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German Pages 128 [132] Year 1968
JAHRBUCH FÜR MUSIKALISCHE VOLKS- U N D VÖLKERKUNDE 4
iJahrbuch firmuß{aljfcbo Yolbimitcf Jundo Für das Staatliche Institut für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz und die Deutsche Gesellschaft für Musik des Orients
herausgegeben von
FRITZ B O S E Band 4 mit Notenbeispielen 1 Kunstdrudctafel und 1 Schallplatte
"Wahtr^egmjntr a(o Vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit & Comp.
BERLIN
1968
Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Zuschriften an die Redaktion erbeten an: Prof. Dr. Fritz Bose, Staatl. Institut für Musikforschung, Berlin 30, Stauffenbergstraße 14
© Copyright 1968 by Walter de Gruyter & Co., vorm. G. J. Göschen'sdie Verlagshandlung - J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J . Trübner - Veit & C o m p . , Berlin 30 - Alle Rechte, einschließlich der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten - Ardiiv-Nr.: 13 58 681 Satz und Drude: T h o r m a n n & Goetsch, Berlin - Printed in Germany
VORWORT Die freundliche Aufnahme und allgemeine Zustimmung, die das Erscheinen des Jahrbuches im In- und Ausland gefunden hat und die durchweg lobenden Besprechungen der ersten drei Bände haben mir bestätigt, daß für eine Aufsatzsammlung dieser Art ein echtes Bedürfnis vorliegt. Das allgemeine Interesse an ethnischer Musik, wie es im Anwachsen der Folklore-Bewegung zu beobachten ist und in dem steigenden Angebot vor allem afrikanischer, lateinamerikanischer und indischer Schallplatten auf dem Markt zum Ausdruck kommt, findet seine Ergänzung in dem wissenschaftlichen Interesse an den Forschungsergebnissen der Musikethnologie. Diesem, bei uns in Deutschland und in vielen Ländern Europas noch recht stiefmütterlich behandelten Fachgebiet zu größerem Ansehen und zu einem Publikationsorgan zu verhelfen, war der Zweck meiner Bemühungen. Ich hoffe, daß nach den Anfangsschwierigkeiten, die vor allem in der Beschaffung der Mittel für das Jahrbuch lagen, nun eine regelmäßige Folge der Bände im Jahresabstand eingehalten werden kann. In diesem vierten Band des Jahrbuchs für musikalische Volks- und Völkerkunde ist, im Gegensatz zu den früheren Bänden, die volkskundliche Musikforschung stärker vertreten als die völkerkundliche. Nur zwei der fünf Beiträge behandeln Themen aus dem Bereich der Musikethnologie im engeren Sinne, zwei beschäftigen sich mit europäischer Volksmusik und einer mit nordamerikanischer Folklore. Hans Oesch behandelt in seinem Aufsatz über die Launeddas Sardiniens das Instrument, die Tripelschalmei, und seine Spielpraktiken und die von ihm aufgenommenen Musikbeispiele. Eine alte mediterrane Tradition, die sich auf Sardinien noch erhalten hat, wird hier dokumentiert. Roger Pinons Studie über das wallonische Volkslied ist eine grundlegende Untersuchung des Volksliedschatzes der französisch sprechenden Bevölkerung Belgiens und der Volksliedsammlungen, in denen dieser Liedschatz niedergelegt und bewahrt ist. Rochus A. M. Hagen ist der deutsche Spezialist für das Negro Spiritual, dessen Forschungsgeschichte er hier darstellt. Eine solche historische Analyse liegt bisher nicht vor, auch nicht von amerikanischer Seite. Gerd Schönfelder betrachtet ein Teilgebiet der traditionellen chinesischen Opernmusik. Heiner Rulands Aufsatz über die Tonalität einer Indianermelodie habe ich nicht ohne Bedenken aufgenommen. An einer rein vokalen Melodie Spekulationen
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VORWORT
über Temperierungen oder die Anwendung von Tonsystemen anzustellen, ist zweifellos gewagt, denn in einer Kultur, die keine Instrumente mit festgelegten Tonstufen besitzt, ist kaum anzunehmen, daß ihre Vokalmelodien einem rationell ermittelten Tonsystem folgen. Nach einer ausgedehnten Korrespondenz zwischen Herausgeber und Autor, die diesen zu einer Erweiterung seiner Ausführung und zur Änderung einiger Formulierungen veranlaßte, glaube ich nun aber, diesen Beitrag nicht ablehnen zu können, da er viele originelle Gedanken enthält, die zu einer Diskussion anregen können. Ich bin gern bereit, Stellungnahmen zu diesem Aufsatz in einem späteren Band des Jahrbuchs zu veröffentlichen. Den Autoren möchte ich für die Überlassung ihrer Beiträge und für die damit verbundenen Korrekturarbeiten, in einigen Fällen auch für die durch die Zurückstellung ihrer Arbeit geforderte Geduld danken, desgleichen der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Bereitstellung der Mittel für den Druckkostenzuschuß, nicht zuletzt auch dem Verlag Walter de Gruyter & Co., Berlin, für die sorgfältige Herstellung und ansprechende Gestaltung auch dieses Bandes. Berlin, 30. Juli 1968
FRITZ BOSE
INHALT Vorwort
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OESCH, HANS ( B a s e l )
Die Launeddas, ein seltenes Musikinstrument
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PINON, ROGER ( L i e g e )
L'etude du folklore musical en Wallonie
25
HAGEN, ROCHUS A . M . ( K ö l n )
Abriß der Geschichte der Spiritualforschung SCHÖNFELDER, G E R D
(Berlin)
Zum chinesischen ban-Prinzip R U L A N D , HEINER
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(Benefeld)
Zur Tonalität einer Indianermelodie Buch- und Schallplattenbesprechungen Beilage: 1 Schallplatte
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DIE L A U N É D D A S , EIN SELTENES SARDISCHES MUSIKINSTRUMENT von HANS O E S C H , B a s e l
Eines der seltensten Blasinstrumente im europäischen Raum, das heute nur noch von ganz wenigen Musikanten im Süden Sardiniens gespielt wird, sind die launéddas1. Curt Sachs2 sagte von diesem Instrument, es sei „uralt und zweifellos phönikischen Ursprungs". Er wies ferner darauf hin, daß es früher auch auf spanischem Boden heimisch gewesen sein dürfte. In der musikalischen Volkskunde sind die launéddas bis heute nicht ihrer Bedeutung gemäß behandelt worden. Dies gilt für einen Beitrag von Fridolin Weis Bentzon 3 wie für eine ältere Spezialstudie von Giulio Fara 4 , die selbst hinsichtlich der Beschreibung des Instrumentenbaus und der Mensur ergänzungsbedürftig ist. Mit der vorliegenden Arbeit soll nicht zusammengetragen werden, was bisher in der Literatur geäußert wurde, sondern sollen Resultate vorgelegt werden, die sich bei der Beobachtung des launéddas-Spiels, beim Studium des noch lebendigen Repertoires und aus der Befragung seiner Interpreten ergeben haben. Der Musiker, dem ich die meisten Auskünfte und auch die Aufnahmen (1961), die diesem Jahrbuch in einer Plattenprägung 5 beigegeben sind, verdanke, heißt Luigi Lai (s. Abb. 1). Er stammt aus San Vito im Süden Sardiniens. Schon als Zehnjähriger baute er sich seine ersten launéddas und begann nach der ihm bekannten Tradition zu spielen. Bei den Gebrüdern Lara in Villaputzu vervollkommnete er seine Technik und lernte er das ganze launeddas-Repertoire kennen. Villaputzu ist der einzige Ort, wo launéddas noch heute bei mehrtägigen religiösen Festen gespielt werden. Im Herbst 1959 beispielsweise waren dort zwei launéddas-Spieler aufgetreten. Seinen letzten Schliff holte sich der Jüngling aus San Vito bei Efisio Melis, der ihn 1954 anläßlich eines großen Volksfestes, der „Cavalcata Sarda" in Sassari, als jungen Meister seines Faches bekannt machte.
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HANS OESCH
INSTRUMENTENBAU UND SPIELWEISE Die launéddas gehören zur Instrumentenfamilie der Klarinette. Curt Sachs (a. a. O.) spricht von einer Tripelschalmei, weil sie aus drei ungleich langen Rohren bestehen (s. Abb. 2). Das längste Rohr heißt tumbu"; es besitzt keine Grifflöcher und dient daher als Bordun-Pfeife. Seine totale Länge beträgt bei dem in Abb. 2 wiedergegebenen fiorássiu-Instrument, das Mundstück eingerechnet, I I I cm. Je nach dem Register der launéddas verkürzt oder verlängert sich diese Dimension um wenige Zentimeter oder — bei dem kürzesten Rohr — um wenige Millimeter. Die beträchtliche Länge des túmbu ist der Grund, warum das Rohr neuerdings öfter aus etwa zwei gleich langen Teilen zusammengesetzt wird, um — auseinandergenommen — leichter transportiert werden zu können. Das Rohr mittlerer Länge heißt mankösa 7 . Es ist an zwei Stellen durch eine legatura mit dem tumbu zusammengebunden. Die Einheit dieser beiden Rohre trägt den Namen króba 8 . Die mankösa ist eine Spielpfeife. Bei unserem Instrument mißt sie in vollständiger Länge 44 cm und weist vier rechteckige Grifflöcher auf. Unterhalb der Grifflöcher findet sich ein etwas längeres Loch, der arrefinu, was etwa mit „Regulator" zu übersetzen wäre. Dieser arrefinu bestimmt die Länge der klingenden Luftsäule, die bei der abgebildeten mankösa 28 cm beträgt. Es lassen sich auf diesem mittleren Rohr also insgesamt fünf Töne spielen: Sind alle vier Grifflöcher gedeckt, erklingt der tiefste Ton, öffnet man die Grifflöcher der Reihe nach in Richtung Mundstück, so können die vier nächsthöheren Töne hervorgebracht werden. Das mit der rechten Hand gehaltene kürzeste Rohr, abermals eine Spielpfeife, heißt mankosedda9; es ist gleich gebaut wie die mankösa, weist normalerweise ebenfalls vier Grifflöcher und den arrefinu auf. Im Unterschied zur mankösa ist dieses insgesamt 33 cm lange Rohr 10 aber nicht durch eine ligatura mit einem der andern verbunden, sondern frei beweglich. Die klingende Luftsäule der abgebildeten mankosédda mißt 18 cm. Das Mundstück (kabissa 11 ) besteht aus einem in túmbu, mankösa und mankosédda eingesetzten kleineren Rohr, dessen oberes Ende durch eine Internodium-Wand geschlossen ist. Aus diesem Mundstück-Rohr selbst ist eine primitive aufschlagende Zunge (linguátsa) herausgeschnitten, die nicht aufgesetzt wird, sondern an der mundwärts liegenden Basis mit dem Korpus verbunden bleibt. Durch das Anblasen dieser Tripel-Klarinette werden — wie bei allen Instrumenten der Schalmeien-Familie — die Lamellen in Schwingung versetzt, wodurch der Luftstrom stoßweise auf die Luftsäule im Innern des Rohres einwirkt und diese dadurch in Schwingung versetzt. Auf zwei Arten lassen sich launéddas stimmen. Die Größe insbesondere des arrefinu, aber auch jedes Griffloches, kann durch Verkleben mit Wachs verändert werden. Je mehr Wachs am oberen Ende der rechteckigen Löcher beigegeben wird, desto länger wird die schwingende Luftsäule, desto tiefer somit der betreffende Ton. Zum andern kann durch Aufkleben kleiner Wachskügelchen auf den Lamellen die Schwingung der Zungen verlangsamt werden. Es läßt sich eine erstaunlich feine Instrumenten-Stimmung
DIE LAUNÉDDAS
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dadurch erreichen, daß man die Wachsmasse auf den Lamellen etwas nach oben oder nach unten verlagert. Beim Blasen werden alle drei Kopfstücke der launéddas ganz in den Mund genommen. Die Instrumental-Zungen dürfen weder mit den Zähnen noch mit den Lippen berührt werden. Ähnlich wie beim modernen Aerophor dient die Mundhöhle als ein Windbehältnis. Da das Spiel durch Atemholen nicht unterbrochen werden soll, ist eine besondere Art der Atmung, wie sie im außereuropäischen Raum bei Klarinetten oder Oboen häufig geübt wird, erforderlich. Der Spieler stößt die Luft durch Zusammenpressen der Wangen aus und atmet gleichzeitig durch die Nase ein. Aus dem Luft-Reservoir der Lungen wird die Mundhöhle dann erneut gefüllt. Der Wechsel von Ausstoßen der Luft, Einatmen und Wieder-Füllen der Mundhöhle ist visuell erkennbar an der regelmäßigen Pumpbewegung der Wangen. Die nicht allzuschwer zu erlernende Atemtechnik erlaubt ein ununterbrochenes Instrumentenspiel, das über eine halbe Stunde dauern kann. Wenn man bedenkt, daß ein launeddas-Bläser an drei aufeinanderfolgenden religiösen Festtagen jeweils oft mehrere Stunden zum Tanze aufspielt, und wenn man ferner weiß, wieviel Luft in die drei Rohre des Instruments eingeblasen werden muß, kann man ermessen, über welch hohen Grad an technischer Perfektion ein solcher Musikant verfügen muß. Launéddas werden in verschiedenen Größen gebaut. Da die Tonarten der einzelnen Stücke festgelegt sind, bedient sich jeder launéddas-Spieler eines ganzen Satzes von Instrumenten, die er in einem Lederbehälter mit sich führt. Die einzelnen Instrumente, die Luigi Lai verwendet, und die auf ihnen verfügbaren Skalen sind in der umseitigen Tabelle zusammengestellt. Die launéddas su púntu de örganu — oder kurz örganu — im Besitze von Luigi Lai sind in drei verschiedenen Tonarten gestimmt, von denen diejenigen in g und a häufiger vorkommen als diejenige in f. Su fiorássiu verwendet er am häufigsten in a und b, gelegentlich auch in c und am seltensten in d und g. Sa mediana kommt nach Luigi Lai am häufigsten in c vor, gefolgt von b und a. Von dieser mediána existieren in jeder Tonart zwei Abarten, die sich jedoch nur hinsichtlich der mankosédda unterscheiden. Mediána pipía (das „Kind") klingt höher, hat nach dem arrefinu-Ton g' die Tonfolge c" d" e" f " anstelle der normalen mediána-Skala g' — h' c" d" e". Das Spiel auf der mediána pipía erfordert keine spezielle mankosédda. Diese weist nämlich beim mediána-Register fünf statt nur vier Grifflöcher auf. Soll in mediána gespielt werden, klebt der Musiker das oberste Griffloch mit Wachs zu, ist ein Stück in mediána pipía wiederzugeben, verschließt er das unterste der fünf Grifflöcher. Ein Wechsel von mediána nach mediána pipía ist im Verlaufe eines Stückes natürlich nicht möglich. Dasselbe Phänomen tritt auch im spinéllu-Register zutage, wo die mankosédda ebenfalls in spinéllu pipía umgestimmt werden kann. Für die im Klangraum der mankosédda tiefere mediána fiúda e bagadía und den spinéllu fiúda e bagadía sind indessen spezielle Pfeifen erforderlich.
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