Johannes Crotus Rubianus: Satiriker – Humanist – Theologe. Eine biografische Annäherung [1 ed.] 9783412524654, 9783412524630


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German Pages [344] Year 2022

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Johannes Crotus Rubianus: Satiriker – Humanist – Theologe. Eine biografische Annäherung [1 ed.]
 9783412524654, 9783412524630

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JOHANNES CROTUS RUBIANUS SATIRIKER – HUMANIST – THEOLOGE. EINE BIOGR AFISCHE ANNÄHERUNG

Eckhard Bernstein

Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation Im Auftrag der »Historischen Kommission für Thüringen« herausgegeben von Werner Greiling und Uwe Schirmer in Verbindung mit Joachim Bauer, Enno Bünz, Ernst Koch, Armin Kohnle, Josef Pilvousek und Ulman Weiß Band 14

Eckhard Bernstein

Johannes Crotus Rubianus Satiriker – Humanist – Theologe Eine biografische Annäherung

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Gedruckt mit Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. © 2022 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill Deutschland GmbH (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike, V&R unipress Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Rektoratsblatt des Crotus Rubianus (Ausschnitt), StadtA Erfurt, 1-1/10B 13-46, Bd. 2, Bl. 124r. Korrektorat: Kornelia Trinkaus, Meerbusch Redaktion und Satz: Dr. Philipp Walter, Jena Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52465-4

INHALT INHALT EINLEITUNG .................................................................................................................... 9 I.

HERKUNFT, UNIVERSITÄT, FRÜHE FREUNDSCHAFTEN .............................. 17 1. Studium in Erfurt ....................................................................................... 18 2. Frühe Freundschaften ............................................................................... 21 2.1 Martin Luther .................................................................................... 22 2.2 Ulrich von Hutten............................................................................. 23 2.3 Eobanus Hessus ................................................................................ 29

II.

CROTUS RUBIANUS UND DER MUTIANISCHE KREIS IN GOTHA ................. 35 1. Mutianus Rufus als Haupt eines Humanistenkreises ........................... 35 2. Crotus in diesem Kreis .............................................................................. 37 3. Was schätzte Mutianus an Crotus? .......................................................... 41 4. Crotus als Vermittler.................................................................................. 43 5. Crotus’ satirisches Talent .......................................................................... 45 Exkurs: Die Grenzen des Spotts.................................................................... 47

III. CROTUS RUBIANUS’ ERSTER AUFENTHALT IN FULDA (1510-1517)........... 53 1. Warum verließ Crotus Rubianus Erfurt?................................................ 53 2. Crotus als Leiter der Fuldaer Klosterschule .......................................... 59 3. Die Rollen des Mutianus Rufus und Hartmanns von Kirchberg bei der Berufung des Crotus nach Fulda ............................ 61 Exkurs: Hartmann – ein Mäzen der Humanisten? ..................................... 64 4. Nachlässige Amtsführung des Crotus? ................................................... 67 5. Eintritt in den Priesterstand ..................................................................... 69 6. Crotus’ Briefe aus Fulda ............................................................................ 71 IV. JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS ....... 75 1. Der „Judenbücherstreit“ als Hintergrund der Epistolae obscurorum virorum ......................................................................... 75 2. Johannes Reuchlin – der erste deutsche Hebraist................................. 77 3. Die Kölner Theologen und Johannes Pfefferkorn gegen Reuchlin ............................................................................................ 78 4. Die zwei Ebenen der Kontroverse.......................................................... 81 5. Mutianus Rufus und Reuchlin – Gegenseitige Wertschätzung .......... 83 6. Der Einsatz des Mutian-Kreises für Reuchlin....................................... 87

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INHALT

7. „Crotus schäumt vor Wut.“ – Crotus als selbsternannter Vorkämpfer der „Reuchlinisten“ ............................................................. 90 INHALT V. DIE EPISTOLAE OBSCURORUM VIRORUM UND ANDERE SATIREN DES CROTUS.......................................................................................................... 93 1. Die Dunkelmännerbriefe ................................................................................ 93 1.1 Die Verfasser der Dunkelmännerbriefe: Crotus Rubianus und Ulrich von Hutten ..................................................................... 94 1.2 Entstehung und Titel – Mimische Satire....................................... 96 1.3 Aufbau und Charakteristik der Dunkelmännerbriefe ....................... 98 1.4 Die Sprache der Dunkelmännerbriefe .............................................. 103 1.5 Unterschiede zwischen Teil I und Teil II ................................... 105 1.6 Zeitgenössische Rezeption und Nachleben................................ 106 2. Zwei weitere Crotus zugeschriebene Satiren ....................................... 109 2.1 Processus contra sentimentum Parrhisiense – Prozess gegen das Pariser Urteil ............................................................................. 110 2.2 Oratio funebris in laudem Ioannes Cerdonis – Leichenpredigt auf einen Gelehrten ........................................................................ 112 VI. STUDIUM IN ITALIEN: CROTUS WIRD LUTHERANER .................................. 117 1. Deutsche Studenten in Italien ................................................................ 118 2. Die Pomponazzi-Affäre – Fortsetzung der Reuchlin-Kontroverse?............................................................................ 120 3. Vom Reuchlinisten zum Lutheraner ..................................................... 121 3.1 Der Traktat Modus inquirendi haereticos – Leitfaden zum effektiven Verhören von Ketzern ................................................ 123 3.2 „Schrecklich ist die Herrschaft der Geistlichen.“ Zwei Briefe des Crotus Rubianus an Martin Luther ................. 126 4. Doktor der Theologie an der Universität Bologna ............................. 133 VII. WIEDER IN DEUTSCHLAND – CROTUS RUBIANUS, ULRICH VON HUTTEN UND FRANZ VON SICKINGEN................................ 135 1. Nochmaliges Bekenntnis zu Luthers Theologie ................................. 136 2. Crotus Rubianus, Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen ...... 142 3. Das Conciliabulum Theologorum – eine Satire des Crotus? ..................... 146 4. Unterschiedliche Interpretationen der Briefe des Crotus an Luther.................................................................................................... 147 5. Luther im Jahre 1520 ............................................................................... 149 VIII. CROTUS RUBIANUS ALS REKTOR DER UNIVERSITÄT ERFURT ................ 153 1. Die Situation in Erfurt............................................................................. 154

INHALT

7 1.1 Vordringen des Humanismus und Erasmus-Kult in Erfurt ............................................................................................ 155 1.2 Von Erasmus zu Luther................................................................. 158 1.3 Die Intimatio – ein Flugblatt gegen Johannes Eck ..................... 159 2. Crotus Rubianus als Rektor der Universität Erfurt ............................ 160 2.1 Luthers Empfang in Erfurt – Held der Nation ......................... 163 2.2 Reaktion auf den Empfang Luthers............................................. 168 2.3 Die Rektoratstafel des Crotus Rubianus ..................................... 170

IX. ZWISCHEN LUTHERBEGEISTERUNG UND HUMANISTISCHER SKEPSIS – CROTUS’ ZWEITER AUFENTHALT IN FULDA (1521-1524) ....... 181 1. Warum verließ Crotus Erfurt? ............................................................... 182 2. Crotus’ Freunde in Fulda ........................................................................ 184 3. Die Vergangenheit holt Crotus ein – die Angelegenheit der Imitatio Erphurdiana ........................................... 186 4. Zwischen Lutherverehrung und humanistischer Skepsis .................. 190 4.1 Eintreten für zwei Würzburger Kleriker ..................................... 191 4.2 Johann Apels Defensio ..................................................................... 194 4.3 Crotus’ beginnende Bedenken gegen die lutherische Bewegung ..................................................................... 195 X.

„DOCTOR CROTUS SCHREYBER“ – CROTUS RUBIANUS IN PREUSSEN (1524-1530) ..................................................................................... 199 1. Vom Ordensstaat zum lutherischen Herzogtum ................................ 200 2. Crotus’ Aufgaben in Königsberg ........................................................... 204 3. Crotus als Begründer der Königsberger Schlossbibliothek ............... 207 4. Persönlicher und brieflicher Verkehr mit Freunden .......................... 208 5. Zwischen Klagen über die Gegenwart und Verklärung der Vergangenheit .................................................................................... 214 6. Crotus Rubianus über Erasmus und Mutianus Rufus........................ 218 7. Gedanken an die Rückkehr nach Deutschland ................................... 224

XI. CROTUS’ RÜCKKEHR NACH DEUTSCHLAND IM JAHRE 1530 – KANONIKER IN HALLE .................................................................................... 227 1. Crotus’ Entscheidung, in Deutschland zu bleiben ............................. 227 2. Crotus als Kanoniker in Halle ................................................................ 235 2.1 Erzbischof Albrecht von Brandenburg ....................................... 235 2.2 Albrecht und die Herausforderung der Reformation ............... 238 3. Das Neue Kollegiatstift in Halle ............................................................ 241 4. Motive des Crotus, sich diesem Stift anzuschließen........................... 243

8

INHALT

XII. CROTUS’ APOLOGIA UND DIE LUTHERISCHE REAKTION .......................... 247 1. Crotus’ Apologia für Erzbischof Albrecht ............................................. 247 1.1 Der Abendmahl-Streit in der Reformationszeit......................... 251 1.2 Verteidigung von Albrechts Baumaßnahmen ............................ 254 1.3 Warum beging Dr. Krause Selbstmord? ..................................... 255 2. Eine lutherische Reaktion auf Crotus’ Apologia ................................... 256 XIII. GEORG WITZEL UND CROTUS RUBIANUS (1531-1535) ............................ 263 1. Georg Witzel – eine biografische Skizze .............................................. 264 2. Witzels Briefe an Crotus Rubianus ...................................................... 267 3. Crotus’ Rolle in der Kontroverse zwischen Georg Witzel und Justus Jonas ....................................................................................... 275 3.1 Witzels Pro defensione bonorum operum ............................................. 275 3.2 Justus Jonas’ Contra Tres Pagellas.................................................... 281 3.3 Balthasar Raidts Schrift Widder das lester vnd lugen büchlin  Agricole Phagi .................................................................................... 285 3.4 Ludus Sylvani Hessi in defectionem Georgii Vucelii ad Papistas ......... 288 4. Reaktion Witzels ....................................................................................... 291 XIV. CROTUS’ LETZTE JAHRE .................................................................................. 293 1. Weitere Entwicklung in Halle ................................................................ 293 2. Crotus’ letzte Jahre in Halle .................................................................... 295 3. Crotus’ Bild bei zeitgenössischen Lutheranern und Katholiken ...... 297 ANHANG ABKÜRZUNGEN ....................................................................................................... 303 ABBILDUNGSNACHWEIS ......................................................................................... 306 VERZEICHNIS DER KORRESPONDENZ DES CROTUS RUBIANUS 1. Briefe des Crotus Rubianus ................................................................. 307 2. Briefe an Crotus Rubianus ................................................................... 310 QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 1. Quellen .................................................................................................... 313 2. Forschungsliteratur ............................................................................... 316 REGISTER 1. Personenregister .................................................................................... 333 2. Ortsregister ............................................................................................. 341

EINLEITUNG EINLEITUNG EINLEITUNG „Wer kennt nicht Johannes Crotus, diesen genialen Kopf, den Verfasser der Epistolae obscurorum virorum, den Vertrauten Ulrichs von Hutten, den Freund Luthers …?“ Dies schrieb der deutsche Historiker Johannes Voigt im Jahre 1841.1 Eine ehrliche Antwort auf diese rhetorische Frage müsste heute lauten: „Kaum jemand.“ Gewiss, die Epistolae obscurorum virorum oder Dunkelmännerbriefe, unter welchen Namen sie in Deutschland bekannt sind, jene geniale Satire, in der sich die zeitgenössischen Mönche und Kleriker in ihrer Unbildung und moralischen Verderbtheit in ihren Briefen selbst bloßstellten, dürften noch am ehesten bekannt sein. Aber selbst dieses Werk wird gelegentlich fälschlicherweise dem bekannteren Ulrich von Hutten zugeschrieben.2 Ansonsten ist Johannes Crotus Rubianus – so sein voller humanistischer Name – nur den wenigsten ein Begriff. In den zahlreichen zum Reformationsjubiläum im Jahre 1517 erschienenen LutherBiografien kommt er höchstens als Fußnote vor, obwohl er in den Anfangsjahren der Reformation zu den Ersten gehörte, die Luther begeistert unterstützten, und obwohl er als Rektor der Universität Erfurt im April 1521 dem damals schon gebannten Luther auf dessen Weg zum Wormser Reichstag an der Spitze einer großen Menge von begeisterten Studenten und Bürgern feierlich begrüßte – ein Akt der Provokation, der großen Mut zeigte. Die Zeit davor, die prägenden Studienjahre in Erfurt, Köln und Bologna und die Zeit nach seinem Erfurter Rektorat – immerhin noch etwa zwanzig Jahre – wird meistens mit wenigen Worten abgetan. In letztere Periode fallen aber wichtige Jahre des Crotus am Hofe des Herzogs Albrecht von Preußen in Königsberg und als Rat und Kanoniker in Halle am Hofe des Mainzer Erzbischofs und Kardinals Albrecht von Brandenburg. Als sich Crotus Rubianus in den frühen 30er Jahren des sechzehnten Jahrhunderts wieder dem alten Glauben zuwandte und in einer Schrift, der Apologia, seinen neuen Dienstherrn, den Mainzer Erzbischof und Kardinal Albrecht von Brandenburg gegen die Angriffe der Lutheraner verteidigte, zog er sich den heftigen Zorn Luthers zu. Obwohl auch andere bekannte Humanisten der Zeit wie Erasmus von Rotterdam, Willibald Pirckheimer, Ulrich Zasius, Johann                                                              1

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VOIGT, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten des Zeitalters der Reformation, S. 160. So in der englischen Übersetzung von FRANCIS GRIFFIN STOKES, Letters of Obscure Men. Ulrich von Hutten and Others. Introduction von HAJO HOLBORN, Philadelphia 1964.

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EINLEITUNG

Reuchlin und Mutianus Rufus, um nur einige zu nennen, alle Männer, die zunächst in Luther den Hoffnungsträger kirchlicher Reformen gesehen hatten, sich bald wieder der alten Kirche zuwandten, traf das Verdammungsurteil besonders Crotus Rubianus. Der Reformator selbst gab den Ton an. In seiner gewohnt feinfühligen Art nannte er seinen alten Erfurter Studienkameraden, promovierten Theologen und frühen Unterstützer jetzt einen „Judas“,3 „Atheisten“,4 „Epikuräer“5 und „Dotter Kröte, des Cardinals zu Mentz Tellerlecker“6 – und diese Formulierung wiederholte er so oft in seinen Tischgesprächen, dass sie bis heute immer wieder zitiert wird. Als Empfänger derartiger Beschimpfungen befand sich Crotus Rubianus in bester Gesellschaft – den angesehenen katholischen Theologen Dr. Johannes Eck titulierte Luther als „Dr. Dreck“, seinen ebenfalls katholischen Widersacher Johann Cochlaeus als „Dr. Rotzlöffel“, seinen Straßburger Kollegen Martin Bucer als „Klappermaul“ und schließlich den Mainzer Erzbischof und Primas aller deutscher Katholiken als „Scheiß bischoff“ und „schendlichen Scheispfaffen“.7 Crotus’ Ruf in der deutschen Literatur- und Geschichtswissenschaft hat dieses lutherische Verdammungsurteil permanent geschadet. Obwohl sich keineswegs alle lutherischen Zeitgenossen dem Urteil Luthers anschlossen und Melanchthon um 1531 sogar die Devise ausgab, man solle Crotus schonen,8 setzte sich Luthers griffige Formulierung durch und prägte für Jahrhunderte die protestantische Geschichtsschreibung, wenn auch nicht immer mit der dem Reformator eigenen Drastik. So nannte etwa REINDELL (1890) Crotus „einen papistischen Domherrn“ und „charakterlosen Gelehrten“. 9 Selbst Historiker, die ihm im Grunde wohlgesonnen zu sein scheinen, kommen zu weitgehend negativen Urteilen. So bezeichnet DIESCH ihn „als sittliche Persönlichkeit schwankend, als Charakter unzuverlässig“ und als einen „einsamen Lebensverfehler“,10 während REDLICH ihn als eine „schwächliche, ja ängstliche Natur“, „ein Talent, doch kein Charakter“ nannte.11 KALKOFF, der sich in seinen zahlreichen Schriften große Verdienste um die Erforschung der Reformationszeit

                                                             3 4 5 6 7

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WA TR 1, S. 283, Nr. 597. WA TR 2, S. 627, Nr. 2741. WA TR 3, S. 620, Nr. 3795. WA 38, S. 84. Alle Zitate nach PREISENDÖRFER, Als unser Deutsch erfunden wurde, S. 428, außer den letzten beiden. Diese kommen aus seinen Tischreden: „Scheisbischoff“ und „Scheispfaffen“ in: WA 50, S. 351. CR II, S. 621, Nr. 1084: „Sed Croto parcendum est.“ REINDELL, Luther, Crotus und Hutten, S. 30. DIESCH, Crotus Rubeanus im Dienste des Herzogs Albrecht, S. 49 und 51. „Lebensverfehler?“ Was immer das heißen mag. REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 65, 69.

EINLEITUNG

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erworben hat, urteilte etwas vorsichtiger, aber trotzdem abwertend: „Eine große und starke Persönlichkeit war er allerdings trotz seiner treffenden Satire nicht.“ 12 Als Gegenmodell erscheint bewusst oder unbewusst in diesen und ähnlichen Äußerungen stets der handelnde und starke Übervater der Reformation, Martin Luther. Aber auch die Altgläubigen taten sich schwer mit dem zu ihrer Konfession zurückgekehrten Glaubensgenossen. Hatte er doch selbst in seiner Apologia zu Zugeständnissen an die Lutheraner in dogmatischen Fragen gemahnt und auf Mängel in der alten Kirche hingewiesen. Außerdem hatten sie noch gut seine satirischen Angriffe auf Kleriker in den Epistolae obscurorum virorum in Erinnerung. Eine Biografie über Crotus Rubianus gibt es nicht, obwohl sie immer wieder gefordert und gelegentlich sogar versprochen wurde. 13 Verdienstvoll ist die kurze Arbeit von KAMPSCHULTE,14 die aber, da sie auf Lateinisch geschrieben ist, nur in beschränktem Maße rezipiert worden ist. Die knappen Artikel in den einschlägigen Handbüchern sind dagegen von enttäuschender Kürze und von gelegentlichen Fehlern getrübt.15 Überraschen darf das nicht. Im Gegensatz zu Erasmus von Rotterdam und Mutianus Rufus, um nur zwei seiner berühmten humanistischen Zeitgenossen zu nennen, haben sich nur verhältnismäßig wenige Briefe von und an Crotus erhalten. Trotzdem bleibt diese Korrespondenz die Hauptquelle. Freilich muss man bei deren Interpretation immer bedenken, dass jeder Briefsteller sich der Erwartungshaltung seines Korrespondenten anzupassen weiß, dass Briefe also immer subjektiv gefärbt sind. Aus diesem Grunde und wegen der geringen Zahl der crotischen Briefe wage ich meine Monografie auch nur eine „biografische                                                              12 13

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KALKOFF, Die Crotus-Legende, S. 149. Versprochen: Einerts Studie (Johann Jäger aus Dornheim), bricht mit dem Jahre 1521 ab. Ein versprochener zweiter Teil ist nie erschienen. ERHARD, Johann Crotus, in: Encyclopädie der Wissenschaften, S. 204, Anm. 12: „… ich betrachte obiges als Auszug einer vollständigen Biographie des Crotus, die ich zu seiner Zeit mit literarischen Beilagen herausgeben werde.“ Auch diese Studie ist nie erschienen. Gefordert: COSACK, Speratus, S. 127: „Das Leben des Chrotus verdiente wohl eine besondere Bearbeitung.“ De Ioanno Croto Rubiano Commentatio, Bonn 1882. Diese relativ kurze Monografie ist meiner Meinung die beste Darstellung des Lebens des Crotus. Wetzer und Weltes’s Kirchenlexikon, 1884, III, S. 1206-1209. ADB, Grimm, Crotus Rubianus, in: NDB, 3, S. 424-425; VREDEVELD, Crotus Rubeanus, in: Killy, 2, S. 481482; HUBER-REBENICH, Crotus Rubeanus, in: VL Hu, I, Sp. 505-510. Das Buch „Johann Jäger. Vom Ziegenhirten zum Rektor“, das sich bescheiden eine Broschüre nennt, ist ein mit zahlreichen, meist farbigen Illustrationen geschmücktes Werk, das anzusehen große Freude bereitet. Den Anspruch, eine wissenschaftliche Biografie des Crotus zu sein, stellt das Buch natürlich nicht.

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EINLEITUNG

Annäherung“ zu nennen, eine Annäherung, die versucht, sowohl aus seiner Selbstwahrnehmung als auch aus der Fremdwahrnehmung und seiner Verwicklung in die religiösen Auseinandersetzungen der Zeit ein Bild zu zeichnen, das diesem gerecht zu werden sucht. Außer diesen Briefen des Crotus trägt eine Interpretation seiner satirischen Werke und seiner einzigen theologischen Abhandlung, er schon erwähnten Apologia, zu einem Bild des Crotus bei. Aus diesen unterschiedlichsten Puzzlesteinen, Selbstzeugnissen und Ansichten anderer ergibt sich ein einigermaßen schlüssiges Bild, das weit entfernt ist von dem des gewissenlosen Epikuräers, der wegen einer fetten Domherrnpfründe seine wahre lutherische Gesinnung verraten habe. Das Buch folgt chronologisch dem Lebensweg des Crotus Rubianus. Nach dieser Einleitung folgt in Kapitel I eine Skizze seiner Studienjahre in Erfurt und Köln. Für Crotus war es eine Zeit, in der er lebenslange Freundschaften knüpfte mit Ulrich von Hutten, Eobanus Hessus und anderen Mitgliedern des Freundeskreises, der sich um den Gothaer Kanoniker Mutianus Rufus gebildet hatte (Kap. II). Von diesem weit über Gotha bekannten Gelehrten erhielt er die entscheidenden Prägungen. Hier wurde er zum entschiedenen Humanisten, der seinen Geburtsnamen Hans Jäger in das nach Exklusivität klingende Johannes Crotus Rubianus verwandelte. Hier zeigte sich auch zum ersten Mal seine satirische Begabung, zunächst freilich in seinen Briefen und bei geselligen Treffen in Mutians Gothaer Haus. Als im Jahre 1509 in Erfurt die städtischen Unruhen des „Tollen Jahres“ auf die Universität übergriffen, kehrte er wie viele seiner Freunde und Kollegen 1510 der Stadt den Rücken und wurde Leiter der Stiftsschule der Reichsabtei Fulda (Kap. III). Obwohl er dort allem Anschein nach erfolgreich war, fehlten ihm die kongenialen Freunde seiner Erfurter Studienzeit. Hier in Fulda verfasste er aber die Epistolae obscurorum virorum, angeregt von den analphabetischen Opferpriestern seiner klösterlichen Umgebung. Mit dieser bekannten Satire beschäftigen sich die nächsten zwei Kapitel. Dabei beleuchtet das IV. Kapitel zunächst den Hintergrund der Satire, den sogenannten „Judenbücherstreit“ zwischen dem bekannten Juristen und Hebraisten Johann Reuchlin auf der einen Seite und den Kölner Dominikanern und dem konvertierten Juden Johann Pfefferkorn auf der anderen. In diesem Streit spielten die Erfurter Humanisten unter der im Hintergrund wirkenden Führung Mutians eine zentrale Rolle. Wegen des wenige Jahrzehnte vorher erfundenen Buchdrucks wurde die Kontroverse zu einem europäischen Medienereignis. Das nächste Kapitel (V) beschäftigt sich mit der Entstehung, Autorschaft, Sprache, Thematik und zeitgenössischen Rezeption dieser Satire. Neben den Dunkelmännerbriefen werden noch weitere in dieser Zeit entstandene Satiren diskutiert, als deren Verfasser Crotus in Frage kommt.

EINLEITUNG

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Wie so viele andere deutsche Humanisten dieser Zeit begab sich Crotus Rubianus 1517 zum Studium nach Italien (Kap. VI). Aber ausgerechnet im Geburtsland des Renaissance-Humanismus mit seiner Abkehr vom theozentrischen Weltbild des Mittelalters und seiner Rückwendung zum Bildungsideal der griechisch-römischen Antike, wandte er sich der Theologie zu und wurde seit spätestens 1519 zu einem leidenschaftlichen Parteigänger Martin Luthers, seines einstigen Studiengenossen in Erfurt. Dessen Aufstieg zur zentralen Figur der Reformation verfolgte er mit Faszination und Anteilnahme. Nichts dokumentiert eindringlicher seinen Wandel von einem begeisterten Humanisten zu einem überzeugten Lutheraner als seine zwei ausführlichen Briefe an Luther, die er im Herbst 1519 aus Bologna schrieb. Es sind Schlüsseltexte zum Verständnis seiner Hinwendung zur reformatorischen Bewegung. Sein Verhältnis zu Ulrich von Hutten und dem Reichsritter Franz von Sickingen, zwei zentralen Figuren der frühen Reformationsbewegung in Deutschland, steht im Mittelpunkt des VII. Kapitels. Den Höhepunkt seiner Karriere als ein mit der lutherischen Entwicklung sympathisierender Humanist stellt sein Rektorat der Universität Erfurt im Wintersemester 1520/1521 dar. Obwohl er stets in seiner Amtsführung mit Umsicht und Unparteilichkeit zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln suchte, zeigt sein Empfang des bereits seit Januar 1521 gebannten Martin Luther Anfang April dieses Jahres seine eindeutige Parteinahme. Freimütig bekannte er sich zu Luthers historischer Bedeutung, wie sein Bekenntnis zu ihm in seinem Rektoratsbericht und seiner eindrucksvollen „Rektoratstafel“, die er am Ende seines Rektorats anfertigte, zeigt (Kap. VIII). Seinen anschließenden Aufenthalt in Fulda (1521-1524) schildert das IX. Kapitel. Obwohl er weiterhin Luthers Mut bewunderte und sich beherzt für zwei Würzburger Kleriker einsetzte, die gegen das kirchliche Zölibatsgebot für Priester durch Eheschließungen verstoßen hatten (und damit eindeutig lutherische Sympathien gezeigt hatten), äußerte er in Privatbriefen Bedenken gegen die Entwicklung, die die lutherische Reformation zu nehmen drohte. Eine Analyse der sehr wenigen crotischen Briefe aus dieser Zeit zeichnet deshalb ein ambivalentes Bild. Einerseits versprach er alten Bekannten wie Johannes Lange und Johann Hess, die in der jungen lutherischen Bewegung wichtige Rollen zu spielen begannen, seine volle Unterstützung für Luther, andererseits finden sich Zweifel an der lutherischen Entwicklung mit ihrer radikalen Ablehnung kirchlicher Autoritäten. Für den Historiker sind das unübersehbare Hinweise auf Crotus’ spätere Rückkehr zum alten Glauben. Gut erforscht sind die sechs Jahre, die Crotus zwischen 1524 und 1530 in Königsberg am Hofe des Hochmeisters des Deutschen Ordens und seit 1525 Herzog von Preußen, Albrecht von Brandenburg, verbrachte. Innerhalb eines Jahres nach Crotus’ Ankunft verwandelte dieser das preußische Gebiet des Deutschritterordens in ein weltliches Herzogtum lutherischer Prägung

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EINLEITUNG

(Kap. IX). Crotus’ vielseitige Tätigkeit als Sekretär dieses Fürsten und als Begründer der preußischen Hofbibliothek lässt vergessen, dass er desillusioniert und tief besorgt über die Gegenwart war. Wieder sind es höchst vertrauliche Briefe an ehemalige humanistische Freunde, in denen sich Klagen über die Gegenwart mit ihrer Instrumentalisierung der Religion für machtpolitische Zwecke und das Beschwören der humanistischen Vergangenheit finden. Es darf deshalb nicht überraschen, dass Crotus, nachdem er 1530 nach Deutschland zurückgekehrt war, bald danach zum Glauben der Katholischen Kirche zurückkehrte (Kap. X). Begründet hat Crotus diesen Schritt in den frühen dreißiger Jahren in mehreren Privatbriefen an Herzog Albrecht von Preußen (Kap. XI). Zunächst als Rat, dann als Kanoniker am vom Erzbischof Albrecht von Mainz und Magdeburg gegründeten Kollegiatstift in Halle verteidigte er in seiner Apologia, der einzigen Schrift, die je unter seinen Namen erschienen ist, den für die Reformationsgeschichte bedeutsamen Kirchenfürsten. Diese Schrift, die das Verständnis für Crotus’ Motive vertieft, und die lutherische Reaktion darauf stehen im Mittelpunkt des XII. Kapitels. Im folgenden XIII. Kapitel wird schließlich anhand der bisher kaum ausgeschöpften Korrespondenz des Reformkatholiken Georg Witzel mit Crotus versucht, die weitgehend im Dunkeln liegende Zeit in Halle als Kanoniker etwas zu erhellen. Unabhängig von dem Beitrag, den diese Briefe zu einer Biografie des Crotus beitragen, bieten sie faszinierende Einblicke in das Einwirken religiöser Spannungen auf das Alltagsleben der Zeit. Die letzten Jahre liegen weitgehend im Dunkeln. Nur wenige Zeugnisse, von Feinden und Freunden, sind überliefert. Das Buch versucht ein möglichst vollständiges, auf mir verfügbaren zeitgenössischen Quellen beruhendes Bild zu zeichnen. Trotzdem: Das Eingeständnis des Erzählers in Günter Grass’ Novelle Katz und Maus „Seine Seele wurde mir nie vorgestellt“ gilt auch für diesen Versuch, Crotus’ Leben zu rekonstruieren. Erschwert wird das dadurch, dass wir es mit jemandem zu tun haben, der schon seit Jahrhunderten tot ist. Ein Lebensbild solch eines Mannes zu schreiben präsentiert immer „grave difficulties“, wie der amerikanische Reformationshistoriker Roland Bainton einmal in einem unübersetzbaren Wortspiel scherzte.16 Gewisse Überschneidungen mit meinem 2014 erschienenen Buch über den Gothaer Humanisten „Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis“17 sind unvermeidbar, da Crotus ein integraler Teil dieses Kreises war und von seinem Mentor Mutian die entscheidenden Prägungen erhielt. Da ich aber bei den Lesern und Leserinnen nicht die Lektüre meines Mutian-Buches voraussetzen kann, kann ich auf gewisse Wiederholungen nicht verzichten, wobei 16

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Anekdote erzählt von SPITZ, The Third Generation of German Renaissance Humanists, S. 53. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha.

EINLEITUNG

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ich allerdings versucht habe, diese auf ein Minimum zu reduzieren, um nicht des Selbstplagiats beschuldigt zu werden. Das Buch wendet sich nicht in erster Linie an den sehr kleinen Kreis von Crotus-Experten, sondern an diejenigen, die sich für die Reformation mit all ihren Umbrüchen und Verwerfungen interessieren. Aus diesem Grunde habe ich auch manchen Zusammenhang erklärt, der für den Spezialisten selbstverständlich ist. Im Übrigen habe ich mich an den Vorsatz des spanischen Schriftstellers Ortega di Gasset gehalten, der gefordet hatte: „Un libro de sciencia tiene que ser de sciencia, pero tambien tiene que ser un libro.“18 Mit anderen Worten: Lesbarkeit und Wissenschaftlichkeit müssen sich nicht ausschließen. Aus dem gleichen Grund habe ich die lateinischen Briefe der Humanisten und Theologen im Text auf Deutsch zitiert. Selbstverständlich werden sie wegen der Überprüfbarkeit in den Fußnoten auf Latein präsentiert. Ausnahmen von dieser Praxis sind lediglich die lateinischen Gedichte, in denen das lateinische Original im Text zitiert wird, gefolgt von der deutschen Übersetzung. Ich widme das Buch meiner Frau Dr. Jutta Arend. Herrn Dr. Philipp Walter, dem Geschäftsführer der „Historischen Kommission für Thüringen“, möchte ich meinen Dank für seine unermüdliche Unterstützung bei den Redaktionsund Satzarbeiten aussprechen. Der Kommission selbst sowie der Thüringer Staatskanzlei Erfurt danke ich für ihren namhaften Druckkostenzuschuss.

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„Ein wissenschaftliches Buch muss wissenschaftlich sein, aber es muss auch ein Buch sein.“

I.

HERKUNFT, UNIVERSITÄT, FRÜHE FREUNDSCHAFTEN

HERKUNFT, UNIVERSITÄT, FRÜHE FREUNDSCHAFTEN „… numquam potuit [Crotus] sine charis vivere amicis.“ Niemals konnte er [Crotus] ohne seine geliebten Freunde leben.1

Capras pavi, nunc capellam habeo – früher habe ich Ziegen gehütet, jetzt habe ich eine Kapelle, schrieb der 33-jährige Humanist Johannes Crotus Rubianus, der seit kurzem als Priester im Besitz eines Benefiziums war, im Jahre 1513 an einen Freund.2 Falls man diese Aussage nicht als ein bloßes (im Deutschen nicht zu übersetzendes) Wortspiel eines literarisch geschulten, sprachverliebten Humanisten abtut, spricht aus diesen Zeilen der Stolz eines Mannes, der aus einfachen bäuerlichen Verhältnissen kommend, auf Grund seiner eigenen Leistungen und nicht seiner Geburt, „es zu etwas gebracht“ hatte. Der Bauernsohn war zu dieser Zeit Leiter einer der bekanntesten Schulen Deutschlands, der Stiftschule der Benediktinerabtei Fulda. Dass er um 1480 in Dornheim geboren wurde, einem thüringischen Dorf etwa 4 km östlich von Arnstadt und weniger als 20 km südlich von Erfurt, geht aus dem Immmatrikulationsvermerk der Universität Erfurt hervor. Darin wird er als „Johannes Jhaeger de Dornheym“ bezeichnet.3 Später nannte er sich zunächst Johannes Venatorius und dann seit 1508 Johannes Crotus Rubianus. 4 Auf welcher Schule oder auf welchen Schulen er selbst das nötige für ein Universitätsstudium erforderliche Rüstzeug, besonders die Beherrschung des Lateinischen, empfangen hatte und wer die Begabung des Bauernsohnes entdeckte,

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Eobanus Hessus über seinen Freund Crotus in der Erfurter Rektoratstafel. Siehe Kapitel VIII. GILLERT Nr. 321 (Zitiert in dem Brief von Mutian an Urban, Anfang Oktober 1513). SCHWINGES/WRIEDT, Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt, S. 264, Nr. 28. Zur Biographie: HUBER-REBENICH, Crotus Rubeanus, in: VL Hu, I, Sp. 505-510 mit Literatur. Über die Mutationen seines Namens vgl. Kap. II. In den Erfurter und Kölner Matrikeln nannte er sich noch Jäger. Das Geburtsjahr 1480 beruht auf einer Schätzung. Sein späterer Freund Ulrich von Hutten wurde 1488 geboren und nannte Crotus seinen „älteren Freund“. Da Crotus sein Studium an der Universität Erfurt im Jahre 1498 begann, ergibt sich als ungefähres Geburtsdatum das Jahr 1480. WEISSENBORN, Acten der Universitaet Erfurt, II, S. 205. Um Verwirrung zu vermeiden, werde ich von Anfang an seinen späteren von ihm selbst gewählten Namen Johannes Crotus Rubianus verwenden.

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bleibt im Dunkeln.5 Wichtig bleibt die soziologisch bedeutsame Tatsache, dass sich der Bauernsohn zur damaligen humanistischen Elite Deutschlands hochgearbeitet hatte.

1.

Studium in Erfurt

STUDIUM IN ERFURT Im Jahre 1498 ließ sich „Johannes Jhaeger de Dornheym“ an der Universität Erfurt immatrikulieren. Falls das Geburtsjahr von 1480 stimmt, wäre Crotus bei Studienbeginn bereits 18 Jahre alt gewesen, also etwas älter als die meisten Studenten zu dieser Zeit, als das Durchschnittsalter der Studienanfänger 15 Jahre betrug. Dass die Wahl des Studienortes auf Erfurt fiel, bedarf bei der geographischen Nähe dieser Stadt zu Dornheim keiner weiteren Begründung. Außerdem genoss die Universität in ganz Deutschland einen hervorragenden Ruf, der dafür sorgte, dass sie zu einer „Großuniversität des Reiches“ aufgestiegen war,6 sodass sie zwischen ihrem Gründungsjahr 1392 und 1520 von 21 Prozent der im damaligen Deutschland Immatrikulierten besucht wurde. Im ganzen 15. Jahrhundert war sie nach Wien somit die meistbesuchte Universität im damaligen Reich. Wie die meisten deutschen Universitäten war Erfurt eine Vierfakultätenuniversität. Alle Studenten durchliefen zunächst die sogenannte Artistenfakultät, d. h. die Fakultät, in der die Studenten die sieben freien Künste (artes liberales) studierten. Der Ablauf des Studiums war streng geregelt, die Unterrichtssprache war Latein, und zwar nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa, sodass ein Studienortwechsel problemlos erfolgen konnte. In einer Regelstudienzeit von zwei bis drei Jahren widmeten sich die Studenten zunächst den Fächern des Trivium, d. h. der Grammatik, Dialektik und Rhetorik. Nach der erfolgreichen Absolvierung dieser Kurse erwarb man den baccalaureus artium; bei Crotus geschah das im Jahre 1500. Danach verpflichtete sich der frisch Graduierte, in der                                                              5

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EINERT, Johann Jäger aus Dornheim, S. 2, spekuliert, dass die Franziskanermönche im nahen Arnstadt seine frühen Lehrer waren. Dass es aber überhaupt eine Schule der Franziskaner in Arnstadt gab, bezweifelt Martin Sladeczek (Briefliche Mitteilung an den Autor vom 27.3.2018). Dagegen verweist er auf die Existenz einer „recht großen städtschen Schule, die bereits im 13. Jahrhundert erwähnt wird.“ KRODEL (Crotus Rubeanus, Sp. 1886) meint: „Crotus wurde wahrscheinlich von den Benediktinern erzogen.“ Fast ausgeschlossen ist aber, wie OERGEL (Beiträge, S. 57) behauptet, dass seine Eltern den talentvollen Knaben zu seiner Ausbildung nach Fulda auf die dortige, einstmals berühmte, jetzt ganz von scholastischen Geiste beherrschte Klosterschule schickten.“ Darüber finden sich keinerlei Hinweise in der Literatur. MÄRKER, Die Geschichte der Universität Erfurt, S. 33.

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artistischen (oder philosophischen) Fakultät Lehraufgaben zu übernehmen. Nach weiteren zwei bis zweieinhalb Jahren und dem Studium des Quadriviums (Arithmetik, Geometrie und Astronomie) graduierte man zum magister artium. Crotus wurde dieser Grad im Jahre 1507 verliehen.7 Erst nachdem ein Student die Artistenfakultät durchlaufen hatte, durfte er sich in eine der „oberen Fakultäten“, also Theologie, Jura und Medizin einschreiben. Crotus besuchte die Universität zu einer Zeit, als sich diese Institution in einer Umbruchsphase befand und sich dem sogenannten „Humanismus“, 8 der neuen aus Italien kommenden Bildungsrichtung, allmählich zu öffnen begann. Erst im Rektorat des Crotus Rubianus im Wintersemester 1520/1521 sollte ihr der endgültige Druchbruch gelingen, wenn auch nur vorübergehend. Diesem Erfolg war ein langes Ringen vorausgegangen. Die ersten Humanisten9 tauchten in Erfurt in den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts auf. 10 Als „Mann der ersten Stunde“ und „Pionier bei der Ausbreitung der humanistischen Studien nördlich der Alpen“ 11 erschien Peter Luder (1415-1472) im Wintersemester 1460/1461 in Erfurt. Angeregt durch einen zwanzigjährigen Italienaufenthalt, war er 1456 nach Heidelberg gekommen, wo er in seiner Antrittsvorlesung selbstbewusst versprach, die verfallene lateinische Sprache in ihrer klassischen Reinheit wiederherzustellen und die studia humanitatis, einen Begriff, den er in Deutschland einführte, zu lehren.12 Diese Bezeichnung beinhaltete die Fächer Rhetorik, Poetik, Historiographie und Moralphilosophie, aber nicht Theologie und spekulative Philosophie. Nach Stationen in Heidelberg und Ulm tauchte er in Erfurt auf und präsentierte dort als Antrittsvorlesung seine nur leicht modifizierte Heidelberger Antrittsvorlesung – ein frühes Beispiel akademischen Recyclings – und las über Vergil, Terenz und Ovid. Nach nur einem Semester zog er weiter nach Leipzig. Nach Luder versuchte der italienische Wanderhumanist Jacobus Publicius im Wintersemester 1466/1467 die Studenten für die klassi-

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KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 391, Nr. 1054; WRIEDT/ SCHWINGES, Das Bakkalarenregister, S. 264, Nr. 28. Der Begriff wurde erst im 18. Jahrhundert geprägt. Siehe BERNSTEIN, Die Literatur des deutschen Frühhumanismus, S. 7-9. Der Begriff „humanista“ stammt aus Italien, wurde aber in Deutschland äußerst selten verwendet. Vgl. dazu: BAUCH, Die Universität Erfurt im Zeitalter des Frühhumanismus. KETTMANN, Peter Luder, S. 13. Daneben werden auch die Begriffe bonae litterae, studia politioria und bonae artes verwendet. Den letzteren Begriff benutzt z. B. der Dichter Helius Eobanus Hessus in seinem Gedicht „In bonarum artium detractorem invectivum“ (Eine Invektive gegen einen Verächter der humanistischen Studien. VREDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, I, S. 132.).

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sche Literatur zu begeistern. Ihm folgte 1483 Samuel Karoch von Lichtenberg, und etwas später tauchte der berühmte Conrad Celtis in Erfurt auf.13 Allen diesen „Wanderhumanisten“ war gemein, dass sie ihre Vorlesungen außerhalb des streng geregelten akademischen Lehrplans anboten, ja anbieten mussten. Sie lebten von Hörergeldern, und da ihr Repertoire an Vorlesungen bald erschöpft war, mussten sie schon aus materiellen Gründen bald an eine andere Universität wechseln. Von den konventionellen scholastisch orientierten Professoren wurden sie geduldet, vielleicht sogar ermuntert, solange sie sich damit begnügten, die Sprachkompetenz der Studenten zu verbessern. Ihre Stoffe waren jedoch nicht „examensrelevant“. Der scholastische Betrieb blieb unangetastet. Sie blieben „Outsiders“, und es sollte noch Jahrzehnte vergehen, bis sie am Ende des zweiten Jahrzehnts des sechzehnten Jahrhunderts zu „Insiders“ werden sollten.14 „Riesenschritte“ machte der Humanismus durch einen Mann,15 der um die Wende des 15. zum 16. Jahrhundert in Erfurt wirkte und mit seiner wissenschaftlichen Arbeit das ganze scholastische System in Frage stellte und durch seine Lehrtätigkeit außerhalb der Universität zahlreiche Schüler für die antike Literatur begeistern konnte: Nikolaus Marschalk. Geboren zwischen 1460 und 1470 in dem thüringischen Städtchen Roßla, erwarb er in Löwen (Louvain) den baccalaureus artium und kam nach einem kurzen Aufenthalt in Heidelberg im Jahre 1491 nach Erfurt, wo er fünf Jahre später zum magister artium promoviert wurde. Als engagierter Lehrer, Autor, Herausgeber und Drucker lateinischer, griechischer und in bescheidenem Umfang hebräischer Schriften setzte er sich unermüdlich für die studia humanitatis ein. So erschien im Jahre 1501 bei dem Erfurter Drucker Paul von Hachenborg die Grammatica Exegetica, eine ausführliche Rhetorik, Metrik und Brieflehre. Gewidmet ist sie seinem Schüler Peter Eberbach (Petreius), eine ungewöhnliche Dedikation, da in den meisten Fällen Schüler ihren Lehrern Arbeiten widmen, nicht umgekehrt. Marschalk tat das mit der Begründung, damit du [also Petreius] nicht mit ungewaschenen Füßen die studia humanitatis angehst. Für diese bist du doch nicht nur ein kleiner Kandidat, weil sie Vergnügen und Beredsamkeit geschaffen, sondern auch weil sie zur keuschen Mäßigung mahnen.16 Im Gegensatz zu den Frühhumanisten war Marschalk in seinem Ton aggressi-

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BERNSTEIN, Die Literatur des deutschen Frühhumanismus, S. 31. Ihm gab man im 19. Jahrhundert den Titel „Erzhumanist“. BERNSTEIN, From Outsiders to Insiders. BAUCH, Die Universität Erfurt, S. 206. Grammatica Exegetica, Bl. iiir: „ne illotis, ut aiunt, pedibus humanitatis studia ingrediaris quorum es iam non nude tam uoluptatis aut eloquentie, sed caste etiam moderationis candidatulus.“

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ver und setzte sich souverän über die scholastischen Albernheiten der Pädagogen hinweg.17 Bemerkenswert war, dass Marschalk in seine wissenschaftlichen und editorischen Projekte Studenten miteinbezog: So sind neben Peter Eberbach und dessen Bruder Heinrich auch Georg Spalatin als Mitarbeiter bezeugt. Neben diesen drei jungen Männern gehörten wahrscheinlich auch der Dichter Hermann Trebelius, Johann Lang und Herebord von der Marthen zu seinen Schülern,18 Studenten, die auch in dem etwas späteren Mutianus Rufus-Kreis eine maßgebliche Rolle spielen sollten. Ob auch Crotus Rubianus, wie gelegentlich behauptet wird,19 zu den Schülern Marschalks gehörte, ist höchst zweifelhaft. Dieser hatte Erfurt bereits 1502 verlassen. Hinweise darauf gibt es in Crotus’ Briefen nicht. Vielmehr deutet vieles darauf hin, dass sich Crotus in seinen ersten Jahren durchaus den scholastisch geprägten Studien widmete und sich erst später unter dem Einfluss seines Mentors Mutianus Rufus eingehend mit humanistischer Literatur beschäftigte (vgl. nächstes Kapitel).

2.

Frühe Freundschaften

FRÜHE FREUNDSCHAFTEN Gut informiert sind wir dagegen über einige Freundschaften, die er in diesen ersten Erfurter Jahren schloss. Welch hohen Stellenwert für Crotus die Freundschaft besaß, machte er in einem Brief aus dem Jahre 1511 deutlich: Keine Freunde zu haben, hielt ich immer für unrühmlich. Trotzdem: obwohl er sich von Natur aus für umgänglich und nachsichtig hielt, hüte er sich, vorschnell Freundschaft zu schließen. Wenn er aber einmal eine geschlossen habe, stehe er fest dazu.20 In diesen Jahren befreundete sich Crotus mit Ulrich von Hutten, Eobanus Hessus und Martin Luther, wobei er die mit Luther geschlossene Freundschaft in späteren Jahren etwas zu übertreiben scheint (vgl. Kap. VI).

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Grammatica Exegetixa, Bl. iiiav: „ scholicis nugalibus.“ Vgl. HUBER-REBENICH, Marschalk, in: VL Hu, Sp. 161-203; auch JUNGHANS, Der junge Luther, S. 40. Zum Beispiel GRIMM, Crotus Rubianus, S. 424; HUBER-REBENICH, Crotus Rubianus, S. 505; ABE, Der Erfurter Humanismus, S. 177. Brief des Crotus an Ulrich von Hutten vom 3. Februar 1511, in: BÖCKING I, S. 17: „Amicos non habuisse semper inhonestum … quamvis me natura facilem clementemque efinxerit, volui tamen in amicitia paranda parcus existere, in parata vero et promptus et constans.“

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2.1 Martin Luther Es war wohl in der Georgenburse der Erfurter Universität, in der sich die beiden ungleichen Freunde, Luther und Crotus, begegneten. Allerdings stammen alle Hinweise auf ihre Bekanntschaft nicht aus der damaligen Zeit, sondern aus einem Brief, den Crotus erst 14 Jahre später, im Jahre 1519, an seinen angeblich „ältesten Freund“ (amicus antiquissimus) schrieb. Darin erinnert er den durch seinen Thesenanschlag (1517) und danach besonders durch die Leipziger Disputation (Sommer 1519) bekannt gewordenen Luther an die gemeinsame in Erfurt verbrachte Zeit, als sie sich im jugendlichen Alter den „bonae literae“ gewidmet hätten.21 Daneben ruft Crotus Luther das Erlebnis ins Gedächtnis, als dieser von einem Besuch bei seinen Eltern zurückkommend, bei Stotternheim während eines Gewitters wie einst Paulus vom Blitz getroffen worden sei, sich auf die Erde niederwarf, der heiligen Anna gelobt hätte, ins Kloster einzutreten. Zur großen Trauer ihres „Consortiums“, also ihres Freundeskreises, sei Luther kurz danach in das Augustinerkloster eingetreten, nachdem er noch seine engsten Freunde am Vorabend seines Eintritts zu einer Abschiedsfeier eingeladen habe.22 Crotus war wohl, so darf man die Stelle interpretieren, bei diesem berühmten Zusammensein dabei.23 Auf alle Fälle bedeutete aber der Eintritt Luthers in das Kloster das Ende der angeblich innigen Verbundenheit der beiden Kommilitonen. Für freundschaftliche Beziehungen, seien sie brieflicher oder persönlicher Art, zwischen den beiden ehemaligen Kommilitonen, als Crotus aus Italien an seinen ehemaligen Studienkollegen in dem eben zitierten Brief seine Unterstützung versicherte, gibt es aber keinerlei Beweise. Zeitlebens blieb Crotus aber mit zwei anderen Männern in Kontakt, die er in diesen Jahren kennenlernte, nämlich Ulrich von Hutten und Eobanus Hessus. Der im Jahre 1488 auf Burg Steckelberg geborene Hutten 24 wurde im Jahre 1499, also im Alter von elf Jahren von seinen Eltern in die Klosterschule des 21

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Brief vom 16. Oktober 1519. WA Br 1, Nr. 213, S. 541: „Duo, Martine, venerande idemque mihi charissime, firmum in te amorem meum custodiant: quod familiaritate Erffordiae bonis artibus simul operam dedimus aetate iuvenili.“ Mehr über diesen Brief in Kapitel VI. WA Br Nr. 213, S. 243: „Ad haec respexit divina providentia, quando te redeuntem a parentibus coeleste fulmen veluti alterum Paulum ante oppidum Erffurdianum in terram prostravit atque intra Augustiana septa compulit e nostro consortio tristissimo tuo discessu.“ Vgl. JUNGHANS, Der Luther und die Humanisten, S. 87: „Es ist überraschend, wie zutreffend die Vorstellung des Crotus über Luthers Klostereintritt war, obgleich er seit dem Klostereintritt Luthers kaum noch Verbindung mit Luther gehabt hatte.“ Die Literatur zu Hutten ist zahlreich. Zur ersten Orientierung: BERNSTEIN, Ulrich von Hutten; JAUMANN, Ulrich von Hutten, in: VL Hu, I, Sp. 1185-1237.

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Benediktinerstiftes Fulda übergeben, und zwar in der Absicht, ihm zu einen Mönch zu machen und ihm dadurch später eine wohldotierte geistliche Stellung zu vermitteln.25

2.2 Ulrich von Hutten Hutten verbrachte also einige Jahre (1499-1503) in der Klosterschule der Benediktinerabtei, einer der bekanntesten Schulen in Deutschland, wenn sie auch zu dieser Zeit erheblich von ihrem früheren Glanz eingebüßt hatte.26 Nach vier Jahren verließ Hutten aber das Kloster. Warum und unter welchen Umständen er dies tat, ist nicht klar, weshalb das Fehlen an gesicherten Nachrichten über diese Zeit zu allen möglichen Spekulationen geführt hat. Im Anschluss an Joachim Camerarius, der in seiner Vita Melanchthoni aus dem Jahre 1566 behauptet hatte, Hutten habe auf Veranlassung oder wenigstens mit Unterstützung des Crotus Rubianus das Kloster verlassen, 27 konstruierte etwa David Friedrich Strauss in seiner einflussreichen Huttenbiografie aus dem 19. Jahrhundert eine dramatische Flucht des vierzehn- oder fünfzehnjährigen Hutten mit Crotus als engagiertem Fluchthelfer.28 Diese Episode fügte sich in das Bild des freiheitsliebenden ritterlichen Rebellen, das man seit dem 19. Jahrhundert von Hutten hatte. Darüber hinaus erlaubte die Klosterflucht noch eine Verbindung mit Martin Luther herzustellen. Denn in demselben Jahr, in dem Hutten angeblich den Klostermauern entwich, trat der nur um fünf Jahre ältere Luther, in das Augustinerkloster in Erfurt ein. „Die Versuchung lag nahe, diesen Zufall als Ausdruck eines weltgeschichtlichen Planes zu interpretieren: auf der einen Seite

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So schreibt Hutten selbst in seiner viel später erschienenen „Endschuldigung“: Etwa in meiner jugent, namlich do ich eylff jar alt gewesen, haben mich mein vater vnd muter auß andächtiger gutter meinung, in den stifft Fulda mit dem fürsatz ich solt darin verharren vnd eyn münich seyn, gethan.“ BÖCKING II, S. 145. Die Entscheidung der Eltern war ungewöhnlich, denn normalerweise übergab man nicht den erstgeborenen Sohn an ein Kloster. Mehr darüber in Kapitel III. Über Hutten und das Kloster Fulda grundlegend: RICHTER, Ulrich Hutten und das Kloster Fulda. STROBEL (Hg.), Vita Melanchthoni, S. 89: „Intercesserat Hutteno cum Croto Rubiano singularis usus a prima adolescentia quo autore vel certe adiutore reliquit ille contubernium Fuldanum.“ Von einer Flucht ist aber bei Camerarius nicht die Rede. STRAUSS, Ulrich von Hutten, 31877, S. 13: „Aber auf der andern Seite, ganz in der Nähe, welch ein seltsames Gegenstück. Nur wenige Wochen, ehe Hutten aus dem Kloster zu Fulda in die Welt floh, flüchtete sich zu Erfurt Luther aus der Welt in das Kloster. Wie bezeichnend dieser Gegensatz Natur und Bestimmung dieser beiden Männer. Der eine will sich unter Menschen umtreiben, der andere mit Gott ins Reine kommen.“ Die Geschichte der Flucht Huttens aus dem Kloster auch bei EINERT, Johann Jäger aus Dornheim, S. 5.

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Luther, der tiefreligiöse Mensch, der in der Einsamkeit der Klosterzelle mit seinem Gott ins Reine zu kommen versucht; auf der anderen Seite Hutten, der Renaissancemensch, der aus dem mittelalterlichen Kloster ausbricht.“29 Diese Fluchtversion ist längst widerlegt worden. Viel wahrscheinlicher ist, dass Hutten etwa im Jahre 1503 das Kloster verließ, und zwar mit der Erlaubnis seines Abtes, und sich zu einem zweijährigen „Normstudium“ (biennium studii) an die Universität Erfurt begab,30 eine Hochschule, die mit der Fuldaer Klosterschule seit jeher in enger Beziehung stand.31 In Fulda hatte er offenbar genügend Latein gelernt, um den Vorlesungen zu folgen. In Erfurt wurde Crotus dem 14-jährigen Hutten als Mentor oder „Studienleiter“32 zugewiesen. Für den mittellosen, acht Jahre älteren Crotus war das eine willkommene bezahlte Tätigkeit, für Hutten ein Glückfall, denn auf diese Weise lernte er einen der liebenswürdigsten, witzigsten und klügsten Köpfe des Erfurter Humanismus kennen. Obwohl es für diesen Erfurter Aufenthalt Huttens zwischen 1503 und 1505 keinen Immatrikulationsbeweis gibt, wird er durch Huttens häufige Versicherungen aus späteren Jahren, dass er mit Crotus „seit seiner frühesten Jugend“ (sub primis annis) in innigstem Verhältnis stand und dass dieser sein Lehrer war, bestätigt.33

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BERNSTEIN, Ulrich von Hutten, S. 17. GRIMM, Ulrich von Hutten, S. 32. Auch KALKOFF, Reichsabtei Fulda, S. 211. Nach LEINWEBER (Ulrich von Hutten und das Kloster Fulda) ist es aber völlig ausgeschlossen, dass Crotus Huttens Lehrer in Fulda gewesen sein soll, da Crotus zwischen 1499 und 1504/05, also während Huttens Schulzeit in Fulda, nachweislich in Erfurt studierte. ABE, Die Fuldaer an der Universität im Mittelalter; BREUL-KUNKEL, Fulda und Erfurt. RICHTER, Ulrich von Hutten und das Kloster Fulda, S. 79. So schreibt Hutten etwa am 13. Juni 1515 an seinen Freund Jakob Fuchs, dass man sich bei einem Essen auch über Crotus unterhalten habe, mit dem er seit seiner frühesten Jugend einen einzigartigen Umgang gepflegt habe: BÖCKING I, S. 44: „Forte fortuna coenantibus nobis de Croto Rubiano, quicum mihi a primis annis consuetudo fuit singularis.“ In der 16. Elegie seiner 1510 erschienenen „Querelae“ nennt Hutten Crotus ebenfalls seinen„magister.“ In der 10. Elegie des zweiten Buches dieser Gedichtsammlung, in der er seine humanistische Muse auf eine Rundreise durch Deutschland schickt, um seine humanistischen Kollegen gegen die Lötzes zu mobilisieren, schreibt er: „Crotus in hac (Erphordia) notus sub primis praefuit annis.“ (BÖCKING I, S. 69, Z. 77).

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Abb. 1: Ulrich von Hutten Falls es stimmt – und alle Indizien sprechen dafür –, dass Hutten mit Erlaubnis des Klosters oder sogar mit dessen finanzieller Unterstützung das Kloster im Jahre 1503 verließ, um in Erfurt zu studieren, so bestünde sein Vergehen darin, dass er nach dem ihm zugestandenen zwei Jahren des Studiums nicht nach Fulda zurückgekehrt ist. Er hat das später auch nie geleugnet und folgendermaßen begründet: Da wider ich dann zur selbigen zeit nit gemocht hab auch … das vorstäntnus noch nit gehapt, dass ich hette wissen mügen was mir nütz vnd gut vnd war zu ich geschickt war. Aber als er das Leben besser verstanden habe, sei ihm klar geworden, dass er in einem andern stand vil baß got gefällig vnd der welt nutzlich wandelenn.34 Die Zeit, in der sich die intensive Freundschaft zwischen Hutten und Crotus, entwickelte, waren also die Jahre 1503 bis 1506 – eine Freundschaft, die bis zu Huttens frühen Tod im Jahre 1523 dauern sollte. Es war zudem eine Beziehung zweier Männer, die gegensätzlicher nicht sein konnten: Crotus, der Bauernsohn, Hutten der Spross einer alten fränkischen Ritterfamilie; Crotus bedachtsam, zurückhaltend, im Verborgenen wirkend, Hutten aufbrausend, die 34

BÖCKING II, S. 145: „Endtschuldigung wider etlicher unwarheiten“.

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Öffentlichkeit suchend; Crotus wie sein Gothaer Mentor Mutianus Rufus nach Ruhe und Muse für wissenschaftliches Arbeiten strebend, Hutten unruhig umherziehend. Trotz ihrer gegensätzlichen Naturen verband sie die Ablehnung des scholastischen Lehrbetriebs, ihre Begeisterung der neuen Bildung im Humanismus und später ihr Engagement für den umkämpften Hebraisten Johannes Reuchlin. Gemeinsam arbeiteten sie an den Dunkelmännerbriefen und traten für Martin Luther ein, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Motiven (vgl. Kap. VII).35 Im Sommer 1505 brach in Erfurt wieder einmal die Pest aus. Zahlreiche Professoren und Studenten verließen die Stadt. Auch Crotus und Hutten flohen vor der Seuche aus Erfurt. Hutten verbrachte das Sommersemester an der Universität Mainz und immatrikulierte sich dann für das Wintersemester an der Universität Köln. Nur wenige Wochen später schrieb sich auch Crotus dort ein.36 Es mag überraschen, dass sich die beiden Freunde gerade in Köln inskribierten, einer Hochschule, der das Image eines Zentrums der Scholastik anhaftete. Das ist aber unhistorisch gedacht. Erst im Laufe der Reuchlin-Affäre, also ungefähr sechs Jahre später, und mit der Veröffentlichung der Epistolae obscurorum virorum im Jahre 1515, geriet Köln in den Ruf, eine Hochburg der „finsteren“ Scholastik und der Dunkelmänner zu sein.37 Trotzdem ist es richtig, dass sich die Kölner Universität mit der Akzeptanz der humanistischen Studien schwerer tat als andere Universitäten, und als eine der letzten deutschen Hochschulen sich der neuen Bildungsbewegung öffnete.38 Wenn also Hutten später über die scholastischen Lehrmethoden spottete, so hatte er stets seine Kölner Studienzeit im Blick und noch Jahre danach erinnerte er seinen Freund Crotus (im Vorwort zu seinem Nemo) an die Kölner Professoren und deren Syllogismen und Disputationen über sinnlose Fragen. Er, Crotus, habe diese schon damals verspottet: Ob Sankt Paul etwas schärfer gesehen hätte, als er in den

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Brief vom 2. Februar 1511. BÖCKING I, S. 17. „Huttenum meum sane habeo inter fidos amicos loco primo aut certe proximo“. KEUSSEN, Die Matrikel der Universität Köln, Bd. II, Nr. 468, 32; S. 584 (Hutten); Nr. 468, 94, S. 587 (Crotus). Vgl. Kap. IV. HOROWITZ’ Behauptung (ADB, 4, S. 612), Crotus sei bewusst nach Köln in das Lager der Feinde gegangen, um diese auszuspionieren und sich schon damals Notizen für seine spätere Satire der Dunkelmännerbriefe gemacht habe, ist wenig überzeugend. OVERFIELD, Humanism and Scholasticism, S. 322: „The effort to introduce humanist reform at the university met with greater resistance in Cologne than in any other German city.“

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dritten Himmel versetzt worden sei. Solche und ähnliche Spekulationen hätten sie schon damals eingeschläfert.39 Im Frühjahr 1506 kehrten beide nach Erfurt zurück. Während aber Crotus noch weitere vier Jahre, wenn auch mit Unterbrechungen, in Erfurt bleiben sollte, zog Hutten weiter an die soeben gegründete Universität in Frankfurt an der Oder.40 Dort schrieb er sich für das Sommersemester 1506 als „Vlricus de hutten ex buchonia“ ein, erwarb innerhalb kürzster Zeit, also unter Anerkennung seiner bisherigen Studien, den baccalareus artium.41 Noch vor Schluss des Wintersemesters 1507/1508 verließ Hutten Frankfurt und ging nach Leipzig. 1509 treffen wir ihn in Greifswald an. Dort wohnte er bei dem Juristen Henning Lötz und dessen Familie, die ihn zunächst freundlich aufnahm. Bald kam aber zu Streitereien: die Lötze wollten das Hutten vorgestreckte Geld wieder haben. Fluchtartig verließ Hutten Greifswald, wurde aber unterwegs mitten im Winter von den Lötzes angeheuerten Stadtknechten ausgeraubt und halbnackt am Wege liegen lassen. Mühsam schleppte er sich nach Rostock, wo er von wohlmeinenden Professoren gesund gepflegt wurde. Ob sich der Vorfall so ereignet hat, wie Hutten ihn geschildert hat, ist für unseren Zusammenhang unerheblich. Wichtig ist, dass er den Hintergrund einer umfangreichen Gedichtsammlung bildet, die Hutten als Reaktion darauf schrieb und 1510 in Frankfurt an der Oder veröffentlichte, In Lossios querelarum libris duo.42 Sie bestehen aus zwei Büchern zu je zehn Gedichten oder wie Hutten sie nach Humanistenmanier nannte, Elegien. Für unsere Frage des ersten Erfurter Studienaufenthaltes steuern sie wichtige Erkenntnisse bei, und erhellen damit auch das Verhältnis zu Crotus, da Hutten darin auch die Erfurter Humanisten porträtiert. In dem spezifisch an Crotus gerichteten Gedicht forderte Hutten diesen auf, etwas gegen die Lötzes zu schreiben.43 Aber Crotus schwieg, wie er sich auch später in einer ganz anderen Situation weigerte, für einen bedrängten Freund, den zum katholischen Glauben zurückgekehrten Georg Witzel, zur Feder zu greifen (vgl. Kap. XIII). 39

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BÖCKING I, Nr. 84, S. 178: „Quamquam tu solitus sis imitari qui nos olim docuerunt Colonienses et syllogismis fulminare, ac si quando provocaris, alacriter congredi, opponere, assumere, respondere conclusiones sustinere bis triginta nonnumquam, arguere pro et contra: quem illi non statim probant, quod non formaliter consuis argumenta: quod genus est illa quaestio ‚An acutius aliquid videre potuerit raptus in tertium coelum Paulus, quam in sua cella, cum tantis speculationibus indormiret aliquando doctor sanctus‘.“ Zum Folgenden: GRIMM, Ulrichs von Hutten Universitätsjahre. Später leugnete Hutten, dass er den Bakkalaureus erworben habe und lehnte ihn als Teil des diskreditierten scholastischen Systems ab. BÖCKING III, S. 19-33. BÖCKING III, S. 56: „Ede aliquid, sed rumpe moras, impelle nocentem:/ Nunquam animum melius exacuisse potes.“

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Trotz dieser verweigerten literarischen Parteinahme brach die Verbindung zwischen den beiden Freunden auch in den folgenden Jahren nicht ab, obwohl Huttens häufiger Studienortwechsel die briefliche Kommunikation schwierig, wenn nicht unmöglich machte. So sind etwas zwei Briefe, die Crotus aus Fulda an Hutten schrieb, nie in dessen Hände gelangt.44 Wie eng trotz dieser Schwierigkeiten das Verhältnis der beiden Freunde war, wird auch durch eine Episode erhellt, die sich im Jahre 1511 ereignete, und die hier, etwas vorgreifend, erzählt werden soll. In einem ausführlichen Brief vom 3. Februar 1511,45 also zu einem Zeitpunkt, als Crotus bereits Direktor der Stiftsschule in Fulda war, schreibt er an Hutten, dass er sich stets bei den Mönchen in Fulda für ihn eingesetzt habe, 46 um in dem Konflikt zwischen Ulrich von Hutten und dessen Vater zu vermitteln. Dieser hatte seinem Sohn übelgenommen, dass er nicht wie vereinbart nach seinem Biennium-Studium ins Kloster zurückgekehrt sei und damit dessen Pläne für eine Versorgung des Erstgeborenen Ulrich durchkreuzt hatte. Als Leiter der Stiftsschule habe er, Crotus, sowohl mit dem Vater als auch mit den „Schwarzen“, also den Mönchen (nigricantibus consodalibus) gesprochen. Bei diesen gelegentlichen Treffen mit Ulrich von Hutten Senior sei häufig das Gespräch auf den jungen Rebellen gekommen. Die Reaktion des Vaters auf die Haltung seines Sohnes sei ambivalent, berichtet Crotus. Aus diesem Grunde wolle er auch alles, was der Vater über ihn sagt, seinem Freunde mitteilen.47 Einerseits frage der schlitzohrige Vater (pater tuus Ulisseo ingenio praeditus callidior) immer scherzhaft nach ihm, verurteile ihn und deine Studien mit verächtlicher Stimme, andererseits weide er sich daran, und wenn man seinen Sohn lobe, kriege er nie genug davon. Er lasse sich also nicht in seine Karten schauen. Crotus interpretiert diese ambivalente Haltung als Symptome einer Diskrepanz zwischen dessen Reden und Gefühlen. Er wolle zwar die Mönche zufriedenstellen, indem er seinen Sohn überrede, ins Kloster zurückzukehren, im Geheimen habe er aber einen anderen Plan, für den Fall, dass der junge Ulrich das nicht tue. Und diesen Plan habe er ihm, Crotus, im vergangenen Jahre zu später Stunde bei einem Becher Wein im engsten Freundeskreis – nur zwei Leute seien anwesend gewesen – verraten. Ihm, dem Vater, schiene es unwahrscheinlich, dass er, Hutten, jemals als guter Mönch das Kloster verlassen würde. Er erin-

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Das geht aus dem Brief des Crotus an Hutten vom 3. Februar 1511 hervor (BÖCKING I, S. 17-21, hier S. 17: „Scripsi … at te binis verbosissimis literis“ und S. 19: „illis duabus meis epistolis deperditis.“ Er habe sie im vergangenen Jahr geschrieben. BÖCKING I, Nr. 8, S. 17-21. BÖCKING I, Nr. 8, S. 17: „Volui vox mei tibi deserviret et amicitia nostra tibi esset propugnaculo.“ BÖCKING I, Nr. 8, S. 18: „quae res mihi iudicio fuit aliter de dicere, aliter sentire propterea omnia de te pleno ore commemoro.“

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nerte auch daran, dass ein Familienmitglied in Italien als Jurist erfolgreich gewesen sei. Er hätte also nichts dagegen, wenn er, Ulrich, zurückkäme und seine „Lappalien“ (nugae), d. h. das Studium der studia humanitatis lasse und sich der Jurisprudenz widmete. Es sei besser, wenn die Familie einen „Rechtsverdreher“ (rabula) besäße, der der Familie Hutten nützlich sei, als einen aufmüpfigen „schlechten Mönch“.48 Soweit der Vorschlag des Vaters, wie ihn Crotus referiert. In seinen zwei vorherigen, offenbar verlorengegangenen Briefen hatte Crotus seinem Freund geraten, den Rat des Vaters zu überdenken. Jetzt empfehle er folgendes: er solle zurückkehren, wenn er auch dem Friedensangebot des Vaters misstraue, solle er sich mit Freunden und Vertrauten treffen. Wenn ihm Crotus’ Rat aber unklug erscheine, solle er das schreiben, was Pomponius Laetus an seinen Vater schrieb, als dieser aufgefordert hatte, Rom zu verlassen und in die Heimat zurückzukehren: „Pomponius grüßt die Verwandten und Freunde. Was ihr fordert, kann nicht geschehen. Auf Wiedersehen.“ Mein Gott, solch ein Wort aus dem Munde so eines großes Geistes kann man nicht einfach ignorieren,49 kommentiert Crotus den Rat des großen italienischen Humanisten und rät ihm auf diese Weise indirekt zur Rebellion. Ob Hutten sich der Worte von Pomponius Laetus aus dem 15. Jahrhundert bedient hat, ist nicht bekannt. Jedenfalls kehrte er zu diesem Zeitpunkt nicht nach Fulda zurückkehrte und verzichtete damit auf ein väterliches Stipendium. Im Sommer 1510 sehen wir ihn auf der Landstraße nach Böhmen – Richtung Wien und Italien.

2.3 Eobanus Hessus Zu derselben Zeit, als Crotus den jungen Ulrich von Hutten in Erfurt als Mentor betreute, also in den Jahren 1503-1505, lernte er auch einen anderen jungen Studenten kennen, Eoban Koch aus dem hessischen Frankenberg, der sich nach humanistischer Manier den dreiteiligen Namen Helius Eobanus Hessus zugelegt

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BÖCKING I, Nr. 8, S. 19: „… memoravit aliquem esse in Italia vestrae familiae causis forensibus mirabiliter nobilitatum; si redires applicaresque te iurisprudentiae, omissis tuis nugis, memorato causidico se velle te mittere: melius in foro fieres rabula forensis, profuturus genti Huttorum, quam monachus perversus!“ BÖCKING I, S. 19: „Sin autem imprudens nostrum consilium videtur, fac quod libet, scribito quod Pomponium Laetum ad patriam revocatum a Roma rescripisse solitum accepimus, siquidem non probans suorum voluntatem sic respondit Pomponius Laetus propinquis et amicis salutem: ‚Quod petitis, fieri non potest. Valete.‘ Vox mehercle a magno animo profecta, tibi iuveni similis studii non spernenda.“

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hatte.50 Er sollte einer der bedeutendsten neulateinischen Dichter Deutschlands im 16. Jahrhundert werden. 1488, also im gleichen Jahre wie Hutten geboren, immatrikulierte er sich 1504 an der Universität Erfurt. Nachdem er schon mit sechzehn Jahren zwei relativ kurze Gedichte veröffentlicht hatte,51 publizierte er 1507, jetzt 19 Jahre alt, ein aus 590 Hexameter bestehendes Gedicht mit dem Titel „De laudibus et praeconiis incliti atque tocius Germaniae celebratissimi Gymnasii Litteratorii apud Erphordiam“, also ein Preisgedicht auf die in ganz Deutschland vielgelobte Universität Erfurt.52 Mit diesem Werk wollte der Bauernsohn einmal seiner alma mater, der er viel verdankte, ein Denkmal setzen, zum anderen aber auch einen potenziellen Mäzen, den Auxiliarbischof Johann Bonemilch von Laasphe schmeicheln – in der Hoffnung, eine Gegengabe zu bekommen, eine Erwartung, die er mit erfrischender Ehrlichkeit am Ende aussprach: Du, Erfurt, wirst mich gemäß meinen Verdiensten entlohnen. Ein leeres Dankeschön brauche ich nicht.53 Tatsächlich wurde er von dem Kirchenmann in zweierlei Hinsicht entlohnt: er wurde zum Rektor der Schule der Stiftsschule S. Severi ernannt und bekam einen Freiplatz am Mittagstisch des Bischhofs. Das Privileg, an der bischhöflichen Tafel zu speisen, nahm der Bischof allerdings ein Jahr später zurück. Das Werk enthält Widmungsgedichte seiner zwei engsten Freunde, Ulrich von Hutten und Crotus Rubianus, und damit wird es für uns interessant. In seinem Gedicht „In Eobanum Hessum vivacissimi ingenii adolescentem Ulrichi Hutteni Elegia“54 preist Hutten die poetischen Gaben seines Freundes, der es mit den besten lateinischen Dichtern wie Vergil, Ovid, Tibull und Martial aufnehmen könne. Trotz seiner Jugend dichte er besser als alte Männer. Seine Mutter solle mit Händen klatschen, um den Göttern zu danken, dass sie so einen begabten Sohn geboren habe. Hessus seinerseits bedankte sich mit einem knappen Sechszeiler, einem Abschiedsgedicht für den von Erfurt scheidenden Hutten. Die Komplimente, die ihm Hutten, der zu diesem Zeitpunkt (im Frühjahr 1506) noch keine einzige Zeile veröffentlicht hatte, gab Hessus zurück. Hutten sei eine Rivale Ovids, er verdiene mit einem viel edleren Kranz als den 50

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Helius nach dem griechischen Sonnengott, weil er an einem Sonntag geboren worden war, Hessus nach seiner Herkunft aus Hessen; Eoban war sein Taufnahme. De recessu stvdentvm ex Erphordia tempore pestilenciae. Abgedruckt in VREDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanius Hessus, I, S. 99-115; De pugna stvdentvm Erphordiensium. Abgedruckt in VREDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, I, S. 125-131. VREDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, I, S. 141-183. VREDEVELD, The Poetic Work of Helius Eobanus Hessus, I, S. 184: „Tu mihi persolvas dignas Erhordia, grates/ Namque nihil vacuis gratibus indigeo.“ VREDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, I, 186-189. Ulrich Huttens Elegie auf den hochbegabten Jüngling Eobanus Hessus.

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eines Adligen, nämlich mit dem des Poeta laureatus, bekrönt zu werden.55 Man kann diese Gedichte als unerträgliche, aus humanistischen Versatzstücken zusammengebastelte Lobhudeleien abtut – wie sie eben die Humanisten liebten. Als Dokumente der engen Freundschaft zwischen diesen zwei jungen Humanisten sind sie wertvoll.

Abb. 2: Helius Eobanus Hessus Im Vergleich zu Huttens Poem ist Crotus’ Gedicht wesentlich zurückhaltender. In diesem kurzen, aus 12 Zeilen bestehenden, dem Werk des Hessus über die Universität Erfurt vorgeschalteten Widmungsgedicht preist Crotus die Universität Erfurt als eine Hochschule, die den Vergleich mit antiken Stätten der Gelehrsamkeit nicht zu scheuen braucht. Seinen Freund charakterisiert er mit der dem Lateinischen innewohnenden Prägnanz mit den Worten: Qui puer est annis, carminis arte senex. Dem Lebensalter noch ein Jüngling, in der Dichtkunst ein gestandener 55

VREDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, I, S. 188: „Aemule Nasonis viridi signande corona/Et titulo multis nobiliore, vale.“

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Mann. 56 Normalerweise würde man auch diesem aus 12 Zeilen bestehenden Gedicht keine übermäßige Bedeutung zumessen, wenn es nicht eines der wenigen Gedichte wäre, die von dem publikationsscheuen Crotus überliefert ist. Erstaunlich ist, dass Hessus in dem Werk selbst, das doch eigentlich die Universität und die darin lehrenden wissenschaftlichen Koryphäen zu preisen bemüht ist, seinem Freund Crotus, damals noch ein unbedeutender Student, 27 Zeilen widmete. Darin spielt er mit dessen Geburtsnamen Jäger bzw. Venator an, er sei ein Jäger, der nach Ruhm jage und in den Armen der Musen die keusche Liebe genieße.57 56

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VREDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, I, S. 140. IOANNES DORNHEIM VENATORIUS AD LECTOREM Pallas erat quondam multis venerabilis oris, Quoque stetit tantum non locus unus erat. Inclyta Caecropiis precio pollebat Athenis Ac Rhodon incoluit, Phoebe comose, tuam. Urbis Alexandri veneranda palacia cives Pro Sophia, doctas, constituere, domos. Tempore nunc etiam non est ingloria nostro Et tenet innumeros diva diserta locos. Thurignae gentis caput est Ephordia testis, Quae valeat veteres aequiparare scholas, Haec nitidis, lector, canitur tibi vesibus Hessi, Qui puer est annis, carminis arte senex. (In allen Zeiten wurde Pallas in vielen Ländern verehrt und hatte Tempel in mehr als an einem Ort. Die berühmte Göttin wurde besonders verehrt in Cercopian Athen; sie wohnte aber auch auf Rhodos, wo sie den langhaarigen Phöbus heilig war. Die Bürger Alexandriens bauten erhabene Gebäude für ihre Weisheit – Gebäude der Wissenschaft. Auch in unserer Zeit fehlt es der beredten Göttin nicht an Ruhm. Sie wohnt in vielen Orten. Erfurt, die Hauptstadt Thüringens, kann das bezeugen, denn sie kann sich mit den Schulen des Altertums messen. All dies, lieber Leser wird in den brillanten Versen des Hessus beschrieben. Dieser ist seinem Alter nach ein Jüngling, in seiner Dichtkunst ein gestandener Mann.) VREDEVELD, The Poetic Works, I, S. 164, Z. 298-321: Mox et vicina trahentem Inter Ioannem stupidas loca vidimus aures Chordarum sonitu, castae cui cura Dianae Candida ab hirsitis foecit cognomina sylvis. Qui Clarii sylvas nunc Venatorius intrat Ruris et aeternae venatur nomina laudis, Castus ut Hyppolitus Phaedra tutatus ab omni, Dum colit Aonii nemoris sanctissima tempe Et Musas castis fruitur complexibus inter. Cui facilis primos Elegia debet honores.

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Zwei Jahre später, im Jahre 1509, erwies Eobanus Hessus seinem Freund Crotus Rubianus noch einmal Reverenz. In seinem in Erfurt erschienenen Bucolicon58 ließ er poetisch verkleidet einige seiner Erfurter Freunde auftreten. Neben Georg Spalatin (Pudicus), Herebord von der Marthen (Phileremus), Peter Eberbach (Floridus) und Justus Jonas (Vernus) erscheint Crotus gleich dreimal unter verschiedenen Hirtennamen: in der 3. Ekloge als Philaegon, in der 8. als Iarbas und in der 9. als Iucundus. Dem Werk folgen Zeugnisse einige der engsten Freunde des Dichters. Außer Herebord von der Marthen, Justus Jonas und Johannes Pistoris aus Kirchberg steuerte Crotus auch ein kurzes Gedicht bei, das er „Salzstreuer“ (salillum) nennt. In diesem aus 27 Zeilen bestehenden Gedicht preist Crotus die Pioniertat seines Freundes Hessus, als erster die bukolische Dichtung von Italien nach Deutschland gebracht zu haben.59 Sowohl in Hessus’ Preis auf die Universität Erfurt als auch in dem Bucolicon erscheint an prominenten Stellen der Name des im nahen Gotha wohnenden Kanonikers und Humanisten Conradus Mutianus Rufus. 60 In letzterem Gedichtband widmet Hessus sogar ihm eine ganze Elegie und platziert diese genau in die Mitte der Sammlung.61 In immer neuen Wenungen preist er Mutianus’ Suche nach einem glücklichen, nur der Wissenschaft gewidmeten Leben.62 In anderen Eklogen bietet sich der bescheiden im Hintergrund agierende Tranquillus – so sein bukolischer Name – als Vermittler zwischen den poetischen Wettbewerbern an. Es war dieser zurückgezogen in Gotha lebende Mann, der in diesen Jahren eine ganze Reihe junger Männer um sich scharte und zum Zentrum eines Kreise werden sollte, den der französische Historiker Jean-Claude Margolin „eine kleine freie Republik der Wissenschaft und Freundschaft“ („une petite république libre de la science et de l’amitié“) bezeichnete.63 Dieser Gemeinschaft schloss sich auch bald Crotus Rubianus an.

                                                                                                                                      

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(Bald sah ich in der Nähe Johannes Jäger. Auch er lauschte verzaubert den Klängen der Leier. Es ist sein Eifer für die keusche Jagdgöttin Diana, die durch die dorrnigen Sträucher klettert, was ihm den berühmten Namen gegeben hat. Dieser Jäger betritt jetzt die Wälder von Claros und jagt nach seinen Namen, der ihn in Ewigkeit preisen wird. Keusch wie Hippolytus ist er vor jeder Phaedra sicher, solange er in diesem heiligen Tal des Äomoschen Hains und keusche Liebe in den Armen der der Musen genießt.) VRDEDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, I, Introduction: S. 267-270; Text (Lateinisch/ Deutsch): S. 272-381. VREDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, I, S. 316 f. VREDEVELD, The Poetic Works, I, S. 162, Z. 261-284. Als sechste von insgesamt elf Gedichten. VREDEVELD, The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, I, S. 322 f.: „O vitae tranquilla quies et summa beatae!“ MARGOLIN, Mutianus Rufus et son modèle Erasmien, S. 178.

II.

CROTUS RUBIANUS UND DER MUTIANISCHE KREIS IN GOTHA

CROTUS RUBIANUS UND DER MUTIANISCHE KREIS IN GOTHA

Crotus, vir omnium horarum, hoc est iocis et seriis pariter aptus. Crotus, ein Mann für alle Stunden, ausgestattet gleichermaßen mit einem Talent für Scherz und Ernst.1

Während Ulrich von Hutten nach einem kurzen Aufenthalt in Erfurt im Frühjahr 1506 weiter nach Frankfurt an der Oder zog, blieb Crotus Rubianus zur Fortsetzung seines Studiums in den nächsten vier Jahren noch in der thüringischen Universitätsstadt, in der er 1507 zum Magister artium promoviert wurde.2 Insgesamt blieb er fast zehn Jahre hier als Student und Erzieher. Erfurt wurde seine geistige Heimat. Hier schloss er dauerhafte Freundschaften, hierher kehrte er noch später gelegentlich zurück, und in dieser Stadt wurde er im Jahre 1520 sogar zum Rektor der Universität gewählt. Vor allem erfuhr er aber in dieser Stadt die entscheidenden geistigen Prägungen durch einen Mann, der zwar nicht in Erfurt, aber im nahegelegenen Gotha wohnte: Konrad Muth, bekannter unter seinem adoptierten lateinischen Namen: Conradus Mutianus Rufus.3

1.

Mutianus Rufus als Haupt eines Humanistenkreises

MUTIANUS RUFUS ALS HAUPT EINES HUMANISTENKREISES Mutianus oder Mutian, wie er gelegentlich in der deutschen Literatur genannt wird, war ein großer deutscher Humanist, einer der größten Humanisten nördlich der Alpen. Gelegentlich wurde er in einem Atemzug mit Johann Reuchlin, Willibald Pirkheimer und sogar Erasmus von Rotterdam genannt, eine Zusammenstellung, die er selbst stets entrüstet ablehnte.4 Geboren 1470 oder 1471 im hesssischen Homberg an der Effze, ging er nach dem Besuch der Stiftschule

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GILLERT Nr. 594 (Mutian an Johannes Lange, 1. Juli 1520). SCHWINGES/WRIEDT, Das Bakkalarenregister S. 264, Nr. 28: „Johannes Jheger de Dornheym, I.SR 1498; II 205 a; 2.1507.“ Dazu BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis; RÄDLE: Mutianus Rufus, Conradus, in: VL Hu, II, Sp. 377-400. Vgl. GILLERT Nr. 447 (Mutian an Urban, vor dem 10. Oktober 1514): „Ego minimus apostolorum. Qui triumviratum illum creant, vel me derident vel, quod vero similius est, male iudicant de summis illis viris.“

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St. Lebuin in Deventer und dem Studium in Erfurt im Jahre 1486 nach Italien. Dort studierte er sieben Jahre, hauptsächlich in Bologna; 1501 erwarb er in Ferrara den Doktor im kanonischen Recht. Die Jahre seines Italienaufenthaltes wurden für seine geistige Entwicklung entscheidend. In Bologna legte er den Grundstock für seine immense Belesenheit in der griechischen und besonders lateinischen Literatur, hier machte er sich mit der zeitgenössischen italienischen Renaissance-Literatur und der neoplatonischen Philosophie eines Ficino und Pico della Mirandola vertraut. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1502 arbeitete er für kurze Zeit an der landgraflich-hessischen Kanzlei in Kassel. Diese verließ er aber bald und zog im Alter von 32 Jahren, ausgestattet mit einer bescheidenen Pfründe am Marienstift, in die thüringische Stadt Gotha, wo er bis zu seinem Tode im Jahre 1526 blieb. Mutianus verzichtete also auf eine glänzende Karriere in der Kirche oder an einem Fürstenhof, eine Karriere, die ihm als promovierten Juristen und auf Grund seines langjährigen Italienaufenthaltes offengestanden hätte, und lebte in Gotha, ganz der Wissenschaft und literarischen Muße ergeben. Das Fehlen kongenialer Gesprächspartner unter seinen Stiftskollegen kompensierte Mutianus dadurch, dass er nach seiner Rückkehr einen kleinen Kreis von meist jüngeren Freunden um sich scharte, mit denen er seine Begeisterung für die antike Literatur teilte. Sie betreute er als Mentor, ihnen half er bei der Stellensuche, sie unterstützte er mit Rat und Tat und mit ihnen führte er, da keiner von ihnen in Gotha wohnte, einen regen Briefwechsel. Der Umgang mit diesen Männern war für ihn eine Quelle immenser Freude.5 Zu diesem Kreis6 gehörte der aus bescheidenen Verhältnissen kommende Georg Burkhardt aus dem fränkischen Spalt, der nach humanistischer Manier seinen Namen in Georgius Spalatinus änderte und einer der wichtigsten Reformationspolitiker der Lutherzeit werden sollte. Auch die beiden Juristen Peter Eberbach und Herebord von der Marthen zählten zu diesem Bund. Letzterer spielte eine nicht unbedeutende Rolle in der Erfurter Lokalpolitik. Teil dieses bemerkenswerten Kreises war auch der uns schon bekannte Eobanus Hessus, ebenso wie der 5

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Ja, er zog den Umgang mit ihnen dem Verkehr mit Königen, Fürsten, Prälaten, Geld und Ehren vor, beteuerte er zwei seiner Freunde einmal: GILLERT Nr. 102 (Mutian an Urban und Spalatin, 26. März 1506-1507): „Ego regibus, principibus, sacerdotiis, nummis, honoribus te et Spalatinum antepono.“ Über den Umfang des Kreises herrscht unter den Forschern Uneinigkeit. Während z. B. ABE (Der Erfurter Humanismus, S. 201-203) von 15 jungen Männern ausgeht, unterscheidet KRAPP (Der Erfurter Humanistenkreis, S. 80) einen Kern, zu dem neben Crotus noch Urbanus, Spalatin, Herebord von der Marthen, Peter und Heinrich Eberbach und Johann Lang gehörten und einen weiteren Kreis. GILLERT (Der Briefwechsel) erstellte eine Liste von 24 Männern, die alle zu verschiedenen Zeiten dem mutianischen Kreis zuzuordnen seien.

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scharfzüngige und äußerst produktive Satiriker Euricius Cordus. Engster Vertrauter Mutians war aber ein bescheidener Zisterzienser-Mönch, der Verwalter des nahe bei Erfurt gelegenen Klosters Georgenthal, Heinrich (Henricus) Urbanus. An diesen richtete Mutian hunderte Briefe, die dieser entgegen Mutians Wunsch weder zerriss noch verbrannte, sondern sorgfältig aufbewahrte. Obwohl Mutian mit zahlreichen bedeutenden Zeitgenossen korrespondierte, u. a. mit den Kurfürsten Albrecht von Brandenburg und Friedrich dem Weisen, dem Abt Trithemius, Abt der Benediktinerabtei Sponheim, dem Schweizer Humanisten Joachim Vadianus, dem Philologen Joachim Camerarius, dem bedeutendsten Hebraisten der Zeit Johannes Reuchlin, dem venezianischen Drucker Aldus Manutius, dem oberrheinischen Humanisten und Juristen Ulrich Zasius, dem Philologen Beatus Rhenanus, dem elsässischen Dichter und Pädagogen Jakob Wimpfeling, dem kaiserlichen Rat und Humanisten Conrad Peutinger, dem Nürnberger Patrizier und Humanisten Willibald Pirckheimer und dem Fürst der Humanisten Erasmus von Rotterdam, liegt seine eigentliche Bedeutung in dem Briefwechsel mit den Mitgliedern des mutianischen Kreises.7 Diese Briefe sind die Hauptquelle jedes Versuchs, das Denken, Wirken und die innere Dynamik dieses Kreises zu rekonstruieren. Sie gewähren einzigartige Einblicke in das Denken des mutianischen Kreises. 8 Zentrum der Zusammenkünfte wurde Mutians Haus in Gotha, dem er als Ausdruck seines stoischen Lebensideals den Namen „Beata Tranquillitas“ gegeben hatte.

2.

Crotus in diesem Kreis

CROTUS IN DIESEM KREIS Zu diesem Kreis gehörte also Crotus Rubianus. Auf welche Weise und wann Johannes Jäger alias Johannes Venatorius – in diesen Namen hatte er, wie gesagt, nach humanistischer Manier zunächst seinen Geburtsnamen Jäger geändert – Kontakt zu dem Kreis aufgenommen hat, wissen wir nicht. Die frühesten zwischen ihm und Mutian gewechselten Briefe stammen aus dem Jahr 1508, also zwei Jahre nach Crotus’ Rückkehr aus Köln.9 Eine Korrespondenz muss aber schon vorher bestanden haben, denn Mutian beantwortet mit diesen Briefen frühere Schreiben seines Freundes. In der Folgezeit tauschte Crotus – so

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Zu der Korrespondenz des Mutian vgl. BERNSTEIN, „Gedancken sein zolfrei“: Der Humanist Mutianus Rufus als Korrespondent, S. 33-60; RÄDLE, Mutians Briefwechsel und der Erfurter Humanismus. Vgl. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha, S. 92, Anm. 43. GILLERT Nr. 70 (Mutian an Johannes Venatorius und Herebord von der Marthen, 2. Juli 1508).

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CROTUS RUBIANUS UND DER MUTIANISCHE KREIS IN GOTHA

nannte er sich seit 1508 (siehe unten) Briefe mit fast allen Freunden dieses Kreises aus. So lassen sich solche oder wenigstens Hinweise darauf an Spalatin, Eobanus Hessus, Justus Menius, Ulrich von Hutten, Herebord von Marthen, Peter Eberbach (Petreius) und Heinrich Urban finden. 10 Schon die wenigen überlieferten Briefe und Hinweise in anderen Schreiben, zeigen, dass Crotus bald zu Mutians Lieblingsschülern zählte. Mit fast schon zärtlichen Worten nennt er ihn mein Liebling (meae delitiae), höchst liebenswert (suavissimus), äußerst sanft und friedlich (placidissimus et mitissimus), und verehrenswürdiger Philosoph (philosophus venerandus).11 Spätere Versuche Mutians, Crotus ein Kanonikat an dem Gothaer Marienstift zu verschaffen, scheiterten am Widerstand seiner Mitkanoniker. 12 Wenn auch diese Bemühungen Mutians fehlschlugen, band er Crotus an sich, indem er in einem besonderen Raum seines Hauses in Gotha Wappen seiner Freunde anbringen ließ, sodass er sie sozusagen symbolisch oder virtuell immer in seiner Nähe hatte. Für Spalatin entwarf er einen Storchen, für Eobanus Hessus einen Schwan, für Urban ein Rad13 und für Crotus das für einen Jäger charakteristische Horn. Am 11. November 1512 meldete er ihm, er habe dem Jäger der Musen (Venatori Musarum) als sichtbares Sinnbild und Zeichen seines Anstandes und seiner Ehrenhaftigkeit ein Horn verliehen.14 Ob Mutian auch für den Namenswechsel von Venatorius zu Crotus Rubianus verantwortlich war, lässt sich nicht mehr ermitteln. Jedenfalls führte der Dornheimer Humanist ab 1508 diesen Namen.15 Dass der Bauernsohn seinen Geburtsnamen Hans Jäger zunächst in Johannes Venatorius änderte, war für 10

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GILLERT Nr. 70 (1508), Nr. 118 (1508), Nr. 119 (1509), Nr. 260 (1513), Nr, 261 (1513), Nr. 261 (1513), Nr. 267 (1513) und Nr. 581 (1518). Briefe des Mutian an Crotus: GILLERT Nr. 507, 614, 644. „Meae delitiae“ (GILLERT Nr. 134); „Crotus suavissimus“ (GILLERT Nr. 118); „placidissimus et mitissimus“ (GILLERT Nr. 119); „philosophus venerandus“ (GILLERT Nr. 118, 223), GILLERT Nr. 325 (Mutian an Herebord von der Marthen 15. Oktober 1513): „Crotus et Urbanus, nostre delicie communes.“ GILLERT Nr. 224 (Mutian an Urban, 22. Oktober 1512). Das alles erfahren wir durch ein Gedicht des Euricius Cordus, der auf einer Reise im Jahre 1515 bei einem Besuch Gothas Mutians Haus dichterisch beschreibt. GILLERT Nr. 477 (Mutian an Euricius Cordus, 15. März 1515) als Beilage enthält der Brief das Gedicht des Cordus. GILLERT Nr. 231 (Mutian an Urban, 11. November 1512): „Croto, venatori Musarum, erogavi cornu sui decoris et honorificencie notam spectabilem.“ Die aus den Wolken ragende, ein Horn haltendes Hand adoptierte Crotus auch selbst in seiner Rektoratstafel von 1521 (vgl. Kap. VIII). Der Namen Crotus Rubianus taucht zum ersten Mal in einem Brief vom 26. August 1508 auf (GILLERT Nr. 624.) Gelegentlich benutzt Crotus auch den Beinamen Rubianus in adjektivischer Bedeutung: „Rubiana familiaritas“ oder „Rubiana puritas“ in einem Brief an Johann Hess von 20. September 1512 (Corr.Blatt, S. 165).

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einen angehenden Gelehrten dieser Zeit nichts Ungewöhnliches und auch nicht unbedingt typisch für einen Humanisten. Charakteristischer für einen Vertreter der neuen Bildungsrichtung war dagegen die Änderung in einen dreiteiligen Namen, denn damit folgte man dem römischen Vorbild, nach dem ein Name aus drei Bestandteilen zu bestehen hatte, dem Vornamen (praenomen), dem Familiennamnen (nomen gentile) und dem Beinamen (cognomen). So hatte bereits der deutsche „Erzhumanist“ Konrad Pickel seinen seine bäuerliche Herkunft verratenden Namen Konrad Pickel in Conradus Protucius Celtis verändert, und auch Mutianus selbst hatte seinen Geburtsnamen Konrad Muth in Conradus Mutianus Rufus (der Rothaarige) verwandelt.16 Zu dieser Neuschöpfung des Namens Crotus Rubianus (oder Rubeanus) gehörte erhebliche Phantasie und eine gute Kenntnis der griechischen Mythologie; denn Crotus geht auf eine Figur der griechischen Mythologie zurück. Κρότος (lateinisch Crotus), der Sohn des Pan und der Eupheme, war ein bekannter Jäger und Musiker, der nicht nur den Bogen, sondern auch die rhythmische Schläge zur Musik erfunden haben soll. Als Dank wurde er nach seinem Tode in den Himmel als das Sternbild Sagittarius (Schütze) versetzt. Den dritten Bestandteil des Namens, Rubianus, leitete der Humanist aus dem Namen seiner Geburtsstadt Dornheim. Rubus heißt im Lateinischen Brombeere: Nun haben Brombeersträuche zwar keine Dornen, sondern Stacheln (sentis), weshalb eigentlich Sentinus richtiger gewesen wäre, aber Johannes Jäger war Literat (und später Theologe) und kein Botaniker.17 Was immer Crotus’ Überlegungen gewesen sein mögen, ein Namenswechsel sollte auf eine existentielle Neuorientierung, auf eine Wiedergeburt hinweisen. Wie Mönche oder Nonnen beim Ablegen ihrer Gelübde meist einen neuen Namen annahmen (und noch annehmen), so signalisierten die neuen Namen, mit den sich die meisten Humanisten schmückten, eine entscheidende Veränderung, eine Wiedergeburt. Auf dieses Phänomen scheint Mutian anzuspielen, als er seinem Freund einen launigen, diesen Namenswechsel mit gutmütigem Spott kommentierenden Brief schrieb: Mein witziger Crotus! Damals erschienst du dir noch klug und fromm, als du nämlich noch Jäger aus Dornheim warst. Damals gefielen dir noch der keinen Widerspruch leidende Doktor (Alexander von Hales), Duns Scotus, der Hentz aus Gaw, der Hentdz aus Hesse [Henricus de Langenstein], und

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GILLERT Nr. 3: „Ceciderunt omnes Mutii, solo Mutiano superstite.“ Vgl. EINERT, Johann Jäger aus Dornheim, ein Jugendfreund Luthers, S. 1. Was immer die Besitzer eines Gestüts in Hamburg geritten haben mag, eines ihrer Rennpferde, einen Hengst, Crotus Rubianus zu nennen, will sich mir nicht erschließen. Einen größeren Unterschied zwischen den die Ruhe liebenden, wenig ehrgeizigen Dornheimer Humanisten und ein auf Sieg getrimmtes Rennpferd kann ich mir kaum vorstellen.

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CROTUS RUBIANUS UND DER MUTIANISCHE KREIS IN GOTHA

Arnold von Tongern.18 Nachdem du aber wiedergeboren wurdest und statt Jäger Crotus, statt jemand aus Dornheim Rubianus heißt, hast die auch die langen Ohren, den hängenden Schwanz und das struppige Fell verloren. Dies soll auch Apuleius widerfahren sein, als er, der bisher ein Esel war, durch das Verdienst der Luna, der Himmelskönigin, in seinen ursprünglichen Zustand, d. h. in seine menschliche Gestalt zurückverwandelt wurde.19

Rekurs nehmend auf Apuleius’ Metamorphosen, interpretiert Mutian den Namenswechsel also nicht als eine persönliche Marotte, sondern als eine Wiedergeburt. Aus dem in der scholastischen Philosophie erzogenen „Barbaren“ ist ein neuer Mensch geworden. Diese Namensänderung signalisiert damit eine wesentliche Umorientierung, den Wandel von der scholastischen Philosophie zum Humanismus. Die Scholastik wird hier repräsentiert durch mehrere mittelalterliche Scholastiker wie Alexander Hales und Duns Scotus sowie den zeitgenössischen Kölner scholastischen Theologen Arnold von Tongern, der noch im Reuchlinstreit eine in den Augen der Humanisten höchst unrühmliche Rolle spielen sollte.20 Crotus war also nicht von vornherein Humanist, sondern war wie alle Studenten in der scholastischen Methode erzogen worden und hatte sogar in Köln, wie wir sahen, einer Hochburg der Scholastik, studiert. Das Bild wechselnd, schreibt Mutian weiter in diesem Brief an Crotus: Da du nun aber die Klippen umschifft hast, und aus der Sandbank geschwommen bist, mögest du in den Hafen einfahren. Du wirst leicht erkennen, wie elend diejenigen sind, die noch nicht die Barbarei abgelegt haben.21

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Die verschiedenen Vertreter der Scholastik erklärt BREUL (Fulda und Erfurt, S. 81 f.). GILLERT Nr. 260 (Mutian an Crotus Rubianus, kurz vor dem 13. Juni 1513): „Facete Crotus meus. Tunc enim prudens et sanctus tibi videbare, cum adhuc Ieger ex Dornheim esses. Tunc placebant doctor sanctus irrefragabilis, doctor subtilis Hentz von Gaw, Hentz von Frimar , Hentz auß Hessen, Arnolt von Thungern et id genus phanatici. Postquam vero renatus es et pro Iheger Crotus, pro Dornheim Rubianus salutatus, ceciderunt et aures prelonge et cauda pensilis et pilu impexus, quod sibi accidisse dicit Apuleius, cum adhuc asinus esset et Iune beneficio, que est regina celi, restitueretur sibi, hoc est, humanitati.“ Siehe nächstes Kapitel. GILLERT Nr. 260 (Mutian an Crotus Rubianus, kurz vor dem 13. Juli 1513), S. 344: „Cum autem evaseris scopulos, e syrtibuse enataveris, in portu naviges, facile cognoscis, quam miseri sint, qui nondum barbariam exuerunt.“

WAS SCHÄTZTE MUTIANUS AN CROTUS?

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Was schätzte Mutianus an Crotus?22

WAS SCHÄTZTE MUTIANUS AN CROTUS? Es waren zwei Eigenschaften, die Mutian an Crotus Rubianus schätzte: erstens seine Gelehrsamkeit und zweitens seinen ironischen Witz. Aus diesem Grunde war Crotus für Mutian ein Mann aller Stunden, vir omnium horarum.23 Dass Mutian die Bildung seines jüngeren Freundes, also dessen Vertrautheit mit der klassischen Literatur besonders würdigte,24 verstand sich von selbst. Niemand war, ist und wird ein Freund Mutians sein, es sei denn, er ist rechtschaffen, integer und vor allem gebildet, stellte Mutian einmal kategorisch fest.25 Solide Bildung gehörte sozusagen zu den Aufnahmebedingungen des mutianischen Kreises. In seinen Briefen an Crotus konnte der Gothaer Gelehrte mühelos klassische Zitate einstreuen, ohne diese identifizieren zu müssen. Auf dessen Sachverstand vertrauend, bat Mutian Crotus häufig, Bücher für ihn zu erwerben, besonders als Crotus sich in Fulda aufhielt und damit besseren Zugang zum Büchermarkt hatte. Dabei muss Crotus, der als damaliger Leiter der Stiftschule nur über ein bescheidenes Einkommen verfügte (siehe Kap. III), erstaunt gewesen sein, welch beträchtliche Summen Mutianus für Bücher auszugeben bereit war.26 Gelegentlich bedauerte Crotus deshalb, dass er kein Geld für den Bücherkauf hatte, und bei einer anderen Gelegenheit beschwerte er sich, dass er seinen Mantel habe verpfänden müssen, um eine Bücherrechnung zu begleichen.27 Was aber Mutian noch mehr an Crotus schätzte, war dessen Witz und Neigung zur Ironie. Immer wieder adressiert er ihn als facete Crotus meus und ähnlichen Ausdrücken. 28 Mit seinem Esprit, seinem geistreichen Witz und seinem Hang zum Spott konnte Crotus nicht nur die Zusammenkünfte in Mutians Gothaer Haus beleben, sondern immer wieder die Empfänger seiner Briefe

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Das Verhältnis von Mutian und Crotus lässt sich an Hand der wenigen erhaltenen Briefe selbstverständlich nur lückenhaft rekonstruieren. Zahlreiche Schreiben sind verlorengegangen. Es haben sich zwischen 1508 und 1518 lediglich acht Briefe des Mutian an Crotus erhalten: GILLERT Nr. 70 (1508), Nr. 118 (1508), Nr. 119 (1509), Nr. 260 (1513), Nr. 261 (1513), Nr. 262 (1513), Nr. 267 (1513) und Nr. 581 (1518) und zwei des Crotus an Mutian (GILLERT Nr. 507 und Nr. 644). Dass Crotus aber weit mehr Briefe an seinen älteren Freund schrieb, geht aus zahlreichen Hinweisen hervor. GILLERT Nr. 245 (Mutian an Petreius, März 1513): „Crotus vir omnium horarum!“ und GILLERT Nr. 594 (Mutian an Johannes Lange, 1. Juli 1520): „Rubianum, virum omnium horarum, hoc est iocis et seriis aptum.“ GILLERT Nr. 251 (Mutian an Urban, Ende Mai 1513): „Crotus, vir imprimis eruditus.“ GILLERT Nr. 29 (Mutian an Urbanus, Anfang Dezember 1505: „Nemo enim Mutiano amicus unquam fuit aut est aut erit, nisi rectus et integer et apprime doctus.“ GILLERT Nr. 260 (Mutian an Crotus Rubianus, kurz vor dem 13. Juni 1513). GILLERT Nr. 507 (Crotus an Mutian, 11. Juni 1515): „Tunica oppignoranda fuit.“ GILLERT Nr. 260 (Mutian an Crotus Rubianus, kurz vor dem 13. Juni 1513).

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erheitern. Crotus habe facetissime, also äußerst witzig und geistreich, über die Inthronisierungsfeierlichkeiten des neuen Fuldaer Abtes Hartmann geschrieben, freute sich Mutian 1513.29 Im gleichen Jahre erklärte Mutian in einem Brief: Ihr [Crotus und Petreius] schreibt so geistreich, so heiter so lustig, so witzig, dass ich, der ich doch schon ein älterer Mann bin, durch Eure Scherze aufgerichtet, getröstet, aufgebaut und ermutigt werde. Ihr stellt mir den jugendlichen Witz und das heitere Wesen wieder her. 30 Briefe also als Trost und Verjüngungsmittel. Für die Beliebtheit der crotischen Briefe spricht auch, dass sie im MutianKreis als Kostbarkeiten herumgereicht wurden. Besonders galt das für diejenigen, die Crotus aus Italien sandte, wo er seit 1517 studierte.31 Wie begehrt diese waren zeigt ein Schreiben Mutians an seinen Neffen Justus Menius vom Oktober 1518: Neulich schrieb unser Crotus aus Bologna. Ich würde dir gern diesen Brief des äußerst gebildeten und lauteren Mannes geben, den du auf einzigartige Weise verehrst, wenn nicht Suebus32 mit dir in seiner Liebe zu Crotus wetteiferte. „Eia“, spricht er, „mein Mutian, so willst du mich also meines Vergnügens berauben. Schon einmal hast du mir einen Brief des Crotus gegeben und mein Gott, was für einer war das: liebenswürdig, heiter, voller Charme und Bildung, vollgepackt mit Neuigkeiten. … Vorher habe ich Crotus gemocht. Jetzt liebe ich ihn und werde ihn lieben, solange ich atme.33

Mutian aber bittet um Verständnis, dass er doch sehr hartherzig (ferreus) wäre, wenn er so einem gelehrten Freundchen (amiculus) diese schönen und köstlichen Briefe wegnähme, auf die Gefahr hin, Menius, vor den Kopf zu stoßen. Man

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GILLERT Nr. 268 (Mutian an Urban, Juni 1513); KRAUSE Nr. 306, datiert den Brief auf den September des gleichen Jahres: „Scribit facetissime de festo coronacionis heri sui.“ GILLERT Nr. 245 (Mutian an Petreius, zwischen dem 1. und 8. August 1513): „scribitis urbanissime, festivissime, facetissime et vestris cavillis me iam senescentem excitatis et restituitis mihi iuvenilem dicacitatem et letum atque severum genium.“ Von diesen sind allerdings die meisten verlorengegangen. Erhalten aus dieser Zeit ist lediglich jeweils ein Brief an Justus Menius und Urbanus und zwei Briefe an Luther. Diese sind allerdings in einem ganz anderen Ton gehalten als die spötisch-ironischen Briefe an Mutian. Vgl. GILLERT Nr. 547, S. 211, Anm. 4. GILLERT Nr. 580 (Mutian an Justus Menius, 18. Oktober 1518): „Nuper ad me scripsit Crotus noster e Bononia. Darem ego tibi literas viri optimi, quem tu unice veneraris ut hominem doctissimum et integerrimum, nisi Suebus tecum certaret in amando. Tam amat Crotum quam tu. ‚Eia‘, inquit, ‚mi Mutiane, siccine me mea defraudas voluptate? Semel Croti epistolam dedisti, o, qualem, Deus aeterne, suavem, hilarem, plenam iucunditatis, eruditionis, novitatis. … Ante dilexi, nunc amo Crotum, et amabo, quoad spiravero‘.“

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solle ihm doch bitte wenigstens diesen einen Brief überlassen, während doch Menius schon eine ganze Bibliothek davon besäße.34

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CROTUS ALS VERMITTLER Neben seinem geistreichen Witz, der die Lektüre seiner Briefe zu solch einem Lesevergnügen machte und die Zusammenkünfte in der gothaischen Beata Tranquillitas Mutians mit seinen verbalen Witz belebte, dürfte Crotus auch aus einem anderen Grunde dort ein gern gesehener Gast gewesen sein. Eobanus Hessus charakterisierte ihn einmal als einen besonnenen und vorsichtigen Mann. 35 Auf jeden Fall war es kein Mensch, der es auf Konfrontation anlegte. Wie sein Mentor Mutian scheute er Konflikte und suchte den Ausgleich, einen Charakterzug, den wir bis zu seinem Lebensende beobachten werden. Aus diesem Grunde versuchte Crotus gelegentlich zwischen den streitenden Parteien zu vermitteln; denn auch in diesem Kreis gab es wie in jeder menschlichen Gemeinschaft Streitereien und Eifersüchteleien, trotz des von Mutian herausgegeben Mottos Amate concordiam, dissensiones non permittam – Liebt die Eintracht, Zwietracht werde ich nicht dulden.36 Dass Crotus dafür ein besonderes Geschick besaß, hatte er schon bewiesen, als er zwischen Huttens Vater und dessen rebellischen Sohn eine Einigung zu erzielen suchte. Drei weitere Vermittlungsversuche in diesen Jahren haben sich in der Korrespondenz niedergeschlagen. Eher begrenzt dürfte Crotus’ Vermittlerrolle in dem Streit zwischen seinem Freund Herebord von der Marthen und dessen Vater gewesen sein. Nachdem Spalatin als Novizenlehrer das nahe gelegene Kloster Georgenthal verlassen hatte, schlug Mutian Herebord von der Marthen für diese Stelle vor. Daraufhin geriet aber der Patriziersohn von der Marthen, der schon einige Jahre Jura studiert hatte und eigentlich für diese Aufgabe überqualifiziert war, mit seinem Vater Gerlach, der die Humanisten von vornherein als brotlose Künstler betrachtete und ehrgeizigere Pläne für seinen Sohn hatte, in einen heftigen Streit. In einem verlorengegangenen Brief, berichtete nun Hessus, habe Crotus die                                                              34

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Von der „Bibliothek“ crotischer Briefe aus Italien an den mutianischen Kreis hat sich lediglich einer erhalten, der im weitesten Sinne als satirisch bezeichnet werden kann. Es ist der Brief an Urban aus dem Jahre 1518, in: Libellus alter, S. K1-K2v. Menius sollte noch einige Jahre später eine Rolle spielen, als er im Auftrage Luthers an den inzwischen zum katholischen Glauben zurückgekehrten Crotus zum Bleiben in lutherischen Glauben ermahnte (vgl. Kap. XII). GILLERT Nr. 642 (Eobanus Hessus an Mutian, 26. August 1508): „Crotus utpote homo undequaque circumspectus et cautus.“ GILLERT Nr. 117 (Mutian an Herebord von der Marthen, nicht lange nach dem 28. November 1508).

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ganze Angelegenheit dargestellt und Vorschläge zur Beilegung gemacht.37 Wie der Familienstreit ausging, ist nicht ganz klar. Der junge von der Marthen wurde Novizenlehrer, aber nur für eine relativ kurze Zeit.38 Obwohl Crotus’ Rolle hier lediglich darin bestanden zu haben schien, Mutian zur Vermittlung zu drängen, übernahm er in dem zweiten hier zu diskutierenden Fall eine aktivere Rolle. Ein Streit zwischen dem als liebenswürdig bekannten Peter Eberbach (alias Petreius) und Eobanus Hessus, ebenfalls als gutmütig bekannt, sorgte für Aufregung in dem Kreis. Mit ungewöhnlich scharfen Worten, diesmal ganz ohne Ironie, entsetzte sich Mutian: Eine ungewöhnliche, denkwürdige, um nicht zu sagen abscheuliche Sache hat sich in Erfurt zugetragen. 39 Was war geschehen? Bei einem Essen im Eberbachschen Haus in Erfurt war es möglicherweise wegen eines Mädchens zu einem heftigen Streit zwischen Petreius und Hessus gekommen, in dessen Verlauf der sonst so friedliche Petreius, provoziert durch Hessus, ihn so kräftig ins Gesicht geschlagen hatte, dass dieser blutete. Das (vorübergehende) Zerwürfnis zwischen den beiden Sodalen wurde ausführlich und in gepflegtem Humanistenlatein im mutianischen Kreis diskutiert. Von seiner zunächst erfolglosen Intervention berichtet Crotus: Aus den ehemaligen Freunden Petreius und Hessus sind Todfeinde geworden. … Jeder vertritt seine Sache selbst als bester Anwalt, und sagt, dass er keine Schuld trage. Mit beiden habe ich mich wortreich abgemüht, sie mögen sich wieder vertragen. Aber mit dieser Absicht bin ich gescheitert. So weit ist es gekommen, dass sie sagen, sie brennen mit unauslöschlichem Hass. Gestern speiste ich zufällig mit Petreius … Wir sprachen viel, aber alles war umsonst. Ich werde beschließen, neutral zu bleiben. Beide sind nämlich meine Freunde. Während ich dies schrieb, kam Eobanus Hessus mit der Meldung, dass er von seinem Freunde auf offener Straße angegriffen worden sei, aber von anderen Personen selbst von einem Angriff abgehalten worden sei und sich mit einem an der Seite hängenden Schwert gezeigt habe. Man muss also fürchten, dass sie sich irgendwann mit ihren Schwertern lebensgefährlich verletzten.40

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GILLERT Nr. 642: „Scribendum tibi ad Martinum est ex ea causa, quam proponit Rubianus.“ Siehe BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis, S. 177. GILLERT Nr. 131 (Mutian an Herebord von der Marthen 1509, kurz vor dem 14. Juni): „Rara et notabilis res, ne dicam atrox, Erphurdiae contigit.“ GILLERT Nr. 644 (Crotus an Mutianus, 8. März 1509): „Petrus et Eobanus ex amicis facti sunt capitales hostes prebentibus materiam dissensionis verberibus. Uterque sue causae optimus patronus se culpa vacare ostendit. Cum ambobus copiose laboravi, redirent in gratiam. Sed omnino frustror proposito. Eo enim venit ardor, ut aiunt se odio flagrare indissolubili. Ego heri a casu cenavi cum Petro. Multa loquutus sum, sed omnino inutiliter. Sic me instituam, ut in neutram partem declinem. Est enim uterque mihi amicus, quamvis alter magis. Eobanus, dum hic incipio scribere, venit disserens se ab inimico incursum publica via, sed ab aliis retentum ab impetu et similiter longam ensem lateri cinc-

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Anschließend ermunterte er Mutian, der doch das Ansehen beider genieße, diesen Krieg beizulegen. Es ist aber auch charakteristisch für Crotus, dass er neutral bleiben wollte. Ein Muster, das sich auch in seinen späteren Jahren immer wieder beobachten lässt. – Im Übrigen haben sich die beiden Freunde kurz danach wieder versöhnt.

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Crotus’ satirisches Talent

CROTUS’ SATIRISCHES TALENT Crotus Rubianus wird heute als der Initiator und mit Ulrich von Hutten als der Verfasser der Epistolae obscurorum virorum geschätzt. Mit der Entstehung, narrativer Technik und Wirkung dieser sowohl anderer Satiren, die ihm zugeschrieben werden, wird sich ein späteres Kapitel beschäftigen. Weniger bekannt dürfte sein, dass auch seine engsten Freunde gelegentlich Opfer seiner Spottlust wurden. Cordus, dessen Vornamen Ricius (auf Deutsch Rick-[Heinrich]) Mutian durch ein „eu“ in Euricius veredelte hatte, schilderte 1515 in einem Reisegedicht eine Fußwanderung von Erfurt in sein hessisches Heimatdorf Simtshausen geschildert. Auf der Rückreise sei er beinahe ertrunken, als er von dem plötzlichen Hochwasser der Schwalm überrascht wurde. Diese angeblich lebensgefährliche Situation schilderte er in einem Hodoeporicon, einem Reisegedicht, mit all dem Ernst und rhetorischen Aufwand, den die Gedichte der Humanisten auszeichneten. Im spottlustigen Kreise des Mutian wurde das Poem mit seiner Darstellung der hochdramatischen Rettung offenbar nicht ganz ernst genommen. Crotus selbst ernannte Euricius Cordus zum Befehlshaber der Landstreitskräfte, weil er wegen des zornigen Neptun zu wenig Glück als Flottenkommandant gehabt habe. 41 Und selbst über Johannes Reuchlin, den die Erfurter hoch verehrten und in seinem Kampf gegen die Kölner Theologen leidenschaftlich verteidigten (Kap. IV), spottete Crotus, als dieser mit abenteuerlichen Etymologien die Namen deutscher Stämme aus der Antike herzuleiten versuchte.42 Das waren aber harmlose Spöttereien über ansonsten hochgeschätzte Freunde. Anders verhält es sich mit den Spötteleien über Klerus, Kirche und kirchliche Riten, die offenbar in dem Kreis, angeführt von Crotus, die Gespräche in der gothaischen „Beata Tranquillitas“ belebten. Jedenfalls ist das der

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tum ostendit. Timendum est, ne quandoque ex improviso non sine periculo corporis digladiabuntur.“ GILLERT Nr. 493 (Mutian an Eobanus Hessus, vor dem 23. Mai 1515): „Facetus Crotus tecum iocatur. Ricium Euritium preficit terra militantibus, quasi irato Neptuno felix sit in gubernanda classe.“ GILLERT Nr. 321 (Mutian an Urban, Anfang Oktober 1513).

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Eindruck, wenn man Justus Menius – demselben Menius, mit dem Mutian den Wettstreit über den Besitz eines crotischen Briefes geführt hatte, Glauben schenken will. Menius schilderte nun, viele Jahre später und in einem anderen Kontext,43 die satirisch-ironische Atmosphäre, die damals in den Gesprächen in Mutians Gothaer Haus geherrscht habe, als die Freunde vertraulich und ungehemmt über Klerus, Kirche und Papst hergezogen seien: Diesen Freund aus Gotha [Mutianus Rufus] hast du [Crotus] immer zu schallendem Gelächter gebracht mit deinen Geschichten über die Messe der Papisten. Deren Prunk hast du als theatralisch bezeichnetest; über die Suffraganbischöfe, deren Salbungen du Ölschaum nanntest, hast du genauso gespottet wie über die Reliquien der Heiligen, deren Gebeine du nicht Überbleibsel der Heiligen, sondern Knochenreste nanntest, die die Raben am Galgen zurückgelassen haben. Gleichzeitig hast du über die kanonischen Gebete gespottet. Verglichen hast du sie mitt dem Hundegebell in den Häusern der Kanoniker und nicht mit dem Summen der Bienen, sondern mit den Geräuschen der faulen und nutzlosen Dronen. Auch über die Glockentaufe, die du für lächerlich erklärtest und alle diese Zeremonien, die du nichtiger als einen Traum nanntest, hast du dich mockiert.44

Spott über die Gebräuche der Kirche und deren Vertreter, die in den noch zu diskutierenden Dunkelmännerbriefen und anderen Satire ihren literarischen Ausdruck fanden, bedeutete aber für Crotus nicht ein grundsätzliches Infragestellen der christlichen Religion und der Kirche, einen Vorwurf, den man seinem Mentor Mutianus Rufus immer wieder machte. Luther zum Beispiel nannte ihn einen „Atheisten“.45 Moderne Kritiker bezeichneten ihn abwechselnd als „Pantheisten“ und „ironischen Entmythologisierer“.46 Seine „radikalen und rationa-

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Menius war inzwischen zu einem glühenden Lutheranhänger geworden, während Crotus zum alten Glauben zurückgekehrt war. Im Auftrag Luthers schrieb er an seinen alten Freund, um ihm den Irrtum seiner Abkehr vorzuwerfen und ihm den Spiegel seiner alten kirchenkritischen und satirischen Jugend vorzuhalten: (Vgl. Kap. XII). BÖCKING II, S. 462: „Non recitabo hic confabulationes illas cum amico illo Gothano, quem nosti, cuius modo ibi risus et cachinnos saepe moveris de Missa Papistarum, quorum ornatum scaenico similem dicebas, de Suffrageneis Episcoporum, de unctionibus ipsorum et amurca, ut vocabas, Papae, de reliquis Sanctorum, quas ossa vocabas vere reliqua non sanctis, sed in patibulo corvis; item de horis Canonicis quas in templo eiulatus dicebas esse canum in domibus Canonicorum, murmura non apum, sed inertium et ignavorum fucorum; item de Baptismo Campanarum, quem ridiculum super omnia predicabas, et has ceremonias omnes quovis somnio esse vaniores.“ WA TR 2, S. 627: „Doctor Mutianus nullum credidit Deum esse.“ „Theist“: KRAUSE, Der Briefwechsel, S. XXI; „Pantheist“: SPITZ, The religious Renaissance, S. 145; „Ironischer Entmythologisierer“: RÄDLE, Mutians Briefwechsel, S. 128. Zum Thema auch: BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein Humanistischer Freundeskreis in Gotha, S. 299-330.

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listischen Gedanken“47 hätten ihn zu einem Protoaufklärer gemacht. Als solcher entlarvte er mit haarscharfem Verstand die verschiedenen Riten und Gebräuche der Kirche als zynische Maßnahmen, um die Bauern und einfachen Leute auszubeuten. Lange bevor Luther kritisierte er den Ablasshandel. Mutian glaubte nicht an einen persönlichen Gott, sondern an ein Wesen, das sich in der Natur, im Kosmos und im Mikrokosmos jedes Menschen offenbare. Deshalb existiere Gott auch nicht physisch, sondern nur im Geiste der Menschen. Religion war für ihn die stoische beata tranquillitas.48 Diese Ansichten schmuggelte Mutian als brandgefährliche Konterbande in seine vertraulichen Briefe an Urban, immer verbunden mit der Bitte, die Briefe nach Erhalt entweder zu zerreißen oder zu verbrennen – was dieser aber nicht tat. Ob Crotus diese radikalen Ansichten teilte, ist nicht bekannt, darf aber bezweifelt werden. Weder war er wie sein Mentor sieben Jahre in Italien gewesen, wo dieser die freisinnigen Gedanken eines Marsilio Ficino oder Pico della Mirandola oder anderer Humanisten kennengelernt hatte, noch war er an philosophischen Fragen sonderlich interessiert.

Exkurs: Die Grenzen des Spotts EXKURS: DIE GRENZEN DES SPOTTS Das Bild des Crotus als gutmütigen Spötter, der sich über die Narrheiten seiner Mitmenschen amüsierte und kirchliche Riten und Kleriker verspottete, bedarf einer Korrektur oder zumindest einer Ergänzung, wenn man sich die Episode der geplanten Heirat seines Freundes Eobanus Hessus ansieht. Das geschah in den Jahren 1514/15, also zu einer Zeit, als Crotus bereits in Fulda war, aber durch häufige Briefe über die Erfurter Angelegenheiten bestens informiert war. Im Herbst 1514 trug sich der Dichter und enge Freund des Crotus mit Heiratsabsichten.49 Die Nachricht über die geplante Heirat ihres Freundes löste im mutianischen Kreis überwiegend negative Reaktionen aus, angeführt von Mutian selbst, der zunächst zwar Hessus alles Gute wünschte, allerdings mit der zweifelhaften Begründung, dass der Bräutigam jetzt nicht mehr auf die Dienste

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PEARSON, The Ethic of Freethought, S. 176: „There [in Gotha] this little band gathered round the older canon, were fired by his eloquent talk and developed his radical and rationalist notions.“ GILLERT Nr. 499 (Mutian an Eobanus Hessu, 23. Mai 1515): „Ea mihi est beata tranqullitas, popularibus religio, in qua censemus beatam vitam hominum collocatam esse.“ GILLERT Nr. 427 (Mutian an Urban, August/September 1514): „Ducturus [Eobanus Hessus] uxorem.“

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Geliebter und Prostituierter, einer Kleopatra und Metra, angewiesen sei,50 dann aber seinem Freund empfahl, wenn er schon heirate, doch wenigstens eine reiche Witwe zu ehelichen, ein Ansinnen, das der Dichter mit dem Hinweis zurückwies, dass er alte Scheiden verabscheue. 51 Diese Ablehnung wiederum kommentierte Mutian gegenüber seinem vertrauten Freund Urbanus mit dem Hinweis auf das nicht mehr ganz jugendliche Alter und die Mittellosigkeit der Erwählten.52 Hessus dagegen halte sie für die schönste, reichste und keuscheste Frau. Mit dieser Ansicht stehe er allerdings allein.53 Trotz aller Warnungen der Freunde heiratete Hessus im Dezember 1514 seine Jugendliebe.54 Aber auch nach der Hochzeit hörten die Sticheleien nicht auf. In den Briefen dieser Zeit, also im Frühling und Frühsommer 1515 verlagerte sich die Kritik der Freunde auf die Frau des Hessus und deren angebliche tyrannische Herrschaft in der Engelsburg, also des Hauses, in dem Hessus und seine Familie wohnte. 55 In nicht weniger als sechs Briefen zwischen Hessus und Mutian, geschrieben innerhalb kürzester Zeit im Mai dieses Jahres, ging es um diese Angelegenheit. 56 Im Mai 1515 schickte Crotus schickte einen ungewöhnlich langen, vier Seiten umfassenden Brief an Mutian mit der Bitte, ihn an Hessus

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GILLERT Nr. 443 (Mutianus an Eobanus Hessus, um Michaelis 1514): „Uxorem vates iam tibi, cigne, dabit. Prodeat sponsa. Cleopatram et Metram missas facito.“ (Metra oder Mestra war eine Geliebte des Neptuns. Mutian wiederholte dies in einem Brief an Hessus (GILLERT Nr. 451 von Mitte Oktober) auf deutsch: „Wann Cleopatra vnd Metra/ den sackzurissen et cetr,/ Sie schneiden auch den snabel ab/ Vnd spil mit im den Zabberlab.“ GILLERT Nr. 442 (Mutian an Herebord von der Marthen, Ende September 1514): „Cupit [Eobanus] etiam uxorem ducere – Ducat … ditissimam viduam.“ GILLERT Nr. 455, (Mutian an Urban am 1. November): „Ego dixi, ut … viduam ditissiman duceret.“ „Rescripsit [Hessus]: ,Non, a veteribus enim cunnis abhorreo.‘“ GILLERT Nr. 455 (Mutian an Urban, 1. November 1514): „Ah Deus! Dicitur esse preflorata et inops male que dotata.“ Sie soll schon vorzeitig verblüht sein, mittellos und ohne nennenswerte Mitgift. GILLERT Nr. 456 (Mutian an Urban, 2. November 1514): „Bonus Eobanus ait sponsam esse formosissimam, dotatissimam, castissimam. Sed, ohe, solus id dicit.“ Am 6. Januar 1515 schrieb er an Johannes Reuchlin: „Ego his diebus uxorem duxi.“ RBW III, S. 148. „Ah, die Engelsburg ist zu einer Stätte der Dämonen geworden. Statt des Friedensengels herrschenVerleumdungen der Teufel,“ klagte Mutian im März 1515. (GILLERT Nr. 482, Mutian an Heinrich Eberbach, 20. März 1515): „Ah, Angeloburgum arx facta daemonum, pro angelica pace successit diabolica criminatio.“ GILLERT Nr. 494 f., 497-499, 501.

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weiterzureichen.57 Das Schreiben, das nicht erhalten ist, war offenbar so brisant, dass Mutian es sogleich zerriss, den Inhalt aber in wesentlichen Teilen referierte. 58 In der Engelsburg des Hessus herrsche die Schwiegermutter, habe sich Crotus ereifert. Der „häusliche Bandit“ springe ihm an die Gurgel, so referiert Mutian diesen Brief. Ein süßes Übel, eine hässliche Verführung, ein Hagelwetter und Unheil sei die Gattin dem Poeten. 59 Wenn Mutian nun glaubte, sich in gewisser Weise von den angeblich taktlosen Worten des Crotus distanzieren zu müssen, so machte er das zunichte, als er hinzufügte: Alle fragen sich, aus welchem Grunde du eine Frau mit so einer großen Nase, die dazu noch so blass wie eine Leiche und mager ist, lieben kannst.60 Wenige Tage später rechtfertigt sich Mutian noch einmal gegenüber Hessus, dass er es besser gefunden habe, den Brief des Crotus zurückzuhalten. An der Bitterkeit des Briefes habe er so sehr Anstoß genommen hätte, dass er diesen augenblicklich verbrannt habe.61 Wenn du mich schon wegen meiner einfachen, ungeschminkten Kritik tadelst, was würdest du nur mit Crotus machen, der Salz in die Wunde streut.62 Aber statt nun die Wogen zu glätten, zitiert Mutian wie in seinem ersten Brief und entgegen seiner ursprünglichen Absicht noch einmal angeblich aus Crotus’ Brief: Wenn ich drei Blitze in der Hand hätte, habe Crotus geschrieben, würde ich den ersten gegen die großnäsige und hässliche Frau des Hessus schleudern, den zweiten gegen die Partei des Hochstraten [den Hauptfeind der Reuchlinisten zu dieser Zeit, vgl. Kap. IV] und den dritten würde ich mir für besondere Gelegenheiten aufsparen.63

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GILLERT Nr. 494 (Mutian an Eobanus Hessus, vor dem 23. Mai 1515): „Crotus petulantissimam epistolam, imo quattuor foliis tuam levitatem ac stultitiam re uxoria proscidit.“ Der Brief ist nicht erhalten. GILLERT Nr. 493 (Mutian an Hessus, vor dem 23. Mai): „De qua [Frau des Hessus] tam copiose, tam ardenter scripsit Crotus, ut concerpserim epistolas … . Inflammtior fuit in obiurgando quam ego.“ Auch dieser Brief des Crotus ist nicht erhalten. GILLERT Nr. 493: „Intus est hostis, domesticus grassator iugulum impetit et tu, que tua est securitas et simplicitas, dormis in utranque aurem ociosus neuqe sentis irudinem vel potius lernam malorum. Dulce malum, deformis illecebra, grando et calamitas poetae uxor.“ GILLERT Nr. 493 (Mutianus an Hessus, vor dem 23. Mai): „Mirantur omnes, qua ratione possis tam nasutam, tam lurore et macie confectam amare.“ GILLERT Nr. 494 (Mutian an Hessus, vor dem 23. Mai 1515): „Ego vero, tan tum iuste amaritudinis offendi, ut combusserim e vestigio.“ GILLERT Nr. 494: „Nam si mihi silentium imperasti ob nudam et simplicem castigationem, quid faceres Croto vulnus suffricanti?“ GILLERT Nr. 494: „Si tria fulmina in manu haberem, primum excuterem in uxorem Eobani, nasutam et deformem, secundum in sectam Hochstratinianum, tercium mihi in usum aliquem necessarium reservarem.“ Was natürlich mit der vorherigen Angabe, er habe den Brief zerrissen, nicht übereinstimmt. Oder hat er ihn erst zerrissen und dann verbrannt?

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CROTUS RUBIANUS UND DER MUTIANISCHE KREIS IN GOTHA

Den Vorwurf des Neides weist Mutian entschieden zurück. Er gratuliere ihm, Hessus, zu seinen Dichtungen, aber gleichzeitig bedaure er, dass er von der Gattin beherrscht werde und sich den sexuellen Trieben hingebe.64 Auch seine späteren Versuche, Hessus zu beruhigen, konterkariert Mutian immer wieder durch seine eigene Taktlosigkeit. So adressiert er ihn in der in Briefen immer wichtigen Begrüßungsformel, der Salutatio, als glücklichen Dichter, wenn er keine Gattin hätte.65 Im Übrigen scheinen sich die Freunde im Laufe des Jahres 1515 mit der Eheschließung des Eobanus Hessus abgefunden zu haben. Hessus blieb sowohl dem Mutianus als auch dem Crotus in den nächsten Jahren eng verbunden, und 15 Jahre später hielt der Dichter, inzwischen Professor an der ersten deutschen protestantischen Universität in Marburg, seinem Freund Crotus die Treue, als dieser zur katholischen Kirche zurückgekehrt und von den meisten zum Luthertum übergetretenen Humanistenfreunden geschnitten wurde. Nach allem, was wir wissen, war die Ehe des Dichters, aus der fünf Söhne und eine Tochter hervorgingen, glücklich. Seine Wahl scheint er nie bereut zu haben. Im Übrigen wurde seit dieser Zeit die eobansche Engelsburg (Castra Anglorum) in Erfurt zum Zentrum humanistischer Geselligkeit und Diskussionen; denn hier regierte der gutmütige „König“ Hessus, seinen poetischen Hofstaat – mitsamt seiner Frau und wachsender Kinderschar Über die Gründe für die heftigen Angriffe gegen Hessus’ Eheschließung kann man nur spekulieren. Man hat den Eindruck, dass es gar nicht um Katarina Spater – so hieß Hessus’ Ehefrau – und deren angeblich große Nase, verblühte Schönheit und mangelnde Mitgift ging, sondern um den durch die Heirat verursachten Verlust der Freiheit, die vendita libertas, wie Crotus in einem Gedicht formulierte,66 eine Freiheit, die Mutian so schätzte, dass er einmal ausrief: O wir glücklichen Kleriker. Was ist süßer als ein leeres Bett!67 64

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GILLERT Nr. 494: „Boni mecum omnes idem sentiunt. Ego autem neque invideo, prestantie tue et sacris carminibus, sed gratulor et doleo te haberi ab uxore, imo servire feritati et luxurie.“ GILLERT Nr. 499 (Mutian an Eoban Hessus, 23. Mai 1515): „Eobano Hesso, fortunato, si uxorem non haberet Mutianus Rufus.“ GILLERT Nr. 495: (Mutian an Eobanus Hessus, vor dem 23. Mai 1515) Quod facis et scribis, miser es felixque poeta Tamque stilo felix quam miser ob dominam. Ut Crotus exclamat: „Magno tibi constat inire, Nam iuga serva domi carius empta geris.“ Vendita libertas, proh, turpi servis amice, Qua referunt isthuc vilius esse nihil. (Was du machst und schreibst, du bist ein verblendeter und glücklicher Dichter; glücklich wegen deines Schreibens, verblendet wegen deíner Gebieterin. Wie Crotus ausruft: „Mit

EXKURS: DIE GRENZEN DES SPOTTS

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Bei der Beurteilung von Crotus’ Rolle in dieser Angelegenheit sollten wir vorsichtig sein. Mutian hat nach eigener Aussage dessen Briefe vernichtet. Wir sind also lediglich auf das Zeugnis des Gothaer Kanonikers angewiesen, und möglicherweise hat dieser den Inhalt dieser crotischen Schreiben verzerrt dargestellt. Es ist durchaus denkbar, dass Crotus schon zu dieser Zeit eine weit positivere Meinung über die Ehe hatte. Im Jahre 1520 lässt er nämlich Melanchthon zu dessen Heirat mit dem Wunsch gratulieren, Gott möge diese hochheilige Gemeinschaft segnen, sodass der glückliche Vater im Kreise seiner Familie noch seine Enkel erlebe. Im gleichen Atemzug widerlegt er den möglichen Einwand, er hätte sich unter dem Einfluss Luthers von einem Eheskeptiker zu einem Ehebefürworter gewandelt, wenn er fortfährt: Mit Mutianus, dem Eheverächter und Herold eines priesterlichen Lebens streite ich mich schon seit etlichen Jahren. Im Gegensatz zu ihm schätze ich nämlich die Ehe. Deshalb ist mein Rat zu heiraten.68 Möglich also, dass Mutian die satirischen Spitzen gegen Hessus’ Heirat Crotus nur in den Mund gelegt hat oder zumindest übertrieben hat. Des Crotus’ Hochachtung gegenüber Mutian hat diese Meinungsverschiedenheit keinen Abbruch getan. Zeitlebens blieb der cultor Mutiani, der MutianVerehrer, wie er sich selbst einmal nannte,69 seinem Mentor und Freund treu, auch als dieser von einigen Lutheranern wegen seiner Weigerung, deren Bewegung zu unterstützen, selbst noch nach seinem Tode diffamiert wurde (vgl. Kap. X).

                                                                                                                                      

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der Gattin zu schlafen, kommt dir teuer zu stehen. Das teuer erkaufte Joch eines Sklaven trägst du zu Hause. Die Freiheit hast du verkauft, du dienst einer hässlichen Freundin. Nichts ist wertloser als diese, sagen sie“). GILLERT Nr. 481 (Mutian an Urban, 19. März 1515): „Oh nos felices clericos! Quod enim libero lectulo dulcius?“ Zu dem Argument des Freiheitsverlustes kommt noch nach Mutian hinzu, dass Hessus sich durch seine Heirat Karrierechancen verwirkt habe. WA Br 3, Nr. 358, S. 228 (Brief an Luther vom 5. Dezember 1519: „Uxorem duxit, fortunet. Deus sanctissimam societatem, ut videat beatus pater filios filiorum suorum in circuitu mensae suae. Cum Mutiano iam annos aliquot contendo, contemptore coniugii et praecone vitae sacrificulorum, ego contra coniugium praefero; ita que qui meum consilium sequuntur, uxores sibi collocant.“ Unterstreichungen in der Übersetzung von mir. GILLERT Nr. 644 (Crotus an Mutian, 8. März 1509).

III.

CROTUS RUBIANUS’ ERSTER AUFENTHALT IN FULDA (1510-1517)

CROTUS RUBIANUS’ ERSTER AUFENTHALT IN FULDA (1510-1517)

Videtur mihi incivile inter sacrificulos idiotas et pene analphabetas vitam terere. Es scheint mir hart, unter idiotischen und fast analphabetischen Priestern das Leben zu vergeuden.1

Im Jahre 1510 verließ Crotus Rubianus Erfurt, die Stadt, in der er seit mehr als einem Jahrzehnt studiert und gelehrt hatte, abgesehen von den wenigen Monaten in den Jahren 1505/06, als er mit Ulrich von Hutten an der Kölner Universität eingeschrieben war. Hier hatte er gleichgesinnte Freunde und seinen Mentor und Freund Mutianus Rufus kennen und schätzen gelernt. Hier war er zum Humanisten „wiedergeboren“ worden. Hier hatte er lebenslange Freundschaften mit Ultich von Hutten und Eobanus Hessus geschlossen. Erfurt war seine geistige Heimat geworden.

1.

Warum verließ Crotus Rubianus Erfurt?

WARUM VERLIESS CROTUS RUBIANUS ERFURT? Es waren zwei gewichtige Gründe, die ihn veranlassten, die Stadt an der Gera zu verlassen: einmal die städtischen Unruhen, zum anderen aber seine eigene wirtschaftliche Lage. Im Jahre 1509 wurde Erfurt durch schwere innerstädtische Auseinandersetzungen erschüttert, weshalb dieses Jahr in die Geschichte der Stadt als „das Tolle Jahr“ eingegangen ist.2 Ursachen dafür waren einerseits die sozialen Spannungen zwischen den regierenden Patriziern und den weitgehend von der Regierung ausgeschlossenen ärmeren Bevölkerungsschichten, andererseits die delikate Stellung der Stadt zwischen dem Erzbistum Mainz und dem sächsischen Kurfürstentum. Im Vertrag von Amorbach aus dem Jahre 1483 war einerseits die traditionelle Rolle des Mainzer Erzbischofs als oberster Territorial-

                                                             1 2

GILLERT Nr. 507 (Crotus an Mutian, 1. Juni 1515). WEISS, Die frommen Bürger von Erfurt, S. 75-90, 96-98; ders., Das tolle Jahr in Erfurt; PATZE/SCHLESINGER (Hg.), Geschichte Thüringens, Bd. III, S. 146-194, 282-284. RASSLOFF, Geschichte der Stadt Erfurt, S. 49-52; NEUBAUER, Das tolle Jahr von Erfurt; BURKHARDT, Das tolle Jahr in Erfurt; SCRIBNER, Civic Unity and the Reformation.

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herr anerkannt worden, gleichzeitig hatte aber Erfurt eine unkündbare Schutzherrschaft von Kursachsen akzeptieren müssen. Beide Mächte ließen sich ihre Rolle teuer bezahlen: Erfurt hatte 150.000 Gulden an Sachsen zu entrichten, während Mainz sich mit der vergleichsweise geringen Summe von 5.000 Gulden zufrieden gab. Die hohen Verbindlichkeiten der Stadt und das schlechte finanzielle Management ihrer Führer führten dazu, dass die Schulden der Stadt von Jahr zu Jahr stiegen, sodass sie im Jahre 1509 auf die unvorstellbar hohe Summe von fast einer halben Million Gulden angewachsen waren, ein Betrag, der jedoch von den Regierenden geheim gehalten wurde. Um diese enorme Schuldenlast zu verkleinern, ergriff der patrizische Rat zu dem probaten Mittel der Steuererhöhung; in diesem Fall wurden neue Abgaben auf Bier, Mahlen und Schlachten erhoben. Am 9. Juni 1509 kam es zum Eklat. Als bei einer Ratssitzung die Zahlungsunfähigkeit der Stadt bekannt wurde, stürmten Vertreter niederer Zünfte und der Armen den Ratssaal, um die Ratsherren zu entmachten, indem sie auf dem Mitspracherecht der Gemeinde bestanden, worauf der einflussreichste Ratsherr der Stadt, Heinrich Kellner, provokativ fragte: „Wer ist die Gemeinde?“ Gleich darauf schleuderte er, auf sich selbst zeigend, den erzürnten Bürgern den Satz entgegen: „Das ist die Gemeinde!“ Kurz danach wurde er wegen seiner anmaßenden Haltung verhaftet. Die innerstädtischen Unruhen wurden von beiden rivalisierenden Schutzmächten in ihrem Sinne ausgenutzt. Während Sachsen den patrizischen Rat unterstützte – die entmachteten Patrizier flohen ins benachbarte Kursachsen, besonders nach Gotha und Weimar – trat der Mainzer Erzbischof für die rebellierenden Zünfte ebenso wie die „Schwarze Rotte“ ein, eine Gruppe von Handwerkern und Tagelöhnern.3 Die städtischen Wirren im Jahre 1509 hatten auch Auswirkungen auf die im Vergleich zur Stadt relativ wohlhabende Universität – ein Aspekt, der in der Forschung kaum Erwähnung findet, aber für die Biografie des Crotus von großer Wichtigkeit ist. Es dauerte allerdings eine Weile, bis die Folgen der städtischen Auseinandersetzungen an der Universität zu spüren waren. Erst etwa ein Jahr nach dem Beginn der Revolte – Heinrich Kellner war inzwischen am 28. Juni 1510 hingerichtet worden – geschah folgendes, wie es in dem Bericht des damaligen Dekans hieß: „Am Kirchweihfest der Michaeliskirche, die gegenüber dem großen Kolleg lag, etwa nachmittags um vier Uhr – es war der vierte 3

Der Streit zog sich bis zum Jahre 1516 hin, sodass man eigentlich besser von den „Tollen Jahren“ als vom „Tollen Jahr“ sprechen sollte. In diesem Jahre wurde im Grunde der Zustand wie er vor dem Ausbruch der Revolution von 1509 bestand, wiederhergestellt. Sachsen wurde wieder militärische Schutzmacht, verzichtete aber auf die Bezahlung des Schutzgeldes der vergangenen Jahre und reduzierte dasselbe für die nächsten zehn Jahre auf die Hälfte.

WARUM VERLIESS CROTUS RUBIANUS ERFURT?

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August 1510 –, entstand ein Streit zwischen Studenten und Landsknechten, der sich bald zu einem großen Tumult vor dem Großen Kolleg entwickelte, viele Bürger beteiligten sich an dem Streit. Die Landsknechte holten zwei große und mehrere kleine Kanonen und gingen gegen das Kolleg und die Bursen vor; diese wurden gestürmt, Kleidungsstücke, Betten, Schuhe, silberne Kleinodien wurden weggenommen, die Fenster zerschlagen, die Bücher sowohl der Magister wie der Studenten von den Lesepulten und aus den Kommoden gerissen und vieles andere mehr.“4 Für die Erfurter Universität bedeuteten die Vorfälle an der Universität einen schweren Imageschaden, was sich auch in den sinkenden Immatrikulationszahlen niederschlug. Hatten sich im Sommersemester 1509 noch 164 Studenten immatrikuliert, so waren es ein Jahr später weniger als die Hälfte, nämlich 64.5 In dieser Situation fühlte sich auch Crotus in Erfurt nicht mehr wohl. Im Rückblick schilderte er seinem Freund Ulrich von Hutten die Situation, in der er sich damals befand. Als aber dort [in Erfurt] alles drunter und drüber ging, und das Volk heftig mit den Patriziern stritt und täglich Revolutionäres plante, schien es mir nicht mehr sicher, sich unter Schwertern zu bewegen und statt des Schreibstiftes eine Waffe zu tragen. Aus diesem Grunde fing ich nach einem Semester an, darüber nachzudenken, wie ich der äußerst stürmischen Charybdis entkommen konnte. Dazu kam, dass auch dort sich die Gemeinschaft der Gelehrten aufzulösen im Begriffe war.6

Tatsächlich verließen zu dieser Zeit zahlreiche Professoren und Studenten die Universität, unter ihnen viele Freunde des Crotus. So gingen zu dieser Zeit Petrus Eberbach 1510 nach Wien und dessen Bruder Heinrich nach in Italien, Eobanus Hessus war schon 1509 nach Preußen an den Hof des Bischof Hiob von Dobeneck gezogen; der Satiriker Euricius Cordus fand im gleichen Jahr in Kassel eine neue Wirkungsstätte, und der hochangesehene Jurist Henning Goede folgte einem Ruf an die Universität Wittenberg; Heinrich Urbanus, Mutians treuer Freund, war schon 1508 wegen eines sexuellen Vergehens vom Kloster Georgenthal beurlaubt und zum weiteren Studium nach Leipzig „verbannt“ worden. Im gleichen Jahr hatte auch Georg Spalatin Erfurt verlassen und sich an den kursächsischen Hof in Torgau begeben. Schließlich verließ auch Justus                                                              4

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KLEINEIDAM, Studium Universitatis Erffordensis, II, S. 186. Kleineidam paraphrasiert den lateinischen Dekanatsbericht. Original in Fußnote 1150. KLEINEIDAM, Studium Universitatis Erffordensis, II, S. 187; ABE, Die Frequenz der Universität Erfurt im Mittelalter, S. 34, Tabelle II, S. 194. BÖCKING I (Crotus an Ulrich von Hutten, 3. Februar, 1511), S. 20: „Verum cum ibi omnia discordiarum plena discedente plebe a patribus cottidieque nova moliente, non tutum videbatur versari inter enses atque pro calamo ferrum tractare, proinde semestri spatio coepi cogitare quo consilio subriperem me turbulentissima Charibde, praesertim iam inclinante collegio hominum literatorum.“

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Jonas 1511 Erfurt und ging nach Wittenberg. Es war einsam um den noch in Erfurt lebenden Crotus geworden, und es passt ganz in das Bild des friedlichen, gewaltsamen Konflikten abgeneigten Mannes, dass er sich entschied, die Stadt, die ihm soviel bedeutete, zu verlassen. Es gab jedoch noch einen zweiten Grund, Erfurt zu diesem Zeitpunkt den Rücken zu kehren. Anders als etwa die beiden Eberbach-Brüder, Heinrich und Peter, anders auch als Spalatin, der schon seit 1508 die Stelle eines Prinzenerziehers in Kursachsen innehatte, anders schließlich als Mutian selbst, der als Kanoniker ein zwar relativ bescheidenes, aber ausreichendes Einkommen hatte,7 verfügte Crotus über keine Einkünfte. Seine Existenz bestritt er weitgehend damit, dass er seit etwa 1507 als Mentor und Erzieher zwei adlige Studenten betreute, nämlich die beiden Söhne des Grafen Hermann von Henneberg-Römhild.8 Die Henneberger, deren Territorium sich im Grenzgebiet zwischen Thüringen, Hessen und Franken befand, waren im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ein bedeutendes Grafengeschlecht von regionaler und in beschränktem Maße nationaler Bedeutung.9 Berthold von Henneberg, der Onkel Hermanns, war zum Beispiel von 1484 bis zu seinem Tode im Jahre 1504 Erzbischof von Mainz und damit Erzkanzler des Heiligen Römischen Reiches gewesen. Dazu kam, dass die Universität Erfurt zu einer der wichtigsten Bildungsstätten auch des Adels, einschließlich der Henneberger geworden war. Zwischen 1433 und 1521 hatten elf Henneberger Grafen aus vier Familien dieses weitverzweigten Geschlechts an der Universität Erfurt studiert.10 So ist es nicht überraschend, dass sich 1506 die beiden Brüder Georg und Berthold an der Erfurter Universität inskribierten: Georg, obwohl erst 14 Jahre alt, war bereits 1500, also im Alter von 8 Jahren zum Kanoniker in Straßburg ernannt worden.11 Sein um ein Jahr jüngerer Bruder Berthold (XVI.), geb. 1493, war ebenfalls im jugendlichen Alter von 12 Jahren ins Straßburger Stift aufgenommen worden. 12 Erstaunlich war nicht das junge Alter der beiden Grafen – Georg war 14 und Berthold 13 Jahre

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Vgl. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis, S. 60. Möglicherweise hielt Crotus auch als promovierter Magister in der Artistischen Fakultät Vorlesungen, wozu er eigentlich verpflichtet war. Davon ist aber in den Briefen des Mutian-Kreises an keiner Stelle die Rede. WÖLFING, Die Grafen von Henneberg – ihre regionale und nationale Bedeutung, S. 17. RICHTER, Henneberger Grafen, S. 304. WAGNER, Entwurf einer Genealogie der Grafen von Henneberg, S. 135. Für beide Brüder wurden an der Universität Erfurt vier Gulden Aufnahmegebühr bezahlt: WEISSENBORN, Acten der Universitaet Erfurt, II, S. 247: „Nobilissimi duo fratres Georgius et Bertoldus Hennebergii principes, ambo cathedralium ecclesiarum Agrippinensis et Argentiae canonici, ambo sine iactantia litterati et ornatissimi morum integritate, qui 4 florenis universitatem et duos pedellos adornarunt.“

WARUM VERLIESS CROTUS RUBIANUS ERFURT?

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alt –, sondern dass Georg Ostern 1507, also mit 15 Jahren zum Rektor der Universität gewählt wurde.13 In dem Bericht der Universität heißt es: Um das wissenschaftliche Gemeinwesen zu verwalten, haben die gelehrten Erfurter Männer an die Spitze des sehr ehrenwerten Standes der Scholaren einstimmig den erlauchten Grafen Georg von Henneberg gestellt, einen durch Kanonikate zu Köln und Straßburg ausgezeichneten Jüngling, den sie für diese hohe Ehrenstelle als würdig erachten. Er hat sich nämlich durch seine besondere Begabung, sein abgeklärtes Benehmen und frühzeitige Klugheit ausgezeichnet.14

Diese beiden Brüder betreute Crotus Rubianus nun bald nach deren Immatrikulation im Herbste 1506. Belege dafür finden sich weder in den Universitätsakten noch in dem Archiv der Henneberger; lediglich in der mutianischen Korrespondenz haben sich Spuren davon niedergeschlagen. In einem Brief aus diesem Jahre an Herebord von der Marthen erkundigt sich Mutian nach den genauen Namen der beiden Henneberger Sprößlinge, für deren charakterliche und literarische Bildung Venatorius, also Crotus, jetzt verantwortlich sei.15 Und ein Jahr später redet Mutian Crotus direkt als Johannes Venatorius, comitum paedagogus, den Erzieher der Grafen an. 16 So wichtig die Stellung für Crotus’ Lebenssicherung gewesen sein mag, so abhängig machte er sich von den Launen dieser einflussreichen Adelsfamilie, und so nebensächlich war sie offenbar für die Familie der Henneberger selbst. 17 Das dürfte auch mit dem geringen sozialen Status des Erziehers zu tun gehabt haben.18

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WEISSENBORN, Acten der Universitaet Erfurt, II, S. 247. Ebenso: WAGNER, Entwurf einer Genealogie der Grafen von Henneberg, S. 135. Dazu RICHTER, Henneberger Grafen, S. 302: „Möglicherweise war seine Ernennung eine Referenz an seinen verstorbenen Onkel Berthold, den Erzbischof von Mainz, der ja ebenfalls in Erfurt studiert und während seiner Mainzer Amtszeit das Recht zur Bestätigung der gewählten Erfurter Rektoren hatte.“ Vgl. WEISSENBORN, Acten der Universitaet Erfurt, II, S. 255: „Quamobrem docti homines Erphordiani, ut bene consulerent reipublice litterarie, frequenti comitio unanimis suffragiis honestissimo scholastorum ordini rectorem prefecerunt Georgium illustrem Comitem Hennebergensem, adolsecentem duobus sacerdotiis cathedralium ecclesiarum apud Agrippinensies et Argentinesis amplificatum, quem imprimis hiis fascibus in quo fulgeat indoles mirifica, mores defecati, dexteritas supra etatem, consilium ante annos.“ GILLERT Nr. 60 (Mutian an Herebord von der Marthen, 1507): „Quae sint propria nomina comitum Hennebergiorum, qui a Venatorio literis et moribus erudiuntur?“ GILLERT Nr. 2 (Mutian an Joh. Venatorius und Herebord von der Marthen, 2. Juli 1508). Nachrichten über seine Tätigkeit finden sich lediglich in der mutianischen Korrespondenz, nicht aber in den von Johannes MÖTSCH auf vorbildliche Weise erschlossenen hennebergischen Archiven. MÖTSCH, Regesten des Archivs der Grafen von HennebergRömhild. Vgl. dazu auch MÜSEGADES, Fürstliche Erziehung und Ausbildung im spätmittelalterlichen Reich.

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CROTUS RUBIANUS’ ERSTER AUFENTHALT IN FULDA (1510-1517)

Wie unsicher diese Stellung für Crotus und in welch starkes Abhängigkeitsverhältnis von den Adligen er sich aber damit begeben hatte, sollte er bald zu spüren bekommen. Ein sehr fragwürdiger Vertrag, heißt es in einem vertraulichen Brief des Crotus an Spalatin aus dem Jahre 1509, werde ihm von den Gesandten des Vaters der beiden Studenten, angeboten, nämlich entweder den beiden in ihre Heimat, also auf die Burg Römhild, zu folgen oder allein, und damit ohne Einkommen, in Erfurt zu bleiben. Die Entscheidung werde ihm überlassen. Dieser Ton gegenüber ihrem Lehrer sei doch sehr herablassend; denn indem sie ihn vor diese Alternative stellen, wollen sie doch im Grunde andeuten, dass sie seine Dienste für entbehrlich hielten. Das laufe doch auf eine Art Erpressung hinaus, deutet Crotus weiter an. Was, um GottesWillen, solle er denn machen? Er, Crotus, brauche doch eine Beschäftigung. Offenbar sei der Vater der beiden mit den Fortschritten seiner Söhne nicht zufrieden und mache Crotus dafür verantwortlich. Er aber weise diese indirekten Vorwürfe zurück. Wenn beide jungen Studenten in ihren Studien nicht glänzten, was typisch für Adlige sei, so sei das nicht seine Schuld, wie die beiden Jünglinge selbst bezeugen könnten. Trotzdem habe er sich entschlossen, den beiden zu folgen, damit man ihm [später] keine Vorwürfe machen könne.19 Lange kann dieser Aufenthalt auf der väterlichen Burg der Henneberger aber nicht gedauert haben, wie Crotus im Rückblick schreibt: Ich wollte keine schlechte Ernte machen und durch eine Vergünstigung Dankbarkeit verdienen. Aus diesem Grunde habe ich die zwei adligen Schüler verlassen, nachdem ich um meine Entlassung gebeten hatte, die mir der Vater wohl oder übel auch gewährt hat. Ich bin also nach Erfurt zurückgekehrt zu der Gemeinschaft der Menschen, denen ich durch unsere gemeinsamen literarischen Interessen verbunden bin. Diese innige Gemeinschaft halte ich für jedes Lebensalter für die angenehmste.20

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Autograph der Basler Universitätsbibliothek (G1, 31) ohne Anfang und Schluss abgedruckt in GILLERT II, S. 340: „Conditio dubia mihi proponitur a legatis Hermanni comitis, ut scilicet vel sequar discipulos aut maneam Erphurdiae. Utrumque integrum mihi relinquitur … vide, quam impia in praeceptorem sint haec verba. Quid enim aliud volunt quam declarare non amplius opus esse meo officio? Quod, ut me Deus amet, susque deque facerem, si ratio laboris et diligentiae haberetur. Nam si discipuli multum adeo in literis non calleant, ut consuetudo habet nobilium, tametsi ignorantiae mentio facta non sit, culpa mea non sit testibus fide locupletissimis suae contumaciae ambobus fratribus. Ego vero abeuntes propterea sum secutus, ne cui malevolo culpandi locus relinquetur.“ BÖCKING I, S. 20 (Brief an Ulrich von Hutten 3. Februar 1511): „Nolui malam messem facere et beneficio mereri gratitudinem, quamobrem discessi ab illustribus discipulis impetrata dimissione nolente volente patre et redii ad Erphurdium in consortium hominum similitudine studiorum parium: quod genus vivendi ego arctissimum societate iucundissimum pro cuiusque aetate duco.“

CROTUS ALS LEITER DER FULDAER KLOSTERSCHULE

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Crotus muss also 1509/10 wieder nach Erfurt zurückgekommen sein. Sonst hätte er ja nicht Zeuge der Unruhen des „Tollen Jahres“ werden können. Allerdings war er nun nicht mehr Erzieher der beiden Adligen und somit ohne Einkommen. In dieser Situation erreichte ihn aus Fulda das Angebot, die Leitung der dortigen Stiftsschule zu übernehmen: Mitten im Winter [1510/11], schreibt er an Ulrich von Hutten, eile ich dorthin. Bei meiner Ankunft werden mir zahlreiche unzumutbare Bedingungen gestellt: Deshalb wäre ich nach Thüringen zurückgekehrt, wenn mich nicht Apollo Peter von Schaumberg und die übrigen Kapitelherren mit ihren Bitten davon abgebracht hätten.21 Eine der „unzumutbaren Bedingungen“ bei seinen Verhandlungen war, dass man die Leitung der zwei Sparten der Schule – eine für die Mönche und den Ordensnachwuchs, die andere für die Söhne der Fuldaer Stadtbürger – nicht trennen wollte, worauf Crotus ursprünglich bestanden hatte.22 Obwohl sich Crotus damit nicht durchsetzen konnte, wurde er, durch Bitten erweicht, Leiter beider Abteilungen.23

2.

Crotus als Leiter der Fuldaer Klosterschule

CROTUS ALS LEITER DER FULDAER KLOSTERSCHULE Crotus Rubianus wurde also an eine Schule berufen, die zwar nicht mehr wie im Mittelalter zu den bedeutendsten im Reich gehörte, aber keineswegs damals „ein kümmerliches Dasein fristete“, 24 sondern durchaus noch große regionale Bedeutung hatte, wie die Immatrikulationszahlen der aus Fulda kommenden Studenten an der Universität Erfurt belegen.25 Mindestens die den Fuldaer Bürgersöhnen vorbehaltene Stiftsschule genoss immer noch einen guten Ruf, was wohl auch daran lag, dass sie sich relativ früh, etwa seit 1500, modernen, d. h. in diesem Fall humanistischen Tendenzen öffnete. Um die Qualität der Schule zu verbessern, hatte man außerdem verfügt, dass der Rektor den akademischen Grad eines Magister Artium vorweisen musste, und Crotus’ Vorgänger, ein

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BÖCKING I, S. 20: „Advolo media hyeme; advenienti proponuntur conditiones multae; displicuerunt omnes: ergo redissem in Duringiam, nisi Eromius Apollo Petrus Schambergius et caeteri invitum precibus detinuissent.“ BÖCKING I, S. 20: „tantopere displicuit ludus scholasticus quam nolebant separare a praelectione monachorum prout ipse cupiebam.“ BÖCKING I, S. 20 f.: „Victus itaque orando mansi praeses gemini ludi.“ Die Umsiedlung nach Fulda muss im Winter 1510/11 geschehen sein. Im Februar 1511 schreibt er aus Fulda an Hutten. Die Ausschreitungen in Erfurt im August 1510 hat er also noch erlebt. Genauer lässt sich der Beginn seiner Fuldaer Tätigkeit mangels Quellen nicht ermitteln. KALKOFF, Reichsabtei Fulda, S. 210. BREUL-KUNKEL, Fulda und Erfurt, S. 74; LEINWEBER, Hochstift Fulda, S. 35.

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CROTUS RUBIANUS’ ERSTER AUFENTHALT IN FULDA (1510-1517)

gewisser Johann Hopf, besaß eine ansehnliche, aus humanistischen und antiken Autoren bestehende Bibliothek.26

Abb. 3: Fulda 1655, Kupferstich Die Bezahlung des Crotus war jedoch kümmerlich. Außer einem Hofkleid (vestitus aulicus) erhielt Crotus fünf Gulden, dazu von den jüngeren (adligen) Stiftsherren bescheidene 14 Gulden jährlich, etwas Trinkgeld und die übrigen läppischen Nebeneinkünfte.27 Selbst wenn man bedenkt, dass Verpflegung und Unterkunft eingeschlossen waren, war das eine beleidigend dürftige Bezahlung. Zum Vergleich: ein Professor in der juristischen Fakultät verdiente in dieser Zeit mehr als 100 Gulden jährlich, ein Professor in der weniger prestigeträchtigen artistischen Fakultät etwas weniger, und Mutian, keineswegs ein reicher Mann, hatte ein geschätztes Jahreseinkommen von über 100 Gulden. 28 Hartmann von Kirchberg, Fürstbischof der Abtei, selbst wurde, als er 1521 endgültig auf sein Amt als Abt zu verzichten gezwungen wurde, eine jährliche Pension von 600 Gulden genehmigt – neben einer einmaligen Abfindung von 1.900 Gulden.29 Es wird deshalb nicht überraschen, dass Crotus in seinen Briefen aus Fulda häufig über seine schlechte wirtschaftliche Lage klagte: Das wenige Geld reicht nicht für die Kosten eines sparsamen und genügsamen Menschen, wenn sich auch die „Wollkrempler“ 26 27

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BREUL-KUNKEL, Fulda und Erfurt, S. 76. BÖCKING I (Crotus an Ulrich von Hutten, 2. Februar 1511), S. 21: „Pro mercede a Kirchbergio quem totum habeo aureos v, vestitum aulicum a iuuenibus, florenos XIIII cum reliquis corollariis, non numeratis quisquiliis superstitibus, a grege scholastico.“ Vgl. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanstischer Freundeskreis, S. 62. LEINWEBER, Hochstift Fulda, S. 29. Vgl. auch KALKOFF, Huttens Vagantenzeit, S. 105, Anm. 2. „Wenn man damit vergleicht, welche Summen diejenigen Prälaten auf den Bau ihrer Wohnhäuser und Speicher verwandten oder wie der Abt das Stiftsvermögen vergeudete, so erschien sie dem armen Klosterlehrer gegenüber keineswegs in der Haltung des freigebigen Mäzens.“

DIE BERUFUNG DES CROTUS NACH FULDA

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brüsten, mir einen „Bischofssitz“ gegeben zu haben.30 Als ihm Mutian bei einer anderen Gelegenheit einmal sieben Gulden für den Kauf eines Buches versprach, erkundigte sich Crotus ungläubig, ob er sich nicht verschrieben habe. Nein, schrieb sein älterer Freund zurück, Crotus’ Abt habe bei einem Besuch in Erfurt sogar 10½ Gulden für den corpus juris hingeblättert.31 Sein neuer Arbeitgeber dachte offenbar in ganz anderen finanziellen Größenordnungen als der neue Leiter der Stiftsschule.

3.

Die Rollen des Mutianus Rufus und Hartmanns von Kirchberg bei der Berufung des Crotus nach Fulda

DIE BERUFUNG DES CROTUS NACH FULDA Obwohl man sich in Fulda bei der Besoldung des neuen Schulleiters alles andere als großzügig zeigte, legte man doch Wert auf einen gut ausgebildeten, möglichst schon bekannten und erfahrenen Pädagogen. Crotus war zwar schon 1507 zum Magister promoviert worden, hatte sich aber nicht als Wissenschaftler, etwa durch Publikationen, profilieren können, und auch als Pädagoge konnte er lediglich seine Tätigkeit als Privatlehrer zweier adliger Studenten vorweisen. Es bedurfte also des Einsatzes zweier Männer, ihm diese wichtige, wenn auch schlecht bezahlte Stellung zu verschaffen. Diese beiden Männer waren Mutianus selbst und der damalige Koadjutor und seit 1513 Abt des Hochstifts Fulda, Hartmann von Kirchberg. Mutian, der selbst stets höchst attraktive Angebote ausschlug,32 setzte sich unermüdlich für seine jüngeren Freunde ein. So besorgte er 1505, wie wir schon sahen, Georg Spalatin eine Stelle als Novizenlehrer im Kloster Georgenthal und drei Jahre später als Prinzenerzieher am kurfürstlich-sächsischen Hof in Torgau. Etwa zur gleichen Zeit machte er seinen Einfluss geltend, als es galt die Stelle des Verwalters des Georgenthaler Hofes in Erfurt zu besetzen. Dank seiner Empfehlung bekam nämlich sein engster Freund Urban diesen Posten. Selbst 30

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GILLERT Nr. 507 (Crotus Rubianus an Mutian, 11. Juni 1515): „Pecunia exigua non sufficit pro sumptu unius hominis frugi et parci, quamvis episcopatum dedisse iacticant lanarii.“ Mit „laniarii“ (Wollarbeiter) waren entweder die Mönche gemeint (GILLERT Nr. 179, Anm. 1) oder die Fuldaer im Allgemeinen, die wegen der dortigen Tuchhandels verächtlich „Wollkrempler“ (laniarii) genannt wurden (KRAUSE Nr. 597, Anm. 7). GILLERT Nr. 260 (Mutian an Crotus Rubianus, kurz vor dem 13. Juni 1513): „Errare me putas, quod VII aureos scripsi. Scripsi, fateor, non dedi, daturus tamen plures, si placuisset. Magnus patronus dum hic esset emisse corpus iuris VII aureis dicebat.“ Bezeichnend dafür ist etwa seine Ablehnung des Angebots Friedrichs des Weisen, die Nachfolge des angesehenen Juraprofessors Henning Goede anzutreten. Vgl. GILLERT Nr. 601 (Friedrich der Weise an Mutian, 12. Februar 1521).

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ein Jahrzehnt später war es ein Brief aus der Feder Mutians, auf Grund dessen sein Freund Justus Jonas der Nachfolger des angesehenen Wittenberger Juristen Henning Goede wurde. Mit einem jubelnden und wohl leicht ironisch gemeinten Habemus Jonam meldete er dies seinen Freunden.33 Als Crotus deshalb die Stelle in Fulda bekam, und Mutian dies seinem Freund Urban mit den Worten Bona fortuna arrisit tandem Croto – Das Glück hat endlich Crotus angelächelt,34 dürfte der Gothaer Kanoniker in erheblichem Maße dem Glück nachgeholfen haben. Aber Mutian, so groß sein Einfluss auch gewesen sein mag, hatte lediglich die Macht der Feder, er konnte nur empfehlen. Entscheiden aber vermochte nur Hartmann von Kirchberg selbst, und diesen kannte Mutian schon seit ihrer gemeinsamen Studienzeit in Erfurt. Geboren im Jahre 1465 (er war also etwa vier Jahre älter als Mutian), besuchte Hartmann ab 1482 die Universität Erfurt,35 wo er bereits im Sommersemester 1484 zum Rektor gewählt worden war. 1487 wurde er zum Domherrn in Mainz ernannt und drei Jahre später promovierte er zum Doktor beider Rechte an dieser Universität. Im Jahre 1495 trat er in den Dienst des damaligen Fuldaer Abtes Johannes von Henneberg. Zwölf Jahre später wurde er zu dessen Vertreter oder Koadjutor gewählt. Als solcher war er dessen rechte Hand, Mitregent und designierter Nachfolger.36 Als Johannes von Henneberg 1513 starb, wurde Hartmann, wie es die Tradition vorsah, offiziell zu dessen Nachfolger ernannt. Der Abt der Reichsabtei Fulda Hartmann war ein mächtiger Mann, denn er war nicht nur das geistliche Oberhaupt einer der bedeutendsten Abteien Deutschlands, sondern auch seit dem Hochmittelalter weltlicher Herrscher über ein relativ umfangreiches Herrschaftsgebiet.37 Mutianus und Hartmann von Kirchberg schätzten sich gegenseitig und blieben in lockerem Kontakt, auch nachdem der Gothaer Kanoniker Crotus für die Stelle in Fulda empfohlen hatte. Zu seiner Ernennung als Nachfolger von Abt Johann III. im Jahre 1513 verfasste Mutian sofort ein Gedicht38 und bat seinen engsten Freund Urbanus, Hartmann brieflich zu gratulieren und seine nugae, die poetische Kleinigkeit, also das besagte Gedicht, dem Brief beizufügen, was dieser auch tat. Etwa einen Monat danach wurde Hartmann am 2. Juli 1513 feierlich in sein Amt eingeführt. Zu den Inthronisationsfeierlichkeiten wurde                                                              33

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BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein Gothaer Freundeskreis, S. 227. Vgl. GILLERT Nr. 603 (Mutian an Friedrich den Weisen, 1. Mai 1521). GILLERT Nr. 161( Mutian an Urban). Das Datum von 1509 dürfte ebenso falsch sein wie das von Krause vorgeschlagene 1513, welches sich auf Crotus Priesterweihe beziehen dürfte. Der Brief muss aus dem Jahre 1510 oder 1511 stammen. WEISSENBORN, Acten der Universität Erfurt I, S. 390. Alles nach LEINWEBER, Hochstift Fulda. Vgl. JÄGER, Grundzüge der fuldischen Verfassungs-und Verwaltungsgeschichte, S. 201: Das fuldaische Gebiet umfasste 40 Quadratmeilen und hatte etwa 37.000 Einwohner. Abgedruckt in GILLERT Nr. 257 (Mutian an einige Freunde, vor dem 22. Mai 1513).

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auch Mutian eingeladen; offenbar lag Hartmann sehr viel daran, den alten Freund und geachteten Gothaer Humanisten zu Gast zu haben, denn er bot an, extra ein edles Pferd und einen Reiter (nobilissimus equus et equites) nach Gotha zu schicken, um dort Mutian abzuholen.39 Dieser aber, der nach seiner Rückkehr ganz selten Gotha verließ,40 lehnte ab. Die Absage aber sollte ihm Crotus überbringen, denn schließlich sei er es gewesen, der ihm durch sein übermäßiges Lob diese Einladung „eingebrockt“ habe.41 Kurz darauf bedankte sich auch Mutian persönlich – die Feierlichkeiten waren schon über die Bühne gegangen – dafür, dass Hartmann seine Entschuldigung angenommen habe. Das habe er von Crotus erfahren.42 Möglicherweise um den Fauxpas der ausgeschlagenen Einladung wieder gut zu machen, sandte er ihm eine kurze Tischrede (oratiuncula convivalis), die ein Knabe bei passender Gelegenheit vortragen sollte.43 Darin lobt Mutian auf überschwängliche Weise Hartmanns angeborene Heiterkeit (nativa comitas), unvergleichliche Milde (incomparabilis mansuetudo) und ungewöhnliche Freundlichkeit (humanitas non vulgaris). Zudem bedauerte Mutian, dass er bei dem feierlichen und prunkvollen Umzug nicht hatte dabei sein können.44 Letzteres war sicherlich nicht ganz aufrichtig gemeint, denn gegen Prunk, Pomp und glanzvolle Umzüge war Mutian höchst allergisch. Und ganz so feierlich war offenbar die Veranstaltung auch nicht verlaufen, wenn wir dem Bericht eines Augenzeugen, des Stiftsdechanten Apollo von Vilbel, Glauben schenken dürfen. Als Hartmann nämlich nach alter Tradition vor dem versammelten Volk unter dem Gesang des Tedeum auf den Hochaltar gesetzt wurde, um die Huldigung des Kapitels entgegenzunehmen, gaben die Stiftsherren ihrer Abneigung offenen Ausdruck, indem sie entweder überhaupt nicht sangen oder doch so falsch, dass der Gesang mit größtem Missklang zu

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GILLERT Nr. 262 (Mutian an Crotus, 13. Juni 1513): „Nobilissimum equum et equitem, ne desiderio suo moram faciam, missurum se pollicetur.“ Ausnahmen: kurze Besuche in Erfurt und Georgenthal und eine etwas länger dauernde Reise nach Torgau in Sachen Spalatins. Siehe BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis, S. 143. GILLERT Nr. 262 (Mutian an Crotus, 13. Juni 1513): „Tu, mi Crote, auctor es, ut tanti sim apud eum. Tu predicas, tu magnificis, tu ad sidera levas Mutianum. … Ita decipitis quamquam prudentissimum principem.“ GILLERT Nr. 263 (Mutian an Hartmann vom 13. Juni 1513): „Factus sum certior a Croto … admisisse te nostram excusationem mente serena, quod est mihi maxime iucundum.“ GILLERT Nr. 263 (Mutian an Hartmann, kurz nach dem 13. Mai) Die Rede ist nach dem Brief abgedruckt, S. 348 f. GILLERT Nr. 263 (Mutian an Hartmann von Kirchberg, kurz nach dem 13. Juni 1513): „Sed nativa tua comitas, incomparabilis manuetudo et humanitatis non vulgaris … maiestatem et graciam ita mihi fidicium in dicendo conciliavit.“

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Ende geführt wurde.45 Wie Crotus dieses Vorkommnis während der Feierlichkeiten seinem Mentor in Gotha schilderte, ist nicht bekannt, da sein Brief darüber wie so viele andere verlorengegangen ist. Bei seiner Neigung, jeder Situation etwas Komisches abzugewinnen, darf man vermuten, dass es sich nicht um einen sachlichen oder gar bewundernden Bericht handelte, sondern dass das bewusste klerikale Falschsingen darin eine prominente Rolle spielte. Facetissime habe Crotus das Einsetzungsfest geschildert, freute sich Mutian – höchst witzig und geistreich.46 Der Grund für den gesanglichen passiven Widerstand der Mönche dürfte die häufige Abwesenheit Hartmanns von der Abtei gewesen sein, denn statt sich um deren Belange zu kümmern, war er ständig in ganz Europa auf diplomatischen Missionen unterwegs. Im Jahre 1508 reiste er zum Beispiel über den kaiserlichen Hof in Wien (er war Erzkanzler der Kaiserin) nach Rom; in den folgenden Jahren unternahm er im Auftrag von Kaiser Maximilian verschiedene Reisen nach Polen, um zwischen dem Polenkönig Sigismund und dem Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht von Brandenburg zu vermitteln (vgl. Kap. X). 1512 begab er sich nach Köln, wo er persönlich mit Maximilian I. sprach.47

Exkurs: Hartmann – ein Mäzen der Humanisten? EXKURS: HARTMANN – EIN MÄZEN DER HUMANISTEN? Von den Fuldaer Mönchen mag Hartmann nicht besonders geschätzt worden sein, von den Humanisten um Mutianus und von diesem selbst dagegen wurde der adlige Fürstabt als Mäzen und als Verteidiger und Schutzherr der Wissenschaften gepriesen. Dessen Gunst und Wohlwollen galt es zu gewinnen.48 So

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Chronik des Apollo von Vilbel, hg. von RÜBSAM, S. 222: „Nota quod malum presagium hac die ordinacionis inter cantandum canticum Ambrosianum, scilicet Te deum laudamus, quod cum cottidianum sicut pater noster in usu communi omnibus; sed singulis tacentibus et errantibus cum maxima negligentia et discordia completum est.“ LEINWEBER, Hochstift Fulda, S. 27. GILLERT Nr. 268 (Mutian an Urban, Juni 1513): „Scribit Crotus facetissime de festo coronacionis heri sui.“ BREUL-KUNKEL, Herrschaftskrise, S. 95. Das geht aus einem Brief des Crotus an Johannes Hess vom 20. September 1512 hervor. Analekten zur Biographie des Johann Hess, in: BAUCH, Corr.Blatt, S. 165: „Secutus ante mensem amplissimum patrem Hartmannum ad caesaris curiam.“ GILLERT Nr. 478 (Mutian an Hessus, 15. März 1515): „Hartmannus princeps sacrosanctus studiosissimus et rei publicae ita totius literarii ordinis. Verus … Maecenas aetatis nostrae.“; GILLERT Nr. 262 (Mutian an Crotus, 18. Juni 1513): „patronus noster dulcis-

EXKURS: HARTMANN – EIN MÄZEN DER HUMANISTEN?

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ermunterte Mutian z. B. Urbanus gleich bei Hartmanns Amtsübernahme, ihm zu schreiben.49 In dem Brief dankt Urban Gott, dass so ein Mann wie Hartmann, das Mönchstum auf so ein hohes Niveau gehoben und zu so großem Ansehen verholfen habe. Aber noch wichtiger für Urban ist Hartmann als Schutzherr der Gebildeten der Humanisten. Im Kampf gegen die Barbaren könnten sich diese auf dessen Beistand verlassen. Der Führer der literarischen Kohorte – ductor cohortis literariae, Mutianus, höre nicht auf, sie, dessen Sodalen, zu ermahnen, die klassischen Autoren zu lesen und ihn, Hartmann, als ihren Schutzherrn und Bewahrer zu grüßen und zu ehren.50 Solch überschwänglichem Lob – darüber sollte man sich nicht täuschen – lag ein guter Teil Berechnung zugrunde. Celebra virum, qui prodesse potest – Rühme den Mann, der uns nützen kann, hatte Mutian Crotus ermahnt.51 Konkret bedeutete das, dass Mutian versuchte, seinen Freunden Stellungen in der Verwaltung oder am Hofe des Fürstbischofs zu beschaffen. Mit Crotus Rubianus war ihm dies bereits gelungen. Aber auch andere, humanistisch gebildete Freunde empfahl Mutian dem Fuldaer Fürstabt. So legte er Hartmann seinen engsten Freund Heinrich Urban im Jahre 1515 ans Herz. In ihm habe er, schwärmte Mutianus, einen in der lateinischen Sprache gewandten und welterfahrenen Mann (Latinus et solers), der, wenn er Hartmanns Kanzler wäre, dessen Ruhm und Ansehen auf erstaunliche Weise vermehren würde. Dass er klug sei, habe der Abt schon aus dessen Brief gesehen.52 Aber Urban hatte damals eine gesicherte und wichtige Position als Verwalter des Georgenthaler Hofes in Erfurt. 53 Anders stand es mit Eobanus Hessus. Nach seiner Rückkehr aus Preußen im Jahre 1513 hatte er keine passende An                                                                                                                                       49

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simus“; GILLERT Nr. 486 (Mutian an Abt Hartmann, 29. März 1515): „literatorum omium patronus.“ GILLERT Nr. 258 (Mutian an Urban, 22. Mai 1513): „Tu, mi Urbane, scribe gratulacionem.“ GILLERT Nr. 258 (B) (Urban an Hartmann von Kirchberg, Mai 1513), S. 341 f.: „Quam ob rem tibi gratulator, illustris princeps et domine summis digne laudum preconiis, quod monastici nominis amplitudinem ad tantum honoris fastigium subvectus et tueri possis et augeri velis. Gratulor et scholis eruditorum. De his loquor, qui sunt eloquencia nitidiores, qui omnes de patrono, te Maecenate, bonas literas alacriter a situ recipient et cum barbaris tuo freti praesidio dimicabunt. Ductor enim cohortis literarie Mutianus non desinit nos milites suos hortari, ut sequantur authores illustrissimos teque sortis eminentissimae custodem et conservatorem nostrum salutemus et veneremur.“ GILLERT Nr. 267 (Mutian an Crotus, im Juni 1513). GILLERT Nr. 474 (Mutian an Hartmann von Kirchberg, 15. März 1515): „… Henricum Urbanum, latinum et solertem virum, qui tuus cancellarius esset, laus et gloria mirum in modum augeretur, presertim tua prudentia literas illius recognoscente.“ Er hatte diese Stelle auf Fürsprache Mutians erhalten. Vgl. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein Gothaer Freundeskreis, S. 126 f.

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stellung gefunden. Er war zwar als neulateinischer Dichter schon berühmt geworden, aber eine Position an der Universität mit ihren traditionellen jahrhundertealten Strukturen zu finden war für jemanden, dessen Qualifikationen hauptsächlich darin bestand, äußerst geschickt lateinische Verse zu schmieden, äußerst schwierig. Für keinen anderen seiner Schüler engagierte sich Mutian leidenschaftlicher als für Hessus. In diesem Fall verfuhr Mutian zweigleisig: Einerseits sollte Hessus selbst die Initiative ergreifen und den Fürstabt zu den Sternen erheben,54 andererseits drängte Mutian Hartmann in fünf, kurz hintereinander geschriebenen Briefen, neben Crotus auch Hessus an seinen Hof in Fulda zu holen.55 Wie einst der historische Maecenas den Dichter Vergil gefördert und dadurch Unsterblichkeit erworben habe, so würde Hessus ihm, Hartmann, zu dieser Unsterblichkeit verhelfen. 56 Da Hessus aber verheiratet sei, entfalle eine geistliche Stellung. Trotzdem gebe es für ihn vielfältige andere Beschäftigungsmöglichkeiten. Das Beste wäre Kanzlist oder „Steuereinnehmer der Bauern“ (censor rusticorum) zu werden. Doch weder die Aussicht auf Unsterblichkeit durch die Feder des Dichters noch die inständigen Bitten Mutians bewogen Hartmann, Eobanus Hessus eine Stelle in Fulda anzubieten, abgesehen davon, dass der gutmütige, selbst aus bäuerlichen Verhältnissen stammende und in finanziellen Angelegenheiten äußerst unbedarfte Hessus für kaum eine andere Tätigkeit als die des Steuereinnehmers weniger geeignet gewesen sein dürfte. Verdiente Hartmann, den der italienische Dichter Richard Sbrulius (14801528), einmal in einem Gedicht als unicus musarum cultor – einzigartigen Musenverehrer gepriesen hatte,57 und den auch Mutian selbst als den Gebildetsten, der die Gebildeten unterstützt58 lobte, den Ruf, ein Mäzen der Humanisten zu sein? Oder stilisierten ihn die Humanisten zu einem solchen, in der Hoffnung, von ihm unterstützt zu werden?59 Ohne Zweifel war Hartmann ein humanistisch gebildeter 54

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GILLERT Nr. 478 (Mutian an Hessus, 15. März 1515): „Verus, mihe crede, Maecenas aetatis nostrae Crotum diligit, me amat Dignus, Eobane, quem Musae tuae tollant ad astra.“ GILLERT Nr. 475 (Mutian an Hartmann, 15. März 1515); GILLERT Nr. 481 (19. März 1515); GILLERT Nr. 484 (zwischen dem 19. und 29. März 1515), GILLERT Nr. 485 (Mutian an Hartmann von Kirchberg, 29. März 1515) und GILLERT Nr. 486 (29. März 1515). GILLERT Nr. 484 (Mutian an Hartmann, zwischen dem 18. und 29. März 1515): „Honestissimum esset et instar immortalitatis, si Crotum et Eobanum Fuldae aleres. Crotum fecisti cardinalem, restat, ut Croto poetam nobilissimum adiungas.“ Zitiert bei BAUCH, Die Universität Erfurt, S. 117; KALKOFF, Reichsabtei Fulda, S. 261. GILLERT Nr. 262 (Mutian an Crotus, 13. Juni 1513): „Favet [Hartmannus] eruditis eruditissimus.“ Dazu: KALKOFF, Huttens Vagantenzeit, S. 106: „In Wahrheit hatte dieser prunkliebende herrschsüchtige Jurist kein innerliches Verhältnis zu den schönen Künsten; er wurde nur

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Mann, mit dem Mutian auf hohem literarischen Niveau diskutieren konnte. Seine Briefe an Hartmann, von denen acht erhalten sind,60 glänzten mit Anspielungen auf die lateinische und griechische Literatur, in der Erwartung, dass der Empfänger diese auch verstünde und würdigte.61 Mutian diskutierte die Kalenderreform, sympathisierte mit seinen politischen Schwierigkeiten und informierte ihn über die Reuchlinaffäre (siehe unten). und konnte mit ihm freimütig scherzen.62 Es waren eben Briefe wie sie unter Kollegen üblich waren, die mit ihrer eigenen Gelehrsamkeit beeindrucken wollten. Obwohl man Mutians an Hartmann gerichteten Briefe mit ihren lateinischen und griechischen Anspielungen als bloße Schmeicheleien abtun könnte, die nur den Zweck hatten, Vorteile für seine Freunde und sich zu erwirken, so äußerte sich Mutian auch in vertraulichen Briefen an andere, sozusagen hinter Hartmanns Rücken, äußerst positiv über den Fuldaer Abt.63 Beurteilt man einen Menschen aber nach seinen Taten, kann man den Fuldaer Fürstabt kaum als Mäzen der Wissenschaften und Literatur bezeichnen.64 Crotus’ beleidigend geringe Besoldung und seine Weigerung, Urban und Hessus zu beschäftigen, lassen Zweifel daran aufkommen, dass sein Mäzenatentum gegenüber Humanisten besonders ausgeprägt war.

4.

Nachlässige Amtsführung des Crotus?

NACHLÄSSIGE AMTSFÜHRUNG DES CROTUS? „Trotz seines hohen Ansehens als Humanist wird man seiner Tätigkeit an der Fuldaer Stiftsschule nicht allzu große Bedeutung beimessen dürfen und erst recht nicht den schlechten Einfluss übersehen dürfen, den er auf seine Schüler ausübte, wenn sich sein Unterricht mitunter auf dem Niveau der Dunkelmännerbriefe bewegte.“ 65 Das negative Urteil Josef Leinwebers beruht auf einer

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eben von hilfsbedürftigen Gelehrten wie Mutianus Rufus zum Mäzen gestempelt.“ Auch KALKOFF, Reichsabtei Fulda, S. 263 f. GILLERT Nr. 263, 459, 469, 470, 475, 484, 485, 486. GILLERT Nr. 469 (Mutian an Abt Hartmann von Kirchberg, kurz vor dem 19. Juni 1515). Hartmann, der wie viele seiner Zeitgenossen an der Gicht (podagra) litt, sollte sich nicht an den Rat des Hieronymus halten, wonach man eine strenge einfache Diät, wie die armen Leute, befolgen solle. Papst Julius II., der auch daran litt, habe eine andere Lösung gefunden. Seine Fußschmerzen habe er durch ständige Betrunkenheit so betäubt, dass er sie nicht mehr spürte. GILLERT Nr. 485 (Mutian an Hartmann, 29. März 1515). GILLERT Nr. 257, 258a, 260, 262, 338, 473, 478. Ob Hartmann ein Mäzen der Künstler und Architekten war, wage ich nicht zu beurteilen. LEINWEBER, Hochstift Fulda, S. 39. Etwas vorsichtiger urteilt BREUL-KUNKEL (Herrschaftskrise, S. 253.), wenn er sagt: „Trotz der möglicherweise nachlässig geführten Aus-

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Stelle eines Briefes, den Crotus’ ehemaliger Schüler und Freund, Justus Menius, mehr als 15 Jahre nach dessen Fuldaer Aufenthalt über seinen ehemaligen Lehrer verfasste: Dort heißt es: raro eras in templo, raro in schola, – selten warst du in der Kirche, selten in der Schule. Endete der Satz hier, könnte man tatsächlich auf eine laxe Amtsführung des Klosterlehrers schließen; der Satz geht aber weiter: quin in cera annotares belle et lepide et festiva dicta – ohne dass du dir in deinem Notizbuch [eigentlich: in deiner Wachstafel] witzige und geistreiche Sprüche notiertest.66 Menius, der sich inzwischen zu einem der leidenschaftlichsten Unterstützer Luthers entwickelt hatte, wollte seinen ehemaligen Lehrer, der inzwischen zum alten Glauben zurückgekehrt war, an dessen damalige anti-klerikalen, satirischen Werke erinnern (vgl. Kap. XII). Dass Crotus darüber seinen Unterricht vernachlässigt habe oder über die Qualität des Unterrichts sagt das gar nichts aus. Im Gegenteil: Mutian beschwerte sich einmal, dass Crotus sich so stark in der Schule engagiere, dass er keine Zeit für einen Besuch in Gotha habe.67 Dazu kommt: Wenn man den Erfolg einer Schule daran misst, wie viele Schüler den Sprung auf die Universität schaffen, so waren die Jahre, in denen Crotus dieser Schule vorstand, äußerst erfolgreich. Seit den siebziger Jahren des 15. Jahrhundert waren in dem Jahrzehnt zwischen 1511 und 1520 nie so viele Fuldaer Schüler an der Universität Erfurt immatrikuliert, nämlich 38.68 Unter denen befanden sich einige die später wichtige Rollen in der Reformationsgeschichte spielen sollten, wie der gerade erwähnte Justus Menius, Balthasar Raidt und Adam Krafft.69 Auch der zweite Vorwurf, Crotus habe einen negativen Einfluss auf seine Schüler ausgeübt, wenn er sich mitunter auf das Niveau der Dunkelmännerbriefe begeben habe, beruht auf einem unbewiesenen und unbeweisbaren Vorwurf, denn obwohl die in dieser Zeit entstandenen Epistolae obcurorum virorum gelegentlich zu Obszönitäten greifen (vgl. Kap. V), bedeutete, dass doch längst nicht, dass er diese mit seinen Schülern teilte, zumal er über seine schriftstellerische Tätigkeit stets eisernes Stillschweigen bewahrte. Es gibt also keinen Grund zur Annahme, dass er „seine Lehrtätigkeit vernachlässigt“ habe. Wenn er sich aus Fulda entfernte, so geschah das nicht nur mit Erlaubnis, sondern auf die Bitte Hartmanns; denn in einer Zeit, in der ein Großteil der diplomatischen Korrespondenz auf Latein geführt wurde, schätzte der reisefreudige Fürstabt Crotus’ lateinische Sprach                                                                                                                                       66 67

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übung seines Amtes wird man nicht ein rundweg negatives Urteil über seine Fuldaer Tätigkeit fallen dürfen.“ BÖCKING II, Nr. 394 (Justus Menius an Crotus, 1532), S. 461. GILLERT Nr. 226 (Mutian an Urbanus, 26. Oktober 1512): „Ille [Crotus] vocatus non venit, quia scholae addictus abire non potest.“ Vgl. die Tabelle in LEINWEBER, Hochstift Fulda; BREUL-KUNKEL, Herrschaftskrise, S. 209: „Gleichwohl nahm die Schule unter seine Ägide einen Aufschwung, wie die Zahl der Immatrikulationen aus Fulda ausweist.“ ABE, Die Fuldaer an der Universität Erfurt, S. 188.

EINTRITT IN DEN PRIESTERSTAND

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kompetenz. So finden wir zum Beispiel Crotus 1512 in Hartmanns Gefolge auf dem Reichstag zu Köln.

5.

Eintritt in den Priesterstand

EINTRITT IN DEN PRIESTERSTAND Auf Anraten Mutians trat Crotus im Jahre 1513 in den geistlichen Stand. Ausschlaggebend für diesen Schritt dürften wirtschaftliche Überlegungen gewesen sein; denn nur als Priester konnte er in den Genuss von einträglichen Benefizien gelangen. Tatsächlich erhielt er noch im gleichen Jahr eine Pfründe in Fulda, eine Nachricht, die er sogleich freudig an Mutian meldete. Dieser antwortete: Ich hoffe, dass du durch das Benefizium des berühmten Vaters Hermann reicher und einflussreicher geworden bist.70 In dem leicht neckenden Ton, der den Umgang beider charakterisierte, fügte Mutian hinzu: Du sagst als witziger und heiterer Mensch, dass Du ein Hirte geworden bist. [wie ich selbst einer bin] Ich will aber genau wissen, was für eine Art Hirte wir denn nun sind, Schweine-, Schaf-, Ziegen-, Ochsen-, Gänse- oder Hühnerhirten.71 Crotus antwortete kurz mit einem lateinischen Wortspiel: Capras pavi, nunc capellam habeo – Früher habe ich Ziegen gehütet, jetzt habe ein eine Kapelle.72 Um welches Benefizium es sich dabei handelte, wissen wir genauso wenig wie um die damit verbundenen Einkünfte der Pfründe. Deren Pflichten scheint er aber ernst genommen zu haben, denn im Juni 1515 lehnt er eine Einladung Mutians, nach Gotha zu kommen, mit dem Satz ab: Non licet abesse sacerdotio- von meiner Pfründe darf ich mich nicht entfernen.73 Während seines etwa zweieinhalbjährigen Italienstudiums (1517-1520) musste er sich allerdings vertreten lassen. Kurz nach seiner Rückkehr schrieb er an Johann Hess: Ich werde jetzt nach Fulda gehen, und zwar zu meinen Büchern und zu meiner alten Pfründe.74 Zusätzlich wurde Crotus in dieser Zeit noch eine zweite Pfründe verliehen, und zwar in dem kleinen Ort Zeil bei Bamberg. Dafür gibt es zwei Zeugnisse.

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GILLERT Nr. 267 (Mutian an Crotus, Juni 1513): „Illud fore spero, ut brevi ditior et major Hermanni clarissimi patris beneficio fias.“ GILLERT Nr. 267 (Mutian an Crotus, Juni 1513): „Ais ut lepidus est festivus homo te fuisse pastorem, nos esse quod tu fueras, verum glossam requiro. Satis enim statuere nequeo, an subulci an opiliones an caprarii an bulbuci an anserii an gallinarii simus.“ Diesen Satz, der immer wieder als Beleg der bäuerlichen Herkunft des Crotus angegeben wird, zitiert Mutian in einem Brief an Urban. GILLERT Nr. 321 (Mutian an Urban, Anfang Oktober 1513). GILLERT Nr. 507 (Crotus an Mutian, 11. Juni 1515). Auch dieser Satz spricht gegen eine längere Abwesenheit von Fulda. KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente aus der Zeit der Reformation, S. 20: „Fuldam ibo ad libros meos vetusque sacerdotium.“ Dazu auch RICHTER, Ulrich von Hutten und das Kloster Fulda, S. 54.

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In einem Brief aus Bamberg an seinen Freund Johann Hess vom 29. April 1520, also kurz nach seiner Rückkehr aus Italien, schreibt er nämlich mit der ihm eigenen Ironie: Ich bin dabei, meine Gastgeber zu verlassen [gemeint waren die Brüder Fuchs] Mein „Bischofssitz“, den ich noch nicht gesehen habe, liegt in der Gegend. Dorthin begebe ich mich, damit ich meine Schafe kennenlernen kann und diese mich … während ich dem „Bischofssitz“ in Zeil vorstehe.75 Bei dieser Pfründe muss es sich um eine Vikarie gehandelt haben. Dass ein (schlecht bezahlter) Pfarrer oder „plebanus“ vor Ort die eigentliche seelsorgerische Arbeit verrichtete, während der Pfründeninhaber aus der Ferne, in diesem Falle Fulda, die Einnahmen bezog, war für die Zeit nicht ungewöhnlich.76 Seit wann Crotus diese Einkommensquelle besaß, ist nicht bekannt, aber als er 1520 nach Bamberg kam, muss sie schon eine Weile bestanden haben, da er seine „Schafe“ kennenlernen (cognoscere) wollte. Dass diese Quelle aber später versiegte, erfährt man aus seinem Brief an Herzog Albrecht von Preußen, aus dem Jahre 1530. Dort heißt es: In dem Bauernkriege haben mir die armen verführten Leute meinen Pfarrer zu Zeil (ist ein Städtchen drei Meilen von Bamberg) erschlagen. Also bin ich um die Pfarrei gekommen. 77 Allerdings bleibt vieles im Dunkeln. Zum einen ist nicht klar, wer ihn in Zeil vertreten hat. War es ein gewisser Johannes Jeger, der als Pfarrer der dortigen St. Anna Kapelle für die Jahre 1518 bis 1523 belegt ist.78 Dass dieser ausgerechnet Johann Jäger geheißen haben soll, also den vorhumanistischen Namen des Crotus trug, wäre ein großer Zufall. Endgültig wird sich das nicht klären lassen, da die meisten für Zeil und Umgebung einschlägigen Quellen, in den Crotus hätte erwähnt werden können, verlorengegangen sind.79 Crotus besaß also zwei bescheiden dotierte Benefizien, anders als sein Arbeitgeber Hartmann, der ein Meister in der Pfründenhäufung war: neben seinem Einkommen als Abt besaß er 1509 bereits vier Vikarien in Fulda, die auch

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KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente aus der Zeit der Reformation, S. 20. „Ab his [gemeint sind die Brüder Fuchs] nunc discessum paro. Adeundus est Episcopatus nondum mihi visus, in regione [verbessert von mir von „religione“] est, ut cognoscam oves meas, atque me meae, deinde Vuldam ibo ad libros meos vetusque sacerdotium, cum vel Episcopatui Seilensi praesidebo.“ Anführungszeichen in Übersetzung von mir. „Ungewöhnlich ist es auch nicht, dass jemand von Thüringen oder aus dem Fuldaischen kam. Vor Ort haben dann sogenannte Plebani oder andere Geistliche die Seelsorge vorgenommen.“ Freundliche Mitteilung von Herrn Dr. Kandler, dem ehemaligen Archivrat im Würzburger Diozesanarchiv, durch E-Mail am 9.1.2017. VOIGT, Der Briefwechsel der berühmten Gelehrten des Zeitalters der Reformation, S. 162. Freundliche Mitteilung von Herrn Ludwig Leisentritt, der eine Liste der Pfarrer der Zeiler Sankt Anna Kapelle erstellt hat, durch E-Mail vom 5.7.2017. Auskunft von Dr. Norbert Kandler.

CROTUS’ BRIEFE AUS FULDA

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deutlich großzügiger dotiert gewesen sein dürften.80 Crotus’ Entscheidung zum Priestertum dürfte kaum auf ein religiöses Erweckungserlebnis zurückzuführen seien, sondern entsprang der praktischen Erwägung, dass man nur als Kleriker in den Genuss von Benefizien kommen konnte. In einer Zeit großzügiger staatlicher Forschungsstipendien wie der unsrigen sollte man mit Verdammungsurteilen der „Pfründenjägerei“ zurückhaltend sein.

6.

Crotus’ Briefe aus Fulda

CROTUS’ BRIEFE AUS FULDA Mutians Freude im Jahre 1511, dass Crotus endlich eine Anstellung in Fulda gefunden hatte, wurde dadurch getrübt, dass er seinen Lieblingsfreund nicht mehr in der Nähe hatte.81 Versuche, ihn nach Gotha zu holen, indem er ihm ein Kanonikat an seinem Stift verschaffte, scheiterten am Widerstand seiner Kollegen, besonders seiner beiden Erzfeinde im Stift, Morus und Lotius.82 Was die Kollegen aber nicht verhindert konnten, war ein reger Briefaustausch zwischen Fulda und Gotha in diesen Jahren, obwohl die Briefe oft zwei Wochen brauchten.83 Zahlreiche Briefe habe ich von Crotus bekommen, meldete Mutian vergnügt im April 1513,84 in der Tat so viele, dass er die Flut der crotischen Briefe nicht mit der gleichen Ausführlichkeit zu beantworten vermochte, weshalb sich Crotus (und Hutten) ihrerseits über die Kürze seiner Briefe beschwert hätten. Darauf hin erklärte Mutian, es schreibe gern kurze Briefe. Weitschweifigkeit sei ihm verhasst und unnötig.85 Das aus der Feder eines Mannes, der fast täglich seitenlange Briefe an seinen Freund Urban sandte. Je länger Crotus in Fulda blieb, desto häufiger beklagte er sich in seinen Briefen an Mutian und seine anderen Freunde über seine dortige Situation.

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LEINWEBER, Hochstift Fulda, S. 27, Anm. 110. GILLERT Nr. 223 (Mutian an Urban, 22. Oktober 1512): „Si cogitacioni votisque fortuna subscriberet, Crotus huc, nedum Spalatinus demigraret.“ GILLERT Nr. 224. (Mutian an Urban, 1512); über diese beiden auch BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein Freundeskreis in Gotha, S. 308 f. GILLERT Nr. 267 (Mutian an Crotus, Juni 1513): „Datas ad me literas serius accepi duabus scilicet post hebdomadibus quam scripseras exactis.“ Die meisten Briefe schrieb Crotus auf Lateinisch, doch gelegentlich schrieb Crotus wohl auch in seiner Muttersprache. Vgl. GILLERT Nr. 266 (Mutian an Urban, Juni 1513): Die andern novitet hat mir Crotus vbersant mit dieser unser mutterlichen sprach verzceicht, wie ir lesen.“ GILLERT Nr. 252 (Mutian an Urban, April 1513): „Multas a Croto accepi literas.“ GILLERT Nr. 543 (Mutian an Urban, nach dem 18. September 1515): „Cenanti mihi reddite sunt Hutteni et Croti litere. Dequerentur et me quasi postulant brevitatis in scribendo … . Ego vero laconias scribo; placet μικρολοςειν, displicet ociosa latitudo et copia non valde necessaria. Qui sapit pauca loquitur.“

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CROTUS RUBIANUS’ ERSTER AUFENTHALT IN FULDA (1510-1517)

Besonders scheint er seinen Schritt, Priester zu werden, bereut zu haben. Aber gerade diese Vorhaltungen mussten seinen alten Lehrer verletzen, da es dieser gewesen war, der ihm dazu geraten hatte. 86 Für Crotus Beschwerden gab es mehrere Gründe: Zunächst hatte sich seine materielle Lage nur unwesentlich durch den Erwerb der Fuldaer und Zeiler Pfründen verbessert. Zum anderen aber litt er an der mangelnden sozialen Anerkennung. Er war zwar ein gut ausgebildeter Humanist, von seinen (humanistischen) Kollegen und Freunden geschätzt und geliebt. In dem ausgedehnten Hofstaat des Fuldaer Fürstabtes spielte er aber nur eine unbedeutende Nebenrolle.87 Die wichtigen Posten waren entweder Adligen oder gut ausgebildeten bürgerlichen Juristen vorbehalten, klagte er. 88 Wie sehr er unter dieser fehlenden Wertschätzung litt, zeigt eine Episode aus dem Jahre 1512, als er Hartmann auf dem Reichstag zu Köln begleitete. In einem vertraulichen Brief an einen Freund berichtet er, wie er bei dieser Gelegenheit viele gleichaltrige Bekannte, die er vom Studium kannte, getroffen habe. Diese hatten es auf Grund ihrer Geburt und ihres Ehrgeizes zu wichtigen Stellungen gebracht (oder wie Crotus sagte, waren dadurch verdorben worden). Statt sich über das Wiedersehen zu freuen, hätten sie sich aber kaum herabgelassen, ihm, dem unbedeutenden Crotus, ihre mit Juwelen beladene rechte Hand zu reichen.89 Grund für diese ihm gegenüber herablassende Haltung sei die Unfähigkeit des Menschen zu wahrer Freundschaft. Unter 6.000 Menschen fände man vielleicht nur den einen und anderen, der dazu fähig sei. Ansonsten bestimmten Abstammung, Reichtum und Titel die Freundschaft (genus, opes, tituli).90 Und von diesen drei Dingen besaß Crotus keines. Von dem 86

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GILLERT Nr. 361 (Mutian an Urban, 28. April 1514: „Crotus vero me contristat suis querelis modo sacerdotium accusans modo culpam sibi datam a nobis. Was er sich zeihe, das er pfaff wurde.“ Ebenfalls GILLERT Nr. 507 (Crotus an Mutian, 11. Juni 1515): „Non licet abesse sacerdotio, alioqui non manuerem in isto naufragio, cuius tempestatem pauci considerant,“ und Nr. 384 (Mutian an Urban, 15. Juni 1514): „Accedunt Croti querelae, lectas concerpe.“ Damit muss ich GILLERT widersprechen (Nr. 478, II, S. 139, Anm. 6): „Nach dem Tode Johann von Hennebergs und dem Regierungsantritt Hartmanns scheint Crotus trotz aller Klagen über die Bürde des geistlichen Amtes eine geachtete Stellung in Fulda eingenommen zu haben.“ Vgl. JÄGER, Grundzüge der fuldischen Verfassungs-und Verwaltungsgeschichte; vgl. auch die schematische Darstellung der Verfassungs- und Verwaltungsstrukturen, S. 224. (Crotus an Johann Hess, 20. September 1512): „Secutus ante mensem amplissimum patrem Hartmannun ad caesaris curiam, forte fortuna complures habui occurrentes, quos quandoque studium mihi comiunxit et par aetas, sed temporis successu titulorum misera ambitione perditi, humilem Crotum vix dignabantur grauida gemmis dextra.“ In: Corr.Blatt, S. 165. Corr.Blatt, S. 165: „Lege in unum sex milia hominum, vix invenires unum et alterum aptum iucundae sinceraeque consuetudini … tantopere officiunt ista tres: genus, opes, tituli.“

CROTUS’ BRIEFE AUS FULDA

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Selbstbewusstsein der Humanisten, einer nobilitas litteraria anzugehören, wie sie sich etwa in der 1521 von ihm gestalteten Rektoratstafel mit ihrer Darstellung der Wappen seiner humanistischen Freunde zeigt, war er in seiner Fuldaer „Einsamkeit“ noch ebenso weit entfernt wie von dem Gelehrtenstolz eines Eobanus Hessus, der ebenfalls auf bäuerlichen Verhältnissen stammend, schon 1514 selbstbewusst den wahren Adel, nämlich des Geistesadel, verherrlicht hatte.91 Je isolierter Crotus sich in Fulda isoliert fühlte, desto intensiver suchte er frühere Freundschaften zu pflegen, aber diese fand Crotus nur bei ganz wenigen, die weit entfernt von seiner Fuldaer „Einsamkeit“ residierten.92 Wir sahen schon, wie häufig er an Mutianus schrieb, um diese Isolation wenigstens durch Briefe zu mildern. Aber auch an seinen Freund Ulrich von Hutten sandte er mehrere Briefe, die aber auf Grund des häufigen Ortswechsels des Rittersohnes diesen nur selten erreichten.93 Ein rührender Beleg, wie Crotus in dieser Zeit geradezu nach Freundschaft dürstete, ist ein Brief, den er 1511 an seinen alten Freund Spalatin schrieb.94 Dieser erfreute sich offenbar schon nach kürzester Zeit am kursächsischen Hof in Torgau großer Beliebtheit und Wertschätzung.95 Auf einer Reise habe Spalatin nun einen Bekannten des Crotus kennengelernt, schreibt Crotus, und sich ausführlich nach ihm, also Crotus, erkundigt. Dass sich Spalatin, der doch inzwischen eine solch steile Karriere gemacht habe, an ihn, Crotus, der in so bescheidenen Umständen lebe, überhaupt erinnere, habe ihn außerordentlich gefreut. Er habe sich deshalb vorgenommen, ihn öfter zu schreiben und würde sich seinerseits über dessen Briefe freuen, seien sie noch so kurz.96 Weiter heißt es:                                                              91 92

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Vgl. VREDEVELD, Helius Eobanus Hessus, The Poetic Works, III, S. 127-169. BÖCKING I, S. 17 (Brief an Ulrich von Hutten vom 3. Februar 1511): „… in hanc solitudinem secesserim.“ In einem Brief an Johannes Reuchlin aus dieser Zeit spricht er ebenfalls von seiner „solitudo“. RBW III, Nr. 233, S. 17. Vgl. den Brief vom 3. Februar 1511 (BÖCKING I, S. 17): „Scripsi eadem ad te binis verbosissimis eodem ad te literis.“ GILLERT datiert ihn auf das Jahr 1510. Ich plädiere für ein etwas späteres Datum. Auf alle Fälle schrieb er ihn während seiner Fuldaer Zeit: „Datum Vulde apud sodales Bonifacii inter veteres fagos.“ (GILLERT II; S. 365). GILLERT Nr. 119 (Mutian an Crotus, 17. Januar 1509): „Diligitur quoque ab illustrissimis principibus nostris et tota aula hominem admiratur.“ GILLERT II, S. 365: „Nam reverenter salutavit me tuo nomine Christophorus Marscalcus, minister a divinis murmuribus Kirchbergii, caesarii oratoris septentrionali sua legatione heros tuos salutantis Vimarie. Addidit deinde memoriter, quam accurate, quam amice de me sciscitaveris longe plurima. Iucundus mihi semper fuit sermo Christopheri, sed tum iucundissimus. Cur enim iucundus non foret, qui nunctium salutacionis tulerit ab amico amicissimo amplissimoque. Rara laus est, Spalatine, versari in aula, charissimum haberi

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CROTUS RUBIANUS’ ERSTER AUFENTHALT IN FULDA (1510-1517)

Viele drehen an den Fürstenhöfen ihr Fähnlein nach dem Winde und folgen dem Hofstaat der Fürsten, sodass sie durch irgendeinen Glücksfall sich für ein ehrgeiziges Leben vorbereiten und ruhmsüchtige Freunde erwerben. Du aber, der Du durch Deine Leistung und durch Deinen guten Ruf großartig bist und täglich in der Hierarchie höher steigst, hältst nichts für ehrenvoller als an den Prinzipien der Freundschaft festzuhalten.97

Auf die Dauer konnten jedoch die Briefe, so oft sie auch gewechselt wurden, den lebendigen Gedankenaustausch mit gleichgesinnten Freunden nicht ersetzen. Im Jahre 1515 klagte Crotus deshalb gegenüber Mutian: Es scheint mir hart unter idiotischen und beinahe analphabetischen Priesterlein das Leben zu vergeuden. Mit diesen ist kein geselliger Umgang möglich, es sei denn, man will trinken, spielen, Geldgeschäfte machen oder sich dem Sex hingeben. Wenn für die notwendigen Dinge nicht besser gesorgt werden kann, muss man nach Erfurt oder Köln oder in eine vergleichbare Stadt gehen, wo es ähnlich gesinnte Leute gibt. Mit jemanden, der nicht die gleichen geistigen Interessen hat, zu leben, scheint mir schlimmer zu sein als das Los der Tiere, die sich von Natur her ähnlich sind.98

Während Crotus noch in Fulda seinen Schülern lateinische Grammatik und Stilistik beizubringen versuchte, bewegte die sogenannte Reuchlin-Affäre die gebildete Öffentlichkeit Europas. Als wacher Intellektueller nahm Crotus nicht nur lebhaften Anteil daran, sondern spielte auch in dem publizistischliterarischen Kampf, der die juristischen Auseinandersetzungen lautstark begleitete, eine wichtige, wenn nicht sogar zentrale Rolle. Geheimnisvoll schrieb er 1515 an Mutian: Molior aliquid, sed secreto – ich arbeite eifrig an etwas – aber im Geheimen. 99 Hier in Fulda verfasste er ein Werk, das in die Weltliteratur eingehen sollte und für immer mit seinen Namen verbunden sein würde: die Epistolae obscurorum virorum – Die Dunkelmännerbriefe, die wirkungsvollste humanistische Satire des sechzehnten Jahrhunderts.

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proceribus, precipuum locum tenere inter purpuratos, gratiosum esse maximis ducibus et simul servare modestiam, ne animo elatiore relinquas e memoria, quos diu condicione status minoris habueris familiares.“ GILLERT II, S. 365: „Multi propterea aulis se accommodant, sectanturque curias principum, ut aliqua fortuna elati vitam sibi parent ambitiosiorem amicosque gloriosiores. Tu, qui re et nomine magnificus es surgesque cottidie magis in altum, nihil praeclarius ducis quam animi servare constantiam.“ GILLERT Nr. 507 (Crotus an Mutian, 11. Juni 1515): „Videtur mihi incivile inter sacrificulos idiotas et pene analphabetas vitam terere, quibusquam sotietas nulla, nisi velis bibere, ludere, fenus et Venerem sequi. Si melius rebus necessariis non potest consuli, ferenda ista necessitas est Erphordiae, ubi haberi potest vite quaedam similitudo vel Colonie aut loco quodam non dissimili. Vivere absque ullo consorte morum et studii sors mihi videatur beluarum inferior, quas natura similitudine genuina conciliat.“ GILLERT Nr. 507 (Crotus an Mutian, 11. Juni 1515).

IV.

JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS

JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS

Habes totum Mutiani ordinem: Sunt in eo philosophi, poetae, oratores, theologi; omnes tibi dediti, pro te certare parati. Du hast den gesamten Mutian-Kreis hinter Dir. Darin befinden sich Philosophen, Dichter, Redner, Theologen; alle sind Dir ergeben, alle bereit, für Dich zu kämpfen. Crotus an Reuchlin am 26. Januar 15141

1.

Der „Judenbücherstreit“ als Hintergrund der Epistolae obscurorum virorum

DER „JUDENBÜCHERSTREIT“ UND DIE EPISTOLAE OBSCURORUM VIRORUM Von dem „ersten großen publizistischen Streit in deutscher Sprache unmittelbar vor der Reformation“, von einem „Medienereignis“, ja von einer „europäischen Sensation“, hat man gesprochen.2 Gemeint ist die fast ein Jahrzehnt lang dauernde Kontroverse zwischen dem bekannten Juristen und Hebraisten Johannes Reuchlin auf den einen Seite und den Kölner Dominikanern und dem konvertierten Juden Johannes Pfefferkorn auf der anderen. Unter denen, die an der Debatte teilnahmen, befanden sich die französischen Könige Ludwig XII. und Franz I., der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, der württembergische Herzog Ulrich, Kaiser Maximilian und Karl von Burgund, der spätere Kaiser Karl V.; zahlreiche europäische Universitäten und prominente Gelehrte bezogen Stellung. Der Streit wurde mit allen Mitteln der damaligen Publizistik ausgetragen; mehr als 50 Schriften erschienen auf Deutsch und Lateinisch,3 hunderte von Briefen zu diesem Thema wurden ausgetauscht und ein Teil von ihnen auch gedruckt. Unter den Publikationen befanden sich eine Reihe von Invektiven und Satiren, von denen sich die von Crotus Rubianus und Ulrich von Hutten verfassten Epistolae obscurorum virorum – Die Dunkelmännerbriefe einen Platz in

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RBW III, Nr. 233, S. 16. „Erster großer publizistischer Streit“: SCHWITALLA, Dialogisches im ReuchlinPfefferkorn-Streit, S. 170; „Medienereignis“: MÜLLER, Die Anfänge eines Medienereignisses, S. 24; „europäische Sensation“: KISCH, Zasius und Reuchlin, S. 24. Vgl. den Conspectus chronologicus in: BÖCKING, SUPPL. II, S. 117-156.

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JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS

der Weltliteratur erobert haben. Obwohl sich eine detaillierte Schilderung des sogenannten „Judenbücherstreites“ angesichts der zahlreichen vorhandenen Darstellungen erübrigt,4 muss doch kurz dessen Verlauf skizziert werden, nicht nur weil wesentliche Elemente von Crotus’ Satire nur vor dem Hintergrund dieser Auseinandersetzungen erklärbar sind, sondern auch weil sich Crotus und der Mutianische Kreis aktiv an der Kontroverse beteiligten. Auslöser für die Reuchlin-Affäre waren die Veröffentlichungen des 1505 zum Christentum übergetretenen Juden Johann (früher Joseph) Pfefferkorn. Zwischen 1507 und 1509 veröffentlichte er vier Flugschriften, in denen er seine früheren Glaubensbrüder scharf angriff: Der Joeden spiegel, Der iuden beicht, das Osterbuch (wie die blinden Juden yr Ostern halten) und Der Juden veindt. 5 In diesen vier Schriften, deren Tonfall immer aggressiver wurde, forderte Pfefferkorn, den Juden den Geldverleih zu verbieten, sie zu harter Arbeit und Bekehrungsgottesdiensten zu zwingen und ihnen ihre Bücher einschließlich des Talmud einzuziehen. Pfefferkorns Ziel war die Bekehrung der Juden, wobei er die Vernichtung jüdischer Bücher als wichtigen ersten Schritt zu deren Konversion betrachtete.6 Da diese in diesen Flugschriften geäußerten Anschauungen durchaus keine Außenseitermeinungen waren, sondern von höchsten kirchlichen Stellen gebilligt wurden, fanden sie auch das Gehör der Kölner Dominikaner und Franziskaner. Die Schriften Pfefferkorns wurden ins Lateinische übersetzt. Seinen Worten folgten Taten. Im Jahre 1509 gelang es ihm, bei Kaiser Maximilian eine Vollmacht zu erwirken, die ihm die reichsweite Beschlagnahme jüdischer Bücher „zu Prüfungszwecken“ erlaubte. Noch im September desselben Jahres begann Pfefferkorn in Frankfurt mit deren Konfiskation. Allein in Frankfurt, behauptete er, habe er in einem Monat 1.500 Bücher beschlagnahmt. Nach Protesten der dortigen jüdischen Gemeinde und des Mainzer Erzbischofs Uriel von Gemmingen entschloss sich der Kaiser, die Beschlagnahmungen zunächst auszusetzen und beauftragte stattdessen den Erzbischof, Gutachten von ausgewiesenen Experten zu dieser Frage einzuholen. Dieser bat daraufhin die Universitäten von Mainz, Köln, Erfurt und Heidelberg sowie den Inquisitor 4

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Vgl. GEIGER, Johann Reuchlin, S. 203-454; BROD, Johann Reuchlin und sein Kampf, S. 178-270; PRICE, Johannes Reuchlin und der Judenbücherstreit; POSSET, Johann Reuchlin; SCHWITALLA, Dialogisches im Reuchlin-Pfefferkorn-Streit. Die folgende Zusammenfassung lehnt sich stark an das Kapitel „Der Judenbücherstreit und Reuchlin“ in meinem Buch „Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha“ an (S. 270-273). Angaben der Drucke bei BÖCKING Suppl. II, S. 55-57 und bei KIRN, Das Bild vom Juden, S. 201-204. Dazu kommt noch die Einleitung zu der Kontroverse in RBW III, S. XIIIXLI. Vgl. auch MARTIN, Die deutschen Schriften des Johann Pfefferkorn, S. 392 f. Die Ergebnisse seiner eigenen Bekehrungsversuche waren eher überschaubar. 1516 musste Pfefferkorn zugeben, er habe ganze 14 Juden zum Christentum bekehrt. BÖCKING Suppl. I, S. 84.

JOHANNES REUCHLIN – DER ERSTE DEUTSCHE HEBRAIST

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der Provinz Teutonia, also der Erzbistümer von Trier, Köln und Mainz, Jakob von Hochstraten,7 den Priester Victor von Carben, selbst ein konvertierter Jude, und Johannes Reuchlin um wissenschaftliche Stellungsnahmen, um die Frage zu klären, „ob man den Juden alle ihre Bücher nehmen, abtun und verbrennen soll“.

2.

Johannes Reuchlin – der erste deutsche Hebraist

JOHANNES REUCHLIN – DER ERSTE DEUTSCHE HEBRAIST Während die Universität Heidelberg auf Zeit spielte und sich einer eindeutigen Stellungnahme entzog, befürworteten die Gutachten der Universitäten Mainz, Köln und Erfurt sowie die Einzelgutachten ein geordnetes Verfahren unter Heranziehung sprachkundiger Gelehrter und der Anhörung der betroffenen Juden. Einig war man sich, dass man den Talmud, also die Zusammenstellung der ursprünglich mündlichen Überlieferungen, verbieten und einziehen müsse.8 Nur einer distanzierte sich eindeutig von dem Vorschlägen Pfefferkorns und befürwortete den Erhalt aller jüdischen Schriften (außer deren Schmähschriften), und das war Johann Reuchlin.9 Der 1455 in Pforzheim geborene Reuchlin (später von seinen humanistischen Freunden auch Capnion genannt) hatte in Freiburg, Paris, Orléans und Poitiers Jura studiert und als Richter und Diplomat für den württembergischen Herzog Eberhard im Bart und den Schwäbischen Bund gewirkt. Als erster Nichtjude hatte er eine hebräische Grammatik veröffentlicht (De rudimentis hebraicis, 1506) und galt deshalb unter Deutschlands Gelehrten wegen seiner lateinischen, griechischen und hebräischen Sprachkenntnisse als miraculum trilingue, als „dreisprachiges Wunder“. Heute wird er als Begründer der christlichen Hebraistik betrachtet. Trotz einiger Bedenken moderner Historiker, die in Reuchlins „Ratschlag“, unter welchem Namen sein Gutachten bekannt wurde, auch antijüdische Ressentiments zu entdecken glauben, bleibt seine relativ tolerante Haltung bewundernswert. Er argumentierte genuin humanistisch, indem er darauf hinwies, dass zum Studium der Bibel neben der Kenntnis des Lateinischen und Griechischen auch das Verständnis der hebräischen Sprache notwendig sei. Schon aus diesem Grunde müsse die jüdische Literatur unbedingt

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Zu ihm jetzt PETERSE, Jacob Hochstraeten gegen Johann Reuchlin. Die alte immer wieder wiederholte Meinung, dass diese Universitäten für eine bedingungslose Beschlagnahme der jüdischen Bücher plädierten, lässt sich nach den Forschungen von TRUSEN (Johannes Reuchlin und die Fakultäten, S. 124-126) nicht mehr aufrecht erhalten. Zu Reuchlin: GEIGER, Johann Reuchlin; KREBS, Johann Reuchlin; KISCH, Zasius und Reuchlin; BROD, Johann Reuchlin; POSSET, Johannes Reuchlin.

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JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS

bewahrt werden: Die juden sind unsere capsarii [Archivare], librarij und biliothecarij.10 Daneben wies er auch als Jurist darauf hin, dass die Juden „concives“, also Mitbürger des Reiches seien, deren Eigentum nicht angetastet werden dürfe.

3.

Die Kölner Theologen und Johannes Pfefferkorn gegen Reuchlin

DIE KÖLNER THEOLOGEN UND JOHANNES PFEFFERKORN GEGEN REUCHLIN Der Kaiser stoppte daraufhin die Konfiskation der jüdischen Bücher und ließ sie ihren Besitzern zurückgeben. Damit hätte der Streit beendet sein können. Pfefferkorn gab sich jedoch nicht mit diesem Ergebnis zufrieden. Da er „seine Felle davonschwimmen“ sah,11 veröffentlichte er im Frühjahr 1511 den Handtspiegel. 12 Aus dem handschriftlichen und bisher unveröffentlichten Gutachten Reuchlins zitierend, machte er dieses nicht nur für das Scheitern seines Vorschlags zur Beschlagnahme der jüdischen Bücher verantwortlich, sondern warf ihm auch vor, ein „Judenbegünstiger“ zu sein, damals ein schwerer Vorwurf. Darüber hinaus zweifelte er Reuchlins wissenschaftlichen Qualifikationen an, besonders dessen Hebräischkenntnisse. Reuchlin sei des Lesens und Schreibens des Hebräischen so behende wie ein Esel, den man mit Mühe die Treppe hinaufschieben müsse.13 Dermaßen in seiner wissenschaftlichen Kompetenz, seinem Charakter und seiner Rechtgläubigkeit verletzt, antwortete Reuchlin, den Titel von Pefferkorns Handtspiegel aufnehmend, mit dem Augenspiegel (August/September 1511), und obwohl in den folgenden Jahren noch zahlreiche Schriften von beiden Seiten veröffentlicht werden sollten, war es dieses Werk, um das sich die Kontroverse in den folgenden Jahren weitgehend drehen sollte. Der Augenspiegel wurde angeklagt, beschlagnahmt, verbrannt, freigesprochen und schließlich verurteilt. Kein anderes Werk reflektierte den Prozessverlauf so genau wie diese Schrift. „Es war wohl das umstrittenste Buch in der Druckgeschichte vor Luther“, resümiert ein Forscher.14 Reuchlins umfangreiches Werk besteht aus vier Teilen. Einer knappen Erzelung des handels schließen sich im Wortlaut die Urkunden des Kaisers und des Mainzer Erzbischofs an. Es folgt sein „Ratschlag“, der damit zum ersten Mal in voller Länge veröffentlicht wurde. In den folgenden auf Lateinisch geschriebenen argumenta bringt Reuchlin Beweise zur Verdeutlichung seines Standpunktes. 10 11 12

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LEINZ-DESSAUER, Reuchlin, Gutachten, S. 83. TRUSEN, Johannes Reuchlin und die Fakultäten, S. 126. MARTIN, Die jüdischen Schriften des Johann Pfefferkorn, S. 137. Zu dem Handspiegel siehe KIRN, Das Bild vom Juden, S. 124-131. Handtspiegel, fol. a3r. Zitiert nach KIRN, Das Bild vom Juden, S. 121. PRICE, Johannes Reuchlin und der Judenbücherstreit, S. 3.

DIE KÖLNER THEOLOGEN UND JOHANNES PFEFFERKORN GEGEN REUCHLIN

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Diesem Teil folgen, nun wieder auf Deutsch, 34 „Unwahrheiten“, deren sich Pfefferkorn angeblich schuldig gemacht habe. Es ist in diesem Teil, in dem Reuchlin Pfefferkorn mit den wüstesten Beschimpfungen überhäuft, wobei verletzter Gelehrtenstolz dazu beigetragen haben mag, sich auf das Niveau seines Gegners herabzulassen.

Abb. 4: Johannes Reuchlins Augenspiegel Die Kölner Theologen15 konterten im September 1512 mit den von Arnold von Tongern verfassten Articuli sive propositiones,16 in denen der führende Kopf der Kölner Theologen mit Reuchlin noch einmal ins Gericht ging. Dieser antwortete mit seiner Defensio contra calumniatores suos Colonienses (Verteidigung gegen seine Kölner Verleumder), ein Werk was rechtzeitig zur Frankfurter Frühjahrsmesse 1513 erschien und durch seinen aggressiven Ton eine weitere Eskalation der

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Wenn hier von Kölner Theologen gesprochen wird, so muss man differenzieren: es handelt sich in erster Linie um Mitglieder des Dominikaner- und Franziskanerordens. VD 16 A 3763.

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JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS

Kontroverse bedeutete.17 Darin rekapitulierte Reuchlin ausführlich nicht nur die zurückliegenden Ereignisse, sondern sparte auch nicht mit verunglimpfenden Bemerkungen über seine Gegner, also Johannes Pfefferkorn und die Kölner Theologen, allen voran Arnold von Tongern. Obwohl Pfefferkorn zur Zielscheibe heftiger reuchlinischer Angriffe geworden war – er nannte ihn einen getauften Juden, einen Verächter der Gesetze,18 ein Scheusal und Ungeheuer,19einen Verräter und Halbjuden20 – war er nach Reuchlin nur ein „Strohmann“21 für die Kölner Theologen, für die sich Reuchlin die bissigsten Bemerkungen vorbehielt. Ihnen die Bezeichnung Theologen absprechend, nennt er sie in Analogie zu dem Wort sophistae konsequent theologistae, eine Bezeichnung, die dann von anderen Reuchlin-Unterstützern bereitwillig übernommen wurde. Mit erstaunlich verbalem Erfindungsreichtum ersinnt Reuchlin immer neue herabsetzende Vergleiche. Diese „Theologisten“ seien unmenschlicher als Tiere, sie ähnelten Pferden und Mauleseln,22 oder Schweinen und Säuen, die sich voller Vergnügen in ihren eigenen Unfug wälzten; 23 reißende Wölfe und syrische Löwen. 24 Nicht professores, sondern perfossores [Einbrecher], dreiköpfige Hunde des Hades, höllische Furien,25 Diabologen, nicht Theologen seien sie, behauptet er, mit dem Wort diabolus spielend.26 Mit dem Rückhalt seiner Kölner Kollegen hätte von Tongern, dieser verlogenste Schüler des verlogenen Teufels, 27 dieser gewohnheitsmäßige Lügner, 28 eine Rufmordkampagne 29 gegen ihn gestartet.30 17

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Defensio Ioannis Revchlin Phorcensis L.L. DOCTORI CONTRA CALUMNIATORES SVOS COLONIENSES, Tübingen, Thomas Anselm 1513. Zitiert wird nach der zweisprachigen Ausgabe der Schrift in: RBW IV. Zur Defensio: POSSET, Johann Reuchlin, S. 453. Defensio, S. 214 f.: „Iudeus aqua tinctus, contemptor legum“. Defensio, S. 216 f.: „Monstrum, prodigium“. Defensio, S. 260 f.: „Proditor et semiiudeus“. Defensio, S. 390 f.: „per interpositam Pepericorni personam“. Defensio, S. 242 f.: „euqis et mulis haud absimiles“. Defensio, S. 242 f.: „porcis atque suibus similes qui suis abusibus delectati“. Defensio, S. 242 f.: „lupi rapaces, leones Syrii“. Defensio, S. 282 f.: „furiae infernales“. Defensio, S. 296 f.: „immo theosophistae et diaboligi“. Defensio, S. 392 f.: „diaboli mendacis ipse mendacissimus discipulus“. Defensio, S. 406 f.: „propter consuetudinem mentiendi“. Defensio, S. 346 f.: „Famicida“. GEIGER, Johann Reuchlin, S. 278: „In Schmähungen hatte Reuchlin seine Gegner erreicht, wenn nicht übertroffen. Danach muss es einen mindestens komischen Eindruck machen, wenn er am Schluss sagt: Man werde sich wundern, dass er so milde gegen seine Feinde auftrete und aufgetreten sei, dass er ihre Schmähungen ertrage ohne jede Wiedervergeltung, ihre Wuth nicht mit Wuth, ihre Verdächtigung nicht mit Verdächtigungen, ihre Verleumdung nicht mit Gleichem erwidert, aber er wolle nicht denselben Weg gehen

DIE ZWEI EBENEN DER KONTROVERSE

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Während der Augenspiegel die Kontroverse bis zum Jahre 1520 juristisch dominierte, stellte Reuchlins Defensio einen Wendepunkt in dem Streit dar. 31 Sie verfährt nämlich zweigleisig: einmal verteidigt Reuchlin seine Reputation durch eine detaillierte Schilderung des Streits bis zu diesem Zeitpunkt; auf der anderen Seite schildert er die Kölner als eingefleischte Scholastiker und damit als Erzfeinde der neuen Bildungsbewegung des Humanismus. Konsequenterweise stellt Reuchlin sie als Barbaren dar, die voller Widerwillen gegen die humanistischen Studien sind.32 Statt sich an ihren sophistischen Irreführungen und trügerischen Syllogismen sollten sie sich an den gediegenen Reden der ältesten Kirchenväter ergötzen.33 Es sind also die Methoden der Scholastik, die Reuchlin hier zu brüskieren sucht. Deren Syllogismen suchte er an zahllosen Beispielen ad absurdum zu führen. Die Angriffe auf seine Position mit Feindseligkeit gegenüber dem Humanismus gleichzusetzen war zumindest eine sehr einseitige Interpretation, da Reuchlin von ihnen als Verteidiger jüdischer Schriften, nicht als Humanist geschmäht worden war. Indem er den Streit in die von ihm gewünschte Richtung lenkte, lieferte er seinen Anhängern das Vokabular und die Argumentationsmuster, die diese später in ihren Briefen und literarischen Werken immer wieder verwenden konnten. Dass die Angelegenheit überhaupt als ein Kampf zwischen Humanismus und Scholastik interpretiert werden konnte, geht also im Ansatz auf die sehr selektive Interpretation der reuchlinschen Defensio zurück.

4.

Die zwei Ebenen der Kontroverse

DIE ZWEI EBENEN DER KONTROVERSE Ab 1513 spielte sich die Kontroverse also auf zwei Ebenen statt, der publizistischen und der juristischen. Auf letzterer spielte der Inquisitor Jakob von Hochstraten die zentrale Rolle. Im Herbst 1513 zitierte er Reuchlin vor das Inquisitionsgericht in Mainz, wo er Kläger und Richter in einer Person war. In letzter Minute schlug der Mainzer Erzbischof das Verfahren jedoch nieder, woraufhin der Prozess im März 1514 zum bischöflichen Gericht nach Speyer verlegt wurde. Die dortigen Richter sprachen den umkämpften Gelehrten zwar frei, Hochstraten weigerte sich jedoch, das Urteil anzunehmen und appellierte an den Papst als höchste richterliche Autorität in Glaubensfragen. Dieser setzte

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wie jene. Er bitte Gott, sie von den Qualen der Hölle zu erlösen. Seine einzige Rache solle sein, den Namen des Gegners in Marmor eingehauen der Nachwelt zu überliefern.“ Und rechtfertigt die etwas ausführlichere Darstellung. Defensio, S. 204 f.: „lingua vero agrestes et barbari, latinitatis imperiti et humanorum studiorum pertesi“. Defensio, S. 242 f.

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JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS

eine hochrangig besetzte Kommission ein, die ebenfalls Reuchlins Augenspiegel im Jahre 1516 freisprach. Wohl aus außenpolitischen Gründen hielt der Papst das Urteil aber zunächst zurück. Erst 1520, zwei Wochen nach der Bannandrohungsbulle gegen Luther, wurde ein Urteil verkündet. Darin wurde Reuchlin für schuldig gesprochen und der Augenspiegel als ein Skandal und eine Beleidigung für die frommen Ohren der Christen verurteilt.34 Zu diesem Zeitpunkt überlagerte aber eine ganz andere Angelegenheit die öffentliche Diskussion, die causa Lutheri. Ebenso wichtig wie die juristische war aber die publizistische Ebene. Um die Öffentlichkeit zu mobilisieren, veröffentlichten beide Parteien Flugschriften, Briefe, Abhandlungen und schließlich auch satirische Werke wie die Dunkelmännerbriefe. Auf der einen Seite hörte Pfefferkorn nach den Urteilen von Speyer und Rom keineswegs auf, gegen Reuchlin und die Juden zu polemisieren. 35 Nach den Handtspiegel publizierte er noch den Brantspiegel (1515), die Sturmglock (1514),36 die Beschyrmung (1516), das Streydtbüchlein (1516) und ein Mitleydtliche clag (1521). Insgesamt brachte er zwischen 1507 und 1521 vierzehn, und wenn man die lateinischen Fassungen dazuzählt, neunzehn Schriften gegen die Juden und Reuchlin heraus.37 Diese mit Holzschnitten versehenen Flugschriften erschienen nach heutigen Schätzungen in Auflagen von jeweils 1.000 Exemplaren und wurden in verschiedenen Städten nachgedruckt, erreichten also eine erhebliche Wirkung.38 Auf der anderen Seite formierten sich ab 1513, also mit dem Erscheinen von Reuchlins Defensio, die Gegner Pfefferkorns und der Kölner Theologen. Prominente Humanisten wie Willibald Pirckheimer, 39 Erasmus von Rotterdam, 40 Johann Cuspianus, 41 Konrad Peutinger, 42 und zahlreiche andere sicherten Reuchlin ihre Unterstützung zu. Trotzdem war die Unterstützung durch die deutschen Humanisten für Reuchlin keineswegs so einmütig wie sie lange in der Forschung dargestellt wurde, und einige Humanisten wie Jakob Wimpfeling, Sebastian Brant und

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BÖCKING, Suppl. I, S. 152. Über die Veröffentlichungen der Reuchlin-Gegner siehe RBW III, S. XXXVI-XLI. In der Sturmglock reagierte Pfefferkorn triumphierend auf die Verurteilung des Augenspiegels durch die Universität von Paris. KIRN, Das Bild vom Juden, S. 201-204. Vgl. dazu auch SCHWITALLA, Dialogisches im Reuchlin-Pfefferkorn-Streit. Reuchlins hebräische Grammatik erwies sich dagegen zu seinem Kummer als echter „Ladenhüter“, wie er selbst klagte: GEIGER, Johannes Reuchlin, S. 132. RBW II, Nr. 182 u. 210. RBW III, Nr. 236; ALLEN, II, Nr. 333. RBW II, Nr. 202. Deutsche Übersetzung in MOUT (Hg.), Die Kultur des Humanismus, S. 267-270. RBW II, Nr. 211.

MUTIANUS RUFUS UND REUCHLIN – GEGENSEITIGE WERTSCHÄTZUNG

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Ulrich Zasius hielten sich mit ihren Sympathiekundgebungen auffällig zurück.43 Diese Einschränkung gilt aber nicht für den Mutian-Kreis, und mit diesem haben wir es schließlich zu tun, da in diesem die Epistolae obscurorum virorum entstanden. Die Konzentration auf Mutianus und dessen Kreis vermittelt also einen wichtigen, wenn auch keineswegs vollständigen Eindruck, von der Rezeption der Reuchlin-Affäre bei den deutschen Humanisten.

5.

Mutianus Rufus und Reuchlin – Gegenseitige Wertschätzung

MUTIANUS RUFUS UND REUCHLIN – GEGENSEITIGE WERTSCHÄTZUNG Zentral für die Kampagne des mutianischen Kreises für Reuchlin, und von einer Kampagne darf man durchaus sprechen, war Mutianus Rufus selbst. 44 Schon Jahre vor dem Ausbruch der Kontroverse hatte er im Jahre 1503, also kurz nach seiner Rückkehr aus Italien, an den gelehrtesten Mann Deutschlands (Germanorum eruditissimus) geschrieben.45 Der Brief war ein im Humanismus durchaus übliches Mittel, in den Freundeskreis eines berühmten Kollegen aufgenommen zu werden. Da Mutian nach seiner Rückkehr aus Italien in Deutschland kaum Freunde hatte und (noch) nicht in irgendwelchen deutschen humanistischen Sodalitäten vernetzt war, musste er also in diesem Falle die Initiative ergreifen. Seine Mitteilung, dass er die von Reuchlin betreute Ausgabe des Hrabamus Maurus, De laudibus sanctae crucis (Pforzheim 1503), gekauft und gelesen habe, muss man deshalb nur als einen Vorwand zu Kontaktaufnahme interpretieren. Selbstverständlich war auch, dass man in so einem Schreiben den beworbenen Briefempfänger in den höchsten Tönen schmeichelte: Mit Deiner einzigartigen Gelehrsamkeit, deiner edelmütigen Beredsamkeit und deinem unermüdlichen wissenschaftlichen Eifer habe ich Dich ganz ins Herz geschlossen. Diese Eigenschaften bewundere ich und kann sie nicht genug loben.46 Wie Reuchlin auf Mutians Freundschaftersuchen reagierte, ist nicht bekannt, da dessen Briefe aus dieser Zeit verlorengegangen sind. Erst 1509 schrieb er ihm. Es ist aber ein Schreiben mit geringem und gar keinen Neuigkeitswert, dessen einziger Zweck es war, von sich hören zu lassen. Der Brief reflektiert

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Vgl. OVERFIELD, Scholasticism and Humanism, S. 279: „[support for Reuchlin] was often tentative, and it was never universal“. Zu dem Verhältnis von Mutianus und Reuchlin: RÄDLE, Reuchlin und Mutian. Rädle hat in diesem Aufsatz die einschlägigen Briefe Mutians an und von Reuchlin abgedruckt, übersetzt und interpretiert. GILLERT Nr. 2 (Mutian an Reuchlin, 1. Oktober 1503); RBW I, Nr. 127. GILLERT Nr. 2: „doctrinam enim tuam singularem et generosam facundiam et infatigabile studium amplector, admiror, praedico“.

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JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS

jedoch das Ansehen, das sich Mutianus in den zurückliegenden sechs Jahren in der deutschen Gelehrtenwelt erworben hatte.47 Mit der Reuchlin-Affäre hatte er noch nichts zu tun. Bereits relativ früh, nämlich bereits 1510, erfuhr Mutian von den Gutachten, die der Kaiser über die jüdischen Bücher in Auftrag gegeben hatte. Zu diesem Zeitpunkt war Mutian aber offenbar nicht bekannt, dass auch Reuchlin als einer der Experten um eine wissenschaftliche Stellungnahme gebeten worden war. Wie Reuchlin, und unabhängig von ihm, spricht er sich für den Erhalt der jüdischen Bücher aus. Wenn man den Talmud verbiete, müsse man konsequenterweise auch die Lektüre der biblischen Propheten untersagen, argumentierte der Gothaer Kanoniker. Diese wären aber fester Bestandteil des christlichen Kanons.48 Erst ab 1513, also nach den Veröffentlichungen des Augenspiegels, der Articuli und der Defensio finden sich bei Mutian häufig Kommentare zur der sich entwickelnden Affäre. Überblickt man seine fast 60 Briefe, die sich hauptsächlich oder oft auch nur am Rande mit der causa Reuchlini beschäftigen, muss man zu dem Schluss kommen, dass sich Mutian in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle für eine uneingeschränkte Unterstützung Reuchlins ausspricht.49 Ein Satz aus einem Brief an Peter Eberbach aus dem Jahre 1512 könnte als Motto seiner Haltung stehen: Eher gebiert eine Heuschrecke einen Elefanten, als dass ich ihm [Reuchlin] widerspreche.50 An dieser Hochschätzung des Pforzheimer Gelehrten durch Mutian hat sich trotz einiger Vorbehalte, die er gelegentlich in vertraulichen Briefen äußerte,51 47

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RBW II, Nr. 151: „Quid facerem ambiguus? … At contra formidabam, ne nihil scribendo ab eximia tua humanitate, qua in omneis lingua politos uteris, proscriberer. Utrumque Scylla et Charybdis. Sed heus amice! Superiobus annis flosculos decerpsi tantum. Nunc verba inania ferme nihili pendo, sed facta memoratu digna pluris aestimo.“ (Der Brief fehlt in GILLERT). GILLERT Nr. 171 (Mutian an Urban, 1. Hälfte August 1510): „Caesar mandavit quatuor academiis, ut quid de volumine Talmuth sentiant, sitne perditissimis Iudeis reddendum, suis disputationibus explanent. Tendent sua retia sophiste nunquam veritatem Talmuthici codicis deprehensuri. … Nam si aliter facias, relinquere prophetas necesse habes, quorum lectio, quam sit in aede sacra frequens, nemo est, qui nesciat.“ Für eine genaue Dokumentation dieser Unterstützung verweise ich auf BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha, S. 269-298. GILLERT Nr. 225 (23. Oktober 1512): „Et ego, prius pariet locusta Lucanum bovem quam ab eodem dissentiam.“ Widersprochen hat Mutianus Reuchlin in zweierlei Hinsicht: einmal kritisierte er, dass Reuchlin sich mit seinem „Schmählatein“ (male latinum) auf das Niveau eines Pfefferkorn und von Tongern begeben habe. (GILLERT Nr. 349). Zum anderen aber argumentiert Mutian einmal, dass es eine doppelte Wahrheit gebe, eine für den „Mann auf der Straße“, die andere für die Gelehrten (GILLERT Nr. 251, Mutian an Urban, Ende März 1513). Vie-

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während der ganzen Zeit der Kontroverse nichts geändert. In fast jedem der Briefe, in denen er sich über Reuchlin äußert, bezeichnet er ihn fast formelhaft als den größten Gelehrten Deutschlands,52 und als einen Vertreter der humanistischen Studien, deren Fortschritt er durch die Kölner Antagonisten gefährdet sah. Im Jahre 1513, nachdem der Kaiser den Verkauf von Reuchlins Defensio verboten hatte, schrieb er: Der Wahrheit fehlt ein Beschützer. Die Barbarei herrscht. Die Ungelehrten urteilen über die Gelehrten.53 Damit gab Mutian aber das Paradigma vor, um das sich die Diskussion in den nächsten Jahren drehen sollte: Barbaren, sprich Scholastiker, gegen Humanisten und Ungelehrte gegen Gelehrte. Auf diese Sichtweise schwor er seine Freunde ein, die in der Folgezeit Reuchlin entweder durch eigene Briefe oder sogar literarische Werke zu unterstützten suchten. Bereits kurz nach dem 22. Juli 1513 hatte Mutian Reuchlin seine Unterstützung zugesagt. Dieser Brief ist allerdings verlorengegangen. Von dessen Existenz wissen wir lediglich durch ein Schreiben Reuchlins, in dem er sich dafür bedankte. 54 Darin hatte Mutian ihm den Beistand der gesamten literarischen Sodalitas versprochen und ihm auch mitgeteilt, dass er sich bei seinem Kurfürsten Friedrich von Sachsen für ihn einsetzen würde. In der Folgezeit hielt er sich, wie es seiner Art entsprach, lieber im Hintergrund, und erst am 13. September 1516, also zu einem Zeitpunkt, als die von Hochstraten erhobenen Anschuldigungen gegen den Augenspiegel von einer päpstlichen Kommission als unbegründet zurückgewiesen worden waren, richtete er ein weiteres Schreiben an Reuchlin.55 Durch diesen Sieg, argumentierte Mutian jetzt, gewinne die Gelehrsamkeit wieder an Bedeutung. Außerdem habe Reuchlin eine belebende Wirkung auf das Studium sowohl des Griechischen, als auch des Hebräischen bei den Studenten gehabt. Jetzt würden sie sich von den Nichtigkeiten abwenden und sich

                                                                                                                                      

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les in der Religion sei von weisen Männern erfunden worden. Der Mensch wolle nun einmal getäuscht werden. Die einfachen Leute verstünden es so, die Gebildeten anders. Die ersteren seien mit bloßen Geschichten zufrieden, die Gebildeten interpretierten diese allegorisch. Niemals aber dürfe man die Mysterien verraten und damit die Meinung der einfachen Leute in Frage stellen. Das Resultat wäre eine Schwächung der Macht des Kaisers, des Papstes, und selbst die eigenen Benefizien wären bedroht. Alles würde in Chaos versinken. Nicht Gesetze und Konventionen, sondern Gewalt und Chaos würden herrschen. Vgl. BERNSTEIN, Liebe die Reuchlinisten, S. 302, Anm. 42. GILLERT Nr. 252 (Mutian an Urban, April 1515): „Veritas patrono caret, barbaria dominatur, indocti de doctis iudicant.“ GILLERT Nr. 303 (22. August 1513); RBW II, Nr. 224. RBW III, Nr. 293 (13. September 1516). Inzwischen hatte er einen Brief an Reuchlin gerichtet, in dem dessen Schwierigkeiten mit keinem Wort erwähnt wurden. GILLERT Nr. 516; RBW III, Nr. 268.

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JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS

den von Reuchlin favorisierten Studien zuwenden.56 Der relativ späte, nach dem vermeintlich guten Ausgang des Prozesses geschriebene Brief, zeigt einmal mehr, dass Mutian lieber hinter den Kulissen wirkte und stattdessen unermüdlich seine Freunde und Bekannten aufforderte, sich für Reuchlin zu engagieren: Ich selbst, schrieb er an einen Freund, der geringste unter den Aposteln, habe eine mächtige und schlagkräftige Truppe versammelt und kann mit unserer Kohorte Führer und bedeutende Männer vorweisen, große Äbte und Priester aus dem literarischen Orden, Gepanzerte und Vorkämpfer, die wir, wenn wir das Heer zusammengestellt haben, führen werden, und wenn es nötig ist, gegen die Bettelmönche [Franziskaner] und fanatischen Prediger [die Dominikaner] anführen.57

In den Epistolae obscurorum virorum schreibt ein gewisser Coclearligneus in schönstem Dunkelmännerlatein: Ein mir bekannter Erfurter Student hat gesagt, Konrad Mutianus sei der schlechteste unter all denen, die es mit Reuchlin halten und ein solcher Feind der Theologen, dass er es gar nicht hören könne, wenn man die Kölner Theologen erwähnt. Auch sagt dieser Student, er habe wohl zwanzig Briefe von ihm gesehen, worin er gewisse Freunde bitte, Reuchlinisten zu werden. 58 Wenn auch die Dunkelmännerbriefe eine Satire und keine Geschichtsquelle sind, war doch Johannes Löffelholtz – denn so muss man Coclearligneus übersetzen- richtig informiert. Angespornt von Mutian selbst, engagierten sich dessen Schüler und Freunde unermüdlich für Reuchlin.59 Die Unterstützung zu mindestens in dieser Sodalitas war einmütig, wobei Mutian der „Generalstäbler“ war, der seine „Truppen“ immer wieder anfeuerte.60

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RBW III, Nr. 293 (13. September 1516), S. 352: „Nobilis enim veterum doctrina te duce resurgit. Ad me quotidie confluunt boni adolescentes, quibus Capnion est in ore et in pectore. Hic sese Graecum probat, ille Hebraicias et vere arcanas literas admiratur.“ GILLERT Nr. 359 (Mutianus an Gregor Agricola, 5. April 1514): „Ego quoque … minimus apostolorum contraxi satis validam manum et possum in cohorte nostra ostentare duces et principes et de sacris abbas et magnos Iovis epulones ex ordine literario quasi quosdam cataphractos et antesignanos, quos agmine facto educemus, si necessitas postulaverit contra fraterculos casearios et phanaticos paedicatores, hem praedicatores.“ Das letzte Wortspiel lässt sich nicht ins Deutsche übersetzen. EOV II, 59: „Et quidem studens Erfordiensis, qui es mihi notus, dixit, quod Conradus Mutianus et pessimus omnium illorum, qui sunt pro Reuchlin, et est ita inimicus theologis, quod not potest audire, quod aliquis nominat theologos Colonienses. Et talis studens dixit, quod vidit bene viginti epistolas illius, in quibus ipse rogat socios, quod volunt esse Reuchlinistae.“ Dazu BERNSTEIN, Liebe die Reuchlinisten. KRAPP, Der Erfurter Humanistenkreis, S. 85.

DER EINSATZ DES MUTIAN-KREISES FÜR REUCHLIN

6.

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Der Einsatz des Mutian-Kreises für Reuchlin

DER EINSATZ DES MUTIAN-KREISES FÜR REUCHLIN Der Beginn des öffentlichen Einsatzes des mutianischen Kreises für Reuchlin, falls man unter „öffentlich“ die von den Freunden dieser Sodalitas geschriebenen Briefe versteht, von denen man annehmen musste, dass sie anschließend von Reuchlin auch veröffentlicht wurden (was dann auch in den meisten Fällen geschah), lässt sich auf den Sommer 1513 festlegen, also zu einer Zeit, als sich die Reuchlin-Affäre von einer akademischen Debatte über den Wert jüdischer Literatur zu einer breiteren Diskussion zwischen Humanismus und Scholastik gewandelt hatte. Einer der ersten, der dem umkämpften Hebraisten seine Unterstützung anbot, war Urbanus, damals Verwalter des Georgenthaler Hofes in Erfurt und intimster Freund Mutians. In zwei an Reuchlin gerichteten Briefen bediente er sich des klaren Feindbildes, das Reuchlin selbst in seiner Defensio entworfen hatte.61 Den Kölner „Theologisten“, also „Scheintheologen“ stünden die Vertreter der wahren, der prisca theologia, gegenüber. Den gelegentlich gehörten Vorwurf, Reuchlin habe sich mit seinem Augenspiegel und seiner Defensio auf das Niveau eines Pfefferkorn herabgelassen, lehnt Urbanus nicht nur ab, sondern begrüßt sogar dessen rustikale Verteidigung: Die Beleidigungen greifst du an, die Vorwürfe zerstreust du, Schmähungen wehrst du ab, Geschwätz widerlegst du, gegen Beschuldigungen rechtfertigst du dich, Verdächtigungen zerstreust du, deine Autorität verteidigst du gegen das Unrecht. Mit bewundernswerter Beredsamkeit und einzigartiger Gelehrsamkeit kratzt du sozusagen den Krähen die Augen aus. Du lehrst uns, die wir dir wegen unserer Studien aufs freundschaftlichste verbunden sind, was für ein gewaltiger Unterschied zwischen den geschwätzigen Theologisten und den echten Theologen besteht; nämlich dass jene mit bitterem, finsterem Eifer und mörderischem Hass die Verehrer der Antike zu verfolgen pflegen.62

Ebenfalls einer Aufforderung seines Gothaer Mentors folgend, meldeten sich zunächst zwei weitere Freunde des Mutian-Kreises zu Wort, Peter Eberbach63 und Euricius Cordus, der brillante Epigrammatiker. Während sich Eberbach mit einigen Gemeinplätzen begnügte, schrieb Cordus, dass er wegen seiner Jugend

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Den ersten Brief (RBW II, Nr. 223, schrieb Urban vor dem 22. August 1513, den zweiten Brief am 15. Oktober des gleichen Jahres, RBW II, Nr. 230). RBW II, Nr. 223 (vor dem 22. August 1513, S. 402): „Contumelias impetis, invadis iurgia, maledicta depellis, ineptias confutas, crimina purgas, suspiciones diluis, authoritatem tuam ab iniuria defendis. Cumque mirabili facundia, singulari doctrina cornicum, ut dicitur, oculos configas, plane nos doces, qui tibi sumus propter studia communia amicissimi, quantum sit inter garrulos theologistas et probos theologos intervallum; illos acerbo zelo et internecivo odio antiquitatis cultores et bene doctos insectari solere.“ RBW II, Nr. 222 (vor dem 22. August 1513).

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– er war damals 29 Jahre alt – bisher nicht gewagt sich an ihn, Reuchlin, zu wenden. Jetzt tue er dies aber, indem er ihn mit einem vierfachen „Salve“ begrüße, ihn den gelehrtesten aller Gelehrten, einen Mann von höchster Integrität, den Beschützer und Patron der Bildung, den süßesten Liebling der Musen. Als neuer Herkules habe Reuchlin die aus dem Sumpf steigenden Ungeheuer besiegt. Wer könne einen solchen Menschen nicht lieben? Es sei denn, er wäre äußerst boshaft und ungebildet. Sein größter Wunsch sei, ihn einmal persönlich zu besuchen, aber dies sei wegen seiner Heirat und seiner häuslichen Verpflichtungen unmöglich.64 „Häusliche Verpflichtungen“ hatte zwar auch Eobanus Hessus (vgl. Kap. II), trotzdem gehörte auch er zu den engagiertesten ReuchlinUnterstützern des mutianischen Kreises. Er hatte schon zwei – jetzt verlorengegangene – Briefe an Reuchlin geschrieben, bevor dieser Zeit fand, ihm am 26. Oktober 1514 zu antworten.65 Ob Hessus nicht sehe, so weist Reuchlin die Vorwürfe seines brieflichen Schweigens zurück, wie die grausamen Elstern, die Mendikanten, die schwarz-weißen Harpyien, ihn bedrängten und unermüdlich gegen ihn kämpfen, sodass er kaum Zeit zum Atmen habe und neue Kraft sammle.66 Der Klage des Hessus, er, Reuchlin, beantworte seine Briefe nicht, entgegnete er, er habe einfach keine Zeit, während sich Hessus ganz seinen Musen widmen könne. Hätte er ihn nicht so gern, würde er ihn beneiden, ihn, den Fürst der Dichter. Das griechische έσσήν bedeute nämlich im Lateinischen rex, denn unter den christlichen Dichtern dieser Zeit bist du selbst ein König, der durch seine Verse, die besser sind als die der anderen, den Herren der Macht und des Geistes befiehlt.67 Die Universität Erfurt dürfe glücklich schätzen, so einen großen Poeten in ihren Mauern zu                                                              64

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RBW III, Nr. 259 (26. Januar 1515): „Dabis veniam, optime et doctissime vir, quod tantillus ego ad te, nostri seculi et totius Germaniae decus, scribere non verear. Instabat non semel Mutianus Ruffus, praesertim quo tempore Eobanus scripsit, ut ego quoque meis tibi literis, si non te dignis, tamen quibus possem, innotescerem. … Salve, salve igitur. Salve, inquam, omnium optime et doctissime Capnion, integerrimae integritatis homo, immo adversus tot deterrima monstra ex olida barbariae palude emergentia invictissime Hercules. Iterum salve, maxime literatorum patrone et assertor, dulcissimum Musarum delicium. Quis talem virum non amet, colat et veneretur, nisi qui improbissimus simul et indoctissimus fuerit? Dii faciant, ut, quae maxima est mihi, visendi tui cupiditas aliquando satiari possit. Sed despero istam mihi facultatem concedi ut qui matrimonii capistro charissimae uxori alligatus domesticis rebus detineor.“ RBW III, Nr. 252 (Reuchlin an Eobanus Hessus, Stuttgart, 26. Oktober 1514). RBW III, Nr. 252: „An tu non videas, Hesse, … quam istae crudeles picae mendicae, istae Harpiae cyanoleucae Quotidie calamum agitant meum et mentem pene defatigato mihi alio impellunt, ut melioribus literis incumbere nequeam.“ RBW III, Nr. 252: „Inter enim aetatis tuae Christianos poetas ipse rex es, qui scribendis quodam potestatis et ingenii dominis eminentiore plus caeteris metro imperas et syllabas quasque ad regulam regis.“

DER EINSATZ DES MUTIAN-KREISES FÜR REUCHLIN

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haben.68 Am 6. Januar 1515, also etwa drei Monate später, verfasste Hessus eine ausführliche Antwort auf Reuchlins Schreiben.69 Darin zeigt er durchaus Verständnis dafür, dass Reuchlin bisher seine Briefe nicht beantwortet habe, da ihn seine Widersacher so in Anspruch nähmen. Den ihm von Reuchlin verliehenen Titel „König“ nahm Hessus gern an und bezeichnete sich von da an als der „König der Poeten“, ein König allerdings, der sich mit einem sehr kleinen Königreich begnügen musste, denn dieses beschränkte sich auf sein Haus in Erfurt, die Engelsburg.70 Reuchlin werde gewinnen, versichert er ihm: Wir werden triumphieren. Die ganze Schar der Poeten hat schon für dich einen Triumphzug beschlossen.71 Dieser „Triumphzug“ bezieht sich auf ein längeres Gedicht, das Ulrich von Hutten zu dieser Zeit verfasst hatte. Das 1.064 Hexameter umfassende Gedicht 72 hatte Hutten bereits 1514 sowohl Mutian 73 als auch Erasmus von Rotterdam gezeigt. Der immer vorsichtige Erasmus riet aber von einer Veröffentlichung zu diesem Zeitpunkt ab, da er nicht den in Rom anhängigen Prozess gegen Reuchlin unnötig belasten wolle. 74 Erst 1518 erschien das Werk unter dem Pseudonym Elevtherivs Byzenus bei Thomas Anselm in Hagenau. Ein beigegebener Holzschnitt zeigt Reuchlin bei seinem feierlichen Einzug in seine Heimatstadt Pforzheim. 75 Als Sieger, auf einem Triumphwagen sitzend, führt der mit einem Lorbeerkranz bekränzte Reuchlin die besiegten Feinde mit sich. Begleitet wird er von befreundeten Humanisten.76 Mit einem persönlichen Brief an Reuchlin ließ sich der temperamentvolle Ritterssohn Ulrich von Hutten allerdings Zeit. Erst relativ spät, nämlich am 13. Januar 1517, richtete er ein Schreiben an Reuchlin. Es ist ein Ermutigungsschreiben. Er reagiert darin auf Nachrichten, dass Reuchlin an Depressionen                                                              68

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Dass die Universität ihm erst drei Jahre später eine besoldete Dozentur verlieh, wusste Reuchlin nicht oder ließ es unerwähnt. RBW III, Nr. 257: „Rex igitur sum ego, sed admodum parvo contentus regno.“ Der historische Gebäudekomplex in der Erfurter Altstadt ist heute ein studentisches Kulturzentrum. RBW III, Nr. 257: „Nos triumphabimus. Id enim futurum nobis polliceris. Sed et tu triumphabis. Latinae civitatis senatus iam tibi triumphum decrevit.“ Abgedruckt in BÖCKING III, S. 413-448: „In triumphum Ioannis Revchlin alias Capnionis ex devictis Theologistis Coloniensibus et Praedicatorum ordinis fratribvs Encomion Eleytherii Byzeni.“ GILLERT Nr. 387 (Mutian an Urban, nach dem 21. Juni 1514) und GILLERT Nr. 393 (Mutian an Urban, 30. Juni 1514). RBW III, S. 149; ALLEN III, Nr. 636 (Erasmus an Graf Hermann von Neuenahr): „Ego ante biennium Triumphum Reuchlini iam tum paratum editioni in Germania premendum curavi.“ Beschreibung bei RBW III, S. 149; KÜHLMANN, Ulrich von Huttens Triumphus Capnionis; RÄDLE, Ulrichs von Hutten lateinischer Kampf gegen Rom, S. 289-302. Vgl. KÜHLMANN, Ulrich von Huttens Triumphus Capnionis.

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leide und bald sterben wolle. Er solle doch bitte solche düsteren Gedanken lassen und Hutten nicht damit erschrecken. Wer so wie Reuchlin gelebt habe, sterbe nicht. Als Lebender habe Reuchlin doch so viele lobende Zeugnisse erfahren wie sonst wenige Menschen nach ihrem Tode erführen. Er selbst, Hutten, sei schon zufrieden, wenn man ihn einen Reuchlinisten nenne. Reuchlin solle sich also entspannen. Schon längst habe er, Hutten, einen Brand entfacht. Dieser werde bald, wie er hoffe, losbrennen und lodern. Er werde sich Verbündete aussuchen, die durch ihr Alter und ihre Kampferfahrung der Sache gewachsen sind. In Kürze sehe Reuchlin, wie die traurige Tragödie der Gegner im Theater ausgepfiffen werde.77

7.

„Crotus schäumt vor Wut.“ – Crotus als selbsternannter Vorkämpfer der „Reuchlinisten“

CROTUS ALS SELBSTERNANNTER VORKÄMPFER DER „REUCHLINISTEN“ Nicht weniger heftig als sein Freund Hutten reagierte Crotus Rubianus auf die Angriffe der Kölner auf Reuchlin. Crotus schäumt vor Wut – Crotus excandescit – hatte Mutianus schon im März 1513 gemeldet,78 und im Oktober desgleichen Jahres ihn und Herebord von der Marthen aufgefordert, Reuchlin ihre Unterstützung zuzusagen.79 Aber erst am 26. Januar 1514, also relativ spät, aber noch vor dem Speyrer Urteil, kam Crotus dieser Aufforderung nach.80 Sein bisheriges Schweigen begründet er mit der weiten Entfernung und dem Fehlen von Boten in seiner Fuldaer „Einsamkeit“. 81 In Wirklichkeit mögen andere Gründe für sein langes Zögern verantwortlich gewesen sein: einmal seine Scheu, sich öffentlich zu positionieren – und ein Brief an Reuchlin war immer ein quasi öffentliches Dokument, das durch Publikation weite Verbreitung fand82 – zum anderen auch seine 77

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RBW III, Nr. 306, S. 407-411; Böcking I, Nr. 46, S. 129 f., hier S. 130: „Immo non moritur, qui sic vixit. … Quod ad me attinet satisfactum meo in te studio arbitror vel hoc solo, quod inter Reuchlinistas numeratum haud obscure me viderim. Multum oneris tui in nostros humeros translatum est. Iampridem incendium conflo, quod tempestive spero, efflagrabit. Ipsum te quiescere iubeo; eos mihi adiungo militiae socios, quorum et aetas et conditio pugnae generi par est. Brevi videbis lugubrem adversariorum tragoediam e ridentium theatro exibilari.“ GILLERT Nr. 250 (Mutian an Urbanus, Ende März 1513). GILLERT Nr. 322 (Mutian an Urbanus, Anfang Oktober 1513): „Scribat Crotus et Herebordus.“ RBW III, Nr. 233 (26. Januar 1514). RBW III, Nr. 233, S. 17: „… sed impedimento facere tanta itineris distantia et nunciorum raritas in hac solitudine.“ Die Publikation des Briefes geschah dann auch, allerdings erst im Jahre 1519 in Illustrium virorum epistolae.

CROTUS ALS SELBSTERNANNTER VORKÄMPFER DER „REUCHLINISTEN“

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Furcht, sich gegenüber dem großen Gelehrten durch einen Brief zu blamieren. Das Schreiben, das er schließlich an Reuchlin sandte, ist „eine der feurigsten Huldigungen“,83 gleichzeitig ist es aber auch ein sorgfältig durchkomponiertes, in geschliffenem Latein geschriebenes, mit zahlreichen Referenzen zu klassischen Autoren und der Heiligen Schrift gespicktes Schreiben. Auf dessen Anfertigung dürfte selbst ein in der klassischen Literatur derartig belesener Autor wie Crotus erhebliche Zeit aufgewendet haben, obwohl er behauptet – auch das ein humanistischer Topos – den Brief aus dem Stegreif „hingegossen“ zu haben.84 Sich auf den griechischen Gesetzgeber Solon berufend, der gefordert hatte, dass in einem Bürgerkrieg derjenige sein Haus, seine Heimat und alle seine Güter verliere, der sich in das Privatleben zurückzöge und nicht Partei ergreife, sei er, Crotus, schon seit langem für Reuchlin eingetreten.85 Mit dieser Argumentation überhöht Crotus also die Kontroverse zwischen den Kölner Theologen und Reuchlin zu einer kritischen Staatsaffäre. Um deshalb selbst nicht aller seiner Güter beraubt zu werden, fügt der nicht sehr vermögende Humanist selbst-ironisch hinzu,, habe er sich entschlossen, sich Reuchlins Partei anzuschließen. Selbst die Drohungen der Theologen könnten ihn nicht von seinem Eingreifen abhalten, da es ehrenwerter sei auf Seiten der Rechtschaffenen Nachteile zu erdulden als auf der Seite der Betrüger durch unlautere Mittel den Sieg zu erringen. Möglicherweise sei das Ganze auch ein Test, mit dem die Götter ihn und Reuchlin prüfen wollten. Reuchlin solle also sein gegenwärtiges Schicksal als Chance begreifen, seine Tüchtigkeit unter Beweis zu stellen.86 Wie Eltern ihren Kindern Erfolg und Ehre ermöglichen, indem sie sie zu Fleiß, Arbeiten und eifrigem Studieren anhalten, so unterwerfen die Götter jene, die sie lieben, Gefahren und Versuchungen, sodass ihre positiven Qualitäten umso heller strahlen. Auf welche Weise solle sich denn Reuchlins Tapferkeit zeigen, wenn das Schicksal ihm nicht Gelegenheit gebe, seine Tüchtigkeit unter Beweis zu stellen, fragt er.87 Im Übrigen blieben Reuchlins Schriften bestehen,

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BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum, S. 5. RBW III, Nr. 233, S. 17: „ibi haec extemporalia efundimus“. RBW III, Nr. 233, S. 15: „In legibus Solonis Aristoteles esse refert, si ob discordiam dissensionemque seditio atque discessio oriretur, ut populus Atheniensis in duas parteis scinderetur et ob eam causam irritatis animis utrinque arma caperentur pugnareturque, tum, qui eo tempore in eoque casu civilis is, domo, patria fortunisque omnibus multaretur.“ RBW III, Nr. 233, S. 15: „… exuere, iampridem te nesciente socium me tuarum partium addidi, … quia sanctius honestiusque duco in re honesta cum honestis periclitari quam per improbitatem ad victoriam adspirare cum fraudulentis, quorum mendacia,velint, nolint, tandem aliquando notante vulgo in extrema parte nigrescunt.“ RBW II, Nr. 233, S. 15: „Sicuti parentes liberos suos per industriam, laborem, vigilias ad gloriam, ita illi, quos amant, variis periculis temptaminibusque, quo virtus maior enitescat,

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JOHANNES REUCHLIN UND DER MUTIANISCHE HUMANISTENKREIS

solange sich Leser mit Literatur beschäftigten. Dabei sei er weit davon entfernt, Reuchlin schmeicheln zu wollen, er referiere lediglich das Urteil von Fachleuten. Wenn jemand sage, Reuchlin kämpfe gegen viele, während Herkules nur gegen zwei gerungen habe, so würde er antworten: Die Feinde seien entwaffnet; durch ihr bloßes Getöse, nicht durch Schläge würden sie erschrecken, so wie die Wespen, denen man die Stacheln entfernt habe. Er werde diese Gegner nicht mehr fürchten als ein Löwe einen Floh.88 Als Sprecher des ganzen mutianischen Freundschaftskreises sichert Crotus Reuchlin nicht nur die Unterstützung Mutians, sondern dieser ganzen Gemeinschaft zu, und diese bestehe aus Philosophen, Humanisten, Dichtern, Rednern, Theologen. Alle sind dir gewogen, alle bereit, für dich zu kämpfen.89 Er selbst, Crotus, sei bereit sich an die Spitze der Truppe gegen die Reuchlin-Feinde zu stellen. Befiehl, wann du willst. Wir werden bereit sein. In Fulda habe ich zwar nicht die Waffen der Minerva.90 Ich verspreche aber, dass ich ein Tribun der Truppen sein werde. Ich besitze noch Kräfte, um Kälte, Hitze und Durst zu ertragen. 91 Wenn nötig, wolle er Berge und Täler in Reuchlins Namen überwinden, damit sich in dieser Angelegenheit nicht allein Pfefferkorn, rühmen könne. Vor einem Jahr habe er viel mit diesem gottlosen Überläufer (impius transfuga) bei einem Besuch in Köln gesprochen, um sich selbst ein Bild zu machen, wer sich in so einem hässlichen Körper verberge.92 Sein Versprechen, sich an die Spitze der pro-reuchlinischen Truppen zu stellen, hielt Crotus auf seine Weise: nicht mit Schwert und Armbrust kämpfte er, sondern mit den viel wirksameren Waffen der Satire: mit Hohn, Spott und Verlachen.

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exercent … . Unde fortitudo tua cognosceretur, nisi fortuna dederit facultatem exhibendae virtutis?“ RBW III, Nr. 233, S. 16: „Huic respondeo: Inimici Capnionis exarmati sunt sonitu, non verbere terrent, ut vespae evulsis aculeis … non amplius quam leo pulicem eos formidarem.“ RBW III, Nr. 233, S. 16: „Habes doctissimum virum Mutianum. Habes totum Mutiani ordinem. Sunt in eo philosophi, poetae, oratores, theologi; omnes tibi dediti, omnes pro te certare parati. Tu quoque si volueris, tibi non deerunt in respondendo auxiliatores.“ Minerva war u. a. die Göttin der taktischen Kriegsführung. RBW III, Nr. 233, S. 16: „Manda et iube, quando voles; praesto erimus. Ipse in hoc collegio non habeo arma Minervae, copiarum tamen tribunum me profiteor. Stant in corpore adhuc vires integrae ad algoris, aestus, inediae patientiam.“ RBW III, Nr. 233, S. 16: „Altero abhinc anno multa de te cum eo locutus sum, ut, quod obscoeno corpore lateret, loquentis sermo mihi indicaret.“ 1512 hatte Crotus den Koadjutor des Klosters Fulda Hartmann von Kirchberg auf den Reichstag von Köln begleitet. Es war wohl bei dieser Gelegenheit, dass er Johann Pfefferkorn persönlich traf. Auf dieser Begegnung beruht sein negatives Urteil Pfefferkorns.

V.

DIE EPISTOLAE OBSCURORUM VIRORUM UND ANDERE SATIREN DES CROTUS

DIE EPISTOLAE OBSCURORUM VIRORUM UND ANDERE SATIREN DES CROTUS Wir haben sie zum Spott gemacht, wir haben uns und sie zu Tod gelacht! Zu Tode? Nein. Wir haben sie geweiht Aristophanischer Unsterblichkeit.1

1.

Die Dunkelmännerbriefe

DIE DUNKELMÄNNERBRIEFE Mit den „sie“ in dem obigen Zitat aus Conrad Ferdinand Meyers „Huttens letzte Tage“ sind die „Dunkelmänner“ gemeint, die in einer der berühmtesten Satiren der Zeit verlacht worden waren. Das Werk erschien im Herbst 1515 unter dem Titel Epistolae obscurorum virorum. Als Drucker wurde ein gewisser Aldus Minutius genannt, eine bewusste Irreführung, da der berühmte venezianische, von den Humanisten und auch von Crotus Rubianus geschätzte Drucker aus der Lagunenstadt Aldus Manutius hieß. Als Publikationsdatum wurde das unsinnige „anno quo supra“ angegeben, unsinnig, weil vorher kein Jahr genannt worden war. Im Frühjahr 1516 erschien ein unveränderter Nachdruck. Innerhalb eines Jahres folgte eine um sieben Briefe vermehrte zweite Auflage und 1517 eine weitere, um 62 Briefe erweiterte Edition. Als Publikationsort wurde diesmal ausgerechnet die römische Kurie angegeben – angesichts der antiklerikalen Satire eine besondere Keckheit. Bei sämtlichen Auflagen fehlte der Verfassername.2

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CONRAD FERDINAND MEYER, Hutten über die Dunkelmännerbriefe, in: „Huttens letzte Tage“, in: C.F. MEYER, Gedichte, Huttens letzte Tage, S. 257. Eine kompakte Darstellung der Publikationsgeschichte bei HUBER-REBENICH, Epistolae obscurorum virorum, in: VL Hu, I, Sp. 649 f.; detaillierte Aufstellung der verschiedenen Editionen bei BÖMER, Epistolae obscurorm virorum, Teil 2, S. 107-112. Erste Ausgabe: VD 16, E 1720 (erschienen bei Heinrich Gran in Hagenau im Herbst 1515; Frühjahr 1516: unveränderter Nachdruck in Nürnberg bei Friedrich Peypus, VD 16, E 1721; Herbst 1516, um sieben Briefe erweiterte Ausgabe bei Jakob Schmidt in Speyer VD 16, E 1722; und schließlich 1517 die um 62 Briefe erweitere Ausgabe bei Jakob Schmidt in Speyer, VD 16, E 1723). Moderne Ausgaben: BÖCKING, Suppl. 2 (ND 1966); BÖMER, Epistolae obscurorum virorum, 2 Bd., Bd. 1: Einleitung, Bd. 2: Text. Forschungsliteratur: BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum; KÖNNEKER, Satire im 16. Jahrhundert, bes. S. 102-118; BECKER, A War of Fools; RÄDLE,

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Heute gelten die Dunkelmännerbriefe, wie sie seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland genannt werden, zusammen mit Erasmus’ 1511 erschienenen Lob der Torheit (Moriae Encomium/Laus Stultitiae) als die gelungenste und wirkungsmächtigste Satire der frühen Neuzeit. Der Schweizer Essayist, Diplomat und Historiker Carl J. Burckhardt nannte die Dunkelmännerbriefe sogar „das geschlossenste satirische Werk, das Deutschland je hervorgebracht hat“,3 und Ricarda Huch schwärmte, dass die Dunkelmännerbriefe „das einzige von Humanisten verfaßte schriftstellerische Kunstwerk [sei], das die Zeit überdauert hat und dauern wird, solange die Geistesfreiheit aufrichtige Anhänger hat“.4

1.1 Die Verfasser der Dunkelmännerbriefe: Crotus Rubianus und Ulrich von Hutten Die Dunkelmännerbriefe erschienen also anonym – angesichts der Brisanz der darin enthaltenen Verspottung von Klerus, Mönchen und den Kölner Theologen und der Möglichkeit kirchlicher Repressionen in der damaligen Zeit eine nachvollziehbare Entscheidung. Der Hauptgegner Reuchlins war schließlich Jakob von Hochstraten, ein Mitglied der Dominikaner, in deren Händen die Inquisition lag. Als zum Beispiel fünf Jahre später in Erfurt die Satire auf Luthers Hauptfeind Johannes Eck, Eccius Dedolatus (Der enteckte Eck), – ebenfalls ohne Angabe eines Verfassers – publiziert wurde, verdächtigte man prompt den prominenten Nürnberger Humanist Willibald Pirckheimer als Autor. Zusammen mit Luther wurde er im Juni 1520 auf die von Eck erwirkte Bannandrohungsbulle gesetzt.5 Nur mit demütigenden Unterwerfungsgesten konnte Pirckheimer erreichen, dass sein Name von dem päpstlichen Dokument getilgt wurde. Vorsicht war also durchaus angebracht. Wie richtig die Autoren gehandelt hatten, als sie ihr Autorenschaft verheimlicht hatten wird auch dadurch deutlich, dass die Epistolae obscurorum virorum in einem päpstlichen Breve vom 15. März 1517 verdammt wurden: Allen Christen wurde unter Strafe der Exkommunikation verboten, das Buch zu lesen, zu kaufen und zu verkaufen; vielmehr wurden sie verpflichtet, es innerhalb von drei

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Die Epistolae obscurorum virorum; HAHN, Huttens Anteil an den Epistolae obscurorm virorum. Gestalten und Mächte, S. 61. Kritisch dagegen: LUDWIG, Literatur und Geschichte, S. 149. HUCH, Deutsche Geschichte, Bd. 10, Das Zeitalter der Glaubensspaltung (Reuchlin und die Dunkelmännerbriefe), S. 514-527; Zitat auf S. 524. Vgl. das Nachwort zu der Ausgabe des Eccius dedolatus von HOLZBERG, S. 124-127.

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Tagen nach Bekanntwerden des Breve zu verbrennen, und darüberhinaus ihrem Stadtpfarrer Anzeige über Käufer, Verkäufer und Leser zu erstatten.6 Da die Verfasser der Dunkelmännerbriefe nicht genannt wurden, setzten sofort die Spekulationen über mögliche Autoren ein. Genannt wurden unter anderen Reuchlin selbst, der Kölner Humanist Hermann von dem Busche, der Würzburger Kanoniker Jakob Fuchs der Ältere, Erasmus von Rotterdam und Ulrich von Hutten. Nicht genannt wurde dagegen Crotus Rubianus. Es war aber genau dieser, der nach heutigem wissenschaftlichem Konsens für die Grundidee des Werkes verantwortlich war und zumindest den ersten, 1515 erschienenen Teil verfasst hatte. Ihm, dem ängstlichen und misstrauischen Mann, der in seiner Publikationsscheu seinem Mentor Mutian von allen Freunden des Erfurter Kreises am meisten ähnelte, war es gelungen, etwaige zu ihm führende Spuren zu verwischen und völlig im Hintergrund zu bleiben. Enttarnt als Autor dieser Satire wurde er erst siebzehn Jahre später, zu einer Zeit, als die ReuchlinKontroverse längst von den reformatorischen Auseinandersetzungen überschattet worden war. Im Jahre 1532 veröffentlichte nämlich sein ehemaliger Schüler und Freund Justus Menius einen Brief, in dem er Crotus und Ulrich von Hutten als Autoren dieser und anderer Satiren nannte.7 In diesem Schreiben gewährt uns Menius, der als ehemaliger Schüler des Crotus und später Erfurter Student Insider-Wissen besaß, außerdem Einblicke in die Entstehungsgeschichte und in die literarische Werkstatt des Crotus: Selten warst du in der Kirche, selten in der Schule, ohne in Deinem Notizbuch geistreiche und witzige Einfälle zu notieren. Dadurch konnte dein so herrliches und für die Nachwelt so nützliches Werk wachsen.8 Crotus arbeitete also an den Dunkelmännerbriefen während er an der Fuldaer Stiftsschule junge Mönche und Bürgersöhne unterrichtete. Seine Modelle waren wenigstens teilweise jene idiotischen und beinahe analphabetischen Opferpriesterlein, über die er kurz vorher in

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PBW III, Nr. 451 (Pirckheimer an Ulrich von Hutten, 26. Juni 1517), S. 121: „Ostendit obiter breve, ut appellant, apostolicum … quo excomunicantur ementes, vendentes et legentes obcurorum virorum epistolas.“ BÖCKING II, S. 460, Z. 3. „Nosti ante annos quindecim, antequam exortus esset Lutherus, cum nondum tui Obscuri Viri Coloniensem Hochstratum et reliquos Papistas comparabili illo quidem, sed tamen aeterno poemate celebrarant.“ Ebenso: „Et haud scio, an ullum huius seculi scriptum sic Papistico regno nocuerit, sic omnia Papistica ridicula reddiderit, ut tui illi Obscuri Viri, qui omnia minima maxima clericorum verterunt in risum.“ (S. 461) Über den Anlass und die genauen Umstände dieses Briefes siehe Kap. XII. BÖCKING, II, S. 461: „Raro eras in templo, raro in schola, quin in cera annotares belle et lepide et festive dicta, quaedam ridicule detortas, quibus crescere posset opus pulcherrimum et posteritati profuturum.“ Noch an drei weiteren Stellen des Briefes wird auf Crotus’ Verfasserschaft der EOV hingewiesen: S. 460: „Obscurorum scilicet Virorum Epistolae, libellus illum tuum“; S. 461, Z. 29: „Tui illi Viri obscuri.“

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einem Brief an Mutian geklagt hatte.9 Mit seiner Satire löste Crotus gewissermaßen ein Versprechen gegenüber Reuchlin ein, das er ihm in seinem Brief vom 26. Januar 1514 gemacht hatte, in dem er sich zum Sprecher des ganzen mutianischen Kreises gemacht und ihm die Hilfe dieser sodalitas angeboten hatte.10 Als zweiten Autor dieser Briefsammlung nennt Menius Ulrich von Hutten. Dies ist zwar richtig, bedarf aber der Erklärung. Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung der Dunkelmännerbriefe, also Ende 1515, hielt sich Hutten in Italien auf. Als er am 9. August 1516 zum ersten Mal von dieser Satire hörte, schrieb er sofort an seinen Freund Richard Croke in Leipzig und bat ihn, ihm ein Exemplar zu schicken.11 Kaum vierzehn Tage später, am 22. dieses Monats, hielt er die Satire in seinen Händen.12 Er begann sofort das Werk fortzusetzen und trug nach dem Zeugnis seiner damaligen Freunde bei geselligen Essen die von ihm geschriebenen Briefe vor. Diese erschienen dann 1517 in einer neuen Ausgabe.13 Die Fortsetzung bot sich schon deshalb an, da die Dunkelmännerbriefe ohne die feste Struktur eines Dramas aus einer Reihung von Briefen bestand, die beliebig fortgesponnen werden konnten. Also: Crotus gilt als der geistige Vater der Briefe, die er während seiner Lehrtätigkeit in Fulda geschrieben hatte. Hutten wird als Verfasser der sieben Eingangsbriefe des 1. Teils und der meisten Briefe des 2. Teils angesehen.14

1.2 Entstehung und Titel – Mimische Satire Johann Reuchlin – das hatten wir gesehen – war keineswegs der weltfremde, weltabgewandte Wissenschaftler, der die Anfeindungen seiner Gegner in stoischer Gelassenheit in seiner Gelehrtenstube hinzunehmen gewillt war. Dass er heftig zurückschlagen konnte, hatte er schon on seinem Augenspiegel und in seiner Defensio bewiesen. Zusätzlich zu diesen Werken veröffentlichte er im März 1514 eine Sammlung von Briefen, die ihm im Laufe seiner wissenschaftlichen Karriere von prominenten Gelehrten zu verschiedenen Zeiten (variis tempo9

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GILLERT Nr. 507 (Crotus an Mutian, 11. Juni 1515): „Videtur mihi incivile inter sacrificiolos idiotas et pene analphabetas vitam terere.“ RBW III, Nr. 233. BÖCKING I, Nr. 37, S. 124: „Narrantur mihi epistolae obscurorum virorum tota Germania divulgari. Gratum igitur feceris, … se te mittente exemplar accepero.“ Wahrscheinlich wusste aber Hutten schon viel früher von der Satire und steuerte sogar den ersten Brief der Sammlung bei. Vgl. HAHN, Huttens Anteil, S. 88. BÖCKING I, Nr. 85: „Accepi obscuros viros. Dii boni, quam non illiberales iocos.“ Vgl. dazu BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum, S. 13-26. Über die Unterschiede zwischen EOV I und EOV II siehe unten. Daneben gab es möglicherweise andere Mitarbeiter (BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum, I, S. 27-43). Dafür gibt es aber keine belastbaren Zeugnisse.

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ribus) zugeschickt worden waren.15 Unter den Briefstellern befand sich tatsächlich die damalige geistige Elite Europas, berühmte (clari) Männer wie Marsilio Ficino, Pico della Mirandola, Conrad Peutinger, Heinrich Bebel, Sebastian Brant, Beatus Rhenanus, Johann Geiler von Kaysersberg, Rudolf Agricola, Aldus Manutius, Willibald Pirckheimer, Johann Cuspinianus, Joachim Vadianus, Mutianus Rufus, Johannes von Dalberg und Georg Spalatin, um nur die bekanntesten zu nennen. Die meisten Briefe der Sammlung hatten mit der gegenwärtigen Debatte über das Verbot der jüdischen Bücher nichts zu tun – etwa 70 der 100 Briefe waren vor 1511 geschrieben worden, und einige der Briefschreiber waren längst gestorben. Absicht Reuchlins konnte deshalb gar nicht sein, ihn in der konkreten Kontroverse zu unterstützen, sondern seinen europaweiten Ruf als renommierter und gutvernetzter Gelehrter, der sein wissenschaftliches Lebenswerk bedroht sah, zu belegen.16 Um seinen Ruf als „homo trilinguis“ zu dokumentieren, druckte Reuchlin auch einen Brief auf Griechisch und zwei auf Hebräisch ab, obwohl er sich im Klaren sein musste, dass die wenigsten Leser diese Texte lesen konnten. Diese Sammlung der Briefe der berühmten Männer – Clarorum virorum epistolae – bildet also die Folie zu den Epistolae obscurorum virorum. Im Gegensatz zu den ersteren sind die Briefe der unbekannten Männer aber fingierte Briefe. Der geniale Kunstgriff der Satire besteht darin, dass sich die viri obscuri durch ihre Dummheit, Sexbesessenheit, Beschränktheit und durch ihr Latein in ihren Briefen selbst entlarven, ein Verfahren, für das der Hutten-Biograf David Friedrich Strauß im 19. Jahrhundert eher beiläufig den Begriff der „mimischen Satire“ prägte.17 Damit ist ein Stil gemeint, der indirekt ist, d. h. der Gegner stellt sich unfreiwillig bloß. Ulrich von Hutten hat das auf die Formel gebracht Barbare ridentur barbari18 – die Barbaren, das Codewort der Humanisten für ihre Gegner – entlarven sich auf „barbarische“ Weise, also durch ihre eigene Sprache und ihr eigenes Verhalten selbst. Durch das literarische Bloßstellen wird der Angegriffene also nicht „weniger dem öffentlichen Zorn als der Lächerlichkeit preisgegeben“.19

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VD 16 R 1241. Clarorum virorum epistolae latine, graecae et hebraicae missae ad Johannem Reuchlin (Tübingen, 1514). Insofern ist FREY (Multum teneo in hoc libro, S. 177) zu relativieren, wenn er schreibt: „Darin [in den Clarorum epistolae virorum] hatte er selbst eine Anzahl von Briefen zusammengestellt, in denen ihm seine Humanisten-und Juristenfreunde mit allem Pomp ihrer Gelehrsamkeit im Streit mit Pfefferkorn und den Kölnern zu Hilfe geeilt waren.“ STRAUSS, Ulrich von Hutten, 31877, S. 193. BÖCKING I, S. 127 (Hutten an Richard Crocus, 22. August 1516). KÖNNEKER, Satire im 16. Jahrhundert, S. 168.

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Abb. 5: Titelblatt der „Dunkelmännerbriefe“

1.3 Aufbau und Charakteristik der Dunkelmännerbriefe Die 41 Briefe des ersten Teils, also die von Crotus verfassten – und mit diesem wollen wir uns zunächst befassen – geben vor, von Männern aus allen Teilen Deutschlands geschrieben worden zu sein. Diese sind in erster Linie Magister oder Bakkalare, vereinzelt auch Professoren und Lizentiaten der Theologie und Mönche verschiedener Orden. Gerichtet sind sie alle – bis auf vier – an den Kölner Humanisten und Theologen Ortwin Gratius, dessen Schüler oder Kollegen sie vorgeben gewesen zu sein. Wie Erasmus und Mutianus Rufus hatte er die Schule in Deventer besucht, die unter Alexander Hegius zu einer Humanistenschmiede ersten Rangs geworden war. 1501 immatrikulierte er sich an der Kölner Universität, erwarb 1502 den Grad des Bakkalaureus und 1506 den des Magisters, ab 1509 arbeitete er als Lektor in dem angesehen Kölner Druckhaus Quentell. Gratius hatte also, sieht man von letzter Tätigkeit ab, bis zu diesem

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Zeitpunkt eine fast parallele akademische Ausbildung wie Crotus Rubianus genossen. Auch er war Humanist, und zwar kein schlechter, der aber das Unglück hatte, sich im Reuchlin-Streit aus der Sicht der Humanisten auf die falsche Seite geschlagen zu haben, indem er mindestens zwei von Pfefferkorns deutschen Schriften, Judenveindt und Osterbuch, ins Lateinische übersetzt 20 und zu Tongerns Articuli ein längeres wohlwollendes Gedicht beigesteuert hatte. Aus diesem Grunde galt er für Reuchlin und seine Unterstützer als Verräter und wurde als Versemacher, Rythmenmacher, ja als ein Macher jeder Schurkerei und Perfidie verleumdet.21 Fast alle Briefe sind also an Ortwin Gratius gerichtet. Dadurch erhält die Sammlung einen Fokus. Um den Eindruck zu vermitteln, dass es sich um ein weitreichendes Netzwerk von Korrespondenten handelt, senden sie ihre Briefe aus allen Teilen des damaligen deutschen Reiches. Im ersten Teil stammen die meisten Briefe aus Leipzig (7), sonst aus Mainz (4), aus Wittenberg, Nürnberg, Freiburg, Tübingen, Trier, Zwolle, Magdeburg, Augsburg, Frankfurt am Main , Miltenberg, Frankfurt an der Oder, Antwerpen und Basel. Im zweiten, Hutten zugeschriebenen Teil, ist eine gewissen Internationalisierung zu beobachten; denn nicht nur kommen Briefe angeblich aus Paris und Wien, sondern fünfundzwanzig sollen auch in Rom oder sogar in der römischen Kurie verfasst worden sein. Anders als man zunächst vermuten dürfte, steht die Reuchlin-Affäre nicht im Mittelpunkt der Dunkelmännerbriefe. Das gilt zumindest für den ersten Teil. Das Schicksal des umkämpften Hebraisten und dessen Prozess wird zwar in vielen Briefen angedeutet und Pfefferkorn auf verschiedenste Weise verunglimpft, aber meist nur kurz und beiläufig.22 Wenn also der Reuchlin-Prozess mindestens im ersten Teil nicht im Zentrum steht, worum geht es dann denn? Reuchlin war es schon in seiner Defensio gelungen, die Diskussion über die Konfiskation jüdischer Bücher in eine Debatte zwischen humanistischer Geistigkeit und scholastischer Engstirnigkeit umzufunktionieren. Das geschieht aber nicht 20 21

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Das Osterbuch – Quo modo caeci Judaei …, Judenveindt (Hostis Iudeaorum). Defensio, S. 308 f.: „versifex, metrifex, imo fex omnis sceleris et perfidiae“. Das Bild des sexbesessenen, ungebildeten, von einer Prostituierten und einem Pfarrer abstammenden Alkoholikers, der zudem die Magd des Druckers Quentell geschwängert haben soll, das in den EOV von ihm gezeichnet wird, ist eine Verzerrung und entspricht sicherlich nicht der Wirklichkeit, wie man sich ja auch sonst davor hüten muss, die Die Dunkelmännerbriefe als historische Quelle zu benutzen. In Wirklichkeit war Gratius ehrbarer Herkunft, seine Affären waren aus der Luft gegriffen und er war keineswegs ein schlechter Humanist, wie LUDWIG (Literatur und Geschichte, S. 123-149) überzeugend dargelegt hat. Die häufigen Angriffe auf den konvertierten Juden Pfefferkorn stoßen dem heutigen Leser auf, obwohl es sicherlich zu weit geht die Dunkelmännerbriefe als „ein antijüdisches Pamphlet“ zu bezeichnen. FREY, Multum teneo de tali libro, S. 208.

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argumentativ, sondern dadurch, dass den Briefschreibern die Denkweisen und Argumentationsmuster der Scholastik in den Mund gelegt werden. So werden zum Beispiel die für den scholastischen Wissenschaftsbetrieb charakteristischen Disputationen mit allen ihren Feinheiten, Subtilitäten und syllogistischen Beweisführungen ad absurdum geführt. Mit wissenschaftlichem Ernst und haarschafter Logik diskutieren die Dunkelmänner zum Beispiel, ob es eine Todsünde ist, wenn man einen Juden versehentlich grüßt oder ob einem getauften Juden nach dessen Konversion die Vorhaut wieder wächst (I, 37). Die Kenntnisse der Dunkelmänner der antiken Literatur sind dürftig. Die Prosaschriftsteller Sallust, Cicero, Plinius und Valerius Maximus halten sie für Dichter. Vehement streiten sie ab, dass Caesar der Autor des Bellum Gallicum gewesen sei, weil er wegen seiner zahlreichen Feldzüge für das Verfassen von Schriften überhaupt keine Zeit gehabt habe. Alleingültige Quelle für sie ist die Heilige Schrift, besonders das Hohe Lied und die Psalmen. In ihrem geistigen Kosmos sind die Humanisten, die poetae saeculares, ihre Hauptfeinde; denn poetria est cibus diaboli – Die Dichtung ist die Speise des Teufels. Deren Erfolge an den Universitäten sind ihnen ein Dorn im Auge. Wie sehr die Gegnerschaft von Humanismus und Scholastik eine zentrale Rolle spielte, zeigt das sogenannte „carmen rhitmicale“ im zweiten, also von Hutten geschriebenen Teil.23 Die Fiktion ist, dass ein gewisser Philipp Schlauraff von den Kölner Theologen auf eine Werbetour durch ganz Deutschland geschickt wird, um Gelehrte gegen den verhassten Reuchlin aufzuwiegeln. 24 Diese Public Relations Tour des „cursor in theologia“ geht aber gründlich schief. Was immer ihm auf dieser Reise zustößt, beschreibt Schlauraff in einem längeren Gedicht, den Carmen rithmicale, von dem der Verfasser selbst sagt, dass es rythmisch verfasst, ohne Berücksichtigung der Quantitäten, sei. Seine einfache Erklärung „es klingt so besser“ kommt einem „ästhetisch-stilistischen Offenbarungseid gleich“.25 Es ist eben das genaue Gegenteil des eleganten, auf Nachahmung der römischen Poesie bedachten humanistischen Lateins. Die Reise führt von Wittenberg, über Rostock und Greifswald nach Frankfurt an der Oder. Von da wendet sich der glücklose Theologe nach Wien, Ingolstadt, Nürnberg, Leipzig und Erfurt. Über Meissen, Franken, Augsburg und Tübingen geht es dann an den Oberrhein, nach Basel, Freiburg, Schlettstadt und Straßburg. Auch Hagenau und Worms werden besucht. Über Mainz kehrt er dann nach Köln zurück. Statt Wissenschaftler gegen Reuchlin zu mobilisieren, wird er, wo immer er auftaucht, von den dort lebenden Humanisten belei23 24 25

EOV II, 9. Vgl. dazu BERNSTEIN, Creating Humanist Myths. „Qua videtur mihi, quod sonat melius sic, quod composui rithmice non attendans quantitates et pedes.“ BECKER, A., Die humanistische Lachgemeinschaft, S. 173.

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digt, lächerlich gemacht, verhöhnt, öffentlich gedemütigt und verprügelt. Was entsteht ist ein Who’s Who des deutschen Humanismus, aber eben aus der Perspektive jemandes, der weit entfernt ist von dieser Welt und seine geistige Beschränktheit dadurch offenbart, dass ihm diese Welt nicht vertraut ist. So wird Willibald Pirckheimer, damals schon in ganz Deutschland hochangesehen als Universalgelehrter und Kenner des Griechischen, als ein „gewisser Pirckheimer, der nicht einmal Magister ist“ bezeichnet. In Erfurt, der geistigen Heimat des Crotus und in einem geringeren Maße Huttens, wird Schlauraff von Peter Eberbach und Eobanus Hessus gemeinsam verprügelt. 26 Crotus selbst, auch hier in Erfurt, weniger martialisch, fragt Schlauraff lediglich nach seiner Herkunft und schickt ihn weg: Macht dass ihr davonkommt. Auch von den friedlichen Mutian, Spalatin und Aesticampian, alle nicht als „Schlägertypen“ bekannt, drohen ihm Prügel. Aesticampians Schüler ziehen ihn an den Haaren. In Franken droht ihn Hutten zu verprügeln. Ebenso geht es ihm in Tübingen, wo Heinrich Bebel, Philipp Melanchthon, Johann Brassicanus und andre wirken. Entsetzt flieht er vor dem Poetenpack (ab istis poetis). In Straßburg nimmt ihn der berühmte Sebastian Brant bei der Hand, um mit ihm auf dem Narrenschiff nach Narragonien zu fahren, während ihn in Freiburg der bekannte Jurist Ulrich Zasius fragt, ob er etwa Scotist sei, worauf Schlauraff stolz antwortet: Doctor sanctus est mihi auctor summus. In Basel trifft er auf jemanden, der sich Erasmus nennt und offenbar von vielen verehrt wird, dem cusor in theologia aber unbekannt ist, weshalb er Erasmus zunächst einmal nach dessen akademischen Qualifikationen fragt. Glareanus streckt ihn zu Boden, Johann Königstein schubst ihn die Treppe hinunter, bevor Schlauraff wieder in sein geliebtes Köln zurückkehrt, wo er sich unter seinen theologischen Freunden sicher fühlen kann. Man hat diese Aufzählung deutscher Humanisten eine „respektable geistige Topographie“,27 eine „förmliche Heerschau“,28 ein „Who’s Who des deutschen Humanismus“29 genannt, klar ist, dass der Verfasser, in diesem Fall Hutten, ein Bild einer überregionalen Gemeinschaft deutscher Humanisten zeichnet, die sich alle im Kampf gegen die Reuchlinfeinde und die Vertreter der von den Humanisten gehassten Scholastiker einig sind. Diese Einigkeit gab es aber keineswegs, denn die Humanisten waren nicht die homogene Gruppe als die sie

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Die besondere Pointe hier ist, dass die beiden Erfurter Freunde sich tatsächlich 1509 geprügelt hatten (siehe Kap. II), und es all der diplomatischen Fähigkeiten Mutians und des Crotus bedurft hatte, dass sie sich wieder versöhnten. Dass es sich also bei den Epistolae obscurorum virorum um einen Insider-Spaß handelt, wird durch nichts besser als diese Episode verdeutlicht. HESS, Deutsch-lateinische Narrenzunft, S. 215. KÖNNEKER, Satire im 16. Jahrhundert, S. 116. BERNSTEIN, Creating Humanist Myths, S. 255.

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hier dargestellt wurden. Die Fliehkräfte waren erheblich. Namhafte Humanisten wie Jakob Wimpfeling, Sebastian Brant, Ulrich Zasius, Johannes Aesticampianus und Jakob Locher äußerten nie ihre Unterstützung für Reuchlin (siehe Kap. IV). Durch das Verlachen bzw. Verprügeln der Feinde wollte Hutten den keineswegs bestehenden Konsensus schaffen. Das „Carmen rithmicale“ des Schlauraff ist also keine Zustandsbeschreibung, sondern eine Wunschvorstellung.30 Unter den sonstigen Themen spielt die Liebe oder besser der Sex eine große Rolle. Die amourösen Abenteuer der Dunkelmänner bleiben wegen ihrer drastischen Schilderungen am ehesten im Gedächtnis. Aus diesem Grunde wird von allen klassischen Werken besonders Ovids „Ars amandi“ für sie interessant. Geradezu sexbesessen ist ein gewisser Magister Conradus de Zwiccavia, ein „obskures Prachtexemplar“,31 von dem gleich drei Briefe stammen (EOV I, 9, 13, 21). Obwohl zum Zölibat verpflichtet, berichtet er unschuldig über seine Liebesabenteuer: Bin ich doch kein Engel, sondern ein Mensch, und jeder Mensch irrt. Wir müssen doch hier und da vergnügt sein und können doch wohl bei Weibspersonen schlafen, wenn es niemand sieht. Nachher beichten wir ja doch. Gott ist barmherzig, und wir können auf Vergebung hoffen. 32 Er ist auch nicht sonderlich beleidigt, wenn ein anderer Liebhaber mit offenem Hosenlatz gerade von seiner Geliebten kommt. Gutgläubig akzeptiert er dessen Erklärung. Wie leicht diese Art von indirekter Satire in persönliche Verleumdung umschlagen kann, zeigt ein Brief Conrads an Ortwin (EOV I, 13). Er, also Conradus, habe aus sicherer Quelle erfahren, dass Ortwin mit Frau Pfefferkorn 30

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Vgl. BERNSTEIN, Creating Humanist Myths. Hutten hatte an dem Prinzip des Katalogs, der Liste offenbar so viel Gefallen, dass er es noch einmal verwendete, und zwar in II, 59. Diesmal ist die Einkleidung eine andere: Johannes Cocleariligneus, also Hans Holzhacker, hat von Ortwin Gratius den Auftrag erhalten, sich bei allen möglichen Kaufleuten auf der Frankfurter Messe nach den Teilnehmern der Verschwörung der Juristen und Poeten gegen die Kölner Theologen zugunsten Reuchlins zu erkundigen. Nach langem Suchen habe er einen Buchhändler aus Oberdeutschland getroffen. Die Liste der antiKölner, pro-Reuchlin Verschwörer ist wesentlich kürzer, nämlich nur 19, im Gegensatz zu den über 60 in Schlauraffs Katalog. Immerhin finden sich 15 der poetae et juristae auch in des guten Holzfällers Liste, nämlich, Willibald Pirckheimer, Eobanus Hessus, Peter Eberbach (Aperbachius), Richard Crocus, Vadianus, Philipp Melanchthon, Jakob Wimpfeling, Beatus Rhenanus, Nikolaus Gerbellius Ulrich von Hutten, Konrad Peutinger, Conrad Mutianus, Thomas Murner, Graf Hermann von Neuenahr und Buschius. BRECHT, Die Epistolae obscurorum virorum, S. 66. EOV I, 9: „Tamen non sum angelus, sed homo, et omnis homo errat; vos etiam aliquando supponitis, quam vos estis theologus, quia non potestis semper solus dormire … . … nos debemus esse aliquando laeti, et etiam possumus dormire cum mulieribus, quando neo videt, postea facimus confessionem, et Deus est misericors et debemus sprerare veniam.“ Übersetzung von Karl Riha.

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geschlafen habe. Nicht nur das: Auch Arnold von Tongern habe mit Pfefferkorns Gattin das Bett geteilt. Mindestens letzteres will Conrad aber nicht glauben. Conrad berichtet andererseits, wie Ortwin ihm selbst berichtet habe, er habe ein Verhältnis mit einer verheirateten Frau. Dreimal hintereinander habe er mit ihr coitus a tergo gehabt, auf den Lippen den Psalmvers „Machet die Tore weit und die Türen der Welt hoch“.33 Angeregt durch die Darstellung, berichtet Conradus von seinen eigenen erotischen Abenteuern. Wenig Glück hat der dabei sonst so erfolgreiche Magister mit einer gewissen Dorothea. Als der Verliebte im Traum ihren Namen ruft, deuten das seine herbeigeeilten Mitmönche als eine Anrufung der Heiligen Dorothea. Die leibliche, irdische Geliebte erhört ihn nicht, befiehlt ihm, stattdessen ihre Türe zu küssen.34 Die angeblichen amourösen Abenteuer des Ortwin Gratius spielen auch in dem von Hutten verfassten zweiten Teil eine prominente Rolle (EOV II, 45) Zusätzlich zu dem von ihm vorgeworfenen Verhältnis zu Frau Pfefferkorn habe dieser ein Verhältnis zu der Magd seines Kölner Druckers Quentell. Aus diesem Verhältnis sei ein Knabe hervorgegangen. Arnold von Tongern, der ebenfalls auf diese Magd ein Auge geworfen habe, bittet um Auskunft, ob es sich so verhalte. Dass die beiden Männer dieselbe Frau lieben, führt aber zu keinerlei Konflikten, sondern zu einer einvernehmlichen Einigung: Die beiden beschließen, sich die Magd zu teilen, allerdings besteht Arnold von Tongern darauf, dass er zuerst mit ihr schlafen dürfe, schließlich habe er den höheren akademischen Grad. Auch in diesem zweiten Teil wird die Affäre von Frau Pfefferkorn mit Ortwin Gratius wieder aufgetischt. Als Urbilder für diese Beschreibungen dienten Crotus unter anderen die Mönche in Fulda, über die er sich in seinem Brief an Mutian so beklagt hatte.

1.4 Die Sprache der Dunkelmännerbriefe Als Hutten die literarische Technik der Dunkelmännerbriefe auf die griffige Formel gebracht hatte: barbare ridentur barbari35 muss er besonders an die Sprache der viri obscuri gedacht haben, denn die Dunkelmännerbriefe sind in entscheidender Weise Sprachsatire.36 Der genaue Gebrauch des an der klassischen römischen Literatur sich orientierenden Latein, das sich die Humanisten in jahrelangem Studium

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Die Geschichte erzählt Conrad in EOV I, 21. Der bibelfeste Leser kann sich den Rest des Verses („dass der König der Ehre einziehe“, Psalm 24,7) leicht ergänzen. EOV I, 21. Brief an Richard Crocus vom 9. August 1516. BÖCKING I, Nr. 37, S. 124. Dazu BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum, S. 94 f.; BÖMER, Epistolae obscurorum virorum, I, S. 69-74; KÖNNEKER, Satire im 16. Jahrhundert, S. 114 f.; LÖFSTEDT, Zur Sprache der Epistolae obscurorum virorum.

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angeeignet hatten, war für sie von enormer Wichtigkeit. Jede Verletzung wurde erbarmungslos geahndet. Und selbst Crotus, der ein hervorragender Lateiner war, musste sich einmal von Mutian sagen lassen: Welcher Wahnsinn ist es, nicht die passenden Wörter zu verwenden,37 weil er das falsche lateinische Wort für „Geld“ benutzt hatte. Anders als die Humanisten benutzten die Dunkelmänner aber nicht das Latein der römischen Klassiker, sondern schreiben ein Latein, was man gemeinhin als „Küchenlatein“ bezeichnet, also im Grunde ein „lateinisch kaschiertes Deutsch“,38 eine Sprache also, die wie ein direkt und wörtlich aus dem Deutschen übersetztes Idiom klingt. 39 Das bezieht sich sowohl auf die Grammatik, die Syntax und die Morphologie als auch auf das Vokabular. Die Gedanken werden zunächst auf Deutsch gedacht und dann schlecht und recht ins Lateinische übertragen. So wird, um nur ein paar ausgewählte Beispiele zu nennen, der im Lateinischen übliche Akkusativ mit Infinitiv konsequent mit „quod“-Sätzen wiedergegeben. Die für die lateinische Prosa wichtige und jedem Lateinschüler eingedrillte Zeitenfolge (consecutio temporum) wird vernachlässigt. Sätze, in denen eigentlich der Ablativ stehen müsste, werden durch präpositionale Wendung wiedergegeben. Die Wortstellung ist ebenfalls deutsch. Der im Lateinischen nicht existierende unbestimmte Artikel wird mit unus, una, unum übersetzt, sodass aus dem Deutschen „Ein Christ soll keinen anderen töten“ im Lateinischen unus Christianus non debet interficere alium wird. Dieses völlige Hinwegsetzen über die lateinische Idiomatik lässt sich in jedem Brief beobachten. Jemanden etwas ins Gesicht sagen heißt dann: in faciem dicere; die Magd wollte das Bett machen – ancilla voluit lectum facere und „als die Disputation aus war“ – quando disputatio fuit ex. „Er reisst gute Possen“ übersetzen sie lacerat bonos possos. Ihren Feinden, den poetae saeculares empfehlen sie deshalb, sie sollten dort sein,

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GILLERT Nr. 136 (Mutian an Urban, nicht lange vor dem 15. Juni 1509): „Quae vesania est non uti propriis vocabulis?“ MENSCHING, Die Kölner Spätscholastik, S. 513. Die Methode, deutsch Gedachtes ohne Berücksichtigung der Idiomatik der Zielsprache wörtlich in diese zu übersetzen, wird von einigen Forschern gelegentlich als LübkeEnglisch bezeichnet (FREY, HAHN, KÖNNEKER), benannt nach dem deutschen Bundespräsident Heinrich Lübke (1959-1969), der bei einem Staatsbesuch in England, während man auf den Beginn eines Pferderennens wartete, gesagt haben soll: „equal goes it loose“ – „gleich geht es los“. Das Zitat und ähnliche ihm zugeschriebene Äußerungen entpuppten sich später als von einem SPIEGEL-Reporter erfunden. Seine etwas ungeschickte Rhetorik hat wohl dazu beigetragen, ihm diese linguistischen Schnitzer anzuhängen. Heute ironisiert z. B. die Berlitz Schule diese Methode. Auf einem Werbeplakat für diese Sprachschule fasst sich ein junger Mann verzweifelt an den Kopf und sagt: „I understand only trainstation.“

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wo der Pfeffer wächst – oder gut dunkelmännerisch ausgedrückt: Utinam omnes poetae essent ibi, ubi piper crescit.40 Gibt es kein entsprechendes Wort im Lateinischen, geben sie einem deutschen Wort eine neue lateinische Heimat, in dem sie ihm eine lateinische Endung anhängen: Aus Zeche wird zecha, aus Landsmann landsmannus aus Kaufmann kaufmannius. Oft ist es Bequemlichkeit oder Denkfaulheit, denn für viele dieser Begriffe gibt es im Lateinischen durchaus entsprechende Wörter. Das Resultat ist ein äußerst beschränkter Wortschatz. Die nuancenreiche Synonymik der Sprache der Römer steht ihnen nicht zur Verfügung. Ein besonders eklatantes Beispiel findet sich in dem Brief des Guilhelmus Scherscleifferius (EOV I, 15) an Ortvin: In den ersten 15 Zeilen seines Briefes verwendet er das Wort scribere nicht weniger als einundzwanzig Mal. Mit ihrer an das Deutsche angelehnten, deutsch klingenden Prosa sind die Briefe der Dunkelmänner im Grunde unübersetzbar; gleichwohl gibt es Übersetzungen ins Deutsche, Englische und Französische.41

1.5 Unterschiede zwischen Teil I und Teil II In der Literaturwissenschaft sind die beiden Teile der Dunkelmännerbriefe unterschiedlich beurteilt worden. Lange wirkten die Ansichten Walther Brechts, der in seiner Studie aus dem Jahre 1904 den zweiten, also Hutten zugeschriebenen Teil als ästhetisch minderwertig betrachtete. 42 Besonders bemängelte Brecht „das fühlbare Minus an poetischer Kraft“, „die tendenziöse Polemik“, das „Fortsetzungshafte“ und den „scheinlebendigen Stil“. Schließlich erzeuge die unausgesetzte Wiederholung „eine unerträgliche Einseitigkeit“. Grund für Brechts negatives Urteil des huttenschen Anteils an den Dunkelmännerbriefen ist letzten Endes seine harsche Kritik an dessen Charakter: Rein menschlich gesehen, werde Huttens Persönlichkeit, je mehr er in der Reformation aufgehe, desto unerfreulicher, und man begreife das unbehagliche Gefühl, das Erasmus schließlich beim Anblick des zum Fanatiker Gewordenen beschlichen habe.43

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EOV I, 25 Deutsche Übersetzung von BINDER (Briefe von Dunkelmännern, 1876) und RIHAS auf Binder beruhende Übersetzung aus dem Jahre 1991; STOKES versucht in seiner englischen Übersetzung den Briefen einen antiquierten Anstrich zu verleihen, indem er längst aus der englischen Sprache verschwundene, aber durch ältere Autoren noch verständliche Formen wie quoth he, methinks, lectureth wiedergibt. (Epistolae obscurorum virorum, The Latin text with an English renderiung, notes and a historical introduction, London 1909). Die französische Übersetzung lag mir nicht vor. BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum; die folgenden Urteile auf S. 359 und 360. BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum, S. 361.

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Dass dies von Brechts Abneigung gegenüber Huttens Charakter gesteuerte Urteil dem Werk nicht gerecht wird, hat Reinhard Hahn überzeugend nachgewiesen. Hahn räumt ein, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den beiden Teilen gibt (Die Reuchlinaffäre rückt mehr in den Mittelpunkt, die vorreformatorische Kritik an Kirche und Theologie nimmt zu, gelegentlich wird die mimische Satire zugunsten der direkten Satire aufgegeben), begründet das aber damit, dass sich 1516/17 die Situation geändert habe und die Themen der traditionellen Romkritik wie die Bestechlichkeit der Kirche, die finanzielle Ausbeutung und das Ablasswesen mehr in den Vordergrund gerückt seien. Die mehr oder weniger harmlosen Humoresken des ersten Teils seien gelegentlich durch grimmige Satiren ersetzt worden. In seiner Analyse korrigiert Hahn also das seit Brecht weithin akzeptierte Urteil über die angeblich geringere ästhetische Qualität des zweiten Teils der Dunkelmännersatire. Sein Fazit: „Sie [die Hutten zugeschriebenen Briefe] bleiben in keiner Beziehung merklich hinter Teil I zurück.“ 44 Ein unvoreingenommener Beobachter muss sich diesem Urteil anschließen.

1.6 Zeitgenössische Rezeption und Nachleben Die Dunkelmänner-Satire löste unter den Zeitgenossen die unterschiedlichsten Reaktionen aus. Menius hatte in seinem Brief an Crotus im Jahre 1532 geschrieben: Erasmus soll das Werk für so köstlich gehalten haben, dass er zwei Briefe des berühmten Werkes, einen von dir, höchst witzig und elegant geschrieben, den anderen von Hutten, auswendig gelernt und bei Gelagen ohne Zögern diese Passagen zum Besten gegeben habe.45 Der holländische Gelehrte selbst erzählte in zwei seiner Briefe aus Löwen, dass die Dunkelmänner zunächst als Lobschrift auf die Dominikaner interpretiert worden seien. Deshalb habe dort ein Theologe, ein ehemaliger Prior in Brüssel, zwanzig Exemplare des Buches gekauft, um sie seinen Freunden zu schenken. Das sei pikanterweise geschehen, fügt Erasmus hinzu, kurz bevor die päpstliche Bulle das Buch verbannt habe. 46 Die Geschichte von dem dominikanischen

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HAHN, Huttens Anteil an den Epistolae obscurorum virorum. BÖCKING, VI, S. 460: „Erasmus ille Roterodamus sic dicitur habuisse in deliciis, ut duas Epistolas eius praeclari operis, alteram tuam omnium salsissimam et elegantissimam, alteram Hutteni, ad verbum ediscere et in conviviis recitare non dubitarit.“ ALLEN, III, Nr. 808 (Erasmus an Johann Caesarius), 5. April 1518: „Pessime consuluit rebus humanis qui titulum indidit ObscurorumVirorum. Quod ni titulus prodisset lusum, et hodie passim legerentur illae Epistolae tanquam in gratiam Praedicatorum scriptae. Adest hic Louanii magister noster, pridem Prior apud Bruxellas, qui viginti libellos coemerat gratificaturus amicis, paulo antequam bulla illa prodiret quae effulminat eum libelluum.“

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Prior, der Exemplare der Dunkelmännerbriefe zum Weiterverschenken aufkaufte, wiederholte Erasmus zehn Jahre später: Als die Epistolae obscurorm virorum zuerst erschienen, wurden sie bei den Engländern von den Mönchen mit erstaunlichem Beifall aufgenommen, besonders von den Franziskanern und Dominikanern, die überzeugt waren, dass sie zugunsten der Mönche geschrieben worden seien, um Reuchlin zu schmähen. Danach kaufte ein Dominikaner in Brabant eine große Zahl dieser Bücher, um sie seinen Patres bekannt zu machen …, ohne daran zu zweifeln, dass sie zu Ehren des Ordens geschrieben worden seien. Welcher Schwachkopf könnte dümmer sein.47

Es dauerte aber nicht lange, bis sich der stets vorsichtige Erasmus von dem Werk zu distanzieren genötigt sah. In einem Brief an seinen Freund, den Grafen von Neuenahr, behauptete Erasmus jetzt, dass alle seine humanistischen Freunde in Basel (tota sodalitas Basiliensis) wüssten, dass ihm die Dunkelmännerbriefe immer missfallen hätten. Er habe zwar in seinem „Lob der Torheit“ auch gespottet, ohne aber jemals Namen zu nennen. Besonders habe ihm aber missfallen, dass er in dem zweiten Buch, also der Auflage von 1517, so oft erwähnt worden sei. Später wünschte Erasmus sogar, dass das Buch nie veröffentlicht worden wäre. Hauptgrund für seine spätere Ablehnung war aber, dass auch er als Verfasser verdächtigt wurde.48 Im Übrigen distanzierte sich aber Erasmus auch von der Art, in der das Ansehen lebender Personen verletzt worden sei. Tatsächlich hatten Crotus und besonders Hutten ein Tabu der satirischen Tradition gebrochen, indem sie lebende Persönlichkeiten wie Johann Pfefferkorn, Jakob von Hochstraten, Arnold von Tongern und besonders Ortwin Gratius auf direkte Weise diffamiert hatten. Er habe zwar auch in seinem Moriae encomium Kritik geübt, beteuerte Erasmus, aber das sei aber auf unblutige Weise (incruente) geschehen.49 Bei dieser späteren Verdammung der Dunkelmännerbriefe hat man allerdings den Eindruck „He protesteth too much“; denn so ganz „unblutig“ waren auch die Angriffe des Erasmus in seinen eigenen Satiren nicht gewesen,

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ALLEN, VII, Ep. 2045 (5. September 1528, an Martin Lypsius): „Vbi primum exissent Epistolae Obscurorum Virorum, miro monachorum applausu sunt apud Britannos a Franciscanis ac Dominicanis, qui sibi persuadebant eas in Reuchlini contumeliam et monarchorum fauorem serio proditas … Post in Brabantia Prior quidem Dominicanus et magister noster, volens innotescere patribus, coemit aceruum eorum libellorum, vt dono mitteret ordinis proceribus, nihil dubitans quin in ordinis honorem fuissent scriptae. Quis fungus possit esse stupidior?“ ALLEN, III, Nr. 808, (5. April 1518 aus Löwen): „Primum optabam non editum eum libellum; verum vbi fuerat editus, optabam alium titulum. Sunt illi quidem digni maioribus conuiciis.“ ALLEN, III, Ep. 636.

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hatte er doch in einer Satire den Papst Julius II. heftig verspottet und ihm sogar den Eingang in den Himmel verwehrt.50 Martin Luther, beim Erscheinen des ersten Teils der Dunkelmännerbriefe noch ein relativ unbekannter Mönch und Theologieprofessor in Wittenberg, in späteren Jahren durchaus zu Angriffen und Schmähungen neigend, äußerte sich nur indirekt über die Satire. Als ihm sein Ordensbruder Johann Lang eine fingierte Bittschrift an den Papst, die „Supplicationes ad S. Pontificem contra theologastros“ 51 sandte, nannte er die Schrift „Albernheiten“ (ineptiae) und meinte, das Werk röche zu sehr nach den Epistolae obscurorum virorum. Das in der Schrift enthaltene Urteil billige er zwar, das Ganze aber nicht, da es nicht vor Schmähungen und Beleidigungen zurückschrecke. 52 Und Reuchlin selbst, zu dessen Verteidigung die Satire ja verfasst worden war, soll die jugendliche Leichtigkeit („iuvenilis levitas“) des Werkes beanstandet haben.53 Wenn es auch angesichts der begrenzten Öffentlichkeit des beginnenden 16. Jahrhunderts übertrieben sein mag, von einem „Welterfolg“ der Dunkelmännerbriefe zu sprechen, 54 so haben die Dunkelmännerbriefe doch „bis an die Schwelle der Gegenwart heranreichende Nachwirkungen [entfaltet]“. 55 Allerdings erschienen zwischen 1518 und 1556 zunächst keine weiteren Auflagen. Das hatte weniger mit dem päpstlichen Verbot zu tun, um das man sich mindestens in den protestantischen Landesteilen wenig kümmerte, sondern damit, dass andere Themen die Öffentlichkeit beschäftigten, eine Öffentlichkeit, die nicht aus dem relativ kleinen Kreis der lateinschreibenden Gebildeten bestand, 50

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Eine Satire, die ebenfalls anonym veröffentlicht worden war. Julius war allerdings kurz vorher verstorben. Insofern ist seine Behauptung, er habe nicht lebende Personen verspottet, richtig. Neudruck in BÖCKING Suppl. 1, S. 505-507. WA Br 1, Nr. 25 (Luther an Spalatin nach dem 5. Oktober 1516), S. 63 f: „Porro misit ad me prior Erffordensis Iohannes Langus Supplicationes contra theologastros, quae cum nihil gestae veritatis contineant, eundem vel similem histrionem sui testantur authorem quem et Epistoale obscurorum virorum. Votum eius probo. Sed opus non probo, quod nec a conviciis et contumeliis sibi temperat.“ Vorher hatte er schon am gleichen Tag an Lang geschrieben: „Ineptias illas, quas ad me misisti, de Supplicationibus ad S. Pontificem contra theologastros, nimis efficatas, a non modesto ingenio efficatas, prorsusque eandem olentes testem quam Epistolae obscurorum virorum.“ Georg Strobel (Hg.), Ioachimi Camerarii De Vita Philippi Melanchthonis Narratio, 1777, S. 18: „Qui ipse vir optimus, quamvis cuperet innocentiam suam tutam esse, et intellegi, quam atrox sibi fieret iniuria, sic tamen optabat uim a se depelli, ne laederentur ulli, utque inimici non vel maxime meritis conuiciis sed veritatis simplice oratione refutarentur. Ingrata etiam erat prudentiae et grauitati illius senescentis, iuuenilis leuitatis exultatio, et hanc non tam facto quam exemplo nocere posse perspiciebat.“ BRECHT, Die Epistolae obscurorum virorum, S. 13. ROGGE, Fingierte Briefe, S. 13.

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sondern aus breiteren Bevölkerungsschichten. Gemeint sind die Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken, oder auch die Kontroversen und heftigen Debatten innerhalb des protestantischen Lagers. Als Satire gegen die Scholastik wurden die Dunkelmännerbriefe nicht mehr gebraucht. Ihre Wirkung hat die Dunkelmänner-Satire aber stets in späteren Zeiten entfaltet, in denen sich zwei konkurrierende Ideologien gegenüberstanden. Das geschah zum Beispiel im Zeitalter der Aufklärung und in der Periode des deutschen Kulturkampfes, also der Auseinandersetzung zwischen dem preußischen Staat und der katholischen Kirche zwischen 1871 und 1887.56 Heute werden wohl nur noch Fachgelehrte die Epistolae virorum obscurorum zu genießen wissen und selbst diese würden wohl einen Kommentar benötigen. Dazu kommt, dass man den sprachlichen Witz des crotischen und huttenschen Küchenlateins nur würdigen kann, wenn man mit dem auf der Schule oder Universität gelernten klassischen Latein vertraut ist. Außerdem ist die Satire immer zeitgebunden. So wird selbst heute kaum jemand einen politischen Sketch aus einem Kabarett der sechziger Jahre verstehen, es sei denn, er oder sie hat diese Zeit noch selbst erlebt. Was aber bleibt – und das ist das Verdienst von Crotus und Hutten – ist der geniale Gedanke, Briefe aus dem Geist der Gegner zu erfinden und diese dadurch in ihrem eigenen Denken bloßzustellen und lächerlich zu machen.

2.

Zwei weitere Crotus zugeschriebene Satiren

ZWEI WEITERE CROTUS ZUGESCHRIEBENE SATIREN In seinem Brief an Crotus hatte Menius unter anderem geschrieben: Mit wie vielen und was für Dialogen, Epigrammen, Satiren, auf Latein und Deutsch, habt ihr [Du und Hutten] die Romanisten verspottet, die Kardinäle, Bischöfe, besonders aber die Theologen und Mönche.57 Will man diese Behauptung richtig einordnen, muss man allerdings zweierlei bedenken: Erstens war die Absicht des Menius, den alten, romund kleruskritischen Crotus mit dem neuen „papistischen“ Crotus zu konfrontieren und deshalb seine Vergangenheit in möglichst grellen Farben zu schildern; zweitens aber nannte er hier Crotus und Hutten in einem Atemzug, und Letzterer hatte in den folgenden Jahren tatsächlich eine Fülle von anti-

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Vgl. ROGGE, Fingierte Briefe, S. 46-60. BÖCKING II, S. 460: „Quot et quantis Dialogis, Epigrammatis, Satyris, scriptis Latinis, Germanicis, exagitastis Romanistas, Cardinales, Episcopos, praecipue autem Theologos et Monachos?“

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römischen Werken publiziert, 58 während Crotus bis 1531 nichts mehr unter seinem Namen veröffentlichte, außer der noch zu besprechenden Apologia. Für die folgenden zwei Crotus zugeschriebenen Werke, Processus Contra Sentimentum Parrhisiense und Oratio funebris, gibt es keinerlei belastbaren Beweise für die Verfasserschaft des Crotus. Wenn man ihn dennoch für deren Autor hält, erfolgen diese Zuschreibungen lediglich auf Grund stilistischer und inhaltlicher Übereinstimmungen mit den Dunkelmännerbriefen. Diese werden allerdings von der Forschung weitgehend akzeptiert.59 Obwohl die Interpretation dieser zwei Satiren nach den Dunkelmännerbriefen etwas antiklimaktisch wirken mag und obwohl mindestens das erste Werk vor der berühmten Satire gedruckt wurde, seien sie hier vorgestellt, da es sich bei dieser Biografie um den Versuch handelt, einen möglichst umfassenden Überblick über das crotische Werk zu geben.

2.1 Processus contra sentimentum Parrhisiense – Prozess gegen das Pariser Urteil Nach dem für Jakob von Hochstraten ungünstigen Urteil von Speyer im März 1514 und der Verlagerung des Prozesses nach Rom wandten sich seine Kölner Kollegen an die Theologische Fakultät der angesehenen Pariser Universität mit der Bitte, ein Gutachten zu Reuchlins Augenspiegel zu erstellen. Unter massivem Druck des französischen Königs Ludwig XII., der sich damit brüstete, schon sein Vorgänger Ludwig IX. habe den Talmud öffentlich verbrennen lassen, verurteilte die Theologische Fakultät der Pariser Universität am 2. August 1514 den Augenspiegel als ketzerisch und ordnete dessen Verbrennung an.60 Gedruckt wurde das Urteil im Dezember desselben Jahres bei Quentell in Köln, also in demselben Verlagshaus, in dem Ortwin Gratius Lektor war. 61 Eine satirische Antwort darauf erschien unmittelbar danach, nämlich Ende 1514 oder Anfang 1515 auf einem Folioblatt unter dem Titel Processus Contra Sentimentum Parrhisiense.62 Bei dem Werk handelt es sich um ein fingiertes Protokoll einer Gerichtsverhandlung. Der Anwalt der Pariser Theologen, ein gewisser Hackinetus Petitus, 58

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Febris prima und Febris secunda, Vadiscus, Inspicientes, Bulla vel Bullacida, Monitor I und II; Praedones. HUBER-REBENICH, Crotus Rubianus, Sp. 507. Zu dem Prozess in Paris RBW III, S. XXI f. Acta Doctorum Parrhisiensium de sacratissima facultate theologia … contra Speculum oculare Io Reuchlin Phorcensis una cum sententia eiusdem libelli condemnatione ad ignem. VD 16 P154; vgl. GEIGER, Reuchlin, S. 285 f. Abgedruckt in BÖCKING Suppl. I, S. 318-322. Dazu: BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum, S. 151.

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und Reuchlins Verteidiger, Curtius Gloricianus, liefern sich mit zwölf Argumenten und Gegenargumenten einen juristischen Schlagabtausch.63 Geschickt zerpflückt Letzterer die Beweisgründe des Pariser Juristen. So spricht er diesem die Zuständigkeit ab, da die Angelegenheit nur von dem Papst entschieden werden könne; die Pariser Theologen seien Ankläger und Richter zugleich, eine juristische Unmöglichkeit; außerdem kreidet er ihnen Verfahrensfehler an, indem er ihnen vorwirft, sie hätten sich auf die falsche, von den Kölnern veranlasste, verzerrende lateinische Übersetzung des Augenspiegel verlassen; schließlich weist er noch auf die besondere, geschützte Stellung der Juden im Heiligen Römischen Reich hin. Demgegenüber vermag der Verteidiger der Pariser Theologen, Hackinetus Petitus lediglich läppische Argumente vorzubringen, indem er mit bloßen Behauptungen antwortet und auf die Traditionen hinweist. Die Servilität gegenüber dem französischen König und seinem Beichtvater verharmlost er als bloße Gefälligkeit. Beide Anwälte bringen aber auch die Vertreter der studia politiores, also die Humanisten, ins Spiel. Während nämlich Gloricianus behauptet, die Pariser und Kölner Kollegen hassten Reuchlin, weil sie schon viele Studenten an die Humanisten verloren hätten und fürchteten, dass weitere zu den von Reuchlin favorisierten hebräischen Studien, zu der veritas hebraica abwanderten, gibt Hackinetus Petitus zu, dass die Pariser ihre Kölner Kollegen schätzen, während sie Reuchlin und die übrigen Humanisten hassten.64 Der Verfasser wendet die gleiche literarische Technik der Selbstentlarvung wie in den Dunkelmännerbriefen an. Hackinetus Petitus demaskiert sich selbst durch seine lächerlichen und törichten Argumente, oder besser NichtArgumente, wenn er etwa behauptet, dass der religiöse Eifer das völlig ungesetzliche Verfahren rechtfertige, bei dem Ankläger und Richter identisch seien oder wenn er die Untertänigkeit gegenüber dem König für selbstverständlich hält oder auch einräumt, dass die Kölner und Pariser unter einem Hut stecken und von Unabhängigkeit keine Rede sei.65 Falls die These von der Autorschaft des Crotus stimmt, muss er diese Satire kurz nach dem Erscheinen des Drucks des Pariser Urteils, also vor den Dunkelmännerbriefen, geschrieben und veröffentlicht und seine Autorschaft genau so geschickt verschleiert haben wie bei der berühmteren Satire; denn schon am

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BÖCKING vermutet, dass in dem Gloricianus der Schweizer Glareanus stecke (S. 318, Anm. 21); während Hackinetus Petitus nach dem Beichtvater des Königs Guillaume Petit modelliert sei. BÖCKING Suppl. I, S. 321: „… quod credat Parrhisienses theologos affectuosissime amare fratres suos Colonienses & e contrario Ioannem Reuchlin atque caeteros humanitatis studiosos maxime odisse, quia non curant poetas.“ Vgl. dazu auch BRECHTs Analyse in: Die Verfasser der Epistolae virorum obscurorum, S. 153-158.

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10. Januar 1515 schickte Mutianus seinem alten Freund und Crotus’ damaligen Dienstherrn Hartmann von Kirchberg ein scherzhaftes und witziges, aber wahres und notwendiges Werk, in dem die Argumente der Pariser Theologen verspottet werden.66 Entweder wusste Mutianus zu diesem Zeitpunkt nicht, wer der Autor dieses Werkes war, oder er wollte ihn nicht nennen. Auf jeden Fall wäre es nicht ohne Ironie, wenn Mutianus dem Fürstabt von der Abtei Fulda ein Werk sandte, ohne zu wissen, dass dessen Verfasser der Fuldaer Schulleiter war.

2.2 Oratio funebris in laudem Ioannes Cerdonis – Leichenpredigt auf einen Gelehrten Neben dem ersten Teil der Epistolae obscurorum virorum und möglicherweise des Processus Contra Sentimentum Parrhisiense ist Crotus wohl auch der Autor einer viel kürzeren Satire, der Oratio Funebris in laudem Ioannis Cerdonis. Sie erschien erst 1518 in Leipzig. 67 Obwohl sich der Verfasser nirgends identifiziert, hält BRECHT auf Grund einer Untersuchung stilistischer und thematischer Übereinstimmungen auch diese Satire für ein Werk des Crotus.68 Diese Zuschreibung ist ebenfalls von der Forschung weitgehend akzeptiert und übernommen worden.69 Der eigentlichen Leichenrede sind zwei Widmungsvorreden vorgeschaltet, die erste von einem gewissen Grillus Porcarius (Schweinsgrille), die zweite von Ioannes Dormisecurus (Festschläfer). Beide sind an einen gewissen Petrus Tardesurgerius (Spätaufsteher) gerichtet. Porcarius, so die Fiktion der Satire, habe die Leichenpredigt in einer Bibliothek gefunden und wolle sie nun als rhetorische Glanzleistung, die besser als jede Rede Ciceros sei, wegen ihrer exemplarischen Bedeutung zum Druck bringen, nicht zuletzt weil sie eine Ermunterung für alle sei, die sich von der nova latinitas bedroht fühlten.70

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GILLERT Nr. 470 (Mutianus an Hartmann von Kirchberg, 10. Januar 1515): „Preterea mitto ridiculum opus et facetum, sed verum et necessarium, quo sub fictis personis enthymemata theologorum Parrhisiensium eluduntur.“ VD 16, ZV 11994 bei Wolfgang Stöckel. Abgedruckt in BÖCKING VI, S. 451-460. Eine zweite Auflage erschien fast 60 Jahre später, im Jahre 1580 (VD 16, O 852). BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum, S. 158-165. HUBER-REBENICH, Crotus Rubianus, Sp. 507 f.; GRIMM, Crotus Rubianus, in: NDB 3, S. 425. BÖCKING VI, S. 452: „In tali libraria inveni modum antiquum orandi, qui destruet eorum viam, quia orationem unam funebrem [continet]. Haec erit vademecum qui libenter servant antiquum morem orandi et dicendi, quam orationem propter omnes bonos viros, qui in eorum opinione sunt validi et constantes permantes et volente salva re eorum vias, ad imprimendum dedi.“

ZWEI WEITERE CROTUS ZUGESCHRIEBENE SATIREN

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Die Satire führt uns noch einmal in die Auseinandersetzungen des reuchlinischen Streites. Reuchlin war ja gerügt worden, nicht nur, weil er sich für den Erhalt der jüdischen Bücher eingesetzt hatte, sondern auch weil er sich als Nicht-Theologe in theologische Angelegenheiten eingemischt und dazu noch, wenigstens teilweise – horribile dictu – auf hebräisch geschrieben hatte. Dem Erasmus, dem zweiten berühmten Humanisten, dem der ganze Zorn gilt, wird schon wegen seiner angeblich kleinen Statur die Fähigkeit, Großes zu schreiben, abgesprochen. Als Vertreter des „richtigen“ Lateins verurteilen dagegen die drei Scholastiker mit ihren sprechenden Namen das neue Latein,71 das sich an heidnischen Autoren wie Cicero, Vergil, Ovid, Martial, Terenz und Catullus orientiere. Die modernen Poeten dagegen, also die Humanisten, sind schlechte Christen und Verführer der Jugend (seductores iuventutis). Ihr Metier, das Dichten, ist die Speise des Teufels (poetria dyabolica). Bestürzt berichtet Dormisecurus, wie er neulich in der Kirche neben sich einen jungen Mann beobachtete, der in einem griechischen Buch las. Seine Reaktion: Oh Heilige Maria, durch dieses Griechisch wird unsere ganze Theologie erschüttert und wir werden zu Ketzern, was Gott verhüte.72 Er selbst wolle nie Griechisch lesen, selbst wenn er dafür bezahlt würde. Alles Neue ist verhasst (Omnis novitas est odiosa). Die antiken Dichter sollte man meiden wie der Teufel das Kreuz.73 Die Fronten sind also klar gezogen: auf der einen Seite die Vertreter der alten Philosophie, die wir vereinfachend als Scholastiker bezeichnen, auf der anderen Seite die novi latinistae, die wir heute Humanisten nennen. Wie die Epistolae obscurorum virorum ist die oratio funebris eine mimische Satire, d. h. die Personen entlarven sich durch ihren Stil, ihre Denk-und Lebensweise, ihre Vorlieben und ihre Sprache selber. Wie die viri obscuri schreiben sie ein Latein, das teils makkaronisch, also eine Mischung aus Latein und Deutsch, teils ein mit Germanismen angereichertes Küchenlatein ist. Zentrum der Satire ist die mit so vielen Vorschusslorbeeren von Porcarius Grillus angekündigte Leichenpredigt auf den magister noster Ioannes Cerdo. Der Redner bittet seine Zuhörer, mit gebeugten Knien und einem Ave Maria auf den Lippen seiner Predigt zu lauschen. Wie es eine Leichenpredigt fordert, ist sie klar gegliedert. Nach der Herkunft des Verstorbenen wird dessen akademische Laufbahn geschildert und schließlich sein Testament verlesen. Aus bescheidenen Verhältnissen kommend (der Vater war Schneider), hat sich Magister Cerdo durch Fleiß hochgearbeitet, hat mit harter Arbeit seine akademische Erziehung durchlaufen und war anschließend ein geachteter Lehrer. Im Gegen-

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BÖCKING VI, S. 454, Z. 14. BÖCKING VI, S. 454, Z. 18 f.: „Ah Sancta Maria, per illa greca confunditur nostra theologia et fiemus omnes heretici, quod deus avertat!“ BÖCKING VI, S. 454: „Pagani ut Cicero, Sallustius, Ovidius et Catullus et alii Theoristae qui fugiendi sunt ut Diabolus ante crucem.“

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DIE EPISTOLAE OBSCURORUM VIRORUM UND ANDERE SATIREN DES CROTUS

satz zum kleinwüchsigen Erasmus ist er kräftig von Natur und stimmgewaltig; er ist ein freundlicher, umgänglicher und volksnaher Gelehrter, der gern isst und trinkt und nach dem Motto handelt: Wer gut singt, trinkt auch viel; wer viel trinkt, schläft auch gut; wer gut schläft, sündigt nicht. Also, so lautet der überzeugende Syllogismus, singen, trinken und schlafen wir; dann werden wir auch nicht sündigen.74 Auch er ist natürlich Widersacher und Feind der Poeten (inimicus et hostis poetarum) und bedauert, dass diese so viel Zulauf an den Universitäten hätten. Aber hinter der Fassade des gemütlichen, das Leben genießenden Professors steckt auch der linientreue Theologe, der über einen seiner Studenten sagt, wenn dieser in theologischen Fragen genauso stur gewesen wäre wie in grammatischen Fragen, wäre er längst verbrannt worden.75 Abgeschlossen wird die Leichenpredigt mit einer Beschreibung des Testaments des Verblichenen. Wie bei einem Gelehrten üblich, spielt dessen Bibliothek eine große Rolle. Da jede Büchersammlung ein Spiegelbild der Interessen und Vorlieben ihres Besitzers ist, erhält sie besonderes Gewicht: Neben den scholastischen Klassikern wie Occam, Albertus Magnus und Aristoteles finden sich auch ausgewählte Werke heidnisch-antiker Autoren, wie Ovids Remedia amoris, Herzstück jeder Dunkelmännerbibliothek. Nicht vorenthalten werden dem Leser einige Beispiele der subtilen Disputierkunst des Verstorbenen. Diskutiert wird zum Beispiel, ob vier in den Hintern eines Esels gesteckte Wacholderbeeren dessen angeborene Melancholie heilen können,76 oder ob ein analphabetischer Apotheker, der ohne ärztliches Rezept Kot satt Balsam verabreicht, ein guter Masseur werden könne.77 Disputationen, die in ihrer Unsinnigkeit eher an die Nonsense-Gedichte eines Joachim Ringelnatz oder Christian Morgenstern erinnern als an ernsthafte akademische Dispute. Obwohl die Kontroverse um Reuchlin erst im Jahre 1520 mit dem endgültigen Urteil in Rom endete, spielte sie seit etwa 1517/18 im öffentlichen Bewusstsein kaum eine Rolle mehr. Insofern bilden die Dunkelmännerbriefe und die zwei Crotus zugeschriebenen Satiren den „literarischen Abschluss des Reuch-

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BÖCKING VI, S. 456: „Qui bene cantat, bene bibit, qui bene bibit, bene dormit, qui bene dormit, non peccat: ergo cantemus, bibamus, dormiamus et non peccamus.“ BÖCKING VI, S. 457: „si ipse ita pertinax fuisset in errore theologicali sicut in errore grammaticali, tunc ipse fuisset diu combustus.“ BÖCKING VI, S. 459: Utrum Quattuor grana Iuniperi Proiecta ad culum asini Sint confortativa Cerebri Ipsius melancholici. BÖCKING VI, S. 459: Utrum Apothecarius dans sine consilio Quid pro quo, merdam pro balsam … possit fieri alipta et bonus practicus.

ZWEI WEITERE CROTUS ZUGESCHRIEBENE SATIREN

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linstreits“.78 Von nun an treten, erst leise dann immer lauter werdend, die von Luther angestoßenen Angriffe gegen die Praxis und die Dogmen der katholischen Kirche in den Mittelpunkt – Angriffe, die Hutten im zweiten Teil der Dunkelmännerbriefe schon vorweggenommen hatte. In diese Auseinandersetzungen sollte auch Crotus hineingeraten, als er sich 1517 als Student nach Italien begab.

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KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 212.

VI.

STUDIUM IN ITALIEN: CROTUS WIRD LUTHERANER

STUDIUM IN ITALIEN: CROTUS WIRD LUTHERANER Fui nuper Romae. Vidi veterum monumenta, vidi cathedram pestilentiae. Vidisse iuvat, vidisse piget. Neulich war ich in Rom. Ich sah die Monumente der Alten; ich sah den Sitz des Verderbens. Wie mich der Anblick erfreut, wie mich der Anblick empört!1

Im Jahre 1517 begab sich Crotus Rubianus nach Italien, dem Ursprungsland des Humanismus. Anders aber als sein Mentor und Freund Mutian, der den Herbst als ideale Reisezeit empfohlen hatte, 2 reiste Crotus im Frühjahr. Schon am Himmelfahrtstag, der in jenem Jahr auf den 21. Mai fiel, schrieb er aus Bologna einen Brief an einen Freund.3 Ein Italien-Studium war ein kostspieliges Unternehmen. Sein Freund Ulrich von Hutten hatte es mit einem Stipendium des Erzbischofs von Mainz finanziert, Mutian mit dem Erlös seines väterlichen Erbes bestritten. Der aus bäuerlichen Verhältnissen stammende und mittellose Crotus dagegen war darauf angewiesen, seinen Lebensunterhalt selbst zu sichern.4 Er tat das als Begleiter und Hofmeister zweier Söhne der Bamberger Familie Fuchs oder wie Johann Cochlaeus an Willibald Pirckheimer schrieb: als Vulpinorum praeceptor – als Lehrer der Füchse.5

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Crotus an Luther in WA Br 1, Nr. 213 (16. Oktober 1519), S. 542, Z. 77 f. GILLERT Nr. 510 (Mutian an Urban, 24. Juni 1515): „Tempus autumnale iter cursoribus Romipetis aperit.“ Ebenso Mutians Ratschlag an Petreius: „I securus initio autumni.“ GILLERT Nr. 281 (um Mitte 1513). An Justus Menius, in: Libellus alter, Bl. K: „Bononiae. Ascensionis dominicae festo. An. M.D. XVII.“ Für die Behauptung, dass Crotus 1515 wieder nach Erfurt zurückgekehrt sei, habe ich keine Beweise gefunden. STIEVERMANN, Zum Sozialprofil der Erfurter Humanisten, bes. S. 39 f. Sieht man von seinen zwei bescheidenen Benefizien in Fulda und Zeil bei Bamberg ab, hatte Crotus kein weiteres Einkommen. PBW III, Nr. 452, Z. 15. Dabei kann es sich aber nicht um die beiden Brüder Andreas und Jakob Fuchs gehandelt haben wie KNOD (Deutsche Studenten in Bologna, S. 464) behauptet. Diese hatten zwar auch in Bologna studiert, aber mehrere Jahre vorher und waren zum Zeitpunkt von Crotus’ Italienaufenthalt schon wohlbestallte Kanoniker in Bamberg. Richtig dagegen SCHEIBLE, PBW III, Nr. 452, Anm. 7.

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1.

STUDIUM IN ITALIEN: CROTUS WIRD LUTHERANER

Deutsche Studenten in Italien

DEUTSCHE STUDENTEN IN ITALIEN Seit dem Spätmittelalter waren deutsche Studenten in immer größerer Zahl auf die Appeninhalbinsel gezogen, um Jura und Medizin zu studieren. Besonders die norditalienischen Hochschulen Pavia, Padua und Bologna waren beliebt und transalpinen Studenten gegenüber aufgeschlossen. Wenn diese Studenten neben ihren juristischen und medizinischen Fachvorlesungen auch Kollegs über die studia humanitatis besuchten, so geschah das einmal, weil sie ihre lateinische Sprachkompetenz sozusagen an der Quelle zu vervollkommnen suchten, zum anderen aber auch, weil sie vom Inhalt der humanistischen Vorlesungen, von der andersartigen Welt der antiken Literatur und Geschichte fasziniert waren. Manch einer, wie Crotus’ Freund Ulrich von Hutten, vergaß gänzlich, vom Reiz dieser neuen Welt verführt, sein trockenes Jurastudium, sodass er, ohne einen akademischen Grad erlangt zu haben, als Niemand, als Nemo, so der Titel des Werkes, das er Crotus widmete,6 in die Heimat zurückkehrte. Neben ihrer fachspezifischen Ausbildung, falls sie überhaupt abgeschlossen wurde, kehrten sie also oft mit guten Kenntnissen römischer Literatur zurück, und auch wenn sie später nicht unbedingt vollberuflich die studia humanitatis lehrten, so blieben doch viele in ihrer weiteren Karriere als Geistliche, Gesandte und Administratoren den humanistischen Bildungsvorstellungen verbunden.7 Sein Studium absolvierte Crotus in Bologna.8 Mit Paris gehörte diese Universität nicht nur zu den ältesten europäischen Hochschulen, sondern war auch zumindest während der Renaissance die größte Universität Italiens und nach Padua die bedeutendste.9 Mit ihren tausenden Studenten, die Diener und Tutoren mitbrachten, stellte sie auch einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar, wobei die Deutschen stets die größte Gruppe der ausländischen Studenten bildeten.10 Unter den deutschen Studenten, die zwischen 1289 und 1562 in Bologna studierten,11 befanden sich berühmte Namen wie die beiden Frühhumanisten Albrecht von Eyb und Dietrich Gresemund der Jüngere, Johannes Pirckheimer, der Vater des berühmten Nürnberger Willibald Pirckheimer, Ulrich von Hutten,

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BÖCKING I, S. 175-184. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis, S. 41 f. 1517 ließ er sich einschreiben.Vgl. FRIEDLÄNDER/MALAGOLA, Acta Nationis Germanicae, S. 282: „A domino Croto Rubiano quinque carolinas.“ KNOD, Deutsche Studenten in Bologna, Nr. 3040, S. 463. GRENDLER, The Universities of the Italian Renaissance, S. 249 f. ZONTA, Studenti stranieri in Italia, S. 16: „Fra di essi pero il gruppo piu numeroso era senza dubbio quello dei tedeschi“. Angaben nach KNOD, Deutsche Studenten in Bologna. Knod hat 4.398 davon namentlich erfasst.

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Hermann von Neuenahr, Johannes Aesticampianus, Christoph Scheuerl, Conrad Peutinger, Jakob Locher, Huttens Gönner Eitelwolf von Stein und Nikolaus Kopernikus. Neben seinem theologischen Fachstudium (siehe unten) wird Crotus auch die studia humanitatis betrieben haben, obwohl zwei große Vertreter des italienischen Humanismus, Filippo Beroaldo (1453-1505) und Antonius Urceus (14461500), zu deren Füßen Mutian noch gesessen hatte, zu dem Zeitpunkt, als Crotus nach Bologna kam, schon längst gestorben waren.12 In Bologna pflegte Crotus Umgang mit einigen dort studierenden deutschen Studenten: außer mit Johannes Cochleus, der sich ab 1521 zu einem Verteidiger der katholischen Kirche und damit zum Gegner Luthers entwickelte und fast zwanzig Jahre später noch einmal Crotus in Halle aufsuchen sollte,13 außerdem noch mit Julius Pflug (1499-1564), einem Juristen, der später unermüdlich für eine Versöhnung zwischen Katholiken und Lutheranern arbeitete,14 und Johann Hess, dem späteren Reformator Breslaus. Mit Letzterem blieb er noch lange über seine Bologneser Zeit befreundet. Seinen ehemaligen Lehrern und Studienkameraden in Erfurt und Fulda15 sandte er gelegentlich launige Briefe.16 Diese wurden im Mutian-Kreis wegen ihres Witzes und ihrer plastischen Schilderungen der italienischen Verhältnisse als Kostbarkeiten herumgereicht (vgl. Kap. II). Crotus selbst empfing ebenfalls Briefe, z. B. von Johann Lang und Philipp Melanchthon.17 Auch mit Hutten blieb er nach dessen Abreise in fortwährendem brieflichen Verkehr. So gelang es ihm kurz nach seiner Ankunft in Bologna, seinen alten Freund, der mit einigen seiner Verwandten im Begriffe war, zu einer Pilgerfahrt nach Jerusalem aufzubrechen, von diesem nicht ganz ungefährlichen Abenteuer abzubringen.18                                                              12

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Über diese beiden Lehrer Mutians vgl. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha, S. 46-51. Vgl. Kap. XIV. Vgl. CoE, III, S. 77 f. und VOGLER, Pflug, Julius, in: OER, 3, S. 252 f. Crotus traf ihn noch einmal 1530 in Leipzig. Libellus alter, Bl. K2: „Praeterea literas Rubianorum, ut saepe precatus sum diligenter Vuldam mittito.“ Vgl. Kap. III und besonders den Brief an Urban: Libellus alter, Bl. K2v: „Saluta Eobanum, Petreium, Jonam, sigilliferum et reliquos, qui sunt de homilia Croti presbyteri.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 543 f.: „Tamen cessit [die Leipziger Disputation] pro nobis, testibus epistolis Langii et Melanchthonis.“ Diese Briefe sind aber nicht erhalten. Cochlaeus schrieb an Willibald Pirckheimer: „Fuit in his diebus Venetis Huttenus cum gentilibus suis Hierosolymam proficiscentibus quos utique comitatus esset, nisi Crotus Rubianus Vulpinorum praeceptor eum retinuisset.“ PBW III, Nr. 452, S. 124. Vgl. auch Huttens Brief vom 20. Juli 1517, in dem er Erasmus berichtet, wie er zwei Verwandte in Venedig traf, die sich auf den Weg nach Syrien befanden. ALLEN III, Nr. 611; BÖCKING I, S. 145.

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STUDIUM IN ITALIEN: CROTUS WIRD LUTHERANER

Leider sind die meisten dieser crotischen Briefe verlorengegangen. Wir hören nichts über seine Studien, seine Lehrer und wenig über seine Freunde. Um so aufschlussreicher sind die drei erhaltenen Briefe, die er während dieser Zeit nach Deutschland sandte, ein Brief an Urbanus und zwei an Martin Luther. Sie werfen Schlaglichter auf zwei Ereignisse, die Crotus in diesen Jahren beschäftigten, die sogenannte Pomponazzi-Affäre und die causa Lutheri.

2.

Die Pomponazzi-Affäre – Fortsetzung der Reuchlin-Kontroverse?

DIE POMPONAZZI-AFFÄRE – FORTSETZUNG DER REUCHLIN-KONTROVERSE? Wenige Monate nach seiner Ankunft in Italien wurde Crotus Zeuge einer hitzigen intellektuellen Kontroverse. Ausgelöst wurde diese durch ein Werk des italienischen Professors für Naturphilosophie Petro Pomponazzi (Petrus Pomponatius, 1462-1525), der seit 1512 an der Universität Bologna lehrte.19 Seine Vorlesungen waren so beliebt, dass sich die Studenten zeitweise schon vor Mitternacht einen Platz im Hörsaal sichern mussten, um am nächsten Morgen den beliebten Professor hören zu können. In einer Schrift, dem Tractatus De immortalitate animae (1516), hatte er die Lehre von der Unsterblichkeit der Seele verworfen. Das war besonders gewagt, weil nur wenige Jahre vorher der frisch gewählte Papst Leo X. in der Bulle „Apostolici Regiminis“ auf dem V. Laterankonzil (1512-1517) das Dogma von der Unsterblichkeit der Seele ausdrücklich bestätigt hatte. Gegen Pomponazzis Auffassung erhob sich deshalb ein Sturm der Entrüstung. In Venedig wurden seine Bücher verbrannt, und ein Heer von Mönchen bestehend aus Franziskanern, Serviten, Carmelitern und anderen Ordensbrüdern, angeführt aber von den Dominikanern, griffen ihn aufs Heftigste an. Pomponazzi lud daraufhin die Kleriker zu einer öffentlichen Disputation beim lokalen Bischof ein. Unbeteiligte Gelehrte sollten als Richter fungieren. Am besagten Tag seien die Mönche aber gar nicht erst erschienen, entweder weil sie Angst vor der eigenen Courage bekommen hätten oder weil sie heimlich etwas anderes planten. Darauf habe der Philosoph geschrien, alle Mönche sollten auf dem Scheiterhaufen brennen. All das berichtet Crotus mit sichtlichem Vergnügen an dieser absurden Szene in einem ausführlichen Brief an seinen Freund, den Zisterziensermönch und damaligen Verwalter des Georgenthaler Hofes in Erfurt, Henricus Urbanus.20 19

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Dazu: SOUTH, Pomponazzi, Pietro, in: Enc. Ren. 5, S. 116-118; BARTLETT, Pietro Pomponazzi, in: CoE, III, S. 109 f. Brief des Crotus an Urbanus in: Libellus alter, Bl. K1v-K2: „Praestabili bonarum artium magistro Henrico Vrbano doctrina et religione, insigni amico carissimo S.P.D.: „Prouocat quoscunque fratres quocunque uelint ad disputationes. Dictus erat ab illo dies tertius

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In ihrer Heftigkeit, behauptet nun Crotus, werde die Kontroverse keineswegs weniger temperamentvoll geführt als der Pfefferkorn-Reuchlin Streit, ja, es gäbe klare Parallelen dazu.21 Auch hier gehe es um einen Kampf von Wissenschaftlern gegen die Mönche, die in ihren Klöstern nur unnütze Disputationen (frivolae disputationes) führten. Mit Spannung verfolge er deshalb den Verlauf der Debatte. Auf alle Fälle wolle er Urban auf dem Laufenden halten. Das einzige, was er fürchte, sei, dass durch den Eifer einiger ein Frieden zustande komme; eine Auseinandersetzung dagegen trage stets zur Klärung der Fronten bei, weshalb ein Streit einem falschen Frieden vorzuziehen sei.22 Crotus plädierte für eine Fortsetzung der von Pomponazzi angestoßenen Kontroverse. Sein Referenzrahmen war und blieb zunächst aber der die vergangenen Jahre dominierende Reuchlinstreit.23 Pomponazzi selbst geschah nichts. Im Gegenteil: Als eine andere Universität den Star-Professor abwerben wollte, verdoppelte ihm die im Kirchenstaat liegende Universität von Bologna sein Gehalt, um ihn bei sich zu halten.24 Bologna war nicht Köln.

3.

Vom Reuchlinisten zum Lutheraner

VOM REUCHLINISTEN ZUM LUTHERANER Crotus hatte Urban mitgeteilt, dass es in Italien neben der Pomponazzi-Affäre nichts Neues gäbe, außer dass der dicke Papst von allen gehasst werde.25 Viel Neues gab es wohl zu berichten – aber das war zwei Jahre später, als die LutherAffäre bereits hohe Wellen geschlagen hatte. Ein halbes Jahr, nachdem Crotus in Italien eingetroffen war, hatte bekanntlich Martin Luther Ende Oktober 1517 mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen zur Ablassfrage einen Prozess in

                                                                                                                                      

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pugnae publicae apud Episcopum praesidem urbanum praesentibus uiris celeberrimis certaminis arbitris. Accurrit Petrus ardenti animo nil malens quam in aperto congredi cum capputiatis pugilibus. Sed ubi descendit in harenam adversarium nullum invenit manentibus domum Monachis, sive diffidentibus suis uiribus sive in occulto aliquid machinantibus. Vbi tergiuersantes fratres animadvertit Philosophus, deliberato animo clamauit coram Iudicibus e re publica fore Monachos omnes ardere pluribus rogis.“ Libellus alter, Bl. K2v: „Videbimus bella, horrida bella, nulla ex parte mitiora pepericornisticis.“ Libellus alter, Bl. K2: „Unum tamen vereor, ne pax interveniat aliquorum hominum studio. Videtur mihi haec discordia praestare paci.“ Liber alter, Bl. K1b: „Qualem controversiam … contra Io. Reuchlinum concitarunt Magistri nostri, talis hic mihi iam videtur pulullare in re tamen dissimili Petrus Pyrrhetus.“ GRENDLER, The Universities of the Italian Renaissance, S. 293. Zur Kontroverse ebd., S. 281-289. Liber alter, Bl. K2 f.: „De Italia nihil novi, nisi quod Leo X. … in omnium odio habetur.“

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Gang gesetzt, der in wenigen Jahren das religiöse Gefüge Europas revolutionieren sollte. Die Rolle, die Crotus dem italienischen Philosophen Pomponazzi zugedacht hatte, sollte nun ein deutscher Mönch übernehmen, allerdings in einer ganz anderen Weise.26 Erzbischof Albrecht von Mainz, an den Luther die Thesen gerichtet hatte, bat zunächst die Universität Mainz um ein Gutachten. Ohne dieses aber abzuwarten, sandte er Luthers Thesen bereits im Dezember zur Begutachtung nach Rom, was dazu führte, dass im Frühjahr 1518 in Rom ein kanonischer Prozess gegen Luther eingeleitet wurde, zu dem aber zunächst wiederum ein Gutachten eingeholt wurde. Beauftragt damit wurde der Dominikanerkardinal Silvestro Mazzolini, der wegen seines Geburtsortes Prierio in Ligurien Prierias genannt wurde. Bekannt als „Ketzerschnüffler“ hatte er schon im römischen Prozess nicht nur gegen Johann Reuchlin gestimmt (wenn auch nicht als Einziger), was ihm zeitlebens den Hass der deutschen Humanisten eintrug, 27 sondern auch durch seine Stellungnahme zu Luthers Thesen die Reaktion der Kurie maßgeblich beeinflusst. Diesen Kommentar ließ er unter dem Titel Dialogus in praesumptuosas Martini Luther conclusiones de potestate papae (Dialog gegen die vermessenen Thesen Martin Luthers gegen die päpstliche Gewalt) bereits im April oder Mai 1518 in Rom drucken. Mit den einleitenden, keine weitere Diskussion erlaubenden Fundamentalsätzen (Wer sich nicht an die Lehre der römischen Kirche und des Papstes als die unfehlbare Glaubensregel [„regula fidei infallibilis“] hält, von der auch die Heilige Schrift ihre Kraft und Autorität bezieht, der ist eine Ketzer. Wer im Blick auf die Ablässe sagt, die römische Kirche dürfe das nicht tun, was sie tut, ist ein Ketzer) hätte sich eigentlich jede weitere Überlegung erübrigt.28 Aber der Wittenberger Mönch und Universitätsprofessor ließ sich nicht einschüchtern und veröffentlichte bereits im August 1518 eine Responsio. Der nächste Schritt der Kurie war die Vorladung auf den im Herbst 1518 in Augsburg stattfindenden Reichstag. Obwohl das Hauptziel dieser Reichsversammlung war, die deutschen Fürsten für die Finanzierung eines „Kreuzzuges“ gegen die Türken zu gewinnen, ist das Verhör Luthers durch den römischen Kardinal Thomas de Vio, genannt Cajetan, auch er wie Hochstraten, Tetzel und Prierias Dominikaner, am 11., 13. und 14. Oktober 1518 aus protestantischer Sicht das zentrale Ereignis dieser Zusammenkunft. Auch bei dieser Gelegenheit blieb Luther standhaft, indem er sich weigerte, sich von seinen Schriften zu

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Vgl. KAMPSCHULTE, Die Universität Erfurt II, S. 45. FABISCH/ISERLOH, Dokumente zur Causa Lutheri, I, S. 36 f. Die zahlreichen Dokumente aus diesen Jahren sind abgedruckt auf Lateinisch und Deutsch in: FABISCH/ISERLOH, Dokumente zur Causa Lutheri, 2 Bde., hier: Bd. 1, S. 39 mit Quellenangaben.

VOM REUCHLINISTEN ZUM LUTHERANER

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distanzieren.29 Im darauffolgenden Jahre sollte Luther mit einem ganz anderen Gegner konfrontiert werden, dem hochintelligenten Ingolstädter Professor Johannes Eck (1486-1543).30 In der vom sächsischen Herzog Georg im Sommer 1519 gesponserten Disputation ging es zunächst um einen Schlagabtausch zwischen dem Wittenberger Theologen Andreas Bodenstein von Karlstadt, genannt Karlstadt, und Eck, und dann aber – und das ist der bekanntere Teil – zwischen Luther und Eck. In einem ersten Teil (vom 4. bis 7. Juli) disputierten die beiden Theologen über das Thema des päpstlichen Primates, während in den folgenden Tagen (vom 8. bis 15. Juli) die Themen Fegefeuer, Buße und Ablass in den Mittelpunkt rückten. Ende August veröffentlichte Luther die Erklärungen zu allen von ihm aufgestellten Thesen.31 Da die Universitäten Paris und Erfurt, die mit der Erstellung eines Gutachtes beauftragt worden waren, das nie taten, publizierten beide Seiten im Wettlauf um die Deutungshohheit dieser Disputation unautorisierte Protokolle.32

3.1 Der Traktat Modus inquirendi haereticos – Leitfaden zum effektiven Verhören von Ketzern Crotus reagierte auf zweierlei Weise auf die Ereignisse in Deutschland: einmal mit einer Satire und zweitens mit zwei längeren Briefen an Luther. Dass er das Genre der Satire souverän beherrschte, hatte er schon als Autor der Epistolae obscurorum virorum und den weniger umfangreichen Satiren Sentimentum Parrhisiense und Oratio funebris bewiesen. 33 Wieder unter dem Mantel der Anonymität erschien im Spätherbst 1519 ohne Angabe des Druckers und des Druckortes ein Traktat mit dem Titel Modus inquirendi haereticos ad vsum Romanae curiae (Die richtige Verfahrensweise, Ketzer zu vernehmen – zum Nutzen der römischen Kurie).34 Gewidmet war der Traktat Silvester Prieras und Jakob von

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Zu Cajetan vgl. WICKS, Cajetan, S. 43-48. ISERLOH, Johannes Eck (1486-1543). WA 2, S. 391-435. „Resolutiones Lutherianae super propositionibus suis Lipsiae disputis.“ BREUL-KUNKEL, Fulda und Erfurt, S. 118; BRECHT, Martin Luther, S. 285-332. Immer vorausgesetzt, dass die beiden letzten Satiren tatsächlich von Crotus verfasst worden waren. Vollständiger Titel: „Modus inquirendi haereticos ad vsum Romanae curiae lectu dignissimus. Duodecim regulis conclusus. Cum earum summarijs in fine.“ Nach der Bayerischen Staatsbibliothek München, dessen Digitalisat ich benutze, wurde der Trakt von den Augsburger Druckern Sigmund Grimm und Marx Wirsing im Jahre 1519 gedruckt (VD 16 A 3802). Eine zweite Auflage erschien 1520 in Leipzig (VD 16 A 3804). Abgedruckt in BÖCKING VI, S. 489-499. Dieser Text endet mit „Datum Coloniae ex Bursa Kneck“. Er ist nicht identisch mit dem Augsburger Erstdruck. Er unterscheidet sich sowohl im

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STUDIUM IN ITALIEN: CROTUS WIRD LUTHERANER

Hochstraten, die beide schon entscheidende Rollen in dem Prozess gegen Johannes Reuchlin gespielt hatten und zu dieser Zeit im Begriffe waren, auch gegen Luther vorzugehen. Als Verfasser wird ein gewisser Logumenos genannt, ebenfalls Angehöriger dieses Ordens und Professor der Theologie, offenbar ein erfundener Name. Da in dieser Zeit die Schlechtigkeit (pravitas) neue Blüten treibe, sehe er, der Verfasser, sich gezwungen, ein Werk über die richtigen Verhörmethoden von Ketzern zu schreiben, heißt es gleich zu Beginn des Traktats. Es handelt sich also um einen Leitfaden zum effektiven Verhören, und zwar propter vitandum studium laborem, also um ein vereinfachtes Vademecum, um das mühselige Studium der komplizierten Interrogationstechniken zu ersetzen. 35 Seine Anweisungen gießt der Verfasser in zwölf einfache Regeln. Die erste Regel fordert den Inquisitor auf, zunächst einmal den Heiligen Geist anzurufen; die zweite Regel besagt, dass der Papst unfehlbar sei (papae errare impossibile est). Die dritte Regel betont, dass auch der Inquisitor nie irre. Dass der Ketzer verbrannt werden muss, fordert die vierte Regel. Der Inquisitor muss sich allein auf die Kirche verlassen und nicht auf die Gelehrten, besagt die fünfte Regel. Statt sich auf eine Diskussion mit bibelfesten Angeklagten einzulassen (6. Regel), soll er mit „fürchterlicher Stimme“ die Verbrennung des Ketzers fordern (7. Regel). Unverzichtbar ist, dass der Inquisitor dem Dominikanerorden angehört (8. Regel). Die 9. Regel fordert, dafür zu sorgen, dass die Ketzermeister ihre Fürsten zur Entrüstung gegen die Untersuchten aufstacheln. Die „alten Doktoren“ sind die wahren Ketzer, konstatiert kategorisch die 10. Regel. Dem Ketzer soll nicht erlaubt sein, sich selbst zu äußern (11. Regel). Auf alle Fälle soll der Inquisitor die Heilige Schrift vermeiden (Fugienda est inquisitori sancta scriptura). Maßgebliche Autorität bleibt stets die Ecclesia und der „sedes apostolica“ (12. Regel). Beispiele für effektives Verhören seien die Verurteilung und das Verbrennen des Jan Hus und des Hieronymus von Prag während des Konzils von Konstanz gewesen. Diesen schönen Erfolg hätte man auch in jüngerer Zeit bei Johannes Reuchlin erzielen können, wenn die Fürsten nur erlaubt hätten, ihn streng nach seinem Glauben zu befragen. Dann wäre auch er samt seiner Bücher den Flammen überantwortet worden. Am Ende stellt sich der Autor die Frage, warum die Kirche, die schon 1.300 Jahre existiert habe, bis zum Konstanzer Kon-

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Titel als auch im Umfang von dem Augsburger Druck. Der leichteren Nachprüfbarkeit wegen zitiere ich nach BÖCKING. Der Augsburger Text hat allerdings noch zwei weitere Seiten, auf denen, wie im Titel angekündigt, die zwölf vorher aufgestellten Regeln zusammengefasst werden. „Verhören für Dummies“ ist man versucht zu sagen. Man verzeihe mir diesen anachronistischen Ausdruck, der in Anlehnung an die beliebte amerikanische Buchserie, die komplizierte Sachverhalte auf einfache Weise zu erklären sucht, gebildet ist.

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zil keine Ketzer verbrannt hätte. Die Antwort: damals war man noch nicht so gelehrt wie in der Gegenwart; heute würden sogar die Heiligen Hieronymus und Augustinus verbrannt, und selbst Paulus hatte Glück, dass er vor langer Zeit und nicht heute gelebt hätte. Schon diese kurze Zusammenfassung der zwölf Regeln zeigt,36 dass es sich bei dem Werk, wie bei den Epistolae obscurorum virorum, der oratio funebris und dem Sentimentum Parrishiense um eine mimische Satire handelt, ein Werk also, in dem der Schreibende sich in seiner ganzen Bosheit, pharisäerhaften Selbstgerechtigkeit, Scheinheiligkeit und Tücke selbst entlarvt. Mit seiner Mischung aus scholastischen oder pseudoscholastischen Wörtern und Begriffen wie magistraliter, confusibiliter, legaliter, aliqualiter, artificialiter, absurden Syllogismen und ans Deutsche angelehnten Satzkonstruktionen (Vorliebe für „quod“-Sätze und Benutzung des im klassischen Latein unbekannten unbestimmten Artikels [unus, una, unum]) ähnelt der Modus inquirendi haereticos den Epistolae obscurorum virorum. Da es sich aber bei dem angeblichen Verfasser um einen Professor der Theologie handelt, ist dessen Latein weniger germanisiert als das in den anderen Crotus zugeschriebenen Satiren. Deshalb formuliert Logumenos kompliziertere Sätze und vermeidet allzu offensichtliche Germanismen. Man könnte also von einem „gehobenen Küchenlatein“ sprechen. 37 Dem Autor lag offenbar daran, weniger die Dummheit als die Boshaftigkeit der Inquisitoren darzustellen; denn anders als mit den relativ harmlosen viri obscuri haben wir es hier mit hochgefährlichen Widersachern zu tun, Gegnern, die über Leben und Tod der Angeklagten entscheiden können. Die Zeiten, in denen man mit einem relativ unverfänglichen Wortspiel den beleibten Papst Leo X. als den crassisimus (den Dicksten) statt sanctissimus (den Heiligsten) bezeichnen konnte, waren vorbei.38 Im Übrigen zeigt das Werk auch inhaltlich deutlich Spuren der beginnenden reformatorischen Auseinandersetzungen, insbesondere die Angst der Inquisitoren vor den Laien und deren Bibelkenntnis, die Betonung der Unfehlbarkeit des Papstes und der Verwerfung der Allgemeingültigkeit der Heiligen Schrift, wie sie Luther postuliert hatte. Wenn wir aber am Anfang dieses Abschnitts Crotus selbstverständlich als Autor dieser Satire vorgestellt haben, so bedarf das einer Rechtfertigung; eindeutige Belege für Crotus’ Verfasserschaft gibt es nicht, dafür gute Gründe.

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In der Augsburger Erstausgabe auf Bl. B4r: „Summarium Regularum huius tractatus.“ Dazu kommt, dass als Zielpublikum nicht nur die deutschen Humanisten, sondern ein internationales Publikum angesprochen werden sollte. Libellus alter, Bl. K2v: „In Italia nihil novi, nisi quod Leo X pater sanctissimus crassisimus in omnium odi habetur.“ (Brief des Crotus an Urbanus).

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Obwohl schon der Hutten-Biograf D.F. Strauss Crotus als Verfasser vermutet hatte, und Böcking den Traktat aus der „Werkstatt der Dunkelmännerbriefe“ bezeichnete,39 ist es erst Brecht mit einer gründlichen philologischen Untersuchung gelungen, Crotus „ohne Zweifel“ als Autor dieses Werkes zu identifizieren.40 In seiner Analyse weist er zahlreiche Übereinstimmungen mit den Dunkelmännerbriefen auf und belegt seine Behauptungen mit einer Fülle von Einzelnachweisen, die er für „unverkennbar Crotisch“ (S. 174), „deutlich Crotisch“ (S. 176) und „ganz Crotisch“ (S. 178) hält. Der stilistischen Untersuchung Brechts darf man Folgendes hinzufügen. Wie aus Crotus’ Brief an Luther vom 15. Oktober 1519 hervorgeht, kannte Crotus den Dialogus des Prieras.41 In diesem hatte der berühmte Kleriker, wie wir sahen, kategorisch die Unfehlbarkeit des Papstes vertreten. Außerdem beschrieb Crotus in seinen Schreiben an Luther (siehe unten) sehr plastisch das in Rom herrschende Klima der Angst. Verständlich ist deshalb, dass der ohnehin zur Vorsicht neigende Crotus auch dieses Werk anonym veröffentlichte. Akzeptiert man die Verfasserschaft des Crotus, so ergibt sich folgendes wahrscheinliches Szenario: Crotus hat das Werk noch in Italien verfasst und seinem Freund Johann Hess, der schon im Herbst 1519 nach Deutschland zurückgekehrt war, mitgegeben. Dieser brachte es dann in Augsburg zum Druck.

3.2 „Schrecklich ist die Herrschaft der Geistlichen.“42 Zwei Briefe des Crotus Rubianus an Martin Luther Der gleiche Johann Hess, der wahrscheinlich für die Drucklegung des Modus inquirendi haereticos sorgte, überbrachte auch persönlich zwei an Luther gerichtete Briefe des Crotus nach Wittenberg. Dieser hielt sie schon im Dezember in den Händen. Der erste der beiden „denkwürdigen“ Briefe43 ist auf den 16. Oktober

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BÖCKING VI, S. 490: „Hunc libellum ex Epistolarum O.V. auctorum officina emissum.“ Die Verfasser der Epistolae virorum obscurorum, S. 167-187. Die Anzahl der stilistischen Übereinstimmungen des Tractatus mit EOV I nach Sprache und Motiven sei groß genug, um Crotus’ Verfasserschaft darzutun Diese Zuschreibung ist aber in der Forschung nicht unbedingt akzeptiert worden. HUBER-REBENICH zum Beispiel in ihrem Artikel im VL, Sp. 509, nimmt diese Schrift nicht in die von Crotus verfassten Werke auf, obwohl sie ohne Weiteres dessen Oratio funebris in laudem Cerdonis als von Crotus stammend aufführt. WA Br 1, Nr. 513, S. 541, Z. 22. „Formidable est imperium sacerdotum“, in: WA Br 1, Nr. 213, S. 541, Z. 32. STRAUSS, Ulrich von Hutten, S. 305.

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1519 datiert,44 der zweite, undatierte Brief wurde wahrscheinlich zwei Wochen später am 31. Oktober geschrieben. Beide sind Schlüsseltexte für das Verständnis des Wandels von Crotus vom Humanisten zum Lutheraner. Zu diesem Zeitpunkt, also im Herbst 1519, war Crotus schon durch die unterschiedlichsten Quellen umfassend über die Ereignisse in Deutschland informiert worden: erstens durch Briefe aus Deutschland, wie diejenigen, die ihm Johann Lang und Philipp Melanchthon sandten; 45 zweitens durch deutsche Freunde und Bekannte, die ihn während der zweieinhalb Jahre seines Italienaufenthaltes besuchten; drittens durch gedruckte in Italien heimlich kursierende pro-lutherische Schriften, und viertens durch Gerüchte, die ihm in Bologna und Rom zu Ohren kamen. Überraschenderweise war Crotus also neben Johann Lang trotz der räumlichen Distanz wahrscheinlich von allen ehemaligen Freunden des Erfurter Zirkels am besten über die causa Lutheri unterrichtet.46 Zu den Bekannten, die ihm von den Vorkommnissen in Deutschland berichteten, gehörte der eng mit Hutten befreundete Bamberger Domdekan Jakob Fuchs, der von 1513-1516 in Bologna studiert hatte und sich nun, 1519, wieder auf einer Wallfahrt in Italien befand.47 Auch sein Bruder Andreas Fuchs, seit 1504 Kanonikus in Augsburg, seit 1510 in Bamberg und seit 1514 auch in Würzburg, versorgte Crotus mit Luther-Schriften.48 Von diesem erhielt Crotus zum Beispiel Luthers Kommentare zu seinen 95 Thesen, also Luthers Responsio, und den Text der Augsburger Disputation. 49 Diese Schriften seien durch ihrer aller Hände gegangen, meldete Crotus, und schon ziemlich zerlesen nach Rom gesandt worden, um dort den von bösartigen Menschen (mali homines) verbreiteten Gerüch-

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Ich zitiere nach WA Br 1, Nr. 213, S. 540-545 (abgedruckt auch in BÖCKING I, Nr. 140, S. 307-309). Vgl. WA Br 1, Nr. 213, S. 543 f.: „Novit enim Bononia mores Eckianos, novit et Wienna bene; tamen cessit pro nobis, testibus epistolis Langii et Melanchthonis.“ Diese Briefe sind aber nicht erhalten. Vgl. SCRIBNER, The Erasmians and the Beginning of the Reformation in Erfurt, S. 21: „He [Crotus] was apart from Lang the best informed of the Erfurt humanist circle on the issues of progress of Luther’s case.“ Jakob Fuchs stammte aus einem angesehenen fränkischen Adelsgeschlecht, er war Domherr zu Bamberg und Würzburg und verwandt mit den Zöglingen des Crotus. WA Br 1, Nr. 213, S. 541: „… anno post [i.e.] Iacobus Fuxus, tuus item singularis patronus, dum Petri limina visitaret ex voto.“ Über sein Studium in Bologna vgl. KNOD, Deutsche Studenten in Bologna, S. 141, Nr. 1037. Als engagierter Unterstützer Reuchlins war er sogar verdächtigt worden, an den Epistolae virorum obscurorum mitgewirkt zu haben. WA Br 1, Nr. 213, S. 541: „Post illud acumen mittit nobis Andreas Fuxus, decanus Babenbergensis tuum commentarium in disputatas conclusiones, deinde disputationem Augustensem.“ Acta F. Martini Lutheri Augustiani apud S. legatum Apostolicum Augustae, in: WA 2, S. 1-25.

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ten entgegenzuwirken.50 Auch hier bewahrheitete sich die These, dass das humanistische Netzwerk bei der Verbreitung lutherischer Ideen eine entscheidende Rolle spielte. Lebendig schildert Crotus das Klima der Angst, die Einschüchterungsversuche und die Notwendigkeit der Anonymität; bei allem sei höchste Vorsicht geboten; denn alle, die in Rom mit diesen Schriften handelten, täten das unter Lebensgefahr und würden für Ketzer gehalten.51 Manches habe er aber auch auf ungewöhnliche Weise erfahren, verrät Crotus in dem Brief vom 31. Oktober.52 Ein gewisser Heckius habe zum Beispiel über die Ereignisse in Deutschland einen vertraulichen Brief nach Rom geschickt, der außer dem Papst und zwei Theologen nur ganz wenigen gezeigt worden sei. Als dieses streng geheime Schreiben dem Papste vorgelesen wurde, habe ein mit ihm, also Crotus, befreundeter Arzt heimlich zuhören können, und was er zufällig im Gedächtnis behalten habe, ihm in brüderlichem Vertrauen (fraterna fide) mitgeteilt. 53 Weil er seinen ärztlichen Informanten nicht in Gefahr bringen wolle, teile er ihm, Luther, nun diese Nachrichten ebenfalls in strengstem Vertrauen mit und bitte um äußerste Diskretion. 54 Bei dem Brief selbst handelte es sich nach Crotus um eine Zusammenfassung der Leipziger Disputation vom vergangenen Sommer und um Ratschläge zur künftigen Vorgehensweise des Papstes. Demzufolge seien die Bischöfe zu Luthers Verurteilung angewiesen worden. Dieser werde hauptsächlich wegen der böhmischen Religion und seiner Billigung der hussitischen Lehre angefeindet. 55 Der Papst sei in diesem Brief eindringlich darin erinnert worden, in dieser gefährlichen Situation unverzüglich zu handeln. Die Pariser und Erfurter Universitäten sollten bald zu ei50

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WA Br 1, Nr. 213, S. 541, Z. 24: „Post illud acumen mittit nobis Andreas Fuxus decanus Babenbergensis tuum commentarium in disputatas conclusiones, deinde disputationem Augustensem, quae omnia a nobis perlecta avide multorumque doctorum manibus contrita Romam quoque legavimus, quo falsam de te per malos homines divulgatam famam supprimeremus.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 541, Z. 29 f.: „Oportebat ista secreto fieri, ut venirent in manus legentium sine nomine mittentis, ne quid mali capitibus nostris accerseremus per imprudentiam iis locis, quibus formidable est imperium sacerdotum; nam loco haereticorum habentur, qui Romae tuos libellos probant, et qui important, capitali periculo important.“ WA Br 1, Nr. 214, S. 545-548. WA Br 1, Nr. 214, S. 545: „Misit Heckius epistolam Romam praeterquam Pontifici et duobus theologis paucissimis visam, quae secretissime legeretur, furtim subauscultavit quid medicus amicus noster, et quae obiter retinere potuit memoria, mecum communicavit fraterna fide.“ WA Br 1, Nr. 214, S. 546: „Sed tace, ni velis me cum medico perdere.“ WA Br 1, Nr. 214, S. 546: „Tractus es ad invidiam imprimis propter Bohemicam religionem atque approbationem Hussaici dogmatis.“ Luther hatte bei der Leipziger Disputation Jan Hus verteidigt – was von vielen als ein großer taktischer Fehler betrachtet wurde.

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nem für Eck günstigen Urteil kommen, um zu verhindern, dass bald Thüringen, Meissen, die Mark und andere Gebiete sich der ketzerischen Bewegung anschlössen.56 Im Übrigen habe Heckius für seine Informationsdienste zunächst das Amt des Inquisitors im Bereich dreier Bischöfe gefordert, sich dann aber mit einer Gemeinde in Ingolstadt begnügen müssen.57 Bestärkt in seiner Kritik am damaligen Papsttum wurde Crotus durch einen längeren Aufenthalt in Begleitung seines Freundes Johann Hess in Rom im Spätsommer und Frühherbst des Jahres 1519. Dort wurde er Augenzeuge des päpstlichen Treibens.58 Den Schilderungen dieses Rom-Besuchs verdanken wir nicht nur Einblicke in das Denken einiger Kleriker, sondern auch plastische Beschreibungen des Lebens an der Kurie. Da Crotus in seinem Freundeskreis den Ruf eines ironischen Spötters besaß, glaubte er seiner Beschreibung einer vom Papst angeführten Prozession den warnenden Hinweis vorausschicken zu müssen, dass es sich beim Folgenden nicht um eine von ihm erfundene Satire, sondern um eine realistische Beschreibung handele: Nichts [von dem Folgenden] habe ich mir ausgedacht. Wenn der königliche Opferpriester [also der Papst] daher schreitet, umgeben ihn so viele Kardinäle, Protonotare, Bischöfe, Gesandte, Provoste und Juristen, wie hungrige Geier, die einen faulen Kadaver auflauern. Die Hostie Christi aber folgt auf einem Esel ganz am Ende der Prozession, zusammen mit den Huren und Strichjungen. 59 Mit Brechtscher Dialektik fasst der vom klassischen Rom begeisterte Humanist seine Eindrücke zusammen: Neulich war ich in Rom; ich sah die alten Monumente, ich sah den Sitz des Verderbens. Wie mich der Anblick erfreute, wie mich der Anblick empörte.60 Während aber die Widersacher, die Crotus bisher in seinen Dunkelmännerbriefen bekämpft hatte, relativ harmlose ungebildete Mönche und Kleriker gewesen waren, hatte er es in Italien mit weit gefährlicheren Gegnern zu tun. In Rom                                                              56

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WA Br 1, Nr. 214, S. 546: „Deinde obnixe admonitus summus Pontifex, quo in re periculosa moram tollat atque minis cogat scholam Parisiensem atque nostram Erffurdensem ad pronuntiationem sententiae; quin sit velit moram trahere, propediem amitteret Thuringiam, Missniam et Marchiam, moxque alias regiones, quarum populi animo pedibusque in tuam haereticam sententiam, ut vocant, eant.“ WA Br 1, Nr. 214, S. 546: „Heckius principio pro mercede disputationis petiit magistratum haereticae inquisitionis in iurisdictione trium episcoporum; nunc mutata vice parochiam Ingelstadiensem ambit.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 542, Z. 77: „Fui nuper Romae cum Hesso nostro“, und WA Br 1, Nr. 214, S. 546. Z. 39: „Dum his diebus Romae essem.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 542: „Nihil hic fingitur: quando progreditur Rex sacrificulus, tot Cardinales, tot Prothonotarii, tot Episcopi, tot Legati, tot Praepositi, tot Causidici circa ipsum glomerantur, quot famelicae aves ad putrida cadavera confluant; sequitur Christi eucharistia in quodam asino in extrema cohorte, quam impudicae mulieres ac prostituti pueri constituunt.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 542: „Fui Romae … Vidi vetera monumenta, vidi cathedram pestilentiae; vidisse iuvat, vidisse piget.“

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herrsche ein Klima der Angst, meldete er. Alle diejenigen nämlich, die von der päpstlichen Meinung abwichen und zum Beispiel seine, also Luthers, Meinungen billigten, oder auch nur dessen Schriften importierten, täten das unter Lebensgefahr und würden gleich als Ketzer behandelt; denn Rom sei intolerant und schrecklich sei die Herrschaft der Priester – Formidabile est imperium sacerdotum. 61 Diese Furcht vor kirchlichen Repressalien habe zu Scheinheiligkeit geführt: Die etwas klügeren Theologen gäben Luther im Grunde Recht, seien aber gezwungen, sich öffentlich anders zu äußern. Crotus dagegen halte es mit Christus, der seine Jünger ermahnt hatte: „Eure Rede sei: ‚Ja, ja, Nein, nein.‘“ 62 In der Kurie gelte also nicht die Heilige Schrift, sondern allein der Papst befinde über Sieg oder Niederlage, wie das schon Prieras deutlich gemacht habe.63 Schon aus diesem Grunde sehe man Luther hier nicht als Sieger der [Leipziger] Disputation, obwohl er bewaffnet mit der Heiligen Schrift und dem Schwert des Heiligen Geistes dem Gegner an die Gurgel gesprungen sei.64 Alle Schriftgelehrsamkeit nütze ihm also nichts, weil der Papst und seine Gefolgsleute in anderen Kategorien dächten. Auch Luthers Forderung nach einem allgemeinen Konzil, auf dem nach göttlichem und menschlichem Recht Entscheidungen getroffen würden, sei abgelehnt worden, weil man fürchte, dass dann die Pallien, Reservationen, Bullen, Privilegien, die ganze Jurisdiktion und der Rest, dem sie den Namen der kirchlichen Freiheit aufstülpen, ebenso wie die Fangnetze, mit denen sie den Armen das Geld aus der Tasche ziehen, verlorengingen. Deutschland werde blind sein, solange es in seinem Irrtum beharre und solange nicht Gelehrte sich öffentlich gegen die verderblichen Gesetze wendeten, die Rom ihm aufgezwungen habe. Sie sollen das einfache Volk an den Betrug erinnern, wie sie bisher unter dem Vorwand der Frömmigkeit für Pallien, für Bestätigungen und für die Finanzierung von Kriegen gegen die Türken ausgeraubt worden seien.65 61

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WA Br 1, Nr. 213, S. 541: „… formidable est imperium sacerdotum; nam loco haereticorum habentur, qui Romae tuos libellos probant, et qui important capitali periculo important; impatiens est enim Roma, superbia semper formidulosa, ne quid veritas demat eorum, quae per tyrannidem occupantur.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 541, Z. 39: „Ego hic existimo Christi religionem non egere fuco, ac qui aliter ore quam corde sentit, eum non esse Christi discipulum, cuius doctrina praecepit: ‚Sit sermo vester. ‚Est, est, Non, non‘.“(Matthäus 5,37). WA Br 1, Br. 213, S. 543: „Penes Romanam sedem non scripturam stat iudicium de victoria; haec enim ab illo, Silvestro tuo teste, auctoritatem sortitur.“ WA Br 1, Br. 213, S. 543: „Non ergo victor es, Martine, quamquam armatus praesidiis scripturae gladio spiritus sancti iugulum adversarii petieris.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 543: „Caeca erit Germania, donec manebit in suo errore et donec studiosi publice non clamant, non scribunt contra noxios mores, quos nobis Roma mittit, rudemque plebeculam admoneant Romanae fraudis, quod hactenus toties spoliati sub praetextu pietatis pro palliis, pro confirmationibus, pro Turco debellando.“

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Seine Fundamentalkritik an Kirche und Papst verdeutlicht Crotus mit einem Bericht über ein Gespräch, das er kürzlich mit einem Dominikaner geführt habe. Als ich die römische Anmaßung tadelte, unter der die Christen leiden und durch die ihre Lebensart besudelt werde, antwortete jener mir, das geschehe alles durch die göttliche Vorsehung, und den göttlichen Willen dürfe man aber nicht hinterfragen. Ich antwortete darauf: „Wenn die göttliche Vorsehung es erlaubt, Verbrechen zu verteidigen, wie viel heiliger ist es, diese auf Grund der Autorität der Heiligen Schrift mit dem Schwert des Heiligen Geistes zu kritisieren, das ist das Wort Gottes, da der Wille Gottes nur aus dem Zeugnis der Schrift erkannt wird und durch den Mund Gottes spricht“.66

Soweit sei die Gottlosigkeit fortgeschritten, fährt Crotus fort, dass ein guter Christ oder sogar ein Theologe hier scheel angesehen werde. Wer aber vom Kabinett (cubiculum) oder Tisch des Papstes komme, dieser werde als „als Glückspilz“ hoch angesehen,67 sodass der Papst, was seine Würde angehe, den ersten Platz innehabe, Christus aber den letzten.68 Dem Volk die Augen zu öffnen, diese Rolle habe nun Luther auf sich genommen. Diesen will Crotus auf seinem eingeschlagenen Weg ermuntern. Das ist der eigentliche Sinn dieser zwei Briefe. Beide Schreiben, besonders das erste vom 16. Oktober 1519, sind sehr persönliche Briefe. Aus diesem Grunde beschwört Crotus mehrmals die gemeinsame Vergangenheit, indem er seinen amicus antiquissimus, als welchen er ihn schon in der wichtigen Salutatio anredet, an die gemeinsam in Erfurt verbrachte Studentenzeit erinnert, als sie im jugendlichen Alter die bonae literae studierten.69 Obwohl sie danach keine Gelegenheit

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WA Br 1, Nr. 213: „Reprehendenti mihi quandoque coram quodam Magistro nostro Dominicista immodicam licentiam Romanam, qua christianus populus premeretur et mores polluerentur, respondit ille, fieri omnia illa divina providentia, et de Dei voluntate non esse inquirendum. Cui ego: Si criminina licet defendere divina providentia, multo sanctius licet eadem proscindere auctoritate scripturae, gladio spiritus, quod est verbum Dei, quandoquidem voluntas Dei non aliunde cognoscitur quam ex testimoniis scripturae, progressae ex ore altissimi.“ Eigentlich Sohn einer weißen Henne. Der Ausdruck „filius gallinae albae“ geht auf Juvenal (Satiren 13, 141) zurück. Weiß galt bei den Römern als Glücksfarbe. WA Br 1, Nr. 213, S. 542, Z. 71: „A cubiculo vel A [sic] mensa Pontificis, idem habetur gallinae filius albae, ut Pontifex in dignitate primum teneat locum, Christus postremum.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 541: „Duo, Martine venerande idemque mihi charissime, firmum in te amorem meum custodiunt: quod summa familiaritate Erffordiae bonis artibus simul operam dedimus aetate iuvenili, quod tempus inter similes mores arctissima fundamenta amicitiae colllocat … .“ Nach BURGDORF (Der Einfluß der Erfurter Humanisten auf Luthers Entwicklung bis 1510, S. 51) haben beide, Luther und Crotus in der Burse Porta Coeli gewohnt. Die Aufrichtigkeit der von Crotus in diesen zwei Briefen beschworenen gemeinsamen Studentenzeit ist gelegentlich angezweifelt worden. Möglicherweise hat Crotus seine Vertrautheit mit Luther in diesen zwei Briefen etwas übertrieben, an der grundsätzlichen Wahrheit besteht aber kein Zweifel, zumal Crotus an einen anderen Er-

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zum vertrauten Umgang miteinander gehabt hätten, bleibe er, Crotus, doch stets in Gedanken bei ihm. Aus diesem Grunde spreche er auch oft mit ihm im Geiste, gebe ihm dabei die Hand und träume sogar von ihm, obwohl sie doch schon so lange und so weit voneinander getrennt seien. Ihm fühle er sich also enger verbunden als diejenigen, die Luther tatsächlich physisch näher stünden.70 So oft das Gespräch auf ihn komme, pflege er ihn deshalb Vater des Vaterlandes zu nennen, jemand, der eine Statue verdiene und zu dessen Ehren jährlich ein Fest veranstaltet werden müsse, da er als Erster gewagt habe, das Volk des Herrn von den irrigen Ansichten zu befreien und die wahre Frömmigkeit wiederherzustellen. Aus diesem Grunde ermuntere er ihn, weiter auf seinem bisher eingeschlagenen Weg zu gehen; denn Luther mache das nicht ohne den Willen Gottes. Als Zeichen der göttlichen Vorsehung deutet Crotus das bekannte Ereignis, das sich bei Luthers Rückkehr von einem Besuch bei seinem Eltern abgespielt habe. Ein Blitz aus heiterem Himmel habe ihn, Luther, wie einen zweiten Paulus vor der Stadt Erfurt niedergestreckt, worauf er beschlossen habe, in das Augustiner-Kloster einzutreten – sehr zum Bedauern seiner traurigen Freunde.71 Der Weg sei schwierig, die Hindernisse groß. Und da er viel an Leib und Seele durchgemacht habe, sei Luther erschöpft. Aber Schweres erreiche man nicht ohne viel Mühe. Sobald das Ende des Übels erreicht ist, werde es gut tun, sich daran zu erinnern, und Luther werde sagen: Ich bin durch Wasser gewatet und durch Feuer geschritten und bin doch unversehrt. Dann wird Deutschland ihm sein Antlitz zuwenden. Dann werde es das Wort Gottes aus Luthers Munde mit Bewunderung hören.72

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furter, Johann Lang, einige Monate später schreibt, dass ihm Luther viele Jahre lang teuer gewesen sei: „Multos annos mihi Lutherus carus fuit sed carior nunc ob liberatam ab eo plebem a quadam tyrannide.“ (KRAUSE, epistolae aliquot, Nr. XI, 9. August 1521). WA Br 1, S. 541, Z. 8: „Quo fit, ut qui tam longe absum, saepius tecum colloquar, iungam dextram, de te somniem, quam ii, quos prope habes.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 543, Z. 102-109: „Ego te, Martine, saepe cum de te sermo oritur, patrem patriae soleo appellare, dignum aurea statua et festis quotannis, qui primus ausus es vendicare populum Domini a noxiis opinionibus et rectam pietatem asserere. Perge, ut coepisti, relinque exemplum posteris, nam ista facis non sine numine divum; ad haec respexit divina providentia, quando te redeuntem a parentibus coeleste fulmen veluti alterum Paulum ante oppidum Erffurdianum in terram prostravit atque intra Augustiniana septa compulit e nostro consortio tristissimo tuo discessu.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 543, Z. 114-118: „Fatigatus quidem es hactenus et corpore et fama multa perpessus, sed ardua sine gravi labore non perficiuntur; ubi finis erit malorum, meminisse iuvabit, et dices Transivi per aquam et ignem et salvus factus sum. Tum in te vultum suum convertet Germania, tum verbum Dei abs te cum admiratione audiet.“

DOKTOR DER THEOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BOLOGNA

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Bei aller Begeisterung für Luthers Standhaftigkeit rät der stets vorsichtige Crotus aber auch zu Besonnenheit und Mäßigung – darin seinem großen Vorbild, Erasmus von Rotterdam nicht unähnlich: Weißt Du nicht, fragt er ihn, was die Jungen einander zurufen: ‚Streite dich nicht mit Worten mit einem Schwätzer‘. 73 Nur mit der Feder solle er deshalb in Zukunft disputieren, und dann auch nur innerhalb seines Klosters; denn ein schriftlicher Meinungsaustausch sei immer unmissverständlich, während es in einer mündlich geführten Disputation an Besonnenheit fehle und der Disputant verwirrt und aus der Fassung gebracht werde.74 Crotus hatte sich den radikalen Ideen Luthers genähert, obwohl er wie Erasmus Luther vor zu radikalen Schritten warnen zu müssen glaubte. Bekanntlich hat sich Luther nicht an die Ratschläge seines Freundes gehalten. Im Gegenteil: Weder beschränkte er seine publizistische Tätigkeit auf sein Kloster, noch mäßigte er seine Rhetorik gegen das Papsttum. Wenn auch die zwei aus Italien gesandten Briefe des Crotus an Luther diesen in seiner Entwicklung kaum beeinflusst haben dürften,75 und auch deshalb in den modernen Luther-Biografien kaum Eingang gefunden haben, so sind sie doch für die Entwicklung des Crotus – und darum geht es schließlich in dieser Studie – von entscheidender Bedeutung. Diese zwei Briefe vom Oktober 1519 markieren den Wandel des Crotus vom Humanisten zum Lutheraner.

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Doktor der Theologie an der Universität Bologna

DOKTOR DER THEOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BOLOGNA Ob sich Crotus unter dem Einfluss des Erasmus, der seit 1516 Kultstatus in Erfurt genoss und sich für eine gemäßigte Reform innerhalb der Kirche einsetzte, oder erst unter dem Einfluss Luthers der Theologie zuwandte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Unwahrscheinlich aber ist, dass Crotus mit diesem Vorsatz 1517 nach Bologna gegangen war. Möglicherweise wollte er, wie so viele andere vor ihm, sich an der juristischen Fakultät einschreiben; denn Bolognas Ruf beruhte auf dem Prestige dieser Fakultät, und selbst diejenigen, die auf eine Karriere in der Kurie hofften, studierten in Bologna Jura und nicht

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WA Br 1, Nr. 213, S. 543, Z. 120: „Nescisne, quod pueri aiunt: ‚Contra verbosum noli contendere verbis‘.“ WA Br 1, Nr. 213, S. 543, Z. 118-124: „Sed per tuam mansuetudinem te rogo, ne post descendas in arenam dispuationis publicae, praesertim contra temerarios … . Disputa intra tuum monasterium, calamo, quiete; exactissima habetur disputatio, quae chartis mandatur, quae verbis ultro citroque fertur, caret iudicio et saepe animum disputantis a verbo perturbat, ne interim dicam turpe esse theologo ad iurgia descendere.“ Über die wissenschaftliche Diskussion über den möglichen Einfluss des Crotus auf Luther siehe nächstes Kapitel.

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Theologie, eine Disziplin, die an dieser Hochschule, wie überhaupt an den italienischen Universitäten der Renaissance, eine untergeordnete Rolle spielte. 76 Umso erstaunlicher war natürlich, dass Crotus ausgerechnet in diesem Fache promovierte.77 In einem Brief vom 5. Januar 1520 kündigte Crotus seinem alten Freund und Bologneser Studiengenossen Johann Hess seine baldige Rückkehr an. 78 Dieser war, wie wir sahen, bereits wenige Monate vor ihm mit zwei CrotusBriefen an Luther im Gepäck nach Deutschland zurückgekehrt. Aus diesem Grunde sollte Hess etwaige an ihn gerichtete Briefe in Deutschland zurückhalten, damit sie nicht in Italien „herumirrten“. Nur Geldmangel hindere ihn an der heißersehnten Rückkehr. Wenn ich welches bekomme, werde ich mir Flügel verleihen, wenn nicht, komme ich trotzdem, meinte Crotus trocken.79 Bereits im Februar wolle er in Nürnberg alte Freunde besuchen; denn nichts habe er so sehr bedauert als dass er nicht gleichzeitig mit Hess zurückgegangen sei. So viele unangenehme Dinge seien ihm nach dessen Weggang zugestoßen, ganz abgesehen von der mit seinem verlängerten Aufenthalt verbundenen enormen Zeitverschwendung. 80 Wenn er aber im nächsten Frühling nach Deutschland zurückkehre, werde er den Pseudoaposteln den Mittelfinger zeigen, drohte er.81 Noch im Februar oder März 1520 muss Crotus also die beschwerliche Reise nach Deutschland angetreten haben. Crotus Rubianus war 1517 als Humanist nach Italien gegangen, als Lutheraner kehrte er 1520 nach Deutschland zurück.

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GRENDLER, The Universities of the Italian Renaissance, S. 247: „Theology had a small presence and little prestige.“ Das hatte auch damit zu tun, dass dieses Fach von Mönchen außerhalb der Universität gelehrt wurde. Vgl. GILLERT Nr. 594 (Mutian an Johann Lange, 1. Juli 1520): „Rubianum … super Bononiae theologorum insignibus donatum … an ideo quod bonus poeta theologus semper sit habitus et e diverso.“ Ebenso: GILLERT Nr. 593 (Mutian an Justus Menius, Mai oder Juni 1520): „Crotum adesse theologum graece et latine doctissimum.“ Abgedruckt in: KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 4, S. 15. KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 4, S. 15: „Literas tuas contine intra fines Germaniae ne errent in Italia. Ego enim nihil magis meditor, quam reditum, cui solum obstat pecunia, qua habita alas mihi connectam, sin illa tardaverit, ego tamen ibo.“ KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 4, S. 15: „Volo omnino tuos Nurenbergenses salutare in Februario. Numquam magis poenituit me coepti mei, quam quod tecum non abierim simul, ita multa mihi fuerunt post discessum tuum molesta, ut taceam temporis iacturam, quae semper per se gravis nullius commodi gratia bonas horas perdere debet.“ WA Br 1, Nr. 214, S. 546: „Quando ad ver novum in Germaniam rediero, medium digitum ostendam pseudoaapostolis.“

VII. WIEDER IN DEUTSCHLAND – CROTUS RUBIANUS, ULRICH VON HUTTEN UND FRANZ VON SICKINGEN WIEDER IN DEUTSCHLAND – CROTUS, HUTTEN UND SICKINGEN

Nunquam apud me in dubium vocabitur, quin quivis mortalium iustificatus per fidem, accessum habeat ad Deum.1 Niemals werde ich daran zweifeln, dass jeder Mensch durch seinen Glauben gerechtfertigt wird und dadurch Zugang zu Gott haben soll.

War der Weg über die Alpen zu jeder Jahreszeit beschwerlich, so galt das besonders für die Wintermonate, wenn Schnee, Eis, Kälte und Stürme die ohnehin schon gefährliche Gebirgsüberquerung noch zusätzlich behinderten. Es ist deshalb erstaunlich, dass sich Crotus noch im Spätwinter 1520/1521 auf den Weg zurück in die Heimat machte. Im Januar hielt er sich noch in Bologna auf, im März kehrte er dann nach Deutschland zurück. Nach seiner Ankunft in Deutschland bekannte er gegenüber seinem Freund und Bologneser Studienfreund Johann Hess, der bereits im November in die Heimat zurückgekehrt war, dass er niemals etwas Gefährlicheres als diese Alpenüberquerung erlebt habe.2 Begleitet von einem jungen Mann mit dem Namen Petrus, dem er in Nürnberg eine bezahlte Stellung als Griechischlehrer zu verschaffen hoffte, traf Crotus noch im April in der Stadt an der Pegnitz ein, wo Willibald Pirckheimer ihn aufs Freundlichste empfing.3 Nach einem kurzem Aufenthalt in Nürnberg begab sich Crotus nach Bamberg, wo er sich mindestens zwei Monate aufhielt und bei den Brüdern Jakob

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Brief des Crotus an Luther vom 28. April 1520 (WA Br 2, Nr. 281, S. 90). KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 7 (29. April 1520): „… redeo ad nostros per iter, Hesse carissime, adeo periculosum, ut in vita nihil periculosius expertus sum.“ Über den freundlichen Empfang durch Pirckheimer vgl. das Postskript des Briefes des Crotus an Johann Hessus vom 29. April 1520: „Birchamerus nullum officium humanitatis omisit.“ KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 7, S. 21. Über die Bemühungen, einem gewissen Petrus eine Stelle in Nürnberg zu verschaffen, heißt es in einem Brief des Julius Pflug an Pirckheimer vom 7. Februar 1520 (PBW IV, Nr. 667, S. 190): „Venit ad vos Crotus Rubianus, vir ille et bonus et eruditus tuique amantissimus. Is secum adducit Petrum quendam in grecis sane eruditum. Qui cum pueris vestris recte et summa cum fide grecas litteras tradat, et Crotus cupit et ego rogo, ut is, si quo modo fieri possit, in vestra florentiss(ima) civitate mercede aliqua ad publicum docendi munus conducatur. Qua in re ad tuam confugimus authoritatem. Cetera ex Croto nostro rectius intelliges.“

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und Andreas Fuchs wohnte, deren junge Verwandte er in Bologna betreut hatte.4 Beide waren Domherren und frühe Unterstützer Martin Luthers, die Crotus, wie wir sahen, während seines Italienaufenthaltes mit lutherischen Schriften versorgt hatten.5 Aus Bamberg meldete Crotus dem Johann Hess, der vorher schon die Gastfreundschaft der Brüder Fuchs genossen hatte, dass Hess trotz der Kürze seines zweitägigen Aufenthaltes dort einen äußerst angenehmen Eindruck hinterlassen habe.6 Er hoffe auch, dass Hessus so bleibe, wie er ist, selbst wenn aus einem Hessus ein Hussus werde, eine Anspielung auf dessen Freundschaft mit Luther, den Johannes Eck seit der Leipziger Disputation als einen heimlichen Anhänger des böhmischen Theologen Jan Hus verdächtigt hatte.7 Im Folgenden skizziert Crotus seine Pläne für die unmittelbare Zukunft: Er bereite seine baldige Abreise vor, was seine Gastgeber schmerze, aber er wolle seinen neuen Bischofssitz (episcopatus), als welchen er selbstironisch seine bescheidene Pfarrpfründe in Zeil bei Bamberg bezeichnete, und seine dortigen „Schafe“ aufsuchen.8 Er überlasse die ganze Angelegenheit Gott. Sein Lebensziel sei eine heilige und fromme Muße – sanctum piumque otium. Andere mögen vor Ehrgeiz brennen, er selbst sei sich groß genug.9

1.

Nochmaliges Bekenntnis zu Luthers Theologie

NOCHMALIGES BEKENNTNIS ZU LUTHERS THEOLOGIE Als Postskript zu diesem Brief an Johann Hess teilt Crotus lapidar seinem Freunde mit, dass die Löwener und Kölner „vernichtet worden seien.“10 Gemeint waren die Theologen dieser beiden Universitäten, die in diesen Monaten 4 5 6

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Vgl. WA Br 1, S. 544, Anm. 5 und 9. Siehe voriges Kapitel. KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 20: „Sedeo dies apud Fuchsos meos, quos tu spatio duorum dierum bonitate tuorum morum tibi conciliasti arctius, quam alii aliquot annis.“ KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 21: „Tu vero, Hesse, ubi es, qui vales, quod vitae genus ambiisti? … Si te semper talem qualem te sine fuco praestitisse cognovero, eris mihi deliciae amicorum, etiam si fias ex Hesso Hussus.“ KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 20: „Sed adeundus est Episcopatus nondum mihi visus in religione [wahrscheinlicher „regione“] et ut cognoscam oves meas.“ Die kleine Pfarre sollte er dann im Bauernkrieg verlieren. Vgl. auch VOIGT, Der Briefwechsel der berühmten Gelehrten, S. 162. KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 21: „Ego, Hesse, totum hoc negotium Deo relinquo, in illud tantum prospiciens quo mihi contingat sanctum piumque otium, pro mediocri mea vita.“ KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 21: „Lovanienses et Colonienses sunt prostrati.“

NOCHMALIGES BEKENNTNIS ZU LUTHERS THEOLOGIE

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in der causa Lutheri eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen begannen. Im Vorjahr, also 1519, hatte der Basler Drucker Johann Froben eine Sammlung der bisher erschienenen lateinischen Schriften Martin Luthers herausgebracht. Diese fanden offenbar auch in Löwen genügend Leser, die mit Luther sympathisierten, sodass sich die Löwener Theologen veranlasst sahen, gegen den künftigen Reformator vorzugehen. Zu diesem Zweck exzerpierten sie aus der Frobenausgabe eine Liste angeblicher Irrtümer Luthers, die sie im Frühjahr 1519 den Kollegen der Kölner theologischen Fakultät zur Prüfung übersandten.11 Getrieben von Jakob von Hochstraten, veröffentlichten diese am 30. August 1519 ihr Verdikt: Luthers Schriften seien zu unterdrücken, zu verbrennen und der Verfasser zum Widerruf zu nötigen.12 Außerdem sandten die Löwener Theologen die von Froben gedruckten Schriften an den Bischof von Tortosa, Kardinal Hadrian, den späteren Nachfolger Leo X. auf dem päpstlichen Stuhl. Alle drei Schriften, die Kölner und Löwener Stellungnahme und der Brief des Bischofs von Tortosa, wurden im Februar 1520 veröffentlicht. Luther ließ nicht lange mit seiner Antwort auf sich warten. Ende März erschien seine Responsio, zusammen mit den Kölner und Löwener Gutachten und dem kurzen Brief des Kardinals Hadrian.13 Diese lutherfeindlichen Publikationen bilden den Hintergrund und den Anlass des ausführlichen Schreibens, das Crotus am 28. April aus Bamberg an Luther sandte.14 In die Hände gefallen seien diese Schriften ihm, als er gerade mit Ulrich von Hutten in Bamberg das Osterfest feierte.15 Das Verdammungsurteil habe bei beiden unterschiedliche Reaktionen ausgelöst: sowohl Lachen als auch Ärger.16 Das Lachen hätten sie mit festlichem und fröhlichem Frohsinn

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BRECHT, Martin Luther, S. 322. WA 6, S. 178-180: „Condemnatio Facvltatis Theologiae Coloniensis adversus doctrinam F. Martini Lutheri.“: „… tanquam communitati fidelium noxium iure de medio tollendum, usum eius inhibendum, supprimendum et per eos ad quos id spectare dinoscitur igni publice cremandum, Autorem etiam merito ad revocationem publicam compellendum.“ Ausgaben aufgeführt und Texte abgedruckt in WA 6, Epistola Hadriani, S. 174 f.; Facvltatis Theologiae Lovaniensis doctrinalis condemnatio, S. 175-178; Condemnatio Facvltatis Theologiae Colonsiensis, S. 178-180; Responsio Lutheriana ad condemnationem doctrinalem, S. 181-184. Abgedruckt in WA Br 2, Nr. 281. Diesem hatte es Erasmus von Rotterdam geschickt, ein schönes Beispiel, wie am Anfang der Reformation das humanistische Netzwerk funktionierte. WA Br 2, S. 87: „Cum itaque Pascha celebraremus caneremusque … incidit in sacra sacrum sentimentum Lovaniensium et Coloniensium, Hutheno missum ab Erasmo Rotrodamo.“ WA Br 2, Nr. 281, S. 87, Z. 11: „Ingens sane materia et ad ridendum et ad stomachandum.“

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verbunden, die Empörung aber mit Psalmensingen gemäßigt;17 denn sie seien keine Stoiker, die sich über jeden Kummer hinwegsetzen könnten, zumal sie gesehen hätten, wie die Gegner mit unglaublicher Frechheit den Namen Deutschlands und die Religion beleidigten und Unschuldige angriffen.18 Kein Tyrann wüte so unter den Christen wie diese Theologen, besonders diejenigen, die sich gemeinhin Mönche und Inquisitoren gegen die Ketzerei nennen. Statt Helligkeit herrsche Dunkelheit und elender Hass, statt der Leuchte der Tugend spuckten sie aus ihren Nasenlöchern Feuer, wie der Dichter [Vergil] sagt,19 statt des Schwertes der Schrift herrschte das Schwert des Henkers, statt des Wortes Gottes trügerischer Schein.20 Angesichts des grausamen Vorgehens der Inquisition mahnt Crotus aber zur Vorsicht gegenüber den nach Blut dürstenden „falschen“ Brüdern; es sei denn, Luther sei entschlossen, nach dem Beispiel des Jan Hus die Zahl der christlichen Märtyrer zu vermehren und dadurch den Status eines Heiligen zu erwerben.21 Von diesem Vorhaben möchte er, Crotus, Luther aber möglichst abraten. Mit beißender Ironie meint er, dass das ohnehin unwahrscheinlich wäre, da Heilige zu ernennen das Privileg des Papstes sei, wie es erst neulich [auf dem V. Laterankonzil] beschlossen worden sei. Aber werde der Papst das im Falle Luthers auch tatsächlich tun, der Papst, dessen Autorität durch Luther gelitten habe und dessen Ablasseinnahmen durch Luthers [Leipziger] Disputation empfindlich zurückgegangen seien?22 Auch zum ewigen Leben sei schließlich eine Bulle der Kirche und die Zustimmung unserer Theologen nötig, meint Crotus mit feinem Spott.23 17

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WA Br 2, Nr. 281, S. 87: „Nos risum cum festiva et pia laetitia coniunximus, indignationem vero ad Davidis cytharam demulcebamus.“ WA Br 2, Nr. 281, S. 87: „Non enim ita sumus Stoici, ut animos nostros ab omni aegritudine liberos tueamur, praesertim cum videmus eos insanire indicibili audacia in ludibrium Germanici nominis, in contumeliam religionis, in perniciem innocentiae.“ Aeneis 7, 231: „spirantes naribus ignem“. WA Br 2, S. 88: „Vix ulla tyrannis immanius inter christianos bacchatur quam theologorum, eorum praecipue, qui monachi vulgo ac haereticae pravitatis inquisitores appellantur. Pro candore sunt tenebrae et infelix invidia, pro virtutum lucerna spirant e naribus ignem, ut inquit poeta, pro gladio scripturae succedit gladius carnificis, pro verbo Dei fucus sophisticus.“ WA Br 2, S. 88: „Quo magis tibi cavendum erit a falsis fratribus sanguinem sitientibus, ni forte inito iam tecum decreto exemplo Hussi de augendo numero christianiorum martyrum.“ WA Br 2, S. 88: „Quo modo enim sanctus eris, non donatus a pontifice maximo civitate sanctorum, penes quem solum stat ea potestas, ut nuper est cognitum? Ille vero te donabit, cuius auctoritas per te languet ac cuius indulgentiae disputatione tua enervatae esuriunt?“ WA Br 2, S. 88: „Ad aeternam vitam opus est bulla ecclesiae repraesentativa et assensu Magistrorum nostrorum.“

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Zudem seien ihm, Crotus, diejenigen, denen jedes christliche Anstandsgefühl fehle und die solch ein lächerliches Urteil mit ihrer Autorität zu verbreiten wagen, äußerst suspekt. Woher nähmen sie überhaupt das Recht, einen fremden Knecht zu richten? Die Bücher und die Lehre Luthers verdammen wir, behaupten sie, und bestimmen, dass sie verbannt und verbrannt werden und der Autor zum Widerruf gezwungen werde. Wo aber sei die Urteilsbegründung, fragt Crotus. Ist sie verlorengegangen oder fürchtet sie das Licht? Auch Prierias, der hinter allen diesen Manövern stecke, wage nicht, sich mit seinen Schriften an die Öffentlichkeit zu wenden. 24 Diese allgemeinen Beobachtungen untermauert Crotus mit persönlichen Erfahrungen. Mit Entsetzen und Bestürzung erinnere er sich, wie ein von dem Kölner Inquisitor Hochstraten verurteilter Mann auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sei.25 Nicht nach der Lehre (doctrinaliter), sondern nach dem Gesetz der Löwener Theologen (Lovanialiter) werde Luther verbannt, genau wie der Papst seinen Bannstrahl nach römischer und nicht nach christlicher Lehre schleudere (Romanaliter, non Christionaliter). Neue Sachverhalte forderten neue Vokabeln, begründet Crotus diese beiden Neologismen.26 Crotus kontrastiert hier die objektive Wahrheit der christlichen Lehre mit der subjektiven Wahrheit der Löwener Theologen. Mit der gleichen Ironie behandelt Crotus die Stellungnahme Kardinal Hadrians. Ich wundere mich doch sehr, dass ein Mensch, der so offensichtlich und stur im Glauben irrt, soll Hadrian gesagt haben, seine Ketzereien überall ungestraft verbreitet, so dass auch andere diesem schweren Irrtum verfallen. Die Position Luthers enthalte solch offensichtliche Ketzereien, dass nicht einmal ein theologischer Anfänger sich derma-

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WA Br 2, S. 89: „Mihi vero omnis verecundiae Christi etiam obliti videntur, qui sentimentum adeo socors et ridiculum tanta auctoritate audent in vulgus disseminare. Unde illis ius de alieno servo iudicare, qui Christo aut perit aut manet? ‚Librum‘, inquiunt, ‚ac tractatus doctrinaliter damnamus et de medio tollendos censebimus ignique cremandos, et auctorem ipsum ad revocationem et abiurationem supradictorum cogendum.‘ Ubi est illa doctrinalis damnatio? Perditane est, an lucem timet? Ita mihi persuadeo, quippe quando Silvester Prieras, huius tragoediae puppis et prora, non audeat sese cum suo contra te sentimento committere iudicio orbis christiani.“ Tatsächlich hatte Prierias von seinen drei Büchern gegen Luther nur eines veröffentlicht. WA Br 2, S. 88, Z. 31-33: „Sedet mihi adhuc in memoria auditum a me Coloniae immanissimum factum plus quam sanguinarium, ab Hochstrato editum in Germania inferiori, quod recordans horresco.“ Nach KALKOFF (Die Reformation in der Reichstadt Nürnberg, S. 80) meint Crotus hier die Verurteilung des holländischen Arztes Magister Hermann von Rijswijk auf dem Scheiterhaufen im Jahre 1512. WA Br 2, S. 89, Z. 78-81: „Porro, si nihil habent diffiduntque suis viribus, iudicio omnium damnatus es non doctrinaliter, sed Lovanialiter, quemadmodum et multis incutitur pontificis fulmen Romanaliter, non Christionaliter; sunt enim novis erroribus nova confingenda vocabula.“ Diese Wörter hatte Crotus schon in den EOV benutzt. Vgl. BRECHT, Die Verfasser der Epistolae obscurorum virorum, S. 7.

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ßen irren könnte.27 Außerdem sei Luthers Bereitschaft, wegen seiner Überzeugung auf den Scheiterhaufen zu steigen, ein schlagender Beweis, dass Luther tatsächlich ein Ketzer sei, habe Hadrian mit unwiderlegbarer Logik argumentiert.28 Was aber sei der Kern der lutherischen Botschaft, fragt Crotus. Er besteht in der lutherischen Rechtfertigungslehre: Intelligente Menschen werden zwar darüber streiten und diese möglicherweise verurteilen: Niemals werde ich daran zweifeln, dass jeder Mensch durch den Glauben gerechtfertigt werde und dadurch Zugang zu Gott hat.29 Zwar fehlt Crotus die absolute Glaubensgewissheit eines Luther, indem er einräumt, dass kluge Menschen (acuti homines) durchaus anderer Meinung sein könnten, er selbst bekennt sich aber hier eindeutig zu Luthers zentraler Erkenntnis, dass der Mensch allein durch den Glauben gerechtfertigt werde. Hatte Crotus in seinen zwei Briefen aus Italien Luther in seiner Kritik an der Kurie und den Mechanismen der päpstlichen Macht bestärkt, so geht er in diesem Brief vom April einen Schritt weiter, indem er seinem alten Studiengenossen aus Erfurter Tagen in seiner Rechtfertigungslehre beipflichtet. „Mit diesem Briefe beginnt der Übertritt des Crotus zur Sache der Reformation und damit die theologische Freundschaft zwischen Crotus und Luther.“30 Der Brief endet mit einem Hymnus auf Luther: Nach dem Nebel des [Löwener und Kölner] Urteils ist uns die Sonne aufgegangen und wir sehen, mit wie viel Geschick und Fleiß du das Urteil gegen deine Lehre und die Luther-„Verdrescher“ widerlegst; wir bewundern deine Bildung und schwärmen von deinem Scharfsinn; uns imponiert sehr, dass du Ernstes mit Heiterem und Bitteres mit Süßem zu verbinden weißt, sodass der bittere Wermut erst im Magen seine Wirkung entfaltet, nachdem man ihn getrunken hat.31

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WA Br 2, S. 90: „Miror valde, quod homo tam manifeste tamque pertinaciter in fide errans et suas haereses omni quaque diffundens impune errare et alios in perniciosissimos errores trahi sinitur. Dixerat prius pari modestia: ‚Vidi errores Lutheri, qui sane tam rudes, tam palpabiles haereses mihi prae se ferre videntur, ut ne discipulus quidem theologiae ac prima eius limina ingressus ita labi merito potuisset.‘“ WA Br 2, S. 90: „Et ex hoc maxime haereticum se probat, quod paratum se profitetur ignem et mortem pro illis subire, et omnem contra sapientem haereticum esse.“ WA Br 2, S. 90: „Disputent acuti homines damnentque ut libeat, nunquam apud me in dubium vocabitur, quinquivis mortalium iustificatus per fidem accessum habeat ad Deum.“ REINDELL, Luther, Crotus und Hutten, S. 31. WA Br 2, S. 90: „Post nubila sentimenti ortus nobis est sol, vidimus, qua arte, qua industria confutes damnationem doctrinalem et Lutheromastigas; admiramur eruditionem, ingenium exosculamur; summe placet, quod ita temperas gravia cum iucundis, amara cum dulcibus, quod non prius sentiatur haustum absynthium, quam fuerit admissum inter viscera.“

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Wie in seinen zwei Briefen aus Italien bedauert Crotus auch in diesem, dass er Luther jahrelang nicht gesehen habe, sodass er keinen geselligen Umgang mit ihm pflegen konnte, und beschwört noch einmal die gemeinsame Studienzeit in Erfurt. Luther sei in der Burse ein Musiker und Humanist (philosophus) gewesen. Jetzt habe Crotus ihn aber als Kämpfer kennengelernt, als einen jungen Entellus, der den alten kampferprobten Dares, sprich Pierias, in der Kampfarena besiegt habe. 32 Luther sei außerdem ein leidenschaftlicher Jäger, nachdem er den wilden Steinbock (gemeint ist Hieronymus Emser, sein erbitterter Gegner seit der Leipziger Disputation, in dessen Wappen sich ein Gemsbock befand) besiegt habe.33 Nun habe er plastisch (graphice) das Verdammungsurteil der Löwener und Kölner herausgegeben. Welch andere Sache von ihm werden sie noch erleben? In welch anderer Kunst wolle er, dass wir ihn als Sieger ehren? Was übrig bleibe, sei Bildhauer zu werden. Er solle jetzt als ein Polyklet handeln, und, nachdem die Feinde besiegt worden sind, Triumphbögen aus frischen Marmor gestalten, dass Christus unser Herr, der ihn beschütze und ihm helfe aus dem Rachen des Löwen und von den Hörnern der wilden Stiere zu reißen.34 In diesem sorgfältig komponierten, für die Beurteilung des Crotus als Theologen wichtigen Brief arbeitet Crotus mit den Stilmitteln der Ironie, des Sarkasmus und der rhetorischen Frage. Gleichzeitig zitiert der frisch promovierte Theologe eingedenk seines bibelfesten Freundes wiederholt die Heilige Schrift, während intertextuelle Hinweise auf die antike Literatur, wie sie unter den Humanisten gang und gäbe waren, äußerst selten sind.35 Selbstverständlich wird die Herkunft der biblischen Zitate nicht identifiziert. Das war bei einem Adressaten wie Luther nicht nötig und hätte sogar als Beleidigung interpretiert werden können, da es impliziert hätte, dass der Empfänger die Quelle nicht kannte.

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Vergil, Aeneis 5, V. 369 und 389. Luther hat Emser in Anspielung auf sein Wappen immer wieder den Bock von Leipzig genannt und einige seiner schärfsten Streitschriften gegen ihn herausgegeben. WA Br 2, S. 91: „Ego Martinum meum non satis perspectum habui ob tot annis intermissam consuetidinem. Eras in nostro quondam contubernio musicus et philosophus eruditus; nuper vidi pugilem Entellum cum sene Darete congredientem in arena; deinde prodiisti venator alacer capto aevo capricorno; nunc graphice iudicium theologisticum depingis; quem demum habebimus? In quo artificio vis palmo donari? Mihi superesse videtur statuarius. Age ergo, optime Polyclete, exprime nobis devictis hostibus arcus triumphales de marmore vivo, qui est Christus Iesus, dominus noster, qui te custodiat et conservet ab ore Leonis et a cornibus unicornium sophistarum per omne aevum.“ Ungefähr zwanzig Bibelzitate sind identifizierbar, wovon 12 aus dem Neuen Testament, die übrigen aus dem Alten Testament stammen.

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2.

WIEDER IN DEUTSCHLAND – CROTUS, HUTTEN UND SICKINGEN

Crotus Rubianus, Ulrich von Hutten und Franz von Sickingen

CROTUS RUBIANUS, ULRICH VON HUTTEN UND FRANZ VON SICKINGEN Crotus’ Treffen in Bamberg im April 1520 mit seinem alten Freund aus Erfurter und Kölner Studientagen und Mitverfasser der Dunkelmännerbriefe, Ulrich von Hutten,36 lenkt den Blick auf einen Mann, der in den frühen Jahren der Reformation zu einem der wichtigsten und lautstärksten Unterstützer Luthers geworden war. Zunächst hatte Hutten allerdings die Kontroverse um Luthers Ablassthesen als „Mönchsgezank“ abgetan, und noch im April 1518 schrieb er an einen Freund: Meine Hoffnung ist, dass sie [die Mönche] sich auf diese Weise selbst ruinieren. Ich selbst habe kürzlich einem Ordensbruder, der mir von dieser Angelegenheit erzählte, geantwortet: „Fresset, und ihr werdet gefressen werden.“ Ich hoffe nämlich, dass unsere Feinde möglichst hartnäckig untereinander streiten und sich aufs Unerbitterlichste einander zerfleischen.37 Selbst im gleichen Jahr, als Luther von Kardinal Cajetan in Augsburg verhört wurde, nahm Hutten kaum von dem zukünftigen Reformator Notiz, obwohl auch er sich zu dieser Zeit in der Reichsstadt aufhielt. Erst als nach der Leipziger Disputation im Sommer 1519 die Luther-Angelegenheit eine breitere Öffentlichkeit erreicht hatte, begann sich der Reichsritter für den Wittenberger Mönch zu interessieren. Dabei spielten die unterschiedlichsten Interessenlagen zunächst keine Rolle. Während nämlich für den Theologen Luther das Problem der göttlichen Gnade im Mittelpunkt stand und auch seinem Protest gegen den Ablasshandel zugrunde lag, war für den politisch-national denkenden Hutten der Ablasshandel zunächst ein Nebenproblem, über das er schon deshalb nicht zu laut klagen durfte, weil sein Mäzen, der Mainzer Erzbischof Albrecht, von den Ablasseinahmen erheblich profitierte. 38 Hutten registrierte aber mit einer Empörung, die sich während seiner zwei Italienaufenthalte aufgestaut hatte, die Prachtentfaltung und den Luxus der Kurie, die Ausschweifung des Klerus und die Bevormundung und finanzielle Ausbeutung Deutschlands.39 Seinem Unmut machte er zunächst in einer Reihe von satirischen Dialogen Luft. Während er in Febris Prima (das erste Fieber) das Wohlle36

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Über Hutten informiert jetzt kompakt: JAUMANN, Hutten, Ulrich von, in: VL Hu, I, Sp. 1186-1238. BÖCKING I, S. 167 (Brief vom 3. April 1518 an den Grafen von Neuenahr): „Sic spero fiet, ut mutui interitus causas sibi invicem praebeant: ipse de hoc negotio nuper factus certior a quodam ex fratribus, hoc illi respondi: ‚Consumite, ut consumamini invicem.‘ Opto enim, ut quam maxime dissideant inimici nostri et pertinacissime se conterant.“ BÖCKING I, Nr. 142 (Brief vom 26. Oktober 1519, Hutten an Eobanus Hessus): „Lutherum in communionem huius rei accipere non audeo propter Albertum principem.“ Nach modernen Schätzungen flossen tatsächlich zwei Fünftel des deutschen Nationeinkommens nach Rom. SPITZ, Renaissance und Reformation Movements, II, S. 313.

CROTUS RUBIANUS, ULRICH VON HUTTEN UND FRANZ VON SICKINGEN

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ben päpstlicher Höflinge aufs Korn nahm, stellte er in Febris secunda (das zweite Fieber) das für die Reformationspolemik so wichtige Thema des Zölibats in den Mittelpunkt. Nicht der einzelne Priester, sondern die Institution sind für das aus dem Zölibat resultierende Fehlverhalten verantwortlich: Sie haben all nit Schuld daran/ Ohn Fleisch der Mensch nit leben kann. 40 Diese beiden satirischen Dialoge waren aber nur Vorspiele gegenüber dem Vadiscus oder der Trias Romana, der umfangreichsten und kritischsten Schrift Huttens. Sie war in den Worten des Hutten-Biografen David Strauss, „Huttens Manifest gegen Rom, der Handschuh, den er der Hierarchie hinwarf“.41 Mit beißendem Spott kritisierte er das gesamte im Laufe der Jahrhunderte verfeinerte Ausbeutungssystem Roms. Aber erst nachdem Hutten im Frühjahr 1520 seine Mainzer Stelle aufgegeben und damit keine Rücksicht mehr auf Erzbischof Albrecht zu nehmen hatte, also etwa zu der Zeit, als er sich in Bamberg mit Crotus traf, schrieb er persönlich an Luther: Gemeinsam führen wir die durch die päpstlichen Dekrete verdunkelte Lehre wieder ans Licht, Du mit mehr Glück, ich entsprechend meinen Kräften … An mir hast du einen Anhänger für alle möglichen Fälle. Daher wage es, mir in Zukunft alle deine Pläne anzuvertrauen. Verfechten wir die gemeinsame Freiheit! Befreien wir das schon lange unterdrückte Vaterland! 42 Während seines Romaufenthaltes verfasste er Epigramme, die er unter dem Titel De statu Romano epigrammata ex urbe missa veröffentlichte und Crotus widmete.43 Ulrich von Hutten ließ es aber nicht bei bloßen Worten, sondern bot Luther im Namen „eines ritterlichen Freundes“ Schutz auf einer von dessen Burgen an. Das habe er, Crotus, bei seinen Gesprächen mit Hutten in Bamberg erfahren, meldete er Luther.44 Dieser „ritterliche Freund“ war kein anderer als der Reichsritter Franz von Sickingen, eine der schillerndsten Figuren der Zeit. Durch Erbschaften und geschickt geführte Fehden hatte es der „glänzende Taktiker“ und „erfolgreiche Kriegsunternehmer“ 45 zu einem beträchtlichen Vermögen und erheblichem Einfluss gebracht, weshalb er zwischen 1519-1523 im deutschen Südwesten zu 40 41 42

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BÖCKING IV, S. 144. Ulrich von Hutten, S. 285. BÖCKING I, Nr. 171, Brief vom 4. Juni 1520, S. 355 f.: „… obscuratam pontificiarum caligine constitionem in lucem reducimus doctrinam; tu foelicius, ego pro viribus. Me habes adstipulatorem, in omnes etiam eventus. Itaque consilia omnia tua audebis posthac credere mihi. Vindicemus communem libertatem, liberemus oppresssam diu iam patriam.“ BÖCKING III, S. 278-283. WA Br 2, S. 91: „Franciscus de Syckingenn, magnus dux Germanicae nobilitatis, petit teste Hutteno, ad se fugias, a quo tranquillitatem, theologicam domum, ministrum, victum et asylum contra insidiatores, ceteraque vitae necessaria abunde sis habiturus.“ PRESS, Franz von Sickingen, S. 296.

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einem bedeutenden Machtfaktor geworden war.46 Seine Muskeln hatte er schon in der Reuchlin-Affäre spielen lassen. Auf Anregung Huttens schrieb er nämlich am 29. Juli 1519 an den „Provinzial, die Prioren und Konvente des Predigerordens deutscher Nationen, sonderlich an den Bruder Jakob Hochstraten, von wegen des hochgelehrten und weitberühmten Herrn Reuchlin“. Bekannt sei, dass trotz des für Reuchlin günstigen Urteils des Bischofs von Speyer (vgl. Kap. 4) die Dominikaner ihn weiter verfolgten, indem Hochstraten das Urteil nicht anerkannte und die Angelegenheit an die römische Kurie verwies. Sickingen forderte die Dominikaner unter Androhung von Gewalt auf, Reuchlin in Ruhe zu lassen und ihm die erheblichen Prozesskosten in Höhe von 111 Gulden binnen Monatsfrist zu erstatten. 47 Zunächst ignorierten die Dominikaner die Forderungen Sickingens. Erst nach einer nochmaligen Aufforderung reiste Eberhard von Kleve, Provinzialoberer der Teutonia auf Sickingens Burg Landstuhl in der Pfalz. Obwohl dieser die Verwicklung der Dominikaner in die Reuchlin-Affäre leugnete und behauptete, Hochstraten habe eigenmächtig gehandelt, versprach er eine Delegation zu Reuchlin zu schicken. Dieser verwies die ihm unangenehme Angelegenheit an Franz von Sickingen, der sich erst am 10. Mai 1520 in Frankfurt mit Eberhard von Kleve traf. Dieser versprach an den Papst zu schreiben, mit der Bitte, den gegen Reuchlin anhängigen Prozess einzustellen und Hochstraten als Inquisitor zu suspensieren, was tatsächlich geschah – wenn auch vorübergehend, wie sich herausstellen sollte.48 Mit dem gleichen Elan, mit dem Sickingen Reuchlin zu Hilfe gekommen war, setzte er sich wenige Monate später für Luther ein. Auch in diesem Falle war es Ulrich von Hutten, der die Initiative ergriff und seinen Freund auf Luther aufmerksam machte. Sickingens Stammburg, die Ebernburg bei Bad Kreuznach, wurde in den folgenden Monaten und Jahren zu einer „Herberge der Gerechtigkeit“. Hier wurden nicht nur zahlreiche pro-lutherische Flugblätter verfasst und möglicherweise sogar gedruckt,49 hier bot Sickingen auch verfolgten Reformatoren Sicherheit und Zuflucht. Auf der Ebernburg sollte nun nach dem Willen Huttens und Sickingens auch Luther Schutz finden. Darauf bezieht sich Crotus, als er Luther in seinem Brief vom 28. April 1520 von Sickingens Angebot berichtete. Allerdings hatte

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Literatur zu Sickingen: SCHOLZEN, Franz von Sickingen. Ausgezeichnete Studie, in der aber leider das Thema „Ritterschaft und Reformation“ weitgehend ausgespart wird; PRESS, Franz von Sickingen; CHRISMAN, Conflicting Visions of Reform, bes. S. 64-89. Text bei BÖCKING Suppl. I, S. 438-440. Dazu: MÜNCH, Franz von Sickingen, I, S. 121-125. Drohschreiben Sickingens abgedruckt auf S. 122-124 und BÖCKING, Suppl. I, S. 438-440. Nach CHRISMAN (Conflicting Visions of Reform, S. 64) wurden allein auf der Ebernburg 32 solcher Schriften zum Druck gebracht.

CROTUS RUBIANUS, ULRICH VON HUTTEN UND FRANZ VON SICKINGEN

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Sickingen seine Einladung Luther nicht persönlich unterbreitet, sondern Hutten gebeten, dies für ihn zu tun, und dieser wiederum wandte sich auch nicht an Luther selbst, sondern an dessen jungen Wittenberger Kollegen Philipp Melanchthon, möglicherweise aus Rücksicht auf seinen damaligen Dienstherrn, dem Luther-Opponenten, Kardinal Albrecht von Mainz.50 Sickingen könne nun für Luther das Gleiche tun wie vorher für Reuchlin, schreibt Hutten. Nirgends sei Luther sicherer als auf einer der Burgen Sickingens.51 Da dieser Brief aber als „unzustellbar“ zurückgekommen war, 52 erneuerte Hutten Sickingens Angebot in einem zweiten, etwa einen Monat später geschriebenen Schreiben.53 Hier [auf Sickingens Burgen] ist er persönlich sicher, hier wird dafür gesorgt, dass er ohne Gefahr den Mittelfinger allen seinen Gegnern entgegenstrecken kann.54 Melanchthon solle also dafür sorgen, dass sich Luther unverzüglich (nulla interposita mora) zu Sickingen begebe.55 Solch ein Angebot dürfe man nicht ablehnen, unterstreicht Crotus in seinem Brief an Luther, denn die Kleriker setzten alle Hebel in Bewegung, einen Keil zwischen Kurfürst Friedrich dem Weisen, Luthers Schutzherr, und Luther selbst zu treiben, sodass er, dessen Schutzes beraubt, nach Böhmen zu fliehen sich genötigt sehe. Davon versprächen sich dessen Feinde das Verschwinden seines Namens und seiner Lehre. Judas schlafe nicht.56 Luther, der die Protektion seines Kurfürsten genoss, reagierte zunächst überhaupt nicht auf Sickingens Angebot, und erst der Brief des Crotus scheint ihn daran erinnert zu haben, dass er dem Ritter eine Antwort schulde.57 Luther aber lehnte sowohl zu diesem Zeitpunkt als auch später, zur Zeit des Wormser Reichstages im April 1521, das Angebot Sickingens ab.

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Abgedruckt in BÖCKING I, Nr. 150 (Hutten an Philipp Melanchthon, 20. Januar 1520), S. 320 f. Luther war ja zu diesem Zeitpunkt schon als Ketzer gebannt worden. BÖCKING I, S. 321: „Crede mihi, vix aliunde certior salus erit.“ BÖCKING I, S. 321: „Epistola … nunc remittitur, male curata re per eos quibus credideram.“ BÖCKING I, Nr. 154 (Hutten an Melanchthon, 28. Februar 1520). Diesmal von Huttens Stammburg Steckelberg geschrieben. BÖCKING I, Nr. 154, S. 325: „Hic agitur, ut securissime possit medium digitum ostendere omnibus suis aemulis.“ BÖCKING I, S. 325: „Mihi nunc dialogi excuduntur Trias Romana et Inspicientes.“ WA Br 2, S. 91, Z. 154-157: „Non est contemnanda tanta benignitas. In nulla re tantopere exercent ingenium sancti patres quam quod animum Friderici principis abs te alienent, ut praesidio omni exutus tandem cogaris ad Bohemos confugere in quo casum nominis et doctrinae tuae ponunt. Judas non dormit.“ So wenigstens KALKOFF, Hutten und die Reformation, S. 175. Brief an Spalatin vom 5. Mai 1520.

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3.

WIEDER IN DEUTSCHLAND – CROTUS, HUTTEN UND SICKINGEN

Das Conciliabulum Theologorum – eine Satire des Crotus?

DAS CONCILIABULUM THEOLOGORUM – EINE SATIRE DES CROTUS? Crotus hatte in seinem letzten Brief aus Italien vom 31. Oktober 1519 Luther versprochen, er werde, wenn er im Frühling nach Deutschland zurückkehre, den Pseudoaposteln, die uns verschlingen und ins Gesicht schlagen … den Mittelfinger zeigen.58 Mit öffentlichen Äußerungen hielt er sich aber, wie es seine Gewohnheit war, auch zu diesem Zeitpunkt zurück; denn eine von ihm möglicherweise verfasste Satire – das Conciliabulum Theologistarum – erschien – wie hätte es anders sein können? – anonym.59 Bei dieser Satire handelt es sich angeblich um das Protokoll eines von Jakob von Hochstraten einberufenen Strategiemeetings (conciliabulum) bekannter und fiktiver Kölner Theologen. Sie werden aufgefordert, ihre Meinung zur weiteren Verfahrensweise gegen Luther zu äußern. Während der schon durch seinen sprechenden Namen bezeichnete Duplicius (der Doppelzüngige) dem Inquisitor wegen seiner ambivalenten Haltung suspekt ist,60 bekennt sich der bei den Humanisten wegen seiner Erasmus-Kritik besonders geschmähte Edward Lee dazu, Reuchlin, Luther und Ulrich von Hutten zu missbilligen. Eck, ein weiterer Teilnehmer in dem Gremium, wirft Hochstraten vor, dass sie ihn gegen Luther aufgehetzt hätten und ihn jetzt „im Kot stehen ließen“.61 Er habe hart für den Papst gearbeitet, in der Hoffnung, für seine Mühen eine fette Pfründe (pinguis beneficium) oder einen Bischofssitz als Lohn zu bekommen. Vergebens. Trotzdem wolle er aber der Erste sein, der ein brennendes Scheit auf den für Luther aufgerichteten Scheiterhaufen werfe. 62 Arnold von Tongern andererseits will mit einer fingierten Geisterbeschwörung arbeiten, was Hochstraten aber ablehnt, da die Dominikaner damit in Bern schlechte Erfahrung damit gemacht hätten.63 Ein nicht weiter identifizierter Petrus glaubt, dass sich die Sache von 58

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WA Br 1, S. 546, Z. 31: „Quando ad ver novum in Germaniam rediero, medium digitum ostendam pseudoapostolis, qui nos devorant et in faciem caedunt.“ Abgedruckt in BÖCKING IV, S. 575-585. „Conciliabvlvm Theologistarvm adversvs Germaniae et bonarvm literarvm stvdiosos.“ Über die Verfasserschaft unten. Die Satire ist von Erika RUMMEL unter dem Titel „Theologists in Council“ ins Englische übersetzt worden, in: Scheming Papists and Lutheran Fools, S. 55-71. Rummel schreibt die Satire ebenfalls Crotus zu. BÖCKING IV, Conciliabvlvm, S. 576: „… videtur mihi sicut vocamini Duplicius, quod sitis duplex animo, qua declinatis ad partem adversam et ideo estis mihi valde suspectus.“ BÖCKING IV, Conciliabvlvm, S. 578: „… et permittis me stare in merdro“. BÖCKING IV, Conciliabvlvm, S. 579: „… et quando tunc comburetur, tunc ego volo primus esse qui incendat ligna“. Bezieht sich auf den sogenannten „Jetzerhandel“ in Bern in den Jahren 1507-1509. Die „Visionen“ des in ein Kloster eingetretenen Schneidergesellen Jetzer wurden bei einem Prozess als von vier Dominikanern inszeniert entlarvt, worauf diese hingerichtet wurden.

UNTERSCHIEDLICHE INTERPRETATIONEN DER BRIEFE DES CROTUS AN LUTHER

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selbst erledige, da sich die Geschichte in 40-jährigen Zyklen wiederhole. Ein gewisser Lupuldus möchte bei seiner scholastischen Methode bleiben. Am radikalsten will aber ein gewisser Stentor handeln. Da die Verbrennung des Jan Hus vor etwa 100 Jahren zu viel Kritik geführt habe, solle man diesmal heimlich vorgehen, oder als Alternative solle man Luther einen Kardinalshut und einen Bischofssitz anbieten, dann werde er schon alles widerrufen. Obwohl die Beratungen zunächst eine gewisse Hilflosigkeit gegenüber dem künftigen Umgang mit Luther verraten, ist das endgültige, vom Pedell verkündete Urteil eindeutig: Kauf und Besitz lutherischer Schriften an der Universität werden strengstens untersagt, Luthers Schriften und er selbst sollen verbrannt werden, obwohl die Theologen ihn weder verstehen noch widerlegen können, wie sie selbst zugeben.64 Die Satire ist wie die Epistolae obscurorm virorum und die zwei anderen, Crotus zugeschriebenen Werke eine mimische Satire, d. h. die Teilnehmer charakterisieren sich durch ihre Ansichten und durch ihre Sprache selbst. Verfasst wurde die Satire im Mai 1520. Martin BRECHT hat in seinem Buch über die Epistolae obscurorum virorum durch eine genaue Stilanalyse wahrscheinlich gemacht, dass kein anderer als Crotus Rubianus als Autor in Frage komme.65 Die Sprache und die Motive seien „durchgängig crotisch“. Dieser Analyse schließe ich mich an, obwohl eindeutige Hinweise auf Crotus’ Autorschaft auch in diesem Fall fehlen.

4.

Unterschiedliche Interpretationen der Briefe des Crotus an Luther

UNTERSCHIEDLICHE INTERPRETATIONEN DER BRIEFE DES CROTUS AN LUTHER Konkrete, unwiderlegbare Zeugnisse für die Verfasserschaft dieser Satire von Crotus gibt es also nicht. Aus diesem Grunde bleiben nur die drei Briefe, die Crotus innerhalb eines halben Jahres (zwischen Oktober 1519 und April 1520) an Luther geschrieben hatte, als Quelle für seine innere Entwicklung übrig. Diese Briefe haben die unterschiedlichsten Interpretationen erfahren. Der katholische Historiker Franz KAMPSCHULTE z. B. hielt sie für die wichtigsten literarischen Monumente der Zeit.66 Crotus sei der gelehrteste Redner Deutschlands gewesen, der geistreiche Chorleiter der Reuchlinisten, der den bisher zögernden und furchtsamen Mönch anspornte und als zweiten Paulus, als Vater

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Conciliabvlvm, S. 585: „Doctrinam vero Lutheri et eius libros damnamus, annihilamus et ad ignem iudicamus, una cum ipso autore, non obstante quod nos non intellegimus neque confutare possumus.“ BRECHT, Die Verfasser der Epistlae obscurum virorum, S. 199-206. Commentatio de Ioanne Croto Rubiano, S. 10: „Quae mihi quidem inter gravissima aetatis illius literarum monumenta locum obtinere videntur.“

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des Vaterlandes, als einen von Gott gewählten „Befreier“ begrüßt habe.67 Neben Hutten habe Crotus am meisten zu diesem Wandel Luthers beigetragen, und beide, Hutten und Crotus, hätten aus dem schüchternen Augustinermönch jenen großen volkstümlichen Redner gemacht, den dann ganz Deutschland bewunderte. 68 KAMPSCHULTE wiederholte seine Thesen in seiner umfangreichen Studie über den Humanismus und die Reformation in Erfurt. Die lutherische Sache habe Crotus auch durch zahlreiche, anonym veröffentlichte Schriften literarisch unterstützt, wie der noch zu besprechende Brief des Justus Menius aus dem Jahre 1530 zeige (vgl. Kap. XII). Kurz: Luther sei im Wesentlichen ein Produkt des Crotus und Huttens. Die Thesen KAMPSCHULTES sind von protestantischer Seite aufs Heftigste, und gelegentlich mit unnötiger polemischer Schärfe zurückgewiesen worden, besonders durch KALKOFF in seinen drei Studien, WILHELM REINDELL und J.K.F. KNAAKE.69 Wenn auch hinter diesen Polemiken die Furcht der lutherischen Historiker bestanden haben mag, das Bild des Reformators als originellen Denker zu beschädigen, so muss man KAMPSCHULTES Kritikern doch recht geben. Dass Luther in seinem theologischen Denken und in seinem Handeln in entscheidender Weise von Crotus beeinflusst worden ist, ist wenig überzeugend. Es stimmt zwar, dass Crotus seinen alten Freund in dieser Zeit als „Chorleiter der Reuchlinisten“, als einen zweiten Paulus und Befreier des Vaterlandes gefeiert hat, daraus aber zu folgern, dass er ihn in entscheidender Weise beeinflusst hat, ist ein Fehlschluss und verkennt die zahlreichen anderen Faktoren, die Luther bis zu diesem Zeitpunkt geprägt hatten. Sicherlich hatte dieser durch Crotus aus Italien Interessantes über die Kurie erfahren, aber Luther hatte auch schon vorher andere Informationsquellen. Es stimmt auch, dass Crotus Luther möglicherweise ermutigt hatte, aber brauchte dieser wirklich dessen Ermuti67

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Commentatio de Ioanne Croto Rubiano, S. 10: „Erat quasi orator doctae Germaniae, ingeniosus Reuchlinistarum choragus, qui cunctantem adhuc atque etiam timidum monachum allocutus est, alterum Paulum, patrem patriae, a Deo missum Germaniae liberatorem eum salutans, ad rem inceptam strenue persequendam adhortans.“ Commentatio de Ioanne Croto Rubiano, S. 10: „Equidem non dubito affirmare, post Huttenum Crotum ad commutationem illam Lutheri, qua annus 1520 insignis est, plurimum valuisse, atque Croti et Hutteni iuncta opera factum esse, ut monachus Augustinianus magnus ille orator popularis evaderet, quem tota Germania admirata et praecipite assensu a. 1520 secuta est.“ KALKHOFF, Ulrich von Hutten und die Reformation; DERS., Humanismus und Reformation in Erfurt; DERS., Die Crotus-Legende und die deutschen Triaden; REINDELL, Luther, Crotus und Hutten; KNAAKE, Einleitung zu Luthers Schrift „An den christlichen Adel deutscher Nation“ in: WA 6, S. 381-403. Zum Beispiel sagt REINDELL, Luther, Crotus und Hutten, S. 21: „Dieser Crotus ist leider eine meisterhafte Ausgeburt der Phantasie Kampschultes“.

LUTHER IM JAHRE 1520

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gung? Luther, der schon durch seinen Thesenanschlag, seine Verteidigung auf dem Augsburger Reichstag und während der Leipziger Disputation genügend Mut bewiesen hatte, war 1520 keineswegs mehr der schüchterne Mönch, als den ihn KAMPSCHULTE darstellte. Im Übrigen hat auch der bescheidene Crotus Rubianus zu keiner Zeit beansprucht, seinen alten Freund beeinflusst zu haben. Man tut dem Wert der Briefe des Crotus an Luther keinen Abbruch, wenn man ihnen einen möglichen entscheidenden Einfluss auf Luthers Denken abspricht. Es geht hier um eine Biografie Crotus’, um den Versuch, die innere Entwicklung des Crotus nachzuzeichnen. Und aus dieser Perspektive sind die drei innerhalb von sechs Monaten geschriebenen Briefe von großer Bedeutung, weil sie in aller Klarheit Crotus’ Entwicklung vom Humanisten zum Theologen zeigen. Während aber in den aus Italien geschriebenen Briefen der Schwerpunkt auf der Kritik an der römischen Kurie und an den römischen Feinden Luthers, lag, konzentriert sich der in Deutschland verfasste Brief nicht in erster Linie auf den Papst und die römische Kurie, sondern auf die Kölner und Löwener Theologen. Was aber noch wichtiger ist: In dem Brief vom April 1520 bekennt sich Crotus zu der Kernthese der lutherischen Theologie Luthers, nämlich, dass der Mensch allein durch den Glauben gerechtfertigt werde.

5.

Luther im Jahre 1520

LUTHER IM JAHRE 1520 Von Crotus ist, abgesehen von den Briefen an Hess und Luther und der möglicherweise von ihm verfassten Satire über die Sitzung der Theologen, bis zum Herbst dieses Jahres nichts zu hören. Das gilt aber nicht für Martin Luther. Es ist das Jahr, in dem dieser seine „reformatorische Entdeckung“, dass der Mensch allein durch den Glauben und nicht durch Werke „gerechtfertigt“ werde, vertiefte und, von seinen Gegnern bedrängt, neuartige konstruktive Lösungen für die kirchliche Praxis vorschlug. Erst dadurch wurde er zum eigentlichen Reformator. In zahlreichen ausgearbeiteten Predigten, katechismusartigen Schriften, Appellen sowie Trost- und Streitschriften entwickelte er sein Programm und erläuterte in immer neuen Anläufen seine Auffassungen über das Papsttum, die Rolle der Kirche, die Sakramente und über ethische Fragen. 1520 ist auch das Jahr, in dem er seine drei reformatorischen Schlüsseltexte An den christlichen Adel deutscher Nation, Von der Freiheit eines Christenmenschen und Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche verfasste. Da die ersten zwei Schriften auf deutsch erschienen, entfalteten sie eine enorme Breitenwirkung. Fast alle diese Publikationen wurden mehrmals nachgedruckt, sodass Luther in diesen Jahren

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zum meistgelesenen und meistgedruckten deutschen Autor wurde.70 Besonders die „Adelsschrift“ wurde im August 1520 in der für die damalige Zeit hohen Auflagen von 4.000 Exemplaren gedruckt und musste wegen der starken Nachfrage innerhalb eines Monats nachgedruckt werden. Sie enthält sein reformatorisches Programm, besonders die Kritik an Rom, wie sie schon seit dem fünfzehnten Jahrhundert in den „Gravamina nationis germanicae“ formuliert worden war und wie sie zuletzt Ulrich von Hutten in ganz anderer Weise in seinem Vadiscus artikuliert hatte. Die Kirche reagierte auf Luthers Herausforderung mit den üblichen Mitteln, also Verketzerung und kirchlichem Bann. Bereits am 24. Juli 1520 erließ der Papst durch Dr. Eck eine Bannandrohungbulle. Falls Luther nicht innerhalb von 60 Tagen seine in dem Dokument aufgestellten Thesen widerrufe, verfalle er dem kirchlichen Bann als notorischer Ketzer. Alle Christen, Instanzen, Stände, Territorien wurden aufgefordert, ihn in diesem Falle nach Rom auszuliefern. Städte, die ihn beherbergten, sollten dem Interdikt verfallen. Luther selbst antwortete am 10. Dezember 1520 vor dem Elstertor in Wittenberg öffentlich mit der Verbrennung der Bannandrohungsbulle zusammen mit der Dekretalensammlung, der Grundlage der päpstlichen Herrschaft in der Kirche. Der Bann selbst wurde im Januar 1521 ausgesprochen. Dass er mindestens im sächsischen Kurfürstentum nicht vollzogen wurde, verdankte Luther bekanntlich der Protektion des Kurfürsten Friedrich des Weisen. Während Luther in diesen Monaten publizistisch beschäftigt war, hören wir von Crotus also kaum etwas. Nach seinen Besuchen in Nürnberg und Bamberg im Frühjahr hatte er sich im Sommer nach Fulda begeben, um sein altes Benefizium anzutreten. Dort besuchte ihn im August noch einmal Ulrich von Hutten. Es sollte die letzte Begegnung der beiden Freunde sein; denn ab 1520 hatte sich der zum Ketzer erklärte Hutten auf der Ebernburg seines Freundes Franz von Sickingen in Sicherheit gebracht. Bei Huttens Besuch in Fulda habe dieser berichtet, wie er, von Brüssel kommend, in der Nähe von Löwen zufällig dem Inquisitor Jakob von Hochstraten begegnet sei.71 Diesen verbrecherischen Anführer (sceleratus dux) hätte er fast mit seinem Schwert erschlagen, wenn er ihn nicht für unwürdig gehalten hätte, durch seine Hand zu sterben, worauf er also den blei-

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EDWARDS, Printing, Propaganda, and Luther. Vgl. die statistischen Belege auf S. 18 f. Über das Zusammentreffen mit Hutten heißt es in dem Brief an Luther vom 5. Dezember 1520: „Sedit mecum Vuldae 5 dies.“ (WA Br 2, Nr. 358, S. 227, Z. 53); RICHTER, Ulrich von Hutten und das Kloster Fulda, glaubt, dass das Treffen im August stattgefunden habe. Am 29. April 1520 hatte Crotus an Johann Hess geschrieben: „Fuldam ibo ad libros meos vetusque sacerdotium.“ KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 20.

LUTHER IM JAHRE 1520

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chen und zitternden Mann losgelassen habe.72 Mit anderen Worten: Statt sein edles Ritterschwert mit dem Blut des verhassten Ketzermeisters zu besudeln, ließ Hutten ihn am Leben. Der Historiker mag sich kaum vorstellen, welche dramatischen Konsequenzen der Mord an dem prominenten Geistlichen für die reformatorische Entwicklung gehabt hätte.73 Im Oktober reiste Crotus nach Thüringen, um Verwandte in Dornheim und Freunde in Erfurt aufzusuchen. Auf die heilige und fromme Muße (sanctum piumque otium), die zu genießen er erhofft hatte,74 musste er allerdings zunächst verzichten. In Erfurt wurde er nämlich völlig überraschend in ein öffentliches Amt gewählt. Hier konnte er nicht mehr seine religiösen Überzeugungen in privaten Briefen und anonymen Satiren äußern. Hier musste er Farbe bekennen, wie sich im Laufe der nächsten Monate zeigen sollte.

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WA Br 2, Nr. 358, S. 227: „… quorum sceleratus dux nuper periisset gladio Hutteni non procul a Lovanio, ni indignam sibi putasset Hochstraticam mortem generosi animi iuvenis; dimisit trepidum sanguine carentem.“ KALKOFF, Hutten und die Reformation, S. 236. KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 21.

VIII. CROTUS RUBIANUS ALS REKTOR DER UNIVERSITÄT ERFURT CROTUS RUBIANUS ALS REKTOR DER UNIVERSITÄT ERFURT

„[Martinus Lutherus], qui primus post tot secula ausus fuit, gladio sacrae scripturae Rhomanam licentiam iugulare.“ Martin Luther, der nach so vielen Jahrhunderten als Erster wagte, mit dem Schwert der Heiligen Schrift der römischen Willkür den Todesstoß zu versetzen. Crotus über Luther in seinem Rektoratsbericht (1521).1

Für mich war es ein äußerst unruhiges Jahr, zunächst in Italien, dann in Deutschland, schrieb Crotus Rubianus an Martin Luther am 5. Dezember 1520 über das zu Ende gehende Jahr, um dann fortzufahren: Als ich auf dem Weg zu meinen Familienangehörigen in Dornheim war, legte ich hier in Erfurt einen Zwischenstopp ein, um alte Freunde zu besuchen. Ich war noch keine zwei Tage da, als man mich überraschenderweise bat, das Rektorat der Universität zu übernehmen. Ich lehnte zunächst ab, willigte dann aber gezwungenermaßen ein, weil ich niemanden kränken wollte. Also statt ein fürsorgliches Familienoberhaupt zu sein, vernachlässige ich jetzt meine eigenen Angelegenheiten und kümmere mich stattdessen [als Rektor] in der akademischen Welt um fremde Belange.2

Als Crotus diese Zeilen an Luther sandte, war er bereits sieben Wochen im Amt, denn die Wahl des Rektors für das Wintersemester erfolgte traditionell am 18. Oktober, dem Tag des Evangelisten Lukas. Der Mann, der das Ideal der beata tranquillitas seines Mentors Mutianus Rufus verinnerlicht und wenige Monate vorher die heilige und fromme Muße als sein Leitbild bezeichnet hatte,3 hatte 1 2

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WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universitaet, II, S. 318. WA Br 3, Nr. 358, S. 228: „Fuit enim mihi is annus inconstantissimus, tum in Italia, tum in Germania … Quandoquidem, cum nuper essem in itinere ad Rubianos meos, substiti hic Erfurdiae apud veteres amicos. Biduum non abiit, ibi nil tale opinanti praefecturam scholastici ordinis demandarunt. Recusavi, sed recusans ob ignominiam coactus sum subire: igitur contra officium providi patrisfamilias propriis neglectis aliena curo, in repub[lica] studiosorum.“ Sein anfängliches Zögern dürfte schließlich auch finanzielle Gründe gehabt haben: Als Rektor bezog er kein Gehalt, sondern war auf die Immatrikulations- und Promotionsgelder sowie Strafgelder angewiesen. Vgl. KALKOFF, Die Universität Erfurt, S. 63. KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 21 (Brief des Crotus an Johann Hess, 29. April 1520): „sanctum et pium otium“.

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CROTUS RUBIANUS ALS REKTOR DER UNIVERSITÄT ERFURT

also dieses Amt nicht angestrebt, sondern empfand es sogar als eine Bürde, die er aber nicht ablehnen konnte. Nach Beendigung seines Rektorats klagte er sogar gegenüber einem Freund, er sei damals, Mitte Oktober 1520, in Gefangenschaft geraten.4 Ablehnen konnte er das ihm angetragene Amt aber nicht. Als promovierter Magister war er Glied der Universität und als solcher verpflichtet, diese Position anzunehmen. Hätte er die Bitte der Universität zurückgewiesen, hätte er ein Strafgeld von drei Gulden zahlen müssen, es sei denn, er hätte stichhaltige Gründe für seine Absage vorbringen können.5 Gewählt wurde Crotus von drei Wahlmännern: von dem greisen Martin von der Marthen, selbst Rektor im Jahre 1496, Kanoniker am Severi-Stift und hochangesehener Rechtsprofessor, von Magister Georg Forchheim, Dozent der Humaniora, und, wie es die Statuten der Universitäten verlangten, von einem Studenten, in diesem Fall von dem aus dem sächsischen Adelsgeschlecht stammenden Studenten Georg von Thun.6

1.

Die Situation in Erfurt

DIE SITUATION IN ERFURT Auf den ersten Blick erscheint die Wahl von jemandem, der vor mehr als einem Jahrzehnt die Universität verlassen hatte und zu diesem Zeitpunkt nicht zur Fakultät gehörte, rätselhaft, war aber, wenn man die Situation der Universität Erfurt im Herbst 1520 im Auge behält, aus mehreren Gründen durchaus nachvollziehbar. Zunächst war es nicht so, dass man einen Wildfremden mit dieser Aufgabe betraute. Mit seinem Weggang nach Fulda im Jahre 1510 hatte Crotus keineswegs Kontakt zu seinen Erfurter Freunden verloren. Er hatte sich, immer in Verbindung mit diesen bleibend, an die Spitze der Pro-Reuchlin Kräfte gestellt, einen kämpferischen Brief an Reuchlin geschrieben und schließlich durch seine Satire der Epistolae obscurorum virorum einen Beitrag zur öffentlichen Kampagne

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KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 13, S. 28 (Brief vom 31. Mai 1521 an Johann Hess): „… in qua profectione, dum ab itinere parum per huc Erphurdiam deflecto salutandi amicos erga in captivitatem decido.“ DALL’ASTA meint dazu trocken: „Sentimentale Besuche der Alma mater bargen offenkundig auch im sechzehnten Jahrhundert schon erhebliche Gefahren;“ in: Reuchlin im Gefüge des Renaissance-Humanismus, S. 126. OERGEL, Beiträge zur Geschichte des Erfurter Humanismus, S. 71. WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universitaet, II, S. 317: „renunciatus est per ornatissimos viros Martinum Margaritum, patritium Erphordianum iureconsultum canonicumque Severianum, Georgium Petz Forchipolitam, ingenuarum artium magisterio cultuque theologico clarum; deinde equestris ordinis iuvenem Georgium de Thuna.“

DIE SITUATION IN ERFURT

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für Reuchlin geleistet. 7 Auch aus Italien sandte er häufig Briefe an Mutian, Justus Menius, Urbanus, Johann Hess und andere (vgl. Kap. VI).8 Dass er in diesen Briefen seine Begeisterung für Luther geäußert hatte und dass er, wie wir sahen, bestens über die causa Lutheri informiert war, dürfte allerdings den meisten in Erfurt nicht bekannt gewesen sein, da es sich bei den Briefen an Luther vom Oktober 1519 und April 1520 um Privatbriefe gehandelt hatte. Crotus musste also für die Wahlmänner, was seine pro-lutherischen Sympathien anging, zunächst wie ein relativ unbeschriebenes Blatt erscheinen, dem man eine Vermittlung zwischen den streitenden Parteien am ehesten zutraute, einem Mann zudem, an dessen freundliches und zurückhaltendes Wesen man sich gern erinnerte. Für Crotus sprach schließlich, dass er an einer Universität Italiens, des Geburtslands des Humanismus, den Doktor der Theologie erworben hatte – und dieser akademische Grad galt noch immer in Deutschland als einer der angesehensten akademischen Würden. Diese persönlichen Beziehungen zu ehemaligen Erfurter Freunden und sein theologischer Doktorgrad reichen aber keineswegs für eine Erklärung dieser ungewöhnlichen Wahl. Dazu kommen noch zwei weitere Faktoren, die beide mit der inneren Entwicklung der Universität zu tun haben: erstens das Eindringen und der langsame Sieg des Humanismus erasmischer Prägung in Erfurt und zweitens, damit verbunden, die Spannungen zwischen den scholastisch orientierten Theologieprofessoren und den neuen von Luther inspirierten Vertretern dieses Faches.

1.1 Vordringen des Humanismus und Erasmus-Kult in Erfurt Die humanistischen Bestrebungen, die es schon seit Jahrzehnten an der Erfurter Universität gab (vgl. Kap. I), erfuhren einen kräftigen Auftrieb durch eine Person, die weder in Erfurt lehrte, noch je diese Universität besucht hatte: Erasmus von Rotterdam. Angeführt wurde dessen Verehrung von Mutian selbst, der nicht nur lebhaften Anteil an der literarischen Produktion des Holländers nahm, sondern ihn auch immer wieder als brillanten Stilisten pries: Kein Tag vergehe ohne die vergnügliche Lektüre des Erasmus. Nichts könne süßer sein als der christliche Cicero, schwärmte er beispielsweise in einem Brief an Beatus Rhenanus.9 Nach dem Erscheinen der Ausgabe des Neuen Testaments im Jahre 1516

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Wie weit seine Erfurter Freunde in die Publikation seiner Satire eingeweiht waren, ist eine andere Frage. Crotus an Justus Menius: Libellus alter, Bl. K; Crotus an Urbanus: Libellus alter, K1b.; an Hess: KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 4. GILLERT Nr. 586 (Mutian an Beatus Rhenanus, 11. April 1519): „Nullus dies praeterfluit sine iucundissima lectione … Nihil potest esse dulcius Christiano Cicerone.“

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feierte Mutian Erasmus als Wiederhersteller der Theologie (instaurator theologiae). 10 In zahlreichen Briefen an seine Freunde sorgte er für die Verbreitung von dessen Schriften. Erhellende Anekdoten über ihn wurden ausgetauscht und Vorlesungen über dessen Werke gehalten. So las Adam Krafft über das erasmische Lob der Torheit (laus stultitiae) und Eobanus Hessus über das Handbuch eines christlichen Streiters (Enchiridion militis Christiani). Die Erasmus-Begeisterung der Erfurter Humanisten erreichte ihren Höhepunkt, als Eobanus Hessus, der im zweiten Jahrzehnt den Mittelpunkt des Erfurter Humanistenkreises bildete, im Herbst 1518 nach Löwen, dem damaligen Aufenthaltsort des Erasmus, pilgerte.11 Der Empfang bei dem Holländer fiel zwar etwas frostig aus, was dieser später mit seiner angegriffenen Gesundheit und Ärger über die dauernde Unterbrechung seiner Arbeit durch Besucher entschuldigte. Die Pilger nahmen dies aber dem verehrten Meister nicht übel. Als wieder einmal das Gerücht vom Tode des Erasmus umging, klagte Eobanus Hessus: Warum trauern wir um den Verlust des Vaterlandes, über den Tod der Eltern? Letztere haben uns lediglich physisch, Erasmus aber hat uns geistig gezeugt. Keiner war doch wie er der Lehrer unserer Kindheit?12 Klarer konnte man die Prägung der Erfurter Humanisten durch Erasmus nicht ausdrücken. Die Fama vom Ableben des holländischen Gelehrten erwies sich übrigens als falsch. Er sollte noch weitere elf Jahre leben. Als der Engländer Edward Lee in einer Schrift hunderte von Fehlern in Erasmus’ Ausgabe des Neuen Testaments nachzuweisen suchte, waren es die Erfurter Humanisten, die dem Holländer zu Hilfe eilten und eine Sammlung von bitterbösen Epigrammen gegen Lee veröffentlichten. Privat ließ Mutian seinen Zorn aus: Wer Erasmus verletzt, verletzt auch mich.13 Die fast einmütige Parteinahme für Erasmus in dieser Kontroverse war nur ein weiteres Indiz für die schwärmerische Begeisterung für den holländischen Gelehrten unter den Erfurter Humanisten und sollte auch für die Entwicklung der Universität Folgen haben, und zwar durch den Juristen und seit 1518 Theologen Justus Jonas.14 Dieser war zu dieser Zeit zu einem der glühendsten Verehrer des Erasmus geworden. Während er sich 1518 noch damit begnügt hatte, seinem Freund Hessus bei dessen Besuch in Löwen ein Schreiben an Erasmus mitzugeben, 10 11 12

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GILLERT Nr. 563 (Mutian an Lange, 13. Juni 1516). Genaueres darüber bei KRAUSE, Helius Eobanus Hessus, I, S. 289-298. KRAUSE, Helius Eobanus Hessus, I, S. 299; Eobanus Hessus, Epistolae familiares, S. 86 (Brief an Draco): „Quid patriam lugemus ademptam? Quid obisse parentes? Hi pepererunt nos secondum corpus, ille secundum animos. Nec fuit ille vero alius infantiae nostrae magister?“ (Übersetzung von KRAUSE). Das Datum von 1522 ist falsch und muss in 1519 korrigiert werden. Vgl. KRAUSE, Helius Eobanus Hessus, I, S. 299. GILLERT Nr. 590: „Qui Erasmum laedet, me laedit.“ Vgl. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis, S. 337. LEDER, Jonas, Justus, in: TRE XVII, S. 234-238.

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machte er sich ein halbes Jahr später, im April 1519, selbst auf den Weg nach Löwen.15 Nach seiner Rückkehr meldete er einem Freund in fast schon teenagerhafter Begeisterung: Ich war bei Erasmus, meinen Vater in Christo! Wie oft willst du, dass ich das wiederhole, ich war dort, ich war bei ihm, ja ich war tatsächlich bei ihm.16 Während er sich noch auf dieser Pilgerfahrt befand, wurde Jonas im Mai 1519 in absentia zum Rektor der Erfurter Universität gewählt.17 Als solcher führte er nach seiner Rückkehr im Sinne des Erasmus eine Reform der Hochschule (oder besser deren Artistischen oder Philosophischen Fakultät) durch, deren Kern eine systematische und umfangreiche Pflege der lateinischen und griechischen Sprachstudien war. Obwohl der Reformplan „von heute gesehen eher eine sehr vorsichtige Umstellung auf einen neuen Lehrplan unter starker Berücksichtigung der bisherigen Pflichtvorlesungen“ darstellte 18 und außerdem nicht von Jonas selbst, sondern von einem Achtmännergremium vorbereitet worden war, war Jonas außerordentlich stolz auf diese Neuerungen. Einem auf Lateinisch geschriebenen Brief an einen Freund fügte er auf Deutsch den bemerkenswerten Satz hinzu: Vnßer vniuersitet ist in hundert jaren ader dyweil sy gestanden, also nytt reformiert gewest.19 Zu dieser schwärmerischen Verehrung des Erasmus passt auch ein Bild, das Jonas seinem Rektoratsbericht beifügte.20 Links steht der im Jahre 1519 erwähl-

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KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 235. KAWERAU, Der Briefwechsel des Justus Jonas, Nr. 25, S. 24 (Jonas an Melchior von Aachen, 24. Juni 1519): „Fui cum meo in Christo patre Erasmo Roterodamo, quoties dictum tibi vis, fui, fui cum Erasmo!“ Wahlmänner waren drei Mitglieder des Eobanischen Kreises: Johannes Femelius, Johann Draco und Heinrich Eberbach. KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 236. KAWERAU, Der Briefwechsel des Justus Jonas, Nr. 25, S. 25 (Jonas an Melchior von Aachen, 24. Juni 1519). Bei WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universitaet, II, S. 307, wird das Bild beschrieben, aber nicht abgebildet. Seinem ausführlichen Rektoratsbericht schickte Jonas zunächst allgemeine Reflektionen über die Bedeutung eines Studiums voran. Er argumentierte, dass sich die Gebildeten von den Ungebildeten wie Blinde von den Sehenden, Lebende von den Toten unterscheiden. Die Universitäten zögen Männer heran, die nicht nur zur richtigen Lebensweise, sondern auch zum Verwalten eines Gemeinwesens und zur Stabilisierung des Friedens beitrügen. Die Universitätslehrer prägten die führenden Köpfe der Gesellschaft, diese wiederum gäben ihre Kenntnisse an ihre Untergebenen weiter. Sie seien, modern gesprochen, die Multiplikatoren. Erst nach diesen allgemeinen Überlegungen erklärt er die näheren Umstände seiner Wahl zum Rektor. Wie er sich auf dem Wege zu Erasmus befand und trotz seines jugendlichen Alters – er war damals 26 Jahre – gewählt wurde. Er habe diese Aufgabe mit außerordentlicher Begeisterung angenommen, da er begierig gewesen sei, mit all seinen Kräften der literarischen Republik zu dienen. Während seines Rektorats, so berichtet er weiter, habe er außer der Hinzufügung der Sprach-

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te Kaiser Karl in gelbem mit Pelzkragen verzierten Talar und schwarzem Barett; vor ihm in der Mitte des Bildes findet sich Erasmus in violettem mit weißem Pelz verbrämten Talar und schwarzem Mantel. Hinter ihm zeigt ein Jüngling in rot-violettem Rock, gelben Trikot, schwarzen Schuhen der Gelehrten auf den links eintretenden Studenten; in dessen Hand flattert ein Schriftband: „Hic est ille Erasmus.“ Sinnfälliger konnte man den damaligen Erasmus-Kult in Erfurt nicht darstellen.

1.2 Von Erasmus zu Luther Galt also bis 1519 Erasmus als das große Vorbild und genoss als christlicher Reformer die Verehrung der Erfurter Humanisten, war Martin Luther kaum in den Gesichtskreis der Erfurter Humanisten getreten. Spätestens im Herbst dieses Jahres sollte sich das aber ändern. Verantwortlich dafür war in erster Linie die Leipziger Disputation im Juli/August dieses Jahres. Es war ein akademisches Großereignis, zu dem zahlreiche Studenten und Dozenten von anderen Universitäten strömten. Aus Wittenberg kamen u. a. außer Karlstadt (eigentlich Andreas Bodenstein), Johann Agricola und Philipp Melanchthon; aus Erfurt reisten an Johann Lang, Georg Forchheim, Adam Krafft und Joachim Camerarius. Zunächst debattierte vom 27. Juni bis 3. Juli Karlstadt mit dem Ingolstädter Theologieprofessor Eck, dann disputierten vom 4. bis zum 8. Juli Eck und Luther über die Rolle des Papstes. Unter anderem ließ sich Luther, von Eck gereizt, zu der Bemerkung hinreißen, dass in einigen Glaubensfragen der vom Konstanzer Konzil als Ketzer verurteilte und verbrannte Jan Hus Recht gehabt habe, worauf Eck die Gelegenheit nutzte, Luther als Verteidiger des böhmischen „Ketzers“ zu diffamieren. Johannes Eck sollte in den kommenden Monaten und Jahren zum Hauptfeind der lutherfreundlichen Kräfte in Erfurt werden.21 Am 15. Juni 1520 erwirkte er nämlich die Bannandrohungsbulle „Exsurge Domine“. Darin wurden 41 Sätze Luthers verurteilt. Außerdem erhielt er Vollmacht, von sich aus Namen von Luther-Anhängern hinzuzufügen. Er tat das und nahm u. a. den Augsburger Domherrn Bernhard Adelmann von Adelsmannfelden und die Nürnberger Humanisten Lazarus Spengler und Willibald Pirckheimer in das päpstliche Dokument auf, Letzeren wahrscheinlich, weil er in ihm den Autor

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studien die Zahl der (kostspieligen) akademischen Gastmähler reduziert. Eobanus Hessus hielt eine lange Rede auf das Rektorat. Abgedruckt in: KAWERAU, Der Briefwechsel des Justus Jonas, S. 35-40. In seinem Brief vom 5. Dezember 1520 an Luther nennt Crotus den Ingolstädter Theologen „Eccius tuus“, um die intime Feindschaft der beiden anzudeuten (WA Br 3, Nr. 358, S. 228, Z. 71).

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einer der bissigsten Schmähschriften gegen sich, den Eccius Dedolatus vermutete. Die Satire war zwar nicht von einem Erfurter verfasst, aber in Erfurt gedruckt worden.22 „Es war zu erwarten, daß die schon im Literarischen ungemein grobschlächtige Auseinandersetzung sich bei den Studenten bald in Taten umsetzen würde.“23 Und genau das geschah.

1.3 Die Intimatio – ein Flugblatt gegen Johannes Eck Wie aufgeheizt die Stimmung tatsächlich in Erfurt in diesen Sommerwochen des Jahres 1520 war, zeigen zwei Ereignisse, einmal das Anbringen eines provozierenden Flugblatts, der sogenannten Intimatio, kurz vor dem 24. August 1520 an dem wichtigsten Universitätsgebäude, dem Großen Kolleg, zum anderen die Vernichtung der gedruckten Exemplare der Bannandrohungsbulle gegen Luther.24 Die Intimatio war ein flammender Apell an alle „Anhänger und Liebhaber der sakrosankten christlichen und evangelischen Lehre“ (ad adversos et singulos sacrae sanctae Christiane ac evangelicae doctrinae [et] amatores).25 In immer wieder neuen Anläufen wurden diese gedrängt, sich zu erheben und Widerstand zu leisten (Consurgite! Agite animosius! Resistite, repugnate). Auf Subtilitäten wurde verzichtet. Die Fronten waren klar markiert: Auf der einen Seite kämpften Luther, der äußerst scharfsinnige Theologe (theologus acutissimus) und seine Anhänger, die sich auf das wahre Evangelium stützen, auf der anderen Seite die ketzerische Partei des Johannes Eck (haeretica factio Ecciana) und die anderen von diesem angeführten widersinnigen Verfasser der Bulle. Diese bloßen Verleumder (meri calumniatores), verhassten Lästerer und Unterdrücker des evangelischen Gesetzes (invidissimi conviciatores et depressores evangelicae legis) handelten, so legt die Intimatio nahe, aus selbstsüchtigen Motiven. Vom päpstlichen Stuhl erwarteten sie reiche Belohnung. Darin würden sie wohl enttäuscht werden; denn mit ihrem Hirten würden sie untergehen. Wir werden sie in die Fesseln legen, die sie für Luther vorbereitet haben, drohte das Flugblatt.26 Die Verfasser, die sich selbst als Magister und Bakkalaure der Universität und als Bekenner der theologischen Wahrheit bezeichneten, 27 ließen keinen                                                              22

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Nach heutigem Wissensstand war Willibald Pirckheimer der Verfasser dieser Satire. Vgl. HOLZBERG, Eccius Dedolatus/Der enteckte Eck, Nachwort, S. 115-127, bes. S. 124. KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 245. Der vollständige lateinische Text ist bei KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 92-94, abgedruckt. KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 92. KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 92: „Videmus atque ipsos in laqueos, quos Luthero pararunt, incidere.“ KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 92: „Nos vero alma universitatis magistri [et] baccalaurei, theologiace veritatis professores omnes et singuli.“

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Zweifel, welche Form dieser Widerstand annehmen solle. Sie riefen zum Handeln auf: Die Angesprochenen sollten die teuflische Exkommunikation in tausend kleine Stücke zerreißen.28 Der Rat der Stadt griff nicht ein und die Universität versuchte halbherzig den Verfasser oder die Verfasser zu ermitteln – ohne Erfolg.29 Auch spätere Versuche Ecks, in Erfurt die Bulle zu publizieren, scheiterten, weil die Universität aus Sicherheitsbedenken dies stets zu verhindern wusste (siehe unten). Angesichts dieser aufgeheizten Stimmung fand Eck es auch klüger, von einem Besuch, bei welcher Gelegenheit er die Bulle in Erfurt verbreiten wollte, abzusehen.30 Zu den handgreiflichen Ausschreitungen, zu denen die Intimatio aufgefordert hatte, kam es wenig später. Als nämlich die Bulle bei Johann Knappe in Erfurt gedruckt wurde, entrissen Studenten dem Drucker die frisch gedruckten Exemplare, zerfetzten sie und warfen sie in die Gera. Mit der Doppelbedeutung des Wortes bulla als Wasserblase und päpstliche Urkunde spielend, riefen die jungen Scholaren: Es ist ja nur eine Blase, also soll sie im Wasser schwimmen – Bulla est, in aqua natet. Als sich der Drucker bei der Universität beschwerte und Schadenersatz forderte, ignorierte der Rat dessen Ansinnen.31

2.

Crotus Rubianus als Rektor der Universität Erfurt

CROTUS RUBIANUS ALS REKTOR DER UNIVERSITÄT ERFURT Die hier skizzierten Vorfälle zeigen auf dramatische Weise, wie tief die Universität gespalten war. Auf der einen Seite standen die älteren, altgläubigen Theologieprofessoren, auf der anderen die auf Reformen drängenden Studenten und jüngeren Dozenten. In dieser aufgeladenen Situation wählte man also Crotus zum Rektor, einen Mann, dem man einen Ausgleich wohl am meisten zutraute. Aufgabe des Rektors war es, die Strafgewalt auszuführen, die Mitglieder der Universität ihren Statuten gemäß zu regieren und ihre Einkünfte und Ausgaben zu verwalten. Nach allem, was wir über seine Amtsführung wissen, hat Crotus das Amt des Rektors in dieser schwierigen Zeit gewissenhaft und mit viel Enga-

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KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 93: „has ipsas daemonisticas excommunicationes in minimas particulas delacerantes discerpite.“ Man verhörte zwar den Studenten Antonius Niger; dieser leugnete aber die Tat. Obwohl Crotus sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in Erfurt aufhielt und nichts mit der Flugblattaktion zu tun hatte, sollte das Flugblatt, als es ein halbes Jahr später gedruckt wurde, ihm noch erheblichen Verdruss bereiten (siehe nächstes Kapitel). WA Br 2, Nr. 351: „Bulla Erfordiae excusa verumque exposita a studiosis discerpta est et in aquam proiecta, dicentibus: ‚Bulla est, in acqua natet. Accusati a bibliopola et damni resarciendi acti, nihil passi sunt, dissimulante Consulatu omnia.‘“

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gement verwaltet.32 In seinem am Ende des Semesters verfassten Rechnungsbericht (liber rationum) skizzierte er in einer Art Präambel die Prinzipien, nach denen er sein Amt geführt zu haben glaubte. Einmal durfte man als guter Rektor nicht die öffentlichen und privaten Angelegenheiten vermischen, weshalb er sich um Objektivität bemüht habe, damit nicht ein durch Nachlässigkeit verursachter Fehler oder irgendjemandes Missgunst oder die Ungerechtigkeit der Zeit das Amt [des Rektors] jemals mit einem Schandfleck kompromittiere.33 Nach Ende seiner Amtszeit teilte er einem Freund mit, dass er für seine Amtsführung viel Anerkennung erfahren habe.34 Mit seiner umsichtigen Art konnte Crotus in seiner sechsmonatigen Amtszeit die Gemüter an der Universität zunächst einigermaßen beruhigen. Unterstützung fand er dabei in zwei Gremien, dem Concilium generale, bestehend aus sämtlichen Promovierten aller Fakultäten, und dem Concilium secretum, dem acht Professoren angehörten. Als zum Beispiel Anfang November ein Schreiben des Erzbischofs Albrecht an den Rektor eintraf mit der Aufforderung, die Bannandrohungsbulle gegen Luther zu veröffentlichen, rief Crotus zunächst für den 5. November eine Sitzung des Concilium secretum ein, in der die Forderung Albrechts besprochen werden sollte. Angesichts der Wichtigkeit des Gegenstandes glaubten die Mitglieder des Gremiums die Angelegenheit nicht alleine entscheiden zu können und verwiesen auf das Concilium generale. Aber auch dieser Ausschuss wollte keine Entscheidung treffen und schickte das erzbischöfliche Schreiben an das Concilium secretum zurück. Dieses lehnte schließlich die Veröffentlichung mit der Begründung ab, die Publikation der Bulle würde zu Tumulten führen. Die Entscheidung erfolgte also, nicht weil die Mitglieder mehrheitlich pro-lutherisch gesinnt waren, sondern weil man erneut studentische Unruhen fürchtete. Der Erzbischof ließ die Angelegenheit daraufhin auf sich beruhen.35

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KLEINEIDAM, der beste Kenner der Erfurter Universität, schreibt: „Wenn man seinen Rektoratsbericht im liber rationum liest, wird man ihm ohne Zweifel zubilligen, daß er sogar ein sehr sorgsamer Rektor gewesen ist. Der Bericht ist ausführlicher, als es sonst der Fall war, er ist klar und in der Form sauber. Wir wünschten, dass die anderen Rektoren auch solche Berichte verfasst hätten.“ Universitas Studii Erffordensis, II, S. 251. Liber rationum. (WS 1520/21 Bd. 1-1/XB XIII-40, Bd. 1, S. 132) „Vt ad prvdentiam boni rectoris reipubl. spectat, sic totum magistratum administrare, ne quid privatis actionibus velit relatum quod nolle foris prodisse. Ac ita ubique religionem iusti aequi observare, vt at privata et publica administratione acque coluisse videatur ita eiusdem prudentiae partes sunt eam rebus gestis addere premunitionem, ne vel negligentiae error vel cuiuspiam malevolentia vel temporis iniuria labem dedecoris magistratui possit adspergere.“ Ich benutze eine Fotokopie dieses Berichts, den mir das Stadtarchiv Erfurt dankenswerterweise zugesandt hat. KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 28. Nach OERGEL, Beiträge, S. 73-75.

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Die nach außen hin demonstrierte Neutralität des Crotus darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, mit welcher Seite er in diesen Monaten sympathisierte. Im Dezember 1520, also knapp zwei Monate nach seinem Amtsantritt, sandte er einen Brief an Luther.36 In diesem privaten Schreiben – angesichts der Publikationsfreudigkeit der Wittenberger musste er aber damit rechnen, dass es nicht lange privat bleiben würde – versicherte er seinem alten Freund seine volle Unterstützung.Wie die vorigen Briefe an Luther aus Italien und Bamberg ist dieser geprägt von Crotus’ großer Bewunderung für seinen alten Freund, der bereit sei, für seine Überzeugung große Gefahren auf sich zu nehmen. Gleichzeitig machte sich der zu einer gewissen Ängstlichkeit neigende Crotus aber Sorgen, dass, falls Luther etwas passieren sollte, kein Zweiter ihn ersetzen könne, der die Schrift in gleicher Weise beherrsche. Festina lente! rät er ihm deshalb. Er solle sein Ungestüm zügeln, wenn es auch hieße Wenn Gott mit uns ist, wer kann gegen uns sein? Trotzdem solle Luther wachsam sein; denn wie viele sterben im Krieg durch mangelnde Vorsicht, während andere durch geeignete Sicherheitsmaßnahmen sicher blieben. Wir sollen zwar leidenschaftlich sein, mahnt ihn Crotus, aber nicht tollkühn, denn wer die Sorge um sich selbst vernachlässigt, scheine Gott zu versuchen. Er, Crotus, wolle ihm nicht lästig sein, das gebe er gern zu, aber er teile die Meinung vieler, die glauben, dass ihm von vielen Seiten Gefahr drohe.37 Dass die Sorge um das physischeWohl seines Freundes nicht unbegründet sei, konkretisierte Crotus an einem Beispiel. Mit eigenen Ohren habe er gehört, wie ein starkknochiger Reitersmann (robustus centaurus) sich öffentlich damit gebrüstet habe, dass es ihm ein Leichtes sei, Luther zu entführen und in die Hände des Papstes auszuliefern.38 Also Augen auf! Er wolle außerdem gar nicht wissen, wie 36

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EPISTOLA CROTI RVBIANI DOCTISSIMI AC Piissimi viri Ad Doctorem Martinum Lutherum VVITTEMBERGAE .DMXXI (Wittenberg, Johann Grunenberg.) Abgedruckt in: WA Br 3, Nr. 358, S. 226-229. WA Br 3, Nr. 358, S. 226 f.: „Constans fama est, quam minime terreare tyrannorum minis, quam sis intrepidus mortis contemptor, quam optes ultro pro Christo subire mille pericula; animum quidem probamus, et spiritum Domini agnoscimus, sed veremur, ne ista tua sancta alacritate periculum mundo pariatur. Non enim Martino sublato mox alius simili scripturae felicitate prodibit; festina lente; si Deus pro nobis, quis contra nos? … Quam multi pereunt in bello nimia animi alacritate, ubi alios servat propria custodia! Sic etenim nos tuetur divinus favor, ut sua providentia nostram curam velit excitari; alacres quidem vult, at non improvidos; fortes, non audaces, qui sui ipsius curam negligit, is mihi Deum videtur tentare. Importunus, credo, videar tibi esse monitor, verum libenter admitto hanc culpam, in qua multos socios habeo, quoniam multum periculi tibi instare passim existimant ex obvia illa tua animi promptitudine quam multi incuriam interpretantur.“ WA Br 3, S. 227: „Audivi ego his auribus robustum centaurum, canonicus erat, publice profitentem, non difficile negotium sibi fore, modo velit, Lutherum furari et furatum in

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vielen Geld und Posten versprochen worden seien, wenn sie ihn, Luther, verraten würden. Außerdem: wenn „seine Kölner“, also die Kölner Theologen unter der Führung des Jakob von Hochstraten keine Bedenken hätten, Luthers Bücher zu verbrennen, würden sie auch nicht davor zurückschrecken, ihn selbst dem Scheiterhaufen zu überantworten. Schon dass der hohe Preis der verbrannten Bücher ihnen nichts ausmache, sei ein Beweis für die Ernsthaftigkeit ihres Vorhabens, argumentiert der mit hohen Buchpreisen vertraute Bibliomane Crotus.39 Erinnert fühlt sich Crotus an die Tragödie des Johann Reuchlin, deren Zeuge er selbst war. Sprache und Feder würden versagen, wollte man den Wahnsinn der Theologen beschreiben. Er wünsche sich deshalb wieder Dunkelmännerbriefe, in denen sich die Theologen selbst entlarven, denn anders als durch ihre eigenen Worte könnten sie nicht dargestellt werden.40

2.1 Luthers Empfang in Erfurt – Held der Nation Der Brief an Luther war ein Privatbrief gewesen, der allerdings durch seine Publikation von den Lutheranern als offene Sympathiekundgebung interpretiert werden konnte. Dass aber der Rektor einer der größten deutschen Universitäten Deutschlands vier Monate später den seit dem 3. Januar 1521 offiziell gebannten Mönch und Ketzer – die sechsmonatige Frist der Bannandrohungsbulle war verstrichen, ohne dass Luther widerrufen hatte – offiziell im Namen der Universität begrüßte, musste als Provokation aufgefasst werden. Aber genau das geschah, als Luther auf dem Weg zum Reichstag in Worms in den ersten Apriltagen des Jahres 1521 in Erfurt Station machte.41 Im Bewusstsein der Nachwelt ist der Reichstag zu Worms, der erste, den der junge Kaiser Karl V. in Deutschland einberufen hatte, untrennbar mit dem Namen Luther verbunden. In Wirklichkeit befasste sich diese fast vier Monate tagende Versammlung mit zahlreichen anderen, für die Zeitgenossen ebenso wichtigen Angelegenheiten. Am 6. März, nachdem der Reichstag schon sieben Wochen getagt hatte, wurde überhaupt erst die Vorladung Luthers beschlossen,

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manus max(imi) Pon(tificis) tradere.“ Nach KALKOFF (ARG 23, S. 128) meint Crotus den Fuldaer Kapitelherrn Frank von Mörlau. WA Br 3, Nr. 358, S. 227, Z. 34: „Exposita est magna pecunia pro libris exustis: quid ultra? non in auctorem?“ WA Br 3, Nr. 358, S. 227, Z. 36-43: „Renovatur mihi memoria vetus de tragoedia reverendi Kapnionis, cuius animo spatio spectator fui. Et lingua et calamus deficiet, si velim recensere theologicorum insaniam … O si cum suo artificio proderint obscuri viri, quo pro merito suo illustrarentur denuo tenebricosi patres, qui aliter nec volunt nec possunt illustrari quam sua luce, hoc est, quam capiunt a suo caelo. Sed prodibunt, spero.“ Zum Empfang: WEISS, Die frommen Bürger Erfurts, S. 123; SCRIBNER, Erasmians, S. 3; KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 258.

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und zwei Wochen später bekam Luther diese ausgehändigt. Auf Grund der Fürsprache seines Landesherrn, Friedrich des Weisen, sagte man Luther freies Geleit zu. Am 2. April trat Luther die Reise von Wittenberg an. Die Stadt stellte ihm einen mit einem Schutzdach versehenen Rollwagen zur Verfügung. Angeführt vom dem Reichsherold Kaspar Sturm und begleitet von seinem Ordensbruder Johann Petzensteiner, von seinem Universitätskollegen Nikolaus von Amsdorf und dem pommerschen Adeligen Peter von Suaven, führte seine Reise ihn über Leipzig und Naumburg nach Erfurt. Am 6. April wurde Luther in Erfurt erwartet. Justus Jonas, der sich inzwischen vom leidenschaftlichen Verehrer des Erasmus zum glühenden Anhänger Luthers gewandelt hatte, eilte ihm bereits bei Weimar entgegen, und Crotus Rubianus selbst empfing ihn mit 40 Reitern bei Nohra an der Grenze des erfurtischen Gebietes. Dort begrüßte er seinen Jugendfreund, den er 16 Jahre nicht gesehen hatte, aufs Herzlichste. In der Stadt selbst drängten sich die Leute auf den Straßen, Türmen, Dächern und Mauern, um einen Blick auf den mutigen Mönch zu erhaschen. Am Sonntag bestieg Luther die Kanzel der überfüllten Augustinerkirche, um über die Nutzlosigkeit der „guten Werke“ zur Erlangung der Gnade Gottes zu predigen: Alle unsere wergk haben kein krafft. Selig wird man durch den willen des glaubens und durch die werck gottis … das ist der grundt, das die selickeit nicht in unsern eigenen wercken, si sein wie si sein, on den glauben ist ader werden mag, verkündete er. 42 Mit der Ablehnung der Werkgerechtigkeit ging eine heftige Polemik gegen den Papst und die päpstliche Kirche einher. Nachdem die Universität Luther zu Ehren ein festliches Mahl gegeben hat43 te, reiste Luther am 8. April nach Worms weiter. Während Justus Jonas ihn dorthin begleitete, gab Crotus selbst ihm noch für einige Meilen das Geleit und ermahnte ihn nochmals zu Ausdauer und Standhaftigkeit. 44 Luther selbst schrieb noch aus Gotha an Melanchthon, der ihn wegen seiner Lehrverpflich42 43

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Die Predigt ist abgedruckt in: WA 7, S. 808-813; die Zitate sind auf S. 808 f. In dem von Crotus mit bürokratischer Gewissenhaftigkeit geführten Rechnungsbuch heißt es: „Item triginta unum sneberger pro propina Reverendo pro Doctori MARTIN LUTHERO et licentiato Amsdorff dominica quasimodo geniti VII April.“ Bezeichnenderweise ist der Name Luthers der einzige der etwa 30 Namen in dem Bericht, den Crotus mit Großbuchstaben schreibt. Stadtarchiv Erfurt, B.1-1/XBXIII-40, Bd. 1, S. 134. Nach SCRIBNER (The Erasmians, S. 278, Anm. 122) entsprachen 32 Schneeberger oder eineinhalb Gulden sechs Wochen Unterkunft in einer Burse. Das geht aus dem Brief des Menius an Crotus aus dem Jahre 1532 hervor. „Deinde cum Lutherus iam serio bellum indiceret Papistis et ad Wormatiensia iret Comitia, ut sisteret se Carolo V. invictissimo et clementissimo imperatori tu Erffordiae obviam diceris in equo vectus Luthero, honorificentissime et officiosissime more maiorum abeuntem etiam aliquot stadiis comitatus es, hortatus virum ad constantiam.“ BÖCKING, II, S. 462, Z. 1620.

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tungen in Wittenberg nicht auf dieser Reise hatte begleiten können, dass sein Einzug in Erfurt sein Palmsonntag gewesen sei, diem illum palmarum meum.45 Die weitere Reise Luthers nach Worms glich einem Triumphzug, wie der päpstliche Nuntius Hieronymus Aleander bitter meldete.46 Über den Empfang in Erfurt und die Rolle, die Crotus als Rektor der Universität dabei spielte, sind wir bestens durch einen Augenzeugen unterrichtet, keinen geringeren als Eobanus Hessus. Obwohl der sonst so beredte Dichter beim Empfang Luthers nur ein paar Worte zu stammeln vermocht hatte – er sei elinguis gewesen, bekannte er wenig später – verfasste er nun in der Ruhe seiner Studierstube einen Zyklus von Gedichten über Luthers triumphale Erfurter Begrüßung.47 Das Büchlein ist Georg Forcheim gewidmet,48 einem Mann, der zum Erfurter Humanistenkreis des Hessus gehört hatte, bei der Leipziger Disputation anwesend war und, wie bereits erwähnt, bei der Rektoratswahl einer der drei Wahlmänner war, die Crotus im Oktober 1520 gewählt hatten.49 Von den sieben Gedichten, aus denen das Büchlein besteht, beschäftigen sich nur vier mit Luthers Erfurter Besuch; ein weiteres besingt den von Worms zurückgekehrten Jonas, ein anderes wendet sich an Ulrich von Hutten und das letzte befasst sich mit Hieronymus Emser, dem bekannten Gegner Luthers.50 Wenn man die poetische Verkleidung und die zahlreichen mythologischen Anspielungen, die zur humanistischen Ästhetik gehörten ebenso wie die zeittypische Neigung zu rhetorisch-enkomiastischer Übertreibung, außer Acht lässt, kann man davon ausgehen, dass Hessus die Begeisterung für den künftigen Reformator in diesen Apriltagen 1521 wahrheitsgetreu, wenn auch möglicherweise etwas übertrieben, eingefangen hat.

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WA Br 3, Nr. 395. KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 68; DERS., Die Depeschen des Aleander, S. 159. Habes hic Lector IN EVANGELICI DOCTORIS Martini Lutheri Laudem Defensionemque Elegias III. Eine Teilübersetzung in Prosa bei KÜHLMANN/WIEGAND, Humanistische Lyrik des 16. Jahrhunderts, S. 248-257. „E.H.Georgio Borchamio viro humanissimo eximio suo S.D.“ Zu Forchheim: KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, S. 218, 227, 240, 249, 251, 261, 264, 265, 345, 350. Zu den Luther-Elegien auch KRAUSE, Eobanus Hessus, I, S. 312326. Zitiert wird nach der Ausgabe von 1521: Helii Eobani Hessi in Martinum Lutherum Elegiarum Libellus. Emser war 1504 Professor in Erfurt, wo ihn Luther noch gehört hatte. Seit 1519 führte er mit Luther eine leidenschaftliche Diskussion. In der lutherischen Polemik wurde er stets als „Bock“ diffamiert.

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In der ersten Elegie wird Luther als wahrheitsliebender Prophet (veridicus propheta) apostrophiert,51 der als Erster mit Gottes Hilfe den Schmutz abgewaschen habe, den Samen Christi aufgehen ließ und es wagte, mit kräftigen Hacken eigenhändig das Unkraut auszureißen. 52 Vorher habe zwar Erasmus auf Übelstände hingewiesen, Luther aber habe etwas getan, weshalb Luther das größere Verdienst gebühre. Wie einst Herkules ohne Zögern das Gewicht der Welt auf sich genommen habe, so trage jetzt Luther die ganze Last. 53 Der eigentliche Empfang in Erfurt wird im zweiten Gedicht geschildert.54 Nunquam grata magis, stupefactam fama per vrbem Non procul insignem nunciat esse virum. Artia vidisses studiorum tota moueri Cura quibus pompis exciperetur erat Nec mora constratis in equis exire paramus Quadraginta viri, caetera turba pedes Quis numero referat, uelut ad spectacula ruentes Quae soleant vulgo non nisi rara dari? Ibamus numeroque pares, cultuque decenti Tunc etiam facti Musica turba equites Instructo princeps Crotus ordine duxit euntes Gloria Musarum deliciae Crotus.55 Niemals wurde die Stadt von froherer Kunde erfüllet,/ Als man hörte: es kommt näher der herrliche Mann./Sehen konnte man da, wie die Hallen der Schule sich regten,/Alles mit Feiergeleit ihn zu empfangen bereit./Ohne Verzug bestiegen wir da die gesattelten Rosse, / Vierzig an der Zahl, und zu Fuß folgte der übrige Tross./Wer kann zählen des Volks schaulustig drängende Männer?/ Solch ein Schauspiel fürwahr bietet nur selten

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Hessus ist sich bewusst, dass der Gattungsbegriff „Elegia“ als Trauergedicht eigentlich nicht passt, da es sich bei dem Empfang Luthers um ein freudiges Ereignis handelt. Deshalb schreibt er: „OSI QUA PRIVS querulae cecinistis laeta Camoenae,/Nunc Elegi falsum nomen habere decet./ Ponite luctificam solitae sufflare monaulon,/ Iam decuit uestras barbitos apta manus/ Ite triumphali popularia tempora lauro/ Cingite, laeticia est resperagenda noua.“ (S. Aij). Elegiarum libellus, S. Aij: „ille quidem primus uidetuir, inutile, nostro /Tempore, per Christi surgere semen agrum/ Uidit&ausus durosadhiber eligones/ Noxia que artifici vellere quaeqe manu.“ KÜHLMANN/WIEGAND, Humanistische Lyrik, S. 248. In der frühreformatorischen Propaganda wurde Luther oft als Herkules-Figur dargestellt. Vgl. GÜLPEN, Der deutsche Humanismus und die frühe Refomationspropaganda, S. 499. De Ingressu Lutheri in Vrbem Erphurdiam Elegia Secunda, S. Aiijv-Aiiijv (nicht in KÜHLMANN/WIEGAND, Humanistische Lyrik). Elegiarum Libellus, Bl. Aiijv: Die folgende Übersetzung von KRAUSE, Helius Eobanus Hessus I, S. 323.

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sich dar/Paarweis’ zogen wir alle geordnet in stattlichen Aufzug,/ Jetzt auch die Musische Schar einmal beritten gemacht./Rector Crotus als Führer voran an der Spitze des Zuges,/ Crotus, des Musenchors Wonne und herrliche Zier.

Als sie drei Meilen von der Stadt entfernt waren, naht Luther mit seinem kleinen Gefolge heran. Constitimus, fluxasque auriga tenebat habenas Tum Crotus haec placido pectore verba dedit „Vnice perfidiae Censor, quae plurima nostro Perdidit oppressam tempore pene fidem Hos coram vidisse, tuosque agnoscere vultus Hoc est laeticiae non habuisse modum Et nobis nihil huc venit iucundius vnquam Vix aliquis superum gratior esse queat.“56 Still hält jetzo der Zug, der Fuhrmann zügelt die Rosse, Crotus ergreifet darauf freundlich begrüßend das Wort: „O du einz’ger Rächer der großen Lüge der Zeiten,/ Die uns den Glauben geraubt, ja ihn beinahe vertilgt:/Dass uns vergönnt dich zu sehen, vergönnt dein Antlitz zu schauen, Ach das bedeutet für uns Glückes unendliches Maß./Noch ist Lieberes nicht bislang hieher uns gekommen, Kaum selbst der Götter vermag einer uns teurer zu sein.“

Es folgt eine Beschreibung des Einzugs in die Stadt: Mauern, Türme, Straßen sind gefüllt mit Menschen. Alle wollen Luther sehen. Die Beliebtheit Luthers zeigt sich auch am nächsten Tag, dem 7. April, als er in der Augustinerkirche predigt, Gegenstand des dritten Gedichts.57 Weder Demosthenes noch Cicero noch Paulus selbst konnten so die Herzen berühren wie Luther es vermochte. Die Kirche konnte die tausende von Zuhörern, die Luther hören wollten, nicht fassen, sodass sich außerhalb des Gotteshauses eine große Menge versammelte. In dem Gebäude selbst drängen sich die Leute auch auf den Holzgalerien. Plötzlich ein Schreckmoment. Die überfüllte Empore scheint unter der Last zusammenzubrechen. Eine Panik bricht aus. Aber Luther, der den Teufel verantwortlich macht, gelingt es, mit seinen Worten die Menge zu beruhigen. Den Abschied Luthers am 8. April schildert schließlich die vierte Elegie.58 Intention des Gedichtzyklus ist es, Luther in dem Moment, in dem er die reichspolitische Bühne betritt, literarische Schützenhilfe zu leisten. Dabei sieht Eobanus Hessus Luther ganz im Sinne einiger humanistischer Unterstützer

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Übersetzung von KRAUSE, Helius Eobanus Hessus, S. 323 f. Original S. Aiij. De concione Lutheri ad populum Erphurdiensem honoribusque eidem exhibitis Elegia Tertia, S. B-Biiv. Ad Martinum ERPHURDIA abeuntem Eulogion (Bl. Biiv-Biiijr).

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nicht so sehr als einen Theologen, sondern als einen Helden, der den Kampf gegen Rom anführt. Wesentlich nüchterner als die poetische Überhöhung der Ereignisse von Anfang April 1521 klingt Crotus’ eigene Beschreibung der Ereignisse. In einem Brief vom 31. Mai meldet er seinem Freund Johann Hess: Die Luther-Affäre verläuft hier nach dem gleichen Muster wie in anderen Städten: Das Volk und die Studenten feiern ihn als einen vom Himmel gefallenen Meister, während die Theologen ihn schlimmer als einen bösen Geist hassen. Als er [Luther] sich auf dem Weg nach Worms befand, bin ich ihm mit Studenten entgegengeritten, und als er Erfurt verließ, habe ich ihn unter starker Beteiligung der Bürgerschaft begleitet. Dadurch ist es schwer zu sagen, wie aufgebracht die ehrwürdigen Patres sind.59

Crotus war also Realist genug, zu sehen, dass keineswegs alle Erfurter von Luther begeistert waren, einen Eindruck, den Hessus durch seinen Gedichtzyklus zu erzeugen versucht hatte, sondern dass Erfurt und besonders die Universität tief gespalten waren.

2.2 Reaktion auf den Empfang Luthers Wie weit die Polarisierung an der Universität tatsächlich fortgeschritten war, zeigen die unmittelbar darauf folgenden Ereignisse; denn die Reaktion de sancti patres und der altkirchlichen Partei auf die offenen Sympathiekundgebungen für Luther erfolgte prompt.60 Die beiden Dekane der Stiftskirchen von St. Marien und St. Severin, Johann Weidemann und Jakob Doliatoris reagierten unverzüglich gegen die drei ihnen unterstellten Kanoniker, die am Empfange Luthers teilgenommen hatten, Johann Draco, Nikolaus Rottendörfer und Justus Jonas. Da Letzterer, der ein Kanonikat an dem Severi-Stift bekleidete, Luther auf seinem Wege nach Worms begleitete und damit im Moment unerreichbar war, traf der ganze Zorn die beiden in Erfurt verbliebenen Geistlichen Rottendörfer vom Marienstift und Draco vom Severinstift. Ihnen wurde bei ihrem Erscheinen mitgeteilt, dass sie wegen ihres Umgangs mit dem gebannten Mönch selbst dem Bann verfallen seien. Rottendörfer distanzierte sich umgehend von Luther und behauptete, dessen Schriften nicht zu kennen. Anders verhielt sich Draco. Da er keine befriedigende Erklärung für seine Teilnahme an dem Empfang Luthers 59

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KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 28 (Crotus an Johann Hess am 31. Mai 1521): „Causa Lutheri fortunam (habet) communem cum reliquis civitatibus, populus et cohors studiosa hunc coelitus magistrum datum praedicat, contra magni patres Caecodaemone in eum plus odio habent. Eunti Wormatiam equitatu honorifice occurri cum studiosis, exeuntem pari honore prosecutus sum tota civitate effusa, quo facto difficile dictu est, ut exasperati sunt animi sanctorum patrum.“ Die folgende Darstellung folgt im Wesentlichen OERGEL, Beiträge, S. 85-88.

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geben konnte, wollte man an ihm ein Exempel statuieren. Er wurde mit dem Interdikt belegt und als Ketzer aus der Kirche verbannt. Als er trotzdem am 9. April im Chor seiner Kirche erschien, wurde er nach einem heftigen Wortwechsel vertrieben. 61 Weil er sich aber unter der Jurisdiktion der Universität glaubte, wandte er sich an Crotus. Dieser nahm sich seiner an und forderte den Dekan zur Wiedereinsetzung auf. Es war aber wohl weniger die Fürsprache des Rektors als die lautstarken Proteste einiger Studenten, die sich vor dem Haus von Doliatoris versammelten, ihm Drohbriefe schickten und Plakate gegen den Kleriker anbrachten. Die Aktion zeigte Wirkung: Die Sanktion gegen Draco wurde zurückgenommen, er selbst in seine alte Stellung wiedereingesetzt. Crotus seinerseits, immer noch gewissenhafter und um Unparteilichkeit bemühter Rektor der Universität, sah sich genötigt, den Studenten eine milde Geldstrafe aufzuerlegen.62 Nach dem Ende seiner Amtszeit hielten Crotus noch zwei Aufgaben in Erfurt: Einmal war er wie jeder Rektor verpflichtet, einen Bericht über seine Amtszeit zu verfassen,63 zum anderen gestaltete er eine sogenannte Rektoratstafel. In dem Bericht trug er nicht nur die Namen der im Wintersemester 1520/21 eingeschriebenen Studenten ein, sondern betonte noch einmal, dass seine Wahl zum Rektor unerwartet war, dass er dabei das Gemeinwohl dem eigenen Wohl und Glück vorangestellt habe und sich dabei bemüht habe, die Universität, die sich in einem aufgewühlten Zustand befunden habe, nach Kräften zu beruhigen. 64 Was aber seinen Rechenschaftsbericht so bemerkenswert macht, sind seine kurzen Bemerkungen zum Zeitgeschehen: Zu dieser Zeit berief Karl V. in der Stadt Worms seinen ersten, stark besuchten und dringend notwendigen Reichstag ein. Auf diesem wurde mehr als vier Monate heftig über die gesamte Lage des Reichs und über die Angelegenheit Martin Luthers disputiert. Dieser hatte als Erster nach so vielen Jahrhunderten gewagt, mit dem Schwert der Heiligen Schrift der römischen Willkür den Todesstoß zu versetzen.65 Es sind „wahrhaft monumentale Worte“,66 und es ist gleichzeitig ein

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SCRIBNER, The Erasmians, S. 27. SCRIBNER, The Erasmians, S. 27. Gewissenhaft verzeichnete Crotus diese in dem Liber receptorum. Darüber klagt er in einem Brief an Johann Hess vom 31. Mai: „Occurrunt negotia residua functi magistratus … vix otium est.“ KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 13, S. 28. WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universitaet, II, S. 317 f.: „Erat igitur oneri improvisus ille magistratus, tamen proprio commodo utilitatem communem praetulit atque statum literarii ordinis, quem perturbantum invenit, pro virili studuit parare.“ Der Bericht ist, wie es die Tradition verlangte, in der dritten Person verfasst. WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universitaet, II, S. 318: „Sub hoc tempus Carolus V. prima sua comitia apud Wormatiam urbemVangionem frequentissima sane maximeque necessaria coacta habuit, quibus ultra quattuor menses acriter est consultum de summa

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gewagter Schritt, dass hier der Rektor einer der einflussreichsten deutschen Universitäten in einem offiziellen Dokument Partei ergreift für einen Mann, der am 3. Januar 1521, also schon drei Monate vorher, durch die Bulle „Decet Romanum Pontificem“ offiziell aus der Kirche ausgeschlossen worden war.

2.3 Die Rektoratstafel des Crotus Rubianus In die gleiche Richtung, wenn auch auf subtilere Art, ging Crotus auf der diesem Bericht beigefügten Rektoratstafel vor. Es ist eine große (20,5 cm x 21,4 cm) farbige, künstlerisch gestaltete Tafel, auf der sein eigenes Wappen sowie die Familienzeichen von sechzehn anderen, ihm nahestehenden und befreundeten Humanisten dargestellt sind. Den Rektoratsberichten Bilder beizufügen, war kein neuer Brauch. Die meisten Rektoren beschränkten sich allerdings darauf, ihr eigenes Wappen, oft in eine Initiale verschränkt, einzufügen. Andere Darstellungen zeigten den Rektor vor der heiligen Familie kniend. Ungewöhnlich war jedoch der Brauch, mehrere Wappen abzubilden. Zwar hatte Johannes Kyll, der im Sommersemester 1492 die Universität leitete, auf dem seinem Berichte beigefügten Bild neben seinem eigenen Wappen die des Vaters, der Mutter und der Großeltern abgebildet. Auch Martin von der Marthen hatte seine Verwandten mit vier Wappen geehrt, als er im Wintersemester 1496 die Universität leitete. 67 Justus Jonas, unter dessen Rektorat im Sommersemester 1519 die vorsichtige Universitätsreform stattgefunden hatte, hatte seinem Bild, das ihn beim Besuch des Erasmus zeigte, vier Wappen, darunter das seiner Heimatstadt, beigefügt.68 Crotus’ Bild jedoch mit seinen insgesamt siebzehn Wappen stellt eine Ausnahme dar.69 Wessen Wappen sind abgebildet und warum wählte Crotus gerade die durch sie repräsentierten Gelehrten aus?

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imperii, de causa Martini Lutheri, qui primus post tot secula ausus fuit gladio sacrae scripturae Rhomanam licentiam iugulare.“ KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 64. WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universitaet, II, S. 194. WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universitaet, II, S. 304. Zum Rektoratsblatt siehe meinen Aufsatz „Der Erfurter Humanistenkreis am Schnittpunkt von Humanismus und Reformation.“ Da ich nicht annehmen kann, dass Leser dieses Buches diesen Aufsatz kennen, muss ich dessen Argumente hier teilweise wiederholen. Die folgenden Bemerkungen stützen sich also auf diesen Aufsatz und übernehmen einzelne Formulierungen, ohne diese zu kennzeichnen. Zum Thema auch der später erschienene Aufsatz von POSSET, Polyglot Humanism in Germany circa 1520.

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Im Zentrum der Tafel befindet sich das durch seine Größe hervorgehobene Schild des Crotus, das Mutian für ihn entworfen hatte.70 Aus blauen Wolken ragt ein linker Arm hervor, der ein schwarzes Jagdhorn, das Emblem des Jägers, in der Hand hält.71 Dieses zentrale Wappen ist von sechzehn kleineren Wappen umgeben, wobei die Schilde in den Ecken die nach Crotus führenden Intellektuellen seiner Zeit repräsentieren: Mutianus Rufus, Johannes Reuchlin, Erasmus von Rotterdam und Martin Luther. Zwischen diesen befinden sich die Wappen seiner engeren humanistischen Freunde. Insgesamt sind also 17 Wappen dargestellt.72 Dass Crotus’ vielbewunderter Mentor und Freund Mutianus Rufus einen der vier durch ihre Eckstellung hervorgehobenen Ehrenplätze innehat (in der rechten unteren Ecke),73 dürfte nicht überraschen. Selbstverständlich war auch, dass der große Hebraist Johannes Reuchlin, dessen Streit mit den Kölner Theologen zu einem Konflikt zwischen Humanismus und Spätscholastik uminterpretiert worden war, in dieser Tafel an prominenter Stelle abgebildet ist. (Sein Wappen befindet sich links unten). Verwundern darf auch nicht, dass Erasmus von Rotterdam, der, wie wir sahen, etwa seit 1516 von den Erfurter Humanisten schwärmerisch verehrt wurde, in einer der vier Ecken (rechts oben) heraldisch dargestellt wird. Dass sich aber das Wappen Martin Luthers, die weiße Rose, in einer der vier wichtigen Eckplätze befindet, lässt sich nicht nur damit erklären, dass Crotus spätestens seit dem Herbst 1519 Luther unterstützte. Wie die meisten Humanisten zu diesem Zeitpunkt sah er keinen Widerspruch zwischen den Ideen des Erasmus und denen Luthers, sondern erblickte, wie auch Eobanus Hessus das in seinem Gedicht getan hatte, in Luther den tatkräftigeren, mutigeren Vollender erasmischer Vorstellungen. Zwischen den Wappen dieser vier Männer in den Ecken befinden sich die von zwölf weiteren Freunden und Weggenossen des Crotus. Wer sind diese und warum hat sie Crotus in seine Tafel aufgenommen? In der Mitte oben, also an zentraler Stelle, ließ Crotus das Wappen seines Freundes Eobanus Hessus malen, einen bekrönten Schwan, einen Hinweis auf

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Vgl. GILLERT Nr. 231 (Mutian an Urbanus, 11. Novermber 1512): „Croto, venatori Musarum, erogavi cornu sui decoris et honorificencie notam spectabilem.“ Möglicherweise dachte Crotus auch neben dem Jagdhorn an den Schofar, dem rituellen Horn des Widders, das beim jüdischen Neujahrsfest und am Endes von Jom Kippur geblasen wird; daneben aber auch die Israeliten im Kampf begleitete und ihnen half, Feinde zu besiegen. Auch in seinem Rechnungsbericht (Liber rationum) hatte Crotus bereits dieses Wappen angedeutet: Von der Initaile „V“ umgeben erstreckt sich sein linker Arm aus den Wolken und hält in der Hand sein Jagdhorn. Über das Horn auch unten. Die einzelnen Wappen werden beschrieben von WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universitaet, II, S. 317 f. Vom Betrachter aus gesehen.

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den Ehrennamen „rex“, den Johannes Reuchlin 1515 dem talentierten Dichter im Scherz verliehen hatte und den dieser seitdem stolz trug. Links von Hessus’ Wappen findet sich das des Ulrich von Hutten. Zwischen den Wappen des Erasmus und dem des Hessus ist das Schild des Justus Jonas gemalt, also jenes Gelehrten, der ebenfalls seine akademische Ausbildung in Erfurt erhalten und sich nach seinem Jurastudium in Wittenberg unter dem Einfluss des Erasmus „aus dem sturmbewegten Meere der Juristerei in den Hafen der heiligen Schrift“ geflüchtet hatte, wie Luther 1520 lobend festgestellt hatte. Obwohl Philipp Melanchthon – sein Schild befindet sich unter dem des Erasmus – nicht dem Erfurter Humanistenkreis angehörte, besaß er als Protegé seines Onkels Reuchlin und auf Grund seiner enormen Begabung in der stark vernetzten deutschen Humanistenzunft ausgezeichnete Beziehungen zu den Erfurter Kollegen, mit denen er seine Bewunderung für Erasmus teilte. 74 Das Wappen des Johann Lang befindet sich in der Mitte der rechten Seite unter dem des Melanchthon. Lang war 1506, also ein Jahr später als Luther, in das Erfurter Kloster der Augustinereremiten eingetreten und im Jahre 1511 in den Wittenberger Augustinerkonvent versetzt worden, wo er sich mit Luther befreundete, eine Freundschaft, die jahrzehntelang dauern sollte. Peter Eberbach (auch Petreius Aperbacchus oder kurz Petreius genannt) – sein Wappen – ein schwarzer Eber – befindet sich über dem des Mutian auf der rechten Seite – gehörte zunächst zum engeren Mutian-Kreis. Nach ausgedehnten Reisen nach Straßburg, Wien und Italien kehrte er nach Erfurt zurück und schloss sich dem Kreis um Eobanus Hessus an. Wie die meisten seiner Erfurter Freunde hatte er sich in der Reuchlin-Affäre für den Pforzheimer Gelehrten engagiert, und als Erasmus von dem Engländer Edward Lee angegriffen wurde, war er es, der sich an die Spitze derer setzte, die in Epigrammen leidenschaftlich gegen Lee polemisierten. 75 Georg Bitzbaudeler aus Forchheim, daher Forchemius bekannt – sein Wappen befindet sich links neben dem des Mutian in dem unteren Band. Im Herbst 1520 war er, wie bereits erwähnt, einer der drei Wahlmänner, die Crotus im Oktober 1520 zum Rektor gewählt hatten. Im Dezember des gleichen Jahres lud er Eobanus Hessus in sein Haus zu einer Begegnung mit Melanchthon ein, und im Mai 1521 widmete Eobanus ihm die Gedichte, mit denen er Luthers Empfang in Erfurt im April gefeiert hatte. Bestens sind wir über Heinrich Fastnacht aus Orb, deshalb der Name Urbanus – sein Wappen ist genau in der Mitte unten – unterrichtet. Als vertrautester Freund Mutians bewahrte er dessen zahlreiche Briefe, durch die wir einzigartige Einblicke in den Mutian-Kreis er74

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Im Dezember 1520, also während des Rektorats des Crotus, hatte er in Erfurt Georg Forchheim und Joachim Camerarius besucht. Siehe auch BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis, S. 337339.

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halten. Rechts von dem des Johannes Reuchlin befindet sich das Wappen des Johannes Draco (auch Trach, Drach, Draconites genannt), der Kleriker, der nach seiner Teilnahme an dem Empfang Luthers am 6. April von seinem Vorgesetzten (vorübergehend) aus dem Stift verbannt worden war. Ebenso aus Fulda kam sein Freund Adam Krafft (Crafft, Kraft, Cato, Vegetius).76 Dieser hatte die dortige Klosterschule besucht und war möglicherweise dort ein Schüler des Crotus, wenn auch nur für eine kurze Zeit. Sein Schild befindet sich über dem Reuchlins auf der linken Seite. Als glühender Bewunderer des Erasmus steuerte auch er Epigramme zu der gegen den Erasmus-Gegner Edward Lee gerichteten Gedichtsammlung bei. Im Sommer 1519 besuchte er, zusammen mit Johannes Lang, die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck, 77 ebenfalls wie Joachim Camerarius, dessen Wappen in der Mitte der linken Seite abgebildet ist. Nach dem Studium in Leipzig kam er nach Erfurt, möglicherweise auf Einladung des Eobanus Hessus, den er in Leipzig kennengelernt hatte. Auch er schloss sich dessen Kreis in der Erfurter Engelsburg an. Nachdem er den Magistergrad erworben hatte, ging er 1521/22 nach Wittenberg, wo er eine lebenslange Freundschaft mit Melanchthon schloss. Nur unwesentlich älter als Camerarius war Justus Menius – sein Wappen befindet sich unter dem Luthers auf der linken Seite. Er hatte 1515 im Alter von 16 Jahren sein Bakkalaureat und ein Jahr später seinen Magister an der Erfurter Universität gemacht. Er sollte im späteren Leben des Crotus eine wichtige Rolle spielen (vgl. Kap. XII). Das Pergament des Crotus mit seiner Darstellung der teils realen, teils erfundenen Wappen78 weist auf den Anspruch der Humanisten hin, einer nobilitas litteraria anzugehören, einem Adel freilich, der seine Identität nicht aus Geburtsprivilegien, sondern aus der Gemeinsamkeit der Leistung, Ausbildung und Lebensform bezog. Wie die Humanisten durch die Latinisierung ihrer Namen den Eintritt in den humanistischen Laienorden markieren wollten, um ihre Wiedergeburt zu humanitas zu kennzeichnen, so versuchten Crotus und seine Freunde durch die Wappen einen Stammbaum zu schaffen, den sie in Wirklichkeit in den meisten Fällen nicht besaßen. Und wie es gelegentlich auch Ziel des Namenswechsels war, die niedrige soziale Herkunft zu verschleiern, so täuschte auch ein Wappen „adelige“ Abkunft vor, wenn auch in einem anderen Sinne. Durch beide Kunstgriffe schufen sich die Humanisten eine neue Identität, die mit ihrer wirklichen, ererbten Personalie nicht zu tun hatte. Dabei bleibt es ein

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Zu Adam Krafft: BREUL-KUNKEL, Fulda und Erfurt, S. 73. NDB 12, S. 646. Auch BREUL-KUNKEL, Fulda und Erfurt, S. 74; BREUL, Herrschaftskrise, S. 212. Eine genauere Beschreibung der Wappen bei BERNSTEIN, Der Erfurter Humanistenkreis, S. 151-155.

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Abb. 6: Das Rektoratsblatt des Crotus Rubianus

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kurioses soziologischen Paradox, dass die Humanisten, die doch in zahlreichen Werken immer wieder die Überlegenheit des Geistesadels gegenüber dem Geburtsadel hervorgehoben hatten – Hessus selbst hatte eine Schrift De vera nobilitate verfasst – gerade zu den Symbolen griffen, durch die sich der Hochadel von den übrigen Ständen abzuheben versuchte.79 Wie soll man aber dieses Blatt mit ihren siebzehn durch ihre Wappen repräsentierten Männern interpretieren? Einen ersten Hinweis liefert das von Eobanus Hessus (E.H.) beigesteuerte Gedicht am unteren Rand der Tafel: Ut nunquam potuit sine charis vivere amicis, Hic etiam solus noluit esse Crotus. Picta vides variis fulgere toreumata signis His sociis nostrae praefuit ille scholae. E.H. [Eobanus Hessus] (Wie Crotus niemals ohne seine geliebten Freunde leben konnte, so wollte er auch nicht hier alleine sein. Gemalte Bilder siehst du auf verschiedenen Wappen glänzen; mit seinen Gefährten leitete er unsere [Hoch-]Schule.)

Für den Humanisten Crotus war die Freundschaft ein essenzieller Bestandteil der humanistischen Gemeinschaft. Man schrieb sich, tauschte sich über wissenschaftliche Themen aus, traf sich. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts hatten sich unter dem Einfluss des Conrad Celtis besonders in den Reichsstädten Oberdeutschlands sogenannte Sodalitäten gebildet.80 Die Mitglieder dieser mehr oder weniger streng strukturierten Intellektuellenzirkel versuchten ungeachtet ihrer sozialen Herkunft und ihres Berufs die Isolierung, die sie als „Humanisten“ in der damaligen Gesellschaft empfanden, zu überwinden. Funktion der verschiedenen Sodalitäten war es, den Mitgliedern das Gefühl zu geben, Teil einer größeren Bewegung zu sein, ihnen moralische Unterstützung und Beistand zu gewähren. Die von Crotus in dem Rektoratsblatt dargestellte Gemeinschaft entspricht dem aber nur bedingt. Die crotische Tafel spielte zwar mit dem Gedanken der 79

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Es ist aber auch möglich, dass Crotus das ganze Wappenwesen ironisierte und dass der stolze Bauernsohn, indem er sich mit sechzehn Wappen umgab, sich über die bekannte Regel der Kathedralenkapitel mokierte, nach der ein Bewerber, um Mitglied in einem Kapitel zu werden, sechzehn adelige Vorfahren vorweisen musste. Im sogenannten Petrus-Wurzel-Jesse-Fenster des Kölner Doms befinden sich seitlich des Stifterbildes mit dem Heiligen Petrus und seitlich des heiligen Sebastian sechzehn Wappen des Erzbischofs Philipp von Daum nach der 16er Ahnenprobe. Corpus Vitrearum Medii Aevi. Deutschland. Band IV/1, S. 193. Vgl. dazu: TREML, Humanistische Gemeinschaftbildung; HUMMEL, Die humanistischen Sodalitäten und ihr Einfluß auf die Entwicklung des Bildungswesens der Reformationszeit.

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Sodalitas, unterscheidet sich aber grundlegend davon. Die Rektoratstafel bildet nämlich keine real existierende Gemeinschaft ab, sondern, modern gesprochen, eine virtuelle. Erstens fällt nämlich auf, dass in diesem offiziellen Dokument der Universität Erfurt von den sechzehn dargestellten Personen nicht einmal die Hälfte in Erfurt wohnte oder irgendetwas mit der Universität zu tun hatte, nämlich Mutianus, Luther, Erasmus, Reuchlin, Ulrich von Hutten, Justus Jonas, Melanchthon und Menius. Dazu kommt, zweitens, dass es sich im Großen und Ganzen um eine junge Gruppe handelt. Sieben der dargestellten Personen sind unter 30: Joachim Camerarius war zu diesem Zeitpunkt 21 Jahre alt, Justus Menius 22, Philipp Melanchthon 24, Johannes Drach 27, Adam Krafft und Justus Jonas 28, Forchemius 29; drei von ihnen waren in den frühen dreißiger Jahren: Eobanus Hessus und Ulrich von Hutten 33 und Peter Eberbach 35.81 Alle sollten sich der reformatorischen Bewegung anschließen und mehrheitlich in der jungen protestantischen Kirche an teils prominenter Stelle wirken. Das jugendliche Alter der dargestellten Personen verweist auf die in der Forschung gelegentlich vorgebrachte These, dass die Entscheidung, sich der Reformation anzuschließen, auch eine Frage des biologischen Alters und der Generationszugehörigkeit war.82 Indem Crotus diese Männer durch die Aufnahme in die Rektoratstafel hervorhob, machte er den Universitätsbehörden deutlich, wo seine Sympathien lagen: Nicht seine gut bestallten Universitätskollegen, sondern der weitgehend außerhalb oder an der Peripherie der Universität wirkende Freundeskreis bildete seinen intellektuellen und sozialen Rückhalt.83 Das Rektoratsblatt deutet also auch auf einen größeren Zusammenhang hin: nämlich auf das Verhältnis von Humanismus und Reformation. 84 Historiker haben darauf hingewiesen, dass die schnelle Verbreitung der 95 Thesen Luthers hauptsächlich den humanistischen Sodalitäten zu verdanken ist. „Die Humanisten sind der einzige geschlossene Kreis, der sich schon in den ersten Jahren 81

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Jonas (1493-1555); Melanchthon (1497-1560); Forchemius (1492-1522); Drach (14941566); Krafft (1493-1558); Camerarius (1500-1574); Justus Menius (1499-1558); Hessus (1488-1540); Ulrich von Hutten (1488-1523); Eberbach (1480-1531). Wie sehr sich das jeweilige Alter auf die Entscheidung für oder gegen die Reformation auswirkte, hat die Forschung mehrfach betont: SCHÖFFLER, Die Reformation, S. 37; MOELLER, Die deutschen Humanisten, S. 36 und SPITZ, The Third Generation of the German Humanists, S. 51. Aus diesem Grunde ist der letzte Satz in Hessus’ Gedicht, dass Crotus mit diesen Freunden die Universität leitete („His sociis nostrae praefuit ille scholae“) irreführend, wenn nicht falsch. Das Folgende nach MOELLER, Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation, S. 51.

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hinter Luther stellt, und es kann keinen Zweifel darüber geben, dass sie damals lauter als ihnen zukam die öffentliche Meinung in Deutschland repräsentierten, entscheidenden Anteil daran haben, dass die reformatorische Bewegung, gegen Luthers Willen, aus der Obskurität der Winkeluniversität Wittenberg ans Licht getragen wurde. Luthers Sache wäre ohne Zweifel ohne die Zustimmung der Humanisten nicht zum Sieg gekommen.“ 85 Die Zustimmung war allgemein: Erasmus von Rotterdam, Ulrich Zasius, Willibald Pirckheimer, Beatus Rhenanus, Martin Bucer begrüßten seine Thesen und sein Auftreten.86 Sie hielten ihn für einen der ihren, weil sie in ihm ihre Ideen verwirklicht sahen, nämlich die Verwerfung der Spätscholastik und Rückkehr zu den Quellen, im Falle Luthers zur Bibel. Dass sich dieser junge, weitgehend außerhalb der Universität stehende Freundeskreis als Kampfgruppe betrachtete, wird aber erst klar, wenn man die die Wappen umgebenden biblischen Zitate anschaut. Alle drei sind dem Alten Testament entnommen; wobei allerdings nur eines in der hebräischen Originalsprache zitiert wird, die zwei anderen sind auf lateinisch und griechisch. Schon diese bewusst zur Schau gestellte Dreisprachigkeit stellt eine bewusste Provokation dar. Dass alle, die am humanistischen Diskurs teilnehmen wollten, Latein beherrschen mussten, und zwar ein Latein, das sich an der klassischen römischen Literatur orientierte, versteht sich von selbst. In dieser Sprache verständigten sich die Humanisten, korrespondierten, dichteten und verfassten ihre philosophischen und historischen Werke. Aus der Pflege und Beherrschung der Sprache der Römer bezogen sie ihre Identität. Latein war gleichermaßen Statussymbol und Qualifikationsmerkmal. Nichtbeherrschung wurde erbarmungslos persifliert, wie es ja in den Dunkelmännerbriefen geschehen war. Anders verhielt es sich mit dem Griechischen und Hebräischen. Dank der Bemühungen des Conrad Celtis, Willibald Pirckheimers, Johann Reuchlins und anderer Gelehrter begann Griechisch zunächst langsam in Deutschland Fuß zu fassen. Zwar hatte Nikolaus Marschalk Anfang des Jahrhunderts in Erfurt u. a. ein einfaches Lehrbuch der griechischen Sprache herausgebracht,87 aber es sollten noch fast 20 Jahre vergehen, bis Griechisch während des Rektorats des Justus Jonas gegen den Widerstand konservativer Professoren in dem offiziellen Lehrplan der Artistischen Fakultät aufgenommen wurde. Noch weniger Gelehrte beherrschten zu dieser Zeit Hebräisch. Johannes Reuchlin, vielbewundert als

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MOELLER, Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation, S. 51. Belege bei MOELLER, Die deutschen Humanisten und die Anfänge der Reformation, S. 56. Orthographia. Vgl. HASE, Bibliographie der Erfurter Drucke 33 a (VD 16 M 1116 und 1117).

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„vir trilinguis“, hatte es sich mit Hilfe eines jüdischen Bekannten selbst mühsam beigebracht und 1506 mit seinen Rudimenta linguae hebraicae als erster Nichtjude eine hebräische Grammatik verfasst. Aber es war bezeichnend für die geringe Kenntnis der biblischen Sprache, dass er seine Leser wiederholt ermahnen musste, den hebräischen Text von rechts nach links zu lesen. Erst langsam führten die deutschen Universitäten die Sprache des Alten Testaments ein: Leipzig 1519, Tübingen und Heidelberg 1521 und Köln erst 1524.88 Die humanistische Reform der Artistenfakultät in Erfurt im Jahre 1519 war keine dreisprachige Reform, wie Justus Jonas gehofft hatte.89 Verantwortlich für die langsame Aufnahme des Griechischen und Hebräischen in die Curricula der deutschen Universitäten waren ideologische Vorbehalte, die man gegenüber diesen beiden Sprachen hatte. Noch bis in die zwanziger Jahre des sechzehnten Jahrhunderts betrachteten einige konservative Theologen die Griechen als Schismatiker und die Entdeckung und das Studium ihrer Literatur als einen Angriff auf die alleinige Autorität der auf lateinisch geschriebenen theologischen und philosophischen Texte. 90 Die Feindseligkeit gegenüber dem Hebräischen und dessen prominentestem Vertreter, Johann Reuchlin, bildeten, wie wir sahen, in gewissem Sinne den Hintergrund der gesamten Reuchlin-Affäre. Die lateinischen, griechischen und hebräischen Umschriften in der Rektoratstafel des Crotus hatten also zwei Funktionen: Einmal postulierten sie deutlich das humanistische Ideal des vir trilinguis im Sinne des von Erasmus initiierten Collegium trilingue in Löwen.91 Zum anderen aber stellte die Verwendung der drei Sprachen eine subtile, wenn auch deutliche Provokation gegenüber denen dar, die dem Griechischen und Hebräischen noch immer mit Skepsis und Feindschaft begegneten. Einen noch deutlicheren Affront aber mussten vor allem die biblischen Zitate selbst darstellen – vorausgesetzt die Betroffenen konnten sie überhaupt verstehen. Der lateinische Text über der oberen Randleiste lautet: scutum meum et cornu salutis meae. Er stammt aus dem 2. Buch Samuels 22,3 und bedeutet in Luthers Übersetzung aus dem Jahre 1534 mein schilt vnd horn meines heils.92 Eine

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Alle Daten nach GEIGER, Das Studium der hebräischen Sprache, S. 89 f. Vgl. SCRIBNER, The Erasmians, S. 17. Vgl. HOLZBERG, Willibald Pirckheimer, S. 83. Die Abneigung gegenüber dem Griechischen wird in den Dunkelmännerbriefen häufig persifliert. Dazu: DE VOCHT, History of the Foundation and the Rise of the Collegium Trilingue. Dass die Mehrsprachigkeit ein zentrales Anliegen der deutschen Humanisten war, ist die Kernthese von POSSETS Aufsatz über Crotus’ Rektoratstafel. Biblia/das ist die gantze Heilige Schrifft Deudsch. (Reprint Taschen Verlag 2003) In der von der Württembergischen Bibelanstalt herausgegebenen Übersetzung von 1967 heißt

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ähnliche Idee wird auch in dem Fragment aus dem 89. Psalm, Vers 11 (auf der linken Seite der Tafel) ausgedrückt: tuum braccium cum potencia (du hast deine Feinde zerstreut mit deinem starken Arm). Ein Feind, der besiegt worden ist oder besiegt werden soll, findet sich auch in dem griechischen Zitat unter der unteren Randleiste: έν ί τούς έχϑρούς ήμων κειρατιο͡υμεν. Wiederum ist diese Passage aus den Psalmen (Ps. 44, 6) genommen: Der Vers lautet in Luthers Übersetzung: „Durch dich wollen wir unser feinde vmbstossen.“ Die Vulgata übersetzt näher am Hebräischen: „in te inimicos nostros ventilabimus cornu.“ Das hebräische Zitat schließlich stammt aus Jesaja 33, 2 und lautet in Luthers Übersetzung: „Seyjr arm frue/ dazu vnser heil zur zeit des truebsals.“ 93 Die biblischen Zitate sind sorgfältig ausgewählt. Sie beschreiben eine Bedrohung durch einen Feind und wie der Angegriffene diese Bedrohung durch Anrufung göttlicher Macht abzuwehren bereit ist. Die von Gott verliehene Stärke wird durch die zwei Metaphern des Horns und des Arms ausgedrückt, wobei in strikter Symmetrie die Horn-Metapher in den Zitaten am oberen und unteren Rand verwendet wird, während das Arm-Gleichnis links und rechts zu finden ist. Wie das Horn das Emblem des starken und kampfeslustigen Widders ist, symbolisiert der als bloße Waffe benutzte Arm ebenfalls Kraft und Stärke. Aus dieser Perspektive wird nun klar, wie bewusst Crotus diese Zitate dem zentralen Wappenbild, dem aus den Wolken ragenden Arm mit dem (Jagd-)Horn in der Hand zugeordnet hat. Das Horn ist eben nicht nur das Symbol des Jägers, sondern auch das eines Kämpfers. Wer aber waren diese viermal beschworenen Feinde, die Crotus hier in so martialischer Weise „zu Boden zu stoßen“ drohte? Es waren einmal diejenigen Universitätslehrer, in erster Linie aus der Theologischen Fakultät, die sich einer gründlichen Universitätsreform zu widersetzen suchten, 94 zum anderem aber und viel wichtiger sowie über Erfurt hinausgehend die kirchlichen Autoritäten, die Hauptfeinde Luthers, angeführt von Theologen wie Johannes Eck und dem päpstlichen Nuntius Aleander und dahinterstehend die etablierte Papstkirche. Deren Macht hatte Eck eindrucksvoll demonstriert, als er die beiden auf der Tafel dargestellten Männer, Ulrich von Hutten und Martin Luther, mit dem kirchlichen Bann belegt hatte. Insofern stellte die Tafel eine unerhörte Provokation dar.

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es dagegen falsch: Gott ist mein Schild und Berg meines Heils. Im Hebräischen steht eindeutig ‫( קרו‬Horn). Lautet oder sollte lauten, denn der Text auf Crotus Tafel ist fehlerhaft. Sowohl der Verfasser selbst (Der Erfurter Humanistenkreis am Schnittpunkt von Humanismus und Reformation, S. 157 f.) als auch POSSET (Polyglot Humanism, S. 12) weisen im Detail auf diese Fehler hin. SCRIBNER, The Erasmians, S. 23.

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CROTUS RUBIANUS ALS REKTOR DER UNIVERSITÄT ERFURT

Wie aufgeheizt die Stimmung in Erfurt war, zeigen die folgenden Ereignisse. Die Unruhen unmittelbar nach Luthers Besuch und den Disziplinierungsversuchen gegenüber Draco, also noch während des Rektorats des Crotus, das am 2. Mai zu Ende ging, als Studenten die Häuser von einigen Geistlichen plünderten, waren nur ein Vorspiel zu den viel umfangreicheren „Pfaffenstürmen“ in der Nacht vom 11. zum 12. Juni. Dabei entlud sich die lang angestaute Wut gegen die privilegierten Kleriker. Ziel waren speziell die Häuser der Kanoniker der beiden Erfurter Stifte, St. Severin und St. Mariae. Studenten, junge Handwerker, auch Bauern und einige Mitglieder des niederen Adels zerstörten das wertvolle Möbiliar, zerfetzten Bücher und Pergamente, schlugen Fensterscheiben ein und stürzten sogar einen der Kanoniker aus dem Fenster. Die Zahl der geplünderten Häuser schwankte zwischen 44, 50 (Eobanus Hessus) und 60 (Bericht des Rektors Martin von der Marthen).95 Der Rat griff spät und dann halbherzig ein; erst als sich die wütende Menge ausgetobt hatte. Es folgten Verhandlungen, in deren Verlauf es den Ratsherren gelang, der Stiftsgeistlichkeit erhebliche Zugeständnisse abzuringen. Die Geistlichen mussten 10.000 Gulden Schutzgeld, als Steuernachzahlungen getarnt, zahlen, sowie wie alle Bürger Erfurts Schlachtgeld, Mahlgeld und Wächtergeld entrichten. Motiv für die Tat dürften also weniger theologische Gründe gewesen sein, sondern Ressentiments gegen die hohe Geistlichkeit, denen es im Lauf der Jahrhunderte gelungen war, sich von den städtischen Steuern zu befreien. Crotus erfuhr von diesen Juni-Unruhen nur durch die Berichte seiner in Erfurt verbliebenen Freunde. Er selbst hatte seine Alma Mater bereits Anfang dieses Monats verlassen.

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KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 262. Je nach Quelle waren es 44 oder sogar 50 Häuser. KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 72-75.

IX.

ZWISCHEN LUTHERBEGEISTERUNG UND HUMANISTISCHER SKEPSIS – CROTUS’ ZWEITER AUFENTHALT IN FULDA (1521-1524)

CROTUS’ ZWEITER AUFENTHALT IN FULDA (1521-1524)

Multos annos mihi Lutherus carus fuit. Schon seit vielen Jahren schätze ich Luther.1 Contentiones et odia mihi supra modum displicent. Streitereien und Feindseligkeiten missfallen mir über die Maßen.2

Briefe aus Fulda fordern mich zu meiner unverzüglichen Rückkehr auf, meldete Crotus noch aus Erfurt seinem Freund Johann Hess am 31. Mai 1521.3 Er hoffe jetzt, zur ruhigen Muße zurückzukehren, zu einer Ruhe, die sich einem doch immer wieder entziehe.4 Noch habe er aber diesen dringenden Bitten nicht Folge leisten können, da er noch wichtige, mit seinem Rektorat zusammenhängende Aufgaben zu erledigen habe.5 Aus diesem Grunde begab er sich erst Anfang Juni, also fast einen Monat nach Ende seiner Amtszeit, nach Fulda.6 Von einem „fluchtähnlichen Aufbruch“ aus Erfurt kann daher nicht die Rede sein.7

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Crotus an Johannes Lang am 9. August 1521, in: KRAUSE, Epistolae aliquot selectae, S. 10. Crotus an Peter Eberbach am 1. Juli 1521, in: Helius Eobanus HESSUS, Tertius libellus epistolarum, Bl. F1. KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 13, S. 28: „Veniunt literae Vuldenses praeproperum reditum meum postulantes.“ KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 13, S. 28: „… et iterum nunc ad tranquillitatem fugientem respiro.“ KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, Nr. 13, S. 28: „Occurrunt negotia functi magistratus.“ So hatte er, wie wir sahen, noch den Rektoratsbericht zu verfassen, die Rechnungslegung zu erledigen und vor allem die Wappentafel zu gestalten oder gestalten zu lassen. Das Datum ergibt aus der Bemerkung Mutians in einen Brief an Johann Lang vom 15. Juni 1521: „Abiit Ιώνας, abiit Crotus, orbati sumus amicissimi.“ (GILLERT Nr. 606). KAMPSCHULTE, Die Universität Erfurt und die Reformation II, S. 134.

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1.

CROTUS’ ZWEITER AUFENTHALT IN FULDA (1521-1524)

Warum verließ Crotus Erfurt?

WARUM VERLIESS CROTUS ERFURT? Gründe, Erfurt zu verlassen, gab es genug. Wie immer mag bei dem mittellosen Crotus der wirtschaftliche Aspekt eine wichtige, wenn auch nicht die entscheidende Rolle gespielt haben. Als Rektor bezog er kein Gehalt, sondern bestritt seinen Lebensunterhalt lediglich von den Immatrikulations- und Promotionsgebühren sowie den Strafgeldern, die er verhängen durfte.8 Zur Lebenssicherung stand ihm nur sein bescheiden dotiertes Vikariat zur Verfügung, und das befand sich in Fulda. Daneben gab es noch andere, seine persönliche Situation übergreifende Gründe, die ihn veranlassten, Erfurt den Rücken zu kehren. Die Situation in der thüringischen Universitätsstadt hatte sich seit dem Ende seines Rektorats dramatisch geändert. Nach den vereinzelten Unruhen im April war es Mitte Juni zu den viel schlimmeren, im letzten Kapitel geschilderten, „Pfaffenstürmen“ gekommen.9 Für einen Mann, der zwar die satirische Auseinandersetzung liebte, aber allergisch gegen Tumulte und gewaltsame Ausschreitungen war, war das Klima öffentlicher Konflikte unerträglich geworden.10 Dazu kam, dass mit der Wahl des greisen Martin von der Marthen zum Rektor die Altgläubigen wieder die Oberhand gewonnen hatten. Zahlreiche seiner Freunde kehrten in diesem Frühjahr Erfurt den Rücken:11 Draco (Draconites) ging in den ersten Wochen nach den April-Unruhen nach Nordhausen und von da nach Wittenberg; Justus Jonas trat Ende Mai in Wittenberg die Nachfolge des Juraprofessors Henning Goede am dortigen Allerheiligenstift an; ebenso verließen die Stadt Euricius Cordus, Peter Eberbach, Joachim Camerarius und Justus Menius, Crotus’ ehemaliger Schüler in Fulda, alle Freunde (außer Cordus), die Crotus in seine Rektoratstafel aufgenommen hatte. Viele zogen in die aufstrebende Universitätstadt Wittenberg, sodass Eobanus Hessus, der durch seine 8

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OERGEL, Beiträge zur Geschichte des Erfurter Humanismus, S. 71. Diese Gebühren führte er sehr sorgfältig in dem Liber receptorum auf. Für die Behauptung SCHEIBLES (Johannes Draconites, S. 35), Crotus sei in Erfurt Professor der Theologie geworden, habe ich keine Belege gefunden. Dass er noch Zeuge dieser „Pfaffenstürme“ von Mitte Juni 1521 wurde, ist also unwahrscheinlich, da er bereits vorher abgereist sein dürfte. Auch die Pest, die im Juli viele Studenten aus der Stadt trieb, dürfte in diesem Fall nicht ausschlaggebend für sein Verlassen von Erfurt gewesen sein. Am 1. Juli hatte er schon in einem Brief an seinen alten Freund Petreius seine Abneigung gegenüber Streit ausgedrückt. Auch CAMERARIUS, Narratio, S. 102: „Eo anno (1521) & nos Erphordiam reliquimus, jam dissidiis & tumultatione quatefactam & pestilentiae lue infectam.“ Nach KLEINEIDAM (Universitas Studii Erffordensis, II, S. 264) verließen insgesamt 25 Humanisten 1521/22 die Universität. Zu dem akademischen Aderlass auch OERGEL, Beiträge, S. 105-112.

WARUM VERLIESS CROTUS ERFURT?

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Heirat an Erfurt gebunden war, in einem Brief an Spalatin klagte, dass Wittenberg die Erfurter Studenten und Professoren wie ein Magnet anziehe. Statt, wie bei den Humanisten üblich, in seinen Briefen von den wenigen in Erfurt noch verweilenden Freunden Grüße ausrichten zu können, ließ er deshalb in einem Anflug von Galgenhumor diese von seinen lästigen Fliegen Grüße bestellen.12 Die Universität Erfurt sollte sich von diesem Aderlass nie wieder erholen. Die Immatrikulationszahlen sanken von Semester zu Semester, sodass sich 1526 nur noch 14 Studenten neu einschrieben.13 Mit dem Abnehmen der Studenten verödeten auch einige der berühmten Bursen. So mussten zum Beispiel in den folgenden Jahren die Georgenburse und die Burse „Weißes Rad“ geschlossen werden.14 Die neuen Sterne am akademischen Himmel wurden Wittenberg und seit 1527 die von Landgraf Philipp von Hessen gegründete Universität Marburg. Crotus selbst hoffte, in Fulda endlich die heilige und fromme Muße (sanctum piumque otium) genießen zu können, nach der er sich während der dramatischen Monate seines Rektorats gesehnt hatte. Ehrgeiz mögen andere entwickeln, meinte er. 15 Diese Lebensphilosophie skizzierte er in Briefen an zwei alte Freunde, an Johann Hess16 und an seinen alten Freund, den Erfurter Theologen und Luther-Anhänger Johann Lang. Letzterer hatte sich gerade von einer schweren Krankheit erholt. Crotus benutzte die Gelegenheit, ihm Ratschläge zu geben, die seine Ansichten über ein Leben der beata tranquillitas reflektieren. Grund für den schlechten Gesundheitszustand, so lautet die Diagnose des Crotus, sei sein durch das harte Klosterleben bedingter ungesunder Lebenswandel. Er solle lernen, Maß zu halten. Deshalb empfehle er ihm, seine wissenschaftliche Arbeit etwas zurückzustellen, und, da soziale Kontakte wichtig seien, sich mehr unter die Leute zu mischen, an Gastmahlen teilzunehmen, nicht Saufgelagen, sondern an denen, in denen es fröhlich zugeht. Vor allem solle er sich aber aus allem das Volk und die Gelehrten in Erfurt beschäftigenden Streit heraushalten.17

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KRAUSE, Helius Eobanus Hessus, I, S. 337. Libellus novus, Bl. 1a. Am 9. September 1521. KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 266. MÄRKER, Geschichte der Universität Erfurt, S. 56. Brief an Johann Hess am 29. April 1520, in: KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 21: „Ambiat, anhelet, prenset, quem stimulat ambitio.“ Vgl. den Brief an Hess vom 29. April 1520 in: KRAFFT/KRAFFT, Briefe und Documente, S. 21: „sanctum et pium otium“. KRAUSE, Epistolae aliquot selectae, Nr. XI, S. 10 (9. August 1521): „… esu insalubri, studio vehementiore contractus erat noxius, humor vitae insidians … At tu disce deinceps modum rebus addere. Cohibe parumper literarum studium, piis declamationibus ne nimium frequentiusque ferveas. … Solitaria vita excedens modum obest plurimum bonae valetudini. Sequere quandoque aequalium convivia, non ebria, sed laeta, non voluptaria,

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2.

CROTUS’ ZWEITER AUFENTHALT IN FULDA (1521-1524)

Crotus’ Freunde in Fulda

CROTUS’ FREUNDE IN FULDA Als Crotus sich in der ersten Junihälfte 1521 nach Fulda begab, um endlich seine Vikarie anzutreten, übernahm er aber nicht wieder die Leitung der Stiftsschule, die während der vier Jahre der fuldaischen Herrschaftskrise zwischen Abt Hartmann von Kirchberg und den fuldaer Ständen verwaist gewesen war.18 Mit diesem Amt betraute man jetzt seinen jüngeren Freund Adam Krafft, einen aus einer alteingesessenen und angesehenen Fuldaer Familie stammenden Mann.19 Während seines Studiums in Erfurt hatte er sich dem humanistischen Kreis um Eobanus Hessus angeschlossen. Wie viele andere Mitglieder des Erfurter Kreises geriet er etwa seit 1516 unter den Einfluss des Erasmus, hielt als Magister Vorlesungen über dessen Laus stultutiae (Lob der Torheit) und Enchiridion militis Christiani (Handbuch des christlichen Streiters). Seine Wendung von einem Humanisten erasmischer Prägung zu einem glühenden Unterstützer Luthers muss man auf die Mitte des Jahres 1519 legen, nachdem er neben Johann Lang und anderen Erfurtern an der Leipziger Disputation teilgenommen hatte. Seit November des Jahres 1520, also während des Rektorats des Crotus, vertrat Krafft als Prediger in der Kirche des Augustinerklosters entschieden die Ideen Luthers und nahm auch an dessen Empfang im April 1521 teil. Wie sehr er von Crotus geschätzt wurde, zeigt auch seine Aufnahme in dessen Rektoratstafel. Nach achteinhalbjährigem Aufenthalt in Erfurt kehrte er dann in seine Vaterstadt Fulda zurück, wo er also zunächst die Leitung der Stiftschule übernahm und spätestens seit 1522 als evangelischer Prediger in der Fuldaer Stadtpfarrkirche wirkte.20

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sed utilia. Imprimis volo, a factionibus, quibus populus Erphurdianus cum rudis tum doctus laborat, sis alienissimus.“ BREUL-KUNKEL, Herrschaftskrise, S. 116-158. Geboren im Jahre 1493, also 13 Jahre jünger als Crotus, hatte er von 1500-1510 die Klosterschule in Fulda besucht. Im Jahre 1513 immmatrikulierte er sich an der Universität Erfurt, wo er nach lediglich drei Semestern den ersten akademischen Grad, den Baccalaureus, und 1518 den Magistergrad erhielt. WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universität, II, S. 277, 36, SCHWINGES/WRIEDT, Bakkalarenregister, S. 308, Nr. 8. Zu Krafft SCHAEFER, Adam Krafft, der Reformator Hessens; ZELLER, Krafft, Adam, in: NDB 12, S. 646; SCHILLING, Adam Krafft, in: FGBll 70, S. 87-100; RUDOLPH, Krafft, Adam, in: BBKL, 31, S. 747-760; außerdem die konfessionell gefärbte zeitgenössische Chronik des Apollo von Vilbel, des damaligen Dechanten des Hochstifts Fulda. Diese Chronik liegt in einer modernen Ausgabe von RÜBSAM vor; hier S. 260. Crotus kann also nur für sehr kurze Zeit, wenn überhaupt, dort sein Lehrer gewesen sein, da er erst nach 1510 nach Fulda kam. Dagegen muss Krafft Hutten als Mitschüler gekannt haben. BREUL-KUNKEL, Herrschaftskrise, S. 246. Nach seinem Weggang aus Fulda fand er in dem jungen Landgrafen von Hessen Philipp einen Gönner: Dieser berief ihn zum Hof-

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Neben Adam Krafft hatte Crotus während dieses Fuldaer Aufenthaltes Kontakt mit drei weiteren ehemaligen Erfurter Studenten: Balthasar Raidt, Georg Witzel und Georg Bonemilius. Wie Krafft stammte auch Raidt aus Fulda und hatte in Erfurt studiert.21 Im Jahre 1517 war er in Nordhausen tätig; die nächsten Jahre verbrachte er in Rom als Geistlicher, weshalb er sich später, als er sich dem lutherischen Glauben zugewandt hatte, selbstironisch als Römischen Curthisan und Ablas kremer bezeichnete. Erst nach seiner Rückkehr aus Rom – der genaue Zeitpunkt lässt sich nicht ermitteln – wandte er sich, möglicherweise unter dem Einfluss von Crotus und Krafft, der lutherischen Bewegung zu. In der Chronik des altkirchlich gesinnten Apollo von Vilbel, zu dieser Zeit Propst zu St. Peter in Fulda, heißt es über ihn: Auf diese Weise wurde ein weiterer Pseudoprophet, mit Namen Balthazar Reyd, coadiutor Adam [Kraffts] aber schlimmer als dieser, angestellt.22 Schlimmer sei er gewesen, weil er ohne jede Hemmung Frauen und Jungfrauen mit seinen Worten zur Wollust provoziert habe: Wenn ihr die Lust des Fleisches fühlt, euch Brüste wachsen und anderswo Haar, sobald ihr also die ersten Zeichen [der Pubertät] spürt, sollt ihr von den Eltern die nötige Kleider erbeten und sich an das biblische Motto halten: „Seid fruchtbar und mehret Euch.“23 Freunde des Crotus in Fulda waren also Georg Bonemilch aus Lasphe24 und Georg Witzel (geb. 1501 in Vacha), der in den dreißiger Jahren Crotus’ engster Freund werden sollte (siehe unten). Alle fünf Fuldaer Humanistenfreunde, Krafft, Raidt, Witzel, Bonemilius und Crotus selbst, sympathisierten damals mit Luther.25

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prediger. Auf seinen Rat hin und mit seiner Mitwirkung errichtete dieser 1527 die Universität Marburg, die erste protestantische Universität auf deutschem Boden. Er immatrikulierte sich im WS 1510/11 an der Universität Erfurt, wo er 1513 den Baccalaureus verliehen bekam. WEISSENBORN, Acten der Erfurter Universitaet, II, S. 268; SCHWINGES/WRIEDT, Bakkalarenregister, S. 304, Nr. 5. RÜBSAM (Hg.), Chronik des Apollo von Vilbel, S. 260 f.: „Eodem modo alius pseudopropheta Balthazar Reyd dictus, coadiutor Adami, sed peyor illo … .“ RÜBSAM (Hg.), Chronik des Apollo von Vilbel, S. 261: „Idem Balthazar publice in ecclesiis Dei sine omni verecundia proclamavit mulieres et virgines ad inpudenda et ad luxuriam provocandus [sic] incitavit dicens ad puellas: Si tu senseris carnem et mamillas simulque crines alibi crescere, et sensus habes, a parentibus tunicam vel interulam aut aliquid sibi simile postulare poteris et hec, quibus minime quam istis indigere potes, expetere continue thema illuid pre se ferens: Crescite et multiplicamini.“ Er hatte im Herbst 1507 den Bakkalaureus-Grad erworben (WEISSENBORN, Acten der Universitaet Erfurt, II, S. 220; SCHWINGES/WRIEDT, Bakkalarenregister, S. 288, Nr. 40). Nicht zu verwechseln mit dem berühmteren Weihbischof Johann Bonemilch, dem Eobanus Hessus 1506 sein Lobgedicht über die Universität Erfurt gewidmet hatte (vgl. Kap. I). BREUL-KUNKEL, Herrschaftskrise, S. 222.

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Während Crotus sich also bei seinem ersten Fuldaer Aufenthalt zwischen 1510 und 1516 noch über die analphabetischen Opferpriester beklagt hatte, hatte er doch jetzt mindestens einen kleinen Kreis gleichgesinnter Männer um sich. Diese kleine Gruppe war zwar weit entfernt von den beiden Thüringer Humanistenkreisen, die sich erst um Mutianus Rufus in Gotha und dann ab 1514 um Eobanus Hessus in Erfurt gebildet hatten; sie bot Crotus aber immerhin die Möglichkeit, mit anderen humanistisch geprägten Theologen Gedanken auszutauschen. Dazu kam, dass Crotus auch nicht nur den brieflichen, sondern auch persönlichen Kontakt mit anderen Freunden aufrechterhielt. Als sich Philipp Melanchthon in Begleitung seiner Freunde Wilhelm Nisenus und Joachim Camerarius auf einer Reise in seine süddeutsche Heimat befand, war es selbstverständlich, dass sie in Fulda Crotus Rubianus und Adam Krafft aufsuchten. Über diesen Zwischenstopp berichtete Camerarius: Wir verbrachten eine Nacht in Fulda, wo Crotus und Adam Krafft lebten. Diese freuten sich sehr über unsere Ankunft und hießen uns nach allen Regeln der Gastfreundschaft aufs herzlichste und großzügigste willkommen.26

3.

Die Vergangenheit holt Crotus ein – die Angelegenheit der Imitatio Erphurdiana

DIE VERGANGENHEIT HOLT CROTUS EIN Wenn Crotus jedoch gehofft hatte, sich in der beschaulichen Stille seiner Fuldaer Vikarie einem ruhigen Gelehrtenleben widmen zu können, hatte er sich getäuscht. Jetzt, als sich die altkirchlichen Vertreter in der Theologischen Fakultät Erfurt wieder durchgesetzt hatten, holte ihn seine Vergangenheit als Rektor der Erfurter Universität gewissermaßen ein. Man hatte nicht vergessen, dass er im April als Rektor dieser Hochschule den gebannten Mönch Luther unter begeisterter Teilnahme der Studentenschaft und Stadtbevölkerung empfangen und in seinem Rektoratsbericht als einen Mann gefeiert hatte, der der römischen Willkür den Todesstoss versetzt hatte. So konnte es nicht überraschen, dass er jetzt in Fulda in eine Angelegenheit gezogen wurde, mit der er kaum etwas zu tun gehabt haben dürfte.

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IOACHIMI CAMERARII, De vita Philippi Melanchthoni Narratio, S. 89: „… mansimus vnam noctem Fuldae, vbi tum Crotus Rubianus et Adamus Crato degebant. Qui aduentu nostro affecti magno gaudio omnia humanitatis et hospitalitatis officia prolixe nobis praestiterunt.“ Dort erfuhren sie auch vom Tode Ulrichs von Hutten – er war schon 1523 gestorben. Beide, Crotus und Melanchthon, hätten den Tod Huttens sehr beklagt: ebd., S. 91: „Et dolore autem tum Philippi Melanchthoni ac nostro et deploratione quoque Croti quasi iusta facta sunt Hutteno.“

DIE VERGANGENHEIT HOLT CROTUS EIN

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Wir erinnern uns: Studenten der Erfurter Universität hatten im August 1520 einen leidenschaftlichen Aufruf gegen die Verbreitung der Bannandrohungsbulle, die Dr. Eck am 26. Juni gegen Luther und dessen Anhänger erwirkt hatte, am Portal des collegium major angebracht, die sogenannte „Intimatio Erphurdiana pro Luthero“.27 Angeblich hätten die Magister, Bakkalaren und Professoren der wahren Theologie nach reiflicher Überlegung und einstimmig versprochen, sich für Luther einzusetzen.28 Die „in einem hinreißenden Ton“ gehaltene Intimatio29 war offensichtlich eine Fälschung, denn die theologische Fakultät der Universität Erfurt war in den Entscheidungsjahren der Reformation bis auf zwei Ausnahmen, nämlich Justus Jonas und Johann Lang, immer bei ihrer streng altkirchlichen Haltung geblieben.30 Die Anbringung des Plakats wäre einer der zahlreichen Vorfälle geblieben, die sich in jener aufgewühlten Zeit ereigneten, und wäre als Fußnote in die Erfurter Universitätsgeschichte eingegangen, wäre der Text nicht etwa zehn Monate später im Druck erschienen, und zwar in der ursprünglichen lateinischen Fassung und in einer von dem Ulmer Geistlichen Wolfgang Russ verfassten deutschen Version. 31 In den hektischen Monaten zwischen August 1520 und Juli 1521 war aber viel geschehen. Luther war am 3. Januar 1521 durch die Bulle „Decet Romanum pontificem“ exkommuniziert worden, hatte sich auf dem Reichstag zu Worms im April geweigert, seine Thesen zu widerrufen und war Ende des Monats durch das Wormser Edikt der Reichsacht verfallen. Gleichzeitig war er in weiten Teilen Deutschlands zu einem Volkshelden geworden. Als die beiden Versionen der „Intimatio“ deshalb im Frühjahr 1521 im Druck erschienen, mussten sie schon wie aus der Zeit gefallen wirken, da die Ereignisse über die Veröffentlichung der Bannandrohungsbulle, des eigentlichen Anlasses des Pamphlets, schon längst hinweggeschritten waren. Warum wurde dieses Pamphlet aber gerade jetzt veröffentlicht und auf wessen Initiative geschah dies? Man kann darüber nur spekulieren. Erfolgte die Publikation tatsächlich auf Betreiben einiger Erfurter Theologen, die das Manuskript an die erzbischöfliche Druckerei in Mainz sandten in der Absicht, dessen Verfasser als schlimmsten Ketzer hinzustellen, um gegen ihn anschließend „einen kanonischen Prozess zu betreiben?“ 32 Oder war es tatsächlich Crotus                                                              27 28

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Text bei KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 92-94. KALKOFF, Humanismus und Reformation in Erfurt, S. 92: „Nos vero almae universitatis magistri [et] baccalaurei theologicae veritatis professores, omnes et singuli tam coniunctim quam divisim desuper maturo habito consilio unanimes unoque corde, semoto omni scrupulo livoris vindictae aut odii ciusquam … .“ KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 247. KALKOFF, Die Erfurter Theologische Fakultät, S. 353. VD 16 E 3745-3750. Beide Versionen sind bei BÖCKING V, S. 326-340, abgedruckt. So die These von KALKOFF, Die Erfurter Theologische Fakultät, S. 356.

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selbst, der die Agitation gegen die altkirchliche Partei fortsetzen wollte und das Manuskript an seinen militanten Freund Ulrich von Hutten nach Mainz mit der Bitte um Veröffentlichung sandte?33 Beweise gibt es für keine der beiden Hypothesen. Als Urheber verdächtigte man aber nun tatsächlich Crotus, der aus seiner Luther-freundlichen Haltung während seiner Amtszeit als Rektor keinen Hehl gemacht hatte. Erhärtet wurde diese Interpretation durch einen Satz in Wolfgang Russ’ Übersetzung, wo von der „ermanung so der Rector der hochberüempten Universitet Erdtfurt offenlich gethan hat“ gesprochen wurde. 34 Man darf vermuten, dass Russ, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Erfurt war, entweder aus Unkenntnis die Schrift dem Rektor der Universität in Erfurt zuschrieb, oder um ihr durch Nennung des Rektors größeres Gewicht zu verleihen. 35 Ausgeschlossen scheint auf alle Fälle, dass Crotus hinter dem ursprünglichen, handschriftlich verbreiteten flammenden Appell steckte, denn im August 1520, als die Intimatio an die Tür des collegium major geheftet worden war, hielt er sich noch gar nicht in Erfurt auf. Ausgeschlossen scheint aber auch nach allem, was wir über Crotus in dieser Zeit wissen, dass er den Druck des Pamphlets veranlasst hatte. Ihm lag eher daran, die Gemüter zu beruhigen als sie aufzustacheln. Zwar unterstützte er Luther zu dieser Zeit, rief ihn aber stets zu verbaler Mäßigung und Vorsicht auf. Ein Appell zur Gewalt, wie sie in der Intimatio gefordert wurde, lag seinem Charakter fern. Verständlicherweise erregte die Veröffentlichung des Pamphlets in Erfurt einiges Aufsehen, besonders bei den altgläubigen Mitgliedern der Theologischen Fakultät, die als angebliche Verfasser genannt wurden. Sie wandten sich an den damaligen Rektor des Sommersemesters 1521, Martin von der Marthen, und baten um Schritte zu ihrer Verteidigung. Der geheime Ausschuss, das secretum concilium traf sich daraufhin zweimal, am 17. und 29. Juli, um sich mit der Frage zu befassen, und es wurde vorgeschlagen, eine Schutzschrift zur Darlegung ihrer Unschuld ausgehen zu lassen und darin dem vorigen Rektor Crotus die Urheberschaft des Pamphlets zuzuschreiben.36 In dem gleichen Brief, in dem er Lang lebenspraktische und gesundheitsfördernde Ratschläge erteilt hatte, bat Crotus den Theologen nun um Hilfe. Von diesem nahm er nämlich an, dass er noch der Theologischen Fakultät angehörte. 37 Das erwies sich allerdings als Irrtum, denn der Lutheraner Lang war zu diesem Zeitpunkt schon aus der The33

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So die Vermutung BÖCKINGS V, S. 336: „Hanc Intimationem a Croto ad Huttenum, ut Mogontiae typis describi curaret et missam fuisse etiam nunc opinor.“ BÖCKING V, S. 337. Nach KALKOFF (Die Erfurter Theologische Fakultät, S. 358) war es Justus Jonas, der das Pamphlet geschrieben hatte. Seine These ist aber wenig überzeugend. OERGEL, Beiträge, S. 92; KLEINEIDAM, Universitas Studii Erffordensis, II, S. 246. Crotus an Lange, 9. August 1521; in: KRAUSE, Epistolae aliquot selectae, Nr. 11, S. 10.

DIE VERGANGENHEIT HOLT CROTUS EIN

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ologischen Fakultät „herausgeekelt“ worden, indem man ihm, ausgerechnet ihm, dem hochgebildeten Gräzisten, „Wissenschaftsfeindlichkeit“ vorgeworfen hatte.38 In Erfurt, so schreibt Crotus an Lange, hätten entweder einige sehr „unkluge Kinder“ (imprudentes liberi), ein etwas herablassendes Wort für Studenten, oder aus Eifer Übelgesinnte (de industria mali) seinen Namen durch eine erfundene Schrift über die lutherische Lehre zu beschmutzen versucht. Ihm, Crotus, genüge aber sein gutes Gewissen, das mit solch einer Tat unvereinbar sei. Durch ein öffentliches Dekret solle nun eine Schrift gegen das ihm fälschlicherweise zugeschriebene Pamphlet verfasst werden.39 Als Zeugen seiner Unschuld rufe er nun Lang an. 40 Jeder, der sich die Umstände der Anklage ansehe, werde ihn von jeder Schuld freisprechen. Die Patres sollen ihn aus dieser Angelegenheit herauslassen. Wenn sie die Affäre untersuchten, sollten sie sorgfältig die Fakten prüfen, dass sie nicht den Bruder – Crotus war auch Theologe – zu Unrecht verurteilen. Wenn aber seinem Anliegen nicht stattgegeben werde, müsse er das als eine reine Machtdemonstration interpretieren. Dazu komme, dass er, obwohl er seine Sympathie für Luther nie verhehlt habe, seine persönliche Überzeugung nie in die Öffentlichkeit ziehen wollte, zumal ihm bewusst sei, dass zahlreiche Menschen an der Universität gegenteiliger Ansicht seien. 41 Zwei Möglichkeiten gebe es: Entweder er verliere für immer seinen guten Ruf, oder man widerlege die ihm angetane Kränkung durch eine gerechte Verteidigung.42

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Lang wehrte sich gegen die Vorwürfe in einer Schrift. Diese wurde von seinem Freund Eobanus Hessus veröffentlicht: Johannis Langi Erfurdensis ad Excellentiss. D. Martinum Margaritanum, Erfurt, Matthes Maler 1521 (VD 16 L309). Siehe auch WÉISS, Die frommen Bürger Erfurts, S. 125. KRAUSE, Epistolae aliquot selectae, S. 10: „… quod quidam illic imprudentes liberi aut de industria mali nomen meum ficta scheda de doctrina Lutherana student laedere. Sufficit mihi mea conscientia aliena ab eo facto. … Iam scribitur ad me istinc et referunt passim publico decreto scribi contra schedam falso meam creditam apologiam.“ KRAUSE, Epistolae aliquot selectae, S. 10: „Et tu, mi Lange, optimus testis es innocentiae meae, atque quisque etiam qui velit accusationibus circumstancias considerare ab omni culpa me liberabit.“ KRAUSE, Epistolae aliquot selectae, S. 10: „Quo animo cum sim, an ob id universos mecum in eam sententiam trahere debui et privatos affectus per publicam magistratum efferre, praesertim cum mihi constaret, quam multi in communi nostra schola tuerentur partem divisam?“ KRAUSE, Epistolae aliquot selectae, S. 10: „Quod si ita est, ego factum non improbo, sed te rogo, mi Lange, meo nomine rogare digneris proceres patres, ut scribendo abstineant a meo nomine et magistratu. In ceteris nil moror. Aut si iniqua peto, ante judicium more bonorum virorum de facto diligenter inquirant, ne fratrem videantur inique damnasse. … Sin et hic mos non geratur petenti, quid aliud interpretabor quam vim? Duo extrema

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CROTUS’ ZWEITER AUFENTHALT IN FULDA (1521-1524)

Möglicherweise intervenierte Dr. Lange, der trotz des Verlusts seiner Professur noch Freunde in der Theologischen Fakultät hatte. Auf alle Fälle ließ man die Angelegenheit auf sich beruhen. Dazu kam, dass in dieser Zeit wieder einmal in Erfurt die Pest ausgebrochen war. Man hatte andere Sorgen.

4.

Zwischen Lutherverehrung und humanistischer Skepsis

ZWISCHEN LUTHERVEREHRUNG UND HUMANISTISCHER SKEPSIS Die Affäre um Crotus’ angebliche Rolle bei der Veröffentlichung der Intimatio zeigte, wie groß das Misstrauen der altkirchlichen Partei gegenüber ihm war. Angesichts seiner späteren Rückkehr zum alten Glauben lohnt es, sich noch einmal seine Stellung zur Reformationsbewegung in diesen Jahren zu vergegenwärtigen. Die wenigen während seines zweiten Fuldaer Aufenthaltes geschriebenen (und erhaltenen) Briefe geben darüber aber ein durchaus widersprüchliches Bild. Bei der Interpretation dieser Schreiben sollte man allerdings auch bedenken, dass sich Crotus wie jeder geschickte Briefsteller der Erwartungshaltung seiner Korrespondenten anzupassen verstand. Gegenüber einem ganz ins lutherische Lager übergetretenen Freund äußert er sich anders als gegenüber jemanden, der seine Vorbehalte gegenüber der lutherischen Bewegung teilte. Crotus’ eindeutiges Leugnen seiner Verwicklung in die Veröffentlichung der Intimatio in seinem Brief an Johann Lang vom August 1521 bedeutete nicht ein Nachlassen seiner Lutherverehrung. Er hatte nicht nur Luther in seiner Wappentafel als einen der vier wichtigsten Intellektuellen der Zeit vorgestellt, sondern den damals bereits gebannten Mönch in seinem Rektoratsbericht als jemanden bezeichnet, der als Erster nach Jahrhunderten gewagt hatte, mit dem Schwert der heiligen Schrift die römische Willkür zu vernichten. 43 Vier Monate später, schon seit zwei Monaten in Fulda, bestätigte er nun gegenüber Lang seine damalige Hochachtung für Luther: Schon seit vielen Jahren schätze ich Luther, aber gerade jetzt schätze ich ihn noch mehr, weil das gemeine Volk von ihm sozusagen von der Tyrannei befreit worden ist.44

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erunt: ut vel perpetuam nominis injuriam feram vel illatam contumeliam justiore defensione confutem.“ WEISSENBORN, Acten der Universitaet Erfurt, II, S. 318: „qui primus post saecula ausus fuit gladio sacrae scripturae Rhomanam licentiam iugulare.“ Das ist übrigens das einzige Mal, wo eine Matrikel den Namen Luthers in ehrender Weise nennt. Wenige Jahre später reden die Rektoren von ihm als den „heresiarcha“ und von dessen Botschaft als der „perniciosissima Lutheranorum heresis“. OERGEL, Beiträge, S. 92. KRAUSE, Epistolae aliquot, S. 10: „Multos annos Lutherus carus fuit, sed carior mihi nunc ob liberatam ab eo rudem plebem a quadam tyrannide.“

ZWISCHEN LUTHERVEREHRUNG UND HUMANISTISCHER SKEPSIS

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4.1 Eintreten für zwei Würzburger Kleriker Dass es sich dabei nicht um ein reines Lippenbekenntnis gegenüber dem glühenden Luther-Verehrer Lang handelte, zeigt Crotus’ Eintreten für zwei Würzburger Kleriker. Diese hatten nämlich durch ihre öffentlich demonstrierte Eheschließung und die darauf hin erfolgten kirchlichen Sanktionen weit über die Würzburger Diözese in klerikalen und humanistischen Kreisen für Aufsehen gesorgt. Was war vorgefallen? Im Frühjahr 1523 erließ der Fürstbischof von Würzburg, Konrad von Thüngen, ein Mandat gegen die Heirat von Priestern, da er erkannt hatte, dass die Priesterehe in dieser Zeit ein erstes und deutliches Anzeichen lutherischer Gesinnung war. Diese galt es mit allen Mitteln zu unterdrücken. Zwei prominente Kanoniker aus dem Würzburger Neumünsterstift, Friedrich Fischer und Johann Apel,45 beide Räte in Konrads Verwaltung, die bereits in einem heimlichen Eheverhältnis gelebt hatten, ergriffen, als sie von dem Mandat erfuhren, die Flucht nach vorn und bekannten sich öffentlich zu ihren Ehefrauen.46 Der Fürstbischof versuchte zunächst, die beiden zölibatsbrüchigen Kleriker in einem persönlichen Gespräch, was nach Apel eher einem Verhör glich, 47 zur Auflösung ihrer gegen das kanonische Recht verstoßenden Eheschließungen zu überreden. Nachdem die beiden jedoch auf ihrer Entscheidung beharrt hatten und Apel einen Tag später mit einem auf lateinisch geschriebenen Brief an seinen Dienstherrn, mit der Defensio, antwortete,48 ließ der Fürstbischof die beiden Kleriker am 1. Juni verhaften und auf seiner Würzburger Residenz, der Marienburg, einkerkern. Ihre Frauen konnten rechtzeitig fliehen. Inzwischen wandten sich Apels Nürnberger Verwandte – der Kleriker stammte aus Nürnberg – an das dort residierende Reichsregiment und baten um die Freilassung Apels. Zunächst ohne Erfolg. Erst Ende August wurden Apel und Fischer nach dreimonatiger Haft entlassen; sie verloren ihre Pfründe und wurden des Landes verwiesen. Die Vorgänge fanden weit über Würzburg hinaus Beachtung, weil die beiden Geistlichen in der humanistischen res publica literaria hoch geschätzt und gut                                                              45

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Literatur zu Fischer: MUTHER, in ADB 7, S. 63-65; Zu Apel: MUTHER, Apel, Johann, in: ADB 1, S. 501; TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 1001; Literatur zu Apel und Fischer bei RUBLACK, Anticlericalism, S. 22. Die ausführlichste moderne Darstellung des Falls findet sich bei BUCKWALTER, Die Priesterehe in Flugschriften, S. 206-220, mit Angaben über frühere Literatur. Auch RUBLACK, Gescheiterte Reformation, S. 23-34; MUTHER, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 230-256; AMRHEIN, Reformationsgeschichtliche Mitteilungen, S. 1331. Apel schreibt in seiner Defensio, er sei scharf verhört worden („acriter interrogatus“). Siehe unten Defensio Bl. Aijv.

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vernetzt waren. Fischer, der in Wittenberg studiert hatte, pflegte zum Beispiel enge Kontakte zu Willibald Pirckheimer und Ulrich von Hutten. Zusammen mit Letzterem und dem Würzburger Domherrn Jakob Fuchs dem Jüngeren hatte er in Bologna studiert. 49 Dort ließ Fischer seinem Bologneser Zimmergenossen (contubernalis) Hutten ein Exemplar von Lorenzo Vallas Schrift über die (gefälschte) Konstantinische Schenkung zukommen, die dieser dann in Deutschland prompt drucken ließ und für seine anti-römische Propaganda verwertete. Der zweite heiratsfreudige Kleriker Johann Apel hatte in Wittenberg studiert. Später stand er in enger Beziehung zu Georg Spalatin, Willibald Pirckheimer, Johann Lang, Justus Jonas, Philipp Melanchthon, Johannes Drach (Draco) und Mutianus Rufus,50 Personen also, mit denen auch Crotus in engster Verbindung stand und deren Freundschaft und Zugehörigkeit zur humanistischen Sodalitas er in der Rektoratstafel vom April 1521 verewigt hatte. Aber nicht nur die persönlichen Beziehungen Apels und Fischers zu humanistischen Freunden erklären die Aufmerksamkeit, die der Fall auf sich zog. Dazu kam, dass die Priesterehe ein zentrales Thema der frühen lutherischen Bewegung war.51 Luther selbst hatte sich schon seit spätestens 1519 mit dem Priesterzölibat auseinandergesetzt und in mehreren Schriften seine Ansichten präzisiert und verschärft. So hatte er in seiner reformatorischen Kampfschrift An den Christlichen Adel deutscher Nation das Zölibatsgebot für Priester mit zahlreichen Hinweisen auf die Bibel als teuffelisch tyranney verworfen.52 Der Papst hat solch nit macht … zu pietten/ als wenig er macht hat zuvorbieten essen/tricnken/ vnd den naturlichenn auszgang/ oder feyst werden.53 Diese Vorstellungen entwickelte er dann weiter in seinen Traktaten Vom ehelichen Leben (1522)54 und De votis monasticis.55 Mit großem Interesse hatte Crotus selbst die Diskussion über die Heirat von Priestern und Mönchen auch in seinem eigenen Umfeld in Fulda verfolgt. So hatte sein damaliger Freund Balthasar Raidt die Ehelosigkeit sowohl der Kleriker als auch der Mönche und Nonnen in scharfer Form angegriffen.56 Im Jahre 1523 bat Georg Witzel den Fürstbischof Johann III. von Henneberg um Erlaubnis heiraten zu dürfen. Da er keine Antwort erhielt, verließ Witzel das 49 50 51 52 53 54 55

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KNOD, Deutsche Studenten in Bologna, S. 126, Nr. 900. GILLERT Nr. 341, 496, 500, 503. Das Folgende nach BUCKWALTER, Die Priesterehe in Flugschriften, S. 60-78. WA 6, S. 404-469, hier S. 441. WA 6, S. 442. WA 10, II, S. 267-304. Über Luthers Ansichten über die Ehe von Priestern zusammenfassend: BREUL, CelibacyMarriage-Unmarriage. BREUL-KUNKEL, Herrschaftskrise, S. 227: „Offenkundig bildete die Frage des Priesterzölibats, die die reformatorische Öffentlichkeit in den frühen Jahren insgesamt in nicht geringem Maße beschäftigte, auch in Fulda ein wesentliches Element der Verkündung.“

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Fuldaer Gebiet und begab sich nach Eisenach, wo er die Tochter eines bekannten Bürgers heiratete. Kurz darauf bat auch der Geistliche Balthasar Raidt um die Heiratserlaubnis. Als diese ihm verweigert wurde, verließ auch er das Fuldaer Territorium. So waren es nicht nur die persönlichen Beziehungen des Crotus mit den beiden angeklagten Klerikern und deren Freunden, sondern auch die Fuldaer Debatten und die Aktualität des Themas im reformatorischen Diskurs, die Crotus bewogen, sich bereit zu erklären, die Verteidigungsschrift Apels nach Wittenberg an Luther weiterzuleiten. Er erwartete, dass dieser, der das Mediensystem der Reformatoren souverän beherrschte, die Veröffentlichung der Schrift veranlasse. Luther tat ihm diesen Gefallen und ließ die Schrift, obwohl sie aus seiner Sicht nichts wesentlich Neues enthalten haben dürfte, in Wittenberg drucken.57 Der Brief des Crotus an Luther, in dem er um die Publikation von Apels Manuskript der Defensio bat, ist nicht mehr erhalten, dafür aber Luthers Antwort darauf. Diese stellte er Apels gedruckter Verteidigung, die er höflich als pia, libera et erudita bezeichnete, voran.58 Auf diese Weise kann man wenigstens teilweise Crotus’ Argumente rekonstruieren. Unter anderem hatte sich offenbar Crotus darin empört, dass der Bischof so brutal gegen die beiden Zölibatsbrecher gehandelt hatte. Luthers lapidare Analyse: Wenn sie nicht so gehandelt hätten, wären sie nicht solche Bischöfe, und wenn sie nicht solche Bischöfe wären, würden sie nicht so handeln. 59 Wie gefährlich seit den zwei Jahren nach der Verkündigung des Wormser Edikts das Schicksal der Lutheraner geworden sei, zeige das Schicksal zweier Mönche, die in Brüssel verbrannt worden seien, ein dritter sei verbannt, degradiert worden und irgendwohin „in die Pampa“ versetzt worden. Mit unglaublichem Wahnsinn würden die Diener des Papstes gegen Christen wüten, während andere sich in Schmähungen und Gotteslästerungen ergingen. Angesichts der Handlungen seiner Gegner droht Luther mit Gegenmaßnahmen. Allerdings wolle er sich nicht auf das Niveau seiner Feinde herablassen, sondern mit den Waffen der Schrift den Ruhm Christi verteidigen.60

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Der Druck erfolgte bereits um den 26. Juli 1523. Das Datum ergibt sich aus dem Hinweis Luthers in seinem Brief an Crotus, in dem er erwähnt, dass schon zwei Mönche in Brüssel hingerichtet worden seien. WA Br 3, Nr. 636, S. 116. WA 12, S. 70. WA 12, S. 71: „At nisi sic agerent, tales Episcopi non essent, et nisi tales Episcopi essent, sic non agerent.“ WA 12, S. 71: „Exusti sunt iam duo fratres Brussellae, tercius simul (ut vocant) degradatus, nescitur in quas Assyrias aut Babylonas per Sophistas translatus sit: multi in carceribus servantur simili victimae devoti. Et incredibili insania saeviunt in Christum ministri pontificum.“ Man verzeihe mir diese etwas saloppe Übersetzung des Ausdrucks „in quas Assyrias at Babylonas“.

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4.2 Johann Apels Defensio61 Mit den Waffen der Schrift argumentiert auch Apel in seiner Defensio. Alleinige Autorität sei das Evangelium und nicht der Kaiser oder Papst, da diese sowohl Christus als auch dem Evangelium widersprächen.62 Was den speziellen Vorwurf der Heirat als Kleriker angehe, so weist Apel darauf hin, dass sein eigentliches Verbrechen gewesen sei, dass er öffentlich, nicht heimlich gehandelt habe, denn im Klerus würden Konkubinen ebenso wie Unzucht und Ehebruch stillschweigend geduldet. Schon aus diesem Grunde sei die Bestrafung verheirateter Geistlicher bei gleichzeitiger Duldung von „herumhurenden Priestern“63 inkonsequent und scheinheilig. Im Übrigen – und das ist das zweite Argument – seien sexuelle Triebe etwas Natürliches. Sie ließen sich ebenso wenig unterdrücken, wie man einen Menschen nicht dazu bringen könne, übers Meer zu fliegen, obwohl dieser keine Flügel habe. Der Zölibat sei also etwas Widernatürliches. Selbst bei den Nazarenern sei sexuelle Enthaltsamkeit nur eine vorübergehende Forderung gewesen, und auch die Vestalinnen in römischer Zeit wären nur bis zum 20. Lebensjahr zur Keuschheit verpflichtet gewesen. Die Bestrafung der beiden verheirateten Kleriker durch Konrad von Thüngen scheint im Übrigen ihrer weiteren beruflichen Laufbahn – jedenfalls im protestantischen Deutschland – nicht geschadet zu haben: Johann Apel begab sich nach Wittenberg, wo er noch eine glänzende Karriere als Jurist hatte und sogar 1525 als Trauzeuge der Heirat Luthers mit Katharina von Bora beiwohnte; Fischer wurde von Albrecht von Brandenburg, dem damaligen Hochmeister des Deutschen Ordens, als Rat angestellt.64 Wie sehr Crotus in diesen frühen zwanziger Jahren von den Wittenbergern als überzeugter Lutheraner wahrgenommen und geschätzt wurde, zeigen die Bemühungen, ihn nach Wittenberg zu holen. Im Jahre 1523, also genau zu der Zeit, in der er sich um die Veröffentlichung von Apels Defensio bemüht hatte, 61

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Die Defensio wurde bei Rhau-Gruneberg unter dem Titel „Defensio Ioannis Apelli ad episcopum Herbipolensem pro suo conivgio“ publiziert (VD 16 A 3028). Die Schrift erschien Ende Juli/Anfang August, also noch vor der Freilassung der beiden Kleriker aus dem Gefängnis. Im Jahre 1524 erschien ein Nachdruck in Königsberg (VD 16 A 3030). Defensio, Bl. Aijf: „Verum ita mihi persuasi plane, conscientiam celsitudinis tuae facile pati iudicem, Romanum autem Pontificem atque Caesarem minime, quando in hoc Evangelio adversantur atque Christo.“ Defensio, S. Aiij: „Quis non videt scortationes, concubinatum? Quis non stupra, adulteria?“ Fischer trat am 31. Dezember 1523 in die Dienste des Hochmeisters Albrecht von Brandenburg. Siehe AMRHEIN, Reformationsgeschichtliche Mitteilungen, S. 28. Auch Apel ging später nach Preußen, wo er 1529 Nachfolger des kurz vorher verstorbenen Fischer wurde. Vgl. FORSTREUTER, Vom Fürstenstand, S. 105.

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setzten sich nämlich Justus Jonas und Philipp Melanchthon dafür ein, Crotus als Nachfolger eines gewissen Schlamaeus (Lorenz Schlamau) als Dechant im dortigen Allerheiligenstift zu gewinnen.65 Melanchthon, der den Erfurter Humanisten ohnehin näher stand als Luther, erhoffte sich zudem von Crotus’ Anwesenheit eine Stärkung jener Kräfte, die den humanistischen Studien auch in der neuen lutherischen Theologie eine wichtige Rolle zudachten. 66 Im Frühjahr 1523 begab sich Crotus deshalb zu einem „Vorstellungsgespräch“ nach Wittenberg. Aber die Sache zerschlug sich. Aus welchen Gründen wissen wir nicht.

4.3 Crotus’ beginnende Bedenken gegen die lutherische Bewegung Sowohl in Privatbriefen an Johann Hess, Johann Lang und Martin Luther als auch öffentlich als Rektor der Erfurter Universität hatte sich Crotus Rubianus eindeutig als Luther-Anhänger positioniert. Das war aber nur eine Seite. Wie andere Briefe aus dieser Zeit belegen, war Crotus keineswegs ein blinder Anhänger der reformatorischen Bewegung. Sein Unbehagen an deren Entwicklung hatte er schon vorsichtig in seinem verlorengegangenen, um die Publikation von Apels Defensio bittenden Brief an Luther formuliert, als er diesen aufgefordert hatte, auch „unsere lutherischen Schreier“ (clamatores), die mit ihren plumpen Worten und Benehmen ein Skandal seien, in die Schranken zu weisen.67 Gemeint hatte Crotus jene radikalisierten Prädikanten, die außer der Bibel nichts gelten ließen und alle Universitätsstudien, seien sie nun scholastisch oder humanistisch geprägt, ablehnten. Mit ihren lautstarken Predigten fanden sie bei dem einfachen Volk großen Beifall. „Dabei handelte sich größtenteils um entlaufene Mönche mit wenig Bildung, die öffentlich das Evangelium predigten, und zwar von dem alleinseligmachenden Glauben an das Wort Gottes, von der Verderbtheit der menschlichen Vernunft und der Schädlichkeit des gelehrten Wissens.“68 Am schärfsten formulierte Eobanus Hessus seine Kritik. Als einer der wenigen in Erfurt verbliebenen humanistischen Freunde hatte er das Treiben dieser

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Vgl. Luthers Brief an Spalatin vom 9. Februar 1523 (WA Br 3, Nr. 582, S. 28 f.): „Decanus omnium Sanctorum ibit sub terram (Lorenz Schlamau starb zwei Tage später) tuique officii pars erit iuvare, ne similis ingenii recipiant Decanum. Ionas Justus praepositus Crotum censet idoneum, tu ipse nosti hominem.“ MBW Bd. I 2, Nr. 273, S. 64: „nam Crotum, ut spero, totum habebimus“. WA 12, S. 71: „Quod vero hortaris [schreibt Luther], ut et nostros castigem Clamatores, quod magno videlicet sint scandalo suis incompositis tum verbis tum moribus.“ KRAUSE, Helius Eobanus Hessus, I, S. 340.

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praedicatores aus nächster Nähe erlebt und sie für den Niedergang der Universität mitverantwortlich gemacht.69 Luthers Antwort auf Crotus’ Vorwürfe ist wenig überzeugend: Erstens fühle er sich nicht für diese clamatores verantwortlich.70 Außerdem seien die „Schreier“ schließlich provoziert worden und hätten in einer Art Überreaktion so gehandelt.71 Im Übrigen sei es vielleicht Teil des göttlichen Plans, auf diese Weise die Bischöfe und Sophisten zu geißeln Crotus hatte aber noch andere Gründe, über die von Luther angestoßene Entwicklung besorgt zu sein. Schon zwei Jahre früher, 1521, hatte er unter dem Eindruck der Erfurter Pfaffenstürme, die er zwar nicht mehr als Augenzeuge erlebt, aber von denen er gehört hatte, sich kritisch gegenüber den Lutheranern geäußert, und zwar in einem Brief an seinen Humanistenfreund Peter Eberbach. Vor dem Hintergrund seiner anderswo geäußerten Luther-Begeisterung stellt dieser auf den 1. Juli 1521 datierte Brief des Crotus ein bemerkenswertes Dokument seiner zunehmenden Skepsis gegenüber der von dem Reformator angestoßenen Entwicklung dar. Während Sätze wie Die unerfreulichen Streitereien mögen doch bitte aufhören72 und Es ist unglaublich, mit welchem Eifer ich den Rechtschaffenen und literarisch Gebildeten zugetan bin. Streit und Feindschaften waren mir immer ein Dorn im Auge73 noch ganz im Sinne seiner auch gegenüber Luther geäußerten Vorbehalte gegenüber den „clamatores“ gedeutet werden können, enthält der folgende Satz grundsätzliche Bedenken gegen die sich in diesen Jahren abzeichnende Entwicklung der lutherischen Bewegung. Dort heißt es nämlich: Unter dem Vorwand des Christus-Bildes wütet das Schlangengift; in seinem Namen wird die alte Weisheit geschändet. Was für ein Verbrechen ist es doch, die Herrin und heilige Mutter, der wir Gesetze und andere positiven Dinge verdanken, zu provozieren. Wäre es unter diesen Umständen nicht besser, zu schweigen und auf Angriffe zu verzichten als mit bissigen Worten den heiligen Bräuchen zu schaden?74 Muss man diese Worte nicht als ein Bekenntnis 69

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In: HELII EOBANI HESSI, Epistolarum familiarum libri XII, S. 87: „Illud autem habet me pessime, quo Evangelii pretextu monachi fugitivi prorsus hic bonas opprimunt literas suas ineptias mundo pro sapientia venditant. Nostra porro schola est deserta.“ WA 12, S. 71, Z. 25: „… sic altissimo consilio tam importunos Euangelistas Christus velit sic desipere, non quidem propter nos, quibus nihil possunt nocere, sed propter hostes verbi Episcopos et Sophistas?“ WA 12, S. 71, Z. 25: „… Ex me non habere sese id quod te offendit.“ Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F1: „Cessent inaemona dissidia.“ Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F1: „Incredibile est, quanto studio faueam probis et scientia literarum expolitis, contentiones et odio mihi supra modum displicent.“ Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, Bl. F.: „Vipereum saevit Christi sub imagine virus, /Nomine fraudatur deinde vetus sophia./Heu scelus est dominam sanctamque lacessere matrem,/ Quae peperit leges res aliasque bonas. Nonne feret satius lingua que manuque carere? / Quam nocitura sacris uerba canina loqui?“

ZWISCHEN LUTHERVEREHRUNG UND HUMANISTISCHER SKEPSIS

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zur alten Kirche interpretieren; denn wer anders als die etablierte Kirche ist die Herrin und heilige Mutter?75 Schuld an den Streitigkeiten sind nach Crotus beide Parteien: Die arroganten Theologen, wenn sie die Philosophen [sprich: Humanisten] nicht ausstehen können, die anmaßenden Philosophen, wenn sie die Theologen verachten.76 Es ist die Haltung eines beide Seiten bedenkenden vorsichtigen Intellektuellen, aber auch eines Mannes, dem das Selbstbewusstsein fehlt, seine Zweifel öffentlich zu äußern, denn es ist bezeichnend für Crotus’ Charakter, dass er im nächsten Satz das eben Gesagte zu relativieren scheint: Ich behaupte nichts und ich mache aus keiner Mücken einen Elefanten.77 Crotus’ ambivalente Haltung – auf der einen Seite seine weiter bestehende Lutherverehrung, auf der anderen Seite seine Ablehnung der negativen Auswirkungen der lutherischen Bewegung auf das humanistische Programm sowie der den Lutheranern angelasteten Ausschreitungen, waren keineswegs ein isolierter Einzelfall. Auch Mutian äußerte sich zu dieser Zeit ähnlich: Noch unter dem Eindruck der Pfaffenstürme vom Juni 1521 schrieb er an Lang: Wir atmen die Luft mitten in der Barbarei. Ich wäre dumm, wenn ich zugebe, dass ich hier mit den wütenden Lutheranern sympathisiere,78 und drei Jahre später bekannte er gegenüber Erasmus: Ich hasse die fanatischen Steinwerfer.79 Crotus’ spätere Rückkehr zum alten Glauben war also keineswegs ein plötzlicher Entschluss, wie er manchen Zeitgenossen erschien, sondern ist letztlich zurückzuführen auf Bedenken, die er bereits am Anfang der zwanziger Jahre äußerte. Nur dass er diese damals nicht öffentlich zu äußern wagte. Im Sommer 1524 verließ Crotus nach dreijährigem Aufenthalt Fulda. Hauptgrund dürfte eine Änderung der religionspolitischen Ausrichtung der Fürstabtei Fulda gewesen sein. Als Crotus nämlich im Frühjahr 1521 nach

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In ähnlicher Weise hatte schon acht Jahre vorher Mutianus argumentiert, als er mitten in der Reuchlin-Affäre schrieb: „Die Autorität der Kirche zu widerlegen, ist schändlich und gottlos. Wenn wir sie schwächen, würden wir in das alte Chaos versinken. Nicht Gesetze und Moral, sondern Gewalt und Willkür würden regieren.“ GILLERT Nr. 251 (Mutian an Urban, Ende März 1513, S. 333): „Autoritatem ecclesiae refellere, cum sis huius corporis membrum, et contumeliosum est et plenum impietatis … . Nullo tamen modo debemus enunciare mysteria aut infirmare opinionem multitudinis, sine qua neque cesar imperium neque pontifex ecclesiam neque nos diu nostra retineremus. Omnia revolverentur in chaos antiquum. Non leges et boni mores, sed vis et libido dominaretur.“ Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F1: „Arrogantes Theologi, si philosophos non ferunt. Superbi Philosophi, si theologos despiciunt.“ Ibid.: „Nihil affirmo, nec Elephantem ex Musca facio.“ GILLERT Nr. 606 (Mutian an Lange, nach dem 13. Juni 1521, S. 285): „Spiramus in media barbarie. Stultus sim, si profitear hic me sentire cum saevientibus Lutheranis.“ GILLERT Nr. 620 (Mutian an Erasmus, Ende Februar 1524): „Ego phanaticos lapidatores non amo.“

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CROTUS’ ZWEITER AUFENTHALT IN FULDA (1521-1524)

Fulda gekommen war, herrschte unter dem damaligen Koadjutor Johann III. von Henneberg ein überraschend tolerantes Klima gegenüber lutherischen Predigern. Im humanistischen Milieu aufgewachsen – auch er hatte in Erfurt studiert – hatte er andere humanistisch gebildete Theologen an seinen Hof gezogen. Auf diese Weise waren, wie wir sahen, Adam Krafft, Balthasar Raidt, Georg Witzel, Georg Bonemilius und auch Crotus nach Fulda gekommen, alle Theologen mit mehr oder weniger ausgeprägten lutherischen Neigungen. Diese tolerante Haltung änderte sich 1523, wobei die Ereignisse um die beiden Würzburger Kleriker Johann Apel und Friedrich Fischer eine wesentliche Rolle gespielt haben dürften. Als Crotus’ Freunde Witzel und Raidt um Heiratserlaubnis baten, blieben diese Gesuche unbeantwortet, vermutlich weil des Fürstbischofs Zustimmung zu deren Ehewünschen angesichts der Brisanz der Würzburger Ereignisse ein offenes Bekenntnis der Fuldaer Regierung zum reformatorischen Lager bedeutet hätte. Und dazu war Johann von Henneberg nicht bereit. Zu dieser Kehrtwende zum alten Glauben dürfte auch die Ernennung des konservativen Apollo von Vilbel als Dechant der Reichsabtei beigetragen haben. Jedenfalls machte Johann von Henneberg dem Wirken der humanistisch gesinnten Theologen ein Ende. Das Wormser Edikt wurde erneut veröffentlicht. Unter Druck verließen Witzel, Raidt und Krafft Fulda.80 Ob Crotus, der kein offizielles Amt in Fulda innehatte, zum Verlassen gedrängt wurde, ist nicht bekannt. Auf alle Fälle kehrte auch er im Herbst 1524 der Stadt den Rücken und nahm eine Stellung als Sekretär des Hochmeisters des Deutschen Ordens, Albrechts von Brandenburg, in Königsberg an.

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Zu dem Vorigen BREUL-KUNKEL, Herrschaftskrise, bes. S. 230.

X.

„DOCTOR CROTUS SCHREYBER“ – CROTUS RUBIANUS IN PREUSSEN (1524-1530)

„DOCTOR CROTUS SCHREYBER“ – CROTUS RUBIANUS IN PREUSSEN (15241530) Ubique cerneres maxima scelera et flagitia, Atque his quotiens praetextitur religio et pietas; Überall würdest du die größten Verbrechen und Schandtaten sehen Aber wie oft wird das mit Religion und Frömmigkeit verbrämt.1

Im Jahre 1524 trat Crotus Rubianus in den Dienst des damaligen Hochmeisters des Deutschen Ordens, Albrechts von Brandenburg-Ansbach. Wie bei den meisten Entscheidungen im Leben dürfte auch bei dieser, ins ferne Preußen zu ziehen, ein ganzes Bündel von Faktoren eine Rolle gespielt haben. Die Situation in Fulda, wo nach einer relativ toleranten Haltung gegenüber lutherischen Predigern eine Rekatholisierung stattgefunden hatte, war für ihn, der zu diesem Zeitpunkt immer noch an eine gemäßigte Reform unter lutherischen Vorzeichen glaubte, untragbar geworden. Von Albrecht dagegen, dessen Sympathien für Luther damals bekannt waren, erhoffte er sich Reformen innerhalb der Kirche. Möglicherweise spielten aber auch ganz persönliche Faktoren, wie sein Bedürfnis, eine feste Stelle zu bekommen, sowie seine Freundschaft mit dem Kanzler Albrechts, Friedrich Fischer, eine Rolle. Nach dem Verlust seines Würzburger Kanonikats hatte Fischer im Jahre 1523 am Hof des damaligen Hochmeisters des deutschen Ordens die Stelle des Kanzlers eingenommen. Und es war dieser alte Freund Huttens und des Crotus, der nun dafür sorgte, dass Letzterer in Königsberg eine Stellung bekam, indem er für ihn ein glänzendes Empfehlungsschreiben verfasste. Diesen ausführlichen Brief sandte Fischer am 17. Juli 1524 an den Hochmeister, und zwar offenbar auf Albrechts ausdrücklichen Wunsch. 2 Vorausgegangen, schreibt er, sei eine Korrespondenz zwischen ihm und Crotus, in der dieser darauf hingewiesen habe, dass er weder Jurist sei, noch jemals an Höfen gewirkt habe. Er mache

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Crotus an Joachim Camerarius, in einem Brief vom 9. März 1526. In: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F2v. Abgedruckt in TSCHACKERT, Urkundenbuch, II, Nr. 242, S. 74 und leicht gekürzt in DIESCH, Crotus Rubeanus im Dienste des Herzogs Albrecht, S. 47. Aus diesem Schreiben geht klar hervor, dass die Initiative zur Berufung vom Hochmeister ausging: Uf E.F.G. begeren betreffendt, gib ich denselbigen E.F.G. gruntlich diesen bericht. Fischer führte also auch die schriftlichen Verhandlungen, die zu Crotus’ Berufung führten (Dass ich mit Croto durch etliche schriften dermassen gehandelt.).

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sich Sorgen, dass Fischer ihn für Sachen lobe, die er nicht leisten könne. Diese Einwürfe des Crotus werfen ein bezeichnendes Licht auf seinen Charakter, nämlich seine Neigung, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, seine Bescheidenheit, ja vielleicht sogar seinen Mangel an Selbstvertrauen. Statt seine Qualifikationen zu betonen, verweist Crotus auf seine Defizite. Diesen Bedenken setzt Fischer sein überschwängliches Lob entgegen: Crotus sei der gelertesten einer in gantzem Teutzschlandt. Ihm fehle nichts, außer dass er in winckeln gestecket und sich nit seyn lebtag nach höfen gesenet hat.3 Aus diesem Grunde habe ihm noch keiner eine angemessene Stelle angeboten. Nach diesem allgemeinen Lob kommt Fischer auf praktische Einzelheiten der vorgesehenen Anstellung zu sprechen. Man solle Crotus die Mahlzeiten, Kleidung, einen Diener und mindestens 50 Gulden anbieten. Außerdem habe er Dr. Crotus gebeten, dass er von den 15 Gulden in Gold, die er ihm bereits geschickt habe, Kisten für seine Kleider und Bücher anfertigen lassen solle. Unverzüglich solle er sich nach Königsberg begeben. Dies alles habe er schriftlich mit ihm ausgemacht. Auf den ersten Blick war die Entlohnung von 50 Gulden für einen der gelehrtesten Männer Deutschlands wenig großzügig. Andererseits schloss dieser Betrag noch Logis, Verpflegung und Kleidung ein. Verglichen mit dem bescheidenen Gehalt als Leiter der Fuldaer Stiftschule zehn Jahre vorher stellte das jedenfalls eine wesentliche Gehaltserhöhung dar.4

1.

Vom Ordensstaat zum lutherischen Herzogtum

VOM ORDENSSTAAT ZUM LUTHERISCHEN HERZOGTUM Innerhalb eines Jahres nach Crotus’ Ankunft sollte Albrecht, eine der „wichtigsten Gestalten der Reformationszeit“, 5 einen Schritt von großer historischer Bedeutung machen: Er verwandelte den Deutschordensstaat in ein vererbbares protestantisches Fürstentum. Da dieser Schritt auch Crotus betraf, der unmittelbar in die darauffolgenden publizistischen und juristischen Auseinanderset-

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TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 242, S. 75. Daneben kommt aber Dr. Fischer auch auf das Thema von Crotus’ Diener zu sprechen. Diesen habe er benachrichtigt, dass er zu Crotus ziehen und warten soll, bis Albrecht ihm Wegzehrung und Nahrungskosten erstattet habe und er nach dem Dienst ein Jahr auf Kosten Albrechts studieren könne. Und obwohl dieser junge Mann genügend Kleidung habe und bei Philipp [Melanchthon] gewesen sei, der pro Jahr von solchen „gesellen“ 20 Gulden für Unterricht, Essen und Unterkunft bekomme, habe er dem jungen Mann gesagt, dass Albrecht ihm ein Jahr lang 25 Gulden geben würde. (TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 242, S. 75). BUES, Die Apologien Herzog Albrechts, S. 2. Auch FORSTREUTER, Vom Ordensstaat zum Fürstentum, S. 299.

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zungen hineingezogen wurde, sollen die Ereignisse, die dazu führten, hier kurz skizziert werden. Geboren im Jahre 1490 war Albrecht der Sohn des Markgrafen von Brandenburg-Ansbach aus dem Hause der Hohenzollern. 6 Seine Mutter war die Tochter des polnischen Königs Kasimir IV. Jagiello und Elisabeth von Habsburg. Da seine Eltern ihn für eine geistliche Laufbahn bestimmt hatten, schickten sie ihn nach dem Empfang der niederen Weihen (1501) zunächst nach Köln, wo er als 16-Jähriger als Domherr am Hof des Kölner Kurfürsten Hermann IV. von Wied diente. Als dieser starb, leistete Albrecht im Heere Kaiser Maximilians in Italien Ritterdient. Im Alter von 21 Jahren, also im Jahre 1511, wurde er in den Deutschen Orden aufgenommen und vier Monate später nach dem Tode des Hochmeisters Friedrich von Sachsen (Hochmeister von 14981510) zu dessen Nachfolger gewählt. Warum die Wahl für ein derartig wichtiges Amt auf einen so jungen und unerfahrenen Mann fiel, hatte etwas mit der besonderen Krisensituation zu tun, in der sich der Orden in dieser Zeit befand. Im Zweiten Thorner Frieden von 1466 hatte der Orden nicht nur große Gebiete wie die westlichen Landesteile mit Danzig und der Marienburg sowie das Ermland an Polen verloren, sondern musste sich auch zur Heeresfolge gegenüber der polnischen Krone verpflichten. Seitdem hatten verschiedene Hochmeister vergeblich versucht, diesen demütigenden Friedensschluss zu revidieren. Angesichts dieser erfolglosen Bemühungen versprach man sich von dem jugendlichen Albrecht, Sohn eines regierenden Fürsten und Neffe des polnischen Königs, eine entschiedene Handlungsweise. Tatsächlich verweigerte Albrecht nach seinem Amtsantritt dem polnischen König den Lehnseid, und kündigte, obwohl klar geworden war, dass weder aus dem Reich noch von anderer Seite Hilfe für den Deutschen Orden kam, am 1. Januar 1520 dem Polenkönig den seit 1466 gültigen Frieden auf und fiel in das polnische Bistum Ermland ein. Das erklärte Ziel war, die 1466 verlorengegangenen Gebiete wieder für den Orden zu gewinnen. In diesem Krieg, der wegen des Einsatzes schnell agierender Reitertruppen als „Reiterkrieg“ in die Geschichte eingegangen ist, wurden große Teile des Landes verwüstet, ohne dass eine Entscheidung herbeigeführt werden konnte. Im April 1521 erreichte man schließlich durch Vermittlung des Papstes und des Kaisers einen auf vier Jahre begrenzten Waffenstillstand. Der vorherige Status wurde wiederhergestellt. Als der Waffenstillstand im Jahre 1524 auslief und weiterhin keine Hilfe aus dem Reich zu erwarten war, verwandelte Albrecht ein Jahr später den Deutschordensstaat eigenmächtig in ein weltliches Herzogtum – ein Schritt von be-

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Zu Albrecht: HUBATSCH, Albrecht von Brandenburg-Ansbach; DERS., Albrecht der Ältere, in: NDB 1, S. 171; THIELEN, Albrecht von Brandenburg-Ansbach; ARNOLD, Die Hochmeister des Deutschen Ordens, S. 164-169.

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trächtlicher historischer Tragweite. Fortan nannte er sich „Herzog in Preußen“ (dux in Prussia). Damit hörte der Deutsche Ordensstaat in Preußen auf zu existieren. Diese Säkularisierung des einstigen Deutschordensstaates wird in der Geschichtsschreibung unterschiedlich beurteilt. Während die einen von einem „Staatsstreich“ sprechen,7 sehen andere die Umwandlung als die logische Folge einer langen historischen Entwicklung. Pointiert fasst diese Position ein Historiker zusammen: „Wichtig war für ihn [Albrecht] die Erkenntnis, dass mit dem Ordensstaat auf die Dauer kein Staat mehr zu machen sein würde.“8 Welche Interpretation man auch bevorzugt, entscheidend ist, dass die Ereignisse von 1525 eine folgenschwere Zäsur darstellten. Parallel zur Umwandlung des Deutschordensstaates in ein weltliches Herzogtum geschah etwas, was nicht minder wichtig war: Albrecht trat zum lutherischen Bekenntnis über und verwandelte damit als erster deutscher Fürst ein größeres Territorium offiziell in ein Land lutherischer Prägung.9 „Geburtshelfer und Pate“10 war aber kein anderer als Martin Luther selbst, wenn auch zunächst im Verborgenen. Dieser Umgestaltung ging nämlich eine etwa dreijährige innere Entwicklung Albrechts voraus. Noch als Hochmeister hatte er sich 1522 ins Reich begeben, um bei Kaiser und Fürsten um Hilfe gegen die drohende Gefahr aus Polen zu bitten. Als er sich dann während des Reichstages zu Nürnberg (18. November 1522-9. Februar 1523) längere Zeit in dieser Stadt, dem Sitz des Reichsregiments, aufhielt, war er von dem in dieser Stadt unter großen Zulauf predigenden lutherischen Geistlichen Andreas Osiander und dessen reformatorischen Ideen beeindruckt worden.11 Von Papst Hadrian (1522-1523) zu einer Reform seines Ordens gedrängt, wandte er sich deshalb nicht an den Heiligen Stuhl, wie es eigentlich seine Pflicht gewesen wäre, oder einen Vertreter der katholischen Hierarchie, sondern ausgerechnet an einen Mann, den die Kirche als Ketzer gebannt und den das Reich auf dem Reichstag zu Worms in die Acht geworfen hatte, Martin Luther. Diesen bat er im Juni 1523 durch einen Gesandten um Reformvorschläge. Im November des gleichen Jahres begab sich Albrecht dann selbst nach Wittenberg zu einem geheimen Treffen. Es war bei diesem Gespräch, dass Luther ihm zur Heirat riet und den Ordensstaat in ein weltliches Herzogtum umzuwandeln. So schilderte es jedenfalls der Reformator in einem

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Zum Beispiel THIELEN, Albrecht von Brandenburg-Ansbach, S. 168; FORSTREUTER, Vom Ordenstaat zum Fürstentum, S. 6. ZIEGLER, Kreuz und Schwert, S. 184. Dazu ARNOLD, Luther und die Reformation im Preußenland. ARNOLD, Luther und die Reformation im Preußenland, S. 37. Albrecht holte Osiander später nach Königsberg.

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späteren Brief. Der Herzog habe gelächelt, aber nichts geantwortet. 12 Luther verfasste daraufhin seine Schrift An die herrn Deutschs Ordens das sie falsche Keuschheyt meyden vnd zur rechten ehlichen keuscheyt greyffen Ermanung.13 Kurz darauf, Ende des Jahres 1523, wurde sie gedruckt, ohne sich freilich auf das geheim gehaltene Gespräch mit Albrecht zu beziehen.14 In der Schrift wandte sich Luther direkt an meyne lieben herrn Deutsches Ordens und weist gleich zu Beginn auf das Paradox hin, dass der Deutsche Orden einerseits wider die unglewbigenh gestifftet sei, also als militärischer Orden sehr weltlich sei, aber andererseits alle Attribute eines geistlichen Ordens habe, weil deren Mitglieder den Gelübden der Keuschheit, der Armut und des Gehorsams verpflichtet seien. Pointiert stellt er fest: Wie sich das zu samen reyme, leret teglich erfarung und vernunfft allzu wol. 15 Im Folgenden konzentriert er sich weitgehend auf das Zölibatsgebot als Kernelement der Ordensregeln. Die Verpflichtung dazu sei zwar von den Konzilien und den Kirchenvätern begründet worden, nicht aber durch die Bibel, der alleinigen für ihn gültigen Autorität. Aus diesem Grunde rät er den Ordensherren erstens zu einer Verweltlichung des Ordens, was dadurch erleichtert würde, dass der Orden ausreichend Grundbesitz besäße, und zweitens als Konsequenz daraus, zur Aufhebung des Zölibatsgebots für dessen Mitglieder. Beide Vorschläge nahm Albrecht für Preußen, wie wir sahen, schnell auf, und ging mit gutem Beispiel voran. Im Jahre 1526 heiratete er die dänische Königstochter Dorothea von Holstein. Die schnelle und geräuschlose Umwandlung des Deutschordensstaates lag aber nicht nur daran, dass sich Albrecht persönlich zu der Lehre Luthers hingezogen fühlte. Schon vorher hatten sich namhafte Geistliche in Preußen in Predigten für den Reformator eingesetzt. So hatte der ehemalige Franziskaner Johannes Brießmann bereits im September 1523 in Königsberg im Sinne Luthers gepredigt. 16 Ebenso hatte der samländische Bischof Georg von Polentz im gleichen Jahr eine lutherische Weihnachtspredigt gehalten, und in Königsberg begann eine Druckerei protestantische Texte herauszugeben. Auch der Bischof von Pomesanien Erhard von Quieß hatte sich dem neuen Glauben zugewandt. Die Umwandlung des Deutschordenstaates in ein lutherisches Herzogtum glich                                                              12

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WA 12, S. 229 (Der Adressat des Briefes ist nicht bekannt.): „Cum primo loquerer Principi Alberto Magistro etc. et ille me de sui ordinis regula consuleret, suasi, ut contemta ista stulta confusaque regula uxorem duceret et Prussiam in politicam formam, sive Principatum sive Ducatum. … . Ille [Albrecht] tum arrisit, sed nihil respondit.“ WA 12, Einleitung: S. 228-231; Text: S. 232-244. Nur die Spione des Herzogs Georg von Sachsen erfuhren davon. Vgl. TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 166. Im Jahre 1527 kam es zu einer zweiten Begegnung zwischen Luther und Albrecht. WA 12, S. 232. Dazu GAUSE, Johannes Brießmann, in: NDB 2, S. 612.

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zwar einer „Revolution von oben“, geschah aber offenbar nicht gegen den Willen der Bevölkerung, sondern mit deren Einverständnis. Beigetragen zur Akzeptanz des neuen Herzogtums dürfte auch die Unbeliebtheit der Ordensritter beim Volk gewesen sein. „Der weiße Mantel der Ordensbrüder wirkte wie das sprichwörtliche rote Tuch“, urteilt ein Kritiker.17 Luther war hocherfreut über die schnelle Ausbreitung des Evangeliums in diesem Land. An den Bischof von Samland, Georg von Polentz, schrieb er 1525: Siehe das Wunder: in voller Fahrt und mit prallen Segeln eilt das Evangelium nach Preußen.18

2.

Crotus’ Aufgaben in Königsberg

CROTUS’ AUFGABEN IN KÖNIGSBERG Das war also der historische Hintergrund, den man bedenken sollte, wenn man Crotus’ Aufgaben und Verhalten in den nächsten vier Jahren gerecht werden will. Die Stellung am Königsberger Hof war keineswegs eine Pfründe ohne Amtsgeschäfte. Für das relativ bescheidene Gehalt musste Crotus zahlreiche und vielfältige Aufgaben erledigen. Da er kein Jurist war19 – in Bologna war er zum Doktor in Theologie promoviert worden – nutzte man ihn in erster Linie als Sekretär wegen seiner Beherrschung des klassischen Lateins zur Erledigung der lateinischen Korrespondenz des Herzogs. Albrecht war nämlich ein überaus rühriger Briefschreiber, der mit den meisten Herrschern Europas, mit den deutschen Reichsfürsten und mit zahlreichen Reformatoren wie Luther, Melanchthon, Spalatin, Bugenhagen und Calvin korrespondierte.20 Für diesen ausgedehnten Briefwechsel, der größtenteils in der internationalen Sprache der damaligen Diplomatie und Wissenschaft Latein geführt wurde, war also Crotus der geeignete Mann.21 Über den Umfang seiner Tätigkeit als „Schreiber“ lassen sich nur Vermutungen anstellen, da die noch vorhandenen Schriftstücke nicht gezeichnet sind und da der Herzog mehrere Sekretäre beschäftigte. Selbst graphologische oder philologische Untersuchungen würden nicht weiterführen, da

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ARNOLD, Luther und die Reformation im Preußenland, S. 33. Zitiert in ARNOLD, Luther und die Reformation im Preußenland, S. 26: „Vide mirabilia, ad Prussiam pleno cursu plenis velis currit evangelium.“ Insofern ist MUTHERS Aussage, dass Crotus als Jurist gebraucht wurde, nicht ganz richtig (Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 310, Anm. 75). Vgl. dazu HUBATSCH, Europäische Briefe im Reformationszeitalter. Einmal nennt ihn der Herzog „Doctor Crotus schreyber“ (TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 361).

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Crotus auch anderen Sekretären Texte diktierte. 22 Zusätzlich bestand seine Aufgabe auch darin, gelegentlich lateinische Briefe oder sogar kleine Abhandlungen wie Ludwig Dietz’ De monete cussione ratio ins Deutsche zu übertragen.23 Gelegentlich begleitete er den Herzog auf Gesandtschaftsreisen. 24 Jedenfalls muss Crotus am Hof geschätzt worden sein, denn am 26. Juli 1526, also zwei Jahre nach dem Beginn seiner Tätigkeit in Königsberg, wurde er zusammen mit dem Kanzler Dr. Fischer, dem Leibarzt Dr. Wilde und Paul Speratus, dem Bischof von Pomesanien, als Mitglied des herzoglichen Rates vereidigt.25 Es waren diese Stellung als Rat und seine Gewandtheit im Lateinischen, die Albrecht im Jahre 1526 bewogen, Crotus mit einer wichtigen Aufgabe zu betrauen. Mit zwei anderen Beamten erhielt er nämlich den Auftrag, die Anklageschrift des Deutschmeisters des Ordens, Dietrich von Klee, gegen den Herzog wegen der Säkularisierung des Ordensstaates zu beantworten. 26 Vermutlich gingen dem eigentlichen Verfassen dieser Schrift intensive Beratungen des Rats, möglicherweise unter Beteiligung des Herzogs selbst, voraus, sodass man in dieser Schrift keineswegs eigene Gedanken des Crotus, sondern die der den Herzog umgebenden juristischen Berater sehen muss,27 wenn auch unumstritten ist, dass Crotus bei dem Verfassen des Dokuments wesentlich beteiligt war.28 Der eigentlichen Christlichen Verantwortung und der lateinischen Fassung Christiana responsio, die im Oktober 1526 in Wittenberg gedruckt wurden – so hieß die Schrift – geht der Text der Anklageschrift des Deutschmeisters von

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So konzipierte er nach TSCHACKERT (Urkundenbuch II, Nr. 499) für Herzog Albrecht einen Brief an König Sigismund I. von Polen, in dem sich Albrecht für eingekerkerte evangelische Prediger in Polen einsetzte. TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 388, S. 130: „Magst die lateinischen Briefe wohl durch Doctor Crotum verteutschen lassen.“ Bischof Polentz sandte lateinische Briefe des Königs von Polen zurück und schreibt dann diesen Satz. Belegt ist eine Reise nach Wilna, der Hauptstadt Litauens, im Jahre 1529 und Reisen nach Thorn und Krakau im Jahre 1530. DIESCH, Crotus Rubeanus im Dienste des Herzogs Albrecht, S. 52; TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 507, S. 172. Insoweit kann ich nicht mit FORSTREUTERS (Vom Ordensstaat zum Fürstenstaat, S. 107) Einschätzung übereinstimmen, wenn er sagt: „Crotus Rubeanus war in dem Hofstaat des Herzogs Albrecht nur eine Nebenfigur.“ Abgedruckt in: BUES, Die Apologien Herzog Albrechts, S. 55-80. FORSTREUTER, Vom Ordensstaat zum Fürstenstaat, S. 172. Wipert Schwab, Professor in Frankfurt an der Oder und von 1524 bis 1526 im Dienste Albrechts, erinnert sich in einem Schreiben vom 30. Mai 1554 an die Beratungen, an denen Fischer, Crotus, er selbst und andere teilgenommen hätten. Vgl. auch MUTHER, Aus dem Universitäts- und Gelehrtenleben, S. 257.

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Klee voran.29 Dieser verweist auf die 300-jährige Geschichte des Ordens, der mit Hilfe des Papstes, des Kaisers und der Kurfürsten die Gebiete im Osten christianisiert habe. Dieses Territorium habe Albrecht widerrechtlich säkularisiert (in weltigkeit gezogen). Außerdem habe der Orden – das ist das zweite Argument – jahrhundertelang den Adligen als Zuflucht/Uffenhalt/Spittal und Eigenthumb gedient, d. h. der Orden war eine Versorgungsanstalt für diese geworden. Erst nach dieser Anklage folgt der Text der von Crotus mit-verfassten Apologia des Herzogs. Die Beweisführung dieser Protestation des Herzogen in Preußen besteht im Wesentlichen aus zwei Argumentationslinien, einer theologischen und einer politischen, wobei die Begründung des ersten Teils sich stark an Luthers Schrift An die herrn Deutschen Ordens (1523) anlehnt, aber ebenso an eine frühere Schrift des Reformators Wider den falsch genannten Stand des Papstes und der Bischöfe.30 Ohne Luther beim Namen zu nennen – den unter der Acht stehenden Reformator namentlich zu erwähnen, wäre sicherlich unklug gewesen – ist dessen Handschrift klar erkennbar: Wie dann solches alles zu diesen letzten Zeiten/ als in neulichkeit [Neuerung] GOtt der HErr das warhafftig Evangelische Liecht (ohn das eitel Finsternuß ist) wieder gnädiglich hat scheinen lassen/ gar viel Leuth/ die es davor von wegen angezeigter langer Verführung nicht gewist/ allererst erkandt haben/ und je länger je mehr solches durch Göttliche Verleihung offenbar wird. Erst dadurch sei er, Albrecht, zu der Einsicht gelangt, dass in dieser Ordensregel viel ding/ wider das lauter göttlich Wort gesatzt/ und thetlich gehandhabt werden/ und … daß solcher Orden und Regel kein Göttlich/ sondern obgemelte Massen ein verworffen/ und dazu ein unendlich Menschen-Gesatz ist.31

Aber nicht nur diese theologischen Einsichten, sondern auch außenpolitische Gründe hätten die Umwandlung des Ordens in einen säkularen Staat notwendig gemacht, argumentieren die Verfasser weiter. Schon 1454 und dann 1466 im Thorner Frieden seien große Teile des Ordenslandes an Polen gefallen. Vergeblich hätten Albrechts Vorgänger immer wieder bei Kaiser und den Reichsfürsten um Hilfe nachgesucht. Nur als diese eigenen Hilfsgesuche fehlgeschlagen seien, habe sich Albrecht zu diesem Schritte gezwungen gesehen. Er habe also gar nicht anders handeln können. Bedenkt man, dass sich Crotus fünf Jahre später wieder der alten Kirche zuwandte, und dass diesem Schritt ein allmähliches Sich-Distanzieren von der lutherischen Position vorausging, so ist man versucht, die Abfassung der Protestation als lästige Auftragsarbeit abzutun, wie es Paul Speratus, der evangelische 29

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BUES, Die Apologien Herzog Albrechts, S. 56-58. Der Deutschmeister war der Titel eines hohen „Gebietigers“ des Deutschen Ordens, der zuständig für die Balleien im Heiligen Römischen Reich und Italien war. WA 10, S. 105-158. BUES, Die Apologien Herzogs Albrechts, S. 61 f.

CROTUS ALS BEGRÜNDER DER KÖNIGSBERGER SCHLOSSBIBLIOTHEK

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Bischofs von Pomesanien, tat, als er später schrieb: So weyßt man woll, wie er [Albrecht] die schutzred Preußischer verenderung ihm [Crotus] zu stellen vertrewet, Absynthum zu nemen pflag, als die ihm bitter gifft und gallen wer und lieber stein an die mauer getragen hett, denn als ein sach helffen fordern, die im Grund wider sein gewissen war.32 Dieses Urteil ignoriert aber die Tatsache, dass Crotus auch noch als Kanoniker in Halle Herzog Albrecht anbot, sich für dessen Belange, sozusagen als „Lobbyist“, im Reich einzusetzen (vgl. nächstes Kapitel).

3.

Crotus als Begründer der Königsberger Schlossbibliothek

CROTUS ALS BEGRÜNDER DER KÖNIGSBERGER SCHLOSSBIBLIOTHEK Wesentlich angenehmer als die Mitarbeit an dieser Schrift dürfte deshalb für Crotus eine andere Aufgabe gewesen sein. Ihn, den hochgebildeten Bücherfreund, beauftragte der Herzog im Jahre 1529, eine stattliche Anzahl von Büchern zu kaufen.33 Crotus erledigte den Auftrag mit Freude und erwarb 63 Bände mit Schriften von 70 Autoren. Darunter befanden sich Werke der Kirchenväter Hieronymus, Chrystostomus, Hilarius, Ambrosius, Lactanz, Cyrillus, Origines und Basilius sowie römischer Autoren wie Tacitus, Macrobius, Cicero, Plinius, Sallust, Seneca, Sueton und Livius, ebenso wie einige griechische Autoren wie Plato, Plutarch, Strabo, Aristoteles, Thucydides und Eusebius. Von den humanistischen Werken finden sich nur die Werke Politians sowie zwei philosophische Schriften des Kardinals Bessarion und die Werke des Budaeus. Auffallend ist das Fehlen reformatorischer Schriften. Deren Abwesenheit darf man aber nicht unbedingt als Desinteresse des Crotus an der Reformation interpretieren. Da der Herzog schon eine stattliche Anzahl reformatorischer Schriften und Flugschriften in seiner Deutschen oder Kammerbibliothek besaß, 34 verzichtete Crotus, möglicherweise sogar auf Anraten des Herzogs selbst, auf deren Anschaffung. Crotus endete seine Bücherliste mit dem Satz: Hier sind die Bücher der neuen Bibliothek, die in meinem Schlafzimmer liegen.35 Dass die angeschafften Bücher in seinem Schlafzimmer Platz fanden, deutet darauf hin, dass es sich um einen relativ bescheidenen Bestand handelte. Trotzdem wird diese Samm-

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COSACK, Paul Speratus, S. 125 f. Darüber KUHNERT, Die Nova Bibliotheca des Herzogs Albrechts und DERS., Geschichte der Staats- und Universitätsbibliothek zu Königsberg; DIESCH, Crotus Rubeanus im Dienste Herzog Albrechts, S. 57-60. KUHNERT, Geschichte der Staats- und Universitätsbibliothek zu Königsberg, S. 15. Die Liste der erworbenen Bücher befindet sich als Autograph im GStAPK und lag mir vor. DIESCH, Crotus Rubeanus im Dienste Herzog Albrechts, S. 58: „Hi sunt libri novae Bibliothecae repositi in meo cubiculo.“

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lung mit Recht als die Keimzelle der Königsberger Nova Bibliotheca, der späteren öffentlichen Schlossbibliothek betrachtet.36

4.

Persönlicher und brieflicher Verkehr mit Freunden

PERSÖNLICHER UND BRIEFLICHER VERKEHR MIT FREUNDEN Abgesehen von seinem Freund Dr. Friedrich Fischer, der allerdings wegen seiner Tätigkeit als Kanzler des Herzogs wenig freie Zeit zur Verfügung gehabt haben dürfte, pflegte Crotus intensiven Umgang mit Dr. Laurentius Wilde,37 der gleichzeitig mit Crotus im Jahre 1524 als persönlicher Arzt des Herzogs verpflichtet worden war, wenn auch mit dem weit höheren Jahresgehalt von 200 Gulden.38 Mit diesem Mann, der über sein medizinisches Fachwissen hinaus ein an humanistischer Literatur interessierter, hochgebildeter Mann war – er hatte in Leipzig den Baccalaureus (1511) und Magister artium (1517) erworben – befreundete sich Crotus so eng, dass die beiden als unzertrennlich galten. So sah es jedenfalls ein hoher Geistlicher aus dem Umkreis Albrechts, als er an einen Bekannten leicht ironisch schrieb: Grüße mir das berühmteste Freundespaar unserer Zeit Crotus-Wildius. 39 Mit ihm blieb Crotus weit über seine Königsberger Zeit verbunden, und Wilde war einer der wenigen Freunde, die ihn später in Halle besuchten (vgl. nächstes Kapitel). Für einen Mann, der, wie Eobanus Hessus in seinem Gedicht in Crotus’ Rektoratsblatt geschrieben hatte, glaubte, niemals ohne seine lieben Freunde leben zu können,40 der während seines ersten Fuldaer Aufenthaltes sich bitter über den Mangel an Vertrauten beklagt hatte, war das Fehlen gleichgesinnter Freunde am Königsberger Hof, sieht man von Dr. Wilde ab, eine schmerzhafte Erfahrung, die sich auch nicht vollständig durch ausgetauschte Briefe kompensieren ließ. 36 37 38

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DIESCH, Crotus Rubeanus im Dienste Herzog Albrechts, S. 57. Andere Schreibweisen: Wild, Wildt, Wildius. Wildes „Aydsverpflichtung“ vom 31. Dezember 1523 in: EHRHARDT, Dr. Laurentius Wilde, S. 18 f. Paul Speratus: „Saluta clarissimum amicorum aetatis nostrae par Croto-Wyldium.“ TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 662. Wilde hatte den Ruf das zu sein, was man früher einen „Schürzenjäger“ nannte. Dies veranlasste Speratus zu einem Spottgedicht. Abgedruckt in EHRHARDT, Dr. Laurentius Wilde, und TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 671. Nachdem Crotus das Land verlassen hatte und von den Lutheranern als Renegat und Verräter publizistisch angegriffen wurde, geriet auch Wilde als Angehöriger der Crotiana factio unter Verdacht und verließ 1531 Königsberg. Auch er wurde wie Crotus als „papistisch“ verleumdet. Als er 1534 starb, hinterließ er einen Teil seines Vermögens diesem Freund (EHRHARDT, Dr. Laurentius Wilde, S. 13 f.). „Ut numquam potuit sine charis vivere amicis“. Siehe Kap. VIII. So hatte es Eobanus Hessus auf dem Rektoratsblatt formuliert.

PERSÖNLICHER UND BRIEFLICHER VERKEHR MIT FREUNDEN

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Leider ist aber nur eine enttäuschend geringe Zahl von Briefen aus dieser Zeit erhalten.41 Das hat möglicherweise zwei Gründe: einmal, weil zahlreiche Briefe verlorengegangen sind,42 zum anderen aber auch, weil Crotus tatsächlich weniger Briefe schrieb, da seine vielfältigen Aufgaben ihm dafür einfach keine Muße ließen. Am 9. März 1526 klagte er zum Beispiel gegenüber seinem alten Freund Joachim Camerarius: Otium scribendi nullum est mihi. Ich habe keine Muße zu schreiben.43 So wenig Zeit hatte er, behauptete er bei einer anderen Gelegenheit, dass er einmal während einer Gerichtsverhandlung im Sitzungssaal vom Herzog beim Schreiben eines Briefes ertappt worden sei. Dieser hatte aber Verständnis für Crotus’ mangelndes Interesse an dem offenbar langatmigen Prozess. Albrecht habe ihn gefragt, was er denn schreibe, worauf ihm Crotus ehrlich geantwortet habe: „Ich plaudere mit Johann Hessus!“ Darauf habe der Herzog gutmütig geantwortet, er solle diesen von ihm grüßen und sein eigenes Schweigen entschuldigen.44 Ein anderer Korrespondent, Johann Metzler aus Breslau, muss ihn mehrmals drängen, wenigstens kurz auf seine Briefe zu antworten.45 Thematisch sind die wenigen erhaltenen Briefe, wie bei den Humanisten üblich, weit gefächert: Neben Nebensächlichem und Trivialem finden sich weltoder bessser europageschichtliche Reflexionen. Privates mischt sich mit Politischem, Witziges mit Ernstem, Klagen über den Bauernkrieg, der auch im fernen Preußen zu spüren war, 46 mit der ironischen Schilderung der Suche eines Freundes nach einer Gattin. Enttäuschend wenig findet man in den Briefen über seine damalige Wirkungsstätte Königsberg. Während zum Beispiel sein Freund Eobanus Hessus, der zwischen 1509 und 1515 als Sekretär des Bischofs von Pomesanien, Hiob von Dobeneck, in Riesenburg gewirkt hatte, eine lebendige Beschreibung dieses                                                              41

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Jeweils Zwei Briefe an Johann Hess und Joachim Camerarius, sowohl drei Briefe von seinem Breslauer Freund Metzler. Verlorengegangen sind z. B. Briefe an Eobanus Hessus, Jakob Fuchs und Petreius (KAMPSCHULTE, Crotus Rubeanus, S. 14). Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F2a (Brief an Joachim Camerarius vom 9. März 1526). Das hinderte ihn freilich nicht daran, einen ausführlich und sorgfältig formulierten Brief an diesen Freund zu schreiben. Corr.Blatt 8, S. 184 f.: „Ista tecum colloquor e senaculo, dum consultamus et audimus litigantes de credito et mala fide. Princeps inquit: „Quid scribis, Crote?“ Respondeo: „Confabulor cum Hesso“. „Huic oportune iubeto nomine meo saluere et sit excusatum silentium nostrum.“ (Brief vom 11. Oktober 1526). Es ist ein schönes Beispiel für die Menschlichkeit des Herzogs. Brief Metzlers an Crotus vom 7. Januar 1528: „Non possum mihi persuadere, quod Metzleri sis oblitus“, in: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. R 5-R5v (siehe unten). In einem Brief vom 23. September 1525 an Johann Hess schreibt Crotus: „… rustici furunt ut Germaniae“, in: Corr.Blatt 8, S. 183.

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„DOCTOR CROTUS SCHREYBER“ – CROTUS RUBIANUS IN PREUSSEN (1524-1530)

Landes, die sogenannte Preußenelegie, verfasst hatte,47 gibt es von Crotus nur einige kurze Bemerkungen über Preußen, und diese sind überwiegend negativ: Mit beißender Ironie schreibt er etwa über einen Ferienaufenthalt an der Ostsee im Hochsommer 1527: Wir sind an die Ostsee geflüchtet, wo wir die Sonnenglut mit hellen Kaminfeuern und rauen Pelzen ertragen. Warum, mein Gott, gibt es diese enormen klimatischen Unterschiede? Während in Italien in diesen Monaten die Leute unter der sengenden Sonne fast brutzeln [coquuntur], sind wir hier vor Kälte erstarrt. Während ich dies schreibe, sind mir die Finger durch eiskalte Winde steif geworden, andere lassen sich mit Wein aus Bordeaux volllaufen.48

Ob Camerarius denn wirklich glaube, dass bei dieser Kälte ihm noch etwas Kluges und Witziges einfalle.49 Trotzdem: Witzig zu schreiben hatte der Autor der Dunkelmännerbriefe trotz der vielen Arbeit und des rauen Klimas nicht verlernt. Das zeigt ein Brief vom 22. September 1525 an seinen alten Freund aus Bologneser Tagen Johann Hess, der inzwischen in Breslau die Kirche im Sinne Luthers zu reformieren suchte. An ihn wandte sich Crotus mit einer ungewöhnlichen Bitte.50 In dem lockeren Konversationston, den er wie sein Mentor Mutian so brillant beherrschte, teilt er Hess mit, dass eine Gattin gesucht werde. Nein, Nein, wiegelt er ab, nicht für ihn, sondern für ihren guten Freund, der wohlhabender und besser aussehend als er selbst sei, nämlich den Würzburger Kanoniker Jakob Fuchs. Hess solle ihm dabei helfen. Fuchs habe ihn in Begleitung von Joachim Camerarius in Preußen besucht, also die weite Reise, die schwierigen Straßenverhältnisse und die Gefahren des Weges nicht gescheut. Bei langen Gesprächen habe sich nun dieser gute Mann bei ihm immer wieder über sein leeres Bett, das Fehlen einer Gefährtin und seine sexuellen Nöte (Veneris impatientia) beklagt. Grund dafür sei der Wahnsinn der Bischöfe, die einem Geistlichen verbieten zu heiraten. Er, Fuchs, habe zwar schon einige praktische Vorbereitungen für eine mögliche 47

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Vgl. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha, S. 163 f. Crotus an Camerarius, 23. Juni 1527, in: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, Bl. F5f: „Confugimus ad mare balthicum, … ubi aestum praesentis solis vix luculentis focis, et hirsutis pellibus temperamus. O superi, Cur mirum sit quod, in tanta diversitate quidam vix sunt mutuo hominis vice, quando regionum tanta est dissimiltudo. Coquuntur ferme his mensibus Itali ardentibus solibus, quibus nos hic rigemus frigore. Scribenti ista mihi horrebant digiti pruinoso aere, aliis interim implentibus se vino bordeaceo crassitudine inhaerente digitis.“ Dass ihm Ostpreußen nicht gefiel, teilt er auch Johann Metzler mit: „Utor bona valetudine, sed regione ter displicente“, in: Corr.Blatt 8, S. 185. Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, Bl. F5v: „Et adhuc nobis aliquid ingenii superesse putabis.“ Abgedruckt von BAUCH in: Corr.Blatt 8, S. 181-183.

PERSÖNLICHER UND BRIEFLICHER VERKEHR MIT FREUNDEN

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Heirat getroffen: zum Beispiel habe er vor, sich von seinen Kanonikaten zu trennen, habe dafür auch schon einen Interessenten, der sie ihm für 3.000 Gulden abkaufen wolle. Mit diesem Geld wolle er Haus und Felder, Rinder und landwirtschaftliche Geräte für seinen nötigen Lebensunterhalt kaufen. Andere adlige Geistliche hätten das auch schon getan. Das Einzige was ihm noch fehle, sei eine Gattin. Die deutschen jungen Frauen (puellae) seien aber ziemlich unverschämt, weil sie sich weigerten, einen ehemaligen Priester zu heiraten, obwohl sie doch selbst (oft) Nonnen gewesen seien. Wenn er über deutsche Mädchen rede, beziehe er sich auf die aus Franken und den umliegenden Gebieten, schränkt er ein. Außerdem wünsche er sich eine Adlige und diese seien sehr eingebildet. Soweit über die Qualifikationen einer möglichen Gattin. Schon als sich Fuchs auf dem Heimweg befand, sei ihm, Crotus, eingefallen, dass Hess ihm möglicherweise helfen könne. Es gebe in Schlesien unter den Deutschen doch junge Frauen, die fast edler und beim Heiraten weniger wählerisch seien. Hess solle also eine rechtschaffene und liebenswürdige Frau empfehlen. Reich müsse sie nicht sein, aber gutaussehend schon, denn eine Hässliche stoße ab und verführe zum häufigen Fremdgehen (plerumque adulterij occasio). Eine Bürgerliche wäre auch akzeptabel, solange sie ehrlich und hübsch sei.51

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Crotus an Johann Hess, 22. September 1525:, Corr.Blatt 8, S. 181 f.: „Uxor quaeritur. Scin, Crotone? Non uxor quaeritur. Cui? Croto non, sed aliter Croto, metuo Croto longe ditiore, formosiore, meliori et enim si amicorum eadem mens, idem animus, idem velle, idem nolle cui non sit, alter ego Jacobus Fuchsus, quo nemo mihi [magis] unitus est amicitia, et nemo melius de me meritus. Audi, quaeso, mi Hesse, pulchrum amicitiae facinus. Is nuper ad me venit comite Joachimo nostro charissimo solum salutandi causa et videndi, qui viuerem apud Sarmatas. Jam cogita locorum distractum, horum temporum difficultatem, pericula viarum, hanc hominum insaniam, venit tamen ad Crotum suum videre voluit, ipse alter Crotus. Cum in longas moras colloquia producimus, conqueritur mihi bonus vir veterem suam querelam de viduo lecto, de socia vitae, de Veneris impatientia, de periculo animae, quod non liceat per insania episcoporum collocare sibi canonico consortem foeminam christiana copula et consilium illud aperuit simul, quod et tu tacebis. Distrahere intendit canonicatus suos et iam comparentem habet, qui numerabit ultra tria milia aureorum, quibus comparabit aedes et agros, pecudes et armamenta ad comparandum victum necessarium more aliorum nobilium. Verum hic iterum obstat impedimentum, nempe insolentia Germanarum puellarum refugentium matrimonium sacerdotale, quasi et ipsae non sint ex genere sacerdotali; cum dico de Germanis puellis, volo, intellegas de Franconibus et vicinis populis, nosti supercilium. Cupit consortem genere, hoc est nobilem. Cui ordini imprimis sunt cristae. Quid animi mihi fuisse putas, cum in Italia audio conquerentem amicum? … Ubi recessit, flecto et reflecto animum in partes varias tandem tu succurristi, ciuius officium implorarem. Sunt Slesicae puellae inter Germanas forma et moribus ferme nobiliores et nunc in contrahendo matrimonio minus superciliosae, exerce officium pietatis, quaere aliquam probam, venustam, etsi non admod-

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Vom Eheskeptiker, der die Heirat seines Freundes Eobanus Hessus taktlos kritisiert haben soll (vgl. Kap. II), über den Eheverteidiger, der die Heirat eines anderen Freundes, Johann Apel, und dessen Defensio unterstützt hatte, zum potenziellen Heiratsvermittler hatte Crotus eine erhebliche Wandlung durchgemacht. Im letzteren Fall wurden seine Dienste aber nicht gebraucht. Jakob Fuchs heiratete eine Adlige aus Franken, eine Dame, die offenbar seinen hohen Ansprüchen gerecht wurde. Ganz anders im Ton ist der zweite erhaltene Brief, den Crotus ein gutes Jahr später, am 11. Oktober 1526, an Hess richtete. 52 Da er im dunklen Norden wenig sehe und höre, sei er immer für Nachrichten dankbar. Die außenpolitischen Ereignisse, von denen er gehört habe (der Sturz des Papstes Clemens VII., die Niederlage des ungarischen Königs Ludwig II. in der Schlacht von Mohács und die Uneinigkeit der deutschen Fürsten) stimmten ihn sehr pessimistisch. Im Übrigen soll er ihren gemeinsamen Freund, den ebenfalls in Breslau wirkenden Juristen und Humanisten Johann Metzler, grüßen. Es war dieser Breslauer Gelehrte, von dem drei Briefe stammten. Wie Crotus hatte dieser in Italien studiert und 1519 in Siena den Doktor beider Rechte erworben. Nach seiner Rückkehr lernte er bei dem Engländer Richard Croke (Crocus) in Leipzig Griechisch. Der Ort, an dem er aber lange wirkte, war Breslau, wo er 1525 an das dortige Elisabeth-Gymnasium ging. 1532 wurde er Ratsherr und 1534 Landeshauptmann des böhmischen Erbfürstentums Breslau. Durch öffentliche Vorlesungen und Übersetzungen versuchte er, das Interesse an der griechischen und römischen Literatur zu wecken.53 In den drei erhaltenen Briefen Metzlers an Crotus vermischen sich wie in den meisten Humanistenbriefen Persönliches mit Grundsätzlichem, Triviales mit Philosophischem. Die Antworten des Crotus, falls er Metzlers Schreiben überhaupt beantwortet hat, sind nicht erhalten. Unvermittelt, ohne die in einem Brief übliche Salutatio, als wolle er die Zeit nicht mit konventionellen Begrüßungskonventionen vergeuden, beginnt der erste erhaltene Brief Metzlers vom 20. August 152754 mit einer Kritik an dem

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um diuitem, nil oberit multum. Venustam volumus … nam deformis perpetua nausea est plerumque adulterij occasio. Civem etiam non respuimus, modo sit honesta, venustula.“ In diesen Kreisen scheint es nicht ganz unüblich gewesen zu sein, Freunde zur Heiratsvermittlung einzuspannen. Sechs Jahre früher (1519) hatte Hutten seinen Freund Fischer gebeten, ihm bei der Suche nach einer Frau zu helfen, und dabei auch deren Qualifikationen aufgeführt: „Da mihi uxorem, da venustam, adulescentulam, probe educatam, hilarem, verecundam, patientem.“ (BÖCKING I, S. 273, Nr. 126). Hutten blieb Junggeselle. In: Corr.Blatt 8, S. 184 f. SCHIMMELPFENNIG, Metzler, Johann, in: ADB 21 (1885), S. 531 f. Metzler an Crotus (20. August 1527), in: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. R2v.

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damaligen Papst Clemens VII. (1523-1534). Vehement verteidigt Metzler Kaiser Karl V. und den Sacco di Roma im Mai 1526 durch dessen Truppen. Bei dieser Gelegenheit war der Papst auf der Engelsburg gefangen gesetzt und Rom auf brutale Weise geplündert worden. Metzler rechtfertigt nicht nur dieses Vorgehen der kaiserlichen Truppen, sondern hätte sich eine schärfere Strafe gewünscht: Er hätte den Papst nämlich kreuzigen lassen, fasst er mit wenig christlicher Nächstenliebe seine Überzeugung zusammen:55 Du weißt genau wie ich selbst, was er, bevor er Papst wurde, getrieben hat, und wie er immer wieder neue Steuern und Abgaben eintrieb. 56 Welche Kriege seien nicht auf seine Initiative entfacht worden. Immer wieder habe er sich in weltliche Angelegenheiten eingemischt. Kurz, er, Metzler, sei der Meinung, dass er der Verursacher alles Übels gewesen sei. Deshalb solle er streng bestraft werden.57 Weiter berichtet Metzler seinem Freund Crotus im fernen Königsberg über Gerüchte, dass der französische König Franz I. ein aus Schweizer und französischen Söldnern bestehendes Heer gesammelt habe. Ferdinand, der Reichsstatthalter, der in Vertretung des in Spanien weilenden Kaisers das Reichssregiment führe, werde den Tod des ungarischen Königs Ludwig II. rächen. Inzwischen zeige ja der Sohn Maximilians, also Ferdinand, was er könne. Er marschiere weiter und bringe eine Burg nach der anderen in seine Gewalt. Niemand leiste Widerstand. Von den Erläuterungen der weltpolitischen Lage erfolgt ein abrupter Übergang zu persönlichen Angelegenheiten. So teilt Metzler kurz den Tod seiner Tochter Katharina mit. Sie war, wie man aus einem späteren Brief erfährt, am 6. Januar 1526, nur zwei Tage nach ihrer Geburt gestorben. Gleichzeitig, sozusagen in einem Atemzug mit dem Tod seiner Tochter beklagt aber Metzler das Ableben des frühhumanistischen Lyrikers und Pädagogen Laurentius Corvinus (Lorenz Rabe, um 1462-1527) aus Niederschlesien, der in Krakau, Thorn und Breslau gewirkt hatte und maßgeblichen Anteil an der Einführung der Reformation in Breslau hatte. Diesem Brief fügte Metzler ein Bündel seiner wissenschaftlichen Arbeiten mit der Bitte um kritische Durchsicht bei. Darunter be-

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Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. R3: „Et ut ego me tibi totam aperiam, non captiuitate aut exilio dignus est mea sententia, sed cruciatu et supplitio non vulgari.“ „Quae indutiae, quod foedus istius suasu non factum et idem pro eius libidine non ruptum?“ Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. R3: „Tu quidem aeque mecum nosti quibus ille rationibus et quae exactio non vulgari quod tributum ab hoc uno multis iam annis non excogitatum? Quod bellum non istius consilio susceptum aut depositum. Quae indutiae, quod foedus istius suasu non factum et idem pro eius libidine non ruptum? Ne te morer, sic mea est sententia: omnium malorum istum fuisse autorem.“

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fänden sich eine Übersetzung der oleantarischen Reden des Demosthenes sowie Plutarchs Essay über die Kindererziehung und Ciceros Rede über Deiotorus.58 Als Crotus nach fünf Monaten noch nicht auf diesen Brief geantwortet hatte, sandte ihm Metzler am 7. Januar 1528 ein wesentlich kürzeres Schreiben, in dem er seine Bitte um eine freimütige Kritik seiner wissenschaftlichen Arbeiten wiederholte. Die Zeit dränge, da einige Bekannte das Werk herausgeben wollten. Das Schweigen des Crotus bereite ihm große Sorgen. Er könne einfach nicht glauben, dass dieser seinen Freund vergessen habe. Auch Kritik könne er vertragen. Er sei nicht so selbstbezogen, dass er die Wahrheit nicht verkraften könne. An seinem persönlichen Leben habe sich nichts geändert, fährt er fort. Vor drei Tagen habe seine Frau einen Sohn zur Welt gebracht, den er Modestinus genannt habe. Er habe nun also zwei Jungen, eben Modestinus und Lacherius, aber kein Töchterchen. Seine Frau leide noch immer an den Folgen der Geburt. Mehr könne er im Moment aus Zeitgründen nicht schreiben. Auch ein dritter, undatierter Brief Metzlers blieb unbeantwortet. Darin hatte ihn dieser noch einmal eindringlich um seine kritische Stellungnahme gebeten: Handle als Kritiker, gebrauch’ den Rotstift, streich’ die Fehler an, oder, wenn Dir das Ganze missfällt, verbrenn’ es. Du wirst mich nicht beleidigen. Im Gegenteil. Ich werde dankbar sein. Ich bin nicht so selbstverliebt, dass ich nicht lieber von einem Freund als öffentlich getadelt werde.59 Aber Crotus schwieg. Über die Gründe seines Schweigens kann man nur spekulieren. Fand er, der im Begriffe war, sich vorsichtig von der lutherischen Position zu distanzieren, Metzlers bissige Bemerkungen über den gegenwärtigen Papst abstoßend oder hatte er einfach keine Zeit oder Neigung, sich als Lektor metzlerischer Übersetzungsbemühungen zu betätigen?

5.

Zwischen Klagen über die Gegenwart und Verklärung der Vergangenheit

ZWISCHEN KLAGEN UND VERKLÄRUNG Nicht um Eheanbahnungsversuche für seinen alten Freund Jakob Fuchs, auch nicht um Klagen über das ostpreußische Klima und über die politischen Ereignisse ging es in zwei ausführlichen Briefen an Joachim Camerarius (1500-1574), einen Freund, den er trotz dessen jugendlichen Alters von 21 Jahren in seine Rektoratstafel aufgenommen hatte. Mitgerissen von der Luther-Begeisterung 58 59

Diese hatte Melanchthon aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt. Wahrscheinlich im Frühjahr 1528 geschrieben. Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. R5: „Translationem meam acrioribus intuere oculis. Criticum agere, obeliscis utere, denique uitia indicato, aut si displicet tota Vvlcano eam mandato, nihil offenderis, imo erit cur tibi gratias agam. Non sum adeo philautos ut in ordinem cogi non ab amoco potius queam publice carpi malim.“

ZWISCHEN KLAGEN UND VERKLÄRUNG

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der Erfurter Humanisten setzte Camerarius 1521 sein Studium an der Universität Wittenberg fort und schloss dort eine lebenslange Freundschaft mit Philipp Melanchthon. In den folgenden Jahren lehrte er als Professor in Wittenberg, bis er 1526 zusammen mit Eobanus Hessus an das von Melanchthon angeregte Nürnberger Ägidiengymnasium berufen wurde.60 In diese Zeit fallen die zwei Briefe, die Crotus aus dem fernen Preußen an Camerarius schrieb.61 Es sind zwei Themenbereiche, die diese Briefe dominieren: Einmal sind es Klagen über die Gegenwart und die Instrumentalisierung der Religion: Du zählst zunächst die bekannten Fehler auf, schreibt Crotus, und stimmst die alte Leier über die Verderbtheit der Religion an … Du triffst den Nagel auf den Kopf. und legst beide Finger auf das Geschwür, um dann fortzufahren: Im Übrigen sollte man doch einmal objektiv über die Perversion dieser Zeiten urteilen. Schau Dich doch um. Überall wirst Du die größten Verbrechen, Schandtaten, Gewalt, unsägliche Frechheit, eine Verschmelzung von menschlichen und religiösen Angelegenheiten und Meineid sehen. Aber wie oft wird das mit Religion und Frömmigkeit verbrämt.62

Verantwortlich dafür seien sowohl die Katholiken als auch die Protestanten. Beide Parteien benutzten die Religion nur als Vorwand. Zum anderen beschwört Crotus die humanistische Vergangenheit, indem er die Gründung des Nürnberger Ägidien-Gymnasiums, dessen erster Rektor Camerarius war, begeistert begrüßt, auch deshalb weil es gelungen war, ihren „König“, also Eobanus Hessus, als Lehrkraft zu gewinnen.63 Auf das Thema des Nürnberger Gymnasiums und des darin wirkenden Hessus kommt auch Crotus in seinem zweiten, ein Jahr später geschriebenen Brief vom 23. Juni

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Melanchthon sollte in entscheidender Weise das sich langsam etablierende Schulwesen in den lutherischen Landesteilen prägen, weshalb man ihm später den Titel „Praeceptor Germaniae“ verlieh. In: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F2-F3: (Brief vom 9. März 1526, zweiter Brief vom 13. Juni 1527). Zu Camerarius: HAMM, Camerarius, Joachim, d. Ältere, in: Frühe Neuzeit in Deutschland, I., S. 425-438. Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F2v (Brief des Crotus vom 9. März 1526): „Colligis primo nota peccata, ac de peruersa religione canis usitatam cantilenam … Recte tu quidem, mi Ioachime, ulcus hoc modo acu tangis. Ceterum dijudicemus de peruersitate horum temporum sine gratia et odio. Circumspice omnia, ubique cernes maxima scelera et flagitia, luxuriam, petulantiam, rapinas, uiolentiam, audaciam indicibilem, confusionem divinorum et humanorum periuria. Atque his quoties praetexitur religio et pietas?“ Mit einem Jahresgehalt von 150 Gulden hatte man dem wegen seiner großen Familie in ständigen Geldnöten steckenden Dichter zwar ein großzügiges Jahresgehalt gegeben, aber selbst dieses reichte offenbar nicht aus, seinen großen Haushalt zu bestreiten. „Oh ärmlicher König, wie sehr wünschte ich, dass Du ein Crassus wärest“, kommentiert Crotus, in: Tertius Libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F3: „O tenuem regem quam te velim esse Crassum.“

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1527 zurück. 64 Noch einmal, und diesmal noch ausführlicher und in einem scherzhaften Ton, diskutiert Crotus das Nürnberger Ägidiengymnasium und dem darin lehrenden „König“ der Poeten. Vor allem sind die Bürger Nürnbergs zu loben, die bisher ihre Freiheit gegen eine Übermacht verteidigt haben und nun freiwillig einen König bestellt haben. … Aus Freiheitsliebe vertrieben die Römer einst ihre Könige. Die Bürger Nürnbergs, an sich eifrige Verfechter der Freiheit, riefen nun von sich aus einen König in ihr Gemeinwesen, als ob die Freiheit dort existieren könne, wo ein König herrscht oder umgekehrt dort, wo ein König ist – die Freiheit. Woher kommt, bitte, der plötzliche Sinneswandel? Mein Gott, die Götter wollten es so, dass dem weisen Volke ein weiser König gegeben werde, einer, der nicht die Freiheit beschneiden würde, aber einen, der mit einem mächtigen Heere feindliche Barbaren von seinen Grenzen vertreiben kann? Weit und breit ist sein Ruhm schon verbreitet worden, mit welcher Niederlage das Heer einer zusammengelesenen Schar von Flüchtigen, die sich mit feindlicher Absicht in das freie Reich der Musen geschlichen hatte, eine Niederlage zufügte. Denn in dieser militärischen Disziplin ist der Krieger bei weitem der beste sowohl durch seine körperlichen Kräfte als auch durch seine militärische Erfahrung. … Man handelte also klug, einen Freiheitskönig in eine freie Stadt zu bestellen. Auf diese Weise wird das Volk, das lange von barbarischen Feinden gequält wurde, auf lange Sicht frei sein.65

Crotus spielte also geistreich mit dem bekannten humanistischen Paradigma des Kampfes zwischen den Anhängern des freien Reiches der Musen, sprich den Humanisten, gegen die Barbaren. Aber wer sind in diesem Falle die Barbaren? Es sind nicht mehr die sich der humanistischen Bildung widersetzenden Dunkelmänner, die er in seiner berühmten Satire verlacht hatte, sondern die jede Bildung ablehnenden „Schreier“ (Clamatores), die sich meist aus entlaufenen Mönchen rekrutierten, gegen die schon Hessus vorher gewettert hatte und gegen die der tief im Humanismus verankerte Melanchthon kämpfte, indem er unter anderem das Ägidien-Gymnasium in Nürnberg gründete. Wie in seinem Brief an Reuchlin aus dem Jahre 1514, als er sich dem angefeindeten Hebraisten als Anführer eines Heeres von Unterstützern anbot, greift Crotus hier auf eine 64 65

Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F3v-F5v. Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F3v f.(Brief vom 13. Juni 1527): „Laudandi uero cumprimis sunt ciues Nurembergenses, qui … nunc sua sponte sibi regem accersiuere. Romani libertatis cupiditate reges exegerunt. Populus ille acerrimus libertatis assertor in mediam Rem [publicam], ultro regem acciuit, quasi libertas consistere queat ubi rex, seu ibi rex, ubi libertas. Vnde quaeso tam subita animorum mutatio? Mehercle superi ita voluerunt, ut populo sapienti daretur rex sapiens non nociturus libertati. Sed qui potenti exercitu a finibus propulsaturus esset barbaros hostes. Longe lateque peruulgata fama est, quanta clade collectitiam manum fugitiuorum hostiliter in liberioribus regnis musarum, ante annos aliquot prostraverit. Nam in ea disciplina militari est bellator longe optimus tam corporis viribus quam peritia bellica … . Prudenter igitur factum est, quod rex libertatis in ciuitatem liberam allectus est, per hunc modum efficietur longe liberior hactenus a barbaris hostibus graviter vexatus populus.“

ZWISCHEN KLAGEN UND VERKLÄRUNG

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militärische Terminologie zurück. Diesen König habe er zweimal besucht, fährt Crotus fort,66 denn zwei Dinge schuldet man vor allem einem König: erstens dass man ihn wegen seiner Würde ehrenvoll grüßt, und zweitens, dass man sich kurz fasst, damit man nicht durch seinen satirischen Witz die königliche Würde verletzt … Vielleicht fügst Du diesen zwei Beobachtungen eine dritte hinzu, wenn Du sagst, ein König ohne offizielles Amt müsse nicht gegrüßt werden. Aber ich grüße den König der Musen, nicht den der Perser. Aus diesem Grunde sind unsere Grüße aus Preußen kurzlebiger und flüchtiger, nicht golden und gewichtig.67

Erst in dem letzten Satz enthüllt Crotus, was der aufmerksame Leser ja schon längst bemerkt hat, dass es sich ja nicht um einen König im konstitutionellen Sinne, sondern eben um den Dichterkönig Hessus handelte. Oft ist aber in Dokumenten und Briefen wichtig, was darin nicht gesagt wird, was verschwiegen wird. So erwähnt Crotus hier mit keinem Wort die Einführung der Reformation in Nürnberg, wozu die Reichsstadt sich nach langem, durch politische Rücksichtnahmen bedingtem Zögern im Jahre 1525 entschlossen hatte, also im gleichen Jahre, als der Ordensstaat in ein protestantisches Fürstentum verwandelt worden war. 68 Sucht man also nach Hinweisen auf eine mögliche Distanzierung des Crotus von der Reformation, so kann man diese in diesem Schweigen sehen. Bedenkt man die historischen Umstände – der nur ein Jahr zurückliegende Bauernkrieg, die Auseinandersetzungen zwischen Protestanten und Katholiken sowie die innerprotestantischen Querelen, so wirkt die mit leichter Ironie geschilderte Beschreibung der Berufung des Eobanus Hessus nach Nürnberg fast wie eine Flucht in eine unwiederholbare Vergangenheit.

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Wann das geschah oder ob Crotus Hessus in Nürnberg überhaupt besuchte, ist nicht bekannt. Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F4: „Eum regem brevibus bis conueni. Nam duo debentur ante omnia regibus, uti salutentur honorifice pro ipsorum amplitudine. Alterum uti ratio habeatur parsimoniae uerborum, ne in dicacitate sermonis appareat contemtus aliquis regiae dignitatis, garrulus enim quem rite uenerabitur? … Forte addis duobus his observationem tertiam, inquiens, non erat salutandus rex absque munere. At ego regem Musarum non Persarum saluto. Dein nostrae salutationes Borußiacae, hoc est fluidae sunt et volatiles, non aureae et graves.“ Bereits seit 1516 hatte Johann von Staupitz, Generalvikar des Augusterordens, in Nürnberg geweilt und gegen die Werkgerechtigkeit gepredigt; 1521 war Andreas Hosemann, der sich nach Humanistenmanier Osiander nannte, als Hauptprediger angestellt worden. Er sollte noch in Albrechts Preußen eine Rolle spielen. Seit 1523 wurde im Augustinerkloster das Abendmahl in zweierlei Gestalt gereicht, und Hans Sachs veröffentlichte sein pro-lutherisches Gedicht „Die Wittenbergisch Nachtigall“.

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6.

„DOCTOR CROTUS SCHREYBER“ – CROTUS RUBIANUS IN PREUSSEN (1524-1530)

Crotus Rubianus über Erasmus und Mutianus Rufus

CROTUS RUBIANUS ÜBER ERASMUS UND MUTIANUS RUFUS Noch deutlicher aber wird das Abrücken des Crotus von der lutherischen Gedankenwelt in Crotus’ Kommentaren zu Erasmus und Mutianus Rufus. Nach anfänglicher vorsichtiger Unterstützung für Luther hatte sich Erasmus in zunehmendem Maße von den Lutheranern abgesetzt, sodass man seit 1521 deutlich lutherkritische Töne von ihm vernahm. Gleichzeitig wurde Erasmus immer heftiger von den altgläubigen Freunden zu einer eindeutigen Distanzierung von dem gebannten und unter der Reichsacht stehenden „Ketzer“ gedrängt, zumal man ihn, Erasmus, immer wieder verdächtigt hatte, er habe das Ei gelegt, das Luther dann ausgebrütet habe.69 Als der Druck auf ihn, sich deutlich gegenüber Luther abzugrenzen, immer stärker wurde, wählte er als Thema seiner Schrift ein „anthropologisches Kernthema“,70 nämlich die Frage, wie viel der Mensch zu seinem Heil beitragen könne. Im September 1524 erschien seine Schrift De libero arbitrio. Erasmus, der an die Bildungsfähigkeit und Erziehbarkeit des Menschen glaubte, argumentierte, dass der Mensch sehr wohl einen Beitrag zu seinem Heil leisten könne und nicht allein auf die Gnade Gottes angewiesen sei. In seiner Argumentation stützte er sich nicht wie Luther ausschließlich auf die Bibel, sondern auch auf die breite Tradition kirchlicher Lehrmeinungen. Mit der Antwort auf Erasmus’ Schrift ließ sich Luther Zeit. Erst ein Jahr später, im November 1525 publizierte er seine Schrift De servo arbitrio (Über den geknechteten Willen). Darin erkannte er zwar an, dass der Mensch in den Dingen des Alltags über den freien Willen verfüge, leugnete aber dezidiert, dass der Mensch auch nur das Geringste zu seinem Heil beitragen könne, denn alles hänge von der Gnade Gottes ab. Damit war der endgültige Bruch mit Erasmus erfolgt. In den folgenden Jahren überzog Luther, wenigstens in seinen privaten Äußerungen, Erasmus mit großen und kleinen Bissigkeiten und kam immer wieder und fast schon obsessiv in seinen Tischreden auf den holländischen Theologen zu sprechen. Dabei zieht sich wie ein roter Faden durch diese Bemerkungen der Vorwurf, Erasmus wolle sich nie festlegen, kurz er sei wie ein Aal: Erasmus est anguilla. Niemand kan yhm ergreifen denn Christus. Est vir duplex. 71 Dem stets klar und deutlich redenden Luther mussten dessen Ambiguitäten ein Dorn im Auge sein. Tag und Nacht ersinne Erasmus zweideutige Vokabeln, sodass seine Bücher sogar von den Türken gelesen werden könnten. Und da er glaubt, viel gesagt zu haben, sagt er im Grunde nichs.72 Wenn Christus und das Evangelium ihm wirklich am Herzen lägen, würde er jetzt als reifer Mann einen Kom69 70 71 72

ALLEN V, Nr. 1528: „Ego peperi ouum, Lutherus exclusit.“ KAUFMANN, Luther und Erasmus, S. 147. WA TR 1, S. 55. WA TR 1, S. 391.

CROTUS RUBIANUS ÜBER ERASMUS UND MUTIANUS RUFUS

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mentar zu einem Paulus-Brief verfassen und sich nicht so viel mit kindischen Klagegesängen beschäftigen, sondern mit ernsten theologischen Themen. 73 Selbst die von vielen Wissenschaftlern gepriesene Ausgabe des Neuen Testaments des Erasmus und die dazugehörigen Annotationen aus dem Jahre 1516, allgemein als philologische Pioniertat anerkannt – Luther hatte sie selbst für seine Übersetzung von 1522 benutzt – fanden in späteren Jahren kaum Gnade vor Luthers Augen und zeigen überdeutlich den Gegensatz zwischen dem kritischen Philologen Erasmus und den auf den Wortsinn der Bibel pochenden Reformator. Erasmus habe bei dieser Arbeit alle möglichen Kirchenväter zitiert mit dem Ziel, seine Leser zu verwirren und ihnen zu suggerieren, das die im Neuen Testament enthaltene Botschaft mehrere Interpretationen zulasse. 74 Wenn ich jung wäre, so meinte Luther, so wolt ich Graecam linguam perfecte studieren, so dass ichs kundte und wolte annotationes drein machen.75 Erasmus sei zwar ein großer Grammatiker (Philologe) gewesen, aber diese Verdienste seien durch den von ihm angerichteten Schaden relativiert worden.76 Er [Erasmus] hat viel vmb leib vnd leben vnd seel bracht. Er ist ein vrsach der sacramentirer. Quantum promovit grammaticam, tantum nocuit euangelio. Er ist ein schentlicher mensch gewest. Zwinglius ist durch in vorfurt. Egrenum77 hat er auch bekert, der glaubet eben so vil als er, kritisiert Luther ihn immer wieder. 78 Luthers Verleumdungen gipfelten in der Behauptung, Erasmus sei ohne seelsorgerischen Beistand und ohne Kreuz gestorben. 79 Philipp Melanchthon, der Erasmus wesentlich positiver als Luther beurteilte, soll gesagt haben, Erasmus habet multa verba, was wohl als Kompliment für den sprachgewandten niederländischen Gelehrten gemeint war, was aber Luther mit dem Satz nos habemus plures res (wir haben die besseren Inhalte) gekontert haben soll.80 Von Erasmus sind ähnlich giftige Äußerungen über Luther nicht überliefert. Tradiert ist lediglich eine Bemerkung in einem Brief vom Oktober 1525 gegen-

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WA TR 1, S. 390: „Si Christus et euangelium Erasmo cordi essent, scriberet nunc senex commentarium in aliquam Pauli epistolam, non ita luderet puerilibus naeniis, uteretur in theologia seriis et simplicibus verbis.“ WA TR 5, S. 183: „Ut lectorem perturbet, et cogitet hanc doctrinam prorsus esse incertam.“ WA TR 5, S. 310. WA TR 5, S. 310: „Quantum promovit grammaticam, tantum nocuit evangelio.“ Johannes Sylvius Egranus hatte anfänglich Luther unterstützt; nach einem Besuch bei Erasmus in Löwen im Jahre 1520 wurde er aber zu einem Erasmus-Unterstützer. WA TR 5, S. 310. WA TR 5, S. 310: „Er starb auch dahin sine crux et sine lux“, behauptete er in der für die Tischgespräche typischen Mischung aus Latein und Deutsch, in diesem Fall in nicht ganz korrektem Latein. „Philippus dixerat: Domine Doctor, iste Erasmus habet multa verba. Respondet Doctor: nos habemus plures res.“ WA TR 4, S. 524.

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über einem Bekannten. Darin behauptete er, dass wenige Tage nach der Hochzeit Luthers mit der ehemaligen Nonne Katharina von Bora diese ein Kind zur Welt gebracht habe. Fünf Monate später musste er aber einräumen, dass dieses Gerücht falsch gewesen sei.81 Diese erasmuskritischen oder sogar erasmusfeindlichen Kommentare Luthers in dieser Zeit bilden die Folie für die folgenden positiven Bemerkungen des Crotus über Erasmus: Was den Erasmus angeht, schreibt er am 13. Juni 1527 an Camerarius, so billige ich Dein Urteil und Deine Meinung. Unserem Deutschland tun diejenigen schweres Unrecht, wenn sie Erasmus zu einem Knaben machen. Wenn man ihn aber einen Knaben nennt, hatte Deutschland bisher keinen Mann und ich weiß nicht, ob es jemals einen haben wird. Erasmus bleibt göttlich, er hat sich um uns alle aufs Höchste verdient gemacht, besonders um die Erläuterung der Heiligen Schrift. Eher kann man dem Herkules die Keule entreißen als ihm den Siegespreis … Die Nachwelt wird ihn gerechter beurteilen.82

Erasmus soll göttlich bleiben – Maneat Erasmus divinus. Das musste zwar in den Ohren Luthers und einiger seiner treuesten Anhänger wie eine Provokation klingen, für andere wie Joachim Camerarius aber nicht, denn auch der große lutherische Gelehrte hatte sich keineswegs dem Urteil Luthers angeschlossen. Im Jahre 1524 hatte er Erasmus noch persönlich in Basel besucht. Bis zu dessen Tod im Jahre 1536 blieb er ihm trotz gelegentlicher sachlicher Meinungsverschiedenheiten freundschaftlich verbunden. Wenn also Crotus seiner Bewunderung für Erasmus Ausdruck verleiht, so konnte er mit dem Verständnis und der Billigung des Camerarius rechnen. Crotus blieb auch bei seiner Erasmusverehrung, als er wieder zum katholischen Glauben zurückgekehrt war. Anlässlich des Holländers Tod verfasste er ein Gedicht, in dem er ihn als Theologen und Humanisten würdigte: Occidit insignis Musarum cultor Erasmus, Occidit Aonij maxima fama chori. Quo duce deposita ueterem caligine uestem induit, et coepta est Pallas in orbe coli. Est sancta sua pietas renouata nitore, cuius in obscura sorde iacebat honos. 81 82

ALLEN VI, Nr. 1633: „De partu maturo sponsae vanus erat rumor.“ Brief des Crotus an Camerarius, 13. Juni 1527, in: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F4v: „De Erasmo probatur mihi et iudicium et sententia tua. Et quidem in hoc magna iniuria afficiunt Germaniam nostram, quod Erasmum puerum faciunt. Certe si puer est si uerum dicitur, hactenus nondum uirum habuit Germania, et an unquam sit habitura nescio. … Maneat Erasmus divinus, de omnibus nobis optime meritus. Praecipue de scriptura diuina, quam ita illustravit, ut alii citius Herculi clauam, quam huic palmam eripiant. Hoc versu felix esto contra maleuolos. Iudicium posteritatis erit.“

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Mortuus hic vivet, dum gloria Phoebi Saluaque maiestas relligionis erit.83 (Es starb ein großer Verehrer der Musen, Erasmus. Es starb der größte Ruhm des Musenchores. Unter seiner Führung zog sich Pallas das alte Kleid an, nachdem die Dunkelheit verscheucht worden war, und begann im ganzen Erdkreis verehrt zu werden. Seine Frömmigkeit ist heilig, durch seinen Glanz ist sie erneuert worden. Deren Ehre lag in dunklem Schmutz. Obwohl er tot ist, wird er leben, solange der Ruhm Apollos und die Majestät der Religion noch am Leben sein wird.)

Ebenso wenig wie Crotus aufhörte, Erasmus zu verehren, ließ er sich von seiner Hochschätzung seines alten Mentors Mutianus abbringen. Dieser stand in seiner Missbilligung kirchlicher Bräuche und Missbräuche wie dem strikten Fastengebot, dem Ablasshandel, der Reliquienverehrung, und seiner Kritik an der Geistlichkeit weder Luther noch Erasmus nach. Was ihn aber von Luther unterschied, ist dessen Gottesverständnis und Christologie.84 Dazu kam, dass er die sozialen Unruhen der frühen zwanziger Jahre, zunächst die sogenannten „Pfaffenstürme“ im Frühjahr 1521 in Erfurt und dann den viel schlimmeren Bauernkrieg der Jahre 1524/1525 den Lutheranern anlastete. Ich hasse die (lutherischen) fanatischen Steinewerfer, 85 hatte er gegenüber Erasmus 1524 geklagt. Vorsichtige Versuche z. B. Spalatins, ihn für die Reformation zu gewinnen, blieben erfolglos. Seine Weigerung, sich für die lutherische Bewegung zu erklären, führte zu einer zunehmenden Isolierung. Obwohl sich die Lutheraner während dessen Lebens mit feindseligen Bemerkungen zurückhielten, hatte man derartige Hemmung nach seinem Tode offenbar nicht. Einige nicht unbedeutende Männer hätten bei der Nachricht von Mutianus’ Tod mit Spott reagiert, deutete Crotus gegenüber Camerarius an. Über deren Gründe könne er nur spekulieren. 86 Luther selbst nannte Mutian einen Atheisten87 und sechs Jahre nach dessen Tod verbreitete der Reformator das völlig aus der Luft gegriffene, bösartige Gerücht, Mutian habe sich aus Verzweiflung über seine damalige Armut vergiftet.88

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Hinweis bei: HUBER-REBENICH, Crotus Rubeanus, in: VL Hu, I, Sp. 507: „In Georg Witzels d. Ä. Conquestio de calamitoso in praesens rerum Christianarum statu ist unter ‚authore Ioanne Rubeano‘ ein Epitaph auf Erasmus (8 Distichen) abgedruckt, das Crotus zugeschrieben wird.“ Leipzig Nikolas Wolrab, 1538., Bl. Fiij (VD 16 W 3903). Vgl. dazu: BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein Humanistenkreis in Gotha, S. 322-325. GILLERT Nr. 620 (Mutianus an Erasmus, Ende Februar 1524): „Ego phanaticos lapidatores non amo.“ Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F4b: „Quamquam ad nuntium mortis eius [Mutiani] quidem gravissimi scilicet homines suspenso naso subriserunt. Qua de causa ipsi viderint, mihi suspicandi dicere non licet.“ WA TR 2, S. 627: „Doctor Mutianus nullum credidit Deum esse.“ WA TR 2, S. 627: „Doctor Muth, paupertitate desperans, se ipsum veneno necavit.“

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Diese Diffamierung des großen Gelehrten aus Gotha seitens einiger bedeutender Lutheraner bilden den Hintergrund der Äußerungen des Crotus über Mutianus. Anlass dafür war dessen Tod im März 1526. Am 11. Oktober 1526, also sieben Monate nach Mutians Ableben, teilte Crotus seinem Freund Johann Hess mit: Mutianus, die Hälfte meiner Seele, ist gestorben.89 Noch ausführlicher äußerte er sich über das Ableben seines Mentors in einem Brief an Camerarius: Mutians Tod war für mich nach dem Tod meiner Eltern der bitterste. Mit keinem anderen Menschen verband mich je eine herzlichere Freundschaft oder Seelenverwandtschaft. Ich betrauere also dessen Schicksal, aber auch meines, dass ich so eines engen Freundes beraubt worden bin. Sein [Mutians] sterbliches Leben hat er in Unsterblichkeit beendet; denn zweifelsohne ist er in die ewige Seligkeit aufgenommen worden. In der Hoffnung darauf führte er einen frommen Lebenswandel.90

Und dann schildert Crotus, als ob er selbst Augenzeuge gewesen wäre, die näheren Umstände von Mutians Tod: Bei zunehmender Schwäche sagte er Tag, ja fast Stunde seines Todes voraus, und als er den Tod nahen fühlte, ließ er sich einige Trostpsalmen und Abschnitte aus den paulinischen Briefen über Christi Gnadenerweis und die Auferstehung vorlesen, betete dazwischen um Standhaftigkeit und Verachtung des Todes. Als er damit aufhörte, vernahm man keine Angstrufe, er warf sich nicht unruhig hin und her. Mit göttlicher Hilfe überwand er die Bitterkeit des Todes. Er soll gesagt haben: „Erbarmer Christus, blicke auf Deinen Knecht“, und nachher, „Dein Wille geschehe“. Das war das letzte Wort. Dann entschlief er und lag ruhig wie ein Schafender, nicht wie ein Toter.91 Crotus fährt fort: Wer würde nicht glauben, dass er augenblicklich in die himmlische Wohnung geflogen sei, von wo aus er unser Elend betrachtet, gerettet von den vielen Übeln, die wir uns selbst bereiten. Er lebt bei den Göttern, er lebt in meinem Herzen; von dort wird ihn niemals die Erinnerung an ihn entreißen.92

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„Mutianus obiit, dimidium animae nostrae“, in: Corr.Blatt 8, S. 185. Brief vom 13. Juni 1527 in: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F4b: „Mutiani mors … post parentum fuit mihi acerbissima. Nullius hominis unquam mihi extitit carior amicitia aut morum similitudo conuenientior. Doleo igitur non illius sortem. Sed meam ipsius tanto amico privati. Terminauit ille uitam mortalem immortalitate, procul dubio receptus in aeternam felicitatem, pro cuius spe vitam suam pijs moribus instituit.“ Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F4b: „Ingrauescente infirmitate ne dum diem, sed ferme mortis horam praedixit, quo appetente iußit recitari Psalmos aliquot consolatorios, nunc aliquid ex Epistolis Pauli de Christi beneficio, nunc de resurrectione mortuorum. Precabatur quandoque constantiam, mortis contemtum cessante lectore, nulla audiebatur anxietas, nulla fiebat corporis hinc inde iactatio. Diuino auxilio domuit acerbitatem moriendi. Fertur dixisse, Christe miserator respice ad seruum tuum, & paulo post fiat voluntas tua, atque haec ultima nox fuit. Dein obdormiuit habitu corporis composito in modum sopiti non mortui.“ Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F4b: „Et quis non crederet e uestigio conuolasse in coelestia tabernacula, unde aspiciat nostram miseriam, ereptus at tot malis quae

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Zwar sind Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Darstellung, für die Crotus keinerlei Quelle angibt, erlaubt. Der Verdacht liegt nämlich nahe, dass Crotus oder wer auch immer ihm diese Schilderung übermittelt hat, die Szene erfunden oder stark im Sinne der „Berühmte-letzte-Worte-Tradition“ zumindest ausgeschmückt hat, zumal Crotus ja hunderte von Kilometern entfernt damals im fernen Preußen weilte. Wichtig bleibt aber, dass sich in dieser Schilderung Crotus’ starke Bewunderung und Verehrung für Mutian ausdrückt – eine Bewunderung, die keineswegs von den Lutheranern geteilt wurde, 93 wohl aber von Camerarius, denn er war es, der in seinem 1561 erschienen Tertius Libellus epistolarum zum ersten Male einige ausgewählte Briefe des Mutian veröffentlichte und in seiner Narratio de Eobano Hesso dem Gothaer Kanoniker würdigte und damit der damnatio memoriae entriss. Zwar steht in dieser sehr persönlich gefärbten Biografie sein Freund Hessus im Mittelpunkt, in weiten Teilen ist das Werk aber ein Rückblick auf eine vermeintlich bessere Zeit, auf ein goldenes Zeitalter, nämlich auf die ersten zwei Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts mit dem von Mutian geleiteten Humanistenkreis.94 Crotus konnte mit seinen Erasmus- und Mutian-freundlichen Bemerkungen zwar mit der Sympathie von Camerarius rechnen, aber gleichzeitig berechtigte Furcht vor orthodoxen Lutheranern haben. Es ist deshalb durchaus verständlich, wenn er sich von Verleumdern umgeben sah. Die Wortbrüchigkeit vieler Leute macht mich vorsichtig, schreibt er an Camerarius, da ich schon so oft durch Leichtgläubigkeit betrogen worden bin. Du, Camerarius, wirst also dafür sorgen, dass der Brief nicht noch im Hafen Schiffbruch leidet. Ich schreibe einem alten lieben Freund; der mir übel wollende Leser, wird hineininterpretieren, was er will. Denn welche noch so vorsichtige Ausdrucksweise würde ausreichen das Geflüster der Verleumder zum Schweigen zu bringen.95

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nobis ipsi Paramus … . Vivit ille cum superis, vivit et in meo pectore: unde nulla unquam oblivio eius memoriam evellet.“ Vgl. BERNSTEIN, Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha, S. 375. Moderne Ausgabe: Joachim Camerarius, Narratio de Helio Eobano Hesso, hg. und erläutert von BURKHARD und KÜHLMANN. Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F5: „Multorum perfidia me solicitum facit toties deceptum credulitate. Prudentius igitur curabis, ne in portu naufragium committatur. Scribo amico veteri et charo, malevolus lector inveniret unde mihi strueret insidias. Quae etenim circunspicientia nunc sufficiet in sermone, ad uitandumn susurros obtrectatorum.“ Joachim Camerarius erhielt den Brief zusammen mit anderen Schreiben bereits am 9. August 1527 mit der Bitte, diese unverzüglich an die diversen Freunde weiterzuleiten, unter anderen an den gemeinsamen Freund Jakob Fuchs. Er scheint sich aber mit der Weitergabe zumindest des Briefes an Fuchs Zeit gelassen zu haben, denn erst am 17. November, also vier Monate später, schickte er ihn an den gewünschten Empfänger.

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Crotus’ Klagen über die Gegenwart, seine Begeisterung über die Ernennung des Nicht-Theologen Hessus als Lehrer am Nürnberger Ägidien-Gymnasium, eine fortwährende Verehrung seines alten Mentors Mutians und des Luther-Gegners Erasmus – beide Vertreter eines christlich geprägten Humanismus – all das waren deutliche Signale, wie sich Crotus vorsichtig von Luther loszusagen im Begriffe war und wie er sich in dem lutherisch geprägten Preußen nicht mehr wohl fühlte.

7.

Gedanken an die Rückkehr nach Deutschland

GEDANKEN AN DIE RÜCKKEHR NACH DEUTSCHLAND Gerüchte über Crotus’ Absicht, Preußen zu verlassen, müssen schon seit spätestens 1529 am Königsberger Hof kursiert haben, denn im Juli dieses Jahres schreibt der Bischof von Pomesanien und enger Berater Albrechts, Erhard von Queiss, an den Herzog, dass er gehört habe, dass Crotus das Land zu verlassen gedenke. Er rät ihm dringend, Crotus zu halten, warlich E.F.G. geleuben myr, er [Crotus] ist nicht palt der im glaichet.96 Bald darauf erlagen Crotus’ Freunde Queiss und Fischer der Seuche des „Englischen Schweißes“ (pestis sudoris), einer Epidemie, die, wie ihr Name sagt, ursprünglich aus England kam und sich schnell in den dreißiger Jahren des sechzehnten Jahrhunderts über den gesamten Kontinent verbreitete. Um Crotus wurde es einsam in Königsberg. Crotus’ Entscheidung, das lutherische Preußen zu verlassen, war kein plötzlicher Entschluss. Seine stets privat geäußerten Ansichten verraten eine zunehmende Desillusionierung mit der lutherischen Bewegung. Dieses Unbehagen hatte sich bereits im Jahre 1521, kurz nach den Erfurter Pfaffenstürmen in seinem Brief an Petreius artikuliert und sich mit dem Bedauern über den Niedergang der humanistischen Studien und seine fortwährende Hochschätzung der von vielen Lutheranern geschmähten Humanisten Erasmus und Mutian verstärkt. Seine Absicht aber, Königsberg zu verlassen, teilte er aus verständlichen Gründen nur wenigen mit, unter anderen seinem Freund Johann Metzler. Dieser äußerte seine Bedenken: Über Deine Rückkehr würde ich mich freuen, wenn sie vorher geschehen wäre. Alles ist jetzt anders. Die Wissenschaften genießen jetzt kein Ansehen mehr. Ich bitte Dich, Crotus, denk an Dein Alter [Crotus war damals 47 Jahre alt]. Unternimm nichts, bevor Du eine andere Stelle hast. Plan den Weggang von dem Fürsten, der Dir wohlgesonnen ist, genau. Springe über Deinen eigenen Schatten und denke daran, dass Du in einer harten Zeit lebst. Wenn meine Lebensumstände so wären, wie sie eigentlich sein 96

TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 636 und FORSTREUTER, Vom Ordensstaat zum Fürstentum, S. 110.

GEDANKEN AN DIE RÜCKKEHR NACH DEUTSCHLAND

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müssten, hätte ich Dich ermuntert, zu mir zu kommen. So lange ich lebe, würdest Du nicht von hier weggehen. Überstürze nichts und handle nicht unüberlegt; vertausche nichts Sicheres mit Unsicherem. Bleib erst einmal in Preußen, vielleicht ergibt sich etwas Anderes. Ich spreche aus dem Herzen und so wahr mich Gott liebt, so wünsche ich, dass Du klug handelst. Ich werde nicht geschehen lassen, dass Dir mein Rat fehlt, wenn irgendetwas geschieht. Ich liebe Dich. Deine Angelegenheit liegt mir am Herzen.97

Trotz des gutgemeinten Rats seines Breslauer Freundes verließ Crotus Königsberg. Im Sommer 1530 war er bereits in Deutschland.

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Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. R4v f.: „De tuo in Germaniam reditu gauderem, si eadem, quae olim esset. Sunt inversa omnia, nullus habetur honos literis. Crote, rogo te, senectutis tuae rationem habeas. Nec priusquam aliam nactus sis conditionem, a principe optime, ut audio, tibi volenti abitionem pares. Vince te ipsum, et iniquitati temporum concede. Si meae res in eo essent, quo debebant, statu, cohortarer, ut te ad me conferres. Dum uiueret, non discederet a Mecelero Crotus. Ne praecipita, neque temere quicquam agas. Certa ne cum incertis, commutaveris. Contine te, fortasse interim aliquid fiet. Ex animo loquor, et ita me Deus amet, ut tibi in hoc recte consultum cupio. Neque sinam te mei consilij expertem, siquid aliquid inciderit. Amo te, quo mihi res tuae magis sunt curae.“ Der Brief ist undatiert, muss aber etwa im Jahre 1529 geschrieben worden sein.

XI.

CROTUS’ RÜCKKEHR NACH DEUTSCHLAND IM JAHRE 1530 – KANONIKER IN HALLE

CROTUS’ RÜCKKEHR NACH DEUTSCHLAND IM JAHRE 1530

Ich will mit der Hülfe Gottes in der Gemeinschaft der heiligen christlichen Kirche bleiben und alle Novität vorüberwehen lassen wie einen sauren Rauch.1

1.

Crotus’ Entscheidung, in Deutschland zu bleiben

CROTUS’ ENTSCHEIDUNG, IN DEUTSCHLAND ZU BLEIBEN Trotz des Appells seines Freundes Johann Metzler, sich den Abschied von Preußen reiflich zu überlegen, kehrte Crotus Rubianus im Frühsommer 1530 dem Land, in dem er sechs Jahre lang gewirkt hatte, den Rücken. Im Gefolge des Herzogs Albrecht verließ er im Januar 1530 Königsberg und begleitete diesen auf einer Reise nach Thorn und Krakau.2 Ob er von dort noch einmal nach Königsberg zurückkehrte oder sich bereits in Krakau von der herzoglichen Reisegesellschaft absetzte, ist nicht mehr zu ermitteln. Jedenfalls besuchte er in Breslau Metzler und begab sich erst dann nach Deutschland.3 Gedacht war zunächst an einen vorübergehenden Besuch der alten Heimat, nicht an einen endgültigen Abschied von Preußen. Diesen Eindruck musste jedenfalls Herzog Albrecht haben; denn er schickte seinem Sekretär Crotus noch ein Bündel von Briefen nach.4 Auch Crotus bestärkte den Herzog in die-

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VOIGT, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten Deutschlands, S. 170. Crotus an Herzog Albrecht, Mai 1532. TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 708. Vgl. das Empfehlungsschreiben Metzlers an Julius Pflugk vom 26. Juli 1530 in Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. R6v-7r: „Cum uero ex Brußia in Germaniam rediens Crotus noster, me ut conueniret, iter Vratißlauiam deflexisset, atque ostenderet se aestatem istum Lipsiae mansurum.“ Dies geht aus dem Brief des Crotus vom 30. August 1530 hervor. Folgende Briefe sind im Original erhalten und befinden sich im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin unter den Signaturen: GStAPK HA, HBA, A4, K. Nr. 186, Nr. 187, Nr. 189, GStAPK XXHA, HBA, Nl Speratus, K, Nr. 1394 und GStAPk, HA, Ostpr. fol. Nr. 27. Die Briefe sind von VOIGT (Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten) und von COSACK (Paul Speratus) abgedruckt, wobei die Rechtschreibung behutsam der modernen angepasst ist. Einige Stellen sind gekürzt worden. Der leichteren Nachprüfbarkeit wegen zitiere ich nach VOIGT und COSACK. Die Nachricht von dem Briefbündel (Cerat) befindet sich in dem ersten Brief des Crotus vom 30. August. Gerade diese Seite hat

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CROTUS’ RÜCKKEHR NACH DEUTSCHLAND IM JAHRE 1530

sem Glauben, denn in dem Brief vom 30. August 1530, geschrieben also nur wenige Wochen nach seiner Rückkehr nach Deutschland, teilte er ihm mit: wann ich werde wiederkommen, das weiß Gotte.5 Im zweiten Brief vom 1. Mai 1531 macht Crotus eine schwere Krankheit dafür verantwortlich, dass er sein Versprechen, nach Preußen zurückzukehren, nicht habe halten können.6 An der Aufrichtigkeit dieser Behauptungen der geplanten und nur durch die Krankheit verhinderten Rückkehr sind jedoch starke Zweifel angebracht. Sowohl die in Königsburg kursierenden Gerüchte über einen bevorstehenden Abschied als auch Metzlers Warnung vor einer permanenten Heimkehr ins Reich legen nahe, dass Crotus wohl von vornherein plante, den Dienst bei dem preußischen Herzog für immer zu quittieren. Seine Erklärungen gegenüber dem Herzog waren wohl eher dafür gedacht, die Enttäuschung des Herzogs zu mildern und sein Verhalten, das doch eher einer Flucht als einem geordneten Abschied glich, in ein positiveres Licht zu rücken. Zunächst stattete Crotus Leipzig, wo er seine Bücher zurückgelassen hatte, einen Besuch ab. Wegen der dort wütenden Pest verließ er aber bald diese Stadt und reiste weiter nach Halle, wo er die nächsten Jahre bleiben sollte. Über die erste Zeit seines Aufenthaltes in Deutschland sind wir durch vier vertrauliche Briefe an seinen ehemaligen preußischen Dienstherrn unterrichtet. Sie geben uns Auskunft über sein Denken in dieser Zeit, in der er endgültig mit der lutherischen Bewegung brach. Sechs Jahre war Crotus also nicht in Deutschland gewesen, und Metzlers Warnung, dass er in ein anderes Land zurückkäme, war allzu berechtigt. In der

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Voigt aber in seiner Ausgabe ausgelassen: 1. Brief des Crotus an Albrecht vom 30. August 1530 (TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 738; VOIGT, Briefwechsel der berühmtestenn Gelehrten, S. 161-166). – 2. Brief des Crotus an Albrecht vom 1. Mai 1531 (TSCHACKERT Urkundenbuch II, Nr. 783; VOIGT, Briefwechsel S. 166-168). – 3. Brief des Crotus an Albrecht vom 30. September 1531 (TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 815; COSACK, Paul Speratus, S. 370-373). Der Brief im GStAPK scheint kein Autograph des Crotus zu sein, er ist in einer gleichmäßigeren Schrift geschrieben. – 4. Brief des Herzogs an Crotus vom 18. März 1534 (TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 915); verlorengegangen. – 5. Brief des Crotus an Albrecht vom 23. April 1532 (TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 846; VOIGT, Briefwechsel, S. 169 f.). Folgende Briefe sind belegt, aber haben sich nicht erhalten: Briefe des Herzogs an Crotus (empfangen am 29. Mai 1531 und am 23. Juli 1531). Hinweis darauf in dem Brief des Crotus an Herzog Albrecht vom 30. September 1531: „Ich hab in kurz vergangenen Monaten von e.f. g. zween Brief empfangen, am 29. Mai und 23. Juli“, in: COSACK, Paul Speratus, S. 370. Dies geht aus dem Brief des Crotus vom 30. August 1530 hervor. Diesen Teil, eine ganz Seite, hat VOIGT nicht in seine Ausgabe übernommen. VOIGT, Briefwechsel, S. 161. VOIGT, Briefwechsel, S. 166: „Als ich von E.F.G. weggezogen bin, habe ich zuvor E.F.G. zugesagt, wiederzukommen und bin auch in ganzer Meinung gewesen.“

CROTUS’ ENTSCHEIDUNG, IN DEUTSCHLAND ZU BLEIBEN

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Tat hatte der deutsche Bauernkrieg, dieser Aufstand der Bauern, Handwerker und teilweise auch Stadtbürger, in der sich soziale, radikalreformatorische und politische Anliegen verwoben, große Zerstörungen angerichtet, auch in Thüringen, also in der Heimat des Crotus. Da man die Lutherischen für den Aufstand verantwortlich machte, sah sich Luther veranlasst, im April 1525 ein wütendes Pamphlet Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern zu veröffentlichen. Darin distanzierte er sich energisch von den Ausschreitungen der Bauern. Niedergeschlagen wurde der Aufstand bekanntlich in Thüringen von einer Koalition von Territorialherren, die von dem Landgrafen Philipp von Hessen und Herzog Georg von Sachsen angeführt wurde, in der Schlacht bei Frankenhausen. Zu den Wirren des Bauernkrieges und parallel dazu kamen die innerprotestantischen Auseinandersetzungen und Abspaltungen, die die von Luther beanspruchte Deutungshocheit in Frage stellten: In Wittenberg selbst predigte der radikale Reformer Andreas Bodenstein, genannt Karlstadt und in Zürich Zwingli. Dazu kamen die „Schwärmer“ und die Wiedertäufer, also diejenigen, die man heute als Vertreter des radikalen Flügels der Reformation bezeichnet. Vor diesem Hintergrund muss man den ausführlichen, auf Deutsch geschriebenen Brief sehen, den Crotus von Halle am 30. August 1530 an Herzog Albrecht sandte und in dem er noch eine mögliche Rückkehr nach Preußen in Aussicht stellte.7 Es ist ein überaus wichtiges Dokument, das über die seelische Stimmung des Crotus aufschlussreich informiert. Zunächst bedankt sich Crotus, dass der Herzog sich ihm gegenüber so ganz gnädig und freundlich … erzeigt habe.8 Er hätte sich fest vorgenommen, schreibt er, ein Vierteljahr, aber höchstens bis zum Markt, also bis zum Herbst, in Leipzig zu bleiben. Wegen der Pest habe er aber die Stadt frühzeitig verlassen. Das Wenige, das er in Deutschland besessen habe, einschließlich der Einkünfte aus seiner kleinen Pfarrei in dem drei Meilen von Bamberg entfernten Zeil, habe er verloren, denn in den Bauernkriegen hätten die armen verführten Leute seinen Pfarrer erschlagen. Nach Fulda sei er noch nicht gereist, da der Abt von Fulda sowieso noch auf dem Reichstag in Augsburg weile.9 Über die gegenwärtigen Ereignisse habe er durchaus zwiespältige Gefühle (ich habe contrarios affectus bei mir). 10 Soll er schweigen oder publizistisch eingreifen? Diese ambivalenten Empfindungen gegenüber den religionspolitischen Entwicklungen seien auch durch seine Beobachtungen zum Augsburger Reichstag ausgelöst worden, auf 7

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Abgedruckt in VOIGT, Briefwechsel, S. 161-165; TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 738. VOIGT, Briefwechsel, S. 161. VOIGT, Briefwechsel, S. 162. VOIGT, Briefwechsel, S. 162.

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CROTUS’ RÜCKKEHR NACH DEUTSCHLAND IM JAHRE 1530

dem neben der Bedrohung durch das Osmanische Reich die sich anbahnende kirchliche Spaltung eine wichtige Rolle spielten.11 Die Positionen der Kontrahenten seien noch weit voneinander entfernt.12 Was die Streitigkeiten zwischen Protestanten und Katholiken angehe, so plädiert Crotus dafür, den Ersteren in zwei Kernforderungen entgegenzukommen, nämlich in der Frage der Priesterehe und des Abendmahls in beiderlei Gestalt.13 Diese Zugeständnisse halten Crotus aber nicht davon ab, die Lutheraner im gleichen Atemzug scharf zu kritisieren. Sie sollten sich in ihrer Kritik mäßigen, fordert er, und aufhören, die ehrbaren, frommen, tiefgelehrten Leute so schändlich zu schmähen, zu besudeln und zu beschmieren, gleich als wären sie nicht anders gewesen, denn unsinnige, dumme, thörigte Leute. Dieweil sie es aber ganz mit Scharren, Pochen und Drohen verachten und mit dem Aufruhr wollen erhalten und die Welt durch ihre Bücher mit Schmähworten erfüllen, so folgt, daß man sich dawider setzen und andere Wege suchen muß, um aus diesem Gezänke andere einfältige Irrthümer zu verhüten.14

Gäbe man ihnen nämlich nach, würde man einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen.15 Dann müsste man auch andere Ketzer rehabilitieren, Häretiker wie Arius, (Sidonius) Apollinaris, Nestorius und Manichäus.16 Das seien zwar kluge Leute gewesen, die sich redlich mit der Schrift auseinandergesetzt hätten, man müsse aber, um die Einheit der Kirche nicht zu gefährden, dieser ein Urteil 11

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Als historische Quelle sind Crotus’ Beobachtungen zum Augsburger Reichstag wenig hilfreich. Sein Informationsstand über die teilweise hinter geschlossenen Türen geführten Verhandlungen dürfte sowieso, etwa im Gegensatz zu dem des Erasmus, sehr gering gewesen sein. Während dieser nämlich über ein weites Netzwerk von Freunden und Informanten verfügte und deshalb eine „souveräne Übersicht über die Entwicklung auf dem Reichstag hatte“, war Crotus auf die Berichte „einiger Doctoren“ angewiesen. Vgl. LOHSE, Erasmus und die Verhandlungen auf dem Reichstag zu Augsburg, S. 71-83. VOIGT, Briefwechsel, S. 162: „Das ist kundig, daß man von beiden Theilen Artickel eingelegt hat; darum hadert man sich noch und stehen weit von einander.“ „Wenn zwei Artikel erhalten würden, so sollte sich nach meiner Meinung das andere schicken, nämlich das Sacrament unter beider Gestalt … und dann die Priesterehe.“ VOIGT, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten, S. 162 f. Und noch einmal (S. 163): „In diesen zwei Artickeln, so weit ichs noch verstehe, wollte ich, dass man den Lutherischen ihr Vornehmen gestattete. Es sollte ein guter Anfang seyn zur Einigkeit.“ Dass Crotus sich für die Priesterehe einsetzte, hatte er im Falle Apels gezeigt (vgl. Kap. IX). VOIGT, Briefwechsel, S. 163. VOIGT, Briefwechsel, S. 163: „denn so man das gestatten sollte, so wurden in Kurzem alle Ketzer erneuert werden.“ Arius (um 260-336) wurde auf dem ersten Konzil von Nikäa im Jahre 325 als Ketzer verurteilt; Nestorius (ca. 386-450) auf dem Konzil von Ephesus 431 ebenfalls als Ketzer; Manichäus starb im Jahre 276 im Gefängnis. Sidonius Apollinaris (431-479) war ein westgotischer Bischof.

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zugestehen, sonst würde alles wie Kraut, Käse, Erbsen, Bohnen und Rüben durcheinandergehen. Freilich gibt Crotus zu, dass es Missbräuche gebe, aber in allen Dingen muß man den Mißbrauch absondern von der Substanz. Keinesfalls dürfe man aber die kirchliche Tradition über Bord werfen, sonst würden Hoffart, Hass, Rache und Eigennutz regieren in diesem Gewirre. Deutschland sei gegenwärtig von einem großen Ungewitter bedroht. Würde es in einem halben Jahr lutherisch, hätte das schlimme Folgen: es wird ein freches, ungezogenes, ungehaltenes Volk, welches Wege sucht, sich von der Obrigkeit und dem Gehorsam loszureißen.17 Crotus fürchtet also die sozialen und politischen Folgen einer Spaltung, wobei er die theologischen Unterschiede für durchaus überwindbar hält.18 Er schlägt also ein Thema an, das er in den folgenden Monaten und Jahren immer wieder aufgreifen sollte: Das Zugeständnis, dass es Missbräuche in der Kirche gebe, gleichzeitig aber das Festhalten an jahrhundertealten kirchlichen Traditionen. Mit seiner Position – Konzessionen an die Lutheraner in Fragen des Dogmas bei gleichzeitiger scharfer Verurteilung von deren aggressiven Verhalten – setzte sich Crotus zwischen die Stühle. Und das war riskant, wie er selbst wusste. 19 Deshalb wolle er auch Teile seiner Briefe nur in verschlüsselter Form übermitteln (forma scribendi arcane), deren Prinzip er auf einem Extrablatt erklär-

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VOIGT, Briefwechsel, S. 164. Nicht weniger dürften den Herzog Albrecht die Beobachtungen, die Crotus über den Stand des gegen ihn, den Herzog, laufenden Prozesses interessiert haben (vgl. Kap. XI). Crotus weiß nämlich zu berichten, dass Walter von Kronberg das Amt des Hochmeisters des Deutschritterordens angenommen habe (die Lande Preussen von keiserlicher Majestät zu Lehen empfangen und geschworen hat, VOIGT, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten, S. 164) und dass 1530 Kaiser Karl V. ein Mandat gegen den Herzog von Preußen erlassen habe, worin er ihn aufforderte, das Land Preußen dem Deutschmeister Walter von Kronberg abzutreten oder aber innerhalb von 90 Tagen vor dem Kammergericht zu erscheinen. Crotus’ Reaktion auf diese unrealistischen Forderungen: „Viele Leute treiben das Gespött darüber und verlachens.“ Denn die Belehnung von Kronbergs mit dem Land Preußen bestand nur auf dem Papier, da Albrecht mit der Ablegung des Hochmeistertitels und der Umwandlung des Deutschordensstaates in ein weltliches Herzogtum im Jahre 1525 unumstößliche Fakten geschaffen hatte. Trotzdem dürfe man die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen, warnt der immer vorsichtige Crotus: „Die Sache ist kompliziert. Der Herr ändert Zeit und Stunde, er setzt Könige ab und setzt Könige ein. Practica est multiplex. Dominus mutat tempora et aetates, transfert regna et constituit.“ Er, Crotus, wolle ihn [Albrecht] durch Boten gern auf dem Laufenden halten. Die Kosten dafür allerdings müsse der Herzog übernehmen, denn „mein Beutel vermag’s nicht“. TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 748, November 1530. Es ist aber gefährlich, so weit zu schreiben und die Briefe bringen die Schreiber bisweilen in große Angst und Noth, VOIGT, Briefwechsel, S. 165 (Brief an Albrecht vom 30. August 1530).

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te.20 Es handelt sich bei dieser simplen Verschlüsselungstechnik, die zu dechiffrieren wohl keines mathematischen Genies bedurft hätte, um eine einfache monoalphabetische Substitution. Dabei ersetzen einzelne Buchstaben des Klartextes mit Hilfe eines Schlüssels die entsprechenden Zeichen des Geheimtextes. Der Klartext lässt sich dann durch diesen relativ einfachen Schlüssel dechiffrieren. Da es zu kompliziert sei, einen ganzen Brief zu verschlüsseln, will Crotus es bei Kernbegriffen belassen.21 Um gleich ein Beispiel seiner neuen Geheimsprache zu geben, unterschreibt er den Brief mit „Lbtnnrs Cebtms“, also Joannes Crotus. So simpel, ja naiv in unserer Zeit hochkomplizierter Verschlüsselungstechniken die crotische Chiffrierungsmethode scheinen mag, so weist sie doch auf die tatsächlichen (oder eingebildeten) Gefahren hin, in denen sich Crotus befand. Er war nicht mehr Lutheraner, hatte sich zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht zur Rückkehr zur alten Kirche oder wie er es selbst sah, zum Bleiben beim alten Glauben bekannt. Keine der beiden Parteien traute ihm. Diese Ängstlichkeit, die sich schon darin geäußert hatte, dass er alle seine Werke bis zu diesem Zeitpunkt anonym veröffentlicht hatte, war eine Konstante seines Lebens.22 Erst im Mai 1531, also ein knappes Jahr nach seiner Rückkehr nach Deutschland, teilte er dem Herzog mit, dass er in den Dienst von dessen Vetter, des Erzbischofs von Mainz, getreten sei, zunächst für ein Jahr. Mit dieser sensationellen und für den überzeugten Lutheraner Herzog Albrecht wohl auch

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„Er gebraucht dabei die beiden Worte: ‚Mulier Boat‘ und sagt: die Silben soll man wohl merken und von einander theilen, dass man einen Buchstaben weiß für den andern zu gebrauchen, also Mu.li.er.bo.at. M macht ein u und ein u macht ein M. Ein L macht ein i und ein i bedeutet ein L und also fort. Da jede Silbe aus zwei Buchstaben besteht, substituiert man sie folgendermaßen: M-u; l-i; e-r; b-o; a-t: u wird durch m ersetzt, l durch i, e durch r, b durch o und a durch t und umgekehrt.“ Es wird also nur eine begrenzte Zahl von Buchstaben vertauscht; die restlichen bleiben stehen. Danach wird etwa aus Albertus Tioreams, aus Dorothea Dbebahrt, aus Prussia wird Pemselt und aus Verschlüsselung „Vreschimrssrimng“. Vgl. VOIGT, Briefwechsel, S. 165: „… doch darf man nicht den ganzen Brief auf diese Art bschreiben, sondern allein die Wörter daran gelegen ist, daneben auch die nächsten, dann der ganze Brief unverständig wird.“ Ähnliche Vorsicht hatte Crotus schon in seinem Brief an Joachim Camerarius vom 23. Juni 1526 geäußert. In: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F5: „Literas meas Iacobus noster per te accipiat. Et Petreio Aperbacho circumspicias de fide nuntio qui ipse reddat in manus accipientis. Multarum perfidia me sollicitum facit toties deceptum credulitate.“ (Meinen Brief soll unser Jakob durch Dich empfangen. Und für Petreius sollst du mal einen verlässlichen Boten suchen, der den Brief eigenhändig dem Empfänger übergibt. Die Unzuverlässigkeit vieler macht mich, der ich so oft die Leichtgläubigkeit gekannt habe, vorsichtig).

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schmerzlichen Nachricht fällt er keineswegs mit der Tür ins Haus;23 sondern beginnt mit der weniger wichtigen Neuigkeit, warum er nicht nach Preußen zurückgekehrt sei. Verantwortlich macht er, wie bereits erwähnt, seine plötzlich aufgetretene Krankheit. Als Ursachen für diese Beschwerden, deren Symptome starke Kopfschmerzen und Geschwüre gewesen seien, hätten die Ärzte die Luftveränderung und die ungewohnte Ernährung diagnostiziert. Von einer nochmaligen Ortsveränderung, also von einer Rückkehr nach Preußen, hätten sie ihm deshalb abgeraten. Deren Rat habe er befolgt.24 Weiterhin versucht er sein Fernbleiben in ein positives Licht zu rücken, indem er erklärt, er wolle weiterhin den Fürsten loben und ehren, so, als ob er noch am Hofe in Königsberg wäre. Ja, er behauptet sogar, dass er im Reiche dem Herzog nützlicher sei, weil er, sozusagen als Fürsprecher, den UnInformierten aus seiner Kenntnis der politischen Situation überzeugender die Gründe erklären könne, warum Albrecht den Deutschritterordensstaat in ein weltliches Herzogtum umgewandelt habe. Im Übrigen weist er auf die große Unwissenheit hin, die im Reich über Preußen herrsche. Dass man sich unter die polnische Lehnhoheit begeben habe, sei wohl aus realpolitischen Gründen nötig gewesen. Der Welt Lauf erforderts. Die Drohungen des Kaisers und des Reichs solle man nicht ernst nehmen: Es hat auch Deutschland mit ihm selbst so viel zu thun, dass es sich in Preußen nicht viel kann erschrecken. Die aus dem Reich ausgehenden Briefe stellten also leere Drohungen dar. Ein dritter Grund für seinen Entschluss im Reiche zu bleiben, sei der Wunsch, die religiösen Wirren aus nächster Nähe beobachten zu können.25 Fast beiläufig teilt er erst dann dem Herzog mit, dass er zwar vor etlich Jahren dem lutherischen Vornehmen angehangen zu haben, jetzt sich aber davon abgewandt, als er sah, dass man nichts wolle unzerrissen und unbesudelt lassen, obwohl es aus der Zeit der Apostel und deren Jünger stammt – und nicht ausschließlich aus der Heiligen Schrift, wie die Lutheraner forderten. Allzu oft sei die Schrift von Letzteren als Vorwand (Schild) verwendet und missbraucht worden. Nicht der neuen Kir-

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VOIGT, Briefwechsel, S. 166-168. VOIGT, Briefwechsel, S. 166: „Aber es hat sich zugetragen, daß sich, als ich nach Deutschland kam, großes Wehethum in meinem Haupte befunden. Darnach als sich solches Wehethum endete, erhob sich manchfaltiges Geschwür über meinen Leib, das lange gewährt, aber nun Gottlob verschwunden ist. Die Medici zeigen als Ursache an die Veränderung der Luft, des Himmels, der Speisen und Getränke; desgleichen sagen mehre, es würde mir sehr gefährlich, wiederum von einer Mutation in die andere zu ziehen. Aus dem ist’s gekommen, daß ich meine weitere vorgenommene Reise habe unterlassen müssen.“ „Ich wollte lieber nahe dabei, als weit davon seyn und schauen, was doch für einen Ausgang solche Zwietracht, darin uns so viel gelegen ist, gewinnen möchte.“ VOIGT, Briefwechsel, S. 167.

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che, die durch kurze Jahre in so viel Secten zerrissen ist, sondern der alten Kirche traue er zu, die zweifellos vorhandenen Missbräuche abzustellen. Deshalb – und erst jetzt teilt er seinen Entschluss mit – habe er sich – ein Jahr lang bei dem hochwürdigsten Herrn Albrecht Kardinal und Erzbischof von Mainz und Magdeburg in Dienst begeben, in ganzer Hoffnung, E.F.G. [Eure fürstlichen Gnaden] werde solches in kein Ungnade aufnehmen.26 Er bittet ihn also um Verständnis für diesen Schritt, zumal ja der Kardinal, der Erzbischof von Mainz und Magdeburg, mit ihm verwandt sei.27 Der Mann, der in seinen Dunkelmännerbriefen die Vertreter der katholischen Kirche dem schonungslosen Spott preisgegeben hatte, der Mann, der sich in seinen Briefen aus Italien als amicus antiquissimus Luthers bezeichnet und in seinem Rektoratsbericht von 1521 über Luther gesagt hatte, dieser habe als Erster nach so vielen Jahrhunderten gewagt, mit dem Schwert der Heiligen Schrift die römische Willkür zu vernichten, dieser Mann kehrte jetzt in den Schoß der katholischen Kirche zurück, zunächst für ein Jahr als Rat Albrechts, dann permanent als Kanoniker im Neuen Stift zu Halle. Der Herzog beantwortete die Briefe des Crotus mit zwei Schreiben, die dieser am 29. Mai und am 23. Juli 1531 erhielt. Sie sind zwar verlorengegangen, doch kann man deren Inhalt aus dem Antwortschreiben erschließen, das Crotus am 30. September 1531 an Albrecht sandte.28 Albrecht hatte ihn mit vielen gnadiglichen herzlichen freundlichen Worten, ermahnt, er solle der klaren offenbaren evangelischen Wahrheit nicht entgegen handeln wider die lauter Schrift weder durch Geld, Gunst noch Ehre. Damit schien aber Albrecht, wenn auch sehr taktvoll, das von lutherischer Seite immer wiederholte Argument vorwegzunehmen, er sei aus materiellen Gründen zur alten Kirche zurückgekehrt. In seiner Antwort erklärte Crotus, er sei gewitzigt (klug) geworden, von nun an werde er nur der Heiligen Schrift, der Kirche und den alten christlichen Vätern trauen. In dem Brief des Herzogs habe auch gestanden, deutet Crotus an, dass der Kardinal Albrecht gegen die Evangelischen Frevel, Gewalt und Tyrranei treibe. Es überrasche ihn nicht, dass bei der Flut der Büchlein und Reden solche Behauptungen ins ferne Preußen gelangt seien. Im Namen des Evangeliums schäme man sich keiner Lüge. Die Wahrheit aber sei, dass in Halle des Evangeliums wegen niemandem ein Haar gekrümmt worden sei. Zwar hätte der Kardinal die Bediensteten des Hofes, die sich nicht an das Wormser Edikt hielten, entlassen. Die Bürger dagegen hätten seines Wissens 26 27

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VOIGT, Briefwechsel, S. 167. VOIGT, Briefwechsel, S. 167: „… und daß solcher vornehmer Prälat und Kurfürst E.F.G. so nahes Gesipps halber verwandt ist.“ Albrecht von Mainz war der Vetter von Albrecht von Preußen. Abgedruckt in COSACK, Paulus Speratus, S. 370 f.; TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 815.

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keine Strafe zu fürchten. Trotz dieser Toleranz habe der Kardinal durch die lutherischen Prediger solchen Hohn, Spott und Verachtung erfahren, dass selbst Judas nicht so verleumdet worden sei. Albrecht habe auf diese Angriffe wie ein Schäflein reagiert. Um diesen Verleumdungen zu begegnen, hätten einige Bekannte ihn gebeten, den Kardinal zu verteidigen. Dieser Bitte sei er mit einer Schrift nachgekommen. Ein Exemplar dieser Apologia schickte er mit Widmung an Herzog Albrecht nach Königsberg. 29 Fände Albrecht etwas Anstößiges (Verdrießliches) darin, so wolle er, Crotus, gern darüber nachdenken. Trotz ausgebliebener Reaktion des Herzogs schickte Crotus am 23. April 1532 noch ein weiteres, also das vierte, Schreiben an Albrecht.30 Darin erneuerte er seine Absicht in der Gemeinschaft der heiligen christlichen Kirche [zu] bleiben und alle Novität vorübergehen zu lassen wie einen saueren Rauch und aufs Ende trachten.31

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Crotus als Kanoniker in Halle

CROTUS ALS KANONIKER IN HALLE Noch während Crotus Rubianus mit dem Preußen-Herzog Albrecht von Preußen korrespondierte, hatte ihm also dessen Vetter, der gleichnamige katholische Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg, eine Stelle als Rat und ein Jahr später als Kanoniker in dem im Jahre 1520 von ihm gegründeten Neuen Stift in Halle angeboten.32 Damit trat Crotus in den Dienst eines der mächtigsten katholischen Fürsten Deutschlands, der gleichzeitig eine der Schlüsselfiguren der Reformation in Deutschland werden sollte. Um diesen Schritt zu verstehen, ist eine kurze Skizze dieses Kirchenfürsten nötig.

2.1 Erzbischof Albrecht von Brandenburg Als Erzbischof der beiden Bistümer von Mainz und Magdeburg und Administrator des Bistums Halberstadt war Albrecht gleichzeitig Reichskanzler und Vorsitzender des Kurfürstenkollegs. Als Primas von Deutschland besaß er nach dem Kaiser die höchste Würde im Heiligen Reich deutscher Nation. Vor der

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Dieses Exemplar mit eigenhändiger Widmung an Albrecht „Illustrissimo principi Alberto“ (erwähnt bei TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 818) war mir nicht zugänglich. VOIGT, Briefwechsel, S. 169 f.; TSCHACKERT, Urkundenbuch II, Nr. 846. VOIGT, Briefwechsel, S. 170. Vgl. den Brief an Herzog Albrecht vom 1. Mai 1531. In: VOIGT, Briefwechsel, S. 167: „Deshalb habe ich mich ein Jahr lang bei dem hochwürdigsten Herrn Albrecht Kardinal und Erzbischof von Mainz und Magdeburg in Dienst begeben.“

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Reformation war Albrecht geistlicher Oberhirte von fast der Hälfte aller deutschen Gläubigen.33 Geboren im Jahre 1490 als zweitältester Sohn des Kurfürsten Johann Cicero von Brandenburg aus dem Hause der Hohenzollern und seiner Frau Margarete von Sachsen, wurde Albrecht früh zu einer geistlichen Laufbahn bestimmt. Im Jahre 1513 zum Priester geweiht, wurde der jugendliche Albrecht im gleichen Jahr, also im Alter von nur 23 Jahren, Nachfolger des kurz vorher verstorbenen Ernst von Sachsen, des Erzbischofs von Magdeburg und Verwalters des Bistums von Halberstadt. Als ein knappes Jahr später der Erzbischof von Mainz, Uriel von Gemmingen, starb, wählte das Mainzer Domkapitel Albrecht zu dessen Nachfolger. Damit verstieß man aber gleich gegen zwei Bestimmungen des kanonischen Rechts. Verboten waren nämlich die Anhäufung von Bischofsämtern ebenso wie die Vergabe dieser Würde an einen Mann unter dreißig Jahren. Päpstliche Dispense wurden nötig. Nach langen Verhandlungen kam im August 1514 endlich die Antwort aus Rom. Albrecht wurde wegen „seiner edlen Herkunft und wegen der großartigen Tugenden“ als Erzbischof bestätigt. Über die enorme Summe von 30.000 Dukaten, die nach Rom geflossen waren, wurde vornehm geschwiegen.34 Mutianus Rufus zum Beispiel wunderte sich über die große Wendung der Dinge – (magna mutacio rerum) und darüber, dass ein Jüngling, der gerade seinen Lehrern und literarischen Anfangsstudien entwachsen war, innerhalb eines Jahres gleich zwei so hohe Ämter erhalten habe, und gab sich gleich selbst die Antwort: Aber was ist in Rom nicht alles käuflich – Sed Romae quid non venale!35 Trotz dieser anfänglichen Skepsis sollten sich Mutian und einige seiner humanistischen Freunde zu Bewunderern des neuen Erzbischofs entwickeln. Als im Juli 1515, also ein Jahr nach seiner Inthronisation, Albrecht nach Erfurt kommen und in einem feierlichen Zeremoniell „einreiten“ sollte, bat Mutian Eobanus Hessus, der sechs Jahre später eine Reihe von Gedichten über den enthusiastischen Empfang Luthers in Erfurt schreiben würde, ein Gedicht zum Einzug Albrechts zu verfassen. Alles war bestens vorbereitet, Naumburger und Einbecker Bier wurde eingelagert, ein kostbares Geschenk für den Besucher ausgewählt und ein Schützenfest organisiert.36 Da aber auf Grund der Interven33

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Aus der umfangreichen Literatur nur einige der neueren Werke: JÜRGENSMEIER (Hg.), Erzbischof Albrecht von Brandenburg; TACKE (Hg.), Der Kardinal. Albrecht von Brandenburg. Katalog der Ausstellung. ROLAND (Hg.), Albrecht von Brandenburg, S. 27. GILLERT Nr. 446 (Brief an Urban vor dem 10. Oktober 1514): „Magna mutacio rerum: Unus iuvenis vix pedagogos et rudimenta literarum relinquens uno anno fit ter presul et quidam eminentissimus.“ Vgl. WEISS, Erwartung und Enttäuschung, in: JÜRGENSMEIER (Hg.), Erzbischof Albrecht von Brandenburg, S. 162, 166, 169.

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tion des sächsischen Kurfürsten Friedrich des Weisen, des ewigen Konkurrenten des Mainzer Erzbischofs um die Vorherrschaft in Erfurt, ein Besuch des kirchlichen Oberhauptes zunächst aufgeschoben und dann gänzlich verhindert wurde, verzichtete auch Hessus auf die Komposition eines Gedichtes. Auf diese Weise ist der Nachwelt nicht nur ein möglicherweise interessantes Poem des großen Dichters entgangen, sondern Albrecht wurde auch der Möglichkeit beraubt, sich als Mäzen zu erweisen.37 Denn als großzügiger Unterstützer der Wissenschaften und Künste – Lucas Cranach, Albrecht Dürer und Matthias Grünewald schufen Werke in seinem Auftrag – und als Freund der Humanisten und Literaten ist Albrecht in die Geschichte eingegangen. Obwohl er nie ein systematisches Studium absolviert hatte,38 beherrschte er Latein in Schrift und Sprache, da er von exzellenten Privatlehrern unterrichtet worden war. In Mainz umgab er sich mit Männern wie dem Arzt Heinrich Stromer, Sebastian von Rotenhan und Wolfgang Capito – alles Männer, die dem Humanismus nahestanden. Beispielhaft für Albrechts großzügiges Mäzenatentum steht Crotus’ engster Freund Ulrich von Hutten, den Albrecht wohl 1506 in Frankfurt kennengelernt hatte.39 Nach seiner Rückkehr aus Italien im März 1514 trat Hutten im Oktober des folgenden Jahres in ein loses Dienstverhältnis zum Hofe Albrechts, und feierte dessen Einzug in Mainz in einem überschwänglichen lateinischen Panegyrikus. 40 Albrecht bedankte sich mit einem großzügigen Geschenk von 200 Gulden.41 Als der Rittersohn 1517 ohne Studienabschluss, als „Nemo“, wie er sich selbst ironisch bezeichnete, aus Italien zurückkehrte, nahm ihn der Erzbischof trotzdem als kurmainzischem Rat in seine Dienste, in welcher Funktion er zum Beispiel seinen Herrn 1518 auf den Reichstag zu Augsburg und 1519 nach Frankfurt bei der Wahl Karls von Burgund zum deutschen Kaiser begleitete. Trotz Huttens zunehmend aggressiver antipäpstlicher Polemik hielt Albrecht den Ritterssohn bis 1520 an seinem Hof; erst in diesem Jahre entließ er ihn wohl auf päpstlichem Druck aus seinen Diensten. Sein Gehalt wurde aber weitergezahlt. Seinerseits scheint Hutten auch von seiner echten Sympathie und

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GILLERT Nr. 533, 535, 546. Erwähnung Albrecht in GILLERT II, siehe Index, S. 345. Vgl. RINGEL, „Numquam in aliquo studio generali seu privilegiato … studuisti. Ein Studiendispens für Albrecht von Brandenburg, in: JÜRGENSMEIER (Hg.), Erzbischof Albrecht von Brandenburg, S. 37. VON DER GÖNNA, Albrecht von Brandenburg als Büchersammler und Mäzen, S. 428. In laudem reverendissimi Alberthi Archiepiscopi Moguntini Panegyricus. Tübingen, Anselm 1515. BÖCKING III, S. 353-400. VON DER GÖNNA, Albrecht von Brandenburg als Büchersammler und Mäzen, S. 429. Zum Vergleich: Celtis erhielt für seine Norimberga, einem Meisterwerk in der Gattung der Städtebeschreibung, vom Nürnberger Rat im Jahre 1495 zunächst karge sieben Gulden, später, nachdem er eine revidierte Fasssung nachreichte, 20 Gulden.

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Verehrung für seinen fürstlichen Mäzen nicht abgelassen zu haben, obwohl dieser vieles verkörperte, was Hutten in seinen lateinischen und deutschen Schriften zu geißeln nicht müde wurde. Da Crotus Rubianus als einer der engsten Freunde Huttens gilt, darf als sicher gelten, dass Huttens positives AlbrechtBild seinen Jugendfreund Crotus in entscheidender Weise geprägt haben dürfte. Neben Hutten war es aber vor allem der von Crotus zeitlebens verehrte Erasmus von Rotterdam, der das Image Albrechts als eines bildungsfreundlichen Kurfürsten und „eines der humanistischen Gedankenwelt aufgeschlossenen Mannes“, als „einer Lichtgestalt und Vorkämpfers des neuen Goldenen Zeitalters“ zu projizieren wusste.42 Im September 1517 schrieb Albrecht an den großen Gelehrten, der ein Jahr vorher mit seiner Ausgabe des Neuen Testaments die Fachwelt in Erstaunen gesetzt hatte, eigenhändig einen Brief, in dem er des Erasmus göttliche Bildung (divinum hoc tuum ingenium), seine universale Gelehrsamkeit (omnigena eruditio) und fast über die Fassungskraft des Jahrhunderts herausragende Beredsamkeit (pene huius seculi ac patriae eloquentia) lobte und ihn dafür pries, dass er das Stigma des den Deutschen anhaftenden Barbarentums entfernt und die göttliche Theologie zu altem Glanz wiederhergestellt habe. 43 In seiner Würdigung des holländischen Gelehrten unterlief Albrecht allerdings ein peinlicher Schnitzer; denn er rühmte Erasmus für die Edition des Alten Testaments (veteris instrumenti).44 In seinem Antwortbrief übersah Erasmus geflissentlich diesen Lapsus und widmete dem Mainzer Erzbischof seine Schrift „Ratio verae theologiae“.45

2.2 Albrecht und die Herausforderung der Reformation Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass dieser Fürst, der gegenüber den Reformen im Sinne des erasmischen christlichen Humanismus durchaus aufge42 43

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WINTERHAGER, Ich dachte fürwar, er were ein Engel, S. 133. ALLEN III, Nr. 661. Brief vom 13. September 1517. „Nuper in voluminum abs te editorem lectionem incidentes, Erasme doctissime, cum diuinum hoc tuum ingenium omnigenam eruditionem et supra captum pene huius seculi ac patriae eloquentiam admirati essemus … quantam nobis foelicitatis adscribimus. quod eo tempore nati sumus quo tantus vir his litteris, hac industria communem Germaniam a foeda barbariei appellatione vindicas uno quo tu diuinam theologiam ab illa antiqua ac germana in novam quandam et impuram aloquot tam seculis deformatam, suo splendore reddis ac priscum in nitorem restituis.“ Vielleicht doch ein Hinweis, dass Albrecht diese Ausgabe gar nicht gelesen hatte, sondern sich nur dem Lob seiner gelehrten Ratgeber anschloss. ALLEN III, Nr. 745. Zu Erasmus und Albrecht vor allem: WALTER, Albrecht von Brandenburg und Erasmus, in: JÜRGENSMEIER (Hg.), Erzbischof Albrecht von Brandenburg, S. 102-116.

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schlossen war und an seinem Mainzer Hof teilweise selbst durchführte, ein Fürst, der sich durch Milde und Friedensliebe auszeichnete, ab 1517 in den Strudel der reformatorischen Ereignisse gezogen wurde und zu einem der wichtigsten Gegner Luthers werden sollte. Um dies zu verstehen, ein kurzer Rückblick. Um bei den Fuggern die horrenden Schulden abzuzahlen, die sich durch seine Dispenszahlungen an Rom, seine verschwenderische Hofhaltung und nicht zuletzt durch sein großzügiges Mäzenatentum angehäuft hatten, erlaubte Albrecht in seinen Diözesen als Mittel zur Erschließung finanzieller Ressourcen den Ablasshandel. Dieses Geschäft wurde nicht nur von der römischen Kurie sanktioniert, sondern aktiv unterstützt, zumal die Hälfte der Einnahmen nach Rom floss, um den durch Papst Julius II. begonnenen und von seinem Nachfolger Leo X. weiter getriebenen Bau der Peterskirche zu finanzieren. Der Ablasshandel nahm um 1517 dermaßen große Ausmaße an, dass sich Luther bekanntlich mit seinen 95 Thesen im Oktober desselben Jahres dagegen wandte. Er sandte eine Abschrift seiner Thesen mit einem respektvollen Begleitbrief, in dem er die Thesen zusammenfasste und aus dem hervorgeht, dass er glaubte, dass das Ablassgeschäft ohne Kenntnis und Zustimmung Albrechts laufe. 46 Ohne die theologische Dimension von Luthers Thesen zu verstehen, unterschätzte der Nicht-Theologie Albrecht wie die meisten Zeitgenossen die Bedeutung des Streits und ließ Luthers Schreiben unbeantwortet, bat aber die Universität Mainz um ein Gutachten und verwies im Übrigen die Angelegenheit an den päpstlichen Legaten Cajetan. Sowohl Luther als auch Albrecht hielten sich in den folgenden Jahren mit ihrer gegenseitigen Kritik zunächst zurück, indem sie den Dominikaner und Ablassprediger Johann Tetzel für die Exzesse verantwortlich machten. So schrieb Luther am 4. Februar 1520 einen zweiten Brief an den Erzbischof, in dem er sich gegen die ihm gemachten Vorwürfe wehrte.47 Drei Wochen später antwortete ihm Albrecht. Er habe mit Befriedigung erfahren, dass Luther bereit sei, sich belehren zu lassen. Er selbst habe zwar noch nicht Zeit gefunden, Luthers Schriften zu lesen und müsse daher das Urteil darüber anderen überlassen. Tumult, Schimpfen und Streit möchte er aber vermeiden. Die Diskussion theologischer Fragen gehöre nicht in die breite Öffentlichkeit.48 Ein Jahr später, am 1. Dezember 1521, – Luther musste sich inzwischen auf der Wartburg verbergen – schrieb Luther ihm einen Brief, diesmal auf Deutsch und mit einer gehörigen Portion Chuzpa. In diesem Schreiben forderte er nämlich Albrecht auf,

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WA Br 1, Nr. 48, S. 111: „Vtique sine tuae p[aternitatis] Re[verendissimi] et scientia et consensu.“ WA Br 2, Nr. 248, S. 27-29. WA Br 2, Nr. 259, S. 53-55.

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den in Halle wieder aufgerichteten „Abgott“, nämlich den mit dem großen Reliquienschatz verbundenen Ablasshandel, zu entfernen und verheiratete Priester in Frieden zu lassen. Falls das nicht innerhalb von vierzehn Tage geschehe, drohte er, würde er eine Schrift „Wider den Abgott zu Halle“ ausgehen lassen. 49 Albrecht antwortete mit einem versöhnlichen, fast schon demütigen Brief: Ich weiß wol, dass ohne die Gnade Gottes nichts Guts an mir ist und ich so wohl ein unnützer, stinkender kot bin als ein ander.50 Als ein Provinzial der Franziskaner Albrecht um Erlaubnis bat, gegen Luther predigen zu dürfen, verbot ihm der Erzbischof dies mit der Begründung, die Atmosphäre dürfe nicht weiter aufgeheizt werden. Er solle sich darauf konzentrieren, die Wahrheit zu verkünden, statt andere zu verleumden.51 Auf dem Wormser Reichstag unterstützte Albrecht zwar die Ächtung Luthers, weigerte sich aber zunächst, das Dekret in seinen Territorien zu veröffentlichen und zu vollziehen. 52 Bis Ende der zwanziger Jahre hörte man aus Luthers Mund erstaunlich wohlwollende Worte über Albrecht. Zwar spottete Luther gelegentlich über Albrechts amouröse Abenteuer, im Ganzen reagierte er aber zunächst zurückhaltend. Albrecht seinerseits sandte zu Luthers Hochzeit im Jahre 1525 dem frisch vermählten Ehepaar als Hochzeitsgeschenk die beträchtliche Summe von 20 Gulden. Luther wollte den Betrag zurückschicken; Katharina von Bora, die sich in den folgenden Jahrzehnten als eine überaus tüchtige Managerin des großen lutherischen Haushaltes erweisen sollte, plädierte für die Annahme des großzügigen Präsentes und ging nicht zum letzten Mal als Siegerin in dieser ehelichen Auseinandersetzung hervor. Etwa zur selben Zeit versuchte Luther, Albrecht, der mit der bürgerlichen Ursula Redinger ein eheähnliches Verhältnis hatte, zur Heirat zu überreden und das Kurfürstentum nach dem Vorbild seines preußischen Vetters in ein weltliches Fürstentum zu verwandeln.53 Albrecht lehnte ab. Rückblickend auf die Jahre bis 1526, schrieb Luther, der Kurfürst habe ihn immer so gnedig allzeit geantwortet und so viel gut gehalten, als eben der Bischoff Albrecht: Ich dachte fur war, Er were ein Engel.54 Auch noch in den Jahren zwischen 1525 und 1530 zeigte sich Albrecht teils als „moderater, politisch ausgleichender Repräsentant des altkirchlichen Lagers“,55 und selbst spätere Gegner wie Justus Jonas

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WA Br 2, Nr. 442, S. 406-408. WA Br 2, Nr. 448, S. 421. Brief von Wolfgang Capito an Zwingli: In: ZWINGLI, Briefwechsel 1, S. 465 f., Nr. 185. WINTERLAGER, Ich dachte fur war, er were ein Engel, S. 145. WA 18, S. 401-405. WA 51, S. 538. WINTERLAGER, Ich dachte fur war, er were ein Engel, S. 153.

DAS NEUE KOLLEGIATSTIFT IN HALLE

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schätzten ihn damals als den bevorzugten Ansprechpartner.56 Philipp Melanchthon war von der friedliebenden Gesinnung Albrechts so überzeugt, dass er ihm noch in den Jahren 1527 und 1532 zwei seiner Werke widmete.57 Das Verhältnis Luthers zu Albrecht sollte sich erst in den späten zwanziger Jahren etwas trüben, als die reformatorischen Ideen in Halle mehr Anhänger fanden und sich Albrecht zu immer härteren Gegenmaßnahmen genötigt sah. In seiner „Tröstung an die Christen in Halle“ machte Luther jetzt die Mainzer, wenn auch nicht Albrecht persönlich dafür verantwortlich.58 Das Bild eines relativ toleranten Kirchenfürsten, der in den zwanziger Jahren selbst von Luther und Melanchthon noch geschätzt wurde, sollte man bedenken, wenn man Crotus’ Entschluss, sich dem neuen von Albrecht gesponserten Neuen Stift anzuschließen, verstehen will.

3.

Das Neue Kollegiatstift in Halle59

DAS NEUE KOLLEGIATSTIFT IN HALLE Zu Beginn des 16. Jahrhunderts besaß Halle wie die meisten deutschen Städte ein reges kirchliches Leben. Fünf Klöster befanden sich in der Stadt: das Kloster Neuwerk, das Augustinerkloster, das Franziskaner- und Dominikanerkloster sowie das Kloster der Serviten. Angesichts der Fülle der Klöster mag es vielleicht zunächst überraschen, dass Albrecht als geistlicher und weltlicher Territorialherr in Halle, dessen Moritzburg für eine Zeit seine Lieblingsresidenz wurde, den Entschluss fasste, ein Stift zu gründen und damit ein weiteres geistliches Zentrum aufzubauen. Zwar hatte bereits Albrechts Vorgänger, Ernst von Sachsen, mit dem Gedanken gespielt, ein Kollegiatstift in Halle zu gründen, aber erst Albrecht gelang es, das Projekt zu verwirlichen. Die ersten Schritte dazu hatte er bereits im Jahre 1518 unternommen, als er sich an den sächsischen Kurfürsten mit der Bitte gewandt hatte, dieser möge ihm die ceremonien der Styfft kirche zu Wittenbergk mitsampt der fundacion, also die Statuten, zusenden.60 Ziel war es, in Mitteldeutschland eine kirchliche Institution zu schaffen, die seine Macht in diesem Teil Deutschlands als Erzbischof von Magdeburg und Administrator des Bistums Halberstadt unterstrich. Um einen geeigneten Platz für das Neue Stift zu bekommen, ordne56 57 58

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DECOT, Theologie – Frömmigkeit – Kirche, S. 69. von Brandenburg als Büchersammler, S. 445. WA 23, S. 407: „Denn ich höre den Bisschoff zu Mentz höchlich rhumen als unschuldig, Welches ich auch von hertzen wünsche. Und las es so sein.“ Grundlegend dazu REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg und das Neue Stift zu Halle. Auch HERTZBERG, Geschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 30. REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 8. VON DER GÖNNA, Albrecht

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te Albrecht an, dass die regulierten Augustiner mit ihrer Pfarrkirche St. Moritz mit den Dominikanern oder Predigermönchen und deren Kloster, das näher an Albrechts Residenz lag, tauschten. Im Juli 1520 zogen die ehemaligen Dominikaner in das Kloster der ehemaligen regulierten Augustiner, während diese sich in dem ehemaligen Dominikanerkloster einquartierten. Albrecht nahm also einen „beispiellosen Ringtausch“ von Gebäuden in seiner Residenzstadt Halle vor.61 Später, in den zwanziger Jahren ließ Albrecht zudem aus verschiedenen Gründen auch einige Kirchen abreißen, um Platz für neue sakrale Bauten zu schaffen. Damit machte er sich aber „nicht bloß unter den aus ihrem alten Sitz gescheuchten Mönchen viele Feinde“, „nein er ging dem kühnsten der Anhänger der kirchlichen Reformer auch als rücksichtsloser Zerstörer mit jugendlichem Ungestüm weit voran.“62 Das Neue Stift trug den Namen Stift des Heiligen Moritz und der seligen Maria Magdalena, einer der Lieblingsheiligen der Zeit. 63 Als Verbeugung vor dem von ihm hochgeschätzten Erasmus von Rotterdam reaktivierte Albrecht als Nebenpatron den kleinasiatischen Bischof und Märtyrer Erasmus, von dem der Heilige Moritz die Taufe empfangen hatte.64 Da die Gründung des neuen Stifts bereits 1518 ins Auge gefasst worden und 1520 erfolgt war, kann es zunächst kaum als „Bollwerk“ gegen die Reformation konzipiert worden sein,65 wenngleich es später, und zwar nicht erst zur Zeit, als Crotus Rubianus darin aufgenommen wurde, dies auch werden sollte. Vielmehr war es als eine Art Modellinstitution gedacht, die sich positiv von den zahlreichen anderen existierenden Stiften abheben sollte, die in erster Linie als Versorgungsanstalten adliger Sprösslinge missbraucht wurden. Auf diesen Vorbildcharakter wiesen schon die Statuten hin.66 So waren etwa die Mitglieder zu strikter Anwesenheitspflicht verpflichtet. Zudem war das Leben am Neuen Stift von der täglichen Liturgie geprägt.67 Die Kleriker mussten also gemäß der Stiftsregel 61

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KRAUSE, Albrecht von Brandenburg und Halle, S. 313: „Nunmehr sollten die Dominikanermönche in die Moritzkirche umziehen und die neuen Stiftsherren von St. Moritz in das Kloster mit der Kirche St. Crucis.“ HERTZBERG, Geschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 2. Sein voller Name lautete: „Ecclesia collegiate St. Mauritii et Mariae Magdalenae ad velum aureum sive ad sudarium Domini.“ HERTZBERG, Geschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 32. Erasmus von Antiochia (um 240-303). HERTZBERG, Geschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 32. Wie GREDY (Kardinal Erzbischoff Albrecht II. von Brandenburg, S. 61) etwa behauptet: „… sich dadurch in den Stand setzen sollte, die vom benachbarten Wittenberg ausgehenden Irrlehren zu behaupten.“ REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 23-44. Vgl. HARTMANN, Die Liturgie am Neuen Stift in Halle, S. 323.

MOTIVE DES CROTUS, SICH DIESEM STIFT ANZUSCHLIESSEN

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die horae canonicae einhalten. Auf das natürliche Schlafbedürfnis des Menschen wurde offenbar wenig Rücksicht genommen.68 Außerdem waren sie dazu angehalten, Tonsuren zu tragen und sich ohne Prunk zu kleiden. Jagdhunde und Jagdvögel zu halten war ebenso verboten wie „ein weib mitzubringen oder einem solchen beizuwohnen“.69 Ohne Erlaubnis des Dekans durften die Kanoniker die Stadt oder den Bezirk nicht verlassen. Wenn beabsichtigt war, das Stift im Laufe der zwanziger Jahre doch als eine Art Gegen-Wittenberg zur Stärkung der altgläubigen Position zu etablieren, so musste sich allerdings die Ernennung des Predigers Georg Winkler im Jahre 1523 als krasse Fehlbesetzung herausstellen, denn es war ausgerechnet dieses prominente Mitglied des Stiftes, das als eines der Ersten im reformatorischen Geiste predigte und weitreichende Veränderungen im gottesdienstlichen Ablauf einführte: Winkler stellte die Messen ab, verwendete bei der Taufe ungeweihtes Wasser, teilte das Abendmahl in beiderlei Gestalt aus – und heiratete. Auf Druck der Katholiken in Halle sah sich Albrecht genötigt, gegen ihn vorzugehen und bestellte ihn auf seine Residenz in Aschaffenburg zum Rapport. Trotz der Warnungen seiner Freunde begab sich Winkler dorthin, wurde dort auch verhört und freigelassen. Auf der Rückreise nach Halle wurde er meuchlings ermordet, ein Mord, für den man die albertinische Partei verantwortlich machte. Für die Lutheraner wurde Winkler daraufhin zu einem Märtyrer ihres Glaubens.70

4.

Motive des Crotus, sich diesem Stift anzuschließen

MOTIVE DES CROTUS, SICH DIESEM STIFT ANZUSCHLIESSEN Mit seinem Eintritt in das Neue Stift in Halle gab Crotus seiner Rückkehr zum alten Glauben den sinnfälligsten Ausdruck. Er war sich dabei bewusst, dass er mit diesem Schritt viele seiner alten Freude vor den Kopf stoßen würde. Man muss sich deshalb fragen, welche Motive ihn zu diesem Schritt bewogen, den er in seinen Briefen nicht als Re-Konversion. sondern als ein Bleiben in der Religion, mit der er aufgewachsen war, darstellte. 71 Wie bei vielen menschlichen Entscheidungen dürfte kein einzelner Grund, sondern ein Bündel von Motiven

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REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 30: „Die Stiftsherren durften sich aber nicht schläfrig in die Chorstühle lehnen, nicht schwatzen oder privatim beten, sondern sollten den Chor im Singen unterstützen.“ REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 27. HERTZBERG, Geschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 61 und REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 319; DELIUS, Die Reformationsgeschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 40-43. Vgl. den Brief an Herzig Albrecht vom 1. Mai 1531: „Ich beschloß also, in der Kirche zu bleiben, worinn ich getauft, erzogen und gelehrt ware.“ VOIGT, Briefwechsel, S. 167.

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im Spiel gewesen sein. Glücklicherweise sind wir bei der Rekonstruktion seiner Beweggründe nicht auf Spekulationen, sondern auf die Privatbriefe an Herzog Albrecht angewiesen.72 In den heftigen Attacken gegen Crotus seitens der Lutheraner, die der Veröffentlichung seiner noch zu besprechenden Apologia folgten, wird immer wieder behauptet, rein wirtschaftliche Gründe hätten Crotus bewogen, sich dem Stift anzuschließen. Auf diesen Vorwurf liefen auch die späteren Verleumdungen der Lutheraner hinaus, die in des Reformators Spott von Dr. Kröte, des Kardinals Tellerlecker wohl ihren bekanntesten Ausdruck fanden. Auch der anonyme Freund, der auf Geheiß des Reformators auf die Apologia des Crotus reagierte (siehe nächstes Kapitel), spricht von dessen angeblichem großen Interesse an Essen und Geld.73 Auch Paul Speratus, der Bischof von Pomesanien, der im Auftrag des Herzogs ein ausführliches Gutachten über Crotus’ Rückkehr zur Kirche verfasst hatte, unterstellte ihm rein opportunistische Gründe, wenn er behauptete, Crotus hätte nach der Devise „Wes’ Brot ich ess, des Lied ich sing“ gehandelt. Obwohl man selbstverständlich diesen materiellen Aspekt nicht völlig vernachlässigen kann – mit dem Weggang aus Königsberg und dem Verlust der bescheidenen Pfründe in Zeil, hatte er nur noch das Benefizium in Fulda – ist es völlig absurd, wenn man Crotus vorwirft, sich in Halle eine fette Pfründe geangelt zu haben, um sich dort ein bequemes Leben zu machen. Crotus war nie ein wohlhabender Mann – dies hatten die Hinweise auf seine finanzielle Situation in den verschiedensten Lebensphasen ergeben. Der Vorwurf also, Crotus habe sich eine einträgliche Pfründe verschafft, lässt sich schon dadurch entkräften, wenn man einen Blick auf seine tatsächlichen Einkünfte in Halle wirft. Jeder der Kanoniker des Neuen Stiftes erhielt jährlich die ohnehin nicht üppige Summe von 50 Gulden, wovon 20 für den „gemeinsamen Tisch“ abgeführt wurden.74 Die 30 Gulden, die übrig blieben, waren ein äußerst bescheidener Betrag, bedenkt man, dass der gleiche Albrecht die Dienste des adligen Ulrich von Huttens, eines Mannes, der als „Niemand“ aus Italien zurückkam, Dienste, die ihn nicht übermäßig einspannten, mit 200 Gulden pro Jahr honorierte. Außerdem hätte ein Mann von Crotus’ Bekanntheitsgrad auch in der sich langsam etablierenden lutherischen Kirche einen einträglichen Posten gefunden, wie seine dann letztendlich gescheiterten Verhandlungen in Wittenberg im Jahre 1523 gezeigt hatten. 72

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Wobei wir uns selbstverständlich nicht nur auf seine subjektiv gefärbten, stark apologetischen Charakter habenden Briefe an Herzog Albrecht verlassen dürfen. Vgl. KAMPSCHULTE, Die Universität Erfurt II, S. 267. BÖCKING II, S. 464: „… quod ventris et pecuniae studio“. Nach REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 27 und SCHIER, Mit Pauken und Trompeten, S. 342.

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Andererseits bot das Hallische Stift Crotus die Muße, deren Fehlen er in den Briefen an seine Freunde wiederholt beklagt hatte.75 Hier konnte er in Ruhe seinen Studien nachzugehen und sich seinen Büchern widmen; denn Crotus war wie die meisten Humanisten ein Bücherliebhaber, eine Leidenschaft, die sich Herzog Albrecht, wie wir sahen, zunutze gemacht hatte, als er ihn bat, eine Büchersammlung anzulegen. In Leipzig hatte er während seiner sechs Jahre im fernen Preußen seine Bücher eingelagert, von denen er in einem Brief an Herzog Albrecht nun schrieb: Es ist meine große Begier, daß ich mochte zufrieden seyn mit meinen lieben Büchern; die stehen zu Leipzig und werden gar schimmelig.76 Und jetzt trat er in ein Stift ein, das offenbar über eine ausgezeichnete Bibliothek verfügte, da es die Buchbestände sowohl des aufgelösten Servitenklosters als auch des Augustinerchorrherrenstiftes St. Moritz übernommen hatte.77 Da Albrecht das Stift als Kern einer noch zu gründenden Universität konzipiert hatte, musste dessen Bibliothek zudem „als geistige Rüstkammer dieser Neugründung … entsprechend ausgestattet werden“. 78 Aus diesem Grunde erwarb das Stift auch die reformatorischen Schriften, um sie umso entschlossener widerlegen zu können. Aus den Beständen dieser Klöster zusammen mit den Neuerwerbungen muss also eine beachtenswerte Bibliothek entstanden sein, die z. B. Georg Witzel, Crotus’ Freund, im Jahre 1534 in den höchsten Tönen rühmte.79 Aus der Perspektive Albrechts bedeutete der Eintritt des Crotus in sein Stift, das sich bis dahin nicht mit intellektueller Prominenz hatte schmücken können, einen erheblichen Prestigegewinn. Crotus war nicht nur ein bekannter Humanist, er hatte sich auch von einem anfänglich begeisterten Luther-Anhänger zu einem reflektierten Katholik gewandelt. Durfte nicht Albrecht die Hoffnung haben, dass andere seinem Schritt folgten? Für die Lutheraner andererseits stellte die Rückkehr des prominenten Crotus zur alten Kirche und dessen Eintritt in das von Erzbischof Albrecht gegründete Stift ein unmissverständliches Signal dar. Fürchteten sie, dass andere seinem Beispiel folgten? Erklärt das ihre heftige Reaktion? Denn diese erfolgte prompt.

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Brief vom 9. März 1526 an Joachim Camerarius: „Otium scribendi mullum est mihi“, in: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi, S. F2. VOIGT, Briefwechsel, S. 162. Brief vom 30. August 1530 an Albrecht von Preußen. Dazu VON DER GÖNNA, Albrecht von Brandenburg, S. 404 f. VON DER GÖNNA, Albrecht von Brandenburg, S. 413. WICELIUS, Epistolarum libri IV, Bl. Rr iiiv: „Postremo habes Bibliothecam instructissimam, omni utriusque linguae authorum genere variam antiquitate plaeclaram, magnitudine admirandam.“ (Du hast eine bestens ausgestattene Bibliothek, die die unterschiedlichsten Bücher in den zwei alten Sprachen enthält, durch ihr Alter berühmt und ihre Größe bewundernswert).

XII. CROTUS’ APOLOGIA UND DIE LUTHERISCHE REAKTION CROTUS’ APOLOGIA UND DIE LUTHERISCHE REAKTION

Ex veteri et insanabili Lutherano repente factus est pulcherrimus papista. Aus einem alten und unverbesserlichen Lutheraner ist plötzlich der schönste Papist geworden. Justus Menius an Crotus, 1532.1

1.

Crotus’ Apologia für Erzbischof Albrecht

CROTUS’ APOLOGIA FÜR ERZBISCHOF ALBRECHT Kein Vorgang im Leben des Crotus ist heftiger kritisiert worden als seine Rückkehr zur alten Kirche und sein Eintritt in das Neue Stift zu Halle. Keinem, weder Erasmus von Rotterdam noch Willibald Pirckheimer, um nur zwei prominente Namen zu nennen, die zunächst mit lutherischen Gedanken sympathisierten und sich dann wieder dem katholischen Glauben zurückwandten, hat man diesen Sinneswandel so verübelt wie dem Verfasser der Dunkelmännerbriefe. Luthers bitterböse Worte von „Dr. Kröte, des Kardinals Albrecht Tellerlecker“ gaben den Ton an. Einige protestantische Historiker haben sich, obwohl im Ton moderater, der Verurteilung angeschlossen, wie wir in der Einleitung sahen. Die Kritik der Lutheraner an Crotus’ Rückkehr zur katholischen Kirche wäre vermutlich weniger heftig ausgefallen, wenn er sich damit begnügt hätte, im hallischen Neuen Kolleg ein stilles Klerikerleben zu führen und sich der langersehnten Muße zu widmen. Stattdessen veröffentlichte er im September 1531 eine Verteidigung seines neuen Vorgesetzten, des Erzbischofs Albrecht. Es war, bedenkt man die aufgeladene religionspolitische Atmosphäre dieser Jahre, ein mutiger, wenn nicht gar ein provokativer Schritt, besonders weil sich die Abhandlung schon im Titel gegen die verantwortungslosen falschen Ankläger richtete, die sich nicht scheuen, mit erfundenen Anschuldigungen den Erzbischof [Albrecht] beim Volke verhasst zu machen.2

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Böcking II, S. 457. Apologia qua RESPONDETUR TEMERITATI calumniatorum, non verentium confictis criminibus in populare odium protrahere.

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Abb. 7: Apologia Die aus 28 Druckseiten bestehende Schrift ist der einzige Text, den der Verfasser der Dunkelmännerbriefe jemals unter seinem eigenen Namen herausgab, sieht man von einigen kurzen Gedichten ab, die er in seiner Studentenzeit in Erfurt veröffentlicht hatte. Die Titelseite ist zweigeteilt: Der obere Teil, der fast die Hälfte der Seite einnimmt, enthält die verschiedenen Titel Albrechts; darunter befindet sich dessen Wappen: Unter dem flachen, breitkrempigen Kardinalshut hängen auf beiden Seiten, mit Doppelschleifen verbunden, jeweils neun Quasten. Das neunfeldige Schild unter dem Hut enthält in der Mitte die drei Wappen seiner geistlichen Herrschaft: das achtspeichige Rad des Erzstiftes Mainz, das rot-silbern (hier: schwarz-weiß) geteilte Wappen des Erzstiftes Magdeburg und das rot-silbern (ebenfalls schwarz-weiß) gespaltene Wappen des Hochstiftes Halberstadt. Darüber findet sich das brandenburgische Adlerschild; umgeben werden die drei Schilde von den Greifen und Löwen seiner pommerschen und brandenburgischen Besitztümer. Der schräg gestellte, mit Lorbeer umkränzte Krummstab und das Schwert über dem Schild symbolisieren seine geistliche und weltliche Macht. Schon der ausführliche Titel des Buches und die detaillierte Darstellung seiner Wappen weisen darauf hin, dass es nicht nur um

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eine bloße Verteidigung Albrechts, sondern um eine Huldigung an einen der mächtigsten Kirchenfürsten Deutschlands geht. Dem eigentlichen Text vorangestellt ist ein Gedicht eines gewissen Philipp Novenianus aus Haßfurt, eines Mediziners in Halle, der seit 1528 dem Rat dieser Stadt angehörte. In diesem aus 22 Zeilen bestehenden Lobgedicht wird der Erzbischof als großartiger Fürst, als Bewahrer des Friedens und Mäzen der Humanisten (Maecenas vatum) gefeiert, der das unschuldige Opfer einer Verleumdungskampagne geworden sei. Diesen heiligen Anker der Gelehrten (doctis Ancora sacra viris) verteidige nun „mein Crotus“, verspricht Novenianus. Gedruckt wurde die Schrift von dem Leipziger Drucker Michael Blum, dessen Wappen die Schrift beschließt: Zwei Putti halten das Blumsche Wappenschild mit einem Sparren und Winkelbalken, der mit drei Rosetten oder Blumen belegt ist. Konzipiert ist die Apologia als ein Brief an einen nicht identifizierten, möglicherweise fingierten Freund. Dieser habe Crotus brieflich aufgefordert, seine langjährige Abwesenheit in Preußen dadurch wiedergutzumachen, dass er ihm öfters ausführliche Briefe schreibe. Der Wunsch sei zwar auf freundschaftliche Weise vorgebracht worden, so Crotus, aber in einem wenig angemessenen Ton. Statt ihn bei seiner Rückkehr mit offenen Armen und mit einer wohlgesetzten Rede zu empfangen, habe er ihn gleich mit kontroversen Fragen überfallen, Fragen, die aber geeignet seien, Streit zwischen den beiden alten Freunden auszulösen. Crotus macht also von vornherein klar, dass er sich ungern in die Kontroverse einmischt. Der Freund, der durchblicken lässt, dass er ein Anhänger Luthers ist, bittet nun Crotus um eine Stellungnahme zu dem gerade erschienenen Buch des Alexius Crosner. Dieser war eine jener schildernden Figuren, die jede Zeit religiösen Umbruchs hervorbringt. Er hatte in Leipzig und Wittenberg studiert und schon früh mit der Lehre Luthers geliebäugelt. Im Jahre 1520 widmete dieser ihm seine Schrift „Ratio confitendi“. Vier Jahre später wurde er zum Hofprediger nach Dresden an den Hof des altgläubigen Herzogs Georg des Bärtigen berufen, wo er 1527 in dessen Anwesenheit zwei Predigten über das Abendmahl hielt. Weil er mit Luther sympathisierte, wurde er auf Druck von Hieronymus Emser, ebenfalls Hofprediger in Dresden, aber Luther-Gegner, entlassen. Seine Predigten erschienen jedoch, mit einem Vorwort Luthers versehen, 1531 in erweiterter Form bei Hans Lufft in Wittenberg unter dem Titel „Ein Sermon vom Hochwirdigen heiligen Sacrament/ des leibs vnd bluts Christi/ durch Alexium Crosner von Colditz auf dem Schlos zu Dresden jnn Meissen gepredigt“. Das ist also das Buch, auf das der Freund verweist. Crotus solle sagen, auf wen sich der in dieser Schrift erwähnte „beschuldigte Tyrann“ beziehe. Ob es sich etwa um Kardinal Albrecht handele? Denn laute Klagen seien im Umlauf,

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zitiert Crotus den Freund weiter, über dessen ungeheuerliche Zügellosigkeit (immanis ferocitas), mit der er gegen diejenigen wüte, die unter Verachtung des kirchlichen Gesetzes nicht mit dem Leib des Herrn zufrieden seien, sondern darüber hinaus den mystischen Kelch trinken wollten, also das Abendmahl in beiderlei Gestalt zelebrieren wollten. Er, Crotus, solle ihm also aus seiner Ortskenntnis schreiben, ob diese Anschuldigungen zuträfen. Außerdem solle Crotus die Vorwürfe, dass Albrecht Kirchen habe zerstören und Klöster auflösen lassen, kommentieren. Schließlich bitte er ihn um Auskunft über den Suizid eines gewissen Dr. Krause. Damit sind drei Themen genannt, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben scheinen, die aber, wie sich im Laufe der Abhandlung herausstellen wird, thematisch eng verbunden sind: die Frage des Abendmahls, der Vorwurf des Abrisses kirchlicher Gebäude und der Selbstmord des Predigers Krause. Crotus beschäftigt sich also zunächst mit der auf deutsch verfassten Schrift Crosners, dessen Vorwort voller Bitterkeit gewesen sei, – so der Freund – denn darin habe der Verfasser, – und hier referiert Crotus wieder den Brief des Freundes – ungeheuerliche Vorwürfe gegen den Erzbischof erhoben. Dieser sei gegen diejenigen. die das Abendmahl in beiderlei Gestalten eingenommen hätten, rigoros vorgegangen. Nun hatte aber kein anderer als Martin Luther dieses Vorwort verfasst, einen Tatbestand, den Crotus wohlweislich verschweigt. In ihrem polemischen Ton hebt sich Luthers Vorrede tatsächlich erheblich von Crosners Traktat selbst ab. In altbekannter grobianischer Manier wettert der Reformator gegen die verstockten Gottesfeinde vnd Christmörder/ die Papisten/ die verzweifelten bösewichter … Er will sie offentlich für Gott vnd der welt verklagen, die Nachkommen sollen erfaren, damit die Nachkommen erfaren, was fur teufflicher leute zu unser zeit gelebt vnd mit was für grewlichen vngehuren bestien wir zu thun gehabt haben.3 Erst danach kommt Luther auf den aktuellen Anlass zu sprechen. Er habe nämlich gehört, dass es in Halle einige Schreier (clamatores) gebe, die behaupten, sie hätten überhaupt kein Problem damit, das Abendmahl, wie vom Erzbischof gefordert, in nur einer Gestalt, also nur die Hostie, zu empfangen, denn man müsse schließlich gegenüber der Obrigkeit gehorsam sein. Luther dagegen erklärt kategorisch: Gott muss man mehr gehorsam sein denn den Menschen. Auch für den Selbstmord des Predigers Krause macht Luther die schendlichen seelMorder vnd bluthunde der Papisten verantwortlich. Crosner selbst enthält sich in seinem Traktat zunächst weitgehend jeglicher Polemik, schließlich wollte der sächsische Hofprediger seinen altgläubigen Landesherrn davon überzeugen, das Abendmahl in zweierlei Gestalt zuzulassen und dieses Ziel nicht mit übertriebener Polemik konterkarieren, oder, wie er es

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CROSNER, Ein Sermon vom Hochwirdigen heiligen Sacramen, S. Aiii f.

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selbst etwas drastischer formuliert, er wolle nicht den kot zu grosern gestanck regen vnd rüren. Sorgfältig untermauert Crosner seine Argumente gut lutherisch mit Zitaten aus der Heiligen Schrift. Erst später wendet er sich einerseits gegen die sogenannten protestantischen „Schwärmer“ und andererseits gegen die „Papisten“. Am Ende fasst Crosner noch einmal seine Argumente zusammen: Also hat er [Christus] allen, die es begern/ Bischoff vnd bader (als in sprichwort ist) vnd also geistlichen vnd weltlichen/ Leyen vnd Pfaffen/ die gantz zur Communion das ist das gantze Sacrament (mit beiden vnd allen seinen zeichen vnd gestalten zugleich/vnd one alle vnterschied/eingesetzt vnd gegeben).

1.1 Der Abendmahl-Streit in der Reformationszeit Die etwas ausführlichere Zusammenfassung von Crosners Schrift lenkt den Blick auf ein Kernthema der Apologia, nämlich auf die Frage, ob das Abendmahl vom Volk in einer Gestalt, der Hostie, oder beiderlei Gestalt, der Hostie und dem Kelch, empfangen werden solle. Kein Thema polarisierte die Gläubigen der Zeit mehr, oder zumindestens die Theologen aller religiösen Parteien heftiger als dieses. Es wurde mit „erschreckender Leidenschaft“ geführt, und zwar nicht nur zwischen den Altgläubigen und den Protestanten, sondern auch innerhalb des reformatorischen Lagers, wie das Marburger Religionsgespräch von 1529 zwischen Zwingli und Luther deutlich gezeigt hatte. Luther hatte das Thema sowohl in seiner Schrift „Sermon von dem hochwirdigen Sakrament des heiligen wahren Leichnams Christi“ (1519) und dann ein Jahr später in seiner großen Kampfschrift aus dem Jahre 1520 „De Captivitate babylonica ecclesiae“ (Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche) behandelt. Zwei Elemente waren für ihn von zentraler Bedeutung. Im Gegensatz zu Zwingli glaubte Luther an die Realpräsenz Christi im Sakrament, während Zwingli das Abendmahl als eine Erinnerungsfeier an den Opfertod Christi verstanden wissen wollte. In diesem Punkte unterschied sich Luther also kaum von der katholischen Position. Im Gegensatz zu den Katholiken bestand er aber darauf, dass der Kelch nicht allein den Priestern, sondern allen Gläubigen gereicht werden solle, eine Forderung, die sich folgerichtig aus seinem Glaubenssatz vom „Priestertum aller Gläubigen“ ergab. Um diese für die damalige Zeit zentrale Frage ging es auch, als Albrecht nach fünfjähriger Abwesenheit 1531 nach Halle in seine mitteldeutsche Residenz kam. In dieser Zeit, schreibt Crotus, sei eines der Hauptanliegen der evangelischen Prediger gewesen, das Volk zu überzeugen, dass nichts verdammenswerter sei, als es von einem Teil des Abendmahls auszuschließen, nämlich des Kelches. Dieses Thema hätten die Lutheraner auch so stark in den Vordergrund

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gerückt, um die gesamte Kirche zu treffen. Ihre rhetorischen Truppen hätten sie auf das Schlachtfeld geführt und ein Heer gegen die Kirche aufgestellt mit der Absicht, sie rhetorisch zu vernichten. Ihre Absicht sei, eine andere Kirche zu gründen. Die Fragen, so Crotus, wurden mit derselben Spitzfindigkeit geführt wie früher die scholastischen Debatten, als darüber disputiert wurde, ob das Quartalfieber zu empfehlen sei, ob eine Mücke im Gegensatz zu Hühnern und Gänsen zu loben sei, ob man einen Floh einem Pferde vorziehen soll, ob das Licht zu tadeln sei und die Finsternis zu loben, und ob man auf wundersame Weise die Sonne lobt, deren Strahlen aber beklage. Wie einst Crotus über die scholastischen Debatten, die er als junger Student in Köln zu führen hatte und die er dann auch in den Dunkelmännerbriefen so brillant persiflierte, gespottet hatte, so mokierte er sich jetzt über die von beiden Seiten so leidenschaftlich geführten Debatten über die richtige Form des Abendmahls. Außerdem beklagt er, dass sich die beiden Parteien gegenseitig der Hinterlist, des Hochmuts, der Trunkenheit, der Unzucht und des Ehebruchs beschuldigen. Auf beiden Seiten werde also gesündigt. Dass Crotus die Frage, ob man das Abendmahl in beiderlei Gestalt oder nur in einer Gestalt nehmen soll, nicht von zentraler Bedeutung hält, hatte er in seinem Brief an Herzog Albrecht vom August 1530 angedeutet, als er vorschlug, dass man in diesem Punkte den Lutherischen entgegenkommen solle. Crotus verurteilt die gegenseitigen Verletzungen und plädiert für eine friedliche Lösung, wobei das Ziel sein müsse, die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Wenn auch für Crotus das Thema der Form des Abendmahls nicht unbedingt von zentraler Bedeutung und durchaus Gegenstand von Verhandlungen sein könnte, benutzte der Erzbischof es doch sozusagen als Litmustest, um die religiöse Festigkeit der Hallenser zu prüfen. Als wachsamer Hirte dachte er Tag und Nacht über eine Abhilfe nach, bis ihm eine passende Gelegenheit geboten wurde. Es nahte damals das Osterfest, an dem nach kirchlichem Brauch die Christen ihre begangenen Sünden durch die Beichte bereuen und danach zum Tische des Herrn gehen. In seinem Versuch, die irrenden Schafe in den Stall der Kirche zurückzuführen, habe er zunächst die Dienerschaft einer Prüfung unterzogen. Denjenigen, die das Abendmahl nach alter Gewohnheit, also in einer Gestalt, empfangen, seien Belohnungen versprochen worden, denjenigen Beamten aber, die sich weigerten, sei nichts Härteres geschehen, als dass sie entlassen wurden. Das Volk selbst, die breite Masse (communis populus), habe man durch Predigten zu überreden versucht, von der neuen Lehre abzulassen. Diejenigen, die aber nicht auf den Laienkelch verzichten wollen, hätten sich teilweise in privaten Zusammenkünften getroffen, teils sich in andere Städte begeben. Niemand sei bestraft, öffentlich geächtet oder gar ins Gefängnis geworfen worden. Albrecht sei also kein Tyrann. Indem Crotus die Anschuldigungen gegen den Erzbischof widerlegt, zeichnet er also das Bild eines höchst humanen Gottes-

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mannes, der zwar am Alten festhält, aber die Neuerer keineswegs gnadenlos verfolge, sondern ihnen die Option der Auswanderung gebe, wobei Crotus einräumt, dass es nicht in allen Fällen so friedlich verlaufen sei, da Albrechts Beamten nicht immer die gleiche Milde wie ihr Vorgesetzter gezeigt hätten. Von den Lutheranern sei dieses tolerante Verhalten aber keineswegs honoriert worden. In einer beispiellosen Rufmordkampagne hätten sie den Erzbischof diffamiert. Nun gebe es zwar biblische und staatliche Gebote gegen Räuber, Diebe, Brandstifter und Giftmörder, gegen böse Zungen und Verleumder aber nicht. Er könne deshalb Albrecht seine Bewunderung nicht versagen, wie dieser die Anschuldigungen so geduldig ertrage, und zwar so, dass er bei deren Erwähnung eher lacht als sich ärgert und sich keineswegs aus seiner seelischen Ruhe bringen lässt. Im Übrigen hätten die maßvollen Schritte Albrechts tatsächlich eine beruhigende Wirkung auf die hallische Bürgerschaft gehabt. Es werde jetzt weniger gestritten. Ganz anders sehe es in den von den Evangelischen dominierten Gebieten aus. Plastisch schildert Crotus, wie streng und wahrhaft tyrannisch diese gegen die Altgläubigen vorgegangen seien: Jeder, der mit den „Papisten“ verkehrt – es gibt kein schlimmeres Wort als dieses – wird mit einer Geldstrafe oder mit Gefängnis bedroht. Alle möglichen katholischen Riten und Zeremonien seien in lutherischen Gegenden strafbar geworden, wobei Crotus zugibt, dass es durchaus Zeremonien gibt, die sich gefährlich dem Aberglauben nähern. Erst nach dieser Schilderung Albrechts als eines überaus humanen, toleranten und geduldigen Mannes, an dem alle Anschuldigungen abprallen, kommt Crotus wieder auf die Kerndiskussion zu sprechen, ob man das Abendmahl in einer oder beiderlei Gestalt empfangen solle. Da Albrecht das Abendmahl in einer Gestalt nicht eingeführt habe, könne er diese Praxis auch nicht abschaffen, argumentiert Crotus; denn er sei in eine Überlieferung eingebunden, die er nicht ohne Weiteres brechen könne. Auf dem Konstanzer Konzil habe man sich nach heftigen Diskussionen gegen den Laienkelch entschieden. Dass sich nun ein Einzelner, gemeint ist Luther, über den Beschluss des Konzils hinwegzusetzen wage, dürfe nicht geduldet werden. Traditionen hätten nun einmal Gesetzeskraft und dürften nicht ohne kirchliche Einwilligung beliebig geändert werden. Einen „Dominoeffekt“ fürchtend, behauptet Crotus, dass, wenn sich jeder über kirchliche Riten hinwegsetze, die Christenheit in unentwirrbares Chaos gestürzt würde, ein Chaos, das den Untergang der heiligen Lehre bedeuten und allen Ketzern Tür und Tor öffnen würde. Aus diesem Grunde verlangen kluge Männer, die sich um die staatliche und kirchliche Einheit Sorge machten, ein Ökumenisches Konzil, dessen Aufgabe es sein sollte, diese strittigen Fragen zu klären. Dabei müsse man aber vorsichtig vorgehen.

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1.2 Verteidigung von Albrechts Baumaßnahmen Ist das polarisierende Thema des Abendmahls und Albrechts damit zusammenhängende angeblich humane Behandlung Andersgläubiger Gegenstand des ersten Teils der Apologia, setzt sich Crotus im zweiten Teil (Bl. Cijr-Ciiijv) mit den Vorwürfen von Albrechts Gegnern auseinander, der Erzbischof habe Kirchen zerstören lassen, Kirchengüter rauben und Klöster umwandeln lassen. Im Gegensatz zu den Zerstörungen der Lutheraner – Crotus denkt hier wohl hauptsächlich an die Verwüstungen während der sogenannten Pfaffenstürme in verschiedenen deutschen Städten und dann die noch größeren Zerstörungen während des Bauernkrieges, für die er Luther letztendlich verantwortlich machte – handele es sich also nach Crotus bei den von Albrecht befohlenen Bauvorhaben und Umsiedlungsaktionen um notwendige Maßnahmen. Diese kontrastiert er mit dem Verhalten der Gegner Albrechts. Mit Gewalt dringen sie in fremdes Eigentum ein, behauptet er, verachten den Kaiser, dem sie doch einen Eid geschworen haben, spucken auf den Papst, dessen Autorität doch unsere Vorfahren immer für heilig gehalten haben. Göttlichem und menschlichem Recht zeigen sie den Mittelfinger und vertreiben Mönche und gottergebene Nonnen mit Gewalt. Crotus räumt zwar ein, dass Albrecht einschneidende bauliche Maßnahmen in den vergangenen Jahren unternommen habe. Aber diese seien gut begründet und von Papst und Kaiser genehmigt worden. Um dem neuen Stift angemessene Räumlichkeiten zu verschaffen, habe Albrecht zum Beispiel das ehemalige Dominikanerkloster in das Neue Stift verwandelt und die Dominikanerkirche in die Stiftskirche umbauen und modernisieren lasse. Die kritisierten Projekte, die tatsächlich Halle Ende der zwanziger Jahre in eine Riesenbaustelle verwandelt hatten, seien eben der Preis dafür gewesen, würdige Gebäude für das Neue Stift zu schaffen. Wenn man Albrecht vorwerfe, er habe einige Kirchen zerstören lassen, so habe er also triftige und nachvollziehbare Gründe gehabt; denn dessen Vorgänger, Erzbischof Ernst von Sachsen, habe eine Burg als Verteidigungsmauer nicht nur für die Stadt, sondern für die ganze Diözese bauen lassen. Aus wirtschaftlichen Gründen und weil die Notwendigkeit zum Bau weggefallen war, sei das Gebäude aber unvollendet geblieben. Aus militärischen Motiven habe nun Albrecht z. B. das Kloster zum Neuen Werk und die kleine Ulrich-Kapelle abreißen lassen, da sie einem potenziellen Feind bei einem Angriff Schutz geboten hätten. Der Gemeinde, die diese Kirche benutzte, sei als Ersatz eine andere, weit geräumigere, prunkvollere Kirche zugewiesen worden, ein Gotteshaus, das vorher den Servitermönchen gehört hätte, bevor diese sich anders entschieden hätten. Damit verweist Crotus auf die für Albrecht peinliche Aussage, dass diese

CROTUS’ APOLOGIA FÜR ERZBISCHOF ALBRECHT

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sich inzwischen der Reformation angeschlossen hatten. Die gleichen Gründe, die mögliche Gefährdung der Sicherheit der Moritzburg, hätten Albrecht auch bewogen, die auf einer Anhöhe gegenüber der Moritzburg gelegenen Gebäude der regulierten Professen abreißen zu lassen. Durch diesen Abriss würden feindliche Belagerungen verhindert. Die für das Neue Stift getroffenen Baumaßnahmen geben Crotus Anlass, das Lob dieser Einrichtung und deren Bewohner zu singen. Was solle er aber über die Kanoniker sagen, deren Zahl dadurch beträchtlich angewachsen sei? Einer muss schon sehr beredt sein, wenn man deren mit bewundernswerter Ausschmückung ausgestattete Kirche oder die in Gold und Silber gefassten Reliquien angemessen würdigen will. Niemals können sich die Augen der Schauenden genug daran weiden. Aber nicht nur die physischen Augen weiden sich, mehr noch wird das innere Auge des Beschauers verführt. Denn oft hört man die frommen Hymnen und die mystischen Psalmen; an bestimmten Tagen hält man auch Predigten für das Volk. Er wünschte, Derartiges geschehe in allen Kollegien von Predigern und Mönchen. In diesem Zusammenhang kommt Crotus auch auf die geplante Universität zu sprechen, deren Gründung zum Bilde des treusorgenden und wissenschaftsfreundlichen Landesvaters passe. Diese sollte in Personalunion mit dem Neuen Stift entstehen und damit den überall zu beobachtenden Verfall der Wissenschaften aufhalten: Der vorausschauende Mann sehe, wie sehr das Studium der schönen Künste in Verruf geraten sei, sodass man sich nicht um die Jugend Gedanken mache, dass allein das Profitstreben alle ergriffen hat, und wie wenige an einer Geistesbildung Gefallen haben. Ihm wird bewusst, welcher Schaden der christlichen Gesellschaft daraus entsteht, wenn nicht gegengesteuert wird. Also wird er wie ein guter Landmann einen Baum pflanzen, dessen Früchte erst spätere Generationen ernten. Gegen den Niedergang der Wissenschaften werde er eine Universität gründen und gut ausgebildete Dozenten berufen. Und wie er sich bei anderen Gelegenheiten auch als Wohltäter erweist, so scheue er bei diesem höchst ehrbaren Vorhaben keine Kosten.

1.3 Warum beging Dr. Krause Selbstmord? Der dritte, kürzeste Teil der Apologia (Bl. CiiijV-Div) beschäftigt sich mit dem Selbstmord eines gewissen Dr. Johannes Krause. Nur ungern spreche er darüber, gibt Crotus zu; denn über die Toten solle man nichts Schlechtes sagen. Krause war ein Rat Albrechts in Halle, wo er wie die meisten dortigen Hofräte während der langjährigen Abwesenheit des Kardinals das Abendmahl in beiderlei Gestalt empfangen und dadurch seine lutherische Gesinnung gezeigt habe. Als Luther-Sympathisant habe er nicht nur den Heiligen Hieronymus verspot-

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tet, berichtet Crotus, sondern sich auch über Franziskus, Dominikus und den gesamten Reliquienkult abfällig geäußert. Als der Kardinal nach seiner Rückkehr nach Halle das Abendmahl in beiderlei Gestalt aber verbot, sei es allein Krause gewesen, der sich dem Edikt fügte und acht Tage vor Allerheiligen 1527 es in der altgläubigen Form zelebriert habe. Nach dieser durch die Ablehnung des Laienkelchs dokumentierten Rückkehr zum alten Glauben sei er allmählich dem Wahnsinn verfallen und habe schließlich wenige Wochen danach Selbstmord begangen. Während nun Luther und seine Anhänger dessen Suizid dahingehend deuteten, dass Krause durch seine Verleugnung seiner lutherischen Gesinnung depressiv geworden sei und sich schließlich aus Gewissensbissen (agitatus conscientia) das Leben genommen habe, begründet Crotus dessen Selbstmord mit den schweren Schicksalsschlägen (Tod seiner Gattin im Kindbett und seiner Zwillingstöchter bei der Geburt), die der Geistliche in dieser Zeit hatte ertragen müssen. Dadurch sei er allmählich zunächst der Melancholie und anschließend dem Wahnsinn verfallen; er habe die Nahrung verweigert und selten gesprochen, sei im Haus umhergeirrt, habe unkontrolliert zu zittern angefangen, Halluzinationen gehabt und sich generell wie ein Wahnsinniger benommen. Schließlich habe er Selbstmord begangen, indem er sich die Kehle durchschnitt. Es spricht für die Humanität des Crotus, dass er sich nicht nur weigert, den Selbstmord Krauses zu verdammen, was er nach kirchlicher Lehre eigentlich müsste, sondern dass er auch einen angeblich ursächlichen Zusammenhang zwischen Krauses Rückkehr zum alten Glauben und dessen Selbstmord ablehnt und sich gegen den Versuch der Lutheraner wendet, den Suizid Krauses für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Auch hier steht im Mittelpunkt der Diskussion die Frage des „richtigen Abendmahls“. Damit wird auch klar. warum Crotus den Fall Krause in diese in weiten Teilen der Debatte des Abendmahls gewidmeten Apologie eingefügt hat – ein Zusammenhang, der sich dem Leser nur allmählich erschließt.

2.

Eine lutherische Reaktion auf Crotus’ Apologia

EINE LUTHERISCHE REAKTION AUF CROTUS’ APOLOGIA Luther war empört, dass sein ehemaliger Freund, der ihn schon früher als viele andere in Briefen aus Italien ermutigt und unterstützt hatte und ihn 1521 in Erfurt als Rektor der Universität feierlich empfangen hatte, dass dieser Mann einerseits nun die Lutherischen angriff, wenn sich auch in dem ganzen Traktat keine einzige Kritik an Luther selbst findet, und andererseits seinen Gegner in Schutz nahm. Zum Gegner war Albrecht nämlich in diesen Jahren geworden, nachdem er angeblich hart gegen die Lutheraner in Halle vorgegangen war. Deshalb beauftragte Luther einen Freund (in einem Brief vom 13. Dezember

EINE LUTHERISCHE REAKTION AUF CROTUS’ APOLOGIA

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1531), an Crotus zu schreiben, weil dieser sie auf gehässige Weise verunglimpfe und dem Hallischen Bischof schmeichle. Um ihn in das lutherische Lager zurückzuholen, solle er ihn einmal richtig durchprügeln, eigentlich „durchkämmen“. Außerdem solle er dessen „Epikuräertum“ mit kräftigen Farben ausmalen. Er selbst, also Luther, sei zu sehr beschäftigt. Luther schrieb diesen Brief an Menius, weil er ihn für einen höchst integren Mann hielt. Menius sei zwar, schrieb er an anderer Stelle, von den beiden „Atheisten“ Mutian und Crotus, diesen „zwei welschen Windbeuteln“, zunächst verdorben worden, sei aber jetzt durch die Gnade Gottes von dieser irrigen Vorstellung befreit worden. Menius’ Antwortbrief, Ad Apologiam Ioannis Croti Rubeani Responsio, erschien 1532 in Wittenberg – allerdings anonym und offenbar in kleiner Auflage, denn zu dieser Zeit scheint er kaum rezipiert worden zu sein. Er war fast vergessen, als er 1720 von dem Arnstädter Chronisten Johann Christian Olearius wieder veröffentlicht wurde. Wer dieser anonyme Freund war, der sich als Verfasser ausgab, blieb allerdings auch danach lange Zeit umstritten, denn dass Luther Menius um die Abrechnung mit Crotus gebeten hatte, bedeutete noch lange nicht, dass dieser dies auch getan hatte. Heutzutage hat sich in der Forschung die Ansicht durchgesetzt, dass Justus Menius tatsächlich der Autor des Briefes war. Es ist wohl ehrlich gemeint, wenn der Verfasser Crotus als amicus suavissimus anredete, denn Menius war nicht nur ein Schüler des Crotus in dessen Fuldaer Zeit als Direktor der dortigen Stiftsschule gewesen, wenn auch nur für kurze Zeit, sondern hatte auch zeitweilig zu dem humanistischen Freundeskreis gehört, der sich im zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts in Erfurt um Eobanus Hessus gebildete hatte. Crotus schätzte ihn sehr und nahm ihn in seiner Rektoratstafel auf. Seit er ab 1519 in Wittenberg studiert hatte, war er in den Bannkreis der lutherischen Bewegung geraten und wirkte zum Zeitpunkt des Briefes in Gotha als Pfarrer. Wie erfüllte Menius den ihm von Luther gestellten Auftrag? Wie argumentierte er, um Crotus dem Wunsch Luthers gemäß zum lutherischen Glauben zurückzubringen? Wie sah das „Verprügeln“ aus? Menius hat sich seine Aufgabe nicht leicht gemacht. Zwei Tage habe er an dem Brief gearbeitet, bekennt er. Entstanden ist ein Werk, über das der katholische Historiker Kampschulte schrieb: – ein Werk, das, ich leugne es nicht, mit einer gewissen Kunstfertigkeit verfasst wurde.4 Hauptargument des Menius, das sich wie ein roter Faden durch den gesamten Brief zieht, ist der Vergleich des neuen Crotus, also des Kanonikers an dem von Erzbischof Albrecht gesponserten Stift, mit dem alten, ironischen Huma4

KAMPSCHULTE, De Ioanno Croto Rubiano, S. 19: „opusculum, quod, haud nego, cum arte quadam compositum est.“

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nisten und Luther-Anhänger. Der alte Crotus (vetus Crotus), der sich nie um Politik kümmerte, der lieber mit seinen Freunden lachte und der zu einem der ersten Unterstützer Luthers wurde, sei nun ein vortrefflicher Papist geworden. Da Menius diesen radikalen Wandel nicht glauben kann, unterstellt er ihm, sich zu verstellen. Er habe nur eine Maske angezogen, er sei deshalb ein großer Heuchler. In diesem Zusammenhang erinnert er ihn – und das ist das eigentlich Sensationelle an diesem Brief – dass er, Crotus, der Autor der antiklerikalen und antischolastischen Epistolae obscurorum virorum gewesen war. Diese für die Literaturwissenschaft wichtige Stelle gibt zum ersten Mal Aufschluss über die Verfasser der anonym erschienenen berühmten Satire. Menius schreibt nämlich: Ich kannte Dich vor 15 Jahren, bevor Luther auf der Bühne erschien, als noch nicht deine Dunkelmänner den Kölner Hochstraten und die übrigen Papisten mit jenen vergleichbaren, aber dennoch unsterblichen Gedicht feierten, wie ihr zwei Helden, Du und Hutten, einen erstaunlichen Krieg gegen den allgemeinen päpstlichen Namen angefangen habt, wie ihr mit allen Kräften und gut ausgerüsteten und zuverlässigen Truppen zu Land und zu Wasser die Papisten zu bekriegen entschlossen wart.5

Der Leser aber erfährt nicht nur, wer die maßgeblichen Autoren der Dunkelmännerbriefe waren, sondern auch Wichtiges über deren Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte. Er, Menius, bezweifle, ob ein anderes literarisches Werk dieses Jahrhunderts so der päpstlichen Herrschaft geschadet und sie der Lächerlichkeit preisgegeben habe wie Crotus’ Dunkelmännerbriefe. Aber Crotus habe nicht nur in seinen Dunkelmännerbriefen, sondern auch in anderen literarischen Gattungen, in Dialogen und Satiren, bereits lange vor Luther und sogar vor Erasmus’ Lob der Torheit über den maßlosen Pomp des Papstes, die Verschwendungssucht der Kardinäle, über die Hurereien der Priester und die angebliche Armut der Mönche gespottet. Ihr guten Götter, welche Witze, welchen Sarkasmus, welche Sprache, welche Sticheleien, was für Spielarten des Lachens und Lächerlich-Machens hat sich damals Crotus, der jetzt ein Freund der Papisten ist, ausgedacht, um diese ganze Bagage zu verspotten? 6 Aus Furcht vor Repressalien habe er aber seine Verfasserschaft stets verheimlicht. Als weitere Erinnerung an „seinen früheren Crotus“ ruft Menius dessen Freundschaft mit jenem Freund aus Gotha in Erinnerung. Gemeint ist der be5

6

BÖCKING II, S. 460, Z. 3-8: „Nosti ante annos quindecem, antequam exortus esset Lutherus, cum nondum tui Obscuri Viri colonsiensem Hochstratum et reliquos Papistas comparabili illo quidem, sed tamen aeterno poemate celebrarant, quam vos duo Heroes, tu et Huttenus, horribile bellum indixistis universo papistico nomine, quantis viribus, quam instructis et firmis copiis, terra marique persequi papistas induxeratis in animum.“ BÖCKING II, S. 460, Z. 10-14: „Superi boni, qui sales, quae dicteria, quae scommata, quae cavilla, quod genus ridiculi et risus usquam erat, quod Crotus ille, nunc amicus magnus Papistarum, tunc non excogitandum, invertendum et detorquendum duxerit ad exagitandumn hoc totum genus?“

EINE LUTHERISCHE REAKTION AUF CROTUS’ APOLOGIA

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reits 1526 gestorbene Mutianus Rufus, dessen Namen Menius aber aus gutem Grund nicht nennt, denn der Gothaer Kanoniker war, wie wir sahen, wegen seiner Ablehnung der Reformation bei den Lutheranern in Ungnade gefallen: Oft habe er, Crotus, [bei den Zusammenkünften in Mutians Haus in Gotha] über die päpstliche Messe gelacht und gespottet. Deren Aufputz habe er theatralisch genannt, über die Suffraganbischöfe und deren Salbungen des Papstes, die er Schaumschläger nannte, habe er sich ebenso mokiert wie über die Reliquien der Heiligen, deren Gebeine nicht wirklich Reliquien wären, sondern die Knochenreste, die die Raben an den Galgen zurückgelassen hätten. Gleichzeitig hätte er die Gesänge der Kanoniker, die er mit Hundejaulen und dem Summen der Bienen verglichen habe, verhöhnt. Auch über die Taufe von Glocken, die er für lächerlich hielt, und zahlreiche andere Zeremonien, die er für nichtiger als Träume gehalten habe, habe er gewitzelt.7 Mit dem Auftreten Luthers habe sich der Kampf gegen die „Papisten“ intensiviert. Nicht mehr heimlich, sondern öffentlich habe er, Crotus, sich jetzt für Luther eingesetzt. Menius erinnert ihn daran, wie er als damaliger Rektor diesen in Erfurt offiziell begrüßt und ihn sogar bei dessen Verlassen der Stadt noch einige Meilen begleitet und ihn zur Standhaftigkeit ermahnt habe. Keinen besseren Fürsprecher hätten die Lutheraner damals gehabt. Gleichzeitig erinnert Menius Crotus an dessen enge Freundschaft mit dem 1523 verstorbenen Ulrich von Hutten. Wie würde dieser auf die Entwicklung seines alten Freundes reagieren, wenn er plötzlich wieder auf die Welt käme und sähe, wie Crotus die mit Weihrauch gefüllte Pfanne schwenke und Rauchwolken produziere, die er früher als Schall und Rauch verspottete, wenn er sähe, wie Crotus, des Bischofs Mitra haltend, dessen Füße küsse und jene Erde leckt, die die verschlafenen und besoffenen Chorherren betreten? Würde Hutten, der jede Form von Scheinheiligkeit hasste, dich nicht auslachen und verspotten?8 Über die in der Apologia vorgetragenen Argumente wolle er schweigen, sie aber in einem anderen Brief erörtern. Nur so viel wolle er schon sagen: Früher habe Crotus über die Bücher der Romanisten gespottet und gesagt, sie seien nur

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BÖCKING II, S. 462, Z. 1-9: „Non recitabo hic confabultaiones illas cum amico illo Gothano, quem nosti, cuismodi ibi risus et cachinnos saepe moveris de Missa Papistarum, quorum ornatum scaenico similem dicebas, de Suffraganeis Episcoporum, deunctionibus ipsorum et amurca, ut vocabas, Papae, de reliquis Sanctorum, quas ossa vocabas vere reliqua non sanctis, sed in patibulo corvis; idem de horis Canonicis, quas in templo eiulatus dicebas esse canum in domibus Canonicorum, murmura non apum, sed inertium et ignavorum fucorum; item de Baptismo Campanarum, quem ridiculum super omnia praedicabas, et has ceremonias omnes quovis somnio esse vaniores.“ BÖCKING II, S. 463, Z. 12-14: „Nonne Huttenus, homo … odio hypocrisis ardens, te … palam rideret et consputaret?“.

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CROTUS’ APOLOGIA UND DIE LUTHERISCHE REAKTION

dazu da, dass Esel und Maultiere darauf treten, jetzt zitiere er aus ihnen, um seine Theologie zu untermauern. Das angebliche Motiv für Crotus’ Rückkehr zur alten Kirche, das in der lutherischen Anti-Crotus Polemik immer wieder auftauchte und das in dem bereits mehrfach erwähnten lutherischen Dictum über Crotus, Dr. Kröte, des Kardinals Tellerlecker seinen drastischen Ausdruck gipfelte, nämlich dass er aus reinen materiellen Gründen zum alten Glauben zurückgekehrt sei, wird von Menius nur am Rande und an ganz wenigen Stellen des Briefes vorgebracht, wenn er auf dessen von seinem bürgerlichen Namen Jäger abgeleiteten lateinischen Namen Venatorius anspielt und ihn der „Pfründenjägerei“ beschuldigt. Am stärksten musste Crotus der Vorwurf der mangelnden sprachlichen Qualität der Apologia treffen, da im humanistischen Selbstverständnis stets der Stil die Persönlichkeit reflektierte. Auch in diesem Punkte konfrontiert Menius Crotus immer wieder mit seinen früheren Schriften. Im Gegensatz zu diesen sei die Apologia ziemlich kalt und ohne Feuer und in all ihren Teilen einschläfernd. Sie verhindere, dass er sein wahres Talent entfalten könne; denn er müsse mit trockener Eloquenz das loben, was er seinem Charakter nach lieber verhöhnen möchte. Noch vernichtender aus humanistischer Sicht ist folgendes Verdikt: Alles ist ohne Saft und Kraft, unbeholfen, nüchtern und unzusammenhängend. Das sind alles Symptome eines Mannes mit schlechtem Gewissen. 9 Das Urteil des Menius ist ungerecht. Abgesehen davon, dass der Anfang der crotischen Abhandlung tatsächlich etwas verwirrend ist, da nicht immer klar ist, wessen Meinung referiert wird (ist es der anonyme Freund, ist es Crosner oder Crotus selbst?), ist der Tadel des Menius unberechtigt. Der Text, in klarem Humanistenlatein geschrieben, ist übersichtlich gegliedert, teilweise sehr anschaulich und gelegentlich blitzt sogar der alte satirische Crotus auf. Ein Vergleich mit Crotus’ satirischen Werken ist unangemessen: Die Textsorte Traktat verlangt einen anderen Stil als ein satirisches Werk oder ein persönlicher Brief. Crotus hat weder auf Luthers grobianische Bemerkungen noch auf den amicum epistolium seines früheren Schülers und Freundes Menius reagiert. Was sollte er auch schreiben? Dieser war weder auf den Inhalt der Apologia, also auf die weite Teile der Verteidigungsschrift einnehmende Diskussion der angemessenen Form des Abendmahls eingegangen, noch hatte er sich auf irgendeine sachliche Erörterung über die von den Lutheranern kritisierten, von ihm verteidigten Baumaßnahmen des Erzbischofs eingelassen. Lediglich über den Selbstmord des Johannes Krause hatte sich Menius geäußert, indem er Crotus fälsch-

9

BÖCKING II, S. 464, Z. 23-26: „Omnia autem sine sanguine et nervis, omnia hiulca et interrupta, omnia exuccata, ieiuna et frigida, omnia male cohaerentia … haec signa sunt … et notae animi sibi conscientii.“

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licherweise vorwarf, dieser habe Krause verunglimpft. Gerade dies hatte Crotus – im Gegensatz zu Luther – aber nicht getan. Zusammen mit den Briefen an Herzog Albrecht von Preußen erlaubt uns die Apologia des Crotus Einblicke in die Motive, die ihn bewogen, in der alten Kirche zu bleiben. Es war nicht in erster Linie die Aussicht auf ein bequemes, sorgenfreies Leben, die ihn veranlasste, in den Dienst des Erzbischofs Albrecht zu treten, sondern die Sorge um die politischen und sozialen Folgen der Reformation. Zwar hatte er wie kaum ein anderer die Vertreter, Riten und Gebräuche der Kirche verspottet und Luther begeistert als denjenigen begrüßt, dem er zutraute, die Missstände in der Kirche abzustellen. Nachdem er aber im Laufe der zwanziger Jahre die negativen Auswirkungen auf Politik, Gesellschaft und nicht zuletzt auf die mühsam errungenen Erfolge der Humanisten gesehen hatte, war ihm klar geworden, dass nur die alte Kirche in der Lage sein werde, Reformen, deren Notwendigkeit er immer wieder betont hatte, durchzuführen. Diese sollten aber maßvoll sein. Wenn man eine Augenentzündung habe, entferne man schließlich auch nicht gleich das ganze Auge, da ein einmal entferntes Auge nicht nachwachse, hatte er in seiner Apologia argumentiert. 10 Zweitens sollten die Reformen nicht von einem Einzelnen, dem immer der Vorwurf der Subjektivität anhaftete, ausgehen, sondern von einem breiten während eines kirchlichen Konzils erreichten Konsens getragen werden. Die Beschlüsse einer solchen Kirchenversammlung könne man freilich durch ein späteres Konzil den veränderten historischen Bedingungen anpassen, räumt Crotus ein. Diejenigen aber, die sich auf ihre persönliche Autorität beriefen, sollten nicht das Gemeinwohl durch gefährliche Kontroversen untergraben und damit den unteilbaren Rock des Herrn zerreißen – eine Anspielung auf den in Trier ausgestellten Mantel, der von altersher als Symbol der Einheit der Kirche galt. Auf theologische Diskussionen der Frage des Abendmahls und der für die Lutheraner zentralen Frage der Rechtfertigung allein durch den Glauben ließ sich Crotus also gar nicht ein. Selbst auf dem Höhepunkt seiner Luther-Begeisterung im Jahre 1520 hatte er in einem Brief an Luther eingeräumt, dass intelligente Männer über diese Frage durchaus unterschiedlicher Meinung sein könnten, und in seiner Apologia hatte er sich sogar über die Theologen beider Glaubensrichtigen mokiert, die über die richtige Form des Abendmahls so scharfsinnig disputierten. Wie unwichtig ihm dogmatische Fragen wie die angemessene Form dieses Sakraments und der Priesterehe waren, hatte er schließlich auch Herzog Albrecht mitgeteilt, als er ihm schrieb, in diesen Punkten könne man durchaus den Lutheranern entgegenkommen.

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Apologia, S. Cij: „Ideo non magis uituperari pessumdarique debereque oculi ob tollerabilem lippitudinem erui. Quod capiti sunt oculi, id est conciliis Auctoritas.“

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CROTUS’ APOLOGIA UND DIE LUTHERISCHE REAKTION

Was Crotus dagegen interessierte, war die durch lange Traditionen begründete Einheit der Kirche, in seinem Verständnis eine objektive Realität, die nicht durch das subjektive Urteil eines Einzelnen gefährdet werden dürfe. Keiner hat das klarer formuliert als der Hutten-Biograf D.F. Strauss, als er sagte, dass verantwortlich für Crotus’ Bleiben in der alten Kirche „die Furcht vor dem Einbrechen subjektiver revolutionärer Willkür in die objektiven Satzungen und Ordnungen der Kirche sei“.11 Crotus’ Rückkehr zur alten Kirche war ein langer Prozess der Desillusionierung mit der Entwicklung der lutherischen Reformation vorausgegangen. Bereits im Juli 1521, also einige Monate nach dem Ende seines Rektorats, hatte er in einem vertraulichen Brief an Petreius seine Vorbehalte gegenüber der lutherischen Fundamentalkritik an der Kirche geäußert (vgl. Kap. IX). Fünf Jahre später, 1526, hatte er gegenüber Camerarius seine Loyalität gegenüber dem Luther-Gegner Erasmus von Rotterdam geäußert. Trotzdem zögerte er lange, mit Luther zu brechen, weil er als Intellektueller beide Seiten zu verstehen suchte. In diesem Sinne ist auch seine Äußerung, er habe contrarios affectus, also seine ambivalente Haltung zu verstehen.

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STRAUSS, Ulrich von Hutten, S. 526.

XIII. GEORG WITZEL UND CROTUS RUBIANUS (1531-1535) GEORG WITZEL UND CROTUS RUBIANUS (1531-1535)

Hortor te ad calamum! Greif zur Feder! Georg Witzel an Crotus am 7. Oktober 1531.1 Croto parcendum est. Crotus muss geschont werden. Melanchthon über Crotus, 1534.2

Die Anfeindungen der Lutheraner, die der Publikation seiner Apologia folgten, ließ Crotus unbeantwortet, möglicherweise, weil Erzbischof Albrecht ihm nahegelegt hatte, nicht weiter polemisch gegen Luther und dessen Anhänger vorzugehen,3 möglicherweise aber auch, weil Crotus nicht mehr die späteren drastischen Maßnahmen Albrechts gegen die Protestanten zu verteidigen gewillt war.4 Denkbar ist aber auch, dass es seinem Naturell widersprach, sich weiter in die in dieser Zeit tobenden konfessionellen Kontroversen einzumischen. Fast die einzigen Quellen, die uns Aufschluss über Crotus in dieser Zeit geben, sind einmal die Briefe des ebenfalls zum alten Glauben zurückgekehrten Georg Witzel an Crotus und zum anderen die Erwähnungen in den polemischen Auseinandersetzungen zwischen Witzel und einigen prominenten Lutheranern. Diese Quellen zeichnen sicherlich kein umfassendes Bild des Crotus in diesen Zeiten; gleichwohl bieten sie sowohl Einblicke in seine seelische Verfassung als auch Hinweise darauf, wie er von einigen bekannten Zeitgenossen wahrgenommen wurde. Sie liefern also zumindest Bausteine für eine Biografie des Crotus in der an sonstigen Quellen armen Zeit. Wenn also im Folgenden zunächst die Person Georg Witzels in den Vordergrund rückt und Crotus dabei vorübergehend aus dem Blickfeld entschwindet, so kommt das daher, dass wir überhaupt nur durch Witzels Briefe Wichtiges über Crotus in dieser Periode erfahren.

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2 3 4

In: Georg Witzel, Epistolarum, Quae inter Aliquot videbantur partim profuturae Theologicarum literarum studiosis. Zitiert als Epistolae; hier: Liber Secundus, Bl. Sii. CR II, S. 621. So interpretiert REDLICH (Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 67) Crotus’ Schweigen. Siehe Kap. XIV.

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1.

GEORG WITZEL UND CROTUS RUBIANUS (1531-1535)

Georg Witzel – eine biografische Skizze

GEORG WITZEL – EINE BIOGRAFISCHE SKIZZE Witzel war einer der „eigentümlichsten Kirchenpolitiker der Zeit“,5 aber auch einer der heute unbekanntesten. Von den Lutheranern nach seiner Rückkehr zum Katholizismus gehasst und unbarmherzig verfolgt, von den damaligen Katholiken misstrauisch beäugt, weil er sich nicht scheute, auch die Missstände in der katholischen Kirche zu kritisieren,6 wird er heute im Zeitalter der Ökumene als „Ireniker“,7 „Ökumeniker der ersten Stunde“,8 als „Vermittlungstheologe“ 9 und „Protagonist des humanistischen Reformkatholizismus“ 10 bezeichnet, als ein Mann, der „einen Weg zwischen katholischer Kontroverstheologie und humanistischer Reformtheologie“ ging, 11 und als „ein Reformtheologe erasmischer Prägung“.12 Georg Witzel und Crotus Rubianus, die sich wahrscheinlich schon in Fulda kennengelernt hatten 13 und deren briefliche Freundschaft sich in der ersten Hälfte des dritten Jahrzehnts des 16. Jahrhundert entwickelte, konnten unterschiedlicher nicht sein. Der etwa zwanzig Jahre ältere Crotus scheute die Öffentlichkeit und hielt sich gern im Hintergrund. Witzel auf der anderen Seite drängte an die Öffentlichkeit, war aggressiv, streitlustig und schreckte nie davor zurück, seine kontroversen Meinungen zu veröffentlichen. Er publizierte eine schier unübersehbare Fülle von Schriften, während von Crotus nur ein einziges Werk unter seinem Namen erschien. Andererseits gibt es Gemeinsamkeiten: Beide hatten sich unter dem Einfluss des Erasmus zunächst der lutherischen Bewegung angeschlossen, in dem Glauben, dass Luther umsetzen würde, was der holländische Gelehrte in seinen Schriften unermüdlich gefordert hatte, nämlich eine Reform der katholischen Kirche, und beide kehrten zu dieser zurück. Beide verband die Furcht vor dem Neuen, vor den dramatischen Umwälzungen der Zeit und gleichzeitig die Sorge um die alte Kirche. Witzel wurde 1501 in Vacha an der Werra geboren, wo sein Vater Gastwirt, Ratsmitglied und zeitweise Schultheiß war.14 Nach dem Besuch der Schulen in 5 6 7 8

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STUPPERICH, Witzel, Georg, in: KILLY 12, S. 383. DÖLLINGER, Die Reformation I, S. 30. FLEISCHER, Katholische und lutherische Ireniker, S. 25. HENZE, Aus Liebe zur Kirche Reform. Henze bietet auch ein ausführliches Literaturverzeichnis sowohl der Primär- als auch der Sekundärliteratur. TRUSEN, Um die Reform und Einheit der Kirche, S. 6. SAUER, Die alte Kirche ist die wahre – die wahre Kirche ist die alte, S. 244. ROTH, Von der heiligen Eucharastie, S. 133. KANTZENBACH, Das Ringen um die Einheit der Kirche, S. 177. BREUL-KUNKEL, Herrschaftskrise und Reformation, S. 241, Anm. 218. Zu Witzel: STUPPERICH, Witzel, Georg, in: KILLY 12, S. 383; RICHTER, Die Schriften Georg Witzels; KANTZENBACH, Das Ringen um die Einheit der Kirche; TRUSEN, Um die

GEORG WITZEL – EINE BIOGRAFISCHE SKIZZE

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Schmalkalden, Eisenach und Halle studierte er ab dem Wintersemester 1516/17 in Erfurt, wo er von der dortigen Erasmus-Verehrung geprägt wurde, wie er später gern zugab.15 Noch fünfzehn Jahre später, 1534, konnte ein Weggenosse Luthers, Nikolaus Amsdorf, behaupten, Witzel habe alle seine Gedanken von Erasmus gestohlen.16 Als Kompliment war das nicht gemeint. Wie viele andere Humanisten des Erfurter Kreises war auch Witzel über den Humanismus zu den Anschauungen Luthers gekommen und wie andere Erfurter begab er sich 1520 zum Studium nach Wittenberg. Über seine damaligen Motive schrieb er später: Es zog mich zu eurer [der lutherischen] Partei jener große Beifall der Welt; es lockte mich die voreilige Zustimmung der Gelehrten, es reizte mich die Neuheit, wie die meisten von uns von Natur aus geneigt sind, uns der Lust auf Neues hinzugeben. Ein anderes Motiv war das traurige Erscheinungsbild der Kirche; vor allem verleitete mich die große Hoffnung, dass alles viel christlicher sein werde.17 Auf Drängen seines Vaters brach er aber 1521 sein Studium ab und wurde in Merseburg zum Priester geweiht. Noch im gleichen Jahr trat er eine Stelle als Vikar in seiner Heimatstadt Vacha an, wo er zusammen mit seinem späteren Feind Balthasar Raidt im Sinne Luthers predigte. 18 Im Jahre 1524 verlor er durch seine Heirat mit Elisabeth Kraus seine geistliche Stellung.19 Witzel ging zunächst nach Eisenach, dem Geburtsort seiner Frau, und trat bald darauf im benachbarten Wenigen-Lupnitz eine Pfarrstelle an. In den Bauernkriegen musste er zunächst als Sympathisant der revolutionären Bauern fliehen, obwohl er

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Reform und Einheit der Kirche; DOLAN, Katholische Reformtheologen; KLAIBER, Katholische Reformtheologen; BREUL-KUNKEL, Fulda und Erfurt; ROHMANN, Georg Witzel, ein Altkatholik; HENZE, Aus Liebe zur Kirche; DÖLLINGER, Die Reformation I, S. 21-145; KATHREIN/DIEZ/HENZE/ROTH, Im Dienst um die Einheit und die Reform der Kirche Reform. Epistolae, Liber Quartus (Einleitung zur Briefsammlung), Bl. b2v: „Calcar ad id ingens erant Erasmi vigiliae, quas qui legerat, is non potuit non favere coeptis istis.“ (Das entscheidende Motiv waren die Überlegungen des Erasmus: Wer diese gelesen hatte, musste unweigerlich die Reform gutheißen). WA Br 7, Nr. 2086, S. 16 (Nikolaus von Amsdorf an Luther, 28. Januar 1534): „Witzelius omnia sua furatus est ex Erasmo.“ Epistolae, Liber Quartus, Bl. b2v: „Attraxit me primum in partem uestram plausus ille orbis maximus, pellexit praeproperus eruditorum assensus, incitauit nouitas, ut plerique natura huius cupidine ducimur, perpulit ecclesiae foeda facies, potissimum inuitauit spes magna omnia fore purius Christiana.“ „Do aber doctor Martinus Luther anfieng zu schreiben und predigen, do gefiel im das wort der gnaden Christi sere wol und ward ein grosser eiverer, half und riede [riet]mit allem fleiß die lere Christri ausbreiten, die menschenlere und papisterei zu verstören.“ Zitiert in: FRANZ, Ein Gutachten über Georg Witzel und seine Lehre, S. 159. Aus dieser Ehe gingen acht Kinder hervor.

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sich in einem „Absagebrief“ an Thomas Müntzer klar von den Zielen der Aufständischen distanziert hatte. Nachdem er jedoch seine Unschuld hatte beweisen können, wurde er vollständig rehabilitiert, sodass Luther ihm sogar eine neue Wirkungsstätte in dem kleinen Städtchen Niemegk bei Wittenberg anbot. Dort befreundete er sich mit dem Jülicher Theologen Johannes Campanus (1500-1575).20 Gemeinsam besuchten sie das Marburger Religionsgespräch im Jahre 1529. Als Campanus aber später als Antitrinitarier verfolgt wurde, wurde auch Witzel verhaftet und eingekerkert. Auch in diesem Falle konnte er seine Unschuld beweisen: Er kehrte zunächst nach Niemegk und danach in seine alte Heimat zurück. Die zweimaligen, aus seiner Sicht unberechtigten Verdächtigungen, für die er letztlich die Lutheraner verantwortlich machte, dürften auch dazu beigetragen haben, dass er sich in der folgenden Zeit immer deutlicher von deren reformatorischer Lehre distanzierte. Dazu kamen aber noch erhebliche Zweifel an der lutherischen Rechtfertigungslehre und schließlich sein Unbehagen an der sich abzeichnenden Kirchenspaltung. Für einen Mann wie Witzel, dem die Einheit der Kirche am Herzen lag, musste die Etablierung der evangelischen Kirche, wie sie sich in den frühen dreißiger Jahren abzeichnete, eine bittere Enttäuschung sein.21 Nach seinem Weggang aus Niemegk im Jahre 1531 und seiner Abkehr von Luther wurde er von dessen Anhängern heftig angegriffen, sodass er in den lutherischen Gebieten keine Anstellung fand. So wurde seine Bewerbung um eine Hebräisch-Professur in Erfurt, für die er sich durch eine Schrift über die hebräische Sprache empfohlen hatte,22 von Justus Jonas hintertrieben. In seine Heimat zurückgekehrt, fand der verheiratete Priester lange keinen Wirksamkeitsbereich. Von dem protestantischen Landgrafen Philipp von Hessen wurde er sogar 1533 des Landes verwiesen. Im gleichen Jahre berief ihn aber der Graf Johann Hoyer von Mansfeld nach Eisleben, dem Geburtsort Luthers, wo Witzel bis 1538 als Pfarrer in der winzigen katholischen Gemeinde tätig war und in der St. Andreaskirche predigte – allerdings meist vor leeren Bänken. Für wissenschaftliche oder publizistische Arbeiten blieb ihm genügend Zeit. Unermüdlich verfasste er Flugschriften, Pamphlete und immer wieder Briefe. Die meisten der Briefe an Crotus und die Schriften, in denen in irgendeiner Weise Crotus Rubianus eine Rolle spielte, entstanden in dieser Zeit.

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STUPPERICH, Campanus, Johann, in: NDB 3, 1957, S. 109 f.; HEGLER, Campanus, Johannes, in: RE 3, 1897, S. 696-698. Dazu immer noch lesenswert DÖLLINGER, Die Reformation, I, S. 21-145. Oratio in laudem hebraicae linguae, 1534. Vgl. RICHTER, Die Schriften Georg Witzels, S. 13, No. 9.

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2.

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Witzels Briefe an Crotus Rubianus

WITZELS BRIEFE AN CROTUS RUBIANUS Die zwölf Briefe, die Georg Witzel zwischen 1531 und 1535 an Crotus Rubianus schrieb, 23 fanden Eingang in seine 1537 veröffentlichte Briefsammlung. Dass es sich dabei um eine Auswahl handelte, machte Witzel bereits im Titel deutlich. Von hunderten von Briefen habe er sich lediglich für die vorliegenden entschieden.24 Die Sammlung von insgesamt 118 Briefen gilt als „eine der wichtigsten und seltensten Briefsammlungen, die vieles zur Erläuterung der Reformationsgeschichte enthält“.25 In der Tat finden sich unter den Adressaten bedeutende Zeitgenossen wie Johann Draco, Johann Cochlaeus, Adam Krafft, Heinrich Urbanus, Beatus Rhenanus und Erasmus von Rotterdam, um nur einige der bekanntesten zu nennen. Im Vorwort erklärt Witzel die Gründe, die ihn zur Veröffentlichung dieser Sammlung bewogen haben. Seit 1532 sei er in eine heftige Auseinandersetzung mit den Lutheranern, besonders Justus Jonas gezogen worden. Ohne je angehört worden zu sein, werde er ohne ein gerichtliches Verfahren verurteilt. Das Feuer werde schon vorbereitet, das Hinrichtungsschwert gewetzt, der Scheiterhaufen aufgerichtet und der passende Hängerstrick schon ausgewählt.26 Die Schismatiker – mit diesem Wort pflegt er die Lutheraner zu bezeichnen – hätten Pisse und Scheisse auf ihn geworfen, wer könne ihn daran hindern, diese abzuwischen und den Dreck zu beseitigen.27 Ziel der Briefsammlung ist also der Versuch, sich in der sich über Jahre hinziehenden Kontroverse (siehe unten) mit den Lutheranern rechtfertigen zu wollen. Der Wert der Epistolae wird auf den ersten Blick dadurch beeinträchtigt, dass die Namen der Adressaten bewusst weggelassen sind. Witzel begründet das damit, dass er wegen der sich anbahnenden Kirchenspaltung niemanden in Schwierigkeiten bringen wolle.28 Allerdings lassen sich die Namen seiner Korrespondenten relativ leicht entschlüsseln, denn Witzel druckte die Initialen der Empfänger, sodass jemand, der mit der Reformationszeit vertraut ist (und ebenso Witzels Zeitgenossen) keines großen detektivischen Scharfsinnes bedurft

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Epistolae, siehe Anm. 1. Vgl. Anm. 1. Siehe Appendix (Briefe von und an Crotus Rubianus). STROBEL, Beiträge zur Erläuterung der Reformationsgeschichte, II, 1785, S. 243. Epistolae (Vorwort), Bl. Aii: „Non auditus unquam, non examinatus, adeoque ne cognitus quidem damnor. Fertur sententia ante causam dictam.Paratur ignis, acuitur ferrum, deligitur funis.“ Epistolae, Bl. Aiiib: „Illi in me iecerunt mictum atque cacatum et me quis prohibeat, ne abstergam neve repurgam sordes?“ Epistolae (Vorwort), Bl. A4: „Quod supprimo ad quos scripsi, nomina, nec id temere fit. Nolui degravare ullum hominem nec committere, ut se intolerabili invidiae schismatis obijci amici querantur.“

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hätte, diese Namen zu ermitteln. So steht etwa D.E.R für Desiderius Erasmus Roterodamus, M.H.V. Magister Heinrich Urbanus, D.I.C. für Doktor Johannes Cochlaeus und eben D.C.R. für Doctor Crotus Rubianus. 29 Mit der gleichen Begründung, seine Korrespondenten nicht durch Namensnennung kompromittieren zu wollen, druckte er bedauerlicherweise auch nicht deren Antwortbriefe, also auch nicht die von Crotus. Insgesamt publizierte Witzel zwölf Briefe an Crotus in dieser Sammlung. Den frühesten erhaltenen Brief an Crotus schrieb Witzel am 7. Oktober 1531, den letzten am Dorotheenfest, also am 2. Februar, des Jahres 1535. Obwohl die Antwortbriefe des Crotus nicht erhalten sind, geht aus Witzels Schreiben hervor, dass dieser wohl darauf reagierte,30 wenn auch nicht mit der gleichen Häufigkeit. 31 Trotz dieser asymmetrisch erhaltenen Korrespondenz erfahren wir einerseits Erhellendes über Witzels Gemütszustand zu dieser Zeit, andererseits – und für uns entscheidender – Wichtiges über Crotus zwischen 1531 und 1535, eine Zeit, in der es sonst kaum Nachrichten über ihn gibt.32 Die Briefe liefern also einige wenige, deshalb um so wertvollere Puzzlesteine zu einer Lebensbeschreibung des Crotus in diesen Jahren. Vier Themenbereiche lassen sich in den zwölf erhaltenen Briefen isolieren: erstens, Kommentare zur politischen und religiösen Situation in Deutschland und Witzels eigener Lage; zweitens, Klagen über seiner Gegner; drittens, sein Bekenntnis zur katholischen Kirche und schließlich viertens Bitten an Crotus, sich publizistisch zu engagieren. Obwohl diese Themen in den einzelnen Briefen stets miteinander verwoben sind, sollen sie hier getrennt behandelt werden. Witzel war ein aufmerksamer und interessierter Beobachter seiner Zeit, der, wie es in zeitgenössischen Briefen üblich war, seinem Freund gern Neuigkeiten meldete. Allerdings muss ihm bewusst gewesen sein, dass Crotus, der als Rat des Erzbischofs von Mainz in Halle sich an einer der Schaltstellen der Macht im 29

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RICHTER (Die Schriften Georg Witzels bibliographisch bearbeitet) hat die meisten Initialen aufgelöst, S. 185 f. 1533 bedankt sich Witzel in dem Brief vom 13. Dezember: „Varia scribis.“ (Bl. N4a); am 11. November 1534 schreibt er „Multas accepi literas a te.“ (Liber Quartus, Bl. Rr3); am 6. Februar 1535: „proxima epistola“ (Liber Quartus, Bl. Bg 2). „Nihil literarum a te accipio“ (Brief vom Dezember 1531), Bl. S4v; „Nondum respondisti literis“ (Brief vom 21. Mai 1532); „Expecto a te literas quotidie“ (22. Mai 1532): „Expecto a te doctissime tales literas“ (29. Mai 1534), am 13. Dezember 1533: „Varia scribis“ und am 11. November 1534 schreibt er „Multas accepi literas at te.“ (Bl. Rr3) „Proxima epistola“ (6. Februar 1535, Bl. g2b). KAMPSCHULTE, Commentatio de Ioanne Croto Rubiano, S. 25: „… imprimis ad Croti senis imaginem illustrandam valent et eiusque motus atque affectus animi intimos detegunt.“ KAMPSCHULTE scheint der Einzige zu sein, der diese Briefe für seine Monografie benutzt hat.

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Reich befand und den Erzbischof gelegentlich sogar auf diplomatischen Missionen begleitet haben soll, viel besser informiert gewesen sein dürfte als er selbst, der in relativer Isolation zunächst in Vacha und dann in Eisleben lebte. Aus diesem Grunde handelte es sich bei seinen Nachrichten mehr um persönlich gefärbte Kommentare als echte Informationen. So berichtet er zum Beispiel in einem Brief vom 21. Mai 1532, dass die Wiedertäufer in Franken in Scharen festgenommen worden seien und zur Bestrafung nach Fulda überführt würden. Sie sollen einfache Menschen sein, die bei ihren Verhören sich als Christen bekennen. Ihre Befragung lasse nichts anderes zu, als das, was sie von ihren „Propheten“ hörten. Witzel kommentiert das Geschehen dann in seinem Sinne, wenn er sagt: Letztendlich sei aber Luther für deren Verhalten verantwortlich. Aus diesem Grunde wüte er, Luther, umso schonungsloser gegen sie, um sich auf diese Weise von ihnen zu distanzieren.33 Als sich im Laufe der dreißiger Jahre Luthers Lehre weiter ausbreitete, meldete Witzel dem Crotus, dem diese Entwicklung nicht entgangen sein dürfte, dass der König von England sich dem Luthertum zugewandt habe. Wegen des schweren Jochs des Papsttums seien jetzt viele Gebiete der lutherischen Lehre gefolgt. Das heiße aber doch, dass sie die Skylla für die Charybdis tauschten. Wenn in der nahen Zukunft kein Konzil einberufen werde, würden zahlreiche andere Länder noch lutherisch. Dass Pommern bereits der lutherischen Ketzerei verfallen sei, wisse er, Crotus, wahrscheinlich schon. Auch der Graf von Dessau neige dazu. In Lüneburg und Mecklenburg hätten die lutherischen Argumente ebenfalls schon tiefe Wurzeln geschlagen. Preußen und Livland frohlockten, in derselben Jauche zu hängen.34 Neben den Kommentaren zu dem stetigen Fortschreiten der lutherischen Lehre finden sich in Witzels Briefen Klagen über die persönlichen Anfeindungen seiner Gegner, also der Lutheraner. Gleich in einem der ersten erhaltenen Schreiben von Ende des Jahres 1531 berichtet Witzel über seine persönliche Situation. Seine robuste Gesundheit möchte er seiner Frömmigkeit zuschreiben,

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Epistolae, Liber Secundus, Bl. V: „Noui hic nihilo est, nisi quod anabaptistae apud Fagineos agminatim capti Fuldam ad supplicium trahuntur. Feruntur esse homines simplicissimi. Interrogati respondent se Christianos esse, nec se alio nomine capitis subire uelle supplicium. Persuasio efficax non sinit istos audire aliud, quam quod acceperunt a suis prphetis. Male sit prophetis talibus, qui e corde suo, non ex ore domini docent. Erroris huius omnis occasio a Luthero est, et tanto inclementius ille in errantes saeuit.“ Epistolae, Liber quartus, Bl. Giif.: „Rex Angliae in Lutherum transformatus est. Sequuntur eum multae regiones propter gravissimum iugum papismi. Hoc est commutant charybdi Scyllam. Nisi erit Synodus, aliae quoque regiones accedent in opinionem perusasionis huius. De seducta Pomerania in eandem haeresim forte nosti. Aiunt comitem Dessauicum illuc quoque inclinari Lunburgum una cum Meckelburgo in eadem pithanologia radices altum agit. Prussia et coterminis Liuonia in eodem ceno haerere gaudet.“

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obwohl er doch von den Sektierern, sprich Lutheranern, gehasst werde, die selbst den Bauch verehren und lieben. Das von der Gemeinde gewährte Geld verbrauche er nach und nach. Im Augenblick bekomme er aber von niemandem weder Geld noch ein Gehalt. Er lebe von seinem Gesparten, und zwar äußerst bescheiden und genügsam. Durch seinen Unterricht in den freien Künsten könne er nicht einmal eine Mahlzeit bestreiten. Um den Nächsten kümmere sich niemand. Fromme Schriften werden kaum bewundert, die humanistischen Studien vernachlässigt.35 Nicht viel besser sei es ihm in Erfurt ergangen, klagt er am 28. Juni 1532 gegenüber Crotus.36 An der dortigen Universität habe er gehofft, eine Professur für Hebräisch zu bekommen. Stattdessen sei er von seinen inzwischen zum Luthertum übergegangenen ehemaligen Freunden unbarmherzig verfolgt worden. Architekt der Verleumdungen sei Justus Jonas gewesen, der dank seines Einflusses in Erfurt nicht nur seine Professur hintertrieben, sondern auch gegen Witzel bei den Patriziern im Rat gehetzt habe. Ebenso sei der Theologe Johannes Lange (auch er ein alter Freund aus Erfurt) jetzt sein Gegner. Spott und Häme häuften sich gegen ihn. Überall werde er diffamiert. Nur gesteinigt sei er noch nicht, merkt Witzel trocken an. Die Rufmordkampagne habe bereits Wirkung gezeigt. Bürger, die ihm begegnen, schauten ihn finster an. Er werde geschnitten. In den Gasthäusern werde er zwar noch bedient, aber auf unfreundliche Weise. Dank dieser Anfeindungen habe er aber einen gewissen Prominentenstatus erlangt. Alle wollen einen Blick auf ihn werfen.37 Unter dieser Ausgrenzung habe auch sein Diener Werner zu leiden. Wenn er Bekannte treffe, erkundigten sie sich nach seinem Herrn und flehten ihn ab, nicht einem solchen Mann wie Witzel zu dienen, einem Mann, der ein Feind Gottes sei, ein Papist, ein Apostat, ein Mann, der seine Gemeinde verließ, seine Frau verleugnete, dem man kaum die Hand reichen sollte. Kurz, die Evangelischen hörten nicht auf,

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Brief Ende des Jahres 1531. Epistolae, Liber Secundus, Bl. S4v-T1v: „Si quaeras, ualemus fauente Deo et eam ualetudinem pietati impendere conamur, odio huius gratia a Sectarijs habiti, qui ventrem fere pro DEO amplectuntur, colunt, diligunt. Pecuniam parocho mihi partam, pedetentim absumimus. Degimus enim nullo adiuti, aut dono aut salario.Sunt haec tempora nunc dura, mire tenatia. Quis habet is eo fruitur, de proximo nemo solicitus. Piae literae in parua admiratione sunt. Mansuetiores Musae in nulla.“ Epistolae, Liber Secundus, Bl. Q3-R2b. Epistolae, Liber Secundus, Bl. Riv: „Ciues eius sectae toruum me obuium aspiciunt, uix sibi temperantes a lacessendo, Quos habui inter hos amicos, uitant me, facti inimici. In tabernis tractor, sed sine sensu … nuper opificum aliquot arrepta ansa in has aedes introierunt mei tantum uidendi gratia.“

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gegen ihn zu hetzen. Keine Nattern und Schlangen seien so giftig wie sie, Leute, die er bisher nicht beleidigt habe.38 Ähnliche Erfahrungen habe er in Eisleben gemacht. Dort hatte er in der katholischen Diaspora eine Stelle als Pfarrer bekommen, um die lauten Evangelischen und die leichtgläubige Menge wieder zur gesünderen Lehre zurückzuführen, wie er an Crotus schreibt. Bald nach seiner Ankunft hätten schon die Intrigen gegen ihn angefangen. Kompromisse habe er aber abgelehnt. Jetzt werde er durch Schmähungen vernichtet.39 Witzels lebendige Schilderungen seiner sozialen Isolierung illustrieren, welche Auswirkungen die konfessionellen Spaltungen im Alltagsleben hatten. Wenn auch der Grund für die Anfeindungen der Lutheraner seine Rückkehr zur katholischen Kirche war, leugnete er die in ihr vorhandenen Missstände keineswegs und machte diese sogar für die Erfolge der Lutheraner verantwortlich: In der Tat könnte es nicht geschehen, dass die unheilbringende Sekte so lange besteht, wenn das schändliche Gesicht der römischen Kurie deren Reformation hindert. 40 Deren Missstände (eigentlich: Zahnfäule) habe er so gehasst, wie er die Kirche selbst liebe.41 Ja, in seinem Brief vom 6. Februar 1535 sprach er von dem schwer zu ertragenden Joch des Papsttums (gravissimum iugum papismi). Trotzdem müsse Ziel sein, die Einheit der Kirche wiederherzustellen. Die dogmatischen Unterschiede

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Epistolae, Liber Secundus, 28. Juni 1532 (Bl. Rjv f.): „Quotiens hac domo exit VVernherus, comperit quam crudelibus modis verser atque reverser. Noti eum convenient, sciscitantur de hospite, obsecrant, ne talem domi suae alat, hosten DEI, maximum papistam, apostatam, qui secum circum ferat errorem infandum, quem udelicet nacto in Academia legendi loco sit effusurus, qui propterea resignarit paroetiam, quo proventus minor esset ducentis aureis, qui uxorem coram Canonicis abnegaverit, qui uix parsit conserendi manum cum puero elementario … nullae uiperae, aspides, cerastae sunt uirulentiores atque isti, quos tamen non offendi hactenus.“ Epistolae, Liber Tertius (4. Dezember 1533), Bl. Nna-Nn2b : „Commigraui uero huc, ut Martiales Euangelistas atque credulam turbam, si fieri queat, saniori doctrinae restituam. Sed indies magis magisque detegitur fucus aduersariae partis, ita ut spes sit consopitum iri ludum non iucundissimum. Proposuerunt mihi uarijs technis palinodiam, quam iure recusans omni conuitiorum genere subruor.“ Epistolae, Liber Tertius (4. Dezember 1533), Bl. Nn2: „Profecto fieri non posset, ut pestilentissima Secta diutius stet, nisi eius Reformationem impediret foeda curiae Romanae facies.“ Ebenso schon in dem Brief vom 6. Februar 1535 (Epistolae, Liber quartus, Bl. g2): „Sequuntur eum [Lutherum] multae regiones, propter grauissimum iugum papismi.“ Epistolae, Liber Secundus (Brief vom 22. Mai 1532), Bl. Rijv: „Rubiginem, quam longo tempore contraxit Ecclesia, tam odi quam ipsam amo Ecclesiam.“ Das Bekenntnis zur katholischen Kirche findet sich auch noch in Briefen vom 28. Juni und 12. Dezember 1532.

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müssten friedlich beigelegt werden.42 Zu Kompromissen sei er immer bereit,43 denn er sei Realist genug zu wissen, dass die „Sekte“, d. h. die Lutheraner, nicht über Nacht verschwinden würde. Wie Crotus in seiner Apologia und in seinen Briefen an Albrecht von Preußen forderte Witzel deshalb immer wieder ein Konzil. Und für diese Kirchenversammlung solle sich der von beiden Seiten geachtete Crotus engagieren.44

Abb. 8: Georg Witzel

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Epistolae, Liber Quartus (Brief vom 11. November 1534), Bl. Sb: „Nam minime in controuerso est Ecclesiam nunquam quietam fore, nisi sint prius sublatae sectae. Iam sectae e medio non auferentur, nisi res componantur, et amice sedentur dissidia. Tale uero fieri non potest, nisi alter alteri aliquid concedat.“ Epistolae, Liber Quartus (11. November 1534), Bl. Sv: „Tale vero fieri non potest nisi alter alteri aliquid concedat.“ Dass Crotus zu diesem Zeipunkt von allen Seiten geachtet wurde, stimmte natürlich nicht mehr, denn Crotus wurde auch zu diesem Zeitpunkt schon von den Lutheranern angefeindet.

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Die Klagen über die Zeitläufte und über die unbarmherzige Behandlung durch die Lutheraner münden in den meisten Briefen in Bitten an Crotus, etwas zu veröffentlichen und ihm und der katholischen Seite auf diese Weise literarische Schützenhilfe zu leisten. Ich ermahne dich, wenn Du erlaubst, endlich die Frucht Deiner Studien zum Bau der Kirche zu publizieren, heißt es etwa in einem Brief vom 12. Dezember 1532. Du verfügst über zahlreiche Talente, die Du doch nicht nutzlos in der Erde vergraben solltest. Meiner Meinung nach solltest Du die Apostel, die alten Theologen und Erasmus nachahmen und dir zum Vorbild nehmen.45 … Sollen wir das schweigend ertragen? … Sollen wir die Kampfarena verlassen, obwohl wir weder besiegt noch verletzt sind? … Wir werden antworten, widersprechen, dagegenhalten, solange wir atmen können.46

Als Crotus im November 1534 gegenüber Witzel angedeutet hatte, endlich etwas gegen die Lutheraner schreiben zu wollen, war dieser hocherfreut über diese vage Zusage. Damit würde man auch dem weitverbreiteten Vorurteil begegnen, schrieb Witzel, ungebildete Katholiken würden gegen gelehrte Lutheraner kämpfen wie Mücken gegen Elefanten. Es sei also notwendig, dass gebildete Männer wie Crotus, der im Laufe der Jahre eine einzigartige Klugheit erworben habe, eingriffen. Überdies habe er als Kanoniker viel Muße und sei gleichzeitig begierig, die alte Theologie wiederzubeleben. Schließlich stünde ihm auch eine umfangreiche Bibliothek zur Verfügung. Statt Kinder (liberi), die er als zölibatär lebender Kleriker nicht habe, könne er doch Bücher (libri) hervorbringen.47 Die katholische Kirche brauche ihn.48 An seinem Stift gebe es zehn, die das tägliche Chorsingen verrichten, aber nur einen, der wissenschaftlich arbeiten und

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Epistolae, Liber Secundus (Brief vom 12. Dezember 1532), Bl. Ff4b: „Te moneo, si pateris, ut aliquando aedas foetum studii tui in aedificationem Ecclesiae. Habes numerata Talenta, quae cave humo defoedias. Erasmum post apostolos et priscos Theologiae heros ήςωας imitandum tibi per omnia censeo.“ Epistolae, Liber Secundus (Brief vom 12. Dezember 1532); Bl. Gg: „Hoc ne taciti patiemur? … Discedemus harena, neque victi neque saucii? Minime, ne ita nobis CHRISTUS faueat. Respondebimus, contradicemus, reclamabimus, dum hac aura fruemur.“ Epistolae, Liber Quartus (Brief vom 11. November 1534), Bl. Rr3: „… audio fortasse te aliquando proditurum … audio diras leges continere te, non uincire, audio te fugam e pugna interpretari, quod alii patientiam, alii prudentiam. … Exhilaror ego nunc, et atollo animum totus, cum tu scribis talia, ego lego. Erigor in amissam pene spem, et confirmor in incredibili de te fiducia: Adeptus es optimam literarum talem cognitionem. Accedit liberale otium … Postremo habes Bibliothecam instructissimam, omni utriusque linguae authorum genere uariam, antiquitate praeclaram, magnitudine admirandam. Erit tibi librorum foetus, liberorum vice, quos quia non habes coelebs.“ Epistolae, Liber Quartus (11. November 1534), Bl. Rr4: „Religio catholica tua opera … magnopere indiget.“

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schreiben könne – nämlich Crotus.49 In diesem Sinne gibt Witzel Crotus Ratschläge, was er schreiben solle. Auf das Wesentliche und auf die Gemeinsamkeiten solle er sich konzentrieren. Witzel war sich dabei auch der Zwänge bewusst, denen Crotus als Kanoniker im Erzstift Halle und als Rat Albrechts von Brandenburg ausgesetzt war. Im gleichen Brief vom November 1534 schrieb er nämlich: Ich weiß, dass strenge Bestimmungen Dich zwar zurückhalten, aber nicht einschränken. Mir ist auch bewusst, dass Du das Verlassen des Schlachtfeldes so interpretierst, dass es einige Nachgiebigkeit, andere Klugheit nennen.50 Deshalb reagierte Witzel auch sehr verständnisvoll, als Crotus ihm ein halbes Jahr später sein Herz mit all seinen Kümmernissen ausschüttete. 51 Er, Crotus, solle sicher sein, dass er die ihm anvertrauten Beschwerden zwar nicht vergessen werde, aber darüber zu schweigen wisse. Das Bild, das Witzel von seinem Freund zeichnet, ist das eines unglücklichen, ja depressiven Mannes. Aber gegen diese Depressionen (aegritudines) helfe nur Schreiben. Immer wieder fragst Du unruhig: Was soll ich machen, Georg? Ich höre Dich, mein Freund, und keiner hört Dich klarer. Dann wiederholt Witzel seine oft geäußerte Bitte, zur Feder zu greifen. Er solle schreiben, auch wenn er es nicht sofort veröffentliche. Es werde eine Zeit kommen, wenn er das Geschriebene zum Nutzen unserer Leute publizieren könne. Er solle also etwas quasi für die Schublade produzieren. Er selbst sei überzeugt, dass die Schriften eines so großen Theologen nicht gänzlich in der Dunkelheit verschwinden würden.52 Soweit ein knapper Überblick über die Briefe Georg Witzels an Crotus Rubianus. Sie zeichnen einmal ein sehr anschauliches Bild von Witzels Sorgen und Nöten, eines Mannes, der es gewagt hatte, in einer für ihn feindlichen Umwelt zum alten Glauben zurückzukehren. Zum anderem aber geben sie Einblicke in den Gemütszustand des Crotus, der aber trotz der häufigen Bitten seines Freundes nicht bereit war, sich in die tobenden konfessionellen Querelen hineinziehen zu lassen. Hineingezogen wurde er trotzdem.

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Epistolae, Liber Quartus (11. November 1534), Bl. Sr: „Citius reperuntur decem qui canant, quam unus qui studeat ac scribat.“ Epistolae, Liber Quartus (Brief vom 11. November 1534), Bl. Rriij: „Audio diras leges continere te, non vincire, audio te fugam e pugna interptetari quod alii patientiam, alii prudentiam.“ Epistolae, Liber Quartus (Brief vom 6. Februar 1535), Bl. g2-g3v. Der Brief des Crotus ist nicht erhalten. Epistolae, Liber Quartus (Brief vom 6. Februar 1535), Bl. gij: „Vtcumque habet, adhortor ut soleo ad calamum … . Scribe et repone, forsan olim erit tempus optatum, quo in utilitatem nostrorum hominum scriptum publicetur. Non periturum est in tenebris omnino quidquid Theologus tantus in tuo conclaui lucubrabis.“

CROTUS’ ROLLE IN DER KONTROVERSE ZWISCHEN WITZEL UND JONAS

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Crotus’ Rolle in der Kontroverse zwischen Georg Witzel und Justus Jonas

CROTUS’ ROLLE IN DER KONTROVERSE ZWISCHEN WITZEL UND JONAS

3.1 Witzels Pro defensione bonorum operum Im Jahre 1532 veröffentlichte Georg Witzel eine Schrift, die innerhalb des lutherischen Lagers heftige Reaktionen auslösen sollte. Der angesehene lutherische Theologe Justus Jonas, der hessische Pfarrer Balthasar Raidt, ein unter dem Pseudonym Sylvanus Hessus schreibender lutherischer Pfarrer aus dem hessischen Witzenhausen und selbst Martin Luther schalteten sich in die der Publikation folgende Kontroverse ein. Auch Crotus Rubianus wurde nolens volens indirekt in den Streit verwickelt. Angesichts der spärlichen Quellen zu Crotus in dieser Zeit liefert diese polemische Auseinandersetzung Anhaltspunkte, wie der Ex-Lutheraner und damalige Kanoniker am Neuen Stift in Halle von beiden Seiten in dieser Zeit wahrgenommen wurde. Auslöser der sich über Jahre hinziehenden Kontroverse war eine Schrift, die Witzel im Frühjahr 1532 in Leipzig unter dem Pseudonym Agricola Phagus veröffentlichte.53 Die aus 44 Blättern im Oktavformat bestehende Schrift trug den Titel Pro defensione bonorum operum adversus novos evangelistas, also „Für die Verteidigung der guten Werke gegen die neuen Evangelisten“. Publiziert wurde das Pamphlet von dem Leipziger Drucker Michael Blum, dem gleichen Drucker, der ein Jahr zuvor Crotus’ Apologia herausgebracht hatte.54 Bei dem Werk handelte es sich keineswegs um die Diskussion eines dogmatischen Nebenthemas, sondern um ein Kernthema der lutherischen Theologie, nämlich um die Rechtfertigungslehre, nach der der sündige Mensch nicht durch gute Werke, sondern allein durch den Glauben „gerechtfertigt“ werde. Diese Lehre war für die Lutheraner so wichtig, dass sie diese in der Augsburger Confession vom Jahre 1530 für „den höchsten und fürnembsten Artikel der ganzen christlichen Lehre“ erklärt hatten.55 Ein Angriff auf diesen zentralen Glaubenssatz musste deshalb als Kampfansage an das gesamte lutherische Lehrgebäude aufgefasst werden, zumal Witzel auf der Titelseite des Buches großspurig dem „lieben Leser“ versprochen hatte, den ganzen „Lutheranismus den Garaus zu machen.56 Der Autor unterlegte seine Schrift mit zahlreichen, hauptsächlich aus 53

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Agricola = Bauer; Phagus, fagus = Buche bezieht sich möglicherweise auf das Herkunftsland Witzels, Buchonia; dies ist eine alte Bezeichnung des Gebiets der nördlichen Rhön und dem Fuldaer Becken, heute etwa identisch mit Osthessen. Pro Defensione Bonorum Operum Adversus Novos Evangelistas, Leipzig 1532. DÖLLINGER, Die Reformation II, S. 6. Pro defensione Bonorum Operum, Titelseite: „Hoc libello invenies prostratum Lutheranissimum, amice lector.“

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dem Neuen Testament stammenden Zitaten, in der Hoffnung, die Lutheraner mit ihren eigenen Waffen, nämlich den Rückgriff auf die Heilige Schrift, schlagen zu können. In immer neuen Wendungen versuchte der Verfasser die Notwendigkeit der guten Werke zu belegen. Deren angebliche Verachtung durch die lutherischen misergi, also Werkhasser, hätten zu Unmoral geführt, behauptete er und untermauerte seine These mit angeblichen Untaten und Sünden seiner Gegner. Polemisch nennt er die Lutheraner immer wieder eine secta, verzerrt das evangelici in cacangelici und apostrophiert sie als Pseudoapostel. Interessant ist nicht Witzels Schrift selbst, die mit ihren kruden Vereinfachungen und Verzerrungen der lutherischen Gnadentheologie dem heute so geschätzten Theologen Witzel kaum zur Ehre gereicht, sondern die der Publikation dieser Schrift folgende Kontroverse. In diese wurde Crotus nämlich hineingezogen, da Witzel seinem Freund, dem außerordentlichen Doctor Crotus Rubianus das Werk widmete.57 Bei einer flüchtigen Lektüre des Neuen Testaments, so schreibt Witzel in der Dedikation, sei er auf einige Stellen gestoßen, die die Notwendigkeit guter Werke für das ewige Heil betonten. Crotus solle das, was gut an der Schrift sei, gutheißen. Vor den Bissen der Werkhasser (misergi) werde er, Witzel durch das Prestige und den Schutz des Crotus sicher sein. Nötigenfalls wolle er aber auch selbst seine Zähne gegen die Sykophanten und Narren (morisophi) aus Eifer für die katholische und rechtgläubige Wahrheit richten.58 Jedoch nicht nur durch diese Widmung, sondern auch durch Witzels spätere kuriose Behauptung, Crotus habe an dem Werk nicht nur mitgewirkt, sondern es weitgehend selbst geschrieben, wurde dieser in die der Publikation folgende Polemik ungewollt verwickelt. Zur Entstehungsgeschichte dieses Buches verbreitete Witzel nämlich mehrere sich widersprechende Versionen, von denen aber nur eine wahr sein konnte. In allen spielte Crotus eine Rolle. Die erste Version findet sich in einem Brief an Crotus vom 7. Oktober 1531.59 Es ist Witzels Begleitschreiben zu dem von ihm verfassten Manuskript 57

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Wodurch es für den Crotus-Biografen interessant wird: „Eximio viro Doctori Croto Rvbiano Theologo, Domino et amico suo S [salutem dat].“ Widmung der Pro defensione: „Noui Testamenti codicem hoc autumno obiter percurrens (ut saepe per annum a Catholicis fieri debet) pauca enotaui, quibus Christianae uitae necessitas defenditur contra eos, qui  illam mentiuntur. Vetus instrumentum syluulae huic plurimum addet, si cui libeat mecum partiri operas. Caeterum hic non quaevis loca de operibus: colligere decretum fuit, nec operum exempla, quorum copia immensa est, sed ea modo, quae opera manifesta poscunt, et uti necessaria ad uitam aeternam ab iis, qui crediderunt Deo. Praecellentia operum alias uberrime tractabo. Tu pro tua pietate hoc quicquid est boni consules. A morsibus Misergorum istorum tuo patrocinio tutus ero. Sin minus, exacuam et dentes meos in Syncophantas et morosophos, Zelo catholicae atque orthodoxae ueritatis. Vale. Agricola Phagus.“ Epistolae, Liber Secundus, Bl. S1b-S2 (7. Oktober 1531).

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(libellus), das er seinem Freund, dem Kämpfer für die rechtgläubige und alte Theologie60 mit der Bitte sendet, es in Leipzig veröffentlichen zu lassen. Er überlasse es dem Crotus, den Text redaktionell zu bearbeiten, das heißt, er, Crotus, könne etwas zufügen oder weglassen, da ihm erstens eine große Bibliothek zur Verfügung stünde, und er zweitens neben seiner Frömmigkeit über schriftstellerisches Talent verfüge. Seinen Verfassernamen wolle er, Witzel, aber nicht nennen, einmal um nicht übermäßig ehrgeizig zu scheinen, zum anderen aber auch, damit die Lutheraner nicht so laut schreien, dass der Überläufer so schnell nach seiner Rückkehr zum Katholizismus in den konfessionellen Kampf ziehe. Die Schrift solle daher unter dem Pseudonym Agricola Phagus publiziert werden.61 Nachdem die Defensio bonorum operum im Frühjahr 1532 in Leipzig erschienen war, meldete Witzel am 21. Mai Crotus, dass er ein Exemplar aus Leipzig erhalten habe.62 Zu der Freude über das Erscheinen des Buches habe sich aber Enttäuschung über die schlechte Qualität des Druckes gesellt. Es wimmele nur so von Druckfehlern. Verantwortlich dafür machte er zum einen seinen jungen Schreiber (puer notarius), der das Exemplar nach Witzels Handschrift nachlässig abgeschrieben habe. Zum anderen fürchte er aber auch, fügte er sarkastisch hinzu, dass der Drucker blind sei. Trotz dieser Mängel sollte das Buch aber, so seine Hoffnung, die Wahrheit der alten Kirche, die er mit Schweiß und Blut gemäß seinen Fähigkeiten verteidige, verkündigen.63 Über Crotus’ etwaige redaktionelle Eingriffe, um die er ihn in dem Brief vom 7. Oktober 1531 gebeten hatte, verliert Witzel kein Wort. Wie erwartet löste das Buch mit seinen Angriffen auf eine der zentralen Glaubenssätze der Lutheraner bei diesen einen Sturm der Entrüstung aus. An 60

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Epistolae, Liber Secundus, Bl. S1b: „Viro quippe orthodoxo et priscae Theologiae propugnatori.“ Epistolae, Liber Secundus, Bl. S1b: „Si e re fore putas, addito adimitoque. Hortor vero te ad calamum. … Tibi librorum copia suppetit, nec desunt tuae pietatis quaevis dotes. … Nolim vero nomen meum affigi, partim ne uidear ambitiosulus, partim ne Lutherani quiritentur transfugam Vuicelium praepropere prodire in campum. Verum ne sine nomine prorsus exeat, titulum habeat, Agricolae Fagi. Nam id nominis fictitij, verum nomen quodammodo tegit.“ Epistolae, Liber Secundus, Bl. V1v: „Libellus pro defensione bonorum operum heri mihi primum e Lipsia allatum.“ Epistolae, Liber Secundus, Bl. V1b: „Hunc [libellum pro defensione] ut alacer accepi, ita indignabundus posui. Bone IESU, quam depravate excusum est salubre opusculum. Nulla est fere pagina, quae mendo careat. Multae etiam multis scatent. Quid acciderit, haud scio. Deuoluo culpam magna ex parte in puerum meum notarium, qui exemplar a meo archetypo descripserat. Nonnunquam subuereor, caecutijt ipse quoque Typographus. Sed utcunque euenit, alea illa iacta est. Libellus is quantum libet futurae laudis expers, nuncius esto in foribus iam iam adesse et pulsare ueritatem antiquioris ecclesiae, quam ego et sudore et cruore meo defendere mea dote surrexi.“

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deren Spitze setzte sich ausgerechnet Witzels alter Bundesgenosse Justus Jonas, der 1519 als Reformer im erasmischen Sinne in die Geschichte der Erfurter Universität eingegangen (vgl. Kap. VIII), jetzt, fünfzehn Jahre später, zum leidenschaftlichen Lutheraner geworden war. Aufgeschreckt durch die heftigen Anfeindungen seitens der Lutheraner, behauptete Witzel noch im gleichen Jahr in einem Brief an Jonas, Crotus und nicht er habe das Werk veröffentlicht. Daher komme der ganze Verdruss.64 Ein Jahr später, in seiner 1533 erschienenen Confutatio calumniosissimae responsionis Ivsti Ionae 65 (Widerlegung der höchst böswilligen Antwort des Justus Jonas) verbreitete Witzel eine dritte, weit ausführlichere Entstehungsgeschichte des Werkes, die in wesentlichen Punkten nicht nur von der im Brief vom 7. Oktober 1531 geschilderten abwich, sondern dieser sogar widersprach. Dort hieß es nämlich: Er sei von einem Bekannten gedrängt worden (permovente familiari), ein Buch über die guten Werke zu schreiben, wofür er sich aus dem Neuen Testament Stellen notiert habe, in denen deren Notwendigkeit dargelegt werde.66 Beim Exzerpieren sei ihm oft die Galle übergelaufen, da er daran dachte, wie gottlos und schamlos die Doktoren der anderen Partei, also die lutherischen Theologen, von so glasklaren und naheliegenden Aussagen der Heiligen Schrift wegen ihrer eigenen dogmatischen Überzeugung abzuweichen sich nicht scheuten.67 Aus diesem Grunde habe er den einzelnen Zitaten aus der Bibel ermahnende Kommentare hinzugefügt. Damit habe er auch diesem vorher erwähnten Freund einen Gefallen erweisen wollen. Von diesem habe er nämlich gewusst, dass die mit einzelnen, eilig und ungeordnet zusammengestellten Ermahnungen kommentierten Stellen angenehmer seien als wenn sie quasi nackt und für sich allein stünden.68 Er gebe zu, dass er an einigen

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Witzel schrieb den Brief an Jonas im Herbst 1532 aus Erfurt und veröffentlichte ihn aber erst 1537 in seinen Epistolae, Liber Quartus, (Bl. C2b): „Scriptam mihi lucubratiunculam de bonis operibus, euulgavit Ioan. Crotus Theologiae doctor. Hinc illae lachrymae.“ Confutatio calumniosissimae responsionis Ivst Ionae. Ich benutze die 1549 in Köln bei Johannes Quentel erschienene, paginierte Ausgabe. Confutatio, S. 8: „Scripsi, permouvente familiari libellum de Bonis operibus … Ille autem qui permouuit, videbatur mihi nequaquam irreligiose petere, vt enotarem certos locos e literis noui Testamenti, quibus euinceretur necessitas bonorum operum Christiani hominis.“ Confutatio, S. 8 f.: „Inter enotandum concitauit mihi saepe bilem rei indignitas, quum nimirum recolerem, quam impie impudenterque doctores partiarii a tam clarissimis atque expositissimis scripturae dictis ob priuatum dogma dissentire non vererentur.“ Confutatio, S. 9: „Quapropter non potui me cohibere, quin singuli fere dicta singulis interpolarem monitiunculis qualibuscunque, volens in hoc gratificare amico efflagitatori, cui ea sciebam acceptiora fore, huiusmodi additionibus tumulturarijs amicta quam prorsus nuda.“

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Stellen dieser Kommentare kränkender gewesen sei als es seinem Naturell entsprochen habe.69 Diese unverdauten und unbearbeiteten Rhapsodien 70 habe er nun seinem jungen Sekretär zum Abschreiben gegeben, ohne zu ahnen, dass sie je veröffentlicht würden. In der Heimat, also in Vacha, sei ihm eingefallen, dass er jene auf Zetteln verstreute Zitatensammlung zusammen mit einem Brief an Crotus geschickt habe71 – er bezieht sich auf den Brief vom 7. Oktober 1531 – , damit dieser selbst entscheide, ob sie herausgegeben und gedruckt werden sollte. Nach drei Monaten, während er sich nicht weiter um die Angelegenheit gekümmert habe, habe er nun aber gehört, dass Crotus sich über das Manuskript sehr gefreut und es zum öffentlichen Nutzen herausgegeben habe. Nicht lange danach habe er die Ausgabe erhalten. In zweierlei Beziehung sei sie aber sehr unerfreulich gewesen, einmal, weil sie so viel Druckfehler enthalten habe, zum anderen aber, weil sie durch sarkastische und spöttische Bemerkungen des Crotus gegen die Lutheraner vermehrt worden sei. Dieser habe schneller als es sein guter Name erlaube, das Werk herausgegeben.72 Witzel distanziert sich also in mehrfacher Hinsicht von dem Werk, indem er das, was er in dem Brief vom 7. Oktober 1531 als „libellus“ dem Crotus sandte, jetzt als eine unbearbeitete Materialsammlung (syllogen) verharmloste, die dann erst durch Crotus zu dem aggressiven, antilutherischen Werk gemacht worden sei. Damit widerspricht Witzel aber seiner eigenen früheren Darstellung. indem er jetzt behauptete, Crotus habe die unbearbeitete Materialsammlung praktisch ohne sein Wissen ediert und mit provokativen Kommentaren versehen. Davon war aber, wie wir sahen, in dem Brief vom Mai, in dem er den Empfang des Buches bestätigte, keineswegs die Rede. Lediglich der Drucker war wegen seiner unprofessionellen Arbeit gerügt worden. Witzels Vorwurf, die lutherkritischen 69 70

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Confutatio, S. 9: „Iam accidit, vt alicubi fuerim asperior quam meam decebat indolem.“ Confutatio, S. 9: „… rhapsodias indigestas rudesve.“ Dass es sich bei dem Werk um etwas Unfertiges handelte, machte er gleich bei der Schilderung der Entstehungsgeschichte klar. Dort heißt es: „Scripsi, imo abortui verius. Quod vel me tacente, res ipsa haud dissimulanter indicat.“ Confutatio, S. 9 f.: „Ceterum rhapsodias indigestas rudesve puero notario transscribendas tradidi, minime futurum suspicatus, vt vnquam in lucem ederentur. In patria nescio quodmodo in mentem venit, vt aliquando scribens doctori Joanni Croto, viro non aspernandae eruditionis syllogen illam locorum forte in schedis praehensam, vna cum literis ad eum emisi, vt ipso arbitro, aut premeretur aut ederetur.“ Confutatio, S. 10: „Tribus exactis mensibus, dum ego ocioso animo ea de re sum, venit ad aures Crotum delectatum libello et in commoda publica emissurum. Longe post rediit ad me emissus. Rediit autem bis ingratus, sive esset meniossime excusus, sive … cum foenore, hoc est, quam esset auctus non usque adeo ad rem pertinentibus dicteriis cuis … quidvis citiusmodi quam sui nominis celebratio adduxit ad emittendum.“

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polemischen Stellen gingen auf Crotus’ Konto, wäre also gegenstandslos. Wie weit Crotus überhaupt von dem Recht einer eigenen Bearbeitung Gebrauch gemacht hat, lässt sich nicht mehr feststellen, da das Originalmanuskript Witzels nicht mehr existiert. Dass Crotus aber irgendwelche Veränderung an dessen Manuskript vorgenommen hat, ist höchst zweifelhaft. Witzel wollte sich lediglich das Ansehen, das sein Freund immer noch in einigen Kreisen genoss, zu Nutze machen. Darauf deutete auch der Satz in der Widmung hin, dass er, Witzel sich unter den Schutz des Crotus begebe. Alles weist darauf hin, dass Crotus aus Gefälligkeit gegenüber seinem jüngeren Freund das Manuskript so, wie er es erhalten hatte, unverändert an den Drucker weitergegeben hatte. An seiner Version, dass Crotus hauptverantwortlich für Pro defensione bonorum operum gewesen sei, hielt Witzel aber auch später fest. Der hessische Pfarrer Balthasar Raidt, der 1533 eine Schrift gegen Witzel schrieb (siehe unten), äußerte sich nämlich zu Crotus’ angeblicher Mitwirkung an Witzels umstrittenen Werk über die Notwendigkeit der guten Werke: [Witzel] hat zu Vach mit auffgerichten fingern einen eid gethan/das der obgemelte schmehe vnd schandwort etliche und ein grosser teil/ von einem groben hochgelerten / an [ohne] sein wissen vnd willen jnn sein buchlin gesetzt sind worden/ ehe es inn die drückerey geschickt sey worden. Ob es ware sey odder nicht/las ich den verantworten/ der es sol gethan haben. Wo es aber war were/ so were es ein schön gros bubenstück/ und wenn er [Crotus] noch ein mal ein doctor were / vnd eines grossen Fursten rad. Ich halt auch/ wenn es die Papistischen herrn erfaren würden / und auff im finden/ sie sollen jn nicht grossen lohn vnd dank da für schencken.73

Raidt lässt also die mögliche Zusammenarbeit Witzels mit Crotus an dessen Defensio bonorum operum offen, äußert aber seine Zweifel daran, wenn er zu bedenken gibt, falls Crotus wirklich daran mitgewirkt haben sollte, wäre es gerade für einen so gelehrten, als Rat des Mainzer Erzbischof wirkenden Kleriker ein gros bubenstück. Witzels Verteidigung in der ein Jahr später erschienenen Confutatio, die einmal den anonymen Freund, der ihn gedrängt habe, das Werk zu verfassen, zum anderem aber Crotus, der das Werk angeblich mit zahlreichen provozierenden Kommentaren versehen habe, verantwortlich macht, ist ein durchsichtiger Versuch, die Verantwortung auf andere abzuwälzen. Es ist kein Wunder, dass die Gegner der Erklärung diese mit größter Skepsis betrachteten. Möglicherweise erklären die negativen Erfahrungen, die Crotus mit Witzel in dieser Angelegenheit gemacht hatte auch sein Zögern oder sogar seine Weigerung, sich publizistisch in die Auseinandersetzungen seines Freundes hineinziehen zu lassen. Im Übrigen zeigt diese frühe Kontroverse, wenn sie so verlaufen ist, wie ich sie zu

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Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi, Bl. Diij f.

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rekonstruieren versucht habe, den heutzutage als Vermittlungstheologen und Ireniker geschätzten Witzel nicht von seiner besten Seite.

3.2 Justus Jonas’ Contra Tres Pagellas Crotus’ unfreiwillige Verwicklung in die Jonas-Witzel-Kontroverse hörte aber mit Witzels Behauptung der angeblichen Beteiligung des Crotus nicht auf. Witzel hatte zwar seine Schrift über die Guten Werke unter dem Pseudonym Agricola Phagus veröffentlicht, gleichzeitig aber versprochen, dass er, falls sich Gegner meldeten, mit offenem Visier kämpfen wolle. 74 Das Pseudonym war schnell gelüftet und um das Fehlen wütender Gegner brauchte sich der streitbare Theologe fortan keine Gedanken machen. In den folgenden Monaten und Jahren meldeten sich Justus Jonas, der lutherische Theologe Balthasar Raidt, Luther selbst und ein unter einem Pseudonym schreibender lutherischer Pastor aus Hessen zu Wort. Da Witzels Schrift sich nicht nur auf eine theologische Diskussion des Kerndogmas der Lutheraner, der Gnadenfrömmigkeit versus der Leistungsfrömmigkeit, beschränkte, sondern auch heftige Polemik gegen diese enthielt und sogar den auf der Titelseite ausgesprochenen Anspruch, den Lutheranismus mit diesem Buche niederstrecken zu wollen, fiel die Reaktion der lutherischen Seite entsprechend heftig aus. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, diesen sich über Jahre hinziehenden Disput im Einzelnen darzustellen. Das bedürfte einer gesonderten Arbeit. Uns kommt es lediglich darauf an, das Bild des Crotus, wie es sich in den lutherischen und katholischen Schriften abzeichnete, zu skizzieren. Bereits im Spätherbst 1532, also sechs Monate nach dem Erscheinen von Witzels Werk, veröffentlichte Justus Jonas seine Schrift Contra Tres Pagellas Agricole Phagi Georgii Witzel bei Georg Rhae in Wittenberg.75 In der Widmung an den Fürsten Georg von Anhalt schrieb Jonas, dass beide, also Witzel und Crotus, sich nicht so sehr um den Frieden sorgten, dass sie keine wirklichen Theologen seien und sich nur mit diesem Namen brüsteten. Es sei nichts Neues, dass diese Schmeichler und müßigen Bäuche die Ruhe in Staat und Kirche störten und aus Kleinigkeiten große Tragödien zimmerten.76 Justus Jonas’ Contra Tres

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In dem Brief vom 7. Oktober: „Si antagonista surrexerit, agam aperto Marte.“ Epistolae, Liber Secundus, Bl. S1b. Contra Tres Pagellas Agri. Phagi Georgii Vuitzel I. Ionae Responsio. Der Widmungsbrief ist abgedruckt in KAWERAU, Der Briefwechsel des Justus Jonas, S. 186 f., Nr. 226. „… Crotum Rubeanum, qui nunc agit in aula R(everen)dissimi archiepiscopi et card(inalis) Moguntini. Non bene consulunt paci et tranquillitati ecclesiae Crotus, Wiselius [sic] est similis, qui cum serio non afficiantur studiis theologicis, nomen

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Pagellas ist ein wütendes Pamphlet, hatte Witzel doch nicht nur gewagt, die für Luther zentrale Rechtfertigungslehre in Frage zu stellen, sondern auch Luther selbst und die Lutheraner heftig angegriffen. Über den verleumderischen Charakter der Schrift seines Kontrahenten äußerte sich Witzel in einem späteren Werk: Kurz, wenn dieses Buch dieser unglaublichen Schmähungen eine Kloake ist, wenn die unverschämten Lügen keine Jauchengrube sind, … nenn mir ein anderes. Wenn diejenigen, die die Kunst des Schmähens lernen wollen, auch die Greifen77 des Diffamierens, werden sie anderswo nichts besseres finden.78 Außer einem Lehrbuch für die Kunst des Schmähens könnten die von Jonas gegen Witzel geschleuderten Verleumdungen und Beleidigungen in der Tat den soliden Grundstock eines Synonymlexikons für Schimpfwörter bilden, wie eine kleine Auswahl von Ausdrücken, mit denen Jonas Witzel bedenkt, zeigt: hochmütig (superbus), arroganter Verächter (arrogantissimus contemptor), wütend (furiosus), blinder Egoist (coecus admirator tui ipsi), höchst unruhig (prodigiose inqietus), eigensinnig (morosus), rücksichtslos (praefractus), dumm (stultus), starrsinnig (pertinax), töricht (ineptus), bäuerlich (agrestis), verlorener Liebhaber deiner eigenen fanatischen Meinungen (perditus amator tuarum phanaticorum opinionum), total wahnsinnig und frech (amentissimus et audacissimus), Heuchler (hypocrita), blöder und fetter Esel (stupidus et crassus asinus), elender Schwätzer (miser nugator), von teuflichem Hass entbrannt (sathanico odio inflammatus), lügnerisch (mendax), und ein fanatischer Mensch (homo phanaticus). Außerdem spielt Jonas mit Witzels Namen, indem er ihn Mustela [Wiesel] Wiselius nennt79 und ihm jegliche Gelehrsamkeit und theologische Kenntnisse abspricht, wenn er ihn immer wieder als „discretus baccalaureus“, als bloßen Bakkalaureus bezeichnet80 – das war ja tatsächlich der höchste akademische Grad, den Witzel erhalten hatte. Zudem sei Witzels „Machwerk“ nur eine Anhäufung von verstümmelten Zitaten.81 Seinen besonderen Spott reserviert aber Jonas für den auf der Titelseite unter dem Wappen des Druckers angeführten

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tamen theologicum apud imperitos confidenter et audacter ostentant et salutarem doctrinam sanosque doctores in aulis principum odiose traducunt.“ Der Greif galt als Symbol für einen scharfblickenden Seher. Confutatio calvmniosissimae responsionis IVsti Ionae per Georgium Vucelium. Ich benutze das bei Quentell in Köln erschienene Exemplar aus dem Jahre 1549, S. 13: „Breviter, si ille libellus conuiciorum immanium latrina, si impudentissimorum iocorum lerna non est, da alium. Si qui volent addiscere non solum maledicendi artificium, verum etiam diffamandi gryphas, non aliunde melius petent.“ Als solchen hatte er ihn bereits in seiner Vorrede an den Fürsten Georg von Anhalt bezeichnet. Vgl. KAWERAU, Der Briefwechsel des Justus Jonas, S. 187. Tatsächlich hatte Witzel sein zum Magister führendes Studium in Wittenberg auf Drängen seines Vaters abgebrochen. „Farrago ridiculi et ineptissimi scripti“ (S. 39), „aphorismi contruncati“ (S. 33), „ridiculi centones“ (S. 54).

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Leitspruch, mit seinem Buch dem Lutheranismus den Garaus zu machen.82 Mit beißendem Spott verhöhnt er den so berühmten Zerstörer und Bezwinger des Luthertums (tam praeclarus eversor et expugnator Lutheranismi). In dem Widmungsschreiben an den Fürsten von Anhalt hatte Jonas Witzel und Crotus als Friedenstörer in Staat und Kirche bezeichnet. Beide hätten sich nur aus opportunistischen und rein materiellen Gründen (wegen des Bauchs) der alten Kirche zugewandt. 83 In dem Text selbst ergibt sich ein wesentlich differenzierteres und in wichtigen Punkten positiveres Bild des Crotus. Darin wird dieser nämlich als ein gescheiter, pfiffiger und vor allem ironischer Mann bezeichnet.84 Wenn dieser nun, wie Witzel behauptet hatte, das Buch über die Guten Werke tatsächlich verfasst und sogar den Spruch über die Niederschlagung des Luthertums hinzugefügt hätte, hätte der Leser sofort gewusst, dass er zum Narren gehalten wurde. Ernst gemeint hätte er das sicherlich nicht.85 Denn Crotus sei gebildeter und in menschlichen Angelegenheiten erfahrener als Witzel, sodass er das absurde Motto, eigenhändig die lutherische Bewegung besiegen zu wollen, eine Bewegung, die bisher nicht von den Mächtigen dieser Welt bezwungen worden sei, nie hätte verfassen können.86 Aber noch aus einem anderen Grunde traute Jonas Crotus die Verfasserschaft des Werkes nicht zu. Es widerspräche nämlich völlig seiner Natur, sich an einer solchen Schrift, die doch in ihrer Undankbarkeit einem Vatermord gleiche, zu beteiligen. 87 Er, Jonas, glaube dagegen, dass Witzel Crotus wohl glücklich gemacht habe, indem er diesem alten Spötter einen ergiebigen Fundus an witzigem Material zur Verfügung gestellt habe.88 Er wisse auch, dass Crotus

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Hoc libello invenies prostratum/Lutheranissimum, amice lector. Also: In diesem Buch wirst du, lieber Leser, den Lutheranismus hingestreckt finden. KAWERAU, Der Briefwechsel des Justus Jonas, S. 187, Nr. 226: „Neque nunc novum est, quod eiusmodi adulatores et ociosi ventres ocium turbaverunt in rep.et ecclesia, atque ex levibus initiis maiores excitarint tragoedias.“ Contra Tres Pagellas, Bl. B5v: „Croto Rubeano, homini cato et supra … ironico.“ Contra Tres Pagellas, Bl. B5v: „Is si [Crotus] emisit libellum tuum et addidit Titulum, lector iam ne ignores, prostratus est Lutheranismus, nihil dubites te rideri atque intus … ludos esse factum ipsi Croto.“ Contra Tres Pagellas, Bl. C: „… mihi crede, prae te eruditior et rerum humanarum etiam peritior est Crotus, quam ut facile credat Lutheranismum hactenus contra potentatus mundi inuictum a discreto Baccalaureo GEORGIO VVitzelio … everti aut prosterni posse.“ Contra Tres Pagellas, Bl. C3v: „… et qualis est Crotus nunc, certe adhuc prae te virum meliorem esse puto, quam ut illam tuam erga Lutherum paricidii similem ingratitudinem probare possit.“ Contra Tres Pagellas, Bl. B5v: „Sin autem … ipse addisti tam magnificos et splendidos titulos … iterum beasti Crotum, cui tam uberem materiam risus iocique subministraveris.“

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dessen lächerliches Buch (libellus tuus ille ridiculus) zwar im Beisein Witzels überschwänglich lobe, hinter dessen Rücken aber verspotte.89 Falls aber der große Ironiker die Defensio bonorum operum tatsächlich geschrieben haben sollte, wie Witzel behaupte, so gebe es dafür nur eine Erklärung, nämlich, Crotus habe sich einen Scherz erlaubt. Justus Jonas argumentiert also ähnlich wie Justus Menius, der in seinem Brief an Crotus behauptet hatte, dieser verstelle sich nur und sei im Grunde der alte Ironiker geblieben, der den gegenwärtigen Papst Clemens im vertraulichen Gesprächen nur Papst Demens nenne.90 Bedenkt man, dass Crotus auch von der lutherischen Lehre abgefallen war und sich der alten Kirche zugewandt hatte und in dem Brief von Justus Menus im Juli 1532 scharf getadelt worden war und von Luther in seinen Tischgesprächen schon gelegentlich als des Kardinals zu Mentz Tellerlecker geschmäht worden war, so fällt das Urteil des Justus Jonas über Crotus in seinen Contra Tres Pagellas sehr milde aus. Mit der heftigen Antwort des Justus Jonas hatte Witzel offenbar nicht gerechnet. In einem Brief an Crotus vom 24. November 1532, also wenige Wochen nach der Publikation der Schrift des Jonas, reagierte er gereizt auf dessen polemische Schrift. Womit habe er diese Behandlung verdient? Kein Jude, kein Sarazene, kein Hochverräter, kein Pilatus, kein Nero, kein Herostatos,91 überhaupt kein Mensch dürfe so behandelt werden. Die Schrift des Jonas sei kein Buch, sondern eine Schlange, nicht mit der Feder, sondern mit dem Schwert geschrieben.92 Gleichzeitig kündigt er an, an einer Widerlegung zu arbeiten: Es sind zwei Dinge, die mir Mut machen sollen: Meine Gewissheit, im Besitz der göttlichen Wahrheit zu sein, und das Bewusstsein, moralisch im Recht zu sein. Einer harten Stirn werde ich eine noch härtere entgegensetzen. Ich werde der Fels gegen diese Schoßhündchen sein. 93 Enttäuscht zeigte sich Witzel aber, dass Crotus gerade jetzt in diesen kritischen Zeiten schweige. Er fragt ihn, ob er denn nicht Jonas gelesen habe,

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Contra Tres Pagellas, Bl. B6: „Libellus tuus ille ridiculus, quem, sat scio, et laudare coram te magnifice et ridere te absente … novit Crotus.“ BÖCKING II, S. 463: „Ego nova quaedam accepi ex curia Romana ex ipsa camera Clementis VII, quem tu, ut audio, clauculum apud tuos symmistas Dementem VII vocare soles.“ Herostatos war berühmt-berüchtigt, weil er den Artemis-Tempel in Ephesos in Brand gesteckt haben soll. Epistolae, Liber Secundus (24. November 1532), Bl. Y2: „Nullus Judaeus, nullus Sarracenus, nullus Pilatus, nullus Nero, nullus Erostratus, nullus parricida, nullus denique mortalium bipedum meretur ad eum modum tractari. … Non est liber, sed coluber: non responsio, sed infamatio, gladio non calamo exarata.“ Epistolae, Liber Secundus (Brief vom 24. November 1532), Bl. Y2b: „Sunt duo, quae mihi addant animos: nempe ueritatis diuinae certitudo et uirtutis conscientia. … Opponam fronti durae duriorem et ero silex contra melitaeos istos catulos.“

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den er selbst für einen Tyrannen und nicht für eine Taube halte.94 Er wiederholte also seine Aufforderung, in die Kampfarena steigen, um den Eindruck zu vermeiden, er stimme mit den Gegnern überein. Er solle etwas für die Katholiken wagen und den blassen Aussatz der Sekte aufdecken95 – eine Bitte, die er einen Monat später wiederholte. Er solle nämlich dem Werk des Jonas, das schon in tausenden von Exemplaren kursiere und bereits den Rhein überschritten habe, etwas entgegensetzen. Aber Crotus schwieg, und auch andere katholische Schriftsteller eilten nicht zur Verteidigung des Neu-Katholiken (oder Wieder-Katholiken) Witzel. Stattdessen meldete sich nun ein ehemaliger Kollege Witzels, der bereits erwähnte evangelische Pfarrer Balthasar Raidt aus Hersfeld und ehemalige Freund aus Fuldaer Tagen (vgl. Kap. IX) mit seiner gegen Witzel gerichteten Schrift Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi zu Wort. Mit dieser Anfang 1533 erschienenen Schrift Raidts96 wurde der Streit, der bisher in der Gelehrtensprache der Zeit, dem Latein, geführt worden war, in die Volkssprache getragen.97

3.3 Balthasar Raidts Schrift Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi Wie Witzel hatte Raidt in Erfurt studiert und dort 1513 den „baccalaureus artium“ erworben.98 Danach war er zunächst Schulmeister in Nordhausen gewesen und dann, etwa 1517, nach Rom gegangen, wo er in dem Spital Sanct Johannis, vnd in Sanct Johans Kirchen Lateranen … fast ein jare ein Beichtvater gewest. 99 Unter dem mächtigen Einfluss Luthers hatte er sich aber von einem reichen herrlichen römischen Curthisan vnd Papistischen pfaff, einem ablasskremer mit vielen lehen und beneficien zu einem, wie Witzel spöttelte, 150prozentigen Lutheraner – homo prodigiose Lutheranus gewandelt. 100 Von 1525 bis 1551 war er evangelischer Pfarrer in Hersfeld.101 94 95

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Taube heißt auf Hebräisch „Jona“. Epistolae, Liber Secundus (14. November 1532), Bl. Y2b: „Par erat, ut tu quoque nunc in harenam descenderes, ne puteris colludere. Aude igitur aliquid Catholico viro, qui Lutheranus erat, dignum et retege albam Sectae lepram.“ Andere Schreibweisen des Namens: Raidius, Reith, Rhaide, Raidt, Reyt, Reyth. Dazu HÜTTEROTH, Die althessischen Pfarrer der Reformationszeit, S. 269. Erschienen bei Nickel Scherlintz in Wittenberg. Drucke verzeichnet in WA 38, S. 83 f. Über Raidt vgl. Kap. IX. WEISSENBORN II, S. 268; SCHWINGES/WRIEDT, Das Bakkalarenregister, S. 304, Nr. 5 Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi, Bl. C2b. Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi, Bl. Bij: „denn du hast mir den namen geben/ich sey homo prodigiose Lutheranus“. Witzel hatte das in einem Brief vom 12. Dezember 1531 gesagt: Epistolae, Bl. Niijv. HÜTTENROTH, Die althessischen Pfarrer der Reformationszeit, S. 269.

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Sein unumstrittener Held war und blieb Martin Luther. 102 Schon aus diesem Grunde mussten ihn die Angriffe auf Luther und dessen Anhänger tief treffen, sodass er gleich am Anfang bekennt, er habe Witzels Büchlein mit vielen trenen vnd hertze leiden gelesen.103 Um seiner Schrift größeres Gewicht zu verleihen, stellte Raidt Vorworte zweiter prominenter Lutheraner voran, eines von Justus Jonas, das andere von Martin Luther selbst.104 Luthers Vorrede ist keine sachliche Auseinandersetzung mit Witzels Argumenten, sondern eine heftige Polemik. Nur zögernd habe er sich bereit erklärt, schreibt Luther, gegen Witzel, einen unverschampt maul und hertz und einen leichtfertigen buben, zu schreiben, da ein altes deutsches Sprichwort sage: Ein offenbarliche lugen ist keiner antwurt werd.105 Seine größte Polemik reservierte der Reformator aber nicht für Witzel, den er wohl nicht einmal für einen würdigen Gegner hält, sondern für Crotus, des Cardinals zu Mentz, Tellerlecker, Dotter Kroete, eine Schmähung Luthers, an der der große Reformator offenbar so viel Gefallen fand, dass er sie in seinen Tischgesprächen häufig wiederholte. Auch dieser habe seiner gifft viel jnn dis büchlin gespeiet. Luther unterstellt Crotus, dass er aus Angst, von der Tellerleckerei zu Halle verstossen zu werden, sich für die antilutherische Schrift zur Verfügung gestellt habe. Als Motiv für Crotus’ Abkehr vom Luthertum nennt der Reformator also ausschließlich materielle Gründe oder in der plastischen Sprache Luthers: Aber doch ist solch exempel [der Abfall des Crotus] gut zur warnung, das man dran lerne, wie gar ein schendlicher schelm der Bauch ist, der umb teller leckens willen solche schelcke und buben macht. … Hier stehen sie fein gemalet, die faulen schelmen, die sich mit erbeit nicht wollen meeren, sondern mit heucheln, liegen [Lügen] und affterreden bey der reichin Tissch ir genesch [Naschwerk] suchen.106 Ja, Luther geht soweit, Crotus und andere Rückkehrer zum alten Glauben mit Prostituierten und deren Zuhälter zu vergleichen.107 Über die Notwendigkeit der guten Werke im Heilsprozess 102

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Beispiele: „mein lieber herr vnd vater jnn Christo“, „der selige Gottes man“, „mein lieber vater jn Christo Jhesu/D.Martinus Luther“, „mein lieber Luther“, um nur einige Beispiele zu nennen. Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi, Bl. B. Luthers Vorrede abgedruckt in: WA 38, S. 84 f. WA 38, S. 84. WA 38, S. 85. WA 38, S. 85: „Und heisst es ein leben, da sie mit sunden sich meeren, gleich wie die unzüchtigen weiber und der gemeinen frawen wirte sich neeren mit sunden.“ Dazu KAMPSCHULTE, Commentatio de Ioanne Croto Rubiani, S. 21: „Qua praefatione haud scio an acriorem et virulentiorem ullam unquam Lutherus scripserat. Neque enim solum usitatam illam de simulatore dissimulatoreque perfido et omnis religionis contemtore cantilenam canit, sed contumelisissime Crotum vexat atque ita, ut etiam ex trivio, ut dicitur, maledicta arripiat coniiciatque in celebratum quondam amicum.“

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äußert sich Luther nur kurz. Wenn sie [„die Papisten“] gute Taten meinen, so dächten sie nicht die zehn Gebote, sondern die Werke, die Crotus in seinem Buch [gemeint ist dessen Apologia] aufgezählt habe: vom weywasser, vom geweiten saltz, von der hültzerntauben am psingstag, vom planen Esel, von wachs leichten, von drehen wachs kurzhin welche man S. Annen auff stecket etc. Wer Crotus kenne, müsse nun lachen, denn dieser sei früher der selbigen kindischen ceremonien ertzspötter vnd auff die art der spötterey höchster meister gewest vnd im hertzen noch ist.108 Luther nimmt also das Argument des Justus Menius und Justus Jonas auf, wonach Crotus noch der Alte sei und nun sich nur aus opportunistischen Gründen verstelle. Im Übrigen wünsche er, Luther, dass Bischoff und Fürsten solchen eseln schreibern einmal das auffhören geböten, weil diese Schreiber, das Feuer, das sich in letzter Zeit (gemeint ist der Nürnberger Religionsfrieden vom 23. Juli 1532) 109 etwas beruhigt habe, anbliesen. Er selbst rate deshalb zum Frieden. Vielleicht hätte der Reformator seine Mahnung, das Feuer nicht unnötig weiter zu schüren, auch an seinen engsten Mitarbeiter Justus Jonas richten sollen; denn dieser griff mit der gleichen Vehemenz wie in seinem Pamphlet Contra Tres Pagellas seine Gegner an, aber anders als Luther konzentrierte er sich auf Witzel. Das Nötige wider solche heillose, vngelerte wescher vnd lose leichtfertige, vnbestendige heuchler habe Luther bereits in seinem Vorwort und er in seinem eigenen lateinischen Büchlein, dem Contra Tres Pagellas, gesagt. Trotzdem sei er gebeten worden, ein Vorwort beizusteuern. Wie Luther machte Jonas ausschließlich materielle Motive für die Haltung Witzels und Crotus’ verantwortlich: Sie dienen nicht Christo, sondern jrem bauch, wie sanct Paulus von solchen heuchlern sagt: Wenn der versorget were, fragten sie nicht viel dar nach, wo evangelium, kirche oder Gottes worte bliebe. Sie wagen es warlich viel vor Gott, verleugnen auch und bekennen, sagen ja vnd neyn bei den papisten, wie vnd offt mans haben wil, vmb des bauchs willen.110 Verglichen mit den wütenden, giftschäumenden Tiraden Luthers und des Justus Jonas nimmt sich jedoch Raidts Schrift selbst relativ sachlich aus.111 Zwar nennt er Witzel auch etwas spöttisch unter Anspielung auf dessen Anspruch, den Lutheranismus niederstrecken zu wollen Ey du schöner prostrator Luthera-

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WA 38, S. 85. Der Nürnberger Religionsfrieden vom 23. Juli 1532, schon von den Zeitgenossen „Nürnberger Anstand“ genannt, war ein Friedensschluss zwischen Protestanten und Kaiser Karl V., in dem eine gegenseitige Rechts- und Friedensgarantie für die gegenwärtigen konfessionellen Besitzstände vereinbart wurde. Damit wurde praktisch das Wormser Edikt von 1521 aufgehoben. Die Verfolgung der Protestanten wurde eingestellt und die Reformation konnte sich ungehindert ausbreiten. KAWERAU, Der Briefwechsel des Justus Jonas, S. 189. Widder das lester und lügen büchlin Agricole Phagi.

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nismi112 und würde ihn einen vnverschampten lugner vnd buben113 und einen verechter, lesterer, schender Gottes und Jhesu Christi seines Sohnes vnd der heiligen Apostolischen Christlichen Kirche nennen, wenn er die Lehre Luthers verwerfe. Weitgehend enthält Raidt sich aber, im Gegensatz zu Jonas und Luther, aller ad hominem Argumente. Vielleicht, so versucht er Witzel zu entschuldigen, richteten sich dessen Angriffe gegen die falschen Lutherischen Rotten/secten und Schwermer, gegen die Luther selbst wettere.114 Aber im Großen und Ganzen ist er tief besorgt, dass Witzel Anhänger finde, und versucht durch Argumente und nicht durch Polemik diesen zur Einsicht zu bewegen. Die lutherische Position versucht er sachlich zusammenzufassen: Der Hadder ist nicht darumb, ob man gute Werke tun sol oder nicht/ darin sind wir uns doch einig. Sondern wir sagen das sman auff der menschen thun und lassen nicht vertrawen sol, sondern allein auf Gottes Verheißung.115

3.4 Ludus Sylvani Hessi in defectionem Georgii Vucelii ad Papistas116 Spielte sich bis dahin die Kontroverse auf der Ebene der Polemiken ab, so kam mit dem 1534 in Wittenberg erschienenen Ludus Sylvani Hessi etwas anderes hinzu. Verfasser war ein gewisser Sylvanus Hessus, ein Pseudonym, hinter dem sich der lutherische Pfarrer Antonius Corvinus aus dem hessischen Witzenhausen verbarg. Dessen Identität war allerdings den Zeitgenossen, einschließlich Witzel, nicht bekannt.117 Da auch Crotus in dieser Schrift eine wichtige Rolle spielte, sei sie kurz vorgestellt. Um dem Werk des unbekannten Verfassers mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, steuerte der prominente Justus Jonas ebenfalls ein Vorwort bei. 118 Darin behauptete er, der vorliegende Dialog eines frommen und gelehrten Mannes sei ihm zugetragen worden. Gleichzeitig verteidigt Jonas seine Angriffe auf Witzel, diesen Menschen, falls man jemanden, dem alle Menschlichkeit fehlt, überhaupt einen 112 113 114

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Widder das lester und lügen büchlin Agricole Phagi, Bl. C2. Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi, Bl. B3v. Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi, Bl. C. Fünf Jahre später verteidigte Raidt sogar Witzel gegen ungerechte Vorwürfe, er habe mit den aufständischen Bauern und den Wiedertäufern sympathisiert. Vgl. FRANZ, Ein Gutachten über Georg Witzel, S. 159. Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi, Bl. Dv. Schirlentz. Wittenberg, 1534. (VD 16 C 5410) Eine Faksimile-Ausgabe mit einem Nachwort gab Otto Clemen 1921 in Leipzig heraus (Flugschriften der Reformationszeit in Faksimiledrucken, Bd. 1, Nr. 3). Das Pseudonym lüftete zum ersten Mal CLEMEN in einem Aufsatz: „Georg Witzel und Justus Jonas“, in: ARG 47 (1920) und später im Nachwort seiner Faksimile-Ausgabe des Ludus. Ludus, Bl. A2-A4: Ad lectorem Ivstvs Jonas.

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Menschen nennen könne. 119 Als Motiv für Witzels Handeln identifizierte Jonas nicht ausschließlich materielle Gründe, wie Luther es getan hatte, sondern Ehrgeiz, Hass und Neid.120 Diese hätten ihn zu seinem Entschluss geführt, vom Luthertum zur katholischen Kirche zurückzukehren. Über Crotus äußerte sich Jonas in diesem Vorwort erstaunlicherweise nicht, obwohl dieser in dem Dialog eine bedeutende Rolle spielt. Der Ludus selbst ist ein fingiertes Dramolett, in dessen Verlauf neben Witzel dessen Frau, der Leipziger Drucker Nicolaus Faber, der katholische Theologe Johannes Cochlaeus und – für unsere Untersuchung wichtig – auch Crotus Rubianus auftreten. Corvinus verlegt das 1534 erschienene Stück zurück in das Jahr 1531, in eine Zeit also, als Witzel gerade im Begriffe stand, sich vom Luthertum ab- und der katholischen Kirche zuzuwenden. Zu diesem Zeitpunkt hatte er noch nicht die die ganze Kontroverse auslösende Schrift über die „Guten Werke“ geschrieben. Mit seinem Ludus Sylvani Hessi in defectionem Georgii Vucelii griff Corvinus auf ein literarisches Genre zurück, das bereits sowohl in den Auseinandersetzungen zwischen Humanismus und Scholastik (Dunkelmännerbriefe) als auch in der Reformationspolemik eine wichtige Rolle spielte, die mimische Satire. Wie schon Jonas in seiner Vorrede angedeutet hatte, lässt der Verfasser Witzel mit seinen angeblich eigenen Worten (recte et suis quibus coloribus) sprechen und sich dadurch in seiner angeblichen Eitelkeit entlarven. Das „sehr gewandt geschriebene und von boshaftem Witz geradezu sprühende kleine Drama“121 lässt sich in insgesamt sechs Szenen gliedern: Monolog Witzels, Dialog Witzels mit seiner Frau, Auftritt des Crotus, das Erscheinen des katholischen Theologen Johannes Cochlaeus, die Beichte Witzels und der Schluss mit Witzel, Cochlaeus und Crotus. In drei dieser Szenen tritt Crotus auf. Gleich zu Beginn seines Monologs verkündet Witzel, er möchte berühmter als alle Wittenberger werden. Da sich aber bisher seine Arbeit für die lutherische Sache nicht ausgezahlt habe und er noch vom Ruhm Melanchthons, Bugenhagens und Jonas’ überschattet werde, wolle er lieber sterben als unbekannt bleiben. Um das Verhältnis zu seiner Frau geht es in der zweiten Szene. Als Priester, der in der katholischen Hierarchie Karriere machen will, müsse er sie entweder loswerden oder sie als seine Konkubine halten. Frau Witzel entpuppt sich in dem Dialog als eine exzellent Latein sprechende, in der antiken Mythologie bewanderte und selbstbewusste Frau. In der dritten Szene (Bl. C4-F3a) tritt zum

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Ludus, Bl. A2: „Non enim privato aliquo odio hunc hominem, ni modo dici potest, qui omnem humanitatem exuit.“ Ludus, Bl. A3: „Dicam uno verbo propriam, veram et propinquam caussam: ambitio, odium et invidia in hanc impietatem praecipitaverunt.“ CLEMEN, Nachwort zur Faksimile-Ausgabe, S. 7.

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ersten Mal Crotus auf, der sich gerade in Leipzig bei seinem Drucker Nikolaus Faber aufhält. Er wird als der Besonnenere dargestellt, als jemand, der sich ungern in den kirchlichen Streit einmischen wolle, da er Jurist und nicht Theologe sei,122 Crotus erinnert seinen Freund daran, dass der Name eines Überläufers (transfuga) bei allen Völkern verhasst gewesen sei.123 Und dass zum Beispiel die Römer Fahnenflüchtige als Verräter den wilden Tieren zum Fraße vorwarfen. Wenn er sich mit den Lutheranern anlege, stoße er im Übrigen in ein Hornissennest. Das habe die Behandlung des Erasmus durch die Lutheraner gezeigt.124 Bei dem Stichwort Erasmus bemerkt Witzel, was Bildung, Energie und Temperament angehe, könne er es leicht mit dem Holländer aufnehmen. Darüber kann Crotus freilich nur heimlich lachen. Im Folgenden verrät Witzel ihm seine Strategie. Er wolle nicht über die Heirat von Priestern oder den Ablasshandel schreiben, beides Themen, über die es bei den Katholiken durchaus verschiedene Meinungen gab, sondern über die Guten Werke. Mit diesem Thema könne er die Lutheraner überwältigen. Später nach dem zu erwartenden Sieg über die Lutheraner, werde er stolz verkünden können: veni, vidi, vici. In der vierten Szene tritt der katholische Theologe Cochlaeus auf. Hier kommt zu Corvinus’ Bemühen, Witzel durch seine angeblich eigenen Worte bloßzustellen, hinzu, dass er ihn durch sein szenisches Handeln charakterisiert. Als der bekannte katholische Theologe auftritt, wirft sich der ansonsten so selbstbewusst auftretende Witzel demütig vor dessen Füße. Erst Crotus muss den etwas verwunderten Cochlaeus darüber informieren, der Witzel noch als Lutheraner, also als „Ketzer“, kannte, dass Witzel jetzt zum Katholizismus übergetreten sei. Darauf besteht Cochlaeus darauf, ihm eine Generalbeichte abzunehmen. Nach dem Ende dieser Beichte taucht Crotus wieder auf. Während Cochlaeus dem frisch konvertierten Witzel nun üppige Benefizien verspricht, ist sich dieser sicher, dass er bald durch seinen Ruhm Luther, Melanchthon, Bugenhagen und Jonas überschatten werde. Als er aber zum Schluss noch Crotus bittet, sich für ihn beim Mainzer Erbischof Albrecht zu verwenden, murmelt dieser: Als ob er dieser nicht genügend Hofnarren hätte, worauf Witzel sagt: Was murmelst Du da? Crotus: Ich sagte, du bist der Freundschaft eines so großen Fürsten würdig.125 Nichts zeigt schlagartiger als dieser kurze Wortwechsel, wie Crotus als vorsichtig, ab122

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Was natürlich nicht stimmte, denn Crotus hatte einen Doktor in Theologie, nicht in Jura gemacht. Ludus, Bl. D: „Neque enim meum est, quom, non Theologiam sed iuris prudentiam profitear, de controversiis Ecclesiasticis ferre sentenciam.“ Merkwürdig, da er ja selbst ein „transfuga“ ist. Ludus, Bl. D3: „Aut magnum illum Roterodamum ut tractarint huius rei gratia, num tibi in mentem venit.“ Ludus, Bl. F2b: „VVicelius: Tu me, Crote, Mogontino Episcopio insinuabis. CROTUS: Fiet. Quas vero is in sua dicione huiusmodi morionum non plus satis habeat. VVICELIUS: Quid mussas? CROTUS: Dicebam tanti Principis amiciia plane te dignum esse.“

REAKTION WITZELS

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wägend und nachdenklich gezeigt wird, der weiß, dass sein Freund sich keine Illusionen über seine Karriere in der katholischen Hierarchie machen sollte. Als Crotus sich mit den Worten verabschiedet: Leb wohl, aber dem Papsttum gegenüber bin ich genauso abgeneigt wie dem Luthertum, wie es sich für einen Juristen gebührt, hält Witzel dagegen: Ich werde Einfluss haben, aber ich werde immer der Feind der Lutheraner sein.126 Die Bilder, die der Ludus von Witzel und Crotus zeichnen, konnten unterschiedlicher nicht sein: Witzel wird als eingebildet, egozentrisch, seine eigenen Fähigkeiten weit überschätzender, ruhm- und karrieresüchtiger Mann geschildert, während Crotus als besonnen, vorsichtig, aber auch als etwas doppelzüngig dargestellt wird. Das Bild also, das Jonas, Raidt und der damals unbekannte Verfasser des Ludus, Antonius Corvinus, von Crotus zeichneten, entspricht keineswegs der wütenden Darstellung Luthers, der mit seinem Ausdruck von des Kardinals Tellerlecker, Dr. Kröte, nachhaltig und für Jahrhunderte das Bild von Crotus geprägt hat. Corvinus sandte die Schrift an Melanchthon. Dieser schrieb ihm zurück: Ich habe deinen Dialog gelesen und er gefällt mir. Aber Crotus muss man schonen. Obwohl er [in deinem Spiel] nicht kränkend behandelt wird, habe ich Interesse daran, warum ich nicht möchte, dass er heftiger gereizt werde.127

4.

Reaktion Witzels

REAKTION WITZELS Am 18. Oktober 1534 schrieb Witzel an einen Freund, er habe das sinnlose Geschwätz eines gewissen Celius [sic] Sylvanus noch nicht gelesen, geschweige denn gesehen. Er behalte sich aber vor, auf das dem Ludus vorangehende Vorwort des Jonas zu antworten.128 Als er die Satire dann doch gelesen hatte, schlug er mit einer Schrift Contra scurrilem Ludum Syl. Hessi zurück.129 Wie der Name des Verfassers fingiert sei, so seien auch in dem Buch die schlimmsten Lügen erdacht. Mit dessen Pseudonym spielend, schlug er vor, den Autor in den hessischen Wäldern (in sylvis Hessiae) an einer Eiche aufzuknüpfen.130 Einen Gegen-Ludus zu schreiben, lehne er ab,                                                              126

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Ludus, Bl. F3 f.: „Valebo, sed a Papismo perinde atque a Lutherismo, id quod iurisperitum decet, alienus. Witzel: Valebo, sed perpetuus Lutheranorum hostis.“ CR II, S. 621, No. 1084. „Dialogum legi et placet. Sed Croto parcendum est; etsi non tractatur aspere, tamen habeo causam cur eum magis irritari nolim.“ Epistolae, Liber Quartus, Bl. R4: „Futilissima blateramenta Celii istius Syluanij Hessi non legi, imo ne eminus uidi. Forte respondebo prologo Jonae, quem ludo illi praetexisse dicitur.“ Epistolae, Liber Quartus, Bl. a3-b3. Epistolae, Liber Quartus, Bl. a3r: „… dignior nimirum, qui in Syluis Hessiae de quercu pendeat.“

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schließlich beschäftige er sich mit Theologie und nicht mit Narralogie.131 Aber wenn jemand an seiner Meinung interessiert sei, so wolle er mit drei Worten antworten: Abenteuerliche Lügen und grausame Verleumdungen hat dieser schlechte Mensch gegen mich publiziert.132 Im Übrigen habe er sich in oberer Angelegenheit am meisten gefreut, würdig befunden zu sein, für den Namen Gottes und dessen Heiligtum, die alte Kirche, verspottet und angespuckt zu werden.133 Unberührt von den Verleumdungen seiner Gegner setzte Witzel seine Verteidigung fort.134 Von Crotus Rubianus ist in diesen Schriften der Hauptkontrahenten, Witzel und Justus Jonas, nicht mehr die Rede, weshalb sie uns auch hier nicht zu interessieren brauchen. Für eine Zeit, für die es (außer den Briefen des Crotus an Herzog Albrecht) kaum Zeugnisse für Crotus Rubianus gibt, nämlich die Jahre 1531-1535, sind die Briefe Georg Witzels an seinen Freund eine wichtige Quelle. Trotz ihrer einseitigen Überlieferung bestätigen sie das Bild, das wir durch andere Dokumente schon hatten. Sowohl Crotus als auch Witzel kamen vom Humanismus erasmischer Prägung, beide waren zeitweilig überzeugte Lutheraner, beide blieben aber letztlich in der alten Kirche, obwohl sie Reformen für notwendig hielten. Witzel aber, fast zwanzig Jahre jünger als Crotus, war tatendurstig, streitlustig und engagiert. Crotus dagegen ängstlich, friedfertig, zu vernünftigen Kompromissen bereit.

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Epistolae, Liber Quartus, Bl. b3: „Verum rogabit aliquis, uti respondeam ludo: Faciam id alio ludo? Non me decet, qui Theologiae, non Morologiae operam do.“ Epistolae, Liber Quartus, Bl. b3: „Sed exigis improbe ut respondeam. Faciam hoc tribus verbis: Portentosa mendacia et inhumanas diffamationes scripsit et aeditit in me vir malus.“ Epistolae, Liber Quartus, Bl. b2v: „Quo in negocio maximopere gaudendum erat mihi, ut dignus habear, pro nomine DEI et sanctuarii eius, ueteris Ecclesiae, illudi ac conspui.“ Im Jahre 1534 wandte sich Jonas nochmals in einer diesmal auf deutsch geschriebenen Schrift an die Öffentlichkeit, um seine Angriffe gegen Witzel zu wiederholen und die lutherische Position zu verteidigen: Wilch die rechte Kirche, Vnd dagegen wilch die falsche Kirch ist: Christlich antwurt vnd tröstliche vnterricht Widder das Pharisaiisch gewesch Georgij Witzels (Wittenberg, Rhaw). Wieder diffamiert er Witzel als vnmentsch, lügenmaul, groben Esel, elenden Bacchanten, leichtfertigen wescher, elenden gauch, gotteslesterlichen verachter vnd schmeher des bluts Christi, Judas, seelmörder, heuchler. In immer neuen Varianten wiederholt er die längst von Balthasar Raidt widerlegten Anschuldigungen, Witzel pflege Verbindungen zu Campanus, Jakob Strauss und Thomas Müntzer. Über Crotus verliert er kein Wort.

XIV. CROTUS’ LETZTE JAHRE CROTUS’ LETZTE JAHRE

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Weitere Entwicklung in Halle

WEITERE ENTWICKLUNG IN HALLE Die Weigerung des Crotus Rubianus, sich nach der Veröffentlichung seiner Apologia schriftstellerisch für die katholische Seite zu engagieren, hing vielleicht auch damit zusammen, dass sich im Verlauf der dreißiger Jahre die Haltung des Erzbischofs Albrecht gegenüber der lutherischen Bewegung in Halle wesentlich verhärtete. Das auf Konfrontationsvermeidung eingestellte Naturell des Crotus konnte unmöglich die seit etwa 1533 von Albrecht ergriffenen Maßnahmen gutheißen. Denn von diesem Jahre an stellte der Erzbischof den Besuch fremder „Winkel-und Sektenprediger“ in den benachbarten Städten unter Strafe,1 die Bücherzensur wurde eingeführt und Spazierengehen während des sonntäglichen katholischen Gottesdienstes streng verboten. Ein Jahr später wurden siebzehn rechtmäßig gewählte lutherische Ratsherren samt ihren Familien aus der Stadt verbannt, weil sie sich geweigert hatten, an der nach altgläubigem Ritus zelebrierten Osterkommunion teilzunehmen. Ihr Hab und Gut wurde beschlagnahmt und erst sieben Jahre später nach der Einführung der Reformation in Halle restituiert. Petitionen zu ihren Gunsten stießen auf taube Ohren.2 Ebenfalls im Jahre 1533 schloss sich Albrecht mit seinem Bruder, dem katholischen Kurfürsten Joachim I. von Brandenburg, mit dem Herzog Georg von Sachsen, den Herzogen Erich von Braunschweig-Calenberg und Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel zum sogenannten Hallischen Bund zusammen. Dessen Hauptziel war die Bekämpfung der immer mehr sich ausbreitenden lutherischen Lehre.3 Die Erbitterung unter den Lutheranern nahm zu. Ein weiteres Ereignis kostete den Erzbischof unter den Bürgern Halles erhebliche Sympathien: die Gefangennahme und Hinrichtung seines einstigen Günstlings Hans von Schönitz. 4 Dieser Hallische Großkaufmann hatte sich nicht nur als Finanzberater, sondern auch als Baurat in der Zeit intensivster Bautätigkeit in Halle dem Erzbischof unentbehrlich gemacht und sich dabei wohl in bedenkliche Finanzoperationen verstrickt. Obwohl vieles auch heute noch im Dunkeln bleibt und die Frage, ob er sich tatsächlich der Veruntreuung 1 2 3 4

DELIUS, Die Reformationsgeschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 52. Kurze Zusammenfassung der Ereignisse in WA 50, S. 386-431. HERTZBERG, Geschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 92. Vgl. dazu. HERTZBERG, Geschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 103-122.

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erzbischöflicher Gelder schuldig gemacht hat, wie er unter der Folter zugab, unbeantwortet bleibt, wurde er nach kurzem Prozess am 21. Juni 1535 auf Burg Giebichstein hingerichtet, sein Vermögen wurde eingezogen. Mit seinem Tode endete aber keineswegs die Angelegenheit. In den folgenden Jahren betrieb Anton von Schönitz energisch die Rehabilitierung seines Bruders und die Restituierung von dessen Vermögen. In Martin Luther fand er einen wortgewaltigen Verbündeten, wohl auch weil Schönitz als heimlicher Lutheraner gegolten hatte. In drei offenen, zwischen 1535 und 1539 verfassten Briefen bezeichnete der Reformator den Erzbischof als den hellischen Cardinal. Ich verdamme den Cardinal nicht, schelte in auch nicht einen Mörder, Bluthund, Wütrich, Reuber und Dieb, sondern der hohe Richter droben thut’s,5 meinte der Mann, der noch Jahre vorher über Albrecht gesagt hatte, Ich dachte furwar, Er wer ein Engel. Als der Dichter Simon Lemnius im Jahre 1538 ein Bändchen seiner Gedichte in Wittenberg veröffentlichte, entflammte Luther in Zorn, nicht nur weil Lemnius einige prominente Wittenberger darin wenig respektvoll dargestellt hatte, sondern weil der Dichter den Band Albrecht als Gönner der Humanisten gewidmet und denselben in überschwänglichen Tönen gepriesen hatte. Luther empfahl das Schmach- und Lügenbuch zu verbrennen.6 Den Erzbischof nannte er wenig später einen schendlichen Scheispfaffen.7 Zweifellos haben einerseits die Angriffe Luthers und andererseits die harten Maßnahmen Albrechts gegen die Lutheraner in seinen Gebieten zu des Erzbischofs zunehmender Unbeliebtheit beigetragen. Dazu kam, dass 1539 im Herzogtum Sachsen, das bis zu diesem Zeitpunkt unter Georg katholisch geblieben war, die Reformation eingeführt wurde. Entscheidend für die weitere Entwicklung wurden dann aber des Erzbischofs enorme Schulden, die er im Laufe der Zeit auf Grund seiner verschwenderischen Hofhaltung, seiner vielfältigen Bautätigkeit, seiner enormen Ausgaben für Reliquien und letztlich auch wegen seines großzügigen Mäzenatentums angehäuft hatte. Auf der Versammlung der Landstände der Stifte Magdeburg und Halberstadt in Kalbe an der Saale (Dezember 1540-Februar 1541) bat Albrecht diese, seine Schulden zu übernehmen. Die Landstände stimmten unter der Bedingung zu, dass Albrecht das Stift in Halle auflöse. Der Erzbischof hatte keine andere Wahl, dieser Auflage zuzustimmen. Im Februar 1541 kam der Erzbischof nach Halle, um den Stiftsherren

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WA 50, S. 402. WA 50, S. 348. WA 50, S. 351. Vgl. dazu: MUNDT, Lemnius und Luther, Bd. 2, S. 1-155. Lemnius rächte sich, indem er ein Jahr später seine Monachopornomachia veröffentlichte, eine unflätige Satire auf das Eheleben von Luther, Spalatin, Justus Jonas und anderen bekannten Wittenbergern.

CROTUS’ LETZTE JAHRE IN HALLE

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seinen Entschluss mitzuteilen. Die Personen des Stifts wurden mit einer einmaligen Zahlung abgefunden.8 Mindestens im protestantischen Deutschland sollte sich unter der übermächtigen Stimme Luthers das Bild Albrechts verdunkeln. Lange Zeit stand er „für das Rückständige, Verbrauchte, moralisch Fragwürdige. Von Ablasshandel und Prunksucht, von Machtgier und Opportunismus gezeichnet, galt er als Repräsentant eines verkommenen, verweltlichten Kirchenwesens, eines den großen Aufgaben der Zeit nicht gewachsenen Fürstenstandes.“9 Aus ganz anderen Gründen übten katholische Historiker Kritik: Sie beklagten seine Gutmütigkeit und seine mangelnde Entschlossenheit im Kampf gegen die rasche Ausbreitung des Luthertums in seinen Territorien. Um diesen Eindruck zu widerlegen, glaubten einzelne katholische Historiker, Albrecht als „standfesten Verteidiger des katholischen Glaubens“ darstellen zu müssen. 10 Im Zeitalter der Ökumene bemüht man sich, von dem moralisierend wertenden Urteilen wegzukommen und den Blick auf seine unermüdlichen diplomatischen Vermittlungsversuche zu lenken. Außerdem spielt seine Rolle als Förderer der Künste, der Literatur und Wissenschaft zunehmend eine Rolle in der Forschung.11

2.

Crotus’ letzte Jahre in Halle

CROTUS’ LETZTE JAHRE IN HALLE Wie Crotus die strengeren Maßnahmen, die dem von ihm so sorgfältig gezeichneten Bilde des milden, um Ausgleich bemühten Erzbischofs widersprachen, beurteilt hat, wissen wir nicht. Nach der Veröffentlichung seiner Apologia äußerte er sich nie wieder öffentlich zu Albrecht. Den mehrfach geäußerten Bitten Georg Witzels, etwas zu veröffentlichen, kam er, wie wir sahen, nicht nach. Schwieg er also? Vielleicht doch nicht ganz, wenn man zwei zeitgenössischen Quellen trauen darf. Die erste ist ein Brief seines alten Freundes aus Preußen, Dr. Wilde. Dieser schrieb nämlich am 24. April 1532 aus Leipzig an den preußischen Herzog Albrecht, er, Wilde, sei anlässlich einer Hochzeit nach Halle zu Crotus gereist. Bei dieser Gelegenheit habe dieser ihm ein Manuskript gezeigt, das er gegen die Wittenberger geschrieben habe. Auf Anraten des Erzbischofs

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HERTZBERG, Geschichte der Stadt Halle an der Saale, S. 145-149; DELIUS, Die Reformation der Stadt Halle, S. 66-69; REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 338-341. WINTERHAGER, Ich dachte fur war, er were ein Engel, S. 131. Zum Beispiel Gredy in seiner Studie „Kardinal-Erzbischof Albrecht II. von Brandenburg“. Gredys erklärte Absicht war es, Albrecht als „feststehend in seinem katholischen Glauben und als steter Gegner der Empörung gegen die althergebrachte kirchliche und staatliche Ordnung“ darzustellen (S. IV). Vgl. WINTERHAGER, Ich dachte fur war, er were ein Engel, S. 131.

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CROTUS’ LETZTE JAHRE

habe er es aber, solange der Reichstag [gemeint ist der Reichstag zu Regensburg] tage, nicht zum Druck gegeben. Das habe gute Gründe. Das Werk selbst sei aber höchst amüsant. Man könne kaum drei Zeilen lesen, schreibt Wilde, ohne laut lachen zu müssen. Crotus verspotte darin Justus [Jonas] und Philipp [Melanchthon], und zwar ihr Leben, ihre Art und Weise und andere äußerliche Dinge, aber nicht deren Theologie.12 Das Bild des sorgfältig die Stundengebete einhaltenden, den Weihrauchkessel schwenkenden Kanonikers, der die Füße seines Herrn küsst, das Menius gezeichnet hatte, traf wohl doch nicht ganz zu. Das Manuskript der crotischen Satire ist verschollen. Dass es aber existierte, darf nach dem Zeugnis von Wilde kaum bezweifelt werden. Hatten Justus Menius und Justus Jonas doch recht, als sie in Crotus immer noch den alten Ironiker sahen? Bemerkenswert ist aber, dass sich Crotus auf die Lebensweise der prominenten Wittenberger Reformatoren konzentriert haben soll, nicht auf deren Theologie. Die zweite überlieferte Episode beleuchtet die andere Seite seiner Persönlichkeit, Crotus als geachteter Theologe. Als nämlich der unermüdliche Verteidiger des katholischen Glaubens, Johannes Cochlaeus, im Jahre 1532 Halle besuchte, traf er auch Crotus und dessen Kollegen im Stift, Philipp Novenianus.13 Dort fragte Cochlaeus die beiden Kanoniker, ob sie schon etwas gegen die von Philipp Melanchthon im Vorjahr verfasste Apologia Confessionis Augustana, in deren Mittelpunkt die lutherische Rechtfertigungslehre stand, geschrieben hätten.14 Novenianus habe das bejaht. Vertraulich habe er dann auch Dr. Crotus, dessen Stil er besonders schätze, um einen Beitrag gebeten. Inzwischen, so 12

13

14

Zitiert bei FORSTREUTER, Vom Ordensstaat zum Fürstentum, S. 145: „Doctor Crotus ist den jarmarckt nit hie [in Leipzig] gewest, aber vor acht tagen bon ich zcu Hall bey im gewest auff einer hochzceit, darauf ich gebetten. Daselbig hat er mir gewissen, vaz er wider die Wirttenberger [sic; muss wohl Wittenberger heißen] geschrieben hat auff ir buchlein. Ich habs gelssn geschriben, dan es ist noch nit gedruckt. Es hat auch der churfurst von Maincz nit haben wollen, wie mir Crotus seinen Brieff wiess, darinnen solchs verfast, daz ers drucken liess vor aussgang des iczigen reichstag zcu Regenspurgk, unnd hat des gute bedechtige ursach unnd acht darfur, daz es nun wil gar verbleiben wirt. Aber es ist als ein lecherlichs [komisch] als ich mein tag gelesst hab. Es kann einer kaum 3 zceil lessen, er muss ser lachen. Er dast dar innen an Jonam und Philippum, aber es wirdt darinnen nichtes in der heiligen geschrifft gehandelt, sonder verlacht nur ir leben, weiss, geber [Gebaren, Verhalten] und andere eusserlich ding.“ Wildes Brief ist nicht in Tschackerts Urkundenbuch aufgeführt. Derselbe Novenianus, der zu Crotus’ Apologia ein Gedicht beigesteuert hatte (vgl. Kap. XII). Melanchthon nannte sie eine „disputatio brevis“, eine angesichts der 300 Druckseiten umfassenden Schrift etwas kühne Bezeichnung. Man fragt sich, wie viele Seiten eine„disputatio longa“ umfasst hätte. Die Apologia wurde 1537 auf dem Schmalkaldischen Konvent zur offiziellen Bekenntnisschrift der Protestanten erklärt.

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teilt Cochlaeus seinem Korrespondenten mit, habe Crotus ihm mitgeteilt, auch er habe etwas gegen Melanchthons Schrift geschrieben, er selbst, also Cochlaeus, habe es aber noch nicht gesehen.15 Das lässt zwei Interpretationen zu: Entweder hat Crotus ihm tatsächlich erzählt, dass auch er etwas gegen Melanchthons Apologia verfasst, es aber noch nicht veröffentlicht habe, oder er behauptete lediglich gegenüber Cochlaeus, dass er etwas verfasst habe, ohne das tatsächlich getan zu haben. Auf alle Fälle ist nichts erhalten, wenn es denn je existiert hat. Außer den Briefen Georg Witzels an Crotus, den Erwähnungen in der Witzel-Jonas Kontroverse und dem Cochlaeus-Brief gibt es nur noch wenige dürftige Nachrichten über Crotus’ letzte Lebensjahre. In dem „Summarischen Bericht“, einer handschriftlichen Chronik aus dieser Zeit, wird Folgendes berichtet: Bei einem Besuch des Kölner Erzbischofs im Oktober 1536 habe dieser seinem Kollegen Albrecht einen Narren geschenkt, der selbie narr whar ein gutther latinus und thette dem Crotto und dem prediger auss dem stiffte und andere gelertten uber dissche, wen sie assen zw hoffe, viel tampfs mit disputiren und vorachtung ohrer [ihrer] thumereyen und pfaffereyen.16 Eine zweite in dieser Quelle berichtete Episode spielte im Februar 1538. Diesmal erzählt der Chronist, dass Albrecht, als er zu Zerbst mit dem sächsischen Kurfürsten verhandelte, an den Propst geschrieben habe, dass die Sache für ihn günstig stehe. Auf diese Nachricht muste es Crottus und der prediger im stifft, Gregor Ockell, Querhamer und Peter Krause [drei katholische Ratsherren] wissen, und als sie diesen Brief mit großer Freude gelesen hatten, sangen sie heimlich ein Tedeum und tranken darauf 3 Stobichen [Kannen] guten Rheinwein.17 Die Notizen in dem Summarischen Bericht sind wenig aussagekräftig. Mehr als ein Lebenszeichen von Crotus stellen sie nicht dar.

3.

Crotus’ Bild bei zeitgenössischen Lutheranern und Katholiken

CROTUS’ BILD BEI ZEITGENÖSSISCHEN LUTHERANERN UND KATHOLIKEN Das böse Wort Luthers, der Crotus als des Kardinals Tellerlecker diffamiert hatte, das noch bis in die Gegenwart in fast jedem Handbuch zitiert wird, wurde

                                                             15

16 17

RIEDERER, Nachrichten zur Kirchen-Gelehrten- und Bücher-Geschichte, 1. Stück, S. 343. „… e Lipsia ad Hallis iui, ubi sunt duo … egregii uiri. Contuli illis, comperi contra apologiam scriptum esse a D. Michaele Veho et a quodam theologo ord. Praedicatorum. Vidi utriusque scripta, quae satis placuerint. Petii secreto a D. Croto (qui stylo quam optime ualet) ut et ipse aliquid in eam [Apologia] scrtiberet. Promisit ille secreto, interim et scripsit, se aliquid fecisse, nondum tamen uidi.“ Zitiert nach REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 62. REDLICH, Cardinal Albrecht von Brandenburg, S. 68.

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CROTUS’ LETZTE JAHRE

aufgegriffen. Der darin implizierte Vorwurf, Crotus habe aus reiner Geldsucht und um sich ein sorgenfreies Leben zu machen, die Seiten gewechselt, wurde immer wieder erhoben. So variiert der Melanchthon-Schüler Johann Stigel, der sich offenbar nicht an die von seinem Lehrer herausgegebene Devise der Schonung des Crotus gehalten hatte, das Luther-Verdikt in höchst gehässiger Weise.18 Liebe zum Geld und Begierde des Bauchs hätten Crotus ebenso motiviert wie weichliche Faulheit, entarteter Luxus und der Reichtum des Baal. Stigel geht so weit, in der drittletzten Zeile seines Gedichtes Crotus einen Verbrecher zu nennen: Quid non audet amor nummi, ventrisque voluptas? Non idem nunc est, qui fuit ante Crotus. Degeneres molles adfectans otia luxus Et sitiens auida mente Baalis opes: Legibus a veri defecit apostata Christi, Mammona sic vero praetulit ille Deo. Dum pius ergo fuit, merito, est laudatus ab illis Impius in nostro carmine crimen habet. Pro meritis omni celebratur tempore justus, Successusque breves impius omnis habet. Was vermag nicht die Liebe zum Geld, die Begierde des Bauchs? /Nicht mehr derselbe ist Crotus, der einstmals er war./ Jetzt strebt er nur nach weichlicher Faulheit, entartetem Luxus, /dürstet mit gierigem Sinn nun nach dem Reichtum des Baal, /Und, ein Verräter, verläßt er die wahren Gebote des Glaubens,/ mehr als den wahren Gott liebt er das wertlose Geld. /Als er noch fromm war, war er zu Recht von den Freunden gepriesen,/ jetzt nennt ihn unser Gedicht einen Verbrecher und schlecht. / Für alle Zeit behält der Gerechte seine Verdienste,/ und wer ein Schuft ist, der hat ganz kurze Zeit nur Erfolg.19

Crotus durfte sich vielleicht damit trösten, dass er sich in prominenter Gesellschaft befand; denn Stigel schrieb ähnliche Gedichte gegen Cochlaeus, Eck, Lemnius und Witzel. Von dessen Schriften heißt es zum Beispiel, dass sich Jonas und Melanchthon nach dem Toilettengang damit den Hintern abgewischt hätten.20 18

19

20

Geb. 1515 in Freimar bei Gotha, studierte in Wittenberg, 1541 Poeta Laureatus, starb 1562. Zitiert nach SCHÄFER, Mit den Waffen der Dichtkunst für die Reformation, in: BEYER/ WARTENBERG (Hg.), Humanismus und Wittenberger Reformation, S. 400 f. SCHÄFER, Mit den Waffen der Dichtkunst für die Reformation, S. 395: DE LIBRIS VVICELII ET Cochlaei: CVm Ionas cacat & cacat Melanchthon, Chartis tergere se Vicelianis Cochlaeique Philippicis feruntur.

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Das Bild des verhassten, abtrünnigen, auf Geld und Luxus versessenen Crotus, wie es eben geschildert wurde, wurde aber längst nicht von allen Lutheranern geteilt und bedarf einer Differenzierung. Ein Teil der ehemaligen Freunde und Bekannten nämlich, auch wenn sie Lutheraner geworden waren, wandten sich keineswegs von Crotus ab. Schon Justus Jonas hatte sich wesentlich zurückhaltender als der Reformator über den einstigen Freund geäußert und ihn als unverbesserlichen Satiriker verharmlost. Der damals unbekannte Verfasser der Flugschrift des Ludus in defectionem Georgii Vvicellii hatte ihm sogar die Rolle eines besonnenen Mahners zugewiesen. Einige Freunde aus dem ehemaligen Erfurter Humanistenkreis um Mutian und Eobanus Hessus pflegten weiterhin Kontakt zu ihm. So schrieb der Lutheraner Hessus, der sich auch sonst nicht davon abhalten ließ, weiterhin freundschaftlichen Umgang mit katholischen Freunden zu pflegen (sehr zum Ärger einiger seiner evangelischen Freunde), über Crotus im Jahre 1539 anlässlich seiner Neuausgabe seiner Bucolica: Mit diesem [Crotus] pflegte Eobanus Hessus damals und auch jetzt freundschaftlichen Umgang. 21 Als der große Philologe Joachim Camerarius, auch er Lutheraner, im Jahre 1553 in seiner Narratio de Helio Eobano Hesso ein nostalgisches Bild des Aufblühens der humanistischen Wissenschaften in den ersten zwei Dezennien des 16. Jahrhunderts unter Mutian und Eobanus Hessus zeichnete, urteilte er höchst diplomatisch über Crotus: Crotus Rubianus, ein Gelehrter, ein hervorragender Mann, aber ein schillernder Charakter, schwankend in seiner Meinung. Nachdem er das Rektorat bekleidet hatte, begab er sich zunächst nach Fulda und später nach Preußen. Von dort zurückgekehrt, verdarb er sich’s mit vielen, ich weiß nicht, warum, besser gesagt: Ich will es nicht aufschreiben, um nicht den Eindruck zu erwecken, als wollte ich einen, den ich zu seinen Lebzeiten verehrte, nach seinem Tode herabsetzen.22

Trotzdem hat sich das sehr negative Urteil Luthers jahrhundertelang durchgesetzt. Etwas anders sah das Bild bei einigen zeitgenössischen Katholiken aus. Dass Georg Witzel und Cochlaeus ihn schätzten, hatten wir schon gesehen. Wenig bekannt ist aber die Reaktion eines gewissen Henningus Pyrgallus (Feuerhahn),

                                                             21

22

„Quo [Croto] tum et nunc quoque amico familiarissime utebatur (i. e. Eobanus Hessus)“, in: Farragines I, 27. Hessus spricht hier von sich in der dritten Person. Joachim Camerarius: Narratio de Helio Eobano Hesso. Lateinisch und deutsch, S. 96 f.: „Erat Crotus, … vir doctus & egregius, sed quum ingenio vario, tum mutabili sententia. Is magistratu functus regendi Academiam, Fuldam primum concessit, & in Borussiam postea discessit. Indeque reuersus alienauit a se multorum studia, nescio qua de caussa, vel nolo potius perscribere, ne quem viuentem colui, ei mortuo obtrectare videar.“ Übersetzung von Burkhard, einem der Herausgeber.

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Dekan (1515) und später zweimal Rektor (SS 1525 und SS 1541) der Leipziger Universität. Im Jahre 1539 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel Threnostichon de iacturis S.S. religionis Christianae.23 Um zu belegen, wie viele bedeutende Theologen es in der katholischen Kirche gab und noch gebe, verfasste er ein längeres Lobgedicht,24 in dem er fast siebzig katholische Theologen aufführte. In kurzen Gedichten unterschiedlicher Länge pries er deren Verdienste. Darunter befanden sich neben prominenten Namen wie Kardinal Hieronymus Aleander, verantwortlich für die Verabschiedung des Wormser Edikts, Prieras, Feind Reuchlins und Luthers, Jakob von Hochstraten, ebenfalls Gegner Reuchlins und Luthers,25 Thomas Murner, Johann Cochlaeus, Thomas More und Cajetan auch sehr viele unbekannte, die heute nur dem Reformationshistoriker etwas sagen würden. Ziel war es, durch die Anhäufung dieser Gottesgelehrten den Katholiken, die damals in der Defensive waren, Mut zu machen. Unter den in dem Gedicht gewürdigten Namen befindet sich auch Crotus. Über ihn heißt es: Nec Crotus parvo dignus censetur honore Erratus cribrat qui et fera monstra domat Synceram suadens cunctis apprendere vitam Legibus ac patrum sub iuga colla dare. (Und auch Crotus wird nicht geringer Ehre für würdig befunden; umhergeirrt, „durchsiebt“ er und bändigt die wilden Monster, indem er alle überredet, ein aufrechtes Leben zu lernen und sich den Gesetzen und dem Joch der Väter zu unterwerfen).26

Es ist die letzte mir bekannte Erwähnung des Crotus zu seinen Lebzeiten. So wenig wir über seine Kindheits- und Jugendjahre zwischen 1480 und 1500 wissen, so wenig wissen wir über seine letzten Jahre. Nicht einmal der genaue Zeitpunkt seines Todes ist bekannt. Der Mann, dessen Epistolae obscurorum virorum einst die gesamte europäische Gelehrtenwelt erheitert hatten, der Mann, der sich als Rektor einer der größten deutschen Universitäten mutig für den verurteilten Ketzer Martin Luther eingesetzt hatte, der Mann, der dem preußischen Herzog Albrecht sechs Jahre lang in hoher Position gedient hatte, der Mann schließlich, der etwa zehn Jahre als

23

24

25

26

Mir lag nur eine spätere Ausgabe vor, in der das Gedicht angedruckt ist: Johann Albert FABRICIUS, Centifolium lutheranum, sive notitia litteraria scriptorum omnis generis de B.B. Luthero eiusque vita, Scriptis et Reformatione, Hamburg 1728. Encomium aliquot virorum illustrium, hac lugubri tempestate, Catholicas veritates asserentium. Ob sich Crotus über die Zusammenstellung mit seinen ehemaligen Erzfeinden Prieras, Aleander und Hochstraten gefreut hat, darf bezweifelt werden. FABRICIUS, Centifolium Lutheranum, S. 704, Vers 401-404.

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angesehener Kanoniker in Halle verbracht hatte, ist irgendwann zwischen 1539 und 1541 gestorben.27 Von den sechzehn auf seiner Rektoratstafel dargestellten Freunden waren 1540 bereits sieben verstorben, nämlich Forchemius (1522), Johann Reuchlin (1522), Ulrich von Hutten (1523), Peter Eberbach (1531) Mutianus Rufus (1526), Erasmus von Rotterdam (1536) und Heinrich Urbanus (1540?). Die übrigen neun wirkten alle als Pastoren, Theologen und Gelehrte im Dienst der neuen lutherischen Kirche. Für die meisten von ihnen war Crotus schon lange vorher gestorben. In den Jahrzehnten und Jahrhunderten, die den reformatorischen Auseinandersetzungen folgten, war kein Platz mehr für ihn oder für den wesentlich bedeutenderen Erasmus von Rotterdam. Von den Lutheranern gehasst, wurden dessen Schriften von den Katholiken auf den Index verbotener Bücher gesetzt. Crotus wurde einfach vergessen. „Dabei war er [Crotus] von der gebildetesten Friedensliebe, zu vernünftigen Zugeständnissen gern bereit, der Freigabe des Kelches nicht entgegegen“, stellt Serenus Zeitblom, der Erzähler in Thomas Manns Roman Doktor Faustus fest, um fortzufahren: „So geht es der Toleranz, der Kultur- und Friedensliebe zwischen den Feuern des Fanatismus.“28 Heute erinnert man sich, wenn überhaupt, nur an den Autor der Dunkelmännerbriefe. Das ist bedauerlich. Nicht nur wegen seines ironischen Witzes scheint er sehr modern zu sein. Modern scheint er aber auch durch seine Ambivalenzen. Einerseits wurde er abgestoßen von den lutherischen Unbedingtheiten und den sozialen und politischen Folgen der Reformation, andererseits gab er aber auch zu, dass sich einige katholische Riten bedenklich dem Aberglauben näherten. Über die Spitzfindigkeiten der Theologen beider Konfessionen konnte er nur lächeln.

                                                             27

28

Die Daten ergeben sich aus folgenden Überlegungen: 1539 zählen ihn sowohl Eobanus Hessus in seinen Farragines (S. 359), als auch Pyrogallus (s. o.) unter den Lebenden. Als Justus Jonas am Gründonnerstag 1541, also nur wenige Monate nach der Auflösung des Stifts als Prediger in Halle installiert wurde, erwähnt er mit keinem Worte seinen ehemaligen Freund und seit 1531 Gegner. Das lässt darauf schließen, dass Crotus nicht mehr unter den Lebenden weilte. Für die Behauptung, Crotus habe seine letzten Lebensjahre in Halberstadt als Domherr verbracht, eine Behauptung, die in Handbüchern immer wieder wiederholt wird, habe ich keine Beweise gefunden. Sie stützt sich auf einen Satz des Historikers Johann Christoph von Dreyhaupt, der in seiner 1749 erschienenen „Beschreibung des Saal-Kreyses“ (I, S. 850) schrieb: „Joannes Crotus Rubeanus, Canonicus Hallensis B. Virginis Halberstadiensis.“ Selbst wenn diese Behauptung stimmt, bedeutet das nicht, dass er in Halberstadt residierte, sondern dass er lediglich noch ein zusätzliches Kanonikat in Halberstadt hatte. Thomas MANN, Doktor Faustus, Frankfurt am Main 402017, S. 120 f.

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Im Zeitalter der Ökumene ist es vielleicht Zeit, einen neuen Blick auf den ironischen Humanisten und Theologen aus Dornheim zu werfen.

ANHANG ABKÜRZUNGEN ABKÜRZUNGEN ABKÜRZUNGEN ÜRZUNGEN

ADB

Allgemeine Deutsche Biographie, 56 Bde., 1875-1912 (Nachdruck 1967-1971).

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ALLEN, PERCY S.: Opus epistolarum Des. Erasmi, 12 Bde., Oxford 1906-1958.

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Archiv für Reformationsgeschichte. Internationale Zeitschrift zur Erforschung der Reformation und ihrer Weltwirkungen = Archive for reformation history, hg. vom Verein für Reformationsgeschichte und der Society for Reformation Research, 1906 ff.

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Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, 34 Bde., Hamm/Herzberg/Nordhausen 1990-2013.

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BÖCKING, EDUARD: Vlrici Hvtteni Eqvitis Germani Opera, quae reperiri potuerunt omnia, 5 Bde. Leipzig 1859-1861; Suppl. 1 und 2: Leipzig, 1864-1869.

CoE

Contemporaries of Erasmus. A Biographical Register of the Renaissance and Reformation, hg. von PETER G. BIETENHOLZ und THOMAS B. DEUTSCHER, 3 Bde., Toronto/Buffalo/London 1985-1987.

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Correspondenzblatt des Vereins für Geschichte der evangelischen Kirche Schlesiens, Liegnitz 1882-1928.

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Corpus Reformatorum. Halle (Saale) 1834 ff. Serie I, Philipp Melanchthon, Opera Quae Supersunt Omnia. Bde. 1-28.

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GILLERT, KARL: Der Briefwechsel des Conradus Mutianus (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete, 18), Halle 1890.

GStA Pk

Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin.

HJB

Historisches Jahrbuch. 1880 ff.

IKZ

Internationale kirchliche Zeitschrift, Bern 1893 ff.

304

ABKÜRZUNGEN

KILLY

KILLY, WALTHER (Hg): Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, 15 Bde., Gütersloh/München 1988-1993. 2. Auflage: Bearbeitet von WILHELM KÜHLMANN, 2008 ff.

KRAFFT/KRAFFT

KRAFFT, KARL/WILHELM KRAFFT (Hg.): Briefe und Dokumente aus der Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert, Eberfeld 1875.

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KRAUSE, CARL: Der Briefwechsel des Mutianus Rufus (Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde IX Supplement, N.F.), Kassel 1885.

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Lexikon für Theologie und Kirche. Freiburg 21957-1997, 10 Bde. und Registerband.

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Melanchthons Briefwechsel, bearbeitet von RICHARD WETZEL unter Mitwirkung von HELGA SCHEIBLE, Stuttgart/Bad Cannstatt 1995.

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Neue Deutsche Biographie, 25 Bde., hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1953 ff.

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Oxford Enyclopedia of the Reformation, hg. von HANS HILDEBRAND, 4 Bde., New York/Oxford 1996.

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Pirckheimer Briefwechsel, I und II, hg. von DIETER WUTTKE und HELGA SCHEIBLE, München 1940 und 1956; III, IV und V, München 1989, 1997 und 2001 von H. SCHEIBLE.

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Reuchlin, Johannes: Briefwechsel, hg. von MATTHIAS DALL’ASTA und GERALD DÖNER, 4 Bde., Stuttgart-Bad Cannstatt 1999-2013.

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Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche, 24 Bde., Gotha 1896-19l3.

ThZ

Theologische Zeitschrift, hg. von der Theologischen Fakultät Basel, 1945 ff.

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Theologische Realenzyklopädie, 36 Bde., Berlin/New York 1976-2004.

VD 16

Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des XVI. Jahrhunderts, hg. von der Bayerischen Staatsbibliothek in München in Verbindung mit der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, Stuttgart 1983-1995.

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Deutscher Humanismus 1480-1520. Verfasserlexikon, hg. von FRANZ JOSEF WORSTBROCK, 3 Bde., Berlin 2008-2015.

WA

D. Martin Luther. Weimarer Ausgabe. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883 ff:

WA Br

D. Martin Luthers Werke: Briefwechsel, Bd. 1: 1501-1520, Weimar 1930.

WA TR

D. Martin Luthers Werke: Tischreden, 6 Bde., Weimar 1912-1921.

ABKÜRZUNGEN

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ZHG

Zeitschrift für hessische Geschichte und Landeskunde, hg. vom Verein für hessische Geschichte und Landeskunde, 1837 ff.

ZKG

Zeitschrift für Kirchengeschichte. Zeitschrift der Sektion für Kirchengeschichte im Verband der Historiker Deutschlands, 1877 ff.

ABBILDUNGSNACHWEIS ABBILDUNGSNACHWEIS Abb. 1: Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Foto: Dietmar Katz. Abb. 2 u. 3: wikicommons, gemeinfrei. Abb. 4: Johannes Reuchlin: Doctor Johannsen Reuchlins der K. M. als Ertzhertzogen zu Osterreich auch Churfürsten vnd fürsten gemainen bundtrichters inn Schwaben warhafftige entschuldigung gegen vnd wider ains getaufften Juden genant Pfefferkorn vormals getruckt ußgangen unwarhaftigs schmachbüchlin Augenspiegel, Tübingen 1511, Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 P.lat. 1100. Abb. 5: Nordisk familjebok. Konversationslexikon och Realencyklopedi. 7. Egyptologi-Feinschmecker, Stockholm 1907, Sp. 716. Abb. 6: StadtA Erfurt, 1-1/10B 13-46, Bd. 2, Bl. 124r. Abb. 7: Rubianus Crotus, Apologia, Qva Respondetvr Temeritati calumniatorum, non uerentium confictis criminibus in populare odium protrahere Reuerendissimum in Christo patrem & dominum, do. Albertvm …, Leipzig 1531, Bayerische Staatsbibliothek München, Res/4 H.ref. 804,2 m. Abb. 8: Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Foto: Herbert Boswank.

VERZEICHNIS DER KORRESPONDENZ DES CROTUS RUBIANUS VERZEICHNIS DER KORRESPONDENZ DES CROTUS RUBIANUS

1. Briefe des Crotus Rubianus BRIEFE DES CROTUS RUBIANUS 1. Crotus Rubianus an Mutianus Rufus 8. März 1509 In: GILLERT Nr. 644; KRAUSE, Nr. 530. 2. Crotus Rubianus an Georg Spalatin 1510 Teilabdruck in GILLERT, II, S. 340; Autograph: Basler Universitätsbibliothek, G1,31, fol. 1. 3. Crotus Rubianus an Georg Spalatin 1510 GILLERT, II, S. 356 f.; Autograph: Basler Universitätsbibliothek, G1,31, fol. 2. 4. Crotus Rubianus an Ulrich von Hutten Februar 1511 In: BÖCKING, I, Nr. 8, S. 17-21. 5. Crotus Rubianus an Johann Hess 20. September 1512 In: Corr.Blatt, 8, S. 164-166. 6. Crotus Rubianus an Johannes Reuchlin 26. Januar 1514 In: RBW III, Nr. 233, S. 13-22. 7. Crotus Rubianus an Mutianus Rufus 11. Juni 1515 In: GILLERT Nr. 507, S. 169-172; KRAUSE, Nr. 533. 8. Crotus Rubianus an Justus Menius 21. Mai 1517 In: Libellus alter, S. K1.

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VERZEICHNIS DER KORRESPONDENZ DES CROTUS RUBIANUS

9. Crotus Rubianus an Henricus Urbanus 1518 In: Libellus alter, S. K1b-K2b. 10. Crotus Rubianus an Martin Luther 16. Oktober 1519 In: WA Br 1, Nr. 213, S. 540-545. BÖCKING I , Nr. 140, S. 307-309. 11. Crotus Rubianus an Martin Luther ca. 31. Oktober 1519 In: WA Br 1, Nr. 214, S. 545-548. BÖCKING, I, S. 309-311. 12. Crotus Rubianus an Johann Hess 5. Januar 1520 In: KRAFFT/KRAFFT, Nr. 4, S. 15. 13. Crotus Rubianus an Martin Luther 28. April 1520 In: WA Br 2, Nr. 281, S. 87-93. BÖCKING, I, Nr. 160, S. 337-341. 14. Crotus Rubianus an Johann Hess 29. April 1520 In: KRAFFT/KRAFFT, Nr. 7, S. 20 f. 15. Crotus Rubianus an Martin Luther 5. Dezember 1520 In: WA Br 3, Nr. 358, S. 226-229. 16. Crotus Rubianus an Johann Hess 31. Mai 1521 In: KRAFFT/KRAFFT, Nr. 13, S. 27-29. 17. Crotus Rubianus an Petreius (Peter Eberbach) 1. Juli 1521 In: Tertius libellus Helii Eobani Hessi, Bl. E4b-F2. 18. Crotus Rubianus an Johann Lang 9. August 1521 In: KRAUSE, Epistolae aliquot, S. 10 f. 19. Crotus Rubianus an Johann Hess 22. September 1525 In: Corr.Blatt, 8, S. 181-183.

BRIEFE DES CROTUS RUBIANUS

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20. Crotus Rubianus an Joachim Camerarius 9. März 1526 In: Tertius libellus Helii Eobani Hessi, Bl. F2-F3. 21. Crotus Rubianus an Johann Hess 11. Oktober 1526 In: Corr.Blatt, 8, S. 184 f. 22. Crotus Rubianus an Joachim Camerarius 13. Juni 1527 In: Tertius Libellus Helii Eobani Hessi, Bl. F3b-F5b. 23. Crotus Rubianus an Herzog Albrecht von Preußen 30. August 1530 In: VOIGT, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten, S. 161-165 (leicht modernisierte Rechtschreibung mit Auslassungen am Anfang und Ende). Original: GStA PK, HBA A4, Nr. 186. 24. Crotus Rubianus an Herzog Albrecht von Preußen 1. Mai 1531 In: VOIGT, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten, S. 166-168 (leicht modernisierte Rechtschreibung) Original: GStA PK, HBA, A4 K, Nr. 187. 25. Crotus Rubianus an Herzog Albrecht von Preußen 30. September 1531 In: COSACK, Speratus, S. 370-373 Zeitgenöss. Abschrift: GStA PK HA, HBA NL. 26. Crotus Rubianus an Herzog Albrecht von Preußen 23. April 1532 In: VOIGT, Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten, S. 167-170. Original in: GStA PK, HA, HBA, A4 K, Nr. 189.

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VERZEICHNIS DER KORRESPONDENZ DES CROTUS RUBIANUS

2. Briefe an Crotus Rubianus BRIEFE AN CROTUS RUBIANUS 1. Mutianus Rufus an Johann Venator (Crotus Rubianus) und Herebord von der Marthen 2. Juli 1508 In: GILLERT Nr. 70; KRAUSE, Nr. 571. 2. Eobanus Hessus an Crotus Rubianus 1514/1515 In: Epistolae familiarum … libri XII, S. VIII. 3. Mutianus Rufus an Crotus Rubianus 1508/1509 In: GILLERT Nr. 118; KRAUSE, Nr. 107. 4. Mutianus Rufus an Crotus Rubianus 17. Januar 1509 In: GILLERT Nr. 119; KRAUSE, Nr. 508. 5. Mutianus Rufus an Crotus Rubianus Juni 1513 In: GILLERT Nr. 260; KRAUSE, Nr. 310. 6. Mutianus Rufus an Crotus Rubianus Juni 1513 In: GILLERT Nr. 261; KRAUSE, Nr. 311. 7. Mutianus Rufus an Crotus Rubianus 13. Juni 1513 In: GILLERT Nr. 262; KRAUSE, Nr. 251. 8. Mutianus Rufus an Crotus Rubianus Juni 1513 In: GILLERT Nr. 267; KRAUSE, Nr. 308. 9. Ulrich von Hutten an Crotus Rubianus 1517 (Vorwort zum NEMO) In: BÖCKING I, S. 175-184. 10. Mutianus Rufus an Crotus Rubianus 1518 In: GILLERT Nr. 581; nicht in KRAUSE. 11. Martin Luther an Crotus Rubianus 24. Juli 1523 In: WA Br 12, S. 71 f.

BRIEFE AN CROTUS RUBIANUS

12. Johann Metzler an Crotus Rubianus 20. August (1527) In: Helius Eobanus Hessus, Tertius libellus epistolarum, S. R2b-R4. 13. Johann Metzler an Crotus Rubianus 1527/1528 In: Helius Eobanus Hessu, Tertius libellus epistolarum, S. R4b-R5. 14. Johann Metzler an Crotus Rubianus 7. Januar 1528 In: Helius Eobanus Hessu, Tertius libellus epistolarum, S. R5-R5b. 15. Eobanus Hessus an Crotus Rubianus 1528 In: Helius Eobanus Hessu, Epistolae familiares, Libri X, S. VIII. 16. Georg Witzel an Crotus Rubianus 7. Oktober 1531 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Secundus, S. Sb-S2. 17. Georg Witzel an Crotus Rubianus 1531 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Secundus, S. Sivb-Tb. 18. Justus Menius an Crotus Rubianus 1532 In: BÖCKING II, S. 456-465. 19. Georg Witzel an Crotus Rubianus 21. Mai 1532 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Secundus, S. V1a-b. 20. Georg Witzel an Crotus Rubianus 22. Mai (Pfingsten) 1532 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Secundus, S. V3b-4a. 21. Georg Witzel an Crotus Rubianus 28. Juni 1532 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Secundus, S. Q3a-R2b. 22. Georg Witzel an Crotus Rubianus 24. November 1532 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Secundus, S. Y2a-b. 23. Georg Witzel an Crotus Rubianus 12. Dezember 1532 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Secundus, S. Ff4b-Gg1b.

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VERZEICHNIS DER KORRESPONDENZ DES CROTUS RUBIANUS

24. Georg Witzel an Crotus Rubianus 4. Dezember 1533 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Tertius, S. Nn2a-Nn2b. 25. Georg Witzel an Crotus Rubianus 28. Dezember 1533 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Tertius, S. Nn2a-Nn2b. 26. Georg Witzel an Crotus Rubianus 29. Mai 1534 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber Tertius, S. Oo4a-b. 27. Georg Witzel an Crotus Rubianus 11. November 1534 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, Liber quartus, S. Rr3a-Ss1b. 28. Georg Witzel an Crotus Rubianus 6. Februar 1535 In: Epistolarum … libri quatuor Georgii Wicelii, S. g2-g2b.

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

1. Quellen QUELLEN APEL, JOHANN: Defensio Ioannis Apelli ad episcopum Herbipolensem pro suo conivgio. Wittenberg, Rhau-Gruneberg 1523 (VD 16 A 3028). (APOLLO VON VILBEL): RÜBSAM, JOSEF (Hg.): Chronik des Apollo von Vilbel, in: ZHG, N.F. 14, S. 196-266. CAMERARIUS, IOACHIM: De vita Philippi Melanchthoni Narratio. Hg. von Georg Theodor Strobel, Halle 1777. DERS.: Narratio de Helio Eobano Hesso … 1553 … (Moderne Ausgabe von GEORG BURKHARD und WILHELM KÜHLMANN, Heidelberg 2003. Übersetzung von BURKHARD). (CORVINUS ANTONIUS): Ludus Sylvani Hessi in defectionem Georgii VVcelii ad papistas. Wittenberg, Schirlentz 1534 (VD 16 C 5410). CROSNER, ALEXIUS: Ein Sermon vom Hochwirdigen heiligen Sacrament, des leibs vnd bluts Christi/ durch Alexium Crosner von Colditz/ auff dem Schlos zu Dresden inn Meissen gepredigt. Mit einer Vorrede Martin Luthers. Wittenberg, Hans Lufft 1531. (CROTUS RUBIANUS): Processus Contra Sentimentum Parrhisiense 1514 (BÖCKING VI, S. 318322). (CROTUS RUBIANUS): Oratio funebris in lavdem Ioannis Cerdonis sive Vademecum Tardesurgeri et dormisecure epistolis et carminibus. Wolfgang Stockel, Leipzig (VD 16 ZV 11994, in: BÖCKING, Suppl. I, S. 451-460). (CROTUS RUBIANUS): Epistolae obscurorum virorum ad venerabilem virum Magistrum Ortvinvm [Hagenau 1515] (VD 16 E 1720). (CROTUS RUBIANUS): Modus inquirendi haereticos ad vsum Romanae curiae lectu dignissimus. Duodecim regulis conclusus. Cum earum sumarijs, Augsburg: Sigmund Grimm und Marx Wirsing, 1519 (VD 16 A 3802, moderner Druck in: BÖCKING, Suppl. I, S. 489 ff.). (CROTUS RUBIANUS): Conciliabvlvm Theologistorvm adversvs Germaniae et bonarvm literarvm stvdiosos Coloniae celebratvm XVI Kal. Maii postquam Iacobvs Hohenstratvs deiectvs est ab officio prioratvs et ab officio inqvisitionis (VD 16 C 4674, in: BÖCKING IV, S. 575-585). CROTUS RUBIANUS: EPISTOLA CROTI RVBIANI DOCTISSIMI ac Piissimi viri Ad Doctorem Martinum Lutherum VVITTEMBERGAE. DMXXI (Wittenberg, Johann Grunenberg. Abgedruckt in: WA Br 2, Nr. 358, S. 226-229). CROTUS RUBIANUS: Apologia qua respondetur temeritati calumniatorum, non uerentium confictis criminibus in populare odium protrahere Reuerendissimum in Christo patrem & dominum, ALBERTVM, Leipzig, Michael Blum 1531 (VD 16 J 156).

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

DREYHAUPT, JOHANNES C. VON PAGES: Beschreibung des lll-Saalekreises, Bd. 1, 1749; Bd. 2 1750 Halle/Saale. FABISCH, PETER/ERWIN ISERLOH (Hg.): Dokumente zur Causa Lutheri (1517-1521), I und II, Münster/Westf. 1988, 1991. FABRICIUS, JOHANN ALBERT: Centifolium lutheranum, sive notitia litteraria scriptorum omnis generis de B.B. Luthero eiusque vita, Scriptis et Reformatione, Hamburg 1728. GÖTZE, JOHANN CHRISTIAN: Die Merckwürdigkeiten der Königlichen Bibliothek zu Dreßden. Ausführlich beschrieben und mit Anmerkungen erläutert, Dresden 1746. GOLDAST, MELCHIOR: Politische Reichshandel. Das ist Allerhand Gemeine Acten/ Regimentssachen/ und Weltliche Diskursen, Frankfurt/Main 1614. HESSUS, HELIUS EOBANUS: Habes hic Lector IN EVANGELICO DOCTORIS Martini Lutheri laudem Defensionemque Elegias III. Matthes Maler, Erfurt 1521 (VD 16 E 1510). (HESSUS, HELIUS EOBANUS): Libellus alter, epistolas complectens Eobani Hessi et aliorum quorvndam virorum, Leipzig 1557. HESSUS, HELIUS EOBANUS: Tertius libellus epistolarum Eobani Hessi et aliorum quorundam virorum Leipzig, Vögelin 1561. HESSUS, HELIUS EOBANUS: Operum Helii Eobanis Hessi farragines duae, 1539. HESSUS, HELIUS EOBANUS: The Poetic Works of Helius Eobanus Hessus, hg. und übersetzt von HARRY VREDEVELD, Bd. 1: Student Years at Erfurt, 1504-1509 (Medieval and Renaussance 215), Tempe Arizona 2004. HUTTEN, ULRICH VON: Schriften. 1-5 (siehe BÖCKING in Abkürzungsverzeichnis). HUTTEN, ULRICH VON: In laudem reverendissimum Alberthi Archiepiscopi Mogontini Panegyricus, Tübingen, Anselm 1515. JONAS, JUSTUS: Contra tres pagellas Agric. Phagi Georgii VVitzel, quibus pene Lutheranismus prostratus et voratus esset J. Jonae Responsio, Wittenberg 1532 (VD 16 J 881). JONAS, JUSTUS: Wilch die rechte Kirche vnd dagegen wilch die falsche Kirch ist: Christlich antwurt vnd troestliche vnterricht, Widder das Pharisaische gewesch Georg Witzels, Wittenberg, Georg Rhaw 1534. (JUSTUS JONAS): KAWERAU, GUSTAV (Hg.): Der Briefwechsel des Justus Jonas, Bd. 1, 1884. KRAFFT, KARL/WILHELM KRAFFT (Hg.): Briefe und Documente aus der Zeit der Reformation im 16. Jahrhundert, Eberfeld 1875. KRAUSE, CARL: Epistolae aliquot selectae virorum doctorum Martino Luthero aequalium. Zerbst 1883. LEMNIUS, SIMON: Bucolica. Fünf Eklogen, hg., übersetzt und kommentiert von LOTHAR MUNDT, Tübingen 1996. Ludus Sylvani Hessi in defectionem Georgii Vuicelii ad Papistas. Cum praefatione I. Ionae Wittenberg 1534. Menius, Junius: Ad apologiam Ioannis Croti Rvbeani Responsio Amici ad quem privatim eam scripsit, Wittenberg 1532 (VD 16 M 4536).

QUELLEN

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(MUTIANUS RUFUS): Der Briefwechsel des Conradus Mutianus, hg. von CARL GILLERT, Halle 1890. (MUTIANUS RUFUS): Der Briefwechsel des Mutianus Rufus, hg. von CARL KRAUSE, Kassel 1885. HESSUS, HELIUS EOBANUS: Epistolae familiares, libri XII, Marburg 1543 (VD 16 E 1493). OLEARIUS, JOHANN CHRISTOPH: Epistolae anonymi ad Jo. Crotum Rubeanum verum hunc inventorem et autorem epistolarum obscurorum virorum amnufestuum, Arnstadt 1720. (PIRCKHEIMER, WILLIBALD): Pirckheimer Briefwechsel, I und II, hg. von DIETER WUTTKE und HELGA SCHEIBLE, München 1940 und 1956; III, IV und V, München 1989, 1997 und 2001 von H. SCHEIBLE. (PIRCKHEIMER, WILLIBALD): Eckius Dedolatus (Der enteckte Eck). Latein/Deutsch. Übersetzt und hg. von NIKLAS HOLZBERG, Stuttgart 1983. PYRGALLUS, HENNING, Threnostichon ad Georgium Ducem Saxoniae, Leipzig 1539. RAIDT, BALTHASAR: Widder das lester und lugen büchlin Agricole Phagi, Wittenberg 1533 (Vorwort von Luther) (VD 16 R 125). REUCHLIN, JOHANN, Defensio Joannis Reuchlin Phorcensis LL. Doctoris Contra Calvmniatores Svos Colonienses, Tübingen, Anselm 1513 (VD 16 R 1244). DERS., Sämtliche Werke, Bd. IV. Schriften zum Bücherstreit. 1. Teil Reuchlins Schriften, hg. von WIDU-WOLFGANG ELDERS, Stuttgart-Bad Canstatt 1999. DERS.: Briefwechsel, Bd. 2: 1506-1513, bearbeitet von MATTHIAS DALL’ASTA und GERALD DÖRNER, Bd. 3: 1514-1517, 2007; Bd. 4: 1518-1522, 2013. DERS.: Sämtliche Werke, Bd. IV: Schriften zum Bücherstreit, Stuttgart-Bad Canstatt 1999. [DERS.]: Gutachten über das jüdische Schrifttum, übersetzt u. hg. von ANTONIE LENZDESSAUER (Pforzheimer Reuchlinschriften, 2), Konstanz/Stuttgart 1965. RIEDERER, JOHANN BARTHOLOMAEUS: Nachrichten zur Kirchen-Gelehrten- und BücherGeschichte, aus gedruckten und ungedruckten Quellen gesammelt, Altdorf 1766. RUSS, WOLFGANG: Intimatio der hochberüempten Vniversitet Erdfurt in Martinum Luther. Augsburg, Oeglius Erben 1521 (abgedruckt in BÖCKING, V, S. 226-340). TSCHACKERT, PAUL: Urkundenbuch zur Reformationsgeschichte des Herzogthums Preußen. 1. Einleitung. 2. Urkunden. 1523-1541, Leipzig 1890. VOIGT, GEORG: Briefwechsel der berühmtesten Gelehrten Deutschlands des Zeitalters der Reformation mit Herzog Albrecht von Preußen, Königsberg 1841. VEHE, MICHAEL: Von dem gesatz der nyessung des heiligen hochwirdigen Sacraments in eyner gestalt, Leipzig, Nikolaus Schmidt 1531. (WITZEL, GEORG): Pro defensione bonorum operum adversus novos evangelistas auctore Agricola Phago (Pseudonym für Witzel), Leipzig 1532 (VD 16 W 4003). DERS.: Confvtatio Calumniosissimae Responsionis Ivsti Ionae, id est Iodoci Koch, vna cum assertatione bonorum operum per Georgium Vucelium, Leipzig 1533 (VD 16 W 3901). DERS.: Oratio in lavdem hebraicae linguae, Leipzig 1534 (VD 16 W 3987).

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

DERS.: Epistolarum, quae inter aliquot centurias uidebantur partim profuturae theologicarum literarum studiosis, partim innocentis famam adversus sycophantiam defensurae Libri quatuor. Leipzig, Wolrab 1537 (VD 16 W3918). DERS.: Conquestio de calamitoso in praesens rerum Christianarum statu, Leipzig, Nik. Wolrab 1538 (VD 16 W 3903).

2. Forschungsliteratur FORSCHUNGSLITERATUR ABE, HORST RUDOLF: Der Erfurter Humanismus und seine Zeit, Diss. Phil. Jena 1953. DERS.: Die Frequenz der Universität Erfurt im Mittelalter (1392-1521), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 1 (1956), S. 7-68. DERS.: Die Fuldaer an der Universität Erfurt im Mittelalter (1392-1521), in: FGBll 32 (1956), S. 124-143. DERS.: Die Universität Erfurt in ihren berühmtesten Persönlichkeiten. Mittelalter (13921521), in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 4 (1958), S. 17-138. DERS.: Die artistische Fakultät der Universität Erfurt im Spiegel ihrer Bakkalauren- und Magisterpromotionen der Jahre 1392-1521, in: Beiträge zur Geschichte der Universität Erfurt 13 (1967), S. 33-90. AMRHEIN, AUGUST: Reformationsgeschichtliche Mitteilungen aus dem Bistum Würzburg 1517-1573, Münster 1923. ARNOLD, UDO: Die Hochmeister des deutschen Ordens 1190-2012, Weimar 22014. DERS.: Luther und die Reformation im Preußenland, in: Martin Luther und die Reformation in Ostdeutschland und Südosteuropa, hg. von Ulrich Hutter (Beihefte zum Jahrbuch für Schlesische Geschichte, 8), Sigmaringen 1991, S. 27-44. ARX, URS VON (Red.): Georg Witzel (1501-1573) und das Kriterium der alten Kirche, in: IKZ 99 (2009), S. 209–280. AULINGER, ROSEMARIE: Die Verhandlungen des Kurfürsten Albrecht von Mainz und Ludwig von der Pfalz mit Karl V. 1532 in Mainz. „Missing link“ zwischen dem Reichstag 1530 und dem Nürnberger Anstand 1532, in: IMMENKÖTTER (Hg.): Im Schatten der Confessio Augustana, S. 185-210. BÄUMER, REMIGIUS: Georg Witzel, in: Katholische Theologen der Reformationszeit, Bd. 1 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung, 44), Münster 1991. BARON, FRANK (Hg.): Joachim Camerarius (1500-1574) (Beiträge zur Geschichte des Humanismus im Zeitalter der Reformation, Humanistische Bibliothek, R.1,24), München 1978. BARTLETT, KENNETH R.: Pomponazzi, in: CoE III, S. 109 f. BAUCH, GUSTAV: Die Universität Erfurt im Zeitalter des Frühhumanismus, Breslau 1904. DERS.: Analekten zur Biographie des Johannes Heß, in: Corr.Blatt 8 (1903), S. 160-185.

FORSCHUNGSLITERATUR

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BAUTZ, FRIEDRICH WILHELM: Crotus Rubeanus, in: BBKL 1, Sp. 1168 f. BECKER, ARNOLD: Ulrichs von Hutten Querelae in Lossios. Humanistische Streitkultur zwischen Invektive und Elegie, in: UWE BAUMANN, ARNOLD BECKER u. ASTRID STEINER-WEBER (Hg.), Streitkultur: Okzidentale Traditionen des Streitens in Literatur, Geschichte und Kunst, Bonn 2003, S. 111-130. DERS.: Die humanistische Lachgemeinschaft und ihre Grenzen. Hutten, Erasmus und ihr Streit über die Epistolae obscurorum virorum, in: STEFAN BIESSMECKER/CHRISTIAN KUHN (Hg.): Valenzen des Lachens in der Vormoderne (1250-1750) (Bamberger Historische Studien, 8), Bamberg 2012, S. 165-186. BECKER, REINHARD PAUL: A War of Fools: The Letters of Obscure Men. A Study of the Satire and the Satirized, New York/Bern 1981. BERNSTEIN, ECKHARD: Die Literatur des deutschen Frühhumanismus, Stuttgart 1978. DERS.: Ulrich von Hutten, Reinbek bei Hamburg 1988. DERS.: Creating Humanist Myths: Two Poems by Ulrich von Hutten, in: Acta Conventus Neo-Latini Torontonensis: Proceedings of the Seveneth International Congress of NeoLatin Studies, Binghamton, N.Y. 1991, S. 249-260. DERS: Der Erfurter Humanistenkreis am Schnittpunkt von Humanismus und Reformation. Das Rektoratsblatt des Crotus Rubeanus, in: STEPHAN FÜSSEL/J. PIROZYNSKi (Hg.): Der polnische Humanismus und die europäischen Sodalitäten (Pirckheimer Jahrbuch, 12), Wiesbaden 1997, S. 137-165. DERS.: From Outsiders to Insiders. Some Reflections on the Development of a Group Identity of the German Humanists between 1450 to 1530, in: In Laudem Caroli. Renaissance and Reformation Studies. Festschrift for Charles Nauert, Kirkville, Mo 1998, S. 45-64. DERS.: Liebe die Reuchlinisten, verachte die Arnoldisten. Die Reuchlin Kontroverse und der Humanistenkreis um Mutianus Rufus, in: MARC LAUREYS (Hg.): Die Kunst des Streitens. Inszenierung, Formen und Funktionen öffentlichen Streitens in historischer Perspektive, Göttingen 2010, S. 295-315. DERS.: Mutianus Rufus und sein humanistischer Freundeskreis in Gotha (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 2), Köln/Weimar/Wien 2014. BEUMER, JOHANNES: Die Wirren der frühen Reformationszeit. Dargestellt anhand von Georg Witzel De Concilio, in: Münchener Theologische Zeitschrift 26 (1975), S. 38-55. DERS.: Zwei Vermittlungstheologen der Reformationszeit. Philipp Melanchthon und Georg Witzel, in: Theologie und Philosophie 43 (1968), S. 502-522. BEUTEL, ALBRECHT (Hg.): Luther Handbuch, Tübingen 2005. BEYER, CARL/JOHANNES BIEREYE: Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurt 1935. BEYER, MICHAEL/GÜNTHER WARTENBERG (Hg.): Humanismus und Wittenberger Reformation, Leipzig 1996. BIEREYE, JOHANNES: Erfurt in seinen berühmten Persönlichkeiten, Erfurt 1937. BISKOP, MARIAN: Die Geschichte des Deutschen Ordens in Preußen, Osnabrück 2000. BIZER, ERNST: Studien zur Geschichte des Abendmahlsstreits im 16. Jahrhundert (Beiträge zur Förderung christlicher Theologie, 46), Darmstadt 31972.

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

BÖMER, ALOIS: Epistolae obscurorum virorum, 2 Bde., Heidelberg 1914. Ders.: Zur Druckgeschichte der Epistolae Obscurorum Virorum, Straßburg 1904/1905. BOOCKMANN, HARTMUT: Der Deutsche Orden, München 1981. BRECHT, MARTIN: Martin Luther, II. Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1521-1532, Stuttgart 1986; III. Die Erhaltung der Kirche 1532-1546, Stuttgart 1987. DERS: Albrecht von Mainz und die Hinrichtung seines Dieners Hans von Schenitz, in: Lutherjahrbuch 70 (2003), S. 33-75. BRECHT, WALTHER: Die Verfasser der Epistolae Obscurorum Virorum, Straßburg 1904. BREUL, WOLFGANG: Herrschaftskrise und Reformation. Die Reichsabtei Fulda und Hersfeld ca. 1500-1525 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 71), Gütersloh 2000. DERS.: Die „Dunkelmänner“ in Fulda verfasst? In: HAMBERGER, Geschichte der Stadt Fulda, Bd. 1, Fulda 2009, S. 253-255. DERS. (Hg.): Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, Regensburg 2015. BREUL-KUNKEL, WOLFGANG: Fulda und Erfurt. Der Einfluß des Humanismus auf die Reichsabtei Fulda am Vorabend der Reformation, in: FGBll 75 (1999), S. 71-131. DERS.: Celibacy-Marriage-Unmarriage, in: The Controversy over Celibacy and Clerical Marriage in the Early Reformation, in: LUEBKE/LINDEMANN (Hg.): Mixed Marriages, S. 3144. BROD, MAX: Johannes Reuchlin und sein Kampf, Stuttgart 1965. BUCKWALTER, STEPHEN E.: Die Priesterehe in Flugschriften der frühen Reformation (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 68), Gütersloh 1998. BÜHLER, PIERRE: Der Abendmahlstreit der Reformatoren, in: ThZ 35 (1979), S. 228-241. BUES, ALMUT: Die Apologien des Herzogs Albrecht. (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 29), Wiesbaden 2009. BURGDORF, MARTIN: Johann Lang – Der Reformator Erfurts, Kassel 1911. DERS.: Der Einfluß der Erfurter Humanisten auf Luthers Entwicklung bis 1510, Leipzig 1928. BURKHARDT, C.A.H.: Das tolle Jahr zu Erfurt und seine Folgen, in: Archiv für die sächsische Geschichte 12 (1874), S. 337-426. CHOMORAT, JACQUES: Les hommes obscurs et la poésie, in: L’Humanisme allemand (14801540) – XVIIIeme colloque international de Tours, o. O. 1979. CHRISMAN, MIRIAM USHER: Conflicting Visions of Reform. German Lay Propaganda Pamphlets, 1519-1530, Atlantic Highlands 1996. CLEMEN, OTTO: Georg Witzel und Justus Jonas, in: ARG 17 (1920), S. 132-152. DERS.: Alexius Chrosner. Herzog Georgs von Sachsen evangelischer Hofprediger, Leipzig 1908. COSACK, C.J.: Paulus Speratus. Leben und Lieder, Braunschweig 1861. DALL’ASTA, MATTHIAS: Reuchlin im Gefüge des Renaissance-Humanismus, in: LORENZ/ MERTENS (Hg.): Johann Reuchlin und der „Judenbücherstreit“, S. 119-145.

FORSCHUNGSLITERATUR

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DECOT, ROLF: Theologie – Frömmigkeit – Kirche. Albrecht von Brandenburg vor der Herausforderung der Reformation, in: TACKE (Hg.): Der Kardinal, Bd. 2, S. 61-79. DERS: Zwischen altkirchlicher Bindung und reformatorischer Bewegung. Die kirchliche Situation im Erzstift Mainz unter Albrecht von Brandenburg, in: JÜRGENSMEIER (Hg.): Erzbischof Albrecht von Brandenburg, S. 84-101. DELIUS, WALTER: Jonas, Justus, in: NDB 10, Sp. 593 f. DERS: Die Reformationsgeschichte der Stadt Halle an der Saale (Beiträge zur Kirchengeschichte Deutschlands, 1), Berlin 1953. DIESCH, CARL: Crotus Rubeanus im Dienste des Herzogs Albrecht, in: Königsberger Beiträge. Festgabe zur vierhundertjährigen Jubelfeier der Staats-und Universitätsbibliothek zu Königsberg Pr., Königsberg 1929, S. 45-61. DÖLLINGER, JOHANN JOSEPH IGNAZ VON: Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen im Umfange des lutherischen Bekenntnisses. I und II, Regensburg 184851. DREHSEN, VOLKER: Sozietät und Religion, in: WEYEL/GRAB (Hg.): Religion in der modernen Lebenswelt, S. 147-171. DOLAN, JOHN P.: Georg Witzel – Liturgiker und Kirchenreformer, in: TH. SARTORY (Hg.): Die Eucharastie im Verständnis der Konfessionen, Recklinghausen 1961, S. 144-154. DÖRNER, GERALD (Hg.): Reuchlin und Italien, Stuttgart 1999. DRÖS, HARALD: Alles unter einem Hut. Die Wappen Albrechts von Brandenburg, in: TACKE (Hg.): Der Kardinal, Bd. 2, S. 29-49. EDWARDS, MARK, JR.: Printing, Propaganda and Luther, Berkeley/Los Angeles/London 1974. EGERT, ILONKA: Städtische reformatorische Bewegungen in Mitteldeutschland, in: JÜRGENSMEIER (Hg.): Erzbischof Albrecht von Brandenburg, S. 196-211. EHRHARDT, OSKAR: Dr. Laurentius Wilde, Leibarzt des Herzogs Albrecht und die Anfänge der medizinischen Wissenschaft in Preussen (Abhandlungen zur Geschichte der Medizin, 14), Breslau 1905. EINERT, EMIL: Crotus Rubianus: ein Beitrag zur Geschichte des Humanismus in Thüringen, in: Zeitschrift des Vereins für Thüringische Geschichte und Alterthumskunde, Neue Folge IV, H. 1-2 (1884/85), S. 3-71. DERS.: Johann Jäger aus Dornheim, Arnstadt/Jena 1883. ENTNER, HEINZ: Helius Eobanus Hessus und die lutherische Reformation in Erfurt, in: MAX STEINMETZ (Hg.): Weltwirkung der Reformation, Berlin 1969, S. 472-484. ERBE, MICHAEL und PETER G. BIETENHOLZ: Johann Hess, in: CoE II, S. 187. ERHARD, HEINRICH AUGUST: Crotus, Johann, in: Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, hg. von J. S. ERSCH und J. G. GRUBER, 20. Teil, Leipzig 1829, S. 201204. DERS.: Geschichte des Wiederaufblühens wissenschaftlicher Bildung in Teutschland, Magdeburg 1832.

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

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FORSCHUNGSLITERATUR

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HAHN, REINHARD: Huttens Anteil an den Epistolae obscurorum virorum, in: Pirckheimer Jahrbuch 1988, S. 79-111. HAMBERGER, WOLFGANG et al.: Geschichte der Stadt Fulda, Fulda 2009. HAMM, JOACHIM: Joachim Camerarius der Ältere, in: Frühe Neuzeit in Deutschland 15201620. Literaturwissenschaftliches Verfasserlexikon, Bd. 1, hg. von WILHELM KÜHLMANN, JAN-DIRK MÜLLER u. MICHAEL SCHILLING, Berlin/Boston 2011, S. 425-438. HASE, MARTIN VON: Bibliographie der Erfurter Drucke von 1501-1550, Niewkoop 31968. HEGLER, ALFRED: Campanus, Johann, in: RE 3, 1897, S. 696-698. HEINEMEYER, WALTER/BERTOLD JÄGER (Hg.): Fulda in seiner Geschichte. Landschaft, Reichsabtei, Stadt (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen, 57), S. 89-179. HEINRICH, GERD: Kardinal Albrecht von Brandenburg und das Haus Hohenzollern, in: JÜRGENSMEIER (Hg.): Erzbischof Albrecht von Brandenburg, S. 17-36. HELMRATH, JOHANNES: Humanismus und Scholastik und die deutschen Universitäten, in: Zeitschrift für historische Forschung 15 (1988), S. 187-203. HENDRIX, SCOTT H.: Martin Luther und Albrecht von Mainz. Aspekte von Luthers reformatorischem Selbstbewusstsein, in: Lutherjahrbuch 49 (1982), S. 96-114. HENZE, BARBARA: Aus Liebe zur Kirche Reform. Die Bemühungen Georg Witzels (15011573) um die Kircheneinheit (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 133), Münster 1995. HERTZBERG, GUSTAV FERDINAND: Geschichte der Stadt Halle an der Saale des 16. und 17. Jahrhunderts, Halle 1891. HESS, GÜNTER: Deutsch-lateinische Narrenzunft. Studien zum Verhältnis von Volkssprache und Latinität in der satirischen Literatur des 16. Jahrhunderts, München 1971. HINTZENSTERN, HERBERT VON: Justus Menius, in: NDB 17 (1994), S. 79 f. HOESS, IRMGARD: Georg Witzel, in: CoE III, S. 458 f. HOLBORN, HAJO: Ulrich von Hutten, Göttingen 1968. HOLZBERG, NIKLAS: Willibald Pirckheimer. Griechischer Humanismus in Deutschland, München 1986. HOROWITZ, ADALBERT HEINRICH: Crotus Rubianus, in: ADB 4, S. 612-614. Ders.: Joachim Camerarius, in: ADB 3, S. 720-724. HUBATSCH, WALTHER: Europäische Briefe im Reformationszeitalter: Zweihundert Briefe an Markgraf Albrecht von Brandenburg-Ansbach, Herzog von Preußen, Kitzingen 1949. DERS.: Albrecht von Brandenburg-Ansbach, Deutschordenshochmeister in Preußen 14901568 (Studien zur Geschichte Preußens, 8), Heidelberg 1960 (ND Köln 1965). DERS.: Die inneren Voraussetzungen der Säkularisation des Deutschen Ordenstaates in Preußen, in: ARG 43 (1952), S. 145-172. HUBER-REBENICH, GERLINDE: Crotus Rubeanus, in: VL Hu, Bd. 1, Sp. 505-510. DIES.: Epistolae obscurorum virorum, in: VL Hu, Bd. 1, Sp. 646-658. DIES.: Nikolaus Marschalk, in: VL Hu, Bd. 2, Sp. 161-203. DIES./WALTHER LUDWIG (Hg.): Humanismus in Erfurt, Rudolstadt 2002.

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FORSCHUNGSLITERATUR

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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

RIEDEL-SPANGENBEGER, ILONA: „Abendmahlstreit“, in: LThK I, Sp. 36-40. RINGEL, INGRID HEIKE: „Numquam in aliquo studio generali seu privilegiato studuisti.“ Eine Studiendispens für Albrecht von Brandenburg, in: JÜRGENSMEIER (Hg.): Erzbischof Albrecht von Brandenburg, S. 37-48. RITSCHEL, ALBRECHT: Georg Witzels Abkehr vom Luthertum, in: ZKG 2 (1878), S. 386-417. ROGGE, HELMUTH: Fingierte Briefe als Mittel politischer Satire, München 1966. ROHMANN, KLAUS: Georg Witzel, ein Altkatholik des sechzehnten Jahrhunderts, in: IKZ N.F. 99 (2000), S. 209-239. ROLAND, BERTHOLD (Hg.): Albrecht von Brandenburg. Kurfürst. Erzkanzler. Kardinal, Mainz 1990. RUBLACK, HANS-CHRISTOPH: Anticlericalism in German Reformation Pamphlets, in: PETER A. DYKEMA/HEIKO A. OBERMAN: Anticlericalism in Late Medieval and Early Modern Europe, Leiden et al. 1993, S. 37-48. DERS.: Gescheiterte Reformation. Frühreformatorische und protestantische Bewegungen in süd- und westdeutschen geistlichen Residenzen, Stuttgart 1978. RUMMEL, ERIKA: Erasmus and his Catholic Critics, Nieuwkoop 1989. DIES.: Scheming Papists and Lutheran Fools. Five Reformation Satires, New York 1993. DIES.: The Confessionalization of Humanism in Reformation Germany, Oxford 2000. DIES.: The Case Against Johann Reuchlin: Religious and Social Controversy in Sixteenth Century Germany, London 2002. SAUER, PAUL LUDWIG: Die alte Kirche ist die wahre Kirche – Die wahre Kirche ist die alte. Georg Witzels ökumenische Wegweisung, in: IKZ 99 (2000), S. 240-260. SCHÄFER, BARBARA: Mit den Waffen der Dichtkunst für die Reformation. Melanchthons Schüler Johann Stigelius, in: BEYER/WARTENBERG (Hg.): Humanismus und Wittenberger Reformation, S. 389-407. SCHAEFER, FRIEDRICH WILHELM: Adam Krafft, der Reformator Hessens. Bildungsgang und Wirksamkeit bis zum Jahre 1530, Diss. Marburg 1911. SCHAUERTE, THOMAS: Bruder Nestors – Sohn des Cicero. Alberts Humanismus und Kunstpatronanz als Standesattribute, in: TACKE (Hg.): Der Kardinal, S. 51-59. DERS: … ein ehrlich bibliotheken. Die Bücherschätze Albrechts von Brandenburg, in: TACKE (Hg.): Der Kardinal, S. 307-313. SCHEIB, OTTO: Erzbischof Albrecht von Brandenburg und die Religionsgespräche, in: JÜRGENSMEIER (Hg.): Erzbischof Albrecht von Brandenburg, S. 140-155. SCHEIBLE, HEINZ: Johannes Draconites. Ein Gelehrter der Reformationszeit als Pfarrer von Miltenberg und sein unsteter Lebensweg, in: Zeitschrift für bayerische Kirchengeschichte 71 (2002), S. 29-47. SCHILLING, JOHANNES: Adam Krafft, der erste hessische Landesbischof, in: FGBll 70 (1994), S. 87-100. DERS.: Hutten, Luther und die Reformation, in: BREUL (Hg.): Ritter! Tod! Teufel!, S. 39-46. SCHIMMELPFENNIG, ADOLF: Metzler, Johannes, in: ADB 21, S. 531 f.

FORSCHUNGSLITERATUR

329

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330

QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS

DERS.: Campanus, Johann, in: NDB 3, S. 109 f. DERS.: Witzel, Georg, in: Killy, Bd. 12, S. 383. TACKE, ANDREAS: Luther und der „Scheissbischof“ Albrecht von Brandenburg, in: Luther und die Fürsten (Ausstellungskatalog), hg. von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Bd. II, Dresden 2015, S. 115-125. DERS.: Der Kardinal Albrecht von Brandenburg. Renaissancefürst und Mäzen, 2 Bde., Regensburg 2006. TEWES, GÖTZ-RÜDIGER: Zwei Fälle – ein Kläger. Das Netzwerk der Feinde Reuchlins und Luthers, in: DÖRNER (Hg.): Reuchlin und Italien, S. 181-197. THIELEN, PETER GERRIT: Die Kultur am Hofe Herzog Albrechts von Preußen (1525-1568), Göttingen 1953. THUMFORT, ALEXANDER: Ulrich von Hutten (1488-1523) und Crotus Rubianus (ca. 14801545): Die Verfasser der Dunkelmännerbriefe, in: VON DER PFORDTEN (Hg.): Große Denker, S. 184-220. TREML, CHRISTINE: Sozio-kulturelle Untersuchung zur Entstehung eines neuen Gelehrtenstandes (Historische Texte und Studien, 12), Hildesheim 1989. TRILLITZSCH, WINFRIED: Der deutsche Renaissancehumanismus. Abriß und Auswahl, Leipzig 1981. TRUSEN, WINFRIED: Um die Reform und Einheit der Kirche. Zum Leben und Werk Georg Witzels (Katholisches Leben und Kämpfen im Zeitalter der Glaubensspaltung, 14), Münster 1957. DERS.: Johannes Reuchlin und die Fakultäten. Voraussetzungen und Hintergründe des Prozesses gegen den ‚Augenspiegel‘, in: GUNDOLF KEIL/BERND MOELLER/WINFRIED TRUSEN (Hg.): Der Humanismus und die oberen Fakultäten (Mitteilung XIV der Kommission für Humanismusforschung), Weinheim 1987, S. 115-157. TSCHACKERT, PAUL: Paul Speratus von Rötlen, evangelischer Bischof von Pomesanien in Marienwerder (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, 33), Halle 1891. DERS.: Herzog Albrecht von Preußen als reformatorische Persönlichkeit, Halle 1894. HENRY DE VOCHT: History of the Foundation and the Rise of the Collegium Trilingue Lovaniense 1517-1550, 4 Bde., Louvain 1953. VOGLER, BERNHARD: Pflug, Julius, in: OER 3, S. 252 f. VREDEVELD, HARRY: Crotus Rubianus, in: Killy 2, S. 481 f. WAGENMANN, JULIUS AUGUST: Menius, Justus, in: ADB 21 (1885), S. 354-356. WAGNER, HEINRICH: Genealogie der Grafen von Henneberg, in: Jahrbuch des Hennebergisch-Fränkischen Geschichtsvereins 11 (1996), S. 33-152. WALTER, PETER: Crotus Rubeanus, in: LThK 2, S. 1351. DERS.: Albrecht von Brandenburg und Erasmus, in: JÜRGENSMEIER (Hg.): Erzbischof Albrecht von Brandenburg, S. 102-116. WEISS, ULMAN (Hg.): Erfurt 742-1992. Stadtgeschichte, Universitätsgeschichte, Weimar 1992. DERS.: Erfurt. Geschichte und Gegenwart, Weimar 1995.

FORSCHUNGSLITERATUR

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REGISTER REGISTER

1. Personenregister PERSONENREGISTER Das Register verzeichnet die Namen aller im Text- und Fußnotenteil erwähnten historischen Personen. Es ist darauf verzichtet worden, die Namen der Personen aufzunehmen, auf die im Text- oder Fußnotenteil nur im Kontext der Forschungsdiskussion verwiesen wurde. Ebenso bleiben alle Personennamen, die lediglich in bibliografischen Angaben erscheinen, unberücksichtigt. Adelmann von Adelmannsfelden, Bernhard 158 Aesticampianus, Johann 101 f., 119 Agricola, Johann 158 Agricola, Rudolf 97 Albertus Magnus 114, 217 Albrecht von Brandenburg, Kurfürst, Erzbischof von Mainz und Magdeburg 9, 14, 37, 122, 142 f., 145, 161, 232, 234-241, 244 f., 247-255, 261, 263, 268, 274, 280 f., 290, 293-297 Albrecht von BrandenburgAnsbach, Herzog von Preußen 9, 13 f., 64, 194, 198-202, 204 f., 208 f., 217, 227-229, 231 f., 234 f., 244 f., 249, 252, 261, 272, 292, 295, 300 Aleander, Hieronymus 16, 165, 179, 300 Alexander von Hales 40, 179 Ambrosius von Mailand, Kirchenvater 207 Amsdorf, Nikolaus von 164, 265 Anselm, Thomas 89 Apel, Johann 191-195, 198, 212 Apollinaris von Laodicea 230

Apuleius 40 Aristoteles 114, 207 Arius 230 Augustinus, Kirchenvater 125 Basilius, Kirchenvater 207 Beatus Rhenanus 97, 102, 155, 177 Bebel, Heinrich 97, 101 Beroaldo, Filippo 119 Bessarion 207 Bitzbaudeler, Georg  Forchemius, Georg Blum, Michael 249, 275 Bodenstein, Andreas von (Karlstadt) 123, 158, 229 Bonemilch von Lasphe, Georg 185, 198 Bonemilch von Lasphe, Johann 30, 185 Bora, Katharina von 194, 220, 240 Brant, Sebastian 82, 97, 101 f. Brassicanus, Johannes 101 Brießmann, Johannes 203 Bucer, Martin 10, 177 Budäus (Guillaume Budé) 207 Bugenhagen, Johannes 204, 289 f.

334 Burkhardt, Georg  Spalatin, Georg Busche, Hermann von dem 95, 102 Caesar, Julius 100 Cajetan (Thomas de Vio) 122, 142, 145, 239, 300 Calvin, Johannes 204 Camerarius, Joachim 23, 37, 158, 173, 176, 179, 182, 186, 209 f., 214 f., 220-223, 232, 245, 299 Campanus, Johann 204, 266, 292 Capito, Wolfgang 237, 240 Capnion  Johannes Reuchlin Carben, Victor von 77 Catullus, Gaius Valerius 113 Celtis, Conrad 20, 39, 175, 177, 237 Chrystostomus, Johannes 207 Cicero, Marcus Tullius 100, 112 f., 155, 167, 207, 214 Clemens VII., Papst 212 f., 284 Cleopatra 48 Cochlaeus, Johannes 10, 117, 119, 267 f., 289 f., 296-299 Cordus, Euricius 37, 45, 55, 87 f., 182 Corvinus, Antonius 288, 290 f. Corvinus, Laurentius 213, 289 Cranach, Lucas 237 Crassus, Marcus Licinius 215 Crocus, Richard (Croke) 96, 102, 212 Crosner, Alexius 249-251 Crotus Rubianus, Johannes 9-17, 19, 21-33, 35-45, 47-51, 53, 5576, 90-96, 98 f., 101, 104, 106 f., 109 f., 112, 115, 117, 119-121, 126-141, 143-145, 147-151, 153155, 160-173, 175 f., 178-200,

REGISTER

204, 214-218, 221-225, 227-235, 237 f., 242, 244, 247, 249-264, 266-272, 274-281, 283 f., 286 f., 289-293, 295-299, 301 Cuspinianus, Johann 82, 97 Cyrillus von Alexandrien 207 Dalberg, Johann von 97 Demosthenes 167, 214 Dietz, Ludwig 205 Dobeneck, Hiob von 55, 209 Doliatoris, Jakob 168 f. Dominikus, Heiliger 256 Draco (Drach, Trach, Draconites), Johann 168 f., 173, 176, 180, 182, 192, 267 Dreyhaupt, Johann Christoph 301 Dürer, Albrecht 237 Duns Scotus, Johannes 40 Eberbach, Heinrich 21, 55 f. Eberbach, Peter (Petreius) 20 f., 33, 36, 38, 44, 55 f., 84, 87, 101 f., 172, 176, 182, 196, 224, 232, 301 Eberhard im Bart, Herzog von Württemberg 77 Eck, Johannes 10, 94, 123, 129, 136, 146, 150, 158-160, 179, 187, 298 Egranus, Johann Sylvius 219 Eitelwolf von Stein 119 Emser, Hieronymus 141, 165, 249 Erasmus von Antiochia 242 Erasmus von Rotterdam 9, 11, 35-37, 82, 89, 94 f., 98, 101, 105107, 113 f., 133, 155-158, 164, 166, 170 f., 173, 176 f., 184, 218221, 223 f., 238, 242, 247, 258, 264, 267 f., 273, 290, 301

335

PERSONENREGISTER

Erich, Herzog von BraunschweigCalenberg 293 Ernst von Sachsen, Erzbischof von Magdeburg 236, 241, 254 Eusebius von Caesarea 207 Eyb, Albrecht 118 Faber, Nikolaus 289 f. Femelius, Johannes 157 Ferdinand I., König von Ungarn 213 Ficino, Marsilio 36, 47, 97 Fischer, Friedrich 191 f., 194, 198-200, 205, 208, 224 Forchemius, Georg 154, 158, 165, 172, 176, 301 Franz I., König von Frankreich 75, 213 Franziskus von Assisi 256 Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen 37, 61, 75, 85, 145, 150, 164, 236 Friedrich von Sachsen, Hochmeister des deutschen Ordens 201 Froben, Johann 137 Fuchs, Andreas 117, 127, 135 f. Fuchs, Jakob 95, 117, 127, 135, 192, 210-212, 214, 223 Geiler von Kaysersberg, Johann 97 Georg der Bärtige, Herzog von Sachsen 123, 229, 249, 293 f. Georg III., Fürst von Anhalt-Dessau 281-283 Gerbellius, Nikolaus 102 Glareanus, Heinrich 101 Goede, Henning 55, 62 Gratius, Ortwin 98 f., 102 f., 105, 107, 110 Gresemund, Dietrich, der Jüngere 118

Grünewald, Matthias 237 Hachenborg, Paul von 20 Hadrian, Kardinal, Papst 137, 139 f., 202 Hartmann von Kirchberg 42, 6062, 64-70, 72, 92, 112, 184 Hegius, Alexander 98 Heinrich, Herzog von BraunschweigWolfenbüttel 293 Henneberg, Grafen von - Berthold, Erzbischof von Mainz 56 f. - Berthold 56 - Georg 56 f. - Hermann 56 - Johannes 62, 72 - Johannes III. 166, 192, 198 Herkules 88, 92, 220 Hermann von Wied, Erzbischof von Köln 201 Herostatos 284 Hess, Johann 13, 69 f., 119, 126, 129, 134-136, 149, 155, 168, 181, 183, 195, 209-211, 222 Hessus, Helius Eobanus 12, 19, 21 f., 29-33, 36-38, 43 f., 47-50, 53, 55, 65 f., 73, 88 f., 101 f., 156, 165-168, 171-173, 175 f., 180, 182, 184, 186, 195, 208 f., 212, 215, 223, 236 f., 257, 299 Hessus, Sylvanus (Antonius Corvinus) 288 Hieronymus, Kirchenvater 125, 207, 255 Hieronymus von Prag 124 Hilarius von Poitiers 207 Hochstraten, Jakob von 49, 76, 81, 85, 94, 107, 110, 122 f., 137, 139, 144-146, 150, 163, 258, 300 Holstein, Dorothea von 203

336 Hopf, Johann 60 Hrabanus Maurus 83 Hus, Jan 124, 136, 138, 147, 158 Hutten, Ulrich von 9, 12 f., 21-30, 35, 38, 45, 53, 55, 59, 71, 73, 75, 89 f., 93, 95-97, 99, 100-103, 105107, 109, 118 f., 135, 137, 142146, 148, 150, 165, 172, 176, 179, 188, 192, 199, 237 f., 244, 258 f., 301 Jäger, Johannes  Crotus Rubianus, Johannes Joachim I., Kurfürst von Brandenburg 293 Johann Cicero, Kurfürst von Brandenburg 236 Johann Hoyer, Graf von Mansfeld 266 Jonas, Justus 33, 55 f., 62, 156 f., 164 f., 168, 170, 172, 176-178, 187, 192, 195, 240, 266 f., 270, 275, 278, 281-292, 296, 298 f. Judas 145, 235 Julius II., Papst 108, 239 Karl von Burgund, seit 1519 als Karl V. deutscher Kaiser 75, 158, 163, 169, 213, 237 Karlstadt  Bodenstein, Andreas von Kasimir IV. Jagiello, König von Polen 201 Kellner, Heinrich 54 Klee, Dietrich von 205 f. Kleve, Eberhard von 144 Knappe, Johann 160 Koch, Eoban  Hessus, Helius Eobanus Königstein, Johann 101 Kopernikus, Nikolaus 119

REGISTER

Krafft, Adam (Crafft, Kraft) 68, 156, 158, 172 f., 176, 184-186, 198, 267 Kraus, Elisabeth, Ehefrau von Georg Witzel 265, 289 Krause, Johannes 250, 255 f., 260 Kronberg, Walter von 231 Kyll, Johannes 170 Laetus, Julius Pomponius 29 Laktanz (Lactantius), Kirchenvater 207 Lange, Johannes 13, 21, 36, 108, 119, 127, 158, 172 f., 183, 187192, 194, 197, 270 Lee, Edward 146, 156, 172 f. Lemnius, Simon 294, 298 Leo X. (Giovanni di Medici), Papst 120, 125 Lichtenberg, Samuel Karoch von 20 Livius, Titus 207 Locher, Jakob 102, 119 Lötz, Henning 27 Luder, Peter 19 Ludwig II., König von Ungarn 212 f. Ludwig IX., König von Frankreich 110 Ludwig XII., König von Frankreich 75, 110 Lufft, Hans 249 Luther, Martin 9-11, 13, 21-23, 26, 46, 68, 82, 94, 108, 112, 121124, 126 f., 130-133, 135, 137140, 150, 152 f., 155, 158 f., 162171, 176 f., 179, 181, 184, 186, 188, 190-196, 202-204, 206, 210, 218-221, 229, 239-241, 247, 249251, 253, 255-260, 265 f., 269, 275, 281, 285 f., 288 f., 294 f., 297, 299 f.

PERSONENREGISTER

Macrobius, Ambrosius Theodorus 207 Maecenas 249 Manichaeus 230 Manutius, Aldus 37, 93, 97 Margarete von Sachsen 236 Marschalk, Nikolaus 20, 177 Marthen, Gerlach von der 43 Marthen, Herebord von der 21, 33, 36, 38, 43-45, 57, 90 Marthen, Martin von der 154, 170, 180, 182, 188 Martial, Marcus Valerius 30, 113 Maximilian, deutscher Kaiser 64, 75 f., 201, 213 Mazzolini, Silvestro  Prieras Melanchthon, Philipp 10, 23, 51, 101 f., 119, 127, 145, 158, 164, 172, 176, 186, 192, 195, 204, 215 f., 219, 241, 289-291, 296298 Melchior von Aachen 157 Menius, Justus 38, 42 f., 46, 68, 95-97, 106, 109, 148, 155, 173176, 247, 257-260, 284, 287, 296 Metzler, Johann 209, 212, 214, 224, 227 f. Metzler, Katharina 213 Metzler, Lacherius 214 Metzler, Modestinus 214 More, Thomas 300 Morlau, Frank von 163 Müntzer, Thomas 266, 292 Murner, Thomas 102, 300 Muth, Conrad  Mutianus Rufus, Conradus Mutianus Rufus, Conradus 9, 11 f., 14, 21, 26, 33, 35-51, 53, 55, 57, 60-69, 73-75, 83-87, 89 f., 92, 95-98, 101 f., 112, 117 f., 153, 155 f., 171 f., 176, 186, 192, 197,

337 210, 218, 221-224, 236, 257, 259, 299, 301 Nestorius 230 Neuenahr, Hermann von 89, 102, 107, 118 Niger, Antonius 160 Nisenus, Wilhelm 186 Novenianus, Philipp 249, 296 Occam (William von Ockham) 114 Olearius, Johann Christian 257 Origines, Kirchenvater 207 Osiander, Andreas 202, 217 Ovid, (Ovidius Naso) 19, 30, 102, 113 f. Paulus, Apostel 22, 26, 125, 147 f., 219 Petreius  siehe Eberbach, Peter Petz, Georg  Forchemius, Georg Petzenstein, Johann Zacharias 164 Peutinger, Konrad 36, 82, 97, 102, 119 Pfefferkorn, Johann 12, 75-77, 84, 92, 99, 107, 121 Pflug (Pflugk), Julius 119, 227 Philipp, Landgraf von Hessen 183 f., 229, 266 Pickel, Konrad  Celtis, Conrad Pico della Mirandola, Giovanni 36, 47, 97 Pirckheimer, Johann 118 Pirckheimer, Willibald 9, 35, 37, 82, 84, 94, 101 f., 117-119, 135, 158, 177 f., 192, 247 Pistoris, Johannes 133 Plato 207 Plinius, Gaius Plinius Secundus Major 100, 207

338 Plutarch 207, 214 Polentz, Georg von 203 f. Polycletus 141 Pomponazzi, Petro (Petrus Pomponatius) 120-122 Prieras (Silvestro Mazzolini) 122 f., 130, 139, 141, 300 Publicius, Jacobus 19 Pyrgallus (Feuerhahn), Henningus 299 Quentell, Kölner Buchdrucker 98, 103, 110 Quieß (Queiss?), Erhard 203, 224 Raidt, Balthasar 68, 185, 192 f., 198, 265, 275, 280 f., 285 f., 288, 291 Redinger, Ursula 240 Reuchlin, Johannes 9, 12, 25, 3537, 40, 45, 74 f., 77-92, 94-96, 99 f., 108, 111, 113 f., 121-124, 144 f., 154 f., 163, 171 f., 177 f., 216, 300 f. Rhae, Georg 281 Rhenanus, Beatus 36, 97, 102, 155, 267 Rijswijk, Hermann von 139 Rothenhan, Sebastian von 237 Rottendörfer, Nikolaus 168 Russ, Wolfgang 187 f. Sachs, Hans 27 Sallust (Gaius Sallustius Crispus) 100, 207 Sbrulius, Richard 66 Schaumberg, Apollo Peter 59 Scheuerl, Christoph 119 Schlamau, Lorenz (genannt Schlameus) 195 Schönitz, Anton von 294

REGISTER

Schönitz, Hans von 293 Schwab, Wipert 205 Seneca, Lucius Annaeus 207 Sickingen, Franz von 142-144, 150 Sigismund, König von Polen 64 Solon, athenischer Staatsmann 91 Spalatin, Georg 21, 33, 36, 38, 55 f., 58, 61, 73, 97, 101, 182, 192, 204, 221 Spater, Katarina 50 Spengler, Lazarus 158 Speratus, Paul, Bischof von Pomesanien 205 f., 209, 244 Staupitz, Johann von 217 Stigel, Johann 298 Strabo 207 Strauss, Jakob 292 Stromer, Heinrich 237 Sturm, Kaspar 164 Suaven, Peter von 164 Sueton 207 Tacitus, Publius Cornelius 207 Terenz, Publius Terentius Afer 19, 113 Tetzel, Johann 122, 239 Thucydides 207 Thüngen, Konrad von, Fürstbischof von Würzburg 191, 194 Thun, Georg von 154 Tibullus, Albius 30 Tongern, Arnold von 40, 79 f., 84, 99, 103, 107, 146 Trebellius, Hermann 21 Trithemius, Johann 36 Ulrich, Herzog von Württemberg 75 Urbanus, Henricus (Heinrich Fastnacht) 36, 38, 48, 55, 61 f., 65, 87, 120, 155, 172, 267 f., 301

PERSONENREGISTER

Urceus, Antonius 119 Uriel von Gemmingen, Erzbischof von Mainz 76, 236 Vadianus, Joachim 36, 97, 102 Valerius Maximus 100 Valla, Lorenzo 192 Venatorius, Johannes  Crotus Rubianus Vergil (Vergilius Maro) 19, 30, 113, 138 Victor von Garben 77 Vilbel, Apollo von 63 f., 185, 198

339 Weidemann, Johann 168 Wilde, Laurentius 205, 208, 295 f. Wimpfeling, Jakob 36, 82, 102 Winkler, Georg 243 Witzel, Georg 14, 27, 185, 192, 198, 245, 263 f., 267-285, 287 f., 291 f., 295, 298 f. Zasius, Ulrich 9, 36, 83, 101 f., 177 Zwingli, Huldrych 219, 229, 251

2. Ortsregister ORTSREGISTER Das Register enthält alle im Text- und Fußnotenteil aufgeführten Orte. Geografische Landschaftsbezeichnungen sowie territoriale Bestandteile in Herrschaftstiteln wurden nicht aufgenommen. Ortsnennungen, die lediglich bibliografischen Angaben zugehören, wurden ebenfalls nicht erfasst. Amorbach 53 Antwerpen 99 Arnstadt 17 Aschaffenburg 237, 243 Athen 32 Augsburg 99 f., 122, 126 f., 142, 229 f., 237 Bamberg 69 f., 127, 135-137, 142 f., 150, 162, 229 Basel 99-101, 107, 137, 220 Bern 146 Bologna 9, 13, 36, 42, 118, 120 f., 127, 133, 135, 192 Breslau 119, 209 f., 212 f. Brüssel 106, 150, 193

183-186, 190, 201, 221, 236, 248, 256 f., 259, 265 f., 270, 285 Ferrara 36 Forchheim 172 Frankenberg 29 Frankenhausen 229 Frankfurt an der Oder 27, 35, 99, 100 Frankfurt am Main 76, 99, 144, 237 Freiburg 77, 99, 100 f. Fulda 12 f., 17, 23-25, 28 f., 47, 53, 59, 61 f., 68-71, 74, 92, 119, 150, 181-186, 190, 192, 197 f., 229, 264, 269

Danzig 201 Deventer 36, 98 Dornheim 17 f., 38, 151, 153, 302 Dresden 249

Georgenthal (Kloster) 43, 55, 61, 65, 87 Giebichstein (Burg) 294 Gotha 12, 36, 38, 54, 63 f., 68 f., 71, 122, 164, 186, 222, 257, 259 Greifswald 27, 100

Ebernburg 144, 150 Eisenach 193, 265 Eisleben 266, 269, 271 Erfurt 9, 12 f., 17-20, 22-27, 30 f., 35 f., 44 f., 50, 53-56, 58 f., 61 f., 68, 71, 74, 76 f., 87 f., 94, 100 f., 119 f., 123, 128, 151, 153-155, 158-160, 163-168, 173, 176, 178,

Hagenau 100 Halberstadt 236-241, 248, 294 Halle 9, 14, 208, 227-229, 234 f., 241-243, 245, 247, 249, 251, 256, 265, 275, 293, 296, 301 Hamburg 39 Haßfurt 249 f., 255 f. Heidelberg 19, 20, 76 f., 178

Colditz 249

342

REGISTER

Hersfeld 285 Homberg an der Effze 35

Nürnberg 99 f., 134 f., 150, 191, 202, 215-217

Ingolstadt 100, 123, 129

Orléans 77

Jerusalem 119

Padua 118 Paris 77, 99, 118, 123, 128 Pavia 118 Pforzheim 89 Poitiers 77 Prag 124 Prierio 122

Kalbe (an der Saale) 294 Kassel 36, 55 Köln 9, 12, 26, 37, 40, 53, 64, 69, 72, 74, 76 f., 92, 98, 100 f., 110, 121, 136, 141, 178, 201, 252 Königsberg 9, 13, 198-200, 203 f., 208 f., 213, 224 f., 227 f., 233, 235, 244 Konstanz 124, 253 Krakau 213, 227 Kreuznach 144 Landstuhl (Burg) 144 Leipzig 19, 22, 27, 55, 99 f., 112, 142, 149, 158, 164, 173, 178, 184, 208, 212, 228 f., 245, 249, 275, 277, 290, 295, 300 Löwen (Louvain) 20, 106, 136 f., 141, 150, 156 f. Lüneburg 269 Magdeburg 99, 236, 241, 248, 294 Mainz 26, 53, 62, 76 f., 81, 99 f., 187 f., 235-237, 239, 248, 266 Marburg 50, 183, 251 Meissen 100, 129, 249 Merseburg 265 Miltenberg 99 Mohács 212 Naumburg 164 Niemegk 266 Nohra 164 Nordhausen 182, 185, 285

Regensburg 295 Riesenburg 209 Rom 64, 82, 89, 99, 110, 117, 122, 127 f., 130, 143, 168, 185, 213, 236, 239, 285 Roßla 20 Rostock 100 Schlettstadt 100 Schmalkalden 265 Siena 212 Simtshausen 45 Spalt 36 Speyer 81 f., 110, 144 Steckelberg (Burg) 22, 145 Stotternheim 22 Straßburg 56, 100 f., 172 Thorn 201, 206, 213, 227 Torgau 55, 61, 73 Tortosa 137 Trier 76, 99 Tübingen 99-101, 178 Ulm 19 Vacha 264 f., 269, 278-280 Venedig 120

343

ORTSREGISTER

Weimar 54, 164 Wenigen-Lupnitz 265 Wien 18, 29, 64, 99 f., 172 Wilna 205 Wittenberg 55 f., 99 f., 108, 126, 156, 164, 173, 182 f., 192-195, 202, 205, 215, 229, 240, 243 f., 249, 257, 266, 281, 288, 294, 296 Witzenhausen 275, 288

Worms 9, 100, 163-165, 168 f., 187, 193, 234, 240, 287, 300 Würzburg 127, 191, 198 Zeil 69 f., 117, 136, 229, 244 Zerbst 297 Zürich 229, 299 Zwolle 99