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German Pages 379 [381] Year 2018
Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament Band 217
Herausgegeben von Walter Dietrich Ruth Scoralick Reinhard von Bendemann Marlis Gielen Heft 17 der elften Folge
Cornelia Aßmann
Israel – JHWH – Völker Eine Analyse der Beziehungen im Ezechielbuch
Verlag W. Kohlhammer
Die vorliegende Arbeit wurde als Dissertation an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt angenommen. 1. Auflage 2018 Alle Rechte vorbehalten © W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart Print: ISBN 978-3-17-035469-2 E-Book-Format: pdf: ISBN 978-3-17-035470-8 Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.
Inhaltsverzeichnis Vorwort ..................................................................................................
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Ein Weg ins Ezechielbuch – Einleitung......................................
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A Die Problemstellung und der Lösungsansatz 1. Problemstellung ...........................................................................
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1.1 Einblicke in die Fremdvölkerthematik der Schriftprophetie ......... 1.1.1 Israel und die Völker – Ein Forschungsüberblick zur Fremdvölkerthematik in den Prophetenbüchern .................. 1.1.2 Israel, JHWH und die Völker – Eine Problematisierung der „Völkersprüche“ anhand der klassischen Gliederung des Ezechielbuches ..................................................................... 1.2 (Religions-)Soziologische Überlegungen zu dem/den Fremden ............................................................................................. 1.2.1 Israel und die „Anderen“ – Eine metabegriffliche Erhebung zu dem/den „Fremden“ ........................................ 1.2.2 „Beziehung“, „Relation“ und „Konstellation“ – Arbeitsbegriffe ..................................................................... 1.3 Problemstellung zum Ezechielbuch.................................................
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31 35 35 46 50
2. Entwickeln eines Lösungsansatzes........................................
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2.1 Begründung der Textauswahl von Ez 6; 20 und 36 ........................ 2.2 Erster Einblick in die Konstellationen und Relationen zwischen Israel, JHWH und den Völkern im Buch Ezechiel ........................... 2.2.1 Terminologie für die Benennung der Völker ....................... 2.2.2 Die Völker als Mittel der Identitätsbildung Israels .............. 2.2.3 Heil und Unheil der Völker in den „Völkerworten“ ............ 2.3 Lösungsansatz ...................................................................................
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Inhalt
B Textuntersuchungen zu Ez 6; 20 und 36 1. Der gegenwärtige Zorn JHWHs gegen sein Volk Israel in Ez 6.................................................................................. 1.1 Text und Übersetzung ....................................................................... 1.2 Abgrenzung und Struktur ................................................................. 1.3 Textanalyse von Ez 6 ........................................................................ 1.3.1 Die Beschreibung der Textoberfläche und -tiefenstruktur von Ez 6................................................................................ 1.3.1.1 Terminologie für Israel, JHWH und die Völker ..................... 1.3.1.2 Droh- und Scheltworte JHWHs.............................................. 1.3.2 Narrative Analyse von Ez 6.................................................. 1.3.2.1 Die Berge Israels und ihre Bewohner – Ez 6,1–10 ............. 1.3.2.2 Das Haus Israel – Ez 6,11–14 ............................................. 1.3.3 Einsichten aus der Textanalyse .......................................... 1.4 Aspekte der Beziehung zwischen JHWH und Israel im Raum der Völker ................................................................................................ 1.4.1 Israels hurendes Herz ........................................................... 1.4.2 Zorn und Strafe als Beziehungsangebot JHWHs an Israel.....
2. Der „zurückgenommene“ Zorn JHWHs in der Geschichte – Die Sorge um den Namen Gottes in Ez 20 ................................................................................................ 2.1 Text und Übersetzung....................................................................... 2.2 Abgrenzung und Struktur ................................................................. 2.3 Textanalyse von Ez 20...................................................................... 2.3.1 Die Beschreibung der Textoberfläche und -tiefenstruktur von Ez 20.............................................................................. 2.3.1.1 Terminologie für Israel und die Völker ................................ 2.3.1.2 Die Selbstbezeichnung JHWHs .............................................. 2.3.1.3 Geprägte Wendungen ........................................................... 2.3.2 Narrative Analyse von Ez 20................................................ 2.3.2.1 Der erzählerische Rahmen – Ez 20,1–5a.30–31.32 ............. 2.3.2.2 Die Geschichte Israels – Ez 20,5b–29.................................. 2.3.2.3 Gerichts- und Heilsreden JHWHS an sein Volk Israel – Ez 20,33–38.39.40–44 ............................................................... 2.3.3 Einsichten aus der Textanalyse ............................................
91 91 96 101 103 103 109 115 116 122 127 129 129 134
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Inhalt
2.4 Aspekte einer „brüchigen Beziehung“ zwischen Israel, JHWH und den Völkern ................................................................................ 2.4.1 Beziehungsangebote und -brüche zwischen JHWH und Israel ..................................................................................... 2.4.2 Ägypten und die Völker als stumme Akteure ......................
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202 203 215
3. Der ausgeführte Zorn JHWHs und die Restaurierung Israels um seines Namens willen in Ez 36 ................................. 221 3.1 Text und Übersetzung....................................................................... 3.2 Abgrenzung und Struktur ................................................................. 3.3 Textanalyse von Ez 36...................................................................... 3.3.1 Die Beschreibung der Textoberfläche und -tiefenstruktur von Ez 36.............................................................................. 3.3.1.1 Terminologie für Israel und die Völker ................................ 3.3.1.2 Die Rede über Spott, Hohn und illegitime Besitzansprüche . 3.3.1.3 Die Ankündigung von Unheil und Heil ................................ 3.3.2 Narrative Analyse von Ez 36................................................ 3.3.2.1 Die Berge Israels und die Völker – Ez 36,1–15 ................... 3.3.2.2 Das Handeln JHWHs am Haus Israel – Ez 36,16–23 ................... 3.3.2.3 Das Heil Israels vor den Augen der Völker – Ez 36,24–38 ...... 3.3.3 Einsichten aus der Textanalyse ............................................ 3.4 Aspekte eines neuen Beziehungsangebotes JHWHs an Israel und an die Völker .............................................................................. 3.4.1 Das Land als Spiegel für die Beziehung JHWHs zu seinem Volk Israel ................................................................ 3.4.2 Transformation und Reinigung als Grundlage einer neuen Beziehungsaufnahme ...........................................................
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C Rückschlüsse aus den Einzeluntersuchungen 1. Die Konstellationen und Relationen zwischen Israel, JHWH und den Völkern in Ez 6; 20 und 36......................... 1.1 Die sprachliche Gestalt der Relationen und Konstellationen......... 1.1.1 Namen und Bezeichnungen als Indikatoren zur Beschreibung der Konstellationen ........................................ 1.1.2 Formen der Kommunikation zwischen Israel, JHWH und den Völkern ..........................................................................
287 289 289 294
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Inhalt
1.2 Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Beziehung Israel – JHWH – Völker ..................................................................... 1.2.1 Kommunikations- und Beziehungsbrüche in Ez 6; 20 und 36 ................................................................................... 1.2.2 Die Handlungsinitiative JHWHs in der Geschichte, Gegenwart und Zukunft ....................................................... 1.3 Die Neugestaltung der Konstellationen und Relationen ................ 1.3.1 Äußere Transformation als Spiegel der Relationen.............. 1.3.2 Innere Transformation als Grundlage einer dauerhaften Beziehung ............................................................................. 1.3.3 Die Völker als ein Raum der Ermöglichung ........................
322 328
2. Ergebnisse ......................................................................................
335
2.1 Resümee zu den Konstellationen und Relationen zwischen Israel, JHWH und den Völkern im Buch Ezechiel ........................... 2.2 Ein Weg aus dem Buch – Anregungen für einen weiterführenden Diskurs ..................................................................
299 301 308 315 317
335 342
D Anhang Quellen- und Literaturverzeichnis .........................................
351
2. Abkürzungsverzeichnis .............................................................
372
3. Autorenregister (Auswahl) .......................................................
373
4. Bibelstellenregister (Auswahl) ...............................................
375
1.
Vorwort Die vorliegende, für den Druck leicht überarbeitete Studie wurde im Wintersemester 2016/2017 an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt angenommen. Eine Dissertation zu schreiben bedeutet, einen Aufbruch ins Unbekannte zu wagen. Man kann nicht aufbrechen und auf dem Weg bleiben ohne das Zutun von Anderen. Für die intensive, ehrliche und kritisch-konstruktive Begleitung auf diesem Weg möchte ich Prof. Dr. Norbert Clemens Baumgart (Erfurt) und Prof. Dr. Maria Häusl danken, die auch die Arbeit begutachtet haben. In diesen Dank eingeschlossen sei Prof. Dr. Christof Mandry (Frankfurt a. M.), der in anregenden Gesprächen Inspirationen insbesondere für die Zusammenfassung der Arbeit gab. Bedanken möchte ich mich bei Prof. Dr. Ruth Scoralick (Tübingen) und Prof. em. Dr. Walter Dietrich (Bern) für die Aufnahme in die Reihe BWANT sowie für ihre inhaltlichen und formalen Hinweise. Dem Lektorat des Kohlhammer Verlages sei ein Dank ausgesprochen für die Unterstützung bei der Drucksetzung. Für ihre Korrekturhinweise auf dem Weg durch die hebräischen Texte danke ich apl. Prof. Dr. Peter Steins (Jena/Erfurt), Marlen Bunzel und Sarah Fischer. Ebenso sei den Teilnehmern des Oberseminars in Erfurt herzlich Danke gesagt, die mir mit ihren Rück- und Anfragen eine Insel des Austauschs boten. Vor allem sei Rebekka Neugebauer gedankt, die wie Juliane Beier, Lena Steinjan, Inga Maria Schütte und Theresia Swars in vielen Stunden die Arbeit Korrektur gelesen hat. Die Studierenden und Kollegen, mit denen ich in dieser Zeit so manchen Pfad durch die Flora Palästinas im Schloss & Park Pillnitz beschreiten durfte, werden mir mit ihrer Kreativität und Gemeinschaft in lebhafter Erinnerung bleiben. Ohne den Zuspruch meiner Eltern und Geschwister wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Besonders mein Mann Michael, der eine oft abwesende, manchmal ungeduldige Ehefrau erdulden musste, unterstützte mich und bereitete mir einen Hafen der Ruhe, an dem ich neue Kraft schöpfen konnte.
Ein Weg ins Ezechielbuch – Einleitung Vertreibung und Flucht in fremde, ferne Länder bedeutet für die betroffenen Menschen nicht nur den Verlust der Heimat, sondern ebenso eine Krise des eigenen (alten) Selbstverständnisses. Das Leben als Fremder unter Fremden stellt eine Herausforderung dar sowohl für den, der sein Land, seine Kultur etc. verlassen muss als auch für die ihn aufnehmende Gemeinschaft, in welcher der Fremde die alltägliche Routine scheinbar durch sein Da-Sein stört.1 Die babylonischen Eroberungen und die Exilzeit (ca. 597/596 bis ca. 538 v. Chr.) führten zu einer solchen Krisenerfahrung für Israel, die KarlFriedrich POHLMANN folgendermaßen zusammenfasst: „Abgesehen von den Verwüstungen im Lande, den Verlusten an Menschen, den Versorgungsschwierigkeiten, dem Zusammenbruch eigenstaatlicher Ordnung etc. sahen sich die Überlebenden nach der Eroberung und Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. durch die Babylonier zusätzlich mit dem großen Problem konfrontiert, die auf Grund der Ereignisse eingetretenen geistig-religiösen Irritationen bewältigen zu müssen.“2
Das babylonische Exil wird zur Krisenerfahrung Israels. Israel wird durch den Verlust seiner (religiösen) Identitätsmarker davidisches Königtum, Land, Tempel3 herausgefordert, seine Identität als Volk JHWHs neu zu erweisen. 1
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Vgl. Gerlinde BAUMANN/Maria HÄUSL, Fremdes und „Eigenes“, Räume und Rechte. Erträge und Impulse für die alttestamentliche Exegese, in: Gerlinde BAUMANN u.a. (Hgg.), Zugänge zum Fremden. Methodisch-hermeneutische Perspektiven zu einem biblischen Thema (LPTB 25), Frankfurt a. M. 2012, 251–258, 254–255. – Weitere relevante Aufsätze aus demselben Sammelband sind: Robert Hettlage, In fremder Gesellschaft. Über Plausibilität und Grenzen des Fremdverstehens, 141–167, 146– 147 und Marion MÜLLER, Die ethnische Aufladung des Fremden in der Moderne. Zur historischen Kontingenz ethnischer Grenzziehung, 169–186, 169. Karl-Friedrich POHLMANN, Religion in der Krise – Krise einer Religion. Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels 587 v. Chr., in: Johannes HAHN (Hg.), Zerstörung des Jerusalemer Tempels (WUNT 146), Tübingen 2002, 40–60, 40. – Für die formale Textgestalt der vorliegenden Arbeit ist darauf hinzuweisen, dass im Originalzitat bestehende Hervorhebungen wie kursive/fette Schreibweise oder Unterstreichungen durch Unterstreichungen innerhalb des abgebildeten Zitates gekennzeichnet werden. Längere Zitate werden abgesetzt als Petittext dargestellt. Ergänzungen bzw. Erörterungen in den Zitaten, welche durch die Autorin der vorliegenden Studie unternommen werden, sind mithilfe von eckigen Klammern markiert. Im Fußnotentext wird nach der Namensnennung des zitierten Verfassers in Klammern der Titel/ Kurztitel des jeweiligen Werkes angegeben. Der Verweis auf die zugehörige Seitenzahl erfolgt nach dem Zitat. Vgl. Walter MAYER, Die Zerstörung des Jerusalemer Tempels 587 v. Chr. im Kontext der Praxis von Heiligtumszerstörungen im antiken vorderen Orient, in: Johannes HAHN (Hg.), Zerstörung des Jerusalemer Tempels (WUNT 146), Tübingen 2002, 1– 22,1–2 und K.-F. POHLMANN, Krise, 44–46.
Ein Weg ins Ezechielbuch
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Die Kernaussage Israels – „Volk JHWHs“ zu sein – ist dadurch gefährdet, dass der Niedergang Jerusalems und des Tempels einen Bruch in der Beziehung JHWHs zu seinem Volk signalisiert.4 Mit anderen Worten, Israel muss seine Identitätsbestimmung5 neu durchdenken und (neue) Prozesse der Identitätsstiftung6 durchlaufen (A.2)7. Vielfältige Spuren der Bewältigung der „geistig-religiösen Irritation“8 lassen sich in den alttestamentlichen Texten finden. Ein solcher „Textraum“9, der sich mit den traumatischen Erfahrungen des Exils auseinandersetzt und den Prozess der erneuten Selbstvergewisserung Israels als Volk Gottes widerspiegelt, ist das Buch Ezechiel.10 Trotz der Verlusterfahrungen und Krise hält Israel daran fest, ein von JHWH erwähltes Volk zu sein (vgl. Ez 20,5). Aus dem Erwählungsanspruch ergibt sich eine besonders enge Beziehung zwischen JHWH und seinem Volk Israel, die sich in der Fürsorge und dem Schutz JHWHs gegenüber Israel äußert.11 Mit der Erwählung Israels ist daher nicht eine Sonderposition gemeint, die das Gottesvolk über die anderen (fremden) Völker12 erhebt, 4 5 6 7
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Vgl. W. MAYER, Zerstörung, 1–2 und K.-F. POHLMANN, Krise, 44–46. Vgl. Reinhold BERNHARDT, Ende des Dialogs? Die Begegnung der Religionen und ihre theologische Reflexion (BThR 2), Zürich 2005, 129. Vgl. ebd. 129. Innerhalb dieser Studie wird auf weiterführende Kapitel dergestalt verwiesen: auf die Angabe des Hauptkapitels (A–C) folgt mit einem Punkt getrennt die Angabe des entsprechenden nummerischen Unterkapitels. K.-F. POHLMANN, Krise 40. Ulrike BAIL, Im Textraum überleben. Literarische Überlebensstrategien nach der Zerstörung Jerusalems im Alten Testament, in: BiKi 68,3 (2013), 144. – Der von U. BAIL genutzte Terminus „Textraum“ (144) wird in der vorliegenden Studie übernommen. Sie geht davon aus, dass die Zerstörung Jerusalems und des Tempels eine Leere hinterlassen, die zu einer tiefen theologischen Krise Israels führt. Israel beginnt diesen leeren Raum zu füllen, indem es einen Textraum schafft, um die Verlusterfahrung des babylonischen Exils zu verarbeiten. Der kreierte Zufluchtsort wird nach Karl-Friedrich POHLMANN (Ezechiel. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstatt 2008, 18–20) zum Ort des Ausdruckes von Hoffnung und Klage, ohne dass die Realität der Katastrophe verlassen wird. Vgl. U. BAIL, Textraum, 144–145; Ruth POSER, Das Ezechielbuch als Trauma-Literatur (VT.S 154), Marburg 2011, 30–33 und dies., Bis tief unter die Haut. Körperlichkeit im Ezechielbuch, in: ET 74,3 (2014), 202–216, 203–205. Vgl. Siegbert RIECKER, Ein Priestervolk für alle Völker. Der Segnungsauftrag Israels für alle Nationen in der Tora und den Vorderen Propheten (SBB 59), Stuttgart 2007, 127; Henning Graf REVENTLOW, Wächter über Israel. Ezechiel und seine Tradition (BZAW 82), Berlin 1962, 61 und Walther ZIMMERLI, Ezechiel. Gestalt und Botschaft (BSt 62), o.O. 1972, 71. Der Terminus „Heidenvölker/Heiden“ soll in der vorliegenden Untersuchung vermieden werden. Die gegenwärtige Deutung eines „Heiden“ im Sinne von einem gottlosen/ungläubigen Menschen kann das im altorientalischen Denken verankerte Verständnis von einem Heiden, als den, der nicht der eigenen, sondern einer fremden Religionsgemeinschaft angehört, missverstehen. Das antike Denken (hierzu Andreas GRÜNSCHLOẞ, Der eigene und der fremde Glaube. Studien zur interreligiösen Fremdwahrnehmung in Islam, Hinduismus, Buddhismus und Christentum, Tübingen 1999,
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Einleitung
sondern es geht vielmehr um die enge Bindung zwischen JHWH und seinem Volk, die sowohl einen Zuspruch als auch einen Anspruch der Gottheit gegenüber Israel beinhaltet.13 Mit der Erfahrung der Exilierung Israels wird jedoch das Vertrauen auf die Fürsorge und den Schutz JHWHs erschüttert. Israel muss seinen Erwählungsanspruch neu definieren und sich der Beziehung zu JHWH erneut vergewissern.14 Angesichts der Fremdheitserfahrung15 des babylonischen Exils ist die innere Einheit und die Identität Israels so stark gefährdet, dass das Gottesvolk eine sich von den Völkern abgrenzende, exkludierende Haltung einnehmen könnte, der zufolge der israelitische Erwähltheitsanspruch so herausgehoben wird, dass sich daraus für Israel eine exklusive Stellung gegenüber den Nationen ergibt.16 Auf der Textebene des Ezechielbuches ist eine solche extreme Positionierung Israels gegenüber den Nationen nur vage nachweisbar.17 Eine exkludierende Form der Krisenbewältigung ist die negative Stigmatisierung der/des Fremden. Exemplarisch anführen lassen sich dafür die Völkerworte18 des Ezechielbuches (Ez 25–32.35.38–39). Den (fremden) Nationen wird Gericht, Unheil und Untergang angedroht (vgl. Ez 28,20–23). Begründet werden die Drohungen gegen die Völker mit den schändlichen, rächenden (Ez 25,12.15), höhnenden (Ez 25,3) Gräueltaten der Nationen gegenüber Israel. Teilweise wird das aus dem Gericht resultierende Unheil der Nationen als Heil Israels (in der Rezeption der Texte) interpretiert.19 Beat
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288–290) stellt eine enge Verbindung zwischen religiösem Leben und Deutung sowie den alltäglichen Lebensvollzügen her. Vgl. S. RIECKER, Priestervolk, 127 und W. ZIMMERLI, Gestalt, 71. Ein Erklärungsversuch (dazu W. ZIMMERLI, Gestalt, 71) für das erfahrene Gerichtshandeln JHWHs an Israel ist das Verständnis von Erwählung im Sinne einer Prüfung durch JHWH (vgl. 1 Sam 2,3). Erwählung ist dann als Leidensweg des Erwählten zu deuten (vgl. Jes 53,3). Vgl. Christoph UEHLINGER, Koexistenz und Abgrenzung in der alttestamentlichen Diasporaliteratur, in: Joachim KÜGLER (Hg.), Impuls oder Hindernis? Mit dem Alten Testament in multireligiöser Gesellschaft, Beiträge des Internationalen Bibel-Symposions Bayreuth 27.-29. September 2002 (bayreuther forum TRANSIT. Kulturwissenschaftliche Religionsstudien 1), Münster 2004, 87–106, 95–96. Vgl. S. RIECKER, Priestervolk, 132–133. Vgl. Volkmar PREMSTALLER, Fremdvölkersprüche des Ezechielbuches (FzB 104), Würzburg 2005, 49. – Israel unterliegt ebenso wie die Nationen (dazu Karin SCHÖPFLIN, Theologie als Biographie im Ezechielbuch. Ein Beitrag zur Konzeption alttestamentlicher Prophetie, Tübingen 2002, 243) dem Gericht JHWHs. Daher ist zu erörtern, wie sich die besonders enge Beziehung JHWHs zu seinem Volk in seinem Gerichtshandeln äußert. Betrachtet werden muss, ob und inwiefern sich das richtende Handeln JHWHs gegen Israel vom Gericht gegen die Völker unterscheidet. Siehe unten S. 22 und 31. Vgl. Sina FARZIN, Art. Inklusion/Exklusion, in: Oliver JAHRAUS u.a. (Hgg.), LuhmannHandbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2012, 87–88, 87; Saul M. OLAYN, „Sie sollen nicht in die Gemeinde des Herrn kommen“. Aspekte gesellschaftlicher Inklusion und Exklusion in Dtn 23,4–9 und seine frühen Auslegungen, in: ders.
Ein Weg ins Ezechielbuch
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HUWYLER weist in seinen Studien zum Buch Jeremia darauf hin: „Die Völkersprüche des Jeremiabuches enthalten keine Theologie der Völker. Sie reflektieren nicht grundsätzlich das Verhältnis Israels zu den Völkern und Israel definiert sich und sein Verhältnis zu den Völkern nicht über die Völkersprüche.“20 Demnach stellen die stigmatisierenden, sich von den Nationen abgrenzenden Tendenzen in den Völkersprüchen des Jeremiabuches nicht die maßgebende Verhältnisbestimmung Israel – Völker dar.21 Diese These HUWYLERs regt zu der Überlegung an, ob ebenso im Ezechielbuch ein größeres Repertoire an Formen der Verhältnisbestimmung zwischen Israel und den Völkern vorliegt, als es die Völkerworte des Buches Ezechiel bieten. Um dem nachgehen zu können, bedarf es eines Überblickes über mögliche Konstellationen und Relationen22 zwischen Israel und den Völkern, die in den Völkerworten ebenso existieren (A.2.2), wie in weiteren Texten des Ezechielbuches (B.1–B.3). Ähnlich wie HUWYLER meint Jutta HAUSSMANN, dass ein pluriformes Bild der Relation Israel – Völker besteht. So postuliert sie für das Selbstverständnis der nachexilischen Gemeinden: „Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung gibt es viele. Es geht vom neutralen Nebeneinander über das feindliche Gegeneinander bis hin zum positiven Miteinander mit den unterschiedlichsten Zwischenschattierungen. […]. Mit der Erfahrung des Exils wurde die Frage noch einmal bedrängend, da einerseits die Fremdvölker in extremster Weise negativ erlebt wurden und andererseits die Phase der Konsolidierung nach dem Exil erneut zu einer Abgrenzung gegen die anderen nötigte, um ihre [Israels] eigene Identität wiederzufinden.“23
Zwar betont Jutta HAUSMANN mit dieser Aussage, dass gerade die Neukonsolidierung Israels angesichts der Bedrängnis durch die Völker einer Abgrenzung von Nicht-Israel-Zugehörigen bedürfe. Aber sie räumt ein, dass das Verhältnis Israels zu den Nationen nicht einseitig betrachtet werden kann, sondern es bestehen zahlreiche „Zwischenschattierungen“24, denen nachgegangen werden muss. Ein erster Hinweis auf alternative, nicht abgrenzende Konzepte der Relation Israels zu den Nationen findet sich in Ez 5,5. Darin
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(Hg.), Social Inequality in the World of the Text. The Significance of Ritual and Social Distinctions in the Hebrew Bible (JAJ 4), Göttingen 2011, 173–185, 177–178; V. PREMSTALLER, Fremdvölkersprüche, 130 und Karin SCHÖPFLIN, Die Tyrosworte im Kontext des Ezechielbuches, in: Markus WITTE/F. Johannes DIEHL (Hgg.), Israeliten und Phönizier. Ihre Beziehung im Spiegel der Archäologie und der Literatur des Alten Testaments und seiner Umwelt (OBO 235), Freiburg 2008, 191–214, 202–204. Beat HUWYLER, Jeremia und die Völker. Politische Prophetie in der Zeit der babylonischen Bedrohung (6./7. Jh. v. Chr.), in: ThZ 52 (1996), 193–205, 202. Vgl. Georg FISCHER, Jeremia 26–52 (HThKAT), Freiburg i. Br. 2005, 462–632. Zu den Termini Konstellationen und Relationen vgl. A.1.2.2. Jutta HAUSMANN, Israels Rest. Studien zum Selbstverständnis der nachexilischen Gemeinde (BWANT 124), Stuttgart 1987, 247. Der Begriff „Zwischenschattierung“ wird in dieser Studie von J. HAUSMANN (Rest, 247) übernommen.
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Einleitung
heißt es: „So spricht der Herr, JHWH: Dies ist Jerusalem. In die Mitte der Nationen setzte ich es25 und Länder rings um es26 herum.“ 1. Einerseits wird Jerusalem, als ein Teil Israels, von JHWH unter die Nationen gesetzt27 (Ez 5,5). JHWH beansprucht damit nicht allein Jerusalem als sein Eigentum, sondern die Stadt und ihre Bewohner werden der Öffentlichkeit der Völker „preisgegeben“. Den Bewohnern Jerusalems kommt eine Vorbildfunktion28 zu, der zufolge sie den Willen JHWHs umsetzen sollen. Im Gehorsam gegenüber JHWH repräsentiert Jerusalem für die Völker sichtbar die Gegenwart Gottes in seinem Volk. Aus der Vorbildfunktion resultiert die Zeugenschaft der Völker. „Vor den Augen der Nationen“ (Ez 5,8) vollzieht sich nicht nur das Handeln Jerusalems angesichts JHWHs, sondern obendrein das Wirken Gottes an seinem Volk.29 2. Anderseits setzt JHWH die Nationen und Länder rings um Jerusalem. Damit handelt er nicht nur an einem Teil Israels, sondern ebenfalls an den Nationen, indem er sie bewusst um die Stadt herum anordnet. Jerusalem wird durch JHWH in Beziehung mit den (fremden) Völkern gesetzt. Die Beteiligung JHWHs am Beziehungsgeschehen zwischen Jerusalem und den Völkern legt nahe, dass er (beständiger) Teilhaber dieser Relation ist. Gleichfalls zeichnet sich in Ez 5,5 ein Gottesbild ab, das JHWH als einen Gott ausweist, der sich in seinem Wirken auf sein Volk und die Nationen ausrichtet.30 Bedroht ist die „Sozialität Gottes“31 mit Israel durch die Widerspenstigkeit (vgl. Ez 3,9.26.27; 12,2.3) seines Volkes. Die anschließend an Ez 5,5 geschilderten Sanktionen (Ez 5,10–12.14–17) sowie die berichtete Exilierung Israels (Ez 36,19–20) zeugen von der Fragilität der Relation JHWH – Israel. 25
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Gemeint ist Jerusalem, da sich das ePP 3. Pers. Sg. fem. am Verb ~yf auf den femininen Städtenamen bezieht. Im Hebräischen steht eine feminine Form. Das ePP 3. Pers. Sg. fem. an bybs nimmt Bezug auf ~lvwry. Diese Konstruktion lässt sich im Deutschen grammatikalisch nicht adäquat wiedergegeben und wird daher mit es übersetzt. Die Rezeption (dazu Daniel BODI, The Book of Ezekiel and the Poem of Erra [OBO 104], Göttingen 1994, 104) nutze den Setzungsakt Jerusalems unter die Völker – so Yoo Hong MIN (Die Grundschrift des Ezechielbuches und ihre Botschaft [FAT.2 81], Tübingen 2015, 349 Anm. 254) – um Jerusalem zum „Nabel der Welt“ (349, Anm. 254) zu stilisieren. Vgl. Franz SEDLMEIER, Das Buch Ezechiel. Kapitel 1–24 (NSK.AT 21/1), Stuttgart 2008, 114; ders., Das Buch Ezechiel. Kapitel 25–48 (NSK.AT 21/2), Stuttgart 2013, 20 und W. ZIMMERLI, Gestalt, 46. Vgl. Walter DIETRICH, Israel und die Völker in der Hebräischen Bibel, in: ders. (Hg.), Gottes Einmischung. Studien zur Theologie und Ethik des Alten Testaments II, Neukirchen-Vluyn 2013, 95–114, 106–108; F. SEDLMEIER, Ezechiel 25–48, 20 und W. ZIMMERLI, Gestalt, 46. Vgl. Ute E. EISEN/Ilse MÜLLNER, Gott als Figur. Eine Einführung, in: dies. (Hgg.) Gott als Figur. Narratologische Analysen biblischer Texte und ihrer Adaptionen (HBS 82), Freiburg i. Br. 2016, 11–26, 18. Ebd. 19.
Ein Weg ins Ezechielbuch
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Der in Ez 5,5 Israel angetragene Auftrag, Vorbild für die Nationen zu sein, bleibt unerfüllt. Der Plan, Israel als „Modell zur Vermittlung von der Erkenntnis Gottes“32 zu nutzen, scheitert. Eine Erkenntnisvermittlung an die Völker wird durch Israel eher verhindert als gefördert. Damit begeht Israel nicht nur einen Bruch mit seinem Gott, sondern es löst gleichzeitig die auf die Stiftung JHWHs zurückgeführte Relation mit den Völkern auf.33 Die im Ezechielbuch beschriebene Neukonsolidierung Israels beruht insofern nicht allein auf einer Abgrenzung gegenüber den Völkern, sondern sie nimmt vielmehr die brüchige Relation Israels sowohl zu JHWH als auch zu den Völkern wahr und nutzt diese als Ausgangspunkt für die Herausbildung eines neuen Selbstverständnis Israels (C.1). Das Volk JHWHs versteht sich selbst als ein fremdes Volk unter fremden Völkern34.
32 33 34
S. RIECKER, Priestervolk, 126. Vgl. ebd. 128 und 132–134 und Franz SEDLMEIER, Studien zu Komposition und Theologie von Ezechiel 20 (SBB 21), Stuttgart 1990, 372–373. Vgl. Beat HUWYLER, Jeremia und die Völker. Untersuchungen zu den Völkersprüchen 46–49 (FAT 20), Tübingen 1997, 3.
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Die Problemstellung und der Lösungsansatz
1.
Problemstellung
Um sich der von Jutta HAUSMANN postulierten Vielfalt an „Möglichkeiten der Verhältnisbestimmung“1 zwischen Israel und den Völkern zu nähern, soll, bevor es zu einer ersten Auseinandersetzung mit dem konkreten Textraum des Ezechielbuches kommt (A.2.2), ein Einblick in die Fremdvölkerthematik in der alttestamentlichen Prophetie2 (A.1.1) gegeben sowie (religions-) soziologische Überlegungen zu dem/den Fremden (A.1.2) angestrengt werden. Der Einblick in die Völkerthematik erfolgt in zwei Schritten. 1. Einführend wird ein Überblick über die bisherige Forschung zur Fremdvölkerthematik in der Schriftprophetie geboten (A.1.1.1). Zumeist fragen die bislang vorgenommenen Untersuchungen zu den Fremdvölkersprüchen3 nach dem Verhältnis Israels zu den Völkern. Nimmt man aber die mit Ez 5,5 angedeuteten Beobachtungen ernst, dass JHWH nicht nur an Jerusalem, d.h. an einem Teil Israels und den Nationen agiert, sondern darüber hinaus eine Beziehung zwischen Jerusalem und den Völkern stiftet,4 so stellt sich die Frage, ob nicht die Relation Israel – Völker um den Protagonisten JHWH zu erweitern ist. 2. Hans F. FUHS meint, dass die Schriftprophetie üblicherweise einen dreiteiligen Aufbau aufweist, der sich aus Unheils- und Gerichtsandrohungen gegen Israel, Unheils- und Gerichtsandrohungen gegen die Völker und Heilszusagen an Israel zusammensetzt.5 Exemplarisch soll dieser Gliederungsvorschlag für das Ezechielbuch genutzt werden, um deutlich zu machen, inwiefern sich schon in den Strukturierungsver1 2
3
4 5
J. HAUSMANN, Rest, 247. Der Fokus liegt auf der Schriftprophetie. Neben den drei großen Propheten: Jesaja, Jeremia und Ezechiel werden mit Hilfe von Charis FISCHER (Die Fremdvölkersprüche bei Amos und Jesaja. Studien zur Eigenart und Intention in AM 1,1–2,3.4f und JES 13,1–16,14 [BBB 136], Berlin/Wien 2002) und Martin ROTH (Israel und die Völker im Zwölfprophetenbuch. Eine Untersuchung zu den Büchern Joel, Jona, Micha und Nahum [FRLANT 210], Göttingen 2005) exemplarisch die kleineren Propheten Joël, Amos, Jona, Micha und Nahum aufgegriffen. Beispiele für die Untersuchungen zu den „Fremdvölkersprüchen“ sind Friedrich FECHTER, Bewältigung der Katastrophe. Untersuchungen zu ausgewählten Fremdvölkersprüchen im Ezechielbuch (BZAW 208), Berlin u.a. 1992 und Peter HÖFFKEN, Untersuchungen zu den Begründungselementen der Völkerorakel des Alten Testamentes, Bonn 1977. Siehe oben S. 14. Hans F. FUHS, Ezechiel 1–24 (NEB.AT 7), Würzburg 21986, 7.
18
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
suchen das Verständnis von der Beziehung Israels zu den Völkern niederschlägt (A.1.1.2). Die Chancen und Grenzen der klassischen Einteilung werden dabei problematisiert. Dem Ansatz, JHWH, Israel und die Völker in einem „Relationsgefüge“6 zu betrachten, werden (religions-)soziologische Beobachtungen zur Wahrnehmung des Fremden (A.1.2) vorangestellt. Als ein wichtiger Referenzpunkt für die religionssoziologischen Überlegungen soll die Studie „zur interreligiösen Fremdwahrnehmung in Islam, Hinduismus, Buddhismus und Christentum“ (1999) von Andreas GRÜNSCHLOẞ dienen. Er entwickelt darin das Modell einer „dreifachen Kontingenz“7, welches in A.1.2.1 erläutert wird. Mit Hilfe der Untersuchungen von GRÜNSCHLOẞ und des Alttestamentlers Markus ZEHNDER8 soll eine begriffliche Arbeitsgrundlage geschaffen werden, indem die bisher gebrauchten Metabegriffe Fremder/Fremdheit und Identität9 geschärft werden (A.1.2.1). Des Weiteren werden die Termini Beziehung, Relation und Konstellation (A.1.2.2) als Arbeitsbegriffe festgelegt und daraufhin befragt, wie sie für die Skizzierung des Verhältnisses Israel – JHWH – Völker fruchtbar gemacht werden können. Aus den genannten Aspekten wird der Ertrag ermittelt, um daran anknüpfend die Problemstellung für die vorliegende Arbeit zu formulieren (A.1.3).
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Der Terminus „Relationsgefüge“ wird in der vorliegenden Studie von A. GRÜNSCHLOẞ (Glaube, 291) übernommen. Vgl. dazu unten S. 44. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube 291. Markus ZEHNDER, Umgang mit dem Fremden in Israel und Assyrien.
Ein Beitrag zur Anthropologie des „Fremden“ im Lichte antiker Quellen (BWANT 8/168), Stuttgart 2005. Der Identitätsbegriff erweist sich als schwierig, weil er gegenwärtig in einer Vielzahl von Kontexten zur Anwendung kommt. Seine inhaltliche Bedeutung gewinnt dadurch an Komplexität. Markus ÖHLER („Identität“ – eine Problemanzeige, in: ders. [Hg.], Religionsgemeinschaft und christliche Identitätsbildung im Rahmen der Antike [BThSt 142], Neukirchen-Vluyn 2013, 9–15, 9–11) verweist darauf, dass es nicht darum geht, den Identitätsbegriff gänzlich aufzugeben. Vielmehr sei eine intensivere Reflexion der Begriffsnutzung im Kontext der Debatte um andere Völker nötig. Seiner Meinung nach sollten Untersuchungsergebnisse zur Social identity theory (Henri TAJFEL, Social identity and intergroup relations [European studies in social psychology 7], Cambridge 2010), Self-categorization (John C. TURNER, Rediscovering the social group. A self-categorization theory, Oxford u.a. 1987) und zum Social identity approach (M. ÖHLER, Identität, 9–11) mit einbezogen werden.
Problemstellung
1.1
19
Einblicke in die Fremdvölkerthematik der Schriftprophetie
1.1.1 Israel und die Völker – Ein Forschungsüberblick zur Fremdvölkerthematik in den Prophetenbüchern Die alttestamentliche Exegese setzt in der Frage nach den (fremden) Völkern auf der begrifflichen Ebene an. 1. Es geht um die Auseinandersetzung mit den im Bibelhebräischen verwendeten Termini, die die Völker und den/das Fremde(n) benennen.10 2. Über die terminologischen Untersuchungen hinausgehend wird der Begriff „Fremdvölkersprüche“ diskutiert.11 Mit diesem werden oftmals Texte bezeichnet, die Unheilsankündigungen gegen einzelne Völker richten. 3. Eine offene Diskussion besteht darüber hinaus, ob es sich bei den „Fremdvölkersprüchen“ um eine literarische Gattung oder um eine Bezeichnung für einen konkreten, inhaltlich bestimmten Textbereich handelt.12 4. Aus den inhaltlichen Kriterien zur Bestimmung des Textraumes der Fremdvölkersprüche ergibt sich ein weiteres Themenfeld, nämlich der Zugang der Völker zu JHWH. 1. Die vorrangig innerbiblischen Begriffe zur Benennung des Fremden sind yrkn (als Fremder betrachtet werden13/Ausländer14), rz (Fremder15/NichtIsraelit16), rg (Schutzbürger17) und bvwt (Beisasse18). Angereichert werden die aufgezählten Termini mit sozial-anthropologischen und soziokulturellen Untersuchungen, welche die soziale Stellung der/des Fremden in und gegenüber Israel beschreiben.19 Gerlinde BAUMANN und Maria HÄUSL 10
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Vgl. Angelika BERLEJUNG/Annette MERZ, Art. Fremder, in: HGANT, Darmstadt 2006, 192–195, 192–194 und Maria HÄUSL, Zugänge zum Fremden. Einblicke in die alttestamentliche Forschung, in: Gerlinde BAUMANN u.a. (Hgg.), Zugänge zum Fremden. Methodisch-hermeneutische Perspektiven zu einem biblischen Thema (LPTB 25), Frankfurt a. M. 2012, 13–30, 15–17. Vgl. G. BAUMANN/M. HÄUSL, Fremdes, 252. Vgl. Rainer ALBERTZ, Die Exilszeit. 6. Jahrhundert v. Chr. (BE(S) 7), Stuttgart 2001, 146. Gesenius18, 820. A. BERLEJUNG/A. MERZ, Fremder, 192–194. Für allgemeine Überlegungen zur Benennung des Fremden in der Hebräischen Bibel siehe Christoph BULTMANN, Der Fremde im antiken Juda. Eine Untersuchung zum sozialen Typenbegriff ,gerʻ und seinem Bedeutungswandel in der alttestamentlichen Gesetzgebung (FRLANT 153), Göttingen 1992, 9. Gesenius18, 310. Ebd. 310. Ebd. 227. Ebd. 1432. Vgl. M. HÄUSL, Zugänge, 16. – Die Begriffe (dazu A. BERLEJUNG/A. MERZ, Fremder, 192–193) yrkn (Ausländer) und rz (Nicht-Israelit) stehen der Bedeutung „Fremder“
20
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz verweisen darauf, dass eine ausführliche sprachwissenschaftliche Untersuchung zum „Fremden“ für das Hebräische eine Vielzahl an Begrifflichkeiten aufweisen müsste. Beide gehen davon aus, dass eine Beschränkung der Fremdheitsterminologie auf die Begriffe: yrkn, rz, rg und bvwt unzureichend ist und es daher zu einer Erweiterung kommen muss. Als weitere sprachliche Mittel schlagen sie vor: rxa (anderer), [dy al (nicht kennen), z[l (unverständlich reden) und qm[ (unverständlich).20 Für die kollektive Bezeichnung von Völkern, d.h. für eine Gruppierung, bei der nicht Einzelne in den Blick genommen, sondern die Gesamtheit einer Menschenmenge unter bestimmten Kriterien zusammengefasst wird,21 werden am häufigsten die Termini ~[ (Volk) und ywg (Nation)22 im Pl. verwendet.23
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im Sinne einer Person, die nicht zum Eigenen (Volk) zugehörig ist, am nächsten. rg (Schutzbürger) und bvwt (Beisasse) hingegen weisen in ihrer sozialen Beschreibung eine Annäherung zum Volk Israel auf, sodass den Begriffen die innewohnende Fremdheit ein Stück verloren geht. Da der Beisasse und der Schutzbürger zumindest zeitweilig, aber auch dauerhaft im Volk Israel leben, kommt es zu einer Annäherung zwischen dem Eigenen und dem Fremden. Der in Israel lebende Fremde erfährt durch Israel einen besonderen Schutz (Ex 22,20). Begründet wird der gewährte Schutz in Dtn 10,19 durch die Fremdheitserfahrung Israels in Ägypten. Vgl. G. BAUMANN/M. HÄUSL, Fremdes, 252. Vgl. G. Johannes BOTTERWECK/Ronald E. CLEMENTS, Art. ywOG, in: ThWAT I, Stuttgart 1973, Sp. 965–973, Sp. 966–967; Ernst M. DÖRFUẞ, Art. Volk, in: CBL 2, Stuttgart 2006, 1427; Eryk LIPINS& KI, Art. ~[;, in: ThWAT VI, Stuttgart 1973, Sp. 185–186 und Horst D. PREUẞ, Theologie des Alten Testaments. Bd. 1: JHWHs erwählendes und verpflichtendes Handeln, Stuttgart 1991, 56–58. Das Nomen ~[ wird 1884 Mal (davon im Pl. 238 Mal) und das Nomen ywg 560 Mal (davon im Pl. 432 Mal) im hebräischen Text genannt. Im Pl. wird ~[ in Jesaja 25 Mal, in Jeremia dreimal und in Ezechiel 29 Mal genutzt. ywg dagegen wird im Pl. im Jesajabuch 52 Mal, im Jeremiabuch 59 Mal und im Ezechielbuch 86 Mal verwendet. Die Begriffe ~[ und ywg werden in der neueren Forschung nach dem Selbstverständnis einer Ethnie sowie deren kategorialen Bestimmung befragt, um sich einem angemessenen Verständnis von ~[ und ywg anzunähern. In seiner Monographie „Umgang mit Fremden in Israel und Assyrien. Ein Beitrag zur Anthropologie des ‚Fremden‘ im Lichte antiker Quellen“ erarbeitet M. ZEHNDER Formen des Umganges mit Fremden für den assyrischen und den israelitischen Kontext. In seinen Vorbemerkungen stellt er (ebd. 21–23) für die Beschreibung der gesellschaftlichen Verfasstheit Israels den Begriff der Ethnie heraus und grenzt diesen von den Terminologien: „Staat“, „Rasse/Rassismus“ und „Nation/Nationalismus“ ab. M. ZEHNDER versucht durch soziologische und anthropologische Beschreibungen den Ethnien-Begriff in Bezug auf Israel und die Fremden zu schärfen. Er definiert Ethnie folgendermaßen: „Nach der einen Sicht sind es biologische Faktoren, die die Entstehung einer ethnischen Gruppe und die Zugehörigkeit zu ihr wesentlich mitbestimmen; nach der anderen Sicht sind es v.a. kulturelle und historische Faktoren, wobei diese entweder als ‚objektiv‘ oder als ‚konstruiert‘ verstanden werden. Beide Untergruppen stimmen darin überein, dass die gemeinsame Herkunft bei der Definition einer Ethnie eine wesentliche Rolle spielt“ (23).
Problemstellung
21
2. Daneben steht der (Gattungs-)Begriff „Fremdvölkersprüche“ zur Debatte. Peter HÖFFKEN nutzt anstelle des Fremdvölkerbegriffs die Bezeichnung Heiden-/Völkerorakel24. Für ihn bildet dieser Terminus einen Gattungsbegriff, innerhalb dessen er nach Begründungselementen sucht, die das feindliche Verhalten der Völker gegenüber dem bedrohten Israel plausibilisieren. Es geht ihm dabei nicht nur um militärische und politische Repressionen, die Israel durch die Völker erdulden muss, sondern er nimmt ebenso Formen des Spottes und Hohns in den Blick, die sich gegen Israel sowie gegen JHWH richten. HÖFFKEN verweist darauf, dass die einzelnen Begründungselemente sich überschneiden können.25 Beat HUWYLER lehnt den von Peter HÖFFKEN verwendeten Terminus „Völkerorakel“26 ab, da der „Orakel“-Begriff eine Herkunft der Sprüche suggeriert, die HUWLYER zufolge nicht zutreffend ist. Er nutzt daher in seiner Studie den Ausdruck „Völkersprüche“27. Der derzeit am meisten genutzte Begriff ist „Fremdvölkersprüche“.28 Gerlinde BAUMANN und Maria HÄUSL aber fordern eine Revision dieser 24
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In seiner Dissertation „Untersuchungen zu den Begründungselementen der Völkerorakel des Alten Testamentes“ (1977) meint P. HÖFFKEN, es zeichne sich „eine weniger globale Sicht der V[ölker]O[rakel] ab: sie gelten einmal als Produkt und Ausdruck der ‚Volksreligion’ bzw. des prophetischen ‚Patriotismus’, der ausgehend von einer grundsätzlichen Bindung Jahwes an das Volk alles Heil für Israel und alles Unheil für die Umwelt reklamiert“ (13). Entsprechend dieser Bestimmung sind Völkerorakel Texte, die nicht direkt an ein konkretes fremdes Volk gerichtet werden (ebd. 12–14). Der Adressat der göttlichen Unheilsrede gegen die Völker ist Israel und nicht das in der Rede benannte Volk. Verbunden mit den Völkerorakeln ist gemäß HÖFFKEN eine Radikalisierung der Religion, die darin bestehe, dass das Unheil der Völker direkt oder indirekt als Heil für Israel deklariert werde. Der religions- und traditionsgeschichtliche Hintergrund wird von P. HÖFFKEN (Völkerorakel, 36–37) berücksichtigt. Er geht davon aus, dass hinter dem genannten Begründungselement ein Sachhintergrund liege, dem man sich mittels gattungsgeschichtlicher und traditionsgeschichtlicher Analysen annähern kann. Seine Untersuchungen sind nicht auf das Buch Ezechiel beschränkt, sondern umfassen Texte der vorderen Propheten (vgl. 1 Kön 20,28) sowie Vertreter des Dodekapropheton (z.B. Am; Zef; usw.). P. HÖFFKEN (Völkerorakel, 12–14) verwendet anstelle des Terminus Fremdvölkersprüche den Ausdruck Völker- und Heidenorakel. Der Begriff Heiden- bzw. Völkerorakel ist negativ konnotiert, da er sich primär auf Völker beziehe, die Israel bedrohen und denen Unheil angekündigt werde. B. HUWLYER (Jeremia, 1–3) dagegen verweist darauf, dass zwischen einem „Heidenorakel“, das ein konkretes Volk namentlich anführt, und einem „Völkerorakel“, welches die Gesamtheit der Völker beschreibt, unterschieden werden könne. HÖFFKEN übernimmt eine solche Differenzierung nicht. B. HUWYLER, Jeremia, 2. Vgl. ebd. 1–3. – Nach Markus SAUR (Der Tyroszyklus des Ezechielbuchs [BZAW 386], Berlin 2008) erweist sich der „Orakel-“Begriff, den P. HÖFFKEN verwendet, als unzureichend. Denn seiner Meinung nach bezeichnet der Terminus im engeren Sinn „eine Redegattung, deren ‚Sitz im Leben’ im Bereich der kultischen Prophetie liegt. Ein einzelner holt in einer konkreten Angelegenheit – vermittelt durch Kultpropheten – einen Gottesspruch ein, von dem er sich in seiner konkreten Situation Orientierung verspricht“ (81). Ein Beispiel für ein entsprechend erbetenes Zeichen bietet Ri 6,33–
22
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Begrifflichkeit, da sie sich, ebenso wie der Völkerorakel-Begriff HÖFFKENs, als unzureichend erweise. Beide kritisieren einerseits, dass sich der Terminus „Fremdvölkerspruch“ nicht anhand der alttestamentlichen Texte belegen lässt. Andererseits wird durch diesen Begriff bereits eine Abgrenzung Israels gegenüber dem Anderen impliziert, die die Völker als eine scheinbar einheitliche fremde Größe zu identifizieren sucht, was dem Inhalt der Texte nicht zwingend entspricht und die Eigenständigkeit sowie die Eigenheit konkret benannter Völker nicht berücksichtigt. Ihrer Meinung nach stamme der Begriff aus einer forschungsgeschichtlichen Ära, in der das Unheil der Völker als Heil Israels gedeutet wurde. Somit sei der Begriff „Fremdvölkerspruch“ im Vorfeld negativ konnotiert.29 Sie schlussfolgern daraus: „Die Benennung als ‚Fremdvölkerspruch‘ ist daher ein Beispiel dafür, dass von der Forschung Kategorien in Texte eingetragen werden.“30 3. Forschungsgeschichtlich steht nicht nur der Terminus Fremdvölkerspruch, sondern gleichermaßen das, was damit bezeichnet wird, zur Debatte. Teilweise wird unter den Fremdvölkersprüchen eine eigenständige literarische Gattung verstanden, deren Sitz im Leben auf die Kriegsorakel zurückführen sei.31 Rainer ALBERTZ hingegen geht davon aus, dass sie keine Gattung darstellen, sondern dass mit ihnen Textkomplexe vorliegen, die aufgrund ihres Inhalts miteinander verbunden werden. So schreibt er: „Die Völkerworte werden nur durch die inhaltlichen Merkmale zusammengehalten, daß ein Volk oder die Völker insgesamt angesprochen werden oder aber jedenfalls in irgendeiner Form deren gegenwärtiges oder zukünftiges Schicksal thematisiert wird.“32
29 30 31 32
40, indem Gideon vor der Schlacht mit Midian von JHWH ein Zeichen seines Beistandes fordert. Jedoch entfällt in Ri 6,33–40 der vermittelnde Prophet. Der Terminus Orakel ist innerhalb der Fremdvölkersprüche dahingehend nicht ausreichend (dazu Markus SAUR, Tyros im Spiegel des Ezechielbuches, in: Markus WITTE/F. Johannes DIEHL [Hgg.], Israeliten und Phönizier. Ihre Beziehung im Spiegel der Archäologie und der Literatur des Alten Testaments und seiner Umwelt [OBO 235], Freiburg 2008, 165–189, 8182), dass einerseits nicht die Völker die direkten Redeadressaten sind, sondern Israel. Andererseits geht die Befragung nicht von den Völkern aus, da diese über eine andere, fremde Gottheit verfügen, an die sie sich wenden (vgl. ebd. 81–82). Hermann GUNKEL (Die Propheten als Schriftsteller und Dichter, in: Hans SCHMIDT [Hg.], Die großen Propheten [SAT II/2], Göttingen 21923, XXXIV–LXX, XLVI) erkennt in der Rede gegen fremde Völker eine allgemeine, zukunftsweisende Prophetie, die auf Vorbilder aus der Israel umgebenden altorientalischen Völkerwelt zurückgreift. Vgl. G. BAUMANN/M. HÄUSL, Fremdes, 252–253 und B. HUWYLER, Jeremia, 1–3. G. BAUMANN/M. HÄUSL, Fremdes, 253. Vgl. R. ALBERTZ, Exilszeit, 146. Ebd. 146. – In diesem Forschungsüberblick (A.1.1.1) wird der in den gegenwärtigen Untersuchungen am häufigsten genutzte Begriff „Fremdvölkersprüche“ beibehalten, da es sich um eine Darstellung derzeitiger Forschungsergebnisse handelt, die von ihrer
Problemstellung
23
Franz SEDLMEIER unterstützt ALBERTZ, indem er betont, dass es sich weniger um eine Gattung handle, sondern vielmehr um einen „Überbegriff für verschiedenartige Gattungen“33. Der klassisch definierte Textkorpus der Fremdvölkersprüche umfasse zahlreiche Gattungen. Die Fremdvölkersprüche bilden somit ein bewusst gestaltetes literarisches Produkt.34 Neben den Diskussionen, inwiefern der Terminus „Fremdvölkerspruch“ als ein Gattungsbegriff zu verstehen ist, bestehen Bemühungen, konkrete Textbereiche als Fremdvölkersprüche zu benennen. Anhand von zumeist inhaltlichen Kriterien wird dann festgelegt, welche Texte dazugehören und welche nicht. Die klassische Definition lautet: „Als V[ölkerspruch] bezeichnet man die (Unheils-)Worte der a[lttestamentlichen] Propheten gegen die fremden Völker in der Umgebung Israels.“35 Eng definiert, sind demnach Völkersprüche primär prophetische Unheilsreden gegen fremde Nationen.36 Charis FISCHER erweitert die enge Definition ähnlich wie ALBERTZ. Sie schreibt: „In den Prophetenbüchern findet sich eine nicht geringe Zahl an Sprüchen, die sogenannten Fremdvölkersprüche, die sich gegen andere Völker richten und deren zukünftiges Schicksal beschreiben.“37 Entsprechend der klassischen Definition geht FISCHER von einem Spruch gegen andere Völker aus. Die Rede richte sich nicht nur gegen andere Völker, sondern umschreibe ebenfalls deren zukünftiges Schicksal, wobei die Definition FISCHERs offen lässt, ob dieses sich negativ oder positiv für die Völker wendet. In ihren Untersuchungen führt sie einen Vergleich der Reden gegen andere Nationen im Buch Amos und Jesaja durch. Für die Bearbeitung38 der Fremdvölkersprüche im Buch Amos
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37 38
Terminologie her geprägt sind oder diese prägen. In den nachstehenden Darlegungen wird aber die Bezeichnung „Völkerworte“ präferiert (dazu unten S. 31). F. SEDLMEIER, Ezechiel 25–48, 2. Vgl. ebd. 24. Jörg BARTHEL (Art. Völkerspruch, in: CBL 2, Darmstadt 2006, 1427) selbst wendet gegen diese enge, klassische Definition ein, dass den Völkern Heil ebenso zugesprochen werde (vgl. Jer 46,26; 48,47; 49,6.39). Die Heilzusagen an die Völker seien jedoch nur vereinzelt zu finden. B. HUWYLER (Jeremia, 2–3) legt anhand der inhaltlichen Kriterien als Textbereiche für die Fremdvölkersprüche fest: Jes 8,4.9–10; 10,5–19.24–34; 13–23 (ohne 22); 25,10– 12; 34; 47; 63,1–3/Jer 9,24–25; 12,14–17; 43,8–13; 46–51/Ez 21,33–37; 25–32; 35; 38–39/Joël 4/Am 1,1–2,3/Obj/Mi 4–5.7/Nah/Zef 2/Hag 2/Sach 2; 9; 11–12; 14/Mal 1. C. FISCHER (Fremdvölkersprüche, 196) betont, dass Am 2,4–16 nicht zum „Fremdvölkerzyklus“ (196) hinzuzurechnen ist, da sich die Gottesrede gegen Israel und Juda, also nicht gegen ein fremdes Volk wendet. Selbst wenn die Rede über Israel und Juda mit den vorangestellten Fremdvölkersprüchen formal parallelisiert wird, so sind sie nicht Bestandteil dieser. C. FISCHER, Fremdvölkersprüche, 19. Bevor C. FISCHER (Fremdvölkersprüche) zur Analyse der Fremdvölkersprüche im Buch Amos und Jesaja übergeht, stellt sie ihren Ausführungen Untersuchungen zu: „das
24
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz und Jesaja formuliert sie folgende Arbeitsschwerpunkte: die Verfasserintention, Gründe für die Auswahl eines textlich genannten Volkes und dessen Funktion, Schlussfolgerungen für das Verhältnis zwischen Israel und einem konkret in den Fremdvölkersprüchen genannten Volk sowie generalisierende Ableitungen zur Beziehungsbeschreibung Israels gegenüber „anderen“ (evtl. in diesem Textbereich nicht genannten) Nationen.39 Die Rede gegen fremde Völker stellt nach FISCHER keine Eigenheit der alttestamentlichen Prophetie dar. Bereits im altorientalischen Umfeld Israels lassen sich ihrer Meinung nach Vorbilder für Reden gegen Fremde oder fremde Völker nachweisen,40 die zur Bildung der eigenen Identität durch Abgrenzung dienen.41 FISCHER beschränkt sich dabei auf
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41
Fremde und Unbekannte“ (13)/„Sprüche gegen fremde Völker“ (13)/„Sprüche gegen fremde Völker in Ägypten“ (16)/„Sprüche gegen Fremde in Israel“ (19) voran. Interessanterweise arbeitet sie (62–64) für die Sprüche gegen die Völker im Buch Amos und Jesaja heraus, dass es nicht allein um die Bestrafung und das Gericht gegen die Völker gehe, sondern dass Israel in derselben Form wie die Völker dem Gerichtshandeln JHWHs unterliege (vgl. Am 2,4–16). Der Fremdvölkerspruch diene der Sensibilisierung dafür, dass das entsprechende Fehlverhalten Israels und der Völker ein Eingreifen JHWHs erfordere. V. PREMSTALLER (Fremdvölkersprüche, 266) beobachtet im Buch Ezechiel eine ähnliche gerichtliche Vorgehensweise JHWHs gegen Israel und die Völker wie FISCHER für das Buch Amos. Er interpretiert das gleichartige Vorgehen JHWHs gegen die Völker und Israel als Ausdruck der universalen Macht Gottes, die in das Handlungsgeschick der Völker und Israels eingreife. Vgl. C. FISCHER, Fremdvölkersprüche, 21. Im Siegeshymnus Thutmose III. (ca. 1490–1436 v. Chr., vgl. THUT-MOSE III., The Hymn of Victory of Thut-mose III [Übers. v. John A. WILSON], in: James B. PRITCHARD [Hg.], Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, Princeton 5 1992, 373–375) heißt es beispielsweise: „The great ones of all foreign countries are gathered together in thy grasp. […]. I stretch the barbarians of Nubia by tenthousands and thousands, the northerners by hundredthousands as living captives. I cause thy opponents to fall beneath thy sandals, so that thou crushest the quarrelsome and the disaffected of heart, according as I have commended to thee the earth in its length and its breadth, so that westerners and easterners are under thy oversight“ (374). Weiterhin existieren in der ägyptischen Ikonographie Darstellungen des Pharaos (diesbezüglich Othmar KEEL, Der Bogen als Herrschaftssymbol. Einige unveröffentlichte Skarabäen aus Ägypten und Israel zum Thema „Jagd und Krieg“, in: ders. u.a. [Hgg.], Studien zu den Stempelsiegeln aus Palästina/Israel, Bd. 3, Freiburg [Schweiz] 1990, 30–64, 36–37), der mit Hilfe von Pfeil und Bogen über seine Feinde triumphierend, figuriert wird. Der Bogen ist Ausdruck der Macht. Darstellungen, auf denen Bögen unter die Füße des Pharaos gelegt werden, verweisen auf seinen Triumph über die Feinde. Ez 39,3 stellt mit Hilfe des aus der Hand geschlagen Bogens das Brechen der Wehrfähigkeit Gogs dar. Jan ASSMANN (Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 62007, 130–131) verweist darauf, dass die kulturell erzeugte Fremdheit, in übersteigerter Form, zum Fremdenhass führe. Eine verstärkte Abgrenzung nach außen stelle innerlich eine größere Einheit her, womit politischen Krisensituationen entgegen getreten werde.
Problemstellung
25
ägyptische Symbolhandlungen des Fluches,42 die ein zentrales Instrumentarium der altorientalischen Außenpolitik zur Schwächung des Feindes und der umliegenden Nationen darstellen würden. Dem gegenüber übernehme der Fremdvölkerspruch innerhalb der alttestamentlichen Prophetie folgende Funktion: „Die Aufgabe besteht darin, mit einer geänderten Situation und einem Gott klarzukommen, der sich nicht durchschauen und begreifen ließ, der nicht berechenbar war und sich nicht instrumentalisieren ließ. […]. Dem Volk [Israel] wird der Rücken gestärkt, Vertrauen wird neu aufgebaut und Mut gemacht. Es gibt eine Zukunft – diese Botschaft in den Fremdvölkersprüchen ist deutlich.“43
Im Gegensatz zu den ägyptischen Fluchhandlungen wird somit weniger die Sicherung der politischen Herrschaft in den Vordergrund gestellt, sondern es geht primär darum, die Identität Israels als das Volk Gottes herauszustellen. Es soll plausibilisiert werden, warum Israels Hoffnung auf eine Zukunft, auf seinen Bestand und Weiterexistenz gestärkt wird. Die Fremdvölkersprüche lassen sich in die „eschatologische Literatur“44 einordnen. Charis FISCHER begründet diese Einordnung wie folgt: „Derjenige, der das Chaos zum Kosmos machte, kann auch das historische Chaos verwandeln und Neues schaffen.“45 Martin ROTH argumentiert in seiner Studie zum Dodekapropheton ebenso aus einer eschatologischen Leseperspektive heraus.46 Er analysiert darin Gerichtsvorstellungen und fragt nach denjenigen, die vom Gericht betroffen sind oder von diesem verschont werden. Im Zentrum stehen dabei die heilvollen Auswirkungen des Gerichts für Jerusalem und Israel. Eine Erweiterung der Problemstellung erreicht ROTH, indem er Texte benennt und untersucht, die sich mit (fremden) JHWH-Verehrern,47 d.h. mit einer kleinen Gruppe aus den fremden Völkern, die sich in
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Vgl. Jan ASSMANN, Ägypten und die Legitimierung des Tötens. Ideologische Grundlagen politischer Gewalt im Alten Ägypten, in: Heinrich von STIETENCRON u.a. (Hgg.), Töten im Krieg (Veröffentlichungen des Instituts für historische Anthropologie e.V. 6), München 1995, 57–85, 74 und C. FISCHER, Fremdvölkersprüche, 17. C. FISCHER, Fremdvölkersprüche, 193. Ebd. 193. Ebd. 193. Vgl. M. ROTH, Zwölfprophetenbuch, 291–292. Volker HAARMANN (Israel, die Völker und der eine Gott. JHWH-Verehrer der Völker in der Hebräischen Bibel, in: Christfried BÖTTRICH u.a. [Hgg.], Zwischen Zensur und Selbstbesinnung. Christliche Rezeption des Judentums, Beiträge des von der AlfriedKrupp-von-Bohlen-und-Halbach-Stiftung geförderten interdisziplinären Symposiums am 15. – 16. Februar 2007 im Alfried-Krupp-Wissenschaftskolleg Greifswald, Julia Männchen zum 70. Geburtstag gewidmet [GThF 17], Frankfurt a. M. 2009, 13–23) meint: „Die Kategorie der JHWH-Verehrer der Völker bringt zum Ausdruck, dass der eine Gott JHWH auch Menschen aus der Völkerwelt zu sich hinwendet und dass auch ihnen der Eintritt in die Gottesbeziehung offen steht“ (22).
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A Die Problemstellung und der Lösungsansatz irgendeiner Weise JHWH annähert (vgl. Jona 1,14–16; 3,4–10)48, auseinandersetzen. Die Völker finden darin einen Zugang zum Heil und werden rudimentär in den Blick genommen. Offen bleibt aber, ob die Völker einen direkten Anteil am Heil und Zugang zur Beziehung mit JHWH erhalten oder ob es einer Vermittlung durch Israel bedarf. Ähnlich wie bei FISCHER wird die Frage nach dem Verhältnis von Israel, JHWH und den Völkern von ROTH nicht aufgenommen.49 Franz SEDLMEIER geht im zweiten Band seines Kommentars zum Ezechielbuch zu Ez 25–48 (2013) in seinen Ausführungen zu den Fremdvölkersprüchen davon aus, dass Israel die umliegende Völkerwelt wahrnehme und sich selbst als Teil der „von Gott erschaffenen Menschheit“50 verstehe. Die Fremdvölkersprüche sind demzufolge als eine
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Vgl. Eberhard BONS, YHWH und die Völker. Überlegungen zum Verhältnis zwischen dem Gott Israels und den Nichtisraeliten auf dem Hintergrund der Theorien Jan Assmanns, in: Stefan GEHRIG/Stefan SEILER (Hgg.), Gottes Wahrnehmungen. Helmut Utzschneider zum 60. Geburtstag, Stuttgart 2009, 13–29, 20–22. Im Diskurs über die Zukunft der Völker differenziert M. ROTH (Zwölfprophetenbuch, 169–171 und 291–293) zwischen vier Grundpositionen. 1. Einerseits kann es zur Vertreibung oder Vernichtung der Völker kommen, dabei wende sich das Handeln JHWHs gegen die Völker, die Israel bedrohen (vgl. Ez 25,15–16). 2. Eine abgeschwächte Form sei die Unterwerfung der Völker unter die Herrschaft JHWHs, womit sie nicht der Vernichtung ausgeliefert würden (Ez 29,15–16). 3. Weiterhin bestehe die Möglichkeit einer Bekehrung der Völker hin zu JHWH. 4. Diese Bekehrung sei eng verbunden mit dem universalen Weltgerichtshandeln JHWHs, das sowohl die Völker als auch Israel betreffe (Ez 39,21–24). Nach ROTH verändert sich die Form der Begründung des Schutzes vor dem Gericht JHWHs. Nicht mehr die Zugehörigkeit zum Volk Israel, sondern die Beziehung zu JHWH schütze vor dem gerichtlichen Handeln Gottes. F. SEDLMEIER, Ezechiel 25–48, 19. – Das Selbstverständnis Israels – Teil einer gesamten Menschheit zu sein – schlägt sich in den alttestamentlichen Schöpfungserzählungen Gen 1,1–2,3 und 2,4–25 nieder. Vergleicht man die Schöpfungsmythen der altorientalischen Umwelt Israels, besteht der Unterschied darin, dass die biblischen Erzählungen (Gen 1,1–2,3; 2,4–25) von einer Schöpfung des Menschen ausgehen, während mesopotamische und ägyptische Ursprungsmythen die Entstehung eines konkret benannten Volkes begründen. Das bedeutet, in den mesopotamischen (dazu der Aufsatz von Annette ZGOLL, Welt. Götter und Menschen in den Schöpfungsentwürfen des antiken Mesopotamien, in: Konrad SCHMID [Hg.], Schöpfung [UTB 3514, Evangelische Theologie], Tübingen 2012, 17–70) und ägyptischen Ursprungsmythen erkennt sich die entsprechende Nation (z.B. Ägypten) von den Göttern her begründet. Der Erhalt des Volkes beruht auf dem Königtum und dem Tempel, die für die Ausführung des rechtmäßigen Kultes zuständig sind. Die fremden Völker hingegen werden an der Peripherie als existent wahrgenommen. Ihnen kommt jedoch nur insofern eine Bedeutung zu, indem sie durch Gaben und Huldigungen die Gottheiten der eigenen Nation (z.B. Ägypten) verehren, aber es bedarf ihrer nicht. Im Aton Hymnus (1380–1362 v. Chr., vgl. AMEN-HOTEP IV., The Hymn to the Aton [Übers. v. John A. WILSON], in: James B. PRITCHARD, Ancient Near Eastern Texts Relating to the Old Testament, Princeton 51992, 369–371) wird das lebensstiftende und universale Handeln der ägyptischen Gottheit an ihrem Volk folgendermaßen beschrieben: „The countries of Syria and Nubia, the land of Egypt, Thou settest every man in his place,
Problemstellung
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Mitteilung JHWHs im Kontext der gesamten Menschheit zu verstehen. Dazu schreibt er: „Als Bezugsrahmen für das nachgeborene Israel hat somit die gesamte, von Gott erschaffene Menschheit zu gelten. Diese Einbindung ist wesentlich für das Selbstverständnis des JHWH-Volkes: Israel ist Teil der Menschheit und gehört hinein in die Völkerwelt.“51
4. Eng verbunden mit dem Selbstverständnis, Teil der Völkerwelt zu sein, ist die Erwählung Israels.52 Aber die Erwählung, so Franz SEDLMEIER, trage entsprechend der Urerzählungen eine universale Komponente in sich, da, vom Volk Gottes ausgehend, das Heil JHWHs an alle Völker vermittelt werden soll (vgl. Gen 12,1–3).53 Überprüft werden muss für das Ezechielbuch, inwiefern das von SEDLMEIER postulierte Selbstverständnis Israels für die Beziehungsbeschreibung zwischen Israel, JHWH und den Völkern übernommen werden kann. Ebenso ist zu betrachten, in welchem Zusammenhang das Heil Israels, die Vermittlung von Heil an die Nationen und der israelitische Erwählungsanspruch stehen. Die Heilsvermittlung JHWHs an die Völker wird zumeist mithilfe der Modelle Heilsuniversalismus und Heilspartikularismus wiedergegeben.54 Beide Modelle setzen sich mit der Heilsvermittlung auseinander, wobei sie darlegen, inwiefern die Völker eine Beteiligung am Heil JHWHs erhalten oder ob dieses ausschließlich Israel vorbehalten ist b). Jochen FLEBBE ergänzt beide um einen „ethnischen“55 Aspekt a).56
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Thou suppliest their neccessities: Everyone has his food, and his time of life is reckoned Their tongues are seperate in speech, And their nature as well; Their skins are distinguished, As thou distinguishest the foreign peoples. Thou makest a Nile in the underworld, Thou bringest it forth as thou desirest To maintain the people (of Egypt) According as thou madest them for thyself, The lord of all of them, wearying (himself) with them, The lord of every land, rising for them, The Aton of the day, great of majesty“ (370). F. SEDLMEIER, Ezechiel 25–48, 19. Vgl. Helmut SCHMIDT, Israel, Zion und die Völker. Eine motivgeschichtliche Untersuchung zum Verständnis des Universalismus im Alten Testament, Marburg 1968, 42–44 und 100–102 und F. SEDLMEIER, Ezechiel 1–24, 113–114. Vgl. F. SEDLMEIER, Ezechiel 25–48, 19–20. Vgl. C. BULTMANN, Fremde, 9; M. HÄUSL, Zugänge, 22–23; Hans W. SCHMIDT, Zukunftsgewißheit und Gegenwartskritik. Studien zur Eigenart der Propheten (BThSt 51), Neukirchen-Vluyn 22002, 78–80. Jochen FLEBBE, Partikularismus und Universalismus. Konzeptionen von Heil für andere im Alten Testament und im (antiken) Judentum – und ein Blick auf das (frühe) Christentum, in: ders./Matthias KONRADT (Hgg.), Ethos und Theologie im Neuen Testament. Festschrift für Michael Wolter, Neukirchen-Vluyn 2016, 1–36, 3. Als dritten Aspekt nennt J. FLEBBE (Partikularismus, 3–4) eine missionarische Implikation, die dem Universalismus/Partikularismus zugrunde liege. Die getroffenen Erweiterungen sind für seine Untersuchungen notwendig, da er sich nicht auf ein alttestamentliches Universalismus-/Partikularismus-Modell beschränkt, sondern seine Analysen auf das antike Judentum und frühe Christentum ausweitet. Seine Studien
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A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
a) Die Definition von „Heilsuniversalismus“57 gemäß Hartmann ROSENAU geht von einer Zugänglichkeit der Völker zum Heil JHWHs unabhängig von jeglicher ethnischer, religiöser etc. Zugehörigkeit aus. Hubert IRSIGLER spezifiziert den Terminus, indem er meint, dass der Begriff eine universelle Öffnung Israels beinhalte, die sich auf eine „genealogisch unabhängige Bekenntnis- und Glaubensgemeinschaft der JHWH-Verehrer“58 ausrichte. Damit wird eine Trennung zwischen der „Dimension Religion“59 und der „Kategorie Ethnos/Volk“60 impliziert, wie sie – Maria HÄUSL zufolge – bis in die nachexilische Zeit hinein nicht existierte.61 Demgegenüber wird der „Heilspartikularismus“ vor allem im Horizont ethnisch-religiöser Abgrenzung angeführt.62 Der Partikularismus wird dabei auf einen rein exkludierenden Prozess beschränkt. Die Verkürzung beider Modelle birgt auf der Metaebene entsprechend HÄUSL die Gefahr, dass die „Offenheit des Universalismus mit einer Bestimmung von Israel als Religion und die ,Abschottungʻ des Partikularismus mit einer Bestimmung Israels als Volk einherginge.“63 Beide Termini werden so einander antagonistisch gegenübergestellt.64 b) Die inhaltliche Bestimmung des heilsuniversalistischen Modells dagegen fällt vielfältig aus. Als Paradebeispiele für den Heilsuniversalimus gelten der Abrahamsegen (Gen 12,3)65 oder die Völkerwallfahrt zum Zion (vgl. Jes 2,1–5)66. Anhand der Textbeispiele wird eine Vorstellung vom
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stützen sich dabei auf Anders RUNNESON, Particularistic Judaism and Universalistic Christianity? Some critical Remarks on Terminology and Theology, in: StTh 53 (1999), 55–75. Hartmann ROSENAU (Art. Heilsuniversalismus, in: RGG4 3, Tübingen 2000, Sp. 1588–1589) schreibt: „Im Unterschied zu dualistischen oder zyklischen Konzeptionen von Wirklichkeit mit ihren jeweils partikularen Heilsverständnis […] bezieht der H[eilsuniversalismus] ausnahmslos alles, was ist, in allen Dimensionen – Natur und Geist; Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges; Nahes und Fernes; Vertrautes und Fremdes; ego und alter – ego – zumindest der Möglichkeit, wenn nicht gar der Notwendigkeit nach aufgrund einer relationalen Verbundenheit alles Seienden mit dem Sein-Selbst (P. Tillich) auch in ethischer Hinsicht in das Heilsgeschehen ein, das sowohl überzeitlich-statisch (Mystik) als auch geschichtlich-evolutiv (Prozessphilosophie) erreicht werden kann“ (Sp. 1588). Hubert IRSIGLER, Ein Gottesvolk aus allen Völkern? Zur Spannung zwischen universalen und partikularen Heilsvorstellungen in der Zeit des Zweiten Tempels, in: BZ 56,2 (2012), 210–246, 213. M. HÄUSL, Zugänge, 23. Ebd. 23. Vgl. ebd. 23. Vgl. H. IRSIGLER, Gottesvolk, 213. M. HÄUSL, Zugänge, 24. W. DIETRICH, Israel, 97–99 und 102–104 und J. HAUSMANN, Rest, 247–249. Vgl. Georg STEINS, Zum Ansatzpunkt alttestamentlicher Schöpfungstheologie. Ein Vorschlag in kanonischer Perspektive, in: ThG 58,4 (2015), 242–260, 258–259. Vgl. Willem A. M. BEUKEN, Jesaja 1–12 (HThKAT), Freiburg i. Br. 2003, 92–94 und Walter GROẞ, YHWH und die Religionen der Nicht-Israeliten, in: ders., Studien zur
Problemstellung
29
Universalismus entwickelt, die Israel eine „missionarische Aufgabe“67 zuspricht. Der Heilsuniversalismus wird darauf reduziert, dass die Anteilhabe der Nationen am Heil JHWHs durch die Vermittlung Israels erfolge.68 Jochen FLEBBE entgegnet dem, dass die meisten Universalismus-Modelle zwar „israel-zentristisch“69 sind, daneben würden aber auch andere Konzepte bestehen. So erarbeitet Walter GROẞ mittels Studien zu Jes 19 einen Heilsuniversalismus-Begriff, der nicht zwingend von einer Heilsvermittlung durch Israel ausgeht.70 Der von ihm in Jes 19,24–25 angenommene Heilsuniversalismus gewährt Ägypten (den Nationen) einen Zugang zu JHWH, der nicht mithilfe Israels eröffnet wird.71 Diese Form der Zugänglichkeit bildet Markus ZEHNDER zufolge eine Ausnahme.72 Gemäß dem (eng definierten) Partikularismus hingegen, erhält Israel aufgrund seiner Erwählung Anteil am Heil Gottes, während den Völkern der
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Priesterschrift und zu alttestamentlichen Gottesbildern (SBAB 30), Stuttgart 1999, 295–307, 300–302. Vgl. H. SCHMIDT, Israel, 261. Stefan SCHREINER (Partikularismus oder Universalismus? Exegetische Untersuchungen zu den Prophetenbüchern Joel – Objada – Maleachi – Jona, Halle a. Saale 1974) bezeichnet diese Form des Universalismus als „vermittelter Universalismus“ (71), wobei er davon ausgeht, dass eine Trennung von Universalismus und Partikularismus idealtypisch sei (vgl. ebd. 131). M. ZEHNDER (Umgang) spricht daher von einem „ins Universale ausgeweiteten Partikularismus“ (540). J. FLEBBE, Pluralismus, 33. In seinen Untersuchungen zu Jes 19 hält Walter GROẞ (Israel und die Völker. Die Krise des YHWH-Volk-Konzepts im Jesajabuch, in: ders. [Hg.], Studien zur Priesterschrift und zu alttestamentlichen Gottesbildern [SBAB 30], Stuttgart 1999, 275–293) fest: „Innerhalb des Alten Testaments hat sich der Autor von Jes 19,24.25 am weitesten vorgewagt in seinem Versuch, YHWH in heilvollem Bezug zu den Völkern, diese neben Israel als YHWH eigenständig, am eigenen Kultzentrum verehrende Völker und Ägypten in seinem eigenen Territorium – nicht etwa mit Israel am Zion vereint – als YHWH-Volk zu zeichnen“ (282). Ägypten wird seiner Meinung nach in Jes 19,24–25 als ein JHWH-Volk stilisiert. Trotz dessen, dass Ägypten keine Tora, d.h. keine Lebensordnung gegeben wird, erhält es eine eigene Geschichte mit Gott, ein eigenes Kultzentrum und ein eigenes Territorium. Das dahinter stehende theologische Konzept ist nach W. GROẞ (Völker, 286) mittels eines Heilspartikularismus oder durch Israel vermitteltes Heil an die Völker nicht erklärbar. Die Nationen werden nicht mehr einfach additiv nebeneinander, sondern relational zueinander gestellt. Jes 19,24– 25 überträgt den Anspruch Israels, „Volk JHWHs“ zu sein, auf eine andere (fremde) Nation. Der in Jes 19,24–25 verborgene (weite) Heilsuniversalismusgedanke gehe auf Kosten Israels und gefährde dessen Identitätsbildung (hierüber Rolf RENDTORFF, Offenbarung und Geschichte – Partikularismus und Universalismus im Offenbarungsverständnis Israels, in: Jakob J. PETUCHOWSKI/Walter STROLZ [Hgg.], Offenbarung im jüdischen und christlichen Glaubensverständnis [QD 92], Freiburg i. Br. 1981, 37–49, 48–49), sodass sich der Gedanke aus Jes 19,24–25 nicht durchgesetzt hat. Vgl. W. GROẞ, Religionen (1999), 296–298 und ders., Völker, 277–279. Vgl. M. ZEHNDER, Umgang, 540.
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A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Zugang zu diesem verschlossen bleibe.73 Aus der Reduktion der Erklärungsmodelle Heilsuniversalismus/-partikularimus ergibt sich für Israel eine Sonderstellung, die so weit gesteigert werden kann, dass das Volk JHWHs nicht (mehr) der Nationen bedarf. Denn entweder werde allein durch Israel das göttliche Heil an die Völker weitergegeben74 oder die Nationen sind von einer Heilsvermittlung gänzlich ausgeschlossen.75 Israel erweist sich als eine (vermittelnde) „Scharnierstelle“, an der es zu einer Beteiligung oder einem Ausschluss vom Heil JHWHs kommt.76 Die den Modellen zugrunde liegende Verhältnisbestimmung tendiert zu einer hierarchischen Unterordnung Israels unter JHWH, wobei die Nationen Israel nachgeordnet sind. Stefan SCHREINER differenziert zwischen einem „vermittelten“77 und einem „unvermittelten“78 Universalismus. Während der vermittelte Universalismus weitestgehend dem Modell aus Jes 2,1–5 entspricht, umfasst der unvermittelte „eine außerhalb Israels bestehende unmittelbare Beziehung Jahwes zu den Völkern.“79 Diese unmittelbare Beziehung lasse sich vor allem anhand des Strafhandelns JHWHs gegenüber den Völkern in den Fremdvölkersprüchen dokumentieren.80 Helmut SCHMIDT hebt in seiner Dissertation „Israel, Zion und die Völker“ (1968) wie SCHREINER die Beschränkung des Terminus „Universalismus“ auf die Frage nach einer Anteilhabe oder einem Ausschluss der Völker vom Heil JHWHs auf. Er spricht von einem „anonymen Universalismus“81, den er wie folgt definiert: Die „Völker oder ihre Repräsentanten werden erwähnt, angeredet, in Beziehung zu Israel gesetzt, als Jahwe Untertanen proklamiert, ohne daß sie bei[m] Namen genannt würden oder eine historisch greifbare Kontur gewännen.“82 Die Initiative für die Relation Israel – Völker wird auf JHWH zurückgeführt. Eher beschreibend, ohne Wertung wird angeführt, wie die Nationen Teil des Handelns JHWHs sind. 73 74 75
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Vgl. M. HÄUSL, Zugänge, 23 und J. HAUSMANN, Rest, 247. Entsprechend der auf Gen 12 und Jes 2 basierenden Definition. Vgl. Marianne GROHMANN, Diskontinuität und Kontinuität im alttestamentlichen Identitätskonzept, in: Markus ÖHLER (Hg.), Religionsgemeinschaft und christliche Identitätsbildung im Rahmen der Antike (BThSt 142), Neukirchen-Vluyn 2013, 17– 42, 34–35 und W. GROẞ, Völker, 277–279. – Die bisher referierten Erklärungsmodelle Heilspartikularismus und Heilsuniversalismus geben zwar wieder, in welcher Form eine Vermittlung des Heiles stattfinden kann, aber sie geben keine Auskunft über deren Auswirkungen. Vgl. W. ZIMMERLI, Gestalt, 46–47. S. SCHREINER, Partikularismus, 71. Ebd. 68. Ebd. 68. Siehe unten A.2.2.3 und vgl. dazu S. SCHREINER, Partikularismus, 68–69. Vgl. H. SCHMIDT, Israel, 4. J. HAUSMANN, Rest, 259. – J. HAUSMANN (ebd. 247) erweitert den Heilsuniversalismus, indem sie davon ausgeht, dass aufgrund der Vermittlung eine doppelte Anteilhabe entstehe. Die Völker erhalten nicht nur Anteil am Heil Gottes, sondern sie erlangen ebenso einen Zugang zum Volk JHWHs.
Problemstellung
31
Vorerst wird für die Vorstellung vom Verhältnis Israel – JHWH – Völker das Modell des „Universalismus“ – gemäß der offeneren Definition SCHMIDTs – präferiert, da ein eng definierter Heilsuniversalismus/-Partikularismus dazu tendiert, eine konkrete Verhältnisbestimmung vorzugeben. Florian MARKTER löst die hierarchische Vorstellung auf, indem er eine „Dreiecksbeziehung“83 zwischen JHWH, Israel, und den Völker annimmt.84 Es geht ihm aber nicht um die Minderung des Erwähltheitsanspruches Israels. Weder wird die Stellung Israels gegenüber den Nationen noch seine Beziehung zu JHWH abgewertet. Vielmehr soll wahrgenommen werden, dass Israel seine Gottesbeziehung im Kontext der Völker vollzieht und deutet.
1.1.2 Israel, JHWH und die Völker – Eine Problematisierung der „Völkerworte“85 anhand der klassischen Gliederung des Ezechielbuches Hans F. FUHS bezeichnet das Buch Ezechiel in seinem Kommentar als eine prophetische Schrift, die der klassischen Dreigliederung entspreche. Das Ezechielbuch lässt sich seiner Meinung nach folgendermaßen strukturieren: Ez 1–24 nimmt Gerichtsandrohungen gegen Juda und Israel auf, in Ez 25–32 befinden sich Unheils- und Gerichtsreden gegen die Völker und in Ez 33–48 erfolgt die Heilszusage an das Volk Israel.86 Der von FUHS als Unheils- und Gerichtsreden herausgestellte Textbereich (Ez 25–32) wird in der gegenwärtigen Forschung vorrangig unter der defizitären Bezeichnung „Fremdvölkersprüche“ aufgeführt.87 Im weiteren Verlauf dieser Studie werden Textabschnitte (des Ezechielbuches), welche sich gegen namentlich erwähnte Nationen richten und vordergründig Drohreden enthalten, mit dem von Rainer ALBERTZ vorgeschlagenen Terminus „Völkerworte“88 benannt. Der Begriff ist nicht als Gattungsbezeichnung zu verstehen.89
83 84 85 86 87 88 89
Florian MARKTER, Transformationen. Zur Anthropologie des Propheten Ezechiel unter besonderer Berücksichtigung des Motives „Herz“ (FzB 127), Würzburg 2013, 516. Der von F. MARKTER (Transformationen) genutzte Terminus „Dreiecksbeziehung“ (516) wird in dieser Studie übernommen. Siehe oben S. 22. Vgl. H. F. FUHS, Ezechiel 1–24, 7. Siehe oben S. 22. R. ALBERTZ, Exilszeit, 146. Der Begriff „Völkerworte“ ist in der Hinsicht defizitär (dazu G. BAUMANN/M. HÄUSL, Fremdes, 252–253), dass er, wie die Bezeichnung „Fremdvölkerspruch“ oder andere oben aufgezählte Termini (A.1.1.1), sich nicht aus dem hebräischen Text ableiten lässt und eine einheitliche Größe imaginiert, die Israel gegenüberstehe. Mit dem von R. ALBERTZ gewählten Terminus werden die Völker nicht im Vorfeld als
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A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Die dreiteilige Strukturierung des Buches Ezechiel wird von Franz SEDLim ersten Teil seines Ezechiel-Kommentar (Ez 1–24)90 aufgegriffen. In der Bezeichnung der einzelnen Gliederungsabschnitte nutzt SEDLMEIER als primäres Gliederungsmerkmal den Erwähltheitsanspruch91 Israels. Mit der Betonung der Erwählung Israels durch JHWH wird gegenüber den Nationen das besondere Verhältnis JHWHs zu seinem Volk hervorgehoben. So heißt es: „Gerichtsworte gegen das eigene Volk“92 (Ez 1–24), „Gericht über sieben Fremdvölker“93 (Ez 25–32), „Heilsworte für das eigene Gottesvolk“94 (Ez 33–48). Karl-Friedrich POHLMANN dagegen geht von einer eschatologischen Grundstruktur aus, die der Gliederung SEDLMEIERs ähnelt. Er erweitert diese aber, indem er Ez 40–48 als eigenständigen Abschnitt des Buches („Verfassungsentwurf“95) deklariert. Aus der eschatologischen Perspektive ergibt sich eine hierarchische Linienführung: JHWH – Israel – Völker.96 Aus dieser kann geschlussfolgert werden, dass der aktiv eingreifende Gott Israels erst Unheils- und Gerichtsworte an sein Volk ausspricht, dann strafend gegenüber den Völkern auftritt und somit das Heil für sein Volk Israel bewirkt. Das Unheil der Völker lässt sich somit als Grundlage für das Heil Israels deuten.97 Karin SCHÖPFLIN wendet gegen die pauschalisierende Deutung der Völkerworte als indirekte Heilszusage für Israel ein, dass es einer stärker reflektierenden Untersuchung zur Bedeutung dieses Textbereiches bedarf. Sie selbst versteht die Völkerworte vor dem Hintergrund der Zerstörung Jerusalems (vgl. Ez 24,15–24.25–27; 33,21–22) als eine dramaturgische Zuspitzung. Die Verwüstung der Stadt Jerusalem stellt ihrer Meinung nach in Verbindung mit Reden gegen (fremde) Völker (Ez 25–32), ein universales Gottesgericht98 dar. Das „Völkergericht und Gericht an YHWHs Volk stehen MEIER
90 91 92 93 94 95 96 97
98
Fremde (siehe unten S. 61) stigmatisiert, daher wird er in dieser Studie als Bezeichnung präferiert. Franz SEDLMEIER, Ezechiel Kapitel 1–24 (NSK.AT 21/1), Stuttgart 2008. Siehe oben S. 12. F. SEDLMEIER, Ezechiel 1–24, 52. Ebd. 53. Ebd. 53. K.-F. POHLMANN, Stand, 15. Vgl. Rest, 247–249; H. ROSENAU, Heilsuniversalismus, Sp. 1588 und H. SCHMIDT, Israel, 4. Vgl. H. F. FUHS, Ezechiel 1–24, 7. – M. ROTH (Zwölfprophetenbuch, 291–293) geht davon aus, dass die eschatologische Vorgehensweise, im Kontext der Völkerworte, zur Herausbildung der Identität Israels diene. Indem Israel sich von anderen abgrenze, könne es sich in Krisenzeiten neu definieren. So schreibt er: „Man ist nicht schadenfroh wie Edom. Jerusalem ist nicht die gewalttätige Großstadt Ninive und gehört nicht zu den Menschen handelnden Philisterstädten. Schon deshalb wird sich das Schicksal Jerusalems ändern“ (292). Nach K. SCHÖPFLIN (Tyrusworte, 205–206) bilden Ez 25,1–17 und 26,2–6 den Grundbestand der Völkerworte. Dies hätte zur Folge, dass ihr eigentlicher Ursprung im Spott über Jerusalems Untergang zu suchen sei. Richten sich zu Beginn die Völker-
Problemstellung
33
in Beziehung zueinander.“99 Daher seien die Völkerworte bewusst zwischen die Ankündigung der Zerstörung Jerusalems (Ez 24,25–27) und den Bericht des Entkommenden gesetzt worden (Ez 33,21–22), um mit ihrer Hilfe zu zeigen, dass das Ergehen Israels dem der Völker gleiche. Sie lässt dabei offen, welche Konsequenzen sich daraus für die Relation zwischen Israel und den Völkern sowie zwischen JHWH und den Völkern ergeben.100 Die dreiteilige Struktur ist zwar für eine grobe Orientierung hilfreich, aber in Hinblick auf die Fragestellung nach der Beziehung zwischen Israel, JHWH und den Völkern ergeben sich aus ihr Probleme. Anhand der Dreiteilung wird nicht sichtbar, ob die Völker Anteil am Heil JHWHs erhalten oder von diesem ausgeschlossen werden.101 Es wird durch die vorgenommene Textgliederung nicht deutlich, dass Heilszusagen an die Völker ergehen. So wird in Ez 29,13–16 Ägypten nach einer vierzigjährigen Zeit des Exils zugesagt, dass es zu einer erneuten Sammlung aus den Nationen, unter die es zerstreut wurde, kommen und es in das Land zurückgeführt wird.102 Indem Ez 29 auf der Textoberfläche in das Gericht gegen die Völker eingeordnet wird, geht die, wenngleich beschränkte, Heilszusage an Ägypten aufgrund der Verallgemeinerung unter.103 Franz SEDLMEIER räumt ein, dass, wie bereits an Ez 29,13–16 beobachtet wurde, die Unheilsandrohungen durch Heilsreden und die Heilsverheißungen durch Strafandrohungen unterbrochen werden.104 Seiner Meinung nach stellen diese Unterbrechungen einen Einschub dar, der auf einen komplexen Wachstumsprozess des Buches Ezechiel verweist. Die Beobachtungen SEDLMEIERs erklären zwar die Genese des Textes,105 aber sie geben keine Auskunft über die Wirkung und Funktion dieser Passage im Horizont des vorliegenden Gesamttextes, welcher bei der Betrachtung der Relation Israel – JHWH – Völker berücksichtigt werden soll.106
99 100 101 102 103
104 105 106
worte nur gegen die unmittelbaren Nachbarstaaten, so wenden sie sich im weiteren Verlauf ebenso gegen Tyrus. Daraus ergibt sich für SCHÖPFLIN das Bild eines universalen Gerichtshandeln JHWHs. K. SCHÖPFLIN, Tyrosworte, 209. Vgl. ebd. 209–210. Vgl. W. DIETRICH, Völker, 97–98; W. GROẞ, Völker, 275–276 und P. HÖFFKEN, Völkerorakel, 13–15. Siehe unten S. 86. Moshe GREENBERG (Ezekiel 21–37. A new Translation with Introduction and Commentary [AncB 22A], Garden City/New York 1997) meint: „The verse seems to say two things: (1) reduced Egypt will no larger tempt Israel to look to it for help; (2) it will no longer serve to remind God of the offense Israel gave in so doing. As in vss. 6b–7 Israel’s crediting the unfounded pretentions of Egypt to be a world power has dire consequences“ (607). Vgl. Franz Xaver SEDLMEIER, Fremdvölker unter JHWHs Gericht (25–32), in: BiKi 3 (2005), 158–161, 158–159. Vgl. F. SEDLMEIER, Ezechiel 25–48, 22. Vgl. Karl-Friedrich POHLMANN, Der Prophet Hesekiel/Ezechiel. Kapitel 20–48 (ATD 22/2), Göttingen 2001, 274 und F. SEDLMEIER, Fremdvölker, 158–159. – Die Schwierig-
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A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Wenn an der dreiteiligen Gliederung des Ezechielbuches festgehalten wird, ist die Einordnung von eingeschobenen, einzelnen störenden Versen in die Unheils- oder Heilsprophetie107 sowie von Ez 35108 (Gerichtsworte gegen Edom) und Ez 38–39 (Gog-Magog Perikope) in die Heilsprophetie kaum möglich.109 Mittels der offeneren Definition der „Völkerworte“110 von Rainer ALBERTZ wird diese Diskrepanz berücksichtigt.111
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keiten einer dreigliedrigen Struktur ergeben sich formal auf der Ebene der Tiefenstruktur eines Textes. So ordnet sich Ez 20 nach Stefan OHNESORGE (Jahwe gestaltet sein Volk neu. Zur Sicht der Zukunft Israels nach Ez 11,14–21; 20,1–44; 36,16–38; 37,1–14.15–28 [FzB 64], Würzburg 1991, 104–105) auf der Textoberfläche in die Unheilsprophetie ein. In der Tiefenstruktur erweist sich Ez 20 als wesentlich komplexer. Im Anschluss an einen erzählten Geschichtsrückblick Israels, der die Vergehen der Vätergenerationen umfasst (Ez 20,5b–29), erfolgt eine Gerichtsankündigung gegenüber der in der babylonischen Gola lebenden Exilbevölkerung (Ez 20,34–39). Gestört wird diese Anklage Israels mittels der Heilszusagen in VV 40–44. S. OHNESORGE meint, die VV 40–44 seien nicht Bestandteil des ursprünglichen Ezechielbuches gewesen, sondern sie wurden in mehreren Wachstumsphasen eingetragen. Siehe unten S. 72. Bernarhd GOSSE (Ezechiel 35 – 36,1–15 et Ezechiel 6. La désolation de la montagne de Séir et le renouveau des montagnes d'Israël, in: RB 96 [1989], 511–517) begründet die Ausgliederung von Ez 35 aus den Völkerworten so: „Ez 25 opère un transfert malédiction d’Israël sur Édom. Ez 36 peut alors appeler le pays d’Israël à un renouveau, en liasion avec le retour de son peuple dont il est la possession et l‘héritage. Les justifications du retournement de Dieu contre Édom et les nations, et en faveur d’Israël, sont en grande partie semblables à celles que l’on rencontre au ch. 25. Mais, dans les chapitres 35–36, c’est surtout le problème du ,paysʻ d’Israël qui est traité, et les chapitres 35–36 forment une unité. On comprend que, dans ces conditions, le ch. 35 n’ait pas été inséré dans le recueil d’oracles contre les nations d’Ez 25–32“ (517). Obgleich der Fokus in Ez 35–36 auf dem Land Israels liegt, so ist das Land Objekt der Klage gegen Edom, womit der Strafandrohung an Edom mindestens die gleiche Bedeutung zukommt. Gefragt werden muss, ob die inhaltliche Fokussierung auf das Land Israel ausreichend ist, um die Herausnahme von Ez 35 aus dem Korpus der Völkerworte begründen zu können. Weiterhin kann damit nicht geklärt werden, warum ebenso die Gog-Magog Perikope in Ez 38–39 von den Völkerworten in Ez 25–32 gelöst ist. Das Problem der Einordnung der Texte Ez 35.38–39 in den dreigliedrigen Strukturierungsversuch verstärkt sich mit Blick auf die Septuaginta Handschrift Papyrus 967 (P 967). Bei dem P 967 (dazu Ingrid E. LILLY, Two books of Ezekiel. Papyrus 967 and the Masoretic Text as Variant Literary Editions [VT.S 150], Leiden 2012, 213– 215) handelt es sich um eine Handschrift, die die Texte des Ezechiel-, Daniel- und Estherbuches enthält. Verfasst wurde es etwa 200 n. Chr. Der Aufbau von P 967 weist für das Buch Ezechiel eine Umstellung von Ez 37 und 38–39 auf. So schließen in P 967 die Kapitel Ez 38–39 gleich an Ez 36 an, wobei Ez 36,23b–38 entfallen ist. Ez 37 ist somit Ez 38–39 nachgeordnet. Die eigentlichen Heilszusagen von Ez 36 werden durch den Wegfall der VV 23b–38 auf den Textabschnitt Ez 36,8–12.15 verkürzt. Das bedeutet, dass Ez 36 entsprechend P 967 mit einer Anklage Israels (Entweihung des Namens) und der Ankündigung der Selbstheiligung des Namens durch JHWH endet, obwohl zuvor Israel Heil zugesprochen wurde. Damit ergeben sich auf der formalen Ebene Einwände gegen eine dreistufige Struktur des Ezechiel-
Problemstellung
35
Die eschatologische Dreiteilung gibt eine Deutungsperspektive vor, die den Blick auf die Beziehung zwischen Israel, JHWH und den Völkern verdeckt. Die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten112 müssen bedacht werden. Der genannte Gliederungsversuch dient somit nur zur textlichen Orientierung innerhalb des Ezechielbuches, er wird aber bei der folgenden Bearbeitung der Konstellationen und Relationen zwischen Israel, JHWH und den Völkern nicht berücksichtigt. Die Problematisierung der Struktur des Buches Ezechiel weist jedoch auf die Gefahr von undifferenzierten Kategorisierungen in der Beziehungsbestimmung Israel – JHWH – Völker hin.
1.2
(Religions-)Soziologische Überlegungen zu dem/ den Fremden
1.2.1 Israel und die „Anderen“ – Eine metabegriffliche Erhebung zu dem/den „Fremden“ Fremdheit erweist sich in ihrer Begrifflichkeit als eine Form der Kategorisierung, um das Verhältnis zwischen dem Eigenen und dem/den Fremden näher zu bestimmen. ZEHNDER definiert in seiner Monographie „Zum Umgang mit dem Fremden in Israel und Assyrien“ (2005) das „Fremde“ bzw. „Fremdsein“ als einen Relationsbegriff. Er schreibt dazu: „Da ,Fremdheitʻ in Relation zu einem Gegenüber besteht, zu einem anderen ,Ichʻ, ist sie nicht absolut bestimmbar; Fremdsein hängt immer vom Bezugsrahmen ab, innerhalb dessen und auf den hin es definiert wird; ,Fremdsein ist also ein betont relativer und gradueller Begriffʻ.“113
110 111 112
113
buches. Es wird angenommen, dass Ez 39,1–5.7 die ursprüngliche Fortführung von Ez 36,16–23aR war (hierzu F. SEDLMEIER, Ezechiel 25–48, 189), die mittels des Berichtes über den Sieg über Gog den Namen JHWHs weiter an Größe gewinnen ließ. Verbunden mit der Zusage, dass der Name JHWHs nicht mehr entweiht würde, sei zugleich der Zuspruch an Israel, dass es nicht wieder unter die Nationen verstreut werde. Ez 36,23b–38 stellt nach Frank-Lothar HOSSFELD (Untersuchungen zur Komposition und Theologie des Ezechielbuches [FzB 20], Würzburg 1977, 153) dagegen eine Zusammenfassung dar, die nachträglich eingefügt wurde und auf umliegende Texte verweise. R. ALBERTZ, Exilszeit, 146. Siehe oben S. 22. Vor allem dann sind sie zu berücksichtigen, wenn in den Einzeltextanalysen (vgl. B.1.2; B.2.2 und B.3.2) eine Einordnung der Texte Ez 6; 20 und 36 in das Buch Ezechiel vorgenommen wird. M. ZEHNDER, Umgang, 20. – Ders. zitiert Meinhard SCHUSTER, Ethnische Fremdheit. Ethnische Identität, in: ders. (Hg.), Begegnung mit dem Fremden. Wertungen und
36
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Die Bestimmung der Kategorien114, mit deren Hilfe sich das Ich (ego) versucht, vom Anderen (alter) abzusetzen, sind nach ZEHNDER abhängig von einer kulturellen, sozialen und religiösen Vorprägung. Kultur unterstütze die Bildung der eigenen Identität, indem mit ihr eine Möglichkeit der institutionalisierten Distanzierung115 geschaffen wird, die zugleich das Selbstvertrauen des Einzelnen oder einer Gruppe116 unterstützt. Das bedeutet, dass aufgrund der Entstehung von Kultur und Institutionen Kategorisierungen vorgenommen werden, mittels derer eine Reduktion der Komplexität des Alltags erfolgt.117 In der Begegnung mit den Anderen kommt es zu einer Sondierung, wer zur sogenannten Wir-Gruppe118 (dem Eigenen) dazugehört und wer nicht.
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Wirkungen in Hochkulturen vom Altertum bis zur Gegenwart, Viertes Colloquium Rauricum, 25. – 29. August 1993 im Landgut Castelen bei Augst im Kanton BaselLandschaft, Stuttgart 1996, 207–221, 207. Siehe unten S. 64 Anm 57. Nach J. ASSMANN (Gedächtnis, 134) ist der Mensch ein Mangelwesen, das mit Hilfe der Herausbildung einer Kultur- und Symbolwelt innerhalb eines Kollektives versucht, seine Defizite auszugleichen. Ihm zufolge bildet die „symbolische Sinnwelt einer Kultur“ (137) Institutionen aus, mittels derer Normen und Regeln eingefordert werden können. Die Bildung von Institutionen ermögliche es, dass das Individuum auf Distanz zu sich selbst und der Welt geht. „Die Kultur institutionalisiert diese Distanz. Sie erzeugt Vertrautheit und Vertrauen: Selbstvertrauen, Weltvertrauen, soziales Vertrauen, ,entlastetʻ auf diese Weise vor Reizüberflutung, Entscheidungsdruck und Mißtrauen, und schafft dadurch den Frei-Raum, der menschlichen Dasein eigentümlich ist“ (137). Die Herausbildung der Selbstidentität ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der WirIdentität einer Gruppe. Daher wendet J. ASSMANN (Gedächtnis) ein: „Der Einzelne wird in seinem Ich-Bewußtsein von ihnen [Kultur und Gesellschaft] geprägt, aber das heißt nicht, daß damit notwendiger Weise auch ein Wir-Bewußtsein verbunden ist, in dem sich eine Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft und deren Kultur im Sinne der Mitgliedschaft artikuliert“ (134). Eng verbunden mit der Kategorisierung ist eine Rollenzuweisung an den Fremden. Durch die Rollenzuweisung wird eine Erwartungshaltung gegenüber dem Verhalten des Fremden aufgebaut. Nach Robert OBERFORCHER (Soziale Rollenbilder in der alttestamentlichen Prophetie, in: PZB 2 [1993], 121–143) bedarf diese „einer gewissen sozialen Mindestakzeptanz und Erwartungsdisposition, was man auch mit Rollenerwartung umschreiben kann“ (121). An den Fremden werden Erwartungen herangetragen, wie er in der Begegnung reagieren und interagieren könnte. Entweder wird diese Erwartung erfüllt oder nicht. „Rollenbilder“ (vgl. ebd. 121–122) entstehen nicht im Text, sondern sie finden ihren Ursprung in einem konkreten sozialgeschichtlichen Umfeld. Die vielfältige Gestalt der Rollenbilder resultiert aus den Wechselwirkungen des Alltagsgebrauches und der, durch die Tradierung unternommenen, Veränderungen. Gegenwärtige (religions-)soziologische Fremdheitskonzepte basieren primär auf einem vom Individuum her denkenden Verständnis. Die biblische Anthropologie ist jedoch vordergründig durch ein kollektives Denken geprägt (dazu U. E. EISEN/I. MÜLLNER, Figur, 20), dementsprechend müssen die vorgestellten Konzepte adaptiert werden, um sie für die Bestimmung der Konstellationen und Relationen zwischen Israel, JHWH und den Völkern im Buch Ezechiel fruchtbar zu machen. Für die Terminologie ego und alter bedeutet das, dass sie im Folgenden nicht Individuen benennen, sondern vielmehr für eine Wir-Gruppe bzw. Nicht-Wir-Gruppe stehen.
Problemstellung
37
Einerseits werden die Fremden herausgefordert, weil sich bisherige Weltdeutungs- und Verhaltensmuster in einer ihnen ungewohnten Umgebung nicht mehr als tragfähig erweisen. Sie sind somit angehalten, sich mit den Deutungsund Verständnismustern der neuen Kultur, Religion usw. auseinanderzusetzen.119 Andererseits nimmt die aufnehmende Gemeinschaft die Anderen als fremd wahr, indem diese ihrem Erwartungshorizont an Wertvorstellungen und Handlungsmustern nicht entsprechen.120 Die Wahrnehmung der eigenen Unzulänglichkeit auf Seiten der Wir-Gruppe sowie auf der Seite der NichtWir-Gruppe führt zu Schwierigkeiten in der Kommunikation, die das Gefühl der Fremdheit verstärken.121 Israel beispielsweise wird innerhalb des babylonischen Kontextes mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sich ihre Gottheit nach dem altorientalischen Verständnis als schwach erwiesen habe, da Jerusalem gefallen ist und es sein Land verlassen muss (vgl. Ez 36,20).122 Stark vereinfacht gesagt ist das Volk JHWHs herausgefordert, sich als Volk Gottes neu zu legitimieren und seine Beziehung zur Gottheit neu zu denken. Zugleich muss es sich jedoch in der fremden, babylonischen Kultur etablieren und den Umgang, die Begegnung mit der babylonischen Bevölkerung gestalten.123 Fremdheit ist keine Eigenschaft, sondern sie ist die „Definition einer Beziehung“124. Die (Neu-)Bestimmung der eigenen Zugehörigkeit, die Israel 119
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Der Mensch ist als ein kulturelles Wesen gezwungen, seine Handlungsvollzüge innerhalb der Welt zu deuten. R. HETTLAGE (Gesellschaft, 153–155) benennt für die Interpretation des Handelns des „Anderen“ vier Möglichkeiten. Es kann eine affektive, wertrationale, traditionelle oder zweckrationale Deutung vorgenommen werden. M. MÜLLER (Aufladung, 169) hingegen betont die Wirkung und Macht, die von einer sozialen Kategorisierung ausgeht. Vgl. C. FISCHER, Fremdvölkersprüche, 13–15 und M. MÜLLER, Aufladung, 172–173. In der Begegnung des Fremden mit dem Eigenen ist es möglich, dass die vorgenommenen Kategorisierungen (dazu M. MÜLLER, Aufladung, 173) aufgrund ihrer Dauer und Intensität vom Fremden selbst übernommen und in dessen Selbstdefinition integriert werden. Vgl. Walter GROẞ, YHWH und die Religionen der Nicht-Israeliten, in: ThQ 169 (1989), 34–44, 41 und K.-F. POHLMANN, Krise, 44–46. – W. MAYER (Zerstörung, 17–19) geht davon aus, dass in den meisten Fällen von altorientalisch-kriegerischen Auseinandersetzungen der Sieger die Götterstatue des Besiegten in das eigene Reich fortführte, um diese in seinen Tempel zu stellen und somit den Wirkungsbereich der Nationalgottheit des Feindes zu brechen. Dies gelingt in Israel nicht, da Israel als bildlose Religion über keine Götterbilder verfügt. Die Gegenwart JHWHs wird in seinem Volk repräsentiert. Wenn JHWH in Israel gegenwärtig ist, so ersetzt die Wegführung Israels in ein fremdes Land, die „Entführung“ der Götterstatue. Entsprechend dem altorientalischen Verständnis wird JHWH in seinem Volk fort- und aus seinem Machtbereich herausgeführt. Vgl. Frank-Lothar HOSSFELD, Das Buch Ezechiel, in: Erich ZENGER u.a. (Hgg.), Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1,1), Stuttgart 82012, 592–609, 606–607. Alois HAHN, Die soziale Konstruktion des Fremden, in: Walter M. SPRONDEL (Hg.), Die Objektivität der Ordnungen und ihre kommunikative Konstruktion. Festschrift für Thomas Luckmann, Frankfurt a. M. 1994, 140–163, 140.
38
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
innerhalb der Gola vollzieht, ist ein Prozess der Selbst- und Fremddefinition, der sich als unabgeschlossen erweist.125 Denn ändert sich das kulturelle, soziale, religiöse Bild vom Anderen, so hat dies eine Veränderung der Kategorisierung und Bewertung des Fremden zur Folge. Nach Andreas GRÜNSCHLOẞ wird die Begegnung zwischen dem ego und dem alter klassisch durch die Modelle Exklusivismus,126 Inklusivismus,127 Pluralismus128 abgebildet.129 Er kritisiert, dass eine auf die drei Modelle 125 126
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Siehe unten S. 79. Vgl. S. FARZIN, Inklusion, 87–88; Niklas LUHMANN, Die Gesellschaft der Gesellschaft, Bd. 2 (Stw 1360), Frankfurt a. M. 1998, 618–620 und S. M. OLAYN, Inklusion, 177–178. Vgl. S. M. OLAYN, Inklusion, 177–178. – Die Termini Exklusivismus und Inklusivismus wurden von N. LUHMANN (Gesellschaft, 618–620) genutzt, um innerhalb von Beziehungssystemen zwischen psychischen und sozialen Systemen zu differenzieren. S. FARZIN (Inklusion, 87–88) zufolge ging N. LUHMANN davon aus, dass Inklusion bedeute, dass alle Teilnehmer einer Gemeinschaft Zugang zu deren Funktionskontexten erlangen. Jedoch erfolge dadurch eine Steigerung der Komplexität, da es keine einheitlichen Inklusionsoptionen mehr gebe. Denn sie „werden nicht mehr in nur einem Teilsystem als ganze Person repräsentiert, sondern über die soziale Form der Rolle partiell jeweils unterschiedlich adressiert“ (88). Damit sei es nur noch möglich, dass das ego sowie das alter sich mittels Exklusion definieren. Exklusion gilt dabei noch nicht als Gegenbegriff zur Inklusion. LUHMANN entwickelt den Exklusionsbegriff weiter und definiert diesen folgendermaßen: Exklusion ist ein „dauerhafter und sich über Systemgrenzen hinweg verstärkender Ausschluss von Personen aus funktionaler Kommunikation“ (88). In gesteigerter Form führe dies zu einem sozialen Ausschluss, der eine Person nur noch auf ihre Körperlichkeit reduziere. Hans JOAS (Lehrbuch der Soziologie, Frankfurt a. M./New York 32007) definiert Pluralismus als eine „Koexistenz verschiedener differenzierter – auch ethnischer – Gruppen, von denen jede ihre Identität und ihr soziales Netz bewahrt und zugleich an allen politischen und wirtschaftlichen System teilhat“ (285). A. GRÜNSCHLOẞ (Glaube, 16–18) benennt weitere Modelle: Synkretismus, Rationalisierung, Synthese und Evolution. Der Synkretismus führt zur Aufhebung von Grenzen und Konkurrenzen zwischen mindestens zwei Systemen. Die Synthese dagegen bildet einen irreversiblen Schöpfungsakt, der aufgrund der Auseinandersetzung mit anderen Systemen Elemente aus diesen entnimmt und sie zu etwas Neuem zusammenfügt. Während die Synthese verschiedene Systeme miteinander verbindet, ist die Evolution ein systeminterner Prozess, der innerhalb eines Systems neue Elemente entwickelt, die zum Zentrum eines neuen Systems werden können und somit eine neue Religion herausbilden. A. GRÜNSCHLOẞ greift auf das dreistufige Modell der Synkretismus-Terminologie von Ulrich BERNER (Untersuchungen zur Verwendung des Synkretismus-Begriffes [GOF.G 2], Wiesbaden 1982, XII und 96–98) zurück. BERNER versucht den Synkretismus, die Synthese und die Evolution miteinander zu verbinden. GRÜNSCHLOẞ (Glaube) fasst dies folgendermaßen zusammen: „Berner geht es darum, die Konstituierungsbedingungen religionsgeschichtlicher Wandlungsprozesse unter besonderer Berücksichtigung des Synkretismus-Paradigmas zu analysieren und zu klassifizieren. […]. Prozesse religionsgeschichtlicher Begegnung und Verflechtungen können demnach zu einer Veränderung der vorgestellten Beziehungsqualität zwischen ganzen religiösen Systemen (oder bestimmten Subsystemen) führen oder/und zu Modifikationen bestimmter einzelner Elemente (Veränderungen,
Problemstellung
39
begrenzte Verhältnisbestimmung zwischen dem ego und alter zu einer Schematisierung tendiere, die ein „unausweichliches Trilemma“130 darstellt. Das Trilemma liege in dem Zwang zur Differenzierung und Einordnung, der mit diesen Modellen einhergehe. Da die genannten Modelle zunehmend als unzureichend erkannt werden, erfolgt entweder eine Erweiterung der Begrifflichkeit, die eine Relativierung der vorliegenden Modelle zur Folge hat oder es werden zusätzliche Kategorien eingeführt, um sie dem Beziehungskontext entsprechend anzupassen. GRÜNSCHLOẞ zufolge sind die aufgeführten Modelle nicht ausreichend, um die komplexen Strukturen der Verhältniswahrnehmung zwischen ego und alter wiederzugeben. Sie dienen vielmehr einer Reduktion von Komplexität. Außerdem können die Beziehungsmodelle Exklusivismus, Inklusivismus und Pluralismus ineinander übergehen oder sich gegenseitig beeinflussen, sodass eine Grenzziehung zwischen ihnen nur bedingt möglich ist.131 Wenn in der vorliegenden Studie nach der Dreiecksbeziehung Israel – JHWH – Völker gefragt wird, kann es sich als sinnvoll erweisen, nach Strategien der Exklusion und Inklusion zu suchen. Die Exklusionsstrategie beinhaltet zumeist einen Ausschließlichkeitsanspruch einer (religiösen) Gemeinschaft. Die Gemeinschaft beansprucht dabei eine bestimmte Wahrheit, Gottheit etc. ausschließlich für sich und geht davon aus, dass nur innerhalb ihrer Religion(sgemeinschaft) diese legitim repräsentiert werde. Der gemeinsame Vollzug von rituellen Handlungen, die Einhaltung von religiös motivierten Normen und Regeln durch eine religiöse Gemeinschaft demonstrieren, wer zu ihr gehört und wer nicht.132 Exemplifizieren lässt sich dies anhand der
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Ergänzungen, Ausscheidungen etc.) bzw. der wechselseitigen Beziehung zwischen den ‚alten‘ und ‚neuen‘ Elementen“ (45). A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 16. Vgl. M. MÜLLER, Aufladung, 169. Eine Strategie der Exklusion ist die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Religion. J. ASSMANN (Gedächtnis, 157–159 und 208) erörtert dies anhand des exklusiven Monotheismus. Die Ursachen für den gewaltsamen, exklusiven Monotheismus liegen seiner Meinung nach in der „mosaischen Unterscheidung“ (Jan ASSMANN, Die Mosaische Unterscheidung. Oder der Preis des Monotheismus, München/Wien [ND] 2004), womit die Differenzierung von wahrer und falscher Religion sich entwickelt habe. Aufgrund des Monotheismus und dessen Wahrheitsanspruch habe sich ein Gewaltpotential in den monotheistischen Religionen herausgestellt. E. BONS (Völker, 13–15) kritisiert ASSMANN, indem er bemerkt, dass neben biblischen Texten, die von den gewaltsamen Auseinandersetzungen mit fremden Völkern berichten, Erzählungen im Alten Testament zu finden sind, die sich mit der Begegnung zwischen Israel und dem Fremden auseinandersetzen (z.B. das Buch Jona; Ps 22). ASSMANN nimmt diese Texte nicht auf. Nach BONS handelt es sich bei der mosaischen Unterscheidung und der daraus getroffenen Schlussfolgerung des Gewaltpotentials des Monotheismus um eine theologische Verkürzung des inneren alttestamentlichen Diskurs über die Gewalt gegen Fremde. Für BONS (Völker, 13–15) stellt sich die Frage, inwiefern ein Monotheismus wirklich zwangsweise zur Gewalt gegen das/den Fremden führt.
40
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
rkn-ynb (Söhne des Ausländers, Ez 44,7)133. Aufgrund der fehlenden Be-
schneidung haben sie keinen Anteil am kultischen Symbolsystem134 Israels. Das Verbot, dass die Söhne der Ausländer weiterhin den Tempelkult praktizieren, deutet daraufhin, dass es eine Gruppe an Israeliten gibt, die den rkn-ynb den Zugang zur Kultpraxis/-gemeinschaft ermöglichen. Im Insistieren auf den Ausschluss der Fremden klingt an, dass die Frage – wer dazu gehört und wer nicht – innerisraelitisch nicht gänzlich kongruent beantwortet wird. Eher scheint die kultische Inklusion der Ausländer die innere Einheit zu bedrohen. Strategien der Inklusion bilden ebenso wie die Exklusion eine Form der Begegnung mit dem Fremden und der Identitätsstiftung. Die „materielle Inklusion fremder Komplexität“135 trägt zur Herausbildung und Steigerung der Identität eines Ich’s oder einer Wir-Gruppe bei. Der synkretistische Ansatz dieser Form von Inklusion führt dazu, dass einzelne Aspekte der Komplexität des Gemeinschaftsverständnis, der Kultur usw. der fremden Gruppe von der Wir-Gruppe wahrgenommen, interpretiert, selektiert, umgestaltet und somit in das Eigene der Wir-Gruppe integriert werden. Die Verhältnisbestimmung zum Fremden verändert sich mit Hilfe des Inklusionsprozesses. Einen Versuch der Inklusion bildet die erzählerische Herstellung von verwandtschaftlichen Beziehungen136 zwischen Israel und einzelnen Völkern (z.B. die „Völkertafeln“ in Gen 10,1–32).137 Mithilfe der Exklusion oder der Inklusion wird versucht,138 die Gefahr und Angst, die von der Ambivalenz des Fremden ausgeht, einzudämmen. GRÜNSCHLOẞ hält für die Entstehung und Entwicklung von Religionen zwei Aspekte fest.
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Siehe unten S. 67. Vgl. Otto BETZ, Art. Beschneidung, in: CBL 1, Stuttgart 22006, 177–178, 177 und Franz MACIEJEWSKI, Der Ritus der Beschneidung und der Geist des Monotheismus. Ein ethnopsychoanalytischer Blick auf die Religionsentwicklung im antiken Israel, in: Manfred OEMING/Konrad SCHMID (Hgg.), Der eine Gott und die Götter. Polytheismus und Monotheismus im antiken Israel (AThANT 82), Zürich 2003, 249–270, 270. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 235. Siehe unten S. 61. Vgl. E. M. DÖRFUẞ, Volk, 1427 und S. FARZIN, Inklusion, 88. R. HETTLAGE (Gesellschaft, 146–147) benennt neben Tendenzen der Inklusion, Anpassung und Exklusion zwei weitere Möglichkeiten der Fremdbegegnung. Einerseits ist es möglich, dass das Fremde oder die Fremden keinerlei Beachtung finden. Die Fremden werden in einer Mehrheitsgesellschaft nicht wahrgenommen und in ihrer Fremdheit belassen. Für das Buch Ezechiel ist jedoch anzunehmen, dass den Fremden (Völkern) eine gewisse Relevanz zugesprochen wird, da es sonst nicht notwendig ist, diese zu thematisieren. Andererseits kann nach HETTLAGE von einer Kultivierung der Fremdheit gesprochen werden, wobei die Grenzen der Fremdheit nicht vollkommen aufgelöst, sondern maximal verwischt werden.
Problemstellung
41
1. Seiner Meinung nach entwickeln sich Religionen immer mittels Grenzziehungen gegenüber einer anderen religiösen Gemeinschaft. Daher stellt er seinen Ausführungen voran: „Keine geschichtliche Religion ist religiös voraussetzungslos entstanden – keine religiöse Bewegung hat sich je ohne implizite oder explizite Auseinandersetzung mit religiös Anderem und Fremden139 konsolidiert – und niemals ist eine Religion in ihrer weiteren Geschichte ohne Kontakt zur umgebenden Religionsgeschichte geblieben.“140
Deutlich wird das anhand des Selbstverständnisses Israels. Als eine geschichtliche Religion sieht es sich nicht als voraussetzungslos gegeben, denn zum einen skizziert es seine Geschichte als eine Geschichte mit seinem Gott, der handelnd eingreift und sich als universaler Schöpfergott erweist.141 Zum anderen präsentiert sich Israel in der Ursprungserzählung als ein „Volk unter Völkern“142, das von Beginn an in (sowohl positiven als auch negativen) Kontakt mit anderen steht. Das Bewusstsein, ein Volk unter Völkern und Volk JHWHs zu sein, signalisiert, dass eine Übertragung der (religions-)soziologischen Beobachtungen auf biblische Kontexte nicht uneingeschränkt möglich ist. Während GRÜNSCHLOẞ für seine Studien Israel als eine Religionsgemeinschaft präsumiert,143 liegt in den biblischen Texten keine klare Differenzierung zwischen Israel als einer ethnischen Größe und einer religiösen Gemeinschaft vor.144 Als antikes Volk interpretiert Israel seine Beziehung zu anderen 139
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Der Begriff „Fremder“ (dazu M. ZEHNDER Umgang, 21–22) bezieht sich auf Einzelpersonen. In der Auseinandersetzung Israel – JHWH – Völker wird Fremder/Fremdsein kollektiv, primär aus eine ethnischen Herkunft resultierend, verstanden. Fremdheit bezieht sich dabei sowohl auf die allgemeine Völkerrede als auch auf die konkrete Nennung von Völkerschaften. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 1. Vgl. W. MAYER, Zerstörung, 16–18; K.-F. POHLMANN, Krise, 40–42 und H. SCHMIDT, Israel, 91–93. B. HUWYLER, Jeremia, 3. Vgl. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 282–283. J. ASSMANN (Gedächtnis, 211–212) dagegen geht davon aus, dass das biblische Israel – das er am Exodus-Ereignis und den Texten des Deuteronomiums zu identifizieren sucht – zwischen einer „ethnischen Identität“ (211) und einer „religiösen Identität“ (211) unterscheide. Das „ethnische Israel“ (ebd. 212) grenze sich von den Nationen ab, während das „wahre Israel“ (212) ein Produkt der inneren Reinigung und Differenzierung des Gottesvolkes sei. ASSMANN suggeriert mit der Unterscheidung von religiöser und ethnischer Identität ein Identitätskonzept, das eher Entwürfen des 21. Jh. entspricht. Gleichzeitig reduziert er die in den biblischen Texten vorliegenden pluriformen Modelle der Identitätsbildung Israels auf eins (dazu E. BONS, Völker, 16). Dass in den Texten Tendenzen der äußeren Abgrenzung (siehe unten S. 77–79) und inneren Differenzierung (siehe unten S. 213) bestehen, kann nicht bestritten werden. M. ZEHNDER (Umgang, 290–291) hebt hervor, dass sich innerbiblisch Spuren finden lassen, die zeigen, dass die ideal angenommene Kongruenz von religiöser und ethnischer Zugehörigkeit nicht zwingend mit der Realität des altorientalischen Israel
42
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Nationen im Horizont seines religiösen Bekenntnisses, das ein zentrales Deutungssystem darstellt.145 2. Allerdings werde die Heraus- und Weiterbildung einer Religion – so GRÜNSCHLOẞ – zusätzlich durch den universalen (Wahrheits-)Anspruch jeder religiösen Weltanschauung unterstützt.146 Durch ihren Anspruch bilde jede Glaubensgemeinschaft für sich ein Weltdeutungssystem heraus, dessen Plausibilität und Stabilität sie gegenüber anderen sowie der Umwelt herausstellen und verteidigen muss. Der eigene wie der fremde Glaube beanspruchen für sich einen universalen (Wahrheits-) Anspruch.147 Kommt es zur Begegnung zwischen dem eigenen Glauben (ego/WirGruppe) und dem fremden Glauben (alter/Anderer), entstehe zunächst eine ungeklärte Situation. Denn die Wir-Gruppe und die Anderen verfügen über kein gemeinsames Handlungsschema, das regelt, wie sich ego und alter zueinander verhalten. Niklas LUHMANN beschreibt dieses Aufeinandertreffen der beiden Gruppen148 mit der „doppelten Kontingenz“149. Den Begriff übernimmt LUHMANN von Talcott PARSONs.150 Er schreibt: „Soziale Systeme entstehen dadurch (und nur dadurch), daß beide Partner doppelte Kontingenz151 erfahren und daß die Unbestimmbarkeit einer solchen
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deckungsgleich ist. Mit der Unterscheidung von Anspruch und Wirklichkeit impliziert ZEHNDER, dass die von ASSMANN proklamierte Differenzierung in dem von ihm angenommenen Umfang nicht vorliegt. Vgl. W. DIETRICH, Völker, 105–106 und Rainer KESSLER, Sozialgeschichte des alten Israel. Eine Einführung, Darmstadt 2006, 47–48. Vgl. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 1. Vgl. W. DIETRICH, Völker, 97–98 und Sven PETRY, Die Entgrenzung JHWHs. Monolatrie, Bilderverbot und Monotheismus im Deuteronomium, in Deuterojesaja und im Ezechielbuch (FAT.2 27), Tübingen 2007, 241–243. – Ein solcher universaler Anspruch lässt sich für die alttestamentlichen Schriften nicht generalisierend nachweisen. Allein die in den alttestamentlichen Texten fassbare Entwicklung von einer Monolatrie zum Monotheismus verlangt es, dass geklärt wird, worin ein universaler Anspruch besteht und in welchem Maße dieser für den jeweiligen Textabschnitt herausgestellt werden kann oder nicht. Vgl. Niklas LUHMANN (Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie [Stw 666], Frankfurt a. M. 21984, 149–150. – N. LUHMANN bezieht den Terminus „doppelte Kontingenz“ (ebd. 153) anfangs nicht auf Subjekte und deren Interpretationsansätze, sondern nimmt zu Beginn seiner Erläuterungen eine Differenzierung zwischen System und Umwelt vor. N. LUHMANN, Systeme, 153. Vgl. ebd. 148–155; Sven OPITZ, Art. Doppelte Kontingenz, in: Oliver JAHRAUS u.a. (Hgg.), Luhmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, Stuttgart 2012, 75–76 und Kurt WUCHTERL, Kontingenz oder das Andere der Vernunft. Zum Verhältnis von Philosophie, Naturwissenschaft und Religion, Stuttgart 2011, 56–58. N. LUHMANN (Systeme) definiert: „Kontingent ist etwas, was weder notwendig ist noch unmöglich ist; was also so, wie es ist (war, sein wird), sein kann, aber auch anders möglich ist“ (152).
Problemstellung
43
Situation für beide Partner jeder Aktivität, die dann stattfindet, strukturbildende Bedeutung gibt.“152
LUHMANN geht also davon aus, dass die Wir-Gruppe sowie die Anderen über ein Repertoire an Handlungsmöglichkeiten verfügen, auf die sie jeweils selbstreferenziell zurückgreifen.153 Beginnt beispielsweise die Wir-Gruppe tätig zu werden, so beobachtet und interpretiert das Gegenüber das Verhalten, um im Rückgriff auf seinen eigenen Möglichkeitenhorizont darauf zu reagieren. Es ergibt sich eine Deutungsunsicherheit und Komplexität für die Situation der Begegnung, die sich dann noch verschärft, wenn der eine versucht, das Handeln des anderen vorherzusagen.154 Eine Möglichkeit, die bestehende Kontingenz zu bewältigen, sieht LUHMANN in der Religion.155 Exemplifizieren lässt sich dies anhand der Exilserfahrungen Israels. Aufgrund der Exilierung ist anzunehmen, dass Israel mit der jeweiligen fremden, sie beherrschenden Macht interagiert haben muss, ohne dass gesagt werden kann, in welcher Weise und wie intensiv ein solcher Austausch verlief. Hypothetisch ist anzunehmen, dass, wenn Israel (ego) und Edom (alter) miteinander in Kontakt traten, sich die doppelte Kontingenz dadurch ergab, dass jede der beiden genannten Gruppen ihr eigenes, bestehendes Verhaltensrepertoire nutzte und sich entsprechend gegenüber dem Anderen verhielt. Beim Zusammentreffen der beiden lag kein gemeinsamer Handlungsund Interpretationshorizont vor. Eine Gruppe (z.B. Edom) musste beginnen zu agieren. Israel ging entweder auf den durch Edom eröffneten Handlungsrahmen ein oder reagierte in einer unvermuteten Weise. Somit wären Israel und Edom herausgefordert gewesen, ein gemeinsames Schema für das Verhalten-Zueinander in der Begegnungssituation zu „erfinden“156. Das nach außen hin gezeigte Verhalten Israels und Edoms wäre dabei nur ein reduzierter, sichtbarer Teil des je eigenen Verhaltens- und Interpretationsrepertoires157. Andreas GRÜNSCHLOẞ entwickelt anhand von „biblisch-exegetischen Einsichten“158 das Modell der „dreifachen Kontingenz“159, mit dem er die biblisch-christlichen Mutmaßungen über das Verhältnis Gottes zum Anderen zu beschreiben sucht. Er greift dabei auf die doppelte Kontingenz bei LUHMANN zurück und erweitert diese. Ausgangspunkt für die biblischchristliche Mutmaßung ist die Annahme der Realpräsenz Gottes im Leben des Menschen. Das personale Gottesverständnis führt dazu, dass Gott mehr 152 153 154 155 156 157 158 159
N. LUHMANN, Systeme, 154. Vgl. ebd. 153–155. Vgl. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 288. Vgl. Niklas LUHMANN, Funktion der Religion (Stw 407), Frankfurt a. M. 1982, 26– 27, 50–52 und 188–190. Vgl. N. LUHMANN, Systeme, 155–156 und S. OPITZ, Kontingenz, 75–76. Vgl. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 288 und N. LUHMANN, Systeme, 156–157. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 291. Ebd. 291.
44
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
als nur eine „Kontingenzformel“ ist.160 GRÜNSCHLOẞ geht von einer dreifachen Kontingenz aus. „Gott“ (totaliter aliter)161 wird in das Relationsgefüge ego und alter mit aufgenommen. Interpretationen über die Beziehungsgestalt zwischen dem totaliter aliter und dem alter sowie dem totaliter aliter und dem ego sind durch den religiösen, kulturellen Hintergrund der Beziehungsinterpreten (ego) bereits vorgeprägt.162 GRÜNSCHLOẞ formuliert dazu: „Mutmaßungen über Gottes Verhältnis zu anderen Menschen und deren Verhältnis zu Gott unterliegen in massiver Weise dem eschatologischen Vorbehalt, weil sie in einem Relationsgefüge von einer Art dreifachen Kontingenz strukturiert sind (aus der Perspektive von Ego).“163
Vereinfacht kann eine dreifache Kontingenz exemplarisch anhand von Ez 25,1–5 aufgezeigt werden. Der Textraum von VV 1–5 eröffnet auf der Erzählebene eine doppelte Kontingenz, indem JHWH (totaliter aliter) zu Israel (ego) redet. JHWH teilt sich seinem Volk mit. Entgegen der Annahme von GRÜNSCHLOẞ, dass das Agieren des totaliter aliters dem ego/alter weitestgehend verborgen bleibt,164 tut JHWH seine Handlungsabsicht Israel kund. Die Drohung, dass er künftig maßregelnd gegen Ammon (alter) vorgehe, erweitert die doppelte Kontingenz zu einer dreifachen. JHWH plant an Ammon zu handeln und bringt somit sein Verhältnis zu ihm zur Sprache. Anstelle von Israel reagiert JHWH auf den Hohn Ammons (vgl. Ez 25,3) über die Zerstörung des Heiligtums und Landes sowie über die Wegführung Israels.165 Dies dokumentiert eine (enge) Beziehung zwischen JHWH und Israel. Demnach liegt es nahe, dass sich der Spott nicht nur gegen Israel, sondern darüber hinaus gegen den Gott Israels richtet.166 So könnten die Ammoniter den Hohn gegen JHWH anstimmen, da sie die Eroberung Jerusalems entsprechend dem altorientalischen Denken als Schwäche der Gottheit des Volkes Israel deuten oder meinen, dass JHWH sein Volk verlassen habe.167 160 161
162 163 164 165 166 167
Vgl. N. LUHMANN, Funktion, 184–186 und A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 291. Die Bezugsgröße totaliter aliter (Gott) ist nach A. GRÜNSCHLOẞ (Glaube, 290–291) der menschlichen Umschreibung entzogen. Das totaliter aliter nimmt innerhalb der dreifachen Kontingenz eine Sonderstellung ein, da über Gott nur Vermutungen angestellt werden können. Denn entweder trifft das menschliche Subjekt Aussagen über Gott, die nur sagen, wie das totaliter aliter nicht ist. Oder es wird sich über ihn geäußert mit dem Bewusstsein, dass die Gott zugeschriebenen Eigenschaften und Merkmale von ihm um ein Vielfaches übertroffen werden. Obwohl das totaliter aliter (Gott) der menschlichen Beschreibung entzogen ist, hebt GRÜNSCHLOẞ (ebd. 295) mit Friedrich BEISSER (Claritas Scripturae bei Martin Luther [FKDG 18], Göttingen 1966, 188) hervor, dass Gott einer ist, der gegenüber und am Menschen tätig wird. Vgl. E. BONS, Völker, 13–14 und M. ZEHNDER, Umgang, 21–23. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 291. Vgl. ebd. 295. F. SEDLMEIER, Ezechiel 25–48, 21. Siehe unten S. 76–78. Vgl. K. SCHÖPFLIN, Biographie, 239–240; dies., Tyrosworte, 204–205 und F. SEDLMEIER, Ezechiel 25–48, 30–31.
Problemstellung
45
Ammon würde somit nicht das eigene Ergehen interpretieren, sondern das wahrgenommene Schicksal Israels. Einschränkend muss berücksichtigt werden, dass mittels der alttestamentlichen Texte nur eine Deutungsperspektive Israels greifbar wird. Die Interpretation der Völker (alter) ist in den alttestamentlichen Texten nicht explizit erfasst.168 Die Deutungshoheit für Mutmaßungen über das Verhältnis JHWHs zu den Nationen liegt im Buch Ezechiel bei Israel.169 Für die Frage nach den Konstellationen und Relationen zwischen Israel, JHWH und den Völkern wird die dreifache Kontingenz folgendermaßen fruchtbar gemacht. Mit Hilfe der von GRÜNSCHLOẞ postulierten dreifachen Kontingenz lässt sich beschreiben, dass eine religiöse Gemeinschaft wie Israel, dessen Lebensalltag und Religiosität eng miteinander verwoben sind, jede Begegnung mit dem Fremden im Horizont der Beziehung zur eigenen Gottheit deutet.170 Israel, das sich als Volk JHWHs versteht, bindet seine Relation zu den Nationen an seine Beziehung zu JHWH zurück. Dabei stellt es zugleich Mutmaßungen darüber an, in welchem Verhältnis auch die Nationen zu JHWH stehen. Es geht daher nicht nur um das Verhältnis Israels zu den Nationen, sondern darum, wie Israel seine Relation zu den Völkern im Horizont seiner Beziehung zu JHWH deutet.171 Während jedoch GRÜNSCHLOẞ den Fokus in seinen Untersuchungen auf die „Wahrnehmung“ des Fremden ausrichtet, wendet sich die vorliegende Arbeit stärker einer Beziehungsbeschreibung und Verhältnisbestimmung zu. In seinen „Studien zur interreligiösen Fremdwahrnehmung“ deutet er selbst – im Kontext seiner Ausführungen über die biblisch-christlichen Mutmaßungen – eine „Verhältnisbestimmung“172 des Eigenen gegenüber dem/den Anderen an. Indem er auf den Kontingenz-Begriff LUHMANNs rekurriert und diesen zur dreifachen Kontingenz weiterentwickelt, integriert er latent den Aspekt der „Interaktion“ und geht somit über ein bloßes „Wahrnehmen“ hinaus.173
168
Vgl. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 288–290. – Die Deutungshoheit liegt nach Göran EIDE(Prophecy and Propaganda. Images of Enemies in the Book of Isaiah [CB.OT 56], Winona Lake 2009, 130–131) in Ez 25,1–5 bei Israel (ego). Israel deutet erzählerisch (hierzu U. BAIL, Textraum, 144) seine Erfahrung der Zerstörung des Landes und die Exilierung im Horizont der Völker (alter). In den Völkerworten reagiert Israel, indem es nicht nach der Ursache für die Wegführung aus dem Land fragt, sondern die Reaktion des Gegenübers erzählt. Israel nutzt z.B. die negative Darstellung Ammons (vgl. Ez 25,1–3), um sich von ihm abzugrenzen. Vgl. S. OHNESORGE, Zukunft, 274–276 und Rolf RENDTORFF, Ez 20 und 36,16ff im Rahmen der Komposition des Buch Ezechiels, in: Johan LUST u.a. (Hgg.), Ezekiel and his Book. Textual and Literary Criticism and their Interrelation (BETL LXXIV), Leuven 1986, 260–266, 262–264. Vgl. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 288–290. Vgl. S. OHNESORGE, Zukunft, 273–274 und R. RENDTORFF, Ez 20, 262. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 284. Ebd. 289–291. VALL
169
170 171 172 173
46
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Die Rede von der dreifachen Kontingenz ermöglicht es weiterhin, Abstand zu nehmen von einem hierarchischen Modell JHWH – Israel – Völker. Wenn die Relation JHWH – Israel – Völker mit Hilfe des Modells von Andreas GRÜNSCHLOẞ und dem Terminus der „Dreiecksbeziehung“174 von Florian MARKTER betrachtet werden soll, so ist es sinnvoll, die hierarchische Reihe von JHWH – Israel – Völker durch eine sprachliche Umstellung in Israel – JHWH – Völker zu durchbrechen. Somit wird die (vermittelnde) Scharnierstelle, die Israel auf den ersten Blick einnimmt,175 aufgelöst und JHWH als Bezugspartner für Israel und die Völker ins Zentrum gerückt.176
1.2.2 „Beziehung“, „Relation“ und „Konstellation“ – Arbeitsbegriffe Die (religions-)soziologisch gebrauchten Termini ego, alter und totaliter aliter werden in den nachstehenden Ausführungen nicht fortgeführt, da die zu analysierenden Texte (A.2.1) konkrete Akteure benennen. Zentrale Arbeitsbegriffe sind dagegen Beziehung 1., Relation 2. und Konstellation 3. Diese drei Termini sind im hebräischen Text des Ezechielbuches nicht zu finden. Sie bilden aber Oberbegriffe, die zusammenfassen, dass die Akteure sich in irgendeiner Weise zu einander verhalten. 1. Der Soziologe Boris HOLZER fasst unter dem Terminus Beziehung eine Reihe von Interaktionen, die wiederum neue Interaktionsepisoden auslösen, zusammen. Ihm zufolge kann Beziehung „nur durch und als Kommunikation“177 bestehen. Beziehung ist demnach ein soziales Verhältnis zwischen mindestens zwei Bezugsgrößen.178 Wobei zum einen in der
174
175 176
177
178
F. MARKTER, Transformationen, 516. – Derselbe spricht in seinen Untersuchungen zum Ezechielbuch von einer „Dreiecksbeziehung“ zwischen JHWH, Israel und den Völkern. Er benutzt dabei aber eine hierarchische Reihenfolge der drei Bezugsgrößen, da seine Argumentation von der Erwählung Israels herkommend gelenkt wird. Vgl. H. W. SCHMIDT, Zukunftsgewißheit, 4 und M. ZEHNDER, Umgang, 286–288. Das Orientierungszentrum bleibt weiterhin Israel, da es aufgrund der Verfasserschaft des Textes die Deutungshoheit für das Verhältnis JHWHs zu den Völkern sowie JHWHs zu sich übernimmt. Mit der Umstellung wird aber sichtbar, dass Israel seine Relation zu JHWH im Kontext der Völker verortet. Die Mittelstellung JHWHs drückt aus, dass von JHWH ausgehend zu Israel sowie zu den Völkern hin eine Beziehung angenommen wird, die nicht zwingend durch einen der beiden Interaktionspartner vermittelt sein muss. Boris HOLZER, Von der Beziehung zum System – und zurück? Relationale Soziologie und Systemtheorie, in: Jan FUHSE/Sophie MÜTZEL (Hgg.), Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung (Netzwerkforschung 2), Wiesbaden 2010, 97–116, 103. Vgl. Béla WEISSMAHR, Art. Relation/Beziehung, in: PhW, Freiburg i. Br. 2010, 408– 410, 409.
Problemstellung
47
Beziehung kommuniziert und zum anderen über die Beziehung gesprochen wird.179 Bei der Übertragung des Beziehungsbegriffs auf die im Folgenden zu untersuchenden Perikopen wird vorausgesetzt, dass Israel, JHWH und die Völker irgendwie in einem Verhältnis zueinander stehen. Mit dem von HOLZER definierten Beziehungsbegriff ist anzunehmen, dass eine Form von Kommunikation180 stattfindet. JHWH spricht zu (vgl. Ez 6,2–3) und über (vgl. Ez 20,5b–29) Israel. Er redet über die Völker, aber nicht zu den Völkern (vgl. Ez 36,2–7). Es findet keine Rede Israels zu den Völkern oder zu JHWH hin statt. Der mit Beziehung verbundene Interaktionsbegriff kann nur eingeschränkt übernommen werden. In den zu bearbeitenden Perikopen lassen sich Spuren zeigen, dass JHWH mit seinem Volk Israel interagiert.181 Allerdings tritt Israel in keine Interaktion mit den Nationen, sondern maximal sind es die Völker, die an und gegenüber Israel (und JHWH) agieren (vgl. Ez 36,2–5). In einem Werkstattpapier der Arbeitsgruppe „Lernen in gesellschaftlicher Transformation“ (2013)182 differenziert Ortfried SCHÄFFTER zwischen den Begriffen Beziehung und Relation. Er meint, dass Beziehung im Verdacht stehe, eine bestimmungsbedürftige183, alltagsnahe Kategorie zu sein. „Relationalität“ dagegen könne eher als eine metatheoretische Kategorie verstanden werden, die zur Beschreibung von Beziehungsstrukturen dient. Demgemäß komme „Relation/Relationalität“ eine deskriptive
179 180
181 182
183
Vgl. B. HOLZER, Beziehung, 101–103. „Kommunikation“ (dazu Rüdiger FUNIOK, Art. Kommunikation, in: PhW, Freiburg i. Br. 2010, 244–245, 244) vom lateinischen communicatio herkommend bedeutet: Mitteilung, Austausch, Verständigung oder Gemeinschaft. Es gibt drei Ebenen der Kommunikation intrapersonal, interpersonal und medienvermittelt. Die interpersonale Kommunikation basiert auf vier Aspekten dem Sachverhalt, einem Appell, einer Beziehungsaussage sowie einer Selbstoffenbarung des Sprechenden. Der masoretische Text des Ezechielbuches ist entsprechend der Definition R. FUNIOKs als medienvermittelnde Kommunikation einzustufen. Die Mitteilung (Kommunikation) der Akteure auf der Erzählebene in den Texten hingegen gestaltet sich vordergründig interpersonal, wenn JHWH als (Haupt-)Akteur postuliert wird. Dabei wird nicht von vornherein eine dialogische Kommunikation angenommen, sondern das Augenmerk liegt darauf, dass es einen Sender gibt der sich an einen Empfänger mitteilt, ohne dass dieser darauf zwingend antworten muss. Siehe unten S. 130. Ortfried SCHÄFFTER, Soziale Beziehung aus relationslogischer Sicht. Vorschlag zu einer relationslogischen Heuristik, online unter: https://www.erziehungswissenschaften.huberlin.de/de/ebwb/team/schaeffter/bez., 28.7.2015 (17.00 Uhr). Egon SPIEGEL (Art. Beziehung, in: LexRP 1, Neukirchen-Vluyn 2001, Sp. 1661– 1665) stellt wie O. SCHÄFFTER heraus, dass Beziehung nur vage definiert ist. Als „Nachbarbegriff“ (dazu ebd. Sp. 1661) zu Beziehung führt SPIEGEL „Begegnung“ an. Im Beziehungsbegriff werde die Extensität der sozialen Relation deutlich, während Begegnung deren Intensität widerspiegle.
48
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Funktion zu, während Beziehung weitreichender/allgemeiner zu verstehen sei. 2. Jan P. BECKMANN und Hans C. SCHÖNDORFF stellen anhand der lateinischen Ableitung des Wortes Relation von relatio184 ([Rück-] Bezug) heraus, dass Relationen generell Zusammenhänge zwischen Gegenständen, Eigenschaften, Begriffen etc. abbilden.185 Béla WEISSMAHR hebt demgegenüber hervor, dass die Relation selbst die Grundlage für einen Zusammenhang biete, denn ohne die Relation würden einzelne Fakten isoliert nebeneinander gesetzt.186 Er exemplifiziert seine Ausführungen anhand der Sprache. „Sprache setzt einerseits vielfältige R[elation]en der Gegenstände bzw. die R[elation]en zwischen Zeichen und Bezeichneten voraus, andererseits ist sie selbst ein B[eziehung]sgefüge der Zeichen.“187 Dementsprechend könne ein Gedankengang nur aufgrund von Relationen fortgeführt werden. WEISSMAHR spricht von einem „Voranschreiten“188, womit dem Relationsbegriff eine innere Dynamik zugrunde gelegt wird. Diesen Aspekt rechnet WEISSMAHR einem personal gedachten Relationsbegriff zu,189 bevor er in begriffs- und philosophiegeschichtliche Überlegungen übergeht. Athanasios KARAFILLIDIS greift für den Relationsbegriff den Gedanken des „Entgegen-Setzens“190 auf. Er betont: „Wer über Relationen spricht, muss auch über Grenzen sprechen.“191 Übertragen auf Israel, JHWH und die Völker bedeutet dies, dass die drei Bezugsgrößen einander gegenübergestellt werden. Sie stehen in einem Verhältnis zueinander und grenzen sich gleichzeitig voneinander ab. Nach KARAFILLIDIS ist eine Grenze weder positiv noch negativ zu werten. Seiner Meinung nach geht es um eine Unterscheidung, die notwendig ist, damit Relation entstehen 184
Jan P. BECKMANN/Hans C. SCHÖNDORFF, Art. Relation, in: LThK 8, Freiburg i. Br. 2009, Sp. 1028–1030, Sp. 1028. Vgl. ebd. Sp. 1028. Vgl. B. WEISSMAHR, Relation, 408. – WEISSMAHR (vgl. ebd. 408) übernimmt nicht die von O. SCHÄFFTER (vgl. Beziehung) vorgeschlagene Differenzierung zwischen den Termini Beziehung und Relation, sondern er verwendet diese synonym. B. WEISSMAHR, Relation, 408. Vgl. ebd. 408. Vgl. ebd. 408–409. Vgl. Athanasios KARAFILLIDIS, Grenzen und Relationen, in: Jan FUHSE/Sophie MÜTZEL (Hgg.), Relationale Soziologie. Zur kulturellen Wende der Netzwerkforschung (Netzwerkforschung 2), Wiesbaden 2010, 69–96, 69–70. – In der sechsten Auflage des Philosophischen Wörterbuches (1976) von Max APEL und Peter LUDZ (Philosophisches Wörterbuch, Berlin/New York 61976, 49) wird unter dem Stichwort Beziehung auf den Begriff Relation verwiesen. APEL und LUDZ verwenden Relation synonym mit Beziehung (vgl. ebd. 240). Davon leiten sie die Definition für „Relationsbegriffe“ ab, bei denen es sich ihrer Meinung nach um Ausdrücke handelt, die etwas miteinander vergleichen und Gegensätzliches einander gegenüberstellen. Sie deuten somit den Aspekt des „Entgegen-Setzens“ für den Relationsbegriff an. A. KARAFILLIDIS, Relationen, 69. 3
185 186
187 188 189 190
191
Problemstellung
49
und sich etablieren kann.192 Die in den zu analysierenden Texten fassbaren Grenzziehungen zwischen Israel und den Völkern sind somit nicht negativ oder positiv vorkonnotiert, sondern sie weisen erst einmal nur auf die Eigenarten der jeweiligen Bezugsgröße hin.193 Der dieser Arbeit zugrunde gelegte Relationsbegriff beinhaltet somit dynamische Aspekte des Terminus Beziehung sowie den Verweis darauf, dass das „Sich-In-Beziehung-Setzen“194 zu einem anderen einer Unterscheidung bedarf, die nicht von vornherein als Abwertung des anderen gedeutet werden kann.195 3. Um die sich ändernden Beziehungsstrukturen zwischen Israel, JHWH und den Völkern näher zu beschreiben, ist es notwendig, einzelne Konstellationen isoliert zu betrachten. Jan ASSMANN prägt den Terminus Konstellationen anhand der ägyptischen Ikonographie. Es geht ihm darum, den ikonographisch dargestellten ägyptischen Mythos zu versprachlichen, ohne diesen in einen narrativen Zusammenhang einzubinden.196 Für dieses Vorgehen wählt er den Terminus „Konstellation“197. Diese Begriffsdefinition wird für die vorliegende Studie entlehnt. So lässt sich mittels der Konstellation die „Zu-Einander-Ordnung“198 der Bezugsgrößen erst einmal nur abbilden, ohne sie in einen Entwicklungszusammenhang zu stellen. Damit ist es möglich, einzelne Beziehungsstrukturen näher anzusehen und diese miteinander zu vergleichen, um die Veränderungen in ihrem Entwicklungszusammenhang stärker herauszuarbeiten. Die Konstellationen Israel – JHWH – Völker geben in einer konkreten Erzählsituation 192 193 194
195 196
197 198
Vgl. ebd. 81. Vgl. ebd. 81–83. J. P. BECKMANN (Relation) formuliert hierzu: „Aussagenlogisch treten R[elation]en als zwei- od. mehrstellige Prädikate auf (z.B. ,x ist größer als yʻ; ,x ist in bezug auf y besser als zʻ)“ (Sp. 1028). Vgl. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 233–235; B. HOLZER, Beziehung, 102–103 und A. KARAFILLIDIS, Relationen, 81. Vgl. Jan ASSMANN, Die Zeugung des Sohnes. Bild, Spiel, Erzählung und das Problem des ägyptischen Mythos, in: ders. u.a. (Hgg.), Funktionen und Leistungen des Mythos. Drei altorientalische Beispiele (OBO 48), Fribourg/Göttingen 1982, 13–61, 14 und 39–40. Ebd. 13. Andrea KRAUẞ (Lenz unter anderem. Aspekte einer Theorie der Konstellation, Zürich 2010) verdeutlicht den Begriff Konstellation anhand der lateinischen Ableitung (diesbezüglich auch Ansgar NÜNNING, Art. Figurenkonstellation, in: ders. [Hg.], Metzler Lexikon. Literatur- und Kulturtheorie, Ansätze – Personen – Gattungen, Stuttgart 5 2013, 214) von constellatio (Stellung der Gestirne). KRAUẞ (Konstellation) schreibt: „Wer von der Erde aus in den Himmel blickt, um die Stellung der Sterne zueinander, Konstellationen, zu ,lesenʻ, wird zum […] Beobachter im Verhältnis zum fortlaufend sich verschiebenden Untersuchungsobjekt und er beobachtet eine rätselhaft strukturierte ,Flächeʻ, die sich nur dann zu erkennbaren Sternbildern konstelliert, wenn in das Streugebiet ordnungsloser Lichtpunkte ein ,äußerlichesʻ Wissen einschließt, wenn signifikante Muster dieses von sich her unspezifische Gebilde als lesbar hervorbringen“ (7).
50
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
wieder, wie die einzelnen Bezugsgrößen, unabhängig vom weiteren Erzählverlauf, zueinander stehen. Während mit dem Relationsbegriff die sich in Zeit und Raum verändernde Beziehung nachgezeichnet wird, isoliert der Begriff der Kostellation einen Aspekt der sich wandelnden Beziehungsstruktur Israel – JHWH – Völker für ein punktuelles Ereignis. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der eingangs angeführte Terminus Beziehung für die vorliegende Arbeit als „übergeordneter Begriff“ definiert wird, dem die Relationen und Konstellationen innewohnen. Beziehung beinhaltet demnach das dynamische „Sich-In-Beziehung-Setzen“ der Relation199 ebenso wie den statischen Aspekt eines „Zu-Einander-Ordnens“ der Konstellation. Beide Aspekte lassen sich nur idealtypisch voneinander unterscheiden.
1.3
Problemstellung zum Ezechielbuch
Aus dem Forschungsüberblick ergeben sich im Zusammenhang mit den vorgestellten (religions-)soziologischen Überlegungen Themen, für welche die bisherige Fremdvölkerforschung zur Schriftprophetie nur verkürzte Antworten gab oder diese weitestgehend unberücksichtigt ließ. In der vorliegenden Arbeit wird der Fokus auf die Konstellationen und Relationen Israels, JHWHs und der Völker im Buch Ezechiel gelenkt. Ausgehend von der innerbiblischen Terminologie für die Benennung des Fremden anhand der Termini yrkn, rz, rg und bvwt ist es möglich,200 die mit den Bezeichnungen verbundenen (positiven/negativen) Deutungen für den Fremden herauszuarbeiten.201 Eine Beschränkung auf diese Begriffe ist jedoch für die vorliegende Studie unzureichend, da die genannten Termini in der Regel das Verhältnis des einzelnen Fremden gegenüber einer Mehrheit wiedergeben.202 Die Frage nach den Konstellationen und Relationen zwischen Israel, JHWH und den Völkern dagegen fokussiert sich nicht auf das Individuum in einer Gemeinschaft, sondern auf die Gemeinschaft an sich. Zusätzlich müssen daher konkrete Völkernamen sowie kollektive, allgemeine Bezeichnungen wie ~[ und ywg betrachtet werden. Die innerbiblisch genutzte
199 200 201 202
A. NÜNNING (Figurenkonstellation, 214) subsumiert die Darstellung der beiden Aspekte von Beziehung unter die Figurenkonstellation der narrativen Analyse. Vgl. E. M. DÖRFUẞ, Volk, 1427 und H. D. PREUẞ, Handeln, 56–58. Vgl. A. BERLEJUNG/A. MERZ, Fremder, 192–194. Vgl. Josef SCHREINER, Altes Testament, in: ders./Rainer KAMPLING (Hgg.), Der Nächste – der Fremde – der Feind. Perspektiven des Alten und Neuen Testaments (NEB.T 3), Würzburg 2000, 9–54, 33–36.
Problemstellung
51
Terminologie trägt zur sprachlichen Erfassung der Konstellationen Israel – JHWH – Völker bei.203 Anhand der getroffenen Aussagen wird deutlich, dass die bisherige Fremdvölkerforschung zur Schriftprophetie sich vor allem auf die Relation Israel – Völker beschränkt. Der Schwerpunkt liegt dabei primär auf der Identitätsbildung Israels in Abgrenzung204 zu den Völkern oder auf der Vermittlung vom Heil JHWHs an die Völker durch Israel.205 Dabei werden Modelle der Verhältnisbestimmung Israels und der Völker benannt, die von einer feindlich exkludierenden Haltung bis zu einer universellen, den Völkern durch Israel Heil vermittelnden Öffnung, reichen. Die dazwischen bestehenden Schattierungen werden zwar gesehen, aber zumeist nicht näher ausgeführt.206 Mit den Untersuchungen von Andreas GRÜNSCHLOẞ und Florian MARKTER wird eine Dreiecksbeziehung Israel – JHWH – Völker (Trias207) postuliert,208 welche die hierarchische Perspektive auf das Verhältnis der drei Akteure zueinander auflöst. Die Annahme einer solchen Trias trägt dazu bei, das Verhältnis zueinander nicht nur in seiner statischen Konstellation zu erfassen, sondern Wechselbeziehungen zwischen den drei Akteuren aufzuzeigen, die die Dynamik der Beziehung wiedergeben und die Identitätsbildung Israels mit beeinflussen.209 Es ist somit zu klären, ob auch eine unmittelbare (religiöse) Beziehung210 der Völker gegenüber JHWH im Buch Ezechiel 203
204 205 206 207 208 209
210
Die von G. BAUMANN und M. HÄUSL (Fremdes, 253–254) vorgeschlagenen terminologischen Erweiterungen werden zur Darstellung einer wechselseitigen Beziehung der Relationspartner Israel – JHWH – Völker herangezogen. Sie bedürfen jedoch einer Ergänzung für das Buch Ezechiel. Vgl. E. BONS, Völker, 13–15 und M. HÄUSL, Zugänge, 17–18. Vgl. M. HÄUSL, Zugänge, 22–23 und M. ZEHNDER, Umgang, 17–19. Vgl. M. ZEHNDER, Umgang, 18–20. Vgl. A. GRÜNSCHLOẞ, Glaube, 288–291. Vgl. ebd. 288-290 und F. MARKTER, Transformationen, 516. Vgl. M. GROHMANN, Diskontinuität, 33–35 und Iulia-Karin PATRUT/Herbert UERLINGS, Inklusion/Exklusion und die Analyse der Kultur, in: dies. (Hgg.), Inklusion/Exklusion und Kultur. Theoretische Perspektiven und Fallstudien von der Antike bis zur Gegenwart, Weimar/Wien 2013, 9–48, 36. Vgl. W. GROẞ, Völker, 277–279 und ders., Religionen (1999), 296–298. – S. RIECKER nennt in seiner Monographie „Ein Priestervolk für alle Völker“ mit Hilfe Walter BRUEGGEMANNs (The „Uncared for“ Now Cared for [Jeremiah 30:12–17]. A Methodological Consideration, in: Ders., Old Testament Theology. Essays on Strucure, Theme, and Text [hg. v. Patrick D. MILLER], Minneapolis 1992) Modelle (dazu S. RIECKER, Priestervolk, 130–132), wie die Völker erzählerisch in eine unvermittelte religiöse Beziehung zu JHWH gestellt werden können. In erster Linie werden für Israel charakteristische Theologumena (wie z.B. der Exodus Am 9,7 oder dass Israel das Volk JHWHs ist Jes 19,24–25) auf die Völker übertragen. In einem zweiten Modell wird das Heilshandeln JHWHs an den Völkern beschrieben (z.B. Jes 19,22 Gebetserhörung). Die Übernahme von typischen, israelitischen, religiösen Kulthandlungen durch die Völker stellt eine dritte Variante dar (vgl. Jes 19,21). Diese Modelle werden mit Hilfe von W. BRUEGGEMANN („Uncared for“, 300) um ein weiteres ergänzt. Er geht davon aus, dass die Gerichtshandlung JHWHs an den Völkern eine
52
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
beschrieben wird. Durch die Erweiterung zu einer Trias ist es möglich, die Relation Israel – JHWH – Völker komplexer zu denken. Beziehungsangebote und -krisen werden dazu dargestellt, weil an ihnen die Dynamik der Relation sichtbar ist.211 Das vielschichtige Verhältnis der Völker zu JHWH wird vor allem dann offenkundig, wenn der Fokus nicht allein auf einem gerichtlichen Wirken Gottes an den Nationen liegt. Demnach ist eine Textauswahl notwendig, die über die klassisch eng definierten „Fremdvölkersprüche“212 (Völkerworte) hinausgeht. Dennoch können sie nicht ganz außer Acht gelassen werden, da sie eigene Modelle für die Beziehungsstruktur zwischen Israel, JHWH und den Völkern aufweisen. Zumeist wird in ihnen ein Modell der abgrenzenden Identitätsbildung Israels identifiziert, welches als eine unter mehreren Möglichkeiten der Beziehungsgestalt Israel – JHWH – Völker zu berücksichtigen ist,213 denn die Komplexität der Beziehung wird nur dann sichtbar, wenn die verschiedenen Zwischenschattierungen nicht nur wahr-, sondern gleichermaßen ernst genommen werden. Die zu analysierenden Perikopenabschnitte Ez 6,1–14; 20,1–44 und 36,1–38 umfassen solche allgemeinen Reden über die Völker und deren Schicksal. Sie stellen keine Völkerworte im klassischen Sinne dar.214
211
212
213 214
unvermittelte (religiöse) Beziehung darstellt, die heilvolle Aspekte zur Wiederherstellung der Nationen beinhalten kann. Vgl. M. GROHMANN, Diskontinuität, 17–19 und Rolf von UNGERN-STERNBERG, Redeweisen der Bibel. Untersuchungen zu einzelnen Redewendungen des Alten Testaments (BSt 54), Neukirchen-Vluyn 1968, 36–37. V. PREMSTALLER, Fremdvölkersprüche, 266. – Die Diskussion über eine angemessene Bezeichnung der Völkerworte ist aufgrund der inhaltlichen Kriterien (vgl. oben S. 22 und 31), die zur Einordnung eines Textes in diese herangezogen werden, relevant. Die Debatte über ihre inhaltliche Bestimmung greift Themen wie die Frage nach dem Gericht, dem Heil und der Zuwendung JHWHs sowohl gegenüber Israel als auch gegenüber den Völkern auf, die gleichfalls die Beziehungsgestalt Israel – JHWH – Völker tangieren. Vgl. M. GROHMANN, Diskontinuität, 34–35 und W. GROẞ, Völker, 277–279. Vgl. J. BARTHEL, Völkerspruch, 1427. – Obwohl Ägypten (Ez 20,5e.6aI.8eI2.9aIR2I. 10a) und Edom (Ez 36,5b) benannt werden, so sind diese Texte keine vergleichbaren Völkerworte, wie B. HUWYLER sie festlegt (vgl. Ez 25,12–14; 29–32; 35).
2.
Entwickeln eines Lösungsansatzes
Markus ZEHNDER hält allgemein über die Begegnung zwischen Israel und den (fremden) Völkern im Alten Testament fest: Das „Verhältnis zwischen Israel und den Völkern […], ist alles andere als homogen, sondern durch zahlreiche verschiedene Schattierungen geprägt. Es [… wird] sowohl vom feindlichen Ansturm der Völker auf Jerusalem wie auch von ihrem friedlichen Zug zum Zion gesprochen, von der Unterwerfung der Völker unter das Gericht Gottes, wie auch von ihrer Einbeziehung ins Heil Gottes für Israel; […]. All diese Erwartungen erfahren im Detail sehr unterschiedliche Ausgestaltungen. Sie finden sich oft in einem spannungsvollen Nebeneinander innerhalb eines einzelnen Buches, ja manchmal eines Kapitels.“1
Die von ZEHNDER benannte Komplexität lässt sich für das Buch Ezechiel aufweisen. Exemplarisch soll dazu die Beziehung zwischen Israel, JHWH und den Völkern am konkreten Textraum von Ez 6; 20 und 36 analysiert werden. Die getroffene Textauswahl wird in A.2.1 begründet. Um das methodische Vorgehen (A.2.3) festzulegen, muss im Vorfeld für das Textgebäude des Ezechielbuches ein erster Überblick über Gestaltungselemente der Relation Israel – JHWH – Völker (A.2.2) gegeben werden. Der Akzent liegt dabei auf den Völkerworten (Ez 25–32.35.38–39). Mit Hilfe des Gesamtüberblickes über das Ezechielbuch werden Thesen formuliert, die inhaltliche Schwerpunkte für die Textanalyse von Ez 6; 20 und 36 (B.1–B.3) vorgeben. Darüber hinaus dienen sie als Kriterien für eine Gegenüberstellung der Ergebnisse der Analysen von Ez 6; 20 und 36 in Kap. C.1.
2.1
Begründung der Textauswahl von Ez 6; 20 und 36
Erzählerisch bildet die Erfahrung der Zerstörung Jerusalems und der Deportation Israels einen gemeinsamen Referenzpunkt für die Perikopen Ez 6; 20 und 36. Der Erzählrahmen reicht von der Ankündigung des Zornesgerichts JHWHs an Israel über einen Zeitpunkt kurz vor der Verwüstung Jerusalems bis hin zu der Zeit nach der Zerstörung und Wegführung Israels unter die Nationen. Die zu untersuchenden Texte lassen sich wie folgt in den Erzählrahmen einordnen. 1. In Ez 6 kündigt JHWH seinen Zorn und sein Gericht gegenüber dem Haus Israel an.2 Jerusalem und das Heiligtum sind entsprechend dem Erzähl1 2
M. ZEHNDER, Umgang, 540. Vgl. Moshe GREENBERG, Ezekiel 1–20. A new Translation with Introduction and Commentary (AncB 22), Garden City/New York 1983, 186–187.
54
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
verlauf des Ezechielbuches noch nicht zerstört. Von der Erzähllogik her ist dies nicht möglich, da eine Zerstörung der Stadt Jerusalem nur dann erfolgen kann, wenn die dwbk3 (Herrlichkeit) JHWHs aus dem Tempel ausgezogen ist (Ez 10,18–19).4 2. Ez 20 dagegen setzt den Auszug der Herrlichkeit JHWHs aus dem Jerusalemer Tempel voraus. Der Untergang von Stadt und Tempel ist aber noch nicht erfolgt. Die Verwüstung wird erst in Ez 24,25–27 angekündigt und durch den Entkommenen in Ez 33,21–22 bestätigt. Mit der Zerschlagung Jerusalems und der Vernichtung des Tempels entfällt für Israel nicht nur ein Identitätsmarker5, sondern es verliert ebenso den Schutz für die Stadt, welcher auf der Anwesenheit der Gottheit im Tempel beruht.6 Ulrike BAIL leitet aus der Verlusterfahrung für die Identität Israels ab: 3
4
5 6
Vgl. Bernd JANOWSKI, Gottes Gegenwart in Israel (Beiträge zur Theologie des Alten Testaments 1), Neukirchen-Vluyn 22004,134–136 und D. Hans SCHMIDT, Die großen Propheten (SAT II/2), Göttingen 21923, 427–429. – In dem der dwbk (Herrlichkeit, dazu Pieter DE VRIES, The Kābôd of YHWH in the Old Testament. With Particular Reference to the Book of Ezekiel [SSN 65], Leiden 2016, 50–51) erneut in das Jerusalemer Heiligtum Einzug hält (Ez 43,1–9), wohnt JHWH inmitten von Israel. Ez 43,7 beinhaltet die Zusage an Israel, dass Gott in seinem Volk anwesend ist. Das Heiligtum wird zur Stätte seiner Fußsohlen und seines Thrones. Für A. KLEIN (Schriftauslegung, 90) bildet die Verbindung zwischen der Rede von der Präsenz JHWHs in seinem Volk und der Aufforderung, den Namen JHWHs nicht mehr zu entweihen, einen Hinweis auf priesterschriftliche Einflüsse. Sie verweist (vgl. ebd. 192–193) dabei auf die Präsenzzusage JHWHs in der Sinaiperikope (Ex 19,1 bis Num 10,10). K.-F. POHLMANN (Krise, 46) geht davon aus, dass das Buch Ezechiel sich im Spannungsfeld um die gebundene Präsenz der Herrlichkeit JHWHs in seinem Heiligtum und der beginnenden Loslösung der Nähe Gottes vom Tempel befindet. Diese Spannung äußert sich seiner Meinung nach entsprechend Ez 11 und Ez 40–48, folgendermaßen: „Insgesamt will die Kabod – Vorstellung darauf hinaus, daß zum einen die Annahme einer absoluten Präsenz Jahwes im Tempel aufgegeben ist, zum anderen aber doch eine enge Bindung auch an den zweiten Tempel über Jahwes Kabod garantiert ist“ (46). Die prophetische Kritik richtet sich somit gegen ein falsches Verständnis vom Schutz der dwbk (Herrlichkeit), welches in gesteigerter Form zum Hochmut Israels und zu einer übersteigerten Selbstsicherheit führt, die sich bis zu einer Trägheit gegenüber der Gottheit weiterentwickelt. Die Klage über die Nachlässigkeit der Priester Israels im Kult in Ez 44,6–8 macht dies deutlich. Joseph REINDL (Zwischen Gericht und Heil. Zum Verständnis der Prophetie Ezechiels, in: Gerhard WALLIS [Hg.], Zwischen Gericht und Heil. Studien zur alttestamentlichen Prophetie im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr., Berlin 1987, 58–90, 80) meint, dass sich die Verkündigung der Preisgabe des Jerusalemer Tempels an die in der Gola exilierten richtet. Das Buch Ezechiel bewege sich zwischen der Gruppe der Exilierten und der in Jerusalem verbliebenen Bevölkerung. Die Beziehung beider Gruppierungen erweise sich als Konflikt beladen (dazu P. DE VRIES, Kābôd, 282–283), weil die im Land Verbliebenen die Wegführung nutzen, um sich das Land der Exilierten anzueignen und dies mit ihrer scheinbar erwiesenen Gottesferne begründen (vgl. Ez 11,15). Vgl. K.-F. POHLMANN, Krise, 40–42 und W. ZIMMERLI, Gotteswort, 138–140. Nach K.-F. POHLMANN (Krise, 44–46) stellt die Begründung der Zerstörung der Stadt und des Jerusalemer Tempels Israel vor eine theologische Herausforderung. So galt
Entwicklung eines Lösungsansatzes
55
Der „Raum der unbedingten Anwesenheit Gottes in Jerusalem/Zion war die Mitte der symbolischen Ordnung für die ganze Welt. Mit der Zerstörung dieses Raumes stürzen nicht nur Mauern ein, sondern ein ganzes Weltbild […]. Die kollektive Identität in politischer, religiöser und persönlicher Hinsicht ist mehr als nur brüchig geworden.“7
3. Ez 36 setzt eine Verwüstung Jerusalems voraus. Israel ringt um seine fragile Identität als Volk JHWHs. Einerseits zeigt sich im illegitimen Greifen der Völker nach dem Land (vgl. Ez 36,3.5), dass Israel aufgrund seiner Vernichtung den Völkern ringsum schutzlos ausgeliefert ist. Andererseits folgen keine weiteren Unheils- und Gerichtsaussagen gegen Israel, sondern es wird vielmehr der Vollzug des Zornesgerichtes aus Ez 6 als erfüllt angesehen. Ein Bericht über die Vernichtung Jerusalems und des Heiligtums JHWHs wird weder in Ez 20 noch in Ez 36 gegeben. Aber beide Perikopen benennen, wie Ez 6 den Gotteszorn als Grundlage für das Vorgehen JHWHs gegen sein Volk.8 Rolf RENDTORFF argumentiert für eine textliche Nähe zwischen Ez 20 und 36 mithilfe von inhaltlichen und formkritischen Überlegungen. Er geht davon aus, dass Ez 36 eine Fortschreibung von Ez 20 ist.9 Exemplarisch führt er dazu Ez 20,39 an. In Ez 20,39 ergeht durch JHWH an Israel die Aufforderung den Mistgötzen weiter zu dienen. Verbunden damit ist die Ankündigung, dass der Name JHWHs künftig nicht mehr entweiht werde (Ez 20,39). Der Aufruf zum Mistgötzendienst legt – RENDTORFF zufolge – nahe, dass Israel illegitime Götzendienste praktiziert, die den Namen JHWHs gefährden. Ez 36,17–18 greife diesen Gedanken auf und entwickele ihn weiter. So erfolgt die Verunreinigung Israels nicht mehr nur durch Mistgötzendienste (V 18), sondern ebenso durch Gewalttaten (V 18).10 Einen weiteren Grund für die Entweihung des Namens führt VV 20–23 an. Gemäß VV 20–23 wird der Namen durch die Anwesenheit Israels in den Nationen entweiht.11
7 8 9 10 11
die von JHWH begründete und erwählte Stadt durch die Anwesenheit seiner Herrlichkeit (dwbk) und seines Namens (~v) im Tempel als uneinnehmbar und sicher. Die Verwüstung und Plünderungen (dazu W. MAYER, Zerstörung, 1–2) zeigen dagegen ein anderes Bild. Das Buch Ezechiel löst die sich daraus ergebende Schwierigkeit, indem es vom Auszug der Herrlichkeit JHWHs aus dem Jerusalemer Tempel (Ez 10,18– 19) vor der Zerstörungswelle berichtet und somit die Preisgabe Israels durch JHWH an die Babylonier erklärt. U. BAIL, Textraum, 144. Vgl. R. RENDTORFF, Ez 20, 260–261; F. SEDLMEIER, Ezechiel 1–24, 283–284 und siehe unten S. 308–309. Vgl. R. RENDTORFF, Ez 20, 262. Vgl. M. GREENBERG, Ezekiel 21–37, 733–734. Vgl. K.-F. POHLMANN, Hesekiel 20–48, 487–488 und Ka Leung WONG, Profanation/ Sanctification and the Past, Present and Future of Israel in the Book of Ezekiel, in: JSOT 28.2 (2003), 210–239, 218–219.
56
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Gilt Ez 36 zum einen als Fortschreibung zu Ez 20, so wird zum anderen angenommen, dass Ez 36,1–15 mit Ez 6 parallelisiert12 wird. Ez 6 und 36,1– 15 werden oft in einem Zusammenhang gesehen aufgrund der gemeinsamen Nennung der Berge Israels (larfy yrh, Ez 6,2.3; 36,1.4.8) und im weiteren Verlauf des Hauses Israel (larfy tyb, Ez 6,11; 36,10.17.21.22.32).13 Beide Textabschnitte ähneln sich im Aufbau, der durch die geänderte Bezeichnung der Akteure – von den Bergen Israels hin zum Haus Israel – geprägt wird. Anja KLEIN kritisiert, dass eine Begründung für die Parallelisierung von Ez 6 und 36, die nur auf einem analogen terminologischen Wandel basiert, unzureichend ist.14 Sie selbst vermutet ein literarisches Dreiecksverhältnis zwischen Ez 6,1–7; 35,1–15 und 36,1–15.15 12 13 14
15
Vgl. Tobias HÄNER, Bleibendes Nachwirken des Exils. Eine Untersuchung zur kanonischen Endgestalt des Ezechielbuches (HBS 78), Freiburg i. Br. 2014, 397–398. Vgl. ebd. 397–398. Vgl. Anja KLEIN, Schriftauslegung im Ezechielbuch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zu Ez 34–39 (BZAW 391), Berlin 2008, 326. – Sie wendet ein: „Indes ist ein Unterschied zwischen Ez 6 und Ez 36 zu notieren: In Ez 6 hält sich formal die Anrede an die Berge Israels durch (2. Per. mask. pl. in 6,1–10), sie wird aber im Laufe des literarischen Wachstums mehr und mehr zugunsten der Israeliten eingelöst (6,4.5b.6.8–10), bis schließlich von diesen in der 3. Person die Rede ist (vgl. 6,5a.11– 14). Dagegen tritt in Kap. 36 nach und nach das Land in den Vordergrund, das aber vergleichbar mit den personifizierten Bergen Israels als Gestalt angesprochen wird (36,6.12–15)“ (ebd. 331). Die von A. KLEIN (Schriftauslegung, 326) angenommene literarische Beziehung wird in dreifacher Weise begründet. 1. Einen Anhaltspunkt für die literarische Beziehung bilden die ähnlich konstruierten Redeaufforderungen an den Propheten in Ez 6,1–3; 35,1–3 und 36,1–3. 2. Ein weiterer Hinweis besteht im Wechsel der Bezeichnung für die Akteure über die gesprochen wird. 3. Weiterhin sind sie verbunden durch die Nennung der Landschaftselemente: rh (Berg) und ~yrh (Berge, Ez 6,2.3; 35,2.3.7. 8.12.15; 36,1.4.6.8). In allen drei Textabschnitten werden die Berge erweitert mit den Begriffen: h[bg (Hügel, Ez 6,3; 35,8; 36,4.6), ayg (Tal, Ez 6,3; 35,8; 36,4.6), und qypa (Bach, Ez 6,3; 35,8; 36,4.6). Trotz ihres literarischen Zusammenhanges bestehen aber kleinere Abweichungen zwischen den Perikopen. So wird in Ez 35,2 der Redeauftrag des Propheten im Gegensatz zu Ez 36,1–3 mit einem Hinwendungsgestus verbunden. T. HÄNER (Endgestalt, 39) beschreibt den Aufbau der Einleitung in die Gottesreden in Ez 6; 35 und 36 wie folgt. Die Gottesrede in Ez 36,1 wird eingeleitet mit der Aufforderung an den Propheten, den Bergen Israel zu weissagen. Dieser Redeauftrag verweist zurück auf Ez 6,1–3. Ein ähnlicher Auftrag ergeht an den Propheten in Ez 35,1–3. Nach Ez 35,2 wird Ezechiel beauftragt, gegen das Gebirge von Seïr zu prophezeien. Die Parallelität der Einleitungen von Ez 6,1–3 und 35,1–3 ist gegenüber 36,1–3 nicht gänzlich gegeben, da in Ez 36,1–3 die Wortereignisformel fehlt, die in Ez 6,1 und 35,1 vorhanden ist. Während in Ez 6,3 und 36,4.6 die Reihenfolge: rh, h[bg, qypa, ayg (Berge, Hügel, Bach, Tal) verwendet wird, nimmt Ez 35,8 eine Änderung der Abfolge vor in: rh, h[bg, ayg, qypa (Berge, Hügel, Tal, Bach). Nach KLEIN (Schriftauslegung, 324–326) können die Abweichungen zwischen den Texten durch das unterschiedliche redaktionelle Wachstum der drei Perikopenabschnitte Ez 6,1–7; 35,1–15 und 36,1–15 erklärt werden.
Entwicklung eines Lösungsansatzes
57
Tobias HÄNER dagegen verfolgt die These, dass Ez 6 und 36,24–38 in einem „Kontrastprogramm“16 zueinander stehen. Die Rede an die Berge Israels in Ez 36,3–4 bestätigt die Erfüllung der Gerichtsansagen JHWHs in Ez 6 dahingehend, dass das Land verwüstet wurde.17 Für eine Erschlagung der Israeliten – wie sie in Ez 6,4 phrophezeit wird – besteht in Ez 36 jedoch keine Parallele. Verbunden mit dem Bericht über das zerschlagene Israel sind in Ez 36,8–12.15.24–38 Heilsverheißungen an Israel. Die Heilszusicherungen in Ez 36 lösen die Drohungen JHWHs aus Ez 6,3–7.13–14 auf.18 Während Ez 6,4.5.7 die Erschlagung der Israeliten ankündigt, wird in Ez 36,37–38 eine Wiederbevölkerung der Berge Israels zugesichert. Die Vernichtung des Landes (Ez 6,14) wird durch den Wiederaufbau der Trümmerstätte in Ez 36,33–35 aufgehoben. Sogar der vernichtende Hunger (b[r) aus Ez 6,11.12 wird gewandelt, indem Ez 36,29 zusagt, keinen Hunger mehr über Israel zu bringen.19 Aus diesem Befund lassen sich erste thematische Bezüge zwischen Ez 6; 20 und 36 ableiten. Gemeinsame Themen sind: Zorn (Ez 6,12; 20,8; 36,18) und Strafe JHWHs20, Heils- (Ez 20,40–44; 36,8–12.15.24–38) sowie Unheilsreden21 (z.B. Ez 6,3–7; 20,25–26; 36,19). Eng verbunden damit ist ein weiteres Thema: die JHWH-Erkenntnis.22 Während das strafende Handeln JHWHs in Ez 6 dazu dient, dass Israel JHWH erkennt, so wird die Zornesrücknahme JHWHs vor den Augen der Völker zur Grundlage der Erkenntnis 16 17
18 19 20
21
22
Vgl. K. SCHÖPFLIN, Biographie, 245. T. HÄNER verweist auf B. GOSSE (Ezechiel 35 – 36,1–15, 516–517), der davon ausgeht, dass die in Ez 6,1–14 vorgenommenen Verfluchung Israels im Gericht von Ez 35,1–36,15 auf das Nachbarvolk Edom übertragen werde. Nur dadurch könne das Land wiederhergestellt werden und Israel zurückkehren. HÄNER (Endgestalt, 399) stimmt mit GOSSE in der Bewertung des Gerichtshandelns überein. Er kritisiert aber, dass damit die Motivation für das göttliche Gerichtshandeln missverständlich sei. Gott handle nicht um Israels Schicksals willen, sondern weil der Spott Edoms ihn selbst treffe. GOSSE und HÄNER betrachten Ez 35,1–36,15 ohne Ez 36,16–38. Damit kommt nicht in den Blick, inwieweit das reinigende und erneuernde Wirken JHWHs an seinem Volk und Land ebenso zur Voraussetzung der erneuten Landgabe wird. Beide richten den Fokus auf das Gericht gegen die Völker. Vgl. T. HÄNER, Endgestalt, 399. Vgl. Karl-Friedrich POHLMANN, Der Prophet Hesekiel/Ezechiel Kapitel 1–19 (ATD 22/1), Göttingen 1996, 105. Vgl. U. BAIL, Textraum, 144; K. SCHÖPFLIN, Biographie, 245 und Hermann SPIECKERMANN, Der nahe und der ferne Gott. Ein Spannungsfeld alttestamentlicher Theologie, in: Kathrin LIESS (Hg.), Gottes Nähe im Alten Testament (SBS 202), Stuttgart 2004, 115–134, 122–123. – Die Untersuchungstexte sind thematisch nicht isoliert vom restlichen Textgebäude des Ezechielbuches, sondern greifen in ihm auf bestehende Themen zurück. Vgl. Jörg GARSCHA, Studien zum Ezechielbuch. Eine redaktionskritische Untersuchung zu Ez 1–39 (EHS XXIII), Frankfurt a. M. 1974, 216–217 und W. ZIMMERLI, Gestalt, 33–35. Vgl. M. GREENBERG, Ezekiel 21–37, 424–425; D. H. SCHMIDT, Propheten, 399–401 und W. ZIMMERLI, Das Wort, 121–123.
58
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Israels in Ez 20. Nach Ez 36 ist es nicht mehr Israel allein, das zur JHWHErkenntnis gelangt, sondern auch die Nationen werden ihn erkennen. Anhand der JHWH-Erkenntnis zeichnen sich erste Nuancierungen ab, die auf eine (Weiter-)Entwicklung verweisen. Aufgrund dieser Nuancen ist anzunehmen, dass die Relation Israel – JHWH – Völker sich neu konstituiert. In Zusammenhang mit erkennen ([dy) stehen zwei weitere Verben: gedenken (rkz) und ekeln (jwq). Alle drei Verben sind im Ezechielbuch nur in Ez 6; 20 und 36 miteinander genannt. Während [dy 99 Mal und rkz 23 Mal im Ezechielbuch vorkommen, wird jwq – das im gesamten hebräischen Text achtmal belegt ist – dreimal erwähnt, in: Ez 6,9; 20,43 und 36,31.23 Die Verbindung der drei Verben bietet einen Hinweis darauf, dass die Perikopen Ez 6; 20 und 36 in einem literarischen Zusammenhang stehen. Mittels der textlichen Analysen in B.1 bis B.3 zu den genannten Textstellen sowie durch einen Vergleich der Ergebnisse in C.1 gilt es, diese Hypothese zu erproben.
2.2
Erster Einblick in die Konstellationen und Relationen zwischen Israel, JHWH und den Völkern im Buch Ezechiel
Aus der erarbeiteten Problemstellung (A.1) ergeben sich für den folgenden Gesamtüberblick drei Schwerpunkte. 1. Zuerst erfolgt eine Bestandsaufnahme der hebräischen, im Ezechielbuch verwendeten, Terminologie zur Benennung des Fremden und der Völker (A.2.2.1). Sprachlich deutet sich in der Nennung des „Anderen“ an, wie eine Wir-Gruppe sich in Beziehung mit dem/den Anderen setzt.24 Die terminologische Untersuchung beschränkt sich nicht nur auf die klassischen Begriffe zur Bezeichnung der Fremden und der Völker, sondern geht auf die von Gerlinde BAUMANN und Maria HÄUSL vorgeschlagene Erweiterung25 ein, indem weitere Begriffe zur Umschreibung des/der Fremden aufgezeigt werden.26 2. Im zweiten Schritt werden Zuschreibungen aufgelistet, die Israel an die Völker heranträgt (A.2.2.2). Im Fokus steht, wie Israel mittels der Dar23 24
25 26
Y. H. MIN, Grundschrift, 95–97. Vgl. C. BULTMANN, Fremde, 26; Martin LEUTZSCH, Feindschaft als soziale Nahbeziehung im antiken Israel, in: Werkstatt Geschichte 55 (2010), 7–30, 25–27 und Walther ZIMMERLI, Das Wort des göttlichen Selbsterweises (Erweiswort). Eine prophetische Gattung (1957), in: ders. (Hg.), Gottes Offenbarung. Gesammelte Aufsätze zum Alten Testament (TB 19), München 21969, 120–132, 127. Siehe oben S. 19. Vgl. A. BERLEJUNG/A. MERZ, Fremder, 192–194.
Entwicklung eines Lösungsansatzes
59
stellung der Völker nicht nur seine Beziehung zu den Nationen inszeniert, sondern ebenso sein Selbstverständnis darin ausdrückt.27 3. Mit Hilfe einer Übersicht über Schuldzuweisung, Unheils- und Heilsankündigungen an die Völker (A.2.2.3) wird breiter entfaltet, dass die Völker mehr als nur Adressaten göttlicher Drohungen sind.28 Gleichfalls ergibt sich eine Basis, mittels derer das in Ez 6; 20 und 36 berichtete Wirken JHWHs an und mit den Nationen in einen größeren Textraum des Ezechielbuches gestellt wird.29
2.2.1 Terminologie für die Benennung der Völker Vordergründig beziehen sich die Untersuchungen zu den Völkerworten auf das Verhältnis Israel – Völker, das primär durch Phänomene der Grenzziehung geprägt ist.30 Soziologische Untersuchungen zur Fremdheit und Wahrnehmung des/der Fremden stellen Kriterien bereit, mittels derer sich Grenzziehung und Annäherungsprozesse zwischen Israel und den Nationen beschreiben lassen. Robert HETTLAGE definiert Fremdheit als „Bezugsphänomen“31. Demzufolge ist der Fremde nur dann fremd, wenn es entweder ein Gegenüber gibt, das ihm Fremdheit zuschreibt32 oder wenn sich eine Gruppe selbst (in Abgrenzung zu einer anderen) als fremd bezeichnet.33 27 28 29 30 31
32
33
Vgl. ebd. 192–193 und M. GROHMANN, Diskontinuität, 19. Siehe oben S. 33. Die folgenden Ausführungen sind nur als ein Einblick zu verstehen, der aufgrund der komplexen Fragestellung keine Vollständigkeit beanspruchen. Vgl. A. KARAFILLIDIS, Relationen, 69–70. R. HETTLAGE, Gesellschaft, 145. – R. HETTLAGE (Gesellschaft, 145–151) erweitert diese Terminologie, indem er Fremdheit nicht nur als einen Beziehungsbegriff (diesbezüglich M. MÜLLER, Aufladung, 169) erfasst, sondern darüber hinaus als ein Bezugsphänomen (dazu R. HETTLAGE, Gesellschaft, 145–147), einen Veränderungsprozess (147–148) und ein Verstehensproblem (148–151) umschreibt. Der Terminus „Bezugsphänomen“ (145) ist aber eng mit dem Beziehungsbegriff verbunden. Übertragen auf das Verhältnis Israel – Völker, impliziert der Begriff eine Interaktion und Kommunikation wie sie in den Texten Ez 6; 20 und 36 für die beiden Akteure nicht nachgewiesen werden kann. So wird nach M. MÜLLER (Aufladung) „die Wahrnehmung von Fremdheit als eine Art Etikett zur Erfassung alltäglicher Situationen und Mitmenschen verstanden, als eine Zuschreibung, die stets hätte anders ausfallen können, und das je nach historischen und sozialen Umständen auch tut“ (169). Mit Hilfe der terminologischen Erfassung des Anderen können dem Gegenüber positive sowie negative Eigenschaften zugeschrieben werden. Durch die sprachliche Kategorisierung (dazu J. ASSMANN, Gedächtnis, 130–132) erhält die Wir-Gruppe eine Deutungssicherheit, die es ihr ermöglicht, ihre Beziehung gegenüber dem Fremden zu definieren (vgl. ebd. 52). Voraussetzung für eine solche Deutungssicherheit (hierzu M. ZEHNDER, Umgang, 18–20) ist, dass die Gruppe, die die begriffliche Definitionshoheit übernimmt, die entsprechenden kulturellen, sozialen, rechtlichen
60
A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
Israel versprachlicht diese Zuschreibungen in der Art der Bezeichnung der Völker. Für das Buch Ezechiel muss unterschieden werden zwischen einer konkreten Völkernennung und allgemeinen gruppenspezifizierenden Terminologien. Die sogenannten klassischen Völkerworte umfassen eine Reihe an Völkerbezeichnungen mit Eigennamen (gentilicia). Genannt werden die Ammoniter34 (Ez 25,2.3.5.10), Moab (Ez 25,8.11), Seïr (Ez 25,8; 35,2.3.7.15), Edom (Ez 25,12.13.14; 32,29; 35,15; 36,5), die Philister (Ez 16,27.57; 25,15.16), die Insel Tyrus (Ez 26,2.3.4.7.15; 27,2.3.8.32; 28,2.12; 29,18), Sidon (Ez 27,8; 28,21.22), Ägypten35 und Gog-Magog36. In Zusammenhang mit Tyrus werden die Handelspartner (Ez 27,12–25a) des Fürstentums aufgelistet.37 Weiterhin
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usw. Zuschreibungen hinter der genutzten Terminologie zu entschlüsseln vermag. Die Form der Kategorisierung muss in der Wir-Gruppe anerkannt sein. Da Israel seine Existenz als geschichtlich geworden versteht (LEUTSCH, Feindschaft, 25–26), ist es nötig, durch den Kontakt und die Begegnung mit den Völkern eine Sprache zu entwickeln (diesbezüglich Markus P. ZEHNDER, Wegmetaphorik im Alten Testament. Eine semantische Untersuchung der alttestamentlichen und altorientalischen WegLexeme mit besonderer Berücksichtigung ihrer metaphorischen Verwendung [BZAW 208], Berlin u.a. 1999, 511–513), um die Anderen (Völker) benennen und sich von ihnen abgrenzen zu können. Die Ammoniter werden entsprechend der Unheilsandrohung JHWHs vernichtet durch die ~dq-ynb (Söhne des Osten, Ez 25,4.10). Die Söhne des Ostens werden nicht näher ausdifferenziert, sondern mittels der Angabe der Himmelsrichtung in ihrer Herkunft bestimmt. F. SEDLMEIER (Ezechiel 25–48, 30–31) versucht diese als Nomaden der syrisch-arabischen Wüste zu identifizieren. Walther ZIMMERLI (Ezechiel. 2. Teilband: Ezechiel 25–48 [BKAT XIII/2], Neukirchen-Vluyn 21979, 591) dagegen führt an, dass es sich um eine Menschengruppe aus dem Hinterland von Damaskus handeln könnte. ~dq oder ~ydq (hierzu Elisabeth JOOẞ, Raum. Eine theologische Interpretation [BEvT 122], Gütersloh 2005, 136–138) gibt zumeist die östliche Richtung sowie den Sonnenaufgang an. Weiterhin kann ~dq räumlich umfassend gelesen werden als das, (was) vorne ist. Zeitlich gesehen benennt ~dq (dazu Gesenius18, 1148 und Tryggve KRONHOLM, Art. ~d,q,, in: ThWAT VI, Stuttgart 1989, Sp. 1165–1167) das, was in der Zeit voraus (liegt). Ägypten wird in den Völkerworten in Ez 29,2.3.6.9.10.12.13.14.19.20; 30,4.6.8.9. 10.11.13.15.16. 18.19.21.22.23.25.26; 31,2; 32,2.12.15.16.18 aufgenommen. Außerhalb der Völkerworte wird Ägypten in Ez 16,26; 17,15; 19,4; 20,5.6.7.8.9.10.36; 23,3.19. 27 genannt. Vgl. Ronald M. HALS, Ezekiel (FOTL XIX), Michigan 1989, 282. – Die Gog-Magog Perikope (dazu I. E. LILLY, Papyrus 967, 213–215) erweist sich für die Diskussion um die Beziehung Israel, JHWH und die Völker als problematisch, da es sich um einen mythischen Topos handelt und eine Identifikation der Person des Großfürsten von Meschech und Tubal nicht möglich ist. Vgl. M. GREENBERG, Ezekiel 21–37, 552–554 und Steven TUELL, Ezekiel (NIBC), Massachusetts 2009, 179–181. – Diese sind: Tarschich (Ez 27,12), Jawan (V 13), Meschech (V 13), Tubal (V 13), Togarma (V 14), Minnit (V 17), Helbon (V 18), Damaskus (V 18), Zahar (V 18), Uzal (V 19), Dedan (V 20), Araber (V 21), Qedar (V 21), Saba (V 22), Rama (V 22), Haran (V 23), Kanne (V 23), Eden (V 23), Assur (V 23) und das medinische Bergland (V 23). Weiterhin werden benannt !rd (V 15)
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werden namentlich Babylon38 und der Libanon39 erwähnt. Die spezifischen Landes- und Städtenamen verweisen auf eine konkrete Ethnie40. Israel kann mit einem Volk oder einer bestimmten Ethnie Vorerfahrungen gemacht haben, die durch sprachliche Zusätze, wie „ewige Feindschaft“ (Ez 35,5), das Verhältnis zueinander deuten. Nähe und Distanz zwischen Israel und einem konkreten Volk, d.h. das Maß der Fremdheit ist durch die Vorerfahrungen mit dem Anderen (vor-)geprägt. Wenn sich die Begegnungssituation ändert, wandelt sich der Grad der Fremdheit. Am Brudervolk Edom41 oder den Töchtern der Philister wird dies deutlich. Edom steht in einer verwandtschaftlichen Beziehung zu Israel. Die Fremdheit Edoms wird somit ein Stück
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und ~ra (V 16). M. SAUR (Tyruszyklus, 197–199) geht davon aus, dass es sich in beiden Fällen um einen Schreibfehler handelt, sodass !rd eigentlich !dr (Rhodos) heißen müsste und ~ra eigentlich ~da (Edom). Aufgrund von archäologischen Funden (hierzu M. SAUR, Tyrus, 174–175) könne eine rege ökonomische Beziehung zwischen der Insel Rhodos und den Phöniziern (Tyrus) angenommen werden. Babel/Babylon wird in Ez 26,7; 29,18.19; 30,10.24.25; 32,11 erwähnt. Darüber hinaus wird Babel/Babylon außerhalb der Völkerworte in Ez 12,13; 17,12.16.20 19,9; 21,24. 26; 23,15.17.23; 24,2 genannt. Der Libanon (Ez 17,3; 27,5; 31,3.15.16) (siehe Hans F. FUHS, Ezechiel 25–48 [NEB.AT 22/2], Würzburg 1988, 168–170) wird im Buch Ezechiel vorrangig im Zusammenhang mit der Zeder benannt. Das Ausreißen und Verpflanzen des Wipfels der Libanonzeder in Ez 17,3–4 gibt durch die territoriale Nennung des Libanon für die in der Gola lebenden Israeliten einen Richtungsverweis in die Heimat. Die Libanonzeder (dazu Othmar KEEL, Zeichensysteme der Nähe Gottes in den Büchern Jeremia und Ezechiel, in: Gönke EBERHARDT/Kathrin LIESS [Hgg.], Gottes Nähe im Alten Testament [SBS 202], Stuttgart 2004, 30–64, 38–39) ist symbolischer Ausdruck für das Königtum und die damit verbundene Macht und Herrlichkeit. Ebenso ist der Jerusalemer Tempel mit dem Holz der Zeder ausgekleidet (1 Kön 6,14–18). Neben der Pracht kann die Zeder des Libanon negativ konnotiert sein, indem ihre Schönheit (vgl. Ez 31,3) zu Hochmut und Überheblichkeit neigt. M. GREENBERG (Ezekiel 21–37) beschreibt das Schicksal der hochmütigen Zeder in Ez 31,10–14 folgendermaßen: „[T]he disastrous consequence (laken) of the cedar)s pride: cut down by cruel strangers, its broken members scattered over hill and vale, it is abandoned by all its former adherents. The fate of the cedar warns all trees to shun prideful towering, since all are destined to die“ (645). Vgl. M. ZEHNDER, Umgang, 23. Siehe dazu auch S. 20 Anm. 23. Aus dem Brüderpaar Jakob-Esau (dazu Erich BOSSHARD-NEPUSTIL/Ludwig D. MORENZ, Königtum Edom. Zur symbolischen, architektonischen und schriftlichen Repräsentation einer fremdkulturell geprägten Institution, in: dies. [Hgg.], Herrscherpräsentation und Kulturkontakte. Ägypten – Levante – Mesopotamien, Acht Fallstudien [AOAT 304], Münster 2003, 145–196, 175–177) wird ein „geschwisterliches“ Verhältnis Israels zu Edom abgeleitet. Die Edomiter gelten als Nachkommen Esaus und werden somit zum Brudervolk Israels (Gen 36,1–43). Fest steht, dass die „brüderliche“ Beziehung zwischen Israel und Edom gestört und die Inklusion Edoms im Buch Ezechiel gescheitert ist (vgl. Ez 35). So wird sogar über die Könige und Fürsten Edoms die Vernichtung angesagt (Ez 32,29).
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A Die Problemstellung und der Lösungsansatz
aufgelöst.42 Doch durch den ewigen Hass Edoms (Ez 35,5) gegen Israel entfremdet Edom sich vom Volk Gottes.43 Des Weiteren stehen die Philister entsprechend der Völker-Tafel (Gen 10,1–32) ebenso in einer verwandtschaftlichen Verbindung44 mit Israel. Die Scham der Töchter der Philister über die Hurerei Jerusalems (vgl. Ez 16,27) baut aber eine Distanz zwischen Israel und ihnen auf. Das Anführen des Eigennamens eines Volkes reicht nicht aus, um Nähe und Distanz zwischen Israel und den Völkern wiederzugeben. Inwiefern das Verhältnis zueinander eher abgrenzend oder durch Annäherungen geprägt ist, wird erst durch die kontextuelle Einbindung, d.h. durch die Wiedergabe von Handlungen (vgl. Ez 25,6), Äußerungen des Anderen (vgl. VV 3.8) usw. in Verbindung mit dem Eigennamen deutlich.45 Mit den Volksbezeichnungen sind zum Teil Einzelpersonen oder Gruppen verbunden. Das bedeutet, dass ein Volk nicht als Gesamtgröße benannt wird, sondern Vertreter dieser Menschengruppe. Einzelgestalten sind: der 42
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Zu analysieren ist, dass wenn Exklusion (hierzu S. FARZIN, Inklusion) verstanden wird als „Ausschluss von Personen aus funktionaler Kommunikation“ (88), ob eine Vernichtungsaussage dann gleichgesetzt werden kann mit Exklusion oder ob es sich um eine Form des vollkommenen Kommunikationsabbruches handelt, der dazu führt, dass eine Auseinandersetzung mit (vernichteten) Fremden nicht mehr notwendig ist. Die Völker werden zwar in einer verwandtschaftlichen Beziehung zu Israel dargestellt, aber die Qualität ihres Ursprunges wird gemindert. Exemplarisch wird dies an EsauEdom (hierzu E. BOSSHARD-NEPUSTIL/L. D. MORENZ, Edom, 175–177) deutlich. Esau hatte sein Erstgeburtsrecht für den geringen Wert eines Linsengerichts an seinen Bruder Jakob verkauft (Gen 25,29–34), womit der Segen nicht an die Nachkommenschaft Esaus (Edom), sondern auf die Nachkommen Jakobs (Israel) überging. Vgl. Walther ZIMMERLI, Ezechiel. 1. Teilband: Ezechiel 1–24 (BKAT XIII/1), Neukirchen-Vluyn 21979, 540–541. – Eine Besonderheit stellt das „schwesterliche“ Verhältnis zwischen Samaria und Juda in Ez 23 (dazu H. F. FUHS, Ezechiel 1–24, 120–121) dar. Indem Samaria (Nordreich Israel) als ältere Schwester (V 4) Judas (Südreich) bezeichnet wird, besteht zwischen den beiden keine Fremdheitsbeziehung, da sie der Herkunft nach miteinander verbunden sind. Beide Geschwister werden der Buhlerei bezichtigt, wobei die jüngere Schwester Juda es schlimmer getrieben habe als ihre Schwester Samaria (V 11). Die Schlechtigkeit ist somit innerfamiliär verankert und wird durch die jüngste Nachkommenschaft noch verstärkt, womit sich das Negativbild der Widerspenstigkeit Israels gegenüber JHWH durch das Spiegelbild der älteren Schwester verschärft. Herausgehoben wird die Verwandtschaft zwischen Juda und Samaria durch die lautmalerische Umbenennung der beiden Schwestern in Ohola („ihr [eigenes] Zelt in ihr“, Samaria) und Oholiba („mein Zelt in ihr“, Juda). Carl Friedrich KEIL (Biblischer Commentar über den Propheten Ezechiel [BC 3], Leipzig 1882, 221–222) geht davon aus, dass die Namen darauf verweisen, dass Samaria einen illegitimen Kult ausführte, während Israel über den Tempel in Jerusalem und somit über den rechtmäßigen JHWH-Kult verfügte. Für die Vergehen Judas hätte dies zur Folge, dass der Götzenkult Israels somit schändlicher sei als die Vergehen der Samariter, da Juda zwar über den rechten Kult verfügte, sich aber von diesem abwandte. F. SEDLMEIER (Ezechiel 1–24, 317–318) hingegen meint, dass diese Deutung zunehmend umstritten sei. Vgl. M. GROHMANN, Diskontinuität, 39–41.
Entwicklung eines Lösungsansatzes
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Fürst von Tyrus (rc dygn, Ez 28,2)46, der König47 von Babel (lbb $lm48, Ez 17,12; 19,9; 21,24.26; 24,2; 26,7; 29,18.19; 30,10.24.25; 32,11) oder der Pharao (h[rp, Ez 29,2.3; 30,21.22.24.25; 31,2.18; 32,2.31.32).49 In Verbindung mit den (Ehren-)Titeln stehen Macht- und Herrschaftsansprüche von einzelnen Vertretern, die als Repräsentanten anstelle des gesamten Volkes benannt werden.50 Neben der Nennung von höher gestellten Repräsentanten werden die Völker mithilfe generativer Begriffe bezeichnet. Zumeist werden die männlichen Nachkommen ~ynb51 (Söhne) erwähnt, die twnb52 (Töchter) dagegen seltener. Mittels der Söhne und Töchter werden Zugehörigkeiten zum Aus-
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Vgl. M. SAUR, Tyruszyklus, 101–103 und John T. STRONG, God’s Ka4bo=d: The Presence of Yahweh in the Book of Ezekiel, in: Magret S. ODELL/John T. STRONG (Hgg.), The Book of Ezekiel. Theological and Anthropological Perspectives (SBLSymS 9), Atlanta 2000, 69–95, 90–91. – Weitere Bezeichnungen für den Fürsten im Buch Ezechiel sind: ayfn (Erhabener/Stammesführer, Ez 38,2 vgl. dazu Herbert NIEHR, Art. ayfin." na4si%