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German Pages 404 [398] Year 2014
Sigrid Bekmeier-Feuerhahn, Karen van den Berg, Steffen Höhne, Ralf Keller, Birgit Mandel, Martin Tröndle, Tasos Zembylas (Hg.)
Kulturmanagement und Kulturpolitik
Jahrbuch für Kulturmanagement I Band3
Das Jahrbuch für Kulturmanagement initiiert und fördert einen übergreifenden Diskurs im Kulturmanagement im Hinblick auf eine methodologische und theoretische Fundierung des Faches. Als referiertes Journal positioniert es das Fach »Kulturmanagement« innerhalb übergreifender akademischer Debatten. Dabei werden insbesondere Problemstellungen im deutschsprachigen Raum fokussiert und mit internationalen Beiträgen und Fragestellungen verknüpft. Darüber hinaus fördert das Jahrbuch den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. Die Reihe wird herausgegeben vom Fachverband für Kulturmanagement.
Sigrid Bekmeier-Feuerhahn, Karen van den Berg, Steffen Höhne, Ralf Keller, Birgit Mandel, Martin Tröndle, Tasos Zembylas (Hg.)
Kulturmanagement und Kulturpolitik Jahrbuch für Kulturmanagement 2011 (herausgegeben im Auftrag des FACHVERBANDES FÜR KULTURMANAGEMENT)
[ transcript]
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Inhalt
Zur Einführung in das Jahrbuch für Kulturmanagement 2011 STEFFEN HÖHNE, ROLF KELLER
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SCHWERPUNKT : KATALYSATOREN SOZIALER ERNEUERUNG? KULTURPOLITIK, KULTURMANAGEMENT , KREATIVWIRTSCHAFT UND GESELLSCHAFTLICHE VERANTWORTUNG Der Bock als Gärtner Wenn Kulturmanagemen t Kulturpolitik ersetzt PlUS KNÜSEL
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Vom ,paternalistischen Kulturstaat' zur kooperativen Gestaltung des gesellschaftlichen Kulturlebens durch Kulturpolitik und Kulturmanagement BIRGIT MANDEL
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Kulturpolitik - Ein Praxisfeld ohne Theorie? BERND WAGNER
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Von der Kulturpolitik zum Kulturmanagement Anmerkungen zu einem Paradigmenwechsel JENS BADURA, MONIKA MOKRE
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Über die Politikverdrossenheit des Kulturmanagements DOREEN GÖTZKY
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Kulturmanagement als Organisation agonaler Kompetition BIRGER P. PRIDDAT
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Zwischen Management und Governance Braucht Kultur management eine Reft exi on stheorie? MATTHIAS KETTNER
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Kulturmanagement - eine ethisch-politische Herausforderung BEAT SITTER-LI VER
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Rechtspolitischer Sinn oder Unsinn von Kulturförderungsgesetzen TASOS ZEMBYLAS
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Kritik - Niedergang oder Neuformierung? CORINA CADUFF
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Theater im Wandel Vom Kri s enmanagement zur Zukunft s f äh i gke it THOMAS SCHMIDT
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Kulturarbeit und Klimawandel HERMANN VOE SGEN
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SCHWERPUNKT: POSITIONEN DER KULTUR- UND KREATIVWIRTSCHAFT Anmerkungen zur Kultur- und Kreativwirtschaftsdebatte STEFFEN HÖHNE
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Zur Kreierbarkeit von Kreativwirtschaften in Deutschland ROLF STERNBERG
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Standortfaktor Kreativität Prob l eme des kreativ wirtsc haft li che n Cl usteri ng MONIKA MOKRE
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,Creative Quarters' und die Paradoxie von Stadtplanung FRANK ECKARDT
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Kreativität, Organisation und Management NANCY RICHTER, MATTHIAS MAIER
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BERICHTE/DOKUMENTATIONEN The problern of bullying in the arts Is coaching an effective intervention ? ANNE-MARIE QUIGG
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Rhetorik für Kulturmanager EDWIN W. LÜER
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Katalysatoren sozialer Erneuerung? Kulturpolitik, Kulturmanagement und gesellschaftliche Verantwortung. Tagung des Fachverbands f ür Kulturmanagement an der Universität Basel (13.-15. Januar 2011 ) NICOLA BÜNSCH, ANTJE KOHLRUSCH
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Diskussionsmatrix zur Basler Jahrestagung des Fachverbands Kulturmanagement, 2011 ADELHElD MERS
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Kulturpolitik & Internet Rückblick auf den 6 . Bundeskongress de r Kulturpolitischen Gesel lschaft DIRK HEINZE
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Kunstarbeit jenseits des Kunstmarktes Tagung am 18. Juni 2011 an der Zeppelin Uni versity in Friedrichshafen in Kooperation mit dem Kun stbüro der Kunststiftung Baden-Wü rttemberg JOHANNA SCHINDLER , DONATA GRÄFIN WRANGEL
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REZENSIONEN Frederic Martel: Mainstream. Wie funktioniert, was allen gefällt? PlUS KNÜSEL
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Michael Petry: The Art of Not Making. The New Artist/Artisan Relationship URSULA PASERO
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Jacques Ranciere: Der emanzipierte Zuschauer KAREN VAN DEN BERG
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Heimo Konrad: Kulturpolitik. Eine interdisziplinäre Einführung STEFFEN HÖHNE
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Max Fuchs : Leitformeln und Slogans in der Kulturpolitik STEFAN KOSLOWSKI
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Michael Wimmer: Kultur und Demokratie. Eine systematische Darstellung von Kulturpolitik in Österreich MONIKA MOKRE
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Thomas Kraft, Norbert Niemann (Hgg.): Keine Lust auf Untergang. Gegen eine Trivialisierung der Gesellschaft ROLF KELLER
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Oliver Scheiding, Frank Obenland, Clemens Spahr (Hgg.): Kulturtheorien im Dialog . Neue Positionen zum Verhältnis von Text und Kontext STEFFEN HÖHNE
390
Verzeichnis der Adressen
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CfP: Beiträge für das Jahrbuch 2012
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Zur Einführung in das Jahrbuch für Kulturmanagement 2011 STEFFEN HÖHNE, ROLF KELLER
Schwerpunktthema des aktuellen Jahrbuches für Kulturmanagement ist das mitunter spannungsreiche Beziehungsgeflecht von Kulturpolitik und Kulturmanagement, das Thema der Jahrestagung 2011 des Fachverbandes in Basel war. Aus der Perspektive des Kulturmanagements wird Kulturpolitik zumeist als Instanz verstanden, die inhaltliche Ziele formuliert, Rahmen definiert, Ressourcen bereitstellt und Antworten darauf zu finden hat, was auf dem Gebiet der Kultur für die Gesellschaft erreicht werden soll. Kulturmanagement, zumindest im öffentlichen Kulturbetrieb , kann dazu beitragen, die von der Politik gesetzten Ziele zu realisieren. Die Praxis zeigt allerdings, dass die Beziehungen zwischen Kulturmanagement und Kulturpolitik keineswegs so eindeutig und einseitig codiert sind, da widerstreitende Interessen und gegenseitige Einflussnahmen ins Spiel kommen. Einerseits sind die Auswirkungen kulturpolitischer Entscheidungen im Bereich der öffentlichen Institutionen häufig direkt spürbar - durch gesetzliche Rahmenbedingungen, Mittelvergabe und rechtliche Zuständigkeiten -, andererseits übernehmen immer mehr zivilgesellschaftliche Initiativen zuvor als genuin öffentlich angesehene Kultur- und Bildungsaufgaben. Ferner haben sich die Produktionsverhältnisse in der Kulturarbeit durch neue Angebotsformen, durch Eventisierungs- und Popularisierungstendenzen verschoben. Zudem wirken sich immer deutlicher Partizipationsansprüche auf die herkömmlichen Strukturen kulturpolitischer Entscheidungsprozesse aus und stellen so Kulturorganisationen und in der Folge auch das Kulturmanagement vor neue Aufgaben. Ausdruck dieser Interdependenzen zwischen Kulturpolitik und Kulturmanagement ist nicht zuletzt die veränderte Wahrnehmung der Kultur- und Kreativwirtschaft von Seiten der Politik. Kulturwirtschaftsberichte weisen auf die volkswirtschaftliche Bedeutung dieses Sektors, der noch anfangs der 1990er Jahre als solcher gar nicht bekannt bzw. statistisch erfasst war (gleichwohl schon existierte). Die Erwartungen erweisen sich als vielfältig: Die Wirtschaftspolitik zählt auf Wachstumsperspektiven und Unternehmensgründungen in den diversen Brau-
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STEFFEN HÖHNE, ROLF KELLER
eben der Kultur- und Kreativwirtschaft, die Stadtplanung sucht nach verbesserten Bedingungen, um eine kreative Klasse anzusiedeln und strebt in Zusammenarbeit mit der Kommunalpolitik nach einer erfolgreichen Belebung städtischer Areale durch die Umwandlung ehemaliger Industriebauten in Kultur- oder Kreativquartiere. Auch Künstler und Künstlerinnen bzw. Kulturproduzenten insgesamt erhoffen sich, ob berechtigt oder nicht, neue Aktionsmöglichkeiten. Zugleich aber geraten überzogene Erwartungen an die Stadtentwicklerische Wunderwaffe ,Kreativindustrie' immer mehr in die Kritik. All das stellt auch das Kulturmanagement vor neue Herausforderungen. Das aktuelle Jahrbuch zielt deshalb auf eine kritische Auseinandersetzung mit dem starken Veränderungen unterworfenen Wechselverhältnis zwischen Kulturmanagement und Kulturpolitik. Kulturelle Übersättigung und der demographische Wandel, Fragen der Zugänglichkeit von Kultur für breitere Gesellschaftsschichten und die Reproduktion sozialer Ungleichheit in der Kulturarbeit stehen dabei ebenso auf der Agenda, wie ein gewandeltes Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und privaten Interessenlagen, zwischen Wirtschaft und Kultur.
Der Bock als Gärtner Wenn Kulturmanagement Kulturpolitik ersetzt
PlUS KNÜSEL
Damit wir uns richtig verstehen: Ich träume nicht von jenem Staat, in dem die Kunst regiert und unsere Probleme löst. Je länger ich in der Kulturförderung tätig bin, umso überzeugter bin ich, dass Kunst nicht da ist, um Probleme zu lösen, sondern ein ganz eigener Bereich ist, dessen wichtigstes Charakteristikum die Ungebundenheit des Geistes bleibt. In der Ungebundenheit liegt ihre Potenz, die Ungebundenheit ist, was Kunst uns erhalten muss. Allein, die Kunst hat sich in den letzten 40 Jahren auf einen sehr engen Pakt mit der Politik eingelassen: Sie bietet sich als Allheilmittel für die Fragen der Integration, des Stadtmarketings, der lntelligenzförderung, der Klimarettung und anderes an und unterwirft sich im Austausch für Mittelzusprache der politischen Gestaltung in Form von Kriterien, Projektdefinitionen, Leistungsversprechen und Prüfverfahren. Sie macht sich zur Dienerin anderer Anliegen. Eleonora Belfiore, britische Kulturwissenschaftlerin, kritisierte diese Politik der Anhindung vor einem Jahr in Luzern. Der Preis sei, dass Kultur an Evidenzen gemessen werde - ein Schuss in den eigenen Fuß, da solche Evidenzen nicht beibringbar seien und das Kulturmanagement deshalb ständig auf der Jagd nach neuen Anbindungen, die Unterstützung abhängig von wechselnden Moden sei. In der Tat: Die Allianzen mit der Weltrevolution (war das in den 70ern?), mit der sozialen Umgestaltung durch Partizipation (die Soziokultur der 8oer), mit der Innovationsförderung (die 90er), mit der Landeswerbung (die ooer Jahre), neuerdings mit dem Bruttosozialprodukt (Kultur- und Kreativwirtschaft als unser letzter Wirtschaftsmotor) haben der Kunst zwar Geld und Wachstum gebracht, aber weder Glaubwürdigkeit noch erkennbare soziale Gestaltungskraft. Bestenfalls verleihen sie ihr zwischendurch jenen Gestus des moralischen Imperativs, den wir Anfang der 8oer Jahre auf dem Misthaufen der Geschichte entsorgen wollten. Einzig, dass es für die Erhabenheit eines Imperativs nicht mehr reicht, zu groß ist der Lärm mittlerweile, zu zahlreich die Stimmen, zu beliebig die Urteile. Geschichte wiederholt sich nicht, es sei denn als Parodie; hier hätten wir einen Fall für Karl Marxens berühmtes Diktum aus dem Vorwort zu Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Wozu denn Kunst, lautet die Frage. Ich
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PlUS KNÜSEL
halte es mit dem Schweizer Kunsthistoriker Beat Wyss. Kunst ist eine vieldeutige Weise, Handeln in der Gesellschaft zu reflektieren, schreibt er in Nach den großen Erzählungen : Ihre gesellschaftliche Aufgabe besteht gerade darin, nicht direkt zu handeln, sondern das Handeln zu reflektieren. [ ...] Der symbolische Handlungsraum der Kunst ist eine geschützte Werkstatt für den Laiendiskurs über Gott und die Welt. Die freie Kommunikation von Beobachtungen zu ermöglichen, ist der Sinn der ganzen Veranstaltung und zugleich ihre nicht übersteigbare Grenze. (WYSS 2009: 99)
Eine wesentliche Ungebundenheit, der aber Gott und die Welt vorausgehen, eine Ungebundenheit, die auch mir als Konsumenten der Kunst wichtig und eigen ist. Denn ich weiß ohne Kunst, dass der Klimawandel schädlich ist. Ich weiß auch, was ich dagegen tun könnte. Beides lehren mich die Medien rascher und mit verständlicheren Argumenten. Deshalb berührt uns Kunst, die selber handeln will und uns zum Mithandeln auffordert, in der Regel peinlich. Sie führt uns als naiv vor. Als ob wir, wenn wir uns auf Kunst einlassen, nicht längst im Bilde wären. Was für die Kunst gilt, gilt auch für das Kulturmanagement. Ich glaube nicht, dass Kunst ein Faktor sozialen Wandels ist und dass Management dazu beitragen kann. Slogans wieArtfor Social Change halte ich für Überbleibsel des Legitimationsdiskurses. Kunst gibt uns die Möglichkeit, über sozialen Wandel zu reflektieren, im Zerrbild von Metaphern, Fiktionen und Symbolen. Aber sie ist selbst kein Treiber des Wandels. Der Wandel kommt von außen, von außerhalb der Kunst, lange vor ihr und dem zugehörigen Management. Ein Blick in die Geschichte lehrt es: Es waren wissenschaftliche Innovationen, welche das Weltbild auf den Kopf gestellt haben, Mathematik, Geometrie, Astronomie. Nicht die Kunst hat die Globalisierung hervorgebracht, sondern die Kunst ist ihr gefolgt. Etwas kulturnäher hat jedes neue Medium die Kunstwelt durcheinander gebracht, das Buch, die Photographie, der Film, die Schallplatte, das Internet, das Computerspiel. Keines der Medien wurde durch die Kunst erfunden. Die Gesellschaft hat die geistigen Möglichkeiten, die in ihnen steckte, sofort erkannt und die neuen Medien als Erweiterungsräume des Denkens adoptiert. Diese Umbrüche waren schmerzhaft und lösten auf Seite der Kulturmanager (sofern es solche vor Jahrhunderten schon gab -vielleicht hießen sieHüterder Kultur?) meist heftige Abwehrreaktionen aus: gegen das Buch wurde die Zensur erfunden, der Film wurde zum Propagandainstrument umgebaut, die Photographie dem Journalismus übergeben. Erfolglos. Jedes Medium hat sich durchgesetzt, weil es den Bürgerinnen und Bürgern neue Freiheiten an die Hand gibt. Und sobald es sich als tragfähig erweist, wird es von der Kunst adoptiert.
DER BOCK ALS GÄRTNER
Die Kunstwerdung des Wandels erlolgt erst in seiner Verfestigung; dann, wenn die neuen Machtverhältnisse sich stabilisiert haben und der ästhetischen Nachbearbeitung genauso wie der kritischen Befragung bedürfen. Doch so gering der Einfluss der Kunst, so wichtig ist sie als Ort der Ungebundenheit. Zensur, der Index, Kunst der Verherrlichung, Filmförderung um der Propagandawillen - all das war Kulturpolitik der Verfestigung. Mittlerweile haben Politik und Kultur eine Umgangsregel formuliert und in der Verfassung festgeschrieben: die Kunst ist frei. Das ist gut. Nur bedeutet es nicht, dass der Pakt zwischen Kunst und Politik ohne Folgen bleibt. Kulturpolitik regelt, und Regeln verändern sich. Sie bestimmen die Beurteilung, die Wertschätzung kultureller und künstlerischer Prozesse und wirken auf die Produktion zurück. Jedes Fördersystem bestärkt sich selbst, indem es Anreize schafft für das, was es als wertvoll definiert, und darin Recht bekommt, dass die Projekte nicht auf sich warten lassen. Regeln verlangsamen und festigen das System. Die Verlestigung drückt sich in der wachsenden Zahl von subventionierten Institutionen aus, die einen festgeschriebenen Auftrag ausüben, auch im Drang der freien Szene zur Verstetigung. Kulturpolitik schafft als selektiver Mechanismus zwei Wirklichkeiten - eine festgeschriebene und eine ungebundene, die für sich selber sorgt. Gleichzeitig monopolisiert sie den Begriff ,gute Kunst' für die geförderte Hälfte. Damit schafft sie ein Innen und ein Außen. Es zeigt sich hier nur ein kleines Paradoxon, dass die kulturpolitisch strukturierte Wirklichkeit die Ungebundenheit der Kunst für sich reklamiert, während der tatsächlich freie Teil als durch die Nachfrage determiniert gilt. Es gibt folglich auch zwei Klassen von Kulturmanagern entsprechend den zwei Wirklichkeiten. Typ 1 sind solche, welche Kulturbetriebe leiten, die ganz ohne staatliche Hilfe auskommen. Typ 2 sind solche, die in subventionierten Strukturen arbeiten oder in der Verwaltung sitzen. Die erste Sorte, die staatsfernen, gibt es schon lange, seit es kulturelle Einrichtungen und Produzenten gibt, die sich am Markt behaupten müssen. Der erste selbständige Buchverleger war vermutlich der erste Kulturmanager. Die zweite Sorte istjüngeren Datums. Erst, seit sie auf der großen Bühne des kulturellen Lebens aufgetaucht ist, spricht man von Kulturmanagement. Das war in den 1980er Jahren. Warum dann? 1979 Jahre hatte Hilmar Hoffmann, Kulturdezernent in Frankfurt am Main, den programmatischen Slogan Kultur für alle geprägt. Jeder Bürger muss grundsätzlich in die Lage versetzt werden, ,Angebote' in allen Sparten und mit allen Spezialisierungsgraden wahrzunehmen, und zwar mit einem zeitlichem Aufwand und einer finanziellen Beteiligung, die so bemessen sein muss,
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PlUS KNÜSEL dass keine einkommensspezifischen Schranken aufgerichtet werden. Weder Geld noch ungünstige Arbeitszeitverteilung, weder Familie noch Kinder noch Fehlen eines privaten Fortbewegungsmittels dürfen auf die Dauer Hindernisse bilden, die es unmöglich machen, ,Angebote' wahrzunehmen oder entsprechende Aktivitäten auszuüben. (HOFFMANN 1981: 29)
Dieses Credo war der Startschuss der modernen Kulturpolitik. Es löste eine Mengenoffensive aus. Nicht um intellektuelle Befähigung ging es hier, sondern um materielle Schwellen, die zu senken waren- um einen reinen Konsummechanismus. Ein neues Angebot musste den neuen Kulturbürger erschaffen. Es begann der Bau neuer Museen, neuer Bibliotheken, die Umwandlung von Fabriken in alternative Kulturzentren. Kultur, so das Motto der Politik, musste zu den Leuten gehen. Und sie musste billig werden, die Oper wenigstens auf dem Preisschild zur Volksoper werden. Das Glück eines gebildeten Menschen, der im Theater sitzt, wurde zur Glücksnorm aller erhoben. Es waren dieselben Jahre, in denen der Supermarkt populär wurde. Für dieses große kulturelle Entwicklungsprojekte brauchte es - genau! - Kulturmanager . Der forcierte Ausbau der kulturellen Infrastruktur rief nach Verwaltern. Nach Leuten, die mit öffentlichen Geldern vernünftig umgehen konnten, die eine Ahnung hatten, was ein Budget ist und was ein Subventionsvertrag. Leute, die im sich abzeichnenden Standortwettbewerb ihren Mann oder ihre Frau stehen würden. Kulturmanager wurden die Erfüllungsgehilfen der Politik. Natürlich hat die Politik sie nicht erfunden. Aber die Politik hat das Feld geschaffen, das bearbeitet werden musste. Die neuen Institutionen - von Kunsthallen über Produktionsstätten des OffTheaters bis zu Festivals des neuen Theaters (typisch: Zürcher Theater Spektakel) - waren konzeptioneller Natur und nicht mehr Geburten einer gottgleichen Persönlichkeit. Ihr Leitungspersonal handelte im Auftrag und musste austauschbar sein. Typische Manager eben. Die Kritik ließ nicht auf sich warten. Kaum gab es in Wien und in Harnburg die ersten Lehrgänge in Kulturmanagement, hieß es von Seiten der alten Garde der Self-made-Götter: Unnötig. Kulturmanagement verdirbt die Kunst. Mit dem Management ziehe der Krämergeist ein, der Kulturbetrieb werde ökonomisiert, kommerzialisiert. Die Kritik war ernst gemeint. Nur ging sie an der Sache vorbei. Warum? Weil Management der Preis demokratischer Förderung ist. Wo nicht mehr der Potentat in der Person des Mäzens mit Vorlieben und Abneigungen auftritt und sich im Gegenüber des großen Künstlers bespiegelt, braucht es Gehilfen, welche die öffentliche (anonyme) Vorstellung von nützlicher Subventionierung und erhoffter Wirkung als Mission annehmen und zu ihrem Beruf machen. Das ging übrigens parallel zur Erfindung
DER BOCK ALS GÄRTNER
der wirkungsorientierten Verwaltung, welche in den 90er Jahren in Mode kam. Die Vermehrung der Kulh1rmanager vom Typ 2 konnte nicht ohne Folgen bleiben für das übrige kulturelle Feld: Auch die staatsfernen Kulturmanager suchten in wachsendem Maße die Nähe des Staates. Wenn der Staat schon bereit ist, Risiken abzufedern, dann doch bitte auch bei ihnen. Wo er bereits in so viele Bereiche eingreift, könnte er das doch in allen tun, von der Filmproduktion bis zum Büchervertrieb. Auch das ist eine Folge der politisch gewollten Expansion. Die Erfindung des Kulturmanagements als Beruf hat also Rückwirkungen auf die Kulturmanager vom Typ 1: ihr Unternehmergeist schwächelt, auch sie suchen nun Risikominderung. Ein weitere Folge: Kulturmanager, die es nicht in subventionierte Betriebe oder in die Verwaltung schaffen, gründen frei schwebende Initiativen und tragen zur Angebotsvermehrung bei, ganz im Sinne des sich selbst verstärkenden Systems. Sie reihen sich mit ihren, den Fördereinrichtungen auf den Leib geschriebenen, Projekten in den Chor der Fundraiser ein. Und da gegen Kultur an sich weder Argumente noch Kräuter gewachsen sind, werden sie auch kriegen. Nicht allzu viel. Aber immerhin. Und was sie kriegen, geht anderen ab. Das ist die Gießkanne. Sie bildet Demokratie ab. Im Zeichen von Freiheit und Vielfalt ist alles zulässig. Man kann zwar im Namen der Qualität das eine oder andere zurückweisen, doch auch die Qualitätsbegriffe sind mittlerweile zahlreich, widersprüchlich und hilfreich beim Legitimieren jedweder Förderung. Die Expansion des Angebotes einerseits, die wachsende Professionalisierung andererseits hatten für die Kunst eine unerwartete Folge: Die Politik rutschte, nachdem sie Kultur als Politikfeld erschlossen, strukturiert und mit Verwaltern besetzt hatte, von der Kultur weg. Die Dynamik, die sie selbst ausgelöst hatte, wuchs ihr über den Kopf. Noch mehr Museen? Noch mehr Theater? Noch mehr Bibliotheken? Noch mehr erfolglose Schweizer Filme? Denn der prophezeite soziale Wandel hatte nicht eingesetzt. Weder hat sich die Zahl der Konsumenten von subventionierter Kultur erhöht, sie verteilt sich bloß anders und ist pro Besucher teurer geworden, noch hat das professionelle Kulturschaffen seine elitären Gestus verloren - Reflexion ist nicht jedermanns Anstrengung, und das wird so bleiben. Die größte Enttäuschung aber: So viel Kultur hat weder eine Regierung vom Typ Berlusconi noch das Ja zur Minarettinitiative verhindert, noch die Deutschen empfänglicher für die Migranten gemacht. Die Antwort auf die Leitfrage der Tagung ist also ,Nein'. Kulturmanagement ist kein Katalysator sozialen Wandels, weil Kunst es nicht
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PlUS KNÜSEL
ist. Das ist ein frommer Wunsch, entsprungen dem Willen, der eigenen Funktion etwas gesellschaftlichen Glanz zu verleihen. Neben der Frage der Finanzierbarkeit einer offenbar unerreichbaren Wirkung rückt nun jene nach dem ,Wohin jetzt?' in den Vordergrund. Da es außer rechts außen keine Vision gibt, wohin dieses Land sich kulturell entwickeln sollte, fällt es der Politik immer schwerer, Weichen zu stellen. Die Überwindung des Barbarenturns ist geleistet, das Angebot ist unglaublich reich, und ob in der Schweiz pro Jahr 12.000 oder 14.000 Buchtitel erscheinen, kann wirklich nicht die Sorge der Politik sein. Die Gießkanne gilt auch ideell. Alles geht - ist nicht nur das Gesetz der postmodernen Kultur, sondern auch der postmodernen Politik. Bloß: Was könnte Kulturpolitik noch wollen? Hier brennt's. Denn nach den Jahren der Kulturpolitik haben neue Themen an Virulenz gewonnen: Überalterung, Einwanderung, Klima und Energie, Gesundheit, Ernährung, Bildung. An solchen fundamentalen Fragen verdient sich der heutige Politiker Lorbeeren, hier gewinnt er an Statur. Ein Museum zu eröffnen, das ist doch irgendwie - von gestern. Sich in eine gewonnene Schlacht stürzen, verschafft keine Anerkennung. Diese Verlegenheit, wenn es um die Zukunft geht, sowie die scharfe Konkurrenz neuer Herausforderungen schwächen die Kulturpolitik. Und wenn die Politik ratlos schweigt, dann redet das Kulturmanagement. Wir haben das gesehen anband der Anhörung der Kulturbotschaft 2012 bis 2015 des Schweizer Bundes. Von Seiten der Politik ist bisher nichts gekommen. Die Parteien, die sich als besonders kulturfreundlich geben, haben die Stellungnahmen der Künstlerverbände abgeschrieben. Die Stellungnahmen der Künstlerverbände aber sind von Managern verfasst. Auch die Stellungnahmen der Verbände der Institutionen wurden von Kulturmanagern verfasst. An der Table Ronde saßen hauptsächlich Manager. Es sind die professionellen Stakeholder des Systems, die das Wort führen. Das war beim Kulturförderungsgesetz schon so. Auch aufkommunaler Ebene führen die Kulturmanager in der Regel das große Wort. Eben hat die Oper Zürich wegen eines schlechten Jahres eine Subventionserhöhung um 2 Mio. pro Jahr beantragt. Das ist der Antrag des Managements (eines schlechten Managements, das haben die Medien begriffen). Vor kurzem saß ich in Zürich auf einem Podium zur Frage Wie sieht eine zeitgemäße Kulturförderung aus? Im Saal saßen 200 Kulturmanager. Die NZZ kritisierte anschließend den Egoismus der Voten. Die NZZ kritisierte die falschen. Manager urteilen immer aus der Sicht ihres Betriebes; er ist ihnen am nächsten, ihn zu halten, dafür sind sie angestellt. Den Auftrag zu erfüllen, ist ihr Ethos. Sie wollen ihre Risiken mindern, um sicherer erfolgreich zu sein. Der Auftrag
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ist festgeschrieben, und sei es nur durch einen Projektbeitrag. Ich kann es den Managern nicht verargen, dass sie ihr Projekt, ihre Einrichtung als unverzichtbar darstellen. Wie sollten sie anders? Auch, dass Kulturmanager vom Typ 2 nie von Überproduktion oder Übersättigung reden. Die Politik könnte ihnen daraus einen Strick drehen, bloß entstehen so keine Langzeitperspektiven für die kulturelle Entwicklung unserer Gesellschaft. Ich beneide die Politik nicht. Sie sieht sich konfrontiert mit einem universellen Lobbyismus für mehr Geld, mit einer Fülle von Ausbauwünschen, Aufstockungsbegehren, Risikomilderungsansinnen, die zu gewichten und beurteilen nur auf dem Hintergrund einer kulturellen Vision möglich wäre. Die aber ist nicht in Sicht. Setzt die Kulturpolitik Themen wie in der Kulturbotschaft (2011), werden sie vom Management demoliert, da sich nicht alle Manager darin wiedererkennen. Deshalb mutiert Kulturpolitik in der Schweiz zur großen Addition der Mikroperspektiven. Zu einem Flickwerk widersprüchlicher, von variierenden Lobbys mit unterschiedlichem Erfolg durchgesetzter Ermächtigungen. Manager vom Typ 1 wissen, dass wenn der Markt nichts mehr hergibt, man entweder die Firma schließen oder neue Produkte erfinden muss. Verleger Egon Ammann hat sich mit seinem Ammann Verlag vor einem Jahr für diesen Weg entschieden. Die Literaturkritik war fassungslos. Sie suchte verzweifelt nach dem Versagen der Literaturförderung. Unterstützungsfreie Musikclubs dagegen, denen das Publikum davonläuft, bauen das Programm um. Die Popkritik ist davon fasziniert, weil sie Erneuerung wittert. Manager vom Typ 2 gehen davon aus, dass ihr Produkt das richtige ist, dass der Irrtum also bei den Konsumenten liegt. Und holen sich Absolution bei der Politik. Siehe Opernhaus. Wenn der Bock den Garten bestellt, wird er besonders schön. Der Bock natürlich. Die laufende Ausdehnung der staatlichen Kulturleistungen als derzeit einziges Programm hat zweierlei Folgen. Die eine: Staatlich geförderte Kultur bewegt sich immer im Mittelfeld von konditionierter Provokation und opulenter Besänftigung. Sie muss sich innerhalb eines geahnten politischen Gemeinsinns bewegen. Daraus entsteht ein intellektueller Mainstream, eine Art innovative Formatierung, die der Kunst langfristig nicht gut tut. Sie wird, sagt die Künstlerin Pipilotti Rist, schlaff. Und: Je umfassender der Staat fördert, umso mehr tötet er private Risikobereitschaft. Das aber wäre der Kern von Management: Risiken nicht auszuschließen, sondern abzuwägen und erfolgreich einzugehen. Alessandro Baricco (2009), italienischer
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Schriftsteller (Seide), schrieb in seinem provokanten Aufsatz Fermez les theatres publics, dass das staatliche Finanzierungsmonopol, das gemacht ist, um Verluste wegzustecken, die private unternehmerische Initiative im Kulturbereich erstickt. Weshalb soll jemand noch Kapital riskieren, wenn der Staat dafür aufkommt?
Damit stoße ich vor zur Frage: Wohin mit dem Kulturmanagement? In die Hölle auf jeden Fall nicht, Förderung setzt auf der geförderten Seite Management voraus, das ist für den Austausch von Unterstützung gegen künstlerische oder kulturelle Leistung unabdingbar. Hingegen müsste Kulturmanagement sich von der Vorstellung emanzipieren, dass öffentliche Förderung die erlösende Heiligung darstellt; anerkennen, dass die ehrenvollste Form von Kulturmanagement das Management eines privaten kulturellen Unternehmens ist, das sich am Markt behauptet. Auf diese Weise gewinnt Kulturmanagement eine ganz andere Form von Unabhängigkeit: die Unabhängigkeit vom Misstrauen der Konkurrenz, vom Formalismus der Kommissionen, die Freiheit, sich zu verändern. Ich glaube, man kann diese ökonomisch fundierte Unabhängigkeit nicht überschätzen, sie steht nämlich am Beginn der Befreiung der Kunst aus den Auftragsverhältnissen. Europa bringt viele subventions- und verwaltungsorientierte Kulturmanager hervor. Wir brauchen solche, wie schon gesagt, wir brauchen öffentliche Kultureinrichtungen, und wir wollen unsere Steuergelder produktiv eingesetzt sehen. Europa ist hingegen sehr schwach auf der Brust, wenn es um marktfähige kulturelle Erzeugnisse geht. Die USA legen im globalen Austausch von kulturellen Inhalten jedes Jahr 10 %zu, Europa verliert 8 %. Die Schweiz existiert in dieser Statistik gar nicht. Lesen Sie dazu Frederic Martels (2011) Mainstream. Diese Schwäche Europas hat damit zu tun, dass Kunst in unseren Breitengraden kommerziell nicht erfolgreich sein darf, sonst verliert sie die Adelung als Kunst und dass wir zuviel Manager vom Typ 2 und zu wenig vom Typ 1 haben. An der Übersicht der Diplomarbeiten 2010 des Studienzentrums Kulturmanagement in Basel (SKM) erkenne ich eine starke Ausrichtung an den Paradigmen der Kulturpolitik, an deren Legitimitätsbegriffen und der potentiellen Zufuhr öffentlicher Gelder. Ich wünschte mir im Gegensatz dazu eine viel stärkere Orientierung am Publikum, am Markt, am Unternehmertum. Ich wünschte mir Kulturmanager, die uns Kulturverwaltern viel widerborstiger begegnen, weil sie es auch ohne uns können. Das wäre für uns eine ganz andere Dimension von Herausforderung und würde der Kulturpolitik neue Impulse jenseits der Klagegesänge über Verteilungsungerechtigkeit vermitteln. Kulturpolitik
DER BOCK ALS GÄRTNER
müsste begreifen, dass ihr Urteil über das einzelne Werk (ob es förderungswürdig ist oder nicht) gar nicht nötig, ja überholt ist; der Bürger ist längst mündig und entscheidet autonom. Gerade bei den Inhalten sollte der Staat sich zurückhalten. Auch das Angebot ist längst ausreichend - mehr als das, wenn man die Mobilität des Bürgers sowie die Digitalisierung in Rechnung stellt. Hingegen muss Kulturpolitik mit Kraft die Rahmenbedingungen gestalten, die erfolgreiches kulturelles Unternehmertum ermöglichen, und zwar in der ganzen Breite künstlerischen und kulturellen Tuns. Ob eineAusbildung, wie das SKM sie anbietet, dann noch ausreicht, wage ich zu bezweifeln. Kulturelles Unternehmertum lernt man vermutlich nur, wenn die Managementausbildung im lebendigen Austausch mit Kunststudenten und am Markt tätigen Produzenten erfolgt und die Möglichkeit besteht, Kunst und Management laufend produktiv zu erproben, und zwar ernstfallmäßig. Dafür sind auch unsere Kunsthochschulen nicht gerüstet; sie polieren das Elfenbein, das sie umgibt, sie haben keine Kinos, kaum Theatersäle, keine funktionalen Konzertsäle und Verlage, keine Radio- und Fernsehstationen und keine Gamedesignstudios, auch keine Vertriebsstrukturen; nichts, wo Kunst und Management als Ernstfall laufend zusammen kommen könnten. Das wäre denn meine Vision: ein Ausbildungssystem, das Kunst und Management vor dem Master zusammenführt und nicht erst nachher. Kunsthochschulen, welche Epizentren der Produktion sind, Gravitationsfelder einer künftigen (exportorientierten) Kulturindustrie, für die im Basler Kulturleitbild vielleicht sogar Platz ist. Uns Öffentlichen ginge deswegen die Arbeit nicht aus: Ein System sehr unterschiedlicher, soziale Vielfalt abbildender Einrichtungen werden wir immer fördern, auch das freie Kunstschaffen. Nicht alles besteht auf dem Markt, das ist eine elementare Regel. Doch allzu viel, das der Nachfrage entzogen ist, schafft eine künstliche Welt, die sich zuletzt selbst bespiegelt, in der es weder Bindung noch Ungebundenheit gibt. Auch im internationalen Konkurrenzkampf wird es nicht ohne Unterfütterung gehen, das ist von außen diktiert. Beide Aspekte müssen selektiv sein, intelligent, gut gemanagt. Nur wenn Kulturpolitik ihre Ziele knapp hält, sind sie finanzierbar und erreichbar. Der grosseTeil des künstlerischen Feldes hingegen gehört dem freien Geist. Der ist zur Hälfte kreativ. Und zur Hälfte unternehmerisch.
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PlUS KNÜSEL Literatur BARRICO, Alessandro (2009): Fermez les theatres publics. - In: Courrier international. . HOFFMANN, Hilmar (1981): Kultur für alle. Perspektiven und Modelle. Frankfurt/M.: Suhrkamp. KULTURBOTSCHAFf (2011): Kulturbotschaft themen/kulturpolitik/03 720/ >.
2012-2015.
< http:/ / www.bak.admin.ch/
MARTEL, Frederic (2011): Mainstream . Wie funktioniert, was allen gefällt. München: Knaus. WYSS, Beat (2009): Nach den großen Erzählungen. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Vom ,paternalistischen Kulturstaat' zur kooperativen Gestaltung des gesellschaftlichen Kulturlebens durch Kulturpolitik und Kulturmanagement 1 BIRGIT MANDEL
1.
Einführung
Das Verhältnis von Kulturpolitik und Kulturmanagement scheint einfach und klar zu sein: Kulturpolitik entscheidet über die inhaltliche Ausrichtung, setzt die normativen Ziele. Kulturmanagement hat lediglich Auskünfte darüber zu geben, wie die Ziele der Kulturpolitik bestmöglich umgesetzt werden, d.h. wie kulturbetriebliche Prozesse optimiert werden können.[ ...] Wer sein Auto in die Werkstatt bringt, um es für die Urlaubsreise fit zu machen, erwartet von dem Mechaniker auch nicht, dass dieser ihm noch die schönsten Urlaubsziele mitliefert. Wohin die Reise geht, muss also die Kulturpolitik bestimmen, dafür ist der Manager nicht zuständig. (KLEIN 2oos: 6sf.)
Kulturpolitik und Kulturmanagement stünden dieser Aussage zufolge in einem ausschließlich hierarchischen Verhältnis. Dem gegenüber wird hier die These vertreten, dass die Beziehungen zwischen Kulturpolitik und Kulturmanagement zum einen in den einzelnen Kultursektoren unterschiedlich ausgeprägt sind und zum anderen wesentlich durch das jeweilige Arrangement kulturpolitischer Steuerung strukturiert werden und damit auch einem Wandel unterliegen können. Hierarchische Steuerungsformen eines ,paternalistischen Kulturstaates' erscheinen immer weniger geeignet, die gegenwärtigen Strukturprobleme des Kulturbereichs in Deutschland zu bearbeiten. Vieles spricht dafür, dass kooperative Steuerungsformen an Bedeutung gewinnen werden, in denen staatliche und verschiedene nicht-staatliche Akteure bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Kulturangebots zusammenwirken. Kulturmanagement muss in solchen Arrangements kulturpolitischer Steuerung seine Verantwortung für das Gemeinwohl bewusst wahrnehmen. In vorliegenden Publikationen zum Kulturmanagement werden die Beziehungen zur Kulturpolitik bislang nur am Rande thematisiert. Hinweise aus politikwissenschaftlicher Sicht verdanke ich Dr. Richard Koch.
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Kulturpolitik wird eher als öffentliche Verwaltung, denn als politische Instanz der Gestaltung des kulturellen Lebens betrachtet. Im Vordergrund der Kulturmanagementliteratur stehen administrative Fragen sowie Umsetzungsstrategien, die größtenteils in der Auseinandersetzung mit der betriebswirtschaftliehen Managementliteratur entwickelt werden. Umgekehrt werden in der Literatur zur Kulturpolitik die Aufgaben von Kulturmanagement nur am Rande thematisiert und wenn, dann häufig kritisch als Auslöser einer Ökonomisierung des Kulturbereichs. Theoretische Reflexionen über das Verhältnis von Kulturpolitik und Kulturmanagement fehlen weitgehend. Als einen Grund für die wechselseitige Ignoranz der wissenschaftlichen Disziplinen Kulturmanagement und Kulturpolitik vermutet Wagner (2010: 173) einen Mangel an theoretischer Auseinandersetzung in beiden Disziplinen. Hier träfen zwei neue, erkenntnistheoretisch kaum beleuchtete Disziplinen aufeinander, was eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung sehr erschwere angesichts der vielen undefinierten Dimensionen. Hinzu kommt sicherlich, dass es sowohl in der Kulturmanagementforschung wie auch in der Kulturpolitikforschung an fundierten empirischen Analysen mangelt. Im Vordergrund standen bislang in beiden Disziplinen entweder allgemeine, meist geisteswissenschaftlich orientierte Reflexionen über die Aufgaben von Kulturmanagement bzw. Kulturpolitik oder pragmatische Betrachtungen von Instrumenten und Problemlösungsansätzen.
2.
Kulturpolitik in Deutschland - Status Quo
Die öffentliche Kulturfinanzierung in Deutschland beläuft sich auf ca. 8,5 Milliarden Euro, in absoluten Zahlen ist das mehr als in allen anderen Ländern der Welt, pro Kopfliegt Deutschland damit innerhalb Europas im vorderen Drittel, jedoch hinter den skandinavischen Ländern sowie Österreich und der Schweiz (COUNCIL OF EUROPE/ERICARTS 2009). Rund 90% dieser Mittel sind für den Erhalt von Kunst- und Kulturinstitutionen fest gebunden. Die Besonderheit der Kulturförderpolitik in Deutschland besteht darin, dass sie seit den 1950er Jahren auf den Unterhalt einer lange Zeit expandierenden öffentlichen kulturellen Infrastruktur ausgerichtet ist. In Deutschland werden Kulturformen tendenziell immer noch in EKultur und U-Kultur hierarchisiert. Staatliche Förderung erhalten fast
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ausschließlich Hochkultur und Avantgardekultur. U-Kultur gilt als wenig relevant für das Gemeinwohl und damit als nicht förderungswürdig. Eine wesentliche rechtliche Basis von Kulturpolitik in Deutschland ist zum einen der Kulturföderalismus (Art. 28 und 30 GG). Im Unterschied zu zentralistischen Staaten wie Frankreich ist für Deutschland eine kulturelle Regionalisierung kennzeichnend (KLEIN 2005: 71f.). Zum anderen wird durch das Grundgesetz (Art. 5 [3] GG) die Freiheit der Kunst garantiert. Beide Normen basieren auf der Erfahrung mit einer totalitären und zentralisierten Kulturpolitik im Nationalsozialismus. Aus der grundgesetzliehen Freiheitsgarantie für die Kunst leitet man zugleich die Verpflichtung zur Förderung von Kunst ab, denn nur indem man diese weitgehend von den Prinzipien des Marktes befreie, sei auch ihre Unabhängigkeit zu gewährleisten. Auch wenn in einzelnen Landesverfassungen weitere Aufgaben öffentlicher Kulturförderpolitik genannt werden, so steht doch die Kunstfreiheitsgarantie als übergreifendes, allgemein anerkanntes Prinzip im Vordergrund. Dies hat auch dazu geführt, dass Kunst aus gesellschaftlichen Verpflichtungen und mehr noch, dass Kulturpolitik als Kunstpolitik häufig aus Begründungspflichten entlassen wurde. Kunstförderung gilt per se als wertvoll, ohne sich rechtfertigen zu müssen (SCHULZE 2000: 513). Vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Krise der öffentlichen Kulturfinanzierung muss man mit Fuchs (2010: 8) inzwischen auch von einer Krise der kulturpolitischen Begründungen sprechen. Kulturpolitik formuliert in der Regel hohe Wirkungserwartungen von Kunst in Bezug auf Identitäts- und Sinnstiftung, Demokratisierung sowie die Lösung von gesellschaftlichen Problemen etwa im Bereich von Bildung und Integration, ohne dass diese näher bestimmt und empirisch nachgewiesen würden. Allenfalls Umwegrentabilitäten der Kulturförderung in Form von Imagegewinn, Standortaufwertung, Tourismus etc. werden häufiger statistisch ermittelt und als Legitimationsgrundlage herangezogen. Über die Aushandlungsprozesse in der Kulturpolitik lassen sich angesichts des geringen empirischen Erkenntnisstands lediglich einige allgemeine Hypothesen formulieren: Kulturpolitische Entscheidungsprozesse verlaufen häufig wenig transparent und deshalb für den interessierten Bürger schwer nachvollziehbar. Dies hat auch damit zu tun, dass Kulturpolitik in Deutschland nicht an öffentlich diskutierten, gesellschaftlich ausgehandelten Leitlinien orientiert ist. Trotz eines umfassenden gesellschaftlichen Wandels finden kaum öffentliche Debatten darüber statt, worin der Beitrag von Kunst und Kultur zur Begleitung dieses Wandels liegen könnte und
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inwiefern Ziele, die in der Vergangenheit als erstrebenswert galten, heute noch gültig sind. Der Einfluss der politischen Parteien auf die Formulierung von Zielen und Handlungsmaximen der Kulturpolitik ist eher gering. Die kulturpolitischen Programme der Parteien sind einander ähnlich. Kulturpolitik ist kaum verzahnt mit den Politikfeldern, für die Kultur Lösungsbeiträge liefern könnte wie etwa für die Bildungs-, Jugend-, Sozial- oder Wirtschaftspolitik. Auch wenn gerade in jüngerer Zeit immer wieder gefordert wird, dass die Ressorts hier zusammen arbeiten müssten, scheinen die bürokratischen Hindernisse für Kooperationen derzeit noch hoch zu sein. Fördereutscheidungen werden teilweise vom Staat an externe Expertengremien delegiert, um Kunstfreiheit und Staatferne zu garantieren. Der Handlungsspielraum von Kulturpolitik ist dadurch stark eingeengt, dass das verfügbare Budget durch die institutionelle Förderung weitgehend ausgeschöpft wird, wobei durch die tendenziell rückläufigen Kulturhaushalte bei gleichzeitig steigenden Kosten der Kulturinstitutionen durch Tarifabschlüsse, Inflation u. ä. die Situation weiter verschärft wird (KLEIN 2005: 90). Der Kulturpolitik gelang es in der Vergangenheit kaum, gegen die Bestandshaltungsinteressen der geförderten Kultureinrichtungen ihren Handlungsspielraum zu vergrößern. Die öffentliche Meinung zur Kulturpolitik, die maßgeblich vom gebildeten Bürgertum und dem (überregionalen) Feuilleton geprägt wird, fordert und befördert eine konservative, Hochkultureinrichtungen bewahrende Kulturpolitik. Auch wenn der Großteil der Bevölkerung an der öffentlichen Meinungsbildung zur Kulturpolitik nicht teilnimmt, zeigen Meinungsbefragungen, dass die Mehrheit der Bevölkerung diese Haltung stützt. "(Hoch-)Kultur ist wichtig, hat aber nichts mit meinem eigenen Leben zu tun", so lässt sich die Haltung pointiert zusammenfassen (MANDEL 2006, 2009; ZENTRUM FÜR KULTURFORSCHUNG 2005). Eingriffe in die Landschaft der Kulturinstitutionen könnten deshalb für die jeweilige (Kommunal-)Regierung zu Legitimationsproblemen und für die sie tragenden politischen Parteien zu einer Beeinträchtigung der Wahlchancen führen. Angesichts der Bedeutung der öffentlichen und veröffentlichten Meinung für Kulturpolitiker wird der Medialisierbarkeit von Entscheidungen ein hoher Stellenwert eingeräumt, was Starkult und Symbolpolitik fördert.
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3.
Kulturmanagement in Deutschland - Status Quo
Kulturmanagement entwickelte sich in Deutschland als eigenständige Profession Anfang der 1990er Jahre, vor allem im Kontext des damals nach der deutschen Wiedervereinigung notwendigen Reformbedarfs der öffentlichen Kulturinstitutionen und der Kulturverwaltung. Kulturmanagement wurde insbesondere als Einsparinstrumentarium gesehen, um den Wegfall öffentlicher Gelder zu kompensieren und als Strategie zur Professionalisierung der Abläufe in öffentlichen Kulturbetrieben. Das Image von Kulturmanagement ist stark geprägt von seiner an Effizienzkriterien orientierten Rationalisierungsfunktion. Daraus haben sich bestimmte (Vor-)Urteile und implizite Glaubenssätze über Kulturmanagement herausgebildet, die bis heute die Diskurse über Kulturmanagement beeinflussen. Ein Glaubenssatz besteht darin, dass Kulturmanagement vor allem das Management der Künste vorwiegend im professionellen Kunstbetrieb beinhalte. Um den Vorwürfen entgegen zu wirken, Kulturmanagement führe zu einer Kommerzialisierung von Kunst und Kultur, betonen die (wissenschaftlichen) Protagonisten des Kulturmanagements immer wieder seine dienende Funktion. Kulturmanagement ermögliche die Rahmenbedingungen von Kunst und Kultur, habe sich aber aus allen inhaltlichen Fragen herauszuhalten, damit die Freiheit der Kunst nicht gefährdet würde, ebenso wie aus allen kulturpolitischen Fragen. Dabei bediene sich Kulturmanagement der in der Betriebswirtschaftslehre erprobten Managementverfahren, die für den Kultursektor leicht adaptiert, quasi entschärft würden. Fragen des Managements von privaten Kulturunternehmen wurden aufgrund des vermeintlich minderwertigen kommerziellen Kulturangebots bis vor kurzem in den öffentlichen Diskursen weitgehend ausgeblendet (MANDEL 2009). Diese Annahmen konstituieren eine verengte Sichtweise auf Kulturmanagement, die weder die heutige Praxis zureichend beschreibt, noch zukünftigen Herausforderungen angemessen erscheint. Die Funktion von Kulturmanagement, so wird hier allgemein definiert, besteht darin, die Rahmenbedingungen künstlerischer und kultureller Produktion und Rezeption zu organisieren. Kulturmanagement wirkt damit aktiv und verantwortlich an der Gestaltung des gesellschaftlichen Kulturangebots in seinen vielfältigen Facetten mit. Dieser Funktionszuschreibung liegt ein breiter Begriff von Kulturmanagement zugrunde. Kulturmanagement hat, so die These, weder eine rein dienende Funktion gegenüber der Kunst, noch eine rein ausführende Funktion gegenüber der staatlichen Kulturpolitik. Kulturmanagement ist zum einen Bestand-
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teil des arbeitsteiligen Prozesses kollektiver Kreativität, wobei der Grad der Einflussnahme auf die Produktion oder die Auswahl von Kunst in der Realität sehr unterschiedlich sein kann (MANDEL 2008: 44f.). Kulturmanagement ist zum anderen "praktische, realisierte Kulturpolitik" (FUCHS 1999: 3), wenn es seine Handlungsspielräume bei der Gestaltung des Kulturangebots anband eigener Ziele ausfüllt. Zudem kann der Wirkungskreis von Kulturmanagement nicht auf die Ebene des einzelnen Kulturbetriebs begrenzt werden, sondern erstreckt sich auch auf die Interessenorganisationen von Kulturbetrieben und Kulturschaffenden und auf die Kulturverwaltung: In öffentlichen, gemeinnützigen und privatwirtschaftliehen Kulturbetrieben beinhaltet Kulturmanagement die inhaltliche Steuerung, die organisatorische Umsetzung und die Vermarktung des Kulturangebots im Kontext der jeweiligen Nachfragesituation. In Interessenorganisationen nimmt Kulturmanagement Funktionen der Bündelung von Sachwissen, der Abstimmung und Koordinierung von Mitgliederinteressen und der Interessenvertretung gegenüber der Kulturpolitik wahr. Auf der Ebene der staatlichen Kulturverwaltung organisiert Kulturmanagement das Sachwissen für die Politikformulierung, begleitet kulturpolitische Aushandlungsprozesse, setzt kulturpolitische Entscheidungen um und evaluiert deren Wirkungen.
4.
Gestaltungsspielräume und Handlungsorientierungen von Kulturmanagement
4.1 Management von Kulturbetrieben Wie die Gestaltungsspielräume von Kulturmanagement ausgeprägt sind, hängt von den jeweiligen betrieblichen Rahmenbedingungen ab. Diese unterscheiden sich vor allem nach den einzelnen Kultursektoren, aber auch nach Kunst- und Kultursparten. Bei öffentlichen und gemeinnützigen Kulturinstitutionen sind die Gestaltungsmöglichkeiten des Managements umso größer, je weniger Kulturpolitik verbindliche Förderkriterien vorgibt. Im privatwirtschaftliehen Sektor werden die Gestaltungsoptionen von Kulturmanagement vor allem durch ökonomische Imperative begrenzt. Generell könnte man sagen, dass die Durchschlagskraft staatlicher Steuerung von den öffentlichen, über die gemeinnützigen bis zu den
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privaten Kulturbetrieben tendenziell abnimmt, während die Steuerungswirkungen des Marktes zunehmen.
Management kulturwirtschaftlicher Unternehmen In der Kulturwirtschaft beschränken sich die staatlichen Interventionen in der Regel auf die Gestaltung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen, wenngleich es auch hier öffentliche Projektförderung geben kann, wie z. B. in der Filmwirtschaft. Kulturmanagement kann das Angebot an kulturellen Dienstleistungen unabhängig von staatlichen Vorgaben gestalten. Es muss sich jedoch an den Bedingungen auf dem Kultur- und Freizeitmarkt orientieren, um eine hinreichende Nachfrage zu erreichen. Dabei muss es auch Wettbewerbsverzerrungen kompensieren, die durch die öffentliche Subventionierung der Eintrittspreise der geförderten Anbieter entstehen. Management gemeinnütziger Kultureinrichtungen Kulturmanagement im Dritten Sektor agiert zwischen Staat und Markt. Auf der einen Seite sind gemeinnützige Institutionen meistens auf öffentliehe (Projekt-)Förderung angewiesen. Das bedeutet, dass sie bestimmte Förderkriterien erfüllen und mit den eigenen Zielen austarieren müssen. Auf der anderen Seite muss Kulturmanagement im gemeinnützigen Sektor die Interessen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen berücksichtigen. Gemeinnützige Kultureinrichtungen werden häufig direkt aus der Bürgerschaft heraus entwickelt, wodurch Partizipation ein besonders wichtiges Kriterium bei der Ausgestaltung der Angebote ist. Management öffentlicher Kultureinrichtungen Die Finanzierung öffentlicher Kultureinrichtungen könnte von der Kulturpolitik an bestimmte Bedingungen und Zielvorgaben geknüpft werden. In Deutschland bleiben solche staatlichen Interventionen vergleichsweise begrenzt. Auch gesellschaftspolitische Zielsetzungen werden in der Regel nicht oder nur sehr vage vorgegeben. Allerdings wird vom Management öffentlicher Kultureinrichtungen angesichts knapper öffentlicher Haushalte zunehmend erwartet, wirtschaftliche Prinzipien zu berücksichtigen und sich neues Publikum zu erschließen. Dem Management von öffentlichen Kultureinrichtungen verbleiben dennoch potentiell erhebliche Gestaltungsspielräume. Einschränkungen können sich aus der Funktionsweise öffentlicher Verwaltungsapparate (Bürokratismus, Haushaltsrecht, unflexibles Tarifrecht) ergeben, die ein effizien-
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tes oder besucherorientiertes Management be- oder sogar verhindem können.
Handlungsorientierungendes Managements von Kulturbetrieben Das Handeln von Kulturmanagern wird nicht nur von den jeweiligen betrieblichen Rahmenbedingungen sondern auch von deren subjektiven Handlungsorientierungen beeinflusst. Diese Handlungsorientierongen können von unterschiedlichsten Einflüssen geprägt sein wie Ausbildungshintergrund, berufliche Erfahrungen, persönliche Interessen oder politische Einstellungen. Wenn man davon ausgeht, dass die eigene Person, der Betrieb, Kunst/Kultur und die Gesellschaft zentrale Bezugspunkte für das Denken und Handeln von Kulturmanagern sind, ließe sich folgende Typologie von Handlungsorientierung bilden: Auf die eigene Person ausgerichtete Handlungsorientierungen. Kulturmanager orientieren sich an ihren persönlichen Interessen nach Anerkennung, Karriere oder Einkommen. 2. Auf den Betrieb ausgerichtete Handlungsorientierungen. Kulturmanager orientieren sich an den Interessen des Betriebes wie der Sicherung der öffentlichen Finanzierung, Kosteneinsparungen oder der Ausweitung des Marktanteils. 3. Auf Kunst ausgerichtete Handlungsorientierungen. Kulturmanager orientieren sich an dem Ziel, (aus ihrer Sicht qualitative wertvolle) Kunst zu fördern. 4. Auf die Gesellschaft ausgerichtete Handlungsorientierungen. Kulturmanager orientieren sich an dem Ziel, über kulturelle Angebote gesellschaftliche Veränderungen anzustoßen. 1.
Das Verhältnis dieser Handlungsorientierungen untereinander kann sehr verschieden ausgeprägt sein. Es ist zu vermuten, dass das wichtigste Interesse von Kulturmanagern darin besteht, die Existenz ihres Betriebes und damit ihres Arbeitsplatzes zu sichern. Andere Handlungsorientierungen dürften häufig instrumentell auf dieses generelle Interesse bezogen bzw. diesem untergeordnet sein. So können Kulturmanager von staatlichen Kultureinrichtungen am ehesten an der zweckfreien Förderung von Kunst orientiert sein. Dies schließt aber nicht aus, dass auch Manager von privaten Kulturunternehmen ihre Orientierung am wirtschaftlichen Erfolg mit einer Kunstorientierung verbinden. So ergab eine Befragungvon (neuen) Kulturuntemehmem, dass diese sich neben wirtschaftlichen Zielen auch künstlerischen und kulturellen Qualitätskriterien verpflichtet fühlen (MANDEL 2007). Dahinter könnte die Erkenntnis
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stehen, dass auch privat produzierte Kunst innovativ sein muss, um auf Dauer wirtschaftlich erfolgreich sein zu können.
4.2 Kulturmanagement in Interessenorganisationen Im Kultursektor gibt es zahlreiche Organisationen (Verbände, Vereine, Vereinigungen), die Interessen von bestimmten Gruppen von Kulturbetrieben oder Kulturschaffenden bündeln. Dabei ist zu unterscheiden in diejenigen, die primär materielle und berufsständische Interessen ihrer Mitglieder vertreten, und solche, die kulturpolitische Interessen ihrer Kultursparten vertreten wie die Bundesvereinigung kulturelle Jugendbildung, der Börsenverein des deutschen Buchhandels, der Deutsche Bühnenverein und der Deutsche Kulturrat als Dachverband aller Kulturverbände. Die Aufgabe des Managements dieser Organisationen besteht darin, die vielfach unterschiedlichen Interessen der Einzelmitglieder auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und diesem kollektiven Interesse gegenüber Öffentlichkeit und Politik Gehör und Geltung zu verschaffen. Dazu dienen zum einen Instrumente der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit wie Tagungen, Publikationen oder Presseerklärungen, durch die Einfluss aufkulturpolitische Diskurse und die Agenda der Kulturpolitik ausgeübt werden soll, und zum anderen direkte politische Lobbyarbeit oder auch die Mitwirkung in kulturpolitischen Gremien. Die Einflussmöglichkeiten des Managements dieser Interessenorganisationen auf die Formulierung von Kulturpolitik hängen insbesondere vom spezifischen Know-How, vom politischen Gewicht und der Wirkungsmacht der jeweiligen Organisation in der Öffentlichkeit sowie vom Informations- und Legitimationsbedarf der Politik ab. Die Kulturpolitik ist bei der Formulierung ihrer Handlungsstrategien teilweise auf das spezifische Sachwissen dieser Organisationen über die Problemlagen in den jeweiligen Kulturbereichen angewiesen. Deren Beteiligung kann einerseits dazu beitragen, kulturpolitische Entscheidungen fachlich besser zu fundieren. Andererseits kann ein zu starker und einseitiger Einfluss von Lobbyorganisationen Legitimationsprobleme für die staatliche Kulturpolitik mit sich bringen.
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4.3 Kulturmanagement in der öffentlichen Kulturverwaltung Zu den öffentlichen Kulturakteuren gehören neben gewählten Politikern in der Legislative (Abgeordnete) und der politischen Spitze der Exekutive (Minister, Dezernenten) auch die letzteren untergeordnete Kulturverwaltung. Die fachlichen Aufgaben der Kulturverwaltung sind an die Zuständigkeiten für Kulturpolitik auf der jeweiligen staatlichen Ebene gebunden: Der Bund setzt vor allem den ordnungsrechtlichen Rahmen, die Länder tragen herausragende Kultureinrichtungen, die Kommunen unterhalten öffentliche Kultureinrichtungen, unterstützen freie Kulturträger und Künstler und organisieren Kulturveranstaltungen (DEUTSCHER BUNDESTAG 2005: 101). Kulturpolitik in Deutschland ist deshalb zu weiten Teilen Kommunalpolitik (DEUTSCHER BUNDESTAG 2008: 71). Angesichts der komplexen Steuerungsaufgaben im Spannungsfeld zwischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft bedeutet Kulturverwaltung immer weniger traditionelle Vollzugsbürokratie und zunehmend das Management von Prozessen und Beziehungen. Zudem wird von der Kulturverwaltung vor dem Hintergrund der finanziellen Engpässe in den öffentlichen Haushalten neben formal-rechtlichem auch untemehmerisches Denken erwartet. Kulturverwaltung ist deshalb, funktional betrachtet, in weiten Teilen Kulturmanagement. Der Handlungsspielraum der Kulturverwaltung wird durch rechtliche Regelungen (z. B. Haushaltsrecht), durch die Vorgaben der Kulturpolitik und auch durch die Verhandlungsmacht von öffentlich geförderten bzw. unterhaltenen Kulturbetrieben begrenzt. Einflussmöglichkeiten der Kulturverwaltung auf die Politik können in der Vorbereitung und Umsetzung kulturpolitischer Entscheidungen bestehen: Die Verwaltung stellt Sachwissen bereit und berät die politische Spitze fachlich, wobei ihr Einfluss umso größer sein dürfte, je weniger die für Kultur zuständigen Politiker konkrete Kompetenzen auf dem Feld von Kunst und Kultur aufweisen. Die Verwaltung konkretisiert und operationalisiert allgemein formulierte politische Ziele, entwickelt wirtschaftliche und wirksame Wege ihrer Umsetzung und evaluiert die Wirkungen kulturpolitischer Entscheidungen. Verwaltung ist dann als "policy-actor" zu bezeichnen, wenn sie eigene Vorstellungen von guter Politik entwickelt und diese an die politische Leitung weiterzuvermitteln sucht (PETERS/ WRIGHT 1996: 336ff.). Kulturmanagement in der Kulturverwaltung ist insofern zumindest potentiell auch ein politischer Akteur.
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Handlungsoptionen der Kulturpolitik werden in der Praxis vielfach nicht alleine durch die Kulturverwaltung sondern ergänzend durch externe Kulturmanager formuliert. Diese werden als Sachverständige eingesetzt, um etwa Entscheidungen über die (Weiter-)Finanzierung von Kultureinrichtungen zu fundieren oder bereits durchgeführte Programme zu evaluieren. Damit verbunden sein kann auch die Aufgabe, weitere Einsparpotentiale im Kultursektor insgesamt oder in einzelnen Einrichtungen zu erkunden. Die Beziehungen zwischen Kulturpolitik und Kulturmanagement erweisen sich als relativ komplex und in ihrer konkreten Form abhängig vom Aktionsfeld von Kulturmanagement in vertikaler (betriebliche Ebene, Interessenorganisationen, Kulturverwaltung) und horizontaler Hinsicht (öffentlicher, gemeinnütziger, privater Sektor). Die Vorstellung, Kulturmanagement beschränke sich auf die Umsetzung der von der Kulturpolitik vorgegebenen Ziele, erweist sich selbst unter den Bedingungen einer hierarchischen Steuerung durch die staatliche Kulturpolitik im öffentlichen Kultursektor als nicht haltbar. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass Kulturmanagement in seinen verschiedenen Aktionsfeldern über mehr oder weniger große Handlungsspielräume bei der Ausgestaltung des gesellschaftlichen Kulturangebots verfügt und deshalb prinzipiell auch in einer kultur- und gesellschaftspolitischen Verantwortung steht. Die Handlungsoptionen von Kulturmanagement werden maßgeblich durch die Form kulturpolitischer Steuerung strukturiert, also der Art und Weise wie der Staat in den Kultursektor interveniert.
5.
Neuorientierung kulturpolitischer Steuerung: Wege aus dem ,paternalistischen Kulturstaat'
Kulturpolitik beruhte lange Zeit auf einem Staatsverständnis, demzufolge der Staat die kulturellen (Grund-)Bedürfnisse der Bevölkerung durch das von ihm finanzierte Kulturangebot deckt und damit bestimmt (vor dem Hintergrund der kulturellen Präferenzen bürgerlicher Leitmilieus), was für diese kulturell wichtig ist (so etwa für jede größere Stadt ein Theater). Der Ausbau und Erhalt einer reichhaltigen kulturellen Infrastruktur stieß solange auf wenig Vorbehalte, wie genug Mittel sowohl zur Finanzierung bestehender Kulturinstihltionen wie zur Förderung neuer Kunstprojekte zur Verfügung standen. Inzwischen hat sich die Lage der öffentlichen Haushalte deutlich verschlechtert. Welche Konsequenzen
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aus dieser Situation für die Kulhupolitik zu ziehen sind, wird in der aktuellen kulturpolitischen Diskussion unterschiedlich gesehen. Für die einen muss der Staat die von ihm getragene bzw. subventionierte Infrastruktur kultureller Institutionen erhalten, um die kulturelle Grundversorgung der Bevölkerung gewährleisten zu können. Andere argumentieren genau umgekehrt: die bisherige Form der staatlichen Kulturförderpolitik erzeuge eine Systemerhaltungslogik, die verhindere, dass die kulturellen Bedürfnisse der breiten Bevölkerung tatsächlich berücksichtigt würden und das Kulturangebot hinreichend innovativ und anpassungsfähig bleibe. Der Kulturbereich weist gegenwärtig eine Reihe von strukturellen Problemen auf, die durch eine bestehende Strukturen konservierende Kulturpolitik ausgelöst oder zumindest verstärkt wurden: Abnehmender Gestaltungsspielraum der Kulturpolitik. Wenn der allergrößte Teil der voraussichtlich eher sinkenden staatlichen Mittel für den Unterhalt bestehender Kultureinrichtungen verwendet wird und gleichzeitig deren Kosten tendenziell steigen, schrumpft der ohnehin geringe Gestaltungsspielraum der Kulturpolitik weiter. Anhaltende Teilhabe-Ungerechtigkeit. Während das staatlich verantwartete Kulturangebot von den Steuermitteln der gesamten Bevölkerung getragen werden muss, sind die Wohlfahrtseffekte von Kultur sozial ungleich verteilt. Die öffentliche Hand finanziert vor allem die kulturellen Bedürfnisse eines gebildeten und sozial besser gestellten Teils der Bevölkerung. Geringe Reaktions- und Innovationsfähigkeit des gesellschaftlichen Kulturangebots. Wenn es nicht besser gelingt, das gesellschaftliche Kulturangebot auf den durch den gesellschaftlichen Strukturwandel bzw. die damit verbundenen Probleme einzustellen wie Alterung der Bevölkerung, Integration von Migranten oder soziale Spaltung der Gesellschaft, verliert der Kulturbereich an gesellschaftlicher Relevanz und seine öffentliche Finanzierung an Legitimation. Für Knüsel wird die Systemerhaltungslogik im Kultursektor auch durch parallele Interessen von Kulturpolitik und Kulturmanagement gefördert. Kulturmanagement sei aufgrundseines Interesses, die Existenz der eigenen Kulturinstitutionen zu sichern ein wesentlicher Faktor der auf Bewahrung des Bestehenden ausgerichteten Kulturpolitik: Die Mikroperspektive, der Bedarf des eigenen Betriebs, die Unsicherheit der eigenen Existenz beherrschen die Politikdebatte und formulieren sich als zahllose Forderungen nach: mehr Mitteln. Aus den Augen verloren haben wir die Ziele, was wir mit der umfassenden kulturellen Aufrüstung erreichen möchten. (KNÜSEL 2010: 1)
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Es spricht zwar einiges für die Annahme, dass der Druck auf die Kulturpolitik zunehmen wird, die unübersehbaren Strukturprobleme im Kulturbereich anzugehen. Angesichts von Beharrungskräften istjedoch eine langwierige und beschwerliche Phase der Umorientierung zu erwarten. Schon aufgrund der Regionalisierung der Kulturpolitik in Deutschland müsste deren Neuausrichtung von einer Vielzahl an regionalen bzw. kommunalen Akteuren unternommen werden. Dementsprechend wäre auch mit einer Vielzahl unterschiedlicher Lösungsansätze zu rechnen, entsprechend der jeweiligen Problemlage, Akteurs- und Interessenkonstellation.
5.1 Leitorientierung der Kulturpolitik Als ein zentrales Strukturproblem des Kulturbereichs wurde die finanzielle Förderung der Kulturinteressen eines privilegierten Teils der Bevölkerung bei gleichzeitig geringer kultureller Teilhabe der Bevölkerungsmehrheit identifiziert. Eine kulturpolitische Leitorientierung, die auf die kulturellen Interessen der gesamten Bevölkerung ausgerichtet ist, wurde bereits in den 1970er Jahren mit dem Postulat der sogenannten Neuen Kulturpolitik, Kultur für alle, formuliert. Dieses Postulat ist zwar sehr idealistisch, weil es nie gelingen dürfte, die gesamte Bevölkerung für Kultur zu interessieren. Es fordert jedoch Anstrengungen ein, die Partizipation an Kultur deutlich zu erhöhen und die Interessen bislang ausgeschlossener sozialer Gruppen zu berücksichtigen. Ein wesentliches Hindernis dabei scheint die enge Orientierung bisheriger Kulturpolitik in Deutschland an der E-Kultur zu sein. Damit geraten andere kulturelle Bedürfnisse, die in der Bevölkerung weit verbreitet sind, aus dem Blickfeld. Deshalb müsste Kulturpolitik von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Kulturformen auszugehen, die von der sogenannten Hochkultur über Avantgardekunst bis hin zu populärer Massenkultur und Laienkultur reichen. Theoretisch kann postuliert werden, dass jedes Kulturangebot, das nicht außerhalb der Grundwerte der Gesellschaft steht und auf eine Nachfrage aus der Bevölkerung trifft, nicht nur individuelle Wirkungen sondern auch positive Gemeinwohleffekte entfalten kann. Kulturpolitik auf der Basis eines weiten Kulturbegriffs würde nicht zwangsläufig mehr Fördermittel erfordern, aber auf jeden Fall eine Neuorientierung der staatlichen Förderpolitik und der Verteilung der vorhandenen Mittel.
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Viele Bürgerinnen und Bürger trauen sich im Bereich Kunst und Kultur kein eigenes Urteil zu und können deshalb auch keine eigenen kulturellen Interessen benennen. Um deren Nachfragemacht zu stärken und sie am Kunst- und Kulturleben aktiver zu beteiligen, b esteht die Herausforderung darin, die kulturelle Kompetenz des Einzelnen, seine kulturellen Interessen, Artikulations- und Selbstorganisationsmöglichkeiten zu stärken. Dazu müssten insbesondere die Möglichkeiten und Anregungen kultureller Selbstbildungsprozesse und eigener künstlerischer und kultureller Ausdrucksmöglichkeiten sowie kommunikativer und Gemeinschaft bildender kultureller Aktivitäten verbessert werden. Die EnqueteKommission sieht in einer Stärkung der Laienkultur und der kulturellen Bildung eine Voraussetzung für kulturelle Beteiligung (DEUTSCHER BUNDESTAG 2005: 281). Für Scheytt (2008: 283) besteht das übergeordnete Ziel kulturpolitischen Handeins im "kulturellen Empowerment" des einzelnen Kulturbürgers durch eine vielfaltige, von verschiedenen Akteuren getragene und gestaltete kulturelle Infrastruktur. Die Rolle des Kulturstaates ist insbesondere in seiner Relation zum Individuum neu zu bestimmen. Kulturpolitik wird nicht vorrangig zum Selbsterhalt der Kulturinstitutionen, zur Selbstverwirklichung von Künstlern und Kulturmanagern oder zur Selbstbedienung in kulturellen Netzwerken betrieben. Vielmehr steht im Zentrum aller Kulturpolitik das Individuum. (SCHEYIT 2008: 147)
5.2 Cultural Governance - Gemeinwohl orientiertes Zusammenwirken verschiedener Kulturakteure Die dargestellten Strukturprobleme im Kultursektor verweisen auch auf Dysfunktionalitäten bisher vorherrschender Formen kulturpolitischer Steuerung. Geht man davon aus, dass das allgemeine Ziel einer am Gemeinwohl ausgerichteten Kulturpolitik darin bestehen sollte, das Kulturangebot stärker an den Bedürfnissen der gesamten Gesellschaft zu orientierten, so dürfte dies nur gelingen, wenn staatliche und nicht-staatliche Kulturakteuren stärker als bislang gemeinsam Verantwortung für die Gestaltung des Kulturangebots übernehmen, also kooperativen Formen kulturpolitischer Steuerung an die Stelle hierarchischer Formen treten. Das Zusammenwirken von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren bei der Erstellung kollektiver Güter wird in der Politikwissenschaft unter dem Begriff Governance diskutiert. Die Ablösung der herkömmlichen etatistischen Steuerung durch Formen von Cultural Governance würde zu einer Neuorientierung der Aufgabe staatlichen Kulturpolitik führen:
VOM ,PATERNALISTISCHEN KULTURSTAAT ' ZUR KOOPERATIVEN GESTA LTU NG Wenn Kulturpolitik im Sinne synergetischer Effekte und eines optimalen Ressourceneinsatzes alle Kräfte aktivieren will, hat sie es daher nicht nur mit der Bereitstellung von Mitteln zu tun, sondern vor allem mit der Gestaltung von Relationen. (SCHEYIT 2008: 269).
Cultural Governance erfordert Institutionen, in deren Rahmen die maßgeblichen staatlichen und nicht-staatlichen Akteure ihre jeweiligen Kompetenzen für eine am Gemeinwohl orientierte Weiterentwicklung des gesellschaftlichen Kulturangebots einbringen können. Institutionalisierte gesellschaftliche Diskurse über strategische Zielsetzungen und Handlungsprioritäten für Kulturpolitik gibt es in Deutschland bislang erst in Ansätzen, etwa in Form einer Kulturentwicklungsplanung in verschiedenen Kommunen und wenigen Bundesländern. Kulturentwicklungsplanung sollte idealerweise normative Ziele definieren, Prioritäten setzen und Zuständigkeiten regeln und Basis für Zielvereinbarungen mit Kulturinstitutionen sein, so empfiehlt die Enquete-Kommission (DEUTSCHER BUNDESTAG 2008: 128ff.). Cultural Governance erfordert zudem Regelsysteme, die ein mehr am Gemeinwohl orientiertes Handeln der Akteure anregen. Ein erster Ansatz könnte darin bestehen, die öffentliche Kulturförderung stärker an konkret definierten Zielen und überprüfbaren Kriterien auszurichten. Ein zweiter Ansatz wären Regelungen, die Kulturanbietern eine stärkere Orientierung an der Nachfrage nahelegen. Die vorherrschende angebotsorientierte Steuerung ist sowohl für die staatlichen Kultureinrichtungen wie für ihre Träger mit dem Risiko behaftet, an den Bedürfnissen der tatsächlichen und potenziellenNachfrager vorbei zu planen. Die Problemlösung kann nicht allein in einer verbesserten Angebotsplanung liegen, indem Kulturmanagement verstärkt Instrumente zur Analyse des Bedarfs, des Kulturnutzerverhaltens und des Kulturinteresses einsetzt. Nachhaltiger dürften Regelungen sein, durch die sich die Steuerungswirkungen der Nachfrage stärker entfalten können. So könnte die Kulturpolitik den Anteil der von staatlichen Kultureinrichtungen selbst zu erwirtschaftenden Mittel erhöhen und günstige Rahmenbedingungen für private Kulturunternehmen schaffen. DamitNachfrage überhaupt in breiterem Maße einsetzen kann, müsste vermehrt in die kulturelle Bildung investiert werden im Zusammenspiel von Kultur- und Bildungseinrichtungen, denn nur dadurch ist garantiert, dass es (in allen Gesellschaftsschichten) mündige Kulturnutzer gibt.
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6.
Gemeinwohlverantwortung von Kulturmanagement
Im Zwischenfazit wurde festgehalten, dass Kulturmanagement immer auch gesellschaftliche Verantwortung übernimmt, unabhängig davon, ob es seine Handlungsspielräume bewusst und zielgerichtet wahrnimmt. Auch unter einem hierarchischen Steuerungsregime können dem Kulturmanagement erhebliche Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten verbleiben, insbesondere dann, wenn die Kulturpolitik keine präzisen Vorgaben formuliert. Es bleibt die Frage, ob Kulturmanagement seine Gestaltungsmöglichkeiten bewusst nutzt und wenn ja, welche Handlungsorientierungen und Zielsetzungen dafür maßgebend sind und welche Bedeutung dabei dem Gemeinwohl eingeräumt wird. In dem Maße, wie sich kooperative Formen kulturpolitischer Steuerung stärker durchsetzen sollten, würde die Gemeinwohlverantwortung von Kulturmanagement explizit werden. Ebenso würde sich das Verhältnis von Kulturpolitik und Kulturmanagement verändern. Generell gilt: Wenn gesellschaftliche Akteure an der Entwicklung und Implementierung von Politik mitwirken, löst sich die klare Unterscheidbarkeit von Steuerungssubjekt und Steuerungsobjekt auf (MAYNTZ 2006: 13). Daraus folgt nicht, dass sich die staatliche Gesamtverantwortung für das Gemeinwohl auflöst. Die an der Erstellung eines kollektiven Gutes beteiligten Akteure, also auch das Kulturmanagement, würdenjedoch eine größere Mitverantwortung für das Gemeinwohl tragen müssen. Die Spannbreite gemeinwohlorientierten Kulturmanagements reicht von der Förderung der allgemeinen Funktion von Kultur: "Ideen und Visionen für Gegenwart und Zukunft zu generieren und kommunikative Räume zu eröffnen" (DEUTSCHER BUNDESTAG 2008: 333), über Maßnahmen zur Förderung der kulturellen Partizipation der breiten Bevölkerung bis hin zur Bearbeitung konkreter gesellschaftlicher Probleme vor Ort etwa durch Initiierung von Prozessen kultureller Bildung. Deutlich wurde, dass es entgegen herkömmlicher Vorstellungen von Kulturpolitik keine zentrale staatliche Instanz gibt bzw. geben kann, die das Kulturleben gerecht und Gemeinwohl orientiert steuert, sondern dass vielfaltigste Akteure, von Kulturschaffenden über Kultur- und Kunstvereine bis hin zu Initiativen von Kulturnutzern, daran beteiligt sind und sein müssen. Kulturmanagement ist hierbei ein besonderer Akteur, der über das Wissen und die professionellen Kompetenzen verfügt, um Steuerungsaufgaben bei der Gestaltung des gesellschaftlichen Kulturangebots wahrzunehmen.
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Dafür bedarl es auch eines neuen Rollenmodells für Kulturmanager, indem diese nicht nur die Rahmenbedingungen kultureller Produktion und Rezeption effizient organisieren, sondern auch das gesellschaftliche Kulturleben als Ganzes im Blick haben, Kulturmanager, die sich im Sinne gesellschaftlicher Verantwortung und auf der Basis präzise definierter Zielsetzungen und strategischer Instrumente für die stärkere Relevanz von Kunst und Kultur in verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen engagieren, Kulturmanager, die auch kulturpolitische Zielsetzungen entwickeln und Aushandlungsprozesse moderieren, um Klarheit über verschiedene Interessenlagen, Bedürfnisse und Ziele zu schaffen und damit dazu beitragen, Transparenz in einem Feld zu schaffen, das bislang stark mystifiziert wurde und damit strategischer Entscheidungstindung entzogen war.
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Aufgaben für Forschung und Lehre
Den kultur- und gesellschaftspolitischen Einflussbereich des Kulturmanagements zu analysieren als Voraussetzung, um ihn verantwortlich auszuüben, wäre Aufgabe von akademischen Kulturmanagementstudiengängen. Darüber hinaus sind diese dafür verantwortlich, empirische Erkenntnisse zu gewinnen, wie das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure im Sinne einer bestmöglichen Gestaltung des gemeinschaftlichen kulturellen Lebens organisiert werden könnte. Eine konkrete Beschreibung und Analyse der Beziehungen von Kulturpolitik und Kulturmanagement wird aktuell durch den geringen Stand empirischer Forschung erheblich erschwert. So fehlen Erkenntnisse über typische Formen der Interaktion von Kulturmanagement und Kulturpolitik in den verschiedenen Handlungsebenen und Kultursektoren. Ein Desiderat von Kulturpolitik- und Kulturmanagementforschung ist auch die Analyse von Interessen- und Akteurskonstellationen, die für die Beharrungstendenzen im Kultursektor verantwortlich sind. Ein weiteres wichtiges Forschungsfeld besteht darin, die Einführung innovativer Formen kulturpolitischer Steuerung und den dadurch bedingten Wandel von Kulturmanagement zu beobachten und zu evaluieren.
Literatur COUNCIL OF EUROPE/ ERICARTS ("2009): Compendium ofCultural Palieies and Trends in Europe. .
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Kulturpolitik ohne Theorie?
Ein Praxisfeld
BERND WAGNER
Im Einladungsflyer zur s. Jahrestagung des Fachverbands für Kulturmanagement unter dem Titel Katalysatoren sozialer Erneuerung? Kulturpolitik, Kulturmanagement und gesellschaftliche Verantwortung werden prägnant die Aufgaben von Kulturpolitik bestimmt: Sie formuliert Ziele, definiert die Rahmen und- wie ich ergänzen würde - kontrolliert deren Einhaltung sowie stellt entsprechende Ressourcen fiir Kunst und Kultur bereit. Mit den beiden letzten Bestimmungen ist Kulturpolitik vor allem als Ordnungs- und als Förderpolitik charakterisiert. In dem Maße wie sie - wie es dort heißt - Ziele bestimmt, die in der Regel nicht auf kunstimmanente beschränkt sind, geht sie über den engeren Kunst- und Kulturbereich hinaus und bezieht sich auf andere gesellschaftliche Felder wie das politische, das ökonomische und das Bildungssystem beziehungsweise betrifft die Gesellschaft als Ganze. Kulturpolitik ist gerade wegen der Formulierung solcher, über die Kunst hinausreichenden Zielsetzungen, wie es im Gründungsmotto der Kulturpolitischen Gesellschaft wie insgesamt in der Neuen Kulturpolitik ab den 1970er Jahren heißt, immer auch "Gesellschaftspolitik". "Sie hat", wie im Einladungstext steht, "Antworten darauf zu finden, was auf dem Gebiet der Kultur für die Gesellschaft erreicht werden soll." Nach dieser kurzen Zusammenfassung, wodurch Kulturpolitik bestimmt ist , folgt eine noch kürzere Bestimmung von Kulturmanagement als Instrumentarium, die von der Kulturpolitik gesetzten Ziele realisieren zu helfen. Allerdings wird gleichzeitig eingeschränkt, dass dieser Zusammenhang von Kulturpolitik und Kulturmanagement keineswegs so eindeutig ist und es sich dabei um ein spannungsreiches Verhältnis handelt. In diesem Kontext stehen die folgenden Ausführungen. Dabei beschränke ich mich auf die Seite der Kulturpolitik und möchte einige Hinweise geben, wie durch eine intensivere theoretische Auseinandersetzung mit dem Praxisfeld Kulturpolitik auch die Diskussion um das Verhältnis von Kulturmanagement und Kulturpolitik qualifiziert werden kann. Was gegenwärtig gemeinhin unter Kulturpolitik verstanden wird, habe ich anband des Einladungstextes skizziert. Gleichwohl reicht eine so allgemeine Bestimmung für die Diskussion bestehender Schwächen der Auseinandersetzung mit Kulturpolitik nicht aus. Dazu bedarf es einer
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genaueren Analyse dessen, was Kulturpolitik ist, was sie bewirkt, bewirken soll und was ihre theoretischen Grundlagen sind. An einer solchen theoretischen Reflexion mangelt es bezogen auf Kulturpolitik gegenwärtig in erheblichem Maße. Das betrifft sowohl die theoretisch-konzeptionellen Begründungen kulturpolitischen Handeins als auch die wissenschaftlich-theoretische Auseinandersetzung mit den verschiedenen kulturpolitischen Handlungsfeldern und ihren institutionellen Strukturen, mit den konkreten Praktiken und deren Wirkungen sowie mit den politischen und gesellschaftlichen Legitimationen von Kulturpolitik. Zu diesem Thema habe ich im Jahrbuchfür Kulturmanagement 2010 unter der Überschrift Kulturpolitik und Kulturmanagement Überlegungen zu einer Politikfeldanalyse einige Anmerkungen gemacht (WAGNER 2011).
1.
Defizite in der Kulturpolitikforschung
Der Beitrag setzt mit der Beobachtung einer in meinen Augen seltenen Thematisierung von Kulturpolitik in Kulturmanagementdiskussionen ein und sieht einen zentralen Grund dafür in einem noch immer teilweise von Misstrauen und Missverständnissen geprägten Verständnis seitens mancher ln1lturpolitischer Akteure gegenüber dem Kulturmanagement, wie umgekehrt bei Vertretern des Kulturmanagements oft noch Vorstellungen einer ausgeprägten Beamtenmentalität und Nachfrage-Ignoranz der öffentlichen Kulturpolitik anzutreffen sind. Als Hauptgrund des fehlenden Diskurses zwischen Kulturmanagement und Kulturpolitik wird angeführt, dass Kulturpolitik - auch im Unterschied zu Kulturmanagement - trotz einer Vielzahl von kulturpolitischen Publikationen, erst ansatzweise Gegenstand weitergehender theoretischer Reflexionen ist und von daher von hier wenig Impulse einer wissenschaftlichen Debatte zwischen Kulturpolitik und Kulturmanagement ausgehen. Kulturpolitikforschung existiert bislang weder als eigenständiges Wissenschaftsfeld noch wird auf sie - von wenigen Ausnahmen abgesehen - in den nahe liegenden Bezugsdisziplinen Politikwissenschaft, Soziologie und Kulturwissenschaften intensiver eingegangen. Für diese geringe theoretische Auseinandersetzung mit dem Praxis- und Politikfeld Kulturpolitik gibt es neben einer historisch bedingten strukturellen Schwäche im deutschsprachigen Hochschul- und Wissenschaftsbetrieb - im Unterschied etwa zur angelsächsischen und
KULTURPOLITIK- EIN PRAXISFELD OHNE THEORIE ?
französischen Diskussion (WIMMER 2011: 126-136)- auch immanente Gründe, die im Gegenstandsfeld selbst liegen. Da es sich bei Kulturpolitik um ein vieldimensionales Beziehungsgeflecht zwischen Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und kulturell-künstlerischem Bereich handelt, steht ihre Analyse sowohl was die Eingrenzung des Gegenstandes wie das methodische Herangehen betrifft vor besonderen Schwierigkeiten und erfordert ein disziplinübergreifendes Arbeiten. Zur notwendigen Einbeziehung ästhetischer, kunst-und kulturwissenschaftlicher Ansätze sowie solchen aus den Sozial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften kommt hinzu, dass die Kulturlandschaft, in die kulturpolitisches Handeln fördernd und regulierend eingreift, schon immer durch einen Trägerpluralismus von staatlich-kommunalen, privatwirtschaftliehen und frei-gemeinnützigen Akteuren gekennzeichnet ist. Alle drei Sektoren tragen trotz unterschiedlicher Motive und Logiken -Verantwortung und Macht, Gewinn und Markt, Anerkennung und Sinn - zum Zustandekommen des öffentlichen Gutes Kunst und Kultur bei, was in der Kulturpolitikforschungjeweils entsprechend berücksichtigt werden muss. Vorgeschlagen wird in dem erwähnten Artikel im vorhergehenden Jahrbuch für Kulturmanagement, das Praxisfeld Kulturpolitik, trotz der Vieldimensionalität der Fragestellungen und Herangehensweisen, im Sinne einer Politikfeldanalyse zu untersuchen, die sich an der gängigen Unterscheidung der drei Politikdimensionen ,polity' - als Strukturen und institutionelle Verfassungen des politischen Systems-, ,policy'als Ziele und inhaltliche Programme - sowie ,politics' als Prozesse und Verfahren der Willensbildung sowie der Interessendurchsetzung orientiert.' Dabei wird unter forschungsstrategischen Gesichtspunkten dafür plädiert, die vielfach als alternativ angesehen Unterscheidung zwischen einem handlungstheoretischen und einem strukturtheoretischen methodischen Vorgehen bei der Analyse von Kulturpolitik zu überwinden und sich an vermittelnden Konzepten wie Pierre Bourdieus Konzept von Habitus, Kapital und Feld, Norbert Elias' Interdependenzanalyse und Michel Foucaults Gouvernementalitätsstudien zu orientieren. Zu diesem Vorschlag, der - soweit ich sehe - zumindest im deutschsprachigen Raum für das Untersuchungsfeld Kulturpolitik noch nicht angewandt wurde, gibt es eine interessante Korrespondenz zu weiteren Beiträgen in In der jüngst erschienen Studie von Michael Wimmer (2011: 184-359) Kultur und Demokratie wird m. W. erstmals in einer deutschsprachigen Studie die konkrete Analyse von Kulturpolitik, hier der österreichischen, entlang dieser drei Politikdimensionen Polity, Politics und Policy durchgeführt.
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diesem Jahrbuch, die sich mit der Analyse des Kulturbetriebs bei Pierre Bourdieu (SCHNELL 2010, ZAHNER 2010) und dem production-of-culture-Ansatz (GEBESMAIR 2010) auseinandersetzen.
2.
Kultur und Macht
Dass Kulturpolitik bislang lediglich in geringem Umfang Gegenstand wissenschaftlich-theoretischer Analysen ist, die tiefer reichen als partei- und gesellschaftspolitische Kritiken in ihrer jeweiligen konkreten Ausformung, liegt nicht allein daran, dass es sich hierbei um ein kompliziertes Gegenstandsfeld handelt, sondern auch an dem in der Regel eindimensionalen Verständnis von Kulturpolitik. Staatlich-kommunales Handeln zum Schutz und zur Unterstützung von Kunst und Kultur durch deren Förderung, die Sicherung ihrer infrastrukturellen Grundlagen und die Schaffung kulturfreundlicher Rahmenbedingungen bildet die eine zentrale Dimension von Kulturpolitik. Sie hat hier mit den künstlerischen Akteuren, den Kulturinstitutionen und der kulturinteressierten Bevölkerung drei große Adressatengruppen. Die politischen und gesellschaftlichen Begründungen für diese öffentliche Kulturpolitik lassen sich mit Bildung, Unterhaltung und Kunstförderung sowie gesellschaftlicher Teilhabe und Integration zusammenfassen. Darüber hinaus dient sie weitergehenden gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und sonstigen Zwecken, die von außen an Kulturpolitik herangetragen werden beziehungsweise die sie sich selbst als Aufgabe und Begründung gibt. Hierzu gehören die zahlreichen Sekundärbegründungen wie Kultur als Wirtschafts- und Standortfaktor, als Umwegrentabilität, als Imageträger, als Tourismusmagnet etc. Trotz einer manchmal kritischen Auseinandersetzung mit kulturpolitischen Strategien und kulturpolitischem Handeln, insbesondere mit ihrer "Instrumentalisierung" für nichtkünstlerische Zwecke, wird Kulturpolitik auch hier in der Regel eingeschränkt begriffen als Förderung von Kunst und Kultur zu deren Nutzen. In einer solchen eindimensionalen Sichtweise beschränkt sich die theoretische Auseinandersetzung mit Kulturpolitik meist auf die Kritik an den konkreten Ausformungen der jeweiligen Praxis und an den Hochschulen weitgehend auf die Vermittlung von praktischem Handlungswissen und der Grundstrukturen dieses Feldes. Eine solche Vermittlung von kulturpolitischen Grundkenntnissen und der Auseinandersetzung damit ist in den einschlägigen Studiengängen des Kulturmanagements, der Kulturwissenschaften, der Kulturar-
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beit, der Kulturpädagogik usw. sinnvoll und notwendig. Aber darauf darf die wissenschaftliche Behandlung von Kulturpolitik nicht reduziert werden, denn diese hat über die Kunstförderung und Kulturpflege hinaus eine zweite zentrale Dimension: Sie ist immer auch Machtpolitik. Und diese wird nicht von außen an eine meist allseits für gut befundene Kunst- und Kulturförderung herangetragen, sondern gehört von Anbeginn zu ihrem Wesen. Die Förderung von Kultur und Kunst durch Fürstenstaaten, Städte, Parlamente und andere Obrigkeiten hatte nie allein das Ziel, Kunst und Künstler zu unterstützen und der Bevölkerung den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen, sondern immer auch Repräsentationszwecke für politische Obrigkeiten und gesellschaftliche Gruppen. In einer der frühen Definitionen von Kulturpolitik, im Politischen Handwörterbuch von 1923, heißt es entsprechend unter dem Stichwort "Kulturpolitik" von Eduard Spranger (1923: 1087): "Der Sinn der Kulturpolitik ist entweder Kultur durch Macht oder Macht durch Kultur." Dabei ist das "oder" zwischen den beiden Satzteilen meines Erachtens durch ein "und" zu ersetzen, da es sich bei den beiden Definitionen nicht um Alternativen handelt. Denn zu allen Zeiten diente Kulturpolitik sowohl dazu, die Hervorbringung von Kunst und Kultur durch Macht zu unterstützen wie diese sich im Glanz der von ihr geförderten Kultur spiegelte und sich darin repräsentiert sehen wollte. Die Zusammenfügung der beiden Substantive Kultur und Politik zu Kulturpolitik bringt diesen Zusammenhang zum Ausdruck. Ansonsten wären die Vorläuferbegriffe Kunstförderung oder Kulturpflege hinreichend für die Bestimmung der Förderaktivitäten und die Regulierung der Rahmenbedingungen von Kunstproduktion und Kunstrezeption. Bezeichnenderweise war, bevor der Begriff Kulturpolitik mit Beginn des 20. Jahrhunderts gebräuchlich wurde, für die damit beschriebene Praxis nahezu das gesamte 19. Jahrhundert hindurch der Begriff Kulturpolizei benutzt worden (WAGNER 2009: 337-346). Der Polizeibegriff hat seit seinem Aufkommen im 16. Jahrhundert bis ins auslaufende 19. Jahrhundert allerdings nicht die heute gebräuchliche Bedeutung, sondern war weiter gefasst als allgemeine staatliche Tätigkeit der "Beförderung des Gemeinen Besten", im Sinne einer - wie es damals hieß - "guten Policey". Kulturpolizei und der diese Bezeichnung ablösende Begriff "Kulturpolitik" stehen dafür, dass mit Kultur auch Politik gemacht wird und Politik nicht nur Kultur macht im Sinne der Unterstützung und Förderung von Kultur und Kunst, die auch ohne Obrigkeiten gleich welcher Art entstehen.
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Umgekehrt bedarf allerdings politische Macht immer der Kultur zu ihrer symbolischen Präsentation und Repräsentation, der Legitimation ihrer Herrschaft und teilweise der Ablenkung von Unrecht und Unterdrückung. Das gilt von den altorientalischen Königreichen über die frühneuzeitlichen Stadtrepubliken und die absolutistischen Höfe bis zu den beiden blutigsten Diktaturen auf europäischem Boden im 20. Jahrhundert. Walter Benjamins (1980: 696) sicher etwas überspitztes Diktum, dass es kein "Dokument der Kultur" gibt, "ohne zugleich ein solches der Barbarei zu sein", verweist auf diesen Zusammenhang. Kulturpolitik dient dabei nicht nur in den vordemokratischen Phasen unserer Geschichte und in diktatorischen Systemen dem Lobpreis der Macht und ihrer Sicherung, sondern auch in demokratischen Gemeinwesen ist Kulturpolitik immer auch ein, wie es bei Spranger heißt, "Mittel für Machtzwecke". Im repräsentativen Glanz prachtvoller Neubauten von Museen, Philharmonien und Opernhäusern, von Aufmerksamkeit erheischenden Kulturereignissen und prominenten Stars und Sternchen der Kunstwelt spiegeln sich wie in der Prunkinszenierung des absolutistischen Hofes oder den wilhelminischen Prachtbauten die politischen Vertreter des demokratischen Gemeinwesens und die von ihnen stellvertretend wahrgenommene politische Macht - allen Bekenntnissen zum Trotz, dass es ihnen dabei immer nur um die Kunst geht. Das betrifft nicht allein die symbolische Repräsentation der politischen Macht und ihrer Rituale sondern auch das von ihnen repräsentierte gesellschaftliche Gemeinwesen. Am Begriff Kulturstaat, der in seinem konkret auf Kunst und Kultur bezogenen Verständnis seit Ende des 19. Jahrhunderts und besonders seit der ersten Republik in Deutschland verbreitet ist, lässt sich das anschaulich zeigen, aber aktuell etwa auch an den immer wieder aufbrechenden Debatten über Verfassungspatriotismus, Leitkultur und kulturellen Kanon. Was für die Vertreter und Institutionen der politischen Macht gilt, trifft auch für diejenigen gesellschaftlichen Gruppen zu, die mit ihnen um Macht und Einfluss konkurrieren. Das meint nicht die Ebene parteipolitischer Konkurrenz - hier sind die Unterschiede in den kulturpolitischen Vorstellungen marginal-, sondern grundsätzliche gesellschaftliche Alternativen. Kultur und damit auch Kulturpolitik sind immer auch Arenen des Kampfes um Hegemonie, in diesem Fall um kulturelle Hegemonie, um einen Begriffvon Gramsei aufzugreifen. Kultur als Gegenmacht, in Form einer Alternativoder Subkultur, teilweise auch als Avantgarde- oder als zweite Kultur, wie sie geschichtlich immer vorhanden war und mal mehr, mal weniger öffentlich wahrgenommen wurde, ist auch ein Ausdruck dafür, dass
KULTURPOLITIK- EIN PRAXISFELD OHNE THEORIE ?
es bei Kulturpolitik - oder in der Gramscisehen Lesart bei der "Politik des Kulturellen"- immer auch um politische Macht und nicht nur um Kunstförderung und den Zugang von Menschen zu Kunst und Kultur geht. Wird diese zweite Dimension von Kulturpolitik - in der zitierten Bestimmung von Spranger- "Macht durch Kultur" zugunsten von "Kultur durch Macht" außer Acht gelassen, dann reduziert sich die theoretische Diskussion von Kulturpolitik in wissenschaftlichen Publikationen und an den Hochschulen auf die Vermittlung von Handlungswissen und die Reflexion von Sozialtechnologien.
3.
Cultural Governance und inhaltliche Zieldiskussion
Ebenso zentral für die Entwicklung einer gehaltvollen Theorie der Kulturpolitik wie die Einbindung der Machtdimension von Kulturpolitik und mit dieser eng zusammenhängend, ist die im Kulturbereich langsam beginnende Diskussion über Governance in der Kulturpolitik. Gemeint sind damit die Ansätze einer nichthierarchischen Steuerung und Regulierung von Kulturpolitik sowie der Einbindung zivilgesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Akteure. Im kulturpolitischen Diskurs gab es in den vergangeneo Jahren einige zentrale Debatten, die mit dem mit Governance angesprochenen Gegenstand eng zusammenhängen, wie die Debatte über den "aktivierenden Staat", die bis zur plakativen Entgegensetzung von "Kulturstaat" versus "Kulturgesellschaft" führte, oder um "kulturelle Grundversorgung" respektive "kulturelle Daseinsvorsorge." (SCHEYIT 2010) In diesen Diskussionen tauchte zwar der Begriff Governance noch nicht auf, aber im Kern ging es bei ihnen ebenfalls wie bei Cultural Governance darum, wer, was, wie, mit welcher Legitimation und mit welchen Folgen in der Kulturpolitik beeinflusst, reguliert, bestimmt und entscheidet. Eines der frühen kulturpolitischen Dokumente, in dem der Begriff Governance ausdrücklich auf Kulturpolitik und das kulturelle Feld bezogen wird, ist der Abschlussbericht der Enquete-Kommission Kultur in Deutschland des Deutschen Bundestages vom Dezember 2007. Danach bedeutet das Leitbild Governance [ ... ]für den Kulturbereich eine Fokussierung auf die kulturpolitischen Ziele und eine kooperative Lösungsstrategie, die alle kulturpolitischen Akteure (staatliche und private) einbezieht. Ziel einer öffentlichen Verwaltung muss es daher sein, die unterschiedlichen staatlichen und nichtstaatlichen Aktivitäten zu organisieren. Voraussetzung für diese kooperative Strategie sind klare Zieldefinitionen durch die Politik. Die Zielformulierungen können in verschiedenen Varianten
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BERND WAGNER erfolgen. [ ...] Wesentlich ist allerdings die grundsätzliche strategische Ausrichtung für eine mittelfristige Kulturpolitik. (DEUTSCHER BUNDESTAG 2 007 : 93)
Oliver Scheytt, der selbst Mitglied der Enquete-Kommission war und an dem Bericht mitgearbeitet hat, gebraucht den Governance-Begriff in seinem zur gleichen Zeit entstandenen Buch Kulturstaat Deutschland. Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik (SCHEYTT 2008) an verschiedenen Stellen. Für ihn erfasst er sehr gut die Vermittlerrolle von Kulturpolitik zwischen den gesellschaftlichen Herausforderungen und staatlich-kommunalem Handeln sowie zwischen den an kulturpolitischen Entscheidungen beteiligten unterschiedlichen Akteuren, die möglichst offen gestaltet sein und Netzwerkcharakter haben sollten. Governance gilt ihm zum einen als Oberbegriff aller Formen sozialer Handlungskoordination und zum anderen als Gegenbegriff zu hierarchisch er Steuerung [... ]. Das GovernanceKonzept rückt kooperative Handlungsformen und die Rolle des Staates als Initiator. Moderator und Förderer von Netzwerken zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren in den Mittelpunkt des Interesses. (SCHEYIT 2 008 : 63f.)
Darauf aufbauend entwickelt er den Begriff weiter und popularisiert ihn für die kulturpolitische Diskussion in seinem gemeinsam mit Tobias Knoblich verfassten Beitrag Zur Begründung von Cultural Governance (KNOBLICH/SCHEYTT 2009). In der Folgezeit erschienen mehrere Publikation zu Kulturpolitik und Kulturwirtschaft, in denen der Begriff Governance oder Cultural Governance als Bezeichnung für einen neuen Ansatz kulturpolitischen Handeins und der Auseinandersetzung mit Kulturpolitik gebraucht wird. Mit der Debatte über Governance in der Kulturpolitik kann der noch immer verbreitete Etatismus im kulturpolitischen Denken und Handeln hinterfragt und der den kulturpolitischen Diskurs in der Bundesrepublik lange Zeit prägende ordnungspolitische Dualismus einer staats- oder markförmigen Erledigung von Aufgaben aufgebrochen und durch ein Drittes ersetzt werden, durch die Kombination von öffentlicher Förderung und Regulierung, marktvermittelter Produktion sowie gesellschaftlichem Engagement. Für die Entwicklung einer wissenschaftlich-theoretischen Auseinandersetzung mit kulturpolitischem Denken und Handeln ist die Einbeziehung der Cultural-Governance-Ansätze eine notwendige Vorausset zung. Deren inzwischen häufig anzutreffende Konzentration auf einen Steuerungsansatz von Prozessen und Entscheidungen unterschiedlicher Akteursgruppen bildet aber noch eine zentrale Schwäche dieser Diskussion. Denn die in trisektoralen Steuerungsprozessen verbundenen Akteure
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handeln entlang unterschiedlicher Zielsetzungen und Handlungslogiken wie Macht, Geld und Sinn/Anerkennung. Diese lassen sich nicht einfach miteinander verbinden, sondern stehen oft in Widerspruch zueinander und erfordern eine inhaltlich-konzeptionelle Diskussion über die differierenden Ziele der staatlichen-kommunalen, der privatwirtschaftliehen und der zivilgesellschaftlichen Akteure. Die in den letzten Jahren kaum entfaltete theoretische Diskussion über Kulturpolitik kann durch eine systematische Auseinandersetzung mit den Begründungen und Zielen kulturpolitischen Handeins vorangebracht werden. Diese Debatte ist allerdings unabhängig von den erwähnten theoretischen Zusammenhängen der Kulturpolitik gegenwärtig bereits durch die Wirklichkeit aufgezwungen und sollte mit den beiden anderen erwähnten Aspekten des kulturpolitischen Diskurses- der Machtdimension und dem Governance-Ansatz- verknüpft werden. Denn die öffentlich getragenen und geförderten Einrichtungen stehen gegenwärtig vor allem aufgrund zweier Entwicklungen unter einem besonderen Druck. Zum einen zwingen die Schulden und der Einspardruck der öffentlichen Haushalte vor allem die Kommunen und zunehmend ebenfalls die Länder als Träger und Förderer der Kultur- und Kunsteinrichtungen auch hier nach Einsparmöglichkeiten zu suchen und erschweren ihnen, Kostensteigerungen aufzufangen und die kulturelle Infrastruktur durch neue Angebote weiterzuentwickeln. Zum anderen üben veränderte kulturelle Interessen in der Bevölkerung und die Vervielfachung der kulturellen Angebote besonders durch die rasche Entwicklung der audiovisuellen Medien sowie einen insgesamt immens gewachsenen Freizeitsektor, die sich in einer teilweise zurückgehenden Nutzung der herkömmlichen Kunst- und Kultureinrichtungen - besonders bei der jüngeren Generation- niederschlagen, einen erheblichen Veränderungs- und Legitimationsdruck auf die kulturelle Infrastruktur und ihre Finanzierung aus." Besonders der demographische Wandel, schrumpfende Städte, die multikulturelle Durchmischung und die Pluralisierung der Lebenswelten, aber auch eine wachsende Armut und ein weiteres Auseinanderdriften von Arm und Reich stellen heute Kulturpolitik vor die Aufgabe, ihre Ziele und Begründungen neu zu überdenken und zu definieren. Dazu gehört auch die Diskussion darüber, welche kulturelle Infrastruktur, sie vorhalten und weiter entwickelt muss, damit möglichst viele Menschen 2
Zur Entwicklung der kulturellen Infrastruktur in den vergangeneu zwei Jahrzehnten und dem gegenwärtigen finanziellen Druck auf die Kulturhaushalte u. a. INSTITUT FÜR KULTURPOLITIK (2010) und WAGNER (2011).
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ihren kulturell-künstlerischen Interessen nachgehen können. 3 Aus diesen praktischen wie theoretischen Gründen ist es deshalb gegenwärtig für Kulturpolitik besonders wichtig zu reflektieren und zu begründen, zu welchem Zweck die nicht unerheblichen öffentlichen Mittel für Kunst und Kultur ausgegeben werden und entlang welcher inhaltlichen Vorstellungen kulturpolitisches Handeln stattfindet beziehungsweise stattfinden sollte. Durch die Untersuchung und theoretische Auseinandersetzung mit diesen drei Themenfeldern - der Machtdimension von Kulturpolitik, der Weiterentwicklung von Ansätzen nichthierarchischer Steuerung unter Einbeziehung von zivilgesellschaftlichen und privatwirtschaftliehen Akteuren im Sinne von Cultural Governance sowie eine intensive Debatte über Ziele und Begründungen von Kulturpolitik, die gleichzeitig den drei politikwissenschaftlichen Dimensionen polity (Verfasstheit), policy (Ziele) und politics (Prozesse) entsprechen-, kann der Erarbeitung einer gehaltvollen Theorie von Kulturpolitik näher gekommen werden. Von Seiten der Kulturpolitik, das heißt ihrer Verbände und Zusammenschlüsse wird dies nur teilweise und immer unzureichend geführt werden können. Hier ist vor allem der kulturwissenschaftliche Blick von außen gefragt, das heißt besonders die Hochschulen und ihre wissenschaftlichen Institute. Ob sie dies leisten können- Stichwort Bolognaprozess - steht auf einem anderen Blatt.
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3
Hierzu ausführlicher die Beiträge von Oliver SCHEITT, Max FUCHS und Klaus HEBBORN im Jahrbuchfür Kulturpolitik 2010 sowie KNÜSEL (2011) .
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teilungen 133, 46-51 SCHEYIT, Oliver (2008): Kulturstaat Deutschland. Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik; Bielefeld: transcript. SCHEYIT, Oliver (2010): Pflichtaufgabe, Grundversorgung und kulturelle InfrastrukturBegründungsmodelle der Kulturpolitik. -In: Jahrbuchfür Kulturpolitik 2010 (Kulturelle Infrastruktur), 27-43. SCHNELL, Christiaue (2010): Der Kulturbetrieb bei Pierre Bourdieu.- In: Jahrbuchfür Kulturmanagement 2 (Theorien für den Kultursektor), 43-53. SPRANGER, Eduard (1923) : Kulturpolitik.- In: Herre, Paul (Hg.), Politisches Handwörterbuch. Erster Band: A-K, Leipzig: Koehler, 1087-1089. WAGNER, Bernd (2009): Fü1·stenhojund Bürgergesellschaft. Zur Entstehung, Entwicklung und Legitimation von Kulturpolitik(= Edition Umbruch, 24). Bonn: Kulturpolitische Gesellschaft. WAGNER, Bernd (2010): Kulturpolitik und Kulturmanagement. Überlegungen zu einer Politikfeldanalyse.- In: Jahrbuchfür Kulturmanagement 2 (Theorien für den Kultursektor), 171-184. WAGNER, Bernd (2011): Wachstum oder Schrumpfung? Die kulturelle Infrastruktur und ihre Finanzierung- In: Kulturpolitische Mitteilungen 133, 42-45. WIMMER, Michael (2011): Kultur und Demokratie. Eine systematische Darstellung von Kulturpolitik in Österreich. Innsbruck u. a.: Studien. ZAHNER, Nina Tessa (2010): Die Selektivität des Publikums zeitgenössischer Kunst als Herausforderung für die Rezeptionstheorie Pierre Bourdieus?- In: Jahrbuchfür Kulturmanagement 2 (Theorien für den Kultursektor), 55-75.
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Von der Kulturpolitik zum Kulturmanagement Anmerkungen zu einem Paradigmenwechsel
JENS BADURA, MONIKA MOKRE
1.
Einleitung
1.1 Das Unbehagen in der Kulturpolitik Kulturpolitik ist ein Problem, ein Begriff, der zwei scheinbar unvereinbare Konzepte in ein Wort zwängt: Die Kultur, die- je nach Definition - "a whole way oflife" (Raymond Williams) umfasst oder zumindest die schönen Teile dieser Lebensart, das Hochstehende, Auratische, die gemeinsamen Werte und ihren Ausdruck in der Kunst- etwa in der Definition der UNESCO (1983: 21): Die Kultur kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen. Dies schließt nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertesysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen.
Und die Politik wird mindestens heutzutage häufig mit Manipulation, Missbrauch und gerade in Hinblick auf Kultur mit Zensur in Verbindung gebracht oder aber ohnehin als zahnlose Verwaltung von Sachzwängen angesehen. Ist ,Kulturpolitik' also mehr als eine bestenfalls unterbestimmte Angelegenheit mit zweifelhaftem Nutzen? Aber auch jenseits billiger Polemik erscheint die Verbindung der Begriffe spannungsreich und voller Widersprüche. Wie ist die Freiheit der Kunst und des kulturellen Eingriffs mit staatlichem Eingriff zu vereinbaren? Oder auch umgekehrt: Welche gesellschaftlichen Leistungen der Kultur legitimieren politische Eingriffe in einem demokratischen System? In den letzten Jahrzehnten wird diese Spannung auf spezifische Art gelöst: Während der gesellschaftliche Wert von Kultur als gegeben angenommen und daher weder bestritten noch dafür argumentiert wird, dass ,Kultur' sein soll und zugleich eine maßlose Inflation des Kulturbegriffs in allen schillernden Bedeutungsvarianten betrieben wird, erscheint Politik als zunehmend delegitimiert, nicht nur, aber eben auch in Bezug auf Kultur. Diese Delegitimierung erfolgt auf der- zumeist uneingestandenen-
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JENS BADURA, MO NIKA MOKRE
Verengung des Politikbegriffs auf staatliches Eingreifen in Märkte, dem unterstellt wird, dass es aufgrund seiner marktverzerrenden Effekte problematisch sei. Einem mittlerweile tendenziell grenzenlosen und zumeist (zumindest im Kontext kulturpolitischer Debatten) positiv konnotierten Kulturbegriff steht damit ein stetig mehr verengter und negativ konnotierter Politikbegriff gegenüber.
1.2 Von der unsichtbaren Hand zur öffentlichen Hand und zurück Vor diesem Hintergrund lässt sich das verbreitete Unbehagen gegenüber der Unangemessenheit von Kulturpolitik als Spezialfall eines Generalverdachts gegen Politik im Allgemeinen lesen, ein Generalverdacht, der gerne durch eine oberflächliche Lektüre von Adam Smith (2005) legitimiert wird. Staatliches Eingreifen ist nach diesem Verständnis nicht nur unnötig, sondern schädlich, da es die Selbstregulierung des Marktes behindert, durch die individueller Egoismus in allgemeine Wohlfahrt verwandelt wird: Was wichtig ist, sollen doch die Menschen selbst anband ihrer Konsumentscheidungen bestimmen, nicht aber ein Regulativ, dass sich ggf. sogar diesen Entscheidungen diametral entgegenstellt. Das Wirken der unsichtbaren Hand des Marktes macht damit nicht nur Politik überflüssig, sondern erübrigt zugleichjede Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen von Kultur, da sich dieser von selbst zeigt: Was am Markt besteht, ist gesellschaftlich nützlich, weil gesellschaftlich gewollt. Dieser etwas kurz geratene Schluss ist weder in der sehr viel differenzierteren und normativen Argumentation von Adam Smith (2004) angelegt, noch wurde er je in dieser reinen Form irgendwo implementiert. Doch ist er immer wieder als Totschlagargument nützlich - nicht nur gegen spezifische Politiken, sondern auch gegen jeglichen Versuch, gesellschaftlichen Nutzen zu definieren. Nicht nur politisches Handeln, sondern auch politisches Denken wird auf diese Weise delegitimiert. In einer - rückblickend gesehen - eher kurzen Phase des Kapitalismus wurde diese Denkweise theoretisch und praktisch massiv in Frage gestellt, indem antizyklische staatliche Eingriffe in die Wirtschaft auf der Grundlage der keynesianistischen Wirtschaftstheorie legitimiert wurden. Diese Phase stellte auch die Blütezeit staatlicher Kulturpolitik dar, die insbesondere zu vergleichsweise hohen Zuwendungen an Kunst und Kultur führte. Und es sind wohl insbesondere diese Zuwendungen, die heutzutage zu einer gewissen Nostalgie der Kulturschaffenden führt, wie
VON DER KULTURPOL IT IK ZUM KULTURMANAGE MENT
sich etwa in Österreich gut ersehen lässt, wo die sozialdemokratische Regierungsphase ab den frühen 1970er Jahren gezielt entsprechende Weichenstellungen einleitete. Denn auch in dieser Phase blieb die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz von Kultur zumeist nicht nur unbeantwortet, sondern auch ungestellt - und wenn sie denn aufkam, lieferte sie zumeist wertkonservative Antworten in Bezug auf nationale Identität und kulturelles Erbe. Und für die Freiheit von Marktzwängen wurde häufig ein hoher Preis in Hinblick auf politische Willfährigkeit und Anpassungsfähigkeit bezahlt. Die öffentliche Hand von Vater Staat war tatsächlich - belohnend wie bestrafend - ausgesprochen sichtbar und die Kulturschaffenden passten sich dieser Situation an, wie Robert Menasse im Jahr 1994 anmerkte:" Österreichische Künstler sind fast nur noch als Personalunion von Staatsfeind und Staatskünstler zu haben." (MENASSE 1994) Die Rückkehr von der öffentlichen zur unsichtbaren Hand ab den 1980er Jahren stellt neue Anforderungen an Kulturschaffende; insbesondere aber verhilft sie einer neuen Berufsgruppe zu Brot und Ansehen, nämlich den Kulturmanagerj-innen. Wenn Kunst und Kultur sich makroökonomischen Bedingungen anzupassen haben, dann darf - um bei den Familienmetaphern zu bleiben - auch die kleine Schwester Betriebswirtschaft nicht fehlen. Und so betrachten wir seit einiger Zeit nicht nur eine erstaunliche Vervielfachung von Kulturmanagementausbildungen, sondern parallel dazu auch eine beständige Ausweitung der selbst und fremd zugeschriebenen Kompetenzen dieser Berufsgruppe. Ebenso wie der Markt beruft sich dabei auch das Kulturmanagement auf seine Neutralität: Es geht um Effizienzsteigerung bei der Zielerreichung - wobei die Ziele nicht vom Kulturmanagement vorgegeben werden.' Denn diese Ziele werden überhaupt nicht vorgegeben - das ist der gemeinsame Nenner dieser kurzen Geschichte des Verhältnisses zwischen Kultur und Gesellschaft. Dieser Verzicht auf Definitionen ist gut verständlich, haben doch klare Zweckbestimmungen für Kunst und Kultur zumeist zu im weitesten Sinne politischer In-Pflicht-Nahme und Zensur geführt. Doch gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen allgemein akzeptierten Definitionen und der Formulierung von Zielen, die
S. dazu die Selbstbeschreibung des Kulturmanagements als "dienende" Ermöglichung von Kunst und Kultur (HEINRICHS 1999: 17); diese klassische Funktionsbeschreibung würde allerdings mittlerweile durch differenzierte Rollenmodell abgelöst; s. dazu LEWINSKI-REUTER/ LÜDDEMANN (2008), BEKMEIER-FEUERHAHN et al. (2009, 2010).
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argumentiert und bestritten werden und damit letztendlich zu Debatten um Gesellschaftspolitik und ihre Ziele beitragen.
2.
Die Politik und das Politische
Der Unterschied zwischen Politik und dem Politischen wurde von Carl Schmitt eingeführt und von verschiedenen post-fundationalistischen Denkerf-innen aufgegriffen (FLÜGEL/ HEIL/HETZEL 2004). Das Politische findet sich nach Schmitt in jeder Situation, in der Freund/FeindBeziehungen auftreten, also in jeder gesellschaftlichen Sphäre. Politik im Sinne der liberalen Aushandlung von Positionen innerhalb einer demokratischen Ordnung ist nach Schmitt ein sekundärer Begriff des Politischen, Jacques Ranciere (2002: 33ff.) bezeichnet diese Form der Politik als "Polizei", als bloße Aufrechterhaltung der Ordnung. In einer weniger rigiden Fokussierung auf Freund/ Feind-Verhältnisse und Krieg als bei Schmitt lässt sich das Politische als jede Form der Aushandlung und des Konflikts um die gesellschaftliche Ordnung verstehen und Politik als diekontingenteund temporäre Kristallisierung der Ergebnisse dieser Aushandlungen als gesellschaftliche Ordnung. Die Kontingenz jeglicher bestehender Ordnung findet ihren Ausdruck par excellence in der Demokratie, in der der Platz der Macht grundsätzlich leer ist (MARCHART 2010: 32ff.). Ein solches Verständnis des Politischen ist voraussetzungsvoll und folgenreich und erfordert eine grundlegende Abkehr vom Alltagsverständnis von Demokratie als einer existierenden politischen Ordnung. Denn ein solcher Demokratiebegriff leugnet gerade die Kontingenz, die für demokratisches Denken aus post-fundationaler Sicht zentral ist. Im Gegensatz dazu ist Demokratie als Horizont zu verstehen, der in seinen Zielsetzungen wie auch den Wegen zu diesen beständig zu hinterfragen und kontlikthaft auszuhandeln ist. Anders formuliert: Das Politische ist in einer "Kontingenzkultur" (Blumenberg), wie sie moderne Gesellschaften ausprägen, ein Suchraum für das Erwägen von Möglichkeiten, wie Gesellschaft sein könnte und was dies mit Blick auf je etablierte Ordnungsformen heißt. Das Verhältnis zwischen Kultur und Politik wird aus dieser Sicht ein grundlegend anderes. Nicht um die Begegnung zwischen zwei voneinander abgegrenzten Bereichen geht es, sondern um die Anerkennung des Politischen als notwendiges Element - auch - der Kultur. Und ihre gesellschaftliche, i. e. demokratische, Bedeutung gewinnt Kultur aus der
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Offenlegung des Politischen, also des Streits und der Unabgeschlossenheit jeglicher gesellschaftlicher Struktur und Zielbestimmung. Aus dieser Sicht nun lassen sich gesellschaftliche Funktionen von Kultur entwickeln -die selbstverständlich stets bestritten werden können und sollen . Eine wesentliche Voraussetzung dieses Streits ist allerdings die Offenheit für Aufmerksamkeit gegenüber der Gegenwart, eine Aufmerksamkeit, die gerade auch dadurch entsteht, dass die Formen der je etablierten ,Verteilung des Sinnlichen' in ihrer gesellschaftlich-konstitutiven Rolle erfahren werden können, eine Erfahrung, die sich als ästhetische Erfahrung manifestiert.
3.
Kultur und Demokratie
Es ist ein Grundzug aller ästhetischen Verhältnisse, dass wir uns in ihnen, wenn auch in ganz unterschiedlichen Rhythmen, ,Zeit für den Augenblick' nehmen. In einer Situation, in der ästhetische Wahrnehmung wachgerufen wird, treten wir aus einer allein funktionalen Orientierung heraus. Wir sind nicht länger darauf fixiert (oder nicht länger allein darauf fixiert), was wir in dieser Situation erkennend und handelnd erreichen können. Wir begegnen dem, was unseren Sinnen und unserer Imagination hier und jetzt entgegenkommt, um dieser Begegnung willen. Dies ist einer der Gründe dafür, warum ästhetische Aufmerksamkeit eine Form des Gewahrseins darstellt, die aus der menschlichen Lebensform nicht wegzudenken ist. Denn ohne diese Bewusstseinsmöglichkeit hätten die Menschen ein weit geringeres Gespür für die Gegenwart ihres Lebens. (SEEL 2003: 440
Aus dieser von Seel eindrücklich beschriebenen Perspektive lassen sich jene Wirkungen von Kunst und Kultur beschreiben, die sowohl genuin demokratisch als auch genuin kunstspezifisch sind- Wirkungen, die durch die Produktion und Präsentation von Kunst entstehen bzw. von dieser ausgehen und die transformative Potentiale beinhalten. Dies allein sagt natürlich nichts darüber aus, welchen eventuellen Nutzen derartige Wirkung zeitigen (soll) - und darüber lässt sich auch kaum Einigkeit erzielen, wie die einschlägigen, Debatten zur Großfrage ,Was ist Kunst?' der vergangenen Jahrhunderte gezeigt haben (MÄCKLER 2007), doch ist es gerade dies, was den Kultursektor belebt. Daher könnte man sagen: Das wichtigste in diesem Zusammenhang wäre es, dass fortlaufend debattiert wird. Doch diese Debatte sollte nicht irgendwie stattfinden, sondern im Sinne des eben skizzierten Verständnis des Politischen, also auch außerhalb der Debatte in den Künsten, die zweifelsohne geführt wird. Anders formuliert: es bedarf geeigneter Foren und darin agierender AkteurI -innen, im Rahmen derer bzw. durch die betrieben öffentlich darum gerungen wird, welche Kunstwirkungen für die Gesellschaft wichtig sind
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und daher ermöglicht werden - auch und gerade mit Blick darauf, was dies heute konkret für die Gestaltung des Kultursektors und die durch ihn zu befördernden gesellschaftsrelevanten Funktionen bedeutet. Sind dies vorrangig verstörende oder kontemplative, unterhaltende oder bildende, ökonomische oder ideologische Funktionen? Geht es um Erwartungsbefriedigung oder Erwartungstransgression? Was spricht für oder gegen bestimmte Funktionen, wer hat warum welches Interesse daran, dass diese Funktionen (nicht) zum Tragen kommen? Diese Auseinandersetzung nicht als das zu führen, was sie ist - nämlich als Kontroverse um Formen der Weltgestaltung- hat zur Folge, dass bestimmte etablierte Funktionszuschreibungen an den Kultursektor als Normalitäten unhinterfragt bleiben und Kunstwirkungen auf instrumentelle Affirmationen des jeweiligen status quo beschränkt zu werden drohen.
4.
Kultur zwischen Autonomie, Staat und Markt
Der keinesfalls friktionsfreie Übergang von staatlicher Kulturpolitik zu marktfähiger Kultur, wie er seit gut zwei Jahrzehnten stattfindet, führt zu Auseinandersetzungen, die die Möglichkeit zu einer solchen Kontroverse eröffnen, sie allerdings selten realisieren. Stattdessen vermischen sich auf erstaunliche Weise neue und alte Argumente, um gegenwärtige oder vergangene politische Strategien und Bewertungen zu affirmieren, ohne sie zu überschreiten. Mit Blick auf die Realitäten in der Gegenwart lässt sich nur schwer leugnen, dass sich längst eine weitgehende Porosität der Grenzen zwischen Kunst, Kultursektor und den diversen gesellschaftlichen Feldern etabliert hat, die nicht nur die Praxis von Künstlerf -innen und- im weitesten Sinne - den Kunstbetrieb prägt, sondern auch deren funktionale Stellung in der Gesellschaft verändert hat: Lange schon ist die Grenze zwischen Kunst und Kommerz, zwischen Kunst und Design, Technik, zwischen Kunst und Wissenschaft und schließlich zwischen Kunst und Bildungsdebatten eine offene Grenze, werden Künstlerf -innen in Entscheidungsprozesse einbezogen, die nichts mit Kunst zu tun haben, dienen Künstlerf-innen als role-model für kreative Lebensformen, sind Künstlerf-innen selbstverständlicher Teil jener creative industries, in denen zwischen künstlerisch-schöpferischer und marktorientierter innovativ-strategischer Dimension kaum mehr unterschieden werden kann. Diese Entgrenzung eröffnet Möglichkeiten für Gesellschaftspolitik über die künstlichen Limitierungen von Disziplinen und Professionen
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hinaus, findet ihre Grundlage aber in der Markt- und Vermarktungsorientierung aller Tätigkeiten. Damit ist sie auch problematisch, spielt sie doch potenziell einer lnstrumentalisierung in die Hände, die jegliches kritisch-aufmerksamkeitsstiftende Potential von Kunst durch eine durchgreifende Verzweckung tendenziell zum Verschwinden bringt, ohne dass daraus eine nachhaltige kulturpolitische Debatte entstehen würde: Hauptgegenstand kulturpolitischer Diskussionen ist in aller Regel die Knappheit der Mittel oder aber Personalien wie die Besetzung von leitenden Funktionen in zentralen Kulturbetrieben, weniger aber die Kollateralschäden einer durchgängigen "Gouvernementalisierung" (Foucault) des Kultursektors. Gegenstrategien operieren häufig mit einer verklärenden RetroKampagne (als wäre Kunstproduktion je frei von Abhängigkeiten und Einflussnahmen gewesen) und leugnen damit die Entstehung einer Neupositionierung von Kunst als gesellschaftlich integriertem Faktor (und eben nicht als eine Art externen Kommentars bzw. entriick1:er Genialität, welche in den Alltag niederkommt). Nicht nur dem wohlmeinenden und umfassend fördernden Vater Staat gilt hier der romantisierende Rückblick, auch die totale Freiheit der Kunst von gesellschaftlichen Funktionalisierungen wird immer noch von einer Fraktion von Akademiekünstler/ -innen deklariert, die sich damit an einem Ideal der Autonomie orientiert, das es so eigentlich nie gab. Dieser Rückgriff auf Kunst- und "Künstlermythen" (NEUMANN 1986), die schon lange als artifiziell und affirmativ identifiziert sind - der Geniekünstler, die Sexiness des Bohemien, die Autonomie der Kunst gegenüber jeglichen ökonomischen Belangen -findet sich aber auch bei den Verfechterf -innen einer ,Generation 2.0'. Mit der Selbstbeschreibung als "digitale Boheme" (FRIEBE/ LOBO 2006) wird die eigene Prekarität (SCHELEPA/WETZEL/WOHLFAHRT 2008) zur mutigen Geste umgedeutet, indem verklärte Künstlerbilder des 19. Jahrhunderts zum Vorbild zeitgemäßer Lebensführung mit einer Spur Aufbegehren deklariert werden. Doch diese großen Gesten verbleiben notwendigerweise folgenlos, verweigern sie sich doch ebenso einer gesellschaftspolitischen Debatte wie auch einer konkreten Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Damit versäumen sie die Möglichkeit dort einzugreifen, wo über die faktische Etablierung von Kunstwirkungen heute entschieden bzw. die Stoßrichtungen gebahnt werden und damit dort der Instrumentalisierung vorzubeugen bzw. für Kunst zu streiten, die nicht von bestimmten instrumentellen Zwecken her gedacht ist. Also vor allem in jenem Diskurs, der mehr und mehr auch die Kunstproduktion prägt: demjenigen zum
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Kulturmanagement nämlich. Denn wenn es dabei bleibt, dass die Frontstellung, ,Autonome Kunst' auf der einen Seite, ,Marktkunst' auf der anderen Seite, seitens der jeweiligen Akteure denkbestimmend bleibt, dann gerät der Bedarf aus dem Blick, hinsichtlich ganz realer Neustrukturierungen des Kultursektors durch die durchgängige Etablierung kulturmanagerialer Strukturen Stellung zu beziehen und einer Verabschiedung kulturpolitischer Kontroversen zugunsten eines an eingängigen Funktionszuschreibungen orientierten Kulturmanagements entgegenzuwirken -wobei es nicht darum geht, die Verwobenheit von Kunst mit den oben genannten Sphären pauschal abzulehnen, sondern sie möglichst sinnvoll zu gestalten. Und wenn die Gestaltung (und eben nicht nur die Verwaltung bzw. eine dienende Ermöglichung) des Kultursektors zunehmend dem Kulturmanagement zukommt, dann wäre es wichtig, dass diese Aufgabe auch als Aufgabe des Kulturmanagements gesehen wird - und zwar inklusive der angesprochenen politischen Dimension.
5.
Und das Kulturmanagement?
Die These also lautet, dass eine der konstitutiven Bedingungen für einen gesellschaftlich produktiven Kultursektor die Kontroverse um die gesellschaftliche Rolle von Kunst und Kunstwirkungen ist, dass diese Kontroverse seitens kulturpolitischer Instanzen nicht wirklich substantiell geführt wird und dass die mehr und mehr den Kultursektor gestaltende Instanz ,Kulturmanagement' nicht ohne dezidierte Position zu dieser Frage bleiben sollte, da sie sonst der notwendigen politischen Debatte entzogen bleibt. Daher müsste als erstes Anliegen kulturmanagerialer Praxis formuliert werden: Welche ,Kultur' soll hier für welche Kunst ,gemanagt' werden, mit welchem Ziel bzw. mit Blick aufwelche Erwartungen? Betrachtet man die gegenwärtige Diskussion in der Kulturmanagementpraxis/ so ist zu konstatieren, dass dieses Anliegen eher weniger im Zentrum der Aufmerksamkeit steht. Nicht die Frage ,Warum soll diese oder jene Funktion des Kultursektors mit Blick auf die Stärkung bestimmter Kunstwirkungen gestärkt/ geschwächt werden - und was bräuchten die Künste, um dies zu können?' ist hier leitend, sondern die Frage ,Wie setzen wir Ressourcen am effizientesten ein?'. Eine Leitfrage, 2
Die Betonung liegt hier auf ,Praxis' - denn im theoretischen Diskurs werden inzwischen auch Rollenbilder und die Ermöglichungsperspektive überschreitende Selbstverständnisse diskutiert (KELLER/ SCHAFFNER/SEGER 2007 j 2oo8 ; BADURA 2010).
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von der aus es auf offenbar direktem Wege zu denen geht, die das angeblich am besten können: professionelle Managerf-innen und deren professionelles Management. Insofern ist es durchaus konsequent, dass viel über Management geredet- und Manager/-innenjene HoffnungsträgerI -innen sind, die angesichts des Generalbasses von Mittelknappheit das Mantra des Monetären im Geiste der Effizienz zelebrieren können. Nur ist das in der Sache effektiv? Und in seiner Dominanz dem Kultursektor angemessen? Das Mäandern in den Weiten der kreativen Exploration, das den Künsten wohl zugestanden werden muss, damit sie Künste sein können, wird durch diese Entwicklungjedenfalls nicht eben gefördert. Folgt man den Empfehlungen zeitgemäßer Regularien für den exzellenten Kulturbetrieb, so lässt sich mit einer experimentell-improvisatorischen Logik nicht mehr operieren. Angesichts von Anbieterkonkurrenz und (vorgeblichem) Ressourcenrückgang auf dem Kulturmarkt wird empfohlen, sich durch Umfeldanalysen, Benchmarking, strategische Planung, Controlling etc. mit den bewährten Werkzeugen der Betriebsführung einzukleiden. Die Entwicklung geht hin zur generellen Quantifizierung des Qualitativen: wie schon im Wissenschaftssektor, wo Faktoren wie bibliometrische Scores oder Patent-Output zu Leitkriterien wurden, setzen sich im Kultursektor managerial handhabbare Bewertungsgrößen wie Auslastungsgrade, Künstlerj-innen- und Kuratorf-innenratings oder ökonomische Kollateraleffekte durch. Produktivitätsbedingte Zeit- und Ressourcenknappheit sind, glaubt man den gerne wiederholten Diagnosen zur Befindlichkeit der Gegenwart, die Ursachen dafür, dass es als eher verschwenderisch gilt, sich dem gegenüber zu öffnen, was nicht schon als Erwartetes formuliert wurde. Das Gebot der Stunde lautet schließlich Effizienz, also ein Denken von gezielten Erwartungshaltungen, eine Handlungsorientierung mit Blick auf Zielerreichung. Effizienz ist bekanntlich ein ökonomisches Kalkül und bezeichnet eine Ressourceneinsatzoptimierung im Hinblick auf die Erreichung eines bestimmten Zwecks. Wer effizient sein will, muss demnach schon wissen, was er erreichen will - und er muss entschlossen sein, dies möglichst ohne Umwege zu erreichen. Denn nur der direkte Weg zum klaren Ziellässt sich legitimieren, wenn Effizienz zum Leitkriterium wird. Und dieser direkte Weg ist nicht unbedingt der, auf dem "Zeit für den Augenblick" bleibt, wo "wir [... ] nicht länger darauf fixiert [sind] (oder nicht länger allein darauf fixiert), was wir in dieser Situation erkennend und handelnd erreichen können." (SEEL 2003: 44f.)
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6.
Aufgaben des Kulturmanagements
6.1 Kulturmanagement als politische Agentur Vor diesem Hintergrund kann es nicht dabei bleiben, Kulturmanagement auf effizientes Ressourcenmanagement zu beschränken oder ihm zusätzlich einige gestalterische kuratarische Funktionen im Kultursektor zuzuschreiben - vielmehr müsste eine Repolitisierung des Kultursektors (auch) durch das und im Kulturmanagement stattfinden, die jenes Vakuum füllt, das eine entpolitisierte Kulturpolitik geschaffen hat. Wie gesagt: Politisierung ist hier gemeint als Stiftung von öffentlichen Kontroversen, darüber nämlich, was Kultur jeweils leisten soll und leisten kann. Dazu allerdings ist es nötig, den Managementbegriff aus seiner Codierung durch die Denkgrammatik der BWL zu lösen und die ihm inhärente Narrnativität nicht mehr auf Effizienzkriterien, sondern auf Relevanzkriterien umzustellen. Was damit ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt ist die Frage: Warum und mit welchem Zweck soll etwas realisiert werden? Geht es darum, Geld zu verdienen? Oder darum, Tradition zu pflegen, also letztlich kulturelle Identitätsstiftung zu betreiben? Geht es um Unterhaltung und Ablenkung vom tristen Alltag? Geht es darum, gesellschaftliche Suchräume zu öffnen, in denen eine kritische Distanznahme zu je etablierten Normalitäten der Welterschließung und -gestaltung induziert wird? Mit derartigen Fragen ist weder automatisch eine bestimmte Art von Kunst vorbestimmt und als die ,wahre' Kunst für einen ,eigentlichen' Kultursektor vorgesehen noch ein Kriterium dafür ausgewiesen, wie zwischen den verschiedenen Funktionszuschreibungen entschieden werden könnte. Vielmehr geht es darum, dass Kriterien diskutiert und entsprechende Entscheidungen getroffen werden ,sollten'- und zwar (auch) von denjenigen, die sich als Gestalterf-innen des Kultursektors betätigen. Soweit zur Perspektive auf die Rolle des Kulturmanagements. Fragt man hingegen- als Kulturmanager/-in- nach den konkreten Kunstformen und Kriterien für deren Relevanz, begibt man sich in das Feld des politischen Diskurses selbst und vertritt mithin explizit oder implizit eine entsprechende Position. Da kann es dann um Geld gehen (welches kultursektorales Feld verspricht am meisten ökonomisches oder soziales Kapital), um konkrete politische Interessen (welche Kulturprojekte befördern am effektivsten eine bestimmte ,Leitkultur' oder beruhigen die Gemüter), welche sind bildungsrelevant und Teil eines
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etablierten bzw. zu etablierenden Kanon, welchen Grad an und welche Art von Vermittlung braucht es für welchen Zweck, welche Typen von
Kulturproduktion generieren das meiste Provokationspotential, welche ziehen eine community an, die ihrerseits positiv auf das Stadtbild bzw. bestimmte Stadtteile einwirkt und die Etablierung von creative areas befördert usw.: Allen diesen Positionierungen liegen bestimmte Auffassungen darüber zugrunde, was im Kultursektor passieren sollte. Wiederum aus der Metaperspektive gesprochen kann man daher sagen, dass sich dasjenige, was im Kultursektor geschieht wie auch die Gestaltung der Rahmenbedingungen, in denen es geschieht, als Spannungsverhältnis zwischen diesen Positionen und somit als Konflikt um Gestaltungsmacht beschreiben lässt - und daher wäre es wichtig, genau diese Spannung auch zum Thema des Kulturmanagements zu machen. Dazu allerdings muss das Kulturmanagement die bequeme Position des neutralen Ermöglichens verlassen und Position beziehen, eine Position, die da sie streitbar ist, auch bestritten werden kann und wird. Nicht zuletzt kann dieser Streit auch die Frage betreffen, welche legitimen Funktionen das Kulturmanagement im Kultursektor innehat, ob es sich nicht Aufgaben anmaßt, die Künstler/-innen, Kulturproduzentf-innen oder Kurator/ -innen zustehen - oder ob diese Trennungen zwischen Berufsgruppen nicht letztendlich obsolet sind.
6.2 Handlungsfelder Abschließend möchten wir hier - kursorisch - einige Bereich nennen, in denen u. E. Kulturmanagerf-innen aktiv werden und Position beziehen sollten. a) Die dominante Kontroverse innerhalb der Kulturmanagement-Community und der sie flankierenden Theoriedebatte, die vor allem auch in den Jahrbüchern des Fachverbandes Kulturmanagement geführt werden (BEKMEIER-FEUERHAHN u. a. 2009; 2010), um das Wie des Kulturmanagements müsste eine Debatte darum vorausgehen, warum und wofür es eigentlich einen Kultursektor braucht (und wenn, dann in welcher Form). Natürlich gibt es eine lange Tradition der Debatte zur Rolle von Kunst und dem Kultursektor als kunstbezogener gesellschaftlicher Sphäre, die, bezüglich wirklich originärer Beiträge von der Antike bis Adorno und den Folgen reicht: von Katharsis bis Kulturindustrie, um das breite Spektrum dieses Diskurses nur anzudeuten. Dieser Diskurs ist zwar nicht abgeschlossen,
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wird aber heute entweder sehr akademisch oder aber im Gestus eines Stellungskampfes betrieben; ala ,Warum Adorno irrte/ Recht behält' bis ,Warum unser Stadttheater nicht geschlossen werden darf. Zugleich herrscht weitgehender Konsens, dass es einen Kultursektor braucht, wenn auch die Motive für diesen Konsens durchaus heterogen sind (KLEIMANN/SCHMÜCKER 2001). Statt die gegenwärtige komplexe und ambivalente Neupositionierung von Kunst im gesellschaftlichen Kontext via Gestaltung des Kultursektors offensiv zu diskutieren, es also ,nicht' bei der wenig fruchtbaren Dualität von Autonomie und Heteronomie der Kunst zu belassen, wird bisher seitens der Kulturmanagerf -innen eher Streitvermeidung betrieben . Es wäre also ein Herangehen angezeigt, dass die Frage nach dem Wozu des Kultursektors ins Zentrum rückt und sich nicht scheut, grundlegende und auch normative Aussagen dazu zu machen, (1) warum wir einen kunstproduzierenden und -präsentierenden Sektor brauchen und (2) worin für die Gesellschaft bedeutungsvolle Kunstwirkungen bestehen könnten. Diese Fragen sind auch Bedingung für die weitere Existenzberechtigung von öffentlicher Kulturförderung, wenn das politische Interesse der Mehrheit auf die Frage ,Was bringt es ,mir'?' reduziert wird. Dem kann wohl nur dadurch entgegengetreten werden, dass ein Diskurs zu Relevanzen (nicht nur, aber eben auch) des Kultursektors für die Gesellschaft insgesamt und damit auch unabhängig vom individuell zuschreibbaren Nutzen initiiert wird, und zwar als Bringschuld derjenigen, die den Kultursektor tragen, also neben den Künstlerf -innen auch die Kulturmanagerj-innen. Daraus folgt also ein Appell dazu, Stellung zu beziehen- und damit auch zu bekennen, ob Kunstwirkungen, wie dies heute häufig der Fall ist, auf die Funktionen ,Bildung', ,Identitätsstiftung', ,Unterhaltung' oder aber ,Standortvorteil' enggeführt werden sollen oder eben nicht. Wenn eben nicht, dann reicht es allerdings nicht aus, einen affirmativen Kunstbegriff zu bemühen, der raunend über die Bedeutung der Kunst für das Menschsein spricht bzw. seine Hauptschlagkraft aus seiner Differenz zur Marktkunst bezieht. Vielmehr braucht es eine Argumentation, die zwar nicht spezifisch, wohl aber konkret an der Relevanz des Kunstsektors ansetzt. Dies kann etwa im Rückgriff auf Adorno (1973: 336f.) in Bezug auf die kunstspezifische "Funktionslosigkeit" geschehen, die als "Statthalter" fungieren kann, wenn auch vielleicht nicht, wie in Adornos (1973: 337) Vorstellung, als "Statthalter der nicht länger vom Tausch verunstalteten Dinge". Eine alternative Statthalterrolle, die im Folgenden entwickelt werden soll, ist die einer Statthaltung von Aufmerksamkeit ge-
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genüber der Gegenwart in einer Kontingenzkultur, die gleichwohl in einer durch kulturelle Infrastrukturen und von diesen konstituierten Normalitäten eingestellten Welt ständig neue Mythen im Sinne Barthes - also zur Natur transformierte Kultur - erzeugt (BARTHES 1964). In diesem Kontext gilt es, und der Kunst kommt hier ein besonderes Potential zu, einen Sinn für Andersmöglichkeiten des je Wirklichen zu kultivieren und so ein Bewusstsein zu schaffen dafür, dass die Welt als Suchraum für Möglichkeiten des Menschseins fortlaufend neu zu erschließen ist. Letztlich münden diese Überlegungen dann wiederum in die ganz praktischen Fragen, denen sich Kulturmanagement auch in der alltäglichen Praxis immer wieder stellen sollte: Welche Argumente für ein gesellschaftliches Interesse gibt es, mit dem öffentliche Kulturförderung gerechtfertigt werden kann? Wie geht man z. B. in massendemokratischen Gesellschaften mit einer Tendenz zur Individualisierung und Eigennutzungsoptimierung damit um, dass Menschen und Vorhaben mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden sollen, die die überwiegende Mehrheit nicht interessieren? Das ist eine nicht neue, aber auch nicht sonderlich aktiv diskutierte Frage - und die Standardantwort lautet: Es braucht mehr Vermittlung. Doch stimmt das oder ist es vielmehr eine Variante des Arguments, dass letztlich alle für alles zu haben sind, wenn man es ihnen nur richtig verkauft? Ein Beispiel: Neue Musik ist eine Minderheitenkunst und wird es vermutlich auch bleiben. Musicals hingegen sind eine Mehrheitenkunst - und werden es vermutlich ebenfalls bleiben. Was ist nötig, um die Relevanz auch von Minderheitenkunst (die etwa im Falle der Oper gewaltige Subventionsmittel benötigt oder aber, wie so manches Kunstprojekt im öffentlichen Raum, als unliebsame Störung empfunden wird) deutlich zu machen, und zwar unabhängig von indirekten Nutzenerwartungen oder dem Hinweis, dass es die Oper schon so lange gibt und diese eben einfach ,Teil der Kultur' ist? Hier ist die Inanspruchnahme einer scheinbaren Evidenz bezüglich des Konsenses über die Bedeutung des Kultursektors gefährlich und Beispiele wie die gegenwärtige italienische Kulturpolitik zeigen, wie schnell sich die Verhältnisse ändern können, wenn die gesellschaftliche Atmosphäre ein entsprechendes Klima schafft. b) Zum zweiten sollten konkrete, mit Finanzierungsfragen verbundene Konflikte innerhalb des Kultursektors - z. B. das Verhältnis von institutionalisierten Kulturbetrieben und der ,freien' Szene- öffentlich mit Blick auf dasjenige ausgetragen werden, was ihnen zugrunde liegt: eine Bevorzugung nämlich der etablierten Strukturen zuun-
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gunstenjener Initiativen, die (noch) nicht den Status einer allgemein anerkannten Institution im jeweiligen Feld haben. Kann es, so ließe sich hier immer wieder fragen, denn ein sinnvolles Kriterium für den Kultursektor sein, anerkannt zu werden oder wäre es nicht zumindest gleichermaßen bedeutungsvoll, das bislang Nicht-Anerkannte zu ermöglichen? Wenn ein Kultursektor öffentliche Bedeutung hat und mithin auch in relevantem Umfang öffentlich finanziert wird, dann sollte nicht nur der Zugang zum Konsum von Kanon und hochgehandelten Stars gefördert werden, sondern auchjener zur Produktion außerhalb des etablierten, von Ratings und Kanon strukturierten Feldes entsprechende Möglichkeiten bekommen. Nur eine breite und in den gesellschaftlichen Zusammenhang divers implementierte kulturelle Produktivität wird auf Dauer lebendig bleiben und nicht in die Trägheiten institutioneller Kunstadministration und ein den status quo affirmierendes oder aber als Marketing-Kunst inszeniertes Geschehen münden. c) Die Tendenz, Akteurf -innen im Kultursektor zu prekarisieren und dies auch noch zum Leitbild einer Kultur der neuen, vulgärindividualisierten Selbständigkeit zu machen, ist ein weiteres Thema, dessen sich das Kulturmanagement dringend anzunehmen hätte - hier im übrigen ganz an dem orientiert, was seit geraumer Zeit auch mit Blick auf Management gewinnorientierter Unternehmen geschieht: Eine angemessene Bezahlung ist nicht nur mit Blick auf das faktische Erwerbseinkommen von Bedeutung - man sollte von Arbeit auch leben können-, sondern auch hinsichtlich der damit zum Ausdruck gebrachten Anerkennung für das, was getan wird. Die Ausnutzung von mit Kunst und dem Kultursektor verbundenen Klischees (Genies und Überzeugungstäter l -innen) für ein systematisches Downgrading von Vergütungen (da es ja zur Belohnung tolle Erfahrungen in netten Teams gibt) ist in diesem Zusammenhang nicht nur moralisch skandalös, sondern auch insofern eine Form der Selbstentwertung, als die Wertschöpfung des Kultursektors proaktiv auf eine vorrangig ideelle, als ,Nebengeschäft' zu erledigende Angelegenheit begrenzt wird, dem im Vergleich zur ,richtigen' Wertschöpfung nur das Taschengeld zusteht, das nach Abgeltung der vorgeblichen gesellschaftlichen Vitalfunktionen übrig bleibt. Zugleich dient dieses Verständnis künstlerischer und kultureller Tätigkeit immer offensichtlicher als role model für einen gesamtgesellschaftlichen Paradigmenwechsel, der den Individuen zugleich die gesamte Verantwortung für ihre Lebensmöglichkeiten zuschreibt und diese Möglichkeiten permanent reduziert.
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Gelingt es also nicht, die Bedeutung des Kultursektors als mögliche Vitalfunktion politisch zur Diskussion zu stellen und nicht in vorauseilender Devotheit die möglichst effiziente Verwaltung des Mangels zu betreiben, so sind negative Folgen zu befürchten, die weit über den Kultursektor hinausreichen.
Literatur ADORNO, Theadar W. (1969): Minima Moralia. Reflexionen aus dem beschädigten Leben. Frankfurt/M.: Suhrkamp. ADORNO, Theadar W. (1973): Ästhetische Theorie. Frankfurt/M.: Suhrkamp. BADURA, Jens (2010): Erwartungstransgression. -In: Jahrbuch.für Kulturmanagement 2 (Theorien für den Kultursektor), 273-290. BARTHES, Roland (1964): Mythen des Alltags. Frankfurt/ M.: Suhrkamp. BEKMEIER-FEUERHAHN, Sigrid/VAN DEN BERG, Karen/HÖHNE, Steffen/ KELLER, Ralf/MANDEL, Birgit/TRÖNDLE, Martin/ZEMBYLAS, Tasas (Hgg.)(2009): Forschen im Kulturmanagement. Jahrbuch .für Kulturmanagement 2009. Bielefeld: transcript. BEKMEIER-FEUERHAHN, Sigrid/VAN DEN BERG, Karen/HÖHNE, Steffen/ KELLER, Ralf/MANDEL, Birgit/ TRÖNDLE, Martin/ ZEMBYLAS, Tasos (Hgg.)(2010): Theorien .für den Kultursektor. Jahrbuch Kulturmanagement 2010. Bielefeld: transcript. FLÜGEL, Oliver/HEIL, Reinhard/HETZEL, Andreas (Hgg.) (2004): Die Rückkehr des Politischen. Demokratietheorie heute. Darmstadt: WBG. FRIEBE, Halm/LOBO, Sascha (2006): Wir nennen es Arbeit. München: Heyne. HEINRICHS, Werner (1999): Kulturmanagement. Darmstadt: WBG. KLEIMANN, Bernd/SCHMÜCKER, Reinold (Hgg.) (2001): Wozu Kunst? Die Frage nach ihrer Funktion. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. LEWINSKI-REUTER, Verena/ LÜDDEMANN, Stefan (Hgg.) (2008): Kulturmanagement der Zukunft. Perspektiven aus Theorie und Praxis. Wiesbaden: VS. KELLER, Ralf/SCHAFFNER, Brigitte/SEGER, Bruno (Hgg.): spie/plan. Schweizer Jahrbuch .für Kulturmanagement 2007/2oo8. Bern, Wien: Haupt. MÄCKLER, Andreas (Hg.) (3 2007): 1460 Antworten auf die Frage: was ist Kunst? Köln: DuMont. MARCHART, Oliver (2010): Die politische Differenz. Frankfurt/M: Suhrkamp. MENASSE, Robert (1994): Wie es ist, wenn es bleibt, wie es ist. - In: Die Presse (17.12.1994). NEUMANN, Eckhard (1986): Künstlermythen. Eine psycho-historische Studie über Kreativität. Frankfurt/ M.: Suhrkamp. RANCIERE, Jacques (2002): Das Unvernehmen. Frankfurt/ M.: Suhrkamp. RANCIERE, Jacques (2006): Die Aufteilung des Sinnlichen. Die Politik der Kunst und ihre Paradoxien. Berlin: b_books. RANCIERE, Jacques (2008): Ist Kunst widerständig? Berlin: Merve.
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Über die Politikverdrossenheit des Kulturmanagements DOREEN GÖTZKY
Das Kulturmanagement leidet. Es leidet an der Kulturpolitik, an ihrer Konzeptlosigkeit, ihrer Unflexibilität, ihrem mangelnden Fachwissen und daran, dass Kulturpolitik zu selten state-of-the-art ist. Auffällig an diesem Lamento ist, wie wenig sich Kulturmanagement selbst als Teil dessen versteht, woran es leidet - als Teil von Kulturpolitik. Dieser scheinbar undifferenziert formulierte Eindruck drängte sich der Autorin bei der s. Jahrestagung des Fachverbandes Kulturmanagement im Frühjahr 2011 in Basel auf. Das Thema lautete Katalysatoren sozialer Erneuerung? - Kulturpolitik, Kulturmanagement und gesellschaftliche Verantwortung und es wurde deutlich, dass das Verhältnis von Kulturpolitik und Kulturmanagement wissenschaftlich noch nicht ausreichend geklärt ist. Der folgende Beitrag wird sich daher aus theoretischer Perspektive mit den kulturpolitischen Implikationen des Kulturmanagements auseinandersetzen. Dazu wird zunächst der Versuch unternommen, unter Bezugnahme auf politikwissenschaftliche Ansätze das gängige Verständnis von Kulturpolitik zu weiten. In diesem Zusammenhang spielt das Politische als besondere Perspektive auf Politik eine zentrale Rolle. Im Weiteren soll dann identifiziert werden, was das Kulturpolitische im Handeln des Kulturmanagers sein könnte und warum eine Bewusstwerdung dieser politischen Dimension für das Kulturmanagement relevant ist. Diese Vergehensweise birgt einen Abstraktionsgrad in sich, der für die Argumentation notwendig ist, der aber gleichzeitig der vielfaltigen Praxis in diesen Bereichen nicht gerecht werden kann. Im Fachdiskurs um die Wissenschaftsdisziplin, wie auch um die Profession Kulturmanagement, wird sich auffallend häufig mit der Position des Kulturmanagements zwischen dem wirtschaftlichen und dem künstlerischen System und den sich daraus ergebenden Spannungen auseinandergesetzt. Dabei geht es in erster Linie um Selbstverständnis, Rollenmodelle oder Wertorientierungen (BENDIXEN 2001; KIRCHEERG 2010) im Kulturmanagement zwischen den Polen: Schutz der Kunst vor dem Markt, Schutz der Kunst durch Beherrschung des Instrumentariums des Marktes, Nutzbarmachung von kreativem Potential für die Erneuerung des Marktes sowie die marktwirtschaftlich optimierte Produkti-
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on und Distribution von kulturellen Dienstleistungen und allem, was an Verbindungen zwischen diesen Polen möglich ist. Die soziale und politische Funktion von Kulturmanagement wird dabei vernachlässigt bzw. eher der Kunst und Kultur als dem Gegenstand von Kulturmanagement überlassen. Kulturmanagement als Profession wird also vornehmlich als Grenzgängerinzwischen Kunst und Ökonomie betrachtet. Zu wenig wird wissenschaftlich und auch praktisch die politische bzw. gesellschaftliche Funktion und Wirkung von kulturmanagerialem Handeln reflektiert. Begeben wir uns zunächst auf die Suche nach möglichen Gründen für dieses Missverhältnis. Thomas Bedarfund Kurt Röttgers (2007= 7) sehen in der Geringschätzung von Politik eine, wenn auch nicht ausschließlich, doch sehr "deutsche Geistestradition", die sich in einer scharfen Trennung der gesellschaftlichen Teilbereiche Politik und Kultur ausdrückt. Sie pointieren diese Aussage mit einem Zitat von Wolf Lepenies - "In der Kultur nicht nur einen Politik-Ersatz, sondern die bessere Form der Politik zu sehen, ist eine deutsche Haltung" (zit. n. BEDORF/ RÖTTGERS 2010: 8)- und begründen das: Wichtig ist es unter diesen Umständen, auf der richtigen, d. h. der kulturell-geistigen Seite zu stehen, um nicht durch ein Mitmisch en auf der politischen Ebene sich von den Höhen der Kultur allzu weit zu entfernen. (BEDORF/ RÖTIGERS 2010: 8)
Die Kultur fordert und kritisiert Politik in erheblichem Maß, die Beteiligten sind aber selten bereit, sich zumindest in institutioneller Form z. B. über die Mitarbeit in Parteien und Gremien daran zu beteiligen. Die geringe Auseinandersetzung mit den kulturpolitischen Dimensionen von kulturmanagerialem Handeln im Fachdiskurs begründet Wagner hingegen mit dem spannungsreichen Verhältnis, das teilweise noch immer von gegenseitigem Misstrauen und Missverständnissen geprägt ist, b ei dem von Seiten der Kulturp olitik der alte Vorwurf noch immer nicht vollst ändig ausgeräumt ist, dass Kulturmanagement der ,Ökonomisierung der Kultur' Vorschub leiste. Umgekehrt werden von kulturmanagerialer Seite Kulturpolitik und die von ihr getragenen Institutionen oft mit Charakteristika wie Wohllebigkeit, Beamtenmentalität, Saturiertheit und Besucher- beziehungsweise Nachfrageignoranz verbunden. (WAGNER2010: 172)
Die Kulturpolitik hat in ihrer institutionalisierten Form, z. B. einer Kulturverwaltung oder eines kommunalen Kulturausschusses, die von Wagner beschriebenen Vorbehalte gegenüber dem Kulturmanagement wohl größtenteils abgebaut. Im Gegenteil, man ist inzwischen froh, mit professionellen Projektplanern und -durchführern zusammenzuarbeiten. Dass allerdings im Rahmen des Kulturmanagements Kulturpolitik als etwas verstaubte und den aktuellen Erfordernissen des kulturellen
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Bereichs ,hinterherhechelnde' Angelegenheit angesehen wird und damit eine Geringschätzung von Kulturpolitik einhergeht, kann leider nur aus eigener praktischer Erfahrung bestätigt werden, ein empirischer Beleg dafür fehlt. Abgesehen von dem vermeintlichen Spannungsverhältnis ist der Hauptgrund für die mangelnde kulturpolitische Auseinandersetzung im Kulturmanagement laut Wagner (2010: 173) die Tatsache, dass Kulturpolitik, wie auch das Kulturmanagement selbst, bisher keine ausreichende theoretische Fundierung hat, sondern sich vornehmlich auf die Untersuchung von Strukturen und Institutionen sowie aufkulturpolitische Handlungspraxis beziehen würde. Der Argumentation kann gefolgt werden, weil sich aus diesem Defizit ein verkürztes Verständnis von dem, was Kulturpolitik ist oder sein kann, ableiten lässt. Dieser eingeschränkten Sicht auf Kulturpolitik erliegt die institutionalisierte Kulturpolitik häufig auch selbst. Die Geringschätzung der Kulturpolitik durch das Kulturmanagement könnte auch mit der allgemeinen Geringschätzung von Politik in unserer Gesellschaft zusammenhängen, die häufig unter dem Stichwort Politikverdrossenheit zusammengefasst wird. Ein Phänomen, das seit Mitte der 1990er Jahre sowohl in der Öffentlichkeit als auch in der Politikwissenschaft diskutiert wird und die Frage aufkommen ließ, ob es nicht einer begrifflichen Neubestimmung bedarf, um dem gesellschaftlichen Feld der Politik gerecht zu werden. Für die Bearbeitung der Fragestellung dieses Textes wird sich demzufolge in erster Linie auf die politikwissenschaftlichen lmplikationen von Kulturpolitik konzentriert (siehe auch FUCHS 1999: Kap. 5). Dabei wird Politik im Laufe der folgenden Ausführungen als Verfahrensweise gesellschaftlicher Prozesse und Kultur als Gegenstand, aber auch als Medium dieser Verfahrensweise interpretiert. Alltagssprachlich wird Politik häufig auf institutionalisierte Formen von Politik, also auf Regierungen, Parlamente unterschiedlicher staatlicher Ebenen, auf Parteien und Personen dieser Ebenen reduziert. Im Bereich der Kulturpolitik wären das alle Ämter, Ausschüsse und Ministerien etc., welche Kultur in ihrem Namen tragen, und deren Verantwortliche. Die Kulturpolitik wird aber zumindest im Kulturbereich selbst auch mit den wichtigsten Interessenvertretungen in Form von Vereinen und Verbänden in Verbindung gebracht, also mit der kulturellen Lobbyarbeit. Eine so verstandene Kulturpolitik ist stark durch ihren institutionalisierten Charakter und ihre Handlungspraxis von Fragen der Mittelverteilung und Rahmengebung gekennzeichnet.
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Schauen wir uns also zuerst den Begriff Politik etwas genauer an. Die Politikwissenschaft definiert ihren originären Gegenstandsbereich zunächst einmal allgemein als soziales Handeln mit dem Ziel, Entscheidungen zu beeinflussen, die das Zusammenleben in einer Gesellschaft verbindlich regeln (BERNAUER 2009: 32). Soziales Handeln als Schlüsselbegriff dieser Definition bedeutet, dass dieses Handeln in direkter Verbindung zum Handeln anderer Menschen steht. [ ... ]Soziales Handeln ist somit vorwiegend ,interaktives Handeln'. Durch ,soziales Handeln entsteht soziale Wirklichkeit'. (BERNAUER 2009: 33f.)
Die Betonung von sozialem Handeln als Grundvoraussetzung von Politik macht deutlich, dass Politik sich keinesfalls nur auf staatliches Handeln und auch nicht ausschließlich auf organisiertes Handeln bezieht. So kann das Verhalten des Einzelnen, von Gruppen, Organisationen und parlamentarischen Gremien zur Durchsetzung von Zielen allgemein als Politik bezeichnet werden und zwar sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich. In der Politikwissenschaft gibt es zahlreiche, zum Teil konkurrierende, zum Teil sich ergänzende Konzepte und Vorstellungen von Politik. Sie unterscheiden sich v. a. darin, welche Begriffe sie als Kern von Politik bzw. als Kern von sozialem Handeln in den Mittelpunkt stellen, wie u. a. Staat, Macht, Herrschaft, Ordnung, Freiheit, Demokratie oder Konfli1..'1 (FORNDRAN/ ALEMANN 2005: 36f.). Obwohl Politik- verstanden als soziales Handeln- schon ein sehr weites Politikverständnis impliziert, etablierte sich im theoretischen Diskurs zusätzlich der Begriff des Politischen. Die Unterscheidung zwischen Politik und dem Politischen hat sich als Kennzeichen einer neuen politischen Theorie der letzten Jahrzehnte entwickelt. Die Quellen dieses Diskurses liegen zum einen in der französischen politischen Philosophie der Gegenwart, v. a. Jean-Luc Nancy und Philippe Lacoue-Labarthe, zum anderen in den Arbeiten zur Politik von Hannah Arendt. Letztere hat v. a. Ulrich Beck und Thomas Meyer in ihren Überlegungen zur Weiterentwicklung des Politischen beeinflusst. Was unterscheidet nun diese beiden Begriffe, und noch viel wichtiger: Was resultiert aus dieser Unterscheidung, die man auf den ersten Blick als ,Theoriespielerei' abtun könnte? Ausgangspunkt für die Überlegungen zum Politischen ist für Meyer (1994: 7) die Feststellung: "Politik und Leben entfernen sich voneinander. Das Politische weicht aus der Politik." Begründet wird dies damit, dass die Komplexität der Lebensbereiche zunimmt. In erster Linie sind es die globalisierten Informationstechnologien, Kapital- und Warenmärkte sowie grenzüberschreitende ökologische Probleme, die zumindest ob-
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jektiv die "Wirkungseinheit einer Weltgesellschaft" (MEYER 1994: 41) vorantreiben. Die reale Gestaltungsmacht institutioneller Politik schwindet, denn ihre Reichweite und die politischen Problemquellen sind schon länger nicht mehr deckungsgleich. Die zunehmende Komplexität politischer Entscheidungen erfordert eine Professionalisierung von Politik und fördert damit ein Expertenturn in der praktischen Politik. Das führt dazu, dass der politische Raum zunehmend verschlossen ist. Auch Greven (2010: 81) geht davon aus, dass sich die Politik entpolitisiert hat und zur "Expertokratie" geworden ist. Diese versucht politische Entscheidungen als unvermeidlich und als rational alternativlos darzustellen. Mit dem Verweis aufvermeintlich wertneutrales Expertenwissen fördert dies ein Politikverständnis, das [Politik] lediglich als wissensbasierte Problemlösung erscheinen lässt, wobei es sich vordringlich um Optimierungsprozesse handelt. ,Problemlösung' wird dabei als ein rationaler Prozess beschrieben, für dessen Bewältigung die Beteiligten vor allem kognitiver Ressourcen, einer gemeinsamen Problemdefinition sowie der Bereitschaft zur Kooperation bedürfen. Die ,Probleme' erscheinen in dieser expertokratischen Politiksicht vorgegeben, ,Politik' auf ihre Bewältigung reduziert. (GREVEN 2010: 83)
Diese Politikvorstellung kollidiertjedoch fundamental mit dem gern gezeichneten Bild von der Demokratie als politischer Bürgergesellschaft, schlimmer noch: Sie verunmöglicht diese sogar. Die Vorstellung von Politik als rationaler Erfüllung von Aufgaben führt zum einen zur Ausbildung einer Dienstleistungsmentalität, wie Meyer (1994: 114) es beschreibt: "Man verständigt sich nicht mehr politisch, man gibt Politik in Auftrag." Zum anderen führt diese Professionalisierung zur Ausbildung einer politischen Klasse, die nur schwerlich einen Bezug zur "Lebenserfahrung des Regiert-Werdens" (MEYER 1994: 73) herstellen kann. Zudem sind die Entscheidungen, die von der Politik getroffen werden, und die Beurteilung ihrer Folgen für den Bürger nur noch schwer unmittelbar erkennbar. Nähe und Beteiligung wären aber für die Ausbildung von politischer Urteilskraft und als Voraussetzung zur Teilhabe an politischen Diskursen notwendig, während politische Prozesse jedoch zunehmend durch Distanz gekennzeichnet sind (MEYER 1994: 75). Diese Bedingungen verhindern politische Eigenerfahrung und führen laut Meyer zur vielzitierten Politikverdrossenheit. Das Primat des Politischen im Gegensatz zur institutionalisierten Politik ist die Nichtausschließbarkeit von Akteuren oder Themen im politischen Prozess. Das Politische im Verhältnis zur Politik kann verstanden werden als normativer Maßstab oder, wie Meyer (1994: 23) es bezeichnet, als "Wertprädikat" von Politik, welches sich durch die Kriterien "Gemein-
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schaftlichkeit, Öffentlichkeit und Freiheit" auszeichnet. Es geht also nicht um Gesetze, um Regelung und Steuerung, sondern um das "aktive InErscheinung-Treten eines grundsätzlich einzigartigen Wesens" (ARENDT 2002: 214). Hannah Arendt sieht die griechische Polis als ,das' historische Beispiel für die Ermöglichung des Politischen. Grundvoraussetzung dafür ist für sie die Freiheit: Das Politische, in diesem griechischen Sinne verstanden, ist [ ...] um die Freiheit zentriert, wobei Freiheit negativ als Nichtbeherrscht-Werden und Nicht-Herrschen verstanden wird und positiv als nur von Vielen zu erstellender Raum, in welchem jeder sich unter seinesgleichen bewegt. (ARENDT 1993: 28)
Die so verstandene Freiheit bedeutet auch die Freiheit von der N otwendigkeit. Damit hat das Politische als Ausgangspunkt und Voraussetzung die Zweckfreiheit im Gegensatz zum Sachzwang aktueller Politik. Das Politische lässt sich jedoch nicht als Arbeit an der Realisierung eines Zwecks verstehen, sondern als ein öffentlicher Erscheinungsraum, in dem das gemeinsame Handeln der Vielen überhaupt erst möglich wird, ohne dass diese Pluralität zugunsten eines vereinigten Ziels vorweg beschränkt würde. (BEDORF 2010: 18)
Aus dem Politischen als Verhandlungsraum leitet sich nicht notwendigerweise eine bestimmte Politik ab. Im Politischen findet die Verständigung der Gesellschaft über ihre Werte statt, über die Art, wie wir leben wollen, was uns wichtig ist. Dieser Prozess muss zunächst ohne Restriktionen verlaufen, andernfalls ist es unmöglich, den Kern gesellschaftlicher Probleme zu erfassen. In Anlehnung an Habermas (1981) kann dieser Prozess auch als herrschaftsfreier Diskurs bezeichnet werden. Eine der häufigsten Restriktionen, welche das Politische verhindern, ist der Einwand, dass etwas nicht finanzierbar ist. Ein Argument, das z. B. selbst nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima die Debatte um den Atomausstieg in Deutschland prägte. Es drängt die eigentlich relevante Frage in den Hintergrund: Welche Verhaltensweisen müssen sich gesamtgesellschaftlich verändern, um die sogenannte Energiewende zu vollziehen? Ist die Gesellschaft dazu tatsächlich bereit? Der Atomausstieg ist somit keine Frage der Finanzierung, sondern eine Frage der Prioritätensetzung. Zusammengefasst kann das Politische beschrieben werden als eine Praxis der Verständigung. Menschen verständigen sich in einem öffentlichen Raum über Angelegenheiten des öffentlichen Lebens und entwickeln auf diese Weise ihr Gemeinwesen weiter und das meint demokratisch im ursprünglichen Sinne. Demokratie ist identisch mit dem Politischen, sofern sie nicht auf die bekannten Formen der parlamentarischen Demokratie verkürzt, sondern viel grundlegender verstanden wird als öffentlich ausgetragener Widerstreit. Ein wesentliches Element des Politischen im
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Gegensatz zu einer Iösungs- und handlungsorientierten Politik ist der Konflikt: "Das Politische ist im Konsens unzugänglich, während die Politik im Wesentlichen auf die potentielle Versöhnbarkeit der Gegensätze ausgerichtet ist." (BEDORF 2010: 28) Politik im Sinne von Steuerung ist somit dem Politischen immer nachgelagert. Sie kommt gewissermaßen verspätet, weil Politik nur auf die Diskurse reagieren kann, die optimaler Weise im politischen Raum geführt werden. Das Politische ist folglich auch nicht auf die Politik begrenzt, sondern sektorenübergreifend, womit es sich der Annahme verweigert, dass Ökonomie, Kultur, Wissenschaft und Politikjeweils klar abgrenzbare Zuständigkeiten in einer Gesellschaft haben. Welche Erkenntnisse lassen sich aus den bisher skizzierten Überlegungen für die Kulturpolitik ableiten? Ergänzt man den auf die institutionelle Ebene beschränkten Begriff von Kulturpolitik um die Dimension des Politischen, wäre Kulturpolitik bzw. h'Ulturpolitisch die Praxis des Politischen im Medium der Kultur. Sie wäre damit eine Möglichkeit, zunächst zweckfrei, d. h. allein um des Prozesses willen, mit ästhetischen Mitteln über gesellschaftliche Themen zu informieren, zu kommunizieren, zu reflektieren und zu streiten. Diese analytische Bestimmung ist in der Folge für die institutionelle Kulturpolitik und das Kulturmanagement nur sinnvoll, wenn der Kulturbegriff eingeschränkt wird. Denn wenn Kultur im Sinne der UNESCO (1983) "als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte[ ... ], die eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe kennzeichnen", verwendet wird, wird der Begriff des Kulturpolitischen nicht benötigt, dann reicht der des Politischen. Um den Begriff Kulturpolitik zu entwickeln, ist es wichtig, dass das Politische im Medium Kultur verstanden wird als kulturelle Praxis mit ästhetischen Mitteln, die sowohl konsumtiv als auch produktiv sein kann. Kulturpolitik lässt sich mithin nicht auf eine bestimmte Akteursgruppe begrenzen, sondern nur auf einen öffentlichen Raum, der von allen Beteiligten im kulturellen Feld gefüllt wird. Im Falle einer kulturellen Veranstaltung sind das z. B. die künstlerisch Beteiligten, die Organisatoren, das Publikum, die Medien und die Kulturpolitik in ihrer institutionalisierten Form. Das Kulturpolitische ist aber nicht begrenzt auf das Zusammentreffen von Kunst und Publikum an einem Ort für eine bestimmte Zeit, z. B. für die Dauer eines soziokulturellen Projektes oder einer Inszenierung. Erst wenn das Kulturpolitische darüber hinausgetragen wird, entfaltet es seine ganze Qualität. So war die Ankündigung des Schauspiel Hannover, die Republik Freies Wendland in einem theatralen
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Projekt wieder auferstehen zu lassen, von Debatten begleitet, in denen sich Politiker verschiedener Landtagsfraktionen mit Äußerungen zu Wort meldeten wie: "Die Politisierung der Jugend ist wichtig, aber das ist wohl kaum Aufgabe eines Theaters" oder das Thema Atomkraft "sollte eher in der Politik diskutiert werden als im Theater" (MEYER-ARLT 2010). Daraufhin diskutierten Bürger, Politiker, Medienvertreter und Theaterschaffende darüber, was denn eigentlich die Funktion des Theaters in der Stadt Hannover ist und in welchen Formen diese Funktion erfüllt werden kann. Sinn dieses kulturpolitischen Raumes ist somit die Verständigung über Werte und Ziele der Gesellschaft. Horkheimer (1937) hat im Rahmen der Kritischen Theorie für diese Reflexionsebene den Begriff des kritischen Denkens bzw. der kritischen Vernunft geprägt, welche reflexiv und kritisch die gesellschaftlichen Gegebenheiten als menschliche Praxis analysiert und damit auch als veränderbar annimmt. Die kritische Vernunft zielt nicht in erster Linie auf Problemlösung, sondern auf Selbsterkenntnis. Kulturpolitik in ihrem institutionalisierten Verständnis kann an Diskursen, die aus dem kulturpolitischen Raum kommen, teilnehmen, eine Auswahl treffen und diese Auswahl dann in handlungsorientierte Ziele und Maßnahmen umsetzen. Insofern laufen die kulturpolitischen Konzepte der gesellschaftlichen Realität immer hinterher. Es ist nicht die Aufgabe von institutionalisierter Kulturpolitik, den kulturpolitischen Raum allein zu füllen -dazu ist sie systemisch auch gar nicht in der Lage. Sie ist aber sehr wohl an dem Zustandekommen und an den Inhalten des kulturpolitischen Raums beteiligt, ebenso wie das Kulturmanagement. Um herauszufinden, welche Art von Kulturmanagement wie an der Herstellung des Kulturpolitischen beteiligt ist, muss Kulturmanagement ausgehend vom Managementbegriff zunächst systematisiert werden. Zu den zentralen Funktionen von Management gehört es, Entscheidungen zu treffen sowie betriebliche Prozesse zu steuern und zu optimieren. Die Erfüllung dieser Funktion setzt immer Ziele voraus, andernfalls ist Management nicht handlungsfähig. In der Ökonomie ist das oberste Ziel systembedingt vorgegeben. Ein Unternehmen muss wirtschaftlich erfolgreich sein, ansonsten wird es früher oder später aus dem ökonomischen System ausgeschlossen. Neben diesem Hauptziel kann es zahlreiche Unterziele geben, z. B. gesellschaftlich und ökologisch verantwortungsvoll zu wirtschaften, die aber im Zweifelsfall zum Erhalt der Institution dem obersten Ziel geopfert werden müssen. Diese Form des Managements
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kann erneut nach Horkheimer als spezielle Form der instrumentellen Vernunft beschrieben werden: zweckrational und lösungsorientiert sollen vorgegebene Ziele optimal erreicht werden. Die Ziele selbst werden im Rahmen dieses instrumentellen Managements nicht hinterfragt und als gegeben hingenommen. Damit steht es dem oben skizzierten Politikverständnis als scheinbar wertneutrale Problemlösungskompetenz sehr nahe, das ebenfalls nur mit Mitteln der instrumentellen Vernunft arbeitet. Die instrumentelle Vernunft mit ihrer Tendenz zur zweckrationalen und optimalen Organisation ist eine wichtige Voraussetzung, um unser alltägliches Leben zu bewältigen, sie ist lebenswichtig. Sie reicht allerdings nicht, um das Überleben einer Gesellschaft zu sichern, da sie Zusammenhänge und Wirkungsweisen nicht adäquat erfassen kann. Dafür fehlt der instrumentellen Vernunft, oder in diesem Fall dem instrumentellen Management, das geeignete Instrumentarium, es bewegt sich immer im eigenen Mikrokosmos. Die Praxis des Kulturmanagements besteht zu einem erheblichen Teil aus rein instrumentellen Erfordernissen, wie bspw. im Aufgabenfeld Finanzen, Recht oder Projektmanagement. Auf der Ebene des instrumentellen Kulturmanagements werden zwar Zielvorgaben gemacht, z. B. Kostenreduktion oder Zuschauersteigerung um x Prozent. Es findet auf dieser Ebene jedoch keine ausreichende Reflexion darüber statt, warum eine Zuschauersteigerung notwendig ist. Die Erklärungen, "um den Anteil der Eigeneinnahmen zu erhöhen" oder "sich besser vor den Förderem legitimieren zu können", sind rein zweckrational und absolut unpolitisch, da sie nur auf die Eigenerhaltung der Organisation zielen. Die Sinnfrage muss somit in einer anderen Form gestellt werden, z. B. mit Hilfe der kritischen Vernunft. Zur Bestimmung dieser Dimension von Kulturmanagement kann der Begriff des reflexiven Kulturmanagements herangezogen werden, der in Anlehnung an die Kritische Theorie von Thomas Heinze geprägt wurde und der auffallend selten Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs um Kulturmanagement findet. Anspruch eines reflexiven Kulturmanagements ist es, die Kultur einerseits davor zu schützen, bloßes Objekt wirtschaftlicher Interessen zu werden, andererseits glaubhaft das sprenghafte Potential der Kunst zu vermitteln. (HEINZE 2009: 30)
Allerdings beschränkt Heinze seinen Entwurf eines reflexiven Kulturmanagements zum einen zu sehr auf die Kunst und zum anderen ausschließlich auf die Überlegungen von Horkheimer und Adorno zur Kulturindustrie. Er reduziert damit das Potential der Kritischen Theorie für das Kulturmanagement, indem er das Handlungsfeld von Kulturmanagement wieder nur zwischen der Kunst und der Ökonomie ansiedelt, auch wenn
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er einen deutlich weiteren Kunstbegriff als Adorno und Horkheimer verwendet. Oberstes Ziel eines reflexiven Kulturmanagements im Sinne der kritischen Vernunft sollte aber nicht der Schutz der Kunst vor der Ökonomie sein, sondern die Herstellung, Begründung und Vermittlung von Relevanz: Relevanz verstanden in dem Sinne, dass ein politischer Raum mittels kultureller Angebote geschaffen wird, in dem die Frage danach, wie wir leben wollen, verhandelt wird. Ein reflexives Kulturmanagement trifft, manchmal gemeinsam mit Künstlern, häufig selbstständig, Entscheidungen über Angebote, Inhalte und Formate, die den kulturpolitischen Raum prägen. Das erfordert zum einen eine hohe Sensibilität gegenüber den relevanten Fragen unserer Zeit- gegenüber den offensichtlichen, aber auch gegenüber den weniger offensichtlichen. Gleichzeitig erfordert es die Kompetenz, diese Fragen in künstlerische bzw. kulturelle Formate zu bringen, die den Fragen angemessen sind und das Politische nach den Prinzipien "Gemeinschaftlichkeit, Öffentlichkeit und Freiheit" (MEYER 1994: 23) überhaupt erst ermöglichen. Hier stehen insbesondere die traditionellen Hochkulturformate vor großen Herausforderungen. Sie thematisieren die Fragen möglicherweise angemessen, die Formate schaffenjedoch nur selten einen kulturpolitischen Raum, der sich durch die von Meyer identifizierten Kriterien auszeichnet. Zu viele Restriktionen verhindern dies, wie z. B. die Rezeptionsbedingungen, das Image, die notwendige Vorbildung sowie der Habitus der Akteure und die damit einhergehenden Distinktionsmechanismen im Sinne Bourdieus (1982). An dem häufig geäußerten Vorwurf des Kulturmanagements an die institutionelle Kulturpolitik, sie habe keine Konzepte, krankt das Kulturmanagement selbst, da es sich zu sehr im Sinne der instrumentellen Vernunft im eigenen Mikrokosmos bewegt und nur den Bedarf des eigenen Kulturbetriebs oder Projekts im Blick hat. Die Unterscheidung in instrumentelles und reflexives Kulturmanagement ist eine analytische, die in der Praxis selten in ,Reinform' vorkommt, da beide Formen häufig über die ausführenden Personen vereint werden. Dennoch ist diese Unterscheidung sinnvoll, um sich des kulturpolitischen Potentials und gleichzeitig des kulturpolitischen Auftrags an das Kulturmanagement, der zumindest mit öffentlicher Finanzierung einhergeht, bewusster zu werden. Meyer (1994: 30) weist darauf hin, dass das Politische als Beziehungs- und Spannungsfeld [...]immer zwischen Menschen besteht, die in kontingenten Ordnungen leben. In diesem Sinne ist das Politische an sich in allen men-
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schlichen Gesellschaften gegenwärtig. Zum Politischen als Praxis wird es indessen dadurch, daß und wie es als dieses allgemeine Beziehungsfeld aktiviert wird.
Und genau das ist die Aufgabe sowohl der institutionellen Kulturpolitik als auch des Kulturmanagements: die Aktivierung des Beziehungs- und Spannungsfeldes im Rahmen von Kunst und Kultur ,gemeinsam' zu ermöglichen und konkret zu gestalten. In diesem Sinne sind Kulturmanagement und Kulturpolitik zwei Seiten ein und derselben Medaille. Daher müsste dem Kulturmanagement nicht unbedingt -wie in der Überschrift dieses Artikels - per se Politikverdrossenheit unterstellt werden, jedoch muss theoretisch und praktisch das Kulturmanagement das eigene Involviertsein bei der Gestaltung des kulturpolitischen Raumes zukünftig intensiver reflektieren. Dadurch könnten einerseits der Relevanz kulturmanagerialen Handeins neue Dimensionen hinzugefügt und andererseits im Austausch mit der institutionalisierten Kulturpolitik tragfähige kulturpolitische Zukunftsentwürfe diskutiert werden.
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vom 26. Juli-6. Aug. 1982 in Mexiko-Stadt veranstalteten internationalen Konferenz. München: Saur.
Kulturmanagement als Organisation agonaler Kompetition BIRGER P. PRIDDAT
In einer Zeit, in der der Kulturbetrieb bereits die Dimension einer ,creative industry' erreicht hat (HAGOORT/ KOYMAN 2010; LANGE/ IZALANDIDES/STÖBER/ WELLMANN 2009), ist Management von Kultur unausweichlich. Was in anderen Ländern bereitwillig als ,management of art business' behandelt wird, in moderater bis subtiler Übertragung von Organisationsmustern der Wirtschaft in die ,creative industry' (RENTSCHLER 1998; HAGGORT 2004; BYRNES 2008; ROBERTSON/ CHONG 2008), wird im deutschsprachigen Raum in auffälliger Weise vom ,art business' getrennt (am wenigsten noch HÖHNE 2009; MANDEL 2007 und KONRAD 2010): Kulturmanagement bleibt eine besondere Managementform (BENDIXEN 2oo6; BODE 2007; KLEIN 2oo8b; LEWINSKI/LÜDDEMAN 2008), vornehmlich weil sie Kultur als öffentliches Gut bzw. meritorisches Gut (KLEIN 2008a) verwaltet. In diesem Kontext ist Kulturmangement ein Teil einer politischen Ökonomie, mit besonderen Bedingungen. Das soll im ersten Teil nach grundlegenden Aspekten untersucht werden, um im Folgenden einen- ökonomischen- Vorschlag zur Fokussierung der Kultur zu unterbreiten. Wir haben womöglich zuviel Kultur im Angebot und sollten sie neu sortieren. Das wiederum erfordert einen neuen Typus des Kulturmanagements.
1.
Kultur in Zeiten sinkender Budgets
Kultur zu managen in Zeiten sinkender Budgets ist schwieriger geworden. Kulturmanagement heißt sodann: die Kultur auf Matrizen zu spannen, die ihr fremd sind (vgl. explizit dazu BENDIXEN 2006; SCHNEIDEWIND 2006; ROTHÄRMEL 2007; BODE 2007; BYRNES 2008: Kap. 9 + 10). Doch ist das nur eine Seite des Themas. Man spart ein: bei den öffentlichen Kulturorganisationen oft zu Lasten der Künstler, wegen sonstiger hoher Personalfixkosten des anderen Personals (dazu kritisch KLEIN 2oo8a). Kultur ist so sehr diversifiziert, dass sie nicht mehr selbstüberredend selbstverständlich ist. Sie steht in Konkurrenz zu anderen gesellschaft-
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liehen Ereignissen (Sport, Politik, Freizeitevents, TV, Internet etc.), die selber Teil der modernen Kultur sind- A-, B-, C-Kultur etc. (die wiederum Kulturmanagement als entertain management auffassen; RENTSCHLER 1998). Doch ist diese Diversität nicht allein durch PR zu beheben (MANDEL 2009; SCHEUERER/SPITTLER2010; kritisch VAN DEN BERG/ PRIDDAT 2008). In dieser Konkurrenzarena gibt es zuviel Kultur: wer soll sie, zu welchen Preisen, wahrnehmen? - und zwar erst einmal gleichgültig, wer zahlt: der Staat, die Kommunen, die Privaten. Kultur, gerade die Hochkultur, wird vornehmlich subventioniert (Kulturmanagement als ,art business' würde bedeuten, Kultur marktfähig zu managen, sodass sie sich selber finanziert. Das aber trägt das bei uns gehandelte Kulturmanagement nicht. Noch nicht?). Zuviel Kultur heißt doppelte Konkurrenz: a) untereinander (Kannibalisierung) und b) gegen die anderen gesellschaftlichen Attraktionen (andere Freizeitmärkte). Ökonomisch haben wir es mit vertikalen und horizontalen Konkurrenzen zu tun. Zuviel Kultur ist a) ein Zeichen hoher Produktivität, aber b) ebenfalls ein Zeichen ungeprüfter Subventionen (vorausgesetzt, dass die Fülle an Kultur staatlich/ kommunal subventioniert wird). Denn Vieles von dem, was wir heute als Kultur anbieten, kann nur subventioniert generiert werden. Subventionierte Kultur steht nicht in einer Preiskonkurrenz (weder untereinander noch gegenüber anderen, alternativen Freizeitangeboten), aber in einer Aufmerksamkeitskonkurrenz (die geeignete Ökonomik liefert Georg Francks Aufmerksamkeitsökonomie; FRANCK 2007). Das, was subventioniert angeboten wird, kann die Aufmerksamkeit verfehlen, was erst einmal ohne Konsequenz ist für den laufenden Betrieb. Die Konkurrenz geht weniger um zahlende Kunden, sondern um die Subventionsquellen. Kulturmanagement wird dann zum ,fund raising' (wie man Unternehmen überzeugt, zu zahlen) oder zum ,lobbying' (wie man Politiker überzeugt, zu zahlen). Der Subventionserfolg muss dann im zweiten Schritt in Kulturerfolg übersetzt werden, gemessen an Besucherzahlen und Medienaufmerksamkeit. Das sind langfristig auch die Indikatoren, die den weiteren Subventionserfolg gewährleisten. Aber so läuft das System nicht immer: Eingespielte Subventionsnetzwerke ( Kulturmanager + Politik) gewähren auch dann Subventionen, wenn der Kulturerfolg mäßig ist. Wir haben es dann mit ungeprüften Subventionen zu tun (KLEIN 2008a). Ungeprüfte Subventionierung erhöht die Konkurrenz der Kultur untereinander, ohne Effizienz- oder Qualitätskonkurrenz. Damit entstehen
KULTURMANAGEMENT ALS ORGANISATION AGONALER KOMPE TI TION
Qualitätsgefälle: von Exzellenz bis müde und langweilig. Wir haben uns daran gewöhnt, alles, was sich Kultur nennt, als valent zu akzeptieren. Entsprechend hoch ist die Konkurrenz um die Finanzierung: Für die Billigung von Gelder für ein Streichquartett will die Kommune aber auch einmal die Donkosacken, Lena und die Zillertaler Sonstwiemusik Das KulturmanagementA (Hochkultur) muss sich mit dem Kulturmanagement B (Populärkultur) um die Budgets der Politik streiten. Natürlich gibt es auch Kritik, aber sie schlägt sich nur selten nieder in Budgetbeschränkung oder Zahlungsverweigerung. Was aber soll Kritik, die nicht selektive Wirkungen zeitigt? Ist es inzwischen nicht so, dass es wichtiger ist, überhaupt eine Kritik zu bekommen - egal, ob sie gut oder schlecht ist? Es geht dann eher um mediale Präsenz als um Urteilskraft. Budgetbeschränkungen oder Einstellungen von Kultursubventionen geschehen aus Gründen, die mit der Qualität und der Fülle der Kultur wiederum nichts oder nur wenig zu tun haben. Politische Gremien beschließen Kürzungen in der Kultur, weil sie, bei knappen Budgets, andere Investitionen oder Subventionen wichtiger finden, nach politischen Kriterien, z. B. dem der Wiederwahl von Politikern. In diesem Sinne sind sie, wenn es budgetär darauf ankommt, in Abwägung generell eher gegen Kultur, wenn sie den Eindruck haben, dass deren Klienten geringere Wählerzahlen bedeuten. Die Qualität von Kultur wird gegen die relevanten Wählerstimmen gewichtet. Hier schlägt eine gänzlich andere Entscheidungslogik zu Buche, eindeutig keine kulturelle (oder, um auch hier genau zu sein: eher ein Kriterium der politischen Kultur). Weil Kultur nicht kulturell nach Qualitäten differenziert wird, wird Kultur im Milieu der Politik pauschal beurteilt, nicht kulturell differenziert. Das ist nur dort anders, wo kulturelle bürgerliche Milieus etabliert sind, die über ihre Netzwerke auf die Politik Einfluss haben. Meist gibt es dann auch einzelne Kulturengagierte, die als Vermittler zwischen den Netzwerken erfolgreich sein können. Ihnen gelingt manche Mischfinanzierung (PPP = public private partnership), d. h. dafür, dass einzelne Private Anfinanzierungen leisten, wird die Kommune für den Rest verpflichtet. Solche Mischformen werden häufiger, weil in der kommunalen Politik dann argumentiert werden wird, dass man ja Etliches spare etc. Seltener, nur in großen Städten, übernehmen Private (bzw. Stiftungen) ganze Kultureinrichtungen. Subventionen werden generell überprüft in Zeiten knapper Finanzen. Wenn wir Kriterien hätten, wonach kulturelle Qualitäten differenziert werden könnten, ließe sich politisch erreichen, nur die Subventionen zu kürzen, die schlechte Kultur aufrecht erhalten. Dazu bräuchte es aber
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einer exzeptionellen Kulturkritik - in der Kultur, in den Feuilletons, in den Medien und bei den Kulturrezipienten. Aber - wenn wir das konsequent einführten, würde man in den Kommunen, mangels geeigneter Urteilskraft, Evaluationsschemata einführen, etwa eine ISO-Norm Kultur. Vom Regen in die Traufe? Das einzige Argument, dass in der Politik momentan wirksam werden kann, ist der Allsatz, alles Kreative gut zu finden. Ich halte den Gedanken dagegen, dass weniger mehr wäre. D. h . dass Subventionen gekürzt, aber dafür die Qualitäten bewahrt oder erweitert werden. Kulturmanagement wäre in diesem Kontext wesentlich Qualitätsmanagement. Das Dilemma der Politik ist, dass sie gute von schlechter Kultur nicht unterscheiden kann und somit, im Falle knapper Finanzen, Kultur wahllos streicht. Gute Kultur braucht Führung - künstlerisches und finanzielles Management. Management heißt hier nicht, dass die Kultur dem Markt überantwortet wird (obwohl andere Länder das rigoros betreiben). In der Marktkonkurrenz - wenn man alle Subventionen streichen würde - überlebt nur die Kultur, die die größten Zahlungsströme generiert: also diverse Formen von Populärkultur. Gewohnte Qualitäten wären kaum zu halten (außer durch art business. Das aber erforderte einen neuen Typus von Kulturmanagement: einen cultural entrepreneur [HAGOORT/KOYMAN 2010]). An der Schnittstelle Politik/ Budget/ Kultur (BODE 2007) wird Kulturmanagement nicht nur gefordert, den Kulturbetrieb exzellent zu betreiben (KLEIN 2008a), sondern ins Netzwerkmanagement einzusteigen, das die potentiellen Kulturnachfrager mobilisiert, um Einfluss zu nehmen auf die Politik. Kultur wird in solchen Situationen zum politischen Ereignisraum, den das Kulturmanagement nur initiieren kann, aber nicht vollständig managen . Zum weiteren dann ist die Kultur wie ein Unternehmen zu managen (MANDEL 2007; KONRAD 2010; HAGOORT/KOYMAN 2010; BYRNE 2008), um Anspruch auf Subvention aufrecht zu erhalten. Politisch lässt sich eine Kulturfinanzierung besser legitimieren, wenn das Geld optimal verwertet wird, d. h . nach zwei Kriterien gleichzeitig: künstlerisch hochwertig und finanziell optimal. Das setzt aber voraus, dass das, was an cultural outputproduziert wird, nicht nur die vorhandene Klientel interessiert, sondern national/ international Aufmerksamkeit erregt. Vieles, was in unseren national breit verteilten Kulturstätten angeboten wird, bedient gerade local standards. Die mögen sogar - zufällig - gut sein, aber sie sind bereits aus einer Haltung produziert, der lokalen Kulturgemeinde zu genügen. Wer aus Berlin ist bereit, zur Don-Carlos-
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Inzenierung ins Stadttheater Bielefeld zu fahren? Hat die Inszenierung die künstlerische Haltung, in nationale Konkurrenz zu gehen? In der Breite wird nicht immer hohe Qualität geboten, oder wenn, gar nicht bemerkt. Und muss es in Witten ein Kunstmuseum geben? Aufwelchem Niveau will man so etwas durchhalten? Bzw. auf welchem Niveau kann eine budgetrestringierte Kommune sich das ernsthaft noch erlauben? Kulturmanagement ist eine Operation des optimal placement von Kultur. Dazu gehört auch die Überlegung, wo Kultur angeboten werden soll. Sollte sie sich nicht auf Attraktoren konzentrieren, statt breit zu streuen? Das Zuviel an Kultur ist in Deutschland ein Resultat der Gleichmäßigkeit der Lebensumstände, was bedeutet , sie breit zu streuen, auch in die Kleinstädte und auf das Land. Hier wird Kultur aus den Gewohnheiten einer Wachstumswirtschaft wie ein Anrecht gehandelt, das parallel zu anderen Quasi-Anrechten wie Sport, Schwimmbäder, öffentliche Beleuchtung etc. bei hohen Steueraufkommen verteilt wurde. Wenn die Budgets schmelzen, wird weniger am Sport gespart, weil hier mit höheren Wähleraufkommen gerechnet wird. Wenn das sich aber so entwickelt, wäre es umgekehrt nicht denkbar, Kultur zu ballen, in spezifischen Städten? Und dafür zu werben, diese Städte zu besuchen, wenn man Kultur haben will? Brauchen wir nicht- wie auch Klein (2008a) betont, aber mit anderen Schlussfolgerungen- gänzlich andere Kulturstrategien?
2.
Eine andere Kulturstrategie
Ich übertrage hier Richard Floridas Konzept der creative centers (FLORIDA 2004; LANGE/ KALANDIDES/ STÖBER/ WELLMANN 2009) auf die Kulturproduktionen. Im Grunde enthält sein Konzept bereits das Kulturkonzentrationskonzept, das ich hier expliziere. Denn die creative centerssind agglomerierte Arbeits- und Kulturcluster. Weil dort kulturelle Angebotsballungen, d. h. hochwertige kulturelle Angebotsdiversität und Konkurrenz vorherrscht, sind die centers attraktiv für junge und fiir high-level-workers. Und weil dort viele high-level-workers sich ballen, nutzen Unternehmen die Chance, sich dort anzusiedeln, weil sie ein hochwertiges Arbeitsangebot haben. Und weil dort viele attraktive Unternehmen ansiedeln, kommen weitere high-level workers hinzu, die
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zugleich das Kulturangebot attraktiv finden (und zugleich zahlungsfähig sind). Creative centers sind emergente Attraktoren.' Diese Konzeption läuft nicht über eine breite Verteilung von Kulturangeboten über die Nation, sondern konträr über ihre Konzentration auf attraktive urbane Zentren. Sie entspricht erst einmal nicht deutschen W ohlfahrtsstaatsgewohnheiten. Sie bricht mit der Idee, dass Kultur überall zu erhalten sei. Wir hatten schon bezweifelt, dass sie dann überall hochwertig sein könne, vor allem dann, wenn sie kommunal nicht mehr (oder nicht mehr ausreichend) finanziert werden kann. Die neue Idee lautet: den verteilten Verknappungen durch Konzentration zu begegnen.
3.
Fokussierte Kultur und agonaler Wettstreit
Creative centerssind multiple Attraktoren, gegen die nur andere creative centers konkurrieren können, nicht aber sonstwie breit gestreute kulturelle Singularitäten. Denn nur wo Kultur sich ballt, regt sie sich an und auf, diversifiziert aufhohem Niveau, bildet Spannungen aus, die sich befruchten: kulturelle Interferenz. Ein weiteres Argument ist also, dass Kultur Kultur braucht, um in einen Erregungszustand zu kommen. Es geht nun um die Struktur solcher creative centers, um ihren kulturellen Spannungszustand. Dazu können wir von Richard Florida nichts entnehmen. Wo Kultur spannungsfrei im Raume subventioniert perpetuiert, beschäftigt sie natürlich etliche Kulturschaffende, schafft aber kaum cultural excellence. Es mag daran deutlich werden, dass Kultur ein Ferment ist, das Selbstwiderspruch braucht, und eine Gesellschaft, die sie irritieren/stören kann: Sie ist dann exzellent, wenn sie der Selbstunterbrechung der Gesellschaft fähig wird (BAECKER 2001; PRIDDAT 2009). Sonst ist sie nur Replikation eines Kulturbewusstseins, das seine Erinnerungen als spannungsenthobene Sekundär- und Tertiärverwertung von Kultur pflegt. Wenn Kultur zur Rezeption absinkt, kann sie Vieles bieten, aber ist keine Kultur im Sinne interventarischer Dynamik. Wozu sollte
Es ist wichtig, darauf aufmerksam zu machen, dass dieses Konzept nicht automatisch identisch ist mit nachgereichten Extensionen der creative industries, die im Grunde nur eine Applikation der Industriecluster-Idee aufkulturelle Belange ausmacht, d. h. gerade das Moment des emergenten Attraktors nicht besonders wichtet, sondern jene Agglomeration bereits prämiert, fast kriterienlos.
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man sie dann aber fördern? Was bringt uns die breite, beliebige Streuung? Eher nur wettbewerbsferne Diffusität. Exzellente Kultur steht sowieso im Wettbewerb- um Exzellenz. Der ökonomische Modus ist ihr nicht fremd, wenn auch streng qualitäts-, nicht effizienzorientiert. Es ist eher ein kompetitiver Modus antiker Art: aganie (Wettstreit der Besten). Darin verstünde sich Kulturmanagement neu: Es geht nicht um blinde Budgetoptimierung, sondern darum, mit den knappen Mitteln Exzellenz zu erzeugen. Hier ist weniger mehr. Es geht nicht darum, die Vielfalt des Exzellenten zu beschneiden, sondern vielmehr darum, diese Vielfalt des Exzellenten (Fülle der Qualitäten an Kultur) im Dichtecluster der creative centers (statt in der Müdigkeit provinzieller Mimesis) überhaupt erst zu erzeugen. Man braucht letztlich ein Publikum, dass weiß, was Qualitäten sind, weil es sie konzentriert erlebt. Ein solches Publikum ist selbst urban konzentriert; es geht auch darum, ein Publik'Um zu bilden, dass avancierte Kultur versteht und rezipiert. Aber dazu braucht es wiederum ein Management, das Ansprüche stellt und die es in singulärer Position - weit außerhalb der creative centers - kaum stellen kann, selbst wenn Geld vorhanden sein sollte. In der Fläche bleibt Kultur out of challenge, droht zu verbiedermeiern, liefert Klassikkonserven, hohle replica, spannungsfreien Idealismus, zweite und dritte Wahl." Natürlich ist es schön, breite Kulturangebote zu haben. Aber in der Konkurrenz zu den anderen event-media der Gesellschaft hat die Kultur es sowieso schon schwer. Außerhalb der creative centers muss Kultur häufig lediglich ältere Bevölkerungsschichten mit älteren Kulturbildern bedienen; die Jugendlichen fallen sowieso heraus (oder sind nur durch Schulzwangsbesuche beteiligt. Ein Konzert von Linking Park oder Kate Perry oder Lady Gaga begeistert sie sowieso mehr). Folglich hat sich das Kulturangebot schon angepasst: von Folkloreveranstaltungen bis zur Schönheitsköniginnenwahl, vom Kabarett bis zur Otto-Show. Kultur wird kommunal zum Tourismusfaktor: Man bietet an, was man im Stadtmarketing verspricht, um Menschen zu locken, die Kultur nicht als Interruption, sondern als schöne Abendbedienung haben wollen. Oft kopiert man nur das, was im Fernsehen geboten wurde. 2
Ich muss mich fast entschuldigen bei den vielen exzellenten Regisseuren, Produzenten, Kuratoren, Museumsdirektoren, Balletmeistern etc. und Kulturmanagern, die in zum Teil unsäglichen Bedingungen dennoch ihr Bestes versuchen. Doch diese Bedingungen behindern sie, und die lokalen Erwartungen sind zu gering, um wirklich gefordert zu sein. Es tut mir leid, das zu äußern, was sie im Grunde alle wissen.
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Man meint, die Bedürfnisse der Bevölkerung bedienen zu sollen. Aber Kultur bedient keine Bedürfnisse-no delivery! -,sondern stört sie, im besten Fall erzeugt sie neue. Es geht hier - nebenbei - um einen Begriff von Kultur (BAECKER 2001). Von woher sonst will man Kulturmanagement bestimmen wollen? Wir können nicht ernsthaft mehr davon reden, dass die Verknappungen der kommunalen Budgets die Kultur bedrohen, weil vieles, was dort als Kultur gehandhabt wird, die Kultur schon längst selber bedroht. Das gilt auch für kleine Theater. Ausnehmen muss man hochwertige Ereignisse, die manche Städte sich geschaffen haben: so z. B. das Neusser Jazztage, wie auch die Wittener Tagefür neue Kammermusik sowie viele andere kleine Elitenveranstaltungen, die internationale Kulturkonkurrenz für ein paar Tage zusammenbringen. Deren Qualität besteht darin, dass extra Rezipienten anreisen, gegebenenfalls aus der weiten Welt. Hier macht sich nicht die Stadt ihre Kultur, sondern hier wird Kultur produziert, die weltkonkurrent ist, mehr oder minder zufällig stadtfokussiert. Das sind grandiose Ausnahmen, die deshalb nicht nur kommunal, sondern national finanziert werden. Kultur braucht Geltung, Resonanz - auch untereinander - sowie Reibung und Spannung. Das geht nur in creative centers, wie früher die Hauptstädte Berlin, Paris, London, Petersburg und heute noch z. T. den sogenannten Kulturmetropolen. Die Logik der Kultur, wenn ich so reden darf, ist konzentrierte Spannung, Reibungsdichte, Explosion und Implosion. Dazu bedarf es besonderer energetischer Orte, Kessel unter Druck. Das Kulturmanagement, das hier entsteht, ist kundig und selber eine Kulturform. Es versucht nicht, Kunst ,irgendwie zu machen', sondern im agonalen Streit exzellenter zu sein als die anderen et vice versa. Auch nur in diesen Dichtearenen sind Talente zu entdecken, denn dort pilgern sie hin, um entdeckt zu werden. Kultur braucht Arenen." Und: Exzellente Kultur weiß um Geld. Kulturmanagement in diesen Arenen weiß, wer wofür zahlt. Hier kann der nationale (politische) Ehrgeiz angestachelt werden bzgl. gezielter Subventionen, auch Überbezahlungen wegen der nationaler Renditen im internationalen Kulturkampf. Und hier kann privates Geld mobilisiert werden: wegen des grandiosen Bühneneffektes. Die kulturelle Agonie kreiert ihr Management, bringt ihm die Form bei, die Kultur braucht.
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Es reicht nicht, die Kultur von der Stadt her zu denken (WAGNER 2007), wenn nicht zuvor klärbar ist, welche Stadt und von welcher kulturellen agonalen Dichte.
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Was ist das Geheimnis dieses Managements? Es weiß, dass es produktiv sein muss, auf allen Ebenen: Performance, Qualität und Aufregung. Es spielt das Medienklavier exzellent. Es nutzt die Netzwerke, stellt Bühnen zur Verfügung, auf denen die, die zahlen, mit zur Kultur gehören (nicht honoratiorenhaft provinziell, wie in den Kleinstädten, sondern überschussbetont). Die, die zahlen, sollen wissen, wohin ihre Sponsorings und Stiftungsgelder gehen: in den Luxus kultureller Potenz. Kulturelle Agonie erzeugt finanzierende Agonie. Das klingt elitär, ist aber ein Raum der Kultur mit einer eigenen Ökonomie des Überschusses (BATAILLE 1985). Die creative centersproduzieren kulturellen Überschuss. Sie sind die Energiezentren der Kultur und ihr Experimentierfeld. Die relative Garantie, im agonalen Streit mit anderer Kultur Aufmerksamkeit zu erzeugen, ist ein Erregungsmoment, in der alle, die dazu beitragen, die Spannung spüren, die die Kultur in die Gesellschaft leistet. Es sind Investitionen in aufregende Ungewissheit - ein momentum, das Unternehmer kennen, und dafür zu zahlen angeregt werden können. Man muss Investoren das ist die Kunst des Kulturmanagements - dazu anregen können, Affinität zu dieser Kultur zu entwickeln. Unternehmer kennen den Wettbewerb; sie sind für agonalen Streit der Kultur im Prinzip offen. Man muss sie auf Innovationen ansprechen, nicht auf Kulturhüterschaft.
4.
Kulturmanagement, neu betrachtet
Insofern ist Kulturmanagement Ungewissheitsmanagement: Nicht die Kunst zu finanzieren ist ihre Aufgabe, sondern die Ungewissheiten, die Kultur produziert, so attraktiv zu machen, dass alle dazu zu zahlen bereit sind. Das ist der Sinne von ,cultural entrepreneurship' (ansatzweise HAGOORT/KOYMANN 2010). Die Plätze, daran beteiligt zu sein, müssen knapp werden, sodass die Preise steigen können, also die Finanzierungsmöglichkeiten. So paradox das aufs erste klingen mag: Nur wo Exzellenz produziert - und kommuniziert - wird, kommt Geld. Erst wenn die Kultur einer Gesellschaft einen Ungewissheitsraum schafft, in den alle erregt hineingehen, weil er sie mit ihren eigenen Potenzialen konfrontiert, die man de facto nicht realisiert hat, dann ist sie hochwertige gesellschaftliche Produktion. Dafür wird gezahlt (und fast weniger vom Staat, dem langsamen Tier, sondern von privat: stiftend, projektorientiert, und in cash).
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Der Punkt, der hier offensichtlich wird, ist der, dass Kultur ein hochproduktiver Ereignisraum der Gesellschaft ist, der sie mit ihren Widersprüchen, Verlegenheiten, Möglichkeiten konfrontiert, die ein agens movens gesellschaftlicher Dynamik bilden, das jeden, der darin ist, anregt. Das aber muss man erreichen; und dazu braucht es die dichten Milieus der creative centers und unternehmerisches Kulturmanagment. Also wäre die Frage, wie heute Kulturmanagement zu leisten sei, keine Anweisung für die Kompetenz, Kultur zu finanzieren, sondern umgekehrt die Frage, wie man Kultur inszeniert, um die Erregungen, die sie evoziert, bezahlt zu bekommen. Das aber ist eine unternehmerische Version von Kulturmanagement. Das Kulturmanagement, dem man manchmal vorwirft, es wiirde blind Effizienzmodi aus der Wirtschaft in die Kultur übertragen, wäre ein schlechtes: Es geht nicht darum, die Kultur den Kosten anzupassen, sondern darum, solche Kultur zu produzieren, die bezahlt wird, aber nicht als Anpassung an Kulturnivellierungen, sondern als Evokation von Qualität. Qualität bemisst sich nicht an klassischen Standards, sondern am Evakationsgrad gesellschaftlicher Selbstunterbrechung und Differenzierungsgewitter. Das unauflösliche Problem dabei bleibt, dass Kultur als Differenzierungsturbulenz selber gesellschaftspolitisch ist. Das spürt die Politik, die keine Kultur als Politik neben sich haben will. Deshalb neigt sie dazu, Kultur als pathetische Lieferung zu finanzieren, nicht als gesellschaftliche Erregung. Das ist das entscheidende Kriterium, Kultur nicht - oder nicht vordringlich - auf die politische Finanzierungskarte zu setzen. Es geht nicht, wie in vielen Konzepten des Kulturmanagements, um - mehr oder minder intelligente - Subventionsverwaltung, sondern um die Evokation kultureller Erregung, die ihre Finanzierung selber generiert: Nur das an Kultur zu produzieren, was so exzellent ist, dass eine hohe Nachfrage entsteht, weil niemand versäumt haben will, an dem Ereignis teilgenommen zu haben. Kultur muss knapp werden, um Finanzen zu generieren. Das aktuelle Kulturmanagement fragt danach, wie man mit knappen Budgets umgeht. Die Fragstellung, die ich hier einbringe, lautet: Wie managt man Kultur so, dass sie ihre Finanzierung selber generiert? Politik steigt wieder ein, wenn die private Nachfrage längst gezeigt hat, dass hier etwas Relevantes geschieht. Man kann von der Politik nicht erwarten, dass sie bereitwillig cultural change finanziert. Dafür ist sie zu risikoavers.
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Ich sehe in der aktuellen Landschaft knapper Budgets keine andere Strategie, als die Fülle oder Opulenz, die man sich für die Kultur vorstellt, durch konzentrierte oder fokussierte Dichte zu erzeugen, nicht jedoch durch breit gestreute Diffusität. Kulturelle Opulenz ist ein spannungsgeladener Zustand, in dem Spiegelungen erzeugt werden, die sich brechen und oszillatorisch reflektieren. Kultur ist ein Produktionszentrum der Gesellschaft, in das die Gesellschaft als Produzentin hinein genommen wird. ,No delivery', kein Konsum. Ich hätte auch kein Problem damit, dass einige ,Stahlwerke' dabei sind, die ,flüssiges Magma' in die Gesellschaft schütten.
5.
Resümee
Unter den heutigen Bedingungen ist Kulturmanagement prima facie die Kunst, Kultur bei eingeschränkten Budgets zu produzieren, was erst einmal nur bedeutet, genauer auszuwählen, was produziert wird und was nicht. Eine solche Verknappung des Angebotes kann nicht als Notfall bedauert werden, sondern ist eine Reflexion auf das, was relevant sein soll. Das aber sollte eigentlich sowieso geschehen! Es geht um das Wagnis der Exzellenz, d. h. um kulturunternehmefische Innovation. Der Innovateur liefert kein sicheres Produkt, das schon eh und je seine Abnehmer hat. Er muss sie ,mit'erzeugen. Kulturproduktion kann nicht institutionell konzipiert sein, wodurch man sich darauf verlassen könnte, immer schon seine Abnehmer zu haben, und seine Finanziers. Erst diese agonale Situation - es kann immer scheitern - evoziert eine Haltung des innovativen Wagnisses. Hier unterscheiden sich- mit vielen Zwischentypen - doe Kulturmanagementkulturen institutionaler Verwalter und der Kulturunternehmer. Den Kulturunternehmern ist die Kultur nicht fremd; sie sind keine Effizienzmanager, sondern Wagnisunternehmer. Das, was einige Kulturschaffende der Ökonomie vorwerfen, dass sie die Autonomie der Kunst und Kultur utilitär restringiere, findet im Kulturunternehmer keine Entsprechung. Er ist selber ein Künstler, so wie die innovativen Unternehmer es sind mit ihrer idealistischen Erwartung, für etwas Neu es einen Markt zu kreieren. Er weiß, dass Qualität etwas kostet, also produziert er Qualität, um sieso-nurso-finanzieren zu können. Aus welchem Grund sonst sollte die Gesellschaft bereit sein, ihren Selbstwiderspruch zu finanzieren, wenn nicht wegen der Qualität des Wagnisses, sie zu spiegeln? Alles andere ist eher Reproduktion, d. h . Kul-
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tur wie einen Konzern zu führen, der konventionell immer wieder dasselbe herstellt. Das Problem des Kulturmanagements könnte sein, dass es sich zu schnell als Verwaltung oder Effizienzmanagement versteht statt als ,cultural entrepreneur'.
Literatur
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Zwischen Management und Governance Braucht Kulturmanagement eine Refie xionstheorie ?
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Kulturmanager/-innen erfahren heute den Anspruch, eine professionelle Haltung und ein professionelles Ansehen (,standing') zu gewinnen, als eine Selbstverständlichkeit ihres Berufsbilds. Bei diesem Stand der Dinge verspricht der Versuch, Kulturmanagement in einem professionalisierungstheoretischen Rahmen zu beschreiben, interessante Aufschlüsse über die Natur von Kulturmanagement. Und unter dieser Prämisse stehen die folgenden Überlegungen. Sie liefern Gründe für eine affirmative Antwort auf die Ausgangsfrage: Kulturmanagement benötigt eine genuin kulturwissenschaftliche (im Unterschied z. B. zu einer ethologischen oder philosophischen) Kulturtheorie (Abschnitt 2) und zudem eine normativ gehaltvolle, nicht bloß deskriptive organisationssoziologische Professionalisierungstheorie. Hilfreich ist in diesem Zusammenhang die Unterscheidung zwischen der ,de-facto-Professionalität' einer besonderen kulturellen Praxis und deren ,genuiner Professionalisierungsbedürftigkeit' (Abschnitt 4). In der hier vorgeschlagenen, auf Ulrich Oevermann zurückgehenden Variante könnte Professionalisierungstheorie zugleich die wesentlichen Funktionen einer Reflexionstheorie des Kulturmanagements übernehmen, nämlich auf Fragen nach Sinn und Zweck kulturmanagerialer Aktivitäten zu antworten und überdies Bewertungsgründe zu entwickeln und geltend zu machen, um begründete Werturteile zu ermöglichen, mit denen wir konkrete Praxisfälle solcher Aktivitäten als mehr oder weniger ,gelungene' Praxisfälle, also evaluativ oder normativ begreifen können (Abschnitts). Denkbar ist, dass man die Professionalisierung von Kulturmanagement auch dann noch empfehlen (und nichtprofessionellem Kulturmanagement vorziehen) würde, wenn man der Meinung wäre, Professionalisierungs,theorie' störe nur die eigentlich erwünschte Professionalisierung. Auch dieser antitheoretischen Option muss nachgegangen werden (Abschnitt 1), ebenso wie einer von der Kulturpolitik abgezogenen Selbstdeutung professionellen Kulturmanagements (Abschnitt 3). Vergleiche mit der Professionalität der Ärzteschaft erhärten den Verdacht, Kulturmanagement sei womöglich ein Feld von Tätigkeiten, die sich zwar zu Berufsrollen bündeln, in einem institutionellen Sinne
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de facto auch professionalisieren lassen, denen handlungslogisch betrachtet aber in vielen, vielleicht sogar in der überwiegenden Zahl von Praxisfällen etwas Entscheidendes fehle, nämlich die genuine Professionalisierungsbedürftigkeit. Eine Paradoxie? Aber auch wer die antitheoretische Option attraktiv findet, wird schwerlich auf eine - dann freilich schmalere - Reflexionstheorie des Kulturmanagements verzichten wollen oder können. Die Reflexionstheorie des Kulturmanagements, so wird im Abschnitt 2 argumentiert, muss mindestens eine Theorie kultureller Organisiertheit enthalten, kurz gesagt: eine allgemeine Kulturtheorie. Ich möchte den Begriff Reflexionstheorie noch weiter erläutern. Eine Reflexionstheorie von X wäre für X etwa das, was die Theorie des Verfassungsstaats für das politische System, die pädagogische Theorie der Bildung für das Erziehungssystem, die Wirtschaftstheorien von Adam Smith oder David Ricardo für das Wirtschaftssystem, die Rechtstheorien vom Naturrecht zum positiven Recht für das Rechtssystem, die theologische Dogmatik für das Religionssystem'
wäre. Eine Reflexionstheorie wäre das, was die gelebte Praxis der Moral in der philosophischen Ethik ,hat' und was, wenn man Luhmanns medizinsoziologischen Ausführungen folgte, die Praxis der ärztlichen Heilkunst in der gängigen Medizintheorie merkwiirdigerweise (noch) ,nicht' hat. Reflexionstheorien rationalisieren ihren Gegenstand, eine von menschlichen Zwecksetzungen kulturell geformte Handlungspraxis bestimmter Art, sie erklären ihn nicht. Indem sie ihn rationalisieren, systematisieren sie die innerhalb der betreffenden Praxis gängigen Deutungsmuster, Einstellungen, Überzeugungen, Haltungen, Zwecke usw., geben der betreffenden Art von Praxis eine geschichtliche Tiefe durch die Geschichte ihrer Bildung und Ausdifferenzierung und erhöhen in toto die Transparenz und damit auch die Kritisierbarkeit und Verbesserbarkeit der betreffenden Praxis. Reflexionstheorien arbeiten soweit wie möglich eine die betreffende Praxis leitende spezifische Differenz heraus, eine zweiwertige Unterscheidung, von der angenommen wird, dass sie in der besonderen Handlungspraxis operativ ist oder zumindest - im Licht der Rekonstruktion 2
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Die Aufzählung stammt von Jost BAUCH (2006: 1), der damit verdeutlichen will, was Luhmann sieht, das Gesundheitssystem aber nicht sieht, nämlich dass es über keine ausgearbeitete Reflexionstheorie verfügt. Rationalisierung wird hier im Sinne Max Webers Gedanken der "Rationalisierung einer Lebensform" verstanden, nicht im betriebswirtschaftliehen Sinne eines sparenden Wegrationalisierensund auch nicht im psychoanalytischen Sinne einer Selbsttäuschung über die eigenen Beweggründe.
ZWISCHEN MANAGEMENT UND GOVERNANCE
gesehen - eigentlich operativ sein sollte, wenn und damit die besondere Handlungspraxis ihre eigensinnige Rationalität voll entwickelt. So beziehen Reflexionstheorien des Verfassungsstaats dessen Operationen auf die zweiwertige Unterscheidung legitim/illegitim, die des Rechtssystems auf die Unterscheidung legal/illegal, die der ärztlichen Heilkunst versucht sich an der Differenz krank/gesund, während im Licht der Leitdifferenz von Zahlen/Nichtzahlen die Operationen des ökonomischen Systems reflektiert werden.
1.
Kulturmanagement als Innovationsmanagement?
Ein möglicher Weg, um die spezifische Rationalität von Kulturmanagement, die in allen kulturmanagerialen Praktiken formativ sein sollte, auf ihren Begriff zu bringen, scheint sich zu öffnen, wenn Kulturmanagement vom Innovationsmanagement her gedacht wird. Eine andere Möglichkeit besteht darin, Kulturmanagement im Licht der eigensinnigen Rationalität von Regierungspraktiken zu begreifen, nämlich als eine Form von Governance, die sich spezifisch auf das Feld des Umgangs mit kultureller Sinnbildung erstreckt. Gewiss bestehen neben diesen beiden exponierten Möglichkeiten noch weitere, um ein normatives Selbstverständnis von Kulturmanagement zu entwerfen (VAN DEN BERG 2007, 2008; BEKMEIER-FEUERHAHN u. a. 2010). Im Fluchtpunkt der ersten Richtung müssen wir Kulturmanagement so durchgängig und vollständig wie möglich mit den Mitteln einer allgemeinen Managementsemantik beschreiben, die auf Praktiken gemünzt ist, die mit ,kulturellen' Prozessen nichts spezifisch zu schaffen haben . Axel Johannis versucht begrifflich-systematisch und dann auch mit empirischen Belegen diejenigen Faktoren zu bestimmen, die ein erfolgreiches Kulturmanagement ausmachen. Johannis (2008 ) verengt allerdings die Perspektive seiner Theorie auf kulturmanageriale Praktiken im Bereich der Kultur,wirtschaft'. Das bringt eine gewisse Klarheit ins Berufsbild des Kulturmanagers in Wirtschaftsunternehmen, die mit Geschäftsmodellen kultureller Wertschöpfung operieren. Ich finde zumindest den Ausgangspunkt von Johannis (2 008: 4) interessant, dass in der Literatur zum Kulturmanagement [ ...] viele, mitunter stark verschiedene branchenspezifische Bündel von Managementmethoden und Anforderungsprofilen vorgeschlagen [werden, jedoch] keine empirischen Studien [existieren,] welche das Wirken von Kulturmanagern wissenschaftlich messen, oder überhaupt nachzuweisen vermögen, dass Kulturmanager existieren. [...] Es besteht daher Bedarf, das Wirken von Kulturmanagern als Rolle gerrau beschreibbar und derart auch
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MATTHIAS KETTNER empirisch nachweisbar zu machen. Denn erst wenn der Kulturmanager empirisch nachzuweisen ist, können Erkenntnisse über seine Effizienz, seine Leistungen und Beiträge, z.B. zum Erfolg eines Kulturunternehmens, erlangt werden.
Auf der Basis dieser Beobachtung macht Johannis einen heroischen Versuch, die wirtschaftswissenschaftliche Innovationsforschung und das von ihr entwickelte Innovationsmanagement als denjenigen Spiegel zu nehmen, in dem sich alle Züge von Kulturmanagement sammeln und in den Blick nehmen lassen. Doch dieser Ansatz trägt eben nur soweit, wie wir es mit solchen kulturmanagerialen Tätigkeiten zu tun haben, die kulturelle Leistungen eng als vermarktungsfähige Innovationsprozesse betrachten (HEINZE 1995). Dann und nur dann "können Leistungen in einem Kulturunternehmen [ ...] als Dienstleistungsinnovationen verstanden werden" (JOHANNIS 2008: 6). Daraus entspringt eine einseitige, aber gerade darum auch aufschlussreiche Selbstdeutungsformel von Kulturmanagement für eine mögliche Reflexionstheorie von Kulturmanagement: Die Aufgabe des Kulturmanagement ist die wirksame Gestaltung von kulturellen Dienstleistungsinnovationen durch die Phasen Invention, Innovation und Diffusion. (JOHANNIS 2008: 58)
Einseitig ist diese Selbstdeutungsformel insofern sie das Konstrukt ,Kulturmanagement' ausschließlich von der Produktinnovation und diese nur von Design, Erfindung und Pionierrente her denkt. Die empirische Innovationsforschung findet das Konstrukt eines "Promoters" für einige ihrer Fragestellungen hilfreich.3 Promotoren sind Schlüsselpersonen, die aufgrund ihrer Promotorenfahigkeiten in den arbeitsteiligen Entscheidungsprozessen der verschiedenen Phasen eines Innovationsprozesses diesen Prozess voranbringen, eben promoten. Analog sind Kulturpromotoren Schlüsselpersonen, die aufgrund ihrer Kulturpromotorenfähigkeiten in den arbeitsteiligen Entscheidungsprozessen der verschiedenen Phasen einer Dienstleistungsinnovation im Kulturunternehmen diesen Prozess voranbringen. Aufschlussreich finde ich das Konstrukt dort, wo es sich selbst torpediert. Statt der Einheitlichkeit einer Masterrolle, durch die alles Kulturmanagement angeblich definiert sein soll, produziert Johannis im Durchgang durch die relevante Literatur seit den 70er J ahren, also seit der Geburt des Kulturmanagements aus dem Geiste der Musik an der Universität fürMusikund darstellende Kunst Wien (Kulturmanagement-Studi-
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Zu Forschungs-, Ausbildungs- und Anwendungszielen der Innovationsforschung siehe .
ZWISCHEN MANAGEMENT UND GOVERNANCE
engäuge seit 1976) und der Hochschule für Musik und Theater Harnburg (Studiengänge seit 1987), tatsächlich nur lange Listen von Konstrukteigenschaften, die die Persönlichkeitsmerkmale, die Fertigkeiten, die Wissens bestände, die Gestaltungs- und Lenkungsfunktion auflisten, die das Konstrukt ,Kulturmanager' enthalten soll. Der Eindruck des Kaleidoskopischen und Aufgerafften zeigt den Abbruch der Reflexion auf den rationalen Eigensinn von Kultur,management' qua ,Kultur'management an. Die Übertragung von vielfältigen Unterscheidungen, die innerhalb der Innovationsforschungsliteratur selbst nur wenig systematische Klärung erfahren, in den Selbstverständigungsdiskurs über Kulturmanagement bleibt ad hocund ähnelt Versuchen, Unklares mit Hilfe von noch Unklarerem zu erhellen. Meine Kritik an einem einzigen Beispiel für die erste Richtung der Reflexion kulturmanagerialer Praktiken zeigt natürlich nicht, dass die ganze Richtung eine Sackgasse ist, sondern nur, dass sie pars pro toto in eine Sackgasse führt, wenn die nötige Einschränkung ihres Geltungsanspruchs auf eine bestimmte enge Teilklasse solcher Praktiken nicht durchgeführt wird. Die aus der wirtschaftlichen Innovationsforschung importierte Theorieperspektive auf Management ist zu spezifisch,4 und deshalb - das ist nicht paradox - zu unspezifisch, um als Perspektive einer Reflexionstheorie für Kulturmanagement zu dienen. Zu unspezifisch, weil kein Raum bleibt für die kulturtheoretische Charakterisierung unterschiedlicher Formen, Bereiche, Arten kultureller Prozesse. Stattdessen werden hier alle kulturellen Prozesse, die überhaupt Gegenstand des Sekundärsystems Kulturmanagement werden können, über den Leisten ökonomisierter und kommerzialisierter kultureller Prozesse geschlagen. Die nicht unmaßgebliche Frage, welche Aspekte (Bereiche, Seiten) von kulturellen Praktiken dafür empfänglich und zugänglich sind, welche sich dagegen sperren, wird abgeschnitten.
2.
Management, Kulturmanagement und Kulturwissenschaft
Was heißt es überhaupt, etwas zu managen? Solchen Fragen sollten Studierende und Lehrende in Kulturmanagement-Studiengängen sich nicht 4
Tatsächlich ist selbst der Ausschnitt von kulturmanagerialen Praktiken, die auf unternehmerische Logiken abgestimmt sind, viel umfänglicher als das, was der Blick durch Axel Johannis' Brille davon scharf stellt (MANDEL 2007).
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verlegen verschließen. Zwar sind diese Fragen von einer Allgemeinheit, die Abwehrreflexe wecken können, wie oft bei "philosophisch" anmutenden Fragen. Aber zum Nachdenken über die wichtigsten abgrenzbaren Bestimmungen- wenn man so will: die ,Natur' - von Kunst, Kultur und Zivilisation, von Organisation, Planung und Management wird nicht herumkommen, wer mit der angestrebten Berufstätigkeit eine universitäre, und das heißt immer noch: wissenschaftliche Ausbildung verbindet, deren eigensinnige Ansprüche noch gar nicht erfüllt sind, wenn solche Studiengänge eine Nachfrage nach gut bezahlten Sachbearbeitern und Funktionären für Kulturbetriebe erfolgreich befriedigen. Die Abgrenzungen, die wir zwischen Kunst, Kultur und Zivilisation vornehmen, sind nicht starr, und ihre Wandlungen müssen wir im Zusammenhang gesellschaftlicher Rationalisierungsprozesse begreifen Wie in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, nehmen auch in den Praktiken des Kunstbetriebs und der Kulturindustrie unternehmerische, aber auch vetwalterische, bürokratieförmige Gesichtspunkte immer mehr Raum ein. Die Erfindung des Kulturmanagements und seiner akademischen Professionalisierung wird man kaum anders erklären können denn als institutionelle Antwort auf die durch diese Entwicklung gesetzten Herausforderungen. Entsprechend entsteht heute die größte Nachfrage nach Kulturmanagern in Berufsfeldern der Bildenden und Darstellenden Kunst sowie der Musik, der Kunstvermittlung, der Unternehmenskommunikation und des interkulturellen Managements. Arbeitgeber sind vor allem Stiftungen, Agenturen, die Institutionen Theater, Opern, Museen, Philharmonien, Banken, Versicherungen und global agierende Unternehmen und, nicht zu vergessen, die öffentliche Kulturvetwaltung. Der Kulturbegriff selbst, der in den meisten am allgemeinen Managementdiskursorientierten Beschreibungen von kulturmanagerialen Praktiken und von Ausbildungscurricula für diese Praktiken investiert wird und auch in gängigen Stellen- und Tätigkeitsbeschreibungen vorherrscht, übersieht und überspringt ein Vorverständnis von Kulturellem, das in den KultuiWissenschaften heimisch ist, wonach bereits die elementaren und alltäglichen Aktivitäten der Lebensführung innerhalb von Gemeinschaften als Funktionen und Formen von (materialer) Kultur begriffen werden müssen. Diese Bodenschicht von Kultur kann zwar gepflegt oder vernachlässigt, aber sicher nicht managerialorganisiert werden. 5 Wo im 5
Typisch hierfür z.B. RichardA. Shweder (1991), der als Kulturanthropologe unter Kultur die für eine Gemeinschaft typischen Ideen darüber, was wahr, gut, schön und effizient ist, versteht. Um ,kulturell' zu sein, müssen solche Deutungsmuster über Wahrheit,
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Kulturmanagementdiskurs von Kulturfinanzierung, -marketing, -entwicklungsplanung und -innovation die Rede ist, reimt sich Kultur auf spezielleres, nämlich auf Kunst oder Unterhaltung oder beides, jedenfalls auf Aktivitäten, die im Konzertmanagement und im Musikbetrieb, im Theater-, Bibliotheks- und Volkshochschulmanagement, im Museums- und Ausstellungsmanagement, in der Kunst- und Künstlerförderung den Kulturmanagern eine organisationelle, unter Umständen auch klar betriebswirtschaftliche Seite zukehren. "Wer Kultur sagt, sagt auch Verwaltung. "6 Funktional betrachtet ist Management ein Inbegriff von Instanzen, die über Funktionen wie Planung und Führung, also Entscheiden, Anordnen und Kontrollieren, alle Prozesse in einer arbeitsteiligen Organisation dem Zweck dienlich machen, Leistungen zu erbringen. Sozial betrachtet steht das Management einer Organisation für die Gesamtheit aller Führungskräfte in der Organisation mit bestimmten Aufgaben und Weisungsbefugnissen zur Steuerung von Verhalten. Als ein Ideal betrachtet meint Management ein ausgezeichnetes und erwiinschtes Führenkönnen, das befahigt, spontane und sinnvolle Ordnungen in einer komplexen und dynamischen Umwelt zu bilden, mit Hilfe von Visionen, Ideen, Werten und Gütern. Die Anwendungsbreite dieser drei Managementbegriffe ist ersichtlich groß. So werden z. B. in Unternehmen, die Kultur und Moral als wertschöpfende Faktoren und Profilgeber für Corporate Identity entdeckt haben, Werte gemanagt: Value Management als eine Form von Kulturmanagement gilt als ein wichtiger Zug in der Kultur eines Unternehmens. In vielen Unternehmenszweigen, interessanterweise auch im Gesundheitssystem, haben sich Selbstkontrolltechniken breitgemacht, mit denen Qualitäten geformt, kontrolliert und erhalten werden sollen.7 Es liegt auf der Hand, dass sich auch in der Kulturindustrie viele Ansatzstellen für die drei Managementbegriffe finden. 8 Im Diskurs des Kulturmanage-
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Güte, Schönheit und Effizienz durch soziale Lernprozesse erworben und gewohnheitsmäßig sein und bestimmte Lebensweisen konstituieren. So bereits Theodor W. Adorno (1972) über Kulturmanagement avant Ia lettre. Unter dem Dach des Total Quality Management findet dann z. B. auch die Ethik im Krankenhaus ihren Platz (HESSISCHE KRANKENHAUSGESELLSCHAFf 2005). Der funktionale Managementbegriff tritt für Kulturmanager am reinsten bei Tätigkeiten hervor, die nahe an der kommerziellen Infrastruktur der Kulturindustrie angesiedelt sind, etwa bei den Fachleuten aus dem Bereich Eintrittskartenvertrieb und Marketing, deren alljährliches Bonner ExpertenForum Ticketm@nagement die neueste TicketSoftware, Ticket-Drucker und Dienstleistungen rund um den Eintrittskartenvertrieb präsentiert, zweifellos ein bedeutendes Thema in allen Freizeit- und EntertainmentBereichen.
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ments kann sich nur die dritte, ideale bzw. perfektionistische Lesart von Kulturmanagement noch geheimnisvoll geben. So stilisiert etwa Thomas Heinze, der Leiter des Instituts für Kulturmanagement an der FernUniversität Hagen, die Absolventen zu ,Magiern' und ,Grenzgängern' (zwischen Wirtschaft und Kunst). Idealiter seien sie fahig, in unterschiedlichen Kontexten zu denken, Spannung und Bewegung zu erzeugen, durch magisch-indirekte Eingriffe autonome Systeme zu steuern, ohne deren Autonomie zu zerstören. Sie könnten Visionen komm unizierbar machen, strategisches Denken und kommunikative Kompetenzen verbinden und zwischen unterschiedlichen Sprach- und Sinnwelten vermitteln. 9 Was braucht es zum Erwerb von so viel Magie? Typische Antworten verweisen unbestimmt auf den Erwerb von kulturökonomischem, finanztechnischem, organisatorischem, juristischem und politischem Wissen. Das ist gewiss nicht wenig. Nur verblüfft, dass in solchen Aufzählungen gewöhnlich Entscheidendes fehlt, nämlich die Kulturwissenschaft, sei es in den herkömmlichen Ausprägungen als Nachfolgerin der Geisteswissenschaften (die, wie der Kulturphilosoph Erich Rothacker es noch pointiert ausdrücken konnte, die Ordnungen des Lebens in Staat, Gesellschaft, Recht, Sitte, Erziehung, Wirtschaft, Technik und die Deutungen der Welt in Sprache, Mythos, Religion, Kunst, Philosophie und Wissenschaft zum Gegenstand haben), sei es in modernen Ausprägungen wie gender-, cultural- und postcolonial studies. Kulturwissenschaftliches Wissen bildet eine notwendige Ebene der Reflexion für Kulturmanagement. Das hat einen einfachen Grund: Kulturmanagement basiert auf einer starken Unterscheidung von Inhalt und Form. Nur für die ,Vermittlung', so die stereotyp in den Lehrbüchern wiederholte Vorstellung, sei Kulturmanagement zuständig, nicht aber für die künstlerischen oder sonstigen Inhalte, die vielmehr als selbständig vorgestellt werden: weder wollen noch können Kulturmanager mit Kulturschaffenden konkurrieren. Verdrängt wird dabei die seit Regel gewonnene, im philosophischen Pragmatismus erneuerte und in avancierter Medientheorie heute zur Gewissheit gewordene Einsicht, dass der Sinngehalt symbolischer Formen und ihre Vermittlungsweisen sich wechselseitig modifizieren. Die für Kulturmanagement konstitutive Trennung von Inhalt und Form wird zu einer technokratischen Ideologie in dem Maße, wie sie für bare Münze gehalten wird und nicht mehr als eine methodische, für bestimmte Zwecke unter
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Interview mit Andrea Behnke (FAZ-Hochschulanzeiger Nr. 57, 2001; zit. n. RUPERT 2009; s. a. HEINZE 2009).
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Umständen hilfreiche Fiktion reflektiert werden kann. Das Bewusstsein aber über diese Fiktion hält allein die Kulturwissenschaft wach. Welche und wie relevant und hilfreich eine Kulturtheorie ist, variiert wohl in gewissen Grenzen mit der inhaltlichen Strukturiertheit der jeweiligen kulturellen Prozesse, um deren Management es geht. Hier wird sich eine Reflexionstheorie des Kulturmanagements zu keiner apriorischen Theorieselektion aufschwingen wollen."' Aber die Ausblendung kulturtheoretischer Grundlagen und Grundfragen aus dem Diskurs über Kulturmanagement wird weder dem Selbstverständnis noch den davon angeleiteten Formen von Praxis gut tun." Dass gar keine Gegenstandstheorie besser als eine schlechte sei, kann behaupten, wer abstrakt, also weit weg von inhaltlichem Zusammenhang, von inhaltlicher Konkretion denkt. Genau darin liegt dann aber bereits eine (unreflektierte) theoretische Grundentscheidung, nämlich zugunsten eines völlig ausgedünnten, lediglich formalen Managementbegriffs - management as a gun for hire.
3.
Kulturmanagement als kulturpolitische Governance?
In seinem interessanten Buch über Kulturbetriebe greift Armin Klein (2008) die Exzellenz-Rhetorik auf, die die Wissenschaftspolitik in Umlauf gebracht hat, und überträgt diese Rhetorik zustimmend auf die Kulturpolitik. Hier trifft er sich auf bemerkenswerte Weise mit Oliver Scheytt, der als CEO des Mega-Kulturmanagement-Unternehmens Ruhr.2010 GmbH die "aktivierende Kulturpolitik" ausgerufen hat. ' In einer programmatischen Rede zum 30jährigen Bestehen der Kulturpolitischen Gesellschaft, der der Essener Kulturdezernent auch vorsitzt, erklärt Scheytt sein Stichwort als den Ausdruck einer Funktionsverschiebung des Staates, weg von aktiven, hin zu aktivierenden Rollen. Armin Klein verdeutlicht die aktivierende Kulturpolitik so: 2
Die Idee, die dahinter steckt, ist die, dass der Staat in Zukunft sehr viel weniger selbst macht (machen kann oder will), und stattdessen diejenigen unterstützt und stärkt, die sich aktiv auf den Weg machen. (Klein 2008: 13)
10 Siehe z. B. die Theorieangebote in BAECKER u. a. (2008). 11 Eine bemerkenswerte Ausnahme von der Regel der Ausblendung ist das Buch von ZEMBYLAS (2004, bes. Teil1). 12 Zum kulturmanagerialen Umgang mit der Nominierung des Ruhrgebiets zur Kulturhaupstadt siehe die programmatischen Beiträge in RUHR.2010 (2009a, 2009b).
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Noch deutlicher und an Kulturmanager adressiert: "Das Ziel dieses Weges sollte die exzellente Kultureinrichtung sein." (KLEIN 2008: 13) Für den nach Exzellenz strebenden Kulturbetrieb entwickelt Klein (2008: 99-101) sein eigenes Stichwortvon der "konsequenten Besucherorientierung": "In Zukunft wird die Frage nach den ,Nutzern', also nach den Besuchern und Nachfragern von Kunst und Kultur, sehr viel stärker als bislang in den Mittelpunkt gerückt werden müssen" (KLEIN 2008: 99), und zwar von allen Kulturmanagern in öffentlichen Kultureinrichtungen. Kleins Begründung ist interessant: Weil "ansonsten der viel beschworene kulturpolitische Auftrag abstrakt" bleibe (KLEIN 2008: 99). Den öffentlichen Kulturbetrieben, deren Budget durch öffentlich Finanzierung laut dem Statistischen Bundesamt im Jahr 2010 mit 9,6 Milliarden Euro etwa dem des gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks entspricht, drohe ansonsten eine ähnlich moribunde Lage wie jenem, wenn immer mehr Nutzer immer weniger Nutzen in öffentlich-rechtlichen Programmen finden und zum Angebot der kommerziellen Rundfunkanbietern abwandern, es jedoch- wenigstens in Umfragen -weiterhin für eine (irgendwie) gute Sache halten, dass es (irgendwie) die öffentlich-rechtlichen gibt. Die in Armin Kleins Überlegungen vorgeführte Allianz von Nutzermaximierungsdenken und Governancesemantik und ihre Parallelen bei Oliver Scheytt führen zu der Frage, wieso beide Kulturmanager in der Governance-Semantik einen Schlüssel zur Natur von Kulturmanagement zu finden glauben.'3 Oliver Scheytt schreibt in seinen programmatischen Thesen zu aktivierendem Kulturmanagement, die Eingang in Armin Kleins Buch über die Zukunft des Kulturmanagements gefunden haben, dazu folgendes [These 9]: Lenken, Steuern und Koordinieren in und durch Kulturmanagement trifft heute auf eine komplexe Situation, auf die ein klassisch hierarchisches staatliches Handeln nicht die richtige Antwort wäre. Vor dem Hintergrund des (permanenten) Wandels der gesellschaftlichen Realitäten und einer immer wieder erneuerten Interpretation dieser Realitäten sowie eines Wandels der Rolle des Staates bedarf es eines veränderten und veränderungsfahigen Leitbilds für die Steuerung der Kulturpolitik und -management: Das ,aktivierende Kulturmanagement.' (SCHEYIT 2008: 133)
Aktivierendes Kulturmanagement funktioniert als ,Cultural Governance' [so These 10]: Es nutzt die 13
Emblematisch verwendet, aber nicht rational motiviert, wird der Governance-Begriff von LANGE u. a. (2009). Zu den politikwissenschaftlichen Wurzeln der GovernanceSemantik siehe MAYNTZ (2003). Siehe auch Hintergrund- und Diskussionspapiere auf der Website des Kanadischen Institute On Governance (IOG) . Einen gehaltvollen Governance-Begriff in der Tradition des philosophischen Pragmatismus entwickelt WILL (1993).
ZWISCHEN MANAGEMENT UND GOVERNANCE Gesamtheit der vielfaltigen Wege, auf denen Individuen sowie öffentliche und private Kulturinstitutionen in einem kontinuierlichen Prozess ihre gemeinsamen Angelegenheiten regeln, ihre unterschiedlichen Interessen ausgleichen und kooperatives Handeln initiieren. Das in den Politik- und Sozialwissenschaften, aber auch in der Verwaltungslehre entwickelte Governance-Konzept erfasst die vielfaltigen Formen und Möglichkeiten eines aktivierenden Kulturmanagements. Es rückt kooperative Handlungsformen und die Rolle des Staates als Initiator, Moderator und Förderer von Netzwerken zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren in den Mittelpunkt des Interesses: Die in der kulturpolitischen Praxis bewährten Formen der Interaktion und Kooperation, der Moderation und Verhandlung, der Konsensstiftung und Vereinbarung.[ ...] Aktivierendes Kulturmanagement steuert nicht nur mittels personeller und finanzieller Ressourcen, sondern vor allem durch die Gestaltung von Relationen. Die wesentlichen Steuerungselemente des aktivierenden Kulturmanagement sind daher Koordination, Kooperation, Kommunikation und Konsens. (SCHEYIT 2008: 133f.)
Die zitierten Thesen Scheytts lassen erkennen, dass der Strom heißer Luft, der hier in den Selbstverständigungsdiskurs über Kulturmanagement kommt, von der städtischen Kulturpolitik her bläst. Offensichtlich verallgemeinert Scheytt hier seine eigene Rolle als Kulturmanager innerhalb der städtischen Kulturpolitik, vor allem als Manager des Kulturhauptstadtprozesses Ruhr.2010. An der Verallgemeinerung eigener Erfahrungen, bei denen man wenigstens weiß, was man an ihnen hat, ist an sich wenig auszusetzen. Gleichwohl erscheint die Verallgemeinerung zu einem Zukunftsideal ,des' Kulturmanagements (Scheytt), auch in allen ,öffentlichen' Kulturbetrieben (Klein), erheblich überzogen. Die sozial- und politikwissenschaftliche Governancesemantik mag für diejenigen Kulturmanager/-innen, die entschieden in kultur,politischem' Kontext tätig sind, etwas hergeben, um ihre Aktivitäten und ihr Selbstverständnis in ein Reflexionsgleichgewicht zu bringen. Ich meine aber, dass eine Reflexionstheorie kulturmanagerialer Praktiken erst dann aus dem Geist der Governancesemantik Nutzen ziehen kann, wenn wir sie mit einer kulturwissenschaftlichen Kulturtheorie in Zusammenhang bringen (wie ich im vorigen Abschnitt argumentiert habe) ,und' zudem den Bogen zur Professionalisierungstheorie schlagen.
4.
Zur Theorie der Professionalisierung von Kulturmanagement
Wenn es uns um die Professionalisierung von Kulturmanagement geht, müssen wir eine Gegenstandstheorie (Kulturtheorie) suchen, die zu der betreffenden professionalisierten Tätigkeit passt, genau wie in anderen Professionen. Ob, wie weit und wie durchgängig sich kulturmanageriale
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Tätigkeiten in eine Berufsrolle bündeln lassen, die voll professionalisiert ist - ob also die Professionalisierung von Kulturmanagement möglich ist - ist eine erste Frage. Ob sie auch wünschenswert ist, ist eine zweite Frage. Bevor ich auf die Governance-Semantik zurückkomme, dann aber nicht mehr aus dem Blickwinkel der Kulturpolitik, sondern aus dem der Kulturtheorie, argumentiere ich in diesem Abschnitt, dass für die Konstruktion einer brauchbaren Reflexionstheorie des Kulturmanagements auch die Professionalisierungstheorie berücksichtigt werden sollte. Einleuchtende soziologische Ansätze, um die Praxis der Professionen in ihrer Gemeinsamkeit und in ihrer spezifischen Differenz zu begreifen, versuchen die jeweils spezifischen Handlungsprobleme zu bestimmen, die die Gemeinschaft der Professionsmitglieder für die übergreifende kulturelle Wir-Gruppe bearbeitet. Bei der Profession der Priester, den Geistlichen, geht es zentral um die Bearbeitung von existenziell bedeutsamen Sinnfragen, bei der Profession der ärztlichen Heiler um die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der psycho-physisch-sozialen Integrität, bei den juristischen Berufen geht es um die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung von Rechtssicherheit, Gerechtigkeit und gesetzlich normativer Ordnung, bei Professionen in den Künsten und Wissenschaften geht es, so könnte man vielleicht sagen, um die Gewinnung und Sicherung sinnlicher und begrifflicher Erkenntnis, bei den pädagogischen Professionen schließlich um die Vermittlung bewährten Wissens und die Tradierung anerkannter Normen und Bildungsideale. Von solchen allgemeinen Handlungsproblemen her lässt sich synchron und diachron verfolgen, wie Expertenwissen gebildet wird und dann auch Professionen entstehen, wie sie Lösungen für die jeweiligen grundlegenden Handlungsprobleme erarbeiten und was die Bedingungen dafür sind, dass sie es können. Aus den Charakteristika der jeweiligen grundlegenden Handlungsprobleme lassen sich unter Umständen auch Begründungen finden, bestimmte Formen der Tätigkeit und bestimmte Formen der Leistungserbringung als für die Bearbeitung des grundlegenden Handlungsproblems unangemessene Formen zu kritisieren.'4 Lässt sich ein handlungsproblematischer Fokus aller kulturmanagerialen Praktiken bestimmen? Angenommen, ein solcher fokus imaginarius, gleichsam das große X des Kulturmanagements, ließe sich bestimmen. Dann wäre dieses X in eine auf Kulturmanagement spezifisch zugeschnittene Professionalisierungstheorie einzubetten. Natürlich gibt 14 So wird z. B. in Kontroversen über die Zukunft der ärztlichen Profession die Zunahme gewinnorientierter Rahmenbedingungen kritisch gesehen (HEUBEL/ KETTNER/ MANZESCHKE 2010).
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es eine Reihe verschiedenartiger Ansätze innerhalb der sozialwissenschaftliehen Professionalisierungstheorie. Für besonders aufschlussreich halte ich die von dem Frankfurter Soziologen Ulrich Oevermann entwickelte Professionalisierungstheorie.'5 Oevermann begreift jede Zuschreibung von Autonomie an eine bestimmte Lebenspraxis als die Zuschreibung von Fähigkeiten zur Bewältigung von Krisen, in der sie sich permanent erhalten und gelegentlich zu bewähren hat. Eine Ebene der primären Krisenbewältigung, die bezogen auf jede Lebenspraxis für deren Autonomie konstitutiv ist, unterscheidet Oevermann analytisch von einer zweiten Ebene der indirekten (oder, wie Oevermann formuliert, der "stellvertretenden"'") Krisenbewältigung. Auf dieser zweiten Ebene kann sich eine klientenbezogene professionalisierte Praxis entwickeln. Diese zweite Praxis, die Praxis einer klientenbezogenen professionalisierten und auf die Erbringung eines qualifizierten Nutzens (,professional benefit') spezialisierten Leistung, beruht also darauf, dass eine primäre Lebenspraxis unter zwei verschiedenen, häufigjedoch gleichzeitig wirkenden Bedingungen ihre Aufgabe der autonomen Krisenbewältigung an die professionalisierte Praxis delegiert. Die erste Bedingung liegt vor, wenn die primäre Lebenspraxis in ihrer Autonomie beeinträchtigt ist (Im Rahmen der ärztlichen Profession erscheinen solche Beeinträchtigungen spezifisch als Beeinträchtigung der Gesundheit, z. B. durch Krankheit, unreife oder regressive Entwicklung). Die zweite Bedingung liegt vor, wenn das kumulierte und systematisch kultivierte Problemlösungswissen für die Krisenbewältigung das naturwiichsige Wissen der primären Lebenspraxis so ins Hintertreffen gebracht hat und so überlegen geworden ist, dass an dessen Selbständigkeit festzuhalten irrational, selbstgefährdend oder in einem anderen Sinne allzu riskant wiirde. Die professionalisierte Expertise einer mittelbaren bzw. indirekten, für die in der Krise befindliche Praxis sozusagen stellvertretenden, Krisenbewältigung beinhaltet zwei zu unterscheidende Momente. Zum einen beherrscht die professionalisierte Expertise eine in sich tendenziell standardisierte, routinisierte Anwendung methodisierten Wissens. Soweit ist die Expertise ein Vorrat von Problemlösungsroutinen bzw. besteht, wie vorzüglich die wissenschaftliche Expertise, aus bewährtem überprüfbarem Wissen. Zweitens erfordert eine professionalisierte Expertise eine, aus der Erfahrung von Person zu Person statt über routinisiertes Wissen laufende Komponente, die in der Form eines fallverste15 Im Folgenden referiere ich die Grundzüge dieses Ansatzes (OEVERMANN 1999-2001; 2003). 16 Zur Problematisierung dieser zu starken Formulierungs. LOER (2009: 56).
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hend vorgehenden Arbeitsbündnisses zum Zuge kommt. Dieses zweite, nicht durch Standardisierungen ersetzbare Moment stabilisiert sich in der Habitusbildung und ist in persönlicher Berufserfahrung gebunden. Es befähigt praktisch zur Durchführung eines klientenbezogenen Arbeitsbündnisses. Das nicht standardisierbare Moment einer genuin professionalisierten Tätigkeit ist sogar wichtiger als das erste, weil es auch dann noch aufrechterhalten werden muss, wenn das erste, die systematische Wissensanwendung, ihrerseits in Krisen gerät. Hinter jeder systematischen Wissensanwendung steht das Wissenschaftssystem, weil dessen systemspezifische professionelle Praxis auf die Erzeugung von belastbarem Wissen abstellt. Die professionalisierte Praxis der Wissenschaft, institutionell verortet in den Akademien und Universitäten etc., hat sozusagen keine konkreten Personen als Klienten, wohl aber einen generalisierten Klienten, nämlich die Gesellschaft. Dieser Klientenbezug besteht in der Grundlagenforschung wie in der angewandten empirischen Forschung, und natürlich auch in der wissenschaftlichen Abstützung der Ausbildung aller übrigen Professionen, von der akademisierten Lehrerausbildung über das ganze Spektrum der akademischen Berufe hinweg. Geschichtlich gesehen hängen kollektive Professionalisierungsprozesse, beispielhaft die der priesterlichen Seelsorge und der ärztlichen Heilkunst, maßgeblich von der Resonanzbildung mit geeigneten Formen von akademisch institutionalisierbaren Wissenschaftszweigen ab. Disziplin- und Professionsbildung arbeiten Hand in Hand, wie der Blick auf die Geschichte dieser Professionen par excellence zeigt. Ausgehend von der Grundidee Professionalisierung als klientenbezogene Interventionspraxis zweiter Ordnung zu begreifen - d. h. als Expertendienstleistung einer stellvertretenden Krisenbewältigung -, ist interessanterweise ein Folgeproblem jeder derart professionalisierten Praxis zu erwarten. Es besteht in der paradoxalen Verstrickung der professionellen Interventionspraxis mit ihrem eigenen Erfolg. Denn im Erfolgsfall hilft sie nicht nur dem Klienten, ein Stück seiner Autonomie in Bezug auf das fragliche Handlungsproblem zu gewinnen oder zurück zu gewinnen, sondern zieht ihn dadurch ungewollt in eine neue Abhängigkeit und damit möglicherweise in eine neue, anders gelagerte Schwächung seiner Autonomie. Oevermann möchte hieraus sogar als ein allgemeines Merkmal eines professionalisierten Handlungstyps ableiten, dass solches Handeln zusammen mit seinem Erfolg anstreben muss, sich selbst überflüssig zu machen, sich aufzuheben. Im Unterschied hierzu ist zur Genüge bekannt, dass die Leistungserbringung in einem anderen Rationalitätsrahmen, nämlich in Verwaltungsapparaten, eher dazu ten-
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diert, sich festzusetzen, unabkömmlich zu machen und festzuwachsen. Mit Blick auf Kulturmanagement ist es eine empirische, und das heißt zunächst offene Frage, ob Kulturmanagement in seinen Anwendungsformen, oder zumindest in seinen typischen, eher seine Selbstbehauptung und Zementierung zur Konsequenz hat (womöglich sogar darauf abstellt) oder eher die praktische Autonomie seiner Klienten stärkt, um sich selbst überflüssig zu machen und die Klienten auch wieder zu entlassen. Ich möchte zwischen einer de-facto-Professionalisierung und genuiner Professionalisierungsbedürftigkeit unterscheiden. Denn der Fall ist denkbar, und bietet interessante Ansätze für die empirische Kulturmanagementforschung, dass ein bestimmtes Feld von Tätigkeiten sich mehr und mehr Merkmale verschafft, die eine Familienähnlichkeit mit anderen Feldern von professionalisierten Tätigkeiten herstellen, dieses Feld also de facto professionalisieren, jedoch ohne dass die betreffenden Tätigkeiten in dem de facto professionalisierten Feld von einer Art sind, die eine Professionalisierung im oben (mithilfe von Oevermannschen Überlegungen) explizierten Sinne wirklich verlangt. Die de-facto-Professionalisierung ist ein Maß für Gewinn an institutioneller Verankerung von Selbstregulierung des Zugangs zu und der Ausübung von Tätigkeiten eines Tätigkeitsbereichs (Herausbildung von Berufsverbänden, berufsspezifische Regulierungen, Lobbyismus, Bedeutung von Akademisierung u. a. m.) Die genuine Professionalisierungsbedürftigkeit einer Tätigkeit T bemisst sich daran, so mein Vorschlag mit Oevermann, ob erprobtes systematisiertes Wissen in T klientenbezogen auf die indirekte (,stellvertretende') Krisenbewältigung in einem Arbeitsbündnis mit dem Klienten angewandt wird und der Krisenbewältigung der primären Praxis des Klienten signifikant überlegen ist. Aus dem Aspekt der indirekten und mittelbaren Krisenbewältigung erklärt sich auch die bei jeder genuinen Profession anzutreffende Kodifizierung von Professionsethiken. Gute Professionsethikeil gleichen moralisch relevante Verletzlichkeiten, die aufbeiden Seiten des Stellvertretungsverhältnisses bestehen, normativ aus. Sie schützen gleichermaßen die Klienten und die Leistungsanbieter. Natürlich wird der Begriff einer Klientenrolle nicht für sämtliche kulturmanagerialen Arbeitsverhältnisse erhellend sein, passt aber gut auf die praktisch wichtigsten, in denen Kulturschaffende, Kulturorganisationen, Kultureinrichtungen und kulturpolitische Institutionen die professionelle Hilfe von Akteuren mit ausgewiesener kulturmanagerialer
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Kompetenz in Anspruch nehmen. In vielen Fällen sind die Klienten von Kulturmanagement Teams. '7 Unter dem Gesichtspunkt der Professionalisierungsbedürftigkeit kann es eine mangelnde, aber auch eine überflüssige Professionalisierung von Tätigkeiten und Tätigkeitsfeldern geben. Die Ausbildungsund Berufspraxis von Sozialpädagogen wäre vielleicht ein Beispiel für mangelnde Professionalisierung, also für genuine Problematisierungsbedürftigkeit bei noch ausstehender de-facto-Professionalisierung. Als Ingenieure tätige Physiker und Chemiker sind Berufsbilder, die zwar auf der institutionellen Ebene in starkem Maße wie Professionen organisiert sind (Berufsverbände etc.), deren Praxis jedoch von ihrem Tätigkeitsinhalt her nicht professionalisierungsbedürftig ist, jedenfalls solange nicht, wie sie nur in der universitären oder industriellen Grundlagenforschung tätig sind. Ein Vierfelderschema veranschaulicht diese Unterscheidungen: Genuin p-bedürftig vs. nicht p-bedürftig de facto professionalisiert
Ärzte
Techniker
Sozialpädagogen
Köche
VS.
(noch) nicht professionalisiert
Abb. 1: Professionalisierung zwischen Sein und Sollen
Wo sollten (welche) Formen von Kulturmanagement verortet sein? Und wo stehen sie wirklich? Soweit ,Kulturmanagement' als Sammelbegriff einer reflexionstheoretisch nicht wirklich weiter zu vereinheitlichenden Heterogenität von Praktiken fungiert, wäre gar nicht damit zu rechnen, dass eine eindeutige und zugleich vollständige Zuordnung erfolgen kann. Es geht an dieser Stelle auch nicht vorrangig um Vollständigkeit, sondern um Differenzierungsgewinn. Schließlich ist Kulturmanagement als Beruf eine vergleichsweise neue soziale Erfindung, während die für die sozialwissenschaftliche Professionalisierungstheorie exemplarischen Berufsfelder seit Jahrhunderten etabliert sind. En passant sei notiert, dass sich mithilfe der zwei Unterscheidungen auch gut Prozesse einer de-facto-Deprofessionalisierung beobachten lassen, nämlich als ein Verlust an Selbständigkeit in der Schaffung von Wissen, in der Entscheidungsfreiheit, wann das Fachwissen anzuwen-
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Zur sozialwissenschaftliehen Charakterisierung der Organisationsform Teams. LOER (2009).
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den ist, und in der Entscheidung, welche Entlohnung man fordert. '8 Eine genuine Deprofessionalisierung beträfe in jedem Fall auch die Erosion von bereits herausgebildeten professionsethischen Normierungen, eine blockierte genuine Professionalisierung die Verhinderung von Rahmenbedingungen, die für das Zustandekommen eines Arbeitsbündnisses erforderlich sind.
5.
Ein grundlegendes Handlungsproblem kulturmanagerialer Praktiken?
Im vorigen Abschnitt habe ich den Vorschlag begründet, von der sachlogisch nachrangigen Frage der de-facto-Professionalisierung die vorrangige der genuinen Professionalisierungsbedürftigkeit zu unterscheiden. Letztere bemisst sich daran, ob (1) erprobtes systematisiertes Wissen in einem bestimmten Tätigkeitsfeld (2) klientenbezogen auf die (3) indirekte Krisenbewältigung (4) in einem Arbeitsbündnis mit dem Klienten angewandt wird und (5) der Krisenbewältigung, die in der primären Praxis des Klienten schon verfügbar ist, signifikant überlegen ist. Der springende Punkt ist, dass ein artikulierbarer Hilfebedarf ,entsteht' und eine besondere Berufstätigkeit, die zumindest mit dem Versprechen in Erscheinung tritt, die Chancen für seine Bewältigung deutlich zu verbessern. Wer wo welche Signifikanzgrenzen ziehen will und darf, wäre eine zweite, nachgelagerte Frage, die empirisch von Fall zu Fall unterschiedliche Antworten finden wird. Relevanz für die Reflexionstheorie von Kulturmanagement gewinnt dieser Unterscheidungsvorschlag aber erst in dem Maße, wie es gelingt, ein oder mehrere Krisenhaftigkeiten zu identifizieren, die in einer gewissen Näherung das Problem darstellen, das mit kulturmanagerialen Praktiken gelöst wird oder gelöst werden soll. Lässt sich mindestens ein grundlegendes Handlungsproblem bei Punkt 3 angeben? In Resonanz mit den Überlegungen im ersten Abschnitt darf man vielleicht überspitzt sagen, dass die Erwartung, die am meisten zum Prestige und zur Durchsetzungskraft von Managementsemantiken beiträgt, die Erwartung der verbesserten Effizienz ist. Dank eines guten Ma-
18 Gerade weil durch Verrechtlichungs-, Bürokratisierungs- und Ökonomisierungspro-
zesse die Deprofessionalisierung in der Heilwissenschaft zu weit vorangeschritten ist, interessieren sich Ärzte für Nischen, in denen sie noch frei agieren dürfen und ordentlich Geld verdienen können. Diese Annahme hat eine gewisse Erklärungskraft für die Zunahme der Angebote von und Nachfrage nach alternativer Medizin.
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MATTHIAS KETTNER
nagements wird weniger Geld ausgegeben und weniger verschwendet als andernfalls (Wie gut diese Erwartung begründet ist, steht jetzt nicht zur Debatte). Auch das Kulturmanagement verdankt dieser diffusen, von ,außen' zugeschriebenen Erwartung sicher einen Teil seiner Hochkonjunktur, während der Aufstieg von Kulturmanagement pragmatisch auch einfach als Antwort auf die Herausforderungen zunehmender Arbeitsteilung und Spezialisierung in Kulturorganisationen begriffen werden kann, also nicht notwendigerweise eine Ökonomisierungslogik bedient. Das Management im Kulturmanagement soll den ebenso diffusen Geldvernichtungsverdacht zerstreuen, der sich allemal gegenüber den als besonders anspruchsvoll geltenden Formen von Kunst-, Unterhaltungs- und Bildungspraktiken reflexhaft regt. Ein vorwiegend an Effizienz ausgerichtetes Management im Kulturmanagement findet seine Grenze aber an der Frage nach der Effektivität, der Setzung und Durchsetzung von Zielen, die erreicht, von Zwecken, die verfolgt werden sollen. An der oben kritisierten Spaltung von Form und Inhalt ("der Künstler setzt die künstlerischen Ziele, der Kulturmanager setzt sie durch") ist zumindest so viel wahr, dass der Kulturmanager als der Sachwalter einer sekundären Praxis, die sich einer primären Praxis P von bestimmten kulturellen Prozessen auflagert, die Eigenrationalität von P (hinreichend) kennen muss, die die in P wirklich Tätigen von innen und möglichst weit beherrschen, zudem aber, und anders als die in P wirklich Tätigen, noch weitere und andere Eigenrationalitäten kennen (und einige davon auch beherrschen) muss, nämlich alle, die relevant dafür sind, dass die Eigenrationalität von P auch in solchen Kontexten so gut wie möglich zur Geltung gebracht werden kann, in denen die Eigenrationalität von P in ein Feld von sich kreuzenden, unter Umständen einander fördernden, unter Umständen einander beeinträchtigenden Rationalitäten eintritt. Gute Kulturmanager würden z. B. Art und Konsequenzen der Rationalität kennen, die in der politisch erhobenen Forderung an die Programmbildung einer designierten Kulturhauptstadt ergehen, die Staudortattraktivität für Young Urban Professionals zu erhöhen. Sie kennen auch die Rationalität der Stadtkämmerei, die vielleicht auf Einsparungen aus ist - allemal in den Musiktheatern, auch die Rationalität, mit der die Unterhaltungsmusikindustrie die Hördispositionen großer Zielgruppen formiert. Sie wissen um die Rationalität des kulturindustriellen Starsystems und einer - von vielen eifrigen Kulturmanagerkollegen mit befeuerten - ,Eventkultur'. Sie kennen sich mit der Rationalität kulturpolitischer Rhetorik und demokratischer Prozesse in kommunalen Governancestrukturen aus. Sie sind weder Komponisten noch Musiker,
ZWISCHEN MANAGEMENT UND GOV ERNANCE
beherrschen daher nicht die Kompositions- und Spielpraxis Neuer Musik, kennen aber die Rationalität musikästhetischer Innovation in der zeitgenössischen Neuen Musik weit genug, um ihr gesamtes Expertenwissen und Können dafür zu mobilisieren, ,diese' Rationalität innerhalb des aufgespannten polylogischen Feldes der genannten (und weiteren) sich kreuzenden Rationalitäten möglichst gut zur Geltung zu bringen falls Kulturmanager die Zuständigkeit für diese kulturmanageriale Aufgabe erhalten oder sich zu verschaffen wissen. Mit diesem Beispiel, notgedrungen krude, möchte ich meine Vermutung unterstützen, dass genuine Professionalisierung im Kulturmanagement tatsächlich an einem grundlegenden Handlungsproblem in Erscheinung tritt. Dieses Handlungsproblem lässt sich nun präziser bestimmen. Es besteht in den zu bewältigenden Krisen, in die die eigensinnigen Rationalitätsansprüche einer primären kulturellen Praxis geraten. Deren eigensinnige Rationalitätsansprüche geraten vor allem deshalb in Krisen, weil sie sich im Rahmen des realen Kulturbetriebs in der Regel nicht selbstbezogen und selbstgenügsam geltend machen können, sondern innerhalb eines polylogischen Feldes geltend gemacht werden müssen. Unter diesem Bezugsproblem kann die primäre Praxis sinnvollerweise zum Klienten von Kulturmanagement werden. Kulturmanager und Kulturmanagerinnen sind besser als andere, wenn sie zur stellvertretenden Krisenbewältigung mehr beitragen als andere. Die Professionalisierung von Kulturmanagement sollte diese Selektivität verstärken.
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Kulturmanagement eine ethischpolitische Herausforderung BEAT SITTER-LIVER
1.
Das Motiv
Daran besteht kaum Zweifel: Die vielfaltigen Herausforderungen, mit denen aktuelles Kulturmanagement sich konfrontiert sieht, dürften Angehörigen eines einschlägigen Fachverbandes geläufig sein. Offenlassen möchte ich hingegen, ob dies für alle Herausforderungen in gleicher Weise und Tiefe zutrifft. Weil ich vermute, dass der im Titel aufgegriffene Aspekt zu den etwas weniger beachteten gehört, möchte ich im Folgenden das Kulturmanagement in ethisch-normativer Perspektive betrachten. Mein Motiv ist einfach: Ich gehe davon aus, dass die Analyse und die Reflexion der Arbeit im Kulturmanagement in wichtiger Hinsicht unvollständig bleiben, wenn diese Perspektive nicht oft und eindringlich genug mit einbezogen wird.
2.
Zum Kulturbegriff
Auch dass der Kulturbegriff nicht überall in gleicher und eindeutiger Weise vertreten wird, ist geläufig. In engerer und weiterer Form tritt er auf. Vorweg gilt es darum zu klären, in welcher Gestalt er hier gebraucht wird. Zugrunde legen will ich den sogenannten weiten Kulturbegriff, wie er an der von der UNESCO 1982 einberufenen Weltkonferenz über Kulturpolitik in Mexiko-Stadt erarbeitet wurde.' Die Definitionen verschiedener Institutionen und Autoren stützen sich auf ihn -vielleicht in etwas abgewandelter Form, auch ergänzt oder mit unterschiedlich gewichteten einzelnen Teilen. Beispiele liefern der Europarat (1954), der Schweizerische Bundesrat," Günter Ropohl (1991: 204-208), Ingenieur und Philo-
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Für die deutsche Version der Erklärung von Mexico-City s. die Übersetzung durch die Deutsche UNESCO Kommission e. V.< http:/ jwww.unesco.de/ 2577.html> [Anfang Januar 2011]. Schon 2005, während der Arbeit am Entwurf einer eidgenössischen Kulturpolitik, jetzt in der Botschaft zur Förderung der Kultur in den Jahren 2012-2015 (Kulturbotschajt) vom 23. Februar 2011, 10, Abschnitt 1.1.1.1 Kulturbegriff (BUNDESRAT 2011).
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BEAT SITTER-LI VE R
soph, oder auch der Soziologe Hans-Joachim Klein (1986). 3 Die Formulierungen von UNESCO und Europarat sollen uns als Grundlage für die weiteren Überlegungen dienen: UNESCO: Die Kultur kann in ihrem weitesten Sinne als die Gesamtheit der einzigartigen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Aspekte angesehen werden, die ,eine Gesellschaft oder eine soziale Gruppe' kennzeichnen. Dies schliesst nicht nur Kunst und Literatur ein, sondern auch Lebensformen, die Grundrechte des Menschen, Wertsysteme, Traditionen und Glaubensrichtungen. (; Herv. Vf.)
Europarat: 4 Kultur ist alles, was dem ,Individuum' erlaubt, sich gegenüber der Welt, der Gesellschaft und auch gegenüber dem heimatlichen Erbgut zurechtzufinden, alles was dazu führt, dass der Mensch seine Lage besser begreift, um sie unter Umständen verändern zu können. (BEITRÄGE 1975: 14; Herv. Vf.)
3.
Humanität als Leitidee und konkrete Utopie
Der Kulturbegriff, wie wir ihn für unsere Zwecke eben festgelegt haben, lässt sich auf Werte hin analysieren und in der Folge auf normative Implikationen befragen. Er ist, um eine Formulierung des Deutschen Kulturrates aufzunehmen, "normativ nicht neutral, sondern hat klare humanistische Ziele." Die ihm entsprechende Kulturpolitik "ist daher eine streitbare Gesellschaftspolitik" (DEUTSCHER KULTURRAT 2001).5 Dieser Kulturbegriff ist mithin getragen von der Idee der Humanität: von 3
4
5
Nach Klein verstehe man unter Kultur heute "die raum-zeitlich eingrenzbare Gesamtheit gemeinsamer materieller und ideeller Hervorbringungen, internalisierter Werte und Sinndeutungen sowie institutionalisierter Lebensformen von Menschen" (zit. n. Ropohl1991: 204, Anm. 21). Die hier zitierte Formulierung gilt in der Abteilung Kulturpolitik des Europarates als "definition [ ...] tres belle", übereinstimmend mit der Auffassung des Europarates. Indessen gilt: "Le Conseil de I'Europe utilise Ia definition !arge de Ia culture, comme celle exprimee dans Ia Declaration de Mexico sur les politiques culturelles de Ia conference UNESCO de 1982 [...] En outre, il circule en Suisse une definition attribuee au Conseil de I'Europe qui n'a jamais pu etre verifiee et qui a ete publiee dans un rapport suisse de !'Office federal de Ia culture en 1975, ,Beiträge für eine Kulturpolitik in der Schweiz', alias ,Clottu-Bericht', mais sans fournir une reference bibliographique acette definition. Pour Je Conseil de l'Europe cette definition utilise en Suisse n'est donc pas officielle." Für die Vermittlung dieser Klarstellung danke ich Herrn Minister David Best, stv. Abteilungschef in der Politischen Abteilung I und Chef der Sektion Europarat und OSZE im Eidgenössischen Departementfiir Auswärtige Angelegenheiten (EDA). Vgl. den letzten Absatz unter II. Der "weite Kulturbegriff' als Orientierung für die Kulturpolitik.
KULTURMANAGE MENT - EINE ETHISCH- POLITI SCHE HERAUS FORDE RU NG
einem Ideal, das, auch wenn es sich nie ganz verwirklichen lässt, doch all unser Handeln, also auch im Kulturmanagement, auf ein höchstes Gut ausrichtet. Es entspricht der Idee der konkreten Utopie, wie Ernst Bloch sie entworfen hat. Deren jeweilige Ausformung ist in der erlebten, geschichtlichen Wirklichkeit bereits angelegt, als "reale Möglichkeit." (BLOCH 1972: 382f.) Die Geschichte des Prinzips der Humanität aufzurollen, ist hier nicht möglich. Doch einige zentrale Aspekte seien kurz genannt: Humanität zielt auf Selbstvervollkommnung des Individuums ebenso wie auf dessen Hingabe an den Anderen und an die Gemeinschaft. Fairness und soziales Engagement im politischen Umfeld zeichnen sie aus. Ohne die Sonderstellung des vernünftigen und moralfähigen Menschen im Kreis aller Lebewesen einzuschränken, rückt Humanität "die intervenierende Solidarität mit den Rechtlosen und Hilflosen" in den Vordergrund (TEUTSCH 1987: 92). Eine besonders einprägsame Formulierung für zentrale Aspekte der Humanität verdanken wir Albert Schweitzer: Gelten lassen wir nur, was sich mit der Humanität verträgt. Die Rücksicht auf das Leben und auf das Glück des einzelnen bringen wir wieder zu Ehren. Die heiligen Menschenrechte halten wir wieder hoch, nicht die, die die politischen Machthaber bei Banketten verherrlichen und in ihrem Handeln mit Füssen treten, sondern die wahren. Gerechtigkeit verlangen wir wieder, nicht die, welche in juristischer Scholastik verblödete Autoritäten elaboriert haben, auch nicht die, um welche sich die Demagogen aller Schattierungen heiser schreien, sondern die, die von dem Werte jedes Menschendaseins erfüllt ist. Das Fundament des Rechts ist die Humanität. (SCHWErTZER 1996: 352)
Diese Haltung macht der weite Kulturbegriff dem Kulturmanagement zur Pflicht. Heute ganz besonders, da es gilt, dem friedlichen Zusammenleben von Individuen und Gruppen unterschiedlicher kultureller Herkunft tragfähigen Boden zu bereiten.
4.
Vier Beispiele
Was ich Ihnen zunächst recht abstrakt vorgelegt habe, möchte ich anband von vier Beispielen veranschaulichen . Ich greife dabei auf Ereignisse zurück, die erkennen lassen, wie Kulturmanagement im Lichte von ethischen Pflichten, die im weiten Kulturbegriff und damit im Prinzip der Humanität angelegt sind, versagen kann.
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4.1 Verlag vs. Autor Mein erstes Beispiel führt uns ins Verlagswesen. Als Kulturmanagerin agiert die Verlagsleitung, Kulturschaffender ist der Autor. Beide Parteien sind weit herum bekannt und genießen bemerkenswerte Anerkennung. Der Verlag hat das bis ins Einzelne ausgefeilte und in elektronischer Form verfügbare Manuskript akzeptiert; er will es in Buchform auf den Markt bringen. Dem Autor liegt der Vertrag vor, von den Verantwortlichen des Verlags bereits unterzeichnet. Wer mit dieser Situation vertraut ist, weiß, dass ein Verlagsvertrag zumeist und zuerst die Interessen und die Absicherung des Verlags pflegt, nur zu einem geringen Teil den Schutz von Autoren. Er bzw. sie weiß überdies, dass Autoren, die nach der Publikation trachten, gut beraten sind, zahlreiche, vielleicht auch wenig erwünschte Bedingungen zu schlucken. Das impliziert, dem Verlag einen ganzen Katalog von Rechten abzutreten. Im hier angesprochenen Vertrag wird vom Autor etwa verlangt, dem Verlag die ausschließliche Option aufheute noch gar nicht bekannte Verwertungsmöglichkeiten einzuräumen. Und es wird ihm das Recht abverlangt, das Werk zu bearbeiten, ja gar umzugestalten. Man erinnere sich: Es handelt sich um einen Text, der im Herzen des Autors beheimatet ist. Dessen Persönlichkeit wird durch diese Bestimmung nicht nur missachtet, sondern tief verletzt. Das Prinzip der Humanität wird mit Füßen getreten. Unerheblich ist, ob der Autor auf einen anderen Verleger ausweichen kann oder nicht. Was zählt, ist das unmoralische Ansinnen der Verlagsmanager, der Autor habe, wolle er publizieren, seine Persönlichkeit schlicht zu verkaufen. Es ist aber auch rechtlich unhaltbar. So verletzt es bereits das Menschenrecht des Autors auf Schutz der materiellen Interessen, die sich aus der literarischen Produktion ergeben, deren Urheber er ist; und es ist unvereinbar mit dem international verbrieften Recht auf geistiges Eigentum. 6 Der Verlag, primär auf seinen Vorteil bedacht, hat als Kulturmanager versagt.
6
Vgl. Art. 2 7 , Abs. 2 der von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verabschiedeten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, sodann die Artikel zum Urheberrecht und zum geistigen Eigentum im Rechtswörterbuch (CREIFELDS/ MEYER-GOSSER 1988: 1183f., 448).
KULTURMANAGEMENT - EINE ETHISCH-POLITISCHE HERAUSFORDERUNG
4.2 Der unberechenbare und unzuverlässige Direktor Das zweite Beispiel betrifft einen Ablauf, der sich über etliche Jahre erstreckt. Am Anfang steht ein Brief an einen Künstler, vom Museumsdirektor und einem Kurator unterzeichnet, in dem das lebhafte Interesse an der Arbeit des Künstlers bezeugt wird. Für diesen zählt die in Aussicht gestellte Chance, im Museum auszustellen, viel. Sie ist ihm so wichtig, dass er andere Angebote für Galerieausstellungen ablehnt, damit wissentlich aufkünftige Zusammenarbeit verzichtet.- Kontakte seitens der Museumsdirektion lassen auf sich warten, der seinerzeit mit unterzeichnende Kurator verlässt das Haus. Bei Begegnungen von Direktor und Künstler spricht der erste, ermutigend, vom gemeinsamen offenen Projekt. Atelierbesuche werden wiederholt aufgeschoben, finden dann aber doch statt. Dann herrscht wieder Funkstille. Der Künstler beginnt, sich Sorgen zu machen und verlangt eine Aussprache. Überraschend will nun der Direktor das Projekt von der Zustimmung eines neu eingetretenen Kurators abhängig machen. Das führt, nach fast sieben Jahren hin und her, zu einer schriftlichen Absage, an erster Stelle vom neuen Kurator, an zweiter vom Direktor selbst unterzeichnet. Die offensichtliche Entscheidungsschwäche des Direktors interessiert uns hier nicht; sie ist nach anderen als ethischen Kriterien zu beurteilen. Wohl hingegen spielt der liederliche, ja respektlose Umgang mit dem Künstler eine Rolle, auch die Unempfindlichkeit für das, was für diesen existenziell auf dem Spiele stand. Von intervenierender Solidarität findet sich so wenig wie vom notwendigen Zusammengehen mit dem Künstler; eklatant dagegen ist die Vernachlässigung, die bis zur Verachtung reicht. Das direktoraleVerhalten ist frei von jedem Blick auf das Prinzip der Humanität. Kulturmanagement wird hier verantwortungslos.
4.3 Ausstellen von Sterben und Tod im Kunstraum Das dritte Beispiel spricht von eines Künstlers Umgang mit menschlichem Sterben und Tod; diese werden von ihm als Elemente künstlerischer Produktion in den Blick genommen. Er wird dabei, so werde ich zu zeigen suchen, zum Kulturmanager seiner selbst. Als solcher interessiert er in unserem Zusammenhang (WEST 2008). Der Kasus führt uns ins Jahr 2008 zurück. Heftig wurde hier ein Projekt des sich als Bildhauer bezeichnenden Gregor Schneider diskutiert, in dem dieser sich mit der Ästhetik des Todes befassen wollte. Der Tod war länger schon sein
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Thema gewesen, doch diesmal sollte die Grenze des ästhetischen Scheins überschritten, sollte das Sterben selber zum Gegenstand künstlerischer Produktion, der Tod zumindest indirekt zum Teil des Kunstwerks werden. Es ging darum, einen Menschen, freilich mit dessen Einwilligung, im musealen Raum - ein zentraler Punkt im Schaffen von Schneider sterben zu lassen oder ihn, der eben eines natürlichen Todes gestorben war, auszustellen. All dies im Rahmen einer wohl reflektierten künstlerischen Arbeit. "Ich möchte eine Person ausstellen, die eines natürlichen Todes stirbt, oder jemanden, der soeben gestorben ist. Dabei ist mein Ziel, die Schönheit des Todes zu zeigen." So ließ Schneider sich vernehmen.7 Er benannte auch gleich das Museum, das Haus Lange/Esters in Krefeld, in dem der Akt, seinem dringenden Wunsch gemäß, über die Bühne gehen sollte. Was so in den Medien angekündigt wurde, war freilich dem dortigen Museumsdirektor selber noch gar nicht bekannt. Doch Schneider nahm in Aussicht, sollte sich kein Museum finden, für das Projekt sein eigenes Haus, das tote haus u r in MönchengladbachRheydth einzusetzen. Auch dies vertraute er der Kunstpresse an (WEST 2008; LIEBS 2008). Sobald nun der Künstler sein Projekt, noch bevor es realisiert ist, veröffentlicht und auch öffentlich diskutiert, sobald er Ausstellungsmöglichkeiten erwägt, sie auch selber zur Verfügung stellen will, dabei explizit ein Publikum in seine Überlegungen einbezieht, wird er zum Kulturmanager, zwar seiner selbst, dochgenauso wie jeder Museumsdirektor, der sich mit seinem Projekt des Todes bzw. des Sterbens befassen wiirde. Weil Schneider (oder ein anderer) Unerhörtes in die Öffentlichkeit trägt, dabei offensichtlich ein Tabu bricht, auch wenn das, wie er unterstreicht, nicht eigentlich intendiert ist, hat er auf moralische und ethische Fragen zu antworten, und zwar auf sämtliche sinnvollen Fragen. Argumente, die bloß auf die gängige gesellschaftliche Lust am Skandalösen, auf die PR-Strategien des betroffenen Museums oder auf mit einem konkreten Projekt verbundene Gewinnchancen verweisen, blieben hinter dem, was von einem soliden Kulturmanagement erwartet werden darf, weit zurück. Das gilt auch für die heute fast allgegenwärtige und darum billig gewordene Anpreisung der Radikalität eines künstlerischen Werkes. Und es gilt für die wenig reflektierte oder gar überhebliche, wiewohl rechtlich nicht haltbare Behauptung, Kunst- gemeint sind Künstlerin und Künstler - dürfe alles.
7
Vgl. hier, neben dem Interview von K. WEST (2008) mit dem Künstler, auch LIEBS (2008).
KULTURMANAGEMENT - EINE ETHISCH-POLITISCHE HERAUSFORDERUNG
Zu den Fragen, welche vom Kunstmanagement in diesem Fall zu beantworten sind, zählen etwa die folgenden: Verletzt der Künstler die Würde des Menschen, mit dem er sein Werk schafft? Dies selbst dann noch, wenn aus bloß juristischer Sicht der Tatbestand der Würdeverletzung sich verneinen ließe? Instrumentalisiert er diesen Menschen in unzulässigem Maße, selbst wenn dessen Einwilligung, ja sein expliziter Wunsch vorliegen? Verfuhrt er die Betrachter oder Zuschauer zum Voyeurismus, verbunden mit der Entwürdigung eines Mitmenschen? Zerstört er ein für das gute gesellschaftliche Zusammenleben unaufhebbares Tabu? Wird hier- Stimmen in dieser Richtung wurden laut- durch die Verfugbarkeit und zugleich Trivialisierung des Sterbens, des Todes, gar die willentliche Beseitigung eines Menschen zur Selbstverständlichkeit (das aus der Ethik bekannte Slippery-slope-Argument)? Darf also aus sozialethischer und rechtlich-politischer Sicht der Künstler überhaupt, was er mit dem Sterben als Kunstwerk in einem ,Sterberaum' unternehmen will? Lässt sich das Projekt mit dem Prinzip der Humanität in Einklang bringen? Darf der Kulturmanager Hand zum Projekt bieten, bevor diese Fragen überzeugend beantwortet sind?- Wenn heute, wie etwa Holger Liebs zu bedenken gibt, der Tabubruch "zum künstlerischen Stilmittel" geworden ist, gibt es dann noch allgemeingültige und also zu beachtende Grenzen für die ethische und politische Vertretbarkeit solcher Brüche? Kulturmanagement, das sich in der Gesellschaft und für diese verantwortlich weiß und das zu sein auch beansprucht, wird sich solchen Fragen nicht entziehen dürfen, gerade wenn überzeugende Antworten nicht auf der Hand liegen.
4.4 Plurikulturalität als Aufgabe und Chance Mein letzter, kurzer Passus in diesem Abschnitt ist weniger ein Beispiel als eine Erinnerung, die jedoch nicht fehlen sollte. Sie spricht an, was uns geläufig ist: Migration, welche das Heranwachsen einer plurikulturalen Gemeinschaft nach sich zieht. An diesem Aufbau entschieden mitzuwirken, ist Herausforderung sowohl für als auch durch aktuelles Kulturmanagement, sobald es als moralische Pflicht begriffen ist. Ruht sie dann auf einem ethischen Fundament, zeitigt sie politische Konsequenzen und verlangt ein entsprechendes Engagement. Es sind, woran der Deutsche Kulturrat in seinem Positionspapier vom Januar 2001 erinnert, drei Verantwortungsfelder, die in erster Linie zu bearbeiten sind: Verantwortung für Bildung, für Kulturschutz und für Frieden.
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Menschenwürde, ein Kernkonzept der Humanität, begründet das Recht der Migranten, ihre eigene kulturell geprägte Identität zu stärken und zu pflegen; auf Seiten der Empfangenden konstituiert das Konzept die Verpflichtung, eben dies zu ermöglichen und zu fördern. Doch wenn das Humanitätsprinzip einerseits eine derartige Unterstützung fordert, setzt es andererseits auch klare Grenzen: Lebens- und Kulturformen, die ihm zuwider laufen, kennzeichnet es als nicht annehmbar, und es legitimiert entsprechende - freilich immer nur verhältnismäßige - Abwehr. Die Erfahrung, wonach die Koexistenz unterschiedlicher, vielleicht nicht schon vorweg verträglicher, indessen humaner Kulturformen die Chance wechselseitiger Bereicherung eröffnet, wird dadurch nicht bedeutungslos. In diesem komplexen ethisch-politischen Spannungsfeld sich zu bewähren, ist zeitgemäßem Kulturmanagement aufgegeben.
5.
Zusammenfassung und Weiterführung - vier Thesen
Meine Ausführungen möchte ich in vier Thesen zusammenfassen. Darüber hinaus soll angedeutet werden, in welcher Richtung sie weiterentwickelt werden könnten. These 1. Kulturmanagement genügt sich selber nicht. Es ist eine unter unseren Tätigkeiten, die alle auf ihre Ziele befragt werden können. Jedes Ziellässt sich darauf prüfen, ob es ein Gutes verwirklicht und welches dieses Gute ist, dies anhand von externen Kriterien. Diese Befragung kann sich nicht auf im Ziel schon angelegte Kriterien stützen; sie bedarf übergeordneter Werte. Dass in der Praxis ein regressus ad infinitum nicht brauchbar ist, liegt auf der Hand. Nicht weniger, um mit Albert Schweitzer zu reden, dass zuletzt ein existenzieller Entschluss ins Handeln mündet. Das kann hier freilich nicht weiter erörtert werden (SCHWEITZER 1996: 339f.). Jedes besondere Gut kann weiterhin darauf untersucht werden, in welchem Verhältnis es zum (jeweils) höchsten Gut, in säkularer Perspektive die Menschenwürde, stehe. Kulturmanagement ist demgemäß eine intrinsisch moralische Tätigkeit, offen für ethische Reflexion. These 2. Aktuell muss sich Kulturmanagement unter anderem als Schritt im Prozess interkultureller Verständigung begreifen. Interkulturelle Verständigung setzt als Grundlage interkulturelle Philosophie voraus
KULTURMANAGEMENT - EINE ETHISCH-POLITISCHE HERAUSFORDERUNG
(darin auch die entsprechende Hermeneutik als Lehre vom Verstehen). Das höchste Zieljedes interkulturellen Engagements ist "eine gewaltfreie interkulturelle Verständigung". Es ist das Ziel, eine Kultur zu etablieren, die die ganze Menschheit umfasst, Frieden erhält und den Menschenrechten genügt, ohne die berechtigten Ansprüche einzelner Kulturen auf Erhalt ihrer Besonderheit zu vernachlässigen. (PAUL 2008: 7)
These 3. Kulturmanagerin und-managersind nicht bloße Organisatoren von Events. Sie ermöglichen und schaffen Kultur in einer zunehmend plurikulturalen Gesellschaft. In unserer Zeit haben sie sich mit den kulturellen und besonders mit den politisch-moralischen Konsequenzen von Migration zu befassen - in praktischer Absicht. Insofern Kultur individuelle und soziale Identitäten schafft, trägt alles Management, das Kultur vermittelt und zur Ausprägung bringt, politische Verantwortung -heute besonders Verantwortung für die Entfaltung von Gemeinschaften mit unterschiedlicher individueller und sozialer Herkunft. Dies gilt, im Prinzip, für alle in einer Gesellschaft zusammengefassten Kulturgemeinschaften und ihre individuellen Angehörigen. Die politische Verantwortung schließt ein, mit dem Blick auf Toleranz und Friedensstiftung auf den Abbau von Exklusion hinzuwirken. Kulturmanagement ist dann gut, wenn es stets auch individual- und sozialethische sowie politische Verpflichtungen erfasst und ihnen nachlebt. These 4. Der vierten These will ich eine Überlegung vorausschicken, die sich mir, einmal mehr, bei der Lektüre des Positionspapiers des Deutschen Kulturrates aufdrängte. Im Abschnitt über zukünftige Orientierungen figurieren vorab Gedanken zum Menschen, der an die erste Stelle zu setzen ist. Verortet werden diese Überlegungen im UNO-Kontext; sie sollen den Rahmen abgeben dafür, "einen verstärkten Diskurs über unser Verständnis vom Menschsein zu führen." Auch wenn die Interpretation dieses Diskursziels nicht von vornherein feststeht, wird man nicht verkennen, dass die Sätze hier aus einer anthropozentrischen Grundhaltung entspringen. Denn es geht etwa "um Fragen der individuellen Bildung" und "um Fragen, wie tief der Mensch in seinen GenPool eingreifen kann".8 Was bestimmt fehlt, ist die Sicht auf den umgreifenden Kosmos, in welchem der Mensch als dessen Teil erst werden kann, was er ist. Kulturmanagement, für welches Kultur "wesentlich die 8
DEUTSCHER KULTURRAT (2001: Anm. 8): IV. Künftige Orientierungen und darin den Abschnitt "1. Der Mensch im Mittelpunkt".
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Selbstgestaltung des Menschen ist",9 verlehlt die Wirklichkeit, wenn es übersieht oder nicht beachtet, dass diese Gestaltung immer nur in einem übergeordneten Umfeld auch natürlicher Provenienz möglich wird. -Auf diesem hier bloß grob skizzierten und im Diskurs erst noch kritisch zu prüfenden Hintergrund formuliere ich die vierte These: Kulturmanagement als eine der Entfaltung und Entwicklung von Menschen gewidmete Tätigkeit kann seiner Aufgabe nur gerecht werden, wenn es auf dem Boden einer kritischen Anthropologie agiert. Diese geht davon aus, dass eine Philosophie der Natur Vorbedingung für eine adäquate Philosophie des Menschen ist (MALL 2000: 1-6). Das kosmische "Eingebettetsein" des Menschen in die "große Natur" ist Ausgangspunkt sinnvoller Tätigkeit auch des reflektierten Kulturmanagements. Dieses wird beachten, dass die willkürlichen Einschränkungen des Erfahrungshorizonts auf eine bestimmte Tradition [ ... ] nur zu Pseudoanthropologien und -geschichtsphilosophien [führen können]. Den unüberschreitbaren Rahmen für alle unsere Entwürfe finden wir in der Empirie des Entstehens und Vergehens in der Natur. (MALL 2000: 2f.)
Damit ist auch die historische Bedingtheit des menschlichen Denkens und Handeins bereits gesetzt.
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Rechtspolitischer Sinn oder Unsinn von Kulturförderungsgesetzen TASOS ZEMBYLAS
1.
Einleitung
Politik hat eine Ordnungsfunktion, die sie durch Rechtssetzung erfüllt. Politik hat auch eine Gestaltungsfunktion, die sich in der Konkretisierung des politischen Willens durch Handlungsentscheidungen manifestiert. Ordnungs- und Gestaltungsfunktion überschneiden sich. Der Rechtsetzung geht meist eine rechtspolitische Entscheidung voraus, die das staatliche Handeln reflektiert und lenkt. Politische Entscheidungen orientieren sich wiederum nicht nur am Recht, sondern realisieren dieses durch die Praxis, die sie durchsetzen. Im Kultursektor spielt der Staat eine doppelte Rolle: Erstens greift er als Träger von Kultureinrichtungen direkt in das kulturelle Geschehen ein. Zweitens beeinflusst er als großer Fördergeber indirekt zivilgesellschaftliche kulturelle Initiativen. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich in erster Linie auf öffentliche Förderung. Die Hauptfrage, die zur Diskussion steht, betrifft die rechtliche Ausgestaltung der Kulturförderung, nämlich ob die Einführung von Kulturförderungsgesetzen eine unsinnige Verrechtlichung darstellt oder ob Förderungsgesetze rechtspolitische und gestalterische Optionen eröffnen, die sonst nicht möglich wären. Sind Kulturförderungsgesetze Ausdruck einer bürokratischen Regulierungswut oder eher eines legitimen Gestaltungswillens?' Der inhaltlichen Auseinandersetzung soll eine Begriffsklärung vorangehen. In der rechts- und politikwissenschaftlichen Literatur wird gelegentlich ein semantischer Unterschied zwischen Förderung und Subvention gemacht. In diesem Beitrag werden beide Begriffe synonym verwendet. Förderung ist eine direkte vermögenswerte Zuwendung aus öffentlichen Mitteln (Geld- oder Sachleistungen), die ein Verwaltungsträger oder eine andere betraute Organisation für eine im öffentlichen Interesse liegende förderungswürdige Leistung natürlichen oder juris-
Michael Wimmer und Albrecht Göschel haben mit mir die Hauptargumente dieses Beitrags ausführlich diskutiert. Rolf Keller gab mir ein umfassendes Feedback auf die Endversion und trug zur Feinkorrektur verschiedener Teile wesentlich bei. Herzlichen Dank dafür.
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tischen Personen außerhalb des gewährenden öffentlichen Haushaltes ohne angemessene geldwerte Gegenleistung zukommen lässt. Eine solche Förderung, die meist in der Form von Jahres- bzw. Programm- oder als Projektförderung vergeben wird, muss wirklichen Privaten zugute kommen, denn sonst handelt es sich um Selbstfinanzierung bzw. Unterhalt öffentlicher Betriebe. Die Bezeichnung ,wirkliche Private' dient der Ausgrenzung öffentlicher Betriebe - egal ob diese Teil der Ministerialverwaltung oder formalrechtlich ausgegliedert sind. Typischerweise sind daher die Antragssteiler gemeinnützige Kulturorganisationen sowie individuelle Künstler. Meist werden Förderungen im Kulturbereich als Teil- oder Fehlbedarfsfinanzierung konzipiert, in seltenen Fällen als Festbetrags- oder auch als Vollfinanzierung vergeben. Nun, wo liegen die Probleme bei der Regulierung der öffentlichen Kulturförderung? Es existiert ein breiter Konsens, dass in jeder Demokratie staatliches Handeln stets einer Rechtsgrundlage bedarf, die es legitimiert - das ergibt sich aus dem Rechtsstaatlichkeitsprinzip. Im Bereich der Kulturförderung allerdings agiert der Staat in der Regel als Träger von Privatrechten; man spricht hier von der nicht-hoheitlichen Verwaltung oder Privatwirtschaftsverwaltung. Eine Regelung der Kulturförderung auf gesetzlicher Ebene stellt in diesem Fall keine rechtliche Notwendigkeit dar. Eine Kulturbehörde kann folglich nur mittels Erlassen bzw. Richtlinien ihr Handeln legitimieren. Interessanterweise finden wir in Österreich und der Schweiz sowohl auf Bundes- als auch auf Landes- bzw. Kantonsebene eine hohe Gesetzesdichte, während in Deutschland Kulturförderung entweder durch rechtsförmliche Satzungen, die durch Gemeinderäte oder Kreistage beschlossen werden, oder mittels Richtlinien, die durch die Kulturbehörden erlassen werden, geregelt ist. Formal orientieren sich solche Satzungen und Erlasse am Zuwendungsrecht bzw. an allgemeinen Förderungsrichtlinien (SCHEYIT 2005: 232). Diese Differenz ließe sich durch die Rechtstradition jedes Staates sowie durch der Gesetzesausarbeitung vorgelagerte rechtspolitische Überlegungen teilweise erklären, aber darauf werde ich hier nicht eingehen, weil ich die Thematik gegenwartsbezogen untersuchen möchte. 2
2
In Österreich wird diskutiert, ob Bundes- und Landesmuseen, die über Sondergesetze eine fixe Jahresfinanzierung erhalten, auch Förderungsanträge für einmalige Projekte einreichen dürfen. Die betroffenen Organisationen argumentieren, dass ihr privatrecht!icher Status, der durch die Ausgliederung entstand, dies erlaubt. Andere hingegen meinen, dass es politisch unredlich sei, wenn Organisationen der öffentlichen Hand auch zusätzlich Fördertöpfe ,anzapfen', die der Gesetzgeber eigentlich für Privatrechtssubjekte außerhalb des gewährenden öffentlichen Haushalts vorgesehen hat.
RECHTSPOLITISCHER SINN ODER UNSINN VON KULTURFÖRDERUNGSGESETZEN
Da die Verabschiedung von einschlägigen Kulturförderungsgesetzen nicht notwendig ist, um öffentliche Kulturförderung zu regulieren, stellen solche Gesetze, wo immer es sie gibt, eine dezidierte rechtspolitische Wertentscheidung dar: Indem der Gesetzgeber den zuständigen Behörden den Gesetzesauftrag erteilt, bestimmte kulturelle Aktivitäten der Zivilgesellschaft zu fördern, erkennt er den Wert der Kultur an und subsumiert kulturelle Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Akteuren unter das öffentliche Interesse. 3 Diese zumindest deklarative Stärkung der Kultur innerhalb des komplexen Geflechts unterschiedlicher Politikfelder ist nicht verwunderlich. Kultur verweist zweifelsohne auf eine anthropologische und eine soziale Konstante: Wir können keine stabile menschliche Gemeinschaft ohne Kultur finden. Dort, wo sich eine politische Gemeinschaft formt, gibt es immer auch eine Kultur, und umgekehrt, die Fundamente jeder Kulturproduktion liegen in einer Gemeinschaft. Personen, die sich gegen die Einführung von Kulturförderungsgesetzen wenden, erheben häufig den Vorwurf der Verrechtlichung. Dieser Begriff meint zum einen jene Gesetzesflut, die den politischen Gestaltungsspielraum unnötig einengt, und zum anderen die Tendenz, politische Probleme auf eine rechtliche Ebene zu verlagern. Darüber hinaus kann hinter dem Vorwurf der Verrechtlichung eine Kritik am naiven Vertrauen zu Institutionen des Rechts gemeint sein (SULKUNEN 2010). Institutionelle Maßnahmen auf rechtlicher Ebene wie z. B. die Einführung von Kulturförderungsgesetzen, Fachbeiräten, Evaluierungen, standardisierten Berichtslegungen u. a. könnten eine Illusion von Ordnung schaffen, die unsere Aufmerksamkeit von konkreten kulturpolitischen Problemen ablenke. Ohne solche kritische Einwände zu relativieren, möchte ich darauf hinweisen, dass Kulturförderungsgesetze nur im allgemeinen Sinn das Was, also die Art von Vorhaben, die grundsätzlich als förderungswürdig betrachtet werden, bestimmen. Wer also die Gefahr einer Verrechtlichung sieht, braucht Argumente, die begründen, warum eine Schwächung der rechtlichen Vorgaben oder gar eine Deregulierung der Praxis der Förderungsverwaltung besser wäre - ,besser' in dem Sinne, dass sie den Interessen der Rechtsadressaten dient. Berechtigt ist zweifelsohne auch folgender Einwand, der eine pragmatische Ausrichtung hat: Wenn Gesetze die Praxis der Kulturförderungsverwaltung nicht verändern, dann sind sie entbehrlich. Also, wie müsste ein Kulturförderungsgesetz ausgestaltet sein, damit es mehr leistet als eine einschlägige 3
Siehe z. B. DEUTSCHER BUNDESTAG (2007: 66) sowie aus der Schweiz BUNDESAMT FÜR KULTUR (2005: 38f.). Natürlich sind Begriffe wie ,Gemeinwohl' oder ,öffentliches Interesse' wegen ihres abstrakten Gehaltes semantisch offen.
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Richtlinie? Und weiter, wie kann es konkret die Effektivität der öffentlichen Kulturförderung verbessern? In diesem Beitrag werde ich die argumentativen Leitlinien für die Beantwortung beider Fragen skizzieren. Der Vergleich zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz, der zunächst folgt, soll die Breite von alternativen Gestaltungsformen aufzeigen.
2.
Vergleichende Analyse der rechtlichen Ausgestaltung der Kulturförderung
Deutschland, Österreich und die Schweiz weisen eine föderale Struktur auf. Allgemeines Kennzeichen des Föderalismus ist die Dezentralisierung der Kulturförderung, wobei die Ausgestaltung der Beziehung zwischen Kommunen (Gemeinden und Städten), Ländern bzw. Kantonen und Bund bei diesen drei Staaten variiert, sodass ich generell eine aufsteigende Intensität des Föderalismus erkenne: angefangen bei Österreich mit 9 Bundesländern, gefolgt von Deutschland mit 16 Bundesländern, die vergleichsweise mehr Kompetenzen als in Österreich innehaben, und schließlich die Schweiz, deren 26 Kantone in vielen Bereichen eine weitgehende Autonomie genießen. Diese strukturellen Unterschiede spiegeln sich nur teilweise in der Verteilung der Kulturausgaben wider. Der österreichische Bund weist einen Anteil an den gesamten Kulturausgaben von ca. 35% auf (ZEMBYLAS 2011: 156), der deutsche Bund weniger als 15 % (SÖNDERMANN 2007= 3) und der Schweizer Bund ca. 15 % (KELLER 2011: 130).4 Gleichzeitig ist der Kommunalisierungsgrad, der als Indikator für die Dezentralisierung gelten kann, umgekehrt stark: Die Kommunen in der Schweiz weisen einen Anteil an den gesamten öffentlichen Kulturausgaben von 46 % auf. Die deutschen Kommunen tragen etwa 44 % zu den Kulturausgaben bei; rechnet man dazu auch jene drei Bundesländer, die Städte sind, Berlin, Harnburg und Bremen, so steigt der Anteil auf fast 53 %. In Österreich hingegen decken die Kommunen lediglich 30 % der Gesamtausgaben für Kultur ab bzw. mit Wien, das gleichzeitig Hauptstadt und Bundesland ist, steigt der Anteil auf 39 %. Die kulturstatistischen Datensätze der drei Länder werden allerdings nicht nach den gleichen Kriterien erhoben. Dazu kommt, dass die Kompetenzverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden verschieden ist. Somit ist der Vergleich nicht ganz akkurat. 4
Ähnliche Prozentanteile gibt auch die Hornepage des Compendium - Cultural Palieies and Trends in Europe an.
RECHTSPOLITISCHER SINN ODER UNSINN VON KULTURFÖRDERUNGSGESETZEN
Diese Unterschiede lassen sich gewiss durch die Entstehungsgeschichte des Föderalismus in jedem Staat plausibel erklären. Am stärksten ist der Föderalismus in der schweizerischen Eidgenossenschaft ausgeprägt, deren Ursprung auf das späte 13. Jahrhundert zurückgeht. Im hier gegebenen Zusammenhang wichtig ist das Jahr 1848, als mit der Gründung des Bundesstaates die in den Grundsätzen noch heute geltende Kompetenzregelung zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden festgelegt wurde. In Deutschland erfolgte der Einigungsprozess der verschiedenen Königreiche und Fürstentümer im Jahr 1871 und wurde durch die Aufhebung des Kaiserreichsam Ende des Ersten Weltkriegs besiegelt. Die föderale Verfassung Österreichs entstand 1918 nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie, die das Reich zentralistisch, dann dualistisch regiert hatte. Eine kurze Darstellung der einzelnen Länder soll nun die Unterschiede in der rechtlichen Ausgestaltung der Kulturförderung verdeutlichen.
2.1 Schweiz Die Schweiz hat aufgrund ihrer Geschichte keine höfischen Kultureinrichtungen, die der Staat irgendwann übernehmen musste. Kultur war also stets durch das bürgerliche Engagement getragen. Ab dem 19. Jahrhundert begannen die städtischen Gemeinden und Kantone, kulturelle Aktivitäten zu fördern. Abgesehen von der Stiftung Pro Helvetia, die 1939 mit dem Auftrag gegründet wurde, die kulturelle Identität der Schweiz sowie die Präsentation schweizerischer Kultur im In- und Ausland zu fördern, war es lange Zeit undenkbar, dass der eidgenössische Bund stärker in diesem Politikfeld tätig würde. Erst 1982 ging von einer Initiativgruppe die Forderung aus, Kultur auch als Bundesaufgabe in der Bundesverfassung festzuschreiben und 1 % des jährlichen Bundesbudgets für Kulturausgaben zu binden. 1986 und nochmals in modifizierter Form 1994 kam es zu einer nationalen Volksbefragung- beide Vorstöße blieben allerdings ohne Erfolg. Schließlich gelang es 1999, die Kultur auch in der Bundesverfassung zu verankern (Art. 69 BV). Kulturförderung wird gegenwärtig auf Bundesebene vom Bundesamt für Kultur sowie der Stiftung Pro Helvetia durchgeführt. 2009 erfolgte mit der Verabschiedung eines eigenen Kulturförderungsgesetzes für den Bund, das 2012 in Kraft treten wird, der nächste signifikante Schritt. Die Förderungsschwerpunkte, die das neue Gesetz vorsieht, werden vom Parlament für eine jeweils vierjährige Periode beschlossen - aktuell wurden
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die Stärkung der Förderung der musikalischen Bildung von Kindern und Jugendlichen sowie die Schaffung eidgenössischer Preise für einzelne Kunstsparten vorgeschlagen. Wie bereits erwähnt, findet die Kulturförderung nach wie vor vorwiegend aufkantonaler und kommunaler Ebene statt. Auch hier ist die gesetzliche Regelung der Kulturförderung ausgeprägt. Die ersten kantonalen Kulturförderungsgesetze entstanden in den 1960er Jahren; gegenwärtig haben 21 von den insgesamt 26 Kantonen ein eigenes Kulturförderungsgesetz. 5
2.2 Deutschland In der Landesverfassung einiger deutscher Bundesländer findet sich die Charakterisierung "Kulturstaat" im Sinne einer Staatszielbestimmung. Das deutsche Grundgesetz hingegen vermeidet diesen Begriff - lediglich im Einigungsvertrag zwischen BRD und DDR vom 31. August 1990 taucht der Terminus ,Kulturstaat' in Art. 35(1)" auf - jedoch ohne eine starke normative Bedeutung. Die verfassungsrechtliche Verankerung der Förderung des kulturellen Lebens bezieht sich naturgemäß auf das Ob, aber nicht auf das Wie des staatlichen Engagements. Während die meisten Bundesländer unterschiedliche kultureinschlägige Gesetze haben (z. B. Musikschul-, Denkmalschutzgesetze, selten Museums-, Theater- oder Bibliotheksgesetze), gibt es nirgendwo ein genuines Kulturförderungsgesetz. Das heißt, die öffentliche Kulturförderung wird ohne starke rechtliche Verankerung administriert - es werden lediglich Förderrichtlinien, Förderkriterien und Fördervoraussetzungen erlassen und veröffentlicht. Diese rechtsnormative Zurückhaltung kann vielleicht als Reaktion auf die nationalsozialistische Diktatur gedeutet werden. Der Staat betont damit seine Neutralität und überlässt das Normative der Zivilgesellschaft In diesem Sinne sieht er sich tendenziell eher als Ermöglicher denn als Gestalter des Kulturlebens. Ein Unikum stellt das Sächsische Kulturraumgesetz (1994) dar, welches die Kulturpflege ähnlich wie in der Landesverfassung als kommunale Pflichtaufgabe definiert (§2 Abs.1 SächsKRG). Dieses Gesetz glie5
6
Sämtliche Informationen zur schweizerischen Kulturpolitik wurden entnommen aus KELLER (2011); SINGER (2005); BUNDESAMT FÜR KULTUR (2005: 5, 8); BUNDESRAT (2011), zum Compendium-Bericht Schweiz siehe [18.11.2010]. .,Stellung und Ansehen eines vereinten Deutschlands in der Welt hängen außer von seinem politischen Gewicht und seiner wirtschaftlichen Leistungskraft ebenso von seiner Bedeutung als Kulturstaat ab."
RECHTSPOLITISCHER SINN ODER UNSINN VON KULTURFÖRDERUNGSGESETZEN
dert Sachsen in 8 ländliche und 3 städtische Kulturräume mit dem Ziel, das Angebot und die kulturelle Infrastruktur zu koordinieren bzw. zu bündeln, und schreibt eine Aufteilung der Finanzierungslasten für große Kultureinrichtungen zwischen den Umlandgemeinden vor. Dieser Eingriff in das Selbstgestaltungsrecht der Kommunen fand Befürworter wie auch Kritiker. Während die einen auf die höhere Planungseffizienz hinweisen, meinen andere, dass eine Zentralisierung der Kulturförderung in den Kulturräumen eine Entmachtung der Kommunen bedeute. Diese Kritik wird allerdings durch die Tatsache konterkariert, dass alle betroffenen Kommunen Vertreter in das Entscheidungsgremium ("Kulturkonvent") ihres zugewiesenen Kulturraums schicken. Vergleichbar ist auch das Hessische Ballungsraumgesetz, das 2001 in Kraft trat und die kommunale Zusammenarbeit nicht nur im Bereich der Kultur forciert.?
2.3 Österreich Seit der Gründung der Ersten Republik 1918 bis Anfang der 1970er Jahre dienten die Kulturausgaben vorwiegend zur Finanzierung öffentlicher Kultureinrichtungen mit einer bestimmten Erwartungshaltung: Kunst und Kultur, die öffentliche Mittel bekommt, sollte Staatsinteressen dienen. Mit ,Staatsinteressen' ist das hegemoniale Bestreben des Staates gemeint, seine Existenzberechtigung durch Selbstrepräsentation zu stabilisieren. Die Wende kam in den 1970er Jahren, als die damalige Sozialistische Partei Österreichs (SPÖ) der Kulturförderung eine sozialpolitische Bedeutung zuerkannte. Um ihre Profilierung als liberale volksnahe Regierung zu stärken, kündigte die SPÖ eine Stärkung der Transparenz und Fachlichkeit von Entscheidungen an. Seit 1971 veröffentlicht der Bund jährlich einen Kunstbericht; seit 1973 gibt es Fachbeiräte, die Empfehlungen aussprechen. Das erste Kulturförderungsgesetz auf Landesebene wurde 1974 in Vorarlberg eingeführt. Bis Anfang der 1990er Jahre haben sukzessiv der Bund sowie alle Bundesländer mit Ausnahme Wiens Kulturförderungsgesetze eingeführt. Seit 2005 gibt es sogar eine zweite Generation von Kulturförderungsgesetzen. Kulturförderung als Staatspflicht wird in Österreich nicht explizit in der Verfassung erwähnt, aber die Kulturförderungsgesetze schreiben den 7
Sämtliche Informationen zur deutschen Kulturpolitik wurden entnommen aus KLEIN (2005: 76ff.; 2011); SCHEYIT (2005: 36f., 226-269; 2010: 123f.); DEUTSCHER BUNDESTAG (2007: 66f.). Für die Ursprünge der Kulturpolitik von der Neuzeit bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts siehe WAGNER (2ooga: 350-367: 2oogb).
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jeweiligen Bundes- oder Landesregierungen de facto und de jure einen Gesetzesauftrag vor. Damit signalisiert der Gesetzgeber seinen Willen nach Kontinuität des öffentlichen Engagements. Diese Gesetze definieren allerdings nicht die Höhe der Förderungsmittel, denn dies unterliegt der fiskalpolitischen Kontingenz. In Österreich, anders als in Deutschland und in der Schweiz, gibt es keine nennenswerten gemeinnützigen Kulturstiftungen, die Förderprogramme haben. Dadurch hat der Staat eine Monopolstellung bzw. es existiert eine hohe Abhängigkeit der Förderwerber von der öffentlichen Hand. Diese problematische Situation spitzt sich vor allem dann zu, wenn die Kulturförderung durch einseitige parteipolitische Interessen massiv gelenkt wird - für eine pluralistische Demokratie ein inakzeptabler Zustand. Das Bundesland Kärnten galt in der Zeit der ,Regentschaft' des Landeshauptmanns Jörg Haider (1998-2008) dafür als negatives Beispiel.8 In diesem Sinne spielt die Diversifikation der Finanzierungsmöglichkeiten, das heißt die Komplementarität von staatlichen und privaten Fördertöpfen und im Weiteren das Zusammenwirken der drei zentralen kulturpolitischen Akteure Staat, Markt und Zivilgesellschaft, eine entscheidende Rolle für die Formation des Kultursektors.9
2.4 Zwischenbilanz: Gegenstand und Möglichkeiten von Regelungen In allen drei Staaten finden wir explizite Regelungen zu folgenden Themen: Bestimmung der Förderungsbereiche und der Förderungsarten (z. B. Jahres-, Projektförderung, Stipendien u. a.), 2. Festlegung der Fördervoraussetzungen und Förderkriterien, 3. Bestimmungen zum formalen Verfahren, das manchmal auch den Einsatz von Fachbeiräten vorsieht, 1.
8
9
Allein in den ersten vier Jahren zwischen 1998 und 2002 wurden bestimmte Bereiche signifikant beschnitten - z. B. Kulturinitiativen um minus 19 %, Literatur minus 38 % und Film und Video minus 49 %. Dagegen wuchsen die Zuwendungen für Brauchtumsund Heimatpflege um 315% und für Musik um 221% an. Von dieser Umverteilung profitierten einzelne Eventveranstalter und vor allem einige als rechtsextrem qualifizierte Verbände wie z. B. der Kärntner Heimatdienst, der Kärntner Abwehrkämpferbund, der Kameradschaftsbund und der Vereinfür die Heimkehrergedenkstätte Ulrichsberg, die mit großzügigen Jahressubventionen bedacht wurden (ZEMBYLAS 2005: 33). Sämtliche Informationen zur Österreichischen Kulturpolitik wurden entnommen aus ZEMBYLAS (2011); KNAPP (2005: 43ff., 121ff.); HOFSTETIER (2004: 41ff., wgff.).
RECHTSPOLITISCHER SINN ODER UNSINN VON KULTURFÖRDERUNGSGESETZEN
4. Festlegung der Bedingungen und Verpflichtungen für den Erhalt einer Förderung. Dort, wo die Regelungen nicht bloß mittels Erlassen, sondern auf Gesetzesebene formuliert sind, finden wir meist zusätzliche Inhalte wie 5. Nennung der Aufgaben und Ziele der Kulturförderung, 6. Festschreibung einer jährlichen Berichtslegung. 10
Dass diese beiden Themen bei Erlassen über Richtlinien meist fehlen, ist nicht überraschend. Dies hängt wohl vom engeren Blickwinkel und von der schlankeren Form solcher Dokumente ab sowie von der Rechtskompetenz derjenigen Instanz, die eine Regelung erlässt. Abgesehen von diesem deskriptiven Vergleich zwischen Gesetzen einerseits und Erlassen andererseits, möchte ich auch auf einen weiteren subtilen Unterschied eingehen, der sich beim Vergleich der verschiedenen Kulturförderungsgesetze, die es in Österreich und der Schweiz gibt, erkennen lässt. Es fällt auf, dass Art und Umfang der vom Gesetzgeber der Kulturverwaltung auferlegten Selbstbindungsregelungen variieren. In manchen Fällen scheint es, als ob der Gesetzgeber der zuständigen Behörde einen maximalen Spielraum für die Abwicklung von Förderauträgen einräumt. Das ist z. B. im Kunstförderungsgesetz des Bundes (1988, 2000) in Österreich der Fall, wo der Gesetzgeber das Bundesministerium für Kunst und Kultur auffordert, eine eigene Verordnung für die Verfahrensabwicklung zu erlassen. In anderen Fällen hingegen, siehe zum Beispiel das Steiermärkische Kulturförderungsgesetz (2005), verabschiedet der Landtag viele Vorgaben, die das behördliche Handeln rechtswirksam binden, wie z. B. eine Begrenzung der maximalen Bearbeitungsdauer von Anträgen. Diese Differenz lässt sich weitgehend durch die Entstehungsgeschichte und vor allem die Teleologie der einzelnen Gesetze, die sich aus den Gesetzeskommentaren auslegen lässt, erklären: Entweder neigt der Gesetzgeber dazu, den Interessen der Kulturverwaltung Vorrang zu geben, oder er begreift sich als politischer Vertreter der Bürger und unmittelbaren Adressaten der Kulturförderung und reklamiert entsprechende Verfahrensstandards und Kontrollmöglichkeiten.
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Die Förderkriterien ersetzen nicht die Formulierung der Ziele der Kulturförderung. Förderkriterien konkretisieren die Förderwürdigkeit und stützen die Fachlichkeit der Entscheidung; Ziele hingegen beziehen sich auf allgemeine staats-, kultur-, sozial- und wirtschaftspolitische Inhalte.
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3.
Stellt die Art der rechtlichen Ausgestaltung der Kulturförderung ein Dilemma dar?
Gesetze geben in erster Linie einen Rahmen vor. Dort, wo der Staat mit den Instrumenten der nicht-hoheitlichen Verwaltung agiert, können alle notwendigen Regelungen aber auch mittels Erlassen gestaltet werden. Deshalb wird immer wieder die Frage nach dem Wozu eines Gesetzes gestellt, wenn man das gleiche Ergebnis, nämlich eine effiziente Antragsabwicklung und eine effektive Förderungsvergabe, mit einfachen Richtlinien erreichen könnte. Ich denke, wir haben es hier mit einer Gretchenfrage zu tun, die zweierlei ergründen will: a) Wie können die Ziele der Kulturförderungspolitik effektiver umgesetzt werden bzw. kann eine umfassende Richtlinie tatsächlich dasselbe leisten wie ein Gesetz? Können prinzipiell beide Wege zum seihen Ergebnis führen? b) Weiche politischen Überlegungen und Absichten werden verfolgt, wenn der Staat einen solchen Bereich wie die Kulturförderung per Gesetz oder mittels Erlassen regelt? ad a) Die erste Frage verlangt offensichtlich nach einer empirischen Überprüfung: Wird die Arbeit der Kulturförderungsbehörde effizienter (nicht bloß kostensparender, sondern formal und inhaltlich besser) durch ein einschlägiges Gesetz? Es gibt wenige empirische Studien, die das Förderungsverfahren genau untersuchen und zu einer Bewertung kommen. Als Beispiel möchte ich zwei umfassende Untersuchungen erwähnen, die ich über die Kulturförderung in Österreich vorgelegt habe. Die erste erfasste mittels halbstandardisierter Interviews den objektiven Ablauf von Förderungsanträgen sowie die subjektive Zufriedenheit der Antragsteller auf Bundesebene (ZEMBYLAS 2006). Die zweite Studie verglich die Verfahrenspraxis in allen Österreichischen Bundesländern auf der Basis von Auskünften von Interessensverbänden (I G-Kultur) und rechtliehen Grundlagen (ZEMBYLAS/LANG 2009). Allerdings ist die empirische Evidenz dieser Untersuchungen unvollständig, weil man auch das Arbeitsethos der Mitarbeiterf-innen einer Behörde und die politische Kultur, die im jeweiligen Kontext vorherrscht, mitberücksichtigen muss. Doch beide Aspekte sind relativ schwer fassbar und wir stoßen dabei an Grenzen empirischer Forschung. Jenseits der Empirie verweist die erste Frage auch auf eine rechtspolitische Dimension: Die Rechtskompetenz des Gesetzgebers ist umfassender als die einer einfachen Behörde. Die Kulturförderungsgesetze
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in Österreich sowie in der Schweiz benennen kulturpolitische Ziele, die maßgeblich für die Überprüfung der Zielerfüllung sind. Einige Gesetze gehen sogar weiter und legen den Kulturbegriff aus und reflektieren somit das Grundverhältnis zwischen Staat und Kulturgesellschaft Nicht selten betonen sie die Notwendigkeit der Einhaltung von allgemeinen Prinzipien wie Pluralität, Liberalität, Offenheit, die in der einen oder anderen Weise den ,Geist' eines demokratischen Staates repräsentieren (SCHALLER 2005). Hier ein Beispiel: Das steiermärkische Kulturförderungsgesetz §1(3) legt den Kulturbegriff wie folgt aus: "Kultur im Sinne dieses Gesetzes ist ein offener, durch Vielfalt und Widerspruch gekennzeichneter gesellschaftlicher Prozess von kultureller und künstlerischer Produktivität und Kommunikation." Der Gesetzgeber verbindet also den Kulturbegriff mit Widersprüchen und Konflikten, denn er erkennt die Spannungen, die im Zuge der Produktion, Rezeption und Bewertung von künstlerischen und kulturellen Tätigkeiten entstehen, als charakteristisches Merkmal dieses Feldes an. Die Anerkennung des Randstatus vieler Kunstformen und der Konflikthaftigkeit der Gegenwartskunst bedeutet eines: Kunst, die gefördert wird, muss nicht eine Kunst sein, die allen gef
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Iiteraturkritik. de
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Unbefristetes Privatdarlehen; Werbung (z. B. Theaterhäuser und -verJage)
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kulturluitik.ch
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Reaktion auf den Abbau der Kulturkritik in den Medien
Studierende verschiedener Hochschulen
Ok'tober 2010: 3 '000 Hits
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Finanziert durch die Veranstalter
KRITIK - NIEDERGANG ODER NEUFORMIERUNG ?
Unabhängigkeit der Kritiker seit einiger Zeit schart kritisiert. 8 Und selbstredend wissen dieBetreiberder Website kulturkritik.ch um diese Gefahr; umso emphatischer nimmt sich die entsprechende Selbsterklärung aus: "Jeder Bestechungs- oder Manipulationsversuch seitens der Veranstalter wird offen gelegt. [ ... ] es findet kein Gegenlesen durch die Veranstalter statt."" Kulturkritik.ch ist (noch) ein mehrheitlich studentisches Projekt, d. h. die Kritiken werden von Studierenden verschiedener Hochschulen geschrieben, für die die Website eine willkommene Publikationsmöglichkeit darstellt. Allerdings nehmen sich die Kritiken auf kulturkritik.ch tatsächlich nicht allzu kritisch aus, der deskriptive Anteil der Rezensionen überwiegt eindeutig. Das dürfte jedoch nicht unbedingt darauf hinweisen, dass die Autor/ -innen sich nicht trauen, ihre Finanzgeber zu kritisieren; eher ist wohl davon auszugehen, dass die junge Generation erst in geringem Maße über ein Arbeitsinstrumentarium für die Ausübung von Kritik verfügt. Geplant ist daher der Einbezug von professionellen Kritikern, die die Studierenden besser anleiten und zugleich der Website zu mehr Bekanntheit und Renommee verhelfen. Ein m. E. problematischer Brennpunkt der Website liegt in der konventionellen Repräsentation von ,Kultur': Als verhandelte Gegenstände von ,Lokalkultur' erscheinen hier einzig Produktionen von Veranstaltern bzw. Institutionen, die sich über die eigene Finanzierung der Kritiken selbst ins Spiel bringen. Eine kreative Arbeit am Kulturbegriff, wie sie teilweise in den Zeitungsblogs oder sonstigen Userberichten im Internet zu beobachten ist, findet hier nicht statt.
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Bestandsaufnahme
Eine tatsächliche Neuformierung von Kritik lässt sich (noch) kaum in klarer Weise benennen. Eine Kulturberichterstattung zu randständigen oder experimentellen Kulturbereichen existiert heute in Webforen, die segmentierend und community-artig funktionieren und gerade dadurch kaum in übergreifendem Sinne meinungsbildend sind. Das schmal gewordene Feuilleton der Printmedien konzentriert sich dagegen mehr und mehr auf eine Mainstreamkultur. In den Onlineauftritten der Zeitungen und deren Kulturblogs steht solch unterschiedlicher dialogischer 8
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So wird die zunehmende Grenzverwischung zwischen PR und Journalismus verschiedentlich heftig problematisiert (MANDEL 2010: 28f.; ROHRBECK/ KUNZE 2010: 62f. -Interview mit Bascha Mika). S. auch RAUTERBERG (2010). (06.03.2011).
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CORINA CADUFF
Austausch über die Künste förmlich nebeneinander, wobei dieses Nebeneinander jedoch gerade nicht thematisiert wird. Die vorgestellten Kritikwebsites ihrerseits suchen der Verengung auf den Mainstream dezidiert entgegenzuwirken. Diesem unüberschaubaren Durch- und Nebeneinander fallen tatsächlich viele künstlerische Projekte nicht zuletzt der älteren Generation insofern zum Opfer, als es für sie keinen Platz mehr gibt, weder im Mainstream der Printmedien noch in den modernengeposteten Welten des Web 2.0. Dennoch findet in diesem Durch- und Nebeneinander eine Arbeit an Kritikpraktiken statt, deren Entwicklungsmomente vorerst lediglich am Beispiel von Einzelprojekten bzw. Momentaufnahmen studiert werden können. Die eigentliche aktuelle Herausforderung besteht wohl darin, nicht nur neue Rahmenbedingungen, Plattformen und Finanzierungsmodelle für die Ausübung von Kritik zu entwickeln, sondern mithin auch neue Schreibmodi, die sich einerseits vom traditionellen Feuilleton der 1970-90er Jahre unterscheiden und aber andererseits einen gewissen Grad an Allgemeingültigkeit und intellektuellem Niveau dennoch nicht unterschreiten.
5.
Finanzierungsmodell, Fördertrage
Kulturkritik.ch manifestiert dadurch, dass die Veranstalter selbst finanziell für die Kritiken aufkommen, einen aufsehenerregenden Paradigmenwechsel im FinanzierungsmodelL Ob dieser haltbar und allenfalls sogar zukunftsweisend wäre, lässt sich an diesem konkreten Beispiel allein noch kaum absehen. Jedoch scheint es nicht uninteressant, dieses Modell im Blick zu behalten und dabei zu fragen, inwiefern es auch überregionales Potenzial entfalten könnte. 2010 hat der Kunst- und Architekturkritiker Hanno Rauterberg (2010) aufgrundder prekären Lage der aktuellen Kritik in der Zeit eine ,,Akademie für Kunstkritik" gefordert; der Philosoph Harry Lebmann (2008: 990) beklagte kurz zuvor in Zehn Thesen zur Kunstkritik ebenfalls den Mangel einer Ausbildung im Bereich "autonome Kunstkritik"."' Der Ruf nach einer Akademie, der althergebrachten großen institutionellen Form, mutet allerdings überkommen an. Die Websiteprojekte nehmen sich im Vergleich dazu als ,kleine Formen' aus, die jedoch flexibel sind und zumindest im Grundzug einen 10
Die Appelle von Rauterberg und Lebmann liegen nicht nur im allgemeinen Niedergang der Kritik begründet, sondern auch im Niedergang einer autonomen unabhängigen Haltung von Kritikern. Siehe dazu Anm. 9·
KRITIK - NIEDERGANG ODER NEUFORMIERUNG ?
Experimentalcharakter aufweisen, der in der heutigen Zeit unerlässlich ist. Die an diesen Projekten ausgerichtete Fördertrage lautet: Sollen private Stiftungen und die öffentliche Hand vermehrt auch einen Kulturjournalismus fördern? Theaterstätten, Museen, Opern- und Literaturhäuser sowie darüber hinaus Kulturprojekte mannigfacher Provenienz werden subventioniert. Weshalb können nicht auch unabhängige Kritikwebsites wie die präsentierten subventioniert werden? Diese Frage ist gleichsam Teilbereich der größeren Frage, ob der Journalismus mit Staatsgeldern gefördert werden soll, zu der es bekanntlich geteilte Meinungen gibt (ROHRBECK/KUNZE 2010: 21 [Weischenberg], 61 [Bascha Mika], 111 [Chervel]). Eine eigenständige Website hätte gegenüber dem Feuilleton die Chance, dass sie nicht Teil einer Zeitung wäre, so dass eine entsprechende Förderung gezielt und ausschließlich der Kritik und Kultur zu Gute käme (und nicht indirekt auch anderen Rubriken der Zeitung). Die Kulturpolitik könnte in solcher Weise den kritischen Dialog über die Künste fördern und damit diskursbildende Maßnahmen treffen und unterstützen, die zweifellos auch für das Kulturmanagement von Vorteil wären, denn die gegenwärtige Umbruchsituation im Kulturjournalismus stellt nicht nur für die Künste und die Kritik selbst eine Herausforderung dar, sondern für alle Kulturverantwortlichen.
Literatur KEMP, Wolfgang (2003): Die sieben Krücken der Kunstkritik [Rezension von Christian Demand (2003): Die Beschämung der Philister. Wie die Kunst sich der Kritik entledigte. Springe: zu Klampen]. - In: Süddeutsche Zeitung (1.12.2003). LEHMANN, Harry (2008): Zehn Thesen zur Kunstkritik. - In: Merkur 62, 982-994. MANDEL, Birgit (2010): Kultur-PR und Kulturjournalismus. - In: JournalistikJournal, 13/1, 28f. PÖTTKER, Horst (2010): Editorial.- In: JournalistikJourna/13/1, 4.