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German Pages 288 [285] Year 2015
Kulturwissenschaftliches Institut Jahrbuch 2004
2005-02-09 17-04-08 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S.
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) T00_01 schmutztitel.p 75981361856
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) T00_02 autor.p 75981361896
Kulturwissenschaftliches Institut (Hg.)
Jahrbuch 2004
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) T00_03 innentitel.p 75981361904
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb. ddb.de abrufbar.
© 2005 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Herausgeber: Prof. Dr. Jörn Rüsen, Kulturwissenschaftliches Institut, Essen Redaktion: Sabine Rehorst, Kulturwissenschaftliches Institut, Essen Projektmanagement: Andreas Hüllinghorst, Bielefeld Umschlaggestaltung und Innenlayout: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 3-89942-303-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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) T00_04 impressum.p 75981361968
Inhalt Vorwort
.......................................................
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Erinnerung und Gedächtnis Harald Welzer, Hans Markowitsch, Olaf Jensen, Silvia Oddo, Anne Schwab, Silke Matura Das Alter des Erinnerns – Einige Ergebnisse des interdisziplinären Forschungsprojektes »Erinnerung und Gedächtnis« . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11
Silke Matura Autobiographisches Erinnern bei Zwei-, Drei- und Vierjährigen . . . . . . . . . 26
Center for Interdisciplinary Memory Research Jan Assmann Schrift, Speichergedächtnis und das kulturelle Unbewußte . . . . . . . . . . . . .
43
Harald Welzer Konvergenzzonen zwischen den Disziplinen. Eine Skizze für das Forschungsprogramm des »Center for Interdisciplinary Memory Research« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59
Vergleichende Tradierungsforschung Clauda Lenz, Isabella Matauschek Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Dänemark und Norwegen aus der Perspektive intergenerationeller Tradierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65
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7) T00_05 inhalt.p 75981361992
Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur Ludger Hoffmann Reflexionen über die Sprache: Saussure, Chomsky, Bühler . . . . . . . . . . . . . 79 Lenny Moss Human Nature, the Genetic Fallacy and the Philosophical Reconstruction of Anthropogenesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
Islamische Kultur und moderne Gesellschaft Omar Farouk Bajunid Asian Modernity and Islam in Malaysia: Prime Minister Mahathir Mohamad’s Cultural Discourses and Political Strategies . . . . . . . . . . . . . . . 123 Sami Zubaida Islam in Europe: Political and Cultural Orientations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Farish A. Noor A Second Chance for Malaysia’s »Moderate Islam« Project? . . . . . . . . . . . . 156 Syed Farid Alatas Understanding the Relationship between Islam and Reform: Problems and Approaches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185
Europa: Emotionen – Identitäten – Politik Tina M. Campt New Dangerous Liaisons: Discourses on Europe and Love in the Twentieth Century . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Almira Ousmanova From Soviet Russia with(-out) Love: European Left-Wing Intellectuals between Love and Politics in the 1920-1930s . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210
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7) T00_05 inhalt.p 75981361992
Geisteswissenschaften heute – Anmerkungen zu einer aktuellen Debatte Jörn Rüsen Plädoyer für die Geisteswissenschaften
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
Lutz Wingert Vom Nutzen der Geisteswissenschaften. Vier polemische Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Harald Welzer Die Kavallerie kommt nicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Ludger Heidbrink Die Zukunft der Geisteswissenschaften. Ein Plädoyer für die unternehmerische Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249
Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts Franz-Xaver Kaufmann Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Hanne Straube Die Instrumentalisierung des Manas-Epos für eine nationale Staatsideologie in Kirgistan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Pedro Caldas Die Notwendigkeit der Geschichtswissenschaft: Die Bildungsfrage bei Johann Gustav Droysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
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7) T00_05 inhalt.p 75981361992
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) vakat 008.p 75981362000
Jörn Rüsen: Vorwort | 9
Vorwort
Das vorliegende Jahrbuch des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen präsentiert Ergebnisse der Forschungen, die das Institut im Jahr 2004 durchgeführt hat. Die thematischen Schwerpunkte des Jahrbuchs entsprechen im wesentlichen den Forschungsgruppen und Projekten des Instituts. Diese sind interdisziplinär zusammengesetzt und auf Grundprobleme der Kulturwissenschaften ausgerichtet, die zugleich einen erkennbaren Zusammenhang mit Orientierungsproblemen moderner Gesellschaften aufweisen. In den Themenbereichen »Erinnerung und Gedächtnis« und »Vergleichende Tradierungsforschung« werden Fragen der Gedächtnis- und Tradierungsforschung sowohl hermeneutisch wie empirisch-praktisch behandelt. Die Ausführungen über unser neues »Center for Interdisciplinary Memory Research« präzisieren ihre grundsätzliche und übergreifende Problemstellung. Hirnforschung, Sprachforschung und Philosophie geben den Erträgen des Schwerpunkts »Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur« ein ganz eigenes Gepräge. Hier geht es um ein neues Bild des Menschen, das nicht einseitig und reduktionistisch, wie nur zu oft in den gegenwärtigen Naturwissenschaften, gezeichnet werden soll. Mit den Themen »Islamische Kultur und Moderne Gesellschaft« und »Europa: Emotionen – Identitäten – Politik« treten aktuelle politische Fragen und Entwicklungen in den Vordergrund. Ziel dieser Forschungsprojekte ist es, wissenschaftliche Analysen mit kulturellen Perspektiven zu verbinden, die in die zeitgenössischen Debatten über Europa und den Islam hineinwirken. Wissenschaft steht nach unserem Verständnis in der Pflicht, sich öffentlich zu präsentieren und in die Debatten der Öffentlichkeit zu begeben. Dies schließt auch die Hoffnung auf Resonanz und anknüpfende, weiterführende Gespräche ein. In einem separaten Abschnitt des vorliegenden Jahrbuchs haben wir unser Verständnis vom offensiven und öffentlichkeitsorientierten Charakter der Geisteswissenschaften, die sich nicht dem Krisengerede, sondern der Arbeit an wichtigen Fragen
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9- 10) T00_06 vorwort rüsen.p 75981362008
10 | Vorwort unserer Zeit widmen, in einigen Schlaglichtern dargelegt. Die Geisteswissenschaften sind für eine moderne, differenzierte und reflektierte Gesellschaft unverzichtbar. Sie selbst sind es, die über ihr Profil, ihren Wert und ihren Nutzen bestimmen. Essen, im Dezember 2004
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Jörn Rüsen
9- 10) T00_06 vorwort rüsen.p 75981362008
Harald Welzer et al.: Das Alter des Erinnerns | 11
Erinnerung und Gedächtnis
Das Alter des Erinnerns – Einige Ergebnisse des interdisziplinären Forschungsprojektes »Erinnerung und Gedächtnis« Harald Welzer, Hans Markowitsch, Olaf Jensen, Silvia Oddo, Anne Schwab, Silke Matura
Die interdisziplinäre Forschungsgruppe »Erinnerung und Gedächtnis« arbeitet mit einem multimethodischen Untersuchungsansatz, der es erlaubt, lebensgeschichtlich zentrale Erinnerungen sowohl bezüglich ihrer subjektiven Bedeutung als auch hinsichtlich ihrer neuronalen Korrelate zu analysieren. Im Rahmen dieses Ansatzes werden autobiographische Gedächtnisinhalte hinsichtlich ihrer Genese, ihrer altersspezifischen Verarbeitung sowie hinsichtlich ihrer emotionalen Kodierung untersucht. Neben den empirischen Untersuchungen mit Probanden unterschiedlicher Altersgruppen wurde sekundäranalytisch ein interdisziplinäres Entwicklungsmodell des autobiographischen Gedächtnisses konzipiert, das sowohl die Prozesse der Gehirnreifung wie der Verschaltungsentwicklung als auch die entstehenden Erinnerungskompetenzen und die altersspezifisch möglichen sozialen Interaktionen abbildet. Auf der Basis dieses Modells wurden eine Hauptuntersuchung zur altersspezifischen Gedächtnisverarbeitung sowie Teiluntersuchungen zum autobiographischen Gedächtnis bei kleinen Kindern sowie zum autobiographischen Gedächtnis über die Zeit operationalisiert. Die Ergebnisse zeigen bei älteren Versuchspersonen die hohe Bedeutung des jungen Erwachsenenalters auf der Ebene der subjektiven Repräsentationen und der neuronalen Aktivierungsmuster sowie ein Anwachsen der evaluativen Komponente des autobiographischen
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12 | Erinnerung und Gedächtnis Erinnerns mit dem Alter. Daneben zeigt sich ein relativ geringes Aktivierungsniveau für Erinnerungen aus der frühen Kindheit, obwohl diese narrativ deutlich repräsentiert ist. Dieser Befund weist auf eine zunehmende Semantisierung älterer Erinnerungen im Lebensverlauf hin. Bemerkenswert ist schließlich das spezifische Aktivierungsmuster für Erinnerungen aus der frühen Kindheit in der Stichprobe der jüngeren Erwachsenen, womit sich eine neuronale Entsprechung für die entwicklungspsychologisch postulierte Konstitutionsphase des autobiographischen Gedächtnisses im Alter zwischen drei und sechs Jahren zeigt. Die bislang vorliegenden Ergebnisse weisen mit Nachdruck darauf hin, daß Erinnerungen in der frühen Kindheit anderes als in der späteren Kindheit, in der Adoleszenz und besonders im Erwachsenenalter verarbeitet werden. Bei den bisherigen Untersuchungen hat sich gezeigt, daß es auf der Ebene der neuronalen Aktivierungsmuster zwar signifikante Unterschiede in der altersspezifischen Gedächtnisverarbeitung gibt, daß aber aufgrund prinzipieller Beschränkungen der verwendeten funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) keine Aussagen über die Zeitlichkeit der Verteilung der Aktivierungen beim Abruf autobiographischer Erinnerungen gemacht werden können. Deshalb soll nun ergänzend mit der Magnetencephalographie gearbeitet werden, die eine integrierte Bestimmung der zeitlichen und räumlichen Verteilung der Aktivitätsmuster erlaubt. Zusammengefaßt erlaubt dieses Vorgehen eine integrierte alterskorrelierte Analyse der Gedächtnisentwicklung und -verarbeitung und verspricht gleichermaßen eine substantielle, disziplinübergreifende Theoriebildung wie einen innovativen Beitrag zur Methodologie der Gedächtnisforschung.
Ausgangs- und Zielpunkte Der Modellansatz bio-psychosozialer Entwicklung des autobiographischen Gedächtnisses (vgl. Welzer/Markowitsch 2002, 2004) liefert den theoretischen Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt, die Befunde zur Entwicklungs- und Altersspezifität autobiographischer Erinnerungen sowie zu ihrer jeweiligen emotional basierten Evaluierung bilden den empirischen Ausgangspunkt. Vor diesem Hintergrund wurde ein bio-psycho-soziales Entwicklungsmodell des autobiographischen Gedächtnisses konzipiert, das der Operationalisierung eines interdisziplinären empirischen Zugangs zur Entwicklung und zur altersspezifischen Verarbeitung dienen sollte. Als Ziele wurden formuliert: – –
die sekundäranalytische Konzipierung eines bio-psycho-sozialen Entwicklungsmodells des Gedächtnisses, die Generierung eines Untersuchungsdesigns zur altersspezifischen Gedächtnisverarbeitung und
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–
die Generierung explorativer Teiluntersuchungen zu korrelierten Phänomenbereichen des autobiographischen Gedächtnisses.
Daraus ergab sich ein modulares Projektdesign.
Abbildung 1: Das Projektdesign
Im folgenden geben wir zunächst einen Überblick über die bislang bearbeiteten Module, die gewonnenen Befunde und die daraus resultierenden theorierelevanten Implikationen. Der Befund, daß wesentliche Entwicklungen der Hirnreifung und der neuronalen Verschaltungsstruktur bei Menschen postnatal ablaufen und somit sozial und kulturell geformt sind, bildete den theoretischen Ausgangspunkt unserer Untersuchung der Entwicklung des autobiographischen Gedächtnisses. Allerdings mußte zum Zeitpunkt der Antragstellung – vor dem Hintergrund der
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14 | Erinnerung und Gedächtnis noch kaum gegebenen fachlichen Integration sozialpsychologischer und neurowissenschaftlicher Ansätze – das Vorhaben, ein bio-psycho-soziales Entwicklungsmodell des autobiographischen Gedächtnisses bereitzustellen, noch als besonders schlecht operationalisierbar eingeschätzt werden (vgl. Hüther et al.: 1999: 7). Diese Schwierigkeit konnte erfreulicherweise bewältigt werden. Es ist zunächst sekundäranalytisch ein integratives Modell der Gedächtnisverarbeitung und Gedächtnisrepräsentation über die Lebensspanne entwickelt worden, das Ausreifungsprozesse auf Hirnebene, Umweltinteraktionen und kognitive Entwicklung in einem einheitlichen Rahmen zu beschreiben erlaubt (vgl. Welzer/Markowitsch 2001, 2004, 2005).
Abbildung 2: Biopsychosoziales Modell der Gedächtnisentwicklung (Ausschnitt)
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Ein solches Modell erlaubt eine synoptische Darstellung unterschiedlicher Phasen des ontogenetischen Geschehens und kann einer interdisziplinären Untersuchung des Zusammenwirkens soziokultureller, psychischer und organischer Entwicklungsaufgaben und -vorgänge die Richtung weisen. So sind etwa um den Zeitraum kurz vor Vollendung des ersten Lebensjahres auf der Hirnebene massive Reifungsprozesse des Hippokampus und ebensolche des Stirnhirns zu beobachten, auf der funktionalen Ebene die Entwicklung eines Arbeitsgedächtnisses und verbesserter Gedächtnisleistungen. In exakt demselben Zeitraum entstehen neue soziale Fertigkeiten, wie die gemeinsame Aufmerksamkeit und das Deuten auf Gegenstände, die mit einem entsprechenden Verhalten der sozialen Umwelt beantwortet und unterstützt werden. Vor dem Hintergrund solcher Zusammenhänge kann man begründet annehmen, daß das Arbeitsgedächtnis, das eben ein bestimmtes Niveau der Hippokampus- und Stirnhirnausreifung voraussetzt, seinerseits eine Voraussetzung für den qualitativen Entwicklungssprung der gemeinsamen Aufmerksamkeit (vgl. Tomasello 2002: 71ff.) ist, da für diese die Fähigkeit, den Blick vom Objekt fort- und zur Mutter hinzuwenden, eine notwendige Bedingung ist. Zugleich läßt sich für alle Entwicklungsstufen festhalten, daß die Bezugspersonen ihre impliziten Annahmen über die kognitiven Kompetenzen der Kinder und ihre kommunikativen Anforderungen mit dem Erreichen neuer Fähigkeitsniveaus systematisch erhöhen (show and tell, memory talk; vgl. Nelson 1996; Nelson/Fivush 2000) und damit die Entwicklung des Kindes unterstützen (scaffolding), was wiederum auf die Entwicklung der neuronalen Verschaltungsarchitektur im Hirn des Kindes zurückwirkt. Zudem zeigen sich in der sekundäranalytischen Zusammenschau der entsprechenden Befunde über die ontogenetische Entwicklung hinweg Phasen hoher Verdichtung, in denen auf allen Betrachtungsebenen gleichzeitig viel passiert, und solche relativer Konstanz, weshalb man annehmen kann, daß Phasen hoher Veränderungsdichte Entwicklungssprünge markieren, während die ›ruhigeren‹ Abschnitte eher der Konsolidierung der neuen Erfahrungen und Kompetenzen dienen. Der integrative Zugang zur Gedächtnisentwicklung, den wir hier vorschlagen, scheint uns für ein besseres Verständnis des Zusammenspiels physiologischer und sozialer Faktoren in der Ontogenese fruchtbar zu sein. Der vor diesem Hintergrund operationalisierten Untersuchung der Entwicklung und Veränderung des autobiographischen Gedächtnisses über die Lebensspanne liegt ein nach dem Lebensalter differenzierter Stichprobenplan zugrunde:
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16 | Erinnerung und Gedächtnis
Tabelle 1: Stichproben1 Gruppe
Erwachsene
1)
62-74 Jahre
n=14
Adoleszente
Zeitrahmen 2003 (abgeschlossen)
2) n=14 3)
n=14
38-42 Jahre
Beginn Nov. 2003 20-21 Jahre
2003 (abgeschlossen)
4) n=14 Ges.
16-17 Jahre
Beginn Juli 2004
n=56
Auf der Basis des skizzierten Modells wurden multimethodische Untersuchungen des autobiographischen Gedächtnisses bei älteren und jüngeren Erwachsenen, bei Adoleszenten und bei Kindern durchgeführt, wobei im hier gewählten Ansatz sozialwissenschaftliche Methoden wie das biographische Interview mit psychologischen Gedächtnistests und mit bildgebenden Verfahren kombiniert wurden. An Untersuchungen mit Angehörigen unterschiedlicher Altersgruppen konnte auf diese Weise die subjektive Bedeutung einzelner autobiographischer Erinnerungen rekonstruiert und mit Aktivierungen auf der Hirnebene korreliert werden. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, wie sich die neuroanatomische Aktivierung autobiographischer Erinnerungen im Laufe des Lebens verändert und welche Hirnregionen in das Erinnern autobiographischer Erlebnisse involviert sind. Autobiographische Interviews können aus technischen Gründen nicht während der fMRT-Untersuchungen durchgeführt werden. Deshalb wurden die in den Interviews berichteten und evaluierten Geschichten den Probandinnen auf akustischem Wege als Trigger dargeboten, d.h., die Probandinnen bekamen ihre eigenen Erlebnisse in Form von Kurzbeschreibungen präsentiert und wurden gebeten, sich an diese Erlebnisse und Ereignisse so intensiv wie möglich zu erinnern. Dabei wurden sowohl Erlebnisse als auch Ereignisse nach dem biographischen Zeitpunkt des Erlebens differenziert, als auch biographisch neutrale Ereignisse aus historischen Abschnitten, die dem jeweilig aktualisierten Lebensalter entsprachen, präsentiert, um die Prozessierung von episodischen und semantischen Erinnerungen voneinander unterscheiden zu können. Die Kombination von Methoden aus der sozialwissenschaftlichen und psychologischen Biographieforschung2 mit 1 | In allen Stichproben werden ausschließlich Frauen untersucht, da es aus Kapazitätsgründen unter Berücksichtigung statistischer Notwendigkeiten nicht möglich war, eine ausreichend große gemischte Stichprobe zu untersuchen. 2 | Entlang der Vergleichsparameter Alter, Emotion und biographischer Übergang wer-
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solchen aus der neurowissenschaftlichen Gedächtnisforschung hat sich aus den folgenden Gründen als sehr sinnvoll erwiesen: –
–
–
Mit Hilfe der biographischen Interviews und Ereignisinventare war es möglich, die Messung von Aktivierungsmustern an subjektiv als bedeutsam markierte lebensgeschichtliche Erinnerungen zu binden und sie von semantischen Informationen zu differenzieren. Mit Hilfe des autobiographischen Interviewmaterials können die subjektiven Erinnerungsrepräsentationen und -evaluationen mit den entsprechenden Aktivierungsmustern korreliert werden, was etwa für die Untersuchung des Zusammenhangs von Alter, Emotion und Gedächtnis wichtig ist. Mit einem solchen Vorgehen wird es vermieden, forschungsinduzierte und in diesem Sinn subjektiv irrelevante Aktivierungen von Erinnerungen zu messen, was dem multimethodischen Ansatz eine im Vergleich zu anderen Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren hohe ökologische Validität verleiht.
Erste Ergebnisse Der Vergleich der Altersstichproben ist hochinteressant, weil das gewählte Untersuchungsdesign vertikale und horizontale Vergleichsperspektiven zuläßt: über einen vertikalen Vergleich zwischen den Altersgruppen läßt sich die lebensaltersspezifische Verarbeitung von autobiographischen Gedächtnisinhalten messen; über den horizontalen Vergleich der autobiographischen Retrospektionen der Charakter der jeweils lebensaltersspezifischen Erinnerungen ermitteln, etwa nach den Polen Statik vs. Flexibilität, Neutralität vs. Bedeutsamkeit, Faktizität vs. Evaluation etc. Die ersten Ergebnisse zur altersspezifischen Gedächtnisverarbeitung bieten Anschlußmöglichkeiten zur Erklärung entwicklungs- und sozialpsychologisch den die lebensgeschichtlichen Erlebnisse der Probanden mit der Methode der Qualitativen Inhaltsanalyse aus dem Interviewmaterial extrahiert und intersubjektiv Kategorien zugeordnet. Die (vorläufigen) Hauptkategorien sind zuvor im Rahmen des sog. open coding der Grounded Theory (vgl. Glaser/Strauss 1998) induktiv aus dem Material generiert worden, um den Schwerpunkt der explorativen Analyse auf die Relevanzsetzungen der Befragten zu legen. Das Ergebnis ist ein bereits sehr differenziertes Kategorienschema, das zum einen das Inventar der autobiographischen Geschichten sehr detailliert erfaßt, zum anderen aber auch eine kognitive Ebene im Blick behält, auf der die selbstreflexiven und alltagstheoretischen Äußerungen codiert werden können. Die Affektdimensionen der Erlebnisse und Ereignisse werden dabei über dichotome Zuordnungen erfaßt (positiv/negativ bzw. Ich/Gruppe). Darüber hinaus werden der Detailreichtum und die Systematik der erzählten Episoden in die Analyse miteinbezogen.
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18 | Erinnerung und Gedächtnis beobachtbarer Gedächtnisphänomene: So zeigt sich, daß bei Jugendlichen Erinnerungen aus einem Lebensalter von drei bis sechs Jahren (Kindheit) anders verarbeitet werden als solche aus späteren Lebensphasen (letztes Jahr).
Abbildung 3: fMRT-Aktivitätsprojektionen auf repräsentative ›Glashirnbilder‹: Erinnerungen aus der Kindheit bei Adoleszenten
Abbildung 4: fMRT-Aktivitätsprojektionen auf repräsentative ›Glashirnbilder‹: Erinnerungen des letzten Lebensjahres bei Adoleszenten
Dies weist darauf hin, daß das autobiographische Gedächtnis tatsächlich erst nach den ersten drei Lebensjahren entsteht und nach dem sechsten Lebensjahr zu einer relativ stabilen Verarbeitungsform findet. Zudem würde sich hier ein Erklärungsansatz für die ›frühkindliche Amnesie‹ finden, für das wohlbekannte Phänomen
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also, daß uns Erinnerungen aus der Zeit vor dem dritten oder vierten Lebensjahr nicht zugänglich sind. Ein Gedächtnissystem, das Erlebtes auf ein kontinuierliches Ich bezieht und mentale Zeitreisen zwischen gestern, heute und morgen erlaubt, ist in der frühen Kindheit noch gar nicht vorhanden.
Abbildung 5: fMRT-Bilder Gruppe 1 (62-74 Jahre)
Abbildung 6: fMRT-Bilder Gruppe 2 (20-21 Jahre)
Bei alten Menschen scheint es so zu sein, daß länger zurückliegende Ereignisse (Abb. 5, Gruppe 1, Mittleres Erwachsenenalter) stabiler und auch intensiver erin-
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20 | Erinnerung und Gedächtnis nert werden als kürzer zurückliegende (Abb. 5, Gruppe 1); sie bekommen einen statischeren, abgeschlossenen Charakter und werden veränderungs- und vielleicht auch reflexionsresistent. Kürzer zurückliegende Erinnerungsinhalte scheinen mit zunehmendem Lebensalter immer unwichtiger zu werden und die evaluative Dimension des Erinnerns immer weiter zuzunehmen. Bei den jugendlichen Probanden hingegen werden die unmittelbaren Ereignisse (Abb. 6, Gruppe 2, Letztes Jahr) intensiver (und emotionaler, rechte Hemisphere) erinnert als weiter zurückliegende (Abb. 6, Gruppe 2, Spätere Adoleszenz). Deutlich ist in der Gruppe der Älteren (Abb. 5, Gruppe 1) zudem das hohe Aktivierungsniveau für die Phase des frühen Erwachsenenalters, und zwar sowohl auf der Ebene der narrativen Repräsentation wie auf der Ebene der Aktivierungsmuster. Dieser Befund paßt gut zu dem in der Literatur für dieses Alter vielfach beschriebenen reminiscence bump (vgl. etwa Schacter 1996). Zusammenfassend läßt sich zur altersspezifischen Verarbeitung von autobiographischem Gedächtnis in horizontaler und vertikaler Perspektive sagen, daß nach unserem bisherigen Ergebnisstand die folgenden Befunde besonders auffällig sind: 1. 2.
3.
4.
5.
die relative Bedeutungslosigkeit von recent memories bei den älteren Probandinnen (und die hohe Bedeutung für Adoleszente); die hohe Bedeutung des jungen Erwachsenenalters bei den älteren Probandinnen sowohl auf der Ebene der subjektiven Repräsentationen als auch auf der Ebene der neuronalen Aktivierungsmuster; das Wachsen der evaluativen Komponente des autobiographischen Erinnerns, sowohl auf der Ebene der narrativen Repräsentation als auch auf der Ebene der neuronalen Aktivierungsmuster; das geringe Aktivierungsniveau für Erinnerungen aus der frühen Kindheit in der Stichprobe der älteren Probandinnen, obwohl diese narrativ deutlich repräsentiert ist. Dieser Befund weist auf eine zunehmende Semantisierung älterer Erinnerungen im Lebensverlauf hin. Bemerkenswert ist schließlich das spezifische Aktivierungsmuster für Erinnerungen aus der frühen Kindheit in der Stichprobe der jüngeren Erwachsenen. Dieser Befund ist aus unserer Sicht bemerkenswert, weil wir hier eine neuronale Entsprechung für die entwicklungspsychologisch postulierte Konstitutionsphase des autobiographischen Gedächtnisses im Alter zwischen drei und sechs Jahren finden.
All dieses zeigt, daß insbesondere die in unserem Projekt gegebene Möglichkeit, die Altersspezifität des autobiographischen Gedächtnisses neurowissenschaftlich zu belegen und sozialwissenschaftlich-phänomenologisch zu beschreiben, offensichtlich vielfältige Anregungen für weitere Forschungen geben kann, da sie sowohl neurowissenschaftliche Systematisierungen des Gedächtnisses informiert als
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auch wichtiges Grundlagenwissen etwa für die Biographie- und Zeitzeugenforschung liefert. Die bisher vorliegenden Ergebnisse weisen mit Nachdruck darauf hin, daß es äußerst lohnend sein wird, das autobiographische Gedächtnis gleichsam in statu nascendi, also anhand der Kinder- und Jugendlichenstichproben zu untersuchen und die daraus resultierenden Ergebnisse mit denen aus den Erwachsenenstichproben zu vergleichen. Auf diese Weise wird es zum einen möglich sein, die Entwicklung des autobiographischen Gedächtnisses bis zum jungen Erwachsenenalter und seine Veränderungen über die Lebensspanne zu beschreiben und insgesamt eine empirisch gesättigte Theorie des autobiographischen Gedächtnisses zu entwickeln, die gleichermaßen für die neurowissenschaftliche Differenzierung von Gedächtnissystemen undfür das kulturwissenschaftliche Verständnis des autobiographischen Gedächtnis relevant ist. Nach dem gegenwärtigen Stand unserer Forschung würden wir dafür votieren, das autobiographische Gedächtnis als das hierarchisch am höchsten angesiedelte System zu definieren, das die individuumsbezogene Funktion hat, die Inhalte des episodischen und semantischen Gedächtnisses nach einer selbstbezogenen Matrix zu synthetisieren und auf der Ebene des Sozialen jene Synchronisierung zu gewährleisten, der hoch arbeitsteilige und individualisierte Gesellschaften notwendig bedürfen. In beiden Perspektiven erscheint das autobiographische Gedächtnis als ein Wandlungskontinuum, daß Kontinuität bei gleichzeitiger permanenter Veränderung und Entwicklung gewährleistet (vgl. Markowitsch/Welzer 2005).
Teiluntersuchungen Autobiographisches Erinnern bei kleinen Kindern (»Nelson-Studie«) In dieser Exploration wurde untersucht, ob autobiographisches Erinnern bei zwei-, drei- bzw. vierjährigen Kindern vorliegt (n=28, Jungen und Mädchen). Überprüft wurden dabei Erinnerungen an ein aktuelles Ereignis (48 Std. zurückliegend) und an Ereignisse, die ein halbes bzw. ein Jahr zurücklagen. Da das autobiographische Gedächtnis eng mit der Entwicklung eines Selbstkonzepts verbunden ist, wurde darüber hinaus untersucht, ab welchem Alter die Kinder sich auf aktuellen und älteren Fotos selbst wieder erkennen konnten. Bei den Erinnerungsleistungen aller Altersgruppen zeigte sich ein deutlicher temporaler Gradient. Alle Zweijährigen konnten das aktuelle Ereignis erinnern, hatten aber kaum Erinnerungen an das Ereignis, das sechs Monate zuvor stattgefunden hatte, und (mit einer Ausnahme) keinerlei Erinnerungen an das, was vor einem Jahr geschehen war. Auch bei den Dreijährigen war das aktuelle Ereignis vollständig präsent; die älteren Erinnerungen dagegen noch stark abnehmend. Erst die Vierjährigen zeigten gute Erinnerungen sowohl für die aktuellen wie für
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22 | Erinnerung und Gedächtnis die länger zurückliegenden Ereignisse. Dieser Befund korrespondiert einerseits mit dem in der Literatur vielfältig beschriebenen Entstehen des autobiographischen Gedächtnisses mit dem vierten Lebensjahr, andererseits mit unseren Befunden der spezifischen Aktivierungsmuster von Erinnerungen aus der Zeit der frühen Kindheit (drei bis sechs Jahre). Interessanterweise nannten bei der Fotobefragung die Zweijährigen jeweils ihren Namen, wenn sie nach dem Kind auf dem Bild gefragt wurden, während ein Großteil der Dreijährigen und fast alle Vierjährigen das Personalpronomen ›Ich‹ verwendeten, wenn sie beantworten sollten, wer auf den Fotos zu sehen sei. Dies ist als Hinweis darauf zu interpretieren, daß dem Selbsterkennen in den frühen Jahren noch kein Selbstkonzept zugrunde liegt; das Kind adressiert sich gewissermaßen so, wie es vom sozialen Umfeld adressiert wird, demgegenüber es noch keine eigene Positionalität ausgebildet hat. Man könnte auch sagen, daß hier noetisch (semantisch) erinnert wird, aber noch nicht autonoetisch (autobiographisch). Autobiographisches Gedächtnis über die Zeit In der Teiluntersuchung »Autobiographisches Gedächtnis über die Zeit«, die die Frage verfolgt, wie ein kritisches Lebensereignis (Flucht aus der DDR) nach mehr als einem Jahrzehnt im Vergleich zur Zeit unmittelbar nach dem Ereignis erinnert wird, ist ein Kategoriensystem entwickelt worden, das der Auswertung der bislang erhobenen Interviews zugrunde liegt. Die bisherigen Auswertungen deuten die folgenden Tendenzen an: –
–
–
Die Fakten des damaligen Fluchtgeschehens werden weitgehend identisch erinnert; fast alle Details können im freien Abruf auch noch nach mehr als zehn Jahren wiedergegeben werden. Erinnerungsimporte, false memories, Erinnerungslücken sind so gut wir gar nicht zu verzeichnen. Beträchtliche Unterschiede finden sich auf den Ebenen der retrospektiven Begründung der damaligen Fluchtentscheidung, der Verknüpfung von Ereignissen und vor allem der Bewertung des kritischen Lebensereignisses. Die erhebliche Zunahme der evaluativen Dimension hat vermutlich zum einen mit dem gestiegenen Lebensalter der Befragten zu tun (vom jungen zum mittleren Erwachsenenalter), zum anderen mit der zwischenzeitlich erfolgten Integration in den neuen Lebenszusammenhang und dem Einnehmen einer konsolidierten psychosozialen Position. Diese Befunde sind in hohem Maße anschlußfähig an die Ergebnisse der Hauptuntersuchung, die ebenfalls auf ein Anwachsen der Evaluierungsdimension mit steigendem Lebensalter hinweist. Auffällig sind weiterhin Unterschiede in der Verwendung von Pronomen. War in den Erstinterviews 1989 im Zusammenhang des kritischen Lebensereignisses ›Flucht‹ ausschließlich die verallgemeinerte Perspektive des ›man‹
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präsent, ist die Erzählposition zum jüngsten Befragungszeitpunkt im Jahr 2002 das ›Ich‹, das evaluativ auf eine abgeschlossene Phase der Lebensgeschichte zurückblickt. Insgesamt erweist sich diese Teiluntersuchung als außerordentlich fruchtbar, weil wir zum einen überraschende Ergebnisse hinsichtlich der Stabilität autobiographischer Faktenerinnerungen finden, die dem Postulat eines hochgradigen Konstruktivismus des autobiographischen Gedächtnisses zuwiderlaufen (vgl. etwa Welzer 2002); zum anderen, weil sie die Evaluierungs- und Semantisierungstendenz mit zunehmendem Lebensalter unterstreichen. Das Teilprojekt soll fortgesetzt werden, da noch nicht alle Personen der vorgesehenen Stichprobe erneut erreicht werden konnten.
Ausblick Im ursprünglichen Projektdesign war geplant, von den älteren Probandinnen absteigend die jüngeren Altersstichproben zu untersuchen und die Untersuchung von Kindern der zweiten Projektphase vorzubehalten, da es sinnvoll erschien, zunächst den multimethodischen Untersuchungsansatz zu evaluieren, bevor er auf die aus verschiedenen Gründen anspruchsvollste Stichprobe der Kinder angewendet werden könnte. Diese Entscheidung hat sich sowohl vor dem Hintergrund der bislang gewonnenen Befunde als auch wegen zwischenzeitlich verbesserter Untersuchungsinstrumente als ausgesprochen glücklich erwiesen. Zum einen weisen die bislang vorliegenden Ergebnisse mit Nachdruck darauf hin, daß Erinnerungen in der frühen Kindheit anders verarbeitet werden als in der späteren Kindheit, in der Adoleszenz und besonders als im Erwachsenenalter. Die Untersuchung der entsprechenden Stichproben von Kindern und Adoleszenten wird mithin einen substantiell neuen Beitrag zur Beschreibung der Entwicklung des autobiographischen Gedächtnisses leisten. Zum anderen hat sich bei den bisherigen Untersuchungen gezeigt, daß es auf der Ebene der neuronalen Aktivierungsmuster zwar signifikante Unterschiede in der altersspezifischen Gedächtnisverarbeitung gibt, daß wir aber aufgrund prinzipieller Beschränkungen der fMRT keine Aussagen über die Zeitlichkeit der Verteilung der Aktivierungen beim Abruf autobiographischer Erinnerungen machen können. Dieses technisch begründete Defizit ist auch in den Diskussionen auf den Workshops und insbesondere im Rahmen der internationalen Tagung diskutiert worden und hat uns zu der Entscheidung geführt, im zweiten Projektabschnitt neben der fMRT auch die Magnetencephalographie einzusetzen, die in den letzten Jahren erhebliche technische Verbesserungen erfahren hat und mittlerweile als
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24 | Erinnerung und Gedächtnis höchst probates Instrument in der Gedächtnisforschung gilt (vgl. etwa Conway et al. 2001; Roberts et al. 2000). Hauptziel der weiteren Untersuchungen mittels Magnetencephalographie ist die Aufdeckung zeitlich-räumlicher Abläufe bei der Generierung und dem Abruf autobiographischer Erinnerungen und damit die Entscheidbarkeit, wo dabei im Gehirn welche Regionen oder Netzwerke in welcher Konstellation, Sequenz und Dauer aktiviert werden. Dadurch soll es möglich werden, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen eher ›automatisch‹ generierten und emotionslosen oder emotionsarmen Gedächtnisinhalten und solchen, die emotionsgeladen sind, zu bestimmen, und zwar wiederum im Vergleich der unterschiedlichen Lebensalter. Des weiteren streben wir an, hirnphysiologische und zeitabhängige Korrelate für positiv und negativ besetzte Gedächtnisinhalte zu erhalten. Diese Ergebnisse ließen sich mit unseren bisherigen, mit der Methode der fMRT erhaltenen vergleichen. Auch sollen Unterschiede in der Generierung und im Abruf autobiographischer Erinnerungen in Abhängigkeit vom Lebensalter der Person und in Abhängigkeit vom ›Alter‹ der Erinnerung (also davon, ob die Erinnerung aus Kindheit, Jugendzeit oder den jüngst zurückliegenden Jahren stammt) aufgezeigt werden. Weiterhin möchten wir hirnphysiologische Korrelate für nur gestört oder unzureichend oder unvollkommen abrufbare Erinnerungen gegenüber solchen auffinden, die eine emotional-kognitiv integrierte Entität darstellen.
Literatur Conway, M.A./Pleydell-Pearce, C.W./Whitecross, S.E. (2001): »The Neuroanatomy of Autobiographical Memory: A Slow Cortical Potential Study of Autobiographical Memory Retrieval«, in: Journal of Memory and Language 45, S. 493-524. Glaser, B.G./Strauss, A.L. (1998): Grounded Theory. Strategien qualitativer Forschung, Bern: Huber. Huether, G./Adler, L./Ruther, E. (1999): »Die neurobiologische Verankerung psychosozialer Erfahrungen«, in: Zeitschrift für psychosomatische Medizin 45, S. 217. Markowitsch, Hans J./Welzer, Harald (2005): Die Entstehung des menschlichen Gedächtnisses, Stuttgart: Klett-Cotta. Nelson, K. (1996): Language in Cognitive Development. The Emergence of the Mediated Mind, Cambridge: Cambridge University Press. Nelson, K./Fivush, R. (2000): »Socialisation of Memory«, in: E. Tulving/F.I.M. Craik (Hg.), The Oxford Handbook of Memory, Oxford: Oxford University Press, S. 283-295). Roberts, T.P.L./Disbrow, E.A./Roberts, H.C./Rowley, H.A. (2000): »Quantification and Reproducibility of Tracking Cortical Extent of Activation by Use of Func-
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26 | Erinnerung und Gedächtnis
Autobiographisches Erinnern bei Zwei-, Drei- und Vierjährigen Silke Matura
Einleitung Das autobiographische Gedächtnis gehört zu den Langzeitgedächtnissystemen und speichert unsere persönlichen Erinnerungen. Die Inhalte des autobiographischen Gedächtnissystems sind stets zeit- und kontextbezogen, von emotionaler Natur und gestatten uns stets eine gedankliche ›Reise‹ in die individuelle Vergangenheit (vgl. Tulving 1995; Markowitsch 2002). Nach Tulving (1983) stellt das autobiographische Gedächtnis ein Subsystem des episodischen Gedächtnisses dar. Episodisches und somit auch autobiographisches Erinnern ist an eine spezielle Form des Bewußtseins, namentlich an das autonoetische (sich selbst erkennende) Bewußtsein geknüpft. Die Erinnerung ist demnach durch das Gefühl geprägt, ein Ereignis erlebt zu haben, und nicht nur durch das Wissen, daß es stattgefunden hat (vgl. ebd.). Die meisten Menschen haben kaum Erinnerungen an Ereignisse, die vor ihrem dritten Lebensjahr stattgefunden haben, ein Phänomen, das man mit ›kindlicher Amnesie‹ bezeichnet. Untersuchungen zur kindlichen Amnesie weisen trotz unterschiedlicher Untersuchungstechniken erstaunlich hohe Übereinstimmungen auf, was das Einsetzen erster autobiographischer Erinnerungen betrifft. In Befragungen von amerikanischen College-Studenten fanden Kihlstrom und Harackiewicz (1982) für den Beginn der frühsten autobiographischen Erinnerung ein Durchschnittsalter von 3,2 Jahren, Mullen (1994) ein Durchschnittsalter von 4,0 Jahren und Howes, Siegel und Brown (1993) ein Durchschnittsalter von 3,0 Jahren für Frauen und 3,4 Jahren für Männer. Weiterhin stellten Usher und Neisser
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(1993) fest, daß Erinnerungen, die aus der Zeit vor dem vierten Lebensjahr existieren, verarmt und unvollständig sind. Die Entstehung der kindlichen Amnesie wird zunehmend anhand entwicklungstheoretischer Aspekte erklärt. Die ersten Erinnerungen fallen in eine Zeit, in der sich zahlreiche kognitive Fähigkeiten entwickeln, insbesondere erfolgen in dieser Zeit große Fortschritte in der Sprachentwicklung. Die einflußreichsten Theorien betonen die Rolle der Sprachentwicklung (vgl. Nelson 1993, 1996) und die Entstehung eines Selbstkonzeptes (vgl. Howe/Courage 1993, 1997) für die Entwicklung des autobiographischen Gedächtnisses. In der vorliegenden Studie wird überprüft, ab welchem Alter kleine Kinder in zusammenhängender Form von vergangenen Ereignissen sprechen und sie in einem örtlich-zeitlichen Kontext situieren können. Darüberhinaus wird untersucht, ab welchem Alter sich Kinder auf Fotografien wiedererkennen und so von dem Vorhandensein eines kognitiven Selbst gesprochen werden kann.
Theoretischer Hintergrund Die Rolle der Sprachentwicklung Der Erwerb der Sprache spielt nach Nelson (1993, 1996) eine entscheidende Rolle für die Ausbildung des autobiographischen Gedächtnisses. Um Erinnerungen weitergeben zu können, muß das Kind lernen, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen, in der wichtige spezifische Details, wie ›wo‹, ›wer‹ und ›warum‹, integriert sind. Es muß lernen, diejenigen Teile der Geschichte, die für den Zuhörer wichtig und interessant sein könnten, hervorzuheben und solche, die nur von idiosynkratischer Bedeutung sind, wegzulassen. Kurz nach dem Erwerb der ersten Wörter, etwa im Alter zwischen 16 und 20 Monaten beginnen Kinder über vergangene Ereignisse zu sprechen (vgl. Eisenberg 1985). Zunächst beziehen sie sich lediglich auf unmittelbare Ereignisse (vgl. Sachs 1983; zit. n. Nelson/Fivush 2001) und auf Routineaktivitäten (Nelson, 1989). In den frühen Gesprächen mit Kleinkindern bestimmen die erwachsenen Gesprächspartner, zumeist die Eltern, die Struktur und den Inhalt des Erzählens. Im wesentlichen berichten die Eltern über ein Erlebnis und die Kinder bestätigen oder wiederholen die elterlichen Erzählungen (vgl. Nelson/Fivush 2001). Mit Beginn des zweiten Lebensjahres können Kinder zunehmend mehr zu den Erzählungen beitragen, da sie in der Lage sind, ausführlicher auf gezielte Fragen zu antworten. Im Alter von drei Jahren können manche Kinder relativ zusammenhängend über Vorkommnisse in der Vergangenheit berichten (vgl. Fivush et al. 1987) und beginnen auch ohne Fragen der Erwachsenen, über vergangene Ereignisse zu sprechen (vgl. Hudson/Shapiro 1991; zit. n. Nelson/Fivush 2001).
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28 | Erinnerung und Gedächtnis Nach Nelson (1993, 1996) dient Sprache nicht nur dazu, Erfahrungen zu wiederholen und bestimmte Aspekte einer Erfahrung hervorzuheben, die dann später leichter erinnert werden, sondern hat auch eine Wiederherstellungsfunktion (reinstatement function). Die Erzählungen einer anderen Person können Nelson (1993, 1996) zufolge dazu führen, daß eine Erinnerung im Gedächtnis wieder hergestellt wird. Dazu muß das Kind erkennen, daß es sich bei der sprachlichen Darstellung eines Ereignisses durch eine andere Person um eine vorangegangene Erfahrung handelt, an der es selbst teilhatte. Es muß folglich die Repräsentation eines anderen in das eigene repräsentative System (Gedächtnis) integrieren. Diese Fähigkeit setzt die Beherrschung von Sprache als ein repräsentatives Medium und nicht mehr nur als Werkzeug zur Kommunikation voraus. Nach Nelson ist die Sprachentwicklung erst im späten Vorschulalter (vier bis fünf Jahre) so weit vorangeschritten, daß Sprache eine Wiederherstellungsfunktion übernehmen kann.
Die Rolle des Selbstkonzeptes Nach dem Ansatz von Howe und Courage (1993, 1997) wird autobiographisches Erinnern erst durch die Entstehung eines kognitiven Selbst ermöglicht. Das kognitive Selbst stellt das Selbstkonzept eines Individuums dar, in dem das Wissen über persönliche Eigenschaften gespeichert ist. Es dient als Rahmen, um Erfahrungen als persönlich erlebt abzuspeichern und abzurufen (vgl. Howe/Courage 1993, 1997). Der wichtigste Indikator für das Vorhandensein eines kognitiven Selbst ist das Wiedererkennen des Selbst im Spiegel (vgl. ebd. 1993, 1997). Am häufigsten wird Selbsterkennen untersucht, indem man heimlich einen Rougefleck auf dem Gesicht des Kindes hinterläßt und beobachtet, ob das Kind den Fleck im eigenen Gesicht berührt. In der Regel zeigen Kinder bei diesem Test erstmals im Alter zwischen 18 und 24 Monaten Anzeichen dafür, daß sie sich selbst im Spiegel wieder erkennen (z.B. Berthenthal/Fischer 1987). Im gleichen Zeitraum entwickeln Kinder auch weitere Verhaltensweisen, die darauf schließen lassen, daß sie sich nun ihrer selbst gewahr sind (z.B. schüchternes Lächeln oder Vermeidung von Blickkontakt). Das kognitive Selbst hat einen Einfluß darauf, wie eine Situation interpretiert wird und welche Merkmale der Situation als persönlich relevant betrachtet und eingespeichert werden. Nach Howe und Courage (1993, 1997) ist das kognitive Selbst eine Kategorie, die dazu dient, Erinnerungen durch einen Selbstbezug zu organisieren und zu strukturieren. Je mehr Merkmale in das kognitive Selbst integriert werden, desto mehr Dinge können als persönlich relevant interpretiert und erinnert werden. Zwar erinnern Kinder auch schon bestimmte Episoden bevor sie ein kognitives Selbst entwickelt haben, allerdings fehlt diesen Erinnerungen der Selbstbezug. Das heißt, den Kindern ist nicht bewußt, daß sie selbst Teil des Ereignisses waren, weil ihrer Gedächtnisspur die selbstbezogenen Merkmale fehlen.
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In das autobiographische Gedächtnis gehen vor allem solche Ereignisse ein, die eine hohe persönliche Relevanz aufweisen. Da das Selbstkonzept in früher Kindheit noch sehr unreif ist, gehen viele Kindheitserinnerungen aufgrund des mangelnden Selbstbezugs und somit der mangelnden Relevanz verloren. Die infantile Amnesie ist folglich eine Konsequenz der Unfähigkeit, solche Merkmale in die Gedächtnisspur zu integrieren, die ein Ereignis als selbst erlebt kennzeichnen (vgl. Howe 2000; Howe/Courage 1993, 1997).
Methodik Im folgenden wird die Studie näher erläutert, um dann die Ergebnisse darzustellen.
Untersuchungsgruppen An der Untersuchung nahmen 28 Kinder im Alter zwischen zwei und vier Jahren teil; darunter – – –
5 Mädchen und 5 Jungen im Alter von 2 Jahren 4 Mädchen und 4 Jungen im Alter von 3 Jahren 5 Mädchen und 5 Jungen im Alter von 4 Jahren
Alle Kinder kamen aus Mittelklassefamilien und hatten Deutsch als Muttersprache.
Vorgehen Die Versuchsleiterin besuchte zunächst jedes Kind. Bei diesem ersten Treffen spielte die Versuchsleiterin mit jedem Kind (Domino oder das Käferspiel) und fotografierte es. Zwei Tage später wurde die Untersuchung durchgeführt. Das Kind bekam zunächst das aktuelle Foto vorgelegt, das zwei Tage zuvor von ihm gemacht worden war. Es wurde anhand der Frage »Weißt du, wer das ist?« überprüft, ob sich das Kind auf dem Bild wiedererkennt. Anschließend wurden dem Kind verschiedene Fragen zum ersten Besuch der Versuchsleiterin gestellt: 1.
2. 3.
Weißt Du noch, was wir gemacht haben, als ich das letzte Mal da war? (Wird das Ereignis erinnert? Hier handelt es sich um eine offene Frage, anhand der auch die verbalen Fähigkeiten des Kindes überprüft werden können.) Wer war da noch alles dabei? (Ereignisbezogene Frage) Wo haben wir gespielt? (Kann das Ereignis örtlich zugeordnet werden?)
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30 | Erinnerung und Gedächtnis 4. Wie alt warst du da? (Kann das Ereignis zeitlich eingeordnet werden?) 5. Hat das Spaß gemacht? (Hat die Erinnerung eine emotionale Färbung?) 6. Würdest du das gerne noch mal machen (Hat die Erinnerung eine emotionale Färbung?) Der gleiche Vorgang wurde anschließend mit einem sechs Monate alten Foto und mit einem ein Jahr alten Foto wiederholt, das das Kind entweder bei einem Ausflug, einem Urlaub oder einem Kindergeburtstag abbildete (die Fotos wurden von den Eltern gestellt).
Ergebnisse Selbsterkennen Alle Kinder erkannten sich selbst auf den Fotos, unabhängig vom Alter der Fotos, wieder.
Tabelle 1: Selbsterkennen auf den Fotos
aktuell
1
/2 Jahr
1 Jahr
Jungen
Mädchen
Jungen
Mädchen
Jungen
Mädchen
2 Jahre
2 Jahre
3 Jahre
3 Jahre
4 Jahre
4 Jahre
100%
80% (n=4) 50% (n=2) 25% (n=1)
40% (n=2) 40% (n=2)
(Name)
(Name)
(Name)
(Name)
(Name)
(Name)
20% (n=1) 50% (n=2) 75% (n=3)
60% (n=3) 60% (n=3)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
100%
80% (n=4) 75% (n=3)
100%
20% (n=1) 100%
(Name)
(Name)
(›Ich‹)
(Name)
(Name)
20% (n=1) 25% (n=1)
80% (n=4)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
100%
80% (n=4) 75% (n=3)
100%
20% (n=1) 100%
(Name)
(Name)
(»Ich«)
(Name)
(Name)
20% (n=1) 25% (n=1)
80% (n=4)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
(›Ich‹)
Auffällig war, daß alle zweijährigen Jungen (n=5) und nahezu alle zweijährigen Mädchen (n=4) ihren Namen nannten, wenn sie nach der Person auf dem Bild gefragt wurden (unabhängig vom Alter des Bildes). Bei den Drei- und Vierjährigen traten Geschlechtsunterschiede auf: Die Hälfte der dreijährigen Jungen bezeich-
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nete sich auf dem aktuellen Bild mit ›ich‹. Nur noch einer der vier Jungen verwendete das Personalpronomen, wenn er sich auf älteren Bildern wiedererkannte, die anderen drei Jungen hingegen nannten ihren Namen. Dagegen bezeichneten sich dreiviertel der dreijährigen Mädchen auf dem aktuellen Bild und alle auf älteren Bildern mit ›ich‹: Bei den vierjährigen Jungen bezeichneten sich 60 Prozent auf dem aktuellen Bild und 80 Prozent auf älteren Bildern mit ›ich‹. Die vierjährigen Mädchen bezeichneten sich zu 60 Prozent auf dem aktuellen Bild und alle auf älteren Bildern mit ›ich‹. Die Ergebnisse weisen darauf hin, daß sich bei den Mädchen im Alter von drei Jahren ein kognitiver Entwicklungsschritt vollzieht, der es ihnen erlaubt, ihr Abbild mit der internalen Repräsentation ihrer Selbst (dem ›Ich‹) in Verbindung zu bringen. Bei den untersuchten Jungen war dieser Entwicklungsschritt erst im Alter von vier Jahren zu erkennen. Interessanterweise verwendeten nach Aussagen der Mütter aller zweijährigen Jungen und Mädchen das Personalpronomen ›ich‹ in anderen Kontexten (z.B. ›Ich will spielen‹ oder ›Ich habe Hunger‹). Das heißt, die Verwendung des eigenen Namens bei der Bezeichnung ihrer selbst ist wahrscheinlich nicht Ausdruck mangelnder verbaler Fähigkeiten, sondern möglicherweise Ausdruck eines sich erst ausprägenden Selbstkonzeptes.
Erinnerung an ein Ereignis Ob und wie Ereignisse erinnert und berichtet wurden, war stark abhängig vom Alter des Kindes und von der Zeit, die zwischen der Untersuchung und dem Ereignis verstrichen war (vgl. Tab. 2).
Tabelle 2: Erinnerung an Ereignisse unterschiedlichen Alters Vergange- Jungen
Mädchen
Jungen
Mädchen
Jungen
Mädchen
ne Zeit
2 Jahre
2 Jahre
3 Jahre
3 Jahre
4 Jahre
4 Jahre
2 Tage
100%
100%
100%
100%
100%
100%
(n=5)
(n=5)
(n=4)
(n=4)
(n=5)
(n=5)
40%
40%
50%
75%
100%
100%
(n=2)
(n=2)
(n=2)
(n=3)
(n=5)
(n=5)
0%
20%
50%
25%
60%
80%
(n=0)
(n=1)
(n=2)
(n=1)
(n=3)
(n=4)
1
/2 Jahr
1 Jahr
Das aktuelle Ereignis (Spiel mit der Versuchsleiterin), das zum Zeitpunkt der Befragung zwei Tage zurücklag, wurde von den Kindern aller Altersgruppen ausnahmslos erinnert. Dagegen erinnerten nur noch 40 Prozent der zweijährigen
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32 | Erinnerung und Gedächtnis Mädchen und Jungen ein Ereignis, das ein halbes Jahr zurück lag und nur eines der Kinder ein Ereignis, das ein ganzes Jahr zurück lag. Die Hälfte der dreijährigen Jungen und dreiviertel der dreijährigen Mädchen erinnerten ein Ereignis, das ein halbes Jahr zurück lag. Ebenfalls die Hälfte der dreijährigen Jungen und lediglich ein Viertel der dreijährigen Mädchen erinnerten ein Ereignis, das ein ganzes Jahr her war. Die Erinnerungsleistungen der vierjährigen Jungen und Mädchen für Ereignisse, die ein halbes Jahr zurück lagen, waren dagegen sehr gut: Alle untersuchten Vierjährigen konnten Erinnerungen an das Ereignis berichten. Auch bei den langfristigen Erinnerungen schnitten die Vierjährigen weitaus besser ab als die Jüngeren: 60 Prozent der Jungen und 80 Prozent der Mädchen hatten noch Erinnerungen an ein Ereignis, das ein ganzes Jahr zuvor stattgefunden hatte. Wie sich bereits in mehreren Untersuchungen zur infantilen Amnesie gezeigt hat (vgl. meine Einleitung), scheinen Kinder vor dem Alter von drei Jahren noch keine lange überdauernden Erinnerungen an persönlich bedeutsame Ereignisse zu formen. Die Erinnerungen von Dreijährigen an länger zurückliegende Ereignisse sind häufig fragmentarisch und weitgehend von spezifischen Hinweisen des Gesprächspartners abhängig (vgl. Interviews im Anhang). Der Erzählstil der Vierjährigen ist flüssiger und auch Erinnerungen an länger zurückliegende Ereignisse sind häufiger vorhanden. Im Alter von vier Jahren beginnen Kinder, eine narrative Form auszubilden, die es ihnen ermöglicht, Ereignisse in sprachlicher Form mit ihrer sozialen Umwelt zu teilen. So werden Erinnerungen an Ereignisse immer wieder aufgefrischt und gewinnen an Bedeutung, was letztendlich zu lang überdauernden Erinnerungen führt.
Örtlicher Kontext eines Ereignisses Wenn ein Ereignis erinnert wurde, konnten die Kinder aller Altersgruppen auch den Ort des Ereignisses erinnern.
Tabelle 3: Kontext des Ortes eines Ereignisses Vergange- Jungen
Mädchen
Jungen
Mädchen
Jungen
Mädchen
ne Zeit
2 Jahre
2 Jahre
3 Jahre
3 Jahre
4 Jahre
4 Jahre
2 Tage
80%
80%
100%
100%
100%
100%
(n=4)
(n=4)
(n=4)
(n=4)
(n=5)
(n=5)
40%
20%
50%
50%
80%
100%
(n=2)
(n=1)
(n=2)
(n=2)
(n=4)
(n=5)
0%
0%
25%
25%
60%
80%
(n=0)
(n=0)
(n=1)
(n=1)
(n=3)
(n=4)
1
/2 Jahr
1 Jahr
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Für das aktuelle Ereignis konnten 80 Prozent der zweijährigen Jungen und Mädchen und alle der Drei- und Vierährigen den Ort nennen, an dem dieses Ereignis stattgefunden hatte. Für länger zurückliegende Ereignisse (ein halbes Jahr bzw. ein ganzes Jahr) konnte in den meisten Fällen auch eine örtliche Zuordnung getroffen werden, vorausgesetzt das Ereignis wurde erinnert. Die örtliche Einordnung schien den Kindern aller Altersgruppen kaum Schwierigkeiten zu bereiten. Weitaus schwieriger war die zeitliche Einordnung, auf die im folgenden näher eingegangen werden soll.
Zeitliche Einordnung eines Ereignisses Eine korrekte zeitliche Einordnung des Ereignisses konnten die Kinder erst ab dem Alter von vier Jahren treffen. Keines der zweijährigen oder dreijährigen Kinder war in der Lage, das aktuelle Ereignis oder länger zurückliegende Ereignisse einem bestimmten Zeitpunkt zuzuordnen.
Tabelle 4: Zeitliche Einordnung eines Ereignisses Vergange- Jungen
Mädchen
Jungen
Mädchen
Jungen
Mädchen
ne Zeit
2 Jahre
2 Jahre
3 Jahre
3 Jahre
4 Jahre
4 Jahre
2 Tage
0%
0%
0%
0%
100%
100%
(n=5)
(n=5)
(n=4)
(n=4)
(n=5)
(n=5)
0%
0%
0%
0%
80%
80%
(n=5)
(n=5)
(n=4)
(n=4)
(n=4)
(n=4)
0%
0%
0%
0%
20%
60%
(n=5)
(n=5)
(n=4)
(n=4)
(n=1)
(n=3)
1
/2 Jahr
1 Jahr
In der vorliegenden Studie wurde die zeitliche Einordnung mittels der Frage »Wie alt warst du da?« erhoben. Die meisten Zwei- und Dreijährigen hatten bereits große Schwierigkeiten, ihr aktuelles Alter zu nennen. Die Antworten auf die Frage für länger zurückliegende Ereignisse waren in der Regel geraten. Kinder, die die Frage nach ihrem aktuellen Alter beantworten konnten, nannten das gleiche Alter auch für länger zurückliegende Ereignisse oder rieten irgendeine Zahl (»Da war ich sieben.«, »Da war ich vier.«). Erst im Alter von vier Jahren konnten die Kinder eine vage zeitliche Zuordnung treffen. Für das aktuelle Ereignis nannten sie ihr aktuelles Alter und für länger zurückliegende Ereignisse antworteten sie auf die Frage nach ihrem damaligen Alter mit »Da war ich noch kleiner.« oder »Da war ich drei.«. Zwei der vierjährigen Kinder (beides Mädchen) konnten eine genauere zeitliche Zuordnung treffen: »Das war letztes Jahr.«.
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34 | Erinnerung und Gedächtnis
Selbstkonzept und Sprache Bei näherer Betrachtung der Interviews fällt auf, daß Kinder, die bereits im frühen Alter auf die Frage »Wer ist das?« mit ›ich‹ anstelle ihres Namens antworten auch elaborierter über vergangene Ereignisse berichten können. Exemplarisch sollen im folgenden Ausschnitte aus zwei Interviews wiedergegeben werden. Zunächst ein Auszug einer Erinnerung an ein Ereignis, das ein halbes Jahr vor der Untersuchung stattgefunden hatte. Nathalie (geboren Ende 2001) VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Mutter: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie:
wer ist denn das da? das bin ich. Und das ist das Baby Benedikt und das ist die Uroma. Die kann ohne Stock und ohne Wagen nicht laufen. die kann nicht ohne das laufen? ja und ohne Hand und die Arme nicht bewegen. Da habe ich eine Strumpfhose. das stimmt. Wo war denn das? War das hier? nein. Das war in Holzgerlingen wohnt da die Oma? da wohnt die Oma, ja ach so, da wohnt die Oma. Und was hast du da gemacht, bei der Oma? da waren wir oben da wart ihr oben? Wohnt die Oma oben? ja und habt ihr da was gespielt, oder was habt ihr da gemacht? nein irgendwas haben wir da gemacht. Aber irgendwas. Und Kaffee getrunken und Tee Kaffe getrunken und Tee getrunken. Und Kuchen gegessen? ja Kuchen gab’s auch. Aber gespielt habt ihr nichts? erst gespielt und dann Kaffee getrunken und Tee und Kuchen gegessen mh mh. Hast du da mit der Oma gespielt? mit der Oma Elsa ist das hier die Oma Elsa? nein war da die Oma Elsa auch dabei? ja. Und der Opa Gerd auch und war da die Mama auch? ja. Und der Papa auch und dann hast du mit der Oma was gespielt? ja und in die Hausschuhe rein
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Silke Matura: Autobiographisches Erinnern bei Zwei-, Drei- und Vierjährigen | 35 VL: Nathalie: Mutter: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie: VL: Nathalie:
bist du in die Hausschuhe rein gegangen? nein, mit den dreckigen Schuhen. Mit den Raus Schuhen. Mit den Schuhen … mit den, mit den …, mit den Schuhen … wo du raus gehst wo du – wo ich raus geh mit denen bist du da rein gegangen? nein, die ham ma, dann ham ma, glaub ich, die Oma, die sieht man gar nicht, die Oma hat mir die Strümpfe gestrickt für die Gummistiefel für dich? ja und die hat sie dir da gegeben erst? nein. Die Oma Elsa ach, die Oma Elsa hat die gestrickt für dich nein. Die Uroma hat die gestrickt und die Oma Elsa hat sie mir anprobiert die hat sie dir angezogen ja und das war, als du bei der Uroma warst war das schön da, bei der Uroma ja weißt du wie alt du da warst? ja wie alt warst du denn da? (zur Mutter): wie alt war ich da? ist das schon lange her? das bin ich jetzt du sagst, du bist da genauso alt wie jetzt? ja und du weißt nicht, wie lange das schon her ist, oder? neee. weißt du nicht so genau weiß mit blau und rot hab ich da bist du da oft bei der Oma? ja
Nathalie ist für ihr Alter sprachlich sehr weit entwickelt. Darüberhinaus antwortete sie als einzige der Zweijährigen auf die Frage »Wer ist das?« mit »Das bin ich.«. Auch bei den Dreijährigen fand sich bestätigt, daß solche Kinder, die sich selbst mit ›ich‹ und nicht mit ihrem Namen bezeichneten, insgesamt mehr Erinnerungen berichten konnten. Zum Vergleich das Interview mit einem anderen, etwa gleichaltrigen Mädchen:
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36 | Erinnerung und Gedächtnis Carolin (geboren Ende 2001) VL: Carolin: VL: Carolin: VL: Carolin: VL: Carolin: VL: VL: Carolin: VL: Carolin: VL: Carolin: VL: Carolin: VL: Carolin: VL: Mutter: Carolin: Mutter: Carolin: Mutter: Carolin: VL: Carolin: VL: Carolin: VL: Carolin: VL: Mutter: Carolin: Mutter: Carolin:
schau mal, wer ist denn das da? Weißt du das? Carolin ja genau, das ist die Carolin. Und das andere? Papa. Schlitten (zeigt auf einen Schlitten auf dem Bild) ist das ein Schlitten, da? ja wo seid ihr denn da? Eis da seid ihr auf dem Eis, genau weißt du, wie alt du da bist? schweigt ist das lange her? mh mh (bejahend) was habt ihr denn da gemacht? Schlittschuhe an war es da kalt? ja und bist du da auch mit den Schlittschuhen gelaufen? normale Schuhe genau, du hast normale Schuhe an hatte die Mama Schlittschuhe an? ne genau, die Mama hatte keine Schlittschuhe an. Wo ist denn die Mama drauf gefahren? auch Schlitten die Mama ist auch auf dem Schlitten gefahren, genau. Und wer hat den Schlitten gezogen? Papa (stimmt alles) hat dir das Spaß gemacht, mit den Schlittschuhen? ja würdest du das gerne noch mal machen? ja das war auf einem Weiher, oder? ja genau und da ist Eis drauf war das der große Weiher? ja war das der kleine Weiher? ne
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Das zweite Interview ist ein sehr typisches Beispiel für die Erinnerungen eines zweijährigen Kindes. Die Antworten bestehen zumeist nur aus ein bis zwei Wörtern, und es sind sehr spezifische Fragen nötig, um an die Gedächtnisinhalte zu gelangen.
Diskussion Die Verwendung des Personalpronomens ›ich‹ anstelle des eigenen Namens beim Selbsterkennen auf den Fotos könnte allgemein mit einer größeren kognitiven Reife zusammenhängen, die sich in verschiedenen Bereichen, wie z.B. Sprache und Gedächtnisleistungen, äußert. Möglicherweise handelt es sich bei der Ausbildung des Selbstkonzeptes und der Sprachentwicklung um zwei Entwicklungsprozesse, die eng miteinander verknüpft sind und die gemeinsam zu verbesserten Leistungen beim autobiographischen Erinnern führen. Das Selbstkonzept entwikkelt sich nicht unabhängig von der Sprache, da erst diese ein repräsentatives Medium bereitstellt, das Selbstreflexion ermöglicht und es zugleich erlaubt, Äußerungen von anderen Personen in das eigene Selbstbild zu integrieren. Harley und Reese (1999) fanden ebenfalls bei Kindern, die sich früh im Spiegel wieder erkennen, also früh ein kognitives Selbst ausgebildet hatten, bessere Erinnerungsleistungen als bei solchen Kindern, die offenbar noch kein Selbstkonzept entwickelt hatten. Reese (in Druck, zit. n. Reese 2002) fand darüberhinaus einen engen Zusammenhang zwischen der Entstehung des kognitiven Selbst und dem Erinnerungsstil der Mütter. Kinder, die sich früh im Spiegel wiedererkannten. hatten alle Mütter, die bei den gemeinsamen Gesprächen über vergangene Ereignisse einen ›elaborativen‹ Erinnerungsstil aufwiesen. Fivush und Mitarbeiter (vgl. Fivush/Fromhoff 1988; Reese/Fivush 1993) unterscheiden zwischen zwei vorherrschenden Erinnerungsstilen von Müttern: einem elaborativen Stil und einem repetitiven Stil. Mütter mit einem elaborativen Stil machen aus einer vergangenen Erfahrung eine Geschichte und laden das Kind ein, selbst zu dieser Geschichte beizutragen. Mütter mit einem repetitiven Stil konzentrieren sich häufig auf ein spezifisches Detail der Erfahrung, ohne dem Kind einen ›Erzählrahmen‹ zu bieten. Sie konzentrieren sich auf ›wer‹ und ›was‹ einer Erfahrung und weniger auf ›wo‹, ›wann‹, ›wie‹ und ›warum‹. Kinder elaborativer Mütter erinnern in der Regel mehr Details einer Erfahrung, wenn sie nach einiger Zeit danach gefragt werden (vgl. Fivush/Fromhoff 1988). Reese (2002) vermutet, daß Mütter ihren Erinnerungsstil der kognitiven Reife ihres Kindes anpassen. Dies würde bedeuten, daß Mütter erkennen, wenn Kinder ein Selbstkonzept auszubilden beginnen und darauf mit einem elaborativen Gesprächsstil reagieren, da sie ihrem Kind mehr kognitive Kompetenzen zuschreiben. Nach Reese (2002) scheint also die Ausbildung des kognitiven Selbst einen Einfluß auf die Entstehung des autobiographischen
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38 | Erinnerung und Gedächtnis Gedächtnisses zu haben. Dieser Effekt wird jedoch indirekt und über soziale Faktoren vermittelt. Befragungen der Mütter in der vorliegenden Studie ergaben, daß diejenigen Kinder, die schon früh über ein Selbstkonzept verfügten und in ihrer sprachlichen Entwicklung relativ weit vorangeschritten waren, sehr viel häufiger von sich aus über vergangene Erfahrungen sprachen, als solche Kinder, die noch nicht über ein ausgebildetes Selbstkonzept verfügten und nur eine geringe sprachliche Kompetenz aufwiesen. Die Art und Weise, wie über vergangene Erfahrungen gesprochen wird, wird nicht allein durch die Mutter gesteuert, sondern zu einem großen Teil auch durch das Kind selbst. Das Kind befragt die Mutter nach vergangenen Erfahrungen und fordert sie auf, gemeinsam mit ihm eine Geschichte zu erzählen. Insgesamt zeigten die Mädchen in der vorliegenden Studie etwas bessere Erinnerungsleistungen als die Jungen. Dieser Befund findet sich auch in einer Vielzahl von Studien, in denen festgestellt wurde, daß die autobiographischen Erzählungen weiblicher Erwachsener länger, detaillierter und emotionaler sind, als diejenigen männlicher Erwachsener (z.B. Friedmann/Pines 1991; Ross/Holmberg 1990). Darüberhinaus reichen die frühesten Erinnerungen weiblicher Erwachsener auch im Durchschnitt sechs Monate weiter zurück als die frühesten Erinnerungen männlicher Erwachsener (vgl. Friedman/Pines 1991). Eine mögliche Erklärung hierfür wäre, daß Eltern im allgemeinen dazu tendieren, mit ihren Töchtern ausführlicher und emotionaler über vergangene Erfahrungen zu sprechen und sich so, vermittelt über die Sprache, autobiographische Erinnerungen früher ausbilden und insgesamt detaillierter sind. Eine andere mögliche Erklärung wäre, daß die Mädchen in dieser Studie insgesamt eine größere kognitive Reife aufwiesen. Zumindest bezeichneten sie sich früher als die Jungen auf den Fotos mit ›ich‹ und nicht mit ihrem Namen und waren auch in ihrer sprachlichen Entwicklung fortgeschrittener. Von einer ›echten‹ autobiographischen Erinnerung kann erst dann gesprochen werden, wenn diese zeitlich und örtlich eingeordnet werden kann. Inwieweit es sich in der hier beschriebenen explorativen Studie bei den frühen Erinnerungen Zwei- und Dreijähriger tatsächlich um echte autobiographische Erinnerungen handelt, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Zwar berichteten sie (teilweise recht detailliert) über vergangene Erfahrungen und konnten in der Regel auch eine örtliche Einordnung treffen, jedoch fehlte stets eine genauere zeitliche Einordnung. Möglicherweise sind Erinnerungen an die frühe Kindheit auch deswegen so spärlich, weil sie zunächst noch anders im Gedächtnis organisiert sind – ihnen fehlt der zeitliche Marker, der für spätere autobiographische Gedächtnisinhalte typisch ist. Ohne diesen zeitlichen Marker wird ein organisierter Abruf der Erinnerungen sehr erschwert und die Erinnerungen sind unter Umständen zwar vorhanden, aber nicht frei abrufbar. Zwei- und dreijährige Kinder haben noch keine Vorstellung von Zeit, die mit
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der unsrigen vergleichbar wäre. Aussagen über die Zeit sind in diesem Alter mit der direkten Veranschaulichung verknüpft. Beispielsweise behaupten zwei und drei Jahre alte Kinder, Steine die größer sind, seien auch älter (vgl. Fraisse 1985). Sie haben kein Gefühl für eine Zeitdauer, können also auch nicht beurteilen, wieviel Zeit zwischen zwei Ereignissen verstrichen ist. Geht man davon aus, daß eine Erinnerung erst dann autobiographisch ist, wenn sie einem bestimmten Zeitraum zugeordnet werden kann, sind die Gedächtnisinhalte der Zwei- und Dreijährigen schon deshalb nicht autobiographisch, weil sie keinen Zeitbezug haben. Erst im Alter von vier Jahren, wenn sich das autobiographische Gedächtnis auszubilden beginnt, entwickelt sich auch ein vager Zeitbegriff, der zumindest eine grobe zeitliche Zuordnung zuläßt. Insgesamt läßt sich sagen, daß die zweijährigen Kinder in der vorliegenden Studie sehr wenige und größtenteils nur fragmentarische Erinnerungen an länger zurückliegende Ereignisse hatten. Hier findet sich bestätigt, daß sich das autobiographische Gedächtnis erst im Alter von zwei bis drei Jahren auszubilden beginnt und frühere Erinnerungen zumeist verloren gehen. Die dreijährigen Kinder zeigten etwas bessere Erinnerungsleistungen an länger zurückliegende Ereignisse. Allerdings waren auch hier die Berichte häufig nur sehr fragmentarisch und es waren sehr spezifische Fragen nötig, um an die Gedächtnisinhalte zu gelangen. Die vierjährigen Kinder konnten dagegen häufig auch recht detailliert von Ereignissen berichten, die bis zu einem Jahr zurücklagen. Nur eines der zweijährigen Kinder schien über ein relativ weit entwickeltes ›kognitives Selbst‹ zu verfügen und berichtete weitaus detaillierter über vergangene Erfahrungen, als die anderen Zweijährigen. Mit drei Jahren schien sich das »kognitive Selbst« vor allem bei den Mädchen weitgehend ausgebildet zu haben. Ihre Erinnerungen reichten weiter zurück als die der Zweijährigen und waren insgesamt detaillierter. Mit einer Ausnahme verfügten alle der vierjährigen Kinder über ein kognitives Selbst und konnten recht ausführlich über lang zurückliegende Erfahrungen berichten. Wie sich in der vorliegenden Studie gezeigt hat, scheint der Aufbau des autobiographischen Gedächtnisses zum einen mit der Ausbildung eines kognitiven Selbst und zum anderen mit der Sprachentwicklung zusammenzuhängen. Solche Kinder, die schon früh über ein kognitives Selbst verfügten, waren auch in ihrer sprachlichen Entwicklung weiter vorangeschritten und konnten insgesamt detaillierter und häufiger von vergangenen Erfahrungen berichten.
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Center for Interdisciplinary Memory Research
Schrift, Speichergedächtnis und das kulturelle Unbewußte Jan Assmann
Der französische Soziologe Maurice Halbwachs, auf dessen drei Hauptwerken (1925, 1941, 1950) zum kollektiven Gedächtnis die heutigen Theorien und Forschungen zum sozialen, kommunikativen und kulturellen Gedächtnis aufbauen, bestimmte das kollektive Gedächtnis als 1. sozial vermittelt, 2. rekonstruktiv und 3. verkörpert. Es wächst dem einzelnen im Zuge seiner Sozialisierung durch Kommunikation und Gruppenzugehörigkeit zu (Soziogenese), es bezieht sich immer vom Standpunkt der Gegenwart und im Rahmen der Relevanzperspektiven einer Gruppe auf die Vergangenheit, die es von diesem Standpunkt aus und in diesem Rahmen rekonstruiert, und es existiert als eine lebendiges bzw. gelebtes Gedächtnis, mémoire vécu, in den Individuen (und nicht etwa in Texten und Denkmälern). Die Sphäre der Symbolisierungen und Objektivationen grenzt Halbwachs als tradition von mémoire ab.1 Diese Grenze wird nun von der Theorie des Kulturellen Gedächtnisses, an der Aleida Assmann und ich nun seit 25 Jahren arbeiten, überschritten.2 Unser Aus1 | Halbwachs entfaltete seinen Begriff der mémoire collective vor allem in drei Büchern: Halbwachs 1925, 1941, 1950. 2 | Vgl. das Sonderheft der Zeitschrift Erwägen Wissen Ethik Jg. 13/2002, H. 2, das dieser Theorie und ihrer kritischen Diskussion gewidmet ist.
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44 | Center for Interdisciplinary Memory Research gangspunkt war die Medienfrage, die Diskussion um Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Das Nachdenken über die Schrift und ihre kulturellen, sozialen und psychohistorischen Konsequenzen bildete nicht nur den Ausgangs-, sondern auch im weiteren den Mittelpunkt unserer Überlegungen. Mit dem Thema ›Schrift‹ bezieht sich der Begriff des Kulturellen Gedächtnisses gerade auf die Sphäre der symbolischen Objektivierungen, die Halbwachs als tradition ausgegrenzt hatte. Dafür grenzt er sich gegenüber dem Halbwachsschen Gedächtnisbegriff als dem kommunikativen Gedächtnis ab, das erst, wenn es in Formen dauerhafter Symbolisierung übergeht, zum Kulturellen Gedächtnis wird. Man kann also sagen, daß wir das, was Halbwachs tradition nannte, als Kulturelles Gedächtnis bezeichnen und uns fragen, was mit dieser Umbenennung gewonnen ist. Warum sprechen wir nicht auch einfach von Tradition anstatt von kulturellem Gedächtnis? Den Vorteil des Gedächtnisbegriffs sehe ich in zwei Punkten. Erstens macht er das Kontinuum deutlich, das zwischen dem individuellem, dem kollektiven bzw. kommunikativen Gedächtnis und der Sphäre der symbolischen Objektivationen herrscht. Das individuelle Gedächtnis ist ja nicht nur sozial vermittelt, sondern auch kulturell geprägt. Nicht nur zwischen Ich und Gesellschaft, sondern auch zwischen Ich und Kultur herrscht eine vielfältige Interaktion. Diese Zusammenhänge werden terminologisch sichtbar gemacht, wenn man von kulturellem Gedächtnis spricht, und zerrissen, wenn man die Gedächtnisphänomene an der Grenze zur Symbolisierung aufhören läßt. Zweitens umfaßt der Gedächtnisbegriff auch die Negation der Überlieferung. Gedächtnis umfaßt ja Erinnern und Vergessen. Wir gewinnen so einen theoretischen Zugang zum Nichttradierten, d.h. zum Vergessenen, Verschütteten, Marginalisierten, vielleicht gar Verdrängten, alsozu Bereichen, die wir vielleicht auf kultureller Ebene mit dem in Verbindung bringen können, was auf persönlicher Ebene das Vorbewußte und Unbewußte darstellt. Das Problem der Schrift ist, daß sie einerseits als ein Medium des Gedächtnisses fungiert, andererseits aber, wie Platon meinte, Vergessen sich in das Herz derer senke, die sich der Sprache bedienen, indem sie das lebendige, verkörperte Gedächtnis entkörpert, exteriorisiert und damit dem Vergessen preisgibt. Hier scheint mir nun Aleida Assmann (1999) mit ihrer Unterscheidung zwischen Funktions- und Speichergedächtnis eine Lösung gefunden zu haben. Mit der Schriftlichkeit öffnet sich der Kultur jenseits ihres Funktionsgedächtnisses, in dem nur das überliefert wird, was auch in einer jeweiligen Gegenwart gebraucht wird, ein Raum der Auslagerung, in dem das Nicht-mehr-Gebrauchte aber gleichwohl schriftlich oder sonstwie Aufgezeichnete sich über die Zeiten erhalten kann, um vielleicht irgendwann einmal wieder entdeckt und wo möglich in das Funktionsgedächtnis zurückgeholt zu werden. Das Speichergedächtnis ist daher eine Form des Vergessens, das ja, wie Freud gezeigt hat, auch nicht zu einem völligen Verschwinden aller Erinnerungsspuren führt, sondern im Gegenteil eine Form des Bewahrens ist. So hat, um das meiststrapazierte Beispiel der Gedächtnisforschung
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Jan Assmann: Schrift, Speichergedächtnis und das kulturelle Unbewußte | 45
noch einmal zu bemühen, jene in Lindenblütentee aufgeweichte Madeleine für Marcel Proust nur deshalb einen so überwältigenden Erinnerungsschub auslösen können, weil er erstens die Details seiner Kindheit vergessen und zweitens seitdem keine in Lindenblütentee getunkten Madeleines mehr zu sich genommen hatte. Ähnlich erklären sich vielleicht die Renaissancen der Kulturgeschichte, also neben der allgemeinen Renaissance, die der Antike nach der Latenzphase des Mittelalters zu einer Wiedergeburt verhilft, auch die besonderen Renaissancen wie etwa die Entdeckung des Corpus Hermeticum im 15. Jahrhundert oder die SpinozaRenaissance im späten 18. Jahrhundert. In diesem Beitrag möchte ich diese Dynamik von Speichern, Vergessen und Wiederauftauchen nicht theoretisch entfalten, sondern an Beispielen illustrieren und zwar anhand von dem, was ich ›Ruinenlegenden‹ nennen möchte. Darunter verstehe ich Legenden, Mythen, Deutungen, die sich an unerklärlich gewordene Ruinen und Monumente geheftet haben. Die Ruine symbolisiert die Dynamik von Speichern, Vergessen und Wiederauftauchen in besonders deutlicher Weise. Als ein unlesbar gewordener Wissensspeicher, der seine Geschichte andeutet, ohne sie preiszugeben, kann sie als eine Allegorie des kulturellen Vergessens gelten. Hierfür ließen sich viele Beispiele anführen; es wäre ein reizvolles Projekt, sie einmal zu sammeln. Hier möchte ich mich auf zwei beschränken, die überdies miteinander zusammenhängen. Das eine ist eine Deutung der Sintflut als Gedächtniskatastrophe, die von beschrifteten Monumenten ausgeht und sie als vorsintflutliche Wissensspeicher interpretiert, das andere ist die Idee der Hermetischen Höhle und die freimaurerische Theorie der Geheimgesellschaft als Hüter eines anderweitig untergegangenen Wissens, eine Theorie, die von einer entsprechenden Deutung ägyptischer Gräber und Pyramiden ausgeht. Die grandioseste Ruinenlegende überhaupt bezieht sich auf die gesamte Erde, die als eine Ruine der Sintflut gedeutet wird. Sie liegt etwa dem im 17. und 18. vielgelesenen Werk von Thomas Burnet, Sacra Telluris Theoria, zugrunde. Für das 17. Jahrhundert bot die Bergwelt ein schreckenerregendes Bild der Verwüstung. Mit ihren Klüften und Schründen, Abgründen und Felsspitzen, Eisfeldern und Katarakten konnten die Berge nur das Ergebnis einer Katastrophe und nicht einer wohlgeordneten Schöpfung sein. Diese Katastrophe war die Sintflut, die die Welt als eine Ruine zurückgelassen hat (vgl. Nicolson 1959). Die Erdoberfläche hält die Erinnerung an diese Urkatastrophe lebendig, der Anblick der Bergwelt ruft in der menschlichen Seele den Urschrecken der Sintflut wach. Bei den älteren Ruinenlegenden, auf die ich hier eingehen möchte, geht es aber nicht um die Erinnerung an die Sintflut, sondern um die Sintflut als Gedächtniskatastrophe.
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I. Überlieferungen, die die Sintflut als eine Gedächtniskatastrophe darstellen, beziehen sich auf das ursprüngliche Schöpfungswissen, das sich von Adam auf seine Nachkommen vererbt hatte und mit der Sintflut verloren ging. Ein Rest dieses Urwissens sei aber gleichwohl gerettet worden. Genau wie durch Noah und seine Arche ein Rest des Lebens auf dieser Erde über die Sintflut hinweg gerettet werden konnte, so ist auch durch schriftliche Aufzeichnung ein Rest des Urwissens erhalten geblieben. Typischerweise verbindet sich diese Überlieferung mit der Vorstellung zweier Pfeiler oder Stelen, auf denen Adam oder seine Nachkommen dieses Urwissen inschriftlich kodifiziert hätten. Am bekanntesten ist die schon von Josephus Flavius berichtete frühjüdische Legende, die diese Kodifizierung vorsintflutlicher Urweisheit mit den Kindern des Seth verbindet. Diese gelten als die Erfinder der Astronomie, des himmlischen Wissens von den Gestirnsbewegungen. Eingedenk der Weissagung Adams, daß die Welt durch Feuer- und Wasserkatastrophen untergehen würde, beschließen sie, ihr Wissen auf zwei Pfeilern niederzuschreiben, einem aus Ziegeln für die Feuer- und einem aus Stein für die Wasserkatastrophe (vgl. Flavius 1998 [1909]: I/121f.). »Der steinerne Pfeiler, setzt Josephus hinzu, steht übrigens noch heute in Syrien.« Offenbar handelt es sich um eine Legende, die sich an ein mit unlesbaren Schriftzeichen, vermutlich ägyptischen oder hethitischen Hieroglyphen, bedecktes Monument geknüpft hat. Diesem Motiv des über die Sintflut hinweg geretteten vorsintflutlichen Wissens begegnen wir vor allem auch im Umkreis der arabischen hermetischen Tradition, wo es eine ganz besonders prominente Rolle spielt. Arabische mittelalterliche Autoren, insbesondere Ibn Abi Usaybia setzen die Enkel Adams mit dem »ersten Hermes« (Irmis/Idrisi) gleich; er habe sein Wissen nicht auf Pfeiler, sondern auf Tempelwände geschrieben. Idrisi überträgt sogar das Motiv von Stein und Ziegel auf den Tempelbau. Weil Hermes nicht genau gewußt habe, ob die Welt durch das Feuer oder durch das Wasser vernichtet werde, habe er, um das Wissen zu schützen, sowohl irdene als auch steinerne Tempel bauen lassen, da er glaubte, die ersten könnten dem Feuer, die zweiten dem Wasser widerstehen (vgl. Dozy/Goeje 1866: 46ff.).3 Durch diese Rettungsaktion ist das Urwissen mit der Sintflut nicht verloren gegangen, sondern nur okkultiert: Es wurde zum Geheimwissen weniger Eingeweihter, die die antediluvianische Schrift zu entziffern und das in ihr gespeicherte Wissen um die Geheimnisse der Schöpfung zu deuten und weiterzugeben wußten. Diese arabische Sintflut-Theorie ist deshalb so besonders interessant, weil 3 | Edrisi oder Idrisi war dem Abendland kein Unbekannter. Seine Geographia Nubiensis wurde 1591 in Rom gedruckt. In der Übersetzung von Gabriele Sionita unter dem Titel: Geographia Nubiensis: id est accuratissimis, a totius orbis in septem climata divisi descriptio […] recens ex Arabico in latinam versa 1619.
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sie, genau wie Burnets Telluris Theoria Sacra, von noch heute sichtbaren Phänomenen ausgeht. So wie die Berge, der Wechsel der Jahreszeiten und andere Unbilden der heutigen Welt Burnet und anderen Gelehrten seiner Zeit die Deutung auf eine Urkatastrophe nahelegten, so legten die von Hieroglyphen bedeckten altägyptischen Monumente den in ihrer Mitte lebenden arabischen Gelehrten die Deutung auf eine zeitresistente Aufzeichnung antediluvialer Weisheit nahe. Diese hieroglyphischen Inschriften verstand man als Kodifikationen hermetischen Wissens, das vor der vorausgesehenen Katastrophe gerettet werden sollte. Ibn Abi Usaybia deutete insbesondere einen Tempel in Achmim als hermetischen Wissensspeicher. Achmim war in der Spätantike eine Hochburg ägyptischer Tradition und u.a. der Sitz einer gelehrten Familie, zu der auch der Dichter Nonnos und Horapollon, der Verfasser des berühmten Hieroglyphenbuchs, gehörte. Kein Wunder, das sich gerade mit dieser Stadt das Motiv des geretteten Wissens verband. Übrigens versteht man in der Tat den Typus des spätägyptischen Tempels mit seinen von unten bis oben mit Inschriften und Bildern bedeckten Wänden, Pfeilern und Durchgängen als Aufzeichnungsform und Speicher des religiösen Wissens, das man vom Vergessen bedroht glaubte angesichts zwar nicht einer Flutkatastrophe, aber des Hellenismus (vgl. Assmann 1992a, 1992b: 177ff.). In der arabischen Überlieferung erscheint die Sintflut offensichtlich als eine Chiffre für den Gedächtnisverlust, den der Untergang der ägyptischen Kultur und der Kenntnis der Hieroglyphen bedeutete. Es mag schwer nachzuvollziehen sein, daß Gelehrte im Anblick der Alpen auf den Gedanken kommen konnten, eine Ruine der Schöpfung vor sich zu sehen und die Sintflut für diese vermeintlichen Verwüstungen verantwortlich zu machen. Daß aber eine gelehrte Elite, die im Ägypten des arabischen Mittelalters unter den unzähligen mit Hieroglyphen bedeckten Monumenten der altägyptischen Kultur lebte, auf den Gedanken kommen konnte, mit den Aufzeichnungen eines vergessenen Wissensschatzes konfrontiert zu sein und die Gründe für dieses Vergessen in der Sintflut suchte, das erscheint viel eher plausibel.
II. Für das Motiv der Gedächtniskatastrophe stellt Platons Dialog Timaios einen locus classicus dar. Hier findet sich auch der Anschluß zur Atlantis-Sage, die gern mit der Sintflut-Sage in Verbindung gebracht wird. Nicht von ungefähr bringt Platon diese Geschichte mit der griechischen Variante der Sintflutsage, dem Mythos von Deukalion und Pyrrha in Zusammenhang. Bei einem Besuch in Sais soll Solon den ägyptischen Priestern diesen Mythos erzählt haben, um sie mit dem hohen Alter der griechischen Überlieferungen zu beeindrucken und sie zu entsprechenden Erzählungen zu provozieren. Die Priester reagieren darauf mit dem berühm-
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48 | Center for Interdisciplinary Memory Research ten Ausspruch: »Ihr Griechen bleibt doch immer Kinder und einen weisen Griechen gibt es nicht.« Sie eröffnen Solon, daß das von Menschen in Jahrtausenden erworbene Wissen immer wieder in periodischen Wasser- oder Feuerkatastrophen verlorengehe, die sich alle dreitausend Jahre ereigneten. So geht auch die griechische Erinnerung nicht weiter als bis zur letzten Flutkatastrophe zurück, die im Mythos von Deukalion und Pyrrha erzählt wird. Nur in Ägypten hat sich eine Überlieferung erhalten, die über mehr als 9000 Jahre zurückreicht (vgl. Timaios 21b-25d). Wir finden hier dieselbe Motivverbindung wieder: die Vorstellung einer Gedächtniskatastrophe und das Motiv des geretteten Wissens, das nun aber nicht mehr Gemeinbesitz der Menschheit, sondern Exklusivbesitz einer priesterlichen Elite ist. Besonders einflußreich ist auch eine Stelle bei Ammianus Marcellinus, die sich auf die beschrifteten unterirdischen Grabanlagen der Ägypter, und im besonderen die Königsgräber im Tal der Könige zu Theben bezieht. Er schreibt: »sunt et syringes subterranei quidam et flexuosi secessus, quos, ut fertur, periti rituum vetustorum, adventare diluvium praescii, metuentesque ne caerimoniarum oblitteraretur memoria, penitus operosis digestos fodinis, per loca diversa struxerunt, et excisis parietibus, volucrum ferarumque genera multa sculpserunt et animalium species innumeras multas, quas hierographicas litteras appellarunt.« Es gibt auch Syringen, das heißt unterirdische und gewundene Gänge. Der Überlieferung zufolge ließen in die alten Riten Eingeweihten sie an verschiedenen Orten mit ungeheurem Aufwand aushauen, da sie die Heraufkunft einer Flutkatastrophe voraussahen und fürchteten, die Zeremonien könnten in Vergessenheit geraten. Auf die dergestalt aus dem Felsen geschlagenen Wände ließen sie alle möglichen Arten von Vögeln und Tieren einmeißeln: das nennen sie »Hieroglyphen« (Ammianus Marcellinus 1996: 140).
Zwar ist diese Erklärung der ägyptischen Königs- und anderen Gräber völlig phantastisch; es gibt aber einen Fall, wo tatsächlich einmal im Hinblick auf eine vorausgesehene Flut- oder sonstige Katastrophe ein riesiges Wissenscorpus auf Stein geschrieben und zur Aufbewahrung für kommende Generationen unter der Erde vergraben wurde. Bei einem buddhistischen Kloster in China kamen im Jahre 1956 15.000 Stelen zutage, die in 25.000.000 Schriftzeichen den gesamten buddhistischen Kanon enthalten. Die Mönche hatten den heiligen Text von 616 bis 1180, also in 564 Jahren in Stein geschnitten an einer 400 m über dem Meeresspiegel gelegenen Stelle vergraben, um ihn über eine von ihnen vorausgesehene Flutkatastrophe hinüber zu retten. Die Stelen wurden übrigens im Jahre 1999 wieder vergraben – was soll man mit 15.000 Stelen eines bekannten Textes anfangen? Um nun auf die Sintflut und ihre Deutung als Gedächtniskatastrophe zurückzu-
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kommen, so führte sie in dieser Tradition zur Geburt der Esoterik. Sie sorgte für einen allgemeinen Gedächtnisverlust und machte das Wissen exklusiv. Aus dem Gemeinwissen der Menschheit wurde das Geheimwissen der Adepten. Hierin liegt der gemeinsame Nenner zwischen den antiken und den neuzeitlichen, d.h. freimaurerischen Vorstellungen eines über eine Gedächtniskatastrophe hinübergeretteten Wissens. Schon im arabischen Mittelalter verbindet sich, wie wir gesehen haben, diese Überlieferung vor allem mit Hermes Trismegistos: Er gilt als der große Interpret und Transkodifikator dieses Urwissens, das in komprimierter hieroglyphischer Form auf den hermetischen Stelen in einer Höhle in Ägypten aufgezeichnet ist und von Hermes selbst oder einem späteren Avatar in unzähligen, teilweise auch ins Griechische übersetzen Büchern dekomprimiert und verbreitet wurde. Aus den 40er Jahren des 18. Jahrhunderts. stammt folgende Beschreibung der Hermetischen Höhle in Theben, in der die ägyptischen Eingeweihten die auf den Pfeilern der Weisheit eingravierten Lehren des Hermes Trismegistos lernen sollten: »Die fremdartige Feierlichkeit des Ortes muß jeden, der ihn betritt, mit heiligem Schrecken erfüllen und ist ganz dazu angetan, einen in jenen Geisteszustand zu versetzen, in welchem man alles, was der Priester zu offenbaren willens ist, mit ehrfürchtigem Schaudern aufzunehmen vermag […]. Vom hintersten Ende der Höhle her oder aus den innersten Rücksprüngen wundersamer dahinterliegender Hohlräume heraus hört man wie von weitem ein Geräusch wie das entfernte Branden des Meeres, das sich mit großer Gewalt an Felsen bricht. Das Geräusch soll so betäubend und erschreckend sein, wenn man sich ihm nähert, daß nur wenige wißbegierig genug sind, um sich weiter in jene geheimnisvollen Naturspiele vorzuwagen […]. Umgeben von Pfeilern aus Lampen findet man jede dieser verehrungswürdigen Stelen, von denen ich jetzt reden will, und die in hieroglyphischen Zeichen mit den Urgeheimnissen der ägyptischen Weisheit beschriftet sind. […] Von diesen Pfeilern und den heiligen Büchern leitet sich, so behaupten sie, alle Philosophie und Wissenschaft der Welt her« (Athenian letters 1741-43: I/95-100 [Brief XXV des Orsames, von Theben]).
Solche künstlichen Höhlen oder Grotten mit Wasserfällen finden sich mit Vorliebe in Parkanlagen, die sich Freimaurer im späteren 18. Jahrhundert angelegt haben. Die Freimaurer fühlten sich als Erben und Fortsetzer dieser Tradition eines antediluvialen Wissens. Damit komme ich nun zu meinem zweiten Beispiel, der freimaurerischen Ruinenlegende, die in den ägyptischen Gräbern und Pyramiden geheime Wissensspeicher und Forschungsstätten erblickt, und halte mich dafür an einen Text, auf den ich im Zusammenhang meiner Forschungen zu Mozarts Zauberflöte gestoßen bin. Es handelt sich da um eine in zwei Logensitzungen vorgetragene Vorlesung
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50 | Center for Interdisciplinary Memory Research über die Frage, ob es so etwas wie eine wissenschaftliche Freimaurerei gäbe (vgl. Kreil 1785). Der Redner ist Anton Kreil, ein junger Philosoph und Philologe, der nicht nur als Freimaurer der Loge zur Wahren Eintracht angehörte, sondern darüber hinaus auch ein Illuminat war, wie viele Mitglieder dieser Loge. Es würde hier zu weit führen zu erklären, wer die Illuminaten waren. Es genügt, sich Schillers Marquis Posa vor Augen zu stellen, um einen Eindruck von ihrer Agenda zu haben. Die Illuminaten waren Vertreter einer radikalen Aufklärung, die in der Form des Geheimbunds die Tugenden ausbilden wollten, die allmählich zu einer friedlichen Verbesserung der politischen Verhältnisse führen sollten (vgl. Schindler 1975; Rosenstrauch-Königsberg 1975). Kreils Vorlesung interessierte mich besonders, weil ich nachweisen konnte, daß Mozart sie gehört hat. An diesen beiden Sitzungen war er, der eigentlich der Loge zur Wohltätigkeit angehörte, bei der Schwesterloge als Besuchender Bruder anwesend, weil sein Vater Leopold in ihnen zum Gesellen und Meister befördert wurde. Hier aber soll sie uns aus einem anderen Grund interessieren. Es geht um die interessante Frage, ob es Geheimnisse gibt, zu denen der Schlüssel verloren ging und die trotzdem getreulich bewahrt und weitergereicht werden. Mehr als einmal rührt Kreil dabei an die Problematik des kulturellen Unbewußten bzw. des Speichergedächtnisses, die uns hier beschäftigt. Kreil geht von der Frage aus, ob die Freimaurerei in ihrem Inneren echte Geheimnisse verwahrt und tradiert oder ob sie sich nur den Anschein gibt. »Wozu soll der fürchterliche Eid, wodurch wir uns zum Schweigen verpflichten, wenn weiter nichts zu verschweigen ist? Wozu die schrecklichen Drohungen, womit man uns verbindet alles geheim zu halten, was uns itzt oder in Zukunft wird anvertrauet werden, wenn uns nie etwas anvertraut werden kann?«
Immer wieder wird gerade die aufgeklärte, illuministische Maurerei von Zweifeln geplagt, ob vielleicht das so wohlgehütete Geheimnis in nichts anderem bestehen könnte als dem Umstand, daß es gar kein Geheimnis zu bewahren und weiterzureichen gibt. Das Ergebnis, zu dem der von diesen Fragen umgetriebene Redner kommt, ist ebenso geistvoll wie tiefsinnig. Er glaubt, »in dem Alterthum Spuren von Kenntnissen wahrzunehmen, die nicht, mit den unsrigen vermischt, in die allgemeine Zirkulation übergegangen, und folglich nicht mehr öffentlich vorhanden«, also nicht, wie wir sagen würden, ins Funktions-Gedächtnis der Kultur übergegangen, »aber deßwegen dennoch […] nicht ganz verloren sind, sondern in Geheim und vielleicht in unserem Orden fortgepflanzet werden« (ebd.: 51). In diesem Fall würden »die Hieroglyphen der drey Grade, die wir besitzen« sich auf diese Geheimnisse beziehen, die dann aber »ihrer Natur nach nur dem vollendeten Menschen mittheilbar« wären und »daher nie, vernünftiger Weise, ein Gegenstand des Suchens unserer Brüder werden« könnten (ebd.). Der ›vollendete
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Mensch‹ ist so etwas wie ein Adynaton. Es gibt ihn nicht mehr, den Menschen, der diese Geheimnisse enträtseln könnte. Eine verblüffende Theorie. Das Gedächtnis des Abendlandes führt verlorengegangene Kenntnisse in der Form eines kulturellen Unbewußten mit sich, an die ›vernünftiger Weise‹, durch bewußtes Forschen und Suchen, nicht mehr heranzukommen ist. Kreil nennt das Hieroglyphen. Unter Hieroglyphen verstand man damals Figuren, die einerseits eindeutig als bedeutungstragende, ja hoch bedeutsame Zeichen erkennbar waren, deren Bedeutung selbst aber verloren gegangen oder zum Geheimnis geworden war. Der Ausdruck bezog sich auf die altägyptischen Schriftzeichen, Inbegriff einer untergegangenen, und trotzdem in ihren monumentalen Aufzeichnungen noch überwältigend präsenten Schriftkultur, darüber hinaus aber auf jede Art von Symbolen, deren Bedeutungsgehalt unmöglich oder schwierig zu enträtseln war. In der Tat führte das kulturelle Gedächtnis des Abendlandes das Alte Ägypten mit sich in Gestalt zahlloser hieroglyphisch beschrifteter Denkmäler – Obelisken, Statuen, Mumien – die seine Phantasie unabläßig beschäftigen, Träger eines unzugänglich gewordenen und dennoch sorgfältig gehüteten und tradierten Wissensvorrats. Die Geschichte des Wissens, fährt Kreil fort, ist eine Verlustgeschichte. Was der ›Zahn der Zeit‹ nicht verschlungen hat, ist dem »noch viel ärgeren Zahne der fanatischen Zerstörungssucht« (dem religiösen Ikonoklasmus) zum Opfer gefallen. Immer wieder haben Katastrophen die Menschheit heimgesucht und ihr Gedächtnis vernichtet. Anstelle der Sintflut, die der Leser als erstes Beispiel hier erwartet, nennt der Redner überraschenderweise die Schwarzmeerkatastrophe, die erst in allerjüngster Zeit wieder, offenbar in völliger Unkenntnis dieser älteren Tradition, als Erklärung der Sintflut vorgeschlagen wurde (vgl. Haarmann 2003).4 Was die Natur nicht vernichtete, zerstörte der Fanatismus eines Kambyses, eines »Konstantin[s], der übrigen christlichen Kaiser und vorzüglich des Theodosius, der das Serapion, wo […] der Rest der ägyptischen Weisheit aufbewahrt wurde, zerstören ließ.« Doch beweisen die wenigen »Spuren und Bruchstücke der Kenntnisse der Vorzeit, die auf uns gekommen sind, nur dieser ihre Größe, aber nie ihre Schranken«, d.h., die Alten wußten mehr, als wir je zu wissen hoffen können und »daß die Menschheit, im Ganzen genommen, im Gange der Kulturen von Jahrtausend zu Jahrtausend fast um nichts vorrücket; folglich immer gleich und daher auch nie in einem Stande der Kindheit war.« Wie »physische Natur hier einen Erdstrich verschlingt und dort wieder einen gebiert und hervorhebt«, so läßt »auch die moralische (Natur) itzt eine Nation in ihrer Kultur fortschreiten, ihr goldenes 4 | Haarmann hält die Schwarzmeerkatastrophe für eine Entdeckung der späten 90er Jahre des 20. Jahrhunderts. Das kann im Hinblick auf diesen Text nicht stimmen; es hat offensichtlich antike Überlieferungen gegeben. Neu ist lediglich der naturwissenschaftliche Nachweis.
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52 | Center for Interdisciplinary Memory Research Alter erreichen und dann wieder sinken, um eine andere zu heben« (Kreil 1785: 54f.) – eine an Vico erinnernde Kulturtheorie. Von manchen Künsten »wissen wir doch, daß sie einmal bestanden haben, von wie vielen werden wir nicht einmal dieses wissen? […] Welcher Gesetzgeber oder Ordensstifter neuerer Zeiten hat die Tiefen des menschlichen Herzens genauer als der Priesterorden Aegyptens und ihr Nachahmer Pythagoras ergründet« (ebd.: 57f.)? Wir heute können in den Überresten des Altertums nur das erkennen, was die Alten ›auch schon‹ wußten und sind blind für das Wissen, das sie uns voraus hatten und das mit ihnen verloren ging. Der »ägyptische Priesterorden«, schreibt Kreil, scheint nach allem, was sich »aus den historischen Überbleibseln schließen läßt, in dem Besitze der gesammelten Kenntnisse der Vorwelt gewesen zu seyn.« Strabo zufolge schrieben die Priester »alles, was höhere und feinere Gelehrsamkeit war, in ihren geheimen Schriften« auf und gaben nur einen Teil davon an Platon und Eudoxos, die dreizehn Jahre bei ihn zubrachten, weiter. Diese Priester, und nun folgt eine schier unglaubliche Theorie über die Formen altägyptischer Wissenskultur, »haben die Hälfte ihres Lebens in unterirdischen Höhlen zugebracht«, sie hatten »eine sonderbare Leidenschaft für das Aushöhlen der Felsen« und bauten »übrigens für die Unvergänglichkeit. 160 Fuß unter den Pyramiden waren Gemächer, welche miteinander durch Gänge kommunizierten, die Ammianus Marcellus auf griechisch syringes nennt. […] Kurz, alles war mit Grotten, Höhlen und unterirdischen Gängen besetzt und durchschnitten. ›Täglich [zitiert Kreil aus einem zeitgenössischen Werk] entdecken die Reisenden derer mehrere; denn itzt hat man noch kaum den hundertsten Teil davon entdekket. Wenn man diese Art, unter der Erde zu studieren, betrachtet, so dürfen wir uns nicht wundern, daß die Priester dadurch sichs zur Gewohnheit gemacht haben, alle ihre wahre oder vermeintliche Wissenschaft unter einem beynahe undurchdringlichen Schleyer zu verhüllen‹.«5
Eine phantastischere Deutung haben die ägyptischen Königsgräber, die noch Champollion auf Grund der Stelle aus Ammianus Marcellinus als syringes bezeichnete, und sonstigen über und über beschrifteten ägyptischen Grabanlagen wohl kaum je erfahren. Dazu muß man wissen, daß diese syringes, die Kreil und sein Gewährsmann de Pauw »160 Fuß unter die Pyramiden« verlegen, vielmehr über 600 Kilometer südlich der Pyramiden von Giza im Tal der Könige zu Theben liegen. Sie gelten Kreil und de Pauw nicht nur als Wissensspeicher, sondern auch als Versammlungs- und Studienorte. Die Technik, »unter der Erde zu studieren«, hielten sie für eine Strategie der Geheimhaltung. Wie mögen diese Dinge auf Mo-
5 | Kreil zitiert aus Corneille de Pauw 1774: II/55.
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zart gewirkt haben, der sechs Jahre später Tamino und Papageno durch die labyrinthischen Krypten eines zumindest ›ägyptoiden‹ Tempels führte! »In dieser Absicht« [paraphrasiert Kreil die Passage bei Ammianus Marcellinus] »trafen sie alle Menschen mögliche Anstalten, ober und unter der Erde, führten ungeheure Steinmassen auf, denen sie eine uns unerreichbare Unvergänglichkeit zu geben wußten, und gruben ihre Weisheit in Hieroglyphen verkleidet in Pyramiden, Obelisken, steinerne Tafen und Säulen zur stummen Aufbewahrung ein« (ebd.: 64f.).
Daran ist jedenfalls auch aus heutiger Sicht nicht zu zweifeln, daß die Ägypter in der Errichtung und Beschriftung ihrer zahllosen Monumente von einem beispiellosen Willen zur Überlieferung besessen waren, auch wenn es bei dieser Überlieferung vielleicht nicht um die Art von Kenntnissen ging, an die die Freimaurer anschließen zu können glaubten. Die ägyptischen Priester kodifizierten nun nicht nur ihr geheimes Wissen in unterirdischen Speichern, sondern »wählten außerdem noch die rechtschaffensten, geprüftesten und hellsten Köpfe aus, um ihnen, nach gehöriger Ausbildung, Prüfung und Einweihung, das kostbare Pfand ihrer Geheimnisse zur Überlieferung auf die Nachkommenschaft anvertrauen zu können.«
Einen anderen Rat hat auch der Semiotiker Th. A. Sebeok nicht gewußt, als er von einer mit der Lagerung radioaktiver Abfallstoffe befaßten US-amerikanischen Firma beauftragt wurde, ein Aufzeichnungssystem für Informationen über Lagerungsort und Eigenschaften des Atommülls zu entwickeln, das auch nach 10.000 Jahren einer der heutigen Sprachen und Schriftsysteme unkundigen Nachwelt noch irrtumsfrei lesbar wäre (vgl. Schneider 1987; Assmann 1999: 352f.). »Sebeoks […] Vorschlag lief darauf hinaus, eine ›Atompriesterschaft‹ zu berufen, eine erste Generation von Physikern, Linguisten, Strahlenexperten und Semiotikern, mit der eine Dynastie begründet werden sollte, die über Generationen hinweg die Botschaft immer wieder neu zu codieren hätte, um auf diese Weise für die Stabilität und sichere Übermittlung der Nachrichten zu sorgen« (Schneider 1987: 676f.).
Die Parallele ist perfekt. Die Aufgabe, vor die sich Sebeoks ägyptische Vorgänger gestellt sahen, betraf ebenfalls die Entwicklung eines Informationssystems, das bis in fernste Zukunft lesbar bliebe, um das Geheimwissen der Priester irrtumsfrei zu überliefern, und erforderte dieselben drei Lösungen: 1. die Entwicklung eines sprachunabhängigen Zeichensystems (die Hieroglyphen), 2. die Codierung und Speicherung der Informationen in zeitresistenter Form (die unterirdischen Wissensspeicher) und 3. die Gründung eines elitären Priesterordens, der über Genera-
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54 | Center for Interdisciplinary Memory Research tionen hinweg die Botschaft zu überliefern und neu zu codieren hätte. Kreil jedenfalls schließt »aus der Kunst, der Vorsicht, und dem unermeßlichen Aufwand, wodurch sie den einen Theil ihres Zweckes so meisterlich erreichten, auf die Güte der anderen Hälfte ihres Plans, nämlich auch den lebendigen Geist der Hieroglyphe in verschwiegenen und unsterblichen Mysterien der bessern Nachwelt zu überliefern [und zieht daraus] den Schluß, daß es nicht vernunftwidrig ist, anzunehmen, daß ihre geheime Weisheit noch in unsern Tagen, so wie ihre Pyramiden, Obelisken und Sphinge, existiere« (Kreil 1785: 65f.).
Diese Weisheit ist zwar unzugänglich, aber es gibt sie noch, im Sinne eines kulturellen Unbewußten, das auf eine dem Bewußtsein unzugängliche Weise wirksam ist. Bleibt zu erweisen, daß es die Freimaurerei ist, die als Träger dieses kulturellen Unbewußten fungiert, indem »die Hieroglyphen der drey untern Grade das Vehiculum« dieser Weisheit »seyn, daß sie aber nichts destoweniger nie der Gegenstand des Suchens unserer Brüder werden könne oder müßte« (ebd.: 66). Warum haben die ägyptischen Priester ihre Weisheit geheim gehalten? »Edelmüthige und tugendhafte Menschen sind nie allein weise […], sondern setzen […] ihre ganze Glückseligkeit darein«, ihr Wissen zum Wohle der Menschheit zum Tragen bringen zu können. »Wenn also Weise auf der Stuffe ihrer Vollendung Kenntnisse geheim halten, so ist kein anderer Beweggrund denkbar: als weil ihr Wissen solche Kenntnisse enthielt, die entweder den Profanen schädlich [werden] oder von ihnen […] mißbraucht werden könnten, oder solche die das Volk über Dinge aufklären könnten, die es ihm besser ist, nicht zu wissen« (ebd.: 68).
Im Willen aber, diese Kenntnisse trotzdem zu überliefen, zielten die Ägypter über ihre eigene Gesellschaft hinaus und faßten die gesamte Menschheit in den Blick, »denn sie baueten nicht für ihr Zeitalter, für ihre Nation, sondern für Jahrtausende, für ihre Gattung« (ebd.: 69). Der entscheidende Punkt scheint mir diese besondere Form des Vergangenheitsbezugs zu sein, die davon ausgeht, die Vergangenheit sei nicht vollkommen vergangen und verschüttet, sondern auch in unserer Welt noch lebendig, in geheimen, verborgenen Spuren, die sich jederzeit wieder zu einem leuchtenden Feuer entfachen lassen. Einen Vortrag über die eleusinischen Mysterien (vgl. Kreil 1786) schließt derselbe Anton Kreil mit der Vermutung, »daß diese Mysterien vielleicht noch nicht ganz von der Erde verschwunden sind«. Im späten 18. Jahrhundert ging man davon aus, auch an das fernste, das altägyptische Altertum noch anzuknüpfen zu können. Man trug Erinnerungen davon in sich, die man jederzeit,
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in den Logen der Freimaurer, in den Pyramiden, Grotten, Ruinen der damaligen Landschaftsgärten, ja auf der Opernbühne wieder aufleben lassen konnte. Vielleicht darf man Kreils Vorstellung von der altägyptischen Wissenskultur und ihrem Fortleben in der Freimaurerei als eine Allegorie des Speichergedächtnisses und einer Form des kulturellen Unbewußten verstehen. Die Zauberflöte wäre dann als ein Projekt zu verstehen, die Mysterien der Isis aus der Esoterik des Speichergedächtnisses in die Exoterik des Funktionsgedächtnisses zu überführen. Allerdings dürfen wir bei dieser Form des Unbewußten nicht an das Unbewußte im eigentlichen psychoanalytischen Sinne denken. Hier geht es nur um Vergessen, nicht um Verdrängen. Hier ist kein Trauma im Spiel. Es geht um Überreste eines Wissens, dessen Ordnung und Zusammenhang verloren gegangen sind. Normalerweise versinken solche Zusammenhänge in Tiefenschichten, die dem einzelnen nicht mehr bewußt sind und erst durch historische Forschung wieder ins Bewußtsein gehoben werden müssen. Welcher europäische Sprecher macht sich klar, daß in unseren Wochentagen die Namen der sieben Planeten des antiken Weltbildes stecken: Sonne (Sonntag), Mond (Montag), Mars (= Tiu = Dienstag), Merkur (mercredi, mercoledi = Wodan: wednesday; im deutschen ›Mittwoch‹ verschwunden), Jupiter (giovedi, Jeudi = Thor: thursday, Donnerstag), Venus (venerdi, vendredi = Freya: friday, Freitag) und Saturn (saturday)? Die Sprache transportiert ein multikulturelles Wissen bzw. Gedächtnis, das den Sprechern nicht mehr bewußt ist. Allerdings kann es jederzeit bewußt gemacht werden. Deshalb handelt es sich hier wohl weniger um das ›dynamische‹ als um das ›deskriptive‹ Unbewußten, d.h. um das Vorbewußte, um Wissensbestände, die zu Selbstverständlichkeiten geworden und in ihrem Zustandekommen vergessen sind. Es gibt zwei Formen solchen Wissens, und sie haben alle beide mit dem kulturellen Gedächtnis zu tun: erstens das bis zur Selbstverständlichkeit vergessene, habitualisierte Wissen, das aber in den Formen und Funktionen des kulturellen Lebens ständig präsent ist, also das, was auf der Ebene des persönlichen Gedächtnisses als implicit memory bezeichnet wird, zweitens das marginalisierte, obsolet gewordene, von der Mehrheit tatsächlich vergessene Wissen, das nur noch in den Kellern der Archive und vielleicht in den Köpfen weniger Spezialisten ein Schattendasein führt. Für beide Formen von ›Unbewußtheit‹ gilt, daß sie der Bewußtmachung und Versprachlichung im Alltag entzogen, aber nicht prinzipiell unzugänglich sind. Mit diesen beiden Formen von Unbewußtheit ist jedoch die Tiefendimension des kulturellen Gedächtnisses noch keineswegs ausgeleuchtet. Hierfür möchte ich abschließend und in gebotener Kürze auf eine Stelle in Thomas Manns zweiten Joseph-Roman eingehen, die auf eine andere Form von Unbewußtheit verweist. Es geht um den Sinn eines Festes, bei dem ein Widder geopfert wird (in Stellvertretung des erstgeborenen Sohnes) und bei dem Jaakob geradezu übel wird, wenn er den religionsgeschichtlichen Hintergründen oder ›Tiefenschichten‹ der Opfernacht nachgrübelt,
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56 | Center for Interdisciplinary Memory Research »der Opfernacht, die herankommt, da wir das Schaf schlachten nach Sonnenuntergang und tauchen den Ysopbüschel ins Blut, um die Pfosten damit zu bestreichen, damit der Würger vorübergehe. Denn es ist die Nacht des Vorübergehens und der Verschonung um des Opfers willen, und ist das Blut an den Pfosten dem Umhergehenden eine Beschwichtigung und ein Zeichen, daß der Erstling geopfert ist zur Versöhnung und zum Ersatz für Menschen und Vieh, die es ihn zu würgen gelüstet. Darüber fiel ich mehrfach in Sinnen, denn der Mensch tut manches, und siehe, er weiß nicht, was er tut. Wüßte und bedächte er’s aber, so möchte es sein, daß sich das Eingeweide ihm umwendete und ihm das Unterste zuoberst käme in Übelkeit« (Mann 1934: 142f.).
Jaakob trägt sich mit dem Gedanken, das Fest als überholt ganz abzuschaffen, aber Joseph versucht ihn mit einem Gleichnis davon abzubringen: »›Siehe, da ist ein Baum‹, rief er und wies mit ausgestreckter Hand ins Innere des Zeltes, als wäre dort zu sehen, wovon er sprach, ›prächtig in Stamm und Krone, von den Vätern gepflanzt zur Lust der Späten. Seine Wipfel regen sich funkelnd im Winde, da seine Wurzeln im Stein und Staube haften des Erdreichs, tief im Dunkeln. Weiß wohl auch der heitere Wipfel viel von der kotigen Wurzel? Nein, sondern ist mit dem Herrn hinausgekommen über sie, wiegt sich und denkt nicht ihrer. Also ist’s, meines Bedünkens, mit Brauch und Unflat, und daß die fromme Sitte uns schmecke, bleibe das Unterste nur hübsch zuunterst‹« (ebd.: 145).
Mit der »kotigen Wurzel« ist nun in der Tat eine Tiefenschicht der kulturellen Erinnerung angesprochen, die sich dem bewußtmachenden Ausbuchstabieren entzieht. Das ist nicht mehr Vorbewußtes, sondern Unbewußtes. Was hier – in Thomas Manns Sicht – zugrundeliegt, ist ein Wissen, das nicht nur einfach obsolet, sondern zum Gegenstand kulturellen Abscheus geworden ist (das Opfer des Erstgeborenen). Joseph rät aber, »das Fest zu schonen und es nicht eifernd anzutasten um seiner Geschichten willen, für welche vielleicht mit der Zeit eine andere eintreten könnte« (ebd.: 147). Das Fest, das dieses Opfer an dem stellvertretenden Widder vollzieht, wird noch seinen Sinn erhalten: mit dem Auszug aus Ägypten und der Kreuzigung und Auferstehung Christi. Deshalb darf es nicht abgeschafft werden. Während Jaakob gewißermaßen die religiösen Untertöne dieses Festes hört und von ihnen abgestoßen ist, hört Joseph bereits die Obertöne zukünftiger ReSemantisierungen. Dieses Pessachfest avant la lettre ist ein gutes, wenn auch natürlich erfundenes (oder zumindest rekonstruiertes) Beispiel für eine Tiefenschicht des kulturellen Gedächtnisses, die nicht einfach mit Vergessen, sondern geradezu mit Verdrängung zu tun hat. Insofern auch das christliche Abendmahl für Thomas Mann als eine Re-Semantisierung dieses Opferfestes im Blick steht, berührt sich seine Auffassung durchaus mit der Sigmund Freuds, der wiederholt auf die »kotige Wurzel« des Abendmahls in Gestalt der archaischen Totemmahlzeit aufmerksam gemacht hat. Immer wieder verweist auch Mann auf die Verbin-
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Jan Assmann: Schrift, Speichergedächtnis und das kulturelle Unbewußte | 57
dung zwischen der Totemmahlzeit, dem Widder als Ersatztier für Isaak, dem Widderhaften im Isaaks Erscheinung und der allmählichen Sublimierung dieser Tiefenschichten des Festes bis hin zur Eucharistie. Wie Aleida Assmann in einem vor drei Jahren in Tutzing gehaltenen, aber leider unpublizierten Vortrag gezeigt hat, brachte gerade der Abendmahlritus in Verbindung mit der im hohen Mittelalter aufkommenden Lehre von der Transsubstantiation kollektive Wahnvorstellungen hervor in Form der zahlreichen Blutwunderlegenden und antisemitischen Phantasien von Ritualmord und Hostienschändung, die sich aus dem dynamischen (und nicht nur dem deskriptiven) Unbewußten der Kultur zu speisen scheinen. Thomas Mann und Sigmund Freud rechnen mit einer unbewußten Dimension der Kultur. Bei Mann aber ist das eine Dimension der Kultur, die sich aus der Überdeterminiertheit ihrer aus unvordenklichen Zeiten und verschiedenen Kulturräumen stammenden symbolischen Formen speist, während es sich bei Freud um eine Dimension der menschlichen Seele handelt, die aus phylogenetischen Traumatisierungen und ethno- bzw. ontogenetischen Re-Traumatisierungen folgt. Unsere Konzeption des kulturellen Gedächtnisses versucht beide Ansätze zu verbinden. Von Thomas Mann übernimmt sie den Gedanken einer unbewußten bzw. vorbewußten Dimension innerhalb der Kultur selbst, wofür das Gedächtnis der Sprache und der Riten das sinnfälligste Modell abgibt. Von Sigmund Freud übernimmt sie die Kategorien ›Trauma‹, ›Verdrängung‹ und ›Latenz‹ und damit den weitergehenden Begriff des Unbewußten im eigentlichen (dynamischen) Sinne. Dafür sind die unbewußten Tiefenschichten des jüdischen Seder und des christlichen Abendmahls ein Beispiel.
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Konvergenzzonen zwischen den Disziplinen. Eine Skizze für das Forschungsprogramm des »Center for Interdisciplinary Memory Research« Harald Welzer
Das Gedächtnis ist es, was den menschlichen Geist von dem anderer Primaten und anderer Säugetiere überhaupt unterscheidet. Genauer muß man sagen: Es ist das autobiographische Gedächtnis, was den Menschen zum Menschen macht, also das Vermögen, ›Ich‹ sagen zu können und damit eine einzigartige Person zu meinen, die eine besondere Lebensgeschichte, eine bewußte Gegenwart und eine erwartbare Zukunft hat. Abstrakter formuliert: das autobiographische Gedächtnis liefert dem Menschen das Vermögen, die persönliche Existenz in einem RaumZeit-Kontinuum zu situieren und auf eine Vergangenheit zurückblicken zu können, die der Gegenwart vorausgegangen ist. Offensichtlich dient dieses Vermögen, »mentale Zeitreisen« (Endel Tulving) vornehmen zu können, dem Zweck, Orientierungen für zukünftiges Handeln zu ermöglichen. Erlerntes und Erfahrenes kann auf diese Weise für die Gestaltung und Planung von Zukünftigem genutzt werden. Autobiographische Erinnerungen sind ›autonoetisch‹: Wir erinnern uns nicht nur, sondern können uns auch dessen bewußt sein, daß wir uns erinnern. Dieses Vermögen zur autonoetischen Erinnerung liefert den unschätzbaren Vorteil eines bewußten, expliziten Abrufs von Erinnerungen. Das bedeutet, daß man sich willentlich in längst vergangene Situationen zurückversetzen kann, um sich z.B. eine Handlung und ihre nicht wahrgenommenen Alternativen vor Augen zu führen, damit man in einer analogen Situation in der Gegenwart ein breiteres Handlungsspektrum nutzen und eine begründete Entscheidung treffen kann. Über ein autobiographisches Gedächtnis zu verfügen, bedeutet in evolutionä-
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60 | Center for Interdisciplinary Memory Research rer Perspektive einen enormen Anpassungsvorteil: Es schafft die Möglichkeit, sich bewußt und reflexiv zu dem zu verhalten, was einem widerfahren ist und wie man darauf reagiert hat. Damit werden Erinnerungen in zwei Hinsichten auf eine funktional effizientere Ebene gehoben. Die Fähigkeit, sich selbst in einem Raum-ZeitKontinuum situieren zu können, bedeutet, daß die eigene Umwelt planmäßig erschlossen und ausgewertet werden kann. Während ohne reflexives Gedächtnis Reize und Reaktionen, Anforderungen und Antworten unmittelbar aufeinander folgen, eröffnet die Fähigkeit zum bewußten Erinnern einen prinzipiell unendlichen Raum von Aufschüben zwischen den jeweiligen Anforderungen und den möglichen Reaktionen darauf. Ein reflexives Gedächtnis ermöglicht das Warten auf bessere Gelegenheiten, das Überstehen problematischer Situationen, das Entwickeln effizienterer Lösungen; kurz: Es erlaubt Handeln, das auf Auswahl und Timing beruht. Ein solches Gedächtnis schafft Raum zum Handeln und entbindet vom unmittelbaren Handlungsdruck; es schafft genaugenommen erst jenen Unterschied zum Agieren und Reagieren, den wir als ›Handeln‹ bezeichnen. Zweitens, und damit zusammenhängend, schafft ein reflexives Gedächtnis die Möglichkeit, Gedächtnisinhalte zu externalisieren, d.h. aus dem Organismus herauszuverlagern. Angefangen von der einfachen Markierung eines Nahrungsverstecks über die Entwicklung symbolischer Austauschformen durch sprachliche Kommunikation bis zur Herausbildung von Schriftsprachen und zur Erfindung des Internet haben Menschen ganz einzigartige Formen der Repräsentation von Gedächtnisinhalten geschaffen, die wiederum zum einen Entlastung von Handlungsdruck, zum anderen die soziale Weitergabe von Erinnertem erlauben. Menschen können Informationen aufbewahren und kommunizieren; sie können sie mit der Erfindung von Schrift schließlich sogar an Menschen weitergeben, mit denen sie räumlich oder zeitlich überhaupt nichts verbindet, womit sich ein Fundus von gespeichertem Wissen auftut, der die Beschränkungen der direkten Kommunikationen radikal überwindet. Die Externalisierung von Gedächtnis bedeutet einen evolutionären Fortschritt ums Ganze: die Schaffung einer Möglichkeit der kulturellen Weitergabe von Erfahrungen beschleunigt die langsame biologische Evolution mit den Mitteln des Sozialen. Darauf geht die atemberaubende und sich permanent steigernde Entwicklungsgeschwindigkeit der Evolution menschlicher Existenzformen zurück: Menschen können ihre Erkenntnisfortschritte in der Bewältigung von Umweltanforderungen über Zeiten und Räume hinweg weitergeben, so daß die jeweils folgenden Generationen auf der Basis der gemachten, in soziale Praktiken überführten Bewältigungserfahrungen ihre Entwicklungsmöglichkeiten auf jeweils höheren Erfahrungsniveaus entfalten können. Diese ungeheure Steigerung von Entwicklungsmöglichkeiten geht zentral auf die Technik zurück, Gedächtnis im sozialen Raum verfügbar zu machen. Deshalb spielen sich in den unter evolutionärem Aspekt betrachteten extrem kurzen
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200.000 Jahren der Existenz des Homo sapiens sapiens die rasanten technologischen und kulturellen Fortschritte ab, die wir bei sich immer noch beschleunigender Weitergabegeschwindigkeit buchstäblich Tag für Tag erleben. Das heißt aber auch, daß sich Menschen im Unterschied zu anderen Lebewesen nicht nur in einem biologischen, sondern auch in einem sozialen Universum bewegen, und dieser Umstand kommt unter anderem auch in jenen beeindruckenden neurowissenschaftlichen Befunden der letzten beiden Jahrzehnte zum Ausdruck, die hervorheben, daß das Gehirn selbst, das Zentralorgan der menschlichen Weltbewältigung, sich erfahrungs- und nutzungsabhängig entwickelt. Die Architektur seiner neuronalen Verschaltungen ist abhängig von der sozialen und kulturellen Umwelt, in der ein Mensch aufwächst, und insofern haben wir es bei Phänomenen, die mit Gedächtnis und Bewußtsein zu tun haben, prinzipiell und unausweichlich mit biosozialen Phänomenen zu tun. Dieser einfache Sachverhalt begründet zwar, daß eine interdisziplinäre Gedächtnisforschung zwingend notwendig ist, aber noch nicht, daß sie auch möglich ist. Denn die Geistes- und Kulturwissenschaften sind seit gut zwei Jahrzehnten mit einem immer deutlicher werdenden Bedeutungsverlust konfrontiert, der – neben innerdisziplinären Ursachen – stark mit einer Expansion naturwissenschaftlicher Deutungs- und Erklärungsansprüche zu tun hat. So läßt sich an vielen Stellen verzeichnen, daß mit Hilfe naturwissenschaftlicher Konzepte und Befunde soziale Phänomene erklärt werden sollen, etwa, wenn führende Neurowissenschaftler ihre Ergebnisse in neue Kriminalitätsdefinitionen zu überführen trachten. Der Siegeszug der Neurowissenschaften, der übrigens eng an Fortschritte auf medizintechnologischer Ebene (wie z.B. die Entwicklung sog. bildgebender Verfahren) gekoppelt ist, hat dazu geführt, daß diese in steigendem Maße Alleinerklärungsansprüche für Fragen der menschlichen Psycho- und Soziogenese, des Bewußtseins, des Willens und des Gedächtnisses reklamieren zu können glauben. Im Rahmen einer interdisziplinären Erinnerungs- und Gedächtnisforschung läßt sich systematisch – theoretisch wie methodologisch – zeigen, daß diese Erklärungsansprüche überzogen sind. Denn die Neurowissenschaften operieren, wo sie über Bewußtsein, Willen oder Gedächtnis zu sprechen glauben, lediglich mit dem Begriff der ›Information‹, die durch das Gehirn auf die eine oder andere Weise verarbeitet wird. Im Fall des menschlichen Gehirns haben wir es bei dem, was unser Bewußtsein und unser Gedächtnis bewegt und unseren Willen motiviert, aber keineswegs mit Information zu tun, sondern mit kulturell – also mit sozial und historisch – gebildeten Bewußtseins-, Gedächtnis- oder Willensinhalten, die unsere Wahrnehmung von Welt (und damit auch das, was wir erinnern) nach Kriterien von Sinn und Bedeutung selektieren. Zweitens ist das epistemische Objekt der Neurowissenschaften das Individuum, ihre Theoriebildung daher strikt individualistisch, weshalb sie wesentliche Aussagen über die Verarbeitungsmodi des Gehirns, nicht aber über das Verarbeitete machen können, das sozial und interaktiv
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62 | Center for Interdisciplinary Memory Research gebildet wird. Dies ist aber drittens unabdingbar, weil das Gehirn, wie gesagt, ein Organ ist, das sich in seiner eigenen Entwicklung (die erst mit Erreichen des Erwachsenenalters zu Ende geht) in Abhängigkeit von sozialer Umwelterfahrung strukturiert und insofern das Produkt eines bio-psycho-sozialen Prozesses ist. Die erfahrungsabhängige Entwicklung des Gehirns macht es unmöglich, das Selbst oder das Bewußtsein oder das Gedächtnis als etwas konstitutiv Individuelles zu betrachten. Wenn wir über die Phylo- und Ontogenese des Menschen sprechen, fallen Natur- und Kulturgeschichte zusammen, und wenn wir von der Erfahrungsabhängigkeit der Gehirnentwicklung auf der einen Seite und der biokulturellen Entwicklung des Denkens auf der anderen Seite ausgehen, können wir damit beginnen, Konvergenzzonen zwischen den Ansätzen und Befunden der jeweiligen Paradigmen zu identifizieren und fruchtbar zu machen. In der Konvergenzzone, die sich im Bereich der menschlichen Psycho- und Soziogenese zwischen den Disziplinen abzeichnet, hat die Kulturwissenschaft mittelfristig wohl mehr zu sagen als die Naturwissenschaft, weil sie die soziokulturelle Genese des epistemischen Objekts ihrer Bemühungen rekonstruieren kann – und zwar gerade mit Hilfe naturwissenschaftlicher Befunde. Zugleich kann sie die reduktiven Begriffe, auf deren Grundlage die Neurowissenschaften ihre Forschungszugänge operationalisieren, kritisieren und zugunsten wirklichkeitsangemessenerer Begriffe und Konzepte suspendieren. Und schließlich kann sie deren Befunde aus dem Bezugsfeld des Individuums in das Beziehungsfeld des Sozialen bewegen. Umgekehrt allerdings wird jede rein kulturwissenschaftliche Gedächtnisforschung substanzlos bleiben, solange sie ihre Beobachtungen und Befunde nicht an die neurobiologischen Grundlagen rückbindet, die menschliches Erinnern überhaupt ermöglichen. Wenn wir etwa im Rahmen unserer Untersuchungen feststellen, daß Gedächtnis in unterschiedlichen Lebensaltern unterschiedlich verarbeitet wird und daß bei alten Menschen Erinnerungen an ihr junges Erwachsenenalter stabiler – oder auch starrer – repräsentiert sind als etwa die aus kürzer zurückliegenden Lebensjahren, dann läßt das vielleicht Schlüsse darauf zu, wieso historische Erfahrungen sich so verhement gegen nachträgliche Revisionen sperren, wie das etwa im Zusammenhang der sogenannten Wehrmachtsausstellung der Fall war. Kurz: Wenn Martin Walser mitteilt, daß er »seine Erinnerung nicht belehren« könne, können wir ihm – gewiß zu seiner Enttäuschung – sagen, daß das nicht allein politische Gründe hat, sondern auch etwas mit den Funktionsmodi seines Gedächtnisses zu tun hat. Übrigens haben uns unsere interdisziplinären Forschungserfahrungen gezeigt, daß sich das gewöhnlich höchst abstrakte und wohlfeile Postulat ›Interdisziplinarität‹ durchaus in Praxis transformieren läßt – und zwar dann, wenn der Forschungsgegenstand gut definiert ist, die Methoden sorgfältig aufeinander abgestimmt sind und die großen, die paradigmatischen Fragen – Was ist Gedächtnis? Was ist Bewußtsein? Was ist Wille? – suspendiert sind. Interdisziplinäre For-
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schungsarbeit heißt immer: Differenzen einklammern, die paradigmatischer Natur sind, und gegenstandsbezogen arbeiten. Dann zeigt sich, daß man nicht nur hervorragende Ergebnisse in den konvergenten Zonen zwischen den Disziplinen erzielen kann, sondern auch ganz neue Heuristiken entwickeln kann. Zudem lassen sich in interdisziplinärer Forschung die Grenzen und Reichweiten disziplinärer Zugänge besser bestimmen und jene stillschweigenden Vorannahmen aufklären, die uns disziplinär nolens volens anleiten und die uns nicht allzu selten geradewegs an dem vorbeilaufen lassen, was an unserem Material neu und interessant sein könnte. Gedächtnisforschung hat sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten als zentrales interdisziplinäres Paradigma im Schnittfeld von Natur- und Kulturwissenschaften etabliert. Ihre Themen und Befunde haben die interne Fachdiskussion längst verlassen und werden in der Öffentlichkeit breit diskutiert. Diese anhaltende Konjunktur resultiert in den kulturwissenschaftlichen Disziplinen aus der beschleunigten Veränderungsdynamik moderner Gesellschaften, die kontinuierliche Selbstvergewisserungen durch Rückgriffe auf Vergangenheits- und Erinnerungsbestände notwendig macht. In den Neurowissenschaften war es besonders die Entwicklung der bildgebenden Verfahren, die die Erkenntnisbildung in der Gedächtnisforschung enorm beschleunigt hat. Diese Entwicklung hat etwa zur Abkehr von topologischen Speichermodellen des Gehirns, zur Differenzierung von Gedächtnissystemen und zur Dynamisierung und Flexibilisierung der Modellvorstellungen vom menschlichen Gedächtnis geführt. Gerade diese Fortschritte haben zugleich die Begrenztheit disziplinärer Zugänge aufgezeigt. Die Notwendigkeit einer interdisziplinären Gedächtnisforschung ergibt sich aber nicht nur aus wissenschaftlichen Gesichtspunkten, sondern erweist sich auch immer deutlicher als gesellschaftliches Erfordernis. Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden demographischen Entwicklung zu einer völlig anderen Altersschichtung in den kommenden Jahrzehnten werden gedächtniskorrelierte Problemlagen deutlich zunehmen. Nicht nur unter medizinischen, sondern auch unter soziologischen und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten wird die veränderte Demographie dringenden Handlungsbedarf zeitigen. All diesen Entwicklungen trägt die Einrichtung des Center for Interdisciplinary Memory Research Rechnung, das sich den skizzierten Fragen in interdisziplinärer Forschungsarbeit widmet. Es befaßt sich etwa mit Grundlagenforschung zur Entstehung des menschlichen Gedächtnisses, mit der intergenerationellen Weitergabe von Erinnerungen, mit den Langzeitfolgen kollektiver Gewalterfahrungen oder mit der Entwicklung interdisziplinärer Methodologien. Es ist am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen angesiedelt, mit dem es hinsichtlich des Forschungsprogramms und bei der Einladung von Gastwissenschaftlern und der Durchführung von internationalen Workshops und Konferenzen eng kooperiert. Das Research Center ist das erste europäische Forschungsinstitut, das sich ausschließlich mit Fragen der
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64 | Center for Interdisciplinary Memory Research Gedächtnisforschung befaßt und hat den Anspruch, mit seiner internationalen und interdisziplinären Ausrichtung ein für die Kulturwissenschaften wegweisendes Exzellenzzentrum grundlagen- und anwendungsorientierter Forschung zu sein.
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Claudia Lenz, Isabella Matauschek: Geschichtspolitik und Erinnerungskultur | 65
Vergleichende Tradierungsforschung
Geschichtspolitik und Erinnerungskultur in Dänemark und Norwegen aus der Perspektive intergenerationeller Tradierung Claudia Lenz, Isabella Matauschek
Wie tief Geschichtspolitik und öffentliche Erinnerungskultur auf der einen Seite und familiäre Tradierung auf der anderen Seite auseinanderklaffen können, war eines der zentralen Ergebnisse des von Harald Welzer geleiteten und bereits abgeschlossenen Projektes »Tradierung von Geschichtsbewußtsein« in Deutschland. Eindrücklich wurde der deutschen Öffentlichkeit vor Augen geführt, daß pädagogisch vermitteltes und familiär tradiertes Wissen über den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg häufig im direkten Widerspruch zueinander stehen. Die meisten der Befragten – und dies gilt insbesondere für die jüngeren Generationen – verfügen über ein ausgeprägtes Wissen hinsichtlich der Verantwortlichkeit Deutschlands für die Verbrechen des Zweiten Weltkrieges und den Mord an den europäischen Juden. Wenn es jedoch um die eigenen Eltern bzw. Großeltern geht, ist die überwiegende Mehrheit der Ansicht, daß ihre direkten Verwandten nicht an diesen Verbrechen beteiligt waren, mithin sogar Widerstand verübt hätten (vgl. Welzer/Moller/Tschuggnall 2002). Das Projekt »Vergleichende Tradierungsforschung« geht unter anderem der Frage nach, ob die für Deutschland festgestellte Tendenz zur ›Umschreibung‹ von familiären Erinnerungen hin zu einer Entlastung und/oder Heroisierung der eigenen Familie auch in den ehemals von Deutschland besetzten Ländern zu finden ist. Die Studie wird in sechs Ländern, in Serbien, Kroatien, den Niederlanden,
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66 | Vergleichende Tradierungsforschung Norwegen, Dänemark und – hier ist die Ausgangslage etwas anders gelagert – Israel, durchgeführt. Bevor wir uns nun der komparativen Perspektive zuwenden, möchte wir einige Anmerkungen zu der Frage machen, welchen Beitrag die Erforschung der intergenerationellen Weitergabe von Erinnerung in Familien für die Untersuchung öffentlicher Erinnerungskultur und Geschichtspolitik zu leisten imstande ist.
Familie als Erinnerungsgemeinschaft Die Familie stellt eine Scharnierstelle zwischen individuellem/biographischen Erinnern bzw. Geschichtsbewußtsein auf der einen und kollektiven Vergangenheitsdiskursen, Erinnerungskulturen und Geschichtsbildern auf der anderen Seite1 dar. Das heißt, familiäre Selbstverständnisse, Loyalitäten aber auch Konflikte sind ein ebenso produktiver Faktor bei der Tradierung von Geschichten und Vergangenheitsbildern wie die jeweils öffentlich kursierenden Geschichtsbilder (vermittelt durch Schule, Medien, öffentliche Gedenkrituale etc.). Insofern gibt die Tradierung innerhalb von Familien darüber Aufschluß, welche Geschichten bzw. welche Version dieser Geschichten ›erinnerungs-‹ und ›erzählwürdig‹ sind und auf welche Weise familiär tradierte Erinnerungen mit gesellschaftlichen Deutungsmustern in Einklang gebracht werden. Für familiäre Kommunikationsprozesse über die Vergangenheit lassen sich ebenso wie im öffentlichen Raum ›autorisierte Sprecherpositionen‹ ausmachen. Bestimmten Personen wird zugestanden, Relevantes über die Vergangenheit aussagen zu können. Dies gilt sowohl für die Annahme der Authentizität und Wahrhaftigkeit der Berichte als auch der damit verbundenen Bewertungen und normativen Schlußfolgerungen. Das Phänomen der ›Zeitzeugen‹, die zu aktuellen politischen oder allgemeinen moralischen Problemen befragt werden, kann als Beispiel dafür herangezogen werden. Diese Art von Autorisierung bzw. der Delegitimierung läßt sich auch für die Kommunikation innerhalb von Familien nachweisen. Dies hängt unter anderem davon ab, ob überhaupt und welche Identifikationsangebote von der Zeitzeugengeneration an die zweite und dritte Generation gemacht werden können und verweist somit wiederum auf den weiteren sozio-kulturellen Deutungskontext. Die deutsche Studie »Tradierung von Geschichtsbewußtsein« hat gezeigt, daß Enkel ihre ›Nazi-Opas‹ durchaus dadurch als Vermittler von Werten ›autorisieren‹ und als Vorbilder konstruieren, indem sie deren Geschichten in 1 | Hier sind zunächst nationale Geschichtsschreibungen zu nennen, aber auch andere soziale z.B. religiöse, politische Gruppen verfügen über zum Teil eigenen Geschichtsbilder und -mythen, diese sind jedoch in der Regel wiederum mit nationalen Vergangenheitskonstruktion verschränkt.
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Claudia Lenz, Isabella Matauschek: Geschichtspolitik und Erinnerungskultur | 67
einer Weise umerzählen, die sie mit dem gesellschaftlichen Konsens der Verurteilung von NS-Gesinnungen in Einklang bringt. Beide obengenannten Punkte machen deutlich, daß Familien Orte sind, in dem soziale Aushandlungsprozesse bezüglich des Sinns und der Bedeutung von Vergangenheit, sowie bezüglich ethisch-moralischer, aber auch politischer Haltungen (›Lehren‹ aus der Geschichte) zwischen den Generationen untersucht werden können. Gerade wegen des kommunikativen oder Aushandlungscharakters der Weitergabe von Erinnerungen kann die Familie als mittlere und vermittelnde Ebene zwischen privaten und öffentlichen Dimensionen der Konstruktion von Vergangenheit betrachtet werden.
Familie als ›gebrochener Spiegel‹ der Geschichtspolitik und politisierten Implikationen von Erinnerungskultur Spiegel Jede individuelle und familiäre Vergangenheitsnarration ist in die hegemonialen Vergangenheitsdiskurse einer Gesellschaft eingebettet und eingeschrieben, und damit zwangsläufig auf autorisierte und offizielle Versionen der Geschichtsschreibung, mithin auf die Basiserzählung einer Nation bezogen. Mit dem Begriff der Basisnarration beziehen wir uns auf die norwegische Ethnologin Anne Eriksen (1995) und die dänischen Historiker Claus Bryld und Annette Warring (1998). Ihrer Definition zufolge besitzt die Basisnarration Modellcharakter für die nationale Erinnerungskultur. Das hat zur Folge, daß sich konfligierende Erzählungen und Deutungen notwendigerweise zu ihr ins Verhältnis setzen müssen, um überhaupt als sinnvoll wahrgenommen zu werden und damit Geltung beanspruchen zu können.2 Als entscheidendes Charakteristikum einer nationalen Basiserzählung beschreiben Bryld und Warring ihre vereinheitlichende und harmonisierende Wirkung innerhalb der »kulturellen und politischen Sinnproduktion« (Bryld/Warring 1998: 55). Die Basiserzählung »hat in dem Sinne Modellcharakter gehabt, daß wi2 | Der deutsche Historiker Jan-Holger Kirsch (2000) trifft eine weitergehende Unterscheidung zwischen Basiserzählung, Basisgeschichten und Basisdiskurs, wonach die Basiserzählung »das mythische Fundament moderner Gesellschaften darstellt«, ein Sinn stiftendes und legitimierendes »allgemeines Erzählschema«, die Basisgeschichten hingegen individuelle Erzählungen »die in spezifischen Kontexten der Alltagssphäre angesiedelt sind und auf eigenen Erfahrungen gründen«, während der Basisdiskurs beide Ebenen vermittelt und »den Konflikt um die Legitimität gegensätzlicher Vergangenheitsdeutungen vermittelt« (ebd.: 137).
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68 | Vergleichende Tradierungsforschung dersprechende Erzählungen sich notwendigerweise zu ihr ins Verhältnis setzen mußten, um überhaupt sichtbar zu werden« (ebd.). Dabei befinden sich Erinnerungen als individuelle Form der Erfahrungsverarbeitung und die Herausbildung kanonisierter Darstellungs- und Umgangsweisen in bezug auf Kriegs- und Besatzungszeit in einem sich wechselseitig beeinflußenden Verhältnis. Dies hängt vor allen Dingen mit der Verwobenheit von direkter, persönlicher Erinnerung an und Geschichtsschreibung über diese Zeit zusammen. Die ersten Darstellungen über die Besatzungszeit wurden von Akteuren aus dem Widerstand verfaßt und sind somit zugleich Erfahrungsbericht und wissenschaftliche Abhandlung. Die norwegische Ethnologin Anne Eriksen (1995, 1999) betont in Anlehnung an Maurice Halbwachs (1985a, 1985b), daß Erinnerung immer ein sozial formiertes Phänomen ist und daß individuelle Erinnerung so formiert sein muß, daß sie innerhalb eines soziokulturellen Rahmens sinnvoll und intersubjektiv kommunizierbar ist. Gleichzeitig müssen die kulturellen Erinnerungsdiskurse so kodiert sein, daß sie individuell lesbar sind und eine Identifikation erlauben (vgl. Eriksen 1999; insbes. 14f. und 94f.). Die scheinbar weit voneinander entfernt liegenden Pole subjektiver, individueller Erinnerung sowie öffentlich kursierender Vergangenheitsdiskurse und der ›offiziellen‹, politisch sanktionierten Geschichtsschreibung sind innerhalb dieser Betrachtungsweise untrennbar miteinander verbunden: »Die kollektive Erinnerung an die Besatzungszeit entsteht aus dem engen und einander wechselseitig bekräftigenden Dialog von individuellen Erinnerungen und Geschichtsschreibung. Diese beiden Hauptlinien beziehen jeweils Sinn und Legitimität voneinander« (ebd.: 103). Somit entsteht ein zur Schließung tendierendes diskursives System. Eriksen beschreibt den Transformationsprozeß der massenhaft verfaßten und veröffentlichten Selbstzeugnisse und persönlichen Erinnerungen an die Besatzungszeit in Norwegen, die sie als »Erinnerungsflora« (ebd.) bezeichnet, in ein kollektiv abrufbares Belegmaterial für die Beschreibungen kollektiver, nationaler Eigenschaften und Wesenszüge. Mit anderen Worten: Hier handelt es sich um einen Prozeß, in dessen Verlauf eine großen Zahl von individuellen Erzählungen im Kontext des Feldes kultureller Symbolisierungs- und Repräsentationsweisen, aus dem sie hervorgehen, mythische Züge im oben beschriebenen Sinne annehmen. Wesentlich an Eriksens Beschreibung der Transformation persönlicher Erinnerungen in die mythische Struktur der kollektiven Erinnerungskultur ist die Reflexivität dieses Prozesses. Die Basiserzählung »dient als leitender Interpretationsrahmen für die Erinnerungen der einzelnen an ihre eigenen Erlebnisse« (ebd.), aber ihre kollektive Wirkmacht und Autorität lebt davon, daß sie als authentische Erfahrung aus Lebensgeschichten spricht. Insofern stellt die Basiserzählung eine vermittelnde Matrix kultureller Bedeutungsproduktion dar. Gerade im Dialog zwischen den Generationen wird deutlich, welchen Einfluß
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geschichtspolitische Debatten, historische Einschnitte (politische Transformationsprozesse) und die daraus resultierende Änderungen der offiziellen Geschichtsschreibung sowie medial vermittelte Vorstellungen über die Vergangenheit haben. Dies läßt sich zuweilen an den Umschreibungen ein und desselben familiär tradierten Ereignisses wie eine Art von ›Spur‹ im Derridaschen Sinne verfolgen (nicht verweisend auf die ursprüngliche ›Wahrheit‹ der Begebenheit, sondern auf den Wandel der Wahrnehmungs- und Deutungsangebote, also das jeweils Denk- und Sagbare über die Vergangenheit). Neben dieser (Über-)Determinierung individuellen Erinnerns und familiärer Tradierung durch kollektiv wirksame Sinnbildungsprozesse rückt mit dem Fokus auf innerfamiliäre Kommunikationsprozesse eine gegenläufige Bewegung in den Blick: Familiäre Loyalitäten und emotionale Bindungen führen dazu, daß Aspekte der Familiengeschichte, die vor dem Hintergrund dominierender Geschichtsbilder zu einer Kritik an und Distanzierung von den entsprechenden Familienangehörigen führen müßten, stattdessen »paßförmig« gedeutet bzw. umgedeutet werden. Auf der anderen Seite gibt es auch innerhalb der dominierenden Geschichtsversion offene Deutungsspielräume, die es erlauben, Familienangehörige ›in einem besseren Licht‹ erscheinen zu lassen.
Brüche Somit vermag das soziale Bezugssystem Familie auch ›illegitimen‹ bzw. aus den offiziellen Geschichtsbildern ausgeschlossenen Erinnerungen Raum zu geben, sie in eine familiäre Konsenserzählung zu integrieren. Im offiziellen Erinnern und Gedenken einer Gesellschaft werden bestimmte Gruppen und Erfahrungen nicht oder nur als das konstitutive Andere einer ›Wir‹-Erzählung repräsentiert. So eint zum Beispiel der Ausschluß der Kollaborateure die Erinnerungsgemeinschaft der übrigen Gesellschaft als Nation im Widerstand. Die Erinnerungen von Angehörigen dieser Gruppen werden im familiären Kontext zuweilen ›erzählbar‹, indem spezifische familiäre ›Erinnerungskonsense‹ geschaffen werden, die aus der öffentlich delegitimierten eine privat legitime Erinnerung machen (z.B. indem dem norwegischen Großvater, der freiwillig auf Seiten der Deutschen an die Ostfront kämpfte, von seinem Enkel rein idealistische Motive zugesprochen werden). In der Regel existieren diese Elemente des ›Nicht-Erzählwürdigen‹ in jeder Familienerinnerung, weil kaum eine Biographie vollkommen passförmig zur Basisnarration verlaufen ist. So gab es im Fall der Besatzung der nord-westeuropäischen Länder, gegen die kein Vernichtungskrieg geführt wurde und an die das Angebot der Teilhabe und Teilnahme an der nationalsozialistischen Ordnung gemacht wurde, vielfältige Formen des Profitierens von oder sich Arrangieren mit dem Besatzungsregime, aber auch eine gewisse Bewunderung der Besatzer oder
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70 | Vergleichende Tradierungsforschung zumindest Sympathien für einzelne Angehörige der Besatzungsmacht (vgl. Gross 2000: 15-35; Judt 2000: 293-324). Deutlich ist der Ausschlußmechanismus aus der nationalen Erinnerungsgemeinschaft dort, wo die Angehörigen der ersten Generation ›auf der falschen Seite‹ standen (Kollaborateure, sog. ›Deutschenmädchen‹) und somit nach 1945 geradezu als konstituierende ›Andere‹ der nationalen Erinnerungsgemeinschaft fungierten. Wenn in solchen Fällen dennoch eine innerfamiliäre ›Konsenserzählung‹ entstehen kann, so kommt diese in der Regel durch Auslassungen, Vagheit der Geschichten und ihrer Beurteilung (leeres Sprechen) zustande. In Ausnahmefällen wird jedoch auch eine ganz eigene, familienspezifische ›Geschichtsschreibung‹ konstruiert, die sehr bewußt als ›Gegenerzählung‹ zur nationalen Konsenserzählung betrachtet wird. Dies ist jedoch unter der Bedingung und um den Preis extremer sozialer Stigmatisierung und Isolierung der Fall. Die intergenerationelle Kommunikation über die Vergangenheit, also die Konstruktion familiärer Konsenserzählungen kann somit die Widersprüche zur und Unvereinbarkeit mit öffentlich autorisierten Vergangenheitsbildern überdecken. Zugleich kann die Untersuchung und Zurückverfolgung dieser Prozesse aber auch Aufschluß über die inneren Widersprüche und Inkonsistenzen der dominierenden Geschichtsbilder geben.
Beispiele für die Erinnerungsmächtigkeit von nationalen Basisnarrationen Dänemark – Norwegen Trotz eines sehr unterschiedlichen Besatzungsverlaufs ähneln sich die dominierenden Versionen der Besatzungsgeschichtsschreibung in beiden Ländern von ihrer Struktur her. Die Besatzungszeit stellt einen mythisch aufgeladenen Ausnahmezustand in der nationalen Geschichte dar, in dem die ›kleine‹ und unterlegene Nation sich gegenüber einem übermächtigen äußeren Feind einte, auf ihre innersten Werte besann und in dieser Form symbolisch und moralisch neu erschuf. Dominierend ist hier die Vorstellung einer homogenen nationalen Gemeinschaft, die eine Einigung/Neuschöpfung über politische und soziale Differenzen hinweg erfuhr. Diese Vorstellung stellte eine wirkungsmächtige Grundlage für die wohlfahrtstaatlichen Konsense der Nachkriegsgesellschaften dar. Der Preis für diese äußerst integrativen Erzählung von der ›Nation im Widerstand‹ war zum einen die immense und nachhaltige Stigmatisierung und Exklusion derjenigen, die als Verräter und innere Feinde gebrandmarkt wurden (da Differenz nicht vorgesehen ist, kam dies dem Ausschluß aus der nationalen [Erinnerungs-]Gemeinschaft gleich). Zum anderen stellt die Negation innerer Differenzen und Antago-
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nismen in Zeiten globalisierter Mobilität und Migration ein schwerwiegendes Konfliktfeld dar.3 In Norwegen kam der Zeit der deutschen Okkupation nach 1945 eine wesentliche identitätsstiftende Bedeutung zu. Anne Eriksen (1995: 163) geht so weit zu sagen, daß die kollektive Erinnerung an die Besatzungszeit als »Schöpfungsmythos des modernen Norwegens« fungiert. Anders als Geschichtsbezüge, die nationale Kontinuität in die Vorzeit (z.B. die Wikingerzeit und das Mittelalter) hinein verlegen und nationale Eigenschaften als überzeitliche in Erscheinung treten lassen, liegt diese historische Phase noch an der Schwelle dessen, was im kommunikativen Gedächtnis4 (Assmann 1992: 50) erhalten und vermittelt werden kann. Die nationalen Eigenschaften und Werte, die, so Eriksen, in der hegemonialen Erzählung über die Besatzungszeit diskursiv konstruiert werden, bieten im wörtlichen Sinne naheliegendere Identifikationsmöglichkeiten für Menschen in einer modernen Gesellschaft als mittelalterliche Könige und Bauern in der Einsamkeit unerschlossener Fjorde. Dennoch besitzt die Struktur der kollektiven Erinnerung an die Besatzungszeit mythischen, überzeitlichen Charakter, indem sie Aussagen darüber enthält, was und wie Norweger ›immer schon waren‹, was sie in ihrem Kern ausmacht. In den Worten von Eriksen klingt die als Basiserzählung bezeichnete mythische Essenz der nationalisierten Erinnerung an die Jahre 1940-1945 folgendermaßen: »Die kollektive Erinnerung erzählt von einem kleinen, friedlichen Land, das von einem übermächtigen Feind überfallen wurde. Eine schlecht organisierte und zum Teil mißglückte militärische Verteidigung wird zum Ausdruck dafür, daß wir ein wenig kriegerisches Volk mit wenig Sinn für militärische Disziplin und Organisation sind – ein moralischer Sieg nach Punkten. Danach begann der eigentliche Krieg, den die Norweger schließlich gewannen: der stumme Widerstand, der Holdningskamp, der Kampf um die Symbole. In der Erinnerung hieran werden eine Reihe von Eigenschaften thematisiert, die gerne als ureigenste norwegische hervorgehoben werden – Nüchternheit, der Gleichheitsgedanke, das enge Verhältnis zur Natur, der individuelle Einfallsreichtum und ein etwas barscher Humor. Auf diese Weise wird die kollektive Erinnerung an den Krieg zu einer Erzählung über die Norweger und das, was sie kennzeichnet« (Eriksen 1995: 163).
3 | Zum Einfluß der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg auf Haltungen gegenüber Migration in Dänemark vgl. Zølner 2000: 351-373. 4 | Darüber hinaus unterscheidet Aleida Assmann (1999: 13ff.) zwischen verschiedenen Arten des Gedächtnisses, welche die Transformationsschritte des Erfahrenen in Erinnerung und Überlieferung widerspiegeln: Erfahrungsgedächtnis, kommunikatives und kulturelles Gedächtnis.
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72 | Vergleichende Tradierungsforschung Bei einem Vergleich dieser Erzählung mit der in Dänemark lange Zeit ›autorisierten‹5 Version der deutschen Besatzung werden strukturelle Ähnlichkeiten, aber auch – durch die historisch etwas anders gelagerte Ausgangslage bedingte – Unterschiede sichtbar. Gerade anhand dieser Unterschiede werden die Konstruktionsweisen und Erzählstrategien, die eine Basiserzählung auszeichnen, umso deutlicher erkennbar. Anders als in Norwegen, wo König und Regierung sich dem Zugriff der Besatzer entzogen und ins englische Exil flohen, waren die politischen Repräsentanten Dänemarks in gewisser Weise ›Geiseln‹ des Besatzungsregimes und arbeiteten, aus einer de facto ohnmächtigen Position heraus mit den Besatzern zusammen. Diese »Politik des Entgegenkommens oder der Zusammenarbeit«6 seitens der legitimen politischen Repräsentanten Dänemarks führte dazu, daß die Haltung der Zivilbevölkerung und das Entstehen einer Widerstandsbewegung sich unter ganz anderen Ausgangsbedingungen vollzog, als es in Norwegen der Fall war.7 Diese historischen Tatsachen stellen einen potentiellen Stolperstein für eine nationale Basiserzählung dar: Die Tatsache, daß »die Regierung […] in den Jahren 1940-43 immer neuen deutschen Forderungen nach[gab]« und die Deutschen somit »das Land ausplünderten, Zensur ausübten und sich in die Justiz einmischten« (Hæstrup 1983; zit. n: Bryld/Warring 1998: 59), ohne daß ihnen nennenswerter Widerstand von den dänischen politischen Repräsentanten entgegen gebracht wurde, läßt sich im Prinzip nicht ohne weiteres in das Narrativ ›Von Anfang an waren alle guten und wahrhaftigen Dänen geeint auf der richtigen Seite, d.h. geeint im Widerstand gegen die deutschen Besatzer‹ einordnen. Das Basisnarrativ, das ab 1944 entstand, zeichnet sich durch die Aussöhnung des Widerspruchs zwischen den politischen Eliten, die für die Politik der Zusammenarbeit standen, und dem organisierten Widerstand, dessen Beginn vorverlegt wurde, aus (vgl. Bryld/ Warring 1998: 75-94). Die Besatzung wurde zu einem nationalen Krieg umgedeu5 | Die ›Autorisierung‹ ist hier nicht vorrangig an bestimmte Akteure und Institutionen gebunden, sondern als diskursive Eigenschaft gemeint, in dem Sinne, daß jenseits der hegemonialen Erzählstruktur Sprechen keine Geltung beanspruchen kann. 6 | Der dänische Begriff ›indrømmelsespolitik‹ bedeutet soviel wie Politik des Entgegenkommens bzw. der Überlassung, während ›samarbejdspolitik‹ für Zusammenarbeitspolitik steht. 7 | An den politischen wie auch wissenschaftlichen Sprachregelungen bezüglich dieser Regierungspolitik läßt sich ablesen, wie sehr mit Begriffen Wahrnehmung formiert, Politik und Geschichte umkämpft und schließlich ›gemacht‹ wird. Es existieren neben dem genannten Begriff der indrømmelsespolitik und samarbejdspolitik die Bezeichnungen ›forhandlings-‹ und ›tilpassningspolitik‹ (Verhandlungs- und Anpassungspolitik), die z.B. von Hans Kirchhoff (1979, 1987) als Euphemismen für Kollaborationspolitik mit der Okkupationsmacht gewertet werden (vgl. Petrick 1998: 156f.).
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tet und jeder der beiden Gruppen hatte ihren Teil zur Befreiung Dänemarks beigetragen. Dieser Lesart zufolge hatte es die Kollaboration der Regierung den Dänen ermöglicht, die Besatzungszeit weitgehend unbeschadet zu überstehen, während der Widerstand es Dänemark möglich gemacht hatte, sich auf die Seite der alliierten Sieger zu stellen. Bryld und Warring erkennen in den verschiedensten Versionen und Variationen8, in denen die dänische Besatzungszeit dargestellt wird, jene stets wiederkehrende klassisch dreigeteilte Erzählstruktur des Epos wieder (vgl. ebd.: 57ff.), die auch Eriksen (1995: 31f.) als zentrales Charakteristikum jeder mythischen Erzählung ausweist. Durch die geschlossene Form aus Anfang, Mittelteil und Schluß, die außerhalb eines konkreten zeitlichen Kontinuums angesiedelt ist, entsteht eine enthistorisierende Erzählstruktur. Der Zweite Weltkrieg wird in der kollektiven Erinnerung der ehemals besetzten Länder zu jeweils unserem Krieg. Dieser beginnt in Dänemark und Norwegen mit dem Überfall am 9. April 1940 und endet mit der Befreiung am 3. bzw. 5. Mai 1945 (Bryld/Warring 1998: 41, 56). Dazwischen liegt der Hauptteil der Narration, der von der Besatzungszeit handelt. Diese nimmt die Form eines Ausnahmezustandes, »einer dunklen Klammer« (ebd.: 61; vgl. Eriksen 1995: 23ff.) an und erhält durch die Dekontextualisierung eine eigene Sinnhaftigkeit. In dieser, außerhalb jeglicher Normalität angesiedelten Phase sammelt sich in konzentrierter, ja destillierter Form der Gehalt der idealen nationalen Identität. In dieser Phase des Ausnahmezustandes liegt meines Erachtens einer der Schlüssel zu der nachhaltigen Wirkungsmächtigkeit, die von Basiserzählung über Besatzung und Widerstand ausgeht. Die Ordnung dieser Erzählung spiegelt somit eine grundsätzlichere Ordnung wider, die über sich selbst hinaus Geltung beansprucht: »Die Struktur der Erzählung über die Besatzungszeit […] besteht aus den Teilen Überfall-Besatzung-Befreiung. […] Der Bericht vom Überfall bildet die Einleitung zu der ›dunklen Klammer‹ […]. Zugleich ist er der Ausgangspunkt der Erzählung: Hier wird die Grundlage für die Haupthandlung gelegt und die Prämissen werden festgelegt. Danach folgt die Besatzung, die den Hauptteil der Erzählung ausmacht […]. Hier wird vom Leben in der Parenthese erzählt – von der Welt, die man sich in der Dunkelheit erschaffen hat, in der Zeit, als alles anders war und als ›eine neue Welt‹, ein neuer Alltag entstand. Auf der rationalen Ebene handelt das Leben in der Klammer […] von endlosen Verhandlungen mit den Deutschen im politischen Leben und von der kalten Schulter9 und der Widerstandsarbeit im zivilen. Der abschließende Teil über die Befreiung ist ebenso kurz wie die Einleitung und bildet den Ab8 | »Dies gilt nicht nur für die dramatischen Versionen der Erzählung, sondern auch für stark faktengestützte und trockene fachhistorische Texte« (Bryld/Warring 1998: 58). 9 | Der Ausdruck ›kalte Schulter‹ steht für den zivilen Boykott gegenüber der deutschen Besatzungsmacht im Alltagsleben.
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74 | Vergleichende Tradierungsforschung schluß der Klammer. Die Befreiung repräsentiert zunächst einmal die Rückkehr zur Normalität oder den Beginn der Nachkriegszeit. Aber in der Kollektivtradition wird diese dennoch dem zugerechnet, was war und nicht dem, was kommen wird. Die Hauptmotive im letzten Teil sind Einigkeit – zwischen dem König, den Politikern, den Freiheitskämpfern und dem Volk – und Aufrechnung: die Verräter und die Handlanger der Deutschen wurden verhaftet, und die heimlichen Helden konnten endlich in Erscheinung treten. Durch diese Motive erhält die Erzählung ihren Abschluß – die Klammer wird zum geschlossenen Ganzen« (Bryld/ Warring 1998: 61f.).
Es ist genau diese Darstellung der Besatzungszeit als jenseits der Normalität liegender und gegenüber jeglichem Vorher und Nachher geradezu hermetisch abgeschlossener ›Ausnahmezustand‹, die den mythischen Charakter der Erzählung im Sinne Roland Barthes’ ausmacht. Das Entscheidende daran ist die Umdeutung von politischen, also von Menschen und menschlichem Handeln hervorgebrachten Tatsachen in quasi natürliche, invariable und somit menschlichem Handeln vorbzw. übergeordnete Phänomene. Aus dieser ›höheren Sinnstiftung‹ heraus wird eine historisch kontingente Entwicklung zwangsläufig, das Komplexe einfach, Widersprüchliches eindeutig. Die Logik ist von ihrer totalisierenden Art her zugleich polarisierend – es gibt die Guten und die Schlechten, man mußte sich entscheiden, auf welcher Seite man stand – und von ihrem Endpunkt aus bestimmt. Die Tatsache, daß die Besatzer am Ende den Krieg verloren haben und die Besetzten die Sieger waren, läßt rückwirkend vieles zwangsläufig und notwendig erscheinen: Die Zusammenarbeitspolitik wird zu einer Form des Widerstandes oder zumindest zu derjenigen Politik, die Widerstand überhaupt möglich werden ließ, ihm den Rücken frei hielt, indem sie Repression und Terror abzuwenden half (vgl. ebd.: 65, 182f.). Dies ist die harmonisierende (vgl. ebd.: 86ff.), integrierende Seite der Basiserzählung: »Die deutsche Besatzung Dänemarks wird hier so dargestellt, als ob sich alle anderen Interessengegensätze mit einem Schlag verändert hatten oder aufgehoben gewesen wären, und alle Ereignisse und Verhältnisse werden im Lichte des dänisch-deutschen Konfliktes interpretiert. […] In der mythischen Version der Grunderzählung sind alle Ereignisse vom ersten Besatzungstag an auf das Endergebnis hin ausgerichtet: Die Befreiung Dänemarks. Die gesamte Struktur und der Handlungsverlauf richten sich nach diesem Ziel und erscheinen in seinem Licht« (ebd.: 65).
Auf der einen Seite harmonisiert dieses Narrativ interne Konflikte und Interessengegensätze und wirkt einend, auf der anderen Seite steht das über Ab- und Ausgrenzung konstituierte Andere, das zur Konstitution und Definition des Zugehörigen absolut notwendig ist. In Norwegen und auch in eingeschränktem Maß in Dänemark vollzog sich diese Polarisierung über die Begriffe ›Widerstand‹ und
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›Verrat‹ bzw. die nachträgliche, eindeutige Unterscheidung in Patrioten und Kollaborateure/Verräter – wobei erstere als überwältigende Mehrheit, das eigentliche ›Wir‹ des unterdrückten, aber freiheitsliebenden Volkes und die anderen als eine kleine, aber um so verwerflichere und gefährliche Minderheit erscheint. In der mythischen Sprache: Die verunreinigende Spur des Schlechten im Reinen und Guten.
Die nationale Basiserzählung in der Familienerzählung Die nationalen Basiserzählungen in Dänemark und Norwegen haben, wie oben diskutiert, großen Einfluß auf die Familienerinnerung genommen. Anhand eines Beispiels aus dem dänischen Interviewmaterial wollen wir die Integration der Basiserzählung in das dänische Geschichtsbewußtsein illustrieren. Eindrücklich formuliert die neunundfünfzigjährige Bente Sørensen aus dem dänisch deutschen Grenzgebiet die Bedeutung des dänischen Basisnarrativs für ihre Sicht auf die Vergangenheit wie auch ihr demokratisches Selbstverständnis. Aufgefordert von der jungen dänischen Interviewerin, kritisch über die Haltung der Dänen und der dänischen Regierung während der deutschen Besatzung zu reflektieren, reagiert sie, wie die Mehrzahl der Interviewten aller Altersgruppen, mit dem Bezug auf das dänische Basisnarrativ. Int: BS: MD: BS:
Int: BS:
Int:
Was denkst du über die Reaktionen und Handlungen der Dänen während der Besatzung? So mehr generell? Generell? Ja. Ja also … ähm, ja das war eine schwierige Frage. (Ja) [beide lachen]. Ja also äh … daß wir äh … ich denke wir haben wir haben den Nacken gebeugt zu Beginn. (Mmh) Das denke ich, daß wir getan haben. Und dann … daß wir den Nacken gebeugt haben und gesagt haben, das war eine Übermacht, gegen die können wir nicht kämpfen. (Nein) Aber wir können es im Verborgenen tun. Und dann kam … und dann denke ich auch … daß wir den Kopf hochtragen oder den Kopf wieder heben können und sagen, wir haben trotz allem was getan. (Mmh) Es war gut, daß wir das vollbracht haben, denn hätten wir das nicht vollbracht, dann wären wir … dumme Kacker gewesen. (Mmh) Dumme. Also wie/ Also in den Augen der anderen, (ja) daß wir keinen Widerstand geleistet haben. (Ja) … Es war gut, daß wir eine Widerstandbewegung bekamen, (ja) weil sonst so denke ich, daß wir … uns schämen müßten. Weil wir hatten es ja eigentlich gut während der fünf Jahre. (Mmh) Wir hatten Mangel, okay, (ja) aber nicht in dem Ausmaß wie andere Völkerschaften. (Nein … nein) Also du meinst, daß mit der Widerstandsbewegung, das war so mehr nach außen?
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Ja, das war gut für uns nach außen, (ja) daß wir eine Widerstandsbewegung bekamen. (Ja) Ja. (Ja) Welche Bedeutung denkst du, also …? Das denke ich hat eine große Bedeutung, (ja) daß man Widerstand gegen einen Diktator leistet. (Ja …ja) … Und das denke ich, daß wir immer tun werden. (Ja) [sie lacht] Nicht auch? Also wir wollen keine äh … wir wollen eine Demokratie. (Ja) … Im besten und schlechtesten Sinne des Wortes. (Ja, ja) Beides … Es ist gut, daß wir das haben. (Ja … ja)
Widersprüche und Ambivalenzen, die sich aus der Darstellung der Vergangenheit ergeben, werden von der Erzählerin nicht als solche wahrgenommen. Wir, die Dänen, haben etwas gegen die Besatzung getan und können deshalb hocherhobenen Hauptes den anderen Nationen entgegentreten. Es wird nicht weiter ausgeführt, was die Dänen im Verborgenen vor dem Beginn der Widerstandsbewegung getan haben, es genügt, daß sie etwas getan haben. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß der Widerstand nicht als Akteur, sondern vielmehr in passiver Form auftritt, als etwas, das man bekam. Dem Versuch der Interviewerin die außenpolitisch motivierte Bedeutung des Widerstands, der in der Erzählung von Frau Sørensen angelegt ist, zu thematisieren, begegnet diese mit Unverständnis. Für Frau Sørensen ist der Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur etwas, das die Haltung aller Dänen zu allen Zeiten charakterisiert. Aus der Prüfung durch die deutsche Besatzung ist die dänische Nation und mit ihr alle Dänen gestärkt und erhobenen Hauptes hervorgegangen, als friedliebende, demokratische Nation, die Dänemark immer schon war und auch in Zukunft sein wird. Als Fazit unserer kurzen Betrachtung zur dänischen und norwegischen Basisnarration möchten wir hervorheben, daß sich die Basiserzählung hinsichtlich der Besatzungszeit und des Widerstandes gegen die Besatzer in Norwegen und Dänemark bei aller Unterschiedlichkeit des realen Besatzungsverlaufs in ihrer narrativen Struktur auf frappierende Weise ähneln. Diese strukturelle Ähnlichkeit besteht in der narrativen Auflösung von Widersprüchen, Ambivalenzen und Konflikten zugunsten einer Anordnung nationaler Einheit, die als quasi mythische, präexistierenden Einheit imaginiert wird, einer Nation, die von einem äußeren Feind bedroht, aus der Konfrontation schlußendlich bestätigt und gestärkt hervorgegangen ist.
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Offene Fragen Anstelle eines Fazits wollen wir Fragen formulieren, die sich für die vergleichende politologische Erforschung von Geschichtspolitik und politisierten Implikationen von Erinnerungskulturen ergeben. – –
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Welche Teilhabeversprechen, welche Ausschlüsse produzieren verschiedene Typen der Basisnarration? Spiegelt sich die Autorisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen (idealtypisch: männliche Veteranen) zum öffentlichen Sprechen und Handeln auch in den familiären Kommunikations- und Autorisierungsstrukturen wider? Wie werden die in die öffentlichen Vergangenheitsdiskurse nicht integrierbaren Erinnerungen – an Kollaboration, ökonomisches Profitieren, by-stander der Deportation der jüdischen Bevölkerung etc. – in familiäre Narrative integriert, wie werden sie gegebenenfalls in erinnerungswürdige Geschichten transformiert? Welche Aktualisierungen (Bezugnahme auf aktuelle politische Themen, Begründungszusammenhang für politische Haltungen) legen die in einer Gesellschaft dominanten Geschichtsversionen nahe, wie spiegeln sich diese in der intergenerationellen Kommunikation wieder? Spiegeln sich geschichtspolitische Debatten in den generationenspezifischen Vergangenheitsdeutungen wider und werden diese in die familiären Narrationen übersetzt?
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Ludger Hoffmann: Reflexionen über die Sprache: Saussure, Chomsky, Bühler | 79
Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur
Reflexionen über die Sprache: Saussure, Chomsky, Bühler Ludger Hoffmann
Sprachtheorien und menschliche Verständigungsfähigkeit Die Sprachfähigkeit galt und gilt vielen als Charakteristikum des Menschen. Die Forschungsgruppe »Was ist der Mensch?« (Kulturwissenschaftliches Institut Essen/Universität Dortmund) untersucht daher u.a. Universalien menschlicher Verständigungsfähigkeit im Blick auf das Verhältnis von Natur und Kultur. Solche Forschung setzt einen angemessenen Begriff von Sprache voraus und erfordert die Auseinandersetzung mit den wichtigsten Sprachtheorien. Sie soll hier mit einer Definition von Wilhelm von Humboldt aufgenommen werden. Seine Sprachtheorie ist durch zwei Fragen bestimmt: »Wie gestaltet sich in dem Menschen die ihm eigenthümliche Sprache tauglich zum Verständnis und zum Ausdruck aller sich ihr möglicherweise in der Vielfachheit der Gegenstände, und der Mannigfaltigkeit der Redenden darbietenden Begriffe und Empfindungen? und wie werden der Mensch und seine Weltsicht durch die ihm eigenthümliche Sprache angeregt und bestimmt?« (Humboldt 1963: 155)
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80 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur Heute sind es vor allem die folgenden Fragen, die zu stellen sind: 1.
Ist Sprache nur dem Menschen gegeben? Müssen dann nicht alle entwickelten Sprachen gemeinsame Grundlagen – Universalien – haben, die zugleich den Erwerb allererst ermöglichen? Sind dies Gemeinsamkeiten ihrer Form oder Formenbildung, sind es funktionale Universalien? »Jede einzelne Sprache [idiôme] ist in mehr als einer Hinsicht ein Fragment ›eines größeren Ganzen, von dem es losgelöst wurde‹; einmal in Beziehung auf das, was sie durch alle Wechsel ihrer Dauer hindurch gewesen ist; dann in Beziehung auf das Ganze aller noch oder ehemals vorkommenden Sprachen des Erdbodens. […] Das Ganze, von dem wir hier sprechen, ist nicht aus mehreren mit einander zu einem Zweck wirkenden Teilen zusammengesetzt; es besteht vielmehr aus mehreren Methoden, dieselben Verrichtungen immer ganz, aber verschieden zu vollbringen« (Humboldt 2004: 171).
2.
Bietet die Sprache eine verläßliche Möglichkeit der Kategorisierung von Realität? Unterscheiden sich die Sprachen darin? Läßt sich eine sprachunabhängige Realität annehmen, an der Gebrauch und Erwerb von Sprache stets gemessen wird? Gibt es in der Zuordnung von Ausdruck und Bedeutung so etwas wie Sprachrichtigkeit? 3. Gibt es, wenn wir uns nicht verstehen, eine gemeinsame Basis, auf die wir uns zur Klärung beziehen können? Worin besteht sie? 4. Hat ein Wort, ein Ausdruck einer Sprache für die Sprachgemeinschaft Bedeutung? Wie läßt sich das verstehen? Liegt diese Bedeutung außerhalb oder innerhalb der Sprache? Ist sie ohne Äußerungszusammenhang oder ohne den sozialen Kontext, ohne die »Lebensform« i.S. von Wittgenstein, zu greifen? Braucht die Bedeutung das Netz der Sprache ebenso wie ein theoretischer Satz das Netz der Theorie, zu der er gehört? 5. Sind die Zwecke der Sprache, also das, wozu sie gebraucht wird, mit ihrer Form verbunden oder ist der Zweck für den Kern des Systems gänzlich peripher? Hat Sprache einen unabweisbaren Kern, auf den sie reduziert werden kann, etwa Grammatik als Syntax und Phonetik? 6. Wie verhält sich das, was wir als sprachliche Aktivität, als Handeln begreifen können, zu dem, was zur ›inneren‹ Seite gehört, also zum Wissen, zu mentalen Fähigkeiten? Gibt es eine Brücke zur neuronalen Basis, d.h., können neuronale Strukturen zur Erklärung sprachlicher Phänomene beitragen? Wittgenstein erwägt die Möglichkeit, »daß gewisse psychologische Phänomene physiologisch nicht untersucht werden können, weil ihnen physiologisch nichts entspricht« (Wittgenstein 1984: 417).
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Antworten auf einige dieser Fragen bieten die drei herausragenden Sprachtheoretiker des 20. Jahrhunderts: Saussure, Chomsky und Bühler. Auf sie wollen wir uns konzentrieren.
Ferdinand de Saussure Die moderne Sprachwissenschaft beginnt mit einem großen Text, dem Cours de linguistique générale von 1916. Ferdinand de Saussure (1857-1913), dessen Name als Autor voransteht, hat das Buch selbst nicht verantwortet. Es wurde postum auf der Basis von Vorlesungen, die Saussure zwischen 1906 und 1911 gehalten hat, zusammengestellt. Seine Schüler haben die Mitschriften mit eigenen Gewichtungen und Zutaten zum Grundtext struktureller Sprachwissenschaft und des modernen Strukturalismus kompiliert. Der Autor war in vielen Facetten hinter dem Text verschwunden. Saussure selbst wurde – spät erst – selbst Gegenstand der Philologie.1 Es wirkte der Text, gelöst nicht nur vom Verfasser, was ja so selten nicht ist, sondern auch von seinen Diskurszusammenhängen im 19. Jahrhundert2 und seiner Entstehung aus langjähriger historisch-vergleichender Forschung. Die Diskussion mit einem derart isolierten und vielschichtigen Text führte zu vielen Leseweisen und Mißverständnissen, zu strukturell-formalistischen, aber auch zu hermeneutischen Interpretationsgemeinschaften. Welches Bild von Sprache hat dieser Text so nachhaltig im linguistischen Bewußtsein verankert? Der Einzelne verfügt nie über seine Sprache als Ganzes. Das faktisch beobachtbare Sprechen, die je hervorgebrachte Rede – la parole – ist zufällig, ans jeweilige Individuum und seine Bedingungen gebunden (Saussure 1967: 16). Die Rede ist die Basis der Sprache, kann aber schon aufgrund ihrer Eigenschaften nicht Gegenstand der Linguistik sein. Als Gegenstand der Linguistik kommt für Saussure auch nicht die menschliche Sprachlichkeit schlechthin, die langage in betracht, der alltagssprachliche Sprachbegriff erscheint ihm als »wirrer Haufen verschiedenartiger Dinge« (ebd.: 10), er »widersetzt sich der Erkenntnis« (ebd.: 23), ist Objekt verschiedenster Disziplinen wie Psychologie, Anthropologie etc. (ebd.: 10). Gegenstand der Linguistik ist die Sprache als kollektiv geteiltes System von Zeichen, die langue. Zeichenhaftigkeit meint nicht mehr das traditionelle, seit der Antike gängige Repräsentationskonzept von Zeichen – aliquid stat pro quo, die Bezugsrealität ist unabhängig gegeben –, sondern eine mentale Einheit. 1 | Vgl. u.a. Jäger 1976, Scheerer 1980 und die Einleitungen von Fehr und Jäger in Saussure 1997 und 2003. 2 | Saussure hatte in Leipzig, dem Hort der junggrammatischen Schule, studiert und Gedanken aufgegriffen, die sich auch etwa bei Georg v. d. Gabelentz u.a. finden (vgl. Coseriu 1967).
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82 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur Für Humboldt war die klassische Rede von Zeichen eine Verkürzung um den in jeder einzelnen Sprache verkörperten spezifischen Weltbezug, der das Denken bestimmt. Saussures Gegenstand ist konkret, ist real (ebd.: 18) – sonst wäre er kein legitimes Objekt einer Wissenschaft; hier mag der Positivismus des 19. Jahrhunderts anklingen. Die Sprache erscheint als Produkt, als Inventar; für Saussure ist »die Sprache [langue] das Depot der Lautbilder und die Schrift die greifbare Form dieser Bilder« (ebd.). Das Zeichen hat einen Träger: das mentale Lautbild. Dies ist eine Reihe von Phonemen, so ist es bei Saussure und im Strukturalismus überhaupt gedacht. Das Lautbild ist insofern real und ›greifbar‹, als es sekundär in der Schrift abgebildet werden kann. In der Schrift zeigt sich allererst der Systemcharakter der Sprache. Das Zeichen ist eine mentale Einheit, in der untrennbar Lautbild als Träger (signifiant) und Vorstellung (signifié) verbunden bzw. assoziiert sind. Eine solche Einheit hatte auch schon Humboldt für das Wort, das »den Begriff durch seinen laut hervorruft. […] der Begriff aber erst selbst seine Vollendung durch das Wort erhält und beide nicht voneinander getrennt werden können« (Humboldt 2004: 99). ›Vorstellung‹ als Bedeutung, etwa eines Wortes, ist einige Jahre nach Freges Kritik (19754: 41f.) durchaus problematisch, sofern damit kollektiv Geltendes gemeint ist. Jedenfalls sind es hier keine vorab gegebenen Vorstellungen, die dann nur noch in der einen Sprache mit diesem, in der anderen mit jenem Lautbild verbunden wären (vgl. Saussure 1967: 139). Das Zeichensystem stellt Saussure sich nicht als Reihe von Nomenklaturen vor. Vielmehr heißt ›Systemhaftigkeit‹, daß ein Element seinen Bezeichnungscharakter erst in Abgrenzung zu den bezeichneten Vorstellungen anderer Elemente gewinnt, seine Bedeutung erhält es aus dem Wert [valeur] im System. So wie gut seinen Wert aus der zugrundeliegenden Notenskala erhält. Wenn etwas geäußert wird, ist immer das qua Gesagtem Abwesende ausgeschlossen. Die Identität eines Elements entsteht aus der Differenz zu allen anderen Elementen und nicht aus einer Beziehung zur Realität. Ohne die Verschiedenheit der Zeichen gibt es keine Identität; jedes Zeichen hat seine Einmaligkeit in der Abgrenzung. Die Differenz macht das Zeichen aus. Isoliert würde es nichts bedeuten. In der Äußerung bestimmt sich die Bedeutung eines Zeichens durch zwei Systemrelationen: 1.
2.
Zeichen treten zu dem, was außerdem noch gesagt wird, in eine »syntagmatische Relation« (Der Gärtner + schneidet + den Rasen). Die Zeichen werden notwendig nacheinander artikuliert (Prinzip der Linearität), sie können nicht zugleich an derselben Stelle präsent gemacht werden. Sie erscheinen aber als Miteinander, wie es in der Schrift räumlich sichtbar wird. Zeichen sind mit anderen Zeichen verbunden, die in der Artikulation abwe-
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send sind. Es handelt sich um Zeichen, die miteinander in »assoziativer« (Saussure) bzw. paradigmatischer Relation stehen. Wenn der Gärtner den Rasen schneidet, dann mäht/harkt/düngt … er ihn nicht. Die Präsenz des Zeichens bezieht ihren Wert aus der Absenz anderer. Das Sprachsystem konstituiert sich durch die Differenzen, so die Saussuresche ›Semiologie‹. Im Ordnungssystem der langue ist die Veränderung, die Diachronie mitgedacht, auch wenn schwer zu sagen ist, wann ein neues »Sprachstadium« (Lieb 1970) erreicht worden ist. Im Sprechen gilt die »synchronische Gleichheit«, wie sie auch die Sprechenden fühlen. Und doch ist Sprache immer in Bewegung, und zwar notwendigerweise, denn »jedes Symbol existiert nur, weil es in die Zirkulation hineingeworfen ist« (zit. n. Fehr 1997: 107). In seinem Nachlaß wird noch deutlicher, daß der authentische Saussure an Humboldts Energeia-Konzept anknüpft.3 Die Synchronie ist in die Diachronie eingelagert; sie ist nicht – wie öfter in Einführungswerken zu lesen – der einzige legitime Gegenstand der Linguistik. Die Sprache lebt in der Veränderung und in der Weitergabe über die Generationen, bei der sie sich kaum merklich – besonders im Lautbereich – ändert. In ihrer Dynamik eröffnet sie keinen Spielraum für die Verfügung des Einzelnen. Sie ist, was sie ist, die Zeichen bedeuten, was sie bedeuten – nicht als Nomenklatur oder Konvention oder Repräsentanz einer natürlichen Ordnung, sondern ›arbiträr‹. Das meint bei Saussure nicht Beliebigkeit, sondern fehlende innere Korrelation von Laut und Vorstellung, systembedingte, nicht regelhafte Ordnung der Vorstellungen, NichtReduzierbarkeit auf Anderes, Autonomie des Zeichens und damit des Gegenstands der Sprachwissenschaft. Da kann nicht einfach eingegriffen, das muß so gelernt werden. Die Zuordnung von Lautfolge [tIS] und Vorstellung ›Tisch‹ ist nicht extern motiviert. Daß es Bereiche von Motiviertheit gibt, räumt Saussure ein. – Die Sache ist aber sicher komplizierter, so wären Ähnlichkeitsprinzip (Kruszewski, Jakobson u.a.) und Analogie (Paul u.a.) stärker zu berücksichtigen, als Saussure es tut. Die Sprache gewinnt ihre Dynamik aus dem Sprechen. Das Sprechen kommt zuerst. Durch das Sprechen sedimentiert sich die Sprache in den Gehirnen der Velen und wird kollektiver Besitz, soziale Tatsache (fait social). Dort verankert, erscheint sie – nach Saussures Bild – wie eine Symphonie, »deren Realität unabhängig ist von der Art und Weise, wie sie aufgeführt wird; die Fehler, welche die Musiker machen können, betreffen diese Realität in keiner Weise« (Saussure 1967: 21). Ohne die Symphonie, niedergelegt in Noten oder Gehirnen, könnte es keine 3 | Den Humboldt-Bezug wie die Stoßrichtung gegen die positivistische Indogermanistik des 19. Jh. hat übrigens Bühler (1934: 7) klar gesehen. Interessant auch, daß er von »halbfertigen Entwürfe[n] eines noch ringenden Gestalters großen Formates« (ebd.) spricht, ohne von der Authentizitätsproblematik Kenntnis zu haben.
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84 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur Aufführung geben. Insofern ist das, was hinter dem Sprechen oder Musizieren steckt, die eigentliche Realität, die zu erforschen ist. Das System hinter den Phänomenen ist von höchster Ordnung und Realität, in seiner Artikulation und historischen Dynamik genügt es den gesellschaftlichen Anforderungen und stellt eine soziale Tatsache besonderen Ranges dar. Gegenstand der Linguistik ist damit das System einer Einzelsprache, nicht ihre physiologisch-biologischen oder akustischen Korrelate, auch nicht die Universalien menschlicher Sprachen oder die Sprachfähigkeit schlechthin. Mit der Emanzipation ihres Gegenstandes ist die Linguistik erstmals als Disziplin legitimiert und das hat den Saussureschen Ansatz so erfolgreich gemacht. Seine Schwäche liegt darin, daß mit dem Sprechen, der Artikulation, der Rede, die authentische Kommunikation, das Handeln mit Sprache, aus dem Fokus verschwindet. Das Gesprochene wird wieder relevant im amerikanischen distributionalistischen Strukturalismus, der mit unbekannten Indianersprachen konfrontiert ist, und eine Korpusmethodologie braucht. Die Methodologie versucht sich vom Subjekt, von der Intuition und vielfach auch von Bedeutungen unabhängig zu stellen, sie hält nur das Beobachtbare für zugänglich und entfernt sich so von Saussure und seinen Analysen des Mentalen. Allerdings nimmt Bloomfield das Sprechen als Prozeß, wenngleich – nachdem er sich 1914 von der Wundtschen Sprachpsychologie verabschiedet hatte (1935: vii) – behavioristisch als Reaktionsform. Die Etikettierung der langage als vor-wissenschaftlich mag Vorbild für Chomskys Aufgabe des Sprachbegriffs gewesen sein; die Suche nach einer tieferen Realität als dem beobachtbaren Sprachvorkommen leitet beide Ansätze. Ein Problem bleibt, daß das (Fundierungs-)Verhältnis zwischen langue und parole nicht wirklich geklärt ist, so daß in der Folge allerlei begriffliche Zwischenkonstruktionen eingezogen wurden. Ferner wird – wohl in Reaktion auf das 19. Jahrhundert – das Verhältnis der Sprachen zueinander und zur menschlichen Sprachfähigkeit nicht systematisch angegangen; die universellen Strukturen werden dann in der Phonologie (etwa bei Jakobson) allerdings wieder Thema.
Noam Chomsky Noam Chomsky (*1929) gehört zu den meist zitierten Autoren der Gegenwart. Ein großer Teil seiner Schriften ist politisch und kritisiert die Globalisierung, die USPolitik, die Manipulation durch die Massenmedien. Sein gesellschaftliches Engagement mag die Rezeption seiner linguistischen Theorie befördert haben. Sein – wenngleich loser – Bezug auf den cartesianischen Rationalismus, auf die Kreativität des Sprachvermögens und auf die Universalgrammatik verdeckt ein biologistisch-technisches Sprachbild, das durch eine Annäherung an die Naturwissenschaften und den »galileischen Stil« (Chomsky 2002: 98 mit Bezug auf Weinberg
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und Husserl) gekennzeichnet ist, demzufolge wissenschaftliche Modelle mehr Realitätsgehalt haben als das, was wir von der Außenwelt wahrnehmen können. Nicht ein bedeutender Text, nicht die Autorität einer Person, die drei Wechsel des grammatiktheoretischen Paradigmas initiiert und durchgesetzt hat, steht hier im Zentrum. Chomsky treibt den Emanzipationsprozeß von der deskriptiven Grammatik der Tradition, von der Korpustechnologie der Strukturalisten und der Erforschung des Sprachgebrauchs so weit, daß schließlich der Begriff der ›Sprache‹ fällt. Sprache wird als »Epiphänomen« diskreditiert. »Note that the central concept throughout is ›grammar‹, not ›language‹. The latter is derivative, at a higher level of abstraction from actual neural mechanisms; correspondingly, it raises new problems« (Chomsky 1981: 4).
Wie konnte es – wie konnte Chomsky – dahin kommen? Und was bedeutet dies für die Wissenschaften von den Sprachen? Chomsky findet seinen Gegenstand nicht in einem Zeichensystem, sondern in einem natürlichen Objekt, das zur Biologie des Menschen gehört. Es ist die language faculty, das Sprachvermögen als natürliche und angeborene humanspezifische Eigenschaft. Manchmal spricht Chomsky auch von der i-language, der »internen, individuellen, intensionalen Sprache« im Gegensatz zur »externen Sprache«, e-language, die als beobachtbares Sprachverhalten unserem Alltagsverständnis entspricht. Auch Saussure hatte ›Sprache‹ als menschliches Sprachvermögen, als faculté du langage expliziert. Er greift aber wohl auch hier zurück auf Humboldt: »Allein alle einzelne Sprachen finden sich zusammen, alle noch so entgegengesetzte Eigentümlichkeiten vereinigen sich in dem Sprachvermögen [faculté du langage] des Menschen. Dieses Vermögen ist der Mittelpunkt des Sprachstudiums, auf den alles in demselben hingehen […] muß. Das Menschengeschlecht hat ungefähr überall dieselben Bedürfnisse und dieselben körperlichen und geistigen Kräfte, aber es bleibt doch [in Maß und Beschaffenheit] etwas Unbestimmbares übrig, worin sie sich von einander unterscheiden, einander voreilen oder zurückbleiben. Wir haben daher darin ein Gebiet, [das neben der allgemeinen Gleichförmigkeit innerhalb seiner Grenzen eine ganz unbestimmbare und ewig unerschöpfliche Mannigfaltigkeit bewahrt. Doch auch dies Gebiet ist scharf begrenzt] einmal ›1.‹ durch die Natur der Sprachen, als Werkzeuge, die aus einer bestimmten Zahl von Lauten bestehen, und nur eine bestimmte Anzahl von Verbindungen dieser zulassen; dann ›2.‹ durch die Natur des Menschen, die Beschaffenheit seiner Organe und den möglichen Umfang seiner Fähigkeit wahrzunehmen, zu denken und zu empfinden; ferner ›3.‹ durch die unabänderlichen Gesetze der Logik, welchen alle besondre Anwendungen untergeordnet bleiben müssen; und ›4.‹ endlich durch die äußeren, uns umgebenden Gegenstände; ›aber innerhalb dieser Grenzen läßt es eine unendliche und nie zu erschöpfende Vielfalt zu‹. Dieses Gebiet [der Raum
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86 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur gleichsam, der frei bleibt nach unten und oben zwischen dem niedrigsten, unausbleiblichen Bedürfnis und der höchsten Ausbildung, nach den Seiten hin für die mannigfaltigste Erreichung derselben Stufen durch verschiedene Mittel] ist das Feld, welches durch das [allgemeine] Sprachstudium erforscht, bearbeitet, und befruchtet werden muß« (Humboldt 2004: 167ff.).
Wir sehen, daß die Gemeinsamkeit des Anfangs in eine Differenz mündet, die Chomskys Berufung auf Humboldt fraglich macht. Denn der setzt bei der je aktuellen Spracherzeugung an, mit der der Mensch die Sprache als Einzelsprache kreiert, nach ›Kräften‹ und vergleichbaren ›Bedürfnissen‹ also ein Funktionssystem als ›Werkzeug‹ etabliert, das sich aus den universellen Möglichkeiten speist und dabei der Logik und der Realität folgt. Im Ergebnis entsteht eine spezifische Version, die mehr oder minder perfekt ist und sich diachron ständig wandelt. Für Chomsky (2000: 7) hingegen sind die Sprachen der Welt nur »Variationen über ein einziges Thema«, ihre Verschiedenheit ist auf ihre oberflächliche Erscheinungsform beschränkt, auf die je unterschiedliche Zuordnung von sound and meaning, wie sie in deskriptiven Grammatiken dargestellt ist. Es kommt darauf an, eine Theorie für die menschliche Sprachfähigkeit zu entwickeln, die als ›Organ‹ beschrieben wird, als Manifestation seiner Gene (vgl. ebd.: 4). Das Gen-Konzept wird hier so unklar verwendet wie sonst öfter im Alltag. Es ist gemeint, daß dem Menschen in der Sprach- und Grammatikfähigkeit ein organisches System in Analogie zum visuellen System oder zum Kreislauf gegeben ist. Auch Humboldt nutzt die platonische Organ-Metapher, um kruden Instrumentalismus abzuweisen, er will allerdings das Weltkonstitutive der Sprache für den Menschen kennzeichnen. Das Kind erwirbt die Sprache seiner Umgebung, genauer: ihre Form, als Kette von Worten, und das 1. vergleichsweise schnell bis zum Alter von sechs bis acht Jahren 2. mit bei verschiedenen Individuen uniformen Grammatiken als Ergebnis (Entwicklungssequenzen) und 3. mit beschränkter, oft qualitativ unzulänglicher Erfahrung und 4. ohne negative Evidenz. Was es erwirbt, erlaubt ihm, von begrenzten Mitteln unbegrenzten Gebrauch zu machen. Dieses Humboldtsche Diktum wird analog zu formalen Sprachen, die Rekursion enthalten, bzw. zur Unendlichkeit etwa der natürlichen Zahlen verstanden und nicht als Prinzip der unbegrenzten Reichweite einer Sprache. Das Kind ist sensibel für Strukturwahrnehmungen. Lehr- bzw. Lerndiskurse, die vielen Stunden der Konfrontation mit Sprache schon in den ersten Lebensjahren, und der soziale Impetus sollen keine Rolle spielen. Nur das angeborene Sprachmodul vermag das Rätsel des menschlichen Spracherwerbs, die dürftige Erfahrung mit unzulänglichen, oft falschen Sätzen, zu lösen. Denn es gibt schon im Anfang ein sprachspezifisches Wissen. ›Negative Evidenz‹, ungrammatische Sätze, die instruktiv wären, findet das Kind nicht vor. Daher gibt es seit den 1980er Jahren die Annahme einer angebo-
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renen Universalgrammatik, die aus allgemeinen, unveränderlichen Prinzipien besteht, die für alle Sprachen gelten und nur die Ableitung wirklich adäquater Grammatiken zulassen. Innerhalb der Prinzipien gibt es offene Parameter, die das Kind durch die Konfrontation mit ›positiver Evidenz‹ füllen kann, so wie ein Schalter in einem Netzwerk umgelegt wird. Der Null-Subjekt-Parameter z.B. legt fest, ob ein pronominales Subjekt realisiert werden muß (Englisch, Deutsch) oder nicht (Italienisch, Türkisch). Jede Festlegung (parameter-setting) zieht weitere für ein Bündel von Parametern nach sich, so daß sich die Kerngrammatik der betreffenden Sprache bei beschränktem Input als Auslöser vergleichsweise schnell aufbauen kann. Differierende Festlegungen führen auf ganz andere Sprachen. »Der Wert des Parameters muß durch Erfahrung bestimmt werden« (Chomsky 1996: 15). So unterscheiden sich nach Chomsky Sprachen beispielsweise nicht im mentalen Kasussystem (vgl. ebd.: 27f.), nur werden im Chinesischen Kasus durch das sensumotorische Performanzsystem nicht artikuliert, anders als im Finnischen mit 15 an der Oberfläche manifesten Kasus, davon sechs lokale. Ganz überzeugend ist die Kritik von Haspelmath (2002: 280ff.) am Parametermodell, die er als Gedankenspiel skizziert. Eigentlich müßten alle Kategorien aller Sprachen, also auch seltenere wie der (neben Singular, Plural und Dual vorkommende) Trial oder der Quadral, angeboren sein und die Sprachen ›wählten‹ dann aus diesem Set aus. Aber wo sollte man die Liste abschließen? Unsere gut 5000 Sprachen seien doch nur eine zufällig vorhandene Menge und es seien ganz andere mit zusätzlichen Kategorien denkbar, ja, es habe sie vielleicht gegeben oder könne sie geben. Ein universales mentales Kasussystem müßte mindestens die 15 Kasus des Finnischen bzw. noch einige mehr umfassen. Zu lernen bleiben die Eigentümlichkeiten und Irregularitäten etwa der Morphologie, die Idiome. Der rasche Wortschatzerwerb wird so gedeutet, »daß die Begriffe dem Kind in irgendeiner Weise schon vor der Erfahrung mit Sprache zur Verfügung stehen, und daß es im wesentlichen Bezeichnungen für Begriffe lernt, die bereits Teil seines begrifflichen Apparats sind« (Chomsky 1996: 26). Dies ist ein differenziertes lexikalisches Wissen, das so nicht erlernt wird und in Lexika nicht repräsentiert ist. Beispielsweise weiß man, daß ein Buch physikalisch als etwas betrachtet werden kann, das zwei Pfund wiegt oder abstrakt als etwas, das jemand gerade schreibt (vgl. ebd.: 26). So scheint lösbar, was Chomsky »Platons Problem« nennt: Das Sprachwissen ist durch die Erfahrung unterbestimmt, es muß ein spezifisches vorgängiges Wissen geben (Im Dialog Menon bringt Sokrates einen Sklaven auf der Basis von unbewußtem Wissen zur Konstruktion eines Quadrats der doppelten Fläche). Wie nach diesem Modell das Kind den Input verarbeitet, ob die Entwicklung kontinuierlich oder mit hoher Variation verläuft, ob die Universalgrammatik von Anfang an wirksam ist oder Reifungsprozesse den Zugang zu Teilen der Universalgrammatik bestimmen (so offenbar auch Chomskys Ansicht in ebd.: 13) oder zu einem
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88 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur bestimmten Zeitpunkt, zwischen siebtem und zwölftem Lebensjahr, blockieren, ob der Input nur über semantische Eigenschaften der Ausdrücke erschließbar ist (Pinkers bootstrapping), das bleiben Streitfragen der Erwerbsforschung, die kognitivistische, konnektionistische, interaktionistische und pragmatische Alternativmodelle bereithält. Für die Theorie ist vielmehr entscheidend, daß es einen inneren Mechanismus, ein Berechnungsmodul auf genetischer Basis gibt, das im Individuum das Sprechen der jeweiligen Umgebungssprache bei zureichender Exposition erzeugt. Ein Erzeugungssystem auf der Basis einer spezifischen ›Hardware‹, die einen angeborenen, ausgezeichneten Anfangszustand liefert, der aus dem Input eine Grammatik konstruiert. Das Bild von der Maschine im Menschen, dem Geist als Computer sucht Chomsky durch seinen Humanismus und das Insistieren auf der Kreativität auszubalancieren. So benennt er als Gegenstand der Linguistik meist ein Sprachwissen (knowledge of language), das unbewußt ist und bleibt, auf das nur indirekt zu schließen ist, etwa aufgrund von Grammatikalitätsurteilen des native speaker, dem mehr oder minder wohlgeformte Sätze zur Entscheidung vorgelegt werden. Es handelt sich also eher um ein Know-How mit Konstruktcharakter. Es ist nicht die Normalform des Wissens, von der Wissende wissen, daß sie es besitzen; es gibt keinen reflexiven Zugang des Subjekts zu diesem Wissen. So ist die Frage, wie unter diesen Bedingungen Verständigung möglich ist: Nur dadurch, daß in jedem Individuum einer Gemeinschaft ein ähnliches Wissen ausgebildet ist. Das aber wird als biologische Tatsache verstanden und nicht etwa als durch die Hörergemeinschaft und die Teilnahme an Verständigungsprozessen hervorgebracht. Chomsky hat im Rahmen des Prinzipien-und-Parameter-Modells beschrieben, wie der menschlichen Geist arbeitet: »Die erste Aufgabe besteht darin, die Wörter zu identifizieren und sie ihren Kategorien zuzuordnen, wobei wir Gebrauch vom Lexikon machen. […] Nachdem er die Wörter identifiziert hat, verwendet der Geist die Prinzipien der Phrasenstruktur, deren Parameter für das Spanische [Spanisch ist die Beispielsprache in den Managua Lectures, L.H.] fixiert sind, um die allgemeine Struktur der Äußerung zu bestimmen« (ebd.: 91).
Der Geist erscheint wie ein Linguist, der eine Sprache nach der Kombinatorik von Wortformen untersucht und nicht nach ihren Bedeutungen. »In Wirklichkeit heißt der größte Teil der Bedeutungstheorie Syntax. Dabei handelt es sich um eine Theorie über Repräsentationen im Geist – über mentale Repräsentationen und die Berechnungssysteme, durch die besagte Repräsentationen hervorgebracht und modifiziert werden« (ebd.: 183).
Dies geht weit über das (beim frühen Chomsky zu findende) Verständnis eines
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Kalküls hinaus. Es ist ein System von Umformungsregeln für Zeichen, das von Bedeutungen absieht – bei Wittgenstein verbunden mit dem Gedanken der Unausdrückbarkeit der Semantik. Der Gegenstand der Sprachwissenschaft ist im naturwissenschaftlichen Sinne idealisiert, am deutlichsten in der älteren Figur der Kompetenz des idealen Sprecher-Hörers in einer homogenen Sprachgemeinschaft (vgl. Chomsky 1969: 13f.). So wie es auf das Wissen über Schach und nicht auf die faktischen Züge, auf das mathematische Wissen als Teil eines Wissenschaftsmoduls und nicht auf die konkreten mathematischen Operationen ankommt, so ist es auch iin der Sprache, in der es auf das Sprachwissen, das Sprachvermögen ankommt. Letzteres aber ist als angeborenes Sprachwissen empirisch nicht zugänglich und durch externe Experimente nicht nachweisbar. Damit wankt auch das Argument der Uniformität der im Erwerb ausgebildeten Grammatiken: Wir können über sie nichts wissen, es könnten sogar unterschiedliche Kompetenzen zu sprachlichen Äußerungen derselben Art führen. Eine Forschungsmethode für diesen Gegenstand gibt es denn auch nicht: »Was meine eigenen Forschungsmethoden angeht, so habe ich in Wirklichkeit gar keine. Die einzige Forschungsmethode ist, ein ernsthaftes Problem sorgfältig zu studieren und zu versuchen, Ideen zu entwickeln, was die Erklärung dafür sein könnte, und währenddessen gegenüber allen Arten von anderen Möglichkeiten offen zu bleiben. Gut, das ist keine Methode. Das heißt nur, sich vernünftig zu verhalten, und soweit ich weiß, ist das überhaupt die einzige Art, ein Problem in Angriff zu nehmen, ob das nun ein Problem in der Arbeit des Quantenphysikers ist oder was immer sonst« (ebd.: 201).
Sprache ist kein empirisches Faktum und daher kein wissenschaftlich zugängliches Objekt. Vorfindlich ist der Gebrauch, die aktuelle Rede mit all ihren Zufälligkeiten, Sprechereigentümlichkeiten, situativen Besonderheiten wie Unaufmerksamkeit, Rauschzustand etc. Dieser Gebrauch könnte für die Spracherforschung Daten liefern, faktisch aber liefert in der Chomsky-Schule überwiegend die Intuition die Daten. Ebenso wie die Erforschung de visuellen Wahrnehmung nicht darauf abzielt zu beantworten, wieso jemand ein Bild an der Wand anschaut, geht es in der Sprachforschung um die mentalen Mechanismen, die dem Sprechen zugrundeliegen, nicht um den Handlungsprozeß selbst. Zugleich wird der Zusammenhang zwischen Sprache bzw. sprachlichen Ausdrücken und Welt gekappt, besonders deutlich in den New Horizons … (2000), die das in den 1990er Jahren entwickelte »minimalistische Programm« zur Basis haben. Zwar nutzen Sprechende Wörter, um sich auf die Welt zu beziehen, Sprache ist aber für Chomsky kein System, das die Welt repräsentiert. Wörter referieren nicht; Konzepte wie ›Referenz‹ oder ›Wahrheit‹ sind nur für formale Symbolsprachen wie die Logik im Sinne Freges zu gebrauchen. Der konzeptuelle Hintergrund
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90 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur von Wörtern wie ›Haus‹ oder ›braun‹ ist unbewußtes vorgängiges Wissen, dem Lernen unzugänglich. Im mentalen Lexikon finden sich allenfalls semantische Merkmale, die für ihre Syntax relevant sind (Buch: Merkmal ›Artefakt‹). In Chomskys minimalistischen Programm – derzeit noch eine Theoriebaustelle – wird versucht, das Sprachvermögen stärker in die Gehirnarchitektur einzubinden. Das Modell soll im Design ökonomisch und jede Struktur wohlgeformt sein, sonst wird sie ausgeschieden. Es sollen die konzeptuell wirklich nötigen Komponenten der Theorie und nur diese rekonstruiert werden, wobei die syntaktische Komponente zentral bleibt. Notwendig sind insbesondere Schnittstellen, damit andere kognitive Komponenten auf die sprachliche zugreifen, sie ›lesen‹ können. Die Schnittstelle zum artikulatorisch-perzeptiven System sorgt dafür, daß Sprache gehört und gesprochen werden kann. Der Ausdruck von Gedanken läuft über eine Schnittstelle mit dem konzeptuell-intentionalen System. Die Lexikon-Schnittstelle greift auf Elemente des Lexikons zu, in dem Worteinheiten mit Laut- und Bedeutungsmerkmalen und ggf. Flexionseigenschaften abgelegt sind, die bereits alles enthalten, was syntaktisch gebraucht wird. Der syntaktische Mechanismus wählt aus dem Lexikon Einheiten aus (›select‹) und fusioniert sie zu einer Einheit (›merge‹). Dabei werden die herkömmlichen Phrasenstrukturregeln (X-Bar etc.), strukturelle Relationen wie c-Kommando, Rektion, Projektionsprinzip etc. wie alles, was nicht für die Schnittstellen nötig ist, ausgesondert. Sodann werden die grammatischen Merkmale überprüft (checking) und notwendige Umstellungen vorgenommen (z.B. Fragewort nach vorn mit move). Bewegungen erfolgen so spät wie möglich und nur gezwungenermaßen. Solche Prinzipien sollen die ökonomischste Derivation ergeben, was aber hochkomplexe, wenig ökonomische Berechnungen voraussetzt. Insofern stellt sich hier verschärft die Frage nach mentaler Realität – bislang ist sie unbeantwortet. In allen Versionen der Theorie ist der Gegenstand der Sprachwissenschaft ein mentales Berechnungssystem, das offensichtlich nach dem Vorbild formaler Erzeugungssysteme der Automatentheorie entworfen wurde, auch wenn auf fehlende Parallelitäten (Semantik; Unzulänglichkeit finiter Automaten etc.) hingewiesen wird. Das Problem ist nicht, daß ein angeborenes Sprachvermögen postuliert wird. Viele teilen eine solche Annahme, die vom Fehlen attraktiver Lerntheorien profitiert. In den Managua Lectures heißt es: »Ich sollte erwähnen, daß ich den Begriff ›Sprache‹ verwende, um ein individuelles Phänomen zu bezeichnen, ein im Geist/Gehirn eines einzelnen Individuums repräsentiertes System. Wenn wir der Frage genau genug nachgehen könnten, würden wir herausfinden, daß keine zwei verschiedenen Personen, nicht einmal eineiige Zwillinge, die in derselben sozialen Umgebung aufwachsen, in diesem Sinn exakt dieselbe Sprache miteinander teilen. Zwei Personen können in dem Maß miteinander kommunizieren, in dem ihre Sprachen einander hinreichend ähnlich sind. Im Gegensatz dazu haben wir, wenn wir im gewöhnlichen
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Ludger Hoffmann: Reflexionen über die Sprache: Saussure, Chomsky, Bühler | 91 Sprachgebrauch von einer Sprache reden, eine Art von sozialem Phänomen im Sinn, ein Merkmal, das von einer Gemeinschaft geteilt wird. […] Es ist fraglich, ob wir eine kohärente Beschreibung davon geben können, wie der Begriff tatsächlich verwendet wird. Das ist für den normalen Sprachgebrauch kein Problem. […] Aber wenn wir eine ernsthafte Untersuchung der Sprache betreiben, benötigen wir eine gewisse begriffliche Präzision […], ebenso wie die Physik Begriffen wie ›Energie‹, ›Kraft‹ und ›Arbeit‹ eine präzise technische Bedeutung zuweist, die von den ungenauen und reichlich unklaren Konzepten des alltäglichen Gebrauchs abweicht« (Chomsky 1999: 35f.).
Chomsky verfolgt eine den Naturwissenschaftlern abgeschaute Strategie: 1.
2.
3.
Aus Beobachtungen wird die Existenz einer zugrundeliegenden Größe abgeleitet: So wie Gregor Mendel 1865 die sichtbaren Merkmale von Erbsenpflanzen über Generationen hinweg auf Erbfaktoren in den Zellen zurückführte, ohne etwas von Chromsomen zu wissen, postuliert Chomsky ein angeborenes, universelles Sprachvermögen. Wie Wilhelm Johannsen 1909 den Begriff ›Gen‹ für die Erbfaktoren Mendels einführte, prägt Chomsky Terme wie competence, i-language oder language faculty für dieses Sprachvermögen. Analog zu der Entwicklung der Chromosomentheorie durch Thomas Morgan und seine Arbeitsgruppe, die die dadurch berühmt gewordene Fruchtfliege Drosophila untersuchten und dasjenige Gen als Abschnitt des Chromosoms identifizieren konnten, das ein spezifisches Merkmal bestimmt, hofft Chomsky die Substanz der language faculty, der i-language zu erschließen. Oder so, wie sich die Forschung den heutigen Begriff des Moleküls erarbeitet hat von einer begrenzten Einheit aus Atomen (John Dalton im 19. Jahrhundert) über Ampères intuitiv gewonnene Vorstellungen, daß Moleküle von geometrischer Form und verbindungsspezifisch seien, hin zum modernen Konzept charakteristischer Atomgruppen unterschiedlicher Komplexität, deren Struktur und Funktion in Molekularmodellen dargestellt werden kann.
Ein großes Problem liegt darin, daß Sprache in Chomskys Sinn als natürliches Objekt postuliert werden muß, nicht etwa als eine durch den Verstehenszweck geprägte Menge von Verfahren der Wissensverarbeitung mit einer spezifischen Schnittstelle zur Welt. Sprache in diesem zweiten Sinne ist das, was etwa die Humboldt-Bühler-Tradition untersucht. Methodologisch kann eigentlich nur versucht werden, durch möglichst plausible Strukturierung der Sprachdaten eine Systematik von Regeln und Transformationen (Phase 1), von Prinzipien und Parametern (Phase 2) oder von allgemeinen Wohlgeformtheits- und Ökonomieprinzipien (Phase 3) zu gewinnen, die dann als theoretische Explikation der language faculty gelten kann. Da aber über die konkrete Gestalt keine neurologische Evidenz vor-
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92 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur liegt und auch kaum zu erwarten ist, bilden letztlich Intuition und Plausibilitätserwägungen die empirische Basis. Experimente im galileischen Sinne sieht dieser galileische Stil so wenig vor wie Feldforschung. Der Theoriefortschritt ist unabhängig von psycholinguistischen Fortschritten. Was, wie Pinkers bootstrapping theory, gegen die Orthodoxie verstieß, blieb ohne Einfluß auf die Theoriebildung. Dies gilt auch für Untersuchungen, die gezeigt haben, daß der Input keineswegs so chaotisch ist wie angenommen, sondern sogar für den Erwerb strukturiert und im übrigen durch die besonderen grammatischen Regularitäten der gesprochenen Sprache4 gekennzeichnet ist. Die gesprochene Sprache zeigt wohlgeformte, funktionsfähige Äußerungen, die aber nicht unbedingt satzförmig sein müssen. Außen vor blieben auch Daten, die zeigen, daß das Kind in den entscheidenden Jahren mit einer erheblichen Menge von Sprachdaten konfrontiert ist und sein Sprachwissen zielgerecht bearbeitet wird. Chomskys Aussage, der Spracherwerb geschehe erstaunlich schnell, muß im Licht der Empirie mindestens relativiert werden. Für ein so leistungsfähiges wissensverarbeitendes System wie die Sprache ist ein Erwerb über eine Dauer von etwa sechs Jahren (für den Sprachkern) nicht so erstaunlich, man die Umgebung, die kindlichen Bedürfnisse und die externen Anforderungen betrachtet. Und ob die zu erwerbende Syntax so komplex ist wie aktuelle formale Modelle, wäre auch erst zu zeigen. Die Plausibilität von Chomskys Sprachtheorie war immer auch eine des Stils und der Notation, die in andere wissenschaftliche Kontexte übersetzbar schien, zugleich aber die – jenseits dessen, was der galileische Stil gestattet, liegenden – Reduktionen im Sprachkonzept verdeckte. Ausgeblendet, für irrelevant und wissenschaftsunwürdig erklärt wurden: – das Verständigungshandeln zwischen Sprecher und Hörer und die einschlägigen mentalen Prozesse, – die Sprache als Form, in der über die Realität geredet werden kann und – der gesellschaftlich-soziale Charakter der Sprache. Die von Humboldt aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Denken findet, wie die Semantik, in dieser Art des Mentalismus eine allzu einfache Antwort, die Putnam als »Vehikelmodell« charakterisiert hat: »Der Geist denkt seine Gedanken auf mentalesisch, verschlüsselt sie sodann in der am betreffenden Ort gegebenen natürlichen Sprache und übermittelt sie anschließend dem Hörer (etwa indem er sie laut ausspricht)« (Putnam 1991: 31).
4 | Dazu u.a. Zifonun/Hoffmann/Strecker 1997: Teil C (exemplarisch etwa C4 4. zum Anakoluth) oder die in Hoffmann 1998 verzeichneten Arbeiten.
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Mit dem Strukturalismus Saussurescher Prägung bestehen Gemeinsamkeiten. Beide zielen auf etwas Tieferliegendes, Nicht-Manifestes und lösen den systematischen Zusammenhang zwischen Struktur und kommunikativer Funktion der Sprache auf. Sie abstrahieren zugunsten eines reinen Formgebildes (Saussure) bzw. eines idealisierten Sprachvermögens, das unversehens als universelle Grammatik mit allgemeinen Prinzipien erscheint und in konkreten Strukturdarstellungen aufscheinen soll (Chomsky). Aber Saussures langue ist nicht universell, sie ist das System einer Einzelsprache. Hier sehen wir den Anschluß an Humboldt. Den zentralen Unterschied des authentischen Saussures zu Chomsky macht das folgende Zitat aus einer Nachlaßnotiz deutlich: »Die Sprache (langue) ist eine soziale Tatsache. Das Individuum, welches für das Sprechen ausgestattet ist (organisé pour parler), kann nur durch die Gemeinschaft, die es umgibt, dazu kommen, ›seinen Apparat‹ zu gebrauchen – ganz abgesehen davon, daß es das Bedürfnis, ihn zu gebrauchen, nur ›in seinen‹ Beziehungen zur Gemeinschaft verspürt. […] Die Sprache [langue] ist par excellence ein Mittel, ein Instrument, das fortwährend und unmittelbar ›seinen Zweck und seine Wirkung‹ erfüllen muß: sich verständlich zu machen. […] Und weil das Ziel der Sprache [langage], das darin besteht, verständlich zu machen, von einer absoluten Notwendigkeit ist in jeder Gesellschaft, wenigstens in dem Zustand, in der wir sie heute kennen, folgt daraus, daß die Existenz einer Sprache [langage] die Eigenheit jeder Gesellschaft ist« (Saussure 1997: 283f.).
Anders als Chomsky auch Humboldt, auf den er sich gelegentlich – bezogen auf den Aspekt der Kreativität – berufen hat. Für ihn ist Sprache »Thätigkeit (Energeia)« (Humboldt 1963: 418). Er schlägt vor, »die Sprachen als eine Arbeit des Geistes zu bezeichnen, […] sie als ein Verfahren zu betrachten, das durch bestimmte Mittel zu bestimmten Zwecken voranschreitet, und sie insofern wirklich als Bildungen der Nationen anzusehen« (ebd.: 419). »Das Denken ist aber nicht bloß abhängig von der Sprache überhaupt, sondern, bis auf einen gewissen Grad, von jeder einzelnen bestimmten« (ebd.: 16).
Auch für Humboldt ist das Sprachvermögen humanspezifisch, es ist aber keinesfalls, wie Steven Pinker (1996) in der Chomsky-Tradition postuliert hat, ein »Sprachinstinkt«. Wenn schon das eigentlich Unvergleichbare verglichen werden solle, »so kann man an den Naturinstinct der Thiere erinnern, und die Sprache einen intellectuellen der Vernunft nennen« (Humboldt 1963: 10). Humboldt insistiert auf einem Sprachrelativismus und betrachtet die gesellschaftliche Verankerung, darin mit Saussure vergleichbar, als grundlegend: »In der Erscheinung entwickelt sich die Sprache jedoch nur gesellschaftlich, und der Mensch
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94 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur versteht sich selbst nur, indem er die Verstehbarkeit seiner Worte an Andren versuchend geprüft hat. Denn die Objectivität wird gesteigert, wenn das selbstgebildete Wort aus fremdem Munde wiedertönt. [Die Subjectitivität] wird gestärkt, da die in Sprache verwandelte Vorstellung nicht mehr ausschliessend Einem Subject angehört. Indem sie in andre übergeht, schliesst sie sich an das dem ganzen menschlichen Geschlechte Gemeinsame an, von dem jeder Einzeln eine, das Verlangen nach Vervollständigung durch die andren in sich tragende Modification besitzt« (ebd.: 429). »Das lebendig ineinander eingreifende, Ideen und Empfindungen wahrhaft austauschende Wechselgespräch ist schon an sich gleichsam der Mittelpunkt der Sprache, deren Wesen immer nur zugleich als Hall und Gegenhall, Anrede und Erwiderung gedacht werden kann […]« (ebd.: 81).
Damit ist direkt Bühler aufgerufen.
Karl Bühler Der Psychologe und Mediziner Karl Bühler (1879-1963) repräsentiert die funktional-mentale Tradition. Interdisziplinarität war ihm selbstverständlich, gespeist aus genauer Kenntnis auch von Linguistik und Philosophie. Der Nationalsozialismus und die dadurch erzwungene Emigration Bühlers sowie die Besonderheiten der Fachentwicklungen – zwischen Deutschland und den USA – führten zu einer unglücklichen Rezeptionsgeschichte, die in der Linguistik erst 1965 mit der Neuauflage der Sprachtheorie einsetzte und längst nicht abgeschlossen ist. Bühlers Werk ist vielschichtig und kann hier nur sprachtheoretisch gewürdigt werden. Verwandte Gedanken hatte fast synchron in Wien Ludwig Wittgenstein entwickelt, der Bühlers Ideen kannte. Anders als Karl Raimund Popper aber schätzte Wittgenstein Bühler nicht (vgl. Edmonds/Eidinow 2001: 79). Etwa 1909 war schon George Herbert Mead, der sich wie Bühler mit Wundt auseinandergesetzt hatte, zu handlungstheoretischen Überlegungen gekommen, die einen psychologischen Elementarismus überwinden und Bedeutungskonstitution sozialpsychologisch verankern. Von den linguistischen Vorläufern müssen vor allem Brugmanns indogermanistische Arbeiten und Philipp Wegeners Grundfragen des Sprachlebens (1885) mit seinen handlungsbezogenen Satzanalysen genannt werden. Bühler geht aus »von der wesenhaften Strukturgleichheit aller bekannten und untersuchten Menschensprachen; der Singularis die Sprache hat einen guten Sinn und ist verifizierbar« (Bühler 1965: XXII). Seine Sprachtheorie ist ›axiomatisch‹, sie basiert auf Grundsätzen, die als »eine Art transzendentaler Deduktion im Sinne Kants, die notwendig ist und hier erstrebt wird« (Bühler 1978: 28) aufgefaßt werden. Sie gehen letztlich als Reduktion aus der empirischen Sprachanalyse her-
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vor (Bühler 1965: 20). In ihnen liegt Bühlers Beitrag zur Universalienforschung, der als solcher bislang kaum gewürdigt wurde. Die beiden ersten Axiome – das Axiom vom Organonmodell der Sprache und das Axiom von der Zeichennatur der Sprache – sind im Zusammenhang darzustellen. Das Besondere an Bühlers Sprachtheorie ist nicht, daß er Sprache als Zeichensystem begreift und das Zeichen in den Mittelpunkt seines berühmten Organonmodells rückt. Darin hat er lose an Saussure, vor allem aber an die antike Tradition angeknüpft, allerdings mit charakteristischen Nuancen. Seine Erörterung des Zeichenkonzepts am Anfang von Die Axiomatik der Sprachwissenschaften (1933) setzt etymologisch ein – linguistisch also – und kommt auf die Basisbedeutung »Vor- und Aufzeigen der Dinge« (Bühler 1933: 26). Diese bringt er auf der Sachebene mit natur- und gattungsgeschichtlichen Überlegungen zusammen, wie er sie in den §§ 5 und 6 der Krise der Psychologie, zuerst 1927 erschienen, und auch schon z.T. in Die geistige Entwicklung des Kindes aus dem Jahr 1918 angestellt hat. Er sieht den »biologischen Quellpunkt der Zeichenproduktion« nicht wie Chomsky im menschlichen Geist, sondern im »Gemeinschaftsleben der Tiere, wo eine situationsgerechte Kooperation von Individuen die Erweiterung des Horizonts der gemeinsamen Wahrnehmungen verlangt. Was e i n e s […] mehr hat an situationswichtigen Wahrnehmungs- und Erinnerungsdaten, aus diesem Fonds wird die Mitteilung bestritten« (Bühler 1933: 26).
Wo die Wahrnehmung der Autofahrer nicht mehr reicht – so eine Analogie Bühlers – werden zusätzlich Zeichen eingeführt, etwa Fahrtrichtungszeichen. Für das menschliche Zeigen und Hinlenken gilt aber – anders als für die Tiere – die ›Dingkonstanz‹. Zeichenhaftigkeit faßt Bühler, von Saussure abweichend, als Stellvertretungsrelation i.S. etwa des scholastischen aliquid stat pro quo. Das Zeichen hat eine konkrete, wahrnehmbare Seite, das, was es ›für sich‹ ist, unabhängig von der Funktion, und eine abstrakte Seite, nämlich das, was es als Zeichen fungieren läßt. Am Beispiel des Lautes: auf der einen Seite ist er eine wahrnehmbare, meßbare materielle Größe, Gegenstand der Phonetik; andererseits hat er Eigenschaften, mit denen er einen funktionalen, bedeutungsunterscheidenden Beitrag leistet und ist darin Objekt der Phonologie. Jedes Zeichen hat solche ›diakritischen‹ Momente in seiner Gesamtgestalt, die für die Funktionalität verantwortlich sind. Dies ist es, was Bühler »Prinzip der abstraktiven Relevanz« nennt. Es markiert den Anfang der modernen Phonologie, wie sie von Trubetzoy in Grundzüge der Phonologie (19776) in klassischer Weise ausgearbeitet wurde. Ein weniger beachtetes, aber ebenso wichtiges Prinzip ist die »apperzeptive Ergänzung«: Nie wird alles gesagt, stets muß über das Wahrnehmbare hinaus etwas mit- oder hinzugedacht werden. Die Zeichen sind »intersubjektive Vermittler (mediale Gebilde in Gemein-
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96 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur schaften)« (Bühler 1933: 29). Was nun das Verb »stat« in aliquid stat pro quo genauer besagt, ein Repräsentieren, Bedeuten, Vertreten, wird als fraglich durchaus angesprochen, aber Bühler beläßt es beim Vertreten. Damit bleibt es bei einem noch immer statischen, den unterschiedlichen Funktionen wie der diachronen Dimension oder den Überlegungen Humboldts nicht gerecht werdenden Zeichenbegriff. Revolutionär ist etwas anderes: Sprache erweist sich im Sprechereignis als ›Organon‹, als Werkzeug, zweckbestimmtes, zweckhaft geformtes und formendes ›Gerät‹. Heute wäre von einem Medium zu sprechen. Das konkrete Schallereignis ist Zeichen kraft dreier Dimensionen (vgl. Abb. 1, ergänzt um die sprachpsychologischen Bestimmungen). Es ist 1. 2. 3.
Symbol als Darstellung von Gegenständen/Sachverhalten aufgrund konventioneller Zuordnung, Symptom als Ausdruck der Befindlichkeit des Sprechers (Senders), Signal als Appell an den Hörer (Empfänger).
Diese Dimensionen bezeichnen die drei Grundfunktionen, die Sprache hat. Die Darstellungsfunktion war immer schon im Mittelpunkt der Grammatik und Sprachphilosophie. Auch Bühler hält sie für dominant. Tierkommunikation hat nichts Vergleichbares. Die komplementären Bereiche von Dreieck als Zeichen und Kreis als Schallereignis markieren die ›abstraktive Relevanz‹ bzw. die notwendige ›apperzeptive Ergänzung‹. Die Zielgesteuertheit läßt Bühler das Sprechen als menschliches Handeln begreifen. Dies ist der Rahmen, in den sich das Organon-Modell einfügt: »Die Sprache ist dem Werkzeug verwandt; auch sie gehört zu den Geräten des Lebens, ist ein Organon wie das dingliche Gerät, das leibesfremde materielle Zwischending; die Sprache ist wie das Werkzeug ein geformter Mittler« (Bühler 1965: XXI). »Die Sprachforschung stößt also im Axiom von der Zeichennatur der Sprache auf das Denkmodell des homo faber, eines Machers und Benützers von Geräten. […] [Man kann] das Zeichenhafte, welches im intersubjektiven Verkehr verwendet wird, als ein Orientierungsgerät des Gemeinschaftslebens charakterisieren« (ebd.: 49).
Bühlers Behaviorismuskritik zeigt die Alternativen einer Handlungstheorie, für die Philipp Wegener (1885: 67ff.) schon vorgearbeitet hatte, Zweck und Steuerung hervorhebend, konstatiert er: »Eine Handlung beschreiben heißt, sie in ihre einzelnen Momente zerlegen […]« (ebd.: 154). Wegener (1885: 158) spricht von »Molekülen« und »Atomen« der Handlung und wendet die Handlungsanalyse auf das an, was jeweils in Verbbedeutungen gefaßt ist. Bühler sieht Sprachgebilde, Wörter und Sätze als Objekte abstrakter Natur. Für ihn muß die Sprachanalyse bei den
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Abbildung 1: Bühlers Organon-Modell (Bühler 1965: 28), um sprachpsychologische Bestimmungen ergänzt
kommunikativen Tätigkeiten ansetzen, und sie muß zu den elementaren Einheiten der Grammatik fortschreiten. Daß für Bühler – anders als für Saussure und Chomsky – auch die Bewegung des Sprechens, der Sprachgebrauch ein zentrales Moment von Sprache ist, zeigt das 3. Axiom, das Vierfelderschema zur Aufgliederung des Gegenstandes der Sprachwissenschaft (vgl. Bühler 1976: 49ff.). Es läßt sich wie folgt darstellen:
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98 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur
Bühlers Vierfelderschema Intersubjektivität Abstraktionsgrad
subjektbezogen
subjektentbunden
Niedrig formalisiert, an-
1 Sprechhandlung
2 Sprachwerk
schaulich höher formalisiert, abstrakt 3 Sprechakt
4 Sprachgebilde
Die aktuelle, in die Situation eingelassene Rede eines Individuums mit ihren individuellen Umständen und Zufälligkeiten nennt er »Sprechhandlung«, ein Beispiel sei ein historischer Ausspruch (alea iacta est). Eine Handlungstheorie, wie sie der Pragmatik heute mit Rehbeins Schrift Komplexem Handeln (1977) und seinen Fortentwicklungen bzw. der Sprachpsychologie mit den Arbeiten Holzkamps, Herrmanns (z.B. Hermann/Grabowski 1994) u.a. zur Verfügung steht, wird auf psychologischer Basis angedeutet. Zum »Aktionsfeld« gehören zwei »Determinationsquellen: Bedürfnis und Gelegenheit, […] innere und äußere Situation«, jede Handlung hat ihre »Aktgeschichte« (Bühler 1965: 56). Das Handeln eröffnet ein »empraktisches Umfeld« (ebd.: 52), in dem auch eine sog. Ellipse wie »einmal Köln und zurück« verstanden werden kann. Wir befinden uns im Saussureschen Sinne im Bereich der parole, des empirisch Zugänglichen. Disziplinär zuständig sind Diskursanalyse wie Sprachpsychologie. Der abstrakte Akt mit seinen allgemeinen Eigenschaften – insbesondere seiner sinnkonstitutiven Leistung – wird unter dem Terminus ›Sprechakt‹ nur grob skizziert und der Sprachphilosophie überantwortet; offenbar denkt er an Husserls sinnverleihende mentale Akte, die auf Objekt und Erlebnisse gerichtet sind. Edmund Husserl, dem der Prager Strukturalismus durchaus nahestand, entwickelte in den Logischen Untersuchungen (1901) eine Psychologie intentionaler Akte, die auf Überlegungen von Franz Brentano basiert. Die Struktur der Welt erscheint in der Intentionalität, in der Dynamik der Dingkonstitution. ›Akt‹ wird verstanden als »Abkürzung für intentionales Erlebnis« (Husserl 1980: II/453). Die Dynamik des Prozesses exemplifiziert Husserl so: »Ich spreche von meinem Tintenfaß, und es steht zugleich das Tintenfaß selbst vor mir, ich sehe es. Der Name nennt den Gegenstand der Wahrnehmung und nennt ihn mittelst des bedeutenden, seiner Art und Form nach sich in der Form des Namens ausprägenden Aktes. Die Beziehung zwischen Namen und Genanntem zeigt in diesem Einheitsstande einen gewissen deskriptiven Charakter, auf den wir schon aufmerksam wurden: der Name mein Tintenfaß ›legt sich‹ gleichsam dem wahrgenommenen Gegenstande ›auf‹, gehört sozusagen
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Ludger Hoffmann: Reflexionen über die Sprache: Saussure, Chomsky, Bühler | 99 fühlbar zu ihm. […] Also nicht Wort und Tintenfaß, sondern die beschriebenen Akterlebnisse, in denen sie erscheinen, während sie ›in‹ ihnen gar nichts sind, treten in Beziehung. Aber wie nun dies? Was bringt die Akte zur Einheit? Die Antwort scheint klar. Diese Beziehung ist als nennende vermittelt durch Akte nicht bloß des Bedeutens, sondern des Erkennens, und zwar sind es hier Akte der Klassifikation. Der wahrgenommene Gegenstand wird als Tintenfaß erkannt, und sofern der bedeutende Ausdruck in besonders inniger Weise mit dem klassifikatorischen Akte Eins ist, und dieser wieder als Erkennen des wahrgenommenen Gegenstandes mit dem Wahrnehmungsakte Eins ist, erscheint der Ausdruck gleichsam als dem Dinge aufgelegt und als wie sein Kleid« (ebd.: 24f.).
Aktuell wäre zur Sprechakttheorie von John R. Searle aus dem Jahr 1969 eine Verbindung herzustellen, die Sprechen als regelgeleitet versteht. Searles Regeln für Sprechakte sind – wie Chomskys Sprachwissen – universell und den Sprechern nicht bewußt; sie beeinflussen ihr Hintergrundwissen und als real existierende Regelsysteme erklären sie faktisches Handeln. An dem Zeichenkonzept Saussures kritisiert Bühler, daß Lautbild und Vorstellung assoziiert seien, im Sinn der Assoziationspsychologie, und damit die langue als konkreter, im Kreislauf des Sprechens ›lokalisierbarer Gegenstand‹ betrachtet werde. Tatsächlich handele es sich aber um eine Idealisierung, vergleichbar der Klasse der Zahlen. Bühler übernimmt Saussures Konzept also nur partiell. »Metzgeranalyse« und »Stoffentgleisung« nennt er drastisch die Auffassung, daß »la langue ein ›Gegenstand konkreter Art‹ sei und daß er ›lokalisiert‹ werden könne ›in demjenigen Teil des Kreislaufs, wo ein Lautbild sich einer Vorstellung (=Sachvorstellung) assoziiert‹« (Bühler 1965: 58). Bühler vergleicht die Identität von Wörtern mit der von Markenware; hier zeige sich, daß die Stofflichkeit bei der Sprache noch weniger relevant sei als bei einer Tafel Schokolade der Marke X. Nur müsse überindividuell der Sprachverkehr wie der Güteraustausch gesichert sein. Bühler faßt das Sprachsystem terminologisch als ›Sprachgebilde‹, das hinter den konkreten Äußerungen liege und davon ablösbar sei, eine Auffassung, die auch Saussure mit ihm teilt. Zuständig sei die Sematologie/Semiotik. Vom Sprachgebilde unterscheidet Bühler das ›Sprachwerk‹, das verselbständigte, in seiner Fassung einmalige, situationsentbundene Produkt, das für sich zu betrachten ist, etwa ein Text oder ein Gedicht. Die Entstehung ist hier nicht mehr mitgedacht, es bedarf keiner ›Zeighilfen‹ mehr. Eine solche Situationslösung sieht Bühler schon beim Satz, der den nötigen Kontext für das Verständnis mitbringt. Das Resultat des sprachlichen Handelns ist Objekt der Textwissenschaften. Bühler nutzt nicht nur für sein ›Vierfelderschema‹ die Feldmetapher, sondern auch für die funktionale Ordnung sprachlicher Mittel. Linguistisch folgenreich ist besonders seine Unterscheidung zwischen ›Symbolfeld‹ und ›Zeigfeld‹ der Sprache. Insbesondere das ›Zeigfeld‹ liefert einen neuen Analyserahmen für Ausdrücke wie ›ich‹, ›jetzt‹, ›hier‹. An die Uniformität der
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100 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur Betrachtung sprachlicher Ausdrücke, die sich noch in der Zeichenkonzeption von Saussure und seiner heutigen Nachfolger ausdrückt, wird hier die Axt angelegt, ohne daß Bühler dies in den Konsequenzen recht bemerkt. Denn entgegen dem klassischen Verständnis sind seine Zeigwörter nicht Zeichen, die für etwas stehen. Vielmehr entwickelt er sein Konzept des Zeigfelds gerade aus der sinnlichen Wahrnehmung heraus: »[…] an Wegverzweigungen […] ist weithin sichtbar ein ›Arm‹, ein ›Pfeil‹ errichtet […], der gewöhnlich einen Ortsnamen trägt. Er tut dem Wanderer gute Dienste, wenn alles klappt, wozu vorweg nötig ist, daß er in seinem Zeigfeld richtig steht. […] ähnlich fungieren Zeigwörter wie hier und dort« (ebd.: 79).
Bühler konstatiert, »daß alles sprachlich Deiktische deshalb zusammengehört, weil es nicht im Symbolfeld, sondern im Zeigfeld der Sprache die Bedeutungserfüllung und Bedeutungspräzision von Fall zu Fall erfährt; und nur in ihm erfahren kann. Was ›hier‹ und ›dort‹ ist, wechselt mit der Position des Sprechers genau so, wie das ›ich‹ und ›du‹ mit dem Umschlag der Sender- und Empfängerrolle von einem auf den anderen Sprechpartner überspringt« ( ebd.: 80).
Orientiert wird auf einen sprecherfundierten Raumbereich, in dem sich das präsente Gemeinte befindet. Der deiktische Ausdruck ist sprachlich im Zeigfeld der Einzelsprache verankert und unterstützt somit dimensional die Auffindung des Gemeinten. Das Demonstrativum ›da‹ beispielsweise leistet eine Orientierungshilfe kraft Zugehörigkeit zum ›Zeigfeld‹. Bühlers Feldbegriff ist nicht ganz klar gefaßt. Im Ansatz geht es – wie in der psychologischen Tradition seit Lewin – um ein Handeln, das von seiner feldhaft gedachten Umgebung abhängt. Bühlers Ausgangsbeispiel ist ja ein Wegweiser, der »in seinem Zeigfeld richtig steht« (ebd.: 79) und so dem orientierungsuchenden Wanderer hilft. Andererseits entwickelt er das Konzept eines Zeigfelds der Sprache, das – so auch die Rezeption in der Pragmatik – eine Ordnung der zeigenden Ausdrücke leistet. Wie ist die Ordnung eines solchen Feldes zu denken, das in den Rahmen der Sprachanalyse gehört? Gemäß dem Strukturgedanken erhält jedes Element seinen Stellenwert im Kontrast zu den einzelsprachlich gegebenen anderen Elementen. Tatsächlich ergibt sich eine Ordnung auf der Basis des Zeigwertes, den der Ausdruck im Zeigfeld hat. Grundlage ist die dimensionale Raumaufteilung. Elementar ist eine räumliche Orientierung, die den Sprecherbereich (Nähe, Inneres) von dem Nicht-Sprecherbereich (Ferne, Äußeres) scheidet. Vom Sprecherbereich ausgehend wird dann strukturiert. Je nach seiner Fassung und Größe ergibt sich der Fernbereich wie an ›hier‹ im Verhältnis zu ›dort‹ und ›da‹ zu sehen ist. Der vom Hörer nachzuvollziehende
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Gebrauch gewinnt also durch ein flexibel gedachtes Feld eine Dynamik. Sie erinnert von ferne an den physikalischen Gebrauch der Feldmetapher, in der ein Feld die Wirkung einer Kraft (elektrisch, magnetisch, Schwerkraft) auf einen Raumbereich bzw. die darin enthaltenen Partikel charakterisiert. In einem Vektorfeld z.B. ist der Effekt richtungsbestimmend, es gibt komplexere Felder mit vielen Dimensionen (Tensorfelder). Der »Verweisraum« (Ehlich) hat also eine dimensionale Struktur, die im einfachen Fall (im Deutschen) als Sprecher-Nähe versus Sprecher-Ferne gliedernd wirkt und bis in eine fünfte Dimension entfaltet werden kann, meist indem der Hörer-Bereich weiter dimensioniert wird. Bühler unterscheidet verschiedene Arten des Zeigens, ansetzend bei der »ich-jetzt-hier-Origo«, wie das Vor-Augen-Führen (demonstratio ad oculos) oder das Zeigen in der Vorstellung (am Phantasma). Das Zeigfeld ist somit nicht einfach eine Konfiguration in der sinnlichen Anschauung, sondern ein sprachspezifisches Gliederungssystem der Zeigwörter. Das Verständnis einer deiktischen Prozedur erfordert die Verortung der Deixis im sprachspezifischen Zeigfeld. Die Spezifizierung dessen, was die Deixis über ihre Grundbedeutung hinaus in die Äußerung als Bedeutungsbeitrag einträgt, geschieht im Rahmen einer interaktiven Applikation im Wissen. Dabei spielt die Funktionsstelle in der Äußerungsstruktur mit. Das kann beispielsweise an den Verwendungen von ›ich‹ gezeigt werden. Auch wenn ursprünglich nur die Sprechsituation als Verweisraum in Anspruch genommen wurde, so können synchron die Orientierungen auch analog in einem Vorstellungsraum (»Deixis am Phantasma« [Bühler]) erfolgen, ferner kann das diskursiv/textuell aufgebaute aktuelle Wissen weitere Verweisräume bereitstellen. Es bedarf also aus Hörersicht einer Rekonstruktion des beanspruchten Verweisraums als Rahmen für die Orientierung. In der linguistischen Weiterführung durch Ehlich (1979) kommen insbesondere das Zeigen im Text- oder Diskursraum hinzu. Ehlich verortet das Zeigen in unterschiedlichen ›Verweisräumen‹ und trennt die Deixis von der ›Phorik‹, wie sie mit Anaphern (›er‹, ›sie‹, ›es‹ etc.) realisiert wird, die eine Orientierung nicht ein-, sondern fortführen. Zum Symbolfeld der Sprache werden Sprachmittel gerechnet, die ihre »Bedeutungserfüllung und Bedeutungspräzision« gerade nicht von Fall zu Fall in der Situation erfahren, sondern im »synsemantischen Umfeld«, das mit dem »Sprachwerk« bereitsteht, im »Kontext« anderer Sprachzeichen mit ihren Werten. Hier kommen die »syntaktischen und lexikalischen Momente« (1965: 151) – die »syntagmatischen und paradigmatischen Relationen« Saussures – ins Spiel. Hier gilt, daß die Sprache »symbolisiert; die Nennwörter sind Gegenstandssymbole« (Bühler 1965: 150).
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102 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur Bühler macht deutlich, inwiefern Sprache ein Medium ist, das nicht einfach die Realität abbildet oder in der Bezugnahme direkt erfaßt: »[…] das sprachliche Darstellungsgerät gehört zu den indirekt Darstellenden, es ist ein mediales Gerät, in welchem bestimmte Mittler als Ordnungsfaktoren eine Rolle spielen. Es ist nicht so in der Sprache, daß die Lautmaterie kraft ihrer anschaulichen Ordnungseigenschaften direkt zum Spiegel der Welt erhoben wird und als Repräsentant auftritt, sondern wesentlich anders. Zwischen der Lautmaterie und der Welt steht ein Inbegriff medialer Faktoren, stehen […] die sprachlichen Mittler, steht z.B. in unserer Sprache das Gerät der indogermanischen Kasus« (ebd.: 151).
Im von der Sprache aufgespannten systematischen Rahmen werden Gegenstände und Sachverhalte in spezifischer Weise und abgegrenzt zu anderen, in diesem System zugänglichen, in die Kommunikation eingeführt. Sie erhalten erst dort als gemeinte und so und so zu verstehende, kognitiv oder perzeptiv zu erfassende, eine – nicht als absolut zu denkende – Präzisierung. Dieser Aspekt der Symbolfeldanalyse ist sprachtheoretisch zentral, findet sich allerdings auch bei anderen Sprachtheoretikern und Sprachpsychologen der Neuzeit.5 Mit der Analyse des sprachlichen Zeigens wurde klar, weshalb Bühler ein Handlungskonzept als ›Ariadnefaden‹ betrachtet hatte, der aus den sprachtheoretischen Labyrinthen herausführen kann. Die Zeigwörter sind nicht als Benennungen etc. zu sehen, nicht einmal – gegen Bühler – als Zeichen, sie sind nur im Handlungsprozeß zu behandeln und zwar mit der von ihnen ausgelösten Synchronisation beim Hörer. Eine solche Perspektive auf die Wissensverarbeitung erfordern aber auch die anderen Mittel: »Der Imperativ komm […] ist berufen, eine bestimmte Aktion im Hörer auszulösen« (1965: 107). Hier setzt die Weiterführung durch die Funktionale Pragmatik ein. Sie integriert Überlegungen Bühlers in eine handlungsbezogene Sprachtheorie, die auf den klassischen Zeichenbegriff (Repräsentanz) verzichtet. Im Zentrum steht eine Theorie sprachlicher Handlungsmuster, die durch die Kategorie ›Zweck‹ eine gesellschaftliche Fundierung erfährt, sprachpsychologisch die mentale Dimension einbezieht und mit dem Konzept der »Prozeduren« (vgl. Ehlich 1991) – elementaren Handlungseinheiten – sprachliche Mittel als Momente des Handlungsprozesses auffaßt. Das Verständnis von Sprache als geformtes Medium, die systematische Berücksichtigung des Hörers und der Wissensprozesse, die Orientierung auf Gesellschaft und ihre Institutionen unterscheidet den Ansatz von sprecherorientierten, intentionalistischen, regelorientierten oder phänomenlogischen Modellen. Ehlich (1991) hat in diesem Rahmen die Zweifelderlehre zur Fünffelderlehre aus5 | Eine konstruktivistische Wendung des Gedankens schlägt Feilke 1996: 61ff. vor.
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gebaut. Alles, was wie die Imperativendung unmittelbar den Hörer lenkt, Interjektionen z.B., wird zum ›Lenkfeld‹ der Sprache gezählt. Daneben gibt es das ›Operationsfeld‹ mit Mitteln, die für die interne Sprachverarbeitung ausgebildet sind (z.B. Konjunktoren, Anaphern), schließlich das – von Bühler verworfene – ›Malfeld‹ mit expressiven Mitteln wie der Tonmodulation. In den Feldern finden die sprachlichen Mittel als kleinere Handlungseinheiten, von Ehlich ›Prozeduren‹ genannt, ihre genuine Zweckbestimmung. Die Prozeduren haben eine spezifische Formseite, lautlich wie syntaktisch, und beinhalten eine spezifische Wissensverarbeitung. Für Bühler (1965: XXIV) setzt die Grammatik »eine Art von Intersubjektivität des Sprachgerätes voraus«. Eine Entwicklung dieser Auffassung wurde u.a. mit der Grammatik der deutschen Sprache von Zifonun, Hoffmann und Strecker (1997) und Hoffmann (2003) versucht. Andere Weiterführungen könnten auf das frühe Werk Die geistige Entwicklung des Kindes (zuerst 1918 erschienen) zielen, das allerdings in der Untersuchung der Entwicklung des Denkens sehr stark von der Urteilslehre geprägt ist und die Entwicklung aus den »inneren Bedingungen und Bedürfnissen« (Bühler 1930: 394) hervorgehen läßt, nicht aus dem Eintauchen in einer »fertige Sprache, die es seiner Umgebung nachmacht« (ebd.). Die Gefühlstheorien einschließlich der monumentalen von Wundt aus dem Jahr 1900 hielt Bühler für gescheitert und wies sie – nach seinem Verständnis der Logik der Sache – der Ausdruckstheorie zu, die er in seinem gleichnamigen Werk (1933) in der Form der Forschungsdiskussion behandelte. So blieb das Verhältnis zwischen Sprache und Affekten bei Bühler, der von den behandelten Wissenschaftlern pmrimär für eine Theorie prädestiniert gewesen wäre, theoretisch unterentwickelt. Hier bleibt eine Aufgabe für die Handlungstheorien der Sprache. Bühlers Werk beschritt neue sprachtheoretische Wege und suchte diskursive Engführungen – darunter die von Saussure – aufzulösen. Zugleich wurde die Grammatikforschung auf neue Grundlagen gestellt. Dieses beeindruckende interdisziplinäre Projekt konnte aus den eingangs genannten Gründen in seinem Potential nicht ausgeschöpft werden. Die Inanspruchnahme des Konzepts einer Axiomatik mag aus heutiger Sicht problematisch erscheinen. Sein Universalismus einer »wesenhaften Strukturgleichheit aller bekannten und untersuchten Menschensprachen« (Bühler 1965: XXII) bedarf ebenso wie seine Felderlehre theoretischer Weiterführung und empirischer Untersuchung an den Sprachen der Welt.
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Einsichten und Aussichten Im 19. Jahrhundert war der Sprachwissenschaft Humboldts Blick aufs Ganze der Sprache abhanden gekommen. Die Philologie suchte hinter vorfindlichen Versionen den unverstellten Urtext. Der junggrammatische Positivismus der Leipziger Schule wollte Lautgesetze nach naturwissenschaftlichem Vorbild entdecken. Es war zu Beginn des 20. Jahrhunderts wichtig, der Sprachwissenschaft einen eigenen Gegenstand und eine fundierende Theorie zuzuweisen. Das hat Saussures Cours de linguistique générale erreicht. Es war ein abstrakter Gegenstand, der hinter dem Sprechen liegt, das Sprachsystem einer Einzelsprache, bei Chomsky eine universalgrammatische Kompetenz, bei Bühler ist es die Quadriga Sprechhandlung-Sprachwerk-Sprechakt-Sprachgebilde im Rahmen seiner Axiomatik, die Sprache als ›Organon‹ begreift. Ob das 20. Jahrhundert wissenschaftliche Revolutionen in der Sprachwissenschaft gebracht hat, ist schwer zu sagen, vielleicht ist das auch keine gute Frage. Manches ist wenig vorangekommen, etwa die Frage nach dem Verhältnis von Sprache und Denken, obgleich der Datenbestand gewachsen ist. Ebenso ist der Zusammenhang von Sprache und Emotion keineswegs hinreichend reflektiert. Die hier vorgestellten Theorien haben unproduktive Erstarrungen aufgelöst und Vergessenes wieder in den Blick gebracht, zugleich aber auch neue Engführungen erzeugt. Den anthropologischen Blick auf die Sprache, der bei Herder und besonders Humboldt einen Höhepunkt erreicht hat, haben sie allerdings – wenngleich in sehr unterschiedlichem Ausmaß – restituiert. Besonders gilt dies für Bühler, der an Kant und Humboldt anschließt und mit seinem Handlungskonzept einer verständigungsorientierten, sprachpsychologischen Linguistik den Weg weist. Auch Chomsky findet nach kalkülorientiertem Beginn, Syntactic Structures von 1957, zu einer Theorie des Mentalen. Er blendet aber zugunsten seines universalgrammatischen Kompetenzmodells Verstehen und Kommunikation aus und kann mit der sprachlichen Bedeutung nichts dnfangen. Sein Fokus bleibt auf der harten Formseite der Sprache. Saussure hatte es in der Umbruchsituation Ende des 19. Jahrhunderts wohl am schwierigsten, die losen Enden neu zu verknüpfen und wohl daher auch großes Unbehagen gegenüber der Publikation seiner sprachtheoretischen Ansichten. Die Brüche – etwa im Konzept der langue – hat er zweifellos gespürt, und ein Zusammendenken mit Humboldts ergon/energeia-Dichotomie war ein äußerst komplexes Unterfangen. So kam es zur Veröffentlichung des Cours de linguistique générale durch seine Schüler, zu den nachgelassenen Texten, die Stoff zu neuem Nachdenken bieten. Die nachgelassenen Texte spiegeln in ihrer »aphoristischen Denk- und Schreibungsart, die in vieler Hinsicht Wittgenstein vorwegnimmt« (Jäger 2003: 44) die Problemlage. De Saussure hat aus seiner vergleichend-historischen Arbeit heraus die Umrisse eines Zugangs zur Sprache theoretisch formuliert und dabei die Konstitu-
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tionsproblematik reflektiert. Es gibt in der Grammatik keine Einzelphänomene, nur systematische Zusammenhänge, die synchron aufzuweisen sind. Das System ist sozial gedacht, als fait social, die Sprecher/Hörer kommen als Subjekte vor, die Sprache als natürliche bewegt und ändert sich in der Zeit. In seiner Semiologie sieht Saussure die Sprache vom Zeichen und zugleich das Zeichen von der Sprache her. Das Zeichen ist nicht materiell zu fassen, es ist eine mentale Einheit, die Laut- und Gegenstandsbild vereint und für den sprachlichen Verkehr, für das Verstehen bestimmt ist. Hier sehen wir nicht nur einen Reflex Humboldtscher Überlegungen, sondern ein mentales Medium der Verständigung umrissen. Diese Dimension wurde im funktionalen Strukturalismus der Prager Schule und vom mit dieser Schule verbundenen Bühler unterschiedlich aufgenommen. Während für Bühler empirischer und epistemischer Bezug immer selbstverständlich waren, blieben in dominanten linguistischen Richtungen Wissen, Realität und das Sprechen ausgeblendet. Das Sprechen erschien allenfalls als Spur des Systems oder der internen Sprache, verunreinigt durch Störeinflüsse etc. Die einzelne Äußerung, das Textexemplar, das Gespräch waren bestenfalls zufällige Belegstücke. Der Bloomfield folgende Strukturalismus entwickelte Korpustechnologie und Analyseoperationen zur Untersuchung lebender, gesprochener Sprachen, blendete aber den sprechenden Menschen mit Wissen, Kompetenz, Intuition weitgehend aus. Die Semantik wurde verhaltenstheoretisch rekonstruiert. Leitend für strukturalistische Vorstellungen eines Systemgebildes ist modellübergreifend die Schrift, die mit den Texten von den Bedingungen der Sprechsituation gelöste, schon in der Graphem- und Wortfolge voranalysierte Gebilde und damit ein Modell für die langue lieferte. Die spezifischen Bedingungen der Textualität wurden aber so wenig gesehen wie die Spezifika des Gesprächs. Die nativistische Richtung sah sich einer Denktradition verbunden, deren wichtigste Stationen Platons Ideenlehre und der dem englischen Empirismus entgegengesetzte Rationalismus von Descartes waren. Wahrnehmung und Erfahrung sind ihr unzuverlässig, unterbestimmt – privilegierten Zugang bietet die menschliche Vernunft. Faszinierend erschien ihr Bild sprachlicher Kreativität, demzufolge fortlaufend völlig neue Sätze geschaffen oder verstanden werden können; dahinter wurde ein humanspezifisches Potential gesehen, das ein ideales wissenschaftliches Objekt ergab. In den Fokus gelangte eine spezifische Art von Wissen, die unbewußte Sprachkenntnis des native speaker. Der Regelbegriff der Grammatiktradition faßt Äußerungen, wie sie in Texten vorliegen, als Manifestationen des Regelfolgens und ist auf die dahinter liegenden Regeln oder Paradigmen aus. Rationalistisch formuliert ist angemessen, was regelgerecht erzeugt wurde, es muß nicht mehr an der Realität gemessen werden; die Syntax bedarf einer (realistischen) Semantik nicht.
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106 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur Die Introspektion als alleinige Datenquelle des Nativismus verstellt den Blick auf die reiche Sprachwirklichkeit, zu der der Sprachgebrauch zu institutionellen Zwecken ebenso gehört wie der Ausdruck personaler oder sozialer Identität, der Einsatz im Denkprozeß ebenso wie als feinkörniges Instrumentarium der Wissenschaft oder der Poetik. Die vorschnelle Idealisierung auf eine hinter dem Sprechen liegende, eigentliche Wirklichkeit kann als Flucht vor der Vieldimensionalität der natürlichen Sprache verstanden und kritisiert werden. Die phänomenologisch geprägte Ethnomethodologie und die an der Wegener-Bühler-Austin-Linie orientierte Pragmatik lenkten den Blick zurück auf die Prozessualität des Kommunizierens und die Ordnung von Text und Diskurs. Pragmatisch gesehen eignen sich die Menschen Sprache in einer vorgefundenen, funktionierenden Praxis des Sprechens und für diese Praxis an. Teil des Lernprozesses ist der Erwerb von Sprach- und Handlungswissen. Was das Medium Sprache in dieser Praxis leistet, wozu es in seinen Formen ausgebildet ist, ist die Bearbeitung von Hörerwissen auf der Basis von Gewußtem, Wahrgenommenem, zu Erschließendem. Das Wissen, das Sprache bearbeitet, liegt ebenso wie das Sprachwissen und das Musterwissen nicht hinter der Sprachwirklichkeit, sondern ist ihr integraler Teil, damit auch Gegenstand der Sprachanalyse. Die Fokusumlenkung von den Dichotomien ›langue-parole‹, ›System-Gebrauch‹, ›Regel-Anwendung‹, ›Kompetenz-Performanz‹, ›interne-externe Sprache‹ auf das faktische, situationseingebundene Sprechen und die aus dem Diskurs entbundenen Texte mit ihren Bedingungen führt auf eine Sprache, die als spezifisch menschliche Praxis der Kooperation in Schall und Druckerschwärze existiert. Systemvorstellungen sperren sich der Dynamik des sprachlichen Handelns, die in ihrer Zeitlichkeit bislang nicht angemessen erfaßt ist. Die Kreativität menschlichen Sprachgebrauchs ist mehr als Rekursion in formalen Sprachen, mit der die rein theoretisch unbegrenzte Länge von Wortketten begriffen werden kann. Sie zeigt sich im Gebrauch von Sprache als universelles zweckgeprägtes Werkzeug, dessen Reichweite alles aufgreift, was Menschen mental und perzeptiv zugänglich, ja, was überhaupt denkbar ist. Als Träger des Geistes im Sinne Humboldts ist sie weit mehr als ein bloßes Instrument oder ein Vehikel des Denkens. Eine Theorie des menschlichen Geistes und des ihm innewohnenden Sprachvermögens erscheint gegenwärtig allerdings fantastisch. Vorstellbar ist sie nur im Zusammenspiel der Wissenschaften, das methodisches Brückenschlagen und neue Ingenieurskunst erfordert. Mit dem Postulieren eines mentalen, natürlichen Objekts ohne empirische Bezüge ist es nicht getan. Daß etwas angeboren ist, was einem rezenten linguistischen Modell entspräche, wäre ein unwahrscheinlicher Zufall. Unstrittig ist, daß das menschliche Sprachvermögen spezifische neuronale
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Grundlagen hat, sich in Zeitfenstern entwickelt und bestimmte Bahnungen erfahrungsabhängig fixiert. Daraus läßt sich linguistisch allerdings nicht viel bzw. Divergentes ableiten. Bühler sah Sprache als geformtes Medium. Die Form ist als von den Zwecken im Handeln geprägte zu verstehen, nicht als unabhängiges System mit gänzlich eigener Ordnung. Die Prägung ist dadurch zu erklären, daß – wie Saussure sagt – Sprache immer in der Bewegung von Sprechprozeß und historischem Prozeß ist, was Ungleichzeitigkeiten, temporäre Verfestigungen und Erstarrungen wie Funktionsverluste und Idiosynkrasien bedingt. Verständnis als Medium heißt auch: Einbezug der Multimodalität, aller Sinne, der Gestik und Mimik, der gesamten Tätigkeit im Zusammenhang der Wissensverarbeitung. Die primäre Existenzform von Sprache ist das Sprechen im Handlungszusammenhang, dessen spezifische Grammatik wir erst allmählich begreifen lernen. Sie ist der schriftorientierten Grammatik vorgeordnet. Bühler (1965: 12ff.) setzt im Blick auf die semantische Plastizität der Sprache das Verstehen wieder ins Recht, ›Horizonterweiterung‹ und ›Apperzeption‹ sind zentrale Konzepte. Der Cours de linguistique générale hat die Linguistik emanzipieren wollen und sie zugleich abgeschottet. Chomsky hat immer wieder seinen Konstrukten Autonomie zugeordnet, sie als Ganzes zunächst der Psychologie, später der Biologie zugeordnet, was einen Austausch nicht leichter gemacht hat. Ob seine aktuellen Überlegungen zu ›Schnittstellen‹ weiterführen, muß abgewartet werden. Bühler hat das Angewiesensein auf die Forschungskooperation der Disziplinen betont: Für ihn »müssen die Fachmänner auf beiden Seiten den Mut aufbringen, jeder dem anderen ins Konzept zu sprechen« (1965: 111). Und er hat dies auch vorgemacht, er konnte allerdings an den Wissensstand der Nachbardisziplinen anknüpfen. Sprache ist im Kern unserer Lebenszusammenhänge, unserer Wissensbildung und kulturellen Tradierung. Einfach kann unser Bild von ihr nicht sein. Einsicht in die Natur der Sprache ist Einsicht in die Natur des Menschen, der, so Herder im Jahr 1772, ein »Gewebe zur Sprache« (Herder 1972: 450) ist.
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Lenny Moss: Human Nature, the Genetic Fallacy and the Phil. Reconstruction | 111
Human Nature, the Genetic Fallacy and the Philosophical Reconstruction of Anthropogenesis Lenny Moss
There are good reasons to believe that anthropological self-understanding – that is, what one takes at least implicitly to be the case about what it is to be human – is not something we humans can be neutral about, just as we can hardly remain neutral about who we are as individuals. And where remaining neutral is not an option, then the influence of interests on what one puts forward and defends, or simply finds oneself persuaded by, is not only possible but unavoidable. If we have intuitions, or suspicions, that debates in biology are political, or politically influenced, it is not for no reason. This is by no means to say that biology in general, or biological anthropology in particular, is nothing but a battle of sectarian interests – far from it. But it is to say that particular interests have found, and can and will find, their way into biological articulation, and that the enterprise of biology in general, and human biology in particular, would do well to conceive of itself as an undertaking in human self-understanding with practical consequences. Current debates about human biology – that is, human nature – have come to be framed in a certain way. How a debate becomes framed can itself be the key to holding the upper hand. There are few advantages as powerful as that of controlling the way in which the arguments themselves are framed. We hear a great deal about nature versus nurture, biology versus culture. The mass media, at least the English-language mass media, not only trumpet this opposition, but sanctify it as if it were co-extensive with human consciousness itself. But the putative opposition between nature and nurture is neither an ancient formulation nor a neutral or consensual way of expressing what is at stake in contemporary thinking. Far from it. What I will be arguing, first of all, is that what is really at issue is not biology versus non-biology, or nature versus non-nature, but rather what should count as biol-
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112 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur ogy, what should count as the nature of human nature. To divide and demarcate nature from nurture, biology from culture, is to take sides in advance. It is to answer the main question by definitional fiat. It is to commit oneself to exactly that partisanship that I am exactly not wishing to endorse. Oddly, arcane as it may sound, the most salient distinction, I will argue, around which the real differences in contemporary views about human nature turn, is that between those who claim that what distinguishes the human organism are domain specific information-processing modules of the brain, and those for whom human distinctiveness is to be found not in new specializations, but rather in a loss of specialization, not in the adaptive evolutionary acquisition of domain-specific functions, but in the evolution of domain-general executive capacities – in what I want to call an increased openness to the world. There are two very different visions of what it is to be a human being at stake here. Proponents of evolutionary psychology such as Steven Pinker, Matt Ridley, David Buss, et al., who are champions of the modular, domain-specific anthropology, are not molecular geneticists, nor are they claiming to base their beliefs on their own genetic findings. Nevertheless, a certain understanding of genes and genetic explanation plays a central role in their viewpoint. The very meaning of a genetic explanation, however, has become rather muddled. In order to un-muddle it, let’s recall what a genetic explanation meant before it became identified with a putative piece of biochemistry. A genetic explanation of some state of affairs, including a biological state of affairs, would be an account of the sequence of events that resulted in that state of affairs. So S1 leading to S2 leading to S3 leading to Sn would be a genetic explanation for the existence of Sn. Genetic explanations of this sort are obviously of much importance in biology. Now a gene could certainly play a part in a genetic explanation, but even with respect to a biological process the presence of a gene would be a contingent, not a necessary, element. Nor would the presence of a gene, say an S1, guarantee that a genetic explanation is sound, adequate, or complete. The idea of a particular kind of logical fallacy known as a genetic fallacy pertains to the idea of a genetic explanation. Prior to and without any necessary regard for biology, philosophers have discussed various versions of genetic fallacies. Let’s consider one version. According to T.A. Goudge (1961) »The genetic fallacy occurs whenever a proposed explanation of S treats it as simply a ›disguised form‹ of some earlier stage or stages in the sequence which gave rise to S, and thus ignores the complexities of S itself.« Remember, all I mean to do here is to tidy up our terminology. If we are going to continue to refer to any explanation that refers to a gene as a causal factor, say an S1, as a genetic explanation of Sn, we shouldn’t forget that such an explanation could still be charged with committing a genetic fallacy. Whether it does or does not commit a genetic fallacy must ultimately be seen as an empirical question. We can use our simple model for the sake of some more terminological clarity.
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Let’s agree that in our model of a genetic explanation S1 will always represent some element of coding DNA, that Sn our explanandum, represents a phenotypic trait, and that there are n-many intervening stages in between. Logically speaking S1 need not have any more of a privileged status with the respect to Sn than any of the other stages or factors in the sequence. If for whatever reason we were to favor the claim that Sn was largely prefigured by S1, then we would be advocating a genecentered or preformationistic model of developmental causation. Alternatively, if we were to favor a view in which S1 was not so privileged and Sn was the result of all of the particularities of S1 through Sn-1, then our model could be characterized as describing a form of epigenesis. The argument between preformationism and epigenesis, in one form or another, is hardly new, having taken very explicit form in the 18th century. Nor is it an argument about biology versus non-biology. Rather, it is very much an argument within biology about the right way to understand causal processes. For evolutionary psychologists, that is, for the advocates of the idea that domain-specific cognitive adaptations are the key to what it is to be human, a commitment to a gene-centered, preformationistic biology is used as an uncontested point of departure. As Abigail Lustig has interestingly shown us, the gene-selectionist or selfish gene paradigm was not the product of molecular genetics – indeed quite the contrary. Rather, it was taken up by E. O. Wilson and others, in no small measure, as a way for certain evolutionary and organismic biologists to defend the relevance of their profession against the rising tide of molecular biology. Given the idea that genic (as opposed to organismic, or group) selection is the motive force of evolution, suddenly there was work to be done, stories to be told, papers and books to be published. A new research program to realize. Evolutionary psychology, and its story about what it is to be human, is very much an extension of that program. It is its preformationist commitment that tells it where to look, and how to look, and what can and cannot count as explanatory. Of American authors, it is certainly Steven Pinker with his language instinct idea who has become the most widely influential proponent of the cognitive domain-specific anthropology. In his recent best selling book, The Blank Slate, Pinker appears to be marshalling evidence on behalf of his preformationist commitments. However, on closer examination it may prove to have more the character of an assertion. Let’s consider a representative statement: »All the potential for thinking, learning and feeling that distinguishes humans from other animals lies in the information contained in the DNA of the fertilized ovum. This is most obvious when we compare species. Chimpanzees brought up in human homes do not speak, think, or act like people, and that is because of the information in the ten megabytes of DNA that differs between us. Even the two species of chimpanzees, common chimps and bonobos, which differ in just a few tenths of one percent of their genomes, part company in their be-
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114 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur havior, as zookeepers first discovered when they inadvertently mixed the two. […] Small differences in the genes can lead to large differences in behavior. They can affect the size and shape of the different parts of the brain, their wiring, and the nanotechnology that releases, binds, and recycles hormones and neurotransmitters« (Pinker 2002: 45).
We see in the first sentence what appears to be a strong claim even if we might not be sure what is meant by information as potential. But thesecond sentence seems to suggest that warrant or evidence for the first claim will be forthcoming in the third sentence. The third sentence begins by calling attention to the fact that simply raising a chimp in a human household will not result in turning the chimp into a typical human. One might have thought that the extensive work that has been done attempting to teach language to chimps and bonobos would have provided a more adequate way to corroborate the idea that there is something in the biology of chimps and bonobos that limits their ability to become socialized into fully functioning human beings, but perhaps Pinker didn’t think it necessary to be so specific. But does accepting the idea that chimps and bonobos are not just culturally deprived humans, but different in some more fundamental way, warrant the strongly preformationstic claim of the first sentence? Perhaps, but only if one were to equate a strongly preformationistic account with any kind of biological story at all. Now, to make matters worse, the second half of the third sentence proceeds to account for the findings of the first half on the basis of exactly the kind of gene-preformationist assertion that we were hoping that the first half of this sentence was attempting to provide warrant for. Pinker then goes on to speak as if the very close genetic relationship of chimps and bonobos, in contrast to their notable and extensive behavioral differences, provides even further evidence on behalf of genetic preformationism. But why does this speak more in favor of genetic preformationism than against it? Where is the evidence? Where is the warrant? Surely if chimps and bonobos proved to be highly distinctive in terms of their DNA sequences, then Pinker would also take that as evidence for the genetic basis of the behavioral differences between chimps and bonobos. And if either genetic similarity or genetic differences point to the same conclusion, then how could either one constitute anything like evidence? On closer examination we can see that these assertions only make sense if the identification of genetic preformationism with anything biological at all is taken as an a priori given that never did require warrant. At the end of our passage Pinker does offer what appears to be an attempt at explaining how genetic differences may account for the behavioral differences between chimp and bonobo – apparently untroubled by the fact that there are no empirical studies, no actual evidence that suggests that what he is claiming happens to be the case. Might it not be the case that Pinker is committing exactly the kind of genetic fallacy that we discussed above – simply taking it as a given that the pheno-
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type (Sn) is simply a disguised form of S1, whatever exactly Pinker imagines S1 to be? I think we can discern the basic contours of the anthropological vision that Pinker, Ridley, and many other advocates of evolutionary psychology wish to advance. Humans share 98.5 per cent of their genomes with chimps and bonobos, and so whatever it is to be human must be contained in the remaining 1.5 per cent. On this understanding, that 1.5 per cent codes for some differences in the human brain, specifically with respect to the form of certain cognitive modules. The most salient of these would be the module that is responsible for the so-called language instinct. The capacity for language then is essentially a de novo achievement built by some new genes on top of an otherwise ape-like cognitive architecture. The upshot of this argument is that language is not the product of culture. Rather, it is what makes culture possible, and there is nothing particularly interesting in anthropogenesis – that is, in the evolution of Homo sapiens – until language evolved sometime between 100,000 and 200,000 years ago. For the 4 to 5 million years of anthropogenesis prior to this, we evolved some other modules that work behind our backs – that is, beneath the level of consciousness – in helping us to improve our reproductive fitness by causing us to want to have sex with certain partners and or at certain frequencies, helping us to pick out social cheats, and occasionally causing us to kill other people’s children. I realize that this narrative or something much like it has become, with the kind assistance of much of the public media, something of a commonplace. Given what we now know, they imply, what with DNA and all, what else could possibly be the case? Well, there are in fact a sea of findings from molecular biology that could be called upon to complexify, if not frankly undermine, this story. But rather than traverse that ground, I will ask you to allow me to deploy a heuristic torch, in the hope of finding an enabling path out of what I think are very dark woods. The heuristic is this. The 1.5 per cent of genetic difference referred to above is often described as consisting of something in the range of 5 to 50 genes. Let’s provisionally settle on the idea of 25 genes, but with one additional wrinkle. Let’s take it as a heuristic given that what differentiates us from chimps and bonobos at the level of coding DNA, is that we have 25 fewer genes that they do. Everything else at that level is, for all intents and purposes, the same; we just lack 25 genes that they have. Now I will defend this premise as a heuristic point of departure for three reasons. First, there is nothing implausible about it. With seven different animals now fully sequenced it has become clear that organismic complexity does not scale in any fine-tuned way with gene number. Vertebrates basically have twice as many genes as invertebrates. Humans have twice as many genes as fruit flies, but actually only 1/3 more than the nematode worm C. elegans (that has 5,000 more genes than the fruit fly) (Lander et al. 2001). Which is to say that gross differences in organismic
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116 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur complexity do not ramify out from gross differences in gene number. We can now reasonably predict that all vertebrates will have around 25,000 to 30,000 genes, but we can’t predict who will have a few more or a few less. Second, I suggest that this heuristic will lead to useful and interesting alternative anthropological perspective. And lastly, once we’ve used our heuristic assumption to establish an alternative anthropology, we can throw away the crutch because its merits will no longer require that we assume that humans have either 25 fewer or, 25 more, genes than do chimps or bonobos. OK, so what could it possibly mean for humans to have 25 fewer genes than chimps or bonobos? Well for the sake of argument. perhaps it would mean that those genes were just getting in the way. But how could genes get in the way? And wouldn’t it leave more work for the other genes to do? Well maybe, but what if these 25 genes resulted in specializations that were no longer beneficial? Could the loss of specializations possibly be a good thing, and could there possibly be any reason to believe that hominids became less specialized than their forebears? And is it possible that new evolutionary possibilities could be arrived at not only through new, allegedly pre-scripted mechanisms, but also through removing certain inherent obstacles and thereby unlocking the phenotypic possibility space of an underlying adaptively-developmental system? I hope that my heuristic has, among other things, helped us to begin to recover some of what had been guiding anthropological insights for two hundred years. When anthropology emerged as a discipline in the 1770s, it was evident to Johann Gottfried Herder that humans were distinguished from apes first of all by a comparative absence of physical prowess and the lack of a fixed dedication to specific performances or even to the use of specific senses. Here is a passage from Herder’s famous 1772 Essay on the Origin of Language. »Man has no such uniform and narrow sphere where only one performance is expected of him: A whole world of ventures and tasks is lying about him. His senses and his organization are not focused on one object: He has senses for all things and thus naturally weaker and duller senses for each one. The powers of his soul are spread over the world; there is no orientation of his conceptions toward one single object and hence no artifactive drive, no artifactive skill […].«
With Herder’s reflections there begins a train of philosophical anthropology that locates the higher cognitive faculties of humans not merely in a new adaptation, but in a full-bodied, systematic breaking away – a loss of organismic specialization, a weakening of the senses, a weakening of the body, a loss of directed skill, an underdetermination and underdevelopment, and thereby a detachment from a fixed and stable relationship to natural surrounds. These are not for Herder, nor for subsequent philosophical anthropologists, affordances that language provided.
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Rather they are the prior conditions of its possibility. For Herder it is the weakening of fixed and powerful sensory orientations and patterns of action that enables humans to engage in a kind of roving and selective attention he called Besonnenheit. Language is not merely an add-on mechanism or instinct, it is the result of a new and more reflective stance toward things, a different way, a less specialized, more detached way that our body, our organism, is oriented toward the world. Now surely it would beggar credulity to suggest that all it takes is absence, all it takes is underdevelopment, in order to enable hominids to arrive at the capacity for selective attention, and symbolic skill. Of course there must be positive compensations for what is lost, but now we come to a big dividing line. Just what is the nature of these compensations? Besonnenheit suggests not a domain-specific functional add-on, but rather the replacement of domain-specific capacities by a more abstracted, more indeterminate, domain-general capacity to selectively range over a world of open possibilities. Steven Pinker, and other proponents of evolutionary psychology, tell us in an earlier volume that language is not a cultural construct. Upon some inspection I think we can see that this ostensibly simple statement constitutes the lynchpin around which Pinker’s anthropological standpoint turns. What might Pinker mean by this statement? Presumably what he is referring to is the very capacity to develop a lexicon with symbolic content, to learn the rules of syntax and be able to generate novel utterances, and so on, as opposed to the particular content and rules of the several thousand languages that are still extant in the world. Presumably he would take it that the latter are cultural constructs, if anything is. So what, presumably, he must mean is that language as such is not a cultural construct. But, if that’s what he must mean, then what would he or anyone have to say about culture as such? Can culture as such be any more of a »cultural construct« than language as such? Surely not. Pinker’s adopted chimpanzees don’t start suiting up for the opera any more readily than they begin to write the libretto. Pinker’s entire oeuvre turns on being able to distinguish between biology and culture with his language instinct partitioning onto the side of biology, but even upon cursory inspection this distinction falls to pieces. If the species capacity for culture is no less distinctive than the species capacity for language, then what the nature of the relationship between language and culture is remains an open question. Might it be the case that language is predicated upon the prior acquisition of something that we would want to call culture? And if so, then wouldn’t our science and philosophy of human nature want to know just what it is about human biology that makes culture possible? Mr. Pinker, Matt Ridley, and other evolutionary psychologists display a somewhat thin account of culture. They take it that whatever is truly interesting about culture is derived from language and so culture must be derived from language and not vice versa. Much of culture, they think, such as the capacity for language, but also practices relating to sexuality, are at their roots preformationistically
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118 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur inscribed into the human genome, with only the more superficial aspects being subject to cultural variation. In identifying that which is biological with their domain-specific, innately hard-wired cognitive modules they have put forward a dualism whereby the contents of human practices, tastes, traditions, and pursuits will either partition onto the side of biology and nature or onto the side of culture and nurture. While Pinker, Ridley, and company are quick to point out that they do not mean to denigrate universalistic principles of right, feminism, quantum mechanics, most art, fashion, cultural style, or the experience of genuine human solidarity; they have condemned these things to the other side of an ontological divide about which their theory of human nature can have precious little to say. Even beyond distaste for dualism, there are many aspects of this framework that are less than satisfying. Can it really be the case, for example, that language comes about simply by mutational fiat? How do sounds come to have the ability to refer? Can this be a story about individual adaptations? Can the kind of cognition realized in symbolic language and culture be accounted for on the model of genes, brains, and individuals with higher fitness; and could it have arisen out of whole cloth without transitional stages at the level of distinctively hominid, yet pre-linguistic forms of society and culture? Pinker, Ridley, et al., find very little of interest prior to the acquisition of the language instinct, and evolutionary psychology has very little to offer us by way of a step-wise evolutionary account of anthropogenesis. I will suggest that it is exactly such an account that can adjudicate the chicken-andegg question about culture and language, answer the question about the origins of reference, and allow us to overcome the aporias of nature/culture dualism. The evolutionary expansion of the size of the hominid brain is an uncontroversially significant feature of anthropogenesis. At what stage of hominid evolution the expansion of brain size occurred, and in relation to what manner of socio-cultural practices, are surely of evolutionary importance. Whereas once it was assumed that the expansion of the brain occurred concomitantly with the evolution of bipedalism and the arrival of erect posture, this has proved not to be the case. Australopithecus, the hominid thought to have made the transition from a fully arboreal lifestyle to that of the tree-savannah, was essentially bipedal but had a brain that was essentially within the same range as that of other apes. But just as the major expansion of brain size did not occur in conjunction with bipedalism, neither did it occur in conjunction with the emergence of Homo sapiens and language. Rather it occurred in between. Over a million years before the arrival of modern humans, Homo erectus attained 80 per cent of the brain size of modern humans – the biggest leap in brain size during all of human evolution. It was Homo erectus that not only made the transition to a fully post-arboreal life on the bush savannah, but Homo erectus, not modern humans, who were the first hominids to depart from Africa, spread throughout the Eurasian land masses, and colonize the far reaches of the inhabitable world. Extensive archeological findings attest
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to the fact that Homo erectus domesticated fire, established permanent encampments, organized large animal hunts that would appear to have required a division of labor, and devised a tool kit with a level of sophistication that would have required some form of pedagogy for transmitting the requisite skill from one generation to the next. And for all of this, there is no evidence and no good reason to believe that Homo erectus ever enjoyed the benefits of symbolic speech. So how was all of this accomplished, and what implications might it have for understanding the anthropogenesis of human language and culture? In the course of addressing these questions I will be drawing upon a new theory of cognitive and cultural evolution that has been articulated in two recent books by the Canadian cognitive psychologist Merlin Donald (1991, 2001). In the light of what we now know from paleoanthropology, the intuitions of Herder and subsequent philosophical anthropologists about the distinctively underdeveloped, unfinished, vulnerable, and underdetermined nature of the human organism can be given some empirical warrant. The major expansion of brain size enjoyed by Homo erectus required a radical break in the primate pattern of early development. With the erect posture of Australopithecus well in place, the limitations of the size of the birth canal could not possibly have tolerated a massive increase in the size of the fetal cranium. The evolutionary solution to this dilemma was what has been referred to as the »extra-uterine year.« The Homo neonate is in effect an extra-uterine fetus. The growth of the brain that can’t take place in the womb takes place during the first year after birth. The pattern of brain development during the first year resembles that of a fetal ape not a neonate, and the human infant is indeed far more helpless and dependent than any of its primate relatives. Of course the flip side of this trade-off was the opportunity that it opened up for this most formative stage of neural development to become susceptible to the influence of a socio-cultural world. What was it, after all, that drove the evolution of the expanded brain, given the obvious burdens of neonatal care that it had to entail? Robin Dunbar (1996) has demonstrated that the strongest correlation with brain size in mammals is the size of a social group. Social cohesion, integration, and coordination entail increasingly complex and sophisticated skills, but what were the skills that the preverbal Homo erectus acquired to meet this demand? In considering the cognitive and social legacy of its essentially ape-like forebears, Merlin Donald (1991) has proposed a solution. What came with the arboreal legacy was visual acuity and advances in physical agility and motor control. The transition to an upright posture turned the body into a potential canvass for visual expression. Building upon this legacy and addressing the need for greater social cohesion on the savannah, the new innovation was what Donald has termed mimetic culture (not to be confused with anything having to do with »memes«). Mimetic culture is born of an ability to use enhanced motor control for the sake of intentional acts of communication. Where great apes and presumably Australo-
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120 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur pithecine cognition was holistically embedded in concrete social episodes, the expanded brain of Homo erectus allowed for an ability to abstract out parcels of social experience gesturally reproduced and re-expressed with communicative intent. The ability to mimic some piece of social performance could be put to use communicatively – in many different ways. What enabled the possibility of a mimetic culture and cognition was not the arrival of a new function-specific module, but a leap forward in a domain-general executive capacity, a mimetic controller, that allowed for the willful coordination of cross-modal capabilities. With the acquisition of mimetic capacity came a qualitative leap to a new kind of cognitive community. Mimetic cognition allowed for the ability to »autocue« sequences of movement that could be rehearsed and reconfigured. It allowed for the possibility of new levels of social coordination through something like a proto-theater through which a group could enactively constitute its norms, its identity, and its style. Many of our contemporary practices continue to be mimetic in nature: the learning of trades and crafts, the playing of games and sports, various arts forms, and public ceremonies such as parades, funerals, marches, religious ceremonies, and so on. Mimetic cognition and culture is just one of several transitions, albeit a critical one, that Donald posits as on the pathway to the modern human. Of most interest for present purposes are the overall trends found in these transitions. What Donald depicts is the evolution of socio-cultural cognitive networks with individuals who evolve increasingly expansive executive-level domain-general capacities with which to range over and integrate wider arrays of resources. Even at the level of Homo erectus the need to be able to coordinate bodily movements, both for the sake of practical skill as well as for the sake of mimetic communication, resulted in a necessarily superordinate level of bodily awareness that constituted a new anchor of (and ultimately for) self-awareness. In order to gain the level of motor control of say a dancer, attention has to be redirected inward, away from the world, and towards one’s own actions. This new capacity was achieved through the penetration of the prefrontal cortex into areas of the brain that formerly dominated action in primates, a process described as a »leveraged takeover« by Terence Deacon (1997). And unlike the n-many hypothetical innate modules postulated by evolutionary psychology, the neural circuitry of higher order control has become empirically well established. Patterns of action are not innately bound up in ancient modules, but rather subject to developmental shaping beginning in the soft and growing brain tissue of the extra-uterine fetus. What drove the expansion of domain-general executive-level capacities, i.e., the increasingly central role of consciousness, can only be understood in the context of the cognitive community. Mimetic culture did not have language, but it provided all of the groundwork by way of the cognitive community that were the necessary preconditions for language to evolve. Language did not evolve inside the brain box – it evolved out in sociocultural/network space from where it could then be taken within. What evolved was not a linguistic brain
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but a cognitive community – hence the kind of brain that participates in a cognitive community. »The evolutionary origins of language are tied to the early emergence of knowledge networks, feeling networks, and memory networks, all of which form the heart of cognitive culture. . . The great divide in human evolution was not language but the formation of cognitive communities in the first place. Symbolic cognition could not spontaneously self-generate until these communities were a reality. This reverses the standard order of succession, placing cultural evolution first and language second« (Donald 2001).
This progression proceeded with incremental changes in the executive capacities of the human brain – changes not merely in domain-specific information processing but in domain-general, overarching, overseeing capacities, i.e., in increasingly conscious capacities. Brains evolved to meet the demands of social cooperation and social bonding. Perhaps this gives some credence to the suggestion by the venerable Berkeley neurophysiogist Walter Freeman (1995), that »brains become minds when they learn to dance with other brains .« The partitioning of humans into nature and nurture was the result of the preformationistic turn that began in the later half of the 19th century, and the phrase itself was probably given its greatest impetus by Francis Galton. The hardening of Herder’s Volk into race by the 1880s foreshadowed the worst horrors of the 20th century. The culturalist/ethnographic paradigm developed early in the 20th century by Franz Boas and his students, Margaret Mead, Ruth Benedict, Ashley Montagu, and others, which in the name of the Standard Social Science Model has become the whipping boy of Pinker and other evolutionary psychologists, began as a reaction to the then-prevalent obsession with the anthropology of race. Anthropological self-understanding has never been politically neutral. The advocates of orthodox evolutionary psychology, with their preformationist presuppositions, need not be branded as any more culpable for the prolongation of a dualistic legacy than orthodox advocates of abiological culturalism or post-modern textualism. Absent the preformationist baggage, human biology and human culture no longer stand apart. Humanity has evolved naturally as the culturally evolving species. Critical social theory and the empirical human sciences (can/ought/must) merge together in the light of this realization. References
References Donald, M. (1991): Origins of the Modern Mind, Cambridge/MA: Harvard University Press. Donald, M. (2001): A Mind so Rare, New York: Norton.
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122 | Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur Dunbar, R. (1996): Grooming, Gossip, and the Evolution of Language, Cambridge/ MA: Harvard University Press. Freeman, W. (1995): Societies of Brains, New Jersey: Lawrence Erlbaum. Goudge, T. A. (1961): »The Genetic Fallacy«, in: Synthese 13: pp. 41-48. Rousseau, J. J./Herder, J. G. (1966): On the Origin of Language, translated by Moran & Gode, Chicago: University of Chicago. Lander, E., et al. (2001): »Initial sequencing and analysis of the Human Genome«, in: Nature 409: pp. 860-921. Pinker, S. (2002): The Blank Slate, New York: Viking.
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Omar Farouk Bajunid: Asian Modernity and Islam in Malaysia | 123
Islamische Kultur und moderne Gesellschaft
Asian Modernity and Islam in Malaysia: Prime Minister Mahathir Mohamad’s Cultural Discourses and Political Strategies 1 Omar Farouk Bajunid
Introduction The recent developments in the world, especially following the September 11 tragedy, have placed Islam under unprecedented critical scrutiny and made the Muslims appear as global misfits. The myth that the Muslims are a problematic people who are unable to reconcile their faith to the changes that are taking place around them seems to be gaining currency. The so-called Islamic threat to the world has apparently been blown out of proportions. The image of Islam as primitive, anachronistic, violent, uncivil, confrontational and menacing still looms especially in the West. The demonization of Islam in the mass media, subtle as well as outright, has also been fuelled, if not led, by the academic writings of Western scholars like Bernard Lewis, Martin Kramer, Daniel Pipes, Judith Miller and Samuel Huntington to 1 | Paper presented at the Workshop on ›Asian Modernity and Islam: The Case of Malaysia‹ held at the Institute for Advanced Study in the Humanities, Essen, Germany, 8-10 July 2003.
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124 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft name a few, who are either openly hostile to Islam for whatever reasons or are still unable to grapple with the complexities that characterize the religion as a living faith and a civilization representing more than a billion people from virtually every culture and country across the world. The suggestion that Muslims are neatly compartmentalized culturally, geographically and politically is misleading, to say the least. Of course, it cannot be denied that it is certainly no coincidence that most of the trouble spots in the world today involve the Muslims. Afghanistan and Iraq are potent reminders of failed Muslim states. Elsewhere in many other so-called Muslim states corrupt, repressive, authoritarian and even tyrannical regimes continue to reign. Poverty, illiteracy, underdevelopment, conflict and political instability tend to characterize Muslim societies. Democracy is still either raw or rare in many Muslim countries. Civil society has yet to make any major impact. The emergence of extremist groups advocating narrow and intolerant versions of Islam which tend to discriminate against women, other religious minorities and even Muslims themselves has also, no doubt, debilitated the natural vibrancy of Islam. The flagrant abuses of the teachings of Islam for political or profit motives are also a problem. The use of the human bomb by the jihadis to indiscriminately maim and murder, no matter how just their cause may seem, has also certainly not helped project the good image of Islam. The acts of terrorism conducted in the name of Islam have also compounded the problem. But to attribute to Islam all the woes of the world is a little bit ridiculous and simply untenable. Arkoun has very aptly highlighted this anomaly which he attributes to another Western imaginary of Islam in which »all the political, social, economic, and cultural shortcomings of Muslim societies are hitched together to Islam with a capital ›I.‹ Islam then becomes the source and the prime mover of all contemporary history in a world that extends from the Philippines to Morocco and from Scandinavia, if we take account of Muslim minorities in Europe, to South Africa.« Although Muslim groups themselves have been trying to project the model of a single, monolithic Islam in their quarrels with the West, they certainly do not represent the whole spectrum of Muslim opinion. In short, if Islam and the Muslims have to be judged, for whatever reasons, then it should be done without losing sight of the particular contexts that they operate in. There is a need to take into account the peculiarities of each and every context and situation in any attempt to examine Islam and the Muslims. This paper is an attempt to do just that: to look at Islam and the Muslims in the Malaysian context. Basically it seeks to evaluate the cultural discourses of Prime Minister Mahathir Mohamad of Malaysia and his political strategies, a modern Muslim leader who tried to respond to the challenges of modernization, modernity and national development by calling for the reorganization of Islam in order to universalize its appeal, fraternize it with Asian values and benefit fully from its munificence and potential. Mahathir’s whole approach to Islam and modernity
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seem to have been premised on two fundamental convictions. First, it is not Islam that is the problem but rather the narrow and distorted view of Islam promoted by the conservative sections of the Muslim leadership. And second, the Muslim crisis is also a function of the failure of the West to provide an acceptable model of modernity or development that is worthy of emulation. It is, to Mahathir, partly the civilizational decline and moral decadence of the West, that has compounded the problem. Mahathir recognizes that it is not easy to convince the Malaysians in general and the Malaysian Muslims in particular, that the Western model of modernity, which is widely perceived as being fraught with hypocrisy and which is appearing increasingly dysfunctional, is the only option available to a developing country like Malaysia. Hence the search for alternatives which led to the bold move to look at what the East has to offer. Apart from creating new possibilities this shift in approach has also served to underline the liberal and inclusive approach to Islam that Mahathir favours.
The Basic Assumptions Paradoxically, the notion that Islam is incompatible with modernity is entertained both by non-Muslims as well as Muslims although for different reasons. In the case of the former, the justification for the view seems to center around their negative perceptions of Islam. Others who may not be ideologically antagonistic to Islam might still arrive at a somewhat similar conclusion that it is Islam that is the main problem, on account of their inability to comprehend the complexities of the total picture or what Arkoun has described as the Western imaginaries of Islam. The view that since rationality lies at the heart of modernity and the Muslims are still incapable of or unwilling, to abandon their blind faith towards religion, they are therefore simply unsuitable for it, has emerged against this backdrop. On the other hand, for some Muslims, especially those with extreme views, the rejection of modernity is considered inevitable on the grounds of its assumed imperfections and ambiguities and perceived antipathy towards Islam. In both cases, the rejection of the idea of Islam being compatible to modernity or vice versa seems to be based on certain basic assumptions which are disputable if not flawed. These are: 1.
That the concepts of modernity and non-modernity (or tradition) and secularity and religiosity, as analytical tools or normative constructs, are necessarily dichotomous. The problem is in actual empirical situations there is a greater likelihood that a continuum exists between these extreme poles rather than a dichotomy. It is submitted that there are always different shades and variations of modernity and secularity. Not to recognize that would blur our comprehension of reality.
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That modernization, which is generally accepted as the necessary prelude to modernity, is still consciously or unconsciously equated with Westernization or seen through Western lens. This myth has already been debunked. 3. That modernity as a norm comes in a package and that it has to be accepted as a whole or not at all. This assumption does not give thought to the prospect of the uneven phenomenon of modernity or the selective adoption or emphasis of certain aspects of modernity only. For example, although society as a whole may appear resistant to modernity, some individual members of that society or sections of it may, on their own volition decide to translate it in their thoughts, behaviour and lifestyles. 4. That Islam is monolithic. The diversity that Islam admits is legion and it is often the essentialization of Islam that brings about its unnatural ossification. When Islam is reduced to only certain salient elements it will naturally lose its adaptability and vitality. 5. That the practice of Islam is unaffected by its chronological as well as spatial contexts. It is crucial actually to appreciate the different contexts, in terms of space and time, in which Islam operates. This involves not just the outer social, cultural or political milieus but also the immediate inner and individual contexts. 6. That there is such a thing as a Muslim world which is homogeneous and similar in most traits. The ideal and transcendental concept of the Muslim ummah does not necessarily overlap with the formal political concept of the Muslim world which has been constructed using vague criteria. Even within these 56 countries of the Organization of Islamic Conferences (O.I.C), if membership in this organization is accepted as a criterion, there are significant individual variations. For example, Nigeria is a member of the O.I.C. but only about slightly half of its population is Muslim. India is not a member of the O.I.C. but has a larger Muslim population than all the O.I.C. members with the exception of Indonesia. In the overwhelming number of cases too, these states are multi-religious in character. 7. That Muslim communities in Muslim and non-Muslim countries are neatly insulated from the non-Muslims. The truth is that in most cases there exist interlocking and overlapping relationships between the Muslims and the non-Muslims. The role of the Muslim minorities too, including those in developed countries, must also be taken into account in any attempt to form any generalization about Islam. The real Muslim world, if one could be conceived of, must be more expansive and inclusive than generally assumed.
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The Malaysian Context As an artificial state, Malaysia is a complex entity by any standard. It is a federation of thirteen states of unequal background whether in terms of area, population, ethnic groups, religion, language, natural resources, educational background, vocation, economic growth and even political consciousness and affiliation. Just to cite some examples. The state of Sarawak alone is bigger than the combined area of the seven biggest states in the peninsula. Sarawak has a Muslim-led state government although the Muslims are only a minority of about 25 per cent in the state. Penang, on the other hand, which has a large Chinese majority has always been led by a Chinese-based party of the ruling coalition. Sabah also has a non-Muslim majority but adopts a rotative power-sharing formula between the members of the coalition government. Relative to their population, both Sarawak and Sabah have a disproportionate share of parliamentary seats compared to the other states in the peninsula. Economically, the state of Kelantan, which is overwhelmingly Malay in population, may be about the least developed in Malaysia but politically it seems to have the highest level of political consciousness in the country measured in terms of the highest voter turnout in all the parliamentary and state elections between 1959 and 1990 and the fact that it is the only state in the Federation which has been under control of the opposition Islamic Party of Malaysia or PAS (Pan-Malaysian Islamic Party), for much of the independence era. Out of an estimated population of about 25 million people in Malaysia today almost 65 per cent is bumiputra but Muslims, generically referred to as Malays but in actual fact representing various sub-ethnic groups, only make up slightly less than 60 per cent of the total population. There are also Christians, Buddhists and Animists who bumiputras. Among the non-bumiputras, the Chinese form the largest bloc with about 27 per cent, with the Indians and others making up the rest but there are also Muslims from among the Chinese and the Indians. The ethnic profile of the non-bumiputras too, like their bumiputra counterparts, is heterogeneous. Simply put, the ethnic mosaic in Malaysia is truly amazing although still little appreciated and it is often the general picture of the multi-ethnic and multireligious character of Malaysian society that has been overemphasized. The glaring socio-economic disparities between the bumiputras and the non-bumiputras, had led to the formulation and prosecution of the New Economic Policy, the NEP, the nation’s most ambitious social engineering programme, with its twin-pronged objectives of trying to eradicate poverty irrespective of ethnic backgrounds and to eliminate ethnic identification with vocation over a twenty-year time-frame from 1970 to 1990. Since 1991 the NEP has been replaced by the National Development Policy. Ethnicity is a potent and pervasive factor in Malaysian politics. Malaysia has also been established on the basis of democratic principles agreed upon by the leaders of the major ethnic communities through their respective po-
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128 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft litical parties. The Malaysian constitution itself is a manifestation of the major compromises made to bring into being a new nation based on consensually agreed principles, provisions and practices. The centerpiece of this consensus is the adoption of the Westminster-style parliamentary democracy with a multi-party system and open, free, fair and regular elections. Every Malaysian government has been democratically constituted since the first 1955 general elections. This is also true of all state governments. Electoral processes in Malaysia at every level have always been rigorous. Elections constitute the essence of Malaysian democracy. What is no less significant is the democracy that exists within individual political parties. Inter-party cooperation, which is the basis of coalition politics, or what many scholars have referred to as consociational democracy, is also another distinctive feature of Malaysian participatorial politics. Since 1955, successive Malaysian Federal governments have been coalition governments and with the exception of Kelantan, Trengganu and Sabah, which at various times have been under opposition rule all the state governments have also been coalition governments. It has to be emphasized that although the factor of ethnicity does figure prominently in Malaysian politics, it has not been at the expense of constitutional rule, democratic institutions, procedures and processes, and the power-sharing formula manifested in the phenomenon of workable coalition governments, all symbols of a modern political system. There is also a nascent civil society in Malaysia. Although the tradition of voluntary organisations goes back to before independence it was only in the post-independence period that NGOs began to assert their presence. There are a few active and articulate NGOs like ABIM (Islamic Youth Movement of Malaysia), PUM (Ulamak Association of Malaysia), Sisters-in-Islam, that are more relevant to our discussion that merit mention here. Muslim students’ Association, unregistered religious movements like the banned Al-Arqam and loosely structured religious activities like the tabligh also form part of the civil society landscape in Malaysia which have a role in the modernity discourse that is taking place in Malaysia. It is essentially within the framework of a federal, democratic and ethnicallypluralistic state with a budding civil society that the role of Islam has evolved in Malaysia.
The Role of Islam Islam in Malaysia is characterized by paradoxes. The Constitution of Malaysia stipulates that Islam is the religion of the Federation but it has been unquestioningly interpreted to mean that it is an official religion. This provision creates the legal and political basis for the government to provide active support and patronage to Islam. The jurisdiction over Islamic matters is supposed to rest with the states
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rather than with the federal government but there have been repeated attempts to dilute this provision. It is the hereditary ruler of the state who serves as the constitutional head of Islam in his state but the function is almost totally symbolic and ceremonial. There is a National Council of Religious Affairs which is supposed to make up of all the State Religious Councils but at least two states have opted to stay out. Freedom of religion is guaranteed in the constitution but since the legal definition of Malay includes the adoption of Islam, Malays who forsake Islam will automatically forfeit their ethnic status and all the privileges attached to it. Conversely, other Muslims, including new converts, have also tried to use this conduit to be recognized as Malays. The Malays in Malaysia have become more heterogeneous as a result. All Malays are supposed to be Muslims and it is the Sunni school which is accepted as the official school of Islam followed in Malaysia while the practices of the other schools are tolerated. It would however be misleading to imagine that Islam is a monolith. Although official Islam tries to project the image of a unified Islam on the ground the picture is much more complicated. Even within official Islam, there is no uniformity. Perlis formally adopts the reformist version of Islam which is close to Wahhabism, while Kelantan and Trengganu have been trying to impose huddud, the Criminal Penal Code, albeit without success. Among the Muslim public, beneath the veneer of a common Islam, the attitudes, affiliations and approaches vary considerably. Generally, the Malays are known to have a strong emotional attachment to Islam. Indeed, at one level, Islam is invariably considered to constitute a central feature of the Malay collective identity and forms an integral part of their psyche, identity and culture and through it the Malays see themselves as being an integral part of the universal Islamic moral community or ummah. However, there are also apostates among the Malays although the number is very small and Shiism is disallowed. Muslim Women in Malaysia are among the most liberated in terms of their public visibility and freedom to receive education, work, socialize, and participate in the political system. Although Islamic consciousness is at its unprecedented high state manifested by the growth of Islamic institutions, wide and dominant media coverage, popularity of Islamic schools, frequency of Islamic seminars and conferences, preference for the conservative forms of Islamic attire and proliferation of all kinds of Islamic symbols giving an aura of ubiquity to Islam, infanticide, rape, incest, corruption, fraud, robbery, highway bullies and a range of other crimes have risen sharply in Malaysia. Social problems as manifested by the number of alcoholics, drug addicts, transvestites and HIV Aids victims have also increased dramatically. It is the role of Islam in politics which is, paradoxically, both facilitated and constrained by the constitution, that gives it immense prestige and leverage in Malaysia. It is the practice of democracy that has given Islam its political space. It provided the religion an important ideological platform to compete for political support and patronage. Given its pervasiveness in Malay society and culture, no Malay
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130 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft dominated political party, regardless whether it is Islamic-oriented or not, could afford to ignore the Islamic factor, in the formulation of its policies and strategies. The role of Islam as a mobilizing social force becomes even more evident in electoral politics. In other words, Islam became politicized to mobilize the support of the Malays in particular for Malay political parties as well as Malay candidates during elections. It was the contest for the Islamic vote that had helped rejuvenate the dynamism of political Islam in Malaysia. It was also the competition between UMNO (Conservative-nationalist Malay Party), and PAS, the two rival Muslim political parties, with the latter increasingly resorting to the use of Islamic symbols and idioms that gave Islam the centre-stage in Malaysian politics. But, in the context of Malaysia, democratic politics is bigger than Islam as there is a more critical and bigger constituency to address. The interests of the non-Muslims too, who are not only a large numerical force but also generally wealthier, better educated, and, most importantly equal citizens of Malaysia, had to be considered. This becomes all the more critical as a viable government in Malaysia has to be a coalition government constituted in the spirit of inter-ethnic goodwill and cooperation. This is where Mahathir’s role as leader of the National Front, a coalition of thirteen ethnicbased parties and chief executive of the Coalition Government is crucial.
Mahathir’s Background Mahathir became Prime Minister in 1981 and remained in power until October of 2003 when he handed down the premiership of the country to his deputy, Abdullah Badawi. The biggest challenge for him when he became the country’s premier was how to develop the country and negotiate it towards modernity while at the same time managing the needs and demands of the different communities that made up the ethnic mosaic in the country without upsetting the country’s delicate inter-ethnic harmony. And all this had to be done within a consociational democratic framework. For this Mahathir had to obtain both the support of UMNO which was the largest Malay political party and the main pillar of the ruling coalition and that of the other coalition partners. This was by no means easy as UMNO politics itself was complex and unpredictable. The non-Malay political parties which made up Mahathir’s Barisan Nasional (BN), National Front, were also not without strong internal political demands. The Opposition parties too were a constant threat. On top of this, pressure groups representing the whole spectrum of civil society also had to be properly handled. Governing multi-racial and multi-religious Malaysia democratically was indeed a monumental challenge for Mahathir. It has been said of Mahathir that you either ›love‹ or ›hate‹ him. No other Malaysian leader has probably impinged into the lives of the people like Mahathir, through his views, policies, projects and controversies. Over the two decades since
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Mahathir became prime minister, probably to the disappointment of many of his critics, not only has he survived but he has appeared to have consolidated his position even further. He is easily the most studied and analyzed Prime Minister and politician Malaysia has ever known. Looking back over the last two decades one cannot help but conclude that his political career has indeed not been without controversies. For many in UMNO and the country Malathir’s era was like an endless roller-coaster ride. There is little doubt that Mahathir himself is a controversial leader. He has been described so by many scholars. He has also been labeled ultra; idiosyncratic; dubbed enigmatic; accused of being Machiavellian; derogatorily called Malaysia’s Attaturk and branded as a ›Pharoah‹. But no one doubts his survival instincts and political skills. Few could deny the fact that the transformation of Malaysia from an unnoticed backwater which was agricultural, feudal, rural, poverty-stricken and ridden with ethnic tensions to a modern, industrialized, moreegalitarian, urbanized, prosperous and vibrant nation-state occurred not only under his leadership but due to his determination, perseverance and drive to see this change through. For his role in Malaysia’s development he has already been declared a ›great Malaysian hero‹. Lee Kuan Yew, the former Singapore premier, paid Mahathir a rare tribute in his autobiography, when he remarks that »He had educated younger Malays, opened up their minds with the vision of the future based on science and technology, especially computers and the Internet, which his multimedia Super Corridor symbolized.« It is debatable whether it is usually the politician’s pot luck or his acumen that determines his success in politics. For Mahathir, though, there seems to be general agreement that he is attributed with a sharp mind. Kenichi Ohmae, the Japanese management guru, who was Mahathir’s adviser on industrial policy since 1982 made a telling observation when he confessed that Mahathir is the most inquisitive person he has ever known, recalling how on a visit to an arid part of eastern Malaysia with the Prime Minister who wanted to boost its vegetable and fruit production, he turned to Ohmae and asked, »Can you find out how to make rain?« His scientific attitude is very obvious. Mahathir is also been known to be visionary as a leader who »think in terms of decades« setting him apart from other politicians. A high-profiled Malaysian businessman admits that Mahathir, »takes risks« he wouldn’t dream of as a business man. In many ways he does not represent the image of a typical Malay or Malaysian leader. Born in 1925 in Kedah of mixed parentage, his father being of Indian background and mother, Malay. This would greatly influence his cosmopolitan attitudes. His family, educational and religious background all played a part in shaping his personality. He himself confessed to having a very good starting point in life with a strong family, a solid education and a good religious grounding. His deep suspicions towards the West had their roots in his childhood and youth when the British were still the colonial masters of Malaya propagating the myth of their
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132 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft invincibility. He was very uneasy with their hypocrisy and predatory disposition. The Japanese defeat and humiliation of the British spurred in him a sense of fascination with the Japanese as an Asian race who could stand up to the West. The image of the Japanese as a people who are worthy of emulation would later affect his thinking greatly. As a youth he was able to demonstrate his leadership qualities through his writing and early political activities which became a good training ground for his later political career. Serving in rural Kedah after qualifying as medical doctor gave him the opportunity to be close to the people and to understand their problems.
Mahathir’s Cultural Discourses In an absorbing biographical study of Mahathir, Khoo Boo Teik has argued that Mahathir’s ideas »constitute a relatively coherent political ideology« comprising the elements of nationalism, capitalism, Islam, populism and authoritarianism which he ascribed as »Mahathirism«. The terminological appropriateness or usefulness of Khoo’s characterization is debatable. Mahathironomics, along the line of Reaganomics, has also been put forward by another Penang university-based academic to describe Mahathir’s economic thoughts and policies. Mahathir’s impact on Malaysian academic minds is already beginning to show although some western scholars have refused to accept him as an intellectual. I think what is more fascinating is Khoo’s list of the paradoxes and contradictions that come with Mahathirism, to which I will add my own. Khoo says of this ideology (Paradoxes of Mahathirism): 1.
Anxious to secure the survival of the Malays, Mahathir seemed prepared to see the end of ›Malaysness‹. 2. The foremost Malay nationalist of his generation – he transformed himself into a new Malaysian nationalist. 3. His Social Darwinism accentuated his Malay nationalism. His Malay nationalism checked his Social Darwinism. 4. Temperamentally undiplomatic, he fashioned a diplomacy to suit his temperament. 5. The ideologue of state-sponsored constructive protection, he became the advocate of capitalist competition. 6. In the name of work, he extols Islam. In the name of Islam, he casts work as an imperative. His is the religiosity of the self-made man. 7. He would ›Look East‹ to catch up with the West. 8. He personifies his class by personifying his race. 9. He praised enterprise in an age of money politics.
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10. 11.
12. 13. 14. 15.
He left medicine for politics only to practise politics as medicine. Because he did not simply turn to the bureaucracy to realize his plans, but practically turned upon it, he turned the skeptical public perception of the bureaucracy into a mood more receptive of his vision. A rebel in 1969, he beatified loyalty in 1988. His frankness is his people’s catharsis; that is the character of his leadership. It was never quite clear where his populism dissolved and his authoritarianism congealed. He believes in History but is ›terrified‹ by it.
My additions: a.
He wanted to read law but became a medical doctor who eventually became a legislator. b. He is of mixed Indian-Malay background but takes pride in being a Malay. c. He criticizes the West to address the Malays. d. To demonstrate what could be a model of a viable ›modern Muslim state‹ he turns to Japan and South Korea rather than the Middle East. e. He emphasizes Asian values to promote East Asian solidarity and national unity. f. To make the Malays learn from the Chinese – he turns to the Japanese and Koreans. g. His discourses on Islam are actually discourses on development. h. When he thinks aloud it becomes a vision. i. When others say he is about to fall, he rebounds. j. When he admits failure he becomes more popular. k. His notion of Europe embraces the USA. l. He focuses on the economy to address Islamic issues. m. He disapproves of polemics but is himself polemical. The so-called outward contradictions and inconsistencies that appear to characterize Mahathir’s discourses upon close scrutiny, would reveal a remarkable coherence and unity that can only emerge from a complex and powerful mind. It is probably the holistic, diagnostic and ingeniously creative way that Mahathir views things that sometimes make it difficult to follow his line of thought. He seems to see things in an inter-connected, multidimensional and integrated way. Thus, to him a viable economic model is also a function of a good ethical system; seeking knowledge for the West is about promoting self-development; criticizing the West, on the other hand, is a way of warning his people not to ›acquire negative traits‹, emulating the success of Japan and South Korea is also an equally Islamic act. If he seems self-restrained at one moment and combative or confrontational, it is be-
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134 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft cause, as a politician he must know his contextual limitations. In the early phase of his premiership, when his grip on power was uncertain, he must have known he could not take on Al-Arqam without antagonizing or upsetting the Malays so he waited until his political grip was secure before arresting its leader, Ashaari Mohamad on September 2, 1994 and banning a movement that same month on the grounds that it was ›a threat to national security‹. Likewise, at a time when the Malays were still looking up to the Muslim countries in the Middle East, in the 1980s, Mahathir could not be too explicit about his motives for wanting Malaysia to look at two Non-Islamic countries as »models«. In the early 1980s too Mahathir could not possibly reveal his inner thoughts or real vision for a united and meritocratic Malaysia without undermining his position as the chief custodian of the Malays as President of UMNO at a time of intense intra-party politicking. As Prime Minister it is inevitable that Mahathir’s cultural discourses tend to crystallize into concrete government strategies, policies and programmes. Thus, these will also constitute the main part of my analysis of Mahathir’s Islamic discourses. But as indicated earlier, in view of Mahathir’s holistic approach to Islam, I would also like to suggest that what may ostensibly appear as unrelated issues at first glance, upon closer examination would reveal the latent connection. For example, one of Mahathir’s favourite themes is the decline of the West and its perpetual threat to Malaysia. In his opening address at the 54th UMNO General Assembly in June 2003, Mahathir went to some considerable length to criticize the West, classified as Europe in his frame of reference to »include those who migrated and set up new nations in America, Australia and New Zealand« for wanting to control the world again … »to exploit the wealth in those countries«. He pleaded in the Assembly that »it is very important that we know this race and their activities in the past because they will play a big role in our life and our race, our religion and our country«. He went on to argue, albeit rather simplistically, that the culture and the values which they will force us to accept will be hedonism, unlimited quest for pleasure, the satisfaction of base desires, particularly sexual desires. Our way of life must be the same way as their way of life. Asian values do not exist for them. The important thing to note here is that to Mahathir the West has failed to come up with a viable or credible alternative system or civilization seeking instead to resort to the use of threats to impose its will on others. On the other end of the spectrum, Mahathir repeats what he has expounded in his book The Malay Dilemma thirty years ago that there is no influence greater than Islam in building the strength and the resistance of the Malays and the need to »cling to the true teachings of Islam, the teachings which are all positive and constructive«. While on the other hand criticizing PAS for the confusion that it had caused through its tactics of spreading the »wrong Islam« or »misinterpreted Islam« for political gains. It is the theme of the »right Islam« versus the »wrong Islam« that dominates
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Mahathir’s Islamic discourses but what is interesting is that for Mahathir this contest of ideas is not just confined to the intellectual realm but has to be negotiated in terms of actual strategies, policies and programmes. This is Mahathir’s response to Islamism. But as he had been in power for over 22 years, longer than any of his predecessors and was backed by the powerful machinery of the state and party, he was able to prosecute his policies with virtually undeterred.
Mahathir’s Political Strategies Mahathir’s religious philosophy is very much a function of his family and educational background. His religious upbringing had created in him a strong emotional, cultural and psychological attachment to Islam but yet at the same time this was tempered by a scientific attitude towards his faith. Politically, he was all too aware of the special position of Islam in Malay society. His attitudes towards Islam have been clearly articulated in his controversial book The Malay Dilemma where while openly acknowledging the role of Islam as ›the greatest single influence on the Malay value concepts and ethical codes‹ he also argues that it is ›the interpretation of the doctrines of Islam‹ that varies not only with the individual but also with the age and the time, and even the country, that is most significant. In effect, Mahathir was already giving notice, long before he came to power, that his version of Islam would be a liberal, dynamic and creative one rather than literal, static and unimaginative. His approach to Islam was almost Arkounian. But for him the stakes were higher. Islam is a politically sensitive matter. Mahathir was fully aware of the need for him to get UMNO on board before he could assert pursue his thoughts proactively. In the early of his stewardship of UMNO and the country he knew that he had to tread the ground carefully as he was not sure of the extent of support that he would get and a wrong move could backfire. His priority was to consolidate his grip on power in UMNO but his first decade in office, as we know, was the most turbulent. It was only in the early 1990s that, as Mahathir began to be more assertive in promoting his thoughts on Islam. Mahathir was also not just talking about the need to rethink Islam as an academic exercise. The concern to reinterpret Islam became a recurring theme in his speeches and writings which demonstrated a remarkable degree of coherence and consistency. In effect, he was trying to use Islam as an agency for change and needed to approach this objective in a creative way. For him, the way Muslims viewed Islam had to be shifted from the traditional, which was narrow and closed, to the liberal and open-minded. There was a need to reinterpret Islam in such a way to enable it to cope with new issues that arise all the time as a consequence of the changes that are taking place everywhere. He argued that interpreting the Quran literally would only limit the numerous lessons that it contains suggesting
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136 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft that Islamic law which is based on the interpretation of certain Quranic injunctions be re-evaluated in light of present realities saying that since these are merely interpretations, they could not be taken as final and infallible. The awareness of the challenges facing the Muslims led him to emphasize on the importance of education and the need to approach it in a fruitful way. This was why he insisted that there is no division between religious and secular education because Islam sanctions the pursuit of knowledge. Despite his deep suspicion of the West he insisted that Muslims learn from the West because he was convinced that the way forward for the Muslims depended on their ability to muster knowledge, to modernize and to reorganize themselves according to the changing times. Mahathir’s attitude was both practical as well as philosophical. Recognizing the potentially beneficent role that Islam could play in Malaysia’s development Mahathir wanted to involve Islam in a much more direct way in it. Thus he set up special institutions within the national bureaucracy to advise the government on matters pertaining to Islamic matters. The establishment of the Islamic Consultative Council in the Prime Minister’s Department with members comprising Western-trained Muslim scholars, civil servants, business leaders, ulamak and politicians illustrates this. The creation of a special administrative unit within the Prime Minister’s Department called the Division of Islamic Affairs (Bahagian Hal Ehwal Islam or BAHEIS) later renamed the Department of Islamic Advancement (Jabatan Kemajuan Islam Malaysia or JAKIM) in 1996 to reflect its developmental orientation helped give Islam a visible presence in the bureaucracy. The unit was charged with the task of supervising the administration of Islamic affairs at the federal level in areas encompassing research, missionary activities and legal and administrative reforms. The setting up of the Institute of Islamic Understanding Malaysia (Institut Kefahaman Islam Malaysia or IKIM) aimed to encourage a scientific re-exploration of the richness of the Islamic heritage and civilisation and to promote inter-religious dialogue and understanding also illustrates Mahathir’s developmentalist approach to Islam. The Institute has become a major forum for inter-religious discourses since its inception. Underlying this whole attempt at the Islamic institutional capacity building was the desire to create a new crop of Islamic intellectuals who would provide the kind of alternative leadership to Islam that Mahathir approved of. This new generation of ulama in Western suits would inevitably assume a more definitive role in the development of Islam in Malaysia. Mahathir’s developmental approach also came about in the form of attempts to give Islam a direct role in the economy beyond the traditional activities like the collection of religious tithes or merely profiting from the pilgrimage business. In fact, such businesses were encouraged to reorganize to optimize their potential. The establishment of the Islamic Bank and the banking system, Islamic Insurance company, Islamic Capital Market, Islamic Investment Institutions, has not only
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demonstrated the feasibility of applying Islamic economic, financial and banking principles and practices in the country’s development strategy but has also created new economic options and opportunities for the Malaysian public. Islam here is promoted as a plus factor since it helps provide an additional service and choice to the consumer irrespective of religious affiliation. This whole approach falls neatly with Mahathir’s holistic thinking that Islam is not just about religion but must also be able to relate to economics, profits, and the market. In fact, seem to hold the view that it is economic development that has to emphasized since it holds the key to the liberation of the Malays and is essential for national unity. For Mahathir, the image of Islam as a religion that is solely confined to the mosque to the mosque was just unacceptable. He wanted to free Islam from that narrow confine and allow it to rediscover its vitality and dynamism as a truly universal religion meant to serve humanity. The setting up of the International Islamic University of Malaysia was partly to achieve this objective. It would use English and Arabic as the medium of instruction, accept students from all religious persuasions, be open to foreigners and offer courses which are relevant to needs of the nation and the fast-changing world. The aim of this move was to promote progressive Islamic education conceptualized in the most liberal manner. It was also to help produce a new generation of Muslim professionals to provide support for the growth and development of the new Islamic economic institutions. The reform of the Islamic judicial bureaucracy was also later facilitated by the emergence of a new class of law graduates produced by the International Islamic University. In line with his thinking of the need to open up the minds of the Muslims and internationalize Islam Mahathir promoted the idea of making Malaysia a new international centre for Islamic discourses. Thus, a series of seminars, forums, workshops and international conferences has been held in Malaysia with official government patronage and support. An impressive line-up of distinguished Muslim scholars from all over the world have been invited to participate in these meetings, which in the process not only helped enhance Malaysia’s international standing especially among Muslim countries but also reinforced the government’s Islamic credentials at home. Likewise, Mahathir high-profiled international posture, boldly articulating the fears and aspirations, not just of the Muslim nations but also those of the other developing countries, also helped Malaysia gain greater international recognition and respect. While Mahathir was on the one hand proactively supporting the policy of Islamic institution- building he was also at the same time firm in his stance towards certain Muslim groups which did not fit his vision of Islam. Although he was highly critical of PAS he was in no position to de-register the party and therefore had to face the political challenge that PAS posed to him and UMNO but he was harsh in his treatment of what he believed were deviationist groups. Although he was unable to act against the Jemaah Tabligh because of the informal structure of the
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138 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft movement he made his disapproval of it public. The Al-Arqam movement was banned outright and its leaders detained and put out of business. Shiism was just not tolerated. He saw these groups as cancerous and a threat to national security. His decisiveness was very reassuring to the non-Muslims although some of his critics considered his actions harsh, disproportionate and authoritarian. There was also another dimension to Mahathir’s approach to Islam which was partly influenced by his awareness that in a multi-religious country like Malaysia, the non-Muslims too had to be reassured at all times that their interests would not undermined by the government’s Islamic policies and partly by his own desire to present a very and inclusive image of Islam. Interestingly, Mahathir seemed to be fully conscious of the wisdom of working in tandem with the non-Muslims to achieve the goals of national development. He wanted to be the leader of the whole country rather than just the Muslims. In fact, he had a lot of admiration for the Chinese appreciated their role in the country but for political reasons could not openly talk about it. Lee Kuan Yew, mentioned that Mahathir told his Ministers to learn from Singapore, something which probably no Malay leader would do. Mahathir’s thinking underlined a two-pronged strategy to achieve this. First, as in terms of policy, there was a conscious effort on the part of Mahathir, to invariably invoke the universal characteristics of Islam to create a more acceptable and tolerant image of the religion. Second, which was perhaps even more important was to try to shift the pre-occupation with Islam to other issues, which in an indirect way also relate to Islam. At the heart of this lay the conviction that in the final analysis Malaysia will be judged firstly on its economic performance and then only on other things including Islam. The success of Malaysia’s Islamic policies will be measured by its economic success. And for Mahathir, economic development is something that can be planned, pursued and achieved but to do that he needed the support of a very wide constituency at home and abroad. Thus, Mahathir began to introduce a new strategy which encouraged private groups and individuals to work together with the government and its agencies to accelerate the pace of the nation’s economic development. At the core of this strategy was the attempt to provide government support and patronage, to resourceful and talented individuals from the private sector, irrespective of ethnic backgrounds to undertake aggressive business ventures at home and abroad and to establish dialogues with non-Muslim business leaders, industrialists and entrepreneurs, to cultivate trust, goodwill and co-operation, between them and the Muslims. A new partnership between the private sector and the government was thus developed. Conversely, Foreign Direct Investments would be encouraged in Malaysia to help it with its industrialization efforts. The Look East Policy (LEP), which Mahathir conceptualized, has also been motivated by some of the above aims. Although it has been dismissed by some scholars as insignificant it would be a mistake not to give it more credit than it deserves. On the surface of it, the LEP may appear like any other common gov-
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ernment policy. It is basically an invocation on Malaysians to look at Japan and South Korea, be inspired by their success as Asian states and learn from the way they approach and manage their economy. Although it appeared ambivalent at first, its psychological and practical implications were far-reaching for a number of reasons. Ezra Vogel, the Harvard economics professor claimed that Mahathir’s LEP was probably influenced by his work entitled, Japan as No. 1. There may be some truth there but I believe that it has more to do with Mahathir’s long-cultivated fascination with Japan and his perception that the Western model of modernity has been severely undermined by its moral decadence and hypocritical tendencies. Mahathir saw Japan for himself when he visited the country in the early 1960s when it was still undergoing economic reconstruction and was impressed by its phenomenal rise to become the world’s second largest economic power. Japan’s ability to negotiate modernization and economic development without losing its traditional values and culture struck Mahathir as a more acceptable model of modernity for Malaysia. The Japanese technology which was second to none and the way the government collaborated with business to advance the interests of the nation impressed Mahathir greatly. The high level of social harmony and the low rate of crime made it even more attractive. This was also true of South Korea to a lesser extent. Mahathir’s quarrel with Britain in 1981 that led to the ›Buy British Last Policy‹ had reinforced his prejudice to the West. Malaysia then had been too dependent and too influenced by the West especially Britain. On the other hand, the reference point for the Malays then was Saudi Arabia, Egypt, Iraq and Pakistan, all troubled rather than successful polities in the eyes of Mahathir. He wanted the Malays in particular to explore Japan and South Korea to appreciate Asian modernity at work. However, in 1982, when his political position was still weak he knew his limitations and possibly was deliberately vague about what he wanted them to learn from these two countries representing the Confucianist Kanji-culture akin to the Chinese back home. PAS had already ridiculed him for wanting to emulate the ›infidel nations of Asia rather than the Muslim nations of the Middle East!‹ The LEP was a turning point for Malaysia, which not only began to benefit from increased Japanese and South Korean investments but also began to apply some of the development strategies of the two countries with considerable success considering that a decade or so into the LEP the economic growth of the country averaged eight per cent consistently over the same period. Of course, other factors also contributed to this but the LEP too cannot be discounted. And equally significant is the fact that over the last twenty years or so Malaysia has produced a new generation of Kanji-literate and Japanese and South Korean educated Malaysians especially the Malays. Malays who have been educated or trained in Japan and South Korea will also have no problem identifying the common ground between the good Asian values of Japanese and Korean society with their own Islamic values. The affinity between the LEP and Malaysia’s Islamic policy has become clearer now.
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140 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft Mahathir had attempted to set a fixed time-frame for Malaysia to become a fully developed country by the year 2020 as well as a »[…] society that is democratic, liberal, tolerant and caring, just and equitable, progressive and prosperous, with an economy that is competitive, dynamic, robust and resilient strengthened by strong moral and ethical values« (Mahathir 1994: 11). For Mahathir, the goal of making Malaysia a fully developed country is something that in no way would contradict Islam. It is now up to his successor, Abdullah Badawi, to realize his vision. Already, since taking over the rein of power from Mahathir in October 2003 and more importantly, since winning the general elections held in March 2004 with a resounding mandate, Abdullah has been promoting his policy of Islam Hadari for Malaysia, which essentially emphasizes the civilizational and civil qualities of Islam which categorically demonstrate its compatibility not just with modernity but also the ideals of the Malaysian nation-state. Although Mahathir has apparently formally left the Malaysian political scene, all the indications are, his legacy will remain for a long time to come.
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Islam in Europe: Political and Cultural Orientations Sami Zubaida
Questions regarding Islam in Europe, or, alternatively, European Islam, are often couched in conceptual and political terms which relate to culture, multi-culturalism, modernity and ›alternative modernities‹. Before proceeding to a substantive discussion of political and cultural aspects of Islam in Europe I shall elucidate my conceptual approach to these general questions of modernity and cultural difference.
Modernity and Capitalism A currently fashionable term is ›alternative modernities‹, that is ›alternative‹ to Western modernity, assumed to have some uniformity deriving from a Western essence. The alternatives are routes to modernity emanating from other cultures, histories and religions. It is supposed, for instance, that there is a specifically Islamic modernity, not following the Western pattern, but somehow ›modern‹ and authentically Islamic. To clarify and elucidate these issues we must first identify the primary motor of modernity. It is capitalism that ushers in diverse processes of social transformation, which are not merely cultural imitation, but solvents of old social and cultural patterns. In this perspective, modernity in diverse parts of the world is not the product of cultural influences, imitations and ›invasions‹ from the West, but the consequence of transformations of social relations, powers and authorities brought about by sweeping socio-economic forces. These forces, while sharing common elements (to be discussed presently) produce different patterns of cultural and political transformations, depending on historical and cultural conjunctures where they hit. It is crucial to point out, however, that these differences are not of the West vs. the Rest, but include the West and the Rest. Modern
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142 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft capitalism may have originated in England, but has had distinct effects in France, Germany and Italy, not relating specifically to different ›cultures‹, but to historical totalities of economy, class structure, government and patterns of power. The common processes and effects of capitalism which shape modernity include the break-up of primary communities of production and exchange dependent on kinship, governed by patriarchal authority, reinforced by religion and custom and buttressed by religio-political institutions and powers. Commodity production, monetized exchange, individualization of labour, the development of ›the economy‹ as an autonomous sphere regulated by state and international authorities, all lead to profound social transformations, by now familiar in most parts of the world. These processes provide conditions which favour the liberation of individuals, including women, from the patriarchal authorities of household and community, which lose some, maybe most of their control over their life-chances, increasingly determined by educational and economic fields outside communal control (though in many cases retaining influences of family and patronage over gates of opportunity). Crucially, these processes affect ›the economy of desire‹: capitalism creates avenues, means and commodities of gratification, material and symbolic, often related in one way or another to sexuality. These are the processes which theorists like Adorno, Horkheimer and Marcuse considered to be part of the insidious repressions of capitalism and of its ›instrumental reason‹, and which are celebrated by more recent theorists like Baudrillard as part of the post-modern condition. However we evaluate these effects, the fact remains that capitalism enters into the formation of the modern psyche and the pattern of its desires, and this is always a component of modernity. Patriarchal and religious authorities, while participating in these economies of desire, are at the same time fearful at the loss of control and authority over social spheres and spaces and over women and the young. They respond with moralistic campaigns aimed at re-establishing control, sometimes supported by the ›re-sentiment‹ of sectors of society who feel deprived and left out by social transformations. But they are fighting a losing battle, as we see in the case of the youth of Iran rebelling against the moralistic authoritarianism of the mollas. These processes of modernity/capitalism have transformed individual and society in most parts of the world, including the diverse Muslim world, since the nineteenth century, but were accelerated and enhanced in the second half of the twentieth. There are always winners and losers in these processes. The losers were mainly the poor, many of whom were deprived of their land (commodification) and livelihood, their crafts and guilds hit by cheap imports, many forced to migrate ending up in urban slums and shanties. It favoured the emergence of new elites and the decline of old. Many of the old and new elites who benefited from these transformations, nevertheless did not like the social and cultural effects and the challenge to patriarchal and religious controls and authorities. Among the losers in
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many parts were the religious classes, who, from the nineteenth century incited the losers amongst the poor in Ottoman lands and elsewhere, against the transformations and reforms. They fought losing battles, but many of their ideological grounds were taken over by new elites and authorities, who, like Sultan AbdulHamid (1875-1908), while continuing the processes of reform and capitalism, adopted Islamic rhetoric against democrats and constitutionalists, lumping them with foreign hostile powers. This resort to religious ideology in defence of reactionary power became a regular strategy of despots until the present. It also generated its opposite: the radical religious claims of oppositional forces, as we see in Saudi Arabia and elsewhere at the present time. This ideological instrumentalization of religion and tradition has a common target: the liberated individual of modernity, struggling to escape the re-imposition of patriarchal and political authority. The question of modernity, then, is not one of cultural essences leading to ›alternative modernity‹, but of basic conflicts and contests between different social forces and desires. We see this clearly in present-day Iran. A religious clique dominated a popular revolution to impose its arbitrary and corrupt rule. The children of the revolution, those born on its terrain, are struggling against this enforced morality, not by seeking ›alternative‹ modernity, but modernity tout court, identified in their minds with the USA and its cultural products. In Egypt a different pattern emerges: religious rhetoric and identification have emerged as Egyptian nationalism, if not chauvinism, nourished by a paranoiac view of the world as one of clashes of hostile religions. Within this framework, however, the capitalist economy of desire asserts itself, in pattern of consumption and media, of modern fashions (even behind female veils), of imported soap operas on TV, of expressions of sexuality outside patriarchal bonds, as in the wave of ’urfi marriages between the young and the students, the culture of shopping malls and of mixing of the sexes in its halls, and the brands of cigarettes and soft drinks. The fact that popular preachers and religious zealots continue to fulminate against deviance, looseness and immorality, to demand stern legal enforcement of morality in this world and to threaten hellfire in the hereafter, is testimony to the continued popularity of sin. Modernities are not alternative: they are ideologically contested. The notion of ›alternative modernities‹ takes sides in these contests.
Is Islam a Distinct Culture/Civilization which has to be ›Understood‹ by the West? This question is raised acutely in relation to the increasingly prominent presence of Islam in Europe. It is raised in the related context of ›multi-culturalism‹. This term, at first, seems to refer to a clearly discernible fact: so many aspects of modern urban societies in the West manifest multiple cultural traits and origins. Wit-
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144 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft ness ›world music‹ as a prominent genre, or look at the great variety of culinary delights, from pizza to curry, sushi and Thai delicacies, in addition to the nearer home pasta and pesto. They originate from different cultures and they mix into various hybrid forms and ›fusions‹, from Rai to Indian Jazz, to Hispano-Moroccan fandango, and in the culinary field such concoction as chicken tikka Kiev. Yet, the term ›multi-cultural‹ is seen to imply a multiplicity of unit cultures: how are these units to be labeled and distinguished? By nationality, or religion, or ethnicity? Indian, Muslim, Kurdish? Do these really form distinct units? I am reminded of the well intentioned effort of London education authorities in the 1970s to instill multi-culturalism in schools by teaching Bengali in East London schools with a preponderance of Bangladeshi pupils, only to discover that London Bangladeshis don’t know Bengali, but speak a remote relative called Sylheti! The Indian sub-continent is itself multi-cultural, but with illusive units, hard to categorize as distinct entities. When it comes to ›Muslim culture‹ the unit becomes even more indeterminate, not only with the multiplicity of nationalities and ethnicities, but also the variety of identification of the religion itself, and its adaptations to ideologies, generations and styles of life (see below). We shall see that modern forms of Islam, whether reformist or radical, tend to reject ethnic cultures and its colouring of religion, in favour of a ›pure‹ Islam derived from scriptures and Prophetic sources. Islam as a distinct culture is, then, illusive. As a religion it has certain constants, such as the holy book and the belief in the unity of God and the Prophethood of Muhammad. But even these constants are constructed in a variety of discourses and practices enshrined in differing institutions. ›Culture‹ is best viewed as a process, in flux, in relation to other socio-economic and political processes and situations, rather than as distinct units with essential identities. Are these Muslim ›cultures‹, beliefs and institutions alien to Westerners and would require special study and understanding? I would argue not. Islam shares a wide range of doctrines, practices and moral precepts with Christianity and Judaism. The issues of sexual morality and its codification in state law, for instance, so prominent in Islamic distinctiveness today, were until recently also part of Christian advocacy in Europe and North America, and remain so in the latter. Homosexuality was a criminal offence in Britain until the legal reforms of the 1950s and 60s, and so was abortion. Religious authority, while separated from most social and cultural spheres in the process of modernity, continued to claim sway over matters of family and sexuality. The liberties of belief and expression were limited by laws of blasphemy in Britain till the present time, though largely in disuse. The assertion of the precedence of religious truths over the scientific are features of Christianity and Judaism as much as Islam, and the Muslim denunciation of Darwinian evolutionism has well known precedents and parallels in the US (and earlier in Europe). In the liberal societies of Western Europe, modernity has led to the decline of
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religious authority (which is not necessarily to say of faith). The mainstream churches have largely adapted to this loss of authority, and have directed their appeal in terms of spirituality and the good life. That is to say, the authorities of the main churches have accepted the secularization of life, the evolution of sexuality, the equality of women and the supremacy of science as a form of knowledge. The Papacy continues to fight a rearguard action on some of these issues, but in the process losing support and authority amongst the faithful. The fringe elements who refused to accept these reforms have become anomalous in Europe (though not in the US). Those are the first referents of the term ›fundamentalist‹: those who insist that the scriptures mean what they say. In relation to this history, the manifestations of militant Islam are not alien, but echo many of the features and episodes of assertions of religious authority in the history of the West. What worried liberal Westerners at the scenes of the burning of the Satanic Verses in public demonstrations in British cities and elsewhere is precisely that it was reminiscent of similar events in their own histories. The so-called fatwa against Salman Rushdie was not strange to countries that until recently persecuted heresy, and slightly earlier burned heretics. After all, Martin Luther was himself the object of a Papal fatwa, which he escaped, and then himself proceeded to burn heretics and dissenters. So, what is mysterious or alien about these particular Islamic manifestations? The fact of the matter is that many European citizens are worried about Islam in their midst precisely because it parallels elements in their past which they thought had been combated and overcome, only to surface again. On some of these issues of religious and moral enforcement there are tactical alliances between Muslim clerics, conservative Christians and Orthodox Jews. This is not to imply that Muslims in Europe are uniform in their moral conservatism and authoritarian assertion, quite the contrary as we shall see presently. It is only to say that these moral authoritarians are not alien to Europe or ›The West‹, and are readily understandable in its terms.
Islam in Europe Unity or Diversity? Strands of public discourse and the media have tended to see Islam as a totalized unity of communities and forces which are distinct, even hostile, to an equally totalized West, Christian or secular, but liberal and democratic. This totalization is reinforced by proclamations to similar effects by confrontational Muslims, emphasizing the unity and uniformity of some universal umma, defined in political as much as in religious terms, and one distinct from a West conceived as a hostile enemy. The reality, of course, is different: Muslims in the West (as elsewhere)
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146 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft are differentiated on a variety of dimensions, which correspond to different religious, or secular, orientations and patterns of practice and association, as attested by a wide variety of observation and research. Let us consider some of these dimensions.
Dimensions of Difference 1.
2.
3.
Ethnic and national dimensions: the majority of Muslims in Britain are from the Indian sub-continent, divided as Indian, Pakistani and Bangladeshi. In France they are predominantly Maghrebian, and in Germany Turks. These ethnic compositions are determined by historical factors of colonialism and migration. Until the 1980s these communities were defined, and defined themselves, in ethnic terms. The overall designation in Britain, for instance, was ›Asian‹. The derogatory racist label for all Asians was ›Pakis‹. Islam did not figure in this vocabulary of identities. Was it, perhaps, the rise of Islam as a prominent and powerful signifier on the world stage in the 1980s which drew its adherents and opponents alike to seek it as a marker of identity? The episode which marked this transformation more than any other was that of the Rushdie affair in 1989, which galvanized Muslim opinion in the West around common advocacy and action, as well as linking it to the foremost symbol of this world resurgence of Islam, in the form of the death sentence pronounced by Ayatollah Khomeini on the errant author. Since then Islam has come to the forth as an identity marker and a basis for advocacy, association and action. It has not, however, superceded ethnic identifications and associations, which in most cases remain primary, as we shall see. Class: related to educational levels and occupations, and tending to correlate with ethnic background. Overall, Muslim communities which originated as migrant workers continue to occupy the lower levels of the class structure in Europe, with notable minority exceptions of business people and professionals. The Muslim communities themselves are also divided by class factors. In Britain, for instance, Bangladeshis tend to have the lowest levels of education and occupational mobility, Indians the highest. There is, of course, considerable differentiation within these ethnic communities. Within Muslims, there is a firm divide between communities originating as immigrant workers, such as those of Indian sub-continentals, Maghrebians and Turks, and settlers, many exiles and refugees, from the Arab Middle East and Iran, often professionals or engaged in business. Religiosity tends to play a greater part in the life of the former. Generation: the generations born and raised in Europe invariably undergo European education, tend to be more proficient and literate in the national languages, and are generally more knowledgeable and open to local cultures
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and customs. These factors can lead to quite different orientations, as we shall see, ranging from assimilation to the dominant culture to heightened religious identification, but distinct from that of parents. Let us now move on to see how these dimensions of social differentiation relate to patterns of religious orientation and associational life.
Patterns of Religious Orientation and Associational Life The orientations listed in what follows are ›ideal types‹: in practice, they mix and overlap.
Communal/Ethnic Orientation Which we may also designate as the millet mentality (by analogy with the Ottoman millet system). This orientation is towards the preservation of cultural and religious components of the ethnic community in line with its traditions from the home country. Indian sub-continental Muslims in Britain, for instance, have built up communal structures of mosques, Quranic schools, Halal food production and retail, burial grounds and processes, as well as charities and social and familial associations with various degrees of formality. They are concerned with the preservation (or re-construction) of elements of traditional culture and communal continuity and reproduction in the context of the European environment. In this respect they have the most problems with the new generations, who even when religious, tend to new forms of religiosity distinct from their parents. In relation to the politics of the host country communal leaders often adopt instrumentalist strategies aimed at bargaining votes and support for advantages to the community in education, housing and employment, and, crucially, the public recognition of communal culture and religious exigencies. This includes, for instance, the provision of halal food in school meals, the allowance for the observance of prayers and the recognition of Ramadan and religious holidays. Communal divisions of this kind tend to get in the way of attempts by Muslim leaders to get recognition for an overall Muslim community as such, in parallel to Catholics, Protestants and Jews. This is especially pertinent in countries such as Belgium or Germany where corporate religious communities have financial and fiscal advantages. In Belgium, struggles between Muslim groups as to who is entitled to represent Muslims to the state resulted in a stalemate in which no authoritative body exists, thus missing out on financial support allowed by Belgian law (Vertovec/Peach 1997: 32). In France in 1995, the then Interior Minister Charles Pasqua designated the Conseil representatif des musulmans de France, a respect-
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148 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft able and intellectual group, as the official body of French Muslims. More recently, in 2003, the French government formed Le Conseil francais de culte musulman (CFCM), consisting of elected representatives from a number of designated mosques (see Amiraux 2003). This has elicited widespread criticism from Muslims and others, seen as a cosmetic project, designed by the government to demonstrate the inclusion of a representative body of the Muslim cult in public life, and to have an official interlocutor. The process of ›election‹ was widely criticized, and the functions of that body remain ambiguous. Some have asked whether it is meant to represent Muslims to the government or government to the Muslims. Given the variety of communal interests, leadership rivalries and political orientations, it will always be difficult to designate official representatives of Muslims per se in relation to governments.
Orientation to Country of Origin Most communities have some degree of connection to country of origin. The ethnic communities in the previous category maintain familistic networks and religious affiliations with countries and regions of origin. Many sub-continentals in Britain, for instance, import imams from their countries (much to the disapproval of the younger and more educated generations). Religious affiliations and divisions in the original countries can also be reproduced in the European context. The Tablighi missionary movement, for instance, represents the Deobandi strand of Indian Islam, scriptural and disciplinary, as against the prevalent Barelvi orientation inspired by Sufi piety and the veneration of saints (King 1997). It is Turks, however, who appear to be the most strongly preoccupied with the religio-political and associational divisions of Turkey. This is partly to do with the control over religious institutions and finance exercised by the Turkish government’s Religious Affairs Directorate (Diyanet) in Germany and elsewhere in Europe. This attempt at control is challenged and countered by extensions of religious associations and the Islamic political party in Turkey. Schiffauer (1997) describes the politics of Turkish Islam in Ausburg with the rivalry between the official Diyanet, two rival sufi-based associations (Suleymanci and Nurcu) and the Milli Gorus, a branch of the Islamic party, over the control of mosques and congregations. Problems and issues facing Turkish communities in Germany are subordinated to these divisions, deriving from the politics of the country of origin. It is interesting to note that similar divisions and rivalries characterize the factions of the Turkish left in exile. State (of origin) organization and policy on religious matters affect many Muslim communities in Europe, and in particular the Algerians in France. Equally, Islamic politics in Algeria, particularly that of the Front Islamique du Salut (FIS) and the civil war of the 1990s, naturally spilt over into the politics of the Algerians of France, and indeed into French politics in general. But it is not only the states of
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origin which are active in Europe, but, crucially, that of Saudi Arabia, and to a lesser extent Iran. Saudi government, associations and charities have been active in building mosques and exporting imams and teachers to various European cities, and in the process propagating their brand of Wahhabi Islam as against other national and cultural traditions. In the recent ›elections‹ for the CFCM in France, it is reported that Saudi institutions and personalities intervened directly, buying votes on behalf of the Salafi factions. The Friday sermons on the radios of Tunisian grocers in Paris are not from Tunis but Mecca, and these same sermons are heard in other Muslim spaces of schools and mosques, often paid for and maintained by Saudi bodies.
Universalist Orientations In the sense that they are detached from particularistic cultural and ethnic orientations. These are characteristic of new generations of Muslims born and educated in Europe who find the traditional culture and religion of their parents ›backward‹ and restrictive. We can divide this category in turn into two contrasting types, which I shall call the ›accommodationist‹ and the ›dissident‹. The accommodationists tend to be educated at a higher level, often professionals and business people. Typically, they make a clear distinction between religion and culture. Their parents, they argue, have confused these two spheres because they see their specific ethnic cultural traditions as synonymous with Islam. They, in contrast, seek out a universal and original Islam based on scriptures, law and theology, and subject to rationalization and adaptation to modern life. In this respect they follow the reformist trends in modern Islam. Women and women’s groups are particularly important parts of this trend, working towards a kind of Muslim feminism. They argue that the patriarchal and oppressive traits conventionally regarded as Muslim practice are, in fact, alien to original and pure Islam of the Quran and the Prophet. They are part of ethnic culture projected onto Islam by traditionalists and male supremacists. In this regard, these women form part of a much wider current of Muslim feminists reading the Quran and the sacred sources for themselves and arriving at their own interpretations, which are favourable and empowering to women in the family and in society. As such, they confront Western feminism with an ›authentic‹ Islamic feminism, distinct from the West, but empowering to women. In political orientation this group tend to seek accommodation to the society and culture in which they live and in which they have been raised. They often consider Islam to be part of a plural, multi-cultural society, and seek recognition within it as Muslims alongside Christians and other religions. Religion to them, however, is not a private affair of personal piety, but seek for it to be represented and recognized in public spheres. As such, those activist amongst them, tend to consti-
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150 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft tute pressure groups and associations campaigning for recognition and inclusion as Muslims, and a share in media, education and politics. One such in recent years in London is a Muslim social club called Ar-Rum, founded by a young woman lawyer. It consists of a restaurant, a juice bar and activity spaces for concerts, poetry readings, children’s events and discussions, some of them inter-faith. There are also a number of Muslim associations dedicated to projecting favourable images of Islam and Muslims in the media and the public eye, and countering Islamo-phobic trends. In France, in response to the formation of CFCM, a group of French Muslims, claiming to represent the ›silent majority‹ responded by founding the ›Conseil francais des musulmans laique‹ (Le Monde 21 Mai 2003: 11). This trend finds a voice at the institutional and religious level in the work of a number of personalities and bodies of European Muslims. The European Council for Fatwa and Research, founded in London in 1997 is one such body, with the prominent figure of Yusuf al-Qaradawi as its main luminary. It deals with the specific problems of Muslims in the West and is animated by a branch of jurisprudence termed fiqh al-aqaliyyat, the fiqh of minorities, directed at Muslims living in non-Muslim societies. The trend of its fatwas have generally been to facilitate the transactions of Muslims in the West in matters such as the legality of mortgages or the marriage to non-Muslims (Caeiro 2003). Shoeib Bencheikh, the mufti of Marseilles, Zaki Badawi, head of the London Muslim College, and Tareq Ramadan, the prominent Muslim writer based in Switzerland, are among other figures advocating a European Islam with an agenda of legal reforms and new ijtihad. Some see this trend as the start of a new Islamic jurisprudence. It is certainly resented and opposed by many of the more orthodox religious authorities in the Arab world and in Europe. The dissenters tend to be of lower social class, often with low educational attainments. They are the typical alienated youth of the banlieu in France, and of the deprived northern cities of England. They are generally disenchanted with their parents’ social and cultural styles, but at the same time alienated from the society into which they have been socialized by education and general orientation. They suffer from prevalent racism, exclusion from job opportunities and cultural impoverishment. In the earlier decades of the twentieth century, leftist and labour movements and ideologies may have provided a refuge and an expression to the earlier generations of disadvantaged migrants and their children. These options are no longer available, and the second and third generation migrants may drift into native delinquent cultures related to drugs and petty crime, or, for some of the young Muslims, identification with radical Islam, thus rejecting the society which excludes them in the name of a higher inclusive and universal identity. Some of this confrontational activism may occur within the communal sphere of their parents, as we see in many of the disturbances and riots in northern British cities, in which young Muslims battle with racist antagonists and the police (Leeds, Preston
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and Blackburn in recent years). This was also the case in the campaigns and demonstrations against The Satanic Verses in 1989. Radical Islamic groups have had some success in recruiting and channeling some of this constituency. Notable amongst them in 1990s Britain is Hizb al-Tahrir. This is a radical party founded in Jordan and Palestine in the 1950s, and intermittently active in the Arab world since then. Its ostensible objective is the foundation of a new Khilafa or Caliphate, to unite Muslims of the world in confronting the hostile non-believers, primarily the West and the Jews. The party became active in Britain from the early 1980s, particularly in colleges and schools, recruiting students and their associates, primarily from sub-continent backgrounds, reflecting the composition of Muslims in Britain (see Taji-Farouki 1996: 171-187). In the 1990s these activists targeted Jews and homosexuals, with threatening rhetoric which could be interpreted as incitement to violence, and certainly defamation. As a result they acquired a high profile in the sensational media, fueling racist and Islamo-phobic rhetoric. They were widely banned by students unions and college authorities from activity on campus. They proved to be an embarrassment to other Islamic associations with civil and accommodationist orientation. It is interesting to note that these assertions of universal Muslim solidarity in confrontation with Jews, Christians and offenders of God’s law and morality combine traditional forms of communitarianism with modern radical ideology. For France, the sentiments and activities of disaffected and alienated youth have been widely studied, notably by Kepel (1987) and Leveau (see Leveau/Schnapper 1987; Krieger-Krynicki 1990:). Leveau, drawing on results of surveys and polls, concludes that a substantial majority of Maghrebians, around 70 per cent, identified with France and expressed a will to integrate into French life, including 64 per cent who expressed willingness to fight in the French forces (see Leveau 1997). The ›rejectionists‹ were a minority of around 15 per cent, those who sought in Islam a counter-identity, some seeking a Muslim separatism. The rise of the FIS in Algeria in the 1990s provided a focus for some of these sentiments, but also grounds for enhanced racism and surveillance by security forces. An interesting gender difference emerges from these studies: girls are much better integrated and acculturated than boys, with higher levels of educational attainment.
The Secularist Orientation The preoccupation with Islamic issues of community, ›fundamentalism‹ and politics in public discourses has obscured a crucial fact: that the great majority of Muslims in the West are lax in their religious observance or entirely secular. There are parallels with Jews in this respect: many Jews are non-observant, some only observe the high holidays, and as such are ›cultural‹ Jews, but many of these non-religious groups would identify in some way with the community, and in
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152 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft conflicts and crises would show solidarity. Survey results have been consistent in showing majorities of Muslims in Europe who declare secular orientations. One in France in 1995 claimed that 68 per cent of Algerians declared themselves not to have a religion (International Herald Tribune, 6-7 May 1995, cited in Vertovec/ Peach 1997: 9). Felice Dassetto (1993, cited in Vertovec/Peach 1997: 37-38) estimates that some 60 per cent of all European Muslims are secular in one form or another, agnostic, indifferent or culturalist Muslims. Another 20 per cent, he estimates, are ›individual pietists‹, that is to say they keep their religious observance to the private sphere. It is only the remaining 20 per cent who are public activists, divided between ›ritualists‹ missionaries, mystics and militants. Leveau (1997, 150) reports studies showing that 73 per cent of young people have had sexual relations with non-Maghrebians, and 70 per cent would consider marrying such a partner. These findings are not surprising when we consider the secularizing thrust of modern societies, of the liberation of most of the younger generations from family controls and communal and religious authorities, and the incentives and desires of sex, entertainment, cultural pursuits and consumption. On the other hand, these pressures are precisely what may dispose certain minorities to rejection and dissent in the name of religious identity and exclusion. Leveau quotes an architect of Algerian origin, a secularist expressing his ambivalence: »I don’t feel Muslim in the religious sense of the term. On the cultural level […] I feel I have something positive in spite of the fact that for me it has always been something negative, because my education at school was complicated for a number of reasons. But now I feel it has become an asset. […] Yes, now I eat pork, I drink wine and I like it. […] All religions are the same to me […] but I think that for a worker of Muslim origin, the only support in this society, the only thing he can master, that belongs to him, is his religion […]. So, of course, I understand his attitude completely« (Enquete 1985: 370-375, quoted in Leveau in Gerholm/ Lithman 1990: 119).
Political Sentiments and Affiliations Drawing on the foregoing discussion, we may sum up the political angle as follows. The great majority of Muslims in the West are not involved in organized politics of any kind. They, no doubt, have political sentiments, which, for some, can be the basis for occasional mobilization on single issues, such as racist attacks, or perceived affronts to religion, as in the Rushdie affair. In this respect, they are similar to other sectors of the European populations. The minority who are politically active, in so far as they come forth as Muslims, tend to have a high public profile to the extent that they take up confrontational positions. This is a matter of concern for ›mainstream‹ Muslims and community leaders because it colours public per-
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ceptions of Muslims, and reinforces racist and phobic stereotypes of the ›fanatic‹ Muslim. We may classify political orientations among European Muslims broadly into two main streams: Those who address their politics to a universal Muslim community and see it as the focus of their allegiance and solidarity; and those who are politically orientated to their country of residence. These, of course, overlap. ›Universal Muslims‹ are those who totalize Islam as a universal community which is the primary focus of allegiance of all its members. Hizb al-Tahrir, mentioned above, is a good example: the primary objective of all Muslims should be the restoration of the Caliphate, as an expression of the unity of believers, and their distinction from the infidels. Living among the unbelievers and under their rule is in some way anomalous and transitional, but part of the struggle for the triumph of Islam. In world events, such as the Iranian Revolution, the Gulf War, Bosnia, Palestine or Afghanistan and Iraq, the primary allegiance of a Muslim is to the Islamic side in the conflict, in confrontation with Christians and Jews. All these conflicts, as well as Kashmir and Chechenia are seen as manifestations of the same confrontation: that between Islam and the West, defined in religious communal terms as Christian and Jewish (Hindus, too, but subsidiary to ›the West‹). Other examples of these positions include the self-styled ›Muslim Parliament‹ in Britain, which came to prominence at the time of the Rushdie affair, but has since sunk into the background. It is also the ideology of many of the extensions of radical Islamic movements from the Middle East and elsewhere, such as the Muslim Brotherhood, the Saudi dissidents and the Algerian FIS (more infra). They clearly appeal to the ›dissident‹ category of the alienated and the excluded. A small minority of European Muslims are actually affiliated and active in this ›universalist‹ strand. It may, however, elicit the sympathy of many others in relation to particular issues, particularly in relation to Palestine, and now Iraq. The other main strand is that of ›Islam in one country‹, an orientation to the political fields of the country of residence. Within that we may discern a further division: a communal and a national. The communal is the politics of pressure from particular local communities, often ethnically constituted, for particular facilities and for recognition as such, as outlined above. At the local level, many have advanced further, especially in British cities, where members of Muslim ethnic communities have successfully fought elections for local councils and even for mayors, either as candidates for national political parties or as independents. To that extent they are in the process of integration into the national politics of the host country. Issues such as housing and education may be generalized to the national level, as for instance in the campaign for Islamic and single-sex schools in Britain and elsewhere. They then converge with the ›national‹ political orientation characteristic of the de-communalized ›accommodationists‹ described above, who enter into national politics and pressure groups in a politics of recognition, aimed at integrating Mus-
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154 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft lims and their concerns into national and public life, as a national religious community, like Catholics, Protestants or Jews. There remains the category, described above, of primary orientation to the politics of the country of origin, with Turks as the primary example. It is likely that this political orientation is transitional: we see many Turks in Germany now whose interests are centered around issues relating to national German politics and the ways it affects their status.
Globalized Islam and the Question of ›Terrorism‹ These issues are at the centre of current public discourse. The main actors in these dramas, however, are, at most, marginal to Muslims in Europe. These actors are primarily extensions of Middle Eastern radicals, now ›de-territorialized‹. Radical groups, such as the Jihad and the Gama’at Islamiya in Egypt, or some of the Algerian Islamists, have been thoroughly suppressed and marginalized in their countries of origin. Afghanistan had acted as a magnet to those members who escaped, and was hospitable to them first in the war against the Soviets, then in the military organization associated with the Taliban regime. Some have gone further to other areas of conflict like Chechenia or Kashmir. Many radicals sought refuge in the West, and have utilized the facilities and liberties of Europe and North America in organizing extensions and networks of their political groups. Universalist and confrontational Islam as described above is the primary orientation of these groups. Most of them, however, are engaged in peaceful organization, primarily oriented to their region of origin and the conflicts between their factions. The appeal of the radical Islamist position, however, is not confined to the organized groups or the ›terrorists‹ but can strike a chord with many disaffected Muslims in Europe and elsewhere. Many Muslims in the West (difficult to ascertain how many), and especially the younger generations may have shared in the enthusiastic adulation of Bin Laden and his organization following 11 September and the ensuing war in Afghanistan. To put this in historical perspective, we should note that over the course of the twentieth century leaders who successfully challenged the hegemony of the Western powers always enjoyed great favour with sectors of world opinion, including Muslim nationalists. This was true for Hitler and Stalin, then Nasser, Khomeini and Saddam. This phenomenon is by no means confined to Muslims, but widely shared throughout the world, including significant sectors of European opinion hostile to the US and its perceived attempt at world domination. A related phenomenon is that of ›surrogate nationalism‹. – –
US incubation of nationalists, eg Yugoslavia, Jews, Copts, etc. Imagined communities unrelated to the nationality and territory of the indivi-
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duals participating in them: Jews and Muslims in France in relation to Israel/ Palestine; American Jews and Israel A more generalized phenomenon: the ›imaginaire‹ of the universal umma, at odds with actual boundaries and sentiments
The fact remains that these enthusiasms are largely confined to the level of sentiment, and only in a minority of cases progress to the level of organization and mobilization. The fact that some British, American and European young Muslims were found in the ranks of al-Qa’ida shows that there are organizations and networks active in these countries, recruiting young Muslims for militant action in other parts of the world, or even for violent interventions in their countries of residence. The great majority of Muslims in the West, however, are not active in politics, and when they are tend to be concerned with local and national issues rather then global confrontations. By all accounts, the majority also share in the largely secularized culture and society of other sectors of the European population.
References Amiraux, V. (2003): »CFCM: A French Touch?«, ISIM Newsletter 12, June 2003, pp. 24-25. Caeiro, A. (2003): »Adjusting Islamic Law to Migration«, ISIM Newsletter 12, June 2003, pp. 26-27. Gerholm, T./Lithman, Y. G. (eds.) (1990): The New Islamic Presence in Western Europe, London: Mansel. Kepel, G. (1987): Les Banlieues de l’Islam: Naissance d’une religion en France, Paris: Seuil. King, J. (1997): »Tablighi Jamaat and the Deobandi Mosques in Britain«, in: Vertovec/Peach, pp. 129-146. Kreiger-Krynicki, A. (1990): »The Second Generation: the Children of Muslim Immigrants in France«, in: Gerholm/Lithman, pp. 123-132. Leveau, R. (1997): »The Political Culture of the ›Beurs’«, in: Vertovec/Peach, pp. 147-155. Leveau, R./Schnapper, D. (1987), »Religion et politique, juifs et musulmans«, in: Leveau/Kepel (eds.), »Les musulmans dans la societe francaise«, FNSP, Paris, pp. 99-140. Schiffauer, W. (1997): »Islamic Vision and Social Reality: the Political Culture of Sunni Muslims in Germany«, in: Vertovec/Peach, pp. 156-176. Taji-Farouki, S. (1996): A Fundamental Quest: Hizb al-Tahrir and the Search for the Islamic Caliphate, London: Grey Seal. Vertovec, S./Peach, C. (eds.) (1997): Islam in Europe: The Politics of Religion and Community, London: Macmillan.
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156 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft
A Second Chance for Malaysia’s »Moderate Islam« Project? Farish A. Noor
The 2004 Malaysian Election Results – The Reversal of the 1999 Scenario Malaysia’s eleventh Federal Elections took place on 21 March 2004, and the results were both surprising and at the same time predictable. Following the shortest campaign period in Malaysian history – seven and a half days – and due in part of the ruling parties’ near-total monopoly of the mainstream media and governmental apparatus, the results were a landslide victory for the ruling Barisan Nasional (National Front) coalition led by the United Malays National Organisation (UMNO) party.1 1 | The conservative-nationalist UMNO party’s roots lies in the First Malay Congress that was held in Kuala Lumpur on 1-4 March 1946. The Congress discussed the plan to form PEKEMBAR (Persatuan Kebangsaan Melayu Bersatu), but later opted for the title UMNO instead (United Malays Nationalist Organisation). On 11 May 1946 the UMNO party was officially launched at the Istana Besar (Grand Palace) of Johor Bharu. The first President of UMNO was Dato’ Onn Jaafar. When the party was first established it was a broad and all-encompassing organisation that included Malay political movements from across the entire political spectrum of the country. In time though, the conservative character of UMNO came to the surface as the Leftists and Islamists began to leave the organisation to form parties of their own. In the 1950s and 1960s, UMNO was under the leadership of the royalist-aristocrat Tunku Abdul Rahman, who was also the country’s first Prime Minister (between 1957-1969). The Tunku placed Malaysia on the initial path towards rapid development and during this period the country’s foreign policy was clearly aligned to the West. The Tunku’s era was also
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The biggest shock of all came when it was announced that the Pan-Malaysian Islamic Party (PAS)2 lost control of the state of Trengganu in the north of the Malay Peninsula. Trengganu had been won by PAS at the 1999 elections, when it was widely thought that PAS had successfully exploited the popular anger and frustration of the Malaysian public over the 1997-98 economic and financial crises and the 1998 ›Anwar Ibrahim affair‹ which saw the erstwhile Deputy Prime Minister Dato’ Seri Anwar Ibrahim removed from office and subsequently detained, put on trial and imprisoned over charges of corruption, abuse of power and sexual misconduct. The Anwar saga proved to be the nail in the coffin as it provided the catalyst for street demonstrations and protests in the capital Kuala Lumpur and other one where religion and politics was kept separate and the state did not attempt to play the religious card against its opponents. Between 1970 to 1981, UMNO was under the leadership of Tun Abdul Razak (1970-1976) and Hussein Onn (1976-1981), both of whom kept the country on the same trajectory. A major shift in orientation occurred when UMNO came under the leadership of Dr. Mahathir Mohamed (1981) who took the country down the road of state-sponsored Islamisation. But Dr. Mahathir’s Islamisation policy was also an attempt to outflank the growing Islamist opposition in the country as well as a calculated attempt to redefine the meaning, content and expression of Islam and Muslim religiosity in terms that were compatible with modernity, progress and economic prosperity. This happened when the Muslim world as a whole was experiencing a major resurgence of Islam and the opposition Islamist movements in Malaysia were rapidly gaining ground among the populace. 2 | The nucleus of the Pan-Malaysian Islamic Party actually lay in the Bureau of Religious Affairs of the Conservative-nationalist Malay party, UMNO. In 1951, PAS was formed under the leadership of Haji Fuad Hassan, who was the head of the UMNO bureau of religious affairs. The radical nationalist and Islamist thinker Dr. Burhanuddin al-Helmy was later invited to take over as president of PAS in December 1956. Between 1956 to 1969, the combined leadership of Dr. Burhanuddin and Dr. Zulkiflee Muhammad (the party’s vice-president) managed to broaden the political base of PAS and open it up to the rest of the Muslim world. In 1969 Dr. Burhanuddin passed away after being put under detention without trial by the Malaysian government. PAS then came under the leadership of Mohamad Asri Muda, who was a staunch defender of Malay rights and privileges. Asri Muda later brought PAS into the ruling Barisan Nasional coalition and out again (1973-1978). The period of Asri Muda’s leadership was highly controversial one. After a leadership crisis that went out of control, the Federal Government declared a state of Emergency in Kelantan in 1978. In 1982, Asri Muda was forced to step down by a new generation of Islamist Ulama who had infiltrated the party from ABIM and taken over. The 1980s and 1990s witnessed the radicalisation of PAS as its new leaders began to confront the UMNO-led coalition government and the state apparatus on the grounds that the latter were ›secular‹, ›unIslamic‹ and working in league with Western and Zionist interests. In 1990 PAS regained control of the state of Kelantan, and in 1999 it won control of Trengganu as well.
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158 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft major cities, something Malaysians had not witnessed since the late 1960s. It also proved to be the biggest blow to the credibility and reputation of the country’s Prime Minister Dr. Mahathir Mohamad, who was blamed by Anwar himself to be part of the ›high-level conspiracy‹ to overthrow him and to maintain the status quo. As a result of these crises, Malaysian politics experienced a radical shift and the opposition in the country was given an added boost. Contrary to the wildest expectations, PAS came to the fore as the spokesman for Malay anger and disquiet, and at the elections of 1999 PAS scored its most impressive victory in its history: The tenth Federal Elections were held on 29 November 1999. The pre-election campaign was a hotly contested shambles and much of the negotiations within Barisan Alternatif opposition coalition took place behind closed doors. Newly formed Keadilan suffered the most, not being able to get the constituencies it wanted and many of its more popular leaders were given the toughest constituencies to contest. However, voter turnout was quite high by Malaysian standards: an increase of 6.1 per cent was recorded. (The increase would have been even higher – 13.7 per cent – if the 680,000 new voters who registered before 1999 had been included in the electoral roll.) When the results were announced, Malaysia was rocked by the biggest election upset in its history. PAS had swept to power in the northern states of Kelantan and Terengganu, and had also come close to taking control of Kedah. It had also made significant gains in the predominantly Malay-Muslim states of Perlis, Perak and Pahang. All in all, PAS won 27 parliamentary seats and 98 state assembly seats. Its parliamentary gains were significant: 10 in Kelantan, eight in Kedah, seven in Terengganu and two in Perak. The state assembly results were even more impressive: 41 in Kelantan, 28 in Terengganu, 12 in Kedah, six in Pahang, four in Selangor, three in Perak, three in Perlis and one in Penang. Newly formed Keadilan won four state assembly seats, while UMNO won 176. Keadilan also won five parliamentary seats, making a total of 32 Malay opposition seats compared to UMNO’s 61. Among the PAS leaders who won their parliamentary seats were Tuan Guru Nik Aziz Nik Mat (Kelantan), Tuan Guru Hadi Awang and Mustafa Ali in Terengganu, Ustaz Fadzil Noor, Ustaz Nashruddin Mat Isa, Mahfuz Omar and Mohamad Sabu in Kedah. PAS’s new members had also made a significant impact: Shahnon Ahmad won his seat in Kedah, Kamaruddin Jaffar won his seat in Terengganu, while Dr. Hassan Ali won his state assembly seat in Selangor and Chinese convert Anuar Tan won the state assembly seat for Kota Bharu in Kelantan. UMNO’s losses were considerable; in nearly all the constituencies where Malays made up more than 90 per cent of the voters, UMNO was defeated. Among the UMNO heavyweights who lost were Dr. Ibrahim Saad (defeated by Keadilan president Dr. Wan Azizah Wan Ismail at Pematang Pauh), Datuk Fuad Hassan (defeated by Keadilan leader Azmin Ali) and Datuk Annuar Musa (defeated by
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Ustaz Muhammad Mustafa). Worse still were the losses suffered by key UMNO leaders such as Dato’ Mustafa Muhammad, Dato’ Megat Junid and Dato’ Dr. Hamid Othman, the Prime Minister’s advisor on religious affairs. The majorities of UMNO leaders who won had also been significantly reduced. The majority for Dato’ Rafidah Aziz, Trade and Industry Minister, was reduced from 10,649 to 2,774. Dato’ Seri Najib Razak’s majority dropped from 10,793 to a paltry 241, while the Prime Minister’s own majority declined from 17,226 to 10,138. The verdict was clear: UMNO had lost the support of the Malay-Muslims. For the first time, UMNO held fewer than half the BN coalition’s parliamentary seats (72 out of 148). For many local and foreign observers of Malaysian politics, the election results of 1999 seemed to suggest that the Malaysian government’s attempt to create its own brand of modernist and progressive Islam had failed. Despite being in power since 1981, and despite his success at courting key Islamist leaders like Anwar Ibrahim to his cause, Malaysia’s Prime Minister Dr. Mahathir Mohamad had not been able to hegemonise his vision of moderate progressive Islam as an alternative to PAS’s. Furthermore, PAS’s success in the rural Malay-Muslim states had shown to many that the Islamists were capable of winning support despite not having equal access to the mainstream media or state-controlled resources. In order to understand how this debacle came about, we would need to look back at the 1980s and 1990s, and revisit the critical decades when the Malaysian Islamisation project was in full swing.
Fighting Islam with Islam: Malaysia’s State-Orchestrated Islamisation Programme Begins »The State has become the primary determinant of the dominant discourse on Islam in Malaysia to which all alternative groups must or have necessarily responded« (Nair 1997: 41).
Malaysia and Indonesia became independent following the Second World War. Malaysia became independent on 31 August 1957, but contrary to Indonesia, did not have to fight for it. Unlike Indonesia, the first generation of postcolonial leaders in Malaysia led by Tunku Abdul Rahman (the country’s first Prime Minister) and the United Malays National Organisation (UMNO) party were mostly products of British colonial education and Malaysia inherited a system of secular democracy very much based on the Westminster model. It is important to note that both Malaysia and Indonesia began with secular democratic constitutions. The leaders of both countries – Soekarno and Hatta of Indonesia and the Tunku in Malaysia – were clear as far as their stand on political Islam. As far as the question of an Islamic State was concerned, the matter was
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160 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft well and truly outside the orbit of the Tunku’s interests. Malaysia’s first Prime Minister fell back on the political realities of the time as an excuse for not turning the country into an Islamic State as some of the leaders of opposition Pan-Malaysian Islamic Party (PAS) had demanded. In his own words: »Our country has many races and unless we are prepared to drown every non-Malay in the sea, we can never think of an Islamic administration« (Ratnam 1965: 122).
But from the outset the governments of Malaysia and Indonesia could not ignore the political realities around them. In Indonesia, the Islamists movements and organisations that helped in the anti-colonial struggle were not about to let the opportunity for setting up an Islamic state go by. In time this led to the Darul Islam revolt that ignited religious, ethnic and class tensions in the outer island provinces of Sulawesi, Kalimantan and Sumatra. In Malaysia, the country’s first Islamist party – the Hizb’ul Muslimin – had been banned and had its leaders arrested by the departing British authorities in 1948, but this opened the way for the emergence and rise of the country’s next Islamist party, the Pan-Malaysian Islamist party (PAS). For the first generation of postcolonial leaders in Malaysia and Indonesia, the priority at the time was rapid development and economic success. Worried that their fragile import-substitution economies would be left vulnerable to the vicissitudes of the global market and the unpredictable currents of the Cold War that were sweeping across the region, they embarked on massive public educational programmes, infrastructural development and redirection of the economies. The short-term goal was to break out the cycle of economic and intellectual dependency that had been the blight of many a postcolonial state. This, however, meant that Islam and the normative expression and practice of Islam was left to the ordinary Ulama and religious leaders whose power and charismatic authority lay in the enormous cultural capital they possessed. As the development process pressed on regardless, the early signs of uneven development could be seen: Mass rural migration to urban industrial sectors led to the creation of huge overflowing slums where social problems like prostitution and drug abuse became commonplace. The rural-urban divide also coincided with cleavages of class, race and religion as in both countries the urbanised elite tended to come from the Western and secular educated middle and professional classes, with an obvious over-representation of Chinese, Indian and other ›migrant‹ races. The ruling elite of both countries were also more likely to be plugged into the global cosmopolitan networks of politics, trade and finance; alienating them from the rural indigenous constituencies who were trapped within the vectors of under development, homelessness and relative poverty. The secular leftists in turn were cut off from their mass support bases thanks
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to the constant harassment and persecution of the Left that was the norm during the Cold War. (It must be remembered that the Malaysian Communist Party [MCP] was banned by the British before they left and were engaged in guerrilla warfare during the period known as the ›Emergency‹ [1948-1960]. The Indonesian Leftists were in turn wiped out during the anti-Communist bloodbath that followed the unsuccessful coup attempt of 1965, which led to the fall of Soekarno and the ascendancy of the pro-American general Soeharto.) Linked to this was the alienation of the urbanised, university-educated Muslim intelligentsia, who found their own links to the Muslim masses cut thanks to their own relative distance from them. This in turn opened the way for Islamist opposition parties, social movements and relief agencies who stepped into the vacuum that had been created, and who – like their counterparts in other Muslim countries in the Arab world, South Asia and Africa3 – worked doubly hard to forge close partnerships and organic links to the lumpen ummah who felt themselves abandoned by statist elites, the urban bourgeoisie and Islamist intellectuals alike. In the Indonesian context, this helped to fuel the rise and spread of movements like the Nahdatul Ulama and Muhamadijjah. In Malaysia, elite indifference to the plight of the rural poor gave the Islamists of PAS and groups like ABIM4 3 | See, for example, Lubeck (1986). His study on the use of Islamic discourse by Islamists activists in Northern Nigeria has shown how Islam was used as a means of creating a new Islamically-oriented urban labour class that would later serve as the bedrock for Nigeria’s nascent Islamist revival. Focusing on the political economy of Kano in Northern Nigeria between 1966-79, Lubeck has studied the process of the creation of a new urban working class (leburori) that was held together by appeals to Islamic nationalism and class integration. Working through traditional networks such as Sufi Tariqas and Islamic educational institutions (madrasahs), the Nigerian Islamists took advantage of the weakening Nigerian state in order to create new bonds of commonality and association among Nigerian Muslim workers known as the urban leburori. The net result was the emergence of a new Muslim urban class that was open to the appeals of the Islamist movements and parties that came on the scene later. This approach, as we have shown in the previous chapters, has also been employed by Islamist movements elsewhere, from Iran and Turkey to Southeast Asia. 4 | The Angkatan Belia Islam Malaysia (ABIM – Malaysian Islamic Youth Movement) was formed by a number of Malay university student activists from the National Association of Muslim Students led by Razali Nawawi, Anwar Ibrahim and Siddiq Fadhil on 6 August 1971. As it developed the movement became centred around the charismatic and dominant personality of Anwar Ibrahim who took over as the movement’s second president in 1974. (Prompting the Malaysian academic Jomo K. Sundaram to refer to ABIM as the ›Anwar Bin Ibrahim Movement‹.) As the president of ABIM and the MBM (Majlis Belia Malaysia – Malaysian Youth Council) Anwar Ibrahim soon made his impact felt in Malay-Muslim circles by championing a number of controversial causes. One of his first public confrontations with
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162 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft and the neo-Sufi Darul Arqam movement the opportunity to gain support and membership from the rural Malays in the underdeveloped (mostly agrarian-based) states in the north of the Peninsula.5 authority came when he challenged the Cabinet Minister for Youth and Sports Ali Haji Ahmad over the latter’s suggestion that Malaysian students who were being sent overseas for further studies should be issued with condoms so that they would not contract any venereal diseases while abroad. Anwar and the other leaders of ABIM argued that such a move was tantamount to encouraging Malay-Muslim students to engage in free sex, and as a result of the public outrage caused the government was forced to back down. Soon the movement was championing a number of other causes which ranged from the status of the Malay language to the role of the United States in Southeast Asia. ABIM’s aim was to spearhead the struggle for Islamic reform and revival in the country, and to work towards ›Islamisation from within‹. On the campuses of the country, ABIM’s impact was clear for all to see: the members of the organisation were among the few who did not smoke and who dressed according to Islamic standards of decency and modesty. The young men who joined ABIM were also reminded not to be in close contact with women, and to avoid shaking hands with them. They also encouraged their parents and the elders around them to follow their example. In time the policing of sartorial and behavioural norms became one of the defining features of the ABIM movement. The movement sponsored a number of religious pondoks and madrasahs all over the country, such as the Madrasah Sri ABIM at Kuala Ketil, Kedah and the Ma’ahad Tarbiyyah Ismamiah at Pokok Sena. It also established its own private school called Yayasan Anda (which was partly financed by the Christian Conference of Asia [CCA], a regional council representing the more established Protestant Churches in the Asian region). 5 | The Darul Arqam Movement was formed by Ustaz Ashaari Muda in 1968. It began as a study group among Muslim scholars and reformers, many of whom were university lecturers, academics and students. In time it evolved into a Sufi-inspired alternative lifestyle movement that was very much centred around the personality of its founder. Its activities were based at the Madinah Al Arqam Saiyyidina Abu Bakar As-Siddiq, Sungai Pencala near the capital Kuala Lumpur. The movement’s aim was to create an alternative model of an ideal Islamic society that was organised and managed according to the standards and norms set by the Prophet Muhammad himself and his sahabat (companions). The movement grew in size until its membership expanded to tens of thousands. Its followers dressed and lived according to Ustaz Ashaari’s interpretation of the sunnah. The men wore green robes and turbans while the women wore black hijab all the time. The movement practised Purdah (seclusion) and its female members were kept out of public view as much as possible. They set up cooperative movements, self-help groups and links with other Islamic movements in the country and beyond. At one stage in its development Darul Arqam was even accused of being an organisation secretly funded by the Saudi government in its effort to eradicate Shia influence in the Malay archipelago. Such controversies helped to boost the group’s image and appeal even more. By the 1970s, Ustaz Ashaari was widely regarded as one of the most powerful,
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By the 1970s, Malaysia and Indonesia were rife with Islamist movements of all shades and political persuasions. Islamisation had taken root in Malaysia in particular, thanks to the impact of the Iranian Revolution and the invasion of Afghanistan by the Soviet forces: the first factor suggested that the time was right for a major programme of social transformation along religio-political lines, while the second persuaded many ordinary Muslims that Islam was in danger of being wiped out by external enemies. The major Islamist movements in Malaysia: PAS, ABIM and Darul Arqam grew more vocal in their demands for an Islamic state and the enforcement of Islamic law in the country. The leaders of UMNO were not about to sit by and allow PAS, ABIM and Arqam to gain the upper hand in the discursive contest to define the meaning and content of Islam. True to its form and calling, UMNO rose to the challenge and once again attempted to play its role as ›protector‹ but this time on behalf of not only the Malay race but for Islam as well. Malaysia’s experiment with ›statist-developmentalist-modernist‹ Islam began in 1981, when the country experienced its fourth peaceful transition of power which witnessed the ascendancy of the doctor-turned-politician Dr. Mahathir Mohamad as the country’s next Prime Minister.6 Dr. Mahathir’s credentials and popularity lay in his claim of being a modernist leader who wanted to propel the country into the modern age through rapid development, modern education and the reformation of the normative understanding and practice of Islam itself. He rose to power with the backing of millions of ordinary middle-class professional
influential (if not controversial) Ulama in the country. In the years to come it would attract a number of prominent followers like Tamrin Ghaffar (son of the future Deputy Prime Minister Ghaffar Baba) and the famous writer Shahnon Ahmad. For a detailed analysis of the Darul Arqam movement, see: Chandra (1987), Jomo and Shabery Cheek (1992) and Husin Mutalib (1993). 6 | Dr. Mahathir Mohamad was born in Seberang Perak, Kedah in 1925. In his youth he was drawn to the Malay nationalist struggle and he wrote extensively on Malay-related issues and concerns in the local press using the pseudonym ›Che Det‹. By then he was deeply worried about the state of the Malays in the British colony and their economic and political future should the country be granted their independence from Britain. He later studied medicine at the King Edward VII College of Medicine at University Malaya which was then based in Singapore. After graduating he practised medicine at his MAHA clinic in Kedah before he became an active participant in Malay politics. In the 1960s he was widely regarded as an outspoken radical who condemned both the ineffectiveness of the Malay elite as well as Chinese domination of the Malaysian economy. His conservative approach to politics, staunch defence of Malay rights and privileges and his sustained critique of the traditional ruling elite made him a popular figure among UMNO radicals by the 1970s and early 1980s.
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164 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft Malays who also supported his calls for affirmative action and pro-Malay economic policies. The 1980s witnessed the implementation of the UMNO-led state Islamisation policy, which was designed to promote and project UMNO’s vision of Islam as a modern way of life, culture and government. No stone would be left unturned in the pursuit to redefine the meaning and essence of Islam itself, as UMNO sought to out-Islamise its nemesis PAS. Unlike the Islamophobic governments of many other Muslim countries, the Malaysian government under Dr. Mahathir preferred to beat the Islamists at their own game. It has to be noted that throughout his political career Dr. Mahathir had a different way of addressing the challenge posed by the Islamist opposition in his own country. He did not favour the confrontational approach of other leaders like Tunisia’s Habib Bourguiba7; the spectacular 7 | The Tunisian leader Habib Bourguiba came to power as Tunisia’s first elected leader after the country gained its independence on 20 March 1956. He was born in the small town of Monasir and received his early education in the Tunisian capital of Tunis. Later he continued his education abroad, studying at the Sorbonne in Paris, France. After returning to Tunisia, Bourguiba joined the Destour (Constitution) party and took part in the Tunisian struggle for independence. During this time, he was imprisoned and sent into exile by the French authorities on a number of occassions. After gaining independence Bourguiba and his followers assumed power as the leaders of the newly-independent state. But Bourguiba’s conduct while leading the country showed that he had a strong authoritarian streak in him. (Later he even sent his wife and son into exile). Bourguiba recognised the Socialist party of Tunisia and attempted to form an intrumental alliance with the leftists in order to persecute those who supported the al-Ittijah al-Islami (Islamic Tendency Movement). One of Bourguiba’s main aims was to modernise Islam and turn it into a modern ideology that was compatible with development and capitalism. Bourguiba claimed that the Quran contained many contradictions and that it needed to be re-interpreted in the light of present-day realities. He issued a law which forbade the use of the hijab (veil) in public offices. He made French the official language of the political administration of the country, and he replaced the Islamic Shariah courts with civil courts instead. Bourguiba’s relentless attack and persecution of Islamist activists, organisations and institutions led to him being openly censured by a number of Arab Muslim scholars and Ulama, including Sheikh Abdul Aziz ibn Baz (d. 1999), Sheikh Abul Hasan Nadwi (d. 1999) and Sheikh Ali al-Khafeef, the Grand Mufti of Egypt. A great believer in economic development and material progress, Bourguiba laid great emphasis on the need to modernise the Tunisian economy at all costs. In 1964 he shocked the conservative sections of Tunisian society when he publicly declared that fasting during the month of Ramadhan was no longer needed as the Muslims of Tunisia were on a jihad (struggle) for development in order to keep up with the developed Western world. He publicly defied the Ulama by drinking a glass of orange juice during the day, when others were fasting around him. Bourguiba then asked the Maliki and Hanafi Muftis to support his move by
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displays of piety by the likes of Nimeiri8 or the vague conciliatory manoeuvres of Indonesia’s Soeharto.9 Dr. Mahathir had a clear idea of which course he wanted Islam to take in the country. If the discourse of PAS was shaped by a form of oppositional dialectics which divided the world between ›good Muslims‹ and ›kafirs‹, the Islamist worldview of Dr. Mahathir was one which divided Muslims into ›moderate progressives‹ and ›misguided fanatics‹ instead. As Shanti Nair puts it: »Domestically, Islamisation focused on the distinction between a ›moderate‹ Islam deemed more appropriate in the context of Malaysian society against more radical expressions which were unacceptable to the government. The conflict between ›moderate‹ and ›extreme‹, in effect, encompassed intra-Malay rivalry« (Nair 1997: 91).
UMNO’s brand of modernist and moderate Islam was based on a chain of equivalences that equated Islam with all that was positive in its eyes. Islam was equated with modernity, economic development, material progress, rationality and liberalism. (It is interesting to note that other values like democracy and human rights were not part of this chain of equivalences.) UMNO’s understanding of Islam was also framed against a negative chain of equivalences that equated PAS’s brand of Islam with obscurantism, extremism, fanaticism, intolerance, backwardness and militancy. This was the ›wrong‹ version of Islam to which UMNO’s Islam was the answer. The aim of the state’s Islamisation policy was to normalise and institutionalise the ›right‹ version of Islam against the ›wrong‹ version promoted by PAS, both in terms of orthopractic behaviour as well as state policy.10 The bone of conissuing a fatwa declaring that the fast was no longer necessary. When they refused he had both of them dismissed. 8 | Gaafar Muhammad Nimeiri’s own Islamisation programme that was launched in the early 1980s in Sudan involved some spectacular (and some might argue, counter-productive) displays of religiousity on the part of the leader and his government. In 1983, Nimeiri ordered US 11 million worth of alcohol be thrown into the river Nile, marking the end of alcohol consumption in the country. In the following year his government banned all forms of mixed western dancing in public. A number of people found guilty of doing so were in turn publicly flogged. 9 | In the same year (1983) that Malaysia began its Islamisation programme in earnest, President Soeharto of Indonesia ordered all Indonesian political movements and organisations to adopt the vague, non-sectarian Pancasila principles as their basic foundational philosophy (asas tunggal). This was rejected by many Indonesian Islamist movements, but it was accepted by the Nahdatul Ulama which was then under the influence of NU moderates who wished to co-operate with the government. The NU made the Pancasila its asas tunggal, and declared that Islam was its aqidah. 10 | It has to be noted, though, that Dr. Mahathir’s ›progressive‹ outlook on Islam did not
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166 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft tention between UMNO and PAS at the time was not whether Islam was ›liberal‹ or ›tolerant‹ in the Western sense, but rather whether as a system of belief and values it could be used to promote a dynamic outlook towards economic and political issues instead. To this end the machinery of the State was directed towards an Islamisation programme that was meant to eliminate the discrepancies between different sites and sources of Islamic authority while out-doing the claims and promises of PAS and the other Islamist movements like ABIM in the country. (The National Fatwa Council had been set up in 1978 to effectively centralise religious power and authority and keep it in the hands of the Federal government.) In 1981 the UMNO General Assembly issued a resolution to the effect that the Federal and state Islamic councils should enforce and defend the ›purity of Islam‹ (see Nair 1997: 36). Following this demand the religious arm of the state bureaucracy was expanded as never before. New policies were introduced that were meant to safeguard Islam and the Muslim Ummah. In 1981 the Pusat Islam began to identify various sects and groups that were said to be guilty of deviationist teachings (ajaran sesat), and in 1982 the Ahmadis in the country were stripped of the Malay/Bumiputera status. By 1982 the Prime Minister’s office had more than 100 Ulama working under it and the Ministry of Education had some 715 Ulama on its payroll (see ibid.: 112). The Fourth Malaysia Plan (1981-1986) also explicitly declared that henceforth Islam would play a major role in the development of the country (albeit on an inspirational level). Later in 1985 the head of the Religious Affairs Division of the Prime Minister’s Department, Datuk Yusuf Noor, announced that the Unit Akidah dan Ajaran Sesat (Unit for Faith Protection and Deviationist Teachings) would be revamped under the Pusat Penyelidikan Islam (Islamic Investigation Centre) to monitor and police the spread of ›deviationist‹ teachings (which included Shia teachings) in the country. ›Dakwah attaches’ were also sent to various Malaysian embassies in Muslim countries to monitor the activities of Malay-Muslim students who were sent abroad to take up courses in Islamic studies, and to ensure that they would not be unduly influenced by ›extremist‹ ideas.11 mean that he was any less conservative than the Ulama of PAS when it came to matters of traditional ›Asian values‹, personal morality or ethics. On 28 July 1984 the Malay-language newspapers Utusan Malaysia and Berita Harian reported that Dr. Mahathir, while speaking at a conference on Family Development, stated that women should stop working if their husbands earned enough income to maintain the family. In keeping with his conservative personality and values, the Prime Minister argued that women should concentrate on their household duties as wives and mothers instead. See: Berita Harian, ›PM: Wanita Patut Utamakan Keluarga‹. (28 July 1984). 11 | The first batch of Dakwah Attaches were sent to Malaysian embassies in Jakarta, Cairo
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To counter the growing influence of PAS12 and ABIM13 on the international scene (both PAS and ABIM had been invited to the International Islamic Congress for the Liberation of Muslim Lands in London in 1979), the government of Dr. Mahathir re-directed the country’s foreign policy as well. The first decade of the Mahathir era was marked by a significant re-orientation of the country’s political compass. A new formal ranking of external relations was announced, in the order of 1. ASEAN, 2. the Muslim world, 3. the non-aligned community and finally 4. the Commonwealth. The move closer towards the Muslim world was obviously a case of ›foreign policy as domestic policy by other means‹ (to quote Shanti Nair’s phrase), and the results did meet with the expectations of the leaders of UMNO.14 and London in 1981. Their original function was to monitor the activities of Malaysian students there and to make sure that they did not come under the influence of ›extremist‹ groups that might try to influence their ideas about their home country. By 1982, they had increased in number and their task was to establish contact with local Islamist organisations and networks and to meet with Malaysian students regularly. 12 | After 1982, PAS had begun to project itself on the international scene as the sole representative Islamist movement in Malaysia. As Nair (1997: 131) points out, PAS’s relations with other countries – particularly Iran – were depicted as providing moral support and inspiration for its own struggle in Malaysia. 13 | Though not a political party in its own right, ABIM had also managed to gain a foothold on the international political scene in no uncertain terms. From the beginning ABIM had committed itself to the principle of Islamic Internationalism and by the 1980s it had established links with movements and institutions like the Islamic Foundation in Britain, the Aishah Bawany Wakaf of Pakistan, the Muhamadijjah Youth movement of Indonesia and the Rabitah al-Alam al-Islami of Saudi Arabia. Leaders of ABIM like Anwar Ibrahim had been elected as representatives to a number of international Islamist networks and conferences such as the Islamic Federation of Student Organisations (IIFSO), the International Islamic Assembly (IIA), World Assembly of Muslim Youth (WAMY), Federation of Student Islamic Societies (FOSIS) and the Asian Youth Council (AYC) (see Nair 1997: 71). 14 | Shanti Nair (1997: 103f.) notes that »expectations were not matched by reality. Although there were individual successes in specific areas of economic exchange, overall trade with other Muslim countries remained only a small sector of the total volume of Malaysian trade with the world and appeared strikingly miniscule compared to trade with developed countries and countries in the Southeast Asian region.« In 1981 commodity trade with Arab countries comprising Saudi Arabia, Iraq, Iran, Kuwait, Bahrain, Egypt and the UEA constituted only 2 per cent of Malaysia’s total exports and 8 per cent of Malaysia’s imports. The figures were higher for trade with non-Arab Muslim countries: Pakistan remained Malaysia’s biggest non-Arab Muslim trading partner, and Pakistan-Malaysian trade in 1984 ammounted to 1 per cent of total Malaysian trade.Turkey, Indonesia and Brunei also chalked up higher percentages than the other Arab Muslim countries.
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168 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft But even though nothing much came out of this re-orientation of geo-political priorities (America, Japan and the countries of Western Europe remained the biggest trading partners of Malaysia), the intended effects on the local political scene were considerable: It helped to improve Malaysia’s self-image and standing as an Islamic country and it boosted the Islamist credentials of the UMNO leadership in particular. While other Muslim leaders had conciously tried to control the activities of Islamic centres and institutions of higher learning (Egypt’s Anwar Sadat and Hosni Mubarak had clamped down on the activities of academics and students at al-Azhar while Tunisia’s Habib Bourguiba went as far as closing down the famous az-Zaytounah university15), Dr. Mahathir did the opposite: he helped to launch even more Islamic universities, think tanks and research institutes as part of his effort to develop a new school of Islamic thought in Malaysia. In 1983, the Universiti Islam Antarabangsa (UIA-International Islamic University of Malaysia) was founded. The UIA project was announced after the Prime Minister’s visit to the Arab Gulf States. (The announcement was made just a few months before the 1982 general elections in fact- something that the UMNO-led government claimed was purely coincidental) (see Teik 1995: 176). The UIA’s initial funding came from Malaysia, Saudi Arabia, Pakistan, Bangladesh, Maldives, Libya, Turkey and Egypt and the university’s first President was the ex-ABIM leader turned UMNO politician, Anwar Ibrahim. To add substance to the UIA initiative a string of International conferences around the theme of Islamic knowledge and science were held. Between 1983 to 1989 Kuala Lumpur became the host to the International Conference on the Islamic Approach towards Technological Development (1983), Islamic Civilisation (1984), Islamic Thought (1984), the International Islamic Symposium (1986), Islamic Economics (1987), Islam and Media (1987), Religious Extremism (1987) and Islam and the Philosophy of Science (1989) (see Nair 1997: 115). In the same year that the UIA was opened the Malaysian Islamic Bank (Bank
15 | Throughout his long political career Habib Bourguiba found himself at odds with the Ulama and Islamists of the country and on many occassions he used the tools of the state to effectively wipe out both the Islamists and their institutional bases of support. In 1959 he closed down az-Zaytounah university, which was one of the oldest universities in Africa on the grounds that it had become a breeding ground for Islamist militants. Az-Zaytounah university had produced a long line of prominent Muslim scholars and intellectuals like Abdul Rahman Ibn Khaldun, and in 1959 it had more than 27,000 students. The university also had two campuses in Algeria and even during the time of French colonial rule it was allowed to carry on with its academic activities uninterrupted.
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Islam Malaysia) was launched by the government (on 1 July 1983).16 Bank Islam became the first bank in the country to offer regular banking services that were meant to be in accordance to Islamic restrictions and norms related to commerce. It did not charge interest on loans and (on paper at least) avoided the practice of riba. Despite the fact that the Islamic Bank was condemned as a cosmetic attempt to bolster the government’s Islamic credentials by Islamist economists like Abdur Razzaq Lubis (1985), other Islamic economic initiatives followed suit.17 Soon after the Islamic Insurance Company (Tafakul) was launched as well as the Hajj Pilgrims Management Fund (Lembaga Urusan Tabung Haji, LUTH). By creating the UIA, Bank Islam, Tafakul and LUTH it appeared as if UMNO was the only party in the country that could keep its promises to the Malay-Muslim constituency. By initiating its own Islamisation programme, the government of Dr. Mahathir had effectively stolen the initiative from the Islamists of PAS, ABIM and Arqam. In time, the labours of the Mahathir administration began to pay off: The UIA project received considerable financial assistance from the governments of numerous Arab states. Cash injections came from countries like Kuwait and Saudi Arabia, though they were aimed more at projects related to Islamic dakwah (missionary) activities.18 Apart from that Dr. Mahathir himself was gaining recognition for his efforts as a Muslim leader. In 1983 the Malaysian Prime Minister was awarded the ›Great Leader‹ award by none other than President Zia’ul Haq of Pakistan (who had previously anointed the ABIM leader-turned-UMNO politician, Anwar Ibrahim). In the following year (1984) Dr. Mahathir received another honour from the Pakistani government during his visit to that country.19 In response to UMNO’s attempt to push its own Islamisation programme the Islamist opposition party PAS stepped up its ideological offensive. The Ulama of 16 | The plan for the Malaysian Islamic Bank was announced one year earlier, on 6 July 1982. 17 | For a critique of the Bank Islam project, see: Lubis 1985. Lubis condemned the Islamic banking project in Malaysia on the grounds that the bank did not and could not represent a radical challenge to the existing global banking system that was rooted in the practice of interest. Lubis argued that the Islamic Bank in Malaysia was doing the same thing and basically collective interest in a different form. Such nominal changes were for him cosmetic and ineffectual. 18 | In 1982, Kuwait donated more than RM 120 million for projects launched by the Pusat Islam (Islamic Centre) under the Prime Minister’s department and the Yayasan Dakwah Islamiah (Islamic Dakwah Foundation). Later in 1986 eight loans totalling RM 390 million were secured from the Saudi Fund to help with other missionary and welfare projects for Muslims in the country. 19 | Also awarded in 1983 was the ex-Prime Minister of Malaysia, Tun Hussein Onn.
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170 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft PAS argued that the Islamisation programme proposed by the UMNO-led government was not really designed to lay the foundations of an Islamic state but was in fact part of an elaborate scheme to make the country appear more Islamic while remaining firmly entrenched within the global liberal-capitalist economic system. The fact that some of these state-sponsored Islamic institutions were themselves deeply enmeshed within the local corporate culture and were directly involved in some decidedly dubious dealings made it all the more easier of the Islamists of PAS to dismiss them as being cosmetic in nature. (The Lembaga Urusan Tabung Haji [LUTH], for instance, was involved in the operations of the Malaysian Rare Earth [ARE] company along with the Japanese concern Mitsubishi Chemicals. The company was later accused of dumping radioactive waste in the state of Perak.20) For the leaders of PAS no Islamisation programme could ever hope to succeed without the committed effort to make Islam the religion of State and Islamic law the supreme law of the land. They regarded the Malaysian government’s attempts at Islamisation as hollow and of little consequence, on the grounds that the inculcation of Islamic values and norms would not be possible unless the State was prepared to enforce these norms through legal means. The UMNO-led government’s Islamisation programme was therefore not without its critics. The government of Dr. Mahathir was aware of the fact that by playing the Islamic card and upping the stakes in the Islamisation race it was bound to antagonise the other Islamist movements and parties in the country. For central to the conflicts and debates that were occurring all over the country was the question of the correct interpretation and practice of Islam: a factor that PAS still had in its favour.21 By entering into the Islamist arena, the UMNO-led govern20 | The Asian Rare Earth (ARE) company was a multinational concern that brought together the Japanese Mitsubishi Chemicals company and the Malaysian BEH Minerals company. The Lembaga Urusan Tabung Haji was also one of the major partners in ARE. The company was first set up to extract rare trace elements from tin tailings. But the factory that was based in the state of Perak was also producing thorium hydroxide which was a radioactive waste product. This radioactive waste had to be disposed of, and in the end dumping sites were found in the state itself- first in the area of Papan and later near Bukit Merah. Local residents and environmental groups protested against the dumping of radioactive waste in the area and this led to an international outcry from local and foreign environmental groups. See Beng 1988: 28-29. 21 | Writing in 1986 (116), Chandra Muzaffar noted that »For among a lot of Muslims the PAS brand of Islam is seen as pure Islam. It is not just its political exclusiveness that gives the party this image. It is also because of its stated goal of creating an Islamic State; its assumption that Islam is the panacea for all ills; the Islamic educational background of its leaders; their ability to quote profusely from the Qur’an in Arabic; and above all their unscrupulous manipulation of ethnic fears and hopes through their Islamic rhetoric. This is why ar-
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ment was aware of the fact that it was entering a political and discursive space that was bound to be fiercely constested by the Islamists of PAS. To foreclose any possibility of further doctrinal conflict in the area of religion and religious practice, the UMNO-led government began to empower the religious arm of the bureaucracy. In 1982 amendments were made to the penal and criminal code that would allow the state to take action against ›deviant‹ religious groups, ›cults‹ and alternative schools of Islamic thought that are regarded as being harmful to both the State and the Muslim community. The amendment specifically stated that it was an offence »for any person to cause of attempt to cause, on the grounds of religion, disharmony, disunity or feelings of enmity, hatred or ill-will between persons or groups professing the same or different religion« (Muzaffar 1986: 114).22 The Malaysian government demonstrated its willingness to use these new weapons when its religious authorities and security forces acted against the underground ›Krypto‹ movement in the same year. The Krypto movement was described as an extremist militant ›Islamic fundamentalist‹ group that was planning to resort to the use of violence and terrorism in the country. The leaders of the group and some of its members were subsequently detained under the Internal Security Act (ISA). To reinforce its grip on the Islamist discursive terrain even further, another Islamic institute was set up by the government in 1991: The International Institute of Islamic Thought and Civilisation23 (ISTAC) which came under the leadership of resting PAS leaders may be counterproductive, given the widespread misconception of what constitutes ›pure‹ as opposed to ›impure‹ Islam«. 22 | The amendment also proposed that those found guilty of causing religious discord should be sentenced to up to three years of imprisonment, or fined, or both. 23 | The International Institute for Islamic Thought and Civilisation (ISTAC) was officially opened in 1991. It was, from the very beginning, the brainchild of its founder-director, Syed Naquib al-Attas. Anwar Ibrahim, the ex-president of ABIM, was the first Chairman of ISTAC. In its early years, ISTAC received much support and patronage from the Malaysian government, both in terms of financial assistance as well as publicity and the endorsement of its activities by the government. In the preface of the second edition (1993) of his book ›Islam and Secularism‹, al-Attas outlines the mandate and agenda of his institute: »Among its most important aims and objectives are to conceptualise, clarify, elaborate scientific and epistemological problems encountered by Muslims in this modern age; to provide an Islamic response to the intellectual and cultural challenges of the modern world and various schools of thought, religion and ideology; to formulate an Islamic philosophy of education; including the definitions, aims and objectives of Islamic education, to formulate an Islamic philosophy of science« (pg. xiii). In short, the aim of ISTAC was to spearhead al-Attas’s own project of the Islamisation of knowledge which in turn is intimately linked to his political project of the
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172 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft the influential Islamist thinker, Prof. Syed Naquib al-Attas.24 Coming just a few months after President Soeharto of Indonesia launched the Ikatan Cendiakiawan Muslim Se-Indonesia (ICMI- Association of Indonesian Muslim Intellectuals), the formation of ISTAC in Malaysia marked a shift closer towards the Islamist register in both countries. On 6 December 1990, the Indonesian Ikatan Cendiakiawan Muslim Se-Indonesia (ICMI- Indonesian Association of Muslim Intellectuals) was formally launched by President Soeharto. Although Robert Hefner has noted that a complex popular narrative had been spun around the early stages of the formation of ICMI, it was clear that it was »a Soeharto-sponsored association designed to mobilise Muslim support at a time when segment of the Indonesian military were challenging the president. The president also hoped to use ICMI to take the wind out of the sails of the fledgling pro-democracy movement by dividing it along religious lines« (Hefner 2000: 125). The formation of ICMI gave Soeharto the opportunity to show off his religious credentials and newfound commitment to Islam publicly. The Indonesian press dutifully reported the story of how Soeharto had dictated his own interpretation of Islam as a philosophy and way of life to B. J. Habibie, who later became one of the co-chairmen of ICMI (see ibid.: 137). Soeharto was quick to court the progressive revival of the spirit of Islam through the creation of a new class of intellectually competent and knowledgeable Islamic leaders who conform to the rules of adab and the social and political hierarchies al-Attas regards as essentially Islamic. Al-Attas was given a lot of freedom in designing ISTAC, down to its architectural details. The main building which houses the library, conference hall and research units was designed by him and reflect strong HispanoMoorish styles and features. 24 | Syed Naquib al-Attas is perhaps one of the most influential (if not controversial) Islamist thinkers in Malaysia today. His influence extends well beyond the confines of academia and he has played an important role in the cultivation of the Islamic elite in the country. He comes from one of the most famous aristocratic families in the south and is of mixed Malay-Arabic stock. In his youth he studied in England, first at Eton and then at Sandhurst Military Academy and later at the School of Oriental and African Studies (SOAS), University of London. His early academic researches were into the fields of Malay Sufism and literature. His fame was assured when he published his two-volume dissertation The Mysticism of Hamzah Fansuri (1965, published 1970). He later developed much of his educational philosophy with this Sufi influence clearly apparent in his work. He also prides himself as a designer, calligrapher and artist. He was given the opportunity to create The International Institute for Islamic Thought and Civilisation (ISTAC) in 1991 and in 1993 he was awarded the Al-Ghazali Chair of Islamic Philosophy by the Malaysian government (The award was presented by none other than his own student-turned-politician Anwar Ibrahim, who was then a Minister in the Cabinet). He was awarded the membership of the Royal Jordanian Academy in 1994 and honoured with an honorary doctorate from the University of Khartoum in 1995.
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elements of the Islamist movement to lend their support to the project: Nurcholish Madjid, Dawam Rahardjo, Imaduddin Abdulrahim and General Alamsyah Ratu Perwiranagara (the former Minister for Religious Affairs) were all part of the drafting committee who drew up the guidelines and working parameters of the institute. The posts of co-chairmen of ICMI went to B. J. Habibie, the German-trained technocrat and close confidante to Soeharto himself, and Dr. Emil Salim, the Berkeley-educated technocrat who had spearheaded the privatisation and liberalisation policies of the Soeharto government in the 1970s and 1980s. By creating ISTAC in Malaysia and ICMI in Indonesia, the governments of both countries hoped to take the wind out of the sails of the resurgent forces of Islam in their own backyards. But by trying to fight the tide of oppositional Islam with their own brand of statist-developmentalist-modernist Islam, they had effectively added to the inflation of Islamist discourse and raised the levels of expectations among their own people as well. It was this inflation of Islamist discourse and normative practices, and the normalisation of religion in public life, that effectively made it impossible for both governments to control the form and content of the discourse of Islam and its circulation within their respective nation-states. Like all statist bureaucrats and technocrats, the nation-builders of Malaysia and Indonesia regarded normative Islam as a factor that could be inculcated into the developmental process to produce the desired results. What they forgot or overlooked was the fact that Islam – like all religions – happens to be a variable factor that is beyond the control of anybody. In time, the modernist-developmentalist model of statist Islam collapsed under the weight of its own contradictions and the impossibility of policing the discursive frontiers of Islamism itself. The modernist message was simply not getting through to the Ummah, for a variety of reasons: The tools of dissemination were either inadequate or faulty; the Islamologues themselves proved to be inarticulate or alienated from the believers; and the message itself became sullied and discredited thanks to the lack of credibility of its primary articulator.
The Ship of Modernist Islam Flounders: How ›Progressive Islam‹ Became a Hostage to Statist Politics »The problem of religion as an instrument of political ends is as old as history« (Sachedina 2001: 4).
While the Islamist institutions of Malaysia and Indonesia were engaged in their project of reinventing Islam as a modern system of values and progressive way of life, they overlooked the fact that their message was not being delivered to all quarters of their respective societies.
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174 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft In Indonesia the modernising project of the Soeharto establishment was quickly discredited thanks to the human costs involved: The interference of Indonesia’s armed forces in national politics meant that the country had been turned into a de facto military state, with a human rights record as appalling as any other banana republic. The actions of the Indonesian armed forces – and the covert military and intelligence units that were given a free hand to do whatever they liked in the outer island provinces – meant that Soeharto’s brand of ›modernist, progressive‹ Islam was bloodied from the start. The Islamists of Indonesia were particularly cynical of Soeharto’s belated ›conversion‹ to ›progressive‹ Islam, after suffering outright repression and persecution for decades. Key Indonesian political and military personnel like General A. M. Hendropriyono had made it their personal cause to eliminate as many Islamists opponents as humanly possible.25 In places like Lampung, Aceh, Palembang and many parts of Central and Eastern Java, the Indonesian army was directly responsible for the killings, torture, rape and disappearances of thousands of Islamist activists, intellectuals, writers and political leaders. The incessant attacks on Islamists movements in Indonesia led to what could be described as a low-level undeclared war against the country’s Islamists. This state of hostility – partly supported and backed by a host of international actors, most notably America and Australia – did little to contain the so-called ›threat‹ of militant Islam in Indonesia, but only made things much worse. As a result of this campaign to demonise Islam, many of the Islamists of Indonesia developed a persecution complex coupled with the incarceration psycho-pathology of the oppressed. Hardly a surprise, then, that the country witnessed the birth of a number of radical Islamist groupings from the Negara Islam Indonesia movement26 founded 25 | During the 1970s and 1980s, General A. M. Hendropriyono was a household name in Indonesia for all the wrong reasons. During the Soeharto era he was one of the key generals who ran the Indonesian army’s intelligence and counter-insurgency apparatus, and under his guidance the Indonesian special forces and covert ops units were responsible for some of the worst human rights violations in Indonesia’s history. It was he who was put in charge of the operations in the Lampung district in South Sumatra, where the Indonesian army was given the task of ›containing‹ the ›threat‹ of Islamist activists and an alternative Sufi-inspired mass movement there. Hendropriyono’s actions were typical of the man: after a series of covert actions and psy-op warfare (where the public was told that the Islamists were a ›terrorist threat‹) the army was ordered to move in for the kill. The end result was the massacre of hundreds of innocent civilians, and this earned Hendropriyono the laurels he very much desired. It also earned him the nickname of ›the Butcher of Lampung‹. 26 | The Negara Islam Indonesia movement was founded by Lukman Hakim in 1978 in Cirebon, West Java. But the NII was actually a decentralised and dispersed movement with cells and branches operating in secret on many of the university campuses all over Java and the
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by Lukman Hakim in the 1970s to the arrival of the Ikhwan al-Muslimin and Hizb al-Tahrir in the 1980s. In Malaysia the efforts of the state’s Islamist institutions were being negated by the other policies that were being pursued by the government at the same time. Some of the government’s more controversial measures proved to be a boon for the Islamist party in opposition that was always on the lookout for the chinks in UMNO’s armour. The leaders of UMNO claimed that they had fought against the encroachment of Western Secular and Zionist influences that threatened to undermine the faith and unity of the Malay-Muslims (the film Schindler’s List had been banned in Malaysia the year before on the grounds that it was ›Zionist propaganda‹), and argued that it was they who had managed to put Malaysia on the map of the Islamic world (Malaysia had just launched the ›Voice of Islam‹ radio network in Southeast Asia with the help of Saudi Arabia, Indonesia and Brunei). Furthermore, the Mahathir administration reiterated the claim that it had challenged the double-standards and hypocrisy of the Western powers at numerous international meetings27 and that under the leadership of Dr. Mahathir Malaysia had rest of Indonesia. These cells emerged partly as a result of the Soeharto government’s crackdown on student political activities in the 1970s and the imposition of the Normalisasi Kehidupan Kampus (Normalisation of Campus Life) regulations passed at the end of the 1970s. As a result, the more radical Islamist students went underground and formed clandestine groups of their own. The founders of the NII were inspired by the Darul Islam revolt of 1949 that was led by Islamist radicals like S. M. Kartosuwijro. With the help of Islamist radicals and elements within the Indonesian government and security forces, these radical Islamist groups were allowed to operate underground on campus. They formed secret study groups (tarbiyyah islamiyyah) where the studied and disseminated the teachings and ideas of Islamist ideologues like Abul Al’aa Maudoodi, Hassan al-Banna and Sayyid Qutb. Following the example set by the Ikhwan’ul Muslimun of Hassan al-Banna and Sayyid Qutb, the students formed their own secret committees and cells that penetrated other student movements. In 1978 they came out into the open with the formation of the Usroh group in Bandung. The leaders of the NII then formed their own groups all over the country: Abdullah Sungkar and Abu Bakar Ba’asyir established the Jama’ah Islamiyyah in Surakarta, Muchliansyah formed the Generasi 554 group in Jakarta while Lukman Hakim set up the NII in Cirebon. 27 | Long regarded as one of the leading spokesmen for the South, Dr. Mahathir had tried to use his power and influence to bring about a radical change in the international consensus on human rights and democracy. During this period, the Malaysian government was actively campaigning against what it considered was the double-standards and hypocrisy of the Western states. At the 1993 UN World Conference on Human Rights for example, the Malaysian government made it a point to condemn the United States and its West European allies for their indifference to the Bosnian issue and other political and economic crises that were af-
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176 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft played a leading role (among the Muslim states) in trying to bring about a peaceful and lasting peace in the troubled state of Bosnia where thousands of Muslims had suffered at the hands of Serbian nationalist extremists.28 (Malaysia, along with several other OIC countries like Turkey, Iran, Pakistan, Bangladesh and Palestine, had sent a total of 20,000 troops to serve in Bosnia as part of the international peacekeeping force since 1992.) But none of these measures assuaged the anger and frustration of the Islamists who in turn pointed out the human rights abuses of the Malaysian government, particularly against the Islamists: In 1985, Malaysian state security forces were responsible for the killing of the radical PAS Ulama Ustaz Ibrahim ›Libya‹ Mahmood.29 The killing of Ibrahim Libya and his followers gave PAS and the Islamist opposition additional moral leverage against the government and was exploited to the full by PAS leaders, who declared that Ibrahim Libya was a shahid (martyr) to the Islamist cause.30 Further attacks and harassment of the Islamists fecting the Muslim world. Malaysia worked closely with the other OIC states to ensure that a special clause on the Bosnian issue would be included in the final declaration of the conference. 28 | Malaysia was one of the most vocal actors from the South when it came to the Bosnian issue. When the Bosnian conflict finally came to its end, Malaysia reacted to the Dayton Accords (issued in December 1995) with caution. Dr. Mahathir insisted that the West had to do more in order to ensure that the peace in Bosnia would be lasting and sustainable. In the following year, Malaysia committed RM 10 million towards the initiative set up by the Clinton administration in the US in order to help set up and train the Bosnian army. Malaysia’s stand on the Bosnian issue was part of a long-term engagement with other countries, aimed at bringing about a reform of the United Nations itself as Shanti Nair has argued: »The (Malaysian) foreign policy during the Bosnian crisis was strategically linked to larger foreign policy thinking on the need for a radical restructuring of the UN and effective change in the UN Security Council, as part of a Malaysian agenda for the more equitable representation of the developing world within such a forum. These concerns are nowhere more important than in the context of the post-Cold War world order and for small coutries like Malaysia who are particularly focused on how such an order will eventually be determined« (Nair 1997: 257). 29 | Ustaz Ibrahim Mahmood’s early education was in Malaysia. In his youth he studied at the Sekolah Agama Ittifaqiah at Kampung Carok Puteh itself. He then continued his studies at the Pondok Al-Khairah at Pokok Sena, Seberang Perai and the Madrasah of Nilam Puri, Kelantan. He then travelled abroad to study at the Darul Ulum Deoband in India. After receiving his ijazah from Deoband, he proceeded to further his studies at the University of Al-Azhar in Cairo, Egypt. It was only after he completed his studies at Al-Azhar that he went to the University of Tripoli in Libya. 30 | Ustaz Ibrahim Mahmood was a radical PAS leader even by PAS’s own standards then. He previously worked in the government as a state Ulama, but then left government service
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in 1984, 1985, 1987 and 1988 helped only to radicalise PAS and shift the centre of Islamist discourse closer to the radical register. The Islamisation race between PAS and the UMNO-led government led to an obvious attempt by both parties to out-Islamise each other. But despite the enormous advantages that the Malaysian (and Indonesian) governmental institutions had at their fingertips, they failed to make an impact among the ordinary Muslims themselves. Many of the government-sponsored institutions – like ICMI in Indonesia and ISTAC, IKIM and UIA in Malaysia – were seen as elitist institutions that were engaged in a top-down form of state-orchestrated Islamisation. and joined PAS. During the late 1970s and early 1980s, he earned himself the reputation of being the most vocal and radical PAS Ulama in the country, openly calling for a violent Islamic revolution in Malaysia following the Iranian example. In 1984 a warrant of arrest was issued against him, but he managed to escape and was protected by his followers in the village of Memali. In Novermber 1985 the government responded to Ustaz Ibrahim’s open defiance with the use of force. While the Prime Minister was abroad on a visit to China, the Deputy Prime Minister Musa Hitam was given responsibility for the task. Malaysian security services were ordered to arrest the Ustaz and his followers. On 19 November, the village of Memali was surrounded by state security forces which included both the army and the police. A total of 576 security and armed forces personnel were present, along with armoured cars and trucks. Shortly after the Ustaz had delivered his morning lecture (kuliah subuh) at the madrasah, the troops were ordered to move in. Ustaz Ibrahim and his followers resisted their entry with force, and the troops opened fire. In the course of the fighting, Ustaz Ibrahim was killed along with fourteen of his followers. Twenty-nine other villagers were wounded in the course of the fighting. The Ustaz was shot down by members of the Unit Tindakan Khas (UTK- Special Forces Unit). One of his followers, Mohamad Piah Yunus, was shot fourteen times at close range by soldiers armed with M-16s automatic rifles (and survived). Others who died included Ustaz Ibrahim Mahmud, a local teacher and missionary; Ahmad Hassan, ex-leader of the PAS Youth Wing of Kedah between 1979-1981; Syafie bin Dahaman, Haji Abdullah bin Haji Abdul Rahman, Abdul Manaf bin Waden, Ghazali bin Mohd Saman, Mohd Radzi bin Ahmad, Wan Abdullah Idris bin Lebai Kadir, Mohd Aroff bin Hashim, Zamri bin Md Isa, Abdullah bin Yasin, Mohd Daud bin Kadir, Ahmad bin Ismail and Haji Abdul Rahman bin Jusoh. Apart from civilian casualties, four policemen were also killed. The security forces had used automatic rifles, tear gas and armoured vehicles in the assault. An armoured car was used to smash down the front gates of the Ustaz’s home. Immediately following the event, 161 villagers from Charok Puteh and Memali were detained by the security forces, including women and children. The government then issued a comprehensive ban on all political discussions and rallies in six states: Kedah, Kelantan, Trengganu, Perlis, Penang and Northern Perak; all of which (with the exception of Penang) were known to be PAS strongholds. For an account of the killings at Memali and Charok Puteh seen through the eyes of those present including Mohamad Piah Yunus, see Al-Afghani1997.
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178 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft From the beginning, ISTAC was associated with its founder-director, Syed Naquib al-Attas. Himself the product of Eton, Sandhurst and the School of Oriental and African Studies (SOAS) in London, Naquib al-Attas was known as the Malaysian proponent of the ›Islamisation of knowledge‹ project, now a major international effort which he claimed credit for. But Syed Naquib al-Attas’ dominant stature and intellectual acumen were precisely the factors that made ISTAC an impenetrable and inaccessible institution whose relevance to daily life diminished day by day. Set as it was in one of the most exclusive (and expensive) parts of the capital, ISTAC was allowed to carry on with its academic work in blissful isolation. The brilliant though highly complex writings of al-Attas – dutifully published in luxuriously bound and prohibitively expensive volumes by ISTAC – were well beyond the reach of the ordinary masses, who had neither the opportunity to buy them or the time to read them. While the research and academic staff of the Institute busied themselves with questions about the need for a radical paradigm shift that would bring about an essentially Islamic epistemology that Muslims could call their own, ordinary Malay-Muslims in the country went about their lives as they had always done. The appeal and influence of Syed Naquib al-Attas and the state’s religious functionaries were limited because they were seen as elitists and their institutions were open only to a limited following. While the Islamist institutions of the state like IKIM and ISTAC were engaged in their project of re-presenting Islam as a modern system of values and way of life, they overlooked the fact that their message was not being delivered to the rest of society. Despite all its efforts, IKIM and ISTAC were seen as institutions that had been set up under the patronage of the Mahathir administration and as part of the government’s own Islamisation campaign (described as a cosmetic gesture at best by the Ulama of PAS). Neither Malaysia’s ISTAC nor Indonesia’s ICMI were truly populist in the sense of being able to transcend the cleavages of class, wealth and power that remained all too-real in the lives of millions of ordinary Malay-Muslims in the country. What was needed was a ›third voice‹ that could speak the language of the man in the street, the farmer in the field and the corporate manager in the high-rise apartment block. But the convoluted national politics of Malaysia and Indonesia left no space for a middle-ground to emerge. Caught between the maximalist state with its hegemonic grip on society on the one hand and the radical Islamists with their narrow vision of an ›authentic‹ Islam based on the past on the other, the ordinary Muslims of Southeast Asia have not been able to turn to a third voice that could straddle the narrow divide. ›Progressive Islam‹ thus became hostage to the realpolitik concerns of governments, and the liminal and vulnerable constituency of progressive Islamists have been the first to suffer. Under such circumstances, what hope is there for a rebirth of progressive Islam in Malaysia and Indonesia?
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A Second Chance for Malaysia’s Progressive Islam Project? The Prospects of Renewal and Reform under the New Regime Notwithstanding the controversy surrounding the results of the recent 11th Federal Elections and the on-going disputes over electoral irregularities, it is safe to say that the elections of 2004 have proven to be yet another turning point in Malaysia’s convoluted and problematic history. The Islamic party that was thought by many to be on the verge of a major sweeping victory in the northern Malay-Muslim belt of Peninsula Malaysia was effectively trounced and kicked back to the boondocks. After winning only four State Assembly seats in Trengganu and having lost a significant number of Assembly and Parliamentary seats nationwide, PAS has suffered a set-back that few of us could have imagined possible. The immediate repercussions of the results have been discussed at length by many commentators thus far: For a start, the results spell the untimely demise of PAS’s Islamic state project, the bugbear that had haunted and menaced the fragile instrumental coalition that was the Barisan Alternatif from the beginning. Secondly the equally spectacular resurgence of DAP does not necessarily mean that the discourse of the opposition will now shift to the register of secular democratic politics (as much as some of us would hope for) but also the danger that religious sectarianism may now give way to ethnic and racial sectarianism instead. Thirdly Malaysia is now left with the daunting prospect of rolling back the tide of state-sponsored Islamisation that has gone radically off the tangent over the past two decades. PAS’s failure and UMNO’s unexpected resurgence have been affected by both local and international variable factors that neither party could have anticipated or controlled. The intervening years between 1999 to 2004 have proven to be fateful ones: Following the 11 September 2001 attacks on America, the resurgence of US power abroad has been accompanied by the systematic demonisation of Islamist parties and movements worldwide. In 2002, during the US-led invasion of Afghanistan, PAS’s religious leaders committed the fateful error of showing their support for the Taliban – which in turn was exploited to the full by their opponents and critics. The mistake was grave in terms of its consequences: PAS was shunned by foreign embassies and the non-Muslims alike, and in time a host of self-proclaimed ›anti-terror experts‹ began making wild (and untrue) associations between PAS and the Taliban, al-Qaeda and other alleged militant groups in Southeast Asia. During this period the Mahathir administration also worked hard to get back in Washington’s good books and Malaysia was soon regarded as a ›model Muslim‹ state in the West, that was a necessary ally in the so-called ›war on terror‹. The upturn in relations between Kuala Lumpur and Washington was signalled by renewed foreign investment and increased investor confidence in Malaysia. By 2003 Malaysia’s economy was again seen as being on the road to recovery and the
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180 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft piecemeal reform measures initiated after the 1997-98 economic crisis were swiftly abandoned. Another major event which determined the course of Malaysian politics was the near-simultaneous announcement of Dr. Mahathir’s resignation and the death of PAS president Fadzil Noor that happened in late 2002. With Dr. Mahathir gone, the bugbear of the opposition and reformists was no longer on the scene. This allowed UMNO to reposition itself under the new leadership of Dato Abdullah Ahmad Badawi – an ex-bureaucrat and descendant of a family of Islamic scholars who was seen as the ›Mr Clean‹ of UMNO. PAS in turn came under the leadership of Ustaz Hadi Awang, whose own image since the 1980s has been that of a fiery orator and confrontational politician. While this may have boosted the morale of many PAS members, it also added to the negative image of PAS in the media. Under the leadership of Hadi Awang the ulama of PAS – stuck as they were in their own morass of parochialism and isolated from the rest of Malaysia’s plural society – failed to understand that the rest of Malaysia was not like Kampung Rusila or Kota Bharu. The ulama may think of themselves of the masters of the universe when they are in their madrasahs, surrounded by admiring loyal followers who have been taught not to think, but the rest of the country was moving in a different direction altogether. In time the pronouncements of PAS’s leaders sounded more and more unworldly; and the discourse of salvation that kept the party afloat in the wake of the 1986 debacle was now turning into a major liability. Among the more serious mistakes made by the ulama of PAS (and which remained unchecked by the technocrats of the party) were: –
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Their failure to understand that the vote swing for PAS in 1999 was a reflection of popular anger against UMNO and the government, and not an endorsement of the Islamic state project; Their failure to locate themselves in the realities of the post 11 September world where political Islam was being attacked and any party, group or individual who came out in support of radical Islam was sure to pay the price; Their failure to understand the need for a more technocratic discourse that would have helped convince voters that PAS’s promises of heavenly reward were not divorced from real concerns of daily life; Their failure to take note of the fears and insecurities of the non-Malay and non-Muslim constituencies who were frightened of the Taliban scenario being repeated here in Malaysia.
While it is true that PAS suffered from adverse negative media reports that linked them to all kinds of radical groups – both real and imagined – they also played their part in destroying their own image but not silencing the more radical voices in their midst. Nik Aziz and Hadi Awang’s statements on women, the Taliban,
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Muslim-non-Muslim relations, etc were, after all, right out of their own mouths and not scripted for them by the government-controlled media. It was under these circumstances that Malaysians once again went to the polls on 21 March 2004. With an economy making a comeback and the Malaysian population (particularly the business community and foreign investors) keen to ensure continuity, the country voted for the same rather than for change. The results of the elections show to the reversal of PAS’s fortunes and the recovery of UMNO’s: Overall the ruling Barisan Nasional coalition won 198 out of 219 Parliamentary seats and 451 out of 505 State Assembly seats. PAS in turn managed to win only 8 Parliamentary and 36 State Assembly seats. In its homebase of Kelantan – where PAS has been in power since 1959 (except for a brief lull in the 1980s) – PAS managed to win only six Parliamentary seats and 24 State Assembly seats, giving it the smallest majority in the state assembly. In neighbouring Trengganu PAS lost every single Parliamentary seat it contested and won only 4 our of 32 State Assembly seats. PAS’s ally Keadilan lost practically all the Parliamentary and State Assembly seats it contested, winning only one Parliamentary seat in Pematang Pauh, Penang. The only winners among the opposition was the predominantly-Chinese leftist DAP party, which managed to win 12 Parliamentary and 15 State Assembly seats in all. To add insult to injury, PAS was so over-confident of victory that a few days before the election its President Ustaz Hadi Awang even proclaimed that PAS was ›willing to share power‹ with UMNO in the case of an overwhelming PAS victory and that UMNO’s days in power were over. The net results of the elections will leave both UMNO and PAS with problems that it will have to deal with forcefully and openly: UMNO has been given a mandate to push ahead with its modernist development-oriented agenda, but the last time it was given such a mandate (in the 1980s) the net result was two decades of corruption, abuse of power and centralisation of power in the hands of the executive. While it cannot be denied that Malaysia has experienced rapid development over the past two decades, this development has also come at the cost of fundamental liberties and public freedoms. The judiciary, the bureaucracy and the Malaysian police force are now widely regarded as mere appendages of UMNO and the UMNO elite; while income differentials between the rich and the poor remain painfully obvious. Prime Minister Abdullah Badawi has promised to address these issues, but can he do so alone? His new cabinet was a disappointment to many, with old faces in the same gallery, including senior Barisan Nasional politicians who have been accused by the opposition of corruption and abuse of power. While Badawi may wish to pursue a reformist agenda, it cannot be denied that much of this is also motivated by UMNO’s desire to stay alive and to adjust itself so that it can maintain its iron grip on power.
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182 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft Badawi has promised to pursue a modernist and progressive agenda on Islam, and his own deep understanding of Islamic history and law will undoubtedly be an asset to him. But the institutional inertia he faces is overwhelming and he will have to show that this talk of ›moderate Islam‹ is not mere rhetoric to soothe the conscience of Western investors and local reformist NGOs. How, for instance, can there be a ›moderate, progressive Islam‹ in Malaysia when the country is still harbouring the Internal Security Act (ISA) and other laws such as the Sedition Act that go back to the colonial era? And in his pursuit of a moderate democratic Islam will Badawi allow for the emergence of a free and critical press, academic freedom in the universities and more transparency and public control over the conduct of the Malaysian police? PAS too will have to undergo major changes to make sure that it will play a role on the stage of Malaysian politics. Its mistakes in the previous years were due in part to the parochial mindset that had set among the party’s theological elite, who seem more and more like the Ayatollahs of Iran than Islamist intellectuals of the 1960s era. While no-one would dispute the vital role played by the ulama in Muslim history, PAS should also allow its able-bodied intellectuals, technocrats and activists to the fore, for they are better equipped to deal with the economicstructural problems that afflict Malaysia and the Muslim world at large. PAS has to demonstrate an ability and willingness to provide concrete policy alternatives to that of UMNO’s, as well as the willingness to listen to sincere criticism and advice from non-party members. For now, however, notwithstanding the dispute over the results of the elections – Badawi has bought himself and UMNO some time and room for manoeuvre. The concern of many political observers is that with its near-overwhelming presence in Parliament UMNO will revert to the bad old ways of the 1980s and 1990s, and repeat the same mistakes of the past. The only way that this can be prevented is if there is a viable and vocal opposition and free media. But for now, those are precisely the checks and balances that are absent in the country.
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Syed Farid Alatas: Understanding the Relationship between Islam and Reform | 185
Understanding the Relationship between Islam and Reform: Problems and Approaches Syed Farid Alatas
Introduction Muslim revival or resurgence or reform as it is variously known is not peculiar to the modern period. The idea of reform in Muslim societies dates back to pre-modern times. One of the most important revival movements began on the eve of the modern development of Saudi Arabia. In a broad sense, we may define Muslim revival as a social and intellectual movement that seeks to correct what is perceived as wrong or lacking in the social, economic, political and cultural life of Muslims. This paper aims to discuss the revival of Muslim communities and societies from an historical and theoretical perspective. It critically examines various explanations of Muslim revival drawing on examples and cases from different periods of Muslim history. The objective of such a study is to arrive at some conclusions about the nature, function and causes of Muslim revival, including the more specific cases of Muslim extremism and terrorism. In the first section, I make a few remarks on definitions and terminology. This is followed by a few historical accounts of Muslim revival in various parts of the world in order to provide the empirical background for the ensuing discussion of theoretical perspectives. The following sections on theoretical perspectives critically discuss each in some detail. These theoretical explanations of Muslim revival cover the nature, function and causes of revival movements in Muslim history. I then turn to the specific case of Muslim extremism, suggesting how it can be explained in the light of earlier theoretical discussions. The concluding section discusses what research on Muslim revival has achieved and what else needs to be done.
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The Problem of Terms and Phrases The study of Muslim revival and social movements is plagued by theoretical and conceptual difficulties. We are often overrun by a miscellany of labels and terms that are either vague or too encompassing or are too many for our minds to manage. As far as the various orientations or thought-styles that characterize Muslim revival trends and movements are concerned, among the more customary and conventional labels used to describe them are modernism, neo-modernism, traditionalism, radicalism, fundamentalism, extremism, and secularism. While these are sometimes useful as descriptive labels, they do not offer much to the systematic understanding of the ideal dimensions of Muslim revival. Any serious attempt to understand a particular phenomenon must, at the very least, define the phenomenon by way of a clear delineation of the relevant terms and concepts, and analyse its function. Many terms and phrases in the social scientific literature on Islam are hotly contested. While social scientists generally have little problems with terms such as Islamic extremism or political Islam, militant Islam or radical Islam, Muslims tend to shy away from these constructions, arguing that affixing Islam to qualify orientations such as extremism or militancy tends to contaminate the purity of Islam as a revealed religion. Since Islam defines itself as a religion of the median path extremism, for example, can hardly be said to be Islamic. Furthermore, the term »political Islam« is confusing as it suggests the existence of its opposite, that is, non-political Islam. While there is such a thing as non-political Muslims, Islam is by nature political. Indeed, the qualifier »Islamic«, as in the term »Islamic extremism«, may lead its user or reader to read into a particular orientation or movements a degree of Islamicity which is not there. The term »Islamist« or »Islamism« is also problematic as they do not help to distinguish the phenomenon under consideration from Islam or Muslim beliefs and practices in general. At any rate, the persistent use of such terms tends to soil the name of Islam. In the interests of accuracy and objectivity, it is necessary to define at the outset certain key terms that are being used throughout this study. The term Islam is used to refer to the religion in terms of its beliefs and practices as contained in the Qur’an and the sayings and deeds of the Holy Prophet Muhammad (peace be upon him). Islam as a religion in this sense is to be distinguished conceptually from Muslim communities, societies and civilization which are founded upon Islam but which are nevertheless constituted by much that would be considered contrary to Islamic beliefs and practices, however those may be defined. The term »Islamic«, therefore, is used strictly in association with Islam in this sense. The collective consciousness or beliefs of Muslims that are in conformity with Islam would be referred to as the Islamic worldview. This is to be distinguished
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from Muslim orientations, whether ideologies or utopias, which are thought styles developed whose conformity with Islam vary. This distinction is necessary in order not to confuse universal Islamic beliefs with ideological or utopian constructions of Muslim individuals and collectivities. Therefore, the terms »Islam« and »Islamic« are reserved for the normative sense, for the religion as revealed and as it should be practiced, while the term »Muslim« conveys the positive sense, that is, Islam as it is understood and practiced by concrete individuals and communities. The degree to which »Islam« and »Muslim« overlap is, of course, an empirical question.
Muslim Revival Throughout the Ages: From the Maghreb to the Malay-Indonesian Archipelago Muslim revival or the idea of reform is not a modern phenomenon. Neither is an aspect of this revival, that is, Muslim extremism. Extremism had been a feature of Muslim societies from the first century of Islam. An account of extremist movements throughout Muslim history would be useful in revealing the intellectual ancestory of contemporary extremism. The first extremist movement can be said to be the Kharijites (Khawarij). This group consisted of of those who rebelled against the fourth Caliph of Islam, Sayyidina ‘Alı Ibn abı Talib, and considered all those in contradiction to their views as infidels. Sayyidina ‘Alı was murdered by the Kharijite, Ibn Muljam. The Muslim scholar Ibn Taymiyah (1263-1328) was also an extremist in some of his views. Apart from his anthropomorphic interpretations of the Qur’an, he considered Muslim peoples who did not live under the Shari‘ah as evil. He regarded the Mongols who accepted Islam as unbelievers and, therefore, suitable targets. A more recent ancestor of contemporary extremism is Muhammad Ibn ‘Abd al-Wahhab (b. 1703). He considered rituals as superior to intentions and those who missed their prayers as unbelievers, and was against supplication (du‘a) for the Prophet Muhammad (peace be upon him) as well as the visitation of tombs. His ideas were influential over the Egyptian leader of the Muslim Brothers (Ikhwan al-Muslimın), Sayyid Qutb, and Mawdudi of the Jemaat-i Islami in Pakistan, as well as some of the thinkers of Al-Qaeda.
Theories of the Origins and Causes of Muslim Revival There are a variety of explanations of the origins and causes of Muslim revival. As was stated at the outset of this study, Muslim revival is not an exclusively modern phenomenon. There have been important instances of Muslim revival throughout
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188 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft Muslim history from the earliest days of Islam. An important theoretical tradition that provides a compelling argument for the origins and causes of Muslim revival has its roots in the work of ‘Abd al-Rahman ibn Khaldun (732-808 A.H./1332-1406 A.D.). In the West, it was the anthropologist Ernest Gellner who drew upon Ibn Khaldun’s insights in order to understand Muslim reform. The Khaldunian approach represents a major theoretical contribution to the study of Muslim revival and is one that is centred around the question of urbanization. Abu Zayd ’Abd al-Rahman ibn Muhammad ibn Khaldun Walı al-Dın al-Tunisı al-Hadhramı (732-808 A.H./1332-1406 A.D.) received a customary education in the traditional sciences, after which he held posts in various courts in North Africa and Spain. After a number of unsuccessful stints in office he withdrew into seclusion to write his Muqaddimab, a prolegomena to the study of history which was completed in 1378 and which introduces his ‘ilm al-‘umran (science of civilization). Ibn Khaldun believed that he had initiated a new field of inquiry consisting of the following areas: 1. 2. 3. 4. 5.
civilization (‘umran) in general and its divisions bedouin civilization (al-‘umran al-badawa), tribal societies (qabail), and primitive peoples (al-wahshiyyah), the state (al-dawlah), royal (mulk) and caliphate (khilafah) authority, sedentary civilization (al-‘umran al-hadharab), cities, and the crafts, ways of making a living, occupations.
If we were to use the language of the modern social sciences, we would have human or social ecology, rural sociology, political sociology, urban sociology, and general economic theory (Ibn Khaldun 1967: 41, 43, 120, 154, 342, 380). Ibn Khaldun studied the various Maghribi states for which he developed an original method. This begins with theorizing the differences in social organization between nomadic (al-‘umran al-badawa) and sedentary societies (’umran hadharab). He elaborated on the concept of authority and the nature of power that it entailed. He saw nomadic civilization as naturally evolving toward sedentary civilization not in the sense that the one gives way to the other but rather in the sense that »sedentary culture is the goal of bedouin life« and that »the goal of civilization is sedentary culture and luxury« (Ibn Khaldun 1981: 371 [285]).1 Fundamental to his theory is the concept of ’asabiyyah or group feeling. Only a society with a strong ’asabiyyah could establish domination over one with a weak ’asabiyyah (ibid.: 139, 154). In this context, ’asabiyyah refers to the feeling of solidarity among the members of a group that is derived from the knowledge that they share a common de1 | Page numbers in brackets refer to Franz Rosenthal’s English translation from which quotations in English are taken. See Ibn Khaldun (1967).
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scent. As we shall see, however, descent is not the only consideration. Because of superior ’asabiyyah among the bedouin they could defeat sedentary people in urban areas and establish their own dynasties. Having done so, they became set in the urban ways of life and experienced great diminution in their ’asabiyyah. With this went their military strength and their ability to rule. This left them vulnerable to attack by fresh supplies of pre-urban bedouins with stronger ’asabiyyah who replaced the weaker urbanized ones. But the relationship is not one of the domination of the city by the tribes. Rather it is a relationship of dominance in the other direction of which there are two important aspects. First of all, the nature of the existence of the tribesmen makes them dependent on the cities for the basic necessities of life (ibid.: 153). Secondly, the tribes are dependent on a prophet or saint (walı) who interpret religion for them. The walı himself is motivated by the impiety that had developed in the urban areas as a result of the luxurious life and political excesses committed by the townspeople. When there is a prophet or saint among them, who calls upon them to fulfill the commands of God and rids them of blameworthy qualities and causes them to adopt praiseworthy ones, and who has them concentrate all their strength in order to make the truth prevail, they become fully united (as a social organization) and obtain superiority and royal authority (ibid.: 151 [120]). The social cohesion expressed by the concept of ’asabiyyah is only partly derived from agnatic ties in tribal social organizations. While all tribal groups have stronger or weaker ’asabiyyabs based on kinship, religion can also bring about such social cohesion as was the case with the Arabs who needed Islam in order to subordinate themselves and unite as a social organization. But beyond this social psychological aspect of ’asabiyyah, there are its material manifestations. In order to proceed it will be necessary to refer to the concept of mulk (royal authority) in ibn Khaldun. This is not merely leadership. Leadership means being a chieftain [sahib], and the leader is obeyed, but he has no power to force others to accept his rulings. Royal authority means superiority and the power to rule by force (ibid.: 139 [108]). Because of ’asabiyyah a tribal chieftain will be obeyed by his followers, a pre-condition for achieving royal authority. But it is not merely the psychological feeling of cohesion that achieves this. ’Asabiyyah refers to the authority that is wielded by the chieftain that derives, in addition, from his material standing as a result of profits from trade and appropriation from plunder and pillage (Lacoste 1984: 107). For ibn Khaldun, then, ’asabiyyah referred to 1. kinship ties, 2. a socially-cohesive religion such as Islam that provided a shared idiom legitimizing the chieftain’s aspirations for mulk, and 3. the strength of the chieftain through trade, booty, pillage and conquest. Once a tribe founds a dynasty and its members assume the various positions of the ruling class the conditions for the decline in ‘asabiyyah are established.
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190 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft There are at least two general ways in which this takes place. One is where the second generation of tribesmen who founded the dynasty experience a change »from the desert attitude to sedentary culture, from privation to luxury, from a state in which everybody shared in the glory to one in which one man claims all the glory for himself while the others are too lazy to strive for (glory), and from proud superiority to humble subservience. Thus, the vigour of group feeling is broken to some extent.« By the third generation asabiyyah disappears completely (Ibn Khaldun 1981: 171). Another distinct way in which ’asabiyyah declines is when the »ruler gains complete control over his people, claims royal authority all for himself, excluding them; and prevents them from trying to have a share in it« (ibid.: 175 [141]). In other words, when a tribal group establishes a dynasty and its authority becomes legitimate the ruler can dispense with ’asabiyyah. The ascendant ruler then rules with the help of not his own people, but rather those of other tribal groups who have become his clients. The ruler attempts to exclude the supporting tribe from power. The ability of a tribal chieftain to maintain ’asabiyyah under these circumstances is diminished. When we speak of diminishing ’asabiyyah, then, we refer to the circumstances under which a chieftain is no longer able to command tribal support 1. by appealing to kinship and/or other ties, 2. due to the corrosion in social cohesion that results from either luxurious urban life or from attempts by the ruder to dispense with ’asabiyyah. As ’asabiyyah decreases, the power of the ruling dynasty diminishes until it is finally conquered by another tribal group with superior ’asabiyyah. And so the cycle repeats itself (ibid.: 154-155). The reform is cyclical. A tribe conquers a dynasty, founds a new one and rules until it is overthrown by a reform-minded leader who has the support of tribes eager to cash in on the city. The luxury of city life is the chief cause of the rise of impiety (ibid.: 347-351). Ibn Khaldun resigned himself to the eternal repetition of the cycle. He did not foresee developments that would lead to the elimination of the cycle. This happened with the Ottomans, the Qajar dynasty in Iran, and the state in the Yemen. The cycle ceased to be in operation when the basis of state power was no longer tribal. The Ottomans dispensed with .tribal support as a result of creating an alternative source of military power, the devs¸irme system, which created a centralized army through the recruitment of converted non-Muslim youth to the sultan’s army. Furthermore, timar holders were not drawn from the tribal population. It was only in the 20th century that the cycle came to an end with the creation of a centralized army by the Pahlavis and the role of oil as a basis of state power. Yemen continues to be an enigma where state power is still very much based on tribal support. Nevertheless, the earlier logic that created periodical waves of revolutionary movements bent on abolishing what is objectionable (taghyır al-munkar) (ibid.: 159
2005-02-09 17-04-55 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 185-203) T05_04 alatas.p 75981362200
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[323]), that is, the excesses of urban life continue to operate in the Muslim world. In Ibn Khaldun’s world there was the cyclical change that rescued society from these excesses. Today there is no such logic of development. In Ibn Khaldun’s world, ordinary folk were caught between the oppressive policies and conduct of a royal authority on one hand and the prospects of conquest by bloodthirsty tribesmen led by a religious leader bent on destruction of the existing order. This is much like the situation we find ourselves in today, except that the bloodthirsty tribesmen are replaced by militant revolutionaries or mercenaries that have turned Islam into an instrument.
Theories of the Nature of Muslim Revival What do we make of the notion that there are two versions of Islam that we have been often hearing about in the media, that is, moderate and extremist Islam. This perception has to be corrected. Muslims do not understand Islam that way. In fact, there is no distinction between moderate and extremist Islam because Islam as a system of beliefs and practices is quite internally consistent and homogeneous. There are, of course, Muslims who act in an extremist way, but the problem with the extremist/moderate dichotomy is that it implies that those who are stricter in the practice of Islam are the ones more prone to extremism. The problem with that line of reasoning is that it further implies that the greater the devotion to Islam, if you measure this in terms of the strictness in following the tenets of Islam, the greater the propensity to extremism. It is because of this kind of thinking that some people get alarmed when they see Muslims being concerned about saying their prayers on time, being uncompromising in their dietary restrictions, or being more »orthodox«.2 Perhaps for such people, it is better for Muslims to be moderate, that is, to be less devout, less strict Muslims. This idea is completely at odds with the way Muslims understand and practice their religion. They understand Islam as a religion based on ›the middle way‹, which is captured by the Quranic term ›ummatan wasatan‹ meaning the community of the middle way, the middle between two extremes. And it is this middle way which is the »straight path« that Muslims are told by the Quran to travel. One extreme is the negligence of Islamic duties, the failure to remember God and to carry out duties to oneself, one’s family and one’s fellow human beings. The other extreme is the violation of the tenets of Islam involving the excessive use of force, harshness, lack of compassion and finally, the wrongful interpretation of Islamic laws. So, on the one hand they are lax, they do not follow Islam, they neglect Islam. On the other hand, they apply the religion, but in a wrong way without 2 | »The terrorists won’t win, says SM Lee«, The Straits Times, September 28 2002.
2005-02-09 17-04-56 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 185-203) T05_04 alatas.p 75981362200
192 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft compassion, by being too harsh in their interpretations. So, it is not that there are extremist versions of Islam but that those who are extreme are actually transgressing the law of God in one way or another. The dichotomy is a creation in the minds of politicians and journalists and does not have an empirical referent. But this dichotomy functions to »educate« the public that moderate and, by extension, less strict Muslims are the good Muslims while extremist and, therefore, stricter Muslims are the ones prone to evil. An example of the trafficking of this misconception is an article by Farrukh Dhondy (2001) that first appeared in the City Journal and was reprinted in The Sunday Times (Singapore). The article drew severe criticism within the Malay-Muslim community of Singapore for what many saw as its objectionable and inaccurate statements on Islam. For example, Dhondy suggests that »if you prostrate yourself to an all-powerful and unfathomable being five times a day, if you are constantly told that you live in the world of Satan, if those around you are ignorant of and impervious to literature, art, historical debate and all that nurtures the values of Western civilization, your mind becomes susceptible to fanaticism. Your mind rots«. In other words, being religious and ignorant of Western culture breeds fanaticism. This is Eurocentrism combined with very shallow thinking on the nature of religious experience. Even a less-educated Malay farmer or Bangladeshi worker knows that there is no correlation between religiousity and fanaticism. Many Muslims in Singapore were unhappy with the publication of Dhondy’s article. For example, Saharudin Kassim, Special Assistant to the President of the Islamic Religious Council of Singapore, wrote a very articulate critique of the Dhondy piece and suggested that such »a malicious piece of writing« should not have been published in The Sunday Times. I have a different view. It is such articles that create the conditions for dialogue. Singaporeans would not have benefited from Saharudin Kassim’s (2002) correction of Dhondy’s views had Dhondy’s article not been printed to begin with. Many Singaporeans may have held such erroneous views and here there was an opportunity for these to be corrected. In a sense, the printing of wrong opinions has their functions as well. I would encourage more of such discussions in the media. Another problematic dichotomy is that of modern Muslims who regard the United States as a benign power versus anti-modern Muslims who regard United States as malevolent power, as if to say a Muslim could not be modern and highly critical of United States foreign policy at the same time. Applying the same faulty misconception, but this time not in reference to Islam, is a report earlier this year carried in The Sunday Times of Singapore from March, 17th 2002. The story is of an Indian national who murdered his Singaporean wife of Indian origin. The story revolved around the man as being traditional and religious while the women was cosmopolitan and liberal. Within a year of their marriage he stabbed her to death and he was sentenced to ten years jail and fifteen strokes of the cane.
2005-02-09 17-04-56 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 185-203) T05_04 alatas.p 75981362200
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Theories of the Function of Muslim Revival Existing studies on Muslim revival tend to deal with the material rather than the ideal aspects of the phenomenon. As far as the various orientations or thoughtstyles that characterize Muslim revival trends and movements are concerned, among the more customary and conventional labels used to describe them are modernism, neo-modernism, traditionalism, radicalism, fundamentalism, extremism and secularism. While these are sometimes useful as descriptive labels, they do not offer much to the systematic understanding of the ideal dimensions of Muslim revival. Furthermore, the focus is usually on the material causes of the movements and organizations that embody these orientations or on their organizational structure and activities. The accounts of orientations that are found in these works, though useful, are usually descriptive. This miscellany of labels and terms are either vague or too encompassing or too many for our minds to manage. Any serious attempt to understand a particular phenomenon must, at the very least, define the phenomenon by way of a clear delineation of the relevant terms and concepts, and analyse its function. This section is a contribution to that task and aims to accomplish the following: 1.
2.
3. 4.
Establish the distinction between Islam as faith on the one hand, and those orientations of Muslims that are products of particular historical periods and social conditions. Introduce a conceptual scheme for the study of the these various orientations among Muslims that are often collectively referred to as revivalist or resurgent ideologies. Bring into the conceptual scheme classifications of orientations developed within traditional Muslim scholarship Establish the need to specify the dimensions along which particular orientations are being considered and compared with each other.
I propose to do this through the concepts of ideology and utopia.
Islam as Faith and as Orientation Non-Muslims are often puzzled as to why Muslims take offence to such terms as Islamic extremism or Islamic fundamentalism. For many Muslims these are contradictions in terms. To the extent that Muslims regard Islam as a religion of the median path, extremism and fundamentalism cannot be Islamic. Implicit in this attitude is a distinction between the beliefs of Islam and the orientations of Mus-
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194 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft lims. The former refers to those beliefs3 that are contained in the Qur’anic revelation and the sayings of the Prophet Muhammad and which are believed in by Muslims of all historical periods, regions and communities. The distinctive feature of Islamic beliefs, as defined in this manner, is that they are independent of historical conditions and social location. Although it may be possible to account for some Islamic beliefs in terms of socio-historical factors and while non-believers may be inclined to explain the existence of Islam exclusively in terms of socio-historical factors, what is undeniable is that these beliefs had since taken on an existence independent of any socio-historical setting. The term »Islamic« should be reserved for such beliefs because these are the beliefs that are contained in revelation, or are consistent with revelation, and are not spatially and temporally determined. To define Islamic beliefs in this way is not to suggest that Islam at this level is completely homogenous. Any two beliefs that are opposed to each other may both be Islamic in the way that I have defined Islamic beliefs. I would also hesitate to define these as the ideals of Islam since these beliefs are not merely stated in revelation but live in actually existing Muslims of the past and present. However, the beliefs of Muslims are not confined to that which is Islamic in the above sense. There are those beliefs of Muslims which are consistent with the revelation but which are nonetheless products of specific historical and social conditions. There are also those beliefs that are neutral as far as any judgment of their Islamicity is concerned, and there are beliefs that contradict Islamic ones. Therefore, when we speak of Muslim beliefs there is a recognition that these beliefs 1. may or may not be consistent with Islamic beliefs and 2. are products of particular historical and social conditions even where they are consistent with Islamic beliefs. Muslim beliefs, then, are orientations that Muslims have towards the world that contain within them Islamic beliefs (both undetermined and determined by social conditions) as well as extra- and unislamic ones. It is such orientations that we may speak of as Muslim ideologies and utopias.
An Approach to the Study of Orientations: The Sociology of Knowledge In order to understand the thought of Muslim individuals and groups that belong to various orientations such as modernism, traditionalism, fundamentalism, radicalism and terrorism in terms of their types and functions, it is necessary to define the approach that is taken here. In our age of the proliferation of orientations with regard to anyone issue, a condition that characterizes modern industrial societies, the question of what constitutes reliable thought eventually came to constitute the critique of philosophy 3 | I am using the term beliefs in a broad sense to mean both the »articles of faith« as well as the more general »knowledge«.
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as a whole, when the issue of true knowledge became a sociological question couched in terms of the problem of objectivity. Older cleavages, especially those between rationalism and empiricism or positivism and romanticism, were no longer principal disputes with the rise of the sociology of knowledge. The concern with sociological bases of thought began with Ibn Khaldun, but was never taken up in Muslim thought, and reappeared in Europe with Marx and Weber some four centuries later. In Weber (1949), the epistemological question of what constitutes reliable or valid thought is substituted by that of the value-relevance of social scientific knowledge. He made a distinction between existential knowledge of what is and normative knowledge of what should be. Values should be restricted to the times before research begins and after the analysis is done. They influence what we choose to study and how we choose to use the results of our study for social policy. In this way, the social sciences are value-relevant. They are at the same time objective to the extent that social scientists avoid making personal value judgements on social reality. The social sciences cannot derive ideals or ethical goals and are ethically neutral in that sense. The idea of the social bases of thought received further treatment by Karl Mannheim. The traditional problem of reason versus experience as the source of genuine knowledge receded into the background with the recognition that knowledge did not arise from an act of purely theoretical contemplation (see Mannheim 1936: 28). This is not to say that the question of whether knowledge is derived from sensory experience as opposed to a priori categories of the mind is not important. But, taking his cues from Marx, it was Mannheim’s view that the logical categories of the mind are not a priori but social products and that »knowing is fundamentally collective knowing« (ibid.). Truth, therefore, becomes relational in the sense that the subject’s thought varies with her social location. The question of the nature of thought, therefore, had shifted from concern with validity to concern with its social basis.
Ideology and Utopia: Theoretical Issues Mannheim’s seminal work, Ideology and Utopia, is concerned with the problem of thought as it »functions in public life and in politics as an instrument of collective action« (ibid.: 1). In this respect, he looks at two types of thought, the ideological and the utopian. It is useful to approach the question of the function of thought as an instrument of Muslim collective action in terms of Mannheim’s concepts of ideology and utopia for two principle reasons. One has to do with the solution of a number of theoretical issues that would emerge from the application of Mannheim’s sociology of knowledge to any empirical situation. Secondly, applying Mannheim’s concepts of ideology and utopia to the case of Muslim orientations
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196 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft enables us to raise new problems concerning the ideal dimension of the Muslim revival. Let us consider the theoretical issues first. The manner in which the field of the sociology of knowledge had developed since Mannheim’s death in 1947 was such that far more attention had been paid to the concept of ideology than that of utopia. This is partly due to the fact that Mannheim’s thought as a whole had become somewhat marginal and even totally ignored among sociologists in Britain and North America after 1970 (see Ackroyd 2002: 41). Even when Mannheim’s thinking on the concept of ideology were seriously read and discussed, the tendency was to neglect his ideas about utopia. It had also been pointed out that his formulation of the concept of utopia was vague and unconvincing. Ideology refers to thought that is so interest-bound to a situation, the real conditions of society are concealed or obscured by the collective unconscious of a given group and the given order stabilized (see Mannheim 1936: 36-37). Utopian thought, on the other hand, refers to that which »is incapable of correctly diagnosing an existing condition of society« because those doing the thinking are not at all concerned with what really exists; rather in their thinking they already seek to change the situation that exists. Their thought is never a diagnosis of the situation; it can only be used as a direction for action (see ibid.). Individuals or groups guided by utopian thinking are so keen on the transformation or destruction of the existing situation that they only see those aspects of that situation that tend to negate it. Utopias are, therefore, different from ideologies in that they destroy a given order while ideologies focus on those elements of a given condition that tend to preserve it. Both refer to states of mind that are incongruous with the reality within which they occur (see ibid.: 173). The problem with this formulation is that one of the criteria used to distinguish ideologies from utopias, the criterion of realizability or success presents some difficulties. Utopias are not only situationally transcendant in theory but in practice as well (see ibid.: 173, 176). The criterion of realizability, therefore, can only be applied to the past (see Ricœur, 1986: 179). A more serious objection is that insisting on the criterion of realizability draws attention away from the intentions and practical consequences of utopias, and the functions that arise from these intentions. These are deserving of treatment regardless of whether utopias are realized or not. Utopias can be distinguished from from ideologies in that they intend to break the bonds of the existing order. The mode in which they do so and the contradictions and tensions that emerge in the process are sufficient to distinguish them as phenomenon in their own right without insisting on the criterion of realizability. If we were to insist on the criterion of success, that is, breaking the bonds of the existing order, only those orientations that succeeded would be classified as utopias resulting, as it were, in a loss of data. At the empirical level, Mannheim’s examples of utopias were not always con-
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vincing to some. This accounts for the relative unpopularity of the concept compared to that of ideology. While Mannheim presents utopian though as crucial for the transformation of society, of his four examples of the utopian mentality, chiliasm, liberal humanitarianism, conservatism and socialism, two are actually unsuccessful attempts at transformation. In the light of the conflict of ideas currently taking place in the Muslim world and the absence of a unitary worldview among Muslims, it would certainly be useful to examine Muslim orientations and thought-styles in all their variety. Mannheim’s distinction between ideology and utopia is crucial for this purpose. Furthermore, the application of these concepts to empirical cases would help in the recovery of the concept of utopia. In addition, the systematic consideration of Mannheim’s ideas would also lead to a better specification of incongruence for both its ideological and utopian aspects. Aside from dealing with such conceptual issues concerning ideology and utopia, applying these concepts to the case of Muslim orientations will enable us to raise new problems in the study of Msulim though, particularly that thought which functions as an instrument of collective action. To begin with the sociology of knowledge approach is rarely taken in the study of Muslim thought. There are numerous works that describe and and analyse the thinking behind the Muslim revival, but they are generally descriptive of doctrines and views. To the extent that some of these works adopt a sociology of knowledge approach, this consists mainly relating Muslim thought to social conditions without necessarily dealing with issues such as incongruous thought and the distinction between ideology and utopia.
Muslim Orientations: Ideologies and Utopias Shaharuddin Maaruf applies the concept of utopia to the study of the social and political thought of Muslims in Southeast Asia. Utopian thinking »lends a millenarian, populist, eschatological and orthodox character to the religious life of many Muslims in Southeast Asia […]« and »underlies the demands for the establishment of the Islamic states and the implementation of Islamic laws« (Shaharuddin 2001/2002: 2). Shaharuddin lists the following as traits of utopian thinking as they apply to Muslims in Southeast Asia: 1. 2. 3. 4. 5.
the rejection and denial of the existing order, the posing of a radical alternative to the existing order, distortion of certain aspects of current realities which challenge their ideas, the role of ideas in mobilisation rather than for the purpose of diagnosis, and its populist rather than intellectual nature.
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198 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft An example of utopian thought that Shaharuddin gives is the totality of the claim that Islam is a complete way of life, which thereby denies the necessity of debate with rival ideas such as capitalism, socialism, democracy, and humanism, and ensures »the integrity of their own system of thought […]« (ibid.: 5). Shahruddin’s approach is generally useful. The problem, however, is his suggestion that the claims of Muslims that Islam is a complete way of life results in the denial of the necessity of debate with rival orientations. This denial is not the consequence of such a claim but rather of a closed and parochial outlook. It can be demonstrated that the attitude informing the claim that Islam is a complete way of life is entirely compatible with a cosmopolitan outlook towards competing orientations. Ideologies are orientations that distort reality and attempt to conceal new realities by thinking of these new realities in categories more appropriate to the past. Therefore, ideologies are more geared towards preserving the status quo than transforming it. For example, is the field of Islamic economics which tends to be pro-capitalist and does not call for radical changes in political economy that would upset that order. In fact, the field of Islamic economics, to the extent that it is Keynesian and neoclassical economics embellished with Islamic terminology such as tauhıd, riba (usury) and zakat (poor tax) is as bourgeois as its mother discipline. Muslim ideologues, therefore, are unlikely to be serious about democratization if that implies a drastic redistribution of wealth. Another example would be the thought of Nurcholis Majid or that of the Nahdatul Ulama in Indonesia. This being the case, what can we say of the role and function of the various Muslim orientations if we were to assess their thought in terms of ideologies and utopias?4 Rather than discuss specific orientations in general terms as is done all too often, I shall select specific themes or dimensions along which different orientations can be discussed and compared. I shall be focusing on the Muslim secularists and the extremists/terrorists as examples of ideological and utopian orientations respectively. Examples of Muslim orientations, both ideologies and utopias are presented below. Islamic modernism. Islam should inform public life, but is interpreted as being congruent with Western ideologies, eg., democracy. Modernism advocates a return to the Quran and Sunna to seek fresh interpretations compatible with modern times (for example, the interpretation of riba). Modernism is »flexible« because: 1.
it limits authoritative sources to Quran and Sunna, the latter itself limited by radical Hadith criticism;
4 | A more thorough approach would be to provide, first of all, a general classification of Muslim thought in Indonesia and Malaysia under the categories of ideology and utopia, and to include an analysis of the social conditions that gave rise to these orientations.
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2.
it supports a radical reinterpretation of sources on polygamy, hadd punishments, jihad, and treatment of unbelievers. An example is the view that the requirement of four witnesses voids hadd punishment in practice; or the condition of equal treatment of wives as stated in the Qur’an as impossible to fullfil in practice, thereby establishing monogamy as ideal. At the same time Islam is flexible enough to allow polygamy when circumstances call for it.
Traditionalism. Here there is a greater allegiance to tradition, that is, the way of life on the eve of Western colonialism. An example would be the tarıqat al-‘alawiyyah from the Hadhramaut, Yemen, which is also widespread in East Africa and Southeast Asia. Extremism. There is no identification of Islam with Western thought. Extremist are more accepting of the authority of past scholars (qudama’) on legal and moral matters and place more emphasis on the putting of the Shari‘ah (which they uderstand in narrow terms as a system of rules and regulations codified by jurists of the past) into practice. If the term fundamentalism is to be used, it should be reserved for this group. Ashmawy distinguishes this from spiritual fundamentalism which is return to essence of Islam, which is what all Muslims believe in. The extremists share with modernist quest for progress as defined in terms of the modern economy, political systems, etc. Examples are the Wahhabis, Jemaat-i Islami, and the Sanusiyya. Extremism has the following traits: 1. 2. 3. 4. 5.
intolerance of others, over-emphasis on rules and regulations, forbidding of what is allowed by others, non-contextual/historical interpretation of Quran/Hadith, literalism.
The traits of extremism can be found in all orientations but it dominates among the extremists. The case of the utopian extremism of the Wahhabis suggests further developments in the concept of utopia. Gorny discusses three types of utopias: fantastic utopia which consists of a vision of a paradise on earth or an ideal world; realistic utopia which holds that objective developments will unceasingly culminate in the realization of a perfect society free of contradictions; and utopian realism which refers to the use of utopian ideals to transform reality (see Gorny 1998: 244). Gorny describes Zionism in utopian-realistic terms as a political and social instrument for the transformation of existing reality (see ibid.: 244, 248). Some Muslim extremist orientations have elements of the latter two types of utopia and can be seen to be a fusion of both. Muslim extremists such as Abu Mus’ab al-Zarqawi believe that they are waging a war against infidelity (a charge
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200 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft that they level at Muslims as well) and that God is on their side. It is not the objective development of the conditions of life but rather God’s intervention that will inevitably lead to utopian success (see Al-Zarqawi 2004). The utopia then is no longer merely a vision of an ideal future but an instrument of political and social action. Wahhabi utopianism constitutes a revolt against religious as well as secular ideologies. The Wahhabi case is interesting because it is an example of an orientation that functions both as ideology and utopia. Wahhabi-inspired ideas function as utopia out of its country of origin as among the Al-Qaeda or the Jemaah Islamiah in Southeast Asia. But in Saudi Arabi where it continues to be empowered it has been playing very much an ideological role. To the extent that there is conflict between the Al-Saud and Al-Shaykh families, the tension between the ideological and utopian aspects of the Wahhabi orientation will develop in Saudi Arabia.
Muslim Orientations Towards the State The distinction between ideology and utopia can be seen in the discourse on the relationship between Islam and the state. Ideologies represented by the modernists, typically take the position that the state should not be Shari‘ah-based, for two reasons. One is that society is ostensibly unprepared for the introduction of Islamic law. The other reason has to do with the multicultural nature of society that would put non-Muslims at a disadvantage under Islamic law. What is ignored in this position is the literature that suggests that Islamic law, when properly conceived, is modern and flexible, applicable to all, and has a civil component in the sense that man-made laws can be added on to it. Furthermore, the ideological position does not deal with the problem of the ill-conceived notion of the Shari‘ah among Muslim scholars, preferring to claim that it is society rather than the jurists who are unprepared for the full-scale introduction and application of Shari‘ah law in society. The utopians, on the other hand, as seen in the ideas of extremists, vigorously call for the establishment of the Islamic state, often understood as a transnational entity. While they share with the ideologues the problem of the ill-conception of Shari‘ah law, their distortion of reality has to do with the unreality of their assumptions regarding the collapse of nation states and the acceptability of their projects to the Muslim masses.
Muslim Orientations Towards Civil Society The Muslim secularists equate the concept of masyarakat madani to that of civil society. They would have the public believe that the Islamic notion of mujtama‘ madani (Malay/Indo. masyarakat madani) corresponds to the idea of civil society as it is understood in the political and social sciences. This is not the case. This would
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require minimal changes to the already existing configurations of state-society relations. Utopian extremists such as the Wahhabis, for example, tend to ignore the functioning or desire for either civil society or masyarakat madani. Being authoritarian in outlook, they remain oblivious to the fact that there is a hardly any appeal to their vision of the future. An orientation towards civil society that is neither ideological nor utopian does not conflate civil society like the ideologues and does not dismiss the importance of civil society like the utopians. Those calling for a more vibrant civil society seek greater political space and participation. Those calling for the establishment of mujtama‘ madani have in mind something quite different. Syed Muhammad al-Naquib Al-Attas has pointed out that the concept of masyarakat madani does not refer to civil society but rather to a religion-based society founded upon the ethical and moral system of Islam The terms madinah (city), and din (usually translated as religion) are all derived from the same root, d-y-n. (see Al-Attas 1976). According to al-Attas, the fact that the name of Yathrib was changed to al-Madinah means that it was there that the real din was established (see ibid.: 3, n. 3). The term madaniyah refers to a religious community. In Islam, civilised life is life in a masyarakat madani, and it is the madinah where a madani-type existence is established, informed by the ethical system and moral order of Islam.5 Rather than use civil society and masyarakat madani interchangeably, we should have a correct understanding of their different meanings and realise that the struggle for the democracy of Islam is in fact a struggle for both civil society and masyarakat madani, that is, for democratic space as well as an Islamic moral order. To acknowledge that democracy is a term and institution that originated in the West is not to say there is no notion of democracy in Islam or that democracy cannot be Islamized, as Syed Hussein Alatas pointed out in an early work, The Democracy of Islam. According to Alatas, two fundamental features of the democracy of Islam are concern with the unity of the human race and the freedom of belief. Mutual benefit and understanding are to be derived from differences among people. Because these differences are natural, it follows that people should be free in expressing their different ways of life (see Alatas 1956: 37). We may conclude, therefore, that the public realm of freedom and action sought is part of the notion of masyarakat madani.
The Advantages of the Sociology of Knowledge Approach The advantages of this approach are that are chiefly that 1. the distinction between Islam as faith, on the one hand, and those orientations of Muslims that are pro5 | Personal communication with Syed Muhammad al-Naquib Al-Attas, 20 May 2000.
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202 | Islamische Kultur und moderne Gesellschaft ducts of particular historical periods and social conditions, that is, ideologies and utopias, is established, and that 2. a conceptual scheme to manage the multitude of orientations that are often collectively referred to as Islamic revivalism or Islamic resurgence can be put to use. A number of conclusions emerge from this application: 1. 2. 3.
4. 5.
Any orientation may be ideological or utopian. The classification immediately brings us to the question of function, to preserve or destroy the existing order. The functions are carried out in the context of the distortions of reality in their respective assessments and diagnoses. What is important from our point of view is the types of distortions or incongruence. The conceptual scheme classifications of orientations developed within traditional Muslims scholarship can easily be brought in. Specification of the dimensions along which particular orientations are being considered can be established, thereby allowing for more systematic comparisons across orientations in terms of their ideological and utopian traits.
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) vakat 204.p 75981362212
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Europa: Emotionen – Identitäten – Politik
New Dangerous Liaisons: Discourses on Europe and Love in the Twentieth Century Tina M. Campt
As a conference participant, it is quite rare to be given an active role in the generative thought processes of individual thinkers and their work. It is even more seldom that one is successfully solicited into assuming such a profoundly dialogical role with respect to what some might refer to as a scholar’s »intellect property«. Even more challenging is to do this in relation to group projects, where the work is the product of a group whose dynamic interactions are the cumulative result of on-going exchanges, collaborative intellectual dialogues and collective negotiations. Perhaps rarest of all is the occasion when such a goal is not only successfully achieved, but when that success is taken to another level – where the exchange itself produces new approaches to old questions and a creative rethinking and rearticulation of existing analytic paradigms. Such was the outcome of the final conference of the Study Group »Europe: Emotions, Identities, Politics« held at the Kulturwissenschaftliches Institut in Essen, Germany. The conference, entitled »New Dangerous Liaisons: Discourse on Europe and Love in the Twentieth Century«, was the culminating public event of a two-year collaborative research project on the discourses of love and »Europeanness«, led by Professor Luisa Passerini (University of Turin) and funded by the 2002-2004 Cultural Studies Research Prize of North Rhine-Westfalia. This two-day event present-
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206 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik ed the work of an interdisciplinary group of seven scholars (the core of the research project) from Germany, Italy, Canada, Belarus and the UK, and the results of their two-year collaboration on the nexus between discourses of love and »Europe« as these have been articulated in multiple sites, historical contexts and source materials. Through an intertextual and intersubjective analysis of diverse forms of discursive production, reception and enactment, the papers presented at the conference highlighted the historical links between conceptions of love and Europeanness, while at the same time delivering a nuanced and engaged critique of the various Eurocentric assumptions that underlie them. By questioning the exclusiveness and hierarchy of traditional forms of European identification, the conference sought to explore the possibility of new ways of feeling European without losing the sedimented emotional investments they have instantiated, linking these ideas, at the same time, to a critical unpacking of the constituent relations between Europeanness and the concept of love itself. The conference began with an opening address by Luisa Passerini on the topic of »Old and New Subjects of Europeanness«. Passerini’s presentation laid out the stakes of studying the connection between love and Europeanness as a genealogical undertaking aimed at exploring historical continuities and discontinuities and European self- and external constructions. Passerini’s presentation offered a provocative illustration of the significant historiographical implications of the project. The discussion that ensued in response to her comments set the defining tone of the conversations that followed, by initiating a careful deconstructions of key terms and concepts that came to resonate throughout the conference. In particular, an engaging interrogation of the concept of cosmopolitism and the role of mobility and difference with respect to the construction of Europeanness and its productive entanglements with the discourse of love was one important site of discussion. In addition, ideas of belonging, subjectivity and intersubjectivity also became important sites for exploring (and exploding) the meaning of Europeanness past and present, and from which to engage future modes of defining European subjectivities and forms of belonging. The opening session of the conference, »Recasting Europe in the World«, focused on the imbrications of European discourses of love in the context of its colonial legacies. Liliana Ellena’s (University of Turin) paper, »Love Mirrored: Whiteness and the Impossible Romance between Europe and Africa« analyzed the obsession with love and sexuality in Italian colonial literature by questioning what this discourse stood for. Focusing on the images and presuppositions underlying a Euro-African archetypal couple within interwar Italian colonial discourse, Ellena agued that this couple mirrored in multiple ways Italy’s ambivalence regarding its relationship to Europe and Europeanness. Ruth Mas’ (University of Toronto) paper »Le couple (im-)possible? Fethi Benslama and the Intersigne of Love« explored discourses of love and mixed unions in the nineties through the work of Fethi
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Benslama. Highlighting Franco-Maghrebi women as the subjects of a deployment of mixed unions in France and as a way of problematizing the ›liberating‹ potential of such unions, Mas argued that the colonial violation of Maghrebi women is currently being reframed within a postcolonial recasting of the emotional and political tropes of ›hybrid love‹ in France that takes Islam as the object of its failure. The second session, »Love Across European Spaces« shifted the discussion from the colonial context to the spatial politics of European love discourse and to the spatio-political implications of Europe at its borders. Alexander C. T. Geppert’s (European University Institute, Florence) paper »Lieux d’Amour: European Geographies of Love in the Last Two Centuries« attended to the cartography of love in Europe by mapping the discursive social geography of how the idea of love has functioned historically to create places and shape the spaces of the life of love in Europe. Taking a transnational approach to the spatial dimensions of what he termed the »Europe and Love-Nexus«, Geppert used sites and rituals such as Paris as »ville d’amour«, honeymooning, Valentines, etc., to undertake an historical analysis of a series of European places and spaces identified with passionate love and sexual intimacy. In so doing, Geppert politicized the question of intimacy in love by introducing a spatial dimension into the historiography of love. Almira Ousmanova’s (European Humanities University, Minsk) paper, »›Window to Europe‹: Social and Cinematic Phantasms of Post-Soviet Subject« was one of the many highlights of the conference. Using film history and theory and Russian cinema as her site of engagement, Ousmanova presented a reading of the cultural memory of Europe from the perspective of its neighbors on its Eastern borders. Ousmanova’s analysis problematized a longing for Europe and Europeanness as an impossible imaginary viewed through a Russian ›window to Europe‹. Her presentation stimulated a lively discussion on the stakes of defining the limits of Europe and European belonging as these are enacted in relation to Russia and Eastern Europe and their historically ambivalent status as belonging/not belonging to Europe and Europeanness, in turn, provoking a reflection on how to best assess the contemporary status of the former Soviet states in relation to the »New Europe«. The third and final session, »Networks of Europeanness«, brought together three scholars exploring the tensions of intra-European articulations of love in three contrasting contexts. Jo Labanyi’s (University of Southampton) paper »Don Juan, Romantic Love and the Spanish Political Imagination from the 1920s to the 1940s« probed some of the numerous proliferations of twentieth-century Spanish publications on Don Juan as an expression of a complicated engagement of Spanish intellectuals with the shifting political status of Spain in Western Europe since the end of the nineteenth century. Focusing on a selection of political readings of Don Juan from Ramiro de Maeztu, Ernesto Gimenez Caballero and Salvador Madariaga, Labanyi argued that their defense of this seminal literary figure was not only a surrogate defense of Spain’s central place in Europe, but also a defense of
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208 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik the foundational role of love in Western European culture. Throughout the paper she queried both the nature of love and the nature of empire as expressed in these works, linking the two by using the cultural politics of love to interrogate the relations of power expressed therein. Alison Sinclair’s (Cambridge University) presentation »Love Again: Crisis and the Search for Consolation in the ›Revista de Occidente‹« widened the focus of the conference to engage in a more explicit gendered analysis by examining the dynamics of the discourse on gender in the early years of the »Revista de Occidente« from 1923 through to the outbreak of the Spanish Civil War. Sinclair read the »Revista« as a dynamic site of articulation between a European discourse of love and scientific discourses on gender difference and relations between the sexes. Using a compelling archive of articles published in the »Revista« under editorial leadership of Ortega y Gasset, Sinclair focused her analysis on the collection of essays devoted to gender, social structure and sexuality. The paper developed a complex argument that revealed how the ideas expressed in these articles imported ideas from scientifically based contributors that functioned to promote a nostalgic and conservative field of relations between the sexes. Sinclair demonstrated how this series of articles reflected the construction of what she termed an »imaginary politics of consolation«, which, through the invocation of a discourse of universal, objective scientific »truths« that grounded gender relations in the biology of sex and sexuality, offered consolation in times of unrest through recourse to a series of gender norms that ran oddly counter to social developments at the time, both in Spain and Europe more broadly. The final paper, Luisa Passerini’s »European Jews Between the Wars: Love Discourses Across the Continent«, examined the relationship between Judaism and Europeanness analyzed through two case studies that linked public and private loves in interwar France and Italy: the reception of the play »Dybbuk« in France and Italy in the late 1920s and 1930s, and the story of the lives and love of Giorgina Levi and Heinz Arian told through the archive of their correspondence. Juxtaposing these two very different cases against one another, Passerini explored the vexed status of European identification among European Jews, demonstrating how these two instances present Europe and Europeanness as complexly hybrid conceptions. Reading this rich material through the critical lens of cultural history, Passerini’s analysis highlighted the interplay between living subjects and discourses of European subjectivity by showing how each case reveals an attempt to dissociate ›being Jewish‹ and ›being European‹ from essentialism in ways that recognized their multiplicity and hybridity – a hybridity in which love is an expression of an excessive double movement between the two parallel worlds of the European Jew. The consistent excellence of the conference papers was enhanced by the extremely high level of discussion instigated in large part by the distinguished commentators assembled for each panel – an international group of scholars that included Dipesh Chakrabarty (University of Chicago), Lutz Niethammer (University
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of Jena), Jutta Scherrer (L’Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales [EHESS], Paris), Sally Alexander (Goldsmiths College, University of London), Tina Campt (Duke University, Durham/NC), and Etienne François (Technical University of Berlin). The result was a lively and productive collaborative intellectual exercise wherein all participants collectively rethought the meaning of love historiographically. Rather than reinstantiating love as either the subject or object of historical analysis, the concept of love became an analytic lens through which to both de-center the Eurocentric subject and at the same time make this decentering the condition of possibility for the emergence of a new, anti-Eurocentric, European subjectivity. In this way, the conference and the work of the project successfully fulfilled the challenge of their title by engaging at an interdisciplinary level the most profoundly »dangerous« or threatening implications dissecting the relations between love and Europeanness – the danger of confronting the limits of European distinction and exemplarity and the dissolution of the European subject/subjectivity when placed in direct dialogue with its constitutive Others. The conference papers as well as the work of other collaborators with the group will be published next year in the forthcoming volume »New Dangerous Liaisons: Discourses on Europe and Love in the Twentieth Century«.1 We can certainly look forward to seeing the ripple effects of this important project in the future research and publications of its members.
1 | Luisa Passerini/Liliana Ellena/Alexander C.T. Geppert (eds.) (2005): New Dangerous Liaisons: Discourses on Europe and Love in the Twentieth Century, Oxford, New York: Berghahn Books.
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From Soviet Russia with(-out) Love: European Left-Wing Intellectuals between Love and Politics in the 1920-1930s Almira Ousmanova
Europe and Russia: Strangers to Each Other Europeanism has always defined itself in relation to its Others – be it the Far East, Africa or America. It is hard to say whether the existence of Other(s) is crucial to every culture but for Europe it seems to be a fundamental issue. Cultural identity presupposes that one knows oneself in relation to other peoples, countries and continents. Some scholars argue that »to know yourself« means first of all to know what you are not. For instance, Stuart Hall defines ›cultural identity‹ as »a structured representation which only achieves its positive through the narrow eye of the negative. It has to go through the eye of the needle of the other before it can construct itself« (Hall 1991: 21). This has very much to do with construction of European identity which has been developing over the centuries not only as a process of cultural exchange and communication with its neighbors but also as a process of negation and exclusion: the bordering countries or the margins of Europe have played an essential role in the discourse of a united Europe, for they have helped – at least for some time – to give a shape to and to demarcate the frontiers (in political or cultural sense) of a space which could not locate itself within the geographical limits of the continent (however questionable the notion of the ›European continent‹ has been). The definition of the center depends on the designation of the margins. Russia has always been one of Europe’s Others whose alterity was often used, or played up, in order to increase the integration or at least to resolve the
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Almira Ousmanova: From Soviet Russia with(-out) Love | 211
›uncertainty‹ of the European self. Europe ends at the borderland between Poland and Belarus (Russia or the USSR in previous times): this became an idée fixe among ›Europeans‹ a long time ago. Although during previous centuries this was rather a matter of imaginary frontiers, today it is true in a more literal sense than ever before. In light of the current processes of European integration and of the enlargement of the EU to the East, the clear demarcation of Europe’s borders (with visas, customs and frontier guards) – the question of ›what is Europe and what is not‹ – seems to have been resolved (pragmatically, if not metaphysically), at least in relation to Russia. To a distant observer such an exclusivist attitude might seem almost irrational – it cannot be justified by political, cultural, linguistic, anthropological or other factors: Russia is not the only (Slavic) country that chose the Cyrillic alphabet, or avoided Roman influence, or accepted orthodox religion or lived through socialism. It is quite possible that behind this ›irrationality‹ one might find a fear of unpredictability and an anxiety about shapelessness (in terms of the impossibility of keeping such a large territory under control): after all, Europe is a small and manageable entity – its beauty, stability, constancy of democratic principles and feeling of complicity makes sense and can be preserved only within certain limits. From the time of Peter the Great Russian empire tended to constitute itself as an integral part of Europe, the inheritor of its cultural traditions, political thinking and moral values. It is worth mentioning, for instance, that in the eighteenth and nineteenth centuries the political, economical and cultural spheres of the Netherlands, Germany and, in particular France were seen in Russia as models for imitation and adaptation. The same can be said of literary styles, musical tastes or ›patterns‹ of courtly love. It is also a well-known fact that the Russian aristocracy in the nineteenth century spoke French better than Russian. As Orlando Figes points out, for Russia’s educated élites Europe »was a cultural ideal, the spiritual sources of their civilization, and to travel to it was to make a pilgrimage« (Figes 2002: 61). However, ›Europe‹, from its side, never considered Russia to be its integral part, not only or exclusively in terms of geography, but rather in terms of mentality (the notorious mystical Slavic spirituality), or, in Stuart Hall’s words, the »passionate, traumatized Russian soul« (Hall 1991: 21) and whole way of life. According to Iver B.Neumann, the question of »to what extent, in which respects, and from what point in time Russia belonged to Europe was an obsession with almost every European« who wrote down his or her views on Russia at any length during XIX century (Neumann 1999: 97). The idea of the ›barbarian at Europe’s gate‹ seems to have been the prevalent attitude about Russia from time immemorial irrespective of political views. For instance, Karl Marx wrote of that »barbarous power« (in the declaration of principles for the First International in 1864) referring to Russia (which was, of course, at the time associated with the tsarist regime). The discourse of the Cold War in the sec-
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212 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik ond half of the twentieth century when such political leaders as Winston Churchill could openly speak of the »barbarians«, who stood in the heart of Europe (Konrad Adenauer expressed it in a slightly different way: »Asia stands on the Elbe«) is particularly notorious for these views. The continued existence of this image, which was born in European colonial and orientalist imagination, over the decades or even the centuries implies that the negative image of Russia has survived in spite of changing political regimes and ideologies and to a certain extent has been essentialised (and ›eternalised‹). Once again it has become a recurrent motive following the collapse of the Soviet Union when thousands of Russians poured into European countries. Some Russians joined the ranks of a cheap labour force, or were (il-)legal immigrants or criminals, others came as recognized artists and established academics, and a third group invested their money in luxury consumer goods or expensive real estate, yet the image of the barbarian at the European gate has remained untouchable and strikingly homogeneous (let us think, for instance, of media representations). The discourse of ›barbarous country‹ evokes Russia’s inferior position compared to more civilized and more developed states. Russia stands out for almost its entire history of »always just having been tamed« or »just having become civilized« or just having begun to participate in European politics. Since the Enlightenment it has been seen as a pupil and a learner, whether a successful one or a misguided one, »a laggard who should learn but refuses to do so, a truant, or a gifted but somewhat pigheaded one (the present version)« (ibid.: 110). Quite often such a negative image has been not only accepted but also reproduced by the ›subaltern‹ who sees himself through the eyes of the ›benefactor‹ and transforms this attitude into a discourse of guilt and, furthermore, of the counter-exclusiveness of a country that should be proud of being ›different‹.1
1 | Alexander Herzen, reflecting on this complex of inferiority, wrote in the 1850s: »Our attitude to Europe and the Europeans is still that of provincials towards the dwellers in a capital: we are servile and apologetic, take every difference for a defect, blush for our peculiarities and try to hide them« (Herzen 1982: 97). It should be mentioned, however, that Eurasian roots of Russian culture were considered and appreciated by many in the XIX century as an inseparable and positive side of Russian identity. Dostoevsky wrote, for instance, in 1881: »We must cast aside our servile fear that Europe will call us Asiatic barbarians and say that we are more Asian than European… it is hard for us to turn away from our window on Europe; but it is a matter of our destiny« (Dostoevsky 1994: 74). Yet the rediscovery of Russia’s own ›Oriental‹ background was also an act of recompensation, of revenge towards the West, an attempt to regain the self-esteem and the proper status in Europe: the same Dostoevsky continued his reflections on Asia arguing that »in Europe we were hangers-on and slaves, while in Asia we shall be the masters. In Europe we were Tatars, while in Asia we can be
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The theme of Russian exceptionalism was one of the key topics in the writings of famous Russian philosophers and literary critics, particularly in the nineteenth century. By 1825, after a century of Russia’s attempts to become a European country, Russian cultural elite was thrown »into despair by Russia’s failure to take the Western path«: this cultural pessimism was overtly expressed by Nikolai Karamzin in his Letters of a Russian Traveller (1791-1801), later by Pyotr Chaadaev and some others writers who realized that »Russians might be able to imitate the West«, but »unable to internalize its essential moral values and ideas« (Figes 2002: 63). From the point of view of so-called ›Westernists‹ (zapadniki), Russia is notorious for its backwardness or lack of civilization, for that it ›created nothing‹ and left no traces in the world civilization, and can hardly make up the lag (in relation to Europe) in the future. Those who became known as ›slavophiles‹ (slavjanofily) believed that Christian spirituality of Russians supersedes the material civilization of the West, and they promoted messianic visions of Russia’s destiny to save ›corrupt‹, ›false‹, ›superficial‹, ›egotistical‹, ›greedy‹ Europe. Thus, there has never been communication between equals (a ›dialogue‹ in Bakhtin’s sense). However, the position of Russia in this relationship was not fixed; it could have been reconsidered in the eyes of both Russians and Europeans and rethought not as a remote Eurasian country but as Europe’s land of the future. More precisely, there was only one historical period when such a drastic change in Europe’s attitude to Russia occurred, which is of particular interest for this article. Indeed, there was a time when the image of the »barbarian at Europe’s gate« was challenged and replaced by the vision of Soviet Russia as a model for Europe to emulate. Previous dichotomies and schemes of interpretation of Europe’s »main laminar« were cast aside. The image of Russia as a backward country, an almost a feudal state whose attempts to keep pace with progress and modernity were always unsuccessful, was not compatible with the new image of a country that took the role of the world proletariat leader. Interestingly enough, the interpretation of a gap between Europe and Russia lost its mystical character. There was no longer an opposition between culture and civilization, or spirituality and consumerism. This was a matter of the different stages, of the passage from capitalism to socialism (the latter embodied the higher level of social development). Soviet Union was admired by those in the West who felt sympathetic to communist cause and believed in communism as a more advanced and more progressive society by virtue of its socio-economic model. Such an ›evolutionist‹ view was substantiated by the materialist interpretation of history provided by Marx himself and developed later by Lenin. What is striking, however, is that during two decades, despite (or thanks to) the Europeans« (ibid.). Orlando Figes (2002: 358-429) provided a scrupulous analysis of this theme in his book Natasha’s Dance.
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214 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik difference of political regimes, Russia was seen by many, not only or exclusively pro-communist forces, as a part of Europe, as Europe’s radical brother, »who took the European nineteenth century at its word« (Carl Schmitt). In 1925 Sydney and Beatrice Webb published a book under the very eloquent title Soviet Communism: A New Civilization? George Bernard Show quite seriously argued that »the success of the Five Year Plan is the only hope of the world«. In 1923 the League of Nations’ high commissioner for refugees, Fridtjof Nansen, »himself a nationalist and a royalist«, wrote that for him, »it seems likely that Russia will one day not only deliver Europe materially, but also furnish its spiritual renewal« (Neumann 1999: 100101). However, if celebrating Soviet Russia in the interwar period was a sort of ›radical chic‹, it was not so much because of the real economic and social success of the USSR, but mostly because of the wide-spread anxieties within Europe itself about its future – will it remain democratic? become Communist? Or will it be given up to Nazism and Fascism? It should not be forgotten, that the Revolution in Russia as well as its appraisal in the West resulted from a mass destruction and horrors of the First World War: many people, including socialists, »subscribed to the view that capitalism and imperial competition has been the fundamental causes of the war and to prevent another war like it they would somehow have to be swept away« (Figes 1997: 823), the world had to be made anew and that must be a result of collective effort. Actually, Russian Revolution was conceived by Bolsheviks themselves as a ›spark‹ for a socialist revolution all over Europe. Russia was not meant to stand alone in a surrounding of imperialist states. Therefore, it is not incidental that an interest in the socialist experiment in Russia chronologically coincided with the on-going debate about a united Europe: as Luisa Passerini argues, »during the period between the wars, the idea of Europe played an important role in the efforts to avoid a second world war and to establish values which could bridge the gap between those of the USA and Soviet Russia (in the 1920s) or those of Fascism and Stalinism (in the 1930s)« (Passerini 1999: 3). That what happened in Russia in 1917 had been anticipated by thousands of people: the ›ghost of communism‹, as Marx put it, was roaming around Europe since the mid nineteenth century. In a way, the events in Russia were perceived by many European Marxists as their own revolution too. Rosa Luxemburg her letter to Marta Rosenbaum written from prison in April of 1917 prophetically wrote: »Well, the wonderful things in Russia affect me like and elixir of life. Isn’t what comes from there a message of salvation for all of us? I fear that you all underestimate what is happening there, that you do not realize that it is our own cause which is victorious there. It must, it will serve as a deliverance for the entire world, it must radiate to all of Europe. I am absolutely convinced that a new epoch is beginning, and that the war cannot last much longer« (Luxemburg 1978: 195).
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Not surprisingly, the terror that came very soon (the Civil War and ›military communism‹ and later Stalin’s purges), was felt as their fault too. As late as in 1939, another French intellectual sympathetic to the communist cause, Georges Friedman, wrote about his genuine belief that socialism would remain in one way or another the need of the future, and that a new civilization must be one of ›modern humanism‹ grounded on the principles of rational organization of global resources. Therefore, he wrote, »the State formed by October Revolution was the great hope of an epoch, when humanity seemed to have arrived to the verge of disaster« (Friedman 1987: 76-77).
Back from the USSR: European Intellectuals as a Mirror of Russian Revolution The first two decades after the Bolshevik revolution (1917-1937)2 were a remarkable period from many points of view. Despite the bulk of scholarly work dedicated to this time, there are still issues to be investigated, not so much in terms of new sources, perhaps, as in terms of interpretation. The meaning of the revolution, its role in the XX century political imagination, the impulse it gave to the utopian projects of social reconstruction, the enthusiasm of the masses that survived through the years of purges and wars, all become faded over the course of time without been properly understood.3 One of the interesting tasks would be to find traces of the specific history of communism in the discourse of the unification of Europe, since European Marxists were among those who elaborated both theoretically and practically their own models of European integration (International)4, 2 | The choice of the chronological frame is determined by several factors: on the one hand, the two decades represent the so called »interwar period«, on the other hand, in relation to the subject matter of this text, 1937 stands as a year when the last illusions concerning Europe’s communist future were lost. Apart from nazism and fascism that became the most powerful political regimes in Europe, revolutionary utopia was replaced (in the USSR) by Stalinism: the black era of purges started around 1937. The Nazi-Soviet pact of 23 August 1939 only shattered the last hope: the myth was dead. Significantly, this was the year when L. Feuchtwanger’s book Moscow, 1937 was published (in Amsterdam) and this was the last book (until the death of Stalin) of the age of »naïve enthusiasm« written in a »Back from the USSR«-genre. 3 | I believe that it would be too simple to explain the mass enthusiasm of Soviet people (which revealed itself in the Second World War and got the second breath during the Thaw) by the totalitarian machinery of compulsion and propaganda: in fact, the term ›totalitarianism‹ in relation to Soviet state has been severely criticized during last decade. 4 | Luisa Passerini in her book does justice to this »forgotten history« when she refers to
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216 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik built their personal European networks, and promoted the principles of internationalism at times of nationalism and chauvinism. In the present article I will refer to the correspondence and some of the autobiographical writings of those European left-wing intellectuals who traveled to the USSR during 1920-1930s.5 ›Close reading‹ of these texts may be interesting from several points of view. Many of them came to the USSR not only because of political commitments but also for personal reasons. This was the age when love for a woman or passion for new art forms seemed to be an incarnation of love to
the development of the idea of United Europe that took shape in the period of 1910-1920s. As she points out, »in the 1920s Trotsky began developing a 1914 slogan for mobilizing militants, ›the republican United States of Europe‹, which has been for Lenin in September 1914 one of the most important passwords. Between 1900 and 1914, the theme of the United States of Europe had been debated in socialist meetings on the initiative of German, Austrian and French Socialists. But, in March 1915 this theme was abandoned and in August 1915 Lenin clarified that the Republican United States of Europe would be desirable only in light of the revolutionary overthrow of the existing order, while under a capitalist regime it would have been either impossible or reactionary, and would have inevitably aimed to destroy socialism in Europe and to protect the colonial empires«. In June 1923 Trotsky, in Pravda, imbued the idea of the United States of Europe with a renewed revolutionary meaning. He thought that »only economic co-operation and the elimination of custom barriers in Europe could save the continent from disintegration and subordination to American capital; only the revolutionary proletariat, not the European bourgeoisie, could oppose American imperialism and its powerful bourgeoisie, the chief enemy of world revolution. The European revolution for him, went hand-in-hand with European unity. […] Trotsky emphasized his idea in two speeches of 1924 and 1926, proposing a European economic union controlled by the revolutionary parties as a basis for a Communist Europe, and as a springboard for the revolution in the United States of America and in Asia. But, in 1927, he was expelled from the party, and in 1929 from the USSR; in 1928, the United States of Europe (USSR) disappeared from the slogans of the Comintern« (Passerini 1999: 57; for Trotsky’s works in relation to this issue see Trotsky [1971]). 5 | Some of these diaries or letters were published as literary works, others have been partially available to the large audience only through the secondary sources (such is the case of correspondence between Lenin and Armand). It is also worth mentioning that the genre of travel notes or diaries about trips to Russia existed long before October Revolution and there was a similar tradition in Russia in the XVIII-XIX century: Karamzin, Fonvizin, Dashkova, Batjushkov, Saltykov-Schedrin, Herzen, Dostoevsky and many other Russians gave their accounts of the encounters with Europe (and Paris in particular) in a form of autobiographical notes and letters, where they constructed their own ›Europes‹. I am aware that there was a lot of research done on this issue.
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Revolution. Romantic feelings and fascination for the political utopia could have melt into the indivisible whole producing multiple and not always easily discernible effects. Faced with the growing bureaucratization of the idea of Europe in today’s political reality, one might feel nostalgic for »the aura of utopianism that was still present in the 1930s« (Passerini 1999: 20), and this aura saturates even those texts that at the very first glance seem to be distant from the political debates on Europe. Love for an idea (be it Revolution or ›Europe‹) represents one possible way of speaking about love; however, another way, and similarly important subject for the present article, is to reflect upon the love relationship between individuals whose passionate feelings and longing for each other, and desire to understand, created the imaginary territory where the Other is no longer a stranger, but a partner and a loving subject. The relationship between the idea of Europe and that of love, can be considered as an example of connections (and distances) between the personal and the political. The accounts of European intellectuals, who came to Soviet Russia in search of their own cultural identity, represent also valuable source for reflection on the experience of ›the Soviet‹.6 In order to achieve this kind of defamiliarization, to take a distance towards our past, one needs to look at it through the eyes of the Other7, to focus on what was seen as ›abnormal‹, inappropriate or far too different. It is all the more helpful when such a view is provided by individuals whose opinion did not necessarily coincide with the ›party line‹ or the official ideology of some political body. Many of them had already been ›converted‹ and accepted the ideals of Revolution, but then had to reconsider their political principles vis-à-vis new reality. Those individuals could not, of course, take the position of insiders for they would come to the country for a short period of time as foreign tourists or members of official delegations, and therefore they saw mostly what they were allowed to see. The regime wanted to show only its best side to foreigners. Not surprisingly, the everyday life of Soviet people was often represented in glossy terms. What the Soviet regime could not control, however, it was the freedom to think and to come to the independent conclusions. Indeed, after they had seen Soviet Union up close many of the intellectuals faced taking a position towards what they saw there. To be (hyper-)critical meant to betray communist ideals associated with the USSR; to be hypocritical meant to betray oneself. They had to make a choice, ethical and po-
6 | ›The Soviet‹ is used here as a substantive. 7 | This time I am speaking of Europe: it might be arguable, but the ›Otherness‹ of Europe as the ›West‹ continues to play an important role in the political and cultural imaginary of Russian people.
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218 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik litical at the same time, a choice which was fraught with various consequences for the ›engaged intellectual‹.8 Discontent (and complaints about everything) in the West versus confidence in the USSR: this psychological difference in people’s mentality struck Lion Feuchtwanger (Moskau 1937: Ein Reisebericht für meine Freunde) most of all when he came to Soviet Russia. André Gide was amazed to experience the feeling of camaraderie and solidarity which he never had before. Social optimism seemed to prevail and even increase despite poverty and shortages of food, clothing, housing, transportation and means of communication, articles of domestic utility, i.e. of many things that became current for westerners long time ago. This unsettled life without habitual comfort along with the growing faith in the future became the main stumbling-block for many fellow-travelers who could not explain, like André Gide or Walter Benjamin, why Soviet people cared so little about everyday life and so much about public needs and social progress. It was, perhaps, somewhat weird for the visitors to hear naïve questions concerning people’s lives in the West: how can everyday comfort replace the uncertainty in employment, capitalist alienation and the lack of rational planning? André Gide did not know how to react to the words of a young worker: »there is nothing we can learn from the West« (what a striking difference between this attitude and the position of pro-European cultural élites of Russia in the XVIII-XIX centuries). Walter Benjamin reflects on this strange ›ignorance‹ and comes to a conclusion that such a distorted vision of the West is due to Russia’s isolation from other countries and that European culture was available to Soviet people always-already in a ›proper packaging‹: »these values are being popularized in precisely the bleak,
8 | It is beyond any doubt that leftist discourse has been the pivotal experience to the western intellectual tradition, yet the notion of the »left-wing intellectual«, is often taken for granted, although it seems to be a sort of floating signifier, so the problem of strict definition remains. It does not mean necessarily to be a ›Marxist‹: most of the intellectuals considered themselves, like Walter Benjamin, to be fellow-travelers to Marxism. Thomas Mann spoke of the »left-wing side of social philosophy« and Heinrich Mann of »revolutionary democracy«. Istvan Deak argues that left-wing intellectuals continually haggled over their identity as well as their purpose: »politically they stood somewhere between Social Democracy and Communism but it is awkward to classify those who relentlessly criticized every political movement. Their enemies also called the left-wing intellectuals Kulturbolschewisten […]. The latter term was most elastic. […] In the twentieth century, the eternal subversive became a Kulturbolschewist« (Deak 1968: 1-2). However, one could speak of ›left-wing intellectual‹ when the latter envisages his function »as that of mediator between the bourgeoisie and the working class«, being »committed to socialist principles, yet resisting doctrines which considered socialism as an absolute end« (Caute 1964: 249).
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distorted guise, for which, in the end, imperialism is to be thanked« (Benjamin 1985: 54). Feuchtwanger argued that the Soviet Union, probably, would never have achieved what it did if it were a western type-democracy of. In 1926, Walter Benjamin wrote to Jula Radt from Moscow that »it is impossible to predict what the upshot of all this will be for Russia. Perhaps a true socialist community, perhaps something entirely different. The struggle to decide this question continues without interruption« (Benjamin 1994: 311). A fascination by Revolution did not vanish, even when it became clear that the revolutionary experiment in the USSR had been rather disastrous. Some of those intellectuals took the idea of ›permanent revolution‹ as their life credo; they would come to Moscow or later to China in search of »the transcendental« and depart as soon as their beautiful ideals turned into »rough« reality. Not by chance René Etiemble (1989: 203) identified himself as a »tourist-trotskist,« explaining this by the sympathy to heresy shared by many intellectuals in the West. What disappointed some of the writers most of all was that class stratification and petit-bourgeois habits caught on in the post-revolutionary country very quickly: was not it a sign of growing counter-revolution and degradation (André Gide)? Yet for many years Soviet Russia stood as »a provisional supplier of pathos«, of »emotional stuff« for European left-wing intellectuals, whereas Parisian cafés were its processing factories (1993: 133). André Gide, for instance, wrote in 1931: »I should like to cry about my affection for Russia: and that my cry should be heard, should have some importance« (Gide 1949: 179-180). This is even more true in relation to European working class who would have expressed their solidarity, as Antonio Gramsci witnessed, by saying: »Tutti vogliamo essere Russi!« (Gramsci 1997: 112-113). In his book Lion Feuchtwanger pointed out at the fundamental ambivalence of the position of European intellectuals towards Soviet Union: the country was an eternal reminder of their own being, a constant reproach to the ambiguity of their behavior. For they candidly anticipated world revolution yet their own fates (at the period of transition to the socialist future) worried them more. Being sympathetic to communist ideals in theory, they supported capitalism in reality (rephrasing Martin Jay’s words about the members of the Frankfurt school, one can say that these intellectuals »may have been relentless in their hostility towards the capitalist system, but they never abandoned the life-style of the haute bourgeoisie« [Jay 1973: 36]). He then criticizes those who came to the Soviet Union with their ›absolute scales‹ with an intention to measure the limits to freedom and democracy. This critique captures the main contradiction in the status and role of an intellectual in modern society: being a product of his own class and ›situated‹ in the world of social and economical relationships, he claims to be an autonomous subject. The position of the left-wing intellectual was and still is even more complicated, for he wants to be ›engaged‹, though with some reservations (be it the problem
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220 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik of individual independence, the question of his own ›micropolitics‹, the freedom to think or a right to have comfortable private life). »A child of the Enlightenment and of French Revolution, the left-wing intellectual dreamed of a world where the heretofore impossible combination of peace, individual liberty, and social equality would prevail […]. There was a great deal of naïveté in these aspirations. Far removed from political power, even from its illegitimate or revolutionary variety, the left-wing intellectuals often eschewed considerations of means and spun out lovely visions of what might be. In political terms, their dedication to the good of mankind was insufficient, their claims often impossible« (Deak 1968: 5).
Revolution became a sort of test for many European left-wing intellectuals (the Second World War likewise provided a formative experience and turned intellectuals back to the question of guilt and social responsibility of an intellectual, it reminded of the necessity to make a choice and then to fight for it [see Caute 1964: 248]). In fact, this corpus of ›testimonies‹9 may be studied as a single coherent text, the meaning of which arises from the montage of different pieces, composed by different individuals. Thus it narrates a continuous trip back and forth in time and space. We are dealing here with the history of affect which was narrated in various ways: there was excitement and admiration at the beginning of each trip, mixed with doubts and mistrust (L. Feuchtwanger), strong desire to come and see in order to ›tell the truth‹ about Soviet Union upon return. Then came misunderstanding, disappointment and eventually political sobering. Jacques Derrida who followed the same itinerary (France – Russia) at the beginning of the 1990s just before Soviet Union has collapsed10, made perhaps the last contribution to this genre, simultaneously deconstructing all previous texts and providing a sort of phenomenological analysis of the history of revolutionary pathos and infantile love for Soviet Russia. He characterized the genre in idiomatic terms ›en revenir‹, which means ›to return‹ as well as to ›lose a faith‹, ›to get frustrated‹. Nostalgia for the ›promised land‹ was also a part of his own psychobiography. Acquaintance with the testimonies of that age manifests that utopia in its material incarnation had frightened European intellectuals: not so much by the economic or political experiments in progress (on the contrary, they believed that only rational planning could save the world), as by what it has done to the private 9 | The whole genre in question was described by Jacques Derrida as »travel-testimonyautobiography« which can be seen as an attempt to transform the traveler’s diaries into political diagnosis. 10 | When he came for the second time, Soviet Union did not exist any longer. It was »Back in Moscow, but without the USSR«.
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sphere. Revolution required the entire absorption or dissolution of the private in public, thus leaving no room (also in a literal sense) for love and intimacy. André Gide, reflecting on the phenomenon of deprivatization in the USSR, suggested that people who sleep in communal bedrooms must suffer from promiscuity and from the impossibility of withdrawing into solitude. Can one consider the tendency towards losing individual freedom to be a sign of social progress? – this was one of the most difficult, almost intolerable, questions. Disillusionment with leftist idea and, as a consequence, the ultimate choice of a non-communist future (for themselves as well as for Europe) began for these intellectuals with the acquaintance with Soviet regime in its most intimate and, therefore, most vulnerable sphere. This was also not only an encounter with the Other (be it Russia, or socialist society as such), but a projection of oneself onto this new and unknown reality. According to Tzvetan Todorov, ›I‹ is not a homogenous entity and can be radically strange to how we are used to think of ourselves. Briefly, ›I‹ is the Other (Todorov 1992: 12). ›Soviet Russia‹ represented a sort of imago-logical construction whose function was to show Europeans what would have become of them if the Revolution had succeeded in their countries too, if Marxism had ceased to be just one of many trendy intellectual movements and been transformed into the master narrative, encompassing all spheres of social reality. In search of Utopia European intellectuals came to see the promised land, but what they saw scared them away. And if their testimonies can be read today as a ›mirror of Russian revolution‹, the opposite is also true: it was the mirror of an impossible European future as well. Walter Benjamin wrote in his essay »Moscow«: »However little one may know Russia, what one learns is to observe and judge Europe with the conscious knowledge of what is going in Russia. This is the first benefit to the intelligent European in Russia. But, equally, this is why the stay is so exact a touchstone for foreigners. It obliges everyone to choose his standpoint« (Benjamin 1978a: 97).
The personal and political frustration of the German philosopher and literary critic Walter Benjamin that I elaborate in the following section reveals many, if not all, of these discontents and doubts. Under his ›gaze‹ Utopia starts dissolving, he detects the problems at a moment when different possibilities still seemed to be open for future development. The analysis of his ›case‹ might provide an answer to the question of »what would happen if one tried to connect the world of feelings and emotions and the world of politics and official culture« (Passerini 1999: 19).
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222 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik
Walter Benjamin’s Trip to Moscow in 1927: Erotic Failures and Political Frustrations As was shown above, some of the European intellectuals who visited Soviet Russia enthusiastically supported the revolutionary projects of socialist reconstruction, and furthermore, in light of growing fascist tendencies in Germany and Italy they saw in it the future of Europe too, believing that socialism was the only possibility for Europe to survive. At least, this was true in the 1920s. Others returned with negative experiences and were politically disillusioned. Such was the case of the German theorist and literary scholar Walter Benjamin (who was also Jewish), who went to Russia in order to resolve his relationship with a woman he loved as well as to work out his relationship to the Communist Party. According to Gershom Scholem, »three factors contributed to Benjamin’s journey to Moscow. First of all, his passion for Asja Lacis, and second, his desire to get a closer look at the situation in Russia, and perhaps even to establish some sort of official tie with it, thereby resolving the issue of his eventual membership in the German Communist Party, a question he had been weighing for over two years« (Scholem 1985: 5).
A further contributing factor was the literary obligations he had assumed before setting out on his trip, which committed him to render »the physiognomy« of Moscow.11 This trip led him to »erotic failure and ideological heresy« (S. Boym). Moscow diary, written in 192712, is the main testimony of his unsuccessful trip (the trip of a revolutionary, a collector, a phenomenologist, a journalist or simply an unhappy lover?). It represents a day-to-day account of Benjamin’s stay in Moscow during two months between December 6, 1926 and the end of January 11 | The essay Moscow which resulted from this journey appeared in the journal Die Kreatur in 1927: Die Kreatur 2, pp. 71-101. 12 | However, this text became known to a large audience relatively late: it was published in Germany only in 1980, after the death of Asja Lacis (in 1979). Some other texts written upon his return from Soviet Russia and dedicated to Soviet cinema and literature were published in 1927 in the journal Literarische Welt. In 1985, MD was translated and published in English, first in October (Winter 1985, No. 35), then as a separate edition: W. Benjamin Moscow Diary, Cambridge: Harvard University Press, 1986. For a more detailed analysis of Moscow Diary see, for instance: Boym, »The Obscenity of Theory: Roland Barthes’ Soirées de Paris and Walter Benjamin’s Moscow Diary«, pp. 105-128; J. Derrida, »Back from Moscow, in the USSR«, pp. 13-81; Richter, Gerhard, Walter Benjamin and the Corpus of Autobiography. Detroit: Wayne State University Press, 2000; M. Ryklin, »Dve Moskvy: ›Moskovsky dnevnik‹ 70 let spustja«, pp. 202-221.
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1927. It gives a view of Soviet life from a very personal context in comparison to other ›testimonies‹ of trips to the USSR. What counts for Benjamin it is not so much the reality itself as his own subjective experience: he tells the story of his unsuccessful seduction of the beloved woman with a kind of erotic cynicism, but at the same time he reflects on every moment of his stay in Moscow and every encounter with Soviet reality, whose unintelligible character was scrutinised »under Benjamin’s medusan, fixating gaze« (Theodor W. Adorno). He came to Russia »armed with bookish and radical notions about Revolution« (as many others did), but he kept his mind cool and »unendangered by the compassionate transports of too much empathy« (Demetz 1978: xxix). Moscow overwhelmed him with an aesthetic surfeit of colors, with the contradiction between modern technologies and the rough quality of everyday life, with the perception of time (which he described as ›Asiatic‹), with the intensity of cultural and political life, with relentless ›digging for power‹ among new elites. Benjamin was definitely puzzled by this new and completely foreign social reality: »The entire scheme of existence of the Western European intelligentsia is utterly impoverished in comparison to the countless constellations that offer themselves to an individual here in the space of a month« (Benjamin 1985: 103).
On the one hand, Benjamin identified himself as a ›left-wing intellectual‹, one who sympathizes with Marxism and who considers the possibility of entering the Communist Party. He reflects on this position not only in Moscow Diary, but also in his letters to Adorno and Scholem. As late as 1932 he was still intrigued by the question of how »political destiny bears upon individual destiny« (Benjamin 1994: 16). On the other hand, Benjamin became »aware of the necessity to suspend ideologization for the sake of a radical materialism«, and he consciously denies the position of »blind ideologue who does not see beyond the official slogans«, which is why he focuses on the rough materiality of Soviet daily existence, avoiding any theory in favor of factuality that speaks for itself. As a result, in spite of Benjamin’s passionate love for Asja, his myopia, his lack of knowledge of the Russian language, and the »rigors of Moscow daily life«, Benjamin’s account of the situation in Moscow in 1926/1927, both in the diary and in the essay Moscow, has proven »to be more insightful, prophetic, courageous for its resistance to easy ideologizing on the right and on the left – that any other foreign account of Soviet life written at that time« (Boym 1991: 19). Benjamin seemed to have been doomed to unrequited love, for his relationships with Dora Kellner, Jula Cohn (-Radt), at a certain moment with Lisa Fittko, and some others gave him more torment than satisfaction.13 Yet his passionate 13 | »Benjamin et l’éros, l’échec cuisant de toute relation durable […]« (Steiner 2003: 41).
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224 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik relationship with Asja Lacis represents a very special case, for »his erotic attraction to her was linked to the powerful intellectual influence that she exercised over him« (Scholem 1985: 7). This can be seen best of in the dedication to her in Einbahnstrasse (1928): »This street is named Asja Lacis Street after her who as an engineer cut it through the author« (Benjamin 1978b: 61). Who was this woman? Asja (Anna) Lacis (1891-1979), born in Riga, was an »extraordinary woman« (in Benjamin’s own words) whose professional interests, political activities, love stories, and places she lived are worthy of long biographical enquiry. In Europe she is known first of all because of her relationship with Benjamin, in whose life she played a very important role from 1924 till 1930, but not only: because Lacis was a truly European cosmopolitan, who was connected to various intellectual circles in Italy, Germany and Austria. She was in touch with many famous writers, theater and film directors, such as F. Lang, B. Brecht, E. Marinetti and many others. Benjamin got acquainted with Brecht through her. In the history of Soviet Russia her name was associated with proletarian and children’s theater, for she was an actress and critic, and worked as a director or an assistant in the theaters of Moscow, Riga, Orel, Munich (where she was assisting Brecht) and published a number of books dedicated to the avant-garde and revolutionary theater.14 At the end of the 1920s she worked as a counsellor on culture at the Soviet consulate in Berlin (during this period Benjamin wrote for her a Program of proletarian children’s theater). From 1938 until 1948 she was forced to spend ten years in camps in the wake of Stalin’s purges; after that she returned to Latvia and continued her work in theater (first in Valmiera, then in Riga). Her life partner was an Austrian theater director and critic Bernhard Reich (1894-1972), who, under the influence of Marxism and the Russian avant-garde, came to Soviet Russia in 1925 and stayed there for the rest of his life (he too spent several years in the Gulag [1941-1949]).15 In Moscow Diary Reich appears as a friend and personal guide of Benjamin who helped him get around, yet he also stood between Benjamin and his beloved woman. Asja was a very passionate adherent of Revolution, and not only Benjamin got ›seduced‹ by leftist ideas through her: Reich too. She is often said to have had great influence on Benjamin’s »political turning to revolutionary thinking« (G. Scholem), to have inspired him »to a feeling of the vital relevance of radical Communism« (Demetz 1978: xiii). And it is not accidental that her autobiography was
14 | For instance, a book on German theater appeared in 1935: Revolutsionny teatr Germanii (Revolutionary theater of Germany), Moskva 1935. 15 | At the end of his life Reich published his reminiscences as Im Wettlauf mit der Zeit: Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten deutscher Theatergeschichte. Berlin, Henschel Verlag 1970. Russian edition: Vena – Berlin – Moskva – Berlin, Moskva 1972.
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published in the West (in Germany) under the title »Revolutionary by profession«.16 Lacis and Benjamin met in Capri in 1924 where Asja spent the summer together with Daga, her daughter, and Reich. In his letters from Capri Benjamin wrote to Scholem about his new acquaintance; each time he mentions her in a very peculiar context. For instance, in a letter dated June 13, he says: »There are hardly any noteworthy people here. A Bolshevist Latvian woman from Riga who performs in the theater and directs, a Christian, is the most noteworthy« (Benjamin 1994: 242).17 In a couple of weeks he mentions her again: »[…] The rhythm of bourgeois life, which is indispensable to every project; absolutely for the best in terms of a vital liberation and intense insight into the actuality of radical communism. I made the acquaintance of a Russian revolutionary from Riga, one of the most splendid women I have ever met« (Benjamin 1994: 245).
These lines touch upon the paradoxical situation, in which the left-wing intellectual Walter Benjamin found himself, conducting long and passionate conversations about Soviet Russia and Marxist theater with Asja Lacis in Capri: she burst into his world as a comet, breaking his rhythm of life as someone who quite literally came from a different temporal and spatial dimension. They continued their »infinitely problematic relationship« (G. Scholem) in Europe (in 1924 and 1925 in Berlin and Riga), until Benjamin came to Moscow in 1927 at Asja’s invitation and having accepted a commission to write the entry on Goethe (never published) for the Bol’shaja Entsiklopediia. In 1928-1930 they saw each other in Berlin and later wrote occasional letters to each other. Benjamin never did join the Communist Party; he cryptically alluded to his ›old anarchism‹, but in fact declined due to his disappointment with communist ideas in Russia. His frustration also had to do with the strong doubts ›of the middle-class introvert‹ whose sympathy to Marxism is often described as »melancholic« or »literary« (P. Demetz). Asja Lacis’ life experience in Moscow and her attitude to him during this trip again played a crucial role in this decision. During Benjamin’s stay in Moscow, she was sick and hospitalized in a sanatorium. The way she looked struck him when he saw her for the first time. He could not recognise the woman he knew and fell in love with in Europe: »Asja did not
16 | See: Lacis, Revolutionär im Beruf. Berichte über proletarisches Theater, über Meyerhold, Brecht, Benjamin und Piscator. In Russian this text received less political and more ›feminized‹ title Alaja gvozdika (Scarlet Pink), Riga 1984. 17 | The reference to ›Christianity‹ of Asja Lacis (who might have been of Jewish origin) was made specifically for Scholem.
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226 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik look beautiful, wild beneath her Russian fur hat, her face somewhat puffy from all the time she had spent bedridden« (Benjamin 1985: 9). This portrait, provided by Benjamin, reminds us of his earlier reflections on the ›wrinkles‹ in the face of the beloved woman from the One-Way Street; it is as if the actual meeting was just a continuation of his literary work (this book was published before he came to Russia, and later on, already in Moscow, he would read the very same passage to Asja, in one of their rare moments of peace and intimacy). In the wake of a nervous breakdown, Lacis was living at the Rott’s sanatorium. Only on few occasions would she have dropped in at his hotel or joined him in a café. They spent very few moments alone without Reich, Daga, her roommate (a »hefty textile worker«) or other people around. Besides, those who saw them both in Moscow were »bewildered by these two lovers who did nothing but quarrel« (Scholem 1985: 8). Till the very end of the diary Asja remains a very ›elusive object‹ of his desire. The only enjoyment for Benjamin was her affectionate gazes at him which provoked him to develop his imaginary scenario of love with Asja Lacis in Moscow. He desperately needed her reciprocity and even wanted a baby with her; she refused. As Svetlana Boym argues, »the romance with Asja develops along the same lines and along the same slippery streets of Moscow as Benjamin’s romance with official communism« (Boym 1991: 117). Eventually, Benjamin got tired of the endless waiting for Asja, her continual rejection, the uncertainty of their relationship, the lack of intimacy, not to mention the language difficulties, the shortcomings of everyday life in Moscow and the harsh climate. Anyone who reads this »narrative of a courtship that remains frustrated to the very end of his stay« (Scholem 1985: 8) can sense the »driving force of desire and desperation in Benjamin’s amorous relationship with Asja, whom he both seeks and flees« (Boym 1991: 117). At some point Benjamin feels himself facing »an almost impregnable fortress«: »As she entered the room, I wanted to kiss her. As usual, it proved unsuccessful«. Her behavior seems indeed incomprehensible in light of Benjamin’s previous experience with Lacis before he came to Moscow. Realizing the impossibility of advancing any further in the present circumstances, he nevertheless admits: »The familiar Du seems to have gained ground between us, and the long gazes she directs at me – I cannot remember a woman granting gazes or kisses this long – have lost none of their power over me« (Benjamin 1985: 35). What does his beloved woman, being in the »center of the main world event, in the crater of revolutionary explosion«, want? (Ryklin 1993: 88). This is the question that Benjamin seeks to answer but fails. It remained unresolved for many years and made him desperate about his beloved, whose ›astonishing hardness‹ along with her ›lovelessness‹ (despite her sweetness) struck him so much. In 1929-30 he even divorced his wife for Asja Lacis but she did not want to marry him and after her return to Russia in 1930 they never saw each other again.
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The reasons why Asja Lacis did not want to leave Reich (or Russia?) and to marry Benjamin might seem obscure. However, in Moscow she dropped a hint saying to Benjamin that she could have married him – in Europe, but not in Russia. It could be that Asja did not see the possibility of living with Benjamin in Russia, partly because she saw his estrangement from the communist cause, his reluctance to give up his way of life as a traveller and collector and literary scholar detached from politics, his unreadiness to sacrifice all this for the sake of Revolution (as Reich had done previously). She was also too committed to her work, which she considered very important and meaningful. She could have imagined them living together, but it would involve her abandoning her own ›life project‹. Apparently, for Asja’s move to Soviet Russia from bourgeois Riga was a rational yet difficult decision, less in terms of ideological commitments (on the contrary, here she had no doubts), than in terms of practical matters. It is interesting to notice that, after she had moved to Moscow from Riga, she even considered moving back to »Europe« immediately, so hopeless did the job situation seem to her, and Reich’s situation was even worse. Lacis kept saying to Benjamin that he »knows nothing about Russia«, he could not argue with this (Benjamin 1985: 82) and even more: in conversation with Reich Benjamin confesses how much he has been depressed and upset that he had learned so much less about Russia than he expected. However, reading Benjamin’s diary one can see that he actually understood a good deal about Russia, but remained sceptical about its future, he did not want to and could not share that collective euphoria which made people thinking of future more than of today’s material reality. He was both scared and magnetized by the »totality of sacrifice« in this country (Ryklin 1999: 206). Benjamin was indeed attached to ›things‹, maybe even more than to ›ideals‹: after all, he was a collector too. He missed his habitual comforts in Moscow, where everything, indeed, everything was a problem (food, housing, heating, transportation, etc.). Lacis missed this comfort too (though ›comfort‹ here might be understood as a psychological state and not exclusively as material conditions): she mentioned few times that she is very tired and is dreaming of several weeks of quiet, comfortable bourgeois life in Europe. Even more Benjamin missed a freedom of self-expression: he found himself in a country where personal opinion was no longer ›personal‹, but ›expropriated‹ by the Party, he was struck by »ignorance and opportunism with which people here vacillate between the Marxist scholarly agenda and the attempt to win prestige in Europe.« (Benjamin 1994: 314). Naturally, he preferred to remain ›a bourgeois individualist‹ – in order to be free in his thinking. He finds it strange that Lacis managed to develop in Russia her ›acuity of insight‹ which she displayed before in Western Europe. Therefore, when he says that Asja »is still attracted to Western Europe«, he means that it is »not merely the attraction of travel, foreign cities, the amenities of cosmopolitan bohemianism, but also the liberating influence her thinking under-
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228 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik went in Western Europe, especially through her contacts with Reich and me« (Benjamin 1985: 34). Benjamin’s reflections on and experience of love in the USSR reveal that the mutual misunderstandings, disappointments and contradictions between the lovers that were overtly expressed in several letters and diaries were not so much a matter of different cultural backgrounds, but rather of different political stakes and the lovers’ different ›life projects‹. Asja Lacis chose Revolutionary utopia as her ›radiant future‹ instead of petit-bourgeois comfort and a quiet life with a beloved man (on a »desert isle, with two children […]«). Benjamin remained a ›fellow-traveller‹ to both Marxism and to his beloved woman: he admitted that on three or four occasions he »directly or indirectly avoided sharing a future with her«. What turned him off was neither financial considerations, nor even his »fanatic urge to travel«, but some »hostile elements in her which only now do I feel I can confront« (Benjamin 1985: 35). Why ›now‹? It means, probably, that Benjamin’s growing suspicion towards the future of Soviet Russia made him notice the features of something alien to him in the face of his beloved woman18 – may be, the deprivation of the ›I‹ in a socialist society suddenly became visible for him on the dear face of his beloved woman, where before he had seen only wrinkles. I would suggest that the explanation to Benjamin’s change of mind towards Asja as well as of his way of seeing the situation in the USSR is exposed in his statement that »Bolshevism has abolished private life« (Benjamin 1985: 108). The phrase indicates that for Benjamin, who himself experienced the constant lack of privacy in Moscow, this factor became crucial for his understanding Revolution. According to Svetlana Boym, ›private‹, in the Soviet context of the time, could be interpreted as ›deprived‹ of public and collective signification, as an escape from a carefully codified, collective exercise of social change which perpetuates the existing post-revolutionary power structure. The very fact of Benjamin’s keeping a diary – the most personal kind of writing – reveals his attempt to establish a utopian site for ›private life‹ in the Bolshevik capital. But he found »no space for privacy on the heroic, revolutionary battleship; it is to be disposed of together with the other capitalist trash« (Boym 1991: 120). Furthermore, a letter to Jula Radt Benjamin underlines the almost theological character given to public life, which tends to transform everything into a public matter to an unimaginable degree, and, consequently, seals off everything private 18 | Antonio Gramsci did marry Russian woman and for him Julia Schucht was not only his beloved wife but also a comrade for she was a Communist too, she helped him with translations of Russian Marxist texts into Italian, etc. Yet when he experienced some sort of her estrangement from him (caused by long separation from each other, when they communicated only through letters), he guessed whether it was an »improvised manifestation of notorious ›anima slava‹« (Gramsci 1997: 77).
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(Benjamin 1994: 310). Benjamin was concerned not only with the lack of privacy and intimacy in the everyday life of an ordinary man, but with the lack of representations of it: he noticed that Soviet cinema was ›struggling for the subject matter‹ and does not know how and does not want to deal either with a critique of Soviet reality, or with representations of bourgeois life. He argues, that the subject of love seemed to have completely vanished from the screen: »Above all, Russian film knows nothing of eroticism. As it is well known, the ›bagatellization‹ of love and sex life is part and parcel of the communist credo. It would be considered counterrevolutionary propaganda to represent tragic love entanglements on film or stage« (Benjamin 1985: 55). Benjamin’s remark on the lack of eroticism in a new Russian culture has very much to do with his subjective emotional experience in Moscow, but, perhaps, it can be better understood in light of what he considered to be the main feature of the coming age (the one which already began in the USSR): »the period that lies ahead seems to me to distinguish itself from the previous one in that the erotic is becoming far less of a determing factor« (Benjamin 1985: 103). In light of his experience in the USSR Benjamin seems to have reconsidered the notion of ›bourgeoisness‹: it became for him more complex a phenomenon than merely »an exploitation of concrete Other«, for it has to do with the possibility of individualisation (Ryklin 1999: 210). Eventually he chooses to remain »left-wing outsider« rather than to be »a Communist in a state where the proletariat rules«, for it means to give up completely one’s private independence.
Love and Intimacy in Soviet Union: Towards the Marxist Theory of Love? Proceeding from Benjamin’s observation that »Bolshevism abolished private life«, discussed above, it would be interesting to discuss briefly how new discourses on love, sexuality and marriage which ripened in the Bolshevik milieu long before the October Revolution and grew up as a reflection of European debates on ›free love‹ or women’s emancipation, led to redefinitions of personal and political, public and private in Soviet society. The question is what functions and meanings were assigned to love relationships in this new society, why ›the private‹ had so little importance in that society. A whole generation of Soviet people chose as a life credo the »philosophy of renunciation«, which was first articulated in the famous novel What Is To Be Done? written by N. Chernyshevsky in 1863. The hero of the novel devotes his entire life to the task of preparing for the society of the future. »Nothing is supposed to distract him from this purpose – certainly not love, which is
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230 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik imagined to be impossible in reality except as a kind of sympathetic attraction based on a common political program and a shared sense of militant activism« (Stern 1980: 19).
Many people shared this view and did not perceive it as a violation of their privacy: the personal was always political in the Soviet Union, particularly in its first decades. The ideals of romantic love survived but in the 1920s they seemed to have vanished completely from public discussions as well as from literary works: they were inappropriate from many points of view (actually, the situation changed in the first year of the Great Patriotic War, when love poetry was ›unleashed‹ and love became a sort of new religion). After the Revolution to think of love was possible only in relation to the common cause of the communist future; everything, including love, had to serve to the main goal, to be part of the whole social process. Lenin wrote to Inessa Armand in 1915 that »as far as the question of love is concerned, the entire problem lies in the objective logic of class relations« (Lenin 1999). Soviet culture elaborated a strict imperative as to who could love whom that was based on class, gender and age criteria. In the 1920s the psychologist N. Zalkind argued that working class has the right to intervene in the sexual life of any of its members. »To be sexually attracted to a being who belongs to a different class which is hostile and morally alien to one’s own is just as much a perversion as it would be to feel sexual attraction for a crocodile or an orangutang« (Stern 1980: 35). The conflict between personal sympathy and class duty must have been solved invariably in favor of the latter.19 Attention to private life was banned as a sort of ›anti-Soviet‹ attitude, while the issue of sexuality became the competence of doctors. Such a diffidence, if not sanctimony and Puritanism, towards sexuality led to a situation in which speaking about love became a very difficult subject. It turned out, however, that elimination of the discourse on sexuality from the projects of social reorganization had not only created multiple problems for women and men in a country where the number of abortions was (and still is) one of the most serious social and medical problems, but also seriously damaged relationships between the sexes who were not able to find a common language in the most intimate sphere where communication is not only important but absolutely necessary. Along with the loss of faith in ›revolutionary utopia‹ Soviet people eventually realized that love in a socialist society did not
19 | For instance, one of the favored revolutionary (i.e. without happy end) ›love stories‹ of the Soviet cinema was the film Forty first (the screenplay was based on the novel written by Boris Lavrenev) about girl fighting in the Red Army detachment who turned down her camarade’s attention but dared to fall in love with a captured White officer. When he attempted to escape, she had to kill him.
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eliminate »the cold of spiritual alienation« (Kollontaj 2003: 291), nor did it obviate the inequality between genders and woman’s dependence from men. Yet, in the 1920s there was certain pluralism in relation to love matters even in Bolshevik milieu. There were discourses of »free biological love« (i.e. sex without mutual obligations and spiritual attachment20), ›love-comradeship‹, ›transient love‹, ›bourgeois love‹ and so on. The theoretical reflections of Alexandra Kollontaj on love are very useful for those who want to understand what Soviet political elites thought of love in a new socialist society in the 1920s. Though her views were withdrawn from official discourse very soon, during the first years of Soviet regime she was the main theorist and ›expert‹ on these issues.21 Kollontaj put it very clearly that »love is not a private cause« and she investigated how this »valuable psycho-spiritual social factor« could serve the social needs of a new Soviet society. Criticizing »wingless Eros« (a sexual relationship without love, lust, conversion of sexual act into a self-sufficient goal of a sort of ›light pleasures‹), Kollontaj confronted ›bourgeois‹ love morals – such as love encapsulated in marriage with its economical reasons, adultery (›stolen caresses‹) and prostitution (sexual pleasure traded for money) – with a new working-class ethics of love. Love-comradeship was to become the major form of love in a communist society. It should be based on the recognition of mutual rights, on the capacity to respect the personality of a partner, strong mutual support, the commonality of interests and aspirations. This was suggested as an alternative to the ideal of ›all-absorbing‹ and ›all-exclusive‹ love in bourgeois culture. Kollontaj also argued that sexual gratification is »as easy and as natural as drinking a glass of water«. Following the arguments of Kollontaj, one can also better understand such phenomena as love triangles. Love triangles at that time were not rare.22 it was 20 | Without going into detailed analysis of this topic, it is useful to note that ›free love‹ in practice was strictly a ›male prerogative‹ – it had nothing to do with the sexual liberation of women. The other – ›dark‹ side of ›sexual communism‹ is that the 1920s were characterized by the total collapse of moral values: rapes and violence became a real problem. Many took the sexual liberation idea too literally and considered that all was permitted – ›in the name of the revolution‹. 21 | For more detailed analysis, see, for instance: Stora-Sandor, Judith. Alexandra Kollontaï: marxisme et revolution sexuelle. Paris, 1973; or Fracassi, Claudio. Alexandra Kollontaj e la rivoluzione sessuale. Il dibattito sul rapporto uomo-donna nell’URSS degli anni venti. Editori Riuniti, 1977. The analysis of her last, yet unpublished’ novel Great Love (written in 1927 and apparently inspired by the love relationship of V. I. Lenin and I. Armand) can be found in Bailes, Kendall E.: »Alexandra Kollontaj et la nouvelle morale«, in Cahiers du monde russe et soviétique 4, 1965: pp. 471-496. 22 | If not everyone knew about the complex relationship between Lenin-Krupskaja-Ar-
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232 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik due as much to liberalization of sexual mores as to the stigmatization of jealousy as a petit-bourgeois feeling, for it implies the ›privatization‹ of love object: »jealousy belongs to the past, and we are in the process of banishing the concept of property from our emotional lives« (Stern 1980: 22). Komsomo’skaja pravda narrated the story of two workers who go to the hospital to visit their girlfriend and who consider her newly born baby to be their son because this woman is a ›wife‹ to two of them and thus they do not know who is the real father. All three of them are members of the Young Communist Union; they do not hide this fact and do not consider it immoral or politically inappropriate. On the contrary, they label this relationship »the Love of three« and give it a theoretical grounding according to which the love among ›komsomol’tsy‹ has nothing to do with bourgeois romances, jealousy, and, therefore, with the private property issues (the root of all evil). It is not surprising then, that the relationship between Walter Benjamin, Asja and Reich was intolerable for Benjamin but seemed to be rather ›normal‹ for Asja. What remained pertinent to the Soviet discourse on love, even many decades later, if that the woman was seen first of all a human being and only then a gendered subject: to look at the woman as a sexual object would denigrate her human dignity. Correspondingly, to love meant »to love not in a narrow (sexual), but in a broad sense of the word« (Kollontai 2003: 285); not sexual difference but the human features of the partner were to be given a prior attention. An interesting discussion on free love and its different meanings for proletarian and bourgeois societies can be found also in the theoretical works and private correspondence of Vladimir Lenin and Inessa Armand (though, I cannot discuss here in details). Certainly, love was not the only and not even the main subject of their correspondence, for both considered their political cause to be more important than private life. Along with other Marxists, they were not willing to »transform political questions into personal, sentimental ones«, as Rosa Luxemburg (1978: 147) once formulated it. Armand’s views on the relation between personal and political, on love and sexuality can be also found in her diaries, in her theoretical works and in her letters to other people (for instance, to her husband[s] or children). She was fully aware that being a woman, who is torn between her family of five children, her beloved husband and the political cause (revolution), was not an easy option. In one of her letters to her second husband, Vladimir Armand, she points out bitterly that for the majority of women the freedom to chose is simply inaccessible. Armand reflects on the different concepts of love that existed in Russian and mand, many had heard something of Majakovsky, Lilja and Osip Brik, the most famous love triangle of the time. Such famous films of the age as Bed and Sofa (1927, A. Room) told stories about rather ordinary people and ordinary lives (for more detailed analysis see Ousmanova 2003).
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European cultures. For instance, she denies asceticism, calling it ›ugly‹ and describing it as a result of a rough and primitive relation to love. The philosophy of Tolstoij is unacceptable to her as much as medieval asceticism: she argues, that he never understood the poetics of love, considering it the greatest sin and disgrace opposed to the ideal of chastity. In her letter to her daughter (to Inessa, autumn 1916 [see Sokolov 1999: 48-50]), she recalls that after she had read his War and Peace, she decided that she would never be reduced to the biological function of a ›female‹ (like Natasha Rostova in Tolstoj’s description) but would remain a human being. Her greatest belief was that only in socialist society can woman be loved and respected; she can be both a friend and a lover to her partner. In 1920 she wrote in her diary, shortly before her death (she was 46): »I have just reread ›St. Mars‹ and was struck how far did we move ahead because of Revolution from the former romantic ideals of the role of love in human life. For Romantics love was the most important thing, it stood above all. I was much closer to this idea earlier than now, although, love was never the only thing for me. Alone with it there always was our cause. There were more than a few times, that I sacrificed my happiness and love for the sake of the cause. Yet earlier I believed that love is as important as social cause. Today the role of love became so minor, having not sustained any comparison with the cause. Still, in my own life love makes me suffering, it occupies my thoughts. But I realize that whatever painful it is for me, love and personal attachments is nothing if compare to the needs of struggle. That is why the romantic ideals, which seemed to be quite appropriate earlier, now seem…« [the phrase was never finished].
These women – Armand, Lacis, Kollontaj as well as many others – believed that a wo/man is »rather obliged to be happy« (R. Luxemburg); they led very active political lives yet tried to be happy in love. It was indeed very difficult, if not impossible to find a balance between these two sides.23 But they should not be pitied because this was their own choice and they considered themselves part of a great cause that makes history; they genuinely believed that their work would secure a better life, not for themselves but for everyone. The women’s dedication to the political was incomprehensible for many men, even those who loved these women. The case of Walter Benjamin which was analysed above, shows us that the individual aspirations of left-wing intellectuals (even the most committed ones, like Armand or Lacis) were often at odds with the collectivist projects that they were struggling for. One could say, perhaps, that if »to exist is a collective matter«, then 23 | Adele Cambria in her book Amore come rivoluzione, reflecting on the complex relationship between Antonio Gramsci and the three sisters of the Schucht family, shows that the question of »how to love a communist« implies two different answers in relation to women and men (when they are ›professional revolutionaries‹).
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234 | Europa: Emotionen – Identitäten – Politik to love is an individual one. Unlike Antonio Gramsci whose life/love story is likewise tragic, though in a different way24, Walter Benjamin realized the borders which he was not ready to trespass (symbolically speaking, although in a dark light, this might also refer to his last, impossible ›crossing‹ to Spain). If Gramsci devoted his life entirely to the Communist cause, Benjamin oscillated between various opportunities but could not choose. Both Revolution and Russia remained alien to him (as well to many other European intellectuals), although he, at least, stepped on that imaginary territory where the Other might have become a partner and a loving subject. Not incidentally, he once ironically referred to himself as ›the last European‹, incapable of emigrating to the promised land (Svetlana Boym), be it Palestine or the United States, or Soviet Russia, that is to emigrate to any place, or better »non-place«, where utopia ›lives‹. This glance at the history of the debates on love and sexuality in Russia before and shortly after the Revolution makes us understand that romantic love was perceived by the Bolsheviks as a (petit-)bourgeois phenomenon. There was no place for it in a new non-capitalist society, for romantic love claimed the sovereignty of the individual vis-à-vis the group, it »asserted the privilege of sentiments over social and economic interests, of gratuity over profit, of abundance over the deprivations caused by accumulation«. Revolution smashed all those distinctions that were central to bourgeois ideology, such as the distinctions between »interest and sentiments, selfishness and selflessness, embodied respectively in the public and private spheres« (Illouz 1997: 9). Love as transgression is very much similar to Revolution itself, though on the individual scale: it represents the denial of the social world, it transcends class, religious, gender and other boundaries. However, in
24 | Antonio Gramsci, Tatiana and Julia Schucht also formed a tragic triangle but of a completely different sort. During his trip to Soviet Russia in 1922 Gramsci fell in love with Julia Schucht. In 1923 they got married and their first son Delio was born in 1924. Gramsci never saw his second son Giuliano, who was born two years later, because in 1927 he was imprisoned and died shortly after he was released in 1937. Thus, his last meeting with his wife took place in 1926: during next eleven years he was able only to write her occasionally (see Gramsci 1997, 1996). Being imprisoned, Gramsci suffered of the lack of intimacy at every stage of his love story. Their correspondence was the only remaining, yet insufficient opportunity to keep in touch. Gramsci lamented and grieved over her silence in several letters – as such, the entire correspondence between them represents a history of misunderstanding and miscommunication (one of the reasons is that Julia was seriously ill).The third important figure in this relationship was Julia’s sister – Tanja Schucht, who basically lived for Gramsci throughout all the years of his imprisonment, and who supported him materially and spiritually (»assisting him through his long agony«, as Teresa de Lauretis put it). It goes without saying that such a devotion was possible only by the cost of giving up her entire life.
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a post-revolutionary society there was no room for the private and intimate: the utopia of romantic love could not be concurrent with the communist utopia.
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Jörn Rüsen: Plädoyer für die Geisteswissenschaften | 239
Geisteswissenschaften heute – Anmerkungen zu einer aktuellen Debatte
Plädoyer für die Geisteswissenschaften Jörn Rüsen
Es ist wieder einmal höchste Zeit, die positive Funktion der Geisteswissenschaften ins öffentliche Bewußtsein zu rücken. Politik und öffentliche Meinung, aber auch selbstkritische Stimmen aus dem eigenen Lager, zweifeln an ihrer Funktion und Relevanz. Natürlich können die Geisteswissenschaften mit den Natur- und technischen Wissenschaften nicht ernsthaft um kurzfristigen Nutzen für wirtschaftliches Wachstum konkurrieren. Allerdings ist auch das geistes- und kulturwissenschaftliche Wissen nicht frei von instrumenteller Brauchbarkeit – schließlich arbeiten die Geisteswissenschaften einen ungeheuren Schatz menschlicher Erfahrung auf (auch den, den die Menschen mit Wirtschaft, Technik und Naturwissenschaft gemacht haben), ohne den keine Gesellschaft eine halbwegs plausible Zukunftsperspektive gewinnen kann. Aber ihr eigentlicher Nutzen liegt dort nicht, sondern an ganz anderer Stelle: dort nämlich, wo die zweckrationalen Strategien von Wirtschaft und Gesellschaft sinnrational lebensdienlich gemacht werden müssen. Ein gut funktionierendes modernes Wirtschaftssystem ist ohne kulturelle Regulative und Kontexte überhaupt nicht zu denken. Die Geistes- und Kulturwissenschaften sind die kognitiven Sachwalter dieser kulturellen Bedingungen funktionierender Wirtschaft und Gesellschaft. Man braucht sie ja nur aus dem kulturellen Leben
2005-02-09 17-05-14 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 239-242) T07_01 ruesen.p 75981362240
240 | Geisteswissenschaften heute – Anmerkungen einer Gesellschaft wegzudenken, um die Absurdität ihrer permanenten schleichenden Reduktion drastisch vor Augen zu führen. Nichts ist in den Zeiten einer Krise, die über den Tatbestand einer bloßen Konjunkturschwankung hinausgeht, mehr angebracht als eine vernünftige Arbeit an der kulturellen Orientierung. Und das umso mehr, als sich viele lange Zeit tragfähige Traditionen aufgebraucht haben. Diese Arbeit an der kulturellen Orientierung in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik ist ohne den Beitrag kulturwissenschaftlicher Erkenntnis nicht möglich. Ein Beispiel: Daß der Fortbestand einer humanistischen Werten verpflichteten zivilen Gesellschaft von deren Fähigkeit zu einer friedensförderlichen interkulturellen Kommunikation abhängt, ist unbestreitbar, und ebenso wenig kann bestritten werden, daß die Kompetenz zu einer solchen Kommunikation vom Ausmaß der Verstehensleistungen abhängt, für die eben die einschlägigen Kulturwissenschaften einstehen. Natürlich braucht die Wirtschaft, um schlicht funktionieren zu können, auch solche Verstehensleistungen. Wie sonst soll sie in Märkten erfolgreich auftreten, in denen die Menschen andere Traditionen haben als der Westen? Die Abschaffung sinologischer Lehrstühle steht in einem bemerkenswerten Mißverhältnis zum Drang der deutschen Wirtschaft in den chinesischen Markt. Ebenso wenig läßt sich die Abschaffung orientalistischer Lehr- und Forschungseinheiten mit Blick auf die enormen Probleme plausibel machen, die die Integration islamischer Minderheiten in die westeuropäischen Gesellschaften bedeutet. Und das gilt natürlich erst recht für die Probleme interkultureller Kommunikation, die der Globalisierungsprozeß hervorgebracht hat. Auch da, wo die Wissenschaften gefördert werden müssen, von deren Erkenntnisfortschritt die Wirtschaft direkt abhängt, sind die Kulturwissenschaften der Sache nach mit im Spiel: Sie haben nämlich eine Bildungsfunktion, ohne die das technisch und wirtschaftlich nützliche Wissen letztlich gar nicht vermittelt und in produktiver Weise praktisch wirksam gemacht werden kann. Jeder Personalchef weiß, daß die reine Expertenkompetenz noch keine Führungskraft ausmacht. Entscheidende Komponenten müssen hinzukommen: Reflexionsfähigkeit, Kreativität, Kommunikationsfähigkeit etc. Das gute alte Wort ›Bildung‹ hat eben dies zum Ausdruck gebracht, und nichts ist nötiger für die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft als das Ferment einer Bildung, mit dem zukunftssichernde Veränderungsprozesse im gesellschaftlichen Leben orientierungsstark vollzogen werden können. Das sind einige Gesichtspunkte, die man geltend machen muß, um die Geistes- und Kulturwissenschaften im Kampf um die Ressourcen des akademischen Lebens zu verteidigen. Eine solche Verteidigung ist allerdings erst dann plausibel, wenn sie zugleich mit einer Selbstkritik dieses Disziplinen verbunden wird, die ihre Rolle im gesellschaftlichen Leben betrifft. Der Gestus der Selbstgenügsamkeit ist obsolet geworden.
2005-02-09 17-05-14 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 239-242) T07_01 ruesen.p 75981362240
Jörn Rüsen: Plädoyer für die Geisteswissenschaften | 241
Aber jedes Argument zur Verteidigung der Geisteswissenschaften und zugunsten ihres Anspruchs im Verteilungskampf um öffentliche Mittel, das nur die Absicht der Besitzstandswahrung durchschimmern läßt, zieht nicht. Die vornehme Selbstgenügsamkeit geisteswissenschaftlichen Denkens ist für dessen Vertreterinnen und Vertreter ein starkes Argument, drückt es doch die Solidität der Forschung und den ihr geschuldeten Erkenntnisfortschritt aus. Aber für Außenstehende bietet sich diese Selbstbehauptung geradezu als Aufforderung an, nach breit geteilten Nützlichkeitskriterien scheinbar Überflüssiges zu reduzieren. Aber es geht eben nicht um Überflüssiges, sondern um Kultur als Lebenselixier jeder Gesellschaft. Es geht um elementare Grundlagen des menschlichen Lebens, die eben nicht einfach aus sich selbst heraus tragen, sondern immer wieder und immer wieder neu bedacht und vermittelt werden müssen, um tragfähig zu bleiben. Es geht um Wissen um Normen und Werte und um die Voraussetzungen und Bedingungen ihrer Geltungskraft. Es geht um Identität, um Zugehörigkeit und Abgrenzung sowie um die Fähigkeit, die Herausforderung von Unterschieden in der Lebensführung produktiv zu bewältigen. Die Kulturwissenschaften müssen heute ihren Anspruch auf eine gesellschaftlich notwendige Orientierungsleistung neu erheben und plausibel machen, und zwar so, daß er die Lage der Gegenwart trifft. Dazu sind innere Neuerungen unabdingbar: eine neue hohe Sensibilität für reflektierte Zeitgenossenschaft als Generator forschungsleitender Fragestellungen, eine neue Rolle in den Bildungsprozessen, die die Hochschulen in Gang setzen, eine höhere Reflektiertheit ihrer lebenspraktischen kulturellen Funktion und vieles Andere. Nehmen wir nur die Bildung als Beispiel. Werden die Chancen für eine von den Kulturwissenschaften initiierte und getragene Bildungsleistung, die die neuen Studienordnungen für den BA und MA eröffnen, überall wahrgenommen? Es gibt vielversprechende Anfänge, z.B. das Essener studium liberale, das gerade aus der Taufe gehoben wird. Aber sonst? Das Fachspezialistentum der kulturwissenschaftlichen Disziplinen feiert fröhliche Urständ, und die vielen neuen Studiengänge, in deren Bezeichnung die ›Kultur‹ vorkommt, sind eher nach Arbeitsmarktgesichtspunkten ausgerichtet und weniger nach Kompetenzen, mit denen man dem Wechsel solcher Gesichtspunkte souverän begegnen kann. Wenn es gelingt, die bedrohliche Reduktion geistes- und kulturwissenschaftlicher Forschungs- und Lehrpotentiale als Symptom einer kulturellen Orientierungskrise zu deuten, dann kann diese Bedrohung zu einer Stimulation eben dieser bedrohten Disziplinen führen, wenn anders sie sich nicht als Sachwalter(innen) der kulturellen Orientierung ihrer Gesellschaft verstehen. Das würde sie dann auch aus einer bloßen Defensive und aus den erstaunlich hilflosen Reaktionen herausführen, mit denen sie bisher an die Öffentlichkeit getreten sind. Nichts ist überzeugender für die Notwendigkeit der Geistes- und Kulturwissenschaften als eine Wissens- und Bildungsproduktion, mit der sie die Krise ihres gesellschaft-
2005-02-09 17-05-15 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 239-242) T07_01 ruesen.p 75981362240
242 | Geisteswissenschaften heute – Anmerkungen lichen Kontextes in eine Deutung umsetzen, mit der die Ressource ›Sinn‹ alle anderen Ressourcen des gesellschaftlichen Lebens befruchtet und stärkt und eben dadurch die Krise überwindbar macht.
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Lutz Wingert: Vom Nutzen der Geisteswissenschaften | 243
Vom Nutzen der Geisteswissenschaften. Vier polemische Bemerkungen Lutz Wingert
1. Können und Wissen werden in modernen Gesellschaften wie denen der OECD-Staaten hochgradig arbeitsteilig und unter Einsatz riesiger Ressourcen erworben und weitergegeben. Wer an dieser Arbeitsteilung mitwirkt oder wer die dafür nötigen Mittel mit seinen Steuern oder mit seinem Verzicht auf legitime finanzielle Ansprüche bereitstellt, darf deshalb auch Rechenschaft erhalten über die Nützlichkeit der Arbeitsteilung und der Ressourcenverwendung. Die Nützlichkeitsfrage zu stellen – auch an die Adresse der Geisteswissenschaften – ist nicht anrüchig. 2. Es fällt auf, daß die Nützlichkeitsfrage in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen häufiger und in anderen selten oder gar nicht gestellt wird. Die Nützlichkeit des Bankgeheimnisses wird selten überprüft; die Nützlichkeit, den Empfängern von Transferzahlungen bei der Verwendung dieser Gelder zu vertrauen, wird dagegen bei jedem Fall mißbrauchter Sozialhilfe sofort öffentlich diskutiert. Wer fragt nach der Nützlichkeit der Milliardeninvestionen, die zum Beispiel in die Schnelle-Brüter-Technologie gesteckt wurden und die in der High-Tech-Ruine Kalkar verraucht sind? Wer fragt nach dem Nutzen, den die Investitionen in die Schulden produzierende Exp02000 in Hannover gehabt haben? Hier speisen einen die zuständigen Volkswirte mit idealistischen Antworten ab, die jeden Geisteswissenschaftler zieren könnten: Der Erfolg sei nicht in finanziellen Größen zu messen, sondern liege im kulturellen Bereich und im nicht meßbaren Ansehen, vulgo ›Image‹. Im Wissenschaftsbetrieb werden ebenfalls bestimme Disziplinen von der Nützlichkeitsfrage verschont. Welchen Nutzen haben eigentlich die Wirtschafts-
2005-02-09 17-05-16 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 243-245) T07_02 wingert.p 75981362248
244 | Geisteswissenschaften heute – Anmerkungen wissenschaften, gemessen an den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln? Deren Vertreter liefern augenscheinlich seit Jahrzehnten keine geeigneten Rezepte gegen Arbeitslosigkeit oder für ein ökologisch verträgliches Wirtschaftswachstum oder gegen den Kreditmangel in investiven Bereichen der mittelständischen Wirtschaft. Man sage nicht, es gäbe zwar Vorschläge, aber keine willigen oder fähigen Politiker! Keine Disziplin mit Ausnahme der Rechtswissenschaft hat so stark institutionalisierte, politische Einflußkanäle wie die Wirtschaftswissenschaft. Man sage auch nicht, es könne eben kaum wirtschaftswissenschaftliche Rezepte für die Praxis geben! Denn wenn der Maßstab für nützliche Wissenschaft in der Lieferung von Rezeptwissen besteht, dann müssen sich alle Disziplinen daran messen lassen. Und nicht bloß Fächer ohne den Schutz von Sichtblenden, die eine Institution oder Mentalität gewordene Lobby errichtet hat. 3. Wer die Nützlichkeitsfrage stellt, muß sich seinerseits fragen lassen, wie vernünftig der von ihm gewählte Zeitrahmen ist. Kurze Fristen sind der kategorische Imperativ der Zeit. Das zeigt sich ebenso an der Kurzatmigkeit von Börsen diktierter Unternehmensstrategien wie an dem beklagten Imperativ für Naturwissenschaftler »Apply or die!«. Es gibt kein Vertrauen mehr in die anwendungsfreie Grundlagenforschung. Der Princetoner Mathematiker Andrew Wiles hat über acht Jahre seines Forscherlebens damit zugebracht, das Fermatsche Theorem zu beweisen. Welche deutsche Universitätsspitze besitzt heute noch den souveränen Eigensinn, öffentlich diesen Typus von Forschung ohne Drittmitteleffekte, ohne Doktorandenproduktion und ohne Patentanmeldungen als vorbildlich zu verteidigen? Die vom Bioboom ins Abseits gedrängten Physiker der Grundlagenforschung beginnen stellenweise schon, wie Horaz-Spezialisten ihr Tun als Weitergabe von Kulturleistungen anzupreisen. Die Kurzfristigkeit des Zeithorizonts in der Wissenschafts- und Bildungspolitik zeigt sich auch daran, daß keine Politikerkarriere durch unnütze oder schädliche Entscheidungen beeinträchtigt wird. Man nenne einen Politiker, der Verantwortung bei der Einführung der Gesamtschule trug und deshalb irgendwann einmal dafür Konsequenzen tragen mußte! Bildungspolitiker mögen vielleicht wegen vermeintlich schlechter Selbstdarstellung im Kreise ihrer Kollegen straucheln, nicht aber wegen einer Politik, die kurzsichtig Bildungs- und Forschungsprozesse nach dem alternativenlosen Maßstab einer Angestelltenbiographie und im Rhythmus von Konjunkturprognosen modelliert. 4. Die nützlichen Wirkungen der Forschungen in den Geisteswissenschaften – ebenso wie die der anwendungsfernen Naturwissenschaften – können nur in einem sehr großen Zeitrahmen beurteilt werden. Hinzukommt, daß sich solche Wirkungen gar nicht umstandslos den Geisteswissenschaften zurechnen lassen. Es gibt kein Patent auf den Kategorischen Imperativ, so wie es Patente auf Medi-
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Lutz Wingert: Vom Nutzen der Geisteswissenschaften | 245
kamente oder Transistoren gibt. Das Wissen der Geisteswissenschaften muß von allen oder vielen Mitgliedern der Gesellschaft angeeignet werden. Der Nutzeneffekt ist ein längerfristiger Sickereffekt. Daß man nicht als Delinquent geboren wird, daß politische Macht der rigiden Gesetzesbindung bedarf, um nicht zu bloßer, monopolisierter Gewalt zu degenerieren, daß auch dann nicht alles erlaubt ist, wenn Gott tot ist; all das sind Einsichten, die sich auch geisteswissenschaftlichen Theorien zurechnen lassen, sei es der Gesellschaftstheorie eines Marx, der Rechtsphilosophie eines Rousseau oder der Ethik eines Kant. Aber es sind keine Erkenntnisse, die von Dritten einfach ohne eigene Einsicht und ohne Modifikation praktisch übernommen werden könnten, so wie man kein Verständnis von integrierten Schaltkreisen benötigt, um einen Laptop bedienen zu können. Wer das mit Blick auf die Nützlichkeit der Geisteswissenschaften übersieht, erzeugt folgenschwere Kurzschlüsse.
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246 | Geisteswissenschaften heute – Anmerkungen
Die Kavallerie kommt nicht 1 Harald Welzer
Nein, eine gute Figur machen sie nicht immer, die Geistes- und Kulturwissenschaften. Nachdem sie sich im letzten Vierteljahrhundert vorwiegend und wiederkehrend dadurch ausgezeichnet haben, sich mit ihrer eigenen Krise zu beschäftigen, drohen sie nun, wenn man besorgten Fachvertretern an den Hochschulen glauben will, zwischen den Mühlsteinen des Sparfetischismus und der Terraingewinne der Neuro- und Biowissenschaften endgültig zerrieben zu werden. Immerhin fallen ihren Vertreterinnen und Vertretern wenigstens noch ein paar Schuldige ein: die patent- und anwendungsfixierten Pragmatisten aus Politik und Wirtschaft, die Wissenschaftsbürokratie, die die Universitäten mit immer neuen Strukturmaßnahmen von ihren Aufgaben fernhält, und natürlich die Naturwissenschaftler mit ihrem Themenimperialismus. Ach, Welt, Wille und Vorstellung sind längst keine Domäne der Geisteswissenschaften mehr, nicht einmal Denken und Geist lassen ihnen Edelman, Singer & Co. noch übrig. Arm dran sind sie, wohl wahr. Aber Schicksal, hat Raul Hilberg gesagt, ist eine Interaktion zwischen Tätern und Opfern, und man könnte ja auch einmal die Frage stellen, welche von den entstandenen Terrainverlusten und wieviel Grade auf der nach unten offenen Skala der Bedeutungslosigkeit die Geistes- und Kulturwissenschaftler sich selbst zuzuschreiben haben. Ist denn nicht seit gut zwei Jahrzehnten ein kontinuierlicher Rückgang der qualifizierten Kommentierung gesellschaftlicher Entwicklungen von genau dieser Seite zu verzeichnen? Haben wir nicht einen Strukturwandel der Öffentlichkeit zur Kenntnis zu nehmen, der durch einen Mangel staatsbürgerlich motivierter Analyse und einen infektiösen Überfluß von inhaltsfreiem Geblubber charakterisiert ist? Ist nicht die RTLisierung einer 1 | Leicht überarbeitet Fassung eines Beitrags, der in der Süddeutschen Zeitung vom 12. März 2004 erschienen ist.
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Harald Welzer: Die Kavallerie kommt nicht | 247
Gesellschaft eingetreten, wenn ein Wissenschaftsministerium den Slogan »BrainUp! Deutschland sucht seine Spitzenuniversitäten« verwendet, ohne daß alle Germanisten aus Protest dagegen kollektiv in Hungerstreik treten? Dabei schreien doch die gegenwärtig zu beobachtenden gesellschaftlichen Veränderungen – Umbau des Sozialstaats, abnehmende Demokratieorientierung der Verlierergruppen, Anwachsen rechtsextremer Erstwählergruppen, strukturelle Handlungsunfähigkeit politischer Eliten, innenpolitische Folgen der Terrorismusbekämpfung usw. – nach kulturwissenschaftlicher Analyse, ebenso wie die normativen Verwerfungen, deren Indikatoren Dieter Bohlen und »Geiz ist geil!« sind, dringend geisteswissenschaftlicher Kommentierung bedürfen. Aber viel zu oft herrscht Schweigen; allenfalls wird Engagement und Schärfe aufgeboten, wenn es um die Wissenschaftspolitik geht, also pro domo. Man darf es vielleicht zu Kants 200. Todesjahr sagen: Geistes- und Kulturwissenschaften sind konstitutiv von Aufklärung nicht zu trennen, aber die war weder als Verwesung von Traditionen noch als Verwaltung von Wissen gedacht, sondern hatte immer auch die politische Verantwortung der intellektuellen Elite im Sinn. Aber von der ist gegenwärtig nicht viel zu sehen. Nicht nur in den Feuilletons, auch in der Forschungslandschaft dominiert das interesselose Wohlgefallen gegenüber den methodologischen und erkenntnistheoretischen Herausforderungen, die etwa die Neuro- und Biowissenschaften artikulieren, und es herrscht eine Zurückhaltung hinsichtlich der Formulierung eigener Geltungsansprüche, die an Selbstverleugnung grenzt. Bei forschungsfördernden Institutionen gilt die ›Förderresistenz‹ von Geisteswissenschaftlern mittlerweile nicht nur als böses Wort, sondern als empirischer Tatbestand. Die Agonie der Geistes- und Kulturwissenschaften ist zumindest in Teilen hausgemacht, und wenn man ihre universitären Vertreterinnen und Vertreter klagen hört, dann weiß man auch, warum. Die Rhetorik der Larmoyanz und die Methodik der Schuldzuweisung verraten allzu deutlich, daß man sich selbst nicht als Teil einer sich verändernden Landschaft von Aufgaben und Prioritätensetzungen verstehen mag, sondern das eigene Wissenschaftsparadigma museal, also als erhaltenswert an sich begreift. Und da könnte ja dann doch der Fehler liegen, denn die Fächer müssen sich modernisieren, und zwar nach Kriterien, die sie selbst definieren. Ich glaube, daß der Terrainverlust der Geistes- und Kulturwissenschaften vor allem zwei Gründe hat: Zum einen sind den sich als politisch verstehenden Protagonisten durch die Systemtransformationen Ende der achtziger Jahre die Koordinaten abhanden gekommen, die ihnen bis dahin halfen, die Gesellschaft zu erklären, und sie haben sie bis heute nicht wiedergefunden. Das wäre eigentlich nicht schlimm, gäbe es nicht einen zweiten Grund: die fehlende Fluktuation in den Fächern, die auf die katastrophale Nachwuchspolitik in den drittmittelschwachen Geistes- und Kulturwissenschaften zurückgeht. Jede neue Sparrunde traf die Nachwuchsstellen, weil man Professoren nicht entlassen kann. Das führte dazu,
2005-02-09 17-05-17 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 246-248) T07_03 welzer.p 75981362256
248 | Geisteswissenschaften heute – Anmerkungen daß die unter sich blieben und dabei immer älter wurden, weshalb ihnen zu historisch jüngeren Problemlagen naturgemäß auch nichts Neues einfällt. So verwandelten sich ganze Fachbereiche und Fakultäten, die oft erst in den siebziger Jahren zu ihrer später wieder rückbaubaren Größe gewachsen waren, in gerontokratische Soziotope, deren Bewohner ihr Heil wesentlich darin sehen, Wagenburgen zu bauen und auf die Kavallerie zu hoffen. Die kommt aber nicht mehr. Der Wunsch, die Gesellschaft möge doch bitte, bitte die Bedeutung der Geistes- und Kulturwissenschaften anerkennen, muß nämlich schon rein logisch unerfüllt bleiben. Wenn man erklären muß, warum man wichtig ist, ist man es nicht. Und man ist es deswegen nicht, weil eine Bedeutung, die man sich selbst nicht zuschreibt, nicht von außen zugewiesen werden kann. Es käme für die Geistes- und Kulturwissenschaften darauf an, eine viel stärkere Gesellschaftsorientierung zu entwickeln, als es in den letzten zwei Jahrzehnten der Fall war, und sich zuzumuten, Problemlagen zu analysieren, Lösungen vorzuschlagen, Geltungsbereiche naturwissenschaftlicher Erkenntnis, ethischer Fragen und politischen Handelns zu definieren. Es ginge also um die Produktion und gesellschaftliche Vermittlung lebendiger Erkenntnis und eine offensive Formulierung dessen, was man kann und wofür man zuständig ist. Daneben ist es politisch verantwortungslos, den Natur- und Technikwissenschaften und den Ökonomen das Feld zu überlassen. Die Neurobiologie etwa meint völlig jenseits ihrer disziplinären Kompetenz soziale Fragen thematisieren zu können und glaubt aus einem unverdauten Determinismus heraus, Fragen von Verantwortung und Recht zugunsten eines medizintechnokratischen ›Verwahrsystems‹ für Straftäter suspendieren zu können. Das ist nicht nur Unsinn, sondern politisch unheilvoll. Die Techniker haben neben vielem anderen Danebengegangenem ein Mautsystem zu verantworten, dessen Funktionslosigkeit die Steuerzahler einen Milliardenbetrag kostet, der für überfällige Innovationsprozesse im Bildungsbereich verwendet werden könnte. Und von den Ökonomen ist wenig davon zu hören, wie der Kostenmisere der öffentlichen Haushalte oder etwa der inzwischen mehr als ein Vierteljahrhundert alten Massenarbeitslosigkeit beizukommen sei. Wie wird diese frappierende Bankrotterklärung eigentlich disziplinär legitimiert? All dies schreit geradezu nach jener Inkompetenzkompensationskompetenz (Odo Marquard), die die Gesellschaft notwendiger denn je braucht, und die die Kulturwissenschaften von Haus aus haben oder doch haben sollten. Klassisch hat man das auch Kritik genannt, und die hat ihre Relevanz jeweils aufs Neue zu erweisen. Relevanz bekommt man nämlich nicht zugeteilt, sondern man definiert sie, und zwar indem man sich als Teil einer gesellschaftlichen Praxis versteht, die sich verändert. Wenn man erst erklären muß, warum die eigene Rettung wichtig wäre und warum sie sich nicht von selbst verstünde, dann hat man in der Tat ein Problem.
2005-02-09 17-05-17 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 246-248) T07_03 welzer.p 75981362256
Ludger Heidbrink: Die Zukunft der Geisteswissenschaften | 249
Die Zukunft der Geisteswissenschaften. Ein Plädoyer für die unternehmerische Wissenschaft Ludger Heidbrink
Wer gegenwärtig seinen Blick über den Schreibtisch hinaus in die Welt der Wirtschaft und Politik wirft, dem wird recht mulmig zumute. Schlagartig brechen ganze Unternehmenszweige zusammen oder stehen vor dem Konkurs, müssen Tausende von Mitarbeitern entlassen werden oder sind radikale Sanierungskonzepte erforderlich, die mit finanziellen Einbußen und Kurzarbeit einhergehen. Auf der anderen Seite wachsen die Managergehälter und Gratifikationen in den Himmel. Wo sie bis vor einigen Jahren noch um das Dreißigfache über dem Durchschnittslohn lagen, verdienen Führungskräfte heute bis zu hundertvierzig Mal mehr als die einfache Belegschaft. Sicherlich sind das Ausnahmen. Aber daß sich die Schere zwischen Geringverdienern und Spitzenverdienern immer weiter öffnet, läßt sich jeder Einkommensstatistik entnehmen. Gleichzeitig stagniert die Arbeitlosenquote auf hohem Niveau, und es ist sehr wahrscheinlich, daß sie 2005 zumindest statistisch weiter ansteigen wird, wenn die Hartz IV-Reformen greifen. Alle Bemühungen, durch die Bändigung der Marktwirtschaft gerechtere Lebensverhältnisse zu schaffen, scheinen fehlzulaufen. Das Prinzip der Rationalisierung setzt sich sämtlichen Warnungen zum Trotz durch und hat zur Folge, daß immer mehr Menschen mit immer weniger Geld und Arbeit ihr Dasein fristen müssen. Umso bedenklicher ist es, daß seit geraumer Zeit die Wissenschaftspolitik von einem Furor der Ökonomisierung und Effizienzsteigerung erfaßt ist. Studiengänge werden modularisiert, evaluiert und akkreditiert, um auf dem Markt des Wissens konkurrenzfähig zu bleiben. Die Einführung von Studiengebühren, Verfahren der Qualitätssicherung und ein hierarchisch organisiertes Hochschulmanagement sollen dafür sorgen, daß Universitäten als Dienstleistungsunternehmen
2005-02-09 17-05-18 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 249-252) T07_04 heidbrink.p 75981362264
250 | Geisteswissenschaften heute – Anmerkungen in der Wissengesellschaft intellektuellen Mehrwert produzieren und wirtschaftlich rentabel sind. Daß dabei eine blühende Landschaft höchst profitabler Akkreditierungsagenturen entsteht, in deren Kassen das knappe Geld der Universitäten fließt, ist nur eine Konsequenz. Die andere besteht darin, daß die Ideologie des Marktes auch vor den Inhalten der Studiengängen und Fachwissenschaften nicht halt macht und sie einer gnadenlosen Verwertungsprüfung unterzieht. Hinter modischen Labels wie ›Excellenz-Center‹, ›Profilbildung‹, ›Zielvereinbarung‹ und ›Zertifizierung‹ wütet ein ökonomischer Geist, der vor allem die Kultur- und Geisteswissenschaften unter Rechtfertigungszwang setzt. Sie werden nach ihrem Nutzen für die Gesellschaft gefragt, nach ihrem praktischen Ertrag und ihrer beruflichen Relevanz. Sie sollen Zeugnis ablegen, welchen Beitrag sie zur Ausbildung der Persönlichkeit, der Schärfung des Urteilsvermögens und zur Erlangung kognitiver Kompetenzen leisten. Man will wissen, wie sich mit ihrer Hilfe das lebenslange Lernen, der permanente Innovationsdruck und die beschleunigten Wandlungsprozesse hochkomplexer Gesellschaften bewältigen lassen. Das Fatale an der gegenwärtigen Situation besteht darin, daß die Geistes- und Kulturwissenschaften darauf keine einfache Antwort haben. Sie befinden sich in der gleichen Erklärungs- und Orientierungsnot wie die gesellschaftlichen Institutionen, von denen sie in die Mangel genommen werden. Was kann die Philosophie zum Abbau sozialer Ungerechtigkeit beitragen? Wie überzeugt die Germanistik den Vorstand, die eigenen Gehälter zu senken? Lassen sich globale Konflikte durch interkulturelle Studien aus der Welt schaffen? Natürlich ist das Pochen auf unmittelbare Anwendungs- und Nutzeneffekte in den Geisteswissenschaften fehl am Platz. Die Einwirkung von Ideen auf die Praxis ist ein höchst komplizierter Prozeß, der sich über lange Zeiträume und verschlungene Nebenwege vollzieht. Nützlichkeit und Effektivität stellen sich auf geistesund kulturwissenschaftlichem Terrain indirekt ein, durch die Veränderung von Denk- und Sehgewohnheiten, den Wandel von Mentalitäten, die Entdeckung neuer Maßstäbe und Normen. Gleichwohl müssen sich die Geistes- und Kulturwissenschaften die Frage gefallen lassen, wozu sie gut sind. Sie müssen sich der utilitaristischen Herausforderung stellen, ohne sich vom ökonomistischen Zeitgeist überrumpeln zu lassen. Es hat keinen Zweck, sich in die akademischen Nischen zu verkriechen und zu hoffen, daß der Kelch der Legitimation am eigenen Fach vorübergehen möge. Genauso falsch ist es allerdings, auf den Zug der Zweckorientierung aufzuspringen und sämtliche Curricula, Lehrpläne und Forschungsanträge so umzumodeln, daß jede Friseurstochter und jeder Wirtschaftsprüfer mit einem Schlag versteht, worin der Nutzen und Nachteil der Geisteswissenschaften für die Gesellschaft besteht. Ihre gesellschaftliche Bringschuld können die Kultur- und Geisteswissenschaften nur begleichen, wenn sie ihrerseits unternehmerische Strategien entwik-
2005-02-09 17-05-18 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 249-252) T07_04 heidbrink.p 75981362264
Ludger Heidbrink: Die Zukunft der Geisteswissenschaften | 251
keln, die über kurzfristige Effekthascherei und Erfolgssucht hinausreichen. Der Ökonomisierung unserer Zeit muß durch eine Ökonomisierung des Geistes geantwortet werden, der als sein eigener Unternehmer in Aktion tritt und sich neue Märkte der Vernunft, des Nachdenkens und der Kritik erschließt. Es gibt genügend Aufgabenfelder und Forschungsbereiche, die sich so bewirtschaften lassen, daß für alle etwas abfällt. Wir brauchen eine unternehmerische Geisteswissenschaft, die den Blick für langfristige Erträge mit dem Sinn für intellektuelle Zweckfreiheit verbindet. Die Kultur- und Geisteswissenschaften müssen lernen, sich zu vermarkten, ohne den Anspruch auf Eigenständigkeit aufzugeben. Sie werden nicht verhindern, daß Arbeitsplätze abgebaut und Einkommen ungleich verteilt werden. Sie können jedoch helfen, indem sie ihre Aufmerksamkeit auf die Paradoxien und Widersprüche der spätkapitalistischen Gesellschaft richten und als kritische Beobachter Strategien der Vernunft und Moral gegen die marktwirtschaftliche Eigendynamik entwickeln. Wirklichkeiten sind deutungsbedürftig. Die Kultur- und Geisteswissenschaften können sie nicht ändern, sie können sie aber neu interpretieren. Nur so lassen sich die Exzesse der Effektivität vermeiden und die zunehmende Marginalisierung des eigenen Standes verhindern. Die Domäne der Kultur- und Geisteswissenschaften ist die innovative Grenzüberschreitung, die wie in der Wirtschaft für die Erschließung neuer Absatzregionen sorgt. Nicht in der Abschottung, sondern im professionellen Austausch mit anderen Wissensbereichen liegt die gemeinsame Zukunft. Von der unternehmerischen Rationalität können die Kultur- und Geisteswissenschaften lernen, daß Neuerungen zu Wettbewerbsvorsprüngen in der Form von Entdeckungen und Pioniergewinnen führen, die sich produktiv auf das gesellschaftliche Innovationsklima auswirken. Wie das unternehmerische Handeln werden auch die Kultur- und Geisteswissenschaften von einer generalistischen Einstellung getragen, die auf die umfassenden Zusammenhänge komplexer Gesellschaften gerichtet ist. So wie der Unternehmer ein Experte des Generellen ist, der über unterschiedliche Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen muß, um seine Geschäfte erfolgreich zu tätigen, ist der Geisteswissenschaftler – so könnte man in Abwandlung einer Formulierung von Odo Marquard sagen – der »Stuntman des Allgemeinen«, der sich von seinem hochgelegenen Beobachtungsposten aus eine Übersicht über das Alltagsgeschehen verschafft, die auf letzte Absicherungen und Gewißheiten verzichtet. Auch das teilen die Kultur- und Geisteswissenschaften mit dem Unternehmertum, daß sie ohne Erfolgsgarantien arbeiten und die allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen im Auge haben, um konkrete Lösungsstrategien für die Probleme der Zeit entwickeln zu können. Die unternehmerischen Kultur- und Geisteswissenschaften sind durch eine kluge Interventionsvernunft und durch eine hohe Frustrationsresistenz gekennzeichnet, die in einer Zeit des sich ausbreitenden Ökonomismus von großem Vor-
2005-02-09 17-05-18 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 249-252) T07_04 heidbrink.p 75981362264
252 | Geisteswissenschaften heute – Anmerkungen teil sind. Sie greifen als reflexive Beobachter in die Alltagsgeschäfte ein und lassen sich durch schlechte Bilanzen nicht aus der Ruhe bringen. Als intelligente Unternehmer sind sie den Apologeten des Unternehmertums immer schon einen Schritt voraus. Darin liegt ein Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit: Sie holen sich von der ökonomischen Rationalität zurück, was diese ihr in Zeiten der Geld- und Mittelknappheit nimmt.
2005-02-09 17-05-19 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 249-252) T07_04 heidbrink.p 75981362264
Franz-Xaver Kaufmann: Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen | 253
Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts
Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen Franz-Xaver Kaufmann
In Europa läßt sich seit einigen Jahrzehnten die Tendenz zu einer Geburtenbeschränkung beobachten, welche die Erhaltung der Bevölkerung nicht auf Dauer gewährleistet. Wir können dies als fehlende Nachhaltigkeit der Bevölkerungsentwicklung bezeichnen. Diese Tendenz ist nicht in allen Ländern gleich ausgeprägt. Die ›alte‹ Bundesrepublik kann als ›Pionier‹ der sog. lowest fertility gelten, denn hier bewegt sich die Fertilität seit 1970 dauerhaft unterhalb des Reproduktionsniveaus. In den letzten drei Jahrzehnten wurden – mit bescheidenen jährlichen Schwankungen – im Durchschnitt nur 1,4 Kinder pro Frau geboren. Das reicht zur Ersetzung der Bevölkerung nur zu zwei Dritteln. Ohne massive Zuwanderung würde die deutsche Bevölkerung bereits seit 1972 schrumpfen, und ab ca. 2010 wird auch das bisherige Ausmaß an Zuwanderung nicht mehr ausreichen, um eine Schrumpfung der Bevölkerung zu vermeiden. Diese Schrumpfung wird langsam beginnen, jedoch ohne einschneidende Verhaltensänderungen im Laufe des 21. Jahrhunderts eine immer stärkere Wucht entfalten. In der Zwischenzeit haben auch andere europäische Bevölkerungen ein vergleichbar niedriges Reproduktionsniveau erreicht, insbesondere in Süd- und Osteuropa. Die übrigen Kernländer Westeuropas erreichen zwar auch nicht eine vollständige Reproduktion der Bevölkerung, haben aber doch deutlich mehr Kinder als die Bundesrepublik. Was bedeutet diese ausgeprägte Tendenz zu einem langfristigen Bevölkerungsrückgang für Wirtschaft und Politik? Wir verfügen für moderne Gesellschaf-
2005-02-09 17-05-19 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 253-258) T08_01 kaufmann.p 75981362280
254 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts ten bisher über keine Erfahrungen mit einem langfristigen Bevölkerungsrückgang, so daß alle Erörterungen zu dieser Frage ohne ein gewisses Maß an Spekulation nicht auskommen. Alle bisherige historische Erfahrung zeigt einen Zusammenhang zwischen Bevölkerungsrückgang, wirtschaftlichem Rückgang und politischem Bedeutungsverlust, allerdings sind die Kausalitäten unklar. Hoch industrialisierte Gesellschaften weisen zweifellos höhere Anpassungskapazitäten auf. Sollten sie nicht auch einen langfristigen Bevölkerungsrückgang verkraften können? In der politischen Diskussion in Deutschland wurde bis vor kurzem der ›demographische Wandel‹ nahezu ausschließlich aus der Perspektive zunehmender Alterung der Bevölkerung thematisiert. Demgegenüber wird hier betont: Nicht das Altern, sondern das Schrumpfen unserer Bevölkerung ist das zentrale demographische Problem. Das Leben der Menschen hat sich im Zuge der Industrialisierung nicht nur verlängert, sondern ist auch freier, gesünder, sicherer und vielfältiger geworden. Moderne Gesellschaften können sich einen hohen Anteil alter Menschen problemlos leisten, solange eine Synergie von Wirtschafts- und Sozialpolitik aufrecht erhalten wird. Diese Synergie wird heute in Deutschland von zwei Seiten gefährdet: einerseits mittelfristig durch den Verlust des Produktivitätsvorsprungs in der internationalen Konkurrenz, der in der Vergangenheit den Arbeitskräften in Deutschland vergleichsweise hohe Löhne und kurze Arbeitszeiten ermöglicht hat, und andererseits langfristig durch die Folgen des absehbaren Bevölkerungsrückgangs. Der Bevölkerungsrückgang fördert einen Rückgang der inländischen Nachfrage und des Angebotes an Arbeitskräften, was eine entsprechende Dämpfung der Investitionsneigung zur Folge hat, wie bereits die Theorie der säkularen Stagnation in den 1930er Jahren vorausgesagt hat. Das marktwirtschaftliche Gegenargument, beim Bevölkerungsrückgang handle es sich nur um einen von vielen ›externen Schocks, mit denen flexible Märkte leicht fertig würden, ist ebenso wenig haltbar wie die Erwartung einer fortgesetzten Produktivitätssteigerung und einer überproportionalen Zunahme innovatorischer Investitionen zur Kompensation des Ausfalls demographischer Wachstumsimpulse. Motivierter und qualifizierter Nachwuchs ist die zentrale Ressource der Wissensgesellschaft von morgen. Die (noch) herrschende Wirtschaftswissenschaft qualifiziert das Aufziehen von Kindern dagegen als Konsum. »Wer Schweine aufzieht, ist ihr ein produktives, wer Kinder aufzieht, ein unproduktives Mitglied der Gesellschaft«, bemerkte sarkastisch bereits um 1840 Friedrich List gegenüber der ökonomischen Theorie von Adam Smith. Und er notiert an anderer Stelle: »Ein Vater, der seine Ersparnisse opfert, um seinen Kindern eine ausgezeichnete Erziehung zu geben, opfert Werte; aber er vermehrt beträchtlich die produktiven Kräfte der nächsten Generation. Dagegen ein Vater, der seine Ersparnisse auf Zinsen legt unter Vernachlässi-
2005-02-09 17-05-20 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 253-258) T08_01 kaufmann.p 75981362280
Franz-Xaver Kaufmann: Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen | 255 gung der Erziehung seiner Kinder, vermehrt um ebensoviel seine Tauschwerte, aber auf Kosten der produktiven Kräfte der Nation« (List 1927 [1837]: 193).
Eng verwandt mit Lists Theorie der produktiven Kräfte ist die Humankapitaltheorie, deren Entwicklung Theodore W. Schultz 1979 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften eingebracht hat. Die Rede vom ›Humankapital‹, das durch ›Investitionen‹ in die Quantität und Qualität der Bevölkerung, insbesondere des Bevölkerungsnachwuchses entsteht, ist ein kognitiver Durchbruch im Rahmen der Wirtschaftswissenschaften, um sowohl den technischen Fortschritt zu entmystifizieren als auch der Bevölkerungsentwicklung den ihr zukommenden Platz in der Theorie zu ermöglichen. Auf der Mikroebene entspricht dieser Umorientierung die Rückgewinnung der Haushaltsökonomie für die ökonomische Theorie. Ein entscheidender Grund, weshalb die bisher vorherrschenden wirtschaftspolitischen Auffassungen die Rolle der Familie für die Volkswirtschaft unterschätzen, ist in der Auffassung zu suchen, daß die Aufwendungen für Kinder eine Frage des privaten Konsums seien. Wenn man, wie nun auch Gary S. Becker vorschlägt, die Aufwendungen der Eltern für ihre Kinder wie auch die staatlichen Familienbeihilfen und die Aufwendungen für die Bildungspolitik nicht mehr als Konsumausgaben, sondern als Investitionen, als Bildung von Humankapital begreift, wird die enorme Investitionslücke sichtbar, die sich die Bundesrepublik durch ihre niedrige Fertilität in den letzten drei Jahrzehnten geleistet hat. Aufgrund von Vorarbeiten durch Heinz Lampert (1996: 40f.) (für das Familienmodul) und Georg Ewerhart (für das Bildungsmodul) läßt sich die Investitionslücke, welche durch diese Geburtenzurückhaltung entstanden ist, auf 4,8 Billionen DM (Wert 1992) schätzen, wobei hinzuzufügen ist, daß im gleichen Zeitraum die Investitionen ins Sachvermögen nicht kompensierend gewachsen sind. Im Zuge der postindustriellen Entwicklung und des Übergangs zur Dienstleistungsgesellschaft scheint die Zunahme von Arbeitsproduktivität immer weniger vom Wachstum des Sachkapitals und immer stärker von der Zunahme des Humankapitals abhängig. Das Wachstum des Humankapitals ist also gerade in fortgeschritten modernisierten Gesellschaften der Schlüsselfaktor auch für weiteren technischen Fortschritt. Im Unterschied zur Demographie wird hier nicht mit Personen als statistischen Einheiten, sondern als Trägern von Kompetenzen gerechnet. Demzufolge kann der Rückgang nachwachsender Generationen in gewissem Umfange durch deren bessere Qualifikation kompensiert werden. Aber natürlich können nur diejenigen qualifiziert werden, die zuvor geboren und in Familien sozialisiert worden sind. Von einer kontinuierlichen Zuwanderung ist angesichts des hohen Anteils der Rückwanderer und des bescheidenen durchschnittlichen Qualifikationsprofils nur wenig Entlastung zu erwarten. Aus soziologischer Sicht – und auch aus der bereits von Friedrich List entwikkelten Perspektive – ist der Begriff des Humankapitals jedoch noch zu eng. Denn
2005-02-09 17-05-20 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 253-258) T08_01 kaufmann.p 75981362280
256 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts der gesellschaftliche Fortschritt braucht nicht nur Arbeitskräfte, sondern ebenso kompetente Konsumenten, verantwortliche Eltern, partizipationsfähige Bürger und aktive Mitglieder einer Zivilgesellschaft. Die Kommission für den Fünften Familienbericht der Bundesregierung hat daher den Begriff des Humanvermögens vorgeschlagen, um auf die Leistungen der Familien und des Bildungswesens für die Zukunftssicherung aufmerksam zu machen. Damit soll der ökonomische Reduktionismus vermieden werden, welcher mit der Humankapitaltheorie verbunden ist. Denn eine Gesellschaft bedarf nicht nur der Fachkompetenzen (Arbeitsvermögen), sondern ebenso der Daseinskompetenzen (Vitalvermögen) ihrer Angehörigen, welche von der Bildungsökonomie nicht berücksichtigt werden. Die als Verletzung der Generationengerechtigkeit oft thematisierte Zunahme der Staatsverschuldung wie auch die für die Zukunft absehbaren Finanzierungsprobleme der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung haben ihren problematischen Kern in dem Umstand, daß die seit etwa 1950 geborenen Generationen zahlenmäßig so geringen Nachwuchs hervorgebracht haben, daß die nachwachsenden Generationen nachhaltig in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt und mit den ihnen von den vorangehenden hinterlassenen Verpflichtungen überfordert werden. Was früher für den Familienverband galt, daß nämlich Kinderlosigkeit nicht nur ein persönliches, sondern auch ein ökonomisches Unglück darstellt, gilt unter den vorhandenen sozialstaatlichen Bedingungen in der Bundesrepublik zwar nicht mehr in jedem Einzelfall, wohl aber weiterhin mit Bezug auf das Kollektiv der Generationen. Gleichzeitig bedeutet die Kollektivierung des Risikos der Kinderlosigkeit einen Anreiz, auf Kinder zu verzichten. Deshalb muß hier umgedacht werden. Der aus individueller Perspektive selbstverständliche Grundsatz »Wer keine Kinder großzieht, kann nicht erwarten, von ihnen im Alter unterstützt zu werden und muß selbst vorsorgen«, wird in Zukunft auch in die Prinzipien staatlich organisierter kollektiver Altersvorsorge Eingang finden müssen. Es ist eine schiefe Optik, wenn wir die absehbare Rentenkrise als Generationenkonflikt interpretieren. Es handelt sich realwirtschaftlich um einen Verteilungskonflikt zwischen Eltern und Kinderlosen derselben Generation. Und der Anteil der Kinderlosen nimmt ab dem Geburtsjahrgang 1950 von Jahr zu Jahr auf heute etwa ein Drittel zu, während die Einkinderfamilien zurückgehen. Wir erleben heute in Deutschland weit stärker als im Ausland eine Polarisierung der privaten Lebensverhältnisse zwischen Familien mit zwei und mehr Kindern einerseits und kinderlosen Lebensformen anderseits. Und der durchschnittliche Lebensstandard einer Zweikinderfamilie in der Aufbauphase ist nach wiederholten Untersuchungen des Statistischen Landesamtes von Baden-Württemberg nur etwa halb so hoch wie derjenige eines gleichaltrigen kinderlosen Paares. Denn Kinder kosten nicht nur Geld, sondern auch Zeit; Zeit, die nicht für Erwerbsarbeit zur Verfügung steht. Die Finanzierung der Alterssicherung im Umlageverfahren bedeutet keine
2005-02-09 17-05-20 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 253-258) T08_01 kaufmann.p 75981362280
Franz-Xaver Kaufmann: Vom Bevölkerungsrückgang und seinen Folgen | 257
Zukunftsvorsorge, sondern nur die Abtragung alter Schulden. Wenn der Staat den Beitragszahlern für ihre Beiträge eine spätere Rente in Aussicht stellt, so ist das ein der Staatsverschuldung ähnlicher Sachverhalt. Jegliche Zukunftsvorsorge setzt dagegen Investitionen voraus, Investitionen in Sachkapital und in Humankapital. Eltern bilden durch ihre Erziehung und Pflege Humankapital oder – richtiger gesagt – Humanvermögen, genauso wie Lehrer und Ausbildner, welche ja stets nur die einmal geborenen oder allenfalls zugewanderten Kinder qualifizieren können. Wer keine Kinder aufzieht, investiert nicht ins Humanvermögen der Zukunft und damit auch nicht in seine eigene Altersvorsorge. Deshalb sollte er verpflichtet werden, durch Vorsorgesparen die Bildung von Sachvermögen zu fördern. Versicherungsökonomisch gesprochen geht es darum, das beitragsfinanzierte Umlagesystem vom moral-hazard-Verhalten der Kinderlosen zu entlasten. Es ist in einem marktwirtschaftlichen System ökonomisch vorteilhaft, keine Elterverantwortung zu übernehmen, und diese Vorteilhaftigkeit wird durch das Äquivalenzprinzip von monetären Beiträgen und Rentenleistungen sozusagen verdoppelt. Es ist geradezu absurd, daß diejenigen, die das Humanvermögen der Zukunft aufziehen, also die wichtigste Basis für die Finanzierung der zukünftigen Renten gewährleisten, im Rahmen der Rentenanwartschaften nicht oder nur minimal abgesichert werden. Denn mit der Zahlung von Rentenversicherungsbeiträgen ist volkswirtschaftlich gesehen keinerlei Zukunftsvorsorge verbunden, wohl dagegen mit dem Aufbringen von Kindern. Zwar ist es plausibel, denjenigen, die für den Unterhalt der alten Generation Beiträge geleistet haben, eine beitragsäquivalente Alterssicherung in Aussicht zu stellen, aber der Unterhalt der alten Generation beinhaltet lediglich die eine Hälfte des sogenannten Generationenvertrages; die andere Hälfte bezieht sich auf die kollektive Zukunftsvorsorge. Und diese hat nicht mit der Beitragsleistung, sondern mit der Bildung von Zukunftsvermögen zu tun, sei es als Investition in das Sachvermögen oder in das Humanvermögen. Es führt angesichts der demographischen Perspektiven kein Weg daran vorbei, die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung in Zukunft im Vergleich zu den gezahlten Beiträgen zu kürzen. Dem hat die jüngste Rentenreform mit einem verschämt ›Nachhaltigkeitsfaktor‹ genannten Demographiefaktor bereits in etwa Rechnung getragen. Die leistungsmindernde Wirkung des derzeitigen Nachhaltigkeitsfaktors orientiert sich ausschließlich am Geburtsjahrgang der Betroffenen, unabhängig von ihren reproduktiven Leistungen. Hier könnte angesetzt werden, indem die erforderlichen Rentenkürzungen schwergewichtig denjenigen auferlegt würden, die keine Kinder aufgezogen haben. Kompensierend wäre ihnen dann ein Pflichtsparen nach dem Riester-System oder seiner Fortentwicklung zuzumuten. Dieser Vorschlag würde die Folgen der Kinderlosigkeit besonders deutlich ins öffentliche Bewußtsein rücken, was eine Voraussetzung für den dringend notwendigen Einstellungswandel gegenüber Familien ist. Selbst bei fortgesetzter Zuwanderung muß Deutschland unter den gegenwär-
2005-02-09 17-05-20 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 253-258) T08_01 kaufmann.p 75981362280
258 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts tigen demographischen Perspektiven mit einem nachhaltigen Schrumpfen seines Humanvermögens rechnen, in das während der letzten drei Jahrzehnte mehrere Billionen DM zu wenig investiert worden sind. Das Angebot an für innovative Aufgaben qualifizierten Arbeitskräften wird weiter zurückgehen, und dem entsprechend auch die Attraktivität des Standortes Deutschland. Mit einer weiteren Verlagerung von Produktionsstätten insbesondere nach Osteuropa ist für die nächsten Jahre zu rechnen, solange dort qualifiziertes Personal noch nicht knapp ist; auf längere Sicht wird aber auch diese Quelle versiegen. In Ostdeutschland ist der Bevölkerungsrückgang schon heute voll im Gang und führt zunächst zu einer starken Ausdünnung in der Besiedlung des flachen Landes. In den Großstädten, in denen Wissenschaftler, Publizisten und Politiker sich konzentrieren, wird man von all dem zuletzt etwas merken. Aber das politische Malaise, dessen Zeugen wir seit den letzten Bundestagswahlen sind, könnte zur Dauererscheinung werden. Gegenwärtig ist es jedenfalls noch nicht demographisch bedingt, im Gegenteil: Die demographische Konstellation ist mit Bezug auf die Renten-, Pflege- und Krankenversicherung noch immer extrem günstig. Diese Botschaft ist unerfreulich und sie sollte auch nicht im Sinne einer Prophetie mißverstanden werden. Es geht vielmehr darum, die Größe der Herausforderungen zu verdeutlichen, denen Deutschland auch und vor allem aus demographischen Gründen gegenübersteht. Erhöhte Anpassungs- und Umorientierungserfordernisse gehen mit sinkenden Anpassungspotentialen einher. Aber die Kapazitäten für die erforderlichen Anpassungen sind nach wie vor hoch, so daß Fatalismus und Pessimismus nicht begründet sind. Deutschland kann sich ändern, wenn seine Menschen es wollen. Aber die Umorientierung auf lebenslanges Lernen und längere Lebensarbeitszeiten bzw. auf nutzbringende ehrenamtliche Tätigkeiten, auf eine Stärkung der Lebensbedingungen für Familien und Kinder und einen Abbau der privilegierten Stellung der Kinderlosen im staatlichen Umverteilungssystem sowie eine Reform des Bildungswesens – um nur die wichtigsten Erfordernisse zu nennen – ist weder zum Nulltarif noch ohne nachhaltige Einstellungsänderungen zu haben – von Unternehmern, Gewerkschaften, Politikern und den ›einfachen Leuten‹. Ob die hierfür erforderliche Solidarität in einer Situation offener Grenzen mobilisiert werden kann, läßt sich nicht theoretisch, sondern nur praktisch beweisen.
Literatur Ewerhart, Georg (2001): Humankapital in Deutschland: Bildungsinvestitionen, Bildungsvermögen und Abschreibungen auf Bildung, Nürnberg. Lampert, Heinz (1996): Priorität für die Familie, Berlin. List, Friedrich (1927 [1837]): Das natürliche System der politischen Ökonomie, Berlin.
2005-02-09 17-05-20 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 253-258) T08_01 kaufmann.p 75981362280
Hanne Straube: Die Instrumentalisierung des Manas-Epos | 259
Die Instrumentalisierung des Manas-Epos für eine nationale Staatsideologie in Kirgistan 1 Hanne Straube
Die ›Entlassung‹ in die Unabhängigkeit Im Zuge der Auflösung der UdSSR verkündete die ehemalige kirgisische Teilrepublik am 31. August 1991 ihre Unabhängigkeit und erklärte sich zum Nationalstaat. Die neue Republik entstand jedoch weder durch eine Revolution noch durch einen Befreiungskampf gegen eine koloniale Macht, sondern sie wurde durch einen ›Entlassungsprozeß‹ unabhängig. Kirgistan, einst Teil einer Weltmacht, stand vor der Aufgabe, sich nach innen und außen zu positionieren und zu konsolidieren. Wege zur sozialen Integration und ›nationalstaatlichen‹ Identitätsbestimmung mußten gesucht werden, um das entstandene ›Sinnvakuum‹ durch eine staatstragende Ideologie zu füllen, denn mit dem Kollaps war ein jahrzehntelang bestehendes Ordnungsgefüge zusammengebrochen. Um Bestand und Stabilität in solchen Transformations- und Kri1 | Der Aufsatz gründet auf empirischem Material, das ich dank der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft bei verschiedenen, insgesamt fünfmonatigen Forschungsaufenthalten in den Jahren 1999 und 2000 erheben konnte. Das Forschungsprojekt »Ethnisch-nationale Identitätsbestimmung, Geschichtsbewußtsein und historische Sinnbildung in den jungen zentralasiatischen Republiken Kasachstan und Kirgistan« lief von 1999 bis 2002 und war Teil der interdisziplinären Studiengruppe »Sinnkonzepte als lebens- und handlungsleitende Orientierungssysteme«, die vom 1. April 1997 bis zum 31. März 2002 unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus E. Müller und Prof. Dr. Jörn Rüsen am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen verortet war. Dr. Britta Duelke, Ethnologin und Mitglied unserer Studiengruppe, die die vorliegende Fassung durch ihre Anregungen und ihre redaktionelle Überarbeitung wesentlich mit geprägt hat, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken.
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260 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts senzeiten zu erreichen, ist eine ›Ideologie‹ von plausibler wie gleichermaßen verläßlicher Integrationskraft vonnöten. Zu Sowjetzeiten gehörte Kirgistan zu den als ›unterentwickelt‹ bezeichneten Unionsrepubliken, dies gilt besonders in bezug auf seine Infrastruktur, Industrialisierung und das Gesundheitswesen (vgl. Götz/Halbach 1996: 209). Seine politischen und ökonomischen Nöte machen es heute zu einem der strukturell instabilsten Staaten Zentralasiens. Die bestehende soziale ›Fragmentierung‹ zeigt sich in regionalen und sogenannten Stammeskonflikten, aber auch in interethnischen Konflikten, denn in der Titularnation2 leben neben Kirgisen Angehörige von mehr als 80 ethnischen oder religiösen Gruppen. 75 Prozent der Bevölkerung sind Muslime, 20 Prozent Russisch-Orthodoxe und 5 Prozent Angehörige anderer Religionen. Die »nationale Wiedergeburt« der sprachlichen und kulturellen Identität war nicht nur Schlüsselthema bei den Kirgisen, sondern auch bei vielen Minderheiten. Die multiethnische Situation führte, angeheizt durch nationalistische Propaganda, bereits im Sommer 1990 bei Landverteilungen in der Nähe von Uzgen im Gebiet um Os im südlichen Fergana-Tal zu blutigen Auseinandersetzungen. Sie weiteten sich hier, wo neben Kirgisen, Tadschiken u.a. auch ein Großteil der usbekischen Minderheit lebt, zu einem Pogrom gegen Usbeken aus (vgl. Tabïsalijeva 1999: 21). Die Konstituierung einer nationalstaatlichen ›Ideologie‹ kommt einem staatlichen Balanceakt gleich (vgl. Straube 2003: 291f.). Es stellt sich die Frage, inwieweit nationale Identität und ethnische Heterogenität ein friedliches Miteinander zulassen. Bereits 1993 wurde die »Republik Kirgistan« in »Kirgisische Republik« umbenannt, ein nomineller Anfang bei der Setzung ethnischer Prioritäten. Präsident Askar Akaev propagierte im Januar 1994 sein Konzept eines »Staates der Kirgistaner« unter dem Leitsatz: »Kirgistan – unser gemeinsames Haus« (Akaev 1995: 91f.). Da alle im Land eine gemeinsame Geschichte hätten, forderte er, von »dem Volk Kirgistans« und nicht »den Völkern Kirgistans« zu sprechen. Um eine interethnische und staatsbürgerliche Harmonie sicherzustellen, wurde eine »Assemblee der Völker von Kirgistan« gegründet, die die nationalen Interessen der Ethnien schützen und für Solidarität zwischen ihnen sorgen sollte (Elebaeva 1999: 190). Die »Assambleja«, dem Modell nach eine staatlich verordnete ethnokulturelle Selbstverwaltung, ist im wesentlichen ein Organ zur Prävention interethnischer Konflikte. Faktisch ist jedoch eine zunehmende Ethnisierung des Nationalstaats zu beobachten. Im öffentlichen Leben macht sich ein kirgisischer Patriotismus, der Trend zur ‹Kirgisierung‹ und die Exklusion Angehöriger anderer Ethnien aus wichtigen Positionen immer stärker bemerkbar. ^
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2 | ›Titularnation‹ wird ein Staat genannt, dessen Name sich von dem ›Volk‹ herleitet, das dort die numerische Mehrheit stellt.
2005-02-09 17-05-22 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 259-272) T08_02 straube.p 75981362312
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Der Balanceakt zeigt sich auch in der ›Sprachenfrage‹. Die Gesetzgebung über den Status von Russisch und Kirgisisch zählt zu den wichtigsten Streitpunkten im Lande. Bereits 1989 wurde ein Gesetz über die Amtssprache Kirgisisch verabschiedet. Bis zum 5. Januar 1998 sollte in Behörden, Institutionen, Organisationen und im Bildungssektor der Übergang zur kirgisischen Staatssprache vollzogen sein (vgl. Elebaeva 1999: 183). Nicht-Kirgisen sollten Kirgisisch lernen. Dies, die Vorkommnisse in Uzgen, die ökonomische Lage und die Angst vor einem Verlust ihrer Privilegien und Positionen, bewirkte besonders zwischen 1990 und 1994 eine starke Abwanderung der nicht-titularen Ethnien (vgl. Landau/Kellner-Heinkele 2001: 27). Da ihre Abwanderung negativen Einfluß auf die Wirtschaft nahm, führte dies zu einer vorläufigen Zurückstellung der ›Sprachenfrage‹. Überraschend wurde im Mai 2000 Bilingualität in Kirgistan anerkannt. Die verabschiedete Verfügung, die neben Kirgisisch als »Amtssprache« (d.h. Staatssprache) Russisch als eine »offizielle Sprache« anerkennt, sollte einen Schritt hin zur Herstellung einer Gesellschaft für alle Kirgistaner darstellen. Diese Verfügung wird jedoch durch eine zeitgleich erschienene zweite Verfügung relativiert, die die Ansiedlung von Kirgisen aus Afghanistan in Kirgistan ermöglicht. Sie macht deutlich, daß Kirgistan sich als »Heimatland« vor allem der Kirgisen versteht (vgl. Megoran 2000).
Das Manas-Epos Seit dem Zusammenbruch der UdSSR haben viele Turkvölker Epen für politische Zwecke entdeckt. Bis 1991 wurde das bis 1858 ausschließlich mündlich tradierte Heldenepos Manas3 in Kirgistan als literarischer Stoff vermittelt. Nach 1991 wurde das Epos zum Symbol der nationalen Einheit, das zu einer Konsolidierung der Völker und Nationalitäten in einem souveränen, demokratischen Staat dienen soll. Das Manas-Epos wird der Welt gegenüber heute als »geistige Schatzkammer« der kirgisischen Kultur, als wesentlicher Teil der kirgisischen Identität vermittelt. Es enthält – so die gängige Meinung – Ideen der Freiheit, des Patriotismus, der Einigkeit, des Humanismus und der Unabhängigkeit. Das entstandene ›ideologische Vakuum‹ soll mit Werten aus dem Manas-Epos gefüllt und dadurch eine ›Wiedergeburt‹ erlangt werden. Präsident Akaev machte den ›Gedenkkult‹ um Manas zur persönlichen ›Chefsache‹. Manasologen (kirgisische Wissenschaftler, die das Epos erforschen) unterstützen ihn. Für Präsident Akaev ist es der kirgisische Beitrag zur Weltkultur. Es wird zur Wiederbelebung und Bereicherung der Sprache, zur Rückbesinnung auf vorkoloniale Traditionen 3 | Im folgenden wird, wenn vom Epos die Rede ist, Manas kursiv geschrieben; ist der Held des Epos selbst gemeint, verbleibt der Name in Normalschrift.
2005-02-09 17-05-22 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 259-272) T08_02 straube.p 75981362312
262 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts und zur ›Wiedergewinnung‹ der eigenethnischen Geschichte, d.h. zur ›Re-Kirgisierung‹ der Kirgisen, genutzt. Es biete heute Hilfe gegen äußere und innere Widersacher: gegen den Zerfall von Traditionen (wie Gastfreundschaft und Senioritätsprinzip), gegen Alkohol- und Drogenprobleme, gegen Stammesdenken, Vetternwirtschaft und Korruption (vgl. Akaev 1997b: 105f.). Es soll zur moralischen Erziehung aller Kirgistaner, speziell der Jugendlichen, dienen. Worum geht es im Epos? Manas behandele, so Mussajew (1994: 176), die wechselvolle Geschichte und die Einigung der kirgisischen Stämme in ihrem steten Kampf gegen feindliche Nachbarn und personalisiere dies an den Lebensläufen und Schicksalen berühmter Anführer über drei Generationen hinweg. Im Mittelpunkt stehen Manas, sein Sohn Semetej und dessen Sohn Sejtek. Die Zahl von Nebenfiguren, die Länge, der Inhalt und die Reihenfolge der verschiedenen Episoden des Epos sind variabel. Das in Versform geschriebene Epos besteht aus mythischen, legendenhaften und historischen Episoden. Vorgetragen wird es durch Barden. Cokan C. Valikhanov (1835-1865), ein kasachischer Wissenschaftler, der erste ›Chronist‹, kam 1856 mit einem kirgisischen Barden in Kontakt. Ihm folgte der Pionier in der Erforschung der Turksprachen, Wilhelm Radloff (1837-1918), ein deutschgebürtiger Russe und Linguist, der als zweiter Wissenschaftler Strophen des Epos aufzeichnete. Bis zu Beginn der sowjetischen Ära sind kaum weitere Aufzeichnungen bekannt. In den letzten Jahrzehnten wurde Manas systematisch erfaßt. 1995 gab es 65 aufgezeichnete Varianten des Manas-Epos (vgl. Radloff 1965: 176). Der Inhalt des Epos und der Umgang mit ihm spiegeln herrschende ›Ideologien‹ wider, wozu Nationalismus, Pan-Türkismus, Pan-Islamismus und Kommunismus gehören – und natürlich auch die sowjetische Nationalitätenpolitik. Entsprechend wechselvoll war auch der politische Umgang mit dem Epos. Je nach Bedarf wurde Manas aufgewertet, abgewertet, unterdrückt oder nur selektiv veröffentlicht (vgl. Prior 2000: 33f.). Es handelt sich folglich um eine Art von »epic politics«4, einer »Politik mit dem Epos«. Die Untersuchung von Epen bzw. oralen Traditionen verlangt jedoch von Seiten der Wissenschaft immer auch den Blick auf die Erzähler zu richten und Überlegungen zu mnemotechnischen Methoden, zur möglicherweise intentionalen Modifikationen bei der Weitergabe, zur Übersetzungsproblematik, zur Literarisierung etc. anzustellen (vgl. Duchâteau 1988: 351; Vansina 1985), alles Aspekte, die bei den lokalen Deutungen des Manas-Epos in Kirgistan kaum eine Rolle spielen. ^
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4 | Prior (2000) analysiert die Rezeptionsgeschichte von Manas während der sowjetischen Ära. Er stützt sich dabei auf Abdykarov/Dzumaliev (1995), die Archivmaterialien von 1925 bis 1995, Regierungsbeschlüsse, Parteidokumente, Reden etc. bearbeiten und den politischen Umgang (auch der kirgisischen Kommunistischen Partei) mit kirgisischen Epen darlegen. ^
2005-02-09 17-05-23 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 259-272) T08_02 straube.p 75981362312
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Im Gegenteil, Untersuchungen westlicher Wissenschaftler werden als ›ideologisch‹ zurückgewiesen (vgl. Mussajew 1994: 93f.). Beispielsweise war das Epos in seiner frühen Form nicht gegliedert. Zu einem Ganzen zusammengefügt, wurde es erst durch den Barden Sagïmbaj Orozbakov (1867-1930), der es strukturierte und es mit der Geburt von Manas beginnen ließ (vgl. Prior 2000: 20). Die Wiedergabe des epischen Stoffs ist von vielen Faktoren geprägt, so von der Aufzeichnungssituation, etwa dem Verhältnis zwischen Barden und ›Chronisten‹, und von den jeweiligen politischen Zielsetzungen und Interessenlagen (vgl. Hatto 1990; Prior 2000).5 So preist etwa ein Barde Manas als einen Freund des russischen Kaisers und Volkes (vgl. Radloff 1965: xiv). Manas wird bei ihm als ein Verteidiger des Islam gelobt (vgl. ebd.: xi), in der Version von Sagïmbaj ist Manas gar ein Mekka-Pilger (vgl. Mussajew 1994: 222). Heute heißt es in der Manas-Enzyklopädie (1995), Manas verfüge, wie andere Führer auch, über außergewöhnliche Gaben, was ihn als Gesandten des Himmels erscheinen lasse. Bereits sein Name verweise auf seine göttliche Herkunft. Er wird als Sohn Gottes, als durch Licht gezeugt, aus der Gestalt des Sonnengottes hervorgegangen dargestellt bzw. er sei selbst der Mond, die Sonne oder ihr Sohn (vgl. Karïskulov 1995: I/402f.), Motive, die sich auch in anderen Zeugungsmythen finden.6 Zahlreiche Kernthemen des Manas-Epos finden sich auch in sibirischen und zentralasiatischen Epen, so etwa die Geschichte von einem älteren, kinderlosen Ehepaar, das lange auf einen Nachkommen warten muß (vgl. ebd.). Die Mutter von Manas ist, so ein weiteres gängiges Thema, schwanger geworden, nachdem sie im Traum einen Apfel mit ›parthenogener‹ Wirkung gegessen habe (vgl. Hatto 1990: 401). Gelüste der Schwangeren auf das Herz eines Tigers, so ein gleichsam verbreiteter Glaube, verweisen auf die herausragende Persönlichkeit des zukünftigen Kindes (vgl. Mussajew 1995: 41). Wundersame Ereignisse und Zeichen vor der Geburt, wie Vorankündigungen durch einen Traum und Himmelsbotschaften, deuten auf seine höhere Bestimmung hin, die später dann durch seine außergewöhnlichen Gaben, seine Klugheit, seinen Mut und sein Geschick, seine Erfolge und Heldentaten bestätigt werden. Auch bei der Schilderung seines Weges zum Helden finden sich Erzählstoffe, die aus anderen Regionen und Religionen bekannt sind.7 Eine Gruppe von 40 getreuen Männern aus verschiedenen Stämmen, die einander wie Brüder behandeln, sich durch Kampfkraft und Glaubenstreue auszeichnen und Manas treu er^
5 | Prior nennt dieses Dreiecksverhältnis »patron, party and patrimony«. 6 | Vgl. u.a. Neumann-Hoditz (1995: 21f.) über die Zeugung des Urahns von Cingiz Khan in der sogenannten ›geheimen‹ Geschichte der Mongolen. 7 | Beispielsweise in den mündlichen Überlieferungen über den Reichsgründer Timur Lenk (1336-1405), der heute in Usbekistan als nationale Integrationsfigur gefeiert wird (vgl. Schmitz 1997: 49f.). ^
2005-02-09 17-05-23 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 259-272) T08_02 straube.p 75981362312
264 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts geben sind, bilden eine egalitäre Schicksalsgemeinschaft. Anstelle der alten, gewachsenen Familie entsteht eine neue, »quasi-patrilineare Familie« (vgl. Müller 2003a: 28f.). Heute wird Manas als »Vater« des kirgisischen Staates vermittelt. Er sei mit den »40 Kriegern« ins Ala-Too (Gebirge) gezogen, um die Kirgisen ins »Land ihrer Ahnen« (Mussajew 1995: 71) zurückzuführen. Dazu Akaev: »Die durch Manas geführten Vorfahren hatten vor mehr als 1000 Jahren einen kirgisischen Staat gegründet […]. Aus verschiedenen Gründen, die im Manas geschildert sind, wurde der Staat zerstört. Während der folgenden 1000 Jahre konnten sich die Kirgisen nicht mehr vereinen, keinen Staat gründen, da sie in alle Richtungen versprengt waren. […] Heute, nach 1000 Jahren, hat das kirgisische Volk seine Unabhängigkeit erhalten. Es ist der zweite Versuch zu einem freien Staat in seiner Geschichte. Es bedeutet, daß das erlöschende Feuer von Manas wieder aufgeflackert ist« (Akaev 1997a: 88).
Daß das heutige Kirgistan die Urheimat der Kirgisen gewesen sei, und die Kirgisen als Autochthone deswegen Führungsansprüche in der Titularnation haben müßten, wird durch den Präsidenten und die Manasologen direkt aus dem Epos abgeleitet. Die Kirgisen stellten nicht nur die numerische Mehrheit, sondern ihre im Epos dokumentierte Geschichte zeige auch, daß sie über die Fähigkeit verfügten, Andere zu integrieren. Es heißt, Manas habe nicht nur Angehörige verschiedener kirgisischer Stämme und Ethnien friedlich vereinen können, sondern auch die Besiegten. Die Wendezeit damals wird zur schöpferischen ›Ursprungsphase‹. Mit der ›Rückführung‹ in die ›Heimat‹ erschafft der Heros aus dem Chaos (dem Vertriebensein) mit starker Hand und ›göttlichem Beistand‹ eine neue Ordnung. Durch seine Handlungen – ›Heimführung‹ und ›Staatsgründung‹ – wird Manas zur ›Heilsperson‹, zum Retter der Kirgisen. Auch das Jahr 1991 gilt als Wendezeit für eine neue Ordnung, ein Verständnis, das aus einem Rückbezug auf die Ursprünge erwächst. Da Manas seinen Staat unter vergleichbaren Bedingungen erschaffen habe, könnten die Kirgistaner, so Akaev (1997b: 105f.), seine Taten als ›Modell‹ ansehen, er könne bei wichtigen Fragen, wie der Bestimmung der Lebenswege und -richtungen, helfen. In Manas Nachfolge stellt Akaev die heute lebenden Kirgisen und sich selbst (vgl. ebd.). Indem er sich auf Manas bezieht und sich als Verwalter seines Erbes ausgibt, legitimiert er damit auch seine Präsidentschaft. Akaevs zivilisatorische Mission sei es, wie die von Manas, die Demokratie einzuführen. Akaev, ›legitimer Erbe‹ und Nachfolger von Manas, wird selbst zur ›Heilsperson‹, zum Retter der Kirgisen und zum Garant für Demokratie: Manas vereinte, Akaev vereinte. Als ›charismatischer‹ Führer gleicht er Manas.
2005-02-09 17-05-23 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 259-272) T08_02 straube.p 75981362312
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Die Millenniumsfeier und die ›sieben Vermächtnisse‹ Bereits knapp zehn Monate nach der Unabhängigkeitserklärung verabschiedete das Parlament am 26. Juni 1992 einen Erlaß, in dem die Pläne zur Gewinnung einer neuen Nationalstaatsideologie anhand des Epos über das Jahr 2000 hinaus festgehalten ist (vgl. Kumar 1998: 17). Studien über die kirgisische Geschichte sollten publiziert, Literatur, Kunst, Theater, Musik und Filme über das Manas-Epos für die Bevölkerung geschaffen werden. Eine Milleniumsahrfeier sowie die ›Errichtung von historischen Gedenkplätzen‹ wurde für 1995 geplant. Eine der populärsten Ansichten ist, das Epos sei 1000 Jahre alt. Manche kirgisische Forscher schreiben dem Manas-Epos sogar ein Alter von 2500 bis 3000 Jahren zu (vgl. Atamamedov et al. 1995: 7). Dabei haben westliche Gelehrte bereits auf die Schwierigkeiten verwiesen, kirgisische Epen zu datieren (vgl. Prior 2000: 1). Schon 1947 gab es Pläne für eine 1100-Jahrfeier. Ausgangsquelle dafür war, so Prior, eine elfzeilige alttürkische Runeninschrift aus dem Jahr 847 n. Chr., die 1909 auf einem Grabstein in der Mongolei gefunden und von dem Turkologen G. J. Ramstedt entziffert wurde. Da eine Person auf der Stele kan im Namen trug, schloß A. N. Bernstam (1910-1956) daraus, daß diese als »Manas Khan« identifiziert werden könne. Zwischen 1942 und 1946 vertrat er in fünfzehn Artikeln die These, daß die Inschrift Bezug auf das Manas-Epos nehme. Der kirgisische Schriftsteller Tschingis Aitmatow griff die Idee einer »nationalen Gedenkfeier« auf drei aufeinander folgenden Kongressen der Kommunistischen Partei von 1976-1986 auf. Nach Erlangung der Unabhängigkeit plädierte Aitmatow aufgrund der »arithmetischen Mentalität« (Burke 1999: 97), die zur Bevorzugung von runden Zahlen für Inszenierungen von »heiligen Jahren« führt, zu einer 1000-Jahrfeier. Er wollte durch ein ›Wiederaufleben‹ des spirituellen Erbes der Kirgisen, dargeboten anhand des Festes, internationale Aufmerksamkeit auf das Land ziehen. 1995 wurde zum »Jahr der Nationalen Gedenkfeier« (Kumar 1998: 7) erklärt. Bei der Feier setzte man auf das bewährte Prinzip der Vergegenwärtigung durch mimetischen Nachvollzug (vgl. Müller 1999: 82). Die Kirgisen versuchten ihre Geschichte möglichst so ins Bild zu setzen, wie sie selbst wünschten, gesehen zu werden. Geschichte sollte kommunal zelebriert werden, das Beispiel Manas sollte in die Zukunft verweisen und Wir-Identität vermitteln. Es ging dabei nicht nur um »den Nachweis des eigenen hohen Alters und der bruchlosen Kontinuität der Entwicklung, sondern auch um die Einbindung in die ›Weltgeschichte‹« (Müller 1995: 17). Die UNESCO beteiligte sich. Führende ausländische Repräsentanten und Staatsmänner waren geladen. Die Inszenierung der Feier mit viel folkloristischem Kolorit und möglichst viel Authenzität sollte helfen, das Interesse der weltpolitischen Öffentlichkeit zu erlangen. ^
2005-02-09 17-05-24 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 259-272) T08_02 straube.p 75981362312
266 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts Da Raum eine weitere Bezugsgröße zur Identitätsgewinnung ist, versuchte die Nation sich mit dieser Feier nicht nur zeitlich, sondern auch räumlich zu verorten. Parallel zur Festvorbereitung wurden erinnerungsträchtige Stätten errichtet. Eine lokale Verortung des Epos sollte der ›Faktizität‹ dienen, denn ein erzähltes Begebnis, das der ›räumlichen Verankerung‹ entbehrt, verliert an Aussagekraft. Um ›dem Volk‹, so der Erlaß von 1992, eine Möglichkeit zu geben, sich das Epos bildlich vorzustellen, wurde in der Hauptstadt Biskek ein dem Epos gewidmeter »Gedächtnis-Komplex Manas Ajïlï«, ein Dorf für Festivitäten, Ausstellungen und als touristischer Anreiz erbaut (vgl. Kumar 1998: 18). Zusammen mit diesem nachgestellten ›Urdorf‹ wurde eine Manas-Gedächtnisanlage bei der Stadt Talas im Westen Kirgistans während der Feier eingeweiht. Beide sollen als »Gedächtnisorte« eines sich als politische, republikanische, aber auch kirgisische Einheit konstituierenden Staates verstanden werden. Bestimmte Varianten des Epos aus dem 19. Jahrhundert verorten den »Machtsitz von Manas« (Hatto 1990: 3) im etwa 400 km westlich von der Hauptstadt gelegenen Talas-Tal. Durch eine solche ›Fixierung‹ an einen Ort, an dem scheinbar Entscheidendes geschah, wird das ›damals Geschehene‹ verstetigt. Die zur sakralen Gedenkstätte ausgebaute Anlage mit einem Mausoleum aus dem 14. Jahrhundert soll als Pilgerort dienen, um Manas zu gedenken. Zu den ›ewigen Mahnmalen‹ der eigenen Ursprungsgeschichte in der Natur gehören dort auch ein Abdruck von Manas Fuß, der Pflockplatz seines Pferdes, der Rastplatz der 40 Recken etc. Zum Komplex zählt ein Manas-Museum, in dem eine ›Objektivierung‹ der Geschichte anhand der Dokumentarisierung von ›Fakten‹ erfolgte, die gesammelt und magazinisiert wurden. Als probate Hilfsmittel dienen ›beweiskräftige‹ Erinnerungstücke wie Ritterrüstungen, Waffen etc. Zur Milleniumsfeier extrahierte der Präsident zunächst »drei Vermächtnisse« aus den schriftlichen Varianten des Epos heraus und erweiterte diese später auf sieben, die das Gerüst der nationalen Identität bilden sollen. Mündlich Tradiertes soll verewigt werden. Akaev erwies sich durch das Erstellen der Vermächtnisse nicht nur als charismatischer Führer, sondern auch als ›Berufener‹, der die Gabe besitzt, die Manas-Texte auszulegen. Er vollzog damit einen weiteren Schritt, seine ›Mission‹ zu erfüllen (vgl. Müller 2003b: 272f.). Das erste Vermächtnis fordert die »Einheit des Volkes« und warnt vor Zersplitterung durch regionalen, stammesbezogenen und ethnischen Separatismus (Akaev 1997a: 6). Das zweite, »Internationale Solidarität, Freundschaft und Kooperation« (ebd.: 30), tritt für die Freundschaft zwischen Ethnien und Nationen ein. Im dritten, »nationale Ehre und Staatsbürgerstolz«, erinnert Akaev an Manas und die seinigen, denen es eine Ehre gewesen sei, fürs Volk zu sterben, und fordert auf, sich für die Entwicklung des Landes zu engagieren (ebd.: 42). Das vierte Vermächtnis gebietet »unermüdlich zu arbeiten« (ebd.: 52). Mit dem fünften ruft Akaev zu »Humanismus, Großzügigkeit und Vergebung« (ebd.: 68) auf. Das sechste fordert »in harmonischer Beziehung mit der Natur zu leben« (ebd.: 76). Im ^
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siebten Vermächtnis appelliert er daran, den kirgisischen Staat zu stärken und »ihn wie einen Augapfel zu bewahren« (ebd.: 88). Mehrere Institutionen, u.a. der Präsidenten-Palast selbst, brachten »ManasProgramme« für Vorschulen, Schulen und Universitäten heraus, die zeigen, wie das Epos methodisch und didaktisch zu vermitteln ist. Durch ihre Unterrichtung soll historisches Bewußtsein und kulturelle Identität geschaffen werden. Das Bild von Manas und der Wortlaut der Vermächtnisse schmücken die Vorräume vieler kirgisischer Schulen. Hier und in Universitäten mit kirgisischer Unterrichtsprache werden »Manas-Programme« eingesetzt, selten jedoch in Institutionen mit Russisch als Unterrichtssprache. In der Begründung der Vermächtnisse gibt sich Akaev, wie viele andere Führer postkolonialer Staaten8, als jemand, dem es nicht daran gelegen ist, es den Europäern nachzutun, sondern der sich auf ›eigene Ursprünge‹ besinnt, um die Wende und den Neubeginn erfolgreich bestehen zu können. Durch Verweis auf ›autarke‹ und ›ur-kirgisische‹ Ideen soll der dramatische Zusammenbruch kompensiert werden. Manasologen unterstützen ihn dabei: »Die Ideen der Freiheit, des Patriotismus und der Unabhängigkeit haben wir nicht, wie einige dachten, aus Europa oder anderen Ländern übernommen. Diese Ideen und edlen, menschlichen Werte, die für die gesamte Menschheit von großer Wichtigkeit sind, wuchsen auf dem kirgisischen Boden. Sie sind aus den qualvollen, schmerzlichen Lebenserfahrungen der Ala-Too-Kirgisen im Laufe der Geschichte hervorgegangen« (Baigasiev 1997: 114f.).
Schlußbemerkungen In Kirgistan ist man um operable Identitätsbildungsstrategien bemüht – diese zu begründen sind plausible Sinnkonzepte notwendig. Bei der »mythopoetischen« und politischen Instrumentalisierung des Manas-Epos wird das Epos zu Geschichte ›versachlicht‹: Es wird als eine Art ›historischer Beglaubigung‹ genutzt, um eine ethnische Differenzierung und Hierarchisierung zu legitimieren (vgl. Müller 1999: 105). Der epische Held wird als eine ›kirgisische Gründerfigur‹ vermittelt, die sich durch besondere ›Qualitäten‹, durch ›Alter‹, ›Abstammung‹ und ›Kontinuität‹ auszeichnet. Man rekurriert auf einen ›Ursprungsmythos‹, der einem ›übergeordneten Heilsplan‹ entspricht. Der Rückgriff auf solche Senioritäts- und Autoritätsprinzipien (vgl. Müller 2003a: 23) soll eine Schichtung sozialer Rangfol8 | Vgl. Müller (2003b: 279), der auf Beispiele afrikanischer Führer wie Léopold Sédar Senghor (1906-2001), Kenneth David Kaunda (geb. 1924), Julius Kambarage Nyerere (19221999) verweist.
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268 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts gen und damit auch die Vorrangstellung und Führungsanspruch der Kirgisen begründen. Dieser Prozeß wird vorangetrieben durch den Präsidenten, der sich sowohl als Gründer als auch als Geburtshelfer einer ›alten‹ wie auch ›neuen‹ Nationalstaatlichkeit präsentiert. Er bezieht sich auf einen kirgisischen Staat, der von Manas vor mehr als ›1000 Jahren‹ gegründet worden sei. Die Vergangenheit soll Referenzsystem für die Gegenwart und Zukunft sein. Die damaligen Geschehnisse werden als identitätsstiftende Schlüsselhandlungen mit exemplarischer Bedeutung vermittelt. Manas habe die gegenwärtigen Probleme bereits damals vorbildlich gelöst. Die neu entstehende Ordnung soll, wie die von Manas, eine ›Ära des Heils‹ werden. Die oralen Traditionen gelten als ›Archive‹ der Kirgisen, in denen die Erinnerung an die ›Manas-Zeit‹ bis heute bewahrt wird. Mit ihrer Überlieferung waren und sind patriotische Barden betraut. Zunächst galt es, diese ‹Archive‹ auszulegen, was der Präsident durch seine »sieben Vermächtnisse« anstrebte. Um die Glaubwürdigkeit der Existenz von Manas zu verstärken, werden lokale, materielle ›Dokumente‹ vorgewiesen, wie z.B. das Mausoleum, in dem er bestattet sein soll, oder die im Museum ausgestellten Fundstücke. Man verweist auf die Spuren des Helden und seiner vierzig Gefolgsleute, als hätten sie sich selbst ein ewiges Denkmal gesetzt (vgl. Müller 1999: 13). Diese Orte sollen belegen, daß die Kirgisen bereits damals die jetzige Heimat bewohnt hätten und deshalb die autochthonen Bewohner seien. Anders als Mythen, die sakrale und generell unveränderbare Texte darstellen sollen, gelten für viele Ethnologen die sagenhaften Erzählungen, also solche, die etwa von den Großtaten der Ahnen berichten und die zu historischer Zeit und an bekannten Schauplätzen spielen, als weniger zuverlässige, ja ›falsche‹ Geschichten. Solche Überlieferungen können im Prinzip von jedermann nach Bedarf und Interesse modifiziert werden (vgl. Müller 1995: 12), was sich auch bei dem mündlich tradierten Manas-Epos nachzeichnen läßt. Auch hier prägen die zielgerichteten Intentionen und ideologischen Hintergründe der Barden und ›Chronisten‹ die Inhalte des Wiedergegebenen und des Aufgezeichneten. So verdeutlichen beispielsweise die Texte von Sagïmbaj Orozbakov (1867-1930), die der baschkirische ›Chronist‹ Kayum Miftakov (1822-1948 oder 1949) aufnahm, eine Wendung zum nationalen und pantürkistischen Gedankengut im Epos (vgl. Prior 2000: 11f..). Neu in Sagïmbajs Version ist der spezifische Gebrauch des Begriffs ›Türk‹. Er erscheint erstmals in der pantürkistischen Auslegungsvariante, nämlich als Ethnonym für alle türkischen Völker, deren Heimat er als Türkistan bezeichnet. Sagïmbaj nationalisierte folglich das Epos. Dies mag unter dem Einfluß seines ›Chronisten‹ geschehen sein, der Zögling einer Djadidisten9-Schule war, die pantürkistische Ideen vertrat. 9 | ›Djadidismus‹ ist eine Bezeichnung für die durch tatarische Intellektuelle in Kasan
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Bei Sagïmbaj werden die Angehörigen von Manas’ Stamm zum ersten Mal als ›Kirgisen‹ bezeichnet (vgl. Hatto 1990: 622). Bis dahin waren zentrale Helden wie Manas, übereinstimmend mit der Tradition epischer Steppenhelden der Turkvölker, als Nogay bzw. Nogoj bekannt. Der Teminus ›Kïrgïz‹ wurde als Ethnonym in epischen Texten Mitte des 19. Jahrhunderts eher selten benutzt (vgl. Hatto 1980: 70; Prior 2000: 15). Westliche Wissenschaftler, wie etwa Golden (1992: 404f.), gehen davon aus, daß das Ethnonym ›Kïrgïz‹ eher eine politische als eine ethnische Funktion hatte, und daß der ›moderne Kirgise‹ erst durch die Sowjets kreiert wurde. Trennlinien zu anderen Völkern seien schwer zu ziehen. Hatto hält es insgesamt für problematisch, das Epos als ›rein‹ kirgisisch einzuordnen und betont, daß die Zuordnung und Interpretation des Manas-Stoffes äußerst schwierig sei (vgl. Hatto 1982: 8). Bei der Konstruktion des Sinnsystems werden in Kirgistan ähnliche ›Strategien‹ deutlich, die eine gewisse Ähnlichkeit zu denen aufweisen, die um 1800 in den sich gerade herausbildenden westeuropäischen Nationalstaaten bemüht wurden. Auch dort entwickelte man damals Interesse für das ›national Eigene‹, das einer Fragmentierung entgegenwirken sollte. Man projizierte die ›Einheit der Nation‹ in eine vermeintliche Urzeit, aus der die Nation dann als etwas Gottgewolltes bzw. Naturgegebenes hervorgehen konnte. Auch hier soll ein Heros aus der Frühzeit bereits die ›erste Demokratie‹ vorgelebt haben (vgl. Müller 1995: 12). Die »Urzeit der Nation« (Stagl 2002: 644f.) wurde in den Überlieferungen des Volkes als noch lebendig gedacht. Aufgabe der Elite war es, eine als ursprünglich vorhanden vorgestellte nationale Kultur wiederaufzubauen. Durch die »Wiederanknüpfung« an die Geisteswelt der Vorfahren und die Rekonstruktion der eigenen geistigen Geschichte sollte eine »Rückkehr« zu den »reinen Werten« erreicht werden. Der »Nationalerziehung« kam hier die grundlegende Aufgabe zu, die »uralten« Werte zu vermitteln und die »Wiederausbildung« des Nationalcharakters durch eine Neuerschließung und Neuaneignung des eigenen »Volksgutes« voranzutreiben. Die Vermittlung solcher Werte, u.a. durch Schulbücher, zeitigte auch dort beträchtlichen Einfluß (Stagl 1999: 1237). Auch in Kirgistan wird das nation building als ›nationale Wiedergeburt‹ angesehen, durch das ›das Volk‹ wieder an seinen ›Ursprung‹ herangeführt werden soll. Das »hohe Alter einer Kultur«, auch wenn es sich dabei um eine fingierte Größe handeln sollte, bildet auch hier eine probate Stütze ethnischer und nationaler Identität. Am höchsten rangiert, wer ›ältere Herkunft‹ für sich beanspruchen gegründete Reformbewegung im 19. Jahrhundert, »die den Islam vor allem im Bereich des Bildungssystems zu modernisieren versuchte, um die Muslime Rußlands zur Emanzipation von kolonialer Oberherrschaft zu befähigen. Auf der nationalen Ebene trat diese Bewegung mit dem Bestreben nach Einigung der Turkvölker (Panturkismus) hervor« (Götz/Halbach 1994: 307).
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270 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts und von dort bis zur Gegenwart eine ungebrochene Kontinuität nachweisen kann. Die Kirgisen stellen sich deshalb als autochthone, als eine aus bedeutungsvollen Anfängen heraus quasi ›organisch‹ gewachsene Gemeinschaft dar, die historisch einzigartig und den anderen überlegen ist (vgl. Müller 1995: 17). Aus Prioritätsgründen wird, wie auch bei anderen Gründerheroen, die Herrschergenealogie auf einen ›Gott‹ zurückgeführt (vgl. Müller 1999: 108). Die Manasologen – und hierin den Propagatoren anderer nationaler ›Ideologien‹ gleich – geben die Kirgisen als eine Abstammungs- und Wesensgemeinschaft aus, die Anderen zum Vorbild dienen und an der sich zu orientieren bzw. der sich anzuschließen von Anderen erwartet werden könnte (vgl. Stagl 1999: 1234f.). Die nationale Einheit der ›Kirgistaner‹ soll zwar unter der Beteiligung aller dort lebenden Gruppen zustande kommen, doch unter der Führung des kirgisischen Volkes stehen, dessen Führungsanspruch durch das Epos unantastbar, weil von alters her belegt und heute nur mehr wiederbelebt sei. – Mit dieser Deutung des Epos erhält der durch den Zusammenbruch der UdSSR erfolgte Ausschluß aus der Gemeinschaft und der dramatische Wechsel einen Sinn: Die Wende stellt so den Übergang von einer düsteren Verfallsphase zu einer hellen, verheißungsvollen Zukunft dar. Erst durch die Wende sei eine ›Wiederbelebung‹ des Ur-Zustandes des kirgisischen Staates und die Einhaltung eines übergeordneten, quasi gottgewollten ›Heilsplans‹ möglich geworden.
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272 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts Müller, Klaus E. (2003b): »Tod und Auferstehung. Heilserwartungsbewegungen in traditionellen Gesellschaften«, in: Klaus E. Müller (Hg.), Historische Wendeprozesse. Ideen, die Geschichte machten, Freiburg, Basel, Wien: Herder, S. 256287. Mussajew, Samar (1994): Das Epos »Manas«. Populär-wissenschaftlicher Essay, Biskek (Ausgabe mit russischem, englischem und deutschem Text), Deutsch: S. 170-255. Mussajew, Samar (1995): »Nationalepos Manas«, in: ZMO Bundesverband u.a. (Hg.), Nationalepos Manas. Dargestellt von Theodor Herzen, erzählt von Samar Mussajew. Bonn, Biskek, S. 30-204. Neumann-Hoditz, Reinhold (1995): Dschingis Khan. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt. Prior, Daniel Graham (2000): »Patron, Party, Patrimony: Notes on the Cultural History of the Kirghiz Epic Tradition«, in: Papers on Inner Asia 33. Indiana, S. 1-46. Radloff, Wilhelm (1965): Die Sprache der nördlichen türkischen Stämme. I. Abtheilung: Proben der Volksliteratur der nördlichen türkischen Stämme. V. Theil: Der Dialect der Kara-Kirgisen. St. Petersburg 1885, Leipzig: Zentral-Antiquariat der Deutschen Demokratischen Republik. Schmitz, Andrea (1997): »Tradition als Politikum: Timur in der mündlichen Überlieferung«, in: Chokimiat der Stadt Samarkand; Konrad-Adenauer-Stiftung (Hg.), Amir Timur: Seine zeitgeschichtliche Beurteilung, seine Bedeutung für Usbekistan auf dem Wege der nationalen Selbstfindung. Taskent, S. 47-55. Stagl, Justin (1999): »Nation«, in: Rolf Wilhelm Brednich (Hg.), Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begr. v. K. Ranke. Band 9, Berlin, New York: Walter de Gruyter, S. 1231-1243. Stagl, Justin (2002): »Patriotismus«, in: Rolf Wilhelm Brednich (Hg.), Enzyklopädie des Märchens. Handwörterbuch zur historischen und vergleichenden Erzählforschung. Begr. v. K. Ranke. Band 10, Berlin, New York: Walter de Gruyter, S. 642-654. Straube, Hanne (2003): »Kirgistan«, in: Wolfgang Gieler (Hg.), Handbuch der Ausländer- und Zuwanderungspolitik. Von Afghanistan bis Zypern, Münster, Hamburg, London: LIT., S. 291-294. Tabïsalijeva, Anara (1999): The Challenge of Regional Cooperation in Central Asia. Preventing Ethnic Conflict in the Ferghana Valley. Peaceworks 28., Washington: United States Institute of Peace. Vansina, Jan (1985): Oral tradition as History. London, Nairobi: James Currey (London) und Heinemann (Nairobi/Kenya). ^
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Pedro Caldas: Die Notwendigkeit der Geschichtswissenschaft | 273
Die Notwendigkeit der Geschichtswissenschaft: Die Bildungsfrage bei Johann Gustav Droysen Pedro Caldas
Es steht außer Frage, daß Johann Gustav Droysens Historik nach wie vor eine entscheidende Rolle für die Geschichtstheorie spielt. Aber wenn man die Historik darauf beschränkt, die Geschichtswissenschaft zu fundieren, werden andere Aspekte übersehen. Damit will ich aber nicht die Selbständigkeit der Geschichtswissenschaft beiseite lassen, sondern sie eher unter einer anderen Fragestellung erötern. Die Selbständigkeit der Geschichtswissenschaft wird nicht nur durch ihre Methode und ihre Systematik aufgebaut, sondern auch durch die Darlegung dieser Wissenschaft als eine notwendige Wissenschaft. Es handelt sich um die Diskussion ihrer Daseinsberechtigung. Es ist verhältnismäßig leicht, Droysens Denken in seinem historischen Moment zu erkennen; viel schwieriger aber ist es, die universelle Wirkung seiner theoretischen Werke zu erklären, die am Nerv der Menschen rühren, die nur eine unvollkommene Vorstellung vom Deutschland des 19. Jahrhunderts haben. Natürlich ist es nicht nur legitim, sondern unerläßlich, die intellektuellen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen zu untersuchen, unter denen sein Werk entstand. Ziel dieses Aufsatzes ist es nicht, über das Werk Historik zu sprechen, sondern mit Bezug auf das Werk, einen aktuellen theoretischen Beitrag zu leisten. Das Problem der Bildung hat prinzipielle Bedeutung, insofern die Bildung die Dimension darstellt, in der die Spannungen der sittlichen Welt unaufgelöst bleiben und unaufgelöst bleiben müssen. Die in sich geteilte, aber nicht fragmentarische – wie üblicherweise von Postmodernen gedeutet wird – Gestalt der Bildung besteht aus drei Schritten. Einleitend wird Bildung als Zeichen der Selbständigkeit der Wissenschaft verstanden. Wir sind der Auffassung, daß Droysens Wissenschaftsbegriff ganz und gar von Hegel abhängig ist. Bildung hat von daher eine wissenschaftliche Dimension. So wird in einem nächsten Schritt Bildung
2005-02-09 17-05-27 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 273-281) T08_03 caldas.p 75981362328
274 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts als Vorstellung des gebildeten Menschen thematisiert. Entscheidend dabei ist nicht nur die gesellschaftliche Dimension des Bildungsbegriffs, sondern auch die Rezeption dieser Vorstellung. Im Auge behalten sollte man die ideologische Vorstellung des ›Menschen im Elfenbeinturm‹, die zu einem Intellektuellen wie Droysen m.E. gar nicht paßt. Schließlich soll die eben erwähnte Unlösbarkeit der Spannungen der sittlichen Welt explizit thematisiert werden. Will man das Phänomen der Bildung angemessen erfassen, so ist es angebracht, Phantasie, Intelligenz und Wille als Grundzüge der Bildung zu verstehen. Damit gewinnt Bildung einen tragischen bzw. existentiellen Klang. Es ist die ethische Dimension der Bildungsidee, die die Geschichtswissenschaft notwendig macht. Und in Bezug auf die Verbindung von Sittlichkeit und historischer Erkenntnis bleibt Droysens Darlegung wegweisend.
Die wissenschaftliche Dimension Es ist unsere Absicht, im folgenden zu zeigen, daß Droysens Grundlegung einer Theorie der Geschichtswissenschaft wesentlich von Hegel beeinflußt worden ist. Gleichwohl aber wäre es verfehlt anzunehmen, daß Droysen einfach Hegels Kategorien der Philosophie des Geistes unkritisch anwendet. Das wurde schon von Irene Kohlstrunk klar dargelegt: »Geschichte, sobald sie reflexiv ist, ist mit dem Dilemma konfrontiert, daß sie zwangsläufig zur Philosophie der Geschichte expandiert« (Kohlstrunk, 1980: 23). Wie drückt sich nun die Reflexivität der Geschichte bei Droysen aus? Droysen beginnt seine Historik mit einer Lagebestimmung. Es geht um die Lage der Geschichte im öffentlichen und wissenschaftlichen Bewußtsein seiner Zeit. Einerseits wehrt sich Droysen gegen die allgemeine Vorstellung, daß die Geschichte eine Summe von vergangenen Tatsachen ist. Andererseits versucht Droysen genauestens zu zeigen, daß der Geschichtsbegriff weder von der Naturwissenschaft noch von der Philosophie (oder/und Theologie) ableitbar sei. Im Gegenteil: In der Welt der Wissenschaften soll die historische Methode eine versöhnende Rolle spielen: »Bewegung und Einheit sind die beiden Momente, durch die der Geist Geist ist, durch sie polarisiert er sich zu der rastlosen Lebendigkeit, die sich selbst verzehren würde ohne die Energie der Einheit, die tot in sich selbst versinken würde, ohne die immer wieder peripherisch wirkende Bewegung. Aus dieser Doppelheit erwachsen die beide Methoden […], die physikalische und die spekulative« (Droysen 1977: 32).
Die Abhängigkeit dieser Konzeption einer ›versöhnenden‹ Wissenschaft, ausgehend von der hegelschen Idee einer Phänomenologie des Geistes, ist offensichtlich.
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Wie Droysen eine ›versöhnende‹ Methode sucht, so spricht Hegel über den Gegensatz zwischen Empirie und Formalismus: »Dieser Gegensatz scheint der hauptsächlichste Knoten zu sein, an dem die wissenschaftliche Bildung sich gegenwärtig zerarbeitet und worüber sie sich noch gehörig versteht. Der eine Teil pocht auf den Reichtum des Materials und die Verständlichkeit, der andere verschämt wenigstens diese und pocht auf die unmittelbare Vernünftigkeit und Göttlichkeit« (Hegel 1987: 18).
Das weist auf etwas Wesentliches hin: Droysens Ansatz zeigt nämlich, daß die Geschichtswissenschaft nicht eine Gegenstandswissenschaft, sondern eine Reflexionswissenschaft ist. Das heißt auch: Eine reflexive Wissenschaft setzt voraus, daß sie sich ständig in Frage stellt, oder anders ausgedrückt: Jede (objektbezogene) Forschung bietet dem Historiker die Gelegenheit, sein Wissen in Frage zu stellen – daraus folgt auch, daß Subjektivität und Fiktionalität nicht immer gleichgesetzt werden dürfen. Aber eben diese Reflexivität bei Droysen ist nur seit Hegel denkbar. In der Einleitung zu seinen »Vorlesungen zur Ästhetik« schreibt Hegel, daß diese wechselseitige Bestimmung die ganze Auffassung des Geistes ausmacht. Er kämpft gegen die Idee, daß nur die Natur wissenschaftlich erforschbar sei, und diesen Ansatz übernimmt Droysen vollständig. Dazu Hegel: »Denn der Ausdruck Natur gibt uns schon die Vorstellung von Notwendigkeit und Gesetzmäßigkeit, von einem Verhalten also, das der wissenschaftlichen Betrachtung näher zu sein und ihr sich darbieten zu können Hoffnung läßt. Im Geiste aber überhaupt, am meisten in der Einbildungskraft, scheint im Vergleich mit der Natur eigentümlich die Willkür und das Grenzlose zu Hause, und dieses entzieht sich von aller wissenschaftlichen Begründung« (Hegel 1995: 43).
Droysen versucht auch zu zeigen, daß das Wesen des historischen Gegenstandes morphologisch ist, das von der gegenseitigen Bestimmung zwischen Subjekt und Objekt konstituiert wird. Ständig wiederholt Droysen, daß ein ›Geschäft‹ in sich gar nicht historisch sei. Es wird Geschichte. Der Gegenstand der historischen Forschung ist weder etwas Vorgegebenes noch ein bloßes Beispiel vorhandenen Wissens. Eher ist der Gegenstand plastisch, morphologisch oder, besser ausgedrückt, kontingent, nicht etwas Notwendiges. In der Einleitung seiner Vorlesungen über alte Geschichte (1846/47) beschreibt Droysen unmißverständlich, was der Raum der Kontingenz ist. Es ist die Stelle zwischen der Allmacht der Natur und der Autonomie des Geistes, die zwischen Spontaneität und Bewußtsein liegt: »Das ist die merkwürdige Stelle, wo zwischen Natur und Geschichte ein dunkler Zwischen-
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276 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts raum liegt, das Gesetz geistiger Autonomie hat noch nicht angefangen, das Naturgesetz in seiner Starrheit hat schon aufgehört; hier ist es, wo jener Kreis der Zufälligkeiten, wie unsere Erkenntnis sie nennen muß, jener dunkle Kreis von Unbegreiflichkeiten liegt, die dann doch wieder in ihren Wirkungen maßgebend, richtungbestimmend, für immer das tiefste Warum umhüllend bleiben« (Droysen im Druck: 71).
Obwohl sich bei der theoretischen Bestimmung des Gegenstands der Wissenschaft hegelianische Züge ablesen lassen, sind Hegel und Droysen bei der Bestimmung des Gegenstands der historischen Wissenschaft verschiedener Auffassung. Für Hegel ist der Staat »der nähere Gegenstand der Weltgeschichte überhaupt« (Hegel 1994: 115), in dem der Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit verschwindet. Für Droysen ist diese Gegenstandsbestimmung m.E. komplexer, die Charakterisierung des Staates als »der nähere Gegenstand der Weltgeschichte überhaupt« ist nicht mehr zu sehen: »In der Geschichte der Arbeit liegt das Wesen der Stände; denn sie erwachsen nach dem Gegensatz der Arbeit und Nichtarbeit, nach den Unterschieden der geistigen und leiblichen, der öffentlichen und privaten Arbeit. […] Das ständige Wesen ist so wenig durch den Staat gesetzt, daß vielmehr gerade in dieser Form die Gesellschaft ihren bestimmten Anteil an der Formung und Umformung des Staates hat« (Droysen 1977: 345).
Diese Differenz zwischen Hegel und Droysen weist auf etwas Entscheidendes hin. Obwohl Droysen in der Tat von Versöhnung spricht, ist er empfindlicher für eine tragische Geschichtsauffassung als Hegel. Kontingenz zu deuten heißt nicht die Ereignisse auf eine Dimension (namentlich auf den Staat) des sittlichen Lebens zu reduzieren. Damit wird die Politik als Hauptobjekt der Geschichtswissenschaft radikal in Frage gestellt, ja entmachtet.
Die gesellschaftliche Dimension Einmal als Selbständigkeit der Wissenschaft bezeichnet, zeigt die Bildungsidee bereits ihr Janusgesicht. Selbständigkeit ist eine edle Eigenschaft, solange sie nicht zur Einkapselung führt. Diese Auffassung der Bildungsidee hätte eine Praxis-Abstinenz zur Folge, was sich z.B. in Günter Bucks Auslegung des Bildungsbegriffs ablesen läßt: »Entscheidend ist dabei die Bestimmung der Bildung und ihres Ziels als einer Praxis, einer Lebensform, die freigekommen ist von der Last und Verstrickung, die zur durchschnittlichen Lebenspraxis immer noch gehört. Bildung, das Sein des Gebildeten, gilt nun als ein Tätigsein jenseits der Zwänge endlicher Bedürftigkeit, als durchaus unbedürftiges und freies Tun, wie
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Pedro Caldas: Die Notwendigkeit der Geschichtswissenschaft | 277 es nach Aristoteles im Grunde nur dem göttlichen Wesen zukommt. Unbedürftig und frei ist eine Tätigkeit aber dann, wenn sie reflexiv, d.h., nicht nur um ihrer selbst willen ausgeübt wird, sondern auf sich selbst gerichtet ist und sich selbst zum Thema hat« (Buck 1984: 22).
So verstanden, wird Bildung ein reines Phänomen des Narzißmus, das sich auf eine einseitige Spaltung zwischen Freiheit und Notwendigkeit gründet. Auf einen solchen Bildungsbegriff richtete sich die Kritik Nietzsches gegen den gebildeten Menschen. Er polemisiert gegen die »eunuchische Objetkivität« (Droysen 1977: 236) des Historikers – das hatte auch Droysen schon gemacht, was aber leider von der Nietzsche-Forschung oft übersehen wird. Diese Objektivität drückt sich in der Unparteilichkeit aus, wobei der Historiker versucht, ›mit Gerechtigkeit› die Tatsachen der Geschichte zu erforschen und zu studieren. Nicht zu unrecht meint Nietzsche, daß eine solche objektive Einstellung unmöglich sei oder zumindest höchst bedenklich, insbesondere weil damit eine gewisse Gleichgültigkeit einhergehe. Alle Gegenstände sind der Forschung wert, und der Forscher, zum Weltlosensubjekt geworden, nimmt einen gewissen und sicheren Abstand von den Gegenständen. Es ist interessant, daß Nietzsche nicht notwendig war, um eine solche Kritik zu üben. Schon Droysen, ein Fachhistoriker, sprach über die Unmöglichkeit der Unparteilichkeit. Und das hatte nicht die Abwertung der Geschichtswissenschaft oder der Bildungsfähigkeit der Geschichte zur Folge. Droysen läßt keinen Zweifel aufkommen, was die reine Objektivität der Geschichtswissenschaft betrifft: »Ich danke für diese Art von eunuchischer Objektivität, und wenn die historische Unparteilichkeit und Wahrheit in dieser Art von Betrachtung der Dinge besteht, so sind die besten Historiker die schlechtsten und die schlechtsten die besten. Ich will nicht mehr, aber auch nicht weniger zu haben scheinen als die relative Wahrheit meines Standpunktes, wie mein Vaterland, meine religiöse, meine politische Überzeugung, meine Zeit zu mir haben gestattet. Der Historiker muß den Mut haben, solche Beschränkungen zu bekennen, denn das Beschränkte und Besondere ist mehr und reicher als das Allgemeine. Die objektive Unparteilichkeit, wie sie z.B. Wachsmuth in seiner Historik empfiehlt, ist unmenschlich. Menschlich ist vielmehr, parteilich zu sein« (ebd.).
Was ist denn menschlich? Was bedeutet diese Parteilichkeit, von der Droysen häufig redet? Ich bin der Auffassung, daß diese Parteilichkeit nichts mit einem radikalen Individualismus zu tun hat. Historisch zu denken heißt, laut Droysen, Beschränkungen zu bekennen, statt sich als Mensch zu erklären, der sich von Last (d.h. Erfahrung der Kontingenz) befreit fühlt. Und das macht eben die gesellschaftliche Dimension des historischen Denkens aus: »[…] denn das Begreifen des Menschen faßt nur die Mitte, nicht den Anfang, nicht das Ende.
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278 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts Nicht das letzte Geheimnis erschließt unsere Methode, wenn auch einen Weg dazu, wenn auch den Eingang zum Tempel. Nicht die absolute Totalität, den Zweck der Zwecke, erfassen wir, aber in einer ihrer Äusserungen, in der uns verständlichen, verstehen wir sie.« (ebd.: 30).
Daraus folgt zweierlei: Erstens »die Mitte fassen«, die Mittelstellung des Menschen, die Mittelstellung zwischen Geist und Natur, zwischen Freiheit und Bestimmtheit zu sehen. Die Mitte ist auch die Stelle der Historik in der Welt der Wissenschaften. »Nicht den Anfang und nicht das Ende fassen« heißt zweitens, alles ›viel zu spät‹ zu erkennen, das eigene Bestimmtsein als Fassen des Anfangs und, indem das Ende auch nicht faßbar ist, die Sinnlosigkeit des Handelns anzuerkennen. Was gegenwärtig getan wird, muss nicht für die Zukunft entscheidend sein. Hier zeigt sich schon das Tragische: Hamlet konnte den Anfang nicht fassen, konnte die Vergangenheit nicht bewältigen – entweder wollte er die Vergangenheit überwinden (den Onkel ermorden) oder neu erleben (durch den Mord, zu Gedenken seines Vaters). Und Othellos Iago konnte das Ende nicht fassen: Obwohl er die ganze Handlung beherrscht, ist seine Intelligenz nicht fähig, die Zukunft nach einem klugen Plan zu bestimmen und vorauszusehen. Das ist eben die zwiespaltige Autonomie der Geschichte: Die Gegenwart ist immer tragisch: »So ist die Gegenwart; alles im Wanken, in unermeßlicher Zerrüttung, Gärung, Verwilderung. Alles Alte verbraucht, gefälscht, wurmstichig, rettungslos. Und das Neue noch formlos, zeitlos, chaotisch, nur zerstörend. Endlich zu dem allen der ›Treiber des Unheils‹, ein Krieg in furchtbaren Dimensionen« (Droysen 1933: 328).
Was heißt denn Geschichte als Kontinuität? Geschichte als eine Kontinuität die keine Geschichtsphilosophie voraussetzt? Hans-Michael Baumgartner (1972: 7283) hat schon darauf hingewiesen, daß der Kontinuitätsbegriff bei Droysen weder als Schicksal oder Vorsehung noch als Entwicklung oder Fortschritt zu verstehen sei. Aber ist tatsächlich nur von Kontinuität die Rede? Wäre die Rede nicht von einer unsicheren Autonomie, ja von einer Autonomie, die von der Unsicherheit nicht zu trennen ist?
Die ethische Dimension Was macht eigentlich ein gebildeter Mensch bzw. ein gebildetes Volk? Wir wissen durch Droysen, was ein gebildetes Volk nicht macht: »Diese Begriffsbestimmung der Bildung schließt es aus, daß eine Zeit oder ein Volk schon darum gebildet ist, weil es vielerlei Geschichtlichkeiten, hochentwickelten Verkehr, eine reiche Entfaltung von Wohlleben und Genuß hat« (Droysen 1977: 252).
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Damit schließt man die Gleichsetzung zwischen materiellem Fortschritt und Entwicklung aus, und, darauf hat Reinhart Koselleck hingewiesen, die Identifizierung des Bildungsbegriffs mit einem bestimmten Klassenbewußtein oder mit einer bestimmten Ideologie bleibt immer begrenzt: »Kein bestimmtes Wissen und keine einzelne Wissenschaft, keine politische Haltung oder soziale Vorgabe, kein konfessionelles Bekenntnis und keine religiöse Bindung, keine weltanschauliche Option oder philosophische Präferenz, auch keine spezifische ästhetische Neigung in Kunst und Literatur reichen hin, um ›Bildung‹ zu kennzeichnen« (Koselleck 1990: 24).
In seinen Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte führt Hegel aus: »Der gebildete Mensch ist der, der allem seinem Tun den Stempel der Allgemeinheit aufzudrücken weiß, der seine Partikularität aufgegeben hat, der nach allgemeinen Grundsätzen handelt. Die Bildung ist Form des Denkens; näher liegt hierin, daß der Mensch sich zu hemmen weiß, nicht bloß nach seinen Neigungen, Begierden handelt, sondern sich sammelt. Er gibt dadurch dem Gegenstande, dem Objekte eine freie Stellung und ist gewöhnt, sich theoretisch zu verhalten« (Hegel 1994: 65).
Hier zeigt sich eine ganz andere Bedeutung: Bildung heißt eben Partikularität aufzugeben und sich nicht von der Welt zu entfernen (vgl. Rüsen 1989: 85-87). Bildung mag eben heißen, sich selbst zu überwinden. Es ist durchaus legitim, danach zu fragen, ob so eine Stellungnahme einen absoluten Standpukt voraussetzt. Nicht so bei Droysen. Jetzt gilt es zu ergründen oder zumindest zu skizzieren, was Droysen unter »Ethik als die rechte Philosophie der Geschichte« (Droysen 1977: 55) versteht. Hauptsächlich ist hervorzuheben, wie Droysen versucht, Freiheit und Notwendigkeit in Beziehung zu setzen, weil möglicherweise von Versöhnung nicht mehr die Rede sein kann. Welche Dimension des sittlichen Lebens würde die kontingenten Erfahrungen versöhnen? Die hegelsche Antwort ›Staat‹ würde uns nach der Lektüre von Droysen nicht mehr befriedigen. Ein möglicher Ausweg findet sich am Ende der Vorlesungen von 1857: »[…] die Menschennatur ist weit über die Endlichkeit erhoben, alle menschliche Begabung erscheint gesteigert und gespannt zur Erfüllung des Werkes. Es ist die Macht der Phantasie, über den Menschen hinaus, das, was sein wird und sein muss, zu erfassen. […] Es ist die Macht der Intelligenz, von dem neuen Gedanken aus die Dinge neu zu konstruieren, sozusagen neu zu denken. […] Es ist die Macht des Willens, das so gedachte Neue auch zu realisieren, trotz allen Widerstandes […]« (Droysen 1977: 390).
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280 | Aus dem Vortragsprogramm des Kulturwissenschaftlichen Instituts Dadurch gewinnt man einen durchaus interessanten Ausgangspunkt, der uns ermöglicht, über Bildung in der Geschichtswissenschaft zu sprechen. Es muß hervorgehoben werden, daß der hegelsche Ansatz wieder aufgenommen wird: die Idee nämlich, daß es dem Menschen eigen ist, sich über sich selbst zu erheben, statt einem ewigen Naturgesetz zu folgen. Aber was der Theorie Droysens Eigentümlichkeit verleiht, ist eben die tiefe Einsicht, daß die Art und Weise, sich über sich selbst zu erheben, gar nicht vorbestimmt ist. Die Phantasie ist Teil der Bildung – das heißt: Der menschliche Geist ist nicht nur kognitiv und anerkennend, sondern auch schaffend und kreativ. Die Fähigkeit, der Welt Form zu geben, statt sie nachzuahmen, kann als die ästhetische Seite des geschichtlichen Bewußtseins betrachtet werden. Die Intelligenz, also die Fähigkeit, die Unmittelbarkeit und Äußerlichkeit zu überwinden, gehört ebenso zur Bildung, aber nicht im Sinne von René Descartes, sondern in einem hermeneutischen Sinn. (Obwohl Hans-Georg Gadamer Droysen für einen naiven Hermeneutiker hielt, ist die Gadamersche Horizontperspektive schon bei Droysen zu sehen.) Intelligenz ist auch Anerkennung der Voraussetzungen und der eigenen Historizität. Und zum Schluß: Teil der Bildung ist auch der Wille und zwar nicht nur im politischen Sinn, sondern auch als Ausdruck einer tätigen Subjektivität, einer hermeneutischen Subjektivität, die sich im Prozeß des Verstehens selbst als ein tätiges Wissen präsentiert. Aber auch als Wesen dieses Prozesses. Sein-wollen und Sein-sollen werden eins: »Der Mensch ist, was er sein soll, nur durch Bildung, durch Zucht; was er unmittelbar ist, ist nur die Möglichkeit, es zu sein, d.h., vernünftig, frei zu sein, nur die Bestimmung, das Sollen. Das Tier ist bald fertig mit seiner Bildung; aber das darf man nicht als eine Wohltat der Natur für das Tier betrachten. Sein Wachstum ist nur ein quantitatives Erstarken. Der Mensch dagegen muss sich selbst zu dem machen, was er sein soll« (Hegel 1994: 55).
Obwohl Hegel zitiert wurde, muß man auch Jacob Burckhardt zu Wort kommen lassen »Geschichte, d.h., das Koordinieren, ist Nichtphilosophie, und Philosophie, d.h., das Subordinieren, ist Nichtgeschichte« (Burckhardt 1978: 5). Selbstverständlich ist damit nicht gemeint, daß die Geschichte auf die theoretische Arbeit verzichten muß. Aber das Koordinieren ist ein wesentlicher Teil der theoretischen Arbeit und der historischen Forschung. Oder genauer: Im Koordinieren liegt es, die Spannungen der sittlichen Welt explizit zu machen. Darauf gründet sich die Verantwortlichkeit des Historikers angesichts seiner Gegenwart und seiner Forschung. Der Historiker verhält sich verantwortlich, indem er darauf verzichtet, die sittliche Welt auf nur eine ihrer Dimensionen zu reduzieren.
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Literatur Baumgartner, Hans-Michael (1972): Kontinuität und Geschichte. Zur Kritik und Metakritik der historischen Vernunft, Frankfurt/Main: Suhrkamp. Buck, Günther (1984): Rückwege aus der Entfremdung. Studien zur Entwicklung der deutschen humanistischen Bildungsphilosophie, Paderborn, München: Schöningh/Fink. Burckhardt, Jacob (1978): Weltgeschichtliche Betrachtungen, Stuttgart: Kröner. Droysen, Johann Gustav (1977): Historik, hg. von Peter Leyh, Stuttgart, Bad-Canstatt: Fromann-Holzboog. Droysen, Johann Gustav (1933): Politische Schriften, hg. von Felix Gilbert, München: R. Oldenburg. Droysen, Johann Gustav (im Druck): Historik, in: Historische-kritische Ausgabe, Bd. II. Hegel, Georg W. F. (1987): Phänomenologie des Geistes, Stuttgart: Reclam. Hegel, Georg W. F. (1994): Vorlesungen über die Philosophie der Weltgeschichte, Bd. 1: Die Vernunft in der Geschichte, Hamburg: Meiner. Hegel, Georg W. F. (1995): Vorlesungen über die Ästhetik. Erster und zweiter Teil, Stuttgart: Reclam. Kohlstrunk, Irene (1980): Logik und Historie in Droysens Geschichtstheorie: Eine Analyse von Genese und Konstitutionsprinzip seiner ›Historik‹, Wiesbaden: Franz Steiner. Koselleck, Reinhart (1990): »Einleitung – Zur anthropologischen und semantischen Struktur der Bildung«, in: Reinhart Koselleck (Hg.): Bildungsbürgertum im 19. Jahrhundert. Teil II: Bildungsgüter und Bildungswissen, Stuttgart: KlettCotta. Rüsen, Jörn (1989): Lebendige Geschichte: Grundzüge der Historik, Bd. III, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
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Autorinnen und Autoren
Prof. Dr. Syed Farid Alatas: Professor of Sociology an der National University of Singapore; Mitglied der Forschungsgruppe »Islam und moderne Gesellschaft« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Prof. Dr. Jan Assmann: Professor em. für Ägyptologie an der Universität Heidelberg; Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Kulturwissenschaftlichen Instituts, Essen Prof. Dr. Omar Farouk Bajunid: Professor of Comparative Politics, Hiroshima City University; Mitglied der Forschungsgruppe »Islam und moderne Gesellschaft« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Dr. Pedro Caldas: Professor für Wissenschaftsgeschichte der Neuzeit an der Universidade Cândido Mendes, Rio de Janeiro Prof. Dr. Tina M. Campt: Professorin für Frauenforschung, Geschichte und Germanistik; geschäftsführende Direktorin des Fachbereichs Frauenforschung an der Duke University (USA) PD Dr. Ludger Heidbrink: Leiter der Forschungsgruppe »Kulturen der Verantwortung« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen; Privatdozent für Philosophie an der Universität Kiel Prof. Dr. Ludger Hoffmann: Professor für Deutsche Sprache und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Dortmund; Sprecher der Interdisziplinären Forschungsgruppe »Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur« (Gemeinschafts-
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284 | Jahrbuch 2004 projekt des Kulturwissenschaftlichen Instituts, Essen und der Universität Dortmund) Dr. Olaf Jensen: Mitglied der Forschungsgruppen »Erinnerung und Gedächtnis« und »Vergleichende Tradierungsforschung« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Prof. Dr. Franz-Xaver Kaufmann: Professor em. für Sozialpolitik und Soziologie an der Fakultät für Soziologie der Universität Bielefeld; Senior Fellow am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Dr. Claudia Lenz: Mitglied der Forschungsgruppe »Vergleichende Tradierungsforschung« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Prof. Dr. Hans Markowitsch: Professor für Physiologische Psychologie an der Universität Bielefeld; Leiter der Forschungsgruppe »Interdisziplinäre Gedächtnisforschung« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Dr. Isabella Matauschek: Assistentin für interkulturelle Kommunikation an der Universität Linz; Mitglied der Forschungsgruppe »Vergleichende Tradierungsforschung« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Silke Matura: Mitglied der Forschungsgruppe »Erinnerung und Gedächtnis« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Prof. Dr. Lenny Moss: Professor für Philosophie an der University of Notre Dame (USA); Mitglied der Interdisziplinären Forschungsgruppe »Was ist der Mensch? Kultur – Sprache – Natur« (Gemeinschaftsprojekt des Kulturwissenschaftlichen Instituts, Essen und der Universität Dortmund) Dr. Farish A. Noor: Mitarbeiter im »Zentrum Moderner Orient«, Berlin; Mitglied der Forschungsgruppe »Islam und moderne Gesellschaft« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Silvia Oddo: Mitglied der Forschungsgruppe »Erinnerung und Gedächtnis« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Dr. Almira Ousmanova: Lehrbeauftragte am Fachbereich Philosophie und Kulturwissenschaften der European Humanities University, Minsk; Mitglied der Forschungsgruppe »Europa: Emotionen, Identitäten, Politik« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen
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Prof. Dr. Jörn Rüsen: Präsident des Kulturwissenschaftlichen Instituts, Essen; Professor für Allgemeine Geschichte und Geschichtskultur an der Universität Witten-Herdecke Anne Schwab: Mitglied der Forschungsgruppe »Erinnerung und Gedächtnis« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Dr. Hanne Straube: Lehrbeauftragte an der Universität Frankfurt a.M.; Mitglied der Forschungsgruppe »Sinnkonzepte als lebens- und handlungsleitende Orientierungssysteme« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen Prof. Dr. Harald Welzer: Leiter der Forschungsgruppen »Erinnerung und Gedächtnis: Interdisziplinäre Gedächtnisforschung« und »Vergleichende Tradierungsforschung« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen; Forschungsprofessor für Sozialpsychologie an der Universität Witten-Herdecke Prof. Dr. Lutz Wingert: Professor für Philosophie an der Universität Dortmund Prof. Dr. Sami Zubaida: Professor em. of Politics and Sociology am Birckbeck College, London; Mitglied der Forschungsgruppe »Islam und moderne Gesellschaft« am Kulturwissenschaftlichen Institut, Essen
2005-02-09 17-05-32 --- Projekt: T303.kwi.jahrbuch 2004 / Dokument: FAX ID 00b275981361656|(S. 283-285) T09_01 autorinnen.p 75981362376