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German Pages 248 [246] Year 2014
Gernot Wolfram (Hg.) Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit Tendenzen – Förderungen – Innovationen. Leitfaden für ein neues Praxisfeld
Gernot Wolfram (Hg.)
Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit Tendenzen – Förderungen – Innovationen. Leitfaden für ein neues Praxisfeld
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Inhalt
Vorwort Gernot Wolfram | 7
T ENDENZEN UND I NNOVATIONEN Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive? Gernot Wolfram | 13
Intervention Gespräch: »Die Globalisierung hat eine neue Dimension mit sich gebracht …« Ein Kulturmanager und Künstler zwischen Dubai, Russland und China Ein Gespräch mit Michael Schindhelm | 47
Interkulturelle Kontexte managen Überlegungen zur Internationalisierung von Kulturmanagement und Qualifizierung im europäischen Kontext Birgit Mandel | 55
Macht Geld die Welt rund? Betrachtungen zum kuratorischen und ökonomischen Prinzip in der europäischen Kulturarbeit Verena Teissl | 71
Von der Kulturverträglichkeit zur Wirtschaftsverträglichkeit Wohin geht die EU-Kulturpolitik? Norbert Sievers und Christine Wingert | 89
Synergetische Projektformate und ihre besonderen Chancen auf Förderung Sebastian Kaiser und Gernot Wolfram | 101
Verschwindende Grenzen Regionale Vernetzungen im Kulturbereich auf internationaler Ebene Patrick S. Föhl und Gernot Wolfram | 117
Intervention Gespräch: »Die internationale Perspektive ist längst unabdingbar …« Zur Relevanz eines transkulturellen Kulturmanagements Ein Gespräch mit Armin Klein | 145
P RAXIS Kooperationen als wichtige Überlebensstrategie und zentrale Arbeitsstruktur für Festivals am Beispiel des »steirischen herbst« Artemis Vakianis | 155
Mega-Events, Festivals und Destination-Branding – ein Europa der Events? Beispiele aus der Praxis Robert Kaspar | 169
Das Prinzip Euregio. Die Euregio Inntal und das EU-Förderprogramm INTERREG Perspektiven und Hinweise für Initiativen im Kulturbereich Walter J. Mayr und Walter Weiskopf | 179
Cultural Governance im Multiprojektmanagement Fallbeispiel »Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010« Oliver Scheytt und Gisela Geilert | 193
Arts Management Network – eine Domäne global denkender Kulturmanager Porträt einer Projektentwicklung Dirk Heinze | 227
Kommentierter Serviceteil | 233 Autorenbiografien | 241
Vorwort 1
Das vorliegende Buch wendet sich an Studierende, Kulturmanager, Künstler, interessierte Laien und »Netzwerker« im internationalen Feld des Kulturmanagements. Es will eine Standortbestimmung wagen, wenn es um die Frage geht, welche Formen der Zusammenarbeit im Kulturbereich den Namen »Europäische Kulturarbeit« verdienen. Schwierig ist freilich hierbei der Begriff »Europäische Kultur« – denn auf was bezieht er sich? Was kann er fassen? Ausdrücklich gehen der Herausgeber und die Autoren des Bandes das Risiko ein, sich hier nicht festzulegen. »Europäische Kulturarbeit« meint nicht, sich allein auf Europa als Ort für kulturelle Netzwerke zu konzentrieren. Vielmehr soll es darum gehen, die vielfältigen kulturellen Erfahrungen und aktuellen Tendenzen der Kulturarbeit im deutschsprachigen Raum mit europäischen und internationalen Perspektiven zu verbinden. Statt an kolonialistische Assoziationen soll an das Partnerschaftliche, Dialogische und Integrationsfähige erinnert werden, welches sich in der europäischen Idee verbirgt. Da das Buch auf Deutsch erscheint, ergibt sich die Grundperspektive aus dem deutschsprachigen Raum. Chancen und Möglichkeiten auszuloten, innerhalb Europas und innerhalb weiterer transkultureller Kooperationen erfolgreich neue Ideen, kritische Reflexionen und künstlerische Sichtweisen des Kulturmanagements und der Künste miteinander ins Gespräch zu bringen, lautet das erklärte Ziel. Diese Perspektive ist auch ein Ausgangspunkt für Überlegungen zu den enormen Veränderungen, welche die Globalisierung heute im Bereich Kultur
1 | Anmerkung: Aus Gründen der erleichterten Lesbarkeit wird im Buch auf die Nennung der jeweiligen weiblichen Formen verzichtet. Personen weiblichen Geschlechts sind ausdrücklich mit eingeschlossen.
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Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit
mit sich bringt. Welche Rolle können europäische Perspektiven hier spielen? Europäische Kulturarbeit ist im Kontext des vorliegenden Bandes ein Terminus für eine offene und vielfältige Art von Navigation durch ganz verschiedene kulturelle Strömungen – und kein Instrument, um neue künstliche Grenzen und Begrenzungen innerhalb kreativer Zusammenarbeit vorzunehmen. Europäische Kulturarbeit soll in diesem Sinne von singulären nationalen Erfahrungen und Strukturen ausgehen, hier am Beispiel des deutschsprachigen Raums dargestellt, die sich durch gleichwertigen, historisch und politisch sensiblen Vergleich und Austausch mit anderen Ländern zu einem interaktionsreichen Modell des VoneinanderLernens und Miteinander-Arbeitens entwickeln. Die Europäische Union, als politisches Projekt und Konstrukt, wird in dieser Perspektive ausdrücklich als Teil, nicht als Zentrum jener größeren Entwicklung begriffen, als ein Element der institutionell nicht zu fassenden Frage, wie sich innerhalb so vieler Kulturen, Sprachen, Historien und Alltagspraktiken ein differenzierendes und gegenseitig inspirierendes Handeln anregen lässt. Aus der Erfahrung der Kulturmanagement-Forschung und -Praxis heraus sollen Fragen nach Innovationen, Tendenzen und Förderungen gestellt werden. Im Zentrum steht dabei in allen Beiträgen das Potential von neuen Kooperations- und Vernetzungsstrukturen. Die Idee für diesen Band ergab sich zudem aus der ganz praktischen Beobachtung, dass mehr und mehr Kulturprojekte durch Vernetzung im europäischen und außereuropäischen Raum zustande kommen. Förderbedingungen von Stiftungen und von Förderprogrammen der EU betonen schon seit langem, dass der Austausch zwischen verschiedenen Kulturen zentrales Ziel der jeweiligen Förderpolitik sei. Aber auch innerhalb von privaten künstlerischen Initiativen lässt sich feststellen, dass eine Neugierde und ein Interesse an Synergien zwischen verschiedenen Denk-, Wahrnehmungs- und Organisationsformen wachsen. Dazu kommen neue Arbeitsmöglichkeiten für Kulturmanager in vielen Ländern Europas, aber auch außerhalb des Kontinents. Man muss kein Prophet sein, um vorhersagen zu können, dass gerade durch die Revolutionen in den arabischen Ländern, durch die rasanten Entwicklungen in Russland, China und Brasilien und auch durch die vielen künstlerischen neuen Interventionen auf dem afrikanischen Kontinent das spezifische Wissen der Kulturmanagement-Forschung und -Praxis eine Nachfrage erleben wird. Das Kulturmanagement im deutschsprachigen Raum kann
Vorwort
sich dabei als vielfältige Beratungsinstanz empfehlen, eben weil es so viele verschiedene Ansätze in den letzten Jahren entwickelt hat. Zudem fließt hier der Strom des Wissens in schöner Paradoxie immer nach zwei Seiten: vom Beratenden zum Fragenden – und bereichert wieder zurück. In diesem Prozess kann auch das Kulturmanagement im deutschsprachigen Raum neue Perspektiven und Stimulationen erhalten. Der Band wird eröffnet mit einem Begründungsversuch für die Notwendigkeit eines transkulturellen Kulturmanagements (Gernot Wolfram ). Im Folgenden werden aus der Sicht eines erfolgreich im internationalen Raum tätigen Kulturmanagers (Michael Schindhelm ) Fragen nach den kulturspezifischen und organisationalen Differenzen im internationalen Kulturmanagement erörtert. Daran schließen sich Überlegungen zu den konkreten Managementaufgaben im interkulturellen Bereich an (Birgit Mandel ). Sodann geht es um Fragen der oftmals dominanten ökonomischen Logik innerhalb großer Kooperationen, auch aus einem kulturwissenschaftlichen Perspektivenspektrum erörtert (Verena Teissl ). Daran schließt sich ein Beitrag zur Ausrichtung der aktuellen europäischen Kulturpolitik und ihrer veränderten Direktiven an (Norbert Sievers und Christine Wingert). Diese Ausgangsbasis leitet zu Fragen der Innovation in der europäischen Kulturförderung mit spezifischem Fokus auf die Förderpotentiale der Verbindungen zwischen Kultur und Sport (Sebastian Kaiser und Gernot Wolfram) sowie auf die Entwicklungen von Regionen als wichtige Zentren für europäische und internationale Vernetzungsprozesse (Patrick S. Föhl und Gernot Wolfram). Daran schließt sich ein Interview zu bereits bestehenden langjährigen Erfahrungen innerhalb von praxisbezogenen Kulturaustauschprogrammen in Europa an (Armin Klein). Im zweiten Teil des Buches, der mit »Praxis« überschrieben ist, geht es darum, anhand konkreter Beispiele aus der europäischen und internationalen Kooperationspraxis Erkenntnisse zu gewinnen. Am Beispiel des renommierten österreichischen Festivals »steirischer herbst« wird gezeigt, warum solche Kooperationen als »Überlebensstrategien« bezeichnet werden können (Artemis Vakianis). Der nächste Beitrag betrachtet die Wirkungen von sogenannten Mega-Events auf Destinationen und fokussiert Perspektiven aus der Praxis des Eventmanagements (Robert Kaspar ). Darauf folgt eine Darstellung der Fördermöglichkeiten über die Euregio-Büros und das INTERREG-Programm mit Fallbeispielen aus der Euregio Inntal (Walter J. Mayr und Walter Weiskopf ). Eine ausführliche Analyse des erfolgreichen Multiprojektmanagements der europäischen Kulturhauptstadt
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Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit
RUHR.2010 (Oliver Scheytt und Gisela Geilert) beleuchtet die Wirkungspotentiale erfolgreicher europäischer Initiativen. Das Buch schließt mit einem persönlich gehaltenen Projektportrait der Webpräsenz »Arts Management Network«, das von Deutschland aus eine Plattform für europäisches und internationales Kulturmanagement zu etablieren versucht (Dirk Heinze). Danach folgt noch ein Kommentierter Serviceteil mit einer Linksammlung zu Akteuren, Stiftungen, Verbänden und Datensammlungen zur Europäischen Kulturarbeit. Herausgeber und Autoren sind sich bewusst, dass die Beiträge aus der Fülle der möglichen Themen und Diskurse nur einen Ausschnitt bieten können. Das Stückhafte und Vorläufige soll aber als Anreiz dienen, diesem »entgrenzenden« Thema weiter intensiv auf der Spur zu bleiben. Gernot Wolfram, Berlin/Kufstein im Juni 2012
Tendenzen und Innovationen
Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive? Gernot Wolfram
E INLEITUNG »Ich kann das Wort Europa nicht mehr hören«, steht auf einer Berliner Häuserfassade mit großer blauer Graffiti-Farbe. Vielleicht gehört der Sprayer dieser Zeile zu den vielen Menschen, die keineswegs europaskeptisch sind, aber Mühe haben, den besonders im Kulturbereich und mittlerweile auch im Kulturmanagement vielfach aufgerufenen Begriff »europäische Identität« mit Leben zu füllen, mit Geschichten und Assoziationen, die Lust darauf machen, verschiedene Kulturen miteinander zu verbinden und sich mit einer »gleichen Einstellung zur Vielfalt« (Todorov 2011: 223) zu identifizieren. In der Tat sind in den letzten Jahren viele Publikationen erschienen, die auf die europäischen und internationalen Dimensionen kultureller Arbeit verweisen, aber häufig wurden die genannten Positionen nicht sonderlich konkret oder man verblieb in der Analyse einzelner Kulturmanagementansätze anhand von Länderbeispielen bzw. reflektierte große globale Entwicklungsströmungen, ohne dezidierten Blick auf das Kulturmanagement (z.B. exemplarisch Wilhelm 2010, Nitschke/Siebenhaar 2010, Ermert/ Helm 2009, Laycock 2008, ifa-Kulturreport »Fortschritt Europa« 2007, Fikentscher 2005, Heinrichs 2004). Ein Blick auf die Chancen und Herausforderungen einer international ausgerichteten Kulturarbeit im Bereich des Kulturmanagements steht erst am Anfang (vgl. Voesgen 2005) und sieht sich dabei schon jetzt mit vielen Widersprüchen konfrontiert. Daher möchte der vorliegende Beitrag in einigen Wegschritten die Ansätze eines transkulturellen Managements aus europäischer Perspektive diskutieren.
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Zentral steht dabei der Gedanke, dass der Dialog zwischen Organisationen wie kulturpolitischen Institutionen, Stiftungen, Verbänden mit Künstlern und Kulturmanagern eine neue internationale und europäische Qualität erreichen muss, in der es nicht um noch mehr Einzelprojekte geht, sondern um eine nachhaltige und längerfristige Perspektive, wie aus dem fragwürdigen Schlagwort von der »einigenden Kultur« (Fikentscher 2005) eine belastbare Realität werden kann. Der Blick dieses Beitrags ist deshalb nicht nur auf die Frage gerichtet, wie sich neue Länderkooperationen schaffen lassen, sondern vor allem auf die Frage, wie Kulturmanager und Künstler agieren können, um neue Ideen, Diskurse und ästhetische Ansätze in einem weiteren Handlungsfeld zu präsentieren. Finanzierungsmodelle und institutionelle Hilfe sind wichtig, jedoch darf die Eigenlogik künstlerischer Produktion und alltagskultureller Praktiken nicht unter dem Diktat kulturpolitischer Vorgaben ersticken. Gleichzeitig bieten die Förderprogramme der Europäischen Union und vieler Stiftungen eine Vielzahl von Möglichkeiten auch für kleinere künstlerische Initiativen. Hier kann es hilfreich sein, Formen der Informationsbeschaffung in Kulturbetrieben zu implementieren, die diesen Handlungsspielraum überhaupt erst einmal ins Bewusstsein rücken (vgl. auch Linksammlung im kommentierten Serviceteil dieses Buches). Noch ehe das europäische Projekt auf kultureller Ebene richtig an Dynamik gewinnt, sind vielerorts bereits Ermüdungserscheinungen zu erkennen. Vor allem herrscht offensichtlich eine Versammlung fundamentaler Auffassungsunterschiede vor, was »das kulturelle Europa als Resonanzraum für das politische Europa« (Farenholtz/Nitsche 2005: 121) eigentlich bedeuten soll. Die enormen Unterschiede im kulturellen Selbstverständnis der verschiedenen Länder, zudem die berechtigte Angst vor Nivellierung und Gleichermacherei haben vor allem unter vielen Künstlern eine begründete Skepsis aufkommen lassen, dass hier ein ureigenster Bereich künstlerischen Denkens – das Bekenntnis zur Differenz – beschädigt werden könnte. Der britische Soziologe und Kurator Paul Goodwin weist in seinen Vorträgen beispielsweise immer wieder darauf hin, dass die Kunst eines modernen Handelns im Kulturmanagement gerade in der Differenzierung besteht, bei der die Kunst im Mittelpunkt steht – und nicht politische Proklamationen oder das Erfüllen kulturpolitischer Vorgaben.1 1 | Paul Goodwin, Keynote Lecture: »Curating Difference«, 23. September 2011, Symposium »Rethinking Humboldt«, Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin.
Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive?
Daher stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage: Gibt es dann überhaupt eine gemeinsame Perspektive europäischer und gar internationaler Kulturarbeit? Und wenn ja, welche Schwierigkeiten bringt eine Fokussierung auf Europa mit sich? Wie bleibt man zudem trennscharf zwischen dem historischen europäischen bzw. außereuropäischen Raum und dem politischen Gebilde EU? Und wie lässt sich der Begriff »Internationalisierung« deutlicher fassen? Im vorliegenden Beitrag werde ich den Begriff »Internationalisierung« als Kategorie einer vordringlich europäischen Kulturarbeit verwenden, die sich jedoch offen hält für Vernetzungen in den transkontinentalen Raum. Der europäische Ausgangspunkt dient als Schaufenster in den internationalen Raum.
D ER B EGRIFF DES S PIELS Schwierig zu beantworten ist freilich die Frage nach einer konkreten gemeinsamen Grundposition für eine nachhaltige internationale Kulturarbeit im Bereich des Kulturmanagements. Der folgende Beitrag geht davon aus, dass hier eine gemeinsame Werteorientierung notwendig ist, die jedoch flexibel genug sein muss, um nicht in Schlagworten oder neuen Beschränkungen zu versanden. Ich möchte daher zunächst eine alte, auf den ersten Blick sehr breit gefasste Vokabel zur Diskussion stellen, die aber den großen Vorteil hat, nicht sofort ausgrenzend zu sein: das Spiel und, damit verbunden, das Spielen. In fast allen Kulturen der Welt ist die »elementare Gegebenheit des menschlichen Spielens« (Gadamer 1977/2009: 29) vorhanden. Sie ist der Motor kultureller Ideen, sie ist keiner einzelnen Nation oder Kultur zugehörig, sondern besitzt wahrhaft universellen Charakter. Das Spiel und das Spielen als die großen Konstanten, nicht nur der Kunst, sondern auch der Soziokultur und vieler Bereiche des Alltagslebens, sind, nicht zuletzt durch das weltweite Wachsen digitaler Räume, in den letzten Jahren in den Mittelpunkt globaler Wahrnehmung gerückt. Werden sie aber auch im internationalen Kulturaustausch als die verbindenden Felder begriffen? Gerade die Europäer – als alte und erfahrene Theoretiker des Spiels2 und der Fiktion – hätten hier die Chance, eine ver2 | Man denke hier etwa an Namen wie Jakob Burckhardt, Johan Huizinga, Emile Durkheim, Karl Kerényi oder an Friedrich Schillers berühmtes, universell an-
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bindende Vokabel anzubieten, die sinnlicher und unideologischer wäre als die modernen, viel bemühten Begriffe von der »Einheit in der Vielfalt«, um die sich etwa die Europäische Union innerhalb ihrer Kommunikation bemüht. Johan Huizinga, der niederländische Kulturhistoriker, schrieb treffend in seinem Buch »Homo Ludens«: »Spiel ist älter als Kultur.« (Huizinga 1969: 9) Huizinga wurde nicht müde zu betonen, dass im Grunde das Spielen der bestimmende Charakter menschlicher Kulturbildung ist. Spiel im Sinne des Experiments, des Zu-sich-selbst-Kommens und »Andersseins«, das Menschen erleben können, wenn sie sich mit Fiktionen beschäftigen, mit Ideen, die eben, anders als bei der Produktion von Schuhen, Autos oder Parfüms, nicht so deutlich und klar ausdrücken können, wozu sie eigentlich da sind. Der Grundstoff künstlerisch-kulturellen Lebens sind Ideen, die im Spiel und der Fiktion erfahrbare Wirklichkeit werden; Begriffe, auf die man sich glücklicherweise auch rasch einigen kann, eben weil sie, um es nochmal zu betonen, keine nationalen kulturhistorischen oder politischen Begrenzungen in sich tragen. Sollte das nicht als Gedanke dazu reizen, uns beim Thema »Internationalität im Kulturbereich« von diesen lebendigeren, assoziativeren Begriffen leiten zu lassen? Was heißt also »Europäische und Internationale Kulturarbeit« genau für diejenigen, die in diesen Feldern als Künstler, Agenten, Journalisten, Wissenschaftler oder Kulturmanager arbeiten? Für jene, die den Raum der Spiele und Fiktionen organisieren, ihn häufig überhaupt erst ermöglichen? Es heißt vor allem erst einmal Klärung der Standpunkte, auf denen sie stehen, und Reflexion der Bereitschaft, ihren Handlungsspielraum zu erweitern und zu entgrenzen. Besonders für den Bereich des Kulturmanagements sind hier noch viele Fragen offen. Ein Kernproblem ist dabei das Phänomen, dass unter Kulturmanagement in vielen Ländern aufgrund unterschiedlicher Traditionen jeweils etwas vollkommen anderes verstanden wird. Ich werde daher versuchen, in einer groben Skizzierung, Positionen eines transkulturellen Kulturmanagements zu beschreiben. Vieles muss hier bewusst als Stückwerk und Gedankenvorschlag gesehen werden, da die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Dimensionen eines internationalen Kulturmanagements erst am Anfang steht, zumindest im gelegtes Diktum: »Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt.«
Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive?
deutschsprachigen Raum. In einer globalisierten Welt können sich lokale, regionale und nationale Kulturinstitutionen dem Austausch mit anderen Kulturen nicht mehr verschließen. Denn gerade aufgrund eines starken ökonomischen Drucks im Kulturbereich, nicht nur in Europa, scheint es geboten sein, gemeinsame Positionen im Raum des kulturellen Spiels auf solide und sinnvolle Füße zu stellen. Die Praxis ist hier schon längst ein ganzes Stück weiter als die wissenschaftliche Untersuchung. Die zentralen Fragen sind dabei: Was macht Sinn? Welche Kooperationen, Netzwerke und Handlungsschritte sind erfolgversprechend? Welche Ressourcen stehen überhaupt zur Verfügung? Dazu gehört zunächst ein Blick auf das Kulturmanagement hierzulande.
D ER SCHWIERIGE B EGRIFF »K ULTURMANAGEMENT« Der Begriff »Kulturmanagement« hat sich seit vielen Jahren im deutschsprachigen Raum etabliert und zu einer neuen Wahrnehmung des Kulturbetriebs geführt. Dennoch ist der Begriff bei vielen Akteuren des Kulturbetriebs nach wie vor ein schwieriger, ideologisch umstrittener Terminus (vgl. Föhl 2011: 44ff.). Lässt sich Kultur »managen«? Kann man den begrifflich schwer fassbaren Raum, in dem sich kulturelle Aktivitäten vollziehen, überhaupt in ökonomische Kategorien bzw. ökonomische Kulturbegriffe fassen? Und wie lässt sich hier ein Terminus wie »Internationale Kulturarbeit« überzeugend unterbringen? Experten auf diesem Feld werden immer noch häufig mit Fragen konfrontiert wie: Was sind die Unterschiede zu anderen Managementformen? Wie kann man erfolgreich sein angesichts schwer vorhersagbarer Gewinnerwartungen? Oder geht es in diesem Feld vordringlich um eine Art von »Gewinn«, der sich den klassischen Kategorien der Betriebswirtschaft verschließt? Und welche Rolle kommt dem Kulturmanager zu? Ist er Diener einer künstlerischen Idee oder selbstständig gestaltender Neuerer und »Experte im Kulturwandlungsmanagement« (vgl. Föhl 2009)? Der Kulturmanager wird – seiner Rolle zwischen Publikum und Künstlern gemäß – von vielen Seiten beansprucht und sieht sich oft einer Vielzahl von Erwartungshaltungen gegenüber. Er soll mindestens so viel von Ästhetik verstehen wie von Betriebswirtschaft, seine organisationalen Fähigkeiten müssen ihre Entsprechung in einer gleichwertigen Fähigkeit zur Kommunikation haben. Und er sollte am besten, fasst man verschiedene
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Beschreibungen aus der Literatur zusammen, ein Meister der Prognosen sein, ob Planungen, Strategien und Konzepte im Kulturbereich eine entsprechende Resonanz beim Publikum oder bei Kritikern finden. Der Begriff »Kulturmanagement« befindet sich also immer noch in einem Prozess der Selbstreflexion und er gehört, wie Peter Burke zu Recht festgestellt hat, vor allem zur Sphäre der Politik, insbesondere zu den »Kulturkämpfen« (Burke 2005: 151) moderner Gesellschaften, die sich offensichtlich von einer spezifischen Organisation von Kultur gleich auch ein spezifisches kulturelles Selbstverständnis erwarten. Daher ist es nicht verwunderlich, dass gerade beim Thema »Kulturmanagement« immer wieder sehr widersprüchliche Definitionsansätze auftauchen. Die Kulturmanagement-Literatur hat hierzu in den letzten Jahren ganz unterschiedliche Antworten und Lösungsansätze gefunden (exemplarisch vgl. Baecker 2001, Bendixen 2002, Mandel 2005, Klein 2011, Zembylas 2004, Heinrichs 2006, Heinze 2004, Fuchs 2008, Scheytt 2008, Höhne 2009, Hausmann 2011, Föhl 2011). Jeder für sich gesehen weist eine überzeugende Logik auf, obgleich die Spannbreite der jeweiligen Definitionen auffällig groß ist. Für das Thema des vorliegenden Textes ist jedoch vor allem eines festzuhalten: Bislang konzentriert sich die KulturmanagementForschung hauptsächlich auf nationale Strukturen und Erfahrungen, was freilich gut nachvollziehbar ist, da sich das Fach noch im Aufbau befindet und zunächst vorwiegend auf die Vor-Ort-Strukturen schauen muss, um sich entwickeln zu können. Während sich gerade in der kulturellen Praxis immer mehr Projekte international vernetzen, ein intensiver globaler Austausch stattfindet und Fördermittelgeber wie die Europäische Union, aber auch Stiftungen, Verbände, NGOs ihre Strategien3 transkulturell auslegen, ist das Verständnis von Kulturmanagern, zumindest im deutschsprachigen Raum, nicht im gleichen Maße international geworden. Immer noch gehören internationale (Kooperations-)Erfahrungen nicht zum zwingenden Anforderungsprofil von Kulturmanagern in Deutschland, Österreich und der Schweiz, zumindest nicht beim überwiegenden Teil der entsprechenden Stellen. Gleichzeitig wird in vielen Ländern massiv in Kultur investiert, häufig mit Unterstützung aus der westlichen Welt. Vor allem neue symbolische Großbauten, wie sie etwa in China, Brasilien oder den Arabischen Emiraten entstehen, Theater, Museen, Musik-, Festival-, Performance- und 3 | Vgl. beispielhaft hier die Robert Bosch Stiftung oder Allianz Kulturstiftung.
Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive?
Eventstätten zeigen, dass kulturelle Repräsentationen weltweit immer wichtiger werden. Die Frage ist nur: Wer gestaltet diesen Prozess? Welches Verständnis von Kultur kommt hier zum Tragen? Wer sind die Akteure? Und welche Chancen birgt diese Entwicklung für Kulturmanager aus dem deutschsprachigen Raum?
W AS HEISST »I NTERNATIONALITÄT« KONKRE T ? Um diese Fragen zu beantworten, ist es hilfreich, über einen dritten Zugang4 des Selbstverständnisses von Kulturmanagern nachzudenken: • der Kulturmanager als selbstbewusster Experte für Vernetzung, Glokalisierung,5 künstlerische Qualität und alternative Finanzierungsmodelle in einem erweiterten Arbeitsfeld; • der Kulturmanager als Organisator, der sich nicht länger hinter anderen Disziplinen versteckt, sondern sein Fach als eine umfassende Form sozialen, transkulturellen und managerialen Handelns zu präsentieren versteht; • der Kulturmanager als in der Wissenschaft wie (kulturpolitischen) Praxis akzeptierter Vermittler zwischen den verschiedenen transkulturellen Auffassungen von Kultur, ihrer Barrieren wie Synergien. Gerade in Ländern wie China, Brasilien oder den Arabischen Emiraten wird man unter »Kulturmanagement«,6 »Kulturförderung« oder »kultureller Identität« jeweils etwas vollkommen anderes verstehen als in Europa. Hier sind – besonders bei Kooperationsprojekten – Kulturmanager gefragt, die diese Definitionsgräben überbrücken können. Das führt zu erweiterten Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten, aber auch zu einer allmählichen
4 | Der Begriff »dritter Zugang« ergibt sich aus einer Erweiterung der lokalen, nationalen hin zu einer internationalen Perspektive. 5 | Glokalisierung wird hier nach Laycock als »Vermischung des Globalen und Lokalen« verstanden (Laycock 2008: 33). 6 | Das Problem beginnt schon damit, dass sich der Terminus nicht übersetzen lässt. Im internationalen Raum wird bislang vorwiegend von »Arts Management« gesprochen.
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Loslösung aus der Umklammerung nationaler kulturpolitischer Verstrickungen. Der Kulturmanager rückt in dieser Entwicklung langsam aus dem häufig anzutreffenden Rechtfertigungsdruck, dem sich Kulturarbeit immer wieder ausgesetzt sieht, weil er seine Kompetenzen in einem weiteren Feld zur Verfügung stellt, aber auch in seinen Argumentationen viel stärker vergleichend, kombinierend und koordinierend wirken kann. In anderen Branchen, man denke etwa an den Sport, ist dieses transnationale Denken längst erfolgreiche Realität und erfährt spezifische Förderung. Internationales Kulturmanagement ist bislang – schaut man beispielsweise auf die Ausbildungslandschaft im deutschsprachigen Raum – immer noch eine Disziplin, die in ihren Kinderschuhen steckt,7 bei einem gleichzeitig sehr hohem Niveau in den auf den deutschsprachigen Raum bezogenen Forschungs- und Lehransätzen. Zu stark wirken offenbar noch immer die Fokussierungen auf das jeweils eigene Land und seine Strukturen. Obgleich Kulturpolitiker nicht müde werden, von der Zeit des »postnationalen Handelns und auch Denkens« (Schwenke 2005: 22) zu sprechen, ist dies auf der Ebene des praktischen Kulturmanagements noch keine wirklich signifikant wirksame Perspektive.
W AS BEDEUTE T »I NTERNATIONALE K ULTUR ARBEIT«? Zunächst soll nun die Frage geklärt werden, von welchem Standpunkt aus die Forderung nach einer stärkeren internationalen Ausrichtung erhoben wird. Der vorliegende Beitrag betont hier maßgeblich folgende Positionen: • Nationale und lokale Kulturbetriebe entwickeln sich schrittweise seit den 1970iger Jahren von den vorhandenen Strukturen hin zu erweiterten internationalen Handlungsfeldern. • Im Vordergrund steht keine Aufweichung nationaler oder regionaler Identitäten, sondern die Vernetzung der eigenen Potentiale mit denen anderer Länder, Regionen und Think Tanks. 7 | Dies meint vor allem den Mangel an Studiengängen, die sich dezidiert auf die Internationalisierung des Kulturmanagements ausrichten. Gleichwohl soll hier betont werden, dass auf der Ebene von Kooperationen und Austauschprogrammen viele Hochschulen im deutschsprachigen Raum bereits nachhaltige erfolgreiche Projekte auf den Weg gebracht haben.
Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive?
• Auswahlprinzipien bestimmen das Handeln künstlerischer und organisationaler Arbeit. Internationalität bedarf einer klaren Formulierung der jeweiligen Eigenheiten. Nicht anything goes, sondern what makes sense lautet das Leitprinzip (vgl. Voesgen 2005). • Ein neuer Kontext für Tradition und Innovation wird gesucht statt einer breit praktikablen kulturellen Konsensschnittmenge. • Kompetenzen für Kulturmanager müssen sich an diesen Entwicklungen ausrichten und es muss stärker auf erweiterte Handlungsfelder aufmerksam gemacht werden. Häufig kommt dabei die berechtigte Frage auf: Was heißt das konkret? Wie lässt sich dieser internationale Fokus auf die tägliche Arbeit von Kulturbetrieben anwenden? Hierzu lassen sich zunächst folgende Kernforderungen festhalten: • Zeitgemäße Kulturbetriebe müssen selbstbewusst nach ihrer potentiellen Reichweite fragen, nach den impliziten und expliziten Chancen, auch in anderen Ländern und in virtuell zugänglichen Räumen (Websites, Social Media, Foren, Blogs etc.) sich so zu präsentieren, dass sie erkennbar werden in ihren spezifischen Besonderheiten und Neugierde an einer aktiven Partizipation wecken, besonders bei Publikumsgruppen, die einen fremdkulturellen Hintergrund haben. • Die Betonung des Spiels als universale kulturelle Kategorie soll neu reflektiert werden hinsichtlich seiner Verbindungskraft zwischen kulturellen Akteuren. Eine Betonung des verbindenden Charakters unterschiedlicher ästhetischer und organisationaler Ansätze gilt es zu stärken. • Tendenziell besteht für jede Kultureinrichtung die Möglichkeit, spezifische Programme so zu entwickeln, dass sie ein erweitertes (internationales) Publikum finden können. Mehrsprachigkeit in der Kommunikation, Partnerschaften mit ähnlichen Institutionen im Ausland, Schulung von Mitarbeitern des Marketings im Bereich EU- und Stiftungsanträge, interkulturelle Medienrhetorik und internationale Zielgruppen-Analysen sind hier erste wichtige Schritte. • Internationalität bedeutet Auswahl. Welche Partner, Zielgruppen und Sparten passen zueinander? Gerade in Grenzregionen ergeben sich hier für Kulturbetriebe besondere Potentiale. Regionales Wissen und regionale Besonderheiten müssen so gestärkt werden, dass sie auch in anderen Ländern verstanden werden. Destinationen wie das Ruhrgebiet,
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Berlin, Dresden, Südbayern, Tirol, Vorarlberg oder das Tessin beweisen, dass gerade eine klug kommunizierte Präsenz regionaler Kulturgüter Menschen aus vielen Teilen der Welt anzieht. • Kulturelle Produktionen sind häufig mit sprachlichen Barrieren verbunden. Welche Möglichkeiten der Übersetzung bzw. der Umgehung dieser Barrieren sind vorhanden? Die Sparten Musik, Tanz und Film haben schon lange keine Schwierigkeiten mehr, sich international zu präsentieren. Theater- und soziokulturelle Projekte könnten hier durch eine verstärkte Experimentierfreude aufholen (Untertitelung von Theatertexten, Einbeziehen von temporären eventarchitektonischen Interventionen, Soundinstallationen, multikulturelle Begegnungsräume etc.).
D AS F REMDE WIRD VERTR AUT Die Strukturen für diesen Wandel sind überall bereits sichtbar; die praktische und theoretische Begleitung dieser Prozesse steht jedoch noch am Anfang. Eben weil die Dimensionen dieses Themas sehr komplex und weitgreifend sind, bedarf es hier einer genauen Analyse, was man unter dem Terminus »transkulturelles Kulturmanagement« versteht. Im Mittelpunkt der Herangehensweise sollte daher der Blick aus dem vertrauten Gelände der eigenen nationalen Strukturen und politischen Maßgaben hinein ins Fremde und Unvertraute gehen. Kernfragen sind dabei: • Wie können Kulturmanager im deutschsprachigen Raum ihre Kompetenzen erweitern? • Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für das Berufsbild und die Handlungsmöglichkeiten für Kulturmanager? • Und welche spezifischen neuen medialen, organisationalen und soziologischen Prozesse wirken bei dieser Entwicklung entscheidend mit? Zu den wichtigsten Voraussetzungen zählt hier sicherlich die Beschäftigung mit Strukturen in anderen Ländern und die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Selbstverständnis in den Ländern, mit denen man neue Kooperationen aufbauen möchte. Dies kann im Idealfall zu Projekten führen wie dem niederländischen »Trans Artists«-Projekt (Artists-inResidence-Guide), einer Website, die für Künstler weltweite Aufenthalts-
Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive?
orte in Stipendienhäusern, Links zu den Bewerbungsunterlagen und zu Erfahrungsberichten von Künstlern bereithält (vgl. www.transartists.org/). Das hat freilich zunächst für niederländische Künstler einen unmittelbaren Mehrwert, ist aber so konstruiert, dass auch Künstler anderer Nationen auf dieses Angebot zugreifen können, denn die Website ist komplett in Englisch. Die Kompetenz der Macher dieser Seite liegt genau in der Doppelstruktur ihres Angebots – national relevant zu sein wie auch international eine wichtige Drehscheibe für den künstlerischen Austausch zu bieten. Das setzt eine umfassende Vernetzung mit den Stipendiengebern in den verschiedenen Ländern voraus und führt in der Folge zu einem großen, durch ein gemeinsames Thema verbundenen Netzwerk, das wirklich den Namen »international« verdient. Solche Projekte, die eine internationale Netzwerkbildung fokussieren, sind auch im deutschsprachigen Raum aufgrund der bestehenden Förderlandschaft möglich und bereits vielerorts praktisch umgesetzt. Transkulturelles Kulturmanagement konzentriert sich demnach vor allem auf eine sinnvolle Verknüpfung bestehender Strukturen und nicht auf den Versuch, eine künstliche »Kultur des Gemeinsamen« zu proklamieren und zu inszenieren. Dazu kommt die Möglichkeit, aufgrund bestehender Datenerhebungen vor allem im europäischen Raum, sich über Projekte und Innovationen aufgrund relevanter Informationen über künstlerische Prozesse und Rezeptionsverhalten von Kulturnutzern in Ländervergleichen kundig zu machen und somit Argumentationsgrundlagen für Sponsoren oder Finanzierungsmodelle zu verschaffen. Auf der europäischen Website »cultural policies und trends in europe« (vgl. www.culturalpolicies.net/) liegen hier beispielsweise sehr gute Datenbestände vor. Kulturmanager können sich, wenn sie diese Kompetenzen eines Handelns in einem erweiterten Raum erwerben, als Vermittler profilieren, die eben genau darin ihre besondere Begabung formulieren können, dass sie Ideen entwickeln, wie man vorhandene kulturelle Angebote in neue Zusammenhänge setzt. Erst wenn diese Fähigkeit auch innerhalb der Kulturmanagement-Forschung als eine zentrale Kompetenz des Berufsbildes erkannt und gefördert wird, wird sich auch das Bewusstsein für die Chancen dieser Orientierung verstärken. Freilich ließe sich hier einwenden, dass es bislang wenig Belege dafür gibt, dass dieser Ansatz wirklich erfolgversprechend ist. Hier lohnt es sich, einen Blick auf die Entwicklung spezifischer Trends zu werfen, die im Kulturbetrieb in den letzten Jahren für Furore gesorgt haben. Man denke etwa, um nur ein Beispiel herauszugreifen,
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an den unerwarteten Erfolg der japanischen Manga-Comics und MangaEvents im deutschsprachigen Raum. Mangas galten lange Zeit, aufgrund ihrer spezifischen asiatischen Symbolik und Referenzen, als schwer vermittelbar. In Deutschland wird jedoch mittlerweile selbst mit hochkomplexen Anime-Produktionen ein jährlicher Umsatz von ca. 50 Millionen EUR erzielt (Focus 2008). Die Manga-Comics konnten sich in Deutschland nur etablieren, weil es einen intensiven Austausch mit der japanischen Szene und der dortigen Jugendkultur gegeben hat – zunächst, und das ist für unser Thema äußerst relevant, auf der organisationalen Ebene der Verlage und Künstler, die sich für die Verbreitung dieser Kunstform im deutschsprachigen Raum stark gemacht haben (vgl. Treese 2006). In der Folge wurden Events, spezielle Veranstaltungen und Messen für junge Menschen ins Leben gerufen, die verdeutlichen, dass gerade in der Jugendkultur ein großes Bedürfnis nach der Aneignung von fremdkulturellen Kulturgütern vorhanden ist – vor allem nach Gütern, die eine Abgrenzung von der Elterngeneration ermöglichen. Hier zeigt sich ein besonderes Phänomen globalen Kulturaustausches: Das Bedürfnis nach Fiktionen löst sich aus den traditionellen Kontexten und sucht bewusst und aktiv nach neuen ästhetischen und narrativen Erfahrungen. Diesen Prozess muss ein transkulturelles Kulturmanagement bewusst reflektieren und in der Folge nach neuen Strategien der Übersetzbarkeit abklopfen. Das führt zu einem weiteren wichtigen Kompetenzerwerb: der Fähigkeit, fremdkulturelle Kunstformen nicht nur zu kennen und zu verstehen, sondern sie auch adaptieren zu können, ihnen eine Form der Repräsentation zu schenken, die nicht nur inhaltlich überzeugt, sondern auch organisational angemessen ist. »Übersetzung« bedeutet in diesem Zusammenhang eben nicht nur, eine Umgebung für eine gelingende Rezeption zu schaffen, sondern auch, eine Verantwortung für den kulturellen Kontext zu übernehmen, aus dem »übersetzt« wird. Die Gefahr, das Fremde als etwas Exotisches, Pittoreskes oder Wundersames vorzustellen, gehört leider auch zur europäischen Kulturtradition. Daher kommt es hier auf eine Fähigkeit der organisationalen und ästhetischen Behutsamkeit an, die auf der praktischen Ebene interkulturelle Sensibilität im Umgang mit Partnern in anderen Ländern meint und auf der theoretischen Ebene die Reflexion sinnvoller Interaktionen zwischen verschiedenen Kulturen im Auge behält. Ein gutes Beispiel für einen solchen sinnvollen Transfer traditioneller Kulturformen in neue Kontexte ist die Arbeit des Regisseurs Heinz Spoerli, der im Rahmen des 10. Shanghai Performing Arts Festivals eine Aufsehen
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erregende Inszenierung gezeigt hat. Auf der Bühne trafen das Zürcher Ballett, chinesische Schauspieler und das Shanghai Philharmonic Orchestra zusammen. Heinz Spoerli machte Shakespeares Handwerker zu chinesischen Bühnenarbeitern, die sich vom Tanz hinreißen lassen und plötzlich zum Theater im Theater wurden (Ifa 2008). So konnte dieses ureuropäische Stück mit ganz neuen Assoziationen gesehen und interpretiert werden. Die Entscheidung für eine spezielle Kombination aus europäischen und außereuropäischen Traditionen war hier das große Qualitätsmerkmal. Freilich haben wir es hier mit einer genuin künstlerischen Intervention zu tun, aber es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, dass gerade ein solches Beispiel auch auf der Seite des Kulturmanagements spannende Herausforderungen bereithält. Wie organisiert man das Zusammenspiel zweier vollkommen unterschiedlicher Ensembles? Wie vermittelt man den künstlerischen Ansatz einer solchen Produktion an unterschiedliche Zielgruppen? Welche nachhaltigen Wirkungen lassen sich, etwa im Bereich der kulturellen Bildung, mit solchen Projekten herstellen? Kulturmanager können in der Zusammenarbeit mit Künstlern zu Auswahlexperten werden, die verschiedene fremdkulturelle künstlerische Potentiale zusammenführen und für diese Zusammenführungen Begründungen liefern. Darin liegt eine weitere zentrale Kompetenz, die zu einem transkulturellen Kulturmanagement gehört.
D IE KLUGE A USWAHL Gelingt es, im Kulturmanagement neue Methoden der Analyse und Vernetzung in Ausbildung und Praxis stark zu machen, besteht die Chance, dass die Kompetenzen von Kulturmanagern sich ausweiten in das Feld von spezifischen Analysetechniken, mit denen Kulturprodukte aus anderen Regionen der Welt auf ihre Übersetzbarkeit und Transferierbarkeit hin untersucht und angewendet werden können. Hierzu zählen drei Basisvoraussetzungen: • transkulturelle Kulturanalysen (spezifische Ausrichtung von Kulturbetrieben auf internationale Trendanalysen in den jeweiligen Sparten); • verstärkte Austauschprogramme zwischen internationalen Kulturinstitutionen und thematische Verknüpfungen (hier kann der Kulturmanager als Berater wie als Organisator tätig werden);
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• Lobbyarbeit in der europäischen und internationalen Kulturpolitik (stärkere Einbindung von NGOs in die Planung von international relevanten Kulturprojekten).
W AS SIND E RFOLGSBEISPIELE ? Sucht man nach Erfolgsbeispielen in anderen Ländern, kann man zu der Erkenntnis kommen, dass es eine Vielzahl an Projekten gibt, die sowohl lokale Identität stärken wie internationale Teilhabe ermöglichen. Man denke etwa an Festivalformate wie an das italienische Literaturfestival »Festivaletteratura« (www.festivaletteratura.it/) in Mantua (Italien). Innerhalb von wenigen Jahren ist es dem Festival gelungen, das aktive Engagement von Bürgern in der Stadt nachhaltig zu wecken. (Viele Bürger stellen beispielsweise in der Festivalzeit ihre Wohnung für die Autoren zur Verfügung.) Zugleich wurde aus der Kleinstadt Mantua eine der zentralen europäischen Festivaldestinationen im internationalen Literaturbetrieb. Schriftsteller wie J.M. Coetzee, Toni Morrisson, Umberto Eco, Azar Nafisi und Musiker wie Patti Smith traten als Gäste auf dem Festival auf, dessen Besonderheit darin besteht, dass viele Veranstaltungen im öffentlichen Raum stattfinden, vor Kirchen, auf Marktplätzen, innerhalb der Arkaden der Stadt. Hunderte Volunteers in blauen Hemden und T-Shirts verstärken das Festivalteam, Jugendliche aus Italien und anderen Ländern, die das Festival als eine Art Camp erleben, in dem sie sich nicht nur als Helfer einbringen, sondern zugleich ihre Ferien verleben können. Ein starker internationaler Impuls bei gleichzeitiger Stärkung des lokalen Zugehörigkeitsgefühls. Zudem vernetzt das an das Festival angebundene Programm »scritturegiovani« junge Nachwuchsautoren aus ganz Europa miteinander. Gesponsert durch den Kaffeehersteller Illy, schreiben junge Autoren aus vier unterschiedlichen Ländern jedes Jahr Kurzgeschichten, deren Lektüre die Länge einer Tasse Kaffee nicht überschreiten soll. Diese Kurzgeschichten werden dann in die vier Sprachen übersetzt und als Lektüre in den Illy-Coffeeshops in den jeweiligen Ländern kostenlos ausgelegt. Ein anderes Format wählt das Tiroler Festival »Klangspuren – Festival für Zeitgenössische Musik« (www.klangspuren.at/), das im Jahr 2011 als Schwerpunkt Spanien hatte und sich somit einmal mehr klar mit einem breiten internationalen Fokus aufstellte. Besonders gelungen sind bei diesem Festival die vielen visuellen, sinnlichen und ausländischen Gästen of-
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fenstehenden Programmpunkte wie etwa die Kindersparte »Klangspuren barfuß«. Der Programmtext lautet folgendermaßen: »Wie klingt denn ein Rauchfangkehrer, ein Schwert, eine Nähmaschine oder ein Elefant in Schwaz? KLANGSPUREN BARFUSS führt jeden Montag um 14 Uhr von Mai bis Oktober Kinder ab 6 Jahren mit spannenden Ausflügen und Besichtigungen, Konzerten und Hörspaziergängen, Naturerlebnissen und vielem mehr in die aufregende Welt der Sinne. Unter dem Motto ›Wie klingt denn …?‹ tauchen die Kinder in das Abenteuer Wahrnehmung ein und erleben Hören, Sehen und Fühlen neu.« (Klangspuren 2011)
Oder der Workshop »Klangspuren stufenlos«, der in deutscher und ladinischer8 Sprache abgehalten wurde: »Die Idee zu KLANGSPUREN STUFENLOS, der Fortbildung für Musikpädagogen, entstand auf Anregung von Musiklehrern, die bei der seit 2008 stattfindenden Musizier- und Komponierwerkstatt für Kinder und Jugendliche KLANGSPUREN LAUTSTARK hospitieren wollten. Da dies nicht möglich ist, initiierten die KLANGSPUREN SCHWAZ die Fortbildung für Musikpädagogen KLANGSPUREN STUFENLOS, die aufgrund der großen Nachfrage nun zum zweiten Mal, in Kooperation mit dem Tiroler Musikschulwerk und dem Institut für Musikerziehung, in deutscher und ladinischer Sprache veranstaltet wurde.« (Klangspuren 2011)
Die Einbeziehung der ladinischen Sprache war nicht nur ein symbolisches Bekenntnis zum Europa der kleinen Kulturen, sondern auch ein Beweis, wie bereichernd und sinnlich-nachvollziehbar die Einbeziehung einer kleinen, nur von wenigen Menschen gesprochenen Sprache innerhalb eines gemeinsamen Workshops sein kann. Blickt man auf international ausgerichtete Projekte in Deutschland, zeigen sich vor allem viele gelungene Beispiele für europäische und internationale Kooperationen. So konnte die Berliner Kleinkunstbühne »Berliner Kabarettanstalt – BKA« (www.bka-luftschloss.de/) neues Publikum gewinnen durch den Schwerpunkt auf Künstler aus Österreich, Stars wie Neuentdeckungen, die regelmäßig im BKA in Kreuzberg auftreten. In Kooperation 8 | Ladinisch gehört mit seinen ca. 30.000 Muttersprachlern zu einer der kleinsten Sprachen in Europa. Die Sprache wird vor allem im Norden Italiens und in Südtirol gesprochen.
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mit dem Wiener Rabenhof-Theater gelang es den Berliner Theatermachern, dem Programm eine spezifische Entdeckerleidenschaft für Künstler aus dem Nachbarland zuzuschreiben. Die Besonderheiten österreichischen Kabaretts, die feinen Unterschiede im Sprachgebrauch, im Verständnis von Humor und Anspielungen wurden bewusst als Auswahlprinzip formuliert. Zudem stehen sowohl das Rabenhof-Theater wie das BKA für den kulturellen Austausch zwischen den Städten Wien und Berlin. Spezifischer Kulturtransfer als Markenzeichen, als Kenntlichmachung programmatischer und ästhetischer Referenzen auf andere Kulturen kann als ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal von Kulturbetrieben ausgebaut werden. Ein weiteres Beispiel aus der deutschen Hauptstadt ist das »JakartaBerlin Arts Festival« (www.jakarta-berlin.de/de/index.php?p=projekt). Im April 1993 wurde eine Städtepartnerschaft zwischen Berlin und Jakarta geschlossen, ohne dass es in der Folge zu nennenswerten gemeinsamen Kooperationen zwischen beiden Städten gekommen wäre. Erst während der Asien-Pazifik-Wochen 2009 wurde die Städtepartnerschaft aktiv wiederbelebt und aufgrund einer privaten Initiative (»Literarische Aktion e.V.«) wurde im Frühsommer 2011 das »JakartaBerlin Arts Festival« ins Leben gerufen und mit großem Erfolg durchgeführt (vgl. www.jakarta-berlin.de/). Großzügig finanziell unterstützt durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie konnte hier gezeigt werden, dass gerade der Mangel an Assoziationen zur Kultur der Zehn-Millionen-Metropole Jakarta der Reiz für das Publikum war, sich die unterschiedlichen künstlerischen Aufführungen aus Indonesien anzusehen und sich an diese Städtepartnerschaft samt ihrer bislang unbeachtet gelassenen Chancen zu erinnern. Aber auch für die Partner und Geldgeber konnten hier neue Perspektiven eröffnet werden, die eben wirklich den Namen »international« verdienten. Ausgehend von einer im Grunde als bloßes Lippenbekenntnis begonnenen Städtepartnerschaft konnte sich hier eine kleine Privatinitiative großen Respekt bei Publikum und Förderern erwerben. Als letztes Erfolgsbeispiel sei noch ein intrakultureller Projektansatz genannt, der sich vor allem auf die Assoziationskraft von aktiven Erlebnissen und Visualisierungen im öffentlichen Raum stützt: das Projekt »Dolmus-Express« (vgl. www.peanutz-architekten.de) in Berlin-Kreuzberg. Die Dolmus-Taxis sind in der Türkei Sammeltaxis, die verschiedene Menschen von einem Ort zum anderen bringen. In diesem Projekt wurden die Bewohner des Stadtteils Kreuzberg aufgefordert, an einer Theaterperfomance
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des Theaters Hebbel am Ufer, des »raumlabors berlin« und der PeanutzArchitekten teilzunehmen, in der die Teilnehmer Fahrzeuge, Fahrräder und Motorräder in Dolmus-Taxis verwandelten. Die Peanutz-Architekten steuerten dazu eventarchitektonische Interventionen bei. Es sollten nicht nur kulturelle Assoziationen bei den türkischen Migranten hervorgerufen werden, Erinnerungen an die häufig ramponierten Dolmus-Taxis in der Türkei, sondern es ging auch um eine Fiktionalisierung des öffentlichen Raums durch soziokulturelle Elemente einer anderen Kultur. Das Spiel mit fremden Begriffen, Traditionen wurde als eine sinnlich erlebbare Inszenierung dargeboten, ein Angebot, über die vielen hybriden Einflüsse nachzudenken, denen sich eine Großstadt in ihrer energiegeladenen Mobilität täglich ausgesetzt sieht. Damit dieses Projekt gelingen konnte, war es wichtig, dass in der Planung eine Idee ausgewählt wurde, die sinnlich und verständlich genug war, um in Berlin zu funktionieren, eine Prüfung der Übersetzbarkeit der Dolmus-Idee in den öffentlichen Raum der Metropole hinein. Die Erkenntnis, dass jedes Fahrzeug ein Dolmus-Taxi sein kann, wenn man sich einem bestimmten sozialen Ritual anschließt und sich selbst wie sein Fahrzeug zur Verfügung stellt, zeigte sich als eine Form funktionierenden transkulturellen Denkens in einem von vielen verschiedenen Migrationsgruppen belebten Raum. Ein weiteres Kriterium für die Qualität des Projektes war seine bewusste künstlerische Grenzziehung zu jenen häufig anzutreffenden geistlosen »Eventisierungen«, wie sie Armin Klein immer wieder benannt hat (vgl. Klein 2005). Gerade in der Übertragung von fremdkulturellen Traditionen und Kunstformen muss immer wieder ihre Herkunft, Geschichte und ihre Übersetzbarkeit bedacht werden, um nicht einer beliebigen Form des anything goes im Kulturbereich anheimzufallen. Wie das gelingt, konnte man bei diesem Projekt studieren. Daher ist hier noch einmal zu betonen, dass Kulturmanagement sehr genau spartenbezogen gedacht werden muss (vgl. Gerlach-March 2011). Jede Sparte und jedes Genre trägt, schon kulturhistorisch gesehen, spezielle Barrieren, aber auch besondere Vernetzungsmöglichkeiten in sich. Diese Barrieren und Synergien zu verstehen, sie zu analysieren und zu begründen und in der Folge für die Praxis dienstbar zu machen, zählt zu den Kernkompetenzen eines transkulturellen Kulturmanagements (vgl. Keller 2011: 219ff.). All den hier genannten Beispielen gemeinsam ist eine genaue Reflexion ihrer programmatischen Ausrichtung und eine enge Verbindung zwi-
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schen künstlerischem und kulturmanagerialem Denken. Transkulturelles Kulturmanagement benötigt also eine Art von Kulturmanagement, das sich von den alten konventionellen Vorstellungen der Trennung von Kunst und Organisation verabschiedet, die tiefe Verbundenheit der beiden Bereiche versteht und im Prozess des Sichtbar-Machens von Kunst die gleiche Intensität walten sieht wie in dem Sichtbaren der Kunst selbst.
P ROBLEMATIK E UROZENTRISMUS Ein nicht leicht zu lösendes Problem ergibt sich in der Beschäftigung mit transkulturellem Kulturmanagement beim Blick auf die Position derer, die darüber schreiben und sprechen. Folgt man der hier aufgestellten Grundannahme, dass ein nachhaltiges transkulturelles Kulturmanagement von den bestehenden Bedingungen innerhalb der nationalen Strukturen ausgehen muss, stellt sich im deutschsprachigen Raum sofort die Frage: Wie verhält es sich mit dem Spannungsverhältnis kulturellen Handelns zwischen europäischem und außereuropäischem Kontext? Der hohe Stellenwert, den der Begriff »Kultur« in Europa immer noch genießt, spiegelt sich beispielsweise in zahlreichen Förderprogrammen zur Kultur innerhalb der Europäischen Union wider. Auch die zahlreichen Euregio-Programme leisten hier eine wichtige Arbeit in den Grenzregionen. Dennoch hat dies bislang nicht zu einem wirklich gemeinsamen Kulturbewusstein geführt und erst recht nicht zu einem dauerhaft funktionierenden, kooperativen Handeln, das über einzelne Leuchtturm-Projekte hinausreicht. Woran liegt das? Es genügt ein Blick in den Sprachraum des vorliegenden Textes. Gerade in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist der Begriff »Kultur« nicht zu denken ohne die Geschichte der Aufklärung, die verschiedenen Ebenen des Einflusses der Nazi-Zeit, die Skepsis bzw. Hinwendung zum europäischen Einheitsgedanken. Allein zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz bestehen hier ganz unterschiedliche Auffassungen. Trotz des gemeinsamen Sprachraums werden politische, soziale und historische Ereignisse in den jeweiligen Ländern höchst unterschiedlich wahrgenommen und bewertet. Die europäische Kulturgeschichte wird innerhalb Europas so verschieden interpretiert, dass in den drei genannten Ländern nicht von einer gemeinsamen Kulturauffassung gesprochen werden kann. Der europäische Gedanke ist zunächst ein Konstrukt, dem zudem immer wieder der Vor-
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wurf gemacht wird, eurozentristisch zu sein (vgl. Conrad/Randeria 2002). Dabei wäre gerade der Charakter des gemeinsamen Suchens viel überzeugender als die zwanghafte Einigung auf gemeinsame Standpunkte: »Das integrative Potential europäischer Identität liegt nicht in der Fixierung konkreter Bedeutungen, sondern im Prozess der gemeinsamen Suche nach Identität.« (Lichtenstein 2012: 7) Daher ist große Vorsicht geboten, besonders in der Zusammenarbeit mit Künstlern und Kulturmanagern, die den Begriff »Differenzierung« wirklich ernst nehmen, hier zwanghaft eine kulturelle Einheit herstellen zu wollen, etwa über eine gemeinsame Kulturdefinition. Der europäische Gedanke proklamiert zwar den Slogan »In Vielfalt geeint« – ist aber gerade dadurch so unpräzise und allgemein, dass er nur selten universelle Begeisterung auslöst. Künstlerische Teilhabe ist konkret. Sie bedarf der Konzentration auf die Räume und Entgrenzungen, die der Kunst möglich sind. Daher kann sich eine internationale Kulturarbeit nur bedingt auf kontinentale bzw. globale Ideologien und politische Maßgaben einlassen, sondern ist darauf angewiesen, Vernetzung immer wieder als Entdeckung des Einzelfalls zu verstehen. (Das betrifft besonders die institutionelle Förderung.) Das mag etwas utopisch klingen – gerade im Angesicht häufig sehr strikter Förderbedingungen von europäischen und außereuropäischen Projekten. Gleichwohl ist es unabdingbar, um in diesem Feld nicht in die gleichen Fallen zu laufen, die in der europäischen Kulturpolitik immer wieder zu beobachten sind. Gemeinsamkeit lässt sich nicht fördern, sondern nur erleben und stimulieren. Daher ist die Verwendung des Terminus »Europäische Kulturarbeit« ein Fokus auf eine unterschiedliche Topografie von Institutionen, politischen Handlungsmöglichkeiten und organisationalen Chancen – er darf kein programmatischer Terminus sein.
K ULTURPOLITISCHE S TANDPUNK TE UND WIRTSCHAF TSPOLITISCHE R E ALITÄTEN Blickt man auf die konkreten Arbeitsbedingungen von Kulturinstitutionen in verschiedenen europäischen Ländern, so kann man sehen, dass auch hier von »in Vielfalt geeint« noch keine Rede sein kann. Ein Blick auf die in den »Cultural Statistics« (Eurostat 2011) veröffentlichten Zahlen macht das deutlich: »In 2009, at EU-27 level, 3,6 million people were employed
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in the five maintain cultural sectors of economic activity […], representing 1.7 % of total employment. The highest shares in this respect were found in the Nordic Countries and the lowest in Portugal, Romania and Turkey.« (Eurostat 2011: 64) Ein vertrautes Nord-Süd-Gefälle sowie die bekannte Erkenntnis, dass Investitionen in Kultur immer von der Prosperität der allgemeinen Wirtschaft abhängen, prägen nach wie vor die Realitäten innerhalb der Kulturszene Europas. Das verwundert nicht, zeigt jedoch, dass die Proklamationen von einem gemeinsamen Europa der Werte und der kulturellen Identität in der konkreten Praxis noch nicht Wirklichkeit geworden sind. Gerade der Kulturbereich zeigt hier eine solche Differenz und zuweilen dramatische Unterschiedlichkeit, dass ein transkulturelles Kulturmanagement auch hier sehr genau reflektieren muss, wie stark Kooperationen und Netzwerkbildungen bislang noch immer entlang sichtbarer wie unsichtbarer ökonomischer Differenzen und kulturpolitischer Fort- oder Rückschrittlichkeit verlaufen. Umso mehr wird hier, einmal mehr, deutlich, dass ökonomische Abhängigkeiten im Bereich der Kultur immer auf eine besondere Form der Reaktion stoßen, entweder im Sinne einer Bejahung der Situation, wie sie ist, also eine Ausrichtung auf ökonomisch sinnvolles Handeln innerhalb der gegebenen Umstände, oder als eine dezidierte Suche nach alternativen Formen der Organisation und der Finanzierung, etwa innerhalb von Formaten wie dem amerikanischen Kickstarter-Projekt (vgl. www.kickstarter.com) oder deutschen Startnext-Projekt (vgl. www. startnext.com), bei denen die (ökonomische) Partizipation von interessierten Bürgern und Geldgebern zu einer Form der Verwirklichung kreativer Projekte führt, die außerhalb bestehender Strukturen funktioniert. Sinnvoll erscheint freilich für das Kulturmanagement eine Kombination beider Ausrichtungen, verbunden mit dem fundamentalen Bewusstsein, das »künstlerische Arbeit organisiert werden muss« (Baecker 2009: 39). Zudem gilt es zu betonen, dass gerade im Kulturbereich die konkreten Arbeitsbedingungen von Künstlern viel stärker als bislang einbezogen werden sollten. Künstler sind eben keine Produzenten, die nach einer standardisierten, prozessorientierten Form vorgehen, wie das in anderen Wirtschaftszweigen der Fall ist. Neue künstlerische Wege zu beschreiten, bedeutet immer auch, Zeit und Geduld zu organisieren, Raum zu schaffen für Experimente jenseits der Logik von schnell messbarer Effizienz. Diese Herausforderung institutionell zu lösen, bleibt, sieht man von erfolgreichen Einzelbeispielen ab, noch immer eine Zukunftsaufgabe.
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Dafür sprechen auch die Realitäten von künstlerischer und kulturmanagerialer Arbeit in Europa, besonders, wenn man nicht allein auf die kommerziell erfolgreichen Institutionen und Projekte blickt. Immer noch steht dem Bekenntnis zur Kultur kein adäquater, weitsichtig-strategischer Handlungsrahmen gegenüber, trotz vielfältiger Kulturförderprogramme (EACEA), Plattformen wie dem Europäischen Netzwerk der Ausbildungszentren für Kulturmanagement (ENCATC) und einer reichen Förderlandschaft von international ausgerichteten Stiftungen (Allianz Kulturstiftung, Robert-Bosch-Stiftung, Anne-Lindh-Stiftung, Fritz Thyssen Stiftung, Mercator-Stiftung, Gerda Henkel Stiftung, ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Gemeinnützige Hertiestiftung etc.). In diesen Förderkontexten stehen hauptsächlich Projekte im Vordergrund – mit einer zeitlichen Begrenzung. Projekte, die naturgemäß ein formulierbares Ziel erfüllen sollen innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens. So erfolgreich dieser Ansatz für einzelne Projekte ist, so problematisch erscheint er gleichzeitig, wenn es darum geht, gerade auch bei internationalen Vernetzungen, längerfristige stabile Netzwerke und Kooperationen aufzubauen. Ein weiterer Beleg für diese Problematik findet sich etwa bei der EUNIC – der Gemeinschaft der Europäischen Kulturinstitute in Berlin (vgl. www.eunic-berlin.eu). In der Selbstdarstellung der EUNIC heißt es: »Die Gemeinschaft versteht sich als Spiegelbild des großen Europa im kleineren Maßstab und strebt danach, die unterschiedlichsten europäischen Kulturtraditionen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ohne jedoch die einzelnen nationalen Befindlichkeiten und historisch bedingten Entwicklungen ausblenden zu wollen. Im Mittelpunkt steht die Hoffnung, das Teilende überwinden zu können und sich abseits der Tagespolitik auf die gemeinsamen europäischen Wurzeln zu besinnen. Die europäische Kulturvielfalt gründet sich auf einem stabilen Fundament – einer gemeinsamen Geschichte, Tradition und einem gemeinsamen Kulturerbe.« (EUNIC 2011)
Konkret besehen, agiert diese wichtige Einrichtung aber auch, ähnlich wie viele Stiftungen, im Bereich von Einzelprojekten und Veranstaltungen. Langfristige ausgelegte strukturelle Verbesserungen für die Situation von Künstlern in Europa bzw. eine Strategie, wie man die »unterschiedlichsten europäischen Kulturtraditionen auf einen Nenner bringen« kann, stehen zumindest in der Außenkommunikation nicht im Vordergrund. Bereits
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2002, ein Jahr vor der Gründung der EUNIC, hatte Robert Peise hellsichtig erkannt: »Weil die ›Corporate Identity‹ nationaler Kulturmittlerinstitute darin besteht, innerhalb durch Staatsgrenzen definierter Kulturräume zu agieren, fehlen ihnen die nötigen Mittel, um über den bilateralen Auftrag hinauszugehen. Für multilaterale Kooperationen müssten sie zusätzliche Gelder beschaffen. Die vollständige Aufkündigung bilateraler Beziehungen zugunsten europäischer Strukturen wäre aber kontraproduktiv. […] Deshalb liegt es nahe, gerade die Zusammenarbeit in Drittländern zu fördern.« (Peise 2002)
Was würde das aber bedeuten, »europäische Strukturen« zu gestalten? Die Schaffung von Freiräumen für Künstler, bezahlbare Mieten für Galerien, Ateliers, Ausstellungsorte sowie Investitionen in kreative Labors sind nach wie vor schwierig zu erreichende Ziele – wenn man eine längerfristige Perspektive anlegt. Daran ändert auch das politische Bekenntnis zu den »Creative Industries« wenig, das vor allem einer ökonomischen Logik des Zusammenschlusses von sogenannten Kreativbranchen folgt (vgl. Wolfram 2011: 87). Außerdem wird auch hier häufig von kulturpolitischen und wirtschaftlichen Interessengruppen vergessen, dass kulturelle Produktionen nicht wie andere Wirtschaftsgüter behandelt werden können, eben weil sie aus einem anderen »Stoff« gemacht sind, in dem die Verwertungslogik nur kurzfristig greift. Hierzu gibt es mittlerweile auch wissenschaftlich spannende Analysen, warum dieser Denkansatz für die europäische Kulturpolitik erhellend und förderlich sein kann (vgl. Agbodjan 2010). Trotz des Bewusstseins der Bedeutung kultureller Aktivität für die Entwicklung von Gesellschaften, für das Entstehen und Ausdifferenzieren aktiver Teilhabe von Bürgern sowie für das Entstehen neuer kreativer Diskurse, ist die europäische Kulturpolitik in all ihren Unterschieden sich doch in einem Punkt einig: Struktureller Wandel wird von den Kulturbetrieben und den Künstlern selbst erwartet; projektbezogene Interventionen werden hingegen gern unterstützt. Wie sollen aber Künstler und Kulturmanager gegen Phänomene etwas unternehmen, an denen sie schlichtweg nichts ändern können? So haben bei einer 2007 durchgeführten europaweiten Befragung nach den »Barrieren im Zugang zur Kultur« immerhin 42 Prozent der Befragten angegeben, »der Mangel an Zeit« sei die Hauptbarriere, die zweite große Gruppe, immerhin 29 Prozent der Befragten, gab an, Kultur sei »zu teuer« (vgl. Eurostat 2011: 149).
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Diese Daten weisen darauf hin, dass es offensichtlich einen engen Zusammenhang gibt zwischen gesellschaftlichen ökonomischen Realitäten und dem Zugang zu kulturellen Repräsentationen. Dass dieser tiefer greifende Zusammenhang nicht im Fokus europäischer Kulturpolitik steht, ist freilich nachvollziehbar, aber auch bedauerlich. Hier muss immer wieder das schwierige Verhältnis von künstlerischer Produktion, gesellschaftlichen und kulturpolitischen Erwartungshaltungen sowie dem Verhalten des Publikums reflektiert werden. Vielleicht sollte man eine Antwort auf diese Herausforderungen auch nicht primär im Bereich der Kulturpolitik erwarten und wünschen. Trotz der vielerorts schwierigen Bedingungen erstaunt die individuelle kreative Vielfalt, mit der sich Künstler und Kulturmanager in privaten Initiativen zu neuen Netzwerken zusammenschließen. Es ließen sich hier viele Beispiele anführen (siehe ausführliche Liste im Anhang), stellvertretend seien hier der Schweizer Kulturnetzwerk-Verein »Vivamos«, der Verein »KunstWerke Berlin e.V.« und das in Weimar ansässige »Artsmanagement.net« als Informationsplattform genannt. Gemeinsam ist diesen Vernetzungsansätzen eine klare Orientierung auf folgende Punkte: • Kommunikation der spezifischen Vernetzungsmethoden (Synergien zwischen Sparten, internationaler Austausch, interkulturelle Kompetenzförderung); • Partizipation für nicht-deutschsprachige Zuschauer und Besucher (Englisch als Basisinformationssprache oder Visualisierung von Programminhalten auf der Website, Fokus auf den Einfluss anderer Kulturen im nationalen Kontext, Begegnung mit anderen Kulturen jenseits folkloristischer Konzepte); • Relevanz der Themen und Programminhalte für ein internationales Publikum. Die Konzentration auf die Frage, wie man neue Publikums- und Interessensgruppen miteinander verbindet, wie Vernetzung nicht nur als Schlagwort, sondern als Praxis funktioniert, wie aus kulturpolitischen Absichten konkrete Erfahrungen werden, kann an diesen Beispielen sehr gut studiert werden. Wenn auch nicht jeder Kulturbetrieb dafür geeignet ist, solche Formate und Vernetzungen durchzuführen, lässt sich häufig beobachten, dass gerade für kleinere Theater, Bühnen, Museen oder Galerien hier ein großes Potential unausgeschöpft bleibt.
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D AS P ROBLEM DER S PR ACHE Ein heftiger Streitfall ist immer wieder die Frage nach den sprachlichen Barrieren, besonders in Europa, sobald es um den Versuch eines gemeinsamen kulturellen Dialogs geht (vgl. Kraus 2004, Braselmann/Ohnheiser 2004, Koll-Stobbe 2009). Ein Blick auf die Websites im deutschsprachigen Raum macht jedoch klar, dass hier bereits eine gewichtige Entscheidung abseits der Debatten gefallen ist: Fast alle größeren Kulturbetriebe bieten Informationen in Englisch an (vgl. auch Interview Schindhelm in diesem Band). Freilich wird man in Grenzgebieten, wie etwa an der deutsch-polnischen oder deutsch-französischen Grenze, auch immer wieder Angebote in der Sprache des Nachbarlandes finden. Dominant ist jedoch das Englische als lingua franca für die internationale Kommunikation im Bereich Kultur im deutschsprachigen Raum. Zweifellos hat diese Entwicklung bedrohliche Seiten, besonders für kleinere Kulturen, auch für die Sprache von Minderheitenkulturen. Keineswegs darf hier unterschätzt werden, wie wichtig es ist, innerhalb internationaler Kulturprojekte den Wert von Mehrsprachigkeit zu thematisieren und erfahrbar werden zu lassen (vgl. den Umgang mit der ladinischen Sprache beim Festival »Klangspuren« oder die Arbeit des Sorbischen Instituts in Bautzen (www.serbski-institut.de) für die Wiederbelebung des Sorbischen als Kultursprache). Gleichwohl sollte man auch nicht den großen Vorteil übersehen, den eine zunehmende Verbesserung feldspezifischer Englischkenntnisse im deutschsprachigen Raum bietet. Je genauer, differenzierter und anspruchsvoller eine Fremdsprache etabliert wird, desto größer ist die Möglichkeit, das eigene Programm nuanciert vorzustellen und in einem breiteren Rahmen zu diskutieren. So wünschenswert eine vielfältige Mehrsprachigkeit in der Kommunikation ist, so unrealistisch ist die Annahme, dass dadurch auch die Rezeption im globalen Feld vielfältiger wird bzw. überhaupt stattfindet. Allein die Pflege mehrsprachiger Websites ist hinsichtlich des Kostenfaktors ein Problem. Es geht hier nicht um ein Entweder-Oder, sondern um sinnvolle Strategien, welche eine möglichst fundierte Form von Teilhabe ermöglichen. Es ist ja geradezu ein positiver Effekt, dass in dem Moment, in dem viele Menschen an einer kulturellen Performance teilnehmen und sich darüber in einer Sprache komplex austauschen können, auch die kritische Reflexion vergrößert werden kann. Fragen nach sprachlicher Identität, nach regionaler Besonderheit, nach künstlerischen Traditionen lassen sich heute
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nur sinnvoll im Kontext der Globalisierung stellen. Zudem lebt der direkte Kontakt zu Künstlern und ihren Produktionen von einer unmittelbaren Kommunikation zwischen Akteuren und Rezipienten, die durch den Faktor einer Übersetzung durch Dritte häufig abgeschwächt wird. Immer wieder leiden diese Formen des Nachdenkens an einer gewissen sprachlichen Unzulänglichkeit, eben weil sie entweder durch den Prozess der Übersetzung oder durch eine Basis-Kommunikation hindurchmüssen, die nicht genügend Komplexität aufweisen. Gerade von diesem Gesichtspunkt aus gesehen ist es wünschenswert, dass Kulturbetriebe im deutschsprachigen Raum eine Entscheidung für eine fundierte und differenzierte Kommunikation für Nicht-Muttersprachler bieten. Das muss freilich nicht die englische Sprache sein. Aber sieht man auf die Realitäten, wird deutlich, dass das Englische noch am ehesten dafür geeignet zu sein scheint, möglichst viele Kulturen einzubinden und eine Brücke zu schlagen zum außereuropäischen Raum. In manchen Gebieten Europas mag das eher auf das Französische, Spanische, Türkische oder Arabische zutreffen – für den deutschsprachigen Raum lässt sich bei einem einfachen Test des Überfliegens von Webseiten und Publikationen von Theatern, Museen, Galerien etc. eine andere Tendenz feststellen. Erstaunlicherweise gibt es hier auch in der Sprachenvermittlung von Universitäten und Hochschulen noch eine gewisse Zögerlichkeit im Bereich der linguistischen Kulturvermittlung. Wirtschafts- oder Businessenglisch wird an vielen Standorten bereits seit Jahren für Studierende angeboten – »English for Artsmanager« ist sicher immer noch ein Exotikum, obgleich gerade hier eine kritisch-reflexive Sprachvermittlung ein wichtiger Baustein für ein transkulturelles Management wäre. Um es noch einmal zu betonen: Sollten sich Wege finden, Mehrsprachigkeit wirklich so zu etablieren, dass sie sinnlich und praktikabel wird für die Kommunikation von internationalen Kulturveranstaltungen, dann wären das die Königswege. Bis es dahin kommt, kann vielleicht ein großer Gewinn darin liegen, gemeinsam in einer Sprache nachzudenken und zu reflektieren, warum Sprache zu den wertvollsten und wichtigsten Formen der Kultur überhaupt gehört.
D IE M ÜNDIGKEIT DES P UBLIKUMS Die jüdisch-amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein (1874-1946) schrieb einmal: »Ich schreibe für ein kleines Publikum. Denn ein kleines
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Publikum macht Lärm – und der wird irgendwann vom großen Publikum gehört.« Diesen Lärm zu erzeugen, den Gertrude Stein meint, ist heute vielleicht ungleich problematischer als zu anderen Zeiten. Denn sobald subkulturelle Trends auftauchen, laufen sie Gefahr, von einer hungrigen internationalen Trendindustrie geschluckt zu werden. Denkt man beispielsweise an den globalen Erfolg des Hip-Hops, der rasch aus den amerikanischen Slums auf die Bildschirme globaler TV-Sender katapultiert wurde, an den Erfolg japanischer Manga-Comics und ihren Siegeszug in den Kinderzimmern europäischer Familien, an den Punk und seine immer stärker zerbrochene Radikalität, je erfolgreicher er wurde9 , aber auch an ältere subkulturelle Phänomene wie die Rembetiko-Musik der griechischen Flüchtlinge aus Kleinasien, den Tango aus den Hinterhöfen von Buenos Aires oder die Fado-Musik des alten Lissabon, dann wird klar: Aus einer spezifischen Subkultur sind heute weltweite »Marken« geworden. Hip-Hop, Mangas, das Theater Dario Fo’s, Fado-Lieder, Salsa, Tango und Capoeira-Rhythmen – diese Kulturformen werden heute rund um den Globus von einem Millionenpublikum verstanden, verehrt und konsumiert. Freilich sind auf dem Weg in die Welt auch die Darstellungsformen verwandelt worden. Die visuellen, sprachlichen und klanglichen Strukturen wurden angepasst und häufig von jenen kantigen und widerborstigen Reizen befreit, die jene Kunstformen und Kunstwerke in ihrer Entstehungszeit begleitet haben. Die Frage ist nun: Ist das Publikum mündiger und klüger geworden, indem es plötzlich Kulturformen aus fremden Ländern wie eigene behandelt oder zumindest die implizite Exotik zu verstehen vorgibt? Oder ist es gerade jene einfach rezipierbare Exotik, die den Konsum vereinfacht? Wohl kommt von beidem etwas zum Tragen. Der spannendste Punkt aber ist etwas sehr Basales: die grundsätzliche Bereitschaft, Neues zu entdecken. Daher soll hier in Form einer Thesenbildung eine Grobstrukturierung für fünf basale Publikumstypen vorgeschlagen werden, die vielleicht helfen kann, den Blick zu schärfen und zu differenzieren, sobald man von einem internationalen Publikum spricht. Ich möchte sechs Grundtypen benennen, die sich in vielen Ländern wiederfinden lassen:
9 | Bestes Beispiel ist die Existenz eines Wirtschaftsmagazins, das sich den Namen »Business Punk« gegeben hat (vgl. www.business-punk.com).
Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive?
• Das Spezialpublikum (themenspezifisch interessierte Laien, Fachleute, Journalisten etc.), das bewusst und auf individuelle Suchkriterien fixiert nach Neuentdeckungen sucht. Die Bereiche Weltmusik, interkulturelle Literaturrezeption, auf spezifische Kulturen fixierte Filmfestivals etc. wären hier als institutionelle Kontexte zu nennen.10 • Das Folgepublikum. Sobald ein kulturelles Produkt eine gewisse mediale Aufmerksamkeitsdichte generiert hat, etwa durch dominante Mediendiskurse oder eine Skandal- oder Konfliktorientierung, folgt dieses Publikum dem neuen Angebot oder zeigt zumindest Bereitschaft, es zu rezipieren.11 • Das Traditionspublikum. Innerhalb dieser Gruppe werden Experimente und Neuentdeckungen eher gescheut. Während das Spezialpublikum geradezu Andersartigkeit der Form und des Inhalts einfordert, ist das Traditionspublikum eher oppositionell gegenüber Neuerungen eingestellt. Das betrifft vor allem nationale Phänomene, z.B. bei TV-Großereignissen, Sportveranstaltungen oder seit langen Jahren bestehenden Fernsehformaten.12 • Das Zufallspublikum (Spontan-Rezipienten ). Spontane oder zufällige Teilhabe durch Vor-Ort-Ansprache, Live-Kommunikation oder spezifische Ticket-Angebote. 10 | Im Bereich Musik wäre hier die enge Publikumsbindung an kleinere innovative Musiklabels zu nennen wie etwa das Wiener inkmusic label (vgl. www.ink music.at). Im Bereich Literatur ist der Zürcher Unionsverlag ein gutes Beispiel für die Ausrichtung auf ein solches Spezialpublikum, da der Verlag zum großen Teil bekannte wie unbekannte Autoren aus außereuropäischen Ländern wie Indien, Vietnam, Kirgisien etc. vorstellt (vgl.www.unionsverlag.com). 11 | Ein gutes Beíspiel hierfür ist die Rezeption des Film »Brokeback Mountain« (2005) von Ang Lee, der die Liebesgeschichte zwischen zwei schwulen Cowboys mit den Mitteln eines klassischen amerikanischen Natur-, Familien- und Sozialdramas erzählt. Aufgrund dieser dramaturgischen Beschaffenheit wurde der Umstand des »Schwulenfilms« fast ins Vergessen gerückt und der Streifen wurde auch kommerziell erfolgreich. 12 | In Deutschland kann man das gut beobachten an der Rezeption von TV-Formaten wie »Wetten dass …?«, einer Unterhaltungsshow mit Wettbewerbselementen, oder der Krimiserie »Tatort«, die ihre mediale Repräsentation stark auf die relative Unveränderbarkeit der Grundstruktur (Rahmendramaturgie etc.) ausrichten (vgl. Graef 2010).
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• Das »ruhende Publikum«. Ein Publikum, das gerade in vielen Metropolen existiert und definiert werden kann als gegenüber der Mehrheitsgesellschaft skeptisches Publikum (z.B. spezifische Migrationsgruppen), das aber potentiell durch eine individualisierte Ansprache aktiviert werden kann. • Digitales Publikum. Besonders viele junge Menschen zeigen in dieser Gruppe Interesse, an digitalen Events teilzunehmen und sich zum Beispiel in sozialen Netzwerken im Internet in einer Weise zu engagieren, wie sie es nie im realen Raum tun würden. Dazu kommen die Mischformen dieser Publikumsarten, da je nach Gelegenheit, Ort, sozialem Umfeld Überschneidungen stattfinden können. Glogner/Föhl haben darauf hingewiesen, dass seitens der Kulturanbieter die »Funktionen, die Kultur für die Publika von Kulturveranstaltungen übernehmen soll bzw. die positiven Wirkungen, die man sich für die Nutzerinnen und Nutzer der jeweiligen Kulturangebote verspricht« (Glogner/ Föhl 2010: 11), zentral gesehen werden. Gleichzeitig betonen sie: »So begrüßenswert die genannten Funktionen und Wirkungen auch sein mögen, ihre alleinige Behauptung ohne empirische Belege ist […] wenig glaubhaft.« (Glogner/Föhl 2010: 12) Das gilt freilich umso mehr für die Dimensionen eines internationalen Publikums. Hier stehen noch viele empirische Untersuchungen an. Zudem ist auch hier zu betonen, dass Publika nach Sparten untersucht werden müssen, wenn man genaue Ergebnisse und nicht nur Tendenzen haben will (vgl. hierzu exemplarisch Reussner 2010). Greift man nun noch einmal die oben genannten groben Typisierungen auf und schaut auf ein internationales Publikum, so lässt sich feststellen, dass diese drei Formen auch im globalen Kontext anzutreffen sind. Daher folgen mediale Großereignisse wie die Übertragung von OpernGroßereignissen, Eröffnungen wie bei den Olympischen Spielen oder Festivalübertragungen häufig einem dramaturgisch recht einheitlichen Muster, da anhand der Einschaltquoten davon ausgegangen wird, dass ein Massenpublikum, in diesem Fall Folgepublikum/Digitales Publikum, klar verständliche und stimulierende Erlebnisreize braucht (vgl. Hitzler 2010), die an bestimmte dominante Diskurse anschließen. Möglicherweise mag das auf Großveranstaltungen und ihre mediale Verwertung zutreffen. Für kleinere Veranstaltungen und Projekte gilt das sicherlich nicht.
Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive?
F OKUS S PE ZIALPUBLIKUM Gerade für künstlerisch anspruchsvolle Projekte kann es hilfreich sein, auf den »Lärm« zu vertrauen, den ein kleines, dafür hoch motiviertes und interessiertes Publikum auslösen kann. Gelingt es dann noch, entsprechende Vernetzungen herzustellen zwischen verschiedenen Formen von Spezialpublika in unterschiedlichen Ländern, wird deutlich, dass hier durchaus eine respektable »Zuschauermasse« zustande kommen kann. Nicht zuletzt durch die ungeheure Geschwindigkeit der Informationsverbreitung im Bereich Social Media ist das eine realistische Perspektive (vgl. Scheurer/Spiller: 2010). Damit dieser Ansatz gelingen kann, ist es aber notwendig, klar zu analysieren, was der ästhetische und inhaltliche Aspekt ist, mit dem ein spezifisches internationales Publikum gewonnen werden soll. Hier ist es auch hilfreich, an die Unterscheidung des französischen Soziologen Michel de Certeau zu denken, der erkannte, dass die Strategien von Institutionen von den Konsumenten nicht einfach übernommen und akzeptiert werden (de Certeau 1988). Er sah im Konsum – und das trifft ganz besonders auf künstlerische Rezeptionen zu – eine aktive, verwandelnde, zuweilen sogar widerständige Form menschlichen Handelns. Die eigensinnigen Taktiken der Konsumenten haben ihre Stärke in der Antiglobalisierungsbewegung bereits bewiesen. Sollte nicht auch im Feld der Kultur eine neue Form des speziellen Konsums gefunden werden können, der von dem Gespenst der »globalisierten Kultur« hin zum Angebot einer vielfältigen, reichen und neuen Vernetzung kultureller Strömungen führt? Der Charakter des Spiels, der sich in der Kultur, im Sport, in der Wissenschaft, aber auch in der Politik wiederfindet, ist ein universeller Charakterzug von Kulturen. Es gibt keine einzige Kultur, die nicht auf vielfältige Weise Spielformen und Rezeptionsformen für Fiktionales entwickelt hätte. Dass aber das Verständnis für das Wesen und die Verwandlungsformen von Spielen sich ständig verändert, dass Muster von Spielen in vielen Bereichen gar nicht als solche erkannt werden, erfährt man, wenn man sich auf die Perspektive von internationalen Rezeptionsbedingungen einlässt. Freilich würde es hier in starkem Maße empirischer Daten bedürfen, um Licht in die Vielschichtigkeit und Komplexität des Themas zu bringen. Gerade das Nachdenken über das Wesen und die Erscheinung von Spielen in der heutigen Welt ist ein Thema, das überall auf der Welt Menschen fesselt, interessiert und zu eigenen Standpunkten anregt.
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G IBT ES EINEN H ANDLUNGSFADEN FÜR K ULTURBE TRIEBE ? Für Kulturinstitutionen und kleinere Kulturbetriebe, die sich mit Internationalisierungstrategien auseinandersetzen, ist es sicherlich hilfreich, die einzelnen Faktoren des hier streiflichtartig vorgeschlagenen Wegs konzentriert an ihre eigenen Strukturen anzulegen und zu überlegen, an welchen Stellen die eigenen Potentiale am besten ausgeschöpft werden können – und, fast noch wichtiger, an welchen Stellen überhaupt keine Schnittstellen bestehen und das Eigene noch einmal neu reflektiert wird: • Programmanalyse: Wo sind Chancen einer Erweiterung und Verknüpfung der Sparten, Themen und ästhetischen Überzeugungen mit Kulturgütern und kulturellen Institutionen in anderen Ländern? • Personalanalyse: Wer kann von den vorhandenen (oder neu einzustellenden) Mitarbeitern eine Zuständigkeit für die internationale Ausrichtung einnehmen? Liegen genügend Informationen zu den jeweiligen Förderprogrammen und Vernetzungsmöglichkeiten in Europa innerhalb des Kulturbetriebs vor (vgl. den kommentierten Serviceteil des vorliegenden Bandes)? • Förderwürdigkeit: Wie passt das eigene Programm und Profil zu den Förderbedingungen von Programmen der EU, Stiftungen, staatlichen Angeboten? Welches Sponsoring lässt sich mit einer internationalen Ausrichtung neu kreieren? Wer ist innerhalb der Kulturinstitution kenntnisreich in diesen Fragen? • Erfolgsbeispiele: Welche ähnlich ausgerichteten Institutionen haben gute Erfahrungen mit internationalen Ausrichtungen gehabt? Wie lässt sich daran partizipieren? • Eurozentrismus-Gefahr: Sind die eigenen Überlegungen möglicherweise zu stark am europäischen Kontext ausgerichtet? • Virtuelle Angebote: Wie können möglicherweise Besucher/Zuschauer auf virtuelle Art und Weise am eigenen künstlerischen Angebot teilnehmen? • Sprache: Welche zusätzliche Sprache macht Sinn (geografische, historische, soziale Referenzen prüfen)? Wie differenziert wird mit der oder den gewählten Fremdsprache(n) kommuniziert? • Wie ist die Region, in der man arbeitet, historisch und gegenwärtig mit anderen Regionen verbunden (Städtepartnerschaften, Regional-Governance-Ansätze etc.)?
Warum braucht das Kulturmanagement eine neue internationale Perspektive?
• Welche kulturpolitischen Entscheidungsträger sollen über die veränderte Ausrichtung der eigenen künstlerischen Arbeit informiert werden? Welche Chancen für einen selbstbewussteren Dialog ergeben sich hier? Welche Partner können in anderen Ländern unterstützend wirken? • Publikumsanalyse: Wer könnte zu einem neuen erweiterten Publikum gehören? Welche spezifischen Interessen können so vermittelt werden, dass sie auch in einem neuen kulturellen Feld stimulierend wirken? • Internationale Zielgruppenanalyse unter Einbeziehung der bereits genannten Kriterien. • Synergien: Wie lassen sich Schnittflächen zu anderen kulturellen Ausdrucksformen finden, wie Sport, digitale Medien, Soziokultur und politische Bildung? Wenn Kulturmanager beginnen, sich mit diesen Fragen intensiver zu beschäftigen, ist häufig zu beobachten, dass Handlungsfelder entdeckt werden, die plötzlich Auf brüche zu neuen Ideen und Projekten ermöglichen. Aber auch die Erkenntnis von Grenzen bezüglich solcher Internationalisierungsstrategien kann helfen, den eigenen Weg besser zu verstehen.
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Intervention Gespräch: »Die Globalisierung hat eine neue Dimension mit sich gebracht …« Ein Kulturmanager und Künstler zwischen Dubai, Russland und China Ein Gespräch mit Michael Schindhelm
Michael Schindhelm ist ein international gefragter Kulturmanager und künstlerischer Berater. Er war zuvor Intendant am Theater Basel und Generaldirektor der Stiftung Oper in Berlin. Ab 2007 war Michael Schindhelm als Kulturmanager in Dubai beschäftigt und berät heute in vielen Ländern Regierungen und kulturelle Institutionen bei der Implementierung neuer, international ausgerichteter Kulturprojekte. Michael Schindhelm ist dazu als Autor und Übersetzer tätig.
Gernot Wolfram (GW): Herr Schindhelm, eine generelle Frage vorab: Sehen Sie sich als deutschen Kulturmanager im Ausland oder als internationalen Kulturmanager, bei dem der nationale Hintergrund keine große Rolle spielt? Michael Schindhelm: Man muss da, glaube ich, grundsätzlich auf den Terminus des Kulturmanagers kommen und was er für mich bedeutet. Ich profitiere natürlich von diesem Begriff, obwohl ich mich selbst nicht so bezeichnen würde. Ich war nach dem Zusammenbruch der DDR an einigen Theaterfusionen beteiligt, war Theaterleiter in Basel, habe als Generaldirektor der Opernstiftung in Berlin gearbeitet, bin aber in diesen Jahren in Deutschland nur selten als Kulturmanager bezeichnet worden, sondern eben als Intendant oder Theaterleiter. Erst als ich nach Dubai kam, wurde
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ich von deutschen Medien zum Kulturmanager gemacht. Viele Kulturjournalisten nutzten diesen Begriff, um mir nachzusagen, ich hätte mich in die Arme des Kapitalismus gestürzt, weil ich in den privatwirtschaftlichen Sektor ging. Das Wort »Kulturmanager« war da also eindeutig negativ besetzt. Heute bezeichne ich mich eher als Kulturberater, weil das kulturmanageriales Wissen enthält. Mein Verständnis von Kulturentwicklung ist dabei natürlich stark von Deutschland geprägt, von den Strukturen, aber auch vom historisch gewachsenen Verständnis. Da gibt es viel Wertvolles und Gutes an diesem »Kulturmodell Deutschland«. Als ich in Deutschland gearbeitet habe, habe ich das freilich anders gesehen. Begegnet man jedoch den neoliberalen Denkweisen in Dubai, Russland oder auch in China in Bezug auf die Kultur und was sie leisten soll und muss, sehnt man sich fast nach einer deutschen Kulturverwaltung. GW: Das heißt, Kultur nicht nur nach monetären Gesichtspunkten zu betrachten, ist etwas typisch Mitteleuropäisches oder gar Deutsches? Michael Schindhelm: In gewisser Weise ja. Selbst ein Blick in die angelsächsischen Länder zeigt, dass dort ein vollkommen anderes Selbstverständnis vorherrscht, sehr viel marktorientierter und publikumsbezogener. Das Vertrauen auf Subventionen ist da eher etwas Exotisches. Gleichwohl können in Krisenzeiten gerade Museen oder Ausstellungshäuser aufgrund dieser Struktur in große Schwierigkeiten geraten. GW: Wenn wir über das Thema »Internationalisierung« sprechen, können wir sehen, dass die nationalen kulturpolitischen Strukturen, sogar im deutschsprachigen Raum, sehr unterschiedlich sind, zum anderen sehen wir, dass wichtige kulturelle Interventionen heute international sind. Wie geht man mit dieser Situation am besten um? Michael Schindhelm: Hier darf man nicht vergessen, dass der internationale Austausch nicht erst mit der Globalisierung gekommen ist, das hat eine längere Tradition. Auch der Wettbewerb unterschiedlicher nationaler Kulturmodelle ist nichts Neues, das deutsche basiert beispielsweise auf dem französischen. Es hat nur eine neue Dimension bekommen, dass durch technologische und politische Veränderungen Kultur sehr viel stärker zu einem Bestandteil von Marktprozessen geworden ist. Kultur ist nicht mehr nur »freiwillige Leistung«, sondern Kerngeschäft, zum Beispiel für Städte,
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die dadurch ihren Tourismus ankurbeln wollen. Dadurch ist die Kultur in den Sog globaler Marktmechanismen hineingeraten. Das hat etwa in der Architektur dazu geführt, dass viele Städte erkannt haben, dass durch Stararchitekten, Global Player, der jeweiligen Stadt eine ganz neue internationale Anziehung verschafft werden kann. Kulturinstitutionen sind heute häufig multinationale Unternehmen mit Aktivitäten außerhalb der vier Wände. Ikonografische Sichtbarkeit und sprachübergreifendes Handeln sind hier entscheidende Faktoren für deren Erfolg. GW: Das scheint mir ein wichtiger Punkt zu sein. Sprach- und grenzübergreifend agieren manche internationale Kulturinstitutionen wie globale Unternehmen, nur mit einem anderen Rohstoff. Droht hier nicht eine unumkehrbare Kommerzialisierung? Michael Schindhelm: Innerhalb des Kulturmanagements hat die Globalisierung sicherlich eine neue Dimension mit sich gebracht. Das hat vor allem Konsequenzen für eine neue Generation von Kulturmanagern, die sich ganz neue Felder erschließen können und müssen. Theoretisch gibt es für sie die Möglichkeit, wenn sie ein bestimmtes Wissen generieren, im Ausland schnell Arbeit zu finden. Der Grund ist einfach. Im Zuge der Globalisierung haben sich in ganz unterschiedlichen Ländern, von Kapstadt bis Peking, bestimmte Vorstellungen durchgesetzt, wie ein Theater oder ein Museum zu leiten sei. Das heißt, wenn jemand seinen Master in Kulturmanagement in Deutschland gemacht hat und für diese globalen Prozesse Interesse zeigt, kann er auch international erfolgreich sein. Um der Kommerzialisierung etwas entgegenzusetzen, ist es sicher hilfreich, auf europäische Traditionen zu setzen, die ja, besonders in Deutschland, kulturelle Arbeit immer auch mit einem aufklärerischen Impuls verbunden haben. Leider gilt diese europäische Tradition in vielen außereuropäischen Ländern als »old fashioned«. GW: Müsste da das »alte Europa« nicht ein Stück selbstbewusster sein und gerade diese aufklärerische, dialektische Tradition als etwas durchaus Modernes und Nutzbringendes für das Kulturmanagement betonen? Gerade in den Diskussionen um eine zunehmende Kommerzialisierung? Michael Schindhelm: Ich stimme Ihnen da vollkommen zu, nur setzt das voraus, dass man überhaupt eine gewisse internationale Präsenz gewinnt.
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In vielen Ländern besteht an diesem aufklärerischen Potential der Kulturvermittlung und Kulturberatung gar kein Interesse. GW: Was meinen Sie genau? Michael Schindhelm: Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Wenn sich in New York, London oder Seoul kulturelle Institutionen auf die Suche nach neuen Lösungen für bestehende Fragestellungen machen, dann suchen sie nach Vergleichsbeispielen oder sogenannten »benchmarks«. Sofern Sie keine persönlichen Kontakte haben, wird es schwierig, dass Sie auf Projekte aus Deutschland kommen. Werfen Sie einmal einen Blick ins Internet und versuchen Sie, Best-Practice-Beispiele aus Deutschland auf Englisch zu finden. Es gibt welche, aber sie sind nicht prägend. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass dort nach wie vor ein großer Transferbedarf besteht. Wissen im internationalen Kulturmanagement ist heute englischsprachiges Wissen, egal, ob Sie nach Spanien, China, Brasilien oder in die USA schauen. Das ist die »Zweitsprache« fast aller, die in diesem Bereich arbeiten. Zugleich ist es die Sprache, in der Informationen im internationalen Austausch generiert werden. Das ist eine Realität, die man reflektieren muss, wenn man da nicht in einer Nische zurückbleiben will. Gerade vor dem Hintergrund der großen Bedeutung, die viele deutsche Künstler im Ausland haben, denken Sie nur an den Maler Gerhard Richter, ist es verwunderlich, dass die Ansätze des deutschen Kulturmanagements noch so wenig Diskursbedeutung besitzen. Die Globalisierung kann also einerseits den Austausch von Ideen, Meinungen, Projekten ungemein fördern, auf der anderen Seite aber auch vernichten. Damit muss man aktiv umgehen. GW: Schauen wir noch einmal auf Ihre Rolle als Kulturmanager und auf die Frage nach den unterschiedlichen Verdienstmöglichkeiten im internationalen Raum. Man hat ja viel über Ihren Verdienst in Dubai gemutmaßt. Ist das ein Mythos, dass man in anderen Ländern sehr viel mehr Geld in diesem Beruf verdienen kann als in Deutschland, Österreich und der Schweiz? Michael Schindhelm: Darüber ist in der Tat viel geschrieben worden. Natürlich wurde ich sehr gut bezahlt, aber eben auch aufgrund einer spezifischen Expertise, die ich mitgebracht habe. Ich wurde auch als Theaterintendant in der Schweiz gut bezahlt, auch in Deutschland wurde ich angemessen entlohnt, aber als Freischaffender sind das ja nicht regel-
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mäßige Einkünfte. Ich denke, dass es um das geht, was man anzubieten hat. Wie gesagt, deutsche Perspektiven sind im internationalen Raum des Kulturmanagements nicht sonderlich präsent. Da muss man sich einen Namen erst erwerben. GW: Sehen Sie das nicht etwas zu kritisch? Michael Schindhelm: Möglicherweise. Zumal ich, wenn ich im Ausland bin, eher dazu neige, das deutsche und mitteleuropäische System zu verteidigen. Wenn es so etwas gäbe wie ein »Kulturkonzept Berlin«, dann würde ich das freilich einem »Kulturkonzept London« oder »Kulturkonzept New York« vorziehen, die viel stärker auf das Kräftespiel globaler Entwicklungen vertrauen. Man muss nur aufpassen, dass wir da nicht zwei Ebenen durcheinanderbringen. Die eine Ebene sind die Blickwinkel kleiner intellektueller Kreise, die andere bezieht sich auf die Massenkulturen als zentrale Motoren der kulturellen Globalisierung. So etwas wie Popkultur wäre eben ohne diese Massen gar nicht möglich. Da herrscht ein harter ökonomischer Wettbewerb, in dem viele europäische Perspektiven als zu zögerlich und skeptisch eingeschätzt werden. Darüber muss man nachdenken, wenn man europäische Traditionen in der Kulturarbeit nach vorn bringen will. GW: Haben Sie ein konkretes Beispiel? Michael Schindhelm: Wenn Sie nach Shanghai oder nach Shenzhen schauen, dann sehen Sie eine unglaubliche Energie und auch »Naivität«, die wir in Europa nicht wiederherstellen können. Kultur meint hier etwas vollkommen anderes als im europäischen Kontext. Das müssen wir uns erst einmal übersetzen. Oder ein anderes Beispiel: Wenn britische Kuratoren in Russland alte Museen neu entwerfen und enthusiastisch mit neuen Ausstellungskonzeptionen versehen, kommt es vor, dass sie sich als Futurologen empfinden, d.h. sie glauben, etwas Brachliegendes völlig neu zu entwerfen, ohne dass sie gewahr werden, dass die Kunstgeschichte Russlands eine Riesenmacht ist, die man sich zunächst erschließen muss, ehe man sie verändern oder neu konzipieren kann. Das heißt, wir müssen ein gewisses Maß an Genauigkeit, an kritischem, selbstbefragendem Blick in die internationale Kulturarbeit mitbringen, um nicht in alte koloniale Denkweisen zu verfallen. Wenn das gelingt, ist die europäische Perspek-
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tive hilfreich und sicher auch erfolgreich, ökonomische und kritische kulturwissenschaftliche Denkansätze miteinander zu verbinden. GW: Wir haben von Metropolen gesprochen. Wie sehen Sie das Verhältnis von regionaler Identität und internationaler Kulturarbeit? Schaut man beispielsweise auf den deutsch-türkischen Regisseur Fatih Akin, sieht man, dass Hamburg als Topografie ein zentrales Element ist, das neue deutsche Kino ist nicht ohne die Bilder Berlins zu denken, die Metropole Ruhr war 2010 eine Region mit europaweiter Aufmerksamkeit … Michael Schindhelm: Hier möchte ich Ihnen als Schriftsteller antworten. Ich glaube, dass wir uns in Deutschland in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer wieder mit unserer Identität auseinandergesetzt haben. Die deutsche Literatur ist eine Identitätsliteratur. Das will ich in Frage stellen. Sieht man etwa auf die großen deutschen Regisseure wie Wim Wenders oder Werner Herzog, kann man feststellen, dass sie im Ausland zu großen Poeten wurden, in dem Moment, als sie sich von den spezifisch deutschen Themen gelöst haben und zu tieferen Fragestellungen vorgedrungen sind. Die ureigene geistige wie reale Topografie, von der Künstler erzählen, ist wichtig, aber sie muss sich verwandeln und in eine neue, umfassendere Darstellung verwandeln. Wo dies gelingt – denken Sie noch einmal an den Maler Gerhard Richter –, kann der spezifische Blick eine neue Welthaltigkeit erlangen. Vielleicht bedeutet dies auch eine entschiedenere Form der Fiktionalisierung … GW: Immer wieder liest man in den letzten Jahren, dass das Management und speziell das Kulturmanagement selbst eine Art »Kunst der Organisation« ist. Würden Sie dem zustimmen? Michael Schindhelm: Das ist für mich dieser typische Mythos des Managers – im Sinne eines Jongleurs, der auf dem Marktplatz Tricks vorführt, von denen keiner weiß, wie er sie macht. Darin sehe ich keine Kunst, das ist dieser bewundernde Blick auf den Umgang mit den Gesetzen des Marktes. Ich bin ja von Hause aus Naturwissenschaftler und natürlich gibt es Schönheit und Künstlerisches auch in mathematischen Theorien oder biologischen Prozessen. Diese Ebene der Schönheit kann es auch in der Organisation von Kulturprojekten geben, aber eben nicht im Sinne einer anzuhimmelnden Könnerschaft. Das wäre nicht mein Kunstbegriff.
Intervention Gespräch
GW: Die Ausbildung zum Kulturmanager hat im deutschsprachigen Raum immer noch eine hohe Attraktivität. Viele Hochschulen und Universitäten bieten Studiengänge an und jährlich kommen viele neue Bachelor- und Masterabsolventen auf den Markt, ohne dass es genügend Arbeitsstellen für sie geben würde. Werden zu viele ausgebildet? Michael Schindhelm: In meiner Zeit als Theaterintendant in Basel dachte ich auch oft: Es gibt zu viele Schauspieler, zu viele Künstler, zu viele Neuerscheinungen von Stücken, Büchern, Projektangeboten. Aber irgendwie geht es ja weiter und der Kulturbetrieb existiert mit diesem Überangebot. Dennoch wäre sicher eine Konzentration, eine Fokussierung, sicher auch auf den internationalen Raum, eine Hilfe, um hier zukunftsorientierter zu wirken und Kräfte zu bündeln. Zudem ist der Bereich des Kulturmanagements nach wie vor eine gute Schule für viele, sehr unterschiedliche Berufswege. Hier kann man, und muss man, Offenheit lernen. Viele Wissenschaftsdisziplinen spielen in dieses Feld hinein. In meiner Zeit als Theaterintendant habe ich nicht nur viel über das Theater gelernt, sondern auch über Sozialpsychologie, Kulturwissenschaft, Technik, Medien, Politik, Betriebswirtschaft, Personalmanagement und Menschenführung. Kulturarbeit ist so vielfältig, dass das Kulturmanagement hier ein Wegweiser sein kann, eine Erfahrung und ein Wissenserwerb, der in vielen anderen Bereichen von großem Nutzen sein kann. GW: Also trotz aller Fährnisse ein Bekenntnis zu diesem Studium und Berufsweg? Michael Schindhelm: Ja, obgleich ich hier hinzufügen muss, dass ich das aus einer anderen Generationserfahrung sage. Wie schon erwähnt, ist die Berufswelt eine andere geworden, besonders wenn man auf den globalen Markt der Kulturarbeit blickt. Geradlinige Berufswege wie früher sind da kaum noch anzutreffen. Zugleich haben die heutigen jungen Menschen die Chance, ein eigenes Portfolio zu entwickeln, eine Versammlung von Kompetenzen, die sie in einem viel weiteren Raum agieren lässt. Daher halte ich es auch für so wichtig, dass die kulturtheoretische Ebene in solchen Ausbildungen nicht zu kurz kommt, denn nur mit einer stetigen Reflexion und Selbstbefragung kann man in dieser Vielfalt bestehen. Und darin muss man junge Menschen bestärken.
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GW: Wie sehen Sie die Europäische Kulturförderung? Immer wieder heißt es, im Zusammenhang mit Kulturbetrieben, die Anträge seien zu schwierig, zu komplex? Michael Schindhelm: Ich arbeite meistens nicht im europäischen Raum, daher kann ich dazu wenig sagen. Aber ich höre von Projektpartnern immer wieder, dass es sehr bürokratisch zugehe innerhalb der Förderung bei der Europäischen Union. Grundsätzlich ist es eine sehr gute Einrichtung, dass in diesem breiten Maße Förderung möglich ist, aber jegliche Formen einer Überbürokratisierung sind für die Entwicklung von Kulturprojekten problematisch.
Interkulturelle Kontexte managen Überlegungen zur Internationalisierung von Kulturmanagement und Qualifizierung im europäischen Kontext Birgit Mandel
K ULTUR UND K ULTURMANAGEMENT IN E UROPA – NATIONAL ODER INTERNATIONAL ORIENTIERT ? Kulturmanagement als wissenschaftliche Disziplin und als eigenständige Profession hat, anders als in den USA, in Europa noch keine lange Tradition. Erst nach Öffnung der Grenzen zwischen Ost und West in den 90er Jahren entwickelten sich ungefähr zeitgleich in allen europäischen Ländern die ersten Studiengänge aufgrund des Bedarfs nach Umgestaltung zentralistischer und bürokratischer Kulturfördersysteme. In Ost- wie auch in Westeuropa wurde der Kultursektor in dieser Zeit stärker marktwirtschaftlich umorganisiert aufgrund von knapperen öffentlichen Haushalten. Die neu eingeführten Methoden des Kulturmanagements waren in allen Ländern ähnlich. Sie kamen vorwiegend aus der Betriebswirtschaftslehre, der allgemeinen Managementlehre und dem Marketing und wurden für die Belange des Kultursektors adaptiert (Mandel 2009). Auf den ersten Blick schien es so, als hätte man in den 90er Jahren ein relativ einheitliches System des Managements von Kunst und Kultur in Europa etabliert, das in den verschiedenen Ländern ähnliche Anforderungen an Kulturmanager stellt, wie sie bereits die in den 70er Jahren in den USA entwickelten »arts management charts of management skills« beschreiben. Auf europäischen Kulturmanagement-Tagungen wurde jedoch schnell deutlich, dass diese »skills« vor dem Hintergrund eines länderspezifisch gepräg-
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ten Kultur-, Kulturpolitik- und Wissenschaftsverständnisses zum Teil sehr unterschiedlich definiert werden (Suteu 2006). In der kulturwissenschaftlichen Debatte um die Internationalisierung von Kultur werden drei verschiedene Thesen über deren Verlauf vertreten: • die These vom »kulturellen Differentialismus«, die davon ausgeht, dass die Unterschiede zwischen den Kulturen sich auch durch Internationalisierung und multikulturelle Prozesse nicht auflösen werden; • die These von der »kulturellen Konvergenz«, die vermutet, dass Kulturen im Zuge der Globalisierung unter Vorherrschaft westlicher und vor allem amerikanischer Kulturen (McDonaldisierung) zunehmend ähnlicher werden; • die These von der »kulturellen Hybridisierung«, wonach aus dem Zusammentreffen verschiedener Kulturen eine neue, gemeinsame Kultur entsteht (vgl. Laycock 2008: 33). Betrachtet man den Wandel der Kultur in Deutschland in den letzten Jahren, so liegt die These nahe, dass die genannten Entwicklungen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig verlaufen. Auf der einen Seite sind die nationalen kulturellen Traditionen tief verwurzelt und ein wesentliches Element nationaler Identität, das sich durch Internationalisierungstendenzen nicht auflösen wird. Auf der anderen Seite war die Produktion von Kunst in der Geschichte immer schon Einflüssen aus anderen Ländern ausgesetzt, heute umso mehr, als die internationale Mobilität von Personen, Informationen und Ideen in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Hinzu kommt, dass Kunst immer weniger nur für die lokale und regionale und zunehmend für die internationale Rezeption geschaffen wird. Dies gilt vor allem für Filme, Popmusik, Literatur und die bildende Kunst, aber auch, wenngleich eingeschränkter, für das Theater. Da diese Entwicklungen in allen europäischen Staaten ähnlich verlaufen dürften, muss in bestimmten Kultursegmenten mit Angleichungsprozessen und damit einer Reduktion von kultureller Vielfalt in Europa gerechnet werden. Auch das Zusammentreffen von Kulturen ist kein neues Phänomen. Erinnert sei nur an den Einfluss der amerikanischen Kultur in Deutschland in der Nachkriegszeit. Durch die Zuwanderung von Menschen aus anderen Kulturkreisen lassen sich schon seit geraumer Zeit Prozesse der kulturellen Hybridisierung beobachten,
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die aktuell mit der starken Zunahme des Anteils von Menschen mit Migrationshintergrund jedoch deutlicher sichtbar werden. Es stellt sich die Frage, wie sich Internationalisierung von Kultur auf die Praxis von Kulturmanagement auswirkt. Die zunehmende Internationalisierung des Kultursektors in Europa befördert nicht nur den Austausch von Kulturen, sondern erweitert auch die nationalen Perspektiven. Der Einblick in Handlungsweisen und Bewertungskriterien anderer Länder hilft, das eigene System besser zu begreifen, und ermutigt, dessen Routinen und Systeme nicht als unveränderlich hinzunehmen. Dadurch kann es auch zu Lernprozessen und in der Konsequenz auch zu Angleichungsprozessen in der Organisation von und der Sichtweise auf Kunst und Kultur kommen. So dürfte das erst in den letzten Jahren gewachsene Interesse von Kulturpolitik und Kulturschaffenden in Deutschland am Thema »kulturelle Bildung« durch den Austausch mit Kulturschaffenden anderer Länder stark befördert worden sein. So hat etwa das PR-trächtige Wirken des »Arbeits-Migranten« Simon Rattle, Chefdirigent der Berliner Philharmoniker, erheblich dazu beigetragen, dass auch in Deutschland Aktivitäten kultureller Bildung inzwischen als wertvoller Bestandteil professionellen Kunstschaffens anerkannt werden. Aufgrund seiner Erfahrung mit englischer Kulturpolitik hat er, zunächst gegen entschiedenen Widerstand des Orchesters, darauf bestanden, dass eine Abteilung »Education« eingerichtet wurde. Nicht zuletzt durch solche Einflüsse erweitert sich das Kulturmanagement in Deutschland um die Perspektive der Vermittlung. Und es bedurfte auch der europaweiten positiven Bewertung der Creative Industries, um die vormals als kommerziell abgewerteten Bereiche der Kreativ- und Kulturwirtschaft auch in Deutschland als bereichernden Teil des Kultursektors zu begreifen. Damit löste sich das Kulturmanagement von der Konzentration auf den öffentlichen Sektor. Internationale Film- oder Musikproduktionen und international operierende Unternehmen der Unterhaltungsindustrie, die in verschiedenen Ländern Niederlassungen besitzen (z.B. Musical-Unternehmen), sind Beispiele für Bereiche, in denen das Management in besonderem Maße international orientiert sein muss und es deshalb zu einer Art globaler Herangehensweise im Kulturmanagement kommt. Vermutlich bestehen in solchen Konzernen Managementstrategien, die grenzüberschreitend in den verschiedenen Produktions- bzw. Vermarktungsländern zur Anwendung kommen.
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Zugleich findet die Produktion, Distribution, Vermittlung und Rezeption von Kunst jedoch immer unter spezifischen Bedingungen statt, die lokal, regional und insbesondere auch national geprägt sind. Wenn etwa ein Film für den internationalen Markt produziert wird, gelten für seine Herstellung die rechtlichen Rahmenbedingungen, Verwaltungs- und Kostenstrukturen am jeweiligen Drehort. Regional- oder nationalspezifisch sind auch die Voraussetzungen für eine mögliche öffentliche Förderung. Für den Vertrieb sind die Bedingungen der jeweiligen Märkte relevant, die auch innerhalb der EU noch eine starke nationale Prägung aufweisen. Das spricht dafür, dass Kulturmanagement immer auch national ausgerichtet sein muss. Es ist zu vermuten, dass die eingesetzten betriebswirtschaftlichen Instrumente, von der Kostenrechnung bis zum Marketing, über Ländergrenzen hinweg innerhalb Europas ähnlich sind. Demgegenüber dürften die strategischen Herangehensweisen von Kulturmanagement auch weiterhin eine besondere länderspezifische Prägung aufweisen, denn die jeweiligen kulturellen Traditionen und Sichtweisen auf Kunst und Kultur fordern je spezifische Vorgehensweisen. Ein weiterer Faktor der Internationalisierung von Kultur ist der zunehmende Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in allen europäischen Ländern. Damit verändert sich das alltagskulturelle Leben der Gesellschaft und der öffentliche wie private Kultursektor geraten unter Veränderungsdruck, wenn ihre Angebote noch repräsentativ für die Gesellschaft und die Nachfrage des potentiellen Publikums sein wollen. Eine der größten Herausforderungen für das Kulturmanagement dürfte darin bestehen, die durch Migration ausgelösten Hybridisierungstendenzen konstruktiv zu managen, denn diese erfordern umfassende Change-Management-Prozesse sowohl in den einzelnen Kulturinstitutionen wie im Kultursektor generell. Kulturmanagement in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern muss im Zuge einer stärkeren Internationalisierung von Kultur neue kulturelle Einflüsse integrieren und gleichzeitig Besonderheiten nationaler wie regionaler Kulturen bewahren und herausstellen. »Kaum eine Nation kann heute noch ihr kulturelles Eigenleben völlig unberührt von anderen kulturellen Einflüssen verwirklichen. Kulturelle Diversität, d.h. die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher kultureller Wertorientierungen und Lebensentwürfe am selben Ort, ist eine wahrscheinlich unaufhebbar gewordene, ge-
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sellschaftlich wirksame Kraft, die trotz ihrer sozialen Konfliktpotentiale die Basis für kulturelle Vielfalt bieten kann. Voraussetzung dafür ist die Entwicklung von Konzeptionen für kulturelle Koexistenz, die für das Nebeneinander geistige und materielle Räume schafft, Brücken für den Austausch baut und auf Zwangsintegration, die letztlich immer zum Verschwinden des Besonderen führt, verzichtet.« (Bendixen 1998: 6)
N EUE A NFORDERUNGEN AN K ULTURMANAGER Veränderungen im Kulturbereich führen auch zu neuen Aufgaben und Anforderungen an die Qualifikation von Kulturmanagern. Auslöser für solche Veränderungen sind vor allem der wirtschaftliche und gesellschaftliche Strukturwandel sowie die Herausforderungen durch die Internationalisierung der Kultur. Da diese Veränderungen in den verschiedenen europäischen Ländern ähnlich verlaufen, stellen sich für die Kulturmanager ähnliche Herausforderungen, so auch das Ergebnis eines europäischen Forschungsprojekts zur Qualifizierung im Kulturmanagement (European Arts Management Programme 2008). Im Rahmen dieses Projekts wurde als Anforderung für zukünftige Kulturmanager sowohl von Lehrenden im Kulturmanagement wie von Führungskräften aus unterschiedlichen Kulturbereichen vor allem die Fähigkeit zur Wahrnehmung und aktiven Mitgestaltung einer sich verändernden Kulturlandschaft genannt. Zukünftige Herausforderungen an das Kulturmanagement bestehen aus Sicht der befragten Experten vor allem darin, zwischen Kunst und anderen gesellschaftlichen Sphären zu vernetzen und den Einflussbereich von Kunst und Kultur auszuweiten. Angesichts zunehmender Legitimationsprobleme des öffentlichen Kultursektors sei es vor allem notwendig, unterschiedlichste Teilöffentlichkeiten und neue Zielgruppen für Kunst und Kultur zu gewinnen, offensiv Lobbyarbeit für Kultur zu betreiben sowie vor dem Hintergrund rückläufiger öffentlicher Förderung neue Finanzierungsquellen für Kunst und Kultur zu finden (Mandel 2008: 162). Die Verschiebung der Größenverhältnisse innerhalb des Kultursektors mit Schrumpfung des öffentlichen Sektors und Ausweitung der privaten Kulturwirtschaft bedeutet für Kulturmanager, dass sie zunehmend unternehmerisch tätig sein müssen und dass sie selbst Ziele ihres Handelns definieren müssen.
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Der demografische Wandel und der zunehmende Anteil von Menschen mit anderen kulturellen Hintergründen verändert die Struktur des potentiellen Kulturpublikums und langfristig auch der Kulturproduzenten. Diese interkulturellen Veränderungen für den Kultursektor so zu gestalten, dass sie für möglichst viele Menschen eine Bereicherung darstellen (statt ein Problem), wird eine der dringendsten Aufgaben für das Kulturmanagement sein. Das erfordert die interkulturelle Umwandlung des Kultursektors und neue Formen des Managements, der Kommunikation und der Vermittlung. Gefordert sind die Fähigkeiten, langfristig und strategisch zu denken, eigene Ziele zu entwickeln, statt nur vorgegebene Anweisungen umzusetzen, neue Finanzierungs- und Fördermöglichkeiten für Kulturprojekte zu finden, innovative Methoden zu entwickeln, um neue gesellschaftliche Gruppen an Produktion und Rezeption von Kunst und Kultur zu beteiligen. Dabei stellt sich für Kulturmanager auch die Frage nach der Auswahl und Förderung von relevanter Kunst und Kultur statt bloßem Management im Dienste eines einzelnen Kulturbetriebs oder bloßer Aufrechterhaltung bestehender Systeme. An Kulturmanager wird zunehmend die Anforderung gestellt, weniger Manager von Kunst im engeren Sinne zu sein als vielmehr Manager kultureller Kontexte, die kulturelle Verbindungen schaffen zwischen unterschiedlichen Sphären und Kunst als Katalysator für gesellschaftliche Veränderungen einbringen. Kulturmanager könnten eine Schlüsselposition darin einnehmen, Ideen und Kreativität verschiedener sozialer Gruppen sichtbar zu machen, Interessen zu verbinden und daraus neue Projekte zu entwickeln, die zur Lebensqualität in der Gesellschaft insgesamt beitragen. Zukünftige Kulturmanager müssen in der Lage sein, selbstbestimmt auf der Grundlage eigener Werthaltungen auf die immer schnelleren Veränderungen im Kulturbereich und in der Gesellschaft nicht nur passiv zu reagieren, sondern Kultur aktiv zu initiieren.
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V ER ÄNDERUNGSTENDENZEN VON K ULTURMANAGEMENT -S TUDIENGÄNGEN IN E UROPA In einer Befragung des European Networks ENCATC von elf Studiengangsleitern verschiedener Kulturmanagement-Studiengänge und Training-Center in Europa benannten diese folgende Kompetenzen als die wesentlichsten: »The ability to deal with different kind of cultural agents/ team coordination and managing of multiple priorities/designing realistic implementation schedules/discourse and speech skills/leadership skills and negotiation skills«. (ENCATC/Schwarz 2000: 17) Zugleich wurde in der Auswertung der Studie deutlich, dass es große Differenzen gibt zwischen den als notwendig erachteten Fähigkeiten und den Prioritäten in den Curricula der Studiengänge. Folgende Aspekte wurden als fehlend in den meisten Ausbildungen identifiziert: »Deficit in interrelating culture with other sectors (e.g. tourism, new technology or social education, employment, health, social cohesion); deficit in training the trainers; deficit in training for exercising context reading and flexibility (the training of minds not of abilities only).« (Ebd.)
Bereits in dieser Studie wurde diskutiert, dass es gelingen müsse, die »Fähigkeit, Kontexte zu lesen«, in ein Studium zu integrieren, dass es dafür aber noch keine überzeugenden Modelle gebe. Betrachtet man die Entwicklungsgeschichte des Kulturmanagements insgesamt in Europa, so lässt sich pauschal feststellen, dass zu Beginn der 90er Jahre Skepsis und Sorge in Hinblick auf eine Ökonomisierung des Kunstsektors durch das Kulturmanagement dominierten, die einige Jahre später der euphorischen Entwicklung von Kulturmanagement-Tools durch die Adaption bewährter Methoden der Betriebswirtschaftslehre für den Kultursektor wichen. Seit einigen Jahren ist im Kulturmanagement-Wissenschaftssektor eine neue Inhalts- und Werteorientierung zu beobachten. Beschäftigt man sich mit den aktuell formulierten Selbstdarstellungen und Mission-Statements der Kulturmanagement-Studiengänge in Deutschland, Österreich und der Schweiz (vgl. Mandel/Seeger 2009), so ist im Vergleich zu den Selbstdarstellungen Anfang der 90er Jahre sehr auffällig, dass auch diese insgesamt viel mehr die inhaltliche Dimension ihrer Ausbildung im Vergleich zur Vermittlung instrumenteller Fertigkeiten betonen. Es geht stärker um die Herausbildung inhaltlicher Entschei-
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dungskompetenz sowie um Schlüsselkompetenzen wie kreatives Denken, Innovationsfähigkeit, unternehmerisches Denken und Handeln, als um das Handwerkszeug des Kulturmanagements, wie etwa Marketingtools oder juristisches und administratives Wissen, das früher in den Vordergrund gestellt wurde. Offensichtlich wurde in den letzten Jahren deutlich, dass methodische Aspekte zwar eine wichtige Basis für das Management von Kunst und Kultur sind, sich diese aber relativ schnell erlernen lassen und sich zudem häufig verändern, insofern permanent »on the job« weiterentwickelt werden müssen. Relevanter für eine nachhaltige Qualitätsentwicklung im Kulturmanagement sind inhaltliche Positionierungen und konzeptionelle Gestaltungsfähigkeit. Nach ihrer Analyse verschiedener Kulturmanagement-Modelle in Europa kommt Suteu zu der Auffassung, dass Kulturmananagement-Curricula in Europa neben internationalen Kooperationsprogrammen vor allem auch die »strategische politische Dimension« berücksichtigen müssten (Suteu 2003: 16). Die Reflexion kulturpolitischer Steuerung, die vermutlich in allen europäischen Ländern eine wichtige Rolle spielt, da in keinem Land Europas Kultur allein den Marktgesetzen gehorcht, dürfte für Kulturmanagement wesentlich sein. Die Veränderungsprozesse in Europa würden neue Kulturmanagement-Ansätze notwendig machen vor allem in den Bereichen »Creative Governance« und »Management of Change«. Auch Suteu ist der Ansicht, dass sich Kulturmanagement-Ausbildung wegorientieren müsse von einem »tool kit approach« zu visionärer Gestaltungsfähigkeit (ebd.: 17). Suteu sieht in allen europäischen Studiengängen die grundsätzliche Entwicklung von der »Administration« zum »Management« zum »Entrepreneurship«, womit sie zum einen auf die inhaltliche Verantwortung von Kulturmanagern abhebt, zum anderen auch auf eine zunehmende Ablösung aus öffentlich finanzierten Kontexten. Nachdem in allen Studiengängen zu Beginn vor allem die Reformierung öffentlicher Kulturverwaltung beherrschendes Thema war, findet man aktuell fast in allen Curricula die Themen »Kulturwirtschaft«, »Creative Industries« und »Cultural Entrepreneurship«.
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E UROPÄISCHE K OOPER ATIONSPROJEK TE – E RFAHRUNGSFELDER FÜR K ULTURMANAGEMENT Seit dem Vertrag von Maastricht 1992 spielt Kulturförderung eine Rolle in der Europäischen Union. Wenngleich die Kulturpolitik der EU finanziell nur gering ausgestattet ist, wird Kultur eine hohe Bedeutung für den Zusammenhalt Europas beigemessen, sollen es doch die gemeinsamen kulturellen Wurzeln sein und die gemeinsamen kulturellen Projekte, die dazu beitragen, »Europa eine Seele zu geben«. Kultur soll für die emotionale Vermittlung eines gemeinsamen Europas sorgen. Als historischer Ausgangspunkt einer gemeinsamen europäischen Kultur gilt das Erbe des christlich geprägten Abendlandes, die über Jahrhunderte gewachsene europäische Kulturgeschichte, die nicht zuletzt durch die Förderung von Kulturschaffenden durch Adel, Bildungsbürgertum und Staat gedeihen konnte. Hervorgehoben werden auch die Verankerung von Demokratie und Menschenrechten durch ein Rechtssystem mit langer Tradition sowie der Intellektualismus und die kritische Reflexionsfähigkeit der Europäer (häufig in Abgrenzung zu den USA), die auch in Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur entstünden. Ziele von EU-Kulturförderprogrammen bestehen darin, Gemeinsamkeit und Zusammenhalt als Europäer zu erfahren durch Unterstützung grenzüberschreitender Mobilität von Kulturschaffenden, die internationale Verbreitung künstlerischer Werke sowie die Förderung des interkulturellen Dialogs. Die potentielle Dimension des kulturellen Austauschs wird deutlich, wenn man bedenkt, dass in der Europäischen Union insgesamt ca. sieben Millionen Menschen im Kulturbereich tätig sind. Neben Programmen für die Zusammenarbeit im Rahmen gemeinsamer europäischer Projekte von Kulturpraktikern gibt es, vor allem über die Fördersäule »Leonardo«, Programme für Wissenschaftler aus verschiedenen europäischen Ländern, darunter auch diverse Förderprojekte zur Kulturmanagement-Ausbildung in Europa. Bereits 1992 wurde das europäische Netzwerk ENCATC (European Network of Cultural Administration Trainers) gegründet für den Austausch derjenigen, die sich mit Ausbildung im Bereich Kulturmanagement und Kulturverwaltung beschäftigen. Inzwischen hat ENCATC 125 Mitgliedsorganisationen und Einzelmitglieder aus 38 Ländern, richtet sich also nicht nur an EU-Mitgliedsländer. Die Bandbreite der Mitglieder reicht von grundständigen wie aufbauenden akademischen Studiengängen über
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Fort- und Weiterbildungsinstitute bis zu privatwirtschaftlich arbeitenden Trainern und Coaches im Bereich Kulturmanagement. ENCATC hat eine hauptberufliche Geschäftsführung mit Sitz in Brüssel und bietet den Mitgliedern, vor allem im Rahmen eines monatlich erscheinenden elektronischen Newsletters, aktuelle Informationen über europäische Fördermöglichkeiten und Projekte und bemüht sich um die Vernetzung der Mitglieder. Diese funktioniert im Wesentlichen über die jährlichen Konferenzen, aus denen heraus sich immer wieder Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen bilden wie »Creative Industries and Creative Entrepreneurship«, »Urban management and cultural policy of the city«, »Museum management«, »Performing arts management«, »Audience Policies in Europe«. Seit 2004 gibt es im Rahmen der Konferenzen auch jeweils ein »Students Meeting«, das Studierende aus den verschiedenen Ländern vernetzt (www.encatc.org). Erstaunlicherweise gibt es kaum deutsche Mitgliederorganisationen bei ENCATC, was möglicherweise damit zusammenhängt, dass der deutschsprachige Kultur- und Wissenschaftsbetrieb ohnehin so groß ist, dass er scheinbar genug Netzwerkmöglichkeiten bietet. Es könnte aber auch damit zusammenhängen, dass das europäische Netzwerk von vielen deutschen Kollegen als inhaltlich ineffizient empfunden wird. Während für die Mitglieder aus den meisten Ländern im Vordergrund des Netzwerkes steht, sich persönlich kennenzulernen, einen unverbindlichen fachlichen Austausch zu pflegen und sich im Rahmen von Tagungsexkursionen gemeinsam etwas anzuschauen, erwarten die deutschen Mitglieder eher fachlichen Output, der im Rahmen solcher europäischer Treffen kaum möglich ist. Neben dem unterschiedlichen Verständnis von Kulturmanagement erschweren die verschiedenen Sprachen und Kommunikationsstile differenzierte Diskussionen. Englisch als gemeinsame Konferenzsprache ist immer der kleinste gemeinsame Nenner, der oftmals zu Ungenauigkeiten und Missverständnissen führt. Wenige durch ENCATC initiierte Arbeitsgruppen führen zu konkreten Ergebnissen, viele Verabredungen bleiben unverbindlich. Hier zeigen sich große nationale Unterschiede in den Arbeitsstilen, Herangehensweisen und Interessen. So zeigen beispielsweise die deutschen sowie die nordischen und baltischen Studiengänge ein großes Interesse an studentischen Austauschprogrammen, während es in den südeuropäischen Ländern und vor allem in Großbritannien kaum Bedürfnisse nach Auslandsaufenthalten gibt.
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Europäische Kooperation – das klingt überzeugend und scheint einfach, wo doch die kulturellen Gemeinsamkeiten offensichtlich größer als die Unterschiede sind. Und doch zeigen Erfahrungen mit europäischen Projekten, dass diese tendenziell an unklaren Absprachen, unzureichender Strukturierung und in der Konsequenz mangelnden Ergebnissen leiden. Die Autorin selbst war an einem mit insgesamt 400.000 EUR durch das Programm »Leonardo« geförderten zweijährigen EU-Projekt beteiligt, an dem Partner aus England, Frankreich, Italien, Finnland, Polen, Litauen, Bulgarien und Deutschland mitwirkten (vgl. www.eamp.eu). Während es zu Beginn des Projekts so schien, als wären die Vorgaben klar: Konzeption eines Curriculums für ein Kulturmanagement-Training mit dem Schwerpunkt auf Erschließung und Bindung neuer Zielgruppen für Kunst und Kultur – wurde im Arbeitsprozess deutlich, dass jeder Teilnehmer ganz unterschiedliche Vorstellungen davon hat, welche Zielgruppen das sein sollen, was überhaupt Ziele von Kunst- und Kulturförderung sind und in welchem Verhältnis Kulturmanagement zur Kulturpolitik steht. Bis zum Schluss war es nicht möglich, diese unterschiedlichen Vorstellungen unter einem einheitlichen Kategoriensystem zu systematisieren, sich auf Kriterien zu einigen oder überhaupt Konsens über die Notwendigkeit eines solchen Systematisierungsversuchs zu erlangen, was auch mit den sehr verschiedenen Arbeitsstilen der Beteiligten zusammenhing. Das Vorhaben, ein gemeinsames Curriculum zu schaffen und gemeinsam neue Lehrformate und -inhalte zu entwickeln, wurde nicht erreicht. Das Projekt bestätigte die Erkenntnis, dass es innerhalb der jungen Disziplin »Kulturmanagement« auf europäischer Ebene keinen Konsens über die Herangehensweise an Administration, Organisation und Konzeption gibt und die Kulturmanagement-Studiengänge in Europa damit nur vermeintlich ein ähnliches Wissen vermitteln. Auch eine Analyse von Kulturmanagement-Studiengängen in Europa von 2003 zeigte, dass die Inhalte der Curricula in den verschiedenen europäischen Ländern nur auf den ersten Blick identisch erscheinen, sich dahinter jedoch sehr unterschiedliche Bedeutungen verbergen: »As soon as we descend on the national ground of European countries, this limpidity becomes quickly blurred by the often radically different meaning that different European cultural systems allow to the skills related to Cultural Administration/Management. What would fundraising skills mean in France and what in
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UK or Germany or Poland, what leadership and team building capacities are to be taught to a Dutch, a Fin, a Serb context today. This is why from our comparative European perspective we should try to tackle the chosen issues by mainly trying to identify common, but also irreducible national characteristics and highlight the complementary character of cultural management training in different European countries and regions, according to distinctive, methodological attitudes and learning patterns.« (Suteu 2003: 18)
Eine wesentliche Erfahrung des EU-Projekts war, dass die Zusammentreffen immer dann am erfolgreichsten waren, wenn nicht nur abstrakt über etwas diskutiert wurde, sondern wenn vor Ort Beispiele kulturmanagerialer Arbeit gemeinsam angeschaut, diskutiert und reflektiert wurden. Der größte Wert des Projekts lag im direkten Austausch mit den Menschen aus den verschiedenen Ländern, in den vielen informellen Begegnungen, in denen die unterschiedlichen Kommunikationsstile nicht mehr als Belastung, sondern als Bereicherung empfunden wurden. Die gleichen Erfahrungen wurden in einem trinationalen studentischen Austauschprojekt von Kulturmanagement-Studiengängen in Ludwigsburg, Beograd und Turku gemacht. Der Austausch über wechselseitige Images der Länder und gemeinsame Exkursionen vor Ort wurde als sehr bereichernd empfunden, die Erarbeitung von Wissensinhalten in ländergemischten Teams erhielt hingegen eher schlechte Noten (vgl. Hristova at al. 2010). Auch die durch das Erasmus-Programm finanzierten Studienaufenthalte in einem anderen europäischen Land haben sich vor allem deswegen von Wert für Kulturmanagement-Studierende erwiesen, weil sie hier erfahren, wie anders man in anderen Ländern an die Dinge herangeht. Ein Modell, um die länderspezifischen Herangehensweisen an Kunst und Kultur aufzugreifen und zugleich eine Art gemeinsamen Kanon relevanten Wissens für Kulturmanagement in Europa zu schaffen, bietet der bereits 1989 etablierte europäische Lehrgang »European Diploma in Cultural Project Management«: »A training and learning experience fostering cultural diversity and interregional exchanges as a way of giving culture a stronger place within Europe. It does not only aim at improving the skills of cultural administrators in the field of cultural management and administration, but also at helping the participants develop understanding of these fields in a changing Europe. Its main aims are to make
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participants aware of challenges within their field of action and influence and to develop approaches and tools needed for co-operative and creative cultural workforce in Europe.« (www.europeandiploma.org)
Ziel ist es, Kulturmanager, die bereits praktische Erfahrungen haben, für die Initiierung und Durchführung von internationalen Kulturprojekten unter einer europäischen Perspektive weiter zu qualifizieren. Die Ausbildungssprachen sind Englisch und Französisch und der Lehrgang wird durchgeführt von der Fondation Marcel Hicter an verschiedenen Standorten und gefördert vom Europarat. Einmal jährlich werden 25 junge Kulturmanager aus ca. 20 Ländern aufgenommen, die sich zweimal für ca. 14 Tage in jeweils zwei verschiedenen Ländern treffen und dort gemeinsam projektorientierte Trainings durchlaufen. Zum Ende des Jahres muss jeder Student einen ländervergleichenden Report über einen Study-Visit in einem anderen europäischen Land schreiben. Zwischen diesen Training-Sessions arbeiten die Kulturmanager in ihren Ländern jeweils an einem eigenen Kulturprojekt mit europäischer Dimension. In einem Evaluationsseminar präsentieren die Teilnehmer ihre Projekte. Ein wesentliches Erfolgskriterium des Studiengangs ist, dass er Kulturmanager aus verschiedenen Ländern in intensiven Arbeitsphasen zusammenbringt und damit die Basis legt für eine zukünftige länderübergreifende Zusammenarbeit. Solche europäischen Projekte können sowohl Unterschiede im kulturellen Verständnis deutlich wie auch die Idee von Europa greifbar machen, indem sie vor allem auf der Ebene des informellen Austausches zwischen den Mitgliedern das gemeinsame Potential ebenso wie die Vielfalt der Kulturen zeigen und für wechselseitige Toleranz werben. Der sogenannte Bologna-Prozess, der seit 1999 für eine scheinbare Vereinheitlichung der Struktur von Studiengängen in Bachelor und Master sowie für ein einheitliches Credit-Point-System in ganz Europa sorgt mit dem Ziel, die Studierendenmobilität sowie die Anerkennung von Abschlüssen innerhalb Europas zu erhöhen, wirkt sich bislang leider eher negativ auf den europäischen Austausch aus. Aufgrund der neu eingeführten strikten Modulvorgaben gibt es kaum noch Freiräume, um ein Semester im Ausland an einer anderen europäischen Universität zu studieren – hier müssen die Universitäten nachbessern.
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F A ZIT Die Internationalisierung von Kultur führt zu neuen Herausforderungen an das Kulturmanagement. Wie Kulturmanagement diese Herausforderungen interpretiert und in seine Strategien integriert, wird auch innerhalb Europas offensichtlich nach wie vor in starkem Maße von nationalen Bedingungen und Traditionen bestimmt. Zwar verwendet Kulturmanagement in allen europäischen Ländern ähnliche Instrumente, diese werden jedoch vor dem Hintergrund nationaler Traditionen und Denkweisen anders interpretiert und angewandt. Und zugleich führt die zunehmende Mobilität von Kulturschaffenden dazu, dass Ideen, Strukturen und Strategien in Kulturpolitik, Kulturmanagement und Kulturvermittlung von anderen Ländern aufgegriffen werden und es zu Angleichungsprozessen kommt. Die zunehmend internationale und interkulturelle Ausrichtung des Kultursektors erfordert von zukünftigen Kulturmanagern Wissen um kulturelle Unterschiede und kulturelle Einstellungen, die aus den Traditionen, Mentalitäten und spezifischen Kulturen verschiedener Länder erwachsen, ebenso wie sie die Kenntnis unterschiedlicher kultureller Milieus innerhalb der Bevölkerung eines Landes erfordert. Da das Ziel der Qualifizierung von Kulturmanagern jedoch darin besteht, nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern auch Handlungskompetenz, bedarf es dafür auch eigener Erfahrungen in anderen kulturellen Kontexten. Insofern sind europäische und internationale Austauschprojekte von großem Wert, um über persönliche Kontakte unterschiedliche Mentalitäten und Herangehensweisen an Kunst und Kultur kennenzulernen und vor allem, um andere Kunst- und Kulturformen ebenso wie andere Formen der Produktion, Vermittlung und Rezeption von Kunst und Kultur bewerten zu können. Die Erfahrung und Wertschätzung kultureller Vielfalt ist eine wesentliche Voraussetzung für ein international und interkulturell agierendes Kulturmanagement. Aus ähnlichen Anforderungen an Kulturmanager europaweit folgt jedoch nicht, dass die Curricula der Studiengänge einheitlich gestaltet werden müssten. Ein einheitliches Curriculum erscheint im Rahmen einer vielfältigen Kulturlandschaft mit den unterschiedlichsten Akteuren weder innerhalb Deutschlands noch innerhalb Europas sinnvoll und wünschenswert, denn das würde die Gefahr einer Reduktion auf den kleinsten gemeinsamen Nenner im Sinne eines »tool kit approaches« beinhalten. Der Arbeitsmarkt und die Herausforderungen für Kulturmanager sind ausge-
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sprochen vielfältig und brauchen unterschiedliches Wissen sowie vielfältige Kompetenzen und Herangehensweisen.
L ITER ATUR Bendixen, Peter (1998): Kulturmanagement in Europa. Kultureller Austausch und Ausbildung auf internationaler Ebene, in: Handbuch Kulturmanagement. Berlin/Stuttgart. ENCATC; Schwarz, Isabel (2000): Include Report, in: Suteu, Corina (2003): Academic Training in cultural Management in Europe. Making it work. Amsterdam. European Arts Management Programme (Hg.) (2008): Kulturmanager. Neue Herausforderungen und Qualifizierung aus der Perspektive verschiedener europäischer Staaten. Oxford Brookes University, Oxford. Hristova, Svetlana; Knubben, Thomas; Varteainen, Pekka (Hg.) (2010): Culture as a resource for a future Europe. United in diversity? Cultural policy and its dimensions. Ludwigsburg. Laycock, Jolyan (2008): Kulturelle Vielfalt und Globalisierung, in: European Arts Management Programme (Hg.): Kulturmanager. Neue Herausforderungen und Qualifizierung aus der Perspektive verschiedener europäischer Staaten. Brüssel. Mandel, Birgit (2008): Neue gesellschaftliche Gruppen für Kunst und Kultur gewinnen. Herausforderungen für Kulturmanager und Kulturmanagementstudiengänge, in: European Arts Management Programme (Hg.): Kulturmanager. Neue Herausforderungen und Qualifizierung aus der Perspektive verschiedener europäischer Staaten. Brüssel. Mandel, Birgit (2009): Kulturmanagementforschung. Ziele, Fragestellungen, Forschungsstrategien, in: Bekmeier-Feuerhahn, Sigrid; van den Berg, Karen; Höhne, Steffen; Keller, Rolf; Koch, Angela; Mandel, Birgit; Tröndle, Martin; Zembylas, Tasos (Hg.): Forschen im Kulturmanagement. Jahrbuch für Kulturmanagement des Fachverbandes für Kulturmanagement. Bielefeld. Mandel, Birgit; Seeger, Bruno (2009): www.fachverband.org Suteu, Corina (2003): Academic Training in cultural Management in Europe. Making it work. Amsterdam. Suteu, Corina (2006): Another brick in the wall. A critical review of cultural management education in Europe. Amsterdam.
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O NLINEQUELLEN www.eamp.eu www.enatc.org www.europeandiploma.org
Macht Geld die Welt rund? Betrachtungen zum kuratorischen und ökonomischen Prinzip in der europäischen Kulturarbeit Verena Teissl
E INLEITUNG Der Beitrag folgt dem Verhältnis zweier konzeptioneller Prinzipien, dem ökonomischen in Gestalt von Finanzierungsformen für Kulturarbeit und dem kuratorischen Prinzip als inhaltsbezogene, kulturphilosophische Größe. Wo und wie findet in der europäischen Kulturarbeit Internationalisierung in diesen beiden Prinzipien statt, wie finden sie zueinander, wo stehen sie einander im Wege? Wo wurden alternative Finanzierungsformen entwickelt, die die Internationalisierung in sich tragen, und welchen Stellenwert hat das ästhetische Verständnis von Kunst und Kultur?
G RUNDSÄT ZLICHE F R AGESTELLUNG Kulturarbeit und Finanzierung treffen sich in der Dialektik zwischen ideellen und ökonomischen Werten. Beide können ohne einander nicht, streiten sich aber traditionsreich auf der Suche nach synthetischen Formeln. Für das gegenwärtige Leben und damit für das Kulturschaffen spielen Internationalisierung und Globalisierung eine große Rolle; nicht immer ist aber ein reflektierter Umgang mit ihnen kompatibel mit den herrschenden Finanzierungsmöglichkeiten. Mit der Institutionalisierung von Kulturmanagement als Lehre von der operativen, strategischen und ideellen Kulturarbeit wird das Verhältnis zwischen Ökonomie und Kultur außerhalb konkreter Verhandlungen
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zwischen den Akteuren diskutierbar. Die neuralgischen Punkte der Gemeinsamkeiten und Unterschiede werden im wissenschaftlichen Diskurs identifiziert und können für einen sensiblen Umgang befreit werden.1 Im Unterschied zum kulturpessimistischen Modell der Frankfurter Schule bringt die kulturmanageriale Betrachtung eine integrative Form aus Kulturwissenschaft und Kulturbetriebslehre2 mit sich, nähert also das praktische und das theoretische Wissen einander an und damit die Positionen der jeweiligen Akteure: Kuratoren und Kulturfinanzierer arbeiten aus unterschiedlichen Systemen heraus. Die einen aus dem künstlerischkulturell-ästhetischen, die anderen aus dem kulturpolitischen oder wirtschaftlichen. Diese Ausgangslage schärft den Blick für eine traditionsreiche Situation des Kulturschaffens und seiner Akteure: der Frage nach der Kompetenzverteilung und Deutungsmacht, wenn es um die Entwicklung, Umsetzung und dafür notwendige Finanzierung von kulturellen Visionen geht. Stefan Lüddemann hat darauf hingewiesen, dass die kuratorische Tätigkeit im kulturmanagerialen Diskurs einen bislang wenig beachteten Aspekt darstellt (vgl. Lüddemann 2008: 65f.), während sie in der kulturellen Praxis eine Kernkompetenz darstellt. Diese Kluft zwischen Theorie und Praxis schließen zu helfen, ist auch Motivation für den vorliegenden Essay. Zwei Begriffe stehen vor dem Hintergrund der Finanzierungsstrukturen innerhalb der EU im Mittelpunkt: a) die Internationalisierung (in Abgrenzung zur kulturellen Globalisierung) sowie b) das kuratorische Prinzip als zentrales Handlungsprinzip kultureller Arbeit. Grundlegend ist dabei das Verständnis von Kuratorentätigkeit und Kulturfinanzierung jeweils als Gesellschafts- und Handlungspolitik (vgl. Mandel 2009, Fuchs 2007, Zem1 | Tasos Zembylas hat in seiner »Kulturbetriebslehre« (2004) die Rolle von Kulturmanagern als Mediatoren angesprochen. Nicht nur zwischen Künstlern, Veranstaltern und Publikum ist diese Rolle zu erfüllen, sondern ganz besonders in Finanzierungsfragen. 2 | Tasos Zembylas betont die Herausforderung der Interdisziplinärität: »Da die Kulturbetriebslehre eben ein junger Fachbereich ist, in dem WissenschafterInnen aus anderen bereits etablierten Fächern tätig sind – es sind in der Mehrheit Wirtschafts-, Politik- und SozialwissenschafterInnen – wird von unterschiedlichen Grundbegriffen und epistemologischen Voraussetzungen ausgegangen. Diese Situation kann befruchtend sein, aber sie stellt auch eine Herausforderung dar: Will man interdisziplinäre Begegnungen produktiv bewältigen, dann müssen wir das Implizite der einzelnen Diskurse explizieren.« (Zembylas 2003: 1)
Macht Geld die Welt rund?
bylas 2003). Ziel des Beitrags ist c) eine Einordnung von Finanzierungsmöglichkeiten sowie die Problematisierung der Wechselwirkung zwischen kuratorischen Zielen und Förderprofilen. Aspekte der frühen documenta und des heutigen Filmfestival-Circuit dienen zur Veranschaulichung.
A) I NTERNATIONALISIERUNG UND
V ERNE T ZUNG
Mit den Möglichkeiten des World Wide Web (WWW) und der vernetzten Kommunikation hat eine neue Phase der kulturellen Globalisierung eingesetzt. Gleichwohl war kulturelle Globalisierung als gelebte Kulturpraxis auch schon vor den Zeiten der interaktiven Mediennutzung in unterschiedlicher Ausprägung eine bestimmende Kraft: von der Kolonialisierung mit brachialer Kulturdominanz durch die Kolonialherren ab der Neuzeit und im 19. Jahrhundert bis hin zum vertikalen Marketing von Hollywoodfilmen im 20. Jahrhundert. Diese Phasen und Zusammenhänge haben Denk- und Sehgewohnheiten in Europa nachhaltig geprägt. Kulturelle Globalisierung charakterisiert sich in dieser Anordnung durch die Präsenz von hegemonialen Kräften, die machtpolitisch ebenso definiert sein können (Kolonialismus) wie wirtschaftlich (Hollywood) oder, wie es in der Gegenwart der Fall ist, durch einen mehrheitlichen, teilhabenden/teilnehmenden Mediengebrauch. Die Hegemonie entsteht in diesem letzten Fall aus dem nicht demokratisch verteilten Zugang zur vernetzten Technologie: Aleida Assmann konstatiert, dass 50 Prozent der Weltbevölkerung kein Telefon benützen (Assmann 2006: 15). Neben dieser fundamentalen Einschränkung basiert die kulturelle Globalisierung durch Vernetzung außerdem kaum auf institutionell gelenkten Steuerelementen. Dies wird im positiven Sinne als Demokratisierung empfunden. Wo jedoch kein Verständnis von und für globale Kulturen vorhanden ist, lässt sich zumindest annehmen, dass sich Grenzziehungen und Kulturdominanz im Kopf fortsetzen. Eine Internationalisierung hingegen beinhaltet ihrem Wortsinn nach eine bi- oder multilaterale Beziehung und damit das Vorhandensein von Steuerelementen durch die Beteiligten: Internationalisierung lässt sich auf der operativen Ebene ganz allgemein als nationsübergreifende Zusammenarbeit verstehen. Auf der Ebene strategisch-ideeller Vorgangsweise gestaltet sich der Begriff schon wieder komplexer: Unter kuratorischen Absichten wird eine
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»internationale« Veranstaltung auch als Absichtserklärung verstanden, den kulturellen Ausdruck anderer Länder, Gesellschaften oder Ethnien zu präsentieren und zu vermitteln. Inwiefern die »Internationalität« in der kulturellen Praxis in Europa wiederum Kulturdominanz spiegelt, ist durchaus kritisch zu betrachten: Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im deutschsprachigen Raum »Internationalisierung« mitunter mit »Amerikanisierung« gleichgesetzt – wobei auf die Kultur der USA Bezug genommen wurde und nicht auf jene der anderen Länder des Doppelkontinents. Dieser Befund lässt sich aus so manchem kuratorischen »Text« als Metaebene von Veranstaltungen in den vergangenen Jahrzehnten herauslesen. Seine Gründe hat er u.a. in der nationalsozialistischen Prägung, von der man abrücken, der man etwas entgegensetzen wollte. So stand die documenta 2 (1959) unter dem Titel »Weltsprache« und ging von der Ästhetik als Weltsprache aus. Dass eine große Zahl der Exponate aus den USA stammte (vgl. Kimpel 2002: 33), welche die Internationalisierung charakterisierte, wurde weniger kritisiert als innerhalb des Zeitkontextes als Fortschritt gewertet: »Internationalisierung sollte dazu beitragen helfen, die deutsche Kunst vom Vorwurf des Provinzialismus wie auch von Aus- bzw. Abgrenzung vom internationalen Kunstgeschehen aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit zu befreien.« (Autsch 2007: 236) Als 1951 die Internationalen Filmfestspiele Berlin vom US-amerikanischen Filmofficer Oscar Martay gegründet wurde, war sie nicht nur geopolitisch gedacht, sondern geradezu als Instrument im Kalten Krieg entworfen. Osteuropäische Filme waren von der Teilnahme explizit ausgeschlossen, die USA und Großbritannien durften drei Filme ins Rennen schicken, alle anderen westlich konformen Länder ein bis zwei (vgl. de Valck 2007). Auch heute noch zeigen europäische »Internationale Filmfestivals« in der Regel mehr Filme aus Europa und den USA denn aus der Welt bzw. werden Filme durch Programmstrukturen – den sogenannten »Schienen« oder Sektionen – auch aufgrund ihrer Provenienz kontextualisiert: Das A-Festival3 San Sebastian Donostia Zinemaldia (Spanien) bedient eine geopolitische Schiene mit dem Titel »Horizontes Latinos«, eine Informationsschau der Filmproduktion aus den einstigen Kolonien. Filme aus Asien, Afrika und Lateinamerika sind bei der Berlinale vorwiegend in der Sektion 3 | A-Festivals sind in der Definition der FIAPF »Competetive Feature Film Festivals«, welche u.a. einen internationalen Wettbewerb aus Uraufführungen gestalten müssen. Derzeit sind dies 14 Festivals weltweit (vgl. www.fiapf.org).
Macht Geld die Welt rund?
»Internationales Forum des Jungen Films« zu sehen, nur Cannes präsentiert im Herzen seines Programms, dem Wettbewerb, mehr oder weniger regelmäßig asiatisches, afrikanisches und lateinamerikanisches Kino. Diese Sektionen beinhalten Wertungen mit mehrfachen Auswirkungen: Sie dienen dem Publikum zur Orientierung, sie versehen die einzelnen Filme mit einem der Sektion angepassten symbolischen Kapital und sie lenken die mediale Berichterstattung. In deren Mittelpunkt steht meist der Wettbewerb, sodass für die öffentliche Wahrnehmung die Programmierung durchaus signifikant ist. Doch nochmals zurück zur Bedeutung des Begriffs »Internationalität«: Mit der UNESCO-Konvention zum Schutz und zur Förderung der kulturellen Vielfalt aus dem Jahr 2005, ratifiziert 2007, zeichnet sich ein neues, institutionell beeinflusstes und völkerrechtlich orientiertes Begriffsverständnis ab. Es nimmt explizit auf die Welt Bezug und strebt eine partnerschaftliche Verständigung mit den Kulturen des Globus an. Max Fuchs ortet »kultureuphorische Rhetorik« und führt aus: »Was also meint ›Vielfalt‹: Schutz der kleinen Kulturwirtschaft gegen große Global Players, die Errichtung von kulturellen Artenschutzgebieten oder der gleichberechtigte Anspruch aller Sparten und kultureller Ausdrucksformen auf Anerkennung und Förderung? Wie viel Sprengstoff hinter der Klärung dieser Frage steckt, erkennt man leicht, wenn man sich die Aufteilung der öffentlichen Förderung in Deutschland auf die einzelnen Kunstsparten und Kultureinrichtungen betrachtet. Von Gleichwertigkeit der Künste wird hierbei keiner ernsthaft sprechen wollen.« (Fuchs 2007: 1)
Und es lässt sich anschließen, dass auch eine Gleichwertigkeit der internationalen Kulturproduktion fehlt, dass sich hinter geopolitischer Kontextualisierung ebenfalls ein kultureller »Artenschutz« versteckt. Die Befangenheiten eurozentristischer Haltungen als verwurzelte Diskurse schlagen sich u.a. im Sprachgebrauch nieder. Shaheen Merali, Leiter des Bereichs für Kunst, Film und Neue Medien am Haus der Kulturen der Welt in Berlin, formuliert: »When I hear the terms ›other cultures‹ or ›foreign cultures‹, it hurts, it hurts. Why don’t we say ›global cultures‹, without hierarchy, without this big distance?« (www.chinesische-gegenwartskunst.de/ pages/ausstellungen/shaheen-merali-re-imagining-asia.php) Auch in der aktuellen Debatte um die »Integration« von Migranten spiegelt die Wortwahl Haltungen: »Integration« ist kein Begriff, der ein
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hybrides Kulturverständnis wiedergibt, während die Hybridität in der Kulturwissenschaft einen der zentralen Ansätze darstellt, wenn vor dem Hintergrund weltweiter Migrationsbewegungen, globaler Vernetzung und postkolonialem Diskurs die Prozesse von »Identität« diskutiert werden (vgl. u.a. Bhabha 1994/2000). Wenn bei Strategien des Audience Development die Akquise von migrantischem Publikum im Vordergrund steht, so schlägt hier ein nutzenbedachter Managementbegriff durch, der dem konstruktivistischen Verständnis von Kulturmanagement entgegensteht (vgl. ZAD 20094). »Integration« steht insofern geradezu am anderen Ende von »Internationalität« – hat aber seine eigenen Steuermechanismen gefunden, die sich z.B. in Förderrichtlinien niederschlagen (vgl. Betonung von integrativen Projekten in Förderrichtlinien). In Wien wenden sich jene Veranstalter, die hauptsächlich über ihren »migrantischen Hintergrund« wahrgenommen werden, zwischenzeitlich explizit gegen diese Vereinnahmung, aus der sie sich befreien müssen, um »normale« Kulturarbeit leisten zu können. »Normal« als Wiener (oder Österreicher) mit (migrantischem) internationalem Hintergrund, den sie in Kulturbildungsprozesse einfließen lassen, immer dann, wenn es inhaltlich sinnvoll ist, aber nicht aus Prinzip.5 Internationalität kann also auf mehreren Ebenen eine neue Sinndeutung finden.
B)
D AS KUR ATORISCHE P RINZIP
1998 wurde der Kurator Okwui Enwezor zum künstlerischen Leiter der documenta 11 (2001) berufen. Unter dem Titel »Entortung« proklamierte 4 | Diese Studie geht stark von marketingrelevanten und weniger von dialogischen Aspekten aus: »Es sei bereits an dieser Stelle angemerkt, dass eine Untersuchung der derzeitigen Aktivitäten von Kulturinstitutionen mit und für Migranten nur einen ersten Schritt in Richtung dieser Zielgruppe darstellen kann. In einem nächsten Schritt empfiehlt es sich, eine allgemeine Bevölkerungsumfrage unter Personen mit Migrationshintergrund durchzuführen. Nur mit einer solchen Befragung kann man an spezifische Informationen über Besucher und vor allem NichtBesucher mit Migrationshintergrund und damit an für Marketingentscheidungen von Kulturinstitutionen relevante und verlässliche Daten gelangen.« (ZAD 2009: 4) 5 | Vgl. hierzu den Bericht »›Es geht uns nicht um Integration‹« von Klaus Nüchtern in der Wiener Wochenzeitung »Falter« (Nüchtern 2010).
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er, es werde »Weltkunst statt Westkunst« geben (www.basis-wien.at/avdt/ htm/105/00050793.htm). Enwezor, der in Nigeria geboren wurde und in den USA Politikwissenschaft studiert hatte, teilt hier sein grundlegendes kuratorisches Bekenntnis mit: den Kunstbetrieb zu internationalisieren und aus seiner euroamerikanischen Fixiertheit zu heben. Die erste Besonderheit daran war die Selbstverständlichkeit, mit der er Weltkunst den geopolitischen Zuweisungen enthob. Für die Rezeption als »kulturelle Praxis« (vgl. Schenk et al. 2010) ist dies innerhalb des deutschsprachigen Raums von paradigmatischer Bedeutung. Solange Kunst aus Schwellenländern und aus ehemaligen Dritte-Welt-Ländern – heute oft als »Länder des Südens« bezeichnet – über geopolitische Kontexte vermittelt wird, führt die so angebotene Leseweise zu einem Diskurs, in dem politische Affinität vor ästhetischem Interesse steht. Der lateinamerikanische Film wurde z.B. seit den späten 1960er Jahren mehr als politische Äußerung rezipiert und weniger als ästhetische. Er war eine »Entdeckung« von Filmfestivals, die in Opposition zu den etablierten A-Festivals wichtig für eine Kino-Gegenöffentlichkeit waren, wie u.a. bei dem 1964 gegründeten Filmfestival Mostra del Nuovo Cinema in Pesaro.6 Die so eingeführte Rezeption hielt sich bis vor wenigen Jahren und hat das breite Verständnis des lateinamerikanischen Films in Deutschland und Österreich nachhaltig einseitig geprägt (vgl. Teissl 2012). Diese Art von geopolitischer Zuweisung verhindert zwar ein Zurechtrücken des Verständnisses von Internationalität. Aber kuratorische Konzepte entstehen nicht im luftleeren Raum. Geopolitische Veranstaltungen reagieren meist auf die fehlende Selbstverständlichkeit von etablierten Veranstaltungen, internationale Selektion beim Wort zu nehmen. Für die Breitenwirksamkeit ist deshalb die Autorität von etablierten Einrichtungen bedeutsam: Die zweite Besonderheit von Enwezors Intention erwuchs der Institution, der er als Kurator vorstand. Die documenta hat, als die Institution für zeitgenössische Kunst im deutschsprachigen Raum, eine im positiven Sinne autoritäre Wirkung auf die Rezeption, auf die »Selbstverständlichkeit« des Status quo. Die implizite Botschaft ihres Programms lautet: »Das hat Stellenwert«, während geopolitische Konzepte für »Ausnahme« stehen: »Das gibt es auch«, lautet hier die implizierte Leseweise. Diese Wertigkeit 6 | Das Festival in Pesaro entstand unter Mitwirkung von Jean-Luc Godard als »Gegenfestival« zu den etablierten A-Festivals. Godards Ansatz, nicht politische Filme, sondern Filme politisch zu machen, war sein Gründungsleitspruch.
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wird an das Publikum weitergegeben, setzt sich im Blick des Publikums fort.7 Kuratoren leiten als zentrale Akteure Prozesse ein, ihre Arbeitsmaterialen sind die ausgewählten Kunstwerke selbst, der Raum, der Text über, die Inszenierung. Die kulturwissenschaftliche Interpretation von Ausstellungen, Festivals usw. als Medien, innerhalb derer Exponate, Filme usw. arrangiert, inszeniert, präsentiert und kontextualisiert werden, um repräsentative »Texte« herzustellen, führt tiefer in die Zusammenhänge. Kuratorische Konzepte stehen immer auch in Zusammenhang mit den nicht-menschlichen Akteuren.8 Und sie unterliegen den Gesetzmäßigkeiten von Förderungs- und Finanzierungsstrukturen. Internationale Ansätze können durch diese Einflüsse in den Augen des Publikums als globaler Effekt, aber nicht als Zurechtrücken eines internationalen Verständnisses erlebt werden. Enwezor hat in seinem Essay »Großausstellungen und die Antinomien einer transnationalen globalen Form« (2002) die institutionelle Wirkungsmacht von Großausstellungen in ihrem Spannungsverhältnis aus europäisch konzipiertem »Text« und globaler Ausbreitung analysiert. Er schildert einen Selbstläufereffekt, der globalisierend, aber nicht internationalisierend wirkt: 7 | Der Filmwissenschaftler Manthia Diawara beschreibt in seinem Essaybuch »Neues afrikanisches Kino. Ästhetik und Politik« u.a. die Eröffnung der von ihm kuratierten Reihe »African Screens« im Haus der Kulturen der Welt in Berlin. Vom Panafrikanischen Filmfestival in Ouagadougou kommend, ist ihm die unterschiedliche Schausituationen besonders gegenwärtig. Ein und derselbe Film nimmt auf einer Leinwand in Ouagadougou ein anderes Leben an als auf der Leinwand im Berliner Haus der Kulturen. Der Unterschied liegt in den Augen der Betrachter, der kulturellen Praxis. Diawaras Interesse gilt der ästhetischen Herausforderung für afrikanische Regisseure: Zwischen Anschluss an die moderne Kulturrevolution der 1960er Jahre und der Erschließung afrikanischer Traditionen liegen sie im »Kampf um das Eigentum an den Kulturpraktiken« (Diawara 2010: 152). Sein »Kampf« als Kurator hingegen gilt der Überwindung paternalistisch orientierter Publikumsreaktionen, die sich bei Filmen über Korruption oder Aids auf angebotene Hilfestellungen (Spenden), aber selten auf die ästhetische Beschäftigung der Künstler als kommunikative Brücke beziehen. 8 | In Anlehnung an die Akteur-Netzwerk-Theorie nach Bruno Latour. Die Autorität einer Institution beginnt demnach auch über das Eigenleben ihrer Symbole und Orte zu leben, Technik und Leben durchdringen sich.
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»In jüngster Zeit finden sich Beispiele dafür, wie die Herausbildung einer Globalkultur selbst in peripheren Orten des europäischen Superstaates inszeniert werden muss, etwa bei der Manifesta oder in der Idee einer sogenannten ›Europäischen Kulturhauptstadt‹. Nicht anders als bei den Olympischen Spielen bewerben sich Städte darum, führenden Göttern der künstlerischen und kuratorischen Avantgarde eine Heimstatt bereiten zu dürfen. Und so liegt auch der Impetus zu etlichen internationalen Großausstellungen nicht unbedingt darin, dem lokalen Publikum dadurch ein reicheres und komplexeres Verständnis künstlerischer Bewegungen zu vermitteln, dass Formen und Konzepte international beachteter Kunstproduktion vorgestellt und in Dialog gebracht werden, sondern schlicht, einen unbedingten Willen zur Globalität zu verkünden.« (Enwezor 2002: 25f.)
Kuratorische Konzepte sind, nüchtern betrachtet, eine ständige Gratwanderung zwischen der Vision des Kurators, der Autorität/Tradition seines Kulturbetriebs sowie den potentiellen Finanzierungsmöglichkeiten und -strategien. Wenn Hollywood durch vertikales Marketing einen wirtschaftlichen Weg für Hegemonie gewählt hat, so ist der europäische Weg jener der Kulturpolitik. EU-Förderungen obliegt es grundsätzlich, europäische Kontexte herzustellen und zu unterstützen. Hier wird in Prozent gemessen, wie hoch der europäische Anteil ist. Für die MEDIA-Förderung von Filmfestivals sind z.B. 70 Prozent majoritär europäische Produktionen im Programm nachzuweisen (www.mediadesk.de/artikel-detail.php?id=970). Ein Kurator kann diesem Ansinnen nachgehen – oder auch nicht.
Impulse aus der documenta Die Anfangsjahre der documenta sollten in ihrer Bedeutung für die Rolle des kuratorischen Prinzips nicht unterschätzt werden (vgl. Obrist 2008). Ihr Begründer Arnold Bode (1900-1977) gilt als Initiator einer neuen Form von Darbietung zeitgenössischer Kunst: der Inszenierung des Ausstellungsraums. Damit wurde ein Grundstein für das Verständnis von Ausstellungen als Medien gelegt. Die Inszenierung stellt nach Martin Seel ein ästhetisches Verhältnis zwischen Raum, Exponat und Betrachter her (Seel 2001: 48). Als »willentlicher Akt« (ebd.), gerichtet an ein Publikum, dient sie zugleich der Übersetzung von Thesen. In dem Kunsthistoriker Werner Haftmann (1912-1999) hatte Arnold Bode einen »Cheftheoretiker«, der die »ideologischen Leitlinien absteckte«, wie Harald Kimpel über den Beginn
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der documenta 1955 schreibt. Kimpel fährt fort: »Seine Thesen zur Kunstentwicklung im 20. Jahrhundert – weg von der ›reproduktiven‹ zur einer ›evokativen‹ Kunst – werden auch die beiden folgenden documenta Ausstellungen inhaltlich beherrschen.« (Kimpel 2002: 17) Die drei Thesen der ersten documenta 1955 – »Vergangenheitsbewältigung«, »Wiedergutmachung« und »Lücken« –, spiegeln das profunde Anliegen der Kuratorentätigkeit wider, auf zeitgenössische Bedürfnisse und Defizite zu reagieren. Damals erwuchsen diese dem Trauma des Nationalsozialismus. Heute lassen sich ausgewogene Internationalisierungsstrategien zu den zentralen Aufgaben von Kulturarbeit identifizieren, um vor der eigendynamischen Globalisierung der Kulturen Hegemonieverhältnisse zu verhindern und ein dialogisches Verständnis zu begründen. Das Team Bode/Haftmann als kongeniale, organisch gewachsene Verkörperung der kuratorischen Potentiale ist bereits bei der Planung der zweiten documenta mit der Problematik der Institutionalisierung konfrontiert: Die documenta 2 (1959) findet nach der Veränderung der Rechtsform von einem gemeinnützigen Verein in eine GmbH mit mehrheitlicher Mitwirkung der Vertreter der Stadt Kassel im Aufsichtsrat Konfliktstoffe: »Die Interessenskollision zwischen privaten Ideen und den Modalitäten ihrer öffentlichen Umsetzung, also zwischen den Individuen der Ausstellungsleitung, die ihre Arbeit als kreativen Prozess begreifen und dafür künstlerische Freiheit in Anspruch nehmen, und den administrativen Finanzierungs- und Kontrollinstanzen, die den Verfahrensweisen der öffentlichen Mittlerverwaltung verpflichtet sind.« (Kimpel 2002: 28)
Auf lange Sicht hat sich das kuratorische Prinzip der documenta durchgesetzt, aber der historische Konflikt bildet auch das aktuelle Verhältnis zwischen Kuratoren, Institutionen und Finanzierung ab. Während Inszenierung heute einen zentralen und integrierten Bestandteil kuratorischer Konzepte und kulturwissenschaftlicher Betrachtung von u.a. Museen und Ausstellungen darstellt, harrt der Aspekt der »Thesenfindung« einer Neuentdeckung und Fruchtbarmachung für Kulturarbeit gerade im dialektischen Verhältnis mit Finanzierungssystemen. Als Individuum ist der Kurator nicht nur von den Widerständen etablierter Seh- und Rezeptionsgewohnheiten gefordert (vgl. Fußnote 7), sondern zunehmend auch von Fragen nach kongruenten Finanzierungsformen. Als »running gag« gilt die Aussage, dass ein Kurator 70 Prozent seiner Zeit
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für Finanzierung und nur den Rest für Inhaltskonzepte zur Verfügung hat (vgl. Hoffmann 2001). Finanzierung sollte, so gesehen, Eingang in die ästhetische Thesenfindung finden, womit wir wieder bei der Frage des Verhältnisses aus ökonomischer und inhaltlicher Definitionsmacht wären.
Impulse aus dem Filmfestival-Circuit In der Geschichte der Filmfestivals, die 1932 mit der Gründung des Festivals in Venedig als »Mutter aller Filmfestivals« begann, gibt es viele Besonderheiten, die sie gegenüber anderen periodischen Kulturveranstaltungen abgrenzen. Dazu zählt u.a. das stete Neben- und Miteinander von Kunst und Kommerz/Arthouse und Industrie (vgl. de Valck 2007). Im Zusammenhang »Internationalisierung – Finanzierung« sind aber folgende Aspekte besonders bemerkenswert: • Die internationale Regulierung der Filmfestival-Landschaft über die FIAPF (Fédération Internationale des Associations de Producteurs de Films, gegründet 1933), welche dem nicht geschützten Begriff »Filmfestival« eine internationale Grundordnung garantiert. Die FIAPF legt und behütet die Hierarchie zwischen den unterschiedlichen Festivaltypen, ihrer international abgestimmten Zeitplanung, und sie erstellt Qualitätsregularien. Nutznießer dieser Hierarchien und Regularien sind immer die Filme und ihre Kreateure. • Seit den 1990er Jahren hat sich der sogenannte Filmfestival-Circuit mit geschätzten 4.000 Festivals weltweit etabliert. Und mit ihm eine internationale Zusammenarbeit innerhalb des Filmbetriebs, die Produzenten, Vermittler und Bewahrer gleichermaßen mit einbezieht: World Sales, nationale Verleiher, Produzenten und Produktionsfirmen sowie Archive und Filmmuseen. Dieses Netzwerk funktioniert dialogisch und im besten Sinne für die Filme. • Besonders innovativ war aber die Entwicklung der Stiftungsgründungen: Die Festivals in Rotterdam, Cannes, San Sebastian und Berlin (u.a.) haben mit ihren Förderstiftungen Hubert Bals Fund, Cinéfondation, Cine en construcción und World Cinema Fund einzigartige Voraussetzungen geschaffen, um a) die nachkommende Generation (Cannes/ Cinéfondation) und b) Talentförderung aus ökonomisch benachteiligten Ländern zu unterstützen. Bei Letzterem liegt der Fokus explizit auf ästhetisch innovativem Filmschaffen.
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Diese Maßnahme wirkt der Eigendynamik von kultureller Produktion dort entgegen, wo institutionelle Autorität und ökonomische Rahmenbedingungen zum Hindernis werden. Kulturelle Vielfalt bekommt so eine Chance, sich gegen Hegemonieverhältnisse durchzusetzen, ohne aber im Sinne einer entwicklungspolitisch orientierten Förderpolitik Empowerment zu betreiben. Diese Stiftungen wachsen vielmehr aus einem Feld heraus, das sich der Präsentation und ständigen Weiterentwicklung des Films in seiner ästhetischen Dimension verschrieben hat. Filmfestivals sind auch Verkaufsmärkte und Marketingplattformen. Sie sind aber besonders »Sites of Passages« (Übergangsorte, in Abwandlung der Rites of Passages nach Arnold van Geppen) für das ästhetische Potential einer Kunstform, die seit ihrer Anerkennung als siebte Kunst zwischen massenmedialem und avantgardistischem Charakter oszilliert (vgl. de Valck 2007: 37ff.). Letztlich dienen die Stiftungen der ästhetischen Bildung, und wo ihre Auswahlkriterien geopolitischen Charakter besitzen, dort sorgt der Filmfestival-Circuit selbst dafür, diesen wieder aufzulösen. Diese Stiftungsinitiativen sind Teil eines internationalen kuratorischen Prinzips, in dem nicht mehr der einzelne Kurator und Leiter als Akteur wirkt, sondern die Institution Filmfestival selbst. Der thailändische Regisseur Apichatphong Weerasethkul, 2010 für »Uncle Bonmee Who Can Recall His Past Lives« in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet, erarbeitet seine Laufbahn u.a. als Stipendiat des Hubert Bals Fund. Die Vergabe der Goldenen Palme garantiert keine nationalen Verleiher, sie hilft aber. So erfuhr »Uncle Bonmee« auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz einen regulären Kinostart. – In der Schweiz übrigens durch den Verleih trigon Film, der bereits in den 1990er Jahren mit dem Verleih von Filmen begann, die der globalen Kultur entstammen; ebenfalls mit Hilfe einer an die Institution gebundenen Stiftung. Diese Arbeit hinter den Kulissen des Eventhaften von Festivals erhält das System mit am Leben; sie ist dabei international im besten Wortsinn ausgerichtet und richtet sich gegen die ursprüngliche Motivation von Festivals: Während das Festival in Venedig noch mit dem Ansinnen ins Leben gerufen wurde, den europäischen Filmmarkt zu stärken, wirkt heute der Filmfestival-Circuit als Instanz, die abseits des kommerziellen Kinobereichs global operiert und international wirkt. Heute sind Venedig und Berlin Teil eines Veranstaltungssystems, das sowohl kulturelle Produktion als auch Rezeption als kulturelle Praxis in das Verständnis einer globalen Welt stellt. Diese globale Welt funktioniert nicht kosmopolitisch. Solange
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das so ist, ist Hintergrundarbeit bei kultureller Produktion ebenso ein Weg zur Internationalisierung wie die Auflösung geopolitischer Kontexte für die Rezeption.
C)
F ÖRDERMÖGLICHKEITEN : E INSCHR ÄNKUNGEN , P OTENTIAL UND H ER AUSFORDERUNG FÜR F ORMEN DER »I NTERNATIONALISIERUNG «
In vielen Fällen ist das kuratorische Prinzip Initiator und nicht das Förderangebot. Vielmehr besteht die Schwierigkeit darin, geeignete Förderquellen für kuratorische Visionen zu finden, was zu einem Kräfteringen mutieren kann. Kuratorische Handlungsprinzipien sind ein zentrales Forschungsfeld des Kulturmanagements, ebenso bedeutsam wie die Klärung des Einflussbereichs dominanter Finanzierungsformen auf die Seinsweise von Kunst und Kultur innerhalb einer Gesellschaft. Für die ästhetische Bildung als übergeordnetes Prinzip, in dem sich Geopolitik und Hegemonie auflösen könnten, gibt es keine expliziten Finanzierungmöglichkeiten. Wo nicht die Autorität einer Einrichtung Schirmherrschaft für die Kuratoren bietet, bleiben für außereuropäische (internationale) Programme jene engagierten Fördereinrichtungen, die ihrerseits in komplexer Beziehung zu nichtokzidentalen Kulturen stehen: das Goethe-Institut, das als zentrales Anliegen nicht nur deutsche Kultur in die Welt vermittelt, sondern auch internationale Zusammenarbeiten anstrebt und Veranstalter in Deutschland, die »außereuropäische Kultur« präsentieren, unterstützt, dort, wo es sich mit der Arbeit des Goethe-Instituts berührt. Seit 2005 koordiniert das Goethe-Institut die Anna-Lindh-Stiftung, welche die Zusammenarbeit zwischen den Ländern der EU und den Anrainerstaaten im Mittelmeerraum unterstützt (Euromed-Länder). Sie steht für die Arbeit an der erweiterten Grenze. Komplex und geschichtlich aufgeladen ist die Frankophonie9 (OIF – Organisation Internationale de la Francophonie). Mit 51 Vollmitglied-Ländern und sechs in Beobachterstatus ist ihr Selbstverständ9 | Anmerkung zur Begriffsgeschichte: Klein geschrieben bezeichnet »francophonie« die Gesamtheit der Völker und Sprachgemeinschaften, die Französisch außerhalb von Frankreich verwenden. Groß geschrieben steht »Francophonie« für die politische, institutionalisierte Organisation von Staaten und Regierungen,
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nis das eines Global Players. Als Institution entstanden ist sie im Zuge der Unabhängigkeit der ehemaligen afrikanischen Kolonien. Sie ist eine Einrichtung des Postkolonialismus und wird auch in ihrer Funktion als diskursiver Raum gesehen (vgl. Erfurt 2005: 12ff.). Ihre finanzielle Unterstützung zum Aufbau westafrikanischer Filmproduktion und -vermittlung wird von westafrikanischen Akteuren nicht unproblematisch gesehen. Aber im Gegensatz zu z.B. ostafrikanischen Ländern, wo es so gut wie keine Filmproduktion gibt, ermöglichte die Frankophonie das »Mitspielen« am globalen Markt und das Angebot an das westafrikanische Publikum, nicht nur Hollywood- und Bollywoodfilme sehen zu können. Innerhalb der EU-Förderprogramme existieren transnationale Aktionsprogramme, bei denen eine »europäische Dimension« nachgewiesen werden muss. Sie unterstützen vorwiegend den Aufbau von Netzwerken, Plattformen und Konferenzen (vgl. Gerlach-March 2010: 43f.). Die Auslandskulturpolitik widmet sich der Darstellung Österreichs und Deutschlands im Ausland durch ihre kulturellen Leistungen. Kulturelle Tätigkeit in Zusammenhang mit nicht-europäischen Kulturen ist in Österreich dem Auslandsministerium und in Deutschland dem Auswärtigen Amt unterstellt. In Österreich unterstützt die intermediäre Institution KommEnt »globales Lernen« mit Fokus auf Entwicklungsländer. Das deutsche Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) »engagiert sich weltweit für Kunstaustausch, den Dialog der Zivilgesellschaften und die Vermittlung außenkulturpolitischer Informationen« (www.ifa.de/ifa/ziele/). Diese Einrichtungen sind Anlaufstellen für all jene Projekte, die weder die erforderlichen Prozentsätze europäischer Beteiligung noch die Vernetzung mit Schwerpunkt-Partnerländern (Mittelmeerraum, Osteuropa) aufweisen können. Die entwicklungspolitische Tendenz der Fördereinrichtungen des Auslandsministeriums bzw. des Auswärtigen Amts entsprechen geopolitischen und nicht ästhetischen Grundsätzen. Ein interkultureller Dialog ist also aus Sicht der Fördermöglichkeiten auch eine Frage von Mehrheitsverhältnissen und Beziehungsdefinitionen. Die EU erweitert ihren Umfang durch die Ernennung von Istanbul zur Europäischen Kulturhauptstadt und es gibt Programme zum Austausch mit Mittelmeerländern. Der Rest der Welt muss sehen, wo er bleibt. Gut konzipierte Projekte finden in der Regel und in mühsamer Kleinarbeit ihre Finanzierungsmöglichwo das Französische als »einigendes Band« wirkt; ihre Ziele sind politischer, wirtschaftlicher und kultureller Natur (vgl. Erfurt 2005: 9ff.).
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keiten: die nächst zuständige Gemeinde, übergeordnete Gebietskörperschaften, das Goethe-Institut, die Frankophonie, das Amt für Politische Bildung, die außenpolitischen Stellen, kulturbetriebsnahe Einrichtungen wie ARTE im audiovisuellen Bereich, SKEs der Interessensgemeinschaften, touristische Einrichtungen und Botschaften. Im Gesamtbild fehlt aber jener Teil, der sich explizit für die Welt, das, was Shehaan Merali »global cultures« nennt, zuständig fühlt, um Internationalisierung auf Basis einer Vision zu betreiben. In seinen zehn Definitionen von Ästhetik nennt der Künstler und Architekt Leonard Koren die These bzw. Exegese. Internationalisierung braucht Auseinandersetzung mit Ästhetik als kulturverortete Ausdruckskraft ohne Geopolitik.
C ONCLUSIO Eine »synthetische Formel« für Kulturarbeit und Finanzierung endet vielleicht immer dort, wo sie begonnen hat: in der Dialektik. Förderprogramme verfolgen ihre Ziele, Kuratoren oft ganz andere. Politischer Wille und politische Tradition treffen auf Opposition und Aufbruch. Die Parzellierung von EU-Förderung und Förderung von außereuropäischen Zusammenhängen spiegelt ein tief verwurzeltes Denken wider, das eine Internationalisierung in der Förderpolitik erschwert. So manche Darstellung der Förderer, Sponsoren, Partner und sonstiger Unterstützer von Veranstaltungen oder Kulturbetrieben nimmt sich aus wie das Abbild einer Patchwork-Familie. Ist es Vielfalt, ist es kreatives Chaos oder ist es fehlendes Bewusstsein von Leadership-Potentialen und globaler Notwendigkeit? Die Langzeitfolgen von Sponsoring als inzwischen etablierter Säule der Kulturfinanzierung wurde z.B. von Lydia Haustein ebenso kritisch betrachtet wie von Oliver Scheytt (vgl. Haustein 2001, Scheytt 2001): Solange Sponsoring anhand von Imagetransfer und bestmöglicher Integration des internen Marketings konzipiert ist, liegt die Schwächung unpopulärer Programme auf der Hand. Solange wiederum in Europa ein begrenztes Verständnis von »Internationalität« regiert, erfahren internationale Programme weniger Popularität und deshalb auch weniger Unterstützung. Aufgrund unserer Kulturgeschichte fällt es offensichtlich schwer, eine Verhältnismäßigkeit aus einstiger Kulturdominanz (Kolonialzeit, selbsternannte europäische »Leitkultur«), Bruch mit Kontinuität und kultureller Identifikation (Nationalsozialismus) und transkultureller Beziehung (Post-
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kolonialismus) herzustellen. Begriffe wie »Weltmusik« und »Weltkino« tragen letztlich das geopolitische Denken weiter. Im Verhältnis FördererKuratoren scheint aber doch klar zu sein, dass die tiefergreifenden Impulse und Handlungsprinzipien von den Kuratoren kommen sollten, welche meist den weltgegebenen Zusammenhängen näherstehen und auf Grund von Fachwissen operieren. Initiativen wie die an etablierte Institutionen gebundenen Stiftungen für kulturelle Produktion sind innovative Gebilde. Für eine breite Umsetzung in der Vermittlung bräuchten sie länderungebundene Gelder, Gelder, die in ästhetische Bildung investiert werden.
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Verena Teissl
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O NLINEQUELLEN www.basis-wien.at/avdt/htm/105/00050793.htm (9.3.2011). www.chinesische-gegenwartskunst.de/pages/ausstellungen/shaheenmerali-re-imagining-asia.php (2.4.2011). www.fiapf.org (2.4.2011). www.ifa.de/ifa/ziele/ (30.5.2011). www.mediadesk.de/artikel-detail.php?id=970 (22.6.2011).
Von der Kulturverträglichkeit zur Wirtschaftsverträglichkeit Wohin geht die EU-Kulturpolitik? Norbert Sievers und Christine Wingert
Selten zuvor waren die Reaktionen aus Deutschland auf kulturpolitische Weichenstellungen in Brüssel so einhellig und so kritisch wie nach der Veröffentlichung des Vorschlags der EU-Kommission für ein neues Rahmenprogramm »Kreatives Europa« (Europäische Kommission 2011a). Viele zivilgesellschaftliche Akteure haben ihre Bedenken vorgetragen; aber nicht nur sie – schon zuvor hatte der Beauftragte der Bundesregierung, Staatsminister Bernd Neumann, anlässlich der EU-Kulturministerkonferenz im November 2011 Fragen und Einwände formuliert (Neumann 2012: 27). Bemerkenswert ist darüber hinaus der Beschluss des Bundesrates vom 10. Februar 2012 in dieser Sache (Bundesrat 2011), in dem die am deutlichsten kritische uns bekannte Position formuliert wird. Viele der Kritikpunkte, die in den Stellungnahmen1 geäußert werden, überschneiden sich. Die wichtigsten fassen wir im Folgenden zusammen, bevor wir eine (europa-)kulturpolitische Bewertung versuchen.
1 | Von folgenden deutschen und europäischen Gremien und Organisationen lie gen uns unter anderem Stellungnahmen vor: Bundesrat, Deutscher Städtetag (DST), Deutscher Kulturrat (DKR), Deutscher Museumsbund (DMB), Culture Action Europe (CAE), Internationale Gesellschaft der Bildenden Künste (IGBK), Haus der Kulturen der Welt (HdKW) und Kulturpolitische Gesellschaft (KuPoGe).
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Ö KONOMISIERUNG DER F ÖRDERZIELE Einhellig ist die Kritik daran, dass der Entwurf für ein neues Förderprogramm sich offensichtlich sehr stark an der Strategie »Europa 2020« für Wachstum und Beschäftigung orientiert und diese Ziele in den Vordergrund rückt. Der Deutsche Kulturrat spricht von einem »falschen Weg« und sogar einem »Paradigmenwechsel« aufgrund dieser fast ausschließlichen Konzentration auf die Kultur- und Kreativwirtschaft und argwöhnt, dass hier ein »ursprüngliches Kulturprogramm zu einem Kulturwirtschaftsprogramm transformiert« werden soll. Auch der Deutsche Städtetag bemängelt die ökonomische und wettbewerbsorientierte Ausrichtung des Entwurfs und vermisst darin die kulturellen Ziele und Akteure, die im derzeitigen Programm eine wesentlich größere Rolle spielten. Der Bundesrat fordert: »Die Schaffung eines gemeinsamen, indes regional vielfältig ausdifferenzierten europäischen Kulturraums ist allein durch wirtschaftliche Wettbewerbsförderung nicht zu erreichen. Programmziele müssen sich auch an kreativen Schaffensprozessen, Originalität und künstlerischen Ausdrucksformen messen lassen, kulturelle Bildung und kritische Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist einbeziehen. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten muss Raum sein für die Kunst um ihrer selbst willen (lat. ›ars gratia artis‹).« (Bundesrat 2011: 2) Eingefordert wird damit implizit seitens des Bundesrates – und vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen ebenso –, die genuin kulturpolitischen Ziele wieder in den Fokus des Rahmenprogramms zu rücken.
Z USAMMENLEGUNG DER P ROGR AMME Deutliche Ablehnung erfährt die Absicht, die Programme »Kultur«, »MEDIA« und »MEDIA Mundus« in einem Programm »Kreatives Europa« zusammenzufassen. Denn damit einhergehen soll, laut Vorschlag der Kommission, die Zusammenlegung der Programmausschüsse, in denen die Mitgliedstaaten vertreten sind, sowie der Beratungsstellen. Zu unterschiedlich seien die Ziele und Adressaten, wird argumentiert; die Zusammenlegung bedeute, »nicht Vergleichbares gemeinsam zu behandeln« (DST). Für den Bundesrat führt die Zusammenlegung nicht – wie behauptet – zu »größerer öffentlicher Transparenz, sondern gefährdet eine detaillierte und fachgerechte Betreuung der Antragstellenden«. Um die Qualität
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der Beratung aufrechtzuerhalten, müssten die Antragsteller auch in der neuen Förderperiode »auf branchenspezifische und dezentral erreichbare Beratungsstrukturen (Contact Points, Media Desks und Media Antennen) zurückgreifen können«.
F INANZ AUSSTAT TUNG DES P ROGR AMMS Die bessere Finanzausstattung für das Unterprogramm »Kultur« im Rahmen des Gesamtprogramms »Kreatives Europa« wird begrüßt; allerdings wird zugleich darauf hingewiesen, dass der Zuwachs eher gering sei, wenn er preisbereinigt dargestellt und wenn berücksichtigt werde, dass damit zusätzliche Maßnahmen (z.B. das europäische Kulturerbesiegel) gefördert und durch die Öffnung zur Kreativwirtschaft auch mehr Antragsteller berücksichtigt werden müssten. Aufgrund der primär ökonomischen Ausrichtung des Gesamtprogramms und des finanziellen Gewichts des Medienbereichs wird befürchtet, dass der kulturbezogene Non-Profit-Sektor in dieser Kombination ins Hintertreffen geraten könnte. Der DST vermutet sogar, »dass angesichts nicht klar abgegrenzter finanzieller Volumina [im Programmteil ›Kultur‹, die Autoren] de facto eine Kürzung der bisherigen europäischen Kunstund Kulturförderung im öffentlichen und zivilgesellschaftlichen Bereich erreicht werden soll«.
N EUES F INANZIERUNGSINSTRUMENT Die Einführung eines neuen Finanzierungsinstruments, das sowohl beinhaltet, Finanzvermittlern Kompetenzen über den Kultursektor zu vermitteln, als auch die Übernahme von Garantien durch die EU, wird grundsätzlich positiv gesehen. Bemängelt wird jedoch, dass die überwiegend sehr kleinen Unternehmen in der Kultur- und Kreativwirtschaftsbranche dabei unberücksichtigt bleiben, da der Vorschlag Mikro-Unternehmen (definiert durch einen Jahresumsatz unter zwei Millionen Euro) nicht einschließt. Der DST spricht sich deshalb für direkte Finanzzuweisungen aus. Skeptisch beurteilt er die vermeintliche Hebelwirkung des Fonds, »weil sich das Risikomanagement bei der Vergabe von Kleinkrediten an Mikro- und Kleinunternehmen für die Finanzmittler ganz anders darstellt
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als beispielsweise bei Staatsanleihen«. Auch der Bundesrat wertet den vorgesehenen »Paradigmenwechsel von der Förderung zur privatwirtschaftlichen Finanzierung« skeptisch und empfiehlt, deren Wirksamkeit in empirischen Untersuchungen vorab zu überprüfen. Wie ist diese einmütige Kritik an dem Vorschlag aus Brüssel zu erklären? Auf welchen konzeptionellen Erwartungen beruht diese Kritik? Welche Befürchtungen drücken sich darin aus? Eine nähere Betrachtung der Kulturpolitik der EU sowie der Entwicklung ihrer Schwerpunkte bietet einen guten Zugang zum Verständnis der kritischen Stellungnahmen.
D ER K ULTUR ARTIKEL IM EU-V ERTR AG Die Europäische Union ist als Wirtschaftsgemeinschaft gegründet worden. In den Römischen Verträgen kommt der Begriff »Kultur« nicht vor, und Bildung wird auch nur im Zusammenhang mit Berufsbildung genannt (Schwencke 2010: 161-173 sowie Pack 2012).2 Es hat lange gedauert, bis – vor allem durch Initiativen des Europäischen Parlaments – die Einsicht gewachsen war, dass das europäische Einigungswerk nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell gestaltet werden müsse. Erst gegen Ende der ersten fünfjährigen EP-Amtsperiode wurde im November 1983 ein Kulturbericht (»Fanti-Bericht«) vorgelegt, der zwar die Forderung enthielt, 1 Prozent des Haushalts für kulturelle Zwecke vorzusehen, aber ansonsten nur in groben Umrissen eine kulturpolitische Konzeption vorweisen konnte. Wie sollte er auch; es gab dafür keine Rechtsgrundlage. In Ermangelung dieser Legitimation beschäftigten sich die EP-Kulturpolitiker mit den »Kulturaspekten und Interessen der Kulturschaffenden in anderen, vertraglich gesicherten Feldern wie Soziales, Arbeit, Bildung, Beschäftigung und Freihandel«, um kulturelle Belange dort zu verankern (Schwencke 2010: 164). Eine Rechtsgrundlage für kulturelle Aktivitäten hat die EU erst 1993 mit der Einführung eines Kulturartikels (Art. 128) in den Vertrag von Maastricht erhalten. Er wurde im Wesentlichen unverändert auch in den aktuell gültigen Vertrag von Lissabon, der im Dezember 2009 in Kraft trat, als Artikel 167 übernommen. Er definiert das kulturelle Engagement der EU 2 | Die Entwicklung der europäischen Kulturpolitik hat Olaf Schwencke – von 1979 bis 1984 als Europaabgeordneter selbst in dieser Sache aktiv – anhand von Dokumenten nachgezeichnet und analysiert.
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als subsidiär und komplementär zu den Aktivitäten der Mitgliedstaaten, benennt die Themen der Kulturförderung, darunter den »nichtkommerziellen Kulturaustausch«, und weist der EU eine außenkulturpolitische Kompetenz zu. Der auch als »Kulturverträglichkeitsklausel« bekannte Absatz 4 legt fest, dass die EU bei ihren anderen Tätigkeiten den »kulturellen Aspekten Rechnung« trägt. Für Olaf Schwencke ist dieses »Herzstück des Kulturartikels« deshalb so wichtig, »weil es die allgemeine Dominanz der Ökonomie der EU relativiert« und eine Etappe auf den Weg von der »Wirtschafts- zur politischen und Kulturgemeinschaft« beschreibt (Schwencke 2010: 169f.).
D IE K ULTURFÖRDERPROGR AMME DER EU Auf der Grundlage des Kulturartikels gewann die Kulturförderung der EU zunehmend an konzeptioneller Struktur und programmatischem Profil. Die kulturelle Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bzw. den Kulturinstitutionen und -organisationen in den Mitgliedstaaten gehört seitdem ausdrücklich zu den Zielen der Gemeinschaftspolitik. In der ersten Generation förderten drei Gemeinschaftsprogramme mit unterschiedlichen Laufzeiten zwischen 1996 und 2000 noch die Bereiche darstellende, bildende und angewandte Kunst (Programm »Kaleidoskop«), Buch und Lesen einschließlich Übersetzung (Programm »Ariane«) und Kulturerbe (Programm »Raphael«) getrennt. Laut Auswertungsbericht der Europäischen Kommission von 2004 »besteht fünf Jahre später die wichtigste Auswirkung der Programme darin, dass sie ermöglicht haben, Netze auf- oder auszubauen« (Europäische Kommission 2004: 10). Fortgesetzt und weiterentwickelt wurde dieser Ansatz der Kulturförderung seitens der EU mit dem ersten Rahmenprogramm »Kultur 2000« (2000 bis 2007) und dem zweiten Rahmenprogramm »Kultur« (2007 bis 2013). Ein großer Förderschwerpunkt lag und liegt (neben Studien, Übersetzungen, Preisen, der Unterstützung der Kulturhauptstädte und anderen Maßnahmen) in der Zusammenarbeit zwischen Organisationen und Institutionen aller Sparten aus möglichst vielen, mindestens aber drei unterschiedlichen europäischen Ländern.3 Ausdrücklich gewünscht sind 3 | Details zu den teilnehmenden Ländern und den weiteren Förderbedingungen siehe www.ccp-deutschland.de.
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kulturelle Kooperationsprojekte, nun auch spartenübergreifende und interdisziplinäre, die durch den Erfahrungs- und Ideenaustausch zwischen Künstlern, Kulturschaffenden, inklusive Wissenschaftlern, Kulturmanagern und in anderen Kulturberufen Tätigen einer zeitgemäßen, ja innovativen Kulturpraxis in Europa Vorschub leisten: Kooperationen zu erproben, langfristige Vernetzungen aufzubauen, gemeinsam neue Inhalte und Interpretationen, neue Ausdrucksformen und Arbeitsweisen zu schaffen, sind wesentliche Ziele. Auch Unternehmen können sich schon heute an diesen europäischen Kooperationen beteiligen, sofern das Projekt keine Gewinnabsichten verfolgt. Demgegenüber hat sich der Impetus des vorgeschlagenen Nachfolgeprogramms geändert. Dies beginnt beim Vokabular: Hier wird der Kultursektor als Kultur- und Kreativbranche4 angesprochen – ein Begriff, mit dem sich die Kulturschaffenden aus dem Non-Profit- und aus dem öffentlichen Kulturbereich sicher nicht identifizieren können, obwohl sie ausdrücklich eingeschlossen sein sollen (Europäische Kommission 2011a: 15). Unter der Prämisse, den Zielen der Strategie »Europa 2020« für Wachstum und Beschäftigung zu dienen, steht die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Kultursektors im Vordergrund, »um intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum zu fördern« (ebd.: 8). Der Kultursektor soll darin unterstützt werden, sein »Potenzial für Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und soziale Inklusion zu optimieren« (Europäische Kommission 2011b: 7). Neben den Unternehmen der Kultur- und Kreativwirtschaft steht nun der einzelne Künstler mit seiner Karriere im Fokus, der als Produzent mit seinen Werken möglichst viele Konsumenten weltweit erreichen soll, um einen möglichst großen Profit zu erzielen (ebd.: 9). Die Erfolge der Programme »Kultur 2000« und »Kultur« (20072013) werden gewürdigt, aber nicht in erster Linie in ihrem Wert für den Kultursektor anerkannt, sondern sie werden hinsichtlich ihrer Wertschöpfung und damit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung für Europa umgewertet: 4 | In der englischen Fassung des Verordnungsvorschlags heißt es an den entsprechenden Stellen »cultural and creative sectors«, in der französischen »secteurs de la culture et de la création«. Diese Begrifflichkeiten kommen der in Deutschland üblichen Auffassung der Trisektoralität der Kultur im Sinne von öffentlich getragenen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Kulturaktivitäten näher, so dass der Begriff »Branche« als Übersetzungsfehler angesehen werden muss.
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»Das [die Partnerschaften und Koproduktionen, die Autoren] hat sich positiv und strukturierend auf den Sektor und seine Fähigkeit, größere Märkte anzusprechen, ausgewirkt.« (Ebd.: 3) Soweit zu den Veränderungen der Förderprogramme von 1996 bis zum heute vorliegenden Vorschlag für die künftige Förderperiode.
D IE »E UROPÄISCHE K ULTUR AGENDA« Förderprogramme sind im Idealfall Ausdruck von politischem Willen. Das Europäische Parlament und der Rat hatten sich in den vergangenen Jahrzehnten bereits mehrfach kulturpolitisch positioniert. Seitens der Europäischen Kommission wurde mit der »Europäischen Kulturagenda« (Europäische Kommission 2007) erstmals eine kulturpolitische Strategie formuliert. Sie wurde vonseiten der Kulturpolitik und -praxis in Europa freudig aufgenommen, weil sie – zu Recht – als Bedeutungszuwachs für die Kultur verstanden wurde. Die Europäische Kommission legte damit eine Strategie für eine engere politische Zusammenarbeit im Kulturbereich auf europäischer Ebene vor und führte Instrumente wie die Offene Methode der Koordinierung (OMK) und den Strukturierten Dialog mit der Zivilgesellschaft ein.5 Zugleich bettete sie die Kulturförderpolitik in die strategischen Ziele der EU ein, »Wohlstand, Solidarität und Sicherheit [zu] erreichen und gleichzeitig ihre Präsenz auf der internationalen Bühne aus[zu]bauen« (Europäische Kommission 2007: 3). Bei genauerer Betrachtung ist hier bereits die nun im Vorschlag der Kommission für das künftige Kulturprogramm zutage tretende instrumentelle Sicht auf den europäischen Kultursektor angelegt. Während aber in der »Europäischen Kulturagenda« die Förderung der kulturellen Vielfalt und des interkulturellen Dialogs noch gleichberechtigt neben den beiden weiteren Handlungsfeldern, »Kultur als Katalysator für Kreativität« und als »wesentlichen Bestandteil der internationalen Beziehungen der Union« zu fördern, stand, hat der interkulturelle Dialog im 5 | Auch dafür gab es Impulse aus dem EP, wie etwa durch den Ruffolo-Bericht, der u.a. einen jährlichen Kulturbericht, den Ausbau der Kontaktstellen (CCPs) und einen Dreijahresplan für die kulturelle Zusammenarbeit forderte. Wissenschaftliche Untersuchungen sollen die Kulturpolitik qualifizieren (Schwencke 2010: 305).
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Vorschlag der Kommission für das neue Kulturförderprogramm deutlich an Bedeutung verloren. Und die Beiträge zur kulturellen Vielfalt Europas und zur europäischen kulturellen Identität werden als Instrumente zur Steigerung der Sichtbarkeit und damit der Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Welt betrachtet. Es gibt also eine verstärkte Tendenz, Kulturförderung als Mittel für übergeordnete Politikziele einzusetzen und Förderschwerpunkte, die dem Kultursektor selbst in seiner Weiterentwicklung dienen, dem Subsidiaritätsprinzip folgend den Mitgliedstaaten zu überlassen.
D IE NEUE B EDEUTUNG DER K RE ATIV WIRTSCHAF T Der Vorschlag der Europäischen Kommission für »Kreatives Europa« basiert auf den Zielsetzungen der »Europäischen Kulturagenda«. Zudem greift er die zahlreichen Anstrengungen (Studien, Konferenzen, Debatten auf nationaler und europäischer Ebene) der letzten Jahre auf, die Bedeutung von Kunst und Kultur, insbesondere aber der Kulturwirtschaft, für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Europas herauszustellen, und übersetzt diese in förderpolitische Strategien. Die Förderung kulturwirtschaftlicher Aktivitäten, wie sie die Filmförderprogramme der EU leisten und wie sie auch das neue Finanzinstrument leisten soll, ist unbestritten sinnvoll. Hinsichtlich der Logik und Begründung der Förderpraxis liegt das Problem weniger darin, dass Kulturwirtschaftsförderung betrieben werden soll, sondern darin, dass jegliche Kulturaktivität, die der öffentlich finanzierten Einrichtungen und die der zivilgesellschaftlichen Organisationen genauso wie die der Kultur- und Kreativwirtschaftsunternehmen, im Kontext von »Wertschöpfungsketten«, also in einem ökonomischen Zusammenhang, gesehen wird (Europäische Kommission 2011b: 7). Man fragt sich, welchen Stellenwert der nicht-kommerzielle Eigenwert der Kultur noch hat. Im Vergleich zum Programmteil »MEDIA« und dem neuen Finanzinstrument ist der Programmteil »Kultur« im Vorschlag der Kommission unklar definiert. Er umfasst alle Kultursparten (außer Film, dafür soll es ja »MEDIA« weiterhin geben), differenziert aber nicht zwischen Kulturaktivitäten, die in der Lage sind, Gewinne zu generieren, und solchen, die aufgrund ihrer »Nichtverwertbarkeit« auf öffentliche Förderung angewiesen sind. Wenn künftig auch gewinnorientierte Projekte aus dem Programm-
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teil »Kultur« gefördert werden, wäre tatsächlich die Gefahr gegeben, dass zivilgesellschaftliche und öffentlich getragene Kulturaktivitäten das Nachsehen haben, sobald sie ihren Platz in der Wertschöpfungskette nicht nachweisen können. Logischer und für den Kulturbereich unbedenklicher wäre es gewesen, einen Förderbereich für kultur- und kreativwirtschaftliche Aktivitäten (in allen Sparten) aufzulegen, der auch den Zugang zu Darlehen und Krediten erleichtert, und daneben einen Förderbereich für Kultur, der den nicht-kommerziellen Kulturaustausch zum Fördergegenstand hätte.
D ER D OPPELCHAR AK TER DER K ULTUR Die kulturpolitische Position der EU, die in dem Vorschlag für das Rahmenprogramm »Kreatives Europa« zum Ausdruck kommt, mag vor dem Hintergrund ihrer aktuellen wirtschaftlichen Probleme und des gegenwärtigen, enormen Handlungsdrucks erklärlich sein. Es gab ja sogar das Gerücht, dass das Kulturprogramm ganz gekippt werden sollte (siehe Neumann 2012: 25). Dennoch gibt es aus deutscher Perspektive gute Gründe, besorgt und skeptisch zu sein. Es besteht die Gefahr, dass die EU mit dem neuen Programm ein fragwürdiges Zeichen setzt und Missverständnissen Raum gibt, die bereits überwunden schienen. Indem sie unter dem Stichwort »Kreatives Europa« der Instrumentalisierung der Kultur für wirtschaftliche und die Wettbewerbsfähigkeit Europas fördernde Zwecke ein weites Tor öffnet und die eigentlich kulturellen Ziele eher in Fußnoten behandelt, stellt sie implizit einen international mühsam ausgehandelten kulturpolitischen Kompromiss in Frage, der im »Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt der kulturellen Ausdrucksformen« der UNESCO – das im Dezember 2006 auch die Europäische Kommission unterzeichnet hat – festgeschrieben worden ist. Dieser anerkennt ausdrücklich den Doppelcharakter der Kultur als handelbare kulturelle Dienstleistungen und als »Träger von Identität, Werten und Sinn« (UNESCO 2005) unabhängig von ihrem kommerziellen Wert. Er unterscheidet also und betont den Eigenwert der Kultur. Darin liegt eine wichtige Begründung für öffentliche Kulturförderung. Das neue Rahmenprogramm der EU lässt leider wenig Sensibilität für diese wichtige Differenzierung erkennen. Die EU-Kulturkommissarin Androulla Vassiliou hebt sogar hervor, dass die »unterschiedlichen Aspekte
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der Kultur« (ihre wirtschaftliche und soziale Bedeutung und ihr »intrinsischer Wert«) »Hand in Hand« gehen »können und müssen« (siehe Vassiliou 2012: 31). Wie soll dann noch gefördert werden, was es auf dem Markt schwer hat, sich also nicht rechnet oder einen sonstigen außerkulturellen Nutzen nachweisen kann? Oder zählt dies in der europäischen Kulturförderung nichts mehr? Skepsis ist berechtigt: Indem der Doppelcharakter der Kultur nicht als Kategorie der Differenz thematisiert wird und ausgeklammert bleibt, wird das Legitimationskonzept der Kulturpolitik als Kulturförderung im engeren und eigentlichen Sinne in Frage gestellt. Viele Bemühungen um eine aktive europäische Kulturpolitik, begründet durch den Kulturartikel im Vertrag von Maastricht und befördert durch das Europäische Parlament, die Zivilgesellschaft und durch die Kommission selbst, würden dadurch relativiert.6 Hinzu kommt die Befürchtung, dass die mit dem neuen Programm verbundene wirtschaftspolitische Logik sich auch auf die nationale Kulturpolitik übertragen könnte. Das Feld dafür ist bereitet und dies paradoxerweise auch durch die deutschen Kulturpolitiker selbst, die seit Jahren den ökonomischen und den sozialen Sekundärnutzen der Kulturförderung in den Fokus rücken, um sich dadurch eine Zusatzlegitimation zu verschaffen, und dabei implizit in Kauf nehmen, dass der Eigenwert der Kultur an Überzeugungskraft einbüßt. Daraus wird erklärlich, warum gerade der Bundesrat und der Deutsche Städtetag im Verbund mit den zivilgesellschaftlichen Akteuren so einmütig kritisch auf den Vorschlag reagiert haben. Auch Staatsminister Neumann hat dazu eine erfreulich klare Position. Sie kennen die Gratwanderung, die damit verbunden ist, gerade in Deutschland, gerade in diesen Zeiten. Ihr Motiv ist, den Anfängen zu wehren, Schaden abzuwehren und auf eine öffentliche Kulturpolitik zu bestehen, die diesen Namen verdient.
6 | Der Vorsitzende des Fachausschusses Europa/Internationales des Deutschen Kulturrates, Andreas Kämpf, fragt sich sogar, ob die ökonomische Ausrichtung des neuen Rahmenprogramms nicht gegen die Kulturverträglichkeitsklausel verstößt (Kämpf 2012: 9).
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L ITER ATUR Bundesrat (2011): Beschluss des Bundesrates zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa KOM(2011) 785 endg.; Ratsdok. 17186/11; Bundesratsdrucksache 766/11. Europäische Kommission (2004): Bericht an das Europäische Parlament, den Rat und den Ausschuss der Regionen über die Durchführung der Gemeinschaftsprogramme Kaleidoskop, Ariane und Raphael, Brüssel, 23.1.2004, KOM(2004) 33. Europäische Kommission (2005): Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen über eine europäische Kulturagenda im Zeichen der Globalisierung«, Brüssel, 10.5.2007, KOM(2007) 242. Europäische Kommission (2011a): Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Programms Kreatives Europa, Brüssel, 23.11.2011, KOM(2011) 785 endg. Europäische Kommission (2011b): Mitteilung an das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Kreatives Europa – Ein neues Rahmenprogramm für die Kultur- und Kreativbranche (2014-2020), Brüssel, 23.11.2011, KOM(2011) 786 endg. Kämpf, Andreas (2012): Und alle Fragen offen. Die Europäische Kommission stellt ein neues Kulturförderprogramm vor, in: Politik & Kultur 2/12, S. 9. Neumann, Bernd (2012): »Kreatives Europa« – Eine Investition in die Zukunft, in: Kulturpolitische Mitteilungen 136, I/2012, S. 25-28. Pack, Doris (2012): »Kreatives Europa« – Weichenstellung für eine erfolgreiche EU-Kulturpolitik, in: Kulturpolitische Mitteilungen 136, I/2012, S. 28-31. Schwencke, Olaf (2010): Das Europa der Kultur – Kulturpolitik in Europa. Dokumente, Analysen und Perspektiven – von den Anfängen bis zum Vertrag von Lissabon. Kulturpolitische Gesellschaft/Klartext Verlag (Edition Umbruch 26), Bonn/Essen. UNESCO (2005): Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen, verabschiedet am 20. Oktober 2005, hier Artikel 1, zit.n.: deutscher Übersetzung auf www.unesco. de/konvention_kulturelle_vielfalt.html (1.3.2012).
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Vassiliou, Androulla (2012): »Kreatives Europa« – Der Fortschritt von morgen sind unsere Anstrengungen von heute, in: Kulturpolitische Mitteilungen 136, I/2012, S. 31-33.
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Synergetische Projektformate und ihre besonderen Chancen auf Förderung Sebastian Kaiser und Gernot Wolfram
1. G RUNDSÄT ZLICHE F R AGESTELLUNGEN Der vorliegende Beitrag stellt die Frage nach synergetischen Projektformaten im Bereich des Kulturmanagements und Sportmanagements. Aufgrund veränderter Fördermaßgaben und einer starken Betonung von Sport und Kultur als zentrale Träger von modernen Identitäts- und Aufmerksamkeitsdiskursen zeigt sich in diesem Bereich ein großes Potential für Projekte, die sowohl sport- wie kulturbezogene Aspekte miteinander verbinden. Seit der griechischen Antike gehört diese Verbindung zur europäischen Kulturtradition und erlebt im Zeitalter von internationalen Großveranstaltungen wie den Olympischen Spielen, Fußballweltmeisterschaften oder Kulturhauptstadt-Europas-Programmen eine Renaissance, da diese Veranstaltungen in starkem Maße soziale, kulturelle, sportbezogene und politische Faktoren gesellschaftlicher Selbstvergewisserung miteinander verbinden. Um das Potential dieser Verbindungen zu verstehen, ist es den Autoren wichtig, auch auf die Besonderheiten und jeweiligen Selbstverständnisse von Sport und Kultur im vorliegenden Beitrag einzugehen. Sport und Kultur sind nur scheinbar getrennte Welten. In Zeiten einer zunehmenden, häufig mit dem Topos der Postmoderne umschriebenen Ausdifferenzierung beider sozialer Sinnsphären lässt sich immer weniger von »dem Sport« bzw. »der Kultur« sprechen. Zumal in einem internationalen Blickwinkel immer deutlicher wird, dass Sportveranstaltungen eine klare Widerspiegelung kultureller Muster und Prägungen darstellen (vgl. Gebauer 2006, Lamprecht/Stamm 2002). Um beispielsweise spezifische Muster der indischen oder pakistanischen Kultur zu verstehen, kann der
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Zugang zum Cricket-Sport ein wichtiger Schlüsselzugang sein, unabhängig davon, dass die globalen Kommerzialisierungsprozesse eine Nivellierung herstellen im Sinne einer spezifischen Profitlogik. Ähnlich verhält es sich im europäischen Raum, in dem beispielweise die Ausprägung des Fußballs, vor allem in den letzten 20 Jahren, ganz spezifische kulturelle und soziokulturelle Codierungen erfahren hat, die für das Selbstverständnis eines grenzüberschreitenden Kulturverständnisses besondere Erkenntnisse bereithalten (vgl. Gebauer 2006). Der große Zuspruch, den der Fußball europaweit erfährt, die verbindende Akzeptanz eines bestimmten Regelwerks und seiner symbolischen Zeichenversammlungen hat dazu geführt, dass Sportgroßveranstaltungen wie etwa die UEFA-Fußball-Europameisterschaften ein sich immer stärker ausdifferenzierendes kulturelles und mediales Rahmenprogramm entwickeln. Das gilt auch für andere Sportgroßveranstaltungen wie etwa die Olympischen Spiele. Kultur- und Sportveranstaltungen wachsen zunehmend zusammen, beherrschen die öffentliche Aufmerksamkeit und bedienen sich häufig ähnlicher Strategien, um gesellschaftlich wirksam zu sein. Damit sind auch zunehmend verbindende Elemente zu identifizieren, deren gemeinsame Basis u.a. in den Determinanten der Nachfrage (Fußballfans als »kulturelle Gemeinschaft« bzw. »Glaubensgemeinschaft«, Gebauer 2008), in der besonderen Verbindung von physischer und psychischer Expressivität (Spielcharakter in Sport und Kultur) sowie dem gleichermaßen typischen selbstzweckhaften Eigensinn (Güldenpfennig 1996: 10) zu Tage tritt. Nicht zuletzt sind es diese Aspekte, denen zufolge Sport oftmals als Teil der Kultur betrachtet wird (vgl. ebd.). Für das Kulturmanagement liegen hier besondere Potentiale bereit, denn je zahlreicher die verbindenden Elemente dieser beiden disparaten Bereiche sind, desto eher lassen sich hier neue Veranstaltungsformate beschreiben, die auf innovative Art und Weise mit beiden Traditionen und Ausdrucksebenen umgehen. Als Beispiel wäre hier etwa das von der DFB-Kulturstiftung initierte 11mm-Fußballfilmfestival zu nennen (vgl. www.11-mm.de) oder etwa auch das während der Leichtathletik-WM 2009 in Berlin eingerichtete Kulturstadion, das vor dem Brandenburger Tor aufgebaut worden war. Die Beispiele ließen sich zahlreich fortsetzen. Ihr besonderer Charakter liegt in der klugen Verschränkung der unterschiedlichen Rezeptionsfelder aus Sport und Kultur und, nicht zuletzt, der Einbindung ganz unterschiedlicher Projektpartner. Für dieses synergetische Denken und Planen kann man, vor allem im Kontext der Förderung europäischer Kultur-
Synergetische Projektformate und ihre besonderen Chancen auf Förderung
arbeit, zunehmend ein Förderinteresse bei europäischen, aber auch nationalstaatlichen Förderinstitutionen feststellen (vgl. etwa DFB-Kulturstiftung). Besondere Chancen auf Förderung synergetischer Projektformate liegen im Verweis auf ihre vielfältigen Wirkungen begründet. Synergetische Projektformate haben ganz allgemein dann besondere Chancen auf Förderung, wenn sie den Beleg dafür erbringen können, dass sie (positive) Wirkungen/Effekte hervorrufen können, die anders sind als diejenigen bzw. über diejenigen nicht-synergetischer Formate hinausgehen. Zur Herausarbeitung einer erfolgversprechenden Argumentation sind drei Schritte zu unternehmen: (1) Erstens sind die politischen Rahmenbedingungen und Prinzipien der (staatlichen) Förderung von Sport und Kultur vergleichend gegenüberzustellen. (2) Zweitens gilt es, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der klassischen Begründungszusammenhänge, auf die sich Sportund Kulturförderung durch die öffentliche Hand sowie durch privatwirtschaftliche und sonstige Institutionen stützt, darzustellen. Ferner sind (3) die potentiellen Wirkungen synergetischer Projektformate und die strukturellen Bedingungen, unter denen sie diese Wirkungen entfalten können, kritisch in den Blick zu nehmen. Die genannten Aspekte werden schließlich aus einer kultursoziologischen Perspektive (4), unter Bezugnahme auf konkrete Beispiele, zusammengeführt und es werden die Perspektiven der Förderung synergetischer Projektformate verdeutlicht. Dabei zeigt sich, dass in erster Linie diejenigen Konzepte erfolgversprechend sind, die sich der verschiedenen Argumentationslinien in geeigneter Weise bedienen (ökonomisch/sozio-ökonomisch, sozialwissenschaftlich etc.).
2. R AHMENBEDINGUNGEN UND P RINZIPIEN DER ÖFFENTLICHEN S PORT - UND K ULTURFÖRDERUNG Betrachtet man das Verhältnis des Staates gegenüber Sport und Kultur in der Bundesrepublik Deutschland, speziell die Bedingungen der Sport- und Kulturförderung durch die öffentliche Hand, so stellt sich zunächst die Frage nach dem notwendigen und ordnungspolitisch legitimen Maß staatlicher Intervention. Das in Deutschland existierende marktwirtschaftliche System definiert die Rolle eines zurückhaltenden Staates, dessen Aufgabe es in erster Linie ist, den Ordnungsrahmen für ein Funktionieren des Marktund Wettbewerbsprozesses zu schaffen. Diese Zurückhaltung bestimmt auch die Förderung von Sport und Kultur: Autonomie und Subsidiarität
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stellen zentrale Prinzipien dar. Zur Annäherung an die diesem Kapitel zu Grunde liegende Fragestellung nach den Bedingungen der Förderung synergetischer Projektformate ist zunächst eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie der zentralen Argumente, die zur Legitimation öffentlicher Sport- und Kulturförderung typischerweise herangezogen werden, erforderlich. Dies ist nicht zuletzt vor dem Hintergrund zunehmend knapper öffentlicher Mittel in besonderem Maße geboten. Im (europäischen wie außereuropäischen) internationalen Vergleich zeigt sich zunächst, dass die entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen sehr unterschiedlich gefasst sind. So hat eine Reihe von Ländern konkrete Gesetze verabschiedet, die staatliche Zuständigkeiten und Aufgaben für Problembereiche des Sports regeln (vgl. Digel/Burk/Fahrner 2007): In den USA etwa werden zentrale Belange des Sports über ein nationales Sportgesetz geregelt. Der sogenannte »Ted Stevens Olympic and Amateur Sports Act« begründet allerdings keine staatlichen Institutionen, sondern weist der Sportselbstverwaltung, in erster Linie dem USOC (United States Olympic Committee), umfassende Kompetenzen zu. In Frankreich regelt das 1984 verabschiedete Sportgesetz die Ausbildung im Sport und Sicherheitsvorschriften für Sportgroßveranstaltungen. Zudem werden Sportverbänden Rahmenrichtlinien für ihre Satzungen vorgegeben. Auch Russland (1999) und China (1995) haben Sportgesetze verabschiedet, in denen u.a. Verwaltungs- und Finanzierungsfragen sowie die Verantwortlichkeiten der Sportselbstverwaltung festgeschrieben sind. Auch in Ländern, in denen demgegenüber keine expliziten Sportgesetze existieren, sind wichtige Bereiche des Sports häufig staatlich reglementiert. In Italien beispielsweise sind u.a. die Gründung und der Status des CONI (Comitato Olimpico Nazionale Italiano) sowie die Regelungen für italienische Spitzensportler beim Militär gesetzlich geregelt (vgl. ebd). Auf der Ebene der Kulturförderung lässt sich zeigen, dass die Europäische Union besonders Themen zum interkulturellen Dialog und laut Artikel 167 des Vertrages von Lissabon zur »Schaffung eines gemeinsamen Kulturraums« besonders förderungswürdig hält. Dies trifft in starkem Maße auf synergetische Projektformate zu, die Sport und Kultur zusammendenken. Dies bedeutet jedoch, dass kulturelle Institutionen, die hier tätig werden wollen, auch Grundkenntnisse in Bezug auf die Besonderheiten der Sportpolitik im Vergleich zur Kulturpolitik erwerben sollten, um dieses Potential ausschöpfen zu können. Besonders wichtig erscheint hier, eine Argumentationsbasis vorzule-
Synergetische Projektformate und ihre besonderen Chancen auf Förderung
gen, die deutlich macht, warum längerfristig gesehen ein hoher Nutzen für Institutionen darin besteht, auf nationaler wie grenzüberschreitender Ebene die hohe identitätsstiftende Wirkung beider Bereiche miteinander zu verbinden. Dies kann freilich nur in ausgewählten und künstlerisch bzw. soziokulturell sinnvoll konzipierten Veranstaltungen funktionieren. Es geht hierbei also nicht um Beliebigkeit oder ein willkürliches Zusammenführen beider Handlungsebenen, sondern um einen innovativen Prozess der Ideenfindung und Bewertung im Hinblick auf die Frage, an welchen Schnittstellen Sport- und Kulturveranstaltungen miteinander verschmelzen bzw. sich gegenseitig ergänzen können. Interessanterweise liegen die zentralen Argumentationslinien, die zur Begründung staatlicher und/oder privatwirtschaftlicher Förderung von Sport und Kultur ins Feld geführt werden, sehr nah beieinander, wie sich im Folgenden zeigen wird. In Bezug auf die Rahmenbedingungen der Sport- und Kulturpolitik in Deutschland sowie die entsprechende verfassungsrechtliche Kompetenzregelung sind insbesondere zwei Sachverhalte zu berücksichtigen: Artikel 30 des Grundgesetzes (GG) legt fest, dass die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben Sache der Länder ist, sofern das GG keine andere Regelung trifft oder zulässt. Zudem enthält das Grundgesetz bislang keine ausdrückliche Regelung der Sportförderung des Bundes. Lediglich in Bezug auf einzelne Teilgebiete ergeben sich unmittelbare Zuständigkeiten. Allerdings kann der Staat auch ohne die ausdrückliche, gesetzlich festgeschriebene Zuweisung von Kompetenzen aktiv werden. Die Bundeshaushaltsordnung (BHO) regelt in §23 zudem, dass der Bund Ausgaben und Verpflichtungsermächtigungen für Leistungen an Stellen außerhalb der Bundesverwaltung veranschlagen kann, wenn er an der Erfüllung durch solche Stellen ein erhebliches Interesse hat, das ohne die Zuwendungen nicht oder nicht im notwendigen Umfang befriedigt werden kann. Schließlich haben in Deutschland 13 der 16 Bundesländer in ihren jeweiligen Landesverfassungen dem Sport und der Sportförderung Verfassungsstatus eingeräumt. »Gleichwohl ist allgemein anerkannt, dass ebenso wie die Kulturförderung des Bundes sich auch die Sportförderung neben geschriebenen Bundeskompetenzen ebenso auf ungeschriebene Gesetzgebungs- und Verwaltungszuständigkeiten aus der Natur der Sache oder kraft Sach zu sammenhangs mit einer ausdrücklich ausgewiesenen Kompetenzmaterie gründet, die aus dem Verfassungswillen abzuleiten sind.« (Deutscher Bundestag 2006: o.S.)
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Um seiner hohen gesellschafts- und sozialpolitischen Bedeutung gerecht zu werden, wird der Staat demnach in vielerlei Hinsicht für den Sport tätig. Nicht zuletzt tut er dies im Rahmen der sportrelevanten Gesetzgebung in den Bereichen des Steuer- und Sozialwesens, des Städtebaus, des Naturschutz- und Umweltrechts etc. Die Koordinationsleistungen des Bundesministeriums des Innern (BMI) in Bezug auf die den Sport betreffenden Angelegenheiten des Bundes betreffen: Förderung des Spitzensports, des Leistungssports von Menschen mit Behinderung, der Sportmedizin/ Sportwissenschaft und des Sportstättenbaus im Leistungssport sowie internationale Angelegenheiten, Spitzensport in der Bundespolizei, Integration durch Sport für junge Aussiedler, Ausländer und benachteiligte deutsche Jugendliche. Das dem BMI nachgeordnete Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp, Bonn) koordiniert und fördert sportwissenschaftliche Aktivitäten in dessen Auftrag (Deutscher Bundestag 2006). Teilzuständigkeiten für den Sport liegen zudem bei einer Reihe weiterer Ministerien bzw. Ressorts der Bundesregierung. Zu nennen sind hier etwa die Sportförderung des Auswärtigen Amts (AA) im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik, die Förderung des Spitzensports in der Bundeswehr sowie von Dienst- und Ausgleichssport durch das Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), die Förderung des Versehrtensports und des Behindertensports im Rahmen der Rehabilitation sowie des Sports im Arbeitsleben durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), die Sportförderung im Rahmen der Entwicklungspolitik durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) u.v.a.m. (ebd.). Im Bereich der Kulturförderung übernimmt der Staat ebenfalls eine relevante Rolle, wobei das in Deutschland bestehende föderale Verständnis auch immer wieder zu strukturellen Schwierigkeiten führt. Die Kulturhoheit der Länder ist verbunden mit dem Begriff des Kulturförderalismus, zugleich kommen dem Bund wichtige Trägerschafts- und Förderaufgaben zu, wobei auch hier das Subsidaritätsprinzip wirksam ist und eine weit ausgebreitete Aufgabenverteilung zu beobachten ist. So ist der im Bundeskanzleramt angesiedelte Beauftragte für Kultur und Medien (BKM) für Fragen der allgemeinen Kulturpolitik und Kulturförderung zuständig. Hingegen ist die Förderung von Modellprojekten zur kulturellen Bildung im Bundesbildungsministerium (BMBF) angesiedelt, das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) kümmert sich um Förderbelange innerhalb der Kreativwirtschaft bzw. engagiert sich bei Fragen zur EU-Dienstleis-
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tungsrichtlinie, die sehr wichtig für die öffentliche Kulturförderung ist, und das Bundessozialministerium (BMAS) zeichnet verantwortlich für die Künstlersozialkasse (vgl. www.kulturrat.de). Deutschland wird dabei immer wieder als »Kulturstaat« apostrophiert, auch innerhalb von Verfassungstexten – ein augenfällig wenig konkreter Begriff, denn häufig ist die Vermischung eines engen Kulturbegriffs (der sich auf die Förderung genuiner Kunstformen bezieht) und eines weiten Kulturbegriffs (in dem man soziokulturelle Förderungen verorten kann) zu beobachten, was zu einer Mischperspektive aus Bildung, Wissenschaft, Kunst und Alltagskultur führt (vgl. Söndermann 2004). Hier Zuständigkeiten und Strategien zu entwickeln, die auch die mit dem Auswärtigen Amt verbundene internationale Repräsentation deutschen Kulturlebens integrieren (vgl. die Arbeit beispielsweise des Goethe-Instituts, DAAD u.a.), zeigt die enormen Herausforderungen allein im strukturellen Bereich der »offiziellen« Kulturförderung. Daher ist auch die Frage nach der Verbindung von Sport und Kultur innerhalb der Förderlandschaft auf vielen Ebenen zu stellen. Immer wieder fällt innerhalb der Kulturförderung auch der Begriff der Freiheit. »Die Freiheit bezieht sich zunächst auf den Verfassungsgrundsatz, dass Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre frei (Art. 5, Abs. 3 GG), also weder politisch noch inhaltlich vereinnahmbar sind. […] Diese Freiheit letztlich der konkreten Fördergegenstände wird nicht selten mit der Freiwilligkeit von Kunst- und Kulturförderung in Verbindung gebracht.« (Knoblich 2004: 9) D.h., dass die Bereitschaft zur staatlichen Förderung nur von mäßig transparenten Maßgaben bestimmt ist. Ganz anders dagegen verhält es sich im Bereich der privaten Kulturförderung, bei der beispielsweise Stiftungen ganz konkrete Ziele und Strategien benennen, die sie mit ihrer Förderung erreichen wollen. Zudem gibt es durch attraktive Steuermodelle und Spendenregelungen auch kulturferne Anreize, sich in diesem Feld zu engagieren. Hier wandelt sich der Freiheitsbegriff zu einer ephemeren Freiheit, da die Förderung klar von Richtlinien und Eigeninteressen des Fördermittelgebers bestimmt ist. Dazu kommt, dass gerade im internationalen Vergleich (vgl. Heinrichs 2004) die Kulturförderung eng an die jeweilige nationale (historische und aktuelle) Identitätsdebatte gebunden ist, da der Begriff »Kultur«, anders als der Begriff »Sport«, in weitaus stärkerem Maße ein »Kampfbegriff« ist, dessen Deutungsvarianten auch die Förderbedingungen bestimmen, sowohl im privaten wie im öffentlichen Sektor.
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3. A RGUMENTE DER S PORT- UND K ULTURFÖRDERUNG AUS POLITISCHER UND ÖKONOMISCHER S ICHT Neben den Ähnlichkeiten bzw. Differenzen, die o.g. grundlegenden Rahmenbedingungen der Sport- und Kulturförderung betreffend, offenbart sich auf den zentralen Ebenen der inhaltlichen Begründungszusammenhänge eine Fülle von Gemeinsamkeiten, insbesondere als Referenzen auf die jeweils typischen, zahlreichen »Funktionen« von Sport und Kultur (vgl. Güldenpfennig 1996: 79), deren Kenntnis für die Beurteilung der Perspektiven einer Förderung synergetischer Projektformate von zentraler Relevanz ist. Die teils überbordende Inanspruchnahme von Sport- und Kulturinstitutionen für die Erreichung primär sport- bzw. kulturfremder Ziele verweist zunächst unmittelbar auf deren jeweils vielfältige Wirkungen (z.B. Sportverband als Gesundheits- und Integrationsförderer, Kulturverein als Bildungsinstitution usw.). Eine solche »Zweckentfremdung« ist andererseits Gegenstand deutlicher Kritik. Diese Kritik geht z.T. so weit, zu konstatieren, die sozialen Sinnsphären »Sport« und »Kultur« seien in ihrer Existenz bedroht. Der Argumentation zufolge ist die spezifische Sinnstruktur einer funktionalen Autonomie für sportliches wie kulturelles Handeln (wie für jedes soziale System) gleichermaßen konstitutiv. Ein solcher »selbstzweckhafter Eigensinn« (Güldenpfennig 1996: 10) erlaubt es, »das sportliche Handeln der ästhetischen Sphären der Künste zuzuordnen, und [macht, d.V.] […] außerästhetisch-heteronome, instrumentalistische Eingriffe in die Autonomie des Sports gleichbedeutend mit der Zerstörung seines Eigensinns und damit seiner Existenz« (ebd.). Nicht zuletzt wird im Zusammenhang mit der Diskussion um die Perspektiven der Instrumentalisierung von Sport und Kultur allzu häufig außer Acht gelassen, dass nicht »der Sport« oder »die Kultur« per se positive Wirkungen entfalten und demnach prinzipiell zu fördern sind (siehe etwa die Verletzungsgefahr im Zuge von Risikosportarten). Neben den Argumenten, die von den verschiedenen Anspruchsgruppen ins Feld geführt werden, sollten daher die betreffenden potentiellen (positiven wie negativen) Wirkungen sowie insbesondere die strukturellen Bedingungen, unter denen sich diese Wirkungen entfalten können, kritisch in den Blick genommen werden. Argumente für eine öffentliche Förderung von Sport und Kultur beziehen sich typischerweise zunächst auf positive Wirkungen auf das Individuum bzw. die hohe gesellschafts- und sozialpolitische Bedeutung beider Felder sowie ihre potentiell identitätsstiftende Wirkung. Diese Argumente
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bilden die zentrale politische Legitimationsbasis der Förderung. Gerade der selbstverwaltete Sport (Sportvereine und -verbände) zieht sie zudem als Beweis seiner herausragenden gesellschaftspolitischen Rolle heran; nicht zuletzt, da er sich exklusiv zur Erfüllung dieser Funktionen in der Lage wähnt (Langer 2006). Betrachtet man die oben beschriebenen Aspekte, so sprechen insbesondere (1) ihre hohe gesellschaftliche Akzeptanz bzw. Konsensfähigkeit in Bezug auf ihre Wirksamkeit sowie (2) die Nähe der betreffenden Argumentation(en) Sport- und Kulturprojekte betreffend dafür, diese auch im Zuge von Förderansuchen für synergetische Projektformate ins Feld zu führen. Da diese aber sehr allgemeinen Charakter haben und zudem oftmals allzu (inflationär, unkritisch) angeführt werden, bietet es sich an, sich (ergänzend) der Argumente der (sozio-)ökonomischen Theorie zu bedienen, um so die Chance einer Förderung zu erhöhen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang insbesondere (1) verteilungspolitische Argumente, relevante Fälle des Marktversagens auf (2) Angebots- und (3) Nachfrageseite, Staatsversagen (4) sowie (5) Principal-Agent-Probleme: Aus verteilungspolitischer Sicht (1) erfolgt eine Rechtfertigung mit der Notwendigkeit der Förderung bestimmter, sozial benachteiligter Gruppen, die sich eine Teilnahme an entsprechenden Angeboten u.U. nicht leisten können (Stichwort: soziale Ungleichverteilung der Chancen des Zugangs zu Sport und Kultur). Sport- und kulturförderungsrelevante Fälle des Marktversagens auf Angebotsseite (2) treten in Zusammenhang mit den vielfältigen positiven externen Effekten von Sport und Kultur auf, die den Charakter öffentlicher Güter haben. Externe Effekte stellen Auswirkungen ökonomischen Handelns auf die Wohlfahrt eines oder mehrerer unbeteiligter Dritter dar. Damit übersteigt der soziale Grenznutzen den individuellen Grenznutzen der Marktteilnehmer. Der Charakter des öffentlichen Gutes ist dann gegeben, wenn (a), nachdem das Gut einmal bereitgestellt wurde, Konsumenten nicht mehr oder nur zu prohibitiv hohen Kosten von dessen Nutzung ausgeschlossen werden können und (b) keine Rivalität im Konsum besteht, also mehrere Konsumenten gleichzeitig das Gut nutzen können, ohne dass der Nutzen für einen der Konsumenten vermindert wird (Samuelson 1954). Die Folge ist, dass niemand bereit sein wird, für die Nutzung des Gutes zu bezahlen, und für private Anbieter kein Anreiz besteht, es am Markt anzubieten. Obwohl also eine Nachfrage nach dem betreffenden Gut besteht, wird es nicht produziert. In Zusammenhang mit dem Sport wird etwa argumentiert, dass aus einem Mehr an sportlicher Aktivität der Bevölkerung eine Verbesserung des allgemeinen Ge-
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sundheitszustandes resultiert, was wiederum geringere Krankheitskosten nach sich zieht und damit zu einer positiven volkswirtschaftlichen Bilanz führt. Positive externe Effekte, die im Nachgang von Kulturprojekten bzw. -events zu Tage treten können, sind etwa die öffentliche Wahrnehmung eines Landes oder einer Region als Kultur- oder Bildungsstandort. Im Zusammenhang mit dem Versagen auf Nachfrageseite (3) wird angeführt, dass Sport und Kultur den Charakter meritorischer Güter aufweisen können. Meritorische Güter sind sozial verdienstvolle Güter (etwa die individuelle Gesundheit, Bildung usw.), die aber dadurch gekennzeichnet sind, dass sie, aufgrund von Informationsdefiziten (hier etwa über den positiven Zusammenhang zwischen sportlicher Betätigung und der individuellen Gesundheit), sogenannten »verzerrten Präferenzen« (z.B. die Geringschätzung des zukünftigen Wertes von Bildungsinvestitionen) sowie irrationalen Entscheidungen, nicht im gewünschten Maße nachgefragt werden (Musgrave 1969). Versagenstheoretisch lässt sich die Förderung synergetischer Projektformate (4) damit begründen, dass institutionelle Arrangements der jeweils anderen Wirtschaftssektoren nicht in der Lage sind, ein entsprechendes Angebot, qualitativ und/oder quantitativ, in geeigneter Weise vorzuhalten. Eine typische Argumentation lautet, dass der Staat, da er sich an den Interessen und Wünschen von Mehrheiten orientieren muss, nicht in der Lage ist bzw. sein kann, die partiellen Interessen von Minderheiten gleichermaßen zu befriedigen (sogenannten »Medianwählerproblematik«, Weisbrod 1977). Schließlich lassen sich (5) Förderansuchen im Zusammenhang mit synergetischen Projektformaten erfolgversprechend mit Hilfe der Agenturtheorie (u.a. Fama/Jensen 1983) begründen. Dieser liegt eine vertragstheoretische Betrachtung von Organisationen zu Grunde: Ein Auftraggeber (Principal) überträgt bestimmte Aufgaben und Entscheidungskompetenzen auf vertraglicher Basis an einen Auftragnehmer (Agent) mit dem Ziel der Realisierung seiner Interessen (vgl. Kieser/ Walgenbach 2003). Im vorliegenden Fall besteht zunächst eine asymmetrische Informationsverteilung zu Ungunsten eines möglichen Förderers (Principal). Der Sportler bzw. Kulturschaffende (Agent) verfügt gegenüber diesem über einen Informationsvorsprung bezüglich der eigenen Leistungsfähigkeit und insbesondere seiner Leistungsbereitschaft, was die Selektion einer potentiell zu fördernden Person bzw. Projektidee von Seiten des Finanziers erschwert. So kommt es zum Problem der Auswahl unerwünschter Vertragspartner (»adverse selection«). Im Anschluss an die Vertragsunterzeichnung besteht die Gefahr, dass die vereinbarte Leistung
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aufgrund mangelnder Leistungsbereitschaft nicht erbracht wird (Problem des »moral hazard«). Die beschriebene Unsicherheit ist im Bereich der Nachwuchsfinanzierung besonders hoch, da das Risiko, dass ein Nachwuchssportler nicht zum Spitzensportler bzw. ein Nachwuchskünstler nicht zum Weltstar wird, kaum abzuschätzen ist. Die o.g. Argumentation erklärt zusammengefasst, warum es typischerweise für private Unternehmen wenig attraktiv erscheint, sich an einer Finanzierung zu beteiligen.
4. Z USAMMENFASSENDE B EURTEILUNG IN H INBLICK AUF I NTERNATIONALISIERUNGSPROZESSE Auf der Basis der oben beschriebenen Überlegungen lässt sich zeigen, dass es lohnt, über die Differenzen und Gemeinsamkeiten der Sport- und Kulturförderung intensiver nachzudenken und die Potentiale synergetischer Projektformate in diesen beiden Bereichen auszuloten. Hilfreich hierbei ist neben der politischen und ökonomischen Betrachtungsebene aber auch noch eine soziologische, um Begründungen für die Förderwürdigkeit zu finden. Sport und Kultur verbindet als gemeinsame Grundlage der Begriff des Spiels (vgl. Haag 1996). Sprachlich wird ebenso von Theaterspiel, Spielfilm, Schauspielern wie von Fußballspiel, Länderspielen, Spielern etc. gesprochen. Der Raum des Spiels als Ausdrucksebene eines grundlegenden menschlichen Bedürfnisses nach einem zunächst nicht klar fassbaren Erlebnis, in dem die Wahrnehmung einer Fiktion im Mittelpunkt steht, nämlich die künstlich hergestellte Situation einer Spielwelt, gehört zu den zuverlässigen Faszinationen, die fast in allen Kulturen präsent sind und Menschen begeistern. An diesem Punkt gehören Sport- und Kulturspiele zusammen, auch wenn sie eine vollkommen unterschiedliche Eigenlogik aufweisen, etwa, wenn es um die Frage nach Gewinn und Niederlage geht, die bekanntlich im Sport eine zentrale Kategorie darstellt. Gleichwohl ist es wichtig, in der immer noch ungewöhnlichen Konstruktion ineinandergreifender Kultur- und Sportprojektformate auf diese grundlegende Verbindung hinzuweisen. Zunehmend beschäftigen sich zudem Unternehmen und Hochschulen mit dem Phänomen, welche Wirkungen sich aus der (aktiven wie passiven) Rezeption dieser Sport- und Kulturspiele ablesen lassen (vgl. Hochschule Luzern, Projekt »Event Score Card«, www.eventscorecard.ch; Fachhochschule Kufstein, Projekt »Kufstein Winter School«).
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Deutlich wird dabei, dass innerhalb einer sich stark ausdifferenzierenden »Erlebnisgesellschaft« (vgl. Schulze 2005) das Bedürfnis nach Veranstaltungen sich verändert, das Grundbedürfnis nach der Struktur von Spielen jedoch eine historische Kontinuität zeigt, die einen Hinweis darauf gibt, dass gerade die zu beobachtende »Eventisierung« (vgl. exemplarisch Hitzler 2010) in der Kunst, im Sport, aber auch im Tourismus oder der Gastronomie, kein Phänomen der Postmoderne ist, sondern vielmehr ein sich aufsplitterndes Bedürfnis nach Fiktionen darstellt, an denen nach Maßgabe individueller Wünsche und Vorstellungen partizipiert werden kann. Es soll nicht verschwiegen werden, dass diesem Bedürfnis kräftig mit häufig fragwürdigen Marketingmethoden nachgeholfen wird, um es am Leben zu erhalten. Es lässt sich aber zeigen, dass die Umformung von Alltagssituationen in Spielsituationen und Fiktionalisierungen kulturhistorisch eine in vielen Kulturen verbreitete Praxis ist, die eben unter fokussierten Marktverhältnissen neue Ausformungen erhält (vgl. exemplarisch Bilan 1999). Dieses Grundbedürfnis ist von so großer Bedeutung, da es eben nicht national geprägt ist, sondern eine universelle Komponente in sich trägt. Daher spielt diese Betrachtungsweise für grenzüberschreitende Projekte eine so wichtige Rolle. Sport- und Kulturgroßereignisse sind heute globale Partizipationsereignisse. Nicht ohne Grund fand der erste gemeinsame Auftritt der berühmten drei Tenöre (Pavarotti, Domingo, Carreras) 1990 in Rom anlässlich der Fußballweltmeisterschaft statt und schrieb mit seiner per TV versammelten Zuschauerzahl von ca. einer Milliarde Menschen Mediengeschichte. Kultur- und Sportpublikum waren hier nicht voneinander zu trennen und es zeigte sich, dass die Bindungskraft dieser beiden Felder wirklich grenzüberschreitend funktionierte. Zu unterscheiden ist in diesem Kontext aber zwischen Großveranstaltungen wie jenen der Fußballweltmeisterschaften, bei denen zumeist Kulturereignisse wie das erwähnte Konzert additiv neben den Sportereignissen platziert werden, und kleineren künstlerischen Projekten, die integrativ an die Verbindung von Sport und Kultur herangehen, wie etwa die Projekte des niederländischen Performancekünstlers Iepe Rubingh, der 2003 den ersten Schachboxschaukampf in Berlin ins Leben rief, eine »Sportart«, die sich seitdem rasant entwickelt hat, dabei aber immer noch den Charakter einer künstlerischen Performance, eines synergetischen Reflexionsraums zwischen Kunst und Sport auf ironische und provozierende Art und Weise beibehalten hat. Es wundert daher nicht, dass der Schachboxverein Berlin den Namen »Intellectual Fightclub Berlin« trägt (Gauto/Rubingh 2011).
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Das spielerische Neuinterpretieren von bekannten Regelwerken, das Entgrenzen von Wahrnehmungs- und Zuschreibungsmustern hat hier noch ein großes, zukunftsträchtiges Potential vorzuweisen. Gerade der Bekanntheitsgrad von Sportarten sowie das durch verschiedene Kulturräume hinweg bestehende Akzeptanzverhalten einigen Grundregeln gegenüber kann im Aufeinandertreffen mit künstlerischen Interventionen, die mit diesen Regeln spielen, eine Aufmerksamkeit generieren, die ein multinationales Publikum interessieren und begeistern kann. Hierin liegt ein wichtiger Fundus an Begründungen für die Förderung gerade solcher Veranstaltungsformate im europäischen und internationalem Raum. Grundsätzlich besteht also die Chance, dass auch auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene diese beiden Bindungsfelder näher zueinander geführt werden können mit der klaren Ausrichtung auf eine grenzüberschreitende Wirkung. Besonders für kleinere Destinationen und Kulturbetriebe lässt sich hier noch neues Handlungspotential erschließen. So konnte beispielsweise die Gemeinde Sölden in Österreich durch die Inszenierung des Hannibal-Stückes des Regisseurs Hubert Lepka innerhalb weniger Jahre ein neues internationales Publikum gewinnen, das sowohl aus kultur- wie sportinteressierten Zuschauergruppen besteht (www.soelden.com/hanni bal). Das Freilufttheaterstück bietet vor der beeindruckenden Alpenkulisse eine Neuinterpretation des antiken historischen Hannibal-Stoffes mit Elementen des Skisports und begeistert nicht nur das Publikum, sondern hat auch die Destination Sölden auf die europäische Kultureventlandkarte gesetzt (freilich sind hier auch die ökologischen Probleme zu sehen, die gerade solche Veranstaltungen produzieren). Synergetische Veranstaltungsformate im Bereich Sport und Kultur fordern dazu heraus, konventionelle Zugangsbarrieren in Interesse, Partizipation und Image zu verändern, und zeigen zugleich, dass gerade in diesem Bereich eine europäische und internationale Aufmerksamkeit erreicht werden kann, eben weil vor allem der Sport in der längeren Tradition steht, zugangsoffener zu sein (obgleich dies bei näherer Betrachtung häufig eine Verkennung der Komplexität sportlicher Repräsentationen widerspiegelt). Die mancherorts im Kulturbereich anzutreffende Skepsis gegenüber dem Sport als kulturellem Repräsentationsraum schwindet mehr und mehr. Daher ist es eine Frage des Muts und des künstlerischen Ideenreichtums, sich seitens des Kulturmanagements in diesem Bereich für Förderung und Unterstützung einzusetzen.
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Synergetische Projektformate und ihre besonderen Chancen auf Förderung
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Verschwindende Grenzen Regionale Vernetzungen im Kulturbereich auf internationaler Ebene Patrick S. Föhl und Gernot Wolfram
1. W OVON DIE R EDE SEIN SOLL »Der Staat wird auf Kooperation setzen müssen, weil er in einer dynamischen Welt keine andere Chance hat. Der Staat verfügt über kein Wissen, über das die Gesellschaft – die Bürger wie ihre Wirtschaft – nicht längst besser verfügt.« (Priddat 2003: 393) An den Staat, zumal unter dem Druck sich global vernetzender Strukturen, richten sich folglich zunehmende Erwartungen hinsichtlich eines entsprechenden »Interdependenzmanagements« zwischen differenzierten sozialen Einheiten (vgl. hier und im Folgenden Papadopoulos 2010: 227). So stellt auch Papadopoulos fest, dass es dem Staat aufgrund der komplexen Umweltfaktoren und -anforderungen wie dem demografischen Wandel zunehmend an den notwendigen Mitteln, an spezifischen Fachkenntnissen, an der Durchsetzungsmacht oder an Organisationskapazitäten fehlt, um Entscheidungen alleine zu treffen und zu implementieren. Dazu kommt ein tendenziell skeptisches Verhältnis zum Begriff »Kultur« (vgl. hier und für den gesamten Aufsatz ausführlich Föhl 2009). Zudem ist der Staat selbst abhängig von Ressourcen, die von Akteuren in anderen Gesellschaftssektoren produziert bzw. kontrolliert werden. Die Beteiligung dieser Akteure an dem öffentlichen Entscheidungsprozess und eine gemeinsame Leistungserstellung sollen dazu dienen, die vorhandenen kreativen, intellektuellen, strukturellen und finanziellen Ressourcen einer Gesellschaft bestmöglich in ihrem Sinne einzusetzen. Dazu kommt,
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dass diese Ressourcen zunehmend auch in einem supranationalen Kontext genutzt werden. Selbstredend lassen sich diese Feststellungen auch umkehren, sind privatwirtschaftliche oder privat-gemeinnützige Akteure nicht selten auf die Kooperation mit Politik und öffentlicher Verwaltung angewiesen, um eigene Projekte zu realisieren. Und freilich auch auf Resonanz in anderen Ländern und Strukturebenen. Diese leidenschaftlichen Plädoyers für kooperatives Verhalten aller an der Gestaltung von gesellschaftlichen Prozessen beteiligten Akteure, besonders auf grenzüberschreitender Ebene, stellt auch eine der wesentlichen Anforderungen an ein zeitgemäßes Kulturmanagement dar – gleiches gilt für eine gegenwartsbezogene, europäisch und international sich austauschende und vernetzende Kulturpolitik. Das ohnehin als »Schnittstellendisziplin« angelegte Fach Kulturmanagement (vgl. Föhl 2011a) und das »Querschnittsfeld« Kulturpolitik (vgl. Scheytt 2008a) sind zunehmend gehalten, die wachsende Komplexität gesellschaftlicher Wandlungsprozesse durch den Aufbau von Kooperationen für bzw. mit Kunst und Kultur zu nutzen und zu bewältigen (vgl. exemplarisch Föhl/Neisener 2009). Bezog sich diese Schnittstellenkompetenz früher im engeren Sinne auf die Vermittlung und/oder Verbindung von Kultur und Management bzw. von Kultur und Politik, haben sich diese Anforderungen zunehmend diversifiziert und ausgeweitet. Einer Segmentierung von Disziplinen und Handlungsfeldern tritt die zunehmende Erkenntnis entgegen, dass zeitgemäße Kulturentwicklung häufig nur durch die jeweils kontextbezogene Verbindung von Akteuren, Themen, Disziplinen und Aufgabengebieten gelingen kann (vgl. exemplarisch und ausführlich Bekmeier-Feuerhahn et al. 2009/2010). Aktuelle Schnittstellen sind gegenwärtig z.B. Kultur und Tourismus, Kultur und Bildung, Kultur und Bürgerschaft, Kultur und Wirtschaft – aber eben auch Kultur und Internationalisierung. Gerade um die Bedeutung dieses letztgenannten Aspekts zu verstehen, ist es wichtig, national erfolgreiche Konzepte miteinander zu vergleichen und dann zu entscheiden, welche strukturellen Aspekte auch im internationalen Raum tragfähig sind. Es muss also nicht darum gehen, das Rad neu zu erfinden – vielleicht geht es um etwas viel Schwierigeres: Konsens zu finden, ohne beliebig zu werden. Daher versucht der vorliegende Beitrag, sich auf ein Konzept zu stützen, das freilich in der konkreten Praxis immer wieder Schwächen zeigt, aber als Beschreibungs- und Analyseansatz dazu in der Lage ist, komplexe Verhältnisse, wie sie etwa im Kultur-
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bereich und in der Regionenentwicklung anzutreffen sind, vernetzend zu beschreiben. »Erforderlich ist heute (im Kulturmanagement) eine programmatische Neubestimmung des Verhältnisses von Staat, Markt und Zivilgesellschaft, da alle drei Sektoren wesentliche Beiträge zum Kulturleben machen.« (Scheytt 2008b: 131) Für diesen Konzept- und Steuerungsansatz wird seit wenigen Jahren auch im Kulturbereich der Begriff »Governance« diskutiert (vgl. exemplarisch Föhl 2009 und Knoblich/Scheytt 2009). Während sich Governance als Konzept bzw. Erklärungsmodell neuer Formen der Zusammenarbeit, Koordination und Steuerung zwischen öffentlichen, zivilgesellschaftlichen und privaten Akteuren in anderen Feldern – z.B. den Politikwissenschaften und der Raumplanung – bereits seit Jahren etabliert hatte, bestand für den Kulturbereich bis vor kurzem noch erheblicher Erklärungsbedarf. Das hat sich geändert. Spätestens mit dem Erscheinen des Schlussberichtes Kultur in Deutschland der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ist Governance auch im Kulturbereich zum Begriff geworden. So heißt es dort u.a. zu Governance in der Kulturpolitik: »Das Leitbild Governance der öffentlichen Verwaltung bedeutet für den Kulturbereich eine Fokussierung auf die kulturpolitischen Ziele und eine kooperative Lösungsstrategie, die alle kulturpolitischen Akteure (staatliche und private) einbezieht.« (Deutscher Bundestag 2008: 128) Manifestiert wurde diese Perspektive wenig später in Oliver Scheytts Plädoyer für eine aktivierende Kulturpolitik (vgl. Scheytt 2008a). Der vorliegende Beitrag greift diese kooperative Perspektive auf – mit einem klaren Fokus auf einen erweiterten Handlungsspielraum. Dabei soll Governance hier weniger als normativer Begriff des »guten Regierens« fokussiert werden (vgl. hier und im Folgenden Benz et al. 2007: 14f.), sondern vielmehr als Konzept des Steuerns und Managements von Interdependenzen, die konkrete Kooperation zwischen den verschiedenen Akteuren und Interessengruppen im Kulturbereich herstellen. Das räumliche Betrachtungsfeld dieses Beitrages stellt dabei die Region dar, die als »Zwischenschicht« und Handlungsraum zwischen lokaler und staatlicher sowie nationaler und internationaler Ebene – u.a. aufgrund der Globalisierung und einem interregionalen Wettbewerb – ebenfalls an Bedeutung gewonnen hat (vgl. hier und im Folgenden Röbke/Wagner 1997: 23 und vertiefend Ivanisin 2006). Die Region dient als Kultur-, Orientierungs-, Kommunikations- und Handlungsraum, auch wenn sie kein voll-
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ständig abgrenzbares Gebiet darstellt, da sich eine »Region« je nach den zugrunde gelegten Definitionskriterien (z.B. geografisch, historisch, politisch, wirtschaftlich, kulturell oder sozialräumlich) höchst unterschiedlich zusammensetzen kann. Gleichfalls soll sich der Beitrag nicht auf eine nationale Sichtweise beschränken, sondern vielmehr den Blick auf (potentielle) internationale Interdependenzen und Austauschbeziehungen weiten. Auf nationaler Ebene wurde – wie zuvor dargestellt – das Thema »Governance« inzwischen mehrfach beleuchtet, wenngleich hier noch viele Fragen offen sind. Was die internationale Perspektive betrifft, können zumindest für das Kulturmanagement viele weiße Flecken festgestellt werden. Dabei ist es insbesondere für schrumpfende und sich wandelnde Regionen von großem Interesse, Modelle und Ansätze aus Regionen in anderen Ländern oder in grenzenüberschreitenden Regionen kennenzulernen, auszutauschen oder gar gemeinsame Ansätze zu suchen. Dies gilt umso mehr, als Kultur als freiwillige Leistung in schrumpfenden Regionen – in Konkurrenz zu den Pflichtaufgaben – mit einem zunehmenden Rückgang öffentlicher Förderung zu rechnen hat, kulturelle Impulse und Ansätze aber dringend gebraucht werden, um Wandlungsprozesse zu gestalten und zu begleiten (vgl. Links/Volke 2009, Volke 2010). Daher kann ein Ansatz darin bestehen, die Vergleichbarkeit von Regionen in unterschiedlichen Ländern (zunächst im Rahmen der Europäischen Union) zu betrachten und nach Möglichkeiten gegenseitiger Kooperation zu suchen. Aber auch die transnationale Ausweitung des Regionenbegriffes ist von einschneidender Bedeutung. Als Beispiel kann man hier auf die sogenannte »Makroregion Donau« blicken, die sich eben in einem viel umfassenderen Sinne präsentiert und vernetzt, als das bei anderen Regionenkonzepten überhaupt möglich war. Hier ist ausdrücklich zu betonen, dass es Unterschiede gibt zwischen den von der Europäischen Union klassifizierten Wirtschaftsregionen und jenen Konzepten, die aus einer vollkommen anderen Logik heraus sich neu definieren bzw. historische Regionenkonzepte wiederbeleben. Der frühere Bürgermeister von Budapest, Gabor Demszky, sprach sogar von »künstlichen Regionen« (Demszky, zit. n. Xaxàs 2009), in welche Europa von der Europäischen Union eingeteilt würde. Wohingegen die frühere EU-Kommissarin für Regionalpolitik Danuta Hübner ganz gegenteiliger Meinung war. Für sie
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»kann man den Prozess der regionalen Konzentration nicht bremsen. Möglich ist es, diesen geordnet ablaufen zu lassen, aber das ist auch schon alles. Die regionale Zusammenarbeit wird sich weiterhin entwickeln und immer komplexer werden. […] Dafür schaffen wir ein neues Territorium, welches, auch wenn es nicht danach aussieht, die EU nicht zerstückeln, sondern seinen Zusammenhalt stärken wird.« (Hübner, zit. n. Xaxàs 2009)
Solche Auseinandersetzungen lassen freilich deutlich werden, dass die Bedeutung von kultureller Vernetzung von Regionen vollkommen anderen Prämissen folgt und folgen muss. Hier kann es nicht (nur) um eine politische Festlegung und verordnete Definition gehen, sondern um eine verstärkte Kooperation von Kulturinstitutionen (Theatern, Museen, freien Gruppen etc.), verwaltungspolitischen Institutionen (z.B. Kulturämtern), aber auch touristischen Entscheidungsträgern (regionalen Tourismusverbänden u.a.). Exemplarisch ist dabei die Frage: Wie können solche Netzwerke dauerhaft funktionieren? Und was ist der »Kitt«, der sie zusammenhält, der aus einzelnen Leuchtturmprojekten dauerhafte erfolgreiche kulturelle Vernetzung zwischen Regionen herstellt? Hier spielen Kulturmanager eine entscheidende Rolle. Sie agieren nämlich nicht nur als Organisatoren oder »Geldbeschaffer«, sondern sie sind, sofern sie diese Kompetenz für sich reklamieren, auch Spezialisten für die Besonderheiten kultureller Expressionen. Einfacher gesagt: Kulturmanager können gerade in Regionen sehr genau darüber Auskunft geben, welche Art von bürgerschaftlichem Engagement, welche Emotionen und welche kulturellen Interventionen innerhalb dieses Geländes funktionieren und welche nicht. Sie sollten Migrationsströmungen und Minderheitendiskurse in diesem Raum ebenso kennen wie die spezifischen regionalen Traditionen und ihre Wahrnehmung innerhalb verschiedener Generationsstufen. Darüber hinaus sind Kulturmanager in der Regel längst implizit und/ oder explizit (umfänglich) mit Aspekten von Internationalität und Transkulturalität befasst. Exemplarisch sei die Globalisierung genannt, die es bei der Ermöglichung und Gestaltung von Kunst und Kultur zu berücksichtigen oder gar zu verarbeiten gilt. Gleiches trifft für den demografischen Wandel zu und die Notwendigkeiten, Ansätze der Einbindung, Vernetzung und des Austausches mit Migranten in Deutschland im Kulturbereich ernsthaft voranzutreiben.
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Eine Vielzahl von Förderprogrammen der Europäischen Union setzt eine internationale Perspektive in geförderten Kulturprojekten voraus und verlangen nach entsprechenden Fähigkeiten bei Kulturmanagern. Auch was den Ursprung des Fachs Kulturmanagement betrifft, sind die ursprünglichen angelsächsischen Impulse bis heute spürbar (vgl. Klein 2008 oder 2011), wenngleich deutlich geworden ist, dass das Kulturmanagement in nationaler wie in internationaler Perspektive auf Progression angewiesen ist, die den dienenden Kulturmanager (integrative Anwendung von Kulturmanagement-Instrumenten) um eine gestaltende Perspektive erweitert (vgl. Föhl 2011a). Es dürfte unmittelbar einsichtig sein, dass eine stärker international ausgerichtete Kulturarbeit bzw. zumindest ein stärker internationaler Austausch dazu beitragen dürfte, nationale Paradigmen sinnvoll um Ansätze und Gedankengänge anderer Länder zu bereichern oder gar gemeinsam an der Gestaltung von Kulturmanagement in Theorie und Praxis zu arbeiten. Der vorgelegte Beitrag möchte sich in diesem Zusammenhang vor allem mit den notwendigen Begrifflichkeiten und Ausgangssituationen befassen, um auf diesem Fundament eine Diskussion über mögliche Vorund Nachteile eines internationalen Austausches von Regionen anzustoßen. Hierzu werden zunächst die aktuellen Herausforderungen im Kulturbereich beleuchtet, die das Maß der Dinge hinsichtlich der gegenwärtigen Anforderungen an ein zeitgemäßes Kulturmanagement bestimmen. Darauf aufbauend wird das Begriffspaar »Regional Governance« genauer beleuchtet, um dann schließlich die Vorteile einer internationalen Governance-Perspektive zu diskutieren. Daran schließen sich einige Einschränkungen und mögliche Problemfelder einer entsprechenden Sichtweise an. Eine Conclusio bildet den Abschluss.
2. A K TUELLE H ER AUSFORDERUNGEN IN DER Ü BERSICHT : Z WISCHEN GLOBALEN THEMENFELDERN UND NATIONALEN B ESONDERHEITEN Austausch und Zusammenarbeit brauchen konkrete Anlässe, da in der Regel aufgrund der Komplexitätsreduktion eine möglichst autarke Verfahrensweise bevorzugt wird (vgl. hier und im Folgenden Föhl 2009). Erst wenn gemeinsam mehr erreicht werden kann als alleine, wird Kooperation interessant, und auch nur dann, wenn alle beteiligten Akteure das Gefühl
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haben, dies auf einer paritätischen Basis zu tun. So gesehen interessiert als erster Blick auf gemeinsame Kooperation bzw. Steuerung, also Governance, welche Auslöser zu einer (internationalen) Zusammenarbeit führen können. Neben den offensichtlichen Potentialen eines interkulturellen Austausches und den Synergiepotentialen von künstlerischen Fusions- und Diffusionsansätzen können hier vor allem die zu bewältigenden gesellschaftlichen und strukturellen Herausforderungen genannt werden. Dabei kann eine internationale und eine nationale Perspektive unterschieden werden. Es existieren gesellschaftliche Herausforderungen, die jedes Land in unterschiedlicher Intensität betreffen und die auch nach Lösungsansätzen in den jeweiligen Kulturbereichen verlangen (vgl. Föhl 2011b). Hierzu zählen vor allem die Globalisierung mit Erscheinungsformen wie der Medialisierung, der kulturellen »Gleichschaltung« oder der zunehmenden Ökonomisierung aller Lebensbereiche (vgl. exemplarisch Fäßler 2007), die globale Erwärmung (vgl. exemplarisch Mojib 2009), eine zunehmende soziale Polarisierung (vgl. exemplarisch Butterwegge 2006), der demografische Wandel, hier insbesondere die voranschreitende Überalterung und Schrumpfung der Bevölkerung in zahlreichen Industrienationen (vgl. exemplarisch Jansen/Priddat/Stehr 2005), oder als Gegensatz die »Bevölkerungsexplosion« in vielen Entwicklungsländern (vgl. exemplarisch Münz/ Reiterer 2007). Hier bestehen selbstredend potentielle Interessen, international und vergleichend sich hinsichtlich des Umgangs mit diesen Herausforderungen zu befassen oder gar gemeinsam an diesen zu arbeiten. Darüber hinaus bestehen quasi systemimmanente Herausforderungen, die national durch die Verfasstheit und Tradition kultureller Produktion determiniert werden. Für Deutschland können exemplarisch die Marginalisierung der Kulturpolitik, die häufig vorzufindende Innenzentrierung der Kulturbetriebe, die personalintensiven Betriebsstrukturen und eine gewisse Resistenz gegenüber neuen Lösungsansätzen genannt werden (vgl. vertiefend Klein 2007 und Föhl 2011a). Vermutlich sind auch dies keine partikularen Probleme, lassen sich ähnliche Herausforderungen doch beispielsweise auch in Polen oder in der Schweiz finden. Die genannten Potentiale und Herausforderungen stellen die Basis für das Nachdenken über die Möglichkeiten und ggf. auch Notwendigkeiten eines verstärkten und systematischen Austausches sowie einer Zusammenarbeit in Kulturarbeit und Kulturmanagement dar.
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Hinzu kommt, dass die verstärkte Sehnsucht nach Identitätsangeboten immer weniger national ausgerichtet ist sondern sich auf die regionale Ebene verlagert. Bekenntnisse zu regionalem Essen und regionaler Lebensmittelproduktion, zu Sprach- und Dialektverbundenheit, aber auch die Erschließung eines neuen touristischen Selbstbewusstseins, verbunden mit einer Aktivierung öffentlicher Räume, sind Trends, die nicht nur in Deutschland, Österreich und der Schweiz wahrzunehmen sind, sondern europaweit an Bedeutung gewinnen. Hier besteht eine sehr gute Ausgangsbasis für regionale Vernetzungen über Grenzen hinweg.
3. G OVERNANCE UND DIE R EGION 3.1 Regional Governance Der Begriff »Governance« »weist auf gegenwärtige Änderungen der Steuerungsformen hin, die die Weiterung von Government zu Governance reflektieren und durch nicht-hierarchische Handlungsformen, Partizipation, Netzwerke und pluralistische Akteurskonstellationen gekennzeichnet ist. Der Kern des Governance-Begriffs beschreibt die Zusammenarbeit von Akteuren in einem oder mehreren Praxisfeldern. […] Dabei folgt man bestimmten Regeln, die man sich unter Umständen selbst auferlegt hat. […] Akteure innerhalb und außerhalb einer Organisation, innerhalb und außerhalb eines Sektors sowie innerhalb und außerhalb eines Landes arbeiten zusammen.« (Kleinfeld et al. 2006b: 20)
In dieser Beschreibung von Governance wird die internationale Perspektive bereits explizit benannt. Erweitert man den Governance-Begriff nun um eine regionale Perspektive, kann folgende Definition zugrunde gelegt werden: »›Regional Governance‹ bezeichnet Formen der regionalen Selbststeuerung in Reaktion auf Defizite sowie als Ergänzung der marktlichen und der staatlichen Steuerung. Sie tritt dort auf, wo das Zusammenspiel staatlicher, kommunaler und privatwirtschaftlicher Akteure gefordert ist, um Probleme zu bearbeiten (›intermediäre Steuerungsform‹).« (Fürst 2004: 49)
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Doch warum sind Kulturpolitiker und -verwalter, die Vorsitzenden von Kulturvereinen, einzelne Unternehmer oder Theaterintendanten bereit, Steuerungsmacht und Ressourcen zu teilen? Diese Aktivitäten entwickeln sich bzw. werden möglich und durchgeführt, weil bisherige Praktiken und Ressourcen nicht mehr ausreichen, um bestehende und neue Aufgaben im Alleingang zu bewältigen. Spätestens seit der Jahrtausendwende stehen – etwas zeitverzögert im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Handlungsfeldern – »Kooperationen« – und seit wenigen Jahren speziell »Governance« – im Rampenlicht der Strategien zur Lösung gegenwärtiger Herausforderungen im Kulturbereich (vgl. exemplarisch Deutscher Bundestag 2008, Föhl 2009, Knoblich/Scheytt 2009, Scheytt 2008a). Parallel zu diesen Entwicklungen hat die Region seit den 1980er Jahren im privatwirtschaftlichen Handeln – aber auch in der öffentlichen Steuerungstätigkeit – eine immense Aufwertung erfahren (vgl. Diller 2002: 42). »Als zukunftsweisende neue Raumkonfiguration soll die Region nicht nur die Defizite des sich auflösenden Nationalstaates auffangen, sondern sie soll auch in einer noch nicht fest gefügten suprastaatlichen Ordnung als Gegengewicht fungieren, das ihren Menschen räumliche Verankerung und Identität sichert.« (Ebd.)
Gemeinsam bilden »Regional« und »Governance« dementsprechend ein – wenn auch bislang nicht klar abgrenzbares – Handlungsfeld und -konzept, dem inzwischen große Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Diskussion, aber auch in der Praxis entgegengebracht wird (vgl. Kleinfeld et al. 2006a). Im Rahmen dieser Prozesse wird die vormals eher »hierarchische Autorität« des Staates durch neue Verhandlungs- und Kooperationssysteme ergänzt oder teilweise gar »unterhöhlt« (vgl. hier und im Folgenden Diller 2002: 32). Konsens dürfte dahingehend bestehen, dass der »Kooperationsgedanke« als Handlungsoption einer Fixierung auf Konkurrenz als dem Treiber marktorientierter Konzepte (Wettbewerb) wie dem staatlichen Handeln (Hierarchie) bzw. der Eigenerstellung von Leistungen von Funktionalorganisationen (ebenfalls Hierarchie) als intermediäre Form im Sinne Sydows (1992: 104) zwischengeschaltet wird (vgl. Fürst 2006: 39). Neben den bekannten Mustern entstehen neue staatliche und nicht-staatliche Verhandlungs-, Steuerungs- und Kooperationssysteme. Darüber hinaus bringen sich die Bürger zunehmend in (kultur-)politische Diskurse ein (vgl. exemplarisch Föhl 2010b). D.h., die Komplexität der Umweltbedingungen
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und neuen Akteurskonstellationen nimmt zu; gleichzeitig verliert der Staat an Steuerungskapazität, obwohl der Bedarf an Steuerung bzw. zumindest an Koordination in einer stetig komplexer werdenden Umwelt ansteigt. Vor diesem Hintergrund kommt die bereits eingeführte »Governance«-Perspektive sowie die »Aktivierung« (vgl. Scheytt 2008a/b, Sievers 2005) als potentieller Handlungsansatz für die Kulturpolitik zum Zuge. Selbstverständlich sind damit auch sämtliche anderen Akteure und Disziplinen im Kulturbereich einbegriffen (vgl. exemplarisch Lange et al. 2009 für den Bereich der Kreativwirtschaft), da diese ebenfalls komplexe Situationen und neue Herausforderungen zu bewältigen haben (vgl. hierzu vertiefend Klein 2007). Für Governance existiert bislang keine feststehende Begriffsdefinition (vgl. hier und im Folgenden Föhl 2011a). Dies lässt sich u.a. auf die verschiedenen Anwendungsfelder, die Beforschung durch eine Vielfalt an Wissenschaften sowie das noch relativ frühe Entwicklungsstadium dieses Ansatzes und seine Funktion als Brückenbegriff zurückführen (vgl. Schuppert 2008: 24-26). Dennoch kann ein gewisser Grundkonsens an definitorischen Annäherungen zusammengefasst werden (vgl. Benz/Dose 2010 und Benz et al. 2007: 9-20): • Steuern und Koordinieren (oder auch Regieren) mit dem Ziel des Managements von Interdependenzen zwischen (i.d.R. kollektiven) Akteuren aus dem öffentlichen, privaten oder privat-gemeinnützigen/zivilgesellschaftlichen Sektor und/oder innerhalb dieser Sektoren; • Steuerung und Koordination beruhen auf zumeist institutionalisierten Regelsystemen, welche das Handeln der Akteure lenken sollen, wobei in der Regel Kombinationen aus unterschiedlichen Regelsystemen (z.B. Markt, Hierarchie und Mehrheitsregeln) vorliegen; • Interaktionsmuster und Modi kollektiven Handelns, welche sich im Rahmen von Institutionen (u.a. Netzwerke, Koalitionen, Vertragsbeziehungen) oder Initiativen (z.B. Bürgerinitiativen) ergeben; • Prozesse des Steuerns bzw. Koordinierens sowie Interaktionsmuster, die der Governance-Begriff erfassen will, überschreiten in aller Regel Organisationsgrenzen, insbesondere auch die Grenzen von Staat und Gesellschaft, die in der politischen Praxis zunehmend fließend werden. Politik und Gestaltungsprozesse in diesem Sinne finden im Zusammenwirken staatlicher und nicht-staatlicher Akteure bzw. Organisationen statt;
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• darüber hinaus existieren verschiedene normative bzw. direkte praktische Anwendungen, wie z.B. die zentralen »Good Governance«-Grundsätze der Europäischen Kommission mit den Leitbildern »Offenheit«, »Partizipation«, »Verantwortlichkeit« und »Kohärenz« (vgl. Europäische Kommission 2001: 8). Zugleich wird mit Governance ab Mitte der 1990er Jahre die Ablösung des eingangs erwähnten Leitbildes des »schlanken Staates« durch den »aktivierenden Staat« gleichgesetzt (vgl. Jann/Wegrich 2010). Das Leitbild des »aktivierenden Staates« steht dafür, dass ein staatliches Gemeinwesen nicht mehr alleine in der Lage ist, gesellschaftliche Probleme umfassend zu lösen. Wo möglich und vertretbar, sollen Problemlösungskapazitäten der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft aktiviert bzw. eine gemeinsame Leistungserstellung avisiert werden (vgl. hier und im Folgenden ebd.: 199). Dieser Ansatz hat eine tiefgreifende Neubestimmung des Rollenverhältnisses von Staat, Markt und Zivilgesellschaft zur Folge. Neben »Government« – als autonome Tätigkeit des Regierens von Seiten des Staates – tritt die »Governance«-Perspektive des neuen Zusammenwirkens gesellschaftlicher Akteure. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass Governance-Systeme nicht die klassischen Politik- und Verwaltungsstrukturen ersetzen, sondern diese ergänzen. Im Idealfall sind die »Government«- und »Governance«-Systeme produktiv und engmaschig miteinander vernetzt. Und sie befördern ein selbstreflexives Potential bei allen Beteiligten, indem Organisationsprozesse als politische, aber auch als kulturelle Prozesse begriffen werden, die von synergetischer und geteilter Verantwortung leben. Besonders dieser Aspekt ist hervorzuheben: Im Kulturbereich kann der Governance-Ansatz auch zu einer Bündelung kritischer Interventionen führen. Das heißt, dass insbesondere Themen wie Abwanderung aus ländlichen Gebieten, demografischer Wandel, Abkoppelung von urbanen Diskursen viel stärker zu Gehör gebracht werden können, wenn sie a) durch künstlerische Mittel ausgedrückt und b) durch eine koordinierte Form über die Landesgrenzen hinweg verbreitet werden. Dieser Bündelungs-Charakter birgt ein großes Chancenpotential für Governance-Ansätze in supranationalen Regionendiskursen.
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3.2 Vertiefung: Region Im Handwörterbuch der Raumordnung wird die Region folgendermaßen beschrieben: »Allgemein versteht man unter einer Region einen durch bestimmte Merkmale abgrenzbaren, zusammenhängenden Teilraum mittlerer Größenordnung in einem Gesamtraum. In der Alltagssprache wird der Begriff ›Region‹ oder das Attribut ›regional‹ meist dann verwendet, wenn Gegebenheiten oder Vorgänge bezeichnet werden sollen, die mehr als den örtlichen Zusammenhang betreffen, aber unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelt sind.« (Sinz 2005: 919)
Das Europäische Parlament formulierte 1988 im Rahmen der Gemeinschaftscharta der Regionalisierung »Region« folgendermaßen: »[…] ein Gebiet, das aus geographischer Sicht eine deutliche Einheit bildet, oder aber ein gleichartiger Komplex von Gebieten, die ein in sich geschlossenes Gefüge darstellen und deren Bevölkerung durch bestimmte gemeinsame Elemente gekennzeichnet ist, welche daraus resultierende Eigenheiten bewahren und weiterentwickeln möchten, um den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt voranzutreiben.«
Diese Definitionen können als erste formale und begriffliche Annäherung verstanden werden. Ergänzende Beschreibungen legen Röbke und Wagner in Form von vier Klassifizierungen zur Unterscheidung verschiedener Regionstypen vor (vgl. Röbke/Wagner 1997: 18): 1. »Region als Wirtschaftsraum«: z.B. traditionelle Wirtschaftsräume wie das Ruhrgebiet oder Verbindungen grenzenübergreifender Wirtschaftszentren einzelner Länder wie die Hanse (Schleswig-Holstein, Baltikum, südliches Schweden und nördliches Polen); 2. »Region als politischer Begriff mit oder ohne rechtlichen Charakter«: u.a. Regionen mit Autonomiebestrebungen oder Gebiete mit grenzüberschreitender Zusammenarbeit; 3. »Region als verwaltungsrechtliche und verwaltungsorganisatorische Gliederung«: hierzu zählen u.a. Mittel-Behörden zwischen Kommune und Land (Landschaftsverbände, Bezirke) oder Umlandverbände und Regionalämter;
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4. »Region als Kulturraum«: z.B. Gegenden mit gemeinsamer Geschichte, Sprache und Tradition sowie Räume mit spezifischen Mentalitäten und Lebensformen. Die einer spezifischen Kultur verpflichtete Region als Kulturraum ist häufig Grundlage der anderen Regionenverständnisse. Es ist offensichtlich, dass trotz der obigen Ausführungen der Begriff der Region nur schwerlich präzise zu bestimmen ist, da die genannten Definitionen je nach Kontext und Intention in verschiedenen Mischverhältnissen auftreten; daneben existieren viele weitere Komponenten zur Begriffsdefinition von Region. So unterscheidet bspw. Ivanisin zwischen »Region als Raum«, »Region als Kultur«, »Region als (innovatives) Milieu« und »Region als Identität« (vgl. ausführlich Ivanisin 2006: 45-82). Fest steht jedoch, dass es sich immer um eine Art Zusammengehörigkeit von Menschen, Organisationen und/oder Einrichtungen sowie weiteren Faktoren handelt, sei dieser Ansatz wirtschaftlich, naturräumlich, politisch, kulturell oder andersartig motiviert. Nun stellt sich die Frage, warum in diesem Raum – wie einleitend dargestellt – so viele Potentiale vermutet werden, die ihn z.B. besonders förderungswürdig machen und die die zahlreichen regionalen Entwicklungsansätze erklären. Mit dieser Frage wird keine wirklich neue Diskussion angeschnitten, sondern eine Entwicklung, die sich intensiv seit den 1980er Jahren vollzieht und seit den 1990er Jahren verstärkt auch im Kulturbereich thematisiert wird (vgl. Klein 1993, Röbke/Wagner 1997, Sievers 1997). So spricht etwa Klein in einer der ersten Publikationen zum Thema »regionale Kooperationen im Kulturbereich/regionales Kulturmanagement« von der »Renaissance der Region« (vgl. Klein 1993: 2). Diese »Wiederentdeckung« ist ein europäisches Phänomen, das sich spätestens seit der Gemeinschaftscharta der Regionalisierung (s.o.) manifestiert hat und sich in unterschiedlichen fachlichen, disziplinären und praxeologischen Zusammenhängen spiegelt. So wird der Region nicht nur von der Geografie, der Raumplanung, der Soziologie und weiteren Disziplinen, wie etwa der Tourismusforschung, ein Bedeutungsgewinn zugewiesen, sondern auch direkt von der Politik, der Wirtschaft sowie weiteren Akteuren. Zugleich werden aufgrund unterschiedlicher ideologischer Aufladungen, z.B. Regionalisierung als Rückzug (»Verinselung«) oder als kultureller, religiöser oder ethnischer Radikalismus, höchst kontroverse Diskussionen geführt. Hier wird bereits die Mehrdimensionalität der Thematik deutlich, die in ihrer Bereite und Tiefe im Rahmen des Bei-
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trages kaum umfassend dargestellt werden kann (vgl. vertiefend Ivanisin 2006). Allerdings existieren zentral diskutierte Auslöser und Dimensionen, die den Bedeutungsgewinn der Region bzw. die »Regionalisierungsbewegung« skizzieren und von Mose und Brodda (u.a. in Bezug auf Blotevogel 1996) folgendermaßen zusammengefasst werden: • »Dimension Politik und Planung«: z.B. sind die Instrumente der zentralen Instanzen angesichts der Komplexität des Strukturwandels weitgehend wirkungslos; notwendige Berücksichtigung neuer Themen und Akteure, Planungsräume entsprechen häufig nicht den tatsächlichen funktionalen Verflechtungen laut den Vorgaben der Europäischen Union (Regionale Aktionsprogramme); • »Dimension Ökonomie«: u.a. Regionalisierung als Antwort auf die Globalisierung (Beispiel »Wettbewerb der Regionen«), Vorteile sog. »regionaler Produktionsbezirke«, d.h. spezialisierter regionaler Produktionssysteme sowie spezifischer regionaler Milieus; effizienter Einsatz knapper werdender finanzieller Mittel; • »Dimension Kultur«: Besonderheiten der regionalen Kultur als identitätsstiftender Faktor (»Heimat«); Denken in regionalen Zusammenhängen als Widerstand gegen die Globalisierung; zunehmende »Regionalisierung der Lebensweisen«; regionale Kultur als brauchbares Vermarktungsinstrument z.B. im Tourismus. Die »Regionalisierung« weist folglich ein breites Bündel an Auslösern und Intentionen auf, die nicht selten eng miteinander verwoben sind. Für den Kulturbereich sind die zuvor dargestellten Dimensionen weitgehend nachzuvollziehen. So reichen die Diskussionen von der Rolle »regionaler Kultur« als Bindungsmittel an eine Region – auch als Gegengewicht zur Globalisierung (Heimat, kulturelle Identität) – über die Aktivierung ebendieser Kultur zur Anziehung von Touristen in eine Region (vgl. hier und im Folgenden Klein 1993: 6f.) sowie als Imagefaktor für Wirtschaft und Politik bis hin zur Partizipation an den spezifischen Regionalprogrammen der EU, institutionalisierter regionaler Kooperationen (z.B. NRW KULTURsekretariat) sowie der Etablierung bzw. »Inwertsetzung« kulturlandschaftlicher (vgl. Fürst et al. 2008) und kulturtouristischer (vgl. Föhl/ Pröbstle 2011) Handlungsräume.
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Deutlich wird durch die Beispiele nicht nur die Bandbreite möglicher Regionalisierungstendenzen im Kontext von Kultur, sondern auch, dass sie teilweise erhebliche Konflikte mit sich bringen. Eine schrumpfende Region im ländlichen Raum wird z.B. große finanzielle Schwierigkeiten haben, einerseits ein adäquates Kulturangebot für die Bevölkerung vor Ort zu erhalten (z.B. Heimatmuseum, soziokulturelles Zentrum, Unterstützung der Vereinsarbeit) und gleichzeitig eine bundesweit wirksame regionale Tourismusstrategie zu vermarkten und umzusetzen (vgl. Föhl 2010b). Hier gilt es, Prioritäten zu setzen und eine strategische Planung zu vollziehen – und darüber nachzudenken, wie Kooperationen mit anderen, internationalen Regionen hergestellt werden können. Fortführend soll nun der letztgenannte Aspekt der »regionalen Kooperation« exzerpiert und vertiefend betrachtet werden.
4. R EGIONAL G OVERNANCE : P OTENTIALE AUS INTERNATIONALER P ERSPEK TIVE Die grundsätzliche, für die Praxis wohl relevanteste Frage bei Kooperationen ist die nach der Organisation von Kommunikation, die in der Folge zu Kooperation führt. Besonders aus internationaler Perspektive ergeben sich hier Herausforderungen. In bestehenden Netzwerken wie etwa dem durch die Internetplattform »culture action europe« (vgl. www.cultureactioneurope.org) repräsentierten Publikationsforum zur Förderung des europäischen Kulturaustausches wird deutlich, dass sogenannte »Partnership Events« hilfreich sein können, um überhaupt diesen Anstoß zu einer konkreten Vernetzung zu geben. Gemeinsame Veranstaltungen zu Fragen von regionaler Identität und künstlerischem Austausch können ein erster Schritt sein, um Reaktionen des Publikums kennen zu lernen, aber vor allem auch, um Verantwortliche aus Kulturbetrieben, Kulturpolitik und aus der Wirtschaft an einen Tisch zu bringen. In der Folge hängt sicherlich der Erfolg von Kooperationen davon ab, welche transnationalen Kompetenzfelder beschrieben werden können und wem von den Beteiligten welche spezifische Kompetenz zugesprochen wird. Im Zuge der Bewerbung der deutschen Stadt Görlitz und der polnischen Stadt Zgorzelec um den Titel »Kulturhaupstadt Europas 2010« zeigte sich beispielsweise genau an dieser Schnittstelle ein Problem der grundsätzlich gewollten und bejahten Kooperation: Wie lassen sich
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über Grenzen hinweg Verantwortung, Kompetenz und Weisungsbefugnisse so verteilen, dass sie zu einer funktionierenden Einheit verschmelzen?
4.1 Das grundsätzliche Potential regionaler, grenzenüberschreitender Kooperation im Kulturmanagement Bezieht man diese Ausführungen generell auf die regionale Ebene, »sind Kooperationen immer dann zu erwarten, wenn die administrativen Grenzen nicht mit den Wirkungsgrenzen übereinstimmen« (Bergmann/Jakubowski 2001: 468). Diese Feststellung bezieht sich vor allem auf Gemeinden. Für alle anderen Akteure (u.a. Unternehmen, Vereine) stellt die Region einen möglichen und bekannten Raum dar, der verschiedene Kooperationsanreize bietet, wie z.B. die gemeinsame Imagebildung, der Wettbewerb gegen Dritte oder schlichtweg die geografische Nähe, die die Transaktionskosten für Kooperationen in einem überschaubareren Maß halten kann. Für die Kommunen selbst stehen drei handlungsleitende Intentionen im Eingehen regionaler Kooperationen (vgl. ebd.: 468f.): • »Skalenerträge«: gemeinsame Erfüllung von Aufgaben, wenn durch Kooperationen Kostenvorteile erzielt werden können (z.B. abnehmende Durchschnittskosten und technische Unterteilbarkeiten) und/oder die Gemeinde für eine optimale Produktionsgröße zu klein ist; • vorhandene »Verflechtungen«: Auflösen von realen – unproduktiven – Verflechtungen, wie z.B. Doppelinvestitionen und entsprechende Auslastungsschwierigkeiten, durch Koordination, Abstimmung und Aufgabenverteilung; • »Standortfragen«: Profilierung eines Standortes gegenüber anderen Standorten (s.o.: »Regionen im Wettbewerb«). Diese Strategie geht auf die Erkenntnis zurück, dass die Standortauswahl von Haushalten und Unternehmen weniger von lokalen Faktoren, sondern vielmehr von regionalen Standortbedingungen bestimmt wird. Hierzu zählen u.a. Zulieferer- und Dienstleistungsunternehmen, Netzwerke, z.B. im Bereich Forschung und Wissenschaft, regionale Wohn- und Kulturangebote. Dies sind gleichwohl Betrachtungsweisen, die aus der politischen Sicht hohe Argumentationsrelevanz haben und daher gekannt werden sollten.
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Für das Kulturmanagement kommt aber noch eine Besonderheit hinzu, die häufig nicht ausreichend reflektiert wird: Die Partner des Kulturmanagements sind vordergründig Künstler, nicht Kulturbetriebe (vgl. Wolfram 2012). D.h., dass gerade innerhalb von Regionen die Aktivierung von Künstlern in Kooperationsvorhaben ein entscheidender Faktor ist, um längerfristig erfolgreich die Kommunikation zwischen Regionen im Bereich Kultur zu stimulieren. Häufig werden Kooperationen »entworfen«, anstatt sie zu aktivieren. Beispiele wie der regionale Verein »European Artists e.V.« (www.europeanartists-ev.de/) belegen, dass persönliches Engagement von Künstlern zu einer raschen und intensiven Form der Vernetzung führen kann, eben weil kein kulturpolitischer Zweck in den Vordergrund gerückt wird, sondern tatsächlich die Begegnung und das gemeinschaftliche Arbeiten von Künstlern. Diese hohe Akzeptanz privater Initiativen kann ein guter Ausgangspunkt für strukturelle Kooperationen auf regionaler Ebene im Kulturmanagement sein. Dazu werden freilich in der Kulturpolitik, innerhalb von Kulturbetrieben wie Stadttheatern, Museen etc. und in der Wirtschaft konkrete Ansprechpartner benötigt, die Kultur nicht als reines Marketinginstrument missverstehen, sondern als profunde und historisch reiche Dimensionen regionaler Identität mit Zukunftspotential. Wenn also Vertreter lokaler Kulturbetriebe, politischer Gremien und privater Unternehmen hier einen gemeinsamen Strategieplan erarbeiten, sind gute Erfolgschancen für funktionierende Vernetzungen auf regionaler Ebene gegeben (vgl. Föhl/Neisener 2010).
4.2 Von bestehenden Ansätzen lernen Im Bereich des Aufbaus von europäischen Verwaltungsstrukturen haben sich die sogenannten »Twinning-Projekte« als ein erfolgreiches Instrument erwiesen. »Partnerschaftsprojekte werden durch die Staaten mit einem Bedarf an Twinningpartnerschaften nachgefragt, ausgelobt, im Wettbewerb zwischen den EU Mitgliedsstaaten vergeben und durch einen über einen längeren Zeitraum im Partnerland weilenden Experten aus einer Verwaltung des Mitgliedsstaates (ständiger Twinning Berater) sowie ihn unterstützende Kurzzeitexperten realisiert. Die befristet geförderte Zusammenarbeit soll eine nachhaltige Kooperation zwischen den Partnerbehörden begründen, die über die Projektlaufzeit hinaus bestehen soll.« (Umweltbundesamt 2012)
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Das Konzept der Twinning-Projekte wäre sicherlich in hohem Maße auch für den Kulturbereich geeignet, eben weil die Faktoren persönliche Erfahrung, nationale Differenzierung und Erfolg durch Austausch hier ebenfalls vorhanden sind. Zudem ließen sich Besonderheiten des jeweiligen Kulturverständnisses und der kulturbezogenen Organisationsauffassungen praktisch, unmittelbar und auf einen längeren Zeitraum bezogen feststellen. Das gemeinsame Lernen und Entwickeln von Ideen auf Basis der Zusammenführung verschiedener nationaler Erfolgsmodelle ist sicher ein Konzept mit Zukunft.
4.3 Internationale Regionen als gemeinsame Identifikationspunkte Mit der zunehmenden Bedeutung von Regionen als Kulturbotschafter spezifischer kontinentaler Traditionen lässt sich, wie beschrieben, auch eine Schwächung des Nationalstaates als repräsentativem Hintergrund für Kulturdimensionen beobachten. Aufgrund der immer stärker werdenden Migrationsströmungen und der ökonomischen wie politischen Vernetzungstendenzen hat der Fokus auf eine »deutsche Kultur« oder eine »österreichische Kultur«, um zwei Beispiele zu wählen, etwas Anachronistisches, eben weil diesen Begriffen wenig Konkretes zuzuordnen ist. Kulturelle Identität benötigt Rituale der Partizipation, die heute in besonderem Maße einen integrativen Charakter besitzen müssen. Blickt man z.B. auf topografische Verbindungen wie den »Alpenraum« oder auf »mediterrane Kulturen«, dann sieht man, dass innerhalb solcher Begriffe nationale Zuordnungen verschwimmen und unwichtig werden. Der Regionenbegriff kann hier sicherlich keine direkte Verwendung mehr finden, aber er kann Anleihen nehmen. Autoren wie Claudio Magris (vgl. Magris 2005, 2007), Karl-Markus Gauß (vgl. Gauß 2009, 2010) oder Karl Schlögel (vgl. Schlögel 2008, 2011) haben eindrucksvoll darauf hingewiesen, dass kulturelle Traditionen sich nicht durch nationale Grenzen beschreiben lassen. Diese Autoren denken in Raumkategorien und »Übergängen« (vgl. Schlögel 2008), die verbindend und historisch gewachsen sind. Gleichwohl gilt es auf der Ebene der Praxis zu verdeutlichen, dass Verbindendes erlebt werden muss von einer relevanten Zahl von Menschen, um wirklich auch bindend zu sein. Hier kann das Kulturmanagement ansetzen, indem es eben innerhalb von Kulturräumen agiert statt innerhalb nationaler Strukturen. Durch
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Städtepartnerschaften und innerhalb von Projekten, wie sie von den Euregio-Büros gefördert werden, zeigt sich bereits, welches große Potential hier noch verborgen liegt. Leider richten sich noch immer viele Branchen nur in marginaler Weise an diesem Potential aus. Gerade im Bereich von Stadt- und Regionenmarketing, im Tourismus oder in lokalen Wirtschaftskooperationen sind vermutlich noch viele Möglichkeiten für neue Maßnahmen unausgeschöpft. Gerade innerhalb strukturschwacher Regionen in Deutschland wie im äußeren Entwicklungsraum Brandenburgs oder in weiten Teilen Mecklenburg-Vorpommerns sind europäische und internationale Perspektiven in einem stärkeren Maße zu berücksichtigen, allein schon aufgrund der Tatsache, dass diese Regionen etwa in Frankreich oder den Niederlanden nicht ohne weiteres bekannt sind. Zudem sind viele Regionen verstärkt Zuzugsgebiete für Menschen aus Osteuropa, die sich von der vorhandenen Infrastruktur bessere Lebens- und Arbeitschancen versprechen. Ein Beispiel ist die Uckermark in Brandenburg, die gegenwärtig einen starken Zugzug aus der Stadt und der umliegenden Region von Szczecin erlebt, da dort die Miet- und Lebenshaltungskosten steigen und die vorwiegend polnischen Familien eine immer noch gut intakte sowie leistbare Infrastruktur in den Städten und Dörfern der Uckermark vorfinden. Allein dadurch ergibt sich eine neue Situation für transnationalen Kulturaustausch und neue Imagebildungen. Ganz anders etwa als das Elsass, das bayerische Voralpenland oder die Region Tirol. Hier sind unterschiedliche Bekanntheitsgrade und mediale Präsenzen zu untersuchen, um Regionen entsprechend positionieren und aufbauen zu können. Daher gehört es innerhalb der genannten Entwicklungen zu den unverzichtbaren Arbeitsschritten, Leitbilder für Regionalisierungsansätze zu erarbeiten. Insgesamt können die »Regionalisierungsansätze« nach Mose/ Brodda 2002 (in Bezug auf Danielzyk 1998) auf vier wesentliche Dimensionen zusammengefasst werden: • »Regionalentwicklung auf der Basis endogener Potentiale«: Nutzbarmachung der endogenen, also in einer Region selbst vorhandenen natürlichen und anthropogenen Potentiale. Sie sollen als Basis der wirtschaftlichen, aber auch der sozialen und kulturellen Entwicklung von Regionen dienen (u.a. Lokalisierung entwicklungsfähiger Potentiale und gezielte Entwicklung fördern). • »Formale Erneuerung der Regionalpolitik«: formale Erneuerung der für die Regionalentwicklung relevanten Bereiche von Politik und Ver-
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waltung. Es entstehen neue bzw. veränderte Formen »regionaler Institutionen«, die Zuständigkeiten für die Gestaltung regionaler Entwicklungsprozesse übernehmen (u.a. Förderung der Selbstverantwortung und von Strukturen, die sich z.B. an einem Kulturraum und nicht an administrativen Grenzen orientieren). • »Partizipative Regionalentwicklung«: Förderung einer partizipativen Ausgestaltung der Regionalentwicklung – im Sinne von Regional Governance – und der Entwicklung dazu geeigneter Instrumente. Diese Perspektive zielt vor allem auf die systematische und kontinuierliche Beteiligung der Betroffenen (vor allem der Bevölkerung sowie der privaten und privat-gemeinnützigen Einrichtungen) und auf Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse (z.B. Bürgerentscheid, Expertenbefragungen oder Bürgerforen im Rahmen von Kulturentwicklungsplanungen). Eine entsprechende Partizipation soll die Zustimmung der Bevölkerung und wichtiger Organisationen (z.B. Heimatverein) zu bestimmten Entwicklungsmaßnahmen sicherstellen und die Identifizierung der Bevölkerung mit »ihrer Region« fördern, garantieren oder Grundlagen dafür schaffen (vgl. exemplarisch Föhl/ Neisener 2008). • »Regionale Kooperation als Motor der Regionalentwicklung«: Zur Bewältigung der zunehmend komplexeren Herausforderungen wird ein gewachsener Bedarf an systematischen Kooperationen von verschiedenen Akteuren im regionalen Verbund bzw. in regionalen Kontexten festgestellt (effizienter Ressourceneinsatz, Zusammenlegung statt Schließung, Ideenaustausch etc.). Vor allem im »Wettbewerb der Regionen« wird verstärkt auf die Kooperation regionaler Akteure gesetzt, um im Wettbewerb mit anderen Regionen (z.B. Standortgunst, Fördermittel) zu bestehen (vgl. vertiefend Bergmann/Jakubowski 2001).
5. S TOLPERSTEINE INTERNATIONALER O RIENTIERUNGEN IM K ULTURMANAGEMENT Es ist erstaunlich, dass innerhalb der Kulturmanagementforschung und häufig auch auf der Ebene der Praxis der internationale Austausch zwar in Projektuntersuchungen und Projekten stattfindet, jedoch strukturell gesehen immer noch etwas Besonderes und institutionell nur marginal Verankertes darstellt. Dafür kann man einige Gründe benennen:
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• Das Gros der Kulturarbeit ist – abgesehen von den deutschen Metropolen – kommunal oder auf Landesebene organisiert. Zwar existieren Gastspiele u.Ä., aber oft wenig institutionell gefestigte Strukturen mit internationaler Perspektive, die etwa auch die Sprachproblematik, die interkulturelle Reflexion und ein transnationales Marketing ausreichend berücksichtigen würde. • Die Veranstaltungsorte sind überwiegend lokal, regional und national fokussiert. • Das Argument der Nichtvergleichbarkeit wirkt häufig als bremsendes Element. • Das Traditionsbewusstsein definiert sich häufig entlang nationaler bzw. regionaler Grenzen. • Das Fach Kulturmanagement benötigte berechtigterweise bislang viel Zeit und Energie zur Selbstfindung innerhalb nationaler Diskurse. Der Transfer auf internationale Ebenen steht in der Forschung erst am Anfang. • Vorhandene Sprachbarrieren, Mentalitätsunterschiede und ästhetische Präferenzen werden in der Praxis immer wieder als Hemmnisse angeführt. • Noch ist die Einbindung von Migrationskulturen, gerade auf regionaler Ebene, ein Prozess in den Anfängen. Statt fortwährender Integrationsdiskurse sollte es u.a. verstärkt um die Nutzung der Kompetenzen von Migrationsverbänden gehen, internationale Kulturarbeit zu fördern (vgl. Dröge/Hoffmann 2010). Um diesen Problemen abzuhelfen, ist zu empfehlen, anhand von Leitlinien Internationalisierungsprozesse in Gang zu setzen. Dazu können folgende Überlegungen im Sinne eines Rüstzeugs hilfreich sein: • Regionengeschichte ist fast immer älter als Nationalgeschichte. Wo lassen sich hier positiv besetzte Anknüpfungspunkte finden? • Wie kann man von bestehenden regionalen Kulturentwicklungsprozessen lernen? Insbesondere die zahlreichen Kulturregionen in Deutschland (vgl. Föhl 2012) bieten gute Anknüpfungspunkte, etwas über die Chancen und Herausforderungen von regionaler Kulturentwicklung für internationale Ansätze zu lernen. Gleichfalls ist teilweise die internationale Ausweitung von bestehenden Kulturregionen denkbar.
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• Bestehende Strukturen innerhalb der Kulturszene sollten im Sinne einer Kulturtopografie dokumentiert werden. Welche Theater, Spielstätten, Vereine und Privatinitiativen gibt es in der Region? Bestehen hierbei schon Kooperationen mit anderen Regionen, an die man anknüpfen kann? Ist das vorhandene Potential sichtbar gemacht? • Können Ansprechpartner identifiziert werden? Hier ist auch an Aktive im Ehrenamt zu denken, auch an die Vernetzung sogenannter Bürgermedien. • Welche längerfristig angelegten Kooperationsprojekte haben das Potential, durch europäische Strukturfonds gefördert zu werden? Welche langfristigen Wirkungen sind erwünscht und sind sie bereits präzise genug ausformuliert? • Wie lassen sich Migrationserfahrungen in diesen Prozess einbinden? Gerade in Regionen können hier multiethnische Vereine oder Kulturprojekte als Transferhelfer ins Supranationale agieren. • Wie sind neue Communities aus dem Bereich Social Media in die Bildung von International Regional Communities eingebunden? Hier ist u.a. die Zusammenarbeit mit Hochschulen dringend zu empfehlen.
6. C ONCLUSIO Regionen sind wahrscheinlich noch stärker als Metropolen dazu in der Lage, innerhalb von Kooperationen mit anderen Ländern das Potential internationaler Zusammenarbeit sichtbar werden zu lassen. Die in diesem Beitrag grob umrissenen Chancen und Schwierigkeiten zeigen zumindest, dass ein stärkerer Identitätsbemessungsraum vorliegt, eben weil regionale Geschichte häufig sehr viel ältere Traditionen als Nationalhistorien aufweist. Zudem kommen gerade in strukturschwachen Regionen besondere Herausforderungen auf die Regionen hinzu, den Lebensraum attraktiver zu gestalten für Einheimische wie für Gäste. Der sogenannte Provinz-Diskurs führt häufig dazu, dass es an Motivation und Interesse fehlt, sich in bestimmten Gebieten zu engagieren und gerade durch kulturelle Impulse neue politische, soziale und vor allem ökonomische Handlungsfelder zu öffnen. Durch internationale Kooperationen und durch die Nutzung bereits vorliegender Governance-Erfahrungen aus anderen Bereichen kann einer kulturellen Regionenidentität eine besondere Rolle innerhalb der Gestaltung von Globalisierungsprozessen zukommen.
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Intervention Gespräch: »Die internationale Perspektive ist längst unabdingbar …« Zur Relevanz eines transkulturellen Kulturmanagements Ein Gespräch mit Armin Klein
Prof. Dr. Armin Klein zählt zu den Gründervätern des Kulturmanagements in Deutschland. Seine Fachbücher und Herausgeberbände zählen immer noch zu den Standardwerken dieser wissenschaftlichen Disziplin. Von 1995 bis 2000 war er bei der Internationalen Sommerakademie in Salzburg tätig und betreute maßgeblich, ab 2001, bei der Robert Bosch Stiftung das wissenschaftliche Ausbildungsprogramm »Kulturmanager in Mittel- und Osteuropa«. Im folgenden Interview erläutert er seinen Standpunkt zur Relevanz von »Internationalem Kulturmanagement«.
Gernot Wolfram (GW): Herr Klein, in Deutschland hat sich nach vielen Anfangsschwierigkeiten der Begriff »Kulturmanagement« durchgesetzt – mit ganz spezifischen, auch sehr unterschiedlichen Definitionen. Ist dies ein Erfolgskonzept, das sich auch auf andere Länder übertragen lässt? Armin Klein: Bis 1990 sprachen wir zunächst von Kulturverwaltung, dann von Kulturarbeit. »Kulturarbeit« hatte einen starken gesellschaftspolitischen Bezug, d.h., man hoffte seinerzeit, mit Kunst und Kultur die Gesellschaft zu verändern: z.B. eine Demokratisierung der Gesellschaft durch Kultur zu erreichen – Stichwort »Kultur für alle«. In den 90er Jahren trat eine gewisse Ernüchterung ein: Nicht nur aufgrund stagnierender, teilweise sogar rückläufiger öffentlicher Zuwendungen kam es zunehmend
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darauf an, die vorhandenen Ressourcen optimal einzusetzen. Seit der Jahrtausendwende haben sich die Probleme erweitert: Zu nennen sind beispielhaft die demografische Herausforderung (nach einem bekannten Schlagwort werden wir »weniger, älter und bunter«), die Globalisierung, die uns in eine »Welt-Risikogesellschaft« katapultiert, die technologischen Revolutionen durch die neuen Medien usw. Hier stößt ein Konzept der bloßen Kulturverwaltung schon lange an seine Grenzen: Es braucht kompetente, zukunftsorientierte und vor allem strategisch denkende Kulturmanagerinnen und Kulturmanager, die für ihre Sache, nämlich Kunst und Kultur, »brennen« und diese auch unter schwierigen Bedingungen ermöglichen wollen. In der Anfangsphase des Kulturmanagements in Deutschland, also zu Beginn der 90er Jahre, haben wir sehr viel gelernt von Ländern, in denen es Arts Management schon seit vielen Jahrzehnten gab, also vor allem von den angelsächsischen Ländern und Kanada. Doch schnell wurde klar, dass Kapieren nicht Kopieren heißt, dass wir es mit teilweise vollständig anderen Rahmenbedingungen zu tun haben. Daher mussten wir in anderen Ländern gängige Praktiken, wie etwa Sponsoring, Fundraising, Kulturmarketing usw. für deutsche Verhältnisse adaptieren. Und genau so müssen die ost- und mittelsüdosteuropäischen Länder ihre spezifischen Wege gehen und diese Adaptionsleistung vollbringen. Was in New York funktioniert, muss nicht in München funktionieren, und was dort klappt, muss noch lange nicht in St. Petersburg klappen – auch wenn sicherlich manches übertragbar ist. GW: Immer wieder kann man lesen, dass die Kulturpolitik im deutschsprachigen Raum bürokratisch und wenig flexibel sei. Teilen Sie diese Auffassung? Und für wie sinnvoll halten Sie eine zumindest in Europa stärker koordinierte Kulturpolitik, die eben wirklich auch »Vielfalt« im Sinn hätte? Armin Klein: Die Bürokratie-Orientierung in Deutschland hat eine jahrhundertealte Tradition: Zunächst waren – neben den Kirchen – vor allem die Fürstenhöfe die Träger der großen Kultureinrichtungen: Theater, Orchester, Bibliotheken, Museen usw. Nach 1918 gingen diese Einrichtungen dann an den Staat über, der sie nach seinen Regeln »verwaltete«. Bedauerlicherweise gingen aber auch eine ganze Reihe spezifischer Gründungen und Institutionen des Bürgertums und der Arbeiterbewegung, wie z.B. die Literatur- und Kunstförderung, Musik- und Volkshochschulen zunehmend
Intervention Gespräch
in die öffentliche Hand über, vorwiegend als kommunale Einrichtungen. Dies unterwirft alle diese Betriebe den Mechanismen der Bürokratie, also einer wenig flexiblen Haushaltsordnung, ständigen administrativen Eingriffen und Regelungen usw. Seit allerdings der Wohlfahrtsstaat zunehmend an seine Grenzen stößt, macht man sich zunehmend Gedanken, wie man dies geschickter organisieren kann, wie man »exzellente Kulturbetriebe« aufbauen kann, wie ich das vor einigen Jahren in einem Buch beschrieben habe. Was eine koordinierte Kulturpolitik in Europa betrifft, so haben wir dort eine vergleichbare Situation wie bei uns in Deutschland: Kultur ist eines der wenigen politischen Handlungsfelder, das noch den (Bundes-) Ländern verblieben ist. So regelt auch der Art. 151 von Maastricht ganz im Sinne des Subsidiaritätsprinzips, dass die Kulturpolitik der einzelnen EU-Staaten eigenständig bleibt. Inwieweit allerdings eine gewisse Angleichung der Standards aufgrund der EU-Förderrichtlinien im Kulturbereich stattfindet, ist eine ganz andere Frage. GW: Wie wichtig ist es für Kulturbetriebe, sich international zu vernetzen? Oder ist das vielleicht ein Irrweg, der dem »Globalisierungszwang« geschuldet ist? Was wären für Sie hier wichtige Parameter? Armin Klein: Viele Kultureinrichtungen arbeiten schon seit Jahrzehnten international: beispielsweise Opernsänger, wichtige Festivals in allen Bereichen, große Ausstellungen, die nur als Wanderausstellungen realisierbar sind. Die internationale Vernetzung hilft, große Projekte überhaupt erst zu ermöglichen. Durch das Internet mit allen seinen Möglichkeiten ist die Kommunikation längst international – wie kann da die Kunst regional bleiben? Mittlerweile überträgt die New Yorker MET ihre Konzerte per Internet in deutsche Kinosäle – ein wunderbares Vernetzungsprojekt via Internet. Wichtig sollte allerdings dabei bleiben, dass es nicht zu einem großen Einheitsbrei kommt, d.h. dass die Kunst und Kultur Differenzen markiert – nur so bleibt sie spannend, provozierend und innovativ. GW: Immer wieder hört man von Kulturschaffenden und Kulturmanagern, dass es schwer sei, europäische Fördergelder für Kulturprojekte zu bekommen? Braucht es eine neue und andere Form europäischer und internationaler Förderung?
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Ein Gespräch mit Armin Klein
Armin Klein: Wir haben zwei große Fördermöglichkeiten auf EU-Basis: Das sind zum einen die sog. Strukturfonds, die helfen sollen, strukturelle Ungleichheiten zwischen den einzelnen Ländern aufzuheben, und Programmfonds, die der Durchführung gemeinsamer Projekte von Kulturschaffenden europäischer Länder dienen. Leider konzentrieren sich die meisten Kulturschaffenden auf die Programmfonds, die nicht nur nicht sehr reichhaltig ausgestattet sind und bei denen ein großer bürokratischer Aufwand nötig ist und bei denen auch eine enorme Konkurrenz herrscht. Viel spannender finde ich die Strukturfonds, die gezielt unterentwickelten Regionen zugutekommen. Aus diesen Strukturfonds entstand z.B. das Guggenheim-Museum in Bilbao, aber auch die Pop-Akademie in Mannheim, da diese im strukturschwachen Hafengebiet steht. Hier sind noch viele Möglichkeiten! GW: In anderen Ländern, wie etwa in Russland, sind die Strukturen und die Methoden des Kulturmanagements vollkommen andere. In manchen Ländern, etwa in China, hat man den Eindruck, dass Kultur sehr stark an ökonomisch erfolgreiche Projekte angebunden wird. Gibt es in der »deutschen Tradition« spezifische Zugänge, die Sie gern auch international stärker verankert sehen würden? Armin Klein: Das Kernproblem bei den angesprochenen Ländern ist, dass sie bislang eine recht unterentwickelte Zivilgesellschaft haben, d.h., dass es zwischen kommerzieller und staatlicher Kultur recht wenig gibt. Bei aller Kritik an der immer noch viel zu starken Bürokratie-Orientierung deutscher Kultureinrichtungen: Hier können diese Länder sicherlich noch viel lernen hinsichtlich bürgerschaftlichen Engagements und zeigen sich ja auch schon erste zarte Pflänzchen. GW: Sie haben viele Studierende im Kulturmanagement ausgebildet. Sehen Sie in den Biografien Ihrer Absolventen eine stärkere Berufsorientierung ins Ausland in den letzten Jahren? Armin Klein: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass unser Studiengang einen hohen Anteil von auswärtigen Studierenden hat: aus China, Korea, der Mongolei und Ländern Südamerikas, aber auch vor allem aus osteuropäischen Ländern über den DAAD. Auf diesem direkten Wege wandern viele »Ideen« in die Welt. Aber auch bei unseren Studierenden lässt sich eine große Bereitschaft erkennen, zumindest einen Teil ihres Studiums
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(etwa durch Auslandssemester oder Praktika), aber auch ihrer beruflichen Tätigkeit im Ausland zu verbringen (etwa im Rahmen des Robert-BoschProgramms). GW: Für wie wichtig halten Sie für die akademische Ausbildung die stärkere Verankerung von internationalen Handlungsperspektiven in den Kulturmanagement-Curricula? In anderen Fachdisziplinen, etwa in der Soziologie, in den Kulturwissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre, ist das ja seit Jahren schon flächendeckend geschehen. Armin Klein: Angesichts dessen, was wir unter den Allerweltsbegriff »Globalisierung« fassen, ist die internationale Perspektive längst unabdingbar. Viele Studierende, die sich bei uns im Master-Aufbaustudiengang bewerben, haben bereits eine ganze Reihe von Auslandspraktika, vielfach bei Goethe-Instituten, im Gepäck. Durch den Austausch mit unseren Partneruniversitäten wird dies im Studium dann verstärkt. Auch im Curriculum spielt das Thema »Interkulturalität« eine Rolle. Allerdings bin ich der Überzeugung, dass man dies nur bedingt zuhause lernen kann: Man muss schon eine Zeit lang »vor Ort« sein, um die kulturellen Differenzen zu begreifen und mit ihnen umzugehen. GW: Im »Kulturmanager-Programm« der Robert Bosch Stiftung haben Sie spezifische Unterschiede im Kultur- und Managementverständnis in Osteuropa kennenngelernt. Könnten Sie uns ein paar Hauptdifferenzen schildern? Armin Klein: Zunächst einmal ist es wichtig, zu begreifen, dass es »Osteuropa« nicht gibt, so wie es »Europa« nicht gibt. Wir haben uns angewöhnt, diese Länder, die eine bestimmte Zeit unter dem kommunistischen Regime standen, als monolithischen Block anzusehen. Zweifelsohne hat die kommunistische Ideologie versucht, eine gewisse Uniformität durchzusetzen; doch diese brach nach 1990 recht schnell wieder auseinander. Schauen sie sich etwa die baltischen Staaten an, die ihre großartige Liedkultur nicht nur durch die Zeit der Sowjetbesatzung retteten, sondern diese auch in der sogenannten »singenden Revolution« 1989 als Mittel des Widerstandes einsetzten. Maria Davydchyk hat gerade in einer Promotion bei mir gezeigt, wie stark kulturelle Traditionen den kulturellen Transformationsprozess in den osteuropäischen Ländern beeinflussen. So spielen in dem einen Land mitteleuropäische Traditionen mit Orientierung nach
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Westen eine große Rolle, bei anderen Ländern sind es eher nationalistische Bestrebungen. Hier muss sehr sensibel, sehr »kulturbewusst« vorgegangen werden, um die Menschen zu erreichen. GW: Welche Rolle spielt hier Mentalität? Armin Klein: Natürlich spielen Mentalitäten eine wichtige Rolle – das beobachten wir ja bereits innerhalb unserer nationalen Grenzen, wenn ein Bayer einen Nordfriesen, ein Thüringer einen Saarländer trifft. Oder wenn wir mit unserer deutschen »Eins-a-Gründlichkeit« gemeinsame Projekte mit Franzosen oder Italienern durchführen. GW: Warum funktionieren amerikanische Modelle bei uns eben nicht auf breiter Basis, obgleich an so vielen anderen Stellen US-amerikanische Strukturen erfolgreich transferiert wurden? Was sind für Sie die Hauptunterschiede im angelsächsisch geprägten »Arts Management« und dem Kulturmanagement im deutschsprachigen Raum? Armin Klein: Der wesentliche kulturelle Unterschied zwischen den USA und Deutschland besteht wohl darin, dass wir Deutschen Freiheit in erster Linie durch den Staat gewährleistet sehen, die US-Amerikaner aber vor allem Freiheit vom Staat anstreben. Wie es mir einmal der (englische) Verwaltungsleiter eines großen Opernhauses in den USA erklärte: »Dieses Land ist der fleischgewordene Protest gegen den Staat.« Daher die Einstellung, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, während wir Deutschen erst einmal darauf warten, dass »der Staat« etwas macht. (Man nehme etwa den berühmten Kennedy-Satz: Frage nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern was du für dein Land tun kannst!) Daher sind in den USA Kultureinrichtungen vorwiegend in der Zivilgesellschaft verankert und werden direkt von diesen finanziert, etwa durch ein enormes »Private Giving«, also Spenden etc. Als ich einmal einem amerikanischen Kollegen versuchte zu erklären, dass ein Stadttheater ein städtisches Amt sei, fragte er zum besseren Verständnis: »Like Police?« Dass die Polizei eine öffentliche Aufgabe sei, das verstand er sofort – aber das Stadttheater … Ähnlich ist auch das Verhältnis zum Markt: Während ein amerikanischer Künstler, der Unterstützung eines öffentlichen Förderprogrammes erhält (die es ja auch in den USA gibt), eher scheel angeschaut wird (»Ach, der kann sich auf dem Markt nicht durchsetzen«), steht in Deutschland
Intervention Gespräch
eine gesponserte Kulturveranstaltung sofort im Geruch, sich »zu verkaufen« – öffentliches Geld ist sauberes Geld, privates, gar noch aus der Wirtschaft kommendes Geld ist nach dieser Auffassung »dirty money«. GW: Ist der Terminus »Nachhaltigkeit« mit spezifischen deutschen und europäischen Vorstellungen besetzt? Für wie wichtig halten Sie ihn in einem internationalen Kontext? Armin Klein: »Nachhaltigkeit« ist für mich die zentrale Kategorie von Kulturmanagement und Kulturpolitik; meine Doktoranden haben mir gerade unter genau diesem Titel eine Festschrift gewidmet, in der sie diesen Begriff eingehend analysieren und auf seine Bedeutung für Kulturmanagement und Kulturpolitik abklopfen. Nachhaltigkeit ist das Gegenteil der leider immer weiter um sich greifenden Eventisierung unseres Kulturlebens. Im Kern bedeutet für mich »Nachhaltigkeit« zum einen, keine Großinstitutionen zu schaffen, die den Handlungsspielraum zukünftiger Generationen unerträglich verengen, zum anderen, aktiv dafür zu sorgen, dass es auch morgen noch ein Kulturpublikum gibt, also in die (eher unspektakuläre) kulturelle Bildung zu investieren. Das Projekt »Kulturhauptstadt Ruhr 2010« scheint mir in diesem Sinne zu funktionieren, da es über das Jahr 2010 weiter fortgeführt wird, um die kulturelle Identität des Ruhrgebiets zu stärken. GW: Lassen Sie mich zum Schluss noch eine alte, ganz generelle Frage stellen, die Sie wahrscheinlich immer wieder zu hören bekommen. Lässt sich Kultur »managen«? Ist nicht gerade in Zeiten einer starken globalen Dominanz von betriebswirtschaftlichen Logiken hier ein Gegengewicht nötig, das sich viele von der Kultur erhoffen? Kritisches Kulturmanagement im Sinne einer Globalisierungskritik – ein Widerspruch in sich? Armin Klein: Es ist ein Elend, dass in den letzten Jahrzehnten Management auf Betriebswirtschaft (und hier noch dazu auf eine mathematikorientierte, profitorientierte!) reduziert wurde. Ich halte es hier mit dem großartigen Managementtheoretiker Peter Drucker, der nicht müde wurde zu betonen, dass Management eine geistes- und kulturwissenschaftliche Disziplin ist. Seine Kernthese ist, dass die Hauptaufgabe eines Unternehmens nicht ist, Profit zu machen, sondern einen Kunden zu finden (denn der ist die notwendige Voraussetzung für ebendiesen). Und Umberto Eco,
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Ein Gespräch mit Armin Klein
nicht nur Autor wunderbarer Romane, sondern auch glänzender wissenschaftlicher Abhandlungen, schreibt im »Offenen Kunstwerk«, dass die Rezeption (also das Finden eines Nutzers im Drucker’schen Sinne) konstitutiv mit dem Kunstwerk verbunden ist. Ein Bild, das keiner anschaut, ein Buch, das keiner liest, eine Musik, die nicht gehört wird, mag zwar physisch da sein, aber sie »existiert« nicht, weil sie nicht realisiert wird. Philip Kotler, der »Marketingpapst« weltweit, hat nicht nur das in viele Sprachen übersetzte Grundlagenwerk zum kommerziellen Marketing geschrieben, sondern auch die beiden großartigen Standardwerke zum Museums- und Theatermarketing (die leider bis heute noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden). Begreift man Marketing also im Sinne von Peter Drucker als eine kulturelle Gestaltungsleistung, die in allen gesellschaftlichen Bereichen zu finden ist, so ist und bleibt das Management von Kunst und Kultur eine wunderbare Aufgabe und Herausforderung.
Praxis
Kooperationen als wichtige Überlebensstrategie und zentrale Arbeitsstruktur für Festivals am Beispiel des »steirischen herbst« Artemis Vakianis
»›There is no key formula for co-producing. Every co-production is different, and everything depends on the needs oft the artist.‹ Frie Leysen, Theater der Welt, Deutschland« (Staines et al. 2011: 10)
E INLEITUNG Kooperation auf lokaler wie internationaler Ebene als Arbeitsweise gehört seit langem zu den Tools und Assets innovativer Kulturinstitutionen. Neu ist wahrscheinlich nur die Intensität und Motivation, mit der diese Kooperationen verfolgt bzw. gelebt werden, stets vor dem Hintergrund einer Mischung von lokaler Identität und internationaler Ausrichtung. Aufgrund der finanziellen Situation der staatlichen Stellen sind es natürlich häufig finanzielle Gründe, die Kooperationen anstoßen können, aus der Hoffnung genährt, sich einerseits Kosten zu ersparen und andererseits andere Einnahmequellen erschließen zu können. Auf der Suche danach und durch die Förderkriterien einiger Förderstellen wie beispielsweise der Europäischen Union haben sich in den letzten Jahren verstärkt neue Netzwerke gebildet, die durch ihren Zusammenschluss gemeinsamen Einreichungen bei Förderstellen mehr Chancen beimessen.
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Einer Intensivierung der Kooperationsformen liegen insofern häufig nur indirekt die Bedürfnisse von Künstlern zugrunde, wie dies von Frie Leysen in ihrem Zitat angeführt wird. Häufig sind Kooperationen die einzige Möglichkeit, sinkende Budgets abzufangen, ohne dabei auf Vielfalt verzichten zu müssen. Wie diese Kooperationen gestaltet werden, sollte sich jedoch letztlich an den Bedürfnissen der Kunst bzw. Künstler orientieren. Es gilt also, bei zukunftsweisenden kooperativen Modellen der Vernetzung neben der gemeinsamen Finanzierung von künstlerischen Projekten verstärkt auf Inhalte, Kompetenzen der einzelnen Partner und Vermittlung auf lokaler wie internationaler Ebene einzugehen.
D ER » STEIRISCHE HERBST« Der steirische herbst ist ein sehr gutes Beispiel dafür, was Kooperationen in der Praxis bedeuten; welche Gestalt sie annehmen, woraus sie entstehen, wie sie gelebt werden und welche Herausforderungen mit ihnen verbunden sind. »Immer wieder in seiner Geschichte hat sich der steirische herbst neu erfunden – eine amorphe Institution in Progress, die sich von Jahr zu Jahr die Frage nach den eigenen Bedingungen und Notwendigkeiten als eigenwillige Plattform neuer Kunst stellt. Der steirische herbst ist als Festival in mancher Hinsicht besonders: Durch seine Vielstimmigkeit, durch die forcierte Kommunikation zwischen den verschiedenen künstlerischen Disziplinen, durch die Verschränkung von ästhetischen Positionen mit theoretischem Diskurs. Paradox (und etwas selbstironisch) kann man den steirischen herbst als Festival der Avantgarde mit Tradition bezeichnen: Seit vierzig Jahren ist der steirische herbst eines der weltweit wenigen Festivals für zeitgenössische Künste, das seinem Wesen nach wahrhaft multi-disziplinär ist. Lange bevor die Vernetzung der Künste als Forderung in aller Munde war, integrierte er Kunst, Musik, Performance, Tanz, Theater, Literatur, Architektur, Neue Medien und Theorie – im Lauf der Jahre mit unterschiedlichen Schwerpunkten, immer aber selbstbewusst aus den jeweiligen Bedingungen des Genres heraus. Als Dialog, der die spezifischen Eigenheiten der Ästhetiken und Praxen zwar hinterfragt, nicht aber nivelliert.« (steirischer herbst 2011)
Kooperationen als wichtige Überlebensstrategie
Ein internationales, interdisziplinäres Mehrspartenfestival der zeitgenössischen Kunst zu sein, bedeutet, in vielen Disziplinen neueste Entwicklungen auch in ihrer gegenseitigen Verschränkung zu zeigen. In Zeiten explodierender Wissensgebiete und einer Internationalisierung der Arbeitsstrukturen von Künstlern kann dies nur mehr über Netzwerke sichergestellt werden. Wie anhand der Geschichte des steirischen herbst nachvollziehbar ist, gab es bei den jeweiligen künstlerischen Leitern unterschiedliche Schwerpunkte in Abhängigkeit vom künstlerischen Hintergrund der jeweiligen Intendantin bzw. des jeweiligen Intendanten; so war es in einigen Intendanzen die Bildende Kunst, in anderen die Neue Musik oder auch das Performative. In der Arbeitsstruktur des steirischen herbst wurden die jeweils anderen Sparten u.a. durch Kooperationen verstärkt. Unter der Intendanz von Veronica Kaup-Hasler ist es gelungen, das Profil des steirischen herbst weiter zu schärfen, indem man sich verstärkt auf die Vorzüge und Alleinstellungsmerkmale eines Festivals besonnen hat: Verdichtet auf knapp vier Wochen mit rund 120 verschiedenen Projekten und mehr als 200 Veranstaltungen in allen Bereichen der Kunst wurde eine Konzentration und Energie erzeugt, die sowohl durch die enge inhaltliche Verzahnung der einzelnen Programmpunkte als auch durch die starke Aufwertung des Festivalzentrums als künstlerische Setzung sowie als zentraler Veranstaltungs- und Begegnungsort verstärkt wurde. Neben der Mehrspartigkeit ist ein weiterer Grund, wieso der steirische herbst sehr stark mit Kooperationen arbeitet, das Selbstverständnis, ein produzierendes Festival zu sein. »Besonders – und in der internationalen kulturpolitischen Situation immer notwendiger – ist auch die klare Positionierung als Festival der Produktion und der Prozesse, des Ermöglichens und Initiierens. Die Einbeziehung und Vernetzung sowohl internationaler wie regionaler Künstler, Szenen und Kontexte ist dabei zentral – schließlich ist der steirische herbst einerseits aus einer Initiative lokaler Szenen heraus entstanden und hat andererseits (lange vor der weitgehenden Öffnung der Grenzen) die unmittelbare Nähe zu Slowenien, Kroatien und dem mittel- und osteuropäischen Raum produktiv genutzt. Der steirische herbst zeigt und unterstützt aktuelle künstlerische Arbeitsweisen, Handschriften, Diskurse. Die Präsentation von Produktionen ist dabei aber nur der sichtbarste Teil des Programms. Recherchen, Prozesse, Entwicklungen gehören ebenso zu diesem Festival wie spektakuläre Aufführungen, groß angelegte Ausstellungen, raumgreifende Konzerte neuer Musik, architektonische Forschun-
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gen, öffentliche Debatten und nächtelanges Feiern. Verdichtet auf knapp vier Wochen mit rund 100 verschiedenen Projekten und 200 Veranstaltungen in allen Bereichen der Kunst (Theorie & verstärkt Vermittlung inkludiert) wurde eine Konzentration und Energie erzeugt, die sowohl durch die enge inhaltliche Verzahnung der einzelnen Programmpunkte wie auch durch die starke Aufwertung des Festivalzentrums als künstlerische Setzung sowie als zentraler Veranstaltungs- und Begegnungsort verstärkt wurde.« (steirischer herbst 2011)
Den internationalen Ruf, eines der wichtigsten zeitgenössischen Kunstfestivals zu sein, konnte der steirische herbst nur durch konsequente Initiierung von Auftragswerken und Uraufführungen erringen. Das zweite wesentliche Charakteristikum des Festivals neben der Mehrspartigkeit liegt somit darin, neue, zeitgenössische Produktionen in den unterschiedlichen Sparten anzuregen. In seiner Verantwortung, kein reines Gast- und Abspielfestival zu sein, sind kostenintensive Musiktheaterproduktionen in den letzten Jahren jedoch bereits aus finanziellen Gründen kaum möglich gewesen. Eigenproduktionen mit weltweit renommierten Gruppen und eine steigende Anzahl von großformatigen Projekten mit international renommierten Künstlern sind bereits derzeit schon aus finanziellen Gründen kaum noch möglich – obwohl durch die Arbeit der letzten Jahre das Interesse solcher Künstler am steirischen herbst geweckt ist und Gespräche geführt werden, scheitert die Realisierung schlicht an den finanziellen Möglichkeiten. Nachdem im Jahr 2006 im Zuge des Intendantenwechsels und der Neugründung der steirischer herbst festival GmbH1 die Grundsubventionen um 232.600 EUR reduziert wurden, sind die Förderbeträge der Eigentümer seither eingefroren gewesen. Inflationseffekte von rund 300.000 EUR2 konnten nur durch gewährte Zusatzförderungen, vorwiegend seitens des Landes Steiermark, abgefangen werden. Dennoch ist der steirische herbst seit Jahren mit sinkenden Jahresetats konfrontiert. 1 | Im Jahr 2006 wurde eine neue Festival GmbH gegründet, nachdem es im Zuge des Kulturhauptstadtjahres und der damals getätigten Investitionen zu finanziellen Schwierigkeiten kam. Zum Intendanzbeginn von Veronica Kaup-Hasler wurde damit weitestgehend eine Bereinigung der Altlasten vorgenommen. 2 | Bei einem Jahresetat von 3,4 Mio. EUR entspräche der Inflationseffekt basierend auf den von der Wirtschaftskammer Österreich kommunizierten Inflationsraten seit dem Jahr 2005 rd. 300.000 EUR.
Kooperationen als wichtige Überlebensstrategie
Das Programmbudget des steirischen herbst beträgt rd. 2,3 Mio. EUR. Während eines Festivals werden rd. 120 verschiedene Programmpunkte mit mindestens doppelt so vielen Vorstellungen gezeigt. Darunter befinden sich mindestens zehn Produktionen der Darstellenden Kunst, zehn Ausstellungen, fünfundzwanzig Konzerte und vieles mehr. Einfach ausgedrückt: Das in Graz präsentierte und in die Steiermark geholte bzw. produzierte Programm eines Jahres könnte unmöglich alleine über das Festivalbudget finanziert werden. In dem Programmbudget spiegelt sich von vielen Produktionen und Projekten nur ein Teil der tatsächlichen Produktionskosten wider. Produktionen im Bereich der Darstellenden Kunst entstehen mittlerweile meist nur mehr mit mindesten zwei weiteren Kooperationspartnern in und außerhalb Europas. Kontinuierliche Partnerschaften wurden seit 2006 u.a. mit dem Brüsseler Kunstenfestivaldesarts, dem Alkantara-Festival in Lissabon, dem Festival d’Avignon, dem Festival d’Automne in Paris, der Rotterdamse Shouwburg, dem Bergen International Festival und dem Berliner HAU entwickelt. Das Gesamtbudget solcher Produktionen liegt meist zwischen 150.000 EUR und 400.000 EUR. Das Produktionsbudget des steirischen herbst für Produktionen dieser Größenordnung beläuft sich im Durchschnitt ausschließlich auf 50.000 EUR. Bereits bei einer vorsichtigen Schätzung kann man in diesem Bereich somit von einer Verdreifachung des Budgets durch das internationale Netzwerk von Kooperationspartnern ausgehen (bei einem Budget für die Darstellende Kunst im Jahr 2011 von knapp 700.000 EUR entspräche dies einem Zusatzetat von 1,4 Mio. EUR). Der Aufwand für die im Rahmen des steirischen herbst gezeigten Produktionen liegt somit wesentlich über dem Aufwand, der den Jahresetat des steirischen herbst belastet. Dass die Anzahl der präsentierten Produktionen annähernd gehalten werden konnte, ist somit ganz wesentlich auch auf das in den letzten Jahren gewachsene, internationale wie auch lokale Netzwerk an Kooperationspartnern zurückzuführen, von denen eine beträchtliche Kofinanzierung des jährlichen Programms erfolgt. Zu den genannten Kofinanzierungen der Netzwerkpartner konnten darüber hinaus mit einigen dieser Partner weitere Finanzierungsquellen, wie beispielsweise die Europäischen Union, erschlossen werden. Ein Festival wie der steirische herbst wäre ohne nationale und internationale Kooperationen daher nicht denkbar. Aus inhaltlichen, organisatorischen und natürlich auch finanziellen Gründen ist der steirische herbst
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insbesondere als interdisziplinäres, internationales Mehrspartenfestival auf Partner angewiesen, um die Vielfalt des Programms sicherstellen zu können. Kooperationen können in diesem Zusammenhang natürlich unterschiedliche Formen annehmen. Als Festival sind Kooperationen mit anderen Veranstaltern, mit Institutionen wie Universitäten und selbstverständlich auch Künstlern, um »Neues« in der Kunst überhaupt erst möglich zu machen, notwendig. Die Gründe sind dabei ebenso vielfältig wie die Ausdrucksformen.
A RTEN VON K OOPER ATIONEN Die unterschiedlichen Formen einer Kooperation lassen sich für diese Abhandlung am leichtesten differenzieren durch die Frage: Wer kooperiert mit wem? Die Motive für Kooperationen sind, wie bereits erwähnt, nicht nur vielfältig, sondern können sich auch im Laufe einer Kooperation verändern bzw. in ihrer Gewichtung verschieben. Aus diesem Grunde werden im Folgenden Beispiele gebracht für Kooperationen zwischen dem steirischen herbst und Veranstaltern und Künstlern. Als Mehrspartenfestival hat es sich über die Jahre der Intendanz von Veronica Kaup-Hasler bewährt, in einzelnen Sparten mit lokalen Partnern in Graz, aber auch in der gesamten Steiermark zusammenzuarbeiten. Im Bereich der Bildenden Kunst wird neben der jeweiligen »herbst-Ausstellung«, die vom steirischen herbst beauftragt und produziert wird, das Programm von lokalen Institutionen (Camera Austria, Grazer Kunstverein, Kunsthaus, rotor, Medienturm u.a.) gestaltet. Diese werden jedes Jahr eingeladen, zu dem sich jährlich ändernden Leitmotiv3 ein Ausstellungskonzept zu entwerfen, das dann in enger kuratorischer Zusammenarbeit mit dem Festival für das Programm umgesetzt wird. Durch die Kofinanzierung seitens des steirischen herbst wird es diesen Institutionen möglich, etwas außerhalb ihres normalen Jahresprogramms und somit budgetären Rahmens zu kuratieren, zu experimentieren bzw. auszuprobieren. Dadurch können lokale Partner nicht nur in größere Formate gehen, die sie sich sonst vielleicht nicht leisten könnten, sie genießen auch die gebündelte Aufmerksamkeit nicht zuletzt einer internationalen Presse. 3 | Im Jahr 2011 lautete das Leitmotiv »Zweite Welten«.
Kooperationen als wichtige Überlebensstrategie
Der steirische herbst wiederum kann eine viel größere Vielfalt an Programmpunkten anbieten, als dies aus eigener Kraft organisatorisch und finanziell möglich wäre, bzw. dadurch auf andere Kontakte und somit Kompetenzen zurückgreifen, wodurch eine viel breitere Basis an künstlerischem und kreativem Potential in das Festival einfließt.
L OK ALE UND NATIONALE K OOPER ATIONEN Lokale Kooperationen erweitern somit das Programm des steirischen herbst, verankern das Festival in der Stadt und stabilisieren das ganzjährige Kulturangebot der Steiermark durch eine Stärkung der einzelnen Institutionen; finanziell, medienpolitisch und im Austausch mit anderen Künstlern. Neben den lokalen Kooperationen gibt es auch nationale Kooperationen mit anderen Veranstaltern, die für den steirischen herbst von großer Bedeutung sind. Die Choreographic Platform Austria (CPA) beispielsweise ist der Zusammenschluss mehrerer österreichischer Institutionen, die sich für zeitgenössischen Tanz engagieren (u.a. ImPulsTanz, Tanzquartier). Herausragende Positionen der österreichischen Tanz- und Performancelandschaft werden alle zwei Jahre gebündelt von dieser Plattform gezeigt, um aktuellen Arbeiten vor allem über nationale Grenzen hinaus eine Aufmerksamkeit zu geben, indem Choreografen, Journalisten, Dramaturgen und Veranstalter der internationalen Szene in diesem Zeitraum eingeladen werden (Choreographic Platform Austria 2011). Auch wenn die Organisation dieses »Tanzfestivals« alle zwei Jahre von einem anderen Partner übernommen wird, so findet die Akquisition von Mitteln hierfür immer in einem gemeinsamen Kraftakt statt. Durch den gemeinsamen Auftritt bei öffentlichen Förderstellen war es auch bis in das Jahr 2011 möglich, Projektfinanzierungen zu bekommen.4 Der Vorteil für die österreichische Tanzszene muss nicht erst erklärt werden. Selbstverständlich ist es bekannten und häufig im öffentlichen Eigentum stehen4 | »Aufgrund der Ablehnung des Förderansuchens durch das Kulturamt der Stadt Wien kann die CPA im Herbst 2011 nicht wie geplant stattfinden. Die daran gebundene Kofinanzierung durch den Bund entfällt somit ebenfalls und die VeranstalterInnengemeinschaft der CPA 2011 sieht sich nicht in der Lage, die gesamte Finanzierung dieses Großereignisses alleine zu tragen.« (Choreographic Platform Austria, 2011)
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den Kulturinstitutionen eher möglich, zusätzliche Projektfinanzierungen aufzustellen und diese auch durch unterschiedliche Arten von Synergien aus der bestehenden Infrastruktur heraus effizient in die künstlerischen Projekte fließen zu lassen. Der Vorteil für die beteiligten Institutionen liegt in diesem Fall also nicht im finanziellen Bereich, da keine Entlastung des eigenen Budgets vorliegt, sondern vielmehr im Austausch über künstlerische Inhalte, aber auch in der Stärkung und auch Absicherung der Tanzszene, aus der wiederrum Programmpunkte für die jeweiligen Veranstalter bzw. Partner entstehen können. Eine weitere nationale Kooperation, die im Bereich der Musik erfolgt, ist die langjährige Zusammenarbeit mit dem ORF für das »musikprotokoll«. Inhaltlich ist das »musikprotokoll« ein Festival der zeitgenössischen und experimentellen Musik und intermedialen Spielformen, das seit 1968 im Rahmen des steirischen herbst stattfindet (musikprotokoll 2011). Es werden aktuelle künstlerische Tendenzen und ihre herausragenden Vertreter vorgestellt, wobei sich die Einbindung österreichischer Positionen in internationale Zusammenhänge als ein roter Faden durch die Festivalgeschichte zieht. Bei dieser Kooperation greift der steirische herbst auf die kuratorische Beratung und Organisation bzw. Abwicklungskompetenz einer anderen Institution zurück. Die Programmierung und Organisation des musikprotokolls erfolgt zwar in Abstimmung und Koordination mit dem steirischen herbst, läuft aber operativ über den ORF.
I NTERNATIONALE K OOPER ATIONEN Produktionen im Bereich der Darstellenden Kunst erfolgen, wie bereits erwähnt, mittlerweile meist nur mehr mit mindestens zwei weiteren Kooperationspartnern in und außerhalb Europas. Aufgrund der erfolgreichen Zusammenarbeit in diesen Netzwerken lag es nahe, dass sich einige dieser Festivals im Jahr 2006 zusammengeschlossen haben, um bei dem damals neu aufgelegten Kulturprogramm der Europäischen Kommission Kultur 2007-2013 für eine Förderung einzureichen. Sieben europäische Festivals (Kunstenfestivaldesarts in Brüssel, Alkantara-Festival in Lissabon, Baltoscandal Festival in Rakvere, Göteborgs Dans & Theater Festival in Göteborg, De Internationale Keuze van de Rotter-
Kooperationen als wichtige Überlebensstrategie
damse Schouwburg in Rotterdam, Théâtre National de Bordeaux in Bordeaux und steirischer herbst in Graz) haben sich unter dem Namen NXTST (NextStep) mit dem Ziel zusammengeschlossen, die gemeinsame Produktion und grenzüberschreitende Verbreitung von neuen Arbeiten einer aufstrebenden jungen Generation von europäischen Künstlern zu fördern – und damit auch Impulse für eine weiterhin lebendige europäische Theater-, Performance- und Tanzszene zu setzen. Das Netzwerk fördert und koproduziert die Entwicklung neuer Arbeiten und bietet den Künstlern eine wichtige finanzielle Basis und versucht, adäquate Arbeitsbedingungen zu schaffen. Die Werke werden von verschiedenen Festivals präsentiert, was eine wirklich länderübergreifende Verbreitung und den Zugang zu einem internationalen Publikum garantiert (NXTSTP 2011). Eingereicht und erfreulicherweise auch zugesagt wurde das Projekt als mehrjähriges Kooperationsprojekt (Laufzeit fünf Jahre), gefördert mit dem höchstmöglichen Betrag von 2,5 Mio EUR. Seit 2007 treffen sich die Kooperationspartner zweimal jährlich, um über potentielle NXTSTP-Projekte zu diskutieren. Jeder Partner kann dabei Künstler bzw. Künstlergruppen vorstellen und übernimmt innerhalb der Gruppe die »Patenschaft« für das jeweilige Projekt. Sobald sich mehr als drei Festivals bereiterklären, eine Produktion bei sich zu zeigen, wird das Projekt in den Pool aufgenommen. Diese Partner übernehmen mit ihren Koproduktionsbeiträgen die Finanzierung der Produktion. Die anschließende Aufführungsserie zahlt jeder Partner nach seinen jeweiligen finanziellen Möglichkeiten. Die Vorteile einer solchen Partnerschaft sind einerseits der inhaltliche Austausch über Künstler, interessante Strömungen, Produktionsbedingungen und vieles mehr. Andererseits macht NXTSTP somit größere und dadurch ggf. teurere Produktionen erst möglich, da sich produzierende Festivals dadurch mehr Produktionen leisten können bzw. nicht auf den Gastspiel-Tummelplatz gedrängt werden. Neue Werke von Lotte van den Berg, Edit Kaldor, Eszter Salamon, Gisèle Vienne, Philipp Gehmacher und anderen konnten so präsentiert werden. Für den steirischen herbst war es in dieser Konstellation äußerst wichtig, der einzige Partner im deutschsprachigen Raum zu sein. Nur dadurch konnten und können auch weiterhin Erst- und Uraufführungen im deutschsprachigen Raum in Graz gewährleistet werden. Was für den Besucher weniger relevant ist, hat für die internationale Aufmerksamkeit von Medien und anderen Veranstaltern eine ganz wichtige Bedeutung. Nur durch das bedingungslose Präsentieren von neuen Werken ist es für die
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internationale Presse und das deutsche Feuilleton, aber auch für Künstler und Veranstalter interessant, in die Steiermark zu kommen, was in Zeiten sinkender Reiseetats und eines so stark frequentierten Kulturmarkts nicht mehr selbstverständlich ist. Aufgrund des großen Erfolgs von NXTSTP wird es zu einer Folgeeinreichung ebenfalls für ein mehrjähriges Kooperationsprojekt im Jahr 2011 kommen. Im besten Fall kann dadurch ohne Unterbrechung im Netzwerk weitergearbeitet werden. Selbstverständlich sind Zusammenarbeiten zwischen Veranstaltern und Institutionen wie Universitäten, Interessensvertretungen u.v.a.m. wichtig für die Verankerung eines Festivals in der Szene. Der steirische herbst ist beispielsweise Mitglied beim International Network for Contemporary Performing Arts (IETM). IETM ist eine Mitgliederorganisation, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Qualität, die Weiterentwicklung und die Rahmenbedingungen von zeitgenössischem Theaterschaffen in einer globalisierten Welt zu verbessern, indem sie ein Netzwerk von Experten im Sinne eines Austauschs von Informationen und Wissen betreut (IETM 2011). Insofern versucht IETM, all die Vorteile von Kooperationsformen für den Bereich des Performativen zu nutzen bzw. zu intensivieren. Neben den Kooperationen zwischen Veranstaltern im Sinne des Informationsaustauschs, Finanzierungsmöglichkeiten u.v.a.m. gibt es jedoch auch viele Kooperationen zwischen einem Veranstalter wie dem steirischen herbst und Künstlern bzw. Künstlergruppen. Eine spannende Kooperation zwischen dem steirischen herbst und der Künstlergruppe CREW kam für das Projekt Terra Nova zustande. In diesem Fall wurden Kooperationspartner von der Künstlergruppe CREW aus Belgien, die an der Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft, Aufführung und Forschung arbeitet (CREW 2011), zusammengebracht, um einerseits für eine Kofinanzierung bei der Europäischen Union mit einzureichen und um andererseits eine entsprechende Aufführungsserie sicherzustellen, die dem Produktionsaufwand entspricht. Terra Nova ist somit eine Kooperation und ein Forschungsschwerpunkt von zehn europäischen Festivalpartnern, die in dem Förderbereich der Europäischen Union zu »New Media, Performing Arts und Spectatorship« eingereicht haben. Zentral ist auch hier der Know-how-Austausch zwischen den Partnern, die Recherche und Weiterentwicklung von Forschern und Künstlern in Seminaren, Workshops, Publikationen, und die Vermittlung an die Öffentlichkeit. Gemeinsam weiterentwickelt und präsentiert
Kooperationen als wichtige Überlebensstrategie
wird dabei das Projekt Terra Nova. Die Produktion ist eine performative Installation auf Basis neuester Medientechnologie. Das Publikum wird Teil einer mehrschichtigen Landschaft, die die Grenzen zwischen Realität und Illusion aufhebt. Für die Produktion Terra Nova wurden eigene Videobrillen entwickelt, die eine Form von sensorischem Theater entstehen lassen und die Trennlinie zwischen Technik, Körper, Virtualität und Realität sowie Draußen und Drinnen laufend verschwimmen lassen. Die hierfür nötige Forschung und Entwicklung hätte ein einzelner Veranstalter niemals finanzieren können.
H ER AUSFORDERUNGEN IN DER Z USAMMENARBEIT Selbstverständlich haben Kooperationen nicht nur Vorteile. Es gibt auch eine Vielzahl von Nachteilen bzw. Schwierigkeiten, die sich aufgrund von selbstauferlegten Regularien innerhalb einer Kooperationsform ergeben können. Wie herausfordernd Kooperationen im Hinblick auf die Kommunikationserfordernisse sind, braucht in diesem Rahmen nicht vollumfänglich dargestellt werden. Wie bei jeder Form der Kommunikation verschärfen sich die Herausforderungen mit jeder hinzugenommenen Organisation, jedem zusätzlichen Kulturkreis etc. Ein häufig unterschätztes Thema in diesem Zusammenhang ist jedoch der Faktor »Zeit«. Es wird immer mehr interessante Kooperationsmöglichkeiten geben, die auch alle für sich betrachtet sinnvoll wären, als dies im Rahmen der vorhandenen Personalkapazitäten möglich wäre. Damit Kooperationen im Sinne der Gründer/Erfinder funktionieren, wird es immer den persönlichen Kontakt zwischen Repräsentanten beteiligter Organisationen benötigen. Sich im Zuge des Web 2.0 bzw. Web 3.0 ergebende Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet werden das persönliche Gespräch im Rahmen von Kooperationen nur unterstützen, niemals jedoch ersetzen können. Selbstverständlich sind bei Kooperationen Interessenskonflikte zwischen Beteiligten oft nicht vermeidbar. Die Rahmenbedingungen des steirischen herbst alleine sind bereits mannigfaltigst und die Interessen der unterschiedlichen Anspruchsgruppen nicht immer leicht in Einklang zu bringen. In Kooperationen, die nachhaltig und lebensfähig sein sollen, muss man jedoch immer auch Rücksicht auf die Begrenzungen und Interessen-
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kollisionen anderer Partner nehmen, um dem gemeinsamen Interesse der Kooperation nicht zuwiderzuhandeln. So hat die Rücksicht auf den steirischen herbst und der Wunsch, Koproduktionen zumindest als Erstaufführungen im deutschsprachigen Raum zu zeigen, gelegentlich dazu geführt, dass Veranstalter in Deutschland als mögliche Kooperationspartner und damit zusätzliche Kofinanzierer weggefallen sind, wenn es andererseits dazu geführt hätte, dass die Produktion zuerst in Deutschland zu sehen gewesen wäre. Bereits Komplexes wird also durch jede weitere Kooperation noch komplexer.
A USBLICK Die Europäische Union ist für größere Kulturinstitutionen zu einer wesentlichen Einnahmenquelle geworden. In der Zusammenarbeit mit den NXTSTP-Partnern hat sich jedoch gezeigt, dass die Förderkriterien zum Ausschluss interessanter Projekte führen können. Selbstverständlich liegt der Schwerpunkt der Förderung auf europäischen Projekten bzw. europäischen Künstlern. Jedoch sind für die Identität der Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union angrenzende und auch manchmal auch nicht angrenzende, nichteuropäische Länder ganz wesentlich. Aus diesem Grund ist in Netzwerken wie NXTSTP die Einfachheit der Einbindung von Drittländern (Terminologie der EU für nicht fördernde Länder) ein immer wiederkehrender Diskussionspunkt. Der Einfluss von Förderstellen mittels ihrer Auswahlkriterien und Antragssystematik auf die Arbeitsstrukturen und letztlich auch gezeigten Projekte ist nicht zu unterschätzen. Anhand der ausgewählten Projekte bei Stiftungen und öffentlichen Förderstellen ist eine starke Tendenz zu bereits etablierten Kulturinstitutionen zu sehen. Dies liegt an Fragen der Liquidität wie auch der erforderlichen Infrastruktur (Personalkapazitäten, Berichtserfordernisse etc.) für die Abwicklung einiger Förderungen. Im Sinne einer bewahrenswerten Vielfalt sind Kooperationen sicherlich die zeitgemäßeste Form, Kultur zu ermöglichen. Aufgrund der Größe der Wissensgebiete ist dies für ein zeitgenössisches Festival, das man ebenfalls als grundlagenforschend im Künstlerischen begreifen kann, wie grundsätzlich für jede Forschungseinrichtung weltweit somit ein wichtiges Überlebenskriterium.
Kooperationen als wichtige Überlebensstrategie
Als der steirische herbst 1968 gegründet wurde, war er eines der wenigen Festivals in Europa und hatte neben den Bregenzer Festspielen, den Salzburger Festspielen und den Wiener Festwochen als Festival solcher Größe in Österreich ein Alleinstellungsmerkmal. Seit den 90er Jahren war jedoch ein regelrechter Festival-Boom (Deutscher Musikrat/Deutsches Musikinformationszentrum 2011: 159) zu beobachten, angeheizt durch die Vermengung mit touristischen und standortpolitischen Überlegungen und immer wieder auch dem Drang nach Ewigkeit einzelner Politiker. Dieser Umstand hat trotz teilweise steigender Kulturetats zu sinkenden Budgets der einzelnen Veranstalter geführt und führt in der Steiermark auch weiterhin dazu. Vor dem Hintergrund solcher Entwicklungen werden Kooperationen sicherlich auch weiterhin vermehrt zu finden sein. Bei einer Einreichung im Jahr 2010 für eine mehrjährige Festivalförderung wurde der steirische herbst aus rund 700 Bewerbern als eines von 18 Festivals und einzige österreichische Institution im Rahmen des Culture Programme 2007-2013 der Europäischen Kommission ausgewählt. In der Begründung der EACEA (Education, Audiovisual and Culture Executive Agency) wird der steirische herbst als »true litmus paper measuring the state of the art and its relation to the contemporary society« beschrieben, »hosting production and organised discourse with artists and guests from a multitude of countries places it among the top cultural events which promote non national European art to domestic and foreign audience« (Europäische Kommission 2011). Die Art und Weise, wie der steirische herbst in internationalen Netzwerken und Kollaborationen nachhaltige künstlerische Produktionen ermöglicht, sieht die Jury als herausragend: »It is hard to find a lot of room for improvement« (Europäische Kommission 2011). Das Festival wurde auf einer Bewertungsskala mit 100 von 100 Punkten bewertet. Dem steirischen herbst wird unter den Festivals auf europäischer Ebene somit höchste Wertschöpfung bescheinigt. Die Größe, seine Ausrichtung auf die verschiedenen Kunstsparten und Theoriebereiche, die Einzigartigkeit der Programmierung, aber vor allem auch die Kooperation mit einer Vielzahl von Institutionen aus verschiedensten Bereichen und Ländern macht den steirischen herbst im europäischen Vergleich außergewöhnlich. Abschließend sei aber nochmals darauf hingewiesen, dass der steirische herbst nur als Beispiel dient, um die Vielfalt möglicher Partnerschaften aufzuzeigen. Kooperationen sind jedoch für jede Kulturinstitution bereichernd und somit empfehlenswert. Unabhängig davon, ob es sich um einen ganzjährigen Kulturbetrieb oder ein Festival, eine lokal agierende In-
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stitution oder eine international verankerte Organisation handelt, es wird immer Partner geben, mit denen es zu einem bereichernden Austausch oder einem gemeinsamen Engagement kommen kann.
Q UELLEN Choreographic Platform Austria (CPA) (2011): www.choreographicplatform. at/2009/main.php?mid=news (1.11.2011). CREW (2011): www.crewonline.org/art/home (1.11.2011). Deutscher Musikrat/Deutsches Musikinformationszentrum (2011): Musical Life in Germany. Structure, Facts and Figures. ConBrio, Regensburg. Europäische Kommission (2011): http://eacea.ec.europa.eu/culture/funding/ 2010/selection/selection_strand_136_2010_en.php (1.11.2011). International Networt for Contemporary Performing Arts (IETM) (2011): www.ietm.org/?p=about (1.11.2011). musikprotokoll (2011): http://musikprotokoll.orf.at/de/text/musikprotokollim-steirischen-herbst-1 (1.11.2011). NXTSTP (2011): www.nxtstp.eu/home (1.11.2011). Staines, Judith; Travers, Sophie; Chung, M.J. (2011): International Co-Production Manual. The Journey which is full of surprise. KAMS, Seoul. steirischer herbst (2011): www.steirischerherbst.at/2011/deutsch/festival/ festival.php (1.11.2011).
Mega-Events, Festivals und DestinationBranding – ein Europa der Events? Beispiele aus der Praxis Robert Kaspar
E INLEITUNG Die europäischen Städte befinden sich in einem Wettbewerb der Aufmerksamkeit. Die Hauptstädte der europäischen Länder sind touristische Magneten und Anziehungspunkte für die sogenannte kreative Klasse geworden. Vor allem Berlin, Istanbul, Barcelona gelten aktuell als die Hot-Spots vieler kulturinteressierter Besucher und neuer Start-Up-Unternehmen aus den Kreativbranchen, aber auch traditionelle Destinationen wie Paris und London ziehen sowohl Unternehmen der Kreativbranche als auch neue Bewohner und internationale Gäste an. Die zweit- und drittgrößten Städte eines Landes hingegen versuchen verstärkt, am Markt der Aufmerksamkeit zu partizipieren und durch kulturelle Events die notwendige mediale Resonanz zu schaffen. Kleinere Städte auf dem europäischen Kontinent bemühen sich ebenfalls um ein klares Profil. Europäische Städte wie Linz 2009 (Österreich), Maribor 2012 (Slowenien) und Pilsen 2015 (Tschechien) nutzen die Europäische Kulturhauptstadt als Mega-Event, um der Stadt eine neue Identität und ein verändertes kulturelles Profil zu geben. Regionen als im Europa der Zukunft stärker werdende Identitätsräume zu entwickeln (vgl. die Positionierung der Europäischen Kulturhauptstadt Essen 2010 als »Region Ruhr«), ist ein weiterer Eckpfeiler dieses Wettbewerbes. Dabei ist zu fragen, welche strategischen Maßnahmen und Entscheidungen für welche Destinationen sinnvoll sind und welche nicht. Hier bedarf es einer grundsätzlichen Aus-
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richtung auf die gewünschten Effekte, die mit solchen Imageverwandlungen durch kulturelle Interventionen erreicht werden sollen.
M OBILE -E VENTS UND P L ACE -E VENTS Die österreichische Stadt Linz war beispielsweise vor der Imagebildung durch das Kulturhauptstadtjahr lediglich als Industriestadt bekannt, obwohl für viele selbst diese Assoziation nicht gegeben war. Mit dem Slogan »Linz.verändert« hat sich das Bild der Stadt zu jenem einer pulsierenden Industriestadt mit neuen Kulturformaten entwickelt, wodurch eine klarere Positionierung auch im innerösterreichischen Städtevergleich erreicht wurde. Das Ruhrgebiet wurde zur Europäischen Kulturhauptstadt 2010 gewählt, wobei sich die eigentliche Bewerberstadt Essen als Vertretung für die in 53 Städte und Kommunen gegliederte Region inszenierte. Der Leitsatz »Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel« prägte das Bestreben des Ruhrgebietes, Kultur, Politik und Wirtschaft in einem kreativen Bündnis zusammenzuführen und dadurch eine neue, unverwechselbare Identität zu formen. Allerdings sind solche Mobile-Events, die jährlich in einer anderen Destination stattfinden, in ihrer Wirkung vergänglicher als Events, die jedes Jahr am selben Ort stattfinden. Die Stakeholder, die diesen Wettbewerb fördern, haben allerdings divergierende Interessen. Die touristischen Stakeholder, allen voran die Destinationsmarketing-Verantwortlichen, sehen Events – welcher Dimension auch immer – als Initialzündung zur Generierung von zusätzlichen Umsätzen und zur Schärfung der touristischen Marke – das klassische Destination-Branding. Die politischen Stakeholder, gefangen in der Optimierung des Wahlverhaltens im politischen Zyklus, verwenden Events zur Stärkung der Identität einer Stadt und zur Ansprache spezifischer, meist aber junger Zielgruppen. Wie sehr der politische Drang nach medialer Aufmerksamkeit negative Konsequenzen nach sich ziehen kann, hat die Loveparade in Duisburg 2010 leidvoll bewiesen. Die kulturellen Stakeholder profitieren entweder stark oder leiden mitunter unter der Fokussierung auf ein singuläres Mega-Event. In vielen Europäischen Kulturhauptstädten sind die kulturellen Vereine wenig eingebunden in die Inszenierung des Mega-Events »Kulturhaupstadt«. Die Kernstakeholder einer Stadt, die Einwohner hingegen, profitieren weniger von einmaligen Mega-Events, sondern von der regelmäßigen Durchführung von kleineren Events und
Mega-Events, Festivals und Destination-Branding – ein Europa der Events?
Festivals (sogenannten Micro-Events), die das kulturelle Spektrum sowie die Identität einer kulturaffinen Destination konstant reflektieren. Eine besondere Rolle dabei nehmen die Place-Events ein; das sind Veranstaltungen, die in regelmäßigem Rhythmus am selben Ort stattfinden (documenta in Kassel, Biennale in Venedig). Im Idealfall entsteht damit sogar eine gemeinsame Marke von Ort und Veranstaltung (Salzburger Festspiele, steirischer herbst). Abbildung 1: Stakeholder im Eventmanagement (Abb. des Autors)
Die zentrale Fragestellung ist nun, welche Events von Städten und Regionen Europas angestrebt werden sollen und wie die divergenten Interessen der Stakeholder zu einer nachhaltigen, kulturell wertvollen Eventstrategie führen können. Gleichzeitig soll beleuchtet werden, wie Subventionen der Europäischen Union, der Nationalstaaten, der Regionen und der Städte eingesetzt werden können, um das kulturelle Profil zu schärfen und die kulturellen Initiativen nachhaltig zu stärken. Zuerst einmal ist die Unterscheidung von Events in ihren Dimensionen relevant. Place-Events haben den Vorteil, sich durch die regelmäßige Austragung stärker mit der Destination, den kulturellen Stakeholdern und den Bewohnern zu verankern, und können gleichzeitig auf das Know-how der Vorjahre aufsetzen. Mobile-Events, die einmalig in einer Destination stattfinden, mögen einerseits eine höhere Strahlkraft haben, sind aber natürlich in ihrer Wirkung vergänglicher. Ein weiterer zentraler Parameter ist die Größe des Budgets des Events, wobei zwischen dem eigentlichen Veranstaltungsbudget und den damit verbundenen Infrastrukturinvestitionen unterschieden werden muss. Diese Kategorisierung hat ebenso Relevanz für die Bereiche Sport und Kongresse. Andererseits ist die Austragung eines Mega-Events in vielen
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Destinationen der Auslöser dafür, dass bereits seit langem geplante oder für die Zukunft vorgesehene Infrastrukturinvestitionen mit dem magischen Datum des Mega-Events als ultimativer Deadline realisiert werden. Ganz besonders betroffen sind dabei die Bereiche Tourismus, Verkehrsinfrastruktur und Kulturbetriebsstätten. Eine Analyse des exemplarischen Beispiels für kulturelle Mega-Events, des Programms Europäische Kulturhauptstadt zeigt, dass in vielen Fällen das Infrastrukturbudget das Veranstaltungsbudget übertrifft. Zu beobachten ist eine verstärkte Investition in Hotels und touristische Infrastruktur. In zahlreichen Europäischen Kulturhauptstädten ist in Vorbereitung des Veranstaltungsjahres die Verkehrsinfrastruktur massiv adaptiert worden (beispielsweise in Ruhr 2010: Renovierung des Hauptbahnhofs in Essen; Marseille-Provence 2013: Erneuerung des Hafenareals und Verbindung mit dem Stadtzentrum; Riga 2014: Teilrenovierung des Flughafens). Die kulturellen Stakeholder der Stadt profitieren oft von neuen Veranstaltungsstätten, wenn auch nicht immer die nachhaltige Finanzierung der Betriebskosten und die Subvention des Programms garantiert sind. Allerdings ist bei der Analyse der Europäischen Kulturhauptstädte zu beobachten, dass einige der Kulturbauten erst Jahre nach der Kulturhauptstadt in Betrieb genommen werden. Die Kunsthalle Graz wurde beispielsweise erst zu Ende des Kulturhauptstadtjahres 2003 eröffnet, das neue Musiktheater in Linz gar erst 2013, vier Jahre nach dem Mega-Event in Betrieb genommen.
Z IELVORSTELLUNGEN UND E VENT-H ELIX Eine zentrale Fragestellung bei der Bewerbung um die Austragung von Events mit europäischer Strahlkraft ist die konkret formulierte Zielvorstellung. Dient das Mega-Event primär der europaweiten Vermarktung der Destination, der Schaffung moderner Infrastruktur oder der Stärkung der kulturellen Organisationen in der Stadt und Region? Erst wenn diese Fragestellungen in einem Konsultationsprozess der wesentlichen Stakeholder geklärt sind, sollte eine langfristige Eventstrategie konzipiert werden, damit auch in den Jahren nach dem Mega-Event die kulturelle Strahlkraft gewährleistet bleibt. Aus touristischer Sicht ist eine zentrale Fragestellung, ob sich die Destination verstärkt regional oder europäisch positionieren will, womit auch
Mega-Events, Festivals und Destination-Branding – ein Europa der Events?
direkt die Auswahl der Events und deren potentielle europäische Vernetzungsfähigkeit verbunden ist. Die Nachhaltigkeit anlassbezogener kultureller Bauten ist hingegen zum Vor- oder Nachteil der lokalen Stakeholder für die langfristige Zukunft der Destination relevant. Gerade in diesem Bereich spielt der Eventlebenszyklus (Kaspar 2006) eine zentrale Rolle. Wenn am Beginn der Planungen für ein Mega-Event gewährleistet ist, dass die strategischen Ziele der Veranstaltung von allen Stakeholdern mit getragen werden, ist auch potentiell Klarheit über die Entwicklung, die Managementmethoden und das Marketing der kulturellen Infrastruktur gegeben. Wenn aber zuerst die Kulturbetriebsstätte für die Veranstaltung errichtet wird, aber Unklarheit über die spätere Nutzung, das Management und die Marketingstrategien herrscht, hat das Mega-Event das strategische Ziel verfehlt. Folgende Beispiele unterstützen diese Annahmen: Abbildung 2: Event-Helix (Kaspar/Kaiser 2012)
2015 wird die im Westen der Tschechischen Republik gelegene Stadt Pilsen Kulturhauptstadt. Das Image der Stadt soll mit Hilfe der Einwohner erneuert und die von der Bierindustrie geprägte Stadt in eine kreative und weltoffene Destination mit neuer Identität verwandelt werden. Die traditionelle Industrie soll dabei nicht verschwinden, sondern vielmehr eine neue Bedeutungsebene erhalten. »Svetovar«, die stillgelegte Brauerei, die zwischenzeitlich auch für militärische Zwecke genutzt wurde, erfährt innerhalb des geplanten Programms als kulturelles Zentrum eine Wiederge-
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burt. Diesem Beispiel folgend erfahren auch andere Industriestätten neue Nutzungszwecke, wie etwa die Skoda-Hallen der ehemaligen Autofabrik. Positive Entwicklungen hinsichtlich der Nachhaltigkeit sind im Bezug auf die Infrastruktur, im Besonderen auf die Umgestaltung des Pilsener Südbahnhofes, zu erkennen. Mit Hilfe der tatkräftigen Unterstützung der Bevölkerung sollen die hohen Ziele einer neuen Identitäts- und Imagebildung gestärkt werden. Das Konzept der langfristigen Nutzung des Titels »Europäische Kulturhauptstadt« scheint Graz gut implementiert zu haben. Der touristische Claim der Stadt Graz vor dem Kulturhauptstadtjahr 2003 »Österreichs heimliche Liebe« wurde danach selbstbewusst zu »Graz – die Kulturhauptstadt« und sollte die Destination als kulturelle, architektonische Marke verkaufen und damit Nachhaltigkeit im Tourismus garantieren. Die Auszeichnung der UNESCO als City of Design verfestigt die gewünschte Positionierung. Eine Alternative zu der einmaligen Durchführung eines Events ist die Entwicklung einer Eventmarke, entweder durch ein starkes Festival mit europäischer Strahlkraft oder durch eine Vielfalt von Veranstaltungen. Eine zentrale Entscheidungsprämisse ist dabei die Positionierung des Festivals bzw. des Events, denn mit der Festlegung auf Sparte und Zielgruppe ist auch die potentielle Wirkung verknüpft. Diese Place-Events haben ein großes Potential, zur Positionierung in einem Europa der Events und Festivals beizutragen, wobei die mit einem Event verbundenen zusätzlichen Infrastrukturinvestitionen dementsprechend geringer ausfallen. Bregenz im Westen Österreichs hat sich in diesem Sinne als Kulturdestination positioniert. Mit den Bregenzer Festspielen als Festival internationaler Dimension hat es sich auf der europäischen Landkarte der Kulturstädte verankert. Neben den Festspielen als starkem Fundament verleihen eine Vielzahl anderer Einrichtungen, beispielsweise das Kunsthaus Bregenz (KUB), Theater und internationale Galerien der Stadt ihren besonderen Charme und ebnen den Weg für eine mögliche Bewerbung als Europäische Kulturhauptstadt in den kommenden Jahrzehnten. Salzburg hat sich mit den Salzburger Festspielen europäisch in der Top-Liga mit Bayreuth und den führenden Festivals positioniert und zieht damit eine besonders kaufkräftige, internationale Gästeschicht an. Im Rahmen der österreichischen Diskussionen um die Nominierung der Kulturhauptstadt 2009 hat sich allerdings der Gemeinderat dazu ent-
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schieden, keine Nominierung anzustreben, und somit Linz den Vortritt gelassen. Das Eventportfolio von Bregenz und Salzburg endet jedoch nicht mit den bereits weltweit bekannten Festspielen. Komplementäre Projekte, wie etwa die Festspiele im Schnee – das Expandieren von Opernhighlights der Bregenzer Festspiele nach Lech am Arlberg – oder das Young Director’s Project – die Aufführung junger Theaterproduktionen während der Salzburger Festspiele – erweitern das Eventportfolio und fördern die Imagebildung der Kulturdestination. Ein möglicher Zielkonflikt ist allerdings vorprogrammiert. Die lokalen Kulturinitiativen würden es bevorzugen, wenn die Politik verstärkt kleinere Veranstaltungen, und die regelmäßig, zur Attraktivierung des jungen kulturellen Publikums fördern würde. Diese Micro-Events sind einmal oder jährlich wiederkehrende Events mit einem geringen Budgetvolumen, die aber die breite Masse der europäischen kulturellen Events abbilden. Die meisten Festivals fallen in diese Kategorie, gerade in der Ansprache der jungen Generation, mit deren Ausrichtung sich kleinere Destinationen als innovativ und modern positionieren möchten. Ein weiterer Wachstumsmarkt sind Festivals, die vor allem im Sommer zur Attraktivierung einer Destination dienen, wie Opern, Operetten oder Theateraufführungen in meist ruralen Destinationen. Eine Alternative zum Europa der Events ist die Investition in kulturelle Infrastruktur von europäischer Strahlkraft, wie die Bauten in Bilbao (Guggenheim Museum), Oslo und Hamburg (Oper), Valencia (Konzerthaus und Museen) und Linz (Musiktheater) zeigen. Bilbao beispielsweise war gegen Ende des 19. Jahrhunderts die größte Industriestadt Spaniens mit den reichsten Banken des Landes. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts jedoch waren die Stadt und das Baskenland am Ende: Arbeitslosigkeit von fast 30 Prozent, eine starke Umweltverschmutzung, ein miserables Stadtbild, unansehnliche Industriebrachen, die saniert werden mussten. Das Anliegen, durch ein nachhaltiges kulturelles Konzept und eine »Eventarchitektur« aus Bilbao einen kulturellen sowie touristisch relevanten Standort zu machen, der ein weltweiter Anziehungspunkt werden und so zur europäischen Wiedersichtbarmachung Bilbaos und des Baskenlands beitragen würde, wurde am Anfang belächelt und mit ungläubigem Staunen aufgenommen. Konkret bedeutete die erfolgreiche Umsetzung der
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Strategie jedoch die Wiedergeburt Bilbaos als kultureller und touristischer Standort. Eine genaue Reflexion der Potentiale von Destinationen, welche Interventionen der Veränderung sie vornehmen, ob sie sich etwa eher auf kulturelle Place-Events oder Mobile-Events ausrichten, bedarf einer genauen Analyse von Best-Practice-Beispielen, um aus der kulturellen Intervention einen Erfolg auch für die sozialen, ökonomischen und politischen Entwicklungsprozesse der jeweiligen Destination zu generieren.
C ONCLUSIO 1. Mega-Events und Festivals können eine Option für die Positionierung einer Kulturdestination in einem europäischen Markt der Aufmerksamkeit sein, wie einige Referenzbeispiele vergangener Kulturhauptstädte gezeigt haben. 2. Eine für viele Städte und Regionen interessantere Alternative kann die regelmäßige Durchführung eines Festivals mit europäischer Strahlkraft sein, in dessen Umfeld weitere innovative Kulturprojekte entstehen und die als Place-Event auch stärker an die Destination gebunden werden. Diese Festivals ziehen oft ein Stammpublikum an, wie dies in Bayreuth, Salzburg und Bregenz der Fall ist. Diese Festivals sollten aber in Einklang mit der kulturellen Identität der Bevölkerung stehen, um zu gewährleisten, dass die Festivals von der Bevölkerung getragen werden und nicht zu Lasten anderer, kleinerer kultureller Projekte in der Stadt gehen. 3. Will sich eine Destination allerdings neu orientieren, ist die Entwicklung eines innovativen Festival- bzw. Eventformats zielführend, wobei besonders zu bedenken ist, welche Zielgruppe bzw. Zielgruppenkonstellationen primär angesprochen werden sollten. 4. Kulturinfrastrukturinvestitionen können, wenn sie eine internationale Relevanz aufweisen (etwa durch hochwertige architektonische Interventionen), ebenso diese Funktion übernehmen und Impulse für eine Imageveränderung der Destination und Auslöser für neue touristische Attraktivität sein. 5. Einmalig und an unterschiedlichen Orten stattfindende Mega-Events, sogenannte Mobile-Events, hingegen haben das Potential, als temporärer Infrastrukturmotor im regionalen Kontext zu wirken und europäische Strahlkraft zu gewinnen.
Mega-Events, Festivals und Destination-Branding – ein Europa der Events?
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Das Prinzip Euregio. Die Euregio Inntal und das EU-Förderprogramm INTERREG Perspektiven und Hinweise für Initiativen im Kulturbereich Walter J. Mayr und Walter Weiskopf
G RUNDSÄT ZLICHE F R AGESTELLUNGEN Ausgehend von einer kurzen Beschreibung der EU-Regionalpolitik im Gesamten setzt der Beitrag seinen Fokus auf das Beispiel der Gemeinschaftsinitiative INTERREG und die Euregio Inntal – Chiemsee – Kaisergebirge – Mangfalltal als wichtige »Übersetzer« des EU-Gedankens in der Region vor dem Hintergrund der Strategie »Europa 2020«. Anhand dieses Beispiels ist es möglich, einen Blick auf die Strukturen einer regionalen Kulturförderung mit europäischer Ausrichtung zu werfen. Es werden Fördermöglichkeiten und aktuelle Projekte beleuchtet, die alle einen kulturellen Schwerpunkt im grenzüberschreitenden Kontext haben. Die Ausführungen sollen für Projektinteressierte im Kulturbereich als eine Art praktischer »Ratgeber« fungieren auf dem Weg zu einer möglichen Förderung über das INTERREG-Programm. Abschließend erfolgt ein Ausblick auf zukünftige Schwerpunkte in der Arbeit der Euregio Inntal bzw. in der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit als europäisches Ziel. Folgende Fragestellungen werden behandelt: a) Welche Zielsetzungen verfolgen die EU-Regionalpolitik und das Programm »INTERREG/Europäische Territoriale Zusammenarbeit« in Grenzgebieten?
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b) Welche Initiativen im Kulturbereich sind über dieses Programm förderungswürdig? c) Welche Beratungsleistungen können Euregiones generell und die Euregio Inntal im Speziellen im Beantragungsprozess erbringen? d) Auf welche Chancen und Herausforderungen treffen Akteure in diesem Bereich? e) Welche Entwicklungen sind in der europäischen Strukturpolitik in Zukunft zu erwarten und welche Auswirkungen haben diese auf grenzüberschreitende Zusammenarbeit in den Regionen?
W IRTSCHAF TLICHER UND SOZIALER Z USAMMENHALT IN DER EU Die EU-Regionalpolitik ist mit einer Dotierung von rund 350 Mrd. EUR für die Förderperiode 2007-2013 einer der wichtigsten EU-Politikschwerpunkte. Der zweitgrößte Budgetbereich der EU setzt seinen Fokus darauf, Regionen zu mehr Wachstum und Beschäftigung zu führen, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt zu stärken und gleichzeitig Inhalte und Erfahrungen zu verschiedenen Themen auszutauschen. Darunter fällt auch die Gemeinschaftsinitiative INTERREG, die Kooperationen sowohl zwischen Partnern in benachbarten Grenzgebieten als auch verschiedenster Regionen der EU ermöglicht. Aus österreichischer Sicht wurden über diese Initiative alleine von 1995 bis Ende 2007 mehr als 1.000 grenzüberschreitende, transnationale und interregionale Projekte mit anderen Staaten gefördert (vgl. www.bundeskanzleramt.at/site/6033/ default.aspx).
S TR ATEGISCHE E NT WICKLUNG MIT KL AREN P RIORITÄTEN – EIN F ALLBEISPIEL Das Programm »INTERREG Bayern-Österreich 2007-2013« wurde speziell für diese Region konzipiert und hat sich folgenden grundsätzlichen Zielen verpflichtet: • grenzbezogene Barrierewirkungen (z.B. institutionelle, infrastrukturelle, ökonomische, gesetzliche) vermindern;
Das Prinzip Euregio. Die Euregio Inntal und das EU-Förderprogramm INTERREG
• die grenzüberschreitende Zusammenarbeit intensivieren; • die Lebensqualität erhöhen und den Grenzraum als Wohn-, Arbeitsund Erholungsumgebung attraktiver gestalten; • einen grenzüberschreitenden Wirtschaftsraum entwickeln, der die Erwerbsmöglichkeiten in allen Teilräumen und für alle Bevölkerungsgruppen sichert. Zur Umsetzung dieser Punkte stehen in der Periode 2007-2013 insgesamt über 72 Mio. EUR zur Verfügung. Unterstützt werden Aktivitäten in thematisch breit gestreuten Bereichen, die eine signifikant positive Auswirkung auf die grenzübergreifende regionale Entwicklung erwarten lassen (Folder INTERREG Bayern-Österreich 2007-2013). Das operationelle Programm »Ziel Europäische Territoriale Zusammenarbeit« Bayern-Österreich 2007-2013 vom 18.9.2007 bildet die Grundlage für eine Finanzierung von Aktivitäten zwischen den Mitgliedsstaaten Deutschland und Österreich aus dem Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (EFRE) (vgl. www.interreg-bayaut.net/interreg_iv/dokumen te.html). In der Analyse der Ausgangssituation des Gebietes wird zum Thema »Kultur« vor allem Bezug genommen auf das kulturelle Erbe (cultural heritage). Mit diesem Begriff wird die Gesamtheit der materiellen und immateriellen Kulturgüter bezeichnet, also sowohl Bestände von Bibliotheken, Archiven und Museen, als auch Gebäude (Baudenkmäler wie Kirchen, Klöster, Schlösser) oder auch Erscheinungs- und Ausdrucksformen der Alltags- und Volkskulturen, wissenschaftliche Erkenntnisse usw. Das kulturelle Erbe ist als Teil der regionalen Identität zu betrachten. Ein Blick in die bayerisch-österreichische Grenzregion zeigt eine breite Vielfalt kulturellen Schaffens und damit die Vielfalt diesbezüglich möglicher Maßnahmen. Sie reichen von den entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingungen (z.B. UNESCO-Konvention, Denkmalschutzbestimmungen, Kulturpolitik) bis zu den gelebten Bräuchen und den traditionellen Handwerkstechniken. Das Erhalten, Bewahren und Weiterentwickeln des kulturellen Erbes ist auch für den lokalen und regionalen Tourismus von besonderer Bedeutung (OP »Ziel Europäische Territoriale Zusammenarbeit« 2007-13: 48).
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E UROPÄISCHER E INIGUNGSPROZESS AUF REGIONALER E BENE »Denke global, handle lokal«, lautet der Leitspruch der Euregio Inntal – Chiemsee – Kaisergebirge – Mangfalltal. Diese als ein Verein organisierte Plattform nutzt die INTERREG-Initiative und hilft bei der Anbahnung von Projekten zu Gunsten der Region zwischen den bayrischen Landkreisen Traunstein, Rosenheim, der kreisfreien Stadt Rosenheim und den Tiroler Bezirken Kitzbühel und Kufstein und den dort ansässigen Bürgern. Die Euregio wurde im Jahr 1998 gegründet und hat aktuell 85 Mitglieder (in erster Linie Gemeinden, öffentliche Verwaltungen, Interessensvertretungen, Vereine und Bildungseinrichtungen aus Bayern und Tirol). Die eigene Geschäftsstelle agiert als Organisator und Beratungsorgan für die Tätigkeiten. Im Mittelpunkt stehen dabei • die strategische Grenzraumentwicklung – z.B. durch Ideenfindung oder Anstoß für passende Initiativen, Kontaktanbahnungen und -vermittlungen, spezifische Veranstaltungen; • die Projektunterstützung und -beratung für INTERREG-Großprojekte; • die eigenständige, koordinierte Vergabe von EU-Mitteln im Rahmen des Euregio-Kleinprojektefonds. Die Mitglieder und weitere eingebunde Institutionen fungieren als wichtige Motoren für eine attraktive Gestaltung des Grenzraums. Sie können von Projektergebnissen und den verbundenen Zuschüssen aus EU-Fördertöpfen nachhaltig profitieren. Euregios gibt es in allen Grenzgebieten der Europäischen Union. Beispielgebend ist im Folgenden die Karte der Euregios und Regionalkooperationen in und um Österreich abgebildet.
Das Prinzip Euregio. Die Euregio Inntal und das EU-Förderprogramm INTERREG
Abbildung 1: Euregios und Regionalkooperationen in und um Österreich (vgl. www.bka.gv.at/site/3499/default.aspx)
Zukünftig wird es immer wichtiger werden, die gemeinsamen, regionsübergreifenden Potentiale herauszuarbeiten und Ressourcen zu bündeln. Gerade der Bereich »Kultur«, auch verknüpft mit anderen Themengebieten, wie z.B. Tourismus, Wirtschaft oder Umwelt, bietet hier enorme Chancen und ein breites Betätigungsfeld. Die folgenden Ausführungen geben einen Einblick in die Förderlandschaft aus Praxissicht. Es wird aufgezeigt, welche Projekte unter welchen Voraussetzungen durchgeführt werden können und welchen konkreten Mehrwert sie für eine Region darstellen. Es wird aber auch durchaus kritisch auf mögliche Hürden im Ablauf hingewiesen.
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D ER W EG ZUR F ÖRDERUNG UND EU-P ROJEK TE AUS DER P R A XIS – P OTENTIALE UND H ER AUSFORDERUNGEN Hinter der Beantragung von Fördermitteln, in diesem Fall aus dem Topf INTERREG IV A Bayern-Österreich, können verschiedenartige Motive stehen – Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Wirtschaft, Stärkung der Humanressourcen durch Bildung und Qualifizierung, Anschub von Kooperationen, Erhalt von natürlichen und kulturellen Ressourcen, gemeinsamer Aufbau und Nutzung von Infrastruktur u.v.a.m. Es gibt allerdings gewisse Vorgaben und Voraussetzungen, die jedenfalls eingehalten werden müssen. Aus inhaltlicher Sicht haben Projektinitiativen in die Strategien und Ziele des Programms zu passen (Gliederung in Prioritäten und Aktivitätsfelder). Da die Themenfelder relativ breit gefächert sind (Wirtschaft, Tourismus, Arbeitsmarkt, Netzwerke, Umwelt, Erreichbarkeit, Soziales, Stärkung der Humanressourcen, lebenslanges Lernen, lokale Initiativen u.a.), kann die eigene Projektidee allerdings meist unproblematisch zugeordnet werden. Folgende Kriterien zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit legen die qualitative Dimension fest: 1. 2. 3. 4.
gemeinsame Ausarbeitung gemeinsame Durchführung gemeinsames Personal gemeinsame Finanzierung
Kooperieren Partner aus mindestens zwei Ländern, die mindestens zwei dieser Punkte erfüllen, kann man grundsätzlich von einem grenzüberschreitenden Projekt sprechen. Die Erfüllung dieser vier Kriterien hat auch Auswirkung auf die Höhe der Förderung:
Das Prinzip Euregio. Die Euregio Inntal und das EU-Förderprogramm INTERREG
Tabelle 1: Höhe der Fördersätze im INTERREG-Programm Bayern-Österreich Projekttyp
EFREFördersatz
Aufschlag bei Erfüllung des 3. und 4. Kooperationskriteriums
Klassische INTERREG-Projekte, Netzwerk-Projekte
50 %
je 5 % für 3. Kriterium je 5 % für 4. Kriterium
Überwiegende Investitionsprojekte, Infrastrukturprojekte
40 %
je 5 % für 3. Kriterium je 5 % für 4. Kriterium
Überwiegende Investitionsprojekte, Infrastrukturprojekte von Kommunen und privaten Projektträgern
40 %
je 10 % für 3. Kriterium je 10 % für 4. Kriterium
Es gilt das Prinzip der Kofinanzierung, d.h., dass die fehlenden Gelder durch Eigenmittel und/oder weitere nationale Finanzmittel aufgebracht werden müssen. Die über ein elektronisches Antragsverfahren einzureichenden Projekte werden zusätzlich auf weitere qualitative Aspekte hin überprüft: • • • • • •
solide Partnerschaft hoher Innovationsgehalt, Begründung der Neuartigkeit signifikanter grenzüberschreitender Mehrwert echte grenzübergreifende Kooperation funktionierendes Management Nachhaltigkeit der Zusammenarbeit bzw. der Ergebnisse
Eine passende Projektidee und die Einhaltung der formalen Vorschriften sind die Grundlage für eine Einreichung. Die Qualität des Vorhabens jedoch steigert die Aussichten auf Genehmigung in hohem Maße und unterscheidet herausragende Projekte von der Masse. Der geografische Schwerpunkt der Aktivitäten liegt in folgendem Kooperationsraum. Die Auswirkungen müssen diesem Fördergebiet zugute kommen.
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Abbildung 2: Kooperationsraum INTERREG-Programm »Bayern-Österreich 2007-2013« (vgl. www.interreg-bayaut.net/ interreg_iv/foerderung.html – Voraussetzungen)
Begünstigte sein, also eine Förderung beantragen, können prinzipiell juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts, wie z.B. Gebietskörperschaften, Interessensvertretungen, Vereine und Verbände, Personengesellschaften oder Sozial-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen. In jedem Vorhaben muss ein Lead Partner festgelegt werden. Dies ist jener Partner, der die Gesamtkoordination und letztlich auch die Verantwortung für das Projekt trägt. Nach dem Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit können verschiedene Kostenarten in das Budget aufgenommen werden, wie etwa Personalkosten, Sachkosten, Investitionskosten, aber auch unbare Leistungen. Hier eine Auswahl von INTERREG-Großprojekten mit kulturellem, grenzübergreifendem Background, die in der Euregio Inntal umgesetzt wurden:
Das Prinzip Euregio. Die Euregio Inntal und das EU-Förderprogramm INTERREG
Tabelle 2: Auswahl INTERREG-Großprojekte »Kultur« in der Euregio Inntal Titel, Laufzeit
Projektpartner
Kurzbeschreibung
Gesamtkosten
EUMittel
Rockoper »Galilei«, 2000
FH Rosenheim, FH Kufstein
Breitband-Liveübertragung aus Rosenheim auf die Festung Kufstein
€ 15.000
€ 7.500
Euregio Inntal Kulturführer, 2006
IMT Kufstein, Stadt Kufstein, Stadt Rosenheim
Broschüre und Homepage zur Bekanntmachung der Kulturgüter und -veranstaltungen im In- und Ausland
€ 20.000
€ 12.000
HöhlenKulturErlebnis Inntal, 2008-2011
Wendelsteinbahn, Landesverein für Höhlenkunde Tirol, Gemeinde Ebbs
Touristische und kulturelle Kooperation von vier Höhlen im bayerischen und Tiroler Inntal
€ 673.191
€ 403.915
Handelsweg Inn, 2009
Euregio Inntal, Wasserwirtschaftsamt Rosenheim
Broschüre und Homepage zur Geschichte und Gegenwart des bedeutenden Handelsweges Inn und deren Museen
€ 62.500
€ 37.500
Erlebnisreiche Sagenwelt, 20092012
TVB Ferienland Kufstein, Gemeinde Oberaudorf
Erstellung eines grenzüberschreitenden Themenwanderweges rund um Sagen und Geschichten
€ 488.621
€ 293.172
Dazu kamen Projekte mit Schwerpunkt »kulturelles Erbe«, die über den Euregio Inntal Kleinprojektefonds gefördert wurden, beispielsweise die »Schauspielakademie für den Alpenraum«. Basierend auf einer Jahrhunderte zurückreichenden Schauspieltradition in der Region plant der Verein für ein Passions-, Film- und Volksschauspielmuseum für den Alpenraum in Thiersee gemeinsam mit der
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Stadt Bad Tölz und dem Theater Rosenheim e.V. eine Schauspielakademie, die eine zeitgenössische Ausbildungsstätte für das Volkstheater darstellen soll. In einem ersten Schritt wurde ein inhaltliches und wirtschaftliches Konzept für diese grenzüberschreitende Einrichtung erstellt. Gerade in Zeiten der Finanzknappheit steigt die Bedeutung der Einwerbung von Fördergeldern. Alle in Tabelle 2 genannten Vorhaben lukrierten EU-Mittel für die Region und stärkten den gemeinsamen Lebensraum im Grenzgebiet. Wurden die genannten Vorgaben im Zuge der Antragstellung berücksichtigt, ist die Chance auf Genehmigung im INTERREG-Topf sehr hoch. Der Verwaltungsaufwand ist gerade für in der Förderlandschaft erfahrenere Institutionen überschaubar und die EU-Zuschüsse sind mit maximal 60 Prozent der Gesamtkosten lukrativ. Die Vorteile derartiger Maßnahmen gehen aber über finanzielle Beihilfen hinaus. Die beteiligten Projektpartner produzieren innovativen Output, der ohne die vorgegebenen Rahmenbedingungen nicht entstanden wäre. Es bilden sich neue Plattformen und Netzwerke, die die Attraktivität der Region erhöhen, Arbeitsplätze erhalten und schaffen sowie den sozialen Zusammenhalt festigen. EU-Projekte bieten unumstritten große Chancen für alle Beteiligten, nicht immer aber genießen sie den besten Ruf bei potentiellen Projektwerbern. Deshalb erscheint ergänzend ein Blick auf verschiedene Merkmale als sehr wichtig, die neben den weiter oben beschriebenen Anforderungen erfahrungsgemäß zu beachten und einer erfolgreichen Abwicklung förderlich sind: • Der Entwicklungsaufwand schon im Vorfeld der Projektgenehmigung ist nicht zu unterschätzen. Von der Partnersuche über die konkrete inhaltliche Ausgestaltung bis hin zur Aufstellung der Finanzierung sind verschiedene Hausaufgaben zu erfüllen, die auch entsprechend Zeit in Anspruch nehmen – je besser die Vorbereitung, desto erfolgreicher auch die Durchführung. • Eng mit diesem Punkt verbunden ist der Hinweis auf den sogenannten »Bottom-up«-Ansatz. Damit ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass Projekte, die von den umsetzenden Partnern direkt initiiert und vorangetrieben werden, aus der Erfahrung heraus erfolgreicher auf Schiene gebracht werden, als solche, die »von oben herab« angestoßen werden.
Das Prinzip Euregio. Die Euregio Inntal und das EU-Förderprogramm INTERREG
• Administrative Tätigkeiten, wie die Abrechnungs- und Berichtslegung, sind ein wichtiger Teil des Projektes und müssen termingerecht erfüllt werden. Es sind laufend formale Aspekte zu erfüllen, die bei Nichtbeachtung zu Verzögerungen im Ablauf oder bei der Auszahlung der Förderung führen. • Der Spielraum für Flexibilität, die einmal eingereichten Inhalte und Kosten betreffend, ist nicht sehr hoch. Leitlinien sind die im Antrag definierten Angaben, an die man sich auch bei mehrjährigen Projekten zu halten hat. • In allen INTERREG-Projekten ist eine Vorfinanzierung notwendig. Die Kosten werden erst nach Erbringung der Leistung und Vorlage von Originalrechnungen und Zahlungsbelegen sowie einer entsprechenden Berichterstattung inklusive Dokumentation rückerstattet. Eine gewisse »Finanzstärke« der Partner ist notwendig. • Die geltenden Publikationsvorschriften müssen genau eingehalten werden. Begünstigte im Rahmen des Programms »INTERREG Bayern-Österreich 2007-2013« sind dazu verpflichtet, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, dass ihr Projekt aus Mitteln der Europäischen Union kofinanziert wird oder wurde. Die genannten Punkte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie sollen vielmehr eine Orientierung und Unterstützung auf dem Weg »von der Idee zum EU-geförderten Projekt« geben und schon vorab auf bestimmte Herausforderungen hinweisen. Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass es neben dem INTERREG-Förderprogramm zahlreiche weitere Förderinstrumente der EU gibt, die ebenfalls den Bereich Kultur mit unterschiedlichen Schwerpunkten fördern. Hier ist vor allem das EU-Programm »Kultur« zu erwähnen, das Vernetzung, Zusammenarbeit und Austausch von kulturellen Veranstaltern in Europa unterstützt (vgl. http://ec.europa.eu/culture/our-program mes-and-actions/doc411_de.htm).
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C ONCLUSIO UND A USBLICK IN DIE Z UKUNF T Zusammenfassend ist festzuhalten, dass INTERREG-Projekte einer klar vorgegebenen Strategie folgen und einen bestimmten bürokratischen Aufwand bedeuten. Setzt man sich schon im Vorfeld eines Vorhabens nachdrücklich mit den zu erfüllenden Vorgaben auseinander und legt man in der Durchführungsphase auf ein konsequentes Projektmanagement Wert, wird ein echter Mehrwert für alle Beteiligten erreicht. Staatsgrenzen haben nichts Trennendes mehr, sondern nehmen eine verbindende Funktion ein. Die grenzüberschreitende Regionalentwicklung hat das übergeordnete Ziel, eine bestmögliche Abstimmung und Vernetzung innerhalb und zwischen verschiedenen Fachgebieten in einer definierten Region zu erreichen. Konkrete Projekte wie im Artikel weiter oben beschrieben, leisten dafür einen wesentlichen Beitrag und schaffen durch die Anschubfinanzierung der EU beständige Kooperationen und Infrastrukturen, die die Attraktivität eines Gebietes erhöhen und den Partnern neue Handlungsspielräume und Finanzquellen eröffnen. Erfolgreiche Beispielinitiativen und die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit steigern natürlich auch den Bekanntheitsgrad der territorialen Zusammenarbeit in der Bevölkerung. Die Verfasser dieses Artikels können potentielle Projektinteressierte nur ermutigen, die Planungen für ein INTERREG-Projekt zu beginnen oder zum »Wiederholungstäter« zu werden. Regionale Beratungseinrichtungen wie Euregios oder die zuständigen Stellen bei Ämtern, Ländern oder Ministerien unterstützen Antragsteller gerne bei ihrem Vorhaben. Der derzeit in Umsetzung befindliche Haushaltsplan 2007-2013 wird im Jahr 2014 durch einen neuen, von der Europäischen Kommission vorgestellten und wieder über sieben Jahre laufenden Plan abgelöst. Die Verhandlungen über dessen Ausgestaltung zwischen den nationalen Regierungen und dem Europäischen Parlament werden sich voraussichtlich bis Anfang 2013 hinziehen. Die Ergebnisse haben natürlich auch substantielle Auswirkungen auf die zukünftige Ausgestaltung der »territorialen« Zusammenarbeit. Verschiedene Tendenzen lassen sich bereits jetzt erkennen:
Das Prinzip Euregio. Die Euregio Inntal und das EU-Förderprogramm INTERREG
• Die Kohäsionspolitik bleibt weiterhin ein bestimmender Posten des EU-Budgets. • Die Europäische Kommission schlägt für den neuen Haushalt Mittelzuweisungen in der Höhe von 11,7 Milliarden EUR für die territoriale Zusammenarbeit vor. • Es wird eine systematische Verbindung zwischen Regionalpolitik und der Strategie »Europa 2020« hergestellt, elf Themenbereiche bilden die Klammer (vgl. http://ec.europa.eu/regional_policy/newsroom/detail. cfm?LAN=DE&id=99 bzw. Hubert 2012). Als weitere Ziele der Europäischen Kommission für 2014-2020 kristallisieren sich folgende heraus: • Einsatz der Fördermittel in allen Regionen Europas, • stärkere thematische Konzentration auf bestimmte Prioritäten in den Regionen, • Vereinfachung der Abläufe in der Projektabwicklung durch verbesserte Standards und vermehrten Einsatz elektronischer Hilfsmittel, • Erleichterung bei der Umsetzung von Kleinprojekten durch die Einführung von Pauschalen. Bezogen auf das Grenzgebiet Bayern-Österreich sind diese Nachrichten durchaus als positiv zu bewerten. Es sollte damit nichts dem im Wege stehen, auch zukünftig kulturelle Aktivitäten im internationalen Kontext zu fördern, sei es den Aufbau von grenzübergreifenden Netzwerken für Kulturaustausch, die Errichtung und Erweiterung von Infrastrukturen wie Museen sowie Touristik- und Kulturzentren, Kulturstraßen oder gemeinsame Marketing-Konzepte. In diesem Sinne: »Globalisierung findet nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Kultur statt.« Michael Schindhelm (*1960), Ex-Kulturmanager Dubais (vgl. www.zitate.de/kategorie/Kultur/).
Q UELLEN Bundeskanzleramt Ö, www.bka.gv.at/site/3499/default.aspx (23.4.2012). Bundeskanzleramt Ö, www.bundeskanzleramt.at/site/6033/default.aspx (23.4.2012).
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EU-Kommission, http://ec.europa.eu/culture/our-programmes-and-actions /doc411_de.htm (23.4.2012). EU-Kommission, http://ec.europa.eu/regional_policy/newsroom/detail. cfm?LAN=DE&id=99 (23.4.2012). INTERREG Bayern-Österreich 2007-2013, Folder, 1. Auflage, Oktober 2007. INTERREG Bayern-Österreich 2007-2013, www.interreg-bayaut.net/inter reg_iv/dokumente.html (23.4.2012). INTERREG Bayern-Österreich 2007-2013, www.interreg-bayaut.net/interreg_ iv/foerderung.html – Voraussetzungen (23.4.2012). Operationales Programm »Ziel Europäische Territoriale Zusammenarbeit« Bay-Ö 2007-2013, genehmigt am 18.9.2007, S. 48. www.zitate.de/kategorie/Kultur/ (23.4.2012).
A BBILDUNGEN Abbildung 1: Euregios und Regionalkooperationen in und um Österreich Abbildung 2: Kooperationsraum INTERREG-Programm Bayern-Österreich 2007-2013
TABELLEN Tabelle 1: Höhe der Fördersätze im INTERREG-Programm Bayern-Österreich Tabelle 2: Auswahl INTERREG-Großprojekte »Kultur« in der Euregio Inntal
Cultural Governance im Multiprojektmanagement Fallbeispiel »Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010« Oliver Scheytt und Gisela Geilert
1. D AS M ULTIPROJEK T »K ULTURHAUP TSTADT E UROPAS « Die »Kulturhauptstadt Europas« ist eine der wesentlichen kulturpolitischen Fördermaßnahmen der Europäischen Union. Dabei wird das umfangreiche Veranstaltungsprogramm der ausgewählten europäischen Städte während ihres Jahres als Kulturhauptstadt nicht als bloße Kulturfördermaßnahme gesehen. Die Titelvergabe ist an umfangreiche Auflagen gebunden und die Europäische Kommission formuliert hohe Erwartungen im Rahmen ihres kulturpolitischen Programms. Das Hauptziel des Programms ist die Etablierung eines gemeinsamen europäischen Kulturraums, um damit die Entstehung einer Unionsbürgerschaft zu begünstigen und die europäische Integration voranzutreiben (vgl. Portal der Europäischen Union: Zusammenfassung der EU-Gesetzgebung: Programm »Kultur« [2007-2013]). Jean Monnet, Mitbegründer der europäischen Integration, wird häufig mit der Aussage zitiert: »If I had to begin with European integration today, I would start off with culture.« (Semprún/de Villepin 2006: 101) Dies impliziert, dass der Kultur quasi die Rolle eines Superklebers zugesprochen wird, der zum Einsatz kommt, um das zu kitten und dauerhaft zusammenzuhalten, was weder die Wirtschafts- noch die Währungsunion bisher überbrücken konnten. Kultur wird heute von vielen Politikern als einzigartige Möglichkeit gesehen, das formale Konstrukt »Europa« für die europäischen Bürger im Alltag erlebbar zu machen. EU-Kommissions-
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präsident José Manuel Barroso betont: »Europe is not only about markets, it is also about values and culture. If economy is a necessity for our lives, culture is really what makes our life worth living.« (A Soul for Europe: »Testimonials«) Alle Kulturhauptstädte stehen daher vor der Herausforderung, sich intensiv mit den entsprechenden Zielvorgaben der EU auseinandersetzen zu müssen – insbesondere mit den Konzepten »Stadt der Bürger« und »europäische Dimension«. Von einer Kulturhauptstadt wird erwartet, dass sie Vernetzungen schafft, europäische Fragestellungen behandelt, die breite Bevölkerung einbindet und nachhaltig wirkt. »Europa eine Seele geben«, hat Jaques Delors, ehemaliger Präsident der EU-Kommission, diese Bemühungen poetisch beschrieben.1 Aber was genau macht die europäische »Seele« aus? Was bedeutet es überhaupt, »Europa eine Seele zu geben«? Und wie können kulturelle Großereignisse heute dazu beitragen? Von einer Kulturhauptstadt wird neben den komplexen Aufgaben eines Multiprojektmanagements2 mit internationaler Komponente auch die intensive Auseinandersetzung mit diesen grundsätzlichen Fragen verlangt. Die Antworten und die Ansätze, die die über 40 Kulturhauptstädte Europas seit 1985 verfolgt haben, sind durchaus unterschiedlich, weisen jedoch gewisse Gemeinsamkeiten und aktuelle Tendenzen auf. Exemplarisch wird dies hier am Fallbeispiel der Kulturhauptstadt Europas »Essen für das Ruhrgebiet« bzw. RUHR.2010 dargestellt.
1.1 Die Entwicklung der Kulturhauptstadtinitiative Der antike Ursprung der »europäischen Seele« kann in den ersten Erscheinungsformen demokratischen Zusammenlebens bzw. in der griechischen Polis gesehen werden. Die Wiege europäischer Identität ist demnach die Stadt mit ihrem bürgerlich-kulturellen Leben: 1 | »A Soul for Europe« lautet auch der Name einer europäischen Initiative, die 2004 von der Stiftung Zukunft Berlin gestartet wurde und auf die Kooperation zwischen Zivilgesellschaft und politischen Entscheidungsträgern sowie auf das Potential europäischer Kultur setzt (vgl. www.asoulforeurope.eu). 2 | »Multiprojektmanagement« wird hier als summarischer Überbegriff für ein ganzheitliches Management einer Projektlandschaft verstanden (vgl. Steinle et al. 2008).
Cultural Governance im Multiprojektmanagement
»Identität geschieht nicht in den Institutionen der Europäischen Union; sie ist keine Angelegenheit zentraler Regelungen und Verordnungen mehr oder weniger bürokratischen Charakters. Im Gegenteil: Sie ist dort lebendig, wo sich europäischer Geist langfristig ausgebildet hat: nämlich in den Städten, in unserer urbanen Lebensform oder – um es emphatisch zu sagen – in der Kultivierung von Menschen zu Bürgern.« (Rüsen 2008: 220)
Einen ähnlichen Zusammenhang müssen die Kulturminister der Europäischen Gemeinschaft 1983 bei ihrer ersten gemeinsamen Sitzung in Athen verspürt haben. Die Ratsvorsitzende und Gastgeberin dieses informellen Treffens, Melina Mercouri,3 eröffnete das Treffen mit der Forderung, der europäischen Kultur mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Sie war es auch, die den Vorschlag unterbreitete, jährlich eine europäische Stadt zur »Kulturstadt« zu küren, und damit auf breite Zustimmung bei ihren Kollegen stieß. Das Konzept wurde im Juni 1985 auf dem vierten Treffen des Rats der Kulturminister mit einer Entschließung formell verabschiedet. Gleichzeitig wurde Athen zur ersten »Kulturstadt Europas« ernannt. Ziel der Gemeinschaftsaktion sollte es sein, den kulturellen Reichtum und die kulturelle Vielfalt der europäischen Städte hervorzuheben und gleichzeitig ein gemeinsames kulturelles Erbe sowie gemeinsame Errungenschaften zu betonen (vgl. Portal der Europäischen Union: Zusammenfassung der EUGesetzgebung: Kulturhauptstadt Europas). Angestrebt wurde zudem ein Dialog zwischen den Kulturen, um ein »bessere[s] Verständnis der Bürger Europas füreinander« zu erreichen (AblEG, Nr. C 153 v. 22.6.1985: 2).4 Vorbild der Aktion war zunächst das von Kulturminister Jack Lang 1982 initiierte Festival »Fête de la Musique« in Frankreich. Ähnlich wurde auch das Kulturhauptstadtjahr zunächst als Sommerfestival konzipiert (vgl. Mittag 2008: 68f.). Die Entwicklung der Kulturhauptstadtinitiative in den vergangenen 25 Jahren lässt sowohl aus politisch-rechtlicher als auch aus programmatisch-konzeptioneller Sicht unterschiedliche Phasen erkennen. Dabei hat sich die Initiative des Rates der Kulturminister über die Jahre zu
3 | Melina Mercouri, ehemalige Schauspielerin und Sängerin, war griechische Kulturministerin von 1981 bis 1989 und von 1993 bis 1994. 4 | Entschließung des Rates vom 13. Juni 1985 für die alljährliche Benennung einer »Kulturstadt Europas«.
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einem Prestigeobjekt gemausert und zugleich eine gewisse Eigendynamik entwickelt. Die verschiedenen Phasen der Entwicklung seien zunächst kurz charakterisiert: Die Initialphase von 1983 bis 1990 zeichnet sich durch nicht-institutionalisierte Organisationsformen und einen geringen Grad an Verrechtlichung aus. In den 90er Jahren folgte eine Erprobungsphase. Das Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht leitete schließlich die Etablierungsphase der Initiative »Kulturhauptstadt« ein. Bis 1989 waren die Kulturhauptstädte ausschließlich bekannte Kulturmetropolen. Ihr Programm war lediglich auf den Sommer begrenzt und in der Regel ein erweitertes Programm nationaler Hochkultur. Eine europäische Dimension war zu Beginn der Kulturhauptstadtinitiative kaum erkennbar (vgl. Mittag 2008: 71-81). Im Jahr 1990 kam es zu einer Neuinterpretation der Idee durch die Kulturhauptstadt Glasgow. Es wurde nicht mehr nur Hochkultur präsentiert, sondern eine große Bandbreite kultureller Angebote im Rahmen eines ganzjährigen Programms. Glasgow nutzte den Titel zur Imagewerbung und um den Städtetourismus anzukurbeln. Hinzu kamen eine neue städtebauliche Dimension und das Ziel nachhaltiger Entwicklung. Europäische Themen gerieten hingegen in den Hintergrund. Die durch Glasgow eingeleitete Transformationsphase zeichnet sich vor allem durch eine verstärkte Ökonomisierung aus, dazu zählt neben aufwendigen Imagekampagnen auch die Finanzierung über Sponsoren und Public-PrivatePartnership-Modelle. In dieser Phase ging der Kulturhauptstadttitel auch an weniger bekannte und kleinere Städte (vgl. Quenzel 2005: 80f.). Mit dem Jahr 2005 erfolgte eine bedeutende Änderung der Vergabemodalitäten. Da bereits eine Liste von Ländern der damaligen EU-15 bis zum Jahr 2019 feststand, wurde eine Tandemlösung mit zwei Kulturhauptstädten pro Jahr eingeführt, um auch die neuen Mitgliedstaaten zu berücksichtigen. Die Neuregelung aus dem Jahr 2006 hob schließlich die Bedeutung der »europäischen Dimension« stärker hervor und fixierte in der Kriterienliste auch die »Stadt der Bürger«. Nach den neuen Regeln soll zudem eine Monitoring- und Beratungsjury dafür sorgen, dass die Kulturprogramme der Städte professioneller vorbereitet und stärker überprüft werden (vgl. ebd.: 78ff.). Das Jahr 2007 führte aufgrund der politisch-rechtlichen Veränderungen und dem präziseren Kriterienkatalog zu einer weiteren Zäsur. Die da-
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rauf folgende Phase zeichnet sich durch die Betonung der »europäischen Dimension« aus. Auch die Kombination je einer ost- und einer westeuropäischen Kulturhauptstadt sorgt für einen integrativen Aspekt. Europäische Schlagwörter erhalten zunehmend Einzug in das Programm. Zudem sind eine Rückbesinnung auf das Bemühen um europäische Identität und ein Fokus auf die Zusammenarbeit mit dem regionalem Umfeld erkennbar (vgl. Mittag 2008: 82, 91) – besonders deutlich zu sehen an der Großregion Luxemburg 2007 und der »(un-)möglichen Kulturhauptstadt« RUHR.2010. Im Fall von RUHR.2010 wurde zwar unter dem Titel »Essen für das Ruhrgebiet« die Stadt Essen als Bannerträgerin der Region auserkoren, im Grunde genommen handelte es sich jedoch nicht um eine, sondern gleich um die Integration von 53 Städten, die es in einem gemeinsamen Programm zu einer Kulturmetropole zu vereinen galt. Hinzu kam eine durch Einwanderung geprägte kulturelle Diversität mit 170 Nationen und rund 2.500 Religionsgemeinschaften (vgl. Geldbach/Noss 2009) aus allen sozialen Milieus. Die heutige Metropole Ruhr entspricht gleichsam Europa in Miniaturversion und repräsentiert das europäische Credo »Einheit in der Vielfalt« gleich auf mehreren Ebenen.
1.2 Cultural Governance als besondere Herausforderung von RUHR.2010 Organisatoren kultureller Großereignisse und Programme stehen stets vor umfangreichen steuerungspolitischen Herausforderungen. Im Rahmen eines Multiprojektmanagements haben sie das ganzheitliche Management einer (kulturellen) Projektlandschaft durch entsprechende Organisationsstrukturen, Rollenmodelle, Anreizsysteme, Prozesse, Methoden und IT-Systeme zu verantworten. Zentrale Aufgaben eines solchen Projektmanagements sind die strategiegetriebene Initiierung und Auswahl der richtigen Projekte und deren Priorisierung, die Zuordnung der Ressourcen, die inhaltliche Koordination sowie das Controlling der Projektlandschaft (Gmünden et al. 2008: 33). Stärker als im klassischen Multiprojektmanagement innerhalb eines Unternehmens sieht sich das Organisationsteam eines kulturellen Multiprojekts wie der Kulturhauptstadt darüberhinaus mit einer Vielzahl privater, gesellschaftlicher und politischer Akteure konfrontiert.
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Wesentlich für den Erfolg eines solchen Multiprojektmanagements sind daher verschiedene Formen der gesellschaftlichen und staatlichen Selbststeuerung, die Verwaltungsgrenzen überschreiten und jenseits klassisch-hierarchischer, staatlicher Lenkung Akteure aus Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Politik an einen Tisch holen. Dieses nicht-institutionelle Zusammenwirken und regionale Aushandeln wird im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs häufig mit dem Begriff »Cultural Governance« belegt. Cultural Governance kann als »Brückenbegriff« gesehen werden, der den interdisziplinären Dialog befördert (Knoblich/Scheytt 2009: 34). Im Allgemeinen werden darunter neue Formen gesellschaftlicher, ökonomischer und politischer Koordination in komplexen institutionellen Strukturen, Regierungssystemen, der öffentlichen Verwaltung oder in privaten Unternehmen bezeichnet. In der wissenschaftlichen Diskussion sind verschiedene Formen und Ausprägungen von Cultural Governance bekannt. Verwandte Begriffskombinationen sind u.a. »Local Governance«, »Regional Governance«, »Global Governance« und »Corporate Governance«. Charakteristisch ist, dass organisationale, sektorale oder staatliche Grenzen überwunden und Entscheidungen nicht allein in staatlich-hierarchischen Systemen getroffen werden.5 Für eine Kulturhauptstadt wie RUHR.2010 mit 53 Städten und Gemeinden sowie 5,3 Millionen Einwohnern waren die Methoden der Cultural Governance absolut existenziell, um Entscheidungen herbeizuführen, Projekte zu ermöglichen und die Region als begreifbare Einheit zu präsentieren. Historisch gesehen stellt das Ruhrgebiet nämlich keineswegs eine natürliche Einheit dar. Weder geografisch noch geopolitisch wurden die Städte und Kreise bis zum 19. Jahrhundert als zusammenhängend empfunden. Die erste Klammer der Region bildete die gemeinsame Entwicklung der Industrialisierung auf Basis der regionalen Steinkohlevorkommen. Der Beginn des Bergbaus, ein massiver Stellenaufbau sowie der Auf- und Ausbau von Infrastruktur machten gemeinsame wirtschafts- und gesellschaftspolitische Beschlüsse und Absprachen notwendig. Die gebietskörperschaftliche und administrative Struktur der Region stellt sich jedoch bis heute uneinheitlich dar, was sich schon in den Zuständigkeiten 5 | Vgl. Knoblich/Scheytt 2009: 34-35, die Schriften zur Governance-Forschung im Nomos-Verlag oder im VS-Verlag für Sozialwissenschaften oder als Einführung Benz 2004.
Cultural Governance im Multiprojektmanagement
von drei Regierungsbezirken (Arnsberg, Düsseldorf und Münster) zeigt (Scheytt/Grandmontagne 2009: 192). Elf kreisfreie Städte mit ihren Oberbürgermeistern, 42 kreisangehörige Städte mit ihren Bürgermeistern und vier Landräte bilden die komplexe Landschaft der Ruhrgebietskommunen. Mit dem Regionalverband Ruhr (RVR)6 haben die Städte und Kommunen immerhin eine institutionalisierte, öffentlich-rechtliche Form der Kooperation, die u.a. genutzt wird, um Planungs- und Entwicklungskonzepte für die Region zu entwickeln. Heute gelten die Grenzen des RVR meist als Definition des Ruhrgebiets. Die Region verfügt über eine Tradition an Kooperation und Netzwerkarbeit, die sich auch in den Organisationsstrukturen der Kirchen zeigt und die von der IBA Emscher Park genutzt und ausgebaut wurde (ebd.). Die komplexe geopolitische Aufstellung der Region Ruhr, die qua Programmziel zu einer Metropole Ruhr verschmelzen sollte, macht deutlich, wie enorm die Herausforderungen an die Steuerungsmethoden im Rahmen der Organisation der Kulturhauptstadt waren. Dem Gesamtkonzept RUHR.2010 lag die Idee einer »aktivierenden Kulturpolitik« zugrunde, in deren Rahmen Kulturpolitik als umfassende Gesellschaftspolitik verstanden wird: »Kulturpolitik steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Veränderung und Gestaltung von Gesellschaft, entfaltet Wirkung in ihr und für sie.« (Scheytt 2008: 14) Eine aktivierende Kulturpolitik hat diesem Ansatz nach drei wesentliche Bezugspunkte: die Kulturgesellschaft, den Kulturbürger und den Kulturstaat. Sie machen den Kontext von Kulturpolitik und Kulturmanagement aus und werden im Sinne einer aktivierenden Kulturpolitik stets mitgedacht und einbezogen. Ziel der Kulturhauptstadt RUHR.2010 war es, auf ein von Offenheit und Transparenz geprägtes Zusammenspiel zwischen Akteuren aus allen drei Sektoren des kulturellen Lebens, der Öffentlichen Hand, der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft zu setzen. Daraus ergaben sich Leitlinien für das Handeln in den zu schaffenden Netzwerken: Kommunikation, Konsensfindung, Kooperation und Koordination (ebd.: 253ff.). Im Rahmen des Multiprojektmanagements für eine Kulturhauptstadt Europas sollte das Governance-Modell jedoch nicht nur auf regionaler Ebene 6 | Der Regionalverband Ruhr bündelt und koordiniert im Rahmen der regionalen Selbstverwaltung Aufgaben für das gesamte Ruhrgebiet, wie etwa Regionalplanung, Marketing oder Umwelt- und Freizeitförderung. Das demokratisch legitimierte Organ des RVR ist die Verbandsversammlung, in der Repräsentanten der elf kreisfreien Städte und vier Kreise vertreten sind.
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gedacht werden, sondern auch auf eine europäische bzw. internationale Ebene übertragen werden. Der Begriff »European Governance« wird sehr eng mit den Bemühungen der EU um die Legitimität ihrer Institutionen verbunden. Er bezeichnet im Allgemeinen die institutionellen Regeln, Verfahren und Verhaltensweisen auf europäischer Ebene. Die Europäische Kommission hat das Thema »European Governance« im Jahr 2000 als eines ihrer vier strategischen Ziele definiert. Im Juli 2001 wurde das Weißbuch »Europäisches Regieren« (Whitebook »European Governance«) veröffentlicht, in dem das Legitimationsproblem der EU wie folgt beschrieben wird: »Viele Menschen trauen einer komplexen Maschinerie, die sie kaum verstehen, immer weniger zu, die Politik zu betreiben, die sie erwarten. Die Union wird als bürgerfern, gleichzeitig aber auch als allzu ›aufdringlich‹ empfunden.« (AblEU Nr. C 287 v. 12.10.2001: 1) Ziel der EU müsse es daher sein, die Europäische Union – unabhängig von weiteren Vertragsänderungen – partizipativer zu gestalten und so das Vertrauen der Bürger in die EU-Institutionen zu stärken. Es werden fünf Prinzipien guter Governance definiert, die als Richtlinien der Reformbemühungen gelten sollen: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Kohärenz und Effektivität. Als Schlüssel zu mehr Partizipation und Bürgernähe soll die Einbeziehung und Mitwirkung möglichst vieler Institutionen, Regierungen, Regionen, Städte und der Zivilgesellschaft aktueller und zukünftiger Mitgliedsstaaten dienen. Es wird eine breitere öffentliche Debatte über die Zukunft der EU gefordert. Zudem wird das Potential transnationaler Netzwerke betont (ebd.: 18). Zielsetzung einer »Global Governance« ist es hingegen, institutionelle Mittel und Wege zur kooperativen Bearbeitung von weltweiten Problemen und der politischen Gestaltung der Globalisierung aufzuzeigen. Als Ziel und Zweck einer Global Governance kann die »Entwicklung eines Institutionen- und Regelsystems und neuer Mechanismen internationaler Kooperation, die die kontinuierliche Problembearbeitung globaler Herausforderungen und grenzüberschreitender Phänomene erlauben«, gesehen werden (Messner 2000: 284). Im Folgenden soll anhand des Beispiels der Kulturhauptstadt Europas »Essen für das Ruhrgebiet« beleuchtet werden, wie die kulturpolitischen Zielvorgaben der EU-Kommission vor dem Hintergrund von Regional, European und mitunter auch Global Governance im Multiprojektmanagement mitgedacht und konkret umgesetzt werden können.
Cultural Governance im Multiprojektmanagement
2. Z IELE EUROPÄISCHER K ULTURPOLITIK – »S TADT DER B ÜRGER « MIT » EUROPÄISCHER D IMENSION « Als europäisches Prestigeprojekt ist die Kulturhauptstadt in besonderer Weise in die kulturpolitische Gesamtstrategie der Europäischen Union eingebunden, deren Zielvorgaben es im Rahmen des Multiprojektmanagements zu berücksichtigen gilt.7 Auf Grundlage des Art. 128 des Vertrags von Maastricht bzw. Art. 151 des Vertrags von Amsterdam leitete die Kommission 1994 mit ihrer Mitteilung über »Die Aktionen der Gemeinschaften zugunsten der Kultur« (vgl. AblEG, Nr. C 348 v. 9.12.1994: 1-2) die erste offizielle Phase kultureller Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaften ein.8 Es entstanden zunächst die drei Förderprogramme »Ariane«, »Kaleidoskop« und »Raphael«. Zum Teil basierten sie auf Initiativen, die schon vor dem Vertrag von Maastricht (1992) begonnen wurden. Im Jahr 1998 wurden die bestehenden Förderprogramme durch ein einheitliches und spartenübergreifendes Rahmenprogramm »Kultur 2000« ersetzt und 2006 folgte dann mit einigen Modifikationen das aktuelle Programm »Kultur« (2007-2013). Für die Jahre 2014-2020 wird derzeit in den Gremien der EU der Programmvorschlag »Kreatives Europa« diskutiert – eine Kombination der bisherigen Programme »Kultur« und »MEDIA«.9 Alle Projekte, die im Rahmen des Programms »Kultur« (2007-2013) unterstützt werden, müssen mindestens eines von drei Zielen verfolgen: a) Unterstützung der grenzüberschreitenden Mobilität von Kulturakteuren, b) Unterstützung der Verbreitung künstlerischer und kultureller Werke und c) Förderung des interkulturellen Dialogs. Dabei muss nach den Vorgaben der EU stets ein »europäischer Mehrwert« erzielt werden. Die Kulturhauptstadtinitiative fällt unter die Kategorie »Sondermaßnahmen«. Diese sollen breit angelegt sein, eine Symbolwirkung haben und das Zusammen7 | Dies gilt natürlich auch für weniger prominente multilaterale Kulturprojekte, die von der EU finanziell unterstützt werden und damit den Bedingungen ihrer Kulturförderprogramme unterworfen sind. 8 | Zur Entwicklung europäischer Kulturpolitik vgl. u.a. Schwenke 2004. 9 | Das von der Europäischen Kommission präsentierte neue EU-Programm »Kreatives Europa« mit einem Budgetvoranschlag von 1,8 Mrd. EUR für den Zeitraum 2014 bis 2020 soll künftig die Programme »Kultur« und »MEDIA« zusammenfassen, mit denen die Kultur- und AV-Branche seit mehr als 20 Jahren von der EU unterstützt wird (Europäische Kommission, Pressemitteilung vom 23.11.2011).
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gehörigkeitsgefühl stärken. Die EU hat im Beschluss Nr. 1622/2006/EG zur Förderung der Veranstaltung »Kulturhauptstadt Europas« für die Jahre 2007 bis 2019 konkrete Evaluierungskriterien zur Beurteilung der Bewerbungen für künftige Kulturhauptstädte Europas festgelegt (AblEU, Nr. L 304 v. 3.11.2006: 2-3). Alle Bewerberstädte zur Kulturhauptstadt Europas müssen ihre Bewerbungen an diesen Kriterien ausrichten. Die Kriterien untergliedern sich in die zwei Kategorien: »europäische Dimension« und »Stadt und Bürger«. In Bezug auf die »europäische Dimension« hat das Programm: a) in beliebigen kulturellen Bereichen die Zusammenarbeit zwischen Kulturakteuren, Künstlern und Städten aus den entsprechenden Mitgliedstaaten und aus anderen Mitgliedstaaten zu fördern, b) den Reichtum der kulturellen Vielfalt in Europa hervorzuheben, c) die gemeinsamen Aspekte europäischer Kulturen in den Vordergrund zu rücken. In Bezug auf »Stadt und Bürger« hat das Programm: a) die Beteiligung der in der Stadt und ihrer Umgebung lebenden Bürger zu fördern und ihr Interesse sowie das Interesse von Bürgern aus dem Ausland zu wecken, b) nachhaltig und unmittelbarer Bestandteil einer längerfristigen Strategie für die kulturelle und soziale Entwicklung der Stadt zu sein.
2.1 Bürgerbeteiligung Das Konzept »Stadt der Bürger« zielt vor allem auf die breite Beteiligung und Aktivierung der Zivilgesellschaft. Diese Strategie verfolgte RUHR.2010 primär mittels der Methoden von Cultural Governance im Sinne einer »aktivierenden Kulturpolitik«. Im Vordergrund stand zunächst die Einbeziehung aller 53 Städte und Kommunen mit ihren politischen Vertretern, Kulturinstitutionen und Kulturschaffenden. Ein möglichst großes Interesse der Zivilbevölkerung am Programm der Kulturhauptstadt wurde mittels einer Programmdramaturgie angestrebt, die anspruchsvolle Hochkultur wie das Henze-Projekt mit massenwirksamen und partizipativen Großevents wie «!Sing-Day of Song« oder »Still-Leben A40« kombinierte. Integrative Projekte wie das multikulturelle MELEZ-Festival und der »Tag der Begegnung«10 waren ebenso Bestandteil des Kulturhauptstadtprogramms 10 | Der Landschaftsverband Rheinland organisierte 2010 seinen »Tag der Begegnung« für Menschen mit und ohne Behinderung in der Essener Gruga, bei dem mehr als 15.000 Besucher gezählt werden konnten.
Cultural Governance im Multiprojektmanagement
wie die gezielten Bemühungen um soziale Teilhabe bei allen Veranstaltungen. Unter dem Motto »Kulturhauptstadt ohne Barrieren« hat sich RUHR.2010 das Ziel gesetzt, in der Öffentlichkeit ein stärkeres Bewusstsein für soziale und gesundheitliche Benachteiligung zu schaffen und die noch bestehenden Barrieren abzubauen. Die Organisatoren haben sich dabei vier zentralen Aufgaben gestellt: 1) Alle Informationen zur Kulturhauptstadt sind allen Interessenten zugänglich zu machen und verständlich zu vermitteln. 2) Das Programm hat integrative Projekte anzubieten, an denen Menschen mit und ohne Behinderung beteiligt sind.11 3) Der Zugang zu den Veranstaltungsorten für Künstler und Besucher ist barrierefrei zu gestalten. 4) Für wirtschaftlich benachteiligte Menschen muss eine erschwingliche Preisgestaltung geschaffen werden. Neben der Veranstaltungsbeschreibung sowie Informationen zu Tickets und Anreise erhielten Besucher im Veranstaltungskalender der Kulturhauptstadt detaillierte Informationen zur Barrierefreiheit. Die notwenigen Daten und Angebote stellte die Agentur »Barrierefrei NRW« in Kooperation mit dem Sozialverband VdK NRW im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW zusammen – vom barrierefreien Eingang der Spielstätten über den Einsatz von Gebärdendolmetschern bis hin zu Printmedien für blinde Menschen. Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahrs entstand auch der Online-Reiseführer »Ruhr2010-barrierefrei.de« der Agentur »barrier-free-tourism.eu« mit Unterstützung der RUHR.2010 GmbH, des Lions Hilfswerk Soziale Dimension e.V., der Ruhr Tourismus GmbH und des Landschaftsverbands Rheinland. Hinzu kamen ein erfolgreiches Volunteers-Programm,12 günstige Ticketpreise bzw. kostenlose Veranstaltungen sowie umfangreiche und zielgruppenspezifische Marketing- und Medienaktionen, um die Bevölkerung über 11 | Das Projekt »Europa InTakt 2010« für die aktive Teilhabe von Menschen mit Behinderung umfasste musikalisch-kreative Praxis, eine Konzertreihe und einen Kongress. Die TWINS-Projekte »DIN Art«, »Piano«, »palaixbrut_installation« und »InnenWeltenAußenWelten« zeigten, wie Kunst und Pantomime um die Dimensionen von Kunst und Behinderung bzw. Kunst und Psychiatrie bereichert werden können. 12 | Insgesamt konnte das Volunteers-Programm 2.320 Interessenten verbuchen. Davon waren 1.165 Personen zu aktiven Volunteers ausgebildet worden,
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das umfangreiche Veranstaltungsprogramm zu informieren. Besucherbefragungen vor, während und nach dem Kulturhauptstadtjahr erlaubten zudem eine kritische Reflexion der Bemühungen um Bürgerbeteiligung.13
2.2 Konstruktionen von Europa Der in den Kulturprogrammen der EU häufig bemühte Begriff der »europäischen Dimension« steht im engen Zusammenhang mit dem Wunsch der Europäischen Kommission, eine gemeinsame europäische Identität zu fördern. Im Beschluss Nr. 1855/2006/EG zum Programm »Kultur« (20072013) heißt es: »Um die volle Zustimmung und Beteiligung der Bürger am europäischen Aufbauwerk zu gewährleisten, sollten ihre gemeinsamen kulturellen Werte und Wurzeln als Schlüsselelement ihrer Identität und ihrer Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft, die sich in uneingeschränkter Achtung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Freiheit, Gerechtigkeit, Demokratie, Achtung der Würde und der Unversehrtheit des Menschen, Toleranz und Solidarität gründet, stärker hervorgehoben werden.« (AblEU, Nr. L 372 v. 27.12.2006: 1)
Der Begriff »Identität« kann sehr unterschiedliche Assoziationen hervorrufen, abhängig davon, durch wen und in welchem Kontext er verwendet wird. In Lexika wird Identität u.a. als »Nämlichkeit« oder »Sichselbstgleichheit« definiert: »die völlige Übereinstimmung einer Person oder Sache mit dem, was sie ist oder als was sie bezeichnet wird« (Brockhaus 2006, Bd. 13: 94-95). Voraussetzung dafür, dass eine solche »Übereinstimmung mit sich selbst« überhaupt erkennbar wird, sind Kohärenz und Kontinuität. In der neueren Diskussion wird hingegen das Aufkommen von »postmodernen« Identitäten behauptet, die dem konventionellen Verständnis von Identität widersprechen und im Diskurs ständig neu ausgehandelt werden: »Identität ist ein immer nur vorläufiges Resultat kreativer, konstruktiver Akte, man könnte fast sagen: sie ist geschaffen für den Augenblick.« (Straub 1998: 93) von denen 981 Volunteers letztendlich an einem oder mehreren Einsätzen teilgenommen haben (Thoben 2011: 64). 13 | Vgl. Bevölkerungsumfragen aus den Jahren 2008, 2009 und 2010 (RUHR. 2010 GmbH 2008a/2010a/2011a).
Cultural Governance im Multiprojektmanagement
Wissenschaftliche Betrachtungen kollektiver Identitäten unterscheiden in der Regel verschiedene Mittel, wie diese hergestellt werden können. Sie können über Sprache (Kommunikation), Herkunft, Geschichte, Sitten- und Gebräuche (Erinnerungen) sowie über Religion, Werte oder Institutionen erzielt werden. Identifikationsdimensionen können so gut wie alle menschlichen und sozialen Merkmale sein (Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Größe, Verwandtschaft, Beruf, Parteizugehörigkeit, Nationalität, Territorium, Besitz, Bildung, Ideologie oder Kultur) (Walkenhorst 1999: 29). Grob betrachtet ist die Debatte um kollektive Identitäten vor allem durch den unterschiedlichen Fokus auf historisch-kulturelle oder auf politisch-ethische Gemeinsamkeiten gekennzeichnet. Über die grundlegenden Funktionen bzw. den Nutzen einer europäischen Identität herrscht ein gewisser Konsens. Sie gilt vor allem als Legitimationsbasis des politischen Systems der Europäischen Union und damit als Voraussetzung für politische Handlungsfähigkeit. In Wissenschaft und Politik wird sie häufig als entscheidender Erfolgsfaktor für den weiteren Integrationsprozesses dargestellt (vgl. u.a. Weidenfeld/Nida-Rümelin 2007: 7). Für die Entwicklung eines Kulturprogramms mit »europäischer Dimension« ist die Betrachtung konkreter Methoden europäischer Identitätskonstruktion hilfreich. Gudrun Quenzel hat aus einer Analyse des Diskursfeldes »europäische Identität« elf unterschiedliche »Europabilder« bzw. Konzeptionen europäischer Selbstbeschreibung entwickelt: 1) Kontinent Europa, 2) Zivilisation und technischer Fortschritt, 3) christliches Abendland, 4) ästhetische Einheit, 5) Diskussionskultur und reflexive Wissensgemeinschaft, 6) »Europa der Nationen«, 7) Klassen, Schichten oder Milieus, 8) Arbeitsethik und Wohlfahrtsstaat, 9) Wertegemeinschaft, 10) Kommunikationsgemeinschaft, 11) negative Erinnerungsgemeinschaft (Quenzel 2005: 135f.). Im Rahmen des Multiprojektmanagements für eine Kulturhauptstadt Europas bieten sich alle diese Konstruktionen mehr oder weniger an. Von besonderer Bedeutung für die kulturpolitischen Maßnahmen der EU wie die Kulturhauptstadt Europas ist neben dem »Kontinent Europa« als geografische und kulturelle Einheit, der »ästhetischen Einheit«, der »Wertegemeinschaft« und der »negativen Erinnerungsgemeinschaft«,14 vor allem 14 | Die negative Erinnerungsgemeinschaft europäischer Staaten erwächst aus der gemeinsamen Erinnerung an kollektive Schuld und Verantwortung, die Europa durch die Weltkriege und den Holocaust auf sich geladen hat. Aus den krie-
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die »Kommunikationsgemeinschaft Europa« in Form europäischer Netzwerke als erfolgreicher Weg europäischer Integration und kollektiver Identitätsbildung. Bei der Zielsetzung, die »europäische Dimension« herauszustellen und die europäische Integration nachhaltig zu unterstützten, sollte »Europa« im Veranstaltungsprogramm einer Kulturhauptstadt nicht zum bloßen Schlagwort verkommen. Vielmehr sollte eine Auseinandersetzung mit den Chancen und Problemen europäischer Identität erfolgen, sollten Modelle für das Zusammenleben in Europa und die europäische Integration angeboten werden sowie Entwürfe für die Zukunft Europas präsentiert werden. Dass dies auf vielfältige Weise geschehen kann, soll hier beispielhaft am Multiprojektmanagement der Kulturhauptstadt Europas RUHR.2010 aufgezeigt werden.
3. RUHR.2010 – DIE (UN -) MÖGLICHE K ULTURHAUP TSTADT E UROPAS Das Kulturhauptstadtprogramm hat zwar offiziell die Kriterien der EU gemäß Beschluss Nr. 1622/2006/EG zu erfüllen, wird jedoch im Wesentlichen durch ein örtliches, von der jeweiligen Stadt bestimmtes Organisationsteam erarbeitet. Im Folgenden wird näher beschrieben, wie dieser Prozess in den einzelnen Phasen des Multiprojektmanagements der Kulturhauptstadt RUHR.2010 »Essen für das Ruhrgebiet« gestaltet wurde. Prinzipien der Cultural Governance, das Konzept »Stadt der Bürger« sowie die Berücksichtigung der »europäischen Dimension« haben in allen Phasen eine wesentliche Rolle gespielt.15 Die Entwicklung der Organisation der RUHR.2010 fand in sechs Phasen statt und erstreckte sich über den Zeitraum vom Frühjahr 2006 bis Ende des Jahres 2010: Planung/Vorbereitung, Organisationsaufbau, Projektentwicklung, Projektumsetzung, Projektkommunikation, Evaluation/ Nachbereitung. Im letzten Quartal 2010 wurden die organisatorischen gerischen Erfahrungen wird eine besondere Qualifikation und Legitimation der Europäischen Union für eine Weltfriedenspolitik abgeleitet (vgl. Quenzel 2005: 131-134). 15 | Zur Bedeutung von Regional Governance im Rahmen der Kulturhauptstadt RUHR.2010 siehe auch Scheytt/Domgörgen/Geilert 2011: 297-318.
Cultural Governance im Multiprojektmanagement
Grundlagen für die Zeit nach dem Kulturhauptstadtjahr gelegt. Die Dauer der Gesellschaft, die im Dezember 2006 gegründet wurde, ist gemäß ihren Statuten bis zum 31.12.2012 befristet. Dieser Zeitraum berücksichtigte die Vorbereitungs- und Aufbauphase, die operativen Phasen und die Phase des Rückbaus bzw. der Abwicklung. Die Möglichkeit, dass es nach 2012 eine Weiterführung der RUHR.2010 geben sollte, war dadurch nicht grundsätzlich ausgeschlossen.
3.1 Planung und Vorbereitung Die Idee zur Bewerbung um den Titel Kulturhauptstadt Europas hatten Kulturdezernenten großer Städte des Ruhrgebiets im Januar 2001 in der Öffentlichkeit platziert. In der Phase der Planung und Vorbereitung der Kulturhauptstadt bzw. der Bewerbung war eine internationale Vernetzung kaum vorhanden und zunächst auch von geringerer Bedeutung. Im Vordergrund standen regionale Strategien, um die diversen Akteure aller Sektoren im Ruhrgebiet hinter der gemeinsamen Bewerbung zu vereinen. Im Jahr 2002 beschloss der Kulturausschuss des damaligen Kommunalverbands Ruhr16 (KVR), die Bewerbung finanziell zu unterstützen. Es wurde ein Bewerbungsbüro beim KVR eingerichtet, das erste Grundsätze und Leitlinien einer Bewerbung erarbeitete. Im weiteren Verlauf bildete das Bewerbungsbüro den organisatorischen Kern, bei dem alle Fäden zusammenliefen und durch den die Partner der Anfangsphase koordiniert wurden. Entscheidend war es von Beginn an, die regionalen kulturpolitischen Akteure sowie vorhandene Netzwerke in den Bewerbungsprozess einzubeziehen. Wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der Kooperationen war eine relativ umfassende Erfahrung mit der Arbeit in regionalen Netzwerken und der Einbeziehung unterschiedlichster Partner in Prozesse des gesellschaftlichen Wandels. Ein wichtiger Motor für die kulturelle Entwicklung der Region war die Internationale Bauausstellung Emscher Park, die von 1989 an zehn Jahre wichtige Impulse für die Region mit der mutigen Strategie »Wandel ohne Wachstum« setzte. An diesem Infrastrukturprojekt waren 17 Städte und zwei Kreise freiwillig finanziell beteiligt und 16 | Der KVR wurde im Jahr 1979 als Kooperationseinrichtung und Nachfolgeorganisation des Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk (seit 1920) gegründet. Im Jahr 2004 ging aus ihm der Regionalverband Ruhr hervor.
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schufen so die Bilder, die heute als »Industriekultur« selbstverständlich touristisch vermarktet werden. Nach dem Ende der IBA sollte die Kultur Ruhr GmbH die kulturelle Entwicklung des Ruhrgebiets verfolgen und wurde mit den Gesellschaftern Kommunalverband Ruhr, dem Verein pro Ruhrgebiet und der IBA Emscher Park im Jahr 1998 gegründet und 2002 mit dem Land NRW anstelle der IBA als Gesellschafter neu aufgestellt.17 Trotz dieser Erfahrungen mit Regional Governance stellt sich die Frage, wie die wichtigen Partner im Ruhrgebiet dazu gebracht werden konnten, die Bewerbung zur Kulturhauptstadt zu unterstützen und die Geschlossenheit zu demonstrieren, die eine Bewerbung als Region notwendigerweise ausmacht. Die Binnenkommunikation im Rahmen von Marketingmaßnahmen spielte dabei eine große Rolle.18 Entscheidend war jedoch auch, dass die Inhalte der Kommunikation die Akteure überzeugen konnten, allen Eigeninteressen zum Trotz an einem Strang zu ziehen. Der programmatische Ausgangspunkt ergab sich aus dem Ziel der Bewerbung: das Verbindende der Region in den Vordergrund zu stellen und die gesamte Region aus ihrer gemeinsamen Geschichte heraus als attraktiven Stadtraum neu zu positionieren. Unter dem Motto »Wandel durch Kultur – Kultur durch Wandel« erzählte das Ruhrgebiet Europa seine Geschichte vom Wandel zur neuen Metropole. Dieser programmatische Ansatz spiegelt sich in den drei späteren programmatischen Leitthemen wider: Mythos Ruhr begreifen, Metropole gestalten und Europa bewegen. Kultur sollte als regionale Gestaltungskraft in den Feldern Gesellschaft, Wirtschaft und Stadtentwicklung genutzt werden. Schon die Bewerbungsinhalte waren das Ergebnis unzähliger Gespräche, die mit Vertretern von Kultureinrichtungen und freien Initiativen in der ganzen Region geführt wurden. Ziele, Vorgehensweise und das Motto wurden im offenen Diskurs festgelegt. Im Laufe des Programmfindungsprozesses wuchs die Begeisterung in wichtigen Akteursgruppen und verschaffte der Idee so immer mehr Befürworter. Im Sinne einer aktivierenden Kulturpolitik liegt diesem Vorgehen die Idee der Konsensfindung durch Zielvereinbarung zugrunde. Dieser Zielvereinbarungsprozess 17 | Die Kultur Ruhr GmbH ist heute vor allem verantwortlich für die Planung und Durchführung der Ruhrtriennale, eines international renommierten Theaterfestivals. 18 | Zur Entwicklung der Marke »RUHR.2010« und Umsetzung des Marktingkonzeptes vgl. Frohne et al. 2010.
Cultural Governance im Multiprojektmanagement
mit der Entwicklung eines Programms, das auf Partizipation und Teilhabe setzt, diente dazu, möglichst viele Akteure einzubeziehen und hinter der Bewerbung zu versammeln. Der generelle Konsens bildete den Grundstein für dauerhafte Netzwerke und stieß neue Selbststeuerungsprozesse an. Durch den Gewinn der NRW-Ausscheidung19 und später der nationalen Ausscheidung20 gewann der Prozess jeweils deutlich an Schwung. Das steigende Interesse wurde genutzt, um im Diskurs weitere Inhalte, Vorgehensweisen und Kooperationen zu vereinbaren. Die bereits vorhandenen Institutionen wie der RVR, der Verein pro Ruhrgebiet und der Initiativkreis Ruhr21 wurden in den Bewerbungsprozess einbezogen, ebenso alle 53 Kommunen und die Kulturdezernenten. Nicht nur die Partner in der Politik konnten aktiviert werden, sondern Akteure aus allen drei Sektoren: Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft. Die Wirtschaft, in Essen und dem Ruhrgebiet schon immer ein gestaltender Faktor, zeigte Bereitschaft zur finanziellen Unterstützung.22 Kooperationen unterschiedlichster Art bündelten die vorhandenen Kräfte auf regionaler Ebene. Die offizielle Kommunikation der Bewerbung durch verschiedene Aktionen mit hoher Bürgerbeteiligung, wie »100.000 Gesichter für das Ruhrgebiet« und »I love Ruhrgebiet«, erste Aufrufe zur Einreichung von Projektvorschlägen oder Medienpartnerschaften, schuf eine breite Basis der Unterstützung in allen drei Sektoren und sicherte die Partizipation auf verschiedenen Ebenen. Es bildeten sich zahlreiche Netzwerke und Initiativen, die darüber hinaus un19 | Am 20.5.2004 entschied die Landesjury einstimmig, »Essen für das Ruhrgebiet« vor den Mitbewerbern Münster und Köln als Vertreterin Nordrhein-Westfalens zu nominieren. 20 | Die Bundesjury nominierte am 29.4.2005 Essen und Görlitz als Vertreter Deutschlands für die letzte Runde der Bewerbung auf EU-Ebene. Bundesweit hatten sich acht weitere Städte beworben, darunter Bremen, Lübeck, Potsdam und Regensburg. 21 | Der Initiativkreis Ruhr wurde 1989 als Zusammenschluss von führenden Wirtschaftsunternehmen gegründet und hat sich die Verbesserung des Images der Region zum Ziel gesetzt. Dafür unterstützt der Kreis mit heute 58 Mitgliedern Projekte aus den Bereichen Wissenschaft, Sport und Kultur. 22 | Für das Kulturhauptstadtjahr konnten fünf Hauptsponsoren gewonnen werden, die das Projekt mit mehreren Millionen Euro unterstützten: Deutsche Bahn, E.ON Ruhrgas, RWE, Haniel und die Sparkassen-Finanzgruppe.
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abhängig von dem institutionalisierten Bewerbungsprozess agierten. Aufgrund dieser Leistung erhielt die Kulturhauptstadtbewerbung »Essen für das Ruhrgebiet« zweimal hintereinander, 2005 und 2006 zusammen mit der Agentur CP/Compartner, den Deutschen PR-Preis in Gold für die Bewerbungsschrift und die Bewerbungskampagne (vgl. Frohne et al. 2011).23
3.2 Organisationsaufbau Am 11. April 2006 gewannen die Stadt Essen und das Ruhrgebiet den Wettbewerb um die Kulturhauptstadt Europas 2010. Das Votum der Expertenjury der EU an diesem inzwischen historischen Datum markierte den Startpunkt für konkrete Überlegungen zu Zielen, Aufgaben und Organisation der künftigen RUHR.2010 GmbH zur Vorbereitung und Durchführung des Kulturhauptstadtjahres. Dabei wurden auch Erfahrungen anderer Kulturhauptstadtorganisationen einbezogen.24 Im Dezember 2006 wurde die RUHR.2010 GmbH gegründet, Essens Kulturdezernent Oliver Scheytt wurde im selben Monat zum Geschäftsführer berufen und im April 2007 übernahm der ehemalige WDR-Intendant Fritz Pleitgen den Vorsitz der Geschäftsführung. Gesellschafter wurden die Institutionen, die bereits zuvor maßgeblich in den Bewerbungsprozess einbezogen worden waren: der Regionalverband Ruhr, die Stadt Essen, das Land NRW sowie der Initiativkreis Ruhr. Die Gesellschafterstruktur von RUHR.2010 erwies sich als eine starke Allianz, wodurch auch der Zugang zu zusätzlichen Geldern von Bund, EU, Sponsoren und von privaten Stiftungen eröffnet wurde. Der Bund war mit 18 Millionen EUR der größte Geldgeber der RUHR.2010 GmbH. Die Europäische Kommission leistete einen vergleichsweise kleinen Beitrag mit 1,5 Millionen EUR, doch bewirkte der Titel, dass öffentliche und nicht-öffentliche Institutionen sich trotz Finanzkrise an der Ausgestaltung des Kulturhauptstadtprogramms beteiligten.25
23 | Verliehen wird der Preis von der Deutschen Public Relations Gesellschaft e.V. (DPRG) und dem F.A.Z.-Institut. Er ist die höchste Auszeichnung der PR-Branche im deutschsprachigen Raum. 24 | Zur Organisation der RUHR.2010 GmbH sowie ihren Strukturen und Prozessen vgl. Achauer/Grandmontagne 2010. 25 | Vgl. unter 3.3: Zwei-Euro-Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen.
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Der institutionelle Rahmen der GmbH wird vor allem durch die Vorgaben und Kriterien der EU bestimmt, die sowohl bei Organisation und Durchführung des Kulturhauptstadtjahres als auch bei der Programmgestaltung zu beachten sind. Aufgaben der RUHR.2010 GmbH waren die Übernahme wichtiger Schnittstellenfunktionen, die Programmplanung und -entwicklung, die Gesamtbudgetentwicklung und die systematische Gesamtvermarktung.26 Ein Kuratorium, besetzt mit 14 hochrangigen Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Sport, sollte die RUHR.2010 GmbH beraten. Ein entscheidendes Gremium war der Aufsichtsrat, der mit Vertretern der Gesellschaft besetzt wurde. Für jedes der vier Programmfelder27 wurde ein künstlerischer Direktor eingesetzt, der für sein Themenfeld die Leitlinien der Programmgestaltung vorgeben sollte. Um die Zusammenarbeit mit den Städten zu koordinieren, wurde von jeder beteiligten Stadt ein Kulturhauptstadtbeauftragter als fester Ansprechpartner und Schnittstelle zur jeweiligen Kommune bestellt. Auch die evangelische und katholische Kirche benannten einen Kulturhauptstadtbeauftragten. Das Gremium der Kulturhauptstadtbeauftragten traf sich auf Einladung der RUHR.2010 GmbH regelmäßig, um sich gegenseitig über Kulturhauptstadtaktivitäten zu informieren und Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit zu erkennen und zu nutzen. Gleich zu Beginn des Aufbaus der Kulturhauptstadtorganisation wurde eine internationale Abteilung mit zwei Mitarbeitern eingerichtet, deren Hauptaufgaben der Aufbau und die Pflege internationaler Kontakte und Netzwerke sowie die Repräsentation der RUHR.2010 GmbH im Ausland 26 | Das nach Gründung der Gesellschaft Anfang 2007 vom Aufsichtsrat der RUHR.2010 GmbH verabschiedete Gesellschaftsprofil nennt folgende Hauptaufgaben: »Realisierung des Kulturhauptstadtprogramms einschließlich der damit verbundenen Marketing- und Tourismusaktivitäten, die Entwicklung von nachhaltig wirkenden Strukturen für die Kulturmetropole Ruhr und der effektive Einsatz der bereitgestellten, sowie weiterer zu akquirierender Finanzmittel.« (RUHR 2010 GmbH 2008b: 1) 27 | Die vier künstlerischen Direktoren waren Prof. Karl-Heinz Petzinka für die »Stadt der Möglichkeiten« (Bildende Kunst, Architektur und Städtebau), Steven Sloane für die »Stadt der Künste« (Musik, Theater und Performance), Asli Sevendim für die »Stadt der Kulturen« (Interkultur) und Prof. Dieter Gorny für das Themenfeld »Stadt der Kreativität« (Kreativwirtschaft).
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waren. Dazu zählte u.a. auch der intensive Austausch mit anderen ehemaligen, aktuellen und zukünftigen Kulturhauptstädten.
3.3 Projektentwicklung, -umsetzung und -kommunikation Die Leitlinien der neugegründeten GmbH setzten die während der Bewerbungsphase begonnene Strategie der Teilhabe und Partizipation fort. Nach der Planung und dem Aufbau der Organisation folgten im Multiprojektmanagement der Kulturhauptstadt die operativen Phasen der Projektentwicklung, -umsetzung und -kommunikation. Aus dem bereits klar definierten Bewerbungskonzept musste jetzt ein Programm entwickelt werden, das weniger ein reines Eventprogramm darstellen, sondern dem Selbstverständnis als regionales Entwicklungsprojekt mit Bürgerbeteiligung und europäischer Dimension entsprechen sollte. Die Phase der Projektentwicklung begann 2007 und erstreckte sich über einen Zeitraum von rund zwei Jahren, im Falle einiger Großprojekte wie »Still-Leben A 40« oder »!Sing – Day of Song« bis ins Jahr 2010. Eingeläutet wurde die Phase der Projektentwicklung mit einer Flut von insgesamt rund 2.000 Projektvorschlägen, welche die RUHR.2010 innerhalb der Bewerbungsfrist28 erreichten. Diese galt es zu sichten, zu klassifizieren, sachgerecht zu bewerten und schließlich anhand nachvollziehbarer Kriterien auszuwählen, da naturgemäß nicht alle Projektvorschläge Berücksichtigung finden konnten. Auf der Basis von Entscheidungen der vier künstlerischen Direktoren auch im Rahmen gemeinsamer »Programmkonferenzen« wurden Projekte ausgewählt, die die Kriterien »Modellcharakter für Europa«, »Kooperation und regionale Vernetzung« sowie »Nachhaltigkeit« erfüllten. Das Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach möglichst breiter Partizipation regionaler Akteure und dem Anspruch, ein künstlerisch hochwertiges und innovatives Programm zu entwickeln, erwies sich an diesem Punkt des Planungsprozesses als enorme Herausforderung. Die konzeptionelle Bearbeitung der Projektvorschläge erfolgte zunächst in den einzelnen künstlerischen Teams (Stadt der Künste, Stadt der Kulturen, Stadt der Möglichkeiten und Kreativwirtschaft), welchen sie aufgrund ihrer thematischen Zugehörigkeit zugeordnet wurden. Demzu28 | Die Bewerbungsfrist für die Einreichung von Projektvorschlägen dauerte bis zum 31. Oktober 2007.
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folge war jedes Team für eine Vielzahl unterschiedlicher Projekte verantwortlich. Aufgrund der Unterschiedlichkeit der Projekte variierten die Anforderungen an die Projektplanung. Großprojekte, wie etwa »Still-Leben A40«, waren geprägt von einem enormen Planungs-, Abstimmungs- und Koordinationsaufwand, da mehrere Städte entlang der Autobahn A 40 beteiligt waren und mit den unterschiedlichsten Behörden und Institutionen (Polizei, Feuerwehr, Autobahnmeisterei etc.) verhandelt werden musste. Die RUHR.2010 GmbH nahm je nach Projekttyp unterschiedliche Rollen in der Projektplanung und -qualifizierung ein.29 Der Jahreswechsel 2008/2009 läutete den Übergang der RUHR.2010 von einer Projektentwicklungs- zu einer Projektumsetzungsgesellschaft ein. Die Phase der Projektkommunikation setzte parallel zur Umsetzungsphase ein und begleitete diese bis zum Ende des Kulturhauptstadtjahres 2010. Schwerpunkt dieser Phase war die Vermarktung der Projekte und der Veranstaltungen des Kulturhauptstadtprogramms. Entstanden ist letztendlich ein vielfältiges Kulturprogramm aus 300 Projekten und 5.500 Veranstaltungen.30 Als etablierte Institution mit breitem Know-how in wesentlichen Arbeitsbereichen, von Marketing über Förderwesen bis zu den künstlerischen Inhalten, diente die GmbH als zentraler Ansprechpartner und Triebkraft der Programmentwicklung und -umsetzung. Viele neue Netzwerke wurden gegründet und regionale Kooperationen angestoßen, wobei RUHR.2010 in den seltensten Fällen Projektträger war, sondern stets anstrebte, die Projekte in Kooperation mit externen Trägern zu realisieren. In der Metropole Ruhr sollte durch erfolgreiche Projektentwicklung und -umsetzung in nachhaltigen Netzwerken ein stärkeres Bewusstsein für Chancen und Synergien entwickelt werden. Die Bildung regionaler und internationaler Kooperationen soll im Folgenden anhand ausgewählter Projekte dargestellt werden, bei denen die Methoden der Cultural Governance besonders erfolgreich angewendet wurden.
29 | Unterschieden wurden zwischen Eigenprojekten, Koproduktionen, Kooperationsprojekten und Korrespondenzprojekten. 30 | Eine Übersicht über sämtliche Projekte der Kulturhauptstadt RUHR.2010 liefert die Publikation »RUHR.2010 – Die unmögliche Kulturhauptstadt. Chronik einer Metropole im Werden« (RUHR.2010 GmbH 2011d).
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Zwei-Euro-Initiative Die marode Haushaltslage der Kommunen stellte eine wesentliche Herausforderung in der Vorbereitungsphase des Kulturhauptstadtjahrs dar. Bereits im Jahr 2008 erkannten Geschäftsführung und Aufsichtsrat der RUHR.2010 GmbH, dass die angestrebte breite Beteiligung aller 53 Städte des Gebiets am Programm der Kulturhauptstadt akut gefährdet war. Diversen Kommunen hatte die Bezirksregierung zu diesem Zeitpunkt bereits einen Nothaushalt verordnet, was die Finanzierung des geplanten Kulturprogramms vielfach erschwerte, mitunter nahezu unmöglich machte. In beispielhafter Zusammenarbeit mit der Landesregierung wurde daher an einem Ausweg gearbeitet, der auch den mittellosen Städten eine Beteiligung (u.a. im Rahmen der Local-Heroes-Wochen) ermöglichen sollte.31 Der vom Landtag im Oktober 2008 einstimmig beschlossene Änderungsantrag (Landtag Nordrhein-Westfalen 2008) zum Nachtragshaushalt 2008 legte fest, dass die elf kreisfreien Städte und die 42 kreisangehörigen Kommunen des RVR für die Vorbereitung und Durchführung von Maßnahmen im Rahmen der Kulturhauptstadt je 2 EUR pro Einwohner als fachbezogene Pauschale erhalten. Somit stellte der Landtag den Kommunen insgesamt eine zusätzliche Summe von 10.467.200 EUR zur Verfügung. Die Mittel sollten auch dazu dienen, den »Eigenanteil« z.B. bei Vorhaben zu sichern, für die auch eine zusätzliche Finanzierung durch das »NRW Ziel 2-Programm 2007 bis 2013« aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung erwartet wurde. So wurde ein Mindestmaß an Beteiligung und Profilierung aller Städte und Kommunen des RVR-Gebiets sichergestellt.
T WINS: Netzwerk internationaler Städtepartnerschaften Das Fundament der internationalen Kooperationsprojekte, die im Rahmen der Kulturhauptstadt RUHR.2010 durchgeführt wurden, bildete das Programm »TWINS«. 53 Städte mit mehr als 200 Partnerstädten in ganz Europa waren an diesem Projekt beteiligt sowie die Kulturhauptstädte 2010 Pécs (Ungarn) und Istanbul (Türkei). Gemeinsam haben sie mehr als 100 Projekte umgesetzt, an denen mehr als 1.700 Künstler, Kulturvereine, Kulturinstitutionen, Chöre, Schulen, Universitäten, Bands und Street-Ar31 | Im Rahmen des Local-Heroes-Projekts wurde jede der 53 Städte des Ruhrgebiets für eine Woche im Kulturhauptstadtjahr zum Local Hero, konzipierte ein eigenes Programm und stand im Fokus der Aufmerksamkeit.
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tisten aus 257 Städten und 39 Ländern beteiligt waren (vgl. RUHR.2010 GmbH 2011c). TWINS ermöglichte somit eine Partizipation von ungeahnter Bereite – nicht nur »Kultur für alle«, sondern auch »Kultur mit allen«. Durch das Aufeinandertreffen unterschiedlichster Akteure mit verschiedenster Herkunft entstanden innovative Ausdrucksformen, überraschende Einsichten und neue Freundschaften. Bereits in der Bewerbungsphase wurde eine Karte der Metropole Ruhr und ihrer europäischen Partnerstädte erstellt. Das Ergebnis war beeindruckend und vermittelte zum ersten Mal einen Überblick darüber, wie groß das Potential internationaler Vernetzung in der Region ist. Die meisten Partnerschaften waren allerdings zu einer rein bürokratischen Formalität geworden, in deren Rahmen man sich nur noch gelegentlich offizielle Besuche abstattete. Dank der TWINS-Projekte konnten die Städtepartnerschaften innerhalb kürzester Zeit merklich intensiviert und konkretisiert werden. Schon im Februar 2006 folgten fast 100 europäische Partnerstädte der Einladung zum ersten Arbeitstreffen. In den Städten und Kreisen des Ruhrgebiets wurden – ähnlich den »Kulturhauptstadtbeauftragten« – TWINS-Beauftragte bestimmt, die das europäische Mammutprojekt überhaupt erst ermöglichten. Künstler und Kulturschaffende aus allen Sparten wurden eingeladen, europäische Kulturprojekte zu den drei Leitthemen »Identität«, »Urbanität« und »Migration« einzureichen. Voraussetzung für eine Förderung war, dass einer der Kooperationspartner aus dem Ruhrgebiet und mindestens ein weiterer aus einer der Partnerstädte kommt. So entstanden binationale und multinationale Projektvorschläge; 500 Projektbewerbungen wurden insgesamt eingereicht, aus denen eine Jury die 100 vielversprechendsten Ideen auswählte. Entstanden ist ein vielseitiges Programm aus Konzerten, Workshops, Ausstellungen, Vorträgen, Jugendcamps, Theateraufführungen, Lesungen, Performances und Installationen. Vor allem junge Menschen erhielten die Möglichkeit, sich gegenseitig kennenzulernen und ihre Vorstellungen vom europäischen Zusammenleben in der Gegenwart und in der Zukunft zum Ausdruck zu bringen. TWINS basierte auf zwischenmenschlichen Begegnungen, gemeinsamer Gestaltung und künstlerischer Auseinandersetzung. Auch Fragen der Identität spielten dabei eine zentrale Rolle: »Nur im gemeinsamen Austausch kann in der Exploration und Auseinandersetzung mit dem ›kulturellen Erbe‹ Europas auch die Frage nach einer europäischen Identität gestellt werden.« (Winter 2011: 61)
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Als Konsequenz der guten Kooperationserfahrungen im Kontext von TWINS wurde im Jahr 2011 die direkte Zusammenarbeit zwischen den Partnerstädten auf weitere Bereiche (wie die Tourismusbranchen und die Industriekultur) ausgeweitet. Auch im Kulturbereich soll die Zusammenarbeit vieler Kommunen weiter ausgebaut werden. Gut 50 Prozent der TWINS-Partner haben ihre gemeinsame Arbeit nach dem Kulturhauptstadtjahr fortgesetzt und entwickeln bereits weitere interkulturelle Projekte.
Europäische Netzwerke: Les Recontres und ECBN Wichtig für die Internationalisierungsstrategie der Kulturhauptstadt waren auch internationale Netzwerke wie Les Recontres und das European Creative Business Network. Les Recontres mit Sitz in Paris versteht sich als offenes Forum, das seit 1994 regelmäßig gewählte Vertreter lokaler und regionaler Verwaltungs- und Regierungseinrichtungen aus ganz Europa versammelt, um europäische Kulturpolitik voranzutreiben. Die Organisation arbeitet mit Experten, Beratern, Kulturnetzwerken, Organisationen, Regierungsvertretern und Künstlern zusammen, um politische Verantwortlichkeiten zu analysieren und neue Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Les Recontres zählt mehr als 160 Vertreter aus über 25 Ländern zu seinen Mitgliedern. Jährlich werden ca. sieben bis acht Konferenzen an wechselnden Orten organisiert. Der Austausch zwischen ehemaligen, aktuellen und künftigen Kulturhauptstädten ist eines der wesentlichen Ziele von Les Recontres. Das European Creative Business Network (ECBN) ist ein vergleichsweise junges Netzwerk, das im Oktober 2010 in Essen im Rahmen der Kulturhauptstadt ins Leben gerufen wurde. Initiator des Netzwerkes war das European Centre for Creative Economy (ECCE) – ein Institut der RUHR.2010 GmbH zur Förderung der Kreativwirtschaft im Ruhrgebiet. Anfang 2011 wurde das Netzwerk als Bündnis von elf europäischen Förderorganisationen in Form einer niederländischen Stiftung mit derzeitigem Sitz in Rotterdam gegründet. ECBN hat es sich zur Aufgabe gemacht, in Brüssel für die europäische Kreativwirtschaft zu werben, Trends zu beleuchten, europaweit den Austausch zwischen Kreativunternehmern zu fördern und ihnen mit gezielten Workshops in speziellen Bereichen Marktchancen zu eröffnen.
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3.4 Nachhaltigkeit und Nachlass – das Erbe von RUHR.2010 Die letzte Phase des Multiprojektmanagements für die Kulturhauptstadt – Evaluation und Nachbereitung – wurde bereits Mitte 2010 eingeläutet. Zum einen erfolgte die Aufbereitung der Materialien und die Erarbeitung des Evaluationsberichtes der RUHR.2010, zum anderen wurden die organisatorischen Voraussetzungen für die Phase nach Beendigung des operativen Betriebes ab 2011 geschaffen. Mit dem hohen programmatischen Anspruch von RUHR.2010 und dem zugrundeliegenden Verständnis von Kultur als Motor gesellschaftlichen Wandels ist auch die Messlatte für den Erfolg hoch aufgehängt. Der Titel »Kulturhauptstadt Europas« wurde als ein strategisches Instrument der soziokulturellen und ökonomischen Entwicklung verstanden. Ein neues Bewusstsein und eine neue Metropole sollten entstehen und die Region sollte international Aufmerksamkeit erlangen. Zieht man eine Bilanz des Jahres, stellt sich das Kulturhauptstadtjahr schon statistisch als ein Erfolg dar: Besucherrekord, Steigerung der Touristenzahlen und eine sehr positive Medienresonanz zeigen, dass viele der Herausforderungen in der Organisation der Kulturhauptstadt erfolgreich bewältigt wurden. Insgesamt besuchten 10,5 Millionen Menschen Veranstaltungen von RUHR.2010, die Touristenzahlen steigerten sich in der gesamten Metropole Ruhr um 13,4 Prozent, in Essen gar um über 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (davon 18,1 Prozent aus dem Ausland), und in den Medien (Print, Online, TV, Radio) erschienen rund 65.000 Beiträge, davon 2.510 international (vgl. RUHR.2010 GmbH 2010b). Hinzu kommen beachtliche Erfolge im Bereich Marketing: Das Ruhrgebiet war im Jahr 2009 Partnerregion der Internationalen Tourismus-Börse in Berlin, die Kulturhauptstadt war zu Gast bei der Expo 2010 in Shanghai und RUHR.2010 ist zur »Kulturmarke des Jahres 2010« gewählt worden. Die qualitative Bilanz ist etwas schwieriger zu ziehen: Hat sich tatsächlich ein neuer Geist regionaler und internationaler Kooperation gezeigt? Konnte die Vision von der neuen, polyzentrischen Metropole ein Stück weit verwirklicht werden? Diese Ziele implizieren eine langfristige Komponente, denn die nachhaltigen Auswirkungen des Großprojekts RUHR.2010 werden erst in einigen Jahren wirklich zu messen sein. Zwei repräsentative Umfragen unter Veranstaltungsbesuchern und der Bevölkerung der Region zeigen jedoch, dass die durchdachte Inszenierung gepaart mit einer konsequenten Erzähldramaturgie entscheidende Verände-
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rungen anstoßen konnte: Ende 2010 empfanden 77 Prozent der Besucher von Kulturhauptstadtveranstaltungen und 59 Prozent der Bevölkerung das Ruhrgebiet im Grundsatz als Metropole. Eine Mehrheit der Befragten stimmte zu, dass sich das Ruhrgebiet im Kulturhauptstadtjahr als Einheit präsentiert hat.32 Die Strategie von RUHR.2010, die Vision der neuen Metropole mit einem einheitlichen Auftritt nach außen und konsequent über alle Kanäle zu kommunizieren, scheint aufgegangen zu sein. Ähnliche Schlussfolgerungen legt auch der Evaluationsbericht nahe. Das Zentrum für Kulturforschung (ZfKf) und ICG Kulturplan haben die Kulturhauptstadt im Auftrag der RUHR.2010 GmbH evaluiert. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass das Kulturhauptstadtjahr für die Entwicklung der Metropole Ruhr wirksame Netzwerkstrukturen geschaffen hat, die als Basis für ein künftiges gemeinsames Handeln der Ruhrstädte in Kulturpolitik und Strukturentwicklung dienen können (ZfKF/ICG Kulturplan 2011: 64). Auch die Kriterien der EU wurden in der Evaluation begutachtet: In Bezug auf die Bürgerbeteiligung seien sowohl die Öffnung der Kultur und der Abbau von Barrieren als auch die Beteiligung von Freiwilligen gelungen (ebd.: 77). Die Bemühungen von RUHR.2010, die europäische Öffentlichkeit mit der Geschichte und Kultur der Stadt bzw. Region vertraut zu machen, werden positiv bewertet, ebenso die Förderung des Dialogs zwischen den europäischen Kulturen und den Kulturen in anderen Teilen der Welt (ebd.: 88ff.). Zusätzlich zu der eigenständigen Evaluation wurde die Kulturhauptstadt von einer externen Agentur im Auftrag der EU-Kommission evaluiert. Diese kommt zu dem Ergebnis: »It is clear there were significant misunderstandings over the regional […] dimensions of Essen for the Ruhr 2010. The fact that the ECoC was branded as ›Ruhr 2010‹ and other Ruhr cities promoted themselves as capital of culture in the early stages of implementation was not consistent with the legal basis for ECoC or with the understanding of the selection panel. Nevertheless, local stakeholders felt that this ›metropolitan‹ dimension was of great interest to the selection jury
32 | Vgl. zu den Befragungsergebnissen die Bevölkerungsbefragung Ende 2010 von ACADEMIC DATA im Auftrag der RUHR.2010 GmbH (RUHR.2010 GmbH 2011a) sowie die Besucherbefragung von Mai bis November 2010 durch RUHR.2010 GmbH in Zusammenarbeit mit dem RVR (RUHR 2010 GmbH 2011b).
Cultural Governance im Multiprojektmanagement
and was one of the main reasons behind the success of the original application.« (Rampton et al. 2010: 43)
Das Evaluationsteam bezeichnet die Vereinbarungen zwischen EU-Kommission und RUHR.2010 GmbH als Kompromiss und prophezeit, dass weitere Metropolregionen (z.B. Marseille/Provence im Jahr 2013) einen ähnlichen regionalen Ansatz wählen werden. Dies bedeute, dass dem Punkt ggf. mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden müsse, um weitere Missverständnisse zu verhindern (vgl. ebd.).33 In der Rückschau wird deutlich, dass die Menge und Qualität an Veranstaltungen nur durch die strategische Einbindung vielfältigster Partner realisiert werden konnte. Hätte RUHR.2010 nicht von Beginn an versucht, durch die Bildung von Verantwortungspartnerschaften stabile Netzwerke zu schaffen, hätten nicht 5.500 Veranstaltungen so erfolgreich realisiert werden können. Stets anknüpfend an die Tradition regionaler Kooperationen, konnten zahlreiche neue Netzwerke und Kooperationen gebildet werden. Die RUHR.2010 GmbH war in der Bildung dieser Netzwerke stets zentraler Akteur, Moderator und Vermittler. Sie initiierte, steuerte und trieb die Prozesse an, lieferte durch Programmatik und Vision ein einigendes Moment und vermochte als zentraler Akteur und Schnittstelle zwischen Politik, Wirtschaft und Kultur manches Problem zu lösen. Um den Titel »Kulturhauptstadt Europas« tatsächlich als Anstoß für regionale Entwicklung zu nutzen, mussten die angestoßenen Veränderungen und Prozesse nach dem Kulturhauptstadtjahr verstetigt werden. Die Nachhaltigkeit der Projekte ist ein Kriterium der Titelvergabe durch die Europäische Kommission. Mit der Abwicklung der RUHR.2010 GmbH bis Ende 2011 fällt spätestens ab 2012 der Moderator der begonnenen, regionalen Einigungs- und Kooperationsprozesse weg. Das vordringliche Ziel im Jahr 2011 war es daher, neue und dauerhafte Trägerstrukturen zu entwickeln. Ein wesentlicher Schritt war Anfang 2011 die Entscheidung der Verbandsversammlung des RVR, des Hauptgesellschafters der RUHR.2010 GmbH, die Umlage, die für die Kulturhauptstadt in Höhe von 2,4 Millionen EUR eingerichtet wurde, ab 2012 zu verstetigen. Das Ministerium 33 | Die Evaluation der Agentur Ecorys steht auf der Website der EU-Kommission als Download zur Verfügung (http://ec.europa.eu/culture/our-programmesand-actions/capitals/evaluation-commissioned-by-the-eu_en.htm).
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für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen entschied daraufhin im Rahmen einer Verabredung mit dem RVR, die gleiche Summe für die Verstetigung der Kulturhauptstadtprojekte und -netzwerke beizusteuern (vgl. MFJKS/RVR 2011). Der Transfer der auf Nachhaltigkeit angelegten Programmbausteine wurde danach gemeinsam von der RUHR.2010 GmbH mit dem RVR konzipiert und realisiert. Bei allen Überlegungen und Verhandlungen über den Transfer von Programmbausteinen galt es sicherzustellen, dass die künftigen Träger genügend Kulturkompetenz besitzen, um Projekte inhaltlich weiterentwickeln zu können sowie Nachfolgeprojekte zu konzipieren und mit hohem künstlerischen Anspruch durchzuführen. Am 5. Dezember 2011 übergab die RUHR.2010 GmbH ihr »Erbe« in die Hände des Regionalverbands Ruhr (RVR), der Kultur Ruhr GmbH, der Ruhr Tourismus GmbH und des European Centre for Creative Economy (ECCE). Diese stellen künftig die nachhaltige Entwicklung von Netzwerken und Projekten sicher, die im Jahr der Kulturhauptstadt angestoßen wurden (u.a. Ruhrkunstmuseen, Kulturkanal, Theater des Ruhrgebiets, MELEZ, »Starke Orte«, Ruhrlights, Soziokultur und Off-Szene). Die Kultur Ruhr GmbH übernimmt dabei die Kernaufgaben der RUHR.2010 und wird um die eigenständige Programmsäule »Künste im urbanen Raum« erweitert, um die Zusammenarbeit von Kultureinrichtungen zu unterstützen und Exzellenzprojekte zu initiieren. Die Ruhr Tourismus GmbH ist für die touristische Vermarktung der »Kulturmetropole Ruhr« verantwortlich und soll identitätsstiftende Großveranstaltungen durchführen. Die Förderung der Kreativwirtschaft soll durch ECCE gesichert werden. ECCE arbeitet dabei eng mit der Wirtschaftsförderung metropoleruhr GmbH (wmr) zusammen. Dem Regionalverband Ruhr wurde die Koordinierung der Entwicklung der Kultur in der Metropole Ruhr übertragen, der dafür eine Stabsstelle eingerichtet hat. Darüber hinaus wird der RVR ab 2012 jährlich eine programmatische »Kulturkonferenz Ruhr« zu aktuellen Fragen der regionalen Kulturpolitik veranstalten. Die Internationale Abteilung der RUHR.2010, die vor und während des Kulturhauptstadtjahres für den Ausbau und die Pflege internationaler Netzwerke verantwortlich war, wurde im Rahmen des Transfers nicht berücksichtigt. Diese Aufgabe werden die diversen Akteure künftig eigenständig ohne zentralen Ansprechpartner organisieren müssen. Netzwerke wie die Städtepartnerschaften im Rahmen des TWINS-Projekts, das European Creative Business Network unter maßgeblichem Mitwirken von ECCE oder das
Cultural Governance im Multiprojektmanagement
kulturpolitische Netzwerk Les Recontres werden allerdings weiter aktiv sein und auch den Akteuren der Metropole Ruhr eine wichtige internationale Plattform bieten.
4. F A ZIT Die Kulturhauptstadtinitiative bietet zahlreiche Möglichkeiten, die von der EU geforderten Zielvorgaben mittels der Konzepte »europäische Dimension« und »Stadt der Bürger« umzusetzen, von denen hier einige instruktive Beispiele aus der Praxis von RUHR.2010 erläutert worden sind. Nach dem Motto »Europa zu Gast« und »Zu Gast in Europa« konnte RUHR.2010 einerseits die multinationale Metropole Ruhr als Experimentierfeld für europäisches Zusammenleben präsentieren und fortentwickeln. Andererseits ist es RUHR.2010 gelungen, Gäste aus ganz Deutschland und Europa anzuziehen, die ihre Erlebnisse und Eindrücke vom Ruhrgebiet wiederum in die Welt transportieren. Beim Rückblick auf das Multiprojektmanagement der Kulturhauptstadt wird insbesondere die Bedeutung von Cultural Governance deutlich, die die regionalen, nationalen und internationalen Netzwerke im Sinne einer »aktivierenden Kulturpolitik« in Bewegung bringen kann. Internationale Netzwerke setzen solide regionale Netzwerke voraus. Auf der Basis regionaler Vernetzung kann eine großflächige internationale Vernetzung erfolgreich vorangetrieben, ausgebaut, intensiviert und verstetigt werden. Regionale wie internationale Netzwerke lassen sich zwar nur mit einem gewissen Aufwand etablieren und erhalten, bieten aber für Städte und Regionen große Potentiale. Die Kulturhauptstadtinitiative steht in einem besonderen Wechselspiel zwischen Regionalität und Internationalität, geht es doch um die Selbstvergewisserung einer Stadt/Region im internationalen Dialog, um die Identität eines Raumes und seiner Einwohner im globalen Kontext. Europäische Kulturhauptstädte veranschaulichen auf eindrückliche Weise die Historie europäischer Vernetzungen. Sie führen vor Augen, welche Geschichte eine Stadt erzählt; das ist nie eine rein nationale, sondern eine europäische Geschichte mit Einflüssen verschiedenster Religionen und Kulturen. Von den vielen Bezugspunkten einer gemeinsamen europäischen Identität lassen sich insbesondere die der ästhetischen Einheit (vor allem in Bezug auf Architektur und Kunst), der Erinnerungsgemeinschaft, der Wertegemeinschaft und der Kommunikationsgemeinschaft im Multiprojektma-
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nagement einer Kulturhauptstadt aufgreifen: Europa wird im »every day life« einer Stadt gebaut, organisiert, gelebt und kommuniziert. In der nationalen, regionalen und lokalen Kulturpolitik sollte die »europäische Dimension« daher stets mitgedacht werden, denn sie kann auch im kulturpolitischen Alltag vielfältige Optionen eröffnen und starke Potentiale mobilisieren.
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Arts Management Network – eine Domäne global denkender Kulturmanager Porträt einer Projektentwicklung Dirk Heinze
Als 1996 das erste deutschsprachige Portal für Kulturmanagement startete, gab es noch keine Intention, später einmal auch Vergleichbares in englischer Sprache für ein internationales Publikum anzubieten. Doch speziell das Fachgebiet Kulturmanagement ist so stark von internationalen Trends und Vernetzungen geprägt, dass der Schritt 1999 folgerichtig war. Erste Feedbacks aus Europa und den USA auf das deutsche Portal belegten eine Nachfrage nach internationalen Themen des Kulturmanagements. Allein die zahlreichen im Ausland tätigen Kulturmanager aus Deutschland haben häufig Interesse an Informationen aus ihrem Heimatland. Andererseits gibt es viele Kulturmanager, die an internationale Trends angeschlossen sein möchten – und müssen. Und so startete drei Jahre nach Gründung des deutschen Portals auf der Domain www.arts management.net eine eigene Plattform in englischer Sprache. Wie auch schon auf der deutschsprachigen Website war der Kontakt zu den Studiengängen der Nukleus für ein wachsendes Informationsnetzwerk. Ein internationales Verzeichnis für Aus- und Weiterbildungsangebote im Kulturmanagement gab es bis dahin nicht, weshalb hier ein Alleinstellungsmerkmal frühzeitig den Erfolg des Arts Management Network sicherte. Dan J. Martin, Professor für Kulturmanagement an der Carnegie Mellon University, war vor 12 Jahren auch amtierender Präsident des Ausbildungsnetzwerks AAAE (www.artsadministration.org). Er stellte sein umfangreiches Netzwerk zur Verfügung, um die Bekanntheit der ersten internationalen Kulturmanagement-Plattform zu erhöhen.
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Da vor allem an den internationalen Studiengängen aktiv publiziert wird, war es ein Leichtes, in einer weiteren Rubrik eine Datenbank einzurichten, die alle relevanten Publikationen zusammentrug. Viele dieser Autoren sind inzwischen regelmäßige Gastautoren des aktiven Netzwerks. Hinzu kommen die Kontakte zu Wissenschaftlern, Praktikern, Leitern von Kultureinrichtungen oder internationaler Verbände, die im Arts Management Network publizieren. Eine langfristige Perspektive für dieses wachsende Netzwerk, vor allem in einem internationalen Kontext, kann jedoch nur entstehen, wenn es gelingt, dahinter ein Unternehmen mit einer Geschäftstätigkeit aufzubauen. Es bedurfte Strategien, welche Dienstleistungen zu einer Internetplattform passen, die nur aus Informationen und Kontakten, aber nicht aus kommerziellen Produkten bestand. In der Zeit der dot.com-Krise war auch dieses Projekt vorgewarnt. Entscheidend war die Frage, ob es gelingen würde, seinen eigenen Platz in der beginnenden Wissensökonomie zu finden. Die Nähe zur Bauhaus-Universität Weimar brachte den entscheidenden Impuls. Das Projektteam bewarb sich erfolgreich für das Gründerprogramm EXIST SEED, gefördert vom Bundesforschungsministerium. In den folgenden 12 Monaten wurde intensiv ein umfangreicher Businessplan ausgearbeitet. Die Fördermittel flossen in wichtige Hardware, die uns den weiteren Zugang zu nationalen und internationalen Quellen und Netzwerk-Punkten sichern sollte, in ein Content-Management-System, zur Erleichterung der journalistischen Arbeit und Veröffentlichung der Inhalte, und in Weiterbildungsreisen, die nicht nur unseren Wissenshorizont, sondern auch unsere internationalen Kontakte erweitern und festigen sollten. Hier war uns vor allem klar, dass ein erfolgreiches Netzwerk permanente Informations-, Wissens- und Energiezuflüsse schaffen muss. Lernen für alle Netzwerkteilnehmer zu ermöglichen, ist also ein wesentlicher Bestandteil von Netzwerken und für deren Weiterentwicklung unerlässlich. Reisen führten uns u.a. in die USA, nach Kanada, Singapur und Australien. Hier kam uns das bereits engmaschige Netzwerk mit Kulturmanagern zugute, das durch die Etablierung des englischsprachigen Portals entstanden war. Von den Besten lernen, lautete die Devise – der fachliche und praktische Vorsprung im Kulturmanagement der besuchten Länder war z.T. beträchtlich. Allein die Nordamerikareise führte uns zu 18 Einrichtungen in 14 Tagen, darunter führende Studiengänge wie den an der Drexel Uni-
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versity in Philadelphia oder der Columbia University in New York, zum Kanadischen Kulturrat oder ins Kennedy Center for the Arts nach Washington. In Canberra nahmen wir 2002 am Kongress der australischen Kulturmanager teil. Dort sprach man bereits vom Post-Audience-Development, während man im deutschen Kulturbetrieb noch die Grundlagen des Kulturmarketings einzuführen suchte. Durch unsere gemeinsamen Auftritte waren mein Kollege Dirk Schütz und ich spätestens seit diesem Zeitpunkt in der globalen Community der Arts Manager nur noch als »The Two Dirks« bekannt. Diese Personalisierung ist für solch ein Portal ungemein hilfreich, da gerade im Internet ein großer Vorteil darin besteht, wenn einem Vernetzungsportal auch konkrete Personen zugeordnet werden können. Von den damaligen Besuchen, Gesprächen und Kontakten profitieren wir noch heute, was zudem einen enormen immateriellen Wert des Netzwerkes ausmacht. Wir lernten in Toronto u.a. Susan Annis kennen, die 2002 die Leitung des Cultural Human Resources Council übernahm. Nachdem wir bei einem zweiten Besuch in Toronto 2006 die Zwischenergebnisse ihrer Studie zum Personalmanagement im kanadischen Kulturbetrieb vorgestellt bekamen, luden wir sie im November 2010 zu unserer eigenen ersten Konferenz zu diesem Thema nach Deutschland ein. Darin stellte Susan Annis die Instrumente vor, von denen dank der Arbeit dieses einzigartigen Gremiums der ganze Kultursektor dieses Landes profitiert. Ein zweites Beispiel sind die Gespräche, die wir als offizielle Vertreter des Arts Management Network 2002 mit australischen Kulturmanagern führten. Wir trafen in Sydney Tess Dryza, die Direktorin des Beratungsunternehmens RipeOnline, die die Plattform fuel4arts (www.fuel4arts. com) gründete, die viele Jahre die führende Internetadresse für Kulturmarketing weltweit war. Kurz darauf kamen wir in Melbourne mit David Eedle zusammen, der damals vom australischen Kulturrat die Auftrag bekam, mit Artshub (www.artshub.com.au) ein Internetportal zu schaffen, dass die australischen Kulturschaffenden mit Informationen versorgt und darüber hinaus einen Stellenmarkt betreibt. Beide Begegnungen brachten wichtige Impulse für unser eigenes Unternehmen. Auch heute noch sind wir häufig unterwegs, besuchen internationale Konferenzen oder herausragende Kultureinrichtungen und treffen uns mit Experten vor Ort. Ein Beispiel dafür sind die jährlichen Netzwerktreffen, die uns auch in europäische Städte wie Brüssel, Riga oder nach Tallinn geführt haben. Persönliche Kontakte sind also ein unverzichtbarer Bestandteil einer internationalen
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Vernetzungstätigkeit. Ein Portal wie »Arts Management Network« kann nur bestehen, wenn es keine Adresse unter vielen ist, sondern spezifische Kompetenzen bündelt und zur Verfügung stellt. Während wir mit dem Arts Management Network seit vielen Jahren den internationalen Austausch pflegen, internationale Entwicklungen verfolgen und Trends für unsere internationalen und deutschsprachigen Leser aufspüren, hat sich auf Basis des deutschen Portals hierzulande ein Kultur-Unternehmen mit einer regen Geschäftstätigkeit entwickelt, das konsequent zum Zentrum aller Netzwerktätigkeiten ausgebaut wurde. Mit unserem Hauptsitz in Weimar und den Redaktionsbüros in Wien und Winterthur bilden wir quasi das WWW des Kulturmanagements ab. Eine der wichtigsten Grundlagen für funktionierende Netzwerke sind dementsprechend auch Knotenpunkte und Koordinationszentralen, die wir mitten in Zentren des kulturellen Lebens errichtet haben. Hier laufen nicht nur redaktionelle Prozesse zusammen, sondern unterhalten wir wichtige Kontaktpunkte für Leser, Kunden und Autoren, sind vor Ort näher an spannenden Entwicklungen dran und immer direkt ansprechbar. Zudem können wir durch den direkten persönlichen Kontakt die Netzwerke weiter ausbauen, festigen und persönliche Beziehungen pflegen. Redaktionelles Flaggschiff der Berichterstattung ist seit vielen Jahren das KM-Magazin mit monatlich wechselnden Schwerpunkten, die ein Kulturmanagement reflektieren sollen, das auch wichtige gesellschaftliche Entwicklungen aufgreift. So gehören nicht nur Fach- und Führungskräfte des öffentlichen und privaten Kulturbetriebs zu den Lesern, sondern auch Akteure an den Schnittstellen zwischen Kultur, Wirtschaft, Politik, Bildung und Medien. Die wichtigste Publikation von Arts Management Network war von Beginn an der Newsletter. Als Push-Medium gibt er nicht nur eine Orientierung über die wichtigsten Inhalte auf der Plattform, sondern hält auch den Kontakt zu den Lesern aufrecht. Derzeit hat er knapp 8.000 Abonnenten aus aller Welt, wovon etwa 40 Prozent aus Europa und ca. 30 Prozent aus Nordamerika kommen. Ende 2008 spendierten wir der Publikation ein Facelift, setzten stärker auf eigene Beiträge und wechselten auf eine zweimonatliche Erscheinungsweise. Wie auch zuvor auf der deutschsprachigen Plattform ging es uns darum, die Art der Berichterstattung zwischen dem Newsletter und dem Portal weiter auszudifferenzieren und die jeweiligen Vorteile des Mediums zu nutzen. Seither gehen wir im deutschen KM-Ma-
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gazin wie auch im Arts Management Newsletter stärker in die Tiefe, setzen Schwerpunkte, berichten über Hintergründe oder ordnen die Ergebnisse von Konferenzen ein. Auf den beiden Portalen lässt sich dafür schneller auf aktuelle Entwicklungen und Ereignisse reagieren. Die Beiträge sind meist kürzer und prägnanter. Außerdem bieten wir online eine Auswahl relevanter Meldungen anderer relevanter Internetplattformen wie z.B. dem Korea Arts Management Service, ArtsProfessional aus England oder dem Center for Arts Management and Technology. Somit wird eine Vielfalt der Kulturmanagement-Berichterstattung sichergestellt, die internationale Trends und Entwicklungen nicht einseitig, sondern aus verschiedenen Regionen und Kontexten aufgreift. Aus der Perspektive, welche Diskussionen beispielsweise 2002 in Australien oder in Kanada geführt wurden, zeigt sich die Bedeutung einer internationalen Plattform wie dem Arts Management Network. Sie ermöglicht einen Wissenstransfer, der sich zeitlich nicht auf eine einzelne Konferenz oder Weiterbildungsveranstaltung beschränkt. Die Schwierigkeit besteht nicht darin, an das zu publizierende Wissen zu kommen, sondern vielmehr in der Konzentration auf die für eine internationale Leserschaft relevanten Inhalte. Einem Anspruch, über jede Managemententwicklung – in jeder Sparte – in jeder Region auf dieser Welt zu berichten, würde man nie gerecht. Hinzu kommt: Was Kulturmanager beispielsweise auf nationaler Ebene noch intensiv beschäftigt, muss noch lange nicht bedeutsam für das Ausland sein. Viel wichtiger ist aber der Impuls, den der Erfahrungsaustausch bei der Bewältigung von Herausforderungen im eigenen Haus bringt, wenn man sich überregional oder gar global vernetzt. Hier versuchen wir auch durch Umfragen unter unseren Lesern, Interessen, Bedarfe und Erwartungen an eine solche Plattform gezielt zu erfahren. Arts Management Network birgt noch viele Entfaltungsmöglichkeiten. Das Ende ist noch längst nicht geschrieben. Und so ist es wichtig, dass man als lebendiges Netzwerk selbst immer wieder Anreize zum Lernen und zum bewussten strategischen Weiterentwickeln im Rahmen aktueller Veränderungsprozesse schafft. So denken wir das KulturmanagementNetwork täglich weiter und erfinden uns immer wieder neu, was der derzeitige Prozess zur Entwicklung einer neuen Corporate Identity und zum Relaunch der bestehenden Online-Portale zeigt. Allein der Siegeszug der sozialen Netzwerke hat dem eigenen Netzwerk zusätzliche Verbreitung,
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direkte Kontakte zu Kulturmanagern und damit weitere Wissenskanäle beschert. Auch die neuen Geschäftsbereiche wie die Tagungsreihe KM Konkret zum Personalmanagement, die Weiterbildungsangebote wie das beliebte Webinar kmtreff oder der neue Service KM-Apps für mobile Internetanwendungen unterstreicht dies eindrucksvoll. Blickt man auf die Anfänge vor 15 Jahren, gibt es einen roten Faden: Es ist eine Domäne global denkender Kulturmanager geblieben.
O NLINEQUELLEN www.artsmanagement.net www.kulturmanagement.net
Kommentierter Serviceteil
Aufgrund der Vielzahl der Adressen und Informationsmöglichkeiten rund um das Thema »Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit« haben sich Herausgeber und Verlag entschlossen, den kommentierten Serviceteil in Form einer Weblinksammlung anzulegen, die eine sinnvolle Auswahl umfasst. Der Leser soll die Möglichkeit haben, zu grundsätzlichen Themen des Bandes Übersichtsmöglichkeiten zu erhalten und komprimierte Hinweise zu weiterführenden Informationen zu finden. Es kann keine Garantie für die Erreichbarkeit der Webseiten gegeben werden, obgleich alle Seiten bei Redaktionsschluss erreichbar und einsehbar waren. EUNIC Kooperationen Im EUNIC Verband haben sich europäisch-nationale Kulturinstitute zu einem Verbund zusammengeschlossen. In den einzelnen Instituten arbeiten kompetente Ansprechpartner, die auch deutschlandweit Auskunft geben können über die jeweiligen Schwerpunkte der nationalen Kulturarbeit und über mögliche Kooperationsschwerpunkte ihrer Länder. Denken Sie bei konkreten Projektkooperationen über eine sinnvolle Kooperation mit dem jeweils ausgewählten Land nach und informieren Sie sich über die besonderen Schwerpunkte und Programme der einzelnen Kulturinstitute. EUNIC – Die europäischen Kulturinstitute in Berlin (Verzeichnis der aktuellen Kontaktadressen, Daten und Links auf der Seite vorhanden): Website: http://eunic-berlin.eu/de/kontakt.html Website international: www.eunic-online.eu/
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Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit
Kulturinstitute und Kulturstiftungen Eine repräsentative Übersicht auf deutsche Kultur- und Kunststiftungen mit aktualisierten Daten finden Sie unter folgender Internetadresse. Hierbei gilt es auf die Prämissen der jeweiligen Stiftungen genau zu achten. Was wird gefördert? In welchem Kontext? Welche Kooperationspartner werden gewünscht? Welche Themen und Sparten stehen im Zentrum? Lesen Sie hierzu genau die Selbstbeschreibungen der Stiftungen und Verbände etc. Website: www.kunstfinder.de/kultur/kultur-institute-stiftungen.htm Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) bietet eine sehr gute Plattform für den internationalen Austausch aktueller künstlerischer und kulturpolitischer Positionen (zudem besteht ein Stipendienprogramm zum Thema »Kultur und Außenpolitik« und das sehr gute Publikationsprogramm »Kulturreport«): Website: www.ifa.de Mit 149 Instituten weltweit und 10 Verbindungsbüros in 92 Ländern zählt das Goethe-Institut zu den wichtigen deutschen Akteuren der internationalen Kulturarbeit mit vielen Projekten und Kooperationsmöglichkeiten: Website: www.goethe.de/ins/deindex.htm Offen für internationale, qualitative hochwertige Kooperationsprojekte ist auch die Robert Bosch Stiftung, die ein klares europäisches Profil besitzt: Website: www.bosch-stiftung.de Kulturförderung in der Schweiz Eine große Auswahl aktueller Ausschreibungen und Fördermöglichkeiten im Bereich Kunst und Kultur in der Schweiz finden Sie unter der folgenden Internetadresse: Website: www.kulturfoerderung.ch Eine besondere Rolle innerhalb der internationalen Kulturarbeit der Schweiz spielt die Pro Helvetia Stiftung, die sich auf innovative Art und Weise um neue internationale Kooperationskonzepte bemüht: Website: www.prohelvetia.ch
Kommentierter Serviceteil
Kulturaustausch und Kulturkontakte in Österreich Wichtige Informationen zur Kulturszene in Österreich sowie zur Kulturförderung mit ständig aktualisierten Daten finden Sie unter folgender Internetadresse: Website: www.kulturkontakt.or.at/ Workshops, Beratungen und Fortbildungen im Bereich Kulturmanagement werden in Wien vom »Institut für Kulturkonzepte« angeboten: Website: www.kulturkonzepte.at In Österreich zeigt auch die ERSTE Stiftung ein klares europäisches und internationales Profil in der Kulturarbeit: Website: www.erstestiftung.org/ Europäische Kulturförderungsberatung in Deutschland Eine der wichtigsten Auskunftsstellen für Antragsstellungen und Kulturprojekte im Kontext der Europäischen Union mit ständig aktualisierten Daten und Beratungsangeboten finden Sie beim Cultural Contact Point Germany – Nationale Kontaktstelle für die Kulturförderung der EU: Website: www.ccp-deutschland.de Aktuelle und relevante Informationen zum Bewerbungsverfahren und zu Hilfen bei der Projektantragstellung innerhalb des Kulturprogramms der Europäischen Union bietet der Cultural Contact Point Germany unter folgendem Link an: Website: www.ccp-deutschland.de/kultur-programmdereu.html Wichtige Förderprogramme für laufende Kultur- und Kreativprojekte im Rahmen der Europäischen Union Informationen zu laufenden Kultur- und Medienförderprogrammen finden Sie hier: Kultur 2007-2013, Programm- und Antragsleitfaden: Website: http://eacea.ec.europa.eu/culture/programme/ programme_guide_de.php Media 2007, Medien- und Kulturprojekte: Website: www.mediadesk.de/index.php
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Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit
Informationen zum neuen Kulturförderprogramm »Creative Europe 20142020« finden Sie hier: Website: http://ec.europa.eu/culture/creative-europe/index_en.htm (engl.) Website: www.ccp-deutschland.de/nach2013.html (dt.) Weitere Internetadressen und Infoportale zur Kulturarbeit, Kulturförderung (auch im Bereich der Strukturfonds) in Europa Website: http://ec.europa.eu/dgs/education_culture/index_de.htm Website: http://ec.europa.eu/culture/index_en.htm Website: www.kultur-kreativ-wirtschaft.de/ Website: www.europa-foerdert-kultur.info/ Website: www.kultur-macht-europa.eu/ Website: www.bmukk.gv.at/europa/eukultur/kulturagenda.xml Website: www.europaeische-kulturstiftung.eu/ Website: www.enterprise-europe-network.ec.europa.eu Website: http://europa.eu/legislation_summaries/employment_and_social_ policy/job_creation_measures/l60015_de.htm Website: www.eucreativeindustries.eu/ Website: www.mwk.niedersachsen.de/portal/live.php?navigation_id=6307& article_id=18720&_psmand=19 Website: www.artsmanagement.net Datensammlungen zur Kulturarbeit in Europa Kulturbezogene Daten aus europäischen Erhebungen und Datensammlungen finden Sie hier: Website: http://epp.eurostat.ec.europa.eu/portal/page/portal/culture/ introduction Daten zu kulturpolitisch relevanten Entwicklungen in Europa finden Sie auf dieser Seite: Website: www.culturalpolicies.net/web/index.php Kulturbezogene Daten zu Best-Practice-Beispielen aus Regionen und lokalen Initiativen: Website: www.europeanalocal.de/
Kommentierter Serviceteil
Allgemeine Informationen zur EU und zu Länderdaten: Website: www.bpb.de/shop/buecher/pocket/34345/europa-eu-begriffe-undlaenderdaten Daten- und Informationssammlung zu Arbeits- und Fördermöglichkeiten für Künstler im In- und Ausland: Website: http://igbk.de/addresses.php?pgid=48&lang=de Daten und Informationen zur Entwicklung der Kulturwirtschaft in Deutschland, Österreich und der Schweiz Website: www.kulturwirtschaft.de/ (Deutschland) Website: www.kulturwirtschaft.ch (Schweiz) Website: www.creativwirtschaft.at/ (Österreich) Referenzvernetzungsprojekte im Bereich Kultur in Europa (Auswahl) Netzwerk für Literatur und Übersetzung auf europäischer Ebene: Website: www.halma-network.eu/ Zentrales Netzwerk für internationale Stipendienhäuser: Website: www.transartists.org/ Künstlerinitiative aus Athen mit dem Fokus auf transmedialer Zusammenarbeit in Europa: Website: www.medeaelectronique.com/ Private deutsche Initiative zur europäischen Künstlervernetzung: Website: www.europeanartists-ev.de/ Jährliche Kufsteiner Summer School for International Arts Management in Epidavros/Griechenland (Ankündigung auf der Website ab November jeden Jahres): Website: www.fh-kufstein.ac.at Europäische Kulturmanagementnetzwerke Führendes europäisches Netzwerk für Kulturmanagementausbildung: www.encatc.org/pages/index.php
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Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit
Informationsseite der EU Community des DAAD für Studierende: http://eu.daad.de/eu/eu-community/09286.html Programm der Robert Bosch Stiftung für Kulturmanager in Mittel- und Osteuropa: Website: http://kulturmanager.bosch-stiftung.de/content/language1/html/ index.asp Gute Übersicht auf Präsenzprojekte deutscher Kultur im internationalen Kontext mit hervorragender Linksammlung zur internationalen Kulturarbeit: Website: www.deutsche-kultur-international.de/de/themen/kunst/bildendekunst.html Paneuropäische und internationale Kunst- und Kulturnetzwerke Linksammlung zu verschiedenen medialen, künstlerischen und politischen Spezialbereichen europäischer Kulturarbeit: Website: Europäisches Magazin Café Babel – www.cafebabel.de/ Website: Mehrsprachige europäische Presseschau – www.eurotopics.net/de/ home/presseschau/aktuell.html Website: EUCLID Network – Third sector leaders – www.euclidnetwork.eu/ pubb/index.php Website: Culture Action Europe – www.cultureactioneurope.org Website: Europa Nostra – www.europanostra.org Website: Interarts – www.interarts.net Website: TransEuropeHalles – www.teh.net Website: Arts and Education Network – www.artsed.net Website: UNESCO Culturelink – www.culturelink.org Website: Eurolink Age – Older People and the Arts – www.eurolinkage.org Website: Europe Jazz Network – www.europejazz.net Website: European Council of Artists – www.eca.dk Website: European Institute of Cultural Routes – www.culture-routes.lu Website: European Institute for the Media – www.eim.org Website: European League of Institutes of the Arts – www.elia-artschools. org Website: European Network of Cultural Centres – www.encc.eu Website: European Research Institute for Comparative Cultural Policy and the Arts (ERICARTS) – www.ericarts.org
Kommentierter Serviceteil
Website: European Theatre Convention – www.etc-cte.org Website: International Arts Bureau – www.international-arts.org Website: International Network for Contemporary Performing Arts (IETM) – www.ietm.org Website: International Confederation of Societies of authors and Composers – www.cisac.org Website: International Council on Archives – www.ica.org Website: International Council on Museums – www.icom.org Website: International Council on Monuments and Sites – icomos.org Website: International Federation for Choral Music – www.choralnet.org Website: International Music Centre – www.imz.at Website: International Society for the Performing Arts – www.ispa.org Website: Mediacult – www.mediacult.at/en/main.html Website: The Performing Arts Traveller’s Toolkit – www.on-the-move.org Website: Organisation of World Heritage Sites – www.ovpm.org Website: Walled Towns Friendship Circle – www.walledtowns.com Website: Boekman Stichting, Amsterdam – www.Boekman.nl Website: Österreichische Kulturdokumentation, Internationales Archiv für Kulturanalysen – www.kulturdokumentation.org Website: Zentrum für Kulturforschung – www.kulturforschung.de Website: Creative Clusters – www.creativeclusters.co.uk Website: CEREC – www.cerec-network.org Europäische Initiativen zur Regionenförderung mit Optionen auf Kulturarbeit Europäisches Netzwerk für Forschung und Innovation in der europäischen Regionalentwicklung: Website: www.errin.eu/en/ Unabhängige Non-Profit-Plattform für Innovationen in Europa: Website: www.knowledge4innovation.eu/ Netzwerk für die Entwicklung europäischer Metropolen: Website: www.eurometrex.org/ Auflistung der Euroregionen im europäischen Raum mit weiterführenden Adressen: Website: www.euregio.nrw.de/german/links.html
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Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit
Europäische Sonderbereiche für kulturelle Synergieprojekte Europäische Sportförderung mit Option auf kulturelle Synergien: Website: http://ec.europa.eu/sport/index_de.htm Europäische Integrationsarbeit mit Option auf kulturelle Projekte, sehr gute Basisdokumentation zur Situation von Migration und Integration in Europa: Website: www.bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/56571/ integrationspolitik-der-eu?p=all Informationen zur interkulturellen Kulturarbeit: Website: www.bpb.de/publikationen/KY6K9Z,0,0,Interkulturelle_ Kulturarbeit.html Team Europe und Europe Direct Zentren Das Team Europe ist ein Referententeam aus Fachexperten, u.a. auch Experten für Fragen zu Jugend, Kultur und Bildung im Kontext der Europaarbeit, die für spezifische Vorträge und Infoveranstaltungen angefragt werden können: Website: http://ec.europa.eu/deutschland/service/on_spot/team_europe/ index_de.htm Für allgemeine Fragen zu Möglichkeiten der Rechte und Fördermöglichkeiten von Bürgern innerhalb der EU stehen Experten in den Europe Direct Zentren zur Verfügung: Website: http://europa.eu/europedirect/index_de.htm Weitere Informationen Für weitere Informationen zum Thema »Europäische Kulturarbeit« können Sie gern auch den Herausgeber und sein Fachkollegenteam kontaktieren: Ansprechpartner: Prof. Dr. Gernot Wolfram Mail: [email protected]
Autorenbiografien
Föhl, Patrick S. Dr. phil. Seit 2005 Leiter des Netzwerk für Kulturberatung, Berlin, und seit 2006 Leiter der Forschungsgruppe »Regional Governance im Kulturbereich« (Studiengang Kulturarbeit FH Potsdam); seit 2006 Durchführung zahlreicher kommunaler und regionaler Kulturentwicklungsplanungen. Diverse Publikationen zur Kulturmanagement-Forschung. Geilert, Gisela. Kulturmanagerin. Projektmanagerin bei der RUHR 2010. GmbH und dem European Center for Creative Economy. Arbeitsschwerpunkte: Kreativwirtschaft in Europa; Multiprojektmanagement. Heinze, Dirk. 1996 Gründung der ersten deutschen Online-Plattform für das Thema Kulturmanagement. Inzwischen gehört das Portal zu den führenden Informationsnetzwerken für Kulturmanager weltweit. Initiator, gemeinsam mit Dirk Schütz, des internationalen Art Management Networks. Kaiser, Sebastian. Dr. sportwiss. Professor für Sportmanagement an der SRH Hochschule Heidelberg. Herausgeber der Zeitschrift »Sportwissenschaft« (Geistes-/Sozialwissenschaftlicher Bereich) und Mitbegründer der »Kufstein Summer School for Arts Management« (Epidavros/Griechenland). Arbeitsschwerpunkte: Sportökonomie, Synergien im Sport- und Kulturbereich, Sportmanagement. Kaspar, Robert. Dr. phil. Professor für Event- und Sportmanagement. Studiengangleiter »Sport-, Kultur- und Veranstaltungsmanagement« an der FH Kufstein, Tirol. Ehemaliger Geschäftsführer der Salzburger Olympia-
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Kulturmanagement und Europäische Kulturarbeit
Gesellschaft. Arbeitsschwerpunkte: Destinationsmanagement, Nachhaltigkeit von Events. Klein, Armin. Dr. phil. Professor für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Arbeitsschwerpunkte: Kulturmarketing, Kulturpolitik, Kultur und Tourismus, Kulturanthropologie, Organisationstheorie und Theatermanagement. Mandel, Birgit. Prof. Dr. habil. Leitung des Bereichs Kulturmanagement und Kulturvermittlung im Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim; Forschungsprojekte in den Bereichen Audience Development, Kultur-PR und Kulturmarketing, Kultur und Arbeitsmarkt, Theorie des Kulturmanagements. Vorstandsmitglied des Fachverbandes für Kulturmanagement in Forschung und Lehre. Mayr, Walter J. Prof. KommR. Präsident der Euregio Inntal. Forschungsund Bildungspolitiker in Tirol, Österreich. Zahlreiche Projekte und Initiativen zur Förderung des europäischen Kulturaustausches in der Region Inntal. Scheytt, Oliver. Dr. jur. Professor für Kulturpolitik und kulturelle Infrastruktur an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg. Er war Geschäftsführer der RUHR 2010.GmbH. Seit 1997 ist er Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. in Bonn, seit 2002 Mitglied des Beirates der Bundeskulturstiftung, seit 2004 Mitglied des Kulturausschusses der Deutschen UNESCO-Kommission. Gründer der Personalberatung »Kulturexperten. Dr. Scheytt GmbH«. Schindhelm, Michael. Kulturmanager, Kulturberater, Autor und Intendant. Zahlreiche Intendanzstellen an verschiedenen Theatern. Ehemaliger Generaldirektor der Stiftung Oper in Berlin. 2008-2009 Kulturdirektor der Dubai Culture and Arts Authority. Zahlreiche Beraterprojekte im internationalen Raum. Sievers, Norbert. Dr. phil. Dipl. Soziologe. Geschäftsführer der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. Inhaltliche Schwerpunkte: Allgemeine Kulturpolitik, Soziokultur, Kulturförderung.
Autorenbiografien
Teissl, Verena. Dr. phil. Professorin für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der FH Kufstein, Tirol. Langjährige Projektleiterin, Programmabteilung des Filmfestivals »Viennale« (Österreich). Arbeitsschwerpunkte: Globalisierung im internationalen Austausch, Veranstaltungskonzeption im Kulturmanagement. Vakianis, Artemis. Dr. phil. Kaufmännische Direktorin des Festivals »steirischer herbst« in Graz. Expertin für alternative Finanzierungsmodelle im Kulturmanagement. Lehrbeauftragte an der FH Kufstein, Tirol. Weiskopf, Walter. Magister (FH). Seit 2005 Geschäftsführer der »Euregio Inntal« mit Sitz in Kufstein und Kontaktstelle in Rosenheim (D). Er ist u.a. Mitglied im Begleitausschuss, dem obersten Entscheidungsgremium des EU-Förderprogramms »INTERREG Deutschland/Bayern-Österreich 2007-2013« und ist in der Projektleitung verschiedenster EU-Projekte tätig. Wingert, Christine. Kulturwissenschaftlerin M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. und dort Leiterin der Kontaktstelle Deutschland »Europa für Bürgerinnen und Bürger«. Inhaltliche Schwerpunkte: Europäische Kulturpolitik und -förderung, Regionalentwicklung, bürgerschaftliches Engagement. Wolfram, Gernot. Dr. phil. Autor, Publizist, Professor für Medien- und Kulturmanagement an der MHMK Hochschule für Medien und Kommunikation Berlin und externer Professor für Kulturwissenschaften an der FH Kufstein, Tirol. Fachexperte für »Kulturarbeit, Integration und Interkulturelle Kommunikation« im Team Europe der Europäischen Kommission in Deutschland. Mitbegründer der Kufstein Summerschool for Arts Management (Epidavros/Griechenland).
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Schriften zum Kulturund Museumsmanagement Barbara Alder, Barbara den Brok Die perfekte Ausstellung Ein Praxisleitfaden zum Projektmanagement von Ausstellungen August 2012, 264 Seiten, kart., zahlr. Abb., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1489-3
Patrick S. Föhl, Patrick Glogner Kulturmanagement als Wissenschaft Überblick – Methoden – Arbeitsweisen. Einführung für Studium und Praxis Dezember 2012, ca. 150 Seiten, kart., ca. 13,80 €, ISBN 978-3-8376-1164-9
Andrea Hausmann (Hg.) Handbuch Kunstmarkt Akteure, Management und Vermittlung Februar 2014, ca. 450 Seiten, kart., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2297-3
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kulturund Museumsmanagement Carl Christian Müller, Michael Truckenbrodt Handbuch Urheberrecht im Museum Praxiswissen für Museen, Ausstellungen, Sammlungen und Archive März 2013, ca. 200 Seiten, kart., ca. 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1291-2
Andrea Rohrberg, Alexander Schug Die Ideenmacher Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ein Praxis-Guide 2010, 256 Seiten, kart., zahlr. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1390-2
Christiane Schrübbers (Hg.) Moderieren im Museum Ein Leitfaden für dialogische Besucherführungen März 2013, ca. 250 Seiten, kart., ca. 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2161-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Schriften zum Kulturund Museumsmanagement Joachim Baur (Hg.) Museumsanalyse Methoden und Konturen eines neuen Forschungsfeldes
Yvonne Leonard (Hg.) Kindermuseen Strategien und Methoden eines aktuellen Museumstyps
2010, 292 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-89942-814-8
Oktober 2012, 272 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-2078-8
Claudia Gemmeke, Franziska Nentwig (Hg.) Die Stadt und ihr Gedächtnis Zur Zukunft der Stadtmuseen 2011, 172 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 20,80 €, ISBN 978-3-8376-1597-5
Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.) Das partizipative Museum Zwischen Teilhabe und User Generated Content. Neue Anforderungen an kulturhistorische Ausstellungen Juni 2012, 304 Seiten, kart., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1726-9
Hartmut John, Hans-Helmut Schild, Katrin Hieke (Hg.) Museen und Tourismus Wie man Tourismusmarketing wirkungsvoll in die Museumsarbeit integriert. Ein Handbuch 2010, 238 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1126-7
Peter Leimgruber, Hartmut John Museumsshop-Management Einnahmen, Marketing und kulturelle Vermittlung wirkungsvoll steuern. Ein Praxis-Guide 2011, 348 Seiten, kart., inkl. Begleit-CD-ROM, 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1296-7
Martina Padberg, Martin Schmidt (Hg.) Die Magie der Geschichte Geschichtskultur und Museum (Schriften des Bundesverbands freiberuflicher Kulturwissenschaftler, Band 3) 2010, 208 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 23,80 €, ISBN 978-3-8376-1101-4
Hans Scheurer, Ralf Spiller (Hg.) Kultur 2.0 Neue Web-Strategien für das Kulturmanagement im Zeitalter von Social Media 2010, 320 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1352-0
Petra Schneidewind, Martin Tröndle (Hg.) Selbstmanagement im Musikbetrieb Ein Handbuch für Kulturschaffende (2., komplett überarbeitete Auflage) April 2012, 384 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1660-6
Martin Tröndle (Hg.) Das Konzert Neue Aufführungskonzepte für eine klassische Form (2., erweiterte Auflage) 2011, 402 Seiten, kart., zahlr. Abb., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1617-0
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