Hermann-Hesse-Jahrbuch: Band 4 [2007] 9783484605183


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German Pages 186 [188] Year 2009

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Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Vorwort
Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche
Ist Hesse Nietzscheaner?
Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur
Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens
Hermann Hesse und seine Mutter
Hesse und die Medien - Richard Strauss’ letzte Liedkompositionen nach Hermann Hesses Gedichten: Kongeniale (unvollendete) Umsetzung im Geiste pantheistischen ‹Loslassens›
Hesse und die Medien - Hesses Steppenwolf als Film: Analoge Adaption und postmoderne Vielschichtigkeit
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Hermann-Hesse-Jahrbuch: Band 4 [2007]
 9783484605183

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Hermann-Hesse-Jahrbuch Band 4I

Hermann-Hesse-Jahrbuch Band 4 Herausgegeben von Mauro Ponzi im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft

Max Niemeyer Verlag Tübingen 2009

Herausgeber: Mauro Ponzi (Rom) Redaktionsausschuss: Giorgio Cusatelli (Pavia), Ralph Freedman (Princeton), Géza Horváth (Budapest), Adrian Hsia (Montreal), Michael Limberg (Düsseldorf ), Uli Rothfuss (Calw), Andreas Solbach (Mainz), Jürgen Wolff (Stuttgart). Redaktion: Flavia Arzeni (Rom), Svenja Stork (Rom), Maddalena Fumagalli (Rom), Micaela Mecocci (Rom), Yvonne Wolf (Mainz).

Bibliografi sche Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978–3–484–60517–6

ISSN 1614 1423

© Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2009 Ein Imprint der Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Verfielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Johanna Boy, Brennberg Druck und Binden: AZ Druck und Datentechnik, Kempten

V

Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII

I

Nihilismus/Medien

Mauro Ponzi Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Soon-Kil Hong Ist Hesse Nietzscheaner? Hesse als Anhänger und Überwinder von Nietzsche . . . . 25 Adrian Hsia Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur. (Dem Andenken Günther Debons gewidmet) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

Flavia Arzeni, Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

Michael Limberg Hermann Hesse und seine Mutter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

Hesse und die Medien Volker Wehdeking Richard Strauss’ letzte Liedkompositionen nach Hermann Hesses Gedichten: Kongeniale (unvollendete) Umsetzung im Geiste pantheistischen ‹Loslassens› . . . .

97

Volker Wehdeking Hesses Steppenwolf als Film: Analoge Adaption und postmoderne Vielschichtigkeit . . . 115

II

Besprechungen

Christoph Gellner, Hermann Hesse und die Spiritualität des Ostens (Adrian Hsia) . . . . . . . . . . . . 137

Inhalt

VI «Schreibkugel ist ein Ding gleich mir: von Eisen». Schreibszenen im Zeitalter der Typoskripte. Herausgegeben von Davide Giuriato u.a. (Kerstin Gräfi n von Schwerin) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Bruno, Heiner und Martin Hesse – Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Herausgegeben von Uli Rothfuss (Christine Mondon) . . . . . . . . . . . . . . 143 Sikander Singh, Hermann Hesse (Volker Wehdeking) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Panagiota Theodorou, Übergangsriten in Hermann Hesses Erzählen. Eine Studie zu ‹Sidharta› sowie ‹Narziß und Goldmund› (Helga Esselborn-Krumbiegel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 Lásló Szabó, Der Einfluss Friedrich Nietzsches auf Hermann Hesse. Formen des Nihilismus und seiner Überwindung bei Nietzsche und Hermann Hesse (Elke Minkus) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

III Mitteilungen Das Menschenbild bei Hermann Hesse. 13. Internationales Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw 2008 . . . . . . . . 151 Hermann Hesse und Romain Rolland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 Europäische Dimension in der Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 122. Europäisches Seminar des Europarats in Verbindung mit der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Hessevertonungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

IV Hesse-Bibliographie zusammengestellt von Michael Limberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Siglen-Verzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Die Mitarbeiter dieses Bandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

VII

Vorwort Hermann Hesse hat auf seine Art und Weise Nietzsches Denken rezipiert und einige Züge davon in seine Werke übertragen und literarisch «transfiguriert». Seine oft wiederkehrende Figur des Einzelgängers hat eine romantische Herkunft, sie wird aber mit einer starken nietzscheanischen Komponente dargestellt. Die Person von Zarathustra ist ein direkter Bezug auf Nietzsches Buch. Die Figur des Steppenwolfs scheint die Reproduktion Nietzsches Auffassung des Übermenschen zu sein. Und im Traktat tauchen Zitate und Referenzen auf seine nihilistische Philosophie immer wieder auf. Selbst das Interesse für den Orient und dessen nihilistische Auffassung des Lebens scheint auch von Nietzsches Denken zu stammen. Es ist als ob Hesse in Nietzsche eine Bestätigung gefunden habe, um seine Nirvana-Auffassung literarisch darstellen zu können. In Zarathustras Wiederkehr hat Hesse vor, eine «Umwertung aller Werte» zustande zu bringen, Nietzsche vor der Raserei des Nationalismus zu ‹retten›, ihn zu seinen ursprünglichen ‹alternativen› und anti-bürgerlichen Wurzeln, nämlich zu jener Interpretation zurückzuführen, welche die Wiener Literatur-Kreise seinem Werk seit der Jahrhundertwende gegeben hatten. Die Person von Zarathustra stellt die Figur von Nietzsche mit ihrer Ironie und mit ihrer Theorie dar. In ihr will Hesse den Übermensch als den ‹ersten dieser Art› schildern. Er wendet sich den «Jünglingen, welche vom Kriege heimgekehrt und in der veränderten und umgestürzten Heimat voll rastloser Besorgnis waren»1 zu, um sie aufzufordern, der deutsch-nationalen Propaganda nicht zuzuhören, den ‹Märchen› von ‹Volk› und ‹Heimat› kein Vertrauen zu schenken, weder die Spartakisten noch die Revoluzzer in Betracht zu ziehen, weil von ihnen weder die Zerstörung der Heimat noch die Befreiung kommen wird. Nietzsches Motiv des ‹Übermenschen›, des Außenseiters, der das ‹Zeichen von Cain› aber auch gleichzeitig jenes ‹Lächeln der Unsterblichen› in sich trägt, da es jener Weisheit entspricht, welche die Menschen besitzen, die sich der deutsch-nationalen Mentalität entgegensetzen, taucht im Steppenwolf wieder auf. Hermann Hesse und Thomas Mann stellen zwei verschiedene – aber irgendwie komplementäre – Aspekte der Nietzsche-Rezeption und der literarischen Anwendung seiner Theorie dar. In diesem Sinn sind beide Autoren eng verbunden, in dieser Richtung wurden sie von dem damaligen Publikum gelesen, in diesem Sinn verstanden sie sich als ‹verwandt›. Die Werke beider Autoren sind zwei verschiedene Antworten auf jene Krise aller Werte, die die Kultur der Jahrhundertwende charakte-

1

GW 10, S. 467.

Vorwort

VIII risierte und die deutsche Kulturidentität in Frage gestellt hatte. Demzufolge muß man sie parallel zu betrachten. Dieses Heft erforscht die Umwege, durch die Nietzsches Nihilismus von Hesse (und von Thomas Mann) rezipiert wurde. Hesses Weltanschauung wurde aber auch von vielen anderen Theorien beeinflusst. So spielen auch seine Beziehung zur Mutter oder seine Suche nach der Glückseligkeit eine entscheidende Rolle in der Entstehung von Themen und Motiven seines Werks. Trotz seiner sprachlichen Experimente blieb aber Hesses literarisches Verfahren immer ziemlich traditionell, und es ist bisher keinem gelungen, eine überzeugende Verfi lmung seiner Romane hervorzubringen. Ein Teil dieses Hefts wird dem Thema Hesse und den Medien gewidmet, um zu bestimmen, ob die Versuche sein Werk in die neuen Medien zu übertragen scheiterten oder aber ob in der Struktur seiner literarischen Werke etwas anwesend ist, das die Verfi lmung im Grunde verhindert.

1

Mauro Ponzi

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche 1. Nietzsches Denken wurde nicht nur zunächst von der deutsch-nationalen und dann von der nationalsozialistische Propaganda instrumentalisiert, sondern auch anhand der Verfälschung der Texte manipuliert. Nietzsches Ideen können wohl aufgrund des ‹Adel des Geistes› und des ‹bloßen Lebens› interpretiert werden, aber die Verwendung seiner Grundbegriffe als Parolen war eine wahre Verfälschung, die auf der Dekontextualisierung seiner Behauptungen basierte. Eine Leistung der italienischen Germanistik, die in der Hauptversammlung der Internationalen Vereinung der Germanisten 1980 in Basel und 1985 in Göttingen international explizit anerkannt wurde, besteht darin, eine kritische Edition der Werke von Nietzsche dank der Arbeit von Giorgio Colli und Mazzino Montinari herausgegeben zu haben. Sie haben den Text seiner Schriften chronologisch und philologisch eingeordnet und ihm einen plausiblen Sinn gegeben – besonders was die nachgelassenen Fragmente anbelangt. Zuvor waren Nietzsches Editionen auf der Grossoktavausgabe begründet, die in Leipzig zwischen 1894 und 1926 erschien. Sie wurde von dem Nietzsche-Archiv herausgeben, das von der Schwester des Philosophen, Elisabeth Förster-Nietzsche, 1894 in Naumburg und dann seit 1896 in Weimar gegründet und geleitet wurde. Die Schwester setzte den Herausgebern und Verlegern ihre eigene Auffassung der Ausgabe durch, die darin bestand, Fragmente aus verschiedenen Perioden nach Themen zu veröffentlichen, indem sie Werke, die der Autor als solche nie schrieb, wörtlich zusammensetzte. Der auffallendste Fall dieser Manipulation betrifft das Buch Willen zur Macht, das Elisabeth Förster-Nietzsche als das ‹philosophische Hauptprosawerk› ihres Bruders bezeichnete, und das in Wirklichkeit von ihm in dieser Form nicht geschrieben wurde, sondern von seiner skrupellosen Schwester aus verschiedenen Bruchstücken ‹montiert› wurde.1 Mazzino Montinari hat in mehreren Berichten und Aufsätzen mehrmals erzählt, wie er und Giorgio Colli bei

1

«Von den 347 von Nietzsche im Hinblick auf den Willen zur Macht numerierten Fragmenten sind 104 nicht auf die Kompilation aufgenommen werden; davon wurden 84 überhaupt nicht veröffentlicht […]. Von den übrigen 270 Fragmenten sind 137 unvollständig bzw. mit willkürlichen Textänderungen (Auslassung von Überschriften, oft auch von ganzen Sätzen, Zerstückelung von zusammenhängenden Texten usw.) wiedergegeben» (M. Montinari, Nietzsche lesen, Berlin-New York, De Gruyter, 1982, S. 107).

Mauro Ponzi

2 dem Auftrag, eine italienische Ausgabe der Werke von Nietzsche herauszugeben, ziemlich rasch die Anomalien der Archiv-Ausgabe bemerkten, die in dem gleichen Band Fragmente verschiedener Perioden einschloß, als ob es sich um ein einheitliches Werk handelte – und anderseits Fragmente aus dem gleichen Jahr ausschloß. Daher entstand die Notwendigkeit (und das Projekt) einer kritischen Ausgabe aufgrund der genauen philologischen Analyse der Weimarer Manuskripte.2 Bedenken über die Kriterien der Archiv-Ausgabe und besonders über die Edition der Wille zur Macht wurden schon Anfang des 20. Jahrhunderts geäußert. Otto Weiss, Mitherausgeber der XV und XVI Bände der Grossoktavausgabe, fügt 1911 «die Pläne, Dispositionen und Entwürfe von 1882 bis 1888» hinzu. «Die Vielfalt dieser Pläne (und es sind längst nicht alle!) ist – wie Montinari schreibt – die beste Widerlegung der Auswahl zugunsten eines Plan aus dem Jahr 1887, aufgrund dessen Paul Gast und Elisabeth Förster-Nietzsche ihre Kompilation zusammenstellten. Anmerkungen zum Text welche – wie Richard Roos bemerkte – einen gewissen Zynismus bei einem sonst ausgewiesenen Editor, wie Otto Weiss es war, verraten. Sie verraten in der Tat eine Unzahl von Weglassungen, Interpolationen, willkürlichen Teilungen von zusammenhängenden Texten ( jedoch nicht alle!). Die Anmerkungen widerlegen hier den Text».3 Die Herausgeber einer neuen Edition zeigten Anfang der 30er Jahre eine gewisse Verlegenheit in der neuen Ausgabe der Fragmente von Wille zur Macht. Hans Joachim Mette schrieb 1932 in dem Vorwort zur neuen Edition, daß das Nietzsche-Archiv vorhatte, diesen nachgelassenen Schriften ihre ursprüngliche Form wiederzugeben – und dadurch gab er indirekt zu, daß sie zuvor eine willkürliche Form hatten. Walter Otto, Mitglied des wissenschaftlichen Gremiums, schrieb 1934, daß die Herausgeber die Aufgabe hatten, die letzten Schriften, die zu den Gedanken des Willen zur Macht zusammengehörten, zum ersten Mal ohne jede willkürliche Redaktion darzulegen. Ernst und August Horneffer hatten schon 1906–7 bewiesen, daß es wissenschaftlich unmöglich war, zu behaupten, daß Wille zur Macht ein philosophisches Werk von Nietzsche sei.4 Elisabeth Förster war aber noch aktiv und es gelang ihr, alle Versuche zu blockieren, eine philologisch korrekte Edition herauszugeben, und die Äußerungen der Herausgeber der Edition von 1933 abschwächen zu lassen.5 Die Thesen von Horneffer

2

3 4

5

Vgl.: M. Montinari, Nietzsches Nachlaß von 1885 bis 1888, oder Textkritik und Wille zur Macht, Akten des V. Internationalen Germanisten-Kongresses, Cambridge 1975, in: ‹Jahrbuch für Internationale Germanistik›, Reihe A, Bd. 2.1, S. 46–47; M. Montinari, Vorwort, in F. Nietzsche, Werke, Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von G. Colli e M. Montinari, De Gruyter, BerlinNew York 1967–77, Bd. 14, S. 7–17. M. Montinari, Vorwort, in F. Nietzsche, Werke, a.a.O., S. 10. «Daß die nunmehr epochenmachende Kompilation Der Wille zur Macht als Nietzsches ‹philosophisches› Hauptwerk wissenschaftlich unhaltbar war, wurde 1906/07 von Ernst und August Horneffer sowie 50 Jahre später von Karl Schlechta nachgewiesen» (ebd., S. 11f.). Vgl.: A. Horneffer, Nietzsche als Moralist und Schriftsteller, Jena 1906; E. Horneffer, Nietzsches letztes Schaffen, Jena 1907. Vgl. M. Montinari, Nietzsche lesen, a.a.O., S. 16.

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

3 wurden in den 50er Jahren zum Bezugspunkt für die Werkausgabe von Richard Roos und Karl Schlechta und sind ein Ausgangspunkt der kritischen Ausgabe von Colli und Montinari gewesen. Innerhalb der Werke von Nietzsche spielen die nachgelassenen Fragmente nur deswegen eine entscheidende Rolle, weil sie drei Viertel seiner gesamten Produktion sind. Das Archiv und dessen Leiterin Elisabeth Förster-Nietzsche haben die Werke des Philosophen ideologisch instrumentalisiert ohne seine wirklichen Absichten und die reale Konsistenz der nachgelassenen Manuskripte zu berücksichtigen. Die Manipulation der Schwester war manchmal so grob, daß sie fast grotesk wurde, wie zum Beispiel in der von Bataille erwähnten Episode, als sie, um den Antisemitismus von Nietzsche zu beweisen, einen Brief ihres Mannes vorlas. Elisabeth Förster-Nietzsche tendierte also dazu, die Gedanken des deutschen Philosophen zu einer rassistischen und deutschnationalen Weltauffassung zu assimilieren, die eigentlich die ihres Mannes war, und die von dem Propaganda-Apparat des Kanzlers und der Partei benutzt worden war. Dennoch nicht nur einige Philologen, sondern auch einige deutsche Intellektuelle, die den philosophischen Text genau gelesen und den kulturellen Kontext in Betracht gezogen hatten, hatten Nietzsches Denken in seinem eigentlichen ‹alternativen› und ‹anti-bürgerlichen› Sinn rezipiert und die Verfälschung und Instrumentalisierung der Elisabeth Förster-Nietzsche rechtzeitig kritisiert. Walter Benjamin zum Beispiel veröffentlichte am 18. März 1932 in ‹Literarische Welt› einen Artikel mit dem Titel Nietzsche und das Archiv seiner Schwester, in dem er die Behandlung der nachgelassenen Manuskripte radikal kritisierte und schlug provokativ vor, Elisabeth Förster-Nietzsche aus ihrer Stelle zu entlassen. Wie Mazzino Montinari schreibt, wenn man bei Nietzsche von ‹Wille zur Macht› spricht, bezieht man sich zunächst auf seine Begriffsbestimmung und dann auf ein (nie mit diesem Titel verwirklichtes) Literaturprojekt. Die Vorbereitungsfragmente entstanden 1880 in Zusammenhang mit der Fassung von Morgenröte und das Thema als solches wurde in dem zweiten Teil von Also sprach Zarathustra besonders in der Abteilung Von der Selbstüberwindung entwickelt. So ist nach Nietzsche «jener Wille selber, der Wille zur Macht, – der unerschöpfte zeugende Lebens-Wille».6 Nietzsches Werk ist ein work in progress: es besteht aus Fragmenten, Notaten, Entwürfen, die immer wieder geändert und ergänzt werden. Der fragmentarische Charakter – beständig gegen jeden Wunsch nach Systematisierung, wie Montinari schreibt – der Schriften von Nietzsche zeigt sich besonders in seinem Nachlaß. Hier ist die chronologische Rekonstruktion des Textes entscheidend, um den Lauf seines werdendes Gedankens verstehen zu können. Einen Gedanken oder einen Entwurf zu isolieren, sie aus ihrem Kontext herauszunehmen oder sogar mit Fragmenten aus anderen Epochen

6

F. Nietzsche, Werke, Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von G. Colli e M. Montinari, De Gruyter, Berlin-New York 1967–77, Bd. 4, S. 147.

Mauro Ponzi

4 zu «montieren», um sie dann unter einer einzigen gedanklichen Rubrik einzuordnen, ist philologisch und philosophisch nicht nur unkorrekt, sondern auch absurd. Der ‹Wille zur Macht› in der authentischen Auffassung Nietzsches ist eine Art von ‹Lebensschwung›, eine innere Kraft, die für die Selbstverwirklichung des Individuums kämpft, und die jener psychoanalytischen Kraft der Selbstbestimmung des Subjekts gleicht, die Hesse fast allen seinen Hauptpersonen zuschreibt. In einem 1885 entstandenen Fragment, das von der Werkausgabe des Archivs ausgeschlossen wurde, taucht dieser Aspekt deutlich auf: Zum Ring der Ringe. Zu der Kraft, die sich wandelt und immer die gleiche bleibt, gehört eine Innenseite, eine Art Charakter von Proteus-Dionysos, sich verstellend und sich genießend in der Verwandlung. Die ‹Person› als Täuschung zu begreifen: thatsächlich ist die Vererbung der Haupteinwand, insofern eine Unzahl von formenden Kräften aus viel früheren Zeiten ihren fortwährenden Bestand machen: in Wahrheit kämpfen sie in ihr und werden regiert und gebändigt – ein Wille zur Macht geht durch die Personen hindurch, er hat die Verkleinerung der Perspective, den ‹Egoismus› nöthig, als zeitweilige Existenz-Bedingung; er schaut von jeder Stufe nach einer höheren aus.7

Auch wenn Hesse dieses Fragment nicht kannte, hatte er Nietzsches Werk in dieser Richtung gelesen und in ihm eine Auffassung des inneren Konfl ikts für die Selbstbestätigung des Individuums herausgelesen, die als Folge eine ‹Reduzierung› der Person und eine Konfrontation mit der Natur hatte. Im gleichen Jahr 1885 in einem anderen Fragment schildert Nietzsche seine Weltanschauung, die als der Prototyp der Auffassung der Einheit des Seins von Hesse scheint: «Und wißt ihr auch, was mir ‹die Welt› ist? Soll ich sie euch in meinem Spiegel zeigen? Diese Welt: ein Ungeheuer von Kraft, ohne Anfang, ohne Ende, eine feste, eherne Größe von Kraft, welche nicht größer, nicht kleiner wird, die sich nicht verbraucht sondern nur verwandelt, als Ganzes unveränderlich groß […]».8 Hesse hatte aber sicher Also sprach Zarathustra gelesen. Hier, eben in dem Kapitel Von der Selbstüberwindung, in dem der Philosoph den ‹Willen zur Macht› theoretisiert, können wir jene Begriffe von Selbstfi ndung und Selbstüberwindung fi nden, mit anderen Worten, jenen ‹inneren Weg›, den Hesse als eine «Nietzscheanische Intuition» bezeichnet und der der Kern des befreienden Charakters seiner Prosa ist. Hier identifi ziert Nietzsche den ‹Wille zur Macht› mit dem Leben schlechthin. Diese Behauptung wird aber von der Überzeugung der Einheit der Gegensätze begleitet: Leben und Tod sind zwei Aspekte des Werdens, der Kampf zwischen dem ‹Starken› und dem ‹Schwachen› ist ein Aspekt der Existenz. Dann werden der Verfall, der Untergang immer wieder von der Erneuerung des Lebens überwunden: «Und dies Geheimnis redete das Leben selber zu mir. ‹Siehe, sprach es, ich bin das, was sich immer selber überwinden muß› ».9

7 8 9

F. Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. 11, S. 540. Ebd., S. 610f. F. Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. 4, S. 148.

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

5 Der ‹Weise› stimmt mit dieser Selbstüberwindung des Lebens überein und versucht, seine eigene Subjektivität in einer Weltauffassung, die auch die Selbstvernichtung als Voraussetzung einer höheren Stufe vorsieht. Nietzsches Übermensch ist das Resultat dieses Strebens des Einzelnen, des ‹Auserlesenen›, sich selbst zu überwinden, in die menschliche Lage hinüberzugehen, d. h. eine Art Unsterblichkeit in der Natur zu erreichen. Dieser Vorgang impliziert aber als notwendige Stufe die Selbstvernichtung des selben Subjekts, sein ‹zu Grunde gehen›. Der interessante Aspekt, die ‹Intuition› wie sie Hesse nennt, besteht in der Tatsache, daß Nietzsche diesen Kampf ums Leben im Inneren jedes Individuums setzt, in dem die ‹Starken› und die ‹Schwachen›, der Instinkt zum Leben und der Trieb zur Selbstvernichtung – um Freuds Worte weiter zu verwenden: Eros und Thanatos, Bewußt und Unbewußt, Ich und Über-Ich – miteinander kämpfen. Der ‹Wille zur Macht› ist in diesem Zusammenhang nichts anderes als der Lebensschwung für die Selbstbestätigung des Subjekts. In dem darauffolgenden Kapitel mit dem Titel Von den Erhabenen, schreibt Nietzsche deutlich: «seinen HeldenWillen muß er noch verlernen».10 Die Selbstbestätigung des Individuums ergibt sich erst in der Kontemplation der Kraft und Vitalität der Natur. Der höchste ‹Wille zur Macht› verwirklicht sich in dem ‹Wille zur ewigen Wiederkehr›. Die deutsch-nationale Interpretation vergißt zu berücksichtigen, daß der ‹Wille zur Macht› in Nietzsche immer innerhalb eines ‹dionysischen› Projekts der Selbstvernichtung abgeschwächt und verneint wird, und darin besteht die ‹östliche› Komponente seines Denkens: sein Verweis auf Zarathustra. Schreibt nämlich Nietzsche: «Tatsächlich bringt jedes große Wachstum auch ein ungeheures Abbröckeln und Vergehen mit sich: das Leiden, die Symptome des Niedergangs gehören in die Zeiten ungeheuren Vorwährtsgehens; jede fruchtbare und mächtige Bewegung der Menschheit hat zugleich eine nihilistische Bewegung mitgeschaffen».11 Von diesem Standpunkt aus übernimmt Hesses Erzählprosa eine Nietzschesche Valenz von Selbstzerstörung, die als Voraussetzung nur die Zurückweisung einer ‹Philisterauffassung› der Moderne, des Fortschritts, der Kultur haben kann. Das nihilistische Element wird von dem Denkbild des ‹Fallens› begleitet. Schreibt nämlich Nietzsche 1886 in einem anderen Fragment: Das zu-Grunde-gehen präsentiert sich als ein Sich-zu-Grunde-richten, als ein instinktives Auslesen dessen, was zerstören muß. Symptome dieser Selbstzerstörung der Schlechtweggekommenen: die Selbstvivisektion, die Vergiftung, Romantik, vor allem die instinktive Nöthigung zu Handlungen, mit denen man die Mächtigen zu Todfeinden macht ( - gleichsam sich seine Henker selbst züchtend) der Willen zur Zerstörung als Willen eines noch tieferen Instinkts, des Instinkts der Selbstzerstörung, des Willen ins Nichts.12

Die Legende des Übermenschen im rassistischen und nationalistischen Sinn widerspricht Nietzsches Philosophie, die eben entstand, um den Konformismus zu bekämp-

10 11 12

Ebd., S. 151. F. Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. 8.2, (Nachgelassene Fragmente), S. 134. F. Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. 8.1, S. 219.

Mauro Ponzi

6 fen. Man könnte viele Stellen aus seinen Schriften erwähnen, um das Bild eines antisemitischen und rassistischen Nietzsche zu widerlegen, es werden zwei Stellen aus dem Jahr 1887 genügen. Theodor Fritsch (1852–1933), ein Theoretiker des Rassismus, schickte ihm die Zeitschrift ‹Antisemitische Korrespondenz›, von der er Redakteur war. Nietzsche schrieb ihm einen Brief am 29. März 1887, mit der Bitte, diese Sendung zu unterbrechen: Doch bitte ich darum, mich fürderhin nicht mehr mit diesen Zusendungen zu bedenken: ich fürchte zuletzt für meine Geduld. Glauben Sie mir: dieses abscheuliche Mitredenwollen noioser Dilettanten über den Werth von Menschen und Rassen, dieser Unterwerfung unter «Autoritäten», welche von jedem besonneneren Geiste mit kalter Verachtung abgelehnt werden (z. B. E. Dühring, R. Wagner, Ebrard, Wahrmund, P. de Lagarde – wer von ihnen ist in Fragen der Moral und Historie der ungerechteste, ungerechteste?), diese beständigen absurden Fälschungen und Zurechtmachungen der vagen Begriffe ‹germanisch›, ‹semitisch›, ‹arisch›, ‹christlich›, ‹deutsch› – das Alles könnte mich auf die Dauer ernsthaft erzürnen und aus dem ironischen Wohlwollen herausbringen, mit dem ich bisher den tugendhaften Velleitäten und Pharisäismen der jetzigen Deutschen zugesehen habe. Und zuletzt, was glauben Sie, das ich empfi nde, wenn der Name Zarathustra von Antisemiten in den Mund genommen wird?13

In einer Notiz aus der gleichen Zeit in seinem Nachlaß können wir lesen: «Neulich hat ein Herr Theodor Fritsch aus Leipzig an mich geschrieben. Es giebt gar keine unverschämtere und stupidere Bande in Deutschland als diese Antisemiten. Ich habe ihm briefl ich zum Danke einen ordentlichen Fußtritt versetzt».14 Es ist sehr deutlich die Absicht des Autors, seine eigene Position von denen jener ‹unverschämten und stupiden Bande der Antisemiten› zu unterscheiden. Und statt dessen propagandierte wenige Jahre später seine Schwester ein ganz anderes Bild seines Denkens, verbreitete eine Fassung seiner Schriften, in der der ‹Wille zur Macht› als Wille zum Übergriff des Stärkeren auf den Schwächeren interpretiert wurde. So sollten alle Außenseiter, alle ‹Alternativen›, diejenigen also, die nach einer authentischen Nietzscheschen Auffassung ‹sich in Reihe› und Glieder nicht einordnen› wollen und deswegen ‹Übermenschen› sind, liquidiert werden – und das – Paradox der Propaganda – im Namen von Nietzsches Philosophie! Der schon erwähnte Theodor Fritsch, dem Nietzsche ‹briefl ich einen ordentlichen Fußtritt versetzt› hatte, schrieb eine Rezension zu Jenseits des Guten und Bösen, in der er das Buch heftig kritisierte, weil es eine «Verherrlichung der Juden» und «eine schroffe Verurteilung des Antisemitismus»15 enthielte. Die Aneignung des Nietzscheschen Denkens von der Seite des Nationalsozialismus wurde von der Einstellung der Elisabeth Förster-Nietzsche und ihrem Archiv ermöglicht, sie fand aber eine wesentliche Unterstützung in Alfred Bäumler, der für die Kontrolle der kulturellen und philosophischen Bildung der nationalsozialistischen 13 14 15

F. Nietzsche, Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. von G. Colli e M. Montinari. Weitergeführt von N. Miller und A. Pieper. De Gruyter, Berlin-New York 1984, Bd. III.5, S. 51. Ebd., Bd. III.7/1, S. 87. Vgl.: M. Montinari, Nietzsche lesen, a.a.O., S. 169.

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

7 Partei zuständig war. Als Nietzsche-Forscher war es Bäumlers Absicht, die Ideen des deutschen Philosophen für die Partei brauchbar zu machen und sein Denken in einem rassistischen, autoritären, und nationalistischen Sinn zu beugen. Bei dieser Instrumentalisierung wies er eine große Bedeutung an den nachgelassenen Fragmenten in der von dem Archiv herausgegebenen Fassung, und demzufolge mit einer Überschätzung des Willen zur Macht. Er hatte vor, Nietzsches Philosophie eine politische Bedeutung zu geben und sein fragmentarisches Denken zu ‹systematisieren›. Dieses Kulturprogramm nimmt Nietzsches Überzeugung nicht an. Er schrieb nämlich 1888 als Vorwort seines nie geschriebenen Buches Willen zur Macht: «Ich mißtraue allen Systematikern und gehe ihnen aus dem Weg. Der Wille zum System ist, für uns Denker wenigstens, etwas, das compromittiert, eine Form unser Immoralität. – Vielleicht erräth man, bei einem Blick hinter diesem Buch, welchem Systematiker ich selbst nur mit Mühe ausgewichen bin…».16 Bäumler gründet seine ganze Interpretation auf der verfälschten Ausgabe des Nietzsche-Archivs und auch wenn er den unauthentischen Charakter des Buches erkennt – er nennt es nämlich ‹unvollendet› – setzt er sich als Programm die Aufgabe, Nietzsches Werk zu vollenden, d.h. das Werk an seiner Stelle zu Ende zu schreiben oder mindestens die Schlußfolgerungen theoretisch und politisch zu ziehen – was der Autor selbst nicht getan hatte – und seine Gedanken zu ‹rationalisieren›. Bäumlers Kulturprogramm stimmt mit dem der Elisabeth Förster vollkommen überein: ein Buch an der Stelle von Nietzsche zu verfassen, sich als Interpret und Garant seiner Philosophie zu ernennen – ohne die philologische und gedankliche Plausibilität dieser Interpretation zu berücksichtigen. Das Hauptziel dieser Verfälschung war die Verwendbarkeit dieser Theorie in der politischen Propaganda.17 In den gleichen Jahren lasen aber verschiedene deutsche Intellektuelle – von Hesse bis Thomas Mann, von Jaspers bis Karl Kraus, von Karl Löwith bis Walter Benjamin – Nietzsche in einer ganz anderen Richtung als die, die das Archiv propagierte. Thomas Mann behauptet zum Beispiel, daß die faschistische Instrumentalisierung des Denkens von Nietzsche ‹ein grobes Mißverständnis› gewesen sei.18 Hesse schrieb 1919 in einem Vorwort zur ersten nicht anonymen Ausgabe von Zarathustras Wiederkehr: «Es gab einmal einen deutschen Geist, einen deutschen Mut, eine deutsche Mannhaftigkeit, welche sich nicht nur im Herdenlärm und der Mas-

16 17 18

F. Nietzsche, Werke, a.a.O., Bd. 13, S. 533. Vgl.: M. Montinari, Nietzsche lesen, a.a.O., S. 169–206. «Man sollte sich doch nicht täuschen lassen: Der Faschismus als Massenfang, als letzte Pöbelei und elendstes Kultur-Banausentum, das je die Geschichte gemacht hat, ist dem Geiste dessen, für den alles sich um die Frage ‹Was ist vornehm?› drehte, im tiefste fremd; er liegt ganz außerhalb seiner Einbildungskraft, und daß das deutsche Bürgertum den Nazi-Einbruch mit Nietzsches Träumen von kulturerneuender Barbarei verwechselte, was das plumpste aller Mißverständnisse» (Th. Mann, Reden und Aufsätze, in Gesammelte Werke, Frankfurt a. M., Fischer, 1974, Bd. XI, S. 703).

Mauro Ponzi

8 senbegeisterung äußerte. Der letzte große Geist dieser Art ist Nietzsche gewesen, und er ist, inmitten des damaligen Gründertums und der damaligen Herdengesinnung in Deutschland, zum Anti-Patrioten und Anti-Deutschen geworden. An ihn will mein Ruf erinnern, an seinen Mut, an seine Einsamkeit».19

2. Das Aneignen einer gewissen ‹Literatur› Nietzsches geht bei Hesse Hand in Hand mit der Entdeckung der Psychoanalyse. Hesse setzt in seinem Aufsatz Künstler und Psychoanalyse (1918) diese ‹neue Weltsicht› mit den schon von Nietzsche thematisierten ‹Intuitionen› in Bezug. Zarathustras Wiederkehr (1919) ist eine daraus resultierende Konfrontation mit den Ideen dieses deutschen Philosophen. Der Untertitel des Aufsatzes, Ein Wort an die deutsche Jugend, läßt den pädagogischen Charakter erkennen, typisch für einen intellektuellen Appell an die Jugend, der dazu auffordert, nicht die Ratschläge der schlechten Lehrer zu befolgen, die Rassenhaß und Nationalismus propagieren, sondern andere Wege einzuschlagen, kulturelle ‹Alternativen› zu verfolgen, um ‹andere› Werte zu entdecken, derart, daß eine ‹Wiedergeburt› und ein ‹Wiedererwachen› des Bewußtseins und eine echte und radikale Erneuerung der Kultur zustande kommen. Die von Hesse neugeschaffene Figur des Zarathustra spielt wiederum ganz klar auf die von Nietzsche proklamierte Doktrin an. Ein prophetischer Tonfall markiert den Hesse-Aufsatz, der sich später in Siddhartha wiederfi nden wird, aber die Lehre des Philosophen, des Meisters, wird gewissermaßen aktualisiert und durch eine historische Referenz determiniert. Die Leserschaft, an die sich der Diskurs von Hesses Zarathustra richtet, ist die deutsche Jugend der Nachkriegszeit. «Hesses Werke, vom ersten bis zum letzten, sind für und über junge Leute geschrieben» – schreibt Egon Schwarz.20 Sie sind großteils von dem romantischen Mythos der ewigen Jugend gekennzeichnet, aber dieser Mythos wird verarbeitet und erneuert, er wird von einer mystisch-exotischen Faszination bemäntelt, die dem selben Mythos neue Kraft verleiht. Nicht nur daß seine Bücher durch die Präsenz jugendlicher Protagonisten charakterisiert sind, die Bücher sind auch für ein jugendliches Publikum gedacht und geschrieben. Von hier geht also das erzieherische Element (und alle Formen der Selbstbefreiung) und die fast zwanghaft wirkende Präsenz des traditionellen Erziehungssystems (sei es nun in Form der autoritären Schule oder der strengen Erziehungsmaßnahmen innerhalb der Familie) aus, das radikal kritisiert wird und dem die Alternative der ‹Lebenserfahrung› gegenübergestellt wird.

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SW 15, S. 220f. Vgl.: E. Schwarz, Hermann Hesse, die amerikanische Jugendbewegung und Probleme der literarischen Wertung, in: Über Hermann Hesse, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a. M. 1977, S. 79–98.

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

9 Es war Nietzsche selbst, der als Erster das Bildungssystem von Grund auf kritisiert hat – und womöglich wurde er von der akademischen Welt mehr um diese Kritik als um seine nihilistische Philosophie beneidet. Im Jahr 1872 hielt er fünf Vorträge, die von der «Akademischen Gesellschaft» Basel organisiert wurden und die dann unter dem Titel Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten gesammelt wurden. Privilegierter Empfänger seines philosophischen Diskurses war der große Historiker Jakob Burckhardt, der allen Vorträgen beiwohnte, die neben der Polemik über das Erziehungssystem den Antihistorismus zum theoretischen Thema hatten. Die Vorträge sind in dialogischer Form aufgebaut. Nietzsche führt einen fi ktiven Dialog zwischen einem Philosophen (in dem man Schopenhauer erkennen kann) und zwei Studenten (von denen einer offensichtlich er selbst ist) ein. Hesse nimmt diese dialogische Form, die eine belehrende Intention impliziert, wieder auf, nicht nur durch das von ihm entdeckte Modell Also sprach Zarathustra, sondern auch durch diese Vorträge, die sowohl einen starken Einfluß auf seine kritische Auffassung gegenüber den Bildungsanstalten ausübten, als auch die Wiederaufwertung der ‹Lebenserfahrungen› auslösten, die ihn veranlassen, das Individuum bis hin zur Theoretisierung der ‹auserwählten Geister› zu verherrlichen. Nietzsche hofft auf «eine so allgemeine Erneuerung, Erfrischung und Läuterung des deutschen Geistes»21 und «eine gänzlich erneute und gereinigte Bildung»22 und nimmt an, daß «die verhängnisvollsten Schwächen unserer Gegenwart gerade mit diesen unnatürlichen Bildungsmethoden zusammenhängen».23 Er bezieht sich dabei genauer auf die ‹deutschen Institutionen› und eine Erziehungspolitik die im Dienste des Staates steht – hier kommt es nun praktisch zu einer Konkretisierung der hegelschen Theorie: «Es wäre vielleicht nicht übertrieben, zu behaupten, daß in der Unterordnung aller Bildungsbestrebungen unter Staatszwecke Preußen das praktisch verwerthbare Erbstück der Hegel’schen Philosophie sich mit Erfolg eingeeignet habe».24 Demzufolge wird «Das eigentlich Selbstständige […] gerügt und von dem Lehrer zu Gunsten einer unoriginalen Durchschnittsanständigkeit verworfen».25 Diese Gegenüberstellung von Kultur und Staat veranlaßt den jungen Professor dazu, sich gegen die Massenkultur als «Barbarei»26 entschieden zu weigern, und in seinen Theorien «auf eine weise Auswahl der Geister gestützte Bildung»27 hinzuweisen: «Also, nicht Bildung der Massen kann unser Ziel sein: sondern Bildung der einzelnen ausgelesenen, für große und bleibende Werke ausgerüsteten Menschen: wir wissen nun einmal, daß eine gerechte Nachwelt

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F. Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. von G. Colli u. M. Montinari, Berlin- New York 1977, Bd. 1, S. 645. Ebd., S. 648. Ebd., S. 646. Ebd., S. 708. Ebd., S. 680. «Die allerallgemeinste Bildung ist eben die Barbarei» (ebd., S. 668). Ebd., S. 712f.

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10 den gesamten Bildungsstand eines Volkes nur und ganz allein nach jenen großen, einsam schreitenden Helden einer Zeit beurtheilen».28 Eine derart aristokratisch geortete Konzeption des Kulturbegriffs ist verständlich, berücksichtigt man den ‹defensiven› Charakter der Thesen Nietzsches: tatsächlich wollte er die Antike vor ihrem Verfall durch die Moderne ‹verteidigen› – dabei ist nicht zu vergessen, daß Nietzsche eben erst Die Geburt der Tragödie publiziert hatte und in Basel klassische Philologie unterrichtete. Die Gegenüberstellung einer elitären Kultur mit der der Massen wird im Inneren von einer katastrophalen Sichtweise der gegebenen Kondition dechiffriert, als Verteidigung der ‹wahren› Kultur der Antike gegenüber dem vermeintlichen deutsch-nationalen Humanismus. Nietzsches Buch über die griechische Tragödie wurde von den deutsch-nationalen Professoren zerrissen, nämlich von den Vertretern der ‹apollinischen Vision› der Antike und eines Gleichklangs der antiken Werte mit dem wiedergeborenen deutsch-nationalen Geist, den Nietzsche wiederholt und auf verachtende Weise als ‹staatlich› bezeichnete: «Es muß also eine eigne Bewandtnis haben, sowohl mit jener Staatstendenz, welche auf alle Weise das was hier ‹Bildung› heißt fördert, als mit jener derartig geförderten Kultur, die sich dieser Staatstendenz unterordnet. Mit dem echten deutschen Geiste und einer aus ihm abzuleitenden Bildung […] befi ndet sich jene Staatstendenz in offener oder versteckter Fehde».29 In diesen Vorträgen nimmt Nietzsche den aus der Spätromantik stammenden Begriff des ‹Genies› wieder auf, jenen also, der verstanden hat, die wahren Werte gegenüber dem allgemeinen Verfall zu ‹bewahren›, jenen, der noch imstande ist, ursprünglich zu denken und sich, aus eigenem Interesse, von der Massenkultur und der vom nationalistischen Staat Preußen gefügig gemachten Kultur, abhebt. Deshalb ist es auch durchaus berechtigt, daß Nietzsche, nachdem er einst den ‹Meistern des Denkens› Schopenhauer und Burckhardt, seine Ehrerbietung erwies, sich gänzlich von ihnen distanziert; nun stellt er der homogenen Kultur der Masse ‹höhere› Modelle gegenüber, die er aus einem alternativen kulturellen Kontext entlehnt und sie dem ‹Bonapartismus› des wilhelminischen Staates gegenüberstellt: nämlich genau Zarathustra. Hermann Hesses Skandal, sein Anderssein so wie seine Exzentrizität kann man erst dann verstehen, wenn man sie der herrschenden Kultur und Mentalität seiner Zeit gegenüberstellt. Die deutsch-nationale Kultur verherrlichte den Begriff ‹Heimat› als eine organische, physische Blut-Bindung zwischen Individuum und Volk, zwischen Individuum und Heimat nach dem Blut-und-Boden-Mythos. Hesse hat dagegen von der Romantik andere und den deutsch-nationalen entgegengesetzte Elemente zurückerworben: nämlich die Zentralität des Individuums, der Blick nach Innen, die Reise. Der Ausbruch des ersten Weltkriegs und die Mobilmachung, die Aufrufe der Intellektuellen zum Haß gegen die anderen Völker, die Verteufelung des Fremden, waren 28 29

F. Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, hrsg. von G. Colli u. M. Montinari, Berlin-New York 1977, Bd. 1, S. 698. Ebd., S. 709.

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

11 für ihn ein Schock, der das Erwachen bewirkt hat. Die Verherrlichung des Eigenen hat in diesem Zusammenhang ihren angreifenden und rassistischen Charakter erwiesen. In dieser Zeit hat Hesse eine öffentliche Stellungnahme genommen, er hat die deutsche Intelligenz aufgefordert, die Töne zu vermindern, Wege zur Verständigung zu suchen, Brücken zwischen verschiedenen Kulturen zu schlagen und damit jene interkulturelle Gesellschaft, von der man heute so häufig spricht, vorweggenommen. Und eben Hesse, der milde und zahme Hesse, hat so radikale Positionen vertreten, die ihm ermöglicht haben, nicht nur die todbringenden Entwicklungen des Nationalismus, sondern auch die mörderische Vereinigung von Lokalismus und Cäsarismus (Heimat – Volk – Führer) rechtzeitig zu erkennen und eine plausible Alternative in der Achtung vor den fremden Kulturen, die auf einer wesentlichen Gleichwertigkeit gegründet ist, zu bestimmen. Erst dadurch wird ein friedliches Zusammenleben möglich. Wer von Sinkretismus spricht, verwendet immer noch die inzwischen veralteten Begriffe von ‹Eigener› Nation und Rasse und will Demarkationen zwischen Eigenem und Fremdem setzen und sucht nach einer ‹Reinheit› und nach einer kulturellen Homogenität, die eigentlich nie existierten. Wenn Hesse also über eine ‹Wiederkehr› von Zarathustra spricht, beschwört er nicht nur die von Nietzsche geschaffene Figur wieder herauf, sondern auch die Vorträge Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten und die Kritik eines Bildungssystems, das dazu neigt, die Persönlichkeit der Schüler zu unterdrücken und die inneren Ausrichtungen der deutschen Jugend auf ein Mittelmaß hin zu homogenisieren. Die Elite, die Aristokratie des Geistes, von der Hesse und Nietzsche häufig sprechen, unterscheidet sich nicht von dem ‹Adel›, von dem Thomas Mann spricht, und ist einem kulturellen Vergleich dienlich, in dem sich unterschiedliche Modelle treffen, nicht so sehr in ihrem historischen Ursprung, sondern in ihrer Finalität, in ihrer inneren Struktur. Die geistige Überlegenheit, die Nietzsche meint, gründet weder auf einer Rasse noch auf einer politischen Organisation, sondern auf einer kulturellen Wahl der ‹Verteidigung› der bildenden Werte der griechisch-römischen Antike, von denen er dann jedoch eine ganz eindeutige Interpretation gab, wobei er auch deren chtonischen Aspekt beleuchtete: nämlich das Dionysische, kreativ und zugleich zerstörend. Viele Motive Nietzsches haben die verschiedensten Intellektuellen seiner Zeit beeinflusst. In Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten, zum Beispiel, bricht Nietzsche eine Lanze für den korrekten Gebrauch der deutschen Sprache und verwehrt sich gegen die ‹Journalistik›, die ‹Ekel› und ‹Übelkeit› verursachen würde.30 Apokalyptische Töne, die dieses Problem der 30

«In der Journalistik fl ießen nämlich die beiden Richtungen zusammen: Erweiterung und Verminderung der Bildung reichen sich hier Hand in Hand; das Journal tritt geradezu an die Stelle der Bildung, und wer, auch als Gelehrter, jetzt noch Bildungsansprüche macht, pflegt sich an jene klebrige Vermittlungsschicht anzulehnen, die zwischen allen Lebensformen, allen Ständen, allen Künsten, allen Wissenschaften die Fugen verkittet und die so fest und zuverlässig ist wie eben Journalpapier zu sein pflegt. Im Journal kulminiert die eigenthümliche Bildungsabsicht der Gegenwart: wie ebenso der Journalist, der Diener des Augenblicks, an die

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12 Sprache und der Kommunikation zum zentralen Mittelpunkt haben (auch mit anderen Konnotationen), fi nden wir sowohl bei Karl Krauss (der die nietzscheanische ‹Lektion› auf seine Weise aufgenommen hat), als auch bei Walter Benjamin, der sich auch eine ‹destruktive› Konzeption des Modernen zu eigen gemacht hatte, in dem er weitgehend die antihistorische Vision des nihilistischen Philosophen verwendete. Noch direkter aber fi ndet man die Spur dieser Vorträge von Nietzsche im Steppenwolf , indem Hermann Hesse direkt über das «feuilletonistische Zeitalter» und eine journalistische Kultur polemisiert, die in der Lage ist, alles zu banalisieren und mit allen Mitteln jenen angreift, der es wagt, aus der Masse auszubrechen. Die Massen, von denen Nietzsche Abstand nehmen will, sind ja auch die Arbeitermassen, aber überhaupt sind die Interessenverbände des Kaiserreichs, deren Schwäche er ganz genau schildert, indem er das Bild der «zwei Wege», um zur Wissenschaft der menschlichen Geschichte zu gelangen,31 bestimmt. Nach Nietzsche gibt es nur zwei Wege, die den Intellektuellen zwingen, zwischen zwei Kulturen (oder besser gesagt, zwischen einer ‹falschen› und einer ‹wahren› Kultur) zu entscheiden: der eine, «sich in Reih’ und Glied zu stellen, […] wird es an Kränzen und Siegeszeichen nicht fehlen lassen. […] Und wenn der Vordermann ein Losungswort ausspricht, so hallt es in allen Reihen wieder. Hier heißt die erste Pfl icht: in Reih’ und Glied kämpfen, die zweite: alle die zu vernichten, die sich nicht in Reih’ und Glied stellen wollen. Der andre Weg führt euch mit seltneren Wandergenossen zusammen, er ist schwieriger, verschlungener und steiler».32 Weder Nietzsche noch Hesse wollten sich ‹in Reih’ und Glied stellen›, beide sind – jeder auf seine Weise – ihren exzentrischen Weg gegangen. Nietzsche setzt sich also gegen die «Philister-Moral». Er sieht in dem Judentum den Kern des Christentums. Nietzsches Abneigung ist nicht auf der Rasse, sondern auf der Ideologie basiert: das Christentum, indem es die Gleichheit aller Menschen in Angesicht Gottes predigt, ist die wahre Grundlage jeder demokratische Auffassung. Wenn er sich den Massen und der Massenkultur entgegensetzt, denkt er weniger an die Arbeitermassen, sondern vielmehr an die christlichen Massen. Des Christentums ‹Schuld› besteht – seiner eigenen Auffassung zufolge – darin, daß das Individuum als ‹Gottessohn› so hoch gebracht wird, daß es nicht mehr ‹geopfert› werden darf – was eigentlich dem Prinzip der ‹natürlichen Auslese› widerspricht. Hesse fokussiert in seinem Werk die Eigenschaft des Lebens, sich immer erneuern zu können, und die Schaubühne dieser ständigen Erneuerung ist die Natur: in ihrer

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Stelle des großen Genius, des Führers für alle Zeiten, des Erlösers vom Augenblick, getreten ist» (F. Nietzsche, Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe, a.a.O., Bd. 1, S. 671f.). «Ich weiß nicht» – schreibt Novalis – «aber mir dünkt, ich sähe zwei Wege um zur Wissenschaft der menschlichen Geschichte zu gelangen. Der eine, mühsam und unabsehlich, mit unzähligen Krümmungen, der Weg der Erfahrung; der andere, fast ein Sprung nur, der Weg der inneren Betrachtung» (Novalis, Schriften, hrsg. von P. Kluckhohn und R. Samuel, Stuttgart 1960, Bd. I, S. 208). F. Nietzsche, Sämtliche Werke, a.a.O., Bd. 1., S. 728.

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

13 ständigen Wiedergeburt sieht Hesse eine Bestätigung der Lebenskraft und fi ndet darin nicht nur einen Trost für seine Schmerzen und seine Enttäuschungen, sondern auch – wenn nicht überhaupt – die Impulse, um weiter zu wirken. Die Wahrnehmung, an einer Naturkraft teilzunehmen, hat bei den jungen Hesse-Lesern eine Begeisterung ausgelöst, weil sie einen Ausweg aus ihrer Krise und vor allem die Möglichkeit sehen, immer und überall ihrem Lebenslauf eine Wende beibringen zu können. Man könnte viele literarische Vorbilder erwähnen, aus denen Hesse seine Auffassung der Natur geschöpft hat: die deutsche Romantik, Goethe, die östliche Religion, die Psychoanalyse, Nietzsche. Es ist aber weniger wichtig, die Quelle seiner Auffassung zu bestimmen, als vielmehr die Art und Weise, wie er diesen Vitalismus in seiner Poetik umfunktioniert. Die Natur ist bei ihm ebenso ein Vorbild für die Kunstproduktion: nicht nur als Gegenstand seiner Gemälde, sondern auch als Kraft, über den Tag hinaus gehen zu können, den Rhythmus der Welt zu bejahen. Die Motive, die er aus den verschiedenen literarischen Quellen schöpft, münden alle in das Motiv der Lebenskraft, das als Motor seiner Erzählprosa wirkt. «Die allerallgemeinste Bildung ist eben die Barbarei».33 Diese Äußerung, die Nietzsche in dem ersten Vortrag Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten Schopenhauer zuschreibt, muß man in Bezug auf den spätromantischen Kontext verstehen, in dem der Begriff ‹Genie› dem der ‹Masse› entgegengestellt wird. In der aristokratischen Auffassung der Kultur ist eine der Quellen seines Übermenschen-Begriffs leicht zu erkennen. Wenn man aber diese Behauptung aus ihrem spätromantischen Kontext ausreißt, übernimmt sie – eben weil ‹unzeitgemäß› – eine unerwartete Aktualität: die von den Medien verbreitete Massenkultur nämlich ist vielleicht ein Zeichen der Barbarei sowohl für ihre Mitteilungen (die in Grunde genommen als Endzweck nur die Werbung haben), als auch für die von ihnen hervorgebrachte Abhängigkeit und für den «Mangel an Denken», weshalb die Rezipienten zu denken auf hören und jene ‹Mitteilungen› passiv empfangen (und vermutlich jene erworbenen Produkte akritisch kaufen). Nietzsches Betrachtungen, die – wie der Autor selbst schreibt – einen ‹unzeitgemäßen› Charakter haben, erweisen sich paradoxerweise ‹prophetisch› auch wenn sie, um die deutschen ‹Bildungsanstalten› zu kritisieren und ‹abzubauen›, einen Umweg gehen. Und dieser exzentrische Weg, um die Kultur zu kritisieren, ist ein Kennzeichen anderer Denker und Autoren der Jahrhundertwende – wie Hesse, Thomas Mann und Walter Benjamin, nur um einige zu nennen – die irgendwie von Nietzsche eine Denkungsart gelernt haben. So haben sich die Medien das Bild des «Guru von Montagnola» angeeignet und haben immer wieder die amerikanische Rezeption seines Werks reproduziert, die den Mythos des Orients, seinen vermeintlichen Buddhismus, und sogar seinen politischen ‹Disengagement› bevorzugt. Hesses Werke haben einen weltweiten Erfolg, weil die Leser meinen, in ihnen den Weg zur östlichen Religion zu fi nden, während der

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F. Nietzsche, Sämtliche Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 668.

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14 Orient bei Hesse aus einer Verflechtung der Sehnsucht nach seiner Mutter, die ihm malinesische Schlafl ieder sang, mit diesem Zarathustra von Nietzsche besteht, der der westlichen, deutsch-nationalen ‹Philister-Kultur› diametral gegenüber steht.

3. Die moderne Kultur entstand als Wahrnehmung der in die Krise geratenen traditionellen Werte. Aus diesem Blickwinkel ist eine Übereinstimmung von denen durch Hesse vertretenen Positionen mit denen Spenglers in Der Untergang des Abendlandes (1922) festzustellen, jedoch die Konzeption einer Wertekrise und die Suche nach einer radikalen Alternative zur abendländischen Kultur reichen bis ans Ende des 19. Jahrhunderts zurück und sind freilich in anderen Mustern verortet. Nicht zufällig gab es neben den ‹neuen› technischen und wissenschaftlichen Errungenschaften, neben den neuen Theorien, im Glauben an den ‹notwendigen› und nicht vorhersehbaren Fortschritt, in der modernen Kultur stets ein kritisches Bewußtsein, das sich am zeitgleich entstandenen Nihilismus nährte, das stets auf eine Krise pochte und vor Krise, Verfall und dem drohenden Zusammenbruch des die abendländische Gesellschaft konstituierenden Wertesystems warnte. Im Namen der ‹Verteidigung› dieser ‹gesellschaftlichen Werte›, in denen man – seit Hegel – innerhalb der deutschen Kultur stets die ‹höchste Stufe›, die die Menschheit jemals erreicht hatte, sah, kam es zu Verbrechen und Missetaten jeder Art. Auch wenn der Großteil der deutschen Theoretiker zu Beginn des Jahrhunderts die notwendige Inschutznahme dieser Wertvorstellungen betonte und sie wiederum in direkten Bezug mit der römischen Tugend setzte, mit allen imperialen und imperialistischen Implikationen, die hier mitschwingen, dachten einige Intellektuelle im Kielwasser von Nietzsche bereits über den unabwendbaren Werteverfall der gesamten westlichen Kultur nach, deren irreversible Krise zum Untergang des Abendlandes führen müsse. Das Bewußtsein dieser Krise allein bedeutet jedoch noch keine Stellungnahme, keine Wahl einer politischen Front, da sowohl von Seiten der Nationalisten eine ‹barbarische› Bedrohung, gegen die man sich verteidigen müsse, theoretisiert wurde – sogar mit einem präventivem Krieg, sogar mit einer ethnischen ‹Säuberung› (heute traurigerweise wieder aktuell) –, als auch von Seiten der ‹Apokalyptiker›, die eine Katastrophe ankündigten und, ohne Gegenmaßnahmen aufzuzeigen, auf den Nihilismus verwiesen, der scheinbar eine voluptas dolendi oder eben ein vages Vorzeichen implizierte, daß eine derartige Katastrophe ihren Gang beschleunigen würde. Hermann Hesse rezipiert das Motiv des Untergangs sowohl theoretisch, als auch literarisch. In seinem Aufsatz Die Brüder Karamasoff oder Der Untergang Europas (1919) schreibt er: «Eine ganz andere Frage aber ist es nun, wie man den Untergang des alten Europa bewerte. Da schneiden sich die Wege und Geister. Die entschiedenen Anhänger des Gewesenen, die treuen Verehrer einer geheiligten edlen Form und Kultur, die Ritter einer bewährten Moral, sie alle können diesen Untergang nur aufzuhalten

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

15 suchen oder trostlos beweinen, wenn er eintritt. Für sie ist der Untergang das Ende – für die andere der Anfang».34 Diese «Musik des Untergangs» wird in der Erzählung Klingsors letzter Sommer (1919) entfaltet: hier ist die künstlerische Kreativität schöpferisch und zugleich zerstörerisch. Die Selbstfi ndung des Subjekts mündet hier in die Selbstzerstörung. Im Hintergrund des Motivs des künstlerischen Schaffens steht der Untergang des Abendlandes. Wie bei Nietzsche verwandelt sich der Vitalismus – die Aufmerksamkeit für das ‹bloße Leben› – in Nihilismus. Die Hauptperson hat ein ‹magisches› Verhältnis zur Wirklichkeit, lebt und schafft durch ‹Visionen›. Er will sich dem Untergang der Zivilisation und der menschlichen Vergänglichkeit entziehen, indem er durch die Kunst, durch einen dionysischen Gestus, einen Augenblick der Ewigkeit erreicht. Die Person von Klingsor hat übrigens eine lange Tradition in der deutschen Literatur: er taucht als Zauberer in Parzival von Wolfram von Eschenbach auf, wird von Novalis und E.T.A. Hoffmann verwendet, bei denen er ein besonderes Verhältnis zur Poesie hat. Bei Parzifal von Wagner übernimmt Klingsor ‹übermenschliche› Züge in seiner Macht über die Natur. Der furor poeticus, mit dem Klingsor, wie übrigens alle Künstler, bei Hesse das Kunstwerk schafft, erschöpft ihn bis zur Vernichtung: «Nein, kein Mensch konnte dies flammende Leben lang ertragen, auch nicht er, auch nicht Klingsor, der zehn Leben hatte. Niemand konnte eine lange Zeit hindurch Tag und Nacht in Flammen stehen, jeden Tag viele Stunden glühender Arbeit, jede Nacht viele Stunden glühender Gedanken, immerzu genießend, immerzu schaffend».35 Die in der Erzählung herrschende Untergangsstimmung stellt sich im Hintergrund Nietzsches Gedanken. Die Kraft des Lebens, um künstlerisch produktiv zu werden, verwandelt sich in die Selbstzerstörung des Individuums: «In allen guten, fruchtbaren, glühenden Zeiten seines Lebens, auch in der Jugend schon, hatte er so gelebt, hatte seine Kerze an beiden Enden brennen gehabt, mit einem bald jubelnden bald schluchzenden Gefühl von rasender Verschwendung, von Verbrennen, mit einer verzweifelten Gier, den Becher ganz zu leeren, und mit einer tiefen, verheimlichten Angst von dem Ende».36 Hesse fügt sich also in eine weithin anerkannte kulturelle Tradition, welche die ‹bürgerlichen› Werte, die Sicherheit, die absoluten Überzeugungen, die ‹vorgefertigte› Wahrheit und die Intoleranz vor den Fremden und den Sonderlingen ablehnte, um die entgegengesetzten Werte zu verherrlichen. Diese Gegenüberstellung fi ndet auch ihre räumliche, sozusagen geographische Dimension. Wenn einer der Bausteine der Philistermentalität darin bestand, die ‹Überlegenheit› der westlichen Kultur überhaupt und insbesondere der deutschen Kultur als Höhepunkt des Allgemeinmenschlichen zu

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H. Hesse, Die Brüder Karamasoff oder Der Untergang Europas, in Die Welt im Buch. Leseerfahrungen III, hrsg. von V. Michels, Franfurt a.M. 2002, S. 131. H. Hesse, Klingsors letzter Sommer, S. 263f. Ebd., S. 264.

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16 behaupten, bedeutete dagegen die Verherrlichung des Untergangs des Abendlandes und die Zurückgewinnung von Denken und Bildern des Fernosten, jene vermeintliche Überlegenheit verneinen zu wollen, die Werte der deutschen Kultur abzulehnen und andere Wege zur Wahrheit, zur Kunst und zur Kultur zu suchen. Auf Fernost hinzuweisen bedeutete, sich für die Toleranz zu entscheiden und den Autoritarismus abzulehnen. Seine zeitgenössischen Leser haben diese Nebenmitteilungen und diese Einstellungen ganz genau verstanden. Hesse war in den 20er Jahren wörtlich ein ‹alternativer› Autor, da er sich von den idealen und literarischen Werten der deutschen Kunstproduktion, die das Eigene, die Spezifi k und im Grunde die Überlegenheit der deutschen Kultur verherrlichte, radikal unterschied. Leben und Kunst sind für Klingsor ein und dasselbe, so wie Geist und Sinn, Natur und Kunst: die Kunst als Ersatz des Lebens ist ein Grundbegriff von Freud, der in diesen Seiten zusammen mit einem nihilistischen Element wiederauftaucht. «Sieh, Luigi, ich denke oft wie du», sagt Klingsor seinem Freund, «unsere ganze Kunst ist bloß ein Ersatz, ein mühsamer und zehnmal zu teuer bezahlter Ersatz für versäumtes Leben, versäumte Tierheit, versäumte Liebe».37 Die Kenntnis der Theorien von Freud und Jung waren für den Autor wichtig über die Lösung seiner psychologischen Krise hinaus: sie boten ihm einen Interpretationsschlüssel, um die Traumbilder, die Angst, die Phantasien, die Traumwünsche, welche in seinen Romanen bislang keine Koordination hatten, zu organisieren. Man kann in diesem Zusammenhang von einem ‹zweiten Erwachen› sprechen. Hesse schreibt nämlich in dem schon erwähnten Aufsatz Künstler und Psychoanalyse: «In der Anwendung auf Dichterwerke sowohl wie für die Beobachtung des täglichen Lebens erbat sich die Fruchtbarkeit der neuen Lehre ohne weiteres. Man hatte einen Schlüssel mehr – keinen absoluten Zauberschlüssel, aber doch eine wertvolle neue Einstellung, ein neues vortreffl iches Werkzeug, dessen Brauchbarkeit und Zuverlässigkeit sich rasch bewährten. […] Allein schon die Bestätigungen und Korrekturen, welche Nietzsches psychologische Erkenntnisse und feinnervigen Ahnungen erfuhren, waren uns überaus wertvoll. Die beginnende Kenntnis und Beobachtung des Unbewußten, die psychischen Mechanismen als Verdrängung, Sublimierung, Regression usw. gedeutet, ergaben eine Klarheit des Schemas, die ohne weiteres erleuchtet».38 Die Offenbarung besteht darin, daß er die Kopräsenz von zwei Welten, die den Prinzipien von Eros und Thanatos entsprechen, entdeckt. Gut und Böse, Leben und Tod, Bewußte und Unbewußte existieren im Inneren jedes Individuums. Der Abschied vom Vater, der ein Leitmotiv der deutschen Literatur der Jahrhundertwende gewesen war, könnte jetzt seine richtige Stelle im Rahmen eines Entwicklungsprozesses fi nden, der als Selbstanalyse der psychoanalytischen Therapie gleich war. Es handelt sich im Grunde um die Entdeckung des Unbewußten: die allmähliche Entdeckung 37 38

Ebd., S. 272. GW 10, S. 48f.

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17 jener Urtriebe, die von der manichäischen Moral verteufelt und verurteilt werden, die aber im Inneren jedes Einzelnen existieren und wirken. Jene Reise nach Innen, die im Mittelpunkt aller Hesseschen Romane steht, übernimmt demzufolge eine Reihe von Valenzen, die ihre Bedeutungen verstärken und vervielfältigen, weil sie nicht nur zur romantischen Entdeckung der Welt sondern auch zur psychoanalytischen Erkenntnis der Struktur seiner eigenen Psyche mit ihren inneren Trieben wird. Auch der romantische Mythos der ewigen Jugend fi ndet hiermit eine wissenschaftliche Legitimierung mit der Darstellung der Figur des ewigen Adoleszenten, weil die obengenannte Entdeckung der Urtriebe, der Welt der Finsternis, der Welt des Unbewußten während des ‹Wachstums›, der Reifung eines Individuums vorkommt. In dem entscheidenden Kapitel Musik des Untergangs erklärt Klingsor: «Jeder hat seine Sterne, jeder hat seinen Glauben. Ich glaube nur an eines: an den Untergang. Wir fahren in einem Wagen überm Abgrund, und die Pferde sind scheu geworden, die große Wende ist für uns gekommen. Es ist überall die gleiche: der große Krieg, die große Wendung in der Kunst, der große Zusammenbruch der Staaten des Westens. Bei uns im alten Europa ist alles das gestorben, was bei uns gut und unser einig war; unsere schöne Vernunft ist Irrsinn geworden, unser Geld ist Papier, unsre Maschinen können bloß noch schießen und explodieren, unsere Kunst ist Selbstmord. Wir gehen unter, Freunde, so ist es uns bestimmt».39 Der Ausweg aus diesem Untergang ist die Überzeugung, daß «alle Gegensätze Täuschungen sind», so daß was dem einem Untergang scheint, einem anderen Geburt scheinen kann. Das Paradox des Schreibens von Hermann Hesse besteht darin, daß er weder das Negative noch den Untergang des Abendlandes verkennt, sondern daß er eben durch dieses Negative die einzige Möglichkeit sieht, hinüberzugehen, eine Wiedergeburt in das Natürliche zu fi nden, weil die Kraft der Natur stärker als jegliche menschliche Selbstvernichtung ist. In Zarathustras Wiederkehr hat Hesse vor, eine «Umwertung aller Werte» zustande zu bringen, Nietzsche vor der Raserei des Nationalismus zu ‹retten›, ihn zu seinen ursprünglichen ‹alternativen› und anti-bürgerlichen Wurzeln, nämlich zu jener Interpretation zurückzubringen, welche die Wiener Literatur-Kreise seinem Werk seit der Jahrhundertwende gegeben hatten. Die Person von Zarathustra stellt die Figur von Nietzsche mit ihrer Ironie und mit ihrer Theorie dar. In ihr will Hesse den Übermenschen als den ‹ersten dieser Art› schildern. Er wendet sich den «Jünglingen, welche vom Kriege heimgekehrt und im der veränderten und umgestürzten Heimat voll rastloser Besorgnis waren»40 zu, um sie zu aufzufordern, der deutsch-nationalen Propaganda nicht zuzuhören, den ‹Märchen› von ‹Volk› und ‹Heimat› kein Vertrauen zu schenken, weder die Spartakisten noch die Revoluzzer in Betracht zu ziehen, weil von ihnen weder die Zerstörung der Heimat noch die Befreiung kommen wird. «Ihr sollet lernen, 39 40

Ebd., S. 299. GW 10, S. 467.

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18 ihr selber zu sein».41 Wir können hier im Grunde das literarische Programm des von dem Krieg und von der Psychoanalyse ‹erweckten› Hesse herauslesen, das mit einer bei ihm unüblichen politischen Terminologie ausgedrückt wird. Der bedeutende Aspekt dieser literarischen Verwendung des Denkens von Nietzsche besteht in der Tatsache, daß dessen Interpretation in die entgegengesetzte Richtung als die des Archivs seiner Schwester geht. Hesse behauptet, daß man wegen Niederlage und Schmerzen nicht jammern muß, sondern daß man seine eigene Identität wiederfi nden, d. h. jenen Prozeß von Selbstverwirklichung in Gang setzten muß, den er in all seinen Romanen darstellt. «Aus Leiden kommt Kraft, aus Leiden kommt Gesundheit»42 Man kann hier das Echo von Nietzsches Worten vernehmen, und zwar als er das Leben als Kampf von zwei entgegengesetzten Prinzipien (die dann in die Einheit der Gegensätze münden werden) bezeichnet. Je schwerer der Kampf, desto mehr muß der junger Mensch lernen, desto mehr muß er seine eigene Kraft spannen. Hesse setzt hier die ‹Einsamkeit› des ‹Weisen› dem ‹Volk› als Masse gegenüber. Und gegen die Meinung der Jünglinge, welche nach der «Tat» streben, verneint der Dichter die «deutschen Tugenden»43 und bezeichnet als illusorisch jede Tat außer der Selbstfi ndung: «Möchtet ihr lernen, den Gott in euch selbst zu suchen!».44 Hesses Schlußfolgerung mindert die Kraft Nietzsches Denken in einer versöhnenden Auffassung, in der die Kontemplation der Einheit des Seins und die Bejahung seines eigenen Schicksals sich in eine Weltversöhnung verwandelt. Abgesehen von dieser Schlußfolgerung ist aber dieses Werk eine neue Formulierung der von den deutsch-nationalen Interpretationen befreiten Gedanken von Nietzsche. Nietzsches Motiv des ‹Übermenschen›, des Außenseiters, der das ‹Zeichen von Cains› aber auch gleichzeitig jenes ‹Lächeln der Unsterblichen› in sich trägt, da es jener Weisheit entspricht, welche die Menschen besitzen, die sich der deutsch-nationalen Mentalität entgegensetzen, taucht im Steppenwolf wieder auf. In diesem Roman verschmelzen sich die autobiographischen Motive mit der Sozialkritik, da Harry Hallers Pazifismus und seine Ausgrenzung aus der deutschen Kultur dem biographischen Erlebnis des Autors während des ersten Weltkriegs und seiner Opposition zu dem sogenannten ‹Geist des 1914› deutlich entsprechen. In diesem Roman münden aber auch künstlerische Elemente der literarischen Avantgarde: die ‹Visionen› des ‹magischen Theaters›, die Musik und die Umgangssprache, die eine Montage von verschiedenen sprachlichen Materialien implizieren, die ‹Hochjagd auf Automobile›, die eine für den Expressionismus typische Verteufelung der Technik äußert. Der Lebenslauf des Protagonisten und sogar sein Wesen als Steppenwolf haben als Hintergrund den Untergang aller Werte des ‹alten Europas›. Der Steppenwolf interpretiert den Untergang des

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GW 10, S. 472. GW 10, S. 480. Vgl.: GW 10, S. 491. GW 10, S. 493.

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

19 Abendlandes als den Beginn eines neuen Zeitalters, als eine Gelegenheit, den Weg zu einer kulturellen und existentiellen Erneuerung zu öffnen, die über den Konformismus des ‹Philistertums› hinaus geht und sich in einer Selbstfi ndung verwirklicht, nämlich in der Entdeckung der Unsterblichkeit des Lebens. Die Erzählung wird von dem ‹Tractat› über den Steppenwolf unterbrochen. Dieses Verfahren von sprachlichen heterogenen Materialien wird der Avantgarde entnommen, auch wenn es bei Hesse immer nur eine erzählerische Technik bleibt. In dem ‹Tractat› wird von dem Autor Nietzsches Theorie des ‹Übermenschen› und des ‹Willen zur Macht› metaphorisch dargestellt und verbreitet. Die Steppenwölfe – d.h. jene Außenseiter, die ‹sich nicht in Reihe gliedern› und die bei den Philistern Unbehagen und Ekel bewirken –, sind aber diejenigen, die den Fortschritt der Menschheit zugleich hervorbringen.45 Die Unterscheidung zwischen Mensch und Steppenwolf, zwischen Mensch und Übermensch wird aber von Hesse selbst als eine ‹Vereinfachung› bezeichnet,46 weil jedes Individuum in sich nicht nur zwei, sondern unendliche Erfahrungs- und Lebensmöglichkeiten hat. Nietzsches Unterscheidung zwischen ‹Willen zur Macht› und ‹Willen ins Nichts› vermehrt sich dadurch in einer Vielfältigkeit von Lebensläufen, die alle zur Kontemplation der Lebenskraft der Natur führen. Hermann Hesse und Thomas Mann stellen zwei verschiedene – aber irgendwie komplementäre – Aspekte der Nietzsche-Rezeption und der literarischen Anwendung seiner Theorie dar. In diesem Sinn sind beide Autoren eng verbunden, in dieser Richtung wurden sie von dem damaligen Publikum gelesen, in diesem Sinn verstanden sie sich als ‹verwandt›. Die Werke beider Autoren sind zwei verschiedene Antworten auf jene Krise aller Werte, die die Kultur der Jahrhundertwende charakterisierte und die deutsche Kulturidentität in Frage gestellt hatte. Demzufolge muß man sie parallel in Betracht ziehen. Die letzten Romane dieser Autoren, die während des zweiten Weltkriegs geschrieben wurden und die von dem Publikum erst nach dem Ende des Krieges weltweit rezipiert wurden, heben den Anspruch auf, die ganze Epoche zu schildern und eine kulturelle Bilanz der Moderne zu ziehen – jener Epoche also, die aus dem Untergang der ‹Welt von Gestern› entstand, und von der ‹Kernlosigkeit› und von dem Verlust der ‹Sicherheit› gekennzeichnet wurde.

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«In der Tat beruht die vitale Kraft des Bürgertums keineswegs auf den Eigenschaften seiner normalen Mitglieder, sondern auf denen der außerordentlich zahlreichen outsiders, die es infolge der Verschwommenheit und Dehnbarkeit seiner Ideale mit zu umschließen vermag. Es lebt im Bürgertum stets eine große Menge von starken und wilden Naturen mit. Unser Steppenwolf Harry ist ein charakteristisches Beispiel» (SW 4, S. 56). «So ist denn auch, um es kurz zu sagen, der ‹Steppenwolf› eine Fiktion. Wenn Harry sich selbst als Wolfsmenschen empfi ndet und aus zwei feindlichen und gegensätzlichen Wesen zu bestehen meint, so ist das lediglich eine vereinfachende Mythologie» (SW 4, S. 59).

Mauro Ponzi

20 Thomas Mann schreibt in seiner Entstehung des Doktor Faustus: Aus der Schweiz trafen die beiden Bände von Hermann Hesses Glasperlenspiel ein. Nach vieljähriger Arbeit hatte der Freund im fernen Montagnola ein schwierig-schönes Alterwerk vollendet, von dem mir bisher nur die große Einleitung durch den Vorabdruck in der ‹Neuen Rundschau› bekannt worden war. Oft hatte ich davon gesagt, diese Prosa stehe mir so nahe, ‹als wär’s ein Stück von mir›. Des Ganzen nun ansichtig, war ich fast erschrocken über seine Verwandtschaft mit dem, was mich so dringlich beschäftigte. Dieselbe Idee der fi ngierten Biographie – mit den Einschlägen von Parodie, die diese Form mit sich bringt. Dieselbe Verbindung mit der Musik.47

Die eigenartige Konstellation Hesse, Thomas Mann und Nietzsche taucht in Glasperlenspiel wieder auf, nicht nur weil in diesem Roman sowohl Thomas Mann in der Person des Magister Ludi Thomas von der Trave als auch Nietzsche in der Person von Tegularius dargestellt werden, sondern vielmehr weil der Roman selbst die Bilanz einer ganzen Epoche in einer Nietzsche-Perspektive ziehen will. Beide Autoren – Hesse und Thomas Mann –, welche immer eine anti-historistische Auffassung vertreten hatten, setzen sich hier mit der Geschichte auseinander. Es geht nämlich um eine Auseinandersetzung mit den ‹schrecklichen Ereignissen›, welche die einzelnen Individuen betroffen und mitgerissen hatten. Wenn Thomas Mann schreibt, daß er das Glasperlenspiel las, als ob er selber den Roman geschrieben hätte, will er nicht nur auf den apokalyptischen Ton hinweisen, den Hesses Roman mit seinem Doktor Faustus gemeinsam hatte, sondern wollte er eher die Nietzscheschen Komponente in Hesses Werk erkennen. Die Verwandtschaft dieser Autoren besteht in diesem Endzeitgefühl und in dem deutlichen Anspruch, eine Bilanz der modernen Epoche zu ziehen. Dann gehen sie andere literarische Wege. Als Thomas Mann den Zauberberg niederschrieb, war er immer noch in einer deutsch-nationalen Mentalität verwickelt, war er immer noch ein entscheidender Verteidiger der deutschen Kultur.48 In den gleichen Jahren hatte Hermann Hesse schon verstanden, daß der deutsche Nationalismus zur Katastrophe geführt hätte: er hatte schon Siddhartha geschrieben und war dabei, den Steppenwolf zu verfassen. Er hatte schon die schweizerische Bürgerschaft angenommen. Thomas Mann hielt in Zürich am 2. Juni 1947 anläßlich einer Sitzung des PenClubs eine Rede mit dem Titel Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung. Obwohl er die geschichtlichen Ereignisse und die Instrumentalisierung des Denkens von Nietzsche von der Seite der Nazi-Propaganda in Betracht zieht, liefert Thomas Mann in dieser Rede die Grundzüge seiner Lektüre des deutschen Philosophen – auch wenn er die komplexe Art und Weise, wie er Nietzsches Denken in seinen Romanen umfunktioniert hat, nicht enthüllt. Thomas Mann bezeichnet Nietzsches «Gestalt» als 47 48

Th. Mann, Reden und Aufsätze, in Gesammelte Werke, Frankfurt a. M., Fischer, 1974, Bd. XI, S. 193. Vgl. K. Scherpe, Stadt – Krieg – Fremde. Literatur und Kultur nach den Katastrophen, Tübingen, Francke, 2002.

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

21 «faszinierend», jener Faszination, die Shakespeare dem Prinz von Dänemark zuschreibt. Hamlet und Nietzsche haben – nach Thomas Mann – eine gewisse «Verwandtschaft», die eine «Gefühlmischung» von «Ehrfurcht» und «Erbarmen» bei ihm hervorbringt.49 Es ist von Bedeutung, daß diese ‹Gefühlmischung› mit einer kleinen Abweichung einer berühmten Formulierung von Lessing geäußert wird: das Theaterstück hätte beim Publikum ‹Furcht› und ‹Mitleid› bewirken müssen. Das Genie – schreibt Mann – hat auch eine Kehrseite: nämlich die Krankheit in ihrem ‹klinischen› Sinn.50 Er schildert ein Profi l des Philosophen, der seiner eigenen Poetik vollkommen entspricht, als ob Nietzsches Schicksal seinen Romanen zugrunde liege. Die Hauptpersonen der Romane von Thomas Mann sind immer irgendwie geniale Figuren, indem sie Vertreter jenes ‹Adel des Geistes› sind, wonach auch Nietzsche strebte; es ist aber von Bedeutung, daß der Autor hier, in dieser Rede vor seinen Kollegen des Pen-Clubs, einen Interpretationsschlüssel seines Doktor Faustus liefert, der teilweise eine ‹Transfiguration› des Schicksals von Nietzsche ist. Thomas Mann greift auf Nietzsches Begriffsbestimmung ‹historische Krankheit› zurück, um die moderne Epoche als eine an ‹Historismus› leidende Epoche, die den ästhetischen Wert vernachlässigt, zu bezeichnen. Er identifi ziert Leben mit Kunst: «Das Leben ist Kunst und Schein, nichts weiter, und darum steht höher als die Wahrheit (die eine Angelegenheit der Moral ist)»,51 und demzufolge setzt er sich der ‹Philister-Moral› entgegen. Mann schlägt vor, Nietzsches Äußerungen nicht beim Wort zu nehmen, sondern sie als eine Metaphorik zu verstehen, und bringt sein Denken zum ‹geistigen Ideal› von Novalis zurück. Er betrachtet sein Denken als eine «Verteidigung des Instinkts gegen Vernunft und Bewußtheit».52 Er behauptet, daß der deutsche Philosoph «in der kommenden Welt» eine Entwicklung «der religiösen Kräfte à la Buddha»53 voraussah – und darin besteht einer der Schlüssel der theoretischen Beziehung zwischen Hermann Hesse und Thomas Mann. Im Jahr 1947 anläßlich des 70. Geburtstags von Hermann Hesse veröffentlichte Thomas Mann einen Artikel in der ‹Neue Zürcher Zeitung›, in dem er schrieb: «irgendwie

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«Was mich, den ergriffen sich versenkenden Leser und ‹Betrachter› der nächstfolgenden Generation, betrifft, so habe ich diese Verwandtschaft früh empfunden und dabei die Gefühlmischung erfahren, die gerade für das jugendliche Gemüt etwas so Neues Aufwühlendes und Vertiefendes hat: die Mischung von Ehrfurcht und Erbarmen» (Th. Mann, Reden und Aufsätze, in Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. IX, S. 676). «Aber dieses Genie hat noch einen anderen Namen. Er lautet: Krankheit – dies Wort nicht in dem vagen und allgemeinen Sinn genommen, in welchem es sich so leicht mit dem Begriff des Genies verbindet, sondern in einem so spezifi schen und klinischen Verstande […]» (ebd., S. 678). Ebd., S. 686. Ebd., S. 710. «Einmal vermutet er, daß in der kommenden Welt seiner Vision die religiösen Kräfte immer noch stark genug sein könnten zu einer ästhetischen Religion à la Buddha, welche über die Unterschiede der Konfessionen hinwegstriche» (ebd., S. 711).

Mauro Ponzi

22 sind wir doch Weggenossen und Brüder, – oder confrères»,54 und nannte als konkretes Beispiel dieser Verwandtschaft die Personen des Glasperlenspiels und bestätigte dadurch dessen Komplementarität mit seinem Roman Doktor Faustus.55 Es ist von Bedeutung in diesem Zusammenhang, daß Thomas Mann in seinem Brief an Hermann Hesse vom 8. April 1945, in dem er sich bei ihm für die Sendung des Glasperlenspiels bedankt, ankündigt, daß er dabei war, den Roman Doktor Faustus niederzuschreiben, und erklärt, daß dessen Hauptperson Nietzsches Schicksal teilt: Ist es nicht sonderbar, daß ich seit Jahr und Tag, seit dem Abschluß meiner ‹orientalischen› Periode schon, an einem Roman schreibe, einem rechten ‹Büchlein›, das wohl die Form der Biographie hat wie auch von Musik handelt? Der Titel lautet: Doktor Faustus. Das Leben des Tonsetzers Adrian Leverkühn erzählt von einem Freunde. Es ist die Geschichte eines Teufelsverschreibung. Der ‹Held› teilt das Schicksal Nietzsches und Hugo Wolf, und sein Leben, von einer reinen, liebenden, humanischen Seele berichtet, ist sehr Anti-Humanistisches, Rausch und Collaps. Sapienti sat. Man kann sich nichts Verschiedeneres denken, und dabei ist die Ähnlichkeit frappant – wie das unter Brüdern so vorkommt.56

In den darauffolgenden Briefen erwähnt Thomas Mann mehrmals die ‹Symmetrie› der zwei Romane und interpretiert sie immer als die Bilanz einer ganzen Epoche, als eine Auseinandersetzung mit der Geschichte und als die Darstellung des Kontrastes zwischen Politik und Moral. Hesse schreibt seinerseits in einem Brief an Thomas Mann vom 12. Dezember 1947, daß dieser Teil des Doktor Faustus, in dem die Musik von Adrian Leverkühn analysiert wird, ihm die Person von Tegularius – also wiederum Nietzsche – erinnert.57 Beide Autoren waren sich also der Verwandtschaften zwischen ihren Romanen vollkommen bewußt über den deutlichen Unterschied ihres literarischen Stils und ihrer Kunstauffassung hinaus. Und sie hatten diesen gemeinsamen Nenner in ihrer Rezeption von Nietzsche festgestellt, auf Grund dessen Philosophie sie die eben zu Ende gegangene Epoche dargestellt hatten. In dieser sonderbaren Konstellation spielt auch Jakob Burckhardt (1818–1897) eine Rolle, nicht nur weil er im Glasperlenspiel in der Figur von Pater Jakobus dargestellt wird, sondern auch weil das Leitmotiv, das in Thomas Manns Briefen an Hermann Hesse immer wieder auftaucht, gerade die Geschichte ist. Beide Romane rechnen mit einer Epoche ab, die der konkre-

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Th. Mann, Gesammelte Werke, a.a.O., Bd. X, S. 515. «Denn ich sehe unser Verhältnis gern im Bilde der Begegnung eines Joseph Knecht mit dem Benediktinerpater Jakobus im Glasperlenspiel, wo es denn ohne das ‹Höfl ichkeits- und Geduldspiel endloser Vereinigungen wie bei der Begrüßung zwischen zwei Heiligen oder zwei Kirchenfürsten› nicht abgeht, - ein halb ironisches Zeremoniell chinesischen Geschmacks, das Knecht sehr liebt, und von dem er bemerkt, daß auch der Magister ludi Thomas von der Trave es meisterlich beherrscht habe» (ebd., S. 515f.). H. Hesse – Th. Mann, Briefwechsel, Frankfurt a. M., Suhrkamp, 1975, S. 155f. «Noch etwas: auf manchen Seiten Ihres Buches, wo Leverkühnsche Musik analysiert wird, fand ich mich an eine Nebenfigur des Glasperlenspiels, an Tegularius, dessen Glasperlenspiele zu Zeiten die Neigung haben, auf scheinbar legitimstem Wege in Melancholie und Ironie zu enden» (ebd., S. 197).

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

23 te Beweis der Unzugänglichkeit einer kontinuierlichen spätauf klärerischen Auffassung der Geschichte zu sein scheint. Beide Autoren stellen in ihren Romanen eine zyklische Auffassung der Geschichte dar – im Sinne von Nietzsche (um es klar zu sagen), in der die ewige Wiederkehr des Immergleichen nicht immer die ‹bestmögliche Welt›, sondern oft die schlimmste hervorbringt. So ist die Auseinandersetzung mit Burckhardt eine Auseinandersetzung mit einem ‹lieben, liebsten Lehrer›, den die Autoren viel schätzen, von dessen Auffassung der Geschichte sie aber Abstand nehmen – so wie es Nietzsche seinerzeit getan hatte. Die Protagonisten beider Romane sind Außenseiter, die die Massen hinübergehen, weil sie ihr Schicksal folgen, weil sie sich selbst, ihren eigenen Weg fi nden wußten, d.h. wenn auch für einen kurzen Augenblick, die Weisheit der Unsterblichen erreicht haben. Diese Erwerbung hat aber Einsamkeit und Schmerzen gekostet. Und ihr Gang endet mit der Selbstvernichtung, weil sie die Voraussetzung ist, einen ‹Effekt› als Kunstwerk oder als paradigmatisches Beispiel bewirken zu können, der für die Menschen nützlich sei. Sie sind ‹Übermenschen› in dem Sinn, daß sie ihren ‹Wille zur Macht› als ‹Wille zum Leben› in der ewigen Schöpfung der Natur zu verwandeln wissen. Während bei Thomas Mann die Ereignisse tragischer sind, herrscht bei Hesse das pädagogische Element (so daß in seinem Roman ein Echo der Utopie der ‹pädagogischen Provinz› von Goethe zu spüren ist). In beiden geht es um eine enge Auseinandersetzung mit der Geschichte der Individuen: auch die ‹begabtesten›, auch die ‹Steppenwölfe› müssen eine Rechenschaft mit dem Lauf der Geschichte ziehen. Und in beiden Autoren dominiert jene in dem Briefwechsel so oft beschworene Melancholie, die von der Wahrnehmung verursacht wird, das der Lauf der Geschichte mit ihrer ‹Barbarei› nicht einmal von den ‹Übermenschen› geändert werden kann. Die Massen sind – wie bei Nietzsche – weit entfernt von der Weltanschauung beider Schriftsteller. Der so oft beschworene oder gewünschte Untergang des Abendlandes wird hier zum Untergang einer ganzen Epoche und einer ganzen Kultur, von denen beide Autoren – jeder auf seine Art – Abstand genommen haben, in denen aber beide jedoch ihre Wurzel erkennen. Nietzsches Denken ist schwer zu verstehen in seinem eigentlichen Sinn, man muß einen Umweg gehen, der in sich die Widersprüche als solche behält, um sie sprengen zu lassen, und der keineswegs versucht, sie in einer unmöglichen Synthese zu versöhnen. Es setzt sich mit der deutschen Kultur eng auseinander, weil es sich als eine radikale Alternative versteht. Ein sehr wirksames Bild seines Denkens wird von Giorgio Colli in dem Vorwort zu Also sprach Zarathustra geliefert: «Ich habe den Kykeon getrunken – sagte der in die Eleusinischen Mysterien Eingeweihte und erklärte damit, der höchsten Vision würdigt zu sein. Der Kykeon , eine Mischung von zerstoßener Gerste, Wasser und Minze, ist das Getränk, das Demetra bei der Suche nach ihrer geraubten Tochter erquickt, das daher im eleusinischen Ritual auf eine Identifi kation mit der Göttin, auf das Eingehen einer zersplitterten Vielheit in die göttliche Einheit hindeutet. Kykeon heißt aber auch der Liebestrank, mit dem Circe Odysseus zu behexen und ins Ver-

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24 derben zu locken versucht».58 Nietzsches Werk ist also «ein Konglomerat aus kleinsten Partikeln, die in den Honig des Mythos von Zarathustra eingetaucht sind», und «ob von Demetra oder von Circe», ob es eine befreiende oder aber eine vergiftende Wirkung hat, «das entscheidet die innerste Natur derer, die ihn trinken».59 Etwas Änliches – mutatis mutandis – kann man von dem Werk Hermann Hesses sagen, die viele Literaturwissenschaftler als ‹harmloses›, als eine Folge des ‹romantischen Sentimentalismus›, als eine ‹Flucht in die Exotik› bezeichnen. Es wurde von einem sehr giftigen Kritiker eine «Hesse-Lemonade» genannt. Es nimmt aber einen sehr besonderen Geschmack an, wenn man es mit der Brille von Nietzsche liest – wie übrigens Thomas Mann selbst es tat – wenn man jenen Umweg geht, durch den Hesse Nietzsches Denken für seine eigene Alternative zum Untergang des Abendlandes umfunktioniert hat.

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G. Colli, Distanz und Pathos. Einleitungen zu Nietzsches Werken, Frankfurt a. M., EVA, 1982, S. 91. Ebd.

Hermann Hesse, Thomas Mann und Nietzsche

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Ist Hesse Nietzscheaner? Hesse als Anhänger und Überwinder von Nietzsche

1. Friedrich Wilhelm Nietzsche (1844–1900) hat als Literat und Philosoph auf die deutschen Dichter einen tiefen, umfangreichen Einfluss ausgeübt, besonders auf die in den 1880er Jahren geborenen Expressionisten wie Stefan George, Carl Sternheim, Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil, Gottfried Benn, die Brüder Mann u.a.1 Die obengenannten Dichter begannen vor oder nach 1910 die Werke unter dem Einfluss Nietzsches zu schreiben. Nietzsche als «große Antithese seiner Zeit»2 , erfüllt als Vertreter des Zeitgeistes der Jahrhundertwende die literarischen Forderungen der damaligen jüngeren Dichter. Nietzsche war als berühmter Denker in Mode. Es war sogar die Ausnahme, dass man ihn nicht las.3 Hesse stand meines Erachtens auch noch unter der Einwirkung Nietzsches. Hesse zeigt zum Teil auch expressionistische Züge wie jene obengenannten Dichter.4 Auf die Frage, seit wann man den Nietzsche-Einfluss bei Hesse bemerken kann, gibt es unter den Hesse-Forschern keine Übereinstimmung. Die meisten sind der Meinung, dass er Nietzsche in Tübingen kennengelernt habe. Hesse aber erwähnte Nietzsche zum ersten Mal in einem Brief an seinen ehemaligen Rektor, Dr. Ernst Kapff, vom 15.

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Vgl. Bruno Hillebrandt (Hrsg.), Nietzsche und die deutsche Literatur. 2 Bde. Tübingen 1978. Gunter Martens behauptet, dass kaum einer von dem dominierenden Einfluss Nietzsches auszunehmen sein würde. Gunter Martens, Nietzsches Wirkung im Expressionismus. In: Bruno Hillebrandt, a.a.O., Bd. 2, S. 78. Christian Morgenstern, Nietzsche. In: Bruno Hillebrandt, a.a.O., Bd. 1. S. 111. Im früheren Werk Peter Camenzind war Richard entzückt, dass Camenzind Nietzsche noch nicht kennt. Vgl. Hermann Hesse, Peter Camenzind. In: Hermann Hesse, Gesammelte Werke in 12 Bänden. Frankfurt a. M. 1970. Bd. 1. S. 383. Im folgenden zitiert als GW. Zu den expressionistischen Zügen bei Hesse vgl. meinen Aufsatz Soon-Kil Hong, Hermann Hesse und der Expressionismus. In: «Hesse-Forschung». Bd. 3. Hrsg. v. der Koreanischen HesseGesellschaft. 2000. S. 31–51. Ich bin der Meinung, dass Hesse wenigstens als halber Expressionist in der Literaturgeschichte anerkannt werden sollte. Auch Hesse wurde in den späteren 70er Jahren des 19. Jahrhunderts geboren und schrieb um 1910 seine expressionistischen Werke; Peter Camenzind, Demian, Klingsors letzter Sommer, Klein und Wagner, Kinderseele, Zarathustras Wiederkehr u.a.

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26 Juni 1895, wo Hesse in einer Mechanikerlehre in der Calwer Turmuhrenfabrik war.5 Er arbeitete am Tag in der Fabrik als «Landexamenschlosser»6 und in der Nacht las er «die halbe Weltliteratur»7, worunter sich höchstwahrscheinlich die Bücher von Nietzsche befanden. Selbstverständlich hatte er dabei ein Nietzsche-Bild. Erst im Oktober 1895 beendete er die Lehre in der Heimatstadt und wurde als Lehrling und später als Sortimentsgehilfe in der Heckenhauer’schen Buchhandlung in Tübingen angestellt. In der Tübinger Zeit, wo er bei Heckenhauer tätig war, vertiefte er sich in Nietzsche und dessen Gedankenwelt. An der Wand seines Zimmers hingen zwei Nietzsche-Bilder und er war es gewohnt, täglich einige Stunden vor dessen Porträts stehenzubleiben. Die Götzenbilder in Tübingen waren Goethe und Nietzsche, der letztere aber war das damalige Leitbild Hesses. Nietzsche hat ihn so beschäftigt, so angezogen und gepeinigt, sosehr zur Auseinandersetzung mit ihm gezwungen.8 Fritz Strich anerkennt zwar den Einfluss Nietzsches auf Hesse, aber behauptet, dass Nietzsche ihm doch nur zum Bewusstsein gebracht habe, was er in sich selbst als innerste Zerspaltung seiner Persönlichkeit erlebte.9 Hesses Schwärmerei für Nietzsche erreicht den Höhepunkt in der Basler Zeit. Im Herbst 1899 verließ Hesse Tübingen, um sich für die Stadt von Nietzsche, Burckhardt und Böcklin zu begeistern. In der Kiste, die Hesse nach Basel transportiert hat, waren die bis dahin erschienenen Bücher von Nietzsche und ein gerahmter Nachdruck von Böcklins Bild Die Toteninsel. Freilich kann man die Spuren der Nietzsche-Einwirkung in der Gaienhofener und Montagnolaer Zeit nicht schwer erkennen. Das Nietzsche-Bild erscheint vom früheren Werk Peter Camenzind bis zum letzten Das Glasperlenspiel. Nach der Untersuchung von Ursula Apfel wird Nietzsche fast in sämtlichen Werken und Briefen Hesses häufig erwähnt.10 Daraus kann man den Schluss ziehen, dass Nietzsche auf Hesse und seine Werke das ganze Leben lang einen tiefen Einfluss ausgeübt hat. Die Hauptmotive Hesses haben Ansätze im Nietzscheschen Gedankengut. Nietzsche tritt sogar als Tegularius im Werk Das Glasperlenspiel als Symbolfigur auf. Es wäre hilfreich, die Einwirkung Nietzsches anhand dessen Hauptgedanken zu deuten: die Moralkritik, die Ewige -Wiederkehr, die Schicksalsliebe und die Lebensphilosophie.11

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Vgl. Hesses Brief an E. Kapff. In: Herman Hesse, Kindheit und Jugend vor Neunzehnhundert. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1966 & 1977. Bd. 1, S. 491. Im Folgenden zitiert als KuJ. Herman Hesse, Unterm Rad. GW 2, S. 161. Herman Hesse, Kurzgefaßter Lebenslauf. GW 6, S. 396. Vgl. Hermann Hesse, Dank an Goethe. GW 12, S. 146. Fritz Strich, Dank an Hermann Hesse. In: Der Dichter und die Zeit. Bern 1947. S. 383. Vgl. Ursula Apfel (Hrsg.), Hermann Hesse: Personen und Schlüsselfiguren in seinem Leben. 2 Bde., München 1989. Martin Heidegger hat die Hauptgedanken Nietzsches in 5 Teile geteilt: die Ewige Wieder-

Ist Hesse Nietzscheaner?

27 Hesse hielt Nietzsche für einen «Übermenschen» und «Propheten»12 oder «den philosophischen Titanen»13 und «einen großen Denkwege gehenden Dichter».14 Hesse fand in der Lektüre Nietzsches 1914 «sehr viel neue Anregung und Genuß, allerdings einen höchst schmerzlichen Genuß»15 und erwähnte 1919 lobend, dass er «der letzte einsame Vertreter eines deutschen Geistes»16 sei. Ein anderes Mal aber distanzierte sich Hesse von Nietzsche, weil er aus «schädlichen Lehren und Haltungen einen Kult machen»17 könnte. Im Großen und Ganzen fühlte sich Hesse zeit seines Lebens gefühlsmäßig eng mit Nietzsche verbunden, wie Sinclair in Demian sagte: «Mit ihm [Nietzsche] lebe ich, fühlte die Einsamkeit seiner Seele, witterte das Schicksal, das ihn unauf haltsam trieb, litt mit ihm und war selig, dass es einen gegeben hatte, der so unerbittlich seinen Weg gegangen war».18 Vom Stil her ist Hesses Werk Zarathustras Wiederkehr ohne weiteres als epigonenhafte Nachahmung von Nietzsches Also sprach Zarathustra zu werten, obwohl Hesse selbst keine Nachahmung versucht. An anderer Stelle stimmt er halb zu, dass sein Zarathustra, ohne dass er selbst es bemerkt habe, an Nietzsche anklinge und den Geist seines Zarathustras beschwöre.19 Gotthilf Hafner behauptet, dass sich Nietzsche selbst stilistisch zu dem Werk bekennen könnte, wenn man die Schrift in seinem Nachlass gefunden hätte.20 Wie es oben dargestellt wurde, stand Hesse unter ständiger Einwirkung Nietzsches. Es ist deswegen eine Überraschung, dass es bis jetzt keine nennenswerte wirkungsgeschichtliche Untersuchung über den Einfluss Nietzsches auf Hesse gab. Obwohl es einige gibt, behandeln sie alle oberflächlich die Bruchstücke, die im Werk Hesses unter dem Namen von Nietzsche erwähnt sind. Um die nachhaltige Wirkung auf Hesse zu untersuchen, muss man die Hauptgedanken berücksichtigen und sie im Vergleich zu den Hauptthemen Hesses betrachten. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Einwirkung Nietzsches und seine Überwindung durch Hesse zu untersuchen.

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kehr des Gleichen, der Übermensch, die Umwertung aller Werte, der Nihilismus und der Wille zur Macht. Vgl. Martin Heiddeger: Nietzsche. 2 Bde., Pfullingen 1961, S. 31. Hesses Brief an Dr. E. Kapff v. 15. 1896. KuJ 1, S. 491. Hesses Brief an Theodor Rümelin v. 1. Juli 1895. KuJ 1, S. 501. Hesses Brief an Karl Isenberg v. 12. 6. 1897. In: Volker Michels (Hrsg.): Hermann Hesse. Gesammelte Briefe in 4 Bänden. Frankfurt a. M. 1973ff. Bd. 1, S. 31. Im folgenden zitert als GB. Hesses Brief an Johannes Hesse v. 16. 3. 1914. GB 1, S. 242/3. Hermann Hesse, Über Zarathustras Wiederkehr. GW 11, S. 41. Hesses Brief an Kuno Fiedler v. Januar 1940. In: Hermann Hesse. Ausgewählte Briefe. Frankfurt a. M. ² 1976, S. 187. Im Folgenden zitiert als AB. Hermann Hesse, Demian. GW 5, S. 131. Vgl. Hermann Hesse, Über Zarathustras Wiederkehr. GW 11, S. 41. Vgl. Gotthilf Hafner, Hermann Hesse. Nürnberg 1970, S. 69.

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2. Obwohl Nietzsche starb, als Hesse drei Jahre alt war, und dessen Wirkung damit auf ihn einseitig blieb, hatten sie vergleichbare Kindheit und Erziehung hinter sich. Beide sind als Söhne pietistischer Pastoren geboren. Die Eltern von Nietzsche und Hesse waren ein Hort pietistischer Frömmigkeit und Zucht, worunter die beiden Freigeister ungeheuer viel litten. Sie konnten die religiösen Dogmen und Anschauungen nicht annehmen und schritten zur Revolte gegen ihre Eltern. In der pietistischen Religion haben nur Gott und das Jenseits einen Sinn, und man soll deswegen ununterbrochen bereuen und um die Gnade Gottes bitten. Hesse und Nietzsche waren beide eigensinnig und selbstbewusst. Sie verneinten die herkömmliche, christliche Tugend und Moral und gingen, anstatt sich nach deren Zweck zu richten, einen perspektivischen Weg. Nietzsche und Hesse kannten sich vor allem in den älteren Sprachen und der Altertumskunde aus. Nietzsche hatte einen Lehrstuhl an der Universität Basel als Professor der klassischen Philologie. Auch Hesse wusste in Griechisch und Latein gut Bescheid und bewarb sich aufgrund seiner Kenntnisse in den älteren Sprachen um eine Stelle in einer Buchhandlung. Nietzsche stand auch als «Dichterphilosoph»21 der Romantik und deren Dichtern wie Jean Paul, Hölderlin u.a. nahe. Er schrieb zahlreiche Gedichte und Essays in einem eigentümlichen Stil. Hesse fühlte mit Nietzsche höchstwahrscheinlich eine professionelle Gemeinsamkeit und hatte als Liebhaber der Romantik dasselbe Gemüt. Er schätzte am meisten das gewaltige sprachliche und poetische Genie bei Nietzsche. Die beiden waren die Vertreter des Individuums und der Persönlichkeit. Sie hatten beide eine feindselige Gesinnung gegenüber dem Volk, einschließlich dessen Herdentrieb, Vereinheitlichung und Verflachung. Sie kritisierten die Verherrlichung irgend eines ‹Ismus› oder einer Regierungsform. Beide zogen weder den Sozialismus noch die Demokratie vor, weil sie «die Herdenthier Moral» der Menschen fordern und ihnen «Entartung und Verkleinerung»22 bringen würden. Dies war auch bei Hesse der Fall. Obwohl sich Hesse für verschiedene Ismen, sogar für den Kommunismus, interessierte, war er kein Anhänger einer Regierungsform oder eines Ismus.23 Er ist immer gegen die wechselseitige Verhetzung und die Schwärmerei in einem Kollektiv.24 Sie waren Schutzgeister des Individuums. Da die Verbesserung des Kollektivs hoffnungslos ist,

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Frenzel behauptet, dass Nietzsche ein Kind der romantischen Epoche, ohne deren Vorstellungen unbegreif bar und zugleich einer ihrer Vollender und Überwinder war. Vgl. Ivo Frenzel, Nietzsche. Reinbek bei Hamburg 1966, S. 23. Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, § 202, § 203. Band 5, S. 124ff. In: Friedrich Nietzsche. Sämtliche Werke. Kritische Studienausgaben in 15 Bänden. Hrsg. v. Giogio Colli und Mazzino Montinari. München 1980. Im folgenden zitiert als KSA. Soon-Kil, Hong, Der politische Idealismus. Taejeon 2000, S. 257. Für Hesse war der «Drang nach dem Kollektiv» «der ärgerste Feind und Verderber». Hesses Brief an Herrn K. v. 15. 4. 1950. AB, S. 319.

Ist Hesse Nietzscheaner?

29 legten sie den Schwerpunkt auf das Individuum. Das war ihnen möglich, weil sie bei der Betrachtung mit dem perspektivistischen Gesichtspunkt begannen. Befreit von dem herkömmlichen, objektiven Standpunkt gehen sie den ichzentrischen inneren Weg. Sie sind der Meinung, der Weg des Menschen sei der zu sich selber. Jeder habe seinen eigenen Weg zu gehen. Durch die Selbstverwirklichung in Zarathustras Wiederkehr werde die Welt noch beglückt sein, wenn es einige sich ihrer selbst bewusste Einzelne gäbe: «nicht Vieh, nicht Herde, sondern einige Menschen, einige von den Seltenen, die uns beglücken».25 Außerdem lebten Nietzsche und Hesse als Propheten vor ihrer Zeit und lasen wie ein Seismograph die Kultur und Zivilisation der Zeit genau und beurteilten sie skeptisch. Es fehlten aber dabei keine mahnenden Stimmen. Sie waren beide frei von der Nationalität, Religion und Moral und bemühten sich darum, die Grenzen und Konfl ikte zu überwinden. Sie lebten im weltbürgerlichen Gedankengut. Das Hauptinteresse von Nietzsche und Hesse war vor allem die Zerstörung der Moral. Nietzsche übte heftige Kritik an der herkömmlichen, christlichen Moral, noch gründlicher an der Moral an sich. Der Hesse tief beeindruckende Satz von Nietzsche lautet: «Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht».26 Hesse sagte auch: «Ich lebe meine Moral».27 Er ging auch den Weg Nietzsches dadurch, dass er selber die Tugend im allgemeinen Sinn aufs Neue in Frage stellte und eine revolutionäre Umwertung der Werte unternahm. In Demian ließ Hesse durch die Umdeutung der Geschichte von Kain und Abel die Kriterien vom Guten und Bösen aufstellen. Wie Nietzsche gesagt hat, und das gilt auch für Hesse, gilt die Moral als eine Formel der Unmoral, weil «es gar keine moralische Phänomene, sondern nur eine moralische Ausdeutung von Phänomenen gibt».28 Trotz der zahlreichen Gemeinsamkeiten bestehen zwischen Nietzsche und Hesse auch einige entscheidende Unterschiede. Grundsätzlich sieht Nietzsche die Welt infolge der Einwirkung Schopenhauers skeptisch und pessimistisch. Im Grunde genommen ist er aber kein Pessimist und hat die Absicht, dadurch eine utopische Gegenwelt vorzuzeigen und zu verwirklichen. Zum Schein legt er den Streitpunkt statt auf die Schöpfung auf die Zerstörung, statt auf Bejahung auf die Verneinung, statt auf die Hoffnung die Verzweiflung. Nietzsche und Hesse sind aber dagegen, die Welt in Gut und Böse zu trennen. Nietzsches Begriffsauffassung kommt aus dem Willen zur Macht: «Was ist gut. Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht. […] Die Schwachen und Missrathnen sollen zu Grunde gehn: erster Satz unserer

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Hermann Hesse, Zarathustras Wiederkehr. GW 10, S. 490. Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra I. Vorrede 4. KSA 4, S. 19. Hesses Brief an Hans Popp v. 24. Juni 1935. GB 2, S. 471. Friedrich Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse. KSA 5, S. 92.

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30 Menschenliebe. Und man soll ihnen noch dazu helfen».29 Und darüber hinaus ist bei ihm das Lebensfreundliche ‹gut› und das Lebensfeindliche ‹böse›. Hesse nimmt aber den Begriff, ‹gut und böse›, im christlichen Sinne. Trotzdem ist er kein Schiedsrichter der Moral. ‹Gut› und ‹böse› seien beide wichtig für die Harmonie, die Menschwerdung. Hesse ist dagegen, dass der Schwache der Böse sei und er zu Grunde gehen müsse. Nietzsche neigt in diesem Punkt zu der darwinistischen Betrachtungsweise. Bei Hesse ist der Schwache der Gegenstand des Mitleids und der Hilfe wert. Die schwachen Helden, z.B. Bopi in Peter Camenzind und Tito in Das Glasperlenspiel, gehen weder zu Grunde noch werden sie Gegenstand der Verachtung. Was er den Lesern raten möchte, ist, «die Menschen zu lieben, auch die Schwachen, auch die Nichtnützlichen, nicht aber sie zu richten».30 Die Naturauffassungen von Nietzsche und Hesse gehen weit auseinander. Die Natur bei Hesse ist anders als die von Nietzsche bei der Auffassung des Gegenstands. Die Natur Hesses ist dieselbe wie die der Romantiker oder von Rousseau, die wie eine märchenhafte Welt mystisch und traumhaft ist. Hesses Natur ist jener Platz, wo die Natur und der Mensch zusammenleben. Die Natur Nietzsches ist dagegen ein Platz, wo immer der Wille zur Macht und zum Kampf herrscht, und wo der Schwächere dem Stärkeren zum Opfer fällt.

3. Die auffallende Übereinstimmung der Grundgedanken zeigt sich in aller Deutlichkeit, wenn man die Religions- und Moralkritik von Nietzsche und Hesse betrachtet. Sie wuchsen in demselben religiösen Milieu heran, sowohl in der häuslichen, als auch in der Schulerziehung. Von ihrer Jugendzeit an rangen sie ununterbrochen mit den Problemen von Religion und Moral. Danach kämpften sie zeit ihres Lebens gegen das Dogma des Christentums und schließlich kamen sie dazu, Gott zu Tode zu bringen31 und waren skeptisch, in Bezug darauf dualistisch und teleologisch zu denken und zu handeln. Sie verneinten die apollinische Weltanschauung und zogen das dionysische Leben vor. Sie glaubten fest, dass es in relativistischer Hinsicht das Leben entkräftet, die Moral zu betonen. Deswegen verurteilte Nietzsche das Christentum und Gott zum Tode, «als ein fürsprechender Instinkt des Lebens».32 In fast allen seinen Werken

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Friedrich Nietzsche, Der Antichrist. KSA 6, S. 170. Hesses Brief an eine Leserin in Stuttgart v. 23. Februar 1935. AB, S. 138. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. § 125. KSA 5, S. 481: «Gott ist todt. Gott bleibt todt. Und wir haben ihn getötet» Und auch Hermann Hesse: Gertrud. GW 3, S. 38: «Ach, Gott ist tot». Martin Heidegger ist anderer Meinung bei der Auslegung dieses Satzes. Er beruhe auf dem Denken des Nihilismus, welcher «die voraufgehenden Jahrhunderte durchherrschende und das jetzige Jahrhundert bestimmende geschichtliche Bewegung» hat. Martin Heidegger, Holzwege. 6. durchgesehene Aufl. Frankfurt a. M. 1980, S. 196f. Friedrich Nietzsche, Die Geburt der Tragödie. § 5. KSA 1, S. 19.

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31 wie Morgenröte, Der Wille zur Macht, Zur Genealogie der Moral u.a. nahm Nietzsche das Christentum und dessen Moral unter die Lupe. Nietzsche betrachtet die Moral nur als «Werk der Unmoralität»33, also als eine Formel der Unmoral. Nietzsche behauptet, dass das Christentum und Europa vor dem Untergang standen, weil die Europäer tausend Jahre lang nach solch einer Moral gestrebt haben. Je mehr man von der Moral abhängig sei, desto tiefer sinke man in den Willen zum Untergang: «Ich liebe Den, welcher seine Tugend liebt: denn Tugend ist Wille zum Untergang und ein Pfeil der Sehnsucht».34 Besonders die auf das Christentum begründete Moral war der Gegenstand des Vorwurfes. Wie Nietzsche begann die Moralkritik Hesses mit dem christlichen Glauben. Obwohl er zum Teil ein Scheinchrist war und an ein «Privatchristentum»35 glaubte, war er frei von der Moral. Sogar der Grund, warum er die Musik liebte, lag darin, dass die Musik unmoralisch sei. Sein Hass gegen die Moral ist zwar geringer als der von Nietzsche, dennoch bleiben die Probleme der Moral im Zentrum seines Lebens und Werks. Er betrachtete die Religion sowie die Moral vom Gesichtspunkt der Persönlichkeit und des Menschen aus: «Es gibt keine anderen Götter, als die der Mensch sich macht. Es gibt ja auch keine anderen Religionen, Gesetze und Moralen, als die der Mensch sich macht».36 Das heißt, jeder macht seine Religion und Moral selbst. Es wäre höchst vergleichenswert, wie Nietzsche und Hesse das Gute und Böse bestimmen. Nietzsche versteht diesen traditionellen, christlichen Begriff im Zusammenhang mit dem Willen zur Macht: «Was ist gut. – Alles, was das Gefühl der Macht, den Willen zur Macht, die Macht selbst im Menschen erhöht. Was ist schlecht. – Alles, was aus der Schwäche stammt».37 Mit dieser Begriffsauffassung ist Nietzsche weit entfernt von dem traditionellen Christentum. In Hesses Werk Demian, in der Kain-Abel-Geschichte blieben die Spuren Nietzsches deutlich. Derjenige, der vom Gesichtspunkt des traditionellen Christentums aus diese Episode verstehen will, wird überrascht und gerät in Verwirrung. Ohne Hilfe der Nietzsche-Theorie ist es fast unmöglich, Kain und den Räuber am Kreuz aufzuwerten. In der Bibel waren sie typische Symbolfiguren des Bösen, während sie im Nietzscheschen Sinne die des Guten, des sich selbst Verwirklichenden sind, die willig und mutig ihren eigenen Weg gehen. In dem Essay mit dem Titel Ein Stückchen Theologie schildert Hesse die drei Stufen der Menschwerdung, worin man einige wichtige Merkmale herausfi nden kann. Die

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Friedrich Nietzsche, Der Wille zur Macht. § 103. In: Friedrich Nietzsche, Werke in 2 Bänden, Leipzig 1930. Bd. 2, S. 371. Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra I. KSA 4, S. 17. Hesses Brief an D. Zimmermann v. 3. 3. 1935. GB 2, S. 458. Gerhart Mayer nannte diesen Begriff «individuelle Religiösität». Gerhart Mayer, Die Begegnung des Christentums mit den asiatischen Religionen im Werk Hermann Hesses. Diss. Bonn 1956, S. 39. Hesses Brief an Hilde Saenger 1931, GB 2. S. 304. Friedrich Nietzsche, Der Antichrist. § 2. KSA 6, S. 170.

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32 Menschwerdung beginne mit der Unschuld, statt der Schuld, was sich an der orthodoxen Urschuld-Theorie des Christentums stößt. Und was noch überraschend ist, dass man frei von Gesetz und Moral sein solle, um die Erlösung zu erreichen.38 Der Begriff ‹Gott› ist noch genauer zu verstehen. Der Fehler, den man ohne weiteres innerhalb der Hesse-Forschung begeht, ist, ‹Gott› nur im christlichen Sinne aufzunehmen. Hesses Auffassung von ‹Gott›, die mit dem Protest gegen die Monopolisierung des Christentums beginnt, lässt sich mit Hilfe der Anonymisierung und Verallgemeinerung Gottes unterschiedlich auffassen.39 Überraschenderweise folgt Nietzsche folgender Formel: das Gute = gut, das Schwache = schlecht. Hesse steht hier im Widerspruch zu Nietzsche. Das Böse ist ein Teil des Ganzen, umgekehrt gilt es ebenso. In einem Brief schrieb er: «[…], ich glaube längst nicht mehr an Gutes und Böses, sondern glaube, dass alles gut ist, auch das, was wir Verbrechen, Schmutz und Grauen heißen».40 Das Böse ist bei Hesse ein Teil des Ganzen, der mit dem Guten in Einklang steht, hat also nichts mit den christlichen Kriterien von Moral zu tun. Ähnliches steht auch in Goethes Faust. Mephisto tritt als Symbolfigur des Bösen auf, aber er ist zugleich «ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft»41. Im Grunde genommen sind die Gegensätze bei Hesse und Nietzsche keine Maßstäbe, deswegen sind sie weder zu verachten noch zu schätzen: «Schön und häßlich, alt und jung, gütig und böse, offen und verschlossen, hart und weich sind keine Gegensätze mehr. Alle sind merkwürdig, keiner mehr kann verachtet, kann gehaßt, kann mißverstanden werden».42 In Klingsors letzter Sommer heißt es auch: «Alle Gegensätze sind Täuschungen: weiß und schwarz ist Täuschung, Tod und Leben ist Täuschung, gut und böse ist Täuschung».43 Nietzsche stimmte mit Hesse in diesem Punkt überein. Gut und böse seien keine Gegensätze.44 Beide Teile dienen der Menschwerdung. Nietzsche und Hesse verstehen den Begriff ‹das Gute und Böse› nicht im moralischen, religiösen Sinne, sondern auf ihre eigene Weise. Nietzsche legt den Schwerpunkt darauf, dass es um den Willen zur Macht geht. Nietzsche und Hesse sagten der Moral ab, um eine Moral zu suchen, in der man frei atmet und die Lebensfreude fühlt. Durch die Umwertung der Moral nimmt man Teil am Fest Dionysos. Ähnlich wie die ‹3 Stufen der Menschwerdung› bei Hesse zeigt auch ‹Von den drei Verwandlungen› bei Nietzsche die Stufen der Menschwerdung: «Drei

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Vgl. Herman Hesse, Ein Stückchen Theologie. GW 10, S. 77. Über den Begriff ‹Gott› bei Hesse Soon-Kil Hong, Der Begriff ‹Gott› bei Hesse. In: «HesseForschung» 2 (1999). Hrsg. v. der Koreanischen-Hesse-Gesellschaft. Hesses Brief an Carl Seelig gegen Herbst 1919. In: GB 1, S. 424. J. W. v. Goethe, Faust. In: Erich Trunz (Hrsg.), Goethes Werke in 14 Bänden. München 1981, Bd. 3, S. 47. Hermann Hesse, Von der Seele. GW 10, S. 34. Hermann Hesse, Klingsors letzter Sommer. GW 5, S. 330. Friedrich Nietzsche, Die Unschuld des Werdens. In: Friedrich Nietzsche, Werke in 2 Bänden. A.a.O. Bd. 2, S. 255.

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33 Verwandlungen nannte ich euch des Geistes: wie der Geist zum Kameele wird, und zum Löwen das Kameel, und Löwe zum Kinde zuletzt der Löwe».45 In dieser Parabel zeigen sich die Stufen der Menschwerdung. Vergleicht man diese Parabel mit dem Entwicklungsprozess der Moral, kann man leicht verstehen, wie Sinclair in Demian mit der christlichen Moral in Konfl ikt kommt und davon erlöst seine neue Moral annimmt. Sinclair beginnt seine Kindheit im lichten Elternhaus mit der herkömmlichen, christlichen Moral, mit ‹Unschuld› im Sinne Hesses, und damit, dass er wie ein Kamel seinen Eltern gehorsam ist. Als zweite Stufe wandelt sich das Kamel zum Löwen dadurch, dass Sinclair ihnen bewusst den Gehorsam verweigert, mit der Hilfe von Demian, dem Willen zur Macht oder der Umwertung aller Werte. In dieser Stufe, wo man ohne Vorbedingungen mit der ‹Schuld› umgeht und angesichts des Guten und Bösen verwirrt wird, braucht man Kraft und Mut wie ein Löwe. In der letzten Stufe kann man als Kind neu geboren werden - mit seiner eigenen Moral und Lebensweise. Das ist sozusagen die ‹Erlösung› im Sinne der letzten Stufe der Menschwerdung Hesses.

4. Die ‹Ewige-Wiederkehr›, ‹Ewige-Wiederkunft› oder noch genauer die ‹ewige-Wiederkehr des Gleichen› spielt als Leitgedanke eine wesentliche Rolle bei Nietzsche und Hesse. Es bedeutet im wörtlichen Sinne, dass etwas (das Gleiche) immer wiederkehrt oder kommt und weder Anfang noch Ende hat. Die großen Denker, einschließlich Herakleitos, Sokrates, Lao Tse, Liä Tse u.a., im Osten und Westen, sahen in der Natur ein sich ewig wiederholendes Phänomen. Der Buddhismus und der Taoismus stehen mit diesem Gedanken in engerer Beziehung. Der Grundgedanke dieser Lehre liegt darin, dass die Phänomene des Weltalls auf einer kreisenden, sich wiederholenden Ewigkeit beruhen. Sie sei ein Versuch, das Dasein mit der natürlichen Gesamtheit der Welt zu verbinden.46 Nietzsche vertiefte sich in die Lehre der Ewigen-Wiederkehr, woraus seine Philosophie, Religion und Morallehre bestehen. In Ecce homo nannte er sie «höchste Formel der Bejahung».47 In Also sprach Zarathustra heißt es: «Alles geht, Alles kommt zurück. Ewig rollt das Rad des Seins. Alles stirbt, Alles blüht wieder auf, ewig läuft das Jahr des Seins.[…] Ewig bleibt sich treu der Ring des Seins. […] Krumm ist der Pfad der

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Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. KSA 4, S. 29. Vgl. Karl Löwith, Nietzsches Philosophie der Ewigen Wiederkehr des Gleichen. Stuttgart 1956, S. 90. Friedrich Nietzsche, Ecce homo. KSA 6, S. 335.

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34 Ewigkeit».48 In dieser Lehre werden die Festigkeit, Unsterblichkeit, Einmaligkeit und Linearität geleugnet. Hesse interessierte sich auch für diese Lehre und benutzte den Begriff ‹Ewige-Wiederkehr› häufig. Er nahm Bezug auf das ‹Rad der Ewigen Wiederkehr›, des Kreislaufes Buddhas.49 Die Wiederkehrslehre von Liä Dsi war ihm auch bekannt: «Alle Geschöpfe kommen aus diesem Kreislauf hervor und gehen wieder in diesen Kreislauf».50 In seinen Werken tritt häufig die Wiederkehrslehre hervor. In Siddhartha sagt Vasudeva: «Alles kommt wieder».51 In Gertrud nannte Hesse die Lehre vom Karma «eine religiöse Verehrung des Kausalitätsgesetzes».52 Vor allem interessierte sich Hesse für die Wiederkehr von Geburt und Tod. Die Grenze von Geburt und Tod wurde aufgehoben. Die Geburt wird der Tod, und der Tod wird die Geburt. Durch diese mystische, magische Umwandlung wird die Welt noch lebendiger. In Knulp spielte Hesse auf die Wiedergeburt von Knulp dadurch an, dass die Blumen den Tod und die Geburt wiederholen: «Die Blumen müssen alle verdorren, Wenn der Nebel kommt, Und die Menschen müssen sterben, Man leg sie ins Grab. Auch die Menschen sind Blumen, Sie kommen alle wieder […]».53 In Das Glasperlenspiel wandelt sich die Seele von Knecht in 5 verschiedenen Figuren. Vor einigen tausend Jahren als Regenmacher, dann Bereuer, schwäbischer Theologe, Sohn des indischen Königs und zum letzten im Jahr 2400 als Meister des Glasperlenspiels. Hesse lässt die Helden seiner Werke kein Nirwana erreichen, sondern «neuen Umlauf, neue Gestaltung, Wiedergeburt», wenn sie sterben.54 Warum möchten die Helden Hesses kein Nirwana oder keine Erlösung erreichen? Sie möchten lieber spielerisch im Nirwana bleiben und ihr Spiel der Wandlung spielen. In Klingsors letzter Sommer enthält das Gesicht Klingsors zahlreiche Figuren. Das Gesicht des Menschen ändert sich in ein tierisches, pflanzenhaftes und endlich in ein steinernes. Dieses Rad der Gestaltungen erreicht den Höhepunkt im Märchen Piktors Verwandlung. Piktor fühlte sich glücklich, als er sich ohne weiteres in Baum, Fisch, Wolke und Vogel verwandelte. Bei Nietzsche und Hesse, den geborenen Christen und Europäern, welche Gott als Zentrum und Ziel des Lebens und Denkens aufnahmen, wäre es eine kopernikanische Umwälzung, die Lehre der ‹Ewigen Wiederkehr› anzugreifen. Sie fanden bei der Betrachtung des Lebens und der Phänomene die Ordnung der ewigen Wiederkehr. Als Resultat davon hatte Nietzsche einerseits den Willen zur Macht, andererseits geriet er in den Pessimismus, weil das Gleiche immer wiederkehrt. Deswegen zog er

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Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra III. Der Genesende. KSA 4, S. 272–273. Vgl. Hesses Brief an Fräulein G. D. v. 15. 7. 1930. In: AB, S. 31. Vgl. Liä Dsi, Das wahre Buch vom quellenden Urgrund. Düsseldorf 1972, S. 37. Hermann Hesse, Siddhartha. GW 5, S. 391. Hermann Hesse, Gertrud. GW 3, S. 63. Hermann Hesse, Knulp. GW 4, S. 508. Hermann Hesse, Tagebuch 1920–1921. In: Eigensinn. Frankfurt a. M. 1972, S. 120.

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35 daraus den Schluss, dass die Ewige Wiederkehr «Die extremste Form des Nihilismus»55 ist. Diese Wiederkehr wird «eine ewige Sanduhr des Daseins»56, wenn ein Dämon eines Tages kommt und sagt: «Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen».57 Hesse sah aber die ewige Wiederkehr nicht pessimistisch, sondern viel mehr in einem romantischen und lebendigen Sinn. Hesse war kein Buddhist, der an die Karma- oder Sansara-Lehre glaubte. Er fand das Leben und die Welt nur dann lebenswert, wenn in ihr die Umwandlung herrscht. Aus diesem Grund geriet er nicht in den Pessimismus und brauchte keinen Übermenschen. Die Helden Hesses sind Wanderer und zugleich «Verehrer des Wechsels, der Phantasie».58

5. Der Gedanke der Schicksalsliebe, amor fati, ist der Hauptgedanke von Nietzsche und Hesse. Dieser Gedanke zeigt sich zuerst in Fröhliche Wissenschaft und danach in Also sprach Zarathustra u.a. Die Größe am Menschen komme daher, dass er sein Schicksal anerkennt und es ohne Wiederstand annimmt, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Liebe: «Meine Formel für die Größe am Menschen ist amor fati: dass man Nichts an haben will, vorwärts nicht, rückwärts nicht, in alle Ewigkeit nicht».59 Die Schicksalsliebe ist nichts anderes als die Bejahung des tagtäglichen Lebens und die Lobpreisung der dionysischen Feier. Sie ist zugleich eine positive Haltung, darauf gerichtet, die extremste Form des Nihilismus zu überwinden und das Interesse auf sich selber zu lenken. Die Schicksalsliebe ist also «Umwertung des Negativen in ein Positives, von der Krankheit zum großen Stimulans zum Leben: ‹der schaffende Wille›».60 Und wie kann man sich die Schicksalsliebe aneignen? Nietzsche behauptet, dass man vor allem von der platonischen, christlichen Moral befreit, den perspektivischen Gesichtspunkt annehmen soll. Hesse war der gleichen Meinung: «Höchstes Ziel der Weisheit war nie, das Schicksal zu korrigieren, sondern das Schicksal auszuleben, seinen Winken zu folgen, seine Führung und sich selbst in ihr zu bejahen».61 Die Schicksalsliebe musste auf Hesse am Anfang der Einwirkung Nietzsches einen starken Eindruck machen, als er die Trilogie des ‹inneren Wegs› schrieb, also in der

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Friedrich Nietzsche, Nachgelassene Fragmente 1885–1887. KSA 12, S. 213. Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. § 341. KSA 3, S. 570. Ebd. Hermann Hesse, Bauernhaus. GW 6, S. 134. Friedrich Nietzsche, Warum ich so klug bin. § 10. EH. KSA 6, S. 297. F.G. Lindemann, Über die Grundlagen der Philosophie Friedrich Nietzsches. In: «The Mokwon Journal» Vol. 10 (1986). S. 185. Hermann Hesse, Über die neuere französische Literatur. In: Volker Michels (Hrsg.), Hermann Hesse. Politik des Gewissens. 2 Bde. Frankfurt a. M. 1977. Bd. 1, S. 353–4.

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36 Zeit um das Ende des Ersten Weltkriegs. Von dieser Zeit an ging er seinen eigenen inneren Weg und sah sich genötigt, die Schuld an seinem Leiden nicht außerhalb seiner, sondern in ihm selbst zu suchen.62 Die Verantwortung sich selbst zu fi nden und sich selbst zu lieben ist die Vorstufe zum Erkennen des Schicksals. Das sei die Aufgabe und das Ziel des Erwachten: «Unsere Sache ist, unser Schicksal zu erkennen, unser Leid uns eigen zu machen, seine Bitterkeit in Süße zu verwandeln, an unserem Leide reif zu werden. […] Unser Ziel ist, wie es das Ziel jedes Wesens ist, eins mit dem Schicksal zu werden».63 Und die Aufgabe des Dichters sei es, «vor allem den Leser dazu verführen, sich selbst besser kennenzulernen und den Mut zum eigenen Lebensweg und Schicksal zu fi nden».64 Nietzsche ist der Meinung, dass auch Jesus durch seinen schicksalhaften Tod sein Leben bejahen und allerlei Leiden und Angst überwinden kann. Hesse sah auch Jesus als einen wie Sokrates, Buddha, u.a. Jesus habe nicht als «göttlicher Mensch», sondern wie seine Mitmenschen selbstbewusst sein Schicksal angenommen. Der Leser versteht nicht, warum der Räuber am Kreuz in Demian auch ein Kainszeichen hat. In gewissem Sinne tritt er auch als eine Symbolfigur der Schicksalsliebe auf. In vielen anderen Werken Hesses gingen die Helden ihren Weg. Peter Camenzind kehrte in die Heimat seines Schicksals bewusst zurück und blickte auf sein vergangenes Leben zurück. Daraus zog er den Schluss, «dass die Fische ins Wasser und die Bauern aufs Land gehören und dass aus einem Nimikoner Camenzind trotz aller Künste kein Stadt- und Weltmensch zu machen ist».65 Die Schicksalsliebe zeigt sich in Form eines schicksalhaften Todes. Hans in Unterm Rad und Knulp in Knulp sterben alle einen schicksalhaften Tod, der erstere lässt sich ins fl ießende Wasser fallen, der letztere stirbt im fallenden Schnee. Auch Siddhartha ließ sich in den Fluss fallen in dem Moment, wo er das Erwachen erreichte. In Chinesische Betrachtung kann man die Schicksalsvorstellungen Hesses erkennen: «Wer aber sein Schicksal liebt und sich mit ihm eins weiß – was fragt der nach langem Leben, nach Ruhm, nach Rang, nach Reichtum. Die Menschen dieser Art haben den Frieden in sich. Nichts in der Welt kann sie bedrohen, nichts kann ihnen Feind werden. Im eigenen Innern tragen sie ihr Schicksal».66 Inwieweit der Gedanke der Schicksalsliebe Nietzsches auf Hesse einwirkte, ist nicht leicht zu bestimmen. Er bietet aber Hesse das Hauptmotiv an, weil es im Grunde genommen aus der Schicksalsliebe herrscht, den Weg zu sich selber, in die innere Welt zu gehen. Die Helden erreichen die Vollendung erst, nachdem sie die Schicksalsliebe angenommen haben.

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Vgl. Hermann Hesse, Kurzgefaßter Lebenslauf. GW 6, S. 400. Hermann Hesse, Zarathustras Wiederkehr. GW 10, S. 487. Hesses Brief an einen jungen Leser v. Sommer 1949. GB 4, S. 30. Hermann Hesse, Peter Camenzind. GW 1, S. 493. Hermann Hesse, Chinesische Betrachtung. GW 120, S. 69.

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6. Die Literatur Hesses hat eine Tendenz zur Lebensphilosophie durch die Wirkung von Nietzsche und Dilthey. Hesse ist als Neuromantiker von Natur aus kein Mann der Ratio. Statt Kant oder Hegel steht Hesse Schopenhauer oder Dilthey nah. Der Kerngedanke der Lebensphilosophie liegt darin, die Wichtigkeit der Gefühle und Triebe anzuerkennen und sie im Leben auf blühen zu lassen. Nietzsche hält den ratiozentrischen Menschen für einen Hautkranken, der auf der Erde wohnt. Wie die Erde eine Haut hat und diese Haut eine Krankheit hat.67 Wegen der Unterdrückung der stoischen religiösen Dogmen verliere der Mensch seine Vitalität und Lebensfreude. In der Lebensphilosophie Nietzsches spielt die Lebensenergie eine Hauptrolle. Derjenige, der keinen Willen zur Macht hat, hat eine schwache Persönlichkeit. Dort, wo der Wille zum Leben und zur Macht fehlt, gibt es nur «einen physiologischen Rückgang, eine décadence».68 Nietzsche fand die Quelle der Lebensfreude und Lebensfülle in der griechischen dionysischen Idealwelt. Er sah im Leben dort die Bejahung und Dankbarkeit gegenüber dem erlebten Leben. Besonders in der Geburt der Tragödie preist er die dionysische Lebendigkeit. Er glaubte, das dionysische Erlebnis würde die apollinische Trockenheit überwinden und durch die Übereinstimmung der beiden Welten würde die Idealwelt erreicht. Das Ziel des Menschen, der Gott verlässt, ist nicht mehr das Jenseits, sondern das Diesseits, wo er jetzt lebt und worauf er steht. Wie er auf der Erde geboren ist, kehrt er zur Erde zurück. Auf der Erde erfährt er unter den Menschen das Leid und die Freude des Menschen. Er nimmt das Leben im Sinne der Lebensphilosophie als etwas Kostbares an, sei es glücklich oder unglücklich, moralisch gut oder böse. Der Lebensphilosoph Dilthey legt den Schwerpunkt bei seinen Betrachtungen auf den Menschen und sein Leben. Bei ihm war die Poesie «Darstellung und Ausdruck des Lebens. Sie drückt das Erlebnis aus, und sie stellt die äußere Wirklichkeit des Lebens dar».69 Besonders fand er in Goethes Wilhelm Meister «einen unvergänglichen Glanz von Lebensfreude».70 Die Lebensphilosophie steht mit der Romantik in einem engeren Zusammenhang, weil man einer romantischen Auffassung des Lebens bedarf, um das bittere Leben als ein köstliches anzunehmen. Kurt Weibel nennt dies «eine magische Auffassung des Lebens».71

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Vgl. F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra. KSA 4, S. 168. F. Nietzsche, Der Antichrist. KSA 6, S. 183. Wilhelm Dilthey, Das Erlebnis und die Dichtung, Göttingen 197015. S. 126. W. Dilthey, a.a.O., S. 273. Kurt Weibel, Herman Hesse und die deutsche Romantik. Diss. Wintertur 1954, S. 10.

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38 Hesse hatte die heimliche Hoffnung und Aufgabe, als Dichter «eine Dichtung zu schaffen, ein großes, kühnes Lied der Sehnsucht und des Lebens».72 Bei ihm ging es «zeitlebens um die Sehnsucht nach Leben, nach einem wirklichen intensiven, nicht normierten und mechanisierten Leben».73 Auf diese Weise wurde sein Dichterberuf nicht nur ein Hilfsweg, um seinem Ideal vom Leben näher zu kommen, sondern es wurde beinah ein Selbstzweck daraus. Hesse bemühte sich lebenslang darum, das aus vielschichtigen Gegensätzen bestehende Leben zu verstehen. Das Leben, das er nach langer Spekulation fand, war kein langweiliges, graues, gedankliches, theoretisches, sondern das Leben selbst, voll Spiel, voll Schmerz, voll Gelächter.74 Obwohl die Helden den Weg voll von Leid und Schmerzen gehen, singen sie das Lebenslied. Sie empfi nden «das Leben als Fest»75 und Freude. Sie haben alle Ehrfurcht vor jedem Leben. Was ist eigentlich der Feind des Lebens? Woran erstickt das Leben? Was ist eigentlich das Lebensfeindliche im Sinne Nietzsches? Zu dem typischen Lebensfeindlichen, welches das Leben zu Tode erstickt, gehören bei Hesse und Nietzsche, wie oben betrachtet, die Schule und die Kirche. Hesse, der sich als Sündenbock der Schulbildung betrachtet, hält die Schule für eine Art von Folteranstalt, worin er nur Lüge und Latein gelernt hat.76 Die meisten Helden im Werk Hesses sind Naturkinder, aber sie ersticken an der Schulbildung, sobald sie beginnen, in die Schule zu gehen. Wie schon erwähnt wurde, wurden Hesse und seine Helden an die Kirchenmoral gefesselt. Dass Hesse sein Heil in der Flucht von der Maulbronner Klosterschule suchte und dass Sinclair mit Hilfe Demian die pietistische Elternwelt verließ, zeigten den Weg zum Lebensfreundlichen. Hesse und seine Helden hatten eine positive und optimistische Haltung zum Leben. Sie nahmen ihr Leben an, und sei es ein unerwünschtes, und bejahten es. Nietzsche nannte solch eine Lebensbejahung Schicksalsliebe. Sie ist nichts anderes als die Liebe und die Bejahung des Lebens inmitten der dionysischen Feier. Der Weg, den Nihilismus und die Bitterkeit des Lebens zu überwinden, liegt einerseits in der Bejahung zur Schicksalsliebe77 und andererseits in Heiterkeit und Humor.78 Es ist höchst bemerkenswert, dass Frerking zum 70sten Geburtstag Hesses mit einem Wort das 85jährige Leben Hesses zum Ausdruck gebracht hat, Hesse habe die Kunst des Lebens im Leidenlernen und Lächelnlernen gründlich erprobt.79

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Hermann Hesse, Peter Camenzind. GW 1, S. 392. Hesses Brief an Herrn T.G.M. v. 9. 8. 1929. AB, S. 29. Vgl. Hermann Hesse, Der Kurgast. GW 7. S. 108. Hermann Hesse, Kleine Freuden. Frankfurt a. M. 1977, S. 7. Vgl. Hesses Brief an Karl Isenberg v. 25. 11. 1904. GB 1, S. 130. Vgl. Hermann Hesse, Das Glasperlenspiel. GW 9, S. 44. Vgl. Hermann Hesse, Der Steppenwolf. GW 7, S. 346. Vgl. Johann Frerking, Dank und Gedenken. Hannover 1947, S. 6.

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7. Bis jetzt wurden die Kerngedanken von Nietzsche und Hesse betrachtet, die in einem engeren Zusammenhang stehen. Die 4 Hauptgesichtspunkte, nämlich die Ewige-Wiederkehr, die Moralkritik, das amor fati und die Lebensphilosophie beweisen, dass sie Hesse bei Nietzsche wiedergefunden hat. Oberflächlich gesehen scheint es, dass Hesse die Gedanken Nietzsches ohne Vorbehalt übergenommen hat. Bei genauerem Hinsehen gibt es aber trotz aller Gedankensimilarität zwischen ihnen einen großen, sinnhaften Unterschied. Zum Beispiel sahen Nietzsche und Hesse die Ewige-Wiederkehr als ein Phänomen des Weltalls. Dabei fühlte sich Nietzsche pessimistisch, Hesse aber eine poetische Verwandlungsfreude. Bei der Moralkritik verurteilen Nietzsche und Hesse Gott zum Tode. Nietzsche ließ einen ‹Übermenschen› antreten, während Hesse keinen ‹Übermenschen›, sondern ein ‹Privatchristentum› schuf. Man könnte Hesse für einen Nietzsche-Anhänger halten, aber keineswegs für einen Nietzscheaner. Hesse hat selber wörtlich gesagt, dass er kein Nietzscheaner sei.80 Deswegen, wie Géza Horváth gesagt hat, handle es sich nicht um ein Plagiat, sondern um Erfahrungen und Entdeckungen eines Denkers, die bei einem anderen Denkenden Resonanz fanden und die Hesse in seine Gedanken und dann in seine Sprache und Poesie übertrug und weiterdachte.81 Den Einfluss Nietzsches auf Hesse kann man auf keinen Fall verneinen. Wichtig ist, dass Nietzsche und Hesse im obengenannten Gedankenbereich dieselben Ansätze haben und dass man mit Hilfe der Gedanken Nietzsches die Werke Hesses viel deutlicher und sinngemäß verstehen und ausdeuten kann. Hesse war Anhänger, aber zugleich Überwinder Nietzsches.

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Hesses Brief an Karl Isenberg v. 12. 6. 1897. GB 1. S. 31. Vgl. Géza Horváth, Zarathustras Wiederkehr. In: Volker Michels (Hrsg.), Hermann Hesse und die Politik. Bad Liebenzell 1992. S. 202.

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Adrian Hsia

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur (Dem Andenken Günther Debons gewidmet) Bei der Eröffnungsrede1 der Frankfurter Buchmesse am 18. 10. 2005 beklagte sich der derzeitige Premierminister Koreas, Lee Hae Chan, über «die feste Wand zwischen dem Orient und dem Okzident». Es herrsche, so führte er aus, «Desinteresse am großen geistigen Erbe anderer Kulturen». Als Literaturwissenschaftler müssen wir diesem Desinteresse auf unsere Weise entgegenwirken. Denn die Literatur, wie der Lyriker Ko Un auf der gleichen Messe betonte, ist Leben. Gemeint ist natürlich das geistige Leben. Mit ihren Aussagen haben die beiden Herren zwei wichtige Elemente der Weltliteratur angezeigt. Denn sie beinhaltet das geistige Erbe unserer und anderer Kulturen. Wie wir Warenhandel mit einander treiben, so tauschen wir auch unsere Kulturgüter, d.h. Literatur und andere Künste, mit einander aus. Diese Transaktion der Kulturen bzw. Literaturen ist genau das, was Goethe unter der Weltliteratur versteht. Sie ist geeignet, Durchgangstore in der Trennwand der Kulturen zu bilden. Sowohl Goethe als auch Hesse befürworten die Weltliteratur, und ihre Werke werden in allen Kulturen gelesen und sind somit ein fester Bestandteil der Weltliteratur. In diesem Zusammenhang stellt sich die vorliegende Arbeit zur Aufgabe, Theorie und Praxis der Weltliteratur bei den beiden Dichtern und ihre Beziehung zum Fernost, stellvertretend durch China, zu durchleuchten. Dazu werden relevante Aspekte der Arbeit des Sinologen Richard Wilhelm herangezogen. Wilhelm war Zeitgenosse Hesses, und seine Übersetzungen chinesischer klassischer Kanons haben Hesses Kenntnisse über die ostasiatische Kultur genährt und bestimmt. Darüber hinaus war Wilhelm ein Verehrer Goethes, insbesondere dessen transkultureller Arbeiten. Sehr oft benutzte Wilhelm die Gedanken und den Wortschatz des deutschen Dichters, um taoistische und konfuzianische Ideen, einschließlich der Eigentümlichkeiten des Buches der Wandlungen, d.i. I Ging (Yi Jing), seinen deutschen Lesern zu erläutern. Diese interkulturelle, wahlverwandtschaftliche Methode der Einführung in die ostasiatische Welt erzeugte Vertrautheit bei den Rezipienten, so dass «die feste Wand» der Trennung, die eingangs zitiert wurde, keine wesentliche Rolle mehr spielte. Zu Wilhelms Rezipienten zählten neben Hesse auch C. G. Jung und Albert Schweitzer.

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Pressemeldung nach der Associated Press vom 18.10.2005.

Adrian Hsia

42 Wir werden uns zuerst mit dem Begriff der Weltliteratur befassen. Die Philologie hat unlängst festgestellt, dass nicht Goethe, sondern Wieland das Wort ‹Weltliteratur› geprägt hat. Mit diesem Begriff beschreibt Wieland aber die Literaturen des Römischen Imperiums zur Zeit des Horaz, allerdings im Zusammenhang mit dem Begriff ‹Weltkenntnis›; zudem ist dieses Wort nur als eine handschriftliche Korrektur überliefert. Wieland korrigierte in der Zueignungsschrift seiner Übersetzung der Briefe des Horaz den Satz, der ursprünglich so lautete: «… diese feine Tinktur von Gelehrsamkeit, Weltkenntniß und Politesse…» zu: «… diese feine Tinktur von Weltkenntniß und Weltliteratur…».2 Diese eigenhändige Korrektur wurde nie gedruckt. Erst durch Goethe wurde der Begriff 1827 bekannt und verbreitet. Der wichtigste Unterschied in der Bedeutung des Begriffs ist, dass Wieland sich auf die vorhandene klassische Literatur bezieht, während Goethe eine Literatur der Zukunft meint. Es ist sicherlich kein Zufall, dass sich Goethes Begriff unmittelbar nach der nationalsozialistischen Herrschaft im deutschen Sprachraum ausbreitete.3 Bereits 1946 erschien das Buch Goethe und die Weltliteratur von Fritz Strich, das Hesse 1949 in einem Brief lobte.4 Danach folgten regelmäßig Publikationen darüber. Anfangs interpretierte man diesen Begriff entweder als das gesamte Schrifttum,5 oder als die literarischen Höchstleistungen der Menschheit.6 Um diese Zeit fasst nur Fritz Strich den Begriff im Sinne Goethes auf; die Weltliteratur sei «zwischen den Nationen … vermittelnde und ihre ideellen Güter austauschende Literatur».7 Sehr häufig wurde die Welt einseitig als die des Christentums und der klassischen Antike angesehen,8 oder auch im marxistischen Sinne verstanden, so dass man sich in den achtziger Jahren gezwungen sah, Goethes Verständnis des Begriffs wieder aufzugreifen.9 Die bedeutendste Arbeit in dieser Hinsicht publizierte meines Erachtens der marokkanische Germanist Fawzi Boubia, der sie als Goethes Theorie der Alterität und die Idee der Weltliteratur betitelte und als einen Beitrag zur neueren Kulturdebatte verstand.10 Die Sensibilität und die daraus resultierende Perspektive der nicht-europäischen Germanistik müssen wohl anders liegen als

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Siehe Hans J. Weitz, Miszelle. ‹Weltliteratur› zuerst bei Wieland, in: ‹Arcadia›, Band 22, 1987, S. 206–8. Vor der Machtergreifung der Nazis haben Helmut Bender und Ulrich Melzer nur drei Aufsätze in ihrem Titel Zur Geschichte des Begriffes ‹Weltliteratur›, in: ‹Saeculum› IX/1, 1958, S. 113– 123, hier S. 114, registriert. Siehe Hermann Hesse, Dank an Goethe, hrgs. von Volker Michels, Frankfurt a. M. 1975, S. 175. Etwa Gero von Wilpert in seinem Sachwörterbuch für Literatur, Stuttgart 1955, S. 650. Etwa Martin Bodmer, Eine Bibliothek der Weltliteratur, Zürich 1947, S. 8. Fritz Strich, Goethe und die Weltliteratur, Bern 1946, S. 16. Siehe den in Anmerkung 3 aufgeführten Aufsatz von Bender und Melzer. Etwa Peter Brenner, Weltliteratur. Voraussetzung eines Begriffs in Goethes Literaturkritik, in: «GoetheJahrbuch», Bd. 98, 1981, S. 25–42. F. Boubia, Goethes Theorie der Alterität und die Idee der Weltliteratur. Beitrag zur neueren Kulturdebatte, in: Bernd Thum (Hg.), Gegenwart als kulturelles Erbe. Ein Beitrag der Germanistik zur Kulturwissenschaft deutschsprachiger Länder. München 1985, S. 269–301.

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur

43 die der europäischen, zumal der deutschen. Ausgehend von der eigenen Situation, in zwei Welten wirken zu müssen, scheint eine Untersuchung der Weltliteratur im Zusammenhang mit der Alterität unvermeidlich zu sein. Sonst wäre es nur Nabelschau bzw. narzisstische Selbstreflexion, die bisweilen auch als Eurozentrismus bezeichnet wird. Sehr aufschlussreich ist der Abschnitt seines Essays über den «Alteritätshorizont von ‹Weltliteratur› in heutigen deutschsprachigen Veröffentlichungen», in dem Boubia anhand der Standardwerke prominenter deutschsprachiger Kritiker nachweist, dass die «außereuropäische[r] Welt … in Lehre und Forschung faktisch zur Literaturund Kulturlosigkeit degradiert» wird.11 Es hat den Anschein, als ob diese Kritiker zumeist entweder dem Eurozentrismus hegelscher oder jenem marxistischer Prägung folgten. Bekanntlich postuliert der Eurozentrismus erster Façon, dass der Weltgeist nur in den christlich-germanischen Nationen zum vollen Bewusstsein kam, während der Eurozentrismus zweiter Art vorschreibt, dass der europäische Geschichtsgang verbindlich für die übrigen Teile der Welt sei. Goethe dagegen spricht sowohl von einer europäischen als auch von einer allgemeinen Weltliteratur. Beide werden differenziert betrachtet. Er erkennt nicht nur die Diversität an und weiß, dass «die Nationen die Verhältnisse aller gegen alle kennen lernen, und so wird es nicht fehlen, daß jede in der anderen etwas Annehmliches und etwas Widerwärtiges, etwas Nachahmenswertes und etwas zu Meidendes antreffen wird».12 Wichtig ist: Die «Besonderheit einer jeden muß man kennen lernen, … um gerade dadurch mit ihr zu verkehren…».13 Goethe nach soll man nicht nur ausdrücklich auf Verdienste fremder Nationen hinweisen, sondern auch «das Fremde im Eigenen erkennen und anerkennen».14 Kurz: Man darf sich und seine Kultur nicht zum Zentrum der Welt erklären, wie etwa Hegel es getan hat. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Hermann Hesse in der Schrift Dank an Goethe, als er vom Ersten Weltkrieg spricht, Goethe und Hegel als Verkörperungen des Geistes und des Krieges bzw. des Ungeistes gegenüberstellt.15 Es ist ebenfalls kein Zufall, dass Fawzi Boubia ein Buch, das «die Problematik von Integration und Ausgrenzung in der deutschen klassischen Philosophie und Literatur» untersucht, unter dem Titel Die Welt denken. Goethe und Hegel ankündigt.16 Für Hesse ist Goethe der Vertreter des idealen Humanismus.17 Hinsichtlich der Weltliteratur müsste der ideale Humanist nicht nur das ‹Uns› und die ‹Anderen› gleichberechtigt nebeneinander stellen, sondern er müsste auch das Fremde in Uns und Uns im Fremden ausfi ndig machen.

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F. Boubia, a.a.O., S. 275. Zitiert nach F. Boubia, a.a.O., S. 281. Zitiert nach F. Boubia, a.a.O., S. 281. F. Boubia, a.a.O., S. 293. Vgl. Dank an Goethe, a.a.O., S. 15f. Siehe http://www.globart.at/Lebenslauf/boubia.html. Hesse bezeichnet den idealen Humanismus als die neue Religion, «deren Anfänge in England und Frankreich liegen, deren tiefster Prophet Kant und deren Blüte Weimar gewesen ist…» Dank an Goethe, S. 82.

Adrian Hsia

44 Die Beziehung Hesses zu Goethe währte ein Leben lang, wie die von Volker Michels gesammelten Briefe und Schriften im Buch Dank an Goethe (1975) deutlich machen. Der markanteste Meilenstein ist vielleicht der gleichnamige Aufsatz, den Hesse 1932 für Romain Rolland schrieb. In diesem lernen wir, dass Goethe nicht zu den Lieblingsautoren von Hesse gehört, die Romantiker stehen ihm näher. Aber ihm verdanke er am meisten in dem Sinne, dass er sich «zu Nachfolge oder Widerspruch gezwungen»18 fühlte. Er führe, schreibt Hesse weiter, mit Goethe des Öfteren «Gedankengespräche und Gedankenkämpfe»; eine von diesen Auseinandersetzungen fi nden wir im ‹magischen Theater› des Steppenwolf (1927), in dem Goethe auftritt. Darüber hat der verstorbene georgische Germanist Reso Karalaschwili, ein Kenner Goethes und Hesses, ausführlich geschrieben.19 In dem Aufsatz, der in der 1975er Ausgabe des Dank an Goethe abgedruckt ist,20 hat der Georgier ebenfalls «Das Goethe-Bild in Hermann Hesses Schaffen» dargestellt. Daher wollen wir in dieser Arbeit einen anderen Aspekt zwischen Goethe und Hesse untersuchen, nämlich die Tatsache, dass Goethe für Hesse nicht buchstäblich als Vorbild, sondern eher als Mahnbild diente. Dies meinen die «Gedankengespräche und Gedankenkämpfe», die Hesse mit Goethe führte. An drei Beispielen beabsichtigen wir, diesen Punkt zu illustrieren. Wir wollen Harry Haller dem Faust gegenüber stellen und Josef Knecht mit Wilhelm Meister konfrontieren, um abschließend den Begriff der Weltliteratur bei den beiden Dichtern zu vergleichen. Wenn wir den Steppenwolf als Faustfigur betrachten, brauchen wir offensichtlich auch eine Mephistophelesfigur. Diese fi nden wir in Hermine. Zusammen bilden sie die beiden Seelen in Harry Hallers Brust. Dass diese beiden die Namen Hermann und Hermine tragen, ist nicht nur auf die biographischen Züge von Hesses Roman zurückzuführen, sondern auch auf die zeitlichen Umstände. Die bipolare Grundlage der Natur, die die neuen Entwicklungen in den Naturwissenschaften besonders im 19. Jahrhundert bestätigten, floss zunehmend mit dem Gegensatzpaar Yin und Yang der Tao-Philosophie zusammen, die im gleichen Jahrhundert in Europa durch Übersetzungen allmählich bekannt und populär wurde. Im 20. Jahrhundert gewann die Naturphilosophie Ostasiens durch die Übersetzung des I Ging von Richard Wilhelm noch mehr Sympathisanten, unter ihnen befi nden sich C. G. Jung und Hermann Hesse.21 Die enge Verbindung zwischen Hermann Hesse und Jung, besonders bei der Entstehung des Steppenwolf, ist längst bekannt, so dass wir darauf nicht näher einzugehen brauchen. Daher entspricht Hesses Gegensatzpaar der neueren kulturgeschichtlichen Entwicklung im Sinne der Weltkultur, gleich, ob wir es als Yin und Yang oder als 18 19 20 21

Die Seitenzahl der Zitate aus Dank an Goethe wird fortan im laufenden Text jeweils in runden Klammern angegeben. Reso Karalaschwili, Harry Hallers Goethe-Traum, in: ‹Goethe-Jahrbuch› 97, 1980, S. 224–234. Geschrieben 1931. Erstdruck in ‹Die Neue Rundschau›, April 1932. Überraschenderweise auch Albert Schweitzer. Vgl. Albert Schweitzer, Geschichte des chinesischen Denkens. Werke aus dem Nachlass, hrsg. von Bernhard Kaempf and Johann Zuercher, München 2002.

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur

45 Anima und Animus bezeichnen. In jedem Falle erscheint die Mephistogestalt bei Hesse als weibliches Element. Hermine führt Steppenwolf die Gretchengestalt zu, die den bedeutungsvollen Namen Maria trägt. Im Neuen Testament gibt es drei Frauen, die Maria heißen, neben der Mutter von Jesu sind das Maria von Bethanien und Maria Magdalena. Im Lauf der Zeit wurden diese beiden irrtümlich zu einer Person verbunden und damit zur «namenlosen Sünderin».22 Im Steppenwolf besitzt die Gretchenfigur die doppelte Bedeutung, nämlich sowohl der heiligen Jungfrau Maria als auch der «namenlosen Sünderin». Dies zeigt ein zusätzliches Element der Bipolarität. Bereits in diesem Stadium der Gegenüberstellung der triadischen Konstellation der Hauptcharaktere in beiden Werken zeigt sich, dass Goethes Faust weit mehr der christlichen Tradition verpfl ichtet ist als Hesses Roman. Hermine ist zwar die Mephistogestalt, hat aber nichts Teufl isches mehr an sich. Ihre Aufgabe ist es, Harry Haller von der unnatürlichen Unipolarität zum natürlichen Zustand des Menschseins, d.h. zur Bipolarität, zurückzuführen. Denn Yin und Yang sind keine absoluten, sondern komplementäre Gegensätze. Daher hilft Maria, von Hermine gesendet, Harry Haller nicht den totalen sinnlichen Zustand zu erreichen, sondern lediglich die unterdrückte Hälfte zurück zu gewinnen, um den bipolaren Zustand der Einheit wiederherzustellen. Durch Maria wird Harry Haller nicht wie Faust durch seine Beziehung mit Gretchen in Schuld verstrickt; vielmehr handelt es sich hier um einen Befreiungsakt. Dadurch wird es Harry Haller ermöglicht, nicht nur das verfälschte, sondern auch das unnatürliche bzw. einseitige Goethebild, versinnbildlicht durch die Büste im Besitz des Professors, den wir als eine Wagnerfigur ansehen können, als solches zu erkennen. Er wird auch dadurch vorbereitet, den richtigen Pfad zu betreten, der zum wahren, zum totalen Goethe führt. Es bedeutet mehr als nur die Freisetzung des Sinnlichen. Um Mensch zu werden, um die Humanisierung zu vollenden, muss der Steppenwolf noch die komplementäre Polarität von Chaos und Ordnung verinnerlichen. Diesmal stehen ihm nicht mehr Hermine und Maria zur Seite, sondern zwei Unsterbliche, die die Einheit und Polarität des Tao, des Absoluten, auf einer höheren Ebene versinnbildlichen. Diese beiden Unsterblichen sind, allein schon durch ihren Namen, mit dem Steppenwolf verwandt: Sie heißen beide Wolfgang. Der eine ist ein Heiliger der Dichtung, der andere der Musik. Zusammen führen sie Harry Haller durch das magische Theater, eine Szene, die an den Hexensabbat und die klassische Walpurgisnacht in beiden Teilen des Faust erinnert. Durch Maria vorbereitet, besteht Harry Haller die untere Stufe der Prüfung. Aber er darf sich noch nicht zu den Unsterblichen zählen, denn er kann Hermine noch nicht auf einer höheren Stufe akzeptieren und tötet sie im magischen Theater. Mit Faust hatte Goethe anscheinend ein ähnliches Problem. Faust kann naturgemäß nicht seine Wette mit Mephisto gewinnen. Seine Natur erlaubt es nicht, dass er auf hört zu streben. Er wird blind und vermeint,

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Vgl. Meyers großes Taschenlexikon, Band 14, S. 38f.

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46 er habe sein Ziel erreicht und verliert dadurch die Wette mit Mephisto. Wie durch ein Wunder (oder einen Trick) wird er der Hölle entrissen und in den Himmel gebracht. Auch Harry Haller hat seine Prüfung nicht gänzlich bestanden. Er bekommt aber eine milde Strafe von den Unsterblichen und darf die Prüfung wiederholen. Vielleicht wird er eines Tages Hermine nicht umbringen, sondern sich mit ihr vereinen. Das Ende des Steppenwolf entspricht Hermann Hesses Lebenslage. Er schreibt seine Seelenbiographie mit anderen Romanen weiter, bis er seinen Altersroman Das Glasperlenspiel vollendet hat. Auch Faust entspricht Goethes Lebenssituation. Denn den zweiten Teil konnte er erst kurz vor seinem Tod im Jahre 1832 abschließen. Goethes Drama endet also durch die Gnade Gottes, während Hesses Steppenwolf neu beginnen muss. Das Faustmotiv ist nicht das einzige, was Hesse Goethes Werken entnahm. Und auch das andere Lebenswerk Goethes, der Wilhelm Meister, fi ndet sein Gegenstück in Hesses Glasperlenspiel. Wiederum fi ndet jedoch eine Akzentverschiebung bei Hesse statt, deren Grad schon in der Namensgebung deutlich zu Tage tritt: Meister versus Knecht. Auch die Vornamen zeigen einen merklichen Unterschied. Mit Wilhelm kann man sich William im Zusammenhang mit Shakespeare vorstellen, den Goethe verehrte. Daher deutet der Name Wilhelm Meister einen doppelten Meister an. Der bekannteste Josef fi ndet sich im Alten Testament. Er ist der Lieblingssohn seines Vaters und später Minister des Pharaos in Ägypten. Infolge dessen zeigt Josef Knecht den dialektischen Charakter der Situation auf. Hesses Protagonist ist sowohl Favorit des Schicksals als auch Diener. Herrschen ist nur durch Dienen möglich. Als ein anderes Beispiel für diesen Gedanken lässt sich der Diener Leo in der Morgenlandfahrt lesen, welcher sich als Ordensoberst entpuppt. Als Gegenentwurf zu Faust geht Wilhelm Meister, beschützt und gefördert von der Turmgesellschaft, durch das Leben, um sich am Schluss in die bürgerliche Gesellschaft einzufügen. Sein Entwicklungsgang wird von anderen genau geplant und beobachtet. Zweck und Ziel seines Lebens ist, letztlich der bürgerlichen Gesellschaft – vielleicht ‹als Meister› – dienlich zu sein. Er wird sozusagen dazu erzogen. Josef Knecht geht aber einen anderen Weg. Er folgt Stufe um Stufe seinem inneren Ruf. Dieser Ruf wird nach Außen übersetzt. Die Entwicklung erfolgt immer im Innern. Erreicht diese ein Stadium der Reife, koinzidiert sie unausweichlich mit dem Eintritt einer neuen Situation im äußeren Leben. Aber die Triebkraft und die Reifung kommen unbeirrbar von Innen. Die innere Veränderung führt dann die äußere Entsprechung herbei. Hermann Hesse nennt diesen Vorgang den Weg nach Innen. Vielleicht ist es treffender zu sagen, dass der Weg von Innen nach Außen führt. Ein weiterer Unterschied zwischen Goethes und Hesses Prototypen ist deren Zielsetzung. Wilhelm Meister erreicht sein Ziel zweifelsohne in den Wanderjahren. Er integriert sich in die bürgerliche Gesellschaft. Dagegen hat Hesses Protagonist zwar Ziele, die er Stufen nennt, aber das Ziel scheint es nicht zu geben bzw. es wird als ein solches angesetzt, dass der Betreffende ewig dorthin unterwegs ist. Ein Ziel, das erreicht werden kann, ist nicht das Ziel, sondern eine Stufe. In diesem Sinne ist Hesses pädagogische Provinz, nämlich Kastalien, nur

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur

47 scheinbar bzw. zeitweise das Ziel. Josef Knecht entwächst einer Stufe nach der anderen. Er erreicht die Spitze und wird Glasperlenspielmeister. Aber es stellt sich heraus, dass Kastalien nicht das Paradies bzw. der Mikrokosmos der Welt, sondern nur ein Pol von ihr ist. Der Weg des Yin und Yang , der Polarität, fordert sein Recht ein. Ein anderer Weg muss eingeschlagen werden. Auch dies stellt einen inneren Zwang dar. Ein Berufener, der sich treu bleibt, stellt sich nicht seinem inneren Ruf entgegen. Sein letzter Akt im Leben dient der Erweckung seines Schülers. Es geht um «Stirb und werde». Homunculus gewinnt dadurch das Leben und ein neuer Zyklus kann beginnen. Wir haben oben gesehen, wie Hesses «Gedankengespräche und Gedankenkämpfe» mit Goethe konkret aussehen. Auch im Bereich der Weltliteratur nimmt Hesse Goethes Gedankenanstöße auf und führt sie weiter. Zur Zeitgemäßheit von Goethes Ankündigung der Weltliteratur machen wir auf zwei Vorträge aufmerksam. In ihrer auf dem Heidelberger Symposium 1984 zu Goethe und China gehaltenen Rede machte Katharine Mommsen darauf aufmerksam, dass Goethe mehr oder weniger in einem Atem im Gespräch mit Eckermann die chinesische Literatur bzw. die chinesischen Romane besprach und zugleich die Weltliteratur einführte. Ich zitiere: Zur Zeit dieses Gesprächs [mit Eckermann] – Januar 1827 – schrieb Goethe soeben seinen Aufsatz Chinesisches… Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit nachdrücklich auf die Tatsache lenken, die für uns hier Versammelte von speziellem Interesse sein dürfte: Genau zu derselben Zeit – Januar 1827 – da Goethe sich so intensiv mit China befaßt, gebraucht er erstmals den Terminus Weltliteratur, der ihm in den letzten Lebensjahren so wichtig wird..23

Mommsens Feststellung ist in verschiedener Hinsicht von Wichtigkeit. Zuerst möchte ich darauf hinweisen, dass China sowohl ein Land als auch eine Chiffre sein kann. Als letztere kann China durchaus stellvertretend für die ostasiatische Kultur verstanden werden, die ja in Konfuzianismus, Taoismus und zuletzt Buddhismus verschiedener Schulen wurzelt. All dies ist Ostasien. ‹China› ist in seiner semantischen Offenheit vergleichbar mit ‹Europa› oder der ‹islamischen Kultur›. Es gibt Differenzen, es gibt Einheit. Berücksichtigen wir die geographische Lage von Europa und Ostasien, so verstehen wir den Zusammenhang zwischen Ostasien und der Weltliteratur. Denn Europa und Ostasien befi nden sich an den beiden extremen Enden der Landmasse Eurasien. Mit der Erschließung der chinesischen bzw. ostasiatischen Literatur ließ sich die Weltliteratur überhaupt erst denken. Daher konnte Goethe proklamieren, dass die Epoche der Weltliteratur nahe und vonnöten sei, und er wollte diese Epoche schnellstmöglich verwirklicht sehen. Andererseits müssen wir auch die geschichtliche Entwicklung des 19. Jahrhunderts berücksichtigen. Seit dem Zeitalter der Entdeckungen befi ndet sich Europa in beispielloser Expansion. Sehr schnell wurden die beiden Indien erschlossen. Auch heute noch sind die Indianer der beiden Amerikas auf Englisch als Indians bekannt. Nord- und Südamerika sowie Afrika wurden sehr schnell Kolonien, ebenso 23

K. Mommsen, Goethe und China in ihren Wechselbeziehungen, in: Günther Debon-Adrian Hsia (Hg.), Goethe und China – China und Goethe, Bern 1985, S. 24f.

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48 Südasien. Zu der Zeit, da Goethe die Weltliteratur proklamierte, waren nur noch das Osmanische Reich und Ostasien selbstständig. Ersteres ist selbst ein Kolonialreich, so dass an und für sich nur Ostasien eine unabhängige Einheit war. Sehr bald nach Goethes Proklamation der Weltliteratur wurden die Tore der drei ostasiatischen Länder aufgesprengt; sie wurden nun frei für Handel und Kolonialisierung. Zwar waren die ostasiatischen Länder nicht vom Sklavenhandel betroffen, doch wurden sie Opfer des Opiumhandels. Wer sich dagegen wehrte, wurde als unzivilisiert verschrien und bestraft. Danach entwickelten sich die drei Länder Ostasiens unterschiedlich. Dies aber ist ein anderes Thema. Wir wollten darauf aufmerksam machen, dass Goethes Proklamation unzeitgemäß war. Denn im 19. Jahrhundert war Europa eurozentrischer denn je. Es war eher die Epoche Hegels als die Goethes. In seinem Aufsatz Dank an Goethe machte Hesse auf den Unterschied zwischen den beiden im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts aufmerksam: die Anhänger des Krieges verehrten Hegel, die des Friedens waren für Goethe. Tatsache ist, dass China und die Kultur Ostasiens seit der Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend ideologisch degradiert wurden. Einmal versuchte Herder zwischen den Pro- und Kontralagern zu vermitteln, indem er eine Mittelposition bezog. Doch er verglich China mit einer in Seide gewundenen Mumie, die über und über mit Hieroglyphen bemalt ist. Man könnte sagen, dass die verdammende Stimme so stark war, dass selbst die Mitte noch verdammend wirkte. Erst vor seinem Tod hat Herder die China-Vermittler, die Jesuiten, und die konfuzianische Kultur anerkannt. In dem Referat Goethes poetische Chinareise: Unterhaltungen europäischer Chinafahrer24 lässt Adrian Hsia in einer fi ktiven Chinareise Goethe mit seinen Zeitgenossen zusammenkommen und ihre Meinungen über die Kultur vergleichen. Goethe steht, seiner positiven Meinung wegen, ziemlich alleine und freut sich über seine Epoche machende Vorstellung von Weltliteratur, die ihn hervorhebt. Dabei müssen wir berücksichtigen, dass das 19. Jahrhundert nicht nur das Zeitalter des Imperialismus, sondern auch des Nationalismus war. In diesem Zusammenhang macht Martin Bollacher in seinem Aufsatz Goethes Konzeption der Weltliteratur25 darauf aufmerksam, dass Goethes Vorstellung besonders von den Jungdeutschen belächelt wurde. Sowohl Theodor Mundt als auch Hoffmann von Fallersleben bezeichneten die Weltliteratur Goethes als einen reinen Traum. Bollacher schreibt, es war die Epoche, als gerade die Generationen der Jungdeutschen, die als die Sachwalter des Zeitgeistes und der Gegenwart auf den Plan traten, nicht müde wurden, Goethe als den Repräsentanten einer vormodernen, feudalistisch geprägten Vergangenheit zu schmähen, als einen der Wirklichkeit entfremdeten Greis, von dem man «lange vor seinem Tode sagte, er sei gestorben […]».26 24 25 26

Abgedruckt in ‹Goethe Jahrbuch› 2003, Band 120, S. 182ff. Gedruckt in: Markus Heilman/Birgit Wägenbaur, Ironische Propheten. Sprachbewußtsein und Humanität in der Literatur von Herder bis Heine, Tübingen 2001, S. 169ff. M. Bollacher, Goethes Konzeption der Weltliteratur, in: Markus Heilman/Birgit Wägenbaur, Ironische Propheten, a.a.O., S. 175.

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur

49 Goethes Vorstellung der Weltliteratur mag vielleicht dem Geist seiner Zeit nicht entsprechen. Überhaupt scheint das 19. Jahrhundert und darüber hinaus dem Links- und Rechtshegelianismus zu gehören. Dennoch legten die Gelehrten desselben Jahrhunderts die Grundlage der Weltliteratur mit ihren Übersetzungen, vornehmlich aus der indischen und chinesischen Kultur, so dass Hermann Hesse diese in Eine Bibliothek der Weltliteratur27 aufnehmen konnte. Da sich der schwäbische Dichter neben Goethe auch zu den Romantikern bekennt, die den indischen Geist entdeckt haben,28 wird das geistige Indien in die Bibliothek der Weltliteratur aufgenommen. Dieser Entwurf Hesses wäre ganz bestimmt von Hegel abgelehnt worden, weil sowohl China als auch Indien für den Philosophen geistlos waren, während Goethe China durchaus akzeptierte, gegenüber Indien aber Vorbehalte zu haben schien. Hesse fi ndet dieses Phänomen «höchst bedeutsam» und meint, man könne wohl nicht Grieche und Inder zugleich sein.29 Ein weiterer Vergleich zwischen Goethes und Hesses Vorstellungen scheint weniger sinnvoll zu sein, weil Goethe die Epoche der Weltliteratur zwar angekündigt und die Voraussetzungen erörtert, aber nicht wie Hesse eine Liste präsentiert hat. Ihre Ansichten sind aber sehr ähnlich. In Hesses Schrift zur Weltliteratur stellt diese eine Voraussetzung zum Streben nach «geistiger und seelischer Vervollkommnung»30 dar. Den Weg der Aneignung der Weltliteratur, d. h. Werke der Dichter und Denker der ganzen Welt, bezeichnet er als endlos und fügt hinzu: «niemand kann ihn jemals zu Ende gehen», denn es sei schon eine Unmöglichkeit, «die gesamte Literatur auch nur eines einzigen großen Kulturvolkes»31 durchzustudieren. Als Germanisten müssen wir uns wohl mit dieser Meinung einverstanden erklären. Hesse hat nicht vor, einen verbindlichen Kanon der Weltliteratur aufzustellen. In seiner Schrift legt er lediglich seine Bücherliste der Weltliteratur mit einer Erläuterung vor, die seine Wahl erklärt. Seiner Meinung nach soll jeder eine eigene, persönliche Auswahl von Meisterwerken zusammenstellen. Dabei ist das Ziel wichtig. Denn es geht darum, «eine Ahnung zu bekommen von der Weite und Fülle des von Menschen Gedachten und Erstrebten, und zur Gesamtheit selbst, zum Leben und Herzschlag der Menschheit […] zu kommen».32 Ansonsten sollen wir selbst die Bücher für unsere Bibliothek aussuchen. Die Grundlage der persönlichen Weltbücherei sollten älteste Werke bilden, denn, wie Hesse meint, veralten diese am wenigsten. Bücher aus Indien, aus Ostasien, aus dem Orient, aus Griechenland und Rom gehören dazu. Ansonsten sind die Bücher auf Hesses Liste zwar fast ausschließlich europäischen Ursprungs, dies hat aus mehreren Gründen aber

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Geschrieben im Sommer 1927. Erstdruck in Reclams Praktisches Wissen, Leipzig 1927. Hesse schreibt im Geist der Romantik (1926): «Die Romantiker dagegen (d. h. im Gegensatz zu Goethe) haben Indien instinktiv geliebt und mit genialem Verständnis bejaht…». SW 14, S. 392. Ebd. SW 14S. 396. Ebd. Ebd.

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50 seine Richtigkeit. Ein wichtiger Grund ist, dass wir alle auf Übersetzungen angewiesen sind, wenn wir von Weltliteratur sprechen. Heute verfügen wir über mehr Übersetzungen aus fremden Kulturen und Sprachen als noch zu Hesses Zeiten. Dazu kommen die persönliche Präferenz und der Zeitgeschmack. Wir werden alle mehr Bücher in der Sprache besitzen, die unsere Muttersprache ist, bevor wir an Übersetzungen denken. Dazu kommt noch ein weiterer Faktor. Beispielsweise wird der Germanist naturgemäß über Werke der deutschen Literatur verfügen. Solange wir dem Grundsatz der Weltliteratur im Sinne der Menschheit treu bleiben, wird jede Liste akzeptabel sein. Letzten Endes bedeutet die Weltliteratur für Goethe und für Hesse eine weltoffene Haltung der Literatur gegenüber. Es geht um die Literatur der Menschheit.33 Wir kommen langsam zum Ende unserer Betrachtung. Gegen Ende des Aufsatzes Dank an Goethe schreibt Hesse: Mir, der ich eine besondere Liebe zu den klassischen Autoren der Chinesen habe, scheint sie, auch bei Goethe, ein chinesisches Gesicht zu haben. Darum ist es mir eine kleine Freude zu wissen, dass in der Tat Goethe sich mehrmals mit Chinesischem befaßt hat, und daß ein kleiner, wunderbarer Gedichtskreis des älteren Goethe (aus dem Jahr 1827) die Überschrift trägt: Chinesisch-deutsche Jahres- und Tageszeiten.34

Hier ist ein Vergleich zwischen Goethes und Hesses Verhältnis zu der traditionellen ostasiatischen Kultur angebracht. Der erste, der sich meines Wissens diesem Thema gewidmet hat, ist der Kollege Chin Sangbum. Jüngst ist ein Chinese seinem Beispiel gefolgt.35 Um nicht das Bekannte zu wiederholen, werde ich einem anderen Aspekt nachgehen. Ich werde die Goethe-Studien des Sinologen Richard Wilhelm darstellen, dem Hesse fast ausschließlich (man darf seinen Vetter Hermann Gundert nicht vergessen) seine Kenntnisse über das geistige Ostasien verdankt. Zuerst greifen wir auf Katharina Mommsens Aufsatz zurück, die Folgendes feststellt: Eckermann berichtet, wie Goethe des Lobes voll ist über chinesische Romane, die er mit allen Details und Einzelheiten im Kopf hat. Im Vergleich mit neueren englischen Romanen erscheint es für Goethe als Vorzug, daß bei den Chinesen «die äußre Natur neben den menschlichen Figuren immer mitlebt» – hier wird besonderes deutlich, daß Goethe im Verhältnis der Chinesen zur Natur eine Affi nität zu seiner eigenen Naturnähe empfand.36

Die meisten Arbeiten zum Thema Goethe und China, angefangen von Woldemar Freiherr von Biedermanns vier Aufsätzen zum Thema Goethe und China in seinen

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In der Schrift Liebeslektüre schreibt Hesse ausdrücklich: «Aber Blut, Boden und Muttersprache sind nicht alles, auch nicht in der Literatur, es gibt darüber hinaus die Menschheit, und es gibt die immer wieder erstaunliche und beglückende Möglichkeit, im Entferntesten und Fremdesten Heimat zu entdecken…». Siehe Hermann Hesse, Sämtliche Werke, a.a.O., S. 466. Hermann Hesse, Sämtliche Werke, a.a.O., S. 458f. Tianxin Yu, Hesse und Goethe und China – eine interkulturelle Konstellation. Dissertation der Universität Hannover, 1998. Katharina Mommsen, Goethe und China in ihren Wechselbeziehungen, a.a.O., S. 24.

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur

51 dreibändigen Goethe-Forschungen37, bis hin zum Heidelberger Sinologen Günther Debon mit seinem Aufsatz Goethes Berührungen mit China, der 2000 im ‹Goethe-Jahrbuch› erschien,38 sind dem Positivismus verpfl ichtet. Sie gehen jeder Lektüre und jeder Äußerung Goethes über China in seinen dichterischen und biographischen Werken nach und erläutern sie. Richard Wilhelm ging einen anderen Weg. Zusätzlich zu den positivistischen Beweisen39 spürt er ebenfalls den Affi nitäten zwischen der Gedankenwelt Goethes und der chinesischen Kultur nach, zwar im Geiste das Fremde im Eigenen und das Eigene im Fremden suchend, wie Goethe selbst im Zusammenhang mit der Weltliteratur vorschlug, doch im vorgegebenen Fall scheint es viel versprechend zu sein, denn nicht nur der Europäer pendelt zwischen dem Apollinischen und Dionysischen, nicht nur Faust hat zwei Seelen in seiner Brust, sondern auch China kennt seine nördliche (konfuzianische) und südliche (taoistische) Kulturhälfte, deren Einheit Wilhelm im Yi Ching (er schrieb I Ging) sieht. Goethe zollt er die größte Verehrung unter allen Dichtern und Denkern, weil jener eine Balance zwischen der National- und der Weltliteratur, also zwischen der National- und Weltkultur, sucht. Diese lebenslange Bemühung des Dichters beschreibt Wilhelm in seinem Aufsatz Goethe und die chinesische Kultur wie folgt: Wir können deutlich beobachten, wie er von seiner Verwurzelung in der mitteldeutschen Reichsstadt Frankfurt aus … sich in steigendem Maße die Umwelt aneignet… Die Reise nach Italien führte ihn über den engdeutschen Gedankenkreis hinaus und in die europäische Welt … hinein [und] … zu Gesamteuropa… …Wenn aus seiner Jugendentwicklung durch das Erlebnis der Bibel die primitiven Hirtenverhältnisse der Menschheit ihm schon nahe gebracht waren, so rundete sich ihm jetzt dieser Kreis im inneren Nacherleben der Kultur des Islams […].40

Diese Phase Goethes schlägt sich in dem Gedichtzyklus West-östlicher Divan nieder. Von dort aus macht der Dichter den letzten Schritt, fährt Wilhelm fort, der ihn über den Nahen Osten nach China führt und so den Kreis schließt, «der heute die Menschheit in sich zu fassen beginnt». Folgerichtig, so Wilhelm, beschließe der Gedichtzyklus Chinesisch-Deutsche Jahres- und Tageszeiten das dichterische Werk Goethes.

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Woldemar Freiherr von Biedermann, Elpenor, in: Goethe-Forschungen. Frankfurt a.M. 1879, S. 94–123; Ders., Chinesisch-deutsche Jahres- und Tages-Zeiten, in: Goethe-Forschungen, neue Folge. Leipzig 1886, S. 426–446; Das Entstehen der Elpenor-Dichtung, Goethe-Forschungen, anderweitige Folge. Leipzig: F.W. v. Biedermann, 1899, S. 60–67; und Goethe und das Schriftum China’s, in: Goethe-Forschungen, anderweitige Folge, Leipzig 1899, S. 171–197. G. Debon, Goethes Berührungen mit China, in: ‹Goethe-Jahrbuch› 2000, S. 46–55. Beispielsweise gibt es 1928 in der Buchausstellung über «Das Buch in China und das Buch über China», veranstaltet vom China Institut Wilhelms und der Preußischen Staatsbibliothek, eine Sondergruppe zu «Goethe und China». Richard Wilhelm, Goethe und die chinesische Kultur, in: ‹Jahrbuch des freien deutschen Hochstifts›, 1927, S. 301–316. Hier S. 301. Die Seitenzahl der Zitate aus diesem Artikel Wilhelms wird zukünftig jeweils in runden Klammern im laufenden Text angegeben.

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52 Es ist Wilhelm bekannt, dass sich der reife Goethe zweimal an die chinesische Kultur wendete. Vor der Schlacht bei Leipzig während der Napoleonischen Kriege im Jahre 1813 widmete sich Goethe wochenlang den chinesischen Schriften. Aus dieser Zeit ist sein sehnsüchtiger Ausruf «O Ouen Wang!» überliefert. Er wird als ein Verlangen nach konfuzianischer Ordnung verstanden. In den Jahren 1826 und 1827 beschäftigte er sich mit der chinesischen Literatur. Hierzu bemerkt Wilhelm: Es ist merkwürdig, daß das meiste, was damals aus der chinesischen Literatur auftauchte, Zufälliges von geringer Bedeutung ist. … Es ist kein Wunder, daß Goethe - zumal da die Übersetzungen häufig schlecht und ungenau sind - nur einen sehr ungenügenden Eindruck des chinesischen Lebens bekommen könnte. (307f.)

Dann kommt das Überraschende, fast wie eine Antiklimax. Denn Wilhelm stellt ausdrücklich Folgendes fest: Um so merkwürdiger ist es, wie er [d.h. Goethe] durch alle diese Unvollkommenheiten hindurch den chinesischen Geist erfaßte… … Überall hat er die empfangenen Anregungen selbständig im eigenen Geiste verarbeitet. Daß er dies konnte, verdankte er einer inneren Verwandtschaft mit dem chinesischen Wesen… wie er denn auch einmal im Gespräch mit Eckermann… erwähnte … (309)

Zunächst sieht Wilhelm drei Berührungspunkte. Goethes Geist strebe nach einem offenen Raum ohne Grenze, ob sichtbar oder unsichtbar. Dies stellt Wilhelm gleich mit dem Tao Chinas, das er so beschreibt: «Das Unendliche, Weite, Schweifende, das noch von einem ewigen Gesetz umfangen ist». (307f.) Hier sieht Wilhelm darin zuerst eine Affi nität mit Zhuangzi, bald aber wird Laozis Daodejing auch als Vergleichsgröße herangezogen.41 Auch in der anderen Seele Goethes fi ndet Wilhelm eine Affi nität zum chinesischen Geist, diesmal mit dem konfuzianischen, und zwar ausdrücklich in der «pädagogischen Provinz» in Wilhelm Meisters Wanderjahren. In diesem Zusammenhang hat der Sinologe einige Parallelstellen bei Goethe und Xiaojing (Wilhelm schrieb «Hiao King») aufgeführt, die ausdrücklich «die Gesinnung der Ehrfurcht» betreffen. Es sei hier noch einmal darauf hin gewiesen, dass Wilhelm darauf besteht, dass all diese Berührungspunkte «aus dem Innersten heraus, unabhängig von aller äußeren Vermittlung» (314) dastehen. Einige Monate nach dem obigen Artikel, im März 1928, hielt Wilhelm einen Vortrag im Wiener Kulturbund zum Thema Goethe und Lau Dsi.42 Als Vermittler der chinesischen Kultur in Deutschland sieht er die Begegnung zwischen Laozi und Kongzi 41

42

Er schreibt: «[Aufgrund] der vergänglichen Erscheinungen, wo nichts verharret, alles fl ieht, wirkt das Unvergängliche, das ewige Gesetz. Diese Anschauung ist ebenfalls ein intuitives Zusammentreffen mit der tiefen Weisheit des Buches vom Sinn und Leben». (314) Dieses Buch ist natürlich Laozis Daodejing (Wilhelm schrieb Taote King). Dieser Vortrag wurde in der «Europäischen Revue», Jg. 4, Heft 1, 1928 publiziert. Posthum

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur

53 sowie jene zwischen Goethe und Schiller als gleichermaßen wichtig an. Ein Vergleich sei wesentlich, «weil sich hieraus ein sehr tiefgehendes Verständnis der beiden Kulturen ergibt»,43 Es bedeutet aber nicht, dass diese beiden Paare gleich seien. Ganz im Gegenteil: Wilhelm weist auf die wichtigen Unterschiede hin. Goethe, «der Objektive, Intuitive, Bildhafte, der in der sinnlichen Wirklichkeit der Natur verwurzelt ist» (105), komme im Wesen Laozi nahe, «der objektiv das Notwendige in der Natur schaut» (104) und das Tao unmittelbar erlebt. Andererseits sei Goethe auch «der in der Wirklichkeit Tätige, nicht Schiller. Er ist es, der eine Zeit seines Lebens als Staatsminister verbringt, wie Konfuzius das getan hatte». (106) Dennoch unterscheide sich Goethe, so führt Wilhelm weiter aus, von Kongzi, da: «er (Goethe) hierfür nicht die tiefsten Kräfte seines Wesens freimachen konnte, lag in dieser Tätigkeit keine Offenbarung… Während von der kurzen Amtszeit des Konfuzius magische Wirkungen auf die Welt ringsum ausgingen». (106) In diesem Punkt komme Schiller Kongzi ebenfalls nicht gleich, denn der Deutsche sei über das Utopische nicht hinausgekommen. «Er resigniert fröhlich bei dem Gedanken, daß Zeus den Dichter zu gelegentlichen Besuchen im Himmel einlädt, weil die Welt ‹weggegeben ist›». (106) Es ist offensichtlich, dass Kongzi in diesem Vergleich zwischen Goethe und Laozi größere Bedeutung beigemessen wird. Denn für Wilhelm ist Konfuzius dualistisch veranlagt. Einerseits sei er «Vertreter von Kultur und Bildung», andererseits wolle er «die Menschheit, so weit sie Natur ist, aktiv gestalten […] Konfuzius sieht die volle Harmonie der Natur. Er schneidet nicht willkürlich einen Abschnitt heraus zu gewaltsamer Formung, sondern nimmt das naturhaft Gegebene im Menschen hin, um es mit den Gefühlskräften, die im Leben selber liegen, zu harmonisieren… So handelt er, aber sein Handeln bricht nicht den Naturzusammenhang ab, sondern gestaltet ihn unmerklich von innen her». (104f.) Offensichtlich ist dieser Zug wiederum Goethe ähnlich, so dass seine Affi nität zu Kongzi nicht der von Laozi nachsteht, besonders wenn man die Yi Jing-Kommentare hinzuzieht, wie es der Sinologe des Öfteren tut. Aber zuerst wenden wir unsere Aufmerksamkeit Laozi zu. Wilhelm meint, man visualisiere Goethe einmal als Wertherfi gur und dann als den weisen Dichter, während Laozi in der Regel als der Alte bildlich dargestellt werde. In diesem Zusammenhang insistiert der Sinologe, «daß im Bild des chinesischen Alten doch auch Züge vorhanden sind», (101) die mit dem jungen Goethe kompatibel seien. Spezifisch weist Wilhelm auf die Kritik am Bürgertum sowohl in Werther als auch in Faust I hin und vergleicht diese mit der Forderung des Chinesen (in Daode Jing 19), man solle das Wissen, die Pfl icht und den Vorteil verwerfen, dann würde die Welt zur natürlichen Heiligkeit und Sittlichkeit zurückkehren. Auch zum Gefühl der Einsam-

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wurde er noch einmal als Kapitel 7 der Sammlung Der Mensch und das Sein, Jena 1931, abgedruckt. Richard Wilhelm, Der Mensch und das Sein, S. 103. Zukünftig wird die Seitenzahl der Zitate aus diesem Buch im Text in runden Klammern angegeben.

Adrian Hsia

54 keit und Verlassenheit eines Werther inmitten der bürgerlichen Welt und des Philistertums, aufgrund dessen er gezwungen ist, sein Glück in seinem Innern zu fi nden, sieht Wilhelm eine Parallele in Daode Jing (20), als Laozi ausruft, dass nur er anders sei als die anderen Menschen. Obwohl er nicht ausdrücklich auf die Unterschiede zwischen dem jungen Goethe und dem chinesischen Alten eingegangen ist, deutet ein entscheidendes Zitat darauf hin, dass er sich darüber durchaus bewusst ist. Denn Laozi führt sein Anderssein darauf zurück, dass er «die spendende Mutter» wertschätze. Daher kann er sich aus der Welt zurückziehen. Werther aber entfernt sich zusehends mehr von der «spendenden Mutter» im zweiten Teil des Romans, so dass er sein Glück nur noch im Jenseits zu fi nden glaubt, während Faust immer tiefer in die Welt des Maya gerät, so dass er den Tod Gretchens verursacht. Erst im zweiten Teil, dem Produkt des reifen Goethe, fi ndet Faust den Weg zu den Müttern. Was Goethe mit Laozi am meisten verbindet, ist die Naturanschauung. Wilhelm benutzte Schiller als Alibi, da dieser Goethe einmal schrieb: «Sie suchen das Notwendige in der Natur». (107) Mit fast identischen Worten hat der Sinologe bereits Laozi beschrieben: Er würde «objektiv das Notwendige in der Natur» (104) schauen. Dies ist ein Beispiel, wie der Sinologe des Öfteren Worte der deutschen Klassiker, besonders solche von Goethe, entlehnt, um chinesische Charakteristika zu beschreiben. Dies stellt eine Methode Wilhelms dar, unauffällig die Affi nitäten zwischen beiden Kulturen aufzuzeigen. Am meisten beeindruckt war Wilhelm von der «Übereinstimmung des Ausdrucks» (108) an einer Stelle bei Goethe und bei Laozi. Der Erstere schrieb 1780 über die Natur: Sie schafft ewig neue Gestalten; was da ist, war noch nie; was war, kommt nie wieder; alles ist neu und doch immer das Alte … Sie scheint alles auf Individualität angelegt zu haben und macht sich nichts aus den Individuen. Sie baut immer und zerstört immer, und ihre Werkstätte ist unzugänglich. Sie lebt in lauter Kindern; und die Mutter, wo ist sie? (107)

Diese Beschreibung stellt Wilhelm dem 5. und 6. Spruch des Daode Jing gegenüber: Nicht Liebe nach Menschenart kennt die Natur, ihr sind die Geschöpfe wie stroherne Hunde … ist nicht der Raum zwischen Himmel und Erde wie eine Flöte? Sie ist leer und doch fest. Je mehr man bläst, desto mehr kommt (an Tönen) daraus hervor … Der Talgeist stirbt nicht. Das ist das geheimnisvolle Weib. Das Tor des geheimnisvollen Weibes, das ist die Wurzel von Himmel und Erde. Ununterbrochen wie beharrend wirkt es ohne Mühe. (107/8)

Im ersten Teil des gleichnamigen Dramas ist sich Faust seiner beiden sich widerstrebenden Seelen bewusst. Die eine strebt nach der höchsten Sphäre, die andere nach der irdischen. Laozi nennt die beiden Gegensätze im ersten Spruch des Daode Jing das ‹Nichtstreben› und das ‹Streben›: «Wer hochhält das Nichtstreben, schaut sein (des Dao) Geheimnis, wer hochhält das Streben, schaut seine Räumlichkeit». Faust strebt zuerst nach der Welt der Sinne und der Begierde. Folgerichtig wird er, dem 12. Spruch des Daode Jing nach, «blind», «taub», «dem Geschmack verlustig», «wild begierig» und «irr». Dass Faust ursprünglich der seichten irdischen Welt müde ist und nach höheren

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur

55 Ebenen strebt, statt dessen aber in der Welt der Elemente verstrickt bleibt, hat, dem Daode Jing nach, auch seine Richtigkeit, denn Yin und Yang wirken zusammen und erzeugen einander. Der Erdgeist lehnt ihn als seinesgleichen ab und wendet sich den Elementen des Teufels zu. Er durchleidet diese Phase, die mit dem Tod Gretchens endet. Folgerichtig beginnt im II. Teil die steigende Tendenz, denn jetzt strebt er nach höheren Regionen, was ihm dem Nichtstreben näher bringt. Von der Verstrickung im ersten Teil her erlebt Faust nun die Welt als Mummenschanz. Darin hat das niedere Streben keinen Sinn mehr. Er ist seinen Wurzeln einen Schritt näher und tritt in die klassische Walpurgisnacht ein. Gegenüber der Walpurgisnacht im ersten Teil sowie dem Maskenball am Anfang des II. Teils ist hier eine deutliche Steigerung sichtbar. Von dem elementaren Erlebnis zu einem artifi ziellen und schließlich zum klassischen Kunsterlebnis. Faust ist nun bereit, in die Welt der Mütter einzutreten, in der weder Zeit noch Raum eine Bedeutung haben. In dieser Welt haben selbst Ideen keinen Platz, der Logos ist vollständig aufgehoben. Nur ewige Bilder existieren. Gegenüber der Idee stellt ein Bild eine Tat, den Abschnitt einer Bewegung, dar. Der nächste Schritt ist der Schöpfungsprozess. Auch Daode Jing kennt die Welt der Mütter und beschreibt sie (im 21.–25. Spruch) wie folgt: Es gibt ein Ding, das wirkt geheimnisvoll. Bevor Himmel und Erde war, ist es schon da. So still! So einsam! Allein steht es und ändert sich nicht, im Kreise geht es and gefährdet sich nicht. Man kann es nennen die Mutter der Welt … … Unfaßbar, unsichtbar sind in ihm Bilder … [und] Dinge. Unergründlich, dunkel ist in ihm Same. Dieser Same ist die Wahrheit… Das ist es, was gestaltlose Gestalt heißt, und was bildloses Bild heißt…

Goethe beschreibt die Welt der Mütter nicht weniger dunkel als Laozis Dao. Wilhelm zitiert: In eurem Namen, Mütter, die ihr thront Im Grenzenlosen, ewig einsam wohnt, und doch gesellig. Euer Haupt umschweben des Lebens Bilder, regsam, ohne Leben. Was einmal war, in allem Glanz und Schein, Es regt sich dort; denn es will ewig sein. Und ihr verteilt es, allgewaltige Mächte, Zum Zelt des Tages, zum Gewölb’ der Nächte. Die einen faßt des Lebens holder Lauf, Die andern sucht der kühne Magier auf. (112)

Die Mütter sind einsam und auch gesellig, die Bilder sind ohne Leben und ebenfalls regsam. Denn sie sind die Bilder des Lebens, die einmal waren und die einmal sein werden. Die Mütter sind allmächtig, sie wirken unauf hörlich. Laozi nennt dieses Phänomen die Mutter der Welt oder Dao. Es umfasst das Sein und das Nichtsein, das Werden und die Ewigkeit. Die Welt Laozis und die Goethes stehen einander tatsächlich

Adrian Hsia

56 sehr nah, so dass Wilhelms nachdrückliche Betonung, Goethe wie Laozis Bilder seien dynamische, Platos Ideen dagegen statische Gebilde, fast als überflüssig erscheint. Wahrscheinlich um einen möglichen Eindruck der Ungleichheit zu vermeiden, hat Wilhelm die letzten zwei Seiten des hier zitierten Artikels nicht in das Buch Der Mensch und das Sein aufgenommen.44 In diesen Seiten wies er auf die unweise, d.h. un-Laozihafte Haltung des alten Faust hin, der im letzten Augenblick ausruft: «Verweile doch! Du bist so schön!». Für den Sinologen bedeutet dieses Festhaltenwollen «den Abfall von der großen zweckfreien Natur». Daher entsprechen in diesem wesentlichen Punkt weder Faust noch Goethe trotz vieler Ähnlichkeiten dem chinesischen Alten. Die natürliche Idylle Laozis, die, in der «man den Ruf der Hähne und Hunde gegenseitig hören kann; und doch sollten die Leute alt werden und sterben ohne hin und her gereist zu sein», ist nicht das Ideal Fausts, für den Freiheit und Leben täglich erobert werden müssen. Hier hat Wilhelm anscheinend Kongzi vergessen, für den die Freiheit, im Leben das Sittliche zu tun, eine tägliche Arbeit darstellt. Ebenfalls hat er nicht darauf geachtet, dass er selbst einmal bescheinigt hat, Goethe trage die Züge sowohl Laozis als auch Kongzis. Der Sinologe ist jetzt ausschließlich darauf konzentriert, die letzte Entsprechung zwischen Goethes Faust und Laozi zu fi nden und aufzuzeigen. Er fi ndet diese in der Intervention oder der Anziehungskraft des Ewig-Weiblichen, in der Sprache Laozis hieße es «die Mutter der Welt». Eben durch diese «Mutter der Welt» bzw. das Ewig-Weibliche fi ndet Faust doch das Heil. Dabei ging Wilhelm auf die Frage nicht ein, ob es sich um einen willentlichen oder einen natürlichen Akt handelt. Die obigen Ausführungen stellen die Anfänge einer Untersuchung über Wilhelms Ansichten zu den Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen Goethe und dem ostasiatischen Philosophenpaar Laozi und Kongzi dar. Sie könnten als Grundlage zu weiteren Studien der Affi nitäten und Differenzen des polaren und ganzheitlichen Denkens Goethes und der ostasiatischen Kultur dienen. Abgesehen von den Aufsätzen, die wir in dieser Arbeit analysiert haben, sind seine Gedanken zu diesem Fragenkomplex in seinen vielseitigen Arbeiten verstreut. Allein die 14 gesammelten Vorträge der letzten Lebensjahre Wilhelms, die 1931 als Der Mensch und das Sein veröffentlicht wurden, stellen eine Fundgrube dar. Stephan Kuttner45 machte in dem Vorwort des Bandes darauf aufmerksam, dass Wilhelm das Chinesische mit «goethescher Lebensanschauung» (VI) in Berührung bringe. Besonders betont er den Zusammenhang zwischen «jener organischen Entfaltung – ein Grundgedanken goethescher Weisheit» – und der Freiheit, was letzten Endes zur entsagenden «Selbstbeschränkung» (VII) führt. Er stellt mit Nachdruck eine Affi nität zwischen der Weisheit des Yi Jing und Goethes fest, be-

44 45

Es handelt sich um die Seiten 11 und 12 des Artikels, der in ‹Europäische Revue›, Jg. 4, Heft 1, April 1928, publiziert wurde. Ich bin nicht sicher, ob es sich um den berühmten Rechtshistoriker des Kanonischen Rechts, nach dem ein Institut der Münchner Universität benannt ist, handelt. Dieser wurde 1907 geboren und promovierte im Jahr 1929.

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur

57 sonders in der Deutung von beiden Zeichen der kleinen und großen Zähmungskraft. Goethes «Urworte» und sein emblematischer Spruch ‹Stirb und Werde› drücke auch chinesische Lebensanschauung aus. Kuttner unterstreicht: So sind es die gleichen Gesetze der Einordnung des Menschen in den Weltzusammenhang, die sich für Richard Wilhelm im Nachfühlen goethescher wie chinesischer Lebensweisheit offenbarten. Es war dies einer seiner Lieblingsgedanken, und immer wieder hat er auf die geistige Wahlverwandtschaft Goethes und der chinesischen Weisen hingewiesen. (VIII)

Solche Hinweise Wilhelms sind nicht immer ausdrücklich. Manchmal beschreibt er chinesische Gedanken mit dem Wortschatz der deutschen Klassik und umgekehrt. In der Rede «Einzelschicksal und kosmische Entwicklung»46 bestätigt Wilhelm, dass Kongzi «nach einer morphologisch gesetzmäßigen Auffassung historischen Geschehens» (4), individueller Kulturen und derer kosmisch bedingter Lebenskreise gestrebt habe. Das Kosmische, das Dao, bezeichnete er nur noch als «Reich der Mütter» (6/7). Der Leser muss die Verbindung selbst herstellen, denn für Wilhelm war dies eine Selbstverständlichkeit. Ein anderes Beispiel sei hier angeführt. Im Vortrag Kosmische Fügung47 erläuterte er vordergründig die chinesische Auffassung und stellte fest, dass das europäische Denken irrtümlich Zeit und Raum getrennt habe. Um ihre Zusammengehörigkeit im Chinesischen zu erklären, benutzte er aber Goethes Beschreibung der metaphysischen Pflanze: Die Ganzheit, welche wir das Leben nennen, hat offenbar die Eigentümlichkeit, daß sie zeitlich ebenso ausgedehnt ist wie der Körper räumlich, ohne darum aufzuhören, etwas Einheitliches, in sich Freies zu sein. Eine Pfl anze, die sich vom Samenkorn bis zum Baum mit seinen Blättern, Blüten und Früchten entwickelt, ist eine einheitliche Entelechie, etwas Ganzes… (11)

Wieder muss der Leser hier den Gedanken Goethes selbst identifi zieren. Ähnliche Stellen sind in allen Vorträgen und Aufsätzen des erwähnten Bandes verstreut. Hinzu kommen noch seine Kommentare bzw. Erläuterungen zu klassischen chinesischen Werken, die er ins Deutsche übersetzt hat. An dieser Stelle näher darauf einzugehen würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Trotz der zeitlichen Spanne von gut einem halben Jahrhundert haben sich Katharina Mommsen und Richard Wilhelm gegenseitig darin bestätigt, dass zwischen Goethe und den Weisen Ostasiens Affi nitäten vorhanden sind. Die Beziehung Hermann Hesses zu Richard Wilhelm war zu Lebzeiten des Dichters schon bekannt; später ist das Verhältnis Hesses zu Ostasien intensiv von Generationen von Ostasiaten untersucht worden. Wenn er in seiner Schrift Mein Glaube bekennt,

46 47

Diese Rede wurde 1925 auf einer Tagung der Schule der Weisheit in Darmstadt gehalten. Sie wurde als der erste Aufsatz im Buch Der Mensch und das Sein gedruckt. Dieser wurde ein Jahr später in Darmstadt gehalten und im selbigen Band abgedruckt.

Adrian Hsia

58 Was ich an Wissen um das Geheimnis habe, ist mir nicht offenbart worden, sondern gelernt und zusammengesucht, es ging bei mir den Weg über das Lesen und Denken und Suchen, und das ist nicht der göttliche und unmittelbarste Weg, aber ein Weg ist es auch. Einmal bei Buddha, einmal in der Bibel, einmal bei Lao Tse oder Dschuang Dse, einmal auch bei Goethe oder andern Dichtern spürte ich mich vom Geheimnis berührt, und mit der Zeit merkte ich, daß es stets dasselbe Geheimnis war, stets aus derselben Quelle kam, über alle Sprachen, Zeiten und Denkformen hinweg…48

sind wir uns bewusst, dass er sich durch Goethe umso mehr mit Ostasien verbunden fühlte. Westeuropa und Ostasien sind räumlich und zeitlich die letzten Entitäten, die sich im modernen Zeitalter begegneten. Wenn Affi nitäten zwischen diesen beiden extremen Enden Eurasiens bestehen, dann scheint die Weltliteratur eine natürliche Konsequenz dieser Begegnung zu sein, zumal sich Goethe und Hesse gegenseitig noch ergänzen. Leben und Werk der beiden Dichter umschließen die vier existierenden Hauptkulturen unserer Welt: die ostasiatische, südasiatische, westasiatische und griechisch-römische bzw. westliche Kultur. Goethe kündigte die Weltliteratur an, Hesse führt sie weiter und ergänzt Goethes Vorstellung durch sein eigenes Leben und Werk. Wir, die wir die Werke beider Dichter studieren, müssen unseren Beitrag, bescheiden wie er sein mag, leisten, die Weltliteratur zu pflegen und weiter zu entwickeln. Denn der Lyriker Ko Un hat Recht: Literatur ist Leben. Weltliteratur ist das Leben unserer Welt. Es ist unsere Aufgabe, «die feste Wand zwischen dem Orient und dem Okzident», wovon Premier Lee Hae Chan sprach, zu durchbrechen bzw. die vorhandenen Durchgänge zu pflegen und zu erweitern. Wenn wir die Arbeiten, zumal die auf Deutsch verfassten, zur Weltliteratur durchsehen, fällt uns bereits auf, wie viele Kollegen eine regionale Kultur als die der Welt verstehen. Beispielsweise erschien 1995 ein Band mit Beiträgen eines Symposiums, der den Titel Weltliteratur heute49 trägt. Von den 12 Aufsätzen befasst sich kein einziger mit nur einer Literatur Asiens und Afrikas. Insofern hat Premier Recht, es existiert tatsächlich ein gewisses «Desinteresse am großen geistigen Erbe anderer Kulturen». Aber es gibt auch andere Kollegen – wir haben schon Martin Bollacher zitiert –, die doch ein reges Interesse zeigen. Ermutigend wirkt ebenso die Tatsache, dass die Weltliteratur nicht nur ein deutsches Phänomen ist. In Frankreich hat schon vor Jahrzehnten René Etiemble die «littérature (vraiment) générale» auf der Grundlage der Weltliteratur ausgerufen.50 In Amerika hat Owen Aldridge sein Buch The Reemergence of World Literature51 Etiemble gewidmet. Wir, als Grenzgänger zwischen Kulturen, müssen ebenfalls unsere Pfl icht tun.

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Hermann Hesse, Mein Glaube, hrsg. von S. Unseld, Frankfurt a. M. 1971, S. 106. M. Schmeling (Hg.), Weltliteratur heute. Konzepte und Perspektiven. (Saarbrücker Beiträge zur vergleichenden Literatur- und Kulturwissenschaft, Bd. 1), Würzburg 1995. R. Etiemble, Essais de littérature (vraiment) générale, Paris 1974. A. Owen Aldridge, The Reemergence of World Literature. A Study of Asia and the West. Newark: University of Delaware Press, 1986.

Goethe, Hesse, Richard Wilhelm und die Weltliteratur

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Flavia Arzeni

Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens Hermann Hesse und Rabīndranāth Tagore sind an entgegengesetzten Enden der Welt geboren, der erste im Herzen Europas, in einem kleinen Ort im Schwarzwald, der zweite in der Riesenstadt Kalkutta im Osten Indiens. Kaum lassen sich zwei Autoren denken, die durch ihre kulturellen Wurzeln und Lebensumstände, ihren familiären Hintergrund und Charakter verschiedener wären. Es mag willkürlich erscheinen, sie nebeneinander zu stellen, obwohl man in der künstlerischen und menschlichen Botschaft, die sie uns hinterlassen haben, sofort einige Verwandtschaften erkennt. In Wirklichkeit haben diese beiden bei oberflächlicher Betrachtung so unähnlichen Menschen jedoch denselben Weg beschritten, indem sie von zwei äußerst weit voneinander entfernten Punkten ausgingen und sich, wenn man so sagen darf, in der Mitte trafen, wobei Hesses Weg steiler und gewundener, Tagores dagegen gradliniger und ebener war. Bei beiden setzte zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens ein außerordentlich großer Erfolg ein, der unter anderem im Nobelpreis gipfelte, und bei beiden hält dieser Erfolg heute, etwa ein Jahrhundert nachdem sie ihre bedeutendsten Werke schrieben, noch immer an. Beide sind ‹globale› Autoren im doppelten Sinne: Sie waren nämlich gleichzeitig Erzähler, Essayisten und Dichter, die es nicht verschmähten, sich auch in anderen Künsten, wie der Malerei, zu erproben, und sie sind ‹global› im Sinne von weltumspannend, denn es gibt keinen Kontinent, kein Land, wo ihre Bücher nicht übersetzt wurden und ihre Werke nicht bekannt wären. Sowohl Hesse als auch Tagore erlangten frühzeitig Berühmtheit. Den ersten machte sein Roman Peter Camenzind bekannt, später vergrößerte er seinen Ruhm durch gefeierte Werke wie Demian oder Narziss und Goldmund, um ihn dann mit Siddhartha, einem der bekanntesten und meistbewunderten Bücher des 20. Jahrhunderts, zu besiegeln. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Literatur und Kunst sich vorwiegend an politischen Themen orientierten, ging seine Popularität in Deutschland etwas zurück, um später, nach einer zweiten, überwältigenden Erfolgswelle in Amerika, in großem Umfang Terrain zurückzugewinnen. Und noch heute erobert Hesse immer neue Leserkreise, zu denen das Echo seiner erneuerten Beliebtheit bislang noch nicht vorgedrungen war, zum Beispiel in Osteuropa und in einigen Teilen Asiens. Auch das Werk von Tagore erfuhr schon früh Anerkennung, vor allem der Gedichtband Gītāñjali, der die Bewunderung zweier Giganten der Literatur, Ezra Pound und William Butler Yeats, weckte1. 1

In dem Vorwort, das er zu Gitanjali schrieb, spricht W. B. Yeats voll Bewunderung von Tago-

Flavia Arzeni

60 Tagores Ruhm breitete sich rasch in Europa aus – verstärkt durch den Nobelpreis, der ihm 1913 verliehen wurde -, und erstreckte sich nach dem Ersten Weltkrieg über den ganzen Globus. Sein Führer und Wegbereiter in Deutschland war Graf Hermann Keyserling, selbst ein hochgebildeter Literat und ein profunder Kenner der indischen Welt, der Tagore von Stadt zu Stadt, von Lesung zu Lesung begleitete, wo das Publikum ihn mit einer Begeisterung feierte, die gelegentlich an Hysterie grenzte. In dem von der Niederlage und den Friedensbedingungen gedemütigten Land, dessen Wirtschaft zerstört und dessen Wertesystem im Wandel begriffen war, übte die dichterische Botschaft Tagores, ja schon seine Gestalt als aufgeklärter Prediger, eine außerordentlich starke Anziehungskraft auf die verwirrte Seele der Deutschen aus. Wie bei Hesse nahm auch Tagores Bekanntheit nach dem Zweiten Weltkrieg ein wenig ab, erfuhr jedoch in den letzten Jahrzehnten mit neuen Übersetzungen, Nachdrucken und in Europa und Amerika gegründeten Tagore-Gesellschaften einen starken Aufschwung. Jedes Jahr kommen viele tausend Besucher nach Montagnola, einem kleinen Ort im Kanton Tessin nahe Lugano, um in der Nähe des Hauses, wo Hesse lange gelebt hat, ein Museum zu besichtigten, das Fotografien, Handschriften und andere Erinnerungsstücke aus dem langen, bewegten Leben des Schriftstellers ausstellt. An diesem ununterbrochenen Besucherstrom erkennt man die außergewöhnliche Faszination, die dieser Autor noch fast fünfzig Jahre nach seinem Tod weiterhin auf Millionen Menschen ausübt, die seine Bücher lesen, seine Ideen teilen und an diesen Ort fahren, um sich ihm nahe zu fühlen. Es ist eine Anziehung, die nicht allein von der Qualität seines Werks herrührt – und Hesse selbst war das sehr wohl bewusst – sondern sich der Tatsache verdankt, dass in diesem Werk die großen Lebensfragen behandelt werden: Wo stehen wir, wohin gehen wir, was können wir selbst für unsere Suche nach einem Leben in heiterer Gelassenheit und einer Art von Glück tun? Eine ähnlich ungebrochene, kollektive Bewunderung und einen vergleichbaren Personenkult kann man in Śāntiniketan erleben, dem Dorf in Westbengalen, wo Tagore erst eine Schule und später eine große internationale Universität gründete, mit der sein Name untrennbar verbunden bleiben wird. Das seinem Andenken gewidmete Museum, die Häuser, in denen er gelebt hat, und das Haus seiner Familie in Kalkutta sind Ziele eines unablässigen, stummen Pilgerstroms, dessen Intensität und Inbrunst an das erinnern, was in Montagnola stattfi ndet. Hesse und Tagore sind sich nie persönlich begegnet. Hesse kannte das Werk von Tagore, der vor ihm Weltruhm erlangte, und er hat auch einige Rezensionen über ihn geschrieben 2. Über seine Persönlichkeit und das Echo, das der indische Schriftsteller in der öffentlichen Meinung fand, äußerte Hesse sich stets zurückhaltend. Möglich, dass ihn dieser so ‹europäische› Orientale, dieser für den Applaus der Massen so empfäng-

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re: «Die Gedanken dieser Verse [… ]offenbaren eine Welt von der ich ein Leben lang geträumt habe.» R.Tagore, Gitanjali, London 1913, S.XI. Hesse schrieb Rezensionen über Gitanjali, Der Gärtner, Das Heim und die Welt.

Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens

61 liche Dichter, dieses so öffentliche Leben irritierten. Vielleicht ahnte er auch, dass in der prophetischen Botschaft Tagores ein zukünftiges Leitbild für die Nachkommen lag, das dem Schicksal seines eigenen Werks ähnelte. Obgleich sie sich also geistig schätzten, blieben sie sich, trotz vieler Affi nitäten, seelisch fremd. Dabei gehörten beide eine Zeitlang zum gleichen kulturellen Umfeld. Es war jener kleine Kreis Intellektueller, die in den Jahren des Ersten Weltkriegs pazifi stische Positionen vertraten und sich um die Figur von Romain Rolland gruppierten. Hesse war Rolland in tiefer Freundschaft verbunden, er hat ihm den ersten Teil des Siddhartha gewidmet. Tagore kannte Rolland und unterzeichnete auf Bitten des französischen Schriftstellers den «Aufruf für die Unabhängigkeit des Geistes». Später kühlte ihr Verhältnis allerdings ab, als Tagore für kurze Zeit aus Naivität den Verführungen Mussolinis erlag. Es gibt also hinter der äußerlichen Distanz, die den unzugänglichen, spröden deutschen Schriftsteller von dem liebenswürdigen, geselligen indischen Literaten trennt, viele einzigartige Berührungspunkte. Doch was sie vor allem verbindet, ist die Tatsache, dass beide ihr dichterisches und belletristisches Werk als Medium nutzten, um eine bestimmte Lebensauffassung mitzuteilen und ihre besondere Vision von den Möglichkeiten des Individuums darzulegen, sich selbst und andere glücklich zu machen. Und wenn es das Schreiben war, was sie ins Rampenlicht rückte, so war es eben jene Vision, durch die ihr Name für immer mit einer mythischen, legendären Aura umgeben blieb. Beide hatten ein Ideal von Harmonie und Weisheit, das über die kontingenten Wechselfälle des Lebens hinausgeht. Beide blieben sich selbst treu und variierten immer wieder dieselben Themen: Die wesentliche Rolle, die die Natur im Leben der Menschen spielt; die Bedeutung der Arbeit und die Freude, die kleine, alltägliche Dinge schenken können; eine Vorstellung von Liebe, die das Verlangen nach Besitz überwindet und weit darüber hinausreicht; die unverzichtbare Funktion der Kunst; das Erlangen von Weisheit durch die Verknüpfung unterschiedlicher Kulturen und Religionen innerhalb einer großen Einheit, die Raum und Zeit übersteigt. Wie wird man glücklicher? Wie lebt man in größerer Seelenruhe? Ist das ein Ziel, das der Mensch sich setzen und zu dem er sich selbst erziehen kann? Dies sind die Fragen, auf die sowohl Hesse als auch Tagore eine Antwort zu geben versucht haben, und zwar lange bevor Meinungsforscher und Statistiken zeigten, dass wachsender Wohlstand in den reichen Ländern des Westens nicht mit wachsender Zufriedenheit mit dem eigenen Leben einhergehen, sondern im Gegenteil das Ausmaß der Orientierungslosigkeit und des Zerfalls familiärer Strukturen, die Selbstmordrate und letzten Endes auch das individuelle Unglück zugenommen haben. Lange bevor in den Regalen der Buchhandlungen ständig neue Abhandlungen über das Glück auftauchten und kein Tag verging, ohne dass das Thema Gegenstand irgendeines Kongresses war. Hesse und Tagore haben ihre Überzeugungen nicht in Traktate oder Ratgeber für das individuelle Glück gefasst. Das haben andere für sie versucht, indem sie unter diesem Gesichtspunkt besonders aufschlussreiche Texte sammelten, ein Unterfangen, das sich schon früher, doch heute in weit größerem Ausmaß auf das Werk Goethes

Flavia Arzeni

62 konzentriert und zu bezeichnenden Titeln führte wie Kleine Philosophie des Glücks oder Goethe für Gestresste3. Die Verbindung zu Goethe ist übrigens nicht zufällig. Von den Autoren aller Zeiten ist Goethe derjenige, den Hesse am meisten liebte. In einem Aufsatz, den er auf Veranlassung von Romain Rolland zur hundertsten Wiederkehr von Goethes Todestag schrieb, sagt Hesse, mehr noch als sein ungeheures Talent habe er Goethes ungeheure Weisheit geliebt 4. Wie verschiedene Arbeiten über dieses Thema bezeugen, war Goethe auch für Tagore wegen der Weite seines Wissens und der Ordnung seines Denkens ein wichtiger Bezugspunkt5. Auf den einen wie den anderen, auf den rastlosen deutschen Schriftsteller wie auf den aristokratischen indischen Dichter haben ganze Generationen geblickt wie andere auf Goethe geblickt haben. Sie gelten noch heute als große Meister mit einer einfachen, tröstenden Lehre, die hilft, das Leben zu bewältigen.

Hesse: Ein Weg von Westen aus Wenn wir ihn nach seinem Leben beurteilen müssten, würde Hesse als ein unglaubwürdiger Meister des Glücks erscheinen. Spannungen und Auf begehren gegen die schulischen Institutionen und die Familie während der Pubertät, eine Jugend voller Zweifel und Ängste, die sich auch in motorischer Unruhe und in ständigen Reisen und Wanderungen niederschlugen. Ein Gewirr aus Widersprüchen, eine zerrissene und häufig von Krisen heimgesuchte Persönlichkeit, gespalten zwischen Askese und Sinnlichkeit, zwischen dem Verlangen nach Ruhe und unbändigem Wissensdurst, zwischen der Sehnsucht nach geordneten Verhältnissen und familiärer Zerrüttung. Wie ist es möglich, könnten wir uns fragen, dass dieser von Depressionen, von chronischen psychosomatischen und physischen Krankheiten gequälte Mensch, den Augenleiden und Gliederschmerzen plagten, der unter Migräne und Schlaflosigkeit litt, den Ängste bedrohten, die mehrmals bis zu Selbstmordgedanken führten - wie ist es möglich, dass dieser Mensch nicht nur überleben, sondern von einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens an auch zu einer Form von Harmonie und innerem Gleichgewicht gelangen konnte, die ihm gestattete, seinen fünfundachtzigsten Geburtstag an Leib und Seele unversehrt zu erleben? Und wie ist es möglich, dass dieser Wust

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Goethe und die Lebenskunst ist ein Thema, das nicht nur im deutschsprachigen Raum ausführlich behandelt wurde. Von den zuletzt erschienenen Arbeiten erwähnen wir nur: J. Armstrong, Love, life, Goethe. How to be happy in an imperfect world, London 2007. H. Hesse, Dank an Goethe, in: Gesammelte Werke (in 12 Bänden), Bd. XII, hrsg. v. V. Michels, Frankfurt a. Main 1970, S.152 (im Folgenden zitiert als GW). Hingewiesen sei auch auf die jüngste, vollständige Ausgabe der Werke von H. Hesse, Sämtliche Werke (in 20 Bänden), hrsg. v. V. Michels, Frankfurt a. Main 2005. Vgl. unter anderem: A. Dasgupta, Goethe and Tagore. A retrospect of East-West Colloquy, Heidelberg 1973.

Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens

63 aus Qualen und Zweifeln für Millionen Leser zu einer Kultfigur wurde, und das über viele Generationen hinweg, von den orientierungslosen früheren bis zu den orientierungslosen heutigen Generationen, die alle in seinen Schriften eine Antwort auf die beängstigenden Fragen ihres Daseins fi nden6 ? Seine geduldige Suche galt einer anderen Idee vom Glück als derjenigen, die die Welt des Konsums und der Medien heute wie damals nährt und verbreitet, weil sie mit Reichtum, Erfolg, körperlicher Leistungsfähigkeit, Sex und Liebe verbunden ist. Überall in seinen Werken, seinen Briefen und Notizen fi nden sich kurze Reflexionen oder plötzliche Eingebungen zu diesem Thema. Einige davon wurden gesammelt und in einem Aufsatz mit dem Titel Glück zusammengestellt, den Hesse 1949 mit über siebzig Jahren verfasste. Sein Ausgangspunkt ist die Frage, was die Menschen unter Glück verstehen. Die Antwort geht in zwei Richtungen: Auf individueller Ebene bedeutet Glück Wohlergehen, Gesundheit, gute familiäre Beziehungen, während es auf gesellschaftlicher Ebene das Leben in Frieden und Freiheit meint. Doch die Erfahrung lehrte Hesse, dass beides trügerisch und hinfällig sein kann: Er wurde in einer ‹glücklichen Zeit› geboren, als Deutschland in eine Phase des Friedens, der politischen Stabilität und wirtschaftlichen Blüte eintrat, und er hat seine frühe Kindheit behütet in einer stabilen Familie ohne materielle Entbehrungen verbracht. Das Ende seiner Kindheit fällt für ihn mit dem Ende der Gewissheiten zusammen. Von nun an nähren seine Lektüren Zweifel und Sorgen, persönlich durchlebt er eine Reihe von Krisen, auch das Land ist in den Krieg und dann in eine verheerende Niederlage gestürzt, und Hesse begreift, dass ‹Glück› nicht durch ungewisse, veränderliche äußere Bedingungen garantiert wird, sondern, wenn es denn überhaupt existiert, nichts anderes sein kann als das Ergebnis einer inneren, seelischen Einstellung. Im Laufe der Jahre weitet sich der Horizont seiner Lektüren, er vertieft nicht nur seine Kenntnis des westlichen literarischen und philosophischen Kanons, sondern studiert auch das philosophische und religiöse Erbe Indiens und die Meister chinesischer Weisheit von Lao-Tse bis Tschuang Tse, um schließlich seine Idee vom Glück formulieren zu können, die er so ausdrückt: «Unter Glück verstehe ich heute etwas ganz Objektives, nämlich die Ganzheit selbst, das zeitlose Sein, die ewige Musik der Welt, das, was andre etwa die Harmonie der Sphären oder das Lächeln Gottes genannt haben». Also etwas, was «keine Zeit, keine Geschichte, kein Vorher, kein Nachher kennt».7 Eine mögliche Weise, dieses zeitlose, unangreif bare Glück aufzubauen, ist für Hesse ein enger Kontakt zur Natur. Die Natur ist ihm eine große Lehrmeisterin, und er wird ihr immer verbunden bleiben. Zeit seines Lebens, unter schwierigen Bedingungen wie

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Unter den zahlreichen Biographien Hesses bietet diejenige von R. Freedman, Hermann Hesse: Autor der Krisis. Eine Biographie. (aus dem Amerik. v. U. Michels- Wenz), Frankfurt a. Main, 1982, noch immer eine der sorgfältigsten Analysen seines Charakters und seiner komplexen Persönlichkeit. H. Hesse, Glück, GW VIII, S. 485.

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64 Stimmungsschwankungen und einem unsteten, qualvollen schöpferischen Prozess, ist die Natur für Hesse eine konstante Inspirationsquelle und wichtige Metapher. Mit der Zeit verändert sich allerdings auch ihre Bedeutung. Zunächst ist sie ein magisches Element, ein Ort für Spiele, der reine Zauber der Kindheit. Dann nimmt sie ein anderes Gesicht an: Sie verliert den deskriptiven, impressionistischen Charakter, den sie in seiner Dichtung und anderen Jugendwerken hatte, und bekommt allmählich, zunehmend deutlicher, eine symbolische Funktion. Mal dient die Schönheit der Natur als mahnende Erinnerung an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens, mal wird ihre absolute Authentizität zum Vorbild für Selbständigkeit, zu einer Aufforderung, Gesetze abzulehnen, die nicht die eigenen sind, zu einem Sinnbild für die Treue zu sich selbst und den eigenen Ursprüngen. Zuletzt spiegelt sich in der Natur der große, unauf hörliche Wandlungsprozess, der das Wesen der Welt ausmacht, in ihr drückt sich die Vorläufigkeit aller Dinge aus, und dennoch enthält sie auch die Keime der Wiedergeburt. So sagt Hesse in einem seiner Gedichte : Alle Tode bin ich schon gestorben, Alle Tode will ich wieder sterben, Sterben den hölzernen Tod im Baum, Sterben den steinernen Tod im Berg, […] Blume will ich wieder geboren werden, Baum und Gras will ich wieder geboren werden Fisch und Hirsch, Vogel und Schmetterling»8.

Hesses Naturauffassung ist das Ergebnis eines einzigartigen Synkretismus. Was in ihr zusammenfl ießt, sind die christliche Mystik des Heiligen Franziskus und seine Predigten von der geschwisterlichen Verbundenheit alles Lebendigen; die Goethesche Lehre, dass auch das kleinste Ding von universalen Gesetzen gelenkt wird und in diesem Sinn das Ganze enthält, und schließlich, von einem bestimmten Zeitpunkt in Hesses Leben an, die Botschaft der Veden, der heiligen Texte des Hinduismus, nach denen die individuelle und die Weltseele identisch sind. Hesse liebte die Natur nicht nur auf kontemplative Weise. Er hatte auch eine praktische, körperliche Beziehung zur Natur, die sich in vielerlei Formen ausdrückte, in langen Wanderungen, Gartenarbeit oder dem Malen der ihn umgebenden Landschaft. Hesse war ein unermüdlicher Wanderer. Noch im hohen Alter, als ihn Migräne und Schmerzen in den Knochen plagten, war das Wandern eine wichtige Bedingung für sein inneres Gleichgewicht und ein unverzichtbarer Bestandteil seines Tages. Die einstigen langen Exkursionen wichen später kürzeren Spaziergängen, er ruhte sich öfter im Garten eines Gasthauses oder auf einer Bank aus und betrachtete die umliegenden Hügel. Die romantische Figur des Wanderers, der zu Fuß Gebirge und Ebenen, Wälder

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H. Hesse, Alle Tode, GW I, S.73.

Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens

65 und Dörfer durchquert, gehört zu Hesses liebsten Bildern und taucht in vielen seiner Werke auf. Besonders deutlich drückte sich Hesses enge Beziehung zur Natur in der Liebe zum Garten aus. Seine auf persönlichen Erfahrungen beruhenden, kenntnisreichen Schilderungen von Gärten gehören zum Schönsten und Originellsten, was er geschrieben hat. Hesse hatte lebenslang eine leidenschaftliche Beziehung zu Gärten; Gartenarbeit war ihm nicht nur ein Zeitvertreib, sondern ein Teil seiner Weltanschauung von der Teilhabe des Menschen an den natürlichen Kreisläufen. Nur durch aktive Teilnahme, durch das Arbeiten mit den Pflanzen, ihre Pflege und die Wahrnehmung ihres Sterbens und Neu-Geborenwerdens verwirklicht das menschliche Wesen sich selbst. Hesse zog schlichte Pflanzen und Blumen den erlesenen Gewächsen vor, er liebte kräftige, lebhafte Farben, mischte Blumen, Gemüse und Würzkräuter. Leuchtende Farbtöne, die er auch in der Malerei schätzte, waren für ihn eine Verankerung mit dem Leben, sie hielten die Schatten der Depression und der Unruhe fern. Gartenarbeit hatte für Hesse eine therapeutische Funktion. Sie half ihm nicht nur, sich von seinen körperlichen und seelischen Leiden zu befreien, sie wirkte durch die täglichen, niederen Arbeiten auch in einem umfassenderen Sinne tröstend, weil sie es leichter macht, das Schicksal eines jedes lebenden Geschöpfes zu akzeptieren, dass es sterben muss und ständig wiedergeboren wird. Die geduldige Arbeit, der regelmäßige Wechsel der Jahreszeiten, die Anpassung an die Gesetze und Zeiten der Natur - das alles hat bekanntlich eine beruhigende Wirkung, denn es gibt dem Menschen angesichts der Erfordernisse einer Welt, die uns zu ständiger Beschleunigung zwingt, um neue Herausforderungen zu bewältigen und immer neue, kaum vorstellbare Ziele zu erreichen, ein seinen natürlichen Rhythmen entsprechendes Zeitmaß zurück. Die Gartenarbeit, die Unterwerfung unter die Regeln der Natur, hilft uns, zu verstehen, dass wir das Tempo unserer Wunscherfüllung nicht selbst bestimmen, sondern die Zeiten und Rhythmen der natürlichen Ordnung der Dinge akzeptieren müssen, um jenes innere Gleichgewicht zu fi nden, das uns auf den Weg zu einem glücklicheren, harmonischeren Leben führt. Nicht nur sein literarisches Werk, Hesses ganze Persönlichkeit ist mit einem Gang der Erkenntnis hin zu anderen Kulturen und Religionen verbunden, einem langen Weg, der vor allem in Richtung Orient weist. In gewisser Weise war dieses Ziel schon in seiner Familiengeschichte eingeschrieben. Sein Vater und auch sein Großvater waren Missionare in Indien, darum erlebte Hesse nicht nur die strenge, provinzielle Welt seiner Geburtsstadt Calw, sondern hatte schon seit seiner Kindheit Einblicke in eine andere, für seine Bildung und Weltsicht nicht weniger wichtige Kultur. 1911 unternahm er die einzige große Reise in seinem Leben, und sie führte ihn in jene Region, die man damals als «Hinterindien» benannte. Den indischen Subkontinent, auf den sich seine Gedanken und Wünsche weit stärker bezogen, besuchte er dagegen nicht. Es war eine lange Reise, ihre Etappen wurden von den Haltestellen seines Transportschiffes und von einer rigiden Organisation bestimmt, die wenig

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66 Raum für Neugierde und Verweilpausen zum Nachdenken ließ. Die Tagebücher, die aus dieser Reise hervorgingen – unter dem geographisch heute irreführenden Titel Aus Indien veröffentlicht – bezeugen, dass die tatsächlichen Erfahrungen während dieser mit großen Erwartungen aufgeladenen Reise an seine Vorstellungskraft nicht heranreichen konnte. Also gab er seine Illusion auf, dass der Orient, so wie er sich äußerlich darstellt, eine Alternative zur Krise der europäischen Kultur und seiner persönlichen Krise bilden konnte, und begann, sich dem Orient durch theoretische Erkenntnis, Wissen und Lektüre zu nähern. Fast immer empfi ng Hesse seine Anregungen eher aus der geistigen als aus der physischen Welt. Sein Interesse weckten die Schriften jener Denker, die, wie Schopenhauer, bestimmte Prinzipien der indischen Spiritualität in ihre Weltanschauung integrierten. Einen gewissen Anteil hatten vermutlich auch die mitunter obskuren und wirren Diskussionen über theosophische Themen in Monte Verità, einer einzigartigen Gemeinschaft aus Anarchisten, Naturisten und Pazifi sten, mit der Hesse eine Zeitlang Umgang hatte. Sicher ist, dass er sich in die Lektüre orientalischer Texte vertiefte, die alten indischen Märchen las und mit den Yoga-Sutren von Patañjali und dem Kamasutra vertraut wurde. In seinen Hinweisen für Eine Bibliothek der Weltliteratur nennt Hesse die drei Texte des spirituellen Universums Indiens, die den größten Einfluss auf seine geistige Entwicklung hatten: Buddhas Reden, die Upanischaden und die Bhagavad-Gita 9. Aus Buddhas Reden gewinnt er die Hinwendung zur Meditation und zur Selbsterforschung, das Akzeptieren der Vorläufigkeit aller Dinge und das Bewusstsein von der unablässigen Verwandlung der Welt. Was ihn zu Buddha hinzieht, ist das Schweigen der Seele, das Lächeln, die Nachgiebigkeit, die unbeirrte Festigkeit und die unbeirrte Güte. Im Buddhismus fi ndet Hesse also die gelassene Weltabkehr und in den Upanischaden, dieser außergewöhnlichen Zusammenstellung heiliger Aphorismen, Maximen, Hymnen und Vorschriften, entdeckt er den Weg, der es möglich macht, den Dualismus, der jeden Augenblick des Daseins prägt, zu überwinden und ein einziges, einigendes Prinzip der Welt zu entwerfen. Dies ist das Ganze, das man ahnt, auch wenn man es nicht versteht, die große metaphysische Einheit, die Zeit und Raum auf hebt, der größte, höchste und tröstlichste Gedanke, der dem Menschen gegeben wurde. «Ich glaube nämlich an nichts in der Welt so tief, keine andere Vorstellung ist mir so heilig wie die der Einheit, die Vorstellung, daß das Ganze der Welt eine göttliche Einheit ist und daß alles Leiden, alles Böse nur darin besteht, daß wir einzelne uns nicht mehr als unlösbare Teile des Ganzen empfi nden, daß das Ich sich zu wichtig nimmt»10. Doch es ist charakteristisch für Hesse, dass er niemals innehält, immer ein «Suchender» bleibt, und obwohl Siddhartha den vollkommenste Ausdruck seines Interesses 9 10

H. Hesse, Eine Bibliothek der Weltliteratur , GW XI, S. 368. H. Hesse, Kurgast, GW VII, S.61.

Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens

67 am indischen Denken darstellt, ist es zugleich seine Überwindung. «Mein Heiliger ist indisch gekleidet», schreibt Hesse 1922, dem Jahr der Veröffentlichung, an Stefan Zweig, «seine Weisheit steht aber näher bei Lao Tse als bei Gotama»11. Hesse hat das Bedürfnis nach einer Weisheit, die enger mit dem Leben verbunden, pragmatischer und weniger absolut ist als jene, die er in den heiligen Schriften Indiens fi ndet, und richtet nun seinen Blick auf China. Er kannte die großen klassischen Texte des chinesischen Denkens von den Gesprächen des Konfuzius bis zu den Reden und Gleichnissen des Tschuang Tse, aber mit seinem ausgeprägt individualistischen Naturell fühlte er sich besonders zu Lao-Tse hingezogen. In der Gestalt des Lao-Tse und dem Tao Tê King. Das Buch vom Sinn und Leben beeindruckte ihn die Aufforderung, das Leben mit Spontaneität anzugehen und Handlungen zu meiden, die den Gang der Dinge verändern wollen, weil die Natur an sich wohlwollend ist und es nichts nützt, sie nach eigenem Willen zu zwingen12. Hesse liebte das Tao als eine nicht hochmütige, nicht abstrakte Lehre, die Verhaltensweisen vorschlägt, statt absolute Wahrheiten zu verkünden. Es ist weiser, seine eigenen Ambitionen so weit wie möglich einzuschränken und die Dinge so zu akzeptieren, wie sie sind. Besser, man versucht, wie das Wasser zu sein, das in der Natur immer am Boden ist: Nichts ist schwächer als das Wasser, und nichts ist stärker. Das Schwache besiegt das Starke, das Weiche besiegt das, was ihm Widerstand entgegensetzt. Müsste man das wichtigste Element in Hesses Werk nennen, das Element, in dem sich ein Sinnbild des Lebens erkennen lässt, dann ist dies Element das Wasser, und seine Form ist der Fluss. Vom Fluss lernt die Hauptfigur im Siddhartha das Geheimnis des Lebens: Im Fließen des Flusses kehrt alles wieder, es gibt weder Vergangenheit noch Gegenwart, jedes einzelne Ding ist das Ganze und jeder Moment ist die Ewigkeit. Am Flussufer erwacht in Siddhartha wie eine sehr langsam auf blühende Blume endlich die Erkenntnis dessen, was Weisheit ist, und welches das Ziel seines langen Suchens war. Eine Haltung der Seele, nach Hesses Worten, nichts anderes: lernen, die Einheit der Welt wahrzunehmen, sie zu atmen und zu leben. Fühlen, dass hinter tausenderlei Schmerzen, tausenderlei Widersprüchen und tausenderlei Konfl ikten reglos und tausendmal größer als diese die unendliche Einheit der Welt steht, und dass nur sie Frieden bringt. Eines der Mittel, um diese Einheit zu erreichen, ist die Konzentration des Gedankens, die Meditation, und auf sie bezieht Hesse sich häufig in seinem Werk. Eine zentrale Stellung nimmt die Meditation in Das Glasperlenspiel ein, wo Hesse versucht, sein Wissen zusammenzufassen und in eine große, komplexe Architektur zu übersetzen. Josef Knecht, der Protagonist des Romans, wird einen beschwerlichen, langen Bildungsweg beschreiten. Doch von Anfang an ermahnt ihn sein geistiger Führer, der 11 12

H. Hesse, Brief an Stefan Zweig (27. November 1922) in: Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, (Bd. I), hrsg. v. V. Michels, Frankfurt a. Main 1975, S.180. H. Hesse, Chinesisches, GW XII, S. 25–42.

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68 Musikmeister, dass unter allen Wissensgebieten, die vor ihm liegen, die Technik der Meditation das wichtigste sei, weil sie hilft, Abstand vom aktuellen Geschehen und den alltäglichen Sorgen zu gewinnen. «Je mehr wir von uns verlangen, oder je mehr unsre jeweilige Aufgabe von uns verlangt», sagt der Meister, «desto mehr sind wir auf die Kraftquelle der Meditation angewiesen, auf die immer erneute Versöhnung von Geist und Seele».13 Dieses Bestehen auf der Konzentration des Denkens und dem richtigen Atmen, auf Verfahren also, durch die das Zufällige, Einzelne sich mit dem Ewigen versöhnt und die Materie sich mit dem Geist vereint – eine Idee, die zu der Zeit, als Hesse schrieb, exzentrisch und elitär erscheinen mochte – offenbart, dass seine Vision einer von spezifi schen religiösen Parametern losgelösten Einheit nicht nur originell war, sondern in mehrfachem Sinne Empfi ndungs- und Denkweisen vorwegnahm, die nach ihm weite Verbreitung fi nden sollten.

Tagore: Ein Weg von Osten aus Hesse lebte ein langes, stürmisches Leben, das erst gegen Ende zur Ruhe kam; Tagores Leben war glanzvoll und frenetisch und beruhigte sich, wie dasjenige Hesses, erst zum Ende hin. Beide, der erste aufgrund von Mängeln, der zweite wegen seiner Exzesse, mussten in ihrem Leben um die Harmonie und das Maß kämpfen, das sie andere lehrten. Rabīndranāth Tagore schien schon bei seiner Geburt zum Ruhm bestimmt, denn er wurde in einer großen Familie aus Kalkutta geboren, die eine wichtige Rolle im politischen, religiösen und kulturellen Lebens Bengalens spielte, und zeichnete sich schon als Kind durch Schönheit, Intelligenz, eine außergewöhnliche geistige Neugier und erstaunliche Vitalität aus. Er war Dichter, Musiker, Theaterautor und Erzähler, Maler, Pädagoge, Landreformer und Denker. Nicht zu Unrecht bezeichnete Albert Schweitzer, eine nicht weniger eklektische, philanthropische Persönlichkeit, Arzt und Denker, Tagore als den indischen Goethe. Bei Tagore können wir uns eine Frage stellen, die sich spiegelbildlich zu jener verhält, die wir uns bei Hesse stellten. Wie ist es möglich, dass dieser vielseitig begabte, stolze Mann, der sich Seite an Seite mit Staats- und Regierungsoberhäuptern wohlfühlte, auch die heimlichen Wünsche so vieler Menschen auszudrücken wusste, die vom Glück weniger begünstigt waren als er? Wie konnte er zu ihrem Führer werden? Wie ist es möglich, dass er im Westen als der höchste Ausdruck des Orients, im Osten dagegen als derjenige gesehen wurde, der beide Welten überflügelt, und dass seine Botschaft trotzdem so einfach, fast demütig und allen verständlich war? 13

H. Hesse, Das Glasperlenspiel. Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften, GW IX, S.108.

Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens

69 Tagore wurde zeitlebens von einer großen Unruhe beherrscht. Es war seine physische Rastlosigkeit, die ihn drängte, fortwährend zu reisen, den Wohnort und den Lebensstil zu wechseln. Und es war seine geistige Unruhe, die ihn dazu brachte, alle literarischen Gattungen und in der Dichtung alle erdenklichen Stile auszuprobieren, von traditionellen Mustern bis zu neuen, experimentellen Formen. Mit unermüdlicher Wissbegierde erprobte er sich in anderen Künsten, schon als junger Mann in Musik und Gesang und mit fast siebzig Jahren noch in der Malerei14. Hinter Tagores Selbstdarstellung bei seinen häufigen öffentlichen Auftritten, hinter der gelassenen äußeren Erscheinung desjenigen, der die Übel der Welt und seine eigenen Fehler von einer höheren Warte aus beurteilt, hinter der würdevollen Figur des aufgeklärten Aristokraten, der die Pfl ichten, die ihm aus seiner gesellschaftlichen Position und der Moral seines Landes erwachsen, gewissenhaft erfüllt – hinter dieser Fassade steckte ein von inneren Kämpfen und schwer beherrschbaren Antrieben gepeinigter Mann. «Ich sehe manchmal ein Schlachtfeld zweier Kräfte in mir», schrieb er in einem Brief, «die ständig im Widerstreit miteinander liegen, eine, die mich auffordert, friedfertig zu sein alle Zwietracht zu beenden, eine andere, die mich zum Kampf drängt. Es ist, als würden die unerschöpfl iche Energie und der Tatendurst des Westens unablässig gegen die Festung meiner indischen Seelenruhe anstürmen».15 Ähnlich wurde auch Hesse fortwährend zwischen Hochs und Tiefs, zwischen widerstreitenden Trieben, Versuchungen und Gedanken hin und hergerissen. Wie Hesse musste auch Tagore sich vor dem Überfall von Kräften schützen, die ihn in entgegengesetzte Richtungen drängten, musste einen Ausweg vor dem Ansturm allzu vieler Begabungen und Phantasien suchen, und wie Hesse besänftigte er sich mit der beruhigenden Vorstellung einer ursprünglichen Stabilität, einer alles überragenden Einheit, in der jedes Ding den ihm zugeordneten Platz fi nden kann. Ein Gedanke, in dem Hesse und Tagore auf besondere Weise übereinstimmen, ist die Bedeutung der Natur für das Erlangen menschlichen Glücks. Die Liebe zur Natur entstand bei Rabīndranāth lange bevor er die Natur wirklich kennenlernte. Kalkutta, wo er geboren wurde, ist eine der bevölkerungsreichsten Städte der Welt mit einem nicht enden wollenden Straßengewirr und unermesslich vielen Stadtvierteln – nirgendwo ist die Natur ferner, würde man sagen. Auf dem herrschaftlichen Familiensitz der Tagore, in Jorāsāñko, fühlte der kleine Rabīndranāth sich wie ein Gefangener. Doch in dem weitläufigen Anwesen gab es einen Innenhof, wo ein großer Benga-

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Es gibt zahlreiche biographische Arbeiten über R. Tagore, wir begnügen uns mit dem Hinweis auf zwei englischsprachige Veröffentlichungen: K. Kripalani, Rabindranath Tagore. A Biography, London 1962 (überarb. Aufl., Calcutta 1980²), das Resultat einer langjährigen, direkten Beziehung des Autors zu Tagore; und das monumentale Werk von K. Dutta/A. Robinson, Rabindranath Tagore. The Myriad –Minded Man, London 1995. Eine knappe, aber sehr gut dokumentierte Einführung zu Tagore auf Deutsch ist das Buch von M. Kämpchen, Rabindranath Tagore, Reinbek bei Hamburg, 2002³. Zitiert bei: K. Kripalani, Rabindranath Tagore. A Biography, London 1962, S.129.

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70 lischer Feigenbaum wuchs. Für Rabīndranāth war dieser Baum die Welt, er war die Natur. Eine Natur, die der Junge nie unter freiem Himmel sah, erzählt er selbst in seinen Erinnerungen, sondern nur von seinem Versteck aus. Und vielleicht wurde die Natur nicht zuletzt darum, weil er sich so verzweifelt nach ihr sehnte, für Tagore zur Quelle von Heilung und Glück, zu dem Ziel also, nach dem jeder in seinem Leben unauf hörlich strebt. Die Begegnung mit dieser Wirklichkeit erfolgte spät, doch als sie stattfand, hinterließ sie in ihm einen unauslöschlichen Eindruck, denn es war gleichzeitig eine Begegnung mit der Natur, der Freiheit und der Spiritualität. Rabīndranāth war zwölf Jahre alt, hinter ihm lag eine Kindheit aus vorgestellten Welten, Phantastereien und sehr schlechten schulischen Ergebnissen. Da nahm der Vater ihn mit auf eine lange Reise ohne feste Ziele, erst durch Bengalen, dann durch den Punjāb und bis zu den Ausläufern des westlichen Himalaja. Den ersten Halt machten Vater und Sohn in Śāntiniketan, und das war fast die Übergabe einer Erbschaft: Auf diesem Stück Land mit rötlichem Boden, das der Vater zehn Jahre zuvor eher zufällig beim Besuch eines Freundes gesehen und dann erworben hatte, um daraus einen beispielhaften Ort für Meditation und Gebet zu machen, schuf Rabīndranāth viele Jahre später das Zentrum für das größte seiner Projekte und, so darf man sagen, seines ganzes Lebens. Jahre später, er war um die dreißig, lebte Tagore im ländlichen Indien, wo er die Arbeit der Bauern, Armut und Krankheit kennenlernte. Sein Vater hatte ihm das Amt des zamīndār anvertraut, des Verwalters der großen Ländereien der Familie in Ostbengalen. Es war ein wichtiger Moment in seinem intellektuellen Werdegang, der ihn tief prägen sollte. Als er Ostbengalen verließ, machte er Śāntiniketan zu seinem Wohnsitz und zum Ort für Reflexion und Meditation. Hier, etwa 150 Kilometer von Kalkutta entfernt, gründete er zunächst eine sehr innovativ gestaltete Schule, zu der sich zwanzig Jahre später ein größeres Projekt gesellte, eine internationale Universität, die aus dem Gedankengut des Ostens wie des Westens schöpfte und in der beide Traditionen einander ergänzten. Er gab ihr den Namen Viśva Bhāratī, aus den Sanskrit-Begriffen viśva (Welt) und bhāratī (Kultur oder Wissen), was man mit «Universum der Weisheit» übersetzten könnte. Hier begann auch der Gedanke in ihm zu reifen, dass man den Menschen dabei helfen könnte, glücklicher zu werden. Es war eine unbestimmte, allgemeine Ahnung, die er damals noch nicht ausdrücklich formulierte, doch mit seiner Schule schuf er einen Anfang zu ihrer Verwirklichung. Seine eigene Schulzeit hatte bittere Erinnerungen an erstickende Zwänge in ihm hinterlassen. Er wollte darum eine Schule auf bauen, wo sich vollkommen andere pädagogische Prinzipien in die Praxis umsetzen ließen: Die Schüler lebten ungebunden, im direkten Kontakt mit der Natur, und die Unterrichtsstunden bestanden aus Gesprächen im Freien, nach alter indischer Tradition. Tagores gesamtes Werk, seine Literatur, seine Dichtungen, seine Unterrichtsstunden, seine Reisen und die Projekte, die er ins Leben rief, das alles kreiste um eine

Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens

71 große Idee: Es ging ihm darum, in den uralten Wurzeln der indischen Tradition das Geheimnis eines friedlichen Zusammenlebens mit anderen Menschen wiederzufi nden, seinen Nächsten an dieser Erfahrung teilhaben zu lassen und diese Idee mit anderen Traditionen und Kulturen zu verbinden. Der Schlüssel, der die Tür zu diesen Geheimnissen öffnet und die Wanderer zum Glück führt, ist die Natur, der heiligste Ort aller Pilgerfahrten, die erste Quelle der Wahrheit und der Erkenntnis. Wenn Männer und Frauen danach streben, sich im Laufe ihres Lebens Bedingungen für Freude und heitere Gelassenheit zu schaffen, müssen sie zunächst in sich selbst nicht nur die Liebe zur Natur, sondern auch das Gefühl wiederfi nden, selbst ein integraler Bestandteil der natürlichen Welt zu sein. Tagores Entdeckung der Natur geschah eher zufällig, und sie wirkte befreiend. Es war die Erinnerung an die traurigen Jahre seiner Kindheit, was ihn zu der Überzeugung brachte, dass niemand ohne Wissen und Liebe zur natürlichen Welt ein harmonisches Verhältnis zu seiner Umgebung, also das Glück erreichen kann. Schon als in ihm die Idee keimte, in Śāntiniketan ein pädagogisches Projekt zu realisieren, das junge Menschen durch Freude statt durch Zwang und Leid zum Wissen führte, bildete die Vertrautheit mit der Natur einen wesentlichen Bestandteil dieses Plans. Keine abstrakte Disziplin, nein, die Natur selbst sollte den Kindern die grundlegenden Verhaltensregeln vorschreiben, und es sollte die natürliche Welt ihrer Umgebung sein, aus der die ersten Antworten auf ihre Fragen kamen. Natürliche Verrichtungen haben außerdem den Vorzug, einfach zu sein: Bei Tagesanbruch aufstehen, sich um das eigene Haus und sich selbst kümmern, Leibesübungen für die Ertüchtigung des Körpers sowie Gebet und Meditation für die Erziehung des Geistes betreiben. Einige der in Śāntiniketan praktizierten Methoden erscheinen noch heute außergewöhnlich modern, zum Beispiel jene, die die Entwicklung der sinnlichen Wahrnehmung fördern sollten, die Fähigkeit, die Zeichen, die wir von den Pflanzen und Tieren empfangen, zu sehen, zu hören und richtig zu deuten. Also wurden lange Wanderungen über die Felder gemacht und man lehrte die Kinder, sich die Ernährungs- und Lebensgewohnheiten der Bauern einzuprägen, die jahreszeitlichen Veränderungen der Landschaft zu beobachten oder die Anzeichen für kommenden Regen zu erkennen. Während seiner Verwaltertätigkeit auf den weiten Ländereien in Bengalen hatte Tagore die strengen, grausamen Erziehungsmethoden in den dortigen Schulen erlebt, die körperlichen Züchtigungen, bei denen die Kinder mit Bambusstöcken auf den Rücken geschlagen wurden, und die endlosen, repetitiven, nutzlosen Schreibübungen. Je trauriger ihm die eigene oder die Erfahrung vieler anderer junger Bengalen in der Erinnerung erschienen, desto stärker wurde sein Wunsch, dass die von ihm geschaffene Schule durch die Natur zum Glück führen konnte. Aus Śāntiniketan ging die wahre spirituelle und intellektuelle Persönlichkeit Tagores hervor, hier wurden die Grundlagen für das Bild gelegt, das ihn als Lehrer des Lebens und des Denkens, als Prediger der Toleranz und Harmonie zeigte und bis zu seinem Tod begleitete. Toleranz und Harmonie bezeichnete er als den Weg des Men-

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72 schen zur Erlangung des Glücks, doch er hat sich nicht mit bloßen Worten begnügt, sondern auch versucht, diesen Begriffen durch seinen Unterricht eine zwar nur partielle, aber wichtige konkrete Umsetzung zu verleihen. Seine zu diesem Thema verfassten Schriften und die in Śāntiniketan gehaltenen, öffentlichen Vorträge geben eine klare Vorstellung davon, wie die Begriffe «Erziehung» und «Glück» sich in Tagores Verständnis miteinander versöhnen lassen. Die Texte sind in verschiedenen Bänden gesammelt und einige Themen wurden später auf den Vortragsreihen wiederaufgenommen, die er erst in Harvard (1912) und dann in London hielt. Unter dem Titel Sādhanā veröffentlicht, fanden sie breiten Widerhall16. Tagore war an Erfolg gewöhnt, er war ein geschickter Redner, der wusste, welche Wirkungen er erzielen konnte, wobei ihm auch sein würdevolles, respekteinflößendes Aussehen zugutekam. In Sādhanā spricht er alle Themen an, die ihn während jener Jahre beschäftigten. Sie kreisen um die großen Schicksalsfragen des Menschen: die Liebe, die Suche nach Schönheit, die Bedeutung der Arbeit und des Leidens, das Verlangen jedes Menschenwesens nach einem erfüllten Leben, nach Harmonie und Glück. Ohne sich zum Fürsprecher eines bestimmten philosophischen Systems oder religiösen Credos und noch weniger einer institutionalisierten Religion zu machen, entwickelt er in Sādhanā seine eigene Idee des Göttlichen, welches in jedem Lebewesen erkannt werden kann. Diese Themen wird er später in den sogenannten Hibbert-Lectures wiederaufnehmen, einer in Oxford gehaltenen Vortragsreihe, die 1931 unter dem Titel The religion of man publiziert wurde. Tagore warnt in diesen Vorlesungen auch vor der Gefahr, die dem Westen droht, weil er an eine Zukunft aus unauf hörlichem technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt glaubt und diesen am Ende zum höchsten Sinn des Daseins macht. Auf der anderen Hälfte der Welt das zu suchen, was die eigene verloren hat oder niemals kennengelernt hat, ist eines der Merkmale, in denen Hesse und Tagore sich spiegelbildlich ergänzen. Während Hesse eher statisch blieb und vorwiegend im Geiste Reisen unternahm, war Tagore dynamisch und reiste mit Geist und Körper. Er fühlte sich in der indischen Kultur tief verwurzelt und war ihr innig verbunden, wurde aber auch von der Kultur des Westens oder zumindest von gewissen Aspekten dieser Kultur angezogen. Seine Beziehung zum Westen war komplex, und wenn er dieses Thema in seinen Schriften und Reden behandelte, verwickelte er sich mitunter in Widersprüche. Niemals jedoch zog er in Zweifel, dass eine neue Weltanschauung, die jedem Volk und jedem einzelnen Menschen die Möglichkeit eröffnet, höhere Ebenen von Harmonie und Seelenruhe zu erreichen, nur aus der Kenntnis und Erfahrung beider Kulturen erwachsen kann.

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Erste deutsche Ausgabe: R. Tagore, Sadhana. Der Weg zur Vollendung, übers. v. H. MeyerFranck, München 1921.

Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens

73 Die Aufgeschlossenheit für den Westen lag Tagore ohnehin bereits im Blut, denn seine Familie unterhielt schon zu Zeiten seines Großvaters Dwārkānāth, der sich durch die Zusammenarbeit mit der britischen East India Company ein großes Vermögen aufgebaut hatte, Verbindungen zu Großbritannien. Im Salon seiner Mutter, einer Frau mit ausgeprägten künstlerischen Interessen, kam Tagore mit Persönlichkeiten der Kunst und des Geistes, mit anderen Literaturen und europäischem Gedankengut in Kontakt. Es überrascht daher nicht, dass die Literatur, die Dichtung und die Philosophien des Westens in seinem Bildungsgang einen wichtigen Platz einnahmen. Die Vorstellung, die Tagore sich vom Westen machte, kam jedoch nicht nur aus Büchern. Schon mit 17 Jahren wurde er zum Studium nach England geschickt, und während dieses fast zweijährigen Aufenthalts begann er, die Grundlagen für ein ideales Konstrukt zu legen, dem er sein ganzes Leben lang treu blieb. Sein Grundgedanke ist, dass zwischen dem Osten und dem Westen keine Barrieren existieren, die nicht überschritten werden könnten, und dass die Werte und Bestrebungen der Menschen immer die gleichen sind, egal, auf welchem Breitengrad sie geboren werden oder leben. Wie wir sahen, reiste Tagore sehr häufig nach Amerika und Europa. Er lernte in seinem Leben viele Menschen aus aller Herren Länder und den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten kennen. Er begegnete Schriftstellern wie Ezra Pound, Yeats oder Victoria Ocampo, mächtigen Persönlichkeiten und Regierungsmitgliedern, sogar großen Namen aus dem europäischen Adel, und alle waren glücklich und stolz – besonders nachdem ihm der Nobelpreis verliehen worden war -, ihn kennenzulernen, mit ihm zu sprechen und sich mit ihm fotografieren zu lassen. Tagore hatte also Gelegenheit, sehr gründlich Bekanntschaft mit einer westlichen Welt zu machen, die seine Landsleute vor allem durch die verzerrende Linse der administrativen und militärischen Herrschaft der Engländer über Indien sehen mussten. Sein Verhältnis zu dieser Welt war zweifacher Natur. Einerseits wurde er nicht müde, den Westen daran zu erinnern, dass der Wettlauf um einen wissenschaftlichen Fortschritt, dessen höchstes Ziel der Besitz oder Genuss von Waren ist, Meinungsverschiedenheiten und Konfl ikte zwischen den Völkern nur verschärft (wie die Kriege des 20. Jahrhunderts beweisen) und den Menschen schließlich auf eine rein materielle Dimension herabwürdigt. Bei seinen Vorträgen und Vorlesungsreihen, die er in verschiedenen Universitäten hielt, bemühte Tagore sich immer, seinen Zuhörern Indien, seine Geschichte, seine alte Kultur und die grundlegendsten Prinzipien seiner religiösen Traditionen nahezubringen. Er machte es sich also zur Aufgabe, im Westen die Wiedergewinnung einer allgemeinen Religiosität zu predigen, die nicht an ein bestimmtes Glaubensbekenntnis gebunden und nicht vom alltäglichen Handeln abgetrennt war. Diese Form der Religiosität gehörte zur kulturellen Tradition des Orients. Freilich wusste er auch, dass jede große Zivilisation auf einem spirituellen Erbe beruht, und dass das Wachstum und der Fortschritt der westlichen Zivilisation ein Zeichen dafür ist, dass sie von den ihr innewohnenden spirituellen Werten genährt wird. Wandte er sich hingegen an seine Landsleute, dann warnte er sie davor, ihre Kultur in eine

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74 Neigung zur Trägheit, in einen Vorwand für Passivität verwandeln. So stellte er sich im Denken und Argumentieren mitten zwischen zwei Welten17. Eine gründlichere Untersuchung der Werke dieser beiden Autoren würde viele weitere Berührungspunkte offenbaren, die bis zur Sprechweise und dem Gebrauch bestimmter wiederkehrender Begriffe reichen.18 Wir haben uns hier auf einige wesentliche Elemente beschränkt, die ihnen gemeinsam sind: die essentielle Bedeutung einer Verbindung des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt, auf welche Weise diese Beziehung auch immer praktiziert wird, wenn sie sich nur durch Liebe und Respekt auszeichnet. An zweiter Stelle die Öffnung für das Andere, für das, was uns geistig fremd ist, für andere Erfahrungen, Kulturen oder Religionen. Die Lehre, die Hesse und Tagore verbindet, hat ihr Fundament in einer Begegnung zwischen Orient und Okzident, in einer gegenseitigen Befruchtung – ein integrierter Ansatz, könnte man sagen – bei der zum Beispiel aus dem Orient stammende geistige und körperliche Übungen westlichen Lebensformen angepasst werden, während das östliche Denken sich um eine neue Dimension größerer Aufgeschlossenheit und Entdeckungsfreude bereichert. Wichtiger als alles andere ist jedoch vielleicht das, was die Voraussetzung für alles Lehren und Lernen, für jede Beziehung und jede Handlung des Menschen bildet: die Liebe. Diese Form der Liebe ist alles andere als der Wunsch nach Besitz, in dem Liebe sich häufig ausdrückt. Nein, sie ist Selbstlosigkeit und Verzicht auf das eigene Ich. Die Liebe, von der beide Autoren sprechen, ist eine Liebe zu allen Geschöpfen und allen Dingen, oder eher eine Bereitschaft, alle Geschöpfe und Dinge zu lieben. Wenn diese Liebe dann Wirklichkeit wird, verschwindet das Gefühl des Abstands zwischen dem Selbst und den anderen, die Seele des Menschen überwindet die Grenzen, die die Natur ihr gesetzt hat, sie überschreitet die Schwelle zur Unendlichkeit und spürt, dass sie eins wird mit dem Ganzen. Dies ist, wie Tagore in Sādhanā schrieb, das höchste Glück, das der Mensch erreichen kann, und Hesse machte daraus die entscheidende Botschaft seines Siddhartha. In Hesses Büchern und in den Versen Tagores verbergen sich unendlich viele Hinweise darauf, wie man glücklicher und erfüllter leben kann: indem man die Freude auskostet, die kleine Dinge schenken können, denen wir gewöhnlich wenig Bedeutung beimessen; indem man seiner Kreativität Raum gibt; indem man das eigene Leben dem langsamen Zeitmaß der Notwendigkeiten anpasst, statt den beschleunigten Rhythmen der Jagd nach Erfolg. Trotz ihres unterschiedlichen Umfangs und ungeachtet der Vielfalt ihrer Inhalte, sind die Werke dieser beiden Autoren sich in ihren Voraussetzungen sehr nah. Ihre Botschaft kommt aus der Antike, und sie helfen uns dabei, diese Botschaft für uns 17 18

Vgl. dazu besonders die Aufsatzsammlung: R. Tagore, Towards universal man, Bombay 1961. Zur Vertiefung des Themas verweisen wird auf: F. Arzeni, Un’educazione alla felicità. La lezione di Hesse e Tagore, Milano 2008.

Hesse, Tagore und die Kunst des Lebens

75 wiederzuentdecken: Das Glück ist kein Anrecht und auch kein Geschenk, es ist kein Zustand, kein Ziel, sondern ein Prozess, an dem wir aktiv mitwirken müssen. Wir können es durch Einblick und Selbsterziehung erreichen, durch unsere Arbeit des Lernens und der Aneignung.

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Michael Limberg

Hermann Hesse und seine Mutter In einer Abhandlung über Goethe schreibt Sigmund Freud: «Wenn man der unbestrittene Liebling der Mutter gewesen ist, so behält man fürs Leben jenes Eroberungsgefühl, jene Zuversicht des Erfolgs, welche nicht selten wirklich den Erfolg nach sich zieht».1 Von diesem «Eroberungsgefühl», diesem unbedingten Selbstvertrauen ist beim jungen Hesse nichts zu spüren. Hier begegnet uns kein selbstbewusster «Hätschelhans», wie in Goethes Fall, eher ein ängstlicher, zerknirschter «Sündenlümmel», wie es in einem pietistischen Lied heißt. Die Ursache ist in der christlich-pietistischen Erziehung zu suchen. Eltern und Erzieher waren der festen Überzeugung, dass der Mensch von Natur aus böse sei und sein Wille daher zunächst gebrochen werden müsse, damit er später ein brauchbares Mitglied der Gesellschaft werden und in einer christlichen Gemeinschaft das Heil erlangen könne. «So wurden wir […] zwar nicht spartanisch erzogen und wurden körperlich weniger oft und weniger schwer gezüchtigt als viele unsrer Schul kameraden, […]; aber wir lebten unter einem strengen Gesetz, das vom jugendlichen Menschen, seinen natürlichen Neigungen, Anlagen, Bedürfnissen und Entwicklungen sehr mißtrauisch dachte und unsre angeborenen Gaben, Talente und Besonderheiten keineswegs zu fördern oder gar ihnen zu schmeicheln bereit war».2 Die Mutter ist in der Regel die erste Bezugsperson des Säuglings. Ihre Liebe und Fürsorge sind die Voraussetzungen dafür, dass sich im Säugling ein Ur-Vertrauen entwickeln kann. In der Symbiose mit der Mutter erlernt das Kind das Grund muster der Liebe und entwickelt ein Vertrauen in sich selbst und seine Umwelt. Fehlt es der Mutter jedoch an dem notwendigen Einfühlungsvermögen für die Bedürfnisse ihres Kindes, spricht man von Mutterentbehrung. 1916, während seiner Analyse bei J.B. Lang, hat Hesse in der Erzählung Eine Traumfolge die Beziehung zu seiner Mutter sehr treffend geschildert. Im Traum will er ein Haus aufsuchen, in dem seine Mutter ihn erwartet. Zunächst muss er ein «Gebirge» von hohen, glatten Stufen überwinden, «jede ein Berg, ein Gipfel, ein Gletscher».

1 2

Sigmund Freud, Eine Kindheitserinnerung aus ‹Dichtung und Wahrheit›. In: Sigmund Freud, Studienausgabe, Bd. X. Frankfurt a. M. 1969, S. 266. Hermann Hesse, Erinnerung an Hans. In: Hermann Hesse, Sämtliche Werke in 20 Bänden. Hrsg. von Volker Michels. Frankfurt a. M. 2001–2004. Band 12, S. 343. Diese Ausgabe wird im Folgenden zitiert als SW mit Angabe von Bandnummer.

Michael Limberg

78 Als er den Aufstieg unter unsäglichen Mühen geschafft hat, erwartet ihn die nächste Schwierigkeit: Jeder Schritt ging zäh und schwer wie durch Schlamm und Leim, kein Vorwärtskommen, das Tor stand offen, und drinnen ging in ei nem grauen Kleid meine Mutter, ein Körbchen am Arm, still und in Gedanken. […] Da war sie, da stand und ging sie, nur von hinten zu sehen, ganz wie sie war, ganz klar und schön, lauter Liebe, lauter Liebesgedanke! Wütend watete mein lahmer Schritt in der zähen Luft, Pfl an zenranken wie dünne starke Seile umschlangen mich mehr und mehr, feindselige Hemmnis überall, kein Vorwärtskommen! «Mutter!» rief ich – aber es gab keinen Ton … Es klang nicht. Es war Glas zwischen ihr und mir. […] Ich schrie verzweifelt und lautlos. Ich lief und kam nicht vom Ort! Zärtlichkeit und Wut zerrten an mir. Umschnürt und gefesselt stand ich am Tor, und drüben ging die Frau im grauen Kleide langsam hinweg, in den Garten, und war fort.3

«Es gab keinen Ton, es klang nicht»: man kann auch sagen, es gab keinen Gleichklang zwischen ihm und seiner Mutter. («Wenn ich Pietist und nicht Mensch wäre, […] könnte ich mit Ihnen harmonieren», schrieb später der 15-Jährige aus der Heil- und Pflegeanstalt Stetten an den Vater».4 ) «Es war Glas zwischen ihr und mir»: statt Glas könnte man auch Eis sagen. Das Kleinkind erfährt zwangsläufig die Mutter schon sehr früh nicht nur als gewährendes, sondern auch als versagendes Objekt. In seiner Ichbezogenheit bezieht es alles, was mit der Mutter geschieht, auf seine eigene Person. Das Kind gebraucht die Mutter ausschließlich zur Befriedigung seiner Bedürfnisse. Ein nicht sofortiges Eingehen auf seine Bedürfnisse wird vom Kind als Versagung erlebt. Aus dieser Situation heraus entsteht die Ambivalenz, die Doppelwertigkeit, in der entgegengesetzte Gefühle – Liebe und Hass, oder wie gerade in Hesses Traum gehört – «Zärtlichkeit und Wut» nebeneinander existieren. Gleichzeitig erkennt der Säugling aber auch seine Abhängigkeit und die Bedeutung der Mutter für seine Bedürfnisbefriedigung. Diese Erkenntnis von der Macht des Objekts ruft im Säugling Ängste hervor, die er auf das Objekt, also die Mutter, verschiebt und so in eine äußere Gefahr umwandelt, der er sich durch Aggression zu erwehren versucht. Gerade in dieser Entwicklungsphase, in der das Kind mit seinen destruktiven Vorstellungen zu kämpfen hat, ist es wichtig, dass die Mutter sich nicht zu lange von ihm entfernt, damit das Kind das von ihm in seiner Phantasie beschädigte Objekt wieder neu auf bauen kann.5 Gelingt das nicht, ist die Mutter in dieser Zeit viel mit anderen Dingen beschäftigt oder ist die Beziehung zu ihrem Kind gestört, – es gibt Mütter, die Angst vor ihrer Liebe zu einem männlichen Säugling haben und deshalb nicht fähig sind, die intimen Phasen des Stillens zuzulassen – so fühlt sich das Kind im Stich ge3 4

5

H. Hesse, Eine Traumfolge, SW 9, S. 147f. Kindheit und Jugend vor Neunzehnhundert. Hermann Hesse in Briefen und Lebenszeugnissen. Erster Band. 1877–1895, ausgew. u. hg. v. Ninon Hesse. Frankfurt a. M. 1966. S. 268f. Im Folgenden zitiert als KuJ 1. D.W. Winnicott, Reifungsprozesse und fördernde Umwelt. Frankfurt a. M. 1984, S.133f.

Hermann Hesse und seine Mutter

79 lassen; es hat das Gefühl, unendlich zu fallen.6 Zwei Monate nach Hermanns Geburt wurde seine Mutter krank und lag fünf Wochen mit Fieber und großer Erschöpfung im Bett, konnte ihren Sohn also nicht mehr stillen, so dass er nun eine Amme bekam. Sigmund Freud hat den frühen Kindheitserin nerungen große Bedeutung beigemessen. Er glaubte, dass besonders die Erinnerung, die als erste erzählt wird, in der Regel auch die wichtigste ist und sich als «Schlüssel zu den Geheimfächern des Seelenlebens» erweist.7 Betrachten wir unter diesem Blickwinkel einmal die Erinnerungen des 19-jäh rigen Hesse, Meine Kindheit, erschienen 1901 in seiner dritten Buchpublikation Hermann Lauscher: Der früheste Tag meines Lebens, an den ich mich mit einiger Deutlichkeit erinnern kann, mag etwa in den letzten Teil meines dritten Jahres fallen. Meine Eltern hatten mich auf einen Berg mitgenommen, der durch eine weitläufige Ruine von beträchtlicher Höhe täglich viele Städter anlockte. Ein junger Onkel hob mich über die Brüstung einer hohen Mauer und ließ mich in die ansehnliche Tiefe hinuntersehen. Davon ergriff mich die Angst des Schwindels, ich war aufgeregt und zitterte am ganzen Leibe, bis ich zu Hause wieder in meinem Bette lag. Von da an trat in tiefen Angst träumen, denen ich damals oft zur Beute fiel, häufig diese Tiefe herzbeklemmend vor meine Seele, daß ich im Traum stöhnte und weinend erwachte.8

Dass Hesse sich nach rund 16 Jahren noch an dieses frühe Erlebnis erinnert, weist auf den traumatischen Charakter hin. Für den englischen Psychoanalytiker Winnicott ist dieses Gefühl des unauf hörlichen Fallens eine Variante der unvorstellbaren Angst des Säuglings, die normalerweise durch die ‹gute› Mutter aufgefangen wird.9 Dabei spielt für ihn schon das physische Halten und Tragen eine große Rolle, «es ist vielleicht die einzige Art, wie eine Mutter dem Säugling ihre Liebe zeigen kann. Es gibt Frauen, die einen Säugling halten können, und andere, die es nicht können; die letzteren rufen in dem Säugling ein Gefühl der Unsicherheit hervor»10, und an anderer Stelle schreibt er: «Ein kleines Versagen beim Halten bringt aber dem Säugling schon ein Gefühl des endlosen Fallens. In der Analyse kann der Patient von einem Gefühl des Fallens berichten, das auf die ersten Tage zurückgeht, aber er kann niemals berichten, er sei in diesem frühen Stadium der Entwicklung gehalten worden».11 Mit anderen Worten: die Angst und Unsicherheit des dreijährigen Hermann traten nicht erst mit dem Erlebnis auf dem Turm zutage, sondern waren schon viel früher da, unterschwellig, nicht konkret und für das kleine Kind nicht in Worte zu fassen. Durch das traumatische Ereignis nahmen seine Ängste plötzlich Ge stalt an und wurden erschreckende Wirklichkeit.

6 7 8 9 10 11

D.W. Winnicott, Familie und individuelle Entwicklung. Frankfurt a. M. 1984, S. 67f. S. Freud, Studienausgabe Bd. X, S. 259. H. Hesse, Meine Kindheit, SW 1, S. 225. D. W. Winnicott, Reifungsprozesse und fördernde Umwelt, a.a.O., S. 74. Ebd., S. 63. Ebd., S. 147.

Michael Limberg

80 Es gibt etliche Möglichkeiten, mit inneren Spannungen fertig zu werden. In Hesses Fall zeigt sich das an Wutanfällen und an einer ausgeprägten Hypermotorik. Das Tagebuch seiner Mutter ist voll von Äußerungen und Klagen über seine ungewöhnliche Lebhaftigkeit: «Hermännle klettert verwegen auf … Bänkchen und Tischchen herum und gibt den Englein Arbeit, ihn zu hüten, denn mir ist er zu fl ink und mächtig.» (April 1878); «Hermännle ist unbeschreiblich lebhaft und intelligent, dabei leidet er an großer Heftigkeit». (Nov/Dez. 1880). Dieser Eintrag erfolgt kurz nach der Geburt ihres achten Kindes Maria (Marulla) und wird ergänzt durch den Nachsatz: «Adele [Hermanns ältere Schwester] ist soviel leichter zu erziehen und erfreut mein Herz.» Schade, dass sie nicht hin und wieder einmal ihre alten Tagebucheintragungen durchlas. Ziemlich am Anfang hätte sie den Satz gefunden: «Meine arme, kranke Mutter hatte mit mir, dem übellaunigen kränklichen Kind manche Not durchzumachen, indes mein jüngeres Schwesterchen sich leicht in alles schickte».12 Aber es ist fraglich, ob sie dadurch mehr Verständnis für ihren Sohn gehabt hätte, die Mechanismen der Verdrängung arbeiteten zu gründ lich. Das zeigt besonders folgende Passage aus einem Brief an die Eltern vom 26.7.1881: «Die Hitze ist nicht mehr drückend, und Hermann [er ist nun vier] kann auch bei Tag mehr im Freien sein. Ein Berg von Kieselsteinen hinter unserem Garten ist jetzt sein besonderes Gebiet, wo er sich austobt. […] Es ist ein merkwürdiges Schaffen und Kämpfen in dem Buben. Vorgestern mußte ich zweimal im Lauf des Tages auf seine Bitte hin extra mit ihm beten, daß der liebe Heiland ihn doch ‹arg lieb› mache. Gleich darauf schlug und biß er sein geduldiges Adelchen, und als ich mit ihm darüber redete, sagte er: ‹Ha, so soll mi doch der Gott arg lieb mache! Mir kommt’s halt net.› Zwar erinnere ich mich aus meiner Kindheitszeit ähnlicher Gefühle. Er sieht jetzt doch das Gebet als einen Zauber an, der ohne sein Zutun wirken sollte…»13

Der vorletzte Satz «Zwar erinnere ich mich aus meiner Kindheitszeit ähnlicher Gefühle» macht grammatikalisch einen unvollständigen Eindruck. ‹Zwar› ist eine einräumende (konzessive) Konjunktion, nach der man eigentlich einen Nachsatz mit ‹aber› oder ‹doch› erwartet, wie zum Beispiel in dem Faustzitat: «Zwar weiß ich viel, doch möcht ich alles wissen». Marie Hesse hat da also, unbewusst natürlich, etwas unterschlagen. In Anlehnung an Faust müsste der komplette Satz etwa folgendermaßen lauten: «Zwar erinnere ich mich aus meiner Kindheitszeit ähnlicher Gefühle, doch möcht’ ich davon nichts mehr wissen». Es geht in diesem Aufsatz nicht um Schuldzuweisung. Vielmehr soll gezeigt werden, dass jeder «Täter» auch einmal Opfer war, und deshalb werde ich mich jetzt etwas näher mit der Biographie von Marie Hesse beschäftigen. Sie stammte aus einer Familie,

12 13

Marie Hesse. Ein Lebensbild in Briefen und Tagebüchern von Adele Gundert. Frankfurt a. M. 1977, S. 13. Im Folgenden als Lebensbild zitiert. Ebd., S. 172.

Hermann Hesse und seine Mutter

81 in der eifrig Briefe geschrieben und Tagebücher geführt wurden. Deshalb gibt es über sie genügend Zeugnisse. Geboren wurde sie am 18.10.1842 in Talatscheri in Vorderindien. Ihre Eltern waren der schwäbische Missionar und Sprachgelehrte Hermann Gundert und seine Frau Julie Gundert-Dubois, die aus der französischen Schweiz stammte. Beide gehörten zu einer Gruppe, die Anfang des Jahres 1836 nach Indien auf brach, um die «armen» Heiden zu bekehren. Gundert wollte zwar dieser – wie er sich ausdrückte – «bigotten Calvinistin» zunächst nicht ins «Geheg’» kommen, aber da er in Indien bleiben wollte, legte man ihm nahe, zu heiraten. Julie Dubois, fünf Jahre älter als er, war zwar «nicht schön, singt nicht, spielt nicht, zeichnet nicht», besaß dafür aber die für das tropische Klima wünschenswerte Gesundheit und Konstitution: «kurz, schlank und beweglich; je heißer es ist, desto besser fühlt sie sich imstande zu arbeiten». Außerdem war sie, wie er schrieb, geeignet, ihn «vom Rückfall ins Romantische zu bewahren» 14 , denn «zum Verliebtwerden hatten wir keine Zeit übrig»15. Nach zwei Söhnen war Marie das dritte Kind. Sie sei kein heiteres Kind gewesen, schreibt Marie in ihren Erinnerungen, sondern «ein nervenschwaches, leicht gereiztes, düsteres, bleiches Ding mit glühenden, dunklen Augen»16. Nachts wurde sie von Albträumen wach und am Tag hielt sie sich am liebsten auf dem Arm ihrer Amme auf. Anderthalb Jahre später wird ihre Schwester geboren. Sie ist das genaue Gegenteil von Marie. Blauäugig, mit blonden Locken und heiter ist sie schnell der Liebling aller. Für ihre Kinder hat die Mutter wenig Zeit. In ihrer Biographie heißt es: «Wie gerne hätte sie manchmal mit den Kindern gespielt, […] aber diese mütterlichen Gefühle erlaubte sie sich nie lange – wie konnte sie es zulassen, daß ihre eigenen Kinder sie von der Arbeit abhielten! Sie war in erster Linie Missionarin, und das wollte sie bleiben».17 Als Marie drei Jahre alt war, reiste die Familie nach Europa. Es muss eine unangenehme Reise gewesen sein. Während die kränkliche Marie die schlechte Kost und das Leben in der engen Kabine nicht vertrug und übel gelaunt war, war ihre Schwester mit allem zufrieden und nagte ohne zu murren am trockenen Schiffskäse. Kein Wunder, dass die Mutter, die als heftig und unduldsam geschildert wird, der unproblematischen Schwester mehr Zuneigung gab als dem Problemkind Marie, das sicher oft zu spüren bekam, welche Last man mit ihm hatte. Zunächst jedoch besuchte die Familie die Großeltern in Stuttgart. Auch hier ist die jüngere Schwester mit ihrem heiteren Wesen sofort Mittelpunkt, so dass, als die Eltern wieder nach Indien zurückreisten, beschlossen wurde, sie mit ihren beiden Brüdern bei den Großeltern zu lassen. Aber wohin mit Marie? Das aufsässige Kind, das den ihm

14 15 16 17

Ruth Rehmann, Der Mann auf der Kanzel. Fragen an einen Vater. München 19832, S. 121f. Jutta Rebmann, Julie Gundert. Missionarin in Indien und Großmutter Hermann Hesses. Biographischer Roman. Mühlacker, Irdning/Steiermark 1993, S. 133. Lebensbild, S. 13. Jutta Rebmann, a.a.O., S. 158.

Michael Limberg

82 ungewohnten Spinat gegen die Wand warf – «In Indien fressen Kühe grünes Gras» – und sich ständig mit der nur ein Jahr älteren Tochter des Großvaters in den Haaren lag, wollte niemand haben. Schließlich fand sich in Basel ein frommes, begütertes Ehepaar, das gerne einige «Missionstöchterlein»18 aufnahm. Marie wird also abgeschoben, – wie später übrigens ihr Sohn Hermann – sie wird von Eltern und Geschwistern getrennt und muss mit vier Jahren in eine völlig fremde Umgebung. Beim Abschied von den Eltern spielten sich ergreifende Szenen ab. Gewaltsam musste man sie von der Mutter trennen, weil sie sie nicht loslassen wollte. Den neuen Pflegeeltern, die selbst keine Kinder hatten, gelang es jedoch schon bald, die Zuneigung der Kleinen zu gewinnen. Nach und nach verblasste das Bild der leiblichen Eltern, von denen sie sich verstoßen glaubte, immer mehr, und nach einiger Zeit redete sie die Pflegeeltern mit ‹Mama› und ‹Papa› an. 1854 wurde das kleine Institut in Basel jedoch aufgelöst, nachdem die Zahl der Missionskinder immer größer geworden war. Marie, nun 12 Jahre alt, kam nach Korntal, einem Institut, das als besonders streng bekannt war. Die anderthalb Jahre, die sie dort verbringt, zählen nicht zu den glücklichen in ihrem Leben. Es fällt ihr schwer, sich an die neue Umgebung und an neue Ordnungen zu gewöhnen. Schillers Gedichte, die sie mit Begeisterung liest, werden ihr verboten, stattdessen empfiehlt man ihr christliche Lyrik. (Rund 30 Jahre später wird sie diese Empfehlung an ihre Kinder weitergeben.) Sie fasst eine schwärmerische Liebe zu einer 17-Jährigen. Als jedoch bekannt wird, dass diese eine Beziehung mit einem jungen Baron aus dem benachbarten Knabeninstitut begonnen hatte, wird ihr der Umgang mit ihrer Freundin verboten. Sie widersetzt sich diesem Verbot, betätigt sich vielmehr als Kurier zwischen den Liebenden und verstrickt sich in Lügen. Selbst als ihre Freundin Korntal verlassen muss, versucht sie, briefl ich mit ihr in Verbindung zu treten, wofür sie mit Karzer bestraft wird. Ihre Eltern, die über alle Vorgänge unterrichtet wurden, sehen die Entwicklung mit Sorge. Damit sie nicht zu sehr verweltlicht, sondern auf den schmalen Weg der Tugend zurückfi ndet, soll sie nach dem Willen der Eltern wieder lernen, «dankbar [zu] werden». Ein passender Lehrer ist bald gefunden: Ihre Tanten aus der französischen Schweiz haben den frommen Schulmeister von Corcelles als geeignet empfohlen. Marie erfährt sehr schnell, was ihre neuen Aufgaben sind: Kindermädchen und billige Arbeitskraft sein. Neben den ungewohnten groben Arbeiten muss sie auch noch die unerträglichen Launen der Lehrersfrau über sich ergehen lassen. «Ich litt am Weltschmerz. Stundenlang konnte ich träumen und weinen. […] Ich war des Lebens satt und kümmerte mich wenig um die Zukunft, die, wie ich meinte, doch nur neuen Jammer bringen konnte».19

18 19

Lebensbild, S. 14. Ebd., S. 32, 34.

Hermann Hesse und seine Mutter

83 Nach einem Jahr darf sie zu den Eltern nach Indien zurückkehren. Gelernt hatte sie in Corcelles außer ein wenig Englisch und Französisch zwar nichts, aber wahrscheinlich hatte sich die von den Eltern erwünschte Dankbarkeit inzwischen eingestellt. Auf der Überfahrt nach Indien trat jedoch ein Ereignis ein, welches neue Spannungen mit den Eltern hervorrufen sollte. Marie, die bisher wenig Liebe in ihrem jungen Leben erfahren hatte, verliebte sich mit dem ganzen Ungestüm ihrer fünfzehn Jahre in John Barns, einen jungen Engländer. Ihre Liebe wurde erwidert, die beiden schmiedeten bereits Zukunftspläne. Zunächst aber trennten sich in Bombay ihre Wege. Marie musste weiter, um ihre Eltern zu treffen, die sie schon zwölf Jahre nicht mehr gesehen hatte. Ihr Vater verhielt sich recht kühl, und die mitleidig-neugierigen Blicke ihrer Umgebung verrieten ihr, dass ihre Liebesgeschichte bereits die Runde gemacht hatte. Sie wartet auf ein klärendes Wort ihres Vaters, der aber schweigt und glaubt, damit würde sich die Sache erledigen. Marie war so verbittert, dass sie auch kein Zutrauen zu ihrer Mutter hatte. Sie kapselte sich ab und schloss sich stundenlang in ihrem Zimmer ein. «Da war ich hart und trotzig nach außen und doch so zerrissen, so traurig, so friedlos und lebensmüde».20 Jeden Fremden hielt sie von weitem für John Barns, Tag für Tag wartete sie auf einen Brief, vergebens. Ihre Sehnsucht und die Ungewissheit zermürbten sie, zumal sie niemanden hatte, mit dem sie sich aussprechen konnte. Schließlich hatten die Eltern ein Einsehen und Marie erfuhr, dass ihr geliebter John bereits vor ihrer Ankunft um ihre Hand angehalten hatte. Diesem Schreiben war auch ein Brief an sie beigelegt, den man ihr aber nicht aushändigte. Ihr Vater hatte Barns, dem «impulsiven Weltmann», kategorisch seine Einwilligung verweigert. Damit war ihre letzte Hoffnung zunichte gemacht. Was sollte sie nun anfangen in einem fremden Land, minderjährig und abhängig von den Eltern, die sie hintergangen hatten? Es blieb ihr wenig anderes übrig, als sich zu unterwerfen, zumal Gehorsam, Sich-Fügen und Opferbringen ‹Tugenden› waren, an die sie schon von klein auf gewöhnt war. Sie bemühte sich, zur Verwirklichung des Reiches Gottes auf Erden beizutragen und ihr künftiges Leben, wie die Eltern, dem Missionsgedanken zu weihen. Die Tagebucheintragungen jener Zeit zeigen deutlich ihr verzweifeltes Ringen um den Glauben, belegen ihre heftigen Zweifel und ihre inneren Anfechtungen. «Was haben Fleisch und Blut noch zu sagen? Habe ich Jesum nur (und ich hatte ihn schon ein wenig), so ist alles gut», schreibt sie gut ein Jahr nach ihrer Trennung von John Barns in ihr Tagebuch.21 Neben den Fortschritten, die sie sich einredete, gab es immer wieder Rückschläge. Ein paar Monate später schrieb sie an den Vater: «Offen gesagt und in einem Wort: Das Alte hängt mir noch an, das alte Joch drückt mich noch, das Alte ist noch nicht vergessen, so hart ich mir auch antue, es zu verbannen».22 Es ist erschütternd 20 21 22

Ebd., S. 53. Ebd., S. 60. Ebd., S. 61.

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84 zu sehen, wie ein junger Mensch sein eigentliches Wesen, seine Spontaneität und seine Gefühle gewaltsam unterdrückt. Noch tragischer allerdings, wenn sich dies später an den eigenen Kindern wiederholt. Da Hermann Gundert das indische Klima nicht mehr vertrug, zog die Familie im Mai 1860 nach Calw, wo Gundert im Auftrag der Basler Mission im Calwer Verlagsverein arbeitete. Zwei Jahre später, Marie war inzwischen zwanzig Jahre alt, teilten ihre Eltern ihr mit, dass sich der Missionar Charles Isenberg auf dem vorjährigen Missionsfest in sie verliebt und um ihre Hand angehalten hatte. Dieses Ereignis riss die alte Wunde wieder auf. Sie fühlte sich noch immer an Barns gebunden, Isenberg war ihr unwichtig, sie erinnerte sich kaum an ihn. Von heftigen Gefühlen wurde sie hin- und her gerissen, aber sie war schon zu weit auf dem schmalen Weg vorangekommen, als dass es noch ein Umkehren für sie gab: «Nein, ich bin Gottes Kind. Ich darf nicht wählen – ich muß mich fügen und stille schweigen. Ich darf nicht meinen eigenen Weg aussuchen, Gott soll mich führen. […] Das Ziel bleibt das gleiche – ich will nach dem ewigen Leben ringen, nach der Krone streben; was mich dazu bringt, sei willkommen. Charles ist ein frommer Jünger Jesu. Er kann mich wahrscheinlich weiter fördern und mir helfen. Und wenn er mich wirklich sehr lieb hat, dann werde ich es nicht so arg schwer fi nden, ihn auch wiederzulieben, wenn ich ihn kennen lerne», heißt es im Tagebuch vom April 1862.23 Die Eintragungen zeigen, dass es nicht Leidenschaft und Suche nach persönlichem Glück sind, die sie ihre Einwilligung geben lassen. Die Ehe ist für sie eine Zweckgemeinschaft zum Wohle Gottes und der Mission, und damit folgt sie dem Beispiel ihres Vaters. Nach einer dreijährigen Verlobungszeit fand im November 1865 fand die Hochzeit statt. Zehn Monate später wurde das erste Kind geboren. Zwei weitere Schwangerschaften folgten in den nächsten drei Jahren. Der zweite Sohn starb nach einem knappen halben Jahr. Bereits im ersten Ehejahr hatte Charles so hohes Fieber gehabt, dass er besinnungslos wurde. Seitdem war er nie mehr richtig gesund. Bald begann er, Blut zu spucken. Die Familie reiste sofort nach Deutschland zurück, aber es war keine Rettung mehr möglich: im Februar 1870 starb Charles Isenberg in Calw und hinterließ eine 28-jährige Witwe mit zwei kleinen Kindern. 23

Ebd., S. 64. – Graf Zinzendorf (1700–1760), eine der Galionsfiguren des Pietismus, ließ in seinen Gemeinschaften eine Zeitlang die Ehepartner durch das Los entscheiden. Es sei Sünde, wenn zwei heiraten wollen, der HErr müsse sie zusammengeben. Das Los sei «ein einfältiger Weg, bei völliger Abgestorbenheit des Eigenwillens den Sinn des Herrn zu erfahren.» Zitiert nach Oskar Pfi ster, Die Frömmigkeit des Grafen Ludwig von Zinzendorf. Eine psychoanalytischer Beitrag zur Kenntnis der religiösen Sublimierungsprozesse und zur Erklärung des Pietismus. Leipzig u. Wien 1910, S. 81.

Hermann Hesse und seine Mutter

85 Marie zog wieder zu ihren Eltern und arbeitete als Gehilfi n des Vaters, der inzwischen den Calwer Verlagsverein leitete. Zeitweilig gab sie trotz öffentlicher Proteste seitens der Calwer Bürgerschaft an der Knabenoberrealschule Englischunterricht. Als ihr Vater die Arbeit am Missionsmagazin nicht mehr allein bewältigen konnte und nach einem Mitarbeiter suchte, wurde ihm im Sommer 1873 der Deutschbalte Johannes Hesse empfohlen.24 Johannes Hesse wurde 1847 in Weißenstein in Estland geboren, das damals zu Russland gehörte. Als seine Mutter starb, war er vier Jahre alt. Mit sieben erlebte er den Tod seiner ersten Stiefmutter, und bei der dritten Heirat seines Vaters war er noch nicht einmal neun Jahre alt. Man kann sich denken, dass dieser häufige Wechsel der für einen jungen Menschen wichtigsten Bezugsperson nicht ohne Folgen blieb. Johannes litt unter Ängsten und Depressionen, war trotzig und brach leicht in Zorn aus. Mit elf Jahren war er so schwierig geworden, dass sein Vater ihn nicht mehr zu Hause behalten wollte. Er fand Aufnahme im Haus einer befreundeten adeligen Familie in Riga und besuchte dort die Domschule. Von nun an sah er seine Angehörigen nur noch in den Ferien. Wie seine spätere Frau lernte auch er also schon früh das Gefühl kennen, einsam und verstoßen zu sein. Ein Jahr nach ihrer ersten Begegnung verlobte sich Johannes Hesse mit Marie Isenberg, und knapp zwei Jahre später fand die Hochzeit statt. Marie war – wie sie schrieb – «wieder eine glückliche Gattin, an der Seite eines treuen Mannes, der mir helfen will auf dem Weg zur obern Heimat».25 Die große Liebe war es sicher nicht, «es ist der Herr, der uns zusammengeführt hat»26, wobei Marie wohl doch ein wenig nachgeholfen hat – halb zog sie ihn, halb sank er hin – aber Glück und Liebe hatten im protestantischen Pfarrhaus von je her nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Seit Luthers Zeiten diente die Ehe der Versorgung. Auch Calvin und Zwingli heirateten Witwen; Johannes Hesse befand sich also in bester Gesellschaft. Als es noch keine Witwen- und Waisenrenten gab, war es lange Zeit üblich, dass ein neuer Pfarrer entweder die Witwe seines Vorgängers oder dessen Tochter heiraten musste.27 Hermann Hesse war das zweite Kind aus der Verbindung zwischen Marie und Johannes Hesse. Ihm folgten in den nächsten fünf Jahren noch vier weitere Kinder, von denen allerdings zwei nach wenigen Monaten starben.

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25 26 27

Zur Beziehung Hermann Hesses zu seinem Vater siehe: Michael Limberg, «Der Schatten meines Vaters als Verfolger». Hermann Hesse und sein Vater. In: Hermann Hesse und die Psychoanalyse. «Kunst als Therapie». 9. Internationales Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw 1997. Hrsg. v. Michael Limberg. Bad Liebenzell 1997, S. 61–77. Im Internet unter: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/papers/limberg.html. Lebensbild, S. 136. Ebd., S. 135. Ernst Klee, Nur die halbe Wahrheit. «Das evangelische Pfarrhaus – Eine Kultur- und Sozialgeschichte.» (Rezension). In: «Die Zeit», Nr. 46 vom 9.11.1984.

Michael Limberg

86 Seit April 1881 lebte die Familie in Basel, wohin Johannes Hesse als Herausgeber des Missionsmagazins berufen worden war. Sie fanden eine Wohnung vor der Stadt, in ländlicher Umgebung. Man tauschte zwar die räumliche Enge mit einer gewissen Weite, die geistige Enge blieb jedoch die gleiche. Für Hermann jedenfalls waren die Basler Jahre ein ständiger Kampf mit dem Gewissen. Seine Angstzustände und seine über das normale Maß hinausgehenden motorischen Aktivitäten zeigen, wie sehr er darunter litt, die Erwartungen der Eltern nicht erfüllen zu können. Immer wieder wurde ihm bewusst gemacht, dass er nicht so war, wie die Eltern ihn sich wünschten, dass er ‹böse› war. Beim Tod der kleinen Gertrud sagte seine Schwester Adele zum Vater: «Wenn ich jetzt auch sterben täte, hättest bloß noch drei böse Buben»,28 und mit fünf Jahren sagte Hermann von sich: «Gelt, ich singe so schön wie die Sirenen und bin auch so bös wie sie?»29 Die Begriffe ‹gut› und ‹böse› spielten in Hesses Familie eine große Rolle. Was ‹böse› ist, lernt ein Kind sehr schnell. Es ist oft von Familie zu Familie verschieden, denn es hängt von den Abwehrhaltungen der Eltern ab. Das Kind merkt, dass bestimmte Themen tabu sind, die Eltern werden plötzlich unsicher, weichen aus, schweigen oder speisen das Kind mit fadenscheinigen Erklärungen ab. Kinder haben aber, so sagte schon Goethe einmal, «wie die Hunde eine so feine Nase, daß sie alles wittern, Schlechtes vor allem»30. Und so kamen auch Hesse schon früh Zweifel an der Haltung der Erwachsenen: «Gegen uns kleine Kinder waren sie alle irgendwie falsch und verlogen, spielten eine Rolle, gaben sich anders als sie waren».31 In die Basler Jahre fiel auch ein Ereignis, dass für Hermann eine weitere seelische Erschütterung bedeutete. Schon in den ersten Calwer Jahren wurde Hermann, wenn die Mutter krank oder schwanger war, für Tage oder auch Wochen in die Obhut der Pfarrersleute gegeben. Froh kehrte er nach solchen Ausflügen wieder zurück und Aussprüche wie «Ich hab uns so lieb»32 zeigen, dass ihm die Trennung nicht gleichgültig war. In Basel nun waren die Eltern mit ihrem Latein am Ende. «Wir sind zu nervös, zu schwach für ihn und das ganze Hauswesen nicht genügend diszipliniert und regelmäßig»33, hatte Johannes Hesse im November 1883 geschrieben, und der Plan, ihren Sohn in die fremde Obhut zu geben, wurde umgesetzt: Von Januar bis Juni 1884 lebte Hermann in dem nahe gelegenen Knabenhaus, in dem normalerweise nur die Jungen der im Ausland tätigen Missionare wohnten. Lediglich die Sonntage durfte er im Elternhaus verbringen. Es war schon demütigend genug, unter all seinen Kameraden der einzige zu sein, der ohne zwingenden äußeren Grund dort lebte, obwohl seine 28 29 30 31 32 33

Ebd., S. 166. Ebd., S. 181. zitiert nach K.R.Eissler, Goethe. Eine psychoanalytische Studie. 1775–1786. Band 1. Basel u. Frankfurt a. M. 1983. H. Hesse, Kinderseele. SW 8, S. 195. Siegfried Greiner, Hermann Hesse. Jugend in Calw. Sigmaringen 1981, S. 15. KuJ 1, S. 13.

Hermann Hesse und seine Mutter

87 Eltern nicht nur in der gleichen Stadt, sondern sogar in der Nachbarschaft wohnten. Viel gravierender war aber die Tatsache, dass seine geheimen Ängste, die wohl jedes Kind gelegentlich hat, nämlich verstoßen zu werden, in Erfüllung gegangen waren. Seine Sicherheit war, wie schon Jahre zuvor bei seinem Erlebnis auf dem Turm, zutiefst erschüttert. Nach einem halben Jahr wurde das Experiment ‹erfolgreich› beendet. Seinen 7. Geburtstag sollte er wohl doch zu Hause verbringen dürfen. «Hermännle» war zwar «bleich, mager und gedrückt», aber was soll’s, «die Nachwirkung war entschieden eine gute und heilsame. Er ist jetzt viel leichter zu behandeln»34 , schrieb die Mutter in ihr Tagebuch. Wen wundert es. Was sie als Erziehungserfolg verbucht, ist nichts weiter als die Angst, beim nächsten missliebigen Verhalten erneut abgeschoben zu werden. Hermanns Verhaltensänderung beruhte nicht auf Einsicht, sondern auf der Angst vor Liebesverlust und Strafe. Dieses Ereignis verstärkte seine Hemmungen und seine Minderwertigkeitsgefühle und hatte auch Auswirkungen auf seine Beziehung zu seinen Mitmenschen. Wenn schon die eigenen Eltern ihn ablehnten, wie sollten andere Menschen ihn dann liebenswert fi nden? Deshalb endeten ja auch seine «ersten schüchternen Gänge in das ersehnte Land der Liebe» alle «trostlos und elend», wie es in dem Gedicht Wandlung heißt. Erschreckend ist allerdings, dass sowohl Marie als auch Johannes Hesse trotz ihrer eigenen leidvollen Erfahrung nicht anders handelten. Wie lässt sich das erklären? Die meisten Eltern haben sich von den seelischen Verletzungen, die ihnen in ihrer eigenen Kindheit widerfahren sind, emotional distanziert. So lange sie jedoch dieses Leid nicht wahr haben wollen, sind sie nicht fähig, ihr Kind zu verstehen und es auf seinem Weg zu Autonomie und Identität zu unterstützen. In ihren Kindern werden diese Eltern plötzlich wieder mit Ereignissen konfrontiert, die ihr mühsam errichtetes Weltbild ins Wanken bringen. Sie begegnen dem Leben, intensiven Gefühlen und Freude am eigenen Körper. Würde man dieses Lebendige im Kind nicht unterdrücken und ausrotten, ließe man es stattdessen gewähren, hieße das nicht, dass die eigenen Qualen und Opfer unnötig gewesen waren? Solche Gedanken würden nur an die eigene Unterdrückung erinnern und dürfen deshalb nicht zugelassen werden, die Eltern verlören sonst den Boden unter den Füßen, das sichere Fundament der überlieferten und schon in der Bibel verankerten Erziehungsprinzipien. Sie müssten zudem an ihrem glorifi zierten Elternbild kratzen. Je sensibler ein Kind ist, desto stärker leidet es unter seinen Lebensumständen. Es gibt jedoch zum Glück immer wieder rettende Nischen, «Mutterräume»35 nennt Verena Kast sie. Damit sind Lebensräume gemeint, in denen Mütterliches geschieht und erfahren wird. Beim jungen Hesse war es der Umgang mit der Natur und mit Tieren. 34 35

KuJ 1, S. 14. Verena Kast, Vater-Töchter, Mutter-Söhne. Wege zur eigenen Identität aus Vater- und Mutterkomplexen. Stuttgart 2005, S. 87.

Michael Limberg

88 «Es war ein Lattenverschlag in meines Vaters kleinem Garten», lesen wir in Kindheit des Zauberers, «da hatte ich Kaninchen und einen gezähmten Raben leben. Dort hauste ich unendliche Stunden, lang wie Weltzeitalter, in Wärme und Besitzerwonne; nach Leben dufteten die Kaninchen, nach Gras und Milch, Blut und Zeugung; und der Rabe hatte im schwarzen, harten Auge die Lampe des ewigen Lebens leuchten. Am selben Orte hauste ich andere, endlose Zeiten, abends, bei einem brennenden Kerzenrest, neben den warmen schläfrigen Tieren, allein oder mit einem Kameraden…»36 Dieses wärmende Höhlengefühl empfand Hesse auch viel später wieder bei seinen Kuren, die er ab 1923 regelmäßig in Baden im Aargau machte. In den leise hallenden Gewölben lag er bis zum Kinn regungslos in der «Wärme des geheimnisvollen Wassers. […] Hoch über mir, am Tonnengewölbe meiner massiv gemauerten Zelle… fl ießt Tageslicht dünn durch ein Fenster mit matten Scheiben; dort oben, ein Stockwerk höher als ich, hinter dem Milchglas, liegt die Welt, fern, milchig, kein Ton von ihr erreicht mich».37 Wer denkt bei dieser Schilderung aus Kurgast nicht unwillkürlich an das Aufgehobensein des Fötus im Mutterleib? Aber kehren wir zurück in das Jahr 1886. Im Juli zog die Familie wieder nach Calw, und vier Jahre später musste Hermann erneut sein Zuhause verlassen. Er ging für ein Jahr nach Göppingen, wo ihn ein Einpauker auf das gefürchtete Landexamen vorbereiten sollte, dessen Bestehen einen der begehrten Freiplätze in einem theologischen Seminar garantierte. Im Juli 1891 absolvierte er mit Erfolg das Examen und zwei Monate später trat er in das Seminar ein, ein Datum, das ihm unvergesslich blieb: «Gestern waren es 50 Jahre seit dem Tag, an dem meine Mutter mich als vierzehnjährigen Schüler im Kloster Maulbronn einlieferte», sagte Hesse im September 1941 zu seiner Frau Ninon. Ist es da verwunderlich, dass er bei all diesen Ortswechseln nicht weiß, wo er eigentlich hingehört? «Ich beneide Sie um die Sicherheit und Gesundheit, die ein wahres Heimathaben gibt», schrieb der 20-Jährige an die befreundete Schriftstellerin Helene Voigt-Diederichs, «in Württemberg geboren, als Schuljunge in Basel, habe ich Jahre lang das nie gesehene Estland, das Land meines Vaters, als eigentliche Heimat betrachtet».38 Auch in zahlreichen Gedichten jener Jahre drückt sich das Heimweh und das Gefühl der Heimatlosigkeit aus, so z. B. in dem Gedicht Dorfabend, ebenfalls aus dem Jahr 1897: «Wohin der Weg mich führet, / Hat überall ein Herd gebrannt; / Nur ich hab nie gespüret, / Was Heimat ist und Vaterland».

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SW 9, S. 173. SW 11, S. 56. Brief vom 17.12.1897. In: Hermann Hesse – Helene Voigt-Diederichs. Zwei Autorenporträts in Briefen. 1897 bis 1900. Diederichs Verlag 1971, S. 10.

Hermann Hesse und seine Mutter

89 Nach nur sechs Monaten in Maulbronn kam es zu einer Kurzschlusshandlung, Hermann floh aus dem Seminar. Die größte Sorge seiner Mutter war zunächst, ihr Sohn wäre «in besondere Sünde und Schande gefallen», die Vorstellung, dem Entweichen wäre etwas besonders Schlimmes vorausgegangen, war ihr eine Qual.39 Erst als sie annahm, Hermann wäre vielleicht in einem der von ihm geliebten Seen ertrunken und somit schon in Gottes Hand, war sie beruhigt. Also lieber einen toten als einen ungezogenen Sohn haben, das war bereits Martin Luthers Einstellung.40 Die «besondere Sünde und Schande», von der Marie Hesse schreibt, kann sich eigentlich nur auf eine sexuelle «Verfehlung» beziehen. Sexualität war das Tabuthema der damaligen Zeit. Dass der Mensch sexuelle Triebregungen hat, konnte zwar nicht geleugnet werden, wurde aber, als von Satan stammend, verteufelt und verdammt. «Unsere Eltern [haben] uns in dieser Hinsicht mit einer feigen, verlogenen Ängstlichkeit erzogen […], sie haben das Geschlechtliche als nicht vorhanden betrachtet, haben es weggelogen und haben uns Junge in den Kämpfen mit dieser Macht elend allein und im Stich gelassen».41 Vermutlich hatte Hugo Ball, Hesses Freund und erster Biograph, auch diese Episode in Maulbronn im Sinn, als er über Hesses Mutter schrieb, zwar liebe sie ihre Kinder, «aber als Geschöpfe Gottes, und sie würde sich einen Skrupel und eine Selbstanklage daraus machen, diese ihre Kinder einem armen Waisenkinde vorzuziehen. Diese Mutter ist unzugänglich für jeden sinnlichen Impuls; für jede narzißtische Eigenliebe, die um sie werben könnte. Ja, jedes Anzeichen von Sinnentrieb und Unbeherrschtheit, von unbewachter Regung und gar von Exzeß wird sie verletzen, wird sie tiefer in ihre andere Welt entrücken; wird Kälte und Befremdung zur Folge haben».42

Diese Äußerung ist umso bemerkenswerter, als sie ja zu Hesses Lebzeiten verfasst wurde und er zu dieser Zeit mit Ball in ständigem Austausch stand, und es ihm sicher möglich gewesen wäre, sie abzumildern, so wie er es an anderer Stelle gemacht hat. Hesse war in Maulbronn aber nicht ertrunken, sondern hatte die kalte Märznacht auf freiem Feld verbracht und wurde am nächsten Tag von einem Landjäger zurückgebracht. Eltern und Lehrer fürchteten «partielle Geistesverwirrung, etwas Krankhaftes», und er musste das Seminar verlassen. Aufenthalte in verschiedenen Anstalten sollten ihn wieder zur Räson bringen, aber nichts fruchtete. Eine unglückliche Liebe endete mit einem Selbstmordversuch, der Besuch eines Gymnasiums scheiterte nach einem knappen Jahr wegen unauf hörlicher Kopfschmerzen, eine Buchhändlerlehre brach Hesse nach zwei Arbeitstagen ab, und auch das Praktikum als Mechaniker in einer Turmuhrenfabrik beendete er nach einem Jahr. Erst 1895, Hesse war nun achtzehn, 39 40 41

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KuJ 1, S. 182. Martin Luther, Tischreden, Blatt 66. Hermann Hesse, Gesammelte Briefe. In Zusammenarbeit mit Heiner Hesse hg. von U. und V. Michels. 4 Bde, Frankfurt a. M. 1973–1986. Zitat Bd. 3, S. 36. Diese Ausgabe wird im Folgenden zitiert als GB mit Bandangabe. Hugo Ball, Hermann Hesse. Sein Leben und Werk. Frankfurt a. M. 1956, S. 65f.

Michael Limberg

90 hatte er sich soweit gefangen, dass er in Tübingen eine Buchhändlerlehre begann. Er wollte sich endlich von seinen Eltern auch materiell unabhängig machen und ihnen und sich beweisen, dass er es im bürgerlichen Leben zu etwas bringen könne. Er kannte die Einstellung seiner Eltern zur Kunst und Literatur, und so ist eine gewisse Genugtuung nicht zu überhören, wenn er vor ihnen seine literarisch-ästhetischen Privatstudien damit rechtfertigt, dass sie für seinen Beruf notwendig und somit «keine Sünde, kein Allotria»43 mehr seien. Sein eigentliches Ziel seit dem 13. Lebensjahr, ein Dichter zu werden, hatte Hesse dabei keineswegs aus den Augen verloren. Er hoffte dabei immer, seine Eltern nähmen Anteil an seinen poetischen Versuchen. Aber auf sein Gedicht Chopin Grand Valse, das im September 1897 in der Zeitschrift Deutsches Dichterheim erschienen war, reagierte die Mutter gar nicht, der Vater bemerkte lediglich, die Zeitschrift habe nichts enthalten, was er zu würdigen in der Lage sei.44 Zum 55. Geburtstag von Marie Hesse, im Oktober 1897, hatte Hesse ihr ein Heft mit eigenen Gedichten, Tagebuchblättern, Fragmenten und Äußerungen über Chopin und einige Dichter geschenkt. In dem Widmungsgedicht heißt es unter anderem: «Und ich hätte gerne dich / Mitgeführt in meine Welt, / In die Gärten, deren Blüte / Meinen Blick gefesselt hält. // Gütig, wie die Mütter sind, / Sollst du dich, und lächelnd, neigen / Zu dem plauderfrohen Kind, / Das dir seinen Schatz will zeigen».45 Seine Mutter bedankte sich, das Heft mache ihr viel Freude. Manches habe sie sehr bewegt. Und dann griff sie das Wort «hätte» in dem Widmungsgedicht auf und schrieb: «Deine Welt ist mir ja nicht so fremd, wie du meinst, denn ich habe in jungen Jahren für Poesie und Dichter so geschwärmt, dass meine Obern es fast gefährlich fanden».46 Als im Herbst 1898 Hesses erster Gedichtband Romantische Lieder erschien, war Marie Hesses Reaktion schon verhaltener. Sie habe «wohl manches Schöne gefunden», an Form und Sprache sei nichts auszusetzen, aber sie wünsche ihm für seine Dichtung höheren Inhalt. Einige Gedichte weckten bei ihr den Verdacht, «als sei die Liebe nicht immer keusch und rein.[…] Du bist noch so jung, daß dergleichen Töne dir fremd sein sollten, sie bringen einen Mißton […] die Kunst muß rein und durchaus edel sein; Gott hat dir Talent gegeben, wenn du einmal Ihn gefunden hast und Ihm diese schöne Gabe weihst, dann erst wird dein altes Mutterle über dir [sic] glückselig sein, einstweilen bete ich für mein «Königskind», daß es seinen wahrhaft königlichen Beruf und sein reiches königliches Erbe bekomme». Hermann möge ihre Kritik freundlich aufnehmen, er müsse ihr vertrauen, «Mutterliebe ist stärker als der Tod […] Ich weiß,

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Kindheit und Jugend vor Neunzehnhundert. Hermann Hesse in Briefen und Lebenszeugnissen. Zweiter Band 1895–1900. Hrg. von Ninon Hesse, fortgesetzt und erweitert von Gerhard Kirchhoff. Frankfurt/M. 1978, S. 64. Diese Ausgabe wird im Folgenden zitiert als KuJ 2. KuJ 2, S. 204. SW1, S. 115. KuJ 2, S. 218.

Hermann Hesse und seine Mutter

91 es kommt noch der Tag, wo wir uns ganz verstehen, ganz einig sein werden».47 Mit «Königskind» nahm Marie Hesse Bezug auf ein Gedicht gleichen Namens, in dem Hesse sich als «heimatloses Königskind» bezeichnet. Hesses Antwort war relativ moderat. Er verstünde und ehre ihre mütterlichen Ermahnungen und Sorgen. «Wie viel davon mir wahr erscheint, ohne daß ich’s bis jetzt trotz allem Wollen mir zu eigen machen kann, weißt du nicht. Wenn ich an meine schlimmen Jahre denke – wie kann da noch etwas in mir sein, das dir nicht dankbar ist und sich unterwirft!»48 Wie sehr ihn die Kritik getroffen hatte, ohne dass er es sich eingestehen wollte, zeigt sich am Ende des Briefes. Zwar schließt er «mit herzlichem Kuss» als «dein dankbarer Hermann», aber zuvor heißt es: «Seit vorgestern hat sich bei mir Kopfweh eingestellt […] Ich war so lange Zeit gesund, daß ich jetzt etwas kleinlaut und gebrochen bin».49 Noch «unterwirft» er sich also. Zum Eklat kam es jedoch ein halbes Jahr später, als sein Prosaband Eine Stunde hinter Mitternacht erschien. Sein Buch sei gestern gekommen und sie habe es schnell durchgehastet «und dann nachts nicht schlafen können. Die Fiebermuse [ein Titel aus dem Buch] meide als eine Schlange, sie ist dieselbe, die ins Paradies schlich und noch heute jedes Liebes- und Poesie-Paradies gründlich vergiften möchte. […] O mein Kind, fl iehe sie, hasse sie, sie ist un rein und hat kein Anrecht auf dich, denn du bist Gottes Eigentum, Ihm in der Taufe und schon lange vorher von deinen Eltern ans Herz gelegt. Bete um «große Gedanken und ein reines Herz». Mag die Form noch so schön sein – der edle Inhalt fehlt noch sehr. Halte dich keusch! Was vom Menschen ausgeht, vom Munde und noch mehr von der Feder, das verunreinigt ihn – hast du daran gedacht? Des Königs Fest ist schlechte Lektüre. An den andern ist manches Schöne. Kind, ich bin deine Mutter und liebe dich, wie nicht leicht sonst jemand dich lieben kann, darum muß ich warnen und wahr reden. Mein Herz empört sich gegen solches Gift. Es gibt eine Welt der Lüge, wo das Niedre, Tierische, Unreine für schön gilt. Es gibt ein Reich der Wahrheit, der Gerechtigkeit, des Friedens, das uns die Sünde als Sünde zeigt und hassen lehrt und uns einführt zur göttlichen Freiheit. Zu Hohem, Ewigem, Herrlichem ist der Mensch berufen – will er Staub lecken?»50 Am gleichen Tag schrieb sie ein zweites Mal, fragte nach seinen Geburtstagswünschen und geht noch einmal auf sein Buch ein: «Einige Sätze sind so unanständig, daß kein Mädchen sie je lesen sollte, so redet man von Tieren, nicht von Menschen (S. 48). Überhaupt ist das Reden von Dingen, deren man sich doch in der Öffentlichkeit überhaupt schämt, einfach nicht erlaubt. […] O möchte es wahr werden mit incipit vita nova [Ein Kapitel trägt diesen lateinischen Titel, übersetzt heißt es «Ein neues Leben beginnt»].

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KuJ 2, S. 304f. KuJ 2, S. 306. KuJ 2, S. 307. KuJ 2, S. 357f.

Michael Limberg

92 Welche Erlösung, wenn der alte Wust und Schmutz dir gründlich entleidet, du Ekel dran empfändest. Aber dann besingt man das Vergangene nimmer».51 Hesses Antwort erfolgte prompt, obwohl er den folgenden Brief nicht abgeschickt hatte. Er bedankt sich darin für die Plätzchen zum Geburtstag, «obgleich sie für den Magen etwa dasselbe sind wie mein gottloses Buch für den Geist». Außerdem erbat er das den Eltern gesandte Buch zurück, «denn ich habe wenig Freiexemplare, bedaure auch sehr, es irgendwo gelesen zu wissen, wo jedes Wort mir zum Üblen gewendet wird. Wenn ich nicht so nervös wäre, hätte ich gelacht und gesagt: «Ihr versteht’s halt nicht». So aber ist alles in mir bitter geworden. […] Liebe Mutter! Du sprichst von «vorher überlegen». Ich fürchte, ich habe mein Buch «vorher» reichlich so schwer erwogen und überlegt, als du deinen lieben Brief. Es wird also leider nichts auszugleichen und abzubitten sein. (Nachsatz) Ich glaube nicht, daß mein Buch dich nur halb so geschmerzt hat wie mich diese Auffassung. Aber da hilft kein Reden. Ihr kennt wohl das Wort: «Den Reinen ist alles rein und habt mich sonach zu den Unreinen gestellt».52 Die zweite, abgeschickte Fassung war wesentlich kürzer: «Liebe Mutter! Nach Ankunft Deiner Sendung schrieb ich in Eile einen herben Brief, mit dem ich eine Weile vor dem Postschalter stand, ohne ihn einzuwerfen. Aus diesem nicht abgeschickten Brief wiederhole ich nur meinen Dank für die Gudle [Plätzchen] und die Bitte, mir gelegentlich das Exemplar meines Buches wieder zu senden, da ich wenige Freiexemplare kriege und sparen muß. Deinen Brief habe ich mich nun entschlossen nicht und niemals zu beantworten. Wenn ich’s jetzt müßte, würde dich’s erschrecken, wie bitter alles in mir geworden ist; und später ist’s so unnötig und fruchtlos als alles Bisherige. Zum Geburtstag wünsche ich nichts. […] Es würde mich zur Zeit doch nichts freuen».53 Wie nachhaltig die Enttäuschung war, wieder keine Anerkennung und kein Verständnis gefunden zu haben, zeigt ein Brief Hesses an seine Schwester Marulla vom Juli 1920, in dem es heißt: «Es ist schade – für mich war eines der deprimierendsten und schädlichsten Erlebnisse der Jünglingsjahre ein Brief von ihr, in dem sie meine ersten Dichtungen mit Prüderie und Moralpredigt besprach. Wenn sie den Klein und Wagner hätte lesen müssen, und wissen, daß jenes Moralisieren damals mich auf meinen Weg getrieben hat!»54 Und seiner Schwester Adele gestand er 1934, er habe einmal im Zorn sämtliche Briefe seiner Mutter an ihn, die er jahrelang gesammelt habe, verbrannt,

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KuJ 2, S. 358f. KuJ 2, S. 360. KuJ 2, S. 360. GB1, S. 453f.

Hermann Hesse und seine Mutter

93 weil sie «ein- oder zweimal häßliche und vernichtende Dinge über meine Dichtungen sagte».55 Marie Hesses Kritik führte zwar nicht zum offenen Bruch, aber ohne Zweifel zu einer Entfremdung. Hesse fuhr weder zur Silbernen Hochzeit der Eltern im November 1899 noch einen Monat später zum Weihnachtsfest nach Calw. Auch die Weihnachtsfeste von 1900 bis 1902 verbrachte er nicht im Kreis der Familie. Als im Herbst 1902 sein neues Buch Gedichte erschien, war seine Mutter bereits ein halbes Jahr tot. Neun Schwangerschaften und die Arbeit für ihren Vater und später ihren Mann sowie die Sorgen um ihre Kinder, vor allem Hermann, hatten sie frühzeitig altern lassen. Seit Jahren litt sie an Knochenerweichung, dazu kam in den letzten Lebensmonaten ein schmerzhaftes Nierenleiden. Ihr Schicksal war nichts Ungewöhnliches und wurde als gottgegeben hingenommen. Schon Luther war der Ansicht: «Ob sie [die Frauen] sich aber auch müde und zuletzt tottragen, das schadet nicht, laß sie sich nur tottragen, sie sind drum da».56 Immerhin hielt Luther für die Frauen noch ein Trostpflästerchen parat: «Es ist besser, kurz gesund, denn lange ungesund leben». Hermann hatte seine Mutter ein Jahr zuvor nach seinem ersten Italienaufenthalt zuletzt gesehen, aber ihm graute vor allem, was mit Krankheit zu tun hatte, und er brachte es auch nicht über sich, an der Beerdigung teilzunehmen. Vermutlich fürchtete er einen Zusammenbruch und er wollte alles vermeiden, was sein mühsam erworbenes inneres Gleichgewicht hätte ins Wanken bringen können. Das verdeutlicht auch eine Textstelle in den 1905 entstandenen Erinnerungen eines alten Junggesellen, in denen sich der 28-Jährige in die Rolle eines 90-Jährigen versetzt und sich an seine Mutter erinnert: «Als ich die Todesbotschaft erhielt, drohte mein ganzes Leben aus dem Gleichgewicht zu kommen. Ich konnte mich in den Verlust durchaus nicht fi nden und lief verstört und elend umher».57 Dem Vater und den Geschwistern schrieb er, es täte ihm zwar Leid, nicht beim Begräbnis gewesen zu sein, aber er sei noch sehr gedrückt, «dennoch habe ich in diesen Tagen seit dem 24sten weniger gelitten als in den Wochen vorher. Seit der Todesnachricht war ich zu betäubt und ermüdet, um mehr als einen dumpfen Schmerz zu empfi nden. Außerdem hatte ich in der allerletzten Zeit für Mama so sehr den Wunsch nach Erlösung gehabt, daß ich mich in aller Trauer doch ihres seligen, sanften Heimgangs freuen konnte. Auch habe ich seither immer das Gefühl gehabt, sie nicht verloren zu haben, sondern ihre geistige Gegenwart gütig und tröstend zu spüren».58 Dass Hesse die Gegenwart seiner Mutter oft noch spürte, zeigt ein Traum, den er 1903 in Venedig hatte: «Ich ging in einer stillen Gasse, da hängte sich, aus einer Seitengasse kommend, eine kleine sanfte Frau an mich […] Die Frau glich an Gestalt,

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KuJ 2, S. 612. Martin Luther, Vom ehelichen Leben und andere Schriften über die Ehe. Stuttgart 1983, S. 4. SW6, S. 407. GB I, S. 88f.

Michael Limberg

94 Gang, Stimme und Kleidung so sehr meiner Mutter, daß ich ihren Arm nahm und sie auskunftgebend freundlich durch die Straße führte. Dabei hatte ich das beglückende Gefühl, neben meiner Mutter selber zu gehen, und als die Frau schließlich danke sagte und weggehen wollte, war mir, als verlöre ich die Mutter zum zweitenmal, doch konnte ich ihr nichts sagen, sondern brach in Tränen aus. Dann erwachte ich».59 Auch das Gedicht Traum von der Mutter von Ende 1904, deutet darauf hin, dass ihm die Mutter häufiger im Traum erschienen ist. In der ersten Strophe will er auf einer warmen Wiese ins «Träumeland» zu seiner Mutter gehen. Dann heißt es: «Oh, sie hat mich schon vernommen! / Leise geht sie mir entgegen, / Der ich ferneher gekommen, / Meine Stirne, meine Hände / Still in ihren Schoß zu legen. // Wird sie jetzt nach Dingen fragen, / Die ich nur mit Scham gestehe / Und mit bitterlichen Klagen?» Das heißt doch nichts anderes, als dass der kleine Hermann oft genug erleben musste, dass, wenn er bei seiner Mutter Wärme und Geborgenheit suchte, er erst einmal Rechenschaft ablegen musste, ob er diesen Trost auch verdiente. Das Gedicht endet jedoch so, wie man es eigentlich erwarten sollte: «Nein, sie lacht! Sie lacht und freut sich / Meiner lang vermißten Nähe». Hesse benutzt in der ersten Strophe das Wort «Träumeland». Erich Fromm vergleicht das gelobte Land, das Land, wo Milch und Honig fl ießen, mit der Mutterliebe. «Milch» stehe dabei für den Aspekt der Fürsorge, «Honig» dagegen symbolisiere «die Süßigkeit des Lebens, die Liebe zum Leben und das Glück zu leben». Die meisten Menschen, so Fromm, seien fähig, «Milch» zu geben, aber nur die wenigsten von ihnen könnten auch «Honig» spenden. Dazu reiche es nicht, nur eine «gute Mutter» zu sein, die Mutter müsse auch ein glücklicher Mensch sein. «Die Wirkung auf das Kind kann man kaum zu hoch einschätzen. Die Liebe der Mutter zum Leben ist ebenso ansteckend wie ihre Angst».60 Wie sollte aber jemand mit Marie Hesses Biographie in der Lage sein, seinem Kind die Liebe zum Leben zu vermitteln, für den dieses Leben nur ein Jammertal ist, weil er es nicht anders weiß und er gelernt hat, dass – wie es bei Calvin heißt – «sich Christus allein elenden, geängstigten Sündern offenbart, die seufzen, die sich abmühen, die beladen sind, die hungern und dürsten, die unter Schmerz und Jammer darniederliegen».61 Als Hesses Schwester Adele Anfang der Dreißigerjahre den Plan fasste, aus den Briefen und Tagebuchaufzeichnungen ihrer Mutter ein Erinnerungsbuch herauszugeben und ihren Bruder um Rat und Hilfe bat, wurde Hesse wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Er könne ihr bei dem Buch nicht helfen, teilte er seiner Lieblingsschwester mit, denn wenn er versuchen wolle, sein Verhältnis zur Mutter und ihrem

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SW 11, S. 297. Erich Fromm, Die Kunst des Liebens. Frankfurt a. M., Berlin, Wien 1980, S. 61. Calvin, Institutio, III. Buch 3,20. Zitiert nach Oskar Pfi ster, Das Christentum und die Angst. Eine religionspsychologische, historische und religions-hygienische Untersuchung. Zürich 1944, S. 382. (Eine Neuaufl age erschien 1985 im Ullstein Verlag)

Hermann Hesse und seine Mutter

95 schriftlichen Nachlass ehrlich auszusprechen, so kämen allerlei Widersprüche heraus. Und dann folgt ein Satz, der ihn vermutlich bewog, diesen Brief nicht abzuschicken: «Im ganzen aber glaube ich doch: wenn sie nicht unsre Mutter, sondern ein fremder Mensch wäre, würde ihr Leben, so wie ich es bisher kenne, mich eigentlich nicht interessieren». Weiter heißt es: «Persönlich habe ich ja mit Mama einiges erlebt, was mein Verhältnis zu ihr gestört hat. Sie ist zwar auch so noch für mich mehr als eine gewöhnliche Mutter, ihr Blick und ihre Stimme und das Lebendige an ihr strahlt über alles weg. Aber im ganzen, wenn ich versuche, es objektiv zu sehen, scheint ihr Leben mir doch nicht ‹glücklich› und nicht eigentlich vorbildlich zu sein. Z. B. bei Großvater Gundert sehe ich eine Stille und Harmonie, eine geläuterte Geistigkeit, die alles andre durchstrahlt. Bei Mutter dagegen rührt und stört mich immer die große Leidenschaftlichkeit, und ich habe nie den Eindruck gehabt, daß sie ihr eigentliches Ziel je erreicht habe, nämlich sich selber und ihre glühende und heftige Natur auszulöschen und im Heiland sterben zu lassen. Gerade weil ich sehr viel von ihr geerbt habe, und an denselben Anlagen leide, sehe ich in Mutters Leben zwar einen großen, leidenschaftlichen Anlauf zum Heiligen, aber eine Heilige ist sie nicht geworden. Daneben stört mich, weil ich da Fachmann bin, in ihren Dichtungen eine gewisse Oberflächlichkeit des Ausdrucks, ein Streben nach hübschen und oft konventionellen Formen».62 Eine abgemilderte Fassung dieses Briefes schickte er Adele zwei Monate später, im Februar 1934: «Mich interessiert an Mutters Leben im Grunde bloß das Persönliche, das was eben uns Kinder angeht. Das andre sehe ich eher zweifelhaft an: die Art von Frömmigkeit und Christentum, die unsre Eltern hatten, war aufrichtig und es wurden ihr Opfer gebracht, aber ganz objektiv kann ich das nicht betrachten, ich spüre auch heute noch etwas Unzulängliches, Gedrücktes, sogar etwas hysterisch Übersteigertes darin, und verzichte darum auf jedes Urteil».63 Hesse hatte es zwar abgelehnt, ein Vorwort zu schreiben, aber er wolle doch einen Weg fi nden, sich zu dem Buch zu bekennen, teilte er seinem Neffen mit. In seiner Rezension, die Mitte Oktober 1934 in der in Wien erscheinenden «Neuen Freien Presse» und vierzehn Tage später im «Berliner Tageblatt» veröffentlicht wurde, wünschte er dem Buch aufmerksame Leser. Es ließe sich zwar nicht leugnen, merkte er kritisch an, dass der Vorstellungswelt und der Ausdrucksweise dieser zeitbedingten Form von süddeutsch-pietistischem Christentum etwas Beschränktes und Veraltetes anhafte, «indessen interessiert uns an diesem Frauenleben nicht so sehr die Form der Glaubenslehre

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GB2, S. 407f. – Seinem Neffen Carlo Isenberg hatte Hesse im Sommer 1934 geschrieben: «Meine neutrale und zurückhaltende Haltung diesem Buch [Marie Hesse, Lebensbild] gegenüber gilt nicht dem Buch, sondern dem Problem, das die Mutter für mich ist. Gerade daß sie sich so sehr viel und gern literarisch äußerte, ist für mich fatal. Ich habe einen Teil meines Sprachtalents von ihr (viel aber auch vom Vater), aber von ihr auch das Dilettantische, das Zuleichtnehmen des Schreibens, die Lust zu übertriebenem Ausdruck, lauter Dinge, mit denen ich lebenslang schwer kämpfen mußte, um das «piano» zu lernen statt der heftigen Register». (GB2, S. 432) KuJ 2, S. 612.

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96 als der lebendige Versuch, das eigene Leben bis in den Alltag hinein christlich zu adeln und zu erhöhen. Da dieser Versuch von einem begabten Menschen, einer Frau mit großer Herzenskraft unternommen wurde und der tapfere Kampf gegen das Gemeine bis zum Tode keinen Tag erloschen ist, müssen wir diesen Lebenslauf bewundern und lieben. Es ist nicht das Leben einer Heiligen, das wir zu lesen bekommen, es ist das Leben eines leidenschaftlichen, liebenden und duldenden Herzens».64 Im Alter revidiert man viele Anschauungen und Meinungen, und Hermann Hesse erging es da nicht anders. Anlässlich des 100. Geburtstags ihrer Mutter im Oktober 1942 schrieb Hesse seiner Schwester Adele: «Merkwürdig und geheimnisvoll war mir immer die Mischung der elterlichen Erbschaften in unsrer Mutter. In vielem war sie wie der Großvater, dessen Weisheit ich sehr verehre, und dann wieder war sie so aktiv, moralisch, so begeistert und kämpferisch um irgendeiner guten Sache willen, wie nur eine welsche Calvinistin es sein konnte. […] Unsre Eltern haben ziemlich viel von uns verlangt, weit mehr aber von sich selber, und haben uns etwas vorgelebt, was selten geworden und unvergeßlich ist. Man sucht uns heute einzureden, ihr Glaube, ihre Weltanschauung, ihre Urteile seien rückständig und überholt; aber ich muß sagen, wenn auch ich selber in der Jugend manchmal so über sie dachte, so hat sich das mit den Jahren doch sehr geordnet und ein andres Gesicht bekommen».65

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SW19, S. 504. GB3, S. 211.

Hermann Hesse und seine Mutter

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Volker Wehdeking

Richard Strauss’ letzte Liedkompositionen nach Hermann Hesses Gedichten: Kongeniale (unvollendete) Umsetzung im Geiste pantheistischen ‹Loslassens› Während die «Vier letzten Lieder» von Strauss nach Texten von Eichendorff und Hermann Hesse weltberühmt wurden, ist wenig bekannt, dass Strauss neben den 1948 in der Schweiz vollendeten Liedern mit Orchester noch zehn weitere Hesse-Gedichte in Musik umsetzen wollte, darunter sein allerletztes, Fragment gebliebenes Werk für gemischten Chor und Orchester (Teile des Gedichts mit einer sechsstimmigen Fuge) nach einem der bedeutendsten weltanschaulichen Hymnen Hesses, «Besinnung». Es war Hesses im Refugium Montagnola im Geist des begonnenen Glasperlenspiels (1943) entworfenes ‹Gegenprogramm› zum im selben Jahr in Deutschland an die Regierung gelangten Nationalsozialismus (das Gedicht ist datiert auf den 20. 11. 1933): Besinnung Göttlich ist und ewig der Geist. Ihm entgegen, dessen wir Bild und Werkzeug sind, Führt unser Weg; unsre innerste Sehnsucht ist: Werden wie Er, leuchten in Seinem Licht. Aber irden und sterblich sind wir geschaffen, Träge lastet auf uns Kreaturen die Schwere. Hold zwar und mütterlich warm umhegt uns Natur, Säugt uns Erde, bettet uns Wiege und Grab; Doch befriedet Natur uns nicht, Ihren Mutterzauber durchstößt Des unsterblichen Geistes Funke Väterlich, macht zum Manne das Kind, Löscht die Unschuld und weckt uns zu Kampf und Gewissen. So zwischen Mutter und Vater, So zwischen Leib und Geist Zögert der Schöpfung gebrechlichstes Kind, Zitternde Seele Mensch, des Leidens fähig Wie kein andres Wesen, und fähig des Höchsten: Gläubiger, hoffender Liebe. Schwer ist sein Weg, Sünde und Tod seine Speise, Oft verirrt er ins Finstre, oft wär ihm

Volker Wehdeking

98 Besser, niemals erschaffen zu sein. Ewig aber strahlt über ihm seine Sehnsucht, Seine Bestimmung: das Licht, der Geist. Und wir fühlen: ihn, den Gefährdeten, Liebt der Ewige mit besonderer Liebe. Darum ist uns irrenden Brüdern Liebe möglich noch in der Entzweiung, Und nicht Richten und Haß, Sondern geduldige Liebe, Liebendes Dulden führt Uns dem heiligen Ziele näher.

Abb. 1: Richard-Strauss-Werkverzeichnis: Letztes unvollendetes Chorwerk, S. 1483

Wie das «Richard-Strauss-Werkverzeichnis» und die «Skizzenbücher»1 in der Abfolge der letzten zwei Strauss-Kompositionen erkennen lassen, erfolgte die Arbeit an der Hesse-Hymne zwischen 1948 und der Rückkehr des gesundheitlich durch eine 1

Franz Trenner, Die Skizzenbücher von Richard Strauss. Aus dem Richard-Strauss-Archiv in Garmisch. Tutzing 1977 (Veröff. der Richard-Strauss-Gesellschaft, München; 1). Ders: Werkverzeichnis, Wien u.a. 1985, Neuaufl. München 1993 (Veröff. Strauss-Ges., München;12). – Hermann Hesse: «Besinnung». In: H. H., Die Gedichte. Hg. V. Michels, Frankfurt a. M. 1992, S. 623.

Richard Strauss’ letzte Liedkompositionen nach Hermann Hesses Gedichten

99 schwierige Blasenoperation in Lausanne geschwächten Komponisten nach Garmisch als allerletztes, unvollendetes Werk. Sie folgt zeitlich dem Entwurf eines Szenarios nach einem Vorschlag von Clemens Krauss. Auch hier, wie in fast allen Kompositionen – bis auf das Oboenkonzert – seit den «Metamorphosen» von 1945, vor allem in den Hesseund Eichendorff-Texten zu den «Vier letzten Liedern» (27. April bzw. 6. Mai bis 20. Sept. 1948) und dem dazwischen orchestrierten «Ruhe meine Seele» (20. Juni 1948, als Lied und Hochzeitsgeschenk für Pauline 1894 zuerst komponiert) widmete sich Strauss dem dankbaren Abschiednehmen von seiner Lebenspartnerin und dem ‹Loslassen› von der Welt, wissend, dass er, fast fünfundachtzig, und gesundheitlich angeschlagen, nicht mehr lange leben würde. Bereits das alttestamentarische Motiv des zeitnahen WerkVorwurfs der Arche Noah ist für den eher mit der griechischen Antike, Sophokles und Platons transzendentalem Humanismus sympathisierenden Komponisten sprechend genug, wenn darin, nach Überwindung der «Sintflut» und «Aussendung der Taube» das sinfonische Szenario in die ersehnte Friedensstimmung der Nachkriegszeit und in eine deutlich von metaphysischen Hoffnungssymbolen begleitete Apotheose mündete: «Regenbogen – Rückkehr der zweiten ausgesandten Taube mit dem Ölzweig – Sonne – Noahs Dankgebet – Choral des Lichts». Diese Lichtmetaphorik und deren postromantische, träumende ‹Nachtseite› und Verklärung im Angesicht des Todes und beim pantheistischen Abschiednehmen (als einem zyklischen Fortgehen und Fortwirken im Unvordenklichen in Goethes Sinn) ist in den «Vier letzten Liedern», besonders in den letzten Eichendorff-Zeilen von «Im Abendrot» (1837), «Wie sind wir wandermüde / Ist das [bei Strauss noch persönlicher als Dank an seine Frau Pauline de Ahna gerichtet, mit «dies» d. V.] etwa der Tod», ebenso dominant wie in den überlieferten Zeugnissen zu seinen letzten Tagen. Als Strauss auf dem Totenbett fiebernd, und öfter bekundend, dass er Musik höre, sich aufrichtet, teilt er seiner Schwiegertochter Alice am 7. Sept. 1949 (einen Tag vor seinem Tod) mit: «Merkwürdig, Alice, das mit dem Sterben ist genauso, wie ich’s in Tod und Verklärung komponiert hab’. Merkwürdig ist das.»2 Diese Tondichtung des 25jährigen mit ihrer in Terzen aufsteigenden, zuerst in Moll gehaltenen und sich am Ende nach Dur harmonisch läuternden Todesthematik («Verklärung») lässt die ins «Stirb und Werde» Goethes und seinen zuversichtlichen, zyklischen Pantheismus einmündende Sterbe-Stimmung von Richard Strauss musikalisch präzise nachvollziehen. Es ist in einer knappen biografischen Zusammenfassung der Entstehungsgeschichte der Hesse-Kompositionen bei Strauss im Rückblick von 60 Jahren weit dankbarer, die kongenialen Affi nitäten beider großen Künstler zu thematisieren und belegen, als das sie (vor allem im Historisch-Politischen und im gegenseitigen «Image») Trennende. In einem zweiten Schritt will dieser Beitrag dann auf die geplante Komposition von «Besinnung» und deren Botschaft aus Hesses Sicht im großen, Hölderlin nahen Gedicht

2

Veronika Beci, Der ewig Moderne: Richard Strauss 1864–1949. Düsseldorf 1998, S. 279.

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100 eingehen, um das intermedial Gelungene und die kompositorische Umsetzung der Hymne herauszustellen, die es in immerhin 103 von ca. 250 geplanten Takten nachzuempfi nden gilt. Schließlich lassen sich aus den übrigen neun, nicht mehr ausgeführten Hesse-Gedichtkompositionen Rückschlüsse auf die psychologische und symbolische Disposition beider aus ihren kongenialen Motiv-Komplexen ziehen. Die gemeinsame Freundschaft mit Romain Rolland und Stefan Zweig ist Teil dieser Affi nität und lohnt einen Blick aufs politische Trennende, aber auch den (bei Richard Strauss dennoch ebenfalls ansatzweise bewährten) Pazifismus in beider Vita und Werkgeschichte, ungeachtet der für Hermann Hesse enttäuschenden Position Strauss’schen Karrierestrebens und Lavierens im Dritten Reich. Über die drei Hesse-Lieder aus den Vier letzten Liedern gibt es reichlich Sekundärliteratur, so dass ich mich über die konventionelle Jahreszeiten-Thematik («Frühling», 1899, «September», 1927) hinaus auf die besonders gelungene, viel bewunderte Gestaltung der sich vom Irdischen lösenden Seele im Gedicht «Beim Schlafengehen» konzentriere. Der Auf blick aus wiedererlangter, unschuldig-kindlicher Perspektive und Weltmüdigkeit zugleich, zur «gestirnten Nacht» wie im Abendgebet («soll mein sehnliches Verlangen/ Freundlich die gestirnte Nacht/ Wie ein müdes Kind empfangen»), steigt in einer einzigartigen Soprankantilene chromatisch an, um dann in einer verzückten Phrase des freien Aufsteigens auszuschwingen. Dem geht ein sich langsam entwickelndes Violinsolo voraus. Auch im zuerst komponierten Eichendorff-Lied, das heute zuletzt gespielt wird, gehören die Piccolo-Triller, die tonmalerisch den zwei Lerchen in Eichendorffs «Im Abendrot» entsprechen («es dunkelt schon die Luft,/ zwei Lerchen nur noch steigen/ nachtträumend in den Duft») zum Reifsten von Strauss’ Klangmöglichkeiten, eine wie ein letzter Gruß wirkende, schmale Lieder-Summe seiner Wagners Leitmotivik aufnehmenden, symbolischen Tondichtungen.3 Als Hermann Hesse Anfang 1946 in seinem gewohnten Hotel (bekannt aus dem Kurgast) bei Franz Xaver Markwalder im Verenahof in Baden bei Zürich zur Kur wohnte, war auch Richard Strauss dort Gast und Markwalders wollten beide Künstler zusammenbringen, da sich Strauss «freue» ihn «kennen zu lernen». Der mit einer Jüdin,

3

Die Mischung aus Todeswunsch und zuversichtlicher Verklärung in diesen Vier letzten Liedern, in denen Strauss die Singstimme über dem vollen, aber sonoren Orchesterklang schweben lässt, manifestiert seinen Sinn für Ausgewogenheit zwischen dem Hesse-Text und der Musik. Sie zeigt sich auch überzeugend an der Rezeption durch ausübende Sängerinnen, etwa Elizabeth Harwood: «I went to sing the Four Last Songs in Vienna with that superb orchestra. I was just in seventh heaven from beginning to end […] I kept asking to repeat them at the rehearsal just to hear the sound!» The vocal line, floating, curving, soaring, in an exstasy of cantilena, is given a backcloth of Strauss’s most glowing, richly harmonized, detailed and evocative orchestration. Indeed the voice almost becomes a solo instrument. In: Michael Kennedy, Richard Strauss. N. Y. 1996, S. 194. – Kennedy zitiert aus einem persönlichen Brief der Sängerin an ihn. Zur Urauff. am 31. 5. 1950 durch Kirsten Flagstad, Wilhelm Furtwängler und das London Philharmonia Orchestra als Strauss’ Wunschbesetzung, vgl.: E. McArthur, Kirsten Flagstad, New York 1965. S. 289f.

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101 Nina Dolbin, geb. Ausländer, verheiratete Hesse ließ sich entschuldigen und schrieb, im Blick auf beider Vita während der NS-Zeit einem befreundeten Maler: Daß Strauss jüdische Verwandte hat, ist natürlich keine Empfehlung und Entschuldigung für ihn, denn grade dieser Verwandtschaft wegen hätte er, der längst überreich Saturierte, darauf verzichten sollen, auch noch von den Nazis Vorteile und Huldigungen anzunehmen. Er war alt genug, um sich zurückzuziehen und fernhalten zu können. Daß er das nicht konnte, ist ja vermutlich nur die Folge seiner Vitalität. «Leben», das hieß für ihn: Erfolge, Huldigungen, riesige Einnahmen, Bankette, Festaufführungen etc. etc. Ohne das wollte und konnte er nicht leben, und so hat er halt den Rank nicht gefunden, dem Teufel zu widerstehen. Wir haben kein Recht, ihm große Vorwürfe zu machen. Aber ich glaube, wir haben doch das Recht, uns von ihm zu distanzieren.4

Als Strauss im Sommer 1947 mehrere Monate in Hesses Nachbarschaft in Lugano im Sanatorium Sanrocco verbrachte, und nachdem ihm Freunde, wohl Willy Schuh (der über die zur Vertonung projektierten, neun weiteren Gedichte aus einer HesseGedichtausgabe5 berichtete), eine einbändige Gedichtausgabe vom Juni 1947 geschenkt hatten, Hesse auch inzwischen den Nobel-Preis (1946) und Goethe-Preis erhalten hatte, trafen sich beide deutschen Künstler. Hesse konnte später, inzwischen etwas milder urteilend, von einem Treffen mit Strauss und dessen Kompositionsplänen erzählen, wobei sein eigener Musikgeschmack längst differierte, zugunsten von Mozart, Bach und den Romantikern (und auch aus moralischen Gründen, wie im Glasperlenspiel), auch wenn er selbst einmal eine Wagner-Phase in der Jugend erlebte: Zu Richard Strauss habe ich nie ein starkes Verhältnis gehabt. Die meisten seiner Opern habe ich nie gehört. Eine Weile, so gegen die Mitte meines Lebens, machten mir Orchesterstücke wie Don Juan und Eulenspiegel Spaß. Dann schwand er immer mehr aus meinem Bereich, […] und ich war sehr überrascht, als ich eines Tages den schon sehr Alten in einem Schweizer Hotel kennenlernte und er mir sagte, man habe ihm meine Gedichte zu lesen gegeben und er sei daran, einige zu komponieren. Die Lieder selbst muten mich an wie alle Strauss-Musik: virtuos, raffi niert, voll handwerklicher Schönheit, aber ohne Zentrum, nur Selbstzweck. Ich habe sie nur dreimal am Radio gehört.6

Strauss suchte, nachdem er, verwöhnt durch die großen Dichter Hofmannsthal und Stefan Zweig in so vielen Projekten zuvor (mit Zweig zuletzt an der Schweigsamen Frau 1935 zusammenwirkend) und seit dem Verlust des emigrierten Stefan Zweig als vorgesehenem und aus der Distanz noch treu beratenden Librettisten der einaktigen Oper Friedenstag (1938) mit Vorlagen durch Joseph Gregor eher mäßig zufrieden war, 4 5

6

Hermann Hesse: Brief vom 1. 2. 1946 an Ernst Morgenthaler. In: H. H. Musik (Anm. 6), S. 181f. Hermann Hesse, Die Gedichte. Berlin: Langenscheidt, 1947 ( Juni), die insgesamt 13 HesseGedichte, durch Strauss zur Vertonung vorgesehen, enthält. Vgl. Hisako Kikuchi: Die vier letzten Lieder von Richard Strauss und die unvollendeten Lieder und ein Chorwerk zu den Gedichten von Hermann Hesse. Tokio, Staatliche Univ. für bildende Künste und Musik, Magisterarbeit 1998, S. 45ff. Hermann Hesse. Brief vom 23. 6. 1957 an Herbert Schulz. In: Hermann Hesse. Musik. Betrachtungen, Gedichte, Rezensionen und Briefe. Hg. Volker Michels. Frankfurt a. M.1986, S.208.

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102 nach einer neuerlichen poetischen Anregung durch jemanden, der ihm in der neuromantischen, ganz der Kunst und Kastalien gewidmeten, geistigen und humanistischen Sphäre ebenbürtig schien, eben Hermann Hesse. Der dreizehn Jahre ältere Komponist hatte in der Nachkriegszeit die, wenn auch durch gute Hotels verwöhnte, Unrast des Schweizer Exils erfahren, und fand beim Nobelpreisträger und seiner postromantischen Lyrik verwandte Züge. Seine eigene, weniger verbal, aber in der Musik geleistete Trauerarbeit hatte mitten im Krieg den betonten Rückzug aus der Zeit und jeder martialischen Rhetorik mit «Friedenstag» begonnen, das in der Botschaft und im Festhalten an Stefan Zweig als Librettisten auf den Plakaten von 1935 der herrschenden NS-Clique missfiel. Vollends mit Capriccio (1941/42), wo es um ein barockes, höfisches Wetteifern zwischen Textdichter und Musikkomponist im Werben um eine Gräfi n geht, zieht sich Strauss aus der politischen Gegenwart in die Innere Emigration der Kunst zurück und bleibt dieser Linie auch im Nachkrieg treu. Bei Hesse, wie bei sich selbst, glaubte der über 80jährige Strauss die Phase des sich selbst auf dem Weg zu überzeitlichen, humanistischen Werten befi ndlichen Alters manifest. Unter den weiteren neun Hesse-Gedichten (über die drei der vier «Letzten Lieder» und «Besinnung») hinaus, die Strauss interessierten, sind solche, wie etwa «Nacht» (1901), die das Lerchen-Motiv Eichendorffs mit Amseln und Schwalben wiederaufnehmen und auf den Tod als «kühles Rauschen», das vom «Wald» kommt, eingehen, der das Herz des Lyrischen Ichs «erschauernd» lachen macht; Strauss-Noten zum AmselMotiv gibt es in einer unveröffentlichten Skizze7 : Mit Dämmerung und Amselschlag / Kommt aus den Tälern her die Nacht / Die Schwalben ruhn, der lange Tag / Hat auch die Schwalben müd gemacht.

Weitere Titel Hesses, die Strauss zur Komposition vorsah, sind «Höhe des Sommers» (1933), «Feierabend» (1905), wo es um den Frieden auf abendlicher Bank im Freien und ein Zurückträumen zu verglühten «Jugendhoffnungen» geht, «Über die Alpen» (1901) mit dem Fernweh nach dem «ersten blauen See Italiens» und «südlich übersonntem Meer» mit einem Blick, der bis Florenz und Rom reicht. In «Weg in die Einsamkeit» (1918) geht es um die Angst nach dem 1. Weltkrieg, «frierend» in einer «gestorbenen Welt zu stehen» mit dem mütterlichen Trost von «Tod und Wiedergeburt» und der Tenor des Abschieds wird noch einmal deutlich: «Die Welt fällt von dir ab». Am bemerkenswertesten ist vielleicht das späte Gedicht «Leb wohl, Frau Welt» (23. 4. 1944) mit seiner bitteren Kriegs- und Endzeitstimmung:

7

Vgl. Die Texte und Lieder von Richard Strauss. Hg. Reinhold Schlötterer, Pfaffenhofen 1988, Anhang A, S. 248 und B, S. 250; und Kikuchi (Anm. 5), S. 106f.

Richard Strauss’ letzte Liedkompositionen nach Hermann Hesses Gedichten

103 Es liegt die Welt in Scherben, Einst liebten wir sie sehr, Nun hat für uns das Sterben Nicht viele Schrecken mehr.

Dann wieder erfolgt der Umschlag in die postromantische Stimmung im Anschluss an Eichendorff, es verbinden sich Dankbarkeit über ein erfülltes Leben, untermischt mit Bitterkeit, mit dem verständlichen Überdruss nach der Erfahrung zweier Weltkriege: Man soll die Welt nicht schmähen, Sie ist so bunt und wild, Uralte Zauber wehen Noch immer um ihr Bild. […] Leb wohl, Frau Welt, und schmücke Dich wieder jung und glatt, Wir sind von Deinem Glücke Und Deinem Jammer satt.8

Das allegorische Gedicht, geschrieben nach Vollendung des Glasperlenspiels, spiegelt wie der Tod des Magister Ludi im eiskalten Bergsee, gerade als ihn die «Flammen» der Sonne von Osten einholen, die Synthese der Extreme: Todeswunsch und leuchtende, wenn auch zuweilen «glatte» Weltschönheit, erinnert im Licht des «uralten Zauber(s)» der Spätromantik. Da Hesse in Das Glasperlenspiel eine profunde und zugleich strenge Auffassung des Musikgeschehens im klösterlichen Orden Kastaliens vorträgt, halte ich es für nützlich die Wirkung des Musikgedankens auf einen moralisch unbestechlichen Freund, Peter Suhrkamp (für seine Gesinnung 1944/45 im KZ Oranienburg und Sachsenhausen interniert), für Hesses Auffassung, seiner reservierten Haltung gegenüber «dickem Komponieren» bei Brahms und Wagner im Vergleich zu seiner Mozart- und BachVerehrung, zu zitieren; zugleich ist die Glasperle Symbol der Ganzheit C. G. Jungs, eine Mandala: Die Kastalier bilden für ihre Studien ein anderes Instrument aus, dessen Zeichen so fern von jedem täglichen Gebrauch sind wie die Notenschrift in einem Musikstück. Die reinste und abstrakteste Gestalt, die Kugel, wurde als Zeichen gewählt. Sie wird, als Glasperle, in Kombinationen verwandt, wie sie in musikalischen Kompositionen vorgebildet sind. Die Darstellung eines geistigen Vorgangs geschieht in einer Partitur aus Glasperlen, und diese Partitur wird, in der Art eines Musikstückes auf einer Glasperlenorgel, für die Mitglieder des Ordens verständlich, zur Aufführung gebracht.9

8 9

Hermann Hesse, Die Gedichte, Frankfurt a. M. 1992, S. 687. Peter Suhrkamp, in: Sieg fried Unseld: Hermann Hesse. Werk- und Wirkungsgeschichte. Frankfurt a. M. 1985, S. 189–191.

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Abb. 2: Richard Strauss 1949, den Hesse 1946 als «schönen alten Herrn» sieht, der ihm letztlich doch «gut gefällt» (Brief, Anm. 4, S. 181). Bild-Quelle: Fotograf Reinhard Schmid nach einem Gemälde im Privatbesitz Strauss © Bildagentur Huber

Kein Wunder, also, dass diese Musikdisposition eines Kastaliers zu einer voreingenommenen Beurteilung von Strauss als Komponist führen musste, auch den Vier letzten Liedern, die er schnöde als «ohne Zentrum, nur Selbstzweck» bewertet; statt sie zu sehen wie sie sind, große Kunst, sah er nur die Wirkungskomponente als Rausch bis zur Ekstase und als selbstreferentielles Zeugnis. Musiker sehen dagegen das meisterhafte Handwerk, die Geistigkeit seiner Kunst, ihre Universalität, welche die Musik von Bach und Mozart bis zu Beethoven, Berlioz und Wagner zusammenfasst und einen letzten Abglanz der Schönheit und Musiksprache einer untergegangenen Epoche hörbar macht. […] Im ersten der Vier letzten Lieder, im «Frühling», beschwor Strauss das Leben, den Glanz des Lichts mit sparsamen, abgeklärten Orchesterfarben – wie von Ferne, wie ein Unbeteiligter. Dieses

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Abb. 3: Richard Strauss: «Beim Schlafengehen» nach H. Hesse, 1948. Text von Norman del Mar: Richard Strauss, Bd. 3, S. 464

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106 Lied führt vom dunklen c-Moll, in dem die Metamorphosen enden, zum lichten und freudigen A-Dur, das zart und milde im Piano erklingt. War dies der Weg von Erdenschwere ins Licht? […] In Eichendorffs «Abendrot», dem letzten der Vier letzten Lieder, komponierte Strauss ein langes, sanftes Niedersinken der Musik in die Tiefe der Nacht: […] «O weiter stiller Friede! So tief im Abendrot. Wie sind wir wandermüde – ist dies etwa der Tod?» – und das Orchester weitet sich zu einem fernen, transzendenten Ces-Dur-Akkord. Todesahnung und Jenseitshoffnung sind in einem einzigen Klang verdichtet.10

Die Klangfarbe der Tonarten spielt für Strauss eine zentrale Rolle, auch im letzten Werkfragment «Besinnung», das nahe der Tonart «liebender Zuwendung», A-Dur, die «mütterliche» Natur kennzeichnet, jedoch mit As-Dur, da sie nicht zu «befrieden» vermag. Der «ewige» und göttliche Geist steht in der königlichen C-Dur-Tonart.11 Ende 1944, im selben vorletzten Kriegsjahr, in dem dies Hesse-Gedicht des Weltverzichts entstand, starb Romain Rolland, nach Stefan Zweigs Selbstmord 1942 der zweite enge und von beiden Künstlern bewunderte Freund. Bei Strauss datierte diese Freundschaft seit 1896, als Rolland seine Tondichtung «Also sprach Zarathustra – Tondichtung frei nach Nietzsche» bewunderte, bei Hesse datiert die Freundschaft seit Demian und dem Pazifismus beider nach dem Ersten Weltkrieg. Bewunderte Rolland an Strauss’ Also sprach Zarathustra (1896) die gegenüber Nietzsche selbständigen, «rein menschlichen Ideen» und zeigte im Handlungsverlauf der Tondichtung eine Entwicklung des Helden, der vom Glauben über den Zweifel an der Askese (ganz wie Hesses Siddartha eine Generation später, und im Magischen Theater Harry Haller in der Vision) in den Welttaumel der Triebe stürzt, so fi ndet der Held dann aber im Überdruss und nach faustischer Wissenschaft «Befreiung im Lachen».12 Als aber Rolland sich 1917 an Strauss um Ermutigung gegen den Chauvinismus der Epoche im Krieg wandte, musste der Patriot Strauss ihn enttäuschen. Rolland schrieb: Ich hätte Ihnen gerne gesagt, daß ich mich in dieser fürchterlichen Zeit, da die Geister Europas rasen und sich wie tolle Hunde zerfleischen, den sehr wenigen Freunden, die der Wahnsinn des Herdentriebs nicht erfasst hat, so nahe fühle wie noch nie, in der überirdischen Harmonie der ewigen Kunst. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, Ihre Gedanken kennenzulernen, Ihren genauen geistigen Standort inmitten aller Landsleute! 13

Strauss schrieb aus Garmisch, er hoffe auf ein Wiedersehen im Mai 1917 in der Schweiz, wo er Mozart dirigiere. Er sähe, «in wie vielen allgemein menschlichen und prinzipiellen Punkten wir übereinstimmen, bei aller Liebe für unsere tapferen Truppen im Felde. Dabei müssen gerade wir Künstler versuchen, unseren Blick für das Schöne 10 11

12 13

Franzpeter Messmer, Richard Strauss. Biographie eines Klangzauberers. Zürich u.a. 1994, S.480f. Zur Tonarten-Bewertung bei Strauss und Wagner (u.a.) vgl.: Stefan Miekisch, S. M. spielt und erklärt Richard Strauss’ Opern: Elektra. CD Life-Mitschnitt, Richard-Strauss-Tage Garmisch 2005. Romain Rolland, Musiker von heute. Olten 1971. Romain Rolland, Brief vom 2. 2. 1917, Sierre, Hotel Chateau Bellevue. In: Maria HülleKeeding (Hg.), Richard Strauss – Romain Rolland. Briefwechsel und Tagebuchnotizen. Berlin 1994 (Veröff. der Richard-Strauss-Gesellschaft, München, Bd. 13), S. 132.

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107 und Erhabene allenthalben uns frei zu erhalten und uns in den Dienst der Wahrheit zu stellen, […].»14 Strauss, der hier Rollands Pazifi smus ausweicht, kann nicht umhin, «die unmenschliche Behandlung der armen deutschen Kriegsgefangenen», sogar «Foltern» durch Rollands «Landsleute» im «Gegensatz» zu «Deutschland, England, ja sogar Italien» zu beklagen. Erst 1924 kommt es wieder zu längeren Kunst-Überlegungen über Hofmannsthal zwischen beiden, dann 1926, widmet Strauss Rolland einen auch musikalisch in strahlendem C-Dur bemerkenswerten Hymnus aus Goethes «Westöstlichem Diwan» mit dem selbstbewussten Liedtext einer Titanenfreundschaft («Festlich bewegt»): «Durch allen Schall und Klang der Transoxanen erkühnt sich unser Sang auf deine Bahnen! Uns ist für gar nichts bang, in dir lebendig; Dein Leben daure lang, dein Reich beständig!» Es ist musikalisch bemerkenswert, dass Strauss bei der Hesse-Vertonung der Hymne «Besinnung» für die Eröffnung «Göttlich ist und ewig der Geist» dieselbe Tonart und ganz ähnliche Intervalle bemüht, die die These einer späten Reminiszenz an den gemeinsamen Freund und die Bekräftigung edler Kunst stützen. Die Widmung an Rolland von 1926 lautet: «[…] dem großen Dichter und hochverehrten Freunde, heroischen Kämpfer gegen alle ruchlosen an Europas Untergang arbeitenden Mächte» und Rolland dankt fürs «königliche Freundschaftsgeschenk» und für dreißig Jahre Freundschaft und die «Lichtstrahlen Ihrer Musik […], wie sie auch mein Leben erfüllt haben, vom ersten Tag an […] als die jubilierenden Fanfaren des Heldenlebens mein Herz tanzen ließen.»15 Auch wenn Hesse bis 1945 der weit konsequentere Pazifi st blieb, und der deutlich aus seiner Generation heraus unpolitische Strauss in diesen Differenzierungen und Gesten hervortritt, am Geist des Humanismus im letzten, unvollendeten Werk von Strauss zum Hesse-Text «Besinnung» lässt sich die, auch musikalische, Kongenialität als implizite Trauerarbeit über die Rolle im 2. Weltkrieg des Komponisten ablesen. Hesses Botschaft in der Hymne entspricht seiner dreistufigen Privatmythologie im vorauf gegangenen Essay «Ein Stückchen Theologie» (1932), worin er von der «Menschwerdung» als Weg von der «Unschuld» (Paradies und Kindheit) in die «Schuld» gegenüber Trieb, Kultur, Moral, Religion und «Menschheitsidealen» spricht. Um nicht in der unweigerlichen «Verzweiflung» zu enden, dass Gerechtigkeit, «Dienen» und Gutsein «unerfüllbar» seien, führt dieser Zustand zum Vordringen «zu Gnade und Erlöstsein», ja «Glauben». Die Entfernung zu Kierkegaards «Sprung in den Glauben» ist hier nicht allzu groß. In der Hymne gipfelt das Bekenntnisgedicht genau in der Mitte, nach der bi-polaren ‹Geworfenheit› (Hesse ist in manchem dem melancholischen Rückzug Heideggers aus der Zeit und der Technik in die Natur in diesen Krisenjahren der Depression nicht fern) zwischen «Mutter und Vater», «Leib und Geist» in einer anrührenden, brüderlich-existentiellen Wendung (im Bild der Waagschalen die «Zitternde Seele

14 15

Richard Strauss, Brief vom 12. 2. 1917. Ebd. S. 133. Rolland, Brief an Richard Strauss vom 25. 2. 1926. Ebd. S. 137f.

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108 Mensch») bevor die Werte paulinischer Christlichkeit einsetzen.16 Den Chiasmus am Ende, der das «liebende Dulden» doppelt benennt, hat Strauss in seinem Chorliedtext noch durch eine Umstellung der letzten Zeile bekräftigt: «uns näher dem heiligen Ziel» heißt es da in der Partitur. Bemerkenswert ist die Fuge, die gegenüber dem sechsstimmig geplanten Chorlied mit Orchester sogar achtstimmig werden sollte.17 Als Strauss von einem amerikanischen Verlag 1948 die Bitte um ein neues Chorwerk erhielt, hatte er anfänglich wenig Neigung, ihn reizte jedoch die schon länger zur Vertonung vorgemerkte «Besinnung», da die Hesse-Hymne in ihrem geistigen Gehalt «ihn in der letzten Phase seines Lebens und Schaffens aufs stärkste anziehen und insbesondere die eröffnenden Verse ihm als ein zusammenfassendes Bekenntnis seines innersten Strebens erscheinen mussten».18 Seine ersten musikalischen Vorstellungen zur Vertonung der zweiten bis vierten Strophe waren den Klangfarben der Tonarten gewidmet. «Ewig ist» beginnt sechsstimmig in lichtem strahlendem C-Dur mit einer forschen, in Allegro gehaltenen Aufwärtslinie e-moll: «aber irden und sterblich» As-dur: «Hold zwar und mütterlich» c-moll: «Doch befriedet Natur» f-moll: «Schwer ist sein Weg» Die Fuge, die nur in 17 Takten in der handschriftlichen Partitur vorliegt, ist von düsterem Glanz und an ihr arbeitete Strauss am intensivsten, da die zeitweise Achtstimmigkeit mit dem sonst 6-stimmigen Chor nicht leicht zusammenging; dann beschloss er, bei angeschlagener Gesundheit, das Ganze liegen zu lassen. Der bittere Kernsatz mit der Einsicht des Ödipus auf Kollonos, «Oft wär ihm / Besser, niemals erschaffen zu sein», sollte mit einer baldigen Engführung versehen werden, sowie der textuellen Umstellung von «ins Finstre» zum klanglich ansprechenderen «ins Dunkle». Das Ganze sollte aber Trost bewähren in der Gestaltung der «Sehnsucht» des «Gefährdeten» nach «Licht» und «Geist»: die «besondere Liebe» des «Ewigen» gilt dem Künstler, so legt es diese Bemühung in der Engführung nahe. Da zugleich die Fuge eine Domäne jener ‹moralisch strengen› Kunst ist, die Hesse an Bach und Händel liebte und im Glasperlenspiel forderte, ist diese brüderliche Bemühung um Trauerarbeit und Anerkennung durch den reiner durch die Versuchungszeit Gegangenen auf anrührende Weise spürbar.19 16

17 18 19

«Gläubiger, hoffender Liebe»: vgl. Paulus an die Korinther I, 13,13. Zur näheren Deutung vgl. Volker Wehdeking: «Hermann Hesse, Carl Gustav Jung und Thomas Mann. Die intertextuellen Bezüge in der Erzählprosa des späteren Werks». In: Hermann-Hesse-Jahrbuch Bd. 2, München 2005, S. 121–148, hier S. 144–146. Willi Schuh: «Unvollendete Spätwerke von Richard Strauss». In: Schweizerische Musikzeitung 90 (1950), Heft 8/9, Sept. 1950, S. 392–402. Ebd., S. 400. Der Verfasser konnte die Originalpartitur im Garmischer Richard-Strauss-Institut einsehen. Dort erhielt er auch die Erlaubnis für den Abdruck der Particell-Auszüge und Abb. aus der Sek.-Lit.

Richard Strauss’ letzte Liedkompositionen nach Hermann Hesses Gedichten

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Abb. 4: Aus Willi Schuh, Richard Strauss, «Besinnung», ebd. S. 401.

Eine weitere, wichtige Gemeinsamkeit teilten Hesse und Strauss in Bezug auf ihr Musikverständnis, das mit der Moderne bei der Tonalität endete. Strauss, der mit der Oper Elektra (1909) an die Grenzen der Chromatik und Tonalität gegangen war, blieb im weiteren Werk innovativ innerhalb dieser Grenzen. Und Hesse blieb nach der avanciertesten Erzählprosa der Klassischen Moderne in Der Steppenwolf (1927) bis zum Schaffensende, und besonders in seiner Lyrik Neuromantiker, selten in freien Versen, meist im Volksliedgenre und seinem Reimschema. Aufschlussreich hierfür ist Hesses spätes Gedicht Antwort an Freunde, die mir ein sehr schwieriges Gedicht im neuen Stil geschickt und gefragt hatten, ob ich es etwa verstehe (1960): Manchem mag / Doch jedem nicht / Gott gegeben / Verstehen gelblicher / Verse dunkles Violett. Zwölf sind der Töne, / Mancher versteht / Zwölfergesang / Mit oder ohne Adorno, / Nicht aber / Unterzeichneter, / Dessen Augen / Erstaunen blendet.20 20

Hermann Hesse, Die Gedichte, a.a.O., S. 792, «Höhe des Sommers», S. 615.

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110 Zur abgeklärten Disposition des späten Strauss, dem Hesses Nähe zur Romantik kongenial entsprach, gehört, dass er in der letzten Eichendorff-Zeile von Im Abendrot, «Ist dies etwa der Tod», das Idealismus-Motiv aus Tod und Verklärung anklingen lässt.21 Und das Lied September endet mit einem Horn-Solo, als ein letzter Gruß an seinen Vater, den Münchener Hornisten. Dankbarkeit, Reife und Trost sind die spürbaren Empfi ndungen in der Orchestrierung dieser Vier letzten Lieder. Neben die ausgeführte Partitur von September hatte sich Strauss noch als späte, aber ernsthaft vorgesehene Komposition, ganz in der Nähe von Besinnung mit dem Schlüsselwort «Vergeistigt» den Hesse-Text von Höhe des Sommers notiert. Nochmals geht es um das Freigeben der «Seele» und um ‹Loslassen›. Strauss – hier Eichendorffs Gedicht Mondnacht neben Hesse nachempfi ndend –, fi ndet den «Zauberton» der Natur und das Sichabfi nden mit dem Tod, der ihm aber wie in Hesses berühmtem Gedicht Stufen (1941) nicht das Ende, sondern pantheistisch ein ersehntes «Morgen» bedeutet. In Stufen fordert der vom großen Werk Das Glasperlenspiel bereits Abschied nehmende Dichter: «Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!», nachdem er zyklisch mit Goethe philosophierte: «Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, […] Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde / Uns neuen Räumen jung entgegen senden»: Höhe des Sommers Das Blau der Ferne klärt sich schon Vergeistigt und gelichtet Zu jenem süßen Zauberton, Den nur September dichtet. Der reife Sommer über Nacht Will sich zum Feste färben, Da alles in Vollendung lacht Und willig ist zu sterben. Entreiß dich Seele, nun der Zeit, Entreiß dich deinen Sorgen Und mache dich zum Flug bereit In den ersehnten Morgen.

In Eichendorffs sehr bekanntem Gedicht «Mondnacht», kongenial vertont von Robert Schumann (1840 in «Liederkreis», op. 39), gehen nach der vertrauten Eingangszeile «Es war, als hätt der Himmel / Die Erde wachgeküßt,» am Ende die Triolen wiederholt abwärts zu Tod und Tiefe, jedoch ist der grandiose Schluss von Strauss in «Abendrot» mit dem selbstreferentiellen Zitat des Erlösungsmotivs aus «Tod und Verklärung» noch ungleich bedeutungsdichter. Hesse nimmt in «Höhe des Sommers» die dritte 21

Vgl. Michael Kennedy, Richard Strauss. Man, Musician, Enigma. Cambridge 1999, S. 386. Kennedy summiert das Kapitel 31 über die letzten Kompositionen: «This is no winter of discontent, but an autumn harvest of fulfi lment».

Richard Strauss’ letzte Liedkompositionen nach Hermann Hesses Gedichten

111 Eichendorff-Strophe als abzuwandelndes Modell, ebenso nehmen beide dies Bild aus Goethes später Gedankenlyrik, «Urworte orphisch» (1817), am Ende auf. Dort ist es die ins Titanische des Sturm und Drang gesteigerte Metaphorik der sich auf Flügeln aus den irdischen Zwängen («Ananke, Nötigung») emporschwingenden, befreiten Seele: «Elpis, Hoffnung»: Aus Wolkendecke, Nebel, Regenschauer Erhebt sie uns, mit ihr, durch sie beflügelt; Ihr kennt sie wohl, sie schwärmt durch alle Zonen; Ein Flügelschlag – und hinter uns Äonen.22

Bei Eichendorff nimmt das Motiv in seiner naturlyrischen Vollendung auch das Bild von Hesses «gestirnter Nacht» (aus «Beim Schlafengehen», 1911) vorweg: «[…] Es rauschten leis die Wälder, / So sternklar war die Nacht»: Und meine Seele spannte Weit ihre Flügel aus, Flog durch die stillen Lande, Als flöge sie nach Haus.23

Bei Hesse nimmt das Selbstgespräch des Scheidenden («Entreiß dich Seele, nun der Zeit») in «Höhe des Sommers» (1933) im früheren Naturgedicht von 1911 noch wie bei Eichendorff das schwebende Traum- und Flugmotiv der ‹Nachtseite› der Romantik in den Vier letzten Liedern als pastorales Abschiedsbild auf, beim Romantiker distanzierter im Blick ( auf «die Wälder») und einer Landschaftstotale gleich: Und die Seele unbewacht Will in freien Flügen schweben, Um im Zauberkreis der Nacht Tief und tausendfach zu leben.24

Die vier letzten Lieder entfernen sich so konsequent vom Stil der eigenen Zeit, wie sie etwa in der gleichen Epoche die Neutöner Schönberg, Webern, Berg und Hindemith (im Exil) vertraten, dass konservative Kritiker ihn um 1950 als eine «wahre Oase in der Wüste des Konzertbetriebs» empfanden.25 Unsere Motivvergleiche zum romantischen Nacht- und Abschiedsgedicht bei Hermann Hesse zeigen auch bei ihm ein ähnliches Phänomen, das Hesse in der ersten Gesamtausgabe seiner Gedichte 1942 zum Thema «Sinn und Zweck» solcher «Gesamtausgabe» (als um 1930 noch verfrüht betrachtet) ebenso distanziert als «Müdigkeit» und Altersreife beschrieb. In der von Strauss gele-

22 23 24 25

Johann Wolfgang von Goethe, Gedichte, Hg. Erich Trunz, München 1996, S. 360. Joseph von Eichendorff, Mondnacht. In: Deutsche Naturlyrik, Hg. Gunter E. Grimm, Stuttgart 1995, S. 213. Hesse, Gedichte, 1992, S. 382. Hans Redlich, Aus dem Nachlaß von Richard Strauss. In: Ders., Das Musikleben, III, 1950, S. 226.

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112 senen Gesamtausgabe kommt es als nämliches Geleitwort in der Ausgabe 1947 (Langenscheidt) nachlesbar vor und er konnte es nachempfi nden: Aber ich sah dann jedesmal ein, daß dazu ein Grad von Reife oder auch von Müdigkeit, ein Grad von Geduld oder auch von Gleichgültigkeit gehöre, den ich noch nicht erreicht habe. Das würde vielleicht mit dem Alter kommen. […] Und es kam in der Tat. […] als Auftrag von außen nahm ich sie an, und siehe, jener Grad von Geduld oder Reife, von Müdigkeit oder Senilität, der mir erlauben würde, zum Ganzen dieser dichterischen Produktion, auch zu ihren so offenkundigen Schwächen, Ja zu sagen und in Gottes Namen meinen Namen darunterzusetzen, dieser Grad war jetzt erreicht; ich habe mich der Arbeit unterzogen.26

Für Strauss waren die letzten Lieder eine Zusammenfassung der nun weggerückten, aber immer noch geliebten und fernher grüssenden Romantik, wie sein ansteigendes, im Abendrot am Ende wieder aufgenommenes Jugendmotiv des 25jährigen, – damals bereits von einer frühreifen Klassizität des jugendlichen Idealismus und der Läuterung nach Dur in «Tod und Verklärung» von 1889 (g – c – d – e – und e im Oktavsprung – d) verdeutlichen. Seine Leitmotivtechnik und ‹sinfonische Dichtung› in raffinierter Orchestrierung und Chromatik der ‹reichen Fülle› ist nun begleitet von «tiefem Ernst und verfeinerte(r) Sensibilität. Reich, üppig, betörend, magisch, farbenprächtig und herbstlich sind Adjektive, die immer wieder auf Strauss’ ‹Schwanengesang› angewendet wurden.»27 Er blieb darin Erbe und Vollender Wagners und des 19. Jahrhunderts. Immer wieder wurden die Vier letzten Lieder auch mit Brahms’ Vier ernsten Gesängen, Wolfs Michelangelo-Liedern und Mahlers «Abschied» aus dem Lied von der Erde verglichen. Es war sein ‹musikalischer Sonnenuntergang›. Und hierzu stimmten die Themen nostalgischen Rückblicks jener ausgewählten in altersmüder «Reife» und «Geduld» gesammelten, ebenfalls postromantischen Gedichte Hermann Hesses. Aber man täusche sich nicht über die weniger idyllische als numinose Kraft der Vertonungen; auf dem Schreibtisch des verstorbenen Tonsetzers fanden sich die Noten-Skizzen zum Schwalben-Motiv aus Hesses «Nacht» (1901) und auf seinem Körper lag die aufgeschlagene Partitur von Wagners Tristan28: Der Tristan ist die allerletzte Conclusion von Schiller und Goethe und die höchste Erfüllung einer 2000jährigen Entwicklung des Theaters. […] Das von Haydn, Weber, Berlioz und Wagner geschaffene moderne Orchester ist das Instrument geworden, das allein fähig ist, jenes Incommensurable, von dem der alte Goethe spricht (das dem Verstand nicht erreichbar ist), darzustellen in Symbolen, die nur dem ahnenden Gefühl sich erschließen; nur die Musik kann es wagen, das ‹Reich der Mütter› ohne Schauder und Entsetzen zu betreten.29

26 27 28 29

Hermann Hesse, Zur ersten Gesamtausgabe seiner Gedichte 1942. In Die Gedichte, 1992, S. 6. Barbara A. Petersen, Ton und Wort. Die Lieder von Richard Strauss. Pfaffenhofen 1986 (Veröff. der Richard-Strauss-Ges. München, Bd. 8, hg. Franz Trenner), S. 233. Laut Auskunft des Strauss-Enkels Dr. Christian Strauss, anlässlich eines Besuchs in der Strauss-Villa am 4. Juni 2008. Den Brief über Tristan schrieb Strauss 1935 an Joseph Gregor, zitiert nach Messmer (Anm. 10), S. 451.

Richard Strauss’ letzte Liedkompositionen nach Hermann Hesses Gedichten

113 Strauss hat sein Leben lang Goethe gelesen, aber auch Homer, und meinte sowohl das Faustische des ‹ewig Weiblichen› (Helena und Margarete), vorgeformt beim Hadesgang der Griechen (Herakles, der Alkestis bei Pherae aus dem Hades holt, und Orpheus, der mit seinem Gesang die Persephone zur Freigabe der Eurydike bewegt) 30 als auch Dantes Empyreum mit Beatrice und Maria, sowie Richard Wagners ‹Reich der Mütter› (neben Isoldes Liebestod und Brangänes Treue) in der Götterdämmerung der germanischen Nornen im Ring. Der Gang zu den Müttern war keine Sache des 20. Jahrhunderts mehr. Auch dies Bewusstsein teilen Hesse und Strauss. Nach dem Ersten Weltkrieg dichtet Hesse in dem von Strauss zur Komposition vorgesehenen «Weg in die Einsamkeit» einen ‹frierenden Abgesang› der Themen des 19. Jahrhunderts und der Neuromantik (und anderen Gegenströmungen zum im Naturalismus zugespitzten, in Deutschland ‹poetischen Realismus›): «Die Welt fällt von dir ab»/ […] Aus ihrer Asche droht Finsternis/ […], Frierend stehst du in einer gestorbenen Welt»: Schwer ist der Weg in die Einsamkeit, Schwerer als du gewusst, Auch der Träume Quell ist versiegt. Doch vertraue! Am Ende Deines Weges wird Heimat sein, Tod und Wiedergeburt, Grab und Ewige Mutter.

Mit Demian (1919) leistet Hesse die Zusammenfassung des Kriegserlebnisses und einen Neubeginn. Die Formulierung «Schwer ist der Weg» und das zeitweise Versiegen des Mythos aus dem Geist der Jung’schen Archetypen, «der Träume Quell», ganz in der Nähe der späten Hymne «Besinnung» (Strophe 4, «Schwer ist sein Weg […] / Oft verirrt er ins Finstre»), verstellt aber nicht die mütterliche Erneuerung («Besinnung», Strophe 2 und «Weg in die Einsamkeit», letzter Vers, «Grab und Ewige Mutter») aus «Sehnsucht» nach Licht, Geist und «liebendem Dulden». Der Gang zu den Müttern, von dem Strauss aus Götterdämmerung und Faust II wusste, wie gefährlich er war, und dem Faust beinah in einer Explosion erliegt, weil er beim Beschwören von Helena für den Kaiser Schein und Wirklichkeit verwechselt31, ist der Musik noch am ehesten möglich, die das Erbe der Frühromantik abschließt.

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31

Johann Wolfgang von Goethe: Faust II, V. 7435 und V. 7426f.). Der Verf. bezieht sich hier auf den Faustkommentar von Ulrich Gaier, Fausts Modernität. Essays. Stuttgart: Reclam 2000, insbesondere S. 28–81. Faust II, Ende 1. Akt, V. 6555f., Kommentar durch Ulrich Gaier, ebd., S. 77f.

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Hesses Steppenwolf als Film: Analoge Adaption und postmoderne Vielschichtigkeit Fred Haines’ in großen Teilen analoge, teilweise auch interpretierende Filmadaption (1974) von Hermann Hesses Der Steppenwolf (1927) macht in größtenteils adäquaten Regie- und Darstellerleistungen die komplexe Entstehungsgeschichte im Geiste der ‹Counterculture› in den USA vergessen. Als der Film dort geplant wurde und entstand, verdankte sich das hohe Leser- und Medieninteresse an den Hesse-Titeln Siddhartha und Der Steppenwolf allerdings der Counterculture der Hippies und dem gegen den Vietnam-Krieg gerichteten Pazifi smus seiner Botschaft. Hinzu kam die Außenseiter-Aufmerksamkeit, die man seit Colin Wilsons britischem Beitrag zur Beatnik-Philosophie, dem amateurhaft literaturkritischen, in den USA vielbeachteten Sachbuch The Outsider (1956), mit einem eigenen Kapitel zu Hermann Hesse dem Autor und seinem Helden Harry Haller entgegenbrachte. Zur Vergabe der Rechte durch Suhrkamp und die Söhne kam es im Zuge dieser Konstellation des Hesse-Booms in den USA im Jahre 1971 für 75.000 Dollar an den Dokumentarfi lmer und Produzenten Mel Fishman. Dieser suchte seit 1968 einen Regisseur und Drehbuchautor für das Projekt und fand ihn in dem durch eine Ulysses-Filmadaption ausgewiesenen Fred Haines. Nach einem Zwischenspiel, das Bernhard Wicki als Regisseur vorsah (und eine deutsche TV-Beteiligung der beiden öffentlich-rechtlichen Kanäle und der «Bavaria» plante, bis ihnen die vorübergehend durch Fishman ins Auge gefasste Rollenbesetzung der Hauptrolle durch den notorischen Professor und umstrittenen Drogen-Apostel Timothy Leary zu unseriös erschien) konnte als Ko-Produzent Richard Herland und als Geldgeber der US-Millionär Peter J. Sprague gewonnen werden und das Projekt konnte im Herbst 1973 starten.1

1

Zur Entstehung des Films vgl.: Hedrik Licht, Verfi lmung der Erzählung Der Steppenwolf von Hermann Hesse. Universität Kassel. Seminar: Einführung Literatur und Medien. Ltg. Prof. Seibert. In: Hermann-Hesse-Page 2002, S. 1–29, hier S. 4–9 (Hesse-Website der Univ. of California, Santa Barbara, Hg. Günther Gottschalk, www. gss.uscsb.edu/projects/hesse, Zugriff am 20. 02. 2008. Das Filmbudget betrug 1,2 Mio $.

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1.

Filmstruktur, Analysen des Regie-Stils, intermediale Botschaft

1.1 Die Filmstruktur: Makro- und Mikrostruktur Der Filmregisseur Haines ließ alle Außen-Locations in Basel drehen, die Innenaufnahmen ebenfalls, bis auf die Szenen des Magischen Theaters, die wegen der Spezialeffekte in den Wandsbeker Ateliers des Studios Hamburg hergestellt wurden.2 Für die Hauptrollen wurden nahezu ideale Besetzungen für Harry Haller durch Max von Sydow und Hermine durch Dominique Sanda gefunden. Sydow hatte bereits in Ingmar-BergmanFilmen (Das siebte Siegel, Die Stunde des Wolfes) ähnliche Intellektuellen-Rollen verkörpert und Dominique Sanda (geb. 1948, in Bertoluccis Der Konformist, 1969 und in 1900 im Jahre 1976 hervorgetreten) hatte mit großen Regis-seuren, darunter neben Bertolucci mit de Sica und John Huston gearbeitet. Ähnlich der romantisch-edlen Auffassung der Hermine, die durch Harrys Eifersucht tragisch endet, hatte sie bei de Sica in Der Garten der Finzi-Contini (1970, neben Helmut Berger nach Giorgio Bassanis sensiblem Roman zur Verfolgung der Juden aus Ferrara) eine aristokratische Studentin gespielt, die sich den Männern, ungeachtet der Liebe zum Erzähler, einem späteren Geschichtsprofessor, aus der Vorahnung ihres Holocaust-Endes heraus verweigert und nur ihrer Familie widmet, bevor sie mit ihnen aus Ferrara in die Lager transportiert wird. Die Nebenrollen sind mit Pierre Clementi als Pablo und Carla Romanelli als Maria besetzt. Haines, der Regie und Drehbuch verantwortet, und damit eine für auteur-Filme typische Idealkonstellation erreicht, hat für die Kamera Tom Pinter und für die Musik George Gruntz gewonnen. Jaroslav Bradac gestaltete die AnimationsZeichnungen des Steppenwolf-Traktats, und die surrealen, phantasti-schen Kulissen des Magischen Theaters stammten vom Maler Mati Klarwein. Die Ko-Produktion (USA, Frankreich, Schweiz) von 1974 dauert 101 Min., die DVD von 2006 stammt von Winkler Film. Für die psychedelisch wirkenden, unwirklich überhöhten Farben setzte Haines das damals neue «Blue-Box-Verfahren» und einen Wechsel zur Videofi lmkamera ein. Überhaupt wurde an Special Effects und allen fi lmischen Möglichkeiten der Wiedergabe von Harrys Traumwelten nicht gespart: Animations-Effekte, extreme Kamera-Position, Farb-Synthetik, Überblendungen, Zeitraffer und Slow Motion Szenen übertragen den Eindruck des komplexen Seelenlebens eines in der Midlife-Krise befi ndlichen, verzweifelten Schriftstellers. Dennoch sind sich die meisten Filmkritiken darin einig, dass Haines eher zuviel als zuwenig wollte und, gerade durch die Länge des wenig geglückten dritten Teils des Magischen Theaters mitbedingt, zu keinem eigenen Stil fand.3 So bleibt der Ge2 3

Vgl. S. H.: Hermann Hesses Steppenwolf wird verfilmt. In: ‹Der Tagesspiegel›. Berlin, 25. 11. 1973, S. 52. Vgl. Volker Lilienthal, «Zeitverhaftet». In: epd film 54, 15. 07. 1987. Lilienthal reibt sich ebenso an dem Zeichentrickfi lm eines «Kinderbilderbuchs» von Bradac wie sich Eva-Maria Lenz an den «hektischen Comic Strips aus Wolfs- und Menschenfratzen» als nicht zur Chiffre taugend

Hesses Steppenwolf als Film

117 samteindruck einer in den Darsteller-Leistungen sehr gelungenen, im letzten Drittel aber diffus verbliebenen, Filmtransformation. Die in einem bunten Kaleidoskop mit phantastisch gestalteten Kulissen ablaufenden Einstellungen des letzten Film-Drittels dauern zusammen mit der Hinführung des Karneval-Treibens auf der Straße und im Hotel 34 Minuten (66:50 bis 101. Min) und sind damit im Gewicht zu lang sowie in der Botschaft diffus. Sie zeigen einen hilflos desorientierten, dann zunehmend ungeduldigen und gewalttätigen Harry in einer Verfolgungsjagd auf der Suche nach Hermine herumlaufend, statt die intendierte, sich verdichtende Selbstbegegnung im Labyrinth des magischen Theaters als einem «Bildersaal»4 der Seele Harrys nachvollziehbar zu machen, in dem er lernt, geläutert weiterzuleben. Hermine, die als Seelenführerin (stärker als Pablo) agiert, entzieht sich, begleitet vom fernen und eisigen Lachen der Götter, nach dem langen «Hochzeitstanz» dem ebenso unendlich «müden» wie «verzauberten» Harry Haller im Erzähltext Hesses dem sinnlichen Zugriff, bevor es ins magische Theater geht (und Harry sie aus Eifersucht, als er sie nackt nach dem Liebesspiel neben Pablo liegen sieht, mit einem «gespiegelten Messer» ersticht) und ist auch im Film zur Führerin in höhere Sphären konzipiert: ein Blick Hermines löschte es aus. Vor ihrem Blick, aus dem meine eigene Seele mich anszuschauen schien, sank alle Wirklichkeit zusammen, auch die Wirklichkeit meines sinnlichen Verlangens nach ihr. Verzaubert blickten wir einander an, blickte meine arme kleine Seele mich an. «Du bist bereit?» fragte Hermine, und ihr Lächeln verflog, wie der Schatten über ihrer Brust verflogen war. Fern und hoch verklang jenes fremde Lachen in unbekannten Räumen. (S, S. 163)

Die Lehren der «Unsterblichen», Harrys peer group der bewunderten Schriftsteller und Künstler vor seiner Zeit, allen voran Goethe und Mozart, laufen darauf hinaus, über das eigene Leben und Leiden lachen zu lernen. Neuere Forschung macht darauf aufmerksam, dass dieses Lachen jedoch keine Synthese des Humors aus dem in Wolf und Mensch zerrissenen Harry sein kann, sondern im Text ein selbstironisches, bitteres und groteskes Lachen bleibt.5 Daher ist es dem Regisseur auch nicht vorzuwerfen, dass er die Lösung des Humors als Ausweg aus der Dialektik von Mensch und Step-

4 5

stört; Eva-Maria Lenz: «Spiegelgefechte mit dem Zeitgeist. ‹Der Steppenwolf› (ZDF)». In: ‹Frankfurter Allgemeine Zeitung›, Nr. 151, 4. 07. 1987. Hermann Hesse, Der Steppenwolf, Werkausgabe in 21 Bänden, Bd. 4, Frankfurt a. M. 2003, S. 201. Im Folgenden mit Seitenzahlen und Sigle S im Text in Parenthese zitiert. Panagiota Theodoru, «‹Das leidendste Tier auf Erden erfand sich das Lachen› (Friedrich Nietzsche). ‹Heilung› der Verzweiflung im Steppenwolf Hesses?» In: ‹Hermann-Hesse-Jahrbuch›, Bd. 3, Tübingen 2007, S. 133–149. – Die Verf. kommt zum Schluss, dass anders als in Schopenhauers in der «Inkongruenz des Gedachten zum Angeschauten» liegenden, genuinen Humors, der Steppenwolf nur durch das «kathartische Entsetzen» im Lachen bei seiner Hinrichtung einen ersten Schritt aus der zerrissenen Polarität seiner Existenz in die einst zu erlangende «Vielheit» und damit «Heilung» getan hat (S. 149).

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118 penwolf nicht in Bilder umsetzt.6 Dagegen verwässert Haines im letzten Filmdrittel im Magischen Theater die Szenen einer Spiegelung der verdrängten Mordlust Hallers (der Kampf gegen die Autos als Kriegsnachhall, gerichtet gegen Industrialisierung und Technik mit der Zerstörung der Limousine des Staatsanwalts und die brutale Tötung von Hermine aus Eifersucht) durch einen eingeschobenen Schleiertanz in kitschiger Orientmanier, bei dem Haller im Turban eine Wasserpfeife raucht und der verschleierten Schönen mit wechselnden Gesichtern, darunter Hermine, bei einer Art Bauchtanz zusieht. Hier kommt die Zeitverhaftetheit des Films in der Hochphase psychedelischer Drogen unter den Hippies zum Ausdruck. Eine weitere Kokain-Szene mit Pablo und der Zaubertrank vor Betreten des Magischen Theaters, ebenfalls einer Droge, gehen in diese Richtung des Auslösens von Traumbildern, ohne dem Filmbetrachter genau jene gültigen Bilder zu liefern. Einzig die Landschaftstotale mit der anschließenden Begegnung mit Harrys Jugendliebe Rosa Kreisler in psychedelischen Braun- und Grünschattierungen ragt in ihrer magisch anrührenden Intensität heraus. Die Kriegsszenen und kruden Spiegelanimationen lassen den Betrachter eher unberührt, denn zuvor hat Haller seine Abneigung gegen alles Kriegerische beim Besuch des Professors verdeutlicht. Die Filmstruktur und Drehbuchentwicklung folgt dem drehbuchtypischen Dreischritt Exposition, Konfrontation und Auflösung. Zwei Drittel des Films, die realistische Einführung in Harrys gespaltenen Charakter und seine Krise um die Fünfzig mit Suizidabsichten, sowie sein Kennenlernen von Hermine, deren Freundin Maria und Pablo als Einführung in die nachgeholte, allzu lang verdrängte Sinnlichkeit, sind gelungen. Hesse hat in einem Brief vom Sommer 1925, noch vor der Niederschrift des Prosa-Steppenwolfs (im Winter 1926/27) den Werkplan mit einer griffigen Formel für Mensch und Wolf umrissen: «es ist die Geschichte eines Menschen, welcher komischerweise darunter leidet, dass er zur Hälfte ein Mensch, zur andern Hälfte ein Wolf ist. Die eine Hälfte will fressen, saufen, morden und dergleichen Dinge, die andre will denken, Mozart hören […], dadurch entstehen Störungen, und es geht dem Manne nicht gut, bis er entdeckt, dass es zwei Auswege aus seiner Lage gibt, entweder sich aufzuhängen oder aber sich zum Humor zu bekehren.» 7

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Vgl. Licht, Verfilmung, S. 21: «Die Vielschichtigkeit der Seele, die Hesse in seinem Traktat an dieser Stelle erläutert, lässt Haines wegfallen. […] versäumt es dagegen völlig, folgenden zentralen Punkt des Traktats umzusetzen: […] Der Humorbegriff als Eigenironie, und dessen Zusammenhang mit den Unsterblichen bleibt diffus: «Einzig der Humor, die herrliche Erfi ndung […] und genialste Leistung des Menschentums) vollbringt dies Unmögliche, überzieht und vereinigt alle Bezirke des Menschenwesens mit den Strahlungen seiner Prismen.[…] falls es dem Steppenwolf […] in der schwülen Wirrnis seiner Hölle noch gelingen sollte, diesen Zaubertrank auszukochen, auszuschwitzen, dann wäre er gerettet.»(Hesse, S., S. 58f.) Licht argumentiert mit Recht, dass die im Film vorgezogene Szene eines Schachspiels mit Goethe und den vielen Facetten der Persönlichkeit als gläsernen Spielfiguren ohne diesen Kontext schwer verständlich bleibt. Hermann Hesse: «Brief, 18. 8. 1925, an Georg Reinhart». In: Volker Michels (Hg.), Materialien zu Hermann Hesses ‹Der Steppenwolf›. Frankfurt 1972, S. 49.

Hesses Steppenwolf als Film

119 Dem Film von Haines gelingt es, neben solchen Szenen der Spaltung, künstlerisch sinnfältig im Animationseinschub von Jaroslav Bradac zum «Traktat» mit gelungenen komischen, aber auch bewusst derben, erotischen Zeichnungen das Dilemma der Spaltung in Bilder umzusetzen: Zeichentrick-Darstellungen etwa des Steppenwolf im Matrosenanzug im Käfig, gefolgt vom Klavier spielenden Jungen im selben Aufzug, während der Wolf über die Klaviertasten läuft, Harry im Sessel neben einer dicklichen Prostituierten, die sich mit grotesk breitem Hintern auf ihn setzt und ihn befriedigt; Harry, der sie mit einem Schirm vertreibt (aus dem off die Stimme Hallers, der den ‹Bürger› dem ‹Lustmörder› entgegenstellt – dann als Wolf aus dem Sessel springt; ein byzantinischer Engel links aus der Tiefe neben Harry auf einer Straße am Abgrund zwischen «Heiligem» und Wüstling», rechts eine Szenerie nackter Frauen mit schwarzem BH, schließlich eine Wanduhr mit Totenkopf als Pendel über Harrys Sarg. Das graphisch surreal gestaltete Schachspiel am Ende zeigt als Figuren ein weißes Magisches Ei (symbolisch für weiße Magie im später folgenden Magischen Theater), einen schwarzen Drachenturm und einen Wolf, die Harrys Figur bedrohen. Neben dem Voice Over von Harrys Monolog intoniert die Tonunterlage gelegentlich die Nationalhymne von Haydn. Was vorliegt, ist ein Animations- und Kamerastil dichter Symbolik. Die Exposition setzt nicht, wie in Hesses Roman, mit dem im Blick auf die Kameraperspektive eigentlich dafür prädestinierten Blick auf Harry aus der Sicht des Vermieters ein (des Neffen der Basler Vermieterin), der seine Aufzeichnungen fi ndet, also mit der fi lmtypischen Außensicht auf den Helden, sondern mit einem faustischen Monolog Harrys, der aus dem Voice Over beginnt, sehr schnell über sein Dilemma zu sprechen. Währenddessen ist im Establishing Shot die Kamera auf eine Detailaufnahme fokussiert, die die Brille des ‹Gelehrten›-Typs Haller übergroß und symbolisch für Harrys Spaltung durch ein helles und ein dunkles Glas darstellt, dann handschriftlich auf einem Blatt die Worte «Madmen only» zeigt, gefolgt von einem aufgeschlagenen Buch mit einem alten Stich von einem Brunnen, in dem (wiederum symbolisch für die Sexualität als Gesundbrunnen) ein mittelalterliches Paar nackt miteinander badet. Die nächste Einstellung zeigt Harry im Profi l in Großaufnahme, dann en face, den Kopf melancholisch gesenkt, wie er in seinem Monolog aus dem off von seiner Krankheit, seinem Alter und seiner Suizid-Versuchung spricht, schließlich von Adalbert Stifter als Vorbild für diese Tat mit dem Rasiermesser. Es folgt ein Umschnitt auf eine nächtliche Tordurchfahrt, eine Limousine hupt dröhnend, Harry Haller springt fluchend zur Seite, eine Prostituierte in der Tordurchfahrt lacht schrill und Harry wirft wütend einen Stein auf die Rückscheibe des Wagens, die prompt zersplittert. Dann sieht er die fl immernden Buchstaben einer Leuchtschrift auf Englisch (man hört die deutsche Fassung zugleich akustisch aus dem off ) über einem gotischen Torbogen in der Stadtmauer: «Magisches Theater – Eintritt nicht für jedermann». Vergebens tastet Harry die Mauer nach der verschwundenen Schrift ab. Es handelt sich um dichte Montagen. Es folgt ein Umschnitt auf Harry, der die Treppe zu seinem Zimmer hochsteigt. Auf dem Vorplatz zum zweiten Stock sieht ihn nun der Neffe der Vermieterin auf ei-

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120 ner Treppenstufe sitzen und sich die müden Augen reiben: «Ich war wohl in einer Art Traumzustand.» Nach dem längeren Gespräch (das Hesses Erzähleingang über Harrys Bürger-Künstler-Konfl ikt entspricht und den Helden fi lmtypisch ‹von außen› zeigt), präsentiert die nächste Einstellung wiederum Harry an der Mauer im Dunkel der Laternenbeleuchtung, wie er den Eingang an der Mauer sucht, dann einen Verkäufer mit Plakat erblickt, Aufschrift «Anarchistische Abendunterhaltung – Magisches Theater» und diesem das «Traktat vom Steppenwolf (nur für Verrückte)» abkauft. Gleich darauf ist der geheimnisvolle Mann, der als Signum einer Traum- und Märchenerzählung in allen möglichen, subalternen Rollen wiederauftaucht, verschwunden, das Unwirkliche des Vorgangs betonend. Die Großaufnahme zeigt dann das Titelblatt des Traktats als Insert: es folgt der Steppenwolf-Text mit dem berühmten Märcheneingang: «Es war einmal einer namens Harry, genannt der Steppenwolf»8 als Voice Over zum Animationsfi lm, dann der Abend beim deutschnationalen Professor. Der Stil dieses Abends ist in teilweiser Slow Motion eingefangen: fast in Stummfi lmmanier und mit Stills der Frauen am Tisch und bei laut tickender Wanduhr sehen wir die Großaufnahme eines immer wieder Wein trinkenden, sich nachschenkenden und um Konversation verlegenen Harry. Das Gespräch schleppt sich dahin, bis Harry auf die ihm unsympathische, weil pathetische Goethe-Büste eingeht, die Hausfrau beleidigt (die grotesk mit der Goethebüste im Arm verschwindet) und Harry und der Professor sich unter Vorwürfen trennen. Der verzweifelte Harry, der auch von einem zuvor von der Kamera gezeigten Beerdigungszug berichtet hatte, wobei Harry von allen übertrieben ausgelacht wird, als er nach der anarchistischen Abendunterhaltung fragt und dann, «falls er Bedürfnisse habe» an das Wirtshaus «Zum schwarzen Adler» verwiesen wird, fi ndet sich nun wieder auf der Straße (Voice Over: «Laut heulte in mir der Wolf»), wie er sich am Marktbrunnen erfrischt, dann auf einer Steinstufe neben Friedhofsarkaden, ganz in Schwarz gekleidet melancholisch meditiert, von «Verzweiflung» und «Selbstverachtung» spricht, wieder auf den Narren, diesmal als Straßenkehrer, trifft und sich von diesem die zynische Botschaft «Alles läuft aufs Gleiche hinaus, am Ende!» anhören muss. Roy Bosier spielt diese Schaltfigur, die dem Regisseur dient, um das Phantastische und Märchenhafte des gesamten Geschehens zu betonen, meist unter groteskem Gelächter dieser Gauklerfigur. Den Jazz-Klängen von Klarinette und Banjo folgend, fi ndet er sich im Schwarzen Adler wieder (Detailaufnahme des Schwarzen Vogels über dem Lokaleingang), schließlich landet Harry in Großaufnahme neben der schönen Hermine mit einer Magnolie im Haar, um mit ihr das zentrale Gespräch über seine rettende Rückkehr in die Knabenrolle naiven Gehorchens zu beginnen (23. bis 30. Min.). Der zweite Teil des Films, die «Konfrontation» zwischen den beiden Seelengeschwistern beginnt, und hier folgt der Film über weite Strecken und Einstellungen analog dem Hesse-Text, bis hin zur Begegnung mit Pablo und Maria

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Hesse, Der Steppenwolf, S. 45.

Hesses Steppenwolf als Film

121 und den neuen Tanzversuchen Harrys, schließlich Hermines franziskanisches Credo (31. bis 65. Min.).

1.2 Die mise-en-scène der Traumbilder und -Einstellungen Für die Bewertung eines Films ist medienästhetisch neuer Forschungsstand, dass es nur auf das Zielmedium ankommt, in das die Transformation erfolgt, und ein (etwa mit der Werktreue-Frage verbundenes) Vergleichen mit der Botschaft und den Eigenheiten des literarischen Vorbilds keine besondere Rolle spielt, selbst nicht bei ‹Weltliteratur›, wenn auch hier noch am ehesten. Hesse hat sicherlich zur Klassischen Moderne mit dem Roman Der Steppenwolf seinen originellsten und avanciertesten Beitrag geleistet, indem er Psychoanalyse und Midlife-Crisis seines gespaltenen Helden mit dem Genre des humanistischen Bildungsroman und seiner in allen Werken präsenten Stufen-Theorie zur schmerzhaften Individuation als Weg zum Selbst und zu Höherem verband. Als der Hesse-Biograph und Princeton-Professor Ralph Freedman 1978 (dt. 1982) 9 sich über die Verfi lmbarkeit von Hermann Hesse Gedanken machte, schien die Priorität für das Beurteilen des Gelingens noch bei der adäquaten Wiedergabe der Botschaft des Autors zu liegen: Zwar haben internationale Gesellschaften, mit einem Auge auf den amerikanischen Markt, inzwischen zwei Film-Versionen von Büchern Hermann Hesses versucht .[…] Der Steppenwolf unter der Regie von Fred Haines, der zugleich Drehbuchautor war. Beide Filme erwiesen sich als kommerzielle Misserfolge, obwohl Hesses Popularität damals in ihrem Zenit stand. Die Gründe dafür (trotz einiger ausgezeichneter Schauspieler, großartiger Kameraführung und sensibler Behandlung der Charaktere) liegen möglicherweise in der besonderen Natur von Hesses Wirkung, die ein völlig neues Phantasie-Phänomen hervorgerufen und ausgebildet hat. Nicht nur gelten seine Romane als Vorlagen zur Selbstentdeckung […], sondern sie schließen ihrer Eigenart wegen von vorneherein eine Dramatisierung aus. Als Texte der Instruktion und ethisch-religiösen Erfahrung, ja Erbauung, sind sie nicht eben geeignet zur rein visuellen Darstellung. Hesses Gestalten, in denen die psychischen Wandlungen des jeweiligen Helden zum Ausdruck kommen, sind so eindeutig traumhaft und allegorisch, dass die teils realistische Kulisse des Films den antizipierten Traumbildern geradezu widersprach. […] Der Steppenwolf [spielt] nicht im realen Basel und Zürich der zwanziger Jahre, sondern in beiden Büchern herrscht vielmehr eine Traumwelt, in deren Mittelpunkt die rein geistige Aussage einer geheimnisvollen Person steht: des Autors selbst.10

Seit den 80er Jahren ist jedoch die Werktreue-Diskussion zugunsten eines Paradigmawechsels mit der Sicht der Filmadaption als eines unabhängigen Kunstwerks bereichert und verändert worden.11 Was Haines mit seiner zwischen analoger und interpretierender Filmadaption wechselnder Gestaltung des Steppenwolf durchaus erreichte, ist eine 9 10 11

Ralph Freedman, Hermann Hesse. Biographie. [New York, 1978] Dt. Ausgabe überarb. 1982. Als Taschenbuch, Frankfurt: Suhrkamp TB 1999. Ebd., S. 22f. Vgl. Michaela Mundt, Transformationsanalyse. Methodologische Probleme der Literaturverfilmung. Tübingen 1994

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122 eigenständige Synthese des ambitionierten Konzepts postmoderner ‹Performing Arts on Screen›. Denn die Postmoderne und der ‹Anti-Roman› waren in den USA seit den späten 60er Jahren bereits durch Susan Sontag und Leslie Fiedler durchgesetzt und in Romanen, beispielsweise von John Barth und Kurt Vonnegut (The Sot-Weed Factor, 1967; Slaughterhouse-Five, 1969) verwirklicht worden. Es geht um die vielschichtige, spielerische ‹Mehrfachcodierung› und den Genrewechsel im Film von Haines, die bereits in den Gattungsverknüpfungen der Textvorlage von 1927 ein Vorbild hatten, und die zu einer sehr komplexen Visualität in Text und Film führte. Dass diese Komplexität keine Breitenwirkung des Films erreichen konnte, kann man diesem nicht vorhalten. Hinzu kam im Falle von Haines, dass die zerstrittenen Produzenten nach Auslieferung des fertigen Films viel zu wenige Filmkopien in die Distribution brachten.12 So bleibt als Einwand für die Verfi lmbarkeit (aus der literaturwissenschaftlichen Sicht der späten 70er Jahre Ralph Freedmans) die Schwierigkeit, fi lmische Bilder und Einstellungen für die allegorische Gestaltung der psychoanalytischen Hesse-Innenwelten als Traumsequenzen zu fi nden. Aber auch hier haben die Möglichkeiten fi lmischer Visualität inzwischen beim Umsetzen psychologischer Dispositionen und Gemütszustände, wie sie den Kern von Hesses Text darstellen, an Ausdrucksvielfalt gewonnen: So können gerade Träume oder Tagträume sowie Gedankenspiele im Film als Handlungen dargestellt werden und in das laufende Geschehen eingebunden […] Der Übergang von tatsächlicher Handlung zum Gedankenbild kann dabei beispielsweise durch eine Weißblende, einen Weichzeichner oder den Wechsel von Farbe zu Schwarz-Weiß gekennzeichnet werden. […] Prinzipiell ist bereits jeder Schnitt, der die Aufmerksamkeit des Zuschauers lenkt, Ausdruck einer bestimmten Absicht oder Aufforderung. […] Die expressive Kamera verdeutlicht subjektive Urteile oder Empfi ndungen durch auffällige Perspektiven wie beispielsweise die Untersicht.13

Für den Vorgang der Filmadaption eines so avancierten, klassisch-modernen Kunstwerks wie Hesses Steppenwolf mit seiner bereits die Postmoderne antizipierenden Mehr-

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Licht, Verfilmung, S. 9 und Anm. 29: «doch Querelen zwischen den Produzenten ließen das Projekt ähnlich enden wie es begonnen hatte und verdeutlicht nochmals einen gewissen Grad an Unprofessionalität, mit der diese Verfi lmung verwirklicht wurde.» Licht zitiert Jenny Fabian: «Weird all the way from cult book to screen». In: ‹The Guardian›, 23. 04. 2000: «Behind the scenes there was trouble among the producers. Herland ran off with the cutting copy and refused to part with it until Sprague paid up, but this meant fi nally relinquishing any further control he and Fishman might have had. What followed became a marketing disaster. Eight prints were struck but the colours were wrong.» Sprague hat dann den Film noch weitere zwei Jahre nicht freigegeben. Auch die deutsche Uraufführung wurde in der Schweiz erst 1977 gezeigt, in Deutschland nur im ZDF 1987 und dann viel zu spät, mit der Sendezeit 22.55 Uhr, nur «um die Kulturquote zu erfüllen» und Hesses 110. Geburtstag zu ehren (Licht, S. 11). Sandra Poppe, Visualität in Literatur und Film. Eine medienkomparatistische Untersuchung moderner Erzähltexte und ihrer Verfilmungen. Göttingen 2007, S.101. Vgl. J. M. Peters, «Sprechakttheoretische Ansätze zum Vergleich Roman-Film». In: Joachim Paech (Hg.), Methodenprobleme der Analyse verfilmter Literatur. Münster 1984, S. 53–71.

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123 fachcodierung im Genre, gilt in besonderem Maße: «je komplexer sich die Visualität in Text und Film gestaltet, desto mehr wird in beiden Medien auf jeweils spezifische Ausdrucksmittel zurückgegriffen, wodurch sich Transform und Transformation auf der konkreten Ausdrucksebene um so mehr voneinander unterscheiden.»14 Beide Künste können sich nur sensibel zu ihren eigenständigen Produktionsbedingungen intermedial und wechselseitig erhellen. Signifi kantes Medium ist das jeweilige Medium, in dem der Transformationsprozess resultiert. Filmbilder, als ästhetische Gegenwelten zur Erzählprosa, aber kein Ersatz für diese, bilden eine Ergänzung und Erweiterung der ‹Langsamen Schrift› durch eine neues, leichter zugängliches Medium. Gemeinsamkeiten fi nden sich in den Aspekten der Zeit, des Handlungsverlaufs, sowie beim Film in der Verbindung der Ebenen Zeit und Raum. Weit stärker fallen die Unterschiede ins Gewicht, vor allem der Aspekt des technischen Apparats der Produktion und Postproduktion. Subjekt des Films in Produktion und Rezeption ist nicht das Individuum (der auteur in der Regie), sondern das Kollektiv, das im team den Film ermöglicht und in den Kinos als Publikum unter den jeweiligen Konsumbedingungen einschließlich Werbung und Ambience im Kollektiv rezipiert. Die Sprache des Erzählverfahrens kann durch Ambiguität, Polysemie, point of view und Unbestimmtheitsstellen suggestiv in die Tiefe gehen. Filmbilder sind dagegen flächig, synthetisch-realistisch und bei fi lmischer Übersetzungsarbeit festgelegt durch das Casting, die mise-en-scène und die Rollenauffassung der Darsteller. Montage, Überblendung (dissolve), subjektive Kamera und Symbolik, Rhythmus und Tonunterlage geben dem Film eigene Qualitäten der Semiotik.15 Die spätere Rezeption durch eine DVD (bei Hesse nach 32 Jahren), oft mit Bonusmaterialien und einer kapitelweisen Ansteuerungsmöglichkeit eröffnet einen weiteren Horizont und kommt der Analyse von Einzeleinstellungen entgegen. An einer Traumsequenz, die bei Haines den zweiten Teil (30. bis 33. Min., in der DVD-Kapitelauswahl betitelt: «Geniesse deine Träume!, Befolge meine Befehle, Maria, Endlich zu Hause, Was willst Du?, Maskenball») des Films als ‹Scharniertraum› zu Harrys Initiation in Sinnlichkeit und Tanz einleitet, erscheint Harry Goethe. Hieran lässt sich die Regieintention ebenso überprüfen, wie die fi lmästhetischen Mittel bei Umsetzung einer teils symbolischen, teils allegorischen Traumsequenz. Der immer wieder auf den irrealen Märchencharakter des Ganzen deutende Narr und Gaukler (Traktatverkäufer, Querflötenspieler, Straßenkehrer, Grammophon-Verkäufer, Kellner und hier Diener Goethes) nimmt als Diener des Geheimrats und Ministers Harrys Anmeldung als «Korrespondent einer Zeitung» entgegen. Die mit dem hier einsetzenden «Blue-Box-Verfahren» überhöhten Farben und surreal überbetonten Konturen zeigen eine barocke Bibliothek mit Gemälden, die wiederum Bezug zum Gesagten annehmen: so zeigt die Kamera beim Gesprächsthema Mozart eine barock gemalte Orgel. 14 15

Poppe, Visualität, S. 112. Vgl. Volker Wehdeking, Generationenwechsel: Intermedialität in der deutschen Gegenwartsliteratur. Berlin 2007, S. 20–23.

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124 Die Untersicht auf Harry, wenn er sich überlegen fühlt, wechselt mit der Untersicht auf Goethe, der mal fast an der Decke der Bibliothek schwebt, so dass Harry (im Profi l) hinauf blicken muss, mal wieder zeigt die Halbnahe und das Over-the ShoulderVerfahren beide in wechselnder Größe und Höhe im Raum, wie sie aufeinander erregt einreden und zugleich jeweils auf den anderen «hinabreden». Während Harry den Dichterfürsten «wichtigtuerisch» und «eitel» nennt (das Gespräch folgt verkürzt dem Hesse-Text des Traums, S, S. 93–97), kritisiert Goethe dessen bürgerliches MozartBild: «Sie hätten Schulmeister werden sollen!» Goethe beginnt nun zu dirigieren und durch die Bibliothek zu tanzen (die Tonunterlage wechselt als elektronische Musik zu einem hektischen Rhythmus) mit der Frage «Kennen Sie den Black Bottom», und als Harry ihm Zeitmangel fürs Tanzen entgegenhält, präsentiert Goethe ein silbernes Kästchen, das sich als Detail-Aufnahme mit einem seidenbestrumpften MiniaturFrauenbein gefüllt erweist. Harry will danach greifen, zieht aber im letzten Moment erschreckt die Hand zurück. Goethe: «Kein Wunder, dass Du so flügellahm bist, wenn Du den Wert der Zeit derartig überschätzt […] In der Ewigkeit gibt es keine Zeit, nur den Augenblick, gerade lange genug für einen Spaß!» Die Farben wechseln von einem unnatürlichen Braun zu einem ebenso verfremdeten Blau, das Ganze in kurzen harten Schnitten vor den barocken Bildern der Ewigkeit, durch spöttisch blickende Götter oder Puttos als Kulisse unterstrichen. Die mise-en-scène unternimmt also alles, um den Traumeindruck einer verfremdeten Wahrnehmung auf den Zuschauer zu übertragen und durch surreale Blue-Box-Bilder zu unterstreichen. Dennoch fehlt der Szene gerade ein psychologisch entscheidendes Detail aus dem Hesse-Text: der immer wieder neben dem Zauberkästchen mit dem Frauenbein auftauchende Skorpion, der Harry beunruhigt, und beim Zugreifen auf das Frauenbeinchen zurückschrecken lässt. Der gefährliche Stachel der Sinnlichkeit fehlt also in der fi lmischen Umsetzung der Botschaft. Dann erfolgt die Weichblende auf den schlafenden Harry in Großaufname. Der Umschnitt auf die sich dem Esslokal-Treff nähernde Hermine wird durch ihr ‹Leitmotiv›, das Gemälde des Heiligen Franziskus an der Wand eines Lokals sensibel begleitet. Dies Bild ist ebenfalls magisch-realistisch auf den Content und die Schreibzeit des Steppenwolf abgestimmt: sahen wir während der Tanzübungen Hermines mit Harry in seinem möblierten Basler Zimmer ein echtes Hesse-Aquarell von 1922 im Klee-Stil, für die Tanzthematik passend dann einen graphischen Wandfries von Tanzenden im Jugendstil, so erscheint der Hl. Franziskus nun mit dem Gesicht des Schauspielers von Sydow und strengem Blick auf den Betrachter, dazu magisch-surrealen Attributen, Vögeln, die rosa vor seiner braunen Kutte aufwärts flattern.

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1.3 Regieeinfälle bei der Rollengestaltung der Bohème: Pablo, Hermine, Maria Es gelingt also Fred Haines in diesen wichtigen Filmabschnitten von Exposition und Konfrontation mit subtilen fi lmeigenen Mitteln, die Hesse-Botschaft umzusetzen. In der Gestaltung der Hermine-Rolle vermittelt der Regisseur mithilfe Dominique Sandas zurückhaltender Schauspielkunst die Verkörperung der Anima in den Rollen des Psychopompos, und in der Zurückführung Harrys ins Stadium der naiven Kindlichkeit und Sinnenfreude in der Rolle der ‹Mutter Natur›, das eigentliche, tiefer liegende Anliegen Hesses durch die Selbstopferung Hermines für Harrys Überleben seiner Midlife-Krise. Denn dass sie im Roman wie im Film sehr früh nach dem Kennenlernen Harrys ihm bedeutet, er solle, wenn er erst einmal in sie verliebt sei, auch ihrem «letzten Befehl» gehorchen und für sie «etwas sehr Schönes und Wichtiges tun», nämlich sie töten, dies ist alles andere als psychologisch nahe liegend. Am Ende von Hesses Text heißt es daher auch (in Mozarts Deutung): «Sie sind ein Spaßvogel. Sollte wirklich dieses schöne Mädchen von Ihnen nichts andres zu wünschen gehabt haben als einen Messerstich?» (S, S. 230). Der Staatsanwalt in der Coda des magischen Labyrinths zur Selbstendeckung, «Harrys Hinrichtung» durch das Göttergelächter, macht aber ebenso deutlich, wie auch analog dazu der Film am Ende, dass Haller «unsern schönen Bildersaal mit der sogenannten Wirklichkeit verwechselte und ein gespiegeltes Mädchen mit einem gespiegelten Messer totgestochen hat, er hat sich außerdem unsres Theaters humorloserweise als einer Selbstmordmechanik zu bedienen die Absicht gezeigt.» (S, S. 201) Hermines scheinbarer Todeswunsch entspringt also einer Ich-Projektion des verzweifelten Haller. In der ersten Begegnung mit Hermine erlebt der verbitterte Autor und Intellektuelle eine überraschende «Infantilisierung» durch Hermines Übernahme der Mutterrolle, so dass «tatsächlich im Sinne Schopenhauers die ‹Inkongruenz des Gedachten zum Angeschauten› dargestellt» wird,16 ein Stück echten Humors: «Wir erleben hier eine Fallhöhe vom faustisch angehauchten Steppenwolf mit den ‹zwei Seelen›, die ‹ach› in seiner Brust ‹wohnen›, zum ‹Kindskopf›, die lacherregend wirkt. Wir bekommen eine völlig andere Dimension von Harry Haller zu sehen, die uns die gekränkten Ideale des Pazifi sten und dessen Selbstmordgedanken vergessen lassen. […] völlig unerwartet fällt der verzweifelte Steppenwolf in die Rolle eines glücklichen Kindes, dessen einziger Wunsch es ist, der jungen Hermine zu ‹gehorchen›».17 Da Haines diesen ersten Dialog Hermine / Harry fast eins-zu-eins übernimmt, lässt sich auch bei ihm diese plötzliche «Infantilisierung» bis in den Sprachrhythmus erkennen: Hermine: «Nicht wahr, du gehorchst mir gern?» Harry: «Sehr gern, Sie wissen alles». Harry fühlt sich «in seine Knabenzeit» zurückversetzt. (S., S. 87)

16 17

Theodorou, Das leidendste Tier, a.a.O., S. 138. Ebd., S. 140.

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126 Im Filmdialog ist Harry zwar weniger kindlich, als er auf die Gehorsamkeitsbereitschaft («Nicht wahr, du gehorchst mir gern») nach einigem Nachdenken «Glauben Sie?» zurückfragt, aber als er zugibt, nicht einmal tanzen zu können, nimmt sie den mütterlichen Ton noch stärker an: «Ach, ein Trauerkloß», und, um sein deutliches Selbstmitleid aufzubrechen, summt sie eine Melodie wie ein Kinderlied, um auf Nachfrage zu ergänzen: «die traurigste Melodie der Welt auf dem kleinsten Instrument der Welt!» Als sie gehen muss, ist Harry in beiden Fassungen in die Rolle des abhängigen Kindes geraten. Der Regisseur macht aber an allen ihren Kostümen und Auftritten deutlich (hier zunächst im silbergrünen Cocktailkleid mit langer Perlenkette und dreifachen Silberohrhängern mit Sternenornament), beim Promenieren am Rheinufer etwa besonders deutlich durch einen hochmodischen hellbraunen Damenhut mit kurzer, aufgebogener Krempe, weißem Schillerkragen mit langen Spitzen über hellbraunem Pulli und beigebraunem Tennis-Pullunder über dem weißen plissierten Kostümrock, oder in lachsfarbenen Abendkleidern, dass Hermine (entgegen ihrer Selbstdarstellung als Edel-Callgirl) eine Lichtgestalt und Seelenschwester von Harry ist. Hesse, der in der Schreibzeit des Steppenwolf mit Josef Bernhard Lang, dem C. G. Jung-Schüler (und ‹Pistorius› aus Klingsor) viele psychoanalytische Gespräche führte, kannte natürlich Jungs Archetypen-Theorie und darin die Anima-Figur als die höchste innere Verkörperung des Weiblichen im Kollektiven Unbewussten; sie ist also alles andere als eine ‹Schatten›-Verkörperung, der Mutter zuweilen angenähert, und schön (wie im Demian), aber sicher nicht Objekt eines brutalen Angriffs oder sinnlichen Begehrens. Haines, der Hermine auch den Hl. Franziskus als Leitmotiv an die Seit stellt, lässt sie im Gespräch am Rheinufer, nach ihrem Namen gefragt, durch eine Überblendung in das Jugendporträt Hermann Hesses mit Schülermütze verwandeln. Als sie vom Töten spricht, zeigt die Kamera in einem weiteren dissolve, wie sich Hermines Großaufnahme mit dem ernsten, romantischen Blick auf Harry in das Rheinwasser und tausend Lichtpunkte auf dem Wasser auflöst. Ihre Nähe zur Naturmagie einer Erlöserfigur vertieft sie im vorausgehenden, religiös thematisierten Anspruch: «Schlägst Du ein Kreuz über Dein Herz und sagst, ich hoffe auf Erlösung?» Harry sagt darauf mit einem ernsten Lächeln (Großaufnahme in Untersicht, subjektive Kamera der Perspektive Hermines): «Ja, ich brauche dich jetzt, weil ich verzweifelt bin. Du musst mich erbarmungslos ins Wasser werfen, damit ich wieder lebendig werde». Nach der Überblendung mit dem Wassermotiv der Auflösung sieht man einen kleinen Jungen das Rheinufer entlang davonlaufen, bevor das Grammophon (und durch Septimen verfremdete Walzerklänge des durchgängigen Triebmotivs) den Tanzunterricht vorbereiten. Die Funktion Hermines als Ich-Projektion des besseren und idealistischen jugendlichen Harry wird von der Regie subtil unterstützt. Später, angesichts seines Jugendfotos, erzählt er ihr von Stationen der Hesse-Jugendvita, als jenen eines «einzigen Freundes», vom Evangelischen Klosterseminar (Maulbronn, vgl. Unterm Rad), der Flucht des Knaben, Tübinger Jahr, Gedichtband und Selbstmord.

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127 Die zentrale Einstellung für das Credo Hermines, das in der Verkürzung ähnlicher Passagen im Hesse-Text durch Haines an Kerngedanken Ernst Blochs zur ‹Heimat› heranreicht, zeigt Hermine in einem Kreuzgang des Basler Münsters, wie sie im Profi l (nah, im goldenen Schnitt) Harry ihre Lebensphilosophie vorstellt, während die Ton-unterlage die Domglocken wiedergibt: Harry: «Doch du hast mehr verlangt?» Hermine: «Immer […] die Ewigkeit». Harry: «Wo hast Du sie zu fi nden gehofft?» Hermine (65. bis 67. Min.): Wohin wir ein Leben lang unterwegs sind, in ein Reich jenseits von Zeit und Schein – die Frommen nennen es Reich Gottes, aber wie man es auch immer benennt, das spielt keine Rolle. Dorthin gehören wir, dort ist unsere Heimat […] Ach Harry, da sind wir gezwungen, durch soviel Dreck und Unsinn zu tappen, nur um nach Hause zu kommen […], und niemanden, der uns führt, nur das Heimweh. (Vgl. S, S. 146)

Die vergleichbare Passage bei Ernst Bloch (aus Das Prinzip Hoffnung, 1956) zum ‹VorSchein› der Kunst zur utopischen Übereinstimmung des Menschen mit sich selbst in einem echten Wir lautet: «Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.»18 Der Rückweg in eine idealere Kindheit wird durch Hermine verkörpert, auch wenn für Hesse der «Weg zur Menschwerdung» nur durch Leiden und Schuld vorwärts führt. Im Selbstfi ndungslabyrinth des Magischen Theaters wird Hermine das Opfer bringen und Haller seine Schuld einsehen, die «hübsche Bilderwelt» mit «Wirklichkeitsflecken» zu besudeln, in dem er sie tötet (S, S. 203). Der Regisseur Haines stellt in einer abschließenden Überblendung Hermine und Haller nach Harrys ‹Hinrichtung durch Auslachen› der Unsterblichen in einen blauen Himmel, in dem Harry die Arme hebt und immer befreiter lacht, bis der dissolve den Blick auf die Großaufnahme Hermines freigibt. Der «Abspann» zeigt dann nur ein Insert, das große flammende Herz mit dem Steppenwolf darin. Bei Hesse spricht Hermine in der ‹Credo›-Passage von den «Heiligen, das sind die echten Menschen, die jüngeren Brüder des Heilands. Zu ihnen unterwegs sind wir unser Leben lang, mit jeder guten Tat […], mit jeder Liebe. […] in früheren Zeiten von den Malern dargestellt in einem goldenen Himmel, strahlend schön und friedevoll – […] die Ewigkeit (S, S. 146). Haines stellt diese Erlösungsszene mit emblematischen Bildern an den Schluss. Die Aufwertung der Pablo-Figur, bei Hesse durch die Verwandlung in Mozart erst am Ende vollzogen, erfährt bei Haines die Stilisierung zum Magier im Zentrum, der durch seine Drogen den anderen den Spiegel vorhält. Sein Angebot, eine Liebesorgie zu feiern, das der «allzu moralische» Harry prompt ablehnt, fi ndet ihn in einer farbigen Wollweste, die an die blaue Periode von Picasso erinnern soll. Ein Hauch von

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Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung, 3 Bde, Frankfurt a. M., 1970, Bd. 3, Schluss, S. 320.

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128 circensischer Artistik, wie sie zur Zeit von Haines André Heller verkörpert, ist ihm eigen. Haines, geboren 1936 in Los Angeles, hat selbst über seine Literatur-Studienzeit berichtet, die ihn zum Joyce-Kenner machte und bei dem «Mentor» Ralph Freedman und in Zusammenarbeit mit ihm bei einem Hesse-Dokumentarfi lm zu neuen Einsichten der Verbindung von Transzendentalismus (Thoreau) und der Underground-Bewegung einer Bohème der psychedelischen Drogen in der Anti-Vietnam-Phase führte. Die Nachfolger der Beatniks «strömten nach San Francisco»: Sie rauchten Gras, schliefen zusammen, ignorierten Rassenunterschiede, verdienten sich ihr bisschen Taschengeld, […] erhoben Jazz, die Musik der Außenseiter, zum Kult, brachten Polizei und Grundbesitzer zur Raserei und begannen eine Wiederbelebung der Dichtung […] als mündliche Mitteilung. […] Stärkere Rauschmittel, gewöhnlich aus der Eigenproduktion der Gegenkultur, kamen in immer größerem Ausmaß auf den Markt […] im Herbst 1968, als der Hesse-Boom wirklich hochschnellte. […] Die Mischung aus Spiritualität und entlarvender Psychologie, [hatte] den berechtigten Wirklichkeitsanspruch […] falsch ist das Missverständnis, das von seiner Warnung «Nur für Verrückte» ausgeht und annimmt, seine treffsicheren Metaphern seien nicht mehr als eine Wiedergabe von Wahnsinnsanfällen. […] er war Künstler und Intellektueller, Erfi nder des Magischen Theaters, der Morgenlandfahrt und des Glasperlenspiels – kein Geisteskranker.19

Die seltene Gelegenheit, bei der Filmanalyse den Regisseur zu Wort kommen zu lassen, und sein Hesse-Bild als Psycho-Protokoll unter Einfluss von psychedelischen Drogen und Gegenkulturtendenzen der Spiritualität zu erkennen, helfen zum besseren Verständnis der Konzeption der Pablo-Rolle Pierre Clementis. Denn bei dessen erstem Auftritt, in der genauen Mitte des Films (43.Minute, «Befolge meine Befehle») singt Pablo, wie aus dem Vorspann ersichtlich («Musik: George Gruntz, Lyrics by Fred Haines») die vom Regisseur gewollte Botschaft mystischer Selbstschau. Sein Tango, begleitet vom Saxophon, und Haines’ Botschaft macht ihn zum Magier im Zentrum des Geschehens, eine von Hesse erst am Ende seines Romans im Magischen Theater enthüllte Rolle. Und, da Pablo in einer Folge-Einstellung (53. Min.) nach Verlassen des Lokals Hermine und Haller Kokain zum Schnupfen anbietet, selbst dann in einer Nebel-Silhouette am Ende der Montage wie ein Ballett-Tänzer animiert vor Lebenslust hochspringt, liegt der Schluss nahe, dass die Rolle allzu zeitverhaftet die Gegenkultur und ihre im psychedelischen Trip wahrgenommenen Einsichten in den Mittelpunkt stellt. Das würde die im Gewicht (statt dem Fünftel im Hesse-Text fürs Magische Theater) mit einem Filmdrittel überbetonte Lauflänge des Magischen Theaters im Film erklären. Der Gestalter des Labyrinths bleibt für Haines Pablo. In der Kokain-Szene spricht Pablo denn auch sein pragmatisches Sinnlichkeits-Credo mit Anspielung auf die steigernden Drogen aus (53. Min.): Hermine: «Pablo kriegt immer alles hin». Harry: «Alles?» Hermine: «Alles was man will». Nach dem Kokain-Schnupfen der drei betont

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Fred Haines, Hermann Hesse und die amerikanische Subkultur. In: Volker Michels (Hg.), Materialien zu Hermann Hesses ‹Der Steppenwolf›. Frankfurt 1972, S. 388–400.

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129 Pablo (zu Harry) anspielungsreich: «Man kann nicht immer bekommen, was man will, aber man kann bekommen, was man braucht.» Der Narr, diesmal in der Rolle eines Passanten, der Pablos Saxophonkasten einen Augenblick für ihn hält, sieht den fröhlich Davoneilenden verblüfft nach, zieht erstaunt an seiner Zigarillo und kann die Wirkung des geschnupften Pulvers (Kokain) nicht begreifen. Der Kontext wird so überdeutlich. Pablos Tango-Verse beim ersten Auftritt (43. Min.) lauten: What turned the trick, you ’ll never know, You hide away, you long to go – Time is turning into space, What a trip to Pablo’s place […] Exstasy is in your hand [spreizt die Finger seiner Hand vorm Gesicht] The glance reveals your secret face: You will come back to Pablo’s place. In Pablo’s place the sense is real Noone knows, how weird you feel – Except those who fade without a trace Last seen, or who, to Pablo’s place.

Dieser Magier der Sinnlichkeit und der Selbsterkenntnis unter «merkwürdigen, aber real erscheinenden» («weird», «the sense is real») Spiegelungen spielt auf die Drogenwirkung auf dem Weg zur Wahrnehmung des eigenen «geheimen Gesichts» im Zauberspiegel an. Der Weg ins Magische Theater erhält hier eine weitere Vorblende neben Hermines Andeutungen. Als Vertreter der Counter-Culture hat ihn Haines zum Hüter der Drogen-Träume gemacht und bleibt daher allzu zeitverhaftet. Die Gestaltung der Maria-Rolle für Harrys sexuelle Entdeckungen lebt von dem Regie-Einfall, die Verführungsszene mit den Mitteln des zu Hesses Schreibzeit gerade auslaufenden Stummfi lms als Pantomime zu fi lmen. Harry will zunächst ungestört schlafen, wird aber von der nackten Maria, vorgefunden in seinem Bett, zum Mitleid aufgefordert, da sie pantomimisch ihr Weinen andeutet und er sich in grotesker Selbstpersiflage als Don Juan eine weiße Rose zwischen die Zähne klemmt, bis er sich widerstandslos unter sie legt. Da im Hesse-Text Harry auch den Besuch eines Stummfi lms über The Ten Commandments (1923) von Cecil B. DeMille vor der abschließenden Ballnacht unternimmt, lag der Regietrick, solche Filmmittel auch bei der Gestaltung des Magischen Theaters einzusetzen, für Haines nahe. Hesse nutzt diesen Einschub, ebenso wie das Gespräch übers Radio mit der Vermieterin und die Polemik gegen die Musikzerstörung durch das Grammophon für seine Generalablehnung des ‹feuilletonistischen Zeitalters› und dessen ‹technische Reproduzierbarkeit des Kunstwerks› (W. Benjamin), nur um im Kino die Oberflächlichkeit der Massenszenen eines durchs sich teilende Rote Meer sich bewegenden Moses’ und seines Volkes zu ironisieren: «ein hübsches kleines Einzelbild aus dem riesigen Ramsch und Kulturausverkauf dieser

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130 Zeit» (S, S. 153). Allerdings sah er sich zur Steppenwolf-Zeit und später auch mit Vergnügen Charlie-Chaplin-Filme an.20 Nach der Kokain-Szene bringt Haines eine für seine Interpretation der Gesamtrichtung von Harrys Sehnsucht nach Lebenssinn aufschlussreiche Montage (54.36 bis 55.26 Min.) in einem Kirchenkonzert beim Anhören einer Friedemann-Bach-Sonate. Nach dem Bild der abendlichen Kirche in der Totalen, im Soundtrack unterlegt von der Symphonie, erfolgt ein Umschnitt auf die Violonisten, dann Harry beim ergriffenen Lauschen mit geschlossenen Augen, dann der sich nach ihm umwendende Neffe der Vermieterin, dem er glücklich zunickt, dann eine Großaufnahme im dissolve zu einem das Gesicht Hallers überblendenden Kastanien- und Ahornwald erst aus der Nähe, dann in Aufsicht, schließlich eine Landschaftstotale, dann Harrys Stimme im voice over, die von «Lebenssinn» und angeekelt von der «fremden Spielwelt» spricht, die «das Beste» in ihm zu zerstören droht. Heimgekehrt, zeigt die Kamera den Autor nach einem Schwenk entlang seiner Bücher im Profi l, schreibend. Rousseaus ‹Zurück zur Natur› wird als Botschaft dieser Montage unübersehbar. Bei Hesse wird ebenso das «Heimweh» sichtbar. Die Passage aus der Exposition und Außensicht lautet: Ein zu uns, in die Städte und ins Herdenleben verirrter Steppenwolf […], seine Wildheit, seine Unruhe, sein Heimweh und seine Heimatlosigkeit. Einmal konnte ich ihn einen ganzen Abend lang beobachten, in einem Symphoniekonzert. […] Unzugehörig, einsam und fremd saß er, mit einem kühlen, aber sorgenvollen Gesicht vor sich niederblickend. Dann kam ein anderes Stück, eine kleine Symphonie von Friedemann Bach, und da war ich ganz erstaunt zu sehen, wie nach wenigen Takten mein Fremdling anfi ng zu lächeln und sich hinzugeben, er sank in sich hinein und sah, wohl zehn Minuten lang, so glücklich versunken und in gute Träume verloren aus, dass ich mehr auf ihn als auf die Musik achtete. (S, S. 20)

Die häufigste Frage an Hesses Text und nach Besuch des Films lautet bei Studierenden, ob Hermine im Magischen Theater wirklich von Harry umgebracht wurde. Diese Erfahrung machte der Hesse-Page-Herausgeber Gottschalk in einer Filmvorführung in Santa Barbara, Kalifornien, Ende der 90er Jahre im letzten Drittel des Films, nachdem zu Beginn des ‹Magic Theater› die Studenten bald und deutlich den Saal verließen (von 600 Zuschauern blieben etwa 25 übrig), die dann mit ihrem Professor im Café diskutieren wollten, was eigentlich in der zweiten Filmhälfte vor sich ging.21 Hesse, der diese Kernfrage wohlweislich offen ließ, aber auf die Anima-Figur Hermine als Ich-Projektion und idealistischeres alter ego anspielt, hat erst im Zusammenhang mit dem späteren, surrealen Märchen Die Morgenlandfahrt (1932) und dem Gedicht Besinnung (1933), nach Überwindung seiner Ehekrise mit Ruth Wenger zu einer gültigen Antwort im Zurücknehmen der weiblichen Anima als der mütterlichen Natur und einer durch die Hinwendung zur Welt Kastaliens bedingte, männliche Animus-

20 21

Freedman, Hesse, S. 346 Licht, Verfilmung, S. 24f. Der Student Hendrik Licht schrieb wegen der Rezeption in den USA an Günther Gottschalk.

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131 Variante im väterlichen Geist andeutungsweise eine Antwort versucht. Der Wechsel der Anima-Figuren (auch noch in Die Morgenlandfahrt ist der Held zunächst zu Fatme unterwegs, bis ihn der Ordensobere LEO in einem anschließenden Symbol auf den Weg des Geistes führt) bedingt das Abschiednehmen von Hermine im Steppenwolf als Psychopompos. Im Gedicht Besinnung, einer Hymne zum Thema des Heiligen 22 und zur Individuation in Stufen der Sublimierung lautet die entscheidende Passage: Träge lastet auf uns Kreaturen die Schwere. Hold zwar und mütterlich warm umhegt uns Natur, Säugt uns Erde, bettet uns Wiege und Grab; Doch befriedet Natur uns nicht, Ihren Mutterzauber durchstößt Des unsterblichen Geistes Funke Väterlich, macht zum Manne das Kind, Löscht die Unschuld und weckt zu Kampf und Gewissen. So zwischen Mutter und Vater, So zwischen Leib und Geist Zögert der Schöpfung gebrechlichstes Kind, Zitternde Seele Mensch, […] Seine Bestimmung: das Licht, der Geist.23

Im «Traktat vom Steppenwolf», das ja kühle Wissenschaftsanalyse und den Märcheneingang vom Steppenwolf verbindet, heißt es im Vorgriff auf die spätere Lösung ganz ähnlich in Prosa: «Der Mensch ist ja keine feste und dauernde Gestaltung […], er ist vielmehr ein Versuch und Übergang, er ist nichts andres als die schmale, gefährliche Brücke zwischen Natur und Geist. Nach dem Geiste hin, zu Gott hin treibt ihn die innerste Bestimmung – nach der Natur, zur Mutter zurück zieht ihn die innigste Sehnsucht: zwischen beiden Mächten schwankt angstvoll bebend sein Leben. […] ein Stück Bewusstsein, Gesittung und Entbestialisierung wird verlangt, ein klein wenig Geist […]. Dass der Weg dahin immer nur […] unter furchtbaren Qualen und Ekstasen zurückgelegt wird, eben von jenen seltenen Einzelnen, denen heute das Schafott, morgen das Ehrendenkmal bereitet wird – dies Ahnen lebt auch im Steppenwolf» (S, S. 63). Haines’ Montage des Kirchenkonzerts und der überblendeten Pastorale vermag mit den Filmbildern diesen Weg kreativ interpretierend nachzuvollziehen. Heute ist die Rezeption (der DVD von 2006 von Winkler Film) auch mit den surrealen VideoBildern des Magischen Theaters gnädiger, denn inzwischen ist man an die Video-

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Hermann Hesse: Brief an H. M., 19. 11. 1935. In: Ders., Gesammelte Briefe in 4 Bdn., hg. U. und V. Michels, Frankfurt a. M. 1990, Bd. 2, S. 148f. Vgl. zur Gesamtdeutung Volker Wehdeking: Hermann Hesse, C. G. Jung und Thomas Mann. Die intertextuellen Bezüge in der Erzählprosa des späteren Werks. In: ‹Hermann-Hesse-Jahrbuch›, Mauro Ponzi (Hg.), Bd. 2, Tübingen 2005, S. 121–148, hier S. 140–145. Hermann Hesse, Die Gedichte, 2 Bde. Frankfurt a. M. 1977, Bd. 2, S. 623.

Volker Wehdeking

132 Clip-Techniken gewöhnt.24 Entstanden ist ein ambitionierter, sehenswerter Film, der, gemessen an der diffi zilen, mehrfachcodierten Textvorlage, gelang: Je wichtiger für die Eigenart der Vorlage sprachliche Brillanz und Metaphorik, theoretischer Diskurs, innere Monologe sind, desto mehr Kreativität beansprucht eine Transformation in den analogen Film, desto unübersehbarer die Distanz, im künstlerischen Fall Glücksfall aber auch: desto intimer die Nähe und Verwandtschaft zwischen beiden Werken.25

2. Die Hesse-Filmadaption im Medienkontext von Moderne und Postmoderne Nimmt man die drei Zeitachsen des humanistischen Bildungsromans von 1925/27, den Film von 1973/74 und die neuerliche, sehr späte Verfügbarkeit des Films im deutschsprachigen Raum durch die Rezeption der neuen DVD (2006), so vermag der Medienwechsel recht gut Jochen Hörischs These zur Fragestellung meines Sammelbandes26, «Was generiert Generationen, Literatur oder Medien», zu illustrieren. Dieser Ansatz führt die Mediengenerationen in der Literatur seit 1989 (in je zwanzig Jahresgenerationen) überzeugend fort (wo Hörisch sie rückwärts buchstabiert): Alle 20 Jahre verdichten sich die diffusen Ereignismengen zu einem Mega-Umbruchsereignis, das für entschiedene Neustrukturierungen sorgt, […] im Rückwärtsgang. 1989: Implosion des staatssozialistischen Ostblocks; 1969: weltweite Studentenrevolte zwischen Tokio, Berkeley, Paris und Berlin – Prager Frühling nicht zu vergessen; 1949: Neustrukturierung der Welt in Ost und West; 1929: Weltwirtschaftskrise; 1909: (als ‹Ausnahme›) Relativitätstheorie, Psychoanalyse, strukturale Linguistik, Zwölftonmusik und Kubismus sorgen in diesen scheinbar so ruhigen Jahren für mentale Umbrüche».27

Die Psychoanalyse als geistesgeschichtlicher Hintergrund zu Hesses mehrfachcodiertem Künstlerroman und seine Anima-Vorstellungen des Freud-Schülers C. G. Jung für die Figurengestaltung liegt als Novum der Zeitsignatur auf der Hand. Interessanterweise konnte Hesse, der sich in der auslaufenden, expressionistischen Stummfi lmZeit neben Chaplin-Filmkomödien und Cecil B. DeMille vielleicht auch als Quelle für den Steppenwolf und seine rekurrente Rasiermesser-Symbolik den durch Sigmund Freud inspirierten G. W. Pabst Film Geheimnisse einer Seele (Urauff. März 1926) ange-

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Vgl. www.logomorphoses.blogspot.com. 28. 02. 2007, «The word become fi lm: Steppenwolf»; Henri Kramer:«Video-Reviews. Der Steppenwolf». www.powermetal.de/video 30. 03. 2005. Helmut Kreuzer, Medienwissenschaftliche Überlegungen zur Umsetzung fiktionaler Literatur. Motive und Arten filmischer Adaption. In: Ders.: Aufklärung über Literatur. Epochen, Probleme, Tendenzen. Ausgewählte Aufsätze. Bd. 1, Heidelberg 1992, S. 254–271, hier S. 266. Volker Wehdeking (Hg.), Medienkonstellationen Literatur und Film im Kontext von Moderne und Postmoderne. Marburg: Tectum, 2008. Jochen Hörisch, Mediengenerationen. Frankfurt a. M. 1997, S. 15.

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133 sehen haben. Dort sind die psychoanalytischen Implikationen resoluter Verdrängung eines Chemieprofessors (Darsteller Werner Krauß, Kamera Guido Seeber) und seine pathologische Angst vor Messern (und Stichwaffen) zu fi nden. Die Phobie wird als Verbindung von Sexualität und verdrängten Mordgedanken (beim Abschneiden einer Locke vom Kopf seiner Ehefrau) von einem Psychoanalysten therapiert, ein zwanghafter Versuch, die eigene Frau zu erstechen, ging voraus. Die expressionistischen Überblendungen beim Darstellen der Träume von Rasiermessern und Stichwaffen als deutliche Scherenschnitte vor leerem Hintergrund weisen jedenfalls auf die wiederholten Filmbilder von Harrys Obsessionen (das Rasiermesser auch als fi lmisches Leitmotiv) und die Inszenierungen des «Magischen Theaters» durch Fred Haines voraus, der bei der mise-en-scène, unterstützt durch Mati Klarweins Bühnendekorationen (in den Wandsbeker Ateliers des Studios Hamburg), surreale Kulissen und irreale Farben verwendete, um Hallers psychoanalytisch-allegorische Träume umzusetzen. Das Dekor eines vieltürigen Rundtempels wechselnder Stilperioden, in dem Haller sich verirrt, und die Stummfi lm-Inserts mit Hesses Zwischentiteln im Film («Anleitung zum Auf bau der Persönlichkeit», «Alle Mädchen sind dein!») ergänzt durch Bilder aus der zweiten Surrealisten-Generation, etwa die Nähe zu Max Ernst und dessen Tafelbild Nachtphasen (1946), weisen neben der durch Charles Jencks und andere Architekten 28 vertretenen Mehrfachcodierung der Postmoderne auch auf Haines’ Filmstil als postmodern hin. Wo Hesse in der Genre-Vielfalt seines Steppenwolf (Märchen, nüchterne Wissenschaftsprosa im Traktat, Liebes- und Zeitroman, humanistischer Bildungsroman, Magisches Theater, Lyrikeinschübe und die Krisis-Sammlung von Gedichten) und in der Metafi ktion im Traktat bereits in der Moderne die postmodernen Stilzüge des Haines-Films antizipierte, sah dieser die Studentenrevolte in den USA in Vietnamkriegsprotesten in Hesses Pazifismus der Zwischenkriegsjahre antizipiert, und nahm diese Relevanz in psychedelischer Spiegelung auf. Heute, wie neuere Kritiken nach Erscheinen der DVD belegen, fehlt den an ganz andere Special Effects gewöhnten, aktuellen Cineasten der bereits bei Hesse als «bedeutungsschwere Vorlage»29 angelegte Spannungsbogen in der Handlungsführung, eine durchgängig überzeugende Dramaturgie. Die Genre-Eindeutigkeit, die das Medium Film erfordert, verzeiht den Wechsel der realistischen Beziehungs-Story (Hallers Liebesdreieck) zum phantastischen Bildungsroman und surrealen Selbstfi ndungslabyrinth geträumter Hinrichtungsszenen weit weniger. Der melancholische Rückzug aus Industrialisierung und Technik («Hochjagd auf Automobile» im Magischen Theater), wie Hesse sie als psychologische Zerrissenheit in 28

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Charles Jencks, Die Sprache der postmodernen Architektur. Die Entstehung einer alternativen Tradition. Stuttgart 1978.- Die Postmoderne. Der neue Klassizismus in Kunst und Architektur. Stuttgart 1987.- Robert Venturi, Komplexität und Widerspruch in der Architektur [1966]. Hg. Heinrich Klotz, Braunschweig 1978.- James Stirling: Das monumentale Informelle. In: Die neue Staatsgalerie Stuttgart. Stuttgart 1984. Kramer, «Video-Reviews. Der Steppenwolf», S. 2.

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134 den Großstädten wahrnahm, in die Sehnsucht nach «Heimat» in der Natur, begleitet von ‹Sorge›, ‹Angst› und dem Gefühl ohnmächtiger ‹Geworfenheit› im ‹Vorlauf auf den Tod› (dem Haller mit seinem Suizid-Spiel zum 50. Geburtstag des leidenden Helden zu begegnen versucht), entstammten dem Krisengefühl der Inflationszeit und erwiesen bei Hesse eine gewissen Nähe zum Deutschen Existenzialismus in Martin Heideggers Sein und Zeit von 1927. Es ist kaum denkbar, dass sich dies Porträt einer diffi zilen Seelenlage in der Midlife Crisis eines Künstlers in den schwierigen Zwischenkriegsjahren der Inflationszeit so bald wiederverfi lmen lässt und dafür Sponsoren zu fi nden sind. Nur der Höhepunkt des Hesse-Booms in der amerikanischen Counter-Culture ließ das Projekt lukrativ erscheinen und machte es fi nanzierbar. Hatte Hesse die moderne Zerrissenheit des Großstadtlebens nach seiner Nürnberger Reise für die psychische Disposition seines Helden mitverantwortlich gesehen, so erscheinen dem heutigen Betrachter die im Film gewählten Basler Straßen, Plätze und Innenhöfe mit ihrem Kopfsteinpflaster und der häufig im Hintergrund sichtbaren alten Stadtmauer eher mittelalterlich und zeitlich weggerückt. Die dunklen Farben der Abend- und Interieurszenen tun das ihrige um diesen Eindruck einer anderen Ära zu verstärken. Die Bedeutung des Karneval ist heute peripher und die Paartanz-Sinnlichkeit, von der der Autor mit seinen Künstlerfreunden im Zürcher Hotel Baur au Lac schwärmte, scheint unwiederbringlich.

Abb. 1: Haller (Max von Sydow) betritt vor Hermine (Dominique Sanda) und Pablo (Pierre Clementi) das surreal dekorierte Magische Theater, vgl. oben S. 133: hinter ihm die mit dem Schatten einer Hand mit Messer vorgeblendete Tat. © AT-Medien, Winkler Film

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Abb. 2: Harry sieht Hermine (Dominique Sanda) erschöpft bei Pablo liegen und ersticht sie (vgl. oben S. 127)

Abb. 3: Haller träumt beim Anhören einer Friedemann-Bach-Sonate von der Natur: einem im Dissolve (TC 54.36 – 55.26 Min.) gezeigten Laubwald (vgl. oben S. 130). © AT-Medien, Winkler Film

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Abb. 4: Cover der DVD: Der Steppenwolf, AT Medien, Winkler Film 2006.

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Christoph Gellner, Hermann Hesse und die Spiritualität des Ostens. Düsseldorf: Patmos Verlag, 2005. 270 S. € 24.9/SFR 43.70 Christoph Gellner promovierte 1996 in Tübingen mit der Arbeit Unterwegs zur Weisheit: Hermann Hesse und Bertolt Brecht. Ihre literarische Rezeption asiatischer Religion und Philosophie als Herausforderung christlicher Theologie zum Dr. phil. Diese Dissertation wurde ein Jahr später als Buch in der Reihe «Theologie und Literatur» im Matthias Grünewald Verlag zu Mainz veröffentlicht. Sie dient als Grundlage des jetzigen Hesse-Bandes, der zur Besprechung vorliegt. Karl-Josef Kuschel, der Gellners Dissertation betreute, sagte mir 2002 in Calw, dass Gellner die Richtigkeit von Hesses China- bzw. Asien-Verständnis überprüfen wolle. Davon ist der Autor glücklicherweise abgekommen, denn das wäre eine undankbare Aufgabe gewesen. Es hätte bedeutet, sämtliche von dem Sinologen Richard Wilhelm und zahlreichen Indologen erarbeitete Übersetzungen chinesischer und indischer Klassiker, die Hesse gelesen hat, mit der Quelle zu vergleichen. Für einen Theologen ohne gründliche Ausbildung in der Sinologie und Indologie ist dies eine Unmöglichkeit. Jetzt erachtet der Verfasser eine Fragestellung für ergiebiger, welche die «literarästhetisch produktive Aneignung und Verarbeitung» der «von Hesse rezipierten Religionstraditionen Indiens und Chinas» (S. 19) im Blick hat. In diesem Punkt hat Gellner sicherlich Recht. Sowohl die Lebensumstände als auch die Schriften Hesses, die sich gegenseitig erhellen, dienen dem Band als Untersuchungsgegenstand. Dabei scheinen u. a. zwei frühere Untersuchungen in der Hesse-Forschung besonders auf Gellner gewirkt zu haben, nämlich Ralph Freedmans Biographie über Hesse als dem Autor der Krisis (1982) und Adrian Hsias Arbeit zu Hermann Hesse und China (1974/1981/2002). Denn der Auf bau von Gellners Buch folgt der Entwicklungslinie der Lebenskrisen Hesses, die ihn vom Christentum zunächst zur Spiritualität Indiens und schließlich zum Geist des alten China führten, und wie diese Entwicklung sich auf Hesses literarische Produktion niederschlug. Das Buch beginnt mit einer sehr knappen Einführung in die «Fernostfaszination im Westen». Der Hauptteil hat sieben Kapitel, die sich an den Krisen in Hesses Leben orientieren, und das Buch endet mit einer Aufforderung zum Dialog zwischen den Konfessionen. Diesem äußeren Auf bau stehen fünf Rückblenden, die je nach Notwendigkeit in den sieben Kapiteln verstreut sind, zur Seite. Sie dienen jeweils als Fokuspunkte der Krisen Hesses und der geistesgeschichtlichen Rezeption des Ostens, besonders in Deutschland. Das erste Kapitel hat zwei Abschnitte und jeder ist mit einer Rückblende versehen. Die erste trägt die Überschrift «Der christliche Weg zu Gott verbaut» und veranschaulicht die erste Großkrise Hesses, nicht zugleich Christ (pietistischer Prägung) und Dichter sein zu können, weil nur Erbauungsliteratur als christlich-moralisch gilt. Sogar Hesses Mutter fand die Frühschriften ihres Sohnes unmoralisch. Hermann Hesse entschied sich für die Dichtung. Die zweite Rückblende heißt «Neue Sehnsucht nach Indien» und beschreibt die «Laboratorien der religiösen Moderne» – wie die Vegetarier, Nudisten und Theosophen – im Zusammenhang mit Hesses Entwicklung und Krisen. Diese Etappe endet etwa mit der Fahrt Hesses nach Hinterindien, wo er von den dort ansässigen Chinesen besonders beeindruckt war.

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138 Die Überschrift der dritten Rückblende lautet: «Die allmähliche Ankunft des Buddha im Westen». Sie ist in das zweite Kapitel integriert, das der Phase nach den Erlebnissen in Südostasien gewidmet ist. Es geht um die Beschreibung, dass Hesse vom Volksbuddhismus enttäuscht war und sich allmählich in den geistigen Buddhismus durch Lektüre der übersetzten Kanons vertiefte. Etwa gleichzeitig begann er auch Richard Wilhelms Übersetzungen chinesischer Klassiker zu lesen. Das dritte Kapitel hat keine Rückblende, denn Asien tritt in den Hintergrund; im Vordergrund werden die persönlichen Krisen Hesses im Zusammenhang mit den kulturellen Krisen Europas dargestellt. Es geht um die Zeit des Aufkommens der Psychoanalyse. Das Kapitel endet mit dem bedeutungsschweren Abschnitt über das «Zurücktaumeln des müden Europageistes zur asiatischen Mutter». Mit ihr ist nur die indische und chinesische Kultur gemeint, die islamischen und jüdischen Welten werden ausgeklammert. Die vierte Rückblende mit dem Titel «Ethik aus dem Grund mystischer Erfahrung» ist zugleich der Schlussabschnitt des vierten Kapitels, das der Zeit um Siddhartha gewidmet ist. Es geht nicht nur um die «Krisis der europäischen Kultur» und die Rückkehr zur asiatischen Mutter, sondern paradoxerweise auch darum, dass das «Indische [...] nicht die Hauptsache» in Hesses indischer Dichtung ist. Die mystische Erfahrung ist nämlich eine taoistische, die aber wiederum mit der christlichen Liebe gekoppelt ist. Aber diese neue Mischform der mystischen Erfahrung ist nur von kurzer Dauer. Denn das fünfte Kapitel hat nicht nur keine Rückblende, sondern es trägt überdies die gewichtige Überschrift «Die Hölle ist überwindbar». Es geht um neue Leiden des Autors. Nur wird ihre Überwindung nicht unmittelbar von der asiatischen Mutter chinesischer oder indischer Prägung herbeigeführt, sondern eher mittels der Psychoanalyse und «Hessescher Theoanthropologie». Auch wenn an beiden die asiatische Mutter nicht unbeteiligt ist, handelt es sich doch um Mischformen, die im Westen beheimatet sind. Aber bei Hesse ist jede Lösung nur temporär. Die Dauer besteht nur im Wechsel. Die fünfte und letzte Rückblende hat die Überschrift «Späte Hinwendung zu Konfuzius» und befindet sich im vorletzten, d.h. sechsten, Kapitel, das Die Morgenlandfahrt und Das Glasperlenspiel beschreibt. Die späte Hinwendung hat seine Richtigkeit, denn solange Hesse romantisch gesinnt ist, kann er den Zugang nur zum indischen Geist und zum Taoismus finden. In der Morgenlandfahrt ist das romantische Element noch ziemlich ausgeprägt. Hinzu gekommen ist aber das Element des Dienens, was zu Josef Knecht im Glasperlenspiel führt. Mit der pädagogischen Provinz nähert sich Hesse nicht nur Goethe, sondern auch Konfuzius. Der offensichtliche Unterschied zu Goethe ist bereits in der bewussten Wahl des Nachnamens sichtbar. Goethe nennt seinen Helden Meister, bei Hesse heißt er dagegen Knecht. Wie Konfuzius bleibt Knecht sich treu und geht unbeirrt seinen Weg, ohne Rücksicht auf die Erfolgsmöglichkeit bzw. persönliche Konsequenz. Trotz all dieser Phasen und Wandlungen bleibt der Kern bei Hesse wesentlich unverändert, obwohl er bei jeder Etappe durch frische, aber wesensverwandte Züge erweitert wird. Jedes neue Stadium ist die Verschmelzung und Summe der bisherigen Wandlungen des Autors und beinhaltet alle ihm wesentlichen Elemente des Christentums, des indischen und des chinesischen Geistes. Jeder Orthodoxie gegenüber wird er irgendwann wieder Ketzer. Daher ist er mehr als nur Christ, Buddhist, Taoist oder Konfuzianer; das Selbst- und daher das Menschsein ist ihm wichtiger. Nach seinem Altersroman wird ihm der Zen-Buddhismus wichtig, den er auch in sich aufnimmt. So wird nun sowohl das Sein als auch der Schein überwunden und aufgehoben. Das Wesentliche bleibt wesentlich. So stellt Gellner im Epilog mit Recht fest, das Andere sei stets Gegenstück und Ergänzung bei Hesse. Als christlicher Theologe bejaht er die religiöse Pluralität und fordert zum Dialog auf. Christoph Gellner hat die bisherigen Arbeiten auf dem Gebiet zusammengetragen und die wichtigsten Punkte anschaulich dargestellt. Sein Buch eignet sich vorzüglich zum Einstieg in das Thema über Hesses Beziehung zur indischen und chinesischen Spiritualität als Beispiel für eine Pluralität des Glaubens. Offensichtlich betrachtet er Hesse als Vorbild der modernen Menschen, die in einer pluralistischen Gesellschaft leben.

Adrian Hsia

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139 «SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR: VON EISEN». Schreibszenen im Zeitalter der Typoskripte, hrsg. von Davide Giuriato, Martin Stingelin, Sandro Zanetti, München, Wilhelm Fink (Zur Genealogie des Schreibens, Bd. 2), 2005, 311 S. «SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR»: Mit diesem Anthropomorphismus beginnt Nietzsches – inzwischen berühmt gewordenes – Gedicht auf jene Schreibmaschine, die er im Februar 1882, in Genua sich auf haltend, mitgebracht bekam. Das Experiment «Schreibmaschine» gab Nietzsche jedoch aus verschiedenen Gründen nach sechs Wochen bereits wieder auf und fuhr fort, mit der Hand zu schreiben. Doch die Kurzkarriere des «Typewriters» Nietzsche hat die Medienwissenschaft herausgefordert, die Textur, oder besser gesagt: die Tastatur dieses herausragenden mediengeschichtlichen Moments als Ausgangspunkt für weitere Untersuchungen zu nehmen. Das vorliegende Buch, das als zweiter Band der Reihe «Zur Genealogie des Schreibens» erschienen ist, widmet sich der Mechanisierung des Schreibens, wie sie mit der Schreibmaschine seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ins Schreiben Einzug hält und im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts vermehrt thematisiert wird. Walter Benjamins vielzitierte Worte aus Einbahnstraße (1928): «Die Schreibmaschine wird dem Federhalter die Hand des Literaten erst dann entfremden, wenn die Genauig keit typographischer For mungen unmittelbar in die Konzeption seiner Bücher eingeht. Vermutlich wird man dann neue Systeme mit variablerer Schrift gestaltung benötigen. Sie werden die Inner vation der befehlenden Finger an die Stelle der geläufigen Hand setzen», geben den Autoren Anlass, «Fragen und Probleme zu umreißen, die Benjamins Notiz gerade vom Zeitalter mechanisierten Schreibens aus aufwirft und die auch das Zeitalter der Manuskripte und dasjenige des digitalen Schreibens kritisch betreffen». (S. 7) Gegenstand der Untersuchungen ist die Kulturtechnik des Schreibens als das mehr oder weniger instabile Beziehungsgefüge uneinheitlicher Beteiligungen, die mit dem Begriff der «Schreibszene» auf die instrumentellen, körperlichen und konzeptuellen Aspekte des Schreibens befragt werden. In der chronologischen Anordnung dieser «Schreibszenen» wird deutlich, dass das Schreiben sich in medientechnischen Umbruchsphasen jeweils verschärft als dieses problematische Gefüge zur Diskussion stellt. Unter «Schreibszene», ausgehend von Rüdiger Campes implizit getroffener Differenzierung zwischen «Schreibszene» und «Schreib-Szene», ist das «gerahmte Ensemble von Instru mentalität, Geste und Sprache zu verstehen» (S. 8). Von «SchreibSzene» hingegen kann gesprochen werden, wo sich «dieses Ensemble in seiner widerstrebenden Heterogenität und Nicht-Stabilität an sich selbst auf hält und problematisiert» (ebd.). So wird mit beiden Begriffen versucht, «ein literaturhistorisches, ein medienhistori sches, ein kulturhistorisches und ein systematisches Moment in einem integrativen Modell aufeinander zu beziehen» (ebd.). Betrachtet man das Schreiben vor diesem begriffl ichen Hintergrund als ein Beziehungsgefüge, dann richtet sich die Frage auch im Zeitalter der Mechanisierung des Schreibens darauf, wie sich dieses Beziehungsgefüge jeweils genau darstellt. Denn mit der Schreibmaschine wird erstmals eine erkennbare Trennung in der Verbindung zwischen dem Körper des Schreibenden und der Gestalt des Geschriebenen eingeführt. In diesem Moment, in dem der Körper des Schreibers, das Schreibwerk zeug und das Geschriebene getrennt und bisweilen als widerstrebende Elemente in Szene gesetzt werden, setzen die Untersuchungen dieses Bandes an und stellen pointiert die Frage nach der Eigenproduktivität des Schreibwerkzeugs. Die dreizehn Beiträge widmen sich der Frage, wie sich dieses Beziehungsgefüge im Zeitalter der Mechanisierung des Schreibens darstellt und wie es thematisiert wird. Durch die Einführung der Schreibmaschine scheint im Schreibvorgang eine Entkoppelung von Hand und Schreibwerkzeug ins Bewusstsein zu treten, «die hier als medienhistorisch inszenier te, ironische Selbstdistanzierung, durch die das Schreiben in einen Abstand zu sich selbst tritt» zu

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140 verstehen ist. (S. 18) So gehen die Autoren diesen Fragen «als einer Problematik nach, in der das literarische Schreiben nicht allgemein und abschließend defi niert werden kann, sondern im spezifischen Fall historisch und philologisch einer gesonderten Unter suchung bedarf» (S. 19). Catherine Viollet bietet eingangs ein umfassendes Kompendium mechanisierter SchreibSzenen, die die Beziehungen zwischen Mechanik und Literatur als Spannung zwischen den «Zwängen des Instruments und der kreativen Intervention des Schrift stellers» (S. 46) darstellt und vor diesem Hintergrund den textgenetischen Stellenwert von Typoskripten betont. Viollet versucht, die Vielfalt der Aspekte zu verdeut lichen, die sich in der Genese von Literatur mit dem Gebrauch der Schreibmaschine verbinden: «Auch wenn [die Schreibmaschine] eine gewisse Verarmung im Hinblick auf das Manuskript (im strikten Sinne) beinhaltet und auch wenn sie im Hinblick auf den graphischen und semiotischen Reichtum der Hand schrift beschränkt scheint, illustriert das mechanisch Geschriebene auf singuläre Weise die Spannung zwischen den Zwängen des Instruments und der kreativen Intervention des Schriftstellers.» (Ebd.) Gerade weil der Einzug der Informatik die Frage nach den Verbindungen zwischen Schreiben und Mechanik neu stellt, fordert Viollet rund um das Typoskript herum ein Forschungsfeld, eine sogenannte «Semiotik des Typoskripts» (S. 46). Christof Windgätter bezieht sich in seinem Beitrag auf die Erfahrungen Friedrich Nietzsches mit dem Feder- und Maschinenscheiben. Dieser Wechsel der Schreibgeräte impliziert zugleich einen «Wechsel von der skriptographischen zur typographischen Schreibszene» (S. 49). Nietzsches Widerstände des Schreibens, die sich nach physiologischen, ästhetischen und mechanischen Störungen ordnen lassen, sind derart ineinander verstrickt, dass bei vermeintlich mechanischen Tippfehlern eine poetische Produktivität erkennbar wird. Nietzsche nämlich habe nicht nur, wie alle Gelehrten spätestens seit Gutenberg, in beiden Szenarien gelesen, sondern auch als einer der ersten selber in beiden geschrieben. Zahlreich sind Nietzsches geschriebene Beschwerden über die Beschwerlichkeit des Schreibens, da die Mediengebräuche und –wech sel nicht ohne Komplikationen verlaufen sind. Windgätters These lautet deshalb nicht nur, «dass sich Nietzsches Aufmerksamkeit für die Materia lität des Schreibens seinen Schreib-Störungen verdankt, sondern auch und darüber hinausgehend, dass man Störungen zum Ausgangspunkt einer Analyse eben jener Schreibszenarien machen muss» (S. 50). Gegenstand des Beitrages von Roger Lüdeke ist Mallarmés Prosa-Über setzung des Gedichtes The Raven von Edgar Allan Poe. Er erklärt, wie mit den die Übersetzung begleitenden Lithographien Edouard Manets die in Poes Gedicht verarbeitete mediale Leitdifferenz zwischen Geräusch und Laut und parallel dazu zwischen Strich und Schrift einen Wandel erfährt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen sind «die Kippfiguren zwischen Geräusch und Laut, zwischen Graphie und Phonie» (S. 78), wenn es um die spezifi sche Stellung von Poes Raven im diskursiven Rahmen der amerikanischen Traditionsbildung geht. Lüdeke geht der Frage nach, «inwieweit ästhetische Diskurse durch den besonderen Einsatz ihrer (medien)technischen Elemente auf jenes ‹maschinelle Gefüge› reagieren, welchem historisch bestimmte Kommunikationstechniken, ihre jeweils spezifischen Re-Präsentations- und Identitätseffekte verdanken» (ebd.) In der Auseinandersetzung mit Ferdinand de Saussure richtet Johannes Fehr den Blick auf die Entstehung von Schriftlichkeit. Fehr spricht zwei Themen aneinander anknüpfend an: «eine ‹krankhafte Furcht vor der Feder› und damit verbunden eine ‹unvorstellbare Qual› bei der Schreibarbeit zuerst, dann die Steigerung, welche eben diese Schreibmarter noch zusätzlich erfuhr» (S. 100). Doch es wird ein ein engerer, spezifi scher oder gar kausaler Zusammenhang zwischen den beiden Themen nicht ausdrücklich hergestellt. Diese rücken dennoch in eine «irritierende Nähe», und «was sie insbesondere verbindet, ist der geradezu verzweifelte Ton, mit welchem das Leiden angesprochen wird, welches offenbar für Saussure zur Handhabung der Feder ebenso gehörte wie zur Befassung mit der Linguistik – ‹dieser Wissenschaft, in welcher kein Term je auf einer klaren Vorstellung beruht hätte›» (S. 100).

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141 Rüdiger Campe untersucht den modernen Begriff des Schreibens und seine instrumentellen und körperlich-existentiellen Wirkungen im Werk Franz Kaf kas, die literaturhistorisch hergeleitet werden. Besonders seit der zweiten Edition der Tagebücher in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts und im Anklang an den Begriff der écriture, den Roland Barthes im selben Jahrzehnt entwickelte, spricht die Kritik nun ausschließlich und wie selbstverständlich von Kaf kas Schreiben: «Dichten, her vorbringen, schaffen – das klassische und romantische Wortfeld wirkt seitdem auf Kaf ka bezogen falsch.» (S. 115) Von Anfang an war Schreiben in Kaf kas Tagebüchern «auf die Bedeutungs sphäre der Sprache auf der einen Seite und auf die materialen Unterlagen und Geräte des Schreibens auf der anderen bezogen». (Ebd.) Und es bezeichnete «eine Lebensform, die Bedeutung und Instrument in einer gestischen, d. h. einer körperhaften Sinn unterstellenden, Weise aneinandersetzt.» (Ebd.) Die Ausführungen von Stephan Kammer richten sich auf die systematische Verortung der Hand schrift im Zeitalter mechanisierten Schreibens. Graphologie, Technikgeschichte und Poetologie verbinden sich hier zu einem diskursanalytisch verknoteten Netz, in dem die Handschrift zusehends als Dissoziationsfigur des Schreibens sichtbar wird, durch die Subjekt und Hand auseinandertreten. Kammer richtet seinen Blick auf die Darstellung von Szenen des Schreibens um 1900 und orientiert sich am Parameter der Instru mentalität, an der Schriftgestalt als Modell und am sprachlichen Parameter der Schreibszenen. Christoph Hoffmann beschreibt das brüchige Verhältnis von schriftlichem Befund, Überlieferungsträger und schreibendem Subjekt, das als genau jene epistemische Prä senz gefasst wird, die die Schreibmaschine – um 1900 auch Gegenstand der Krimi nalistik, der Maschinenschriftenpädagogik und der Experimentalpsychologie – von vornherein charakterisiert und das die ‹typographologischen› Aufgaben der Philologie prägt. So lautet Hoffmanns These, «dass Maschinengeschriebenes dann und nur dann einen Einschnitt markiert, wenn der Umgang mit ihm mehr erfordert als neue Methoden der Untersuchung, wenn vielmehr Maschinenschriften die Voraussetzungen unterlaufen, die den Umgang mit Manuskripten steuern und das, was an Manuskripten philologisch fraglich ist, aufs Spiel setzen.» (S. 155) Wolfram Groddeck untersucht die poetische und poetologische Spannung von Hand- und Maschinenschrift, die als «Schreibmaschinenbedenklichkeit» das Handschriftenbild in Robert Walsers Werk mitprägt. Walser entwickelte und praktizierte seine Mikrogrammschrift, mit der er es zu einer Meisterschaft brachte. Groddeck interessiert hier vor allem der Begriff des «büreauhaften» Schreibens, wenn Walser die Abschriften seiner Bleistiftentwürfe mit der Feder angefertigt hat, um nach eigener Aussage damit einem Schreibkrampf zu begegnen. So habe das mikrographische Bleistiftsystem für Walser eine durchaus vergleichbare Bedeutung wie bei anderen Autoren die Schreibmaschine: «Und dennoch ist Walsers Mikrographie eine zur Schreibmaschinenschrift antipodische Schreibtechnik.» (S. 172) Anhand der Analyse eines Mikrogrammblattes macht Groddeck den komplexen poetologischen Zusammenhang deutlich: «Walsers Mikrogramm zur ‹Schreibmaschinenbedenklichkeit› teile in komplexer Erzählreflexion eine Erfahrung des Schreibens mit, die aus der konsequenten Umschreibung und damit der Umgehung des mechanischen Schreibens entsteht» (S. 182). Dass das Schriftbild noch im Reich des Druckens seine Geltung behauptet, veranschaulicht Christian Wagenknecht bei Karl Kraus als Herausgeber der Fackel. So machen die gezielten Umbrüche der Seiten oder die Wahl der Schriftart das Gedruckte als eine Art Partitur lesbar, die als integraler Bestandteil des Schreibprozesses vor der endgültigen Imprimierung des Heftes zu lesen ist. In der Literatur des 20. Jahrhunderts dürfte es nur wenige Fälle geben, wo zwischen der ersten Niederschrift und der Imprimierung des Textes eine lange Reihe von Korrekturgängen liegt. Die Besonderheit bei Kraus liege nun darin, dass er in seiner Doppelrolle als Schriftsteller und Schauspieler das Schriftbild nach den Erfordernissen der Rede gestaltet hat. In vielen Zügen diene die Druckgestaltung der Fackel dem Vortrag, «zunächst dem eigenen, dann aber auch dem des Lesers, den Karl Kraus sich offenbar ebenfalls als Vorleser denkt». (S. 191)

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142 Sandro Zanetti erkennt ähnliche Prozeduren in dadaistischen Schreibexperimenten bei Marcel Duchamp, Tristan Tzara und Hans Arp. Er gibt einen Ausblick auf surrealistische Schreibpraktiken bei André Breton und Philippe Soupalt. So ist die zum Teil bewusst mit der Schreibmaschine inszenierte Abwendung von semantisch kohärenten Ergebnissen des Schreibens jeweils bloß die Kehrseite eines konzeptuellen Entwurfes, der bei den einzelnen Autoren oder Künstlern aber sehr unterschiedlich ausfällt und jeweils einen ganz anderen ‹Automatismus› im Prozess des Schreibens offen legt. Wenn ein Automatismus darin bestehe, «etwas mit etwas anderem so zu koppeln, dass das jeweilige Bindeglied als selbsttätiger Urheber (als Auto) der Koppelungsbewegung erscheint, dann lassen sich die [...] vorgestellten Schreibpraktiken und Konzepte ohne weiteres nach der Art ihres jeweiligen Automatismus [...] charakterisieren.» (S. 233) So gehöre die Frage nach der Herkunft der Wörter bei allen außer bei Duchamp jeweils mit zur Konzeption des Schreibens. Sonja Neef untersucht die Prozeduren des Avantgarde-Poeten Paul van Ostaijen. Neef kommt es dabei weniger darauf an, die individuelle Schreibweise van Ostaijens «im apodiktischen Spiegel seiner Poetologie nachzuvollziehen», sondern es geht ihr immer auch darum, «die Differenz innerhalb der poetologischen Tautologie mitzubedenken» (S. 236). So liefere van Ostaijens Stilo «eine Schrift, die sowohl unverwech selbare, einzigartige und fälschbare Autographie als auch reproduzierbare, ‹buch stabierbare› Allographie ist. Und seine Schreibmaschine erzeugt Dokumente, die zugleich allographisch und autographisch fungieren.» (S. 253) Hubert Thüring verortet die Poetik Friedrich Glausers zwischen den Protokollverfahren und Krankengeschichten von Polizei, Justiz und Psychiatrie und den Taktiken, diese Verfahren der Erfassung von Individuen wiederum schreibend zu reflektieren oder gar zu unterlaufen. Die Probleme der Organisation von Schreiben und Lesen samt psychologischer Auslotung werden zum dominierenden Stoff des Schreibens, der die handlungsorientierten Erzählungen in den Hintergrund drängt. Damit wird die «These einer Verschmelzung von Schreiben und Leben und die Gegenthese eines unendlichen Auseinanderdriftens eigentlich als Oszillation einer doppelten Bewegung betrachtet werden müssen, welche die Dynamik des modernen Schreibens beschreibt.» (S. 255/256) Thüring nähert sich Glausers Schreiben von der exponierten Seite der subjektiven Schreibbedingungen, dem lebenspraktischen und institutionellem, dem technischmateriellen und dem poetologischen Aspekt. Franziska Thun-Hohenstein macht abschließend in ihrer ebenfalls historischen und (kultur) politischen Verortung des Schreibens deutlich, wie schwierig die Situation der Stalin-Zeit als Rückfall der russischen Literatur in die «Ära vor Gutenberg» zu beurteilen ist. An Dokumenten von schreibenden Lagerhäftlingen analysiert sie die existentielle Bedeutung, die das Schreiben von Hand erlangen kann. Es geht dabei um eine medienhistorische Konstellation. Allerdings handelt es sich hier nicht um den Ein zug moderner Schreibtechnik, sondern im Gegenteil «um den Entzug von Technik», denn «jede schriftliche Fixierung eines von der politischen Macht als subversiv eingestuften (in diesem Fall literarischen) Wortes war lebensbedrohlich, implizierte doch der Akt des Aufschreibens die Möglichkeit seiner Auf bewahrung und potentiellen Weitergabe» (S. 280). Unter solchen Bedingungen gewinne das Schreiben mit der Hand einen besonderen Status, denn es wird «auf der inhaltlichen Ebene zu einem Akt der Verteidigung des Individuums. Unter medialem Gesichtspunkt impliziert es den Rückgriff auf einfache Schreibmaterialien (Papier, einzelne Zettel, im GULag auch Stofffetzen) und Schreibwerkzeuge (Stift, Bleistiftstummel).» (Ebd.)

Kerstin Gräfi n von Schwerin

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143 Bruno, Heiner und Martin Hesse – Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Herausgegeben von Uli Rothfuss, Sparkasse Pforzheim Calw, Calw, 2007, 155 S., ISBN – 10 3-9809455-3- 7 Wer sollte der Aufgabe besser gewachsen sein als Uli Rothfuss, um den Spuren Hesses zu folgen? Uli Rothfuss, der in Calw lebt, ist mit mehreren Buchveröffentlichungen hervorgetreten und hat etliche Hessesche Werke besprochen. Er lernte seine zwei damals noch lebenden Söhne und Zeitgenossen kennen, und der Leser fi ndet in diesem Buch zahlreiche Zeugnisse, die den privaten Hesse beleuchten. Es fehlten dem Forscher bisher autobiographische Aufzeichnungen aus der Beziehung des Vaters zu seinen Söhnen, und in diesem 155 Seiten umfassenden Buch begegnet der Leser Hesse auf ganz persönliche Weise. Die Neuaufl age der Erinnerungen der Söhne an ihren Vater Hermann Hesse mit den Aufzeichnungen und Aussagen von Bruno, Heiner und Martin Hesse über das Leben und Wirken ihres Vaters wurde um Beiträge von Gunnar Decker (Begegnung mit Heiner Hesse), Freddy Allemann (Ein Dichter oder gar nichts), Volker Michels (Dank an Heiner Hesse) bereichert. Uli Rothfuss hat mit großem Fleiß alle verfügbaren Quellen zur Biographie Hesses genutzt: Materialien aus dem Besitz der Familie, Gespräche mit Freunden und Verwandten, vielerlei Archivbestände. Sehr willkommen sind die vielen Fotos, die aus Hesses Familienbesitz stammen, und die eindrucksvollen Bilder. Der Umfang des Materials bietet dem Leser eine sorgfältig recherchierte und umfassend belegte Darstellung des Autors. Hermann Hesse tritt uns als Augenzeuge persönlicher Erlebnisse entgegen. Selbst von einem so berühmten Autor gibt es noch Unbekanntes. Hermann Hesse war nie der «einfache» Dichter, zu dem er von vielen Kritikern und Intellektuellen gemacht wurde. Denn diese Reduktion verschließt einem die wahre Tiefe, die hinter seinem Werk verborgen liegt und die in den verborgenen Teilen der Seele zu fi nden ist. Hermann Hesse, aufgewachsen in einem pietistischen Missionars-Elternhaus, verbrachte seine Kindheit in Calw und Basel. Nach turbulenten Jugendjahren lebte er in Maulbronn, Tübingen und in Basel. Im Sommer 1904 heiratete der 27-jährige Autor die acht Jahre ältere Fotografi n Maria Bernoulli aus Basel. Sie ließen sich in Gaienhofen nieder und führten ein einfaches, ländliches Leben. Aus dieser Ehe gingen die drei Söhne Bruno (1905–1999, Kunstmaler, Graphiker), Hans Heinrich (genannt: Heiner; 1909–2003, Dekorateur) und Martin (1911–1968, Fotograf ) hervor. Hesses Zeit in Gaienhofen war von seiner Arbeit und von seinen familiären Verpfl ichtungen geprägt. Er flüchtete sich aber immer wieder in Reisen, um Überblick und Distanz zum eigenen Leben zu gewinnen. Nach seiner Indienreise zog er 1912 mit der Familie nach Bern. Seine Söhne Bruno und Heiner (Erinnerungen an unseren Vater) erzählen von der Berner Zeit, von der tiefen Lebenskrise, die 1918 mit der psychischen Krankheit der Mutter anfi ng, die ein halbes Jahr in der Klinik gepflegt werden musste. Es kamen schwierige Zeiten für die Familie. Hesse sah sich nicht in der Lage, für das Wohl der Söhne zu sorgen, die zwischenzeitlich bei Freunden untergebracht worden waren, der älteste Sohn Bruno bei dem Malerfreund Cuno Amiet. Die bedrückende Last, für die Trennung von seiner Frau und den Söhnen verantwortlich zu sein, verarbeitete Hesse in seiner Novelle Klein und Wagner (1919). Die Trennung von seiner Familie bezeichnete einen weiteren Wendepunkt für Hesse, der sich von nun an als Dichter selbst verwirklichen wollte. 1923 wurde die Ehe mit Maria endgültig geschieden. Im Januar 1924 heiratete er Ruth Wenger, die Ehe hielt aber nur für kurze Zeit. Drei Jahre später ließen sie sich wieder scheiden. Nun wurde es ruhiger in seinem Leben. 1931 heiratete er die Kunsthistorikerin Ninon Dolbin, die bereits als 14jährige Schülerin konstante, briefl iche Verbindung mit ihm aufgenommen hatte und sich als Ehegattin der künstlerischen Arbeit Hesses von Anfang an unterordnete. Mit ihr lebte er bis zu seinem Tode im Jahre 1962 in Montagnola. Die Fragestellung des vorliegenden Buches kreist um die Einstellung Hesses zu seiner Familie. Als Vater und Großvater war er « antiautoritär » und versuchte nie, seine Meinung aufzu-

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144 zwingen. In Montagnola wirkte er stets angespannt, wenn ihn seine Söhne oder Enkelkinder besuchten. Heiner erinnerte sich im hohen Alter an seinen Vater, der viel mit ihnen in der Natur wanderte und im Garten arbeitete. Das Buch liefert auch wesentliche Informationen über das manchmal schwierige Verhältnis der Söhne zu Ninon, die Kinder nicht mochte. Der jüngere Bruder Martin hatte die Trennung der Eltern nicht überwunden und liebte Ninon nicht. Die Söhne richteten es so ein, den Vater zu besuchen, wenn Ninon auf Reisen war. In diesem aufschlussreichen Buch schlägt sich in verschiedenen Selbstaussagen Hesses Ideal als Künstler nieder. Wichtiger Bestandteil in seinem Leben war seine Wahlheimat, das Tessin, wo er sich eifrig dem Dichten widmete. In dieser Gegend konnte er auch seiner Leidenschaft für die Malerei nachgehen. Sein Freund Böhmer unterstützte ihn bei dessen autodidaktischen Bemühungen, sich künstlerische Techniken als auch die Gesetze unterschiedlicher Perspektivdarstellungen anzueignen. Im Tessin war er auch mit einer ausführlichen Brief korrespondenz beschäftigt. Der tägliche Strom von Briefen war der Preis dafür, dass er seinen wiedererwachten Ruhm bei einer neuen Generation deutscher Leser miterleben konnte, die sich von dem «weisen Alten» in Untersuchungen Montagnola Unterstützung, Lebenshilfe und Orientierung erhofften. Nach Schätzung seiner Söhne Bruno und Heiner Hesse sowie des Hesse-Editionsarchives in Offenbach hat Hesse ungefähr 35 000 Briefe erhalten. Das Buch bietet auch das Bild von einem politischen Zeugen seiner Zeit, der beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 sich als Freiwilliger bei der deutschen Botschaft meldete, da er nicht ertragen konnte, tatenlos am warmen Kamin zu sitzen, während andere junge Schriftsteller an der Front starben. Er wurde jedoch für untauglich befunden und der deutschen Botschaft für den Dienst bei der deutschen Kriegsgefangenenfürsorge in Bern zugewiesen. In diesem Rahmen war Hesse fortan damit beschäftigt, für deutsche Kriegsgefangene Bücher zu sammeln und zu verschicken. Am 3. November 1914 veröffentlichte er in der Neuen Zürcher Zeitung den Aufsatz O Freunde, nicht diese Töne, in dem er an die deutschen Intellektuellen appellierte, nicht in nationalistische Polemik zu verfallen. Was darauf folgte, war eine heftige politische Auseinandersetzung, die deutsche Presse attackierte ihn, Hassbriefe gingen bei ihm ein und alte Freunde sagten sich von ihm los. Zustimmung erhielt er weiterhin von seinen Freunden Theodor Heuss und Romain Rolland. Die Casa Rossa in Montagnola war eine der Anlaufstellen für Thomas Mann und etliche andere Emigranten aus Deutschland auf ihrem Weg ins Exil. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten in Deutschland beobachtete Hesse mit großer Sorge. Hesse versuchte auf seine Weise, der Entwicklung in Deutschland entgegenzusteuern. Er hatte schon seit Jahrzehnten in der deutschen Presse Buchrezensionen publiziert, nun sprach er sich darin verstärkt für jüdische und andere von den Nationalsozialisten verfolgte Autoren aus. In der Ablehnung des Nationalsozialismus waren Thomas Mann und Hesse geeint und fühlten sich trotz sehr unterschiedlicher Ausprägung ihrer Persönlichkeiten in bestimmten Grundlinien verbunden. Ab Mitte der Dreißiger Jahre wagte keine deutsche Zeitung mehr, Artikel von Hesse zu veröffentlichen. Hesses geistige Zuflucht vor den politischen Auseinandersetzungen und später vor den Schreckensmeldungen des Zweiten Weltkrieges war die Arbeit an seinem Roman Das Glasperlenspiel, der 1943 in der Schweiz gedruckt wurde. Nicht zuletzt für dieses Spätwerk wurde ihm 1946 der Nobelpreis für Literatur verliehen. Nach Hesses Tod sichtete Ninon mit großer Sorgfalt den Nachlass und entschied sich schließlich für die Unterbringung im Deutschen Literaturarchiv in Marbach. Die Lektüre dieses Buches ist sehr bereichernd. Der Leser bekommt eingehende Erläuterungen und wertvolle Informationen. Und schon allein die ästhetische Gestaltung lädt ein, das Buch noch des Öfteren zur Hand zu nehmen. Der durch Bilder und Dokumente ergänzte Band ist eine editorische Leistung, die Hesse gerecht wird.

Christine Mondon

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145 Sikander Singh, Hermann Hesse, Stuttgart: Reclam, 2006, 318 S., € 8,00 Die Studie mit Einführungscharakter in Hesses Leben und Werk ist eine willkommene Bereicherung der Hesse-Sekundärliteratur durch einen jüngeren Komparatisten und bereits dadurch eine Widerlegung des Forschungsklischees in Deutschland, dass Hesse in Vielem nur für die jüngere Zielgruppe noch Interessantes bereithält und nicht recht in die Paradigmen des linguistic turn bis cultural turn und New Historicism der gängigen Literaturwissenschaft zwischen Postmoderne (Derrida, Lyotard, Foucault), anglo-amerikanischen ( Jameson, Culler) und französischen Denkern der Derealisierung und Simulation (Baudrillard) passt: Singh, 1971 geboren, und derzeit mit der historisch-kritischen Werkausgabe Heinrich Heines an der Stiftung Klassik in Weimar beschäftigt, studierte bis zur Promotion über Heine in Düsseldorf Germanistik, Anglistik (Amerikanistik und Kanadistik). Die Hesse-Monographie ist dabei leserlich geblieben, nimmt nur gelegentlich und behutsam die Terminologie von «Diskurs» und «Dekonstruktion» auf und bevorzugt rezeptionsästhetische und psychologische Kategorien. So bleibt Singh sowohl literaturwissenschaftlich auf der Höhe der postmodernen Diskussion als auch in kongenialer, bewusster Auseinandersetzung mit Hesses zentralen Werken. In einer klar gegliederten, mehrstufigen Hesse-Vita (S. 7–70) unterscheidet Singh die Perioden 1877-1894 des schwierigen Heranwachsens zwischen «Mut und Eigensinn», 1895-1903 als «Literarische und intellektuelle Eroberungen» der Tübinger Buchhandelsjahre und quasi studentischen Autodidaktik im Zeichen der Romantik, des Idealismus (Hegel) und Nietzsches, beschreibt die Spannungen der ersten literarischen Etablierung («Camenzind»), Ehe und Flucht (Indien-Auf bruch), die Berner Jahre 1912-1919 bis zum Fortzug nach und Neubeginn in Montagnola, der zweiten Ehekrise und endgültigen Stabilität (1919-1931) mit den sich anschließenden «Möglichkeiten des Menschentum» (1931-1945) und der «Kontemplation» (1945-1962). So entzieht sich Singh nicht dem in der Hesse-Literatur fortwirkenden «Primat des Biographischen» (S. 68), jedoch als Symptom der Zeit-Neurosen in der persönlichen «Sublimation» (Freud folgend, S. 69) und Krise von Maulbronn und seinen Widersprüchen («Unterm Rad») bis zur kollektiven Krise zweier Weltkriege. Ihre Bewältigung gelingt in der «salvatorischen Kraft der Kunst» (S. 69), die die «Selbstbegegnung des Lesers» einschließt. Das Hauptgewicht des Bandes (S. 71-275) gilt denn auch den mit sicherer Hand ausgewählten, zentralen Werken: Vom Romanwerk, vor allem einer gelungenen Deutung von «Camenzind», und den komplexen Interpretationsproblemen im «Demian», «Steppenwolf», «Morgenlandfahrt» und «Glasperlenspiel», wie auch ausgewählten Erzählungen («Klein und Wagner»), dem lyrischen Werk und Hesses Literaturkritik sowie Malerei (S. 262-285). Die abschließenden zehn Seiten zu Hesses «Werk im Urteil der Nachwelt» sind nach den mit klug gewählten Briefzitaten erhellten Einzelinterpretationen besonders aufschlussreich für die weiterhin in der deutschen Germanistik bestehende, weitgehende Abstinenz (argumentativ begründet u.a. durch Klaus-Peter Philippi) fundierter literaturwissenschaftlicher Analysen (Ausnahmen u.a. Andreas Solbach, Volker Michels und Michael Limberg) und der vor allem in den USA und Italien (Mauro Ponzi) bestehenden anspruchsvollen Hesse-Kritik auf der Höhe der Zeit (Freedman, Schwarz, Shafer, Tusken, Stelzig, Ziolkowski). Während die weltweite Leserschaft und Autoren von Zweig, Thomas Mann und Rolland über Gide, Miller bis Handke den Autor hoch schätzen, und der Hesse-Boom der Protestgeneration in den USA auch seine indirekte politische Kraft bewies, summiert Singh bedauernd: «An der Skepsis der deutschen Literaturwissenschaft gegenüber dem Autor haben auch die Editionen, die Werk- und Briefausgaben, die Ausstellungen, Vorträge und Tagungen und Kolloquien sowie die Gründung der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft anlässlich seines 125. Geburtstags im Jahre 2002 nichts ändern können» (S. 290). Singh macht dafür vor allem «außerliterarisch gesteuerte», an Biographie und Person des Autors orientierte Faktoren und Ar-

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146 gumente verantwortlich, denen Hesse bewusst seine Dichtung als ‹abstrahierte Lebenserfahrung› entgegenstellt, und die Zurückhaltung gegenüber psychoanalytischen Ansätzen (S. 291), und den im Werk immanenten «Dualismen und Widersprüche», sowie das «im Kontext der Literatur des 20. Jahrhunderts Unzeitgemäße seiner Dichtungen – sowohl auf inhaltlich-thematischer wie formaler Ebene», das sich dem Einordnungsversuch widersetzt. Diese Diskrepanz zwischen dem Erwartungshorizont der Wissenschaft und den Positionen Hesses lässt Singh durch seine sensiblen Einzelanalysen vergessen. Jüngste Studien zum «Glasperlenspiel» belegen die Stimmigkeit seiner Rezeptionsanalyse, etwa jene von Dirk Jürgens zur Krise der bürgerlichen Subjektivität […] dargestellt am Beispiel von H. Hesses ‹Glasperlenspiel› (Frankfurt a.M. 2004). Jürgens nimmt die Geschichte und Literatursoziologie zum Gradmesser für dessen Textqualität und stuft Hesse mit seiner Utopie des «Gelehrtenordens» ins 19. Jahrhundert zurück. Hesses Kontrafaktur der NS-Diktatur gerät bei Jürgens in die Nähe eines «Spiegelbilds des Faschismus», angeblich um dem konservativen Bildungsbürger der Nachkriegszeit in seiner Inneren Emigration entgegenzukommen. Dieser Ansatz verkennt die deutlich pazifistische Anlage des Ganzen. In der stark auswählenden Bibliographie fehlt erstaunlicherweise für eine 2006 erschienene Studie zu Hesse jeder Hinweis auf die inzwischen seit 2004 bestehenden Hermann-Hesse-Jahrbücher (Tübingen: Niemeyer, Bd. 1-3, 2004- 2007, Bd. 4 2009).

Volker Wehdeking

Panagiota Theodorou, Übergangsriten in Hermann Hesses Erzählen. Eine Studie zu «Siddhartha» sowie «Narziß und Goldmund». Iudicium, München: 2008, 225 S., € 24. In ihrer Dissertation über Übergangsriten in Hermann Hesses Erzählen. Eine Studie zu «Siddhartha» sowie «Narziß und Goldmund» wählt Panagiota Theodorou einen für die Hesseforschung neuen und fruchtbaren Ansatz. Sie wendet die Ritualtheorie des Ethnologen Arnold van Gennep auf zwei Romane Hesses an, die in ihrer Grundstruktur Ähnlichkeiten aufweisen: Siddhartha und Narziß und Goldmund. Trotz dieses innovativen Ansatzes setzt die Arbeit zunächst mit einem Exkurs über die Bedeutung ostasiatischen Denkens für die deutsche Literatur der Jahrhundertwende ein, der Hesse als ‹Grenzüberschreiter› charakterisieren soll. Hesses Kindheit, seine Indienreise, seine weltanschauliche Verortung bleiben jedoch in dieser Arbeit, die sich ausdrücklich vom biographischen Interpretationszugang abwendet, dysfunktional. Arnold van Gennep (Les rites de passage, 1909) beschreibt in drei Phasen die Rituale, in denen sich Übergänge vollziehen, die jedes menschliche Leben prägen: 1. Trennungsphase, 2. Schwellen- bzw. Umwandlungsphase, 3. Angliederungsphase. Übergänge werden als Grenzüberschreitungen gesehen, die auch für Hesses Romanhelden entscheidend sind. Die mittlere ‹Schwellenphase› analysiert die Autorin besonders detailliert mit Hilfe der Liminalitätstheorie Victor Turners (Vom Ritual zum Theater. Der Ernst des menschlichen Spiels, 1989). Für Turner ist die Liminalitätsphase vor allem von drei Erfahrungen geprägt: 1. dem Einbruch des Chaos in die Ordnung, 2. der inneren Umwandlung, 3. der Communitas-Erfahrung, einer Durchlässigkeit der Persönlichkeitsgrenzen. Die Rituale der Wandlungen, die Siddhartha, Goldmund, aber auch Narziß durchlaufen, sind durch unterschiedliche Formen markiert, die die Autorin im Anschluss an van Gennep entschlüsselt: Trennungsriten, Übergangserlebnisse und Angliederungsriten. Siddharthas Weg führt durch alle drei Stadien der Wandlung: 1. Loslösung von jeglicher Lehre: des Vaters, der Samanas, Buddhas 2. Durchleben der profanen Welt und Einkehr am Fluss 3. Neugeburt am Fluss und Erfahrung der Einheit.

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147 Obwohl diese Phasen in der Forschung bereits vielfach beschrieben wurden, gewinnt Theodorou in ihrer Analyse neue Einblicke in die Textstruktur. Sie weist nach, wie die Übergänge von einer bestehenden biographischen Situation in eine neue jeweils durch genaue Rituale geregelt sind. Merkmale dieser Übergänge sind: Trennung, Ortswechsel, symbolische Handlungen, Krisensignale, Wiederholung, Kleiderwechsel, Gesten, der Wechsel von Licht und Schatten, eine formalisierte Sprache und die Überwindung von Dichotomien. Auch der Roman Narziß und Goldmund lässt sich mit Hilfe der Übergangsriten interpretieren: Bereits Goldmunds Eintritt ins Kloster ist von Aufnahmeritualen geprägt. Trotz seiner Eingliederung in die klösterliche Lebensordnung bleibt Goldmund jedoch eine Schwellenfigur, unentschieden zwischen der Traumwelt des Künstlers und der gelehrsamen Frömmigkeit des Klosters. Immer wieder bricht er aus der Klosterwelt aus, um in die Welt der Sinne und der Festlichkeiten einzutauchen. In einer existenziellen Krise, ausgelöst durch die Erinnerung an seine Mutter, verlässt Goldmund schließlich das Kloster und beginnt seine Wanderschaft. Sein Abschied vom Kloster ist geprägt von Trennungsriten, seine Begegnung mit der Welt vollzieht sich durch Initiationsriten und Wandlungserfahrungen, in denen sich seine Identität als Künstler entfaltet. In der folgenden ausgedehnten Übergangsphase verwirklicht sich Goldmund als Künstler, dessen Kunst im Rausch künstlerischen Schaffens im Zustand transzendenter Erfahrung selbst zum Ritual wird, bis er mit seiner Reintegration in das Kloster seiner Jugend im Tod die letzte Grenzüberschreitung erfährt. Ein Exkurs über das Opferritual in der Todesszene des «Glasperlenspiels», mit dem Theodorou ihre Interpretationen abrundet, rechtfertigt Josef Knechts Tod als Selbstopferung an einem symbolischen Ort der Wandlung und des Neubeginns. Die Forschung zu Hesses Romanen wird in Theodorous Untersuchung nur sporadisch aufgearbeitet und nicht immer zutreffend eingeordnet: So gilt ihr Reso Karalaschwili als Vertreter der vorwiegend biographischen Hesse-Forschung. Tatsächlich hat Karalaschwili wie kaum ein anderer differenzierte Studien zu Struktur und Typologie von Hesses Werken vorgelegt. Die Autorin erwähnt außer dem biographischen Zugang noch den psychoanalytischen Forschungsansatz sowie die weltanschaulich-religiösen Deutungen. Die neuere Hesse-Forschung, wie sie sich etwa in dem Sammelband Hermann Hesse und die literarische Moderne (2004) oder in den Beiträgen der Hermann-Hesse-Jahrbücher seit 2004 vertreten fi ndet, rezipiert sie dagegen kaum. Die verschiedenen Forschungsansätze stattdessen wie die Autorin hauptsächlich darauf hin zu betrachten, ob sie den eigenen methodischen Zugang teilen oder nicht, erscheint wenig erhellend. Im Dialog mit der neueren Hesse-Forschung, die differenziert Werkstrukturen durchleuchtet, hätte sich Theodorous Ansatz dagegen überzeugender verorten lassen. Die Stärke der Arbeit liegt in ihrer textnahen präzisen Analyse, die wiederkehrende Elemente ritueller Vollzüge sichtbar macht. An ihre Grenzen gelangt die Arbeit dort, wo sie den Bewegungen des Textes bis in kleinste Nuancen nachspürt, um möglichst lückenlos Textstellen im Sinne der Ritualtheorie zu deuten und somit das gewählte Interpretationsmodell zu bestätigen. Es liegt dagegen gerade im Wesen eines Interpretationsmodells, dass es eben gerade nicht zu hundert Prozent «aufgeht», sondern lediglich neue Schlaglichter auf bereits interpretierte Texte wirft. Bereits bei der Lektüre der Siddhartha-Interpretation stellt sich dem Leser, der der Autorin aufmerksam durch ihre detaillierten Textbetrachtungen gefolgt ist, die Frage, in wie weit sich das vorgestellte Interpretationsmodell als Schlüssel zum Werk Hermann Hesse eignet. Bietet es lediglich eine weitere Deutungsvariante des an Interpretationen nicht gerade armen Werks des Dichters oder leistet es vielleicht einen Beitrag zu der immer noch spannenden Frage nach den Gründen für die Faszination Hermann Hesses? Theodorous exemplarische Entschlüsselung zweier Romane legt die Hypothese nahe, dass die Gestaltung von Übergangsritualen, die für den Einzelnen individualpsychologisch und gesellschaftlich relevant sind, dem Leser Orien-

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148 tierung zu bieten vermag. Gerade der in seiner Persönlichkeitsstruktur noch wenig gefestigte junge Mensch und der in Krisenzeiten in seiner Selbst- und Fremdorientierung verunsicherte Erwachsene der mittleren Lebensjahre sucht und fi ndet im rituellen Vollzug der Individuation einen stabilisierenden Halt. Theodorous Ansatz könnte somit einen Zugang zu der nach wie vor aktuellen Frage nach Hermann Hesses «weltweiter Wirkung» öffnen.

Helga Esselborn-Krumbiegel

Lásló Szabó, Der Einfluss Friedrich Nietzsches auf Hermann Hesse. Formen des Nihilismus und seiner Überwindung bei Nietzsche und Hermann Hesse. Herausgegeben von Csaba Földes. Universitätsverlag Veszprém, Praesens Verlag, Wien 2007, 324 Seiten, 34 € «Möge die Publikation unseres Institutsmitarbeiters László Szabó eine positive Resonanz fi nden und die einschlägige Forschung inspirieren». Dies schreibt Csaba Földes, Herausgeber des Bandes Der Einfluss Friedrich Nietzsches auf Hermann Hesse in seinem Vorwort zu dem Buch Szabós. Mit dem Untertitel «Formen des Nihilismus und seiner Überwindung bei Nietzsche und Hesse» hat der Ungar ein Buch geschrieben, das sicher eine positive Resonanz haben wird und das die Kenner von Nietzsches und Hesses Werk inspirieren kann. Szabó hat in seiner Studie neue Gedanken formuliert und schafft Einblicke in die Werke beider, wie sie bislang in der einschlägigen Forschung zu Hesse und Nietzsche nicht zu fi nden waren. Der Autor untersucht den Einfluss von Nietzsche auf Hesse, deshalb richtet er seine Aufmerksamkeit auf das Werk Hesses und geht in dessen Romanen, Erzählungen und Briefen den Spuren nach, die auf das Gedankengut Nietzsches schliessen lassen. In Nietzsches und Hesses Sozialisation, Persönlichkeit und Erziehung gibt es eindeutig Parallelen. Beide sind schon früh nachdenkliche Menschen, haben Interesse für Philosphie und Literatur, betreiben ein extensives autodidaktisches Studium, sind sensible Außenseiter und mit einer prophetischen Begabung in eine Welt des Umbruchs hineingeboren. 1844 wird Friedrich Nietzsche in Röcken in Sachsen geboren; sein Elternhaus ist von protestantischer Frömmigkeit geprägt. Hesse wird 1877 in Calw geboren, seine Eltern sind fromme Pietisten. Sowohl Hesse als auch Nietzsche haben Schwierigkeiten, sich in der Schule anzupassen und sich den schulischen Regeln sowie den strengen Anforderungen des damaligen Erziehungssystem zu fügen. Beide interessieren sich für Literatur und beginnen schon früh, um das zehnte Lebensjahr, zu dichten. Im Jahr 1900, als Nietzsche stirbt, ist Hesse ein junger, wißbegieriger Sortimentsbuchhändler sowie Rezensent und Dichter in Basel, der bereits seinen ersten Roman («Eine Stunde hinter Mitternacht») veröffentlicht hat. Die ersten 60 Seiten seiner Arbeit leitet Szabó mit Zitaten Hermann Hesses zu Nietzsche ein. Er zitiert Hesse aus seinen Briefen und seinem Werk. Hesses Urteile drücken nicht nur Bewunderung, sondern auch Ambivalenz aus. Der kritische Geist, der Hesse innewohnt, hinterfragt die Thesen Nietzsches und stimmt ihnen teilweise zu, doch teilweise distanziert er sich auch von ihnen. Bereits 1896 beschreibt Hesse in einem Brief an seine Eltern seine Gedanken zu dem Dichter-Philosophen, dessen Ideen ihn inspirieren, manche stellt er aber trotzdem schon früh in Frage. Ein Jahr später schreibt Hesse an seinen Halbbruder Karl Isenberg, dass Nietzsches Philosophie des «Gut-Böse» ihn nicht sehr interessiere, da seine eigene Weltanschauung «fromm», und deswegen moralfrei sei. Die religiösen Positionen Hesses und Nietzsches unterscheiden sich ebenfalls, was Szabó in einem ganzen Kapitel ausführt. Hesse ist weit davon entfernt, der bekannten These Nietsches «Gott ist tot» zu folgen. Hesse bezeichnet sich als «fromm» und steht allen Religionen offen gegenüber. Sein Glaube ist also von verschiedenen Religionen, sowie der indischen Glaubenslehre und der chinesischen Gedankenwelt geprägt.

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149 Eine zentrale Bedeutung und die größte Übereinstimmung zwischen Nietzsche und Hesse sieht Szabó dagegen in der Frage des Nihilismus und seiner Überwindung. Nach Nietzsche sind Nihilimus, Depression oder Pessimismus Ausgangspunkte für Erneuerung. In den Werken und in zahlreichen Briefen Hesses sieht Szabó diesen Grundsatz Nietzsches verwirklicht, d.h. hinter aller Plage dennoch einen Sinn zu erkennen. Das war also sowohl das Bestreben Nietzsches als auch Hesses. Allerdings, so sagt Szabó, hätten sich beide dazu unterschiedlicher Instrumentarien bedient. Hesse setzt dem Nihilismus Glaube und Hoffnung entgegen, und steht damit dem späteren deutschen Existenzialimus nahe, Nietzsche betont demgegenüber den Willen. Die Gründe für Hesses Einstellung liegen wohl in seiner Herkunft. Großgeworden ist er in einer Familie, die den Pietismus lebte und predigte, was den Jungen bekanntlich zu leidenschaftlichen Protesten verleitete und der er ganz offen seinen «Eigensinn» entgegensetzte. Trotzdem blieb der Pietismus nicht ohne Einfluß auf sein späteres Leben. Hesse hatte zudem Zugang zu der Bibliothek seiner Eltern und speziell zu der umfangreichen Büchersammlung seines gelehrten Großvaters, wo er mit den Werken der großen Philosophen und Dichter, insbesondere auch der Welt Indiens Bekanntschaft machte. So fand er also nicht nur europäisches Gedankengut, sondern auch die Werke der chinesischen und indischen Weisen. Aus dieser Vielfalt schuf sich Hesse sein eigenes Weltbild, das unterschiedliche Kulturen, Denkweisen und Religionen umschloss. Er hat diese prägenden Einflüsse später in seinem Werk immer wieder erkennen lassen. Ob im Steppenwolf, der um 1920 in der Schweiz spielt, in seiner indischen, legendenhaften Geschichte des Siddhartha oder in der zeitlosen Utopie des Glasperlenspiels, in dem er mit der Figur des Jakobus dem von ihm verehrten Kulturhistoriker Jacob Burckhardt ein Denkmal setzt. Burckhardt war übrigens für Nietzsche in seinen jungen Jahren ähnlich wichtig gewesen. Das Ergebnis, zu dem Hesse kam, war bei aller Vielschichtigkeit aber immer dasselbe: «Die Verzweiflung schickt uns Gott nicht, um uns zu töten, er schickt sie uns, um neues Leben in uns zu erwecken». Deshalb nennt Szabó in seinem Buch, Hesse einen «Überwinder des Nihilismus», also einen Menschen, der das Leben bejaht, ähnlich wie Nietzsche. Das Zitat zeigt aber auch, woher Hesse die Kraft zur Überwindung des Nihilismus nahm. Wie ist deshalb die implizite These des Buchtitels und der sehr gründlichen Forschungsarbeit zu verstehen, dass Nietzsche Einfluss auf Hesse hatte? Hesse war von vielen wohl gleichwertigen Strömungen beeinflusst, vom Taoismus, Buddhismus, Pietismus, Nihilismus und nicht zuletzt der Psychoanalyse Jungs und Freuds. Es war ein weit gefächertes Konglomerat von Ideen, die Hesse zusätzlich zu seinen eigenen Erfahrungen in seinen Werken verarbeitet hat. Und schließlich sagte er einst über die Psychoanalyse: «Ich sah ausgedrückt und formuliert, was mir an Ahnung und flüchtiger Einfall, als unbewußtes Wissen zum Teil schon angehörte.» Szabó selbst zitiert diesen Satz in seiner Studie und bemerkt: […], dass intuitiv, schon jedwede Lektüre, durch eine ‹psychologische› Veranlagung bereits früh ein nosce te ipsum und dadurch die Erkenntnis des Menschen überhaupt möglich sein kann, muss bei Hesse die frühe Bekanntschaft mit Nietzsches Schriften auch im Bezug auf psychologische Einsichten eine wesentliche Rolle gespielt haben; solche Lektüren können ja bewusst oder unbewusst fortwirken». Und in einer Fußnote merkt Szabó an: «Eine unbewußte Übernahme und Anwendung von Gedanken wird von Jung Kryptomnesie genannt». Diesen etwas unglücklich formulierten Satz Szabós, könnte man so lesen, dass er anerkennt, dass in manchen Menschen eine Prädispotion vorliegt, die für die Empfänglichkeit, nicht aber für die Übernahme bestimmter Gedanken spricht. Der Leser glaubt, Szabó beraube sich hier seines eigenen Arguments, aber der Autor fährt dann fort, dass Jung von Nietzsche beinflusst gewesen sei und damit wiederum Hesse von Nietzsche. Er endet jedoch dann in dem Fazit, dass Nietzsche, Jung und Hesse die gleichen Fragen an die Menschen stellten, die gleichen Antworten bekommen hätten, was wiederum «jeden Einfluss des Einen auf den Anderen relativieren kann…».

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150 Szabós Argumentationskette scheint etwas schwierig nachzuvollziehen. Er hat ein interessantes wissenschaftliches Buch geschrieben, das viele Informationen vermittelt und Anregungen gibt, neue Denkweisen aufzeigt, und das so manche Lücken schließt. Die Beziehung zwischen Nietzsche und Hesse wurde bislang von der Forschung vernachlässigt. Das Buch geht weit über die von Szabó zitierte knappe Studie von Herbert W. Reichert hinaus. Hätte Szabó der literaturwissenschaftlichen Tradition nicht nachgegeben und seine Studie nicht ‹Der Einfluss Friedrich Nietzsches auf Hermann Hesse› genannt, sondern hätte er die Parallen und auch die Differenzen aufgezeigt und die Untersuchung als komparatistische Studie vorgestellt, wären alle Vorbehalte verschwunden. Er hätte auch einfach einen Buchtitel wählen können. So nannte er einen seiner veröffentlichten Aufsätze im Untertitel ‹Der Nachhall Nietzsche´scher Themen bei Rilke›. Alle Einflussstudien, so beliebt sie in der Germanistik auch sind, sind im Kern problematisch, da sie per Defi nition leicht ins Uferlose führen können. Szabó weiss das sicherlich, denn mehrmals macht er in seiner Arbeit darauf aufmerksam, dass derartige Interpretationen nie der Weisheit letzter Schluß seien. Es spricht für ihn und ist sehr sympathisch, dass er schon in seiner Einleitung auf der ersten Seite schreibt: «Jedem Interpreten ist aber, hoffentlich, eines bewusst: Dass […] jede Interpretation, so glänzend sie auch sein mag, nur von relativem Wert ist.» Szabó hat jedenfalls eine glänzende Interpretation vorgelegt.

Elke Minkus

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Das Menschenbild bei Hermann Hesse «Die gefährliche Lust, unerschrocken zu denken» 13. Internationales Hermann-Hesse-Kolloquium in Calw 2008 Wie auch bei den früheren Kolloquien ging es darum, Autor und Werk aus einem neuen Blickwinkel zu erschließen und dem Bild des Literaturnobelpreisträgers eine weitere Facette hinzuzufügen. «Die gefährliche Lust, unerschrocken zu denken» -war das Motto des 13. Internationalen Hermann-Hesse-Kolloquiums das vom 1. – 3. Mai 2008 in Hesses Geburtsort Calw stattfand. Die Auswahl der Referentinnen und Referenten bot eine interessante Veranstaltung für alle Leserinnen und Leser der Werke Hermann Hesses sowie für alle Personen, die an der Verbreitung und Vertiefung des geistigen und literarischen Erbes von Hermann Hesse interessiert sind. Das seit 1977 bestehende, von Dr. Friedrich Bran und Dr. Martin Pfeifer initiierte Internationale-Hermann-Hesse-Kolloquium wird von einem ehrenamtlichen Programm-Komitee geleitet. Träger der Veranstaltungen waren stets die Staatliche Akademie für Lehrerfortbildung Calw und der Internationale Studienkreis Baden-Württemberg in Verbindung mit der Stadt Calw sowie seit 2002 mit der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft. Da die Staatliche Akademie für Lehrerfortbildung im Jahr 2007 ihren Betrieb in Calw aufgegeben hat, ist nunmehr die Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen, Standort Bad Wildbad, als Rechtsnachfolgerin eingetreten und führte die Tradition der Kolloquien auch beim 13.Kolloquium in Calw fort.

Einzelvorträge «Die gefährliche Lust, unerschrocken zu denken» Hermann Hesses Welt – und Menschenbild Volker Michels, Offenbach Menschsein als Aufgabe Dimensionen von Hermann Hesses Menschenbild Dr. Günter Baumann, Balingen Hermann Hesse und die Elite(n) Dr. Ingo Cornils, Universität Leeds «Entzücke, quäle, doch erhör mich nicht» – Hermann Hesses Frauenbild Michael Limberg, Düsseldorf

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152 Kraft des Lebens Jugend und Vitalismus bei Hermann Hesse Prof. Dr. Mauro Ponzi, Universität Rom La Sapienza Melancholie als Lebensform im «Steppenwolf» Prof. Dr. Andreas Solbach, Universität Mainz Die Hesse-Rezeption in der Slowakei Daniela Humajova, Bratislava «... die Tür ins Unendliche» Die Bedeutung Mozarts für Hesses Bild vom «eigentlichen Menschen» Prof. Dr. Helga Abret, Universität Metz Zum Abschluss der Gesamtausgabe von Hermann Hesses Werken Volker Michels, Offenbach Humanität aus Religion Hesses west-östliches Weisheitsdenken Dr. Christoph Gellner, Universität Luzern Die Einzelvorträge wurden dokumentiert und von Michael Limberg herausgegeben. Die Dokumentation kann bei der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen, Baetznerstraße 92, D-75323 Bad Wildbad, bestellt werden.

Hermann Hesse und Romain Rolland – Journées Internationales Romain Rolland in Vézélay/Frankreich – Liselotte Schneider und Uli Rothfuss, Mitglieder des Präsidiums der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft, vertraten im Frühherbst 2008 die Gesellschaft bei den «Journées Internationales Romain Rolland» – einem Kolloquium der Romain-Rolland-Gesellschaft in Vézélay in Frankreich, wo Romain Rolland lange Zeit gelebt hat. Die Vorsitzende der Romain-RollandGesellschaft, Martine Liégeois, freute sich in ihrer Begrüßungsansprache über die Anwesenheit der Vertreter der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft und wertete dies als besonderen Ausdruck der fortgesetzten guten und freundschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den beiden literarischen Gesellschaften. Das Kolloquium zum Thema «Une oeuvre de paix» (Ein Werk des Friedens) widmete sich dem literarischen Schaffen des französischen Dichters und Schriftstellers, das sich gegen den Zeitgeist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz dem Frieden und Pazifi smus verschrieben hatte. Früh hatte Romain Rolland zu Hermann Hesse und besuchte ihn auch – was beiden in ihren jeweiligen Heimatländern Anfechtungen brachte. Das Mitglied der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft, Professor Gilbert Merlio, Universität Paris Sorbonne, ging in seinem Vortrag über die pazifi stischen Bewegungen uni Frankreich und Deutschland zwischen den beiden Weltkriegen auch auf die Freundschaft zwischen Rolland und Hesse sowie auf deren Austausch und Geisteshaltung ein. Die Association Romain Rolland (Romain-Rolland-Gesellschaft) und die internationale Hermann Hesse Gesellschaft sind seit dem Internationalen Hermann-Hesse-Jahr 2002 miteinander verbunden. Im Jahr 2002 war eine Abordnung der Association, bestehend aus Vertretern der Stadt und von kulturellen Vereinen aus Clamecy – der Geburtsstadt von Romain Rolland – nach

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153 Calw gekommen und hat bei den Feierlichkeiten aus Anlass des 125. Geburtstags des Literaturnobelpreisträgers sowohl Rollands Heimat als auch die besonderen Beziehungen zwischen den beiden Dichtern dargestellt. Die Association Romain Rolland und die Internationale Hermann Hesse Gesellschaft beabsichtigen für das Jahr 2009 weitere Vortragsveranstaltungen, die im deutsch-französischen Kulturzentrum «Rheinland-Pfalz» in Dijon stattfi nden werden.

Europäische Dimension in der Literatur in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Exemplarische Wegbereiter des europäischen Dialogs: Hermann Hesse und Romain Rolland 122. Europäisches Seminar des Europarats in Verbindung mit der Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen Auf Initiative der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft fand in der Zeit vom 17.-21. November 2008 in Bad Wildbad ein Seminar statt, an welchem 37 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 11 europäischen Staaten sich intensiv mit Wegbereitern des europäischen Dialogs in Frankreich, Italien, Österreich, Ungarn, in der Schweiz und in Deutschland beschäftigten. Einen wesentlichen Schwerpunkt bildete die Auseinandersetzung mit dem Briefwechsel zwischen Hermann Hesse und Romain Rolland auf der Basis von Textstudien, Interpretationen sowie einer Spurensuche in Hesses Heimatstadt Calw. Die Leitung des Seminars lag in den Händen von Professor Jürgen Wolff (Mitglied des Präsidiums der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft) sowie Direktor Helmut Nagel (Geschäftsführer der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft). Mit Professor Dr. Flavia Biancheri Arzeni (Italien) und Professor Dr. Geza Horvath (Ungarn) waren weitere Hesse-Experten, die der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft angehören, maßgeblich am Seminar beteiligt.

Einzelbeiträge: Geist und Macht – Kultur und Zivilisation: deutsch-französische Dialoge vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs (Hermann Hesse, Romain Rolland und andere) Professor Jürgen Wolff, Stuttgart Europäische Polyphonie: die besondere Rolle der Schweiz als literarisches Experimentierfeld Professor Dr. Peter Schnyder, Université de Haute-Alsace, Mulhouse, Frankreich André Gide als Wegbereiter der europäischen Idee Dr. Mechthilde Fuhrer, Europarat, Straßburg Visionen eines einheitlichen Europas aus der Sicht österreichischer und ungarischer Autoren Professor Dr. Géza Horvath, Universität Szeged, Ungarn Europäisches Denken italienischer Intellektueller am Beispiel des Schriftstellers Cesare Pavese Professor Dr. Flavia Biancheri Arzeni, Universität Rom «La Sapienza», Italien

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Hessevertonungen «Vom Baum des Lebens fällt mir Blatt um Blatt» Hessevertonungen ( u. a. das Gedicht «Im Nebel») und Klaviermusik von Bertold Hummel, dem langjährigen Präsidenten der Hochschule für Musik in Würzburg, sowie Textpassagen aus dem Roman «Klingsors letzter Sommer» von Hermann Hesse vereinigen sich zu einem tiefgründigen Programm über die Vergänglichkeit menschlichen Lebens. M a r t i n H u m m e l , der Sohn des Komponisten, Sänger und Gesangspädagoge und M a r k u s B e l l h e i m , Pianist und Klavierlehrer – beide an der Hochschule für Musik in Würzburg – sind die Interpreten dieser CD. Die Aufnahme erfolgte 2008 mit Unterstützung der Internationalen Hermann Hesse Gesellschaft durch den Bayerischen Rundfunk. [email protected] oder KLASSIK CENTER, Glöcknerpfad 47, D-34134 Kassel

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Hermann-Hesse-Bibliographie 2007 Zusammengestellt von Michael Limberg

Das Werk von Hermann Hesse ROMANE, ERZÄHLUNGEN, BETRACHTUNGEN Besuch aus Indien. In: Sehnsucht nach Indien. Literarische Annäherungen von Goethe bis Günter Grass. Hrsg. v. Veena Kade-Luthra. 3., neu bearb. u. erw. Aufl. München: Beck 2006. 285 S.; S. 154f. Demian. Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 154 S. (Suhrkamp-Taschenbuch; 3852) Früher als Suhrkamp-Taschenbuch 3518. Der Kavalier auf dem Eise. In: Ist es Liebe? Die schönsten Geschichten über die Liebe. Ausgewählt v. Carolin Bunk u. Hans Sarkowicz. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel Verlag 2007 (it 3265). 186 S.; S. 17–21. Der Steppenwolf. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 229 S. (Suhrkamp-Taschenbuch; 3855) Früher als Suhrkamp-Taschenbuch 3372. Der Wolf; Der Mohrle; Das Nachtpfauenauge. 4. Aufl. Mit Illustrationen von Juana Robles. [Zürich]: SJW, Schweizerisches Jugendschriftenwerk [2007]. 33 S. (Schweizerisches Jugendschriftenwerk; Nr. 540) Die Liebesgeschichten. Hrsg. und mit einem Nachw. von Volker Michels. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 451 S. Ein Erfi nder. In: Ist es Liebe? Die schönsten Geschichten über die Liebe. Ausgewählt v. Carolin Bunk u. Hans Sarkowicz. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel Verlag 2007 (it 3265). 186 S.; S. 84–90. Ein Mensch mit Namen Ziegler. In: Jahrhundertchronik. Deutsche Erzählungen im 20. Jahrhundert. Hrsg. v. Walter Hinck. Stuttgart: Reclam 2007 (UB 18523). 635 S.; S. 46–52. Eine Halbinsel im See… In: Arche Kalender Schweiz 2008. Literatur und Kunst. Hrsg. v. Elisabeth Raabe. Zürich, Hamburg: Arche Kalender Verlag 2007. Woche v. 25.–31.8.2008. Ausschnitt (zehn Zeilen) aus: Eine Wandererinnerung. In: Sämtl. Werke, Bd. 13, S. 103f. Erzählungen aus dem Morgenland. Aus der Sammlung «Palmblätter» nach der von Johann Gottfried Herder und August Jacob Liebeskind besorgten Ausgabe. Hrsg. v. Hermann Hesse. Köln: Anaconda 2007. 269 S. Indische Schmetterlinge. In: Sehnsucht nach Indien. Literarische Annäherungen von Goethe bis Günter Grass. Hrsg. v. Veena Kade-Luthra. 3., neu bearb. u. erw. Aufl. München: Beck 2006. 285 S.; S. 155–161. Musik des Einsamen. Mit Aquarellen des Autors. Lahr: Kaufmann 2007. 1., veränd. Aufl. 79 S. Narziß und Goldmund. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 304 S. (Suhrkamp-Taschenbuch; 3854) Früher als Suhrkamp-Taschenbuch 3371. Narziß und Goldmund. Mit einem Nachw. von Volker Michels. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 383 S.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

156 Peter Camenzind. Mit einem Nachw. von Siegfried Unseld. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 161 S. (Suhrkamp-Taschenbuch; 3850) Früher als Suhrkamp-Taschenbuch 3367. Peter Camenzind. Mit einem Kommentar von Heribert Kuhn. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. Suhrkamp BasisBibliothek 83. 215 S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Registerband. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 928 (+4) S. Inhalt: Vorbemerkungen; Zeittafel; Alphabetisches Gesamtinhaltsverzeichnis der Hesse-Titel; Verzeichnis der von Hesse herausgegebenen Titel; Verzeichnis der Gedichtanfänge; Register der Personen und Werke; Alphabetisches Verzeichnis aller in den Bänden 16–20 besprochenen und empfohlenen Bücher; Register der Institutionen; Register der Periodika; Register der Orte; Nachträge. Sehnsucht nach Indien. In: Sehnsucht nach Indien. Literarische Annäherungen von Goethe bis Günter Grass. Hrsg. v. Veena Kade-Luthra. 3., neu bearb. u. erw. Aufl. München: Beck 2006. 285 S.; S. 162f. Siddhartha. Eine indische Dichtung. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 120 S. (Suhrkamp-Taschenbuch; 3853). Früher als Suhrkamp-Taschenbuch 3844. Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China. In: Sehnsucht nach Indien. Literarische Annäherungen von Goethe bis Günter Grass. Hrsg. v. Veena Kade-Luthra. 3., neu bearb. u. erw. Aufl. München: Beck 2006. 285 S.; S. 153f. (Teildruck) Unterm Rad. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. 168 S. (Suhrkamp-Taschenbuch; 3851) Früher als Suhrkamp-Taschenbuch 3501. Vom Wert des Alters. Mit Fotografien des Dichters von Martin Hesse u.a. Hrsg. v. Volker Michels. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2007. * Erweiterte und revidierte Fassung des insel taschenbuchs 2857: Hermann Hesse, Mit der Reife wird man immer jünger von 2002. Von den zwei Küssen. In: Ist es Liebe? Die schönsten Geschichten über die Liebe. Ausgewählt v. Carolin Bunk u. Hans Sarkowicz. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel Verlag 2007 (it 3265). 186 S.; S. 34–44. Weihnachten. Betrachtungen und Gedichte zur Winter- und Weihnachtszeit. Ausgew. und mit einem Nachw. versehen von Volker Michels. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel-Verlag 2007. 1. Aufl. 106 S. (Insel-Taschenbuch 3302) * Hermann Hesse. Insel-Kalender für das Jahr 2008. Zusammengestellt von Ursula Michels-Wenz. Mit farbigen Aquarellen. Frankfurt/M. u. Leipzig: Insel 2007. 161 S.

GEDICHTE Der Tag ist um; schon wird die Ferne trüber (Bootnacht). In: Bodensee-Gedichte aus zwölf Jahrhunderten. Hrsg. v. Christel Hierholzer. Eggingen: Isele 2005. S. 90. Es liegt die Welt in Scherben (Leb wohl, Frau Welt). In: Deutschlandfunk. Lyrik-Kalender v. 26.4.07 (dradio.de). Mit Begleittext. Ich bin der Hirsch und du das Reh (Liebeslied). In: Die liebenden Deutschen. 645 entfl ammte Gedichte aus 400 Jahren. Hrsg. u. mit e. Nachwort von Steffen Jacobs. Frankfurt/M.: Gerd Haffmans bei Zweitausendeins 2006. 679 S.; S. 269. Ich liebe Frauen, die vor tausend Jahren (Ich liebe Frauen). In: Die liebenden Deutschen. 645 entfl ammte Gedichte aus 400 Jahren. Hrsg. u. mit e. Nachwort von Steffen Jacobs. Frankfurt/M.: Gerd Haffmans bei Zweitausendeins 2006. 679 S.; S. 128. In meinen Becher mit Wein ist ein Falter geflogen (Falter im Wein). In: Die liebenden Deutschen. 645 entfl ammte Gedichte aus 400 Jahren. Hrsg. u. mit e. Nachwort von Steffen Jacobs. Frankfurt/M.: Gerd Haffmans bei Zweitausendeins 2006. 679 S.; S. 282. Jede Blüte will zur Frucht (Welkes Blatt). In: Schillings, Ruth und Dirk: Herbstgedichte. Stationen im Lernzirkel. Hannover: Schroedel 2003.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

157 * Die Schüler sollen zunächst in einem «Gedichte-Labyrinth» Hesses Text herausfi nden, dann die Reimwörter suchen und den Text in Verse umbrechen. Jede Blüte will zur Frucht (Welkes Blatt). In: RAAbits. Hauptschule 7–9. Deutsch. Ausgabe 4/2007. Stuttgart: Dr. Josef Raabe Verlagsgesellschaft 2007. * Die Schüler sollen die durcheinander geratenen Gedichtzeilen in die richtige Reihenfolge bringen. Meine Liebe ist ein stilles Boot (Gleichnisse). In: Die liebenden Deutschen. 645 entfl ammte Gedichte aus 400 Jahren. Hrsg. u. mit e. Nachwort von Steffen Jacobs. Frankfurt/M.: Gerd Haffmans bei Zweitausendeins 2006. 679 S.; S. 162. O du, ich kann nicht sagen (Liebeslied). In: Gedichte fürs Herz. Ausgew. u.m.e. Nachwort von Stefan Ulrich Meyer. 2. Aufl. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2005. 302 S.; S. 164. Voll Blüten steht der Pfi rsichbaum (Voll Blüten). In: Lernstandserhebung Deutsch. Anforderungsstufe A. Jahrgangsstufe 8. Mit Musteraufgaben und Lösungen. Nordrhein-Westfalen. Berlin: Cornelsen 2007. 48 S.; S. 16 (Aufgaben auf S. 16–17, Lösungen im Lösungsheft S. 4f.) Vom Baum des Lebens fällt (Vergänglichkeit) In: Deutschlandfunk – Lyrikkalender v. 21.10.2007. Weil ich dich liebe, bin ich des Nachts (Weil ich dich liebe). In: Reclams großes Buch der deutschen Gedichte. Vom Mittelalter bis ins 21. Jahrhundert. Ausgew. u. hrsg. v. H. Detering. Stuttgart: Reclam 2007. 1004 S.; S. 566. Wie eine weiße Wolke (Elisabeth). In: Die liebenden Deutschen. 645 entfl ammte Gedichte aus 400 Jahren. Hrsg. u. mit e. Nachwort von Steffen Jacobs. Frankfurt/M.: Gerd Haffmans bei Zweitausendeins 2006. 679 S.; S. 375. Wie jede Blüte welkt und jede Jugend (Stufen). In: Doppel-Klick. Das Sprach- und Lesebuch; 9. Berlin: Cornelsen 2003. S. 111. Wie nun am dürren Ginsterhang (Hundstage). In: NeueRuhr-/NeueRhein-Zeitung v. 23.7.2007

BRIEFE Bernhart, Toni / Loos, Hanka / Reiß, Birgit: Die «Wiedergabe des schönen Bildes». Der Briefwechsel 1935–1952 zwischen Hermann Hesse und dem Ehepaar Margarete und Edi Kallista. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S. 27–45. «Wenn ich einmal das Glück hätte, Sie zu sehen.» Der Maler Günter Machemehl im Briefwechsel mit Hermann Hesse 1933–1962. Hrsg. u. eingel. v. Ingrid Jenett-Machemehl, Erwin Jenett u. Jürgen Graap. 160 S. m. zahlr. Farbabb. Dresden: Verlag der Kunst 2007. * Dreher, Edith, um 1950. Faksimile. In: rbr (Rainer Beichler): Neuigkeiten im Eisenacher Stadtarchiv (4): Schriftwechsel einer Eisenacherin mit Hermann Hesse. In: Wartburgkreis online v. 16.12.2007. * Ansichtskarte aus dem Fextal nahe Sils Maria. Hesse bedankt sich für einen Brief und ein Bach-Gedicht der Adressatin und erinnert sich daran, dass er 1915 einmal [zu einer Lesung] in Eisenach und im Bach-Haus war. «Freund Thomas Mann ist auch in der Nähe, wir sehen uns manchmal.» * Hesse, Bruno, 22.3.1930. Maschinenschrift. Faksimile. Mit Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 18–19. * Eine leicht gekürzte Fassung dieses Briefes fi ndet sich in: Ges. Briefe, Bd. 2, S. 245f. Hesse, Heiner, Juli 1932. Maschinenschrift. Faksimile. Mit Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 20–23. * Ohne die Einleitungszeilen abgedruckt in: Ges. Briefe, Bd. 2, S. 338 ff. Hesse, Martin, 2.7.1923. Maschinenschrift. Faksimile. Mit Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 16–17.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

158 AQUARELLE, ZEICHNUNGEN Hermann Hesse Kalender 2008. Mit 13 Aquarellen sowie Gedanken über Glaube und Religionen von Hermann Hesse. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008. Format: 32 cm x 42 cm. Baumgarten vor Bergen. Aquarell, 1945 (Mai). Berghütte bei St. Moritz. Aquarell, 1932 ( Januar). Der Monte Gambarogno. Aquarell, (1917). Dorf – Hügel – Berge. Aquarell, 1926 (März) Erleuchtetes Zimmer bei Mondschein. Aquarell, um 1937 (November). Garten in Montagnola. Aquarell, Sommer 1929 ( Juni). Gartenmauer in Montagnola. Aquarell, 1919 (September). Holunderblüte am Weg. Aquarell, 21.5.1932 (April). Hütte im Wald. Aquarell, 27.7.1928 (August). Rebstöcke vor der Casa Rossa. Aquarell, 1932 (Oktober). Sitzecke im Garten des Hesse-Hauses im Berner Melchenbühlweg. Aquarell, um 1917 (Februar). Sonnenblume vor der Casa Rossa. Aquarell, 26.7.1933 ( Juli). * Albogasio. 1925. Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 79. Blick auf die Casa Camuzzi. 1927. Aquarell. In: Michels, Volker: «Meine noble Ruine» Hermann Hesse in der Casa Camuzzi. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse Montagnola 2007. S. 22. Blick auf seine Wohnung in der Casa Camuzzi. 1927. Aquarell. In: Michels, Volker: «Meine noble Ruine» Hermann Hesse in der Casa Camuzzi. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse Montagnola 2007. S. 24. Blick gegen den Gotthard. 1924. Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 75. Blick nach Caslana. 1925. Aquarell. In: Michels, Volker: «Meine noble Ruine» Hermann Hesse in der Casa Camuzzi. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse Montagnola 2007. S. 18. Blick vom Turm des Casa Camuzzi. 1931. Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 82. Casa Camuzzi. 1926. Aquarell. In: Michels, Volker: «Meine noble Ruine» Hermann Hesse in der Casa Camuzzi. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse Montagnola 2007. S. 20. Casa Camuzzi. 1930. Federzeichnung. In: Michels, Volker: «Meine noble Ruine» Hermann Hesse in der Casa Camuzzi. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse Montagnola 2007. S. 53. Casa Camuzzi und Garten. 1931. Federzeichnung. In: Michels, Volker: «Meine noble Ruine» Hermann Hesse in der Casa Camuzzi. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse Montagnola 2007. S. 32. Dorf unterm Waldrand. 1926. Aquarell. In: In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 80. Haus am Melchenbühlweg. Aquarell. O. Datum. In: Haus der Träume. Hermann Hesse und Albert Welti. (Begleitheft zur Ausstellung) Bearbeitet von Roland Stark. Gaienhofen: Hermann-Hesse-Höri-Museum 2007. S. 51. Im Wald. 1930. Federzeichnung. In: Michels, Volker: «Meine noble Ruine» Hermann Hesse in der Casa Camuzzi. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse Montagnola 2007. S. 45 Kirche Carona. 1923. Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 81. Landschaft im Tessin (1). Kolorierte Federzeichnung. In: «Wenn ich einmal das Glück hätte, Sie zu sehen.» Der Maler Günter Machemehl im Briefwechsel mit Hermann Hesse 1933–1962. Dresden: Verlag der Kunst 2007. S. 149. Landschaft im Tessin (2). Kolorierte Federzeichnung. In: «Wenn ich einmal das Glück hätte, Sie zu sehen.» Der Maler Günter Machemehl im Briefwechsel mit Hermann Hesse 1933–1962. Dresden: Verlag der Kunst 2007. S. 149.

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159 Landschaft im Tessin. 1924 Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 77. Tessiner Bergdorf. 1920. Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 76. Tessiner Dächer. 1927. Aquarell. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 78. * Hermann Hesse. Calendarium 2008. Tischkalender mit dreizehn Aquarellen und Texten Hermann Hesses über das Malen. Frankf./M. u. Leipzig: Insel 2007. 9,4 x 9 cm.

Übersetzungen Englisch «Great figures are for the youth like raisins in the cake of world history...» (Die großen Männer sind für die Jugend die Rosinen im Kuchen der Weltgeschichte…). Teildruck (28 Zeilen) aus Das Glasperlenspiel. Unter der Überschrift Hesse’s World-Historical Vision in: Harper’s Magazine v. 28.9.2007. Mit Photo. http://harpers.org/archive/2007/09/hbc–90001262. The Hesse/Mann letters. The correspondence of Hermann Hesse and Thomas Mann, 1910–1955. Hrsg. v. Anni Carlsson u. Volker Michels. Ü: Ralph Manheim. Anm. v. Wolfgang Sauerlander. Einl. v. Pete Hamill. Vorwort: Theodore Ziolkowski. New York: J. Pinto books 2005. XXII, 196 S. Siddhartha. An Indian tale. New Delhi: Indialog Publications 2005. 167 S. Siddhartha. An Indian poem. Ü: Susan Bernofsky [neue Übersetzung]. Einf.: Tom Robbins. New York: Modern Library 2006. XXII, 129 S.

Estnisch Peter Camenzind. Ü: Mati Sirkel. Tallinn: Tänapäev 2007. 148 S. (Punane raamat) Supelsaks. Ülesähendusi Badeni tervisvetelt. Ü: Krista Räni. Tallinn: Perioodika, 2003. 95 S. (Loomingu raamatukogu; 2003/17) – [Kurgast.]

Französisch L’ art de l’oisiveté. Ü: Alexandra Cade. Paris: LGF, Librairie générale française, 2007. 286 S. (Le livre de poche; 3441. Biblio) – [Die Kunst des Müßiggangs] L’ homme qui voulait changer le monde. Nouvelles. Ü: Edmond Beaujon. Texte intégral. Paris: LGF, Librairie générale française, 2007. 222 S.; 18 cm. (Le livre de poche; 3442. Biblio)

Italienisch Romanzi. Ü: Maria Pia Crisanaz Palin. Vorwort v. Claudio Magris. 1. Aufl. Mailand: A. Mondadori 2005. XLIV, 844 S. (I meridiani collezione)

Katalanisch Lectures per a minuts. Antologia de Volker Michels. Auswahl: Natza Farré. Ü: Anna Soler Horta. Barcelona: Angle editorial 2007. Bd. 1. 139 S. (El far; 8) – [Lektüre für Minuten]

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

160 Litauisch Demianas. Emilio Sinklerio jaunystės istorija. Ü: Zigmantas Ardickas. Kaunas: Mens Sana 1998. 187 S. Stiklo karoliuku ž aidimas. Ü: Vytautas Petrauskas. Vilnius: Alma Littera 2007. 494 S. – [Das Glasperlenspiel]

Malaiisch Siddhartha. Ü: Hedy Holzwarth. Kuala Lumpur: Inst. Terjemahan Negara Malaysia Berhad 2007. 168 S.

Niederländisch De steppewolf. Ü: Pieter Grashoff. 16. Aufl. Amsterdam: De Bezige Bij 2006. – 219 S. (Ulysses classics) – [Der Steppenwolf ] Demian. Ü: M. u. L. Coutinho. 16. Aufl. Amsterdam: De Bezige Bij 2007. 159 S. (Ulysses) Het kralenspel. Ü: Tine Ausma u. Annemarie Houwink ten Cate. 8. Aufl. Amsterdam: De Bezige Bij 2007. 667 S. (Ulysses) – [Das Glasperlenspiel] Peter Camenzind. Ü: Thomas Graftdijk. 7. Aufl. Amsterdam [etc.]: Uitgeverij Atlas 2007. 182 S. Tussen de raderen. Ü: M. u. L. Coutinho. 6. Aufl. Amsterdam [etc.]: Uitgeverij Atlas 2007. 190 S. (De twintigste eeuw; Nr. 57) – [Unterm Rad]

Norwegisch Narciss og Gullmun. Ü: Trond Winje. Oslo: Gyldendal 2000. 3. Aufl., 268 S.

Polnisch Baśnie. Ü: Sława Lisiecka. Warschau: Państwowy Instytut Wydawniczy 2003. 132 S. – [Märchen.] Demian. Ü: Maria Kurecka. Warschau: Państwowy Instytut Wydawniczy, 2001. 184 S. Odnowiciel świata. Wybór opowiadań. Ü: Barbara Tarnas. Warschau: Państwowy Instytut Wydawniczy, 2006. 286 S. – [Diesseits; Kleine Welt.] Korespondencja. Hermann Hesse, Tomasz Mann. Hrsg. v. Anni Carlsson and Volker Michels. Ü: Małgorzata Lukasiewicz. Warschau: Państwowy Instytut Wydawniczy 2006. 301 S. – [Der Briefwechsel Hermann Hesse – Thomas Mann.]

Portugiesisch Contos sublimes. Ü: Pedro Dias. Algés, Portugal: Difel 2006. 396 S. (Literatura estrangeira).

Rumänisch Cele mai frumoase povestiri. Ü: Mariana Bărbulescu. Bukarest: RAO International Publishing Company, 2004. 506 S. (Biblioteca RAO) – [Die schönsten Erzählungen.] Gertrud; Roßhalde; Ultima varā a lui Klingsor. Bukarest: RAO International Publishing Company 1999. 379 S. – [Gertrud; Roßhalde; Klingsors letzter Sommer] Pe urmele visului. Ü: Alexandru Ş a highian. Bukarest: RAO 2007. 315 S. – [Die Märchen) Siddhartha. Călătorie spre Soare-Răsare. Ü: George Guţu, Adriana Rotaru. Bukarest: RAO International Publishing Company, 2005. 218 S.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

161 Serbisch Pod točkom. Ü: Sonja Peroviđ. Belgrad: Narodna Knjiga; Alfa: Neven 2005. 162 S. (Biblioteka Megahit; knjiga br. 10) – [Unterm Rad] Sidarta. Ü: Sonja Peroviđ. Belgrad: Politika; Narodna Knjiga-Alfa, 2006. 172 S. (Izabrana dela Hermana Hesea; knj 4) Samovolja. Autobiografski spisi. Auswahl und Nachwort von Siegfried Unseld. Ü: Jasmina Burojevič. 1. Aufl. Novi Sad: Svetovi 2005. 223 S. (Biblioteka BIS. Džepna knijga; knjiga 77) – [Eigensinn] Stepski vuk. Ü: Sonja Peroviđ. Belgrad: Politika: Narodna Knjiga-Alfa, 2006. 202 S. (Izabrana dela Hermana Hesea; knj 1) – [Der Steppenwolf ]

Slowenisch Pravljice. Ü: Jaroslav Novak. Ljubljana [etc.]: Mladinska knjiga 2005. 158 S. – [Märchen; Traum fährte]

Slowakisch Peter Camenzind. Ü: Ludmila Rampáková. Bratislava: Slovenský spisovatel 2003. 143 S.

Spanisch El lobo estepario. Ü: Manuel Manzanares. Madrid: Alianza Editorial 2006. 341 S. (El libro bolsillo) Las estaciones. Reflexiones, poemas y acuarelas. Recopiladas por Vollaer [i.e. Volker] Michels. Ü: Daniel Najmías. 1. Aufl. Barcelona: RBA Libros, 2006. 179 S., ill. – [ Jahreszeiten]. Noche de junio. Ü: Ana M. de la Fuente. Barcelona: El Aleph 2007. 186 S. (La medianoche; 12) – [Casanovas Bekehrung und andere Erzählungen.]

Weißrussisch Sidchartcha. Ü: Arcëm Arašonak. Minsk: I.P. Logvinaŭ, 2007. 98 S.

Literatur über Hermann Hesse ARCHIVE, MUSEEN, GESELLSCHAFTEN

Internationale Hermann-Hesse-Gesellschaft Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 3. Hrsg. im Auftrag der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft. Tübingen: Max Niemeyer 2006. 207 S. * Der Band wurde im August 2007 ausgeliefert. Die Beiträge sind einzeln verzeichnet. Verstl, Alfred: Hesse Gesellschaft sucht nach einer neuen Strategie. Uli Rothfuss als Geschäftsführer ausgeschieden / Gespräche mit Montagnola aufgenommen. In: Schwarzwälder Bote v. 18.10.2007.

Koreanische Hesse-Gesellschaft. Taejon (Südkorea) Hesse-Forschung. Bd. 15, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. 430 S. [6 der 18 Arbeiten befassen sich mit Hesse; die Beiträge sind einzeln verzeichnet.]

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

162 Hesse-Forschung. Bd. 16, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. 488 S. [4 der 20 Arbeiten befassen sich mit Hesse; die Beiträge sind einzeln verzeichnet.]

Museo Hermann Hesse Montagnola «Diese Landschaft, so beruhigt und so ewig» / «Quel paesaggio così calmo e così eterno» Konzept und Fotografien: Giosanna Crivelli, Texte: Hermann Hesse. Hrsg. v. Regina Bucher. Texte italienisch u. deutsch. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse 2007. Michels, Volker: «Meine noble Ruine» / «La mia nobile rovina» Hermann Hesse in der Casa Camuzzi. Hrsg. u. mit e. Vorbemerkung von Regina Bucher. Montagnola: Fondazione Hermann Hesse Montagnola 2007. In deutscher und italienischer Sprache. 60 S.

Stadt-Archiv Calw/Hermann-Hesse-Zentrum Schnierle-Lutz, Herbert: Calw. Hermann Hesses Gerbersau. Mit stadtgeschichtlichen Fotos und Erläuterungen. Calw: Große Kreisstadt Calw – Stadtarchiv/Hermann-Hesse-Zentrum 2007. (Kleine Reihe. Archiv der Stadt Calw; 22) 90 S. * Begleitbuch zur Ausstellung «Hermann Hesses Gerbersau» in Calw v. 3.7.07–20.1.08.

GESAMTDARSTELLUNGEN Decker, Gunnar: Hesse von A bis Z. In: Bücher 3/2007, S. 60–63. Decker, Gunnar: Der Zauber des Anfangs. Das kleine Hesse-Lexikon. Erw. u. verbesserte Auflage des Reclam-Bandes «Hesse-ABC» 2002. Berlin: Auf bau 2007. 291 S. Matina, Mala: Hermann Hesse. In: Newsfi nder. A literary favour in world culture. http://www.newsfi nder.org/site/more/hermann_hesse/ Zybura, Marek: Hermann Hesse. Der gute Mensch aus Montagnola. In: Die höchste Ehrung, die einem Schrifsteller zuteil werden kann. Deutschsprachige Nobelpreisträger für Literatur. Hrsg. v. Krysztof Ruchniewicz und Marek Zybura. Dresden: Neisse 2007. S. 173–191.

LITERATURGESCHICHTEN UND LEXIKA Klee, Ernst: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Frankfurt/M.: S. Fischer 2007. 715 S.: 240. * Klee wirft Hesse vor, dass er «mit fast 70 Gedichten und Prosastücken in der Kraukauer Zeitung, [dem] ‹Blatt des Generalgouvernements›» vertreten gewesen sei. – Wie Volker Michels im Nachwort zu Band 14 der Sämtlichen Werke ausführt, «handelte [es] sich dabei um [...] Raubdrucke von Gedichten und Feuilletons aus den Jahren 1900 bis 1928 sowie um Auszüge aus Peter Camenzind und Berichte von seiner Indonesienreise». Mileck, Joseph: Hermann Hesse. In: Dictionary of Literary Biography, Vol. 330: Nobel Prize Laureates in Literature. Part 2: Faulkner-Kipling. Detroit: Bruccoli Clark Layman Book 2007. XVI, 608 S.; S. 326–346. Sprengel, Peter: Hesse und Frank. In: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. (Zugleich Bd. IX, 2 der Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Begr. v. Helmut de Boor und Richard Newald). München: C.H. Beck 2004. S. 387–398; üb. Hesse: S. 387–395.

BIBLIOGRAPHIEN Below, Jürgen: Hermann Hesse Bibliographie. Sekundärliteratur 1899–2007. Berlin: de Gruyter 2007. 5 Bde.; LII, 4032 S., 24 x 17 cm. «Die gesamte zu Hesse publizierte deutschsprachige und internationale Sekundärliteratur wird mit ca. 25.000 Titeln abgebildet und systematisch klassifi ziert. Die Bibliographie strebt Vollständigkeit an und übertrifft ihre Vorgänger in Bezug auf die Quantität der Belege und die Aktualität der dokumentierten Titel» (de Gruyter).

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

163 Limberg, Michael: Hermann-Hesse-Literatur. 13. Jahrgang, 2006. (40591) Düsseldorf (Dechenweg 1): M. Limberg, 2007. 60 S., Din A 5, (Typoskript xerokop.) Limberg, Michael: Hermann-Hesse-Bibliographie 2005. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): HermannHesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S. 183–205.

ERINNERUNGEN, BEGEGNUNGEN Hesse, Bruno, Heiner u. Martin: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Mit Beiträgen von Volker Michels, Gunnar Decker u. Freddy Allemann. Calw: Sparkasse Pforzheim Calw 2007. 156 S. * 4. u. stark erweitere Ausgabe des 1989 unter dem Titel Erinnerungen der Söhne an ihren Vater Hermann Hesse erschienenen Bandes.

ZUR REZEPTION Büttler, Stefanie: Zur Rezeption Hermann Hesses in Frankreich. Mainz: Johannes GutenbergUniversität 2004. Diplomarbeit. 110 S. The Hermann Hesse Page: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/papers/Buettler-Diplomarbeit.pdf Masumoto, Hiroko: Die Rezeption der deutschschweizerischen Literatur im gegenwärtigen Japan. In: Asiatische Studien/Etudes Asiatiques: Zeitschrift der Schweizerischen Asiengesellschaft/Revue de la Société Suisse-Asie (ASEA) 2004; 58 (2): S. 467–78. U. a. über die Rezeption Hesses in Japan. Willand, Marcus: Die Rezeption Hermann Hesses in Amerika. «Typisches und Untypisches einer ungewöhnlichen Rezeptionsgeschichte». Technische Universität Darmstadt. Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft. Proseminararbeit 2003. 28 S. The Hermann Hesse Page: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/papers/willand2004.pdf

WÜRDIGUNGEN Berger, Simon: Humanistischer Pathetiker und Kultfigur für die Jugend. Simon Berger über Hermann Hesse, anlässlich dessen 130. Geburtstags. In: Bücherschau. Zeitschrift für Betriebsund Gewerkschaftsbibliotheken. 2/2007. S. 7–11. von Rohr, Chris: Hymne an Hesse. In: Schweizer Illustrierte v. 23.4.2007. * Buchtipp zu Demian, Steppenwolf, Das Glasperlenspiel. Rückleben, Erich: Homo humanus, Diener des Geistes und in Diensten der Wahrheit. Vermächtnis und Wirkung des Dichters Hermann Hesse. In: Die Brücke. Forum für antirassistische Politik und Kultur. 1/2007, S. 53–63.

Über Werke Heiner, Johannes: Wege mit Hermann Hesse. Betrachtungen zum Gesamtwerk. Mit Bildern von Anton Albrecht. Poxdorf: Heureka-Selbstverlag, 2007. ISBN 978-3-00-020958-1.

BLICK INS CHAOS Sirůček, Jiři: Der Einfluß Nietzsches und Dostojewskis auf Hermann Hesses Werk «Blick ins Chaos». In: Sprache(n) und Literatur(en) im Kontext. Beiträge der internationalen Konferenz 6.–7. November 2003. Hrsg. v. József Tóth. Wien: Praesens-Verlag 2005. (Acta Germanistica Savariensia; 9) 443 S.; S. 279–283.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

164 DAS GESTRICHENE WORT Schine, Robert S.: ‹The Deleted Word›: Implications of an Altered Text by Hermann Hesse. In: New England Review. Middlebury Series (NERMS) 2004; 25 (3), S. 104–112. Über Das gestrichene Wort und Kurgast.

DAS GLASPERLENSPIEL Clauss, Elke-Maria: Hermann Hesse. Das Glasperlenspiel. Erläuterungen und Dokumente. Stuttgart: Reclam 2007. (UB 16056). 215 S. Lee, Shin-Koo: Die Musikalität in Thomas Manns Doktor Faustus – Im Vergleich mit dem Glasperlenspiel Hesses. In: Hesse-Forschung. Bd. 15, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen HesseGesellschaft. S. 5–27 (koreanisch mit deutscher Zusammenfassung).

DEMIAN (anonym): Sonderausgabe: Demian. In: Bergisch exclusiv. Magazin für Wirtschaft, Kultur, Trends im Bergischen, Köln und Leverkusen. Juli/August 2007. Bieliková, Mária: Bipolarität der Gestalten in Hermann Hesses Prosa: die Romane «Demian» und «Der Steppenwolf» vor dem Hintergrund der daoistischen Philosophie. Hamburg: Kovac 2007. XVIII, 128 S. [Schriftenreihe Studien zur Germanistik; Bd. 23] Zugl.: Bratislava, Univ., Diss., 2004.

DER STEPPENWOLF Bieliková, Mária: Bipolarität der Gestalten in Hermann Hesses Prosa: die Romane «Demian» und «Der Steppenwolf» vor dem Hintergrund der daoistischen Philosophie. Hamburg: Kovac 2007. XVIII, 128 S. [Schriftenreihe Studien zur Germanistik; Bd. 23] Zugl.: Bratislava, Univ., Diss., 2004. Campisi, Salvatore C. P.: The Unbearable Lightness of (Being) Mozart, or Mozart in Steppenwolf. In: Görner, Rüdiger (ed. and introd.); McLaughlin, Carly (ed.); Mozart – eine Herausforderung für Literatur und Denken/Mozart-A Challenge for Literature and Thought. Bern, Switzerland: Peter Lang; 2007. 360 S.; S. 255–263. Jahrbuch für Internationale Germanistik: Reihe A: Kongressberichte ( JIGA): 89. Decker, Jan-Oliver: Stimmenvielfalt, Referenzialisierung und Metanarrativität in Hermann Hesses «Der Steppenwolf». In: Stimme(n) im Text. Narratologische Positionsbestimmungen. Hrsg. von Andreas Blödorn. Berlin [u.a.]: de Gruyter 2006. VII, 389 S.; S. 233–265. Kim, Yun Sang: Die Idee der thanato-erotischen Schönheit in den platonischen Dialogen, Lehrlinge zu Sais von Novalis und Steppenwolf von Hermann Hesse. In: Hesse-Forschung. Bd. 16, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 43–64 (koreanisch mit deutscher Zusammenfassung). Klemm, David E.: Re-Entering the Magic Theatre: The Trace of the Other in Hermann Hesse’s Steppenwolf (1927). In: Jasper, David (ed. and introd.); Newlands, George (ed. and introd.); Bird, Darlene (ed.); Believing in the Text: Essays from the Centre for the Study of Literature, Theology, and the Arts, University of Glasgow. Oxford, England: Peter Lang; 2004. 248 S.; S. 145–157. Patzer, Georg: Hermann Hesse «Der Steppenwolf». Stuttgart: Reclam 2007. 93 S. (Reclams Universal-Bibliothek; Nr. 15384. Lektüreschlüssel für Schüler) Poppe, Reiner: Hermann Hesse, Der Steppenwolf. Kommentare, Diskussionsaspekte und Anregungen für produktionsorientiertes Lesen. Hollfeld: Beyer 2003. 57 S. (Blickpunkt – Text im Unterricht; BL 527). Pfeiffer [sic!], Martin [Pfeifer]: Hermann Hesse. Siddhartha – Der Steppenwolf. Zum Verständnis seiner Prosa. Erläuterungen – Didaktisch-methodische Hinweise. Hollfeld: Beyer 2003. 6. überarbeitete Aufl age. 99 S.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

165 Theodorou, Panagiota: «Das leidendste Tier auf Erden erfand sich das Lachen» (Friedrich Nietzsche). ‹Heilung› der Verzweiflung im Steppenwolf Hesses? In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S.133–149.

DER STEPPENWOLF [DRAMATISIERTE FASSUNG] Der Steppenwolf. Bühnenfassung: Joachim Lux; Regie: David Mouchtar-Samorai. Berner Stadttheater (bis 28.6.07) (anonym): Ein wendiges Bühnentier mit Biss. «Der Steppenwolf» am Berner Stadt theater. In: Berner Zeitung v. 24.3.2007. di Falco, Daniel: Der Steppenwolf und sein Vermieter. So vergnüglich wie gescheit: Das Berner Stadttheater bringt Hermann Hesses Jahrhundertroman auf die Bühne. In: Der Bund (Bern) v. 24.3.2007, S. 41. Der Steppenwolf. Bühnenfassung: Joachim Lux; Regie: Matthias Gehrt. Staatsschauspiel Dresden. Premiere: 16.6.2007. Stehfest, Rico: Müde der Wolf, seelenlos. Hesse etwas schwach im Kleinen Haus. In: Dresdner Kulturmagazin, September 2007.

DIE MORGENLANDFAHRT Safranski, Rüdiger: Romantik. Eine deutsche Affäre. München: Hanser 2007.415 S.; S. 337–340.

KURGAST Miksch, Anke: Hermann Hesses «Kurgast» als Spiegelbild seiner Krise. Essen: Verlag Die Blaue Eule 2007. 103 S. (Literaturwissenschaft in der Blauen Eule; Bd. 42). «Hermann Hesses Kurgast von 1923 scheint eine amüsant-leichte Glosse auf das Kurleben der 20er Jahre zu sein. Beim genaueren Lesen jedoch zeigt sich, dass hinter dieser Maske tiefgründigere Inhalte verborgen sind. Durch Hesses Lebenskrise von 1914 bis 1927 fand eine innere Wandlung auf persönlicher, psychischer und religiöser Ebene statt, die sich im Kurgast literarisch formiert. Die vorliegende Analyse beschäftigt sich zum ersten Mal mit den verschiedenen Bedeutungsschichten des zwischen Siddhartha und Steppenwolf oft vergessenen Kurgast.» (Verlagsanzeige)

NARZISS UND GOLDMUND (anonym): Hermann Hesse. Narziß und Goldmund. In: Literatur-Report, 1. April–30. Juni 2007 (www.literatur-report.de). Meetschen, Stefan: Gegensätze ziehen sich an. Narziß und Goldmund. In: Die Tagespost. Katholische Zeitung für Politik, Gesellschaft und Kultur. Nr. 24 v. 24.2.2007. (Die fünfzig besten Romane; 21) Theodorou, Panagiota: Übergangsrituale im Werk Hermann Hesses: Am Beispiel von Siddhartha und Narziss und Goldmund. Diss. Phil. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 2007. 213 S. * Der Begriff des Übergangsrituals geht auf den Ethnologen A. van Gennep (1873–1957) zurück. Ausgehend von Naturvölkern hatte van Gennep eine immer gleiche Struktur in Lebensabschnitten entdeckt, bei denen der Mensch eine Veränderung des Orts, des Zustands, des sozialen Status oder des Alters in der typischen Abfolge von Trennung (separation), Umwandlung (transformation) und Wiederangliederung (reintegration) durchlebt. Auch in Hesses Werken gibt es wiederkehrend relevante Situationen im Leben seiner Helden, die in einer besonderen Form begangen werden. Die Verfasserin weist nach, dass das Dreiphasenmodell des Übergangsrituals methodisch auf alle Übergänge anwendbar ist, die die Protagonisten in Siddhartha und Narziß und Goldmund vollziehen.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

166 SIDDHARTHA Dumont, Björn: Wörter werden Welten: sprachliche Mittel der Textweltgenerierung in Hermann Hesses «Siddharta» [sic!]. In: Germanistische Fachbeiträge. Vorträge auf dem Internationalen Kolloquium zum Thema «Text» am Institut für Germanistik der Universität Leipzig im Sommersemester 2004. Leipzig: FSR Germanistik 2005. 163 S.; S. 77–86. (Die Leipziger Text-Tage. Hrsg. von Julia K. Banke). Kermani, Navid: Der violette Umschlag Erwachsensein. In: Ein Buch, das mein Leben verändert hat. Liber amicorum für Wolfgang Beck. Hrsg. v. Detlef Felken. München: C.H. Beck 2006. «Wenn ich ein Buch benennen soll, das mein Leben verändert hat – also nicht nur ein besonders wichtiges unter vielen, sondern das eine, einzelne Buch, das mein Leben konkreter, sichtbarer verändert hat als alle anderen –, muß ich mich zu Hermann Hesses Roman Siddhartha bekennen….» Pfeiffer [sic!], Martin [Pfeifer]: Hermann Hesse. Siddhartha – Der Steppenwolf. Zum Verständnis seiner Prosa. Erläuterungen – Didaktisch-methodische Hinweise. Hollfeld: Beyer 2003. 6. überarbeitete Aufl age. 99 S. Theodorou, Panagiota: Übergangsrituale im Werk Hermann Hesses: Am Beispiel von Siddhartha und Narziss und Goldmund. Diss. Phil. Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 2007. 213 S.

UNTERM RAD Ehlenberger, Jan: Adoleszenz und Suizid in Schulromanen von Emil Strauss, Hermann Hesse, Bruno Wille und Friedrich Torberg. Frankfurt am Main [u.a.]: Lang 2006. 418 S. Zugl.: Bayreuth, Univ., Diss., 2003 (Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft, 28) Gansel, Carsten: Hermann Hesses «Unterm Rad» als Adoleszenzroman. Plädoyer für eine andere Lesart. In: Odysseus, Robinson und Co. Vom Klassiker zum Kinder- und Jugendbuch. Hrsg. von Kurt Franz. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren 2006. X, 144 S.; S. 88–107. (Schriftenreihe der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur Volkach e.V., 33)

VOM WERT DES ALTERS. FRANKFURT/M.: SUHRKAMP 2007 (anonym): (Vom Wert des Alters). In: Allgemeiner Anzeiger am Sonntag v. 2.12.2007. Decker, Gunnar: Lebens-Wanderung. Hermann Hesse: «Vom Wert des Alters.» In: Neues Deutschland, Bücher zum Verschenken, v. 24./25.11.2007. Müller, Hans-Joachim: Das lebensrettende Exil entpuppt sich als Quelle von Einsamkeit. Von Michael Lenz «Pazifi k Exil» bis zu einem neuen Hermann-Hesse-Buch. In: Butzbacher Zeitung v. 19.11.2007, S. 24. Schmitt, F.W.: Vom Wert des Alters. In: Gnostika. Zeitschrift für Wissenschaft und Esoterik, Dez. 2007, S. 100.

Briefwechsel HERMANN HESSE: BRIEFWECHSEL 1921–1927 MIT HUGO BALL UND EMMY BALL-HENNINGS. FRANKFURT/M.: SUHRKAMP 2003. Derwahl, Freddy: [Hermann Hesse: Briefwechsel 1921–1927 mit Hugo Ball und Emmy BallHennings.] Was liest zurzeit: Freddy Derwahl. In: Kirchenzeitung (Aachen) v. 11.3.2007.

HERMANN HESSE. «DIE DUNKLE UND WILDE SEITE DER SEELE.» BRIEFWECHSEL MIT SEINEM PSYCHOANALYTIKER JOSEF BERNHARD LANG 1916–1944. FRANKFURT/M.: SUHRKAMP 2006.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

167 Durrani, Osman: ‹Die dunkle und wilde Seite der Seele›: Hermann Hesse, Briefwechsel mit seinem Psychoanalytiker Josef Bernhard Lang 1916–1944. In: Modern Language Review 102, Nr. 3/2007. Gajek, Bernhard: Hesse, Hermann; Lang, Josef Bernhard: «Die dunkle und wilde Seite der Seele»… In: Germanistik, Bd. 47 (2006) Heft 1/2, S. 388 (Nr. 2683).

HERMANN HESSE – WILHELM KUNZE. BRIEFWECHSEL 1920–1930. IGEL VERLAG 2006 Eichmann-Leutenegger, Beatrice: Der Heilende als Heilsbedürftiger. Briefwechsel zwischen Hermann Hesse und Josef Berhard Lang. In: Orientierung (Zürich) Nr. 3 v. 15.2.2007. Gajek, Bernhard: Hesse, Hermann; Kunze, Wilhelm: Briefwechsel 1920–1930. In: Germanistik. Band 47 (2006), Heft 3–4, S. 885.

HERMANN HESSE – STEFAN ZWEIG. BRIEFWECHSEL cp/BB/is: Religiöser Brückenbauer. Hermann Hesse: Drei jüngst erschienene Bücher zeigen, dass das Interesse an dem schwäbischen Dichter und Missionarssohn nicht nachgelassen hat. In: Unsere Kirche. Ev. Wochenzeitung für Westfalen und Lippe. Nr. 3 / 14.–20.1.2007, S. 14. * Rez. zu: Hilbert, M.: Hermann Hesse und sein Elternhaus; Gellner, Chr.: Hermann Hesse und die Spiritualität des Ostens; Hermann Hesse und Stefan Zweig, Briefwechsel. Gajek, Bernhard: Hermann Hesse – Stefan Zweig: Briefwechsel. In: Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen. Band 48 (2007) Heft 1–2, S. 392. JI: Neidlos: Zweig und Hesse. In: Mannheimer Morgen v. 28.2.2007. Kraft, Martin: Der Asket und der Mann von Welt. Zwei der meistgelesenen deutschsprachigen Autoren des 20. Jahrhunderts waren lebenslang befreundet: Hermann Hesse und Stefan Zweig verband, wie nun ihr Briefwechsel zeigt, viel Gemeinsames. In: Der Landbote (Winterthur) v. 15.12.2007.

«LIEBES HERZ!» BRIEFWECHSEL MIT SEINER ZWEITEN FRAU RUTH. FRANKFURT/M.: SUHRKAMP 2005. Minkus, Elke: Hermann Hesse, «Liebes Herz», Briefwechsel mit seiner zweiten Frau Ruth. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S. 155–158.

Gedichte IM NEBEL Brusniak, Friedhelm: Seltsam, im Nebel zu wandern! Stimmung des Einsamseins als atmosphärische Komponente des Lebens in Hermann Hesses Gedicht «Im Nebel» und der Versuch einer Vertonung. In: Atmosphäre(n). Interdisziplinäre Annährungen an einen unscharfen Begriff . Hrsg. v. Rainer Goetz u. Stefan Graupner. 1. Aufl. München: kopaed 2007. 316 S.; S. 193–199.

VOLL BLÜTEN Voll Blüten steht der Pfi rsichbaum (Voll Blüten). In: Lernstandserhebung Deutsch. Anforderungsstufe A. Jahrgangsstufe 8. Mit Musteraufgaben und Lösungen. Nordrhein-Westfalen. Berlin: Cornelsen 2007. 48 S.; S. 16–17, Lösungen im Lösungsheft S. 4f. *

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

168 HERMANN HESSE HÖRWERKE. MÜNCHEN: DER HÖRVERLAG 2006 Schröder, Martin Z.: Im Garten der Greise. Brüchig schwebender Ton: Hermann Hesses Hörwerk. In: Süddeutsche Zeitung v. 4.1.2007.

HERMANN HESSE. INSEL-KALENDER FÜR DAS JAHR 2008. ZUSAMMENGESTELLT VON URSULA MICHELS-WENZ. FRANKFURT/M. U. LEIPZIG: INSEL 2007 (anonym): Hermann Hesse: Insel-Kalender für 2008. In: Rheinische Post v. 19.2007. (anonym): Hermann-Hesse Insel-Kalender. In: Heim + Pflege. (Für das Management in Pflegeeinrichtungen) Dez. 2007. (ec): Mit Hesse durchs Jahr. In: Nürtinger Echo v. 4.10.2007.

Über Sachverhalte AUTOS Werner, Hendrik: Hinan, hinab, hinweg. Ulf Geyersbach beschreibt die bewegte Wahlverwandschaft von Autoren und Autos. In: Die Welt v. 3.2.2007. * Rezension von: Ulf Geyersbach: «…und so habe ich mir denn ein Auto angeschafft» – Schriftsteller und ihre Automobile. Berlin: Nicolai 2006. Werner, Hendrik: Wahlverwandtschaften – Autos und Autoren. Auch Schriftsteller haben bei der Entscheidung für einen Pkw die Qual der Wahl: Hermann Hesse entschied sich in den fünfziger Jahren für einen schwarzen Ponton-Mercedes. Bertolt Brecht schrieb dagegen ein Gedicht über den Radwechsel am Straßenrand. In: Die Welt v. 14.2.2007.

BRIEFE – BRIEFWECHSEL Bellin, Klaus: Als Mannequin nicht geeignet. Arno Schmidt wechselt Briefe mit Kollegen und genießt die Bewunderung. In: Neues Deutschland v. 17.12.2007. * Rezension von: Arno Schmidt: Briefwechsel mit Kollegen. Hg. von Gregor Strick. Suhrkamp Verlag 2007. «Nur mit Hermann Hesse gelingt kein Gespräch. Man schied brüsk und ziemlich enttäuscht voneinander.»

DICHTKUNST Moritz, Julia: Die musikalische Dimension der Sprachkunst: Hermann Hesse, neu gelesen. Würzburg: Königshausen & Neumann 2007. 360 S. [Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft; Bd. 603] Zugl.: Hamburg, Univ., Diss., 2005. Noh, Tae-Han: Grundstrukturen der Romane Hermann Hesses. In: Hesse-Forschung. Bd. 15, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 28–52 (koreanisch mit deutscher Zusammenfassung).

EROTIK Park, Kwang-Ja: Die Knabenliebe in den Romanen von Hermann Hesse. In: Hesse-Forschung. Bd. 16, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 23–42 (koreanisch mit deutscher Zusammenfassung).

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

169 HEIMAT Hong, Soon-Kil: Die Heimatlosigkeit und Heimatsuche bei Hesse. In: Hesse-Forschung. Bd. 16, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 5–21 (deutsch mit koreanischer Zusammenfassung).

HERMANN-HESSE-PREIS KARLSRUHE Da die junge Dichtung damit etwas gewinnt. 50 Jahre Hermann-Hesse-Preis. Hrsg. v. Hansgeorg Schmidt-Bergmann. 1. Aufl.. Karlsruhe, Baden: INFO Verlag 2007. 64 S. Mit 102 schw.w. Ill. 24 x 16,5 cm. (Lindemanns Bibliothek; 44)

HUMANISMUS Jösel, Martin: Hesse in Basel: Aspekte des Humanen. In: Humanismus. 56 Annäherungen an einen lebendigen Begriff . Hrsg. v. Rolf Surbeck, Ewald Billerbeck. Basel: GS-Verlag 2000. 216 S.; S. 134–136.

JUGEND Ponzi, Mauro: Der Jugendmythos bei Hermann Hesse. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): HermannHesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S. 1–16.

LYRIK Cheong, Kyung-Yang: Die Mystik in den Gedichten Hermann Hesses. In: Hesse-Forschung. Bd. 15, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 69–88 (koreanisch mit deutscher Zusammenfassung). Kim, Ja-Seong: Das romantische Motiv und Selbstverwirklichung in der Lyrik von Hermann Hesse. In: Hesse-Forschung. Bd. 15, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 117–135 (korea nisch mit deutscher Zusammenfassung).

MEDIÄVISTIK / RENAISSANCE Wagner, Fritz: Hermann Hesse und die italienische Renaissance. In: Wagner, Fritz: Von Hrotsvith bis Boccaccio. Mittelalter und Renaissance in der deutschen Literatur der letzten drei Jahrhunderte. Göppingen: Kümmerle 2006. 259 S.; S. 223–238. (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 737) Wagner, Fritz: Hermann Hesses Bekenntnis zum Mittelalter. In: Wagner, Fritz: Von Hrotsvith bis Boccaccio. Mittelalter und Renaissance in der deutschen Literatur der letzten drei Jahrhunderte. Göppingen: Kümmerle 2006. 259 S.; S. 163–175. (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 737)

MUSIK Bruhn, Siglind: «Sie entsteht aus dem Maß und wurzelt in dem großen Einen»: Musik als Inhalt, Form und Metapher in Hesses Kastalischer Utopie. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): HermannHesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S. 95–119. Gess, Nicola: Musikalische Mörder. Krieg, Musik und Mord bei Hermann Hesse. In: Literatur und Musik in der klassischen Moderne. Mediale Konzeptionen und intermediale Poetologien. Hrsg. v. Joachim Grage. Würzburg: Ergon 2006. 346 S.; S. 189–205. (Klassische Moderne; 7) Matassi, Elio: Hesse und die «Neupythagoreische Musiklehre». In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S. 121–131.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

170 PHILOSOPHIE Gellner, Christoph: Wie der Buddha in den Westen kam. Hermann Hesse, Luise Rinser und Adolf Muschg. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S. 47–69. Kim, Inn-Su: Die Kritik über den asiatischen Geist in Hermann Hesses Werken und seine Rettung aus dem Nihilismus. In: Hesse-Forschung. Bd. 16, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 66–87 (koreanisch mit deutscher Zusammenfassung). Ma, Jian: Stufen des Ich-Seins: Untersuchungen zur «Ich»-Problematik bei Hermann Hesse im europäisch-ostasiatischen Kontext. Berlin: Logos-Verlag 2007. 182 S. Zugl.: Diss. McCauley, Patrick James: Reading by the light of a burning phoenix [Mikroform]: an inquiry into faith, deliverance, and despair within humankind’s paradoxical suspension between the conditional and the unconditional in the work of Immanuel Kant and Hermann Hesse. Ann Arbor: UMI, [University Microfi lms International], cop. 2006. – 4 Mikrofiches; 11 x 15 cm. – Zugleich: Diss. University of Iowa. – Literaturverz. – Mikroreprod.: VI, 344 Bl. Szabó, László: Wege zur Vollkommenheit: Hermann Hesse und Sándor Weöres. In: Sprache(n) und Literatur(en) im Kontext. Beiträge der internationalen Konferenz 6.–7. November 2003. Hrsg. v. József Tóth. Wien: Praesens-Verlag 2005. (Acta Germanistica Savariensia; 9) 443 S.; S. 327–338.

POLITIK Bishop, Paul: Hermann Hesse and the Weimarer Republic. In: German novelists of the Weimarer Republic. Intersections of literature and politics. Ed. by Karl Leydecker. Rochester, NY (u.a.): Camden House 2006 (Studies in German literature, linguistics, and culture) VII, 286 S.; S. 45–60. * Behandelt hauptsächlich die Werke Demian, Siddhartha und Der Steppenwolf. Gess, Nicola: Kunst und Krieg. Die künstlerische Verarbeitung des Ersten Weltkriegs bei Thomas Mann, Hermann Hesse und Ernst Bloch. In: Koch, Lars u.a. (Hrsg.): Imaginäre Welten im Widerstreit. Krieg und Geschichte in der deutschsprachigen Literatur seit 1900. Würzburg: Königshausen & Neumann 2007. 327 S.; S. 30–45.

PSYCHOLOGIE Mattiussi, Laurent: Kaf ka, Hesse, Beckett: de l’appropriation à expropriation de soi. In: De soi à soi. L’écriture comme autohospitalité. Ètudes réunies par Alain Montandon. ClermontFerrand: Presses Univ. Blaise Pascal 2004. 284 S.; S. 143–159.

RELIGION Stephenson, Barry: «Veneration and revolt»: Hermann Hesse and Swabian pietism. [Ann Arbor]: [UMI, University Microfi lms International], [2005]. 4 Mikrofiches, 11 x 15 cm. (Canadian thesis). Diss. University of Calgary. Mikroreprod.: VI, 353 Bl. – ISBN 0–494–16239–2 (National Library of Canada, Ottawa, Ont.)

SAMMELN Walther, Klaus: Die Spezialisten: Zum Beispiel Hesse. In: Bücher. Oktober/November 2007. (Eine Kolumne für Sammler)

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

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Über Personen HUGO BALL Zenoni, Gerold: Du da Dada! Hugo Balls Kontakte mit Einsiedeln (2). In: Kloster Einsiedeln. Zeitschrift der Benediktinergemeinschaft Einsiedeln. 1/2007, S. 46–49. Bucher, Regina / Echte, Bernhard (Hrsg.): Emmy Ball-Hennings. Muse Diseuse Dichterin. Wädenswil: Nimbus. Kunst und Bücher 2006. [Begleitpublikation zur Ausstellung im Museo Hermann Hesse, Montagnola, 15.4.–10.9.2006]. 88 S.; S. 6, 14, 15, 16, 17, 19, 42, 43, 44, 46, 47, 48, 49f., 54, 55f., 63, 64f., 66, 68, 71f., 73, 75, 77–79. Bucher, Regina / Echte, Bernhard (Hrsg.): Emmy Ball-Hennings. Musa Diseuse Poetessa. Wädenswil: Nimbus. Kunst und Bücher 2006. [Ital. Begleitpublikation zur Ausstellung im Museo Hermann Hesse, Montagnola, 15.4.–10.9.2006]. 80 S.

HERMAN BANG Reichart, Manuela: Brennesseln in Kopf und Bauch. Unbedingt wieder zu entdecken: zum 150. Geburtstag des dänischen Autors Herman Bang. In: Berliner Zeitung v. 19.4.2007. * Hesse schrieb anlässlich des Todes von Bang «einen Nachruf der heute noch gilt».

BENEDIKT XVI Seewald, Peter (Hrsg.): Der deutsche Papst. Von Joseph Ratzinger zu Benedikt XVI. Hamburg: Weltbild 2005. 160 S.; S. 72–73 («Er spielt Mozart und liest ‹Steppenwolf›»)

ERNST BEUTLER dpa: Nobelpreisträger erweisen Goethe-Haus Reverenz: Von Hesse bis Böll. In: Frankfurter Neue Presse v. 24.4.2007. tso/dpa: «Das Leben ist ein Kampf.» Das Frankfurter Goethe-Haus beherbergt ein einmaliges Dokument der Literaturgeschichte: Von Hesse bis Max Planck versammelt sich eine illustre Schar großer Schriftsteller und Wissenschaftler in einem Gästebuch. In: Der Tagesspiegel v. 24.4.2007. [Tagespiegel online] Riebsamen, Hans: Von Thomas Mann menschlich enttäuscht. Goethe-Haus-Direktor Ernst Beutler und sein Gästebuch. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 8 v. 25.2.2007. * Hesse und Beutler führten über Jahre einen lebhaften Briefwechsel. Auf Betreiben Beutlers erhielt Hesse 1947 den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt. Hesse hat Beutler bei seinen Bemühungen um den Wiederauf bau des Goethe-Hauses tatkräftig unterstützt.

GIOVANNI BOCCACCIO Wagner, Fritz: Boccaccio aus der Sicht Hermann Hesses. In: Wagner, Fritz: Von Hrotsvith bis Boccaccio. Mittelalter und Renaissance in der deutschen Literatur der letzten drei Jahrhunderte. Göppingen: Kümmerle 2006. 259 S.; S. 206–222. (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 737)

FRANZ VON ASSISI Wagner, Fritz: Franz von Assisi und Hermann Hesse. In: Wagner, Fritz: Von Hrotsvith bis Boccaccio. Mittelalter und Renaissance in der deutschen Literatur der letzten drei Jahrhunderte. Göppingen: Kümmerle 2006. 259 S.; S. 176–205. (Göppinger Arbeiten zur Germanistik, 737)

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

172 HELENE FUNKE Judmayer, Irene: Im Lentos springt die Funke über. Sowohl als Frau als auch als Künstlerin bewegte sie sich außerhalb der Normen ihrer Zeit: Die erste große Museumsretrospektive von Helene Funke (1869–1957) zeigt das Linzer Kunstmuseum Lentos bis 11. September. In: Oberösterreichische Nachrichten v. 3.5.2007. * Helene Funke, eine Freundin von Hesses Ehefrau Ninon, korrespondierte auch mit Hesse. Spiegler, Almuth: «Ich bin ein einsamer Steppenwolf». Wiener Malerinnen: Wer sind MarieLouise v. Motesiczky, Broncia Koller, Helene Funke? Zwei Schauen, eine Biografie. In: www.diepresse.com v. 15.5.2007. Stolzenau, Martin: Malendes Weib – einsamer Wolf. Linz zeigt die fast vergessenen Bilder einer Chemnitzerin. In: Freie Presse v. 11.8.2007.

JOHANN WOLFGANG VON GOETHE Hsia, Adrian: Goethe, Hesse und die Weltliteratur. In: Hesse-Forschung. Bd. 15, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 89–116 (deutsch mit koreanischer Zusammenfassung). Lee, Young-Im: Goethe und Hesse im ost-westlichen Wechselspiel. In: Hesse-Forschung. Bd. 15, 2006. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 53–68 (koreanisch mit deutscher Zusammen fassung).

SIEGFRIED GREINER (anonym): Heimatkundler, Hesse und Hirsau. In: Schwarzwälder Bote v. 6.1.2007. * Artikel zum 85. Geburtstag des Germanisten und Heimatforschers Greiner, der sich besonders mit Hesses Familie und seiner Zeit in Calw beschäftigt hat und neben zahlreichen Aufsätzen über Hesse zwei Bücher verfasst hat: Hermann Hesse. Jugend in Calw (1981) und Hermann Hesse – In Calw daheim (2002)

HERMANN GUNDERT Schnierle-Lutz, Herbert: Hermann Gundert in Calw. In: Albrecht Frenz & Stefan Frenz (Hrsg.:) Zukunft im Gedenken/Future in Remembrance. Norderstedt: Book on Demand GmbH 2007. 462 S.; S. 222–232 (engl.Übers. S. 232–239); über das Verhältnis zwischen Hermann Gundert und Enkel Hermann Hesse Hesse: S. 226–229 (234–236) Enth. außerdem folgende Aufsätze: Rainer Schoder (Bilder), Albrecht Frenz (Text): Hermann Gundert als Lehrer in Südindien; Jeevan Thomas: Über die Entstehung der Hermann-Gundert-Statue in Talasseri; P. P. Sasindran: Gundert-Gedenkstätten in Talasseri und Umgebung; Albrecht Frenz: Nettur Technical Training Foundation. ISBN 978–3– 8334–8119–2

HEINER HESSE Allemann, Freddy: Ein Dichter oder gar nichts. Interview mit Heiner Hesse. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 144–150. * Erstdruck in Der Literat. Zeitschrift für Literatur und Kunst v. 15.4.1988. Decker, Gunnar: Begegnung mit Heiner Hesse. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 138–143. * Erstdruck unter dem Titel Der engagierte Waldmensch in: Neues Deutschland v. 30.11/1.12.2002. Michels, Volker: Dank an Heiner Hesse. Worte zum Abschiedsfest von Heiner Hesse am 30. August 2003 im Grotto Arcegno. In: Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse. Hrsg. v. Uli Rothfuss. Calw 2007. S. 151–155.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

173 ERNST JÜNGER Kiesel, Helmuth: Ernst Jünger. Eine Biographie. München: Siedler 2007. 715 S.; S. 54, 55, 69, 86, 235, 249, 326.

C. G. JUNG Bair, Deirdre: C.G. Jung. Eine Biographie. München: btb 2007. 1166 S.; S. 427f., 851.

MASCHA KALÉKO Rosenkranz, Jutta: Mascha Kaléko. Biografie. München: Deutscher Taschenbuch Verlag 2007 (dtv premium 24591). 300 S.; S. 54f. * «Hermann Hesse ist der Erste, der Mascha Kalékos poetische Nähe zu Heinrich Heine feststellt…», sowie längeres Zitat aus Hesses Rezension vom Januar 1936 in Bonniers Litterära Magasin (Hesse, Sämtliche Werke, Bd. 20, S. 163f.)

VOLKER MICHELS Bucheli, Roman: Steppenwolfs Ambulatorium. Seit über dreissig Jahren sichert der Jäger und Sammler Volker Michels die Lebens- und Arbeitsspuren von Hermann Hesse. In: Neue Zürcher Zeitung Nr. 65 v. 19.3.2007, S. 23. Hillemacher, Monika: Mit detektivischem Spürsinn auf den Spuren von Hermann Hesse. Die Ausstellung «Hermann Hesse. Leben und Werk». In: Berliner Literaturkritik v. 29.8.2007. (http://www.berlinerliteraturkritik.de/index.cfm?id=15214) – Der Artikel erschien anlässlich der Ausstellung «Hermann Hesse. Leben und Werk – Eigensinn macht Spaß» im Offenbacher Klingspor-Museum. Hillemacher, Monika: Mit detektivischem Spürsinn auf den Spuren von Hermann Hesse. In: glaubeaktuell.net v. 31.8.2007. Ohne Verfasserangabe in: Schwarzwälder Bote v. 29.8.2007. – Unter d. Titel Volker Michels. Der Hermann-Hesse-Sammler in: Stuttgarter Zeitung u. Stuttgarter Nachrichten v. 30.8.07; unter d. Titel Auf den Spuren von Hermann Hesse. Lektor des Frankfurter Suhrkamp-Verlags sammelt seit 30 Jahren Zeugnisse aus dem Leben des Dichters in: Der neue Tag v. 30.8.07. – Unter dem Titel Mit detektivischem Spürsinn auf den Spuren von Hermann Hesse. Briefe, Zeichnungen, Manuskripte: Offenbacher pfl egt seit 30 Jahren Privat-Archiv rund um den Schriftsteller / Ausstellung im Klingspor-Museum in: Wetzlarer Neue Zeitung/Dill-Zeitung v. 30.8.2007. – Unter dem Titel Willkommen im Forschungszentrum. Volker Michels: mit detektivischem Spürsinn auf den Spuren des Schriftstellers und Malers Hermann Hesse in: Kreisnachrichten (Schwarzwälder Bote) v. 30.8.2007. – Unter dem Titel Hermann Hesse auf der Spur. Lektor Volker Michels hat Briefe und Zeichnungen des Schriftstellers zusammengetragen in: Frankfurter Rundschau v. 12.9.2007. – Unter dem Titel Der Schatz im Hinterhaus. Volker Michels sammelt alles, was von Hesse stammt in: Fuldaer Zeitung v. 22.9.2007.

FRIEDRICH NIETZSCHE Sirůček, Jiři: Der Einfluß Nietzsches und Dostojewskis auf Hermann Hesses Werk «Blick ins Chaos». In: Sprache(n) und Literatur(en) im Kontext. Beiträge der internationalen Konferenz 6.–7. November 2003. Hrsg. v. József Tóth. Wien: Praesens-Verlag 2005. (Acta Germanistica Savariensia; 9) 443 S.; S. 279–283. Szabó, László V.: Der Einfluss Friedrich Nietzsches auf Hermann Hesse. Formen des Nihilismus und seiner Überwindung bei Nietzsche und Hesse. Veszprem: Universitätsverlag / Wien: Praesens Verlag, 2007. (Studia Germanica Universitatis Vesprimiensis. Supplement; 8. Hrsg. v. Csaba Földes.) 324 S. – (Zugleich: Veszprém: Univ. Diss. 2005.)

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

174 RUDOLF PANNWITZ Rovagnati, Gabriella: Ein vom Licht des fernen Ostens beleuchtetes Europa: Hermann Hesse und Rudolf Pannwitz. In: «Der Geist ist der König der Elemente» Der Dichter und Philosoph Rudolf Pannwitz. Hrsg. von Gabriella Rovagnati. Overath: Bücken Sulzer 2006. 236 S.; S. 85–111.

OTHMAR SCHOECK Bachmann, Eva: Ein Gehöriger. Komponist und humorvoller Briefschreiber: Ausstellung zur Erinnerung an Othmar Schoeck in der Tonhalle St. Gallen. In: St. Galler Tagblatt v. 11.5.2007. * Hesse und Schoeck waren eng befreundet, und Schoeck vertonte viele Gedichte Hesses.

RUDOLF SIECK Pilz, Michael: Rudolf Sieck. 1877–1957. Aspekte eines süddeutschen Künstlerlebens. Rosenheim: Städtische Galerie Rosenheim 2007. (Begleitpublikation zur Sonderausstellung «Rudolf Sieck. 1877–1957» in der Städtischen Galerie Rosenheim v. 26.10.–25.11.2007) 80 S.; S. 21, 28, 30, 31, 38, 59 – 66, 67, 76, 77, 79.

PETER SUHRKAMP Schopf, Wolfgang: «…steht als schöpferische Persönlichkeit turmhoch über uns.» Eine Annäherung an Peter Suhrkamp beim Stöbern in seinen Korrespondenzen. In: Forschung Frankfurt. Das Wissenschaftsmagazin. 1.2007, S. 20–29.

ERICH VALENTIN Brusniak, Friedhelm: Wege zu Mozart. Zum 100. Geburtstag des Mozart-Forschers und Hermann-Hesse-Freundes Erich Valentin (1906–1993). In: Acta Mozartiana. Mitteilungen der Deutschen Mozart-Gesellschaft e.V. 53, 2006, Heft 3/4. S. 155–163; S. 159, 161f., 163. Brusniak, Friedhelm: «Wege zu Mozart». Zum 100. Geburtstag des Mozart-Forschers und Hermann-Hesse-Freundes Erich Valentin (1906–1993). In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): HermannHesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S. 81–93. Brusniak, Friedhelm: Die Mozart-Musizierwoche der Deutschen Mozart-Gesellschaft. In: «Glasba za družabne priložnosti» – glasba za razvedrilo. Glasba za vsak dan / «Music for Social Occasions» – Music for Fun, Music for Every Day. Concerts, performance. International Musicological Symposium. Ljubljana: 2007. S. 96–105. * Das Symposium fand vom 20.–27.6.2006 statt.

PETER WEISS Dwars, Jens Fietje: Und dennoch Hoffnung. Peter Weiss. Eine Biographie. Berlin: Auf bau 2007. 302 S.; S. 10, 26, 38f., 41–47, 49, 51, 54, 59, 62, 64, 72, 87, 90, 95, 107, 135, 157f., 255.

ALBERT WELTI Haus der Träume. Hermann Hesse und Albert Welti. (Begleitheft zur Ausstellung) Bearbeitet von Roland Stark. Gaienhofen: Hermann-Hesse-Höri-Museum 2007. (Beiträge des Hermann-Hesse-Höri-Museums, hrsg. v. Ute Hübner). 64 S., mit zahlr. Abb.

KURT WOLFF Weidle, Barbara (Hg.): Kurt Wolff. Ein Literat und Gentleman. Bonn: Weidle Verlag 2007. 292 S.; S. 83, 111, 248, 254, 257, 259, 260.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

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Über Sekundärliteratur BALL, HUGO: HERMANN HESSE. SEIN LEBEN UND SEIN WERK. HRSG. V. VOLKER MICHELS. GÖTTINGEN: WALLSTEIN 2006 Giebenrath, Sebastian: Lebensbeschreibungen und Werkdeutungen. In: Pforzheimer Zeitung v. 3.5.2007. * Enthält ebenfalls die Rezension von Limberg, Michael, Hermann Hesse. Leben, Werk, Wirkung. Suhrkamp 2005

GELLNER, CHRISTOPH: HERMANN HESSE UND DIE SPIRITUALITÄT DES OSTENS. DÜSSELDORF: PATMOS 2005 cp/BB/is: Religiöser Brückenbauer. Hermann Hesse: Drei jüngst erschienene Bücher zeigen, dass das Interesse an dem schwäbischen Dichter und Missionarssohn nicht nachgelassen hat. In: Unsere Kirche. Ev. Wochenzeitung für Westfalen und Lippe. Nr. 3 / 14.–20.1.2007, S. 14. * Rez. zu: Hilbert, M.: Hermann Hesse und sein Elternhaus; Gellner, Chr.: Hermann Hesse und die Spiritualität des Ostens; Hermann Hesse und Stefan Zweig, Briefwechsel.

HILBERT, MATTHIAS: HERMANN HESSE UND SEIN ELTERNHAUS – ZWISCHEN REBELLION UND LIEBE. STUTTGART: CALWER VERLAG 2005 cp/BB/is: Religiöser Brückenbauer. Hermann Hesse: Drei jüngst erschienene Bücher zeigen, dass das Interesse an dem schwäbischen Dichter und Missionarssohn nicht nachgelassen hat. In: Unsere Kirche. Ev. Wochenzeitung für Westfalen und Lippe. Nr. 3 / 14.–20.1.2007, S. 14. * Rez. zu: Hilbert, M.: Hermann Hesse und sein Elternhaus; Gellner, Chr.: Hermann Hesse und die Spiritualität des Ostens; Hermann Hesse und Stefan Zweig, Briefwechsel.

JÜRGENS, DIRK: DIE KRISE DER BÜRGERLICHEN SUBJEKTIVITÄT IM ROMAN DER DREISSIGER UND VIERZIGER JAHRE – DARGESTELLT AM BEISPIEL VON HERMANN HESSES GLASPERLENSPIEL. FRANKFURT/M. [U.A.]: PETER LANG 2004 Frederich, Rasmus: Dirk Jürgens, Die Krise der bürgerlichen Subjektivität im Roman der dreißiger und vierziger Jahre – dargestellt am Beispiel von Hermann Hesses Glasperlenspiel. Frankfurt/M. [u.a.]: Peter Lang 2004. S. 153–155.

LIMBERG, MICHAEL: HERMANN HESSE. FRANKFURT/M.: SUHRKAMP 2005 (anonym): Hermann Hesse von Michael Limberg. In: www.shortbooks.de [2007]. 9 S. Giebenrath, Sebastian: Lebensbeschreibungen und Werkdeutungen. In: Pforzheimer Zeitung v. 3.5.2007. * Enthält ebenfalls die Rezension von Ball, Hugo: Hermann Hesse. Sein Leben und Sein Werk. Hrsg. v. Volker Michels. Wallstein 2006. Mondon, Christine: Michael Limberg, Hermann Hesse. Leben, Werk, Wirkung. In: Ponzi, Mauro (Hrsg.): Hermann-Hesse-Jahrbuch. Band 3. Tübingen 2006. S. 151–153

PONZI, MAURO (HRSG.): HERMANN-HESSE-JAHRBUCH. BAND 3. TÜBINGEN: MAX NIEMEYER 2006 (anonym): Auch scharfe Kritik wird nicht ignoriert. 3. Band des Hermann-Hesse-Jahrbuchs widmet sich unter anderem dem Thema «Hesse als Streitobjekt». In: Calw journal v. 9.11.2007, S. 6.

Hermann-Hesse-Bibliographie 2007

176 PRINZ, ALOIS: «UND JEDEM ANFANG WOHNT EIN ZAUBER INNE». DIE LEBENSGESCHICHTE DES HERMANN HESSE. FRANKFURT/M.: SUHRKAMP 2006 Fassel, Horst: «Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne». Die Lebensgeschichte des Hermann Hesse. In: Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen. Band 48 (2007) Heft 1–2, S. 393.

ROTHFUSS, ULI (HRSG.): ERINNERUNGEN AN UNSEREN VATER HERMANN HESSE. CALW: SPARKASSE PFORZHEIM CALW 2007. Hölle, Hans-Jürgen: Blau ist der Hermann Hesse nicht mehr. Erinnerungen der Söhne neu aufgelegt / Auch Marlies Bodamer kann über ihren Onkel sehr viel erzählen. In: Schwarzwälder Bote v. 28.9.2007. (anonym): Blau ist der Hermann Hesse nicht mehr. «Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse», lautet der Titel eines Buches, das jetzt neu aufgelegt worden ist. Gestern wurde es im Calwer Hesse-Kabinett der Sparkasse Pforzheim Calw vorgestellt. In: Schwarzwälder Bote v. 29.9.2007. (anonym): Das Andenken aufgefrischt. «Erinnerungen an unseren Vater Hermann Hesse» in vierter Aufl age. In: Calw journal v. 12.10.2007, S. 2.

SCHICKLING, MARCO: HERMANN HESSE ALS LITERATURKRITIKER. HEIDELBERG: WINTER 2005. Gajek, Bernhard: Schickling, Marco: Hermann Hesse als Literaturkritiker. In: Germanistik. Band 47 (2006), Heft 3–4, S. 886. Singh, Sikander: Hermann Hesse. Stuttgart: Reclam 2006 Gajek, Bernhard: Singh, Sikander: Hermann Hesse. In: Germanistik. Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen. Band 48 (2007) Heft 1–2, S. 393f..

Tonträger / Elektronische Medien Hermann Hesse. Eine Einführung in Leben und Werk. Gelesen von Max Volkert Martens und C. Bernd Sucher. Berlin: Argon 2007 (Suchers Leidenschaften). Audio CD, 78:07 Min. Ist es Liebe? Die schönsten Geschichten über die Liebe. Hrsg. von Rainer Gü lk. Mü nchen: Der Hörverlag 2007. 1 CompactDisc. Von Hermann Hesse: Ein Erfinder. Gelesen von Volker Risch (Dauer: 12 Minuten). Schönherz & Fleer: Hesse Projekt. Die Welt unser Traum. Textauszüge und Gedichte: Hermann Hesse. Komposition, Arrangement und Produktion: Richard Schönherz und Angelica Fleer. München: Der Hörverlag 2007. 1 CD, 59’. * Das Komponistenduo Schönherz & Fleer inszenierte ausgewählte Gedichte und Prosatexte von Hermann Hesse. Mitwirkende Künstler: Ben Becker, Till Brönner, Ani Choying Drolma, Trilok Gurtu, Matthias Habich, Juliane Köhler, Annett Louisan, Xavier Naidoo, Members of Söhne Mannheims, Caterina Valente, Andreas Vollenweider und Roger Willemsen. Die vollständige Fassung dieser Jahresbibliographie sowie die Bibliographien von 1994–2006 sind im Internet auf der von Prof. Günther Gottschalk betriebenen Hesse-Homepage der University of California, Santa Barbara zu fi nden: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/publications/limberg.html

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Siglen-Verzeichnis GW

= Hermann Hesse, Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Werkausgabe Edition Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1970.

GB

= Hermann Hesse, Gesammelte Briefe 4 Bde., Suhrkamp, Frankfurt a. M., 1973–1986

PMLA = «Publications of the Modern Language Association» (USA). SW

= Hermann Hesse, Sämtliche Werke (in 20 Bänden), hrsg. von Volker Michels, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2001 f.

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Die Autoren dieses Bandes

Prof. Dr. Flavia Arzeni, Universität Rom «La Sapienza» – Fak. Scienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Dr. Helga Esselborn-Krumbiegel, Schreibzentrum Kölner Studentenwerk – Universitätsstr. 16 – D 50937 Köln Prof. Dr. Soon-Kil Hong, Hermann Hesse Society Korea Prof. Dr. Adrian Hsia, McGill University, Montreal, Quebec, Canada – Department of German Studies Michael Limberg, Dechenweg 1 – D 40591 Düsseldorf Christine Mondon, 29 avenue Jules Ferry 16000 Angouleme France Prof. Dr. Mauro Ponzi, Universität Rom «La Sapienza» – Fak. Szienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Prof. Dr. Uli Rothfuss, Kronengasse 9 – D 75365 Calw Kerstin Gräfi n von Schwerin, Eschstr. 6 - D 21762 Otterndorf Prof. Dr. Volker Wehdeking, Hochschule der Medien – Nobelstr. 10 – D 70569 Stuttgart

DE GRUYTER

Jürgen Below

n Hermann Hesse Bibliographie Sekundärliteratur 1899–2007 2007. 5 Bde. Zus. XXXVI, 4032 Seiten. Gebunden. ISBN 978-3-11-018559-1 Hermann Hesse (1877–1962) gehört zu den wichtigsten und meistgelesenen deutschen Schriftstellern des 20. Jahrhunderts. Zu seinem Werk gibt es eine inzwischen unüberschaubare literaturwissenschaftliche Forschung, die hier erstmals bis in die Gegenwart hinein bibliographisch erfasst wird. Die gesamte zu Hesse publizierte deutschsprachige und internationale Sekundärliteratur wird mit ca. 25.000 Titeln abgebildet und systematisch klassifiziert. Die Bibliographie strebt Vollständigkeit an und übertrifft ihre Vorgänger in Bezug auf die Quantität der Belege und die Aktualität der dokumentierten Titel. Sie ist damit das derzeit umfassendste Referenzwerk zu mehr als 100 Jahren Forschungs- und Rezeptionsgeschichte.

www.degruyter.de