weise auftretenden Überschneidungen der Schutzbereiche nebeneinander eine eigenständige Bedeutung haben: 21 23 BVerfGE 32, 98 (106 f.); 33,23 (28); 41,29 (49); daran anschließend etwa Kokott. in: Sachs, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 35; v. MangoldtlKleinlStarck. Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 21; Steiner; JuS 1982. 157 (158); unklar Muckel. Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 152 f. 24 Vgl. PierothlSchlink, Grundrechte, Rn. 512: "die Behauptung muß plausibel sein"; ebenso Morlok. in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 56; vgl. dazu und ausführlich zum entsprechenden Schlüssigkeitskriterium in bezug auf den Begriff der eigenen Angelegenheiten i. S. d. Art. 137 III I WRV schon 0., S. 152 ff., bes. Fn. 59; vgl. ferner - zum Unterschied zwischen Glaubensfreiheit und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht - noch u., S. 232. ~ Vgl. BVerfGE 33,23 (280. 26 Vgl. 0., S. 142. 27 Nicht überzeugend demgegenüber Listl. Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 372 ff., dessen vieldisku-

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6. Kap.: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

Das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG steht ausdrücklich und ausschließlich den Religionsgemeinschaften (und über Art. 137 vn WRV den Weltanschauungsgemeinschaften) zu. Es ist daher nächstliegender Maßstab für die verfassungsrechtliche Beurteilung kollektiver Glaubensbetätigung. 28 Trotz seiner grundrechtsähnlichen Struktur gehört das kirchliche Selbstbestimmungsrecht indessen anders als die Glaubensfreiheit weder zu den im 1. Abschnitt des Grundgesetzes unter der entsprechenden Überschrift aufgeführten Grundrechten noch zu den sonst in Art. 93 I Nr. 4a GG genannten Rechten. Es ist damit nicht verfassungsbeschwerdefahig. Eröffnet wird der Zugang zur Verfassungsbeschwerde für die Träger des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aber über die kollektive Glaubensbetätigungsfreiheit gemäß Art. 4 GG i. V. m. Art. 19 m GG. 29 Selbst wenn man der Ansicht folgt, wonach die Weimarer Kirchenartikel i. V. m. Art. 140 GG unmittelbar verfassungsbeschwerdefähig sind,30 ist im übrigen nicht davon auszugehen, daß den Trägem des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts die "religionsrechtliche Grundnonn" nicht auch direkt zugute kommen soll. 31 Im Hinblick auf den sachlichen Schutzbereich liegt der Unterschied zwischen Art. 4 I GG und Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG darin, daß erstere Bestimmung nur unmittelbar glaubensmotiviertes Handeln schützt, während letztere auch lediglich mittelbar glaubensbezogene Tätigkeiten organisatorischer Art - die gerade mit einer kollektiven Glaubensbetätigung in institutionalisierter Fonn notwendig verbunden sind - um faßt. 32 In der Zulässigkeitsprüfung einer Verfassungsbeschwerde wird dieser Unterschied allerdings noch nicht relevant. In Kirchenasylfällen kann er ohnehin außer Betracht bleiben, da es dort im Kern generell nicht um bloß organisatorische Tätigkeiten geht. Zu berücksichtigen sind insoweit schließlich auch mögliche Unterschiede zwischen Glaubensfreiheit und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht auf der Schrankenebene. 33 In jedem Falle ist bereits unabhängig davon festzuhaIten, daß die Bestimmungen des Art. 4 GG und des Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG im Hinblick auf die kollektive Glaubensbetätigung nebeneinander anwendbar sind. tierte - vgl. etwa die Nachw. u., Fn. 32 - Auffassung, wonach beide Bestimmungen im Hinblick auf die kollektive Glaubensfreiheit deckungsgleich sind, sich auch nicht allgemein durchsetzen konnte. 28 BVerfGE 53,366 (391); vgl. auch 0., S. 139. 29 BVerfGE 53,366 (386 f.); vgl. dazu auch schon 0., S. 227. 30 Vgl. Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 140 Rn. 3 m.N. 31 Vgl. dazu Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 27, 40; ferner schon 0., S.226. 32 Vgl. etwa Isak, Das Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften und seine Bedeutung filr die Auslegung staatlichen Rechts, S. 202 f.; Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 181 ff.; ferner bereits 0., S. 179 f. 33 Vgl. dazu aber bereits an dieser Stelle Ehlers, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 140 Rn. 4. Zum Einfluß des Art. 4 GG auf die Auslegung des Begriffs des für alle geltenden Gesetzes i. S. d. Art. 137 III I WRV vgl. 0., S. 183.

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

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IV. Kirchenasylbezogene staatliche Maßnahmen als Schutzbereichseingriff

Für die beiden großen Kirchen wurde festgestellt, daß die Gewährung von Kirchenasyl eine eigene Angelegenheit i. S. d. Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG ist. 34 In entsprechender Weise läßt sich - ausgehend vom Selbstverständnis des Betroffenen anhand der genannten objektiven Kriterien (einschließlich Schlüssigkeitsprüfung) - feststellen, ob eine individue1l 35 oder kollektiv erfolgende Kirchenasylgewährung als Religionsausübung bzw. Glaubensbetätigung in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I GG fallt. Dagegen greift insbesondere der Einwand, in Kirchenasylfällen gehe es nicht um den Schutz von Glaubensüberzeugungen, sondern lediglich um abweichende Tatsachenbeurteilungen, nicht durch. 36 Demgegenüber wird es sich bei der Inanspruchnahme von Kirchenasyl durch einen Flüchtling regelmäßig maßgeblich um das Bemühen um konkreten Verfolgungsschutz und nicht um ein religiös motiviertes Verhalten handeln. Anders ist es zwar möglicherweise dann, wenn gerade das Kirchenasyl vom Flüchtling als Bußgelegenheit verstanden wird;37 eine entsprechende Behauptung wird allerdings, wenn überhaupt, nur ganz selten als plausibel erscheinen. Die Flucht ins Kirchenasyl wird daher vom Schutzbereich der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I GG in der Regel nicht umfaßt. 38 Soweit der Schutzbereich der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I GG in Kirchenasylfallen danach eröffnet ist, wird sowohl durch eine staatliche Beendigung als auch durch eine strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls in diesen Schutzbereich eingegriffen.

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs I. Bestandsaufnahme

In den Erörterungen zur Kirchenasylproblematik geht man durchweg davon aus, daß die Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I GG vorbehaltlos gewährleistet ist. Eine Anwendbarkeit der Schrankenregelung des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG Vgl. 0., S. 154 ff. Vgl. dazu (allgemein) auch den Nachw. 0., S. 142 Fn. II a. E. 36 Vgl. 0., S. 174 ff. 37 Vgl. unter historischem Aspekt z. B. Landau, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 47 (59). 38 Vgl. auch Rothkegel, ZAR 1997, 121 (\24); ferner die (allgemeineren) Nachw. bei Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 19 Fn. 89. 34 35

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6. Kap.: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

auf das Grundrecht aus Art. 4 I GG wird dementsprechend abgelehnt. 39 Einigkeit herrscht zwar noch darüber, daß die Glaubensfreiheit auch in Kirchenasylfällen nicht völlig schrankenlos, sondern lediglich in verfassungsimmanenten Grenzen gewährleistet ist. Umstritten ist aber, welchen konkreten Schranken sie dabei unterliegt. Ein Teil der Literatur geht davon aus, daß der Schutz des Art. 4 GG in Kirchenasylfällen sehr weitgehenden verfassungsimmanenten Einschränkungen unterworfen ist. Es wird gesagt, die Verfassung setze der Glaubensfreiheit insoweit durch das Asylgewährungsmonopol und das Strafrecht Rechtsschranken. 40 Nach dieser Auffassung ergibt sich aus Art. 4 GG kein Kirchenasylrecht, das einer staatlichen Beendigung oder strafrechtlichen Sanktionierung entgegensteht. Nach anderer Ansicht kann im Rahmen der Kirchenasylproblematik die Reichweite des Schutzes aus Art. 4 GG nur im Einzelfall, je nach der besonderen Situation bestimmt werden. Es wird gesagt, glaubensmotiviertes Handeln sei ausschließlich solchen Einschränkungen unterworfen, die durch den Rückgriff auf kollidierendes Verfassungsrecht, also auf die Grundrechte anderer und die mit Verfassungsrang ausgestatteten Gemeinschaftswerte, gerechtfertigt würden. Dabei sei im Konfliktfall entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eine Abwägung vorzunehmen, die darauf ausgerichtet sei, unter Berücksichtigung des besonderen Gewichts der Glaubensfreiheit ("Wohlwollensgebot") möglichst allen beteiligten Rechtswerten nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung eine optimale Entfaltung zu sichern. Zwar stehe die Glaubensfreiheit unter einem verfassungsimmanenten (rechtsstaatlichen) Vorbehalt der Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung. In bestimmten Einzelfällen könne die konkrete Abwägung der kollidierenden Rechtsgüter aber zur Folge haben, daß der staatliche Anspruch auf konsequente Durchsetzung der Rechtsordnung (z. B. mittels des Strafrechts) einer ernsthaften individuellen Glaubensmanifestation weichen müsse. Verbreitet wird insoweit auf die bundesverfassungsgerichtliehe Rechtsprechung im sog. Gesundbeter-Fa1l41 Bezug genommen, wonach eine solche Situation gegeben sei, "wenn der konkrete Konflikt zwischen einer nach allgemeinen Anschauungen bestehenden Rechtspflicht und einem Glaubensgebot den Täter in eine seelische Bedrängnis bringt, 39 So ausdrücklich Grote / Kraus, JuS 1997, 345 (347) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (66)], auch zur Unübertragbarkeit der Schrankenregelungen des Art. 2 I GG oder des Art. 5 11 GG; Kaltenborn, OVBI. 1993,25 (28); Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (62); Robbers, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (125 f.). Auf die umstrittene Bedeutung der dem Art. 136 I WRV entsprechenden Bestimmung der schweizerischen Bundesverfassung weist unter ergänzender Erwähnung einer darüber hinausgehenden kantonsverfassungsrechtlichen Bestimmung, aber ohne eigene Stellungnahme Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft 50/1, Nr. 5, S. 45 (49 f.) hin. 40 Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (614); vgl. auch Schoh.. Welt am Sonntag vom 15.5. 1994; ders., in: Auflehnung gegen Unmenschlichkeit, S. 55 (56); ferner Gramlich, in: Recht und Rechtsbesinnung, S. 195 (204 ff.); v. Münch, NJW 1995,565 f., beide unter ergänzender Verweisung auf Art. 3 I GG. 41 BVerfGE 32, 98 (109).

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

235

der gegenüber die kriminelle Bestrafung, die ihn zum Rechtsbrecher stempelt, sich als eine übermäßige und daher seine Menschenwürde verletzende soziale Reaktion darstellen würde". Sofern das Gewähren von Kirchenasyl auf einer nachweisbar ernsthaften Glaubensentscheidung beruhe, müsse es - je nach Lage des konkreten Einzelfalles - durch Einwirkung des Art. 4 GG im Bereich der Schuldfrage und der Strafzumessung ohne strafrechtliche Konsequenzen bleiben. Darüber hinaus müsse die in Art. 4 GG zum Ausdruck kommende Wertentscheidung des Verfassungsgebers auch bereits auf der Ebene des Ermessens, das den Ordnungsbehörden beim Einschreiten gegen Fälle des Kirchenasyls zukomme, berücksichtigt werden. Der Konflikt zwischen dem staatlichen Interesse an der Durchsetzung der asylund ausländerrechtlichen Bestimmungen und der individuellen glaubensmotivierten Entscheidung zur Gewährung von Kirchenasyl sei hier ebenfalls durch sorgfaltige Abwägung der im Widerstreit stehenden Rechtswerte zu lösen. Nach dieser Auffassung entscheidet also eine konkrete Interessenabwägung darüber, ob die Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 GG einer staatlichen Beendigung wie auch einer strafrechtlichen Sanktionierung des Kirchenasyls entgegensteht. 42 Eine vermittelnde Ansicht differenziert bei der Frage nach Schranken des Schutzes aus Art. 4 GG in Kirchenasylfällen: Einerseits wird im Hinblick auf die Strafbarkeit der Beteiligten eine Einwirkungsmöglichkeit der Glaubensfreiheit im Schuld- bzw. Strafzumessungsbereich angenommen, die aufgrund der konkreten Umstände im Einzelfall auch zum Ergebnis der Straflosigkeit führen könne oder müsse. Zugleich wird gesagt, Art. 4 GG schütze jedoch nicht den ausreisepflichtigen Ausländer vor seiner Abschiebung. Die Kompetenz der Ausländerbehörden, die vollziehbare Pflicht zum Verlassen des Bundesgebietes mit Zwangsmitteln durchzusetzen und im Vorfeld dazu auch Hausdurchsuchungen und ähnliches vorzunehmen, werde durch die Berufung des dem Ausländer Hilfeleistenden auf die Glaubensfreiheit nicht beschnitten. Diese Ansicht folgt also in der Strafbarkeitsfrage der Abwägungslösung, während sie sich in der Frage der Zulässigkeit einer Beendigung des Kirchenasyls der Auffassung anschließt, die das staatliche Asylge42 Vgl. grundlegend Kaltenborn. DVBI. 1993, 25 (28); daneben Rothkegel. ZAR 1997. 121 (127 ff.); Geis. JZ 1997.60 (62,64 ff.), der dabei wiederum - vgl. schon 0., S. 182 - auf § 55 AuslG als einfachrechtlichen Ansatzpunkt der verfassungsrechtlichen Gewährleistung verweist; Grote/Kraus. JuS 1997,345 (348 f.) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 58 (66 ff.)]. besonders gegen einen Vorrang des staatlichen Asylgewährungsmonopols; ebenso Kraus. in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (62 ff.); vgl. auch - mit unterschiedlichen Akzentuierungen und teilweise nur zur Strafbarkeitsfrage - Grethlein/ Böttcher/Hofmann/Hübner, Evangelisches Kirchenrecht in Bayern, S. 89; lacobs. ZevKR 35 (1990), 25 (38 f.); Lisken. Polizei-heute 1995, 168 ff.; Radtke / Radtke. ZevKR 42 (1997), 23 (52 ff.); Robbers. AöR 113 (1988). 30 (46 ff.); ders., in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (126 f.), vgl. dazu auch schon 0., S. 100 f .• 124; Roßkopf, AWR Bulletin 1996 (103 f.); Winter, KuR 4/1995, 37 (41) 885, I (5); ferner lust. in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. I (7) und die ebd., S. 16 f., 26 f., 29, 37 f., 40 abgedruckten kirchlichen Stellungnahmen; M. H. Müller, Das "Kirchenasyl" aus Sicht der Rechtsverhältnislehre. S. 6 ff. (allerdings nicht zur Strafbarkeitsfrage, im übrigen ebenfalls auf § 55 AuslG verweisend); unklar ders., apf 1994, 189 (190 f.); offenlassend ders., ZAR 1996, 170 (173).

=

236

6. Kap.: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

währungsmonopol als einem aus Art. 4 GG abgeleiteten Kirchenasylrecht entgegenstehende Schranke ansieht. 43

11. Die Schranken der Glaubensfreiheit Zunächst ist wiederum allgemein zu fragen, welchen Schranken die Glaubensfreiheit unterliegt, unter welchen Voraussetzungen also ein Eingriff in dieses Grundrecht verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Schranken der Glaubensfreiheit werden in Art. 4 I, 11 GG nicht genannt. Gleichwohl ist man sich allgemein darüber einig, daß dieses Grundrecht nicht schrankenlos gilt. Auf welche Weise die Glaubensfreiheit beschränkt werden kann, ist aber im einzelnen umstritten.

1. Schrankenleihe

Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, daß die Schranken der Glaubens(betätigungs)freiheit im Wege der sog. Schrankenleihe zu bestimmen sind. 44 Einer Übertragung der Schranken des Art. 2 I GG (oder des Art. 5 11 GG) stehen der Grundsatz der Spezialität der Einzelfreiheitsrechte und die daran anknüpfende differenzierte Schrankensystematik des Grundgesetzes 45 entgegen. 46 Eine Schrankenleihe ist demzufolge unzulässig.

2. Die Schrankenregelung des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG

Genauer zu untersuchen ist aber bereits die Frage, ob das Grundrecht der Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG als solches vorbehaltlos gewährleistet ist. Als Normierung eines darauf bezogenen Gesetzesvorbehalts kommt die Regelung des Art. 136 43 Vgl. B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (107 ff.); ders., in: Asyl von unten, S. 91 (103 ff.), mit unklarem Verweis auf § 34 StGB (vgl. dazu schon 0., S. 104 f.); daran (unausgesprochen) weitgehend anschließend Demand. Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestform. S. 34 f.; vgl. auch Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 185, 191 ff. (vgl. dazu schon 0., S. 100 f., 109 m. Fn. 174); ferner Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Der aktuelle BegriffNr. 9/96 vom 7.5. 1996, S. 3 f. 44 Vgl. v.a. Herzog. in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 114 ff.: Übertragung der Schranken des Art. 2 I GG (allerdings in modifizierter Auslegung); zur insoweit uneindeutigen Entstehungsgeschichte des Art. 4 (11) GG vgl. Matz. in: v. Doemming/Füßlein/Matz. JöR N.F. I (1951), I (74 f.). 45 Vgl. schon 0., S. 148 f. 46 Vgl. BVerfGE 32. 98 (107); A. v. Campenhausen, in: HdbStR, Band VI. § 136 Rn. 81; Kahm. in: Sachs, Grundgesetz. Art. 4 Rn. 86; v. Mangoldt/Klein/Starck. Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 7, 45; ausführlich Scheuner, DÖV 1967, 585 (589 f.); allgemein Dreier, in: ders., Grundgesetz, Vorb. Rn. 84.

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

237

I WRV i. V. m. Art. 140 GG in Betracht. Über die Bedeutung dieser aus der Weimarer Reichsverfassung ins Grundgesetz übernommenen Bestimmung herrscht allerdings Uneinigkeit. Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, der Grundgesetzgeber habe die Glaubensfreiheit aus dem Zusammenhang der Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung gelöst und ohne jeden Gesetzesvorbehalt in den an der Spitze der Verfassung stehenden Katalog unmittelbar verbindlicher Grundrechte aufgenommen. Art. 136 WRV werde daher von Art. 4 I GG überlagert. Damit wird die Glaubensfreiheit als vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht angesehen, dessen Beschränkung nur durch immanente Grundrechtsschranken, also kollidierendes Verfassungsrecht, möglich ist. 47 Diese Position hat in der Literatur einige Zustimmung erfahren. 48 Dasselbe Ergebnis wird vereinzelt auch damit begründet, schon nach einer vom Wortlaut des Art. 136 I WRVausgehenden Interpretation weise die Vorschrift eine enge Verwandtschaft mit den besonderen Gleichheitssätzen der Art. 3 1lI, 33 1lI GG auf und sei als (bloßes) Diskriminierungsverbot zu verstehen. Die Religion werde hinsichtlich der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten zum unzulässigen Differenzierungskriterium erklärt. 49 Diese Deutung des Art. 136 I WRV ist im Hinblick auf die dort normierte Rechtsgleichheit richtig. Sie verkennt aber, daß die darüber hinaus in der Vorschrift enthaltene Pflichtengleichheit, die sich auch nicht lediglich auf die staatsbürgerlichen Pflichten der Art. 132 - 134 WRV, sondern auf alle staatsbürgerlichen wie auch auf alle bürgerlichen Pflichten bezieht, 50 sehr wohl - als mit Art. 135 S. 3 WRV gleichbedeutende Regelung einen Vorbehalt der allgemeinen Staatsgesetze enthält. 51 Gegen die Überlagerungsthese des Bundesverfassungsgerichts spricht dessen eigene Feststellung, daß die in das Grundgesetz inkorporierten Weimarer KirchenarBVerfGE 33, 23 (30 ff.). Vgl. exemplarisch Hemmrich, in: v. Münch/Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 140 Rn. 7, 11; Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 90. 49 Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 83; Winter. ZevKR 42 (1997), 372 (379) m.w.N. so Dies verkennt Bayer. Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 67 f.; vgl. dagegen (zum weiten Verständnis des Begriffs der bürgerlichen und staatsbürgerlichen Pflichten schon in der Weimarer Zeit) nur Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 136 Anm. 2. SI Vgl. Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 233 f.; Preuß, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 140 Rn. 38 m.N. aus der Weimarer Zeit (vgl. i.e. noch u., S. 256 Fn. 51). Vgl. dazu auch Gebhard, Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 136 Anm. 2, der die Deutung des Art. 1361 WRV i.S. einer bloßen Gleichheitsregelung bereits als zu oberflächlich ablehnt. Vgl. ferner den Hinweis von Herdegen, Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, S. 80 auf das - im Begriff der "Pflichtengleichheit" im übrigen noch anklingende - Verständnis des Art. 136 I WRV zur Weimarer Zeit als Vorbehaltsregelung und gerade damit zugleich als Ausprägung des al1gemeinen Gleichheitssatzes. 47 48

238

6. Kap.: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

tikel vollgültiges Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland sind und gegenüber den anderen Artikeln des Grundgesetzes nicht auf einer Stufe minderen Ranges stehen. Danach ist das Verhältnis zwischen den inkorporierten Kirchenartikeln und anderen im Grundgesetz unmittelbar getroffenen Regelungen aus dem Zusammenhang der grundgesetzlichen Ordnung selbst zu bestimmen, wobei die Nichtübernahme mancher Bestimmungen der Weimarer Reichsverfassung, insbesondere des Art. 135 WRV, und ein möglicher Bedeutungswandel der inkorporierten Artikel zu beachten sind. Eine Unanwendbarkeit von inkorporierten Bestimmungen kommt aber allenfalls bei einem Widerspruch zwischen den Weimarer Verfassungs artikeln und anderen Bestimmungen des Grundgesetzes in Betracht. 52 Ein zur Unanwendbarkeit der inkorporierten Bestimmung führender Widerspruch besteht zwischen Art. 4 GG und Art. 136 I WRV nicht: Letztere Vorschrift nimmt in der Formulierung auf Art. 4 GG Bezug, ebenso wie früher auf Art. 135 WRV. Als Schrankenregelung für die Glaubensfreiheit steht sie auch durchaus im Einklang mit dem Willen des Grundgesetzgebers,53 weswegen die Behauptung, Art. 136 I WRV sei nur versehentlich ins Grundgesetz übernommen worden, im übrigen wenig überzeugend erscheint. 54 Darüber hinaus ist in diesem Zusammenhang schließlich zu beachten, daß dem hohen Rang der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I GG auch bei Anwendung des Art. 136 I WRV durch entsprechende Auslegung Geltung verschafft werden kann. 55 Zu folgen ist mithin der in der Literatur vertretenen Ansicht, wonach die Glaubensfreiheit aus Art. 4 I GG dem Vorbehalt allgemeiner Gesetze nach Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG unterliegt. 56 Die 52 Vgl. BVerfGE 19, 206 (219 f.) unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. 53 Vgl. Matz. in: v. Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F. I (1951), I (74 f.), wonach ein Schrankenvorbehalt für die Religionsausübungsfreiheit entweder bereits in der Vorbehaltsregelung des Art. 2 I GO gesehen - vgl. dazu schon 0., S. 236 Fn. 44 - oder aber nachdrücklich gefordert wurde; vgl. auch Preuß, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. I, 2 Rn. 7. Entgegen Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), 33 (49) ist daher in der Fassung des Art. 4 I GG keinesfalls eine "normative Grundentscheidung des Verfassunggebers" gegen einen Schrankenvorbehalt zu sehen. 54 Vgl. dazu (allgemeiner) Bäumlin, VVDStRL 28 (1970), 146 (147); ferner Matz, in: v. Doemming I Füßlein I Matz, JöR N.F. I (1951), I (73,78 f.). 55 Vgl. auch Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 238, der - im Anschluß an Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Rn. 316 - zutreffend darauf hinweist, daß ein Gesetzesvorbehalt kein Anzeichen einer geringeren verfassungsrechtlichen Wertigkeit gegenüber einem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht ist. Gegenüber der gerade im Zusammenhang mit der Auffassung, Art. 4 I GG sei ohne ausdrücklichen Vorbehalt gewährleistet, zu beobachtenden Tendenz, das Grundrecht mit dem Argument des verfassungsimmanenten Vorbehalts der Funktionsfähigkeit der Rechtsordnung letztlich quasi doch mit einem einfachen Gesetzesvorbehalt zu versehen (vgl. 0., S. 195 Fn. 259), wird im übrigen auch bei Anwendung des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG keinesfalls ein geringerer, sondern zumindest ein gleichwertiger (vgl. dazu auch sogleich u., Fn. 58) - wenn nicht sogar ein stärkerer - Schutz der Glaubensfreiheit bewirkt. 56 AusflihrIich v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 46, 48; Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 225 ff.; daneben Ehlers, in:

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

239

Vorbehaltsregelung ist - entsprechend der zu Art. 137 III 1 WRV vertretenen Sonderrechts- und Abwägungslehre57 - nach den zu Art. 5 TI GG entwickelten Grundsätzen auszulegen. 58 Art. 136 I WRV enthält demnach zunächst ein Verbot von Sonderrecht gegen die Glaubensfreiheit und darüber hinaus ein Abwägungsgebot, das der Wechselwirkung zwischen der Glaubensfreiheit und den allgemeinen Gesetzen Rechnung trägt.

III. Die kirchenasylrelevanten Bestimmungen als Schrankengesetze Die Feststellung, daß die in Kirchenasylfällen einschlägigen einfachgesetzlichen Vorschriften sämtlich allgemeine Gesetze i. S. d. Sonderrechtslehre sind,59 gilt auch hier. Es bleibt also nach den Maßstäben der Abwägungslehre zu fragen, inwieweit die die Glaubensfreiheit beschränkenden Gesetze im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik ihrerseits durch die Glaubensfreiheit beschränkt werden. Die der Glaubensfreiheit gegenüberstehenden schrankengesetzlichen Schutzgüter sind dabei wiederum die Bewahrung öffentlicher Mittel vor ungewollter Inanspruchnahme, Sicherung des Wohnungs- und Arbeitsmarktes und Erhaltung der Integrationsfähigkeit. 60 Für den Bereich der kollektiven Glaubensfreiheit der Religionsgemeinschaften gleicht die Güterabwägung der schrankengesetzlich geschützten Rechtsgüter mit dem Grundrecht aus Art. 4 I GG der in bezug auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht vorgenommenen Güterabwägung. 61 Dem Erfordernis der besonderen Beachtung des hohen Rangs der Glaubensfreiheit62 entspricht dort die Betonung des herausgehobenen Schutzes der Kirchenfreiheit. 63

Sachs, Grundgesetz, Art. 140 Rn. 4, vgl. schon 0., S. 232 Fn. 33; Jarass. in: ders.lPieroih, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4 Rn. 17; Preuß. in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1,2 Rn. 30; Zippelius. in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Rn. 89; ferner v. Mangoldt/Klein/A. v. Campenhausen. Das Bonner Grundgesetz, Art. 140 I Art. 136 WRV Rn. 6; Pieroth / Schlink. Grundrechte, Rn. 538. 57 V gl. dazu ausführlich 0., S. 185 ff. 58 Vgl. v. Mangoldt/Klein/A. v. Campenhausen. Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 46, 48; ferner - allerdings mit unklarer Beschränkung auf eine typisierende Güterabwägung (vgl. dazu schon 0 .• S. 187 Fn. 216) - Mucket. Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 231 ff. Vgl. an dieser Stelle schließlich nochmals 0 .• S. 195 Fn. 259 (mit dem Hinweis. daß auch bei Annahme einer vorbehaltlosen Gewährleistung des Art. 4 GG verbreitet eine umfassende Abwägungslösung angestrebt wird). 59 Vgl. 0., S. 187 f. 60 Vgl. 0., S. 189 ff. 61 Vgl. 0., S. 191 ff. 62 Vgl. dazu 0., S. 238 m. Fn. 55. 63 Vgl. 0., S. 209 Fn. 314.

240

6. Kap.: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

Der enge Zusammenhang von kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und Glaubensfreiheit64 legt nun die Frage nahe, inwieweit die in bezug auf Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG vorgenommene Abwägung generell auf die Glaubensfreiheit übertragbar ist. Besonderer Erwägungen bedarf es allerdings von vornherein für den Fall, daß die Inanspruchnahme von Kirchenasyl durch den Flüchtling (ausnahmsweise) in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit fällt: 65 Insoweit ist das staatliche Sanktionssystem als absolut vorrangig anzusehen. Die Verwirklichung von dessen Zwecken66 wäre andernfalls nicht gewährleistet, so daß die staatlichen Interessen dann gänzlich gegenüber den Privatinteressen zurücktreten müßten. Dem steht Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG gerade entgegen. Als eigenes Recht des Flüchtlings kann sich ein Kirchenasylrecht also auch aus der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I GG nicht ergeben. Die zuvor aufgeworfene Frage nach der Übertragbarkeit der zur Kirchenfreiheit vorgenommenen Abwägung auf die Glaubensfreiheit, die sich hinsichtlich der Inanspruchnahme von Kirchenasyl von vornherein nicht stellt, ist im Hinblick auf die Kirchenasylgewährung nun genauer zu erörtern. Soweit sich dabei auch aus der Glaubensfreiheit ein Kirchenasylrecht ergibt, bleibt danach noch zu prüfen, ob auch die bezüglich der Kirchenfreiheit im Anschluß an die Güterabwägung gewonnenen Erkenntnisse, namentlich diejenigen zu den einfachrechtlichen Auswirkungen des verfassungsrechtlichen Rechts, auf die Glaubensfreiheit nach Art. 4 I GG übertragbar sind. 1. Übertragbarkeit der zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht vorgenommenen Güterabwägung

Fragt man nach der Übertragbarkeit der zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG vorgenommenen Güterabwägung auf die Glaubensfreiheit, so sind dazu die wesentlichen Unterschiede zwischen kirchlicher und sonstiger glaubensmotivierter Kirchenasylgewährung festzustellen und auf ihre Abwägungsrelevanz hin zu überprüfen. a) Unterschiedliche Finanzkraft

Ein erster Unterschied kann in der Finanzkraft des Kirchenasylgewährers zu finden sein. Ein nichtkirchlicher Kirchenasylgewährer verfügt unter Umständen nicht über dieselben finanziellen Möglichkeiten wie die Kirchen. 67 Bei fehlender FiVgI. 0., S. 231. VgI. 0., S. 233. M VgI. 0., S. 220. 67 VgI. 0., S. 200. Dieser Unterschied klingt auch - neben weiteren der nachfolgend genannten Unterschiede - im ..Mächtigkeitsprinzip" an, von dem Lob·Hüdepohl, in: epd-Dokumentation Nr. 31/96, S. 32 (37) spricht. 64 65

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

241

nanzkraft eines bezüglich § 84 AuslG Verpflichtungswilligen kann allerdings staatlicherseits die Entgegennahme einer Verpflichtungserklärung abgelehnt werden. 68 In diesem Fall ist nach dem insoweit zur Kirchenfreiheit Gesagten von einem Überwiegen der staatlichen gegenüber den grundrechtlich geschützten Interessen auszugehen, so daß sich ein Kirchenasylrecht aus der Glaubensfreiheit dann nicht ergibt. b) Unterschiedliche Bedeutungszumessung

Ein weiterer Unterschied kann darin liegen, daß ein nichtkirchlicher Kirchenasylgewährer die Gewährung in anderen als den von den Kirchen als von herausragender Bedeutung angesehenen Fällen69 für besonders bedeutsam hält. Ein angemessener Interessenausgleich ist aber auch dann letztlich nur über das Kriterium der Befürchtung irreparabler Schäden70 zu erreichen, das daher ohne weiteres auf die Güterabwägung zur Glaubensfreiheit übertragbar ist. Im Abwägungsergebnis ergibt sich insoweit also kein Unterschied. In Entsprechung zur Berücksichtigung der (differenzierten) Bedeutung des Kirchenasyls für die Kirchen im Rahmen der Kirchenfreiheit 71 ist im Hinblick auf die Glaubensfreiheit als Voraussetzung eines daraus abgeleiteten Kirchenasylrechts generell zu fordern, daß die Kirchenasylgewährung als glaubensmotivierte Handlung von herausragender Bedeutung für den Handelnden ist. Dies wird regelmäßig nur dann der Fall sein, wenn die Motivation zur Kirchenasylgewährung aus einer Glaubensverpflichtung entspringt. In diesem Zusammenhang ist das Kriterium der Glaubensverpflichtung also tatsächlich von Bedeutung. 72 c) Unterschiedliche Informationsmöglichkeiten

Auch in geringeren Informationsmöglichkeiten eines nichtkirchlichen Kirchenasylgewährers im Vergleich zu den kirchlichen Informationsmöglichkeiten 73 kann ein Unterschied liegen. Die kirchlichen Informationsmöglichkeiten sind aber letztlich kein entscheidendes, sondern lediglich ein verstärkendes Argument für ein aus der Kirchenfreiheit abgeleitetes Kirchenasylrecht. 74 Allerdings können die Kirchen aufgrund ihrer Informationsmöglichkeiten eine intensive Beschäftigung mit dem konkreten Fall unter Umständen leichter zur behördlichen oder gerichtlichen Über68 69

70 71

72

73 74

Vgl. 0., S. 201 Fn. 288. Vgl. 0., S. 204 ff. Vgl. 0., S. 206 f. Vgl. 0., S. 204, 206 f. Vgl. dazu schon 0., S. 230 f. Vgl. 0., S. 208 f. Vgl. 0., S. 209.

16 Görisch

242

6. Kap.: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

zeugung darlegen. 75 Bei einem nichtkirchlichen Kirchenasylgewährer muß diese Darlegung dann auf andere Weise erfolgen. Die unterschiedlichen Informationsmöglichkeiten haben also zwar keine unmittelbaren rechtlichen, aber durchaus praktische Konsequenzen.

d) Unterschiedliche GrundeinsteIlung zum Staat Schließlich ergibt sich ein Unterschied aus dem besonderen Dialogverhältnis von Kirchen und Staat. 76 Von einem solchen Verhältnis ist im Hinblick auf nichtkirchliche Kirchenasylgewährer nicht von vornherein auszugehen. 77 Da aus diesem Dialogverhältnis aber eine eigenständige Rechtsposition gerade nicht erwächst, können auch aus diesem Unterschied allenfalls erhöhte Darlegungsanforderungen in bezug auf das tatsächliche Bestehen einer Glaubensmotivation bzw. die nicht mißbräuchliche Behauptung einer solchen folgen. In praktischer Hinsicht kann diese Konsequenz zwar - wie gerade bereits festgestellt - von nicht unerheblicher Bedeutung sein. Andererseits ist auch zu bedenken, daß bei einer privaten Kirchenasylgewährung regelmäßig von einer geringeren Öffentlichkeitswirkung (und damit Anreizwirkung) auszugehen sein wird als bei einer kirchlichen. Eine eindeutige Gewichtsverschiebung in die eine oder andere Richtung, d. h. zugunsten des schrankengesetzlichen Rechtsgüterschutzes oder der Glaubensfreiheit, ergibt sich daher an diesem Punkt nicht. Im übrigen läßt sich die Abwägung auf der Schrankenebene des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts auf die Glaubensfreiheit übertragen. 78 Ein Kirchenasylrecht, das allerdings unter Umständen von einem nichtkirchlichen Kirchenasylgewährer nur unter erhöhten Darlegungsanforderungen (insbesondere im Hinblick auf das Bestehen einer Glaubensmotivation) im Vergleich zu den für die Kirchen bestehenden durchzusetzen ist, ergibt sich also aus der Glaubensfreiheit nach Art. 4 I GG unter den zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 137 1lI 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG gefundenen weithin entsprechenden Voraussetzungen.

Vgl. dazu 0., S. 221. Vgl. 0., S. 214 f. 77 In diese Richtung wohl auch Rothkegel, ZAR 1997, 121 (123), der von einem verstärkten "Verdacht des Anarchischen" bei der Gewährung sog. Privatasyls spricht. 78 Vgl. auch - in umgekehrter Richtung - GrotelKraus, JuS 1997,345 (350 Fn. 52) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (73 Fn. 52)]. Ein Unterschied liegt entgegen der unklaren Andeutung von Rothkegel, ZAR 1997, 121 (123) auch nicht etwa darin, daß nur die Kirchen (im Rahmen der Kirchenfreiheit) "von der staatlichen Rechtsordnung zu beachtende Freiräume" genießen: Wie ders., ebd., S. 127 f. in der Sache sogar selbst betont, gewährt Art. 4 I GG auch dem einzelnen einen solchen Freiraum; vgl. (allgemeiner) schon 0., S. 196. 75

76

B. VerfassungsrechtIiche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

243

2. EinfachrechtIiche Auswirkungen des Kirchenasylschutzes durch die Glaubensfreiheit

Während die zur Kirchenfreiheit erörterten prozessualen Aspekte des verfassungsrechtlichen Kirchenasylschutzes 79 auf die Glaubensfreiheit ohne weiteres wenn auch mit den soeben dargelegten in praktischer Hinsicht möglichen Unterschieden - übertragbar sind, ist abschließend eingehender zu untersuchen, ob sich hinsichtlich der einfachrechtlichen Auswirkungen des Kirchenasylschutzes bei der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I GG Besonderheiten ergeben. Zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht wurde insoweit festgestellt, daß das verfassungsrechtliche Recht aus Art. 137 m 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG einer Beendigung des Kirchenasyls als subjektives Recht des kirchlichen Kirchenasylgewährers (wie auch als objektives Verfassungsrecht bzw. als Rechtsreflex zugunsten des Flüchtlings) entgegensteht und damit zugleich einer Strafbarkeit der Kirchenasylgewährung als (mittelbar auch dem Flüchtling zugute kommender) Rechtfertigungsgrund entgegensteht. 80 Auch diese Erkenntnisse sind auf die Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I GG übertragbar, und zwar ohne Einschränkung: Aus der Gesundbeter-Entscheidung81 darf nicht etwa der Schluß gezogen werden, die Glaubensfreiheit könne generell nur auf der Schuldebene auf das einfachrechtlich geregelte Strafrecht einwirken. Vielmehr wirkt die Glaubensfreiheit grundsätzlich wie jedes Grundrecht durch Einräumung eines "echten" Rechts auch als strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund. 82 Im Gesundbeter-Fall stand einer Rechtfertigung allerdings kollidierendes Verfassungsrecht aus Art. 2 11 1 GG entgegen. 83 Eine vergleichbare Situation ist in Kirchenasylfällen in der Regel 84 nicht gegeben, so daß die in der genannten Entscheidung enthaltenen Äußerungen zur Einwirkung der Glaubensfreiheit auf das einfache Recht nicht auf die Kirchenasylproblematik übertragen werden können. 85 Ein Kirchenasylrecht ergibt sich aus der GlaubensVgl. 0., S. 221 ff. Vgl. 0., S. 223 ff. 81 Vgl. 0., S. 234 f. m. Fn. 41. 82 Insoweit zutreffend, allerdings zu pauschal (v.a. in bezug auf die Gesundbeter-Entscheidung selbst) Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls. S. 87 ff. 83 Vgl. dazu auch - in den Konsequenzen allerdings nicht durchweg überzeugend - Podlech. Das Grundrecht der Gewissensfreiheit und die besonderen Gewaltverhältnisse, S. 38 f. (zur Gewissensfreiheit). 84 Zu Ausnahmen vgl. 0., S. 190 f. (m. Fn. 233), 218. 85 Wenig überzeugen können indessen die von Aumhammer. Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 192 f.; Kraus. in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 77 Anm. 36 geäußerten Bedenken (mit der Konsequenz, daß Art. 4 I GG unter Umständen nicht einmal die Wirkung eines Entschuldigungsgrundes zuerkannt wird) gegen eine Übertragbarkeit der Gesundbeter-Entscheidung auf die Kirchenasylproblematik aufgrund des Umstandes, daß es in dieser Entscheidung um eine familieninteme Angelegenheit ging. Den wesentlichen Unterschied zur Kirchenasylproblematik verkennen bei ihrer unklaren Bezugnahme auf ebendieseIbe Entscheidung im Zusammenhang mit der Begrenzung der schutzwürdigen Kirchenasyl79

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16'

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6. Kap.: Die Glaubensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

freiheit nach Art. 4 I GG also mit denselben Folgen - hinsichtlich der unmittelbaren Einwirkung auf das einfache Recht und der Reflexwirkung für den Flüchtling - wie aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 137 III I WRV i. V. m. Art. 140 GG. Unter den zur letztgenannten Bestimmung gefundenen und weithin übertragbaren Voraussetzungen - Abwendung einer befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr als Ziel der Kirchenasylgewährung, öffentliche Gewährung, keine andere Möglichkeit der Gefahrabwendung, Bereitschaft (und Fähigkeit) zur Versorgungsübernahme, Beschränkung auf den räumlichen Verfügungsbereich des Kirchenasylgewährers, keine Schaffung besonderer Einwanderungsanreize und erforderlichenfalls Beschluß (des Hausrechtsinhabers) - ergibt sich also im Falle einer (unter Umständen erhöhten Darlegungsanforderungen unterliegenden) Glaubensverpflichtung ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht aus der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 I GG, das einer staatlichen Beendigung des Kirchenasyls ebenso entgegensteht wie einer strafrechtlichen Sanktionierung.

fälle (in Anlehnung an die Normierung des § 35 StGB) auf diejenigen einer drohenden Lebens-, Leibes- oder Freiheitsgefahr - vgl. schon 0., S. 207 Fn. 306 - im übrigen wohl vor allem Radtke / Radtke, ZevKR 42 (1997), 23 (52 ff.), die mit keinem Wort darauf eingehen, daß eine solche Gefahr im vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall gerade nicht die Grundlage der Glaubensbetätigung bildete, sondern dieser eben auf der Seite des kollidierenden Verfassungsrechts gegenüberstand. Daraus, daß im Gesundbeter-Fall eine Zustimmung der von dem kollidierenden Verfassungsrecht geschützten Ehefrau vorlag (die wohl überhaupt nur einen Sanktionsverzicht ermöglichte), kann schließlich entgegen Maaßen, KuR 1/1997, 37 (47) 885, 7 (17) nicht etwa ein genereller ZustimmungsvorbehaIt für die Glaubensbetätigung - wobei die Zustimmung, wenn nicht gerade ein privater Dritter durch die kollidierenden Rechtsgüter geschützt wird, von staatlicher Seite zu erteilen wäre (!) - gefolgert werden.

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7. Kapitel

Die Gewissensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts Neben der Glaubensfreiheit schützt Art. 4 I GG die Freiheit des Gewissens. Diese Gewährleistung kommt ebenfalls als Grundlage eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts in Betracht. Voraussetzung eines solchen Rechts ist wiederum, daß durch eine staatliche Beendigung bzw. strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls in den grundrechtlichen Schutzbereich ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung eingegriffen wird.

A. Eingriff in den Schutzbereich der Gewissensfreiheit I. Bestandsaufnahme Auch im Hinblick auf das Grundrecht der Gewissensfreiheit ist man verbreitet der Ansicht, daß die Gewährung von Kirchenasyl zum Schutzbereich des Art. 4 GG gehört, sofern sie unter Geltendmachung von Gewissensgründen erfolgt. Dazu wird ausgeführt, entsprechend dem Grundrecht der Glaubensfreiheit schütze das Grundrecht der Gewissensfreiheit neben der Gewissensbildung auch die Gewissensbetätigung. Als Gewissensentscheidung werde jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von Gut und Böse orientierte Entscheidung angesehen, die der einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfahre, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte. Die Entscheidung, einem Asylbewerber Zuflucht zu gewähren, könne im Einzelfall eine solche Gewissensentscheidung i. S. d. Art. 4 GG sein. l I Ausführlich Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 251 f.; daneben B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (106 f.); ders., in: Asyl von unten, S. 91 (102 f.); Kaltenborn, DVBI. 1993,25 (27 f.); E. Kopp. DS vom 27. 5. 1994; Lisken. Polizeiheute 1995. 168 ff. (wiederum auch in bezug auf staatliche Amtswalter); v. Münch. NJW 1995,565 f.; Robbers. AöR 113 (1988). 30 (43 ff.); ders .• in: Asyl am Heiligen Ort, S. 117 (125 f.); Roßkopf, AWR Bulletin 1996, 93 (103); Rothkegel. ZAR 1997, 121 (127); Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 49 ff. (auch insoweit ablehnend gegenüber Versuchen einer restriktiven Tatbestandsauslegung in bezug auf Art. 4 GG); Uihlein. Zur Notwendigkeit des .. Kirchenasyls" • S. 5 f.; Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages. Der aktuelle Begriff Nr. 9/96 vom 7. 5. 1996, S. 2 f.; ferner Lesch. in: Asyl am Heiligen Ort. S. 77 (83); Nagel. Flüchtlinge und .. Kirchenasyl", S. 29 f.; vgl. auch Just. in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. I (7) und die ebd., S. 16,26 f., 29, 37 f., 40 abgedruckten

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7. Kap.: Gewissensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

Entsprechend der Kritik an der Einbeziehung des Kirchenasyls in den Schutzbereich der Glaubensfreiheit wird dagegen wiederum vereinzelt die Ansicht geäußert, ein Konflikt zwischen Staat und Bürger beruhe in Kirchenasylfällen auf einer abweichenden Tatsachenbeurteilung und damit nicht auf einer Gewissensentscheidung (wie auch nicht auf einer Glaubensentscheidung). Danach stellen staatliche Beendigungs- oder Sanktionierungsmaßnahmen gegen einen Kirchenasylgewährer auch in bezug auf die Gewissensfreiheit keinen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 4 GG dar. 2 Zu demselben Ergebnis gelangt man ferner mit dem Argument, das Kirchenasyl falle als positives Tun mangels eines von staatlicher Seite aufgezwungenen Konflikts aus dem Schutzbereich der Gewissensfreiheit heraus. 3 11. Grundrechtsträgerschaft

Träger des Grundrechts der Gewissensfreiheit aus Art. 4 I GG sind natürliche Personen. Weitgehende Einigkeit herrscht - unabhängig von der Bestimmung des Grundrechtsinhalts im einzelnen - darüber, daß die Gewissensfreiheit sich auf ein individuelles Phänomen bezieht und infolgedessen nicht (über Art. 19 III GG) Personenvereinigungen zusteht. 4 Ein Gruppengewissen ist trotz der Möglichkeit des Zusammenschlusses mehrerer Personen gleichen Gewissens nicht denkbar. 5 Auch kirchlichen Stellungnahmen; i. E. (ohne nähere Begründung) auch Aurnhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 185; Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (38); Winter, KuR 411995, 37 (39 ff.) = 885, I (3 ff.); wohl auch Demand, Kirchenasyl - Rechtsinstitut oder Protestform, S. 33 f. (weitestgehend wiederum - ohne ausdrückliche Bezugnahme - im Anschluß an B. Huber, a. a. 0.); Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (69); Schlag, Zeitschrift für Evangelische Ethik 40 (1996),38 (43 ff.); offenlassend wiederum Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (614); unklar Mühleisen, HK 1994,350 (352, 354); Scholz. Welt am Sonntag vom 15.5. 1994; ders., in: Auflehnung gegen Unmenschlichkeit, S. 55 (56). Zum schweizerischen Recht vgl. Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft 501 I, Nr. 5, S. 45 (49); vgl. ferner Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 39 ff. Vereinzelt wird im übrigen - allerdings nicht erklärtermaßen unter rechtlichem Aspekt - neben dem Gewissen des Kirchenasylgewährers auf das möglicherweise entgegenstehende und durch einen Kirchenasylgewährungsbeschluß berührte Gewissen einem Kirchenasyl ablehnend gegenüberstehender Personen hingewiesen, vgl. Bischof der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Anlage zum Rundbrief vom 8.3. 1996, S. 3; ähnlich Jüngel, FAZ vom 4.6. 1994, S. 6. 2 Vgl. Maaßen, KuR 1/1997,37 (47 f.) = 885, 7 (17 f.), vgl. dazu auch 0., S. 227 Fn. 3; ebenso bereits (knapper) Bergmann, in: Seifert I Hömig, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4 Rn. 8. 3 Vgl. Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 159 ff. 4 Vgl. Herdegen, in: HdbStKR, Band I, S. 481 (490); Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 69; v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 40, alle m. w. N., auch zur vereinzelt gebliebenen Gegenansicht; offenlassend BVerfG, NJW 1990, 241. S Ähnlich Bayer, Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 72; daneben speziell im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik - Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 52.

A. Eingriff in den Schutzbereich der Gewissensfreiheit

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in Kirchenasylfällen können das Grundrecht der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG daher nur die handelnden Einzelpersonen als solche geltend machen.

III. Der Schutzumfang der Gewissensfreiheit In sachlicher Hinsicht ist nun zu klären, was unter einer von Art. 4 I GG geschützten Gewissensentscheidung zu verstehen ist und welche mit diesem Begriff verbundenen Verhaltensmodalitäten im einzelnen in den grundrechtlichen Schutzbereich fallen. 1. Gewissensentscheidung

Als Gewissensentscheidung i. S. d. Art. 4 GG ist nach weitverbreiteter Ansicht jede ernste sittliche, d. h. an den Kategorien von "Gut" und "Böse" orientierte Entscheidung anzusehen, die der einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte. 6 Dieser am allgemeinen Sprachgebrauch orientierte 7 Gewissensbegriff enthält zwei Elemente, nämlich das der sittlichen Entscheidung (Kategorien von "Gut" und ,,Böse") und das des affektiven Drucks (unbedingte Verpflichtung, "Gewissensnot,,).8 Die beiden Elemente des Gewissensbegriffs werden in Rechtsprechung und Literatur durchaus sehr unterschiedlich akzentuiert. 9 Gewisse Einschränkungen bzw. Präzisierungen sind dabei sowohl für das eine wie auch für das andere Element angebracht: Das Merkmal der sittlichen Entscheidung setzt zwar die Existenz von hinter der Gewissensentscheidung stehenden sittlichen Normen voraus; das Zustandekommen dieser Normen ist aber ohne unzulässige inhaltliche Beschränkun6 BVerfGE 12, 45 (54 f.); daran anschließend BVerwGE 79, 24 (26 f.); BAGE 62, 59 (68 ff.), wo insoweit vom "subjektiven Gewissensbegriff' die Rede ist; aus der Lit. vgl. exemplarisch Herdegen, in: HdbStKR, Band I, S. 481 (486 f.) m. w. N.; zu abweichenden Ansätzen vgl. (mit knapper, aber treffender Kritik) Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 127; Preuß, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1,2 Rn. 37. 7 So BVerfGE 12, 45 (54), wobei die Redeweise vom "allgemeinen Sprachgebrauch" worauf Herdegen, Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, S. 244 zutreffend hinweist - allerdings etwas zu kurz greift; vgl. dazu auch Böckenförde, VVDStRL 28 (1970),33 (67); daneben (ansatzweise) Kästner, ZevKR 37 (1992),127 (134 f.) m. w. N. Von einem "naturwüchsigen" (im Gegensatz zum rechtserzeugten) Normbereich spricht - vor dem Hintergrund seines wirklichkeitswissenschaftlich orientierten Ansatzes der Rechtsanwendung - F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, S. 343 f., vgl. dazu auch Herdegen, a. a. 0., S. 137 ff., 243; ferner Muckel, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 12 f. S Vgl. Herdegen, in: HdbStKR, Band I, S. 481 (487 f.); ders., Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, S. 144 ff. 9 Vgl. überblicksartig Herdegen, Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, S. 243 ff.

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7. Kap.: Gewissensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

gen der Gewissensfreiheit nicht weiter überprütbar. Das Merkmal des affektiven Drucks verlangt zwar einen ernsten, die persönliche Integrität des Betroffenen berührenden Gewissenskonflikt, so daß bloße Gewissensbedenken nicht ausreichen; ein pathologischer Befund, also ein drohender schwerer seelischer Schaden, ist insoweit aber nicht erforderlich. JO

2. Geschützte VerhaItensmodaIitäten

Mit der Bestimmung des Begriffs der Gewissensentscheidung ist allerdings noch nicht geklärt, welche Verhaltensmodalitäten vom Grundrecht der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG geschützt werden. Nach ganz überwiegender Ansicht reicht der Schutz der Gewissensfreiheit seiner Intensität nach ebenfalls (wie bei der Glaubensfreiheit)ll vom Denken über das Äußern bis zum Handeln. Für eine dementsprechende prinzipiell umfassende Einbeziehung der Handlungen (oder Unterlassungen) nach dem Gewissen in den Schutzbereich des Art. 4 I GG spricht entscheidend, daß eine Gewissensentscheidung regelmäßig überhaupt erst durch ein entsprechendes Verhalten zu einem gesellschaftlichen Konflikt werden kann, den zu regeln - oder bereits zu vermeiden - die Grundrechtsnorm zur Aufgabe hat. 12 Inwieweit Art. 4 I GG im einzelnen die Freiheit verbürgt, sich nach seinem Gewissen zu verhalten, ist dabei allerdings umstritten.

a) Abwehr aufgezwungener Konflikte durch gewissensbedingtes Unterlassen

Mit dem Argument, das Grundrecht der Gewissensfreiheit diene seiner Funktion nach der Abwehr aufgezwungener Konflikte, wird an Überlegungen angeknüpft, wonach insoweit nur Unterlassungen in den Schutzbereich des Art. 4 I GG fallen können. 13 Ganz überwiegend geht man demgegenüber aber zu Recht davon aus, 10 Herdegen, in: HdbStKR, Band I, S. 481 (487 f.); Preuß, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2 Rn. 39; vgl. auch v. Mangoldt/ Klein/Starek, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 35 f. 11 Vgl. 0., S. 228. 12 Vgl. BVerfGE 48, 127 (163); Pieroth/Sehlink, Grundrechte, Rn. 524; daneben Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 49; Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 64, beide m. w. N.; ausführlich Herzog, in: Maunz I Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 132 ff.; in Richtung einer Schutzbereichsbeschränkung auf den Bereich des forum internum, aber letztlich offenlassend Zippelius, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Rn. 47, 50 m.N. 13 Vgl. Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 156 ff., bes. S. 159 f., im Anschluß an Preuß, in: Altemativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1,2 Rn. 42, der mit der Formulierung der "Abwehrfunktion gegenüber aufgezwungenen Konflikten" indessen keine Eingrenzung des Schutzbereichs auf gewissensbedingte Unterlassungen verbindet, und Amdt, NJW 1966, 2204 (2205), der sich mit der Feststellung, die Gewissens-

A. Eingriff in den Schutzbereich der Gewissensfreiheit

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daß der Schutzbereich des Art. 4 I GG sowohl gewissensbedingtes Handeln als auch Unterlassen umfaßt, da sich aus dem Verfassungstext kein Anhaltspunkt für eine Differenzierung zwischen beiden Verhaltensmodalitäten ergibt. 14 Auch ein aktives Tun, wie z. B. eine Kirchenasylgewährung, läßt sich im übrigen als Reaktion auf einen aufgezwungenen Gewissenskonflikt begreifen. 15 Das Handeln nach Maßgabe des Gewissens ist überdies nicht wegen seiner möglichen größeren Gemeinschädlichkeit von vornherein aus dem Schutzbereich des Art. 4 I GG auszuschließen, sondern insoweit liegt ein auf der Schrankenebene zu lösendes Problem vor. 16 Dagegen greift auch der Verweis auf die mangels Möglichkeit einer Bereitstellung von Alternativen in den Fällen des gewissensgebotenen Gesetzesverstoßes durch aktives Tun drohende Gefahr für Rechtsgleichheit und Geltungskraft des Rechts 17 nicht durch. 18 Richtiger muß man in diesem Zusammenhang wohl betonen, daß ein Gewissensgebot zum aktiven Tun häufig gar nicht derart bestimmt ist, daß ihm nicht schon auf der Basis des einfachen Rechts, also auf andere Weise als gerade durch einen Gesetzesverstoß, Genüge getan werden kann (ohne daß - wie bei einer gewissensbedingten Unterlassung eines gesetzlich vorgesehenen Verhaltens - eine Verhaltensalternative besonders normiert sein müßte). Daraus erklärt sich auch die wesentlich geringere praktische Bedeutung dieser Konstellation. Zur Begründung eines generellen Ausschlusses der gewissensgebotenen Handlungen aus dem Schutzbereich des Art. 4 I GG läßt sich indessen auch der letztgenannte Umstand - die geringere praktische Häufigkeit - nicht heranziehen. 19

freiheit ermächtige "nicht (oder mindestens nicht ohne Schranken) zu einer Aktivität", letztlich auch nicht eindeutig zu einer derartigen Eingrenzung bekennt. 14 Vgl. Herzog. in: Maunz I Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 140; v. Mangoldt/Klein/ Starek. Das Bonner Grundgesetz. Art. 4 Rn. 38; vgl. auch Bethge. in: HdbStR, Band VI, § 137 Rn. 16. 15 Vgl. Preuß. in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1,2 Rn. 43. 16 v. Mangoldt/Klein/Starck. Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 38. Auch auf der Schrankenebene besteht im übrigen entgegen Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Gewissensentscheidung und Rechtsordnung. Ziff. 44, 44.3, 49 (unter Bezugnahme auf Bethge. in: HdbStR, Band VI, § 137 Rn. 42) keinesfalls aufgrund der ,,Eigenart des Gewissens" - also letztlich doch eines schutzbereichsbezogenen Kriteriums - von vornherein ein genereller, gar evidenter Ausschluß des Schutzes aus Art. 4 I GG für gewissensgebotene Handlungen. 17 So Muckei. Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 159. 18 Vgl. zu diesen Einwänden (bezüglich Art. 137 III 1 WRV i. V. m. Art. 140 GG und dabei auf der Schrankenebene) schon 0., S. 193 ff. 19 Vgl. Preuß. in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2 Rn. 43. Der Aspekt des gesetzeskonformen Alternativverhaltens kann im übrigen auch bei Freiheitsrechten, denen die Komponente des affektiven Drucks im Schutzbereich fehlt, (als Abwägungsgesichtspunkt) von Bedeutung sein, vgl. dazu schon 0., S. 209 f., allgemeiner auch S. 207.

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7. Kap.: Gewissensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

b) Gewissensbetätigung im individuellen Verantwortungsbereich Nach anderer Auffassung umfaßt der Schutzbereich des Art. 4 I GG nur solche Gewissenshandlungen, die sich dem individuellen Verantwortungsbereich des Grundrechtsträgers zuordnen lassen. Außerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs bewegt sich danach der Übergriff in den verfassungsrechtIich abgesteckten Verantwortungsbereich eines Staatsorgans oder in die grundrechtlich geschützte Lebensgestaltung eines Dritten. Zugleich wird dabei die Gewissensfreiheit nicht als eigenständiges Recht, sondern lediglich als ein bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und bei der Ermessensausübung sowie bei der Auslegung und Anwendung von Sanktionsregeln für rechtswidriges Verhalten, insbesondere im Strafrecht, zu beachtendes "Wohlwollensgebot" verstanden. 2o Gegen die auf den ersten Blick einleuchtende Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen spricht zum einen, daß diese Abgrenzung unter Rückgriff auf die Regelungen des Verfassungsrechts, vor allem der Grundrechte, vorgenommen wird und auch nur auf diese Weise denkbar ist. Die Einwirkung kollidierenden Verfassungsrechts auf ein Grundrecht findet aber typischerweise erst auf der Schrankenebene statt. 21 Aus Art. 4 I GG ergibt sich für die Gewissensfreiheit nichts anderes. Das Verhältnis der Grundrechtsschranken zum nach dem individuellen Verantwortungsbereich bestimmten Schutzbereich bleibt dementsprechend unklar. 22 Deutlich wird auf der Schrankenebene allerdings, wofür mit der Schutzbereichsabgrenzung nach Verantwortungsbereichen bereits der Weg geebnet werden soll, nämlich letztlich für einen absoluten, d. h. nicht im Sinne einer Wechselwirkung eingeschränkten23 einfachen Gesetzesvorbehalt; in seinem Verantwortungsbereich handelt der Staat eben im wesentlichen durch Gesetzgebung. Über die Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen läßt sich ein solcher Vorbehalt aber nicht etwa bereits auf der Schutzbereichsebene - und im übrigen auch nicht auf der Schrankenebene - begründen. 24 Zum anderen verkennt die Abgrenzung des Schutzbereichs der Gewissensfreiheit nach Verantwortungsbereichen, daß das Gewissen gerade eine "Verantwor20 Ausführlich Herdegen. Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts. S. 257 ff. m. w. N., auch zu verwandten Ansichten; zusammenfassend ders., in: HdbStKR, Band I, S. 481 (488 f., 497 f.); vgl. dazu auch Muckei. Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 162 f.; ferner die - unklare und unreflektierte, wohl als bloße Vorbemerkung gedachte - Bezugnahme auf diese Position in Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Gewissensentscheidung und Rechtsordnung, Ziff. 30. 21 Vgl. dazu al1gemein PierothlSchlink. Grundrechte, Rn. 321 ff. 22 Vgl. Herdegen. Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, S. 287 ff.; ders .. in: HdbStKR, Band I. S. 481 (495 ff.). 23 Vgl. dazu auch Herdegen. Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, S.290. 24 Vgl. (zum entsprechenden - etwa auch bei Preuß. in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. I, 2 Rn. 46 f. zu findenden - Ansatz der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen auf der Schrankenebene) auch die Argumentation von Freihalter, Gewissensfreiheit, S. 226 f.; ferner Morlok. in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 33.

A. Eingriff in den Schutzbereich der Gewissensfreiheit

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tungsübemahme" gebieten kann, und zwar besonders dann, wenn ein anderer - vor allem der Staat - "seiner Verantwortung" nach Auffassung des Gewissensverpflichteten nicht nachkommt. Dabei sind aufgrund des Gewissensgebots möglicherweise auch ganz femliegende Maßnahmen zu ergreifen, wenn eine direktere Einflußnahme dem Betreffenden nicht möglich ist. Auf eine an den Kriterien der Kausalität oder einer entsprechenden objektiven Zurechenbarkeit25 zu messende Möglichkeit der Einflußnahme auf bestimmte Zustände kann es auf der Schutzbereichsebene daher nicht entscheidend ankommen. 26 Unhaltbar ist schließlich die genannte, mit der Schutzbereichsabgrenzung nach Verantwortungsbereichen verbundene Annahme, daß sich ein eigenständiges Recht aus der Gewissensfreiheit nicht ergibt. Dem steht schon die eindeutige Regelung des Art. I m GG entgegen. Richtigerweise ist dementsprechend zu betonen, daß das Grundrecht der Gewissensfreiheit subjektive Rechte gewährt und die Wirkung des Grundrechts als "Wohlwollensgebot" gesondert danebenzustellen (und eben nicht als ausschließliche Grundrechtswirkung anzusehen) ist. 27 Ein bloßer Sanktionsverzicht ist letztlich doch auf eine Verhinderung und nicht, wie es Art. 4 I GG vorsieht, eine Ermöglichung der Gewissensbetätigung angelegt. Eine Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch die - ohne Bezugnahme auf die Kirchenasylproblematik getroffene - Feststellung, durch die Gewissensfreiheit werde ,,Asyl" gewährt?8 Eine Begrenzung des Schutzbereichs der Gewissensfreiheit auf solche Gewissenshandlungen, die sich dem individuellen Verantwortungsbereich des Grundrechtsträgers zuordnen lassen, ist mithin abzulehnen. c) Gewissensbetätigung im umfassenden Sinne

Aus der Ablehnung einer Schutzbereichsbegrenzung im Sinne der bei den vorgenannten Auffassungen ergibt sich, daß dem Schutzbereich der Gewissensfreiheit nach Art. 4 I GG jedes Verhalten unterfallen muß, das auf einer Gewissensentscheidung gemäß der eingangs genannten Definition beruht. Erforderlich ist dabei allerdings (auch zur Abgrenzung von der allgemeinen Handlungsfreiheit)29 wieVgl. Herdegen, Gewissensfreiheit und Norrnativität des positiven Rechts, S. 159 f. Vgl. ansatzweise auch Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 140, wonach eine höchstpersönliche Betroffenheit des Gewissensverpflichteten nicht erforderlich ist. 27 Vgl. BVerfGE 23, 127 (134); sehr deutlich für ein "vollwertiges" subjektives Recht auch Zippelius, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Rn. 52, 63. 28 Böcken!örde, in: VVDStRL 28 (1970), 33 (64 f.). 29 Zu weitgehend insoweit die von Mucket, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 157 geäußerten (allenfalls bei einer - mit dem Gewissensbegriff indessen nicht zu vereinbarenden - Schutzbereichsausdehnung i.S. des Beispiels von PierothlSchlink. Grundrechte, Rn. 229 auf jedes überzeugungsgeleitete Handeln begründeten) Bedenken, eine umfassende Einbeziehung der Gewissensbetätigung in den Schutzbereich des Art. 4 I GG 25

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7. Kap.: Gewissensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

derum, daß die Gewissensbestimmtheit der Handlung, auf die sich der Schutz aus Art. 4 I GG beziehen soll, schlüssig dargelegt werden kann. 3o Dieses - (auch unabhängig von den in der Verfassung im einzelnen vorgesehenen Einschränkungsmöglichkeiten der Gewissensfreiheit) ernstzunehmende 31 - Erfordernis dient insbesondere auch der Verhinderung eines unzulässigen Mißbrauchs des Gewissens als (bloße) politische Waffe?2 was allerdings nicht heißt, daß Gewissen und Gewissensbetätigung notwendig unpolitisch sind,33 sondern nur, daß politikbezogene Gewissensgebote als solche häufig nicht existieren oder zumindest den Bereich des einfachrechtlich Zulässigen nicht verlassen werden. 34 Anders als beim kirchlichen Selbstbestimmungsrecht und bei der Glaubensfreiheit35 ist die Schlüssigkeitsprüfung bei der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG aber nicht am Maßstab eines zugrundeliegenden Glaubens oder einer zugrundeliegenden Weltanschauung bzw. am Maßstab eines übergeordneten Wertesystems auszurichten. Es kommt vielmehr allein darauf an, ob im Hinblick auf das konkrete Verhalten das Vorliegen von kognitiver und affektiver Komponente des Gewissensbegriffs glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt und begründet, also plausibel gemacht werden kann bzw. vom Betreffenden gemacht wird. 36 Wahrend die inhaltliche Richtigkeit einer Gewissensentscheidung dabei keiner Kontrolle zugänglich ist,37 entspricht dem Erfordernis einer nachvollziehbaren Begründung bezüglich der kognitiven Komponente des Gewissensbegriffs durchaus die Forderung nach einem Mindestmaß an logischer Richtigkeit im Sinne von Widerspruchsfreiheit, soweit darüber Feststellungen getroffen werden können (etwa aufgrund besonderer sonstiger Lebensumstände - wie z. B. im Falle der Waffen sammlung eines Kriegsmache eine hinreichende Abgrenzung zur allgemeinen Handlungsfreiheit zwangsläufig unmöglich. 30 V gl. etwa Bethge, in: HdbStR, Band VI, § 137 Rn. 12, 57 f.; v. Mangoldt/ Klein/ Starck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 36, 107 f.; Pieroth/ Schlink, Grundrechte, Rn. 524, 534; Zippelius, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. Rn. 52,139. 31 Vgl. dazu auch anschaulich Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 228 ff. mit dem bereits 0., Fn. 29, genannten Beispiel (wo allerdings ausgehend vom Verständnis der Gewissensfreiheit als vorbehaltlose Gewährleistung - vgl. dazu aber noch u., S. 254 ff. - v.a. der Einfluß der Schrankenebene auf die Schutzbereichsauslegung betont wird). 32 Vgl. nur Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), 33 (65); ferner (in bezug auf die Schrankenebene des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts) 0., S. 215 m. Fn. 345. 33 Vgl. den zutreffenden Hinweis von Bethge, in: HdbStR, Band VI, § 137 Rn. 41. 34 Vgl. dazu (allgemein) schon 0., S. 249. 3S Vgl. dazu 0., S. 143 f., 152 f., 231. Einen Zusammenhang zur entsprechenden Problematik bei der Glaubensfreiheit stellt insoweit auch Kästner. ZevKR 42 (1997), 127 (142) her. 36 V gl. BVelWGE 79, 24 (28); Jarass, in: ders./ Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4 Rn. 42; Preuß, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. I, 2 Rn. 51; ausführlich Herdegen, Gewissensfreiheit und Nonnativität des positiven Rechts, S. 306 ff.; Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 160; vgl. ferner die Nachw. 0., S. 248 Fn. 10 und soeben Fn. 30. 37 BVerfGE 12,45 (56).

A. Eingriff in den Schutzbereich der Gewissensfreiheit

253

dienstverweigerers -, die zumindest einer speziellen Begründung bedürfen, mit denen die betreffende Person also konfrontiert werden darf).38 IV. Kirchenasylbezogene staatliche Maßnahmen als Schutzbereichseingriff

Auch in Kirchenasylfällen ist nach den vorgenannten Kriterien festzustellen, ob eine das konkrete Verhalten gebietende Gewissensentscheidung vorliegt. Dem Schutzbereich der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG unterfallen danach im Hinblick auf das Kirchenasyl alle, aber auch nur solche Handlungen, die auf einer (glaubhaft dargelegten) ernsten sittlichen, d. h. an den Kategorien von "Gut" und "Böse" orientierten Entscheidung beruhen, welche der Beteiligte in der konkreten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, läßt sich nur im konkreten Einzelfall feststellen. Generell gilt aber, daß für den ins Kirchenasyl aufgenommenen Flüchtling der grundrechtliche Schutz wiederum in der Regel ausscheidet,39 während er für die an der Kirchenasylgewährung beteiligten Personen durchaus in Betracht kommt. Zur KlarsteIlung ist an dieser Stelle aber noch einmal darauf hinzuweisen, daß eine bloß politisch motivierte Kirchenasylgewährung nicht von Art. 4 I GG geschützt wird. 4o Nicht durchgreifend ist hingegen auch hier der Einwand, in Kirchenasylfällen gehe es lediglich um abweichende Tatsachenbeurteilungen und nicht um den Schutz von Gewissensentscheidungen: 41 Denn in bezug auf die reinen Tatsachenbeurteilungen kommt das Bestehen eines Gewissenskonflikts zwar in der Tat nicht in Betracht, aber sehr wohl in bezug auf das Handeln des Gewissensverpflichteten, hier also die Kirchenasylgewährung; allein auf dieses Handeln kommt es an, und insoweit kann ein Gewissenskonflikt - d. h. ein Konflikt zwischen dem Gewissensgebot zur Kirchenasylgewährung und dem (straf-)gesetzlichen Verbot derselben jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Soweit der Schutzbereich der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG in Kirchenasyl fällen danach eröffnet ist, wird sowohl durch eine staatliche Beendigung als auch durch eine strafrechtliche Sanktionierung des Kirchenasyls in diesen Schutzbereich eingegriffen. 38 Zu undifferenziert - unter Überbetonung der affektiven gegenüber der kognitiven Komponente des Gewissensbegriffs - BVerwGE 23, 98 (99); ferner Herdegen, in: HdbStKR, Band I, S. 481 (487); Morlok, in: Dreier, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 66; daneben Kirchenamt der EKD (Hrsg.), Gewissensentscheidung und Rechtsordnung, Ziff. 45 a. E.; speziell im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik auch Siegmund. Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 50. 39 Vgl. 0., S. 233. 40 Vgl. schon 0., S. 252. 41 Vgl. ausführlich 0., S. 174 ff.

254

7. Kap.: Gewissensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs I. Bestandsaufnahme

In bezug auf die Schranken des Art. 4 I GG werden Glaubens- und Gewissensfreiheit in den Erörterungen zur Kirchenasylproblematik zumeist ohne Unterscheidung zwischen beiden Grundrechten gemeinsam erörtert, so daß an dieser Stelle weitgehend auf die Bestandsaufnahme zur Glaubensfreiheit zu verweisen ist.42 Auch für die Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG geht man also davon aus, daß eine vorbehaltlose Gewährleistung vorliegt, die lediglich verfassungsimmanenten Schranken unterliegt. 43 Von diesem Ausgangspunkt gelangt man auch in bezug auf die Gewissensfreiheit entweder zu einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der staatlichen Beendigung und der strafrechtlichen Sanktionierung des Kirchenasyls44 oder zu einer umfassenden einzelfallabhängigen Interessenabwägung45 oder zu einer Differenzierung zwischen der zulässigen staatlichen Beendigung und der möglicherweise unzulässigen strafrechtlichen Sanktionierung.

ß. Die Schranken der Gewissensfreiheit Auch für die Gewissensfreiheit ist zunächst allgemein zu fragen, welchen Schranken dieses Grundrecht unterliegt, unter welchen Voraussetzungen ein Schutzbereichseingriff also verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist. Für die Gewissensfreiheit werden in Art. 4 I, 11 GG ebensowenig Schranken genannt wie für die Glaubensfreiheit. Allgemein einig ist man sich dabei auch im Hinblick auf die Gewissensfreiheit darüber, daß die grundrechtliche Gewährleistung nicht schrankenlos gilt. Auf welche Weise das Grundrecht beschränkt werden kann, ist aber im einzelnen wiederum umstritten.

42 Vgl. 0., S. 233 ff. mit den dort genannten Nachw. (mit Ausnahme v.a. von Geis, JZ 1997,60 ff.; Grote/Kraus, JuS 1997,345 ff. [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 ff.l, die auf die Gewissensfreiheit überhaupt nicht oder nicht näher eingehen). 43 So speziell zur Gewissensfreiheit Bayer. Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 252; v. Münch, NJW 1995, 565 (566); Schlag, Zeitschrift für Evangelische Ethik 40 (1996),38 (44). 44 Vgl. die etwas unklaren gesonderten Ausführungen zur Gewissensfreiheit von v. Münch, NJW 1995, 565 (566). 4S Vgl. speziell zur Gewissensfreiheit Bayer. Das Grundrecht der Religions- und Gewissensfreiheit, S. 252 ff.; wohl auch E. Kopp, DS vom 27. 5. 1994; unklar Schlag, Zeitschrift für Evangelische Ethik 40 (1996), 38 (44); ferner - unter Bezugnahme auf die Gewissensfreiheit als eines "der ,notstandsfesten' Menschenrechte im Sinne der Pakte von 1966" - Nagel, Flüchtlinge und "Kirchenasyl", S. 30.

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

255

1. Schrankenleihe

Parallel zur Glaubensfreiheit wird für die Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG die Auffassung vertreten, daß die Schranken der Gewissens(betätigungs )freiheit im Wege der Schrankenleihe zu bestimmen sind. 46 Diese Auffassung ist aber wie bei der Glaubensfreiheit wegen des Grundsatzes der Spezialität der Einzelfreiheitsrechte und der daran anknüpfenden differenzierten Schrankensystematik des Grundgesetzes abzulehnen. 47

2. Die Schrankenregelung des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG

Genauer und speziell in bezug auf die Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG ist die Frage zu untersuchen, ob dieses Grundrecht vorbehaltlos gewährleistet ist. Als Normierung eines Gesetzesvorbehalts kommt insoweit wiederum die Regelung des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG in Betracht. Diese Bestimmung besteht gleichwertig neben Art. 4 GG, ohne durch diese Norm völlig "überlagert" zu werden, und sie enthält auch eine Vorbehaltsregelung. 48 Art. 136 I WRV spricht allerdings von der "Ausübung der Religionsfreiheit". Fraglich ist nun, ob darunter auch die Ausübung der Gewissensfreiheit fällt, ob also die Gewissensfreiheit vom Begriff der Religionsfreiheit überhaupt umfaßt wird. Soweit die Vorbehaltsregelung des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG in bezug auf Art. 4 GG überhaupt für anwendbar erklärt wird, beschränkt man die Anwendung vielfach auf die Glaubensfreiheit. Es wird gesagt, nach dem Wortlaut des Art. 136 I WRV werde die Gewissensfreiheit davon nicht erfaßt. 49 Diese Auffassung übergeht allerdings die für die Auslegung des Art. 136 I WRV nach seiner Übernahme ins Grundgesetz durch Art. 140 GG bedeutsame Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG: Zur Weimarer Zeit ging man einhellig davon aus, daß die Gewissensfreiheit unabhängig davon, ob man darunter bereits auch die Gewissensbetätigungsfreiheit verstand - jedenfalls von der Religionsfreiheit (und deren Schranken) umfaßt wurde. 5o Daß Art. 136 I WRV während seiner unmittelbaren Geltung ohne weiteres Vgl. wiederum v.a. Herzog. in: Maunz I Dürig, Grundgesetz, Art. 4 Rn. 148 ff. Vgl. 0., S. 236. 48 Vgl. 0 •• S. 236 ff. 49 v. Mangoldt/Klein/Starck, Art. 4 Rn. 50 f.; MuckeI. Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 253 ff.; Preuß, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 4 Abs. 1, 2 Rn. 44; ferner Kästner. ZevKR 42 (1997), 127 (133); vgl. auch Böckenjörde. VVDStRL 28 (1970), 33 (51). so Vgl. zum einen (Gewissensfreiheit dabei kein Handlungsrecht) Anschütz. Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 135 Anm. 3 f.; zum anderen (Gewissensfreiheit auch Handlungsrecht) Gebhard. Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 135 Anm. 3 c, e; Giese, Die Verfassung des Deutschen 46

47

256

7. Kap.: Gewissensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

auf etwaige Handlungsrechte aus der Gewissensfreiheit mitbezogen wurde, ergibt sich auch aus der angenommenen Deckungsgleichheit zwischen Art. 136 I und Art. 135 S. 3 WRV. S1 Aus den Beratungen des Grundgesetzgebers ergibt sich, daß man bei der Formulierung des Art. 4 GG noch von diesem überkommenen Verständnis der Gewissensfreiheit ausging. Denn anders ist nicht erklärlich, daß bei den Auseinandersetzungen um die endgültige Fassung der grundgesetzlichen Bestimmung - bei weitgehender Einigkeit darüber, daß ein sich aus dieser Norm ergebendes Handlungsrecht nicht gänzlich vorbehaltlos gewährleistet sein könne - nur über die Schranken der Religionsausübungsfreiheit gesprochen wurde. 52 Es ist davon auszugehen, daß mindestens dieselben Schranken auch für die Gewissensfreiheit angenommen wurden. Von einer bewußten Entscheidung des Verfassungs gebers für eine vorbehaltlose Gewährleistung der Gewissensfreiheit kann daher keine Rede sein. 53 Erst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes vollzog sich eine Entwicklung der Gewissensfreiheit zum weitgehend verselbständigten Handlungsrecht. s4 Dieser Entwicklung ist konsequenterweise auch im Hinblick auf die für die Handlungsrechte aus Art. 4 I, 11 GG ursprünglich geltende Schrankenregelung des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG - wenn man diese grundsätzlich als solche anerkennt 55 - durch entsprechende Auslegung derselben Rechnung zu tragen. Es geht nicht an, "gegenüber einem historisch klar umrissenen und fundamentalen Grundrecht wie dem der Religionsfreiheit, das in bestimmte Verfassungsbegrenzungen eingebettet bleibt, ein neues eigenes Grundrecht aus demselben Stamm zu entwickeln, das von solchen Grenzen befreit ist".s6 Die in bezug auf die Handlungsrechte aus Art. 4 I, 11 GG normierten Schranken lassen sich nicht durch eine neue Schutzbereichsauslegung überwinden ("abstreifen,,)57. Reiches, Art. 135 Anm. 1,3; zur umstrittenen Frage der damaligen Anerkennung oder Nichtanerkennung (zu pauschal von letzterer ausgehend Arndt. NJW 1965.432 f.) der Gewissensbetätigungsfreiheit als Teil der Gewissensfreiheit ferner Herdegen. Gewissensfreiheit und Normativität des positiven Rechts, S. 79; Freihalter, Gewissensfreiheit, S. 39, beide m. w. N. SI Vgl. Anschütz. Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, Art. 136 Anm. 1; ferner Gebhard. Handkommentar zur Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919. Art. 135 Anm. 3 e, Art. 136 Anm. 2 d; Giese. Die Verfassung des Deutschen Reiches, Art. 136 Anm. I; vgl. schon 0., S. 237. S2 Vgl. Matz. in: v. Doemmingl Füßlein I Matz, JöR N.F. I (1951), I (74 f.); vgl. schon 0., S. 238 m. Fn. 53. S3 Vgl. auch dazu - gegen Böcken!örde. VVDStRL 28 (1970), 33 (49) - schon 0., S. 238 m. Fn. 53. 54 Zu den verschiedenartigen Auslegungsansätzen in der Zeit nach Inkrafttreten des Grundgesetzes vgl. Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 115 ff. ~~ V gl. dazu noch einmal 0., S. 236 ff. 56 So - in der zurückhaltenderen Form einer Anfrage ("Kernfrage") - die pointierte Formulierung von Scheuner, ZevKR 15 (1970),242 (254). 57 Scheuner, ZevKR 15 (1970), 242 (254).

B. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

257

Daß die Gewissensfreiheit mit der Religionsfreiheit nichts mehr zu tun hat, läßt sich im Hinblick auf die Vorbehaltsregelung des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG daher gerade nicht sagen. 58 Der Begriff der Religionsfreiheit i. S. d. Art. 136 I WRV umfaßt vielmehr auch die als verselbständigtes Handlungsrecht verstandene Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG. Deren Nichteinbeziehung in die flir die Handlungsrechte aus Art. 4 I, 11 GG vorgesehene Vorbehaltsregelung widerspricht dem Willen des Verfassungsgebers wie auch dem Sinn und Zweck der Vorbehaltsregelung. 59 Die Formulierung des Art. 4 I GG, in der die Freiheit des Glaubens neben der des Gewissens (ohne ein verbindendes "und,,)60 angesprochen wird, steht dieser Auslegung ebenso wenig entgegen wie der in Art. 136 I WRV verwendete Begriff der Religionsfreiheit als solcher: Die Glaubensfreiheit und die Gewissensfreiheit stehen nach der Fassung des Art. 4 I GG weiterhin in einem unauflöslichen Zusammenhang, indem sie einem gemeinsamen Freiheitsbegriff untergeordnet sind. 61 Angesichts dieser (äußeren) Verbindung läßt sich im Wortlaut des Art. 4 I GG kein Argument dagegen, sondern sogar ganz im Gegenteil ein Argument daflir sehen, Glaubens- und Gewissensfreiheit im Sinne dieser Bestimmung - unabhängig von einem differenzierten inhaltlichen Verständnis beider Freiheiten - nach wie vor unter den zusammenfassenden Begriff der Religionsfreiheit als Rechtsbegriff, wie er in Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG verwendet wird, einzuordnen. 62 Nach alledem unterliegt die Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG ebenso wie die Glaubensfreiheit dem Vorbehalt allgemeiner Gesetze nach Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG. 63

58 Nicht überzeugend demgegenüber Freihalter. Gewissensfreiheit, S. 224 f., der den dargelegten Zusammenhang von Schutzbereichs- und Schrankenauslegung übersieht. 59 Vgl. dazu - zum Verhältnis von Vorbehaltsregelung und verfassungsrechtlicher Wertigkeit des betreffenden Grundrechts - auch 0., S. 238 m. Fn. 55. 60 Diesem Umstand mißt Freihalter. Gewissensfreiheit, S. 40 unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte des Art. 4 I GG eine besondere Bedeutung zu. 61 Dementsprechend ist gemeinhin häufig von der "Glaubens- und Gewissensfreiheit" die Rede (vgl. etwa BVerfGE 33, 23 (29 ff.); dazu - unter exemplarischer Bezugnahme auf Erörterungen der Kirchenasylproblematik - auch Muckei, Religiöse Freiheit und staatliche Letztentscheidung, S. 22, 155 m. w. N.), wie im übrigen auch die Redeweise von der sowohl die Glaubensfreiheit als auch die Gewissensfreiheit umfassenden "Religionsfreiheit" in allgemeineren Zusammenhängen nicht seiten zu finden ist (vgl. etwa Listl, Das Grundrecht der Religionsfreiheit in der Rechtsprechung der Gerichte der Bundesrepublik Deutschland, S. 23 f.; ders., in: HdbStKR, Band I, S. 439 (446 f.); dazu auch Bayer. Das Grundrecht der Religionsund Gewissensfreiheit, S. 58 m. w. N.). 62 Eine entsprechende Auslegung des Begriffs der Religionsfreiheit i. S. d. Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG findet sich auch bei Badura, Der Schutz von Religion und Weltanschauung durch das Grundgesetz, S. 24 und Listl, in: HdbStKR, Band I, S. 439 (454), die die Vorbehaltsregelung allerdings - wegen "Überlagerung" durch Art. 4 GG, dazu 0., S. 236 ff., 255 - generell nicht anwenden (vgl. Badura, a. a. 0., S. 15 f., 72; Listl, a. a. 0., S. 465, der Art. 136 I WRV dort gar nicht mehr erwähnt). 17 Görisch

258

7. Kap.: Gewissensfreiheit als Grundlage eines Kirchenasylrechts

ßI. Die kirchenasylrelevanten Bestimmungen als Schrankengesetze

Die Anwendung des Art. 136 I WRV i. V. m. Art. 140 GG auf die Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG in Kirchenasylfällen deckt sich weitgehend mit der Anwendung dieser Vorbehaltsregelung auf die ebenfalls in Art. 4 I GG normierte Glaubensfreiheit: Aus der Notwendigkeit einer Berücksichtigung der Wechselwirkung zwischen der Gewissensfreiheit und den schrankengesetzlichen Schutzgütern entsprechend der Abwägungslehre ergeben sich wiederum die bereits im Hinblick auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gefundenen einschränkenden Voraussetzungen eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts mit den zur (individuellen) Glaubensfreiheit festgestellten Modifikationen. 64 Nur auf einiges wenige ist dabei besonders hinzuweisen, ohne daß sich insoweit im Ergebnis irgendwelche Abweichungen ergeben: Zunächst verdient der Umstand Erwähnung, daß in dem Erfordernis der Bereitschaft des Kirchenasylgewährers, sich zu einer Versorgungs übernahme gemäß § 84 AuslG zu verpflichten, zugleich eine Gewissensprobe gesehen werden kann, sofern man nach einer solchen verlangt. 65 Bei der Herstellung praktischer Konkordanz ist weiterhin zum einen zu beachten, daß eine unterschiedliche Bedeutungszumessung auf seiten eines gewissensverpflichteten Kirchenasylgewährers, also eine unterschiedliche Gewissensnot, kaum denkbar ist und damit von vornherein der der Glaubensverpflichtung 66 entsprechende Fall vorliegt. Zum anderen fällt der Umstand, daß es sich bei der Kirchenasylgewährung nicht um ein (bloßes) Unterlassen, sondern um ein aktives Tun handelt,67 bei der Abwägung i.e.S. durchaus ins Gewicht. Maßgebliches Kriterium eines angemessenen Interessenausgleichs bleibt dabei aber die BefUrchtung irreparabler Schäden fUr den Kirchenasylflüchtling. Schließlich ist noch zu beachten, daß die unabdingbare Forderung nach einer öffentlichen Kirchenasylgewährung nur dann nicht zu einem weitgehenden Leerlaufen der grundrechtlichen Gewährleistung fUhrt, wenn die Gewissensfreiheit ein 63 So i. E. (mit knapperer Begründung) auch Herdegen, in: HdbStKR, Band I, S. 481 (496); undeutlicher ders., Gewissensfreiheit und Nonnativität des positiven Rechts, S. 288 (bloße "Heranziehung des Rechtsgedankens, welcher der Regelung des Art. 136 Abs. 1 WRV zugrunde liegt"); vgl. auch Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 538; ferner Jarass, in: ders.l Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 4 Rn. 46, der eine analoge Anwendung in Erwägung zieht. 64 Vgl. 0., S. 239 ff. M Vgl. dazu etwa v. Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 4 Rn. 36; grundlegend Luhmann, in: AöR 90 (1965), 257 (283 ff.), der die Inkaufnahme finanzieller Verluste als Gewissensprobe ausdrücklich erwähnt; (allgemein) zustimmend Böckenförde, VVDStRL 28 (1970), 33 (71); vorsichtiger Herdegen, Gewissensfreiheit und Nonnativität des positiven Rechts, S. 310. 66 Vgl. 0., S. 241. 67 Vgl. dazu allgemein 0., S. 248 f.

B. VerfassungsrechtIiche Rechtfertigung des Schutzbereichseingriffs

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"vollwertiges" Recht und nicht nur einen Sanktionsverzicht beinhaltet. Droht bei öffentlicher Gewährung eine Beendigung des Kirchenasyls, so wird ein Gewissensverpflichteter kaum zur Offenlegung zu bewegen sein. 68 Darin zeigt sich noch einmal besonders deutlich, daß dem Gewissensverpflichteten mit einem staatlichen Sanktionsverzicht (bei gleichzeitiger Möglichkeit einer Verhinderung der Gewissensbetätigung) entgegen der grundgesetzlichen Garantie der Gewissensfreiheit letztlich überhaupt nicht geholfen ist69 und hinsichtlich der sich aus Art. 4 I GG ergebenden Rechtsfolgen - auch in Kirchenasylfällen - kein Unterschied zwischen der Glaubens- und der Gewissensfreiheit zu machen ist. Unter den zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gefundenen und auf die Gewissensfreiheit ebenso wie auf die Glaubensfreiheit übertragbaren Voraussetzungen - Abwendung einer befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr als Ziel der Kirchenasylgewährung, öffentliche Gewährung, keine andere Möglichkeit der Gefahrabwendung, Bereitschaft (und Fähigkeit) zur Versorgungsübernahme, Beschränkung auf den räumlichen Verfügungsbereich des Kirchenasylgewährers, keine Schaffung besonderer Einwanderungsanreize und erforderlichenfalls Beschluß (des Hausrechtsinhabers) - ergibt sich also im Falle einer nachvollziehbar dargelegten und auf diese Weise ausreichend nachgewiesenen Gewissensentscheidung bzw. -verpflichtung ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht aus der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG, das einer staatlichen Beendigung des Kirchenasyls ebenso entgegensteht wie einer strafrechtlichen Sanktionierung.

68 In rechtlicher Hinsicht läßt sich dabei die Inkaufnahme der Sanktion für eine verdeckte Kirchenasylgewährung auch nicht als eine (notwendige bzw. zulässige) Gewissensprobe vgl. dazu v.a. die These 6 des Rates der EKD, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. 47 (48) begreifen. 69 Vgl. bes. dazu schon 0., S. 251.

17'

8. Kapitel

Weitere Verfassungsbestimmungen als Grundlage eines Kirchenasylrechts Zum Abschluß des verfassungsrechtlichen Teils der Untersuchung ist nun noch kurz darauf einzugehen, ob sich ein Kirchenasylrecht aus anderen als den bisher erörterten Verfassungsbestimmungen ergibt. In Betracht kommen insoweit weitere Grundrechte, das Widerstandsrecht des Art. 20 IV GG und übergeordnete Verfassungsprinzipien.

A. Weitere Grundrechte Vereinzelt werden weitere Grundrechte genannt, die im Zusammenhang mit der Kirchenasylproblematik möglicherweise berührt werden und damit als Grundlage eines Kirchenasylrechts in Betracht zu ziehen sind. Dazu wird festgestellt, kirchliches Asyl könne politisches Manifest, Meinungsäußerung, Teilnahme am demokratischen Prozeß darstellen. Es sei insoweit nicht mehr und nicht anders gewährleistet als anderes politisches Handeln auch und müsse sich in die Voraussetzungen und Schranken der Art. 5, 8 und 2 I GG fügen. l Demnach sind diese Grundrechte gemäß den allgemeinen Regeln anzuwenden, ohne daß der Kirchenasylgedanke dabei besonderer Berücksichtigung bedarf. 2 Ohne weiteres kann man diesbezüglich feststellen, daß sich ein Kirchenasylrecht, das einer staatlichen Beendigung oder strafrechtlichen Sanktionierung des Kirchenasyls entgegensteht, aus den genannten weiteren Grundrechten letztlich nicht ergibt. Soweit es um die religiöse 1 Vgl. Robbers, AöR 113 (1988), 30 (43 f., 47), der ergänzend bemerkt, daß die Rechtfertigungsmöglichkeiten aus Art. 4 GG demgegenüber weitergehend sind; speziell zu Art. 5 GG daneben Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (38), der später noch ein "dem freien Wort" gewährtes Kirchenasyl - das in besonderem Maße zumindest auch mit Art. 5 GG in Verbindung zu bringen ist - erwähnt, vgl. ebd., S. 43; daran anschließend Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (613); vgl. ferner - zwischen der eigentlichen Kirchenasylproblematik und dem Gebrauchmachen von der Meinungsfreiheit unterscheidend - lsensee, in: HdbStKR, Band 11, S. 665 (735); dies betrifft im übrigen auch die von Ehnes, a. a. 0., S. 623 ff. angesprochenen kirchlichen Stellungnahmen zur staatlichen Asylpolitik; zu Art. 8 GG andeutungsweise ebd., S. 602, 607 f.; vgl. dazu auch schon 0., S. 22 Fn. 21; zu Art. 2 I GG Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (71). Zur Problematik des zivilen Ungehorsams, die in diese Erörterungen weithin miteinbezogen wird, vgl. schon 0., S. 105 f. 2 Vgl. auch schon 0., S. 219.

B. Das Widerstandsrecht des Art. 20 IV GG

261

Motivation der Kirchenasylgewährung,3 den staatlichen Asylgedanken oder den Gedanken des Wohnungsschutzes geht, sind die bereits ausführlich angesprochenen Grundrechte spezieller oder jedenfalls separat zu erörtern. 4 Auch das Petitions(grund)recht ist in bezug auf die Kirchenasylproblematik weitgehend unergiebig: s Art. 17 GG enthält ein rein formelles Recht, das dem Bürger keinen Anspruch auf eine bestimmte Art der Erledigung gibt und dem Staat nur eine rechtlich zulässige Erledigung ermöglicht. 6 Ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht kann sich also aus Art. 17 GG selbst nicht ergeben.

B. Das Widerstandsrecht des Art. 20 IV GG Als mögliche verfassungsrechtliche Grundlage eines Kirchenasylrechts wird auch das Widerstandsrecht gemäß Art. 20 IV GG in Betracht gezogen, aber letztlich weithin klar abgelehnt. Es wird gesagt, ein Widerstandsfall sei bei vereinzelten Verfassungsverstößen nicht gegeben; vielmehr müsse es sich um eine grundsätzliche Infragestellung bzw. Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung handeln. Weder eine grob verfassungswidrige Asylablehnung im Einzelfall noch die derzeitige, wie auch immer verfassungsrechtlich zu bewertende Ausgestaltung des deutschen Asylrechts im Ganzen reiche deshalb für Art. 20 IV GG hin. Eine kritische Würdigung des in dieser Norm verbürgten Widerstandsrechts ende in dem ernüchternden Befund, daß jenes erst dann zum Zuge kommen könne, wenn die Verfassung selbst und damit auch der dieses Recht garantierende Art. 20 IV GG bereits faktisch außer Kraft gesetzt seien.7 3 Von einer religiösen Motivation geht die Kirchenasylgewährung selbst in der 0., S. 219 angesprochenen Konstellation aus. 4 Dazu allgemein PierothlSchlink, Grundrechte, Rn. 337 ff.; vgl. auch schon 0., S. 128. S Vgl. dazu auch GrotelKraus, JuS 1997,345 (351) [= dies., Fälle zu den Grundrechten, S. 59 (76 f.)]; Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (71); Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls, S. 136 ff. (mit ergänzenden Ausflihrungen allgemeinerer Art zu institutionalisierten Petitions- bzw. Ombudsfunktionen in der Bundesrepublik, um eine solche Funktion - allerdings nicht in institutionalisierter Form und damit ohne rechtlich eigenständige Bedeutung - auch den Kirchen selbst in Kirchenasylfällen zuzusprechen). Zur Bedeutung des Petitionsrechts im Rahmen des aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht abgeleiteten Kirchenasylrechts schon 0., S. 210. Vgl. ferner schon 0., S.42. 6 Vgl. allgemein nur E. Stein, in: Alternativkommentar zum Grundgesetz, Art. 17 Rn. 26, 28; speziell im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik Kraus. in: Kirchenasyl. Probleme Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (71); Siegmund, Verfassungsrechtliche Aspekte des Kirchenasyls. S. 138. 7 Vgl. B. Huber, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 99 (llO); ders., in: Asyl von unten, S. 91 (105); Kraus, in: Kirchenasyl. Probleme - Konzepte - Erfahrungen, S. 58 (72); daneben Aumhammer, Spezielles Ausländerstrafrecht, S. 186; M. H. Müller, apf 1994, 189 (191); Rothkegel. ZAR 1997, 121 (127); Schoh.. Welt am Sonntag vom 15.5. 1994; v. Westphalen, Rheinischer Merkur vom 20. 5. 1994; i. E. (ohne nähere Begründung) auch Gramlich. in:

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8. Kap.: Weitere Verfassungsbestimmungen als Rechtsgrundlage

Zwar wird vereinzelt festgestellt, das kirchliche, in der Gewährung von Asyl zum Ausdruck kommende Widerstandsrecht sei nichts, was der staatlichen Rechtsordnung fremd, ihr entgegenstehend wäre. Sobald und solange die mit der Gewährung von Kirchenasyl verfolgten Ziele mit den Zielen und den vorausgesetzten Umständen des Art. 20 IV GG zusammenfielen, sei es auch von der geltenden Verfassungsordnung anerkannt und als subjektiv-rechtliche Ausformung der ,,Ewigkeitsgarantie" des Art. 79 1lI GG zu verstehen. 8 Weiter ausgeformt und konkretisiert werden diese Gedanken allerdings nicht. Tatsächlich läßt sich ein Kirchenasylrecht aus Art. 20 IV GG aus den zuvor genannten Gründen auch nicht herleiten. Letzten Endes ist man sich damit zutreffenderweise weitgehend darüber einig, daß ein kirchliches Asylrecht, das einer staatlichen Beendigung oder einer strafrechtlichen Sanktionierung des Kirchenasyls entgegensteht, unter den geltenden Umständen nicht auf Art. 20 IV GG gestützt werden kann.

c. Übergeordnete Verfassungsprinzipien Schließlich werden direkt oder indirekt auch übergeordnete Verfassungsprinzipien als mögliche Grundlage eines Kirchenasylrechts in Betracht gezogen. Dabei geht es um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip. Unergiebig ist insoweit vor allem die gelegentlich zu findende Bezugnahme auf das Demokratieprinzip.9 Ebensowenig wie sich aus dem Demokratieprinzip ein durchschlagendes Argument gegen ein anderen Normen zu entnehmendes verfasRecht und Rechtsbesinnung, S. 195 (208); Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (39); Bundesamt für Justiz, VPB 1986, Heft 50/1, Nr. 5, S. 45 (48), auch zum schweizerischen Recht; wohl auch Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band III, S. 601 (617); Hund, DRiZ 1994, 362; Just, in: epd-Dokumentation Nr. 43/94, S. I (9); Maaßen, KuR 1/1997, 37 (45) =885, 7 (15); Mühleisen, HK 1994, 350 (351); in bezug auf ein überpositives Widerstandsrecht daneben etwa ReuteT, Rechtsethik in theologischer Perspektive, S. 184 (207) [= ders., in: Das Recht der Kirche, S. 574 (599 f.)]; ders., ZRP 1996, 97 (100); Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 81 f. Zu dem dabei häufig als Gegenbegriff zum (auf menschenrechtswidrige Systeme beschränkten) Widerstandsrecht genannten (und dann auf den Widerstand nur gegen einzelne menschenrechtswidrige Akte bezogenen) zivilen Ungehorsam vgl. wiederum schon 0., S. 105 f. 8 Robbers, AöR 113 (1988), 30 (45); in diese Richtung auch K. Schmidt, Beiheft zur Jungen Kirche 6/1995, 1 (2 f.). 9 Vgl. Eid, in: Asyl am Heiligen Ort, S. 63 (73): legitimes demokratisches Verhaltensrepertoire (im Zusammenhang mit dem zivilen Ungehorsam, vgl. dazu nochmals 0., S. 105 f.); unklar Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 72 ff.; Nagel, Flüchtlinge und "Kirchenasyl", S. 25 ff.; ferner Mühleisen, HK 1994, 350 ff.

C. Übergeordnete Verfassungsprinzipien

263

sungsrechtliches Kirchenasylrecht ergibt,1O kann man zur Begründung eines solchen Rechts entscheidend auf dieses Prinzip abstellen, was so wohl auch von keiner Seite ernstlich erwogen wird. Eine eigenständige Bedeutung kommt auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht zu, obwohl in Äußerungen zur Kirchenasylproblematik bisweilen ein entgegengesetzter Eindruck erweckt wird. 11 Unabhängig davon, ob sich der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus dem grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip oder aus den Grundrechten selbst ergibt,12 ist er jedenfalls als "Schranken-Schranke" unmittelbar auf die Grundrechte bezogen. 13 Auch als verselbständigtes Prinzip kann der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit daher neben den Grundrechten in seinen Rechtsfolgen nicht über diese hinausgehen. Zur eigenständigen Begründung eines Kirchenasylrechts taugt dieser Grundsatz somit nicht. Das Rechtsstaatsprinzip wird auch unabhängig vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (sofern man ihn nach dem zuvor Gesagten überhaupt maßgeblich darauf stützt) mit der Kirchenasylproblematik in Verbindung gebracht. Dabei wird es nicht nur (unzutreffenderweise) als Argument gegen ein auf andere Normen gestütztes verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht angeführt,14 sondern auch in entgegengesetzter Richtung wird - andeutungsweise - auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips argumentiert. Letztlich geht es insoweit um die Bedeutung der sog. Radbruch 'schen Formel und des damit eng zusammenhängenden, aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten (und dem gleichermaßen rechtsstaatlichen Gedanken der Rechtssicherheit gegenüberstehenden) Gerechtigkeitsgedankens 15 in Kirchenasylfällen: Diese Problematik ist wohl - zumindest auch - angesprochen, wenn in bezug auf das Kirchenasyl gesagt wird, man sollte "nicht die in der Nachkriegszeit aufgekommene Renaissance der Naturrechtsdenkens [ ... ] allmählich verblassen lassen".16 Demgegenüber wird von anderer Seite eine Anwendung der Radbruch 'Vgl. dazu 0., S. 194. Vgl. bes. Schweizer Evangelischer Kirchenbund (Hrsg.), Widerstand? Christen, Kirchen und Asyl, S. 38, wo allgemein vom "für den Rechtsstaat geltende[n] Prinzip der Verhältnismäßigkeit" als Grenze behördlichen HandeIns in Kirchenasylfällen die Rede ist (später wird ebd., S. 54, 92 im übrigen - allerdings nicht im rechtlichen Zusammenhang - darauf hingewiesen, daß die Kirchenasylgewährung ebenfalls verhältnismäßig bleiben muß). 12 Vgl. dazu Görisch, JuS 1997,988 (991) m. w. N. 13 Vgl. nur Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 278; dazu konkret v.a. schon 0., S. 135 ff., 186 ff. 14 Vgl. dazu wiederum 0., S. 194. 15 Vgl. zur Radbruch'schen Formel und zum darin verkörperten Gerechtigkeitsgedanken bes. BVerfGE 95,96 (134 f.) m. w. N., im Anschluß an Rat/bruch, SJZ 1946, 105 ff.; zu dieser Entscheidung etwa Dreier, JZ 1997,421 ff.; daneben allgemein Herzog, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 20, VI. Rn. 53 f. 16 Ehnes, in: Das Recht der Kirche, Band I1I, S. 601 (631). Zum maßgeblichen Einfluß der Radbruch'schen Formel auf die im Zitat angesprochene Naturrechtsrenaissance vgl. nur Saliger; Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, S. 1 m. w. N.; vgl. in der Sache aber auch die 10

11

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8. Kap.: Weitere Verfassungsbestimmungen als Rechtsgrundlage

sehen Fonnel unter dem Grundgesetz und speziell im Hinblick auf das Kirchenasyl entweder ausdrücklich abgelehnt,17 oder es wird zumindest angedeutet, daß hinsichtlich des Kirchenasyls vom Regelfall des Überwiegens des Rechtssicherheitsgedankens gegenüber dem Gerechtigkeitsgedanken ausgegangen wird. 18 Auf den rechtsstaatlichen Gerechtigkeitsgedanken bezieht sich ferner die in verschiedenen Äußerungen zu findende Zuordnung des Kirchenasyls zum ,.Recht des Nächsten". 19 Bei der Entwicklung der Grundlagen des Nächstenrechts wurde nämlich gerade die Radbruch'sche Fonnel als dessen Ausprägung angesehen. 2o Über den Gedanken des Nächstenrechts ist danach eine Anwendung der Radbruch'schen Fonnel (und damit zugleich des in ihr verkörperten rechtsstaatlichen Gerechtigkeitsgedankens) auf die Kirchenasylproblematik in Ausnahmefällen in Betracht zu ziehen. Dementsprechend wird gesagt, das Nächstenrecht gebiete es, zu Unrecht Verfolgten Asylschutz zu geben, und zwar unter ganz besonderen Umständen "auch gegen (zu materiellem Unrecht gewordenes) fonnelles Recht".21 Ein konkretes Kirchenasylrecht innerhalb des staatlichen Rechts wird aber auch dem ,.Recht des Nächsten" letzten Endes nicht entnommen. 22 Eine genauere Prüfung der Radbruch'schen Fonnel im Hinblick auf die Kirchenasylproblematik ergibt zunächst, daß das Rechtssystem der Bundesrepublik nicht als solches ein den Kriterien dieser Fonnee3 entsprechendes Unrechtssystem ist. Das Bundesverfassungsgericht hat aber die Radbruch'sche Fonnel bislang nur zur Bewältigung des grundlegenden Systemwechsels nach dem Fall eines solchen UnAbgrenzung der Position Radbruchs vom Naturrechtsgedanken bei Robbers, Gerechtigkeit als Rechtsprinzip, S. 80 f. 17 Vgl. Mooßen, KuR 1/1997,37 (43) =885, 7 (13). 18 Vgl. Püttmann, Ziviler Ungehorsam und christliche Bürgerloyalität, S. 224 f. (m. Fn. 58), 403 ff., der den in der Radbruch'schen Formel zum Ausdruck kommenden Gerechtigkeitsgedanken als Grenze des Rechtssicherheitsgedankens mit der Pflicht zum Gesetzesgehorsam ansieht, aber zugleich unter der Geltung des Grundgesetzes jenseits dieser Grenze liegende "extreme Ungerechtigkeiten" für ..weitgehend ausgeschlossen" hält und dementsprechend - allerdings nicht darauf bezogen, sondern sogar weit vorher an der erstgenannten Stelle - Äußerungen, die die Kirchenasylgewährung als Mißachtung des Rechtsstaats ansehen, zustimmend (und ohne weitere Überlegung) zitiert; vgl. auch die Äußerung des nordrhein-westfälischen Innenministers Schnoor, in: epd-Dokumentation Nr. 20/94, S. 42 (47). 19 Vgl. E. Wolf, Recht des Nächsten, S. 25; in neuerer Zeit daran anschließend Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (42); ferner Strohm. Theologia Practica 1989, 131 (140). 20 Vgl. E. Wolf, Recht des Nächsten, S. 26 m. Anm. 9. 21 So E. Wolf, Recht des Nächsten, S. 25, 59 Anm. 13; vgl. - darauf Bezug nehmend auch Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (42 Fn. 96). 22 Vgl. Jacobs, ZevKR 35 (1990), 25 (39,42), der das Rechtsstaatsprinzip gerade als Argument gegen ein Kirchenasylrecht anführt (vgl. dazu bes. 0., S. 194 m. Fn. 257) und seine Ausführungen zum Nächstenrecht nur auf diktatorische oder totalitäre Staaten bezieht; ferner E. Wolf, Ordnung der Kirche, S. 325 f., wo in bezug auf die staatliche Ablehnung eines Kirchenasylrechts vom ..Recht des Nächsten" nicht die Rede ist. 23 Vgl. i. e. Radbruch, SJZ 1946, 105 (107); zur diesbezüglichen Unterscheidung einer Unerträglichkeitsformel und einer Verleugnungsformel vgl. Dreier; JZ 1997,421 (423).

c. Übergeordnete Verfassungsprinzipien

265

rechtssystems für anwendbar erklärt. 24 Selbst wenn man indessen die Anwendbarkeit dieser Formel unter dem Grundgesetz nicht ausschließt,25 erfüllen die einzelnen in Kirchenasylfällen einschlägigen einfachen Gesetze (und auch deren Anwendung)26 ihre Kriterien nicht: An dieser Stelle wird die Deckungsgleichheit von Kirchenasylgründen und staatlichen Asylgründen27 noch einmal relevant, soweit man in diesen Gründen unabdingbare Mindestanforderungen des Gerechtigkeitsgedankens wiedererkennt. Als Grundlage eines verfassungsrechtlichen Kirchenasylrechts kommen die Radbruch'sche Formel und der in ihr verkörperte rechtsstaatliehe Gerechtigkeitsgedanke folglich nicht in Betracht. Abschließend bleibt damit festzuhalten, daß sich ein Kirchenasylrecht auch aus anderen als den zuvor ausführlich erörterten Verfassungsbestimmungen nicht ergibt.

Vg1. dazu nochmals BVerfGE 95,96 (134 f.). Vg1. dazu Lecheler; Unrecht in Gesetzesform? Gedanken zur "Radbruch'schen Formel", S. 16 ff., 28; SaUger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, S. 34 ff., 78 ff. m. w. N. Insoweit ist allerdings parallel zur bereits 0., S. 119 f., im Zusammenhang mit dem Kirchenasyl als "subsidiärem Menschenrechtsschutz" (wo die rechtsstaatlichen Argumente der Gerechtigkeit einerseits bzw. der Rechtssicherheit - oder der Rechtsbindung - andererseits im übrigen ebenfalls verbreitet zu finden sind, vg1. dazu die Nachw. 0., S. 113 f. Fn. 9 ff.) angesprochenen Problematik auf die Verbindlichkeit einer Letztentscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinzuweisen, welches unter dem Grundgesetz indessen kaum auf die Radbruch'sche Formel, sondern vielmehr zu Recht allein auf die Grundrechte abstellen wird (vg1. auch denvon Roellecke, AöR 121 (1996),686 (687) kritisierten - in ähnliche Richtung weisenden Ansatz von Lecheler, a. a. 0., S. 24 ff.). 26 Darauf bezieht sich die Radbruch'sche Formel allerdings unmittelbar nicht, vgl. Radbruch, SJZ 1946, 105 (107). 27 Vg1. 0., S. 174 ff. 24 2S

Zusammenfassung Die Untersuchung hat in einfachrechtlicher Hinsicht ergeben, daß eine staatliche Beendigung durch Ergreifungsmaßnahmen gegen Kirchenasylflüchtlinge und mittelbare Beendigungsmaßnahmen gegen Kirchenasylgewährer nach den einschlägigen verwaltungsrechtlichen und strafprozessualen Bestimmungen in weitem Umfang möglich ist, ohne daß dem ein einfachrechtliches Kirchenasylrecht entgegensteht. Allerdings kann dabei eine Vollstreckung gegen eine als öffentlich-rechtliche Körperschaft anerkannte Religionsgemeinschaft, je nach landesrechtlicher Regelung, unzulässig sein. Auch einer strafrechtlichen Sanktionierung des Kirchenasyls steht kein einfachrechtliches Kirchenasylrecht entgegen. In bezug auf den Kirchenasylgewährer ist allerdings vor allem unter dem Gesichtspunkt des sozialadäquaten Verhaltens genau zu prüfen, ob die Tatbestände der einschlägigen Strafvorschriften überhaupt erfüllt sind. Während eine Rechtfertigung, vor allem nach § 34 StGB, insoweit generell ausscheidet, kommt ein Schuldausschluß oder eine Schuldminderung, etwa nach § 17 StGB oder § 35 StGB, durchaus in Betracht, ebenso eine Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 StPO oder § 153a StPO. Auf der verfassungsrechtlichen Ebene ergibt sich - auch für die öffentlich-rechtlich verfaßten Religionsgemeinschaften - unmittelbar aus dem Grundrecht auf Asyl gemäß Art. 16a GG kein Kirchenasylrecht, das einer staatlichen Beendigung oder strafrechtlichen Sanktionierung des Kirchenasyls entgegensteht. Allenfalls mittelbar kann sich aus dem Asylgrundrecht in besonderen Ausnahmefallen ein gegenüber dem staatlichen Asylverfahren subsidiäres und zeitlich begrenztes Kirchenasylrecht (als Selbst- bzw. Nothilferecht sowohl des Kirchenasylflüchtlings als auch des Kirchenasylgewährers) ergeben. Eine erhebliche praktische Relevanz hat dieses Recht angesichts seiner strengen Voraussetzungen allerdings nicht. Aus der Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG ergibt sich weder ein Kirchenasylrecht, das einer Strafbarkeit der Beteiligten entgegensteht, noch - vom (unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten möglicherweise anders zu beurteilenden) Ausnahmefall des von vornherein auf ganz kurze Zeit beschränkten Kirchenasyls abgesehen - ein solches, das ein staatliches Eindringen in das Kirchenasyl zur Beendigung desselben gänzlich unzulässig macht. Durch das Wohnungsgrundrecht wird ein Kirchenasylgewährer (und unter Umständen auch der Kirchenasylflüchtling) aber insofern geschützt, als Art. 13 11 GG einen prinzipiellen Richtervorbehalt als verfahrensmäßige Anforderung eines staatlichen Eindringens in das Kirchenasyl aufstellt, dessen Nichtbeachtung eine Grundrechtsverletzung bedeutet.

Zusammenfassung

267

In bezug auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 137 m 1 WRV läßt sich für die beiden großen christlichen Kirchen eine Zugehörigkeit des Kirchenasyls zu den eigenen Angelegenheiten feststellen. Dagegen greift unter bestimmten Voraussetzungen (Kirchenasylgewährung aufgrund des Interzessionsgedankens zur Abwendung einer befürchteten Lebens- oder Leibesgefahr, ordnungsgemäßer Beschluß, öffentliche Gewährung, keine andere Möglichkeit der Gefahrabwendung, Bereitschaft zur Versorgungsübernahme, Beschränkung auf den räumlichen Verfügungsbereich der Kirchen, keine Schaffung besonderer Einwanderungsanreize) auch die Schranke der allgemeinen Gesetze nicht durch. Unter den genannten Voraussetzungen ergibt sich damit aus Art. 137 m 1 WRV i.V.m. Art. 140 GG ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht, das einer staatlichen Beendigung wie auch einer strafrechtlichen Sanktionierung des Kirchenasyls entgegensteht und mittelbar auch dem Kirchenasylflüchtling zugute kommt. Aus der Glaubensfreiheit gemäß Art. 4 IGG ergibt sich ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht unter entsprechenden Voraussetzungen (und mit denselben Rechtsfolgen) wie aus dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht. Dieses Recht steht - anders als das kirchliche Selbstbestimmungsrecht - auch kirchenasylgewährenden Einzelpersonen zu, die in praktischer Hinsicht bei der Rechtsdurchsetzung allerdings unter Umständen erhöhten (Darlegungs-)Anforderungen unterliegen. Der Gewissensfreiheit gemäß Art. 4 I GG läßt sich ebenfalls unter den zum kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gefundenen und auf die Glaubensfreiheit übertragenen Voraussetzungen ein verfassungsrechtliches Kirchenasylrecht entnehmen, das der staatlichen Beendigung und der strafrechtlichen Sanktionierung des Kirchenasyls gleichermaßen entgegensteht. Grundvoraussetzung dafür ist allerdings, daß das Kirchenasyl tatsächlich auf einer (glaubhaft dargelegten) Gewissensentscheidung bzw. -verpflichtung beruht. Weitere Verfassungsbestimmungen scheiden als Grundlage eines Kirchenasylrechts aus. Dies gilt für weitere Grundrechte (namentlich Art. 2 I, 5, 8 und 17 GG) ebenso wie für das Widerstandsrecht des Art. 20 IV GG und übergeordnete Verfassungsprinzipien (namentlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, das Rechtsstaats- und das Demokratieprinzip).

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19 Görisch

Sachwortverzeichnis Abschiebung 20, 26 ff., 51, 65, 73, 75 ff., 80 ff., 84, 94, 96 ff., 112f., 116, 118, 130, 136 f., 140, 174 f., 177, 181, 189,201 ff., 209 f., 215 f., 218, 220 f., 223 f., 226, 235 Allgemeine Handlungsfreiheit 127, 148,

153, 157,228,231,234,236,238,251 f., 260,267 Altkatholische Kirche 155 Asylgewährungsmonopol 113, 122, 140, 174 f., 192,234 ff. Asylrechtsreform 19 f., 114, 118 f., 121,217 Beckstein-Vorschlag 166, 176, 199 Beichtgeheimnis 101 Bereichsscheidungslehre 150 ff., 181, 185 Bestandskraft 30, 194,227 Demokratie 113, 194,219,262 f., 267 Demonstrationsfreiheit 22, 200, 219, 223,

260,267

Diplomatisches Asyl 167 f., 195 Duldung 28 ff., 38, 40, 74 ff., 78, 82, 85, 182, 202, 223 f., 235 Durchsuchung 59, 61 ff., 129 ff., 235, 266 Ermessen 28, 31, 33, 51 ff., 58, 65 f., 71, 80,

223,235,250

Extremistische Gewaltakte 202

Gleichheit 111, 128, 157, 186, 197, 228,

234,237,249

Gottesdienst 53,129,136,161,195,229 Hausrecht 123, 125, 129,212 f., 244, 259 IntercessiolInterzession 159, 164 ff., 178 f., 189, 195 f., 204 f., 216 ff., 221, 225, 267 Irrtum 84 ff., 99, 107 f., 215 f. Italien 30

Kirchenasylbegriff 20 ff., 122, 166 ff. Kirchenasylinitiative 21, 93 f., 106 f., 145,

227

Kirchenasylkontingente 166, 176, 199 Kirchenbesetzung 22, 52, 64, 74, 91, 126,

145, 195

Kirchengemeinde 20 f., 32, 90, 93 f., 100,

104, 111 f., 115, 125 f., 145, 158, 181, 199,202,212 ff., 216, 227 Kirchenrecht 140, 148, 155 ff., 173, 178, 180 Kirchenvorstand 87,90 f., 104, 161 Körperschaftsstatus der Kirchen 28, 57, 62, 66 ff., 71 f., 109, 112, 115 ff., 123, 126, 144 f., 182, 185, 197 f., 200, 214, 227, 266

Fahnenflucht 21, 50 f., 54, 59, 73, 81, 87,

Lageberichte des Auswärtigen Amtes 208 Letztentscheidungsbefugnis 119 ff., 146,

Funktionsfahigkeit der Rechtsordnung 193 ff., 211, 234, 238

Meinungsfreiheit 128, 184, 186 f., 219, 234,

95,220

Gerechtigkeit 263 ff. Geschichte des Kirchenasyls 19, 21, 111, 155,169 ff., 178 f., 199,205,212,233 Gewerkschaften 21, 209 Gewohnheitsrecht 32 f., 50, 52, 55, 156, 164

149,181,193,265

236,239,260,267

Menschenrechte 113, 115, 117 ff., 122, 193,

254,262,265

Menschenwürde 102, 113, 115. 117, 121,

235

Muslimische Gemeinschaften 155

Sachwortverzeichnis Nationalstaatsprinzip 191 f. Naturrecht 263 f. Neutralität 142 f., 147, 149, 153 Niederlande 30, 58, 101 Objektives Verfassungsrecht 24, 223 f., 243 Öffentliche Kirchenasylgewährung 21, 41, 64, 89, 95, 97 f., 104, 108, 130, 137, 211 f., 216, 218, 225, 244, 258 f., 267 Öffentlichkeitsauftrag der Kirchen 214 Ordrepublic 149f., 174,194 Parteien 21 Petition 42, 210, 261, 267 Pfarrer 100 f., 104, 109 ff., 160 f., 181 Politische Motivation 166, 178, 189,205 f., 217,219 f., 252, 260 Privatasyl21, 89,125 ff., 145 f., 227, 240 ff., 246,267 Privilegium fori 109 Radbruch'sche Formel 263 ff. Recht des Nächsten 264 Rechtsfreier Raum 130 f., 182, 193, 195 f., 296 Rechtsfrieden 196,217 Rechtskraft 118, 194,227 Rechtsreflex 224, 243 f. Rechtsstaat 66, 81, 113 f., 194, 196, 234, 262 ff., 267 Res sacrae 124, 161, 197 f. Reverentia loci 159 ff., 164 ff., 178, 189, 195,212 f., 218 f. Sanctuary 104 f., 113, 117, 167,227 Schlepper 217

19'

291

Schulpflicht 20 I, 213 Schweiz 30, 78, 83 f., 100 ff., 104, 106, 108 ff., 113, 179,227,234,246,262 Scientology 155 Siebenten-Tags-Adventisten 155 Souveränität 194, 196 Spanien 30 Staatskirchenvertragsrecht 29 ff., 156, 173 Statistik 20 f., 155, 215 Universitäten 62, 68 Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens 86 Verbände 21,209,214 Vereinsfreiheit 106 f., 209 Verhältnismäßigkeit 52, 56 ff., 65, 70, 128 f., 136, 149, 182, 186, 188 ff., 219, 234 f., 262 f., 266 f. Versteckte Kirchenasylgewährung 21, 37, 41,55,64, 97f., 100 f., 103f.,211 Volkskirchen 154,214 Wächteramt 214 Wahrnehmung berechtigter Interessen 84, 106 Wanderkirchenasyl216 f. Wegekreuze 212 Wesensgehaltgarantie 112, 120 Widerstandsrecht 260 ff., 267 Wirtschaftsflüchtlinge 205, 207 Ziviler Ungehorsam 105 f., 108, 113, 206, 260,262 Zuzugsbeschränkungen 189, 191,206