Hermann-Hesse-Jahrbuch: Band 1 [2004] 9783484605466


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Hermann-Hesse-Jahrbuch: Band 1 [2004]
 9783484605466

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Mauro Ponzi

Hermann Hesses Umgang mit dem Fremden1 Das Anderssein Hermann Hesses ist weniger die Neigung eines Sonderlings als vielmehr die Einstellung eines Individuums, die dann zum weltanschaulichen Programm wird. Seine Bildung ist eine besondere gewesen: er ist aus der vorgeschriebenen Bahn geschritten, dennoch hat er von dem strengen religiösen Glauben seiner Eltern und von der Einstellung seines Großvaters zur fernöstlichen Kultur etwas Wesentliches übernommen. Er geht seinen eigenen Weg, in dessen Mittelpunkt die Begegnung mit dem Fremden steht. Und was eigentlich seine Erzählprosa charakterisiert, ist eben dieser Umgang mit der Alterität, die niemals als etwas Feindliches dargestellt wird. Die Ferne, das Anderswo, das Fremde werden in seinen Werken als Ort der Begegnung mit einer freundlichen Menschheit, mit dem Respekt für die anderen Kulturen, den er von Hermann Gundert gelernt hatte, geschildert. Er markiert eine entscheidende Differenz zwischen seiner Art und Weise, mit dem Fremden umzugehen, und der Einstellung des englischen Kolonialismus und des deutschen Nationalismus, welche die Geschichte der Jahrhundertwende gekennzeichnet haben. Hesses kulturelle Einstellung, jeden Überlegenheitskomplex beiseite zu legen, ist so radikal und so unverändert sein Leben lang geblieben. In diesem Bereich ist sein Eigensinn kompromisslos gewesen. Die Radikalität der Entscheidungen, zu denen die Hauptfiguren (und in vermittelter Form die Leser) kommen müssen, ist der Kern seiner Romane und Erzählungen. Dadurch wurde er selber zu einem Fremden in seiner eigenen Kultur, in seinem eigenen Land, weil seine Bejahung des Lebens und der Vielfältigkeit der Lebenserfahrungen für ewig gehaltene Modelle in Frage stellt: Sie setzt die Selbstvorstellung der abendländischen Kultur aufs Spiel. Sein eigener Weg führt weit weg von den Gemeinplätzen seiner zeitgenössischen Kultur, die das Eigene verherrlichte und das Fremde – mit den heute bedrohlich wiederkehrenden Tönen – verteufelte. Jene kriegerischen Töne, die Hesse und Rolland 1914 vermeiden wollten, sind heute – fast 90 Jahre später – wieder in Mode gekommen. Man hört heutzutage Argumente wie «präventiver Krieg» und «Zivilisationsschlacht», die den Stand der Dinge hundert Jahre zurück bringen – als ob ein Jahrhundert der menschlichen Geschichte mit seinen Ereignissen und seinen gescheiterten und überwundenen Theorien nicht vorübergegangen wäre. 1

Dieser Aufsatz ist eine erweiterte und überarbeitete Fassung eines in der internationalen Fachkonferenz Hermann Hesse und die Modernisierung in Mainz Oktober 2002 gehaltenen Vortrags. Die Akten der Konferenz sind beim Suhrkamp Verlag mit dem Titel Hermann Hesse und die literarische Moderne, hrsg. von A. Solbach, im Frühjahr 2004 erschienen.

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Das deutsche Reich wurde in der wilhelminischen Zeit mit autoritären Prinzipien aufgebaut. Der Konsens der in Interessenverbänden organisierten Massen der Bauern, Beamten und Veteranen für den Aufbau und die Verteidigung des Kaisertums wurde durch das Schreckbild der «Feinde des Reichs», das sowohl die Fremden als auch jegliche innere Opposition verteufelte, erreicht. Sowohl die autoritäre und «bonapartistische» Politik als auch die Diskriminierung des «Anderen» zugunsten der «Rassenzugehörigkeit» gründeten auf einem «Sozialdarwinismus», der die Herrschaft des «Stärkeren» über den «Schwachen» theoretisch, moralisch und politisch legitimierte. Eine solche Theorie führte zur Legitimierung nicht nur der kolonialen Expansionspolitik über die «unteren Rassen», sondern auch der Überlegenheit der regierenden Schichten (Unternehmer und Großgutbesitzer) über die Bevölkerung. Der Alldeutsche Verband verwendete diese Theorie und verbarg hinter seinem Begriff von «Volk» als organische Einheit eine innere halbdiktatorische Politik. In dieser Zeit können wir – vielleicht zum ersten Mal in der Geschichte – die Organisation der bäuerlichen und kleinbürgerlichen Massen in Verbänden mit politischen Zwecken feststellen, die eigentlich durch die Propaganda von Nationalismus und Verteidigung der Rasse spezifische wirtschaftliche Interesse fördern, welche gegen die eigenen Interessen (bzw. denen der damit organisierten Massen) wirken. Historisch gesehen ist nämlich vollkommen klar, daß die Wirtschaftspolitik der Unternehmer und der Großgrundbesitzer Bauern, Angestellten und Beamten, die mit ihren Verbänden diese Politik unterstützten, schadete. Bismarcks politisches Meisterwerk bestand darin, die Massen durch eine geschickte Propaganda für eine Wirtschaftspolitik zu organisieren und mobil zu machen, für deren Verwirklichung sie sich ins eigene Fleisch schneiden müssten und wofür sie nur deutschnationale Parolen zum Tausch bekamen. Die «Mobilmachung der militaristischen kleinbürgerlichen Besinnungen» ereignete sich im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts durch eine Kulturkampagne mit dem Ziel, die nationalen Werte gegen die Bedrohung der inneren Dekadenz oder gegen die angeblichen Angriffe der «Nachbarn» um jeden Preis zu verteidigen. Die Hauptvertreter dieser Bestätigung der nationalen Werte waren paradoxerweise eben die Intellektuellen: Professoren, Journalisten, Schriftsteller. Und gerade die alten Philologen und die Historiker der Antike lieferten – eigentlich wenig philologisch und unhistorisch – eine Interpretation, nach der der Humanismus des alten Roms und das römische Kaisertum mit dem zeitgenössischen Deutschland verglichen wurde und die römische «Tugend» mit der deutschen identifiziert wurde. So wurde eine Expansion des deutschen Reiches gewünscht, um in Europa eine pax germanica nach dem Muster der pax romana einzufügen2. Dieses kulturelle Klima von Inter2

Wie Hans-Ulrich Wehler, teilweise auf Rosenberg hinweisend, schreibt: «Die Verbände der Produktionsinteressen bevorzugten eine autoritäre Politik und stützten ein politisches System, das geradezu durch einen antidemokratischen Pluralismus gekennzeichnet blieb. Das gilt erst für die großen politisch-agitatorischen Massenverbände der Rechten, wie

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vention, diese selbstverherrlichende und angreifende Einstellung, die nicht nur die «Feinde» sondern auch die «Fremden» und sogar jede innere Opposition als «Landesverrat», jeden Zweifel als «Anschlag gegen die Nation» verteufelte und verurteilte, diese Mobilmachung aller politischen Kräfte, die auch die Intelligenz betraf und die nach historischen und kulturellen Motivationen suchte, um den «präventiven Krieg» zu legitimieren, wurde von den Geschichtsschreibern als «Geist von 1914» bezeichnet. Nietzsche war übrigens einer der ersten, der das deutsche Bildungssystem der Wilhelminischen Zeit gründlich kritisiert hatte – und er war vielleicht in der akademischen Welt vielmehr wegen dieser seiner Kritiken als wegen seiner nihilistischen Philosophie unbeliebt. Er hielt 1872 in der Basler Akademie-Gesellschaft fünf Vorträge, die dann mit dem Titel Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten veröffentlicht wurden. Die Vorträge sind als Dialoge strukturiert. Nietzsche stellt einen fiktiven Dialog zwischen einem Philosophen (hinter dem man die Figur von Schopenhauer erkennen kann) und zwei Studenten (von denen einer Nietzsche selbst ist) dar. Indem Hesse die dialogische Form weiter verwendet, weist er nicht nur auf sein explizites Muster Also sprach Zarathustra, sondern auch auf diese Vorträge hin, die ihn sowohl im Hinblick auf seine Kritik an den Bildungsanstalten als auch im Hinblick auf die Neubewertung der «Lebenserfahrungen» und der «Erlesenen» stark beeinflußt haben. Man kann eine solche aristokratische Auffassung der Kultur besser begreifen, wenn man den «defensiven» Charakter der Grundpositionen von Nietzsche in Betracht zieht: er wollte nämlich die «klassische» Kultur vor dem Verfall der Moderne verteidigen und schützen – es sei beiläufig erinnert, daß er Die Geburt der Tragödie bereits veröffentlicht hatte und daß er in Basel Professor für Klassische Philologie war. Seine Gegenüberstellung von Kultur der Elite und Kultur der Massen muß auf dem Hintergrund einer Vision des zeitgenössischen Zustands als Katastrophenstätte, als Verteidigung der «wahren» Kultur der Antike vor der Bedrohung des selbstbezeichnenden deutsch-nationalen Humanismus interpretiert werden. Sein Buch über die griechische Tragödie wurde nämlich von Wilamowitz, d.h. von einem Vertreter einer apollinischen Auffassung der Antike und einer Symmetrie zwischen den Werten der griechisch-römischen Welt und den Werten des deutschnationalen Geistes, welchen Nietzsche abwertend wiederholt «staatlich» nennt, derart vernichtet und kritisiert: «Es muß also eine eigne Bewandtnis haben, sowohl mit jener Staatstendenz, welche auf alle Weise hier ,Bildung‘ heißt fördert, Flotten-, Wehr- und Kolonialverein. [...] Personell und oft auch institutionell (durch korporative Mitgliedschaft) waren die auf Massenwirkung zielenden Agitationsvereine von Anfang an mit den Wirtschaftsverbänden liiert. Ihr Schwergewicht lag freilich auf der Durchsetzung politischer Ziele: auf der Mobilisierung plebiszitärer Zustimmung für bestimmte Entscheidungen der Reichspolitik auch außerhalb der Wahlkämpfe» (H.-U. Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871–1918, Göttingen 1973, S. 90 u. 92). Die Ideologie des Völkischen verwirklichte sich dadurch in einer autoritären klassengeteilten Staats- und Gesellschaftsstruktur.

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als mit jener derartig geförderte Kultur, die sich dieser Staatstendenz unterordnet. Mit dem echten deutschen Geiste und einer aus ihm abzuleitenden Bildung, […] befindet sich jene Staatstendenz in offener oder versteckter Fehde»3. In diesen Vorträgen greift Nietzsche auf den spätromantischen Begriff des «Genies» zurück, d.h. desjenigen, der die «wahren» Werte, die man um jeden Preis «retten» muß, begriffen hat, desjenigen, der in der Lage ist, originell zu denken und sich von der Masse, von der preußischen und nationalistischen Staatskultur zu unterscheiden. Nietzsche anerkennt zwar am Anfang seiner Vorträge die Wichtigkeit des Denkens von Schopenhauer und Burckhardt, er trennt sich von ihnen aber ab, indem er der Massenkultur überlegene Figuren von Menschen wie Zarathustra entgegensetzt, die aus einer «anderen», dem Wilhelminischen Reich entgegengesetzten Kultur, kommen. Wenn Hesse von Zarathustras Wiederkehr spricht, beschwört er nicht nur Nietzsches Figur, sondern vielmehr die Vorträge Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten und ihre Kritik an dem Bildungssystem, das den Geist der Studenten unterdrückt und den inneren Antrieb der deutschen Jugend zur Mittelmäßigkeit homogenisiert. Diese Elite der Auserlesenen, von der sowohl Hesse als auch Nietzsche sprechen, ist nichts anders als jener Adel des Geistes, von dem Thomas Mann spricht, und sie ist eine Funktion der kulturellen Auseinandersetzung, in der verschiedene Modelle eher wegen ihrer Ziele und Struktur als wegen ihres Ursprungs gegeneinander kämpfen. Die geistige Überlegenheit, von der Nietzsche redet, gründet weder auf der Rasse noch auf einer politischen Organisation, sondern auf einer kulturellen Verteidigung der bildenden Funktion der antiken Kultur, von deren Wesen er aber eine vollkommene Darstellung, mit seinen unterirdischen, «dionysischen», schöpferischen und zugleich zerstörerischen Werten lieferte. Nietzsches Denken hat viele zeitgenössische Autoren stark beeinflußt. In Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten z.B. fordert Nietzsche eine korrekte Anwendung der deutschen Sprache und polemisiert gegen jenen «journalistischen Stil», der «eine physische Empfindung erzeugt, die man Ekel nennt»4. Sowohl die Zentralität der Sprache als auch das Problem der kulturellen Mitteilung als auch die apokalyptischen Töne tauchen bei Karl Kraus und Walter Benjamin wieder auf. Den direkteren Widerhall dieser Vorträge finden wir aber im Steppenwolf, wenn Hesse gegen das «feuilletonistische Zeitalter» polemisiert, also gegen eine Kultur, die in der Lage ist, alles zu banalisieren und jeden, der «sich nicht in Reih’ und Glied stellen» will, anzugreifen. Die Massen, von denen Nietzsche Abstand nehmen will, sind ja auch die Arbeitermassen, sie sind aber überhaupt die Interessenverbände des Kaiserreichs, deren

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F. Nietzsche, Über die Zukunft unserer Bildungsanstalten, in Sämtlichen Werken. Kritische Studienausgabe, hrsg. von G. Colli und M. Montinari, Berlin-New York 1977, Bd. I, S. 709. F. Nietzsche, Sämtliche Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 685.

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Schwäche er ganz genau schildert, indem er das Bild der «zwei Wege», um zur Wissenschaft der menschlichen Geschichte zu gelangen5, bestimmt. Nach Nietzsche gibt es nur zwei Wege, die den Intellektuellen zwingen, zwischen zwei Kulturen (oder besser gesagt, zwischen einer «falschen» und einer «wahren» Kultur) zu entscheiden: der eine, «sich in Reih’ und Glied zu stellen», «wird es an Kränzen und Siegeszeichen nicht fehlen lassen»6; «Und wenn der Vordermann ein Losungswort ausspricht, so hallt es in allen Reihen wieder. Hier heißt die erste Pflicht: in Reih’ und Glied kämpfen, die zweite: alle die zu vernichten, die sich nicht in Reih’ und Glied stellen wollen. Der andre Weg führt euch mit seltneren Wandergenossen zusammen, er ist schwieriger, verschlungener und steiler»7. Weder Nietzsche noch Hesse wollten sich in Reih’ und Glied stellen, beide sind – jeder auf seine Weise – ihren exzentrischen Weg gegangen. Hermann Hesses Skandal, sein Anderssein sowie seine Exzentrizität kann man erst dann verstehen, wenn man sie der herrschenden Kultur und Mentalität seiner Zeit entgegenstellt. Die deutsch-nationale Kultur verherrlichte den Begriff «Heimat» als eine organische, physische Blut-Bindung zwischen Individuum und Volk, zwischen Individuum und Land. Hesse hat dagegen von der Romantik andere und den deutsch-nationalen entgegengesetzte Elemente zurückerworben: nämlich die Zentralität des Individuums, den Blick nach Innen, die Reise. Der Ausbruch des ersten Weltkriegs, die Mobilmachung, die Aufrufe der Intellektuellen zum Haß gegen die anderen Völker, die Verteufelung des Fremden, waren für ihn ein Schock, der ein «Erwachen» bewirkt hat. In dieser Zeit hat Hesse öffentlich Stellung genommen, er hat die deutsche Intelligenz aufgefordert, die Töne zu vermindern, Wege zur Verständigung zu suchen, Brücken zwischen verschiedenen Kulturen zu schlagen und damit jene multikulturelle Gesellschaft, von der man heute so häufig spricht, vorweggenommen. Der Ausbruch des ersten Weltkrieges wurde von Erklärungen und Aufrufen begleitet, die den Feind verachteten und das Recht auf einen «präventiven Krieg» verteidigten. Wie Fischer schreibt: Hinter dieser Mischung von nationaler Emotion und sehr zielbewußtem politischen Denken stand eine geistige Bewegung, die, getragen von der deutschen Professorenschaft – Geisteswissenschaftlern wie Nationalökonomen –, ihre Mission in einer positiven Sinngebung des Krieges sahen. In den «Ideen von 1914», als welche diese Strömung in die Geschichtsschreibung eingegangen ist, blieb der Krieg nicht mehr nur ein Verteidigungskampf, den das angefallene Deutschland gegen eine Übermacht von Feinden durchzu5

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«Ich weiß nicht» – schreibt Novalis – «aber mir dünkt, ich sähe zwei Wege um zur Wissenschaft der menschlichen Geschichte zu gelangen. Der eine, mühsam und unabsehlich, mit unzähligen Krümmungen, der Weg der Erfahrung; der andere, fast ein Sprung nur, der Weg der inneren Betrachtung» (Novalis, Schriften, hrsg. von P. Kluckhohn und R. Samuel, Stuttgart 1960, Bd. I, S. 208). F. Nietzsche, Sämtliche Werke, a.a.O., Bd. 1, S. 728. Ebd.

Mauro Ponzi 6 stehen hatte, sondern er erhielt darüber hinaus eine höhere, schicksalhafte Notwendigkeit, die in der Gegensätzlichkeit deutschen Geistes, deutscher Kultur und deutschen Staatslebens zu den entsprechenden Lebensformen des feindlichen Auslandes begründet war8.

Wie Luciano Canfora schreibt9, mündeten in diesen einheitlichen Geist von 1914 verschiedene Gruppierungen: von den Rechtsradikalen zu den Liberalen, von den Konservativen bis zu den Sozialdemokraten. Außerhalb dieser deutschnationalen Palette blieben nur radikale Minderheiten, nicht nur der Arbeiterbewegung (Liebknecht, Luxemburg, Mehring), sondern auch der Bourgeoisie. Außerhalb dieser Palette blieb auch Hermann Hesse. Sigmund Freud selbst bemerkt diese Verteufelung des Fremden und verurteilt sie in seinem 1915 veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel Zeitgemäßes über Krieg und Tod: Von dem Wirbel dieser Kriegszeit gepackt, einseitig unterrichtet, ohne Distanz von den großen Veränderungen, die sich bereits vollzogen haben oder zu vollziehen beginnen, und ohne Witterung der sich gestaltenden Zukunft, werden wir selbst irre an der Bedeutung der Eindrücke, die sich auf uns aufdrängen, und an den Wert der Urteile, die wir bilden. Es will uns scheinen, als hätte noch niemals ein Ereignis so viel kostbares Gemeingut der Menschheit zerstört, so viele der klarsten Intelligenzen verwirrt, so gründlich das Hohe erniedrigt. Selbst die Wissenschaft hat ihre leidenschaftslose Unparteilichkeit verloren; ihre aufs tiefste erbitterten Diener suchen ihr Waffen zu entnehmen, um einen Beitrag zur Bekämpfung des Feindes zu leisten. Der Anthropologe muß den Gegner für minderwertig und degeneriert erklären, der Psychiater die Diagnose seiner Geistes- oder Seelenstörung verkünden10.

Auch wenn Freud dieses Phänomen zu dem in Menschennatur eingeborenen Trieb zum Tode – wie er schon in Totem und Tabu behauptet hatte – zurückführt, betont er, daß der Unterschied zwischen «Zivilisiertem» und «Wildem» eine reine Konvention ist, und daß die «wilde» Komponente der inneren Triebe des «zivilisierten» Menschen in Kriegszeiten wiederauftaucht, um Massenmord und Haß gegen den Feind zu legitimieren. Freud entkräftet dadurch die Argumente der Anhänger des Reichs und entzieht ihnen jede logische Grundlage der angeblichen Überlegenheit einer Kultur oder einer Rasse: Der Einzelne, der nicht selbst ein Kämpfer und somit ein Partikelchen der riesigen Kriegsmaschinerie geworden ist, fühlt sich in seiner Orientierung verwirrt und in seiner Leistungsfähigkeit gehemmt. Ich meine, ihm wird jeder kleine Wink willkommen sein, der es ihm erleichtert, sich wenigstens in seinem eigenen Innern zurechtzufinden. Unter den Momenten, welche das seelische Elend der Geheimgebliebenen verschuldet haben, und deren Bewältigung ihnen so schwierige Aufgaben stellt, möchte ich zwei hervorheben und an dieser Stelle behandeln: die Enttäuschung, die dieser Krieg hervorgerufen hat, und die veränderte Einstellung zum Tode, zu der er uns – wie alle andere Kriege – nötigt11.

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F. Fischer, Griff nach der Weltmacht. Die Kriegspolitik des kaiserlichen Deutschland 1914/18, Düsseldorf 1961, S. 178. Vgl. L. Canfora, Intellettuali in Germania, Bari 1979. S. Freud, Gesammelte Werke, London 1946, Bd. X, S. 324. Ebd., S. 325.

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Die «Verwirrung» und das «seelische Elend», von denen Freud spricht, zeigen eine starke Ähnlichkeit mit den Worten Hermann Hesses. Der Vorschlag von zwei so unterschiedlichen Autoren, angreifende Töne und Erklärungen unwahrscheinlicher Überlegenheit abzulehnen, ist umso interessanter, als er unabhängig voneinander vorkam. Jeder der beiden ist seinen eigenen Weg gegangen und hat seine eigene Denkweise, seine eigenen theoretischen Kenntnisse und seine eigene Terminologie verwendet, aber beide haben sich der Versuchung entzogen, den Unterschied zwischen dem «Zivilisierten» und dem «Fremden» zu verschärfen und beide haben dem Menschen und den anderen Kulturen Respekt erwiesen, was damals innerhalb der deutschen Kultur eigentlich nicht sehr üblich war. Dennoch gründet die spätere Entwicklung des europäischen demokratischen Denkens auf diesen positiven Behauptungen. Die Stimmen Freuds, Hesses und Romain Rollands waren damals sehr isoliert, ihre Argumente aber erwiesen sich im Lauf der Zeit entscheidender und richtiger als jene «blauäugige Begeisterung» (wie Hermann Hesse in einem Brief an Thomas Mann sie nennt), die den «Geist von 1914» charakterisierte. Die Mobilmachung war auch eine entscheidende Gelegenheit, um eine «preußische», autoritäre und antiparlamentarische Auffassung des Staates durchzusetzen. Kein Zufall, daß der Antiparlamentarismus – der ein Bestandteil der Politik von Bismarck, um die Rolle des Kanzlers zu verstärken, gewesen war – in einem Aufruf der Bonner Historiker vom 1. September 1914 wiederauftaucht. Am 4. Oktober wurde von mehreren Zeitungen der Aufruf an die Kulturwelt veröffentlicht, später als «Erklärung der 93» genannt, weil er zunächst von 93 führenden deutschen Wissenschaftlern und später – dank einer starken Propaganda-Aktion – von ungefähr 4.000 Professoren unterzeichnet wurde. Auch wenn der Aufruf verneint, daß Deutschland für den Einmarsch in Belgien schuldig sei, wird hier erklärt: Sich als Verteidiger europäischer Zivilisation zu gebärden, haben die am wenigsten das Recht, die sich mit Russen und Serben verbündeten und der Welt das schmachvolle Schauspiel bieten, Mongolen und Neger auf die weiße Rasse zu hetzen. [...] Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt. [...] Deutsches Heer und deutsches Volk sind eins. [...] Glaubt uns! Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle12.

Aufgabe der deutschen Kultur es sei, sie mobil zu machen und sich auf die Tradition zu berufen, um das unverkennbare und «heilige» Recht zu verteidigen, Belgien zu besetzen. Es ist klar und deutlich – das sei in Klammern gesagt – daß Goethe und Kant als Banner eines «präventiven Krieges» und der Überlegenheit der deutschen Kultur zu hissen, unkorrekt und sogar lächerlich ist. Kant, der Zum ewigen Frieden schrieb, und Goethe, der sich selbst als «Weltbürger» bezeichnete, haben nämlich

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Aufrufe und Reden der deutschen Professoren im ersten Weltkrieg, hrsg. von K. Böhme, Stuttgart 1975, S. 47f.

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mit dem deutschen Nationalismus nichts zu tun; sie könnten dagegen mit Recht als Vertreter der entgegengesetzten Denkströmung erwähnt werden. In diesem kulturellen Klima der heftigen Mobilmachung, des Hasses gegen den «Feind», der deutsch-nationalen Aufregung, der Verachtung für die «fremden» Kulturen, nimmt Hermann Hesse eine eindeutige, starke aber isolierte Stellung ein, die er nie mehr in seinem Leben verlassen hat. Im November 1914 veröffentlichte Hermann Hesse einen Artikel in der «Neuen Zürcher Zeitung» mit dem Titel O Freunde, nicht diese Töne!, in dem er logische und kulturpolitische Argumente den Aufrufen der deutschen Professoren entgegensetzt und ihre Positionen zurückweist. Sogar sein Ton und sein Stil – irgendwie «freundlich» und «versöhnend» – setzten sich dem angreifenden und bedrohenden Stil der Aufrufe objektiv entgegen. Aufgabe der Künstler und Intellektuellen sei keineswegs, den Haß und das Schlimme zu vermehren, sondern «ein Stück Frieden zu erhalten», d.h. die Kontaktpunkte mit den anderen Kulturen aufzuheben, einen Dialog mit den «Fremden» weiterzuführen, auf dem man den künftigen Frieden aufbauen kann. Er schreibt nämlich: Anderseits sehen wir Künstler und Gelehrte mit Protesten gegen kriegführende Mächte auf den Plan treten. Als ob jetzt, wo die Welt in Brand steht, solche Worte vom Schreibtisch irgendeinen Wert hätten. Als ob ein Künstler oder Literat, und sei er der beste und berühmteste, in den Dingen des Krieges irgend etwas zu sagen hätte. Andere nehmen am großen Geschehen teil, indem sie den Krieg ins Studienzimmer tragen und am Schreibtisch blutige Schlachtgesänge verfassen oder Artikel, in denen der Haß zwischen den Völkern genährt und ingrimmig geschürt wird. Das ist vielleicht das Schlimmste. Jeder, der im Felde steht und täglich sein Leben wagt, habe das volle Recht zu Erbitterung und momentanem Zorn und Haß, und jeder aktive Politiker ebenso. Aber wir anderen, wir Dichter, Künstler, Journalisten – kann es unsere Aufgabe sein, das Schlimme zu verschlimmern, das Häßliche und Beweinenswerte zu vermehren? [...] Alle diese Äußerungen, vom frech erfundenen «Gerücht» bis zu Hetzartikel, vom Boykott «feindlicher» Kunst bis zum Schmähwort gegen ganze Völker, beruhen auf einem Mangel des Denkens, auf einer geistigen Bequemlichkeit, die man jedem kämpfenden Soldaten ohne weiteres zugute hält, die aber einem besonnenen Arbeiter oder Künstler schlecht ansteht.

Hesse baut die deutsch-nationalen Argumente der Künstler und Gelehrten, die Aufrufe unterzeichnet hatten, in denen die fremden Kulturen verachtet wurden, ab. Er weist auf Goethe hin, der während der Befreiungskriege gegen Napoleon keine Stellung bezogen hatte und sich «au dessus de la mêlée» [über das Getümmel] setzte. Hesses Diskurs erweist eine ganz andere Strategie als die des Großteils der deutschen Intelligenz seiner Zeit. Aufgabe der Künstler und Gelehrten besteht nach Hesse nicht darin, gegen die Fremden zu hetzen, sondern darin, «Brücken zu schlagen, Wege zu suchen», um eine Versöhnung und eine Verständigung zu ermöglichen. Romain Rolland hat, wie bekannt, einen Brief an Hermann Hesse geschrieben, in dem er seine Gratulationen und seine Bewunderung für diese Stellungnahme äußerte. Wie Albrecht Goes 1954 betonte, war die Freundschaft zwischen Hesse und Romain Rolland von vielen Phasen – von der ersten kämpferischen bis zu

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einer späteren Enttäuschung von der Politik gekennzeichnet –; beide Einzelgänger haben aber den Triumph der Barbarei rechtzeitig vorausgesehen, sie haben trotzdem sich «niemals einem Ton überlassen: dem Ton der Resignation»13. Anlaß dieser Verbindung, dieser Wahlverwandtschaft war nämlich die Tatsache, daß Hesse den ersten Satz von Beethovens Neunten Symphonie mit einer Sinnverschiebung wiederverwendet hatte. Beethoven hatte vor, die musikalischen Töne mit Worten zu ergänzen und zu verstärken – was eigentlich in der symphonischen Form unüblich war; Hesse will mit diesem Titel eine Umkehr der Sinngebung der Ikonen, welche die Deutsch-Nationalen in ihrem Aufruf an die Kulturwelt benutzt hatten, bewirken. Goethe und Beethoven werden hier als Befürworter für den Frieden und nicht für den Krieg verwendet. Es handelt sich hier um ein komplexes Verfahren von Besetzung des Kulturraums oder – wenn Sie wollen – von Aneignung von Denkbildern und Ikonen, das eine große Bedeutung in der kulturellen Kommunikation auch nach dem ersten Weltkrieg spielte. Romain Rolland hat sofort die Tiefe und die kulturelle Perspektive des Diskurses von Hermann Hesse verstanden und geschätzt. In seinem ersten Brief an Hesse vom 26. Februar 1915 schreibt Rolland: Nous ne pouvons arrêter les fureurs des Etats; je crains même qu’elles ne deviennent encore plus atroces; et les peuples ne peuvent parler; à peine peuvent-ils penser (on ne leur en laisse ni le temps, ni la faculté). D’autant plus faut-il que nous resserrions nos liens, nous tous qui, dans tous les pais, nous refusons avec dégoût à cette bestiale folie et qui avons la charge de garder pour l’avenir l’union sacrée de l’esprit européen14.

Es ist bemerkenswert, daß Rolland als Alternative dem Nationalismus und dem «tierischen Wahn» der Kriegsführenden den «europäischen Geist», «die rein geistige Einheit der freien Denker aller Nationen» entgegensetzt. Obwohl sowohl Hesse als auch Rolland innerhalb der jeweiligen kulturellen Räume sehr isoliert waren, sind die Keime ihrer Gedanken auf Dauer zur Grundlage einer europäischen Gemeinschaft geworden, die jene Neunte Symphonie als Hymne der Union gewählt hat. Die Sinngebung von Hesse und Rolland, die neue Wertung, die sie den Kulturikonen gegeben habe, hat sich im Lauf der Zeit durchgesetzt. Hesse deutet in seiner Antwort vom 28. Februar 1915 eine Initiative an, eine neue Zeitschrift «als neutralen Boden für Gedankenaustausch und Verständigungsmöglichkeit zwischen den Geistigen der kriegenden Völker» gründen zu wollen. Auch wenn das Projekt nicht verwirklicht wurde, weist es darauf hin, daß Hesse – 13 14

A. Goes, in H. Hesse – R. Rolland, Briefe, Zürich 1954. H. Hesse – R. Rolland, Briefe, a.a.O., S. 9. «Wir können die Wut der Staaten nicht halten; ich fürchte sogar, daß sie noch schlimmer wird; die Völker dürfen nicht sprechen, sie dürfen kaum denken (man gibt ihnen dafür weder Zeit noch Gelegenheit). Es ist jetzt mehr denn je angebracht, daß wir unsere Bindungen vertiefen, wir alle, die in allen Ländern mit Ekel diesen tierischen Wahn zurückweisen und die Aufgabe haben, die heilige Einheit des europäischen Geistes für die Zukunft zu bewahren».

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wie er selber schreibt – mit der Notwendigkeit einer «union de l’esprit européen» vollkommen einverstanden war. Im Januar 1932 schickte Rolland an Hesse die Fahnenkorrektur der deutschen Ausgabe seiner Kriegsaufsätze. In einem der ersten Artikel wurden die Deutschen als «Hunnen» bezeichnet. Hesse reagierte darauf mit diesen Worten, die aufschlußreich sind, um seine Auffassung des «Fremden» besser verstehen zu können: «Die beiden von mir genannten Worte scheinen mir wirklich entbehrlich. Der Ausdruck ‹Hunnen› ist Ihnen nicht würdig, verehrter Freund, und er würde auf einzelne Ausschreitungen Ihrer Landsleute während der Ruhrbesetzung genau so passen. Die Menschen sind Bestien, wenn kein Stern über Ihnen steht, aber wir dürfen nicht einem einzelnen Volk ein Monopol auf Bestialität vorwerfen»15. Romain Rolland erklärt in einem Brief vom 20. Januar 1932, daß es sich um einen der früheren Artikel handelt, und daß er seine früheren Behauptungen, auch die falschen, nicht ändern, sondern sie sozusagen historisch gesehen herausgeben will. Er übernimmt seine eigene Verantwortlichkeit auch für seine Irrtümer. «Je n’ai pas le droit de les changer» – schreibt er – «Ce sont de textes historiques. Je les ai écrits. Je doit en subir la responsabilité. Je ne suis pas de ceux qui fuient devant la responsabilité de ce qu’ils on fait»16. Dann erklärt er, was er mit dem Ausdruck «Hunnen» meint: «Le terme de ,Huns‘ ne s’applique pas au peuple allemand, mais aux chefs militaires qui ont pu donner les ordres de cette dévastation. Ne croyez point, d’ailleurs, que j’hésiterais à l’appliquer aux Français qui ont bombardé, de leurs avions, les petits enfants de Karlsruhe! Je sais aujourd’hui à quoi m’en tenir sur la barbarie européenne, sans distinction de nations»17. In dem Briefwechsel zwischen Romain Rolland und Hermann Hesse taucht der Ausdruck «europäische Barbarei» mehrmals auf: dagegen kämpften beide Autoren, gegen die Diskriminierung des Fremden, gegen den «Zivilisationskrieg», gegen den Rausch von Materialienschlacht, die die Mehrheit der europäischen Intellektuellen und Politiker charakterisierten. Hesses «Erwachen» besteht demzufolge in der Entdeckung einer Aufgabe des Schriftstellers, des Intellektuellen, die als Pazifismus identifizierbar ist. Diese Stellungnahme bewirkte seine Isolierung innerhalb der deutschen Kultur, die ganz

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Ebd., S. 92f. Ebd., S. 96. «Ich habe kein Recht, sie zu ändern. Sie sind historische Texte. Ich habe sie geschrieben. Ich muß die Verantwortung dafür übernehmen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die von der Verantwortung, dessen was sie getan haben, fliehen». Ebd., S. 97. «Der Ausdruck ,Hunnen‘ bezieht sich nicht auf das deutsche Volk, sondern auf das militärische Hauptkommando, das die Befehle für diese Zerstörung gegeben hat. Glauben Sie mir, ich würde keine Verzögerung haben, ihn auch für die Franzosen zu verwenden, die aus ihren Flugzeugen die kleinen Kinder von Karlsruhe bombardiert haben! Ich weiß heute, wie ich mich vor der europäischen Barbarei – ohne unter den Nationen zu unterscheiden – verhalten muß».

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anders orientiert war. In seinen Briefen, in seinen autobiographischen Schriften und in seinen Aufsätzen taucht dieses Thema immer wieder auf. In einem 1925 in der «Neuen Rundschau» veröffentlichten Kurzgefaßten Lebenslauf schreibt Hermann Hesse: Die Folge dieser ziemlich schüchtern geäußerten Klage war, daß ich in der Presse meines Vaterlandes für einen Verräter erklärt wurde. [...] Der Artikel mit jener Anklage wurde von zwanzig Zeitungen meiner Heimat ausgedruckt, und von allen meinen Freunden, deren ich bei der Presse viele zu haben glaubte, wagten es nur zwei, für mich einzutreten. Alte Freunde teilten mir mit, daß sie eine Schlange an ihren Busen genährt hätten, und daß dieser Busen künftig nur noch für Kaiser und Reich, nicht aber mehr für mich Entarteten schlage. Schmähbriefe von Unbekannten kamen in Menge und Buchhändler ließen mich wissen, das ein Autor von so verwerflichen Gesinnungen für sie nicht mehr existiere18.

Hesse fühlte sich «von der Mehrheit angespieen» und seitdem betonte er immer mehr seinen Abstand von der Mentalität und von den kulturellen und politischen Positionen der deutschen Kulturwelt. Auch nach dem ersten Weltkrieg fühlte sich Hesse «fremd» vor der deutschen politischen Lage. Er siedelte in die Schweiz über, wo er die Entwicklung der politischen Ereignisse in Deutschland mit Abstand beobachtete. Und eben durch dieses «Über-dem-Getümmel-Sein» gelang es ihm – wie paradox auch immer es klingen mag –, die Tendenzen der deutschen Politik besser und schneller als die anderen Autoren zu verstehen und die Barbarei und die Gewalt des Rassismus und der Diktatur vorauszusehen, bevor seine deutschen Kollegen in der Lage waren, sie wahrzunehmen. Hesses Werk nach seinem «Erwachen» ist in allen seinen Formen und Bestandteilen eine Gegenüberstellung zu den «Ideen von 1914», der intellektuellen Mobilmachung, der Überwältigung des Andersseins. Und um so entschiedener die deutsche Intelligenz das typisch Deutsch-Nationale, die Verteidigung der deutschen Kultur als höheren Ausdruck des Abendlandes betonte, desto kräftiger suchte Hermann Hesse in seinem Erzählwerk nach einem Anderswo, das eine Alternative zu dem sogenannten Humanismus der Nationalisten ausdrücken konnte. In diesem Verfahren wurde das Bild des Orients, das er von seiner Familie – besonders von dem Großvater Hermann Gundert – «ererbt» hatte, ein literarisch verwendbarer Topos. Dieser alternative Ort hätte aber weder funktionieren noch die internationale Resonanz, die er hatte, erleben können, wenn er eine vielleicht zufällige aber dennoch sehr geglückte Kombination mit einigen Aspekten der romantischen Tradition, mit einer besonderen Lektüre von Nietzsche und überhaupt mit den «Erwachungen», welche die Biographie des Autors nach dem ersten Weltkrieg kennzeichneten, nicht gefunden hätte: die Begegnung mit dem Pazifismus einerseits und mit der Psychoanalyse andererseits. In einem Brief an Romain Rolland vom 22. Januar 1932 über die Veröffentlichung der deutschen Ausgabe dessen Aufsätze über den Krieg schreibt Hermann

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SW, 12, S. 52.

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Hesse: «Die Bedenken des Verlegers sind gewiß rein geschäftliche, er fürchtet in Deutschland, auf das er angewiesen ist, auf irgend eine schwarze Liste zu kommen und boykottiert zu werden. Leider ist die Furcht nicht unbegründet, Deutschland ist moralisch noch kränker als im Jahre 1914, und alles ist vergessen, was es durch den Krieg und seine Folgen hätte lernen können»19. Das ganze literarische Werk und das kulturpolitische Handeln von Hermann Hesse und Romain Rolland hatten als Ziel, was man durch den Krieg und seine Folgen gelernt hatte, nicht vergessen zu lassen. In einem Brief an Thomas Mann vom Juli 1933 lieferte Hesse eine scharfe und genaue Analyse, die sich im Lauf der Zeit als «prophetisch» erwies: Sehr merkwürdig sind mir die Briefe aus dem Reich, die ich von Anhängern des Regimes bekomme, sie sind alle in einer Temperatur von etwa 42 Grad geschrieben, rühmen in großen Worten die Einigkeit, ja sogar die «Freiheit», die jetzt im Reich herrsche, und schreiben in der nächsten Zeile wütend über das Saupack von Katholiken oder Sozialisten, dem man es jetzt zeigen werde. Es ist Kriegs- und Progromstimmung, freudig und schwer betrunken. Es sind Töne von 1914, ohne die damals noch mögliche Naivität. Es wird Blut und anderes kosten, es riecht sehr nach allem Bösen20.

Abgesehen von seiner Reise nach Indien und von den vielen Reisen nach Italien wohnte Hesse immer in Tessin, dennoch konnte er aufgrund seiner Skepsis gegenüber der «Stimmung» des deutschen Volkes und aufgrund der Erfahrung des «Geistes von 1914» ganz genau die künftige Entwicklung der politischen Lage voraussehen. Andere Autoren und Wissenschaftler, die einen viel besseren theoretischen Apparat hatten, um eine politische, ideologische und gesellschaftliche Analyse zu liefern, suchten Anfang der 30er Jahre immer noch nach einer unmöglichen Utopie der Revolution oder aber nach Wiederherstellung und Verteidigung der «ursprünglichen» und «reinen» nationalen Werte. Hesse ging einen ganz anderen exzentrischen Weg. In einem 1920 veröffentlichten Aufsatz mit dem Titel Die Brüder Karamasoff oder Der Untergang Europas schreibt er: Eine ganz andere Frage aber ist es nun, wie man den Untergang des alten Europa bewerte. Da scheiden sich die Wege und Geister. Die entschiedenen Anhänger des Gewesenen, die treuen Verehrer einer geheiligten edlen Form und Kultur, die Ritter einer bewährten Moral, sie alle können diesen Untergang nur aufzuhalten suchen oder trostlos beweinen, wenn er eintritt. Für sie ist der Untergang das Ende – für die anderen der Anfang21.

Der Steppenwolf betrachtet den Untergang des Abendlandes als den Anfang einer neuen Zeit, als die Gelegenheit, einen neuen Weg zur Kultur- und Lebensalternative zu eröffnen, um den Konformismus des Philisters zu überwinden. Und eben Hesse, der milde und zahme Hesse, hat so radikale Positionen vertreten, die ihm 19 20 21

H. Hesse – R. Rolland, Briefe, a.a.O., S. 101. H. Hesse – T. Mann, Briefwechsel, Frankfurt a.M. 1968, S. 87. SW, 18, S. 131.

Hermann Hesses Umgang mit dem Fremden 13

ermöglicht haben, nicht nur die todbringenden Entwicklung des Nationalismus, sondern auch die mörderische Vereinigung von Lokalismus und Cäsarismus (Heimat – Volk – Führer) rechtzeitig zu erkennen und eine plausible Alternative in der Achtung vor den fremden Kulturen, die auf einer wesentlichen Gleichwertigkeit gegründet ist, zu bestimmen. Erst dadurch wird ein friedliches Zusammenleben möglich. Wer von Synkretismus spricht, verwendet immer noch die inzwischen veralteten Begriffe von «Eigenem», Nation und Rasse, will Demarkationen zwischen Eigenem und Fremdem setzten und sucht nach einer «Reinheit» und nach einer kulturellen Homogenität, welche eigentlich nie existierten. Freud selbst spricht 1915 von «Enttäuschung, die dieser Krieg hervorgerufen hat», weil man von den «weltbeherrschenden Nationen [...] erwartet hatte, daß sie es verstehen würden, Mißhelligkeiten und Interessenkonflikte auf anderem Wege zum Austrage zu bringen». «Die großen Völker selbst», schreibt er weiter, «konnte man meinen, hätten so viel Verständnis für ihre Gemeinsamkeiten und so viele Toleranz für ihre Verschiedenheiten erworben, daß ,fremd‘ und ,feindlich‘ nicht mehr wie noch im klassischen Altertume für sie zu einem Begriffe verschmelzen durften». Freud schildert eine bürgerliche Identität innerhalb der europäischen Einigung der Kulturvölker, in der «ungezählte Menschen» sich zu Hause fühlen; er nennt sie «Heimat» und er zertrennt dadurch die deutschnationale Unterscheidung zwischen Eigenem und Fremdem: Vertrauend auf diese Einigung der Kulturvölker haben ungezählte Menschen ihren Wohnort in der Heimat gegen den Aufenthalt in der Fremde eingetauscht und ihre Existenz an die Verkehrsbeziehung zwischen den befreundeten Völkern geknüpft. Wen aber die Not des Lebens nicht ständig an die nämliche Stelle bannte, der konnte sich aus allen Vorzügen und Reizen der Kulturländer ein neues größeres Vaterland zusammensetzen, in dem er sich ungehemmt und unverdächtigt erging. [...] Unter den großen Denkern, Dichtern, Künstlern aller Nationen, hatte er die ausgewählt, denen er das Beste zu schulden vermeinte, was ihm am Lebensgenuß und Lebensverständnis zugänglich worden war, und sie den unsterblichen Alten in seiner Verehrung zugestellt wie den vertrauten Meister seiner eigenen Zunge. Keiner von diesen Großen war ihm darum fremd erschienen, weil er in anderer Sprache geredet hatte [...] und niemals warf er sich dabei vor, abtrünnig geworden zu sein der eigenen Nation und der geliebten Muttersprache22.

Der Lokalismus der kleinen Heimat verhindert jeden Integrationsprozeß nicht nur, weil er sich der Moderne und der Modernisierung entgegensetzt, sondern vielmehr, weil er ein geschlossenes gesellschaftliches Modell bejaht, das die interkulturelle Kommunikation als Unwert mißachtet und dagegen ein selbstbezogenes auf jeden Preis zu verteidigendes Identitätsprinzip durchsetzen will. Die nationalistische Auffassung der Gemeinschaft begreift im Grunde die Begegnung mit dem Fremden als einen Bruch, als ein Attentat auf die angebliche Homogenität der selben Gemeinde,

22

S. Freud, a.a.O, Bd. X, S. 325.

Mauro Ponzi 14

und sie kann diese Begegnung nur als exotische Erfahrung weit entfernt von der «Heimat» ertragen. In dem multikulturellen Modell ist dagegen interessanterweise, nicht nur die Art und Weise wie der westliche Mensch seine Identität nach der Begegnung mit dem Fremden bestimmt, sondern auch die Wirkung auf das Selbstbild des östlichen Menschen nach der Begegnung mit der selbstbezeichnenden «zivilisierten» Welt festzustellen. In diesem «Zwischen» der Interkulturalität spielt die Kommunikation eine entscheidende Rolle. Wie Bernhard Waldensfels schreibt: Doch [...] setzt sich jedes Konzept eines Zwischen der Gefahr aus, den vertrauten Egound Ethnozentrismus, der alle menschlichen Verhältnisse von einem Zentrum der Eigenheit her aufbaut, zu ersetzen durch einen Logozentrismus, bei dem der eine Logos als ein Gemeinsames auftritt, das den Unterschied von Eigenem und Fremdem umgreift und übergreift. Man denkt: Wo ein Zwischen ist, besteht eine Kluft, die es zu überbrücken gilt; wo ein Netzwerk ist, gibt es Einzelheiten, die zu verknüpfen sind. Hinter dem Einen und dem Anderen, dem Eigenen und dem Fremdem vermutet man ein Drittes, das verbindet und verbindlich macht23.

Auf diesem Gebiet fügt sich der autoreferenzielle Prozeß der Kommunikation als Selbstbestätigung und der Absolutisierung eines Ethnozentrismus ein, nach dem der Sender meint, im Namen der Ganzheit zu sprechen oder – noch schlimmer, daß die Ganzheit durch seine Stimme spricht: Das Ganze, das in ‹Mitteilung› und ‹Teilhabe› anklingt, ist darauf angewiesen, daß es – außer in mythischen und quasi- mythischen Vorstellungen – stets jemanden gibt, der für das Ganze spricht, sei es der aristotelische fronimos oder der native speaker, in denen sich eine gelebte Sitte oder eine gesprochene Sprache verkörpert, sei es das um das allgemeine Seelenheil besorgte Oberhaupt einer Kirche, der auf das Gemeinwohl bedachte Regierungschef, sei es die massenwirksame Stimme der Öffentlichkeit, der selbsternannte Interpret des Zeitgeistes – oder schließlich der Philosoph als ,Funktionär der Menschheit‘. Solche Fürsprecher, Sprachrohre und Sprachverstärker des ,Gemeingeistes‘ verfallen einem Logozentrismus, sobald sie den Ort, von dem aus jemand für ein Ganzes spricht, unterschlagen und so tun, als spräche aus ihnen das Ganze selbst24.

Dieses totalitäre Modell, das von dem Lauf der Geschichte überwunden zu sein schien, tauchte in Form einer Kommunikationsdiktatur zunächst in der nordamerikanischen Gesellschaft der 60er Jahre, die von Herbert Marcuse in One-dimensional Man analysiert wird, und neulich in Italien in Form der «Absperrung des Universums der Rede» und der «Abriegelung des Politischen» durch die Bildschirmvirtualität wieder auf. Es geht weniger darum, «den vertrauten Ego- und Ethnozentrismus durch einen Logozentrismus» zu ersetzen – obwohl die Kommunikation sowohl in der heutigen Medien-Gesellschaft als auch in dem Globalisierungsprozeß eine entscheidende Rolle spielt – sondern vielmehr darum, eben in dem rationellen und kommu23 24

B. Waldenfels, Topographie des Fremden. Studien zur Phänomenologie des Fremden 1, Frankfurt a.M. 1997, S. 86. Ebd., S. 88.

Hermann Hesses Umgang mit dem Fremden 15

nikativen Verfahren den Ort zu bestimmen, in dem die kulturelle Identität des Ichs und der Gemeinschaft zu sehen ist. Oder anders gesagt: die kulturelle Identität ist das Resultat der Verbindungen zwischen den verschiedenen Komponenten, die im Einzelnen und in der Gesellschaft vorhanden sind. Eben in diesen Tagen steht das Problem der kulturellen Identität im Mittelpunkt sowohl der Gründung einer europäischen Gemeinschaft, die über die Währungsunion hinaus gehen kann, als auch der Auseinandersetzung mit den «anderen» und «fremden» Kulturen, die das Risiko eingeht, mit der Formel «Kampf der Zivilisationen» den «Geist von 1914» wiederaufleben zu lassen. Die Suche nach einer kulturellen Identität greift immer auf die Tradition zurück und sie gründet auf dem Prinzip der Ausschließung: Die Begriffbestimmung des Eigenen braucht die Darstellung einer entgegengesetzten Alterität so wie die Bestimmung einer Identität ein äußeres, ausgeschlossenes Fremd voraussetzt, das als eine Bedrohung empfunden wird, das durch eine Demarkation durch eine ständige Setzung von Grenzen, von unüberschreitbaren Grenzlinien, jenseits derer das «Andere» steht, bestimmt wird. Aber in dem gleichen Moment, in dem man Demarkationslinien festsetzt, entstehen – wie Derrida schreibt – Grenzgebiete, welche immer wieder dieser strengen Unterscheidung sich entziehen. Grenzgebiete können nicht leicht unter festen Kategorien des «entweder-oder» eingeordnet werden, sie überschreiten immer wieder diese Demarkationslinien. Die monokulturelle Obsession setzt immer neue Demarkationen der Vielfältigkeit der Zwischenräume gegenüber. Aber jede neue Demarkation bringt immer wieder neue Dekonstruktionen mit sich. Hesse stellt sich eben in diese Zwischenräume, in denen die Überlegung über die kulturelle Identität von den Beiträgen der Interferenzen, welche aus den fremden Räumen kommen, angereichert wird. Indem man die Denkkategorien, die das Eigene, das Deutschnationale, das An-die-Tradition-gefesselte verherrlichten, umkehrt, merkt man, daß die angebliche Reinheit der Kultur, die man durch die Ausschließung des Fremden erreichen will, eigentlich eine «verlogene Reinheit» ist – um Goethe zu zitieren. Es ist das, was Foucault Heterotopie nennt, ein Ort, der von anderen Topoi, von Grenzgebieten durchquert wird, nämlich Zwischenräumen, in denen heterogene Gegenstände nebeneinander bestehen, und die als solche feste Überzeugungen in Frage stellen und uns fordern, vorherbestehende Kategorien neu zu denken, sie umzubilden. Die fundamentalen Codes einer Kultur, – schreibt Foucault – die ihre Sprache, ihre Wahrnehmungsschemata, ihren Austausch, ihre Techniken, ihre Werte, die Hierarchie ihrer Praktiken beherrschen, fixieren gleich zu Anfang für jeden Menschen die empirischen Ordnungen, mit denen er zu tun haben und in denen er sich wiederfinden wird. Am entgegengesetzten Ende des Denkens erklären wissenschaftliche Theorien oder die Erklärungen der Philosophen, warum es im allgemeinen eine Ordnung gibt, welchem allgemeinen Gesetz sie gehorcht, [...]. Aber zwischen diesen beiden so weit auseinanderliegenden Gebieten herrscht ein Gebiet, das, obwohl es eher eine Zwischenrolle hat, nichtsdestoweniger fundamental ist. Es ist konfuser, dunkler und wahrscheinlich schwieriger zu

Mauro Ponzi 16 analysieren. Dort läßt eine Zivilisation, indem sie sich unmerklich von den empirischen Ordnungen abhebt, die ihr von ihren primären Codes vorgeschrieben sind, und indem sie eine erste Distanz in Beziehung zu ihnen herstellt, sie ihre ursprüngliche Transparenz verlieren, hört auf, sich von ihnen passiv durchqueren zu lassen, ergreift ihre unmittelbaren und unsichtbaren Kräfte, befreit sich genug, um festzustellen, daß diese Ordnungen vielleicht nicht die einzig möglichen oder die besten sind25.

Hesse hebt sich von den fundamentalen Codes der Kultur seiner Zeit ab und stellt eine Distanz zu festen und verbreiteten Überzeugungen her; er stellt sich eben in diesen Zwischenraum, in dem die fundamentalen Codes kritisiert und außer Kraft gesetzt werden: «Darin erscheint die Ordnung nach den Kulturen und nach den Epochen kontinuierlich abgestuft oder gestückelt und diskontinuierlich, mit dem Raum verbunden oder in jedem Augenblick durch den Schub der Zeit konstituiert»26. Die Suche nach einer neuen Identität muß jene Selbstbestimmung, die man durch die ständige Auseinandersetzung mit dem Fremden und dessen darausfolgende Vertreibung erreicht, vernachlässigen, um neue Räume, in denen immergleichbleibende Werte durch das ewige Fließen ersetzt werden, zu finden. Ikonen von Stahl und Felsen werden dadurch von den Ikonen des Flusses oder des Sees ersetzt. Sie sind Zwischenräume, die uns fordern, Denkbilder und Begriffe, die wir für immer geltende hielten, umzubilden, jene Grenze zwischen Meer und Erde, zwischen schmutzig und rein, zwischen neu und alt, zwischen flüssig und fest, zu verstellen. Man versteht dadurch, daß das durchsichtige Wasser das Resultat einer Reinigung von jener Alterität ist, welche im See oder im Fluß massiv anwesend ist. Filtrieren, klären, reinigen. Man könnte auch «verdrängen» sagen. Sigmund Freud betont in dem schon erwähnten Aufsatz Zeitgemäßes über Krieg und Tod – den der erste Krieg des neuen Jahrtausends noch aktueller macht –, daß die Gegenüberstellung zwischen Zivilisation und Primitiv, zwischen Kultur und Wild im Grunde eine Konvention und zwar die Folge einer Stratifikation von Verhaltensregeln, eine Selbstdarstellung des westlichen Menschen ist. Die Urtriebe, welche den Urmenschen charakterisieren und von der zivilisierten Welt verurteilt und als «fremd» vertrieben werden, werden in Wirklichkeit nur verdrängt, sie bleiben aber in unserem Inneren als Impulse und als Unbewußtes, das unser Handeln und die Entstehung unserer Meinungen und Ideen bestimmt. Das Fremde, das man von der Identitätsbestimmung ausschließen wollte, ist eigentlich in uns; es kennzeichnet uns in einer Reihe von Interferenzen, die in diesen Heterotopien paradigmatisch auftauchen. Die westliche Denkungsart – in ihrer Form des Kolonialismus und des Nationalismus – hat immer seinen eigenen way of life als die einzige, als die Form verstanden, die man in die noch-nicht-zivilisierten Länder exportieren muß, und sie hat dadurch 25 26

M. Foucault, Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt a.M. 1971, S. 22f. Ebd., S. 23.

Hermann Hesses Umgang mit dem Fremden 17

eine kulturelle Hierarchie sowohl in der idealistischen Form des «guten Wilden» als auch in der exotischen Form der Reise in die Ferne als auch in der angreifenden Form der Eroberung und der Zwangszivilisierung des Fremden aufgestellt. So ein Modell der Gesellschaft und der Kultur gründet auf dem Gegensatz «in/out» und in der Aufstellung einer einzigen Vorstellung der Gesellschaft, der Kultur, der Organisation und des Denkens. Zur Jahrhundertwende hat der Nationalismus diese Gegenüberstellung so verschärft, daß alles, das «anders» als das Eigene war, verteufelt und verurteilt wurde, daß die Fremden als «wilde» und als Untermenschen dargestellt wurden. Dem Nationalismus ist es gelungen, die Überzeugung durchzusetzen, daß eine «Kulturnation» das Recht und sogar die Pflicht hatte, mit Gewalt die Fremden zu zivilisieren und zu modernisieren. Das Denken und die Kultur des Fremden waren für die Deutschnationalen unverständlich und unzugänglich: sie wurden als eine Bedrohung wahrgenommen, die man entweder durch die Zwangsassimilation oder durch die einfache Vernichtung abwenden konnte. Hermann Hesse hat das Unzugängliche zugänglich gemacht, er hat das in uns verborgene Fremde enthüllt und das Eigene in der Alterität erkannt; er hat die Rhetorik und die angreifenden Töne der Deutschnationalen gedämpft und nach einem Dialog gesucht, der von jenen heute wieder aktuellen Heterotopien, die sich dem Religionskrieg und den Fundamentalismen entgegensetzen, ermöglicht wird. Hesse stellt die «nackte Erfahrung der Ordnung und ihres Seins», mit der wir uns auseinandersetzen müssen, dar und stellt sie in Frage, indem er radikale und kompromisslose Entscheidungen trifft. Vor den «epochalen Wendungen», welche die Denkkategorien, unsere Lebensweise und unser Verhalten – wegen des Falls von alten Kaiserreichen oder von veralteten Überzeugungen oder wegen der Entstehung von Techniken oder Apparaten – gründlich geändert haben und immer noch ändern, spricht Hesse von «Erwachen», d.h. von Bewußtwerden und von der Hauptentscheidung, die jedes Individuum treffen muß und auf der seine eigene Verantwortlichkeit gegründet ist, weil die großen Veränderungen und sogar die Katastrophen, an die die Geschichte des vorigen Jahrhunderts uns gewöhnt hat, und welche leider eher eine Norm als eine Ausnahme sind, eben nicht unabwendbar sind. Heute scheint es mehr denn je unangemessen, Hermann Hesses Werk unter die Kategorie der «Sentimentalität» und des «Disengagement» zu ordnen, so wie seinen Erfolg mit der sogenannten «Flucht» nach dem Orient als eine Flucht vor der Verantwortlichkeit zu erklären. Er geht einen exzentrischen heterotopischen Weg, der wahrscheinlich unheimlich ist, weil er die Grundentscheidungen, jene «Sicherheiten», die jede Epoche und jede Kultur charakterisieren, in Frage stellt. Man versteht dadurch, wie Millionen von Lesern in Hesses Werk in Form einer Erzählung sowohl die kulturtheoretische als auch die persönlich-psychologische Ursache ihrer eigenen Rebellion und ihrer eigenen Überzeugung finden. «Die Heterotopien» – behauptet Foucault – «beunruhigen wahrscheinlich, weil sie heimlich die Sprache

Mauro Ponzi 18

unterminieren, weil sie verhindern, daß dies und das benannt wird, weil sie die gemeinsamen Namen zerbrechen oder sie verzahnen, weil sie im Voraus die ‹Syntax› zerstören, und nicht nur die, die die Sätze konstruiert, sondern die weniger manifeste, die die Wörter und Sache die einen vor und neben den anderen (les mots et les choses) ‹zusammenhalten› läßt»27. Ohne den Logozentrismus und ohne den Autoritarismus einer Kultur, die sich als überlegene oder als die einzige versteht, hält das Denk- und Verhaltenssystem «nicht mehr zusammen». Hesse und Rolland verwirren die Syntax des deutschen Nationalismus und Philistertums und entwickeln eine Alternative, die in erster Linie die herrschende Denkungsart und in zweiter Linie den daraus resultierenden literarischen Kanon in Frage stellt.

27

Ebd., S. 20.

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Herman Hesse und (das nicht so ferne) Asien Die deutsche Aufklärung erreichte meines Erachtens ihren Höhepunkt, als Lessings Nathan der Weise sich die Gewissensfrage stellt, ob er zuvorderst Mensch oder Jude sei. Denn in diesem Moment besteht die Menschheit nicht mehr ausschließlich aus Juden, oder Christen, oder Muselmanen, sondern aus Jedermann. Es war das erste positive Beispiel der Globalisierung des Menschheitsbegriffs. Dennoch ist es ein wenig bedauerlich, daß alle drei Volks- bzw. Religionsangehörigen einer theistischen Konfession, deren Wurzeln in der Bibel zu finden sind, zugehören. Einen größeren Grad der bewussten Inklusivität finden wir bei Hermann Hesse. Denn die Dichtung des reiferen Hesse ist, in verschiedenen Graden und Variationen, erfüllt von der Idee der Menschlichkeit. Besonders in den Romanen Siddhartha (1922) und Das Glasperlenspiel (1943) kommt dieser Gedanke auf unterschiedlichste Weise zur Blüte. Diesmal wird die Einheit der Menschheit in der Vereinigung von theistischen (sprich westlichen) und nicht-theistischen (d.h. östlichen) Kulturen ausgedrückt. Die letzteren sind vertreten durch Indien und China. Viele Arbeiten sind über die Beziehungen Hesses zum östlichen Geist geschrieben worden – vorwiegend über den indischen Hintergrund des Elternhauses, die indische und chinesische Lektüre, die beiden oben erwähnten Romane usw., um nur die markantesten Themen zu erwähnen. Dagegen gibt es kaum Analyse über Hesses erste und einzige Begegnung mit der asiatischen Menschheit. Nun nehme ich die Veröffentlichung des neuen Bandes Blick nach dem Fernen Osten1 mit einem ausführlichen Nachwort von Volker Michels zum Anlass, diesen wichtigen Einschnitt in Hesses Leben und Entwicklung einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Noch heute ist der Bereich nicht unproblematisch, was bereits der Titel des neuen Bandes erhellt. Denn der Ferne Osten ist normalerweise die Bezeichnung für Ostasien, die Hälfte der Texte aber handeln von Indien bzw. Südostasien. In der Nomenklatur gibt es kein Wort, das Süd- und Ostasien auf einen Nenner bringt. Dieses Phänomen zeigt die dividierende, aber auch verwirrende Tendenz unserer Denkweise, was geeignet ist, Verständnis und Kommunikation zu erschweren. Ähnliches ist ebenfalls Hesse geschehen, als sein Büchlein Aus Indien 1913 herauskam, das seine Begegnung mit asiatischen Menschen dokumentiert. Anscheinend haben sich seine Zeitgenossen nicht über diesen Titel gewundert. Die späteren 1

H. Hesse, Blick nach dem Fernen Osten, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 2002.

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Leser haben das Problem den Buchtitel zu erklären, da Hesse den Subkontinent überhaupt nicht betreten hat. Man behalf sich mit dem Ausdruck Hinterindien. Ich war keine Ausnahme. Sicherlich hat diese Erklärung ihre Richtigkeit. Aber Hesse erwähnt diesen Begriff nur ein einziges Mal. Für ihn war er in Indien und er berichtet in seinem Büchlein über seine dortigen Erlebnisse. Das fernste Reiseziel Hesses war von vornherein Sumatra, wo er auch tatsächlich hinkam. Seine Reiseroute richtete sich nach der Schifflinie des Norddeutschen Lloyd, und er fuhr bis Singapur, weil Sumatra direkt gegenüber liegt. Auf der Rückreise wollte er Ceylon besuchen, weil Colombo auf der Reiseroute lag, nur «bei günstigen Umständen würde er etwa auch noch ein Stückchen von Vorderindien» besuchen, wie er im Sommer 1911 an Conrad Haußmann schrieb. Wir wissen, daß die Umstände alles andere als günstig waren. Im selben Brief erwähnte er auch Kuala Lumpur, eine «Chinesenstadt von 160 Einwohnern». Aber die Stadt an sich interessierte ihn wenig, denn er wollte nur den Urwald in der Nähe besuchen. Dies alles erhellt, daß Hesse keine Kulturreise plante, sondern primär Urwalderlebnis suchte, das heißt das andere Extrem seines Lebens im Schwabenland und des kulturellen Unbehagens in Europa überhaupt. Er fühlte sich durchaus als «Sumatrareisender», wie er in einem Brief an seine Familie vom 15. 08. 1911 schrieb. Sumatra befindet sich im heutigen Indonesien. Damals war es als holländisch-Indien bekannt; konsequent benutzte Hesse selbst diese Bezeichnung in seinen Reiseberichten. Daher ist der Buchtitel Aus Indien vollkommen zutreffend. Gemeint war nicht nur das Verwaltungsgebiet des britisch-Indien, sondern auch des holländischIndien. Hesses Reiseziel war also Sumatra, holländisch-Indien. Es war weder China, noch Indien, die beiden Kulturen, mit denen er sich später im Leben so viel beschäftigte. Er hätte leicht seine Reise nach Hong Kong, einer britischen Kronkolonie, und von dort aus nach Shanghai, wo die britische Präsenz ebenfalls sehr stark war, oder sogar nach Tsingtau fahren können, wenn er die chinesische Kultur hätte kennen lernen wollen. Ein Besuch von Vorderindien hätte er ebenfalls nicht von günstigen Umständen abhängig gemacht, wenn er wirklich die indische Kultur hätte erleben wollen. Nein, ihn interessierte der Urwald, die Urnatur. Der zivilisierteste Akt, der ihm dort einfiel, war Schmetterlinge zu fangen. Die Reiseroute bis Sumatra war äußerst vielsagend. Denn nach dem Mittelmeer bis Singapur legte der Dampfer «Prinz Eitel Friedrich» ausschließlich in britischen Häfen an. Nur Sumatra war holländisch. Das heißt, obgleich Hesse Europa verlassen hatte, war er dennoch überall auf europäischen Hoheitsgebieten. In anderen Worten, er fuhr als Europäer zu den Kolonien. Damit gehörte er automatisch und objektiv zu den Kolonialherren. Als solcher wurde er sowohl von anderen Europäern als auch von den Einheimischen angesehen. Die Begleiterscheinung war, daß er ebenfalls eine ähnliche Perspektive annahm bzw. annehmen musste. Aus diesem Grund weist Ralph Freedman in seiner Hesse-Biographie hin, daß Hesse den Indern «und Ihrer Gesell-

Herman Hesse und (das nicht so ferne) Asien 21

schaft zunächst mit den typischen Vorurteilen des Europäers»2 begegnete. Freedman meinte natürlich nicht den heutigen, sondern den Europäer zu Hochkolonialzeiten. Wenn Hesse schon gegen Inder voreingenommen war, hielt er die einheimischen Völker Malayas und Sumatras natürlich noch niedriger. Nur von den Chinesen war er beeindruckt, wie wir wissen. Diese Tatsache wollen wir einer näheren Untersuchung unterziehen. Niemand ist mit einer Meinung oder gar Weltanschauung geboren. Diese erwächst aus verschiedenen Quellen: die Tradition und die unmittelbare Umwelt wie das Elternhaus, die Schule und die öffentliche Meinung spielen eine prägende Rolle. Bei starken Individuen wird sie noch durch das eigene Erlebnis mit bestimmt. Zu dieser Kategorie gehörte zweifelsohne Hesse. Er war ein vielleicht überdurchschnittlicher Reisender, aber dennoch ein Tourist. Keiner kann über der Zeit stehen, noch nicht einmal ihre Kritiker. Eine der Zeit entgegengesetzte Überzeugung musste durch harte Arbeit und tiefes Erleben erst entstehen. Zur Zeit seiner Indienreise hatte Hesse noch wenig Vorbildung über Asien. Was ihm sein Elternhaus über Indien und seine Kultur mitgeben konnten, war vielleicht überdurchschnittlich, dennoch nicht viel. Es ging eher um indische Souvenirgegenstände als ein echtes Verständnis, zumal der Pietismus nicht unbedingt heidenfreundlich ist. Das frühste Schriftstück Hesses über etwas Indisches, und zwar über Bhagavadgita, wurde erst 1912 publiziert, geschrieben wurde es nach der Indienreise. Direktes Wissen über Indien scheint Hesse zuerst von Schopenhauer bezogen zu haben. Hesse berichtet in Über mein Verhältnis zum geistigen Indien und China, daß er etwa mit 27 Jahren (d.h. 1904) anfing, sich mit dem Philosophen zu beschäftigen. Übrigens ist Schopenhauer der erste deutsche Philosoph, der sich sowohl dem indischen als auch dem chinesischen Geist öffnete3. Volker Michels berichtet, daß Hesse 1907, «angeregt durch Schopenhauer», begann, «mit Yoga, Askese und Selbstkasteiung zu experimentieren»4. Ein Schlüsselwort von Schopenhauers Philosophie ist der Sanskritbegriff «tat twam asi» (das bist du), den Hesse Jahre später mit seinen Worten so erklärt: «im Sinn der ganzen vorbuddhistischen Philosophie, ist mein Nächster nicht nur ‹ein Mensch wie ich’ sondern er ist Ich»5. Dieses Bewußtsein brachte Hesse wahrscheinlich mit auf seiner Indienreise, das gegen die Kolonialanschauung wirkte. Daher merkt der Leser, daß Hesse in seiner Reiseaufzeichnung trotz offensichtlicher Abneigung immer wieder den Versuch macht, Positives über die Völker Asiens zu sagen. Von der Reise gewann Hesse nur von den Chinesen einen unumstrittenen positiven Eindruck, und zwar meines Erachtens aus zwei Gründen. Der erste und offen2 3

4 5

R. Freedman, Hermann Hesse. Biographie, Frankfurt a.M. 1999, S. 196. Diesbezüglich habe ich im Juli 2002, in meinem Referat Hesse, Schopenhauer und die Öffnung des deutschen Geistes beim Internationalen Hesse Symposium in Calw ausführlich gesprochen. Die Beiträge werden veröffentlicht. H. Hesse, Blick nach dem Fernen Osten, a. a. O., S. 458. Zitiert nach Blick nach dem Fernen Osten, a. a. O., S. 474.

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sichtliche Grund ist, daß Hesse vor dem Anbruch seiner Reise bereits Gespräche von Konfuzius, Tao-te-king von Lao Dsi und Reden und Gleichnisse des Tschuang-Tse gelesen hat. Die ersten beiden Bücher wurden von Richard Wilhelm verdeutscht, das letzte von Martin Buber, ein Bewunderer des Tao. Wenn Schopenhauer die hinduistische Lehre des «tat twam asi» propagierte, forderte Buber die Mitmenschen auf (gemeint sind Deutsche und Christen), die Andersartigen vorurteilslos kennen zu lernen. Bubers und Schopenhauers Auf- und Mahnruf bildet die beiden Seiten desselben Medaillons: man solle den Nichtchristen als seinesgleichen kennen und erkennen. Dies hat Hesse bei den Chinesen zur Zeit der Indienreise vollzogen. Daher war er bereit, diese als gleichwertige Mitbewerber und gar Rivalen anzuerkennen. Bei den anderen asiatischen Völkern war es anderes. Diese sah er noch mit den Augen des – zugegeben wohlmeinenden – Kolonisators. Seinen sinnlichen Eindrücken scheint die koloniale Perspektive zu entsprechen. Die Europäer trugen Tropenanzüge, die Kleidung der Chinesen, wie Hesse berichtet, war meistens weiß, schwarz oder blau, während die anderen bunt trugen. Die Architektur scheint ebenfalls die Kindlichkeit und negative Naturnähe dieser Völker zu bestätigen. Die Häuser der Chinesen und ihre Lebensgewohnheiten scheinen ordentlicher als die übrigen Einheimischen. Hesse lebte nicht außerhalb seiner Umwelt und seiner Zeit. Wir müssen seine Haltung im Zusammenhang des Kolonialismus, in dem ganz Europa involviert war, sehen. Denn eine christlich-fundierte, eurozentrische und Hauptfarbe-valorisierende Rassentheorie wurde seit dem Zeitalter der Entdeckungen, das auch den Anfang der modernen Kolonialisierung darstellt, langsam gebildet, die im späten 19. Jahrhundert den Höhepunkt erreichte. Beispielsweise galten im 17. Jahrhundert die Chinesen bei den Jesuiten allgemein als weiß, wahrscheinlich weil das Zentrum der China Mission in Peking, also im Norden Chinas, basiert war. Immanuel Kant beschrieb dieselben Chinesen als eine Mischrasse zwischen den «weißen Tataren» und den «gelben Hindus», also leicht gelblich. Lichtenberg gab die Hauptfarbe Ende des 18. Jahrhunderts noch als die des Meerschaums an. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden dieselben Chinesen schon als gelb beschrieben, in der zweiten Hälfte verglich Joseph Arthur de Gobineau (1816–1882), ein in der Nazi-Ideologie zu Ehren gekommener französischer Rassentheoretiker, die Hauptfarbe der Chinesen mit der ausgetrockneten Orangenhaut6. Es ist nicht bekannt, daß Hesse jemals die Chinesen als minderwertig ansah, doch in seinen Augen waren die anderen Asiaten, einschließlich die Inder, durchaus «Naturvölker». In diesem Zwischenstadium der Erkenntnis stand Hesse um die Zeit seiner Indienreise. Die Entwicklung seiner «Menschwerdung» hing auch damit zusammen, wen er als vollwertige Menschen anerkennt. Diese Menschwer6

Gobineau ist durch seinen Essai sur l’inegalité des races humaine (1853–55) bekannt geworden. Die deutsche Übersetzung kam 1898–1901 als Versuch über die Ungleichheit der Menschenrassen heraus.

Herman Hesse und (das nicht so ferne) Asien 23

dung erreichte einen vorläufigen Höhepunkt in seinem Roman Siddhartha. Eine indische Dichtung (1922). Hesse war durchaus ein aufmerksamer Reisender. In den Malay States hat er ziemlich schnell die koloniale Hierarchie ausgemacht. Ganz unten waren die Malayen, über ihnen standen die Javaner. Diese beiden Gruppen sprachen malaiisch. Danach kamen die eingewanderten Ostasiaten (hauptsächlich Chinesen, dann Japaner) und Südasiaten aller Provenienz, die Hesse als Inder zusammenfasst. Ganz oben waren die Kolonialherren, zu ihnen gehören alle Westländer. Als Tourist hat Hesse nicht viel von der britischen Kolonialverwaltung mitbekommen, er ist lediglich in Hotels abgestiegen und hat sich die Städte entweder zu Fuß oder in einer Rikscha angesehen. Von der englischen Musik und vom englisch-indischen Essen war er nicht begeistert, dafür beneidete er das Essen chinesischer Kulis. Doch den Engländern an sich zollte er durchaus Respekt. Wörtlich schreibt er: Die Engländer, die in ihrem Nationalitätsgefühl und in ihrer strengen Pflege der eigenen Rasse eine Art von Ersatzreligion besitzen, sind denn auch die einzigen Westländer, die es da draußen zu einer wirklichen Macht und Kulturbedeutung gebracht haben.7

Im Bericht Augenlust beschreibt Hesse seine Eindrücke von den asiatischen Völkern genauer. Vom Genius einer Zauberflasche bekommt er drei Wünsche erfüllt. Er will Gesundheit, eine schöne junge Geliebte unbestimmter Nationalität und 10.000 Dollar. Mit der Geliebten und dem Geld geht er auf einen fantasierten Einkaufsbummel. Auch hier werden die Chinesen am besten beschrieben, und zwar zuerst in der Beschreibung eines elfjährigen Chinesenmädchens, die vor dem Hotel Spielsachen verkauft. Es wird berichtet, daß sie schon mit 7 Jahren den Handel betreibt. Hesse stellt sich ihre Zukunft so vor: Später wird sie mit Gegenständen handeln, die wohlhabende junge Herren brauchen, dann wird sie heiraten und ihr Geschäft in Porzellan, Bronzen und Altertümern machen, und schließlich wird sie nur noch spekulieren und Geld verleihen und die Hälfte ihres Vermögens in ein wahnsinnig luxuriöses Privathaus verbauen... wo der religiöse Hausaltar von Gold funkeln wird.8

Mit der Rikscha würde Hesse mit seiner imaginierten Geliebten dann bei einem indischen Juwelier vorfahren. Obwohl die Inder jetzt nach englischen und französischen Dessins arbeiten, ist ihre Arbeit dennoch noch edel und zart. Er preist auch ihre unermessene «Geduld und Höflichkeit». In einem japanischen Laden, wo der Schwindel am größten sein soll, würde er folgendes kaufen: kapriziöse Fächer aus dünnstem Holz, kleine duftende Holzschachteln mit hübschen eingelegten Verzierungen, die nur durch einen geheimen Fingerdruck zu öffnen sind... und kleine Figuren von Menschen und Tieren, die hier für fünfzig Cents zu haben sind und 7 8

H. Hesse, Rückreise, in Aus Indien, in GS, 6, S. 288. H. Hesse, Augenlust, in Aus Indien, in GS, 6, S. 235.

Adrian Hsia 24 die alle deutschen Kunstgewerbler zusammen nicht so einfach und ausdrucksvoll fertig bringen würden.9

Ein Volk, das solche Arbeiten zustande bringen kann, darf man, obwohl Hesse es nicht aussprach, nicht verachten. Es war Japan, das ein paar Jahre die deutsche Kolonie in China beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs angriff und besetzt hielt. Nach dem japanischen Laden würde Hesse die javanischen und die Tamilgeschäfte besuchen, um Batik, Seide, Spitze und Elfenbeinschnitzereien zu kaufen. Völker, die solche feinen Erzeugnisse herstellen, können nicht einfache Naturvölker sein. Das sind praktische Beispiele, die Hesse selbst aufführt, die nicht zum mitgebrachten Stereotyp passen. Genauso wenig passt die von Hesse beschriebene Religiosität der asiatischen Völker zu Eigenschaften kindlicher Völker. Einerseits gibt Hesse seine vorgefasste europäische und christliche Meinung über andere Religionen zum Besten. Er schreibt, daß diese «minderwertig, verdorben, veräußerlicht, verroht» seien. Andererseits drückt er im gleichen Atem seine Bewunderung über die echte Religiosität der «armen und unterworfenen Völker» aus, seien sie Hindus, Mohammedaner oder Buddhisten. Er beneidet sie um «das selbstvergessene Gefühl der Zugehörigkeit zu einer ideellen Gemeinschaft und des Kräfteschöpfens aus unversieglich magischer Quelle»10. Solches Empfinden könnten die Nordeuropäer aufgrund ihres Intellektualismus und Individualismus nur noch selten erleben, etwa beim Anhören einer Backmusik, meint er. Dies schreibt Hesse im Jahre 1911 und später beschreibt er wieder ähnliche Erlebnisse beim Anhören göttlicher Musik im Steppenwolf (1927). Obwohl Hesses Reiseziel holländisch-Indien war, war er nicht von den Niederländern als Kolonialherren beeindruckt, im Gegensatz zu seiner Meinung vom British Empire. In Palaiang weiß er zu berichten, daß das Gebiet erst kürzlich pazifiziert wurde. Wer die niederländische Kolonialherrschaft kennt, vermutet sofort, daß es nicht ohne Gewalt und Blutvergießen ausgeführt werden konnte. Tatsächlich gibt Hesse ein wenig später mehr Einzelheiten. Jetzt sagt er genau, vor «drei Jahren wurden es hier noch in wilden schnöden Streifzügen die Ureinwohner niedergeschossen»11. Es wird auch berichtet, daß «etwa hundert holländische Soldaten im Städtchen» stationiert seien und machten «hie und da einen dekorativen Streifzug, um etwaigen rebellischen Einwohnern zu zeigen, daß man da ist und aufpaßt»12. Jetzt konnte endlich das kostbare Eisenholz abgebaut werden13 und Erdöl floß «in Eisenröhren nach den Raffinerien der Stadt». Natürlich darf man Kautschuk, Baumwolle, Pfeffer, Kaffee usw. nicht vergessen. Etwas Kulturelles scheint es dort nicht zu geben. In einer einzigen holländischen Buchhandlung in Palem9 10 11 12 13

Ebd., S. 237. H. Hesse, Rückreise, a.a.O., S. 288. H. Hesse, Waldnacht, in Aus Indien, in GS, 6, S. 261. Ebd., S. 255. Ebd., S. 251f.

Herman Hesse und (das nicht so ferne) Asien 25

bang waren lediglich «Übersetzungen der übelsten Kolportageromane aller Sprachen zu haben»14. Hesse stellt fast ironisch fest, daß «der holländische Kolonialbetrieb ein wenig den Eindruck einer kurzsichtigen Ausbeutung der Natives macht»15. Es ist offensichtlich, daß der Urwald alles andere als paradiesisch war. Dieses alles hatte Hesse bei seiner Reise registriert. Die Widersprüche zwischen stereotypen, durch den Kolonialismus vorgeprägten Meinungen und eigenen Beobachtungen müssen gelöst werden. Es ist ein langjähriger Prozess, ein Teil seiner Menschwerdung. Was Hesse von seiner Indienreise direkt aufgenommen hat, erfahren wir noch einmal in der Erzählung Robert Aghion, in der er sein Erlebnis künstlerisch verarbeitete. Gleich am Anfang der Geschichte lesen wir, daß Europa «allerwärts auf Erden entdeckt und erobert» hatte und sich nur für Dinge interessierte, «mit denen der Welthandel Geld verdient». Zudem hatte Europa «eine Menge von erschrockenen Eingeborenen da draußen wie Raubzeug verfolgt und niedergeknallt ... [und] sich benommen wie der in den Hühnerstall eingebrochene Marder»16. Mit diesen wenigen Sätzen hat Hesse den Hintergrund der Erzählung gezeichnet. Der Protagonist Robert Aghion ist wie Hesse, beiden sind die Schmetterlinge das Allerliebste, und als Missionar fährt Aghion nun nach Indien, um Gottes Wort zu verkünden. Der Ort wird nicht angegeben, er soll irgendwo südlich von Bombay liegen. Sofort gewinnt er die braunen Menschen, das fremde Naturvolk mit den «schönen kindlichen Augen» lieb, die in kleinen Häuschen aus Lehm oder aus Bambusgestänge gebaut, leben. Doch als er ihre Tempel sieht, muss er zugeben, daß diese tierhaft sanften, halbnackten Menschen eben doch keineswegs ein paradiesisches Naturvolk waren, sondern seit einigen tausend Jahren schon Gedanken und Götter, Künste und Religion besaßen.17

Robert Aghions Erkenntnisse werden neben Mr. Bradleys Kolonialurteile gestellt, für den die Inder «ein schweinisches Pack von Bettlern und Unholden» sind. Dieser Mr. Bradley ist britischer Kaufmann, der regelmäßig Ohrfeigen und Fußtritte an seine männlichen Diener verteilt, die jungen weiblichen Dienerinnen aber beschläft er. Er warnt Aghion, sich von den Hindus in Acht zu nehmen, sonst würde er bestohlen. Dies geschieht nun tatsächlich. Dennoch empfindet Aghion die Inder als ein frommes Volk. Außerdem leben sie, trotz der Vielfalt der Religionen,18 «vergnügt nebeneinander hin, ohne daß es den Anhängern des einen Glaubens einfiel, die anderen zu hassen oder totzuschlagen, wie es daheim in den Christenländern Sitte war»19. Er ist so sehr beeindruckt, daß er sich zu schämen beginnt, Schmetter14 15 16 17 18 19

Ebd., S. 266. Ebd. H. Hesse, Robert Aghion, in Hermann Hesse, Blick nach dem Fernen Osten, a.a.O., S. 223. Ebd., S. 232. Es ist das erste Zeichen, daß nicht von dem Subkontinent handelt, wo Hinduismus und Islam vorherrschen. H. Hesse, Blick nach dem Fernen Osten, a.a.O., S. 239.

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linge und Käfer zu töten, nur um sie aufzuspießen. Ihm kommt es auch als «eine ungeheuerlich Frechheit und Überhebung» vor, den Hindus «ihren Gott und Glauben» zu nehmen und einen anderen dafür aufnötigen zu wollen. Dies erinnert an den Vorwurf Schopenhauers den englischen Missionaren gegenüber, daß diese den Hindus, die eine ältere und tiefsinnigere Religion hätten, zu einer jüngeren und seichteren bekehren zu wollen. Dazu kommt Robert Aghion nicht. Denn sein Traum hat ihn davon abgehalten. In diesem Traum predigt er tatsächlich zu den Hindus vor einer christlichen Kirche. Er versucht sie zu überzeugen, daß der wahre Gott nicht eine Fratze mit vielen Armen und Rüsseln haben kann. In diesem Moment nimmt er wahr, daß der Gottvater jetzt drei Köpfe und sechs Arme bekommen hat. Er sieht auch, daß dieser neue Gottvater und die Hindu-Götter sich gegenseitig Besuche abstatten. Im Hindu Tempel nimmt der Gottvater Huldigung der Brahmanen entgegen, während die Hindu-Götter ihre Anhänger in die christliche Kirche herüberbringen. Robert Aghion ist sich bewusst, daß er nicht Missionar bleiben kann. Er findet eine Arbeit als Vorsteher einer Kaffeeplantage.20 Die Erzählung endet aber eigenartig. Weil Robert Aghion Mr. Bradley mit einer Dienerin im Bett gefunden hat, macht er diesem Vorwürfe. Erbost fordert der Kaufmann Aghion auf, sich eine eigene Bleibe zu suchen. Um diese Zeit hat sich der Missionar in eine junge Inderin verliebt. Hesse erzählt, daß in Indien die Sitte herrscht, daß Frauen der niederen Stände mit freiem Oberkörper ihren Geschäften nachgehen. Robert Aghion hat nun die junge Frau gesehen und kann ihrem Charme nicht widerstehen. Darauf hin findet eine Diskussion zwischen Robert Aghion und Mr. Bradley zum Thema Heirat statt. Der letztere meint, er würde lieber einen Finger abreißen, als eine Farbige heiraten, denn er kann sie nur als «eine Art Tierchen ansehen», nicht aber wie seinesgleichen. Robert Aghion entgegnet, daß die Inder ein altes Volk seien. Er würde sich mit seiner Schönen verloben und sie dann christlich erziehen, bis sie christlich getauft werden könne. Dann würden sie sich in der englischen Kirche trauen lassen. Der Ausgang der Erzählung zeigt die Grenze der Menschwerdung Hesses um diese Zeit, er kann selbst nicht vollständig Mensch sein, solange er die Menschheit nicht gleichwertig ansieht. Er lässt zwar Robert Aghion den Missionarberuf aufgeben, aber ihn doch darauf bestehen, daß die Inderin getauft werden muss, um dann als Christin mit ihm in die Ehe einzugehen. Dabei hat er sie noch nicht einmal gefragt, ob es ihr recht ist. Robert Aghion ist zwar nicht mehr Missionar, aber er wird, als Vorsteher einer englischen Kaffeeplantage, Kolonialverwalter und dadurch eine Art Kollege des Mr. Bradley. Der Unterschied ist, daß Robert Aghion eine Inderin, die er eigens für eine christliche Ehe taufen lässt, heiratet, während der andere die indischen Frauen einfach als Sexualob-

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Dies ist ebenfalls ein Anzeichen, daß der Ort wahrscheinlich nicht indisch ist, wo die Engländer meistens Tee anbauten.

Herman Hesse und (das nicht so ferne) Asien 27

jekt benutzt, sie sonst aber wie «lustige Ziegen oder schöne Rehe»21 ansieht. Beide werden Kollegen des britischen Kolonialinteresses und, die Erzählung deutet an, künftige Freunde. Daß Hesse diese Erzählung in Indien stattfinden lässt, ist sehr eigenartig. Nicht nur weil wir wissen, daß er nie den indischen Subkontinent betreten hat, sondern weil die Erzählung nichts einzigartig Indisches aufweist. Die Geschichte hätte sich irgendwo in Hinterindien abspielen können, einschließlich der beschriebenen indischen Tempel, zumal es nicht bekannt ist, daß die Inderinnen der unteren Klassen sich tatsächlich ohne Sari unter die Menschen begeben würden. Dagegen wäre so eine Sitte im Urwald nichts Besonders. Aber Hesse hatte das Bedürfnis, doch etwas Indisches, sei es als Fiktion, zu veröffentlichen. Andererseits war er noch nicht so weit, die Inder menschlich bzw. kulturell als seinesgleichen zu akzeptieren. Die Hindus blieben ein Naturvolk, daher soll Robert Aghions Braut zuerst getauft werden. Alles deutet daraufhin, daß Hesse das christliche Europäertum noch als überlegend empfand. Dies ist vielleicht nicht so überraschend, wenn wir sehen, was Hesse, der Dichter des späteren Siddhartha, eine indische Dichtung, zur selben Zeit im Tagebuchblatt aus Kandy über den Buddhismus schreibt: Ich hatte keinerlei Achtung von den miserablen Priestern, ich verachtete die Bilder und Schreine, das lächerliche Gold und Elfenbein, das Sandelholz und Silber, aber ich fühlte tief und mitleidend mit den guten sanften indischen Völkern, die hier in Jahrhunderten eine herrlich reine Lehre zur Fratze gemacht und dafür einen Riesenbau von hilfloser Gläubigkeit, von töricht herzlichen Gebeten und Opfern, von irrender Menschentorheit und Kindlichkeit errichtet haben... was tun dagegen wir klugen und geistigen Leute aus dem Westen, die wir dem Quell von Buddhas und von jeder Erkenntnis viel näher sind?22

Trotz des ironischen Tons der rhetorischen Frage verdeutlicht die Sprache das Empfinden, daß das Europäische überlegender ist. Dieses immer wiederkehrende Überlegenheitsgefühl läßt sich nicht einfach unterdrücken, sondern will, wie immer bei Hesse, ausgelebt werden. Als er 1914 seine Reiseerlebnisse zusammenfasste, war er in der Menschwerdung schon einen Schritt weiter. Zwar blieben die Asiaten, mit Ausnahme der Chinesen, immer noch Naturvölker, aber Europa wurde, trotz seiner Stärke an Vernunft und Technik, nun eine Schwäche zuerkannt: «Primitiv und jedem Zufall preisgegeben scheint das Seelenleben des Abendländers»23, stellt Hesse nun fest. Damit gleichen sich Stärke und Schwäche mehr aus, folglich rücken sich Europa und Asien in der Wertschätzung Hesses näher. Erst der Krieg in Europa brachte Hesse die Erkenntnis, daß Europäer nicht unbedingt vernünftig sind und Technik ein gemischter Segen ist, was die Erzählung Der Europäer (1918) verdeutlicht.

21 22 23

H. Hesse, Blick nach dem Fernen Osten, a.a.O., S. 253. H. Hesse, Aus Indien, in GS, 6, S. 279. H. Hesse, Blick nach dem Fernen Osten, a.a.O., S. 379.

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Diese Erzählung gehört zu den Antikriegsprodukten Hesses während des Ersten Weltkriegs; sie ist die einzige Betrachtung, in die Hesse seine asiatischen Erlebnisse weiterhin verarbeitet hat. Die Handlung ist schlicht. Der blutige europäische Krieg hat Gott veranlasst, noch einmal die Sintflut und Noah auf die Erde zu schicken. Während das Wasser steigt, bauen die Europäer zuerst Dämme, für die sie «Millionen von Kriegsgefangenen Tag und Nacht» einsetzen. Damit ist die Flut natürlich nicht zu halten, so daß einzelne Flecken immer höher aufgeschichtet werden. Diese werden immer kleiner, bis sie turmartig aussehen. Dann werden darauf Eisentürme gebaut. Während dieser Zeit wird weiter auf Leben und Tod gekämpft. Hesse beschreibt: Während Europa und alle Welt versunken und ersoffen war, gleißten von den letzten ragenden Eisentürmen noch immer grell und unbeirrt die Scheinwerfer durch die feuchte Dämmerung der untergehenden Erde, und aus den Geschützen sausten in eleganten Bogen die Granaten hin und her. So wurde heldenhaft geschossen bis zur letzten Stunde.24

Vom Krieg und der Sintflut überlebt in Europa nur ein einziger namenloser Mann. Bevor er von Noah in die Arche aufgefischt wird, ist er «mit seinen letzten Kräften damit beschäftigt, die Ereignisse der letzten Tage aufzuschreiben, damit eine spätere Menschheit wisse, daß sein Vaterland es gewesen war, das den Untergang der letzten Feinde um Stunden überdauert und sich so für ewig die Siegespalme gesichert hatte»25. Dieser Europäer, dessen Gattung Hesse noch bei seiner Indienreise als die Menschen der Vernunft und Technik beschreibt, wird jetzt aus einer anderen Perspektive betrachtet. Denn es ist die Technik, die die Erde verwüstet und Gott veranlasst hat, die Sintflut zu senden. Auf der Arche hat Noah von allen Lebenden je ein männliches und weibliches Wesen gerettet. Nur der Europäer ist allein. Dies wird als der Wille Gottes erklärt. Denn die Gattung der Europäer soll nicht mehr auf der gleichen Weise wie früher fortgepflanzt werden, sondern er muss ein Teil der Menschheit werden. Diese wird aus den Völkern Asiens, Amerikas und Afrikas bestehen, die Völker, die aus der europäischen Perspektive als Naturvölker bezeichnet werden. Die Chinesen befinden sich ebenfalls darunter, denn Hesses Begriff der Naturvölker scheint ein anderer geworden zu sein. Sie werden nicht mehr als unmündlich beschrieben, sondern vielmehr als naturverbunden angesehen. Im Gegensatz zum letzten Europäer sind sie vorzüglich geeignet, die Erde erneut zu bevölkern. Der Maßstab hat sich geändert, das Europäische gilt nicht mehr automatisch als überlegen. Vielmehr hat es der Erde und der Menschheit Unheil gebracht. 1914 hat Hesse noch festgestellt, der Westen atme Vernunft und Technik26. Es stellt sich die Frage, wie die Vernunft die Selbstzerstörung der Menschheit durch 24 25 26

H. Hesse, Der Europäer, in GS, 7, S. 105. Ebd. Hermann Hesse, Blick nach dem Fernen Osten, a.a.O., S. 379.

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die Technik zulassen kann. Zwar bleibt der letzte Europäer in der Erzählung anscheinend unverbesserlich, sogar auf der Arche denkt er daran, daß man mit ein bisschen Dynamit besser schießen kann als mit Pfeil und Bogen, doch in seinem Selbstverständnis wird das Wort Vernunft nicht mehr gebraucht. Von den anderen auf der Arche aufgefordert, seine Gabe zu beschreiben, benutzt er Begriffe wie Intellekt und Verstand. Über dessen praktische Ausführung erklärt er wie folgt: Meine Gabe und Eigenart ist diese: ich speichere in meinem Kopf die Bilder der Außenwelt auf und vermag aus diesen Bildern ganz allein neue Bilder und Ordnungen herzustellen. Ich kann die ganze Welt in meinem Gehirn denken, also neu schaffen27.

Als diese Erklärung, die das elektronische Gehirn vorausahnt, auf Unverständnis stößt, erklärt er weiter, daß sein Verstand nur dafür geeignet sei, «große Aufgaben zu lösen, auf denen das Glück der Menschheit» beruhe. Dennoch kann er nicht erklären, wie dieses Glück zustande zu bringen wäre, sondern er sagt nur, viele Geschlechter müssten darüber brüten. Darauf hin haben ihn die anderen Passagiere der Arche zum Spaßmacher erklärt. Für den Leser ist er mehr als nur ein Spaßmacher; die Ironie, daß Europa auf dem Streben nach dem Glück der Menschheit mehr oder weniger die Welt zugrunde gerichtet hat, bleibt ihm nicht verborgen. Die Perspektive und infolge dessen die Wertschätzung Hesses hat sich seit seiner Indienreise grundsätzlich geändert. Durch den Krieg ist es ihm klar geworden, daß der Mangel an Religiosität, der er auf seiner Asienreise jeden Tag begegnet, in Europa dazu geführt hat, daß die Vernunft durch den Verstand bzw. Intellekt ersetzt wird, was zum Utilitarismus führt. Dadurch wird die Technik Selbstzweck, was potenziell zur Katastrophe hinleitet. Die europäische Überlegenheit von der Zeit der Indienreise wird nun vollkommen relativiert. Hermann Hesse ist nun zuvorderst nicht mehr nur Europäer, sondern Mensch geworden, er ist soweit, eine Menschheitsdichtung zu schreiben. Im Dezember 1919 begann er mit der Niederschrift des ersten Teils von Siddhartha, eine indische Dichtung. Damit hat Hesse stellvertretend durch Indien die asiatischen Völker seiner Indienreise und darüber hinaus rehabilitiert. Die Popularität dieses Romans erklärt sich vielleicht dadurch, daß sich Menschen aller Kulturen darin widergespiegelt finden können. Es hat sich gezeigt, daß Asien weder so weit, noch so fremd ist. Es ist das erste Gelingen der Menschwerdung bei Hesse. Die Asienreise hat Hesse nicht nur die asiatischen Völker und Kulturen näher gebracht, sondern er hat auch angefangen, Europa im Zusammenhang mit Asien zu sehen. Diese neue Perspektive war sicherlich für seine Menschwerdung förderlich, daß er nun Asiaten als gleichwertige bzw. vergleichbare Menschen anerkennt. Aber der Krieg hat ihn vielleicht zu sehr enttäuscht, so daß er wieder zu einem neuen Europa-Verständnis kommen musste. Dies scheint er durch seine nächsten Romane

27

GS, 7, S. 109.

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Steppenwolf (1927) und Narziss und Goldmund (1930) vollzogen zu haben. Da er sich sowohl das moderne und das mittelalterliche Europa wieder angeeignet hat, war er bereit, sich auf eine zweite Reise zu begeben, diesmal allerdings nur dichterisch. Seine Morgenlandfahrt (1932) legt davon Zeugnis ab. Daß diese gedichtete Reise ihn nicht zu dem wirklichen Morgenland führt, ist ein Anzeichen dafür, daß er es bereits verinnerlicht hat. Seine Reise führt ihn diesmal wirklich zu sich selbst und zur Kultur, die ihn unmittelbar umgibt, ohne auf die Menschheit zu verzichten. Verglichen mit der Indienreise befindet sich die Morgenlandfahrt auf einer höheren, ideellen Ebene. Dies bereitet ihn auf das nächste Bekenntnis zur Menschheit vor, zum Glasperlenspiel (1943), das nicht wie Siddhartha nach der erschütternden europäischen Krise geschrieben wurde, sondern noch während der Krise. Die Altersdichtung Hesses zeigt, daß er sich sogar inmitten der größten Krise Europas zum Menschsein und zur Menschlichkeit bekennt. Er hat sich im Laufe seines Lebens zum Menschen gemacht, während seine Figuren wie Siddhartha und Josef Knecht oder auch Lessings Nathan nur zum Dichtungsreich gehören.

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Außenseiter wird man nicht freiwillig Hermann Hesse als Beispiel für viele

Weil dieses unerschöpfliche Thema am Beispiel von Hermann Hesse betrachtet werden soll, möchte ich mit zwei kleinen authentischen Anekdoten von und über ihn beginnen. Die eine aus dem Jahr 1881 über den vierjährigen Hermann steht am Anfang seines Lebens, die andere, am Ende, achtzig Jahre später, ein halbes Jahr vor seinem Tod. Die erste Begebenheit überliefert seine Mutter. In ihrem Tagebuch finden wir die Notiz: «Es heißt, Hermann wirft Steine! Ich zitiere ihn her, er schreit schon von weitem: «Keine Pansch, keine Pansch!» Die Mutter versichert ihm, er bekomme keine Schläge, er solle nur kommen. Sie hält ihm vor, wie gefährlich das Steinewerfen sei, daß es Fensterscheiben oder gar seine kleine Schwester Marulla im Kinderwagen treffen könne. Er hört gelassen zu und sagt dann ganz treuherzig: «Aber gell Mama, der David ist doch lieb gewesen, wo er den Stein geworfen hat». Ob und was das für ein Goliath gewesen sein mag, meine Damen und Herren, auf den der Vierjährige geworfen hat, erfahren wir nicht, aber, daß ihm schon damals die Relativität von Böse und Gut, von Eigensinn und Anpassung zu schaffen gemacht hat, dafür ist diese Episode ein früher Beleg. Die andere Geschichte überliefert uns Bernhard Zeller, der Hesse im Oktober 1961 in Montagnola besucht hat, um ihm Fragen im Zusammenhang mit seiner geplanten Biographie zu stellen, die dann ein Jahr nach dem Tod des Dichters in der Reihe von Rowohlts Monographien erschienen ist. Amüsiert erzählte ihm Hesse, ein Gymnasiallehrer habe ihm zum Geburtstag eine Glückwunschadresse mit den Unterschriften sämtlicher Schüler seiner Deutschklasse gesandt. Doch kurz darauf sei separat der Brief von einem dieser Schüler bei Hesse eingetroffen, der ihm mitteilte, er habe diese Huldigung eigentlich nur aus Solidarität mitunterzeichnet, denn offengestanden entspreche sie überhaupt nicht seiner persönlichen Meinung. Der Brief dieses Quertreibers habe Hesse mehr Spaß gemacht als die ganze Liste voller Glückwünsche. Denn im Trotz jenes eigenwilligen Schülers hat er wohl sich selber wiedererkannt, seine eigene, lebenslange Balanceoder Zitterpartie zwischen Eigensinn und Anpassung. Wie kam es dazu, wie fängt es an? Man kommt auf die Welt, ohne danach gefragt worden zu sein. Du mußt dich damit abfinden, mußt Spielregeln befolgen, sonst wird es ungemütlich. Man wird registriert und ist plötzlich Staatsbürger, Mitglied einer Zeit und Nation, von der man nicht weiß, ob man zu ihr und zu dem

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paßt, was ihre Machthaber anzetteln. Als Säugling schon wird man getauft und damit ungefragt wieder zum Bestandteil, diesmal einer Kirche, eines Vereins mit weltanschaulichen Vorgaben, nach dem Motto: «Fest soll mein Taufbund immer stehen. / Ich will die Kirche ehren. / Sie soll mich allzeit gläubig sehen / und folgsam ihren Lehren». Wie heißt es dagegen in Goethes Faust? «Vom Rechte, das mit uns geboren ist, von dem ist leider nie die Rede». Dieses Recht, meine Damen und Herren, sind die Bedürfnisse des bei jedem Menschen unterschiedlich und völlig neu gemischten Repertoires von Talenten, seines ganz unverwechselbaren Cocktails von Erbanlagen. Sie sind nicht weniger vital als das Umfeld, in das wir hinein geboren werden und fordern gleichfalls ihr Recht, drängen nach Verwirklichung und haben sich zu behaupten mit oder gegen die unterschiedlichen lokalen und zeitgeschichtlichen Herausforderungen, die sie antreffen. Und je begabter und willensstärker einer ist, desto größer die Widerstände, die er dabei zu überwinden hat. Daß die Mehrheit der Zeitgenossen den Hürdenlauf der Selbstbehauptung lieber meidet, lieber die vorgegebenen Spielregeln akzeptiert und sich nach der Decke streckt, macht die Sache nicht einfacher, zumal es ja nicht Böswilligkeit, sondern zumeist Bequemlichkeit, oft auch Naivität oder Einfalt ist, dieses Bedürfnis nach Geborgenheit, Harmonie und schnellstmöglicher Akzeptanz durch die Mitmenschen. Denn wie kann man gegen die anderen leben, wenn man von ihnen leben muß? Wer das versucht, gerät in die Zwickmühle einer Gruppendynamik, die nach dem japanischen Muster funktioniert: «Herausragende Nägel muß man einschlagen». Daß Hesse ausgerechnet in Japan so viel gelesen wird wie kein anderer europäischer Dichter, ist eine durchaus folgerichtige Konsequenz daraus. Also auch unsere Talente wollen ihr Recht und wohl dem, der in einem Umfeld aufwachsen kann, das sie respektiert und fördert. Hermann Hesse hatte damit zumindest in den Jahren seiner frühen Kindheit großes Glück. Der Alltag seiner Eltern und Verwandten, gebildeten und weitgereisten Leuten, die sich auszudrücken und die zuzuhören verstanden und sich als Missionare publizistisch und verlegerisch betätigten, war farbig und abwechslungsreich. Das ländliche Ambiente seiner Heimatstadt Calw mit ihren Handwerkern, Kaufleuten, Holzhändlern, dem Fluß mit seinen Gerbern, den unseßhaften Flößern und Landstreichern, boten zusätzliche Kontraste und so starke sinnliche Eindrücke, daß ein 85jähriges Leben kaum ausreichte, sie alle darzustellen, zu vergegenwärtigen und künftigen Generationen zu überliefern. Aber im Verlauf der Schulzeit und Pubertät konnte es nicht ausbleiben, daß er sich dieser Talente und damit zunehmend auch der Unterschiede bewußt wurde, die ihn von den Erwartungen seiner Familie trennten. Deren Erwartungen zielten wie die aller gutmeinenden Eltern auf die schnellstmögliche Integration ihrer Kinder in die Gemeinschaft und auf einen möglichst sicheren und respektablen Beruf. Was war da bei Hermanns Begabung naheliegender und sinnvoller als die theologische Laufbahn, um eines Tages den Familienbe-

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trieb des Calwer Missionsverlages fortzuführen? Das war doch ein sicheres, etabliertes und erfolgversprechendes Gewerbe. Außerdem brauchte man ja auch einen tüchtigen Nachfolger, um die Leistungen der Großeltern und Eltern nicht aufs Spiel zu setzen. Also ein klassischer Fall fürsorglicher Bevormundung, wie er sich von Generation zu Generation millionenfach wiederholt. Glücklich die Eltern, wenn sich die Kinder zu fügen vermögen, schlimm aber, wenn ihre Begabung in eine ganz andere Richtung weist. Im Fall Hermann Hesses kam erschwerend hinzu, daß das Gewerbe seiner Eltern ein weltanschauliches war. Und nicht genug damit, als Theologen hatten sie ja schließlich das Patent auf die höchste Instanz, die sich denken läßt, auf Gott selber. Somit konnte jeder Widerstand gegen ihre persönlichen Erwartungen mit einer Verfehlung gegen dessen Weltordnung gleichgesetzt werden. Das machte dem jungen Hesse mehr zu schaffen als die ganze Frömmelei des sogenannten Pietismus, der alles, was Vergnügen macht, als sündhaft verurteilte und dessen erbauliche Lieder, Sprüche und Reime schon den Dichter in ihm beleidigten. Wer von Kindesbeinen an mit solch professioneller Ausschließlichkeit auf ein bestimmtes Weltbild konditioniert wird, der muß es entweder assimilieren oder dagegen rebellieren. Der hat keine Wahl und wird, wenn er gescheit ist, alle pädagogischen Ungeschicklichkeiten weniger den Eltern als vielmehr dem Weltbild anlasten, das sie vertreten. So kann sich also, was für viele Menschen der lnbegriff des Positiven ist, die Religion und die Kirche, ins Gegenteil verkehren und begabte, gutwillige Menschen zu Aufsässigen und Atheisten machen. Wie z.B. der Pfarrerssohn Friedrich Nietzsche zum Antichristen oder die Pfarrerstochter Gudrun Ensslin in den Baader-Meinhof-Radikalismus getrieben wurde, mußte auch Hermann Hesse aufbegehren, als man den Widerspenstigen im Alter von 15 Jahren in einer Heilanstalt für Schwachsinnige und Epileptische zu zähmen versuchte. Daß Hesse danach fast 40 Jahre brauchte, um auf dem Umweg über andere Religionen besonders jene, die seine Eltern missionarisch zu verdrängen bemüht waren – zu einem konfessionsübergreifenden Christentum zurückzufinden, hängt damit zusammen. Und auch, daß er später – selber Vater geworden – keinen seiner drei Söhne taufen, sondern sobald sie mündig waren, selbst bestimmen ließ, ob und welcher Kirche sie angehören wollten, ist darauf zurückzuführen. Einer der Söhne entschied sich dagegen, zwei jedoch dafür – ein charakteristisches Mischungsverhältnis, das einiges aussagt über die Erziehung, die sie erfuhren. Daß man auch außerhalb der Kirche ein guter und oft sogar besserer Christ sein kann, als manche, die es mit ihrem Taufschein bewenden lassen, das läßt sich am Fall Hermann Hesses und seines Sohnes Heiner studieren, deren Außenseitertum ja nichts anderes als eine Spielart größerer Gewissenhaftigkeit war. Verlassen wir nun den Aspekt des Religiösen, dem ich nur deshalb so viel Augenmerk eingeräumt habe, weil er die entscheidende Prägung gewesen ist, die Hesse in seiner Kindheit und Jugend zu schaffen machte und wenden wir uns nun

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anderen Spielarten des Außenseitertums zu, das ja stets unfreiwillig und leidvoll beginnt, um dann – je nach Sensibilität, Begabung und Fleiß – neue Wege des Sozialverhaltens zu erschließen, die nicht selten innovative Entwicklungen vorbereiten. Der Staat versieht jeden Menschen mit einem Paß. Dort sind neben den Angaben, die wir nicht beeinflussen können: also Namen, Geschlecht, Geburtsdatum und -ort, Augenfarbe, Größe, Nationalität und Konfession nur zwei Merkmale ausgewiesen, die unserer Selbstbestimmung unterliegen, nämlich Wohnsitz und Beruf. Über die Religionszugehörigkeit haben wir gesprochen, werfen wir nun einen Blick auf die Staatsangehörigkeit, von der man sich ja auch nicht ohne Not zu trennen pflegt. Hier waren bei Hesse schon die Ausgangskonstellationen so, daß sein übernationaler Werdegang vorgezeichnet zu sein scheint. Im Juni 1937 schrieb er in einem Brief: «Ich bin außerhalb der Nationalschranken aufgewachsen und für Leute dieser Art ist die blödsinnig vereinfachte Nationalitäten-Einteilung der heutigen Welt dasselbe wie ein winziger Käfig für einen großen Vogel». Als Sohn eines Balten mit russischer Staatsangehörigkeit und einer in Indien geborenen Württembergerin, Tochter einer französischsprachigen Mutter aus der Westschweiz, aufgewachsen in einem Elternhaus, wo zum Christentum bekehrte Heiden unterschiedlichster Nationalitäten aus- und eingingen, konnte für den Dichter die Frage der Staatsangehörigkeit nichts Trennendes bedeuten. Wie solidarisch er sich mit den ausgeplünderten, versklavten, ihrer politischen und religiösen Selbstbestimmung beraubten Opfern der europäischen Kolonialpolitik fühlte, zeigt sein Interesse an deren nichtchristlichen Weltbildern und sein Einsatz als Rezensent für die Leistungen anderer Völker. Wie sein Vater zunächst russischer Staatsbürger war und ab 1883 als Mitglied des Basler Missionsvereins Schweizer wurde, war auch Hermann zunächst Russe, seit seinem sechsten Lebensjahr dann Schweizer, zwei Jahre später Württemberger und somit Reichsdeutscher, damit er nach dem Stuttgarter Landexamen die kostenlose Begabtenförderung der Württembergischen Seminare in Anspruch nehmen konnte. Wie sehr seine Kindheit in der deutschalemannischen Heimat zwischen Calw und Basel diesen übernationalen Dichter geprägt hat, weiß jeder, der seine Erzählungen kennt. Ein Südwestdeutschland ist darin überliefert, wie es inniger, anschaulicher, spannungsreicher und deteilgenauer nicht dargestellt werden kann, «melancholisch-humoristisch wie ein Spitzweg-Bild und gleichzeitig voll reiner Musik wie ein Volkslied» schrieb Stefan Zweig, der Hesses Frühwerk mit Bildern des Schwarzwald-Malers Hans Thoma verglichen hat. Als dann der großspurige preußische Kaiser und nach ihm der vollends größenwahnsinnige «Führer» das Liebenswerte der heimatlichen Traditionen und damit das positive Erbe des deutschen Idealismus für ihre Zwecke mißbrauchten und zugrunde richteten, schrieb Hesse Erzählungen wie Knulp und Narziß und Goldmund, um, wie er sagte, «der Idee von Deutschland und deutschem Wesen, die ich seit Kindheit in mir hatte, einmal Ausdruck zu geben und ihr meine Liebe zu gestehen –

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gerade weil ich alles, was heute spezifisch deutsch ist, so sehr hasse». So ist es denn kein Zufall, daß Thomas Mann anläßlich Hesses 60. Geburtstag im Juli 1937, also mitten im Dritten Reich, betont hat: «So recht von Herzen können wir wieder einmal Deutsche sein bei dieser Gelegenheit, Ja sagen zum Deutschtum und uns in tiefem, verschlagenem und kompliziertem Stolz als Deutsche fühlen. Denn Deutscheres gibt es nicht als diesen Dichter und das Werk seines Lebens, nichts das deutscher wäre in dem alten, frohen, freien und geistigen Sinn, dem der deutsche Name seinen besten Ruhm, dem er die Sympathie der Menschheit verdankt». Damit habe ich weit vorgegriffen, denn diese kongenial zutreffende Charakterisierung steht fast schon am Ende einer Entwicklungslinie, die bereits 30 Jahre zuvor mit Hesses öffentlicher Kritik am militanten Größenwahn Kaiser Wilhelms II eingesetzt hatte, sich 1912 fortsetzte mit Hesses Übersiedlung in die Schweiz und dann 1914 kulminierte in seiner qualvollen Auseinandersetzung mit dem deutschen Patriotismus im Ersten Weltkrieg. Noch bis 1915 hat er nichts unversucht gelassen, seine Solidarität mit dem Vaterland zu beweisen und auch dessen Verirrungen noch positive Seiten abzugewinnen, bis er schließlich, vollends desillusioniert, ein kleiner David gegen den Goliath des Berliner Kriegsministeriums, gezieltere Steine zu werfen begann: zunächst kleinere, ohne Vermummung, danach größere, unter dem Decknamen Emil Sinclair. Ich kann jetzt, meine Damen und Herren, den Werdegang von Hesses politischem Außenseitertum – so spannend es wäre – nicht nochmals darstellen. In den tausend Seiten der Bände Politik des Gewissens finden Sie es überliefert von 1914 bis zu seinem Tod. Nur eines möchte ich in diesem Zusammenhang noch sagen. Daß Hesses politische Distanzierung von Deutschland für seine offizielle Einschätzung bis auf den heutigen Tag verhängnisvolle Folgen hatte. Denn keinem der Machthaber in Deutschland, von den preußischen Hohenzollern über Ludendorff bis Goebbels, ist es entgangen, daß mit ihm als Sympathisant ihrer Politik nicht zu rechnen war. Hesse war weder ein Gerhart Hauptmann noch ein Richard Strauss, mit dem der Staat hätte Staat machen können. Er lieferte keinem der deutschen Potentaten von 1907 bis 1945 auch nur die geringste Legitimation für seine Politik. Für einen Repräsentanten und Staatsdichter war er zu unbestechlich, trotz zahlreicher Offerten seitens der Machthaber. Das hatte Konsequenzen. Denn, meine Damen und Herren, nach nichts gieren Politiker ja mehr als nach Legitimation, nach Bestätigung und Applaus von Prominenten, die beliebt bei der Bevölkerung sind, seien es nun Sportler, Filmschauspieler, Sänger oder Künstler. Wer damit dienen kann, der wird mit Orden, Preisen und Auszeichnungen überhäuft, kommt in die Medien, wird Lehrgegenstand an Schulen und Universitäten und hat ausgesorgt. Wessen politisches Gewissen aber Konzessionen an die Herrschenden verbietet, der braucht sich über die Folgen nicht zu wundern. Für Hesse bestanden sie darin, daß er bis nach dem Zweiten Weltkrieg weder einen deutschen Literaturpreis erhielt noch irgendeine offizielle Förderung erfuhr. Und weil hierzulande der einflußreichste Teil des

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Kulturlebens, nämlich die Schulen und Universitäten, in staatlicher Hand sind, die von lohnabhängig-obrigkeitshörigen Beamten betrieben werden, war auch von dort mit keinem Korrektiv zu rechnen. Denn welcher Staatsdiener gefährdet gerne seine Karriere und Existenz, um Inhalte zu unterstützen, die den Behörden unbequem sind? So hat es in Deutschland bis nach dem Zweiten Weltkrieg so gut wie keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Hermann Hesse gegeben – und wo es sie gab, wurde sie unterdrückt – nichts also, worauf die Forscher der neuen Bundesrepublik und der DDR hätten zurückgreifen können wie bei Gerhart Hauptmann, Thomas Mann, Rainer Maria Rilke, Stefan George, Gottfried Benn und anderen Generationsgenossen Hesses. Und auch nach der Stockholmer Auszeichnung mit dem Nobelpreis ist im restaurativen Klima des Wirtschaftswunderlandes kaum etwas am Bild des sich in seinem Tessiner Exil sonnenden Vaterlandsverräters und Kritikers der Wiederaufrüstung korrigiert worden. Denn viele der Karrieristen im Deutschland der 50er Jahre waren es ja auch schon im Dritten Reich gewesen, und konnten kein Interesse daran haben, durch die Rehabilitierung eines so unbestechlichen Autors ihre eigene Hörigkeit offenzulegen. Die künftige DDR dagegen suchte Hesse (von 1945 bis 1950) anfangs noch zu gewinnen, wie es ihr ja mit Heinrich Mann, Bertholt Brecht, Arnold Zweig, Lion Feuchtwanger und Anna Seghers durchaus geglückt ist. Aber als Hesse auch hier auf der Autonomie des Schriftstellers bestand, derzufolge man sich als Künstler, um unabhängig zu bleiben, von keiner Partei, auch nicht der mit sozaler Gerechtigkeit werbenden, vereinnahmen lassen dürfe und seine Gefolgschaft verweigerte, war er auch dort bald der weltfremde Innerlichkeitsapostel, wie ihn die westdeutsche Literaturwissenschaft bis auf den heutigen Tag deklariert. Schon nach dem Ersten Weltkrieg, als ihm ein Amt in der neuen württembergischen Regierung angeboten wurde, hatte Hesse geantwortet, er dürfe nicht auf einem Gebiet dilettieren, für das er nicht bestimmt sei. Im übrigen sei es leider so, daß sich «Menschlichkeit und Politik im Grunde immer ausschließen. Beide sind nötig, aber beiden zugleich dienen, ist kaum möglich. Denn Politik fordert Partei, Menschlichkeit verbietet Partei». Sie sehen, weder Eitelkeit noch Gewinnsucht konnten ihn ködern. Denn «so hübsch auch die Anpassung an den Geist der Zeit sei», schrieb er 1925, «die Freuden der Aufrichtigkeit sind doch größer und haltbarer». Und mit dieser Zivilcourage ist Hesse gut gefahren. Sie hat ihn befähigt, weitblickend wie wenige Zeitgenossen, die destruktive Politik der ersten Hälfte seines Jahrhunderts vom deutschen Wesen, an dem die Welt genesen sollte, bis hin zum Holocaust zu diagnostizieren und mit seinen Mitteln dagegen zu steuern. Auf praktische Weise durch seine Kriegsgefangenenfürsorge und Sozialarbeit für unzählige Emigranten, auf ideelle und zeitlose Weise durch sein zeitkritisches Werk. «Wenn an irgendetwas die Welt genesen und die Menschheit sich erholen und reinigen kann», schrieb er damals, «so sind es die Leiden derer, die nicht zu biegen und zu kaufen waren und lieber das Leben ließen als ihr Menschentum».

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Daß Hesse den Rufmord und die Aversion des offiziellen Deutschlands so viele Jahrzehnte durchgehalten hat, ohne dabei auf der Strecke zu bleiben, grenzt an ein Wunder. Hätte er sich das Leben genommen – und viel dazu hat nicht gefehlt – oder wäre er das Opfer eines Attentates geworden – und Zeitgenossen, die politisch viel weniger gegen den Strom schwammen als er, sind es ja leider geworden – dann hätte man ihm wohl längst den Ehrenplatz in der Geschichtsschreibung eingeräumt, der ihm zukommt. Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang, einen kleinen Exkurs ins Aktuelle: So notwendig es ist, die Erinnerung daran zu überliefern, was unter deutschem Namen an Leid über die Welt gekommen ist und was in jeder Diktatur unter nationalistischem oder sonst einem ideologischen Vorwand an Bestialität auch heute noch möglich ist, so notwendig erscheint es mir, neben überdimensionalen Gedenkstätten für den Holocaust vor allem an jene Deutschen zu erinnern, mit denen derlei Bestialitäten nie zustande gekommen wären. Denn nicht die abstoßenden und lähmenden, sondern einzig die guten und ermutigenden Beispiele bringen uns weiter. Aber aus dramaturgischen Gründen und zur Befriedigung der Sensationslust bedarf es wohl immer des Grauens oder der Märtyrer. Das Positive allein hat wenig Attraktion, wie ja auch den Medien vor allem die Katastrophen berichtenswert erscheinen, da nun einmal die bad news einträglicher sind als die good news. Wenig Hoffnung also auf ein Korrektiv zugunsten Hesses und zur Beherzigung seiner politischen Erkenntnisse? Wer dabei auf staatliche Institutionen und deren Machthaber setzt, der kann lange warten. «Staat ist Staat», schrieb Hesse schon 1919, «Und Politik ist Politik und beide taugen nichts und sind beschissene Einrichtungen. Sie sind da, um uns und den Geist zu knebeln, damit er es nicht zu leicht habe. Ob als Oberhanswurst ein Kaiser an der Spitze reitet oder sonst jemand, ändert wenig daran». Und 40 Jahre später, zwei Jahre vor seinem Tod, antwortet er dem Leiter des «Kuratoriums Unteilbares Deutschland», weitblickend die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung vorwegnehmend: «Die politische Vernunft liegt nicht mehr dort, wo die politische Macht liegt. Es muß ein Zustrom von Intelligenz und Intuition aus nichtoffiziellen Kreisen stattfinden, wenn Katastrophen verhütet oder gemildert werden sollen». So war denn auch alles, was bald nach seinem Tod an weltweiter HesseRenaissance dann trotzdem in Gang kam, induziert von Außenseitern, kam aus dem Underground und von der Basis. Den äußeren Anstoß gab damals der Vietnam-Krieg, der zweieinhalb Millionen Menschen, davon 90 % Zivilisten, das Leben kostete. Was war in dieser Hölle, die junge Amerikaner von 1964 bis 1975 mit Giftgas und Napalmbomben inszenieren mußten, wilkommener als eine auf Anhieb verständliche Nobelpreisträger-Autorität, auf die man sich mit Buchtiteln wie If the war goes on berufen konnte gegen die Lawine der Gewalt und beim Verweigern des Wehrdienstes? Auf einmal war der in den USA zuvor fast unbekannte Hermann Hesse in aller Munde. In kürzester Zeit waren fast alle seiner Bücher übersetzt und

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dieser millionenfachen Verbreitung kam plötzlich auch die akademische Rezeption entgegen. Natürlich nicht die deutsche – soweit sind wir noch lange nicht – sondern die der USA. Denn das dortige Hochschulsystem wird nicht staatlich gegängelt wie bei uns, sondern räumt den Studenten ein Mitspracherecht ein, sich solchen Autoren und Forschungsthemen zuzuwenden, die sie auch wirklich interessieren. Aus einem Geheimtyp und Underground-Idol der hierzulande belächelten Hippies war Hermann Hesse dort über Nacht zu einem studierenswerten Autor der Weltliteratur geworden, mit dem man etwas ausrichten konnte, um den Waffenstillstand zu beschleunigen. Man sollte meinen, daß sich auch die Protestbewegung in Deutschland, die sich damals als APO (Außerparlamentarische Opposition) so vehement mit den Vietnam-Kriegsgegnern in den USA solidarisierte, auf Hesse hätte berufen müssen. Obwohl davon bisher so gut wie nichts in die Öffentlichkeit drang, ist es auf merkwürdig radikale und zugleich verschleierte Weise tatsächlich auch geschehen, als die Steppenwolf-Leserin Gudrun Ensslin Harry Hallers anarchistische Wut auf das einzig auf Profitmaximierung bedachte Laissez-faire des deutschen Wohlstandsbürgertums der sogenannten «Goldenen Zwanziger Jahre» aufgriff und die rasende Lust des Steppenwolfes, etwas kaputtzuschlagen, etwa ein Warenhaus, beim Wort nahm. Die Kaufhausbrandstiftungen in Frankfurt, ohne Personen- doch mit einem Sachschaden von 600.000 DM waren das Ergebnis, diktiert von der Hoffnung, damit unsere Konsumgesellschaft aus ihrer Lethargie zu wecken, um ihr ein angeblich authentisches Vietnam-Kriegserlebnis zu bescheren, weil sie sich um nichts kümmerte als um ihre Geschäfte und den amerikanischen Dominanzansprüchen gleichmütig ihren Lauf ließen. Weil aber Hesse nicht instrumentalisierbar war für die eigentlichen Ziele und Idole der Roten Armee Fraktion, für linken Radikalismus, für Mao und Ho Chi Minh, mochte man sich (Gottseidank) nicht offen auf ihn berufen wie die Hippies es taten, die statt mit medienwirksamen Knalleffekten, mit friedlicheren Mitteln Widerstand leisteten. So blieb im Verborgenen, auf welch maßlose Weise das Aufbegehren des Steppenwolf gegen das den Weltkrieg verdrängende und dem Nationalsozialismus zusteuernde Deutschland der 20er Jahre mißbraucht wurde vom anarchistischen Idealismus terroristischer Weltverbesserer, die dann ja auch grausam genug erfahren mußten, daß Gewalt ein untaugliches Mittel ist, um Gewalt zu bekämpfen. «Die Gewalt ist das Böse», schrieb Hesse, «und die Gewaltlosigkeit der einzige Weg derer, die wach geworden sind. Dieser Weg wird niemals der Weg aller sein, und niemals der der Regierenden und derer, die die Weltgeschichte machen. Eine neue und hellere Epoche der Geschichte und der Beziehungen zwischen den Völkern wird gewiß nicht von den Siegern der nächsten Kriege geschaffen werden, vermutlich aber von den Leidenden und auf Gewalt Verzichtenden». Die hybride Spielart des Außenseitertums unserer Wohlstandsterroristen hätte Hesse gewiß nie toleriert, trotz ihres begreiflichen Aufbegehrens gegen den Krieg und die Verdrängungsroutine der Elterngeneration. Denn schließlich

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wandte sich die Verzweiflung des Steppenwolfes nicht gegen andere, sondern mit einem Selbstmordversuch gegen die eigene Person. Dabei ist es Hesse durchaus bewußt gewesen, wie leicht Verzweiflung in Kriminalität umschlagen kann, wenn der Leidensdruck zu groß wird. Das zeigen besonders die Briefe, die der Fünfzehnjährige aus der Nervenheilanstalt an seinen Vater schrieb, worin es heißt: «Ich glaube, wenn ich Pietist und nicht Mensch wäre, wenn ich jede Eigenschaft und Neigung in mir ins Gegenteil verkehrte, könnte ich mit Ihnen harmonieren. Und wenn ich ein Verbrechen begehe, sind nächst mir Sie es schuld, Herr Hesse, der Sie mir die Freude am Leben nahmen... Ich hoffe, daß die Katastrophe nimmer lang auf sich warten läßt. Wären nur Anarchisten da!». Kommen wir nun nach den nur bedingt beeinflußbaren Vorgaben unserer Identität, also denen der Religions-, der Staatsangehörigkeit und der Zeit, in die wir uns hineinversetzt finden, zur zentralen und selbstbestimmbaren Angabe der Ausweispapiere, zum Beruf. Beruf und Berufung, meine Damen und Herren, sind im Deutschen sinnverwandte Begriffe. Das englische und das französische profession, das italienische professione, das spanische profesión und das portugiesische professao, kommen alle vom lateinischen professio, zielen aber in eine etwas andere Richtung. Das deutsche Wort Berufung scheint mir den Kern der Sache genauer zu treffen als das aus Südeuropa stammende, das zwar den Wortstamm pro enthält, aber auf den Beruf bezogen doch eher dessen Folgeerscheinungen meint. Bezeichnungen wie Beruf und Berufung dagegen zielen auf den Einzelnen, auf das nicht Austauschbare, das unverwechselbar Individuelle jedes Menschen, das ihn schon in seinem Äußeren und in seiner Handschrift unterscheidet. «Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen», könnte man jetzt Goethe zitieren. Dieses schlummernde Erbe und Potential von Anlagen sollte geweckt und auch in den Beruf eingebracht werden. Es muß erkannt, aufgerufen und aktiviert sein, wenn wir im Einklang mit uns bleiben und der Allgemeinheit auf bestmögliche Weise nützlich sein wollen. Hier hat Hesse uns viel zu sagen, aus leidvoller Fremdbestimmung, wie wir wissen. Ist doch ein Gutteil seines Erfolges vor allem bei jungen Lesern darauf zurückzuführen, daß er uns Mut und Selbstvertrauen zu einem eigenen, nicht konformistischen Weg gibt. Und weil die Entwicklung des Eigensinns, der individuellen Anlagen, der Selbstfindung und Selbstbehauptung in der Jugend die größte Rolle spielt, ist es kein Wunder, daß mehr als die Hälfte seiner Leser der Altersgruppe zwischen 14 und 35 Jahren angehört, gefolgt von Lesern im Rentenalter, während die Generation der Berufstätigen, also das sogenannte Establishment, nicht annähernd so sehr ins Gewicht fällt. Denn offenbar stört Hesse beim Geldverdienen. Es ist schon ein merkwürdiges Phänomen: solange wir noch jung und voller Ideale sind, lesen wir diesen Dichter, während viele nichts mehr mit ihm anfangen können, sobald sie berufstätig sind, sobald Ideale zu Karrierekillern werden können – um dann aber merkwürdigerweise wieder als Pensionäre, wenn sie ihre Wettbewerbs-Mimikry hinter sich

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haben, erneut zu Autoren wie Hesse und den guten Vorsätzen ihrer Jugend zurückzufinden. Wer eigensinnig ist und sich der Gruppendynamik widersetzt, wer sich weigert, den nächstbesten einträglichen Verlockungen nachzugeben und fragwürdige Verhaltensweisen mitzumachen, der wird schnell zum Außenseiter. Und unfreiwillige Outsider sind sie ja alle, die Sympathieträger in Hesses Erzählungen und Romanen. Es sind Sonderlinge und Abgeschobene, wie der Straßenfeger Garibaldi, Der Hausierer oder die Insassen des Altersheimes In der alten Sonne. Es sind Kranke wie der verkrüppelte Boppi im Peter Camenzind, oder Der lahme Knabe. Es sind Verfolgte wie Der Wolf oder Klein und Wagner, Vaganten wie der Landstreicher Knulp, unglücklich Verliebte wie Hans Amstein, Der Lateinschüler oder der Musiker Kuhn im Roman Gertrud. Es sind aus irgend einer Not kriminell Gewordene wie der Friseurgehilfe Ladidel, der Kaufmannslehrling Emil Kolb oder der Pater Matthias. Es sind Abenteurer wie Casanova, Berthold oder Goldmund. Es sind an ihrer Zeit und an sich selbst Verzweifelnde wie Der Steppenwolf oder auch Neuerer wie Der Waldmensch, Demian und der Maler Klingsor. Es sind Weltverbesserer wie Franz von Assisi, Doktor Knölge und Robert Aghion, viele davon Menschen, die mit ungewohnten Existenz- und Glaubensformen experimentieren. Sie alle fallen aus der Norm, weil sie Sand im Getriebe unserer auf schnellstmögliche Effizienz, auf Profit, Wendig- und Rücksichtslosigkeit dressierten Marktwirtschaft sind, als deren einzige Kraft die Kaufkraft zu zählen scheint. Und doch muß es auch für andere Begabungen Entfaltungsmöglichkeiten geben, weil sie ein Gegengewicht schaffen zur Monotonie und Skrupellosigkeit des Funktionellen und Ökonomischen. Ein Kunststück, werden Sie sagen heutzutage, in Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit bei gleichzeitig boomenden Aktiengewinnen und den meisten Millionären, die es hierzulande je gab, in Zeiten, wo man paradoxerweise froh sein muß, überhaupt irgendeinen Job zu finden, von Berufung ganz zu schweigen. Daß uns Hesse dennoch empfiehlt, in Sachen Berufung nicht locker zu lassen, und wo die bestehenden Berufsbilder nicht ausreichen, neue zu entwickeln, dem Manko mit Phantasie, Mut und Experimentierfreude zu begegnen, ist ein evolutionärer Zug, von dem noch zu sprechen sein wird. Wirklichen Fortschritt gibt es für Hesse immer nur da, «wo der Mensch das tut, wozu er da ist, was seine Art von ihm fordert, was er darum gut und gerne tut. [...] Alle Dinge, die man gegen sein Gefühl und inneres Wissen tut, sind nicht gut und müssen früher oder später teuer bezahlt werden». «Ein Mensch», sagt er, «dem es im Leben wohl ist, und der sich in Harmonie mit der Welt fühlt, ist für die Welt bekömmlicher als ein mißvergnügter Streber». So kann er den Ratsuchenden immer wieder nur zurufen: «Sagen Sie Ja zu sich, zu Ihrer Absonderung, Ihren Gefühlen, Ihrem Schicksal! Es gibt keinen anderen Weg. Wohin er führt, weiß ich nicht, aber er führt ins Leben, in die Wirklichkeit, ins Brennende und Notwendige [...] Ihm entgehen durch Verrat am eigenen Schicksal und Sinn, durch Anschluß an die ‹Normalen›, das können Sie nicht. Es würde nicht lange gelingen und größere Ver-

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zweiflung bringen als die jetzige». «Leben Sie dem Drang Ihres Herzens nach. Es ist der beste Weg. Was gut und was schlecht ist, weiß ich nicht, es ist mir immer zweifelhafter geworden. Gut ist der Mensch, wenn zwischen seinen Anlagen und seinem bewußten Leben Harmonie herrscht, andernfalls kann er böse und gefährlich werden», schreibt er 1919. «Ziel eines sinnvollen Lebens», antwortet er 1931, «ist es, den Ruf dieser inneren Stimmen zu hören und ihm möglichst zu folgen, [...] das Leben möglichst der Gestalt anzunähern, die als Ahnung in uns vorgezeichnet ist. So haben es alle großen Dichter gemeint, besonders Novalis, wenn er sagte: «Schicksal und Gemüt sind Namen eines Begriffes». Hesse weigert sich, wie Sie sehen, ideologische Rezepte und Richtlinien zu geben. Denn jeder Fall liegt anders – allenfalls gibt er Hilfen zur Selbsthilfe. Vor Führern und Leithammeln wird immer wieder gewarnt, auch wenn er sich selber in diese Rolle gedrängt sieht. So z.B. im Oktober 1928, wo er erwidert: «Gerade das, was Sie bei mir suchen und wollen, kann ich nicht geben. Ich bin kein Führer und will und darf keiner sein. Ich habe durch meine Schriften zuweilen jungen Lesern dazu gedient bis dahin zu kommen, wo das Chaos beginnt, das heißt, wo sie allein und ohne helfende Konventionen dem Rätsel des Lebens gegenüberstehen. Für die meisten ist schon das eine Gefahr, und sie kehren denn auch wieder um und suchen neue Anschlüsse und Bindungen». So hat er auch für Hesse-Fans wenig übrig, wie aus einer Antwort vom Oktober 1951 hervorgeht: «Was mir an einem Glauben wie dem Ihren nicht ganz gefällt, ist die Einseitigkeit, mit der Sie ihn an meine Person und meine Schriften knüpfen. Denn dieselben Wahrheiten sind überall, durch alle Zeiten und Literaturen von einer geistigen Oberschicht der Menschheit geglaubt und gesagt worden». Also nicht fremde Autoritäten, sondern einzig wir selber können unsere Probleme lösen. «Das Leben», schreibt er, «stellt jedem eine andere einmalige Aufgabe, und so gibt es auch nicht eine angeborene und vorbestimmte Tauglichkeit zum Leben, sondern es kann der Schwächste und Ärmste an seiner Stelle ein würdiges und echtes Leben führen und anderen etwas sein, einfach dadurch, daß er seinen Platz im Leben und seine besondere Aufgabe annimmt und zu verwirklichen sucht. [...] Das ist echtes Menschentum und strahlt immer etwas Edles und Heilendes aus, auch wenn der Träger dieser Aufgabe in den Augen aller ein armer Teufel ist, mit dem man nicht tauschen möchte». Solche armen Teufel hat Hesse in seinen Büchern mit Vorliebe gezeichnet. Und wie viele sich davon angezogen fühlten, wird offensichtlich, wenn Sie einmal die 35.000 an Hesse gerichteten Briefe studieren, die man im Deutschen Literaturarchiv und der Schweizerischen Landesbibliothek Bern einsehen kann, die Mehrzahl von hochbegabten Einzelgängern, denen das Gefälle zwischen Ideal und Wirklichkeit zu schaffen machte und denen Hesse auf unterschiedlichste Weise doch immer nur das eine antworten konnte: «Es gibt für uns keinen anderen Weg der Entfaltung und der Erfüllung, als den der möglichst vollkommenen Darstellung des eigenen Wesens. [...] Daß dieser Weg durch viele moralische und andere Hindernisse erschwert wird, daß die Welt uns lieber ange-

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paßt und schwach sieht als eigensinnig, daraus entsteht für jeden mehr als durchschnittlich individualisierten Menschen der Lebenskampf. [...] Wieviel Gefahr einer auf sich zu nehmen fähig ist, dafür gibt es keinen objektiven Maßstab. Man muß jedes Zuviel, jedes Überschreiten des eigenen Maßes büßen, man darf ungestraft weder im Eigensinn noch im Anpassen zu weit gehen». Aber Eigensinn ist doch pure Egozentrik, wird mancher von Ihnen denken. Auch diesen Einwand hat Hesse bereits in einem Brief aus dem Jahre 1920 widerlegt, als er entgegnete: «Sie nehmen an, das Leben aus dem eigenen Ich heraus sei einfach Egoismus. Das scheint aber nur so für den Europäer, der vom Ich nichts weiß. Das Ich, mit dem sich die ganze außereuropäische Gedankenwelt [...] seit drei Jahrtausenden beschäftigt, dieses Ich ist nicht der einzelne Mensch, wie er sich fühlt und vorkommt, sondern es ist der innerste wesentliche Kern jeder Seele, den der Inder Atman nennt und der göttlich und ewig ist. Wer dieses Ich findet, sei es auf dem Wege Buddhas oder der Veden oder des Lao Tse oder Christi, der ist in seinem Innersten verbunden mit dem All, mit Gott und handelt aus einem Einverständnis mit ihm heraus. [...]Sie sagen, daß Suchen des Ich sei weniger wichtig als das Finden des rechten Verhältnisses zu den anderen. Aber das ist ja gar nicht zweierlei. Wer jenes echte Ich sucht, der sucht zugleich die Norm allen Lebens, denn dieses innerste Ich ist bei allen Menschen gleich, es ist Gott, es ist der Sinn. Darum sagt der Brahmane zu jedem fremden Wesen tat twam asi = das bist du! Er weiß, daß er keinem anderen Wesen schaden kann, ohne sich selbst zu schaden, und daß Egoismus keinen Sinn hat». Und in einem Brief vom August 1956 heißt es: «Sie haben [...] Ihre Person in Hinsicht auf das betrachtet, was Sie von den anderen unterscheidet, und damit muß man tatsächlich beginnen. Aber unter dieser Schicht von Individualität sitzt und lebt etwas, was auch in allen anderen lebt, und nicht nur in den Mitmenschen, sondern überall, und diesen Kern des Ich, der nicht mehr Person ist, zu erkennen und anzuerkennen, bedeutet eine weitere Stufe». Wenn wir das begriffen und beherzigt haben, «dann dienen wir auch zugleich der Menschheit, denn alle Werte der Kultur (der Religion, der Kunst, der Dichtung und Philosophie etc.) entstehen auf diesem Weg. Auf ihm wird der oft verlästerte ‹Individualismus› zum Dienst an der Gemeinschaft und verliert das Odium des Egoismus. Stets wird die Entwicklung zum Höheren, die Überwindung des Egoismus und der Trägheit nach Hesses Meinung nur von Einzelnen geleistet, nie von Majoritäten, die mit Zugeständnissen und Anpassung rein praktisch behandelt sein wollen». «Ich habe meinen Glauben stets auf den Einzelnen gebaut», betont er, «denn nur der Einzelne ist erziehbar und verbesserungsfähig, und nach meiner Erfahrung war und ist es stets die kleine Elite von gutwilligen, opferfähigen und tapferen Menschen gewesen, die das Gute und Schöne in der Welt bewahrt hat». Diese Thematik des Vertrauens auf das überlebensnotwendige Potential möglichst vieler unangepaßter Einzelner, welche die Mehrheit der Mitläufer, der Normalen, der Reichen, Mächtigen und Konservativen, wie Hefe den Teig zu durch-

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dringen und im Zügel zu halten vermögen, ist wohl einer der wichtigsten Aspekte in Hesses Dichtungen und in seiner Korrespondenz. Vielleicht habe ich den jugendlich-aufmüpfigen und rebellischen Aspekt zu sehr betont. Deshalb sei um so nachdrücklicher daran erinnert, daß bei Hesse der Eigensinn alles andere als Mutwille war, sondern ein aufgenötigter Widerstand, weil uns eben manchmal nichts anderes übrig bleibt, wenn wir jenen Platz in der Gesellschaft erlangen wollen, der unseren Talenten den größten Betätigungsspielraum verspricht. Dann aber kommt die Hauptsache: die Verwirklichung dieser Anlagen im Dienst an der Gemeinschaft. Daß wir erst, wenn wir uns voll einbringen, auch den Mitmenschen auf bestmögliche Weise nutzen können, ist Hesses Überzeugung. Im Siddhartha, in Narziß und Goldmund, der Morgenlandfahrt und vor allem im Glasperlenspiel wird dieser Weg ins Soziale beschrieben. «Lernen Sie, einerlei wo, einmal wirklich dienen, wirklich sich hingeben, wirklich an die Sache denken, nicht an sich selber, das ist der einzige Weg aus Ihrer Einöde heraus», antwortet er noch 1950 auf den Hilferuf eines Lesers. Wie unfreiwillig auch bei Hesse das Außenseitertum war, in das er gedrängt wurde, um das für richtig Erkannte zu verwirklichen, zeigen die vielen Versöhnungsversuche gegenüber Menschen, die er mit seinem Eigensinn verletzen mußte. Seine aus Tübingen und Basel geschriebenen Briefe an die Eltern, nachdem er als Buchhandelslehrling seinem Berufsziel endlich ein Stück näher gerückt war, sind eine einzige Abbitte, ihm zu verzeihen, was er ihnen, die es doch eigentlich gut gemeint hatten, zumuten mußte. Und auch den positiven Seiten ihres Pietismus der Tat, ihrem oft liebevollen Dienst am Nächsten, ist er Jahrzehnte später gerechter geworden, als er im Verlauf der Arbeit an seinem pädagogischen Alterswerk Das Glasperlenspiel erstmals die Schriften der separatistischen Kirchenväter J.A. Bengel (1687–1752) und F.C. Oetinger (1702–1782) studierte. «Mit einer gewissen Freude», berichtet er 1933 in einem Brief an Fanny Schiler, «mußte ich dabei feststellen, wie diese dickköpfigen Schwaben-Christen damals aller Glätte und Vernünftigkeit der Aufklärungszeit widerstanden haben», daß sie echte Weise gewesen seien, die ihm in der Jugend schon imponiert hätten, wenngleich er von ihrem biblischen Jargon und Gesäusel so angewidert gewesen sei, daß er damals damit noch nichts habe anfangen können. Im Schwäbischen Lebenslauf Josef Knechts hat er denn auch die alternativen Seiten des Pietismus rehabilitiert. Dessen Prägung war offenbar so stark, daß er anläßlich einiger Bilder aus einer Ausgabe des pietistischen Erbauungsbuches Bunyans Pilgerfahrt, die ihm 1938 geschickt wurden und die er noch aus seinem Elternhaus kannte, an Peter Suhrkamp schrieb: Er finde in der alten Illustration «The pilgrims passing through vanity fair» die ihm seine Mutter damals erklärt habe, überraschende Entsprechungen zu seinem Gedicht Die Morgenlandfahrt, Gemeinsamkeiten, von denen er bei der Niederschrift keine Ahnung gehabt habe. «So gehen die Bilder mit uns und bei mir waren das die (künstlerisch wertlosen) Bilder aus dem Bunyan, die mich lebenslänglich als platonische Ideen, als Paradigmen für

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viele Vorstellungen, namentlich für die idealistisch-ritterlichen, begleitet und geformt haben». Oder ein anderes Beispiel: Als er wegen seiner Zeitungsartikel gegen den Chauvinismus des Ersten Weltkrieges auch in seiner württembergischen Heimat als Landesverräter ins Kreuzfeuer der Presse geriet und nur Conrad Haußmann und Theodor Heuss es wagten ihn zu verteidigen, bemühte er sich auch dort um Versöhnung. 1952 hat Theodor Heuss darüber berichtet: «Ich hatte 1915 in einem vehementen Aufsatz das Ethos seiner Persönlichkeit und das menschliche, auch das deutsche Recht seiner Gesinnung verteidigt. [...] Daran schloß sich eine rührende Anekdote: Hesse schrieb mir eine große Adressentafel von Pfarrern und Pfarrwitwen, denen mein Aufsatz gesandt werden sollte – jenes Bild vom Verlorenen und Verstoßenen sollte sich nicht einfach im Bewußtsein der vielen Verwandten und Freunde eingraben. Die Reputation in der Heimat lag ihm also sehr am Herzen». Unser Thema ist unerschöpflich und die Zeit leider begrenzt. So muß ich neben vielem anderen bedauerlicherweise auch auf die artistischen Aspekte des Außenseitertums bei Hesse verzichten, das sich z.B. in seinen Vorbehalten gegen LiteraturVerfilmungen und Illustrationen seiner Bücher niederschlägt, worin er sich von den meisten seiner Autorenkollegen unterscheidet. Das gilt auch für Auftragsarbeiten und seine eher reservierte Haltung gegenüber den unzähligen Vertonungen seiner Gedichte. Aber lassen Sie mich zum Schluß, meine Damen und Herren, doch noch auf einen letzten und vielleicht den interessantesten Aspekt des Außenseitertums bei diesem Dichter eingehen, den man den evolutionären nennen könnte. Nicht nur im Stufen-Gedicht von 1942, sondern schon ab 1918, kurz nach dem Demian, in Aufsätzen wie Krieg und Frieden und Phantasien kommt er deutlich zum Ausdruck. «Der Mensch», heißt es da, «ist nichts Festes, Gewordenes und Fertiges, nichts Einmaliges und Eindeutiges, sondern er ist etwas Werdendes, ein Versuch, eine Ahnung und Zukunft, Wurf und Sehnsucht der Natur nach neuen Formen und Möglichkeiten». Um weiter zu kommen auf dem langen Weg vom Tier zum Menschen, sind wir nach Hesses Meinung geradezu angewiesen auf die Outsider, Phantasten, Künstler und Dichter, die den Trott der Normalität durchbrechen, weiteren Entwicklungsmöglichkeiten zuliebe. «Auf dem Weg vom Fisch, Vogel und Affen bis zum kriegführenden Tier unserer Zeit», schreibt er im Aufsatz Phantasien, «auf dem langen Weg, auf dem wir mit der Zeit Menschen und Götter zu werden hoffen, konnten es nicht die ,Normalen‘ sein, die von Stufe zu Stufe vorwärts gedrängt hatten. Die Normalen waren konservativ, sie blieben gern beim Gesunden, Bewährten. Eine normale Eidechse kam nie auf den Gedanken, es einmal mit dem Fliegen zu versuchen. Ein normaler Affe dachte nie daran, den Baum zu verlassen und aufrecht auf der Erde zu wandeln. Der das zuerst getan, der das zuerst probiert, zuerst davon geträumt hatte, der war unter den Affen ein Phantast und Sonderling, ein Dichter und Neuerer gewesen, und kein Normaler. Die Normalen, so sah ich, waren dazu da, die gefundene Form einer Lebensweise, einer Rasse und Art festzu-

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halten, zu schützen und zu befestigen, damit Rückhalt und Lebensvorrat da sei. Die Phantasten aber waren dazu da, ihre Sprünge zu machen und das nie Erdachte zu träumen, damit vielleicht einmal aus dem Fisch ein Landtier und aus dem Affen ein Affenmensch werden könne. [...] Man konnte dabei kaputt gehen, wahnsinnig werden, dem Selbstmord verfallen. Man konnte aber unter Umständen auch Flügel erfinden, Götter schaffen. Kurz: während der Normale dafür sorgte, daß die Art, wie sie war, erhalten bleibe, war es Amt des ‹Geistigen›, dafür zu sorgen, daß der andere, gegenteilige Besitz der Menschheit, nämlich ihr Ideal, ebenfalls erhalten bleibe und nicht eingehe. Zwischen beiden Polen spielt das Leben der Menschheit: Festhalten, was man erreicht hat, und Erreichtes wegwerfen, um Weiteres anzustreben! Das war es. Und des Dichters Funktion war die, auf der idealen Seite mitzutun, Ahnungen zu haben, Ideale zu schaffen, Träume zu haben». Mit diesem Ansporn zum Wagnis und mit der nüchternen Erkenntnis schließen, daß man zwar für das Risiko sein eigenes Leben zu führen, oft teuer bezahlen muß, doch daß sich der Einsatz am Ende lohnt. Das Gewissen macht uns zu Aussenseitern. Seien wir also, mit Augenmaß, was uns als Menschen ausmacht: Gewissenhaft in Eigensinn und Anpassung, in der Treue zu uns selbst und Güte zu den anderen.

Andreas Solbach

Alterität und Mobilität Reisen am Rande der Gesellschaft bei Hermann Hesse

«In Wirklichkeit war es anders». H. Hesse, Peter Bastians Jugend1.

Unter den vielen Markenzeichen Hesses ist das des Außenseiters und mehr noch dasjenige des Autors von Außenseiterfiguren sicher eines der prominentesten. «Einzelgänger für Millionen» soll er sein und im dichterischen Werk erschaffen, Randgänger der Gesellschaft also: Eigenbrötler und Einspänner, outcasts und underdogs, Ausgestoßene und Marginalisierte, Sonderlinge und Exzentriker, Dissidenten und Nonkonformisten, Aussteiger und Verweigerer. Bei näherer Betrachtung entpuppen sich dabei viele seiner Helden als äußerst komplexe Figuren, die sich keineswegs auf das Klischee vom technophoben Totalverweigerer reduzieren lassen, sondern die eine jeweils wechselnde Mischung von negativen und affirmativen Impulsen mit sich tragen. Aber keine der Figuren Hesses ist ein reiner Rebell, und im Gegenzug sind nur wenige ganz auf die Befriedigung des sozialen Dekorums fixiert, wie etwa die Gattin des Malers Veraguth in Roßhalde. Thomas Mann bemerkt einmal: «Man ist als Künstler innerlich immer Abenteurer genug. Schließlich soll man sich gut anziehen, zum Teufel, und sich benehmen wie ein anständiger Mensch»2, und in diesem Sinn dürfen ja recht viele dichterische Gestalten der Jahrhundertwende als Abenteurer und Außenseiter gelten, denn in Hesses Generation macht sich wie noch nie zuvor die «Sehnsucht nach dem ganz anderen» geltend, die sich in vielerlei literarischer Gestalt manifestiert. Ich möchte mich im folgenden aber nicht mit der Problematik des inneren psychologischen Außenseitertums von Gestalten wie Harry Haller beschäftigen, sondern mit Protagonisten, deren randständige Existenz sich bereits in ihrer sozialen Position ausdrückt und die durch eine besondere Eigenschaft charakterisiert werden: die ortlosen Randgänger. Dieser Typ des ambulanten Außenseiters erscheint als Landstreicher und Vagabund, als Penner und Lumpensammler oder als wandernder Handwerksbursche. Zu seinem Typus gehören aber auch alle dauerhaft Flüchtigen und Nicht-Seßhaften, die mit oder ohne Not zwischen den Orten leben. Dabei ist ihre Ortlosigkeit oft nur eine scheinbare, sie besitzen ihre loci, auf die sie sich 1 2

SW, 6, S. 111. J. Kolbe, Heller Zauber: Thomas Mann in München 1894–1933, Berlin 1987, S. 93.

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zurückziehen, und in einem ganz konkreten Sinn dürfen sie als Weltbewohner gelten, denen die ganze Welt zum Haus geworden ist. Im Werk Hesses steht vor allem die Gestalt Karl Eberhard Knulps, der ausschließlich bei seinem Nachnamen genannt wird, für diese Figur des wandernden Außenseiters. Die Forschung hat, wenn sie sich überhaupt mit dem Text befaßt, die Drei Geschichten aus dem Leben Knulps – so der Untertitel – zumeist als eine Einheit aufgefaßt, womit sie zweifellos der Autorintention entspricht, denn Hesse selbst platziert Meine Erinnerung an Knulp, 1907 entstanden und 1908 in der «Neuen Rundschau» erschienen, als Mittelstück zwischen «Vorfrühling», 1913 entstanden und 1914 in «Der Greif» bei Cotta erschienen, und «Das Ende», im selben Jahr im direkten Anschluß entstanden und 1914 in der «Deutschen Rundschau» erschienen. Die beiden rahmenden Teile gehören demnach als eine Einheit zusammen, die deutlich andere Züge trägt als der sechs Jahre zuvor entstandene Teil, der sich in Aussageintention und narrativer Darstellungsform markant von den späteren Teilen absetzt. Meine Erinnerung an Knulp nutzt den Erzählmodus des peripheren homodiegetischen Erzählers, der als chronikalischer Beobachter auftritt und dessen eigenes Leben nur in seiner Funktion auf das berichtete Leben von Bedeutung ist, während die rahmenden Erzählungen die klassische Form des heterodiegetischen Erzählers mit innerer Fokalisation, also eine personale, an eine auktoriale sich annähernde Erzählsituation wählen. Die homodiegetische Erzählform verweist dabei auf einige wichtige Vorgänger im früheren erzählerischen Werk des Autors, die sich einer ähnlichen Erzählweise bedienen; vor allem die Erzählung Peter Bastians Jugend, 1902 entstanden und zu Lebzeiten ungedruckt sowie die damit zusammenhängenden Geschichten um Quorm, 1904 entstanden und ebenfalls zu Lebzeiten ungedruckt, müssen hier betrachtet werden. In den weiteren Zusammenhang darf man auch einige weitere Gerbersauer und frühe Erzählungen wie Der Hausierer, In der alten Sonne und Garibaldi, zwischen 1901 und 1904 entstanden, einordnen. Ich werde im folgenden zunächst auf die Vorläufer und ihre Verbindung zu der frühesten Knulp-Erzählung eingehen und anschließend die späteren Teile des Knulp-Komplexes analysieren. Zunächst aber soll Hesses Vorstellung von den fahrenden Leuten vor ihrem sozial historischen Hintergrund kurz dargestellt werden, denn die Stromer und Landstreicher, die Wanderburschen und Vagabunden, die in diesen Texten eine Rolle spielen, gehören zu der traditionell marginalisierten Gruppe der Unehrlichen. Der Kontakt mit diesen Unehrlichen ist jedoch nicht unproblematisch, die Zeitgenossen vermeiden die soziale und körperliche Berührung mit den Stigmatisierten, und es scheint nicht uninteressant, die Funktion dieser Gruppe von marginalisierten Existenzen näher zu beleuchten. Die sozialhistorische Forschung der letzten Jahre macht jedoch deutlich, daß von einem homogenen Erscheinungsbild der Unehrlichkeit in keiner Weise gesprochen werden kann, zu dramatisch sind die regionalen, sozialen und historischen Unter-

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schiede in der jeweiligen Auffassung dessen, was als Unehrlichkeit gelten kann: «[E]s mag sinnvoll sein, angesichts der schillernden Vielfalt und abgestuften Intensität der Marginalisierung eher von Unehrlichkeiten zu sprechen»3. Von Bedeutung ist dabei zunächst das Differenzkriterium der Ehre, denn Unehrlichkeit ist, wie viele andere Negativkategorien, primär in der Gegenstellung zu einem positiven Wert zu verstehen. Traditionellerweise wird die Vorstellung von Ehre hier nicht an religiöse oder adlige Tugenden gebunden, sondern auf die Ehrvorstellung des zünftigen Handwerks bezogen. Dessen Ehrbegriff nimmt aber im Laufe der Zeit eine immer stärker werdende Ausschlußfunktion an und dient so primär der Verringerung ökonomischer Konkurrenz. Auch die Protagonisten Hesses partizipieren an dieser Ideologie der Ehre, wenn sie sie vornehmlich auf die Qualität der handwerklichen Arbeit und ihre eigene Kunstfertigkeit beziehen: Der gute Handwerker kennt und befolgt die Gesetze seines Gewerbes, und er tritt mit dieser Regelauffassung an die Seite des Künstlers. In der sozialen Logik traditioneller Gesellschaften erscheint es demnach durchaus rational, die Wurzellosen und Unbehausten gewisser Rechte zu berauben, zumal sie sich in Gesellschaft von oft eindeutig verfemten wie Juden und Zigeunern befanden. Angesichts der Faszination, die sie auf Protagonisten und Autor ausüben, ist es sinnvoll, primär die Gruppe des fahrenden Volks und die damit verbundenen Spielleute kurz zu betrachten: Fahrendes Volk oder fahrende Leute nennt man seit dem frühen Mittelalter jene bunte Gesellschaft von Gauklern, Tierbändigern, Taschenspielern, Seiltänzern und Akrobaten, Sängern und Musikanten, die ihr Gewerbe im Herumziehen von Ort zu Ort betreiben. [...] All jene, die «Wunderdinge» vorführten, hießen schon bei den Römern «Fahrende» oder «Herumwandernde»: circulatores. [...] Alle Unterarten der mimi, thymelici, histriones, scurrae und so fort faßte das mittelalterliche Wort ioculator oder iocularis in sich. Es wurde zum Sammelnamen für alle, die aus der Unterhaltung anderer ein Gewerbe machten, es sei nun durch Singen, Musizieren oder durch Aufführung von Kunststücken. Es bedeutete den Lustigmacher im weitesten Sinne, den Allerweltskünstler, der besonders aber sich aufs Musizieren verstand. Dem französischen Jongleur entspricht genau das deutsche spilmann; spil heißt in der alten Sprache ganz allgemein: Zeitvertreib, Belustigung, Scherz4.

Die Spielleute des Mittelalters rekrutieren sich auch aus dem niederen Adel, dem Klerus und dem Bürgertum, und so erstaunt es nicht, daß sie noch im Sachsenspiegel zwar als rechtlos, aber nicht als «Diebs und Räubers Genosse» bezeichnet werden. Von Beginn an stehen sie in Konkurrenz zu den seßhaften Musikern in den Städten, und sie werden mit den immer gleichen Argumenten kritisiert: Den Spielleuten wurde vorgeworfen, daß sie musizierten ohne sich theoretischer Bedingungen ihres Tuns bewußt zu sein, daß sie in Kunst und Gesittung vulgär seien, daß Musik ohne Worte leeres Getön sei. [...] Ein Hauptgrund für das mindere Recht besonders 3 4

B. Roeck, Unehrliche und Uneheliche, in: Ders., Außenseiter, Randgruppen, Minderheiten. Fremde im Deutschland der Frühen Neuzeit, Göttingen 1993, S. 113. W. Danckert, Unehrliche Leute. Die verfemten Berufe, Bern-München 1963, S. 214ff.

Andreas Solbach 50 der zunftfreien Fahrenden dürfte ihre soziale Wurzellosigkeit gewesen sein. [...] Deutschland hielt wohl am längsten an der Unehrlichkeit bestimmter Spielleute fest; sie wurden erst durch Reichsgesetze von 1548 und 1577 mit ihren Kindern im Sinne des Handwerks für zunftfähig erklärt. Noch gab es aber die Fahrenden, die z.T. Bettlern und Räubern nahestanden. Sie bewahrten am meisten, wenn auch nicht allein, die Tradition des umfassenden Unterhaltungskünstlers5.

Noch heute ist der Tatbestand der Wurzel- und Bindungslosigkeit der Fahrenden das gebräuchlichste Erklärungsmuster für die ihnen entgegengebrachte Scheu und Verachtung. Die Rechtsquellen benennen aber einen zusätzlichen Vorwurf, der nicht uninteressant ist: «Spilleut und gaugkler sind nicht leut wie andere Menschen, denn sie nur ein Schein der Menschheit haben, und fast den Todten zu vergleichen sind», sie nehmen «gut für ere», wie es im Sachsenspiegel heißt6. Dies heißt nichts anderes, als daß die Spielleute sich etwas bezahlen lassen, was als wertlose und/oder freiwillige Leistung angesehen wurde: «Das Um-Lohn-Singen und -Spielen ist der wunde Punkt aller Fahrenden im MA. gewesen»7. Hesses Vaganten nehmen in dieser Frage durchaus eine Mittel- und Sonderstellung ein, denn sie singen und musizieren einerseits aus eigener Lust und machen es nicht zu einem Erwerb, andererseits würden sie für ihre musikalischen Darbietungen sicherlich auch eine Bezahlung akzeptieren, wenn sie sich in einer Situation der Not böte. Der legendäre Quorm macht die Sangesfähigkeit geradezu zum Kriterium, nach dem er seine Mitwanderer aussucht, und Peter Bastian bemerkt, daß die «richtigen» Landstreicher oftmals andere, «neue» Lieder singen, die zotige Inhalte haben und von den älteren kaum noch eine Strophe kennen. Innerhalb der wirklichen, sozial definierten Landstreicher steht demnach der reflektierte Vagant Hesses als Künstlertyp, von dem berichtet wird, daß er oft gesungene Verse dichtet, gleichzeitig aber noch in die Gemeinschaft der Ausgestoßenen gehört und ein eher handwerkliches Verhältnis zur Kunst besitzt. Hier verschafft sich die klassische Problematik des Gegensatzes von ars und natura Geltung, denn es handelt sich um die Frage, was einen Poeten ausmacht: angeborenes ingenium oder erlerntes Handwerk. Die auch vom Autor bevorzugte Lösung setzt dabei das ingenium als Grundvoraussetzung an, das allerdings durch handwerkliche Fähigkeiten, das heißt durch Regelbefolgung, ergänzt werden muß. Hesses «Volksdichter» sind dagegen zumeist nur mit einer – allerdings reinen – Ahnung von dichterischem Genie begabt, das es ihnen erlaubt, einfache und in ihrer Einfachheit populäre und überzeugende Verse zu dichten; sie sind dagegen nicht in der Lage, in der Tradition der Kunstliteratur zu bestehen. Es liegt nahe, darin ein Ideal des Autors zu sehen, das er weniger in seinem eigenen Werk bewußt verfolgt, dem er aber als charakterisierender Eigenschaft großen Wert beilegt. 5

6 7

D. Krieckeberb, Spielmann, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik. Zweite, neubearb. Ausgabe, hrsg. von L. Finscher, Kassel-Stuttgart 1998, Bd. 8., S. 1688f. Zitiert nach Danckert, a.a.O., S. 225. Die Musik in Geschichte und Gegenwart, a.a.O., Bd. 6, S. 1227.

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Es sollte bis hierher deutlich geworden sein, wie sehr Hesses Landstreicher in dieses System der Ortlosigkeit gehören, indem sie sich selbst zu ihrer Marginalität bekennen und damit eine Schranke zwischen sich und den Anforderungen der Gesellschaft errichten. Die selbstgewählte Marginalisierung gründet daher nicht in der romantischen Vorstellung eines «ewigen Sonntags» und einer unüberwindbaren Arbeitsscheu, sondern in der fortgesetzten Bemühung, der Gesellschaft zu entfliehen, um dem Leben und der Natur näher zu sein. Der Vagant ist vor allem bei Hesse immer auch eine Konfiguration des traditionellen Spielmann-Künstlers, mit dem er die Vorliebe für einfache und volksläufige Verse und musikalische Weisen teilt. Knulp und die Seinen wählen ganz bewußt eine Form der vita solitaria, die sich der künstlerischen Bohème annähert, indem sie sich an den Rändern der Gesellschaft ungewöhnliche Freiräume schafft sowie Gemeinschaft unter ihresgleichen und mit dem einfachen Volk sucht. Diese Gemeinschaft reproduziert die Struktur des Gerüchts und der Sondersprachen des Rotwelschen, der Gauner- und Pennersprache: Die Gestalt des Quorm und des Knulp sind sagenumhaftete, von Gerüchten umgebene Legendengestalten, über deren Herkunft und Leben nichts sicheres bekannt ist und die sich in ihrer eigenen Sprache verständigen können. Es ist also nicht die tatsächliche sozialhistorische Marginalisierung, die Hesse interessiert, sondern eine Strategie der Distanzierung, die sich auf die Alterität des Künstlers bezieht und diese Alterität in das Motiv der räumlichen und geistigen Mobilität übersetzt. In den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts ist diese Idealvorstellung noch in relativ feste Formen gegossen, die sich aber vor allem in Peter Bastians Jugend als widersprüchlich erweisen, denn der Autor versucht, in seinen Werken im Umkreis des Peter Camenzind, an den der Bastian erinnert, und von Unterm Rad seine Jugendstiltendenzen zu überwinden und zu einer Integration lebenswirklicher Elemente zu kommen. Als Ausgangsmaterial dient ihm dabei naturgemäß die eigene Biographie und seine lebensweltliche Erfahrung, in diesem Fall die Kenntnis einer Handwerksausbildung, die langen Wanderungen und deren Begleiterscheinungen; für den Knulp darf auch noch die Erfahrung des Abrutschens in eine sozial niedrigere Position hinzugenommen werden. Am Beginn der literarischen Auseinandersetzung mit diesem Thema steht dann eine Mischung aus romantischer TaugenichtsTradition, pikarischen Mustern und der ausgeprägten Zeitströmung des Vagabunden-Romans, der von der Jahrhundertwende bis zum 2. Weltkrieg populär bleibt. In dieser Tradition steht die Erzählung «Peter Bastians Jugend», die als autodiegetische Erzählung im Stil des pikarischen Romans beginnt und von der Distanz des erzählenden zum erlebenden Ich lebt. Der Held bekennt zu Beginn: «[...] es lag von früh an etwas in mir, das ins Weite wollte und mir keine Ruhe ließ»8. Dieses Fernweh ist gleichzeitig auch der Auslöser seines elitären Bewußtseins, das ihn durch 8

SW, 6, S. 95.

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seine Kindheit und Jugend begleitet: «Ich kam mir anders, nämlich besser vor als meine Heimatkameraden, und hatte mir schon früh in den Kopf gesetzt, dies Nest recht bald zu verlassen und nicht wieder zu kommen»9. Diese nicht mehr ganz kindliche Form der superbia macht sich allerdings nicht primär in sozialer Hinsicht geltend, denn er verachtet zwar die Bauern als Stand, aber nur wegen ihrer fehlenden Mobilität. Seine paradoxe Verschränkung von elitärem Gestus aus dem Bewußtsein der eigenen Alterität und der Sehnsucht nach Mobilität mit dem sich selbst herabsetzenden Berufsziel des Handwerkers wird dabei an seiner Stellung in der Schulhierarchie deutlich. Einerseits ist er privilegierter Schüler der Lateinschule, andererseits lehnt er die daraus folgende kaufmännische Berufskarriere ab und orientiert sich sozial nach unten. Bastian wird dennoch bei den Schülerprügeleien zum Anführer der «Lateiner» gegen die «Deutschen», bis er von seinem späteren Freund Otto Renner besiegt wird und sich nach der Versöhnung eng an ihn anschließt. Renner ist eine späte Reinkarnation der Herzbruder-Gestalt aus Grimmelshausens Simplicius Simplicissimus, der ebenfalls als der rechtgläubigere Freund und als relativ unwirksames moralisches Vorbild dient. Ebenso wie jener wird auch Renner Opfer seiner Freundschaft, auch sein Tod wird mit dem Tod seines Mörders durch den Freund gerächt, und auch er dient nach seinem Tod als warnendes memento. Die Erzählung nutzt aber nicht nur topische Relikte aus der barocken Tradition, sondern auch erzähltechnische wie die bekannten Moralisationen, des erzählenden Ich, gegenüber dem erzählten Ich. Der pikarische Gestus bleibt aber eine unausgeführte Tendenz, die dennoch so stark ist, daß sie die Entwicklung der Geschichte zu ihrem wahren Ziel hin letztlich erfolgreich unterbindet, der Erzähler bleibt zu deutlich einer autodiegetischen Perspektive auf sich selbst verpflichtet und es gelingt ihm nicht, sich zu einem peripheren homodiegetischen Erzähler zu wandeln, der im wesentlichen eine Beobachter- und Chronistenposition einnimmt; diese Wandlung findet erst 1907 in Meine Erinnerung an Knulp statt. Bastian muß primär sein eigenes Schicksal erfüllen, das ihn auf die Landstraße zwingt, nachdem er durch eine unglückliche Liebschaft zum Totschläger wurde. Seine erste Begegnung mit dem legendären Vaganten Quorm findet allerdings noch vor seinem Absturz in die Delinquenz statt und wird von der prägenden Erkenntnis, daß das Fremde gar nichts eigenes ist, sondern in der eigenen Alterität besteht, eingeleitet: Und das ist überhaupt eigentlich die «Fremde»: nicht daß man lauter neue und unbekannte Sachen und Menschen um sich hat, sondern daß man selbst überall, wohin man kommt, ein Fremder ist, Lachen oder Verwunderung erweckt, und von den anderen nicht ohne weiteres zugelassen und aufgenommen wird10.

9 10

SW, 6, S. 95. SW, 6, S. 111.

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Quorm erkennt Bastians noch ungestörte Unschuld und vertröstet ihn auf eine spätere Kameradschaft, nicht ohne ihm einen Einblick in seine «Lebensphilosophie» zu geben. Erst nach seinem Sündenfall begegnet er ihm wieder, und der Erzähler nutzt die alte traditionelle Formel des incipit vita nova, um diesen neuen Lebensabschnitt zu markieren: «Von da an begann ein neues Leben für mich. [...] Nun war alles gut, ich fühlte mich geborgen»11. Bastians Leben ist aber nicht nur gesichert, sondern es verschwindet geradezu hinter der plötzlich auftauchenden Gestalt Quorms, der fast Erlöserzüge trägt; und so endet die Erzählung recht abrupt bereits eine Seite später, nachdem in kühner diegetischer Raffung zehn Jahre erfüllten Lebens überschlagen werden und Quorm sterben muß, weil der Erzähler angesichts seiner viel bedeutenderen Gestalt keine Rechtfertigung mehr sieht, das eigene Leben zu erzählen. Um dasjenige Quorms zu berichten, wäre jedoch eine ganz andere Erzählperspektive nötig, die erst im Knulp verwirklicht wird. Was deshalb von Peter Bastians Jugend bleibt, ist neben einem abgebrochenen quasi-pikarischen Lebenslauf das Bild des sagenumwobenen Vaganten, das als Grundlage für die dann erst wirklich ausgeführte Figur des Knulp dienen kann: Es ist mir nicht allein so gegangen, daß ich den Quorm gleich beim ersten Ansehen liebgewann. Er hat unzählige gute Freunde gehabt, auch unter solchen, die seiner nicht bedurften. In seinem Wesen und namentlich in seinem Blick und in seiner Stimme war etwas, das die Menschen ohne Unterschied ihm günstig machte, so daß sogar viele Landjäger und Polizisten ihn gern hatten und ihm viel durch die Finger sahen. Am meisten hingen jedoch die Weiber an ihm. Fast an allen Orten hatte er Weiberbekanntschaften, auch unter den Schenkmädchen und Wirtinnen, so daß er im Notfall um Speisung und Nachtlager nie in Sorge zu sein brauchte. [...] Vieles habe ich bei diesem merkwürdigen Mann erlebt und gelernt12.

Das entscheidende Charakteristikum dieses Landstreichers ist offenkundig sein unwiderstehliches Charisma, das ihn unter anderen Umständen zum politischen Führer prädestiniert hätte. Diese Art des Charisma wird von Max Weber als Qualität des politischen Führers analysiert, und es charakterisiert unter anderem noch die Helden der frühen Erzählungen von Anna Seghers. Dort und an vielen anderen Stellen ist es auch Ausdruck einer narzißtischen Persönlichkeitsstörung, die in ihrer ostentativen Autarkie und Selbstbezogenheit und oft nachhaltigen Asexualität auf andere geradezu bedrückend wirkt. Der verführerische Charme gründet in dem Anschein der bedingungslosen Selbstbestimmung und einer unvergleichlichen Unmittelbarkeit des Lebens: Der Charismatiker erscheint nicht nur sich selbst, sondern auch allen anderen als unangreifbar und unbesiegbar, am begehrenswertesten aber ist seine scheinbare Fähigkeit, sich dem Leben gänzlich hinzugeben und sich ihm zu verbinden. Er hat deshalb mehr vom Lebenskünstler, Bohemien und Bonvivant als vom Dandy, mit dem ihn immerhin sein Elitismus verbindet. 11 12

SW, 6, S. 124. SW, 6, S. 125.

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Diese Art charismatischer Existenz verbindet sich allerdings eher mit der Gestalt des Knulp aus dem Jahr 1914 als mit demjenigen von 1907, der einer philosophischen Pikaro-Existenz näher steht. In Meine Erinnerung an Knulp entwirft der Vagant eine an den Mitleidsgedanken der früheren Romane anknüpfende Überlegung, die in Ansätzen auch schon in Peter Bastians Jugend aufscheint: Ich denke, das Schönste ist immer so, daß man dabei außer dem Vergnügen auch noch eine Trauer hat oder eine Angst. [...] Wenn etwas Schönes immerfort in alle Ewigkeit gleich bleiben sollte, das würde mich wohl freuen, aber ich würde es dann kälter anschauen und denken: das siehst du immer noch, es muß nicht heute sein. Dagegen was hinfällig ist und nicht gleich bleiben kann, das schaue ich an und habe nicht bloß Freude, sondern auch ein Mitleid dabei13.

Auch dieser Vanitas-Gedanke ist natürlich ein Erbe des Barockzeitalters, auch wenn er noch halb verborgen auf eine narzißtische Kränkung verweist, eine nicht bewältigte Realitätsprüfung, wie sie Knulp in den späteren Erzählteilen dann berichtet. Hier erscheint sein Ressentiment noch als eine auf das unabwendbare Leiden gestimmte Philosophie der Einsamkeit und des unhintergehbaren Fatums: Das Sinnen und Gedankenmachen hat keinen Wert, und man tut ja auch nicht, wie man denkt, sondern tut jeden Schritt eigentlich ganz unüberlegt, so wie das Herz gerade will. [...] Am Ende hat doch ein jeder Mensch das Seinige ganz für sich und kann es nicht mit anderen gemein haben. Man sieht es auch, wenn einer stirbt14.

Die alte Erfahrung, daß jeder für sich allein stirbt, verbindet sich hier mit der barocken Vergänglichkeitsvorstellung, deren Kombination vom Erzähler allerdings als nihilistischer Relativismus zurückgewiesen wird, ohne daß er Knulp überzeugen könnte, der allerdings den Widerspruch von relativistischer Indifferenz als Gegenstück zum reinen Determinismus und freiem Willen nicht aufzulösen vermag: [...] man [wird] auch deswegen oft so dumm betrübt, weil man spürt, daß das Wollen keinen Wert hat und daß alles ganz ohne uns seinen Weg geht. Aber eine Schuld gibt es deswegen doch, auch wenn einer nicht anders hat können als schlecht sein. Denn er spürt es doch in sich. [...] Ein jeder Mensch hat seine Seele, die kann er mit keiner andern vermischen. Zwei Menschen können zueinander gehen, sie können miteinander reden und nah beieinander sein. Aber ihre Seelen sind wie Blumen, jede an ihrem Ort angewurzelt, und keine kann zu der anderen kommen, sonst müßte sie ihre Wurzel verlassen, und das kann sie eben nicht15.

Einerseits also wird das Individuum von den vitalistischen Kräften des unkontrollierbaren Lebensvollzugs determiniert, ohne daß der subjektive Wille bestimmend sein kann, andererseits hat der Mensch ein Bewußtsein der Schuld, dem er nicht ausweichen kann. Das altprotestantische Problem der iustificatio coram deo nach der unhintergehbaren Erbsünde stellt sich auch für Hesse und seine Protagonisten, auch 13 14 15

SW, 3, S. 178f. SW, 3, S. 180. SW, 3, S. 181 u. 185.

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wenn in diesem Zusammenhang das peccatum originalis als das Leben erscheint. Wer handelt, muß schuldig werden, aber nur wer handelt, lebt auch. Die Schuld ist wie bei Kafka immer schon gegeben, sie ist unvermeidbar, aber auch unentschuldbar. Schon die protestantische Orthodoxie kann diesen Antagonismus von Prädestination und freiem Willen nicht auflösen, und auch Hesse gelingt keine philosophisch haltbare Argumentation, was man ihm aber auch nicht vorwerfen kann, denn er bemüht sich redlich, den religiösen Ursprung und die philosophische Tradition der Frage im Dunkeln zu lassen. Seine Ursprungsidee der angeborenen Erbsünde wird in zweierlei Form säkularisiert: Einerseits bleibt bei ihm jedes Individuum schuldig, wenngleich nicht durch das fatum, sondern durch den Lebensvollzug in sozialem Handeln, andererseits erhält er den Gedanken des Ererbten, den er aber aus dem religiösen Zusammenhang löst und zur Definition des Individuums nutzt, wie er in den folgenden Schriften nicht mehr müde wird zu betonen: Das Individuum wird mit seinem persönlichen Schicksal geboren, und es ist seine Lebensaufgabe, dieses Schicksal zu erfüllen. Mit dem «Werde der, der du bist» findet Hesse wiederum eine traditionelle Formel, um dieses Programm zu beschreiben. Nach dem Intermezzo der zeitkritischen Ehe- und Künstlerromane Gertrud und Roßhalde wird die Explikation dieser Vorstellung in allen folgenden Texten künstlerisch in immer wechselnden Formen übersetzt, der Demian bleibt in seiner Radikalität hier noch vor dem Steppenwolf der kanonische Text, weil er wie kein anderer Roman die weltanschaulichen Risiken dieses Gedankens markiert. Im Mittelstück des Knulp von 1907 ist derartiges noch in statu nascendi, wenngleich hier schon das wichtigste Einzelargument in der Begründung dieser Auffassung deutlich formuliert wird, die traditionelle romantische Forderung der sinceritas, der Aufrichtigkeit: «Jeder Mensch ist heilig, wenn es ihm mit seinen Gedanken und Taten wirklich ernst ist. Wenn man etwas für recht hält, muß man es tun»16. In seiner unbedachten Antwort darauf legt der Erzähler das logische Problem von Knulps Argument offen – und verfehlt seine Intention doch entscheidend, wenn er einwirft: «Aber du findest ja jeden Tag eine Weisheit, und morgen läßt du sie nimmer gelten»17. Nichts anderes folgt nämlich aus Knulps Überzeugung, daß alles Schöne, Gute und Wahre nicht auf Dauer bestehen kann und aus dieser Vorläufigkeit und Relativität sogar das «Vergnügen an tragischen Gegenständen» erwächst. In der Tat kann das Argument Knulps vom Individuum nur bedingt und von der Gesellschaft gar nicht gelten, denn die Vielzahl der subjektiven Weltentwürfe und deren radikale antagonistische Machtpotentiale lassen es im Sinne einer befriedeten Gesellschaft nicht zu, ihnen unbedingte Geltung zu verschaffen. Aber auch auf der individuellen Ebene trifft das Gegenargument einen wunden Punkt, denn es ist nicht nachvollziehbar, daß die subjektive Wahrheitsfindung innerhalb einer Biogra16 17

SW, 3, S. 186. SW, 3, S. 187.

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phie notwendig Bestand haben könnte. Der unablässige Wechsel der weltanschaulichen Moden belegt an unzähligen Individuen diese mangelnde Überzeugungsfähigkeit einer bestimmten Wahrheit, und auch Knulp wird sich von keiner Philosophie gefangennehmen lassen. Allerdings verletzt ihn die persönliche Wendung seines Gesprächspartners, der das im Subtext verborgene Argument nicht bedacht hat, denn Knulp setzt eine dezisionistische Struktur voraus, die hier noch unbestimmt bleibt. Die Aufrichtigkeit ist mit dem Ernst des Lebensvollzugs verbunden und findet in ihm sein eindeutiges Zeichen, wie Knulp behauptet: «Woher weißt du das denn? Das sieht man schon»18. Es ist eben diese unmittelbar überzeugende Zeichenhaftigkeit, die die Grundlage der Dezision ausmacht, die nicht primär auf ein logisches Argument zurückgeht, sondern das blitzhaft Erkannte als unwiderruflichen Ausgangspunkt einer Lebensentscheidung nimmt. Dabei ist es gerade die tiefe Ironie, daß Hesses Helden diese Dezision immer herbeisehnen, sie aber selten vollziehen und auch dies nie unangefochten und auf Dauer. Ihr Leben ist weitgehend von der Annäherung an eine solche absolute Entscheidung geprägt, aber es gelingt ihnen nie, ihre oft auch radikalen und langandauernden Dezisionen mit der notwendigen totalen Konsequenz auszustatten, die sie so sehr ersehnen. Ganz im Gegenteil sind gerade die Landstreicherfiguren durch eine nachhaltige Resistenz gerade gegenüber derartigen Sinnangeboten gekennzeichnet, und diese frühe Kennzeichnung Knulps wiederholt sich nicht nur in den späteren Erzählteilen, sie zeigt auch, wie nah sich die extremen Positionen sind. Die Versuchung, ein bestimmtes, weltanschaulich geprägtes Lebensmodell, durch die «eindeutigen» Zeichen der Aufrichtigkeit beglaubigt, in einer kühnen Dezision als die angeborene Lebensbestimmung zu ergreifen, ist nicht nur für Hesses Protagonisten groß. Der Autor und seine Erzähler erkennen jedoch, daß diese Dezision das Ende eben jener spezifischen künstlerischen Welt wäre, in der sie sich bewegen und an der sie alle in wechselnden Graden Anteil haben. Knulps Gegenentwurf zu der dezisionistisch durchformten Lebenstotalität ist das Bild der Raketen und Leuchtkugeln bei einem Feuerwerk: Darum weiß ich auch nichts Feineres, als wenn irgendwo bei Nacht ein Feuerwerk angestellt wird. Da gibt es blaue und grüne Leuchtkugeln, die steigen in die Finsternis hinauf, und wenn sie gerade am schönsten sind, dann machen sie einen kleinen Bogen und sind aus. Und wenn man dabei zuschaut, so hat man die Freude und zu gleicher Zeit die Angst: gleich ist`s wieder aus, und das gehört zueinander und ist viel schöner, als wenn es länger dauern würde19.

Damit liefert Knulp nicht nur eine bildhafte Beschreibung seines eigenen Lebens, das wie ein schöner Meteor vorbeizieht, sondern er ästhetisiert es und erhebt es in den Rang eines Kunstwerks sowie sich in einen Künstler seiner selbst. In dieser 18 19

SW, 3, S. 186. SW, 3, S. 179.

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Ästhetisierung gründet sein Charisma, das den Erzähler fasziniert und Knulp zum Führer macht, der sich jedoch immer wieder entzieht, denn dieser Selbstentwurf eines Lebens als Kunst am Rande der Gesellschaft leidet keine intensive Berührung mit der materiellen Welt der Leidenschaften. Knulp ist kein Asket, er lebt nach den Maximen der aurea mediocritas, aber er scheut alles, was zu sehr in den Bereich der Affekte ragt, vor allem in Fragen der Sexualität. Dieses Motiv wird vor allem in der Eingangserzählung «Vorfrühling» expliziert, die auf einen homodiegetischen Erzähler verzichtet und den Protagonisten in einem späteren Stadium der künstlerischen Durchdringung zeigt. Die «Erinnerungen» entwerfen quasi das Erzählprogramm für die beiden älteren Teile, die Knulps paradoxe Weltanschauung in künstlerischer Hinsicht ausführen und seinen charismatischen Charakter näher beschreiben. Dies geschieht vor allem durch die Engführung von Alterität und Normalität in der Gestalt des Helden, der einerseits durch seine Mobilität, seine Weigerung, sich festlegen zu lassen, definiert ist, andererseits aber mit Bedacht in der Erfüllung des sozialen Decorums exzelliert. Knulps Alterität erweist sich damit als das extremste denkbare Paradox, denn seine selbstgewählte Marginalisierung und sein Leben an den unteren Rändern des Lebens stehen in antagonistischem Gegensatz zu seiner aristokratischen Selbststilisierung. Knulp unterscheidet sich von allen anderen nicht nur durch seine klassische und austere mediocritas, sondern vor allem durch die Perfektionierung einer «aristokratischen» Lebensart, die sich in der Erfüllung der Anforderungen des sozialen Decorums gefällt. Es ist dies nicht nur dasjenige Merkmal, das ihm die Bewunderung und Liebe der Frauen zuträgt, es ist dies vor allem Ausdruck einer adligen Nonchalence, die sein Leben als Kunstwerk konditioniert. Knulp aemuliert das Lebensideal des cortegiano der Renaissance, wie ihn Castiglione beschreibt, wenn er den Frauen ritterlich begegnet, den Freunden gegenüber Treue und Loyalität übt, sich Gott und dem principe unterwirft und seine großen menschlichen und künstlerischen Qualitäten verbirgt. Am deutlichsten aber steht er in der Tradition des cortegiano-Ideals in seiner ganz spezifischen Umsetzung der grazia mit Hilfe der sprezzatura. Castiglione erweitert den klassischen Tugendkatalog (sapienzia, temperanzia, giustizia, fortezza, prudenzia, giudizio, magnanimità, mediocrità, umanità und mansuetudine) um die grazia, die Anmut, deren Gegenteil die affetazione, die Künstelei, darstellt, die unter allen Umständen zu vermeiden ist. Zu beachten ist dabei folgende Regel: [...] e ciò è fuggir quanto più si po, e come un asperissimo e pericoloso scoglio, la affetazione; e, per dir forse una nova parola, usar in ogni cosa una certa sprezzatura, che nasconda l´arte e dimostri ciò che si fa e dice venir fatto senza fatica e quasi senza pensarvi. Da questo credo io che derivi assai la grazia. [...] Però si po dir quella esser vera arte che non pare esser arte; né più in altro si ha da poner studio, che nel nasconderla20.

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B. Castiglione, Il Libro del Cortegiano, hrsg. von N. Longo, Mailand 1991, S. 59f. «[...] nämlich so sehr man es vermag, die Künstelei als eine rauhe und gefährliche Klippe zu

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Es sind jene «kleinen Künste», mit denen Knulp exzelliert, sein Kunstpfeifen, Handorgel spielen, Tanzen, seine Kartentricks und nicht zuletzt seine «Verslein», die jene Lässigkeit andeuten, die Castiglione mit dem Neologismus sprezzatura meint. Sie alle halten die Verbindung zur Kunst, sie sind «kleine Künste», die einen verborgenen Hinweis auf die große Kunst des eigenen Lebens geben und Knulps Anmut, seine grazia, begründen. Die größte Untugend, die affettazione, hingegen ist die sich selbst entlarvende Aufdringlichkeit seiner Gastgeberin, die mit bewußten und unbewußten Anspielungen, teils obszöner Art, Knulp abschreckt. Das Ziel, das Castigliones Hofmann verfolgt, onor und fama, erreicht der grazile Vagabund Hesses allemal, denn es ist «ein Vergnügen und eine Ehre, ihn aufzunehmen»21. Darüber hinaus zeigt sich seine aristokratische Anmut auch in unvermittelter Form als Teil seiner selbststilisierten Lebenskunst in seinem Wanderbüchlein, das als ein künstlerisches Dokument seiner Biographie gelten kann: Es stellte in seiner Tadellosigkeit eine anmutige Fiktion oder Dichtung dar, und seine amtlich beglaubigten Einträge bezeichneten lauter ruhmvolle Stationen eines ehrenwerten und arbeitsamen Lebens, in welchem nur die Wanderlust in Form sehr häufiger Ortswechsel auffiel. Das in diesem amtlichen Paß bescheinigte Leben hatte Knulp sich angedichtet und mit hundert Künsten diese Scheinexistenz am oft bedrohten Faden weitergeführt, während er in Wirklichkeit zwar wenig Verbotenes tat, aber als arbeitsloser Landstreicher ein ungesetzliches und mißachtetes Dasein hatte22.

Dabei ist seine Sehnsucht nach grazia durchaus auffallend, und nicht jeder akzeptiert das darin zum Ausdruck kommende Mißverhältnis von signifiant und signifié; die sich daran anschließende Frage nach der Angemessenheit verbindet sich mit derjenigen nach der Aufrichtigkeit, deren Bedeutung bereits angesprochen wurde: ««Was brauchst du so fein zu sein wie ein Graf, wenn du doch nur ein Hungerleider bist?» Knulp lächelte ruhig. «Es sieht besser aus, und es macht mir eine Freude [...]»23. Es ist, wenn man so will, das Prinzip des l´art pour l´art, das sich hier Ausdruck verschafft, aber letztlich handelt es sich um die Frage der Konstitution des Zeichens, denn Knulp entwirft sich in autopoietischer Weise mit und durch seinen Zeichengebrauch selbst als ein Zeichen. Indem er in seiner Person Bezeichnendes und Bezeichnetes paradox auf einander bezieht, löst er die starre semiotische Funktion auf und erlaubt eine Auslegungslücke. Er verweigert sich einer eindeutigen und sicheren Lesart und manifestiert so das Risikoleben, das er führt, auch in den Zeichen

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vermeiden und bei allem, um vielleicht ein neues Wort zu gebrauchen, eine gewisse Art von Lässigkeit anzuwenden, die die Kunst verbirgt und bezeigt, daß das, was man tut oder sagt, anscheinend mühelos und fast ohne Nachdenken zustandegekommen ist. [...] Man kann daher sagen, daß wahre Kunst ist, was keine Kunst zu sein scheint, und man hat seinen Fleiß in nichts anderes zu setzen, als sie zu verbergen» (B. Castiglione, Das Buch vom Hofmann, übers. u. erl. von F. Baumgart. München 1986, S. 53f.). SW, 3, S. 159. SW, 3, S. 149. SW, 3, S, 161.

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seines Lebensvollzugs. Daß er nicht nur in der bürgerlichen Gesellschaft ein Anderer ist, sondern auch in der Gemeinschaft der Marginalisierten eine Sonderstellung einnimmt, macht seine Alterität aus, die nicht in der reinen Randständigkeit des Verfemten gründet, sondern vor allem in der Souveränität seiner individuellen Dezision, deren Basis die Freiheit der Entscheidung ist. Mit dieser Freiheit jedoch hat es seine Probleme, denn die zweite Rahmenerzählung, «Das Ende», berichtet von Knulps Entschluß zum Vagantentum als Resultat einer Liebesenttäuschung. Hier wiederholt sich das Motiv der freiwilligen sozialen Erniedrigung aus «Peter Bastians Jugend», wenn der sexuell frühreife Knulp eines Mädchens aus der Unterschicht willen seine vielversprechende Karriere als Lateinschüler beendet. Sein Handeln entspricht dabei in den Voraussetzungen und in der Konsequenz den Geboten, die Castiglione im Cortegiano für die wahre Liebe diskutiert: Es ist das eindeutige und unmißverständliche Zeichen der Aufrichtigkeit und Ernsthaftigkeit: [...] seither habe ich manche Freunde und Bekannte und Kameraden und auch Liebschaften gehabt; aber ich habe nie mehr mich auf das Wort eines Menschen verlassen oder mich selber durch ein Wort gebunden. Niemals mehr. Ich habe mein Leben gehabt, wie es mir paßte, und es hat mir nicht an Freiheit und an Schönem gefehlt, aber ich bin doch immer allein geblieben24.

Daß diese Aufrichtigkeit scheitert, ist die zentrale Erschütterung seines Lebens; daß dies durch eine Liebesgeschichte geschieht, ist dagegen nur zufällig, wichtig ist die Zerstörung der Möglichkeit einer eindeutigen Zeichenrelation. Knulp, so könnten wir salopp formulieren, leidet an der unhintergehbaren Arbitrarität der Zeichen, und aus dieser linguistischen Grunderkenntnis, die zu seiner Zeit noch nicht zu alt ist, entwickelt er ein poetologisches Programm, das an frühere Vorstellungen des Autors Hesse nahtlos anschließt. Der Zerstörung der Ernsthaftigkeit begegnet er mit dem Entwurf seiner selbst als offener Zeichenrelation: Knulp entzieht sich der Welt und den Gesetzen ihres Handelns und wird selbst zum Zeichen und zum Spiel. Einesteils wird er dabei zum Zeichen seiner selbst als einer nie eindeutig erfüllbaren inhaltlichen Zuweisung, indem er Sein und Schein paradox verklammert und im Zustand der Unentscheidbarkeit hält, denn so sehr er «freiwillig» aus der vorherbestimmten Karriere ausgestiegen ist und schließlich das Vagabundentum gewählt hat, so sehr kann er zu irgendeinem Zeitpunkt auch wieder zurück. Diese subliminale Überzeugung dürfen wir aus der Distanz des Analytikers wohl als die große ideologische Lebenslüge des Helden betrachten. Andererseits aber entwirft er sich selbst auch als ein leeres Zeichen, das im Prozeß der Bewegung durch die Welt deren Zeicheninhalte aufnimmt; seine Mobilität dient der Welt dazu, sich selbst in das Leben Knulps einzuschreiben. Er ist in dieser 24

SW, 3, S. 201.

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Hinsicht eine leere Fläche, auf die sich diejenigen Zeichen des Lebens ablagern, die seinem Temperament und seiner Anlage entsprechen. In seiner Rücknahme und Selbstentäußerung als offenes Zeichen liegt ein Moment des Verschwindens in der reinen Konfiguration von Lebensvollzügen, so daß Knulps Weg der geringsten Resistenz als derjenige der Selbstaufgabe und -hingabe an das Leben erscheint. Das Leben, so will es der Autor verstanden haben, dichtet sich selbst in der Gestalt Knulps, der am Ende seines Lebenswegs geradezu mit der Natur eins wird und mit ihr verschmilzt. Dies ist nichts anderes als die Erfüllung des poetologischen Programms des Peter Camenzind, in dem die Natur ihre eigene Geschichte erzählen soll. Entwickelt Hesse dort noch eine Leids- und Mitleidsphilosophie als doppeldeutigen ideologischen Bezugspunkt des Romans, so findet sich in Knulp ein durch keine offenkundige oder subtil verborgene Ironie relativierter Quietismus. Gerade die Schlußsequenz, die dem Autor selbst als zu sentimental erschien, bietet keinen Ausweg aus der erzwungenen Versöhnung von Schicksal und Leben zugunsten einer transzendentalen Sinnstiftung, wenn man nicht diese ganze Vorstellung als grundlegend ironisch – und damit auch gleich als zynisch auffaßt. Zwar zeigt der Text keine Idylle, aber auch aus bedrängten Verhältnissen läßt sich idyllisches Kapital schlagen, welchen Profit der Autor aber, so meine ich, weitgehend verschmäht. Knulps sentimentalisches Ende läßt sich nur dann für eine zeitgenössische Lektüre retten, wenn es vor dem Hintergrund der Selbststilisierung des Helden als vazierendem Zeichen verstanden wird. Es ist die Kategorie des Spiels, die sich hier Geltung verschafft und die zu eindeutigen Sinnzuweisungen unterminiert. Aus dem Leiden an dem Scheitern der Aufrichtigkeit entsteht jene Zurücknahme des eigenen Lebens als vita activa und der Entwurf des Selbst als offener Zeichenrelation, die sich dem Leben als Darstellungsfläche hingibt und damit zum autopoietischen Text wird. Dieser Text aber ist, wie der Charakter des Helden, ein Spiel in dem Sinne, daß in ihnen nicht die völlige Arbitrarität herrscht, sondern ein System sich gegenseitig in der Schwebe haltender Regeln, wie sie in anderem Zusammenhang Castiglione formuliert. Knulp selbst und seine Geschichte sind der unsichere Text des Lebens, ein Spiel der fortuna und gleichzeitig ein literarisches Spiel mit dem unsicheren Leben, in dem alles offen ist; es ist wie alle autopoietischen Systeme nach außen geschlossen, das heißt, es ist ein Nullsummenspiel. Die Anteile, die Lösungen und die Strategien können auch anders verteilt sein: Der gesamte Sinninhalt, wie er auch immer aussehen mag, bleibt gleich. Knulps Liebe gilt weiterhin dem Ernst und der Aufrichtigkeit der Dezision, deren Möglichkeit er unbeirrt behauptet, aber diese sinceritas ist zum immer entfernten Ideal verklärt, das er nie erreichen wird. Das ganz Andere seiner Existenz ist dagegen die Aufhebung des Ernstes in der spielerisch-künstlerischen Ästhetisierung seines Lebens als Kunstwerk, dessen Charakteristik diejenige der paradoxen und offenen Zeichenrelation ist. Der Held entzieht sich, das Leben und die Kunst den eindeutigen Bedeutungszuweisungen, indem er Sein und Schein ineinander übergehen

Alterität und Mobilität 61

läßt und spielerisch mit einer gewissen sprezzatura verborgene Inhalte andeutet, die sein Vagantentum überschreiten. Knulp stilisiert sich schließlich bewußt zu einer Personifikation des Textes des Lebens und des Textes an sich und erfüllt damit eine der tiefsten Sehnsüchte seines Autors, dem es in diesen drei Geschichten in steigendem Maße gelingt, das Leben selbst zum Gegenstand seiner Darstellung zu machen. Allerdings nicht die Realität eines beliebigen Lebensvollzugs, sondern ein künstlerisch bereits geformtes, das in seiner Alterität bereits als Abstraktes erscheint. Dieses Leben wirkt jedoch ganz besonders überzeugend, gerade weil es nicht den Anspruch auf aktives Durchdringen der Welt stellt, sondern sich selbst als Zeichenfläche versteht, auf der das Leben seinen Text einschreibt. Knulp läßt das Leben durch seinen Körper hindurch passieren, und indem er sich zur Zeichenfläche und das Leben zum Text verwandelt, gelingt es ihm, den Schmerz der Enttäuschung zu marginalisieren. Die Verletzung, die in dem Scheitern jeder aufrichtigen Dezision liegt, wird im Knulp an den Rand gedrängt, sie ist die wirklich Ausgestoßene, die an den Rändern der Welt unter den Unehrlichen lebt, sie ist die wahre Tochter der Unehrlichkeit, die alles Leiden begründet. Der Held überwindet so seinen Schmerz, indem er ihn akzeptiert, wie der heilige Franziskus die glühenden Kohlen, die seine Krankheit heilen sollten, als «mein lieber Bruder, das Feuer» begrüßt. Allein Knulp entzieht sich und seine Leser durch die spielerische Ästhetisierung seines Lebens als eines uneindeutigen Textes einer ideologischen Lektüre und verwandelt sich selbst, das Leben und vor allem unsere Lektüre in ein geistreiches Spiel.

Helga Esselborn-Krumbiegel

Die Alterität des Ich Bedrohung und Verheißung in der Begegnung mit dem Fremden1

«Ich ist ein anderer»: dieses berühmte Wort Rimbauds benennt die äußerste Konsequenz der Dezentrierung des Subjekts, das im Einbruch des Fremden die Alterität des Ich erlebt und erleidet. Erst um die Jahrhundertwende, also gut 30 Jahre nach Rimbauds Lettres du voyant (1871), wird die Begegnung mit dem Fremden in der Literatur hochaktuell. Auf die fortschreitende Industrialisierung und die weitreichende Rationalisierung ganzer Lebensbereiche antworten allerseits gegenläufige kulturelle Bewegungen, die neue Freiräume erschließen. Bereits die Jugend- und Wandervogelbewegung suchte eine neue Qualität der Erfahrung in alternativen Lebensformen und unmittelbarer Natur- und Selbstbegegnung. Natürlich denken wir hier an Hesses Versuch eines einfachen Lebens auf dem Monte Verità im Jahr 1907 und an seine Geschichten aus dem Leben Knulps (1907–1914). Im Zuge der Kritik an der eigenen Lebenswelt und der Flucht aus ihr wird das Fremde schon hier zu einer verklärten Gegenwelt aufgebaut. Aus dem ,nahen Fremden‘ wird wenig später mehr und mehr das räumlich möglichst weit Entfernte – die zeitliche Ferne spielt allenfalls als Begleiterscheinung eine Rolle. Reiseberichte aus fernen Ländern und Romane in exotischer Szenerie haben im literarischen Exotismus der Zeit Hochkonjunktur. In ihnen verbinden sich ästhetische Faszination und Wunschprojektion. Schriftsteller wie Bernhard Kellermann (Ein Spaziergang in Japan 1912) und Hans Heinz Ewers (Indien und ich 1911) suchen im exotisch Fremden vor allem das Bizarre, Sensationelle, bis hin zum ekelerregend Grotesken. Andere Schriftsteller wie Max Dauthendey (Lingam 1909) und Waldemar Bonsels (Indienfahrt 1916) bemühen sich in neuromantischer Manier, sich in fremde Menschen und Erscheinungen ,einzufühlen‘ – ohne daß hierbei allerdings der sinnliche Reiz des Farbigen, Grellen, Bedrohlichen schwindet. Diese ,Europamüden‘ suchen mit unverkennbar regressiver Tendenz im Fremden das Einfache, Sinnliche, Ursprüngliche. Sie sind sich dabei durchaus der Vergeblichkeit ihrer Suche bewußt: Wir kommen voll Sehnsucht nach dem Süden und Osten, von dunkler, dankbarer Heimatsahnung getrieben, und wir finden hier das Paradies, die Fülle und reiche Üppigkeit aller natürlichen Gaben, wir finden die schlichten, einfachen, kindlichen Menschen des 1

Prof. Dr. Hans Dietrich Irmscher gewidmet zum 75.Geburtstag.

Helga Esselborn-Krumbiegel 64 Paradieses. Aber wir selbst sind anders, wir sind hier fremd und ohne Bürgerrecht, wir haben längst das Paradies verloren [...]2.

Dieses Zitat Hesses aus seinen Aufzeichnungen Aus Indien von 1913 charakterisiert den antizivilisatorischen Effekt der Zeitgenossen und zugleich ihre Desillusionierung. Neben Faszination und neuromantischer Wunscherfüllung spricht sich hier aber auch die Suche nach spiritueller Orientierung aus. Die rasante Ausbreitung des Buddhismus in ganz Westeuropa in den Zwanziger Jahren dokumentiert diese Suche eindrucksvoll. Hermann Graf Keyserlings Tagebuch eines Philosophen sei hier als ein Beispiel genannt, das Hesse sehr schätzte. Augenblicksbilder, die das exotisch Fremde einfangen, begegnen uns auch bei Hermann Hesse: etwa in den Gedichten, die unter dem Titel Von einer asiatischen Reise erschienen. Auch die Suche nach dem Ursprünglichen hat in Hesses Werk ihre Spuren hinterlassen: seine Aufzeichnungen Aus Indien (1913) zeugen ebenso von der «Heimkehr zu märchenhaften Kindheitszuständen» wie seine Erinnerung an Indien (1916). Und schließlich teilt Hesse in seiner «indischen Dichtung» Siddhartha mit den Zeitgenossen unstrittig auch das Ringen um spirituelle Orientierung und Erleuchtung durch das Fremde. Wir könnten also mit diesem Hinweis auf Hesses durchaus zeittypische Rezeptionsmodi das Kapitel «Hesse und das Fremde» beruhigt schließen, wenn nicht in den Texten der Krisenjahre zwischen 1912 und 1927 die Begegnung mit dem Fremden in die radikale Alterität des Ich umschlagen würde. Neben dem Reiz des Exotischen, dem Verlangen nach Ursprünglichkeit und der spirituellen Sinnsuche bricht sich nämlich in Hesses Texten dieser Zeit das Bewusstsein der Dezentrierung des Subjekts und seiner Desintegration Bahn. Das Fremde stellt sich nun nicht länger im Sinne Schleiermachers als das andere Gegenüber dar, welches erst das eigene So-Sein in der Differenz konstituiert, sondern als das potenziell Eigene. Differenz und Fremdheit, wie ich sie hier verstehen möchte, sind in den Kulturwissenschaften zwei aufeinander bezogene Begriffe: aus einer analytischen Perspektive als Beobachter lässt sich die Differenz konstatieren, während aus einer hermeneutischen Perspektive als Betroffener die Fremdheit des Anderen erlebt wird. Fremdheit ist also nach Harald Weinrich bereits ein Interpretament von Differenz/Andersheit3. Im kulturwissenschaftlichen Begriff der Alterität, auf den ich mich im Folgenden beziehe, werden nun Gegenstands- und Wahrnehmungskategorie zugleich gegenwärtig gehalten: in der Begegnung mit dem Fremden zeigt sich sowohl seine Differenz als auch seine kognitive und/oder normative Fremdheit4. Dabei bleiben im Begriff der Alterität das Fremde und das Eigene interdependente

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H. Hesse, Indien, in GS, 6, S. 283. H. Weinrich, Wege der Sprachkultur, Stuttgart 1985, S. 197. A. Wierlacher, Einleitung, in Das Fremde und das Eigene – Prolegomena zu einer interkulturellen Germanistik, hrsg. von A. Wierlacher, München 1985, S. VII-XV.

Die Alterität des Ich 65

Größen: in jedem ,Fremdheitsprofil‘ tritt unvermeidbar eigene Betroffenheit zutage5. Darüber hinaus verändert die fermentive Fremderfahrung, wie Alois Wierlacher sagt, die Eigenwahrnehmung durch multiperspektivisches Sehen und Erkennen6. Daß in diesem Prozess bereits ontogenetisch Bedrohung und Faszination ineinander fließen, zeigt im übrigen ein Blick auf die kindliche Entwicklung, die beides kennt: die Abwehr gegen das Unbekannte und die Faszination durch das Fremde, das die eigene Entwicklung herausfordert. Gesteigert erlebt wird Alterität als Fremdheit im Eigenen. Sobald entsprechend im Fremden jedoch das Eigene aufscheint, wird die unaufhebbare Fremdheit zugleich zur relativen Differenz. Das Sich-Einlassen auf das Fremde führt dabei jedoch nicht zur «Horizontverschmelzung» im Sinne Gadamers, sondern mündet in den Dialog des Ich mit dem Fremden. In einer dialektischen Bewegung geschieht in diesem Dialog einerseits die partielle Desintegration des Ich, die andererseits aller erst die Voraussetzung für die veränderte Wahrnehmung des Fremden schafft. Die Alterität des Ich ist somit Voraussetzung und Konsequenz der Begegnung mit dem Fremden.

Bedrohung und Verheißung Ich möchte diesen Prozess der Annäherung an das Fremde bei Hermann Hesse nun unter der zweifachen Hinsicht von Bedrohung und Verheißung untersuchen.

1. Bedrohung Wie schnell die Begegnung mit dem Fremden in eine Bedrohung durch das Fremde umschlagen kann, lässt sich an Hesses Märchen Flötentraum von 1914 ablesen7. Für den Jüngling, der «in ferne Länder» hinauszieht, beginnt das Fremde bereits jenseits des heimatlichen Tales: «Unser Tal war mir bis zur großen Hofmühle bekannt; dahinter fing denn also die Welt an [...]»8. Nach einem flüchtigen Flirt mit einem Landmädchen gerät der junge Mann wie selbstverständlich auf ein bereitliegendes Schiff, dessen Steuermann ihm in seinen Liedern Fluß und Welt deutet: «Der Fluß, wie er ihn sang, kam als ein taumelnder Zerstörer von den Bergen herab, finster und wild... und in seinen Wellen und langen grünen Wasserpflanzen wiegte er lächelnd die weißen Leiber der Ertrunkenen»9. Auf einer nicht endenden Fahrt 5 6

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Vgl. D. Krusche, Das Eigene als Fremdes. Zur Sprach- und Literaturdidaktik im Fach Deutsch als Fremdsprache, in «Neue Sammlung» XXII (1983), S. 27–41. A. Wierlacher, Mit fremden Augen oder: Fremdheit als Ferment. Überlegungen zur Begründung einer interkulturellen Hermeneutik deutscher Literatur, in Hermeneutik der Fremde, hrsg. von D. Krusche und A. Wierlacher, München 1990, S. 51–79. H. Hesse, Flötentraum in GS, 6. Ebd., S. 40. Ebd., S. 44.

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versucht der Jüngling zunächst noch, gegen die fremde Stimme «anzusingen»; er singt «mit lauter Stimme» von seiner Liebsten, jedoch lässt ihn der «kühle Strom von Trauer und Seelenangst» sehr bald verstummen: «Ich hörte zu und war ganz still geworden, ich hatte keinen Willen mehr in mir als den des fremden Mannes»10. In diesem Wechselgesang hat sich der junge Mann mehr und mehr auf das Fremde eingelassen, sich ihm geöffnet bis hin zur Dezentrierung des eigenen Bewusstseins. In einer Gegenbewegung versucht er, der Erfahrung des Fremden, in der er sich selber fremd geworden ist, zu entkommen, zurückzukehren in die Heimat. An diesem Punkt aber trifft ihn das Diktum: «Zurück geht kein Weg [...] man muß immer vorwärtsgehen, wenn man die Welt ergründen will»11. Wer sich so weit wie der, im übrigen natürlich namenlose, Jüngling dem Fremden ausgesetzt hat, muß – wir ahnen es schon! – konsequenterweise selber die Rolle des Fremden übernehmen. Schweigend übernimmt der Jüngling das Steuer aus den Händen des Mannes, der, wie im Traum, verschwindet. Als Traum jedoch erscheint dem sich selber fremd gewordenen Ich nun nicht etwa dieser lautlose Übergang, sondern sein früheres Leben12. Zur Bestätigung dessen, was nicht nur der Leser, sondern auch der Ich-Erzähler längst vermutet, «um zu wissen, was ich schon ahnte», erblickt der Fahrende in «dem schwarzen Wasserspiegel» des Flusses nun «ein altes, wissendes Gesicht, und das war ich»13. Es bedürfte nicht Hesses Kommentar aus dem Jahr 1916, um in der Erfahrung des Fremden die Alterität des Ich im Aufbrechen des Unbewußten zu entdecken: «Genau wie es dort steht, so ist seit 2 ½ Jahren meine innere Situation, und ich will aus diesem Boot nicht aussteigen, eh ich den Sinn der Nachtfahrt erlebt habe»14. Nicht immer gleitet das Subjekt so beinahe unmerklich ins Fremde hinüber wie in diesem Traumtext. Oft tritt ihm das Fremde auch als provozierendes Bild gegenüber, das er jedoch, so grell es zunächst erscheint, ohne Zögern als das Fremde im eigenen Ich akzeptiert. Das Fremde im Eigenen zu akzeptieren, bedeutet aber immer zugleich: sich selber fremd zu werden. Erinnern wir uns an die Flucht des Beamten Friedrich Klein in der Novelle Klein und Wagner von 191915. Auch für ihn beginnt das Fremde bereits jenseits der Landesgrenze, am Luganer See: «Ob das nun Honolulu, Mexiko oder Italien war, konnte ihm einerlei sein. Es war Fremde, es war neue Welt und neue Luft, und 10 11 12

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Ebd., S. 46. Ebd., S. 46. «Mir schien, es sei der schöne Wandertag und Brigitte und mein Vater und die Heimat nur ein Traum gewesen, und ich sei alt und betrübt und sei schon immer und immer auf diesem nächtlichen Fluß gefahren» (Ebd., S. 46). Ebd., S. 47. Hermann Hesse: aus einem Brief an Walter Schädelin vom 18.5.1916, in H. Hesse, Gesammelte Briefe, hrsg. von U. und V. Michels, 4 Bände, Frankfurt a.M. 1973ff.; Bd I, S. 323. H. Hesse, Klein und Wagner in GS, 5.

Die Alterität des Ich 67

wenn sie ihn auch verwirrte und heimlich in Angst versetzte, sie duftete doch auch nach Rausch und Vergessen und neuen, unerprobten Gefühlen»16. «Unerprobte Gefühle» führen ihn zu Teresina, deren Attraktivität er bei der ersten flüchtigen Begegnung als «negerhaft» missbilligt. Die Signalfunktion solcher zunächst leicht zu überlesenden Schlüsselwörter wird vollends offenbar, als sich Klein, aus einem Traum erwachend, an die «seltsame[n], naive[n] und negerhafte[n] Spiele der Phantasie» erinnert. «Dieser Traumgeist war roh, aber genial»17, fährt er fort. Wir wissen, daß er im Traum sich selbst im «Theater Wagner» sah, wie er mordete und selber beinahe erwürgt wurde. Die «negerhaften Spiele der Phantasie» aber sind nichts anderes als seine «triebhafte Irrfahrt» in «das fremde Land seines wahren Innern»18. Sigmund Freud nannte diese Alterität des Ich, das Aufbrechen des Unbewußten, das «innere Afrika»19. Und Julia Kristeva fügt, Freud pointiert interpretierend, hinzu: «L’autre, c’est mon (propre) inconscient»20. Nicht anders erlebt Harry Haller im Steppenwolf die Begegnung mit dem Südländer Pablo21. Während Hermine in all ihrer Gegensätzlichkeit doch von Anfang an die Resonanz des alter ego in ihm weckt, tritt ihm in dem Saxophonbläser Pablo ein hartnäckiger Gegner jeglicher Grenzziehungen und Wertungen entgegen, auf die sich Harrys Selbstdefinition so nachhaltig stützt: «Wir kamen aus entgegengesetzten Erdteilen, hatten kein Wort unsrer Sprachen gemeinsam»22. Doch gerade Pablo, der Meister jener «blutigen, grellen» Jazzmusik, deren «Negerhaftigkeit» Harry abstößt und lockt, führt, wir wissen es, den Steppenwolf in das Magische Theater seines Selbst ein. Dazu allerdings ist Harry erst bereit, nachdem sich seine Persönlichkeit im Festrausch aufgelöst hat «wie Salz im Wasser». Julia Kristeva beschreibt eben diesen Prozess, wenn sie betont: «Face à l’étranger que je refuse et auquel je m’identifie à la fois, je perds mes limites [...]»23. Erst dann kann Harry auch in Pablos «Tierblick» das eigene Unbewußte erkennen und akzeptieren. Daß er schließlich sogar in Pablos Worten seine eigenen Rede vernimmt, lässt das vom Ich ausgegrenzte Unbewußte im Sinne Jacques Lacans als fremde Rede in der eigenen auftauchen: «L’inconscient c’est le discours de l’Autre»24. Diese Beispiele mögen genügen, um das ,Denkbild‘ in diesen Texten nachzuzeichnen: Zunächst wird das Fremde in seiner Andersheit wahrgenommen; es folgt eine Phase des Dialogs, in der die Grenzen des Subjekts gleichsam für die Einwir-

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Ebd., S. 212. Ebd., S. 267. Ebd., S. 266f. Vgl. J. Breuer-S. Freud, Studien über Hysterie (1895). J. Kristeva, Etrangers à nous-mêmes, Paris 1988, S. 271. H. Hesse, Der Steppenwolf, in GS, 7. Ebd., S. 313. J. Kristeva, a.a.O., S. 276. J. Lacan, Écrits, Paris 1966, S. 265.

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kung des Fremden durchlässig werden; der letzte Schritt führt in die Alterität des Ich, in die paradoxe Spannung von Fremdem und Eigenem. In jedem der drei Texte nimmt der Held nicht nur das Fremde als das Eigene wahr, sondern – und das ist entscheidend für seine Erfahrung und entscheidend für Hesses Umgang mit dem Fremden – er wird sich selbst in der Begegnung mit dem Fremden fremd. Dabei geschieht diese Dezentrierung des Ich nicht primär im Medium der Sprache, sondern im Bild. Als Mittlerin ermöglicht allenfalls die Musik den Dialog zwischen Fremdem und Eigenem. Im Flötentraum singen Steuermann und Ich-Figur Fremdes und Vertrautes im Gegeneinander und Ineinander; der entscheidende Übergang geschieht allerdings schweigend: «Darum stand ich schweigend auf und ging durch das Schiff zum Steuersitz, und der Mann kam mir schweigend entgegen [...]»25. Friedrich Klein in Klein und Wagner stirbt «umbraust von der Musik der Weltchöre»26, in die er seine eigene Stimme einbringt. Im Bild jedoch als dem zentralen Medium der Erfahrung lässt sich die Alterität des Ich einsehen. Daß gerade das Sehen – in Hesses Werken insgesamt von überragender Bedeutung – auch immer wieder mit Träumen und traumähnlichen Visionen verbunden ist, bestätigt seine Rolle als Vermittler des Unbewussten. Das Traum-Ich im Flötentraum sieht im «schwarzen Wasserspiegel» im Gesicht des Steuermanns sein eigenes Bild. Friedrich Klein, der verschiedene Stadien der Spiegelbegegnung durchläuft, muss in jedem Spiegelbild seine Täuschung, seine «wahnhafte Identität» im Sinne Lacans durchschauen, bevor er im Verzicht auf ein konsistentes Ich-Bild «Erlösung» findet. Diese Erlösung aber stellt sich wiederum bildlich «gespiegelt» «im grauen Regendunkel über dem Nachtsee»27 als Vision dar: Klein sieht sein eigenes Bild aufgelöst und verwoben im «Weltstrom der Gestaltungen». Spiegelbegegnungen mit dem Fremden zerstören hier die Fiktion des umgrenzten Ich wie auch schon in Pablos Magischem Theater. Indem Sehen zur zentralen Erfahrungskategorie wird, gewinnen die Visionen des Unbewußten Raum.

2. Verheißung Während in den bis jetzt betrachteten Texten das Fremde zunächst vorwiegend als Bedrohung erlebt wird, dominiert in Hesses 1922 erschienenem Roman Siddhartha die Verheißung, die von dem Fremden, von indischer Philosophie und Religion ausgeht28. Wir wissen, daß Hesses Südostasienreise im Jahr 1911 ihm bestätigte, was er eigentlich schon vorher gewußt hatte:

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GS, 6, S. 47. GS, 5, S. 292. Ebd., S. 288. H. Hesse, Siddhartha, in GS, 5.

Die Alterität des Ich 69 Mein Weg nach Indien und China ging nicht auf Schiffen und Eisenbahnen, ich musste die magischen Brücken alle selber finden. Ich musste auch aufhören, dort die Erlösung von Europa zu suchen ... ich musste das wahre Europa und den wahren Osten mir im Herzen und Geist zu eigen machen [...]29.

Trotzdem versucht Hesse in seiner «indischen Dichtung» in fremdem Gewand nicht nur die Alterität des Ich auszusagen, sondern – und das ist neu! – dieses fremd gewordene Ich zu einer neuen Synthese zu führen. Hierin liegt die Verheißung des Fremden indischer, und wir dürfen hinzufügen, ebenso chinesischer Provenienz. Begegnete in den Texten der Bedrohung jeweils der fiktive Held einem fremden Gegenüber, so erleben wir in Siddhartha auf den ersten Blick eine andere Spielart des Fremden: die indische Szenerie und Historie ist für den Autor und in der Regel auch für den Leser fremd, für den Helden Siddhartha jedoch vertrautes Terrain. Der Leser wird also zunächst nicht wie etwa im Flötentraum mit dem Helden aus dem Bekannten ins Unbekannte gerissen, sondern schon zu Beginn des Romans in eine fremde Welt eingeführt. Die Begegnung mit dem Fremden setzt somit eine Erwartung in Gang, die in erster Linie nicht vom Helden, sondern vom Leser ausgeht. Allerdings wird die Erfahrung des Fremden wiederum potenziert durch Siddharthas eigene Suche: während Siddhartha letztlich seinen Weg in die Einheit alles Seienden sucht und findet, sucht und findet der Leser im Roman in einem mythischen, ortlosen Indien ein Modell für die Synthese scheinbar unvereinbarer Gegensätze, für die die europäische Kultur, zumindest aus Hesses Sicht, kein Denkmuster bereitstellte. Hesse hatte bereits 1919 in seinem Roman Demian in einem kühnen Entwurf polarer Welten versucht, die aufbrechenden Dichotomien zu einer Einheit zusammenzuzwingen. In Siddhartha bedurfte es der fernöstlich-christlichen Synthese, um in einer individuellen Biographie ein zeitloses Denkmodell zu entwerfen. Wie wir wissen, hat Siddharthas Lebensweg mit dem des historischen Buddha durchaus einige Züge gemein: Hesses Held trägt nicht nur einen der Beinamen Buddhas, er verlässt auch wie dieser seine Familie, um als Asket ein Wanderleben zu führen; wie Buddha lebt er am Ufer eines Flusses und findet unter einem Baum spirituelle Erleuchtung. Beiden wird schließlich die Vision der Gleichzeitigkeit und Einheit alles Seienden zuteil30. Anders aber als Buddha lehnt Siddhartha jede Lehre, jede Nachfolge ab. Ebenso wäre Siddharthas Weg in die Einsamkeit der Askese und von dort aus zurück ins Weltleben in der hinduistischen Lehre der vier Lebensstufen, von denen die Upanishaden sprechen, undenkbar. Anstatt nämlich von Stufe zu Stufe fortzuschreiten, durchlebt und durchleidet Siddhartha existenzielle Krisen, die sich, auch das ist bemerkenswert, eher im Ethos chinesischer Weisheit klären als im asketischen Denken indisch-buddhistischer Religiosität. Auch findet Siddharthas Leben seine Erfüllung gerade nicht im Nirvana, nicht, wie der historische Buddha 29 30

H. Hesse, Besuch aus Indien, in GS, 6, S. 295. Vgl. hierzu Th. Ziolkowski, Siddhartha – Die Landschaft der Seele, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1975-1976, Bd. 2, S. 133–161.

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lehrte, in der Erlösung aus der ewigen Wiederkehr, sondern in der Liebe zu allem Seienden: «Die Welt zu durchschauen, sie zu erklären, sie zu verachten, mag großer Denker Sache sein», erklärt Siddhartha gegen Ende des Romans seinem alten Freund Govinda, «mir aber liegt einzig daran, die Welt lieben zu können, sie nicht zu verachten, sie und mich nicht zu hassen, sie und mich und alle Wesen mit Liebe und Bewunderung und Ehrfurcht betrachten zu können»31. Hermann Hesse wusste um diese Rückwendung zur christlich-abendländischen Tradition; er schreibt: «Daß mein Siddhartha nicht die Erkenntnis, sondern die Liebe obenan stellt, daß er das Dogma ablehnt und das Erlebnis der Einheit zum Mittelpunkt macht, mag man als ein Zurückneigen zum Christentum, ja als einen wahrhaft protestantischen Zug empfinden»32. So hat Hesse denn auch eine einseitig östliche Interpretation seines Romans abgelehnt: «Siddhartha ist ein sehr europäisches Buch, trotz seines Milieus, und die Siddhartha-Lehre geht so stark vom Individuum aus und nimmt es so ernst, wie keine asiatische Lehre es tut»33. Dennoch ist das Exotische in diesem Roman mehr als bloße Kulisse. Die exotische Szenerie öffnet den Blick des abendländischen Lesers aller erst für neue spirituelle Erfahrungen jenseits seiner eigenen kulturellen Grenzen. Leserorientierte Untersuchungen zur Rezeption des Siddhartha im asiatischen Kulturraum könnten diese Deutung sicherlich weiter differenzieren. Der Leser geht, bildhaft gesprochen, den Weg in die Fremde, der nie wieder völlig ins vertraute Eigene zurückführt. Erst auf diesem ,Umweg‘ durch die Fremde erschließt sich der Leser mit Siddhartha den Zugang zum Ich, das in der Begegnung mit dem Fremden ein anderes geworden ist. Dabei löst sich die historische Einkleidung nach und nach in der Zeitlosigkeit des weltanschaulich religiösen Entwurfs auf. Entsprechend trägt der Held Siddhartha kaum individuelle Züge; er ist als Modellfigur ganz zum Medium der entworfenen Weltsicht geformt. So verwundert es denn auch nicht, daß Hesse seine beiden Romane Demian und Siddhartha als «Stücke desselben Weges» sah34. Beide schildern, wie er sagt, das «Zurückgehen hinter die Gegensatzpaare, (das) Annehmen des Chaos» in der Integration der Gegensätze35. Auch Siddhartha sucht zunächst in der Fremde nicht mehr und nicht weniger als sich selbst: «Dorthin zu dringen, zum Ich, zu mir, zum Atman – gab es einen an-

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GS, 5, S. 467. H. Hesse, Mein Glaube, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, a.a.O., Bd. 1, S. 372. H Hesse, Brief an Hans Rudolf Schmidt vom 18.1.1925, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, a.a.O., Bd. 1, S. 202. H Hesse, Brief an Frederik van Eeden vom 3.2.1923, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, a.a.O., Bd. 1, S. 187. H. Hesse, Tagebuch 1920/21, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Siddhartha›, a.a.O., Bd. 1, S. 25.

Die Alterität des Ich 71

dern Weg, den zu suchen sich lohnte?»36. Dem existenziellen Dialog, den er zunächst als Büßer im Kreise der Samanas erlebt, folgt stets die Rückkehr ins Ich, dem er als Asket gerade zu entrinnen suchte: «er schlüpfte aus seinem Ich in tausend fremde Gestaltungen [...]. Aber ob auch die Wege vom Ich hinwegführten, ihr Ende führte doch immer zum Ich zurück»37. «Erwachend» erkennt Siddhartha, daß er in diesem ‹Dialog› sich selber fremd geworden ist: «Atman suchte ich, Brahman suchte ich, ich war gewillt, mein Ich zu zerstückeln und auseinanderzuschälen [...] Ich selbst aber ging mir dabei verloren»38. Um sich selbst in der Erfahrung wiederzugewinnen, taucht Siddhartha in die Welt der «Kindermenschen» ein. Aber erst am Fluß, dem er «mit wartender, geöffneter Seele» lauscht, lernt er, in den Strom des Lebens einzutauchen, «einverstanden mit dem Fluß des Geschehens»39. Die neue Qualität einer Einheitserfahrung, in der die Spannung von Fremdem und Eigenem sich löst, ließ sich jedoch ganz offensichtlich nur im Mythos aussagen. Hesses ,offene‘ Texte wie Flötentraum, Klein und Wagner, Der Steppenwolf, aber auch Demian deuten zwar eine Reintegration des scheinbar Unvereinbaren an, gestalten sie aber im Werk selber nicht. Demgegenüber erscheint der SiddharthaRoman als ,geschlossener‘ Text, der in archetypischen Situationen und symbolischen Begegnungen die Synthese der Gegensätze tatsächlich gestaltet. Am Ende des Romans kehrt Siddhartha in der Vision seines Freundes Govinda in die Einheit des «ungeteilten Ganzen» zurück. Sichtbar wird diese neue Synthese so wiederum in einem Bild: Siddharthas Gesicht, das gerade noch «Schauplatz aller Gestaltungen» gewesen war, «schließt» sich über der «Tiefe der Tausendfältigkeit» im Lächeln des Erhabenen. Wenn, wie Wolfgang Müller-Funk im Rekurs auf Broch und Cassirer bemerkt, das Fremde die «Grenze des symbolisch Beheimatbaren» markiert, so ist es Hesse in diesem Roman gelungen, das Fremde in die eigene Symbolwelt einzuholen40. Was diesen Roman somit von den anderen Werken der Selbstsuche unterscheidet, ist die Gestaltung und Aktualisierung des Mythos: wie Thomas Mann und Alfred Döblin, um nur diese beiden im frühen 20. Jahrhundert zu nennen, gelingt es Hesse in seinem Siddhartha, aus der Transformation der Legende einen neuen, lebensnotwendigen und zugleich aktuellen Mythos zu schaffen: «niemals und immer», wie es in Gottfried Benns Südseegedicht Palau von 1921 heißt. So wird in Siddhartha im Fremden Zerfall und Reintegration des Ich durchgespielt in der Iteration des Mythos. 36 37 38 39 40

GS, 5, S. 357. Ebd., S. 365. Ebd., S. 384. Ebd., S. 459. W. Müller-Funk,: Das Eigene und das Andere / Der, Die, Das Fremde. Zur Begriffsklärung nach Hegel, Levinas, Kristeva, Waldenfels, in www.kakanien.ac.at./beitr/theorie/WMueller-Funk2, 15.9.2002, S. 3.

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Das Fremdwerden im eigenen Ich, wie wir es in den Texten der Bedrohung erleben konnten, begegnet uns auch bei Hesses expressionistischen Zeitgenossen. In Carl Sternheims Erzählung Ulrike (1917) etwa kann die exotische Welt durchaus als Wunschprojektion der Heldin gelesen werden. Auch in Kasimir Edschmids vitalistisch exotischen Novellen Sechs Mündungen (1915) tritt im Fremden das vom Ich ausgegrenzte Unbewusste ans Licht. Jedoch führt kein Weg aus der Regression des «inneren Afrika» zurück. Auch wo die Begegnung mit dem Fremden in den Wahnsinn der Halluzination führt wie in Döblins Erzählung Die Segelfahrt (1911), gelingt keine Rückkehr. In Hesses Erzählungen und Romanen dagegen wird in der Bedrohung durch das Fremde stets zugleich die personale Vermittlung von Ich und Nicht-Ich gesucht. Die Synthese von Fremdem und Eigenem gelingt schließlich in Siddhartha in der Verheißung des Mythos.

Micaela Mecocci

Die Bedeutung der weiblichen Gestalten in Hermann Hesses Prosa1 Veraguth stand vor seinem großen Bilde mit den drei Figuren und malte am Gewand der Frau, am dünnen, blaugrünen Kleide, an dessen Halsausschnitt ein kleiner Goldschmuck verloren und traurig glänzte und allein das liebe Licht auffing, das auf dem beschatteten Gesicht keine Stätte fand und an dem kühlen, blauen Gewande fremd und freudlos niederglitt … dasselbe Licht, das nebenan im hellen, offenen Haar des schönen Kindes froh und innig spielte2.

Es scheint kein Zufall, daß das vom Maler Johann Veraguth im Roman Rosshalde (1914) ausgeführte Bild das Gesicht der Frau Adele buchstäblich ,in den Schatten‘ stellt. Das Licht, das die Gestalt der Frau streift, auf deren Gesichtszügen aber keinen Raum findet, sondern längs der Falten des Kleides hinuntergleitet, ist zwar schön, jedoch auch «fremd»; es kann die spezifischen Züge der Frau, Ehegattin und Mutter nicht erfassen, die vielmehr in einem nie ganz offen ausgedrückten WeiblichAnderen verharrt. Der Lichtkegel richtet sich hingegen in Hermann Hesses Romanen zweifellos auf den männlichen Helden oder das (männliche) Paar der Hauptfiguren, denen gegenüber die Frauengestalten, ohne eigenständige Charakterisierung, in einer rein funktionellen Dimension und Wunsch-Projektion verhaftet bleiben. Die Frau ist also ein anderes, fremdes Objekt, mit dem keine Beziehung des gegenseitigen Austausches entsteht; das Fehlen einer wirklichen Gegenüberstellung mit dem weiblich-Anderen äußert sich in der Schwierigkeit, dieses ,Andere‘ zu behandeln: «Ich habe nie gewußt mit Frauen umzugehen»3 behaptet tatsächlich der Geiger Kuhn im Roman Gertrud (1910). Unter den Nebenfiguren in Hesses Prosa erinnern die zahlreichen Frauen eher an schamanenhafte Hilfsfiguren, die das Gedächtnis wahren und den Anlauf des Dialogs gestatten; doch sind sie lediglich flüchtige Gesprächspartner, Schatten, die einen seelischen Zustand, eine sich als angstvolle Erwartung oder beklemmende Ahnung darstellende Lebendigkeit spiegeln. 1

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Über ein ähnliches Thema hat die Verf. ein Referat an der internationalen Fachkonferenz Hermann Hesse und die Modernisierung in Mainz Oktober 2002 gehalten. Die Akten der Konferenz sind bei Suhrkamp Verlag mit dem Titel Hermann Hesse und die literarische Moderne, hrsg. von A. Solbach, im Frühjahr 2004 erschienen. H. Hesse, Rosshalde, in GS, 4, S. 81. H. Hesse, Gertrud, in GS, 3, S. 190.

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Die Gestalt der Kamala in Siddharta (1922) beispielsweise spielt eine wichtige Rolle, die die Figur des Brahmanen und seine Entwicklung hervorhebt und enthüllt: Kamala ist eine Art Lackmuspapier für ihren Geliebten, ein Spiegel für das Bewußtsein Siddhartas, in dem er sich verlieren und sich selbst (neu wieder-) finden kann. So erleben wir ein sich selbst reflektierendes, einziges Bewußtsein, das einerseits auf das sich wechselseitige Ein- und Ausschließen der Gegensätze in der ZenPhilosophie verweist, und andererseits die Möglichkeit einer dynamischen Integration mit dem ,Anderen‘ ausschließt. Dies wirkt sich nicht zufällig in der Unmöglichkeit oder Unfähigkeit, zu lieben, aus: «Ich bin wie du. Auch du liebst nicht – wie könntest du sonst die Liebe als eine Kunst betreiben? Die Menschen von unserer Art können vielleicht nicht lieben» sagt Siddharta zu Kamala4. Das Thema des Spiegels kommt häufig in der gesamten Prosa von Hermann Hesse vor: «Begreifst du das nicht, du gelehrter Herr: daß ich dir darum gefalle und für dich wichtig bin, weil ich wie eine Art Spiegel für dich bin, weil in mir etwas innen ist, was dir Antwort gibt und dich versteht?»5 sagt Herminie zu Harry im Steppenwolf (1927). Der in der weiblichen Gestalt verkörperte Spiegel ist also etwas, das hervorhebt und enthüllt, wiederholt und wiedergibt, ein identisches Paradigma abwandelt. Er bewirkt keine echte Verschiebung, keine fühlbare Umkehrung, kein Aufkeimen einer anderen Welt. Das gegenübergestellte Bild ist eine Spiegelung desselben. «Das ‹andere› Aussehen des unbekannten, fremden Gesichtes – wie Angela Putino schreibt –, bleibt für zu kurze Zeit an der Schwelle der Wahrnehmung»6. Das Spiegelbild verharrt daher in einem Grenzbereich zwischen Unterschiedlichkeit und Identität. Das Gleiche geschieht im Gemälde Sinclairs (Demian 1919), wo Demians Gesichtszüge diejenigen von Beatrice, von Eva, von Sinclair selbst durchblicken lassen: Das Gesicht verschwann ohne Umrisse, aber die rötlich umrandeten Augen, die Helligkeit auf der Stirn und der heftig rote Mund glühten tief und wild aus der Fläche. Lange saß ich ihm gegenüber, auch als es schon erloschen war. Und allmählich kam mir ein Gefühl, daß das nicht Beatrice und nicht Demian sei, sondern – ich selbst7.

In einem Schwanken zwischen einer überstarken Sinnlichkeit und wiederkehrenden Symbolen des Geistes geht für den jungen Sinclair die Suche nach der eigenen Identität (und zwar dem eigenen ,Gesicht‘) nicht so sehr über eine dialektische Gegenüberstellung, als vielmehr über ein Angleichen, ein Verschmelzen mit dem ,Gesicht‘ der anderen Personen und verharrt in genau jener zwischen Unterschiedlichkeit und Identität schwebenden Zone, in der sich auch die Grenzen zwischen Männlichem und Weiblichem verwischen. 4 5 6 7

H. Hesse, Siddharta, in GS, 5, S. 410. H. Hesse, Der Steppenwolf, in GS, 7, S. 295. Vgl. A. Putino, Trompe-l’oeil. Il mito di Narciso in Hermann Hesse, Napoli 1977, S. 54. H. Hesse, Demian, in GS, 5, S. 84.

Die Bedeutung der weiblichen Gestalten 75

Nicht von ungefähr wird von Hesse daher das Paar Mann-Frau oft durch ein stark zweideutig geprägtes männliches ,Doppel‘ ersetzt. In Demian geht diese Spiegelung in einem anderen Gesicht, das zugleich auch das eigene ist, über das sogenannte auf dem Gesicht der Personen vorhandene «KainZeichen»: ein Zeichen und ein Mythos (eines männlichen ,Doppels‘!) im Ursprung einer Wiedergeburt dank eines «Geschlechtes von Furchtlosen und Unheimlichen»8. Der der europäischen Kultur zugrundeliegende Kain-Mythos gemahnt an die Notwendigkeit, den circulus vitiosus der Rache zu unterbrechen, auf daß die Zivilisation endlich beginnen könne9. Die Berufung Hesses auf diesen Mythos, die sofort nach dem ersten Weltkrieg das Rache- und Nationalempfinden zugunsten des pazifistischen Ideals heftig in Frage stellt, knüpft hier stark an den Hesseschen Gebrauch der weiblichen Dimension an: die schaffende und schöpferische, regenerierende und zu neuem Leben erweckende Kraft der Mutterschaft ist in der Erzählung Schlüsselpunkt der (Wieder-)Geburt des Individuums, und im übertragenen Sinne, der gesamten Menschheit. Wie nur allzudeutlich im Namen vorweggenommen, symbolisiert Eva die eigentliche ‹Geburt› der «neuen Menschlichkeit», die bereit ist, ihr eigenes Schicksal zu leben: In den Wolken war eine große Stadt zu sehen, aus der strömten Millionen von Menschen hervor, die verbreiteten sich in Schwärmen über weite Landschaften. Mitten unter sie trat eine mächtige Göttergestalt, funkelnde Sterne im Haar, groß wie ein Gebirge, mit den Zügen der Frau Eva. In sie hinein verschwanden die Züge der Menschen, wie in eine riesige Höhle, und waren weg. Die Göttin kauerte sich am Boden nieder, hell schimmerte das Mal auf ihrer Stirn. Ein Traum schien Gewalt über sie zu haben, sie schloß die Augen, und ihr großes Antlitz verzog sich in Weh. Plötzlich schrie sie hell auf, und aus ihrer Stirn sprangen Sterne, die schwangen sich in herrlichen Bogen und Halbkreisen über den schwarzen Himmel10.

Auf seinem Weg, der ihn zur Entdeckung seines Selbst und seiner eigenen Identität führt, durchquert Sinclair diese zwischen Identität und Unterschiedlichkeit, d.h. Männlichem und Weiblichem schwebende Zone, in deren Grenzen seine Beziehung zu Eva liegt. Sie trägt in der Tat «die weiten und unermeßlichen Züge des Schicksals», ist eine «große, fast männliche Frauenfigur», «mit Zügen von Mütterlichkeit, […] Zügen von tiefer Leidenschaft», «Dämon und Mutter, Schicksal und Geliebte»11.

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H. Hesse, Demian, a.a.O., S. 32. Interessant für eine aktualisierende Lektüre der hesseschen literarischen Tätigkeit ist der Umstand, daß einer afganischen Legende gemäß die neue von Kain gegründete Stadt Kabul wäre. Vgl. E. Krippendorff, Die Kunst nicht regiert zu werden: ethische Politik von Sokrates bis Mozart, Frankfurt a.M. 1999. H. Hesse, Demian, a.a.O., S. 161. Ebd., S. 129f.

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In den Frauen der Hesseschen Prosa steckt eine stark sinnlich-leidenschaftliche Komponente. Wie schon in der Gestalt der Kamala finden sich immer wieder Bezüge auf den Mund als Gegenstand der sinnlichen Begierde: Kamalas Mund ist eben «wie eine frisch aufgebrochene Feige»12. Die einzig wahre körperliche Berührung mit Eva wird Sinclair in einem Kuß und nicht zufällig über sein ,Doppel‘ Demian haben: Frau Eva hat gesagt, wenn es dir einmal schlecht gehe, dann soll ich dir den Kuß von ihr geben, den sie mir mitgegeben hat… Mach die Augen zu Sinclair! Ich schloß gehorsam meine Augen zu, ich spürte einen leichten Kuß auf meinen Lippen, auf denen ich immer ein wenig Blut stehen hatte, das nie weniger werden wollte. Und dann schlief ich ein13.

Abgesehen vom Mund wird der weibliche Körper durch die sinnliche und mütterliche Brust und die oft klaren und hellen Augen geprägt, in denen sich die Seele der männlichen Figur spiegelt, wie zum Beispiel in Gertruds «klaren, guten Augen»14. In Hesses Romanen nimmt die Frau daher für die männlichen Gestalten die Merkmale der Freundin, Schwester, Geliebten, Göttin jedoch insbesondere die Bedeutung einer mütterlichen und mäeutischen Figur an, die letztendlich die Verkörperung des natürlichen Ganzen (Ur-Mutter) darstellt. Alle Sinnlichkeit Evas mündet in Bilder der Mutterschaft, gekennzeichnet durch Wasser («Sie war ein Meer, in das ich strömend mündete»), kreisförmige und umschließende Bewegungen («Sie war ein Stern, und ich selbst war als ein Stern zu ihr unterwegs, und wir trafen uns und fühlten beisammen und drehten uns selig für alle Zeiten in nahen, tönenden Kreisen umeinander»15), Bilder der Ruhe und des Friedens («Ihr Blick war Erfüllung, ihr Gruß bedeutete Heimkehr»16), die auf eine Möglichkeit der Versöhnung des Einzelnen mit der Natur verweisen: «Zum erstenmal klang die äußere Welt mit meiner innern rein zusammen – dann ist Feiertag der Seele, dann lohnt es sich zu leben. […] alles war […] wartende Natur, stand ehrfurchtsvoll dem Schicksal bereit»17. Das Bild des Wassers im Verein mit der Frau entspricht abermals dem Wahrnehmen eines stark zweideutigen Reflexes. Erinnert uns einerseits das Wasser des Flußes Siddhartas, des Wildbachs Goldmunds, des Sees Johann Veraguths unschwer an das lebenenthaltende und -spendende flüssige Ur-Element, an einen regressiven Zufluchtsort der leidenden Seele und eine Grenzlinie zwischen bewußt und unbewußt, so stellt es gleichzeitig eine sowohl durchsichtige wie reflektierende Fläche, flüssige Materie in ständiger Bewegung dar, die den Blick ableitet und auf ein anderswo, ein sich-selbst, das sich in ein ,Anderes‘ wandelt, anspielt. 12 13 14 15 16 17

H. Hesse, Siddharta, a.a.O., S. 398. H. Hesse, Demian, a.a.O., S. 162f. H. Hesse, Gertrud, a.a.O., S. 82. H. Hesse, Demian, a.a.O., S. 149. Ebd., S. 138. Ebd., S. 136.

Die Bedeutung der weiblichen Gestalten

Bedeutungsvoll muß Goldmund (Narziß und Goldmund 1930) einen Bach überqueren, um das Kloster Mariabronn hinter sich zu lassen und einen neuen ,Weg‘ zu finden, der ihn in die Welt der Symbole der ‹Großen Mutter› taucht; und nicht zufällig kann er durch einen zweiten und endgültigen ‹Sturz› ins Wasser die ersehnte Einheit mit dem Ganzen finden. Diesmal ist das Wasser eisig und tödlich wie jenes in dem See, in dem Knecht im Glasperlenspiel (1943) ertrinkt, wie in einem Mutterschoß aus dem man gewaltsam losgerissen wurde18. Auch in Narziß und Goldmund stellen die beiden Hauptfiguren ein äußerst zwiespältiges männliches Paar dar. Klarer und abgegrenzter als andere halten sie sich jedoch auf einer Achse stereotyper Gegensätzlichkeit zwischen Intellekt und Gefühl, bewußt und unbewußt, Vater und Mutter, männlich und weiblich. Narziß hat die Merkmale einer völlig auf Gedanken und Geistigkeit konzentrierten Männlichkeit, Goldmund einer Weiblichkeit mütterlicher Abstammung, die ihn in die ,Welt der Sinne‘ führt und sich im (künstlerischen) Schöpfungsakt erfüllt. Beide Charaktere dringen jedoch auch in die Dimension des anderen in wechselseitiger Abhängigkeit ein: abermals erleben wir hier einen Prozeß der Selbstidentifizierung und der Versuch der Integration zwischen Gegensätzen erfolgt ausdrücklich auf der Ebene männlicher und weiblicher Elemente: Es schien alles Dasein auf der Zweiheit, auf den Gegensätzen zu beruhen; man war entweder Frau oder Mann, entweder Landfahrer oder Spießburger, entweder verständig oder gefühlig – nirgends war Einatmen und Ausatmen, Mannsein und Weibsein, Freiheit und Ordnung, Trieb und Geist gleichzeitig zu erleben, immer mußte man das eine mit dem Verlust des anderen bezahlen, und immer war das eine so wichtig und begehrenswert wie das andere! Die Frauen hatten es hierin vielleicht leichter. Bei ihnen hatte die Natur es so geschaffen, daß von selbst die Lust ihre Frucht trug und aus dem Liebesglück das Kind wurde. Beim Manne war statt dieser einfachen Fruchtbarkeit die ewige Sehnsucht da. War der Gott, der alles so geschaffen hatte, denn böse oder feindselig, lachte er schadenfroh über seine eigene Schöpfung? Nein, er konnte nicht böse sein, wenn er die Rehe und Hirsche, die Fische und Vögel, den Wald, die Blumen, die Jahreszeiten geschaffen hatte. Aber der Riß ging durch seine Schöpfung, sei es nun, daß sie mißglückt und unvollkommen war, sei es, daß Gott eben mit dieser Lücke und Sehnsucht des Menschendaseins besondere Absichten haben mochte, sei es, daß dies der Same des Feindes war, die Erbsünde? Aber warum denn sollte diese Sehnsucht und Ungenüge Sünde sein? Entstand nicht aus ihr alles Schöne und Heilige, was der Mensch geschaffen hatte und Gott als Dankesopfer zurückgab?19.

Goldmund lernt in seiner Entwicklung eine Welt von weiblichen, anscheinend voneinander verschiedenen, in Wahrheit aber austauschbaren und wiederkommenden Figuren kennen. Diese Frauengestalten sind auf archetypische Verführungskraft, unmittelbare Natur, lebhafte Bejahung des freien Spiels der Libido herabgemindert, jedoch ist ihnen stets auch der Symbolismus der Mutterschaftsfunktion unterlegt.

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Das Motiv des Kreises und des Wassers als Symbol eines unzeitlichen Ganzen, als Ursprung und Einheit aller entgegengesetzten Paare entspringt übrigens dem Taoismus. H. Hesse, Narziß und Goldmund, in GS, 8, S. 253f.

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«Goldmund lernt von der Frau nicht nur zu geniessen, sondern auch zu leiden, und da der Mutterschoß den Ursprung sowohl des Lebens wie des Todes enthält, ist die Frau jenes Wesen, das den Lockruf am besten kennt und Goldmund lehrt, ihn zu hören und ihm zu folgen»20. Diese Mutter ist nämlich manchmal jungfräulich und wolllüstig, andere Male todbringend: «Tod und Wollust waren eines. Die Mutter des Lebens konnte man Liebe oder Lust nennen. Die Mutter war Eva, sie war di Quelle des Todes, sie gebar ewig, tötete ewig, in ihr waren Liebe und Grausamkeit eins, und ihre Gestalt wurde ihm zum Gleichnis und heiligen Sinnbild, je länger er sie in sich trug»21. Also Lydia e Julie (das Gefühl und die sinnliche Begierde), die blutschänderische Agnes, die in Goldmunds Gedächtnis Kindheitserinnerungen zurückruft und ihn in eine ödipale Dimension projiziert, Nähr-Mutter und undifferenzierter Schoß primärer Bedürfnisse, Urmutter und zerstörerische Mutter mit ihrer «Todesluft»22: schließlich versteht Goldmund in der Begegnung mir der schönen Elisabeth, sich die Geheimnisse der Kunst anzueignen und durch sie eine erste Vermittlung der Gegensätze zu bewerkstelligen. Nach Mariabronn zurückgekehrt gibt Goldmund endlich seinem schöpferischen Geist und seiner Einbildungskraft Ausdruck, die die Gegensätze im Zeichen des Kunstwerks vereinen, bis er selbst ohne Beschwer mit der großen Mutter Eva eins werden kann. Ohne Gedanken, gefühlhaft ahnte er in vielerlei Gleichnissen: die Kunst war eine Vereinigung von väterlicher und mütterlicher Welt, von Geist und Blut; sie konnte im Sinnlichsten beginnen und ins Abstrakteste führen, oder konnte in einer reinen Ideenwelt ihren Anfang nehmen und im blutigsten Fleische enden. Alle jene Kunstwerke, die wahrhaft erhaben und nicht nur gute Gauklerstückchen, sondern vom ewigen Geheimnis erfüllt waren, zum Beispiel jene Mutter Gottes des Meisters, alle jene echten und unzweifelhaften Künstlerwerke hatten dies gefährliche, lächelnde Doppelgesicht, dies Mann-Weibliche, dies Beieinander von Triebhaftem und reiner Gesitigkeit. Am meisten aber wurde die Eva-Mutter dieses Doppelgesicht einst zeigen, wenn es ihm einst gelänge, sie zu gestalten23.

Wie Angela Putino noch bemerkt, ist dieser Tod «Rückkehr in die Mutter, jedoch im Sinne einer Bezwingung des Todes, nicht mehr Rückfall ins Unbestimmte, nicht mehr die ursprüngliche Indifferenziertheit, sondern vielmehr Vereinigung»24. Die Vereinigung mit dem Mutterbild bedeutet die Verschmelzung und Versöhnung der Gegensätze: es ist das höhere Ziel, das sich der Darstellung entzieht und Synthese schafft25. Goldmund bejaht nämlich den Tod, zugleich aber auch das Le20 21 22 23 24 25

Vgl. M. Versari, La figura femminile come immagine psicagogica nell’opera di Hermann Hesse, in «AION» [Annali dell’Istituto Orientale di Napoli], Jg. 22 (1979), S. 87. H. Hesse, Narziß und Goldmund, a.a.O., S. 174. Ebd., S. 227. Ebd., S. 174f. Vgl. A. Putino, Trompe-l’oeil. Il mito di Narciso in Hermann Hesse, a.a.O., S. 25f. Ebd.

Die Bedeutung der weiblichen Gestalten 79

ben, denn Leben und Tod sind nun ein und dasselbe; er «läßt sich fallen» wie Klein, und mit seiner Ergebenheit löscht er die Antinomie zwischen Leben und Tod, zwischen Licht und Finsternis. Wie Lüthi26 bemerkt, schließt die Mutter in sich sowohl das Diesseits wie das Jenseits ein, sie ist nicht getrennt von der Welt; sie ist die Welt selbst, in der sich das Schicksal des Menschen erfüllt, der seine Identität nicht in der Flucht in eine außer ihm liegende Traszendenz (wie Margherita Versari27 zurecht feststellt), sondern in einem in seinem Inneren verankerten Wert, in der «Vielfalt des Ja»28 findet, in einem «persönlichen erfahrenen Wissen also, das sich nicht zur absoluter Wahrheit zu erheben traut und sein tiefes menschliches Wesen in seiner flüchtlichen Zeitlichkeit und seiner Subjektivität entdeckt»29. Das Weibliche und die geschlechtliche Verschiedenheit, die eine an die Materie, an das Prä-Semiotische gebundene Kategorie ist und als solche Grundlage der Erfahrung und der psychischen Struktur schlechthin wird, erscheint also in Hesses Prosa nicht wirklich als das ‹Fremde›, sondern endet in einer egozentrischen, selbstbetrachtenden, auto-erotischen (eher als homo-erotischen, wie manchmal angenommen wurde) Dimension, mit der Neigung, sich in einer Projektion und Verdoppelung des männlichen Subjekts zu lösen; das mütterliche Element kann jedoch nicht umhin, sich diesem Vorgang zu entziehen. In der Indifferenziertheit des platonischen Subjekts oder einer ursprünglichen und bisexuellen Libido30, wozu Hesses Schriften neigen würden, scheint das lebensspendende, erschaffende Prinzip der Mutterschaft ungelöst zu bleiben. So wird also auch ‹dieses› Weibliche der Mutterschaft von jenem Männlichen in Form schöpferischer Möglichkeit des künstlerischen Schaffens und Erfindens aufgesogen. Die Einheit des Seins wird so nicht als urprüngliche hermaphroditische, sondern als schöpferische Einheit in einem sehr wohl männlichen Subjekt wiederhergestellt, das aber schöpferischer Geist und sodann erschaffene und erschaffende Materie, natura naturans, im Tode der Wiedervereinigung und Versöhnung mit dem Ganzen wird. Liebe, Tod und Mutter, vermittelt durch die Frauengestalten, sind Elemente eines teils regressiven Selbsterkennungprozesses, der durch einen freien und geläuterten erotischen Trieb Wiedervereinigung mit den Wurzeln des Seins (Urmutter) und Harmonie mit den kosmischen Gesetzen ermöglicht. 26 27 28 29 30

Vgl. H. J. Lüthi, Hermann Hesse – Natur und Geist, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1970. Vgl. M. Versari, La figura femminile come immagine psicagogica nell’opera di Hermann Hesse, a.a.O. Vgl. F. Masini, Hermann Hesse e la moltitudine dei sì, in H. Hesse, L’ultima estate di Klingsor, Varese 1977. M. Versari, La figura femminile come immagine psicagogica nell’opera di Hermann Hesse, a.a.O., S. 83. Hesse hatte sich über den Hinduismus und orientalische Extasenpraktiken, sowie höchstwahrscheinlich über C. G. Jungs Werk dem Thema einer ursprünglichen und indifferenzierten Libido genähert.

Uli Rothfuss

Fremd sein in gewalttätiger Zeit Josef Mühlberger und Hermann Hesse – eine Verwandtschaft im Geiste

«Es werden jeden Tag neue Dichter gepriesen, aber hier ist wirklich einer», schrieb Hermann Hesse im Frühjahr 1935 über Josef Mühlberger in der «Neuen Zürcher Zeitung»1, und er ergänzte über dessen im Jahr 1934 im Insel Verlag erschienene Erzählung Die Knaben und der Fluß2: «Die Erzählung ist nicht gewollt, nicht gemacht, nicht gekonnt, sie ist wie eine Vogelmelodie. Man liebt das Buch nach der ersten Seite. Es ist die schönste und einfachste Dichtung, die ich seit langer Zeit gelesen habe». Lob aus berufenem Mund: Der Dichter und Schriftsteller Hermann Hesse war schon berühmt, als er diese Zeilen schrieb, seine Bücher Peter Camenzind, Unterm Rad, Der Steppenwolf oder Siddhartha anerkannt und in andere Sprachen übersetzt. Im Ersten Weltkrieg zwar in Deutschland noch als Vaterlandsverräter verschrien, weil er sich mit der Familie ab 1912 in die Schweiz, nach Bern, später, ab 1919, ins Tessin, zurückgezogen hatte, hatte Hermann Hesses literarische Arbeit im Deutschland der Zwanziger und Anfangs Dreißiger Jahre durchaus wieder Konjunktur: Er war nicht den Verlockungen des wilhelminisch-obrigkeitlichen Denkens erlegen, hatte früh gegen Nationalismus und Kriegsbegeisterung geschrieben – man denke nur an seinen in der Heimat viel gehaßten Aufsatz O Freunde, nicht diese Töne3, mit dem er bereits im November 1914 allem nationalen Enthusiasmus eine Absage erteilte und Werte wie Humanität, Toleranz – auch im Bezug zu anderen Kulturen – dem Trennenden gegenüberstellte. Hesse war auch in der Zeit des Ersten Weltkriegs nicht bereit, die geistigen Traditionen und Werte Europas aufzuteilen – und dies in einer Zeit, als gerade diese Werte im Kampf zwischen den Nationen eingesetzt wurden, als es verboten war, Kompositionen russischer oder französischer Komponisten in Deutschland zu spielen oder Bücher von Schriftstellern aus Feindländern zu veröffentlichen. «Hier vor allem gelingt es Hesse, die Dinge seiner Schilderung nicht in die Welt hineinzustellen, sondern die Welt in sie hereinzuholen. Gerade das sowohl in Gehalt wie Gestalt Unzeitgemäße dieser stillen, aus innerer Erregung heraus lebenden 1 2 3

Zitiert nach J. Serke, Böhmische Dörfer, München 1987, S. 415. J. Mühlberger, Die Knaben und der Fluß, Berlin 1934. Erschienen am 3.11.1914 in der «Neuen Zürcher Zeitung». Jetzt in H. Hesse, Politik des Gewissens, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1981, Bd. 1, S. 42–46.

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Prosa macht sie in unserer Zeit wertvoll und notwendig»4, schrieb Josef Mühlberger 1951 über Hesses Text Beschreibung einer Landschaft, der in vielem ähnliche Züge trägt wie die Landschaftsbeschreibungen in seiner eigenen Erzählung Die Knaben und der Fluß. Bereits in diesen beiden Äußerungen der Schriftsteller über jeweils den anderen zeigen sich Züge gegenseitigen Verständnisses allein durch den Ton der Literatur des anderen, es zeigen sich unmißverständlich Spuren geistiger Verwandtschaft zwischen Mühlberger und dem etwa 25 Jahre älteren Hesse. Auch Josef Mühlberger hatte die ihm durch seine Herkunft – mit tschechischer Mutter und deutschem Vater – mitgegebene Rolle des Vermittlers zwischen den Kulturen beibehalten, auch später, als der Nationalsozialismus Gift säte zwischen die lange gut nachbarschaftlich miteinander auskommenden Kulturen der Deutschen und der Tschechen in Böhmen, die sich gegenseitig ergänzten. Wie Hesse, der – Emigranten und jüdischen Freunden helfend – ab den frühen Dreißiger Jahren zum zweiten Mal eine Wende in der Gunst der Leser in Deutschland wie auch der «offiziellen» Haltung Deutschlands ihm und seinem Werk gegenüber erleben mußte, bekam auch Josef Mühlberger die veränderten politischen und geistigen Konstellationen in Deutschland ganz unmittelbar zu spüren. Im Jahr 1935, zur Zeit seines Lobes an den böhmischen, deutschsprachigen Schriftsteller Josef Mühlberger, hatte auch Hesse bereits wieder mit kritischen Tönen auf sich aufmerksam gemacht, hatte er Artikel und öffentliche Briefe geschrieben und die Deutschen vor dem heraufziehenden Unheil gewarnt: Im Oktober 1930 bereits schrieb er in einem Brief: «Das Tier und der Dämon im Menschen kehrt immer wieder zum Töten und Quälen zurück und findet dann natürlich auch immer eine ,orthodoxe‘ Ideologie dazu, so wie Hitler und Stalin mit entgegengesetzten Orthodoxien denselben Mächten dienen»5. Die schlichte Erzählung Die Knaben und der Fluß Josef Mühlbergers erreichte Hesse in seinem Landhaus in Montagnola über dem Luganer See; eine Prosadichtung über zwei Jungen, zwei sich innig freundschaftlich liebende und durch das jugendliche Leben begleitende Freunde, die von ihren äußeren und charakterlichen Anlagen unterschiedlicher nicht sein können. Diese Erzählung mag wie die Nachricht eines guten Freundes in Hesses geregelten Alltag im hitzegeladenen Tessin gedrungen sein und den inzwischen auf die 60 Jahre zugehenden Dichter angerührt haben. Hesse hatte in jener Zeit gerade mit Arbeiten an seinem Glasperlenspiel zu tun, an dem er schon seit zwei, drei Jahren schrieb, diesem als Summe seines Denkens und Dichtens bezeichneten Roman, einzige Suche nach Gestaltung einer geistigen Gegenwelt gegen die Diktatur in Deutschland und gegen die Vermassung 4

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J. Mühlberger, Rezension in «Neue Württembergische Zeitung» vom 25. April 1951, zitiert nach S. Unseld, Hermann Hesse. Werk- und Wirkungsgeschichte, Frankfurt a.M. 1985, S. 205. Hermann Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1978, S. 252.

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allen menschlichen Wollens – «ich mußte der grinsenden Gegenwart zum Trotz das Reich des Geistes und der Seele als existent und unüberwindlich sichtbar machen»6, beschreibt Hesse seine Intention mit dem Roman. In dieser Situation mag ihn die Dichtung Mühlbergers im Innersten angerührt, verstört haben – so sehr, daß er Mühlberger ohne Wenn und Aber als wirklichen Dichter pries in dieser heraufziehenden, gewalttätigen Zeit, und dies in einer der damals schon geachtetsten Zeitungen im deutschsprachigen Raum, der «Neuen Zürcher Zeitung». Es mochten die Motive in der Erzählung Mühlbergers sein, die tief in Hesses eigenes Verständnis von künstlerischer Gestaltung der Lebensabläufe eingriffen: dieses Gefühl der Angst des Jungen Waschek, «ohne zu wissen, wovor»7, die wortlose Vertrautheit zwischen den beiden jungen Freunden Waschek und Jenjik – die unmittelbar an Hesses Erzählung Erwin8 erinnert, an die innige Vertrautheit zwischen dem Erzähler und dessen jugendlichem Freund Erwin; oder an seinen Roman Unterm Rad und die innige Beziehung zwischen Hans Giebenrath und Hermann Heilner; und die Einbrüche in die geordnete Welt in der Erzählung Mühlbergers, die plötzlichen Störungen des harmonischen Alltags: zuerst der Tod des Onkels am Ende der Ferien9, Waschek muß zum ersten Mal im Leben einen Tag ohne den geliebten Freund verbringen, später das erste, zarte Liebesabenteuer mit der jungen Jarmila10, dem schönsten Mädchen des Dorfes, der er einen Kuß gibt und danach ein Leben lang das Gefühl nicht mehr los wird, den Freund Jenjik hintergangen zu haben. Einbrüche in die Harmonie des Geschehens, die auch Hermann Hesse in seiner eigenen Literatur immer wieder in ähnlicher Weise gestaltet: Die Flucht Hans Giebenraths aus der geordneten Welt der Klosterschule in dem Roman Unterm Rad, das Mißtrauen Siddharthas gegen jede Heilslehre und seine Hinwendung zur Selbsterkundung und zu dem ausschweifenden Weltleben, bevor er sich schließlich – als Gehilfe des Fährmannes Vasudeva – doch der geistigen Vervollkommnung zuwendet in seinem Roman Siddhartha, und den faszinierenden Austausch des angehenden Glasperlenspielmeisters Josef Knecht mit dem das Weltleben – als Gegensatz zum geistigen Kastalien – verkörpernden Plinio Designori in dem Roman Das Glasperlenspiel. Einbrüche, die letztlich die Figuren im Roman weiter-, über sich hinausführen, die notwendig sind, sie wachsen zu lassen. Es waren sicher nicht bloß diese scheinbar kleinen Ereignisse in der Erzählung, die Hesse herausforderten, diesen Text Mühlbergers so überschwenglich zu loben. Aber die Ereignisse, diese Einbrüche in das scheinbar unbeschwerte Landleben der beiden Jungen im tschechischen Böhmen, stehen für mehr: Sie stehen symbolisch 6 7 8 9 10

Aus einem Brief von Hermann Hesse an Rudolf Pannwitz vom Januar 1955, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Glasperlenspiel›, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1974, S. 296. J. Mühlberger, Die Knaben und der Fluß, a.a.O., S. 13. H. Hesse, Erwin, 1907–1908 entstandene Erzählung, 1987 veröffentlicht. J. Mühlberger, Die Knaben und der Fluß, a.a.O., S. 23. Ebd., S. 65.

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für das schleichende Auseinanderdriften, für das Nicht-Halten-Können von scheinbar auf Dauer angelegten Bindungen. Daß Mühlberger es in der Erzählung schließlich doch schafft, die Einheit zu erhalten, rührt an: Er schafft es nur dadurch, daß einer der beiden Jungen bewußt und um der dauerhaften Einheit willen den Tod sucht – Waschek versenkt sich im reißenden Fluß, um die von beiden Freunden Geliebte nicht zwischen sie dringen zu lassen. Waschek stirbt im Wasser – wie vorher Hans Giebenrath in Hesses frühem Roman Unterm Rad auch voller Symbolik im Wasser gestorben war und wie dies später im Roman, an dem Hesse zur Zeit des Lesens der Mühlberger-Erzählung gerade schreibt, dem Glasperlenspiel, der Magister Ludi Josef Knecht auch wird. Nicht nur nahm Hermann Hesse so von Josef Mühlbergers literarischer Arbeit intensiv Notiz, auch für Mühlberger war dieser Hermann Hesse immer wieder neu ein Bruder im Geiste. Am 28. Juni 1952 veröffentlichte er in der «Neuen Württembergischen Zeitung Göppingen», wo er nach seiner Ausweisung aus Böhmen eine Stelle als Kulturredakteur angenommen hatte, einen Artikel Der Morgenlandfahrer zum 75. Geburtstag von Hermann Hesse, der dann auch in das Geburtstagsbändchen des Suhrkamp Verlages Dank an Hermann Hesse – Reden und Aufsätze aufgenommen wurde11 – neben Beiträgen von zum Beispiel Rudolf Alexander Schröder, Theodor Heuss, Ernst Penzoldt oder Thomas Mann. Mühlberger sieht in der Morgenlandfahrt das Leitmotiv in Hesses Literatur schlechthin. Denn «Morgenland» – und hier zitiert er Hesses Erzählung – «war ja nicht nur ein Land und etwas Geographisches, sondern es war die Heimat und Jugend der Seele, es war das Überall und Nirgends, war das Einswerden der Zeiten». Mühlberger schien es bei der Lektüre der Morgenlandfahrt ähnlich zu gehen wie Hesse bei der Lektüre von Mühlbergers Die Knaben und der Fluß – er mußte intensiv Bezüge zum eigenen Schaffen herstellen, er lag auf einer Welle mit der Tonart der Dichtung Hesses. Liest man Mühlbergers Erzählung, ist sie zeitlos – wie Hesses Morgenlandfahrt letztlich zeitlos angelegt ist; nur zaghafte Hinweise lassen sie an einer bestimmten Epoche festmachen, und auch dies nur vage – Pferdefuhrwerke wie jenes, auf dem die Familie des Waschek zum Begräbnis des Onkels fährt, gab es zu allen Zeiten. «Die Nähe zu allem Großen und Tiefen und Richtigen, das auf dieser Erde gedacht und gesagt, gelitten und erfreut, gestaltet und gesungen ward» identifiziert Mühlberger als das «Morgenland» des Dichters Hesse – und bezieht es doch auf sich selbst, denn in der zentralen Erzählung seiner eigenen Dichtung Die Knaben und der Fluß gestaltet er selbst auch die ganz großen Themen der Menschheit im Kleinen, im Alltäglichen: «Die Ahnung von der ganzen Welt, samt allen ihren Widersprüchen, [...] die Ahnung von der geheimen Einheit alles Lebens», läßt er Hesse in dieser Morgenlandfahrt das aussprechen, was er selbst in seiner Erzählung gestaltet. 11

J. Mühlberger, Die Morgenlandfahrt, in Dank an Hermann Hesse. Reden und Aufsätze, Frankfurt a.M. 1952, S. 70.

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Hermann Hesse erkannte: auch Mühlberger hatte in seiner scheinbar schlichten Erzählung einen Weg gefunden, das zu gestalten, was dieser wiederum in seinem Artikel in der «Neuen Württembergischen Zeitung» als Größe Hesses herausstellt: «Morgenland ist das zeitlose Zuhause in der «inneren Ordnung, der Zusammenhang mit dem Ganzen, die Bezogenheit auf das Ganze»12. Auch die formalen Grundzüge der Arbeit Hesses, die Mühlberger herausschält, gelten letztlich für ihn selbst: «Denn das ist die andere Einheit des Werkes, jene behutsam-sichere Kontur, ob sie Musik umschreibt oder einen alten Pfirsichbaum, einen Bettler oder den Magister Ludi. Die einfach-schöne Linienführung, die ein letztes Resultat des Mühens um Form darstellt, aber auch der Ausdruck eines still lauteren So-seins des Dichters; eine Kontur, die wie ein Akkord aufzuklingen vermag und aus sich heraus leuchtet wie die Linien eines chinesischen Blattes oder einer Handzeichnung Leonardos»13. So könnten auch Mühlbergers beide Figuren Waschek und Jenjik Brüder der Hesse-Figuren sein, und anders herum: Siddhartha und Narziß und Goldmund Brüder Wascheks und Jenjiks. Josef Mühlberger schreibt: «Sein junger Inder Siddhartha und der alte Chinese des Glasperlenspiels sind Brüder der mittelalterlichdeutschen Narziß und Goldmund»14. Das Urbild der Bruderschaft im Geiste wird nicht verlöscht im Werk Hermann Hesses, im Gegenteil: es scheint durch, wie es in der Erzählung Josef Mühlbergers durchscheint. Wahrscheinlich hörte Hesse aus dem Ton der Erzählung Mühlbergers eine geistige Verwandtschaft heraus, die in der Literatur atmosphärisch zu spüren war: «Früh schon ist die Frucht als Keim und Knospe da, der gar gewordene Wein in der Blüte des Rebstockes. Das macht die Prosa Hesses dem ungeschichtlichen Pflanzlichen verwandt»15, beschreibt Josef Mühlberger 1957 sehr anschaulich seinen Eindruck von der Dichtkunst Hesses – und liegt wiederum gar nicht weit entfernt von der eigenen, auch ihm erschließt sich Hesses Tonart. Daß dieses atmosphärische Überlagern auch im Leben Entsprechungen fand, zeigte sich immer deutlicher, wie Mühlberger in seinem Text Ein Abend im Waldsteingarten16 ausdrückt: «Wer sich keinem Extrem anschließen konnte, der stand, von beiden Seiten mit Mißtrauen bedacht, im Niemandsland». Diese Erfahrung hatte, früher als Mühlberger, auch Hesse erlebt: Im Ersten Weltkrieg wurde dieser den Eiferern in der württembergischen und der deutschen Heimat zum «Vaterlandsverräter», und schließlich, in der Zeit des Nationalsozialismus, stellte sich Hesse vollends zwischen alle Fronten: von den nationalen Deut12 13 14 15

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Ebd. Ebd. Ebd. Josef Mühlberger über die sechsbändige Ausgabe der Werke Hermann Hesses, in der «Neuen Württembergischen Zeitung» vom 4. September 1957, zitiert nach S. Unseld, Hermann Hesse. Werk- und Wirkungsgeschichte, a.a.O. S. 205. Vgl. J. Mühlberger, Ein Abend im Waldsteingarten, Esslingen 1981.

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schen seiner Haltung wegen diffamiert, griffen ihn auch Exilanten und von den Nationalsozialisten Gejagte ob seines Rückzugs in das «Gartenhaus» im sicheren Schweizer Tessin an. Hesse, so wenig wie später Mühlberger, verkannte nie seine Herkunft; nie ließ er ab von der Liebe zu seiner Kinderheimat Calw, dem schwäbischen Schwarzwaldstädtchen – eben wie Mühlberger immer wieder die Heimat Böhmen zum Thema machte (und sich in Zeiten heftiger Angriffe von der rechtsnationalistischen Seite auch in ein ruhiges Zimmer in einem Dorf in der Nähe seines Heimatortes Trautenau in Böhmen zurückzog); andererseits half Hesse flüchtenden Schriftstellerkollegen, oft jüdischer Herkunft, wo er konnte. Er nahm keine Kompromisse in Kauf, um seine Werke weiter in Deutschland erscheinen zu lassen; allerdings wirkte er immer von der sicheren Schweiz aus, wo er seit 1912 lebte und deren Staatsbürgerschaft er seit 1924 besaß – von wo aus hätte er seine Hilfeleistungen besser anbringen können. Daß Hesse zeitig ins Tessin übergesiedelt war, bereits 1912, auf Drängen seiner ersten Frau, war sein Glück. Mühlberger – freilich unter ganz anderen Umständen – war die Kraft zum selbstbestimmten Weggehen nicht gegeben, und er wurde beinahe durch die Zeitläufte aufgerieben. Mühlberger vermied es, sich den auch in Böhmen erstarkenden Nationalsozialisten direkt anzuschließen, er förderte in seinen Artikeln nach Kräften, kritisch, die Prager jüdische Literatur, die er liebte: Kafka, seinen späteren Freund Max Brod, er wurde als «Judenfreund» scheel besehen; Josef Mühlberger begab sich als Schriftsteller und Mensch zunehmend ins Niemandsland – nichts beschreibt dies eindrücklicher als sein Briefwechsel mit dem Insel Verlag in den 30er Jahren, der zwischen euphorischen Inhalten und dem nahezu vollständigen Rückzug auf Formales schwankt. 1934 stand die Nachricht vom bekannten deutschen Verlag, Mühlbergers Erzählung Die Knaben und der Fluß sei zur Veröffentlichung angenommen, am Anfang. Mühlberger war reüssiert bei einem der ganz großen Verlage, seine Literatur erreichte endlich ein Publikum über das begrenzte sudetendeutsche hinaus. Er wechselte euphorische Briefe mit Anton Kippenberg, dem Verlagsleiter. Je mehr die Nationalsozialisten in Deutschland an Boden gewannen, umso kühler wurden die Briefe aus Berlin, umso mehr begann sich der Verlag von seinem Autor zu distanzieren, der von den Sudetennazis als Halbslawe klassifiziert und beschimpft wurde, zunächst unmerklich und subtil, schließlich wurde ihm gar geraten, Rezensionen von Werken jüdischer Autoren zu unterlassen. Hier folgte die Wende: Mühlberger ging nicht weg noch wandte er sich eindeutig gegen die ihn bedrängenden Kräfte. 1937 bezeichnete er es als «erfreulich», daß er demnächst in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen werden sollte, er meldete dem Verlag die Erteilung eines Führungszeugnisses durch die Gestapo, und dies obwohl ihn nationalsozialistische Kräfte wie der sudetendeutsche Schriftsteller Wilhelm Pleyer in der Heimat zur Zielscheibe machten, der Mühlberger in einer geradezu als Hexenjagd zu bezeichnenden Kampagne in der Zeitschrift «Die Neue Literatur» denunziert und ihm sogar vorwarf, seine Erzählung Die Knaben und der Fluß im Tschechischen angesie-

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delt zu haben, «ohne daß ein innerer Grund hierfür zu erkennen gewesen wäre»17; Pleyer bezichtigte Mühlberger der Perversität, indem er die Zuneigung Wascheks für Jenjik in der Erzählung als «schwüles Sichumfangen und Tätscheln» verrief18 und ihn damit indirekt der Homosexualität bezichtigt, die Mühlberger in Verbindung mit seiner teilweise tschechisch-slawischen Herkunft als ernstzunehmenden deutschsprachigen Schriftsteller vollends aushebeln sollte. All dies in jener Zeitschrift «Die Neue Literatur», in der auch deren Herausgeber, der willfährige Nazi-Schriftsteller Will Vesper, im November 1935 Hermann Hesse in ähnlich hetzerischer Weise angriff: «Er verrät die deutsche Dichtung der Gegenwart an die Feinde Deutschlands und an das Judentum», schrieb Vesper, «hier sieht man, wohin einer sinkt, wenn er sich daran gewöhnt hat, an den Tischen der Juden zu sitzen und ihr Brot zu essen»19. Es ist also nur schwer nachzuvollziehen, daß Mühlberger sich dem Verlag gegenüber freut über die Aufnahme in die Reichsschrifttumkammer – in einer Zeit, als andere ihrer Herkunft wegen ausgeschlossen und in die Emigration getrieben wurden – oder von selbst austraten, als sie von diesen Vorgängen Kenntnis erlangen konnten. Josef Mühlberger besaß offenbar nicht die Stärke, aktiv zu widerstehen oder in die Emigration zu gehen, seine Bindung an die Heimat war zu stark – er konnte die heimatliche Erde nicht aus eigener Kraft verlassen; statt dessen schrieb er weiter, verlagerte seine literarische Aktion auf historische Felder, suchte in einem Rückzug in die Welt des Ästhetischen Ruhe vor den Angriffen. Hesse, im sicheren Tessin, schrieb an seinem Glasperlenspiel, seiner Kritik an der Diktatur in Deutschland, seinem geistigen Gegenentwurf gegen das totalitäre Deutschland. Mühlberger im «einverleibten» Böhmen lebend und nicht im sicheren Ausland, konnte den Kampf gegen das Regime – und sei es in seiner Literatur – nicht aufnehmen. Die ästhetische Lebensweise, die er als die für sich einzig geeignete hielt, konnte ihn nicht einmal einigermaßen in ein lebbares Lebensschema jener Zeit der Gewalt einpassen, sie war zum Scheitern verurteilt. Symptomatisch hierfür sein späterer Exkurs im Jubiläumsartikel für Hesse: «Nur der Weltseligkeit und Frömmigkeit gelingt das Wunder des Lächelns über die Gegensätze hinweg, ein Lächeln aus dem Glauben, daß sich irgendwo das Bruchstück unseres Lebens ergänzt»20. Mühlberger lebte offenbar nur scheinbar in der «Illusion 17

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W. Pleyer, Noch einmal: Der deutsche Dichter im Grenzland, in «Das Deutsche Wort», 1 (1935), S. 109. Zitiert nach P. Becher «... und ich tat viel zu wenig dagegen». Josef Mühlbergers Korrespondenz mit dem Insel Verlag 1933–1938, in J. Mühlberger. Beiträge des Münchner Kolloquiums, hrsg. von P. Becher, München 1989, S. 38. W. Pleyer, Unsere Meinung, in «Die Neue Literatur», November 1935, S. 109, zit. nach P. Bechers, a.a.O., S. 43. W. Vesper, Der «deutsche» Dichter Hermann Hesse, in «Die Neue Literatur», November 1935, zit. nach Hermann Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1978, S. 268. J. Mühlberger, Die Morgenlandfahrt, in Dank an Hermann Hesse, a.a.O., S. 74.

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[...], von den politischen Vorgängen nicht berührt zu werden»21. Betrachtet man seinen Briefwechsel, registrierte er bereits 1934 durchaus sensibel die Veränderungen des politischen Klimas22: Er empfand sie als «nahezu unheimliche Einengung, die sich auf allen Lebenskreisen beobachten läßt», auf die er nur mit einem Lavieren antworten konnte, das «sich auch als Unfähigkeit beschreiben läßt, auf die Politisierung des kulturellen Bereiches mit einer eindeutigen Stellungnahme zu reagieren»23. Seine Überzeugung ist: «Nicht das lauteste, das tiefste Wort wird überzeugen und bleiben»24. Schritt für Schritt mußte Josef Mühlberger Kompromisse eingehen, die ihm einzeln besehen für seine Arbeit zwar kaum Verlust an geistiger Freiheit bedeuteten, die ihm aber nötig schienen, wenigstens halbwegs weiterleben und -arbeiten zu können. Daß Mühlberger die Zeichen der Zeit erkannte und auch in der Lage war, diese zu beschreiben, zeigt zum Beispiel sein Roman Verhängnis und Verheißung25: Hier schildert er am Beispiel einer Familie, wie die heraufziehende Zeit des Nationalsozialismus die Atmosphäre verdichtete und vergiftete. So blieb es nach dem Krieg auch dauerhaft die Idee der Versöhnung, die – folgerichtig – Josef Mühlbergers literarisches Werk prägt: nicht das Vergessen des Leids, das zugefügt wurde, sondern aus dem Bewußtsein dieses Leids heraus der Gedanke der Versöhnung – eine Maxime, zu der auch Hesse sich immer wieder hingezogen fühlte: Verständnis aufzubringen für einander, für die Verschiedenheit in eines jeden Einzelnen Leben; Verständnis für die Individualität eines jeden Einzelnen, auch eines Volkes, und als Konsequenz daraus das Angebot, sich auch nach gegenseitigen Verletzungen immer wieder die Hände zu reichen. Josef Mühlberger beschäftigte sich mit dem Werk Hermann Hesses. Nach seiner Vertreibung aus der Heimat fand Mühlberger im Württembergischen neue Heimat, der Flüchtlingstransport führte ihn «in das Land zu Füßen des Hohenstaufen, in die Landschaft Schillers, Hölderlins, Mörikes, Hesses. Das war schließlich wie die Vertreibung in ein Paradies»26. Ins Land Hesses also, den er in eine Reihe mit Schiller und Hölderlin stellt – bereits hier wird die Wertigkeit des Dichters Hermann Hesse für ihn deutlich – er reiht ihn als einzigen zeitgenössischen Dichter ein in die Linie der Klassiker. Mühlberger identifizierte als das zentrale Motiv des Hesseschen Lebenswerkes die «Morgenlandfahrt», des Dichters «innerstes Anliegen, das, mehr oder weniger verschlüsselt, oft als nächste Wirklichkeit und nächstes Menschenschicksal Gestalt an21 22 23 24 25 26

P. Bechers, a.a.O., S. 38. Ebd. Ebd. J. Mühlberger, Der deutsche Dichter im Grenzland, in «Das deutsche Wort», 48 (1931), zit. nach: P. Becher, a.a.O., S. 48. J. Mühlberger, Verhängnis und Verheißung, Esslingen 1952. J. Mühlberger, Leben an Grenzen. Autobiographisches Nachwort, in Türkische Novelle, Bad Wörishofen 1948, S. 74–75.

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nimmt»27. Und er äußerte das, was Hesse an Mühlbergers eigener Erzählung Die Knaben und der Fluß fasziniert haben mag: «Das Morgenländische: es ist die Tonart, auf die auch noch das abseitigste Werk abgestimmt ist, der Farbton in der Landschaft seiner Dichtung, die Luft, die seine Menschen und Dinge, Gedanken, Bäume, Häuser und Wolken umfließt». Die «Heimat und Jugend der Seele, es war das Überall und Nirgends, war das Einswerden der Zeiten»28. Liest man Mühlbergers Die Knaben und der Fluß, kann genau diese Tonart entdeckt werden, genau diese «Heimat und Jugend der Seele»; Geistesverwandte. Was Mühlberger über Hesses Literatur sagt: «die Nähe zu allem Großen und Tiefen und Richtigen, das auf dieser Erde gedacht und gesagt, gelitten und erfreut, gestaltet und gesungen ward», das gilt für ihn selbst und für seine eigene Literatur. Sensibel spürte Mühlberger die Beweggründe, die tiefen Schwingungen des Werks Hesses heraus und artikuliert diese – und Hesse spürte offenbar diese Schwingungen auch bei der Lektüre der Erzählung Mühlbergers und artikulierte deswegen seine ungewöhnliche Begeisterung. Ein seltenes Zusammentreffen. Für Josef Mühlberger ist die Morgenlandfahrt Hesses ein «Nachhausegehen», dessen Glasperlenspiel ein «Gleichnis von der Rast in diesem Zuhause zwischen findendem Ankommen und suchendem Weitergehen», ein «Gleichnis vom nicht mehr nur menschlich-irdischen, sondern schon göttlich-himmlischen Spiel mit dem Letzten, das in allen Erdenzeiten und Erdenräumen gedacht, gefühlt, ausgesprochen und gelebt wurde, im Feuer des Lebens und Geistes lauter und hell geworden wie Glas, aus Schmerzen geboren wie die Perle in der Muschel dunkler Meerestiefe, aber beides schließlich schön, weil aus letzter Einsicht ins Weltganze leuchtend, lächelnd»29. So schlug Josef Mühlberger eine direkte Verbindung von dem zwischen 1934 und 1942 – auch aufgrund der Erfahrungen Hesses mit der Nazidiktatur in Deutschland – entstandenen Glasperlenspiel zurück zum früheren Motiv der Erzählung Morgenlandfahrt, die Hesse 1932 geschrieben hatte und in der er seine tiefgreifenden Erfahrungen der Reise nach Ceylon und Hinterindien und der intensiven Auseinandersetzung mit den indischen und chinesischen Religionen und Philosophien verarbeitete. Der Gegenbund der Morgenlandfahrer zur heraufziehenden Diktatur und der dieser blind folgenden Masse in Deutschland. Aber noch weiter griff die Morgenlandfahrt bei Hesse zurück: bis in dessen frühe Kindheit, als ihm der Großvater, Leiter des bekannten, pietistisch geprägten Calwer Verlagsvereins, von seiner Zeit als Missionar, Sprachforscher und Schuladministrator in Südindien erzählte, von Gesprächen mit den Brahmanen über ihre Religion und die dahinter stehenden Philosophien – der Großvater, der die Sprache seiner Gesprächspartner gelernt hatte, um mit ihnen direkt sprechen zu können; der Arabisch 27 28 29

J. Mühlberger, Dank an Hermann Hesse, a.a.O., S. 70–71. Ebd., S. 71. Ebd., S. 72.

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lernte, um den Koran in der heiligen Sprache lesen zu können. All dies sah Josef Mühlberger im Werk Hermann Hesses wieder – verwandelt, «weil aus letzter Einsicht ins Weltganze leuchtend, lächelnd»30. Wo findet sich in Josef Mühlbergers kleiner Erzählung Die Knaben und der Fluß dieses «Morgenländische» im Sinne Hesses, das die Wesensverwandtheit der beiden Dichter erklären kann? Mühlberger selbst gibt die Andeutung einer Antwort: «Jede Gestalt, jeder Vers Hermann Hesses hat an diesem Morgenländischen teil, als eine bald gedämpft-verhaltene, bald eine sich voll entfaltende Sphärenharmonie durchklingt es das Nahe und Irdische des Werkes, das tönende Licht macht jede so fest wie zart gefügte Prosa- und Gedichtzeile klingend und durchsichtig, integriert das Sein zum Bedeuten, kristallisiert das Bedeuten zum Sein»31. Legt man diese Beurteilung Hesses durch Mühlberger auf seine eigene Erzählung, kann nichts weniger als Deckungsgleichheit festgestellt werden: die Geschichte um die Freundschaft der beiden Jungen Waschek und Jenjik hat eben auch dieses «Nachhausegehen» zum Inhalt, nicht abgelenkt durch Sphären wie Zeit und Raum. Sie handelt einzig von der innigen Freundschaft, für die jeder der beiden Freunde – bei all ihrer Verschiedenheit als Individuen – mit dem Leben zu bezahlen bereit ist und in der auch der letzte Schritt getan wird, als wäre er selbstverständlich, und Waschek mit dem Leben bezahlt. Einzig die Liebe zum Mädchen scheint an ekstatischer Wirkung die Freundschaft noch übersteigen zu wollen. Eine kurzfristige Flamme nur: das erste, frühe Aufflakkern einer Leidenschaft zu Jarmila, dem schönsten Mädchen des Dorfes, zeigt dennoch Langzeitwirkung in Schuldgefühlen, den Freund hintergangen zu haben; zur Wiederholung dieses Hintergehens ist Waschek bei der Tochter des Herrn Wosek, Wjera, die sie beide – er und Jenjik – lieben, nicht fähig; die zweite Liebe endet schließlich vordergründig in der Katastrophe: Waschek macht durch den eigenen Tod den Weg für Jenjik zur Liebe zu dem Mädchen frei. Der Weg dorthin ist gekennzeichnet von dem «Morgenländischen». Waschek und Jenjik finden im gemeinsamen Geigenspiel zueinander – die Musik hier als Metapher für letzte Wahrheiten, die in der Kunst zu finden sind; das kleine Liebesepos Machas, Mai, «jenes traurig schöne Gedicht voll Nachtigallenschlag, Sommernachtszauber und wehmütiger Düsternis»32, das die Freunde eint; nur der Einbruch der von den beiden Freunden Geliebten und das Einsetzen gefallender Aktivitäten für sie kann das Ewig-so-Weiter stören, erste Schatten auf die Freundschaft legen; schließlich immer wieder die Rolle des Wassers in der Erzählung: der Teich der frühen Kindheit der beiden Jungen, an dem sie ihre Freundschaft ungestört leben können, auch gegen die Gemeinschaft der anderen Jungen im Dorf, der «Alte am See», Bronek, der 30 31 32

Ebd. Ebd., S. 71f. J. Mühlberger, Die Knaben und der Fluß, a.a.O., S. 90.

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ihnen Geschichten des Lebens erzählt und sie damit in ihr ganz persönliches Leben weiterführt; und später dann der Fluß, dort, wo sie die ersten Schritte ins Leben außerhalb des Elternhauses tun, am Hof des Herrn Wosek. Dieser Fluß, unheimlich zunächst und von Mühlberger eindrucksvoll vorgeführt in der Flutkatastrophe, wird ihnen beiden immer mehr zum Freund, zum Vertrauten – eine Vertrautheit, die schließlich so weit geht, daß dieser Fluß, nachdem sie ihn beide für ihre Freundschaft entdeckt haben, endlich zum Vertrauten im Tod wird für Waschek, zum Ort der Aufgabe seiner selbst für den Freund: «Janouschku, Du sollst glücklich sein mit Wjera, ich habe Euch den Weg freigemacht»33, schreibt Waschek auf einen Zettel für Jenjik, bevor er ins Wasser geht, ins Wasser, das Jenjik künftig unheimlich bleiben soll: «Diese dunkle Tiefe! Er spürte, wie sie nach ihm langte, ihn anzog und lockte [...]. Überall waren diese rauschenden Schatten um ihn»34. Parallelen tauchen auf zum Tod des jungen Hans Giebenrath in Hermann Hesses frühem, 1905 erschienenen Roman Unterm Rad (1905): dieser scheint sich im Fluß aufzulösen, er gleitet in der Nacht dahin, scheinbar allein, und doch läßt dieses Romanende Hesses nicht verzweifeln – eher schon scheint es, der junge Hans habe in dem Wasser etwas wie ein Zuhause gefunden: «Zu derselben Zeit trieb der so bedrohte Hans schon kühl und still und langsam im dunklen Flusse talabwärts. Ekel, Scham und Leid waren von ihm genommen, auf seinen dunkel dahintreibenden, schmächtigen Körper schaute die kalte, bläuliche Herbstnacht herab, mit seinen Händen und Haaren und erblaßten Lippen spielte das schwarze Wasser»35. Auch der Tod des Josef Knecht in Hesses 1943 erschienenem Roman Das Glasperlenspiel (1943) weist Parallelen auf. Bewußt setzt sich Knecht der Gefahr aus und gibt sich in letzter Konsequenz dem Wasser hin, auch aus Achtung vor seinem Schüler, er geht auf in dem See: «Der See, aus Gletscherwassern gespeist und selbst im wärmsten Sommer nur für sehr Abgehärtete bekömmlich, empfing ihn mit einer Eiseskälte von schneidender Feindseligkeit. Er war auf einen tüchtigen Schauder gefaßt gewesen, nicht aber auf diese grimmige Kälte, die ihn ringsum wie mit lodernden Flammen umfaßte und nach einem Augenblick aufwallenden Brennens rasch in ihn einzudringen begann»36 – Knecht will seinem Schüler, Tito, nachschwimmen, will die Aufforderung zum Wettstreit annehmen – und verschwindet im See. Die Suche Titos nach seinem Meister, Josef Knecht, liest sich beinahe wie die Suche Jenjiks nach Waschek in Mühlbergers Erzählung Die Knaben und der Fluß; während Hesse beschreibt: «Er fand ihn nicht mehr und suchte schwimmend und tauchend so lange nach dem Versunkenen, bis in der bitteren Kälte auch ihm die Kräfte schwanden. Taumelnd und atemlos kam er endlich an Land», formuliert Mühlberger die Suche Jenjiks nach Waschek: «Er tauchte und schwamm kreuz und quer, doch es waren immer nur glatte 33 34 35 36

Ebd. S. 150. Ebd., S. 154f. H. Hesse, Unterm Rad, Berlin 1905, S. 174. H. Hesse, Das Glasperlenspiel, Berlin 1946, Bd. II, S. 212f.

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Steine, die er anfaßte. Weil er zu hastig geschwommen war, war er rasch erschöpft. Er schnappte Luft und tauchte dann noch einmal und ganz nahe am Ufer, das steil und tief war [...]. Er riß und zerrte, da aber verließen ihn, selbst schon einen Ertrinkenden, die Kräfte, und das Wasser begann, ihn mitzuschleppen. Schon ohne Bewußtsein, machte er einige letzte verzweifelte Bewegungen, kam hoch, zerrte sich am Ufer empor, taumelte und brach zusammen»37. Gerade das enttäuschte, verzweifelte, ratlose Zurückbleiben sowohl von Jenjik wie des Schülers Tito am Ufer, unfähig mehr zu unternehmen als endlose Traurigkeit zu üben, eint die beiden Hauptfiguren in den Werken der beiden Schriftsteller. «Zu den häufigsten Mißverständnissen, auf die das Glasperlenspiel immer und immer wieder stößt, gehört das Nichtverstehenkönnen von Knechts Opfertod»38, schrieb Hesse in einem Brief an Mühlberger im August 1955 und sprach es damit aus: «Opfertod» – wie der Opfertod von Waschek für den geliebten Freund Jenjik. Hesse gab Mühlberger noch einen Hinweis auf einen Artikel von Georg Ehrhart am 25.7.1955 in der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», in dem dieser unter dem Titel Der Tod des Glasperlenspielers schreibt: «Der Tod Josef Knechts ist im Sinne Rilkes tatsächlich ein großer, weil ‹eigener› und notwendiger Tod, der sein Leben nicht zufällig beschließt, sondern so folgerichtig zu ihm paßt wie der letzte Akt eines Dramas zu den vorhergehenden», und er weist auf das hin, was er, der Tod des Magisters Ludi, «wirklich ist: der Schlüssel zum eigentlichen Geschehen, ein Same zu neuem und gesteigertem Leben»39. Die Tatsache, daß Hesse es sehr bedauert, nicht mehr Exemplare der Druckfassung des Artikels bekommen zu haben, läßt darauf schließen, wie sehr er dessen Inhalt schätzt – und wenn er dies Josef Mühlberger gegenüber ausdrücklich hervorhob, so konnte dies nur als Hinweis verstanden werden, wie sehr Hesse den Tod Josef Knechts in diesem Sinne gedeutet wissen möchte. Wird dem der Tod von Waschek in der Erzählung Josef Mühlbergers gegenüber gestellt, so kann hier ebenfalls der von Hesse vertretene Goethe-Satz «Stirb und werde», der Schlüssel für ein neues, gesteigertes Leben – bei Jenjik – gefunden werden. Die inhaltlichen Motive der Literatur der beiden Dichter liegen damit eng beieinander, bei Josef Mühlberger und bei Hermann Hesse – bis hin zur Wendung, die Mühlberger seiner Erzählung am Schluß gibt: «Als sie eines Tages im Fluß badeten, kam Franto aus dem Wasser gesprungen und fragte Jenjik, der im Grase lag: «Hast du es auch schon gehört?» «Was denn?» «Wenn man auf dem Rücken schwimmt und den Kopf unter Wasser hält, dann ist es so – dann hört man –» «Ja, dann klingt es manchmal.» «Ganz hell und leise. Was ist das?» 37 38 39

J. Mühlberger, Die Knaben und der Fluß, a.a.O., S. 151. Materialien zu Hermann Hesses ‹Glasperlenspiel›, a.a.O., Bd. I, S. 297. G. Erhardt, Der Tod des Glasperlenspielers, in «Frankfurter Allgemeine Zeitung» vom 25.7.1955, zit. nach Materialien zu Hermann Hesses ‹Glasperlenspiel›, a.a.O., Bd. II, S. 121f.

Fremd sein in gewalttätiger Zeit 93 «Das ist von den Kieselsteinen, die am Grunde des Wassers weitergetragen werden und aneinanderstoßen.» «Dann klingt es so?» «Ja. Und je tiefer du tauchst, desto schöner und deutlicher hörst du es».40

Es ist, als mische sich das Flüstern des Waschek tief drunten im Wasser zwischen die Kieselsteine, die ewige Erinnerung «Waschek» im Leben des Jenjik – ein «Stück vom Glück» trotz der scheinbaren Katastrophe des Verlusts, wie Hesse dies umschreibt – und wie Mühlberger ihn in seinem Artikel zitiert: «Unter Glück verstehe ich heute etwas ganz Objektives, nämlich die Ganzheit selbst, das zeitlose Sein, die ewige Musik der Welt, was andre die Harmonie der Sphären oder das Lächeln Gottes genannt haben. Dieser Inbegriff, diese unendliche Musik, diese voll tönende und golden glänzende Ewigkeit ist reine und vollkommene Gegenwart, sie kennt keine Zeit, keine Geschichte, kein Vorher, kein Nachher ... Ewig musiziert das Leben, ewig tanzt es seinen Reigen, und was uns Vergänglichen, Gefährdeten und Hinfälligen dennoch an Freude, an Trost, an Lachenkönnen etwa zugeteilt wird, ist Glanz von dort, ist ein Auge voll Glanz, ein Ohr voll Musik»41. Hesse hätte dies über den Schluß der Erzählung Mühlbergers schreiben können, so wie Mühlberger über Hesse und seine Literatur erkennt: «Dem Glück gilt letzten Endes die Morgenlandfahrt dieses Lebens, wie Kunst schließlich ein Versprechen auf Glück ist»42. Als Josef Mühlberger 1903 geboren wurde, schrieb Hermann Hesse gerade an seinem Roman Unterm Rad. Auch in Mühlberger legte – wie bei Hesse – die Mutter einen wichtigen Grundstein für die Liebe zur Literatur, sie las gerne und gab diese Liebe an ihren Sohn weiter. Und noch eines legte sie ins Herz ihres Sohnes: «die Sprache ihres Herzens habe ich von klein auf gelernt, die Achtung vor jedem anderen Volk»43. Auch bei Hesse wurde der Grundstein für sein Verständnis und für das später in seinen Büchern immer wieder neu postulierte Gebot der Vermittlung zwischen den Kulturen durch seine Vorfahren gelegt: durch den Großvater Hermann Gundert, der im Enkel Hermann das Interesse weckte an dem, womit andere Kulturen die eigene bereichern konnten. Ähnlich mag es beim jungen Josef Mühlberger geschehen sein: die Mutter, Tschechin von der Grenze zum deutsch besiedelten Gebiet, mit einem Deutschen verheiratet, dem Vater Mühlbergers, lehrte ihn nicht die Angst vor dem anderen Volk, sie lehrte ihn vor den Unterschieden zuerst die Gemeinsamkeiten zu sehen. Wie bei Hesse geschieht auch bei Josef Mühlberger eine lang nachwirkende Transformation dieser Einflußnahme in Literatur: ein erstauntes Bewußtwerden in 40 41 42 43

J. Mühlberger, Die Knaben und der Fluß, a.a.O., S. 156/157. J. Mühlberger, Die Morgenlandfahrer, in Dank an Hermann Hesse, a.a.O., S. 73. Ebd., S. 71. J. Mühlberger, Eine Kindheit in Böhmen, Stuttgart 1960, S. 75.

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den Geschichten seiner Bücher, daß die Menschen verschiedener Herkünfte letztlich doch mehr eint als trennt – und die Erkenntnis, daß dies eigentlich jeder einigermaßen wache Geist erkennen müßte. So war es beinahe zwangsläufige Folge, daß Josef Mühlberger eher eine Gestalt des Ausgleichs und dadurch beinahe zwischen den Interessen zerrieben wurde, als daß er sich vereinnahmen ließ – nicht für die Blut- und Bodenliteratur Nazideutschlands und auch nicht einseitig für die Emigranten-Literatur. Mühlberger war damit beschäftigt, sein inneres Gleichgewicht, seine ästhetische Balance zu halten: «Das Nur-Konservative führt zu tödlicher Erstarrung, das Progressive um jeden Preis zur Zerstörung [...]. In diesem Sinn sind konservativ und progressiv nicht Gegensätze, vielmehr ein Ineinander von scheinbar Gegensätzlichem»44, sagte er bei der Verleihung des Wenzel-JakschPreises und sprach damit intuitiv das an, was Hesse mit seinem Gedicht Absage drastisch ausdrückte: «Lieber von Faschisten erschlagen werden / Als selber Faschist sein! / Lieber von Kommunisten erschlagen werden / Als selbst Kommunist sein! / [...] Wir wollen Herz und Vernunft nicht verlieren, / Nicht unter roten noch weißen Fahnen marschieren. / Lieber wollen wir einsam als ,Träumer‘ verderben / [...] Als irgend ein Partei- oder Machtglück genießen / Und im Namen der Menschheit auf unsre Brüder schießen»45. Ästhetik auch bei Hesse als Lebensalternative, die zwar im Augenblick nicht tragen mag, letztlich aber doch dauerhaft ist. Vom Grundverständnis her waren sie Brüder im Geist, Josef Mühlberger und Hermann Hesse; der eine, Hesse, etwas begünstigt durch die Zeitläufte, indem er rechtzeitig den sicheren Ort gewählt hatte, der andere, Mühlberger, zwischen die Mühlsteine der Zeit geraten und beinahe zerrieben; und dennoch dauerhaft festhaltend an seiner Aufgabe, die Literatur als ästhetisches Mittel zu sehen, aber nicht nur, sondern mit ihr ganz konkret auch zu vermitteln. All dies mag Hesse gespürt haben, intuitiv, als er 1935 die Erzählung Mühlbergers las, die ihn zu dem euphorischen Urteil in der «Neuen Zürcher Zeitung» veranlaßte, diese Erzählung als «die schönste und einfachste junge Dichtung» zu bezeichnen, die er «seit langem gelesen habe»46.

44 45 46

Zitiert nach J. Serke, Böhmische Dörfer, München 1987, S. 417. Hermann Hesse. Sein Leben in Bildern und Texten, a.a.O., S. 253. J. Mühlberger, Leben an Grenzen, a.a.O., S. 74f.

Flavia Arzeni

Hermann Hesse und die Farben der Seele Unsere Zeit hat das Gefühl für die Unverrückbarkeit von Grenzen verloren, ob sie nun Staaten oder Märkte oder Ideen markieren. Denken wir nur an das, was im Bereich der Kultur geschieht. Früher wurde die Kultur von relativ klaren Abgrenzungen definiert, sowohl nach außen hin – zum Beispiel zwischen dem, was Kultur war, und dem, was als reine Unterhaltung galt – als auch in ihrem Inneren – etwa zwischen den verschiedenen Kunstformen. Das ist heute nicht mehr so. Das Gebiet der Kultur ist in Bewegung geraten, es wird von allen Seiten und nach allen Richtungen begangen, es ist offen für die kreativsten Unterwanderungen. Entsprechend wird den sogenannten Nebenbeschäftigungen oder Randgebieten eines Künstlers heute mehr Aufmerksamkeit geschenkt, und dies nicht nur, weil sie in biographischer Hinsicht aufschlußreich sind und die Biographie seit jeher auf das Werk bezogen wurde, sondern auch, weil diese Phänomene nunmehr als Teil eines Gesamtwerks angesehen und bewertet werden. Dieser Prozeß findet gegenwärtig in vielen Bereichen der Kunst statt, besonders aber in der Literatur und den bildenden Künsten, Disziplinen, die wir bei vielen Künstlern in ein- und derselben Person vereint finden1. Die Freude am Vergleich und an der weit ausgreifenden Interpretation kultureller Daten (die dazu führt, daß Literaturfestivals immer häufiger auch musikalische Darbietungen enthalten oder philosophische Kongresse mit Kunstausstellungen eröffnet werden) hat, um nur ein Beispiel zu nennen, Günter Grass im Sommer 2002 nach Rom geführt. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand nicht das erzählerische Werk des Autors und ebensowenig seine Rolle als streitbare Stimme im politischen Diskurs, die in Deutschland heute so wichtig geworden ist, sondern sein Werk als Zeichner, Kupferstecher und Aquarellmaler; ein interessantes Thema, das

1

Die Verbindung zwischen Literatur und bildender Kunst ist in den letzten Jahren zum Gegenstand zahlreicher Ausstellungen geworden. So gab es in der Villa Bernasconi in Cernobbio im Rahmen des Zyklus Parole e colori mehrere Ausstellungen der zeichnerischen und malerischen Werke von Schriftstellern: im Jahr 2000 eine Ausstellung über Hermann Hesse, 2001 über Dino Buzzati und 2002 über Eugenio Montale. Von diesem Thema inspiriert war im vergangenen Sommer auch eine schöne Ausstellung in Zürich mit dem stimmigen Titel Auf einem anderen Blatt, die nicht nur Autoren wie Goethe, Victor Hugo oder Dürrenmatt vorstellte, deren malerische Neigungen wohlbekannt sind, sondern auch andere, wie Strindberg, Gottfried Keller oder Garcia Lorca, deren Begabung auf dem Gebiet der bildenden Kunst unbekannt war oder bisher unbeachtet blieb.

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im übrigen gezeigt hat, wie eng die Verwandtschaft zwischen manchen Elementen seiner Literatur und der grotesken, surrealen Welt seines graphischen Werks ist2. Ein ganz ähnliches Künstlerschicksal begegnet uns bei Hermann Hesse. Auch bei ihm hat sich die Entwicklungslinie des Schriftstellers mit der des Malers verflochten. Als Literat hat Hesse eine nahezu ununterbrochene Erfolgsgeschichte erlebt (wenn man von einem kurzfristigen Sinken seiner Popularität in den fünfziger und beginnenden sechziger Jahren absieht), seit sein erster Roman, Peter Camenzind (1904) erschien. Sein Ruhm vergrößerte sich dann mit Demian (1919) und Narziß und Goldmund (1930) und schließlich mit dem Nobelpreis, der ihm 1946 verliehen wurde. Aber der wirklich durchschlagende Erfolg kam in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre aufgrund der ungeheuren Breitenwirkung, die Siddharta und Der Steppenwolf in Amerika hatten. Seitdem ist die Beliebtheit Hermann Hesses stetig gewachsen und bildet einen Ausnahmefall, zu dem sich in der Weltliteratur wenig Vergleichbares findet. Hesse war nicht nur Schriftsteller, sondern, wie wir sehen werden, auch Maler. Das Eine läßt sich mit dem Anderen nicht vergleichen, aber es besteht kein Zweifel daran, daß seine Malerei mit Wohlwollen aufgenommen wurde und ihre Beliebtheit sich auf ebenso einzigartige Weise steigerte wie der Ruhm seines literarischen Werks. In den letzten Jahren haben sich die Ausstellungen seiner Gemälde vervielfacht, sie fanden vor allem in den Vereinigten Staaten und in Japan, aber auch in mehreren europäischen Ländern statt, darunter auch in Italien3. Heute erscheinen seine Aquarelle tausendfach auf Kalendern, Postkarten und Postern jeder Größe. Wie läßt sich ein so großes Interesse nicht nur beim Publikum, sondern auch bei der Kritik und in der akademischen Welt erklären? Handelt es sich um ein Übertragungsphänomen, das von der Qualität des Schriftstellers herrührt, oder hat es seine eigenen, selbständigen Wurzeln? Zu den tieferen Gründen für seinen literarischen Erfolg hat Hesse selbst einmal (im Jahr 1929, also bevor dieser Erfolg sein größtes Ausmaß erreicht hatte) eine bescheidene, klare und erhellende Vermutung geäußert. Auf die Frage, warum seine Bücher so beliebt seien, gab er zur Antwort, er glaube nicht, daß es an ihrer literarischen Qualität liege, der Grund sei vielmehr der, daß viele Leser in seinem Werk die psychologischen Merkmale einer bestimmten Typologie von Charakteren wiederfinden, der sie selbst anzugehören meinen4. Auch später haben viele nach den Gründen für die außergewöhnliche, weltweite Resonanz Hesses geforscht, und es ist allgemeiner Konsens, daß diese Gründe auf jeden Fall über den spezifisch literarischen Bereich hinausgehen. 2 3

4

Vgl. den Katalog G. Grass, Società mista, In gemischter Gesellschaft, Roma 2002. Von den in Italien organisierten Ausstellungen erinnern wir an diejenige in Rom 1992 unter dem Titel Hermann Hesse. Lo scrittore, il pittore, und an die Ausstellung in Cernobbio im Jahre 2000: Hermann Hesse. Parole e Colori (Milano 2000). Rundfrage «Die literarische Welt», Berlin 19.12.1929 – Warum werden Ihre Bücher viel gelesen?, in SW, 12, S. 263.

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Peter Camenzind, sein erster, in der erzählerischen Anlage teilweise noch unreifer Roman ist von einem starken Naturgefühl durchdrungen und hat daher eine Generation junger Menschen begeistert, die sich von den moralischen Normen und dem übersteigerten Rationalismus des soeben zu Ende gegangenen Jahrhunderts zu befreien suchte; Demian, der fünfzehn Jahre später erschien, hat an die Unruhe derjenigen appelliert, die sich nach ihrer Rückkehr aus dem Krieg ohne Arbeit und ohne Freunde wiederfanden und ihrer alten Gewißheiten beraubt sahen. Das Glasperlenspiel schließlich, das in den furchtbaren Jahren des Zweiten Weltkriegs beendet wurde, bezieht sich auf den Orient und führt dem Leser die Möglichkeit einer anderen moralischen Wertordnung vor Augen. Das fiktive Land Kastalien kommt einem neuen Bedürfnis entgegen, das sich in den nachfolgenden Jahrzehnten unter der jungen Generation immer weiter verbreiten wird. Diese Generation sucht nach anderen inneren Maßstäben, nach einer freieren Selbsterziehung des Geistes. Für all diese jungen Menschen wird der Dichter und der Schriftsteller zum Führer, zum Lehrmeister, der ihnen den Weg weist und die Botschaft erklärt; seine Schriften sind eine Zuflucht vor den Wirren des Lebens, der Schlüssel, der auf jede Frage eine Antwort zu geben vermag. Dies ist es also, was Hesse meinte, als er sagte, daß seine Bücher eher psychologische Bedürfnisse befriedigen als ästhetischen Kriterien zu genügen. Da nun die malerischen Arbeiten Hesses auf wachsendes Interesse stoßen, das sich teilweise der Berühmtheit des Autors verdankt, teilweise aber auch mit der eigenen Qualität des malerischen Werks zusammenhängt, ist die Frage berechtigt, ob auch seine Gemälde in gewissem Maße einen ‹therapeutischen› Wert besitzen, ob sie, ähnlich wie sein umfangreiches literarisches Werk, eine Trost- und Leitfunktion haben. Entschieden bejaht hat diese Frage zum Beispiel der japanische Forscher Masuru Watanabe. Hesse war in Japan immer schon sehr berühmt, mit Sicherheit auch wegen des Respekts und der Bewunderung, die der Schriftsteller den asiatischen Religionen und Kulturen von einem bestimmten Moment seiner geistigen Entwicklung an entgegengebracht hat. Dieses breite Interesse hat sich in Japan sehr früh schon auch auf die Malerei erstreckt. Eine Ausstellung seiner Aquarelle, die 1995 ungefähr ein Jahr lang in acht verschiedenen japanischen Städten zu sehen war, hat außergewöhnlich großen Erfolg gehabt. Einen der tieferen Gründe für die Faszination, die Hesse auf das japanische Publikum ausübt, entdeckt Watanabe in einem bestimmten Merkmal, das die Aquarelle mit dem literarischen Schaffen verbindet. Es handelt sich um Hesses Idee «eines ernsten Gesprächs mit der Natur», zu dem er auffordert5. In einer immer komplexeren, komplizierteren Welt, die zunehmend von Künstlichkeit und von der Technologie beherrscht wird, beruft Hesse sich auf den Wert einfacher, wesentlicher Dinge – die Bäume, die Berge, die natürlichen Zyklen und den Wech5

Vgl. M. Watanabe, Hesse heute in Japan, in «Höllenreise durch mich selbst». Hermann Hesse. Siddharta. Steppenwolf, hrsg. von R. Bucher, A. Furger, F. Graf, Zürich 2002, S. 217.

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sel der Jahreszeiten. Zweifellos gibt es bei Hesse unter anderem auch diese Botschaft. Ebenso unstrittig ist, daß das Lob und die meditative Betrachtung der Natur in ihren unterschiedlichsten Formen als ein wesentlicher Bestandteil der japanischen Mentalität und kulturellen Tradition gelten darf. Doch einen Bezug zur Natur hat es immer und überall bei vielen Schriftstellern und bei sehr vielen Malern gegeben. Der Hinweis Watanabes hat gewiß seine Berechtigung, aber er allein kann die Frage, die wir uns gestellt haben, nicht befriedigend beantworten. Einen hilfreichen Anhaltspunkt gewinnen wir, wenn wir Hesses Erfahrungen als Maler einerseits mit seinem persönlichen Werdegang und andererseits mit seinem literarischen Schaffen in Verbindung bringen. Bekanntlich ist Hesse kein frühreifer Maler und Zeichner gewesen, er hat erst mit vierzig Jahren angefangen, ernsthaft und kontinuierlich zu malen. Tatsächlich zog ihn die Welt der Malerei und der Farben schon seit langem an: er war jedoch überzeugt, daß sein Ausdrucksmittel das Wort sei, und daß ihm einfach die Grundkenntnisse fehlten, um sich mit den Mitteln der bildenden Kunst auszudrücken. Was Hesse vor allem faszinierte, waren die Farben: schon in einem Passus seines Tagebuchs von 1900 spricht er ausführlich über die Schwierigkeiten, Farben in Sprache zu übersetzen: «Und doch – was ist Blaugrün? Was ist Perlblau? Wie läßt sich das leise Überwiegen etwa des Gelb, des Kobaltblau, des Violett aussprechen?»6. Und einige Monate zuvor hatte er sich vom Anblick des Luzerner Sees zu einer entzückten Beschreibung der Farbe des Wassers inspirieren lassen, deren starke Gefühlsregung wir später auch in seinen Schriften wiederfinden werden: «Diese unbeschreibliche Farbe und ihr Übergang zum völligen Mattsilber gewährte mir eine ganz überschwängliche Lust, ein Gefühl der Befreiung vom Gesetz der Schwere»7. Drei Jahre später schreibt er in einem Brief an Stefan Zweig, daß er oft an die herrlichen Gemälde denken müsse, die er gemalt hätte, wenn er das Talent zum Maler statt zum Schriftsteller besäße, und daß er es bedauert, keine Skizze zu zeichnen oder den Pinsel sicher führen zu können. 1916 geht Hesse durch eine schwere geistige und emotionale Krise. In den Schützengräben der Westfront offenbart sich der Krieg von Tag zu Tag deutlicher als ein grauenhaftes Massaker, und Hesse begreift ihn als das Zeichen einer unaufhaltsamen Zersetzung der Kultur und der Werte des alten Europa, die wohl oder übel auch seine eigenen sind. Auch in persönlicher Hinsicht ist das Jahr 1916 für ihn ein verheerendes Jahr. Sein Vater stirbt, eines seiner Kinder wird krank, ihn quälen finanzielle Probleme, seine Frau, die schwere psychische Störungen hat, wird in eine psychiatrische Klinik eingeliefert, und auch Hesse versinkt in einem depressiven Zustand. Um nicht ganz den Boden unter den Füßen zu verlieren, begibt er sich in psychoanalytische Behandlung, für die sich gerade in jenen Jahren immer mehr Menschen zu interessieren beginnen. Er wendet sich an Dr. Bernhard Lang, 6 7

GW, 1, S. 326. Ebd., S. 320f.

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einen Schüler Carl Gustav Jungs, und dieser Arzt ist es, der Hesse auf den Weg zur bildenden Kunst bringt. Er fordert ihn nämlich auf, einen Prozeß der Befreiung des Bewußtseins in Gang zu bringen, indem er ein Selbstporträt malt oder seine eigenen Träume bildlich darstellt. Hesse unterstützt diesen Prozeß in dem Maße, wie er seine Malerei zu einer kontinuierlichen Praxis macht, wodurch seine Technik sich vervollkommnet. Später wird die Aquarellmalerei andere Maltechniken überwiegen und einen immer größeren Teil seiner Zeit beanspruchen, zumal sie unerwartet sogar wirtschaftliche Bedeutung für ihn gewinnen sollte. Schon bevor der Krieg von 1914–1918 beginnt, lebt Hesse in der Schweiz. In gewissen deutschen Kreisen trägt ihm das allerdings den Ruf eines Überläufers und Vaterlandsflüchtigen ein, den er als demütigend empfindet und von dem er sich zu befreien versucht. Er tut das mit einer harten, unermüdlichen Arbeit für die «Deutsche Gefangenenfürsorge Bern», ein Hilfszentrum, das Bücher zur Lektüre für die gefangenen deutschen Soldaten sammelt. Das Zentrum hat nur bescheidene finanzielle Ressourcen, und Hesse bemüht sich, sie zu verbessern. Er verkauft recht erfolgreich handschriftliche Folioblätter mit seinen Gedichten, die er mit seinen Zeichnungen bereichert und geschmückt hat. Auch als er das Zentrum in Bern verläßt und sich dann in den Tessin begibt, malt er weiter. Das Malen, mit dem er – nach einem Zeugnis seines Sohnes Heiner – fast gegen seinen Willen begonnen hat, wird zu einem entscheidenden Faktor bei der Überwindung der schwersten Phase seiner Depression und hilft ihm, seine geistigen Energien allmählich wiederzugewinnen8. Zur Welt der bildenden Kunst hat Hesse ohnehin seit langem enge kulturelle und persönliche Beziehungen. Die auf seinen zahlreichen Reisen nach Italien niedergeschriebenen Beobachtungen, die von gründlichen kunstgeschichtlichen Kenntnissen zeugen, sind zum Großteil einem minuziösen, hingebungsvollen Studium bedeutender Gemälde gewidmet. In der Schweiz schließt er innige Freundschaft mit einigen Vertretern des Expressionismus, unter anderem mit Louis Moilliet, der zur Gruppe «Der blaue Reiter» gehörte und zusammen mit Paul Klee, Kandinsky und August Macke eine Reise nach Tunesien unternahm, die deutliche Spuren in der Geschichte der zeitgenössischen Kunst hinterlassen hat. Moilliet war später sein Gast in Montagnola, in der Villa, die zu Hesses endgültigem Wohnsitz werden sollte. Züge Moilliets lassen sich in der Figur «Louis der Grausame» in der Erzählung Klingsors letzter Sommer wiederfinden9. Innerhalb der Gruppe des «Blauen Reiters» war die Suche nach Verwandtschaften und die Vermischung unterschiedlicher Kunstformen übrigens gängige Praxis, auch wenn sie vorwiegend das Verhältnis zwischen bildender Kunst und Musik betraf. Zu Hesses Freundeskreis gehören 8 9

Heiner Hesse, Il pittore Hermann Hesse, in H. Hesse. Parole e colori, a.a.O., S. 11. Zu Hesses Freundschaft mit L. Moilliet und seiner Beziehung zu anderen Künstlern siehe D. Fässler, Zwischen den Zeiten – Kunst und Künstler um Hermann Hesse, in «Höllenreise durch mich selbst», a.a.O., S. 59–69.

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in jenen Jahren viele Maler, wie zum Beispiel Hans Sturzenegger, mit dem er 1911 jene Reise nach Sumatra und Ceylon unternimmt, die er dann in dem Text mit dem irreführenden Titel Aus Indien beschreibt, oder der Schweizer Cuno Amiet, der Mitglied der Malergruppe «Die Brücke» war und Hesses Sohn Bruno Unterricht im Zeichnen und in Maltechniken gab. Wie sehr die Malerei integraler Bestandteil seiner Wahrnehmung der Wirklichkeit war, und welch eine entscheidende Rolle sie bei seiner mühsamen Suche nach einem inneren Gleichgewicht und psychischer Stabilität spielte, hat Hesse in einem Brief aus dem Jahr 1925 an die Schriftstellerin Ina Seidel sehr klar ausgesprochen: «Aber es ist so, daß ich längst nicht mehr leben würde, wenn nicht in der schwersten Zeit meines Lebens die ersten Malversuche mich getröstet und gerettet hätten»10. Und ebenso unmißverständlich hat er sich ausgedrückt, als er die Rolle der Malerei im geistig-seelischen Haushalt der Hauptfigur von Klingsors letzter Sommer beschrieben hat: «Die kleine Palette voll reiner, unvermischter Farben von hellster Leuchtkraft, sie war sein Trost, sein Turm, sein Arsenal, sein Gebetbuch, seine Kanone, aus der er nach dem bösen Tode schoß»11. Das graphische und malerische Werk Hesses durchläuft verschiedene Phasen, in denen seine Eigenart und seine Bedeutung wechseln. In den ersten Jahren, einer Zeit des Lernens und auf der inhaltlichen Ebene einer Zeit der Interpretationen seines Ichs, zeichnet er starre und angsterfüllte Selbstporträts in Schwarzweiß mit schüchternen Andeutungen von Farbe. Als ihm bewußt wird, daß seine technischen Fertigkeiten einen gewissen Fortschritt gemacht haben, stellt er diesen Porträts eine dekorative Illustrationsmalerei an die Seite, die dazu dient, seine Gedichtsammlungen für die Gefangenenfürsorge oder Briefe, die er Freunden schickt, zu verschönern (Letzteres ist eine Angewohnheit, die er bis ins hohe Alter beibehalten wird). Wenn er Naturszenerien malt, wie in den Notizbüchern, in denen er die Eindrücke von seinen Reisen ins Engadin und an den Lago Maggiore sammelt, dann geschieht das in naturalistischer, akademischer Weise, ganz wie ein fleißiger Schüler, der nicht mehr wagt, als seine Fähigkeiten ihm erlauben12. In einer nun folgenden Phase, die mit seiner Abreise aus Bern und der Entscheidung, sich im Tessin niederzulassen, zusammenfällt, verändert sich seine Malerei. Der Krieg ist beendet, Hesses persönliche Probleme haben sich teilweise gelöst, und mit dem Umzug in die Casa Camuzzi in Montagnola beginnt eine Zeit, die, was sein literarisches Schaffen betrifft, zu einer der intensivsten und schöpferischsten Phasen seines Leben werden wird. Seine Malerei schwankt im Hinblick auf die 10

11 12

Aus einem Brief vom 12.9.1925 an Ina Seidel, in H. Hesse, Gesammelte Briefe. Zweiter Band 1922–1935, in Zusammenarbeit mit Heiner Hesse, hrsg. v. U. und V. Michels, Frankfurt a. M. 1979, S. 120. H. Hesse, Klingsors letzter Sommer, in GS, 1, S.327. Vgl. Curonici, «Denn ohne diese Malerei wäre ich schon lange nicht mehr da». Der Maler Hermann Hesse, in «Höllenreise durch mich selbst», a.a.O., S. 34.

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formale Gestaltung zwischen den verschiedenen Richtungen, auf denen sie sich erprobt: das gegenständliche Element ist noch vorhanden, aber unter dem Einfluß der Avantgarde zerfällt das Dargestellte mal in Quadrate, Pyramiden oder Rechtecke kubistischer Prägung, mal nähert es sich in kindlich schlicht konturierten Landschaften der naiven Malerei. Was jedoch seinen gesamten Entwicklungsweg auszeichnet, sind auf der einen Seite eine fortschreitende Ablösung vom Naturalismus und zunehmend einfachere, abstraktere Kompositionen, und auf der anderen ein ganz entscheidendes Element, nämlich die Entdeckung der Farbe. Hesse entdeckt im Tessin, was viele Maler vor und nach ihm im Süden gefunden haben: die ungeheure Ausdruckskraft des Lichts und der Farbe. Diese ist natürlich nicht die Farbe der Realität, sondern die subjektive, emotionale Farbe des Expressionismus. Was die technischen Mittel betrifft, so wählt Hesse immer häufiger das Aquarell. Mit dem Aquarell werden zwar meistens zarte, matte Farben assoziiert, aber Hesse hat in der Gruppe «Der blaue Reiter», besonders bei August Macke, schon Aquarelle von bebend intensiver Farbigkeit gesehen. Nach ein paar Jahren, einer Zeit, in der Hesse einige seiner Meisterwerke wie Siddharta oder den Steppenwolf schreibt und einen Ruhm erlangt, der von nun an nicht mehr abnehmen wird, also gegen Ende der zwanziger Jahre, verändert seine Malerei sich noch einmal. Die leuchtenden Farben treten in den Hintergrund, wichtiger werden statt dessen die Umrisse der Dinge, die der Künstler mit einem präzisen, sorgfältigen Federstrich nachzeichnet. Es ist, als hätten seine Augen sich am Licht satt gesehen und als widerstrebte es seinem Geist immer mehr, dem Gefühl freien Lauf zu lassen. Diese Tendenz wird sich mit fortschreitendem Alter verstärken. In seinen letzten Lebensjahren wird Hesse die Staffelei nicht mehr im Freien aufstellen, sondern Motive, die er früher nach der Natur gemalt hat, im kleinen und sehr kleinen Format reproduzieren. Von den hier in aller Kürze und nur annähernd skizzierten Phasen interessiert uns vor allem die zweite, die mit einem Augenblick sehr fruchtbarer Einfälle und einer erstaunlichen geistigen Erneuerung des Schriftstellers Hesse zusammenfällt. Wie bereits erwähnt, ist er im Tessin angekommen. Ein außergewöhnlich strahlendes, ja fast tropisches Tessin, irreal fast in der Pracht und reichen Überfülle seiner Formen und Farben. Hesse beschreibt es und beschreibt damit sich selbst: «Das war Klingsors Sommer. Die glühenden Tage wanderte ich durch die Dörfer und Kastanienwälder, saß auf dem Klappstühlchen und versuchte, mit Wasserfarben etwas von dem flutenden Zauber aufzubewahren; die warmen Nächte saß ich bis zu später Stunde bei offenen Türen und Fenstern in Klingsors Schlößchen und versuchte, etwas erfahrener und besonnener, als ich es mit dem Pinsel konnte, mit Worten das Lied dieses unerhörten Sommers zu singen. So entstand die Erzählung vom Maler Klingsor»13.

13

GS, 11, S. 45f.

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Im Zusammenhang mit der Erzählung Klingsors letzter Sommer ist Hesses Name von angesehenen Forschern mit Van Gogh in Verbindung gebracht worden14. Der Vergleich ist nicht unangebracht, wenn man bedenkt, wie positiv und überaus förderlich für beide die Begegnung mit der Farbe gewesen ist, und zwar sowohl für ihren psychischen Zustand als auch für ihre künstlerische Tätigkeit. Hesse hat immer ein leidenschaftliches Interesse an Van Gogh und am Leben «dieses seltsamen Vagabunden und Dulders» bezeugt, «der aus übergroßer Liebe zu den Menschen einsam wurde, der aus übergroßer Vernunft wahnsinnig wurde»15. Diese Begeisterung Hesses für Van Gogh muß allgemein bekannt gewesen sein, denn wir wissen, daß ein Schweizer Journalist ihm 1919, als er gerade wieder aus seiner depressiven Krise auftauchte, vorschlug, eine Monographie über den niederländischen Maler zu schreiben. Er zog diesen Vorschlag durchaus in Betracht, ließ den Plan dann aber fallen. Zum Ausgleich übertrug er Merkmale Van Goghs auf die Figur Klingsors (vornehmlich im letzten dramatischen Kapitel Selbstporträt), obwohl der allgemeine Hintergrund der im selben Jahr geschriebenen Novelle nicht das Leben Van Goghs wiederspiegelt, sondern sein eigenes Leben in der Südschweiz. Die Ankunft im Süden und die Begegnung mit einem neuen, vollkommen anderen Licht hatten auf Hesse und auf Van Gogh eine verblüffend ähnliche Wirkung. In den Briefen, die er 1888 aus Arles schreibt, schildert Van Gogh eine unerwartete Kraft, die er im Süden gefunden hat, eine Kraft, die die Sinne schärft und die Dinge klarer und faßlicher macht. Diese Kraft belebt und inspiriert ihn, und er wirft sich mit leidenschaftlicher geistiger Klarheit auf die Arbeit. Jahre später wird Hesse den schicksalhaften Sommer, den er in Montagnola verbrachte, seinerseits so beschreiben: «Ein Sommer, wie ich nur sehr wenige erlebt habe, von einer Kraft und Glut, einer Lockung und Strahlung, die mich mitnahm und durchdrang wie starker Wein»16. Man sehe sich zum Beispiel eines der ersten Aquarelle an, das Hesse während des Sommers 1919 malte (Abb. 1), und dem er den Titel Klarer Tag gab. Auf diesem Bild gibt es mehrere Ebenen mit weichen, runden, einladenden Hügeln, es gibt Häuser und Kirchtürme, die der Maler auf geometrische und grundlegende Formen reduziert hat, und es gibt im Hintergrund Berge in hellblauer Farbe, die durch das starke Licht ganz leicht und durchsichtig wirken. Wir haben ein ganzes Spektrum aus Gelb- und Orangetönen vor uns, die Farben der Sonne und des Glücks, und die blaßockerfarbene Welt wird hier und da vom Rot eines Ziegeldachs und vom Grün der wenigen Bäume durchsetzt. Es geht hier natürlich nicht darum, Vergleiche zwischen den malerischen Fähigkeiten Van Goghs und Hesses anzustellen. Das blendende Licht, das Van Gogh in der Provence sah, ist nicht das Licht Hesses; die 14 15 16

V. Michels, in Parole e colori, a.a.O., S. 34. GS, 11, S. 46. Ebd., S. 45.

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Abb. 1: Klarer Tag

Gelbtöne Hesses haben nicht die eruptiven gefühlsmäßigen Konnotationen der Kornfelder des holländischen Malers. Aber bei beiden ist es das Licht, das über die Dinge herrscht, und das, von außen eindringend, die innere Welt ergreift. Wie Hesse verspürte auch Van Gogh das Bedürfnis, sich der erschöpften westlichen Zivilisation zu entziehen und seinen Geist durch andere, frischere, lebensspendende Quellen zu erneuern. In unterschiedlichen historischen Momenten hatten beide

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den Eindruck, in einer Zeit der Krise und des nahenden Zerfalls zu leben, und sie einte der Wunsch, ihren Blick auf neue, unerforschte Horizonte zu lenken. Zuletzt gibt es ein formales, farbliches Element, das Van Gogh häufig und mit großer Kühnheit verwendete, und das wir bei Hesse wiederfinden. In Hesses bereits erwähntem Bild Klarer Tag sieht man im Vordergrund einen Bretterzaun aus dunklem Holz, der die Hügellandschaft einrahmt. Hesse wird dieses Muster, das uns durch das Kino und die Fotografie heute vertraut ist, häufig wiederholen, indem er Bäume in den Vordergrund rückt und dem Gemälde so eine zweidimensionale, unperspektivische Wirkung verleiht17. Wir haben zwar keinen Beweis dafür, daß er dieses Muster von Van Gogh übernommen haben könnte, aber es ist keineswegs unmöglich. Van Gogh und vor ihm viele Maler aus dem Kreis der Pariser Impressionisten haben es von den Ukiyo-e, den japanischen Mehrfarbdrucken, übernommen, die sehr viel Aufsehen erregten und einen starken Einfluß auf die europäische Kunst des ausgehenden 19. Jahrhunderts ausübten. Van Gogh liebte die Ukiyo-e übrigens sehr und sammelte sie, wie er überhaupt die ganze japanische Kunst schätzte, deren therapeutischen Wert er erkannt hatte: «Ist das nicht beinah eine wahre Religion, was uns diese schlichten Japaner lehren, die in der Natur leben, als wären sie selber Blumen? Und ich glaube, es ist unmöglich, die japanische Kunst zu studieren, ohne froher und glücklicher zu werden, und nicht zur Natur zurückzukehren trotz unserer Erziehung und unserer Arbeit in der Welt der Konventionen»18. Es ist durchaus anzunehmen, daß Hesse, ein Mensch, der umfassend und vielseitig gebildet war, die Drucke von Hiroshige und anderer Meister des Ukiyo-e gekannt hat und sich von ihnen unmittelbar inspirieren ließ. Ein anderes Aquarell, das schon im Titel vom Einfluß des Kubismus zeugt, Kubisches Dorf (1920), beruht ebenfalls auf dem Spektrum der Farben Gelb und Braun, mit verschiedenen Nuancen in Ocker, Senf und Karamel. In der geometrischen Struktur, den leuchtenden und klaren Farbtönen und den kleinen Tupfern Weiß spiegelt sich Hesses Gemütszustand, seine wiedergewonnene Heiterkeit, und sie vermitteln dem Betrachter einen Eindruck von Ordnung und Harmonie. In jenen Jahren haben seine Gemälde oft die gleichen Themen, und alle sind sie von der Landschaft inspiriert, von der friedlichen, behutsam urbanisierten Landschaft des Kantons Tessin: kleine stille Dörfer, Zypressen, Palmen oder andere Bäume, die ähnlich elegant gebogene Linien haben. Manchmal kommen Sonnenblumen hinzu, die Blumen mit dem auffälligsten Gelb (und wieder muß man an Van Gogh den17

18

Es handelt sich um ein Mittel, zu dem Hesse oft griff. Das Aquarell Blauer Baum und Häuser vom 14.5.1922 erinnert mit seinem massiven violetten Baumstumpf und den gelben Häusern im Hintergrund an die Großen Platanen (1889) von Van Gogh. Ein auffällig gestalteter Vordergrund, von dem das Bild aber nur einen Teil wiedergibt, findet sich auch in dem Werk Marderloch (1924) und in vielen anderen Arbeiten. So schrieb van Gogh 1888 an seinen Bruder Theo. Siehe V. van Gogh, Sämtliche Briefe, 6 Bde., hrsg. von F. Erpel, Zürich 1957, Brief Nr. 542, Bd. IV, S. 173.

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Abb. 2: Kreuzweg zur Kirche Madonna d’Ongero

ken), manchmal hat die Pflanzenwelt, wie zum Beispiel in dem Aquarell, dem Hesse den präzisen Titel Kreuzweg zur Kirche Madonna d’Ongero (1923) gab, ein fast schon tropisches Aussehen: große, üppige Blätter, der gewundene Stamm eines Baumes im Vordergrund und eine nicht perspektivisch gemalte Straße, die das Gemälde mit ihrem breiten braunroten Band in zwei Teile teilt (Abb. 2). Auch auf dem Bild Weg ins Dorf (1926), das einige Jahre später entstand, füllt Hesse den unteren Bildteil mit einigen großen, ins Auge fallenden, unwirklichen Blättern, die die rätselhafte Stille des kleinen Dorfes noch verstärken. Die Darstellungsweise ist hier freier und erinnert in mancher Hinsicht an den Expressionismus, zum Beispiel mit der kühnen Straßenkurve und dem Dach, das sich plötzlich blau gegen den Himmel abhebt. Auf diesen Aquarellen wechseln Rot und Gelb einander als vorherrschende Farben ab: dabei erinnert die Fassade eines gelben Hauses, das man auf dem Kreuzweg zur Kirche Madonna d’Ongero sieht, wieder an Van Gogh und sein berühmtes «Gelbes Haus», wo er seinen Traum von einer Lebensgemeinschaft mit Künstlerfreunden verwirklichen wollte. Auf dem Bild Gartenhaus von 1924 (Abb. 3) ist die Fassade rot, das heißt, sie besteht aus zwei kontrastierenden Rottönen, die ein gelber Balken trennt. Die Einsamkeit des in der üppigen Vegetation fast ganz versteckten Hauses, die Palmen und das schwache Blau der Berge lassen an den Pazifik und

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Abb. 3: Gartenhaus

an Gaugins Bemühen um verfremdende Exotik denken. Das Naturell eines Reisenden, der um die Welt fährt und ihre vielfältigen Ansichten festhält und beschreibt, besitzt Hesse nicht. Doch in seinem Tessin gibt es nichts wirklich Tessinisches, und das Neue und Andere sind in uns und nicht außer uns. Sogar über seine Reise nach Asien läßt er sein Alter Ego Klingsor sagen: «Aber alles, was ich dort fand, das finde ich heute auch hier: Urwald, Hitze, schöne fremde Menschen ohne Nerven, Sonne, Heiligtümer. Man braucht so lang ‹bis man lernt, an einem einzigen Tage drei Erdteile zu besuchen. Hier sind sie. Willkommen, Indien! Willkommen, Afrika! Will-

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kommen, Japan!»19. Die Farben Rot – Braun – Rot – Purpurrot, Rot – Feuerrot überlagern sich, bekämpfen sich und versöhnen sich in diesen Darstellungen: Rot ist die Farbe der Kraft, der Leidenschaft und der Sinnlichkeit, und tatsächlich ist dies die Zeit von Hesses Liebe zu der jungen Ruth Wenger, die kurz darauf, allerdings nur für kurze Dauer, seine zweite Frau wird. Auch um Ruth zu beschreiben, wird er sich seiner Novelle Klingsors letzter Sommer bedienen, und dort sieht er sie so: «Plötzlich stand die Königin der Gebirge da, schlanke elastische Blüte, straff und federnd, ganz in Rot, brennende Flamme, Bildnis der Jugend»20. Zwischen Schriftstellerei und Malerei, zwischen dem poetischen und dem Diskurs der bildlichen Darstellung gibt es bei Hesse überraschende Parallelen. Er selber spricht das in aller Offenheit aus: «Sie werden sehen, daß zwischen meiner Malerei und Dichtung keine Diskrepanz herrscht, daß ich auch hier nicht der naturalistischen, sondern der poetischen Wahrheit nachgehe»21. Wie manche Verliebte, egal worüber sie gerade reden, immer wieder auf die geliebte Frau zu sprechen kommen müssen, so macht sich auch bei Hesse die Liebe zur Farbe fast auf jeder Seite bemerkbar, die er schrieb. Ein emsiger Forscher hat allein in Klingsors letzter Sommer über fünfzig unterschiedliche Farben gezählt, die dort alle aufs Genaueste in der Fachsprache der Malerei beschrieben werden22. In den Aquarellen dieser für sein dichterisches und schriftstellerisches Werk so entscheidenden Jahre gibt es keine menschlichen Gestalten, nur Landschaften. Seine Dörfer sind menschenleer, niemand sitzt vor einer Tür, niemand geht auf einer Straße. Verlassen liegen die Felder, die Hügel, die Berge. Das Tessin ist eine unbeseelte Welt, es besteht nur aus Landschaften, Häusern, Kirchen und Kirchtürmen, aber es gibt keine Lebewesen, weder Männer, noch Frauen, noch Tiere. Beharrlich malt Hesse immer wieder die gleichen Themen, die gleichen Bäume, die gleichen Häuser mit unzähligen kleinen Variationen. Die Wiederholung schenkt offenbar Frieden. Wie bei jenen Ikonenmalern, die mit kaum wahrnehmbaren Abweichungen, die nur sie kannten, unendlich oft die gleiche Figur malten, die Jungfrau Maria oder Christus, um ihre Seele zu Gott zu erheben, oder bei jenen buddhistischen Mönchen, die sehr lange ohne Unterlaß ein Mantra vor sich hinsprechen, weil ihre Gedanken sich in dieser unendlichen Wiederholung klären und dem Absoluten ein wenig näher kommen. So macht es Hesse, der eine wachsende Annäherung an den Orient in sich verspürt, so machten es Hokusai und Hiroshige, wenn sie zum hundertsten Mal den Fujiyama oder eine der Brücken über den Edo malten. 19 20 21

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H. Hesse, Klingsors letzter Sommer, a.a.O., S. 315. Ebd., S. 316. Aus einem Brief vom 13.1.1920 an die Baseler «National-Zeitung» anläßlich einer Ausstellung seiner Aquarelle. Zitiert in Hermann Hesse als Maler. Vierundvierzig Aquarelle, ausgew. v. B. Hesse u. S. Kuthy, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 2002, S. 106. R. Karalaschwili, Gli effetti della luce. Il colore in ‹Klein und Wagner› e ne ‹L’ultima estate di Klingsor›, in Hermann Hesse. Lo scrittore, il pittore, a.a.O., S. 69.

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Die Umgebung von Montagnola ist auf diesen Gemälden keine Gegend im Tessin und vielleicht nicht einmal irgendeine reale Gegend auf der Welt. Sie ist der sichtbare, zunehmend präzisere und tröstliche Ausdruck einer Landschaft der Seele. Kaum verändert sich die Zusammenstellung der Farben, mal erscheinen sie ruhiger, mal erregter, hier tritt das Gelb hervor, dort leuchtet das Rot auf, und alles ist in ein Streulicht getaucht, das keine Schatten wirft. An anderer Stelle verwendet Hesse die Farben der Ferne, ein Blau, das ins Violett spielt, das Grün der Hügel, das sich in den Wolken verliert. Ganz ähnlich wie seine erzählerischen Werke, die ein langer Weg der Suche nach dem eigenen Ich sind, bedeuten auch die dreitausend Gemälde Hesses, insbesondere die hier beschriebenen Werke aus den zwanziger Jahren, die das Ende einer Tragödie kennzeichnen und diejenige, die kommen wird, noch nicht vorausahnen, eine langsame, planmäßige Suche nach innerer Harmonie. Es ist ein Weg, der mit kleinen Schritten beschritten wird und sich an der Wiederholung orientiert. Auch das Licht muß hier nicht wechseln, um Heiterkeit und Farben zu erzeugen: im Gegenteil, je konstanter es ist, um so größer ist seine Macht. Wir können die Frage, die wir uns eingangs gestellt haben, jetzt wiederaufnehmen: ob die Aquarelle von Montagnola auch für andere ein therapeutisches, befreiendes Mittel sein können, wie sie es für Hesse waren; und ob sich – unabhängig von ihrer künstlerischen Qualität als Gemälde – das Interesse, das sein malerisches Werk weckt und die immer größere Zustimmung, die es findet, damit erklären läßt. Möglicherweise hat Hesse geahnt, was heute zum selbstverständlichen Wissen bei der Diagnose und Behandlung vieler depressiver Syndrome gehört, nämlich daß die Sonne und das Licht eine wohltätige, stärkende, heilkräftige Wirkung ausüben. Und auch wenn er keine theoretischen Überlegungen dazu anstellte, so hat er die übernatürliche Eigenschaft der Sonne, ihre Fähigkeit, Freude und Heilung zu bringen, doch immer äußerst stark empfunden. «Es gibt nur die Sonne und mich» und die warmen Farben des beginnenden Herbstes, schreibt er in Aquarellmalen (1927)23, während er in dem Gedicht Magie der Farben das Licht als den göttlichen Atem anruft, der «erschafft und handelt»24. Bekanntlich wendet man in manchen nordischen Ländern während der langen Wintermonate, in denen die Dunkelheit überwiegt, Lichttherapien an, bei denen der Körper künstlichen Lichtquellen ausgesetzt wird. Hesses Aquarelle sind kleine leuchtende Mosaike, kleine heilende Lichter gegen die Traurigkeit der Welt; sie üben also in gewisser Weise eine Funktion aus, die sich mit der Wirkung, die seine Schriften auf ganze Generationen gehabt haben, durchaus vergleichen läßt25. So läßt sich die Freude, die der Betrachter dieser Bilder 23 24 25

Vgl. Hermann Hesse. Tessin. Betrachtungen, Gedichte und Aquarelle des Autors, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1993, S. 145. Ebd., S. 144. Siehe dazu R. Limberg, Therapeutische Aspekte in der Malerei Hesses, Hermann Hesse und die

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empfindet, mit der Freude desjenigen erklären, der sie malte, und Hesse hat diese Freude in aller Unschuld in seinem Gedicht Malerfreude beschrieben : Geist regiert, der alles Kranke heilt, Grün klingt auf aus neugeborener Quelle Neu und sinnvoll wird die Welt verteilt, Und im Herzen wird es froh und helle. 26

Der Abdruck der Aquarelle Hermann Hesses erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Hermann Hesse Editionsarchivs, Volker Michels, Ofenbach.

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Psychoanalyse, in «Kunst als Therapie», 9. Internationales Hermann-Hesse-Colloquium in Calw 1997, hrsg. von R. Limberg, Bad Liebenzell 1997, S. 163–176. H. Hesse, Malerfreude, in Hermann Hesse. Tessin..., a.a.O., S. 103.

Maddalena Fumagalli

Pablo contra Mozart? Das ,magische Theater‘ der Musik

In Krisis, einer Art Tagebuch in Versen, das der Niederschrift des Steppenwolf vorausgeht und sie begleitet, bringt Hesse seine existentielle Qual als Mann an der Schwelle der Lebensmitte und als Künstler zum Ausdruck. In dieser Sammlung, einem ,Krankheitsjournal‘, wo die Themen der körperlichen und der seelischen Krankheit eng verflochten sind, läßt uns vor allem ein Gedicht (Neid) aufhorchen wegen der engen Verbindung, die es mit dem Roman von 1927 herstellt. Unser Interesse wird noch dadurch gesteigert, daß es sich inhaltlich um ein ,musikalisches‘ Gedicht handelt, ebenso wie wir den Steppenwolf einen ,musikalischen‘ Roman nennen könnten. Wenn ich doch Banjo könnte spielen Und Saxophon in einer Jazzband blasen, Vortänzer sein in einem Nachtlokal, […] Dann wär ich hier nicht Fremdling mehr und Gast, Wär einer von den Priestern der Astarte, […] Ich werde nie erreichen Die Strahlenden, die Götter dieser Erde, […] Muß mich mit Zuschaun, Draußenstehn bescheiden, Muß Tänzer, Banjo, Saxophon beneiden, […]1

In diesen Versen sind die (musikalischen) Themen des Romans konzentriert, die Gegenstand unserer Überlegungen sein sollen. Unser Ausgangspunkt soll denn auch jener Saxophonist sein, der den «Neid» des Dichters erweckt und der im Steppenwolf die Züge Pablos, des Jazzmusikers, annimmt, dem der Protagonist auf seiner Reise in sein Selbst begegnet. Es ist eine Suche, die mit einer rückhaltlosen, schmerzhaften Reflexion über die Gegenwart verbunden ist. Und wir fragen uns, warum Hesse zu diesem Zeitpunkt seine Aufmerksamkeit einer Welt zuwendet, die der seinen

1

H. Hesse, Neid, in Krisis. Ein Stück Tagebuch, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Der Steppenwolf›, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1972, S. 171–172.

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so fern liegt. Es ist ein ,Weg nach Westen‘, dem ,Weg nach Osten‘, bekanntlich dem Topos von Hesses Poetik schlechthin, diametral entgegengesetzt. Es ist nicht unsere Absicht, unter Bezugnahme auf den Jazz die Rezeptionsgeschichte des Steppenwolf (vor allem die amerikanische) wieder aufzurollen, für die, beginnend mit den sechziger Jahren, das Buch zu einem Manifest einer Welt wird, die eine Alternative zur offiziellen Kultur und eine musikalische Subkultur darstellt2. Noch wichtiger erscheint uns die musikalische Linie, die diesen Text durchzieht, wie es schon am Ende der fünfziger Jahre in einer bekannten Studie Theodore Ziolkowski betonte, der im Aufbau des Romans die Sonatenform erkannte3. Und dazu stellt sich uns die Frage, wie sind in ihrer (vielleicht nur scheinbaren) Widersprüchlichkeit die letzten Worte des Romans «Pablo wartete auf mich. Mozart wartete auf mich» zu erklären?4 In welcher Beziehung stehen zwei radikal entgegengesetzte Gestalten wie Pablo und Mozart im Roman, sowie in der musikalischen Auffassung Hesses zueinander?5 Der Roman ist nicht nur die Geschichte des zerrissenen Intellektuellen Harry Hallers, noch ist er nur die autobiographische Darstellung der Lebenskrise seines Autors. Es erscheint uns nicht ausreichend, in der Rekonstruktion jener Halbwelt aus Jazz, Foxtrott, Bars, rauchigen Lokalen, Drogen und Prostitution, in die Harry Haller an der Hand Hermines hineingeführt und initiiert wird, eine erinnernde Rückkehr Hesses zu den Ausschweifungen seiner Züricher Jahre zu sehen. Er ist das Eine und das Andere und zugleich auch der Spiegel einer Krise, die die gesamte bürgerliche Gesellschaft zwischen den beiden Weltkriegen erfaßt. Der Herausgeber, der in der Fiktion des Romans die Aufzeichnungen Harry Hallers veröffentlicht, sieht darin nicht nur «die pathologischen Phantasien eines einzelnen, eines armen Gemütskranken», 2

3

4 5

Vgl. zu diesem Thema T. Leary, Meisterführer zum psychedelischen Erlebnis, in Materialien…, a.a.O., S. 344–353, und F. Haines, Hermann Hesse und die amerikanische Subkultur, ebd., S. 388–400. Th. Ziolkowski, Hermann Hesses Steppenwolf. A sonata in prose, in «Modern Language Quarterly», XIX (1958), Nr. 2, S. 115–133; in deutscher Übersetzung mit dem Titel Hermann Hesses ‹Steppenwolf›. Eine Sonate in Prosa findet sich im Band Materialien…, a.a.O., S. 353–377. H. Hesse, Der Steppenwolf, Frankfurt a.M. 1974, S. 278. Hesses Verhältnis zur Musik wurde bisher vor allem in Bezug auf seine Erziehung, seine romantische Musikauffassung, seine Vorliebe für Mozart und Bach, auf die Musikalität seiner Prosa erforscht, während den Beziehungen des Schriftstellers zur zeitgenössischen Musik wenig Bedeutung beigemessen worden ist. Anregungen jedoch zu Betrachtungen darüber erhalten wir aus dem Aufsatz von H. Kasack, Hermann Hesses Verhältnis zur Musik, der die Sammlung der Schriften zur Musik einleitet H. Hesse, Musik, Betrachtungen, Gedichte, Rezensionen und Briefe, hrg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1993, S. 9–20; aus L. Dorners Studie, Hermann Hesse und die Musik, im Katalog zur Ausstellung Hermann Hesse und die Musik. Eine Ausstellung zum 100. Geburtstag des Dichters, 9. November 1977 bis 31. Jänner 1978 (Wien 1978); und aus dem Aufsatz von Ch.I. Schneider, Hermann Hesses Musik-Kritik, in Hermann Hesse Heute, hrsg. von A. Hsia, Bonn 1980, S. 76–131.

Pablo contra Mozart? 113 ich sehe in ihnen aber etws mehr, ein Dokument der Zeit, denn Hallers Seelenkrankheit ist – das weiß ich heute – nicht die Schrulle eines einzelnen, sondern die Krankheit der Zeit selbst, die Neurose jener Generation, welcher Haller angehört, und von welcher keineswegs nur die schwachen und minderwertigen Individuen befallen scheinen, sondern gerade die starken, geistigsten, begabtesten6.

Die Seelenkrankheit Harry Hallers wird im Roman in seiner schwankenden Stellung zwischen Leben und Selbstmordgedanken objektiviert, zwischen der Sehnsucht nach einem geordneten bürgerlichen Leben und dem Gefühl der Fremdheit seines einsamen Lebens als Steppenwolf. Der Steppenwolf stand, seiner eigenen Auffassung zufolge, gänzlich außerhalb der bürgerlichen Welt, da er weder Familienleben noch sozialen Ehrgeiz kannte. Er fühlte sich durchaus als Einzelnen, bald als Sonderling und krankhaften Einsiedler, bald auch als übernormal, als ein geniemäßig veranlagtes, über die kleinen Normen des Durchschnittslebens erhabenes Individuum. Mit Bewußtsein verachtete er den Bourgeois und war stolz darauf, keiner zu sein. Dennoch lebte er in mancher Hinsicht ganz und gar bürgerlich, er hatte Geld auf der Bank und unterstützte arme Verwandte, er kleidete sich zwar sorglos, doch ständig und unauffällig, er suchte mit der Polizei, dem Steueramt und ähnlichen Mächten in gutem Frieden zu leben. Außerdem aber zog ihn eine starke, heimliche Sehnsucht beständig zur bürgerlichen Kleinwelt, zu den stillen, anständigen Familienhäusern mit sauberen Gärtchen, […] doch hauste und lebte er, um es so auszudrücken, niemals in den Provinzen des Lebens, wo keine Bürgerlichkeit mehr existiert […]7,

wie er selbst im Tractat vom Steppenwolf lesen kann, einem Text, der auf anscheinend zufällige, sicher ‹magische› Weise, in Harry Hallers Hände gelangt und in seiner schonungslosen Klarsicht den ersten wichtigen Hinweis auf der Suche nach sich selbst, im Aufbau seiner Persönlichkeit darstellt. Es ist die Sehnsucht nach einer Welt, in der man «diesen Geruch von Stille, Ordnung, Sauberkeit, Anstand und Zahmheit […], der […] immer etwas Rührendes für mich hat»8, atmet; das Reich des guten Duftes von Terpentin, Wachs, gewaschener Pflanzen, der Araukarie («ein gesunder, strammer Kinderbaum von größter Vollkommenheit, und noch die letzte Nadel am letzten Zweig strahlt von frischester Abgewaschenheit»9), das in krassem Kontrast zur unordentlichen verrauchten Mansarde, voller leerer Flaschen, Büchern und Zigarettenstummeln, Zufluchtsort des problematischen Außenseiters steht. Auf diese zwiespältige Lage bezieht sich Haller, wenn er sagt: Ach, es ist schwer, diese Gottesspur zu finden inmitten dieses Lebens, das wir führen, inmitten dieser so sehr zufriedenen, so sehr bürgerlichen, so sehr geistlosen Zeit, im Anblick dieser Architekturen, dieser Geschäfte, dieser Politik, dieser Menschen! Wie sollte ich nicht ein Steppenwolf und ruppiger Eremit sein inmitten einer Welt, von deren Zielen ich keines teile, von deren Freuden keine zu mir spricht!10

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H. Hesse, Der Steppenwolf, a.a.O., S. 30. Ebd., S. 66f. Ebd., S. 37. Ebd., S. 37f. Ebd., S. 40.

Maddalena Fumagalli 114

«Diese Politik», «diese Menschen». Haller, der Wanderer romantischen Zuschnitts, ist jetzt der ,moderne Wanderer‘ geworden, der sich Nietzsches Lehre zu eigen gemacht hat, der erbarmungslose Kritiker der bürgerlichen Gewißheiten, einer im Verfall begriffenen Welt, «eine Welt für Politiker, Schieber, Kellner und Lebemänner, und keine Luft für Menschen?»11, einer Gesellschaft, die gerade erst einen Krieg hinter sich hat und sich auf neue Konflikte vorbereitet. Harry Haller, der sich gegen die Gewalt ausspricht, wird als «Schädling», als «vaterlandsloser Geselle», als «gefährliches Individuum» gebrandmarkt. Und vom Krieg – vom vergangenen, aber auch vom bevorstehenden – ist im Roman die Rede. Nicht nur der Protagonist spricht davon («Und so wird es also weitergehen, und der nächste Krieg wird von vielen tausend Menschen Tag für Tag mit Eifer vorbereitet»12), sondern auch Hermine, die Leitfigur, die Haller auf seinem inneren Weg begleitet. Die Führer arbeiten stramm und erfolgreich auf den nächsten Krieg los, wir anderen tanzen unterdessen Foxtrott, verdienen Geld und essen Pralinés – in einer solchen Zeit muß ja die Welt recht bescheiden aussehen13.

Noch vor dem Steppenwolf hatte Hermann Hesse schon an anderer Stelle seinem Zeitalter gegenüber ein vernichtendes Urteil gefällt. Sein Kurzgefasster Lebenslauf von 1925 beginnt mit den symptomatischen Worten: «Ich wurde geboren gegen das Ende der Neuzeit, kurz vor der beginnenden Wiederkehr des Mittelalters»14. Die bürgerliche Welt, das «feuilletonistische Zeitalter» enthüllt Hesse – und mit ihm Harry Haller – seine schlimmste Seite. Wie schon betont wurde, kann man diesen Roman als musikalischen Roman betrachten. Er ist es – abgesehen von seiner Struktur – auch, weil Hesses Gesellschaftskritik musikalische Formen annimmt. Die Dekadenz der deutschen bürgerlichen Welt erklärt sich in diesem Buch als verstörte Beziehung zur Realität, die sich im Verhältnis des deutschen Intellektuellen zur Welt der Töne abzeichnet und verdeutlicht. Lange hatte ich auf diesem Nachtgang auch über mein merkwürdiges Verhältnis zur Musik nachgedacht und hatte, einmal wieder, dies ebenso rührende wie fatale Verhältnis zur Musik als das Schicksal der ganzen deutschen Geistigkeit erkannt. Im deutschen Geist herrscht das Mutterrecht, die Naturgebundenheit in Form einer Hegemonie der Musik, wie sie nie ein andres Volk gekannt hat. Wir Geistigen, statt uns mannhaft dagegen zu wehren und dem Geist, dem Logos, dem Wort Gehorsam zu leisten und Gehör zu verschaffen, träumen alle von einer Sprache ohne Worte, welche das Unaussprechliche sagt, das Ungestaltbare darstellt. Statt sein Instrument möglichst treu und redlich zu spielen, hat der geistige Deutsche stets gegen das Wort und gegen die Vernunft frondiert und mit der Musik geliebäugelt. Und in der Musik, in wunderbaren holden Gefühlen und Stimmungen, welche nie zur Verwirklichung gedrängt wurden, hat der deutsche Geist sich ausgeschwelgt und die Mehrzahl seiner tatsächlichen Aufgaben versäumt15. 11 12 13 14 15

Ebd., S. 195. Ebd., S. 152. Ebd., S. 195. H. Hesse, Kurzgefaßter Lebenslauf, in Materialien…, a.a.O., S. 9. H. Hesse, Der Steppenwolf, a.a.O., S. 174f.

Pablo contra Mozart? 115

Die Realitätsfremdheit wird also im Roman als die deutsche ,Schuld‘16 dargestellt, der Verzicht auf den Logos, auf das Wort ist die ,Erbsünde‘ jener deutschen Misere, die Hesse hier – wie zwanzig Jahre nach ihm Thomas Mann im Doktor Faustus – in einem musikalischen Kontext erklärt. Der Untergang des Bürgertums, die Krise der bürgerlichen Welt sind eng mit der Unfähigkeit des Intellektuellen verbunden, sich auf die Wirklichkeit zu beziehen. Genau das bedeuten auch die musikalischen Erfahrungen der Hauptfigur des Romans. Der Bürger Haller begreift seine Beziehung zur Musik als Suche nach einer «Gottesspur». Sie ist für ihn ein Gegensatz zu dem Bestehenden, Spiegel ferner Welten, Trost und Zuflucht, Anklang an romantische Motive, die traditionelles Erbe geworden sind, ,Gemeinplätze‘ bürgerlicher Kultur: Es war bei einem Konzert gewesen, eine herrliche alte Musik wurde gespielt, da war zwischen zwei Takten eines von Holzbläsern gespielten Piano mir plötzlich wieder die Tür zum Jenseits aufgegangen, ich hatte Himmel durchflogen und Gott an der Arbeit gesehen, hatte selige Schmerzen gelitten und mich gegen nichts mehr in der Welt gewehrt, mich vor nichts mehr in der Welt gefürchtet, hatte alles bejaht, hatte an alles mein Herz hingegeben17. Und urplötzlich fiel mir die vergessene Melodie jenes Bläserpiano wieder ein, wie eine kleine spiegelnde Seifenblase stieg sie in mir hoch, glänzte, spiegelte bunt und klein die ganze Welt und ging sanft wieder auseinander. (46) Die Stimmen der alten Musik, ihre unendliche Würde und Heiligkeit hatte mir alle Erhebungen, Entzückungen und Begeisterungen der Jugend wachgerufen, traurig und versunken saß ich im hohen Chor der Kirche, für eine Stunde zu Gast in dieser edlen, seligen Welt, die einst meine Heimat gewesen war. Bei einem Haydnischen Duett waren mir plötzlich die Tränen gekommen, […]. (174)

Dennoch bedeutet Hesses Gesellschaftskritik nicht ein Lob der guten alten Zeit zum Nachteil der Gegenwart, und sie bedeutet auch nicht in musikalischer Hinsicht, daß Mozarts Musik der von Pablo entgegengesetzt würde18. Hesse ist sich dessen sehr wohl bewußt. Die Begegnung mit dem ,Fremden‘ gehörte zu den hauptsächlichen Merkmalen seiner Bildung, und das wird auch Haller im magischen Theater lernen müssen. Sein Weg wird als Annäherung an die Realität, an die Ganzheit des Lebens, beschrieben; anders ausgedrückt, er führt ihn von der ‹Krankheit› (der individuellen und der seiner Zeit) zur ‹Heilung›, wie es der Autor selbst in seinem Nachwort zum Steppenwolf von 1941 erklärt:

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17 18

Als «Buch der Warnung» wird der Roman von H. Mayer bezeichnet, der ihn daher in die Tradition «Deutscher Selbstkritik» einreiht, in der auch der Untertan von Heinrich Mann steht. Vgl. H. Mayer, Hermann Hesses ‹Steppenwol› (1964), in Materialien..., a.a.O., S. 330– 344. H. Hesse, Der Steppenwolf, a.a.O., S. 39. H. Mayer, Hermann Hesses ‹Steppenwolf›, a.a.O., S. 335ff.

Maddalena Fumagalli 116 Aber es wäre mir doch lieb, wenn viele von ihnen merken würden, daß die Geschichte des Steppenwolfes zwar eine Krankheit und Krisis darstellt, aber nicht eine, die zum Tode führt, nicht einen Untergang, sondern das Gegenteil: eine Heilung19.

Dieser Weg – auf dem der Protagonist auch von Pablo, dem Saxophonisten, geleitet wird – ist auch (und bedeutsamerweise, in unserem Fall) musikalischer Natur. Für Haller geht es nicht nur darum, daß er in unbekannte Welten eingeführt wird, in die Freuden der Liebe, in den Tanz («Du kannst also nicht tanzen? Überhaupt nicht? Nicht einmal einen Onestep? Und dabei behauptest du, weiß Gott, welche Mühe du dir mit dem Leben gegeben hast! […] Ja, wie kannst du sagen, du habest dir mit dem Leben Mühe gegeben, wenn du nicht einmal tanzen willst?»20). Die ,Erziehung‘ des Steppenwolfes bringt auch einen anderen Zugang zur Welt der Töne mit sich: Wenn ich sämtliche Werke von Bach und Haydn im Kopf habe und die gescheitesten Sachen darüber sagen kann, so ist damit noch keinem Menschen gedient. Wenn ich aber mein Blaserohr nehme und einen zügigen Shimmy spiele, so mag der Shimmy gut sein oder schlecht, er wird doch den Leuten Freude machen, er führt ihnen in die Beine und ins Blut. Darauf allein kommt es an. Sehen Sie einmal in einem Ballsaal die Gesichter an in dem Augenblick, wo nach einer längeren Pause die Musik wieder losgeht – wie da die Augen blitzen, die Beine zucken, die Gesichter zu lachen anfangen! Das ist es, wofür man musiziert […]21,

wie sich Pablo ausdrückt. In seinen Jazzrhythmen vernimmt Harry Haller eine sinnliche, für ihn noch der ,geistigen‘ von Mozart entgegengesetzte Musik, die in der realen Welt, im konkreten Leben unmittelbar wahrgenommen wird: «Sehen Sie, es hat nach meiner Meinung gar keinen Wert, über Musik zu sprechen. Ich spreche niemals über Musik»22. Diese ständige Bezugnahme auf die Wirklichkeit, auf das Leben, ist eins der grundlegenden Themen des Romans. Im magischen Theater wird Haller Hermine töten und unter der Anschuldigung, gegen die Kunst verstoßen zu haben, «indem er unsern schönen Bildersaal mit der sogenannten Wirklichkeit verwechselte und ein gespiegeltes Mädchen mit einem gespiegeltem Messer totgestochen hat»23, verurteilt. Auf Haller, dem deutschen Intellektuellen, lastet also die Schuld, die Wirklichkeit mit dem «Nicht-Darstellbaren», den Logos mit dem Irrationalen verwechselt zu haben. Aus diesem Grund wird er verurteilt – wie ihm von Mozart befohlen wird – dem «Radio des Lebens» zu lauschen.

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H. Hesse, Nachwort zum ‹Steppenwolf›, in Materialien…, a.a.O., S. 159. H. Hesse, Der Steppenwolf, a.a.O., S. 115. Ebd., S. 170f. Ebd. Ebd., S. 275.

Pablo contra Mozart? 117 Wenn Sie dem Radio zuhören, so hören und sehen Sie den Urkampf zwischen Idee und Erscheinung, zwischen Ewigkeit und Zeit, zwischen Göttlichem und Menschlichem. Gerade so, mein Lieber, wie das Radio die herrlichste Musik der Welt zehn Minuten lang wahllos in die unmöglichsten Räume wirft, in bürgerliche Salons und in Dachkammern, zwischen schwatzende, fressende, gähnende, schlafende Abonnenten hinein, so, wie er diese Musik ihrer sinnlichen Schönheit beraubt, sie verdirbt, verkratzt und verschleimt und dennoch ihren Geist nicht ganz umbringen kann – gerade so schmeißt das Leben, die sogenannte Wirklichkeit, mit dem herrlichen Bilderspiel der Welt um sich, läßt auf Händel einen Vortrag über die Technik der Bilanzverschleierung in mittleren industriellen Betrieben folgen, macht aus zauberhaften Orchesterklängen einen unappetitlichen Tönenschleim, schiebt seine Technik, seine Betriebsamkeit, seine wüste Notdurft und Eitelkeit überall zwischen Idee und Wirklichkeit, zwischen Orchester und Ohr. Das ganze Leben ist so, mein Kleiner, und wir müssen es so sein lassen, und wenn wir keine Esel sind, lachen wir dazu24.

Über diese Worte Mozarts lohnt es sich nachzudenken. Das ,Rezept‘ der Unsterblichen mit ihrem Hinweis auf das konkret Wirkliche ist einer der Interpretationsschlüssel des Romans, und nicht der unbedeutendste25. Hier offenbart Hesse in aller Deutlichkeit seine fest in der Gegenwart verankerte Stellung als Intellektueller. Übrigens erscheint auch der Komponist im magischen Theater in moderner Aufmachung. Er ist «ohne Zopf, ohne Kniehosen und Schnallenschuhe, modern gekleidet»26, macht sich an einem Radio zu schaffen, das für Haller, der noch mit der Vergangenheit verbunden und unfähig ist, die Gegenwart zu verstehen, ein «teuflische[r] Blechtrichter» ist, der «jene Mischung von Bronchialschleim und zerkautem Gummi» ausspuckt, «welchen die Besitzer von Grammophonen und Abonnenten des Radios übereingekommen sind, Musik zu nennen, […]» ein «scheußliche[r] Apparat», der «Triumph unsrer Zeit, ihre letzte siegreiche Waffe im Vernichtungskampf gegen die Kunst»27. Mit der Phantasmagorie des magischen Theaters will Hesse seinen Lesern also nicht einen abstrakten Ort, eine Flucht aus dem Heute vorgaukeln (wie es die Reise unter der Wirkung «drei dünne[r], lange[r], gelbe[r] Zigaretten», jener «herbsüße[n], wunderlich unbekannt und fremd schmeckende[n] Flüssigkeit, die in der Tat unendlich belebend und beglückend wirkte, als werde man mit Gas gefüllt und verliere seine Schwere»28 anzudeuten scheint). Vielmehr ist das magische Theater der Ort einer schonungslosen Bewußtwerdung. Es ist der «Ort der Seele» wie wenige Jahre später der Orient bezeichnet wird («unser Morgenland war ja nicht nur ein Land und etwas Geographisches, sondern es war die Heimat und Jugend der Seele, es war

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Ebd., S. 272f. Die Aufmerksamkeit Hesses für die zeitgenössische Wirklichkeit wird wiederum von H. Mayer hervorgehoben. Vgl. H. Mayer, Hermann Hesse und das magische Theater. Ein Vortrag, in «Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft», XXI (1977), S. 517–532. H. Hesse, Der Steppenwolf, a.a.O., S. 270. Ebd., S. 271f. Ebd., S. 223.

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das Überall und Niergends […]», wie es in der Morgenlandfahrt zu lesen ist29). Aber es ist ein «Ort der Seele», der auf eine äußerst konkrete Wirklichkeit verweist. Als Harry Haller und Pablo eine der Zugangstüren zu den Logen (den ‹Lebensbildern›) öffnen, geraten sie in die «Hochjagd auf Automobile», moderne Bilder von Maschinen, von Krieg, von einer Wirklichkeit voller Geräusche, greller Farben, plötzlicher Farbexplosionen und Getöse. Auch die Musik ist Teil dieser Welt, sowohl die von Mozart (Haller wird in das magische Theater durch die Musik des Don Giovanni30 eingeführt) wie die von Pablo, zwei nur scheinbar voneinander entfernte Bilder derselben Wirklichkeit. Die expressionistische Perspektive, die die große Jagd auf die Automobile kennzeichnet, wiederholt sich im Roman in der Beschreibung eines endgültig von der apollinischen Aura entkleideten Mozart, der eine verzerrte Figur an der Grenze zum Grotesken wird, eine Art hoffmannscher Kreisler, der sich plötzlich in ein modernes Bild aus kräftigen, fast grellen Farben verwandelt. Mozart begann laut zu lachen, als er mein langes Gesicht sah. Vor Lachen überschlug er sich in der Luft und schlug Triller mit den Beinen. Dazu schrie er mich an: «He, mein Junge, beißt dich die Zunge, zwickt dich die Lunge? Denkst an deine Leser, die Äser, die armen Gefräßer, und an deine Setzer, die Ketzer, die verfluchten Hetzer, die Säbelwetzer? Das ist ja zum Lachen, du Drachen, zum lauten Lachen, zum Verkrachen, zum In-dieHosen-Machen! O du gläubiges Herze, mit deiner Druckerschwärze, mit deinem Seelenschmerze, ich stifte dir eine Kerze, nur so zum Scherze. Geschnickelt, geschnakelt, spektakelt, schabernackelt, mit dem Schwanz gewackelt, nicht lang gefackelt. Gott befohlen, der Teufel wird dich holen, verhauen und versohlen für dein Schreiben und Kohlen, hast ja alles zusammengestohlen». Dies hingegen war mir zu stark, der Zorn ließ mir keine Zeit mehr, der Wehmut nachzuhängen. Ich packte Mozart am Zopf, er flog davon, der Zopf wurde länger und länger, wie ein Kometenschweif, an dessen Ende ich hing und durch die Welt gewirbelt wurde31.

In diesen Prozeß der Historisierung gehört auch Pablo, der Saxophonspieler, als Vertreter dessen, was im Deutschland der zwanziger Jahre sicher mehr war als eine in den Ballsälen und für den Massenkonsum bestimmte Mode. Im Jahre 1925, zur Zeit also der Niederschrift des Romans, hatte die avantgardistische Musikzeitschrift «Musikblätter des Anbruch», eine Sonderausgabe dem Jazz gewidmet. Jazz als Treffpunkt zwischen ,hoher‘ Musik und ,Gebrauchsmusik‘, Sprache der Natur, der Improvisation gegen die strengen festen Normen in denen sich die Tradition kristallisiert hatte, aber auch Sprache der Maschinen, des Lärms und des Chaos32. Hesse mußte sich dessen bewußt sein, wenn er die Hauptfigur seines Romans sagen läßt: 29 30

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H. Hesse, Morgenlandfahrt, Frankfurt a.M. 1982, S. 28. Auf Mozarts Don Giovanni (und vor allem auf Don Giovannis Arie Finch’han del vino...,I,3) scheint sich Hesse auch auf den Seiten des Romans zu beziehen, die die «Nacht der Tänze» beschreiben, welche dem Einzug in das magische Theater vorausgeht: «das Erlebnis des Festes, der Rausch der Festgemeinschaft, das Geheimnis vom Untergang der Person in der Menge, und der Unio mystica der Freude» (216). H. Hesse, Der Steppenwolf, a.a.O., S. 265. Vgl. P. Stefan, Jazz?…, in «Musikblätter des Anbruch», VII (1925), Nr. 4, S. 187.

Pablo contra Mozart? 119 Aus einem Tanzlokal, an dem ich vorüberkam, scholl mir, heiß und roh wie der Dampf von rohem Fleisch, eine heftige Jazzmusik entgegen. Ich blieb einen Augenblick stehen; immer hatte diese Art von Musik, so sehr ich sie verabscheute, einen heimlichen Reiz für mich. Jazz war mir zuwider, aber sie war mir zehnmal lieber als alle akademische Musik von heute, […]33.

Das magische Theater und Harry Hallers Erlebnisse darin sind also von diesem Gesichtspunkt aus nicht als Frucht einer überhitzten Phantasie zu betrachten, sondern als Endpunkt eines Aktualisierungsprozesses. Zu Pablo passen die Worte, mit denen gerade in jenen Jahren Kurt Weill den Jazz bezeichnet hatte: «Ein Stück Natur»34. Als solches erscheint nämlich der Musiker mit dem «schöne[n] Tierblick»: «er stand begeistert vor seinem Orchesterstuhl auf, stieß heftig in sein Horn, stieg auf den Stuhl, stand oben und blies mit vollen Backen und wiegte sich und sein Instrument dazu wild und selig im Takt des Yearning, […]»35. Oder «wenn er selig im Rausch des Musizierens im Orchester über seinem Saxophon hing oder dem Dirigenten, dem Trommler, dem Mann mit dem Banjo zuschaute, entzückt, ekstatisch», oder wenn er «über seiner zärtlich heulenden Tonröhre» hängt. Seine Musik ist sinnlich und frei; eine für den Augenblick und für den Genuß geschaffene Musik, über die man nicht nachdenkt. Musik unserer Tage, Ergebnis einer Krise, die der Roman beschreibt; Musik der bürgerlichen Dekadenz, die neben der unsterblichen Musik Mozarts besteht. Diese vielgestaltige Wahrnehmung der Realität entsteht aus der Fähigkeit, die Hesses Weltanschauung und Poetik kennzeichnet, nämlich die Totalität zu umfassen und in sich aufzunehmen, sich die Realität in ihrer Komplexität zu eigen zu machen, eine ,Brücke‘ zwischen Realität und Ideal zu schlagen, es dazu bringen, daß es den wenn auch unterschiedlichen Teilstücken gelingt, sich zu einer Einheit zusammenzuschließen. Diese ironische36 Wirklichkeitsauffassung verweist erneut bei Hesse auf einen romantischen Ursprung, jetzt aber in den Kontext der Moderne eingebettet, als Darstellungsmittel für die zeitgenössische Welt.

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H. Hesse, Der Steppenwolf, a.a.O., S. 49. «Der Jazz erschien mitten in einer Zeit gesteigerter Artistik als ein Stück Natur, als gesundeste, kraftvollste Kunstäußerung, die durch ihren volkstümlichen Ursprung sofort zu einer internationalen Volksmusik von breitester Auswirkung wurde. […] Wichtiger als dieser Einfluß auf die musikalische Produktion erscheint es mir heute, daß die Musizierform des Jazz endlich einmal das starre System der Musikübung in unseren Konzerten und Theatern durchbreche. […] Ein guter Jazzmusiker beherrscht vollkommen drei bis vier Instrumente, er spielt auswendig, […] vor allem aber: er kann improvisieren, er pflegt eine freie, ungebundene Form des Musizierens, […]» (K. Weill, Notiz zum Jazz, in Musik und Theater. Gesammelte Schriften. Mit einer Auswahl von Gesprächen und Interviews, hrsg. von S. Hinton und J. Schebera, Berlin [DDR] 1990, S. 62). H. Hesse, Der Steppenwolf, a.a.O., S. 217f. Auf diese Ironie romantischen Ursprungs bezieht sich der im Roman wiederkehrende Ausdruck «Humor», wie schon R. Ziolkowski betont hat (a.a.O., S. 360).

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Auch Mozart erkennt die vitale Bedeutung der Ironie an, jenes eisigen Lachens der Unsterblichen, «ohne Gegenstand, […] nur Licht, nur Helligkeit […], das, was übrigbleibt, wenn ein echter Mensch durch die Leiden, Laster, Irrtümer, Leidenschaften und Mißverständnisse der Menschen hindurchgegangen und ins Ewige, in den Weltraum durchgestoßen ist»37. Und er offenbart seinem Schüler Haller sein ,Rezept‘ eines Unsterblichen: Sie sollen leben, und Sie sollen das Lachen lernen. Sie sollen die verfluchte Radiomusik des Lebens anhören lernen, sollen den Geist hinter ihr verehren, sollen über den Klimbim in ihr lachen lernen. Fertig, mehr wird nicht von Ihnen verlangt38.

Und bezeichnenderweise verweisen auch Pablos Worte auf dieselbe Ironie (die im Roman mehrmals als Bezug auf die «Fähigkeit, über das Leben zu lachen» wiederkehrt): Nett war er, nett und artig, hübsch lächelte er aus seinen großen leeren Augen; aber zwischen ihm und mir schien es nichts Gemeinsames zu geben – nichts von dem, was ihm etwa wichtig und heilig war, könnte es auch für mich sein, wir kamen aus entgegengesetzten Erdteilen […]. (Aber später erzählte mir Hermine Merkwürdiges. Sie erzählte, daß Pablo nach jenem Gespräch ihr über mich gesagt habe, sie möchte doch mit diesem Menschen recht sorgam umgehen, er sei ja so sehr unglücklich. Und als sie fragte, woraus er das schließe, habe er gesagt: «Armer, armer Mensch. Sieh seine Augen an! Kann nicht lachen»)39.

Dank diesem ironischen Blick auf die Wirklichkeit – als Fähigkeit, die Gegensätze aufzunehmen – verkörpern Pablo und Mozart keine entgegengesetzten Positionen, sondern Pole, die in dieser Darstellung der Gegenwart unter musikalischem Gesichtspunkt ihre Daseinsberechtigung in ihrem Zusammenleben haben. Hesses Kritik an der bürgerlichen Dekadenz, die im magischen Theater ironisch historisiert wird, konnte nur in der Begegnung der Gegensätze Gestalt annehmen, in dem – wir möchten sagen – fast filmischen Bild der Auflösung Mozarts in Pablo, mit dem der Roman problematisch und in offener Form abschließt: Leise, hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, fragte ich: «Und wenn ich mich weigere? Und wenn ich Ihnen, Herr Mozart, das Recht abspreche, über den Steppenwolf zu verfügen und in sein Schicksal einzugreifen?». «Dann», sagte Mozart friedlich, «würde ich dir vorschlagen, noch eine von meinen hübschen Zigaretten zu rauchen». Und indes er es sagte und eine Zigarette aus der Westentasche zauberte, die er mir anbot, war er plötzlich nicht Mozart mehr, sondern blickte warm aus dunklen Exotenaugen, und war mein Freund Pablo, und glich auch wie ein Zwillingsbruder dem Mann, der mich das Schachspiel mit den Figürchen gelehrt hatte. […] Oh, ich begriff alles, begriff Pablo, begriff Mozart, hörte irgendwo hinter mir sein furchtbares Lachen, […]. Einmal würde ich das Figurenspiel besser spielen. Einmal würde ich das Lachen lernen. Pablo wartete auf mich. Mozart wartete auf mich40.

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H. Hesse, Der Steppenwolf, a.a.O., S. 198f. Ebd., S. 277. Ebd., S. 161. Ebd., S. 277f.

Giorgio Cusatelli

Auf der schwierigen Suche nach dem Exotischen

Ich habe diesen Titel gewählt, weil es mir darum geht, das Wort ,exotisch‘ in Frage zu stellen. Dieses Wort griechischer Herkunft wird auf alles angewendet, das außerhalb des Umfeldes liegt, in dem es benutzt wird; ,exotisch‘ beinhaltet die Wurzel ,ex‘ für ‹Äußeres›, d.h. unter einem gewissen Aspekt entspricht es dem ‹anderen›, autre, einer vor allem aus Frankreich stammenden Mode, und gehört zur französischen Essayistik, nicht nur zu der historisch-literarischen, sondern auch zu der philosophischen, von Sartre über Foucault bis zu Todorov, von dem seltsamerweise bis jetzt noch nicht die Rede war. Wir müssen uns nun die Frage stellen, welche Bedeutung ,exotisch‘ heutzutage hat. Es bedeutet wenig, denn es sind Faktoren hinzugekommen, die den semantischen Wortinhalt grundsätzlich verändert haben. Diese Faktoren stehen mit der wirtschaftlichen Entwicklung in Verbindung, die seit kurzem ,Globalisierung‘ genannt wird, und den damit zusammenhängenden gesellschaftlichen Phänomenen. Die Bedeutung dieses Wortes war bis vor dreißig Jahren noch an einen definitorischen Inhalt gebunden, d.h. ,exotisch‘ bedeutete schlechthin «weit entfernt im Raum» und somit «weit entfernt in der Zeit». In der heutigen Zeit sind die Verteidigungsbarrieren dieses Ausdrucks zusammengestürzt, denn nun erreichen wir in wenigen Stunden jeden x-beliebigen Punkt in der Welt, womit die räumlich-zeitliche Hürde genommen ist. Daraus ergibt sich ein wichtiger und entscheidender Faktor, denn die primäre Bedeutung von ,exotisch‘ wird somit ausgelöscht und die Bestimmungsmomente werden verkürzt, so dass automatisch ein Verinnerlichungsfaktor entsteht; besser gesagt, das ,Exotische‘ kehrt zu sich selbst zurück, indem es sozusagen die Richtung des Prozesses, der von innen nach außen geht, umkehrt und sich wie ein, ich würde fast sagen ‹schmerzhafter Pfeil› in das Innere des Individuums, von dem das Konzept ausgegangen ist, bohrt. Die Lexik hat unter dieser rigorosen Umformung so gelitten, daß ,exotisch‘ zu einem Wort geworden ist, das uns in große Schwierigkeiten bringen würde, wenn wir einen entsprechenden Ausdruck dafür ins Wörterbuch schreiben müßten; es ist ein Wort wie ‹romantisch› oder ‹demokratisch›, ein Wort, das durch die ständige Bereicherung von immer mehr Bedeutungen explodiert ist und sehr wenig aussagt. Ich beschäftige mich mit dem ,Exotischen‘ und die erste Frage, die ich mir gestellt habe, ist, welches wohl der Gegenstand dieser Suche ist. ,Exotisch‘, «was ist

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das?». Und hier fangen die wirklichen Probleme an, denn mit ‹exotisch› will ich auch zur Bestimmung des Wortes ‹Exotik› gelangen. Was ist ,Exotik‘, was war ,Exotik‘? ,Exotik‘ ist keine literarische Bewegung und auch keine philosophische Tendenz. Das Themengebiet, dem sich dieses Wort am meisten annähert ist das des ,Geschmacks‘. ‹Geschmack› ist ein Wort, das in verschiedenen Kulturepochen spezifische Bedeutungen hatte; zum Beispiel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stand goût in Verbindung mit der französischen Kunstphilosophie. Das Wort ist dann seit dem 19. Jahrhundert bis heute in die Unbestimmtheit gesunken. An diesem Punkt riskiert also eine Person, die ein Buch über ,Exotik‘ schreibt, einen nicht konkreten Gegenstand zu behandeln; ein Freund von mir meinte scherzhaft, ich sollte ein Buch über ,Erotik‘ schreiben – und das wäre natürlich ein Laster. Aber nach dem Fall des ,Exotischen‘ wird auch der ,Exotik‘ heutzutage nur ungern ein Inhalt gegeben. Wenn wir uns fragen, was nach diesem Schiffbruch des exotischen Geschmacks übrigbleibt, sehen wir, daß es sich um sehr konkrete Dinge handelt und das die Gegenstände des ,Exotischen‘ übrigbleiben; natürlich die beweglichen Gegenstände, denn die Pagoden bleiben in China, die Tempel der Hindus in Indien; aber viele westliche Haushalte und Geschäfte füllen sich genau mit diesen Gegenständen. Ich führe diese Gegenstände an, weil ein Gegenstand natürlich immer eine plötzliche und unbesiegbare Objektivierung der Geschichte ist; daß Gegenstände eine tödliche Eigenschaft besitzen, wußte Rainer Maria Rilke als Dichter der Grausamkeit von Gegenständen sehr gut. Der Gegenstand ist eine Pille konkretisierter Geschichte bis hin zur Ausschöpfung der ideologischen Inhalte, er ist der Stoff der Geschichte. Meine Behauptungen beruhen auf einer Stelle in Hesses Buch Aus Indien, in der er die Beständigkeit der ideologischen Substanz und die Zugänglichkeit zur Art, die exotischen Gegenstände genießen und benutzen zu können, behandelt. Diese Stelle zeigt eine besondere Ähnlichkeit mit einigen Seiten eines Buches, das vor allem für uns Italiener sehr wichtig ist: Verso la cuna del mondo von Guido Gozzano. Gozzano verweilte zur gleichen Zeit wie Hesse in Indien und wir wissen, wie stark er an die Symbolik der Gegenstände seines alten Piemont gebunden war. Jetzt ist der Vergleich dieser zwei Texte sehr interessant, denn beide Autoren, unter sehr verschiedenen kulturellen Bedingungen, sprechen den Gegenständen aufgrund der räumlich-zeitlichen Entfernung, aus der sie hervorgehen, eine direkte evokative Fähigkeit ab. Mich würde interessieren, ob im Museum von Calw, das ich noch nicht besucht habe, einige von den Gegenständen ausgestellt sind, die von Hesse erwähnt werden, vor allem die kleine Statue des Gottes Shiva, der in der indianischen Mythologie der Gott ist, der die Welt mit dem Feuer zerstört. Diese zwei so unterschiedlichen Autoren sind in gewissem Masse beide Postromantiker. Gozzano schreibt: «Diese Gegenstände sind sehr suggestiv, aber was würde ich in meinem Haus am Apfelhain damit tun», der ‹Apfelhain› ist das berühmte

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Haus in der Nähe von Ivrea, es handelt sich um eine Art allerliebste Bleibe für Gozzano, genauso wie in Calw das Haus des Großvaters von Hesse. Die exotischen Gegenstände sind also schlechthin dem ,Kitsch‘ am meisten ausgesetzt, um einen häßlichen Ausdruck zu verwenden. Der ‹Kitsch› des Exotischen hat einen unfreiwilligen Zeugen in Hermann Hesse. ,Kitsch‘ bleibt ,Kitsch‘, aber Hesse rettet sich dank seiner schriftstellerischen Qualitäten, und es ist extrem wichtig, zwischen dem Schiffbruch der prägnanten Bedeutung des Wortes ‹exotisch› und der Gesamtheit von Hesses literarischem Schaffen zu unterscheiden. Ich glaube jedoch, dass der ,Kitsch Hesses‘ beiseite gelassen und wenn möglich vermieden werden sollte, genauso wie der ,Kitsch‘ im allgemeinen, den ich ‹exotistisch› nennen würde, wenn ich gezwungen wäre, einen neuen Begriff zu schaffen. ‹Exotistisch› ist ein Wort im Quadrat, es deutet auf die Ausartung des Konzepts von ,exotisch‘ hin, das heutzutage Gegenstand einer weit verbreiten Vermarktung ist. Die schlimmste Art und Weise, zum Beispiel, Hesses Indien oder China kennen zu lernen würde bedeuten, am Flughafen von Neu Delhi oder am Flughafen von Bei Ching gefälschte Gegenstände zu kaufen, die bereits auf kultureller und auch auf wirtschaftlicher Ebene gefälscht, aber kulturell künstlich, eben ,Kitsch‘ sind. Das ,Exotische‘ – benutzen wir den Ausdruck auch weiterhin im alten Sinn – trägt das Thema der Reise in sich. Das Reisethema ist für Hesse wesentlich, denn dem ,Exotischen‘, damit es ,exotisch‘ wird, muß man sich nähern bzw. nahe kommen. Man geht von der Idee aus, daß das ,Exotische‘ sich nicht bewegt, während das ,Exotische‘ sich heute bewegt. Unsere Gesellschaft ist voll mit Indern, voll mit Chinesen, ein Phänomen, das außergewöhnlich wichtig und positiv ist, aber es ist offensichtlich die Gesellschaft, die uns die Beziehung anhand dieser Menschen entgegenbringt, denn der Mensch ist immer direkter Zeuge der Kultur. Und so gelangen wir nämlich zu der Feststellung, daß in uns die Idee ,Exotisch um jeden Preis‘ erlischt. Wer zum Beispiel ein Kindermädchen im Haus hat, ist nicht in der Lage, in ihr das ,Exotische‘ zu identifizieren; auch wenn sie noch das schlechte Spanisch der Peruaner spricht, auch wenn sie indisch oder irgendeine andere Sprache spricht, ist sie für uns, oder zumindest sollte sie für uns die liebe Mitarbeiterin und Freundin darstellen, und somit reduzieren sich die Grenzen. Das ,Exotische‘ beinhaltet die Reise und das ,Exotische‘ ist mit jeder Art von Reise verbunden, daher bedeuten die Formen, die bereits seit dem Mittelalter und der Renaissance Vorreiter der großen Überseereise sind, die genau zu Hesses Reise wird, die Suche nach dem ,Exotischen‘. Wer seine Reise im Turin des Emanuele Filiberto startete und nach Rom reiste, in das Rom der großen Päpste des 16. Jahrhunderts, ging dem ,Exotischen‘ entgegen. Also alle Reisen im Landesinneren, und natürlich alle Reisen vom Heimatland in ein Anderes, beinhalten das Element der Suche nach dem ,Exotischen‘. Diese Suche kann auf unterschiedliche Weise erforscht werden. Wir haben psychologische und psychoanalytische Interpretationen verfolgen können, über das

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,warum‘ man auf die Suche des Anderen geht; wir können anthropologische Gründe hinzufügen: jedes Volk ist auf der Suche nach einer Verbindung zu anderen Völkern, und letztendlich können wir noch schwerwiegende sozialwirtschaftliche Gründe hinzufügen, da es bestimmt kein Zufall ist, daß am Anfang der Forschungsreise die Suche nach neuen Märkten, neuen Übereinkünften steht und deshalb zählen wir zu den Vorläufern dieser Idealreisenden eben Kaufleute. Cristoforo Colombo reiste nicht mit drei kleinen Schiffen auf dem Meer umher, sondern hatte von der spanischen Krone einen sehr präzisen Auftrag bekommen, neue Gebiete zu suchen, die als Gebiete zur Verbreitung des Katholizismus gedacht waren – soweit die ideologische Ebene – aber leider waren sie auch, und vielleicht vor allem, als Suchgebiete von neuen Märkten gedacht. An dieser Stelle sollten wir unsere Aufmerksamkeit am besten auf die Überseereise im 19. und 20. Jahrhundert lenken, und so gehen wir den Spuren Hesses folgend, der uns diesen Hinweis gibt, «nach Osten», machen uns gen Orient auf. Hauptsächlich waren es das 18. und das 19. Jahrhundert, in denen sich Europa, sowohl ideal als auch wissenschaftlich, den beiden größten Herzen der orientalischen Kultur, das indische und das chinesische, genähert hat. Dabei muß jetzt ein sehr wichtiger Aspekt hervorgehoben werden: Hesse ist kein Reisender und das ist bereits ein typisches Kennzeichen für den Schriftsteller. In welchem Sinn ist er kein Reisender? Ich habe Professor Solbach über «Reisen am Rande» sprechen hören; in Hesse fehlt wirklich der ganze Apparat, den wir sonst bei den Reisenden des 17. und 18. Jahrhunderts beobachten können, die mit Gebrauchsanweisungen reisten, mit Hinweisen, sogar mit Ausrüstungen, mit Sack und Pack, mit einer ganzen «Rüstung», die nützlich war, Schwierigkeiten zu überwinden. Hesse reist ein wenig als Vagabund, mit seinem Freund Sturzenegger, und besucht gar nicht den Kontinent Indien, d.h. er beschränkt sich auf einen Halt auf Ceylon, reist dann auch ein bißchen nach Indonesien, und das Buch Aus Indien ist bestimmt kein sorgfältiger Reisebericht, es ist keine Reisebeschreibung, es handelt sich um eine Reihe von außergewöhnlich wichtigen Notizen zum Thema Indien. Und ich glaube, daß das kleine Wort «Aus» aus dem Titel eine besondere Bedeutung hat. Es ist nicht rein geographisch, es bedeutet nicht einfach «ich schicke euch aus Indien, das was ich ausgearbeitet habe», sondern es ist hauptsächlich konzeptbezogen, d.h. «ich schreibe euch jetzt auf, was ich bezüglich des Konzeptes Indien ausgearbeitet habe». Mir liegt sehr daran, diesen Aspekt hervorzuheben, denn «Indien ist ein Land, natürlich, aber für Hermann Hesse meistens […] ist Indien ein Begriff, eine Idee oder ein Traum», das bedeutet eine Darstellung des eigenen Geistes. Und hier möchte ich daran erinnern, daß eins der schönsten, erst kürzlich erschienenen Bücher zum Thema Reise, von dem amerikanischen Autor Reed, den Titel Travellers mind trägt und, wie man am Titel sehen kann, verinnerlicht der Geist des Reisenden mittlerweile völlig die Reise.

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Aus dem Lateinischen mente leitet sich das heute zur Mode gewordene, aber mit einer gewissen Funktionstüchtigkeit versehene französische Wort mentalité ab. Es wird auch schon von deutschen Kritikern verwendet, ,Mentalität‘, und vielleicht habe ich an diesem Punkt die Lösung gefunden, nach der ich suchte, und zwar was das ,Exotische‘ ist: es ist ein Geistesfaktor des Reisenden. Anhand dieser Kreisbewegung sind wir also dazu gelangt, Indien und China in Hesses Kopf unterzubringen, und somit sehen wir die Dinge, die er über diese Länder schreibt, als Produkt seines Willens, zu schreiben. An diesem Punkt möchte ich zur Bestätigung des bereits gesagten darauf hinweisen, daß Hesse es vermeidet und in manchen Fällen sogar diejenigen rügt, die dazu geneigt sind, auf der Polarisierung dieser Begriffe zu bestehen; so hat er, wie ich bereits erwähnt habe, Aus Indien geschrieben, und man könnte auch sagen «aus China, auch», und so schreibt er in zwei sehr berühmten Zeilen, daß seine Reise – und dies ist eine sehr wichtige Definition – als eine Reise «an einen Ort zwischen Indien und China» gedacht war. Er verwehrt also den Konzepten von Indien und China geographische Einheit und räumlich-zeitliche Gegenständlichkeit. Man hätte es nicht besser ausdrücken können, es ist eine Art von sehr großer Erkenntnis, die freiwillig seine Werke aus der Reiseliteratur und den traditionellen Zielen ausschließt. Hier muß man jedoch eine wichtige Unterscheidung machen, die, wie wir sehen werden, einer Trennung beziehungsweise einer ideologischen Entwicklung entspricht, und zwar zwischen Hesse, dem Liebhaber des Konzepts ,Indien‘ und Hesse, dem Liebhaber des Konzepts ,China‘. Der ‹indische› Zeitpunkt Hesses, nennen wir ihn Hesses Augenblick der ‹Indologie›, fällt mit seinen ersten Jahren zusammen; er stimmt mit sehr intensiven kindlichen und jugendlichen Erinnerungen überein und zwar mit der Geschichte seines Großvaters, den Gegenständen, die er im Haus sieht, den Büchern, die er im Haus sieht, denn sein Großvater ist ein wichtiger ,Indologe‘, der Ausgaben von großen episch-religiösen Gedichten, vom Bagàdevita, der wedischen Sammlung und der Weda verfasst hatte. Er war zu diesen Studien der ,Indologie‘ hauptsächlich über die Kirchenkultur gelangt – Hesse erzählt, daß er auch zwei oder drei indische Sprachen beherrschte –, und somit also über das Studium von Elementen indischer Herkunft, die in der Bibel stehen, und auch über die Ausarbeitung und das Studium der verschiedenen Theorien, die die Anfänge der griechischen Kultur mit den Anfängen der indischen Kultur in Verbindung brachten, und noch heute, wenn auch weniger intensiv, in Verbindung bringen. Er kannte zum Beispiel das Sanskrit – das heute noch an einigen Eliteuniversitäten studiert wird –, besaß also die Elemente, die zu demselben Zeitpunkt dazu führten, daß viele Linguisten die Hypothese einer indoeuropäischen Kultur aufstellten. Diese Hypothese hat Hesse sicherlich beeinflußt, aber ich möchte hier daran erinnern, daß die Beziehung zwischen deutscher und indischer Kultur, beziehungs-

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weise das, was von ihr bekannt war, viel früher begonnen hatte, und es hat viele Jahrzehnte gedauert, bevor man bei Hesse angelangt ist. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts übersetzt George Forster – der bereits erwähnt worden ist, weil er die Hauptfigur der Begebenheiten von Mainz war, also der George Forster, der mit fünfzehn Jahren Kapitän Cook auf der zweiten der berühmten Expeditionen begleitet hatte, und mit eigenen Augen als Jugendlicher das sagenhafte Tahiti gesehen hatte – aus dem Englischen (eine Sprache, die er sehr gut kannte, weil er lange mit seinem Vater in London gelebt hatte, um an der Expedition von Cook teilnehmen zu können) anhand eines vorigen fränkisch-englischen Versbaus, einen sehr wichtigen alt-indischen Theatertext, Sakuntala (es ist die Geschichte einer Frau, Sakuntala). Goethe liest Sakuntala, schreibt eine Ballade, Der Gott und die Bajadere, mit indischer ,Farbigkeit‘. Ihr Inhalt ist natürlich nicht wissenschaftlich, sondern ein Beitrag, um das «Bild Indien» in der deutschen Kultur zu festigen. Und dann veröffentlicht Goethe, der sehr empfänglich für die Probleme einer Erweiterung der europäischen Kultur über die traditionellen Grenzen hinaus ist, den berühmten Gedichtband West-östlicher Divan: eine Reihe von Gedichten von sehr großer Bedeutung, die einer Idee des Orients entwendet wurden; der Titel enthält nämlich das Wort ‹Divan›, das im Arabischen (diwan) ,Gedichtsammlung‘ bedeutet. Wie der zweite Teil des Titels west-östlich aussagt, will Goethe eine Brücke zwischen der Kultur des Orients und der westlichen Kultur schlagen. Dieser Vorsatz ist in dem Augenblick mit seiner persönlichen Situation verbunden: um seine eigene Position als ,großer europäischer Literat‘ zu verteidigen, veröffentlicht er eine Zeitschrift, «Propyläen», und wird so auf eine andere Art zum wichtigsten Mann der Literatur in Europa. Es scheint ihm richtig, dem Orient sozusagen die Hand zu reichen, sowohl für ihn selbst, um das Prestige der Vereinigung mit einer tausendjährigen Kultur zu erwerben, als auch aufgrund direkter politischer Begründungen, weil ihm ein Abkommen mit diesen Ländern als sehr wichtig erschien, zu einem Zeitpunkt, an dem die indirekte Verteidigung gegen Napoleon organisiert werden mußte, der in dem Augenblick den ganzen Westen beherrschte. Hinter dieser Tatsache verbirgt sich natürlich eine weitere sehr wichtige Begebenheit: in Deutschland verbreitet sich in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts das große Meisterwerk der alt-arabischen Kultur, Tausendundeine Nacht, das durch einen Franzosen entdeckt und das erste Mal von ihm übersetzt wurde. Tausendundeine Nacht steht am Anfang des arabischen, ,arabistischen‘ Mythos im Westen: es ist allgemein bekannt, zu welcher langen Reihe von Imitationen dieser Mythos geführt hat (noch heute sagt man «ein Traum von tausendundeiner Nacht», um auf etwas phantastisches oder fabelhaftes hinzudeuten). Im Verlauf des 19. Jahrhunderts vertieft sich das Wissen über Indien. Mit den Gebrüdern Grimm, vor allem mit Jakob, der von den beiden der Philologe und Historiker war und sich für die Hypothese der vereinigten indogriechischen Abstammung der so genannten ,arianischen‘ Kultur begeisterte; und dann gesellt sich

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zu einem Erforscher wie Forster, der Ozeanien studiert hatte, aber auch Sekuntala veröffentlicht hatte, das große deutsche Genie der kulturellen Geographie, Alexander von Humboldt. Alexander von Humboldt, der «verdadero descrubidor de Cuba», laut der Inschrift der von Humboldt-Universität in Berlin, ist der Entdecker der karibischen Länder, des heutigen Argentinien, Brasilien, Chile usw.. Das Beispiel einer so starken Vertiefung der kulturellen Themen, die mit einer weitreichenden Verbreitung über Kontinente hinaus verbunden sind, wie Südamerika, war ohne weiteres ein Anreiz für diejenigen, die die Arbeit um Indien herum fortsetzten, und somit gelangt man über diese Piste zu Schopenhauer, in gewisser Weise direkte Quelle für Hesses Leidenschaft für Indien. All diese Hinweise sind unerläßlich, damit man sich Hesse nicht als den Herren vorstellt, der sich in den Bergen des Monte delle Rose nackt in der Sonne sonnt, sondern als Mann von konstanten, tiefgehenden und weitreichenden Lektüren. Die Bücher, die ich zitiert habe, und die Piste, an die ich erinnert habe, sind bestimmt auch die seinen. Das dient auch zur Bestätigung der Behauptungen von Sinologen und Orientalisten, und zwar daß die Kenntnis dieser Kulturen in Hesse, in ihrer wissenschaftlichen Substanz, für einen durchschnittlichen Europäer jener Epoche sehr weit fortgeschritten war, aber daß Hesse diese Themen nicht wissenschaftlich, mit einer Studienperspektive aus dem Inneren, sondern literarisch in seinen Büchern behandelt hat. Dieser «Drang nach Osten», dieser Anreiz war von poetischer, literarischer und psychologischer, aber nicht von wissenschaftlicher Art. Im wesentlichen ist die Beziehung der deutschen Kultur zu Indien der ersten und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (auch bis in die achtziger Jahre) eine Beziehung voller Energie und Lebenskraft; hierzu kommen noch die auf die Familie und die Autobiographie bezogenen Faktoren, von denen wir sprachen. Anders ist hingegen der Fall China. Es gibt viele Arbeiten, die auf tiefgehende Weise die Beziehung zu China untersuchen, zum Beispiel die des Professors Hsia. Hesse arbeitet jedoch nicht tiefgehend, auch deswegen, weil ein Großteil der Studien im Bereich der sinologischen Philologie, zumindest im 19. Jahrhundert, so scheint mir, sich im angelsächsischen Bereich entwickelt hat; es waren vor allem die Engländer, die große Beiträge leisteten, bestimmt auch gemeinsam mit den Deutschen, es gibt einen großen Geographen, Ferdinad von Richthofen, der als erster die chinesische Geographie zu studieren begann usw. Aus diesem Grund läßt sich behaupten, daß die Modelle aus China, die Hesse vor allem für das Glasperlenspiel gebraucht hat, Modelle aus einschlägiger Literatur sind. Natürlich wird der Figur des antiken Weisen mehr Bedeutung beigemessen: Konfuzius und Lao-tse haben eine besondere Bedeutung, genauso wie die Vorstellung des alten Meisters von Generationen. Aber zum Beispiel eine Idee, die mir scheint, als würde sie heute die Sinologie regieren und die man in allen Büchern finden kann, ist die Ermahnung, die chinesische Kultur als einzigartig in der Weltgeschichte zu sehen, die einzige, die ohne Unterbrechung fortgedauert hat. Was

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bedeutet das? Ich erkläre es mit einer Metapher: einem Chinesen zu begegnen, wäre also als ob man einen antiken Römer oder einen antiken Griechen antrifft, mit anderen Worten eine Kultur, die als Eigenschaft die Landesseßhaftigkeit gehabt hat, welche durch eine große demographische Entwicklung und zeitliche Kontinuität gefördert wurde; eine Sache außerdem, die Hesse bestimmt sehr gefiel, ist, daß die Kultur, die wir religiös nennen, von den Chinesen hauptsächlich philosophisch genannt wurde. China hat keine metaphysischen Überzeugungen transzendentaler Art geäußert, wie es in der christlichen Kultur geschieht; der Tao enthält Elemente polytheistischer Kultur, aber keine Elemente absoluter Transzendenz im christlichen Sinne des Wortes. Im übrigen waren die Chinesen selbst extrem eng an das Modell des großen Weisen gebunden. Im 17. Jahrhundert, als der italienische Jesuit Pater Matteo Ricci aus Macerata nach China gelangt (ein nicht sehr bekanntes italienisches Genie, sein Grab befindet sich in Peking), mit dem großartigen Projekt, die Chinesen zum Christentum zu bekehren, wurde er in jener Epoche als großer Mandarin angesehen, ein großer Weiser, eine Art Lao-tse aus Macerata, obwohl sein Projekt scheiterte aufgrund objektiver, auch demographischer, Schwierigkeiten. Das ist wichtig, denn es erklärt die chinesische Mentalität, dem Weisen bzw. einem besonderen Typ von Weisen eine Rolle zuzuschreiben. Es ist nicht der Wissenschaftler, sondern der chinesische Weise ist hauptsächlich jemand, der ethische und gesellschaftliche Vorschriften macht. So war Lao-tse, so war Konfuzius. Es ist ein Greis, der genau dank seines hohen Alters die jungen Leute lehrt, gerecht zu anderen zu sein, den gesellschaftlichen Rhythmus des Friedens und der Kohärenz beizubehalten, nicht die caritas, nicht die christliche Vorstellung von caritas, sondern die Seriosität in der Organisation der Welt, des gesellschaftlichen Lebens usw. Nachdem wir also eine Definition der Kenntnisse eines Deutschen jener Zeit und der Kenntnisse Hesses über Indien und China gegeben haben, müssen wir die radikale Abweichung der beiden Rollen, die Indien und China in Hesses Werk annehmen, beobachten. Die indischen Regionen und Indien sind seine große Jugendliebe. Im Buch Aus Indien gibt es eine Erzählung von dem berühmten, sehr wichtigen Robert Aghion, die Geschichte einer gescheiterten Eroberung Indiens durch eine Figur, die natürlich autobiographisch ist. Ab einem gewissen Punkt verdichtet sich Indien in einer weiblichen Figur. Hesse/Aghion, eine Figur, die heftig die Formen des Kolonialismus anfechtet, die in gewissem Sinne selbst in der Missionarstätigkeit verborgen sind; der sich mit einem Unternehmer, einem Kaufmann, einem englischen Züchter des Ortes anlegt (die Romanfigur Robert Aghion ist Schotte, eine von Hesse gewollte Änderung), dem er jede Art von Mißbrauch gegenüber den Eingeborenen vorwirft. Trotzdem wird die Hochzeit mit dem indischen Mädchen (eine Art von Miniatur, die aus Quellen der indischen Kunst stammt), wie er naiv

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denkt, eine symbolische Hochzeit, diese große Begegnung Ost-West, nicht stattfinden, n’aura pas lieu. Was idealisiert Hesse in Indien, was geht aus dieser Erzählung und dem gesamten Band Aus Indien hervor? Grundsätzlich idealisiert er die Beweglichkeit der Gesellschaftsrollen in der indischen Gesellschaft, deren Fähigkeit, sich, und das ist wichtig, ohne innovative technologische Hilfsmittel durchzuschlagen, die Normalität der Familienbeziehungen – nicht jedoch im sentimentalen Sinn, es handelt sich nicht um Sehnsucht nach dem alten Haus in Calw und den Familienbeziehungen, die nicht immer die glücklichsten waren – es ist eine Bewunderung der Unbefangenheit, der Entwicklungswendigkeit, der Harmonie, der indischen Kultur. Indien ist das Land, in dem die Konflikte der Menschen erlischen, in dem sie durch die große humanistische Unschuld der Figur gelöst werden. Es ist also ein Traum mit humanistischen Eigenschaften – nicht zufällig hat er den Begriff ,humanistisch‘ gebraucht –, es ist ein Traum der europäischen Kultur der vergangenen Jahrhunderte. Es ist auch ein kindlicher Traum, weil Elemente wie das ,Neue‘, das ,Merkwürdige‘ anwesend sind: Robert Aghion beginnt zum Beispiel auf einer naturalistischen Grundlage, er ist ein Sammler von Insekten, Schmetterlingen (die also in Hesse zu einem Symbol des natürlichen Glücklichseins werden), er ist also jemand, der das ,Botanisieren‘ liebt, wie man sagt, und zwar herumgehen und seltsame Gräser sammeln. In diesem ,Botanisieren‘ ist auch das schöne Mädchen mit einbezogen, es ist natürlich eine Ikone, die mit der Hochzeit die Beziehung Ost-West besiegeln sollte. Alle Schriften über Indien haben betonte poetische Eigenschaften, der Lyrik nahe kommend, und das ist ein weiterer Grund, der zeigt, wie Hesse in dieser gesamten Phase hauptsächlich ein Schriftsteller, ein Redner und auch ein Lyriker ist. Die Dinge ändern sich, wenn wir uns dem großen Roman der Reife annähern, Das Glasperlenspiel. Dieser Roman hat zum wesentlichen Ziel die Idealisierung Chinas, wie der Titel selbst sagt. Der Titel dreht sich um einen chinesischen Gegenstand, die Glasmurmeln, die Kugeln usw. aus «Glas». Er dreht sich auch um den im Titel wesentlichen Begriff des ‹Spiels›. Aber was ist das für ein Spiel? Es handelt sich, wie man weiß, um eine besondere Technik, mit Problemen, Ereignissen, vor allem auch gesellschaftlichen Ereignissen, umzugehen. Grundlage dafür ist eine Art von Rechenbrett, dessen Erfindung einige eben den Chinesen zuordnen. Was ist ein Rechenbrett? Ein materieller Gegenstand, der die Berechnungen rationalisiert und somit auch außergewöhnliche Fortschritte in der Zeit erlaubt. In Russland werden noch immer Rechenbretter benutzt, die Rechnungen, die unsere Zeitungshändler anstrengenderweise mit dem Euro machen – jeden Tag wohnen wir dieser Szene im Zeitungsladen bei – werden in Russland, und auch in anderen asiatischen Ländern, oft noch mit dem Rechenbrett gemacht. Aber vor allem ist das spielerische Konzept wichtig. Denn es handelt sich um ein ludus, ein Spiel, mit anderen Worten vertraut Hesse die Reglementierung nicht den gesellschaftlichen Beziehungen an, oder den ,Körper‘ der gesellschaftlichen Vor-

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schriften den Politikern, die für ihn im Gegenteil Figuren blutrünstiger Konflikte sind – diese Polemik zwischen Hesse und den Politikern dauerte sein ganzes Leben –, sondern er vertraut sie lieber Spielern an. Was bedeutet das? Es ist ein bißchen das Konzept, was wir meinen, wenn wir sagen «man spielt um des Spieles willen, man spielt nicht um zu gewinnen». Hesse will genau das sagen. Wir können uns vorstellen, daß es ein Spiel gibt, ein Spiel im Sinne einer spielerischen Praxis, das dank einer paratechnologischen Besonderheit wie dem Rechenbrett aus Glas erlaubt, etwas in Frage zu stellen und anschließend die Probleme auf dem schnellsten und funktionellsten Weg zu lösen. Man kann hier sehen, daß die Wirkungen, die ich beschreibe, fast die des Computers sind, und daß also ein Glasperlenspiel der Schnelligkeit, dem Mechanismus usw. eines Computers entsprechen. Wenn wir in der Geschichte der deutschen Kultur zurückgehen, stoßen wir auf einen sehr bedeutsamen Philosophen, Leibniz, den Vater der modernen Kybernetik, dem aus triftigen Gründen die Erfindung der kybernetischen Prinzipien zugesprochen wird. Auch Leibniz pflegte wie Hesse politische Utopien, Utopien von Vorschriften. Darum wird das Glasperlenspiel zu einem utopischen Buch, einem Buch, das die Realisierung der gesellschaftlichen Beziehungen anhand der Anwendung von neuen Instrumenten vorschlägt. Was kann man in all diesem wiedererkennen? Die deutsche Aufklärung, die die Menschen glücklich machen will, und man denke an die Nachricht der Toleranz in Nathan der Weise, die von sehr großer Bedeutung und vielleicht die wichtigste Frucht der deutschen Aufklärung ist; man denke an die Projekte der gesellschaftlichen Neuorganisation, die die deutschen Theoretiker der Aufklärung auf französischen Ursprüngen gründen, man denke an die Beziehung von Goethe zu Diderot, vor allem an die Natürliche Tochter, ein Text, der den Ideen Diderots sehr nahe steht; und man denke letztendlich an das großartige Buch von Baioni über die französische Revolution und Goethe, nein umgekehrt, Goethe e la rivoluzione francese. Also, wenn das Buch über Indien Aus Indien und generell Hesses Konzept oder Begriff von Indien hauptsächlich aus einem literarischen Gemütszustand erwachsen, und somit also den Zielen und Ergebnissen echter Dichtung zuzuschreiben sind (genauso ist es wahr, das wir Aus Indien oft als Lehrbuch der Poetik benutzen), stehen wir im Fall vom Glasperlenspiel einem Werk mit utopischem Charakter gegenüber, das sich ganz sicher auf die Aufklärung bezieht. Abschließend ist noch zu bemerken, daß das Glasperlenspiel eine Organisation vorsieht, das heißt das Spiel wird von denjenigen gespielt, die es spielen können und wollen. Es handelt sich um eine Eliteorganisation, die unter gewissen Aspekten an die Freimaurerei erinnert, die in der deutschen Geschichte eine sehr wichtige Rolle gespielt hat; und zwar das Spiel wird von denjenigen gespielt, die es zu spielen wissen, es gibt eine Art Vorauswahl, und so bildet sich eine Gruppe mit denjenigen, die gen Orient gehen, wie Hesse in einem berühmten Satz sagt «gehen wir

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gen Osten», «gehen wir alle gen Osten». Dafür bedient sich Hesse auch einer seiner anderen Mythen, dem der Pilgerfahrt, dem ,Vagabundieren‘, jedoch mit dem Zweck, ein geistliches Ziel zu erreichen. Ein Buch, das eben eng mit dem Glasperlenspiel verbunden ist, ist das kürzere mit dem Titel Die Morgenlandfahrt. Die gesamte Symbolik liegt bereits in «Morgen», der Orient ist das Morgenland, das Land der Sonne, das Land des Glücklichseins, das Land, in dem sich die Menschen erneuern und die Gesellschaftskonflikte gelöst werden. Da liegt also der große Unterschied, Indien auf der einen und China auf der anderen Seite, und man bekommt eine Idee von Hesses Entwicklung, von einem dichterischen Zeitpunkt, der in Verbindung mit seiner Autobiographie, seiner Gegenwart in Calw, seinen Beziehungen zur Familie usw. steht, zu einer reiferen, schwierigeren Überlegung, die für uns vielleicht jedoch weniger suggestiv ist, die mit der vom Glasperlenspiel übereinstimmt. (Deutsch von Svenja Stork)

Ralph Freedman

«Hesse-Welle» und akademische Skepsis in den USA 1960–1980 Ein Stück Rezeptionsgeschichte

1. Anno 1971: Ich stand vor einem Zeitungskiosk am Kennedy Airport in New York und sah mir die vielen broschierten Bücher an. Da standen Krimis und Liebesromane mit vielen greulichen und anzüglichen Bildern. Aber da waren auch – so konstatierte ich mit einiger Genugtuung – dutzende Regale voll von Hesse-Büchern in englischer Übersetzung. Die bekannten Romantitel waren darunter: Beneath the Wheel (Unterm Rad), Demian, Siddhartha, Steppenwolf, Narcissus and Goldmund, Journey to the East (Die Morgenlandfahrt), The Glass Bead Game (Das Glasperlenspiel). Aber auch Sammlungen waren dabei wie Strange News from Another Star, Wandering, When the War Goes On... Ich war im Begriff, eine der Forschungsreisen nach Deutschland und in die Schweiz zu unternehmen, die sieben Jahre später zu meiner Hesse-Biographie (im englischen Original) führen sollte. Ich wußte ja, daß Hesse damals in Amerika sehr populär war. Was ich aber nicht raten konnte, war, was mich auf der anderen Seite des atlantischen Ozeans erwartete. Frankfurt: nach einer durchwachten Nacht von Hesse keine Spur. Ich fragte nach Hesse an einem ähnlichen Kiosk wie dem, der in New York von unserem Dichter überschwemmt war. Der Verkäufer zuckte die Achseln. «Ich weiß nicht [...]». Der Buchhändler in Stuttgart hatte natürlich von Hermann Hesse gehört. Er kannte ihn sehr gut, aber dennoch mußte er sagen: «Sicher doch. Der Steppenwolf? Ich bestelle es Ihnen gern». Das war 1971. Nun «fast forward»...dreißig Jahre später...2001. In Frankfurt und Stuttgart sind die Läden voll von Hesse-Büchern. In New York dagegen hat keiner was von ihm gehört. Was ist in beiden Ländern geschehen, daß es sich in weniger als drei Jahrzehnten so umgedreht hat? Was den positiven Umschwung in Deutschland anbetrifft, so ist viel der Arbeit von Volker Michels und dem Suhrkamp Verlag zu verdanken, die der Hesse-Renaissance kunstvoll zur Wiedergeburt verholfen haben. Doch diese Schwankung muß auch durch das Verhältnis der zwei Rezeptionen zueinander verstanden werden. Vielleicht haben wir es mit zwei Hesses zu tun, die von der Jugend in zwei verschiedenen Epochen gelesen wurden: die Jugendbewegung in Deutschland zu Hesses Lebenszeit und die viel spätere Jugendbewegung in Amerika. Das müssen wir jetzt untersuchen.

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Liebe zur Natur, Anerkennung der Natur – das sind die entscheidenden Elemente des neuen Lebens. In Hesses Deutschland war es die Naturfreude – der Wanderer, der Bauer, der Beobachter von Tieren und Pflanzen – in der die Jugendbewegung die ausschlaggebende Antwort zum Bürgertum erblickte. Das war der Hesse der Wanderungen, des Knulp, Narziss und Goldmund, vieler der Gedichte und Teile von Klingsors letzter Sommer. Das war und ist Hermann Hesse Nr. 1. Die andere Jugendbewegung, die sich von Amerika über die halbe Welt ausbreitete, umfaßte zwar auch die Natur, aber durch sie, als primäres Ziel, menschliches Bewußtsein überhaupt. Zum Beispiel, wenn auch beide Jugendbewegungen – und natürlich viele ältere Leser auch aus Indien, Japan und vielen anderen Ländern – tief von Siddhartha ergriffen waren, für die amerikanische Jugend wurde das Buch zu einer ganz persönlichen Offenbarung. Manche andere Werke, wie Der Steppenwolf, den viele Bewunderer vom Hesse Nr.1 scharf ablehnten, wurden von der amerikanischen Jugend buchstäblich gefeiert. Und Werke wie Die Morgenlandfahrt und Das Glasperlenspiel, die gedankenvolle Leser allen Alters immer wieder lesen, wurden von der damaligen Jugend fast vollständig einem oft improvisierten östlichen Mystizismus zugeeignet. Das war und ist Hesse Nr. 2. Der Zeitunterschied ist hier besonders wichtig. In Deutschland nahm Hesse Nr.1 die größere Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts ein, vom wilhelminischen Jahrzehnt am Ende des neunzehnten Jahrhunderts (mit den Wandervögeln und der Freideutschen Jugend) bis in die Kriegs- und Nachkriegsjahre des Ersten Weltkriegs, mit ihren Strömungen und Gegenströmungen. Auch während des Zweiten Weltkriegs war Hesse vielen Lesern innerhalb und außerhalb der Armeen nötig, wenn er auch den Machthabern zu pazifistisch anmutete; erst langsam nach Ende des Zweiten Weltkriegs wandte sich ein großer Teil seiner jugendlichen Leserschaft radikal-politischen Ideologien zu, bis zehn Jahre später selbst jeder zweideutige Beifall vorläufig verstummte. Andererseits brachte uns der Enthusiasmus für Hesse Nr.2 zeitlich näher. In Amerika stieg Hesses Ruf mit den sechziger Jahren und Anfang der siebziger Jahre zu einem unerhörten Höhepunkt, bis auch er langsam leiser wurde und am Ende die Stimme verlor.

2. Also 1971 in New York wußte fast jeder denkende junge Mensch, wer Hermann Hesse war, und in Frankfurt und Stuttgart wurde er zur gleichen Zeit nicht mehr allgemein gekauft. Und dreißig Jahre später war es umgekehrt. Wie kam das? Zauberei war es nicht. Junge Menschen – Schüler und Schülerinnen, Studenten und Studentinnen – waren des materialistischen Strebens ihrer Eltern und Lehrer überdrüssig. In Amerika wurde Hesse unter dem Druck psychologischer, gesellschaftli-

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cher und politischer Krisen neu entdeckt, besonders während des Vietnamkrieges mit den fadenscheinigen Erklärungen der älteren Generation, die Todesgefahr und Unsicherheit wie Glatteis erscheinen ließen. So kam es, daß Hesses berühmter Ausspruch, es gäbe keine vier Menschen in Amerika, die ihn verstehen könnten, doch nicht ganz so verkehrt war, wie man nach der dortigen Hesse-Welle annehmen könnte. Im Gegenteil. Er hat recht behalten, denn jener Hesse Nr.2, der Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre in Amerika auftauchte, scheint ein ganz anderer gewesen zu sein. Er war auch nicht der Hesse, dem ich und meine Altersgenossen in Deutschland bezaubert folgten, nämlich jener Hesse Nr.1, den man auf den Fahrten der damaligen Jugendbewegung las und der auch zum großen Erfolg in Japan beitrug, in anderen Worten ein Hesse, den der Dichter selbst immer noch wiedererkennen konnte. Aber in Amerika, wo man seine Bücher verschlang, wurde er etwas anderes, ein Hesse, den fast niemand in der sogenannten alten Welt kannte, den er selbst nicht erkannt hätte. Wie ich in meiner Biographie (in der Übersetzung von Ursula Michels-Wenz) schrieb: In Amerika […] begreift man Hesse weitaus radikaler (als in Deutschland). Er gilt als Autor des inneren Menschen und als Mystiker des Ostens. Seine nahe Beziehung zur Psychoanalyse – wohl bekannt auch in Deutschland aber dort vielleicht weniger beachtet – wurde zum zentralen Thema, und die von ihm erschaffene symbolische Welt setzte sich bei Lesern unterschiedlicher Bildungs- und Bewußtseinsstufen durch, angefangen von den Jugendlichen, die nach der Art der ,Hippies‘ leben wollten, bis zu den konventionellen Gymnasialschülern und Studenten1.

Alle hatten sie ein direktes, nicht durch Kunst und Literatur filtriertes Verhältnis zu ihrem Lieblingsautor. Er war ja kein Autor im üblichen Sinn. Er wurde ein Mentor, ein Guru. Eine gute Freundin, heute über fünfzig, damals ein Teenager, sagte mir kürzlich mit träumerischen Augen: «Es war wie eine Offenbarung. Ich las Demian, ich las Siddhartha, und ein neuer Dichter, nein, ein neuer Mensch öffnete sich für mich. Er sprach zu mir und ich konnte zu ihm sprechen. In der Schule lasen wir Hamlet und King Lear. Manchmal war es interessant, manchmal auch nicht. Aber in der Schule war nichts zu lesen, das unsere inneren Nöte ansprach. Mit Hesse – Ja!». Es ist also nicht unschwer zu verstehen, daß die Konfrontation zwischen jugendlichem Eifer und akademischem Maßstab, sich auch in den amerikanischen Generationen abspielte. Der Unterschied zwischen der von Hesse bewegten amerikanischen «Counter Culture» (oder «Gegenkultur») und dem amerikanischen Establishment könnte nicht klarer zum Vorschein kommen als in den folgenden zwei Äußerungen, die beide um 1970 geschrieben wurden.

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R. Freedman, Hermann Hesse, Autor der Krisis, übers. von U. Michels Wenz, Frankfurt a.M. 1982, S. 21. Vgl. auch Th. Ziolkowski, Der Heilige Hesse unter den Hippies, in Ders., Der Schriftsteller Hermann Hesse Frankfurt a.M. 1979, S. 186–96.

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Die erste stammt von Fred Haines, einem leider verschollenen Freund, dem Hesse-Kenner der Gegenkultur und Regisseur der Ulysses- und Steppenwolf-Filme. Er schrieb am Ende seines hervorragenden Aufsatzes, der in den Materialien zum Steppenwolf erschien: [Das] Interesse für diesen Autor [Hesse] ist Bestandteil einer derart überwältigenden gesellschaftlichen Neuordnung in Amerika, daß es länger anhalten wird, als irgend jemand wahrscheinlich vorhersagen könnte, und es wird auch tiefere und dauerhafte Spuren in der amerikanischen Mentalität hinterlassen, als die Zyniker es für möglich halten2.

Wenn die Welt am Ende Fred Haines nicht recht gab, und ein Jahrzehnt später das Hesse-Phänomen in den USA doch in Vergessenheit geriet, so verkündete er dennoch mit starker Stimme, was Hermann Hesse zwanzig Jahre lang für die jungen Menschen Amerikas bedeutete. Andererseits schrieb Jeffrey L. Sammons, Professor der Germanistik an der Yale University, folgendes in einem scharf polemischen Aufsatz mit dem Titel Hermann Hesse and the Over-Thirty Germanist (Hermann Hesse und der Germanist über Dreißig)3: In der Tat glauben viele von uns, mit wichtigen Ausnahmen, nicht daran, daß Hesse ein Dichter ersten Ranges ist. Und einige von uns, die daran interessiert sind, eine kritische Perspektive über Literatur und ihre Beziehung zu Leben und Gesellschaft zu entwickeln, sind nicht imstande, Hesse in einem sehr positiven Licht zu sehen.

Das ist eine schwere Anklage, die Professor Sammons in seinem langen Artikel sorgfältig belegte: daß er aus der Neuromantik des Endes des neunzehnten Jahrhunderts stammt; daß er ein nicht sehr origineller Erbe von Novalis und der deutschen romantischen Literatur ist und das romantische Ideal der Ganzheit einfach wiederholte; daß seine indischen Bilder von pietistischen Maximen beeinflußt und beeinträchtigt waren...aber all das hatte nicht das geringste mit dem Propheten Hesse zu tun. Professor Sammons und Hesses andere Kritiker im akademischen Establishment (und das schließt auch mich ein) verfehlen ihr Ziel. Fred Haines kümmert sich doch gar nicht um eine «kritische Perspektive über die Literatur», die der amerikanischen Counter-Culture wenig zu sagen hatte. Für diese Jugend [ca. 1960–80] waren Hesses Romane nicht Formen der Erzählung, seine Protagonisten keine literarischen Figuren im Sinne Hans Castorps, Professor Unrats oder sogar Hermann Brochs Vergil, sondern Figuren einer außerordentlichen Pilgerschaft, die den Rahmen der erzählenden Literatur sprengten4. 2 3 4

F. Haines, Hermann Hesse und die Amerikanische Subkultur, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Der Steppenwolf›, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M 1972, S. 381–400. J.L. Sammons, Hermann Hesse and the Over-Thirty Germanist, in Hesse: A Collection of Critical Essays, hrsg. von Th. Ziolkowski, Englewood (NJ) 1973, S. 112–33. Vgl. H. Hesse, Der Roman als verkleidete Lyrik. Vorrede eines Dichters zu seinen ausgewählten Werken, in Schriften zur Literatur I, Frankfurt a.M. 1981, S. 11; R. Freedman, Romantic Imagination: Hermann Hesse as a Lyrical Novelist, in The Lyrical Novel, Princeton 1966, S. 42– 118, passim.

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Manche andere akademische Stimmen wurden während dieser Zeit hörbar, nicht immer so scharf wie Professor Sammons aber doch darauf bedacht, Hesse als Dichter der Jugend zu kennzeichnen. So versteht sich besonders ein Artikel, den Professor Egon Schwarz ungefähr zur selben Zeit – 1970 – im «PMLA», dem Hauptorgan der amerikanischen Modern Language Association, unter dem Titel American Youth and Problems of Literary Evaluation veröffentichte5. In diesem und anderen Artikeln dieser Zeit kommt das amerikanische Dilemma immer wieder zum Vorschein: die radikale Diskrepanz zwischen dem Dichter Hermann Hesse, auf den kritische Normen der Literaturwissenschaft zutreffen und Hermann Hesse, dem Propheten, der (so sagt die Mythologie), nichts mit der Literatur zu tun haben will. Hesse Nr.2 – der amerikanische Hesse – war der wirklich, wie wir meinten, ein Anderer? Stimmt das also oder ist das zu viel gesagt?

3. Wie weit sind also eine literarische Interpretation und eine antiliterarische Wahrnehmung derselben Texte voneinander entfernt? Die amerikanischen Rezeptionen von Siddhartha und Der Steppenwolf sind besonders geeignet, die Diskrepanz zwischen den zwei Anschauungen aufzuzeigen. Beide Romane waren am Höhepunkt ihrer Beliebtheit während der sechziger und siebziger Jahre – also zur Zeit der Counter Culture. Der Umsatz war phänomenal: Siddhartha mit 1.402.000; Der Steppenwolf mit 1.600.000. Nur Demian mit 1.486.000 war mit diesen Ziffern vergleichbar, während alle anderen damaligen Hesse-Bücher weit zurückblieben6. Das entscheidendste Buch für Amerika war zweifellos Der Steppenwolf. Der fast geheimnisvolle Aufstieg dieses Buches als Teil der Entwicklung der Gegenkultur begann schon während der späten fünfziger Jahre. Als Dokument jener Zeit, die auch heute noch nachhallt, kennzeichnet dieses Buch die Ursprünge und Konturen des Hesse-Phänomens in den USA. Denn es ist kein Zufall, daß Menschen, die bemüht waren, die bürgerliche Welt durch einen neuen Geist zu ersetzen, sich bewußt dem Steppenwolf zuwandten. Die moralische Atmosphäre der letzten Entstehungsjahre 1925–27 – Jahre von trostloser Arbeitslosigkeit und Lebensmüdigkeit – die Amerika zwar auch nach zwei Jahren erreichten, war der amerikanischen Nachkriegsgeneration fremd. Aber die Folgen der neuen sozialen Krisen wurden im Sinne der Counter Culture nicht politisch, sondern psychologisch und künstlerisch ausgewertet. Hesse wurde zu einer Art Katalysator, durch den viele damalige Ju5

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E. Schwarz, American Youth and Problems of Literary Evaluation, in «PMLA», 85 (1970); deutsch.: Amerikanische Jugendbewegung und Probleme der literarischen Wertung, in «Jahrbuch für die deutsche Gegenwartsliteratur», 1 (1970), S. 116–133. R. Koester, USA in M. Pfeiffer, Hermann Hesses weltweite Wirkung, Frankfurt a.M. 1977, S. 163.

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gendliche einen Weg zu einer kulturellen Rebellion gegen den status quo fanden – zu einem inneren Widerstand, der von zwei weiteren Kriegen, Korea und Vietnam, gespeist wurde und für die sie die ältere Generation zur Rechenschaft zogen. Es war ein seltsamer Abrutsch aus dem Rahmen der Kunst heraus, in dem Hesse Nr.1 einfach aus dem Bild heraus in eine ganz andere Welt fiel – in die Welt des Hesse Nr.2. Direkt in Korea, also ein paar Jahre vor Vietnam, war es möglich, daß schon 1956 der Engländer Colin Wilson in seinem inzwischen berühmt gewordenen Buch The Outsider ein bestimmtes Hesse-Bild zeichnen konnte und Harry Haller damit zur Symbolfigur jener (und wohl auch unserer) Zeit zu erheben. So wurde Der Steppenwolf auch zu einem Bild, einem Buch des Protests, wie der Roman On the Road von Jack Kerouac – die Bibel der sogenannten «Beatniks», die an die jugendliche Distanzierung von der Gesellschaft des Establishments glaubten. Es wird immer seltsamer. Was hatte Hermann Hesse, der zwar Demian und Josef Knecht schuf, aber immer innerhalb der Kunst und Literatur seiner Zeit blieb, mit den Beatniks zu tun, die ihr Leben völlig außerhalb der Gesellschaft und ihrer Institutionen suchten? Etwas Wirkliches mußte also doch dabei sein, denn Der Steppenwolf war ja da. Wenn auch die Vorstellung dieser Generation, außerhalb des Systems eine neue «unterirdische» Kultur zu schaffen, sich in einem Autor zeigte, der viel einer deutsch-romantischen Kultur verdankte, so blieb Der Steppenwolf dennoch ein wirklicher «Untergrundroman» – einer der echten von einem fast fünfzigjährigen Mann geschrieben – der aus Wäldern, Bergen und unerhört menschlicher Qual kam, eine «symbolische Stadt» zu gründen. Wo stecken die intellektuellen Wurzeln dieses Phänomens? Sie sind vorerst in Hesse selbst zu finden. Seit Jahren schon hatte er sich mit Bildern von innerer Zerrissenheit und Drang nach seelischer Erlösung befaßt, von den Bildern des Abraxas in Demian, durch die Analyse Jungs, zu Gowindas Anblick des verstorbenen Siddhartha, dessen «stilles Gesicht [...] soeben Schauplatz aller Gestalten, alles Werdens, alles Seins gewesen war»7, bis zu den Merkmalen und Symbolen der Unsterblichen im Steppenwolf. Hessekenner hatten den Steppenwolf schon längst vorausgesehen, besonders klar durch den Kurgast (1925), in dem Hesses Entwicklung zur Darstellung des modernen Menschen als Gaukler der Seele vorgezeichnet ist. So kam es, daß Der Steppenwolf, ursprünglich als eine Pilgerfahrt des «Outsiders» in die «Hölle» der modernen Kultur gedacht, von der Counter Culture als Bewußtseinserweiterung aufgegriffen wurde. Die vielen Spiegel und Spiegelungen, die Zauberzigaretten und wechselbaren Personen im «magischen Theater» ließen sich leicht durch das umstrittene Thema der «drug culture» erklären, das ideologisch mit der Counter Culture und ihrem Hesse-Bild verbunden ist. Der Geist, der dieses Bild repräsentierte, war Timothy Leary.

7

GS, 7, S. 470.

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Dieser seither verstorbene Bewunderer Hermann Hesses, ehemals Professor der Psychologie an der Harvard University, veröffentlichte 1965, zusammen mit einem Kollegen, Ralph Metzner, einen nunmehr «klassischen» Aufsatz unter dem Titel, Hermann Hesse: Poet of the Interior Journey im ersten Band der «Psychedelic Review»8. Leary sah in Hesse einen großen Dichter der Reise nach Innen und den Steppenwolf als einen der größten Romane. Und er beschrieb eingehend, wie Hesses Bilder und symbolische Figuren in ihren Wirkungen aufeinander psychedelischen Metamorphosen gleichkommen. Eingangs zitierte Leary aus seiner «Bibel», Steppenwolf: Alle Erklärungen, alle Versuche des Verstehens, bedürfen ja der Hilfsmittel, der Theorien, der Mythologien, der Lügen; und ein anständiger Autor sollte es nicht unterlassen...diese Lügen nach Möglichkeit aufzulösen. Und er folgt mit der bekannten Aussage im «Traktat», daß Harry nicht nur aus zwei, sondern aus hundert und vielleicht tausend Leben besteht9.

Pablos magisches Theater wird zu einer Riesenaufführung, in der alle Figuren Teil einer großen Figur sind: die Person Harry Haller, dessen Innenleben wie auf einer inneren Leinwand dargestellt ist. Dadurch erhält der Leser in vielen Variationen einen Einblick in sein eigenes erweitertes Innenleben, grundverschieden in allen Einzelheiten, doch gemeinsam als ein Ganzes zusammengefügt. Ich komme noch einmal auf Timothy Leary zurück, doch vorerst möchte ich mich einer entgegengesetzten Interpretation des Steppenwolfmaterials zuwenden. Als Illustration wähle ich einen meiner eigenen Aufsätze. Ich verbrachte meine jungen Jahre als Jude in Deutschland und erlebte noch den romantischen Wandervogel-Hesse. Aber wie Egon Schwarz und andere Ex-Emigranten meiner Generation nehme ich großen Abstand von meinen eigenen jugendbewegten Hesse-Jahren, seitdem ich Hesse auch akademisch erlebte. Meine Betrachtungen stammen aus einem Aufsatz aus dem Jahr 1972, in dem ich bewußt von der «psychedelischen» Interpretation Abstand nahm. Mein Titel – Person and Persona: the Magic Mirrors of Steppenwolf – besagt, daß das persönliche Ich und die Ich-Figur in der Kunst Spiegelbilder voneinander sind, ähnlich wie die Spiegel im Steppenwolf. «Der Steppenwolf», so schrieb ich, «ist ein Bericht einer Krise, aber wäre es nur ein bloßer Bericht, könnte er nicht als Kunstwerk gelten. Aber das Buch gilt als Kunstwerk, denn Hesse verwandelte die unbewußten Strategien der (lebenden) Person in bewußte Strategien der kunstvollen Persona durch verschiedene Mittel, die die äußeren Beziehungen zu Gesellschaft und Natur [...] durch ästhetische oder philosophische Beziehungen ersetzt. Die Gestalt ist nicht nur aus Zufällen geformt, wie

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Vgl. T. Leary, Meisterführer zum psychedelischen Erlebnis, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Der Steppenwolf», hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1977, passim. GS, 7, S. 239–41. Vgl. T. Leary, Meisterführer zum psychedelischen Erlebnis, a.a.O., S. 344–45.

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in psychologischen Assoziationen und Träumen, sondern geordnet wie in Musik oder abstrakter Kunst». Oder, wie ich es an anderer Stelle ausdrückte: «Eine Lesung des Steppenwolfs auf Grund doppelter Perzeption und Spiegelung zeigt, wie das reichhaltige persönliche Material der persönlichen Krisen durch die künstlerische Einbildungskraft umgeformt wird»10. Ähnliches hören wir auch von meinem Kollegen Theodore Ziolkowski, der den Steppenwolf, sozusagen mit Hesses Erlaubnis, als eine «Sonate in Prosa» interpretierte. Hesse war es ja selbst, der sich gegen die Anklage der Formlosigkeit mit den Worten verteidigte: «Rein künstlerisch gesehen ist der Steppenwolf mindestens so gut wie der Goldmund, er ist um das Intermezzo des Traktats herum so streng und straff gebaut wie eine Sonate und greift sein Thema reinlich an». In dem gleichlautenden Kapitel aus The Novels of Hermann Hesse zeigt Ziolkowski genau, wie Hesse wirklich sein Buch wie eine Sonate aufgebaut hat11. Psychedelische Reise oder Mozartsche Sonate? Nun wenden wir uns einem anderen wohlbekannten Buch zu: Siddhartha. In Hesses Lebensbild erscheint dieser Roman einige Jahre früher als Der Steppenwolf – am Anfang der Nachkriegsjahre. Hier war Hesse noch im Begriff, eine neue Antinomie aufzustellen, in der Welten des Seins und des Nichtseins, der Phantasie und der Wirklichkeit ineinander verschmelzen. Und wieder möchte ich mich zuerst an Timothy Leary wenden, der auch in dieser Hinsicht eine Alternative zu den Anforderungen der Kunst bot. Von Anfang an kennzeichnen Leary und Metzner die «Einheit der Vielheiten» als das umfassende Prinzip von Siddhartha, der «wundervollen Erleuchtung» Gowindas. Ich zitiere aus dem Ende des Buches: Er sah seines Freundes Siddhartha Gesicht nicht mehr, er sah statt dessen andere Gesichter, viele, eine lange Reihe, einen strömenden Fluß von Gesichtern, von Hunderten, von Tausenden, welche alle kamen und vergingen und zugleich alle dazusein schienen, welche alle sich veränderten und erneuerten, und welche doch alle Siddhartha waren12.

Die Sprache erinnert ein wenig an das magische Theater im Steppenwolf, das vier Jahre später erscheinen wird. Und in der Tat sehen sich diese vielfachen Bilder recht ähnlich, wenn auch das magische Theater nach Außen, Gowindas Vision nach Innen projiziert ist. Leary and Metzner bemerken dazu: «Wer je eine der psychedelischen Drogen genommen hat, kann in Gowindas Vision eine klassische LSD-Szene erkennen. Die direkte visuelle Konfrontation mit der Einheit aller Menschen, der Einheit des Le10 11 12

R. Freedman, Person and Persona: the Magic Mirrors of ‹Steppenwolf›, in Collection of Critical Essays, hrsg. von Th. Ziolkowski, Princenton 1972, S. 153–79. Th. Ziolkowski, The Steppenwolf: A Sonata in Prose, in The Novels of Hermann Hesse, Princeton 1965, S. 178–228. H. Hesse, Siddhartha, a.a.O., S. 469, zitiert von T. Leary, Dichter der Reise nach innen, in Über Hermann Hesse, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1977) S. 35–36.

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bens». Sie fahren fort: «Daß Hesse Worte wie Einheit, Liebe, Nirwana schreiben konnte, ist leicht erklärlich. Jedes Hindu-Lehrbuch vermittelt den Jargon. Eindrucksvoller jedoch ist seine Beschreibung visueller Details der kosmischen Vision, der Netzhaut-Report». Und sie ziehen den Schluß: «Die Ähnlichkeit mit dem bewußtseinserweiternden Drogenerlebnis ist verblüffend». Am Ende: «Die spezifisch konkrete ‹Ist-heit› des erleuchteten Augenblicks entgeht im allgemeinen dem abstrakten Philosophen des Mystizismus». Es folgt daraus, daß Hesse wahrscheinlich diesen visionären Zustand selbst erreicht hat, um solche Bilder überhaupt greifbar zu machen13. Die Stellungnahme dieses Artikels läßt natürlich viele andere Aspekte des Romans völlig außer Betracht, denn er folgt dem Grundsatz, daß eine Dichtung nie erdichtet (d.h. «komponiert»), sondern direkt und gleichzeitig vom Dichter und Leser erlebt werden muß. Doch die ganze Wucht des Hesse-Enthusiasmus, teilweise von der Counter Culture inspiriert, läßt sich von dieser Haltung ableiten. Gleichgültig, ob die Einstellung «psychedelisch», also mit der Drogenkultur verbunden ist, oder einen Nachhall der späten Romantik, sogar des Surrealismus, darstellt, diese Verschmelzung des Ichs und des Anderen wurde auch auf andere Weise erklärt. Die große Anziehung Siddharthas, und später der Morgenlandfahrt und des Glasperlenspiels, bestand aus dem Mythos des Ostens, aus Buddha und Lao Tse, für die Hesse Priester des Bewußtseins wurde. Mein Sohn (heute 49 Jahre alt) erzählte mir, daß er und seine Kameraden Siddhartha schon in der Schule mit Andacht gelesen hatten. Er ist jetzt Professor der amerikanischen Literatur, und da er nebenbei auch an volkstümlicher Kultur («popular culture») interessiert ist, hatte er Verständnis für die damalige Counter Culture. Warum waren die jungen Menschen denn damals so von Hesse ergriffen? Nicht weil die Kinder jener Zeit «Literatur» lesen wollten (das wäre verpönt gewesen!), sondern weil sie das dargestellte «Ereignis» als ihr eigenes Ereignis erleben wollten oder, so glaubten sie, mußten. Also wenn auch Timothy Leary und seine Anhänger nicht den einzigen oder gar den Hauptgrund für die fast religiöse Offenbarung bildeten, die Hesse für seine jungen Leser bedeutete, so trugen sie sicher dazu bei, Hesse den Dichter (Hesse Nr.1) von Hesse dem Seher (Hesse Nr.2) abzutrennen. Wie in unserer Besprechung vom Steppenwolf, so zeigt sich auch in unserer Interpretation von Siddhartha, wie vom literarischen Standpunkt aus beide Romane nicht nur das erhöhte Bewußtsein spiegeln, sondern Erkenntnisse der Natur und des Geistes in künstlerisch geformte Bilder einordnen. Als weiteres Beispiel wähle ich noch einmal eine Diskussion von Theodore Ziolkowski, die wieder seinem Buch aus den sechziger Jahren, The Novels of Hermann Hesse, entnommen ist. Während sein Steppenwolf-Kapitel sich mit Musik beschäftigte (Eine Sonate in Prosa), wird das künstlerische Modell für Siddhartha (Die Landschaft 13

T. Leary, Dichter der Reise nach innen, a.a.O., S. 37.

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der Seele) durch ein malerisches Gebilde des Selbst geliefert. In diesem Sinn kann das Symbol des Flusses als strukturelles Prinzip gelten. «Mit dem Fluß», schreibt Ziolkowski, «fand Hesse ein vollkommenes Symbol für seine eigene Anschauung … Er verwendet ihn außerdem noch als zentrales, strukturelles Element. Substanz, Symbol und Struktur sind so eng miteinander verschmolzen, daß es fast unmöglich ist, ihre Funktionen getrennt zu sehen [...]»14. Eine solche Passage trifft den Kern des Hesseschen Denkens als eine Pilgerschaft des Geistes. Hier löst sich Siddharthas ,Ich‘ nicht in das erweiterte Bewußtsein des Dichters und Lesers auf, sondern erscheint als ein sorfältig geschaffenes Bild. Hinter diesen Gedanken steht ein Wissen um Hesse, nicht als ein persönliches Erlebnis des Lesers sondern als Literatur, als eine geistig bedingte Leistung, durch die Hermann Hesse und Siddhartha uns einem menschlichen und kunstvollen Gebilde nahegebracht haben. Ähnlich wie beim Steppenwolf, liegt also ein gediegenes Kunstwerk vor, das die verschiedensten literarischen Formen in sich aufnimmt – die östliche Legende wie auch die Wanderschaft der westlichen Romantik. Das Bewußtsein Siddharthas, schrieb ich 1999 in der Einleitung zu einer neuen englischen Übersetzung von Siddhartha, ist im Werk gespiegelt. Alle anderen Figuren formen ein Bild, das von diesem ,Ich‘ wahrgenommen wird15. Natürlich erscheinen diese Betrachtungen zu einer intensiv poetischen Dichtung recht trocken. Meine jetzt fünfzigjährige Freundin, die damals Siddhartha auf der Schule wie eine Offenbarung las, wäre heute noch von dieser Interpretation abgestoßen. Für viele Menschen war Siddhartha ja selbst Objekt einer Andacht. Das Buch bezeugt eine Auffassung, die ernsthaft auf die Verherrlichung der Mystik des Geistes zurückfällt. Die Welt Siddharthas ist eben kein Kunstwerk im gewöhnlichen Sinn sondern ein Tor zu einem neuen, ganz anderen Leben. Wäre es dann nicht wichtig, daß Leser sich in die religiös-philosophischen Voraussetzungen vertiefen, die Siddhartha zum Gebäude dieser Weltansicht machten? Vielleicht aber nicht. Junge Menschen – unsere Schüler, unsere Kinder – waren zwar von Hesse erfüllt, aber von einem Hesse – Hesse Nr.2 –, der nicht in die Schulen hineinpaßte. Dieser Dichter gewährte ihnen jedoch einen Einblick in ein geheimnisvolles Inneres, das nicht weiter erklärt werden kann oder braucht. Ja, diese Haltung ist ganz anders als die Auslegungen von mir oder Theodore Ziolkowski – zwei emeritierten Professoren der Princeton University, die in diesem Fall einen ähnlichen Standpunkt vertreten. Die Hesse-Welle war Tatsache für uns und Ignoranz dieser Tatsache hätte uns den Weg zu unseren Schülern und Studenten versperrt. Für die meisten war Hesse, der Dichter des neuen Lebens, einfach Dichter des erweiterten Bewußtseins. Da nützte es nichts zu zeigen (wie wir es auch im Un14 15

Th. Ziolkowski, The Novels of Hermann Hesse, a.a.O., S. 146–77. R. Freedman, Introduction, in H. Hesse, Siddhartha, übers. von J. Neugroschel, Penguin Books 1999, S. XIX.

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terricht taten), daß Hesses Werk einer Tradition folgt, die aus dem deutschen Schrifttum stammt. Wenn auch manche Studenten (hauptsächlich aus den älteren Klassen) schon anders dachten, versuchten wir oft vergebens diesen jugendlichen Drang zu hemmen und in eine Richtung zu leiten, die Hesse selbst annehmen könnte. Es ist schwer, konservativ und gleichzeitig nicht konservativ zu sein!

4. Bis jetzt war ich bemüht zu erklären, wie die amerikanische Jugend sich Hesse aneignete und aus ihm einen fast anderen Dichter machte, der direkt zu ihr sprach. Aber es ist schwerer zu erklären, warum das plötzlich aufhörte. Die Antwort ist einfacher als man glaubt. Hesse Nr.2 war ein Phänomen der Counter Culture. Er verzeichnete den größten Erfolg während der siebziger Jahre vor 1975 –, dem Ende des Vietnam-Krieges. Dann lösten sich Angst und Depression langsam auf über einen Krieg, den viele nicht verstanden und der doch ihr Leben tief beeinflußte. ,Rock’n-Roll‘-Musik – ein wichtiger Teil der Counter Culture – ging zwar weiter und die Pop-Band «Steppenwolf» war immer noch da, wenn auch das heutige Publikum anders ist. Aber in den fast dreißig Jahren seit dem Endes des Krieges tragen viele Menschen, die damals jung waren, Hermann Hesse noch immer im Herzen. Das sind die heute Fünfzig-jährigen, von denen ich schon sprach. Kurz bevor ich hierher kam, verbrachte ich eine kurze Erholungsreise in Bar Harbor, einer Fischer-und Touristenstadt in Maine im Nordosten Amerikas mit Frau Dr. Weinberg. Sie trug eine der netten hellroten T-Shirts mit der Aufschrift «Hermann Hesse» vom letzten Jahr und wurde dreimal danach gefragt. Das erste Mal war es ein älterer Mann, der in einer Drugstore arbeitete und eigentlich ein Dichter war, der gerührt von seiner Jugend mit Hesse sprach; ein anderes Mal hielten sie zwei ältere Damen an, um mit ihr eingehend über Hesse zu sprechen. Das dritte Mal war ganz erstaunlich. Sie war eine Kellnerin, offensichtlich eine Studentin in den Semesterferien, eine ganz junge Frau, die zur Zeit der Hesse-Welle noch nicht einmal am Leben war und trotzdem mit viel Verständnis von Hesses Büchern sprach. Sie redete, wie ihre Eltern es ihr wohl erzählten – als ob Demian und Siddhartha und Harry Haller lebende Menschen wären – mit Andacht. So zeigt sich, daß irgendwo in Amerika der Geist Hesses noch weiterlebt. Aber als Hesse Nr.2. Wie wird es heute sein, da neue Unsicherheiten aufkommen? Trotz meiner drei Beispiele wird Hesse wohl nicht so leicht nach Amerika zurückkommen, wenn auch die Idee des Ostens, die er anregte, in neuer Form weiterlebt. Inzwischen aber waren wir Akademiker zur Hand, der Hesse-Welle als historisches Phänomen eine solidere Form zu bereiten. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, als ob Professor Ziolkowski und ich allein dabei waren. Im Gegenteil. Schon um 1958 trat Joseph Mileck an der University of California (Berkeley) als

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Pionier der Hesse-Forschung in den Vereinigten Staaten hervor, mit einer detaillierten Bibliographie und zwei Biographien, die letztere eine verkürzte Version, die 1978 erschien. Seine Hesse-Sammlung ist die umfassendste im Lande. Dennoch war die Sekundärliteratur während der Hesse-Welle nicht gerade generös. Sammlungen von kritischen Aufsätzen gab es natürlich. Zwei Sammlungen sind besonders bemerkenswert: kritische Aufsätze über den Steppenwolf von Egon Schwarz (1980) und, am Anfang der siebziger Jahre, Theodore Ziolkowskis Sammlung in der Serie «Twentieth Century Views» (1972), aus der ich zitierte. Ein besonders gutes Buch erschien 1967, also auf dem Höhepunkt der Welle, und zwar Mark Boulbys Hermann Hesse: Mind and Art, eine eingehende und verständnisvolle Besprechung von Hesses Hauptromanen. Aber der alte Hesse, der Bücher schrieb, über Kunst und Natur und nicht nur über Träume, der Hesse Nr.1, den der Dichter selbst im Spiegel wiederfinden könnte, kam zwar auch nach Amerika zurück – doch nach der Welle. Also war es erst in den neunziger Jahren, als die Welle schon lange tot war, daß neue Hesse-Bücher in großer Anzahl erschienen, mit einem neuen Verständnis des traditionellen Hesse, der nun durch die Erfahrungen der Welle bereichert war. Eine neue Sammlung von kritischen Stimmen von David Richards erschien 1996, Exploring the Divided Self: Hermann Hesses ‹Steppenwolf› and its Critics und drei Jahre später ein Buch über Hesses Metaphorik, Lewis Tuskens Understanding Hermann Hesse: the Man and the Myth. 1999 erschien zweifellos eines der besten Werke aus dieser Zeit: Eugen Stelzigs großes Buch, Hermann Hesse’s Fictions of the Self: Autobiography and the Confessional Imagination – ein tief durchdachtes, originales Werk. Selbst ein so kurzer Blick auf diese ausgewählten Titel, gibt Zeugnis von der Ausdauer und Stärke von Hesses Vision, denn das Prinzip seines Schaffens hat sich auf allen Seiten der Hesse-Rezeption erhalten. Von einer Seite zur anderen versuchen alle – von der halb-religiösen Sicht des Teenagers zur scharfen Analyse des beruflichen Kritikers – den Kern von Hesses Schaffen als eine Art Selbstbildnis zu verstehen: eine Auflösung des Geistes als Bewußtsein einerseits, eine Umformung des Geistes als Kunst andererseits. Das war kurz gesagt der Unterschied zwischen Hesse Nr.2 und Nr.1.

5. Ich versuchte zu zeigen, wie der scheinbare Irrweg nach Amerika Hesse in eine neue Richtung leitete. Ein Teil der Counter Culture, die den Weg dazu bahnte, bestand aus den sogenannten Hippies, den ,flower children‘, die, wie Theodore Ziolkowski zeigte, eng mit dem Mysterium des Ostens und Siddhartha verbunden waren16. In einer Hinsicht nehmen sie den Platz der deutschen Wandervögel des 16

Vgl. Th. Ziolkowski, Der Heilige Hesse unter den Hippies, a.a.O., S. 193–95.

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Ende des 19. Jahrhunderts ein, doch der Unterschied war groß. Die Wandervögel waren Pilger innerhalb der Natur. Der Blick der ,flower children‘ reichte über die Landschaften hinweg in eine andere Welt. Zuerst ging es auf Güterwagen in den Westen Amerikas, dann mit «backpack» süd- und ostwärts durch die ganze Welt. Selbst heute noch besteht eine verspätete Hesse-Kultur, wo auch immer reisende Männer und Frauen verschiedenen Alters wandern und Hesse lesen, immer noch – oder immer wieder – mit Siddhartha und dem Glasperlenspiel in der Tasche, dort und überall Nirvana zu finden. In ihrer Einbildung bleibt Hermann Hesse ein junger amerikanische Dichter, der in einem Keller in San Francisco auf englisch schreibt. Und doch blieb er dennoch Hermann Hesse. Welchen Dichter könnte man bezaubern, eine so völlig unangebrachte Verkleidung zu finden, die ihm doch irgendwie paßt? Was hat Knulp, der Wanderer, oder Klingsor, der Maler, mit den «trampenden» Hippies zu tun; warum sehen sich alle in Demian, teilen die Vision von Siddhartha, fahren in das Morgenland? Beide Seiten sahen etwas Anderes, doch daß sie es erschauten – diesen Glanz endlich verstanden zu sein – das ist nicht diskutabel. Die ahistorische Vision der amerikanischen Welle wurde während zwanzig schmerzhafter Jahre zu einer Bibel der Gegenkultur, in der junge Menschen nach Hesses Büchern griffen, nach Büchern, die – jetzt wissen wirs – immer wieder auch den «anderen», den alten Hesse mit einschließen. So bleibt Hermann Hesse doch Hermann Hesse – ein Bollwerk gegen Krisen, außerhalb und innerhalb der Menschen, in vielen Ländern der Welt.

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Die drei Lebensläufe und ihr Verhältnis zur Biographie des Magister Ludi, Josef Knecht1 «‹Realisieren› war ein beliebter Ausdruck bei den Spielern, und als Weg vom Werden zum Sein, vom Möglichen zum Wirklichen [...]»2.

Einleitung In diesem Aufatz werden anhand der wichtigsten Funktionen der Handlungsstruktur – Bipolarität, Kreislauf, Einheit, der Protagonist als Erwählter und der Seelenführer – sowie der Entwicklungslehre Hesses die Hauptgedanken in seinem Roman Das Glasperlenspiel durch die Darstellung der drei Lebensläufe im Zusammenhang mit dem geistig-seelischen Werdegang des Protagonisten im bibliographischen Hauptteil des Romans aufgezeigt3. An diesem Roman, der letzten grossen Rechenschaft im Lebenswerk Hermann Hesses, hat der Autor über ein Jahrzehnt gearbeitet. Die Grundidee geht sogar in die 20-er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, aber die einzelnen Teile und Kapitel samt ihren Varianten sind zwischen 1932 und 1943 entstanden: als erstes die endgültige, vierte Fassung des Vorwortes im Mai–Juni 1934. Es wurde dann im Dezember 1934 in der «Neuen Rundschau» vorabgedruckt4. Der Textkorpus besteht aus drei grossen Teilen: 1. aus der Einleitung: Das Glasperlenspiel, in welchem die Geschichte, die Idee, das Ziel und die Struktur des Glasperlenspiels auch als Institution vorgestellt werden, 2. aus dem biographischen Teil: 1

2 3

4

Dieser Aufsatz ist eine erweiterte und überarbeitete Fassung des Vortrags Aspekte der Funktionen der Handlungsstruktur im ‹Glasperlenspiel›, gehalten auf der ersten internationalen Hermann-Hesse-Gedenkkonferenz in Budapest v. 18.–20. April 2002. Die Konferenz wurde im Rahmen des Jubiläumsjahres aus Anlass der 125. Wiederkehr von Hermann Hesses Geburtstag abgehalten. SW, 5, S. 35. Die Funktionen der Handlungsstruktur in Hermann Hesses Prosawerk, unter besonderer Berücksichtigung der Erzählung Siddhartha, werden ausführlicher behandelt in: G. Horváth, Wege der deutschen Innerlichkeit am Beispiel von Johann Wolfgang von Goethes ‹Die Leiden des jungen Werther›, Hermann Hesses ‹Siddhartha› und Thomas Manns ‹Doktor Faustus›, Budapest 2001. Vgl. dazu das Kapitel Hermann Hesse: Siddhartha. Auf der Suche nach der Einheit, S.71–105. Vgl. dazu und zu den weiteren editorischen Bemerkungen das Nachwort des Herausgebers in SW, 5, S. 705–736.

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Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht, in welchem der äußere und innere Werdegang sowie der Tod des Protagonisten behandelt wird, und 3. aus einem Anhang: Josef Knechts hinterlassene Schriften, welche die dreizehn Gedichte des Schülers und Studenten sowie die drei Lebensläufe: Der Regenmacher, Der Beichtvater und Indischer Lebenslauf enthalten. Nach dem Prinzip der Narrativik wollen die ersten beiden Teile der in die ferne Zukunft verlegten Erzählzeit und erzählten Zeit der fiktiven Textwelt von einem fiktiven Chronisten, einem Lehrer am kastalischen Internat von Waldzell, gegen 2400, also 200 Jahre nach dem Tod von Josef Knecht niedergeschrieben worden sein. Der Appendix stammt vom Protagonisten selbst etwa von 2170–2180. Ohne auf die Rolle dieser Narrativtechnik ausführlich eingehen zu wollen, sei hier nur so viel bemerkt, daß sich die von Knechts Hand stammenden Schriften weder in Hinsicht auf Stil noch Gehalt oder Struktur unterscheiden, sogar im Gegenteil: Die drei Lebensläufe wiederholen thematisch gerade das, was im Hauptteil, also im biographischen Teil des Romans vom Chronisten dargeboten wird. Abgesehen vom fiktionalen Charakter des Textes und der Narrativik sei in Klammern darauf hingewiesen, daß im Entstehungsprozess des Romans die drei Lebensläufe unmittelbar nach der Einleitung und vor der Lebensbeschreibung des Magister Ludi zwischen 1934 und 1937 abgefasst wurden und als Vorabdrucke in der Neuen Rundschau erschienen: Der Regenmacher im Mai 1934, Der Beichtvater im Juli 1936 und Indischer Lebenslauf im Juli 1937. Der Lebenslauf galt unter den kastalischen Studierenden als eine Art Seminararbeit, Stilübung, fiktive und gesteigerte Selbstbiographie, wobei sich die Studierenden «in das geistige Klima irgendeiner frühern Epoche zurückzuversetzen und sich darin eine ihm entsprechende Existenz auszudenken»5 zu hatten. Der Chronist veranschaulicht diese Pflichtarbeiten mit dem Vergleich der Entelechie: «Man [...] lernte seine eigene Person als Maske, als vergängliches Kleid einer Entelechie betrachten»6. Die Entelechie ist bei und seit Aristoteles die Form, die sich im Stoff verwirklicht, eine Art Energie, besonders die im Organismus liegende Kraft, die ihm von innen her zu Selbstentwicklung- und Vollendung verhilft. In diesem Sinne bezeichnet Aristoteles die Seele als die erste Entelechie eines organischen, lebensfähigen Körpers7. Auch bei Hesse ist die Seele oder der Geist – manchmal auch Logos genannt – das höchste aktive Prinzip. Da es sich bei Hesse nicht um wissenschaftliche Termini, sondern um dichterische Fiktionalität handelt, wird das bleibende, ewige Wesen unterschiedlich bezeichnet.

5 6 7

SW, 5, S. 100. Ebd. Vgl. Aristoteles, Über die Seele, hrsg. von H. Seidl, Homburg 1995, Buch II. 1, 412a, S. 9–63.

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Diese Entelechie taucht also in den drei Lebenläufen auf, sie erscheint zunächst in der Maske eines Waisenkindes in matriarchalischen Zeiten vor etlichen tausend – etwa vor 20000 – Jahren, das als erwählter Nachfolger des Regenmachers am Ende durch Selbstopferung das Dorf rettet, wobei er das heilige Amt an seinen Sohn, Turu, weitervererbt; zweitens im Urchristentum – im 3. oder 4. Jahrhundert nach Christus – in der Gestalt des Eremit gewordenen einstigen Weltmanns, Josef Famulus, der Nachfolger des Seelenrichters und Seelenführers, Dion Pugil, wird; und drittens im alten Indien, in der Gestalt des indischen Fürstensohns, Dasa, der ein erleuchteter Yogin wird. Die fiktiven ahistorischen Zeiten und Welten als Textwelten, die den seelischen und geistigen Werdegang des jeweiligen Protagonisten innerhalb eines in sich geschlossenen Textsystems darzustellen haben, verändern sich zwar auch in den Lebensläufen, die Funktionen der Handlungsstruktur und der Gedankenkern bleiben aber dieselben. Diese Funktionen sind skizzenhaft umrissen die folgenden: 1. Die Bipolarität oder Zweipoligkeit, in der zwei, entgegengesetzte Prinzipien in antinomischem Verhältnis zueinander stehen, d.h. jedes Prinzip oder jeder Pol eines Gegensatzpaares kann für sich Gültigkeit beanspruchen; er ist existenzberechtigt, existiert jedoch durch eine Wechselbeziehung zu seinem Gegenpol. Außerdem trägt jeder Pol etwas auch von seinem Gegenpol in sich – meistens nur im fetalen Stadium. Im Spielfeld gegenseitigen Sich-Anziehens und -Abstossens erzeugen sie eine Bewegung. Im Kampf beider Prinzipien werden sie wie These und Antithese in einer Synthese aufgehoben. Der Moment der Aufhebung ist ein magischer Augenblick, in dem eine Harmonie, eine Einheit zwischen beiden Polen entsteht, damit dann wieder entzweit auf einem höheren Niveau die Polarität fortgesetzt werde. Das größte Gegensatzpaar bei Hesse bilden Geist und Natur. Zur Geistessphäre gehören das männliche, aktiv-befruchtende, solar-helle, ewige Prinzip, das Sein; zur Natursphäre das weibliche, passiv-empfangende, lunar-dunkle, sich ständig ändernde Prinzip, das Werden. 2. Der Kreis oder die Spirale: Die Bewegungen beschreiben Kreis- oder Spiralformen und weisen in zwei Richtungen: in eine vertikale, d.h. sie streben von unten nach oben und zweitens in eine horizontale, d.h. sie streben von der «Peripherie», dem Rand zum Zentrum, zur Achse hin. Die Achse ist das Unbewegt-Bewegende: der Geist. Der Ausgangspunkt im Kreislauf kehrt in einem Entwicklungsprozeß nicht zu sich selbst zurück, weil der Protagonist in einer Synthese immer wieder auf einer höheren Stufe seiner (Seelen-)Entwicklung aufgehoben wird, indem er im Sinne eines organisch-naturhaften Werdeprozesses immer wieder «verstirbt», d.h. sein früheres, überlebtes Lebensstadium hinterläßt, um wieder «neugeboren zu werden» und ein neues Lebensstadium zu beginnen. Das Ziel der vertikalen Bewegung ist die unendliche Höhe – ein Transzendieren, wie ursprünglich das zwölfte Gedicht des Schülers Josef Knecht Stufen betitelt war – und das Ziel der horizontalen Bewegung ist die Mitte. Sowohl im vertikalen wie auch im horizontalen un-

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endlichen Ziel fallen die Gegensätze gemäß der coincidentia oppositorum des Nikolaus Cusanus zusammen, wie es in der Einleitung klargestellt wird, und sie bilden eine Einheit (3. Funktion), ein ungeteilt-Ganzes, das Urzustand und wieder zu erlangendes Stadium alles Wesens ist. Hesses Protagonisten sind Erwählte oder Berufene (4. Funktion), die nach der dreistufigen Entwicklungslehre der Menschwerdung – wie sie im Aufsatz Ein Stückchen Theologie v. 1932 thematisiert wird – mindestens die zweite Stufe erreicht haben, d.h. die erste Stufe der Unschuld der Kindheit, den paradisischen Urzsutand überwunden, in ein Stadium des Wissens und der Verzweiflung geraten sind. In sog. «magischen Momenten» erahnen oder erleben sie die grosse Einheit und rücken ihr im Laufe ihrer Entwicklung immer näher. Die erwählten Protagonisten werden von Seelenführern (5. Funktion) geleitet; im biographischen Teil ist Knechts wichtigster Seelenführer der Magister Musicae, im Regenmacher Turu, im Beichtvater Dion Pugil und im Indischen Lebenslauf der namenlose, überpersönliche Yogin. Nachdem der Seelenführer seine Aufgabe erfüllt hat, d.h. der Protagonist zu Selbsterkenntnis gekommen ist und sich des höchsten Ziels – des Dienens am Höchsten, d.h. an der uninstitutionalisierten, überpersönlichen Wahrheit, am reinen Geist, am Logos – bewußt geworden ist, kann er seinen Schüler verlassen. So kann der Altmusikmeister sterben, als Knecht den Höhepunkt seiner äußeren Karriere das Amt des Magister Ludi erreicht hat. Sein Sterben wie sein Leben sind aber ein Vorbild, das zur Imitatio auffordert, um so mehr, weil der Tod des Altmusikmeisters bloss «eine Entstofflichung», «ein Entwachsen», ein «Transzendieren» ist, genauso wie das nur anscheinend unmotiviert-abrupte Sterben von Knecht ein «Hinübersteigen» bedeutet. Bereits in dem Kapitel Die Berufung wird Knechts Tod als «Entschweben [...] in Legende»8 und auch als «entwachsen» bezeichnet. Sein Tod wird unter anderem gerade deshalb in einem Kapitel dargestellt, das Legende heißt.9 Wichtig ist noch in diesem Zusammenhang die Kontinuität von Meister und Schüler, damit die vom Meister vermittelte Idee, das Ideal von der Einheit und Ewigkeit weitervererbt werden kann. Zu bemerken ist auch, daß diese Funktionen selbstverständlich nicht voneinander getrennt, sondern mit dichterischem Anspruch und Eifer der Darbietung organischen Lebens miteinander und ineinander verflochten konzipiert sind.

8 9

SW, 5, S. 41. Vgl. dazu R. Karalaschwili, Josef Knechts Tod, in Materialien zu Hermann Hesses ‹Das Glasperlenspiel›, hrsg. von V. Michels, Frankfurt a.M. 1974, Bd. 2, S. 220–235.

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Die drei Lebensläufe Der Regenmacher Im ersten Lebenslauf, Der Regenmacher, überwiegt auf der Handlungsebene das Weibliche, also das Prinzip Natur. In der matriarchalischen Stammesgemeinde herrscht die Ahnfrau und ihre Rolle wird von Generation zu Generation genauso weitergegeben wie die des Wettermachens, das vom männlichen Regenmacher vertreten ist. Um die regierende und höchsten sozialen Respekt geniessende Ahnfrau sammeln sich Volk und Kinderschar, doch die Verantwortung für lebenswichtige Aufgaben – wie die Bestimmung des Zeitpunktes der Aussat, der Ausübung der Heilkunst, des Herbeirufens des günstigen Wetters – notfalls sogar durch Selbstopferung an die Gemeinde – trägt der mondkundige Regenmacher. Der Mond, dieser nächtlich-dunkle, der Erde nahe, grosse und Wärme ausstrahlende Himmelskörper, von dem sogar der alte Turu abhängt und seine Zauberkraft von ihm leiht, steht für das Naturprinzip und bestimmt die äußere und innere Welt des ganzen Lebenslaufes. Das deutsche Wort ‹Mond› bedeutete ursprünglich ‹Himmelswanderer›, der in regelmäßigen Zyklen immer wiederkehrt und als solcher auch für den Kreislauf als Funktion der ewigen Wiederkehr des Gleichen steht: «Fundament aber und Mittelpunkt dieser Wissenschaft (nämlich vom Regenmachen) war die Kunde vom Mond, von seinen Phasen und Wirkungen, wie er immer anschwoll und immer wieder hinschwand, bevölkert von den Seelen der Gestorbenen, sie zu neuer Geburt aussendend, um Raum für neue Tote zu schaffen»10. So kann dann später auch der Geist des alten Turu in seinem Enkelssohn Turu neugeboren vom Monde wiederkehren. Der Schüler und Nachfolger Knecht muß sich mit der Mondkunde aber noch tiefer vertraut machen als sein Meister, um ihn überwinden zu können. Allmählich erahnt er «im riesigen Netz der Zusammenhänge einen Mittelpunkt [...], von dem aus alles gewußt, alles Vergangene und alles Kommende gesehen und abgelesen werden konnte»11. Wer dazu fähig ist, ist der «vollkommene Mensch». Während seiner Entwicklung entdeckt Knecht, daß neben dem Beobachten und «Beherrschen» des Mondes auch das der Sterne von äußerster Wichtigkeit sind. Die Sterne sind nämlich im Vergleich zum Mond «Ordnung verkündende», kalte, feste, majestätische Himmelsgebilde, die eine «Überlegenheit des Geistes über das Vergängliche»12 verkünden. Hinsichtlich der Sterne sind die Bezüge zu mehreren Stellen des Gesamttextes auffällig: zu Josef Knechts Traum etwa im Kapitel Die Berufung, in dem der zum kastalischen Leben vom Altmusikmeister frischerwählte Josef im Traum sein ganzes, künftiges Leben erblickt, wie er das menschliche Vollkom10 11 12

SW, 5, S. 417. SW, 5, S. 420. SW, 5, S. 436–437.

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menheit symbolisierende Viereck von Eschholz verläßt, das sich in ein Oval, dann in einen – auf die himmlische Vollkommenheit verweisenden – Kreis verwandelnd seine Studienjahre und sein Amt als Magister Ludi in Waldzell, im Zentrum der pädagogischen Provinz, vorwegnimmt, um sich dann im wahnsinnigen Tempo zu drehen und schließlich zu ewigen Sternen auseinanderzubersten13. Das ewige Bestehen scheint duch den Sternenfall gefährdet zu sein, auch wenn der Sternregen, der den Umsturz der Ordnung bedeutet und dem Chaos wilden Triebe und der Todesangst der Menschen freien Weg schaftt, nur «Schein» ist. Obgleich sich Unordnung und Weltuntergangsstimmung mit Vorbild kaum, doch mit Vernunft diesmal noch organisieren lassen, wird Knechts Opferschaft wegen der Dürre im nächsten Sommer schon unvermeidlich. Nachdem aber Knecht durch die Lehren und das Vorbild seines Meisters sowie durch eigene Erfahrungen und Erkenntnisse reif, d.h. ein Frommer und Wissender geworden ist, kann er sich für die Gemeinde opfern, um so mehr, weil er das Wissen um das Urgeheimnis, die Ganzheit der Welt, die von einer Mitte aus erfassbar und als Einheit erlebt werden kann, seinem Schüler und Sohn, dem jungen Turu weitergeben kann, und so für die Kontinuität im Sinne des Kreislaufes Sorge getragen wird. Knecht hat also seinen Entwicklungsweg in der bipolaren, vom SinnlichMütterlichen beherrschten Sphäre der sich wiederkehrenden Gestaltungen durchgemacht, indem er das Ewig-Unbewegte im Ewig-Wandelnden erkannt, seine Rolle als Diener-Herrscher erfüllt und für die Kontinuität gesorgt hat.

Der Beichtvater Während im ersten Lebenslauf das Weiblich-Sinnliche vorgewogen hat, erscheint es im Beichtvater über die unterrepräsentierte Sphäre des alltäglichen Lebens der Beichtenden hinaus nur in der Vorgeschichte des Protagonisten, Josefus Famulus, der in seiner Jugend manche Jahre lang das prassende Leben eines Weltmanns geführt hat, dann paradoxerweise von einer Frau zum christlichen Glauben bekehrt worden ist; er wird ein frommer Büsser und Beichtvater, der im Dienen den Sündern ihre Schuld, gleich einer Bürde, auf sich nimmt und sie abbüßt14. 13

14

Vgl. G. Horváth, Josef Knechts Traum. Eine «Traumdeutung» mit einem Hinweis auf den gesamten Bedeutungssinn der Textwelt in Hermann Hesses Roman Das Glasperlenspiel, in «Millionen Welten». Bernáth Árpád zum 60. Geburtstag, Budapest 2001, S. 145–153. In diesem Zusammenhang soll auf die Figur des Seelengeleiters, Leo, in der Erzählung Die Morgenlandfahrt hingewiesen werden, der als Prototyp des Diener-Herrschers für Josef Knecht gegolten hat. Bereits der Kraft und Macht verkündende päpstliche Name, der als Lichtsymbol einen abwehrenden Charakter vor dem Unheil und als Christus-Symbol (Christus wird «Löwe aus dem Stamm Juda» in der Offenbarung 5.5. genannt) vertritt eine Herrscher-Position. Leo dient aber den Bundesmitgliedern auch als «Gepäckträger», d.h. er nimmt ihnen jegliche Bürde ab, und ist bereit, sie zu «erlösen», falls sie ihren Glauben

Die drei Lebensläufe und ihr Verhältnis zur Biographie des Magister Ludi, Josef Knecht 153

Knecht übt sich in dieser Rolle lange, bis er des Zuhörens und Büßens überdrüssig wird. Leer geworden, von Selbsthaß und Selbstmordgedanken geplagt treibt es ihn zu seinem Schicksalsgenossen, dem älteren und erfahrenen Beichtvater, dem charismatischen Faustkämpfer, Dion Pugil, vor dem sich die Beichtenden wie Kinder fürchten. Aus der Sicht der Entwicklungslehre von Hesse hatte Josef die beiden großen Sphären menschlichen Lebens ausgekostet: als Weltmann ist er gestorben, als er sich für die Askese entschied, und nun soll auch der Asket sterben, damit seine Seele neugeboren die Entwicklung fortsetzen kann. Zum Sterben des asketischen Ichs kommt es auf seinem Fluchtweg zu Dion, als er wider Willen Ohrenzeuge des Gesprächs zweier Reisender wird. Ein kurzer Wink zum Scenario dieser Szene mag das imaginäre Absterben dieses Ich-Teils von Josef verständlicher machen: «Er blickte zum Himmel, scharf und dünn stand die Mondsichel hinter den Kronen der Palmen, er schauerte von der Nachtkälte»15. Die Mondsichel verweist hier – wie übrigens auch im Regenmacher – auf den Tod, auf das Geerntetwerden des sinnlichen, d.h. des sich im Kreis wiederholenden menschlichen Lebens, während die Krone auf den Sieg und auf die Herrschaft in einem neuen Lebensbereich, im Bereich der ewigen und reinen Geistigkeit hindeutet, das durch die immergrüne Palme ausgedrückt wird. Die Nacht ist der Tiefpunkt im Tagesablauf, darauf muß also bald der neue Morgen kommen, und es ist auch selbstverständlich, daß es Josef in der Nacht vor dem Sterben friert, auch wenn er auf eine Neugeburt hoffen kann16. Im «Schatten und Schutz» des Meisters lernt Josef von ihm, daß die selbstzufriedenen Menschen wohl auf der ersten Stufe der Menschwerdung stecken geblieben sind, während die wirklich Schuldigen und Wissenden, wie Dion und Josef, die Vollkommenheit erahnen und auf ein Wiedererlangen der Unschuld im Vollkommen-Ewigen hoffen dürfen, wobei sie für die Kindermenschen die Verantwortung tragen. Der Kreis schließt sich, als der verstorbene Meister und Seelenführer im reif gewordenen Schüler fortlebt.

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an die Bundesidee nicht verlieren, oder ihn wiederfinden, wie H.H. am Ende der Erzählung. SW, 5, S. 462. Das Alleinsein und das Verlassensein des Menschen werden bereits im Aufsatz Gedanken zu Dostojewskis ‹Idiot› von 1919 behandelt. Hesse sieht in Jesus den leidenden Menschen, der vor seinem Opfertod von seinen Jüngern verlassen wird und sich vereinsamt und fürchtend auf das Sterben vorbereitet, auch wenn er weiß, daß er als Gottessohn nach dem Tod auferstehen wird. Die Vereinsamung ist eine Voraussetzung der Selbstbesinnung und des Selbsterkennens, das zum Erleben der Einheit in magischen Momenten führen kann.

Géza Horváth 154

Indischer Lebenslauf Im dritten Lebenslauf der hinterlassenen Schriften von Josef Knecht lassen sich die Funktionen der Handlungsstruktur am ausgeprägtesten und klarsten nachvollziehen. Der Text beginnt und endet mit der Kreis-Metapher: «Einer der von Vishnu, vielmehr dem als Rama menschgewordenen Teile von Vishnu [...] war in Menschengestalt wieder in den Kreislauf der Gestaltungen eingetreten»17, heißt es bereits im ersten Satz des Textes auf Dasas Vater, Ravana, bezogen, und nach Dasas Erwachen nach seiner Vision am Wasserquell am Ende der Geschichte sehnt er sich danach «dieses ewig sich drehende Rad, diese endlose Bilderschau zum Stehen zu bringen und auszulöschen»18. Für die Bipolarität wird grundsätzlich durch die Gegenüberstellung von Stadt und Wald gesorgt. Die Stadt ist Schauplatz menschlichen Lebens, das aus der Perspektive des erleuchteten Yogins und im Laufe der Visionsgeschichte von Dasa – in dieser «Belehrung über Maya» – allmählich auch von ihm selbst als eine «Welt der Erscheinungen», «ein Nichts in bunter Haut» betrachtet wird. Der Wald, der in sich die reine Natursphäre repräsentiert, steht gleichzeitig auch für den «überwirklichen» Bereich des reinen Geistes, der vollkommenen Ruhe, des Friedens und der ungestörten Kontemplation. Im Bild des Waldes sind also Natur und Geist, die beiden, umfassendsten Pole des grössten Gegensatzpaares bei Hesse in reiner Gestalt miteinbegriffen, und in ihm wird ein harmonisches Verhältnis zwischen beiden Sphären hergestellt: Die reine Geistigkeit kann sich erst in der reinen Naturhaftigkeit verwirklichen und walten. In der Stadt, der vom Menschen geschaffenen, naturwidrigzivilisierten, sog. «wirklichen» Sphäre herrschen Falschheit und Täuschung, und zwar in zweierlei Hinsicht: erstens aus der «wirklichen», d.h. vergänglich-unvollkommen-menschlichen Perspektive heraus gesehen, da infolge der Kabale der Stiefmutter statt des Erstgeborenen, Dasa, sein Halbbruder, der ungeignetegoistische Nasa rechtswidrig als Fürst dem Vater auf den Thron folgt; zweitens aber auch aus der «überwirklichen», d.h. ewig-vollkommenen Perpektive, da durch diese Sehweise jegliches menschliche Tun und Lassen als Maya, als Nichts erscheint. Doch wird Dasa mit mehrfacher Einwirkung des Geistes des Yogins erst durch die Konfrontation mit und in der sog. Stadt-Welt reif, um endlich ein Schüler des Vollendeten werden zu dürfen. Um überhaupt von irgendeiner Entwicklung, einer qualitativen Änderung oder auf dieser Ebene der Erscheiungswelt eher nur von einer Bewegung – und zwar von einer in sich immer wiederkehrenden Kreisbewegung – sprechen zu können, muss auch hier das Prinzip Polarität als Triebkraft jeglicher Bewegung vorhanden und tätig sein. So kämpfen etwa im menschlichen Bereich der Stadtwelt «Friedenspartei» und Kriegspartei», Sinnlichkeit und Geistig17 18

SW, 5, S. 480. SW, 5, S. 514–515.

Die drei Lebensläufe und ihr Verhältnis zur Biographie des Magister Ludi, Josef Knecht 155

keit, angeborene Schönheit, Leichtblütigeit und instinktiv treibende erotische Reize und Verführungskraft, sowie Ehrgeiz und Machtgier der Pravati und die fromme Liebe und Friedenssehnsucht des Dasa, glanz- und pompbesessene «Städter» und einfach-listiges Hirtenvolk miteinander. In diesem Bereich herrscht die Sinnlichkeit vor, die sich vor allem in der Gestalt der Pravati verkörpert. Vor seinem Perspektivenwandel wird sie von Dasa – ebenfalls durch seine Sinne beherrscht und regiert – als höchstes Objekt wilder Begierde angebetet. Erst als er bereits mindestens über eine Doppelperspektive infolge der Maya-Belehrung durch den Yogin im VisionsLeben verfügt, betrachtet er die schöne Verführende unter anderem als Mittel ihres Vaters, eines wohlhabenden Pächters, der Dasa, seinen Schwiegersohn schuften ließ. Bis sich aber Dasa diese Betrachtungsweise aneignen kann, muss er einen Entwicklungsweg durchmachen, der sich in einem Kreise, besser gesagt in einer Spirale, vollzieht, weil es sich hier schon um eine Entwicklung handelt. Der Kreislauf, bzw. die nach dem Vollkommenen strebende Spiral-Bewegung wiederholt sich in diesem Lebenslauf dreimal, wobei der konkret-lokale Ausgangspunkt sowie Berührungspunkte, der fiktiven Textwelt gemäss, reale oder imaginäre Schauplätze und Figuren dieselben bleiben. Ausgangspunkt auf der Handlungsebene ist die Stadt. In der ersten Stadt-Szene (Stadt 1) wird Dasa geboren, dann wird er von Vasudeva gerettet, indem er ausgesetzt und von Hirten erzogen wird – ein durchaus toposartiges Handlungselement, das in zahlreichen Sagen und Märchen der Weltliteratur vorkommt. Dies bedeutet zugleich auch das erste Stadium der Seelenentwicklung von Dasa, nämlich das Stadium der paradisischen «Unschuld des Herzens» und der Unwissenheit des Kindes. Dieser glückliche Zustand wird zunächst durch die erste Begegnung mit dem schweigsamen Yogin im Wald (Wald 1) gestört, der den Jungen bereits durch seine blosse Anwesenheit tiefst berührt und ihm eine erste Ahnung von der überwirklichen Perspektive vermittelt: «Denn, so fühlte er (Dasa), der Yogin war durch die Oberfläche der Welt, durch die Oberflächenwelt hinabgesunken in den Grund des Seienden, ins Geheimnis aller Dinge, er [...] weilte festgewurzelt im Wesentlichen und Wandellosen»19. Nach diesem ersten erschütternden Erlebnis gelangt Dasa zum zweiten Mal in die Stadt (Stadt 2), wobei der Halbbruder unter Pomp und Prunk rechtswidrig zum Fürsten gewählt wird. Der Kreislauf beginnt also von neuem, und der überwiegend immer noch unschuldige Dasa lernt Pravati kennen. Im Bann der schönen Frau verbringt er ein paar Jahre in Glück, Wollust, Lebenslust und Leidenschaft, d.h. er kostet das sinnliche Leben – bis zum Brudermord – völlig aus. So erreicht er die zweite Stufe seiner Entwicklung, die sogenannte 2. Stufe der Menschwerdung im Sinne des Aufsatzes Ein Stückchen Theologie, in der er bereits um die Schuld weiss, und verzweifelt ergreift er die Flucht, um ein zweites Mal in den Wald zum Yogin zurückzukehren. Der ehrwürdige Meister lehrt ihn auch diesmal ohne Worte, er vertieft und stärkt in 19

SW, 5, S. 483.

Géza Horváth 156

Dasa das erste Erlebnis vom Wesentlichen und Wandellosen: «Wie erwachend blieb Dasa stehen. Hier war alles, wie es einst gewesen war, hier war keine Zeit vergangen [...] hier stand, so schien es, die Zeit und das Leben fest wie Kristall, gestillt und verewigt»20. Da er aber immer noch nicht reif zur Initiation in den Stand des Yogin-Schülers geworden ist und verzweifelt den Meister verlassen, also schon wieder flüchten will, muß er noch ein drittes Mal in die Stadt zurückkehren, um sein Leben – auch wenn diesmal imaginär – fortzusetzen und dabei den Maya-Charakter der Welt, also der Stadt-Sphäre, zu erfahren und zu erkennen. Daß diese mögliche Lebensvariante von Dasa in einer Vision erlebt wird, verweist einerseits auf den Traum-Charakter der Perspektive der sogenannten «wirklichen» im Vergleich zur «überwirklichen» Welt, andererseits wird dadurch betont, daß Dasa sich bereits auf dem Weg zum endgültigen Perspektivenwandel befindet. Nun kommt er das dritte und letzte Mal in die Stadt (Stadt 3), um im Strom des Werdens treibend seinen realen, äusseren Lebensweg noch einmal zu besteigen und eine beliebige Variante einer Lebensbahn in der Form eines Lebenslaufes im Lebenslauf durchzumachen und sich des Mayahaften, des trügerischen Scheincharakters des Lebens zu vergewissern. Ganz beliebig ist dieses Leben doch nicht, es scheint im Gegensatz zum rechtswidrigen, ungerechten und unglücklichen ersten Lebensweg Dasas am Anfang eine märchenhaft-glückliche Wende zu nehmen, aber nur, damit gezeigt werden kann, daß Glück und Unglück, Lust und Leid momentane und launische Zustände des spielerischen Lebens sind. Stufenweise überwindet Dasa sein früheres Sein und seine frühere Betrachtungsweise, und nachdem auch das letzte sinnliche Band, nämlich die Liebe zu seinem Sohn, Ravana, durch den Tod des Kindes zerrissen worden ist, kann er nunmehr sterben, wobei ihm die neue «überwirkliche» Perspektive beschieden und ein neues Leben gegönnt wird21. So kann er Pravati, das höchst sinnliche, verführerisch-buhlerische, untreue, machtgierige und kämpferische Weib, um das sich in Dasas Leben und in der StadtWelt nach wie vor alles dreht, nunmehr ohne Eifer- und Rachsucht, mit «begierdeloser Liebe»22 betrachten und sie nicht als Sünderin sondern als Opfer sehen; denn 20 21

22

SW, 5, S. 491–492. Eine ähnliche Entwicklung macht Siddhartha durch, indem er sich nach Jahren der Askese der «Geistessphäre» bei den Samanas der «Sinnessphäre» im Stadtleben unter der Leitung von Kamala und Kamaswami hingibt. Nachdem er auch die sinnliche Seite des Lebens ausgekostet hat, kehrt er zum Fluss, der beide Sphären – die Geistes- und Natursphäre – voneinander trennt und verbindet, zum Vasudeva, dem «Vereinigenden» zurück, um sich nun der «Seeelenssphäre» hinzugeben. Auch für Siddhartha bedeutet nach Kamalas Versterben sein Sohn das einzige Band zur Sinnessphäre, das durch die Flucht des Knaben zerrissen wird. Erst danach kann sich Siddhartha in der «Seelenssphäre» der Einheitsschau widmen, das heilige Om erleben und selbst ein Erleuchteter werden. Unter «begierdeloser Liebe» versteht Hesse eine wieder Natur gewordene, d.h. vom Willen befreite, reine Betrachtungsweise, die Liebe schlechthin, die sich ohne jegliches Interesse als erkennendes Subjekt nach dem zu erkennenden Objekt richtet, in ihm aufgeht und ähnlich der Schopenhauerschen «reiner Erkenntnis» mit dem «Weltauge» das

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sie kann doch nichts für ihre angeborene Schönheit und erotische Reizkraft sowie für ihre Instinkte und Triebe, sie ist ja bloss ein unschuldiges Kind, steckengeblieben auf der ersten Stufe der Menschwerdung, wie alle Teilnehmer des «Ringeltanzes», der Leben heißt. Der von vornherein zu einem schweigsam-meditativen «überwirklichen» YoginLeben berufene Dasa kann nun nach dem Verzicht auf das Herrschen als Fürst den «langen Weg» seines neuen Lebens als Schüler und Diener am Höchsten antreten. Der Kreis des turbulenten und bunten Lebens der Erscheinungen und beliebigen Gestaltungen dreht sich um eine Achse, die unbewegt ist. Der Kreislauf der Stadt dreht sich nun im Indischen Lebenslauf um die Achse Wald mit dem erleuchteten Yogin, dem Vertreter der Idee der Einheitsschau, der seine Weisheit seinem Schüler Dasa verantworten wird. «Er hat den Wald nicht mehr verlassen»23. Mit diesem viel diskutierten Satz endet der dritte Lebenslauf und der ganze Roman. Nach der Logik des Kreises soll jedoch einst ein neuer Schüler im Wald erscheinen, wie Dasa den alten Meister gefunden hat. Auf diese Weise wird also für die Kontinuität von Meister und Schüler und damit für das Fortbestehen des Einheitsgedankens, sowie der Idee vom kompromisslosen Dienen am reinen, von Institutionen und politischen Bestrebungen unabhängigen, Geist gesorgt, genauso wie im Hauptteil durch den Opfertod Knechts diese Idee an Tito weitergegeben wird. Zum Absterben des «wirklich-sinnlichen» Menschen Dasa und zum Neugeborenwerden des vergeistigten «überwirklichen» Yogin-Schülers und Dieners kommt es nicht zufällig am und mithilfe vom Wasser. Das Erwachen zum neuen Leben, zu einer neuen Lebensphase erfolgt bei Hesse oft am Wasser, das in seinem Werk als Einheitssymbol gilt. Das Wasser bleibt nämlich immer das gleiche, obwohl es sich ständig ändert: es ist also ein Ewig-Wandelloses, Sein im Ewig-Wandelnden, im Werden. Mit anderen Worten: der ewige Geist in der ewigen Natur24. Die drei Lebensläufe variieren Josef Knechts Entwicklungsweg mit all seinen Krisen und ihren Überwindungen, angefangen mit der ersten Konfrontation des kastalischen Schülers mit den Abtrünnigen in Eschholz, die noch mit Hilfe des Musikmeisters überstanden wird, über die zweite, Waldzeller Krise des Studenten, die sich in der Feind-Freundschaft zwischen Knecht und Designori zuspitzt und die sich in

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Wesen der Objekte, die Sphäre der Ideen, gleichsam das höchste erkennende Wesen, der Künstler, betrachtet. Vgl. dazu den Aufsatz Von der Seele (1917). SW, 5, S. 516. Hesses Protagonisten sterben oft den Wassertod, indem sie in der Einheit einkehren oder einen Erleuchtungsmoment erleben, wie z.B. Hans Giebenrath im Roman Unterm Rad, Klein-Wagner in der Erzählung Klein und Wagner, Siddhartha vor seinem letzten Erwachen am Flussufer in der Erzählung Siddhartha, Narziss nach seinem letzten Ausbruchsversuch aus dem Kloster in der Erzählung Narziss und Goldmund und Josef Knecht in Belpont. Vgl. zur Wassersymbolik: P. Gontrum, Natur- und Dingsymbolik als Ausdruck der inneren Welt Hermann Hesses, München, 1958.

Géza Horváth 158

Carlo Ferromontes Formulierung in ein Konzert sublimiert, dann über die dritte Krise in Mariafels, die durch die Geschichtsauffassung des Pater Jakobus hervorgerufen und nunmehr von Knecht allein verarbeitet wird, bis zur letzten Krise, die in der Figur des Fritz Tegularius unverkennbare Krankheitssymptome der isolierten kastalischen Geistigkeit aufweist und die alle Knecht, den großen Abtrünnigen endlich zum Bruch mit Kastalien bewegen, damit er nach seinem letzten, grossen Erwachen die Natursphäre der Welt mit der von ihm vertretenen Idee der reinen Geistigkeit befruchte, auch wenn es eine persönliche Opferschaft von ihm verlangt. Diese Entwicklungsspirale gestaltet sich nach dem vorgezeigten Modell und führt ins Unendlich-Ewige, «in eine Dimension, welche wir nur ehrenbietig zu ahnen vermögen»25. Der Anfang und das Ende der drei Lebensläufe ist offen, genauso wie es im ganzen Roman und in den meisten Werken von Hesse der Fall ist. Diese Texte, sind Entelechien, beliebige Masken, Gestaltungen desselben Wesenskernes. Das Wesen, der Stoff, ist auch in diesem Sinne ständig, während sich die Form in beliebigzahlreichen Variationen verwirklichen kann. In allen vier Lebensläufen wird jenes «Realisieren» unternommen, das den Weg vom Werden zum Sein, vom Möglichen zum Wirklichen sucht.

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SW, 5, S. 41.

Besprechungen

Clara Elisabeth Seeger, Biography, Historiography, and the Philosophy of History in Hermann Hesse’s Die Morgenlandfahrt and Das Glasperlenspiel, Heinz, Stuttgart 1999 (Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik; 370). Zugl.: London, King’s College, Diss., 1997, 250 S.y, Historiography ... In ihrer historiographisch-geschichtsphilosophisch perspektivierten und textnah-narratologisch angelegten Dissertation untersucht Clara Elisabeth Seeger die Bedeutung von Biographie, Geschichtsschreibung und Geschichtsphilosophie in Hermann Hesses Erzählung Die Morgenlandfahrt und seinem letzten Roman, Das Glasperlenspiel (ungeachtet der terminologischen Ungenauigkeit Seegers, die in beiden Fällen von «novel» spricht, handelt es sich bei der Morgenlandfahrt nicht um einen Roman). Diese Textauswahl begründet sie mit dem Hinweis, daß die Erzähler dieser beiden Werke «for the first time purport to be engaged in a historiographical project in addition to the familiar, biographical one» (S. 27). Darüber hinaus konstatiert Seeger für beide Texte die Bedeutung von Geschichte «as the quintessential innovative element» (S. 28). Nach der einleitenden Etablierung der Hauptlinien, Überlegungen zur Rolle des Erzählers als (Auto-)Biograph und Geschichtsschreiber, zur Bedeutung der Geschichte und zur Methode, wird in Kapitel 2 und 3 das Erzählverhalten, fokussiert auf die zugrundeliegenden Konzeptionen von (Auto-)Biographie und Historiographie, beleuchtet. In einem dritten Schritt konzentriert sich Kapitel 4 auf den ersten fiktiven Lebenslauf Josef Knechts im Glasperlenspiel. Der Verfasserin geht es darum, das besondere Gewicht dieser fiktiven Lebensläufe im Rahmen des «ideological framework» des Romans sichtbar zu machen. In Kapitel 5 versucht sie eine Bewertung durch den Vergleich mit anderen geschichtsphilosophischen Konzepten, so vor allem J. Burckhardts, Spenglers und Hegels, die in einer Betonung von Hesses geschichtsphilosophischem Skeptizismus resultiert. Im letzten Kapitel parallelisiert Seeger Hesses Konzeption vom individuellen Leben mit seiner Darstellung der Geschichte, umreißt die Verbindung von Geschichte (im Sinne von ‹Historie›) und Narration und konstatiert insgesamt zwar eine «increasing intellectual sophistication», räumt jedoch gleichzeitig eine terminologische Unschärfe in beiden Werken ein. Die Bedeutung des Begriffes ‹Geschichte› reicht von der akademischen Disziplin der Geschichtswissenschaft über Geschichtsphilosophie bis hin zu individuellen Erfahrungen (vgl. S. 231). In beiden Werken dominiert nach Seeger die Biographie die Historiographie, und lediglich Parallelisierungen seitens der Erzähler legen eine Verwandtschaft zwischen narrativem Akt und historiographischer Dimension nahe (vgl. S. 232). Von der Morgenlandfahrt zum Glasperlenspiel sei allerdings insofern eine Entwicklung festzustellen, als in letzterem Geschichte als existentielle subjektive Erfahrung mit dem individuellen Leben Knechts in eins gesetzt wird, das Erzählen der Lebensgeschichte dadurch nicht mehr auf die Nabelschau der «self-therapy» (S. 238) beschränkt bleibt: Der Erzähler im Glasperlenspiel scheint demnach durch die Hoffnung motiviert, daß das Leben Knechts posthum eine interne Reform von Kastalien und ein Überdenken seines Verhältnisses zur äußeren

Besprechnungen 160 Welt anregen könnte. Diese historische Perspektivierung verlängert Seeger mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer vergleichbaren Rezeptionshaltung der Leser: «If one concedes this possibility of a radiation of Knecht’s thinking to the real-world reader beyond the confines of the fiction, the onus of realising Knecht’s spiritual legacy must finally rest on the reader himself» (S. 239). Clara Elisabeth Seeger Angesichts dieser vorsichtigen und nur bedingt aussagekräftigen Bilanz scheint die Frage berechtigt, ob die Bedeutung von Geschichte und Geschichtsschreibung als dominanter Deutungsperspektive tragfähig ist – zumindest im Rahmen einer überwiegend textimmanent und narratologisch verfahrenden Analyse. Die Problematik der Arbeit Seegers verbirgt sich zum einen darin, daß die Diskussionslinien der großen Forschungsbereiche Biographie / Autobiographie und Geschichtsschreibung weitestgehend ausgeklammert werden, und zum andern darin, daß das Potential narratologischer Analysemethoden nicht ausgeschöpft wird. So weist die Verfasserin in ihrer «Terminological and Methodological Note» explizit darauf hin, daß «the term biography (as well as its variant of autobiography) is in this thesis not to be understood as a generic classification of the two novels. Rather, (auto)biography pertains specifically to the narrators’ respective undertakings and thus applies to the fictional context» (S. 28), und meint damit, daß offensichtlich aufgrund der Erzählsituation und der inhaltlichen Perspektivierung Die Morgenlandfahrt als Autobiographie Hermann Hesses und Das Glasperlenspiel als Biographie Josef Knechts verstanden werden können. Desgleichen ist das «concept of ‹historiography› […] extrapolated from the two narrators’ view of themselves as ‹Geschichtsschreiber›» (ebd.). Diesen, gewissermaßen dem ,Alltagssprachgebrauch‘ entsprechenden Vorstellungen von Biographie und Geschichtsschreibung steht ein ausgesprochen weiter und entsprechend unscharfer Begriff von Geschichtsphilosophie zur Seite: «The term ‹philosophy of history› will in this thesis be employed in its widest sense of any form of reflective discourse on the central issues (i.e. the meaning, purpose, logic, etc.) of history» (S. 29). Erstaunlicherweise zieht die Verfasserin zudem aus den Erkenntnissen, die sie durch die Übertragung von Freuds und C.G. Jungs Konzepten der Verdrängung auf Hermann Hesse, den Ich-Erzähler der Morgenlandfahrt, und sein Erzählverhalten, gewinnt, in der narratologischen Analyse keinen weiteren Nutzen. Neben Franz Stanzel vor allem auf Gérard Genette zurückgreifend, legt Seeger zwar die Unterscheidung von extra- und intradiegetischen Erzählebenen, erlebendem und erzählendem Ich sowie Dorrit Cohns Differenzierung eines konsonantem oder dissonantem Verhältnisses zwischen diesen beiden Instanzen ihrer Untersuchung zugrunde, die jedoch für den von ihr als zentral herausgestellten Zusammenhang von verdrängter Erinnerung und dem problematischen Erzählverhalten einschlägige narratologische Kategorie eines potentiell Unzuverlässigen Erzählers (W.C. Booth) wird nicht in Erwägung gezogen. Daß Seeger diese Möglichkeit trotz der Anführung einer Vielzahl von Textbeispielen, in deren Zusammenhang immer wieder von «façade» (S. 39), «cover-up strategy» (S. 39), «narratorial problems» (S. 39), «self-delusion» (S. 46) usw. die Rede ist, nicht anspricht, muß bei der narratologischen Ausrichtung der Arbeit als Versäumnis gewertet werden. Angesichts der Betonung von «repression» als «theme» (S. 45) der Morgenlandfahrt wäre eine Analyse mit Hilfe der vor allem von Ansgar Nünning ausgearbeiteten Kriterien von erzählerischer Unzuverlässigkeit naheliegender gewesen als Cohns Kategorie der Dissonanz, die bei dieser spezifischen Erzählsituation eines quasiautobiographischen Ich-Erzählers ohnehin keine Seltenheit darstellt. Der unkritisch von Genette übernommene, sehr weit gefaßte Prolepse-Begriff (vgl. S. 127ff.) oder auch der undiskutierte Befund von erlebter Rede im Rahmen homodiegetischen Erzählens (vgl. S. 51) deutet letztlich auf eine gewisse ,Naivität‘ im Umgang mit narratologischen Kategorien hin, die hinter dem derzeitigen Stand dieses Forschungsbereichs zurückbleibt. So wird z.B. auch der Terminus der Metalepse (Genette) so

Besprechnungen 161 weit gefaßt, daß er im Rahmen des homodiegetischen Erzählens wie in der Morgenlandfahrt bei Seeger anscheinend mit kommentierenden Eingriffen und metanarrativen Anmerkungen des erzählenden Ich schlechthin zusammenfällt (vgl. S. 37ff., bes. S. 48f.). Die prinzipiell zu begrüßende Ausführlichkeit und Detailliertheit des «close reading» führt zudem zu einem negativen Seiteneffekt: Gegenüber den sehr detaillierten Textanalysen schreitet die Argumentation nur vergleichsweise langsam voran, wird redundant und tendiert streckenweise zur Inhaltsparaphrase. Trotz dieser problematischen Aspekte bleibt der begrüßenswerte Versuch, narratologische Kategorien auf die Werke Hermann Hesses anzuwenden und für die spezifische inhaltliche Perspektive des Verhältnisses von Historiographie und Biographie nutzbar zu machen. Von ihrem methodischen Ansatz her erweist sich demnach die Arbeit als durchaus anregend für die in dieser Hinsicht eher abstinente Hesse-Forschung. Yvonne Wolf

Besprechnungen 161

Ines Gröpper, Individuation und absolute Ordnung im epischen Werk von Hermann Hesse, Tectum, Marburg 2001, 138 S., € 25,90. Individuation und absolute Ordnung ... Ines Gröpper untersucht in ihrer Monographie Individuation und absolute Ordnung im epischen Werk von Hermann Hesse, die als Magisterarbeit entstand, Individuationsprozesse in Herman Hesses Unterm Rad (1906), Innen und Außen (1920), Die Morgenlandfahrt (1932) und dem ersten fiktiven Lebenslauf Josef Knechts, Der Regenmacher, in Das Glasperlenspiel (1943). Sie setzt es sich zum Ziel, die verschiedenen Formen von Individuation in ihren Wechselwirkungen mit der Ordnung der jeweiligen epischen Welt, in der sie angesiedelt sind, zu deuten. Ihre Textauswahl begründet die Autorin damit, daß sie nicht solche Werke Hesses untersuchen wolle, die Individuation ganz offensichtlich thematisierten, sondern sich auch mit Prozessen beschäftigen wolle, «bei denen das eigentliche Thema erst nach abgeschlossener Interpretation ersichtlich wird» (S. 13). Als Hintergrund für ihre Interpretation zieht sie v. a. die Konzeption C.G. Jungs heran, um Individuation nicht nur als auf die Pubertät konzentrierten Prozeß zu reduzieren. In diesem Zusammenhang rekurriert sie auf die These, Hesse sei lediglich ein anspruchsvoller Jugendautor, die sie mit Zitaten aus einem «Spiegel»-Leitartikel von 1958 belegt. Da die Arbeit keine rezeptionsgeschichtliche Perspektivierung aufweist, ist der Rückgriff auf eine solche Quelle nicht nachvollziehbar. Das von Gröpper zwar zu Recht kritisierte Urteil, auf das sie sich im Verlauf ihrer Untersuchung mehrfach bezieht, kann inzwischen längst als widerlegt gelten, weshalb ihr Versuch einer Entkräftung in dieser Hinsicht nicht mehr dem aktuellen Stand der Hesse-Forschung entspricht. Gröpper macht diverse, auf das Individuum einwirkende Dualismen fest, deren Verhältnis den Individuationsverlauf der betreffenden Figur determinieren. So sei Hans Giebenrath in Unterm Rad nicht nur einem weiblichen und einem männlichen Pol ausgesetzt, sondern der im Sinne Nietzsches apollinisch orientierten Welt des Vaters und der dionysisch charakterisierten Welt der Mutter. Vor diesem Hintergrund ordnet Gröpper Handlungen, Ereignisse und Motive des Textes einer Richtung zu und entwirft so breitgefächert die Spannungen, denen der Protagonist ausgesetzt sei. Die fehlende Harmonisierung dieser beiden Pole durch Giebenrath sowie ein unausgeglichenes Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung führe für diesen zum Scheitern an der «Bildungshierachie, die der natürlichen Anlage eines Individuums nicht gerecht wird, sowohl apollinische als auch dionysische Tendenzen bewußt auszuleben» (S. 43). In Innen und Außen werde hingegen die gelungene Individuation des modernen Menschen thematisiert, der durch den Protagonisten Friedrich dargestellt und dem anhand von dessen Beispiel wiederum ein «die verschiedenen Stadien beschreibendes Individuationsrezept»

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(S. 68) gegeben werde. Der Individuationsprozeß Friedrichs müsse aber ebenso wie mit der Psychoanalyse auch im Zusammenhang mit Mythos und Gnosis betrachtet werden. Des weiteren arbeitet Gröpper anhand der thematisierten Dualismen intertextuelle Bezüge zu Goethes Gedicht Epirrhema heraus. Repräsentativ für die von ihr so häufig herangezogene Darstellung in Dualismen sei auch der tönerne Götze, der den altrömischen Gott Janus darstelle. Dieser sei «kein triviales Symbol […], sondern erweist sich als Konglomerat von Schlüsselideen, die allesamt in Friedrich und auch in der Erzählung selbst zu wirken beginnen» (S. 48). Zentral für den im Verlauf der Morgenlandfahrt geschilderten Individuationsprozeß Hermann Hesses stellt Gröpper die individuelle und sich erst entwickelnde Wahrnehmung von Wirklichkeit und Wahrheit heraus. Im Hinblick auf den Dualismus der apollinischen und dionysischen Welten stelle der Bund der Morgenlandfahrer eine Synthese beider dar, präsentiere den Brüdern eine Welt, in der der Prozeß der Individualisierung unter guten Bedingungen stattfinden könne, die dadurch jeden auf seiner individuellen Suche unterstütze. Nichtsdestoweniger sei jeder Suchende wie Hermann Hesse den Antagonismen ausgesetzt, was zum Verlust der Sekurität einer absoluten Ordnung führe und den Beginn der Auseinandersetzung des Protagonisten mit sich selbst markiere. Die absolute Ordnung der Welt, in der die Handlung des nächsten von ihr betrachteten Textes, des fiktiven Lebenslaufes Der Regenmacher aus dem Glasperlenspiel, angesiedelt sei, müsse zwar schon allein durch die Wahl des betreffenden Zeitraums völlig konträr zu den zuvor von ihr betrachteten Texten gesehen werden, trotzdem würden die gleichen Antagonismen und Dualismen thematisiert: «Die ‹Welt der Mutter› aus Unterm Rad ist in diesem Werk Hesses […] ganz klar in der erzählten Außenwelt zu erkennen» (S. 113). Vergleichend zum Individuationsprozeß im Regenmacher zieht die Verfasserin Ergebnisse vorangegangener Analysen heran. Ferner beleuchtet sie die Funktion des fiktiven Lebenslaufs für die Individuation Knechts im Gesamtzusammenhang des Glasperlenspiels, die ein «fiktives, projektives Beispiel» (S. 125) für diesen sei. Die Einordnung geschieht jedoch nur kursorisch, so daß das Herausgreifen eines einzelnen Lebenslaufes aus diesem umfangreichen Werk willkürlich wirkt. Angesichts von Hesses Gesamtwerk ist dies ein Vorwurf, der die Textauswahl Gröppers insgesamt betrifft. Obwohl Gröpper für jeden untersuchten Primärtext schlüssige Ergebnisse festhalten kann und sich um eine differenzierte Darstellung von Parallelen und Abweichungen bemüht, erschließen sich die Zusammenhänge zum Teil nur schleppend. Ein Grund hierfür liegt sicherlich darin, daß sie keine einheitliche Vorgehensweise für die Untersuchung der Texte einhält, die Einzeldarstellungen zunächst relativ unverbunden nebeneinander stellt und eine Zusammenführung erst im Rahmen der Analyse des Glasperlenspiels und in ihrem Schlußkapitel vornimmt. Die zu Beginn ihrer Untersuchung aufgenommene, jedoch ohnehin bereits überholte These vom Jugendautor Hesse kann die Verfasserin widerlegen, da sie auch andere Individuationsprozesse als die der Adoleszenz herausarbeitet: So sei «[d]er Individuationsgedanke […] vor allem fundamental mit dem Gedanken an Unsterblichkeit bzw. Ewigkeit verknüpft und ziel[e] nicht zuletzt zwecks Erkenntnisgewinn ab auf Bewußtseinserweiterung und Transzendenz» (S. 127). Die Ankündigung in der Einleitung, weniger, «als es die meisten (hier berücksichtigten) Sekundärautoren tun» (S. 10), auf Hesses Biographie als Interpretationshintergrund zurückzugreifen, hält sie vergleichsweise konsequent durch und setzt biographische Deutungsmuster nur selten und dann gezielt und begründet ein. Das 138 Seiten umfassende Buch präsentiert sich leider nur unzureichend redigiert, was sich an Grammatik-, Tipp- und Satzfehlern ebenso wie an inkonsequent gehandhabten Formalien zeigt. Überwiegend ihre Untersuchung an bestehende Erkenntnisse anlehnend, bleibt Gröppers Argumentation zum größten Teil auf ausgetretenen Pfaden. Desungeachtet gelingt

Besprechnungen 163 es ihr, verschiedene Interpretationsansätze für die von ihr ausgewählten Primärtexte fruchtbar zu machen und textnah zu belegen. In dieser Hinsicht wird die Arbeit ihrem Ziel gerecht, unterschiedliche Ansätze zur psychoanalytischen Auslegung exemplarisch zusammenzuführen. In diesem Methodensynkretismus liegt gleichzeitig aber auch ihre große Schwäche. Elisabeth Balß

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Heiko Gröger, Hermann Hesses Kunstauffassung auf der Grundlage seiner Rezeptionshaltung, Lang, Frankfurt a.M. u.a. 2003, 340 S., € 45,50.. Im Zuge eines kurzen Forschungsabrisses skizziert Heiko Gröger in seiner Einleitung die Aufgabe seiner wissenschaftlichen Arbeit in Abgrenzung zu einem Großteil der bisherigen Forschung: Er möchte sich ausschließlich nichtpoetischen Texten des Autors widmen, um «der Erstarrung des Hesse-Bildes in konträre Klischees entgegenzuarbeiten und zu einer vorurteilsfreien, distanzierten und kritischen Betrachtungsweise auf den Schriftsteller zurückzukehren» (S. 11). Die inhaltliche Zielsetzung besteht somit in der Aufarbeitung und Systematisierung neuer Quellen, um eine chronologische Entwicklung in Hesses Kunstauffassung aufzuzeigen, die sich wie folgt in drei Phasen einteilen läßt: Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die Zeit während des Ersten Weltkrieges und die Zeit nach Ende des Ersten Weltkrieges bis hin in die 30er Jahre. Der zunächst hohe Anspruch, den sich Gröger setzt, wird insofern relativiert, als er einschränkt, keine der bisherigen Interpretationen ersetzen zu wollen oder gängige Klischees zu diskutieren; vielmehr, und darin liegt die Stärke seiner Arbeit, handelt es sich um eine fundierte Erweiterung und Ausdifferenzierung von bereits Bekanntem. Die erste Phase setzt Gröger bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges an, dessen äußeren Einfluß er als tiefgreifenden Einschnitt in Hesses Kunstauffassung wertet. Die Zeit vor 1914 wird charakterisiert durch eine stark «eskapistische Tendenz» (S. 30), die den Autor in seiner Weltflucht vor einer Auseinandersetzung mit einer als nicht ideal empfundenen Realität bewahrt. Methodisch entwickelt Gröger dies an der Aufarbeitung von Quellen wie Tagebucheinträgen, Aufsätzen und Briefen Hermann Hesses, die sich thematisch in Hesses Romantikrezeption einordnen lassen. Schon hier treten für Gröger Probleme mit seinem Forschungsgegenstand zu Tage, die sich im Laufe der Arbeit wiederholt stellen werden: Hesse rezipiert und rezensiert Literatur weitgehend spontan, das heißt es handelt sich bei seinen theoretischen Schriften in einem Großteil der Fälle um subjektive Leseeindrücke, denen man keine reflektierte Auseinandersetzung mit Kunst bzw. Kunsttheorie unterstellen darf. Dies macht sich zum einen inhaltlich bemerkbar, indem man Hesse, wie Gröger ganz richtig feststellt, was seine Zugehörigkeit zu zeitgenössischen literarischen Strömungen angeht, immer wieder als Außenseiter einordnen muß; der Verfasser löst dieses Problem, indem er ihn permanent zu diesen Strömungen in Beziehung setzt, sei es beispielsweise zum Naturalismus, der Hesses programmatischem Idealismus quasi per definitionem entgegensteht. Zum anderen ergibt sich natürlich in Folge ein Hessebild, das zwar durchaus konstante Linien aufweist, aber in zahlreiche Facetten zerfällt, deren detaillierter Aufarbeitung und Wertung der Verfasser jedoch sowohl qualitativ wie auch quantitativ nachkommt, indem er die Begrifflichkeiten Hesses in den philosophischen Begriffen Platons, Schopenhauers und Schellings zu fassen sucht bzw. von diesen abgrenzt. Auf diese Art und Weise definiert er beipspielsweise «die Seele», «das Schöne», «Naturverbundenheit», «Mythos», «Ganzheit» und «Ewigkeit». So komplex diese Inhalte im einzelnen auch sind, so bleibt für Hesses Kunstauffassung in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg dennoch festzuhalten, daß Kunst für Hesse immer Ausdruckskunst ist; sie ist keine freie Kategorie, sondern grundsätzlich Medium, um Gedanken, Gefühle und Inhalte zu transportieren. In dieser Zweckmäßigkeit soll sie «Opti-

Besprechnungen 164 mismus und Glauben, nicht eine pessimistische oder gar nihilistische Weltsicht vermitteln» (S. 66). Gleichzeitig gründet sie auf «subjektiven, kompensatorischen Sehnsüchten» (S. 92) und ist keiner Lebenswirklichkeit verpflichtet. Der Erste Weltkrieg allerdings führt insofern zu einem Umdenken bei Hesse, als er sich gezwungen sieht, seine Auffassung von Kunst zu revidieren, da er sich den Anforderungen der Lebenswirklichkeit nun auf ästhetischer Ebene kaum mehr zu entziehen vermag. Wachgerüttelt durch die politischen Ereignisse bringt er zu Beginn zwar nachdenkliches, dennoch aber sehr diffuses Gedankengut zu Papier, das Gröger recht ausdifferenziert und möglichst vollständig schildert; die Gründe für diese zunächst mangelnde politische Zielrichtung sieht Gröger darin, «daß der Ausbruch des Ersten Weltkrieges in Hesse nicht nur einen psychisch geschwächten, sondern auch einen politisch unvorbereiteten Menschen traf» (S. 102). Der Krieg bewirkt bei Hesse eine Auseinandersetzung mit der äußeren Realität und mündet zumindest teilweise in ein neues, reflektiertes Kunstverständnis: Er verfaßt zahlreiche Schriften, in denen er diesen Krieg mit einem moralischen wie kulturellen Untergang Europas gleichsetzt. Seinem Schaffen und Kunst überhaupt verlangt er nun ab, sich aus der von ihm als mittlerweile unerträglich empfundenen Lebensferne zu lösen: «Die Kunst verliert ihren Status als autonomen Erfahrungsbereich; sie wird der Bewältigung der lebensweltlichen Situation untergeordnet» (S. 176). Hiermit bewegt sich Hesse zwar vordergründig weg vom Eskapismus der Vorkriegszeit, dennoch lassen sich wesentliche Konstanten weiterhin beobachten: Hesse bleibt trotz aller Entwicklung ein Autor des Inneren, dessen Ansatz immer wieder auf anthropologischer Ebene zu suchen ist. Der krisenbewußte Hesse empfindet die politisch-soziale Wirklichkeit noch immer als Störfaktor, die den Menschen, der für ihn eigentlich einen Teil der Natur darstellt, in seiner inneren Entwicklung behindert. Als oberstes Prinzip proklamiert er den «Eigensinn»: Obrigkeitsdenken und Individualismus, wie sie der moderne Staat hervorruft, stehen einer «freien Entfaltung der Persönlichkeit» (S. 132) entgegen. Gegen europäische Lebensformen stellt er somit seine Denkansätze zu asiatischen Religionen, die ihn weniger in ihrer individuellen Ausprägung als in dem von ihm als allen gemeinsam empfundenen Endziel interessieren, nämlich als Neuorientierung für den europäischen Menschen. Für die Auseinandersetzung mit diesem Thema wie für sein Verhältnis zur Psychoanalyse läßt sich gleichermaßen sagen, daß Hesse beides in einer Art und Weise rezipiert, die ihn zu einer theoretischen Bestätigung von bereits aufgestellten Begriffen, beispielsweise eben «Eigensinn» oder «Seele», führen. Als herausstechendes Positivum darf Heiko Grögers Beurteilung der Psychoanalyse bei dem Autor Hesse und dessen Kunstauffassung gelten, denn er sieht in ihm weder einen puren Verfechter der Psychoanalyse noch verficht er den weitverbreiteten Irrweg der älteren (und leider teilweise auch neueren) Forschung, Hesses Literatur auf die dichterische Darstellung von psychoanalytischen Thesen und Erkenntnissen zu reduzieren. Vielmehr hebt er hervor, «daß dem Einfluß der Psychoanalyse auf Hesses Kunstauffassung [...] deutliche Grenzen gesetzt sind» (S. 209). Grögers Untersuchung konzentriert sich in ihrem Schwerpunkt auf die theoretische Auseinandersetzung Hesses mit der Psychoanalyse, die er als der Dichtkunst gleichberechtigte Betrachtungsweise einordnet, da sie eben denselben Forschungsgegenstand habe: die Seele. Dennoch erfolgt eine klare Abgrenzung zwischen Künstler und Psychoanalytiker. Zusammenfassend läßt sich der von Gröger dargestellte Paradigmenwechsel bei Hesse zwischen der Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg folgendermaßen nachzeichnen: Hesse verneint rückblickend seine allzusehr idealisierende, eskapistische Tendenz und ersetzt sie durch einen Aktualitätsanspruch an Literatur, die er an den Maßstäben einer Lebensrealität mißt. Dennoch, «[d]ie Sehnsucht nach kompensatorischen Kunsterfahrungen stellt die wohl markanteste Konstante in Hesses Kunstauffassung dar» (S. 220).

Besprechnungen 165 Die dritte Phase von Hesses Kunstauffassung, der Gröger nur vergleichsweise wenig, nämlich knapp 50 von 275 Seiten Raum beimißt, ist, nach der Unsicherheit und Desorientierung über den Ereignissen des Ersten Weltkrieges durch das Erlangen einer erneuten Sicherheit, dem Ende von Suche und Selbstkritik, aber auch durch Resignation gegenüber den politischgesellschaftlichen Ereignissen gekennzeichnet. Lassen sich inhaltlich kaum mehr als Akzentuierungen von bereits Gesagtem feststellen, so flüchtet sich der Autor in eine räumliche und ideologische Isolation, die auf literarischer Ebene in einen bewußten «Elitarismus» (Elitismus) mündet. Gröger spricht einerseits von einer aus Ohnmachtsgefühl begründeten Abkehr von der historischen Realität, die Hesse schließlich in eine ahistorische, abstrakte Realität führt; zum anderen aber beschreibt er die verblüffende Weitsicht, die Hesse angesichts der politischen Ereignisse im nationalsozialistischen Deutschland bereits während der späten 20er und früher 30er Jahre beweist. Das dritte Kapitel Grögers widmet sich ferner Begriffen wie «Geist», «Glauben», «Bildung» sowie einer erneuten Deutung des Begriffes des «Schönen». Hermann Hesse wird, ganz zu Ende von Grögers Untersuchung, «zu den Autoren der Moderne» (S. 275) gezählt. Kunst definiere sich bei Hesse vor allem als ein «Wertediskurs» (S. 275). Die Arbeit Grögers läßt ein Fazit vermissen, sie beschränkt sich auf Schlußfolgerungen am Ende jedes einzelnen Kapitels. Dies liegt vor allem darin begründet, daß der Verfasser eben jene Fehler der älteren Forschung zu vermeiden sucht, die darin bestanden, Hesses Kunstauffassung mit Schlagworten, Pauschalisierungen, Verallgemeinerungen und undifferenzierten Etiketten zu belegen. Eben dieser selbstgestellten Aufgabe kommt Gröger in umfangreichem Maße nach. Auch sein Forschungsziel, Hesses Kunstauffassung anhand von Rezensionen, Aufsätzen und anderen theoretischen Schriften zu entwickeln, hat sich als nicht unproblematisch, aber trotzdem sachgemäß und fruchtbar erwiesen. Was Gröger leider versäumt, ist, die Kluft zwischen Hesses Kunstauffassung, wie er sie in Rezensionen etc. äußert, und seinem eigenen Kunstschaffen, das von dieser Auffassung nicht selten abweicht, zumindest anzureißen. Es wäre außerdem wünschenswert gewesen, wenn der Verfasser etwas ausführlicher auf Hesses Verhältnis zur Bildenden Kunst eingegangen wäre. Grögers Dissertation besticht nicht durch neuartige, revolutionäre Erkenntnisse, aber durch eine fundierte, wissenschaftlich ernstzunehmende Analyse. Es handelt sich um das durchaus gelungene Projekt, Hermann Hesses «Kunsttheorie» in ihrer Komplexität und Vielschichtigkeit darzustellen, gleichzeitig aber die großen Linien seines Diskurses sichtbar durchscheinen zu lassen. Kathrin Schäfer

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Transkribieren. Medien/ Lektüre, hrsg. von Ludwig Jäger u. Georg Stanitzek, Wilhelm Fink, München 2002, 287 S., € 36,90. Der aus der gleichnamigen Tagung des DFG Sonderforschungsbereichs 427 «Medien und kulturelle Kommunikation» vom 6. bis 8. August 2000 in Köln hervorgegangene Sammelband beschäftigt sich mit den Problemen der Übertragbarkeit und Vereinbarkeit von Wissen im Spiel von unterschiedlichen Medientechniken. Dabei stehen der Akt der Lektüre und daran angeschlossen das Verfahren des Transkribierens im Vordergrund. Transkriptivität wird als zentrales Phänomen und Methode kultureller Symbol- und Wissensarbeit in den Vordergund gestellt. Die Entwicklung von Kultur als allgemeines Verfahren der Nutzbarmachung der Lebenswelt setzt, birgt dabei verschiedene Voraussetzungen: Unlesbares bzw. Nichtlesbares in lesbare Formen bzw. von einem Medium in ein anderes zu überführen, ohne jedoch die wesentlichen und sinnstiftenden Prozesse und Performanzen im Ausgangsmedium zu verlieren. Durch die Analyse alter und moderner Schreib-/Leseverfahren soll die Dynamik

Besprechnungen 166 des Lesens und des Umschreibens, zusammengefasst unter dem Begriff «Transkribieren», aufgezeigt werden. Notwendig sei, so der Herausgeber Ludwig Jäger, daß die «Aktivierung und Entfaltung transkriptiver Intelligenz auf dem Niveau telematischer Kommunikationskultur» bestehen könne. Das Verfahren des Transkribierens steht sozusagen als einzige «Form der Lesbarmachung der Welt» dafür zur Verfügung. Die Umschrift – also die Übertragung von symbolisiertem Wissen von einem Medium auf das andere – stellt die größten Herausforderungen an die Theorie wie auch die mediale Praxis selbst. Transkribieren wird mehr oder minder als Universaltheorie und -praxis vorgeschlagen und führt alle bisherigen Grundsatzdiskussionen zum Thema Intermedialität und seinem literarischen Vorläufer, der Intertextualität, zusammen. Weniger die bloße Dekonstruktion, denn die Hinwendung zur Rekonstruktion der Ordnung und Dynamik der Wissensarbeit als einer wertetragenden und wertestiftenden Funktion, stehen im Vordergrund des Interesses. Laut Georg Stanitzek ist die notwendige Grundvoraussetzung für das effiziente Transkribieren als Übertragungsfunktion die Nutzung linguistischer Transkriptionsverfahren. Ergänzend werden technische Verfahren der empirischen Datenanalyse zugelassen, etwa die computertomografische Bildverfahren zur Sichtbarmachung von neuronalen Prozessen im Gehirn, musikalisches Sampling, die Info- und Typografie als sinnstiftende Informationsarchitekturen (Gary Bente, Entschlüsselung einer ungewissen Botschaft. Zur Transkription und Analyse nonverbaler Kommunikationsprozesse). In den einzelnen Vorträgen tut sich im Folgenden ein widersprüchliches Feld an Kompromissen auf, das beständig zwischen den Optionen klassischer Einfühlungshermeneutik und strikter empirisch-statistischer Analytik zu oszillieren scheint (Brigitte Weingart, Flüchtiges Lesen: TVTranskripte (Goetz, Kempowski, Nettelbeck). Stellenweise generiert sich die Kritik zum trotzigen Schlag gegen die Auseinandersetzung mit technischen Hermeneutiken, die sich in der Medientheorie im Umkreis Friedrich Kittlers ihren Weg in die Geisteswissenschaften bahnten (Eckhard Schüttpelz, Eine Umschrift der Störung. Shannons Flussdiagramm der Kommunikation in ihrem kybernetischen Empfang). Deren Technikhörigkeit bzw. der sich dem Primat der technischen Mediensysteme teilweise unterwerfende Gestus wird zu recht kritisch hinterfragt. Doch die hier vorgestellte Auflösung unter dem Stichwort Transkriptivität gebiert sich ähnlich widersprüchlich. Man könnte etwas überspitzt formuliert sagen, daß die bewußte Wahl der Verfahren linguistischer Textanalytik (Angelika Redder, Professionelles Transskribieren) – die im übrigen unabhängig von technischen und mathematisch-statistischen Verfahren überhaupt nicht denkbar ist – wahrlich nicht in Einklang zu bringen ist mit dem Anspruch und dem durchaus wichtigen Ziel, die kulturelle Wissensarbeit als Informationspolitik der Transformation sichtbar zu machen. Auf der anderen Seite steht der Rückgriff auf bereits etablierte, aus der traditionellen literarischen und philosophischen Hermeneutik entwickelte Verfahren des Protokollierens von Sinn und damit Transskription (Marcus Hahn, Das Eckermannproblem. Versuch in Berührungstheorie). Das Transkribieren wird hier jedoch weniger als allgemeines Sammeln und Übertragen verstanden, als Lese, sondern als beste bzw. bestmögliche Auswahl, sprich: Auslese. Es vermittelt ein wenig den unangenehmen Geschmack von gespritztem Wein aus alten Schläuchen. Insgeheim wird ein Verlust der Bedeutung klassischer Hermeneutik beklagt, der die zu diskutierenden Bruchstellen der universalen hermeneutischen Medienkompetenz ein wenig verschleiert. Der Status einer immer deutend und sinnstiftend operierenden philologischen Hermeneutik ist eben nur eines unter vielen Werkzeugen von Medienwissenschaft, nicht primus inter pares. Wir haben es also nicht mit einer Bestandsaufnahme einer allgemeinen kulturellen Semantik, sondern mit einer historisch sehr gut verortbaren semantischen Kultur zu tun, die hier als Analysetechnik und als Analysegegenstand benutzt wird. Die deutlich spürbare Tendenz in den einzelnen Beiträgen, die Begriffe Medien und Kommunikation technisch und struktura-

Besprechnungen 167 listisch (im Sinne der modernen Semantik und Linguistik) als Protokollanten von Wissen zu definieren, nimmt dem Projekt viel an Schubkraft. Solange die Diskussionen um eine alles verbindende Medientheorie mit dem Versuch des Abgrenzens der einen von der anderen Methode enden und mehr den Streit und die weitere Trennung der Fakultäten zementiert, bleiben derartige Unterfangen problematisch. Zumindest das Projekt einer Lesbarmachung der Welt und das Schreiben einer entsprechenden semantisierten Lesetechnik entspringt mehr den Irrfahrten der Evolution von sich unilateral präsentierenden Medien und ihren Schreib-/ Leseverfahren, als manch einer der Beteiligten es sich wohl eingestehen mag. Ralph Kuschke

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Anja Miltenberger, Verborgene Strukturen in erzählenden Texten von 1900–1950, Utz, München 2000 (Münchner Beiträge zur Sprach und Literaturwissenschaft), 181 S., € 34. Erzählende Texte erschöpfen sich selten in einer Oberflächenhandlung, sondern enthalten darunter liegende, nicht immer auf den ersten Blick offenkundige Bedeutungsdimensionen. Diese Erkenntnis ist ebenso alt wie die literarische Hermeneutik. Anja Miltenberger setzt es sich zum Ziel, verborgene Strukturen, d.h. «Ordnungen und Verbindungen, die sowohl eine gliedernde Funktion besitzen, als auch mit einem Gegenstand und einer bestimmten Aussage besetzt sind» (S. 12) nachzuzeichnen und sie auf ihre Funktion hin zu untersuchen. Dem Rezipienten erschließen sich derartige Strukturen nicht immer auf den ersten Blick bzw. nicht immer bei der ersten Lektüre, da sie durch die Oberflächengestaltung der Texte verdeckt werden können. Die Verfasserin eröffnet ihre Dissertation mit einem kurzen begriffsgeschichtlichen und methodischen Abriß (Kap. 1), der sie über Strukturkonzepte von Henry James über Lukács, Barthes, Lotmann und Benjamin führt und entwickelt daraus den ihrer Arbeit zugrundeliegenden Strukturbegriff. Den Hauptteil der Arbeit (Kap. 2–5) nimmt die Bearbeitung der thematisch-kryptischen Strukturkomplexe Musik, Religion, Zeit und Mathematik anhand von textnahen und ergebnisreichen Einzelstudien ein, wobei ein Untersuchungsschwerpunkt auf den historischen Quellen des in die Erzählungen eingeflossenen Gedankenguts liegt. Ihre Methodik führt die Verfasserin von Untersuchungen zentraler Motive und Figurenkonstellationen zu einer Offenlegung struktureller Muster, die sie in Bezug zur ‹Oberflächenhandlung› und ‹Aussage› der Werke setzt – wobei man die Frage stellen muß, ob der vage Begriff der ‹Aussage› angebracht ist. Ein methodisches Problem ergibt sich immer dort, wo die Trennung von Inhalt und kryptischer Struktur unscharf ist. Dies liegt gewiß nicht an mangelnder Gliederung der Arbeit, sondern legt die Vermutung nahe, daß ‹verborgene› Strukturen einerseits und Stoff, Inhalt, ‹Aussage› andererseits nicht restlos voneinander zu trennen sind. Man darf die verhaltene Frage wagen, wie leistungsfähig der Strukturbegriff im Rahmen dieser Arbeit sein kann. Eine offenkundige Schwäche der Arbeit besteht zudem in der Unschärfe des Begriffs «verborgene Strukturen». Hier hätte zwischen einer bewußten ‹Verrätselung› seitens der Autoren einerseits und dem Auslegungsspielraum auf der Rezipientenseite geschieden werden müssen. Der untersuchte Textkorpus umfaßt acht Erzählungen, deren Entstehung in die Jahre zwischen 1900 und 1950 fällt, namentlich Thomas Manns Buddenbrooks, Doktor Faustus, Der Zauberberg, Hermann Hesses Narziß und Goldmund, Das Glasperlenspiel, Hermann Brochs Schlafwandler-Trilogie, Robert Musils Törleß und Die Vollendung der Liebe. Diesen erzählenden Texten ist die Tatsache gemein, daß in sie Gegenstandsbereiche und Methoden anderer Disziplinen bzw. Betrachtungsweisen der Welt einfließen, die sich von rein literarischen Darstellungsmodi grundlegend unterscheiden, da sie sich anderer Aussage- und Zeichensys-

Besprechnungen 168 teme bedienen. Die Bedeutung der für die untersuchten Texte herangezogenen Gegenstände (der Musik bei Thomas Mann, des Daoismus für Hesse, die Zeit im Zauberberg und Brochs Schlafwandlern und die Naturwissenschaft in Musils Werk) ist nun der bisherigen Forschung nicht entgangen, dafür sind die jeweiligen Affinitäten bei weitem zu offenkundig. In dieser Hinsicht bringt die Arbeit nichts wesentlich Neues, sondern kann sich auf lange Ahnenreihen in der literaturwissenschaftlichen Forschung berufen. Die Musik wird als die Quelle verborgener Strukturen in den Buddenbrooks wie auch im Doktor Faustus erkannt (Kap. 2.3 und 2.4), wobei in den Buddenbrooks noch v. a. unter dem Einfluß Wagners die Verwendung literarischer Leitmotive in den Vordergrund tritt, die als ‹Subtext› den Verfall der Familie antizipieren und damit das Handlungsgerüst thematisch stützen. Im Doktor Faustus hingegen wird nicht allein ein musikalisches Stilmittel in den Text übertragen, sondern es werden musikalische Eigenschaften direkt in die Struktur eingeschrieben. Die Zwölftonmusik steht im Mittelpunkt des Schaffen des Protagonisten Adrian Leverkühn; die Autorin erkennt die Charakteristika der Zwölftonmusik in Ambiguität und Vexation und weist diese auch im Motivgerüst des Romans nach, was sie zu dem Ergebnis führt: «Die neue Musik wird damit in der kryptisch-thematischen Struktur des Werkes ‹praktiziert›» (S. 167). Grundlegend anders verhält es sich nun mit den Texten Hermann Hesses, denn dieser nimmt nun «keine vorgegebene Technik […], sondern Weltanschauungen strukturell auf» (S. 167). In Narziß und Goldmund (Kap. 3.3) werden daoistische Prinzipien und christliche Elemente in den Antagonismen Yin / Yang und dem Figurenpaar Johannes / Eva auf die polar angelegten Hauptfiguren und Handlungskonstellationen übertragen, wodurch Hesse seinen Wunsch nach einer Synthese der Religionen, ihrer Ideen und Denker in die Textgestalt einschreibt. Dieser Gedanke einer umfassenden Weltreligion erscheint auch – wenngleich in strafferer künstlerischer Durchformung – im Glasperlenspiel (Kap. 3.4). Auch hier figuriert der daoistische Yin-Yang-Dualismus auf der kryptisch-strukturellen Ebene neben christlichen Prinzipien, die mit dem Benediktinerpater in die Figurenkonstellation treten. Darüber steht das Glasperlenspiel selbst als universales Gedankengebäude, das die Denker aller Zeiten und Kulturen jenseits von Zeit- und Raumschranken exemplarisch umfassen soll. Dichotomische Strukturen sind in Hesses Texten nun keineswegs ‹verborgen›, sondern prägen sein gesamtes Werk. Mit der Rückführung der «Verborgenen Strukturen» in Narziß und Goldmund und dem Glasperlenspiel auf den Daoismus entscheidet sich die Verfasserin für eine Weltanschauung, die sich in ihrer Bildwelt dualistischer (Denk-)Muster bedient und gewiß von Hesse rezipiert worden ist – zugleich macht sie damit aber ihrerseits vom Auslegungsspielraum Gebrauch, den die dualistischen Grundmuster in Hesses Werk dem Interpreten anbieten. In Kap. 4, das dem Phänomen Zeit gewidmet ist, wendet sich Miltenberger wiederum Thomas Mann zu, in dessen (Zeit-)Roman Der Zauberberg auch die Gestaltung von Zeitstrukturen durch Leitmotive geleistet wird, die aufgrund ihrer Eigenschaft, im Text und damit in der narrativen Sukzession rückwärts wie vorwärts zu verweisen, eine «ewige Gegenwart» evozieren. In Brochs Schlafwandlern konstatiert Miltenberger eine Struktur, die neben dem durch die Einzeltitel offenkundigen zeitlichen Nacheinander einen «Zerfall der Werte, der Wirklichkeit und des Weltbildes» nachzeichnet (S. 169), wobei sich Broch mit dem Polyhistorismus und dem ,Querschnitt‘ zweier von Joyce und Dos Passos adaptierter Techniken bedient, die die strukturelle und inhaltliche zeitliche Basis der Trilogie bilden. Dieses Kapitel hätte eine auf narrative Strukturen zielende Analyse bereichern und vertiefen können, zumal man auch diese als eine ‹verborgene Struktur› betrachten muß, die handlungskonstitutiv sein kann – und es in beiden Fällen in erheblichem Maße auch ist, da die subjektive Zeitwahrnehmung Hans Castorps wie auch die Epochenkonzepte in Brochs Schlafwandlern durch erzähltechnische Verfahrensweisen veranschaulicht werden.

Besprechnungen 169 Mit den mathematischen Strukturen stehen die Erkenntnisse und Methoden einer Wissenschaft im Mittelpunkt des 5. Kapitels, das Robert Musil gewidmet ist. In Die Verwirrungen des Zöglings Törleß greift er «in Gegenstand und Aussage auf die Mathematik und deren Kommunikationsmöglichkeit im Irrationalen [sic] Bereich zurück und verwendet sie auch in dieser Art in seiner Struktur» (S. 169). In Die Vollendung der Liebe wird diese «kryptische Struktur, die thematisch durch die Mathematik geprägt ist» radikalisiert, indem die Mathematik «vollständig zur Welt der Erzählung» wird (S. 169). Miltenberger ergänzt den Musilschen Dualismus von Wirklichkeit und Möglichkeit um den dazwischen liegenden Zustand der «Virtualität», in der die Zeit stillsteht bzw. in einem Punkt verdichtet erscheint. Die Strukturen der ausgewählten Texte sind sehr verschiedenartig und lassen manchen Zweifel an der Textauswahl aufkommen (die an keiner Stelle ausdrücklich begründet wird). Die Heterogenität der in Texten der klassischen Moderne adaptierten Zeichensysteme und Gedankenkomplexe ist gewiß für die Zeit charakteristisch. Anstatt jedoch gerade diesen Befund genauer zu beleuchten und die Präsentation der Textauswahl als exemplarisch für die große Bandbreite der Themen der Literatur dieser Jahre hervorzuheben, bemüht sich Miltenberger immer wieder um einen Vergleich der Strukturen untereinander. Dieser muß recht dürftig ausfallen, da Zeichensysteme wie Mathematik und Musik schwerlich mit religiösen Weltanschauungen oder dem abstrakten Konzept Zeit parallelisiert werden können, da sie sich in sehr unterschiedlichen Weisen im Text niederschlagen. Die Fortentwicklung bestimmter Textstrukturen im Werk eines Autors werden dagegen sehr präzise und klarsichtig aufgezeigt. Je nach Vertrautheit der Verfasserin mit den jeweiligen Themengebieten (Musik, Religion, Mathematik) sind die Romananalysen von differierender Qualität. Während erstere Bereiche überzeugend erarbeitet werden, erscheinen gerade die mathematischen Grundlagen (Kap. 5.1) des Musil-Kapitels problematisch, was sich auch in der Bearbeitung der komplexen Erzählungen Musils niederschlägt, die den vorangehenden Kapiteln in Klarheit und Überzeugungskraft ein wenig nachsteht. Es muß zudem angemerkt werden, daß die Arbeit mangelhaft redigiert ist und zahlreiche sprachliche Fehler den Lesefluß erheblich beeinträchtigen. Anja Miltenberger verspricht, die Frage nach den «Beweggründen der Autoren [zu stellen], derartige Ordnungen und Verbindungen in ihre Texte einzubauen und diese dabei mehr oder minder stark im Verborgenen zu halten» (S. 3); eine Antwort auf diese Frage bleibt bedauerlicherweise aus. Literarische ‹Verrätselungen› sind keineswegs einzig ein Phänomen der Moderne – man bedenke etwa die dem «sensus astrologicus» in Grimmelhausens Simplicissimus gewidmeten Studien (u.a. von K. Haberkamm), die um eine astrologische Aufschlüsselung des Textes bemüht sind. Auch moderne populäre Romane bedienen sich gewisser Verfahren der Codierung und belegen damit den Reiz, der von diesem textuellen Spiel ausgeht. Die Funktionen dieses Spiels sind freilich im Barock andere als in den Thrillern der Gegenwartsliteratur. Ging es im 17. Jahrhundert darum, religiöse Gehalte zu vermitteln, so wird das Spiel mit dem Leser im Thriller auf die bloße Mechanik der Verrätselung reduziert. So ergebnisreich die Einzelanalysen sind, so offenkundig sind jedoch zugleich die Grenzen der Studie, die immer dort hervortreten, wo literarhistorische Fragen berührt werden. Etwa: Warum ist eine Häufung derartiger «verborgener Strukturen» gerade in Texten der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu beobachten? Wir haben es bei der literarischen Moderne mit einer Bewegung zu tun, die sich nicht nur anderen Künsten öffnet, sondern auch in engen Bezug zu den Wissenschaften (Mathematik oder Physik) tritt. Der intermediale und interdisziplinäre Austausch der Avantgarde gründet in der einzigen Gewißheit, daß einseitige Perspektiven auf die Wirklichkeit in einer Zeit, die von schnellerem und größerem Informationsfluß geprägt ist, überholt sind, daß literarische Welten sich nicht anderen Erkenntnismethoden verschließen dürfen, daß ein Roman keinen hermetisch abgeriegelten, rein fiktiven Kosmos präsentieren kann – in einer Zeit, in der Wahrheit als ein zweifelhaftes Gebilde erkannt worden ist, das einer

Besprechnungen 170 immensen Vielfalt der Betrachtungsperspektiven unterliegt. Sei es der Mythos, seien es (diese Dimension läßt die Arbeit vermissen) intertextuelle Verweisungszusammenhänge (man denke an das Muster der Odyssee in Joyces Ulysses), seien es Erkenntnisse und Methoden anderer Disziplinen oder fundamentale Umbrüche in anderen Künsten – der Roman des 20. Jahrhunderts konnte sich der zunehmenden Vernetzung nicht mehr entziehen. Zu Recht zitiert die Verfasserin Musils Diktum: «Die Anpassung an das naturwissenschaftliche Weltbild kann der Literatur nicht erspart bleiben und ein gut Teil ihrer heutigen Gegenstandlosigkeit geht darauf zurück, daß sie sich verspätet hat» (GW, VIII, S. 1138). Es ist aufschlußreich, daß die Autorin auch Texte von Autoren heranzieht, die gemeinhin nicht der experimentellen Front der Avantgarde zugerechnet werden – nämlich Hermann Hesse und Thomas Mann. Auf Grundlage der zusammengetragenen Ergebnisse ließe sich der Beweis erbringen, daß diese Schriftsteller in keiner Weise epigonal und traditionell arbeiteten, sondern grundlegende Tendenzen der Moderne in ihr Schaffen inkorporiert haben. Mancher Leser mag sich die Frage stellen: Welche Konsequenzen haben die unterlegten Strukturen und ihre Verweisungszusammenhänge für narrative Grundauffassungen, nämlich der Linearität epischer Texte, was bedeutet dies für das traditionelle Gattungsgefüge im Kontext der literarischen Moderne, was für den Roman? Die dem Text unterlegten Muster fordern zu einem Lektüremodus heraus, der alinear verläuft und vielmehr der Rezeption eines Gedichts ähnelt – insofern, als der Leser gezwungen ist, Querverweise in seinem Leseprozeß nachzuvollziehen, die ein Vor- und Zurückspringen im Text erforderlich machen, will man ein Kunstwerk in seinem gesamten Bedeutungsspielraum erfassen. Maren Jäger

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Heinz Brüggemann, Architekturen des Augenblicks. Raum-Bilder und Bild-Räume einer urbanen Moderne in Literatur, Kunst und Architektur des 20. Jahrhunderts, Offizin Verlag, Hannover 2002, S. 580, € 34,80. Die Zeit, in der «die Hegemonie des Sehens» nur auf eine kleine Elite beschränkt war, ist endgültig vorbei. Als der Frühchrist Pamphilus dem römischen Gouverneur in Palästina erklären wollte, dass er aus Jerusalem kam und der Gouverneur nach einer genaueren Beschreibung dieses Ortes fragte, antwortete Pamphilus: «Die Stadt liegt zwischen dem Nahen Osten und der aufsteigenden Sonne»1. Pamphilus beschrieb das himmlische Wesen der heiligen Stadt visuell; er also besaß eine solche »Hegemonie des Sehens«. Daß aber der römische Gouverneur, d.h. die damalige Inkarnation der Macht schlechthin, nicht über diese Macht verfügte, gilt heute als Beweis dafür, daß das Christentum die einzige wirkliche Macht werden sollte und bildet zugleich ein interessantes Paradox für die Geschichte: Ausgerechnet die von der offiziellen Macht Ausgeschlossenen, die Frühchristen, sind die Einzigen, die die echte Gestalt der Stadt sehen können; sie allein haben die echte Sicht. Noch interessanter ist es aber, nach der Gegenwart zu fragen, inwiefern sich nämlich diese Sehenshegemonie heutzutage geändert hat, und ob sie immer noch im Besitz von machtlosen Sehern ist. Der Begriff der «Hegemonie des Sehens» ist der rote Faden im neuesten Buch von Heinz Brüggemann, den er in den «Diskurs des Urbanismus in der Moderne» einbindet. (S. 14). Das heißt hier, Fragen «nach den Formen und den Intensitäten der Aneignung der neuen urba1

Die Episode wird zitiert von G. Stroumsa, Mystical Jerusalem, in Ders., Barbarian Philosophy. The Religious Revolution of Early Christianity, Tübingen 1990, S. 294; sie findet in dem Ort Caesarea statt. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch daran, dass der Name Jerusalem von den Römern in Aelia Capitolina geändert wurde – ein Beweis dafür, daß Raumsymbolik immer auch an Gedächtnispolitik gebunden ist.

Besprechnungen 171 nen Räume, der technischen Stadt» und zugleich «nach den Lebensformen und Lebensmöglichkeiten in der urbanen Moderne, nach Selbstbemächtigung und Selbstverlust, nach Heimisch-Werden, Verortung und Atopie ihrer Bewohner» (S. 13) zu stellen und Antworten zu geben. Ein solches Forschungsfeld und -ziel ruft sofort die Namen von Georg Simmel, Walter Benjamin und Aby Warburg ins Gedächtnis zurück: sie fungieren hier als Schutzgötter jenes «literarischen Stadt-Diskurses der Moderne», von dem die Rede in dem Buch ist. Denn die moderne Stadt wird nicht mehr durch die alte Einzigartigkeit – Jerusalem als heilige Stadt, Rom als ewige Stadt, Athen als immerwährende Verkörperung der politischen Gemeinschaft –, sondern durch ihre Vielfältigkeit, ihren Übergangscharakter und schließlich durch ihre (Nicht)Identität gekennzeichnet. Die Absicht Brüggemanns wird am Anfang deutlich dargelegt: «Die Fragen nach der Identität der Stadt als Ort, nach den Formen und nach der Intensität ihrer Aneignung, nach den Figurationen der Sinne, [...] sollen hier aufgenommen und in eine eigene Archäologie, ein retrospektives Arrangement urbaner Wahrnehmungsgformen in Literatur, bildender Kunst und Architektur der Moderne und der Übermoderne (Augé) transponiert werden» (S. 44). Deswegen werden einzelne Kapitel des Buches Döblin und den Futuristen, den Passagen Benjamins, dem Ulysses von Joyce sowie Musil und Warburg gewidmet – Autoren, die in verschiedenster Art und Weise jenen Zwischenraum verkörpern, der die Moderne eröffnet, der den Raum als Bild-Raum erfaßt. In diesem Sinn bleibt Brüggemann Benjamins Begriff der Phantasmagorie treu, durch den sich die Moderne beschreiben läßt2. Tatsächlich ist die Raum-Symbolik der Moderne nicht mehr ‹mystisch› wie in der Antike, also nicht mehr als Veräußerlichung der innersten Raumwahrnehmung zu deuten, sondern rein bildlich: Während nämlich der Frühchrist der am Anfang erwähnten Episode nur die Beschwörung der heiligen Stadt braucht, um sich gegenüber dem römischen Gouverneur zu behaupten, muss sich der moderne Sehensmächtige einem vielfältigen Weltbild stellen. Brüggemann aber sieht im Weltbild à la Heidegger den letzten Versuch, eine Geschichte des Seins in interiore animi, jenseits jeglicher Weltlichkeit zu retten, die letztlich einen Rest an Subjektivität in sich trägt: «Vergegenständlichung des Seienden in Weltbild und Vor-Stellung vernunftzentrierter Subjektivität» (S. 78). Die philosophiegeschichtlichen Prämissen des Buches stützen sich auf die Methodik Warburgs und Benjamins einerseits, d.h. auf die zwangsläufig verzerrte Wahrnehmung der modernen Räume; andererseits stützen sie sich auf die Kritik an Heidegger, der diese moderne Wahrnehmung zu überwinden suchte. Allen Wegen gemeinsam ist eine Hegemonie des Sehens. Während aber die Heideggersche Linie in die Sackgasse der Seinsmystik führt, öffnet die Warburg-Benjaminsche Linie die Moderne als metamorphische Landschaft, die sich in der Literatur, in der Kunst, in der Architektur zeigt: So erscheint Brüggemann zufolge das Kafkaeske «Theater von Oklahoma» als ein traumwandlerischer Ort des Neuen, weist die künstlerische und poetische «sensibilità futurista» auf die Veränderung der modernen Großstadt, stellen sich die modernen Architekturideen von Le Corbusier und Giedion der Aufgabe einer Rationalisierung des Sehens in den neuen öffentlichen Räumen, analysiert Benjamin selbst die neuen Übergangswahrnehmungen der Moderne in den Passagen und zeichnen Joyce und Musil eine literarische Hyper-Topographie des vielfältigen Menschen in den 2

«Les formes de vie nouvelle et les nouvelles créations à base économique et technique que nous devons au siècle dernier entrent dans l’univers d’une fantasmagorie. Ces créations subissent cette «illumination» non pas seulement de manière théorique, par une transposition idéologique, mais bien dans l’immédiateté de la présence sensible. Elles se manifestent en tant que fantasmagories» eme (W. Benjamin, Paris, Capitale du XIX siecle. Exposé [1939], in Ders., Passagen-Werk [Gesammelte Schriften, V.1], Frankfurt a.M. 1982, S. 60).

Besprechnungen 172 neuen urbanen Räumen. Jedes Kapitel ist auf diese Weise sozusagen als Einzelphotogramm desselben Film konzipiert, der uns die Moderne als (dissonante) «Symphonie der großen Stadt» zeigt. Nicht zufällig hält der Autor die Entwicklung der filmischen Kunst und deren Wahrnehmung für sehr wichtig und epochemachend in der Begriffsbestimmung der Moderne: Der «Fluß des Lebens», der nach Kracauer Objekt des Films ist, wird hier also zum literatur- und kunstwissenschaftlichen Objekt, insofern beide Bereiche, das Leben und die Kunst bzw. die Landschaft und das Denken aus romantischer Sicht Teil desselben Kontinuums scheinen. Brüggemann ist sich der Gefahren bewußt, die eine solche Weltauffassung mit sich bringt, und daher akzentuiert er die imaginären, chimärischen Aspekte dieser Wahrnehmungsformen, indem er sie in ihren rein literarischen Qualitäten, also aus der Distanz heraus, rezipiert3. So wird ein Raum-Bild zum imaginären Bild-Raum, weil «die einzige Wirklichkeit [...] die Erinnerung [ist], aber die Erinnerung ist eine Erfindung» (S. 28). Über das visuelle Moment hinaus wird die Besonderheit des Filmischen auf dessen Fiktionalität zurückgeführt, und auf den literarischen Charakter des Films. Die Moderne aus dieser Perspektive zu analysieren, heißt letztlich jenen erfinderischen Raum in Betracht zu ziehen, der zugleich Rechenschaft von der Vergänglichkeit des Lebens und von der – mit Benjamins Worten – erstarrten, naturgeschichtlichen Urlandschaft geben kann. Das bekannte Zitat «exegi monumentum aere perennius», mit dem Horaz sich auf sein eigenes dichterisches Werk bezog, wird in der Moderne beim Wort genommen und damit umgewandelt: Weil die literarische Moderne nicht mehr dazu neigt, ewigere Monumente als die Bronze zu bauen, sondern jene «Architekturen des Augenblicks» beschreibt (so der Titel eines 1927 veröffentlichten Artikels über Paris mit dem Text Franz Hessels und den Bildern Germaine Krulls, der die «UrUrzelle» der Pariser Passagen von Benjamins bildet, und denen auch dieses Buch seinen Titel verdankt), die jetzt Embleme der Mannigfaltigkeit geworden sind. «Architekturen des Augenblicks» insofern, als der Augenblick das kernlose und begründende Konzentrat geworden ist, was früher der messianische Blick auf die heilige Stadt war. Gabriele Guerra

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Daraus folgt, daß der Einfluss von Kracauers Theorie des Films in der literarischen Wirkungsgeschichte begrenzt ist: «Kracauers Überlegungen lesen sich wie eine Regieanweisung für jene Struktur der Nachträglichkeit, die den narrativen und topischen Diskurs von Lisbon Story bestimmt; zugleich ist diese Struktur auf intrikate Weise mit dem Diskurs über urbane Wahrnehmungsformen verbunden» (S. 22). Der Film von Wim Wenders erscheint tatsächlich hier als die allegorische Eintrittskarte in die Moderne, und der einzige Vorwurf, der dem Buch zu machen ist, besteht darin, daß die beschriebene Vielfältigkeit zugunsten einer literarischen Einseitigkeit geopfert wird, in der Autoren, Denker, künstlerische und philosophische Strömungen als homogene Teile einer visuellen Begriffsgeschichte erscheinen: Die «Hegemonie des Sehens» tendiert sozusagen dazu, sich ab und zu in ein «Sehen der Hegemonie» umzuwandeln.

Mitteilungen

Intellectual freedom: Road to prosperity Once a European great writer heartily said about Siddhartha: «A literary work can be regarded as successful only when great perception skilfully is expressed in simple language and the perception so expressed touches the heath of the pilasters. I think this is the only standard to differentiate between the good and the bad literary work. To go through the teachings of the Buddha and follow it in literal sense is quite different from assimilating it into one’s own life. Whenever I read Siddhartha, I find myself being able to assimilate, through at the very least, the perception of the Buddha. That is why Hesse’s Siddhartha is like that «medicine to me which gives vigour of Life». It is not merely a praise to his literary work, but I see his work as a physiological stage of human being. Until one is not mature enough for love of the self or self-reverence, a man is forced to accept the life as a painful process and the quality of self love or self-respect is called Parinirwan. These were the words expressed by Hermann Hesse, which were published in a literary magazine decades back. This placid observation attracted my attention towards his literary works. ,Parinirwan‘ is a term found in eastern or oriental religious texts. The fact that Hesse, born and brought up in western culture, ventured to explain the term ,oriental‘ caught my attention. There is an element of eastern culture in almost all the works or writings of Hermann Hesse. Siddhartha is an important novel of Hesse, which is very popular. So we were thinking since a long time of translating Siddhartha and other important writings of Hesse into Nepali language. This was possible only through collective efforts of those who had a literary bent of mind. Hence some of us who were like minded set out to explore the possibility of establishing a foundation in the name of Hermann Hesse. It is heartening to note here that our efforts culminated into the establishment of the «Hermann Hesse Society-2000».The prime objective of the society was to translate the literary works of Hesse into Nepali. Mr. Manfred True and the German Ambassador Rüdiger Lemp have been extending their valuable assistance and advise to the Society since the time of its beginning. They also helped to give international publicity to the Society. «Hermann Hesse International Society» was founded in the northern town Calw, Germany, in the year 2002, on the 125th birthday anniversary of Hermann Hesse. One representative had been invited to participate from the Nepal Society of Hermann Hesse. I attended the ceremony organized to officially announce the founding of the Hermann Hesse International Society, we had, by then, completed the translating of the novel Siddhartha and I was discussing about the cover page with my co-workers. I perceived a huge gap between the people of Nepal and the Germans in Calw. The reason for the gap is more due to their economic and academic background rather than the geographic positioning of the countries. The people in Calw regard literary personalities more as philosophers than as writers. Hesse accorded importance to the ordinary man’s views and observations. Hence we ordinary people should respect them. This was the feeling expressed by a lady. I compared the conditions there and in my own country, when I got to see the immense respect being shown by the people there

Mitteilungen 174 to Hermann Hesse. I concluded that a man has first to be completely free to pursue intellectual development. But this freedom has been narrowly defined in the context of our country. Until a man is not able to fulfil his basic material requirements, he cannot develop himself intellectually and emotionally. Contrary to he situation back home, western literature has been able to encompass the conditions and realities existing worldwide. This has contributed to bridge the division among the people of the world. That is why I regard Hermann Hesse and others like him, who could harmonize the vision and perception of different communities across the globe. It would like in this context to quote Hermann Hesse, when the people are concerned with only material aspects of life, ignoring other vital aspects, «It is very different to maintain a balance between the moral and material needs» when all the energy is spent to fulfil the same. There are numerous works and writings of Hesse, which have helped to check the unrestricted, blind and materialistic desires. After returning from Calw, where I was acquainted with important truths, I got to see and feel the emotional and intellectual height of the people there. I felt as if intellectual freedom was pervading the whole atmosphere there. Great multidimensional writers and philosophers like Hesse were encouraged to propagate their messages in an intellectually free atmosphere. After returning home, we started working on the cover page of Siddhartha. The next work will be the translation of Demian and Steppenwolf. Ramesh Adhikari (Präsident der Hermann Hesse Gesellschaft in Nepal) Nepal-2000

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Bericht über die internationale Fachkonferenz Hermann Hesse und die Modernisierung. Kulturwissenschaftliche Facetten einer literarischen Konstante im 20. Jahrhundert in Mainz, 3. – 6. Oktober 2002 So selbstverständlich eine wissenschaftliche Beschäftigung mit Hesse angesichts seiner andauernden weltweiten Popularität sein mag – so einzigartig erscheint sie angesichts des geradezu demonstrativen Desinteresses der deutschen Forschung an diesem Autor. Besonders die germanistische Literaturwissenschaft hat sich in höchst prekärem Maße anfällig gezeigt für die mit Hesse verbundenen Klischees, die von seiner unliebsam-kanonischen Erziehungsfunktion als curricular auferlegter Pflichtlektüre bis hin zu einer Kultfigur jugendlich-pubertierender Verehrung und einer Stilisierung zum gefeierten Helden von (internationalen) Fanclubs reichen. Im Jubiläumsjahr 2002 lud Prof. Dr. Andreas Solbach in Mainz deutsche wie internationale Forscher zum ersten literaturwissenschaftlichen Hesse-Symposium einer deutschen Universität. Die Resonanz auf den Aufruf zu dieser Fachtagung mit dem Titel Hermann Hesse und die Modernisierung. Kulturwissenschaftliche Facetten einer literarischen Konstante im 20. Jahrhundert war ebenso bemerkenswert wie die dargebotene Themenvielfalt: In 20 Vorträgen wurden Leben und Werk Hermann Hesses unter literatur- und kulturwissenschaftlicher, philosophischer und buchwissenschaftlicher Perspektive in ihrem Facettenreichtum aufgefächert und vor dem Hintergrund der literarischen Moderne neu beleuchtet. Ein Primärziel der Tagung mußte darin bestehen, die literaturwissenschaftlichen Vorbehalte, ja Berührungsängste abzubauen, die vorherrschende akademische Ignoranz gegenüber Hesse mittels neuer Perspektiven zu durchbrechen, vielmehr diesen Autor und sein Werk als gewinnbringenden Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung zu etablieren und für die

Mitteilungen 175 Literaturwissenschaft fruchtbar zu machen. So anachronistisch Hesse verglichen mit den revolutionär-experimentellen Tendenzen der literarischen Avantgarde im frühen 20. Jahrhundert erscheinen mag, so sehr sind seine Texte, ist seine literarische Wirkungsmacht doch Ausdruck der latenten Tendenzen seiner Zeit, steht sein Schriftstellerdasein unter dem Einfluß gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse und Tendenzen, ohne die sich nur ein unvollständiges Bild der Epoche zeichnen lassen. Bereits ein Jahr vor der Konferenz hatte Siegfried Unseld seine Unterstützung und Teilnahme mit einem Beitrag zugesagt. Bis kurz vor Beginn des Symposions hatten wir Hoffnung, daß er seinen Vortrag halten würde. Aus gesundheitlichen Gründen konnte er den Eröffnungsvortrag zur Tagung Hesse heute nicht mehr persönlich halten. Siegfried Unseld starb am 26. 10. 2002. Sein Aufsatz eröffnet jedoch den Sammelband zur Tagung, der im Juni bei Suhrkamp unter dem Titel Hermann Hesse und die literarische Moderne. Kulturwissenschaftliche Facetten einer literarischen Konstante im 20. Jahrhundert erscheinen wird und seinem Andenken gewidmet ist. (Die in dem Tagungsband versammelten Vorträge werden außerdem ergänzt durch einen Beitrag von Prof. Dr. Waltraud ,Wara‘ Wende «Die Schule ist die einzige moderne Kulturfrage, die ich ernst nehme» – Zur Relation zwischen literarischen Texten und sozio-kulturellen Erfahrungsräumen am Beispiel von Hermann Hesses Schulgeschichte «Unterm Rad» (1905), Prof. Dr. Carsten Gansels Aufsatz Von Angst und Unsicherheit – Modernisierung und Adoleszensdarstellung bei Hermann Hesse und Angelika Jacobs› Beitrag über Fragile Idole der Moderne. Die BuddhaFigur bei Victor Segalen, Fritz Mauthner und Hermann Hesse). Im zweiten Vortrag führte Prof. Dr. Stephan Füssel mit seinem buchwissenschaftlichen Beitrag Hermann Hesse – der erste ,Bestseller-Autor‘. Überlegungen zur Bestseller-Kultur in der Weimarer Republik in die Verlagslandschaft und die Publikationsbedingungen ein, im Rahmen derer auch Hermann Hesses Werke erschienen. Im Verlauf seines Vortrags ging Prof. Füssel auf den Buchmarkt der Kaiserzeit und die Veränderungen in der Weimarer Republik ein und beleuchtete darüber hinaus das Autor-Verleger-Verhältnis zu Suhrkamp wie auch zu Unseld, das bei Hermann Hesse von besonderer Bedeutung war. Im Anschluß führte Prof. Dr. Walter Erhart mit seinem Beitrag Hesses Frühwerk: Topographien der Gegenmoderne? (Hermann Lauscher, Peter Camenzind) nicht nur in Hesses Frühwerk ein, sondern er kontrastierte das kanonische Hesse-Bild mit Überlegungen zu Berührungspunkten mit postmodernen Vorstellungen. Prof. Erhart stellte die These auf, daß der bei Hesses Werken zentrale Aspekt der Selbstfindung und der Mythisierung von Identität eine moderne Form des Versuchs der Kontingenzüberwindung sei. Prof. Dr. Ulrich Breuer konnte in seinem Vortrag Melancholie der Heimatferne. Figuren der Erlösung in Hermann Hesses Peter Camenzind durch eine semiotische Analyse der wichtigsten Isotopien, der Heimat und der Melancholie, zu einer neuartigen Sichtweise des frühen Romans von Hermann Hesse gelangen. Er wies Spuren romantischer Naturpoesie sowie zahlreiche Elemente des Melancholie-Diskurses unter Rückgriff auf antike und mittelalterliche Traditionen sowie den Bezug zum gnostischen Mythos auf. Auch Dr. Yvonne Wolf beschritt in ihrem Beitrag Risikoleben und Textsicherheit in Hermann Hesses «Narziß und Goldmund» neue Wege, indem sie die bislang kanonische Lesart als im wesentlichen konventionell strukturierter Text mit bipolarer Anlage, in dessen Zentrum die Harmonisierung von analytischem Intellekt und genialischer Künstlernatur steht, durch eine detaillierte Analyse der Figurenkonzeption und ihrer Brüche sowie den Verweis auf die Möglichkeiten postmoderner Lesestrategien unterwanderte. In ihrem Vortrag über Das Weibliche bei Hermann Hesse beschäftigte sich Micaela Mecocci unter anderem mit Gertrud, Siddharta, dem Steppenwolf, Demian und Narziß und Goldmund. Abweichend von dem Vortrag Prof. Risholms und diesen daher ergänzend, wählte Frau Mecocci nicht einen Ansatz aus dem Bereich der Gender Studies. Sie differenzierte zwischen

Mitteilungen 176 verschiedenen Stereotypen von Weiblichkeit, wobei das spezifisch moderne Element vor allem in der Ambivalenz der Identitäten zu sehen sei. Volker Michels fügte wiederum durch seinen Vortrag Zwischen Duldung und Sabotage. Hermann Hesse und der Nationalsozialismus eine weitere Facette zum komplexen Hesse-Bild hinzu, indem er unter Bezug auf Das Glasperlenspiel das heikle Thema des Verhältnisses von Hesse zur Hitler-Diktatur beleuchtete. Diesen Beitrag weiterführend und ergänzend, hielt Prof. Dr. Mauro Ponzi einen Vortrag zum Thema Umwege der Modernisierung: Hermann Hesse und das Fremde. Er zeigte darin auf, wie Hesse ganz im Gegensatz zur allgemeinen kulturellen Mobilmachung in Deutschland in Gegnerschaft zu den sogenannten «Ideen von 1914» eine eindeutig tolerante und dadurch isolierte Position einnahm. Damit beschritt Hesse einen eigenen, ‹exzentrischen› Weg, der in seinen Werken wie z.B. im Steppenwolf nicht als Flucht und Rückzug, sondern als «heterotopischer» Weg im Sinne Foucaults sichtbar werde. Nach diesen Vorträgen mit historischer Perspektivierung wendete sich PD Dr. Ralf Georg Bogner mit seinem Beitrag über Hesse und der Expressionismus Fragen der künstlerischen Verortung zu. Diese ist um so notwendiger, als Hesse bislang noch nicht epochal kategorisiert wurde. Dr. Bogner konnte belegen, daß Hesse zwar formal und stilistisch keine eindeutig expressionistische Prosa verfaßte, daß seine Werke aber inhaltliche Affinitäten aufweisen, und führte diesen Befund auf die gemeinsame Beeinflussung durch Freud, Nietzsche und die Lebensphilosophie zurück. Prof. Dr. Ellen Risholm nahm eine Interpretation der Gender-Konstruktionen in Hermann Hesses Romanen «Gertrud» und «Roßhalde» vor. In Gertrud werden beispielsweise die Geschlechter-Konstruktionen durch die Assoziation von Kunst und Geschichte situiert, so transponiere der männliche Protagonist all sein Begehren in die Musik. Gertrud diene ihm als Klangkörper seiner Musik. Die Figur Gertrud stelle damit eine Form imaginierter Weiblichkeit dar. Dr. Ingo Cornils stellte in seinem Vortrag Ein Glasperlenspiel im Internet: Hesse lesen im globalen Zeitalter unter Einbeziehung moderner methodologischer und kulturphilosophischer Studien zum Internet und World Wide Web Überlegungen an, Das Glasperlenspiel und die heutigen Entwicklungen der modernen Kommunikationskultur in Beziehung zu setzen. Dr. Helga Esselborn-Krumbiegel wiederum untersuchte Strategien der Leserlenkung im «Demian» und im «Steppenwolf», um Hesses Antwort auf die moderne Textkontingenz zu untersuchen. Dr. Esselborn-Krumbiegel betonte Hesses angestrengtes Bemühen, trotz moderner Kontingenz eine sichere Aussage zu gewährleisten und untersuchte die entsprechenden Verfahrensweisen wie z.B. die Vorliebe für die Figurenperspektive zur Gestaltung individueller Lebensläufe. PD Dr. Walter Delabars Beitrag beschäftigte sich mit dem Thema Der Bremser in der Beschleunigung. Hermann Hesses literarische Verarbeitung der Dynamisierungsprozesse in der Modernisierung. Dr. Delabar legte dar, daß Hermann Hesse trotz seiner besonders im Vergleich zu Döblin deutlich werdenden Tendenz, die moderne Gesellschaft in ihrer Modernität in seinen Werken auszugrenzen, angesichts der Offenheit seiner Texte kein Antimodernist war, und skizzierte am Beispiel des Steppenwolf die Ausgestaltung einer Simulationswelt, in der der Leser neue Möglichkeiten ohne Risiko durchschreiten könne. Julia Moritz entwickelte unter Bezug auf Giddens ‹Expertensysteme› und Bachtins ‹Chronotopos›-Begriff in ihrem Vortrag Inbegriff der Kunst. Die Verwandlung von Zeit und Raum durch die Musik Metamorphosen des Chronotopos und Paradoxien der Sujetgestaltung bei Hermann Hesse einen Ansatz, moderne soziologische und kulturwissenschaftliche Konzepte zu verbinden und für eine Analyse von Hesses Werken nutzbar zu machen. Zeit und Raum werden demnach bei Hesse ins Ästhetische gewendet und in der Musikalisierung der Strukturen, ihrer Rhythmisierung, faßbar.

Mitteilungen 177 Dr. Peter Huber wiederum versuchte in seinem Vortrag Alte Mythen – neuer Sinn. Zur Codierung von Moderne und Modernisierung im Werk Hermann Hesses in der Differenz zwischen den kulturhistorischen Traditionen und Hesses Verfahrensweisen die Modernisierungstendenzen in seinem Werk zu umreißen. Unter Bezugnahme auf die Neuromantik konnte Dr. Huber belegen, daß die Figuren trotz der scheinbar romantischen Idyllik durch das Einbrechen der Moderne geprägt seien, so daß in Hesses Motiven moderne Fragestellungen aufgezeigt werden können. In seinem Vortrag umriß Prof. Dr. Theodore Ziolkowski Hesses Geschichtsphilosophie, er wies in diesem Zusammenhang Hesses Beeinflussung besonders durch Nietzsche, Jakob Burkhardt, Hegel und Dilthey nach. So legte Prof. Ziolkowski dar, daß die gesamte fiktionale Welt des Glasperlenspiels sich auf Burkhardt zurückführen lasse. Das spezifisch moderne Element sei gerade die heterogene Verbindung von zyklischen und linearen Modellen. Marco Schickling dagegen konzentrierte sich auf Hermann Hesse als Literaturkritiker. Er umriß die Besonderheiten von Hesses 3000 Rezensionen, die u.a. von Autoren wie Kafka und Tucholsky sehr geschätzt wurden. Deutlich wurde vor allem, daß Hesse ausschließlich Werke rezensierte, für die er Partei nehmen konnte, so daß seine Besprechungen einen konfessionellen Charakter annahmen und demnach als Forschungsquelle für Hesses poetologische Vorstellungen von signifikanter Bedeutung sind. Prof. Dr. Andreas Solbach setzte es sich in seinem Vortrag Kontrolliertes Risiko: Die poetologische Problematik in Hesses Frühwerk zum Ziel, insbesondere den Peter Camenzind einer neuen Lesart zu unterziehen und konnte die Bedeutung der anthropomorphisierten Natur, den allegorischen Charakter grandioser Naturbilder und die Position des Erzählers als Teil dieser Natur erweisen. Durch die Hypostasierung des Naturerhabenen werde die Natur zur Allegorie des Schönen, die majestätische Größe der Natur bedeute hierbei Sicherheit, da sie keinem Interpretationsrisiko unterworfen sei. Das Risiko liege dagegen in ihrer Trivialisierung als Heimatroman. Diese Naturästhetik werde im Verlauf des Textes in eine Mitleidsästhetik transponiert. Gegen das dabei entstehende Risiko der Sentimentalisierung komme die Selbstironisierung als Authentifikationsstrategie zum Zuge. Diese progressive Selbstironisierung könne als postmodernes Element interpretiert werden. Der Camenzind könne demnach als Schlüsseltext zu der Frage verstanden werden, wie Hesse zur Moderne stehe. Prof. Dr. Bernhard Spies zeigte an Hesses Lyrik die Tendenz zur Psychologisierung als Modernisierung auf. Prof. Spies erläuterte darin die Frage nach dem Verhältnis von Psychologie und Moral bei Hesse in lyrischen Arbeiten nach der psychologischen Revision 1916/1917. In Hesses Lyrik könne eine Modernisierung der Moral durch die Psychologie in Form einer psychologischen Kritik der Modernität nachgewiesen werden. Abschließend hielt PD Dr. Christian Schärf einen Vortrag zum Thema Hermann Hesse und die ästhetische Moderne. Der Dichter als Missionar. Ausgehend von einigen Lektüreerfahrungen von Texten Hermann Hesses erörterte Dr. Schärf die Aspekte, die zur Beliebtheit und bemerkenswerten Wirkung von Hesse-Texten auf ihre Leserschaft führten. Hesses Versuche einer Sinnstiftung machen Hesse auch heute noch für seine Leser interessant. Dr. Schärf interpretierte in folgenden das Glasperlenspiel des gleichnamigen Romans als «suprasemantische Sinnmaschine» mit dem Spielmeister als ihrem «Knecht». Dieser Totalismus sei die Essenz des Humanum für Hesse in einer apokalyptischen Welt. In der Abschlußdiskussion bestätigte sich die bereits in den vorherigen Diskussionen der Einzelvorträge gewonnene Erkenntnis einer alle Texte Hesses durchziehenden Ambivalenz von Sinnstiftungsangeboten einerseits bei gleichzeitiger Offenheit andrerseits, wobei erstere spezifisch moderne Eigenschaften aufweisen, die zu immer wieder neuen Lektüreweisen anregen und zahlreiche gewinnbringende Perspektiven zulassen, wie sie auf dieser Tagung so vielfältig wie eindrucksvoll angewandt wurden. Nur mittels eines derart kritischen, aber

Mitteilungen 178 offenen Blicks auf das Phänomen Hesse vermag eine Literaturwissenschaft, die zunehmend kulturwissenschaftliche und soziologische Kompetenzen für sich beansprucht, ihrem Selbstbild gerecht zu werden. Auf diesem Weg hat die im Jubiläumsjahr Hesses stattfindende Tagung einen entscheidenden Schritt getan. Maren Jäger

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Die erste internationale Hermann-Hesse-Gedenkkonferenz in Ungarn Im Rahmen der internationalen Veranstaltungsreihe anlässlich des Jubiläumsjahres zur 125. Wiederkehr von Hermann Hesses Geburtstag wurde in Budapest auf einer internationalen Konferenz Hermann Hesse gedacht. Am 18. April 2002 hat im Petőfi Irodalmi Múzeum (Petőfi Literaturmuseum- und Archiv) mit einem Auftakt zum Hesse-Kolloquium die erste ungarische Hermann-Hesse-Gedenkkonferenz begonnen. Nach den Grußworten des Botschafters der BRD in Ungarn, Wilfried Gruber, hat der Vorsitzende des Ungarischen Schriftstellerverbandes und Hermann-Hesse-Stipendiat, Márton Kalász, Grußworte zum Gesamtprogramm geäußert. Der Kulturdezendent der Geburtststadt von Hermann Hesse, Calw, Uli Rothfuss, hat die Eröffnungsfeier gehalten. Vor der Eröffnung der Ausstellung «Eigensinn macht Spass», die vom Hessischen Rundfunk und dem Suhrkamp Verlag in Zusammenarbeit mit dem Goethe Institut in Budapest und dem Petőfi Literaturmuseum veranstaltet wurde, haben in den Ausstellungsräumen des renommierten Kulturplais› Mareike Schellenberger (Gesang) und Tobias Schabenberger (Klavier) von Yrió Klipnen und Othmar Schöck vertonte Hesse-Gedichte vorgetragen. Am nächsten Tag, dem 19. April 2002, hat nach den Grußworten des Botschafters der BRD in Ungarn, Wilfried Gruber, der Direktorin des Goethe Instituts Budapest, Brigitte KaiserDerenthal, sowie des Dekans der philosophischen Fakultät der Universität Budapest, Prof. Dr. Károly Manherz, in den Räumlichkeiten des Budapester Goethe Instituts die zweitägige internationale wissenschaftliche Konferenz «Hermann Hesse, der europäische Humanist» begonnen. Als erster Vortragender hat der weltweit bekannte Hesse-Kenner, Herausgeber der sämtlichen Werke von Hermann Hesse in 20 Bänden im Suhrkamp Verlag, Volker Michels, mit dem Titel «Auf den Einzelnen kommt es an!» – zur Aktualität von Hermann Hesse einen Eröffnungsvortrag gehalten. Die Direktorin des Hermann-Hesse-Museums in Montagnola, wo Hesse seit 1919 bis zu seinem Tode 1962 gelebt hat, Regina Bucher, hat mit dem Titel Wie eine vorbestimmte Heimat – Hermann Hesse im Tessin und das Museum in Montagnola über Hesse gesprochen. Miklós Györffy, Professor für Weltliteratur und einer der renommiertesten Übersetzer aus dem Deutschen ins Ungarische, hat über Hesse als Glasperlenspieler gesprochen. Den Abschlussvortrag am ersten Tag der Konferenz hat der Übersetzer und Herausgeber der ungarischen Hermann-Hesse-Werkausgabe in 25 Bänden, Géza Horváth, Ass.-Professor an der Universität Szeged, mit dem Titel Aspekte der Funktionen der Handlungsstruktur im Glasperlenspiel gehalten. Am Abend haben Volker Michels und Géza Horváth die neue deutsche Hesse-Ausgabe Sämtliche Werke in 20 Bänden, sowie die ungarische Hesse-Werkausgabe, die beim Cartaphilus Verlag erscheint, vorgestellt. Gisela Kleine, die das Verhältnis von Hermann Hesse und Ninon Dolbin (geb. Ausländer) in ihrem Buch Zwischen Welt und Zaubergarten. Ninon und Hermann Hesse. Ein Leben im Dialog dargestellt hat, hat am zweiten Tag der Konferenz (20. April) den ersten Vortrag, mit dem Titel Frauengestalten bei Hermann Hesse – Leben und Werk gehalten. Der Kulturdezernent der Hesse-Stadt Calw und Schriftsteller, Uli Rothfuss, hat über Hermann Hesses Bedeutung für Schriftsteller heute gesprochen. Im Zusammenhang mit konfesssionellen Fragen bei Hesse

Mitteilungen hat Peter Huber über das Schaffen der 20er Jahre des Dichters einen Vortrag gehalten. Die Wienerin Ursula Klingenböck, deren Forschungstätigkeit sich vor allem auf Hesses Beziehungen zur Musik konzentriert, hat einen Vortrag über Pictura – Mythos – (literarischer) Typus. Die Darstellung Fréderic Chopins in ausgewählten Schriften Hermann Hesses gehalten. Marko Schilling, der als Mitarbeiter im Lektorat Hermann Hesses des Suhrkamp Verlags, Frankfurt am Main, tätig ist und an einer Dissertation über Herman Hesse arbeitet, las über Hesse als Literaturkritiker. Zum Abschluss der Konferenz lieferten zwei junge ungarische Hesse-Forscher und Doktorandinnen, László Szabó V. (Der gute Europäer Hermann Hesse) und Orsolya Erdődy («Die Sehnsucht nach den Paradiesen der Ordnung und Geborgenheit, der Logik und der Harmonie.» – Zu einem Tagebuchblatt von Hermann Hesse) je einen Vortrag. Nach dem letzten Vortrag der Konferenz von Gábor Kerekes über die Hesse-Rezeption in Ungarn wurde eine «Marathon-Lesung» aus den Werken von Hermann Hesse mit den Dichetrinnen Zsófia Balla, Márton Kalász und László Márton im Eckerman-Cafe im Goethe Institut veranstaltet. Géza Horváth

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Die ungarische Hermann-Hesse-Werkausgabe Da Hermann Hesse im Vergleich zu Thomas Mann oder Stefan Zweig in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein wenig bekannter Autor in Ungarn war, und nach dem Zweiten Weltkrieg (un)dank der kommunistischen Kulturpolitik als unerwünschter Dichter galt, wurden seine Werke bis auf bestimmte Titel (vor allem Narziss und Goldmund, 1963), die im Zusammenhang mit bibliographisch markanten Zäsuren (Verleihung des Nobel-Preises 1946, der 80ste Geburtstag des Dichters 1957, sein Tod 1962) notgedrungen publiziert wurden, kaum übersetzt und vertrieben. Erst in den 80-er Jahren des 20. Jahrhunderts begann das Interesse für Hesse lebendig zu werden. Seit Mitte der 90er Jahre unternahm der Cartaphilus Kiadó, Hesses Lebenswerk in einer großzügigen Auswahl der ungarischen Leserschaft bekannt zu machen. Im Rahmen der ungarischen Hermann-HesseWerkausgabe, dessen Herausgeber und zum Teil Übersetzer der Germanist und Literaturhistoriker, Géza Horváth, ist, sind von den geplanten 25 Bänden in den vergangenen sieben Jahren bereits 14 Bände erschienen: (Peter Camenzind, 1995, 1999; Roβhalde, 1996, 1999, 2004; Knulp, 1997, 2004; Gertrud, 1998, 2004; Gyermeklélek /Klein és Wagner, Klingsor utolsó nyara /Kinderseele, Klein und Wagner, Klingsors letzter Sommer/ 1997, 2002; A fürdővendég, Nürnbergi utazás /Kurgast, Die Nürnberger Reise/, 1999; Pillantás a káoszba /Blick in Chaos. Ausgewählte Aufsätze/, 2000; A pusztai farkas /Der Steppenwolf/, 1992, 1997, 2000, 2002; Assisi Szent Ferenc gyermekkorából /Aus der Kindheit des Heiligen Franz von Assisi. Legenden/, 2001; A varázsló gyermekkora /Die Kindheit des Zauberers. Märchen/, 2002, Kerék alatt/ Unterm Ra/, 2002; Narciss és Goldmund /Narziβ und Goldmund/, 2002; A márványmalom /Die Marmorsäge. Ausgewählte Erzählungen I./, 2003; Az üveggyöngyjáték /Das Glasperlenspiel/, 2003. Im Frühjahr 2004 soll der II. Band der Erzählungen Csodálatos ifjúság /Schön ist die Jugend/ und zu Weihnachten A napkeleti utazás /Die Morgenlandfahhrt mit Josef Knechts viertem Lebenslauf/ erscheinen. Des weiteren sollen der III. Band der Erzählungen, Demian, Siddhartha, eine Auswahl aus dem Briefwechsel von Hermann Hesse, Gedichte, Rezensionen, Hesse als Maler, ein Fotoalbum mit Texten von und über Hesse, sowie eine erste ungarische Monographie über Hermann Hesse von Géza Horváth erscheinen.

Mitteilungen 180 Als Ergebnis einer Seminarreihe am Germanistischen Institut der Universität Szeged wurde eine ungarische Hermann-Hesse-Bibliographie der ins Ungarische übersetzten Werke von Hesse sowie von wissenschaftlichen Arbeiten, Aufsätzen, Buchbesprechungen und anderen Schriften über ihn erstellt. Es soll im Herbst 2004 sowohl im Internet als auch in Druckfassung zugänglich gemacht werden.

Géza Horváth

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WeltFlechtWerk Die Einheit hinter den Gegensätzen Hermann Hesse entdecken, erfahren, erleben Die Gastausstellung der Stadt Calw, der Geburtsstadt Hermann Hesses, wurde in Bozen vom Südtiroler Kulturinstitut in Zusammenarbeit mit der Region Trentino-Südtirol veranstaltet. Großzügig finanziert wurde die Veranstaltung von der Südtiroler Landesregierung, Abteilung deutsche Kultur. Die bereits im Rahmen des Hermann-Hesse-Jubeljahres 2002 – 125 Jahre nach der Geburt und 40 Jahre nach dem Tod des berühmten Literaturnobelträgers – erstmals in Berlin gezeigte Ausstellung konnte so auf Initiative von Landesrat Dr. Bruno Hosp und Vizepräsident der Region Trentino-Südtirol Dr. Richard Theiner nun auch in Bozen präsentiert werden. Die Universitätsbibliothek wurde als Austragungsraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Eröffnet wurde die Ausstellung am 18. September 2003 mit Beginn um 18 Uhr in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Bozen, Sernesistraße 1. Bei der Eröffnung richteten der Vorsitzende des Südtiroler Kulturinstitutes Dr. Marjan Cescutti, Landesrat Dr. Bruno Hosp, Vizepräsident der Region Trentino-Südtirol Dr. Richard Theiner, der Präsident der Freien Universität Bozen Dr. Friedrich Schmidl, der Kulturdezernent der Stadt Calw Prof. Uli Rothfuss, Stadtrat Christoph Haas in Vertretung des Ersten Stellvertretenden Oberbürgermeisters der Stadt Calw Karl Weiss und der Kurator der Ausstellung Dr. Hans-Peter Meier-Dallach Grußworte an die Gäste. Die Ausstellungsdauer belief sich auf knapp zwei Monate, nämlich vom 19. September bis 14. November 2003. Die Ausstellung in der Universitätsbibliothek war bei freiem Eintritt von Montag bis Freitag von 9 bis 19 Uhr und an Samstagen von 9 bis 13 Uhr durchgehend geöffnet, insgesamt also 579 Stunden. An allen Freitagen wurde um 18 Uhr eine kostenlose Abendführung angeboten und auch ausgiebig in Anspruch genommen. Für Schulklassen der Mittel- und Oberstufe wurden didaktische Aktionen angeboten. Insgesamt wurden 132 Aktionen für 66 Schulklassen aus Bozen, Meran und Brixen durchgeführt. Zusätzlich zu den geführten Klassen besuchten zahlreiche andere Schulklassen ohne Führung die Ausstellung. Im Zeitraum der Öffnungszeiten der Ausstellung betraten insgesamt 11.870 Besucher die Universitätsbibliothek. Parallel zur Ausstellung wurde ein breit gefächertes Rahmenprogramm mit Abendveranstaltungen zu Biographie und Werk von Hermann Hesse veranstaltet. Diese Abendvorträge wurden vom Südtiroler Kulturinstitut in Zusammenarbeit mit der Internationalen HermannHesse-Gesellschaft und dem Verband der Volkshochschulen Südtirols organisiert. Folgende

Mitteilungen 181 Vorträge, Lesungen und Rezitationen wurden bei freiem Eintritt in der Universitätsbibliothek abgehalten bzw. im Waltherhaus veranstaltet: Dienstag, 23. September, 18 Uhr (Universitätsbibliothek) Dr. Alfred Gugolz (Oberriet) Vortrag: Hermann Hesse und die fernöstliche Welt Dienstag, 30. September, 18 Uhr (Universitätsbibliothek) Dr. Alois Prinz (Feldkirchen-Westernham) Lesung: Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne... Mittwoch, 8. Oktober, 18 Uhr (Universitätsbibliothek) Univ.-Prof. Dr. Mauro Ponzi (Rom) Vortrag: Der Mythos der Jugend bei Hesse Dienstag, 14. Oktober, 17 Uhr (Waltherhaus) Helmut Wlasak (Innsbruck) Rezitation: Hermann Hesse – Lyrik und Prosa Donnerstag, 23. Oktober, 18 Uhr (Universitätsbibliothek) Herbert Schnierle-Lutz (Bad Teinach) Diavortrag: Hermann Hesse – Schauplätze seines Lebens Dienstag, 28. Oktober, 18 Uhr (Universitätsbibliothek) Prof. Uli Rothfuss (Calw) Vortrag: «Seit ich zurückdenken kann, hat es ihn gegeben ...» Hermann Hesse und seine Schriftstellerkollegen Dienstag, 11. November, 17 Uhr (Waltherhaus) Univ.-Prof. Dr. Christoph Gellner (Luzern) Vortrag: Hesse und die Spiritualität der Weltreligionen – Was Indern, Chinesen und Christen gemeinsam ist Alle Abendveranstaltungen waren erfreulicherweise überaus gut besucht, im Schnitt etwa 80 Personen je Veranstaltung. Die Ausstellung «WeltFlechtWerk – Die Einheit hinter den Gegensätzen» wurde vom Züricher Kurator Hans-Peter Meier-Dallach anlässlich des Hermann-Hesse-Jahres 2002 neu konzipiert und bisher nur in einer der renommiertesten Kultureinrichtungen Berlins, dem Kulturforum in der Nähe des Potsdamer Platzes, gezeigt. Im Jahr danach wurde dieses Kernstück des Hermann-Hesse-Jahres, die Ausstellung «WeltFlechtWerk – Die Einheit hinter den Gegensätzen», nun auch in Bozen gezeigt. Es ist keine leichte Aufgabe, die Ideenwelt eines Schriftstellers in einer Ausstellung den Besuchern dreidimensional und in Bildern nahe zu bringen. Auf noch ungewohnte, aber sehr zeitgemäße Art wurde dies von den Ausstellungsgestaltern, dem Grafikbüro g:k Graf & Kölmel aus Karlsruhe, gelöst. Zehn Themenräume sind entstanden, die die «Einheit hinter den Gegensätzen» im Werk des Nobelpreisträgers aufzeigen. Auf dem Weg durch die Ausstellung wird der Besucher durch diese zehn «Erlebnisräume» mit multimedialen und interaktiven Installationen geführt. Wir sind Augenzeugen rasanter Entwicklungen und einschneidender Ereignisse. Dramatisch war schon die Zeit, die Hermann Hesse erfuhr und in Buch und Brief zum Ausdruck brachte. Die Ausstellung bringt den Schriftsteller in ein Zwiegespräch mit unseren Erfahrungen von heute. Der Gang durch die zehn Themenräume «Himmel über der Stadt, Im Wirbel der Beschleunigung, Unterm Rad, Gratwanderung, Explodieren – sich finden, Mittelpunkt, Scherben und Perlen, Landschaft und Stadt, Kommunikationskreise, Lichtspuren» sucht nach Antworten auf die Frage – wer bin ich? Eine sehr tief gehende Ausstellung, wie sich dies auch in den Postkarten, die von der Ausstellung aus verschickt werden konnten, gezeigt hat. Günther Kaufmann – Südtiroler Kunstinstitut – Bozen

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Ein Museum der besonderen Art Hermann Hesse in Montagnola Lange hat es gedauert, bis endlich im Jahre 1997 ein Museum zu Ehren Hermann Hesses an dem Ort eröffnet werden konnte, wo der Schriftsteller mehr als die Hälfte seines Lebens gewohnt und gearbeitet hat: in Montagnola. Nach anfänglichen Schwierigkeiten kümmert sich seit 1. Januar 2000 eine Stiftung, die Fondazione Hermann Hesse Montagnola, mit großem Erfolg um den Betrieb und hat das Museum zu einem der meistbesuchten kulturellen Institutionen im Kanton Tessin gemacht. In acht Monaten ganztägigen Betriebs (im Winter ist nur an den Wochenenden geöffnet) kommen jedes Jahr 15000 bis 20000 Besucher. Das Geheimnis dieses Erfolges liegt zum einem in der Figur Hermann Hesses begründet, der noch heute weltweit der meistgelesene deutschsprachige Schriftsteller und in mehr als 60 Sprachen übersetzt ist. Zum anderen hat die Museumsleitung ein Konzept entwickelt, welches sich an unterschiedliche Zielgruppen richtet und Literatur auf mehreren Ebenen vermittelt. Die Dauerausstellung realisiert diesen Anspruch, indem sie neben der Präsentation von Dokumenten, Briefen, Objekten aus dem Besitz Hermann Hesses, Aquarellen und Fotografien auch Filme in verschiedenen Sprachen und Hörstationen anbietet. Die Konzeption der Textauswahl in der Ausstellung bietet sowohl den Besuchern mit wenig Vorkenntnissen Zugang zu Hermann Hesses Leben und Werk als auch Anregung und neue Details für diejenigen, die Hermann Hesse bereits kennen bzw. literarisch vorgebildet sind. Besonders attraktiv ist jedoch das umfassende Programm an Wechselausstellungen, Vorträgen, Lesungen, Wanderungen und Konzerten. Diese Veranstaltungen thematisieren immer einen Aspekt aus dem Leben und Werk Hermann Hesses, zum Teil mit wissenschaftlichen Anspruch und zum Teil auf eher unterhaltsame Weise. Im Jahre 2003 wurden wie jedes Jahr drei Wechselausstellungen angeboten, die sich mit den Hesse-Künstlerfreunden Maria Geroe-Tobler und Hermann Hubacher und mit einem interessanten biografischen Aspekt Hesses auseinandersetzten: Hermann Hesse und sein Verhältnis zu den Einwohnern von Montagnola. Die Ausstellung «Und auch die Tessiner liebe ich sehr....» wurde vom September 2003 bis zum Februar 2004 gezeigt und stieß auf ein beachtliches Interesse, nicht nur bei den Tessinern. Um ein möglichst authentisches Bild zu zeichnen, fanden im Vorfeld Interviews mit den Einwohnern Montagnolas statt, welche Hermann Hesse noch gekannt haben. Anfänglich reagierten die betreffenden Personen eher zurückhaltend und zögerten, offen Auskunft zu geben. Doch mit der Zeit und im Verlauf mehrerer Treffen wuchs die Bereitschaft, Erinnerungen und kleine Begebenheiten zu schildern. So konnten von fünfzehn Personen Berichte schriftlich festgehalten und in die Ausstellung integriert werden. Die Einwohner von Montagnola betrachteten Hermann Hesse zunächst als wunderlichen Fremden, der mit Strohhut und Malutensilien durch die Gegend streifte. Er selbst war sich der Distanz zwischen der Wahrnehmung der Einheimischen, die ihn zuweilen belächelten, und seiner eigenen Begeisterung für die Landschaft und seiner Sympathie für die Leute, durchaus bewusst. Hesse nahm diesen Sachverhalt gelassen und verständnisvoll zur Kenntnis und ließ sich dennoch nicht davon abhalten, in den Grotti einzukehren, Wein zu trinken, Konzerten zu lauschen und die Dorfbewohner mit einer Mischung aus Neugier, Bewunderung und Verbundenheit zu betrachten und in seinen Erzählungen zu beschreiben. Er selbst distanzierte sich oft von den anderen Fremden, die seiner Ansicht nach kein wahres Verständnis für die Schönheit der Landschaft und die Eigenart der Menschen im Tessin aufbrachten. Im Laufe der Jahre, besonders nach der Heirat mit Ninon und dem damit verbundenen Umzug in die Casa Rossa, veränderten sich sowohl Hesses Selbstverständnis bezüglich seines

Mitteilungen 183 Standes im Dorf als auch die Wahrnehmung der Einheimischen allmählich. Hesse, völlig von der Gartenarbeit, der schwierigen Niederschrift des Glasperlenspiels und der Bewältigung der Korrespondenz in Anspruch genommen, unternahm keine Malausflüge mehr und verließ sein Grundstück nur noch selten; nach der Verleihung des Nobelpreises war nichts mehr von dem «abgerissenen Literaten» der ersten Jahre zu erkennen. Seine Kontakte zu den Einheimischen beschränkten sich auf die Personen, welche entweder unmittelbar in seiner Umgebung lebten oder die zu ihm zu Besuch kamen, weil sie muttersprachlich deutsch waren und sich für den Schriftsteller Hermann Hesse interessierten. Andere hatten in offizieller Funktion mit ihm zu tun, wie der Gemeinderat und der Bürgermeister, oder als Lieferanten, Hausangestellte, Gärtner oder Postboten Zugang zur Casa Rossa. Aus Hesses Briefen und Betrachtungen geht hervor, dass er diese Menschen in der Regel sehr schätzte und ihnen zum Teil sogar innig verbunden war. Diese Personen standen für ihn stellvertretend für die Montagnolesen, seine Beziehung zu ihnen war für ihn gleichbedeutend mit dem Verhältnis zu den Tessinern. So erklärt sich seine Einschätzung, sich als einen der «Gemeinde-Greise» zu beschreiben, wenn er auch zugibt, «kein Tessiner geworden» zu sein. Die Menschen, die ihn kannten und die heute noch in Montagnola leben, bestätigen das positive und freundliche Verhältnis. Die Mehrheit der Dorfbevölkerung nahm Hermann Hesse jedoch als einen fremden, unnahbaren Herrn wahr, der etwas außerhalb des Dorfes ein schönes Haus mit dem Schild «Bitte keine Besuche» bewohnte, anscheinend berühmt war und nicht zur Dorfbevölkerung gehörte. Da Hesses Bücher bis in die fünfziger Jahre kaum ins Italienische übersetzt waren, gab es auch wenig Gelegenheit, durch seine Schriften Zugang zu ihm zu finden. Manch einer war sich nicht einmal sicher, ob er nicht etwas mit dem Sanatorium in Agra zu tun gehabt hätte, dessen Leitung bekannterweise mit den Nationalsozialisten sympathisierte. Diese Einschätzung, welche ihre Ursache nicht zuletzt in Hesses mangelnder Teilnahme am alltäglichen Dorfleben und in dem manchmal strengen, distanzierten Auftreten seiner Frau Ninon hatte, führte jedoch nicht zu einer abschließenden Beurteilung und damit zur Stigmatisierung Hesses. Stattdessen kam letztendlich die Haltung der Tessiner zum Tragen, die Hesse so sehr schätzte und wegen der er vermutlich das Tessin zu seiner Wahlheimat gemacht hat. Man ließ ihn in Frieden seine Arbeit tun, ging selbst seiner Arbeit nach und kümmerte sich sonst nicht weiter um ihn. Zur großen Überraschung der Kuratorin besaßen einige der befragten Personen noch Objekte von Hermann Hesse, die sie entweder noch von ihm selbst als Geschenk erhalten hatten oder die ihnen nach seinem Tod von der Familie überlassen wurden. So konnten eine Vielzahl von noch nie ausgestellten Briefen, gewidmeten Büchern, Aquarellen, Zeichnungen und persönlichen Objekten gezeigt werden. Die deutschsprachige «Tessiner Zeitung» entschloß sich angesichts des unveröffentlichten Materials, eine Sonderausgabe dieser Ausstellung zu widmen (erschienen Anfang April 2004), in der die Zeitzeugenberichte veröffentlicht wurden. Ein weiterer Schatz fand sich in den Archiven des RSI (Radio Svizzera Italiana). Nach wochenlanger Recherche wurden Interviews mit Hermann Hesse aus den fünfziger Jahren, von Hesse auf italienisch und deutsch gelesene Texte sowie seine auf italienisch gehaltene Ansprache zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft gefunden und zusammengeschnitten. Auch Zeitzeugenberichte (unter anderem auch von Ursula Böhmer und Rosetta Camuzzi) aus drei Jahrzehnten geben interessante Informationen über die Biografie Hermann Hesses und seine Position in Montagnola. In Zusammenarbeit mit dem RSI gab die Fondazione Hermann Hesse im Januar 2004 eine Doppel-CD mit diesen Dokumenten heraus1.

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Die CD kann zum Preis von Fr. 19.- zuzügl. Porto ausschließlich im Museum in Montagnola bezogen werden.

Mitteilungen 184 Alle Veranstaltungen, die im Laufe des Jahres 2003 stattfanden, verdienen es, an dieser Stelle noch einmal gewürdigt zu werden: Die Siddhartha-Aufführung von Dieter Grell, der Vortrag von Volker Michels, die Inszenierung des Steppenwolfes von Claudio Calafiore, die reizvolle Kombination von Konzert und Lesung bei der Gertrud-Präsentation und im Klavierkonzert von Caroline Doerge, die Rezitation des Glasperlenspiels von Moritz Stoepel, das indische Konzert mit Kathak-Tanz – doch der eindeutige Höhepunkt im Programm war sicherlich das Konzert von Patti Smith, amerikanische Rocksängerin, Dichterin und Malerin. Um ihre Wertschätzung gegenüber Hesse zum Ausdruck zu bringen und der Stiftung in Montagnola finanziell zu helfen, gab Patti Smith im Juli vor 700 begeisterten Zuhörern ein Benefiz-Konzert «Hommage an Hermann Hesse», in dem sie nicht nur durch ihren Gesang, begleitet von Oliver Ray an der Gitarre, begeisterte, sondern auch eigene und HesseGedichte rezitierte. Auch in den kommenden Jahren ist ein abwechslungsreiches Programm geplant. Das Jahresprogramm und Prospektmaterial sind über Museo Hermann Hesse, Torre Camuzzi, CH6926 Montagnola, Tel. 0041 91 993 37 70, Fax 0041 91 993 37 72 oder hesse.museo@ ticino.com zu erhalten. Das Programm wird vor allem durch den Förderkreis finanziert, der noch dringend Mitglieder sucht. Für Fr. 100.- im Jahr erhalten die Gönner freien Eintritt ins Museum und ein kleines Begrüßungsgeschenk. (Bankverbindung: Fondazione Hermann Hesse, Banca Raiffeisen Breganzona, RAIFCH 2280384, Kontonr. 1667708).

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Ausstellung in Montpellier Im März und April 2004 wurde im Centre Culturel Franco-Allemand «Maison Heidelberg» in Montpellier eine Hermann-Hesse-Ausstellung präsentiert: biographisch aufgebaut, mit Fotos aus dem Leben des Dichters, mit Aquarell-Drucken des Malers Hermann Hesse und mit sechs Schautafeln, die die Biografie des Dichters darstellen. Konzipiert und zusammengestellt wurde die Ausstellung von dem Geschäftsführer der Hesse-Gesellschaft, Prof. Uli Rothfuss, die Ausstellungseröffnung wurde durch den anderen Geschäftsführer, Helmut Nagel, gemeinsam mit dem Direktor des Kulturinstituts, Kurt Brenner, eröffnet. Zahlreiche Besucher interessierten sich für Hermann Hesse und besuchten die Ausstellung. Die Kontakte der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft zu den deutsch-französischen Kulturinstituten sollen weiter vertieft werden.

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Erste Hesse-Ausstellung in Russland Die erste Hermann-Hesse-Ausstellung überhaupt in Russland wurde – gemeinsam veranstaltet von der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft, der Stadt Calw und der Staatlichen Akademie für Lehrerfortbildung GmbH (heute: Landesakademie für Fortbildung und Personalentwicklung an Schulen Calw) und unterstützt mit Mitteln des Landes BadenWürttemberg – während des Internationalen Hermann-Hesse-Jahres im November 2002 in Jekaterinburg im Gebiet Sverdlovsk im Ural gezeigt. Die in Zusammenarbeit zwischen dem Hessischen Rundfunk und dem Suhrkamp Verlag Frankfurt a.M. erarbeitete Ausstellung «Eigensinn macht Spaß» wurde in russischer Fassung im Kulturpalast in Jekaterinburg, begleitet von einem Rahmenprogramm, das künstlerische Beiträge und fachwissenschaftliche Vorträge umfasste, präsentiert. Zur Eröffnung der Ausstellung waren als Vertreter der Stadt Calw

Mitteilungen 185 der Oberbürgermeister Werner Spec und als Vertreter der Staatlichen Akademie für Lehrerfortbildung und Geschäftsführer der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft Helmut Nagel nach Jekaterinburg gereist.

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Hesse-Ausstellung in Shanghai Großes Interesse herrschte bei der im Rahmen des Shanghai Art Salon präsentierten Hermann-Hesse-Ausstellung im November 2003 in Shanghai. Das Mitglied der Internationalen Hermann-Hesse-Gesellschaft Rolf A. Kluenter, verantwortlich für die Organisation der deutschen Beteiligung an der Kunstausstellung, hatte Zuschüsse des Auswärtigen Amtes für diese Ausstellung gewinnen können, die in Calw zusammengestellt worden war, und mehrere tausend Besucher – unter ihnen Christina Rau, die Ehefrau des Bundespräsidenten Johannes Rau – besuchten die Ausstellung aus Aquarellen und mehreren Informationstafeln in chinesischer Sprache über Leben und Werk Hermann Hesses.

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Uraler Hermann Hesse-Tage 2002 Im Hesse-Jahr 2002 fanden auch in Russland erstmals größere Veranstaltungen zu Leben und Werk Hermann Hesses statt. Ausgangs- und Orientierungspunkt war eine große HesseAusstellung in Jekaterinburg, die Baden-Württemberg und die Calwer Akademie für Lehrerfortbildung zum zehnjährigen Bestehen der Partnerschaft zwischen Baden-Württemberg und der Uralregion mitgebracht hatte. Professor Jürgen Wolff aus Stuttgart, Ehrendoktor der Uraler Pädagogischen Universität, hat um diese Ausstellung herum, in der kompetente und sehr engagierte Studentinnen die Führungen übernommen haben, ein umfangreiches, sechswöchiges Beiprogramm organisiert. Alle, die sich in der Uralregion mit der deutschen Sprache beschäftigen, von den Schülern und Lehrern über die Studenten bis hin zu den Universitätsdozenten, aber auch interessierte russische Leser beschäftigten sich, ausgehend von der Ausstellung, intensiv mit Leben und Werk Hermann Hesses. Die Schulen führten einen Übersetzerwettbewerb durch, über dreihundert Schülerinnen und Schüler übersetzten Gedichte von Hesse ins Russische und leisteten damit Pionierarbeit, da die Lyrik Hesses derzeit nicht in russischen Übersetzungen vorliegt. An vielen Schulen fanden Hesse-Veranstaltungen statt, verbunden mit kleinen Hesse-Ausstellungen, Präsentationen der Übersetzungen mit Illustrationen, szenischen Darstellungen zu Leben und Werk Hesses sowie mit Theateraufführungen, für die die Schüler Hesse-Texte bearbeitet hatten. Zum Abschluss der HesseAusstellung wurden die Preisträger des Übersetzerwettbewerbs in einem Festakt vorgestellt und mit Werken von Hermann Hesse ausgezeichnet. Das Pädagogische College Krasnoufimsk beschäftigte sich interdisziplinär mit Leben und Werk Hermann Hesses: Die Deutschstudenten übersetzten Gedichte, die von den Kunststudenten illustriert und von den Musikstudenten vertont wurden. In seiner Festansprache würdigte der Direktor des College, Prof. W. Gordejew, die Bedeutung des Lebenswerks von Hermann Hesse für die Ausbildung von Pädagogen. An den beiden großen Universitäten in Jekaterinburg, an der Gorki-Universität und an der Uraler Pädagogischen Universität stand Hermann Hesse ein Semester lang im Mittelpunkt. Studentinnen und Studenten stellten die Ergebnisse ihrer Beschäftigung mit Hesse vor, ergänzt durch Vorträge der Deutschdozentinnen. Dabei wurde deutlich, wie intensiv man sich neuerdings in Russland mit diesem Schriftsteller auseinandersetzt. Professor Jürgen Wolff hielt in allen Studienjahren Vorlesungen und Übungen zu Leben und Werk

Mitteilungen 186 Hermann Hesses. Das erste Studienjahr beschäftigte sich mit der Lyrik Hesses, das zweite mit der Bedeutung der Landschaft in Hesses Werk, das dritte Studienjahr setzte sich mit der medialen Aufbereitung von Literatur am Beispiel der Hesse-Verfilmungen auseinander, im vierten Studienjahr stand der expressionistische Hesse im Mittelpunkt und im fünften das Spätwerk, insbesondere «Das Glasperlenspiel». Dazu kamen Vorlesungen zu Hesse Engage ment für den Frieden, zu seiner literarischen Verarbeitung der fernöstlichen Philosophie sowie Diavorträge zu den einzelnen Lebensstationen und zu den Hesse-Stätten. Die Veranstaltungen und die Ausstellung stießen auf ein großes Interesse und gaben Anlass für eine intensive Beschäftigung mit Leben und Werk Hermann Hesses. In den Buchhandlungen lagen erfreulicherweise die russischen Übersetzungen der Erzählungen und Romane in preiswerten Taschenbuchausgaben aus. Unterstützt und gefördert wurden die Veranstaltungen von der Internationalen Hesse-Gesellschaft sowie von dem Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. Eine Dokumentation der Uraler Hesse-Tage ist zu beziehen über die Internationale Hesse-Gesellschaft.

Hermann-Hesse-Bibliographie zusammengestellt von Michael Limberg

Das Werk von Hermann Hesse ROMANE, ERZÄHLUNGEN, BETRACHTUNGEN Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 9: Die Märchen – Legenden – Übertragungen – Dramatisches – Idyllen. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002. 681 (+5) S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 10: Die Gedichte. Bearbeitet von Peter Huber. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002. 659 (+3) S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 11: Autobiographische Schriften I. Wanderung – Kurgast – Die Nürnberger Reise – Tagebücher. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. 785 (+5) S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 12: Autobiographische Schriften II. Selbstzeugnisse, Erinnerungen, Gedenkblätter und Rundbriefe. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. 723 (+7) S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 13: Betrachtungen und Berichte I. 1899–1926. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. 523 (+7) S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 14: Betrachtungen und Berichte II. 1927–1961. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. 546 (+5) S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 16: Die Welt im Buch. Leseerfahrungen I. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1900–1910. In Zusammenarbeit mit Heiner Hesse hrsg. v. V. Michels. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002. 639 (+11) S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 17: Die Welt im Buch. Leseerfahrungen II. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1911–1916. In Zusammenarbeit mit Heiner Hesse hrsg. v. V. Michels. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002. 807 (+16) S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 18: Die Welt im Buch. Leseerfahrungen III. Rezensionen und Aufsätze 1917 –1925. In Zusammenarbeit mit Heiner Hesse und Marco Schickling hrsg. v. V. Michels. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002. 803 (+3) S. Sämtliche Werke (in 20 Bänden). Hrsg. v. Volker Michels. Bd. 19: Die Welt im Buch. Rezensionen und Aufsätze aus den Jahren 1926 –1934. In Zusammenarbeit mit Heiner Hesse und Marco Schickling hrsg. v. V. Michels. Frankfurt a. M: Suhrkamp 2003. 769 (+3) S. * Alte Musik. Mit Fotos aus der Bundesstadt Bern und einem Nachwort von Steffen Bock. 31 S. Din A4, Ringbindung. Auflage: 20 unverkäufl. Exemplare. Silmersdorf/Leipzig/Düsseldorf: Prause & Bock 2003. Privatdruck. (Landschaften im Werk von Hermann Hesse XIV) Christian Wagner (1913). In: 036/2003, S. 130. Das Nachtpfauenauge. In: Schmetterlinge. Geschichten und Gedichte. Ausgew. v. Simone Frieling. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2003 (it 2882). 195 S.; S. 161–170. Demian. Mit e. Nachbemerkung v. Volker Michels. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003 (st 3518). 200 S.

Hermann-Hesse-Bibliographie 188 Der Beruf des Schriftstellers. In: Für den Tag schreiben. Journalismus und Literatur im Zeitungsland Schweiz. Eine Anthologie, zusammengestellt und mit einer Einleitung von Hugo Loetscher hrsg. v. Charles Linsmayer. Zürich: Weltwoche-ABC-Verlag, 1999. 312 S.; S. 159–163. * U.d. Titel Vom Schriftsteller auch in Hesse, Die Welt der Bücher. Suhrkamp 1977. Der Dichter Christian Wagner (1915). In: 036/2003, S. 131. Der Meermann. In: Meer in Sicht. Geschichten von Wellen, Wind und Stränden. Ausgew. v. Günter Stolzenberger. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2003 (it 2931). 239 S.; S. 107–113. Die Nichtraucherin. In: Zimmer frei für zwei. Geschichten von der Urlaubsliebe. Hrsg. v. Julia Ketterer. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003 (st 3496). 277 S.; S. 228–235. Ein paar Basler Erinnerungen. Messmocken, Schmetterlings-Jagd und Böcklins «Toteninsel»: Der Literaturnobelpreisträger Hermann Hesse über seine Kindheit und Jugend in der Stadt am Rhein. In: Weltwoche Nr. 47/03 v. 17.11.2003. Erschienen am 22.3.1951 in «Weltwoche». Indische Schmetterlinge. In: Schmetterlinge. Geschichten und Gedichte. Ausgew. v. Simone Frieling. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2003 (it 2882). 195 S.; S. 31–38. Klein und Wagner. In: »Der Kanon« Die deutsche Literatur. Erzählungen. Hrsg. v. Marcel ReichRanicki. Bd. 6: Thomas Mann bis Alfred Döblin. S. 449–528. Knulp. In: »Der Kanon« Die deutsche Literatur. Erzählungen. Hrsg. v. Marcel Reich-Ranicki. Bd. 6: Thomas Mann bis Alfred Döblin. S. 370–448. Merkwürdige Nachricht von einem anderen Stern. In: Das Zauberreich der Phantasie. Die Märchen der Dichter. Hrsg. v. Hans-Joachim Simm. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel, 2003. S. 503– 519, 848 Mit der Reife wird man immer jünger. Betrachtungen und Gedichte über das Alter. Mit Fotografien v. Martin Hesse u. einer beigelegten CD: Hermann Hesse liest: Zwischen Sommer und Herbst – Über das Alter – Über das Wort Brot. Hrsg. v. Volker Michels. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. (suhrkamp taschenbuch 3551, Hardcover) 191 S. Diese Zusammenstellung erschien erstmals 1990 als insel taschenbuch 2311. Narziß und Goldmund. Mit e. Kommentar v. Heribert Kuhn. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. (Suhrkamp BasisBibliothek; SBB 40). 407 S. Nur wer liebt, ist lebendig. Frühe Liebesgeschichten. Mit e. Nachwort hrsg. v. Volker Michels. Frankfurt a.M.: Insel, Suhrkamp 2003. 125 S. Enth.: Der Dichter – Jasminduft – Ein Erfinder – Maler Brahm – Wärisbühel. Siddhartha. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2003 (it 2432). 188 S. In großer Schrift. Stunden am Schreibtisch. Gekürzte Fassung unter dem Titel Über den Selbstmord, in: Universitas. Orientierung in der Wissenschaft. Januar 2003, S. 107 (Rückblick). Der vollständige Text erschien bereits 1950 in Heft 7 von «Universitas» unter dem Titel Notiz aus dem Sommer 1949. Unterm Rad. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003 (st 3501). 166 S. Unterm Rad. (Teildruck u. d. Titel: Das Landexamen). In: Kleine Helden. Ein Lesebuch. Hrsg. v. Wolfgang Schneider. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003 (st 3507). 254 S.; S. 68–81. «Verliebt in die verrückte Welt.» Betrachtungen, Gedichte, Erzählungen, Briefe mit Aquarellen des Verfassers. Zusammengestellt von Ursula Michels-Wenz. Mit einem Vorwort von Volker Michels. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2003. 192 S. Vor einer Sennhütte im Berner Oberland. In: Zwei Spuren im Schnee. Winterfreuden. Ein Lesebuch. Hrsg. v. Susanne Gretter. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2002 (st 3440). 308 S.; S. 231–234. Wintertage in Graubünden. In: Die besten Geschichten übers Skifahren. Hrsg. v. Bettina Feldweg. München: Piper 2003 (Serie Piper 3994). 315 S.; S. 39–44.

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BRIEFE UND BRIEFWECHSEL Hermann Hesse, Emmy Ball-Hennings, Hugo Ball. Briefwechsel 1921–1927. Hrsg. u. kommentiert von Bärbel Reetz. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. 612 S. Christian Wagner. Briefwechsel mit Hermann Hesse. In: Christian Wagner: Eine Welt von einem Namenlosen. Lebenszeugnisse und Rezeption (2. Bd.). Hrsg. v. Ulrich Keicher. Göttingen: Wallstein 2003. (Veröffentlichungen der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung Darmstadt. 80. Veröffentlichung). *Enthält gegenüber dem 1977 von Friedrich Pfäfflin bei der Deutschen Schillergesellschaft herausgegebenen Briefwechsel 6 zusätzl. Schreiben Hesses u. 2 zusätzl. Schreiben Wagners. Ball-Hennings, Emmy. 22.1.1929. Teildruck u.d.T.: Meine bretternen Zauberpferde. In: Die besten Geschichten übers Skifahren. Hrsg. v. Bettina Feldweg. München: Piper 2003 (Serie Piper 3994). 315 S.; S. 38 (10 Zeilen). Otto Basler. 16.8.1943. Unter dem Titel: Es gab einmal eine Stadt [Hamburg]. In: Hamburg 1943. Literarische Zeugnisse zum Feuersturm. Hrsg. v. Volker Hage. Frankfurt a.M.: Fischer 2003. 320 S.; S. 12. Grete Gulbransson. O.D. (ca. Okt. 1913). In: Grete Gulbransson: Tagebücher. Hrsg. u. kommentiert von Ulrike Lang. Bd. 2: Meine fremde Welt: 1913 bis 1918. Frankfurt a.M.; Basel: Stroemfeld (Roter Stern) 2001. S. 28f., 33, 51, 71–78, 82–84, 89f., 151, 154f., 169,171, 176, 240, 245, 266–268, 271, 272., S. 83.

GEDICHTE Vom Baum des Lebens. Ausgewählte Gedichte. Mit e. Nachwort v. Volker Michels. Frankfurt a.M. u. Leipzig 2003 (Insel Bücherei Nr. 454). 89 S. Mit e. Photo v. 1935 v. Martin Hesse. Neuausgabe der Auflage v. 1934. Wege nach Innen. 25 Gedichte. Ausgewählt und mit einem Nachwort versehen von Siegfried Unseld. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. 80 S., Ledereinband. [Mit 12 Aquarellen und 12 Handschriften des Autors]

AQUARELLE, ZEICHNUNGEN Hermann Hesse. Kalender 2004. Mit dreizehn Aquarellen und Betrachtungen über Lesen und Bücher. Zusammengestellt v. Volker Michels. (Die Texte befinden sich jeweils auf der Rückseite der Aquarelle.) 42 x 32 cm. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. Am Muzzaner See. 1935. Aquarell. In: Hermann Hesse. Kalender 2004. Mit dreizehn Aquarellen und Betrachtungen über Lesen und Bücher. Zusammengestellt v. Volker Michels. (Die Texte befinden sich jeweils auf der Rückseite der Aquarelle.) 42 x 32 cm. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. Mai. Bei St. Moritz. Januar 1932. Aquarell. Ebd. Dezember. Die Casa rossa. Um 1932. Aquarell. Ebd. Juli. Dorf am Hang. 18.8.1924. Aquarell. Ebd. April. Dorfstraße. 10.6.1930. Aquarell. Ebd. Oktober. Flußtal Saleggi bei Ascona. 1917. Aquarell. Ebd. November. Garten mit Sonnenschirm. Juni 1930. Aquarell. Ebd. Juni. Häuser in Montagnola. Juni 1924. Aquarell. In: Ebd. März. Junge Birken. Frühjahr 1918. Aquarell. In: Ebd. Februar. Rotes Haus. 1922. Aquarell. In: Ebd. Titelblatt. Seetal im Winter. 17.12.1933. Aquarell. Ebd. Januar. Tessiner Bergdorf. 16.6.1928. Aquarell. Ebd. September. Vom Turm. 19.6. 1931. Aquarell. Ebd. August. *

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Hermann Hesse. Calendarium 2004. Tischkalender mit 13 farb. Aquarellen und Gedanken aus Hermann Hesses Schriften über Kindheit und Jugend. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2003. 9,4 x 9 cm. Hermann Hesse. Insel-Kalender für das Jahr 2004. Zusammengestellt von Ursula Michels-Wenz. Mit farbigen Aquarellen. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel, 2003 (it 2947). 159 (+1) S. Hermann Hesse. Aquarelle. Kalender 2004. Stuttgart: Fink 2003. 24,5 x 19 cm. Kalendarium und 12 (herausnehmbare) Aquarellkarten der Edition Classic Art. (CH-8154 Oberglatt/ZH)

ÜBERSETZUNGEN Niederländisch Boccaccio. De dichter van decamerone. Soesterberg: Aspekt 2003. De kunst van het ouder worden. Soesterberg: Aspekt 2002. De terugkeer von Zarathoestra en andere gedenkschriften tegen het radicalisme van rechts en links. Ü: Alfred Krans. Soesterberg: Aspekt 2002. 141 S. Franciscus van Assisië. Soesterberg: Aspekt, 2003 154 S. Kleine wereldliteratuur. Soesterberg: Aspekt 2003 – [Eine Bibliothek der Weltliteratur]

Tschechisch Hra se sklenìnými perlami. Ü: Vratislav Slezák. Prag: Argo 2002. (Souborné dílo [Gesammelte Werke], Bd. 10). 438 S. – [Das Glasperlenspiel] Lázenˇ ský host / Cesta do Norimberka / Stepní vlk. Ü: Vratislav Slezák. Argo 2001. 301 S. – [Kurgast / Die Nürnberger Reise / Der Steppenwolf] Siddhártha. Indická báseò. Ü: Miloš Èerný. Prag: Aulos 2002. 120 S. Siddhártha. Indická báseò. Ü: Miloš Èerný. Prag: Argo 2003. 137 S. Tajemství duše. Ü: Radka Fialová. Prag: Vyšehrad, 2003. 47 S. – [Geheimnis der Seele] Úvahy a imprese / Vzpomínky a listy prˇátelùm / Politické úvahy / Mozaika z dopisù 1930–61 / O literaturˇe / Recenze a èlánky. Ausgew. u. hrsg. v. Jirˇí Stromšík. Ü: Vratislav Slezák. Prag: Argo 2002. 427 S. (Souborné dílo [Gesammelte Werke], Bd. 10). – [Betrachtungen und Impressionen / Erinnerungen und Briefe an Freunde / Politische Betrachtungen / Briefmosaik 1930–61 / Über Literatur / Rezensionen und Aufsätze. = Auswahl aus: Gesammelte Werke, Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1987 (suhrkamp taschenbuch), Bd. 10–12.]

Ungarisch A márványmalom. Válogatott elbeszélések I. Ü: Géza Horváth, Zsuzsanna Vincze. Budapest: Cartaphilus K. 2003. 330 S. – [Die Marmorsäge. Ausgewählte Erzählungen. I] A pusztai farkas. Ü: Géza Horváth. Budapest: Cartafilus K. 2000. 304 S. – [Der Steppenwolf] A varázsló gyermekkora. Mesék. Ü: Géza Horváth. Budapest: Cartaphilus K. 2001. 328 S. – [Kindheit des Zauberers. Märchen] Enth.: Der Zwerg; Die Stadt; Dr. Knölges Ende; Schöner Traum; Flötentraum; Augustus; Der Dichter; Der Waldmensch; Merkwürdige Nachricht von einem andern Stern; Faldum; Der schwere Weg; Eine Traumfolge; Das Reich; Piktors Verwandlungen; Kindheit des Zauberers; Traumfährte; König Yu; Vogel; Die beiden Brüder. Gyermeklélek. Klingsor utolsó nyara. Ü.: Géza Horváth. Budapest: Cartafilus K. 1997. 7–57 S. u. 181–261 S. – [Kinderseele, Klingsors letzter Sommer] Lyrik A Halhatatlanok. [Die Unsterblichen]. Ü: Géza Horváh. In: A pusztai farkas [Der Steppenwolf]. Budapest: Balassi Kiadó 1997. S. 154–155.

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Literatur über Hermann Hesse ARCHIVE, MUSEEN, GESELLSCHAFTEN Deutsches Literaturarchiv /Deutsche Schillergesellschaft, Marbach Ulrich Ott, Jahresbericht der Deutschen Schillergesellschaft 2002/2003. In: «Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft» XLVII/2003. Stuttgart: Kröner 2003, S. 535–616. Hesse-Erw.: S. 542, 543, 551, 552, 562, 570, 575, 580, 591, 599, 601, 602, 607.

Hermann-Hesse-Museum, Calw Corinna Neuer, Hesse im Netz ist das große Ziel. Natalie Janzen betreut das Haus Schüz unter Paul Rathgebers Regie. In: «Schwarzwälder Bote» v. 24.4.2003. Das Hesse-Literaturarchiv soll langfristig einmal im world wide web Menschen in aller Welt zugänglich gemacht werden. Hans-Manfred Niedetzky, Das Hermann-Hesse-Museum in Calw. Sprach- und Literaturmuseen in Deutschland. In: «Deutsche Sprachwelt», Ausgabe 11 v. 20.3.2003, S. 10. Paul Rathgeber, Das Hermann-Hesse-Museum in Calw. Von der Gedenkstätte zum HermannHesse-Zentrum. In: Dichter und ihre Häuser. Die Zukunft der Vergangenheit. Hrsg. v. Hans Wisskirchen. Lübeck: Schmidt-Römhild 2002. 244 S.; S. 9–24. Weitere Erw.: S. 196f. (Hermann-Hesse-Höri-Museum). Corinna Neuer, Zukunft der Vergangenheit lockt ins Haus Schüz. Hesse-Zentrum ist Teil eines Überblicks über Dichterhäuser und Museen in Deutschland. In: «Schwarzwälder Bote» v. 26.4.2003. (anonym): Buch stellt Dichter und ihre Museen vor. Von der Gedenkstätte zum Hesse-Zentrum. In: «Calw journal» v. 2.5.2003.

Internationale Hermann-Hesse-Gesellschaft Calw (anonym): Bereits erste Kontakte ins Ausland geknüpft. Hermann-Hesse-Gesellschaft Calw veranstaltete erstes Symposium mit renommierten Germanisten. In: «Calw journal» v. 11.7.2003, S. 8.

Koreanische Hesse-Gesellschaft. Taejon (Südkorea) Hesse-Forschung. Bd. 8, 2002. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. 222 S. [4 der 10 Arbeiten befassen sich mit Hesse; die Beiträge sind einzeln verzeichnet.] Hesse-Forschung. Bd. 9, 2003. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. 270 S. [4 der 13 Arbeiten befassen sich mit Hesse; die Beiträge sind einzeln verzeichnet.] Hesse-Forschung. Bd. 10, 2003. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. 386 S. [5 der 17 Arbeiten befassen sich mit Hesse; die Beiträge sind einzeln verzeichnet.]

Museo Hermann Hesse Montagnola Veranstaltungsübersicht 2003. Faltblatt. 14,5 x 21 cm (86,5 x 21 cm).

Hermann-Hesse-Bibliographie 192

GESAMTDARSTELLUNGEN Jan Badewien – Hans-Georg Schmidt (Hrsg.).: Hermann Hesse. Dichter der Suchenden. Karlsruhe 2003 (Herrenalber Forum, HF Band 36). 134 S. Beiträge einer Tagung der Ev. Akademie Baden mit der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe v. 8.-10.3.2002 in Bad Herrenalb. Die Beiträge sind einzeln verzeichnet. Cornelia Blasberg (Hrsg.): Hermann Hesse. 1877 – 1962 – 2002. Tübingen: Attempto 2003. Der Band enthält die Vorträge einer Ringvorlesung an der Universität Tübingen im Sommer 2002. Die Beiträge sind einzeln aufgeführt. Cornelia Blasberg, Vorwort. Ebd., S. 7–11. Soon-Kil Hong: The Life and Music of Hermann Hesse. In: 405/2003, Booklet zur CD. Text engl. u. koreanisch. Mit Photos aus Montagnola u. Umgebung. Joseph Mileck: Hermann Hesse. Between the Perils of Politics and the Allure of the Orient. New York: Lang 2003 (Berkeley Insights in Linguistic and Semiotics; Vol. 55). 199 S. Part I: The Artist and Politics. Hesse’s Sociopolitical Involvements and the Repercussions. Part II: Hesse and India. Acclaim and Disclaim. Mauro Ponzi: Hermann Hesse. Il mito della giovinezza Rom: Lithos 2002. Alois Prinz: De bekoring van het begin. Het leven van Hermann Hesse. Ü: Evert K.M. van Leerdan. Soesterberg: Aspekt 2002. 335 S. – Holl. Ausgabe von 190/2000. Martin Ros: Hermann Hesse, een profiel. Soesterberg: Aspekt 2003. Siegfried Unseld: Hermann Hesse. In: Die großen Deutschen unserer Epoche. Hrsg. v. Lothar Gall. Frechen: Komet MA-Service 2002. S. 73–82. Lizenzausgabe von 216/1998.

LITERATURGESCHICHTEN UND LEXIKA Der Brockhaus. Literatur. Schriftsteller, Werke, Epochen, Sachbegriffe. 2., völlig neu bearbeitete Aufl. Mannheim. Leipzig: F.A. Brockhaus 2003. 959 S.; S. 351f. Deutsche Biographische Enzyklopädie. Hrsg. v. Walther Killy und Rudolf Vierhaus. Bd. 4, Gies-Hessel. München: Deutscher Taschenbuch Verlag / K.G. Saur 2001. S. 675f. Johannes John: Reclams Zitaten-Lexikon. Stuttgart: Reclam 2002. 5., erw. Auflage. S. 204: Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde. Hermann Hesse, «Stufen». Lexikon der deutsch-jüdischen Literatur. Hrsg. v. Andreas B. Kilcher. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2003 (st 3529). S. 315 (Alfred Kittner), 534f. (Arthur Silbergleit), 596f. (Jakob Wassermann). Hans Sarkowicz – Alf Mentzer,: Literatur in Nazi-Deutschland. Ein biografisches Lexikon. Erweiterte Neuausgabe. Hamburg / Wien: Europa Verlag 2002. 440 S.; S. 216–219, 42, 45, 112, 167, 187, 251, 291, 308, 320, 373–374.

BIBLIOGRAPHIEN Michael Limberg: Hermann-Hesse-Literatur. 9. Jahrgang, 2002. (40591) Düsseldorf (Dechenweg 1): M. Limberg. 138 S., Din A 5, (Typoskript xerokop.)

ZUR REZEPTION Chang-Hyun Cho: The Development of Hesse Reception in Korea from the Year 1926 to 1999. In: Hesse-Forschung. Bd. 10, 2003. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft., S. 291–309. Mit koreanischer Zusammenfassung. Seok-Hee Choi: Zur Hesse-Rezeption in Japan in den letzten Jahren. In: Hesse-Forschung. Bd. 8, 2002. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft., S. 5–21 (Koreanisch mit dt. Zusammenfassung).

Hermann-Hesse-Bibliographie 150. Eberhard Hilscher: «Greif nach dem Buch: es ist eine Waffe». Bücher von und über Hermann Hesse. In: «Studia Niemcoznawcze». 25. 2003, S. 543–554 151. Hartmut Hoefer: Faszination Hesse. Zur Wirkungsgeschichte Hermann Hesses. In: Jan Badewien – Hans-Georg Schmidt (Hrsg.): Hermann Hesse. Dichter der Suchenden. Karlsruhe 2003, S. 33–73. Andrea G. Klaus: Erinnerungen an Hesse: überholtes Lesevergnügen oder unmittelbare Gegenwartsbezogenheit? In: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/papers/klaus3.pdf. 6 S. Bettina Kümmerling-Meibauer: Hermann Hesse als Crosswriter – ein Autor für Erwachsene und für Jugendliche. In: Jan Badewien – Hans-Georg Schmidt (Hrsg.): Hermann Hesse. Dichter der Suchenden. Karlsruhe 2003, S. 67–85. Volker Michels: «Teils ausgelacht, teils den sentimentalen Leserkreisen überlassen» Zur Hermann Hesse-Rezeption in Deutschland. Vortrag in Calw, Juli 2003. In: http://www.gss.ucsb.edu/ projects/hesse/papers/michels-calw-2003.pdf. 17 S. Lothar Müller: Wohin die Sache von sich aus treibt. Profane Herstellung heiliger Texte: Theodor W. Adornos Briefwechsel mit seinen Frankfurter Verlegern. In: «Süddeutsche Zeitung» v. 11.9.2003. «...Adorno, der sich übrigens in den Briefen an seinen Verleger über Werk und Person Hermann Hesses stets sehr viel freundlicher äußert als über Werk und Person Bertolt Brechts.» Klaus-Peter Philippi: Hesse und die heutige Germanistik in Deutschland. (Historisierung – Distanz – Kritik). In: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/papers/philippi-calw-2003.pdf. 14 S. Uli Rothfuss: «Seit ich zurückdenken kann, hat es ihn gegeben.» Hermann Hesses Bedeutung für den Schriftsteller heute. In: 204a/2003, S. 159–170. Ralf Rothmann: Erweckungserlebnis Hermann Hesse. (Interview mit Ralf Rothmann). In: Buchszene 2/2003, S. 11. Bücher von Hermann Hesse als «erste Begegnung mit Literatur, die für mich und mein Schreiben ein prägendes Erlebnis war...». Martina Schürmann: Lass den Jungen, der liest... Ein Ruhrgebiets-Autor, der keiner ist: Ralf Rothmann hat sich fortgeschrieben. In: «Neue Ruhr Zeitung» v. 28.6.2003. «Die Literatur war die erste Autorität, die nicht gesagt hat: ‹Du spinnst›. Einer so souveränen Instanz wie Hermann Hesse würde man das auch gar nicht zutrauen. Als Rothmann ihn damals in den 70ern... eingesogen hat, war die Sache klar: ‹Das will ich auch, nur mit meinen Mitteln›.» Andrea Springer: Hermann Hesse war sein Baedeker. Marco Schickling verliert keine Zeit auf seiner «Reise» zwischen Marbach und Leselust. In: «Wiesbadener Tagblatt» v. 3.4.2003.

Über Werke SÄMTLICHE WERKE (IN 20 BÄNDEN) Peter Huber: Nachwort des Bearbeiters. In: Sämtliche Werke. Band 10, S. 609–627. Volker Michels: Editorische Notiz. In: Sämtliche Werke. Band 16, S. 517f. Volker Michels: Nachwort des Herausgebers. In: Sämtliche Werke. Band 9, S. 625–672. Volker Michels: Nachwort des Herausgebers. In: Sämtliche Werke. Band 11, S. 743–780. Volker Michels: Nachwort des Herausgebers. In: Sämtliche Werke. Band 12, S. 699–708. Volker Michels: Nachwort des Herausgebers. In: Sämtliche Werke. Band 13, S. 489–508. Volker Michels: Nachwort des Herausgebers. In: Sämtliche Werke. Band 14, S. 507–532. Volker Michels: Nachwort des Herausgebers. In: Sämtliche Werke. Band 17, S. 613–623. Volker Michels: Nachwort des Herausgebers. In: Sämtliche Werke. Band 18, S. 585–605. Volker Michels: Nachwort des Herausgebers. In: Sämtliche Werke. Band 19, S. 537–549.

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Hermann-Hesse-Bibliographie 194

DAS GLASPERLENSPIEL Urs Bitterli: Jacob Burckhardt und Hermann Hesse – Spuren einer Geistesverwandtschaft. In: 204a/2003, S. 23–42. Marie Büchert: Herman Hesse – Glasperlespillet. In: www.litteratursiden.dk/ sw598.asp. Mai 2002. Günther Gottschalk: Beads and Bytes. Das Glasperlenspiel, das Weltwissen und das Internet. In: Eva Zimmermann (Hrsg.): «Der Dichter sucht Verständnis und Erkanntwerden» Neue Arbeiten zu Hermann Hesse und seinem Roman Das Glasperlenspiel. Bern (u.a.): Lang, 2002, S. 139–157. Ulrich Hesse: Über Kontemplation und Meditation im Glasperlenspiel. Ebd., S. 43–52. Géza Horváth: Josef Knechts Traum. Eine «Traumdeutung» mit einem Hinweis auf den gesamten Bedeutungssinn der Textwelt in Hermann Hesses Roman Das Glasperlenspiel. In: «Millionen Welten». Bernáth Árpád zum sechzigsten Geburtstag. Budapest: Osiris K. 2001. S. 319–330. Lech Kolago – Katarzyna Grzywka: Auf dem Weg zur inneren Heiterkeit. Zur Symbiose zwischen der klassischen Musik des Abendlandes und der Tradition des Fernen Ostens am Beispiel des Romans Das Glasperlenspiel von Hermann Hesse. In: «Jahrbuch Polyaisthesis», Bd. 6: Überleben zur Zeitenwende München / Salzburg 1999, S. 73–95. Kolago, Lech – Grzywka, Katarzyna : Zur Rolle der Musik im Roman Das Glasperlenspiel von Hermann Hesse. In: «Studia Niemcoznawcze – Studien zur Deutschkunde», Bd. XII, Warszawa 1996, S. 117–142. Anton Krättli: Das Glasperlenspiel – nach fünfzig Jahren. In: Anton Krättli: Momentan nicht im Gespräch. 18. August 2002 zum 80sten Geburtstag auf Schloss Liebegg. o.O. o.J. [2003], S. 44–55. Inn-Ung Lee: I Ging, das Buch der Wandlungen, im Glasperlenspiel von Hermann Hesse. In: Eva Zimmermann (Hrsg.): «Der Dichter sucht Verständnis und Erkanntwerden» Neue Arbeiten zu Hermann Hesse uns seinem Roman Das Glasperlenspiel. Bern (u.a.): Lang, 2002, S. 53–71. Jai-Dong Lim: Ein regulierendes Prinzip für die Person und die Gesellschaft in dem Bildungsroman. In: Hesse-Forschung. Bd. 9, 2003. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft, S. 5–31 (Koreanisch mit dt. Zusammenfassung). * Lim versucht, ein regulierendes Prinzip in Goethes Wilhelm Meisters Lehrjahre und Hesses Glasperlenspiel zu erklären. Rätus Luck: Ein privater Kommentar – Das Glasperlenspiel in den Briefen Hermann Hesses. In: Eva Zimmermann (Hrsg.): «Der Dichter sucht Verständnis und Erkanntwerden» Neue Arbeiten zu Hermann Hesse und seinem Roman Das Glasperlenspiel. Bern (u.a.): Lang 2002, S. 7–25. Adolf Muschg: Hesses Glasperlenspiel. Ebd., S. 125–138. (opi): Hesse – die beiden Kultbücher. In: «Südkurier» (Konstanz) v. 19.5.2003. * Über die Sonderausgaben Das Glasperlenspiel und Unterm Rad. Klaus-Peter Philippi: Hermann Hesse, Das Glasperlenspiel: «Zerfall der Werte» und Flucht in die Legende. In: Cornelia Blasberg (Hrsg.): Hermann Hesse. 1877 – 1962 – 2002. Tübingen: Attempto 2003, S. 121–146. Immo Schneider: Wiederholte Erdenleben. Hermann Hesses Auffassung des Reinkarnationsgedankens in den Lebensläufen Josef Knechts im Glasperlenspiel. Ebd., S. 73–108. Hellmut Thomke: Hermann Hesses Glasperlenspiel – eine kritische Betrachtung. Ebd., S. 109–124. Jürgen Wendler: Hesse, der Kanzler und die Medien. «Das Glasperlenspiel» ist hochaktuell. In: «Weser Kurier» v. 22.1 2003. * Hesses Beschreibung des «feuilletonistischen Zeitalters» im Vergleich mit den Zuständen in den Medien heute. Monika Wolting: Die Utopie in Hermann Hesses Werk «Das Glasperlenspiel» – die andere Welt im 20. Jahrhundert. In: «Studia niemcoznawcze» (=Studien zur Deutschkunde). 16. 1998, S. 279–288. Eva Zimmermann (Hrsg.): «Der Dichter sucht Verständnis und Erkanntwerden» Neue Arbeiten zu Hermann Hesse und seinem Roman Das Glasperlenspiel. Bern (u.a.): Lang 2002.

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DEMIAN Herrad Heselhaus,: Hesses Demian – Adoleszenz als Utopie. In: Cornelia Blasberg (Hrsg.): Hermann Hesse. 1877 – 1962 – 2002. Tübingen: Attempto 2003, S. 27–42. Volker Michels: Nachbemerkung. In: Hermann Hesse, Demian. Mit e. Nachbemerkung v. Volker Michels. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003, S. 194–200.

DER STEPPENWOLF Günter Baumann: Der Heilige und der Wüstling. Tiefenpsychologische Grundlagen von Siddhartha und Der Steppenwolf. In: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/papers/ baumann-zurich3. pdf. 15 S. Geza Horváth: Nachwort zur ungarischen Ausgabe Der Steppenwolf. Budapest: Balassi Kiadó 1992, 1997, 1998. Cartafilus Kiadó, 2000. Lech Kolago – Katarzyna Grzywka: Zur Rolle der Musik im Roman Der Steppenwolf von Hermann Hesse. In: «Studia Niemcoznawcze» – Studien zur Deutschkunde, Bd. XII, Warszawa 1996, 165–178. Dirk Niefanger: Harry Haller und die großen Männer. Hermann Hesses Steppenwolf im Kontext der Biografien-Mode. In: Cornelia Blasberg (Hrsg.): Hermann Hesse. 1877 – 1962 – 2002. Tübingen: Attempto 2003, S. 87–102. Christiane Zschirnt: Bücher. Alles, was man lesen muss. Mit e. Vorwort von Dietrich Schwanitz. Frankfurt: Eichborn 2002. 330 S.; Über Der Steppenwolf: S. 255–257. Matthias Zwarg: Nie gehört, diesen Namen: German Gesse in Leningrad. Garri Galler und die Perestroika im Theater: Der Steppenwolf»1988 in der fernen Sowjetunion und der nahen DDR. In: «Freie Presse» (Chemnitz) v. 28.6.2002. * Über eine dramatisierte Fassung des Steppenwolfs in einem Leningrader Theater 1988.

EINE SONATE Katarzyna Grzywka,: «Du mußt mir das bald wieder spielen, für mich allein». Zur Rolle der Musik in der Erzählung Eine Sonate von Hermann Hesse. In: «Studia niemcoznawcze» (=Studien zur Deutschkunde). 23. 2002, S. 161–167.

GERTRUD Lech Kolago – Katarzyna Grzywka: Zur Rolle der Musik im Roman Gertrud von Hermann Hesse. In: «Acta Philologica», 25, Warszawa 1998, S. 105–118.

KLEIN UND WAGNER Geza Horváth: Vorwort zur ungarischen Gesamtausgabe. In: Kinderseele, Klein und Wagner, Klingsors letzter Sommer. Budapest: Cartafilus Kiadó 1977. Geza Horváth: Nachwort zur zweiten ungarischen Ausgabe von Kinderseele, Klein und Wagner, Klingsors letzter Sommer. Budapest: Cartafilus Kiadó 2002. Geza Horváth: Schizophrenie und Selbstmord oder Zweiheit und Einheit in Hermann Hesses Klein und Wagner, mit Rückblick auf Arthur Schopenhauer. In: Erzählstrukturen 2. Studien zur Literatur der Jahrhundertwende. «Acta Germanica» 10. Szeged, JATE, 1999. S. 145–153.

MIT HERMANN HESSE DURCH ITALIEN (emk): Mit Hermann Hesse durch Italien. Ein Reisebegleiter durch Oberitalien. In: www. literaturtipp. com, 2002. www.literaturtipp.com/rezensionen2002/mitHermannHesseDurchItalien.html

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NARZIß UND GOLDMUND Walter Erhart: Narzissmus und Goldmund. In: Cornelia Blasberg (Hrsg.): Hermann Hesse. 1877– 1962–2002. Tübingen: Attempto 2003, S. 103–119. Geza Horváth: Nachwort zu Narziss és Goldmund von Hermann Hesse. Budapest: Cartaphilus Kiadó 2002 Heribert Kuhn: Kommentar. In: Narziß und Goldmund. Frankfurt a.M.: Suhrkamp 2003. S. 347–358: Heraustreten aus der «Totschlägerreihe». Über Hermann Hesses Bearbeitung des Wilhelminischen Geschlechtergegensatzes in Narziß und Goldmund. S. 359–368: Wirkungsgeschichte und Deutung. S. 383–386: Literaturhinweise. S. 387–407: Wort- und Sacherläuterungen.

SIDDHARTHA (anonym): Dichtung als Lebenshilfe. Die erste tiefenpsychologische Deutung von Hesses «Siddharta» [sic!]. In: «GesundLeben» 1/2003, S. 28. Günter Baumann: Der Heilige und der Wüstling. Tiefenpsychologische Grundlagen von Siddhartha und Der Steppenwolf. In: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/papers/baumann-zurich3.pdf. 15 S. Kyung-Yang Cheong: Hermann Hesses Siddhartha unter dem religiösen Gesichtspunkt. In: HesseForschung. Bd. 8, 2002. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 23–40 (Koreanisch mit dt. Zusammenfassung). Géza Horváth: Hermann Hesse: Siddhartha. Auf der Suche nach der Einheit. In: Wege der deutschen Innerlichkeit am Beispiel von Johann Wolfgang von Goethes Die Leiden des jungen Werther, Hermann Hesses Siddhartha und Thomas Manns Doktor Faustus. Budapest: Osiris K. 2001. S. 71 – 107. Géza Horváth: Hermann Hesse: Siddhartha. Eine typologische Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung der strukturbildenden Motive in der Erzählung Siddhartha, mit Ausblick auf das erzählerische Werk Hermann Hesses. In: Erzählstrukturen. Studien zur Literatur der Jahrhundertwende. «Acta Germanica» 7. Szeged, JATE, 1999. S. 96–131. Martin Kämpchen: The Indian Philosophical Roots of Hermann Hesse’s novel Siddhartha. In: «Yearbook of the Goethe society of India». 2001–2002. S. 160–170. Isabelle Siemes: Die Kurtisane zwischen Stadt und Natur. Hermann Hesses Siddhartha als westliche Dichtung. In: Isabelle Siemes, Die Prostituierte in der literarischen Moderne 1890–1933. Düsseldorf: Hagemann 2000. Zugl.: Düsseldorf, Univ., Diss., 2000. 360 S.; S. 246–252.

UNTERM RAD Jean Améry: Sie lernten nicht für das Leben. Schülertragödien von Emil Strauß, Hermann Hesse, Friedrich Torberg. In: Jean Améry. Aufsätze zur Literatur und zum Film. Werke. Band 5; hrsg. v. Hans Höller. Stuttgart: Klett-Cotta 2003. 640 S.; S. 276–291 (üb. Unterm Rad: S. 282– 287). Paul Mog: Opfertode. Hesses Unterm Rad und die literarische Schulkritik der Jahrhundertwende. In: Cornelia Blasberg (Hrsg.): Hermann Hesse. 1877 – 1962 – 2002. Tübingen: Attempto 2003, S. 13–25.

GEDICHTE Irmgard Yu-Gundert: Die drei Zen-Gedichte Hermann Hesses. Anverwandlung des Fremden ans Eigne. In: Büchner und Moderne Literatur. Band 21, 2003. (Koreanische BüchnerGesellschaft). S. 585–621. Deutsch mit koreanischer Zusammenfassung.

Hermann-Hesse-Bibliographie Peter von Matt: Zweideutige Melancholie. In: 1400 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen. Hrsg. v. Marcel Reich-Ranicki. 12 Bde.; 6. Band: Von Hugo von Hofmannsthal bis Joachim Ringelnatz. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2002. S. 322–324. Erstdruck in: «Frankfurter Allg. Zeitung» 24.12.1999. Hans Bender: Das letzte Gedicht. In: 1400 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen. Hrsg. v. Marcel Reich-Ranicki. 12 Bde.; 6. Band: Von Hugo von Hofmannsthal bis Joachim Ringelnatz. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2002. S. 326–327. Erstdruck in: «Frankfurter Allg. Zeitung» Nr. 210 v. 10.9.1983. Hermann Burger: Instase und Ekstase. In: 1400 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen. Hrsg. v. Marcel Reich-Ranicki. 12 Bde.; 6. Band: Von Hugo von Hofmannsthal bis Joachim Ringelnatz. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2002. S. 330–332. Erstdruck in: «Frankfurter Allg. Zeitung» Nr. 193 v. 20.8.1988. Wolfgang Brenneisen: Was gibt uns Fremden Halt und Herberge? In: Frankfurter Anthologie. 26. Band. Gedichte und Interpretationen. Hrsg. v. Marcel Reich-Ranicki. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2003. 300 S.; S. 101–103 (Abdruck des Gedichts auf S. 99f.) Erstdruck in: «Frankfurter Allg. Zeitung» v. 6.7.2002. Ulrich Lauterbach: Krisis. In: 1400 Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen. Hrsg. v. Marcel Reich-Ranicki. 12 Bde.; 6. Band: Von Hugo von Hofmannsthal bis Joachim Ringelnatz. Frankfurt a.M. u. Leipzig: Insel 2002. S. 335–337. Erstdruck in: «Frankfurter Allg. Zeitung» Nr. 48 v. 25.2.1989.

ÜBER SACHVERHALTE Christina Dolland: Hermann Hesse, Schriftsteller, Sinnsucher und Seelenführer (Astroporträt), In: «Meridian, Fachzeitschrift für Astrologie», Teil I: Mai/Juni 2003, S. 25–31; Teil II: Juli/August 2003, S. 46–50.

BRIEFE UND BRIEFWECHSEL Thomas Feitknecht: Gefühle und Geschenke. Hesses Briefwechsel mit Schweizer Freunden. In: Eva Zimmermann (Hrsg.): «Der Dichter sucht Verständnis und Erkanntwerden» Neue Arbeiten zu Hermann Hesse und seinem Roman Das Glasperlenspiel. Bern (u.a.): Lang 2002. S. 171–188. * Über Walter Schädelin, Arthur Stoll, Hans Morgenthaler u. Jakob Flach. Klaus Walther: Briefe aus Montagnola. Die privaten Zeilen des Literaturnobelpreisträgers. In: «Freie Presse» (Chemnitz) v. 28.6.2003.

DICHTKUNST Kyung-Yang Cheong: Romantische Religiosität in den frühen Dichtungen Hermann Hesses. In: Hesse-Forschung. Bd. 9, 2003. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 33–50 (Koreanisch mit dt. Zusammenfassung). Soon-Kil Hong: Das Motiv der Wanderung und Niederlassung in Hesses Leben. In: HesseForschung. Bd. 8, 2002. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 41–64 (Koreanisch mit dt. Zusammenfassung). Soon-Kil Hong: Das Motiv der Wanderung und Niederlassung im Werke Hesses. In: HesseForschung. Bd. 9, 2003. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 51–85 (Koreanisch mit dt. Zusammenfassung). Geza Horváth: Der Essayist Hermann Hesse. Nachwort zum Auswahlband von Hermann Hesses Aufsätzen. In: Blick ins Chaos. Budapest: Cartafilus Kiadó 2000. Geza Horváth: Külso" vagy belso" világ? A környezet megformálásának szempontjai Hermann Hesse prózájában. in: Ex Symposion. Irodalom, Mo"vészet, Filozófia, Reflexió. Veszprém, 1993. S. 94–

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Hermann-Hesse-Bibliographie 198

96. [Aussenwelt oder Innenwelt. Einige Aspekte der Umweltgestaltung in Hermann Hesses Prosawerk] Andreas Solbach: Memoria und allegorische Bildlichkeit im Frühwerk Hermann Hesses. In: Orbis Linguarum (Wrocław). Vol. 21. 2002, S. 87–108. Volker Wehdeking: Hermann Hesse, C.G. Jung und Thomas Mann. Die intertextuellen Bezüge in der Erzählprosa des späteren Werks. In: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/papers/wehdekingHesse.pdf, 26 S.

INDIENBILD Annakutty Valiamangalam K Findeis: Hermann Hesses Indienbild – Dichtung und Wahrheit. In: Cornelia Blasberg (Hrsg.): Hermann Hesse. 1877 – 1962 – 2002. Tübingen: Attempto 2003, S. 43–66.

INTERNET www.Hermann-Hesse.de www.hessegesellschaft.de www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/publications/limberg.html

MALEREI Volker Michels: Farbe ist Leben. In: Trio der Malerpoeten. Gustav Gamper – Hermann Hesse – Ernst Kreidolf. Bearbeitet v. Roland Stark. Mit einem Essay von Volker Michels. Gaienhofen: Hermann-Hesse-Höri-Museum 2003 S. 49–65. (Beiträge des Hermann-Hesse-HöriMuseums. Hrsg. v. Ute Hübner) Katalog zur Ausstellung in Gaienhofen. 1.9.-16.11.203. 282. Roland Stark: Trio der Malerpoeten, ebd., S. 8–48.

MENSCHENBILD Renato Gendre: La concezione dell’uomo in Hermann Hesse. In: «Acta Neophilologica» 34. 2001. 1–2, S. 105–119. 285, Soon-Kil Hong: Das Frauenbild bei Hermann Hesse. In: Hesse-Forschung. Bd. 10, 2003. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft. S. 25–43. Koreanisch mit deutscher Zusammenfassung. 285a. Gottfried Spaleck: Unterwegs nach Morgenland. Zur aktuellen Bedeutung von Hermann Hesses Menschenbild. In: Jan Badewien – Hans-Georg Schmidt (Hrsg.): Hermann Hesse. Dichter der Suchenden. Karlsruhe 2003. S. 103–127.

POLITIK Gisela Berglund: Der Kampf um den Leser im Dritten Reich. Die Literaturpolitik der «Neuen Literatur» (Will Vesper) und der «Nationalsozialistischen Monatshefte». Worms: Heintz 1980. (Deutsches Exil; Bd. 11) 258 S.; S. 27, 37, 51, 52, 65, 79, 139, 144, 146. S. 37, 51, 52, 65: Angriffe Vespers gegen Hesse wegen dessen Bücherberichte in «Bonniers Litterära Magasin». Bettina Kugler: Bei uns im Rabenland. «Heimat Los Schweiz»: eine Ausstellung über deutschsprachige Literatur im Schweizer Exil 1933–1950. In: «St. Galler Tagblatt» v. 11.4.2003. * Hesse als einer der «uneigennützigen Helfer und Gönner», die sich für Emigranten einsetzten.

Hermann-Hesse-Bibliographie 199 Mi-Seon Yi: Unpolitische politische Schriftsteller am Beispiel von Hermann Hesse und Irmgard Keun. In: Hesse-Forschung. Bd. 9, 2003. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft, S. 51–68 (Koreanisch mit dt. Zusammenfassung).

PSYCHOANALYSE / PSYCHOLOGIE Günter Baumann: Wege zum Selbst. Hermann Hesse und die Psychologie C.G. Jungs. In: Jan Badewien – Hans-Georg Schmidt (Hrsg.): Hermann Hesse. Dichter der Suchenden. Karlsruhe 2003, S. 13–32. Teppo Kulmala: Minuus itseyden kiertoradalla. Hermann Hessen proosatekstit ja jungilainen psykoenergetiikka. Jyväskylä: Univ., Diss., 2001. (Jyväskylä Studies in the Arts) [Text finnisch, Abstract auf Englisch und Zusammenfassung in Deutsch] 431 S. Hwa-Young Lee: Therapeutische Funktion in den Werken Hermann Hesses. In: Hesse-Forschung. Bd. 8, 2002. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft, S. 65–81 (Koreanisch mit dt. Zusammenfassung). Michael Limberg: Höllenreise durch mich selbst. Tiefenpsychologische Einflüsse auf das Leben und Werk von Hermann Hesse. In: Hesse-Forschung. Bd. 10, 2003. Hrsg. v. der Koreanischen Hesse-Gesellschaft, S. 69–98. Deutsch mit koreanischer Zusammenfassung. Mathew V. Spano: Narcissus and the Guru. Hesse’s Transformation of the Hero in Siddhartha. In: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/papers/Spano-sidd-chapter3.pdf. 98 S. (Dissertation, Chapter 3, Rutgers University, 2002).

RELIGION Jan Badewien: Vom Zauber des Anfangs. In: Jan Badewien – Hans-Georg Schmidt (Hrsg.): Hermann Hesse. Dichter der Suchenden. Karlsruhe 2003, S. 128–133. Christoph Gellner: Ehrfurcht und Revolte. Hesse und die Doppelgesichtigkeit aller Religion. In: Jan Badewien – Hans-Georg Schmidt (Hrsg.): Hermann Hesse. Dichter der Suchenden. Karlsruhe 2003, S. 74–88.

VERTONUNGEN Albin Weinland: Ohne Liebe (Wie über eines tiefen Brunnens Rand). Faksimile der Reinschrift, datiert: 19.8.13. In: Friedhelm Brusniak, «Ein aufstrebendes, originelles KünstlerTalent» Zur Wiederentdeckung des Max-Reger-Schülers Albin Weinland (1889–1918). In: In Sachen Musikpädagogik. Aspekte und Positionen. Festschrift für Eckhard Nolte zum 60. Geburtstag. Frankfurt a.M. (u.a.): Peter Lang 2003. S. 149–172, Abb. S. 171–172.

TONTRÄGER / ELEKTRONISCHE MEDIEN Demian. Hörspielbearbeitung u. Regie: Oliver Sturm. Komposition: Gerd Bessler. Sprecher: Ulrich Matthes, Valentin Stroh, Ingo Hülsmann u.v.a. Südwestrundfunk/Der Hörverlag 2002. 2 CD Hermann Hesse. Mit der Reife wird man immer jünger. Hermann Hesse liest: 1. Zwischen Sommer und Herbst; 2. Über das Alter; 3. Über das Wort Brot. CD. Beilage zum gleichnamigen Suhrkamp Taschenbuch 3551. München: Der Hörverlag 1997/2002. Hermann Hesse, gelesen von Helmut Griem, Peter Lühr, Gert Westphal, Mathias Wieman. Hamburg: Universal Music 2002. 2 CDCD 1: Aus dem Tractat vom Steppenwolf. Gelesen v. Helmut Griem; Hassbriefe und Brief an einen Kommunisten. Gelesen v. Peter Lühr; Fünf Gedichte aus dem Nachlaß. Gelesen v. Gert Westphal.CD 2: Die Stadt. Gelesen v. Gert Westphal; Der Beichtvater. Gelesen v. Mathias Wieman.

Hermann-Hesse-Bibliographie 200

Der Inhalt von CD 1 und Die Stadt auf CD 2 wurden bereits 1973 von Eckart Kleßmann und Volker Michels als Doppelalbum bei Polydor herausgegeben. Unterm Rad. Sprecher: Sissy Höfferer, Detlef Kügow, Siemen Rühaak. Berlin: Cornelsen 2003. LiteraMedia. 1 CD-ROM. Enth.: Originaltext und Werklesung; Einführung in Leben u. Werk; Kommentar, Interpretation, Materialien. Wie eine vorbestimmte Heimat... Hermann Hesse im Tessin. Eine Koproduktion der Fondazione Hermann Hesse und des RTSI-Radiotelevisione svizzera. o.J. [2003] 2 CD. CD 1: Hermann Hesse spricht; CD 2: Die Einwohner von Montagnola erinnern sich an Hermann Hesse. * CD 1: Hesse liest auf ital. Dank ans Tessin, Ansprache (ital.) von Hesse zur Verleihung der Ehrenbürgerschaft von Montagnola (1962); Interview mit Hesse an s. 80. Geburtstag (ital. u. dt.); Hesse liest Skizzenblatt (deutsch, hier zum 1. Mal veröffentlicht), u.a. * Bernward Koch: Montagnola. Dedicated to Hermann Hesse. JMI (Just Music Publishing, Inc) 2003. 1 CD. Eine ausführliche Hesse-Literatur sowie die Hesse-Jahresbibliographien von 1994–2003 sind im Internet auf der von Prof. Günther Gottschalk betriebenen Hesse-Homepage der University of California, Santa Barbara, zu finden: www.gss.ucsb.edu/projects/hesse/publicatons/limberg.html

Siglen-Verzeichnis «AION» «Annali dell'Istituto Orientale di Napoli». GW

Hermann Hesse, Gesammelte Werke in zwölf Bänden, Werkausgabe Edition Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1970.

PMLA «Publications of the Modern Language Association» (USA). SW

Hermann Hesse, Sämtliche Werke (in 20 Bänden), hrsg. von Volker Michels, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2001 f.

Die Autoren dieses Bandes Prof. Dr. Flavia Arzeni, Universität Rom ‹La Sapienza› – Fak. Scienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Prof. Dr. Giorgio Cusatelli, Universität Pavia - Fak. Lettere - Dip. Lingue e letterature straniere – Corso Strada Nuova 106 c – I 27100 Pavia Prof. Dr. Maddalena Fumagalli, Universität Rom ‹La Sapienza› – Fak. Scienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Em. Prof. Dr. Ralph Freedman, University of Princeton Dr. Helga Esselborn, Schreibzentrum Kölner Studentenwerk – Universitätsstr. 16 – D 50937 Köln. Dr. Géza Horváth, Universität Szeged – Germanistisches Institut – Szeged – Egyetem utca 2 – H 6722 Szeged Prof. Dr. Adrian Hsia, McGill University, Montreal, Quebec, Canada – Department of German Studies, 688 Sherbrooke Street West, Montreal, Quebec H3A 3R1 Michael Limberg, Dechenweg 1 – D 40591 Düsseldorf Dr. Micaela Mecocci, Universität Rom ‹La Sapienza› – Fak. Scienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Volker Michels, Hermann Hesse-Editionsarchiv – Friedrichstr. 16, – D 63065 Offenbach Prof. Dr. Mauro Ponzi, Universität Rom ‹La Sapienza› – Fak. Scienze Umanistiche – Villa Mirafiori – via Carlo Fea, 2 – I 00161 Roma Prof. Uli Rothfuss, Dozent für Poetik / Verbales Gestalten / Medientheorie und Referent für Hochschulmarketing und Öffentlichkeitsarbeit an der Hochschule für Gestaltung – D 74502 Schwäbisch Hall Prof. Dr. Andreas Solbach, Johannes Gutenberg Universität Mainz – Deutsches Institut – Jakob-Welderweg 18 – D 55128 Mainz