»Sicherheit« im öffentlichen Sprachgebrauch: Eine diskurslinguistische Analyse 9783110605358, 9783110602937

This study investigates the notion of security in contentious public discourse to derive conclusions about contemporary

229 125 3MB

German Pages 394 [396] Year 2018

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Einleitung
Teil i: zugänge der diskurslinguistik
1 paradigma oder proteus? zur diskursanalyse in der germanistischen sprachwissenschaft
2 sprachtheoretische grundlagen für eine sprachgeschichte als diskursgeschichte
3 von der begriffsgeschichte zur diskursgeschichte
4 sprachgeschichte als problemgeschichte der gegenwart
Teil ii: sicherheit im öffentlichen sprachgebrauch
5 konzeption der empirischen analyse
6 „[d]as gefühl von angst, unsicherheit, sorge vor terror und krieg“ – der diskurs um die ereignisse des 11. september 2001 in deutschland
7 „eine stabile währung ist ein hohes gut. sie gewährt ein elementares gefühl der sicherheit.“ – die debatte um griechenland und den euro im jahr 2010: ein sicherheitsdiskurs?
8 „[d]ie zwangslage und die ganze hilflosigkeit, mit der unsere weltgesellschaft im spannungsfeld zwischen sicherheitsbedürfnis, totaler vernetzung und freiheitsrecht steht“ – der diskurs um die nsa-affäre 2013 in deutschland
9 synopse und ausblick
Topos- und belegwortlisten
Literaturverzeichnis
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»Sicherheit« im öffentlichen Sprachgebrauch: Eine diskurslinguistische Analyse
 9783110605358, 9783110602937

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Annelie Schmidt ⟫Sicherheit⟪ im öffentlichen Sprachgebrauch

Sprache und Wissen

Herausgegeben von Ekkehard Felder Wissenschaftlicher Beirat Markus Hundt, Wolf-Andreas Liebert, Thomas Spranz-Fogasy, Berbeli Wanning, Ingo H. Warnke und Martin Wengeler

Band 37

Annelie Schmidt

Sicherheit⟪ im öffentlichen Sprachgebrauch



Eine diskurslinguistische Analyse

D61

ISBN 978-3-11-060293-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-060535-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-060304-0 ISSN 1864-2284 Library of Congress Control Number: 2018950151 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Die Idee, sich in einer Dissertation mit dem gesellschaftlichen Verständnis des Begriffs Sicherheit auseinanderzusetzen, entstand zu einer Zeit, da sich die Öffentlichkeit noch nicht täglich und beinahe mantrahaft mit dem Thema Sicherheit beschäftigte, und so sollte die vorliegende Untersuchung ursprünglich eine Weitschau der Bedeutungen von Sicherheit in ganz unterschiedlichen, aber nicht zwingend brisanten Diskursen der deutschen Öffentlichkeit werden. Ganz allgemein war an soziale Sicherheit gedacht, an gesundheitliche und ökologische Sicherheit, auch an ökonomische Sicherheit oder digitale Sicherheit. Schnell jedoch holte die zeitaktuelle Karriere des Sicherheitsbegriffs das Untersuchungsvorhaben ein, das bald begleitet war von dem Eindruck einer beständig erweiterbaren Liste potenziell sicherheitssemantisch dominierter Diskurse. Heute ist Sicherheit untrennbar mit jüngsten zeitgeschichtlichen Ereignissen verbunden und erinnert an hochbrisante gesellschaftliche Kontroversen; die Bedeutungen des Begriffs in der Gegenwart können nicht mehr losgelöst etwa von 9/11, Eurokrise oder NSA-Affäre verstanden werden. Am Ende führten die diskurslinguistischen Analysen genau dieser öffentlichen Debatten der jüngeren Vergangenheit tatsächlich zu einem breiten Panorama aktuell gültiger Bedeutungen von Sicherheit, die einen Tiefblick in gesellschaftliche Wirklichkeitssichten und Mentalitäten erlauben. Ein Resultat umspannt die Untersuchungsergebnisse und drängt sich nachhaltig auf: Sicherheit ist eine omnipräsente Interpretationsvokabel der Gegenwart, deren politisches Potenzial zur Legitimation auch unpopulärer Vorhaben und Maßnahmen gerade in als Krisen erlebten Zeiten nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Die notwendige Selbst-Sicherheit, das Vertrauen in sich selbst also, ein Dissertationsprojekt zu bewältigen, kann nicht aus einem alleine, sondern nur durch das fruchtbare Zutun anderer Menschen erwachsen. Die Sicherheit des Möglich-Werdens hat mir allen voran mein Doktorvater Herr Professor Dr. Ulrich Welbers durch sein lebhaftes Interesse an Thema und Projekt vermittelt. Großzügiger Freiraum und wertschätzendes Vertrauen waren im stets zur Verfügung gestellten Raum zum wissenschaftlichen Austausch sicher verankert – ein in Zeiten von Bologna vermutlich selten gewordenes Idealmodell akademischer Förderung. Die für Dissertationsvorhaben unabdingbare institutionelle Sicherheit war mit seiner Verlässlichkeit als Ansprechpartner und seiner souveränen Begleitung durch das Promotionsverfahren immer gegeben. Ihm danke ich von ganzem Herzen. Herrn Professor Dr. Dietrich Busse bin ich zu großem Dank für die unkomplizierte Übernahme des Zweitgutachtens verpflichtet. Ebenso danke ich den

https://doi.org/10.1515/9783110605358-002

VI | Vorwort

weiteren Mitgliedern der Prüfungskommission, Frau Professorin Dr. Annette Schad-Seifert, Herrn Professor Dr. Volker Dörr sowie Herrn Professor Dr. Markus Stein, für ihre Teilhabe an meinem Promotionsverfahren. Herrn Professor Dr. Martin Wengeler danke ich für die Wegbahnung der Publikation, Herrn Professor Dr. Ekkehard Felder sowie dem deGruyter Verlag für die Möglichkeit, die Arbeit in der vorliegenden Reihe zu veröffentlichen. Sicherheit als Voraussetzung des Wachsen-Könnens boten die regelmäßigen Doktorandenkolloquien. Sie waren eine unverzichtbare Inspirations- und Motivationsquelle. Ich danke allen Mitstreitern für viele produktive Momente und konstruktive Anregungen. Christian auf der Lake gebührt besonderer Dank für seine vielfältige Unterstützung bei der Vorbereitung meiner Disputation. Die Sicherheit, die mir meine Freunde durch ihre Begleitung des Projekts geschenkt haben, macht mich dankbar. Sie haben mehrfach dafür gesorgt, dass Tiefpunkte nicht zu Endpunkten wurden. An die Sicherheit des Akzeptiert-Seins völlig unabhängig vom Ausgang eines Dissertationsvorhabens haben mich meine Eltern und meine Schwester stets liebevoll erinnert. Sie waren in all den Jahren unverzichtbarer LebensRückhalt. Die Sicherheit, einen besonderen Menschen an seiner Seite zu wissen, bedeutet privilegiertes Lebensglück. Mein geliebter Mann Ingo Schmidt hat mir immer wieder Mut zur Selbst-Sicherheit gemacht und selbst ein Übermaß an Zeit, Emotionen und vieles mehr in dieses Projekt investiert, weil er dessen positiven Ausgang nicht müde wurde zu entwerfen. Ihm ist dieses Buch gewidmet.

Bayreuth, im Juni 2018 Annelie Schmidt

Inhalt Vorwort  |  V Einleitung | 1

Teil I: Zugänge der Diskurslinguistik  1 1.1 1.2 1.3 2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 3 3.1

3.2

4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5 4.6 4.7

Paradigma oder Proteus? Zur Diskursanalyse in der Germanistischen Sprachwissenschaft | 13 Diskurs – Karriere eines Begriffs | 13 Grenzüberschreitungen: Diskurslinguistik in der Germanistischen Sprachwissenschaft | 23 Diskurslinguistische Ansätze im deutschen Sprachraum | 30 Sprachtheoretische Grundlagen für eine Sprachgeschichte als Diskursgeschichte | 39 Überblick | 39 Überwindung strukturalistischer Dichotomien | 40 Sprache als wirklichkeitskonstitutives Element | 44 Bedeutungskonstitution in der kommunikativen Interaktion | 48 Sprachspiel und Diskurs | 49 Von der Begriffsgeschichte zur Diskursgeschichte | 59 Kritischer Vorläufer: Die theoretischen und methodischen Mängel der Begriffsgeschichte als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Diskurssemantik | 59 Diskursgeschichtliche Analyse in der sprachwissenschaftlichen Praxis | 67 Sprachgeschichte als Problemgeschichte der Gegenwart | 83 Überlegungen zum öffentlichen Sprachgebrauch | 83 Kontroverse Begriffe | 86 Leitvokabeln und politische Semantik | 89 Metaphernanalyse | 96 Argumentationsanalyse | 100 Frame-Semantik | 104 Überleitung | 108

VIII | Inhalt

Teil II: Sicherheit im öffentlichen Sprachgebrauch  5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5

Konzeption der empirischen Analyse | 115 Zielsetzung | 115 Stand der Forschung | 116 Begriffsgeschichtliche Fundierung | 117 Quellen | 120 Methodik | 125

6

„[D]as Gefühl von Angst, Unsicherheit, Sorge vor Terror und Krieg“ – Der Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in Deutschland | 129 Vorbemerkungen und Themen | 129 „[W]ir haben eine völlig neue Bedrohungssituation. Es gibt daher eine Notwendigkeit für erhöhte Sicherheit – das steht fest. Das erfordert auch politisches Handeln.“ – Übergreifende Beobachtungen zum Sprachgebrauch in unmittelbaren Reaktionen auf die Ereignisse vom 11. September 2001 | 131 „Die Regierung zerbricht beinahe, wenn sie ihre Unterstützung für einen Krieg gegen den Terror und damit für mehr Sicherheit erklären soll.“ – Sprachliche Strategien in der Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan | 147 „Dieses umfangreiche Maßnahmenpaket (...) garantiert ein Optimum an Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger.“ – Der innenpolitische Sicherheitsdiskurs nach dem 11. September 2001 | 168 Resümee | 195

6.1 6.2

6.3

6.4

6.5 7

7.1 7.2

„Eine stabile Währung ist ein hohes Gut. Sie gewährt ein elementares Gefühl der Sicherheit.“ – Die Debatte um Griechenland und den Euro im Jahr 2010: ein Sicherheitsdiskurs? | 201 Vorbemerkungen und Themen | 201 Wegweiser aus der diskurslinguistischen Forschung: Ergebnisse des DFG-Projekts „Sprachliche Konstruktion sozial- und wirtschaftspolitischer Krisen in der Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis heute“ | 204

Inhalt | IX

7.3

7.4 8

„Die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit wären unabsehbar. Das würde die Stabilität des Euro in Frage stellen.“ – Sicherheitssemantik im Diskurs um Griechenland und den Euro 2010 | 213 Resümee | 273

8.3

„[D]ie Zwangslage und die ganze Hilflosigkeit, mit der unsere Weltgesellschaft im Spannungsfeld zwischen Sicherheitsbedürfnis, totaler Vernetzung und Freiheitsrecht steht“ – Der Diskurs um die NSA-Affäre 2013 in Deutschland | 279 Vorbemerkungen und Themen | 279 „Der Gebrauch des elektronischen Ohrs, dessen Wert nach dem 11. September von New York enorm zugenommen hat, ist eine Gefahr geworden, weil das Gleichgewicht zwischen Sicherheit, öffentlicher und privater Freiheit und dem Recht auf Information noch nicht gefunden wurde.“ – Sicherheit in neuer Kontroverse | 281 Resümee | 333

9

Synopse und Ausblick | 339

8.1 8.2

Topos- und Belegwortlisten | 347 Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 | 347 Diskurs um Griechenland und den Euro 2010 | 349 Diskurs um die NSA-Affäre 2013 | 351 Literaturverzeichnis | 353 Verzeichnis der Quellentexte | 353 Sekundärliteratur | 370

Dieses Gefühl der Sicherheit war der erstrebenswerteste Besitz von Millionen, das gemeinsame Lebensideal. Nur mit dieser Sicherheit galt das Leben als lebenswert, und immer weitere Kreise begehrten ihren Teil an diesem kostbaren Gut.1

Einleitung Der 11. September 2001 markiert eine Zäsur in der jüngeren Geschichte, die sich so tiefgreifend in alle gesellschaftlichen Bereiche eingeschrieben hat wie kaum ein anderes historisches Ereignis der aktuellen Zeitgeschichte. Innerhalb weniger Jahre hat der Einsturz der Zwillingstürme in New York viele öffentliche Diskurse erschüttert und durchdrungen. Es hat den Anschein, dass sich dabei in den kaum überschaubaren, sich wechselseitig beeinflussenden und komplex organisierten Diskursfeldern unserer Gesellschaft innerhalb einer Dekade trotz aller thematischer Verschiedenheit ein gemeinsamer semantischer Kristallisationspunkt herausgebildet hat: ein vielschichtiger Sprachgebrauch von Sicherheit.2 Das Streben nach Sicherheit scheint sich zum für alle gesellschaftlichen Teilgruppen gültigen, ultimativen Leitbild etabliert zu haben. Wahrnehmbar ist diese Entwicklung zunächst anhand der konkreten Auswirkungen einer zunehmend sicherheitsorientierten Politik, etwa durch die Zurückdrängung von individuellen Freiheitsrechten zugunsten stärkerer Überwachung. Dahinter jedoch ist eine massive Verschiebung von gesellschaftlichen Wirklich|| 1 Zweig, Stefan: Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers. 38. Auflage. Frankfurt am Main 2010, S. 16. 2 Zur Notationsweise der Arbeit sei Folgendes angemerkt: Die Erwähnung eines objektsprachlichen Ausdrucks wird durch Kursivschreibung markiert. Dies gilt insbesondere für Belegwörter der Diskurse aus den Quellentexten (Beispiel: Der Ausdruck Stabilität wird im Diskurs häufig als Synonym für Sicherheit verwendet.). Zudem werden fremdsprachliche Ausdrücke sowie Hervorhebungen kursiv gesetzt. Einfache Anführungszeichen werden verwendet, um semantische Zusammenhänge der Objektsprache unabhängig von den sie bezeichnenden Ausdrücken zu markieren (Beispiel: Den aufgezeigten sprachlichen Phänomenen ist eine Semantik der ‚Bedrohung‘ gemein). Dies gilt auch für längere Formulierungen, etwa von Toposmustern oder Denkfiguren (Beispiel: Der Vernetzungstopos folgt dem Schema: ‚Weil Zusammenhänge bestehen, müssen Maßnahmen ergriffen werden.‘). Einfache Anführungszeichen werden überdies für Übersetzungen von Ausdrücken und in herkömmlicher modalisierender Funktion verwendet. Grenz- und Zweifelsfälle zwischen Kursivschreibung und der Setzung in einfache Anführungszeichen sind nicht vollständig auszuschließen. Sekundärliteratur wird im Fußnotenapparat zitiert. Um diesen übersichtlich zu halten, werden Quellentexte im Fließtext zitiert. https://doi.org/10.1515/9783110605358-001

2 | Einleitung

keitssichten, Mentalitäten und Weltbildern zu vermuten, die den entsprechenden öffentlichen Konsens erst ermöglichen und in demokratischen Gesellschaften im Wesentlichen medial und hier insbesondere sprachlich vermittelt sind. Diese veränderte gesellschaftliche Wahrnehmung von Sicherheit legt aus sprachwissenschaftlicher Perspektive die Vermutung nahe, dass die Bedeutung des Lexems Sicherheit keineswegs als historisch konstant zu betrachten ist; vielmehr dürften sich mit dem Begriff Sicherheit im Zeitablauf unterschiedliche Vorstellungen und Konzepte der Sprachteilnehmer verbinden und seine Bedeutung in Abhängigkeit von gesellschaftlichen, politischen und sozialen Kontexten einem historischen Wandel unterliegen. Die Frage nach der jüngsten Sprachgeschichte und damit nach einer aktuell gültigen bzw. dominierenden Bedeutung von Sicherheit geht einher mit dem Wunsch nach Rückschlüssen auf das gegenwärtige Wirklichkeitsverständnis einer Gesellschaft, auf die Mentalität gesellschaftlicher Gruppen nach dem markanten Ereignis von 2001. Diese Einblicke in gesellschaftliche Tiefenstrukturen werden durch Analysen öffentlichen Sprachgebrauchs möglich; insbesondere mit den Methoden der linguistischen Diskursanalyse liegen geeignete sprachwissenschaftliche Verfahrensweisen zur Aufdeckung entsprechender Weltsichten und Mentalitäten vor. Die Relevanz einer tiefgreifenden linguistischen Untersuchung zur Entwicklung des Begriffs Sicherheit in den zurückliegenden eineinhalb Dekaden bestätigt sich durch Auffälligkeiten im aktuellen Sprachgebrauch. Mit Sicherheit, so legt es der erste Blick auf öffentliche Texte nahe, liegt eine zentrale Interpretationsvokabel der Gegenwart vor. So fällt beispielsweise die Häufigkeit von Komposita und Neologismen im gegenwärtigen Sprachgebrauch ins Auge. Ausdrücke wie Sicherheitspaket, Cybersicherheit oder Supergrundrecht Sicherheit sind Indizien für Aktualität und Neukonzeptualisierungen von Sicherheit. Zudem zeichnet sich bei dieser ersten Betrachtung ein hohes Legitimations- und Mobilisierungspotenzial im Zusammenhang mit verschiedenen Bedrohungskonstruktionen ab, das der Begriff im aktuellen öffentlichen Diskurs zu entfalten scheint. Eine diskurgeschichtliche Untersuchung zum Begriff Sicherheit ist die Forschungspraxis bisher schuldig geblieben. So liegen lediglich die begriffsgeschichtlichen Arbeiten von Conze3 und Schrimm-Heins4 vor, die wiederum die

|| 3 Vgl. Conze, Werner: „Sicherheit, Schutz“. In: Brunner, Otto, Conze, Werner und Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 5. Pro-Soz. Stuttgart 1984, S. 831–862. 4 Vgl. Schrimm-Heins, Andrea: „Gewissheit und Sicherheit. Geschichte und Bedeutungswandel der Begriffe certitudo und securitas (Teil I)“. In: AfB. Bd. 34 (1991), S. 123–213 und dies.:

Einleitung | 3

begriffsgeschichtlichen Ausführungen einer soziologischen Studie von Kaufmann5 umfassend rezipieren. Die Untersuchungen liefern zwar interessante Anhaltspunkte über etymologische und historische Zusammenhänge des Begriffs, decken jedoch jüngere Zeitspannen nicht ab und weisen vor allem die Mängel begriffsgeschichtlicher Verfahrensweisen auf, die u. a. überhaupt zur Entwicklung einer linguistischen Diskursgeschichte geführt haben. So verfolgen alle drei Autoren einen Ansatz, der als ideen- und sachgeschichtlich orientiert zu bezeichnen ist. Es werden etwa die staatstheoretischen „Gipfelwanderung[en]“6 von Kant, Humboldt, Fichte und vielen anderen nachgezeichnet; Alltagstexte bleiben außen vor, und mit einer überwiegend staatstheoretischen bzw. theologischen Perspektive ist die Analyse stark auf einen Teilausschnitt der Realität eingeschränkt. Am schwersten wiegt die Tatsache, dass die Beiträge zwar einen Eindruck von der Bedeutungsvielfalt des Ausdrucks zu geben vermögen, doch die Mechanismen, die zu Bedeutungskonstitution und -wandel führen, nicht bewusst machen. Solche Zusammenhänge vermögen diskurslinguistische Ansätze besser zu erklären, die ihre Fokussierung auf einzelne Begriffe in der semantischen Analyse aufgeben und ihren Blick stärker auf kommunikative Kontextfaktoren lenken, die maßgeblich zur Bedeutungskonstitution beitragen und dabei auch alltagssprachliche Dokumente einbeziehen. Nur eine Sprachgeschichte, die Bedeutungsentstehung und ihren Wandel in der kommunikativen Interaktion nachzeichnet, ist in der Lage, auch Aufschlüsse über die darin zum Ausdruck kommende Weltsicht, das gesellschaftliche Bewusstsein und die Mentalität historischer Gruppen zu liefern. Eine dergestalt angelegte Untersuchung ist zum Begriff Sicherheit bisher nicht geleistet worden. Anliegen der Dissertation ist es daher, erstmals eine detaillierte diskursgeschichtliche Analyse zum Sicherheitsbegriff vorzulegen. Ziel der Untersuchung ist eine umfassende Bedeutungsklärung des Begriffs der Sicherheit in verschie-

|| „Gewissheit und Sicherheit. Geschichte und Bedeutungswandel der Begriffe certitudo und securitas (Teil II)“. In: AfB. Bd. 35 (1992), S. 115–213. 5 Vgl. Kaufmann, Franz-Xaver: Sicherheit als soziologisches und sozialpolitisches Problem. Untersuchungen zu einer Wertidee hochdifferenzierter Gesellschaften. 2. Auflage. Stuttgart 1973. Vgl. Ders.: „Sicherheit: Das Leitbild beherrschbarer Komplexität“. In: Lessenich, Stephan (Hrsg.): Wohlfahrtsstaatliche Grundbegriffe. Historische und aktuelle Diskurse. Frankfurt am Main 2003, S. 73–104. 6 Reichardt, Rolf: „Zur Geschichte politisch-sozialer Begriffe in Frankreich zwischen Absolutismus und Restauration. Vorstellung eines Forschungsvorhabens“. In: Schlieben-Lange, Brigitte und Gessinger, Joachim (Hrsg.): Sprachgeschichte und Sozialgeschichte. Göttingen 1982, S. 49–74, hier: S. 52.

4 | Einleitung

denen öffentlichen Diskursräumen der letzten Jahre, um daraus Rückschlüsse auf das gesellschaftliche Wirklichkeitsverständnis der jüngsten Vergangenheit zu erhalten. Somit handelt es sich hier um einen Beitrag zur aktuellen Sprachgeschichte, der als Diskursgeschichte gefasst ein Stück Mentalitätsgeschichte der deutschen Gesellschaft zu erhellen versucht. Mit der Analyse soll erforscht werden, wie die Gesellschaft und wie unterschiedliche Teilgruppen ihre historische Situation begreifen. In diesem Zusammenhang liegt es im besonderen linguistischen Forschungsinteresse, mit welchen sprachlichen Strategien gesellschaftliche Gruppen Wirklichkeiten hinsichtlich Sicherheit versuchen zu konstituieren und wie eine entsprechende Perspektivierung erfolgt. Die sprachlichen Mittel, mittels derer die ,Versicherheitlichungʻ eines Themas gelingt, sollen aufgedeckt werden. Damit soll nachvollziehbar werden, welche Denkfiguren öffentliche Diskurse um Sicherheit dominieren und wie sprachlich gesellschaftliche Wirklichkeiten erzeugt werden. In diesem Zusammenhang gilt es aufzuzeigen, welches gesellschaftliche Wissen dabei konstituiert, aktualisiert und modifiziert wird und welche Wirkungen sich für die Semantik des Begriffs Sicherheit ergeben. Aus der zunächst subjektiven Wahrnehmung von Tendenzen im Sprachgebrauch ergibt sich die These, dass die Bedeutung von Sicherheit gegenwärtig in erheblichem Maße auf einer ‚apokalyptischen‘ Folie konstruiert wird und in der Konsequenz von einer Gesellschaft zu sprechen ist, in der sich Sicherheit vor dem Hintergrund von Dekadenz- und Untergangsszenarien bzw. vielfältiger Bedrohungskonzeptionen als eine entsprechende Legitimations- und Mobilisierungsvokabel etabliert hat, der starkes Machtpotenzial für die Durchsetzung politischer Vorhaben und Maßnahmen innewohnt. Entsprechend müsste sich im öffentlichen Sprachgebrauch die von Kaufmann allgemein für Sicherheitsdiskurse formulierte Denkfigur nachweisen lassen: „Sicherheit gab es früher, sie ist verloren gegangen, und sie muss mit modernen Mitteln wieder hergestellt werden.“7 Dies wird anhand des Analysematerials zu überprüfen sein. Der Aufbau der Arbeit gliedert sich grundlegend in einen theoretischen Grundlagenteil und einen Anwendungsteil. Im theoretischen Teil werden im ersten Kapitel eingangs Vorüberlegungen zur Diskurslinguistik und einem für das vorliegende Forschungsvorhaben geeigneten Konzept angestellt. Ausgehend von einer Diskussion des Diskursbegriffs und seiner wissenschaftlichen Bedeutung werden unterschiedliche Diskurskonzepte der Linguistik vorgestellt. Sodann erfolgt eine Engführung hinsichtlich philologischer Ansätze, die sich an Foucaults Diskursüberlegungen anschließen. Einordnungsversuche dieser dis|| 7 Kaufmann 2003, S. 82.

Einleitung | 5

kurslinguistischen Programme in die Fachdisziplin zeigen, dass eine sprachwissenschaftliche Legitimation bestmöglich durch deren Verortung als kulturwissenschaftlich ausgerichtete Sprachkritik gelingt. Wenn schließlich anhand des Verständnisses von Sprachkritik kritische und deskriptiv orientierte diskurslinguistische Konzepte unterschieden werden, erfolgt nach Abwägung der Nachteile kritischer Diskursanalysen eine Entscheidung für eine deskriptiv ausgerichtete diskurslinguistische Konzeption dieser Arbeit, die öffentlichen Sprachgebrauch in dessen für die Gesellschaft wirklichkeitskonstitutiver Funktion untersucht und die in der Lage ist, damit in Zusammenhang stehende Entstehung von Bedeutung und deren Wandel zu erklären. Mit einer solchen Ausrichtung lassen sich in Busses Programm einer historischen Diskurssemantik8 dafür geeignete sprachtheoretische Grundlagen finden, die im zweiten Kapitel im Vordergrund stehen, während in forschungspraktischer Hinsicht die Überlegungen zum öffentlichen Sprachgebrauch von Stötzel und die daraus entwickelten Ansätze der Düsseldorfer Schule, die zudem Busses Ansatz nutzen können, ergiebige Ansatzpunkte liefern.9 Busses Entwurf einer Diskurssemantik erhält sein Gewicht aufgrund seiner umfassenden sprachtheoretischen Leistung für die linguistische Diskursanalyse. Es vermag Entstehung und Wandel von Bedeutungen im Zusammenhang mit der Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeiten zu erklären und in der Auseinandersetzung mit Foucault zu zeigen, welche Rolle Diskurse dabei spielen und wie diese begriffen und analysiert werden können. Zusammen mit Teubert10 hat Busse zudem einen der meist rezipierten Operationalisierungs-

|| 8 Vgl. Busse, Dietrich: Historische Semantik. Analyse eines Programms. Stuttgart 1987. 9 Nicht zuletzt ist damit auch von Polenz‘ Forderung nach einer soziopragmatischen Sprachgeschichtsschreibung Rechnung getragen, die als Untersuchungsobjekt „Sprache im gesellschaftlichen Handeln“ (Polenz, Peter von: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Band I. Einführung. Grundbegriffe. 14. bis 16. Jahrhundert. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage. Berlin und New York 2000, S. 13) wählt. In einem solchen Konzept ist Sprachgeschichte „zentraler Bestandteil von Sozialgeschichte (...), da Sprache für Aufbau, Erhaltung oder Veränderung von Gesellschaftsstrukturen und gesellschaftlichen Tätigkeiten konstitutiv ist. (...) Diese Forschungsrichtung ist unvermeidbar politisch, zivilisations-, gesellschafts- oder wissenschaftskritisch motiviert“ (ebd., S. 14 f.). 10 Vgl. Busse, Dietrich und Teubert, Wolfgang: „Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? Zur Methodenfrage der historischen Semantik“. In: Busse, Dietrich, Hermanns, Fritz und Teubert, Wolfgang (Hrsg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. Opladen 1994, S. 10–28. Daneben hat auch der Ansatz einer diskursgeschichtlich gefassten Mentalitätsgeschichte von Hermanns eine intensive Rezeption erfahren. Vgl. Hermanns, Fritz: „Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte. Überlegungen zu Sinn und Form und Gegenstand historischer Semantik“. In: Gardt, Andreas,

6 | Einleitung

versuche des Diskurskonzepts vorgelegt, der als wegweisend für die sprachwissenschaftliche Verortung der Diskursanalyse gilt und fundamentale Aspekte für die Konzeption der eigenen Arbeit liefert. Er soll daher im Vordergrund des dritten Kapitels des Grundlagenteils stehen. Stötzel hingegen hat sich nie explizit der Diskursanalyse gewidmet, jedoch bereits vor Busse durch seine Arbeiten zum öffentlichen Sprachgebrauch gezeigt, inwieweit sich gesellschaftliche Auseinandersetzungen als semantische Kämpfe manifestieren und damit die Relevanz von Sprache in ihrer wirklichkeitskonstitutiven Funktion für die Gesellschaft hervorgehoben.11 Aus seinem Programm einer „Sprachgeschichte als Problemgeschichte der Gegenwart“12 hat eine Vielzahl von Schülern forschungspraktische Ansätze und Arbeiten entwickelt, die diskurslinguistisch verfahren und ihre Schlagkraft für die Analyse vorwiegend politischer Diskurse aus ihrer narrativ-hermeneutischen Herangehensweise beziehen. Sie werden im vierten Kapitel vorgestellt und bieten für das vorliegende Untersuchungsvorhaben entscheidende Ansatzpunkte hinsichtlich des methodischen Vorgehens. Im Anwendungsteil der Arbeit ist für die Durchführung des eigenen Vorhabens zunächst die Forschungskonzeption zu konkretisieren. Dies geschieht mit dem ersten Kapitel des zweiten Teils. Hier ist in einem ersten Schritt der Stand der Forschung zu berücksichtigen. Die bereits angeführten begriffsgeschichtlichen Arbeiten von Conze, Schrimm-Heins und Kaufmann werden hinsichtlich ihrer wesentlichen Ergebnisse zum Sicherheitsbegriff rezipiert und dessen grundlegende Entwicklung seit der Antike knapp rekapituliert. Die Begrenztheit der begriffsgeschichtlichen Verfahrensweise sowie die fehlende Abdeckung jüngerer Zeitspannen in den genannten Arbeiten liefern den Anknüpfungspunkt für das eigene Forschungsvorhaben, das durch seinen Rückgriff auf diskurslinguistische Verfahrensweisen Aufschluss über gesellschaftliches Denken und Wollen der aktuellen Vergangenheit gewinnen will. Für die Konzeption der Untersuchung ist die Frage der Korpuskonstitution von zentraler Bedeutung. Hierfür liefern Busse und Teubert13 wertvolle Hinweise. Die Festlegung des Betrachtungszeitraums bildet dabei den ersten Schritt.

|| Mattheier, Klaus J. und Reichmann, Oskar (Hrsg.): Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Gegenstände, Methoden, Theorien. Tübingen 1995, S. 69–101. 11 Vgl. z. B. Stötzel, Georg: „Konkurrierender Sprachgebrauch in der deutschen Presse. Sprachwissenschaftliche Textinterpretation zum Verhältnis von Sprachbewußtsein und Gegenstandskonstitution“. In: Wirkendes Wort. 30. Jg. (1980), S. 39–53. 12 Ders.: „Sprachgeschichte als Problemgeschichte der Gegenwart. Vorstellung eines Konzepts“. In: Heringer, Hans Jürgen und Stötzel, Georg (Hrsg.): Sprachgeschichte und Sprachkritik. Festschrift für Peter von Polenz zum 65. Geburtstag. Berlin und New York 1993, S. 111–128. 13 Vgl. Busse und Teubert 1994, S. 14.

Einleitung | 7

Da Erkenntnisse über die aktuelle Sprachgeschichte von Sicherheit gewonnen werden sollen, wird für den Untersuchungsbeginn trotz der Problematik chronologischer Zäsuren14 der 11. September 2001 gewählt. Hierfür wird angenommen, dass nicht nur die Ereignisse in New York, sondern auch der unmittelbar danach in Deutschland mit Brisanz geführte Sicherheitsdiskurs bis heute Einfluss auf gesellschaftliche Bedeutungskonstitution ausüben. In thematischer Hinsicht werden neben den außen- und innenpolitischen Sicherheitsdiskursen nach dem 11. September 2001 außerdem der Diskurs um Griechenland und den Euro in seiner ersten Brisanzphase 2010 sowie die NSA-Affäre zu ihrem Höhepunkt im Jahr 2013 als weitere gesellschaftlich bedeutsame und bis in die Gegenwart wirkende Diskurse ausgewählt. Entsprechend werden drei Teilkorpora erstellt. Um die Handhabbarkeit dieses umfangreichen Vorhabens zu gewährleisten, sind hinsichtlich der Repräsentativität der Korpora Einschränkungen zu machen. Es sind vor allem Texte auszuwählen, die inhaltlich und sprachlich stellvertretend für eine größere Anzahl ähnlicher Artikel stehen, so dass dominante Diskurstendenzen repräsentiert sind. Zudem liegt das Augenmerk auf besonders prägnanten sprachlichen Ausprägungen sowie intensiven diskursiven Beziehungen. Texte werden auch dann Teil des jeweiligen Korpus, wenn sie Wendepunkte im Diskurs markieren. Ausgewählt werden generell Artikel aus Zeitungen, die nicht nur eine bundesweite Öffentlichkeit erreichen, sondern hinter denen auch unterschiedliche politische Richtungen zu vermuten sind. Hierfür werden hauptsächlich die Datenbanken von Frankfurter Allgemeiner Zeitung und Süddeutscher Zeitung als praktikabel erachtet. Des Weiteren werden auch Texte der politischen Öffentlichkeit, insbesondere Bundestagsdebatten, in die Korpora aufgenommen, da von einer nicht unerheblichen diskursiven Wechselwirkung zwischen medialen und politischen Aussagengeflechten ausgegangen wird. Die Zielsetzung der Arbeit erfordert über die Korpuskonstitution hinaus eine Methodik, die vor allem dem Umstand Rechnung trägt, dass Sprachgebrauch im öffentlichen Raum und zudem innerhalb kontroverser Meinungsbildungsprozesse untersucht werden soll. Für die jeweils einzeln zu durchschreitenden Diskursräume werden daher die wesentlichen Untersuchungskategorien gewählt, die von der Düsseldorfer Schule begründet wurden. Bedeutsame Lexematik wird dementsprechend in Anlehnung an das Konzept der Kontroversen Begriffe herausgearbeitet. Die dort formulierten Indikatoren für gesellschaftlich bedeut-

|| 14 Vgl. Stötzel, Georg: „Einleitung“. In: Ders. und Wengeler, Martin: Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin und New York 1995, S. 1–17, hier: S. 4 ff.

8 | Einleitung

samen Sprachgebrauch sollen in der vorliegenden Untersuchung als Leitlinien für die lexematische Analyse dienen.15 Auch Bökes Konzept politischer Leitvokabeln16 und weitere Kategorien der politischen Semantik werden für die Untersuchung der lexematischen Ebene herangezogen. Zudem will die Arbeit in Anschluss an Böke auffällige Metaphorik als Ausdruck „sozio-kulturell bedingter […] Grundstrukturen“17 analysieren. Auch erweisen sich Toposanalysen nach der von Wengeler begründeten Methodik als erfolgversprechend.18 Sie sollen Argumentationsstrategien aufdecken, mit deren Hilfe Konzeptionierungen von Sicherheit in der öffentlichen Diskussion plausibilisiert werden. Die Präsentation der Untersuchungsergebnisse folgt keinem festgelegten Schema, vielmehr wird ein solches für jeden Teildiskurs eigens in Abhängigkeit von Struktur und Spezifika der eruierten Phänomene entworfen. Den Leitgedanken dafür gibt die von Stötzel geforderte „Bedeutsamkeitserzählung“19 vor, der mit einem narrativen Darstellungsmodus am besten entsprochen werden kann. Im Anschluss an die Forschungskonzeption ist in einem umfangreichen Teil der Dissertation die diskurslinguistische Analyse für ausgewählte Debatten und Einzelthemen in den einzelnen Diskursräumen nach der dargelegten Methodik durchzuführen. Dies geschieht in drei Kapiteln. Im ersten Diskurs um Sicherheit nach den Ereignissen vom 11. September 2001 werden auf außenpolitischem Gebiet die Auseinandersetzung um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sowie die innenpolitische Debatte um die Verabschiedung zahlreicher Gesetze im Gefolge der Geschehnisse in New York verfolgt. In der darauf folgenden Diskursuntersuchung interessieren im Zusammenhang mit der Debatte um Griechenland und den Euro hauptsächlich Kontroversen um die Kreditvergaben an das südeuropäische Land sowie Auseinandersetzungen um dessen Verbleib in der Eurozone im Jahr 2010. Im abschließenden Diskurs um die NSA-Affäre liegt

|| 15 Vgl. Stötzel 1995, insbes. S. 3 und 11 f. 16 Vgl. Böke, Karin: „Politische Leitvokabeln in der Adenauer-Ära“. In: Dies., Liedtke, Frank und Wengeler, Martin: Politische Leitvokabeln in der Adenauer-Ära. Berlin und New York 1996a, S. 19–50. 17 Dies.: „Überlegungen zu einer Metaphernanalyse im Dienste einer »parzellierten« Sprachgeschichtsschreibung“. In: Dies., Jung, Matthias und Wengeler, Martin (Hrsg.): Öffentlicher Sprachgebrauch. Praktische, theoretische und historische Perspektiven. Georg Stötzel zum 60. Geburtstag gewidmet. Opladen 1996b, S. 431–452, hier: S. 439. 18 Vgl. grundlegend Wengeler, Martin: Topos und Diskurs. Begründung einer argumentationsanalytischen Methode und ihre Anwendung auf den Migrationsdiskurs (1960–1985). Tübingen 2003a. 19 Stötzel 1995, S. 15.

Einleitung | 9

das Hauptaugenmerk auf kontroversen Positionen zu den geheimdienstlichen Aktivitäten der USA und dem daraus ableitbaren gesellschaftlichen Sicherheitsverständnis. Bei allen Teilanalysen steht stets die Fahndung nach Aufschlüssen zur Semantik von Sicherheit im Vordergrund, um ausreichende Anhaltspunkte hinsichtlich der gestellten Forschungsfragen zu gewinnen. In einer die Arbeit abschließenden Synopse und Gesamtbetrachtung der Einzeldiskursanalysen werden schließlich Antworten auf die aufgeworfenen Forschungsfragen gegeben sowie die Eingangsthese hinsichtlich ihrer Haltbarkeit überprüft. Anschlussfähige Forschungsfragen werden in einem Ausblick aufgezeigt.

| Teil I: Zugänge der Diskurslinguistik

1 Paradigma oder Proteus? Zur Diskursanalyse in der Germanistischen Sprachwissenschaft 1.1 Diskurs – Karriere eines Begriffs Der Diskurs als Wissenschaftsparadigma erlebte in den vergangenen Jahrzehnten einen rasanten Aufstieg in allen Kulturwissenschaften. Wenn Busch ihn als „Proteus“20 bezeichnet, dann spielt er damit auf eine begriffliche Problematik an, die aus dessen häufig vagem, unklaren und vor allem sehr unterschiedlichen Gebrauch in den verschiedenen Wissenschaften wie auch innerhalb einzelner Disziplinen erwächst. Ruoff rechnet den Diskurs zu „jenen Prügelknaben, die mehr Allgemeinplatz, denn präzise Bestimmung zu sein scheinen.“21 Schalk bezeichnet den Begriff in Anlehnung an Eco als „umbrella term“22. Er gilt als „Allerwelts- und Modewort“23 und „als Imponiervokabel, als Metapher, als

|| 20 So Busch die von ihm behandelte Problematik schon im Titel seines Aufsatzes exponierend (Busch, Albert: „Der Diskurs: ein linguistischer Proteus und seine Erfassung – Methodologie und empirische Gütekriterien für die sprachwissenschaftliche Erfassung von Diskursen und ihrer lexikalischen Inventare“. In: Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurslinguistik nach Foucault. Theorie und Gegenstände. Berlin und New York 2007, S. 141–163). Einleitend expliziert er schließlich: „[E]r ändert seine Gestalt offenbar bei jedem sprachlichen Zugriff“ (ebd., S. 141). 21 Ruoff, Michael: Foucault-Lexikon. Paderborn 2007, S. 15. 22 Schalk, Helge: „Diskurs. Zwischen Allerweltswort und philosophischem Begriff“. In: AfB. Bd. 40 (1997/98), S. 56–104, hier: S. 56. Eco verwendet den Ausdruck allerdings nicht in Auseinandersetzung mit dem Diskursbegriff, sondern z. B. zur Problembeschreibung der linguistischen Untersuchungskategorie Präsupposition: „[P]ressuposition seems to be a ‚fuzzy‘ category, or an umbrella term covering assorted semiotic phenomena“ (Eco, Umberto: The Limits of Interpretation. Bloomington und Indianapolis 1994, S. 222). 23 Ebd. || Anmerkung: Die Verfasserin weist darauf hin, dass sie sich bereits im Jahr 2009 im Rahmen ihrer unveröffentlichten Bachelorarbeit an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (Titel: Die „Wiedervereinigung“ im öffentlichen Sprachgebrauch – eine diskurslinguistische Untersuchung) mit den Grundlagen der Diskurslinguistik befasst hat, jedoch keine Textpassagen aus dem dortigen knappen Theorieteil wörtlich in die vorliegende Arbeit übernommen wurden. https://doi.org/10.1515/9783110605358-002

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leere Hülse“24 aufgrund seiner Omnipräsenz und inflationären Verwendung – er hat „Hochkonjunktur“25 –, und doch wird ihm kaum irgendwo seine wissenschaftliche Relevanz abgesprochen.26 Verfolgt man seine Geschichte zurück, so zeigt sich, dass der Ausdruck Diskurs schon seit jeher polysemisch geprägt und im Zeitverlauf gewichtigen Wandlungen unterzogen ist.27 Die Sprachgeschichte macht zudem deutlich, weshalb wissenschaftliche und alltagssprachliche Semantik des Begriffs heute weit auseinander liegen. Das Nomen Diskurs entlehnt die deutsche Sprache im frühen 16. Jahrhundert aus dem mittelfranzösischen discours mit den Bedeutungen ‚Verkehr‘, ‚Umgang‘, ‚Gespräch‘. Es bezieht sich zunächst sowohl im französischen als auch im deutschen Sprachgebrauch auf ein wissenschaftliches Gespräch bzw. eine wissenschaftliche Abhandlung. Seit dem 17. Jahrhundert wird es zudem als Synonym für Konversation gebraucht.28 Eine einschneidende Bedeutungsveränderung erfährt das Wort in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: „Von einem Wort der alltäglichen Bildungssprache hat sich das Substantiv zu einem theoretisch aufgeladenen Terminus der Geisteswissenschaften verschoben.“29 Die kulturwissenschaftliche Terminologiegeschichte ist – wie bereits angedeutet – uneinheitlich verlaufen und lässt sich nicht auf einen gemeinsamen Ursprung zurückführen. Vielmehr lassen sich mindestens drei wichtige Traditionslinien ausmachen, auf die noch einzugehen sein wird. Eines allerdings haben sie gemeinsam: Mit der heute alltagssprachlich gültigen Be-

|| 24 Schöttler, Peter: „Wer hat Angst vor dem »linguistic turn«?“ In: Geschichte und Gesellschaft. 23. Jg. (1997), S. 134–151, hier: S. 142. 25 Niehr, Thomas: Einführung in die linguistische Diskursanalyse. Darmstadt 2014a, S. 11. 26 Ähnlich Warnke, Ingo H.: „Diskurslinguistik nach Foucault – Dimensionen einer Sprachwissenschaft jenseits textueller Grenzen“. In: Ders. (Hrsg.): Diskurslinguistik nach Foucault. Theorie und Gegenstände. Berlin und New York 2007, S. 3–24, hier: S. 3. Spitzmüller und Warnke wiesen darauf hin, dass die Klage über die Vagheit des Diskursbegriffs bereits zum Topos auch innerhalb diskurstheoretischer Arbeiten geworden ist und möchten diese durch eine kritische Reflexion des Begriffs zum Nutzen von Disziplinengeschichte und Theoriebildung ersetzen (vgl. Spitzmüller, Jürgen und Warnke, Ingo H.: Diskurslinguistik. Eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. Berlin und Boston 2011, S. 5). 27 Vgl. für eine knappe und präzise Übersicht über die Begriffsgeschichte Niehr 2014a, S. 12 ff. 28 Vgl. weiterführend zur französischen Begriffsgeschichte Meinschaefer, Judith: „Words in discourse – On the diachronic lexical semantics of discours“. In: Eckardt, Regine, Heusinger, Klaus von und Schwarze, Christoph (Hrsg.): Words in Time. Diachronic Semantics from Different Points of View. Berlin und New York 2003, S. 135–171. Meinschaefer ermittelt 12 Bedeutungen für discours seit dem 16. Jahrhundert bis heute, die sich den vier semantischen Feldern space, time, mind und communication zuordnen lassen (vgl. ebd., insbes.: 140 ff.). 29 Warnke 2007, S. 3.

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deutung von Diskurs als ‚Diskussion‘, ‚Debatte‘ oder ‚Gespräch‘ lassen sie sich nicht hinreichend erfassen.30 Konerding versucht sich an einem „abstrakten gemeinsamen Nenner der variierenden Gebrauchsweisen“31 von Diskurs und weist gleichzeitig auf die Vagheit seines Definitionsversuchs hin: Mit Diskurs werden in der Regel öffentlich geführte und von verschiedenen Medien getragene Debatten von größerem Umfang und längerer Dauer bezeichnet, die sich einschlägigen Themenbereichen und Problemstellungen von gesellschaftlich [sic!] und/oder kulturellem Belang widmen.32

Er sieht den Aufstieg des Diskurses zum Paradigma in dessen gesellschaftsbezogener Erklärungsmacht begründet. Mit dessen Verwendung gehe eine gesteigerte Beachtung der „gesellschaftliche[n] Bedeutung von Kommunikations- und Argumentationsprozessen“33 durch die Öffentlichkeit einher. Diskurs sensibilisiert für die grundlegende Rolle der Sprache bei der Bildung von gesellschaftlichen Wissenssystemen, der Aushandlung von Meinungsbildungsprozessen und Entstehung von kollektiven Weltbildern. Er verdeutlicht, dass gesellschaftliche Wahrheiten zu begreifen sind „als kommunikativ produzierte, akzeptierte und schließlich präsupponierte Artefakte, die keiner Revision enthoben und nur in jeweiligen kulturspezifischen Zusammenhängen funktional sind.“34 Gesellschaftliches Bewusstsein sowie kollektive Selbstverständlichkeiten sind demnach die Konsequenz kommunikativer Aushandlungsprozesse, die in demokratischen Gesellschaften insbesondere sprachlich ausgetragen und damit zum Interessengebiet der Diskurslinguistik werden. Das gesteigerte Interesse der Geistes- und Sozialwissenschaften an einem diskursanalytischen Zugriff auf soziale und mentale Prozesse lässt sich zunächst zurückführen auf den Linguistic Turn35 ab der Mitte des 20. Jahrhunderts,

|| 30 In diesen Bedeutungen findet in den 1980er Jahren die mediale Ausbreitung des Ausdrucks statt, zunächst in den Feuilletons und später in anderen Ressorts (vgl. Spitzmüller und Warnke 2011, S. 9). 31 Konerding, Klaus-Peter: „Diskurslinguistik – eine neue linguistische Teildisziplin“. In: Felder, Ekkehard (Hrsg.): Sprache. Berlin 2009, S. 155–177, hier: S. 155. 32 Ebd. 33 Ebd. 34 Ebd. Konerdings als ,allgemeingültig‘ intendierte Argumentation weist an dieser Stelle eine deutliche Nähe zu poststrukturalistischen Diskursbegriffen auf, ohne dass er dies explizit zum Ausdruck bringt. 35 Auch als sprachkritische Wende oder sprachanalytische Wende bezeichnet. Der Ausdruck fasst postmoderne Konzepte zusammen, die Erkenntnis nur innerhalb der Logik der Sprache

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der die sprachlichen Bedingungen wissenschaftlicher Problemlösung und damit den Stellenwert der Sprache für Gegenstands- und Wissenskonstitution ins Zentrum der Betrachtung rückt. Zudem wird man sich bewusst, dass kommunikative Prozesse in demokratischen Gesellschaften eine entscheidende Rolle für die Erlangung von Gestaltungsmacht und die Durchsetzung gruppenspezifischer Interessen spielen. Letztlich besteht gesellschaftliches Ringen in einem Kampf um die Deutungshoheit von Phänomenen, die als sprachlich strukturierte und qualifizierte Begriffe verständnis- und handlungsleitende Funktion gewinnen und die Durchsetzung der jeweiligen Zielsetzungen gewährleisten sollen. Die Komplexität heutiger Gesellschaften mit ihren vielseitig ausdifferenzierten Lebens- und Wissensbereichen wird nicht zuletzt getragen durch ebenso komplex organisierte, mehrfach vermittelte kommunikative Prozesse. Die Einsicht, dass sich gesellschaftliche und individuelle Wirklichkeitssichten im Zuge sprachgebundener Vorgänge konstituieren und wandeln, verleiht dem Begriff des Diskurses sein Gewicht für die Untersuchung und Klärung sozialer Fragestellungen. Konerding spricht daher von der Diskursanalyse als „einem emergierenden und äußerst fruchtbaren disziplinübergreifenden Forschungsparadigma“36 im Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften. Dabei lassen sich verschiedene Verwendungstraditionen des Diskursbegriffs unterscheiden, deren Einteilung nicht immer einheitlich erfolgt. Im Vorgriff auf die Ausführungen zur linguistischen Diskursanalyse im nächsten Abschnitt sollen an dieser Stelle kurz in der Linguistik grundlegend gängige Diskurskonzepte vorgestellt und zwischen der anglo-amerikanischen Discourse Analysis bzw. der funktional-pragmatischen Diskursanalyse, der Habermas’schen Diskurstheorie und poststrukturalistischen Theorieströmungen unterschieden werden.37 || als möglich begreifen. Er geht zurück auf den österreichischen Philosophen Bergmann. Rorty wiederum zeichnet mit seinem Sammelband für die Verbreitung des Ausdrucks verantwortlich (Rorty, Richard (Hrsg.): The Linguistic Turn. Recent Essays in Philosophical Method. Chicago 1967, Verweis auf Bergmann: S. 9). Vgl. einführend auch Hornscheidt, Antje: „Der ‚linguistic turn‘ aus der Sicht der Linguistik“. In: Henningsen, Bernd und Schröder, Stephan M. (Hrsg.): Vom Ende der Humboldt-Kosmen. Konturen von Kulturwissenschaft. Baden-Baden 1997, S. 175– 206. 36 Konerding 2009, S. 158. 37 Vgl. zu dieser Einteilung auch die Übersicht bei Spitzmüller und Warnke 2011, S. 9, die allerdings den Begriff funktional-pragmatische Diskursanalyse nicht explizit nennen, sondern von „konversationsanalytisch geprägte[r] Diskursanalyse“ (ebd.) sprechen, die als „analog zur anglo-amerikanischen discourse analysis“ (ebd.) angegeben wird. Reisigl hingegen nutzt den Begriff und weist eher auf Unterschiede zur genannten discourse analysis hin (vgl. Reisigl, Martin: „Die Stellung der historischen Diskurssemantik in der linguistischen Diskurs-

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Im Rahmen des amerikanischen Strukturalismus, insbesondere in der Ausprägung des Distributionalismus, weist die Linguistik erstmalig den Diskursbegriff aus. Im Rahmen der Konzeption einer Discourse Analysis fordert Harris die Ausweitung der Analyse von Verbindungen sprachlicher Elemente über den Satz hinaus auf die „connected speech“38, also auf Äußerungen, die über einen Satz hinausreichen. Die funktional-pragmatische Diskursanalyse als älteste linguistisch formierte Diskursforschung im deutschsprachigen Raum lehnt das „textgrammatische Projekt“39 Harris‘ ab und schlägt eine an der Pragmatik von Sprechhandlungen ausgerichtete Diskursanalyse vor. Während Harris noch von der diskursiven Distribution sprachlicher Elemente in der geschriebenen und gesprochenen Sprache ausgeht, schränkt die Funktionale Pragmatik das Verständnis von Diskurs später ein auf „mündliche Kommunikation [Herv.; A. S.] in der Fülle ihrer alltäglichen und institutionellen Wirklichkeit.“40 So widmet sich diese Diskursanalyse der Erforschung von Regelmäßigkeiten und Mustern kommunikativen Handelns in mündlichen Sprachinteraktionen und erlangt in der Germanistischen Linguistik der 1980er und frühen 1990er Jahre eine hohe Bedeutung für Gesprächsanalyse, Konversationsforschung und Dialoganalyse und ist immer einzeltextbezogen.41 Habermas entwickelt ab dem Beginn der 1970er Jahre seine sozialphilosophische Konzeption eines „herrschaftsfreien Diskurses“42. Im Rahmen seiner || forschung“. In: Busse, Dietrich und Teubert, Wolfgang (Hrsg.): Linguistische Diskursanalyse: neue Perspektiven. Wiesbaden 2013, S. 243–271, hier: S. 244). Spitzmüller und Warnke zeigen zudem auf, dass sich in linguistischen Arbeiten bisweilen auch Diskurs in seiner bildungssprachlichen Semantik im Sinne von ‚Gespräch‘ oder ‚Debatte‘ wiederfindet (vgl. Spitzmüller und Warnke 2011, S. 9). 38 Harris, Zellig: „Discourse Analysis.“ In: Language. 28. Jg. (1952), S. 1–30, hier: S. 1. Harris überwindet damit Bloomfields Auffassung vom Satz als größte linguistisch fassbare Einheit: „[E]ach sentence is an independent linguistic form, not included by virtue of any grammatical construction in any larger linguistic form“ (Bloomfield, Leonard: Language. New York 1933, S. 170). 39 Reisigl 2013, S. 246. 40 Ehlich, Konrad: „Einleitung“. In: Ders. (Hrsg.): Diskursanalyse in Europa. Frankfurt am Main u. a. 1994, S. 9–13, hier: S. 9. 41 Reisigl warnt allerdings davor, funktional-pragmatische Diskursanalyse auf Gesprächsanalyse einzuschränken. Sie geht „über den engen ‚lokalen Kontext‘, mit dem sich ein konversationsanalytischer Zugang bescheidet, deutlich hinaus“ (Reisigl 2013, S. 246). Spitzmüller und Warnke sehen diese Ausweitung darin gegeben, „dass es ihr sehr viel stärker (...) um kulturell verankerte Muster sprachlichen Handelns geht“ (Spitzmüller und Warnke 2011, S. 8). 42 Vgl. u. a. Habermas, Jürgen und Luhmann, Niklas: Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie. Was leistet die Systemforschung? Frankfurt am Main 1971, S. 114 ff. und 195 ff. Später in modifizierter Form auch Habermas, Jürgen: Der philosophische Diskurs der Moderne. Frankfurt

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Theorie kommunikativen Handelns im Anschluss an die Sprechakttheorie von Austin und Searle entwirft Habermas die Vorstellung von Diskurs als gleichberechtigtem und konsensorientiertem Meinungsaustausch, bei dem die Diskursteilnehmer unabhängig von ihrer sozialen Position ihre Standpunkte argumentativ rechtfertigen müssen. Habermas verfolgt dabei keine konkreten kommunikativen Praktiken, sondern vielmehr eine ethische Utopie. Dieses Ideal ist heute praktisch erfolgreich, etwa im Rahmen von Konfliktkommunikation, z. B. in der Mediation. In diskurslinguistischen Arbeiten wird die Habermas’sche Lesart des Diskurses bisweilen unbewusst verwendet;43 die diskurstheoretischen Ansätze in der Sprachwissenschaft berufen sich jedoch kaum auf Habermas. Vielmehr rekurrieren die unterschiedlichen Ansätze der linguistischen Diskursanalyse im Wesentlichen auf poststrukturalistische Positionen zum Diskurs. Die mit Poststrukturalismus bezeichnete geistes- und sozialwissenschaftliche Strömung mit französischem Ursprung in den späten 1960er Jahren bildet keine geschlossene Schule. Gemeinsamkeiten in den verschiedenen Ansätzen finden sich in der kritischen Auseinandersetzung mit dem Strukturbegriff des älteren Strukturalismus und in der Ablehnung jeglicher geschlossenen Theorie und Systematik.44 Bedeutende Denker wie Althusser, Pêcheux, Barthes, Greimas, Derrida, Lacan und Foucault reflektieren die Bedeutung von Zeichen, Sprache und kommunikativer Praxis für die Entstehung von Wissenssystemen und Weltbildern sowie Ideologien.45 Wesentlich ist dabei die Zurückweisung „zentrale[r] Grundannahmen der alteuropäischen Rationalität und Metaphysik“ 46. So werden etwa Logozentrismus und Essentialismus regelmäßig als Feindbilder in poststrukturalistischen Positionen aufgerufen. Im Rahmen dis-

|| am Main 1985, S. 390 ff. Vgl. außerdem ders.: Erläuterungen zur Diskursethik. Frankfurt am Main 1991. 43 Vgl. Spitzmüller und Warnke 2011, S. 7 f. 44 Rusterholz legt überzeugend dar, dass der Strukturalismus als Voraussetzung des Poststrukturalismus gelten muss (vgl. Rusterholz, Peter: „Poststrukturalistische Semiotik“. In: Posner, Roland u. a. (Hrsg.): Semiotik. Ein Handbuch zu den zeichentheoretischen Grundlagen von Natur und Kultur. Berlin und New York 1998, S. 2329–2339). 45 Verschiedene diskurstheoretische Positionen von Poststrukturalisten sind versammelt in Angermüller, Johannes, Maingueneau, Dominique und Wodak, Ruth (Hrsg.): The Discourse Studies Reader. Main currents in theory and analysis. Amsterdam u. a. 2014, S. 69 ff.. 46 Bunia, Remigius und Dembeck, Till: „Dekonstruktion / Poststrukturalismus“. In: Schneider, Ingo (Hrsg.): Methodengeschichte der Germanistik. Berlin und New York 2009, S. 71–88, hier: S. 71.

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kurslinguistischer Ansätze ist allen voran der Bezug auf diskurstheoretische Überlegungen Foucaults hergestellt worden.47 Foucault entwickelt seinen Diskursbegriff hauptsächlich in den beiden Untersuchungen „Archäologie des Wissens“48 und „Die Ordnung des Diskurses“ 49. Seine Konzeptionen entsprechen der poststrukturalistischen Vermeidung „jeder geschlossenen Systematik“50; so lässt sich aus seinem Gesamtwerk nicht eindeutig schließen, ob Diskurs als sprachliches oder nicht-sprachliches Objekt zu gelten hat.51

|| 47 Vgl. einführend zum poststrukturalistischen Diskursbegriff auch Warnke, Ingo: „Texte in Texten – Poststrukturalistischer Diskursbegriff und Textlinguistik“. In: Adamzik, Kirsten (Hrsg.): Texte. Diskurse. Interaktionsrollen: Analysen zur Kommunikation im öffentlichen Raum. Tübingen 2002, S. 1–17. 48 Foucault, Michel: L’archéologie du savoir. Paris 1969. In deutscher Übersetzung erstmalig: Ders.: Archäologie des Wissens. 1. Auflage. Frankfurt am Main 1973. 49 Ders.: L’ordre du discours. Leçon inaugurale au Collège de France prononcée le 2. décembre 1970. Paris 1972. In deutscher Übersetzung erstmalig: Ders.: Die Ordnung des Diskurses. Inauguralvorlesung am Collège de France, 2. Dezember 1970. München 1974. Bei dieser Antrittsvorlesung von Foucault hat es den Anschein, als spiele er bewusst mit der Polysemie des Begriffs, indem er diese als discours im Sinne einer mündlichen Sprachverwendung bezeichnet und anschließend über seine Konzeption zum Diskurs referiert. Damit verweist Foucault nicht zuletzt implizit auf die etymologische Bedeutungsschicht von Diskurs: lateinisch discurrere als ein ‚Hin- und Herlaufen‘ des referentiellen Gehalts (vgl. auch Warnke 2007, S. 11). 50 Rusterholz 1998, S. 2329. 51 Auf der einen Seite scheint sich Foucault ein Stück weit dem zeitgenössischen Linguistic Turn (vgl. Anm. 35) zu verweigern, indem er den Diskurs als „irreduzibel auf das Sprechen und die Sprache“ (Foucault [1969] 1973, S. 74) charakterisiert, andererseits postuliert er nahezu zeitgleich: „Die Linguistik hat es endlich ermöglicht, nicht nur die Sprache, sondern auch die Diskurse zu analysieren, das heißt, sie hat es ermöglicht zu untersuchen, was man mit der Sprache machen kann“ (Foucault, Michel: „Linguistique et sciences sociales“. In: Revue Tunisienne de Sciences Sociales. Jg. 6 (1969), S. 248–255. In deutscher Übersetzung: Ders.: „Linguistik und Sozialwissenschaften“. In: Ders.: Dits et Ecrits. Schriften in vier Bänden. Bd. 1: 1954– 1969. Hrsg. von Daniel Defert. Frankfurt am Main 2001, S. 1042–1068, hier: S. 1050). Foucaults ambivalente Haltung gegenüber der Linguistik gewinnt Kontur nur vor dem Hintergrund der dominanten linguistischen Konzepte der 1960er Jahre; so setzt er sich kritisch etwa mit Saussure und Chomsky auseinander und entzieht sich einer abschließenden Positionierung (vgl. sehr erhellend Spitzmüller und Warnke 2011, S. 76 f.). Den umfassendsten Aufschluss des Foucault’schen Diskursverständnisses hat über die Grenzen der Linguistik hinaus ohne Zweifel Busse 1987 geleistet. Vgl. Anm. 23 in Busse, Dietrich: „Linguistische Diskurssemantik: Rückschau und Erläuterungen nach 30 Jahren“. In: Ders. und Teubert, Wolfgang (Hrsg.): Linguistische Diskursanalyse: neue Perspektiven. Wiesbaden 2013, S. 31–53, hier: S. 40. Vgl. zu Busses Foucault-Verständnis auch ausführlicher Kap. 2.5 im Ersten Teil dieser Arbeit.

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Als Diskurs bezeichnet Foucault „eine Menge von Aussagen, die einem gleichen Formationssystem zugehören“52. Diese Aussagenkomplexe gehorchen bestimmten Regeln, die Diskurse strukturieren. Sie stellen das Wissen einer Epoche dar und legen fest, über welche Gegenstände gesprochen werden darf und wer redet oder reden darf. Sie bestimmen zudem, welche theoretischen Annahmen vorausgesetzt und welche Begriffe und Modi zur Anwendung gelangen. Diese Möglichkeiten und Beschränkungen, Aussagen zu formieren, bilden die Ordnung des Diskurses und unterliegen historischen Veränderungen.53 Sie können auch als Ausdruck von Diskursen als Praktiken von Macht gelesen werden, die die politische bzw. soziale Durchsetzung von Interessen zum Ziel haben und festlegen, was als rechtens oder abwegig zu gelten hat. Die gängigen Weltdeutungs- und Erkenntnismuster einer Zeit sieht Foucault demnach jeweils einer anonymen, redebeherrschenden Macht unterworfen, die sich selbst fortschreibt und dabei nach komplexen Grundsätzen verfährt. Es handelt sich dabei um Ordnungsprinzipien jenseits einzelner agierender Individuen, die die Aussagen bestimmen, in denen das menschliche Wissen von Welt aufbewahrt (‚archiviert‘) wird. Innerhalb anonymer Machtstrukturen, die den Diskurs durchziehen, gilt das Subjekt als sozialer Akteur ebenfalls als diskursiv bedingt und ist in seiner Ausprägung Resultat besagter Ordnungsstrukturen und Möglichkeitsbedingungen.54

|| 52 Foucault [1969] 1973, S. 156. Das „allgemeine System der Formation und der Transformation der Aussagen [Herv. im Original; A. S.]“ (ebd., S. 188) bezeichnet Foucault als „Archiv“ (ebd.). 53 Ein Ordnungsschema, mit dem in einer Epoche Wissen organisiert wird, nennt Foucault episteme. Er unterscheidet die drei großräumigen episteme Mittelalter, Renaissance und Aufklärung sowie Moderne. Vgl. Ders.: Les mots et les choses: une archéologie des sciences humaines. Paris 1966. In deutscher Übersetzung erstmalig: Ders.: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften. 1. Auflage. Frankfurt am Main 1971, S. 46 ff. 54 Foucault wendet sich damit gegen die moderne Erkenntnistheorie mit ihrer zentralen Annahme eines autonom handelnden Subjekts. Das Subjekt ist gebunden in diskursive Ordnungsstrukturen, die es determinieren und in denen es erkennt und spricht. Eine „ursprüngliche Erfahrung“ (Ders. [1972] 1974, S. 31) von Gegenständen als Träger von Wahrheit oder Bedeutung, die mit Sprache lediglich ausgedrückt werden, findet damit nicht statt. ‚Hinter‘ den Diskursen, so die These Foucaults, gebe es nichts. Denken und Wahrnehmung sind vollständig durch Diskursordnungen geprägt. Zunehmend an diese Position bindet sich im Zeitverlauf etwa Teubert (vgl. z. B. Teubert, Wolfgang: „Die Wirklichkeit des Diskurses“. In: Busse, Dietrich und Teubert, Wolfgang (Hrsg.): Linguistische Diskursanalyse: neue Perspektiven. Wiesbaden 2013, S. 55–146). Mit dieser Sichtweise scheint auch die Konstitutionsthese Humboldts radikalisiert und gleichwohl auch erkenntnistheoretisch verengt: Es ist nicht nur von einer sprachlich relativierten Weltsicht auszugehen und Sprache als das Organ des Denkens zu betrachten. Letzteres „ist selbst gebunden an anonyme Strukturen der diskursiven Steuerung von

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An anderer Stelle formuliert Foucault den Diskursbegriff noch einmal diese Bedingungen fokussierend in Verbindung mit dem linguistisch interessierenden Aussagebegriff. Diskurs ist demnach eine Gesamtheit von anonymen, historischen, stets im Raum und in der Zeit determinierten Regeln, die in einer gegebenen Epoche und für eine gegebene soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umgebung die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion definiert haben.55

Diese ‚Ordnung‘ erscheint im Diskurs als Menge aller zugelassenen Aussagen, nur dort wird sie für die Analyse greifbar. Näher an die Sprachlichkeit von Diskurs herangerückt, bedeutet dies, dass Aussagen im Sinne von Texten immer auch auf nicht okkurrente Texte verweisen, die die diskursiven Kontrollschranken nicht passiert haben. Somit sind jede Aussage und jeder Text bereits Ausdruck diskursiver Strukturen und schreiben die Diskursformation fort. Foucault’s Diskursbegriff stößt in den Geistes- und Kulturwissenschaften auf eine breite und zugleich spannungsgeladene Resonanz, die auf die Mehrdeutigkeit der Foucault’schen Konzeption zurückzuführen ist. Die einzelnen Fachdisziplinen weisen dabei unterschiedliche Intensitäten und Geschwindigkeiten der Rezeption auf. Bei aller Vagheit umspannt der Diskursbegriff Foucaults als „eine strukturelle Einheit, die über Einzelaussagen hinausgeht“56, den gemeinsamen diskurstheoretischen Horizont der geistes- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen. In der Philosophie setzt man sich schon in den 1980er und 1990er Jahren intensiv mit Foucaults Ansätzen auseinander; sie haben ebenso großen Einfluss auf die Literaturwissenschaften ab den späten 1970er Jahren. Auch in den Geschichtswissenschaften, der Soziologie und der Geografie spielt Foucaults Diskursbegriff eine bedeutende Rolle. Heute entstehen verstärkt interdisziplinäre Zugänge aus Soziologie, Psychologie, Linguistik sowie Politik- und Geschichtswissenschaft.57 In der Germanistischen Sprachwis-

|| Aussagen“ (Warnke 2007, S. 13). Vgl. zur Humboldt’schen Konstitutionsthese ausführlicher Kap. 2.3. im Ersten Teil dieser Arbeit. 55 Foucault [1969] 1973, S. 171. 56 Warnke 2007, S. 5. 57 Vgl. für einen umfassenden Überblick über eine Vielzahl unterschiedlicher Zugänge zur Diskursanalyse Keller, Reiner u. a. (Hrsg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden. 3., erweiterte Auflage. Wiesbaden 2011. Nach Busse ist die interdisziplinäre Ausrichtung aus den Arbeiten Foucaults zwingend abzuleiten: „Naheliegend ist (...), dass eine umfassende Diskursanalyse, die den ganzen Strauß der von Foucault angesprochenen Aspekte hinreichend erforschen will, eigentlich nur eine interdisziplinäre For-

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senschaft kommt Foucault relativ spät zum Tragen;58 eine Pionierstellung nehmen hier die Ansätze der Historischen Semantik und der Kritischen Diskursanalyse ein, auf die im weiteren Verlauf dieses Kapitels noch einzugehen sein wird. Insgesamt ist zu beobachten, dass ein großes wissenschaftliches Interesse am Diskurs zu einer Vielfalt von Ansätzen geführt hat, ohne dass sich diese immer einer der zuvor skizzierten Traditionslinien zuordnen lassen. So kann etwa der im Zusammenhang mit dem Cultural bzw. Interpretative Turn entstandene Diskursbegriff der anglo-amerikanischen Kulturwissenschaften, der sich u. a. über Geertz auf Webers „Verstehende Soziologie“59 beruft, durchaus als Ergänzung oder Komplettierung des Foucault’schen Untersuchungsansatzes gelten. Immer mehr ist man auch um Vermittlungsversuche bemüht, um disziplinenübergreifende Theorieansätze zu etablieren.60 In dieser Arbeit wird das Interesse im Folgenden auf solche Ansätze eingeschränkt, die in den Philologien ihren Ort haben […], mehr oder weniger deutlich in der Tradition Michel Foucaults stehen, damit bestimmte Annahmen über die thematische und funktionale Vernetzung von Texten im öffentlichen Raum teilen und im analytischen Zugriff eine Offenlegung der Art und Weise sehen, wie in und durch Sprache öffentliches Bewusstsein und damit gesellschaftliche Wirklichkeit geschaffen wird.61

Es geht also um einen Diskursbegriff, der die Analyse öffentlichen Sprachgebrauchs unterstützt und gestaltet.

|| schung sein kann“ (Busse, Dietrich: „Interdisziplinäre Diskursforschung: Aufgabenfelder – Zustand – Perspektiven“. In: ZfD. 3. Jg. (2015), S. 227–271, hier: S. 248). 58 Vgl. weiterführend Warnke 2002, S. 1–17. Warnke setzt sich intensiv mit der Rezeption des Poststrukturalismus in der Linguistik auseinander, die er in wörtlicher Bedeutung als „Wiederaufnahme der eigenen strukturalistischen Position in der Gestalt philosophischer Transformation durch den Poststrukturalismus“ (ebd., S. 3) im Sinne des lateinischen re-cipere (bei Warnke fälschlich als re-cepto angegeben) bestimmt. Dabei verfolgt er die These, dass der Poststrukturalismus aufgrund seiner strukturalistischen Wurzeln eine zögerliche Aufnahme in die Linguistik erfahren hat. 59 Weber, Max: „Über einige Kategorien der verstehenden Soziologie“. In: Logos, Internationale Zeitschrift für Philosophie der Kultur. 4. Jg. (1913), S. 253–294. 60 Vgl. auch Konerding 2009, S. 161 sowie die ausführliche Auseinandersetzung von Busse 2015. 61 Warnke 2007, S. 28.

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1.2 Grenzüberschreitungen: Diskurslinguistik in der Germanistischen Sprachwissenschaft Die Berufung auf Foucault, die diskurslinguistische Ansätze regelmäßig angeben, bedeutet nicht die „einfache ›Übernahme‹ der Foucault’schen Theoreme“62. Vielmehr sind Präzisierungs- und Anpassungsarbeiten zu leisten, die aufgrund der Unentschiedenheit der Ausführungen Foucaults zum Diskurs und disziplinärer Anforderungen notwendig werden. Dabei geht es vor allem um die Bestimmung eines linguistischen Diskursbegriffs und des sprachwissenschaftlichen Gegenstands Diskursanalyse. Verschiedene Diskurslinguisten versuchen sich bis heute an Definitionen, die den Anspruch der Allgemeingültigkeit über einzelne Konzepte hinaus erheben. Gardt etwa wertet umfassend diskurslinguistische Forschungsliteratur aus und extrahiert daraus Diskurs als die Auseinandersetzung mit einem Thema, die sich in Äußerungen und Texten der unterschiedlichsten Art niederschlägt, von mehr oder weniger großen gesellschaftlichen Gruppen getragen wird, das Wissen und die Einstellungen dieser Gruppen zu dem betreffenden Thema sowohl spiegelt als auch aktiv prägt und dadurch handlungsleitend für die zukünftige Gestaltung der gesellschaftlichen Wirklichkeit in Bezug auf dieses Thema wirkt.63

Bluhm u. a. sehen den Schnittpunkt diskurslinguistischer Ansätze in der gemeinsamen Annahme, dass gesprochene wie geschriebene Texte aufgespannt sind in einem sowohl synchron als auch diachron konstituierten Bezugsnetz thematisch verwandter Texte. Gemeinsam ist diesen Ansätzen die Analyse von Form und Inhalt konkreter Texte bzw. textförmiger Äußerungen zu einem bestimmten Thema mit Blick auf die für das Verständnis wesentlichen, über die Textgrenzen hinausgehenden diskursiven Bezüge.64

|| 62 Spitzmüller und Warnke 2011, S. 77. 63 Gardt, Andreas: „Diskursanalyse – Aktueller theoretischer Ort und methodische Möglichkeiten“. In: Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurslinguistik nach Foucault. Theorie und Gegenstände. Berlin und New York 2007, S. 27–52, hier: S. 30. Gardt macht vier in der Forschungsdiskussion herausragende Komponenten des linguistischen Diskursbegriffs aus: erstens die „Vernetzung von Texten“, zweitens die „pragmatische Orientierung“, drittens „die Rückbindung des Diskursbegriffs an die Gesellschaft“ und viertens „die Funktion von Diskursen“ bei der „Konstituierung gesellschaftlicher Wirklichkeit“ (alle ebd., S. 29). 64 Bluhm, Claudia u. a.: „Linguistische Diskursanalyse: Überblick, Probleme, Perspektiven“. In: Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht. 88. Jg. (2000), S. 3–19, hier: S. 4.

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Ein entscheidender Aspekt aus sprachwissenschaftlicher Perspektive ist hier mit der Überschreitung der Textgrenze als bis dato größte linguistische Einheit durch die Diskurslinguistik genannt. Dahinter steht die Forderung, dass für die vollständige Erschließung von Bedeutungen semantische Bezüge über Textgrenzen hinweg zu analysieren sind. Mit diesem so genuin linguistisch anmutenden Postulat ist eine Diskussion um die fachsystematische Integration der Diskurslinguistik in die Sprachwissenschaft verbunden. In jungen Jahren der Diskurslinguistik setzen sich Busse und Teubert mit der (rhetorischen) Frage auseinander: „Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt?“65 Sie kontrastieren Diskursanalyse als über Textgrenzen hinausgreifende Semantik insbesondere vor dem Hintergrund der damit nicht kompatiblen Diskursbegriffe aus Alltagssprache, angelsächsischer Lesart und philosophischer Prägung nach Habermas und zeigen auf, dass mit einer Diskurslinguistik poststrukturalistischer Provenienz eine Überschreitung der Grenzen, die der Linguistik mit dem Strukturalismus auferlegt worden sind, eingeleitet ist. Nicht zuletzt mit dem Argument, dass Diskurslinguistik auf dem herkömmlichen sprachwissenschaftlichen Methodeninventar aufbaut und an bestehende Konzepte anschließt, bejahen Busse und Teubert die Zugehörigkeit der Diskurslinguistik zur Sprachwissenschaft. Auch Bluhm u. a. ergreifen in ähnlicher Weise sprachwissenschaftlich Partei für die Diskurslinguistik, wenn sie neben der Berufung auf etablierte theoretische Modelle und der Nutzung linguistischen Instrumentariums vor allem das originär sprachwissenschaftliche Erkenntnisinteresse der Diskurslinguistik anführen, das mit der Hinwendung zu Problemkomplexen wie Sprachwandel, Sprachbewusstsein, Sprachmentalitäten oder Sprachgebrauch gegeben ist.66 Warnke unternimmt jüngst einen Einordnungsversuch von Diskurs als „Gesamtheit vernetzter Aussagen“67 in das sprachliche Konstituentensystem und verfolgt Diskurslinguistik als Analyse von „quer zu gesetzten Konstituenten des linguistischen Systems liegende[n] Strukturen der Aussagenformation“68. Unbestritten erlebt die Diskurslinguistik eine hohe Popularität im Fach. Dennoch bleiben sogar Diskurslinguisten selbst skeptisch, inwiefern die Diskurslinguistik heute eine etablierte Fachrichtung der Sprachwissenschaft bildet. Warnke und Spitzmüller halten die Rechtfertigungszwänge, denen die Diskurslinguistik in ihren Anfangsjahren ausge-

|| 65 Busse und Teubert 1994. 66 Vgl. Bluhm u. a. 2000, S. 3. 67 Warnke, Ingo H.: „Diskurs“. In: Felder, Ekkehard und Gardt, Andreas: Handbuch Sprache und Wissen. Berlin und Boston 2015, S. 221–241, hier: S. 224. 68 Ebd., S. 227.

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setzt war, im Jahr 2008 für „hinfällig geworden“69 und verweisen auf die früheren Leistungen ihrer Kollegen zur fachsystematischen Verortung,70 während Konerding noch 2009 die Diskurslinguistik für „eine neue [Herv., A. S.] linguistische Teildisziplin“71 hält. Busse bezeichnet 2013 „die linguistische Diskursanalyse nach Foucault als recht gut etabliert“72. Indiz dafür ist auch das Erscheinen eigener Einführungen in das Forschungsfeld, wie etwa 2014 von Niehr vorgelegt.73 Eine perpetuierte Selbstvergewisserung hängt eng damit zusammen, was bereits eingangs des Abschnitts angedeutet wurde. Die Ausführungen Foucaults zum Diskurs, auf die man sich in der Diskurslinguistik so treu beruft, taugen nicht als einheitliches Theoriegebäude, ja nicht einmal als das, was man im herkömmlichen Sinn überhaupt als theoretisch bezeichnen würde. So können sie lediglich als „erkenntnistheoretischer Ausgangspunkt und durchaus auch als Inspiration“74 dienen. Eine Konkretisierung der linguistischen Diskursanalyse müssen Sprachwissenschaftler selbst vornehmen, und dabei fällt es ihnen nicht leicht, zu benennen, als was sie überhaupt zu begreifen ist. Erhellend ist hier die grundlegende Betrachtung von Gardt, der die linguistische Diskursanalyse in der Forschungsliteratur auf ihren Gehalt als Methode, Theorie oder Haltung hin beleuchtet und so ein umfassendes ‚Selbst-Verständnis‘ von Diskurslinguistik vermittelt.75 Mitunter, so stellt Gardt fest, wird die Diskursanalyse als Methode begriffen, als „ein planmäßiges, d. h. regelgeleitetes Verfahren zur Erschließung von Dis-

|| 69 Warnke, Ingo H. und Spitzmüller, Jürgen: „Methoden und Methodologie der Diskurslinguistik – Grundlagen und Verfahren einer Sprachwissenschaft jenseits textueller Grenzen“. In: Dies. (Hrsg.): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen Ebene. Berlin und New York 2008, S. 3–54, hier: S. 3. 70 Darunter Böke, Karin, Jung, Matthias und Wengeler, Martin (Hrsg.): Öffentlicher Sprachgebrauch. Praktische, theoretische und historische Perspektiven. Opladen 1996 und Blommaert, Jan: Discourse. A critical introduction. Cambridge 2005 sowie Warnke 2007. 71 So im Titel des Aufsatzes von Konerding 2009. 72 Busse 2013, S. 31. Er weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass nach wie vor große Widerstände insbesondere gegen das von ihm vorgelegte Konzept der Diskurssemantik bestehen (vgl. ebd.). 73 Vgl. Niehr 2014a. 74 Spitzmüller und Warnke 2011, S. 77. Nach Sarasin ist die Diskursanalyse „vielleicht sogar [als; A. S.] philosophische Haltung“ zu begreifen (Sarasin, Philipp: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Frankfurt am Main 2003, S. 8). 75 Vgl. Gardt 2007. Jüngeren Datums hat dazu auch Busse 2013 Stellung genommen und diskutiert die Frage „Ziel oder Methode?“ (Busse 2013, S. 36).

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kursen.“76 Dabei werden einzelne Verfahrensschritte angegeben, die die Methode bilden bzw. diese Schritte häufig auch selbst als Methoden bezeichnet. Hierbei gibt es keine vereinheitlichte Verfahrensweise unterschiedlicher Ansätze, sondern es wird regelmäßig eine Vielzahl an Instrumenten und Analysekomponenten angeführt, die von diskurslinguistischem Interesse sind. Als verbindendes Element macht Gardt die Semantik aus, die in Form von Wort-, Satz- und Textsemantik sowie gerade auch als transtextuell gestaltete Semantik eine methodische Basis der Diskurslinguistik bildet. Diskursanalyse als Methode nimmt generell also „die semantische Dimension sprachlicher Äußerungen“77 in den Blick. Distanziert wird sich dabei im Allgemeinen von semantischen Positionen der „systembezogenen, formalen Linguistik“78, so dass die diskurslinguistisch interessierende Semantik eine pragmatisch orientierte Methode darstellt, die mit der Annahme operiert, dass mit Texten Intentionen und Handlungen verfolgt werden. So werden bevorzugt Erkenntnisse aus etablierten semantischen und pragmatischen Forschungsansätzen wie der Textlinguistik, der Merkmalsemantik oder der Argumentationstheorie und Sprechakttheorie für diskurslinguistische Zwecke genutzt. Ziel einer als Methode verstandenen Diskursanalyse ist dann – mit unterschiedlich verfolgter Akzentuierung – die Freilegung der „semantischen Voraussetzungen, Implikationen und Möglichkeitsbedingungen“79 der sprachlichen Zeichen, so dass unter der semantischen Oberfläche die „diskurssemantischen Grundfiguren“80 der Diskurse sichtbar werden, in denen sich bestimmte „epistemische[] Tiefenströmungen“81, „Denkfiguren“82 und

|| 76 Ebd., S. 30. 77 Ebd., S. 35. 78 Busse, Dietrich: „Diskursanalyse in der Sprachgermanistik – Versuch einer Zwischenbilanz und Ortsbestimmung“. In: Haß, Ulrike und König, Christoph (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Linguistik von 1960 bis heute. Göttingen 2003b, S. 175–187, hier: S. 181. Verfolgt wird vielmehr eine „reiche Semantik“ (Ebd., S. 177 sowie ders.: „Begriffsgeschichte oder Diskursgeschichte? Zu theoretischen Grundlagen und Methodenfragen einer historisch-semantischen Epistemologie“. In: Dutt, Carsten (Hrsg.): Herausforderungen der Begriffsgeschichte. Heidelberg 2003a, S. 17–38, hier: S. 18). bzw. auch „Makrosemantik“ (Gardt 2007, S. 33). 79 Busse und Teubert 1994, S. 23. Busse spricht auch von einer bestimmten „Lenkung des Blicks“ (Busse 2013, S. 38) der historischen Semantik und zwar „in neuer und spezifischer Weise“ (ebd., S. 37), um etwa „epistemische Voraussetzungen zu explizieren (...), die mit anderen Blickwinkeln übersehen worden wären“ (ebd.). 80 Scharloth, Joachim: „Die Semantik der Kulturen. Diskurssemantische Grundfiguren als Kategorien einer linguistischen Kulturanalyse“. In: Busse, Dietrich, Niehr, Thomas und Wengeler, Martin (Hrsg.): Brisante Semantik. Neuere Konzepte und Forschungsergebnisse einer kulturwissenschaftlichen Linguistik. Tübingen 2005, S. 133–147. 81 Busse 2003b, S. 177.

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„Denkstile“83, „Denkmuster“84 oder „Mentalitäten“85 ausdrücken. In allen methodischen Ansätzen der Diskurslinguistik geht man somit von einer tiefensemantischen Ebene in Texten aus. Diese auch als Sinnebene zu bezeichnende Instanz kann nur durch die Berücksichtigung der Individualität und des Kontexts von Texten erschlossen werden, womit ein Unterschied zu herkömmlicher Sprachwissenschaft deutlich wird: Diskurslinguistik interessiert sich für Diskurse in ihrer historischen Einmaligkeit und verfolgt weniger das tradierte Erkenntnisinteresse der Sprachwissenschaft am „Überindividuelle[n], Musterhafte[n], Typische[n] an Texten“86. Mit Blick auf die linguistische Diskursanalyse als Theorie verweist Gardt ebenfalls auf das Fehlen eines geschlossenen theoretischen Profils und weist daraufhin, dass die Diskursanalyse nirgendwo in der linguistischen Forschung als Theorie explizit gekennzeichnet wird. Die häufig anzutreffende Formulierung, die Diskursanalyse „bedien[e]“87 sich verschiedener Methoden, legt jedoch den Schluss nahe, dass eine übergeordnete Ebene impliziert wird.88 Diese Ebene vereint diverse theoretische Positionen, von denen die Diskursanalyse Anleihen nimmt, nicht ohne sich dabei gewisse Freiheiten zu erlauben. Bezüge werden etwa nicht nur zu poststrukturalistischen Strömungen und dabei allen voran zu Foucault89 sowie zur Epistemologie und verschiedenen Sprachtheorien90 hergestellt, sondern auch zur Pragmatik, Mentalitätsgeschichte, Historischen Anthropologie, Cultural Anthropology oder zum New Historicism. Als „ge-

|| 82 Knobloch, Clemens: „Überlegungen zur Theorie der Begriffsgeschichte aus sprach- und kommunikationswissenschaftlicher Sicht“. In: AfB. Bd. 35 (1992), S. 7–24, hier: S. 9. 83 Ebd., u. a. S. 20. 84 Kämper, Heidrun: „1945: Sprachgeschichte – Zeitgeschichte – Umbruchgeschichte am Beispiel“. In: Busse, Dietrich, Niehr, Thomas und Wengeler, Martin (Hrsg.): Brisante Semantik. Neuere Konzepte und Forschungsergebnisse einer kulturwissenschaftlichen Linguistik. Tübingen 2005, S. 233–248, hier: S. 236. 85 Hermanns 1995. 86 Gardt 2007, S. 34. 87 U. a. bei Bluhm u. a. 2000, S. 3. 88 Gardt vergleicht hier die Diskursanalyse mit der Psychoanalyse, die „in gewisser Weise Theorie und Methode zugleich ist“ (Gardt 2007, S. 35). 89 Erwähnenswert ist hier u. a. etwa das Intertextualitätskonzept von Kristeva, die Bachtins Dialogizitätsmodell des Wortes auf Texte überträgt (Kristeva, Julia: „Bakhtine, le mot, le dialogue et le roman“. In: Critique. 23. Jg. (1967), S. 438–465 bzw. in deutscher Übersetzung: Dies.: „Bachtin, das Wort, der Dialog und der Roman“. In: Ihwe, Jens (Hrsg.): Literaturwissenschaft und Linguistik. Ergebnisse und Perspektiven. Band 3: Zur linguistischen Basis der Literaturwissenschaft II. Frankfurt am Main 1972, S. 345–375). 90 Vgl. ausführlich Kap. 2 im Ersten Teil dieser Arbeit.

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meinsame[n] Nenner“91 der theoretischen Perspektive auf die linguistische Diskursanalyse identifiziert Gardt ihre erkenntnis- und sprachtheoretisch relativistische bzw. konstruktivistische Orientierung, d. h. der Sprache wird eine entscheidende Rolle für den mentalen Zugang zur Wirklichkeit zugesprochen.92 Jenseits theoretischer und methodischer Aspekte der linguistischen Diskursanalyse ist nach deren grundlegenden Verständnis von Sprachwissenschaft zu fragen und deren wissenschaftliche Haltung auszumachen. Darunter versteht Gardt die „grundsätzliche Einstellung einer Gruppe oder Schule von Wissenschaftlern [...], eine intellektuelle Disposition, ein Gerichtetsein des wissenschaftlichen Denkens, der Formulierung einer expliziten Theorie noch vorgängig.“93 Die Position der Diskurslinguistik ist hier wesentlich eindeutiger zu fassen als in den Kategorien Methode und Theorie. Unbestritten verfolgen alle diskurslinguistischen Konzepte ein Fachverständnis, das Sprachwissenschaft als Kulturwissenschaft begreift, „also als eine Disziplin, die sprachliche Zusammenhänge vor dem Hintergrund philosophischer, religiöser, politischer, gesellschaftlicher, ökonomischer, technisch-naturwissenschaftlicher, ästhetischer und alltagsweltlicher Zusammenhänge untersucht.“94 Zu verstehen ist diese Haltung insbesondere vor dem Hintergrund der Abgrenzung zu einer strukturalistisch geprägten Linguistik, deren formale Analysen als der Sprachwirklichkeit zu entfremdet empfunden werden. Der Auffassung von Sprache, die als geschlossenes System mit naturwissenschaftlicher Stringenz analytisch erschließbar ist, wird eine klare Absage erteilt.95 Sprache ist als kulturelles Phänomen in ihren Anwendungskontexten nur mit kulturwissenschaftlicher Methodik erfassbar. Angesprochen ist damit nicht zuletzt „eine Art linguistische Glaubensfrage“96, die Chomsky in der Dichotomie descriptive versus explanatory gefasst hat. 97 Eine deskriptive Sprachwissenschaft beschränkt sich auf die Beschreibung von sprachlichen Oberflächenstrukturen, während der erklärende Ansatz überlegen sei, da er die „deep structure that

|| 91 Gardt 2007, S. 36. 92 Vgl. dazu ausführlich Kap. 2.3 im Ersten Teil dieser Arbeit. Gardt weist daraufhin, dass die Einsicht in den sprachtheoretischen Relativismus nicht dazu führen darf, dass der Wahrheitswert diskursanalytischer Ergebnisse „im Ton postmoderner Beliebigkeit“ (ebd., S. 37) in Frage gestellt wird. 93 Ebd., S. 27. 94 Ebd., S. 39. 95 Vgl. dazu auch Kap. 2.2 im Ersten Teil dieser Arbeit. 96 Gardt 2007, S. 40. 97 Z. B. in Chomsky, Noam: Cartesian linguistics. A chapter in the history of rationalist thought. New York 1966, S. 52 ff.

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underlies its [i. e. der Sprache; A. S.] surface form“98 aufdecke und so Linguistik zu einer „true ‚science‘“99 im Sinne einer Naturwissenschaft mache. Die Haltung der Diskurslinguistik steht diesem nicht unumstrittenen Ansatz diametral gegenüber. Warnke etwa zeigt auf, wie sich eine Diskurslinguistik durch die Offenheit des Poststrukturalismus und ihrer gleichzeitigen Besinnung auf philologische Traditionen der Germanistik konstruktiv einer kulturwissenschaftlichen Ausrichtung der Fachdisziplin stellen kann.100 Diskurslinguistik will gerade soziokulturelle Kontexte einbeziehen, eine gesellschaftliche Erläuterungsfunktion übernehmen und sich nicht auf isoliert bleibende innersprachliche Phänomene zurückziehen. Nicht unproblematisch in diesem Zusammenhang ist dabei die Wahl des Untersuchungsgegenstandes konkreter Diskursanalysen. Wenn nichtsprachliche Gegenstände das Thema von linguistischen Diskursanalysen bilden, besteht die Gefahr der Degradierung zu einer „bloßen Hilfswissenschaft für andere Disziplinen“101, etwa für Biologie oder Politikwissenschaft, wenn beispielweise Diskurse der Genetik oder Migration untersucht werden. Die Diskursanalyse kann dieser potenziellen Herabstufung zum einen begegnen, indem sie Sprache nicht nur als Vermittlungsinstanz von Diskursen begreift, sondern diese auch zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht, etwa indem sie sich „Einstellungen zu Anglizismen“102 widmet. Zum anderen kann sie ihre genuin linguistische Identität insbesondere dann behaupten, wenn sie sich als Sprachkritik begreift. Gerade die kritische Auseinandersetzung mit öffentlichem Sprachgebrauch sichert der linguistischen Diskursanalyse ein Maß an gesellschaftlicher Relevanz, das der germanistischen Disziplin und darüber hinaus den Geisteswissenschaften im Allgemeinen nahezu topisch abgesprochen wird.103 In diesem Rahmen hat die linguistische Diskursanalyse darauf zu achten, dass sie stets ihren Blick auf die Art und Weise der sprachlichen Entstehung von gesellschaftlichen Wirklichkeiten hält und nicht abgleitet in die Sachdarstellung der Inhalte

|| 98 Ebd., S. 57. 99 Ebd. 100 Warnke, Ingo H.: „Diskurslinguistik als Kulturwissenschaft“. In: Erhart, Walter (Hrsg.): Grenzen der Germanistik. Rephilologisierung oder Erweiterung? DFG-Symposion 2003. Stuttgart und Weimar 2004, S. 308–324. 101 Gardt 2007, S. 41. 102 Spitzmüller, Jürgen: Metasprachdiskurse: Einstellungen zu Anglizismen und ihre wissenschaftliche Rezeption. Berlin und New York 2005. 103 Vgl. für einen umfassenden Überblick zu Positionen und Argumenten in dieser Debatte den Sammelband von Keisinger, Florian u. a. (Hrsg.): Wozu Geisteswissenschaften? Kontroverse Argumente für eine überfällige Debatte. Frankfurt am Main 2003.

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selbst. Zudem kann sie ihre linguistische Verankerung durch das Hinausgreifen über den Einzeldiskurs festigen, indem sie neben dem Typischen der Sprache im Diskurs auch seine Wechselwirkung mit der Gesamtsprache in Betracht zieht. Mit der Analyse des Verhältnisses von historisch individuellen Diskursen und den Strukturen und Mustern der Gesamtsprache ermöglicht die linguistische Diskursanalyse im besten Sinne die Beschreibung von Sprachgeschichte bzw. aktuellen Prozessen im Gebrauch der Gegenwartssprache. Wenn also linguistische Diskursanalyse ihren Ort in einer als sprachwissenschaftlicher Fachrichtung etablierten Sprachkritik findet und sich dabei als Kulturwissenschaft begreift, dann sichert „[d]ie Konzentration auf die Sprachlichkeit der diskursiven Weltentwürfe und auf das Musterhafte dieser Sprachlichkeit [...] der Diskursanalyse ihre linguistische Identität.“104

1.3 Diskurslinguistische Ansätze im deutschen Sprachraum Vor dem Hintergrund, dass diese Arbeit sich mit öffentlichem Sprachgebrauch kritisch auseinandersetzen will, soll die oben bereits als übergeordnete Instanz der Legitimation einer linguistischen Diskursanalyse thematisierte Sprachkritik an dieser Stelle als Ansatzpunkt zur Unterscheidung verschiedener diskurslinguistischer Programme im deutschen Sprachraum dienen. In den verschiedenen Ansätzen deutschsprachiger Diskurslinguistik, die ihre Unterschiede zumeist auf divergierende Lesarten des Foucault’schen Diskursbegriffs gründen, lassen sich abweichende Auffassungen von Ausprägung und Zielen linguistischer Sprachkritik ausmachen. Die weitere theoretische und forschungspraktische Ausrichtung der vorliegenden Untersuchung wird nicht zuletzt durch den Anschluss an ein bestimmtes Verständnis von Sprachkritik wesentlich determiniert. Den Zusammenhang von Sprachkritik und Diskurs formulieren Schiewe und Wengeler zunächst grundlegend wie folgt: Sprachkritik ist streng genommen nur als Sprachgebrauchskritik, Wortkritik nur als Wortgebrauchskritik möglich. Es sind die Kontexte, die über die Bedeutung von Wörtern entscheiden, es sind die Diskurse, in denen Wörter ihre semantische Prägung erhalten. In sprachlichen Diskursen, in der Ordnung der Zeichen und Texte, eignen wir uns psychisch Wirklichkeit an. Eine Kritik der Diskurse, innerhalb derer die Kritik des Wortgebrauchs einen wichtigen Teil ausmacht, vermag aufzuzeigen, dass wir die Wirklichkeit prinzipiell auch anders sehen, erfassen, kategorisieren können. Der Sprachkritik geht es

|| 104 Gardt 2007, S. 42.

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letztlich um die Frage, welche Sicht der Wirklichkeit von wem aus welchen Gründen konstituiert worden ist. Sprachkritik setzt keine Normen, sondern sie reflektiert Normen, macht sie bewusst und zeigt im besten Fall Alternativen auf. Sprachkritik ist somit zu verstehen als ein Korrektiv im Machtspiel der Sprechweisen, der Diskurse.105

Wenn im Folgenden einige Ansätze vor diesem Hintergrund auf ihren sprachkritischen, und dezidiert diskurskritischen Anspruch hin zu reflektieren sind, so können diese grundlegend in Konzepte mit kritischer Ausrichtung und in solche mit deskriptiver Veranlagung unterschieden werden.106 Diese Unterscheidung wiederum wird regelmäßig zurückgeführt auf eine differierende Lesart des Foucault’schen Diskursbegriffs. So klassifizieren Spitzmüller und Warnke diskurskritische Konzepte unter der Rubrik „Diskurs und Macht“107, während deskriptive Diskursanalysen in der Kategorie „Diskurs und Wissen“108 gefasst werden. Sie weisen jedoch zurecht daraufhin, dass sich Macht und Wissen im Denkgebäude Foucaults kaum trennen lassen: Es „ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt [...]; daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen“109. Auf die Frage: „Was ist das Zentrum der Diskurslinguistik: Sprache, Wissen und/oder Macht [...]?“110 antwortet Wengeler: „Warum muss

|| 105 Schiewe, Jürgen und Wengeler, Martin: „Zeitschrift für Sprachkritik und Sprachkultur. Einführung der Herausgeber zum ersten Heft“. In: Aptum. 1. Jg. (2005), S. 1–13, hier: S. 7. Für einen Überblick linguistischer Ansätze der Sprachkritik vgl. Kilian, Jörg, Niehr, Thomas und Schiewe, Jürgen: Sprachkritik. Ansätze und Methoden der kritischen Sprachbetrachtung. 2., überarbeitete und aktualisierte Auflage. Berlin und Boston 2016. 106 Auf eine bloße Darstellung der zahlreichen diskurslinguistischen Programme, die sich in der deutschen Forschungslandschaft mittlerweile finden, soll an dieser Stelle verzichtet werden. Dies ist bereits umfassend geschehen. Vgl. dafür etwa Bluhm u. a. 2000; Konerding 2009 sowie Spitzmüller und Warnke 2011. Die Konzentration soll an dieser Stelle ausdrücklich auf das sprachkritische Potenzial grundlegender diskurslinguistischer Positionen im deutschen Sprachraum beschränkt bleiben. 107 Ebd., S. 80 sowie ausführlich 97 ff. 108 Ebd., S. 80 ff. Spitzmüller und Warnke unterscheiden als dritte Kategorie zudem ,Diskurs und Text‘; aus der Tradition der Textlinguistik heraus werden seit Ende der 1990er Jahre eigene Konzepte zum Diskurs entworfen und methodisch integriert (vgl. ebd., S. 114 ff.). 109 Foucault, Michel: Surveiller et punier. La naissance de la prison. Paris 1975. In deutscher Übersetzung erstmalig: Ders.: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. 1. Auflage. Frankfurt am Main 1976, S. 39. 110 Wengeler, Martin: „‚Ausländer dürfen nicht Sündenböcke sein‘ – Diskurslinguistische Methodik, präsentiert am Beispiel zweier Zeitungstexte“. In: Warnke, Ingo H. und Spitzmüller, Jürgen (Hrsg.): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen Ebene. Berlin und New York 2008, S. 207–236, hier: S. 233.

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ich mich entscheiden? Alles drei ist wichtig für die Diskurslinguistik.“111 112 Schließlich gestehen auch Spitzmüller und Warnke ein, dass die „zentrale Streitfrage [...] nicht so sehr die [ist; A. S.], ob Macht ein Gegenstand der Diskurslinguistik ist [...]. Die Kontroverse dreht sich vielmehr darum, wie und mit welchem Ziel eine solche Analyse durchgeführt werden soll bzw. kann.“113 Die kritische Position findet auf internationaler Ebene als Critical Discourse Analysis Ausdruck, ihre bekanntesten Vertreter sind dort etwa Fairclough, Chilton und van Dijk.114 Im deutschsprachigen Raum ist die Kritische Diskursanalyse insbesondere mit der Wiener Diskursanalyse u. a. um Wodak115, der Oldenburger Richtung u. a. um Januschek116 und Gloy117 sowie der Duisburger

|| 111 Ebd. 112 Busse bezeichnet die kritische Diskursperspektive als „Add-On, etwas das man mit Berufung auf Foucault auch tun kann, aber mit ebenso berechtigter Berufung auf Foucault keineswegs tun muss [alle Herv. im Original; A. S.]“ (Busse 2013, S. 35 f.). Gleichzeitig kritisiert er das subjektivistische Herrschaftsverständnis insbesondere deutscher Vertreter der Kritischen Diskursanalyse, das er als dem Foucault’schen Machtverständnis entgegenstehend sieht (vgl. ebd., S. 36). 113 Spitzmüller und Warnke 2011, S. 98. 114 Vgl. z. B. Fairclough, Norman: Critical discourse analysis. The critical study of language. London und New York 1995. Vgl. ders.: „Critical discourse analysis as a method in social scientific research“. In: Wodak, Ruth und Meyer, Michael (Hrsg.): Methods of Critical Discourse Analysis. London u. a. 2001, S. 121–138. Vgl. ders.: Analysing discourse. Textual analysis for social research. First published 2003. London und New York 2012. Vgl. ders.: Language and Power. 3. Auflage. London 2014. Vgl. Chilton, Paul A. (Hrsg.): Political discourse in transition in Europe 1989–1991. Amsterdam u. a. 1998. Vgl. ders.: Analysing Political Discourse: Theory and Practice. London und New York 2004. Vgl. Dijk, Teun van: „Principles of critical discourse analysis“. In: Discourse & Society. 4. Jg. (1993), S. 249–283. Vgl. ders.: „Multidisciplinary CDA: a plea for diversity”. In: Wodak, Ruth und Meyer, Michael (Hrsg.): Methods of Critical Discourse Analysis. London u. a. 2001, S. 95–120. Vgl. ders.: „Critical Discourse Analysis“. In: Schiffrin, Deborah, Tannen, Deborah und Hamilton, Heidi E. (Hrsg.): The Handbook of Discourse Analysis. Malden 2003, S. 352–371. 115 Vgl. z. B. Wodak, Ruth u. a.: Zur diskursiven Konstruktion nationaler Identität. Frankfurt am Main 1998. Vgl. dies. und Meyer, Michael (Hrsg.): Methods of Critical Discourse Analysis. London u. a. 2001. Vgl. Wodak, Ruth und Reisigl, Martin: „The discourse-historical approach (DHA)”. In: Wodak, Ruth und Meyer, Michael (Hrsg.): Methods of Critical Discourse Analysis. 2. Auflage. Los Angeles u. a. 2009, S. 87–121. 116 Vgl. z. B. Januschek, Franz: Arbeit an Sprache. Konzept für die Empirie einer politischen Sprachwissenschaft. Opladen 1986. 117 Vgl. z. B. Gloy, Klaus: Ethik-Diskurse. Praktiken öffentlicher Konfliktaustragung. Skizze eines Forschungsvorhabens. Oldenburg 1998.

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Schule u. a. um Jäger118 verbunden. Ihren Kritikbegriff bezieht die kritische diskursanalytische Position aus der Kritischen Theorie, die u. a. mit Bezug auf Marx gesellschaftliche Zustände und insbesondere Macht- und Herrschaftsverhältnisse in den Blick nimmt.119 Der Bezug zu Foucault konzentriert sich auf dessen Analysen zum Verhältnis von Diskurs und Macht.120 Die Macht über den Diskurs und die Macht im Diskurs stehen als zentrale Aspekte im Mittelpunkt des diskurskritischen Forschungsinteresses. Die Kritische Diskursanalyse will „verdeckte, diskursiv verfestigte Formen der Machtausübung, sprachliche Manipulations- und Ausschließungsstrategien sichtbar machen und [...] im Bemühen um einen nicht-arbiträren ethisch-moralischen Standpunkt explizit Stellung gegenüber den analysierten Praxen beziehen.“121 In der Analyse werden

|| 118 Vgl. z. B. Jäger, Siegfried: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Duisburg 1993. Ders.: „Diskurs als ‚Fluß von Wissen durch die Zeit‘. Ein transdisziplinäres politisches Konzept“. In: Aptum. 1. Jg. (2005a), S. 52–72. Vgl. ders.: „Diskurs und Wissen. Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse“. In: Keller, Reiner u. a. (Hrsg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden. 3., erweiterte Auflage. Wiesbaden 2011, S. 91–124. 119 Trotz vieler Gemeinsamkeiten hinsichtlich verschiedener Grundannahmen ist das Paradigma der diskurskritischen Position nicht als einheitlich zu bezeichnen. Vgl. dazu ausführlich Spitzmüller und Warnke 2011, S. 97 ff. Vgl. einführend zur Kritischen Theorie Figal, Günter: „Kritische Theorie. Die Philosophien der Frankfurter Schule und ihr Umkreis“. In: Hügli, Anton und Lübcke, Poul (Hrsg.): Philosophie im 20. Jahrhundert. Bd. I: Phänomenologie, Hermeneutik, Existenzphilosophie und Kritische Theorie. 4. Auflage. Reinbek 2002, S. 309–404. 120 Vgl. für eine anschauliche Erklärung des Machtaspekts in Foucaults Diskursbegriff Spitzmüller und Warnke 2011, S. 74 f. sowie S. 99. Jäger beruft sich in seinen diskurstheoretischen Überlegungen neben Foucault auf den Literaturwissenschaftler Link und auf die Tätigkeitstheorie Leontjews. Von Link übernimmt Jäger die Vorstellung eines kollektiven Symbolsystems, mit dessen Hilfe Diskursteilnehmer ihr Wissen strukturieren, das jedoch gleichzeitig die Wirklichkeitssicht beeinflusst, da es feste Muster zur Deutung der Welt bereithält (vgl. Link, Jürgen: „Kollektivsymbolik und Mediendiskurse. Zur aktuellen Frage, wie subjektive Aufrüstung funktioniert“. In: kultuRRevolution. 1. Jg. (1983), S. 6–21). Leontjews Tätigkeitstheorie dient Jäger dazu, das handelnde Subjekt im Diskurs stärker als Foucault zu betonen. Leontjew fasst explizit sowohl Denken als auch Sprechen in der Kategorie ,Tätigkeit‘ (vgl. v. a. Leontjew, Aleksej N.: Tätigkeit, Bewußtsein, Persönlichkeit. 1. Auflage. Stuttgart 1977). Den Diskurs fasst Jäger als „Fluß von Wissen durch die Zeit“ (so der Titel von Jäger 2005a) und teilt den Gesamtdiskurs in thematisch eingegrenzte ‚Diskursstränge‘, von denen sich in einem Text verschiedene wiederfinden können, und die sich auf verschiedenen ‚Diskursebenen‘ manifestieren und verschränken. Deshalb plädiert Jäger für die Analyse von ‚Diskursfragmenten‘ anstelle von Texten. Er definiert darüber hinaus die Kategorie der ‚Diskursposition‘, „mit der ein spezifischer ideologischer Standort einer Person oder eines Mediums gemeint ist“ (Jäger 2005a, S. 62). Vgl. ebd., S. 59 ff. für eine knappe Darstellung seines Diskursmodells). 121 Bluhm u. a. 2000, S. 4.

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aufgrund des besonderen Augenmerks auf Machtstrukturen Institutionen, Politik und Massenmedien mit thematischem Schwerpunkt auf Rassismus, Geschlecht und sozialen Stereotypen favorisiert. Die Kritische Diskursanalyse formuliert ihren gesellschaftskritischen Anspruch offen und betont, daß Kritische Diskursanalyse insofern ein politisches Konzept darstellt, als sie in der Lage ist, herrschende Diskurse zu hinterfragen und zu problematisieren. Und mehr noch: Sie ist in der Lage, Vorschläge zur Vermeidung herrschender Mißstände zu entwickeln, indem sie nicht nur vor euphemistischem und sensationslüsternem Sprachgebrauch warnt, nicht nur Sprachkritik, sondern Gesellschaftskritik betreibt, und angesichts der hochgehaltenen Normen von Demokratie, Gerechtigkeit und allgemeinen Menschenrechten geradezu dazu zwingt, Position zu beziehen, sei es gegen Krieg, gegen Rassismus, gegen Ausgrenzungen aller Art, gegen ökologische Fehlentwicklungen oder gegen die Anhäufung von Reichtum auf Kosten sozial ohnedies ‚schwacher‘ Bevölkerungsteile und vieles mehr.122

Damit betreibt die Kritische Diskursanalyse nicht zuletzt explizite Sprachkritik, denn sie „formuliert ausdrücklich Werturteile, begründet sie [...] und zeigt Alternativen zu dem kritisierten Sprachgebrauch auf.“123 Die explizite politische Stellungnahme gegenüber Themen, die mit diskursanalytischer Methodik gleichzeitig wissenschaftlich beschrieben werden sollen, wird vielerseits kritisch bewertet.124 So fragt Wengeler: „Ist die explizite Kritik mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Erkenntnis vereinbar?“125 Insbesondere ist zu befürchten, dass das eigene politische Interesse den Ausgangspunkt der Diskursanalysen bildet und damit wiederum das Ergebnis vorweggenommen ist, um es in der politischen Debatte nutzen zu können. Spitzmüller und Warnke etwa kritisieren: So gehen viele Arbeiten (in der Tradition der Kritischen Theorie [Herv. im Original; A. S.]) davon aus, dass die ›moderne Industriegesellschaft‹ grundsätzlich repressiv und nach bestimmten sozialen Hierarchien organisiert sei. Dies wird als gegeben angenommen und

|| 122 Jäger 2005a, S. 68 f. 123 Schiewe und Wengeler 2005, S. 5. 124 Mitunter wird der Ansatz weniger als ,sprachkritisch‘ sondern als ,ideologiekritisch‘ charakterisiert (vgl. z. B. Schiewe, Jürgen: „Sprachkritik und (kritische) Diskursanalyse“. In: Lipczuk, Ryszard u. a. (Hrsg.): Diskurslinguistik – Systemlinguistik. Theorien – Texte – Fallstudien. Hamburg 2010, S. 41–50, hier: S. 43). 125 Wengeler, Martin: „Linguistische Diskursanalysen – deskriptiv, kritisch oder kritisch durch Deskription?“ In: Schiewe, Jürgen (Hrsg.): Sprachkritik und Sprachkultur. Konzepte und Impulse für Wissenschaft und Öffentlichkeit. Bremen 2011, S. 35–48, hier: S. 37. Er weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass sich kaum deutschsprachige publizierte Kritiken finden (vgl. ebd.). Ganz ähnlich Schiewe 2010. Vgl. zusammenfassend zu kritischen Positionen gegenüber der Critical Discourse Analysis Blommaert 2005, S. 31 ff.

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gerade nicht im Sinne kritischer Distanz als diskursives Konstrukt gesehen und entsprechend hinterfragt. So geraten diese Arbeiten in die Gefahr, ein aufgrund präferierter sozialer Modelle vorderhand angenommenes Resultat auf die Daten zu projizieren und mithin die eigenen Anschauungen immer nur selbst zu bestätigen (...).126

Schließlich lässt sich die Problematik zurückführen auf eine in Frage zu stellende Vereinbarkeit von konstruktivistischer Ausgangsposition der Diskursanalyse einerseits und Anspruch auf die bessere und letztlich einzig ‚wahre‘ Wirklichkeitssicht andererseits,127 die im Ergebnis der Analysen präsentiert wird, wenn eine explizite politische Positionierung gegenüber aktuellem Sprachgebrauch und herrschenden politischen Verhältnissen erfolgt. Eine Alternative zur Kritischen Diskursanalyse stellen deskriptiv orientierte linguistische Diskursprogramme dar.128 Wengeler fasst darunter „all die linguistisch-diskursanalytischen Ansätze aus dem deutschsprachigen Raum, die sich nicht der Kritischen Diskursanalyse zugehörig deklarieren“129. Sie beziehen sich auf den „glücklichen Positivisten“130 Foucault und orientieren sich vorrangig an seinen eher deskriptiven, genealogischen Konzepten zum Diskurs.131 Trotz ihrer

|| 126 Spitzmüller und Warnke 2011, S. 113. Auch Busse formuliert seine kritische Haltung ähnlich: „Man selbst geriert sich als die Opposition, vertritt die Unterdrückten, die unter den Herrschenden und der herrschenden Macht leiden, die Minderheiten. Dahinter steckt ein dichotomisches, ein geradezu manichäisches Weltbild“ (Busse 2013, S. 49). 127 So auch Wengeler 2011, S. 38. 128 Reisigl und Warnke konstatieren, dass sich die Ansätze „mehr oder weniger diamtral gegenüber(...)stehen“ (Reisigl, Martin und Warnke, Ingo H.: „Diskurslinguistik im Spannungsfeld von Deskription, Präskription und Kritik“. In: Meinhof, Ulrike Hanna, Reisigl, Martin und Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurslinguistik im Spannungsfeld von Deskription und Kritik. Berlin 2013, S. 7–35, hier: S. 8). Sie sprechen von einer „innerlinguistischen Lagerbildung“ (ebd.), zuvor schon von Spitzmüller und Warnke als „linguistische Lagerbildung“ (Spitzmüller und Warnke 2011, S. 78 ff.) ausgewiesen. 129 Wengeler 2011, S. 40. 130 Ebd., S. 37. 131 Die Auseinandersetzung zwischen deskriptiver und kritischer Diskursposition generiert sich hauptsächlich als das Ringen um eine adäquate sprachwissenschaftliche FoucaultRezeption, wobei Jäger den deskriptiven Programmen „‚Diskurslinguistik‘ ohne Diskurstheorie“ (Jäger, Siegfried: „‚Diskurslinguistik‘ ohne Diskurstheorie“. In: DISS-Journal. 14. Jg. (2005b), S. 13–15) vorwirft. Demgegenüber weist Wengeler daraufhin, dass es nirgendwo eine „gründlichere diskurstheoretische Fundierung“ (Wengeler 2011, S. 38) gebe als „im ‚Gründungstext‘ der germanistischen historischen Diskurssemantik von Busse (1987)“ (ebd.). Vgl. für eine knappe und akzentuierte Übersicht der Unterschiede zwischen Kritischer Diskursanalyse und Historischer Diskurssemantik Wengeler, Martin: „‚Das Szenario des kollektiven Wissens einer Diskursgemeinschaft entwerfen‘. Historische Diskurssemantik als ‚kritische Linguistik‘“. In: Aptum. 1. Jg. (2005a), S. 262–282, hier: S. 268 ff. Einen ausführlichen Abgleich nimmt Reisigl

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deskriptiven Intention und Ausprägung können sie als Programm einer impliziten Sprachkritik gelesen werden, da mittels einer [deskriptiven; A. S.] Text- oder Diskursanalyse Sprachgebrauchsmuster oder aber konkurrierende Sprachgebräuche rekonstruiert und analysiert werden. Auf diese Weise wird ein im Sprachgebrauch selbst vorhandenes ‚sprachkritisches Potenzial‘ herausgearbeitet und bewusst gemacht, zumeist ohne damit auch ein ausdrücklich benanntes Werturteil zu verbinden. Das Urteil wird dem Rezipienten der Analyse überlassen, wobei die Analyse selbst jedoch die Bedingung der Möglichkeit eines begründeten Urteils ausmacht.132

Eine deskriptive Diskursanalyse ist also „kritisch durch Deskription“133 und trägt zu einem „veränderte[n], bewusste[n] Verhältnis zur Sprache“134 bei. Ihr Anliegen ist die Bewusstmachung unterschiedlicher, sprachlich vermittelter Wirklichkeitssichten; sie will damit der Vorstellung einer sprachunabhängig gedachten Wahrheit entgegenwirken und für die beständig ablaufende gesellschaftliche Aushandlung sprachlich konstituierter Sichtweisen sensibilisieren. Damit trägt eine deskriptive Diskursanalyse nicht zuletzt zur „Reflexion sprachkritischer Einstellungsmuster“135 bei, indem sie demonstriert, dass „jeder Sprachgebrauch interessen- und meinungsabhängig ist“136.

|| 2013 vor. Cameron beschreibt die Kontroverse um eine deskriptive oder normative Position als geradezu identitätsstiftenden linguistischen Widerstreit: „[T]his binarism sets the parameters of linguistics as a discipline. [...] it is a [...] difference that defines linguistics“ (Cameron, Deborah: Verbal Hygiene. London u. a. 1995, S. 5). 132 Schiewe und Wengeler 2005, S. 6. 133 Wengeler 2011, S. 40. Wengeler führt in seinen Überlegungen vor, wie sich solche deskriptiven Analysen dennoch in politischem Rahmen nutzen lassen; dabei sind „wissenschaftliche Analyse und kritisch-politische Nutzung der Analyse zu trennen“ (ebd., S. 46). Auch in der politischen Verwendung geht es ihm eher um ein Bewusstmachen verschiedener Wirklichkeitssichten anhand empirisch-analytischen Materials und die explizite Benennung des Werts, den eine Analyse für eine politische Richtung im Diskurs darstellen kann (vgl. ebd., S. 45 f.). Vgl. auch Niehr, Thomas: „Politolinguistik und/oder Sprachkritik? Das Unbehagen in und an der Deskriptivität“. In: Linguistik Online. Bd. 73 (2015b), online verfügbar unter http://dx.doi. org/10.13092/lo.73.2197 (28.06.2018). Die Plausibilität einer zementierten Opposition von Deskription und Kritik wird ohnehin zunehmend in Frage gestellt (vgl. etwa Reisigl und Warnke 2013, S. 26 f.). 134 So aufgenommen in den Richtlinien und Lehrplänen für die Sekundarstufe I und II in NRW in den 1990er Jahren (zitiert nach Wengeler 2011, S. 41). 135 Ebd., S. 42. 136 Ebd.

Diskurslinguistische Ansätze im deutschen Sprachraum | 37

Schiewe und Wengeler sehen insbesondere die Arbeiten der „Kontroversen Begriffe“137 um Stötzel als prototypisches Programm einer solchen impliziten Sprachkritik.138 Stötzel hat nie explizit Diskursanalyse betrieben; und auch im Sammelband der ‚Kontroversen Begriffe‘ wird der Begriff eher beiläufig verwendet; durch seine Arbeiten zum öffentlichen Sprachgebrauch hat Stötzel aber sehr früh im Sinne der impliziten Sprachkritik ein Bewusstsein für die Relevanz von Sprache in ihrer wirklichkeitskonstitutiven Funktion für die Gesellschaft geschaffen. Die weiteren Ausführungen konzentrieren sich im Folgenden auf theoretische und forschungspraktische Überlegungen, die sich an eine implizite Sprachkritik anschließen lassen, und die deren Anliegen untermauern, öffentlichen Sprachgebrauch mit dem Ziel der Bewusstmachung offenzulegen und dessen Bedeutung für die Konstitution von Wirklichkeit zu verdeutlichen. Vorschläge zu einem ‚besseren‘ Sprachgebrauch von einem bestimmten Standpunkt aus oder politische Stellungnahmen sind nicht Ziel dieser Arbeit.

|| 137 Stötzel, Georg und Wengeler, Martin: Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin und New York 1995. 138 Vgl. Schiewe und Wengeler 2005, S. 6. Neben den Arbeiten der Düsseldorfer Schule, die in Kap. 4 des Ersten Teils ausführlicher dargestellt werden, sind z. B. auch die Untersuchungen von Busch (Busch, Albert: „Computerwortschatz im Gegenwartsdeutsch und seine diskursive Genese“. In: Wengeler, Martin (Hrsg.): Deutsche Sprachgeschichte nach 1945. Diskurs- und kulturgeschichtliche Perspektiven. Beiträge zu einer Tagung anlässlich der Emeritierung Georg Stötzels. Hildesheim und New York 2003, S. 180–196 sowie ders.: Diskurslexikologie und Sprachgeschichte der Computertechnologie. Tübingen 2004), Hermanns (z. B. Hermanns, Fritz: „Arbeit. Zur historischen Semantik eines kulturellen Schlüsselwortes“. In: Jahrbuch Deutsch als Fremdsprache. 19. Jg. (1993), S. 43–62 sowie ders.: „Die Globalisierung. Versuch der Darstellung des Bedeutungsspektrums der Bezeichnung“. In: Wengeler, Martin (Hrsg.): Deutsche Sprachgeschichte nach 1945. Diskurs- und kulturgeschichtliche Perspektiven. Beiträge zu einer Tagung anlässlich der Emeritierung Georg Stötzels. Hildesheim und New York 2003, S. 407–438), Kämper (Kämper, Heidrun: „Entnazifizierung – Sprachliche Existenzformen eines ethischen Konzepts“. In: Dies. und Schmidt, Hartmut (Hrsg.): Das 20. Jahrhundert. Sprachgeschichte – Zeitgeschichte. Berlin und New York 1998, S. 304–329 sowie dies.: Der Schulddiskurs in der frühen Nachkriegszeit. Ein Beitrag zur Geschichte des sprachlichen Umbruchs nach 1945. Berlin und New York 2005), Liebert (Liebert, Wolf-Andreas: Wissenstransformationen. Handlungssemantische Analysen von Wissenschafts- und Vermittlungstexten. Berlin und New York 2002; ders.: „Wissenschaftsdiskurse, Gegendiskurse und Öffentlichkeit. Problemfelder, Spannungszonen und Lösungspotenziale“. In: Wengeler, Martin (Hrsg.): Deutsche Sprachgeschichte nach 1945. Diskurs- und kulturgeschichtliche Perspektiven. Beiträge zu einer Tagung anlässlich der Emeritierung Georg Stötzels. Hildesheim und New York 2003, S. 257–271) oder Spitzmüller 2005 hier zu nennen.

2 Sprachtheoretische Grundlagen für eine Sprachgeschichte als Diskursgeschichte 2.1

Überblick

Sprachgeschichtliche Forschung in Form von linguistischer Diskursanalyse, die Aufschluss geben soll über gesellschaftliches Bewusstsein und Mentalität sowie deren historischen Wandel, benötigt ein sprachtheoretisches Fundament, das in der Lage ist, Entstehung und Wandel von Bedeutungen im Zusammenhang mit der Konstitution gesellschaftlicher Wirklichkeiten zu erklären. Zudem muss geklärt werden, welche Rolle Diskurse dabei spielen und wie diese begriffen und analysiert werden sollen. Einen grundlegenden theoretischen Ansatz hierfür hat Busse mit der Neuformulierung von Grundlagen und Zielen der historischen Semantik geliefert.139 Auf der Folie sprachtheoretischer Defizite der Begriffsgeschichte breitet Busse sein Konzept einer Neuorientierung diachroner Bedeutungsforschung aus. Für ihn hat historische Semantik die Funktion, eine „umfassende[] Bewußtseinsgeschichte historischer Zeiten“ 140 zu liefern. Dabei führt der Weg zur Erforschung von Bewusstseinsbildung in der Vergangenheit über die Bedeutungsanalyse, „weil allein in den Bedeutungsveränderungen der Sprache […] Veränderungen im Wirklichkeitsverständnis aufzuspüren sind.“141 Busses Fokus liegt auf den sprachtheoretischen Grundlagen, die für eine bewusstseinsgeschichtlich orientierte historische Semantik erforderlich sind. Ausgehend von sprachwissenschaftlichen Defiziten der historiographischen Begriffsgeschichte entwirft er ein Bedeutungskonzept, das strukturalistische Dichotomien und repräsentationistische Bedeutungsauffassungen zu überwinden sucht. Auf der Suche nach einer Erklärung der Funktionsweise von Sprache, die Bedeutungskonstitution und -wandel plausibel macht, rückt er den wirklich-

|| 139 Vgl. Busse 1987. Sein umfassender theoretischer Ansatz kann hier aus Platzgründen nur überblicksartig referiert werden. 140 Ebd., S. 11. Busse nennt heute die Bezeichnung als Bewusstseinsgeschichte „ungeschickt“ (Busse 2013, S. 35). Er zieht mittlerweile den Begriff linguistische Epistemologie vor, um zu unterstreichen, dass im Fokus seiner Überlegungen „immer eine Analyse des (sprachvermittelten) menschlichen Wissens schlechthin“ (ebd.) stand und diese sowohl diachrone als auch synchrone Perspektive haben kann. Wird im Folgenden mitunter von Bewusstseinsgeschichte gesprochen, so ist dies der hier im Zentrum stehenden Rezeption seines Ansatzes von 1987 geschuldet. 141 Ders. 1987, S. 38. https://doi.org/10.1515/9783110605358-003

40 | Sprachtheoretische Grundlagen für eine Sprachgeschichte als Diskursgeschichte

keitskonstitutiven Charakter von Sprache in den Mittelpunkt und vereint diesen mit einem pragmatischen Sprachverständnis. Seinen Ansatz bezeichnet er als „Konzept kommunikativer Gegenstandskonstitution“142. In der Konsequenz sind in eine semantische Untersuchung sämtliche Kontextfaktoren kommunikativer Handlungen einzubeziehen, da diese die Bedeutung sprachlicher Zeichen entscheidend mitkonstituieren. In diesem Zusammenhang setzt sich Busse auch mit den diskurstheoretischen Überlegungen Foucaults auseinander. So mündet die Neuausrichtung der historischen Semantik schließlich in der Forderung, Sprachgeschichte nicht länger als einzelwortfokussierte Begriffsgeschichte zu betreiben, sondern sie hin zu einer Diskursgeschichte zu erweitern. Im Ergebnis ermöglichen entsprechend diskursgeschichtlich konzipierte Sprachanalysen sodann „Erkenntnisse über das Denken, (Fühlen) und Wollen historischer Gruppen und somit über das soziale Wissen, die Konstruktion bzw. Konstitution sozialer Wirklichkeiten durch Sprache“143 und leisten damit einen Beitrag zur Mentalitäts-, Wissens- und Bewusstseinsgeschichte. Im Folgenden werden die wichtigsten sprachtheoretischen Aspekte linguistischer Diskursanalyse basierend auf den Grundlagen Busses aufgezeigt, bevor im dritten Kapitel die Entwicklung von der Begriffsgeschichte hin zur Diskursgeschichte skizziert wird.

2.2

Überwindung strukturalistischer Dichotomien

Das im 20. Jahrhundert in der Sprachwissenschaft dominierende Paradigma des Strukturalismus bietet einer als Bewusstseinsgeschichte intendierten Sprachgeschichte kein geeignetes theoretisches Fundament. Vielmehr ist im Zuge der Konzeption von Sprache als einem System, das einer eigenständigen inneren Ordnung folgt, die diachronische Perspektive regelrecht abgeschnitten worden.144 Saussure wird regelmäßig als Urheber der bis heute in der linguistischen Disziplin rezipierten Dichotomien von langue und parole sowie von synchronischer und diachronischer Betrachtungsweise genannt. Seine genuine Autorenschaft des Cours de linguistique générale (Cours) wird jedoch gerade von der jüngeren Forschung widerlegt.145 Der Cours unterscheidet dem Systemgedanken folgend: || 142 Ebd., S. 14. 143 Wengeler 2003a, S. 170. 144 Busse spricht von einer „Enthistorisierung der Linguistik“ (Busse 1987, S. 17). 145 So wird Saussure herkömmlichwerweise die Autorenschaft des Cours de linguistique générale (in der deutschen Fassung: Saussure, Ferdinand de: Grundfragen der Allgemeinen

Überwindung strukturalistischer Dichotomien | 41

Die Sprache [langue], vom Sprechen [parole] unterschieden, ist ein Objekt, das man gesondert erforschen kann. […] Während die menschliche Rede [parole] in sich verschiedenartig ist, ist die Sprache [langue], wenn man sie so abgrenzt, ihrer Natur nach in sich gleichartig: sie bildet ein System von Zeichen, in dem einzig die Verbindung von Sinn und Lautzeichen wesentlich ist und in dem die beiden Seiten des Zeichens gleichermaßen psychisch sind.146

In der Folge sollten im Rahmen einer einseitig verfremdenden, strukturalistischen ‚Autorschaft‘ Saussures Synchronie und langue in der Forschung dominieren, denn nur noch das, was anhand von Strukturanalysen einer systematischen Erklärung zugänglich war, bildete fortan den Gegenstand der Sprachwissenschaft. Alle Aspekte der Sprache, die sich einer Systemhaftigkeit entziehen, sowie außersprachliche Einflüsse lagen nicht mehr im Interesse des Linguisten. Die Ausgrenzung von historischer Perspektive und parole ist also eine logische Konsequenz der Systemhypothese. Es wird nachvollziehbar, dass im strukturalistischen Konzept alle Fragestellungen im Zusammenhang mit der Bedeutungshaftigkeit von Sprache, insbesondere der Entstehung und dem Wandel von Bedeutung, aus dem Fokus der Betrachtung fallen. Dieser von Variation gekennzeichnete Bereich folgt nicht strengen Gesetzen wie Syntax, Morphologie oder Phonetik. Damit wird die menschliche Rede im Strukturalismus zu einem

|| Sprachwissenschaft. Hrsg. von Charles Bally und Albert Sechehaye. Übers. von Hermann Lommel. 3. Auflage. Berlin 2001) zugeschrieben, mit dem die strukturalistische Neukonzeption der Sprachwissenschaft ihren maßgeblichen Anstoß erhielt. Wiederholt machte die SaussureForschung, allen voran Jäger (vgl. etwa Jäger, Ludwig: Ferdinand de Saussure zur Einführung. Hamburg 2010, insbes. S. 164 ff.) darauf aufmerksam, dass dieses zentrale Werk des Strukturalismus von Bally und Sechehaye posthum 1916 auf Basis der Genfer Vorlesungen von Saussure verfasst wurde. Bally und Sechehaye besuchten diese Vorlesungen selbst nicht und verstanden sich lediglich als Herausgeber. Der Text ist weder von Saussure autorisiert noch frei von teils erheblichen Verfälschungen seiner Ideen. Die Rezeptionsgeschichte brachte den Cours jedoch in so engen Zusammenhang mit Saussure, dass dieser schließlich als Pionier des Strukturalismus in die sprachwissenschaftlichen Geschichtsbücher eingegangen ist und bis heute als seine zentrale Figur gilt. Gardt spricht von einem „bemerkenswerte[n] Beispiel für die Eigendynamik von Rezeptionsverläufen“ (Gardt, Andreas: Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Berlin und New York 1999, S. 290). Mit den verschiedenen wissenschaftlichen Identitäten beschäftigt sich Jägers aktuellste Saussure-Untersuchung (vgl. Jäger 2010; vgl. ebd. auch für weiterführende Literatur zur Auseinandersetzung mit der Sprachtheorie Saussures und dem Strukturalismus). Wenn im Folgenden von Aussagen Saussures die Rede ist, ist die eben erläuterte Diskrepanz von Autor und Werk stets mitzudenken. 146 Saussure 2001, S. 17 f.

42 | Sprachtheoretische Grundlagen für eine Sprachgeschichte als Diskursgeschichte

vernachlässigbaren „sekundären Problem“147 degradiert. Aus denselben Gründen muss die Betrachtung von Sprache in historischen Zusammenhängen aus dem Raster einer strukturalistischen Sprachwissenschaft fallen, „da nach Saussure die diachronischen Momente weder in einem systematischen Zusammenhang untereinander, noch in einer systematischen Beziehung zum Sprachsystem stehen.“148 Das dem Strukturalismus inhärente statische Sprachverständnis begrenzte Sprachgeschichte auf die Beschreibung des Wandels von Formen. Die Dynamik von Bedeutungshaftigkeit ist mit dem Systemkonzept nicht erklärbar. Die strukturalistischen Dichotomien erweisen sich schließlich als ungeeignet für die Erklärung von Sprachwandel in der von Busse intendierten Zielrichtung. Busse fordert daher für eine bewusstseinsgeschichtlich orientierte historische Semantik einen Sprachbegriff, der „Entstehung und Wandel von Bedeutungen sprachlicher Zeichen […] mit Bezug auf den Ort des Gebrauchs der Sprache erklärt“149. Nur ein Verständnis von Sprache, das die Rede als Instanz der „Erzeugung sprachlicher Strukturen, Einheiten und Funktionen“150 integriert, kann eine hinreichende theoretische Basis zur Erklärung von Sprachwandel bieten. Busse besinnt sich deshalb zurück auf die Sprachforschung des 19. Jahrhunderts, für deren Sprachverständnis interdependente Beziehungen von Sprachsystem und Sprachgebrauch konstitutiv waren. Den Kerngedanken dafür formuliert Humboldt, der das Wesen der Sprache im Sprechen, d. h. in der konkreten, situationsgebundenen Äußerung sieht: „[D]ie wahre Sprache ist nur die in der Rede sich offenbarende“.151 Sprachuntersuchungen, die „das Zerschlagen der Sprache in Wörter und Regeln“152 zum Inhalt haben, in Saussure’scher Diktion also auf Synchronie und langue abheben, hält er für „ein todtes Machwerk

|| 147 Stierle, Karlheinz: „Historische Semantik und die Geschichtlichkeit der Bedeutung“. In: Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Stuttgart 1979, S. 154– 189, hier: S. 156. 148 Presch, Gunter: „Zur begründung einer historischen pragmalinguistik“. In: Klein, Josef und Presch, Gunter (Hrsg.): Institutionen, Konflikte, Sprache. Arbeiten zur linguistischen Pragmatik. Tübingen 1981, S. 206–238, hier: S. 210. 149 Busse 1987, S. 19. 150 Ebd., S. 20 f. 151 Humboldt, Wilhelm von: „Ueber die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts [1830–1835]“. In: Ders.: Schriften zur Sprachphilosophie. Hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel. 9. Auflage. Darmstadt 2002, S. 368–756, hier: S. 485 (VII 106). 152 Ders.: „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaus [1829]“. In: Ders.: Schriften zur Sprachphilosophie. Hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel. 9. Auflage. Darmstadt 2002, S. 144–367, hier: S. 304 (VI 249). Identisch in: Ders. [1830–1835] 2002, S. 419 (VII 47).

Überwindung strukturalistischer Dichotomien | 43

wissenschaftlicher Zergliederung“153. Seiner Vorstellung nach ist Sprache nichts Statisches, sondern hat energetischen, d.h. dynamischen Charakter: Die Sprache, in ihrem wirklichen Wesen aufgefasst, ist etwas beständig und in jedem Augenblicke Vorübergehendes. Selbst ihre Erhaltung durch die Schrift ist immer nur eine unvollständige, mumienartige Aufbewahrung, die es doch erst wieder bedarf, dass man dabei den lebendigen Vortrag zu versinnlichen sucht. Sie selbst ist kein Werk (Ergon), sondern eine Thätigkeit (Energeia). Ihre wahre Definition kann daher nur eine genetische seyn. Sie ist nemlich die sich ewig wiederholende Arbeit des Geistes, den articulirten Laut zum Ausdruck des Gedankens fähig zu machen.154

Für Humboldt ist deshalb der Aspekt des konkreten Sprechens zentral, „weil Sprache nur im Sprechen, Hören und Erwidern erfahrbar ist und sich im Akt des Sprechens als wiederholbare Handlung konstituiert.“155 Die verbundene Rede „muss man sich überhaupt in allen Untersuchungen (...) immer als das Wahre und Erste denken“156. Sie muss daher ins Zentrum sprachwissenschaftlicher Forschung rücken, wenn die Funktionsweise von Sprache in sozialen und historischen Zusammenhängen aufgedeckt werden soll. Humboldts „philosophische Reflexion [führt; A. S.] immer wieder auf die Tätigkeit des Subjekts, das sprachliche Handeln der einer Sprechergemeinschaft angehörenden Individuen, das konkrete Tun des Einzelnen als den primären Gegenstandsbereich“157 zurück.

|| 153 Ders. [1829] 2002, S. 304 (VI 249). Identisch in: Ders. [1830–1835] 2002, S. 419 (VII 47). 154 Ders. [1830–1835] 2002, S. 418 (VII 46). Für eine umfassende chronologisch geordnete Typologie von ‚Energeia‘-Rezeptionen vgl. Welbers, Ulrich: Verwandlung der Welt in Sprache. Aristotelische Ontologie im Sprachdenken Wilhelm von Humboldts. Paderborn u. a. 2001, insbes. S. 209 ff. Welbers zeigt, wie Humboldt aristotelische Ontologie aufnimmt und sie „in eine Welt der Sprache“ (ebd., S. 37) verwandelt und damit „ontologische Kontinuitätssicherung“ (ebd.) für die Neuzeit erzielt: „Ohne diese epistemische Metamorphose als rettendes Unterfangen eines sich zum zentralen Problem der Gegenwart hin entgrenzenden Sprachverständnisses wäre der ontologische Entwurf aristotelischer Provenienz im Subjektivismus der Neuzeit verstummt“ (ebd.). 155 Kledzik, Silke M.: „Wilhelm von Humboldt (1767–1835)“. In: Dascal, Marcelo u. a. (Hrsg.): Sprachphilosophie. Philosophy of Language. La philosophie du langage. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. An International Handbook of Contemporary Research. Manuel international des recherches contemporaines. 1. Halbband. Berlin und New York 1992, S. 362–381, hier: S. 371. 156 Humboldt [1829] 2002, S. 304 (VI 249). Identisch in: Ders. [1830–1835] 2002, S. 418 f. (VII 46 f.). 157 Kledzik 1992, S. 372.

44 | Sprachtheoretische Grundlagen für eine Sprachgeschichte als Diskursgeschichte

Kledzik sieht Humboldts Leistung u. a. in dem Versuch, Sprache konsequent vom Sprechen her zu erfassen, den Tätigkeitscharakter des Sprechens in seinen kreativen Aspekten sowie die Entwicklung der Sprache(n) als die [Herv. im Original; A. S.] herausragende geistige Leistung des Menschen zu begreifen und darzustellen.158

In einer Sprachtheorie, die eine belastbare Grundlage für eine bewusstseinsorientierte Sprachgeschichte bilden will, ist die Veränderlichkeit von Sprache als originärer Bestandteil der Funktionsweise von Sprache zu begreifen und muss daher theoretisch zwingend integriert sein.

2.3

Sprache als wirklichkeitskonstitutives Element

Busse geht davon aus, dass im gesellschaftlichen Wissen das Wirklichkeitsbewusstsein der Sprachteilnehmer „sedimentiert“159 ist. Dementsprechend ist Sprachwandel als Bewusstseinswandel zu verstehen. Wenn aber die Veränderung von Sprache in einem Zusammenhang steht mit der Veränderung gesellschaftlicher Auffassungen und historische Semantik abzielt auf „eine Geschichte des Wissens über die Verwendungsregeln und -bedingungen sprachlicher Zeichen, welche zugleich eine Geschichte des Wissens über die gesellschaftliche Wirklichkeit der jeweiligen Epochen ermöglicht“160, so ist vorab der Zusammenhang von Sprache, Denken und Wirklichkeit zu klären. Zwei gegensätzliche Positionen können hierfür idealiter unterschieden werden.161 Zunächst gibt es sprachtheoretische Konzepte, die das Denken als vorsprachlich einordnen. Die Dinge der Welt sind objektiv gegeben und werden von Menschen objektiv erfasst. Im Bewusstsein liegen Vorstellungen bzw. Abbilder vor, die trotz unterschiedlicher Einzelsprachen bei allen Individuen identisch sind. Sprachliche Bezeichnungen als Konvention einer Sprachgemeinschaft spiegeln demnach zwar deren Wirklichkeit, können diese jedoch nicht beeinflussen. Realität wird sprachunabhängig erfasst. Sprache dient in dieser auch als realistisch bezeichneten Auffassung dann der bloßen „externen Repräsentation der Abbilder zum Zweck der Kommunikation. Das Denken ist in

|| 158 Ebd., S. 366. 159 Busse 1987, S. 303. 160 Ebd., S. 23. 161 Vgl. für einen Überblick Gardt 1999, insbes. S. 230 ff.

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jeder Hinsicht sprachfrei.“162 Derartige Abbildtheorien genügen nicht dem Anspruch einer als Bewusstseinsgeschichte zu verstehenden historischen Semantik mit den oben formulierten Zielsetzungen. Wenn sprachliche Zeichen und ihre Bedeutungen als eine feste Relation zweier unveränderlicher Größen aufzufassen sind, so ist damit Sprachwandel im Zusammenhang mit veränderten Wirklichkeiten der Sprachteilnehmer nicht zu erklären.163 Busse findet für seine Zwecke brauchbares sprachtheoretisches Inventar vielmehr wiederum bei Humboldt, der als spiritus rector des sprachlichen Konstitutionsprinzips164 gilt.165 Dieses verneint die Möglichkeit einer sprachfreien Erkenntnis von Wirklichkeit. Bezeichnungen repräsentieren demnach nicht in objektiver Weise die Dinge der Welt, sondern sind gewissermaßen eingefärbt durch eine bestimmte Perspektive auf die Wirklichkeit bzw. konstituieren diese. Die unmittelbare Erreichbarkeit einer allgemeingültigen Wahrheit hinter der sprachgebundenen Wirklichkeitssicht wird abgelehnt, da über die Welt nur sprachlich und damit perspektivisch reflektiert werden kann. Damit gilt in diesem Konzept: „Die Spezifik der Welterkenntnis und des Denkens hängt […] in jeder Hinsicht von den lexikalischen Kategorien einer Sprache ab.“166 In der sogenannten Kawi-Einleitung hat Humboldt seine Vorstellung von der Konstitution des Denkens durch die Sprache dargelegt. So ist sie „das bil-

|| 162 Ebd., S. 230. 163 So Busse 1987, S. 12. 164 Vgl. ausführlich Welbers 2001, insbes. S. 455 f. 165 Die Annahme einer starken Verbindung von Sprache und Denken findet sich bereits vor Humboldt. So geben etwa Locke, Bacon oder Hobbes meist kritische Hinweise zur Beeinflussung des Denkens durch Sprache. Wörter, so Locke, werden als Spiegel der Wirklichkeit aufgefasst, aber „signified nothing that really existed in nature“ (Locke, John: An Essay Concerning Human Understanding (1689). Hrsg. von Peter H. Nidditch. Oxford 1975, III, X, 16). Leibniz entdeckt neben aller Skepsis auch einen positiven Aspekt der Sprachgebundenheit des Denkens. Nur mit Sprache können komplexe Gedanken überhaupt gedacht und dem Menschen deutlich werden: „[N]unquam quicquam distincte cogitaremus“ (Leibniz Gottfried W.: „Dialogus de connexione inter res et verba“. In: Ders.: Philosophische Schriften. Band IV. Schriften zur Logik und zur philosophischen Grundlegung von Mathematik und Naturwissenschaft. Hrsg. und übers. von Herbert Herring. Darmstadt 1992, S. 23–37, hier: S. 30). Leibniz‘ Perspektive beinhaltet noch die Hoffnung, die Perspektivität der Erkenntnis überwinden zu können. Für Humboldt aber zählt die sprachbedingte Perspektivität gewissermaßen zur conditio humana (vgl. Gardt 1999, S. 236). Neben Leibniz haben insbesondere Herder und Fichte Humboldts sprachphilosophisches Gedankengut beeinflusst; grundlegende Prägung als Mensch und Wissenschaftler erfuhr Humboldt in besonderer Weise durch Kant (vgl. Kledzik 1992, S. 367). Kritisch setzt sich Trabant mit einer Beeinflussung Humboldts durch französische Quellen auseinander (vgl. dazu Trabant, Jürgen: Traditionen Humboldts. Frankfurt am Main 1990, S. 225 ff.). 166 Gardt 1999, S. 231.

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dende Organ des Gedankens“167; intellektuelle Tätigkeit und Denken sind unmittelbar miteinander verbunden. Die Verschiedenheit von Sprachen beeinflusst in der Konsequenz das Denken und damit die Wirklichkeitssicht der Mitglieder unterschiedlicher Sprachgemeinschaften. Unterschiede im Sprachgebrauch sind nicht einfach eine „Verschiedenheit […] von Schällen und Zeichen, sondern eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst“168. Ein Zurücktreten des Menschen in seinem Denken hinter die Sprache ist ausgeschlossen.169 Die Vielfalt (sprachlicher) Perspektiven auf die Welt geht einher mit einer Vielfalt von Wirklichkeiten.170 Erkenntnis ist stets sprachlich konstituiert.171 || 167 Humboldt [1830–1835] 2002, S. 426 (VII 53). 168 Ders.: „Ueber das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung [1820]“. In: Ders.: Schriften zur Sprachphilosophie. Hrsg. von Andreas Flitner und Klaus Giel. 9. Auflage. Darmstadt 2002, S. 1–25, hier: S. 20 (IV 28). 169 Nur der Wechsel in eine andere Sprache und damit eine andere Perspektive ist möglich (vgl. Gardt 1999, S. 235). 170 Das Gedankengut Humboldts erfährt im Zeitablauf eine äußerst heterogene Rezeption, die umfassend Welbers erhellt. Er unterscheidet drei Rezeptionsprofile, die er in „Produktive (Miß-)Verständnisse“ (Welbers 2001, S. 66), „Fragmentarisierendes Mißverstehen“ (ebd., S. 72) und „Authentische Rekonstruktion – Konstruierte Authentizität“ (ebd., S. 78) differenziert. Unter „Produktive (Miß-)Verständnisse“ (ebd., S. 66) fasst Welbers Schwierigkeiten der Humboldt-Rezeption, die sich bereits mit Humboldts Tod durch einen dem Werk entgegenstehenden positivistischen Zeitgeist ergeben und so dessen Entfaltung verhindern, gleichwohl die „Humboldtschen Texte als Zitate-Reservoir“ (ebd., S. 76) großzügig in Anspruch genommen werden. Steinthal wird in seinen „Bemühungen um eine komplettierte Sprachwissenschaft“ (ebd., S. 69) trotz weitreichender Vorbehalte herausgestellt. Welbers fasst zusammen: „Diese erste Zeit der Humboldt-Rezeption schwankt (...) zwischen globaler rhetorischer Bewunderung, thematisch-sachlicher Ignoranz und Wirkungsverhinderung durch die wissenschaftlichen Machtverhältnisse dieser Zeit (...) und mehr oder minder erfolgreichen Versuchen, an Humboldts Sprachdenken anzuknüpfen“ (ebd., S. 69 f.). „Fragmentarisierendes Mißverstehen“ (ebd., S. 72) schreibt Welbers denjenigen Rezeptoren zu, die sich Humboldts Werk in beliebig zusammengefügten Ausschnitten, also fragmentarisch, bedienen, um daraus Legitimation für eigene theoretische Ansätze zu gewinnen. Welbers spricht von einer „lexikalischen Plünderung“ (ebd.); er ordnet in diese Kategorie auch die ‚Energeia‘-Rezipienten ein und sieht Auswirkungen hier zu verortender Fehlinterpretationen Humboldts bis in die Gegenwart reichen. Den Ausgangspunkt für das Profil „Authentische Rekonstruktion – Konstruierte Authentizität“ (ebd., S. 78) setzt Welbers bei Chomskys heftig umstrittener Humboldt-Aneignung für die Zwecke der Generativen Grammatik an, die in der Folge zu Korrekturen und einer „authentischen Rekonstruktion des Humboldtschen Sprachdenkens“ (ebd., S. 80) geführt hat; zentral für die neuere Humboldt-Forschung ist mit Welbers überdies die dann erstmals verfolgte Annahme, „daß (...) Humboldts Sprachdenken (...) eine in sich stimmige, originäre Theorie darstellt“ (ebd.). 171 Als besonders problematisch ist die Tatsache zu sehen, dass Humboldts Ansatz sprachlicher Weltsicht Gegenstand ideologischer, insbesondere nationalistischer Interpretation wird.

Sprache als wirklichkeitskonstitutives Element | 47

Die sprachliche Konstitutionsthese172 Humboldts bietet einen Erklärungsansatz für den Zusammenhang von gesellschaftlichen Wirklichkeitsauffassungen und Bedeutungskonstitution und -wandel. Wenn die Annahme gelten kann, „dass Gegenstände und Sachverhalte der Welt in der Bedeutung, die sie für die Menschen einer jeweiligen Gesellschaft haben, durch ihre sprachliche Aneig-

|| Unterschiedliche Sprachstrukturen und damit Weltansichten werden qualitativ unterschieden, Sprachcharakter mit Volkscharakter gleichgesetzt (vgl. dazu ausführlich Gardt 1999, S. 237 ff.). Im 20. Jahrhundert ist in Deutschland neben der Rezeption durch Cassirer vor allem die Humboldt’sche Adaption Weisgerbers als kritisch zu betrachten. Bei Welbers ist er in der Kategorie „Fragmentarisierendes Mißverstehen“ (Welbers 2001, S. 72 ff.; vgl. auch Fußnote 170) zu finden. Sprache bringt Weisgerber in Verbindung mit Volk und Nation und äußert seinen Zweifel, ob alle Mitglieder einer Sprachgemeinschaft „für die Volksgemeinschaft brauchbar und wertvoll“ (Weisgerber, Leo: „Sprachgemeinschaft und Volksgemeinschaft und die Bildungsaufgabe unserer Zeit“. In: Zeitschrift für Deutsche Bildung. 10. Jg. (1934), S. 289–303, hier: S. 297) sind, da sie in einem Alter in diese eintreten, „in dem noch keine Auslese möglich“ (ebd.) sei. Ferner fußt auch die wissenssoziologische Auffassung von Berger und Luckmann auf Humboldt, wonach Gesellschaft eine subjektive Wirklichkeit darstellt, die insbesondere durch Sprache konstruiert wird. Dabei „verwirklicht Sprache eine Welt in doppeltem Sinne: Sie begreift sie und sie erzeugt sie“ (Berger, Peter und Luckmann, Thomas: Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissenssoziologie. Frankfurt am Main 1969, S. 164). Auch Sapir und Whorf können in diesem Zusammenhang angeführt werden. Bei Ersterem findet sich eine nochmals zugespitzte Formulierung von Humboldts Idee: „It is quite an illusion to imagine that one adjusts to reality essentially without the use of language. […] The fact of the matter is that the ‚real world‘ is to a large extent unconsciously built up on the language habits of the group. No two languages are ever sufficiently similar to be considered as representing the same social reality. The worlds in which different societies live are distinct worlds, not merely the same world with different labels attached“ (Sapir, Edward: „The Status of Linguistics as a Science“. In: Ders.: Culture, Language and Personality. Selected Essays. Berkeley und Los Angeles 1960, S. 65–77, hier: S. 69.). Whorf, Schüler Sapirs, führte dessen Gedanken weiter und widmete sich ausführlichen Untersuchungen zur Interdependenz von Sprache, Denken und Wirklichkeit aus metalinguistischer und sprachphilosophischer Perspektive (vgl. Whorf, Benjamin L.: Sprache – Denken – Wirklichkeit. Beiträge zur Metalinguistik und Sprachphilosophie. Hrsg. und übers. von Peter Krausser. Reinbek bei Hamburg 1984). 172 Später etabliert sich für Ansätze, die eine durch Sprache relativierte Perspektive verfolgen, der Begriff der sprachlichen Relativität. Bei Humboldt etwa mit sprachlicher Weltansicht gleichzusetzen, verwendet Whorf den Ausdruck linguistic relativity principle im Rahmen seiner Untersuchungen zum Tempussystem der Hopi-Sprache (vgl. ebd.); in der Sprachwissenschaft des späten 20. Jahrhunderts gilt er daher als der „‚Erfinder‘ des Prinzips der sprachlichen Relativität“ (so etwa Werlen, Iwar: Sprachliche Relativität. Eine problemorientierte Einführung. Tübingen und Basel 2002, S. 201, der in seiner Monographie die Entwicklung des Relativitätsprinzips von seiner Grundlegung im 18. und 19. Jahrhundert bis in die moderne Linguistik der Gegenwart hinein nachzeichnet).

48 | Sprachtheoretische Grundlagen für eine Sprachgeschichte als Diskursgeschichte

nung erst konstituiert werden“173, dann geht die Veränderung sprachlicher Bedeutungsmuster einher mit einer veränderten Wahrnehmung von Welt.

2.4

Bedeutungskonstitution in der kommunikativen Interaktion

In der Konsequenz eines Sprachverständnisses, das den energetisch-wirklichkeitskonstitutiven Charakter von Sprache hervorhebt, entwickelt Busse schließlich sein Modell der kommunikativen Interaktion als Basis einer neukonzipierten historischen Semantik. Es ruht auf einem theoretisch breiten Fundament mit handlungstheoretischem bzw. pragmatischem Kern. Dafür nimmt Busse eine Vielzahl theoretischer Anleihen, u. a. von Vertretern der linguistischen Semantik und Pragmatik. Dazu zählen vor allem Wittgensteins Gebrauchstheorie der Bedeutung und sein Regel- und Sprachspielbegriff, Grices Theorie des Meinens sowie die sprachpsychologische Theorie des Verstehens von Hörmann und Lewis’ Begriff der Konvention.174 Busses Überlegungen münden in die zentrale These, dass Bedeutung nur in der menschlichen Rede, und ganz konkret in der kommunikativen Interaktion, konstituiert und modifiziert wird. In den Blick geraten damit wesentliche Aspekte der Entstehung und des Wandels von Bedeutung, denen entscheidendes Gewicht auf dem Weg zu einer diskurslinguistisch orientierten historischen Semantik zukommt: Kommunikative Verständigung ist nicht durch den Austausch sprachlicher Zeichen mit feststehender Bedeutung erklärbar, sondern wird bedingt durch eine Vielzahl kommunikativer Voraussetzungen, auf deren Basis eine erfolgreiche Sinnrealisierung der Kommunikationsteilnehmer erst möglich wird. Zu diesen Voraussetzungen zählt im Konzept Busses neben situativen, individuellen und sprachlichen Faktoren insbesondere das gesellschaftliche Wissen im Sinne von sozial gültigen Interpretations- und Handlungsmustern, das in der Kommunikation als selbstverständlich unterstellt wird.175 Dabei geht Busse davon aus, dass die Bedeutung von Zeichen zwar in je einzelnen kommunikativen Akten konstituiert wird, intersubjektive Verständigung aber nur durch einen Anteil gleichbleibender situativer und kommunikativer Faktoren in solchen Akten erklärbar ist. || 173 Busse 1987, S. 23. 174 Die von Busse angeführten theoretischen Ansätze können aus Platzgründen nicht einzeln und vollständig referiert werden. Die für die vorliegende Arbeit wichtigsten Vertreter finden im folgenden Kapitel Platz; ansonsten sei auf Busse 1987 verwiesen. 175 Vgl. ausführlich Busse 1987, S. 147. Die epistemologische Ausrichtung seines Konzepts hat Busse im Zeitverlauf wiederholt betont (vgl. dazu Anm. 140).

Sprachspiel und Diskurs | 49

Gleichzeitig modifizieren die Sprachteilnehmer mit ihren Intentionen und Interessen dieses Wissen und damit die Konstitution von Bedeutungen und letztendlich die gesellschaftliche Wirklichkeit. In der kommunikativen Interaktion wird also Wissen über die Welt und damit Bedeutung intersubjektiv konstituiert und bestätigt, aber auch verändert. In diesen theoretischen Zusammenhang eingebettete historische Semantik ist dann als „Geschichte kommunikativ konstituierten Sinns, d. h. sprachlich vermittelten gesellschaftlichen Wissens“176 aufzufassen. Die Offenlegung gesellschaftlichen Wissens im Rahmen sprachgeschichtlicher Analysen wird damit möglich und konsequenterweise sogar erforderlich; die dabei zum Vorschein kommenden, für die Sprachteilnehmer historisch gültigen Voraussetzungen erlauben „Rückschlüsse auf die Wirklichkeitssicht, die Bewusstseinslage, die Mentalität der Handelnden.“177

2.5

Sprachspiel und Diskurs

Das oben dargelegte Modell der kommunikativen Interaktion will potenziell alle Faktoren, die bei der kommunikativen Sinnrealisierung eine Rolle spielen, integrieren. Damit entsteht ein Erklärungsansatz sowohl für die einzelne Bedeutungskonstitution in kommunikativen Akten als auch für die Kontinuität und den Wandel der Bedeutung sprachlicher Zeichen im Zeitablauf. Wie bereits angedeutet, erweisen sich für Busse dabei zahlreiche Konzepte als fruchtbar. Die wichtigsten theoretischen Ankerpunkte für seinen Ansatz stellen neben wissenssoziologischen Elementen die Konzepte von Wittgensteins Sprachspiel und Foucaults Diskurs dar, mittels derer es Busse gelingt, einen Zusammenhang zwischen kommunikativer Einzelhandlung und der Gesamtheit des dafür notwendigen Wissens aufzuzeigen. Diese Anknüpfungspunkte seien im Folgenden – stets mit Blick auf die Busse’sche Adaption – kurz erläutert. Wittgensteins Begriff des Sprachspiels lenkt u. a. den Fokus auf die Handlungsmuster, die die kommunikative Praxis und damit auch die Bedingungen der konkreten Wirklichkeitskonstitution durch Sprachhandeln mitbestimmen. Er gilt als einer der wichtigsten Grundlagenstifter für eine linguistische Pragmatik, da er zum einen auf den Handlungscharakter sprachlicher Äußerungen abhebt und zum anderen das Eingebundensein kommunikativer Handlungen in einen allgemeinen Handlungskontext vor Augen führt. Dazu führt Wittgenstein aus:

|| 176 Wengeler 2003a, S. 105. 177 Ebd., S. 159.

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Wir können uns auch denken, daß der ganze Vorgang des Gebrauchs der Worte (...) eines jener Spiele ist, mittels welcher Kinder ihre Muttersprache erlernen. Ich will diese Spiele ›Sprachspiele‹ nennen, und von einer primitiven Sprache manchmal als einem Sprachspiel reden. Und man könnte die Vorgänge des Benennens der Steine und des Nachsprechens des vorgesagten Wortes auch Sprachspiele nennen. (...) Ich werde auch das Ganze: der Sprache und der Tätigkeiten, mit denen sie verwoben ist, das ›Sprachspiel‹ nennen.178

Daraus leiten sich mehrere, für die Fundierung des Modells der kommunikativen Interaktion bedeutsame Aspekte ab. Busse folgt dabei in den Grundzügen Wuchterl, der drei Arten von Sprachspielen in Wittgensteins Darlegungen ausmacht:179 Als „Modell einer primitiven Sprache“180 erfüllen Sprachspiele die Aufgabe des Beispielgebens, wenn eine Sprache erlernt wird. Damit ist auch der Gebrauchsaspekt des Wittgenstein’schen Bedeutungsbegriffs unmittelbar angesprochen: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“181 Nur durch den Gebrauch der Sprache in Handlungszusammenhängen erlangt man ein Verständnis von der Bedeutung sprachlicher Zeichen. Sinn entsteht erst durch die Rolle der Worte im Sprachspiel; unabhängig davon hat ein Wort keine Bedeutung, es ist „tot“182. Für die Erklärung eines Begriffs ist es daher notwendig, die zugehörigen Sprachspiele aufzudecken, d.h. den konkreten kommunikativen Handlungsvollzug und den Kontext zu berücksichtigen. Damit wird unmittelbar deutlich, weshalb es nicht eine feste Bedeutung eines Begriffs geben kann: Der Gebrauch eines Wortes ist nicht eingrenzbar; die Sprachspiele, innerhalb derer es auftreten kann, variieren. Genau das muss eine Analyse historischer Sprache bedenken und Kontextfaktoren des Sprachgebrauchs mit ins Kalkül ziehen.

|| 178 Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen. Frankfurt am Main 1977, § 7 (im Folgenden zitiert als PU). 179 Vgl. Busse 1987, S. 208 und Wuchterl, Kurt: Struktur und Sprachspiel bei Wittgenstein. Frankfurt am Main 1969, S. 122. Busse nimmt außerdem die Ausführungen Wolffs zur Grundlage, der fünf Aspekte des Sprachspielbegriffs nennt: den „Aspekt der Tätigkeit“ (Wolff, Gerhart: „Wittgensteins Sprachspiel-Begriff. Seine Rezeption und Relevanz in der neueren Sprachpragmatik“. In: WW. 30. Jg. (1980), S. 225–240, hier: S. 226), den „Aspekt der Verwobenheit“ (ebd.), den „Aspekt des Gebrauchs“ (ebd.), den „Aspekt der Regelhaftigkeit“ (ebd., S. 227) und den „Aspekt des Zwecks“ (ebd.). 180 Wuchterl 1969, S. 122. 181 PU 43 182 Ebd. 432.

Sprachspiel und Diskurs | 51

Des Weiteren beschreibt Wuchterl das Sprachspiel als „sprachliche Funktionseinheit“183, die alles umfasst, was Sprache in der konkreten Verwendung zu leisten vermag. Dabei ist die Grammatik der Sprache im Sinne Wittgensteins nicht als abstraktes System zu begreifen, sondern als die „Regelhaftigkeit des Sprechens in konkreten Handlungsbezügen.“184 Sprachspiele sind damit letztlich gesellschaftliche Handlungsmuster im Sinne von Konventionen, die den Gebrauch bestimmter sprachlicher Muster, Wörter und Sätze nur in bestimmten Zusammenhängen erlauben und das Funktionieren der sprachlichen Handlungen zwischen den Kommunikationspartnern regeln. Das Besondere dieses Aspekts des Sprachspielbegriffs liegt darin, dass diese Regeln und Konventionen stets nur in einem konkreten Sprachspiel Anwendung finden; die Sprachspiele konstituieren sich in jeder einzelnen kommunikativen Interaktion und bestehen trotzdem gewissermaßen als gesellschaftliches Band darüber hinaus. Schließlich stellt die „Gesamtheit der sprachlichen Tätigkeit“185 das Sprachspiel einer Sprachgemeinschaft dar, „durch das sie die Welt erhält und in dem sie sich zur Welt verhält.“186 Gemeinsame Sprachspiele weisen auf eine Gemeinsamkeit von Lebensformen hin und wirken für eine Gesellschaft identitätsstiftend. Das Sprachspiel als Ganzes stellt ein „normiertes Handlungs(leit)-system zur Bildung von Wirklichkeitsmodellen“187 dar. Kommunikative Handlungen vollziehen sich daher immer vor dem Hintergrund von in Sprachspielen erschaffenen Wirklichkeitsbildern. Wittgenstein erteilt eine Absage an einen absoluten Wahrheitsbegriff, wenn für ihn Sprache den „überkommene[n] Hintergrund, auf dem ich zwischen wahr und falsch unterscheide,“188 bildet. Etwas „ist die Wahrheit nur insofern, als es eine unwankende Grundlage [der; A. S.] Sprachspiele ist.“189 Die Konstitution von Wirklichkeit findet in den Sprachspielen statt; in jeder einzelnen sprachlichen Handlung drückt sich das Wirklichkeitsbild einer Sprachgemeinschaft aus. Durch ihren sozial verbindlichen und intersubjektiv gültigen Charakter führen Sprachspiele schließlich vor Augen, „daß Wirklichkeitskonstitution nicht Akt eines isolierten erkennenden Individuums

|| 183 Wuchterl 1969, S. 122. 184 Busse 1987, S. 207. 185 Wuchterl 1969, S. 122. 186 Busse 1987, S. 208. 187 So Schmidt, Siegfried J.: „Das kommunikative Handlungsspiel als Kategorie der Wirklichkeitskonstitution“. In: Schweisthal, Klaus Günther (Hrsg.): Grammatik, Kybernetik, Kommunikation. Bonn 1971, S. 215–227, hier: S. 221. 188 Wittgenstein, Ludwig: Über Gewißheit. Frankfurt am Main 1982, § 94 (im Folgenden zitiert als ÜG). 189 ÜG 403.

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[…] ist, sondern ein sozialer Interaktionsprozeß“190. Die Bedeutung sprachlicher Zeichen kann nur dann plausibel erklärt werden, wenn der umfassende Sinnkontext und damit die dem Gesagten zugrunde liegenden, von den Interaktionspartnern für selbstverständlich gehaltenen Voraussetzungen aufgedeckt werden. Bedeutungswandel im Sprachspielkonzept erklärt sich durch die Verletzung von Einzelregeln, wodurch intersubjektiv gültige Handlungsmuster aufgebrochen werden.191 Werden diese Regelverletzungen von den Kommunikationsteilnehmern akzeptiert, entsteht ein neues Sprachspiel, innerhalb dessen sich die Bedeutung sprachlicher Zeichen wandelt: „Wenn sich die Sprachspiele ändern, ändern sich die Begriffe, und mit den Begriffen die Bedeutungen der Wörter.“192 Bedeutungsveränderungen stellen also nicht die Veränderung einer isoliert zu betrachtenden Verwendungsregel dar, sondern den veränderten Gebrauch eines Wortes in einem Sprachspiel. Dieses muss, wie schon bei der Erläuterung des Bedeutungsbegriffs angedeutet, miterklärt werden, wenn Bedeutungswandel plausibel veranschaulicht werden soll. Im Sinne von Sprachspielen als gesellschaftlich akzeptierte Sprach- und Handlungsformen wird damit deutlich, dass in bestimmten historischen Situationen und Gemeinschaften nur bestimmte Sprachspiele möglich sind. Diese spiegeln „den geschichtlich gewordenen Stand einer gesellschaftlichen Lebensform wider“193 und geben „die Grenzen des zu meinen Möglichen für einen einzelnen Sprecher an.“194 Im Begriff des Sprachspiels sieht Busse letztlich eine Konstruktion,195 die die Verwobenheit und Komplexität der einzelnen Handlung in außersprachliche Tätigkeit, gesellschaftliche Konventionen und Regeln, in sprachlich vermittelte Wirklichkeitsmodelle, in anschließbare Sinnhorizonte und kognitive Netze zum Ausdruck bringt.196

|| 190 Busse 1987, S. 213. 191 Entsprechend des Gebrauchsaspekts der Sprache stellt Handeln in Sprachspielen ein Handeln nach Konventionen in Analogien dar, somit verfügen sämtliche Regeln auch immer über einen Spielraum in ihrer Anwendung. Damit ist Handeln in Sprachspielen grundsätzlich veränderbar und wird erweitert, wenn neue Sprachspiele zum Tragen kommen (vgl. ebd., S. 217). 192 ÜG 65. 193 Busse 1987, S. 220. 194 Ebd. 195 Busse spricht von einer „Hilfskonstruktion“ (Ebd., S. 216). 196 Ebd.

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Für Busses Ansatz erweist sich Wittgensteins Kategorie als fundamental, da der Sprachspielbegriff zwei zentrale Aspekte verbindet: Er macht die Notwendigkeit deutlich, den einzelnen kommunikativen Akt als Ort der Bedeutungskonstitution aufzusuchen und vermittelt als „gemeinsame menschliche Handlungsweise“197 den Zusammenhang zu sozialer Situation und gesellschaftlichem Weltbild. Diese Erkenntnis ist für das Modell kommunikativer Interaktion im Rahmen einer bewusstseinsgeschichtlich orientierten historischen Semantik von herausragender Tragweite: „Bedeutung, und damit kommunikativ vermittelter Sinn, konstituiert sich als Wechselverhältnis zwischen konkretem kommunikativen Akt und übergeordneter Sinnorientierung.“198 Mit der Adaption Foucault’scher Diskursüberlegungen lenkt Busse den Blick über die im Sprachspiel-Konzept erfassten Zusammenhänge der einzelnen Kommunikationshandlung in ihrer Einbettung in Lebenskontexte der Sprachteilnehmer hinaus auf die Gesamtheit aller bedeutungskonstituierenden Faktoren, die einzelne Äußerungen und Texte überspannen. Mit der Einführung des Diskursbegriffs sollen gesellschaftliche Wissenssysteme als Bedingungen der Bedeutungskonstitution in der kommunikativen Interaktion in den Fokus gelangen. Busse geht es um „die Analyse unreflektierten, unartikulierten, als selbstverständlich vorausgesetzten und daher nicht thematisierten aber gleichwohl diskursstrukturierenden Wissens“199 und damit um verbreitete Denkstrukturen, die „das zu sagen Mögliche beschränken oder steuern.“200 Zudem gelingt es Busse, mit dem Diskursbegriff der für die historische Semantik konstitutiven diachronen Komponente Rechnung zu tragen, da Foucaults Überlegungen als näher an historischen Erkenntniszielen gelten können als die Wittgensteins. Letztlich soll mit dem Diskurskonzept eine Erklärung möglich werden, weshalb und wie bestimmte Äußerungen in einer bestimmten Zeit mit einem bestimmten Sinn und einer bestimmten Funktion verknüpft sind. Busse setzt sich mit Foucaults Überlegungen zum Diskurs weitreichend auseinander. Auf eine umfassende Darstellung soll an dieser Stelle verzichtet werden. Es interessiert hier vielmehr, wie es Busse gelingt, Foucaults auf den ersten Blick eher sprachskeptische Darlegungen zum Diskurs so zu rezipieren, dass das Diskurskonzept in seinen Grundintentionen für die historische Semantik nutzbar wird. Busse stellt dazu Foucaults Kerngedanken der Diskursanalyse als

|| 197 Ebd., S. 220. 198 Ebd. 199 Ders.: „Historische Diskurssemantik. Ein linguistischer Beitrag zur Analyse gesellschaftlichen Wissens“. In: SuL. 31. Jg. (2000), S. 39–53, hier: S. 43. 200 Ders. 1987, S. 223.

54 | Sprachtheoretische Grundlagen für eine Sprachgeschichte als Diskursgeschichte

Beitrag zu einer „Geschichte der Bedingungen der Möglichkeit von Wissen und Theorie überhaupt“201 die These zur Seite, dass „dieses Wissen vorwiegend [...] sprachlich geformt und tradiert wird“202 und sie daher „mit gleichem Recht als Geschichte der Bedingungen der Möglichkeit sprachlicher Äußerungen in ihrer Bedeutungshaftigkeit“203 zu fassen ist. Dafür sind hauptsächlich zwei für das Modell der kommunikativen Interaktion problematische Aspekte des Foucault’schen Diskursbegriffs zu relativieren. Zum einen verhindert das strukturalistisch geprägte Sprachverständnis Foucaults in dessen Konzept immer wieder den Zugang zu den interessierenden diskursiven Bedingungen über den Weg der Sprachbetrachtung. Zum anderen spielt der Handlungsaspekt aufgrund der weitgehenden Verneinung der Autonomie von Subjekten im Diskurs bei Foucault keine Rolle, was dem Modell der kommunikativen Interaktion zunächst diametral entgegensteht. Busse zeigt auf, dass die strukturalistische Sprachauffassung Foucaults verantwortlich dafür zeichnet, dass dieser „die epistemisch relevanten Momente sprachlicher Äußerungen hinter die Sprache selbst verlegen“204 muss. Wenn Foucault ausführt, dass „[z]war (...) diese Diskurse aus Zeichen [bestehen; A. S.]; aber sie (...) diese Zeichen für mehr als nur zur Bezeichnung der Sachen“205 benutzen und daraus eine Trennung von diskursformierenden Bedingungen und Worten folgert, dann wird deutlich, dass er von einer unveränderlichen Beziehung von Signifikant und Signifikat ausgeht und deshalb nicht erklären kann, weshalb in identischen Worten unterschiedliche Wissensformationen zum Ausdruck kommen können. Busse legt dar, dass mit der Überwindung dieser strukturalistischen Perspektive durch einen erweiterten Sprachbegriff, wie er ihn selbst verfolgt, „einige Ähnlichkeit“206 zwischen den im Modell der kommunikativen Interaktion angeführten Voraussetzungen kommunikativen Handelns und den Foucault’schen Bedingungen diskursiven Wissens gege-

|| 201 Sloterdijk, Peter: „Michel Foucaults strukturale Theorie der Geschichte“. In: Philosophisches Jahrbuch. 79. Jg. (1972), S. 161–184, hier: S. 164. 202 Busse 1987, S. 223. 203 Ebd. 204 Ebd., S. 243. Der Diskurs ist für Foucault weder etwas Sprachliches noch etwas, das dem Denken entspringt und „auch nicht die Bruchstelle zwischen Denken und Sprechen oder zwischen Sprache und Wirklichkeit“ (ebd., S. 225). Er ist bei Foucault zu begreifen „als dasjenige, was die sprachliche Formulierung in ihrer Inhaltlichkeit, und das Denken in seinen Ordnungsmechanismen zu allererst ermöglicht“ (ebd., S. 226). 205 Foucault [1969] 1973, S. 74. 206 Busse 1987, S. 243.

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ben sind. Die archäologischen Tiefenstrukturen des Diskurses, um die es Foucault geht, sind für Busse Bedeutungsbestandteile sprachlicher Äußerungen: Es ist Teil der ‚Bedeutung‘ einer Äußerung in dem von uns definierten Sinne, Teil ihrer kommunikativen Funktion, in welcher Weise sie ihren Standort im Wissen einnimmt, welche kognitiven Momente, welche Sinn- bzw. Wissenshorizonte angespielt werden müssen, damit sie verstanden wird.207

Busse weist Foucault auch immer wieder Durchbrechungen seiner sprachskeptischen Haltung nach, etwa im Rahmen des für Foucault zentralen Diskurselements, der Aussage (énoncé). Diese will er als nichtsprachliche Kategorie fassen, hält dies aber nicht vollständig durch208, wenn er etwa eingesteht: „Die Sprache in der Instanz ihrer Erscheinung und ihrer Seinsweise ist die Aussage.“209 Daraus leitet Busse wiederum für das Konzept der kommunikativen Interaktion ab: „Die énoncé kann, mit einigem Wohlwollen, mit dem Sinn, dem kognitiven Horizont einer kommunikativen Handlung verglichen werden, wie wir sie verstanden hatten.“210 Die Vorstellung Foucaults, dass Individuen nicht durch eigenes kreatives Handeln an der Produktion von diskursivem Wissen beteiligt sind,211 widerspricht Busses Ansatz der Bedeutungskonstitution in der einzelnen kommunikativen Handlung durch die Sprachteilnehmer. Auch diesen Aspekt in Foucault’s Diskurskonzept führt Busse nicht zuletzt auf einen eingeschränkten Sprachbegriff zurück. Er zeigt die Problematik des Begriffs der Praxis in Foucaults Ausführungen auf, nach dem die Diskursanalyse „Gegenstand nicht einer Theorie des wissenden Subjekts, sondern vielmehr einer Theorie diskursiver Praxis“212 sein soll. Busse weist mit Sloterdijk darauf hin, dass „eine Praxistheorie ohne eigenen Handlungsbegriff“213 ein paradoxes Unterfangen darstellt. Mit der Ablehnung eines autonomen Subjekts und der Betonung diskursiver Strukturen, denen das Individuum vollständig unterworfen ist, geht es Foucault darum, so Busses Auslegung, zu zeigen,

|| 207 Ebd., S. 244. 208 Einem platonischen Status, der gewissermaßen das andere Ende der Skala markiert, will er sie nämlich ebenfalls entziehen (vgl. ebd.). 209 Foucault [1969] 1973, S. 165. 210 Busse 1987, S. 244. 211 Vgl. auch Anm. 54. 212 Foucault [1966] 1971, S. 15. 213 Sloterdijk 1972, S. 182.

56 | Sprachtheoretische Grundlagen für eine Sprachgeschichte als Diskursgeschichte

daß Wissenskonstitution im Wege diskursiver Aneignung und Formung der Wirklichkeit auf vielfältige Weise mit den historischen Voraussetzungen gesellschaftlichen Seins, Denkens und Handelns verknüpft ist; daß gesellschaftlich anerkanntes Wissen selbst nicht Sache des freien Flugs der Gedanken ist, sondern historisch eingebunden in sich verändernde Bedingungen der Möglichkeit bestimmter Gedanken.214

Diese Gesamtheit von anonymen, historischen, stets im Raum und in der Zeit determinierten Regeln, die in einer gegebenen Epoche und für eine gegebene soziale, ökonomische, geographische oder sprachliche Umgebung die Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion definiert haben,215

kann Foucault nicht in den sprachlichen Äußerungen der Sprachhandelnden aufsuchen, da er von einem auf die Bezeichnungsfunktion eingeschränkten Äußerungsbegriff ausgeht. Das Sprechen selbst gilt bei Foucault nur als Ausdruck der diskursiven Praxis, nicht als diese selbst. Im Performanzbegriff Foucaults findet Busse allerdings einen Anknüpfungspunkt für eine handlungsorientierte Sprachbetrachtung des Diskurses. Foucault definiert den Diskurs auch als „Menge von sprachlichen Performanzen“216, interessiert sich aber aufgrund seiner strukturalistischen Haltung nicht für ihren sprachlichen Charakter, sondern fragt nach den aus seiner Sicht dahinter liegenden Wissenssequenzen, die den Diskurs als Formationssystem strukturieren. Busse weicht auch hier den Foucaults Ansatz stark determinierenden Rahmen strukturalistischer Dichotomien – in diesem Fall von Kompetenz und Performanz – auf, so dass sich die Vorstellung bedeutungsbeeinflussender Sprachhandlungen durch Subjekte in das Diskurskonzept integrieren lässt. So stellt er schließlich mit Sloterdijk fest: Neuere Überlegungen in der Linguistik geben [...] zu verstehen, daß eine Performanztheorie (unter der wir hier die Archäologie subsumieren) ohne Konstruktion einer eigenen pragmatischen Kompetenz gar nicht sinnvoll aufgebaut werden kann. Trifft dies zu, so möchte ich meinen, daß Foucaults Theorie in ihrem heiklen Punkt eine entscheidende Korrektur angetan werden müßte. Es wäre dann nämlich unmöglich, weiterhin Diskursanalyse ohne Bezug auf ein zumindest mitkonstituierendes Subjekt durchzuführen.217

Durch diese hauptsächlich sprachtheoretischen Modifikationen macht Busse das Diskurskonzept für die historische Semantik zugänglich. Es ist letztlich das

|| 214 Busse 1987, S. 246. 215 Foucault [1969] 1973, S. 171. 216 Ebd., S. 182. 217 Sloterdijk 1972, S. 182.

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Verdienst der Foucault’schen Diskursüberlegungen, dass es dem Modell kommunikativer Interaktion gelingt, die Verknüpfungen aufzuzeigen, in denen kommunikativ produzierter Sinn, gesellschaftliches Handeln (einschließlich des kommunikativen), und Wissen stehen; zu zeigen, daß historische Epochen ihre je eigenen Bedingungen der Wissensproduktion haben; daß nicht zu jeder Zeit alles gedacht werden konnte; warum in einer bestimmten Periode nur Bestimmtes gedacht werden konnte.218

Busse rekurriert in seinem programmatischen Kerngedanken nicht zuletzt auf die Leistung Humboldts, wenn er formuliert, „daß sprachliche Kommunikation der eigentliche Ort der Erscheinung und damit der intersubjektiven Geltendmachung des Wissens bleibt. Erst ausgeprochen kann ich Erkenntnis intersubjektiv vermitteln und damit gesellschaftlich konstituieren.“219 Damit gilt Busse als ein entscheidender Wegbereiter einer sprachwissenschaftlich verfahrenden Diskursanalyse.

|| 218 Busse 1987, S. 250. 219 Ebd.

3 Von der Begriffsgeschichte zur Diskursgeschichte Busse hat den theoretischen Anspruch formuliert, dass eine epistemologisch orientierte Diskurssemantik alle für die Bedeutungskonstitution relevanten Faktoren in den einzelnen kommunikativen Akten zu berücksichtigen hat, gleichzeitig aber selbst eingeräumt, dass diese Forderung aufgrund des Umfangs und der Komplexität dieser Faktoren in der empirischen Praxis nicht eingelöst werden kann.220 An Busses sprachtheoretisches Programm schließen sich daher forschungspraktische Überlegungen hinsichtlich der empirischen Umsetzung an. Insbesondere Busse und Teubert sowie Hermanns haben nach den Vorarbeiten von Schultz, Stierle und Günther versucht, den Diskursbegriff sprachwissenschaftlich zu operationalisieren.221 Dieser Schritt nimmt seinen Ausgangspunkt meist bei der Anknüpfung an das Paradigma der Begriffsgeschichte. Die forschungspraktische Ausgestaltung einer linguistischen Diskursgeschichte erfährt nicht zuletzt durch die Reflexion der Leistungen und Mängel dieser einflussreichen Variante der historischen Semantik einige grundlegende Impulse.

3.1 Kritischer Vorläufer: Die theoretischen und methodischen Mängel der Begriffsgeschichte als Ausgangspunkt für die Entwicklung einer Diskurssemantik Als Busse 1987 sein diskurssemantisches Programm vorlegt, bezeichnet er die Begriffsgeschichte „als das gegenwärtige Paradigma der historischen Semantik“222. Tatsächlich wird zu diesem Zeitpunkt Bedeutungsgeschichte meist in Form von Begriffsgeschichte betrieben. Dabei konzentriert sich die semantische

|| 220 Folglich muss der empirisch arbeitende Diskurshistoriker aus dem komplexen Feld der historischen Bedingungen auswählen und „interpretative Vorentscheidungen treffen“ (Wengeler 2003a, S. 162). 221 Vgl. Busse und Teubert 1994, S. 10–28 sowie Hermanns 1995, S. 69–101. Vgl. außerdem Schultz, Heiner: „Begriffsgeschichte und Argumentationsgeschichte“. In: Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Stuttgart 1979, S. 43–74 sowie Stierle 1979. Vgl. weiter Günther, Horst: „Auf der Suche nach der Theorie der Begriffsgeschichte“. In: Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Stuttgart 1979a, S. 102– 120 und Ders.: Freiheit, Herrschaft und Geschichte. Semantik der historisch-politischen Welt. Frankfurt am Main 1979b. 222 Busse 1987, S. 43. https://doi.org/10.1515/9783110605358-004

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Analyse auf die Untersuchung einzelner Lexemeinheiten. Insbesondere das Wörterbuch der Geschichtlichen Grundbegriffe223 hat als begriffsgeschichtliches Schwergewicht in der germanistischen Sprachwissenschaft eine lebhafte Auseinandersetzug u. a. um die sprachtheoretischen Annahmen, den sozialgeschichtlichen Anspruch und die Quellenauswahl ausgelöst.224 Rezeption und Diskussion der im Zeitablauf entstandenen theoretischen Ansätze und empirischen Projekte der Begriffsgeschichte und historischen Semantik, unter deren Vielzahl sich die hier besprochenen einordnen, halten bis heute an.225 Die theoretisch-methodischen Grundlagen der Geschichtlichen Grundbegriffe hat Koselleck entwickelt, der Begriffsgeschichte „als notwendige Hilfe für die Sozialgeschichte“226 begreift. Dafür erhebt er die „theoretische Minimalforderung: daß nämlich soziale und politische Konflikte der Vergangenheit im Me-

|| 223 Vgl. Brunner, Otto, Conze Werner und Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Stuttgart 1972 ff. 224 Neben dem historiographisch orientierten Konzept der Geschichtlichen Grundbegriffe, das hier aufgrund der sprachhistorischen Ausrichtung der vorliegenden Arbeit und seiner Bedeutung für die Entwicklung einer linguistischen Diskursgeschichte besonders interessiert, gibt es zahlreiche weitere umfangreiche Unternehmungen zur Begriffsgeschichte mit unterschiedlichem Fokus. Interessant im Rahmen der methodischen Diskussion ist neben dem Archiv für Begriffsgeschichte, dem Deutschen Rechtswörterbuch und dem Handbuch politischsozialer Grundbegriffe in Frankreich 1780–1820 vor allem das Historische Wörterbuch der Philosophie (HWP) (vgl. zu seiner Entwicklung Tinner, Walter: „Das Unternehmen Historisches Wörterbuch der Philosophie“. In: Pozzo, Riccardo und Sgarbi, Marco (Hrsg.): Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte. Hamburg 2010, S. 9–13.) Mit dem Begriffs-Begriff der philosophischen Begriffsgeschichte setzt sich kritisch Busse 1987, S. 44 ff. auseinander, später setzt Gumbrecht (vgl. Gumbrecht, Hans U.: Dimensionen und Grenzen der Begriffsgeschichte. München 2006) zu einer „Generalabrechnung mit der Begriffsgeschichte“ (Joas, Hans und Vogt, Peter: „Einleitung“. In: Dies. (Hrsg.): Begriffene Geschichte. Beiträge zum Werk Reinhart Kosellecks. Berlin 2011, S. 9–54, hier: S. 15) an, die Joas und Vogt insbesondere als Kritik am HWP lesen. 225 Vgl. etwa jüngst Müller, Ernst und Schmieder, Falko: Begriffsgeschichte und historische Semantik. Ein kritisches Kompendium. Berlin 2016. Müller und Schmieder zeichnen theoriegeschichtliche Diskussionen nach und vergleichen Ansprüche und Umsetzungen begriffsgeschichtlicher Unternehmungen in verschiedenen Disziplinen. Sie führen verschiedene Gründe für das ungebrochene Interesse an Begriffsgeschichte und historischer Semantik an, etwa das gemeinsame Verständnis von Kultur durch Kulturwissenschaft und Begriffsgeschichte als „umfassende Praxis der Artikulation und Aktualisierung von Bedeutungen“ (ebd., S. 13). Gleichzeitig geben sie ihr Erstaunen darüber kund, da nach wie vor „viele mit ihr [i. e. mit der Begriffsgeschichte; A. S.] verbundene Probleme ungeklärt sind“ (ebd., S. 14), insbesondere „das Verhältnis von begriffsgeschichtlicher Theorie und Praxis“ (ebd.). 226 Koselleck, Reinhart: „Begriffsgeschichte und Sozialgeschichte“. In: Ders. (Hrsg.): Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Stuttgart 1979, S. 19–36, hier: S. 21.

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dium ihrer damaligen begrifflichen Abgrenzung und im Selbstverständnis des vergangenen Sprachgebrauchs der beteiligten Partner aufgeschlüsselt werden müssen.“227 Um dem auf die Spur zu kommen, sind zunächst „die politische und soziale Funktion der Begriffe und ihr schichtenspezifischer Gebrauch“228 zu analysieren. Eine synchronische, vergangenheitsbezogene Untersuchung bezieht hierfür „Situation und Zeitlage“229 in die Überlegungen ein. Der Schritt zu einer methodisch eigenständigen Disziplin erfolgt im zweiten Schritt, wenn „die Begriffe […] aus ihrem situationsgebundenen Kontext gelöst werden, und ihre Bedeutungen durch die Abfolge der Zeiten hindurch verfolgt und dann einander zugeordnet werden“230. So verdichten sich die punktuellen Begriffsanalysen zur Bedeutungsgeschichte, d. h. hier zur Begriffsgeschichte. Der Schritt von der Hilfsdisziplin zur methodischen Eigenständigkeit wird insbesondere auch mit dem Anspruch der Begriffsgeschichte begründet, Indikatoren und Faktoren für die Sozialgeschichte zu analysieren. Mit Kosellecks Blick auf den Faktor-Aspekt von Begriffen klingt ein Sprachkonzept an, das die realitätskonstituierende Funktion von Sprache anerkennt. Zusammen mit weiteren methodischen Forderungen, etwa Alltagstexte in der Quellenauswahl zu berücksichtigen, sozialhistorische Kontexte einzubeziehen und die Einzelwortanalyse zugunsten der Untersuchung ganzer semantischer Felder aufzugeben, scheint Begriffsgeschichte im Koselleck’schen Sinn zunächst der ideale Ausgangspunkt für die Umsetzung von Busses Programm der historischen Semantik im Modell der kommunikativen Bedeutungskonstitution. Doch Busse legt offen, dass sowohl sprachtheoretische Grundannahmen als auch empirische Umsetzungen der Begriffsgeschichte, wie sie im Konzept der Geschichtlichen Grundbegriffe angelegt ist, für eine bewusstseinsgeschichtlich intendierte historische Semantik unbrauchbar sind. Die kritische Auseinandersetzung mit der historiographischen Begriffsgeschichte ist wesentlicher Anstoß für Busse, epistemologisch angelegte Bedeutungsgeschichte diskurssemantisch zu betreiben. Einen zentralen Kritikpunkt bildet die sprachwissenschaftlich nicht haltbare Verfolgung zweier gegensätzlicher sprachtheoretischer Grundpositionen in Kosellecks Ansatz: „Ein Begriff ist nicht nur Indikator der von ihm erfassten Zusammenhänge, er ist auch deren Faktor“231. Zum einen wird hier die These der Wirklichkeitskonstitution durch Sprache verfolgt; durch Sprache wird Wirk-

|| 227 Ebd., S. 24. 228 Ebd., S. 25. 229 Ebd. 230 Ebd., S. 26. 231 Ebd., S. 29.

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lichkeit erst erfahrbar und kommt nur durch sie zu Bewusstsein. Zum anderen klingt mit der indikatorischen Funktion eine repräsentationistische Sprachauffassung an, die weiterhin von einer außersprachlichen Wirklichkeit ausgeht. Noch genährt durch Formulierungen wie „Begriffsgeschichten bezeugen Sachverhalte“232 und das empirische Vorgehen in den einzelnen Artikeln der Geschichtlichen Grundbegriffe wird so die wirklichkeitskonstituierende Sprachfunktion in den Hintergrund gedrängt. Doch gerade die Abstraktheit politischer und sozialer Begriffe und ihre fehlende Referenz auf konkret Fassbares erfordert die Annahme einer wirklichkeitskonstituierenden Funktion von Sprache. Nur dadurch wird Begriffsgeschichte zu einer Bedeutungsgeschichte im Sinne einer „historischen Deutungsgeschichte“233 und kann Einblicke in das gesellschaftliche Wissen und Bewusstsein historischer Zeiten liefern. Busse bringt die sprachtheoretischen Aporien der Begriffsgeschichte auf den Punkt: Man kann nicht der Sprache die Konstitution von Wirklichkeitsbewußtsein zuschreiben (wobei mit dem Bewußtsein die Wirklichkeit für die Menschen allererst entsteht), und damit ‚Sachverhalte‘ als Kategorien der (sprachlich gebundenen) Erfahrung definieren, und dennoch den Begriffen eine Darstellungsfunktion in Relation zu einer (dann wohl offensichtlich nur als außersprachlich konzipierbaren) Wirklichkeit zuschreiben. 234

Verantwortlich für das sprachtheoretisch unsichere Fundament der Begriffsgeschichte zeichnet auch eine problematische Auffassung des Konzepts von dessen zentralen Terminus, dem Begriff. Wörter und Begriffe werden als zwei verschiedene Kategorien aufgefasst. Koselleck geht davon aus, dass sich normale Wörter der Alltagssprache und „die meisten Wörter der gesellschaftlich-politischen Terminologie definitorisch von solchen Wörtern unterscheiden lassen, die wir hier ‚Begriffe‘, geschichtliche Grundbegriffe nennen.“235 Diese Grundbegriffe sollen in der Lage sein, „ganze historische Bewegungen semiotisch auf einen Punkt zu bringen“236; ihnen obliegt deshalb eine Leitungsfunktion im historischen Diskurs. Ein Begriff zeichnet sich im Koselleck’schen Ansatz vor Wör-

|| 232 Koselleck, Reinhart: „Einleitung“. In: Brunner, Otto, Conze, Werner und Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Band 1. Stuttgart 1972, S. XIII–XXVII, hier: S. XV. Die sprachtheoretische Unsicherheit des Konzepts wird deutlich, wenn Koselleck unmittelbar vorher anführt: „Unsere Methode erarbeitet keine Sachverhalte“ (ebd., S. XIV). 233 Busse 1987, S. 51. 234 Ebd., S. 52. 235 Koselleck 1972, S. XXII. 236 Busse 1987, S. 60.

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tern durch Eigenschaften wie Mehrdeutigkeit und Funktionsvielfalt aus.237 Aus sprachtheoretischer Sicht muss diese Unterscheidung als höchst problematisch gelten, da im Sinne eines einheitlichen Zeichenbegriffs allen Wörtern solche Eigenschaften zugeschrieben werden. Koselleck macht einen „qualitative[n] Unterschied verschiedener Zeichen-Typen auf derselben Betrachtungsebene“238, der Busse zu der Frage führt, ob Begriff hier überhaupt als sprachliche Kategorie aufzufassen ist.239 Letztlich ist eine Sonderstellung von Begriffen vor Wörtern (sprach)theoretisch nicht begründbar und damit ein allgemeingültiges Kriterium zu ihrer Abgrenzung ausgeschlossen.240 Reine Wortgeschichte aber, wie sie eine nach Lemmata systematisierte Bedeutungsgeschichte von Sprachzeichen wäre, will die Begriffsgeschichte nicht sein. Sie attestiert sich eine Mittelstellung zwischen Wort- und Sachgeschichte,241 womit ihr Dilemma bereits angedeutet ist. Busse zeigt schließlich auf, dass die Problematik der Begriffs-Definition auch mit einem unbestimmten Bedeutungskonzept der Geschichtlichen Grundbegriffe verknüpft ist. Zur Bedeutung von Bedeutung führt Koselleck aus: Die Bedeutung eines Wortes verweist immer auf das Bedeutete, sei es ein Gedanke, sei es eine Sache. Dabei haftet die Bedeutung zwar am Wort, aber sie speist sich ebenso aus dem gedanklich intendierten Inhalt, aus dem gesprochenen oder geschriebenen Kontext, aus der gesellschaftlichen Situation.242

Neben einer sprachwissenschaftlich nicht auflösbaren Unterscheidung zwischen der Bedeutung eines Wortes und der Verweisungsrelation, die sich hier andeutet, kritisiert Busse vor allem den angenommenen Bezug der Wortbedeutung zur konkreten Anwendung: „In der zitierten Bemerkung wird die Verwendungssituation als etwas akzidentell zur Wortbedeutung hinzukommendes dar|| 237 Vgl. Koselleck 1972, S. XXII. Demnach müssten Grundbegriffe mehr Bedeutung haben als normale Wörter. Dazu kritisch auch Schultz, Heiner: „Einige methodische Fragen der Begriffsgeschichte“. In: AfB. Bd. 17 (1973), S. 221–231, hier: insbes. S. 222. 238 Busse 1987, S. 53. 239 Alternativ ist Begriff auch als geistige (kognitive) Entität oder Analysekategorie des Forschers gedeutet worden. Auch dies führt zu keiner theoretisch sauberen Fundierung von Begriff, wie Busse zeigt, sondern ebenfalls zu Aporien (vgl. Busse 1987, S. 53 f.). 240 Horstmann möchte daher Grundbegriffe in einer pragmatischen Verfahrensweise nach dem jeweiligen Forschungsinteresse bestimmen, die er „als interpretierte Zeichen versteht, die im Rahmen einer Theorie eine bestimmte Position einnehmen“ (Horstmann, Rolf P.: „Kriterien für Grundbegriffe. Anmerkungen zu einer Diskussion“. In: Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Stuttgart 1979, S. 37–42, hier: S. 41). 241 Vgl. Koselleck 1972, S. XX. 242 Ebd., S. XXII.

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gestellt.“243 Bedeutung wird demnach als eine mit dem Wort statisch verbundene Entität begriffen. Bedeutungsunterschiede, die aus unterschiedlichen Anwendungskontexten resultieren, liegen damit im Bereich der theoretischen Unmöglichkeit. Wie schon die Betonung der indikatorischen Funktion von Begriffen bewegt sich diese Auffassung von Bedeutung damit letztlich ebenfalls im Bereich repräsentationistischer Sprachauffasung. Die im Konzept der kommunikativen Interaktion beschriebenen Konstitutionsmechanismen von Bedeutung lassen sich damit nicht fassen. Die ungeklärte Auffassung von Begriff der Geschichtlichen Grundbegriffe spielt dieser Problematik in die Hände: Der Begriff haftet zwar am Wort, ist aber zugleich mehr als das Wort. Ein Wort wird […] zum Begriff, wenn die Fülle eines […] Bedeutungszusammenhanges, in dem […] ein Wort gebraucht wird, insgesamt in das eine Wort eingeht.244

Busse moniert, „daß unreflektiert in die Begriffe das hineingepackt wird, was besser als Leistung eines ganzen kommunikativen Prozesses beschrieben wird.“245 Er verweist auf seine Erklärung der Bedeutungskonstitution in konkreten kommunikativen Verwendungskontexten und wirft in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Frage auf, „ob Begriffsgeschichte überhaupt der geeignete Rahmen für eine bewußtseinsgeschichtliche historische Semantik sein kann.“246 Der abschließende Blick auf die Forschungspraxis, d. h. die einzelnen Artikel der Geschichtlichen Grundbegriffe, macht für Busse deutlich, dass auch diejenigen theoretischen und methodischen Forderungen, die für eine bewußtseinsorientierte Deutungsgeschichte als vielversprechend gelten müssen, empirisch kaum eingelöst sind. Dies zeigt sich schon daran, dass die Autoren der einzelnen Artikel ein methodisch höchst unterschiedliches Vorgehen wählen. Busse bezeichnet deren Verhältnis zu dem in der Einleitung entwickelten Methodenkonzept als eher „proklamativ“247. Eine Analyse semantischer Felder etwa, wie sie Koselleck fordert, unterbleibt weitgehend. Es dominieren allein stehende Einzelwortuntersuchungen; diskursive Verknüpfungen der einzelnen Stichworte werden nicht aufgezeigt. Auch die bloße Zusammenschau der einzelnen Artikel führt

|| 243 Busse 1987, S. 54. 244 Koselleck 1972, S. XXII. 245 Busse 1987, S. 13. 246 Ebd. 247 Ebd., S. 62.

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aufgrund deren heterogener Anlage nicht zu einem Aufschluss semantischer Felder.248 Zudem beklagt Busse, dass in den Artikeln häufig Sachdefinitionen im Vordergrund stehen. Semantische Beschreibungsinstrumente, die Bedeutungen erläutern und Verschiebungen aufzeigen könnten, werden kaum angewendet.249 Zwar geben viele Artikel einen Eindruck von der Bedeutungsvielfalt manches Begriffs, doch die Mechanismen, die zu Bedeutungskonstitution und -wandel führen, werden nicht bewusst gemacht. So bleibt die Begriffsgeschichte in ihrer Umsetzung sehr nah an klassischer Ideen- bzw. Sachgeschichte, die die sprachliche Realisierung ihrer Gegenstände außen vor lassen. Hinsichtlich des Bewusstseins historischer Zeiten aufschlussreiche sprachliche und diskursive Strategien werden dementsprechend nicht thematisiert; konkurrierender und intentionaler Sprachgebrauch nicht nachgezeichnet. Zudem fehlen pragmalinguistische Untersuchungen, die zitierte Aussagen in den Kontext von Handlungsvollzügen und Strategien stellen und die Voraussetzungen kommunikativer Handlungen erklären. Auch bei der Quellenauswahl moniert Busse die Nähe der Begriffsgeschichte zur Ideengeschichte und deren typischem Material, das Reichardt kritisch als „Höhenkammzitate“250 bezeichnet. So konzentriert man sich „auf hauptsächlich theoretische, philosophische, betrachtende und konzipierende Texte“251. Busse formuliert seine Ablehnung dieser „ideengeschichtlichen Gipfelwanderung“252 unmissverständlich:

|| 248 Busse weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass nicht einmal besonders oft die technische Möglichkeit des Verweises genutzt wird (vgl. ebd.) Als Ausnahme von isoliert stehenden Einzelwortanalysen führt Busse den Artikel ‚Modern‘ von Gumbrecht an, der viele Zitate ohne das Titel-Wort gebraucht und so demonstriert, dass „eine sich wortgeschichtlich orientierende Begriffsgeschichte möglicherweise wesentliche Momente übersieht, die eben oft in Texten entwickelt werden, in denen das angeblich ‚alles konzentrierende Wort‘ gar nicht auftaucht.“ (Ebd. 1987, S. 64). 249 Dabei analysiert Busse durchaus differenziert und macht auch Ausnahmen deutlich. So seien es vor allem Autoren, die jeweils eine eigenständige methodische Reflexion betreiben, die mit semantisch orientierten Analysen hervortreten, darunter D. Hilger, M. E. Hilger, Orth und Gumbrecht. An die methodischen Leitlinien Kosellecks hält sich nach Busses Eindruck nur Koselleck selbst (vgl. ebd., S. 63). 250 Reichardt, Rolf: „Einleitung“. In: Ders. u. Schmitt, Eberhard (Hrsg.): Handbuch politischsozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680–1820. Heft 1/2. München 1985, S. 39–149, hier: S. 64. 251 Busse 1987, S. 65. 252 Reichardt 1982, S. 52. Reichardt richtet sich hier explizit gegen Koselleck und die Geschichtlichen Grundbegriffe. Später nochmals in ders. 1985, S. 63 f.

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Sachverhalts-definierende Belegstellen werden meist aus theoretischen Texten herangezogen (…); dabei könnte fast der Eindruck entstehen, als sei die moderne Geschichte und ihre begriffliche Erfassung eine Angelegenheit der immer gleichen etwa dreißig Geistesgrößen gewesen, so sehr konzentrieren sich die Zitate auf ein enges Cluster von Theoretikern.253

Alltagssprache spielt entgegen der Forderung Kosellecks kaum eine Rolle in den empirischen Untersuchungen. Doch in vielen semantischen Bereichen lässt sich Bewusstseinskonstitution durch einen bestimmten Sprachgebrauch nur mit Hilfe der Analyse von „diskurs-praktischen institutionellen Alltagstexte[n]“254 nachzeichnen. Denn es ist die alltägliche Verwendungspraxis, die maßgeblich zur Konstitution von Bewusstseinslagen beiträgt, während theoretische Reflexionen hingegen meist nur einen geringen Teil einer diskursiven Formation ausmachen.255 Die germanistische Sprachwissenschaft hat trotz der vor allem theoretisch und methodisch begründeten Mängel auch die Verdienste der Geschichtlichen Grundbegriffe stets anerkannt. Dazu zählt die zwar teilweise zurückgenommene und untergeordnete, aber dennoch klar ausgedrückte Auffassung von Begriffen als Faktoren geschichtlicher Entwicklung und kondensierte Gedankenträger sowie die im Konzept explizit verfolgte Anbindung an die Sozialgeschichte. Zudem stellt auch die empirische Forschung mit ihrer Vielzahl an Quellen über lange Zeithorizonte beachtliche Ergebnisse, die „[b]is zur Konstituierung einer besseren empirischen Forschungspraxis“256 als richtungsweisend anerkannt wurden. Um die Entwicklung einer solchen auf Basis fundierter sprachtheoretischer Grundlagen, wie sie bereits beschrieben wurden, soll es im folgenden Abschnitt gehen.

|| 253 Busse 1987, S. 63. 254 Ebd., S. 66. 255 Schultz kritisiert bereits 1979 die Nichtbeachtung der Alltagssprache in den Geschichtlichen Grundbegriffen, die aus seiner Sicht dazu führt, dass „mit dem Quellenbereich auch der Bereich möglicher Erkenntnisse eingeschränkt wird“ (Schultz 1979, S. 50). 256 Polenz, Peter von: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Band II. 17. und 18. Jahrhundert. 2. Auflage. Berlin und Boston 2013, S. 415. Zu den Verdiensten der Begriffsgeschichte vgl. auch Wengeler 2003a, S. 16 f.

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3.2 Diskursgeschichtliche Analyse in der sprachwissenschaftlichen Praxis Die Überlegungen zu einer forschungspraktischen Umsetzung des Diskursbegriffs in der Sprachwissenschaft sind im Wesentlichen aus der Auseinandersetzung mit den theoretischen und praktischen Unzulänglichkeiten der Begriffsgeschichte erwachsen, wie sie oben beschrieben wurden. Im Lichte des von Busse entworfenen Modells der kommunikativen Interaktion, innerhalb derer sich Bedeutungskonstitution vollzieht, erscheint insbesondere die Einzelwortfokussierung der Begriffsgeschichte als problematisch für die Erklärung einer wirklichkeitsstrukturierenden Funktion von Sprache. Diese Beschränkung auf „festgelegte morphologische Einheiten“257 führt zu einer künstlichen Eingrenzung von Untersuchungsbereichen vor allem dort, wo Sachverhalte nicht in einem Begriff kondensiert sind. Begriffsgeschichte verkennt, dass die Rekonstruktion von Bedeutungen sprachlicher Aussagen immer auf die Intentionen der dahinter stehenden Personen angewiesen ist, die aber in engem Zusammenhang mit sozialen und politischen Situationen, sozialer Lage der Beteiligten, Wissens- und Auffassungshintergrund etc. stehen.258

Epistemische Zusammenhänge, wie sie eine bewusstseinsorientierte historische Semantik aufdecken möchte, lassen sich nicht in einem Sprachzeichen allein, sondern nur durch die Untersuchung diskursiver Formationen in kommunikativen Handlungen nachzeichnen. Damit fällt der Blick auf die Kontextfaktoren einer jeden solchen Kommunikation. Ein ganzes Faktorennetz trägt zum Gelingen einer kommunikativen Handlung bei und ist durchzogen von epistemischen Zusammenhängen, in welchen die Wirklichkeit der Sprachteilnehmer gewissermaßen ‚sedimentiert‘259 ist. Begriffe, so muss die Konsequenz daher lauten, können nur im Verbund einer kommunikativen Handlung ihre wirklichkeitskonstitutive Rolle einnehmen. Der Begriff als interpretatorischer Terminus, mit dem eine zur Norm gewordene Bedeutung beschrieben werden sollte, wird daher abgelöst durch den Diskurs, der besser beschreibt, wie sich im kommunikativen Handlungsvollzug auf der Folie gesellschaftlicher Strategien, Mechanismen und Intentionen Bedeutungen konstituieren, und der es ermöglicht, mit

|| 257 Schultz 1979, S. 60. 258 Busse 1987, S. 95. Im Sinne der neueren historischen Semantik müssen vielmehr „die sozialen Handlungseinheiten in den Blick gerückt [werden; A. S.], für die bestimmte Begriffe zu einer bestimmten Zeit relevante Indikatoren und Faktoren gewesen sind“ (Schultz 1979, S. 65). 259 Busse 1987, S. 303.

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der Analyse diskursiver Zusammenhänge auch unbewusste epistemische Faktoren, d. h. Tiefenschichten gesellschaftlicher Erfahrung an die Oberfläche zu befördern. Was Busse als Hinwendung zu einer diskursgeschichtlichen Perspektive beschrieben hat, wird bereits in den Arbeiten von Vorgängern deutlich, die in dem Versuch, ebenfalls die Unzulänglichkeiten der Begriffsgeschichte zu überwinden, Überlegungen zu einer historischen Semantik als Argumentations- bzw. Diskursgeschichte angestellt haben. Hier sind besonders Günther, Stierle und Schultz zu nennen.260 Sie hegen allesamt Zweifel an der wirklichkeitskonstitutiven Leistung von Begriffen allein und berücksichtigen verstärkt Kontexte, Hintergründe und Diskurse für die Erklärung von Bedeutungskonstitution. Günther spricht sich für die Analyse von Begriffsbeziehungen im Sprachsystem und die Untersuchung des jeweiligen Verwendungskontexts aus; seine empirischen Arbeiten zeigen jedoch keine Umsetzung dieses Programms und sind sehr viel mehr als traditionelle Ideen- und Begriffsgeschichte zu bezeichnen.261 Stierle nutzt den Diskursbegriff von Foucault und setzt sich mit der wirklichkeitsordnenden Funktion von Diskursen und ihrem Einfluss auf die Bedeutungskonstitution auseinander; er stellt auch die zentrale Verbindung von sprachlicher Bedeutung und Weltwissen her und konzipiert historische Semantik als Wissensgeschichte. Allerdings positioniert er sich letztlich doch in der Nähe der Geschichtlichen Grundbegriffe, so dass am Ende wiederum die indikatorische Funktion von Sprache betont und die Faktorfunktion außen vor bleibt. Schultz fordert, dass statt einzelner Lexeme ganze Handlungseinheiten untersucht werden sollten, da Begriffe nur in umfassenderen sprachlichen Zusammenhängen verständlich werden. Hierfür schlägt er die Analyse von Argumentationen vor, die als „eine komplexe sprachliche Äußerungseinheit von angebbaren Personen oder Personengruppen für angebbare Zwecke oder Interessen“262 zu begreifen sind. Wengeler greift später diesen Ansatz auf und zeigt, wie fruchtbar Argumentationsanalysen in der Gestalt von Toposanalysen für diskurslinguistische Untersuchungsansätze sein können.263 Bei Schultz selbst bleibt eine forschungspraktische Umsetzung allerdings unklar. || 260 Vgl. Anm. 221. Auch Gumbrecht ist hier zu nennen, der sich auf den wissenssoziologischen Ansatz von Schütz, Berger und Luckmann beruft (vgl. Gumbrecht, Hans-Ulrich: „Für eine phänomenologische Fundierung der sozialhistorischen Begriffsgeschichte“. In: Koselleck, Reinhart (Hrsg.): Historische Semantik und Begriffsgeschichte. Stuttgart 1979, S. 75–101). 261 So auch das Urteil von Wengeler über die Arbeiten Günthers (vgl. Wengeler 2003a, S. 18). 262 Schultz 1979, S. 69. 263 Vgl. Wengeler 2003a.

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Letztlich bleibt Busses Programm einer historischen Semantik als Diskurssemantik das meist rezipierte Grundlagenkonzept für Ansätze zur diskurslinguistischen Operationalisierung in der Forschungspraxis,264 gleichwohl es auch Kritik erfahren hat. Insbesondere werden die Ablehnung des Koselleck‘schen Begriffskonzepts verbunden mit der Zurückweisung der indikatorischen Funktion von Begriffen, die ausschließliche Bedeutungskonstitution im individuellen kommunikativen Akt und der mit diesen Aspekten schließlich verknüpfte Geschichtsbegriff Busses problematisiert.265 Müller und Schmieder etwa bemängeln, dass mit dem sprachtheoretisch zwar begründbaren, aber erkenntniseinschränkenden Konzept der Ablehnung eines nichtsprachlichen Gehalts von Begriffen „wesentliche Streitpunkte um Begriffe und ihre Semantik nicht [zu; A. S.] verstehen“266 sind. Sie weisen zudem auf die „heuristische, empirismusskeptische Dimension“267 der exponierten Stellung von Grundbegriffen bei Koselleck hin. Müller und Schmieder setzen Busses Verständnis von Begriffen als rein analytische Kategorie, die durch Rekonstruktion gewonnen werden, entgegen, dass sie ebenso „Momente des zu untersuchenden Sprachmaterials“268 sind. Zweifel äußern sie außerdem an Busses Erklärung der Bedeutungskonstitution als individuellen Bewusstseinsakt. Bedeutungen, so Müller und Schmieder, „entspringen gesellschaftlich konventionalisierten Wirkungen der Wörter. (...) Worte haben (historisch erzeugte) Funktionen, diskursive Logiken, sie werden verwendet, ohne dass der Sprecher sich ihrer vollen Funktion und Bedeutung bewusst sein muss“269. Damit relativieren sie das starke Momentum der Intentionalität in Busses handlungstheoretisch orientiertem Bedeutungskonzept. Busses Ansatz, der bemüht ist, die Koselleck’sche Trennung von Wort- und Sachgeschichte sprachtheoretisch fundiert aufzulösen, indem er eine außersprachliche Wirklichkeit verneint und das Begriffskonzept handlungstheoretisch engführt, blendet nach Meinung seiner Kritiker die von Koselleck eingebrachte „Erfahrung einer realen Verdinglichung und Verselbständigung der gesellschaftlichen Verhältnisse gegenüber den handelnden Menschen“270 aus und reduziert Geschichte auf „eine theoretische Kategorie“271. Mit Busses kritischem Fokus auf Kosellecks sprachtheoretische Unentschiedenheiten mögen || 264 So auch ebd., S. 21. Vgl. auch Anm. 338. 265 Vgl. ausführlich Müller und Schmieder 2016, S. 484 ff. 266 Ebd., S. 489. 267 Ebd., S. 490. 268 Ebd., S. 492. 269 Ebd., S. 491. 270 Ebd., S. 493. 271 Ebd.

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„geschichts- und gesellschaftstheoretische Fragestellungen aus dem Blick“272 geraten, doch ist es gerade die Betonung der wirklichkeitskonstitutiven Funktion sprachlichen Handelns in Busses Konzept, die „die Funktionalisierung sprachlicher Mittel für strategische Zwecke im Bereich politischer Auseinandersetzung“273 in das Interessenfeld der historischen Semantik zu schieben vermag und dessen „Stärke für das Projekt einer Semantik politisch-sozialer Kommunikation“274 ausmacht, wie Müller und Schmieder einräumen. Die sich anschließenden Überlegungen zur Umsetzung des Busse’schen Programms in die sprachwissenschaftliche Praxis sind zunächst verstärkt der Frage nachgegangen, wie Diskurs in sprachwissenschaftlicher Hinsicht überhaupt zu fassen ist. Außerdem sind Vorgehensweisen und linguistische Methoden anzugeben, die eine Berücksichtigung von Kontextfaktoren der kommunikativen Bedeutungskonstitution in der Weise gewährleisten, dass das Erschließen von Bewusstsein möglich wird. Wegweisend waren hier zunächst die Arbeiten von Busse und Teubert sowie von Hermanns.275 Sowohl Busse und Teubert als auch Hermanns verstehen unter diskurslinguistischer Semantik die Ausdehnung der Bedeutungsanalyse über Wort-, Satzund Textgrenzen hinaus, um komplexe semantische Wechselbeziehungen und Faktoren zu erfassen, die die Bedeutung von Wörtern, Sätzen oder Texten wesentlich mitbestimmen, in der traditionellen Semantik aber bisher vernachlässigt wurden.276 Grundsätzlich versteht sich die linguistische Diskursanalyse so „als eine Erweiterung der Möglichkeiten einer linguistisch reflektierten, mit genuin sprachwissenschaftlichen Methoden arbeitenden Wort- und Begriffsgeschichte.“277 Während man sich hinsichtlich der Methodik vorrangig auf bewährtes semantisch-pragmatisches Instrumentarium stützt, sind vor allem Zielsetzung und Forschungsfragen sowie Forschungsgegenstände und Zugriffsobjekte der Forschung in der Diskurslinguistik als erweitert zu begreifen. Durch die Zielverschiebung ergeben sich entscheidende Unterschiede hinsichtlich der möglichen Ergebnisse, die eine solche Forschung zu erbringen im Stande ist. Historische Semantik mit diskurslinguistischer Ausrichtung erhebt den Anspruch, „in einer Art von ‚Tiefensemantik‘ das Nicht-Gesagte, nicht offen Aus|| 272 Ebd., S. 494. 273 Ebd., S. 488. 274 Ebd., S. 494. 275 Vgl. Anm. 221. 276 Man spricht knapp bzw. zusammenfassend auch von diskursiven Beziehungen. 277 Busse und Teubert 1994, S. 13. Sie machen auf den Terminus Erweiterung aufmerksam, der nicht etwas völlig Neues suggeriert, sondern auf bereits bestehenden Methoden zumindest teilweise aufbaut.

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gesprochene, nicht in den lexikalischen Bedeutungen explizit artikulierte Element“278 zu untersuchen und daraus „Rückschlüsse zu ziehen auf die zugrundeliegende Weltsicht und die Motivation des Sprechers, ebenso wie auf die epistemischen Voraussetzungen, die seine Aussagen oder Begriffsprägungen in der gegebenen Form überhaupt erst möglich gemacht haben.“279 Zentral für die Operationalisierung dieses Ziels ist die Klärung der Frage, was unter Diskursen im forschungspraktischen Sinn der Sprachwissenschaft überhaupt zu verstehen ist. Busse und Teubert definieren Diskurse als Textkorpora. Ebenso ist der Korpus-Charakter ein Aspekt des Diskurses bei Hermanns. Busse und Teubert fassen Diskurs als Textkorpus und machen in diesem Zuge die Problematik der Korpuskonstitution zum Kern ihrer Überlegungen. Dabei sind imaginäres, virtuelles und konkretes Korpus zu unterscheiden.280 Als Quellen der Diskursgeschichte bildet eine nicht fassbare Anzahl an Texten und Äußerungen zu einem Thema ein imaginäres Korpus, dessen Texte jedoch nicht mehr alle erhalten sind, und das deshalb im Wortsinn nur eine Vorstellung eines Diskurses sein kann. Ein virtuelles Korpus ist der noch erhaltene Ausschnitt eines Diskurses, dessen Umfang jedoch die Fassbarkeit für einzelne Forschungsprojekte übersteigt. So bilden schließlich konkrete Korpora die Grundlage für einzelne diskurslinguistische Untersuchungsvorhaben. Die Kriterien, die einzelne Texte zu einem Korpus verbinden, sind inhaltlicher bzw. semantischer Natur. Die Eingrenzung eines Korpus ergibt sich bei Busse und Teubert durch gegenständliche und thematische Überschneidungen von Texten sowie durch semantische Relationen und einen „gemeinsamen Aussage-, Kommunikations-, Funktions- oder Zweckzusammenhang“281. Des Weiteren erfolgt eine Zuordnung von Texten zum Korpus hinsichtlich des zu untersuchenden Zeitraums, Gesellschafts- und Kommunikationsbereichs bzw. aufgrund von Textspezifika sowie auf der Basis intertextueller Verknüpfungen der Texte im Sinne expliziter oder impliziter Verweise. Viele Gesichtspunkte, die Busse und Teubert hier unter dem Korpusgedanken fassen, knüpfen an Foucault und die französische Spielart der Diskursanalyse an. Demnach zeichnen den Diskurs inhaltliche Relationen und Beziehungen zwischen Aussagen und Aussagenelementen über eine Vielzahl von Texten hinweg aus, die Foucault zu seiner Vorstellung von diskursiven Mechanismen und Strukturen geführt haben. Dieser Verknüpfungs-

|| 278 Ebd., S. 23. 279 Ebd., S. 25. 280 Die abstrakteste Stufe des imaginären Korpus behandelt nur Hermanns (vgl. Hermanns 1995, S. 89). 281 Busse und Teubert 1994, S. 14.

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aspekt, den Pêcheux auch mit „interdiskursiven Beziehungen“282 umschreibt, weist zudem eine gewisse Nähe zum Konzept der Intertextualität auf. Während diese Gesichtspunkte des Diskurses bei Busse und Teubert allesamt unter dem Kriterium der Korpusbildung verhandelt werden, hebt sie Hermanns deutlicher hervor. Er versteht den Diskurs nicht nur als Korpus, sondern auch als Textgeflecht und Zeitgespräch. Mit der Perspektive auf den Diskurs als Textgeflecht betont Hermanns, dass der Sinn eines Einzeltexts nur im Kontext anderer Texte vollends zu verstehen ist. Ein Text ist als eingebettet in ein Geflecht von Bezügen zwischen Texten zu betrachten, das für seine Bedeutung und die Bedeutung der in ihm gebrauchten Begriffe mitkonstitutiv ist. Einzelne Texte dieses Geflechts sind dementsprechend (nur) als „Fragmente“283 eines Diskurses zu begreifen. Hermanns Verständnis von Diskursen als Dialog zu einem Thema verweist auf die thematischen und intertextuellen Zusammenhänge von Texten, die die Einheit eines Diskurses begründen. Erstere ergeben sich aus inhaltlichen Überschneidungen von Quellentexten. Intertextualität entsteht durch den „quasiresponsorisch[en]“284 Charakter von Texten. Dabei gibt es mitunter einen Prototext, der ein Thema eröffnet und Leitgedanken prägt, worauf eine Vielzahl von Antworten und Echos erfolgt, die zusammen eine Art Zeitgespräch zu einem Thema darstellen.285 Die auf diese Weise in Zusammenhang stehenden Texte bilden ein „Äußerungsensemble, in dem in einer Gesellschaft […] ein Thema verhandelt wird.“286 Für ein konkretes Forschungsvorhaben ist auf die Zusammenstellung des Textkorpus zurückzukommen. Bei der Quellenauswahl liegt mit den Anforderungskriterien der Abgrenzbarkeit eines Diskurses und der Repräsentativität der Texte eine besondere Problematik vor, die im Gegensatz zu lexikologischen Analysen und damit einhergehenden statistischen Fragen eher inhaltlicher bzw. semantischer Natur ist. So stellt sich die Frage, wie ein Diskurs eingrenz-

|| 282 Pêcheux, Michel: „Über die Rolle des Gedächtnisses als interdiskursives Material. Ein Forschungsprojekt im Rahmen der Diskursanalyse und Archivlektüre“. In: Geier, Manfred und Woetzel, Harold (Hrsg.): Das Subjekt des Diskurses. Beiträge zur sprachlichen Bildung von Subjektivität und Intersubjektivität. Berlin 1983, S. 50–58, hier: S. 53. 283 Hermanns 1995, S. 87. 284 Ebd., S. 89. 285 Vgl. ebd., S. 88. „Ex- oder implizit, indirekt oder auch direkt beziehen sich die Texte des Diskurses quasi-dialogisch oder quasi-responsorisch aufeinander. Und vor allem dieses macht sie ‒ als Gesamtheit – zum Diskurs“ (Ebd., S. 89). 286 Wichter, Sigurd: „Gespräch, Diskurs und Stereotypie“. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik. 27. Jg. (1999), S. 261–284, hier: S. 265.

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bar wird, wenn man vom herkömmlichen korpusbildenden Kriterium des Einzellexems absieht. An seine Stelle tritt eine zu verifizierende Forschungshypothese, die der Korpusbildung einen stark interpretativen Charakter verleiht. So sind Korpus und Untersuchungsgegenstand untrennbar miteinander verbunden und die Einheit eines Diskurses bestimmt sich maßgeblich durch das Untersuchungsziel des Forschers. Als aufnahmefähig in das Korpus können alle Texte gelten, die diskursive Bezüge zum gewählten Thema aufweisen. Diskursive Beziehungen können jedoch erst dann ausfindig gemacht werden, wenn ein Kriterium bzw. ein Thema feststeht, dem die Korpusbildung folgt. Die Auswahl von Texten setzt dann aber wiederum bereits die inhaltliche Kenntnis dieser Texte voraus. Somit basiert der Vorgang der Korpusbildung auf Deutungsakten und stellt eine Interpretationsleistung des Forschers dar, da „diskursive Relationen […] als Bedeutungsbeziehungen nicht unabhängig von ihrer Deutung bestehen.“287 In der Konsequenz kann ein Korpus immer nur ganz konkret eine gewisse Repräsentativität im Hinblick auf das inhaltliche Untersuchungsziel aufweisen. Innerhalb dieses Rahmens gilt es, weitere praktische Kriterien hinsichtlich der Textauswahl zu formulieren.288 Möglicherweise eingeschränkt etwa durch den Quellenzugang sind bevorzugte jene Texte auszuwählen, denen eine besondere Bedeutung für den Gesamtdiskurs zugeschrieben werden kann, indem sie diesen z. B. hinsichtlich Struktur und Verlauf wesentlich geprägt haben.289 Erst mit der praktischen Durchführung der Diskursanalyse kann dann schließlich die Plausibilität des zugrundeliegenden Korpus nachgewiesen werden. Die Sammlung einer Vielzahl von Belegstellen diskursiver Beziehungen muss so die eingangs formulierte Forschungshypothese bestätigen und sie auf der Basis des Quellenmaterials objektivieren. Die Aufnahme immer weiterer Fundstellen entspricht dabei einem überprüfenden, mitunter korrigierenden

|| 287 Busse und Teubert 1994, S. 16. 288 So spricht man sich als Reflex auf die Mängel der begriffsgeschichtlichen Praxis für eine stärkere Orientierung an Alltagsquellen und die breite Streuung über unterschiedliche Quellentypen im Korpus aus (vgl. knapp z. B. Busse 2003b, S. 179). 289 Für Teubert ist die Auswahl anhand von Texten nach ihrer Wichtigkeit für den Gesamtdiskurs „simpel genug: Je mehr auf einen vorausgegangenen Text von späteren Texten Bezug genommen wird, desto wichtiger ist er“ (Teubert, Wolfgang: „Korpus und Neologie“. In: Ders. (Hrsg.): Neologie und Korpus. Tübingen 1998b, S. 129–170, hier: S. 148). In diesem Zusammenhang spricht er auch von „Leittexte[n], (…) die zitiert werden und mit denen man vertraut sein muß, wenn man sich erfolgreich am politisch-gesellschaftlichen Diskurs beteiligen will“ (Teubert, Wolfgang: „Eigentum, Arbeit, Naturrecht“. In: Kämper, Heidrun und Schmidt, Hartmut (Hrsg.): Das 20. Jahrhundert. Sprachgeschichte – Zeitgeschichte. Berlin und New York 1998a, S. 188–224, hier: S. 190).

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sowie bestätigenden Lesen, das Pêcheux auch als „Lesen, dessen Struktur sich in Abhängigkeit von diesem Lesen selbst verändert“290, bezeichnet.291 Dieses alleine von Forschungsinteresse und Textverständnis geleitete Verfahren der Korpusbildung führt dazu, dass die linguistische Diskursanalyse „schon im Stadium der Quellenauswahl hermeneutisch“292 verfährt und trotz der Anwendung objektivierbarer linguistischer Analysemethoden auch „den interpretativen Charakter ihrer Ergebnisse nicht leugnen kann“293. Eine semantische Analyse, die sich einer philologischen Methodik bedient und sich entsprechend für Inhalte interessiert, entzieht sich naturgemäß einer vollständigen Objektivierung. Dennoch stellt gerade die Korpuserstellung ein Problemfeld der Diskurslinguistik dar, an dem sich die Diskussion entzündet. So hat u. a. Jung objektivere Kriterien bei der Korpuserstellung gefordert.294 Jungs Ansicht nach führt das stark inhaltlich bzw. qualitativ geprägte Korpusverständnis von Busse und Teubert und Hermanns zu stark differierenden empirischen Ergebnissen. Daher greift er die Vorstellung von Diskursen als Textkorpora bzw. -geflechte auf und modifiziert sie zu einem Konzept von Diskursen als Aussagengeflechte, die sich in Texten realisieren. Anknüpfungspunkt seiner Kritik bildet hauptsächlich das von Busse und Teubert formulierte Kriterium thematischer Bezüge zwischen Texten, mit dem sie (u. a.) die Einheit eines Diskurses begründen. Darin drücke sich ein Widerspruch aus, denn „[k]ein Text läßt sich durch seine Zugehörigkeit zu einem [Herv. im Original; A. S.] Diskurs vollständig erfassen.“295 So können sich in einem thematisch einschlägigen Text auch andere Diskurse niederschlagen und umgekehrt in thematisch eigentlich nicht relevanten Texten Spuren des verfolgten Diskurses finden. In der Konsequenz plädiert Jung dafür, Diskurse forschungspraktisch als

|| 290 Pêcheux 1983, S. 54. Im Gegensatz zu hermeneutischer Tätigkeit bezogen auf Einzeltexte konzentriert sich das fortschreitend korrigierende Lesen im Rahmen der diskurslinguistischen Korpusbildung auf „die impliziten Voraussetzungen der Möglichkeit des im Text Gesagten als Resultat interdiskursiver (intertextueller, semantischer, epistemischer, thematischer, gedanklicher) Relationen“ (Busse und Teubert 1994, S. 18). 291 In Philologie und Geschichtswissenschaft wird ein so konstituiertes Korpus auch als „offenes Korpus“ (ebd., S. 17) bezeichnet. 292 Hermanns 1995, S. 90. 293 Busse und Teubert 1994, S. 23. 294 Vgl. Jung, Matthias: „Linguistische Diskursgeschichte“. In: Böke, Karin, Jung, Matthias und Wengeler, Martin (Hrsg.): Öffentlicher Sprachgebrauch. Praktische, theoretische und historische Perspektiven. Georg Stötzel zum 60. Geburtstag gewidmet. Opladen 1996, S. 453–472. 295 Ebd., S. 459.

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Aussagenkorpora zu fassen, da sich weniger Texte als vielmehr Aussagen296, die innerhalb von Texten realisiert werden, aufeinander beziehen.297 Der forschungspraktische Vorteil dieser Auffassung liegt darin, dass sich mit dem Verständnis von Diskurs als Aussagenkorpus größere Textmengen bewältigen lassen als mit der auf ganze Texte fixierten Perspektive.298 Der Text ist für Jung „lediglich eine notwendige Zwischenetappe der Diskursanalyse, nicht aber eigentlicher Untersuchungsgegenstand“299, der nur „wegen seiner Kontextualisierungsfunktion für die Interpretation von Aussagen interessiert“300. Zwar sind in einem ersten Schritt der Diskursanalyse thematisch einschlägige Texte zu einem Korpus zusammenzutragen, die Auswertung erfolgt jedoch anhand von Aussagen, die anschließend in ihrem Verweis- und Textzusammenhang interpretiert werden.301 In diesem Versuch, das von seinen Vorgängern vorgelegte diskurslinguistische Praxisprogramm noch weiter zu operationalisieren und zu objektivieren, legt Jung ein Würfelmodell vor. Er schlägt vor, damit Gesamtdiskurse in verschiedene Dimensionen zu zerlegen, um sie in der Forschungspraxis besser handhaben zu können. So differenziert er einzelne, thematisch bedingte Diskurse (z. B. der frauenpolitische Diskurs302) nach Kommunikationsbereichen (z. B. politische Gruppen), Teildiskursen (z. B. der Abtreibungsdiskurs) und Redekonstellation bzw. Textsorten. Jung proklamiert damit eine „relativ strenge

|| 296 Die Problematik des Terminus Aussage ist Jung dabei durchaus bewusst. Er versteht darunter „natürlich nicht die ‚Satzaussage‘ (Proposition) (…), sondern vielmehr eine bestimmte thematisch definierte Behauptung“ (ebd., S. 461), und nennt sie in einem Zug z. B. auch mit „Topoi“ (ebd., S. 460). 297 Ein Diskurs ist dann definiert „als die Gesamtheit der Beziehungen zwischen thematisch verknüpften Aussagenkomplexen“ (ebd., S. 463). 298 Zudem können so auch geschlossene Korpora untersucht werden (vgl. ebd., S. 462). 299 Ebd., S. 461. 300 Ebd. 301 Jung gesteht an dieser Stelle ein, dass man trotz der abstrakt sinnvolleren Konzeption des Diskurses als Aussagenkorpus „in der Regel nicht an Texten vorbei“ (ebd., S. 463) kommt. Jedoch entsteht m. E. dennoch ein Widerspruch in Jungs Programm, wenn er hier die „Erfassung von thematisch einschlägigen […] Texten“ (ebd.) vorschlägt, zuvor jedoch zur Begründung des Diskurses als Aussagegeflecht ins Feld führt, dass sich auch in nicht einschlägigen Texten Aussagen des betreffenden Diskurses finden lassen. Diese würden demnach so nicht erfasst. Somit wäre kein wirklich signifikanter Unterschied zur Konzeption von Busse und Teubert auszumachen, die in ihrem Programm nach der Zusammenstellung eines Textkorpus bereits die Analyse von Aussagenkomplexen bzw. –netzen (z. B. in Form einer Argumentationsanalyse) vorgesehen haben (vgl. Busse und Teubert 1994, z. B. S. 22 f.). 302 Beispiele nach Jung 1996, S. 457. Jung weist darauf hin, dass ein Forscher seine Kriterien zur Abgrenzung eines Gesamtdiskurses offenzulegen hat (vgl. ebd.).

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Korpusbasiertheit“303 und erhofft sich dadurch neben seiner Neukonzeption des Diskursbegriffs als Aussagengeflecht einen weiteren Fortschritt in der Objektivierung diskurslinguistischer Praktiken, indem bei jedem Untersuchungsvorhaben genau anzugeben ist, welche Spezifizierungen auf den einzelnen Ebenen vorgenommen werden.304 Eine weitere zentrale Frage im Rahmen konkreter Umsetzungsvorschläge für eine linguistische Diskursanalyse stellt sich hinsichtlich des Umgangs mit einzelnen Lexemen als Zugriffsobjekte der diskurssemantischen Forschung. Gerade vor dem Hintergrund der geäußerten Kritik an der Einzelwortfokussierung der Begriffsgeschichte kommt diesem Aspekt besondere Bedeutung zu. Hermanns hebt auf den Koselleck’schen Grundgedanken des Begriffs als Faktor geschichtlicher Zusammenhänge ab und konzentriert sich in seinen Überlegungen zu einer sprachwissenschaftlichen Diskursgeschichte auf Einzelwörter, welchen er als „Vehikel oder Abbreviaturen von Gedanken“305 einen herausragenden Stellvertreterposten einräumt. Begriffe stehen für „Gedanken, die in ihnen sozusagen kondensiert sind.“306 So versteht er die Untersuchung von Sprachgebrauch, mittels derer er mentalitätsgeschichtliche Entwicklungen aufspüren will, als Analyse der „Konkurrenz der Wörter und der Wortbedeutungen“307. Er konzipiert seine Begriffsgeschichte jedoch ausdrücklich als Diskursgeschichte, die „auf den Kontext der Entstehung, des Gebrauchs sowie des Wandels der Begriffe abhebt“308 und möchte neben der Semantik auch die pragmatische Funktion von Begriffen erklären. Dafür lenkt er den Blick auf Textgeflechte, die verstanden werden müssen, um den vollständigen Sinn von Begriffen zu rekonstruieren. In seiner Absicht, durch sprachgeschichtliche Forschung Aufschlüsse über die Mentalität vergangener Zeiten zu erhalten, plädiert er klar dafür, „daß die Sprachgeschichte die Zusammenhänge mitbedenken muß, in denen ihre Quellentexte stehen.“309 Einen integrierten Ansatz präsentieren Busse und Teubert, die sich auf einer ersten Ebene für eine Wortbedeutungsgeschichte im Rahmen einer Diskursgeschichte aussprechen. Zum einen halten sie die Untersuchung von Wortverwendungen in verschiedenen Kontexten für ein ergiebiges Verfahren zur || 303 Ebd., S. 461. 304 Kritisch zum Gewinn des Ansatzes von Jung für die Korpusproblematik Bluhm u. a. 2000, S. 15 ff. 305 Hermanns 1995, S. 84. 306 Ebd., S. 82. 307 Ebd., S. 83. 308 Ebd., S. 87. 309 Ebd.

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Analyse von Bedeutungskontinuitäten und -wandel; zum anderen können „[e]inzelne Begriffe oder ‚Leitvokabeln‘ […] als diskursstrukturierende und Diskursströmungen benennende Elemente aufgefaßt werden, die einen Teil der diskursiven Beziehungen widerspiegeln.“310 Eine weiterer, schlagender forschungspraktischer Vorteil der Einzelwortorientierung liegt auf der Hand: Das Textkorpus konstituiert sich damit quasi von selbst. Indes halten Busse und Teubert Wortgeschichte immer nur als Teil einer umfassenderen Diskursgeschichte für sinnvoll und begeben sich damit auf eine zweite Ebene der Zugriffsobjekte diskurslinguistischer Praxis. Neben einer wortsemantischen Analyse geht es ihnen um eine textanalytische Sinnerschließung vor dem Hintergrund bedeutungskonstituierender Prozesse über Wort-, Satzund Textgrenzen hinweg.311 Dabei stammen die Bezugsgrößen zwischen Wortund Satzbedeutungen sowie Texten aus verschiedenen Texten und diskursive Beziehungen können nicht reduziert werden auf einzelne Begriffe oder Wörter, sondern „auch als Beziehungen zwischen Aussagen, Aussagenkomplexen oder zwischen semantischen Voraussetzungen für Wortbedeutungen, Aussagen oder Aussagenkomplexe wirksam werden.“312 In einer linguistischen Diskursanalyse sind dementsprechend die Relationen und ausgedrückten Sichtweisen zu beschreiben, die sich in derartigen Gefügen manifestieren und wandeln. Diese Beschreibung der Erweiterung von Zugriffsobjekten hat im Rahmen der Weiterentwicklung diskursgeschichtlicher Herangehensweisen fruchtbare Konzepte hervorgebracht, wie etwa Wengelers Ansatz der Toposanalyse zur Erschließung alltagsgängiger Argumentationsmuster im Sprachgebrauch, der im weiteren Verlauf der Arbeit noch vorzustellen sein wird. Für Wengeler stellt die Orientierung an Einzelwörtern ein zwar leicht handhabbares Objekt der Diskurslinguistik dar, „da gleich bleibende Wortkörper auf inhaltlich ähnliche Bedeutungs-

|| 310 Busse und Teubert 1994, S. 22. 311 Diesem integrierten Ansatz sind zahlreiche Diskursgeschichten aus der Düsseldorfer Schule gefolgt. Vgl. dazu ausführlich Kap. 4 im Ersten Teil. 312 Busse und Teubert 1994, S. 22. Busse versteht unter diskursiven Beziehungen „komplexe[] semantische[] Wechselbeziehungen und Vernetzungen“ (Busse, Dietrich: „Sprachgeschichte als Teil der Kultur- und Wissensgeschichte. Zum Beitrag einer historischen Diskurssemantik“. In: Wiesinger, Peter (Hrsg.): „Zeitenwende – die Germanistik auf dem Weg vom 20. ins 21. Jahrhundert“: Akten des X. Internationalen Germanistenkongresses Wien 2000. Bern u. a. 2002, S. 33–38, hier: S. 38), die auch „z. B. die Interessenabhängigkeit von Bedeutungsprägungen, sowie textsortenspezifische, situationsbezogene, soziolinguistische, ideen- und kulturgeschichtliche und andere Faktoren [umfassen; A. S.], soweit sie Einfluss auf die Bedeutungsgeschichte einzelner Wörter oder Wortgruppen gehabt haben“ (ebd.).

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konstruktionen verweisen“313; er bezeichnet die Wortsemantik aber letztlich als nur „ein [Herv. im Original; A. S.] Hilfsmittel“314, die „viele über das Vorkommen des Wortes hinausgehende Faktoren der sprachlichen Handlung berücksichtigen [muss; A. S.], in der u. a. [Herv. im Original; A. S.] mit diesem Einzelwort Bedeutung konstituiert wird.“315 Deutlich distanziert sich Knobloch bereits 1992 von der „Bindung an eine Wortgestalt (und damit auch die lexikalische Darstellungsform)“, denn „[v]iele sinnähnliche Motive und Denkfiguren lassen sich in Texten auch dann nachweisen, wenn ihr typischer Wortkörper nicht vorkommt.“316 In der weiteren forschungspraktischen Präzisierung von Diskursen ist die Eigenschaft der Historizität besonders herausgehoben worden. Ein Diskurs ist „schon vom Begriff her eine diachrone Größe“317 und seine zugehörigen Begriffe und Aussagengefüge unterliegen einem Wandel im Zeitablauf. Mit der Beschreibung dieses Wandels innerhalb des inhaltlichen Rahmens eines Diskurses wird die Erfüllung des primären Ziels einer bewusstseinsorientierten historischen Semantik möglich, „weltanschaulich relevante[n] Paradigmenwechsel […] sprachwissenschaftlich beschreibbar“318 zu machen und damit den gewünschten Beitrag zur Sozial- und Kulturgeschichte zu leisten.319 Gerade die Tatsache, dass sich ein solcher historischer Wandel in den Wirklichkeitssichten und damit in der Sprache einer Gesellschaft nicht abrupt von alt nach neu vollzieht, sondern von „Uneinheitlichkeit, Ungleichzeitigkeit und Multifunktionalität von

|| 313 Wengeler 2003a, S. 161. 314 Ebd. 315 Ebd., S. 162. 316 Knobloch 1992, S. 9. Um einen „vorherrschenden Denkstil (…) aus fraglos herrschenden Auffassungen, Überresten vergangener Denkstile (…) und Anlagen für zukünftige Entwicklungen (…) einer Epoche [freizulegen; A. S.], müssen die fraglosen Muster und Selbstverständlichkeiten im öffentlichen Sprachgebrauch aufgesucht und analysiert werden“ (ebd. S. 20 f.). Vgl. auch ders.: Moralisierung und Sachzwang. Politische Kommunikation in der Massendemokratie. Duisburg 1998, insbes. S. 191 ff. 317 Busse und Teubert 1994, S. 24. 318 Ebd., S. 25. 319 Das Konzept einer linguistischen Diskursgeschichte entspricht damit auch in besonderer Weise dem Ansatz einer soziopragmatischen Sprachgeschichtsschreibung, wie sie auf dem Zürcher Kolloquium 1978 erörtert und von Cherubim und von Polenz umrissen worden ist (vgl. Sitta, Horst (Hrsg.): Ansätze zu einer pragmatischen Sprachgeschichte. Zürcher Kolloquium 1978. Tübingen 1980 sowie Cherubim, Dieter: „Sprachgeschichte im Zeichen der linguistischen Pragmatik“. In: Besch, Werner, Reichmann, Oskar und Sonderegger, Stefan (Hrsg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Erster Halbband. Berlin und New York 1984, S. 802–815 und Polenz 2000, S. 13 f.).

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Sprachelementen, Sprachnormen und Sprachgebräuchen“320 gekennzeichnet ist, verleiht der diskurslinguistischen Herangehensweise ihre Schlagkraft. Sie kann Reichweiten und Wirkungskräfte dieser Phänomene sowohl qualitativ als auch quantitativ besser erschließen als traditionelle wortgeschichtliche Verfahren. Zudem vermag sie die Ebene der Intentionalität des Sprachhandelns Einzelner am Beginn von Sprachwandelprozessen zu ergänzen um die diskursiven Voraussetzungen sprachlicher Handlungen, die als epistemisches Vorwissen den Sprachteilnehmern nicht unbedingt bewusst sind. An dieser Stelle sei auch auf den diskursgeschichtlichen Ansatz von Hermanns hingewiesen. Aus dem Verständnis von Sprachwandel als Ausdruck des historischen Wandels von Wirklichkeitssichten heraus fokussiert er eine mentalitätsgeschichtliche Perspektive. Er zeigt auf, wie die diskursgeschichtliche Analyse des Sprachgebrauchs historischer Gruppen einen Erkenntnisgewinn für die Mentalitätsgeschichte liefern kann: Mentalität als „Gesamtheit von Dispositionen zu einer Art des Denkens, Fühlens, Wollens […] einer Kollektivität“321 kommt nicht nur wesentlich im Sprachgebrauch zum Ausdruck, sondern wird durch diesen mitgeprägt. Mentalitäten gelten als ein wesentlicher Ansatzpunkt für die Erklärung historischen Verhaltens, da sie dieses – zumindest partiell – prädisponieren. Linguistische Mentalitätsgeschichte sucht daher, den Wandel sprachlichen Verhaltens mit dem Wandel im Denken, Fühlen und Wollen historischer Subjekte zu erklären und umgekehrt aus dem Sprachgebrauch auf Mentalitäten zu schließen. Im Ergebnis ist die „Geschichte der Veränderung von Sprachgebräuchen […] mentalitätsgeschichtlich gar nichts anderes als die Geschichte von Gedanken, deren Selbstverständlichkeit sich anbahnt oder aufhört.“322 Im Themenfeld der Mentalitätsgeschichte interessiert sich Hermanns insbesondere dafür, „herauszufinden, was die Menschenbilder einzelner historischer Epochen waren“323, und entwickelt die Idee einer linguistischen Anthropologie. Eine Analyse des Sprachgebrauchs in Diskursen hebt in diesem Zusammenhang auf die „Besonderheiten und Veränderungen sprachgeprägter Menschenbilder“324 ab und soll Aufschlüsse über menschenbezogene Denkge-

|| 320 Busse und Teubert 1994, S. 24. 321 Hermanns 1995, S. 76. 322 Ebd., S. 83. 323 Hermanns, Fritz: „Linguistische Anthropologie. Skizze eines Gegenstandsbereiches linguistischer Mentalitätsgeschichte“. In: Busse, Dietrich, Hermanns, Fritz und Teubert, Wolfgang (Hrsg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik. Opladen 1994a, S. 29–59, hier: S. 56. 324 Ebd., S. 29.

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wohnheiten erzielen, also Aussagen darüber ermöglichen, „[w]ie man jeweils – zu bestimmten Zeiten, in bestimmten Gruppen – über Menschen dachte“325. Die linguistische Diskursanalyse operiert wie gesehen, um ihrer Zielsetzung gerecht zu werden, mit erweiterten Zugriffsobjekten und versucht alle für die Bedeutungskonstitution relevanten Faktoren zu erfassen. Sie entwickelt für die Analyse und Beschreibung von Bedeutungen jedoch kein vollkommen neues Instrumentarium, sondern macht sich zahlreiche herkömmliche sprachwissenschaftliche Methoden für ihre spezifische Zielsetzung zunutze.326 So nennt etwa Busse folgende Instrumente als Beispiele geeigneter Methoden diskurslinguistischer Forschungsvorhaben: - semantische Merkmalanalyse; - Ausweitung solcher Analysen auf ganze semantische Netzwerke und ihre Konstituenten (z. B. Frames, Skripts usw.); - Analyse von Präsuppositionen im Sinne der linguistischen Pragmatik und von durch In ferenzen erschließbare mitgemeinte und/oder versteckte Bedeutungen; - Analyse bedeutungshafter Elemente von nichtsprachlichen Zeichen; - Analyse von Argumentationsstrukturen und ihren semantisch-epistemischen Elementen (z. B. Stützungsregeln i. S. v. Toulmins Argumentationsmodell); - Topos-Analyse i. S. d. rhetorischen oder argumentationsanalytischen Topologie; - Metaphernanalyse nach Lakoff/Johnson327

Die Anwendung bewährter und objektivierbarer Methoden der Linguistik führt nicht dazu, dass eine diskurslinguistische Bedeutungsanalyse frei von interpretatorischen Elementen sein kann. Gerade das Aufspüren von „Kontext[en] zeichenhafter, semantischer, epistemischer Bezüge“328, das sich die Diskurslinguistik zum Ziel gesetzt hat, ist – wie bereits oben dargelegt – „häufig genug Ergeb-

|| 325 Ebd., S. 56. 326 Vgl. dazu auch Anm. 277. Beispiele für grundsätzlich geeignete Methoden im Rahmen diskurslinguistischer Forschung sind vielerorts gegeben worden. Vgl. für einen schnellen Überblick etwa Busse 2002, S. 35 und ders. 2003, S. 179. Im weiteren Verlauf der Arbeit stehen Verfahrensweisen im Vordergrund, die die Düsseldorfer Schule für ihre Diskursgeschichten entwickelt hat. 327 Busse 2002, S. 35. Die Aufzählung an dieser Stelle ist als beispielhaft zu verstehen und keineswegs als abschließend zu betrachten. In vielen Überblicksartikeln zur Diskurslinguistik finden sich dergestaltige Aufzählungen; vgl. weiterführend statt vieler Gardt 2007, S. 31 f. Gardt trennt seine Übersicht in eine detaillierte Darstellung von einzelnen Analyseelementen bezüglich ihrer sprachstrukturellen Bezugspunkte und in die Teildisziplinen der Sprachwissenschaft, deren Erkenntnisse sich die Diskurslinguistik grundsätzlich zunutze macht. 328 Ebd.

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nis bestimmter Suchstrategien, die auf Hypothesen beruhen.“329 Der Unterschied der Diskurssemantik zu anderen Formen der Text- und Satzsemantik besteht eben gerade darin, sich nicht auf die Formulierung allgemeiner Prinzipien und Theorien zu beschränken, sondern sich für die Inhalte zu interessieren, für Wort-, Satz- und Textbedeutungen in ihrer wirklichkeitskonstitutiven und epistemischen Funktion. Eine solche Semantik kann nur – wie alle philologischen Verfahrensweisen – mit einer hermeneutischen Leistung des Forschenden Ergebnisse liefern. Im Anschluss an diese allgemeine Übersicht diskurslinguistischer Überlegungen für die sprachwissenschaftliche Praxis widmet sich das vierte Kapitel den konkreten Konzepten, die die Düsseldorfer Schule hervorgebracht hat, die überdies auf einen materialreichen empirischen Fundus von Diskursgeschichten verweisen kann. Immer wieder werden neue fruchtbare Konzepte für die Diskurslinguistik entwickelt. In jüngerer Zeit zählt dazu neben der im anschließenden Abschnitt vorgestellten Frame-Semantik, wie sie etwa Konerding330 und Ziem331 entwickelt haben, auch das unterschiedliche Perspektiven integrierende DIMEAN-Modell, wie es Warnke und Spitzmüller vorschlagen.332

|| 329 Ebd. 330 Vgl. grundlegend Konerding, Klaus-Peter: „Diskurse, Themen und soziale Topik“. In: Fraas, Claudia und Klemm, Michael (Hrsg.): Mediendiskurse. Bestandsaufnahme und Perspektiven. Frankfurt am Main 2005, S. 9–38. 331 Vgl. Ziem, Alexander: „Begriffe, Topoi, Wissensrahmen. Perspektiven einer semantischen Analyse gesellschaftlichen Wissens“. In: Wengeler, Martin (Hrsg.): Sprachgeschichte als Zeitgeschichte. Hildesheim und New York 2005, S. 315–348; ders.: „Frame-Semantik und Diskursanalyse – Skizze einer kognitionswissenschaftlich inspirierten Methode zur Analyse gesellschaftlichen Wissens“. In: Warnke, Ingo H. und Spitzmüller, Jürgen (Hrsg.): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen Ebene. Berlin und New York 2008a, S. 89–116 sowie ders.: Frames und sprachliches Wissen. Kognitive Aspekte der semantischen Kompetenz. Berlin und New York 2008b. 332 DIMEAN steht für ,Diskurslinguistische Mehr-Ebenen-Analyse‘. Vgl. dazu grundlegend Warnke und Spitzmüller 2008, S. 23 ff. sowie dies. 2011, S. 197 ff.

4 Sprachgeschichte als Problemgeschichte der Gegenwart 4.1 Überlegungen zum öffentlichen Sprachgebrauch Wenn mit der Nachzeichnung der Bedeutung des Begriffs Sicherheit über eine bestimmte Zeitspanne der jüngeren Vergangenheit handlungsorientierende und wirklichkeitskonstituierende Wirkungsweisen im öffentlichen Sprachgebrauch aufgezeigt werden sollen, so bietet sich besonders das Düsseldorfer Konzept einer als Problemgeschichte der Gegenwart gefassten Sprachgeschichte als geeignete Grundlage für die konkrete Herangehensweise der vorliegenden Arbeit an. Dieses von Stötzel und seinen Schülern entwickelte Programm nutzt nicht zuletzt im Laufe seiner Entwicklung diskurslinguistische Ansätze für eine neue Form der Sprachgeschichtsschreibung. Die Düsseldorfer Ansätze werden daher heute mitunter durch ihre Bezeichnung als „linguistische Diskursgeschichte“333 von anderen diskurslinguistischen Programmen in der Germanistik unterschieden. Am Anfang des Konzepts stehen jedoch nicht diskurslinguistische Überlegungen, sondern vielmehr Stötzels zunächst exemplarische Interpretationen des Sprachgebrauchs in öffentlichen Auseinandersetzungen politischer Natur.334 Er zeigt mit dem Verweis auf die Arbitrarität sprachlicher Zeichen und das Wirken gesellschaftlicher Kräfte Ursachen von Heterogenität im öffentlichen Sprachgebrauch auf und demonstriert an konkreten Beispielen, wie mit der Bezeichnung von Sachverhalten immer bereits eine Stellungnahme verbunden ist. Schon 1978 verdeutlicht Stötzel, daß bei einer Sprechergemeinschaft in Bereichen, in denen sie nicht verständigt ist, und das ist vornehmlich der Fall im Bereich der Politik bzw. in Bereichen, wo es um Meinungsbildung zu wichtigen Lebensproblemen geht, – daß sich in diesen Bereichen die Heterogenität von Ansichten und Standpunkten im Medium der expliziten Kommunikation, also in der Sprache niederschlagen muß. Der ‚Streit‘ geht dann jeweils darum, eine gültige, d. h. allgemein akzeptierte Interpretation im Sprachgebrauch durchzusetzen (und möglicherweise andere auszuschließen), womit zugleich bestimmte Handlungsorientie-

|| 333 Bluhm u. a. 2000, S. 12. Sie verstehen die Düsseldorfer Ansätze als „Spezialisierung der Diskursanalyse“ (ebd.). 334 Vgl. z. B. Stötzel 1980. https://doi.org/10.1515/9783110605358-005

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rungen (z. B. die Anerkennung der ‚Notwendigkeit‘ bestimmter Verhaltensweisen) in die Öffentlichkeit getragen werden sollen.335

Dieser Kerngedanke Stötzels, unterschiedlichen und sich wandelnden öffentlichen Sprachgebrauch als Ausdruck heterogener Intentionen und Interpretationen gesellschaftlicher Gruppen zu deuten, die mit dem bestimmten Gebrauch lexikalischer Mittel und weiterer kommunikativer Strategien diesen zu beeinflussen und dadurch Denk- und Handlungsorientierung zu erzeugen suchen, webt sich als roter Faden durch die Düsseldorfer Sprachanalysen. Später folgt mit der Zusammentragung eines umfangreichen Belegkorpus und der Erkenntnis, dass sich semantische Kämpfe innerhalb historischer Problemkreise ausprägen, die Erweiterung zur Sprachgeschichte. Das Ziel Stötzels bildet dabei eine als Beitrag zur Zeitgeschichte verstandene Sprachgeschichtsschreibung, die sich auf lexematische, semantische und pragmatische Phänomene und deren Wandel im Zusammenhang mit historischen Prozessen konzentriert.336 Die historische Perspektive erlaubt, auch vergessene Sprachgebrauchsweisen als Ausdruck verdrängter Weltsichten und Wirklichkeitskonstitutionen vor Augen zu führen und damit einen Einblick ins Bewusstsein, in die Mentalität historischer Sprachteilnehmer zu gewinnen. Übergeordnetes Anliegen Stötzels ist dabei stets, Sprachwissenschaft als öffentliche Wissenschaft zu begreifen und durch aufklärerische Analysen zu sprachbezogenen Problemen, die den gesellschaftlichen Diskussionen selbst entspringen, einen Beitrag zum Verständnis gesellschaftlicher Phänomene zu leisten. Nicht zuletzt lässt sich hier auf die bereits thematisierte Sprachkritik und ihr kulturwissenschaftliches Verständnis verweisen, an die sich Stötzels Programm unmittelbar anschließen lässt. Die Schlagkraft von Stötzels Konzept entfaltet sich schließlich in zahlreichen empirischen sprachgeschichtlichen Studien, in denen eine ganze Forschergeneration die Überlegungen Stötzels fortgeführt und weiterentwickelt hat. Stötzels Fokus auf die Relevanz von Sprache bei der Wirklichkeitskonstitution in öffentlich verhandelten Themenfeldern ruht zum einen auf sprachtheoretischen und methodischen Überlegungen, die in Düsseldorf von ihm und

|| 335 Stötzel, Georg: „Heinrich Bölls sprachreflexive Diktion. Sprachwissenschaftliche Interpretation eines Interviews“. In: Linguistik und Didaktik. 9. Jg. (1978), S. 54–74, hier: S. 61 f. 336 Der bis dahin einzige Versuch, die Sprachgeschichte der BRD im Kontext der Zeitgeschichte darzustellen, erfolgt durch Steger (vgl. Steger, Hugo: „Sprache im Wandel“. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Die Bundesrepublik Deutschland. Geschichte in drei Bänden. Band 3. Kultur. Frankfurt am Main 1983, S. 15–46). Zur Bewertung der Steger’schen Überlegungen vgl. Stötzel 1993, S. 113 und 115 f.

Überlegungen zum öffentlichen Sprachgebrauch | 85

seiner Forschergeneration selbst angestellt worden sind.337 Zum anderen erweisen sich die unabhängig davon entstandenen programmatischen Konzepte von Busse, Teubert und Hermanns als „hochgradig kompatibel“338 mit den Düsseldorfer Ansätzen. Neben Hermanns’ mentalitätsgeschichtlichen Überlegungen bildet nicht zuletzt Busses diskurssemantisches Programm mit seiner FoucaultAdaption einen Begründungskontext für die Deklaration der Düsseldorfer Sprachgeschichte als Diskursgeschichtsschreibung339. Erwachsen ist aus diesem breiten Fundament eine umfassende methodische Bereicherung der Diskurslinguistik mit steter Orientierung an den empirischen Erfordernissen. In den folgenden Abschnitten wird dies weiter ausgeführt. Mit ihrer Ausrichtung auf „die wirklichkeitskonstitutive, ‚Bedeutungen‘ produzierende Rolle der Sprache“340 – betrachtet in ihren gesellschaftlichen Kontexten – ordnen sich die Düsseldorfer Sprachgeschichtsschreiber letztlich ein in ein „neueres Paradigma der Sprachgeschichtsschreibung“341 in Form von

|| 337 Hier sind etwa die Arbeiten von Jäger, Stetter, Scharf oder Keller zu nennen (vgl. z. B. Jäger, Ludwig: Zu einer historischen Rekonstruktion der authentischen Sprach-Idee F. de Saussures. Düsseldorf 1975; Stetter, Christian: Sprachkritik und Transformationsgrammatik. Zur Bedeutung der Philosophie Wittgensteins für die sprachwissenschaftliche Theoriebildung. Düsseldorf 1974; Scharf, Hans-Werner: Chomskys Humboldt-Interpretation. Ein Beitrag zur Diskontinuität der Sprachtheorie in der Geschichte der neueren Linguistik. Düsseldorf 1977; Keller, Rudi: Über den Begriff der Präsupposition. Heidelberg 1974). 338 Wengeler, Martin: „25 Jahre Düsseldorfer Sprachgeschichtsschreibung für die Zeit nach 1945. Bilanz und Perspektiven“. In: Ders. (Hrsg.): Sprachgeschichte als Zeitgeschichte. Hildesheim und New York 2005b, S. 1–18, hier: S. 6. Als erste Düsseldorfer Arbeit gibt die Dissertation von Wengeler 1992 die Historische Semantik Busses als geeignete theoretische Grundlage an (vgl. Wengeler, Martin: Die Sprache der Aufrüstung. Zur Geschichte der Rüstungsdiskussionen nach 1945. Wiesbaden 1992, S. 19 ff.). Jung spricht von „faktischen Konvergenzen“ (Jung 1996, S. 453 m. w. N.) der Konzepte Busses, Teuberts und Hermanns‘ und dem stärker empirisch ausgerichteten Düsseldorfer Programm. Busse wird in vielen Publikationen der Düsseldorfer Schule zugerechnet, widerspricht dem aber selbst und weist darauf hin, dass die Düsseldorfer Forscherinnen und Forscher seinen Ansatz weiterentwickelt und empirisch umgesetzt haben, dieser aber lange vor seiner Berufung nach Düsseldorf entstand (vgl. Busse 2013, S. 32). 339 Durch Jung 1994 erstmals als solche bezeichnet (vgl. Jung, Matthias: Öffentlichkeit und Sprachwandel. Zur Geschichte des Diskurses über die Atomenergie. Opladen 1994). 340 Wengeler, Martin: „Deutsche Sprachgeschichte nach 1945. Eine kurze Hommage an Georg Stötzel“. In: Ders. (Hrsg.): Deutsche Sprachgeschichte nach 1945. Diskurs- und kulturgeschichtliche Perspektiven. Beiträge zu einer Tagung anlässlich der Emeritierung Georg Stötzels. Hildesheim und New York 2003b, S. 1–7, hier: S. 4. 341 Ebd.

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Diskurs-, Mentalitäts- bzw. Kulturgeschichte im Rahmen des Konzepts einer soziopragmatischen Sprachgeschichtsschreibung.342

4.2 Kontroverse Begriffe Das Herzstück der Düsseldorfer empirischen Sprachgeschichtsstudien bilden die Kontroversen Begriffe.343 Ein Novum dieser fünfzehn Analysen umfassenden Sprachgeschichte für die Bundesrepublik Deutschland nach 1945 liegt in ihrer Sortierung nach öffentlichen Themenfeldern bzw. Problemsektoren.344 Ausgangspunkt hierfür bildet die Überlegung, dass semantische Kämpfe, d. h. einzelne Auseinandersetzungen um öffentlichen Sprachgebrauch, ihre spezifische Bedeutung erst jeweils aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu historischen Themenkreisen konstituieren. Mit dieser Konzeption gelingt es, Sprachgeschichte der Willkür chronologischer Zäsuren weitgehend zu entziehen.345 Gleichzeitig wird ein methodisch fundierter Maßstab für die Quellenauswahl und -analyse präsentiert. Leitend für die Materialgewinnung ist die Beobachtung, dass „in öffentlichen Diskussionen der Sprachgebrauch selbst oft explizit oder indirekt zum Thema wird.“346 Relevant für die Auswahl von Texten ist daher neben allgemeinen Aspekten des Sprachgebrauchs insbesondere die Thematisierung des Sprachgebrauchs.347 Unterschiedlicher Sprachgebrauch, so die Annahme, gilt als Anzeichen für Kommunikationsprobleme;348 er legt das gesellschaftliche Ringen um gültige Bedeutungen offen. Die Kontroversen Begriffe identifizieren

|| 342 Vgl. Anm.319. 343 Vgl. für die hier dargestellten Grundlagen Stötzel 1995, S. 1 ff. Weitreichende Überlegungen für das Projekt beschreibt er bereits 1993 (ders. 1993, S. 111 ff.). 344 Daher rührt auch der für das Programm gängige Terminus „Sprachgeschichte der Gegenwart als Themengeschichte (oder Problemgeschichte)“ (Ders. 1995, S. 9 und ähnlich schon im Titel seines Aufsatzes zwei Jahre zuvor: ders. 1993). 345 Vielmehr können länger andauernde Auseinandersetzungen in einem Themenfeld mit ihren verschiedenen zeitlichen Höhepunkten nachgezeichnet werden (vgl. ders. 1995, S. 16). 346 Ebd., S. 2. 347 Stötzel bezeichnet dieses leitende Kriterium der Materialauswahl als „eine neue ‚Findungsmethode‘“ (Ebd.). Das Korpus der Kontroversen Begriffe stützt sich auf Pressetexte der Rheinischen Post – begründet mit dem hohen Anteil von nahezu unverändert übernommenen Agenturmeldungen in überregionalen Nachrichten großer Zeitungen (ebd., S. 10). 348 Stötzel bezieht sich an dieser Stelle auf Weinrich, der bereits 1976 verdeutlicht, dass die Thematisierung von Sprache Kommunikationsprobleme indiziert – nicht zuletzt auch im Bereich der Alltagskommunikation (vgl. Weinrich, Harald: „Von der Alltäglichkeit der Metasprache“. In: Ders.: Sprache in Texten. Stuttgart 1976a, S. 90–112, hier: S. 93 f.).

Kontroverse Begriffe | 87

verschiedene Problemindikatoren, die gesellschaftlich bedeutsamen Sprachgebrauch signalisieren und als Leitlinien für die sprachwissenschaftliche Analyse dienen.349 Zu diesen zählt zunächst die explizite Thematisierung von Sprache in Texten, die häufig die Interpretation des eigenen oder fremden Sprachgebrauchs offenbart. Ferner gilt auch die implizite Thematisierung in Form heterogenen Sprachgebrauchs als aufschlussreich, insbesondere in Form von konkurrierenden Interpretationsvokabeln „als Ausdruck bestimmter ‚Sehweisen‘ (Konzeptualisierungen) einer geschichtlichen Situation“350. Zudem liegt ein besonderes Augenmerk auf „Strategien der Auf- und Abwertung bestimmter Bezeichnungen (durch spezifische Kontextualisierungen)“351 sowie auf Gelegenheitskomposita und Neologismen, die sowohl auf Aktualität als auch auf neue Konzeptualisierungen im jeweiligen Themenkreis verweisen. Die Düsseldorfer Sprachgeschichte verfolgt das Ziel, „Sprache in einer ihrer wesentlichen Funktionen deutlich [zu; A. S.] machen: in der auf der Arbitrarität sprachlicher Zeichen beruhenden realitätskonstitutiven und handlungsorientierenden Funktion.“352 Die Untersuchungen konzentrieren sich daher auf die semantisch-pragmatische Ebene. Diese Herangehensweise ermöglicht, die mit dem Sprachgebrauch zum Ausdruck kommenden rivalisierenden Intentionen und Interpretationen gesellschaftlicher Gruppen zu sezieren. Der Fokus liegt auf der Nachzeichnung semantischer Kämpfe um zentrale öffentliche Schlüsselwörter oder Leitvokabeln.353 Im öffentlich ausgetragenen Kampf um die Deutungs- und Verwendungshoheit von Begriffen werden gesellschaftliche Machtansprüche verhandelt. Die sprachhistorische Analyse konkurrierender Bezeichnungen und Bedeutungen354 vermag aufzuzeigen, welche Interpretationen und Bedeutungen sich im Zeitverlauf durchgesetzt haben und welche in Vergessenheit geraten sind und den Sprachteilnehmern heute nicht mehr bewusst sind.355 Sprachwandel wird im Düsseldorfer Konzept damit nicht allein als ein invisible

|| 349 Vgl. für die folgenden Indikatoren ausführlich Stötzel 1995, insbes. S. 3 und 11 f. 350 Ebd., S. 3. 351 Ebd. 352 Ders. 1993, S. 117 und nahezu gleichlautend ders. 1995, S. 9 f. 353 Vgl. zu Begriffen und Rezeption von Konzepten der politischen Kommunikation bzw. Semantik im Düsseldorfer Sprachgeschichtsprogramm ausführlicher Kap. 4.3. 354 Vgl. dazu auch Kap. 4.3. 355 Sprachgeschichte bedeutet für Stötzel nicht zuletzt „(sprachwissenschaftliche) Erinnerungsarbeit“ (Stötzel, Georg: „Semantische Kämpfe im öffentlichen Sprachgebrauch“. In: CeplKaufmann, Gertrude u. a. (Hrsg.): „Stets wird die Wahrheit hadern mit dem Schönen“. Festschrift für Manfred Windfuhr zum 60. Geburtstag. Köln und Wien 1990, S. 421–444, hier: S. 424).

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hand-Phänomen begriffen.356 Hier wird vielmehr gesellschaftlichen und politischen Gruppen unterstellt, dass sie mitunter gezielt eigenen Wortgebrauch und Argumentationsmuster zu etablieren suchen, um eigene Konzepte durchzusetzen und entsprechende Handlungsorientierung zu erzeugen.357 In bewusst narrativ gehaltener Darstellungsweise werden in der Düsseldorfer Sprachgeschichte lexikalische Mittel sowie kommunikative und argumentative Strategien im Zusammenhang mit historischen Gegebenheiten analysiert. Obwohl die Kontroversen Begriffe nicht ausdrücklich mit dem Diskursbegriff operieren, ist ihre Nähe zu diskurslinguistischen Überlegungen an dieser Stelle unübersehbar.358 Bei der Textauswahl orientiert man sich zwar in der Regel an einzelnen Wörtern, ausdrücklich aber soll „Sprachgeschichte nicht auf Wortgeschichte oder auf eine Geschichte von Thematisierungen reduziert“359 werden; vielmehr wird die „Skizzierung des Argumentationsablaufs für die Erfassung der Geschichte politischen Handelns [für; A. S.] unabdingbar“360 gehalten. Stötzel nimmt die später durch seine Schüler explizit formulierte diskursgeschichtliche Ausrichtung mindestens teilweise vorweg, wenn er feststellt,

|| 356 Vgl. Keller, Rudi: Sprachwandel. 4. Auflage. Tübingen 2014, S. 87 ff. Den Begriff invisible hand prägt Adam Smith 1776 zur Beschreibung von Markt- und Wettbewerbsprozessen (vgl. Smith, Adam: An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations. Published by Thomas Nelson. Edinburgh 1840, insbes. S. 184.). 357 Zur Frage, inwiefern und unter welchen Prämissen Sprachwandel intentional erfolgen kann, vgl. Wengeler, Martin: „Beabsichtigter Sprachwandel und die ‚unsichtbare‘ Hand. Oder: Können ‚verbale Strategien‘ die Bedeutungsentwicklung ‚brisanter Wörter‘ beeinflussen?“ In: Panagl, Oswald und Stürmer, Horst (Hrsg.): Politische Konzepte und verbale Strategien. Brisante Wörter – Begriffsfelder – Sprachbilder. Frankfurt am Main 2002, S. 63–84. Wengeler kommt zu dem Schluss, dass „Bedeutungswandel im öffentlich-politischen Wortschatz als ein gemischter Prozess von (auch) auf Sprache gerichteten Absichten und nicht-intendierten Folgen von Sprachhandlungen zu verstehen (...) ist“ (ebd., S. 66). Die Durchsetzung eines bestimmten Sprachgebrauchs und damit verbundenen Wirklichkeitsinterpretationen hält er für abhängig von den Einflussmöglichkeiten der jeweiligen gesellschaftlichen Gruppen. 358 So auch Jung 1996, S. 453. 359 Stötzel 1995, S. 3. Wengeler bezeichnet die Düsseldorfer Analysen daher auch als „Diskursgeschichten, die nicht reine Wortgeschichten sind, sondern die unterschiedliche Wirklichkeitskonstitution und insbesondere den Kampf um die öffentliche Durchsetzung verschiedener Wirklichkeitssichten anhand des Ringens um angemessene Bezeichnungen gezeigt haben“ (Wengeler 2003a, S. 168). 360 Stötzel 1995, S. 15. Dahinter verbirgt sich auch eine Absage an die Analyse der „Polysemie sog. ideologischer Ausdrücke (Begriffe) durch statische (bzw. synchronische) Gegenüberstellungen oder auch durch merkmalsanalytische Charakterisierungen“ (ebd.), womit der diskurslinguistische Charakter ebenfalls deutlich betont erscheint.

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daß eine sektorale Aufteilung der Sprachgeschichte die Bedeutung wichtiger Vokabeln durch Bedeutsamkeitserzählung wesentlich besser vergegenwärtigen kann, als dies isolierte Einzelworterläuterungen vermögen, zumal sich das Vokabular in diesen Sektoren [...] erst gegenseitig semantisch konstituiert [...] und nur zeitweise bestimmte – auch gruppenspezifische – Konnotationen trägt.361

Das umfangreiche Sprachgeschichtswerk der Kontroversen Begriffe wird nach seinem Abschluss inhaltlich durch aktualisierte Analysen für ein Wörterbuchprojekt erweitert und ergänzt durch thematisch bis dato nicht untersuchte Themenfelder.362 Von besonderer Bedeutung für die vorliegende Arbeit muss jedoch die umfangreiche methodische Erweiterung und Vertiefung der diskursgeschichtlichen Analyse gelten, die maßgeblich im Rahmen eines Projekts der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur „Einwanderungsdiskussion im öffentlichen Sprachgebrauch seit 1945“363 erfolgte. Neben der zunächst überwiegenden Analyse von Schlüsselwörtern werden hierbei vor allem die Argumentationsbzw. Toposanalyse sowie die Metaphernanalyse als probate diskursgeschichtliche Methoden etabliert. Diese drei Herangehensweisen sollen aufgrund ihrer zentralen Bedeutung für die eigene Untersuchung im Anschluss knapp erläutert werden, bevor ein Blick auf das jüngere Verfahren der Frame-Semantik geworfen wird.

4.3 Leitvokabeln und politische Semantik Eine Einzelwortanalyse rechtfertigt sich im Rahmen des hier vorgestellten Konzepts einer Sprachgeschichte als problemorientierter Zeitgeschichte, da sie diskursgeschichtlich verankert wird. Hermanns hat im Rahmen seines mentalitätsgeschichtlichen Programms auf die Relevanz von Begriffen im Sinne Kosel|| 361 Ebd. 362 Den sprachgeschichtlichen Ritterschlag erhalten die Düsseldorfer Studien nicht zuletzt durch von Polenz. Der Altmeister deutscher Sprachgeschichtsschreibung erkennt deren Bedeutung für die deutsche Sprachgeschichte nach 1945 an, indem das Kapitel ,Politische Sprache‘ im dritten Band seiner „Deutschen Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart“ mit einem Fingerzeig auf die Düsseldorfer Sprachgeschichtsschreiber eröffnet wird: „Über die Entwicklung des öffentlichen, besonders politischen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland (...) verdanken wir einer Düsseldorfer Projektgruppe um Georg Stötzel gezielte empirische Untersuchungen nach Texten aus Printmedien, in politisch-historische Diskursbereiche gegliedert“ (Polenz, Peter von: Deutsche Sprachgeschichte vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. Band III. 19. und 20. Jahrhundert. Berlin und New York 1999, S. 555). 363 Stötzel, Georg u. a.: Die Einwanderungsdiskussion im öffentlichen Sprachgebrauch seit 1945. Projektantrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Düsseldorf 1993.

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lecks als Bedeutungskondensate hingewiesen und sich für eine Begriffsgeschichte als Diskursgeschichte ausgesprochen.364 Für Busse und Teubert bilden Einzelwörter eine ergiebige erste Analyseebene diskurslinguistischer Untersuchungen, nicht zuletzt weil damit „diskursstrukturierende und Diskursströmungen benennende Elemente aufgefaßt werden, die einen Teil der diskursiven Beziehungen widerspiegeln.“365 So konzentriert sich auch die Düsseldorfer Konzeption anfangs häufig auf die Analyse von Schlüsselwörtern bzw. Leitvokabeln. Ein umfassender Ansatz findet sich neben dem Grundlagenwerk der Kontroversen Begriffe insbesondere bei Böke, die für ihre Untersuchung von „Politische[n] Leitvokabeln in der Adenauer-Ära“366 sprachwissenschaftliche Konzepte der politischen Semantik rezipiert und eine inhaltliche wie terminologische Anpassung an die Erfordernisse einer diskursgeschichtlichen Analyse vornimmt.367 Gerade die Einbettung in das Düsseldorfer Sprachgeschichtsprogramm macht Bökes Ansatz für die Zwecke dieser Arbeit im Weiteren verfolgenswert. Böke bestimmt politische Leitvokabeln „als Kürzel für komplexe politische Argumentations-, Deutungs- und Handlungsmuster“368. Diese erhalten eine zentrale Funktion im politischen Kampf, indem die konfligierenden Interessengruppen mit ihnen angestrebte oder bereits realisierte politische Leitgedanken, Programme und Ziele ‚auf den Begriff‘ bringen und Problemverhalte aus ihren verschiedenen Perspektiven heraus beleuchten. Daher werden die Schlagwörter auch häufig selbst zum Objekt politisch-semantischer Auseinandersetzungen.369

Böke macht deutlich, dass eine Analyse dieser Begriffe diskursgeschichtlichen Erkenntniszielen dient, indem die sozio-historischen Prämissen beleuchtet wer-

|| 364 Vgl. Hermanns 1995, S. 248 sowie ausführlich auch Kap. 3.2 im Ersten Teil dieser Arbeit. 365 Busse und Teubert 1994, S. 22 sowie ausführlich Kap. 3.2 im Ersten Teil dieser Arbeit. 366 So der Titel von Böke 1996a. 367 Den Begriff politische Semantik führt Klein 1989 durch seinen Buchtitel ein (Klein, Josef (Hrsg.): Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung. Opladen 1989). Im Folgenden sollen darunter sprachwissenschaftliche Ansätze zur Analyse politischen Sprachgebrauchs bzw. politischer Kommunikation verstanden werden. Niehr hat in jüngerer Zeit noch einmal gemeinsame Stoßrichtungen von Politolinguistik und Diskurslinguistik hervorgehoben (vgl. Niehr, Thomas: „Politolinguistik – Diskurslinguistik: Gemeinsame Perspektiven und Anwendungsbezüge“. In: Roth, Kersten Sven und Spiegel, Carmen (Hrsg.): Angewandte Diskurslinguistik. Felder, Probleme, Perspektiven. Berlin 2013, S. 73–88). Vgl. für einen Überblick mit Berücksichtigung der Diskursebene auch ders.: Einführung in die Politolinguistik. Göttingen 2014b. 368 Böke 1996a, S. 21. 369 Ebd., S. 32.

Leitvokabeln und politische Semantik | 91

den, unter denen Wörter zu Leitvokabeln im politischen Diskurs avancieren. Die im semantischen Kampf verhandelten gesellschaftlichen Paradigmen und deren Kontinuität bzw. Wandel sollen durch die Analyse von Bezeichnungs- und Bedeutungskonkurrenzen, das Aufdecken von Sprachnormierungsversuchen und der semantischen Vernetzung der Leitvokabeln greifbar werden. Dafür führt Böke eine Reihe von Termini bzw. Phänomenen der politischen Sprache ein, die sie als Analysekategorien für ihre Untersuchung von politischen Diskursen in der frühen Bundesrepublik für ihre Zwecke zum Teil anpasst. Hinsichtlich der weiteren Definition und Einordnung des Begriffs politische Leitvokabel hat sie dabei dem Problem der nicht einheitlichen Fachterminologie in der politischen Semantik zu begegnen. Böke streicht zunächst die Nähe ihres Konzepts politischer Leitvokabeln zum Schlagwortbegriff heraus, wobei sie im Wesentlichen der Definition von Dieckmann folgt. Ihm zufolge bezeichnet ein Schlagwort in stilistisch komprimierter und einprägsamer Form als Einzelwort oder Wortverband das gemeinsame Bewußtsein oder Wollen, eine bestimmte Tendenz, ein Ziel oder Programm einer Gruppe gegenüber einer anderen oder einer Mehrzahl von anderen, bewegt sich meist auf einer höheren Abstraktionsebene und vereinfacht die Wirklichkeit gemäß den Erfordernissen des kollektiven Handelns, hat die Aufgabe, Anhänger zu werben und zu sammeln oder den Gegner zu bekämpfen und zu diffamieren, ist in seiner appellativen Funktion hörerorientiert und zieht seine Wirkungen vornehmlich aus angelagerten Gefühlswerten.370

Entscheidend für Bökes Einordnung ist die zentrale Rolle, die Schlagwörtern bei der Durchsetzung politischer Positionen im gesellschaftlichen Handeln zuge-

|| 370 Dieckmann, Walther: Wortschatz und Wortgebrauch der politischen Werbung. Ein Beitrag zur Wortforschung am Beispiel der deutschen Sprache im 19. und 20. Jahrhundert. Marburg 1964, S. 79 f. Weitere Ausführungen und Definitionsversuche zum Schlagwort, die in Konzepten der politischen Semantik häufig rezipiert worden sind, finden sich etwa bei Klein und Hermanns. Letzterer betont ausdrücklich, dass sprachwissenschaftliche Definitionen von Schlagwort ausschließlich pragmatischen Charakter haben können (vgl. Klein 1989, S. 11 sowie Hermanns, Fritz: Schlüssel-, Schlag- und Fahnenwörter. Zu Begrifflichkeit und Theorie der lexikalischen »politischen Semantik«. Mannheim 1994b, S. 6, 9 und 12). Hermanns gibt auch einen Überblick über die historischen Wurzeln der germanistischen Schlagwortforschung, an deren Beginn Meyers „Vierhundert Schlagworte“ (Meyer, Richard M.: Vierhundert Schlagworte. Leipzig 1900) und das zum Standardwerk der Schlagwortlexikographie avancierte „Historische Schlagwörterbuch“ von Ladendorf (Ladendorf, Otto: Historisches Schlagwörterbuch. Ein Versuch. Straßburg und Berlin 1906) stehen. Interessant im vorliegenden Zusammenhang ist ein expliziter Hinweis auf den Topos-Charakter eines Schlagworts: Es wird „als verkürztes Argument (→ Topos) in öffentlichen Kontroversen gebraucht“ (Bussmann, Hadumod (Hrsg.): Lexikon der Sprachwissenschaft. S. v. Schlagwort. 4. Auflage. Stuttgart 2008, S. 607).

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sprochen wird. Sodann setzt Böke die Begriffe politische Leitvokabel und Schlüsselwort gleich und führt dafür die Definitionen von Bracher und Schmidt zum Begriff des Schlüsselworts ins Feld. Hier erweist sich der Aspekt des Zugangs zur politischen Bewusstseinsgeschichte von Sprachgemeinschaften als leitend. Bracher führt aus: Schlüsselwörter heißt für die historisch-politische Betrachtung zugleich auch Schlüsselbegriffe, Schlüsselfiguren des politischen Denkens und Artikulierens. Sie sind ‚zugleich als Faktoren und als Indikatoren der geschichtlichen Bewegung‘ zu betrachten, wie Reinhard Koselleck ausdrückt.371

Für Schmidt bezeichnen Schlüsselwörter „entscheidende Tendenzen einer Epoche oder Bewegung“372 und stellen gewissermaßen den semantischen „‚Schlüssel‘ zum Verständnis einer historischen Entwicklungsstufe“373 dar.374 In der Böke’schen Konzeption können sowohl positiv als auch negativ konnotierte Ausdrücke als politische Leitvokabel fungieren, wenn sie „innerhalb der jeweiligen Diskussionen eine politische Leit(bild)funktion erlangen, d. h. einen bestimmten ‚Leitgedanken‘ oder ein ‚Leitbild‘ konstituieren oder transportieren bzw. auf einem (zeittypischen) ‚Leitgedanken‘ beruhen.“375 Auch muss keine bereits erfolgte allgemeine Akzeptanz des Ausdrucks vorliegen, vielmehr kann es gerade ein Ausdruck sein, um deren Durchsetzung die einzelnen Interessengruppen ringen. In diesem Zusammenhang kann eine politische Leitvokabel auch dazu dienen, „ein etabliertes Leitbild [zu] implizieren und […] davon abweichende gesellschaftliche Entwicklungen negativ zu bewerten.“376 In der konkreten Analyse ist also vornehmlich nach spezifischen Ausdrücken innerhalb eines Themenbereichs zu fahnden, „die in metonymischer oder verdichtender Weise bestimmte politische Maßnahmen, Programme, Ziele o. ä. vermitteln, legitimieren oder diffamieren“377. Böke schließt Hochwert- und Tabuwörter aufgrund ihrer weitgehenden Kontextunabhängigkeit aus ihrer Defini-

|| 371 Bracher, Karl Dieter: Schlüsselwörter in der Geschichte. Mit einer Betrachtung zum Totalitarismusproblem. Düsseldorf 1978, S. 19. 372 Schmidt, Wilhelm: „Zum Einfluß der gesellschaftlichen Entwicklung auf den Wortbestand der deutschen Sprache der Gegenwart in der DDR“. In: Deutsch als Fremdsprache. 1. Jg. (1972), S. 30–35, hier: S. 34. 373 Ebd. 374 Hinsichtlich Versuchen zur Abgrenzung von Schlagwort, Schlüsselwort und Leitvokabel in der Forschung vgl. Böke 1996a, Anm. 25. 375 Ebd., S. 33. 376 Ebd. 377 Ebd.

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tion der politischen Leitvokabel aus, sofern sie nicht durch spezifische Kontextualisierungen für die eigene politische Position gewonnen werden sollen. Hinsichtlich der formalen Form einer Leitvokabel folgt Böke der u. a. von Freitag und Ickler vertretenen Definition, nach der ein Ausdruck unabhängig von seiner grammatischen Form in die Kategorie einer Leitvokabel fallen kann, sofern es sich um weniger als einen elliptischen oder vollständigen Satz handelt.378 So kann sich eine Leitvokabel als Nomen, Adjektiv oder Verb sprachlich realisieren, phraseologischen Charakter haben oder als Kompositum auftreten. Hinsichtlich der Benennung einzelner Termini für die Analyse geht Böke detaillierter als üblich in der politischen Semantik vor und nimmt Einteilungen hinsichtlich verschiedenster Aspekte politischer Leitvokabeln vor, um später sprachliche Strategien im öffentlich-politischen Sprachgebrauch differenziert beschreiben zu können.379 Zunächst unterscheidet sie besondere Wortfunktionen vor dem Hintergrund zeichentheoretischer Gesichtspunkte eines Wortes. Hier folgt sie mit Klein seiner Unterscheidung eines Begriffs in die Aspekte Ausdruck, Referenz sowie deskriptive und deontische bzw. konnotative Bedeutungselemente.380 Neuwort, Ablösevokabel und Alternativbezeichnung sind in diesem Sinne als Eigenschaftsbezeichnungen einer Leitvokabel auf der Ausdrucksebene zu verstehen. Als auf die Referenz eines Begriffs verweisende Termini werden Selbstbezeichnung, Fremdbezeichnung, Programmvokabel, Zielvokabel, Zustands- und Vorgangsbezeichnung sowie Präsuppositionsvokabel unterschieden. Hinsichtlich deskriptiver und deontischer Aspekte einer Leitvokabel werden Interpretationsvokabel, Werbewort, Legitimationsvokabel, Vorwurfsvokabel und Integrationsvokabel sowie Euphemismus und Metapher eingeführt. Auch die für die politische Semantik zentralen Termini Fahnenwort und Stigmawort bzw. Mirandum und Anti-Mirandum fallen in diese Kategorie. Hermanns kann als Urheber der Unterscheidung eines Schlagworts in Fahnenwort und Stigmawort gelten, die er erstmals 1982 unter dem Oberbegriff

|| 378 Vgl. Freitag, Rainer: „Zum Wesen des Schlagwortes und verwandter sprachlicher Erscheinungen“. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität. Gesellschafts- und sprachwissenschaftliche Reihe. 23. Jg. (1974), S. 119–139, hier: S. 127 sowie Ickler, Theodor: „Zur Semantik des politischen Schlagwortes (und anderer Wörter)“. In: SuL. 21. Jg. (1990), S. 11–26, hier: S. 11. 379 Vgl. ausführlich Böke 1996a, S. 36 ff. Vgl. dort auch für die ausführlichere Definition und Beschreibung der einzelnen von ihr genannten Termini. 380 Vgl. Klein, Josef: „Kann man ‚Begriffe Besetzen‘? Zur linguistischen Differenzierung einer plakativen politischen Metapher“. In: Liedtke, Frank, Wengeler, Martin und Böke, Karin (Hrsg.): Begriffe Besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Opladen 1991, S. 44– 69, hier: S. 50.

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„Brisante Wörter“381 präsentiert. Aufgrund der zentralen Bedeutung seiner Definitionen für alle nachfolgenden Typisierungsmodelle seien diese hier kurz erläutert. Fahnenwörter sind nach Hermanns Wörter, „deren Funktion es gerade ist, als parteisprachliche Wörter aufzufallen. Sie sind dazu da, daß an ihnen Freund und Feind den Parteistandpunkt, für den sie stehen, erkennen sollen.“382 Das Pendant zum Fahnenwort bildet das Stigmawort. Dieses macht „einen Parteistandpunkt in plakativer Weise kenntlich [...], nur mit dem Unterschied, daß hier die gegnerische Partei, ihre Mitglieder, Ziele, Werte usw. negativ – statt die der eigenen Partei positiv – bezeichnet werden.“383 Die Betonung der parteilichen Position in seiner Definition des Stigmaworts relativiert Hermanns später.384 Und so versteht auch Böke unter einem Stigmawort einen Ausdruck, „der den politischen Gegner [...] in negativem Licht erscheinen läßt“385, dieser jedoch den eigenen Standpunkt nicht zwingend kenntlich machen muss. Die Begriffe Mirandum bzw. Anti-Mirandum führen letztlich zurück auf die Kategorie der Hochwertwörter, die Böke im Rahmen spezifischer Kontextualisierungen, d. h. aufgrund von Begriffsprägungsversuchen durch den unmittelbar sprachlich hergestellten Zusammenhang, zu Leitvokabeln erhebt. Während in einigen Ausführungen Hochwertwörtern wegen ihrer gruppenübergreifend positiven Konnotation die Brisanz abgesprochen wird,386 sind es für Klein gerade die Hochwertwörter, die zwar aufgrund ihrer durchgängig posi-

|| 381 Hermanns, Fritz: „Brisante Wörter. Zur lexikographischen Behandlung parteisprachlicher Wörter und Wendungen in Wörterbüchern der deutschen Gegenwartssprache“. In: Wiegand, Herbert E. (Hrsg.): Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie II. Hildesheim und New York 1982, S. 87–108. Die Bezeichnung Stigmawort führt Hermanns hier neu ein. 382 Ebd., S. 91. 383 Ebd., S. 92. 384 Vgl. ders. 1994, S. 19. 385 Böke 1996a, S. 39. 386 So stehen Hochwertwörter (und ihr Pendant – von Hermanns als Unwertwörter bezeichnet) bei Hermanns neben Schlagwörtern (vgl. Hermanns 1994b, S. 20) und damit neben Fahnen- und Stigmawörtern. Böke aber spricht von Miranda bzw. Anti-Miranda als gruppen(ideologie)übergreifenden Fahnen- und Stigmawörtern (vgl. Böke 1996a, S. 39), ordnet sie also darunter ein. Vgl. auch Bachem, der unter Hochwertwörtern „positiv bewertete Ausdrücke [versteht; A. S.], die Lösungen versprechen oder der Eigengruppe Symbole ihrer Identität liefern. Darunter fallen [...] auch solche Wörter und Fügungen, die nicht an sich schon universale ideale Hoffnungen andeuten, deren Stichwort- und Heilsbotschaftscharakter erst voll zu erkennen ist im Zusammenhang mit den aktuellen Nöten und schwebenden Fragen der augenblicklichen Gesellschaft und der Rolle des Sprechers in ihr“ (Bachem, Rolf: Einführung in die Analyse politischer Texte. München 1979, S. 63).

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tiven deontischen Bedeutung allgemein akzeptiert, aber im öffentlich-politischen Sprachgebrauch stark umkämpft sind, da deren „inhaltlich eher vage Bedeutung“387 im Interesse der eigenen Gruppe spezifiziert werden soll. Denkt man an den für diese Arbeit zentralen Begriff der Sicherheit, wird dieser Aspekt sicherlich im Laufe des eigenen Untersuchungsvorhabens besonders zu berücksichtigen sein. Auch hinsichtlich des Gesichtspunkts der Heterogenität öffentlichen Sprachgebrauchs führt Böke einige aus der politischen Semantik gebräuchliche Termini ein. Demnach konstituieren insbesondere Bezeichnungs- und Bedeutungskonkurrenzen388 einen semantischen Streit oder Kampf.389 Bezeichnungskonkurrenz liegt vor, wenn um die ‚richtige‘ Bezeichnung für einen Sachverhalt gestritten wird, wobei sich bei identischer Referenz des Ausdrucks meist aufgrund intensionaler Differenzen der politischen Gruppen die deskriptiven und deontischen Merkmale der Bezeichnungen unterscheiden.390 Bedeutungskonkurrenz kann sich hinsichtlich der deskriptiven sowie der deontischen Bedeutung eines Wortes ergeben. Ein Ringen um die deskriptive Bedeutung eines Ausdrucks ist häufig bei Miranda zu beobachten. Der Ausdruck ist in seiner positiven deontischen Bedeutung gesellschaftlich fest etabliert, so dass versucht wird, durch Konkurrenz auf deskriptiver Ebene den Begriff gemäß der eigenen politischen Linie zu konturieren.391 Gegenstand eines Streits um die deontische || 387 Klein Josef: „Wortschatz, Wortkampf, Wortfelder in der Politik“. In: Ders. (Hrsg.): Politische Semantik. Bedeutungsanalytische und sprachkritische Beiträge zur politischen Sprachverwendung. Opladen 1989, S. 3–50, hier: S. 21. 388 Als Synonym zum Terminus Bedeutungskonkurrenz wird insbesondere in der älteren Literatur auch der Ausdruck ideologische Polysemie gebraucht, den Dieckmann geprägt hat (vgl. Dieckmann, Walther: Sprache in der Politik. Einführung in die Pragmatik und Semantik der politischen Sprache. 2. Auflage. Heidelberg 1975). 389 Die Begriffsprägung wird im Allgemeinen auf Keller zurückgeführt (vgl. Keller, Rudi: „Kollokutionäre Akte“. In: Germanistische Linguistik. 5. Jg. (1977), S. 1–50, hier: S. 24). In der Theorie der politischen Kommunikation werden auch die Ausdrücke Kampf um Wörter oder Begriffe Besetzen verwendet. Vgl. grundlegend dazu Klein 1989, S. 3 ff. sowie Liedtke, Frank, Wengeler, Martin und Böke, Karin (Hrsg.): Begriffe Besetzen. Strategien des Sprachgebrauchs in der Politik. Opladen 1991. Der Streit wird mit dem Ziel geführt, „eine gültige, d. h. allgemein akzeptierte Interpretation im Sprachgebrauch durchzusetzen (und mögliche andere auszuschließen), womit zugleich bestimmte Handlungsorientierungen (...) in die Öffentlichkeit getragen werden sollen“ (Stötzel 1978, S. 62). 390 Klein weist auf die Problematik der Identität des Referenzobjekts hin und führt an, dass es auch Fälle von Bezeichnungskonkurrenz bei nicht-identischen Sachverhalten gibt; hier liegt dann z. B. „Domänen-Identität“ (Klein 1989, S. 21) oder „lexikalische Identität“ (ebd.) vor. 391 Dies geschieht meist durch „Tilgung und/oder Hinzufügung eines oder mehrerer semantischer Merkmale oder Stereotype“ (ebd., S. 22).

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Bedeutung eines Wortes sind meist Fahnen- und Stigmawörter. Hier versucht eine Gruppe, die mit einem Ausdruck verbundenen positiven Konnotationen durchzusetzen, während gegnerische Interessen darauf abzielen, negative Bewertungen des Wortes hervorzuheben.392 Des Weiteren hebt Böke auf verschiedene Formen der Sprachthematisierung ab, die wegen ihres „Offenbarungscharakters“393 ebenfalls einen zentralen Stellenwert innerhalb der Analyse öffentlichen Sprachgebrauchs einnehmen. Als weitere Strategien im semantischen Kampf führt Böke abschließend die Phänomene konträre Attribuierung, realistische Diktion sowie taktische Transformation ein. Konträre Attribuierungen einer Vokabel (z. B. durch die Begriffe richtig und falsch) können einen deutlichen Hinweis auf deskriptive Bedeutungskonkurrenzen liefern. Mit realistischer Diktion wird der alleingültige Wahrheitsanspruch einer Bezeichnung begründet. Ziel dieser Strategie ist es, „den eigenen Prädikationen den Status von unproblematischen Sachverhaltsbezeichnungen“394 zu verleihen. Das Phänomen der taktischen Transformation übernimmt Böke von Wengeler, der darunter die „Übersetzung“395 oder den Ersatz von Wörtern durch andere Wörter versteht, „durch die die jeweilige Integrationsleistung der Aussage abgeschwächt oder erhöht werden soll.“396

4.4 Metaphernanalyse Über die Einzelwortanalyse hinaus greift die diskursgeschichtliche Metaphernanalyse, wie sie ebenfalls Böke formuliert, die damit einen entscheidenden Beitrag zur diskursgeschichtlichen Methodenausweitung und ihrer empirischen Umsetzung im Rahmen der Düsseldorfer Sprachgeschichtsschreibung leistet.397 Hierbei stehen nicht (nur) einzelne Lexeme in ihrer Verwendung als Metaphern || 392 Vgl. ausführlich ebd., S. 23 ff. 393 So legt Stötzel im Rahmen des Konzepts für die Kontroversen Begriffe dar: „Explizite Thematisierungen offenbaren die Interpretation des eigenen und des fremden Sprachgebrauchs und stellen somit intrakommunikative Auslegungen des aktuellen Sprachgebrauchs und auch der Sprachgebrauchs-Geschichte dar“ (ders. 1995, S. 11). Vgl. auch Anm. 348 sowie Kap. 4.3 im Ersten Teil dieser Arbeit. Zu den Strategien der Thematisierung zählt Böke Remotivierungen, Distanzierungszeichen z. B. in Form von Anführungszeichen oder der Hinzufügung von „sogenannt“ zu einem Ausdruck, Definitionen, die Titulierung eines Ausdrucks als Schlagwort sowie Aufforderungen zur Vermeidung eines Wortes (vgl. Böke 1996a, S. 46 ff.). 394 Stötzel 1978, S. 62. 395 Wengeler, 1992, S. 71. 396 Ebd. 397 Vgl. für die folgenden Ausführungen ausführlich Böke 1996b, S. 431 ff.

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im Fokus, vielmehr interessieren metaphorische Aussagen und Metaphernkonzepte. Böke macht sich für die diskursgeschichtliche Adaption der Metapher Konzepte zunutze, die Metaphern als kognitive Größe in sozio-kulturellem Rahmen betrachten. Als kompatible Anschlusspunkte erweisen sich hier die Arbeiten von Liebert398 und Pielenz399 basierend auf den Grundlagen von Lakoff und Johnson400 sowie auf Weinrichs401 Bildfeldtheorie und Blacks402 Interaktionstheorie.403 Hier findet sich in der Auffassung von Sprache als Medium der Realitätsstrukturierung und Konstituierung gesellschaftlicher Wirklichkeit ein gemeinsamer Nenner mit den Grundlagen der Düsseldorfer diskursgeschichtlichen Ansätze. Metaphern sind demnach ebenso als Indikator und Faktor sozialen Bewusstseins zu begreifen und ihre Analyse bietet analog zur Analyse von Wortgebräuchen in deren Funktion als kondensierte Denkmuster ebenfalls einen Zugang zur Mentalität aktueller und historischer Sprachgemeinschaften. Innerhalb kognitiver Modelle spielen konzeptuelle Metaphern aufgrund ihrer realitätsstrukturierenden Funktion eine wesentliche Rolle. Dabei wird ein Konzept aus einem bestimmten Herkunftsbereich übertragen auf einen Zielbereich, der damit eine metaphorische Strukturierung erfährt. Eine solche Projektion bildet den Kern des metaphorischen Prozesses. Blacks Interaktionsgedanke bietet an dieser Stelle einen entscheidenden Ansatzpunkt für die diskursgeschichtliche Analyse, da dieser das Einzellexemverständnis aufgibt und die Metapher als metaphorische Aussage untersucht.404 So unterscheidet Black zwischen metaphorisierendem Element, das er als Fokus bezeichnet, und dem metaphorisierten Teil der Metapher, den er Rahmen nennt. Die Projektion verläuft

|| 398 Vgl. Liebert, Wolf-Andreas: Metaphernbereiche der deutschen Alltagssprache. Kognitive Linguistik und die Perspektiven einer Kognitiven Lexikographie. Frankfurt am Main 1992. 399 Vgl. Pielenz, Michael: Argumentation und Metapher. Tübingen 1993. 400 Vgl. Lakoff, George und Johnson, Mark: Metaphors we live by. Chicago 1980. 401 Vgl. Weinrich, Harald: „Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld“. In: Ders.: Sprache in Texten. Stuttgart 1976b, S. 276–290. 402 Vgl. Black, Max: „Metaphor“. In: Proceedings of the Aristotelian Society. Vol. 55 (1954), S. 273–294. In deutscher Übersetzung erstmalig: Ders.: „Die Metapher“. In: Haverkamp, Anselm (Hrsg.): Theorie der Metapher. Darmstadt 1983, S. 55–79. 403 Eine Verbindung stellt Böke außerdem auch zum Ansatz der Modernen Kollektivsymbolik von Link her (vgl. Drews, Axel, Gerhard, Ute und Link, Jürgen: „Moderne Kollektivsymbolik. Eine diskurstheoretisch orientierte Einführung mit Auswahlbibliographie“. In: IASL. 10. Jg./1. Sonderheft (1985), S. 256–375). 404 Hier gelingt eine unter diskursanalytischem Gesichtspunkt entscheidende Verschiebung von paradigmatischer hin zu syntagmatischer Perspektive auf die Metapher, indem Black die Relation „zwischen dem metaphorischen Ausdruck (Fokus) und seinem kontextuellen Gebrauch (Rahmen)“ (Böke 1996b, S. 441) in den Fokus nimmt.

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über den Fokus, in dem der kontextuelle Rahmen im Brennglas des metaphorischen Ausdrucks und seines mit ihm hervorgerufenen „Systems miteinander assoziierter Gemeinplätze“405, also „all der Implikationen, Assoziationen, stereotypen Vorstellungen und Verwendungsweisen (Bedeutungen), die mit diesem Ausdruck verbunden sind“406, erscheint. Dabei erfüllt der Fokus auch die Funktion eines Filters, indem er bestimmte Aspekte des Rahmens hervorhebt, andere verdeckt. Der kontextuelle Rahmen wiederum sorgt dafür, dass nur solche mit dem Fokus verbundene Bedeutungskomponenten im metaphorischen Prozess zur Geltung kommen, die innerhalb des metaphorisierten Kontexts Sinn ergeben. Es erfolgt also auch eine Rückübertragung kontextueller Aussagen auf den Fokus. Diese wechselseitigen Projektionsvorgänge sind schließlich der Namensgeber der Black’schen Interaktionstheorie. Gemeinsamkeiten mit den bereits angesprochenen Modellen ergeben sich in vielfältiger Weise; so ist etwa die Verbindung von Fokus und Rahmen als „Koppelung zweier sprachlicher Sinnbezirke“407 zu verstehen, die im Sinne Weinrichs ein „Bildfeld“408 bzw. einen Metaphernbereich nach Liebert409 bilden. Über Blacks Begriff der assoziierten Gemeinplätze sowie das Modell der konzeptuellen Metaphern von Lakoff und Johnson stellt Pielenz schließlich einen Zusammenhang zum Toposbegriff der Argumentationstheorie her, der auch in dieser Arbeit noch von Interesse sein wird. Seine Auffassung von konzeptuellen Metaphern „als Bündel impliziter Meinungsnormen“410 verweist auf die „argumentationsstützende Funktion von Metaphern“411. Diese „wird besonders dann deutlich, wenn die Schlußregeln, die sie implizieren, kontextuell aktiviert werden.“412 Für die konkrete diskursgeschichtliche Analyse interessieren vor allem die Wirkungsweise von Metaphern und ihre Funktionen im öffentlichen Sprachgebrauch. Hier führt Böke den generell persuasiven Charakter der Metapher ins Feld, der sich etwa in deren Veranschaulichungsfunktion zeigt. So leisten Metaphern eine Komplexitätsreduktion abstrakter Phänomene und ermöglichen die Erschließung unbekannter Sachverhalte über bekannte Denkmuster einer Metapher. Dies führt bis hin zur groben Vereinfachung sowie Überspitzung und Untertreibung komplexer Zusammenhänge, worin ein starkes strategisches Po|| 405 Black 1983, S. 70 f. 406 Böke 1996b, S. 441. 407 Weinrich 1976b, S. 283. 408 Ebd. 409 Vgl. Liebert 1992, S. 7 ff. 410 Böke 1996b, S. 441 f. 411 Dies. 1996a, S. 42. 412 Ebd.

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tenzial der Metapher liegt. Die Vagheit einer Metapher wiederum erlaubt es, auch in tabuisierte Areale öffentlicher Diskussionen einzudringen, ohne Tabubruch zu begehen; eine anders intendierte Auslegung der metaphorischen Aussage kann aufgrund ihrer Vagheit stets vorgeschoben werden. Terminologisch unterscheidet Böke zunächst zwischen der konkreten metaphorischen Äußerung, die auch als token zu bezeichnen ist, und der abstrakteren Type-Ebene, auf der sich Metaphernbereich und ihm zugehörige Metaphernkonzepte einordnen lassen. Token können bei Böke sowohl Metaphernlexeme als auch Lexemmetaphern sein.413 Im Metaphernbereich ist zwischen Herkunfts- und Zielbereich zu unterscheiden und die „Kopplung der verschiedenen Sinnbereiche [...] und der mit ihnen verbundenen konventionalisierten Denkmuster“414 nachzuvollziehen. Metaphernkonzepte innerhalb eines Metaphernbereichs sind hinsichtlich ihrer Struktur zu untersuchen. Demnach ist mit Liebert davon auszugehen, dass der konkrete metaphorisierende Ausdruck eine bestimmte Struktur innerhalb eines Sinnbereichs widerspiegelt. Diese Strukturfolie setzt sich aus slots zusammen, die durch entsprechende Lexeme sprachlich realisiert werden. Durch die Übertragung der Strukturfolie des Herkunftskonzepts auf das Zielkonzept entstehen sogenannte „Isomorphie-Relationen“415 bzw. „Abbildungsrelationen“416, häufig in der Ausprägung von Analogierelationen zu beobachten. Isotopien wiederum stellen eine „syntagmatische Expansion“417 des metaphorisierenden Teils von Metaphern dar, d. h. verschiedene Lexeme in einem Text oder Diskurs sind „durch ein gemeinsames Merkmal – auch einen gemeinsamen Sinnbereich – aufeinander bezogen“418. Verschiedene Metapherntypen innerhalb eines Herkunftsbereichs gelten als Subkategorien, während eine Vernetzung oder Bildkombination zwischen verschiedenen Herkunftsbereichen, aber gleichem Zielbereich verläuft. Isotopien und verknüpfte Herkunftsbereiche erzeugen komplexe Bilder im Text und Diskurs, die über die Wirkung eines einzelnen metaphorischen Lexems weit hinausgehen. Hinsichtlich des Gebräuchlichkeitsgrads von Metaphern unterscheidet Böke zwischen konventionellen Metaphern bzw. Metaphernklischees, kreativen und || 413 Der Begriff Lexemmetapher wird für ein einzelnes metaphorisches Wort benutzt, während Metaphernlexeme Komposita aus metaphorisierendem und metaphorisiertem Teil umfassen (vgl. dies. 1996b, S. 444). 414 Ebd. 415 Drews, Gerhard und Link 1985, S. 262. 416 Ebd. 417 Ebd., S. 261. 418 Böke 1996b, S. 445.

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originellen Metaphern sowie lexikalisierten bzw. toten Ex-Metaphern und weist darauf hin, dass mit der Kreativität einer Metapher zwar auch deren Aufmerksamkeit steigt, ihre semantische Entschlüsselung jedoch umso schwieriger gelingt. Deshalb geht sie davon aus, dass im öffentlichen Sprachgebrauch vor allem konventionelle Metaphern zu finden sind, um die Verständlichkeit von Äußerungen sicherzustellen. Mit der diskursgeschichtlichen Konzipierung der Metaphernanalyse gelingt es Böke, eine Methodik zur Verfügung zu stellen, die sämtliche von Busse und Teubert vorgeschlagenen Zugriffsebenen der Diskursanalyse bedienen kann: Im gesteckten Rahmen des Analysemodells können konzeptuelle Metaphern in ihren paradigmatischen Beziehungen über das fokale Wort und das strukturierende Konzept (Isomorphie-Relation), in ihren syntagmatischen Beziehungen als metaphorische Aussage bzw. Aussagennetze (Isotopie-Relationen, Bildkombinationen, semantische Spannung zwischen Fokus und Rahmen) und in ihren semantischen Implikationen (System von Gemeinplätzen, Bündel von Schlußregeln bzw. Schlußpräsuppositionen) erfaßt werden.419

Die Leistung der konzeptuellen Metapher für die diskursgeschichtliche Analyse liegt in „ihrer besonderen wirklichkeitsstrukturierenden und wahrnehmungsreflektierenden Funktion“420; sie verweist letztlich „als Indikator und Faktor soziokultureller Bedingungen“421 auf die Mentalität und das Bewusstsein einer Gesellschaft. Als sprachliches Phänomen kann sie in ihrer konkreten Realisierung, hinsichtlich Kontinuität und Wandel beobachtet werden und liefert damit einen wesentlichen Beitrag zu einer diskursgeschichtlich gefassten Sprachgeschichte.

4.5 Argumentationsanalyse Für ein Hauptanliegen der Diskursgeschichte, der Erfassung der „semantischen Voraussetzungen, Implikationen und Möglichkeitsbedingungen“422 von Aussagen, nennen bereits Busse und Teubert als geeignte Methodik die Argumentationsanalyse, die „in einer Art von ‚Tiefensemantik‘ das Nicht-Gesagte, nicht offen Ausgesprochene, nicht in den lexikalischen Bedeutungen explizit artikulierte Element von Satz- und Textbedeutungen zu analysieren und offenzulegen versucht“423. Eine diskursgeschichtliche Methode, die auf diese „Ebene der the|| 419 Ebd., S. 448. 420 Ebd. 421 Ebd. 422 Busse und Teubert 1994, S. 23. 423 Ebd.

Argumentationsanalyse | 101

matischen Tiefenstruktur, die die kommunikativen Akte und die einzelnen Texte durchzieht“424, zielt, legt Wengeler mit seinem Konzept einer Toposanalyse vor. Diese begründet er ausführlich im Rahmen seiner Habilitation und führt danach in zahlreichen Einzelartikeln und Beispielanalysen immer wieder die Eignung des Verfahrens für diskursgeschichtliche Untersuchungszwecke vor.425 Wengeler geht von der Beobachtung aus, dass in öffentlichen Diskussionen Positionen argumentativ gefestigt oder widerlegt werden. Die dabei zur Anwendung kommenden Argumentations- bzw. Schlussmuster liegen meist nicht offen und gehorchen kaum streng logischen Kriterien. Vielmehr basieren die Schlussregeln bzw. Topoi auf Plausibilitäten und Alltagslogiken, die Ausfluss nicht hinterfragter Denkmuster und Wirklichkeitsvorstellungen der Sprachteilnehmer sind. Gerade ein Aufschluss dieser in einem Diskurs vorherrschenden Denkfiguren ist für die Diskursgeschichte von hohem Interesse, da dadurch wesentliche „Erkenntnisse über das Denken, (Fühlen) und Wollen historischer Subjekte und Gruppen und somit über das soziale Wissen, die Konstruktion bzw. Konstitution sozialer Wirklichkeiten durch Sprache“426 gewonnen werden können. Seinen Toposbegriff schließt Wengeler an die antike Aristotelische Rhetorik an. Aristoteles verwendet den Begriff in seinen Schriften Rhetorik und Topik in unterschiedlichen Zusammenhängen.427 Maßgeblich für Wengeler ist Aristote|| 424 Busse 1987, S. 261. 425 Bereits 1997 legt Wengeler die vorläufige Konzeption zu einer diskursgeschichtlichen Argumentationsanalyse vor (vgl. Wengeler, Martin: „Vom Nutzen der Argumentationsanalyse für eine linguistische Diskursgeschichte. Konzept eines Forschungsvorhabens“. In: SuL. 28. Jg. (1997), S. 96–109). Für seine Habilitation und damit umfangreichste Ausführung zur Toposanalyse vgl. ders. 2003a. Vgl. für knappe und gewohnt präzise Darstellungen u. a. ders.: „‚Gastarbeiter sind auch Menschen‘. Argumentationsanalyse als diskursgeschichtliche Methode“. In: SuL. 31. Jg. (2000), S. 54–69; ders.: „Argumentationstopos als sprachwissenschaftlicher Gegenstand. Für eine Erweiterung linguistischer Methoden bei der Analyse öffentlicher Diskurse“. In: Geideck, Susan und Liebert, Wolf-Andreas (Hrsg.): Sinnformeln. Linguistische und soziologische Analysen von Leitbildern, Metaphern und anderen kollektiven Orientierungsmustern. Berlin und New York 2003c, S. 59–82; ders.: „Topos und Diskurs – Möglichkeiten und Grenzen der topologischen Analyse gesellschaftlicher Debatten“. In: Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurslinguistik nach Foucault. Theorie und Gegenstände. Berlin und New York 2007, S. 165– 186 sowie ders.: „Die Analyse von Argumentationsmustern als Beitrag zur ‚transtextuell orientierten Linguistik‘“. In: Kämper, Heidrun und Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurs – interdisziplinär. Zugänge, Gegenstände, Perspektiven. Berlin und Boston 2015, S. 47–62. 426 Ders. 2000, S. 57. 427 Vgl. Aristoteles: Rhetorik. Übers., mit einer Bibliographie, Erläuterungen und einem Nachwort von Franz G. Sieveke. München 1980 sowie ders.: Topik. Herausgegeben, übertragen und in ihrer Entstehung erläutert von Dr. Paul Gohlke. Paderborn 1952.

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les’ Erläuterung von Topoi im Rahmen von Enthymemen. Darunter sind Schlussverfahren zu verstehen, die „nicht der logischen Deduktion, sondern der alltagssprachlichen Begründung und Durchsetzung von Meinungen dien[en]“428. Aristoteles bezeichnet ein Enthymem auch als „rhetorischen Syllogismus“429, um dessen nicht formallogischen, sondern auf Wahrscheinlichkeiten abhebenden, alltagslogischen Charakter zu unterstreichen. Genau diese auf „‚nur‘ plausible[], überzeugungskräftige[], aber nicht unbedingt logisch ‚wahre[]‘“430 Argumentationen abzielende Begrifflichkeit erweist sich als hilfreiches Fundament für eine diskursgeschichtliche Toposmethodik. Das Enthymem als nicht streng logisch verfahrendes Schlussverfahren besteht aus Argument, Schlussregel und Konklusion. Die Konklusion in Form einer strittigen Aussage wird dabei durch ein unstrittiges Argument glaubhaft gemacht. Die Plausibilität wird sichergestellt durch die Schlussregel.431 Topoi, wie sie Aristoteles beschreibt,432 erweisen sich in diesem Zusammenhang als „geeignete Kategorie, um auf einer bestimmten Abstraktionsebene solche Schlussmuster herauszuarbeiten“433 und „ermöglichen die Bildung von Enthymemen“434. Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, dass dieses Verfahren meist verkürzt stattfindet und „der mit der Schlussregel ausgedrückte Zusammenhang, der damit gegebene ‚Topos‘ nicht explizit ausgesprochen wird.“435 Der Topos wird nur durch eine Interpretation der sprachlich realisierten Bestandteile einer Argumentation greifbar. Wengeler nutzt zur weiteren Rechtfertigung des Topos als diskursgeschichtliche Analysekategorie auch moderne Adaptionen des Toposbegriffs, aus denen er die begriffliche Äquivalenz von Topos und Argumentationsmuster ableitet. Kienpointner etwa sammelt kontextabstrakte Topoi der Alltagssprache, die für

|| 428 Bussmann, Hadumod (Hrsg.): Lexikon der Sprachwissenschaft. S. v. Enthymem. 4. Auflage. Stuttgart 2008, S. 164. 429 Aristoteles 1980, 1356b 8. 430 Wengeler 2000, S. 58. 431 Als Schlussregel so bezeichnet von Toulmin (vgl. ausführlich Toulmin, Stephen: Der Gebrauch von Argumenten. Kronberg/Taunus 1975, S. 88 ff.). 432 Aristoteles beschreibt kontextabstrakte, d. h. formale Topoi, z. B. den Schluss vom Grund auf die Folge oder von der Gattung auf die Spezies. Besondere Topoi ordnet Aristoteles bestimmten Wissenschaftsgebieten zu, in denen sie ihre Überzeugungskraft entfalten. Vgl. für eine ausführliche Erläuterung von allgemeinen und besonderen Topoi Wengeler 2003a, S. 181 ff. 433 Ders. 2000, S. 59. 434 Ebd. 435 Ebd.

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ihn „zum kollektiven Wissen einer Sprachgemeinschaft gehören“436. Bornscheuer zeigt vier Strukturmerkmale auf, die den Topos weiter für diskursgeschichtliche Zwecke qualifizieren. Ein Topos ist demnach gekennzeichnet durch „Habitualität, Potentialität, Intentionalität und Symbolizität“437. Ein Topos ist habituell, da er sich durch allgemeine Verbreitung und Abrufbarkeit auszeichnet. Mit Potenzialität ist seine Abstraktheit angesprochen, die dazu führt, dass er „in vielen konkreten Problemerörterungen verwendbar ist und (...) die verschiedenartigsten Argumentationen (...) ermöglicht.“438 Ein Topos weist das Merkmal der Intentionalität auf, da er von den Sprachteilnehmern nicht nur habituell angewendet wird, sondern gleichzeitig durch die Aktualisierung in den Sprechhandlungen Modifikationen unterliegt. Schließlich umschreibt Bornscheuer mit der Symbolizität des Topos dessen „sich gruppenspezifisch konkretisierende Merkform“439, d. h. die Form, „in der ein Topos (...) im gruppenspezifischen Individualbewußtsein (...) am leichtesten abrufbar ist“440. Ein wesentlicher Aspekt bei der Umsetzung des Toposbegriffs für diskursgeschichtliche Untersuchungszwecke ist die zu wählende Abstraktionsebene. Sowohl die formalen Topoi von Aristoteles als auch Kienpointners Abstraktionsgrad der alltagssprachlichen Topoi erweisen sich als zu allgemein für den im Rahmen einer diskursgeschichtlichen Analyse besonders interessierenden kontextuellen Zusammenhang.441 Wengeler nimmt formale Muster jedoch als Ausgangspunkt und wählt für seine Analysen ein „mittlere[s] Abstraktionsniveau“442. Den Topos fasst Wengeler damit „als eine eher inhaltlich [Herv., A. S.] bestimmte Kategorie (...) – auch wenn die kontextspezifischen Topoi sich auf formale Schlussmuster zurückführen lassen.“443 Er weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass eine diskursgeschichtliche Betrachtung nicht auf konkrete und || 436 Kienpointner, Manfred: „Probleme einer Argumenttypologie“. In: Klagenfurter Beiträge zur Sprachwissenschaft. 8. Jg. (1982), S. 175–190, hier: S. 181. Vgl. ausführlich auch ders.: Alltagslogik. Struktur und Funktion von Argumentationsmustern. Stuttgart-Bad Cannstatt 1992. 437 Bornscheuer, Lothar: Topik. Zur Struktur der gesellschaftlichen Einbildungskraft. Frankfurt am Main 1976, S. 91. Vgl. ausführlich zur Erläuterung der Merkmale ebd., S. 91 ff. 438 Ebd., S. 99. 439 Ebd., S. 105. 440 Ebd. 441 So merkt Kienpointner selbst an: „Untersuchungen mit anders gelagerten Intentionen könnten jedoch thematisch-kontextuell weit mehr ins Detail gehen, wenn etwa (...) die Argumentation einer bestimmten politischen, religiösen oder generations- bzw. geschlechtsspezifischen Subgruppe näher analysiert werden soll, oder wenn die Argumentation einer Einzelperson beschrieben werden soll“ (Kienpointner 1992, S. 235). 442 Wengeler 2003c, S. 67. 443 Ebd., S. 64.

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damit stark einzeltextspezifische Argumente abzielt, sondern mit der Aufsuchung von Schlussregeln bzw. Topoi „thematisch verschiedene[] und sprachlich unterschiedlich realisierte[] Argumentationen rekonstruiert und verglichen werden können.“444 Letztlich geht es Wengeler also um die „Denkfiguren des Herangehens an eine politische Fragestellung.“445 In seinen Analysen verfolgt er die dominierenden topischen Phänomene in öffentlichen Themenbereichen, vergleicht sie im Zeitablauf und legt Kontinuitäten und Zäsuren sowie Gruppenspezifika in der Verwendung von Topoi offen.446 Mit der Operationalisierung der Toposanalyse für diskursgeschichtliche Fragestellungen gelingt Wengeler damit eine weitreichende Ergänzung der etablierten sprachwissenschaftlichen Methoden im Rahmen der Diskurslinguistik.

4.6 Frame-Semantik Diskurslinguistische Methoden und Verfahren werden laufend weiterentwickelt und erweitert. Auch eröffnen Fortschritte in der elektronischen Datenauswertung neue Möglichkeiten quantitativer Analyseverfahren für Diskurslinguisten.447 Unter dem Dach der Düsseldorfer Diskurssemantik ist die im Wesentlichen von Ziem nach Vorarbeiten u. a. von Konerding, Fraas und Busse für die Dis-

|| 444 Ebd., S. 68. 445 Ebd. 446 Wengeler plädiert dafür, im Rahmen von Analysen „eine möglichst vollständige Liste vorkommender Topoi“ (ebd., S. 64) anzufertigen und durch Auszählung eine Quantifizierung der aufgefundenen Topoi vorzunehmen. Damit soll in keiner Weise eine statistische Belastbarkeit diskursgeschichtlicher Analysen erzielt werden. Wengeler geht es um die „Tendenzen [Herv., A. S.] des Vorhandenseins bestimmter Denkfiguren in der Öffentlichkeit und ihre relative Relevanz“ (ebd., S. 68). 447 Vgl. z. B. die Ausführungen von Niehr u. a. zur computergestützten Argumentanalyse (Niehr, Thomas u. a.: „Neue Wege der linguistischen Diskursforschung“. In: ZfD. 3. Jg. (2015), S. 113–135). Für die zunehmend stattfindende Verhandlung quantitativer und qualitativer diskurslinguistischer Methoden vgl. Bubenhofer, Noah: „Quantitativ informierte qualitative Diskursanalyse“. In: Roth, Kersten Sven und Spiegel, Carmen (Hrsg.): Angewandte Diskurslinguistik. Felder, Probleme, Perspektiven. Berlin 2013, S. 109–134 sowie Kreuz, Christian und Wengeler, Martin: „Quantitative und qualitative Methoden der Diskurslinguistik am Beispiel der sprachlichen Konstruktion von Wirtschaftskrisen“. In: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes. 61. Jg. (2014), S. 60–71 und Niehr, Thomas: „Die Universität im öffentlichen Sprachgebrauch. Ein Plädoyer für das Zusammenwirken von quantitativen und qualitativen Methoden der Diskursforschung“. In: Roth, Kersten Sven u. a. (Hrsg.): Sprache, Universität, Öffentlichkeit. Festschrift für Jürgen Schiewe. Bremen 2015a, S. 134–146.

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kurslinguistik erschlossene Frame-Semantik als jüngeres Verfahren anzuführen.448 Mit der Operationalisierung frame-semantischer Analysekategorien für diskurslinguistische Zwecke möchte Ziem der Forderung Busses nachkommen, einen sprachwissenschaftlichen Zugang zu den „Bedingungen der sprachlichdiskursiven Konstitution von Wissen“449 im Rahmen einer an Foucault anschließenden Diskurssemantik zu finden, und entwickelt aus der FrameSemantik „ein hinreichend differenziertes Analyserepertoire für eine historischsemantische Epistemologie“450, das die sprachwissenschaftliche Beschreibung „historisch-semantische[r] Bedingungen der Wissenskonstitution“451 ermöglicht. Frame-Semantik interessiert sich dabei für die kognitive Dimension der Bedeutungskonstitution. In operativer Hinsicht intendiert Ziem, durch die Analyse von Frames die bereits vorgestellten Analysekategorien wie Kontroverse Begriffe oder Metaphern in ein systematisches Bezugsverhältnis zu setzen und eine empirische Zugriffsmöglichkeit zu schaffen, die die quantitative Auswertung umfangreicher Textbestände ermöglicht.452 Die theoretischen Ausgangspunkte des Frame-Modells findet Ziem bei Fillmore453 und Minsky454, die sich bereits Mitte der 1970er Jahre mit dem FrameBegriff beschäftigt haben. Fillmore entwickelt die linguistische Frame-Theorie aus einem kognitionswissenschaftlichen Ansatz heraus und gilt zusammen mit anderen als Wegbereiter der Kognitiven Linguistik, in deren paradigmatischen || 448 Vgl. in erster Linie Ziem 2008b sowie knapp und präzise z. B. auch ders. 2008a und ders.: „Syntaktische Konstruktionen als diskursive Muster: Krisen in der medienvermittelten Öffentlichkeit“. In: Maeße, Jens (Hrsg.): Ökonomie, Diskurs, Regierung. Interdisziplinäre Perspektiven. Wiesbaden 2013, S. 141–166. Vgl. ferner Konerding, Klaus-Peter: Frames und lexikalisches Bedeutungswissen. Untersuchungen zur linguistischen Grundlegung einer Frametheorie und zu ihrer Anwendung in der Lexikographie. Tübingen 1993 sowie Fraas, Claudia: Gebrauchswandel und Bedeutungsvarianz in Textnetzen: Die Konzepte ‚Identität‘ und ‚Deutsche‘ im Diskurs zur deutschen Einheit. Tübingen 1996. Vgl. außerdem Busse, Dietrich: „Architekturen des Wissens. Zum Verhältnis von Semantik und Epistemologie“. In: AfB. Sonderheft 2004 (2005), S. 43–57. Busse hat zudem in jüngerer Vergangenheit ein umfassendes Kompendium zur Frame-Semantik vorgelegt (vgl. ders.: Frame-Semantik. Ein Kompendium. Einführung – Diskussion – Weiterentwicklung. Berlin und Boston 2012). 449 Ders. 1987, S. 271. 450 Ziem 2008a, S. 91. 451 Ebd. 452 Vgl. ders. 2013, S. 144. 453 Vgl. Fillmore, Charles J.: „An alternative to checklist theories of meaning”. In: Cogen, Cathy u. a. (Hrsg.): Proceedings of the first annual meeting of the Berkeley Linguistics Society. Berkeley 1975, S. 123–131. 454 Vgl. Minsky, Marvin: „A framework for representing knowledge”. In: Winston, Patrick (Hrsg.): The psychology of computer vision. New York 1975, S. 211–277.

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Horizont sich etwa auch Konstruktionsgrammatik und Kognitive Grammatik herausbilden. Wesentlich für die Anknüpfung diskurssemantischer Überlegungen sind die hier zu findenden sprachtheoretischen Grundannahmen, wonach Sprache als sozial geprägte Ressource und sprachliche Bedeutungen als Konsequenz kognitiver Konzeptualisierungen angenommen werden, die auf Hintergrundwissen und körperbasierten Erfahrungen beruhen, und wonach sprachliches Wissen als soziales Wissen zu verstehen ist, das aus dem Sprachgebrauch ableitbar ist.455 Minsky nutzt den Frame-Begriff im Rahmen der Künstliche-Intelligenz-Forschung für die Erklärung, wie auf der Basis einer begrenzten Menge an Wahrnehmungsdaten eine differenzierte Vorstellung eines Gesamtkontexts entstehen kann. Frames bilden demnach ein einheitliches Repräsentationsformat für verschiedene Wissensformen und „betten Sinnesdaten in einen kognitiv konstruierten Kontext ein.“456 Frames können als Speicher für stereotypes Weltwissen verstanden werden, die Informationen darüber bereithalten, wie und mit welchen Inhalten Wahrnehmungsdaten epistemisch angereichert werden. Minsky weist auch auf den Netzwerkcharakter von Frames hin, die erst innerhalb eines „huge network of learned symbolic information“457 ihren Bedeutungsrahmen entfalten. Ein Frame „enthält Wissenselemente, die selbst wiederum Frames bilden.“458 Dabei entstehen im Netzwerk hierarchische Ordnungen, innerhalb derer übergeordnete Frames die inhaltliche Anreicherung untergeordneter Frames bestimmen. Ziem übernimmt Minskys Terminologie der Strukturkonstituenten von Frames, die er zunächst mit Rückgriff auf die Sprechakttheorie Searles und deren Elemente der Proposition, Referenz und Prädikation sprachtheoretisch reformuliert und schließlich für diskurssemantische Zwecke operationalisiert.459 Leerstellen (slots) repräsentieren demnach die Menge an epistemischen Spezifikationsmöglichkeiten, die ein Frame bereithält. Sie kommen „dem Bedeutungspotential [Herv. im Original; A. S.] eines sprachlichen Ausdrucks“460 gleich und können durch Fragen identifiziert werden. Das von Konerding vorgeschlagene Identifikationsverfahren der Hyperonymtypenreduktion, das jeden Ausdruck auf ein letztes Hyperonym zurückführt und dann einem Matrixframe zuweist, || 455 Vgl. Ziem 2008a, S. 92. 456 Ebd., S. 93. 457 Minsky 1975, S. 214. 458 Ziem 2008a, S. 94. 459 Für diese sprachtheoretische Anbindung vgl. ausführlich ders. 2008b, S. 283 ff. Ziem orientiert sich hier an Lönneker (vgl. Lönneker, Birte: Konzeptframes und Relationen: Extraktion, Annotation und Analyse französischer Corpora aus dem World Wide Web. Berlin 2003). 460 Ziem 2013, S. 146.

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der entsprechende Leerstellen bereitstellt, wertet Ziem für diskursanalytische Intentionen kritisch.461 Er schlägt eine Datenauswertung vor, die „nicht deduktiv auf der Grundlage eines vordefinierten Analyserasters, sondern induktiv mit Hilfe von Kategorien, die im Rückgriff auf Korpusdaten gebildet wurden“462, erfolgt. Konkrete Füllwerte (fillers) der Leerstellen sind aus der gegebenen Datenmenge unmittelbar entnehmbare Wissenseinheiten, also explizit vorhandene Spezifikationen der Leerstellen bzw. konkrete Ausschöpfungen des Bedeutungspotenzials. Standardwerte (default values) wiederum sind „vorausgesetzte und prototypisch erwartbare Füllwerte der Leerstellen, die zwar in der gegebenen Datenbasis nicht auftreten, dennoch aber verstehensrelevant sind.“463 Sie stellen verfestigte Werte dar, die aufgrund rekurrenter Nutzung im Sprachgebrauch zu inferiertem Hintergrundwissen einer Sprachgemeinschaft werden. Damit sind Standardwerte besonders interessant im Hinblick auf die epistemologisch angelegten Forschungsziele der Diskurslinguistik. In sprechakttheoretischer Hinsicht erfolgt mit dem Aufrufen eines Frames in Form eines Ausdrucks eine sprachlich-kognitive Referentialisierung, wobei dem Referenten unweigerlich eine Menge an Prädikaten zugeordnet wird. Die Menge der Leerstellen entspricht dem Potential an möglichen Prädikationen. Werte korrespondieren entsprechend mit dem prädikativen Teil der Proposition. Mit dem vorgeschlagenen induktiven Vorgehen gelingt es Ziem, in korpuslinguistischen Verfahren Prädikationsklassen zu bilden und etwa die Auftretenshäufigkeit bestimmter Füllwerte zu bestimmen. Besonders häufig rekurrierende Prädikate können als Indiz einer potenziellen diskursiven Verfestigung des thematisierten Wissensaspekts zu einem Standardwert und damit zu in der Sprechergemeinschaft vorausgesetztem Wissen interpretiert werden. Auch seriell aufgerufene Kategorien von Leerstellen liefern wichtige Hinweise zu Diskursstrukturen und diskursiven Regelmäßigkeiten, die von besonderem diskursanalytischem Interesse sind.464 Frame-Semantik kann daher mit der Bereitstellung der Analysekategorien Leerstellen, Werte und Standardwerte zur Erreichung diskurslinguistisch angelegter Ziele der Sprachgeschichtsschreibung beitragen, wie Ziem selbst fest-

|| 461 Vgl. zum Verfahren der Hyperonymtypenreduktion ausführlich Konerding 1993, S. 200 ff. Ziem diagnostiziert darüber hinaus grundsätzlich fehlende „präzise begrifflich-kognitive Bestimmungen der Strukturkonstituenten“ (Ziem 2013, S. 146) bei Konerding u. a. 462 Ebd., S. 151. 463 Ders. 2008a, S. 98. 464 Für von Ziem exemplarisch durchgeführte Frame-Analysen vgl. ausführlich ders. 2008b, S. 367 ff. für die Metapher Heuschrecke sowie knapper beispielsweise ders. 2008a, S. 106 ff. für den Begriff Kapitalismus sowie ders. 2013, S. 152 ff. für den Begriff Krise im Rahmen der Finanzkrise 2009.

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stellt: „Durch den Einsatz von Frames ist es möglich, systematisch und methodisch geleitet die Entstehung, Verfestigung sowie den Wandel von sprachlichen Bedeutungen in diskursiven Zusammenhängen zu untersuchen.“465

4.7 Überleitung Wenn im folgenden zweiten Teil der Arbeit Aufschluss erzielt werden soll über die jüngste sprachgeschichtliche Entwicklung des Begriffs der Sicherheit, und mit ihm verbundene Vorstellungen, Denkweisen und Mentalitäten der gesellschaftlichen Sprachteilnehmer im Zeitablauf aufzudecken sind, machen die vorangegangenen Ausführungen deutlich, wo theoretisch geeignete Leitplanken für die Untersuchung festzumachen sind. Das formulierte Interesse an Weltsicht und damit verbunden an der Konstitution von Bedeutung muss insbesondere Humboldt folgend von einer nicht hintergehbaren wirklichkeitskonstitutiven Funktion von Sprache ausgehen. Wenn die Konstitution von Wirklichkeit untrennbar mit der Entstehung und dem Wandel von Bedeutung zu denken ist und dafür relevantes gesellschaftliches Wissen in den Blick genommen werden soll, dann erweist sich für die Untersuchung des öffentlichen Sprachgebrauchs von Sicherheit ein diskurslinguistisches Vorgehen als vielversprechend. Die Erklärungsmacht der diskursiven Perspektive liegt insbesondere in deren Anerkennung sprachlich produzierter Wirklichkeitssichten in kulturspezifischem Zusammenhang begründet. So können schließlich gesellschaftlich bedeutsame Auseinandersetzungen in ihrer Gestalt als kommunikative Aushandlungsprozesse nachvollzogen werden. Die Verbindung zu Foucaults Diskursüberlegungen erlaubt zudem, diese Meinungsbildungsprozesse als einer diskursiven Ordnung folgend zu betrachten, die bestimmte Regeln des zu sagen Möglichen ausbildet und historisch spezifisch ist. Erklärbar wird damit, welche Aussagen in einer bestimmten historischen Situation über Sicherheit möglich sind, während andere tabuisiert werden. Aus linguistischer Perspektive sind entsprechend jeder Text und jede Aussage über Sicherheit ein Ausdruck der Ordnung des Diskurses, deren semantische Bezüge über Textgrenzen hinweg reichen. Der Diskurs als Aussagennetz bringt erst die Bedeutung von Sicherheit hervor. Damit rücken auch Kontexte in den Fokus der semantischen Analyse und ermöglichen eine soziopragmatisch ausgerichtete Sprachgeschichtsschreibung von Sicherheit, die mittels einer diskurslinguistischen Vorgehensweise in der Lage ist, die Implikationen und historischen Bedingungen von Aussagen aufzudecken und

|| 465 Ebd., S. 150.

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diskurssemantische Grundfiguren auf tiefensemantischer Ebene offenzulegen. Aufzusuchen sind diese Strukturen mit Busse im einzelnen kommunikativen Akt. Mit seinem Modell der kommunikativen Interaktion bietet er einen mit linguistischen Mitteln erreichbaren Ort, an dem Bedeutungsentstehung und -wandel nachvollzogen werden können. Wenn Diskurs mit Hermanns auch als Dialog zu einem Thema zu verstehen ist, der durch einen „quasi-responsorisch[en]“466 Charakter von thematisch aufeinander bezogenen Texten gekennzeichnet ist, dann ist damit die Chance gegeben, den gesellschaftlichen Sicherheitsdiskurs in einzelnen themenbezogenen Auseinandersetzungen zu verfolgen, in denen die soziale Gemeinschaft die Bedeutung von Sicherheit aushandelt. Der historischen Einmaligkeit dieser Auseinandersetzungen ist mit der diskursiven Perspektive im Besonderen Rechnung getragen, gleichzeitig können die sprachlich konstituierten Sicherheitswirklichkeiten unterschiedlicher historischer Auseinandersetzungen synoptisch nebeneinanderstehen und Aufschluss geben über Entstehung und Wandel von Sicherheitsvorstellungen der Sprachteilnehmer sowie über Kontinuität und Veränderungen sprachlicher Strategien zu deren Durchsetzung. Gerade die Offenlegung dieser Strategien, die den Blick freigeben auf die Art und Weise der sprachlichen Entstehung von gesellschaftlichen Wirklichkeiten, verfügt über ein hohes Maß an gesellschaftlichem Erklärungspotenzial und leistet genuin linguistische Sprachkritik. Eine deskriptive Ausrichtung dieser Sprachkritik wird für die Analyse von Sicherheitsdiskursen deshalb präferiert, weil gerade keine Vorannahmen getroffen werden sollen, etwa über die grundsätzliche Repressivität einer Gesellschaft, die in ihrer Sprache bestimmte Perspektiven auf Sicherheit zum Ausdruck bringt. Eine deskriptive Diskursanalyse erkennt schon durch ihren beschreibenden Charakter unterschiedliche Wirklichkeitssichten und Weltbilder der Sprachteilnehmer an und verneint konsequent eine letztgültige gesellschaftliche Wahrheit und daraus ableitbare Handlungsansprüche. Mit der Haltung „kritisch durch Deskription“467 soll dem Rezipienten der Analysen ein eigenes fundiertes Urteil über die unterschiedlichen verfolgten sprachlichen Strategien der sicherheitsbezogenen Wirklichkeitskonstitution ermöglicht werden. Dabei kann mit Stötzel davon ausgegangen werden, dass Unterschiede im Sprachgebrauch von Sicherheit immer schon konkurrierende Intentionen und Interpretationen gesellschaftlicher Gruppen zum Ausdruck bringen. Wenn aber gerade die mit dem Begriff der Sicherheit verbundenen Intentionen, Interpretationen und dahinter liegende Mentalitäten und Weltsichten interessieren, dann ist diesen am || 466 Hermanns 1995, S. 88. 467 Wengeler 2011, S. 40.

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besten mit hermeneutisch verfahrenden diskurslinguistischen Konzepten auf die Spur zu kommen, wie sie etwa die Ansätze der Düsseldorfer Schule liefern. Die Toposanalyse, wie sie von Wengeler für diskurslinguistische Zwecke operationalisiert worden ist, vermag sich dabei für eine großflächig angelegte Analyse von Sicherheitsdiskursen als besonders leistungsfähig zu erweisen. Nicht nur ermöglicht sie durch ihren Blick auf diskursive Argumentationsstrukturen die intendierten Aufschlüsse über das Sicherheitsdenken und -wollen der Kommunikationsteilnehmer. Als Instrument entfaltet sie integrierenden Charakter über die Diskurse hinweg, da sie die Bildung von Kategorien unabhängig von deren sprachlicher Realisierung erzielt und so gemeinsame Semantik konkreter lexematischer und metaphorischer Sprachgebräuche zu erfassen vermag. Damit wird Sicherheitssemantik in sowohl zeitlich als auch thematisch auseinander liegenden gesellschaftlichen Auseinandersetzungen in besonderem Maße betrachtbar und vergleichbar. Auch wenn die in dieser Arbeit interessierenden Sicherheitsdiskurse ihren Ausgangspunkt oder ihren Kern in politischen Fragstellungen und Auseinandersetzungen haben, ordnet sich die folgende Untersuchung weniger in die politolinguistische Forschungstradition ein, als sie vielmehr die beschriebene diskurslinguistische Haltung als erkenntnisleitend einnehmen möchte. Zwar verzeichnet die Politolinguistik in jüngerer Zeit „eine deutliche Hinwendung (...) zum diskursanalytischen Paradigma“468 und betont gemeinsame Stoßrichtungen und Anwendungsbezüge mit der Diskurslinguistik469. Doch während die Politolinguistik in ihrer Historie insbesondere zurückblickt auf die Analyse der Sprache im Nationalsozialismus und der Sprache in der DDR, hat sich die Diskurslinguistik schon seit jeher nicht beschränkt in ihren thematischen Gegenstandsbereichen. Zwar sind auch diskurslinguistische Untersuchungen der Vergangenheit, etwa die Analysen von Wengeler zum Migrationsdiskurs, als politolinguistische Unternehmungen gekennzeichnet worden,470 doch soll mit der vorliegenden Arbeit gerade die in der Diskurslinguistik betonte kulturelle Bedeutung von Sprache, die über politische Aspekte weit hinausreicht, in Sicherheitsdiskursen sichtbar gemacht werden. In ihrem kulturwissenschaftlichen Selbstverständnis interessiert sich die diskurslinguistische Perspektive

|| 468 Girnth, Heiko: Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Berlin und Boston 2015, S. 13. Niehr etwa räumt der Diskursanalyse in seiner Einführung in die Politolinguistik einen beträchtlichen Raum ein (vgl. Niehr 2014b, S. 124 ff.). 469 Vgl. etwa ders. 2013, S. 73 ff. 470 Vgl. Girnth 2015, S. 19.

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über politische Intentionen und Sprachgebräuche hinaus gerade für die in der Sprache sedimentierten und hermeneutisch erschließbaren kulturellen Praktiken und damit für die kulturelle Historie des Menschen und die Rolle, die sprachliches Handeln für deren Konstitution und Wandel spielt. Erst mit diesem diskursgeschichtlichen Blickwinkel und dessen Implikationen wird das gesellschaftserklärende Potenzial einer Sprachgeschichte von Sicherheit vollends deutlich und ausschöpfbar.

| Teil II: Sicherheit im öffentlichen Sprachgebrauch

5 Konzeption der empirischen Analyse 5.1 Zielsetzung Die vorliegende Untersuchung verfolgt das Ziel, mittels einer diskurslinguistischen Analyse des öffentlichen Sprachgebrauchs Aufschluss über die Bedeutung des Begriffs Sicherheit in der jüngeren Vergangenheit zu erhalten. Sie analysiert, wie und in welchen Kontexten über sie gesprochen wird, um die aktuelle Sprachgeschichte des Ausdrucks zu skizzieren. Verfolgt werden die mit dem Begriff Sicherheit im Zeitablauf verbundenen Vorstellungen und Konzepte der Sprachteilnehmer und dessen semantische Entwicklung in Abhängigkeit von sozialen und politischen Einflussfaktoren. Dabei liegt es im besonderen linguistischen Forschungsinteresse, mit welchen sprachlichen Strategien gesellschaftliche Gruppen Wirklichkeiten hinsichtlich Sicherheit versuchen zu konstituieren, wie eine entsprechende Perspektivierung erfolgt und wie der Begriff besetzt wird. Die sprachlichen Mittel, mittels derer die ,Versicherheitlichungʻ von Themen gelingt, sollen aufgedeckt und die dominierenden Denkfiguren des öffentlichen Diskurses um Sicherheit freigelegt werden. Es gilt aufzuzeigen, welches gesellschaftliche Wissen dabei konstituiert, aktualisiert und modifiziert wird und welche Wirkungen sich für die Semantik des Begriffs Sicherheit ergeben. Letztlich soll die Analyse des Sprachgebrauchs von Sicherheit einen Einblick in gesellschaftliche Tiefenstrukturen471 ermöglichen und Aufschluss über Weltsichten und Mentalitäten der Sprachgemeinschaft im betrachteten Zeitraum erzielen. Leitlinie der Untersuchung bildet die These, dass sich Sicherheit auf der Folie von weitreichend konstruierten Dekadenz- und Untergangsszenarien (d. h. Unsicherheitsszenarien) in unterschiedlichen gesellschaftlichen Aktionsfeldern zu einer führenden öffentlichen Legitimations- und Mobilisierungsvokabel entwickelt hat und damit nicht nur als wesentlicher Indikator einer historischen Entwicklung, sondern auch als ein prägender Faktor für die Mentalität der deutschen Gesellschaft in jüngerer Vergangenheit begriffen werden kann. Entsprechend müsste sich im Sprachgebrauch eine sicherheitssemantische Grundfigur nachweisen lassen, wie sie ähnlich bereits Kaufmann formuliert hat: ‚Vormals

|| 471 In linguistischer Terminologie ist damit Tiefensemantik gemeint, die „auch die Explizierung von in sprachlichen Äußerungen transportierten oder insinuierten epistemischen Elementen, von deren Vorhandensein die Sprecher und Rezipienten der Texte möglicherweise gar kein refklektiertes Bewusstsein haben“ (Busse 2013, S. 37), anstrebt. Sie soll „vorausgesetzte[s] Wissen in seinen Auswirkungen auf die sprachliche Bedeutungskonstitution explizit (...) machen und (...) beschreiben“ (ebd.). https://doi.org/10.1515/9783110605358-006

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vorhandene Sicherheit ist verloren gegangen. Es ist ein Kampf mit bestimmten Mitteln notwendig, um Sicherheit wiederherzustellen‘.472 Dies wird anhand des Analysematerials zu überprüfen sein.

5.2 Stand der Forschung Eine diskurgeschichtliche Untersuchung, die den Begriff der Sicherheit zum zentralen Gegenstand wählt, ist bisher nicht geleistet worden, obwohl sie bereits 1992 von Wengeler gefordert wurde.473 Es liegen lediglich begriffsgeschichtliche Arbeiten von Conze474 aus dem Jahr 1984 und von Schrimm-Heins475 aus den Jahren 1991 und 1992 vor. Kaufmann476 geht 1973 und 2003 in soziologisch angelegten Studien zwar nur partiell auf die Begriffsgeschichte von Sicherheit ein, ist aber dennoch hier zu nennen, da seine erste Untersuchung von Conze und insbesondere von Schrimm-Heins umfassend rezipiert wird. Letztere nimmt dessen These der Ablösung des Begriffs Gewissheit durch Sicherheit in der Neuzeit zum Ausgangspunkt ihrer Untersuchung und verfolgt begriffsgeschichtliche Zusammenhänge und Abhängigkeiten der beiden Begriffe. Der zeitliche Fokus ihrer untersuchten Texte liegt auf dem 16. und 17. Jahrhundert, da Schrimm-Heins für diesen Zeitraum „ein[en] tiefgreifende[n] Bedeutungswandel der Begriffe certitudo und securitas“477 vermutet. Conze verfolgt in seinem Beitrag nahezu ausschließlich die politische Geschichte von Sicherheit und zeigt die diesbezügliche Bedeutungsentwicklung von der Antike über das Mittelalter und staatstheoretische Ansätze der Neuzeit mit deren wichtigsten Vertretern bis hin zur Entstehung des Begriffs soziale Sicherheit in den 1930er Jahren auf. Kaufmann widmet sich in seiner begriffsgeschichtlichen Aufarbeitung ebenfalls der politischen Bedeutung von Sicherheit. Er geht vor allem dessen zunehmend normativer Aufladung im Verlauf der europäischen Geschichte nach und zeigt Implikationen dieser Entwicklung für politische Mechanismen der Nachkriegszeit. Alle drei genannten Analysen sind sowohl aus methodischer als auch inhaltlicher Sicht als ‚Vorläufer‘ zur vorliegenden Arbeit zu bezeichnen. Sie liefern interessante Anhaltspunkte zu etymologischen und historischen Hinter-

|| 472 Kaufmann formuliert wörtlich: „Sicherheit gab es früher, sie ist verloren gegangen, und sie muss mit modernen Mitteln wieder hergestellt werden“ (Kaufmann 2003, S. 82). 473 Vgl. Wengeler 1992, S. 84. 474 Vgl. Conze 1984. 475 Vgl. Schrimm-Heins 1991 und dies. 1992. 476 Vgl. Kaufmann 1973 und Ders. 2003. 477 Schrimm-Heins 1991, S. 131.

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gründen des Begriffs Sicherheit, während aktuelle Zeiträume – schon aufgrund ihres mitunter länger zurückliegenden Entstehungsdatums – außen vor bleiben. Im Folgenden seien zunächst die wesentlichen Ergebnisse der genannten Arbeiten zusammengetragen.

5.3 Begriffsgeschichtliche Fundierung Begriffsgeschichtlich lässt sich der Ausdruck Sicherheit bis in die Antike zurückverfolgen, wo sich seine sprachlichen Wurzeln im lateinischen securitas (se: ‚ohne‘; cura: ‚Sorge‘) finden. Ursprünglich bezeichnet er in philosophischpsychologischer Dimension einen glücklichen Seelenzustand der Freiheit von Schmerz und Unwohlsein, der sowohl bei Epikureern als auch bei Stoikern als Voraussetzung für ein glückliches Leben gilt. Seine Erweiterung ins Politische erfährt der Begriff im 1. Jahrhundert n. Chr. mit der Pax Romana, wo er seinerzeit die politische Stabilität des augusteischen Zeitalters benennt und in Frauengestalten personifiziert auf Kaisermünzen abgebildet wird. Pax, securitas und libertas, die in der römischen Reichsidee zum Ausdruck kommen, bilden die Grundlage für die Entwicklung von Sicherheit zum positiv konnotierten politischen Begriff im Verlauf der europäischen Geschichte. Im Rahmen der Konvergenz von Imperium Romanum und Imperium Christianum wird in der kirchlichen Liturgie die Vorstellung von Sicherheit und Ruhe aus erfolgreichen Kriegen und die damit verbundene Anrufung Gottes als oberstem Heerführer zur bis ins Mittelalter tradierten Formel. Securitas meint dort „Fernsein von Sorge aufgrund staatlicher Macht im großen Friedensraum des Reichs“478. Im Mittelalter wird der Begriff in vielerlei personen- und besitzbezogenen Schutzverträgen konkretisiert und als deren stets genanntes Ziel schließlich zum Topos. Zunehmend bezieht er sich nicht mehr nur auf Einzelpersonen, sondern immer mehr auf Kollektive. Spätestens mit der Entwicklung moderner Staaten und der Etablierung von Konzepten wie Rechtssicherheit und Wohlfahrt wird Sicherheit zum Grund- und Wertbegriff von Gesellschaften. Neben die damals allgemein verbreitete Bedeutung der ‚guten Herrschaft‘ oder ‚guten Polizey‘ tritt die bis heute gängige Unterscheidung in ‚äußere‘ und ‚innere Sicherheit‘. Während noch Hobbes Sicherheit und Wohlfahrt als zusammengehörige Staatszwecke verstanden hat, für dessen Förderung der absolutistische Staat zuständig ist, setzt im Zuge der Aufklärung die liberale Idee den Einzelnen an die Stelle der Verantwortung für Wohlfahrt, deren freie Entfaltung der Staat

|| 478 Conze 1984, S. 834.

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garantieren soll. Sicherheit wird in diesem Zusammenhang zum „einzige[n] Staatszweck“479 und „bedeutet hier die Gewährleistung unparteiischer staatlicher Gesetzesanwendung, den Schutz der bürgerlichen Rechte im Inneren und die Verteidigung dieser Rechte gegenüber Angriffen von außen – und sonst nichts [Herv. im Original; A. S.].“480 Kaufmann weist allerdings darauf hin, dass in Deutschland einhergehend mit einer Dominanz der lutheranischen Staatsauffassung die Verantwortlichkeit der Gesellschaftsgestaltung weiterhin maßgeblich dem Staat zugeschrieben worden ist. Der Begriff der äußeren Sicherheit wandelt sich im Verlauf des 19. und 20. Jahrhunderts zunehmend von der Vorstellung, sich ausschließlich militärisch gegen Angriffe von außen wappnen zu können, hin zu einer Idee der kollektiven Sicherung, die auf Verlässlichkeit von Beziehungen und gegenseitige Verhaltenstransparenz setzt. Im Rahmen dieser Entwicklung wird der Friedensbegriff indogermanischen Ursprungs durch den ‚neuen‘ Wertbegriff der Sicherheit abgelöst.481 Eine spannungsgeladene Bedeutung entwickelt sich indes mit der christlich-theologischen Rezeption des antiken philosophischen Sicherheitsbegriffs. Insbesondere in der reformatorischen Weltanschauung ist Sicherheit negativ konnotiert als fehlende Gottesfurcht. Wie Schrimm-Heins deutlich macht, drückt sich für Luther im Begriff securitas eine „falsch verstandene, auf eigene Kraft und Werke vertrauende Gewißheit“482 aus, die er für menschliche „Selbstüberschätzung und Überheblichkeit“483 hält: „[N]ihil est pestilentius securitate“484. Die „Versuchung der Starken, sich in der Welt sorglos sicher zu fühlen“485, wird als Unglauben verachtet, während die Armen und Schwachen in diesem Glaubensgebäude „unzerbrechliche Sicherheit im Vertrauen auf die Verheißung Christi“486 gewinnen, die sich im Begriff der certitudo, der Heilsgewissheit ausdrückt. Conze macht darauf aufmerksam, dass die christliche Um-

|| 479 Kaufmann 2003, S. 77. 480 Ebd. 481 Sowohl Friede als auch Freiheit haben indogermanische Wurzeln und laut Conze „offenbar in archaischen, ‚vorstaatlichen‘ und somit auch noch mittelalterlichen Strukturen den Sachverhalt ausgedrückt (…), der dem Begriff ‚Sicherheit‘ als Konsequenz oder als Zweck des modernen Staates eigen ist“ (Conze 1984, S. 833). 482 Schrimm-Heins 1991, S. 208. 483 Ebd., S. 209. 484 Luther, Martin: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe (Weimarer Ausgabe). 25. Band. Weimar u. a. 1964, S. 331, 28. 485 Conze 1984, S. 832. 486 Ebd.

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deutung des weltlichen Sicherheitsbegriffs auch in dessen politischer Bedeutungsentwicklung stets mitzubedenken ist. Einer beschleunigten Modernisierung seit dem letzten Drittel des 19. Jh. schließlich wird die Bedeutung von Sicherheit als ein „zum Handeln ausreichende[s] Wissen“487 zugeschrieben, die damit dem „Ideal zweifelsfreier Gewissheit“488 und seinem Begriff der Gewissheit (certitudo) im Sinne von ‚Glaubensoder Heilsgewissheit‘ diametral gegenübersteht. Gewissheit, so Kaufmann, „setzt die Existenz einer unveränderlichen Wahrheit voraus.“489 Der Wegfall traditioneller Selbstverständlichkeiten und eine darauf zurückzuführende tiefe Verunsicherung von Gesellschaft und Individuum werden verantwortlich gezeichnet für die Aufwertung von Sicherheit zum „kategorial allgemeinsten Handlungsziel des Menschen in einer Welt voller Risiken.“490 Kaufmann beschreibt eine damit einhergehende zunehmende normative Aufladung des Begriffs im politisch-sozialen Kontext und macht eine für viele Diskurse um Sicherheit zentrale Denkfigur aus, die oben bereits eingeführt wurde: „Sicherheit gab es früher, sie ist verloren gegangen, und sie muss mit modernen Mitteln wieder hergestellt werden.“491 Im Zuge der Mündigsprechung des aufgeklärten Menschen entsteht die als „Ausdruck einer zunehmenden Diesseitsorientierung“492 geltende „Vorstellung, gesellschaftliche Verhältnisse seien mittels politischer Herrschaft gestaltbar“493. Im Begriff Sicherheit kondensiert sich damit ein „Leitbild beherrschbarer Komplexität“494. Auf seiner Folie werden dann die vielfältigsten politischen Forderungen erhoben und erzielen Zustimmung: Sicherheit verspricht die Gewährleistung von Werten in der Zukunft und fungiert, so Kaufmann, als „Legitimationsbegriff“495. Kaufmann weist auf die „emotionale Appellqualität“496 des Begriffs hin, der erst auf dem Boden der Unsicherheit im Sinne einer kollektiven und individuellen Verunsicherung im Gefolge der Moderne seinen „Verheißungscharakter“ 497 entfaltet. Im Jahr 2003 konstatiert Kaufmann nach einer weniger brisanten Phase des Sicherheitsdiskurses in den

|| 487 Kaufmann 2003, S. 80. 488 Ebd. 489 Ebd. 490 Ebd. 491 Ebd., S. 82. 492 Ebd., S. 90. 493 Ebd. 494 Ebd. 495 Ebd., S. 103. 496 Ebd., S. 94. 497 Ebd.

120 | Konzeption der empirischen Analyse

zurückliegenden Jahrzehnten eine beobachtbare Zunahme der Relevanz von Sicherheit als Leitbegriff in öffentlichen Diskursen. Die vorliegenden begriffsgeschichtlichen Untersuchungen zu Sicherheit vermitteln einen Eindruck von der historischen Bedeutungsvielfalt und arbeiten dessen wesentliche, bis in die Gegenwart und damit auch in der hier angestrebten Analyse mitzudenkenden semantischen Aspekte heraus, so dass sie einen äußerst brauchbaren Ausgangspunkt für das eigene Forschungsvorhaben liefern. Kaufmann liefert zudem mit seiner Aussage zur Wiederzunahme der Relevanz von Sicherheitsdiskursen in jüngerer Vergangenheit nicht nur eine Rechtfertigung, sondern auch einen zeitlichen Anknüpfungspunkt für das vorliegende Untersuchungsvorhaben. Für das eingangs formulierte Untersuchungsziel sind jedoch die Nachteile der begriffsgeschichtlichen Verfahrensweise zu bedenken. Begriffsgeschichte als Methode vermag nicht die sprachlichen Mechanismen von Bedeutungskonstitution und -wandel bewusst zu machen. Des Weiteren zeichnen die Arbeiten eher die wesentlichen staatstheoretischen Meilensteine der Bedeutungsentwicklung nach, während Alltagstexte, mittels derer Aufschluss über gesellschaftliches Denken und Wollen gewonnen werden kann, außen vor bleiben. Die begriffsgeschichtliche Analyse bleibt damit, wie die genannten Arbeiten zeigen, stark auf einen Teilausschnitt der Realität eingeschränkt. Von daher ist im Folgenden zu überlegen, wie eine Analyse des öffentlichen Sprachgebrauchs von Sicherheit konzipiert sein muss, um dem Untersuchungsziel gerecht zu werden. Hierfür bieten sich diskurslinguistische Ansätze an, die ihren Blick über einzelne Begriffe in der semantischen Analyse hinaus stärker auf für die Bedeutungskonstitution relevante kommunikative Kontextfaktoren lenken und insbesondere auch alltagssprachliche Dokumente einbeziehen. Sie zeichnen Bedeutungsentstehung und -wandel in der kommunikativen Interaktion nach und liefern Einsichten über die im Sprachgebrauch zum Ausdruck kommende Weltsicht, das gesellschaftliche Bewusstsein und die Mentalität historischer Gruppen.

5.4 Quellen Mit der linguistischen Diskursanalyse steht ein Verfahren zur Verfügung, das Bedeutungskonstitution im kommunikativen Handlungsvollzug auf der Folie gesellschaftlicher Strategien, Mechanismen und Intentionen nachvollziehen kann. Es ermöglicht, mit der Analyse diskursiver Zusammenhänge auch unbewusste epistemische Faktoren, d. h. Tiefenschichten gesellschaftlicher Erfahrung an die Oberfläche zu befördern, und erweist sich damit als geeignetes Kon-

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zept für das vorliegende Forschungsvorhaben. Verbunden mit dem Rückgriff auf ein diskurslinguistisches Verfahren als Untersuchungsmethode sind einige Klärungen zur Konzeption der empirischen Analyse vorzunehmen. Hierfür liefern Busse und Teubert wertvolle Anhaltspunkte.498 Wenn zunächst das Diskursverständnis zu spezifizieren ist, das der Untersuchung zugrunde gelegt wird, so wird für die vorliegende Untersuchung ein Diskurs mit Busse/Teubert als Textkorpus begriffen, das mittels interpretatorischer und nachvollziehbarer Vorgehensweise durch den Forschenden zu erstellen ist. Busse/Teubert formulieren für die Korpuskonstitution folgende Kriterien: Texte finden Eingang in das Untersuchungskorpus, wenn sie einen thematischen Bezug zum Forschungsgegenstand aufweisen. Des Weiteren sind Zeitraum, Areal und Textsorten zu benennen, auf die sich die Textauswahl konzentriert. Schließlich sollen die Texte explizit oder implizit aufeinander verweisen. Anhand dieser Kriterien ist der Frage der Eingrenzung eines allgemeinen gesellschaftlichen Sicherheitsdiskurses in der jüngeren Vergangenheit zu begegnen. Hinsichtlich des Betrachtungszeitraums interessieren brisante Abschnitte des Sicherheitsdiskurses der deutschen Öffentlichkeit in neuerer Zeit. Als Ausgangspunkt der Untersuchung wird heuristisch der 11. September 2001 bestimmt. Die damit verbundenen Ereignisse in New York haben Eingang ins kollektive Gedächtnis gefunden. Es ist davon auszugehen, dass sie bis heute verschiedenste Diskurse in aller Welt prägen. In ihrer unmittelbaren Folge lässt sich eine besonders brisante Phase des Sicherheitsdiskurses in Deutschland erkennen. Als wünschenswert stellt sich eine daran anschließende Analyse weiterer Diskurse bis in die jüngste Vergangenheit dar, um Aussagen über zeitaktuelle Entwicklungen und Tendenzen des gesellschaftlichen Denkens und Wollens zu gewinnen und potenzielle Zusammenhänge über eine relativ gut überschaubare Zeitspanne nachzuzeichnen. Die Reichweite der Untersuchung umfasst die öffentliche Diskussion innerhalb Deutschlands. Im Hinblick auf die Wahl einer demokratischen Gesellschaft als Betrachtungsraum soll Öffentlichkeit in der vorliegenden Arbeit verstanden werden „als Sphäre der gesamtgesellschaftlichen, diskursiven Willensbildung, an der alle beteiligt sind bzw. sein sollten.“499 Sie ist wesentliche „Möglichkeits|| 498 Vgl. Busse und Teubert 1994, S. 14. Vgl. ausführlich auch Kap. 3.2 im Ersten Teil. 499 Böke, Karin, Jung, Matthias und Wengeler, Martin: „Vorwort“. In: Dies. (Hrsg.): Öffentlicher Sprachgebrauch. Praktische, theoretische und historische Perspektiven. Georg Stötzel zum 60. Geburtstag gewidmet. Opladen 1996, S. 9–12, hier: S. 9. Die drei Autoren weisen darauf hin, dass es sich bei dieser normativen Definition um ein Ideal demokratischer Gesellschaften handelt, das der aufklärerischen Idee entspringt (vgl. ebd.). Die historische Entwicklung von Öffentlichkeit ausgehend von der Emanzipation des Bürgertums ab dem 17. Jahrhundert zeich-

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bedingung jeder gesamtgesellschaftlichen Kommunikation“500, denn „indem Öffentlichkeit einen Raum der Rede entfaltet[], entfaltet[] sie die Rede selbst“501, und ist damit unabdingbare Prämisse „gesellschaftlichen Wirksamwerdens semantischer Entwicklungen.“502 Böke, Jung und Wengeler weisen zudem hin auf die „prinzipielle Nicht-Überschaubarkeit der Rezipienten bzw. die Nicht-Abgeschlossenheit des Publikums, wie dies typischerweise in den Medien der Fall ist.“503 Dementsprechend soll im Fokus der vorliegenden Untersuchung die Medienöffentlichkeit stehen, da sie durch ihre leicht zugänglichen Texte gesellschaftliche Meinungen und Weltbilder zu einem erheblichen Teil mit konstituiert. Einbezogen in die Analyse wird darüber hinaus auch die politische Öffentlichkeit, die hier vorwiegend als parlamentarische Öffentlichkeit begriffen wird. Bei der ersten Sichtung von Medientexten haben sich erhebliche diskursive Beziehungen zu Bundestagsdebatten u. ä. gezeigt, so dass angenommen werden muss, dass die wechselseitige Beeinflussung von medialen und politischen Aussagen Diskurse und deren Semantik maßgeblich prägt und daher in der Untersuchung Berücksichtigung finden sollte.504 505 In thematischer Hinsicht erfolgt eine Betrachtung von Teildiskursen506, in denen Sicherheit explizit oder implizit zum Gegenstand wird. Für deren konkrete Auswahl wird gesamtgesellschaftliche Relevanz und breite öffentliche Rezeption in einem bestimmten Zeitabschnitt als maßgebliches Kriterium angelegt. || net ausführlich Busse nach und zeigt deren Bedeutung für die Analyse öffentlichen Sprachgebrauchs auf (vgl. Busse, Dietrich: „Öffentlichkeit als Raum der Diskurse. Entfaltungsbedingungen von Bedeutungswandel im öffentlichen Sprachgebrauch“. In: Böke, Karin, Jung, Matthias und Wengeler, Martin (Hrsg.): Öffentlicher Sprachgebrauch. Praktische, theoretische und historische Perspektiven. Georg Stötzel zum 60. Geburtstag gewidmet. Opladen 1996, S. 347–358, hier: S. 347 ff.). Ausführlich widmet sich in jüngerer Zeit Spieß der Bedeutung von Öffentlichkeit für Diskurse (vgl. Spieß, Constanze: Diskurshandlungen. Theorie und Methode linguistischer Diskursanalyse am Beispiel der Bioethikdebatte. Berlin 2011, insbes. S. 128 ff.). Vgl. weiterführend auch Schiewe, Jürgen: Öffentlichkeit. Entstehung und Wandel in Deutschland. Paderborn u. a. 2004. 500 Busse 1996, S. 347. 501 Ebd. 502 Ebd. 503 Böke, Jung und Wengeler 1996, S. 9. 504 Den Einbezug von Bundestagsreden nennt explizit auch Stötzel 1995, S. 16. 505 Jung folgend ließe sich hier von einer Diskursspezifizierung nach den „Kommunikationsbereichen“ (Jung 1996, S. 457) Medien und Politik und nach den „Textsorten“ (ebd.) Zeitungsartikel und Bundestagsreden sprechen. 506 Unter einem Teildiskurs soll hier mit Jung ein „inhaltlich abgrenzbare[r]“ (ebd.), also thematisch spezifischer Teilbereich des Gesamtdiskurses ,Sicherheit‘ verstanden werden, der ebenfalls thematisch begründet ist.

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Dabei erfolgt aus Praktikabilitätsgründen eine Beschränkung auf drei größere Diskursräume, aus denen jeweils einzelne Diskussionsthemen in ihren Brisanzphasen herausgegriffen werden. Gegenstand der Untersuchung sind in chronologischer Anordnung der bis heute fortwirkende Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in New York mit seinen in Deutschland aufgeworfenen außen- und innenpolitischen Fragestellungen, dem folgend der Diskurs um Griechenland und den Euro 2010, der im Gefolge der zeitlich vorgelagerten Finanzkrise ebenfalls eine andauernde gesellschaftliche Wirkung entfaltet, und schließlich der Diskurs um die NSA-Affäre mit seiner Brisanzphase in der zweiten Hälfte des Jahres 2013, der sich gerade mit seinen sicherheitssemantischen Konzeptionierungen bis in heute aktuelle Diskurse um Digitalität und deren Durchdringung von Lebenswelten fortschreibt. Dementsprechend sind drei Teilkorpora zu erstellen. Mit der damit verbundenen Auswahl von Quellentexten ist das Problem der Repräsentativität des Korpus für den betrachteten Diskurs aufgeworfen. Busse/Teubert begegnen diesem mit einer qualitativ begründeten Argumentation und fordern eine Auswahl von Texten, die inhaltlich und sprachlich stellvertretend für eine größere Anzahl ähnlicher Artikel stehen, so dass dominante Tendenzen repräsentiert sind. Zudem legen sie das Augenmerk auf besonders prägnante sprachliche Ausprägungen und intensive diskursive Beziehungen sowie Wendepunkte im Diskurs markierende Texte. Demgegenüber fordert etwa Jung ein stärker quantitatives Vorgehen bei der Korpuskonstitution, um durch eine Vielzahl berücksichtigter Aussagen objektivierbarere „Regeln des Erscheinens der diskursiven Ereignisse“507 aufdecken zu können. Das eigene gewählte Vorgehen bewegt sich dazwischen und bekräftigt schließlich einmal mehr die Erkenntnis, dass letztlich nur die Untersuchungsergebnisse Aufschluss über die Tauglichkeit des Korpus geben können, insofern sie als Thesen „am Material objektivierbar“508 sein müssen. Eine Vorentscheidung bei der Auswahl von Texten hinsichtlich deren Bedeutsamkeit im Sinne von Busse/Teubert konnte abseits von der thematischen Zugehörigkeit erst einmal nicht getroffen werden, so dass zunächst eine Menge von Quellen zum jeweiligen Thema ohne Rücksicht auf deren potenzielle Relevanz für den betrachteten Teildiskurs zusammengetragen wurde. Gleichwohl musste ihre Anzahl trotz einfacher Verfügbarkeit von vorneherein mit Blick auf die Handhabbarkeit durch eine einzelne Forscherperson eingeschränkt bleiben; umfangreicherere quantitative Verfahren waren aus prakti-

|| 507 Busse 1987, S. 257. 508 Busse und Teubert 1994, S. 17.

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schen Gründen nicht durchführbar.509 Erst mit dem intensiven Vorgang des iterativen Lesens konnten schließlich Texte ausgewählt werden, die besonders ergiebiges Material im Hinblick auf die Forschungshypothese liefern, während andere für den weiteren Verlauf der Untersuchung außen vor gelassen wurden. Für diese Sortierung kamen durchaus die qualitativen Kriterien von Busse/Teubert zum Tragen. Ausgewählt wurden generell Artikel aus Zeitungen und Zeitschriften, die nicht nur eine bundesweite Öffentlichkeit erreichen, sondern hinter denen auch unterschiedliche politische Richtungen zu vermuten sind; im Wesentlichen handelt es sich hier um die beiden Tageszeitungen Süddeutsche Zeitung (SZ) und Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Hinzu kommen Texte aus den jeweils thematisch zugehörigen parlamentarischen Debatten, hauptsächlich in Form von Bundestagsreden einzelner politischer Akteure. Der von Busse/Teubert geforderte explizite und implizite Bezug der Texte aufeinander ist schon aufgrund ihrer jeweiligen inhaltlichen Zugehörigkeit zum Thema und durch zahlreiche intertextuelle Verflechtungen gegeben. Die konkreten Schritte und Anforderungen der Korpuserstellung werden aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit in den Vorbemerkungen zu den einzelnen Diskursuntersuchungen jeweils zu Beginn der entsprechenden Kapitel erläutert.

|| 509 Damit bleiben die mit elektronischer Datenerfassung und -auswertung befassten empirischen Methoden der Korpuslinguistik und somit deren quantitative Analysepotenziale außen vor (vgl. weiterführend zur Korpuslinguistik etwa Lemnitzer, Lothar und Zinsmeister, Heike: Korpuslinguistik. Eine Einführung. 3. Auflage. Tübingen 2015). Quantitative Verfahren ersetzen ohnehin nicht die deutende Arbeit der Forschungsperson. Sie können aber zum Beispiel dazu dienen, für qualitative Untersuchungen interessante Aspekte aufzudecken (vgl. etwa Niehr 2014a, S. 73). Haß-Zumkehr gibt zu bedenken, dass die „statistikbasierten und rein ausdrucksseitig ansetzenden Informationen aus Korpora nur einen heuristischen (…) Wert haben. Der entscheidende Schritt von den ausdrucksseitigen Strukturen zu den semantischen, pragmatischen und diskursiven Zusammenhängen kann und muss (…) durch Beleginterpretation vollzogen werden“ (Haß-Zumkehr, Ulrike: „Hat die Frauenbewegung Wortschatzgeschichte geschrieben? Chancen und Probleme korpuslinguistischer Analysen“. In: Wengeler, Martin (Hrsg.): Deutsche Sprachgeschichte nach 1945. Diskurs- und kulturgeschichtliche Perspektiven. Hildesheim 2003, S. 161–179, hier: S. 164). Auch Wengeler weist darauf hin, dass trotz der umfangreichen Verwertbarkeit maschinenlesbarer Korpora „[f]ür viele diskursanalytische Fragestellungen (...) das gründliche Lesen und Verstehen der Texte weiterhin sinnvoll und notwendig sein“ (Wengeler 2008, S. 209) wird, was gerade bei einem „‚per Hand‘ erstellten Korpus“ (ebd.) gewährleistet ist.

Methodik | 125

5.5 Methodik Die Zielsetzung der Arbeit erfordert eine Methodik, die dem Umstand Rechnung trägt, dass Sprachgebrauch510 im öffentlichen Raum und innerhalb häufig kontroverser Meinungsbildungsprozesse mit dem Ziel untersucht werden soll, Aufschluss über die Mentalität gesellschaftlicher Gruppen in jüngsten historischen Zeitabschnitten zu erhalten. Dafür liegt mit dem diskurslinguistischen Konzept der Düsseldorfer Schule ein geeignetes methodisches Programm vor, das Sprachgeschichte als Problemgeschichte der Gegenwart fasst. Die Düsseldorfer Arbeiten wenden unterschiedliches diskurslinguistisches Instrumentarium an; der Schwerpunkt liegt auf Lexem-, Metaphern- und Toposanalysen sowie auf frame-semantischen Analysen. Alle Betrachtungsebenen sind auch hinsichtlich des eigenen Untersuchungsziels als erkenntnisversprechend zu bewerten, jedoch müssen frame-semantische Analysen aufgrund ihres quantitativen Anspruchs aus forschungspraktischen Gründen in der vorliegenden Arbeit außen vor bleiben. Für die diskurslinguistische Analyse der einzelnen Teildiskurse wird daher folgendes Vorgehen gewählt: Während iterativer Lesevorgänge der Quellentexte wird auffälligen sprachlichen Phänomenen nachgegangen. Hier interessieren lexematische Auffälligkeiten, die mit dem Instrumentarium der Kontroversen Begriffe, der politischen Semantik sowie Bökes Konzept zu Leitvokabeln erfasst werden können und sowohl aktuellen als auch brisanten Sprachgebrauch aufzudecken vermögen. Auch metaphorische Konzepte im Sinne Bökes werden verfolgt und aufgezeigt. Hier ist allerdings mit Wengeler zu berücksichtigen, dass aufgrund der gewählten Textsorten möglicherweise weniger bzw. andere Ergebnisse auf dieser Analyseebene zu erwarten sind, als dies etwa bei der Auswertung von Boulevardmedien der Fall wäre.511 Als zentrales Instrument wird darüber hinaus die Toposanalyse genutzt, da mit ihrer Hilfe serielle Argumentationsmuster in den Diskursen unabhängig von deren sprachlicher Realisierung identifiziert und Aussagen über tiefensemantische Strukturen möglich werden.

|| 510 Für eine weiterführende Problematisierung des Begriffs hinsichtlich seiner Stellung in der sprachwissenschaftlichen Theorie vgl. Busse, Dietrich: „Sprachstil – Sprachnorm – Sprachgebrauch. Zu einem prekären Verhältnis“. In: Fix, Ulla und Lerchner, Gotthard (Hrsg.): Stil und Stilwandel. Bernhard Sowinski zum 65. Geburtstag gewidmet. Frankfurt am Main u. a. 1997, S. 63–81. 511 Vgl. Wengeler 2008, S. 217 f.

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Für die Verbindung der drei genannten Analyseebenen liefern Niehr und Böke eine entscheidende Überlegung, die in den hier vorzulegenden Untersuchungen bestmöglich umgesetzt werden soll: Idealerweise könnten [...] die Ergebnisse der verschiedenen Zugangsweisen aufeinander bezogen werden, so dass sich etwa Aussagen darüber machen ließen, mit welchen materiell-sprachlichen Mitteln bestimmte Argumentationsmuster bevorzugt realisiert werden, wie also Argumentationsmuster [...] gemeinsam mit bestimmten Schlüsselwörtern oder Metaphern Wirklichkeit konstruieren oder wie die wirklichkeitskonstitutive Leistung von Schlüsselwörtern erst im Rahmen ihrer Funktion in Argumentationszusammenhängen angemessen erfasst werden kann.512

Darüber hinaus wird bei Bedarf auf weitere linguistische Kategorien zurückgegriffen, wenn diese sich als geeignet für den Nachweis von Bedeutungskonstitution und hilfreich für das Diskursverständnis erweisen. Mögliche Phänomene können beispielsweise Präsuppositionen, Anspielungen oder Wortspiele sein; auch können die Verdeutlichung grammatikalischer Strukturen oder etwa die Verwendung von Pronomina von Interesse sein. Voraussetzung bleibt allerdings ein Mindestmaß serieller Erscheinung entsprechender Phänomene, um deren Berücksichtigung für diskursanalytische Zwekke zu rechtfertigen.513 Nachdem für die drei unterschiedlichen Diskurse verschiedenartige Bezüge zwischen Lexematik, Metaphorik und Topik zu erwarten sind, folgt die Präsentation der Untersuchungsergebnisse keinem vorher festgelegten Schema. Dieses wird in Abhängigkeit der Art, der Bedeutung und der Häufigkeit der jeweiligen diskursprägenden Sprachphänomene bestimmt und muss zudem der Anatomie des jeweils untersuchten Diskurses Rechnung tragen. So hat beispielsweise die jeweilige Ausgeprägtheit der politischen Kontroverse maßgeblichen Einfluss auf die Ergebnisdarstellung und deren Schwerpunkte. Grundsätzlich ist mit der hier gewählten diskurslinguistischen Arbeitsweise die Intention verbunden, den jeweiligen Teildiskurs zu erzählen; das heißt, so weit es die Untersuchungsergebnisse zulassen, einen narrativen Darstellungsmodus zu wählen und so die von

|| 512 Niehr, Thomas und Böke, Karin: „Diskursanalyse unter linguistischer Perspektive – am Beispiel des Migrationsdiskurses“. In: Keller, Reiner u. a. (Hrsg.): Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 2: Forschungspraxis. 2. Auflage. Wiesbaden 2004, S. 325–351, hier: S. 335. 513 Vgl. dazu ausführlicher Wengeler, Martin: „Stilistische und rhetorische Phänomene auf der Ebene des Diskurses“. In: Fix, Ulla, Gardt, Andreas und Knape, Joachim (Hrsg.): Rhetorik und Stilistik – Rhetoric and Stylistics. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. Berlin und New York 2009, S. 1630–1648, hier: S. 1643 f.

Methodik | 127

Stötzel geforderte „Bedeutsamkeitserzählung“ 514 zu leisten. Im Anschluss an die Untersuchungen werden die jeweils einschlägigen Topoi und Belegwörter in Übersichten aufgelistet.515

|| 514 Stötzel 1995, S. 15. 515 Für die Toposanalyse hat dies Wengeler gefordert (vgl. Wengeler 2003c, S. 64). Belegwortlisten im Anschluss an die jeweiligen Untersuchungen finden sich etwa bei Stötzel und Wengeler 1995.

6 „[D]as Gefühl von Angst, Unsicherheit, Sorge vor Terror und Krieg“ – Der Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in Deutschland 6.1 Vorbemerkungen und Themen Die Ereignisse des 11. September 2001 in New York begründen unmittelbar nach ihrem Eintritt einen eigenen Diskurs, in dem zunächst Beileids- und Erschütterungsbekundungen sowie grundlegende Deutungs- und Einordnungsversuche des Geschehens die öffentliche Auseinandersetzung dominieren, die vorerst wenig von politischem Dissens gekennzeichnet ist. Relativ schnell tritt neben den allgemeinen Diskurs um die Bedeutung des Ereignisses eine Debatte um dessen Folgen, die im Wesentlichen auf zwei Feldern ausgetragen wird. Zum einen diskutiert man hinsichtlich einer außenpolitischen Reaktion im Herbst 2001 eine potenzielle Beteiligung der deutschen Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom in Afghanistan; zum anderen setzt man als Reflex auf die Geschehnisse in New York umfangreiche Gesetzesvorhaben auf die innenpolitische Agenda. Beide Diskurse entwickeln ausgeprägte Kontroversen, in denen dem Begriff Sicherheit eine Schlüsselrolle zukommt. Von Interesse für die folgende Betrachtung ist die Hochbrisanzphase dieser Diskurse um den 11. September 2001 in Deutschland, die sich nach den Ereignissen in New York bis etwa Ende des Jahres 2001 erstreckt. Die Artikel des Teilkorpus Medien wurden über die mit Lizenz zugänglichen Datenbanken von FAZ und SZ ermittelt. Die erste Suche mit der Eingabe ‚Sicherheit‘ für den Zeitraum vom 11. September bis einschließlich dem 31. Dezember 2001 ergab für die FAZ eine Treffermenge von über 2.600 und für die SZ von über 3.000 Texten. Da sich diese Textmenge als zu groß und unspezifisch erwies, wurde die Suche mit der Eingabe ‚Sicherheit‘ in beiden Datenbanken auf das Ressort Politik beschränkt. Die Ergebnismenge von etwa 1.000 Artikeln für die FAZ und ca. 670 für die SZ wurde einer Schnelldurchsicht unterzogen, die eine weitere Einschränkung meist schon anhand der Überschriften und Ober- bzw. Unterzeilen erlaubte. Aus

|| Anmerkung: „[D]as Gefühl von Angst, Unsicherheit, Sorge vor Terror und Krieg“ unterstellt der damalige Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping der deutschen Bevölkerung in einer Rede zu den Ereignissen vom 11. September 2001 vor dem Deutschen Bundestag (Scharping v. 19.9.01). https://doi.org/10.1515/9783110605358-007

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weiteren iterativen Lesevorgängen ergab sich schließlich ein Untersuchungskorpus von etwa 85 Texten aus FAZ und SZ, die allesamt den Ausdruck Sicherheit enthalten. Hinzu kommen zwei Artikel von ZEITonline, die eine formlose Internetrecherche zutage förderte und die aufgrund ihres auffälligen Sprachgebrauchs Eingang in das Korpus fanden. Zudem wurde aus demselben Grund ein Artikel der FAZ aus dem Februar 2002 aufgenommen sowie weitere später datierende Dokumente zum Beleg zitierter Aussagen. Zur Erstellung des Korpus für den Kommunikationsbereich Politik wurden die im oben genannten Zeitraum geführten Bundestagsdebatten anhand der zugehörigen Plenarprotokolle gesichtet. Diese sind auf der Webseite des Deutschen Bundestags frei zugänglich.516 Innerhalb der Protokolle wurden Reden ausgewählt, die die Ereignisse des 11. September 2001 thematisieren bzw. unmittelbar daraus abgeleitete Gesetzesvorhaben zum Gegenstand haben. Darüber hinaus wurden einige wenige supranationale Texte aus der monatlich vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung veröffentlichten Publikation ‚Stichworte zur Sicherheitspolitik‘ ausgewählt, die etwa vom Sicherheitsrat der UN, der EU oder der NATO unmittelbar auf das Ereignis formulierte Reaktionen enthalten. Außerdem wurden ein in einer Bundestagsdrucksache abgelegter Antrag der Bundesregierung sowie ein Positionspapier einiger Abgeordneter der Fraktion Bündnis90/Die Grünen Teil des Korpus aus dem Kommunikationsbereich Politik, das am Ende etwa 55 Dokumente umfasst. Bevor aufgrund der gegebenen thematischen Verschiedenheit eine jeweils eigene Analyse des außen- und innenpolitischen Diskurses vorgenommen wird, stehen im Anschluss zunächst die allgemeinen unmittelbaren Reaktionen auf die Ereignisse vom 11. September 2001 in Medien und Politik im Mittelpunkt der Betrachtung.

|| 516 Vgl. https://www.bundestag.de/dokumente (zuletzt abgerufen am 28.6.2018).

Übergreifende Beobachtungen | 131

6.2 „[W]ir haben eine völlig neue Bedrohungssituation. Es gibt daher eine Notwendigkeit für erhöhte Sicherheit – das steht fest. Das erfordert auch politisches Handeln.“ – Übergreifende Beobachtungen zum Sprachgebrauch in unmittelbaren Reaktionen auf die Ereignisse vom 11. September 2001 Betrachtet man den öffentlichen Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 unmittelbar nach deren Eintritt noch ohne Fokussierung auf einzelne Debatten und Themen, so lässt sich bereits zeigen, dass der Begriff Sicherheit als zentrale Leitvokabel in diesem Diskurs fungiert. Er bildet gewissermaßen die Nabe517, um die herum sich der Diskurs anordnet. Zunächst macht dies ein erster Blick auf die Lexemebene deutlich. Das gehäufte Auftreten von Gelegenheitskomposita mit dem Determinans Sicherheit in Verbindung mit den Attributen neu und verändert lässt auf eine besondere Relevanz, aber auch Umstrittenheit des Begriffs in diesem Diskurs schließen. So wird in parlamentarischer wie gesellschaftlicher Öffentlichkeit die „gegenwärtige (...) Sicherheitslage“ (FAZ v. 15.9.01a) zum Hauptgegenstand der Debatten. Diese „stark veränderte Sicherheitslage“ (FAZ v. 23.11.01c) erfordert eine „neue Sicherheitspolitik“ (SZ v. 17.9.01), ein „neues ‚Sicherheitsverständnis‘“ (FAZ v. 29.10.01) ist gefragt und „Sicherheitsinteressen“ (FAZ v. 12.11.01b) werden verfolgt. Das „Sicherheitsbewusstsein“ (FAS v. 7.10.01) steigt. Auch Neologismen werden geprägt. So stellt die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis fest, die USA befänden sich nun „[n]icht mehr auf dem Sicherheitsdampfer“ (FAZ v. 14.9.01). Zeitungsartikel titulieren etwa mit „Wie man mit Sicherheit eine Schlagzeile kriegt“ (SZ v. 19.9.01a), „Unsichere Sicherheit“ (SZ v. 18.10.01) oder „In der Sicherheitsfalle“ (ZEITonline v. 25.10.01b). Wortspiele deuten hier die Aktualität des Sicherheitsdiskurses in der Folge des 11. September 2001 an, die dem zeitgenössischen Kommunikationsteilnehmer erst die Dekodierung der Aussagen ermöglicht. Bereits der erste Eindruck legt also die Vermutung nahe,

|| 517 Mit Koselleck kann bei aller gebotenen theoretischen Vorsicht auch von einem Grundbegriff gesprochen werden (vgl. Kap. 3.1 im Ersten Teil dieser Arbeit), da sich mit ihm „Strukturen und große Ereigniszusammenhänge“ (Koselleck 1972, S. XIV) erschließen lassen. || Anmerkung: „[W]ir haben eine völlig neue Bedrohungssituation. Es gibt daher eine Notwendigkeit für erhöhte Sicherheit – das steht fest. Das erfordert auch politisches Handeln“, sagt Edmund Stoiber (CSU) in einem Interview mit der SZ (SZ v. 13.9.01c).

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dass mit Sicherheit der wegweisende Begriff des Diskurses vorliegt und sich in ihm dessen Leitgedanke kondensiert. Sicherheit avanciert zur zentralen Wertidee durch eine grundlegende Denkfigur, der die in diesem Diskurs möglichen Aussagen folgen: ‚Durch die Ereignisse des 11. September 2001 ist eine gesellschaftliche Bedrohungssituation entstanden und vormals vorhandene Sicherheit verloren gegangen. Es ist ein Kampf mit bestimmten Mitteln notwendig, um Sicherheit wiederzuerlangen‘. Nach den Ereignissen in den USA wird Sicherheit zum dominierenden Legitimations- und Mobilisierungsbegriff, dessen Überzeugungskraft sich aus der Konstruktion einer existenziellen Gefährdungslage speist. Der Begriff vermag die Durchsetzung von Vorhaben in den unterschiedlichsten politischen Handlungsfeldern maßgeblich zu befördern. In folgender Aussage des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber in einem Interview mit der SZ lässt sich diese grundlegende Anatomie des Diskurses in verdichteter Form geradezu prototypisch nachvollziehen. Sie weist einige der wesentlichen sprachlichen Phänomene des Diskurses auf, die im weiteren Verlauf der Untersuchung verdeutlicht werden: [W]ir haben eine völlig neue Bedrohungssituation, eine völlig neue Qualität terroristischer Bedrohung. Es gibt daher eine Notwendigkeit für erhöhte Sicherheit – das steht fest. Das erfordert auch politisches Handeln. (...) Unsere bisherigen Sicherheitskonzepte (...) müssen kritisch hinterfragt und optimiert werden. (…) [Wir; A. S.] müssen (...) uns auf eine erhöhte Gefährdung der Sicherheit einstellen. Wir brauchen daher (…). (SZ v. 13.09.01b)

Die Notwendigkeit von Maßnahmen, Kampfhandlungen oder Gesetzesänderungen ist besonders plausibel und öffentlich vermittelbar, wenn der allgemein akzeptierte Wert Sicherheit auf dem Spiel steht. Während unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen versuchen, die eigenen Vorstellungen von Sicherheit durchzusetzen, behält der Begriff stets einen deontischen Charakter und verbleibt im Utopischen. Welche topischen, lexematischen und metaphorischen Phänomene und Strategien hierbei den Diskurs prägen, sei im Folgenden aufgezeigt. Neben Betroffenheitsbezeugungen und Beileidsbekundungen in Richtung der USA sind die unmittelbaren Reaktionen in den Tagen und Wochen nach dem Ereignis in der deutschen Öffentlichkeit sprachlich zunächst geprägt durch die Konstruktion einer einmaligen, andauernden und existentiellen Bedrohungs- und Gefahrensituation, die auf die gesamte westliche Welt projiziert wird. Der Gefahrentopos lässt sich daher als zentrales Argumentationsmuster im Sicherheitsdiskurs nach dem 11. September 2001 identifizieren: ‚Weil jemand

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oder etwas gefährdet ist, müssen bestimmte Maßnahmen ergriffen oder unterlassen werden‘. Nach dem 11. September 2001 befindet man sich „in Zeiten der Krise und Bedrohung“ (Struck v. 19.9.01), ausgelöst durch „mörderische[] Verbrechen [Herv. im Original; A. S.] (...), deren grauenvolle Dimension uns alle im tiefsten Innern erschauern lässt“ (Schily v. 19.9.01). Der UN-Sicherheitsrat interpretiert das Ereignis „als Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ (FAZ v. 7.11.01b), die deutsche Politik spricht von einer „existentiellen Bedrohung der Sicherheit“ (SZ v. 30.10.01b). Das Etikett der ,Existenzialität‘ erhält die Situation auch, wenn deren „Urheber und Drahtzieher“ (Schröder v. 12.9.01) „mit apokalyptischem Schrecken die Welt aus den Fugen heben wollen“ (Struck v. 19.9.01). Die über das hier angeführte Beispiel hinaus im Diskurs seriell anzutreffende Verwendung des Präsens prolongiert zudem das Schreckensszenario des Anschlags selbst in die Folgezeit. Damit wird die Bedrohung zu einem ,akuten und andauernden Zustand‘, obwohl „die furchtbaren Taten“ (Europäische Union v. 12.9.01) selbst bereits in der Vergangenheit liegen. Die Distanz zwischen einem Ereignis in den USA und deutscher Beteiligtheit wird auf der Empfindungsebene überwunden: „Die Terrorangriffe auf Amerika haben auch in Deutschland dauerhafte Folgen: Sie haben ein einheitliches Sicherheitsgefühl beschädigt“ (FAZ v. 13.10.01a). Nur selten finden sich gänzlich konträr konnotierte Begriffe zur Bezeichnung der Lage nach dem 11. September 2001. Ein Kompositum wie „Sicherheitshysterie“ (FAZ v. 16.11.01a) zur Abwertung der Bedrohungskonstruktion hat im Diskurs Seltenheitswert. Auf der lexematischen Ebene präsupponieren Komposita mit Determinata aus dem Wortfeld ‚Gefahr‘, wie z. B. „Sicherheitsrisiken“ (FAZ v. 15.9.01b) oder „Sicherheitsprobleme“ (SZ v. 25.10.01a), dass ,Sicherheit gefährdet oder abhanden gekommen‘ ist, und enthalten die Gefahrenlogik im Wort. Die Aussage: „Es gibt keinen absoluten Schutz mehr“ (SZ v. 13.9.01b) suggeriert durch die Verwendung der Negation ‚nicht mehr‘ einen Zustand ,vollkommener Sicherheit‘ vor dem Ereignis. Damit ist nicht nur implizit eine gravierende Unsicherheitssituation für die Gegenwart konstatiert, sondern auch der Boden bereitet, auf dem unbedingtes Streben nach der ‚guten alten Zeit‘ und ihrem Zustand der Sicherheit als prioritäres politisches Ziel gesellschaftlich durchsetzbar wird. Fortan befindet man sich „[a]uf der Suche nach Sicherheit“ (FAZ v. 13.10.01a). Diese Stoßrichtung wird befördert durch eine Emotionalisierung der Gefahr, die sprachlich realisiert wird etwa als „das Gefühl von Angst, Unsicherheit, Sorge vor Terror und Krieg“ (Scharping v. 19.9.01) und „die Sorgen um die Sicherheit und Freiheit des eigenen Lebens“ (ebd.). Der Sprachgebrauch vermittelt den Eindruck einer ,nahezu lebensbedrohlichen Situation‘ für den deutschen Bür-

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ger. Wenn apodiktisch formuliert wird, es sei „eine Erkenntnis: Angst macht sich breit in weiten Teilen der Bevölkerung“ (SZ v. 18.9.01), diese habe „Ängste vor dem Kommenden“ (FAZ.net v. 19.10.01a) und erlebe „Tage der Sorgen, der Angst und der Furcht“ (Schily v. 19.9.01), wird die Gefahr zum persönlichen Belang jedes Einzelnen. Zur gesamtgesellschaftlichen Angelegenheit entwickelt sich die Gefahrenlage auch durch die gehäufte Verwendung der Pronomina uns und wir. So befindet man sich in einer „Krise unserer Sicherheit“ (FAZ v. 19.9.01a), „hat der abscheuliche Terroranschlag (...) unsere Bürger tief erschüttert“ (Europäische Institutionen v. 14.9.01) und „wir haben eine völlig neue Bedrohungssituation. (...) Deswegen müssen wir uns auf eine erhöhte Gefährdung der Sicherheit einstellen“ (SZ v. 13.9.01c). Der Sprachgebrauch zielt auf die Konstruktion von Gesellschaft als ‚Schicksalsgemeinschaft‘. Charakteristisch für den Gefahrentopos im Rahmen des Sicherheitsdiskurses nach dem 11. September ist außerdem, dass Faktizitäten hergestellt und nach Belieben durchbrochen werden, so dass mitunter paradoxe Aussagen entstehen. Einerseits stellen politische Akteure die Bedrohung apodiktisch ohne Erläuterung eines Zusammenhangs oder Angabe von Gründen fest: „Angesichts der Bedrohungen, die sich auch für die (...) Sicherheit Deutschlands nach den Terroranschlägen vom 11. September stellen (....)“ (FAZ.net v. 19.9.01) oder „Die Weltsicherheitslage hat sich nachdrücklich verändert“ (FAZ.net v. 14.11.01). Andererseits wird regelmäßig, mitunter sogar zeitgleich konstatiert, dass keine „unmittelbar absehbare Gefahr“ (SZ v. 13.9.01a) besteht. So hält Bundeskanzler Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung am 12. September 2001 nach drastischen Eingangsworten zu den Ereignissen in den USA fest: „Derzeit liegen keine Hinweise auf eine außerordentliche Bedrohung der Sicherheit unseres Landes vor“ (Schröder v. 12.9.01), fügt aber unmittelbar an: „Gleichwohl haben wir zusätzliche Maßnahmen ergriffen, die zum Schutz der Menschen in unserem Land erforderlich sind“ (ebd.). Hinter dieser zunächst widersprüchlich anmutenden Wirklichkeitskonstruktion verbergen sich politische Intentionen. Die Gefahrenperspektivierung schafft die Legitimationsgrundlage für politische Vorhaben, das Mirandum Sicherheit sorgt für deren Durchsetzbarkeit. Doch der Bürger soll nicht stärker beunruhigt werden als zum Mittragen politischer Entscheidungen nötig; Panik oder gar Hysterie wäre den Zielen abträglich. Die semantisch paradox daher kommende Konstruktion sorgt vor allem für eines: Sie vermittelt den Eindruck einer ,vorausschauenden Politik‘, deren Akteure als ,handlungsfähig‘ erscheinen und dafür sorgen, dass ein als ,bedrohlich‘ deklarierter Zustand ‚unter Kontrolle‘ bleibt. Um sich die Deutungshoheit der Lage zu sichern, muss die Unsicherheitssituation regelmäßig aktualisiert werden. So bleibt die Bevölkerung stets angewiesen auf die Interpretation des im semanti-

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schen Kampf siegreichen Lagers, wenn etwa Innenminister Otto Schily nach vorheriger Verharmlosung der Gefahr äußert: „Die Sicherheitssituation kann sich in sehr kurzer Frist grundlegend verändern“ (Schily v. 19.9.01). Einige weitere im Diskurs beobachtbare Topoi können als Spezifizierungen des Gefahrentopos gelten. Ein Argumentationsmuster, das vor allem in frühen Phasen des Diskurses dominiert, ist der Differenztopos: ‚Weil etwas völlig Neues und Beispielloses geschehen ist, müssen bestimmte bzw. besondere Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen werden‘. Dabei geht es um die Konstruktion einer ‚Beispiellosigkeit‘ von Bedrohlichkeit, mit der die Folgen des Ereignisses vom 11. September 2001 belegt werden und in deren Konsequenz sich Aktivitäten rechtfertigen lassen, die zuvor nur schwer gesellschaftlich durchsetzbar waren. Für den Sicherheitsdiskurs in Deutschland nach dem 11. September 2001 lässt sich zeigen, wie eine auf den Begriff Sicherheit bezogene semantische Konstruktion von ‚Zäsur‘ wirksam wird, wobei geschichtswissenschaftliche Überlegungen zur Einordnung des 11. September 2001 als historische Zäsur dabei völlig außen vor bleiben können. Sprachlich wird mit Bezeichnungen und Attribuierungen aus dem Wortfeld ‚Zäsur‘ operiert. Nach dem Ereignis befindet sich „Deutschland am Wendepunkt“ (FAZ.net v. 11.10.01) und „am Tag danach“ (SZ v. 13.9.01a). Außenminister Joschka (eigentlich Joseph) Fischer spricht von „einem Turning Point of History“ (FAS v. 16.9.01b). Einer seiner Mitarbeiter wird zitiert mit den Worten „Nichts wird mehr sein, wie es war“ (ebd.). Die Grünen sprechen explizit von einer „politische[n] Zäsur“ (Müller v. 19.9.01). Der in allen politischen Lagern dominierende Sprachgebrauch, „dass der 11. September 2001 die Welt grundlegend verändert hat“ (Merz v. 19.9.01), wird in der öffentlichen Debatte zwar explizit thematisiert und als „gleichförmig“ (FAS v. 16.9.01b) bezeichnet, jedoch nicht um einer Abwertungsstrategie willen, sondern ebenfalls als Ausdruck eines als ,schicksalhaft‘ empfundenen, ‚sprachlos‘ machenden Ereignisses: „[A]ls habe das Fatum selbst [die Worte; A. S.] diktiert“ (ebd.), denn „[ü]berall schlägt das Empfinden sich Bahn, daß eine Ära beginnt oder endet“ (ebd.). Dabei erfolgt eine unmittelbare Kontextualisierung der Zäsurenkonstruktion mit dem Begriff Sicherheit. So ist das Land in einer „neue[n] Wirklichkeit“ (FAZ v. 12.11.01a) angekommen, denn „in diesem Jahr hat sich die sicherheitspolitische Lage der Bundesrepublik so rasch verändert wie selten zuvor“ (ebd.). Der Eindruck eines ‚Vorher‘ und ‚Nachher‘ von Sicherheit wird vermittelt. So ist die Rede von einem „Gefühl unangreifbarer politischer Sicherheit, das sich in den neunziger Jahren ausbreitete“ (FAS v. 16.9.01a), das abwertend auch als „sicherheitspolitische Sorglosigkeit“ (ebd.) bezeichnet wird. Der Ausdruck präsupponiert, dass durch leichtsinniges Verhalten in der Vergangenheit wichtige

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Handlungen unterblieben sind, deren Konsequenzen in der veränderten Gegenwart nun nachteilig zum Tragen kommen. Auch hierin spiegelt sich das eingangs dieses Kapitels beschriebene dominierende Diskursmuster ‚verloren gegangener Sicherheit‘, die es ‚wieder herzustellen‘ gilt. Dass der Differenztopos umfassende politische Schlagkraft zu entfalten vermag, liegt nicht zuletzt maßgeblich darin begründet, dass der Begriff Zäsur in Deutschland in semantischer Hinsicht auf reichlich besäten Boden trifft. Das kollektive deutsche Gedächtnis ist angesprochen, wenn etwa ein Jahr nach den Ereignissen in den USA folgender Zusammenhang hergestellt wird: „Wie der 8. Mai ist das Datum längst eine Zeitikone“ (FAZ.net v. 4.9.02). Der 11. September 2001 wird damit als ‚Stunde Null‘ des 21. Jahrhunderts konstituiert. Dass sich der Differenztopos besonders gut zur Legitimation unpopulärer Handlungen eignet, zeigt in den Tagen nach dem 11. September 2001 niemand deutlicher als Bundeskanzler Gerhard Schröder, wenn er laut FAZ die „Etappe der deutschen Nachkriegsgeschichte, allein mit finanziellen Mitteln zur Sicherung von Freiheit und Menschenrechten beizutragen“ (FAZ.net v. 11.10.01), als „unwiederbringlich vorbei“ (ebd.) bezeichnet. Denn damit sind auch Überlegungen zur „Beteiligung an militärischen Operationen“ (ebd.) nicht mehr länger tabu.518 Das Streben nach Aneignung des Ereignisses für eigene politische Vorhaben offenbart sich auch in dessen Bezeichnung als „Herausforderung“ (z. B. Schily v. 19.9.01). Der Herausforderung ist der politische Handlungsimpuls schon inhärent. Ein weiterer, seriell anzutreffender Topos im untersuchten Diskurs kann als Werte- oder Kulturtopos bezeichnet und diskursspezifisch ebenfalls als Unterausprägung des Gefahrentopos betrachtet werden: ‚Weil unsere Werte und unsere Kultur bedroht sind, müssen Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen werden.‘ Insbesondere im Diskurs der politischen Öffentlichkeit erfolgt eine semantische Ausdehnung des physischen Angriffs auf World Trade Center und Pentagon zunächst zum „Angriff (...) auf die Vereinigten Staaten“ (Europäische Union v. 12.9.01), die totum pro parte für die Zerstörungen an den betroffenen Gebäuden stehen, und in einer metaphorischen Übertragung weiter zum „Angriff auf unsere offenen, demokratischen, toleranten und multikulturellen Gesellschaften“ (Europäischer Rat v. 21.9.01), zum „Anschlag auf uns alle“ (Europäische Institutionen v. 14.9.01), „auf die gesamte Menschheit sowie die uns allen gemeinsamen Werte und Freiheiten“ (Europäische Union v. 12.9.01). Das Ereignis wird zur Gefahr für „die gesamte zivilisierte Welt“ (Schröder v. 12.9.01) und „bedroht unmittelbar die Prinzipien menschlichen Zusammenlebens in Freiheit || 518 Vgl. ausführlich Kap. 6.3. im Zweiten Teil dieser Arbeit.

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und Sicherheit“ (ebd.). Die kulturtopische Argumentation zeichnet hauptsächlich dafür verantwortlich, dass ein in den USA stattgefundenes Ereignis Relevanz für die hiesige Gesellschaft entwickeln kann. Es entsteht eine Art ‚kultureller Gemeinschaftshaftung‘, denn „[w]enn wir in der Betrachtung einig sind, dass die Angriffe der gesamten zivilisierten Welt gegolten haben, dann galten sie natürlich auch uns“ (Struck v. 19.9.01) und den „Grundwerte[n] der demokratischen und der freiheitlichen Gesellschaften“ (Merz v. 19.9.01). Die Diskurslogik verhindert an dieser Stelle die Äußerung jedes Zweifels ob einer deutschen Beteiligtheit, denn dies ginge einher mit der Etikettierung Deutschlands als ‚unzivilisierte Gesellschaft‘. Die Welt wird eingeteilt nach dem eingängigen gesellschaftlichen Denkschema ‚Gut gegen Böse‘, der Sprachgebrauch ist dementsprechend durch oppositionelle Begriffe gekennzeichnet. Die zur Anwendung kommenden sprachlichen Strategien sind basale Formen der Aufwertung der eigenen Seite durch die Verwendung von gesamtgesellschaftlich akzeptierten und nicht hinterfragten Hochwertwörtern und gesellschaftlich unumstritten positiv konnotierten Attributen. Analog wird die Gegenseite abgewertet durch stigmatisierenden Sprachgebrauch. Alle Aussagen appellieren an die kulturelle Tiefenprägung der ‚westlichen Welt‘ und ihr Selbstverständnis. So stehen auf der eigenen Seite „unschuldige Menschen“ (G8 v. 19.9.01), „unschuldige Opfer“ (Europäische Institutionen v. 14.9.01), der Teil der Menschheit, der sich „wie die Europäische Union für eine bessere Welt einsetzt“ (ebd.), die „zivilisierte Welt“ (Schröder v. 12.9.01) mit dem „Erbe des christlichen Abendlandes“ (Schröder v. 19.9.01), die die „Menschenrechte“ (ebd.) als „die große Errungenschaft und das Erbe der europäischen Aufklärung“ (ebd.) hochhält. Folgerichtig befinden sich entsprechend eines bis in die Antike zurückreichenden, im kulturellen Gedächtnis der Diskursgemeinschaft tief verankerten Denkschemas auf der anderen Seite die ‚Barbaren‘, die durch ihre „barbarischen Akte“ (NATO v. 12.9.01) ihre „Missachtung ethischer und menschlicher Werte“ (Europäische Institutionen v. 14.9.01) sowie „Hass, Fanatismus, Feindschaft und Menschenverachtung“ (Schily v. 19.9.01) offenbart haben. Diese kulturellen Demarkationslinien vermitteln die politischen Akteure in explikativem Duktus: „Wichtig ist, dass (...) wir sagen, worum es geht“ (Merz v. 19.9.01). Gerhard Schröder etwa greift die zum damaligen Zeitpunkt gesellschaftlich populären Thesen Samuel Huntingtons519 auf und versucht seine eigene Deutung derselben durchzusetzen, indem er in realitätstopischer Manier || 519 Vgl. Huntington, Samuel P.: Der Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. München und Wien 1996.

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formuliert: „Es geht nicht um den Kampf der Kulturen, sondern es geht um den Kampf um die Kultur in einer immer mehr zusammenwachsenden Welt“ (Schröder v. 19.9.01). Um seiner sich auf den Kultur- und Wertetopos stützenden Argumentation weiteres Gewicht zu verleihen, lehnt er seinen Sprachgebrauch bewusst an eines der bekanntesten Zitate aus der deutschen Literatur an und appelliert damit gewissermaßen an die ,deutsche Kulturnation‘: „Jener (...) barbarische Terrorismus ist gegen all das gerichtet, was unsere eine Welt im Innersten zusammenhält: die Achtung vor dem menschlichen Leben und der Menschenwürde, die Werte von Freiheit, Toleranz, Demokratie und friedlichem Interessenausgleich“ (ebd.).520 Aufgrund des Kultur- und Wertetopos entwickelt sich im Diskurs schließlich folgende Logik: „Wir können uns nicht wegducken, weil wir Teil dieser Wertegemeinschaft sind und weil der Angriff auch uns galt“ (Müller v. 19.9.01). Der stark von Oppositionalität gekennzeichnete Sprachgebrauch erzwingt so eine Positionierung und schließt Unbeteiligtheit bzw. ausgleichende Sichtweisen aus, wie etwa folgende Äußerung Schröders deutlich macht: „Zu Beginn dieses neuen Jahrhunderts steht Deutschland auf der richtigen Seite (...), auf der Seite der unveräußerlichen Rechte aller Menschen“ (Schröder v. 19.9.01).521 Und wenn derart existenzielle Werte auf dem Spiel stehen, „unsere Identität“ (ebd.) bedroht ist, dann rechtfertigt sich letztendlich auch Krieg, denn der „Kampf (...) ist eine Verteidigung“ (ebd.) gegen die durch „skrupellose[] Mörder“ (Europäische Institutionen v. 14.9.01) erfolgte „Kriegserklärung gegen die gesamte zivilisierte Welt“ (Schröder v. 12.9.01). Zweifellos plausibel erscheinen dann „eine Verteidigung unserer offenen Gesellschaft (...), eine Verteidigung unserer Liberalität und auch unserer Art (...) zu leben“ (Schröder v. 19.9.01) und ein „Kampf für die Universalität und Unverbrüchlichkeit der Menschenrechte“ (Schily v. 19.9.01) sowie „für geistige Freiheit, für soziale Gerechtigkeit, für den Rechtsstaat und für die unbedingte Achtung der Würde des Menschen“ (ebd.). Verben aus dem Bereich ‚Krieg führen‘ werden metaphorisch auf den nicht tangiblen Bereich ‚Werte‘ übertragen. So stellt Gerhard Schröder am 12.9.2001 fest: „Gemeinsam werden wir diese Werte (...) nicht zerstören lassen“ (Schröder v. 12.9.01). Geradezu religiösen Charakter erfährt diese Aufgabe, wenn sie als „Prüfung“ (ebd.) bezeichnet wird, die „Freiheit und Demokratie, die Werte des

|| 520 Im Original: „Daß ich erkenne, was die Welt / Im Innersten zusammenhält“ (Goethe, Johann W.: Faust. Der Tragödie erster Teil. Stuttgart 1986, V. 382 f.). 521 Dies erinnert auch an den Sprachgebrauch des amerikanischen Präsidenten George Bush: „Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid für die Terroristen“ (deutsche Übersetzung seiner Rede nach FAZ v. 22.9.01).

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friedlichen Zusammenlebens der Menschen und der Völker (...) bestehen“ (ebd.) müssen, und zur Erklärung der Ereignisse in den USA in apodiktischem Duktus angeführt wird: „Niemand kann sich der Einsicht entziehen: Die Verbrechen beginnen im Geist und in der Seele von Menschen, derer sich das Böse bemächtigt“ (Schily v. 19.9.01). Der kriegsrhetorische Sprachgebrauch, der bereits den sehr frühen Diskurs kennzeichnet, ruft in Verbindung mit nicht nur weltlichkulturell, sondern auch religiös konnotiertem Vokabular eine Assoziation hervor: Der ‚Kampf gegen den Terrorismus‘ wird zum ‚Heiligen Krieg‘. Mit dem Kultur- und Wertetopos gelingt die Konstruktion einer für die Gesellschaft ,existenziellen Bedrohungssituation‘. Der Begriff Sicherheit mag in diesem Zusammenhang nicht allzu häufig explizit gebraucht werden, dennoch kommt mit der kulturtopischen Argumentationsfigur auf der Folie einer existenzgefährdenden Unsicherheitssituation eine gesellschaftlich relevante Bedeutungsdimension von Sicherheit zum Tragen: Sicherheit vermag unter anderem ‚kulturelle Sicherheit‘ im Sinne von Sicherheit als ‚Bewahrung von Kultur und Werten‘ zu bedeuten, eine Gesellschaft Sicherheit auch als ‚Sicherung ihrer kulturellen Errungenschaften‘ begreifen, aus der sie einen Teil ihrer Identität bezieht. Aus diesem Zusammenhang heraus erst ist das beträchtliche Mobilisierungs- und Legitimationspotenzial zu verstehen, das die kulturtopische Argumentation im Diskurs entfaltet. Im Diskurs lässt sich auch ein unspezifischer Vernetzungstopos isolieren, der von der kulturtopischen Argumentation, die die Konstitution einer ,globalen Verquickung‘ mit den Ereignissen vom 11. September 2001 auf der Grundlage gemeinsamer Werte und kultureller Prägung intendiert, abstrahiert: ‚Weil Zusammenhänge bestehen, müssen Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen werden‘. Er steht in Häufigkeit und Dominanz seines Vorkommens deutlich hinter dem Kultur- und Wertetopos zurück. Jedoch wird hier die semantische Konstruktion von ‚Vernetzung‘ häufiger explizit auf den Begriff Sicherheit bezogen; auffällig sind auch hier der durchgängig apodiktische Modus sowie die Verwendung der Pronomina uns und wir in den Aussagen, um ,Bedrohung‘ und ‚Beteiligtheit‘ zu vermitteln: In Wirklichkeit – das zeigt sich immer mehr – sind wir bereits eine Welt. Deshalb sind die Anschläge in New York (...) und in Washington gegen uns alle gerichtet. Der (...) terroristische Angriff hat uns noch einmal vor Augen geführt: Sicherheit ist in unserer Welt nicht teilbar. Sie ist nur zu erreichen, wenn wir (...) noch enger zusammenarbeiten. (Schröder v. 12.9.01)

Die bisher vorgestellten Topoi können als dominierend insbesondere in der frühen Phase des Sicherheitsdiskurses nach dem 11. September 2001 betrachtet

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werden. In Bezug auf die Ereignisse in den USA vermitteln sie der Öffentlichkeit eine grundlegende Bedrohung und Beteiligtheit. Sie appellieren an die Existenzialität der Situation, werden von allen politischen und gesellschaftlichen Lagern gleichermaßen bemüht und schaffen eine substantielle Legitimationsgrundlage zur Durchsetzung von Maßnahmen. Sie spiegeln den ersten Teil der allgemein im Diskurs nachzeichenbaren Denkfigur wider: ‚Durch den 11. September 2001 ist eine Bedrohungssituation entstanden und vormals vorhandene Sicherheit verloren gegangen.‘ Der damit angestoßene Handlungszwang bildet den weiteren Aspekt dieser zentralen diskursiven Denkfigur: ‚Es ist ein Kampf mit bestimmten Mitteln notwendig, um Sicherheit wiederherzustellen.‘ Hier lassen sich zunächst wiederum in einer frühen Diskursphase gruppenübergreifende sprachliche Strategien verfolgen, bevor semantische Kämpfe um die parteienspezifische Deutung von Sicherheit und deren Durchsetzung erst im generellen Schlagabtausch und dann insbesondere im Rahmen einzelner Debatten an Bedeutung gewinnen. Die konstituierte Bedrohungssituation erzwingt reflexhaft nicht nur durch ihre Etikettierung als Herausforderung ,Antworten‘. In der Folge lässt sich im Diskurs die Dominanz eines Aktivitätstopos beobachten, der auch als Notwendigkeitstopos spezifizierbarer Realitätstopos begriffen werden kann: ‚Zur Wiederherstellung von Sicherheit ist aktives und schnelles Handeln (nicht) notwendig.‘ Im Handlungszwang sind sich alle Parteien einig und da die Bedrohung als ,einmalig‘ und ‚existenziell‘ eingestuft ist, sind gewöhnliche Verhaltensweisen nicht ausreichend. Im Sprachgebrauch zeigt sich dieses Denkmuster in der Dominanz zahlreicher Begriffe aus den Bereichen ‚Aktivität‘, ‚Dringlichkeit‘ und ‚Anstrengung‘; ein durchgängig realistischer Duktus stellt Faktizitäten her. Die Situation erfordert „Einsatz gegen die Herausforderungen dieses Weltterrorismus“ (Struck v. 19.9.01). Es ist eine „umfassende Antwort [Herv. im Original; A. S.], die jetzt notwendig ist“ (Scharping v. 19.9.01). Demnach sind „so rasch wie möglich alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die größtmögliche Sicherheit (...) aufrechtzuerhalten“ (Rat der Europäischen Union v. 12.9.01). „[S]o rasch wie möglich“ (Europäischer Rat v. 21.9.01) gilt es, „Bemühungen (...) zu verstärken“ (Europäische Institutionen v. 14.9.01) und „Anstrengungen [zu; A. S.] verdoppeln“ (ebd.). Damit sich die Antwort als „wirkungsvoll“ (Europäischer Rat v. 21.9.01) erweist, „ist ein energisches (...) Vorgehen erforderlich“ (ebd.), wofür „Tatkraft und Ehrgeiz“ (Europäische Institutionen v. 14.9.01) sowie „Festigkeit und Entschlossenheit [Herv. im Original; A. S.]“ (Schily v. 19.9.01) vonnöten sind, außerdem „ist es notwendig, Entschiedenheit und Härte zu zeigen“ (Westerwelle v. 19.9.01), denn „dieser Kampf wird schwierig werden und er wird lange dauern. Darüber sollte sich niemand

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Illusionen machen“ (Schily v. 19.9.01). Eine gewisse ,Alternativlosigkeit‘ drängt sich auf, wenn jegliche Handlungsoptionen mit dem Verb müssen unterlegt werden: „Wir müssen nun rasch noch wirksamere Maßnahmen ergreifen“ (Schröder v. 12.9.01) und „werden (...) auch in der Europäischen Union unsere Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus weiter verstärken müssen“ (Schröder v. 19.9.01). Die Dringlichkeit des Handelns wird öffentlich umso besser vermittelbar, wenn Miranda wie Bürger oder Gesellschaft benutzt werden; deren Sicherheit wird spätestens hier selbst zum Topos. Den auffälligen Sprachgebrauch markieren die Medien meist durch distanzierende Anführungszeichen. So wird der Fraktionsvize der CDU/CSU Wolfgang Bosbach in der FAZ mit den Worten zitiert, man müsse „mehr tun, um die Sicherheit [der; A. S.] Bürger besser zu gewährleisten“ (FAZ.net v. 14.9.01), und die EU definiert: „Terrorismus zu bekämpfen heißt nichts anderes als die Sicherheit unserer Bürger und die Stabilität unserer Gesellschaften zu gewährleisten“ (Europäische Institutionen v. 14.9.01). Wenn „in der Bevölkerung ein ‚berechtigtes Interesse‘, in Sicherheit zu leben“ (FAZ v. 27.9.01a) besteht, dann lassen sich damit beabsichtigte Maßnahmen jenen gegenüber geschickt legitimieren, die sie treffen. Der Staat erweist sich in dieser Diktion als die ‚schützende Hand‘, die Sicherheit bieten kann. Bundeskanzler Schröder etwa beansprucht diesen Status als eine Art ‚weltlicher Heilsbringer‘ für die Bundesregierung: „Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu gewährleisten“ (Schröder v. 11.10.01). ‚Aktivität‘ gilt es also, sich als Partei anzueignen. Das Absprechen derselben dient zur Abwertung des gegnerischen politischen Lagers. Wie die FAZ berichtet, kritisiert der CSU-Landesgruppenvorsitzende Michael Glos Innenminister Otto Schily mit folgenden Worten: „Auf dem Gebiet der (...) Sicherheit geschehe viel zuwenig [sic!]. (...) Die Bundesregierung rede nur, sie handele aber nicht“ (FAZ v. 27.9.01a). Auch der FDPVorsitzende Guido Westerwelle hält die Bundesregierung laut FAZ für „nur begrenzt handlungsfähig“ (ebd.), und nach dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Volker Rühe ist eben entscheidend, „was real geschieht“ (ebd.). In den Medien werden die Aktivitätsbemühungen der verschiedenen politischen Gruppen mitunter abwertend als Aktionismus bezeichnet, um sie als inhaltsleer zu entlarven: „Politiker aller Couleur versuchen bereits, mit mehr oder weniger sinnvollen Programmen die innere und äußere Sicherheit zu verbessern – oder jedenfalls mit Aktionismus ein solches Gefühl zu vermitteln“ (SZ v. 18.9.01). Die Begrifflichkeiten der Herausforderung, Antwort, Entschlossenheit und Tatkraft kulminieren in einer Metaphorik des ‚Krieges‘, der als bildliches Konzept auf den Sicherheitsdiskurs übertragen wird. Diese metaphorische Projektion beginnt mit der expliziten Interpretation des Ereignisses als Krieg: „Dies ist

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nicht nur ein Krieg gegen die USA, dies ist ein Krieg gegen die zivilisierte Welt“ (Schröder v. 19.9.01) und findet sich in der Folge in der Diktion des gesamten Diskurses wieder – sprachlich realisiert durch entsprechende tokens. Die Betrachtung der Ereignisse durch den Fokus ‚Krieg‘ ermöglicht im Diskurs die Zuschreibung von Täter- und Opferrollen und damit die Konstruktion von Oppositionen sowie die semantische Ausdehnung eines physischen Angriffs auf die „Sicherheit und Selbstsicherheit“ (FAZ v. 13.10.01b) von Menschen. Eine Antwort auf die Geschehnisse in der ultimativen Aktivitätsform ‚Krieg‘ wird so legitimiert. Wenn die Ereignisse als eine „Offensive gegen unschuldige Menschen“ (G8 v. 19.9.01) bezeichnet und der „Angriff auf die Vereinigten Staaten als ein Angriff auf die NATO-Partner“ (Schröder v. 19.9.01) gewertet werden kann, wenn „ein Gegner mit vielen Gesichtern“ (Müller v. 19.9.01) oder „Terroristen angreifen“ (Schröder v. 19.9.01), ist die Feststellung der „Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ (UN-Sicherheitsrat v. 12.9.01) durch die Vereinten Nationen nur plausibel, und man kann sich „in der Bewertung einig [sein; A. S.], dass diese Terrorakte eine Kriegserklärung an die freie Welt bedeuten“ (Schröder v. 12.9.01). Bundeskanzler Gerhard Schröder expliziert in kriegsrhetorischem Duktus: „Wir befinden uns nicht im Krieg gegen irgendeinen Staat. Wir befinden uns auch nicht im Krieg gegen die islamische Welt. Terroristen haben uns den Krieg erklärt“ (Schröder v. 19.9.01). Konsequenterweise wird der Bündnisfall für die NATO ausgerufen; außerdem erscheint „ein amerikanischer Gegenschlag gerechtfertigt“ (Europäischer Rat v. 21.9.01) – der Begriff Gegenschlag präsupponiert schließlich einen ,Erstschlag‘. Der „Kampf gegen den Terrorismus“ (Schröder v. 19.9.01) wird in der Logik des Metaphernkonzepts zur „Verteidigung unserer offenen Gesellschaft“ (ebd.) und „Sicherheit zu verbessern“ (FAZ v. 19.9.01a) bedeutet entsprechend „die Terroristen, die gefährlichsten Feinde des Zusammenlebens in Frieden und Freiheit, zu erkennen und wirksam zu bekämpfen“ (ebd.). Auch wenn davon die Rede ist, die „Kontinuität der Erdölversorgung sicherzustellen“ (Europäischer Rat v. 21.9.01), erinnert das an einen Kriegszustand. Wiederum Assoziationen zu einem gar ‚Heiligen Krieg‘ drängen sich bei folgenden Aussagen von Innenminister Otto Schily vor dem Bundestag auf: Der Kampf gegen das Böse ist ein realer Kampf. Das Böse ist eine geistige, eine gesellschaftliche Realität. Wir werden und wir müssen diesen Kampf furchtlos aufnehmen. Wir werden ihn gewinnen, wenn wir in uns und in den anderen den Frieden suchen und finden. (Schily v. 19.9.01)

Insbesondere die ersten Reaktionen politischer Akteure auf die Ereignisse weisen durchgängig die beschriebene Metaphorik auf. Im Diskurs diesbezüglich

Übergreifende Beobachtungen | 143

ausführlich rezipiert werden Reden von Bundeskanzler Gerhard Schröder, dessen Sprachgebrauch in den Medien auch als „einfache Kriegsrhetorik“ (FAZ v. 19.9.01d) explizit thematisiert und abgewertet wird. Wenn ein ‚Kampf um die Wiederherstellung von Sicherheit‘ geführt werden muss, so sind in der Stringenz der vorgestellten allgemeinen Denkfigur am Ende ‚Lösungen‘ zu erwarten. Allerorten im Diskurs treten daher Gelegenheitskomposita auf, die in Erwiderung auf die Konstruktion der Gefahrensituation mit deren Sicherheitsrisiken und Sicherheitsproblemen anzeigen, wie diese aufzulösen ist. Ihre Attribuierung als ‚neu‘ oder ‚modern‘ sichert ihnen öffentliche Aufmerksamkeit und Attraktivität. So wird die Bündelung von Maßnahmen zur Reaktion auf die Ereignisse vom 11. September 2001 meist mit „Sicherheitspolitik“ (z. B. Bosbach v. 11.10.01) bezeichnet. Das Determinans zeigt die grundlegende Stoßrichtung politischer Aktivitäten an und hat deontischen Charakter. Komposita wie „Sicherheitsarchitektur“ (Claus v. 19.9.01), „Sicherheitskonzept“ (z. B. SZ v. 8.10.01) oder „Sicherheitssystem“ (FAZ v. 12.11.01b) zeigen ebenfalls ein ‚Endziel Sicherheit‘ an. Die Determinata präsupponieren eine grundsätzlich angenommene ‚systematische Beherrschbarkeit‘ von Gefahren und spiegeln aktuell gültige gesellschaftliche Vorstellungen von ‚Problemlösung‘ wider. ‚Rationalität‘ und ‚Machbarkeit‘ liegen ihnen als handlungsleitende Überzeugungen zugrunde. Ein ähnliches Verständnis von ‚Problembewältigung‘ verbindet sich mit Begriffen wie „Sicherheitskontrollen“ (FAZ v. 15.9.01a), „Sicherheitsstandards“ (ebd.) oder „Sicherheitsgesetze“ (z. B. SZ v. 18.10.01). Sie implizieren eine ‚Beherrschung‘ der Bedrohungssituation durch den Erlass von Vorschriften und Regelungen. Die Bezeichnungen „Sicherheitsfachleute“ (FAS v. 16.9.01a) und „Sicherheitsminister“ (FAZ v. 19.9.01d) zeugen von der ‚Wiedergewinnung von Sicherheit‘ durch entsprechende Autoritäten. Wenn die bisher vorgestellten sprachlichen Strategien im Sicherheitsdiskurs nach dem 11. September 2001 überwiegend gruppenübergreifend bemüht werden und damit gewissermaßen zunächst die Leitplanken im Diskurs abgesteckt sind, so lassen sich dennoch bereits in den zeitnahen Reaktionen auf die Ereignisse in den unterschiedlichen politischen Lagern parteispezifische Kontextualisierungen von Sicherheit ausmachen, mit denen erste Weichen für den Kampf um die Durchsetzung der Deutungshoheit über den Begriff in später folgenden Einzeldebatten gestellt werden. Einige wesentliche Perspektivierungen der unterschiedlichen Parteien seien im Folgenden kurz vorgestellt, bevor sich die Untersuchung ab dem nächsten Abschnitt themenspezifischen Kontroversen um die „angemessene Erwiderung“ (FAZ v. 15.9.01b) auf die Geschehnisse in den USA nähert.

144 | Der Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in Deutschland

Sozialdemokratische Beiträge nach dem 11. September 2001 argumentieren häufig mit dem Topos der sozialen Gerechtigkeit. Diese Perspektive fordert, prioritär dem „Ungleichgewicht der Globalisierung mit seiner immensen Vergrößerung der sozialen Unterschiede“ (FAZ v. 19.9.01a) sowie „der Unberechenbarkeit des internationalen Finanzmarktes“ (ebd.) zu begegnen, um die „unmittelbaren Gründe der Krise unserer Sicherheit bekämpfen“ (ebd.) zu können. Sicherheit, so die linksgerichtete Perspektive, kann dann wiedergewonnen werden, wenn – wie etwa vom SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck gefordert – „[w]ir den Armutsregionen der Welt eine Perspektive geben durch entwicklungspolitische Maßnahmen, aber auch durch die Öffnung unserer Märkte und den Abbau von Protektionismus gegenüber ihren Produkten“ (Struck v. 19.9.01), schließlich bestehe der „Resonanzboden für Terroristen [Herv. im Original; A. S.] aus Armut, sozialem Elend und verletztem Stolz“ (ebd.). Eine ähnlich sozial orientierte Perspektivierung von Sicherheit verfolgt auch die Partei Bündnis90/Die Grünen; der Sprachgebrauch der Fraktionsvorsitzenden Kerstin Müller ähnelt dem von Peter Struck, wenn sie formuliert: „[O]hne ein Angebot zur wirksamen Lösung der sozialen und ökonomischen Konflikte auf dieser Erde (...) werden wir nicht in der Lage sein, (...) terroristischen Netzwerken den sozialen Nährboden zu entziehen“ (Müller v. 19.9.01). So fordert auch sie „auf den internationalen Finanzmärkten mehr Transparenz“ (ebd.) und expliziert: „Es geht darum, allen Menschen dieser Erde die Teilhabe am sozialen Fortschritt und die Chance auf ein besseres Leben zu ermöglichen“ (ebd.). So sei „[d]er beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg (...) eine gerechte internationale Ordnung“ (ebd.). Der ebenfalls der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen Vorsitzende Rezzo Schlauch äußert sich gleichermaßen und wird in den Medien wie folgt zitiert: „Wer internationale Sicherheit wolle, müsse auch Hilfen für arme Länder anbieten. Ein fairer Handel und technische Hilfen müßten gewährleistet sein“ (FAZ v. 27.9.01a), doch „der Entwicklungshilfeetat sei nicht so ausgestattet, wie die Grünen sich das wünschten“ (ebd.). Sprachlich realisiert sich der Topos der sozialen Gerechtigkeit also in der Verwendung zahlreicher Fahnenwörter, die den parteilichen Standpunkt kennzeichnen und Sicherheit in der Konnotation sozialer Gerechtigkeit etablieren sollen, um entsprechende Maßnahmen durchzusetzen. Zu einer „Neuausrichtung der Sicherheitspolitik [Herv. im Original; A. S.]“ (Müller v. 19.9.01) gehören für die Grünen neben Aspekten der sozialen Gerechtigkeit „Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung“ (ebd.), denn „nur eine politische Lösung wird einen dauerhaften Frieden bringen“ (ebd.). Damit trägt der Sprachgebrauch auch der pazifistischen Programmatik der Partei Rechnung und fokussiert eine friedenspolitische Bedeutungsdimension von Sicherheit.

Übergreifende Beobachtungen | 145

Auch die PDS fordert eine „neue Sicherheitsarchitektur [Herv. im Original; A. S.]“ (Claus v. 19.9.01) durch „globalisierte[] Gerechtigkeit“ (ebd.). Aus ihrer Sicht gehört dazu, „mehr für Entwicklung und sozialen Ausgleich zu tun, damit dem Terror der Nährboden entzogen wird“ (ebd.). Die am linken Ende des Parteienspektrums in Deutschland zu verortende Partei kontextualisiert Sicherheit mit Gerechtigkeit nach sozialistischer Vorstellung und fordert auf dieser Grundlage entsprechende finanzielle Maßnahmen: „Wer Sicherheit will, der muss sich real für eine gerechte Welt und für eine neue Weltwirtschaftsordnung einsetzen. (...) Es geht um das Gemeinwohl. Also muss die Gemeinschaft mehr Mittel für soziale, kulturelle und bildungspolitische Integration aufbringen“ (ebd.). Diese sozialistische Perspektivierung von Sicherheit wird abschließend noch durch die Kennzeichnung als ,modern‘ aufgewertet: „Mehr Transparenz, eine starke Zivilgesellschaft und interkultureller Austausch sind Markenzeichen eines modernen Weges zu mehr Sicherheit“ (ebd.). Erwähnenswert in der Argumentation des konservativen politischen Lagers ist der Statustopos. Er impliziert ‚gefährdete Sicherheit‘ insofern, als der Status Deutschlands infolge der Ereignisse in den USA bzgl. seiner politischen und wirtschaftlichen Stellung in der Welt als ‚bedroht‘ ausgewiesen wird. Eine Bewahrung des Status legitimiert die Ergreifung von Maßnahmen bzw. hat bei deren Konzeption Priorität: ‚Weil der (politische und wirtschaftliche) Status Deutschlands gefährdet ist, sind bestimmte Maßnahmen (nicht) erforderlich.‘ So meldet der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Opposition im Bundestag Friedrich Merz, rekurrierend auf die traditionell westlichen Bündnissen zugewandte Politik seiner Partei, einen Machtanspruch Deutschlands in der Welt aufgrund dessen supranationaler politischer und wirtschaftlicher Bedeutung an: „[E]in Land wie Deutschland, zweitgrößter NATO-Partner, bevölkerungsreichstes Land der Europäischen Union, in der geopolitischen Mitte Europas gelegen, muss auch seine internationale Verantwortung wahrnehmen“ (Merz v. 19.9.01). Der CDU-Politiker leitet daraus eine „[a]bsolute Priorität für Sicherheit nach innen und außen“ (ebd.) ab. Merz’ Äußerungen verengen sich in ihrer Wiedergabe in konservativ orientierten Medien zu einer ökonomisch fokussierten Perspektive, wenn Deutschland zusammengefasst als „stärkste Industrienation Europas“ (FAS v. 16.9.01c) bezeichnet wird. Daraus ergibt sich neben der in der ursprünglichen Aussage beförderten machtpolitischen Dimension von Sicherheit eine ökonomische Konnotation des Begriffs. Ein Versuch, konservative Konzeptionen von Sicherheit durchzusetzen, offenbart sich auch in folgender Aussage von Merz, die zunächst eine noch vage Definition von Sicherheit – aufgewertet mit dem Attribut neu – anbietet, um den

146 | Der Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in Deutschland

Begriff anschließend in den Kontext konservativer Programmatik zu setzen, die hier auf eine Ausweitung von Überwachungsaktivitäten zielt: Gerade deshalb gilt: Die Bekämpfung des internationalen Terrorismus (...) macht eine neue, umfassende Sicherheitspolitik [Herv. im Original; A. S.] (...) notwendig. Das Kursbuch ‚Sicherheit‘ muss national, europäisch und global neu geschrieben werden. ‚Aufklärung und Prävention‘ heißt das erste Kapitel. Die Staaten (...) werden ihre Anstrengungen deutlich steigern müssen, um schon im Vorfeld zu erkennen, wo bestimmte Entwicklungen einsetzen und Anschläge geplant werden. Die Nachrichtendienste brauchen jede Unterstützung (....). (Merz v. 19.9.01)

Bereits im Dezember 2001 läuten die Medien das Ende der brisanten Phase des Diskurses ein, wobei folgende Formulierung in der FAZ dessen Mechanismus reflektiert. Implizit wird hier offengelegt, dass in den Monaten zuvor ein Sicherheitsdiskurs geführt wurde, der politische Dominanz erlangt hat und nun von operativen politischen Themen eingeholt wird: Gut zwei Monate nach den Anschlägen in New York und Washington stand in dieser Haushaltswoche nicht mehr der Terrorismus im Vordergrund, sondern wieder die Ökonomie. Mit dem wachsenden Gefühl, daß die eigene Sicherheit vielleicht doch nicht direkt bedroht sei, gewinnen die unmittelbareren Schwierigkeiten an Gewicht. (FAZ v. 1.12.01)

Nach diesen allgemeinen Beobachtungen zum Sprachgebrauch im öffentlichen Diskurs um die Ereignisse vom 11. September 2001 widmet sich der folgende Abschnitt intensiv der Auseinandersetzung in der deutschen Öffentlichkeit im Herbst und Winter 2001 um den potenziellen Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und den damit einhergehenden sprachlichen Strategien.

Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan | 147

6.3 „Die Regierung zerbricht beinahe, wenn sie ihre Unterstützung für einen Krieg gegen den Terror und damit für mehr Sicherheit erklären soll.“ – Sprachliche Strategien in der Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan In zwei Abstimmungen am 16. November sowie am 22. Dezember 2001 beschließt der Bundestag die Beteiligung der Bundeswehr an der Operation Enduring Freedom. Die politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung um diese außenpolitische Reaktion auf die Ereignisse vom 11. September 2001 erlebt ihren Höhepunkt in der Woche zwischen dem 7. und 16. November 2001, als deutlich wird, dass innerhalb der Regierungskoalition von SPD und Grünen keine Einigkeit bezüglich des Bundeswehreinsatzes besteht, während sich die maßgeblichen Akteure von SPD und CDU/CSU bereits weitgehend über einen Konsens verständigt haben. Am 16. November schließlich stellt Bundeskanzler Gerhard Schröder im Gleichlauf mit der Abstimmung über den Einsatz der Bundeswehr im Bundestag den Antrag, ihm das Vertrauen auszusprechen (Vertrauensfrage). Mit knapper Mehrheit erzielt Schröder eine Zustimmung (336 bei mindestens 334 erforderlichen Stimmen). Neben der Debatte um die Angemessenheit und Ausgestaltung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan, in der Sicherheit als zentrale Leitvokabel ausgemacht werden kann, lassen sich auch in der vorwiegend parlamentarisch geführten Diskussion um die Vertrauensfrage selbst, aber auch im Streit um den in diesem außenpolitischen Teildiskurs ebenfalls dominanten Begriff der Solidarität auf Sicherheit beruhende Wirklichkeitskonstruktionen nachzeichnen.522

|| 522 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Borchert und Wengeler den Diskurs um den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr von 2001 bis 2012 auf Schlüsselwörter und Topoi hin untersucht haben und dabei hauptsächlich der Frage nachgegangen sind, inwiefern ein Mentalitätswandel hinsichtlich der Akzeptanz des Militärischen in der Gesellschaft konstatiert werden kann (vgl. Borchert, Semjon und Wengeler, Martin: „Friedensmission, kriegsähnliche Zustände oder Krieg? Öffentliche Sprachreflexion im Zusammenhang mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan“. In: Peschel, Corinna und Runschke, Kerstin (Hrsg.): Sprachvariation und Sprachreflexion in interkulturellen Kontexten. Frankfurt am Main u. a. 2015, S. 263–282). Die Schnittmenge mit den hier präsentierten Ergebnissen ist insofern gering, als sich Fragestellung und Untersuchungszeitraum grundlegend unterscheiden. Wengeler hat zudem konstitu|| Anmerkung: „Die Regierung zerbricht beinahe, wenn sie ihre Unterstützung für einen Krieg gegen den Terror und damit für mehr Sicherheit erklären soll“, meint Stefan Kornelius in der SZ v. 6.12.01.

148 | Der Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in Deutschland

Gerhard Schröder nutzt die Mobilisierungskraft des Begriffs Sicherheit zur Begründung der Verknüpfung von Vertrauensfrage und Abstimmung über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan: „[W]eil angesichts der außen- wie innenpolitischen Lage von der Bevölkerung jetzt Stabilität, Sicherheit und Führung gefordert würden“ (FAZ v. 14.11.01b), müsse Schröder die Vertrauensfrage stellen. Eine gänzlich konträre Wirklichkeitssicht hinsichtlich der Anwendung der Vertrauensfrage zur Erzielung von innerkoalitionärem Konsens bezüglich des geplanten Bundeswehreinsatzes kommt bei der Opposition zum Ausdruck, etwa wenn der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Wolfgang Gerhardt sie als „Armutszeugnis für die Bundesrepublik Deutschland“ (Gerhardt v. 16.11.01) bezeichnet, da sie „mit Blick auf die Grünen nur als Zaumzeug“ (ebd.) zu begreifen sei, die „nach Anwendung dieses ‚pädagogischen Rohrstocks‘ auch folgsam sein“ (ebd.) würden. Diese Deutungsversuche bewegen sich weit weg von Schröders Hochwertkontextualisierungen und dienen dazu, den politischen Gegner zu stigmatisieren. Eine dominierende Rolle in der Auseinandersetzung um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan nimmt im parlamentarischen Diskurs der Begriff Solidarität ein, um den heftig gestritten wird. Ein knapper Exkurs zu diesem semantischen Kampf soll die persuasive Funktion nachzeichnen, die der Begriff Sicherheit auch hier zu entfalten vermag. Auslöser des Begriffsstreits ist die Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder am 12. September 2001, in der er den Bundestag von einem Telefongespräch mit dem amerikanischen Präsidenten George Bush unterrichtet: „Ich habe ihm (...) die uneingeschränkte – ich betone: die uneingeschränkte – Solidarität Deutschlands zugesichert“ (Schröder v. 12.9.01). Der am 7. November 2001 folgende Regierungsantrag bezeichnet das Vorhaben in Afghanistan als „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA“ (Antrag v. 7.11.01) und versucht so die Deutung des Einsatzes als ,Akt der freundschaftlichen Hilfe‘ durchzusetzen. Der Begriff Unterstützung fungiert da-

|| tive Elemente von Kriegsbotschaften als Textsorte untersucht und dabei auch Gerhard Schröders den Solidaritätsbegriff beinhaltende Regierungserklärungen berücksichtigt (vgl. Wengeler, Martin: „Von den kaiserlichen ‚Hunnen‘ bis zu Schröders ‚uneingeschränkter Solidarität‘. Argumentative und lexikalische Kontinuitäten und Veränderungen in deutschen ‚Kriegsbotschaften‘ seit 1900“. In: Busse, Dietrich, Niehr, Thomas und Wengeler, Martin (Hrsg.): Brisante Semantik. Neuere Konzepte und Forschungsergebnisse einer kulturwissenschaftlichen Linguistik. Tübingen 2005c, S. 209–232). Sofern Gedanken von Borchert und Wengeler übernommen sind, ist dies im Fußnotenapparat kenntlich gemacht.

Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan | 149

bei als Legitimationsvokabel und präsupponiert ,selbstlose‘, ‚edle‘ Handlungsmotive. Die Zurückweisung der vor allem aus den Reihen der Grünen und der PDS hervortretenden Gegner des Einsatzes erfolgt des Weiteren mit metaphorischer Definition des Begriffs. Wenn gilt: „Solidarität [Herv. im Original; A. S.] darf in einem Bündnis keine Einbahnstraße sein“ (Schröder v. 8.11.01), dann wird an die dem Begriff innewohnende Semantik von ‚Wechselseitigkeit‘ bzw. ‚Gegenseitigkeit‘ appelliert. Insbesondere werden geschichtstopische Argumentationen bemüht, während die Kontextualisierung mit weiteren Hochwertwörtern wie etwa Pflicht die Perspektivierung des Einsatzes als ,moralisch gebotene Handlung‘ weiter verstärkt und die eigene Seite als ,verlässlichen Freundschaftspartner‘ ausweist. So formuliert etwa Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag: „Wir haben über Jahrzehnte Solidarität erfahren. Deshalb ist es schlicht unsere Pflicht – das entspricht unserem Verständnis von Selbstachtung -, wenn wir in der jetzigen Situation Bündnissolidarität zurückgeben“ (ebd.). Seine Definition von Solidarität schließt militärische Aspekte explizit mit ein, so umfasse „Solidarität mit den Vereinigten Staaten ausdrücklich auch ‚die Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten‘“ (Schröder v. 16.11.01), die er wiederum verharmlosend als „praktischen Beitrag zur Solidarität“ (Schröder v. 8.11.01) etikettiert, um anschließend in explikativem Duktus den Nutzen des Vorhabens vorzutragen. Dabei bedient er sich der Mobilisations- und Legitimationskraft eines werte- und nicht zuletzt sicherheitstopisch geprägten Sprachgebrauchs, wenn „Solidarität (…) unseren gemeinsamen Werten, unseren gemeinsamen Zielen und unserer gemeinsamen Zukunft in Sicherheit und Freiheit gilt“ (ebd.). Die Brisanz des Sprachgebrauchs Schröders zeigt dessen explizite Thematisierung, als sowohl in der parlamentarischen als auch in der medialen Öffentlichkeit darum gestritten wird, ob die USA „deutsche Soldaten angefordert, oder (…) Schröder sie angeboten, gar aufgedrängt“ (FAZ v. 9.11.01) hat: Selbstverständlich hat Schröder Amerika Unterstützung durch die Bundeswehr angeboten – implizit in dem Versprechen ‚uneingeschränkter Solidarität‘ (was sollte das Wort sonst bedeuten?) und auch explizit, mit dem wiederholten Hinweis, das schließe militärische Unterstützung ein. (ebd.)

Eine Verknüpfung von Sicherheit und Solidarität lässt sich auch im Sprachgebrauch von Außenminister Joschka Fischer ausmachen. Sicherheit übernimmt hier die Rolle einer Mahnvokabel in einem an die Gegner des Einsatzes adressierten Bedrohungsszenario. Mittels des Begriffs Sicherheit erfolgt außerdem die Herstellung deutscher Beteiligtheit über einen historisch begründeten Freundschaftsakt gegenüber den USA hinaus, indem auf deutsche und europäische

150 | Der Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in Deutschland

Sicherheitsinteressen im Zusammenhang mit einem Bundeswehreinsatz verwiesen wird. Wie bei Schröder fällt auch hier die Nutzung des Begriffs gemeinsam auf. Fischer richtet seine Ausführungen an die Widersacher des Bundeswehreinsatzes, die sich zu einem beträchtlichen Teil in der eigenen Partei finden: Wenn diese Entscheidung mit Nein beantwortet wird, wird das weitreichende Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland, für deren Sicherheit und deren Bündnisfähigkeit haben. (…) Dies wird weitreichende Konsequenzen auch für die weitere Entwicklung Europas haben. (…) [A]lle wichtigen Partner kommen zu der Konsequenz, dass es für sie, für Europa und für unsere gemeinsame Sicherheit ein fataler Fehler wäre, wenn wir die USA alleine ließen. (Fischer v. 8.11.01)

Einen ähnlichen Rückbezug von Solidarität mit den USA zur nationalen Sicherheit stellt Verteidigungsminister Rudolf Scharping her, der zudem deutschen Eigeninteressen Priorität vor historisch begründeter Solidarität einräumt. Auch hier findet sich der bereits bekannte, legitimationsstarke wertetopische Sprachgebrauch wieder. So gehe es nicht nur [um; A. S.] die Frage, ob wir die Vereinigten Staaten aus Gründen der Solidarität, der historischen Dankbarkeit oder aus anderen Gründen unterstützen. Nein, es geht um viel mehr: Es geht um unser eigenes Interesse an der Bewahrung der Freiheit [Herv. im Original; A. S.], der Rechtsstaatlichkeit, der demokratischen Substanz der eigenen Gesellschaft. (…) Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der Freiheit und der Sicherheit offener Gesellschaften (...) im Innern, und der Gewährleistung ihrer äußeren Sicherheit. (Scharping v. 8.11.01)523

Auch Vertreter der Opposition aus den Reihen der CDU/CSU-Fraktion verlassen sich nicht in Gänze auf die Überzeugungskraft des Schröder’schen Solidaritätsbegriffs und stützen ihre Befürwortung des Afghanistaneinsatzes ebenso auf die Schlagkraft einer sicherheitstopischen Argumentation. So erklärt Friedrich Merz: „Die Solidarität mit Amerika und das eigene, nationale Interesse unseres Landes gebieten auch zu unserer eigenen Sicherheit den Einsatz der Streitkräfte“ (Merz v. 16.11.01). Michael Glos führt mit Verweis auf historische Abhängigkeiten aus: „Wir wissen, dass die Sicherheit unserer Bürger daran hängt, dass Deutschland auch künftig ein verlässlicher Bündnispartner bleibt und sich Vertrauen erwirbt. Wir brauchen besonders das Vertrauen Amerikas [Herv. im Original; A. S.]“ (Glos v. 16.11.01). Eine ,Gefährdung der Beziehungen zu den

|| 523 Auch Peter Struck, der spätere Verteidigungsminister, spricht von „originäre[m] Eigeninteresse“ (Struck v. 16.11.01).

Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan | 151

USA‘ wird hier also gleichgesetzt mit einer ,Gefährdung der Sicherheit Deutschlands‘. Kerstin Müller von den Grünen setzt der uneingeschränkten Solidarität Schröders den Begriff der Souveränität entgegen: Wir haben den USA unsere Unterstützung zugesichert. Dies enthebt uns aber nicht der Verantwortung, dass wir (...) in eigener Souveränität über unseren Beitrag zur Ergreifung der Täter und zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus zu entscheiden haben. (Müller v. 19.9.01)

Ihr Sprachgebrauch unterstellt Schröders Terminus der uneingeschränkten Solidarität den ,Verlust nationaler Handlungsautonomie‘ und ,Unterordnung unter das Diktat der USA‘ und wertet so dessen Diktum ab. Alternativen in Bezeichnung und Bedeutung versucht auch die PDS durchzusetzen, wenn ihr Vertreter Roland Claus fordert, „von der uneingeschränkten Solidarität zu dem [zu; A. S.] kommen, was wir (…) ‚kritische Solidarität‘ genannt haben“ (Claus v. 8.11.01), und sich in seiner anschließenden Explikation die Verwendung des Humanitätstopos verfolgen lässt, der den Begriff der Solidarität in den Kontext eigener parteiprogrammatischer Ziele rückt: „Lassen Sie uns für wirksame Flüchtlingshilfe und Aufbauhilfe in Afghanistan eintreten“ (ebd.). Den Versuch, Schröders Solidaritätsbegriff abzuwerten und eine eigene Definition durchzusetzen, unternehmen schließlich auch acht Abgeordnete der Grünen in ihrem Positionspapier Berliner Aufruf. Dabei thematisieren sie explizit Schröders metaphorischen Sprachgebrauch der Einbahnstraße, weisen die unterstellte Bedeutung des ,Autonomieverlusts‘ zurück und bieten eine eigene, humanitär geprägte Interpretation des Begriffs an: Solidarität mit den Opfern des 11. September und ihren Angehörigen ist uns eine menschliche und politische Verpflichtung. Sie bedeutet aber nicht, einem Freund und Verbündeten mit verbundenen Augen in eine Sackgasse zu folgen. Solidarität heißt vielmehr, eigene Vorschläge vorzulegen, die beide vor der Sackgasse bewahrt und tatsächliche Beiträge zur Schwächung und Bekämpfung des Terrorismus leistet. (Berliner Aufruf v. 11.11.01)

Wendet man sich nach diesem Exkurs wieder umfassend der Auseinandersetzung um die Befürwortung oder Ablehnung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan zu, so sei zunächst die bereits eingeführte Denkfigur wieder aufgegriffen: ‚Durch die Ereignisse vom 11. September 2001 ist Sicherheit verloren gegangen. Ziel ist die Wiederherstellung von Sicherheit. Dafür sind bestimmte Mittel notwendig.‘ Wenn im Folgenden sprachliche Strategien im Streit um die angemessene außenpolitische Reaktion Deutschlands auf die Ereignisse in den USA nachgezeichnet werden, ist tiefensemantisch dieses Denkschema stets prä-

152 | Der Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in Deutschland

sent. Der Diskurs kann so als ,Ringen‘ um das geeignete Konzept zur ,Wiederherstellung von Sicherheit‘ gelesen werden. Neben dem Kampf um die Bezeichnung des Einsatzes begegnen einige Topoi wieder, die bereits im vorangegangen Abschnitt vorgestellt wurden und in der hier betrachteten Teildebatte in spezifischer Funktion ebenfalls zur Anwendung kommen, während andere Topoi, etwa der unspezifizierte Bedrohungs- und Gefahrentopos, bereits etabliert und im außenpolitischen Diskurs vorausgesetzt sind. Die den Einsatz befürwortenden Akteure verwenden zu dessen Bezeichnung Begriffe, die zunächst den Anschein der ,Neutralität‘ erwecken, jedoch durchaus auf eine Strategie der Verharmlosung schließen lassen.524 Wenn von der „Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten“ (Schröder v. 8.11.01), „militärischen Operationen“ (ebd.), „militärische[n] Aktionen“ (Merz v. 19.9.01) oder mit Bezug auf den Schröder’schen Solidaritätsbegriff von „militärische[m] Beistand“ (Struck v. 16.11.01) die Rede ist, so evozieren diese Begrifflichkeiten ,stark begrenzte, punktuelle Einzelhandlungen‘ der Bundeswehr. Es werden keinerlei Assoziationen zu einem ,umfassenden, kostspieligen und lebensgefährlichen Militäreinsatz‘ geweckt. Der Begriff Krieg wird bewusst nicht verwendet bzw. als nicht angemessener Sprachgebrauch zurückgewiesen. So fragt Peter Struck (SPD) während der Auseinandersetzung um die einzelnen militärischen Maßnahmen im Bundestag rhetorisch: „Was soll daran kriegerisch sein (…)?“ (ebd.). Er könne „nach reiflichem Abwägen nicht erkennen, dass die Bereitstellung dieser militärischen Fähigkeiten ungebührlich, unmoralisch oder gar kriegstreibend wäre“ (ebd.). Rechtfertigenden und letztlich legitimierenden Charakter hat die Bezeichnung „militärische Vergeltung [Herv. im Original; A. S.] für den kriegerischen Terroranschlag“ (Struck v. 19.9.01), die ebenfalls Struck in die Debatte einbringt. Der Vergeltungsanspruch des Einsatzes wird jedoch auch zurückgewiesen, wenn etwa Friedrich Merz mit realistischer Diktion eine explizite Bedeutungsklärung vorbringt: „Das Ziel solcher militärischer Operationen wird nicht sein, Vergeltung zu üben. Jeder Einsatz gegen die Terroristen ist (…) Teil einer Strategie der Prävention“ (Merz v. 19.9.01). Der Begriff der Prävention, dessen deontische Konnotation wiederum implizit auf Sicherheit verweist, bildet einen hochwertig aufgeladenen, positiven Kontext, in den der Bundeswehreinsatz gestellt wird. Dabei versuchen insbesondere Vertreter der Bundeswehr, die gängige begriffliche Opposition von Prävention und Militärein-

|| 524 Borchert und Wengeler untersuchen ebenfalls Begriffskonkurrenzen in der Bezeichnung des Einsatzes, konzentrieren sich in ihren Belegen und Ausführungen aber hauptsächlich auf die jüngere Brisanzphase des Diskurses in den Jahren 2009/10 (vgl. Borchert und Wengeler 2015, S. 271 ff.).

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satz aufzuheben. Die Brisanz dieses Begriffsstreits zeigt sich in der expliziten Thematisierung des Sprachgebrauchs, beispielsweise vorgetragen von Dieter Wellershoff, Generalinspekteur der Bundeswehr a. D.: Wenn Gegner einer militärischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus die Frage gestellt wird, was die denn gegen Terror tun wollen, kommt (…) die Forderung, man müsse der Prävention Vorrang vor militärischen Maßnahmen geben. Selbst Außenminister Fischer hat (…) gesagt, man müsse in Zukunft ‚präventiv, nicht militärisch‘ vorgehen. Doch das ist eine Alternative, die keine ist. Auch die Bundesministerin für Entwicklungszusammenarbeit hängt noch an der Alternative ‚Militär oder Entwicklungshilfe‘. (FAZ v. 23.11.01a)

Häufig verweisen die Bezeichnungsvorgänge in letzter Instanz auf den Begriff der Sicherheit, der gewissermaßen den deontischen Fixpunkt im semantischen Kampf um die angemessene Bezeichnung des Vorgehens bildet. Sicherheit stellt damit auch in diesem Teildiskurs die entscheidende Leitvokabel dar, um die herum sich der Diskurs strukturiert. Ein dabei auffälliges, seriell anzutreffendes Phänomen im Diskurs ist die Konstruktion einer semantischen Nähe zum Begriff der Freiheit. So verweist Wellershoff in der Diskussion um den Bundeswehreinsatz auf den „‚erweiterten Sicherheitsbegriff‘ (…) aus dem Strategischen Konzept der Nato“ (ebd.) und versucht seine Interpretation dieses Konzepts wie folgt durchzusetzen: „[D]essen Bedeutung liegt (…) in der Einsicht, daß alles zielführende Handeln des Staates (…) in den Dienst unserer Freiheit und Sicherheit gestellt werden müsse[]“ (ebd.). Eine ganz ähnliche Diktion findet sich auch bei Verteidigungsminister Rudolf Scharping, wenn er für den Einsatz werbend auf die „Strategie der NATO [Herv. im Original; A. S.]“ (Scharping v. 19.9.01) eingeht: Sie konsequent (...) umzusetzen ist die praktische Verwirklichung dessen, was unser gemeinsames Interesse an Sicherheit und unser gemeinsamer Wille zur Bewahrung von Frieden, Freiheit und rechtsstaatlicher Demokratie praktisch bedeuten. Die Bundesrepublik kann dazu einen Beitrag leisten. (ebd.)

Weiter stellt er fest: „Es gibt einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der Freiheit und der Sicherheit offener Gesellschaften, demokratischer Rechtsstaaten im Innern, und der Gewährleistung ihrer äußeren Sicherheit“ (Scharping v. 8.11.01). Auch Merz’ „Strategie der Prävention“ (Merz v. 19.9.01) steht im Dienst „für Freiheit, für Frieden, für das Recht und für den Schutz auch unserer Bürger; denn Sicherheit ist und bleibt die Grundlage auch unserer Freiheit“ (ebd.). Ein anschließend vorgetragenes Zitat Humboldts kann als die Argumentation stützender Autoritätstopos ausgemacht werden und verleiht dem Deutungsakt weiteres Gewicht: „Lassen Sie es mich mit einem Wort von Wilhelm von Hum-

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boldt sagen: Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden noch die Frucht derselben zu genießen. Denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit“ (ebd).525 Der Sprachgebrauch der Gegner des Bundeswehreinsatzes offenbart eine gänzlich konkurrierende Sichtweise auf das Vorhaben. Führende Vertreter der Grünen bemühen im Zuge des Ausgleichs differierender Positionen innerhalb ihrer Partei zunächst Begrifflichkeiten, die vermittelnde Funktion haben. Kerstin Müller ist um neutrale Ausdrucksweise bemüht, wenn sie den Bundeswehreinsatz als „deutschen Beitrag im Kampf gegen den internationalen Terrorismus“ (Müller v. 16.11.01) bezeichnet. Insbesondere durch Attribuierungen mit einschränkendem Charakter sollen Widerstände bei den Einsatzgegnern abgebaut werden; auch die Argumentationsstrategie mit Hilfe des Kultur- und Wertetopos unterstützt eine positive Perspektivierung des Vorhabens. Beispielsweise versucht sich Müller am innerparteilichen Interessenausgleich mit der Aussage, dass begrenzte Militäraktionen nötig sind, um den Terror und seine Strukturen gezielt zu bekämpfen. (...) Aber das Völkerrecht kennt weder Rache noch Vergeltung. (...) Ich kann daher nur davor warnen, den Eindruck zu erwecken, (…) als könne man das Problem des internationalen Terrorismus allein militärisch lösen. (Müller v. 19.9.01)

Außenminister Fischer greift den Sprachgebrauch der innerparteilichen Widersacher direkt auf und verwendet bewusst die Bezeichnung Krieg, um Verständnis für die konträren Positionen und Engagement in der Debatte sowie Verbundenheit mit grüner Kernprogrammatik auszudrücken. Er bezeichnet die Frage des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan als eine der schwierigsten und auch schwerwiegendsten Entscheidungen des Deutschen Bundestages, der Bundesrepublik Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik (…). Es ist eine Entscheidung, die auf die Frage gründet: Krieg oder Frieden? [Herv. im Original; A. S.]. (Fischer v. 8.11.01)

Im gesellschaftlichen Gedächtnis über den Verlauf des außenpolitischen Sicherheitsdiskurses nach dem 11. September 2001 hat sich die Erinnerung gefestigt, dass der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan erstmals 2010 durch Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg als Krieg bezeichnet und als brisanter Sprachgebrauch wahrgenommen worden ist (vgl. z. B. SZ.de v. 4.4.10). || 525 Eine ausführliche Analyse der im Diskurs verwendeten Relationsbeschreibungen von Sicherheit und Freiheit wird im Rahmen der Untersuchung der innenpolitischen Debatte vorgenommen (vgl. ausführlich Kap. 6.4. im Zweiten Teil dieser Arbeit).

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Es lässt sich aber zeigen, dass der Begriff bereits in der brisanten Phase des Diskurses im November 2001 explizit und seriell von den Gegnern des Einsatzes gebraucht wird. Seine Verwendung ist Teil einer umfassenden Abwertungsstrategie. Der Begriff präsupponiert eine ,existenzielle Unsicherheitssituation‘. Er appelliert an das deutsche kollektive Gedächtnis; in ihm kondensiert sich die mentalitätsprägende ,Last der deutschen Geschichte‘. Somit erfüllt er in besonderem Maße eine Abschreckungsfunktion und entfaltet hohe Überzeugungskraft für eine Ablehnung des Bundeswehreinsatzes.526 Dies gilt auch für die ebenfalls auftretenden Komposita wie „Kriegseinsätze [Herv. im Original; A. S.]“ (Claus v. 16.11.01) oder „Kriegsbeteiligung“ (ebd.). Der negativ konnotierte Begriff Krieg und entsprechende Komposita werden eingesetzt, um das Vorhaben der Einsatzbefürworter weitgehend zu stigmatisieren. Dies geschieht meist in apodiktischem Duktus, wie etwa von der PDS vorgetragen: „Wir wissen, dass Krieg das falsche Mittel im Kampf gegen den Terrorismus ist“ (Claus v. 8.11.01). Auch die Widersacher bei den Grünen formulieren ähnlich: „Der Krieg gegen Afghanistan ist politisch falsch“ (Berliner Aufruf v. 11.11.01). Die Gruppenmitglieder bezeichnen sich selbst entsprechend als „Kriegsgegner“ (Claus v. 16.11.01). Als Adressat der Kritik erweist sich häufig Bundeskanzler Gerhard Schröder persönlich. Dessen Diktum „Zu Risiken – auch im Militärischen – ist Deutschland bereit, aber nicht zu Abenteuern“ (Schröder v. 19.9.01) aus seiner Regierungserklärung vom 19. September 2001 wird von der PDS explizit thematisiert und ins Stigmatische transformiert: „Herr Bundeskanzler, Sie haben (…) gesagt: Risiko ja, Abenteuer nein. – Mit dem heutigen Beschluss sind wir auf dem Weg in ein unkalkuliertes militärisches Abenteuer“ (Claus v. 16.11.01). Auf die Brisanz des semantischen Kampfs weist auch die anschließende, an Schröder gerichtete Frage nach dem angemessenen Sprachgebrauch hin, die Roland Claus von der PDS formuliert: „In welcher Situation, Herr Bundeskanzler, befinden wir uns: Bündnisfall, Beistandsfall oder Kriegszustand?“ (Claus v. 8.11.01). Die dem Begriff Krieg inhärente Konnotation der existenziellen Unsicherheit wird von den Einsatzgegnern im Sinne der grundlegenden Denkfigur des Diskurses genutzt, um das Vorhaben als ,nicht geeignet zur Wiederherstellung von || 526 Der Verwendung des Begriffs durch Guttenberg dürfte hingegen eine vollkommen andere Intention zugrunde liegen. Er thematisiert seinen eigenen Sprachgebrauch explizit: „‚Auch wenn es nicht jedem gefällt, so kann man angesichts dessen, was sich in Teilen Afghanistans abspielt, umgangssprachlich von Krieg reden‘“ (SZ.de v. 4.4.10). Guttenberg inszeniert sich damit als Politiker, der dem Volk gegenüber nach Jahren ‚endlich die Wahrheit‘ ausspricht, und verfolgt mutmaßlich eine Aufwertung der Bedeutung seines Ministeriums und seiner Position innerhalb der Regierung. Krieg hat schließlich mehr politisches Gewicht und erregt mehr öffentliche Aufmerksamkeit als ein beliebiger Militäreinsatz.

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Sicherheit‘ auszuweisen: „Nach vier Wochen Krieg gegen Afghanistan stellt sich die Frage nach der Bilanz. (…) Die Sicherheit in den Vereinigten Staaten und in Europa hat sich für die Bürgerinnen und Bürger nicht spürbar erhöht“ (ebd.). „[D]as Versprechen, Sicherheit sei durch militärische Vormacht (...) zu garantieren“ (SZ v. 8.10.01) wird von der PDS in ihrem Dresdner Friedensappell zum „Trugschluss“ (ebd.) degradiert, denn durch die „Bündnisstrategie einschließlich der Möglichkeit selbst mandatierter weltweiter Interventionen wird kein Sicherheitsproblem gelöst, im Gegenteil, zusätzliche entstehen“ (ebd.). Der Bundeswehreinsatz wird mit weiteren Unsicherheitsszenarien kontextualisiert, die vorab als negative Konsequenzen der Unternehmung beschworen werden: „Diese Logik blendet auch die verheerenden Langzeitfolgen [Herv. im Original; A. S.] aus, die diese Bombardements haben werden: eine Spaltung zwischen arabisch-islamischer und westlicher Welt“ (Claus v. 16.11.01). Dass die angemahnte Spaltung in diesem Sprachgebrauch bereits vollzogen ist, bleibt freilich nicht verborgen. Der FDP zugehörige Vertreter der Opposition werten das Regierungsvorhaben ebenfalls mit Begrifflichkeiten aus dem Wortfeld ‚Krieg‘ ab und versuchen, die eigene Vorstellung geeigneter Mittel zur Wiederherstellung von Sicherheit durch die Verwendung oppositioneller Begriffe durchzusetzen, so zum Beispiel Guido Westerwelle: Die Bevölkerung erwartet von uns zu Recht, dass wir uns zunächst darüber unterhalten, wie man einen (…) Prozess hin zum Krieg verhindern kann. Es geht jetzt nicht um eine einseitige Fixierung auf das Militärische. Wir brauchen vielmehr zuallererst politische Lösungskonzepte. Politiker, die sich jetzt (…) über Kriegsszenarien äußern, denen sollte man sagen: Friedensszenarien [Herv. im Original; A. S.] sind jetzt (…) gefragt. (Westerwelle v. 19.9.01)

Die im Teildiskurs um die außenpolitische Reaktion auf die Ereignisse des 11. September 2001 dominierenden Topoi sind zum Teil bereits bekannt aus den allgemeinen Beobachtungen zum Sprachgebrauch, die im vorangegangenen Abschnitt angestellt wurden. Sie seien in ihrer spezifischen Funktion in der hier behandelten Teildebatte zusammen mit weiteren charakteristischen Topoi im Folgenden vorgestellt. Der in unmittelbaren Reaktionen auf die Geschehnisse in den USA seriell anzutreffende Differenztopos, dessen Verwendung die Konstruktion einer historischen Zäsur intendiert und häufig in spezifischer Kontextualisierung mit dem Begriff Sicherheit nachzuweisen ist, wird auch in der außenpolitischen Debatte um den Bundeswehreinsatz wirksam. Ausgangspunkt der Argumentationen von Einsatzbefürwortern sind meist Äußerungen wie folgende: „Niemand wird ernsthaft behaupten, der 11. September 2001 tangiere die kollektive Sicherheit

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nicht oder habe die Sicherheitslage Deutschlands nicht verändert“ (FAZ v. 9.11.01). Diese häufig apodiktisch gefärbten Behauptungen entfalten ihre starke Mobilisierungswirkung durch den Bezug der Differenzsituation auf den Begriff Sicherheit, wodurch Brisanz und unmittelbare Betroffenheit hergestellt werden. Der nachfolgend präsentierte Handlungszwang erfährt damit unbedingte Plausibilität und offenbart wiederum die tiefensemantisch dominante Denkfigur des Diskurses: „Jetzt geht es um die Konsequenzen daraus“ (ebd.), also um die ‚angemessenen Mittel zur Wiederherstellung von Sicherheit‘. Der Differenztopos bezieht seine persuasive Kraft somit auch in der Teildebatte um den Bundeswehreinsatz aus seiner Verknüpfung zum Begriff Sicherheit, der – so zeigt sich auch hier – als Leitvokabel, gewissermaßen als Kulminationsvokabel des Diskurses und seiner Argumentationsstrukturen gelten muss. Wendungen wie „[d]ie Wende in der sicherheitspolitischen Großwetterlage“ (FAZ v. 23.11.01b) oder „eine veränderte Sicherheitslage“ (FAZ v. 23.11.01b) sind Kondensate dieses Topos, die zum einen in verkürzter Form die Diskursstruktur und den typischen Sprachgebrauch widerspiegeln und zum anderen nur aufgrund der Aktualität der Debatte von den Kommunikationsteilnehmern dekodiert werden können. Im Rahmen der Thematisierung des Auslandseinsatzes der Bundeswehr tritt der Differenztopos in sprachlich auf das Vorhaben fokussierter Form auf und wird zunächst dazu verwendet, der Entscheidung über den Einsatz den Charakter der ,Außergewöhnlichkeit‘ zuzuschreiben. Dabei wird die Verwendung der Bezeichnung Zäsur explizit thematisiert, wie etwa von Guido Westerwelle (FDP) mit Blick auf die anstehende Abstimmung: Man sollte mit den folgenden Worten vorsichtig sein. Aber ich glaube, dass die Bezeichnung ‚Zäsur‘, vielleicht sogar ‚historische Zäsur‘, für unsere Außen- und Sicherheitspolitik an dieser Stelle zutrifft. Deswegen sollte sich jeder (…) der besonderen Verantwortung (…) in der nächsten Woche bewusst sein. Danach wird sich die Außen- und Sicherheitspolitik verändert haben. (Westerwelle v. 8.11.01)

Der Differenztopos wird in den Medien auch bezogen auf die Tatsache, dass die Entscheidung von einer Regierungskoalition zu treffen ist, deren Parteiprogrammatiken pazifistische Werte in den Vordergrund stellen: „Bei einer konservativen Regierung wäre der Paradigmenwechsel weniger deutlich als bei der derzeitigen rot-grünen Koalition“ (FAZ.net v. 19.10.01a). Auf der politischen Bühne erfüllt die Konstruktion einer historischen Zäsur in erster Linie Legitimations- und Mobilisierungsfunktion; mit Hilfe des Differenztopos wird Handlungszwang hergestellt:

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Die heutige Entscheidung über die Bereitstellung von Bundeswehreinheiten im Kampf gegen den Terrorismus stellt sicher eine Zäsur dar. Erstmals zwingt uns die internationale Situation, zwingt uns die Kriegserklärung durch den Terrorismus dazu, Bundeswehreinheiten für einen Kampfeinsatz außerhalb des NATO-Vertragsgebietes bereitzustellen. (Schröder v. 16.11.01)

Somit wird die Befürwortung des Auslandseinsatzes zur einzig verbleibenden Handlungsalternative: „Merkel sagte, (…) [d]ie Bereitstellung von 3900 Soldaten sei ‚alternativlos‘, auch wenn dies bei vielen in Deutschland Ängste auslöse“ (FAZ v. 8.11.01). Während der Differenztopos nahezu ausschließlich für die Argumentation pro Bundeswehreinsatz eingesetzt wird, lassen sich Appelle an die Humanität in Positionen nachzeichnen, die sich sowohl für als auch gegen das Vorhaben aussprechen. Der hier zuordenbare Humanitätstopos folgt dem Schema: ‚Der Einsatz in Afghanistan dient bzw. dient nicht humanitären Zwecken, deshalb ist er durchzuführen bzw. zu unterlassen.‘527 Den Befürwortern des Bundeswehreinsatzes gelingt durch die Berufung auf humanitäre Aspekte des Vorhabens eine positive Perspektivierung. Gleichzeitig versuchen sie, dem Einsatz den Anstrich eines aus menschlichen Überlegungen ,unabdingbaren Unterfangens‘ zu verleihen. Diese ,Unbedingtheit‘ wird noch gefördert durch die Verwendung des Realitätstopos, der sich hinter dem apodiktischen Sprachgebrauch identifizieren lässt. Bundeskanzler Gerhard Schröder führt mit der Absicht, die Mitglieder des Bundestags vom geplanten Einsatz der Bundeswehr zu überzeugen, aus: Es geht jetzt in erster Linie um humanitäre Anstrengungen, mit denen das Leid von Millionen von Afghanen gelindert werden kann. Viele scheinen das Ausmaß der humanitären Katastrophe [Herv. im Original; A. S.] noch gar nicht richtig erfasst zu haben. (…) Wir müssen befürchten, dass Abertausende verhungern. Auch um diese Menschen geht es uns. (Schröder v. 8.11.01)

Kerstin Müller von den Grünen wartet mit einer ähnlichen Äußerung auf, deren Feststellungscharakter ins Auge fällt: Wichtig ist jetzt die Sicherung der humanitären Hilfe und des Wiederaufbaus sowie die Aufrechterhaltung der Ordnung in Afghanistan. (…) Genau darum wird es auch bei bei dem deutschen Beitrag gehen. Er dient überwiegend humanitären Zwecken. (Müller v. 16.11.01)

|| 527 Borchert und Wengeler identifizieren ebenfalls einen Humanitätstopos im Diskurs, den sie als „eine Variante des Nutzen-Topos“ (Borchert und Wengeler 2015, S. 277) ausweisen.

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Der Humanitätstopos erweist sich als besonders geeignet, um an das Gewissen der Einsatzgegner zu appellieren und sie mit dem Stigma der ‚Verantwortungslosigkeit‘ zu belegen; zudem wird es mit seiner Hilfe möglich, die Dominanz der militärischen Konnotation des Begriffs Bundeswehreinsatz zu brechen und eine wesentlich positiver und letzten Endes harmloser erscheinende humanitäre Deutung des Begriffs durchzusetzen, wie sich am Beispiel der Aussage Peter Strucks (SPD) nachverfolgen lässt: Wer dieses Angebot [i. e. das Angebot der Unterstützung an die USA; A. S.] ablehnt, der muss sich fragen lassen, ob er verantwortungsvoll handelt. (…) Was die Entwicklung in Afghanistan angeht, so kann das militärische Hilfsangebot eher nachrangig sein. Ich bin fast sicher, dass die Bundeswehr dort nur noch gebraucht wird, um mitzuhelfen, die humanitäre Versorgung zu organisieren. (Struck v. 16.11.01)

Mit diesem Sprachgebrauch des ,menschlichen Nutzens‘ eines Bundeswehreinsatzes einher geht die semantische Umdeutung der Bundeswehr von einer ,militärischen Institution‘ hin zu einer ‚humanitären Hilfsorganisation‘ und ‚Heilsbringerin‘. Die Berufung auf den humanitären Charakter des Vorhabens, der häufig den Kontext für Gewissensappelle an die Einsatzwidersacher bildet, bezieht ihre ultimative Schlagkraft wiederum aus dem Bezug zum Begriff der Sicherheit, der als Schlüsselwort fungiert. Auch in der Argumentation mit menschlichen Aspekten bildet er die letztgültige Werteinstanz im Diskurs, die verlässlich angerufen werden kann. Auf der Folie der als ,allumfassend‘ konstruierten Bedrohungssituation sticht Sicherheit als Wert vor allen anderen hervor und kann sich als Leitwert etablieren. Nachvollziehen lässt sich die gesamte humanitätstopische Überzeugungsstrategie zur Erzielung einer Zustimmung zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan an folgender Aussage von Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) am 16. November 2001 vor dem Bundestag: Wir stimmen heute über ein politisches und humanitäres Gesamtkonzept (…) ab. (…) Seit 1990 haben (…) Gewaltkonflikte jährlich bis zu 1 Million Menschen das Leben gekostet. Wir müssen alles tun, (…) damit der Bedrohung der Sicherheit von Menschen entgegengearbeitet werden kann. (…) Wer heute nicht für ein solches Gesamtkonzept stimmt, wird diese Chancen zerstören. (Wieczorek-Zeul v. 16.11.01)

Es erfolgt sodann eine Kontextualisierung der Aussage mit Fahnenwörtern der SPD: „Wer von Ihnen, der gewählt worden ist, um eine Politik der humanen Globalisierung [Herv. im Original; A. S.] und der dauerhaften Friedenssicherung zu gestalten, könnte das mit seinem Gewissen vereinbaren?“ (ebd.). Der Appell an den Höchstwert Sicherheit bildet den Schluss des persuasiven

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Akts: „Wir leisten auch einen Beitrag zu unserer eigenen Sicherheit. Das ist die Perspektive, um die es geht“ (ebd.). Es lässt sich zeigen, dass der Humanitätstopos in der politischen Debatte um die angemessene außenpolitische Reaktion auf die Ereignisse des 11. September 2001 auch verwendet wird, um die Ablehnung des Bundeswehreinsatzes zu begründen. So liest man im Positionspapier Berliner Aufruf: „Der Krieg gegen Afghanistan (…) ist humanitär verantwortungslos. (…) Wir lehnen die Entsendung von Bundeswehreinheiten ab. (…) Sie trüge zu einer gefährlichen Politik und ihren katastrophalen humanitären Folgen bei“ (Berliner Aufruf v. 11.11.01). Auch wird dort die Argumentation der Gegenseite mit ihrer Stützung auf den Humanitätstopos explizit thematisiert und als nicht überzeugend entlarvt: „Die Mißachtung der Menschenrechte durch die Taliban existierte bereits vor dem 11. September und kann deshalb nicht zur Begründung eines Kriegs mit dem Ziel der Terrorismusbekämpfung herangezogen werden“ (ebd.). Das als Krieg bezeichnete Regierungsvorhaben wird mit Verweis auf die Ungeeignetheit als Mittel zur Wiederherstellung von Sicherheit sodann zurückgewiesen; vielmehr soll der Sprachgebrauch Assoziationen zu einer ,Fortschreibung von Unsicherheit‘ und ,Prolongation der Bedrohungssituation‘ durch den Militäreinsatz wecken: Der gegenwärtige Krieg trägt nichts dazu bei, eine stabile, tolerante und funktionierende Regierung in Afghanistan zu ermöglichen. Die Strategie, (…) die Taliban zu stürzen, eröffnet mehr Chancen als Risiken. (…) Der Krieg und die Art der Kriegsführung führen zu einer verschärften humanitären Katastrophe. (…) Der Afghanistan-Krieg droht darüber hinaus, die Region zu destabilisieren. (…) Der Krieg in Afghanistan ist ein Spiel mit dem Feuer, das neue Probleme schafft. (ebd.)

In der Auseinandersetzung um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan lassen sich seriell Äußerungen beobachten wie die bereits zitierte von Wieczorek-Zeul: „Wir leisten auch [Herv., A. S.] einen Beitrag zu unserer eigenen Sicherheit“ (Wieczorek-Zeul v. 16.11.01). Dahinter lässt sich eine spezifizierte Ausprägung des in der allgemeinen Analyse des Sprachgebrauchs nach dem 11. September 2001 bereits vorgestellten Vernetzungstopos ausmachen, auf dessen Basis die Befürworter des Einsatzes eine Semantik der ‚räumlichen Entgrenzung‘ von Sicherheit durchzusetzen suchen. Das vernetzungstopische Argumentationsschema lässt sich folgendermaßen fassen: ‚Weil es einen Zusammenhang zwischen der Sicherheit Deutschlands und der Situation in Afghanistan gibt, muss die Beteiligung an Operation Enduring Freedom erfolgen.‘ Vernetzungstopischen Charakter weisen zahlreiche Äußerungen in der Bundestagsdebatte auf. Friedrich Merz von der CDU/CSU-Fraktion nutzt in diesem Zusammenhang auch das Schlagwort der Globalisierung, nachdem er die

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Vorstellung einer ,geografischen Entgrenzung‘ zur Legitimation des Bundeswehrvorhabens konstruiert hat: Neu für uns ist, dass ein solcher militärischer Einsatz fernab von Deutschland notwendig sein soll. Wir müssen uns klar darüber sein, dass die geographische Entfernung in der Welt des 21. Jahrhunderts keine Bedeutung mehr hat. Die Globalisierung bringt uns nicht nur große wirtschaftliche Vorteile, sie bedeutet auch globale Verantwortung in der Gemeinschaft zivilisierter Völker. (Merz v. 8.11.01)

Der Topos lässt sich nicht nur in der parlamentarischen Debatte nachweisen, sondern wird auch in den Medien zur Einordnung des außenpolitischen Geschehens benutzt: Zu den interessantesten Beobachtungen der Zeit nach dem 11. September gehört auch, daß in der deutschen Öffentlichkeit niemand mehr wie vor zehn Jahren den Nahost-Konflikt, die Golf-Region oder Afghanistan für ‚out of area‘ hält. Jetzt werden in Deutschland die Instabilitäten dort als direkte Bedrohungen der eigenen nationalen Sicherheit wahrgenommen. (FAZ v. 7.11.01a)

Dass die Entgrenzung des Sicherheitsthemas eine neue und diskussionswürdige Sichtweise im außenpolitischen Diskurs darstellt, zeigen implizite Thematisierungen des Sprachgebrauchs wie die folgende, die sich zunächst noch einmal auf den Schröder’schen Solidaritätsbegriff bezieht und sodann eine eigene Interpretation desselben auf Basis des Vernetzungstopos anbietet: Das Bekenntnis der Bundesregierung zur ‚uneingeschränkten Solidarität‘ mit Amerika (…) kommt einer Revolution in der deutschen Sicherheitspolitik gleich. (…) Die Bedeutung dieser Veränderung ergibt sich in erster Linie aus der Entgrenzung des Raumes, in dem deutsche Militäreinsätze in Betracht kommen, und aus der Perspektive, die das eröffnet. (FAZ v. 12.11.01a)

Wie die Argumentationen mit Hilfe des Solidaritätsbegriffs und des Kultur- und Wertetopos dient der Vernetzungstopos mit dem meist expliziten Bezug zum Begriff Sicherheit vor allem dazu, eine deutsche Beteiligtheit an den Ereignissen des 11. September 2001 herzustellen. Der Bezugspunkt ‚nationale Sicherheit‘ erweist sich als mobilisierende Konstruktion bei der Durchsetzung eines Bundeswehreinsatzes außerhalb des NATO-Gebiets. So formuliert Michael Glos von der CDU/CSU-Fraktion zustimmend: „Hier geht es (...) auch um deutsche Interessen. Es liegt im deutschen Interesse, dass der Terror überall dort, wo er sich zeigt, bekämpft und ausgemerzt wird“ (Glos v. 8.11.01). Auf den Vorwurf des „symbolische[n] Aktionismus“ (FAS v. 16.12.01) erwidert Verteidigungsminister Rudolf Scharping: „Mit Symbolismus hat das nichts zu tun. (...) Es geht um unsere nationale Sicherheit“ (ebd.). Wenn aufgrund der Lage in Afghanistan die

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eigene Sicherheit als ,gefährdet‘ eingeschätzt wird, sind die Barrieren hinsichtlich einer Zustimmung zum Einsatz in der Gesellschaft wesentlich niedriger als ohne diese direkte Betroffenheit. Durch diese semantische Konstruktion der ‚räumlichen Entgrenzung‘ werden bestimmte Betrachtungen und Aussagen im Diskurs erst möglich. So werden etwa die folgenden Äußerungen Gerhard Schröders aufgrund der vorausgesetzten Vernetzung vor dem Bundestag plausibel: „Wir können und dürfen den militärischen Beitrag (…) nicht losgelöst von einer (…) umfassenden Strategie, einer Strategie für Sicherheit und für Stabilität in der Welt, diskutieren“ (Schröder v. 8.11.01) oder: „Wir sind daran interessiert, eine Destabilisierung durch den von Afghanistan ausgehenden internationalen Terrorismus zu vermeiden“ (ebd.). Aus der Konstruktion einer ‚sicherheitsrelevanten Vernetzung‘ mit Vorgängen in Afghanistan lässt sich argumentationslogisch vor allem ein unmittelbarer außenpolitischer Handlungszwang ableiten, den die Einsatzbefürworter beschwören: „Jetzt geht es darum, (…) international die Ordnung in dem geplagten Land zu sichern“ (Struck v. 16.11.01). Ferner ist die Tatsache, dass die Sicherheitslage in Afghanistan selbst zu einem Gegenstand von Interesse für die deutsche Öffentlichkeit, also in den Medien thematisiert wird, als Ausdruck der erfolgreichen Argumentation mit dem Vernetzungstopos zu werten. Als Beispiel dafür sei die detaillierte Beschreibung des Einsatzplans der Bundeswehr in Afghanistan in den Medien genannt: „[Es; A. S.] ergibt sich eine dreistufige Regelung für die Sicherheit in Afghanistan (…)“ (FAZ v. 21.12.01). Der im kollektiven Gedächtnis der deutschen Gesellschaft verankerte, bekannteste Ausspruch, in dem sich der Vernetzungstopos mit explizitem Bezug zu Sicherheit ausdrückt, erfolgt wesentlich später im Diskurs. Er kann in seiner Kürze überhaupt nur deshalb verstanden werden, weil die Konstruktion der ,geografischen Entgrenzung‘ bereits gesellschaftlich etabliert ist: „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt“ (Struck v. 11.3.04)528, sagt Verteidigungsminister Peter Struck im März 2004 vor dem Bundestag, als Bundeswehrtruppen bereits seit mehr als zwei Jahren in Afghanistan stationiert sind. Erst die Durchsetzung der Idee von ,global vernetzter Sicherheit‘ erlaubt schließlich eine Neudefinition des Begriffs der Verteidigung, dessen deontische Konnotation stets mit Sicherheit in Verbindung steht und hier explizit angeführt wird: „Verteidigung heute ist Wahrung unserer Sicherheit, wo immer sie gefährdet ist“ (FAZ v. 21.12.02).

|| 528 Bekannter ist die Formulierung „Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt“ (Telepolis v. 13.12.02), die Peter Struck bereits zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt auf einer Pressekonferenz am 5. Dezember 2002 gewählt haben soll (vgl. ebd.).

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Mit Hilfe des Vernetzungstopos gelingt also die ,Versicherheitlichung‘ und damit die Durchsetzung eines außenpolitischen Vorhabens, das anderweitig nur schwer gesellschaftlich vermittelbar ist. Die Sicht einer ,räumlichen Entgrenzung‘ von nationaler Sicherheit erweist sich freilich am Ende deshalb als so erfolgreich, weil zuvor bereits eine andere Konstruktion umfassend wirksam geworden ist: die einer ,existenziellen Bedrohungssituation‘ für die gesamte ‚westliche Welt‘ und jeden einzelnen Bürger Deutschlands. Ferner erfolgen sowohl Legitimation als auch Ablehnung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan mit rechtlichen Erwägungen, die sich sprachlich in der Verwendung eines rechtstopischen Musters niederschlagen: ‚Weil das Vorhaben juristischer Prüfung standhält bzw. nicht standhält, kann es durchgeführt bzw. muss es unterlassen werden.‘ Gestritten wird dabei um ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1994 zum Zustimmungsbedarf des Bundestags beim Einsatz bewaffneter Streitkräfte sowie um die völkerrechtliche Legitimationsgrundlage des Vorhabens. Der Sprachgebrauch der Gegner und Befürworter des Bundeswehreinsatzes ist entsprechend juristisch geprägt; so merkt etwa Gerhard Schröder an, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (...) die völkerrechtlich verbindliche Resolution 1368 einstimmig verabschiedet hat. Darin wird festgestellt (…), dass die Angriffe eine Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit darstellen und dass die Folge dessen die legitimierte Inanspruchnahme des Selbstverteidigungsrechtes [Herv. im Original; A. S.] nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen ist. Mir ist es im Hinblick auf die Öffentlichkeit wichtig (…), festzustellen, dass alle Maßnahmen einschließlich der militärischen exakt auf dieser völkerrechtlich verbindlichen Basis getroffen worden sind, also durch die Staatengemeinschaft und das internationale Recht in vollem Umfang legitimiert sind. (Schröder v. 8.11.01)

Die „juristischen Bedenken [Herv. im Original; A. S.]“ (ebd.) der Gegenseite bezüglich der Mandatierung der Bundeswehr weist er zurück, indem er auch unter Zuhilfenahme des Vergleichstopos ausführt, „dass das Verfahren nicht neu ist. Genauso hat der Bundestag in völligem Einklang mit der Verfassung und der Rechtslage bei seinem Kosovo-Beschluss vom 16. Oktober 1998 gehandelt“ (ebd.). Auch in diesem Argumentationsmuster bildet Sicherheit den letztgültigen argumentativen Kristallisationspunkt. Neben dem juristisch geprägten Sprachgebrauch, der die gesellschaftlich etablierte Denkfigur der ,rechtlichen Legitimation staatlichen Handelns‘ widerspiegelt, kommt innerhalb dieses Argumentationsmusters der ,Systemgedanke‘ von Sicherheit erneut zum Ausdruck, der sich in diesem Zusammenhang auch als eine juristische Spezifizierung des Vernetzungstopos mit starkem Bezug zum Begriff Sicherheit lesen lässt und die

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rechtstopische Argumentation stützt. Den zentralen Begriff in der juristischen Debatte bildet der Ausdruck System kollektiver Sicherheit nach Art. 24 Abs. 2 GG, den die Bundesregierung zur Legitimation der Entsendung von Bundeswehreinheiten nach Afghanistan anführt. Bekräftigend heißt es, die „Nato sei ein solches Sicherheitssystem“ (FAZ v. 12.11.01b) und in der Folge „der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen des Nato-Vertrags problemlos möglich“ (ebd.). Schließlich stehen „Beistandsverpflichtung (…) und die Wahrung von Sicherheitsinteressen des Bündnisses“ (ebd.) im Raum. Mit dem Begriff Sicherheitssystem, der auf die Nato bezogen wird, ist neben einer grundlegenden Suggestion von ,Risikobeherrschung‘ auch die ,bessere Kontrolle von Risiken durch Vernetzung (hier: von Staaten) auf juristischer Grundlage‘ assoziiert. Der in diesem Begriff kondensierte Gedanke wird zum Beispiel von Rudolf Scharping (SPD) folgendermaßen ausformuliert: Allein, also für sich, können Staaten ihre Sicherheit wenn überhaupt, dann nur schwer gewährleisten; sie sind auf Zusammenarbeit angewiesen. Zusammenarbeit ist nicht nur wegen der Bedrohung in Form eines zwischenstaatlichen Krieges – diese Wahrscheinlichkeit ist sehr gering geworden – erforderlich, sondern auch, weil Zusammenarbeit [Herv. im Original; A. S.] zur Gewährleistung gemeinsamer Sicherheit die unabdingbare Voraussetzung für den Schutz vor asymmetrischen Bedrohungen ist. (Scharping v. 8.11.01)

Die hier als Synonym für den Ausdruck Sicherheitssystem gebrauchte Phrase „Zusammenarbeit zur Gewährleistung gemeinsamer Sicherheit“ (ebd.) macht noch einmal den Kern der Überzeugungskraft juristischer Erwägungen in der Debatte um den Bundeswehreinsatz deutlich: Wiederum fungiert Sicherheit als die zentrale Leitvokabel, die den Orientierungsrahmen auch des juristischen Argumentationsmusters bildet; im Kontext eines ‚Systems‘ schließlich wird Sicherheit zu einem Wert, der sich – wenn kollektiv angestrebt – ‚vergrößern‘ lässt. ‚Zusammen‘, so die tiefensemantisch wirksame Denkfigur, ‚ist man auch als Staat sicherer als allein.‘ Im außenpolitischen Diskurs nach dem 11. September 2001 lässt sich des Weiteren die Verwendung des Statustopos, wie er ebenfalls bereits im vorangegangenen Abschnitt dargelegt wurde, nachzeichnen. Er ist in der Teildebatte um den Einsatz der Bundeswehr zum Teil mit geschichtstopischen Elementen unterlegt. Meist von den Einsatzbefürwortern bemüht, sucht man die Plausibilität einer Entsendung der Bundeswehr nach Afghanistan mit dem Bezug auf einen bestimmten ,Status‘ Deutschlands und Europas zu manifestieren. Dieser Status wird unterschiedlich attribuiert; er wird als ,verändert‘ oder ‚erfolgreich‘ bezeichnet, außerdem wird auf historische Zusammenhänge rekurriert, auch werden ökonomische Aspekte zu seiner Charakterisierung ins Feld geführt. Alle Kennzeichnungen haben die Funktion, der Berufung auf die globale Bedeutung

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Deutschlands und Europas im Diskurs zusätzliche Schlagkraft zu verleihen. Nicht selten erfolgt auch bei der Verwendung statustopischer Argumentationsmuster die Kontextualisierung mit dem Begriff Sicherheit. Als ultimatives gesellschaftliches Ideal wird Sicherheit auch auf die Stellung Deutschlands in der Welt bezogen und soll am Ende der Rechtfertigung des Bundeswehreinsatzes aus Statuserwägungen zum Erfolg verhelfen. Friedrich Merz (CDU/CSU) etwa adressiert folgende Äußerung an die Einsatzgegner, deren potenzielle Ablehnung des Vorhabens mit dem historisch negativ konnotierten Ausdruck deutscher Sonderweg stigmatisiert wird, während die eigene Gruppe mit positiv konnotierten Bezeichnungen belegt wird: Es gibt – das sage ich all denjenigen, die beabsichtigen, den Antrag der Bundesregierung abzulehnen – nur scheinbar die Alternative, sich herauszuhalten und stattdessen die anderen, die sich schon entschieden haben, den Weg weiter gehen zu lassen. Mit klarem Verstand und Überzeugung müssen wir sagen, dass ein deutscher Sonderweg [Herv. im Original; A. S.], ein Sich-Heraushalten in unserer Welt eine Illusion ist. Deutschland trägt Verantwortung wie andere Staaten dieser Welt auch. (Merz v. 8.11.01)

Verteidigungsminister Scharping beruft sich sowohl auf den ökonomischen als auch einen historisch veränderten Status Deutschlands, um den Bundeswehreinsatz zu legitimieren: Scharping erinnerte daran, dass Deutschland das bevölkerungsreichste und wirtschaftsstärkste Land Europas sei. Angesichts seiner neuen weltpolitischen Bedeutung, die auf den Umbruch 1989 zurückgehe, könne das Land ‚mehr denn je nicht alleine Konsument von Sicherheit sein, sondern muss auch Produzent von Sicherheit sein‘. (FAZ.net v. 19.10.01b)

Die angeführte Bezeichnungsänderung von Konsument zu Produzent entspringt einem ökonomischen Denkmodell. Der Begriff Produzent impliziert dabei eine höhere ,Aktivität und Wertigkeit‘ als die Bezeichnung Konsument mit ihrer Präsupposition der ‚Passivität‘; letztlich geht es um eine höhere ‚Wertschöpfung‘, eine ‚Wertsteigerung‘ Deutschlands, die suggeriert wird und damit das Vorhaben in Afghanistan entscheidend aufwertet. Sicherheit wird durch diesen Sprachgebrauch schließlich als ‚beliebig produzierbares, industriell herstellbares Wirtschaftsgut‘ etikettiert. Mit diesem Argumentationsmuster dürfte der Verteidigungsminister insbesondere in einem militärisch geprägten Umfeld, z. B. innerhalb der Bundeswehr, Zustimmungsbereitschaft zum Einsatz erzielen. Eine auf den Status Europas und der EU bezogene Sichtweise lässt sich ebenfalls in vielen Aussagen im außenpolitischen Diskurs finden; auch hier erfolgt meist ein Bezug zu Sicherheitsaspekten. Intention ist stets, durch einen Bezug auf den ,Erfolg‘ und die ,Möglichkeiten‘ der EU die Wichtigkeit der Be-

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deutung Europas bei außenpolitischer Konfliktlösung zu transportieren. So formuliert Bundeskanzler Gerhard Schröder vor dem Bundestag: Wir sagen heute stolz: Das Projekt der europäischen Integration ist die größte Erfolgsgeschichte des 20. und, ich denke, auch des 21. Jahrhunderts. Die daraus resultierenden Erfahrungen in der Bewältigung und Lösung von Konflikten wollen wir gern anderen Völkern in anderen Regionen zur Verfügung stellen. (Schröder v. 11.10.01)

An die Gegner des Bundeswehreinsatzes gewandt entwirft Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping die potenziellen Folgen für den Status Deutschlands im Falle der Ablehnung der Unternehmung: Wir sondern uns von den europäischen Staaten (…) ab. Wir verlieren unseren Einfluss bei der Gestaltung der Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union. Hier (…) steht auch die Rolle der Bundesrepublik Deutschland [Herv. im Original; A. S.] (…) innerhalb der NATO und der Europäischen Union zur Debatte. (Scharping v. 8.11.01)

Die Berufung auf den mit dem Attribut des ‚Erfolgs‘ gekennzeichneten Status Europas auch im sicherheitspolitischen Kontext appelliert letztlich an das historische Wissen der Kommunikationsgemeinschaft und greift die gesellschaftlich etablierte und dato gültige Deutung von Europa auf: ,Dem Kontinent ist es gelungen, durch die Lösung seiner Nationalkonflikte zu anhaltendem Frieden zu gelangen.‘ Der ,Stolz‘ auf diesen Prozess wird regelmäßig zu Gedenktagen und anderen Anlässen aktualisiert und ist ein wesentliches Kennzeichen europäischer Mentalität. Argumentationsmuster wie der Statustopos, die sich dieses gesellschaftlichen Wissens bedienen, entfalten daher eine beträchtliche persuasive Kraft. Schließlich geht es darum – so das tiefensemantisch virulente Denkmuster – ,diese Errungenschaft zu bewahren‘. Die diskursiven Formationen verhindern ferner gewisse Aussagen in der Auseinandersetzung um den Bundeswehreinsatz. Wenn humanitäre Aspekte ins Feld geführt werden, der Einsatz als Ausdruck der historischen Freundschaft zu den USA gedeutet oder eine Verbindung zur nationalen Sicherheit konstruiert wird, führt dies – wie die Verwendung aller anderen aufgezeigten sprachlichen Strategien auch – dazu, dass die Frage, warum sich Deutschland überhaupt an einer wie auch immer gearteten Reaktion auf die Ereignisse vom 11. September 2001 beteiligen muss, im Diskurs tabuisiert wird. Dass eine Reaktion erfolgen muss, ist schon in der ausführlich beschriebenen, grundlegenden Denkfigur des Diskurses angelegt. Sie spiegelt nicht zuletzt ein lineares Denkmodell wider, das in Form einfacher Ursache-Wirkungsschemata als typische Kulturtechnik ‚westlicher‘ Gesellschaften gelten kann. Die ständig erfolgende letztinstanzliche Anrufung des Leitwerts Sicherheit mit seiner Überzeugungs-

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und Legitimationskraft trägt dabei zur Ausprägung einer Alternativlosigkeitsmentalität in Diskurs und Gesellschaft bei, die sich bis heute verstärkt. Wenn es um Sicherheit geht, ist eben „[d]er Einsatz militärischer Mittel (...) unverzichtbar“ (Antrag v. 7.11.01) und „[d]ie Bereitstellung von (...) Soldaten ‚alternativlos‘“529 (FAZ v. 8.11.01). Im politischen Machtkampf dient der Begriff Sicherheit am Ende auch der Selbstinszenierung der beteiligten Akteure, die damit eine Aufwertung der eigenen politischen Gruppierung bzw. Person verfolgen. Dies gelingt durch die Verbindung von Sicherheitsversprechen und Aktivitätsbekundung sowie den direkten Bezug des Begriffs auf die eigene Partei, wie sich etwa an der Aussage Gernot Erlers (SPD) nachvollziehen lässt: „Wir alle sind auch und nicht zuletzt dafür gewählt worden, den Menschen Sicherheit [Herv. im Original; A. S.] zu geben“ (Erler v. 8.11.01). Auch Michael Glos’ Sprachgebrauch intendiert die Inszenierung der eigenen Fraktion, in diesem Fall der CDU/CSU-Fraktion, als gesellschaftliche ,Heilsbringerin‘ in puncto Sicherheit: „[W]ir wollen keine Verunsicherung, sondern Sicherheit der Bevölkerung und auch Sicherheit für die Zukunft. Bei all diesen Maßnahmen haben Sie uns an Ihrer Seite“ (Glos v. 8.11.01). Und wenn Kerstin Müller (Bündnis 90/Die Grünen) bemerkt: „Gerade dieser Gegner erfordert zuerst Besonnenheit und kluge Abwägung und dann zielgerichtetes und entschlossenes Handeln“ (Müller v. 19.9.01), sind diese Attribuierungen als implizite Kompetenzzuschreibungen an die eigene Partei zu verstehen, die es erleichtern, anschließend für eine „Reaktion (...) unsererseits“ (ebd.) zu werben, „die nicht die Gefahr der Eskalation mit unabsehbaren Folgen (...) für die Sicherheit der Menschen in sich birgt“ (ebd.). Wenn Sicherheit – wie im vorliegenden Diskurs gelungen – als letztgültiges gesellschaftliches Ziel etabliert ist, dann ist der Begriff geeignetes Vehikel nicht nur zur Aufwertung des Antrags zur Entsendung von Bundeswehreinheiten nach Afghanistan – „[e]r ist Ausdruck der notwendigen internationalen Zusammenarbeit beim Kampf gegen den Terrorismus und für mehr Sicherheit in der Welt“ (FAZ v. 16.11.01b) –, sondern zur positiven Beleuchtung des gesamten eigenen außenpolitischen Regierungshandelns: „Die Außenpolitik dieser Regierungskoalition ist seit unserem Amtsantritt darauf gerichtet, durch Herstellung ökonomischer, sozialer und materieller Sicherheit (...) zur Stabilität in der Welt beizutragen“ (Schröder v. 16.11.01), so Bundeskanzler Gerhard Schröder. In den Medien reagiert man zwar mit Verweis auf den innerkoalitionären Streit durchaus kritisch auf diese

|| 529 Die Anführungszeichen einer hier indirekt wiedergegebenen Äußerung Angela Merkels (CDU/CSU) können als Distanzierungsindikatoren verstanden werden, mittels derer die FAZ implizit auf kritischen Sprachgebrauch hinweist.

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Aufwertungsstrategien, offenbart aber selbst durch explikativen Sprachgebrauch die im Diskurs etablierte Sicherheitssemantik des Bundeswehreinsatzes: „Die Regierung zerbricht beinahe, wenn sie ihre Unterstützung für einen Krieg gegen den Terror und damit für mehr Sicherheit erklären soll“ (SZ v. 6.12.01). Letzten Beweis dafür, dass sich Sicherheit während des außenpolitischen Diskurses im Herbst 2001 zum zentralen Schlüsselwort entwickelt, erbringt schließlich die Bezeichnung der Bundeswehreinheit, die am Ende des Jahres 2001 nach Afghanistan geschickt wird. Sie wird nicht nur als „Schutztruppe“ (FAZ v. 22.12.01b) deklariert, sondern in Übersetzung des international eingeführten Namens International Security Assistance Force (später stets nur noch verkürzt als ISAF bezeichnet) auch als „sogenannte Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe“ (FAZ v. 22.12.01a).

6.4 „Dieses umfangreiche Maßnahmenpaket (...) garantiert ein Optimum an Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger.“ – Der innenpolitische Sicherheitsdiskurs nach dem 11. September 2001 Auf innenpolitischem Gebiet erfolgt nach den Ereignissen vom 11. September 2001 eine Reihe von Gesetzesänderungen, die zusammenfassend als Sicherheitspakete bezeichnet und diskutiert werden. Im ersten Schritt werden noch im September 2001 Änderungen im Vereinsgesetz zur Aufhebung des Religionsprivilegs, im Strafgesetzbuch betreffend die Bildung terroristischer Vereinigungen sowie im Sicherheitsüberprüfungsgesetz zur „Sicherheitsüberprüfung aller Personen (...), die an sicherheitsempfindlichen Stellen arbeiten“530, auf den Weg gebracht. Zudem werden im Rahmen dieses ersten Sicherheitspakets Finanzierungsmaßnahmen für die Nachrichtendienste, Bundeswehr und andere Sicherheitsbehörden im Umfang von ca. drei Milliarden Euro beschlossen.531 Danach erfolgen mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz – als Sicherheitspaket zwei bezeichnet – Modifizierungen in über 20 Gesetzen, darunter im Bundesverfas-

|| 530 Abou-Taam, Marwan: „Folgen des 11. September 2001 für die deutschen Sicherheitsgesetze“. In: APuZ. 61. Jg. (2011), S. 9–14, hier: S. 11. 531 Vgl. ausführlich zu einzelnen Gesetzesbeschlüssen ebd. || Anmerkung: „Dieses umfangreiche Maßnahmenpaket (...) garantiert ein Optimum an Sicherheit für die Bürgerinnen und Bürger“, meint der Bundestagsabgeordnete der Grünen Volker Beck (Beck v. 15.11.01).

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sungsschutzgesetz und in den Gesetzen über den Militärischen Abschirmdienst, den Bundesnachrichtendienst, den Bundesgrenzschutz und das Bundeskriminalamt. Während die außenpolitische Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan im Wesentlichen als Ringen um das geeignete Konzept zur Wiederherstellung von Sicherheit gelesen werden kann, in dessen Konsequenz Sicherheit erst als Leitbegriff des Diskurses in erheblichem Ausmaß etabliert und für parteipolitische Besetzung erstrebenswert wird, steht in der innenpolitischen Debatte der Kampf um die Aneignung des Sicherheitsbegriffs für die jeweils eigene politische Gruppierung von Beginn an im Zentrum der Auseinandersetzung um Reaktionen auf die Ereignisse des 11. September 2001. Ruft man sich die zentrale Denkfigur des Diskurses noch einmal in Erinnerung – ‚Sicherheit ist verloren gegangen und muss mit geeigneten Mitteln wiederhergestellt werden‘ –, so fokussiert der außenpolitische Diskurs verstärkt das ‚Wie‘ der Wiederherstellung von Sicherheit. Sicherheit fungiert dabei vorrangig als letztinstanzlicher Mobilisierungsbegriff, der die Maßnahme Bundeswehreinsatz durchsetzen bzw. verhindern helfen soll. Demgegenüber dreht sich der innenpolitische Schlagabtausch von Beginn an und primär darum, den Begriff für die eigene politische Partei zu besetzen. Im Sinne der zentralen Denkfigur geht es daher an erster Stelle um die Frage bzw. die Auseinandersetzung, wer für die Wiederherstellung von Sicherheit am besten geeignet ist. Durch parteiprogrammatische Perspektivierung sollen Vorstellungen der eigenen Gruppe von Sicherheit durchgesetzt werden. Der Sprachgebrauch macht das Streben der Parteien um die führende Position als Gewährleister von Sicherheit in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich. Im folgenden Beispiel etwa formuliert Barbara Hendricks (SPD) im Sinne der dominanten Denkfigur mit einem expliziten Hinweis auf die Wirksamkeit der eigenen Partei: Nicht nur für die Wirtschaftsentwicklung, sondern auch für das Lebensgefühl jedes Einzelnen in Deutschland ist es wichtig, dass wir alle bald das Gefühl der Sicherheit [Herv. im Original; A. S.] zurückgewinnen, das vor den Terroranschlägen in den Vereinigten Staaten in Deutschland herrschte. Sicherheit wurde von jedem als selbstverständlich angesehen. Jetzt fühlen sich viele latent bedroht. (...) Das Gefühl von Sicherheit scheint nun verloren. Wir werden alles tun, um es zurückzugewinnen. Die Bundesregierung hat sehr schnell reagiert und die notwendigen Mittel bereitgestellt. (Hendricks v. 9.11.01)

Hier geht es im ersten Schritt wiederum um die Konstruktion eines als verloren etikettierten Sicherheitsgefühls, das die Folie bildet für ein Heilsversprechen, als dessen Einlöser regelmäßig die eigene Partei inszeniert wird.

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Dabei bilden auch in der innenpolitischen Auseinandersetzung der bereits ausführlich beschriebene Bedrohungstopos und seine Unterausprägung als Differenztopos den Boden für die Wirkungsmächtigkeit dieses Sicherheitsversprechens. Die FAZ berichtet: „Die Innenminister erwarten, dass sich die Sicherheitslage verschärft“ (FAZ.net v. 18.9.01a). Schließlich gebe es „ein klares Bewußtsein, daß es große Gefahren wirklich gibt“ (FAS v. 4.11.01). Und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) rechtfertigt die Verabschiedung des Sicherheitspakets zwei im Dezember 2001 mit folgenden Worten: „Wir haben es mit einem Gesetz zu tun, durch das die Konsequenzen aus einem ganz schlimmen Ereignis und aus einer Bedrohung, die uns wahrlich das Fürchten lehrt, gezogen werden“ (Schily v. 14.12.01). Er weist darauf hin, „dass diese Gefahr nicht etwa verschwunden ist, sondern fortbesteht“ (ebd.). Medien und Parlament argumentieren parallel: „Seit dem 11. September hat das Thema innere Sicherheit mit großer Macht einen neuen Stellenwert bekommen“ (FAS v. 4.11.01). So findet von Beginn an die mediale wie auch parlamentarische Diskussion als Sicherheitsdebatte unter der Bezeichnung innere Sicherheit statt.532 Diese Etikettierung findet sich partei- und medienübergreifend und gibt schon die grundlegende Zielrichtung des innenpolitischen Diskurses nach dem 11. September 2001 vor. Daraus lässt sich jedoch noch nicht ableiten, dass der Ausdruck auch als Leitvokabel im vorliegenden Diskurs fungiert, zumal der Begriff der inneren Sicherheit in der bundesdeutschen innenpolitischen Debatte etabliert ist und unter seiner Flagge immer wieder Debatten ausgetragen wurden, deren Leitvokabel nicht zwingend Sicherheit war. Dieser Zusammenhang alleine liefert also noch keine Evidenz für die Brisanz des Begriffs Sicherheit auf innenpolitischem Gebiet nach den Ereignissen in New York. Gleichwohl ist zu beobachten, dass der Begriff in diesem Diskurs nach dem 11. September 2001 einen Wandel erfährt, der zu seiner Konstitution als Leitvokabel im Diskurs führt: Es ist davon auszugehen, dass Sicherheit vor dem 11. September 2001 zwar als Fahnenwort der konservativen Parteien etabliert und von den linkspolitischen Parteien grundsätzlich eher als Stigmawort genutzt wird, seine Verwendung jedoch unmittelbar vor den Ereignissen in New York als relativ kontextunabhängig und zu diesem Zeitpunkt als wenig umkämpft gelten kann. In der Folge der Ereignisse avanciert er vom gesellschaftlich nicht hinterfragten Ausdruck der Innenpolitik zum gruppenübergreifenden Fahnenwort und wird zum brisanten Begriff. Erst im Kontext der zeitaktuellen Nöte tritt sein „Heilsbotschaftscharak-

|| 532 Unter dieser Bezeichnung sind auch die zugehörigen Plenarprotokolle im Bundestagsarchiv abgelegt.

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ter“533 in den Vordergrund und die Aneignung für die eigene politische Programmatik wird erstrebenswert. Im Folgenden sei zunächst ein allgemeiner Blick auf die Lexemebene des hier betrachteten Teildiskurses geworfen. Dabei zeigt sich eine extreme Häufung des Begriffs Sicherheit. Insbesondere an exponierten Textstellen wie etwa in Überschriften sowie Über- und Unterzeilen von Artikeln ist der Ausdruck in vielfältiger Weise präsent und verweist auf bzw. etabliert den Sicherheitsgedanken als diskursprägende Konstruktion. Beispielhaft seien dafür aus einer Vielzahl an Belegen folgende Artikelüberschriften genannt: „Zwischen Sicherheit und Freiheit“ (SZ v. 19.9.01b), „Maßnahmenkatalog zur inneren Sicherheit“ (FAZ v. 19.9.01c), „Schulden machen für die Sicherheit“ (FAS v. 21.10.01) und „Nicht sicher genug“ (SZ v. 30.10.01b). Im parlamentarischen Diskurs lassen sich zahlreiche Aussagen explikativer Natur parallel setzen, die die politische Auseinandersetzung als ‚Sicherheitsdebatte‘ zu definieren versuchen. So formuliert etwa Michael Glos von der CSU: „Die Anschläge in den Vereinigten Staaten stellen (…) auch dringende Fragen an die innere Sicherheit [Herv. im Original; A. S.] in Deutschland“ (Glos v. 19.9.01). Äußerungen Wolfgang Bosbachs (CDU) sind in ihrem definitorischen Charakter noch deutlicher. Er bezeichnet die innenpolitische Auseinandersetzung nach dem 11. September 2001 als „aktuelle und dringend notwendige Debatte über mehr (…) innere Sicherheit“ (Bosbach v. 19.9.01). Auch Bundesfinanzminister Hans Eichel intendiert, durch entsprechend apodiktischen Sprachgebrauch Faktizitäten im Diskurs herzustellen. So wird er in der FAZ mit folgenden Worten zitiert: „Es geht um die Sicherheit unseres Landes hier und jetzt“ (FAZ v. 20.9.01). Petra Pau als Vertreterin des entgegengesetzten parteipolitischen Lagers (PDS) offenbart das gleiche Diskursverständnis, wenn sie „bei jedem neuen Vorschlag“ (Pau v. 11.10.01) die Frage stellen will: „Bringt dieser Vorschlag mehr Sicherheit oder gibt er dies nur vor?“ (ebd.). Eine Reihe zum Teil neu gebildeter Komposita mit dem Determinans Sicherheit lässt ebenfalls darauf schließen, dass der Diskurs als Sicherheitsdiskurs definiert und ausgetragen wird. In diesen Komposita kondensiert sich das Diskursverständnis der Kommunikationsteilnehmer. Sicherheit bildet zugleich den Ausgangs- wie auch den Fluchtpunkt der gesamten Debatte. Nirgendwo wird dies deutlicher als im Begriff Sicherheitspaket, der im Laufe des innenpolitischen Diskurses nach dem 11. September 2001 als generalisierende Zusammenfassung für Gesetzesvorhaben der Regierung geläufig wird und nur anfangs einer Explikation bedarf: „mehrere Gesetzentwürfe (...), mit denen die innere || 533 Bachem 1979, S. 63.

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Sicherheit verbessert werden soll, das sogenannte Sicherheitspaket“ (FAZ v. 12.10.01). Von den Kommunikationsteilnehmern kann der Ausdruck nur aufgrund der Aktualität im damaligen Kontext dekodiert werden. Begriffe wie „Sicherheitsgesetze“ (z. B. SZ v. 18.10.01) oder „Sicherheitsvorschläge“ (z. B. SZ v. 31.10.01) sind wenig umstritten, verweisen aber ebenso deutlich auf Sicherheit als wesensprägende Diskurskonstruktion. Beinahe jedes politische Einzelvorhaben wird ebenfalls mit dem Label Sicherheit gekennzeichnet und trägt zur Etablierung des Begriffs als Leitvokabel des innenpolitischen Diskurses weiter bei bzw. repräsentiert diese. So werden ein „Sicherheitsbündnis“ (z. B. FAZ v. 21.9.01), „Sicherheitsprogramme“ (z. B. FAS v. 30.9.01), „Sicherheits-Konzepte“ (FAZ.net v. 18.9.01b), „Sicherheitsüberprüfungen“ (SZ v. 7.11.01) oder „Sicherheitsstandards“ (z. B. FAZ v. 15.9.01a) gefordert; „Sicherheitsfachleute“ (FAS v. 16.9.01a) formulieren „Sicherheitsempfehlungen“ (ZEITonline v. 25.10.01a). Man wünscht sich ein „Bundessicherheitsamt“ (FAZ v. 5.10.01b) und „die Sicherheitsstrukturen in Deutschland müßten (...) neu organisiert werden“ (FAZ v. 27.9.01b). Weiter oben wurde bereits auf einige der hier genannten Komposita und das ihnen inhärente systematische, juristische und autoritäre Lösungsverständnis eingegangen; Begriffe wie „Sicherheitsinvestitionen“ (FAZ v. 10.10.01b) oder „Sicherheitsaufwand“ (ZEITonline v. 25.10.01a) versprechen des Weiteren eine monetäre Möglichkeit der Wiederherstellung von Sicherheit und spiegeln ebenfalls ein grundlegendes Verständnis der sozialen Gemeinschaft von Problembewältigung wider, nämlich gesellschaftlichen Fragestellungen mit der Bereitstellung finanzieller Mittel zu begegnen. Die Determinata in Komposita wie „Sicherheitsverständnis“ (z. B. FAZ v. 19.9.01b) oder „Sicherheitsbewußtsein“ (FAS v. 7.10.01) bilden Lexeme aus dem Wortfeld ‚Reflexion‘. Sie werden meist in Verbindung mit den Attributen ,neu‘ oder ,verändert‘ verwendet und beschreiben aktuelle gesellschaftliche Reflexionsprozesse. Diese Redeweise zeigt, dass Sicherheit in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Überlegungen rückt und diese gleichzeitig maßgeblich perspektiviert. Wie sehr Sicherheit das Denken und damit den Sprachgebrauch der damaligen Sprachgemeinschaft bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt nach dem 11. September 2001 beherrscht, offenbaren auch nahezu tautologische Ausdrucksweisen, die in dieser Zeit regelmäßig auftreten; so ist etwa die Rede von „Vorschläge[n], die innere Sicherheit in Deutschland zu sichern“ (SZ v. 17.9.01) oder dem „Personal von (...) sicherheitsempfindlichen Stellen“ (SZ v. 29.10.01a), das „besser als bisher sicherheitsüberprüft werden“ (ebd.) soll. Bereits die kurze lexematische Betrachtung lässt vermuten, dass Sicherheit im innenpolitischen Diskurs nach dem 11. September 2001 als der zeitaktuell

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über alle Parteigrenzen hinweg gültige Leitbegriff vorausgesetzt und damit als prioritäres gesellschaftliches Ziel ausgerufen ist. Vorwiegend durch sprachliche Auf- und Abwertungsstrategien sowie spezifische Kontextualisierungen versuchen die Interessengruppierungen, den Begriff für die eigene politische Position einzunehmen. Nur an der Oberfläche dreht sich der hier betrachtete Teildiskurs um geeignete innenpolitische Reaktionen auf die Ereignisse in den USA. In seinem Kern offenbart sich ein Inszenierungswettlauf der politischen Parteien um die führende Position als gesellschaftlicher Sicherheitsgewährleister. Der politische Streit im Diskurs konzentriert sich darauf, welche Partei den Begriff für das eigene Lager mit eigenen Deutungsinhalten besetzen kann und gesellschaftlich als die Gruppierung wahrgenommen wird, die das ausgelobte Versprechen Sicherheit am besten einlösen kann. Bedeutend ist dieser Streit vor allem deshalb, weil über Jahrzehnte ‚gültiges‘ gesellschaftliches Wissen Änderungsabsichten unterliegt. Die bis dato zum politischen Allgemeingut der Bundesrepublik Deutschland zählende Konstruktion von der CDU/CSU als ,die Partei(en) der inneren Sicherheit‘ wird im Diskursverlauf in Frage gestellt und aufgebrochen – insbesondere von den Regierungsparteien SPD und Grüne, aber auch in den Medien. Die FAZ etwa spricht ganz explizit vom „Auftrag des Kanzlers (...), der im Kern lautet: die SPD zur Partei der inneren Sicherheit machen“ (FAZ v. 26.10.01). Anders als noch in den 1990er Jahren wird es nach dem 11. September 2001 und dem sich in der Folge manifestierenden Mentalitätswandel plötzlich erstrebenswert, als ‚Sicherheitspartei‘ wahrgenommen zu werden. Im medialen und parlamentarischen Sprachgebrauch offenbart sich dieser Kampf explizit im Bild des ‚Wettlaufs‘ bzw. des ‚Wettkampfs‘ mit Begriffen aus dem Bereich ‚sportlicher Auseinandersetzung‘. So titelt etwa die FAZ: „Union im Wettlauf um Sicherheits-Konzepte“ (FAZ.net v. 18.9.01b) und stellt fest, dass die CDU/CSU die von Innenminister Otto Schily vorgelegten Gesetzesvorhaben „schwer übertreffen kann“ (FAZ v. 26.10.01). Die CDU fragt sich daraufhin, ob sie „auf allen Ebenen den geforderten kämpferischen Umgang mit dem Thema erbracht“ (FAS v. 28.10.01) hat und appelliert durch ihren Vertreter Roland Koch: „Mehr um die innere Sicherheit kämpfen“ (ebd.). Der politische Kampf um die innere Sicherheit wird in diesem Sprachbild zu einem ‚Ringen um die Besetzung von Räumen‘ ähnlich wie auf Spielfeldern im Sport oder in militärischen Auseinandersetzungen. Herbert Mertin (FDP) wird etwa in der SZ zitiert: „Schilys Ziel sei es offenbar, der CSU nur noch wenig Raum zu lassen. Im Gegenzug versuche die CSU, Schily noch zu übertreffen. Dabei gerieten die Prinzipien des Rechtsstaats in Gefahr“ (SZ v. 25.10.01b), weshalb er den politischen Schlagabtausch auch als „[g]efährliche[n] Wettlauf von Schily und CSU“ (ebd.)

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bezeichnet. Peter Struck (SPD) konstatiert in der parlamentarischen Debatte ‚Raumgewinne‘ für die eigene Partei: „Das Vertrauen (...) in die Arbeit von Otto Schily ist so groß, dass es der Opposition keinen realen Raum lässt, sich zu profilieren“ (Struck v. 11.10.01). So sind im ,Wettkampf‘ die ‚Sieger‘ schnell ausgemacht. Volker Beck von den Grünen adressiert schon im Oktober 2001 die Oppositionspartei mit Schützenhilfe der Medien folgendermaßen: Der ‚Stern‘ schreibt, das Thema Sicherheit werde von der Regierung so gut abgedeckt, dass die Gegner von der Union keinen Ball sehen, obwohl es eigentlich ein Heimspiel für sie sein müsste. (...) [S]ollte Ihnen jemals Kompetenz in Sachen innere Sicherheit zugeschrieben worden sein: In den letzten Tagen und Wochen haben Sie die endgültig verspielt. (Beck v. 11.10.01)

Und auch die traditionell dem konservativen Lager zugeneigte FAZ stellt zwei Monate später fest: „Schröders Innenminister ist es (...) gelungen, in die einstige Domäne der Unionsparteien einzubrechen und das Thema für die SPD zu gewinnen“ (FAZ.net v. 12.12.01). So verwundert der explizite Appell von Friedrich Merz an seine eigene Partei, sich intensiver um die Besetzung des Begriffs Sicherheit zu bemühen, schließlich nicht: „Die CDU müsse wieder stärker mit dem Begriff der inneren Sicherheit in Verbindung gebracht werden“ (FAZ v. 15.10.01), wird der CDU-Franktionsvorsitzende in der FAZ zitiert. Im diskursiven Ringen um die Position als ,Sicherheitspartei‘ fallen weitere sprachliche Strategien auf. So wird durch apodiktischen Sprachgebrauch versucht, dem eigenen Parteiverständnis Faktizität zu verleihen. Peter Müller, der Ministerpräsident des Saarlands, stellt in einem Interview mit der SZ fest: „Die Union ist die Partei der inneren Sicherheit. Das ist und bleibt unsere Kernkompetenz“ (SZ v. 25.10.01b). In ähnlichem Duktus formuliert auch Volker Beck von den Grünen: „Die Kompetenz und Entschiedenheit dieser Koalition auf dem Feld der inneren Sicherheit [Herv. im Original; A. S.] steht außer Frage“ (Beck v. 11.10.01). Der hessische Ministerpräsident Roland Koch appelliert – ebenfalls in apodiktischer Manier – an tradiertes bundesrepublikanisches Wissen und versucht gleichzeitig, dieses im aktuellen Diskurs zu festigen, wenn er in einem Interview konstatiert, dass „die Union aus Sicht der Mehrheit der Deutschen die Kompetenz für die innere Sicherheit hat (...) und die Kompetenz der Union für innere Sicherheit unbestritten“ (FAS v. 28.10.01) ist. Dieses gesellschaftliche Wissen wird im Diskurs regelmäßig aufgegriffen. In zahlreichen Äußerungen wird die politische Historie der Bundesrepublik bemüht. Diese geschichtstopische Strategie dient sowohl der eigenen Aufwertung als auch der Abwertung des Gegners. Während die CDU/CSU darum kämpft, die bestehende Konstruktion der Union als traditionell der Sicherheit verpflichteten Partei im Diskurs zu

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stärken, versuchen die Regierungsparteien SPD und Grüne, dieses Wissen zu ihren Gunsten zu aktualisieren. Dieses Ringen wird auch in den Medien thematisiert. In der FAZ wird der CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber folgendermaßen zitiert: „Stoiber beanspruchte für seine Partei, beim Schutz der inneren Sicherheit auf eine makellose Geschichte zurückblicken zu können“ (FAZ v. 13.10.01c). Die Aneignung des Sicherheitsbegriffs durch die Regierungsparteien weist Stoiber ebenfalls mit Hilfe des Geschichtstopos zurück, wenn er vorbringt, dass „alle wesentlichen sicherheitspolitischen Richtungsentscheidungen seit der Gründung der Bundesrepublik auf erbitterten Widerstand in weiten Teilen der SPD und später erst recht bei den Grünen gestoßen sind“ (FAZ.net v. 15.10.01). Rudolf Scharping von der SPD hingegen nutzt den Geschichtstopos im Rahmen der Abwertung des politischen Gegners für den Versuch, dessen Begriffsherrschaft zu beenden: „Es sei Deutschland nie gut bekommen, ‚wenn sich die Sicherheitskräfte nur bei den Konservativen gut aufgehoben fühlten‘“ (FAZ.net v. 19.10.01b). Dass sich im Diskurs Sicherheit zum prioritären identitätsbildenden Parteienmerkmal entwickelt, um dessen Aneignung die Parteien vorrangig kämpfen, zeigen des Weiteren in diesem Zusammenhang verwendete Begrifflichkeiten aus dem Themenfeld ‚geistiges Eigentum‘, die sowohl im medialen als auch im parlamentarischen Sprachgebrauch auftreten. Immer geht es auch dabei um Distinktionsbemühungen der politischen Parteien hinsichtlich des Sicherheitsbegriffs und die Frage, welcher Partei das Thema Sicherheit ‚gehört‘. Die FAZ meint: „In der Frage der inneren Sicherheit bedroht der Kanzler (...) die ‚Markenidentität‘ der Union“ (FAZ.net v. 15.10.01), woraufhin Edmund Stoiber „eigentliche Urheberrechte anzumelden“ (ebd.) versucht: „Die Sicherheit habe in Deutschland einen Namen, sagte Stoiber, den der CSU und des bayerischen Innenministers Beckstein“ (FAZ v. 13.10.01c). Im Sprachgebrauch der Unionsparteien sind implizite Unterstellungen der Nachahmung an den politischen Gegner auszumachen; beispielsweise wenn der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) formuliert: „Ein Original muß sich nicht deshalb verändern, weil die Kopie versucht, immer gleicher zu werden“ (FAS v. 28.10.01). Die sprachliche Abwertungsstrategie basiert hier auf der gesellschaftlich gültigen Vorstellung, dass ein Original stets besser ist als sein Imitat. Ähnlich wie die Konstruktion von ‚Original‘ und ‚Nachahmung‘ als sprachliche Strategie der Auf- und Abwertung durch ein oppositionelles Begriffspaar fungiert auch die Differenzierung von ‚Reden‘ und ‚Handeln‘ als Methode der Stigmatisierung des politischen Gegners und Aufwertung der eigenen politi-

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schen Leistung. Sie ist dem bereits vorgestellten Aktivitätstopos534 zuordenbar und kann als im politischen Schlagabtausch gängige, zunächst nicht spezifisch mit dem Sicherheitsbegriff zusammenhängende Kommunikationsstrategie gelten. Sie realisiert sich in bekannten Äußerungen wie „Entscheidend sind Taten, nicht Worte“ (SZ v. 25.10.01a). Roland Koch diffamiert die SPD mit Hilfe des Aktivitätstopos: „Die Menschen sehen sehr schnell, daß es bei Schily und einigen anderen Sozialdemokraten vor allem rhetorische Positionen sind, um einem gewandelten Meinungsklima zu entsprechen. Aber mit Worten schafft man keine Regierungsfähigkeit“ (FAS v. 28.10.01). Auffällig ist, dass Äußerungen, die auf die Abwertung des politischen Gegners zielen, mitunter Wortspiele mit dem Begriff Sicherheit enthalten. So wird Edmund Stoiber in der FAZ zitiert: „‚Das einzige, was sich bei der SPD mit Sicherheit wandelt, das sind ihre rhetorischen Bekenntnisse‘“ (FAZ.net v. 15.10.01). Der Sprachgebrauch liefert hier ein weiteres Indiz dafür, dass Sicherheit die Leitvokabel im Diskurs darstellt. Wenn Wolfgang Bosbach (CDU/CSU) in ähnlicher Weise meint: „Die innere Unsicherheit der Koalition über das, was jetzt zu tun ist, darf nicht die innere Sicherheit des Landes gefährden“ (Bosbach v. 11.10.01), dann gelingt ihm im Diskurs ein rhetorischer Doppelschlag im Hinblick auf den umkämpften Sicherheitsbegriff: Die politischen Aktivitäten der Regierung werden mit dem negativ konnotierten Ausdruck Unsicherheit verknüpft und stigmatisiert; auf der Folie der Unsicherheit wird die Unbedingtheit von Sicherheit umso wirkungsmächtiger vor Augen geführt. Der dann meist folgende geschichtstopische Fingerzeig auf die eigene Partei, die nach eigenem Verständnis „als Union in den vergangenen fünfzig Jahren (...) eine klare Haltung zur inneren Sicherheit eingenommen“ (FAS v. 28.10.01) hat, ergänzt die Abwertung des Gegners um eine auf die eigene Gruppe zielende sprachliche Aufwertungsstrategie. Des Weiteren lassen sich im Rahmen des Aktivitätstopos Bezeichnungskonkurrenzen beobachten, die von einer unterschiedlichen Auslegung des Aktivitätsbegriffs zeugen und ebenfalls sprachliche Realisierungen der Auf- und Abwertung verschiedener politischer Meinungen und Vorhaben darstellen. Einzelne Regierungsmitglieder sowie regierungsfreundliche Medien nutzen positive Konnotationsaspekte des Begriffsfelds ‚Aktivität/Handlung‘ und bezeichnen in diesem Zusammenhang die politische Vorgehensweise der Regierungsparteien beispielsweise als „Handlungsfähigkeit[, die; A.S.] in Sicherheitsfragen unter Beweis gestellt“ (FAZ v. 13.12.01) wird. Die Haltung der Kritiker neuer Gesetzesbeschlüsse wird dagegen, etwa von Otto Schily, als „Gemächlichkeit und Umstandskrämerei“ (FAZ v. 20.9.01) bezeichnet, wie die FAZ berichtet. Die Trenn|| 534 ,Weil etwas passiert ist, muss gehandelt werden/sind Aktivitäten (nicht) sinnvoll.‘

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linien politischer Meinung verlaufen hierbei nicht immer an den Parteigrenzen. So stigmatisiert auch beispielsweise Michael Glos von der CSU die Gegner neuer Sicherheitsgesetze laut FAZ als „Bedenkenträger“ (FAZ v. 10.10.01a), die „angesichts der sicherheitspolitischen Lage [...] mal ein ganzes Stück zurücktreten“ (ebd.) sollten. In dieser Äußerung zeigt sich zudem noch einmal beispielhaft die immerwährende Präsenz des bereits thematisierten Bedrohungstopos im Diskurs. Gegner und Kritiker der Gesetzesvorhaben verwenden hingegen negativ konnotierte Begriffe für die Aktivitäten des Innenministers Otto Schily und des Kabinetts. So wird die Vorgehensweise der Regierung als „Aktionismus“ (z. B. FAZ v. 5.10.01a) und „kopflose[r] Aktionismus“ (FAZ v. 20.10.01), als „Fiebrigkeit“ (FAZ.net v. 18.9.01b) oder als „Moment der Verunsicherung und hektischen Tastversuche in der Sicherheitspolitik“ (ZEITonline v. 25.10.01b) bezeichnet und vor einem „Klima der Hysterie“ (FAZ v. 19.9.01b) gewarnt. Einen ähnlich abwertenden Charakter weisen Bezeichnungen wie „sicherheitspolitische Eile“ (FAZ v. 13.10.01a) oder „Aktionseifer“ (ebd.) auf. Negativ konnotierte Ausdrücke für das innenpolitische Vorgehen nach dem 11. September 2001 finden sich auch innerhalb der Regierungsparteien wieder. Insbesondere von einzelnen Mitgliedern der Grünen wird offen Kritik an Schilys Gesetzesplänen geübt; so fordert etwa Kerstin Müller, „im Bereich der inneren Sicherheit keine Schnellschüsse“ (Müller v. 19.9.01) abzugeben. Diesen abwertenden Interpretationen von ‚Aktivität‘ werden in regierungskritischen Äußerungen schließlich oppositionelle Begriffe wie „Ruhe und Besonnenheit“ (ebd.) kontrastierend entgegen gesetzt. Der Begriff Besonnenheit wird dabei sowohl von Skeptikern innerhalb der Regierungsparteien als auch von Gegnern in der Opposition gebraucht, so dass der Sprachgebrauch explizit thematisiert und der Begriff dabei differenzierend gedeutet wird. Für die eigene Haltung werden positive Bedeutungsaspekte beansprucht, während man dem politischen Gegner implizit eine ungünstigere Begriffsdeutung zuweist. So führt Angela Merkel (CDU) aus: Wenn in diesen Tagen von Besonnenheit gesprochen wird, dann spüre ich (...), dass dahinter ein ganz unterschiedliches Verständnis steht. Besonnenheit kann Entschlossenheit, Mut und richtiges Handeln mit kühlem Kopf bedeuten. Wenn Besonnenheit jedoch Wankelmütigkeit bedeutet, dann ist dies nicht unser Verständnis. Es muss eine Besonnenheit sein, bei der klar wird, dass wir nicht nur wissen, was wir nicht wollen oder wovor wir uns fürchten, sondern auch wissen, was wir anstreben und wozu wir uns entschließen. Das ist das Allerwichtigste. (Merkel v. 19.9.01)

Besonders dominant werden aktivitätstopische Sprachstrategien im Rahmen der Verabschiedung des Sicherheitspakets zwei im Dezember 2001. Eine mehrtägige Phase von Diskussion, Verabschiedung der Gesetze und Nachbetrachtung, die in den Medien auch als „‚Sicherheits‘-Woche im Bundestag“ (FAZ.net

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v. 12.12.01) bezeichnet wird, markiert das vorläufige Ende der brisanten Phase im innenpolitischen Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001. Nachdem klar wird, dass die Gesetzesvorhaben der Regierung noch vor Weihnachten im Bundestag verabschiedet werden sollen, verlegt sich der Schwerpunkt der innenpolitischen Debatte auf die Bewertung des zeitlichen Rahmens des parlamentarischen Verfahrens. Der Aktivitätstopos wird vorwiegend zur Beanstandung der Geschwindigkeit genutzt, die für Beratung und Verabschiedung von zahlreichen Sicherheitsgesetzen im Bundestag veranschlagt worden ist. Erwin Marschewski (CDU) kritisiert: Dieses Verfahren ist bei aller Eile (...) nicht seriös. Die Beratungszeit für ein Gesetz mit circa 100 Gesetzesänderungen war zu kurz und die Behandlung von Parlamentariern unzumutbar. (...) Aber heute im Innenausschuss war es das Gleiche: wieder diese Hektik, wieder diese Eile. (Marschewski v. 14.12.01)

Auch Max Stadler (FDP) formuliert ähnlich: Die rot-grüne Koalition möchte mit der raschen Verabschiedung dieses Gesetzes Handlungsfähigkeit und Stärke demonstrieren. Betrachtet man das Verfahren, hat man den Eindruck: Es gibt in Wahrheit einen Beweis der inneren Schwäche und Zerrissenheit der Koalition. (...) Das Verfahren war unzumutbar. (Stadler v. 14.12.01)

Auffällig sind in diesem Zusammenhang nicht zuletzt starke Bezüge zum Begriff Sicherheit, der auch hier als diskursive Leitvokabel den Fixpunkt jeglicher Argumentationsstrategien markiert. Äußerungen wie „Schily will nicht nur beweisen, dass der Staat schnell handeln kann, sondern auch, dass er schnell handeln muss, wenn es um die Sicherheit seiner Bürger geht“ (FAZ.net v. 12.12.01), weisen in diese Richtung. Dass es sich um den brisanten Begriff im Diskurs handelt, zeigen auch in die aktivitätstopische Sprachstrategie eingebettete explizite Fingerzeige zu Sicherheit, die in folgendem Beitrag von Heribert Prantl in der SZ besonders deutlich werden. Er greift dabei die im innenpolitischen Diskurs verbreitete Metaphorik des Gesetzes- bzw. Sicherheitspakets auf und nutzt sie für eine umfassende Kritik am Tempo des parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens: Otto Schily (...) peitscht das Anti-Terrorismus-Gesetz in einer Hast durchs Parlament, dass den Parlamentariern zum Nachdenken und Beraten keine Zeit bleibt. (...) Das Parlament wird also über ein Gesetzespaket abstimmen, das kaum einer genau kennt, dem aber gleichwohl eine große Mehrheit zustimmen wird, weil Sicherheit hoch im Kurs steht, (...) und weil die Union bei keinem Paket die Annahme verweigert, bei dem ‚Sicherheit‘ draufsteht. Auf diese Weise wird aber aus dem Gesetzgeber ein Bundes-Parcel-Service, der Gesetzespakete fertig geschnürt annimmt und zur Bundesdruckerei befördert. (SZ v. 12.12.01)

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Dass es sich dabei um eine gewichtige Äußerung im Diskurs handelt, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sie von der traditionell der SZ nicht nahestehenden Gruppe der CDU/CSU-Fraktion explizit thematisiert und bejaht wird: „Da hatte Heribert Prantl, wohl das erste Mal, Recht, als er sagte: Der Gesetzgeber verkommt zum Paketträger“ (Zeitlmann v. 14.12.01), sagt der Abgeordnete Wolfgang Zeitlmann vor dem Bundestag. Der Aktivitätstopos in seiner bejahenden Form (‚Weil etwas passiert ist, müssen wir handeln/sind Aktivitäten sinnvoll‘) appelliert auf tiefensemantischer Ebene an die gesellschaftlich etablierten Werte von Aktivität, Aktion, Agilität und Handeln. In der sozialen Öffentlichkeit versprechen sie Anerkennung und Wertschätzung, während hingegen Abwarten und Geschehenlassen mit Passivität und damit in der gesellschaftlichen Auffassung mit Langsamkeit, Inkompetenz und Unvermögen assoziiert sind. Faulheit gilt im katholischen Katechismus als eine der sieben Todsünden. Die positiv konnotierte Semantik von ‚Aktivität‘ und ‚Handlung‘ erinnert an protestantische bzw. calvinistische Ideen der Rechtschaffenheit und Erlösung durch Fleiß, Anstrengung, Arbeit und Askese. In der neueren bundesrepublikanischen Mentalität könnte die positive Bewertung der Begriffe zudem eng verknüpft sein mit der Vorstellung eines selbstbestimmbaren Schicksals gebunden an Einsatz und Tatkraft, die sich insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg ausgeprägt haben dürfte – die Semantik von diesbezüglich zentralen Begriffen wie Wiederaufbau und Wirtschaftswunder etwa ist eng mit dieser Denkfigur verbunden. Für den Begriff der Sicherheit ist zu konstatieren, dass mit der Durchsetzung des bejahenden aktivitätstopischen Sprachgebrauchs die Perspektive, durch umfangreiche politische und gesetzgeberische Aktivität Sicherheit (wieder)herstellen bzw. steigern zu können, befördert wird. Dahinter verbirgt sich nicht nur die Legitimation von Staat. Letzten Endes drückt sich darin der Glaube aus, dass mit menschlicher Handlung Kontrolle über die Welt erfolgen kann. Der Sprachgebrauch offenbart ‚Machbarkeit‘ als eine Kernfacette ‚westlicher‘ Mentalität. Das Überzeugungspotenzial von Aktvitäten und Maßnahmen bzw. deren Ablehnung wird im innenpolitischen Diskurs regelmäßig noch zusätzlich befördert, indem der Sicherheitsbegriff in den Kontext potenziellen Bürgernutzens gestellt wird. Gegner und Skeptiker bestimmter Vorhaben geben dabei genauso vor, ihre Meinung auf Sicherheitsüberlegungen für die Bevölkerung zu fußen wie deren Befürworter. So formuliert etwa die PDS in ihrem Dresdner Friedensappell, den die SZ in Auszügen druckt, abwertend: „Ein solches Sicherheitskonzept ist ein Misstrauensvotum gegen die Bürgerinnen und Bürger“ (SZ v. 8.10.01). Kerstin Müller von den Grünen kritisiert:

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Wir müssen genau prüfen, welche Maßnahmen wirklich zu mehr Sicherheit führen und welche nur vorgeben, es zu tun. (...) Ohne sorgfältige und gewissenhafte Prüfung der tatsächlichen Sicherheitslage solche Forderungen zu erheben, nenne ich Panikmache. Damit führen Sie keine Debatte über das, was notwendig ist. Das schafft auch nicht mehr Sicherheit. Im Gegenteil: Das verunsichert die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land. (Müller v. 19.9.01)

Die Befürworter der umfangreichen Gesetzesvorhaben betonen häufig, dass diese „dem Bedürfnis der Bevölkerung nach Sicherheit gerecht“ (FAZ v. 6.10.01) werden; schließlich gebe es einen „Ruf nach mehr Sicherheit“ (FAZ v. 29.9.01), dem sich „niemand aus der Politik (…) entziehen kann“ (ebd.), wie die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), in der FAZ zitiert wird. Sie kritisiert jedoch zugleich, dass „ein Teil der Vorschläge zur Verstärkung der inneren Sicherheit (...) offenkundig eher ‚zur Beruhigung der Volksseele‘ gedacht“ (ebd.) sind. Im Land Berlin wird ein „Sofortprogramm des Senats zur inneren Sicherheit“ (FAZ v. 21.9.01) als Entsprechung dessen gewertet, „was die Bevölkerung erwarte“ (ebd.). Für Bayern stellt Ministerpräsident Edmund Stoiber fest, „kein anderes Bundesland biete seinen Bürgern zusätzliche Sicherheitsinvestitionen in diesem Umfang“ (FAZ v. 10.10.01b). Durch die vorgegebene Betrachtung gesetzgeberischer Vorhaben aus Bürgerperspektive erfahren diese eine starke Legitimationsgrundlage und die politischen Akteure können sich durch diese Kontextualisierung als empathische Staatslenker präsentieren, die „die Sorgen der Bürger ernst“ nehmen (FAZ v. 21.9.01). Petra Pau von der PDS etwa glaubt: „Wir kennen die Sorgen, die Ängste und die Verunsicherung, die es in der Bevölkerung gibt“ (Pau v. 14.12.01). Folglich wird versprochen, wie hier von Bundeskanzler Gerhard Schröder, „dass die Menschen in Deutschland auf eines bauen können: Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger in unserem Land zu gewährleisten“ (Schröder v. 11.10.01). So erhält die Politik den Anstrich der Ausführung des Volkswillens, während man gleichzeitig in der Aneignung des Sicherheitsbegriffs für die eigene Partei bzw. Gruppierung reüssieren kann, wie etwa Gerhard Schröder mit der folgenden Aussage: „Aus dem, was ich gesagt habe, ergibt sich, dass die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes überzeugt sein können, dass ihre Sicherheit ein zentrales Anliegen der Bundesregierung (...) ist und bleiben wird“ (ebd.). Damit erweist sich die Einbettung des Sicherheitsbegriffs in den Zusammenhang des Bürgernutzens als weiteres zentrales Element im Inszenierungswettlauf der politischen Parteien um die gesellschaftliche Position als ,Sicherheitspartei‘. Letztlich kann hier von einem Topos des gesellschaftlichen Nutzens gesprochen werden: ‚Weil es im Sinne der Bürger ist, sollten bestimmte Handlungen erfolgen bzw. unterlassen

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werden.‘ Er gehört sicher auch in anderen (innenpolitischen) Diskursen zu den gängigen sprachlichen Strategien politischer Kommunikation. Seine Relevanz ergibt sich für den vorliegenden Diskurs aus seiner seriell aufzufindenden Verknüpfung mit dem Sicherheitsbegriff. Im Rahmen der Debatte um die Gesetzesvorhaben in den Sicherheitspaketen eins und zwei wird besonders intensiv um die Bedeutung von Sicherheit im Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Hochwertwörtern wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde gestritten. Im Sprachgebrauch der medialen sowie parlamentarischen Auseinandersetzung finden sich regelmäßig Beschreibungen der Beziehung staatlicher Prinzipien, allen voran wird die Relation von Sicherheit und Freiheit thematisiert. Letztlich handelt es sich bei diesen Verhältnisbestimmungen um weitere sprachstrategische Versuche, die Deutungshoheit über den Begriff der (inneren) Sicherheit zu erlangen und eigene Bewertungen der Gesetzesvorhaben durchzusetzen sowie diejenigen der Gegenseite abzuwerten. Gewissermaßen an der semantischen Oberfläche des Sprachgebrauchs sind zunächst drei im Diskurs wiederholt auftretende Relationsbeschreibungen erkennbar, mittels derer die Bedeutung staatlicher Prinzipien bestimmt werden soll. Bei Betrachtung der die Verhältnisbestimmungen begleitenden Äußerungen liegt des Öfteren die Vermutung nahe, dass eine andere als die eigentlich angesprochene Relation gemeint ist. Außerdem findet mitunter eine Vermischung der Relationskategorien statt, so dass die Bedeutung des Gesagten letztlich im Vagen verbleibt. Dass hier sprachliche Taktiken der Verschleierung vorliegen, um Zustimmungsbereitschaft zur eigenen Meinung und den Vorhaben der eigenen politischen Gruppierung zu erzielen, muss angenommen werden. Die Argumentationen der einzelnen Meinungsvertreter sind in diesem Zusammenhang besonders häufig von definitorischer Diktion sowie der Verwendung des Autoritätstopos durch das Vorbringen von Zitaten historischer Personen gekennzeichnet, um der eigenen Aussage einen Charakter von Objektivität und Unumstößlichkeit zu verleihen. Am häufigsten wird das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit als oppositionell beschrieben. Es drückt sich in Begriffen wie Balance oder Gleichgewicht aus. Damit wird das Bild einer ‚Waage‘ evoziert, in deren einer ,Schale‘ sich der Wert Sicherheit befindet und gegen Freiheit (und andere Prinzipien) in der anderen ‚Waagschale‘ ‚aufgewogen‘ wird.535 Dementsprechend wird die „Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“ (z. B. FAZ v. 19.10.01) als politische Forderung || 535 Vgl. auch die Etymologie des Begriffs Balance: von lateinisch bilanx: ,zwei Waagschalen habend‘.

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ausgegeben und in hochwertige Kontexte gesetzt. Bundeskanzler Gerhard Schröder verbindet sie in einem Interview mit der FAS zum Beispiel mit dem positiv belegten Begriff der offenen Gesellschaft: [A]bsolute Sicherheit werden wir nicht erreichen. Das können offene Gesellschaften auch gar nicht. Die Kosten würden eine Aushebelung der Freiheit bedeuten und unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten im Zeitalter der Globalisierung beeinträchtigen. Es geht also um die notwendige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. (FAS v. 30.09.01)

Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin bemüht ebenfalls einen hochwertigen Kontext. Sie wird wie folgt in der FAZ zitiert: „Die Europäische Grundrechtecharta könne dabei helfen, in Europa den Sinn für die nötige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu schärfen“ (FAZ v. 19.10.01). Verbunden mit der Vorstellung von ,Gleichgewicht und Balance‘ ist der Vorgang des ‚Wiegens‘ und damit die Messbarkeit und exakte Berechenbarkeit der Waagschaleninhalte. Die abstrakten Begriffe werden so zu etwas ,Greifbarem‘, ,Zählbarem‘ gemacht, wodurch wiederum ,Handhabbarkeit‘ und ,Kontrollierbarkeit‘ suggeriert werden. Das Bild wird nicht immer konsistent benutzt, wie folgende Formulierung zeigt, die die angenommene ,Berechenbarkeit‘ der Staatsprinzipien zum Ausdruck bringt: Es geht (...) immer um eine Abwägung. Die Sicherheit hat ihren Preis. Woran es Schily und andere Innenminister aber bisher fehlen lassen, sind nachvollziehbare Auskünfte darüber, für welches Stückchen Freiheit wir wieviel Sicherheit gewinnen. (FAZ v. 20.10.01)

Das Wegnehmen auf der einen Seite und Hinzufügen auf der anderen würde eben gerade nicht zu einem Gleichgewicht führen. Beschrieben ist damit jedoch ein trade-off zwischen den Werten, ein „Zielkonflikt (...), der an dieser Stelle herrscht“ (SZ v. 30.10.01a), wie er auch im Begriff der Gratwanderung zum Ausdruck kommt, der sich ebenfalls in politischen Aufrufen wiederfindet: „Man müsse zu einer Gratwanderung zwischen Freiheit und Sicherheit finden“ (SZ v. 19.9.01b). In diesem Bild befinden sich Sicherheit und Freiheit ebenfalls auf zwei gegenüberliegenden Seiten; auf dem ,Grat‘ kommt als Assoziation die ,Gefährlichkeit des Absturzes‘ auf eine Seite und damit der ‚totale Verlust‘ des sich auf der anderen Seite befindlichen Terrains noch hinzu. Das semantische Verhältnis von Sicherheit und Freiheit ist in dieser Relationsbeschreibung als antonymisch zu klassifizieren. Das Gleichgewichtspostulat fungiert als Folie für positive und negative Bewertungen der Gesetzesvorhaben und bildet den Rahmen für eine weitere Strategie der Auf- und Abwertung innerhalb des Schlagabtauschs um die innenpolitische Ausrichtung nach dem 11. September 2001. So reklamiert Herta Däubler-

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Gmelin in der ersten Beratung des Sicherheitspakets eins im Bundestag die entsprechende Ausgestaltung der Gesetzesentwürfe im Sinne der Balancerelation gleichzeitig als Leistung der eigenen Partei: „Wir halten die erforderliche Balance [Herv. im Original; A. S.] zwischen Sicherheit auf der einen und Rechtsstaatlichkeit und Freiheit auf der anderen Seite“ (Däubler-Gmelin v. 11.10.01). Zur Unterstreichung des eigenen Verdiensts nutzt sie die Autorität des Bundespräsidenten Johannes Rau, wenn sie im Anschluss an obige Aussage weiter ausführt: Dies ist nicht ganz leicht. Ich darf in diesem Zusammenhang an die Rede erinnern, die der Bundespräsident vor wenigen Tagen (...) gehalten hat. Er hat davon gesprochen, dass die gelungene Verbindung von Freiheit und Sicherheit nichts Selbstverständliches sei. Er hat Recht. Gerade in dieser neuen Situation (...) diese Verbindung herzustellen, ist unsere Aufgabe. Dieser Aufgabe müssen wir uns stellen. Ich will Ihnen sehr deutlich sagen: Wir tun das auch. (ebd.)

Und auch ihr historisch zu verortender und mit apodiktischer Manier vorgetragener Hinweis auf die Gesetzgebung in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit den Taten der RAF muss als Aufwertungsstrategie für die eigene Partei gelten, war doch die SPD zu jener Zeit ebenfalls Regierungspartei: [W]ir haben in unserem Land bereits Erfahrungen mit der Terrorismusbekämpfung [Herv. im Original; A. S.] gemacht. (...) Wir sollten uns nicht nur an die damals geführten Diskussionen erinnern, sondern auch an die Erfahrungen, die wir im Anschluss an die in diesem Zusammenhang durchgeführten Gesetzesänderungen gemacht haben. Die sind nämlich außerordentlich positiv. Wir haben den Terrorismus besiegen können, ohne den Rechtsstaat oder die Freiheit zu beschädigen und ohne die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit in unserer Gesellschaft aus dem Gleichgewicht zu bringen. (ebd.)

Mit dem Rückgriff auf historische Leistungen gelingt Däubler-Gmelin hier die Inszenierung ihrer Partei als ,kompetente Instanz‘ für die Lösung gesellschaftsaktueller Probleme; die zugrunde liegende Konstruktion eines Spannungsfelds von Sicherheit und Freiheit bietet dafür den entsprechenden Anknüpfungspunkt für das Lösungsversprechen der Partei. Nach der ersten Lesung der Gesetzesvorhaben im Rahmen des Sicherheitspakets zwei findet sich ein ähnlicher Sprachgebrauch in Äußerungen von Vertretern der Regierungsparteien. Sie „vertraten die Ansicht, das Gesetz halte eine gute Balance zwischen den Erfordernissen der inneren Sicherheit und denjenigen des Rechtsstaates“ (FAZ v.16.11.01b). Auch hier erfolgt wieder die Inszenierung der eigenen Gruppe als ,gesellschaftlicher Gewährleister der obersten Staatsprinzipien‘. So äußert sich etwa Volker Beck (Grüne): „Dieses umfangreiche Maßnahmenpaket (...) garantiert ein Optimum an Sicherheit für die Bürge-

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rinnen und Bürger. Gleichzeitig aber bleiben Rechtsstaatlichkeit und Bürgerrechte gewahrt. Wir haben die Balance gefunden“ (Beck v. 15.11.01). Nach der zweiten und dritten parlamentarischen Beratung der Gesetzesmaßnahmen wiederholt er nahezu identisch: Wir garantieren den Bürgerinnen und Bürgern ein Maximum an Sicherheit [Herv. im Original; A. S.]. Zugleich wahren wir Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und Bürgerrechte [Herv. im Original; A. S.]. Das Terrorbekämpfungsgesetz ist ein austariertes, verhältnismäßiges Bündel von Maßnahmen, mit denen wir die erforderliche Balance wahren. (Beck v. 14.12.01)

Aufgrund der Verwendung der Begriffe Optimum und Maximum sowie der jeweiligen Zuerstnennung von Sicherheit vor den anderen Miranda kann – anders als mit der Gleichgewichtsrelation behauptet – hier auch eine implizite Priorisierung von Sicherheit unterstellt werden. Vertreter der FDP hingegen kritisieren: „Das Gesetzespaket gefährde die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit (...). Wenn dieses Gleichgewicht aufs Spiel gesetzt würde, machten am Ende Terrorismus und Kriminalität das Rennen“ (SZ v. 4.12.01). Welchen Werten die politischen Akteure der FDP implizit den Vorrang geben, zeigt sich in der Weiterführung der Kritik: „Die Verfassung dürfe nicht zu einem Steinbruch werden, ‚aus dem nach Gutdünken Grundrechte und rechtsstaatliche Prinzipien Stück für Stück herausgebrochen werden‘“(ebd.).536 Auch in der medialen Debatte findet sich das Kriterium des ,Gleichgewichts‘ als Beurteilungsmaßstab für die geplanten Gesetzesmaßnahmen. In der ZEIT werden Schilys Pläne mit Skepsis betrachtet: Der Innenminister tut so, als sei er der Lordsiegelbewahrer. Er tritt auf, als gewährleiste er schon ganz allein die hoch empfindliche Balance zwischen Freiheit und Sicherheit und benötige kein Gegengewicht. So ist es aber nicht. Gegen das über Nacht geschnürte Antiterrorpaket gibt es berechtigte Einwände. (ZEITonline v. 25.10.01b)

In einer weiteren im Diskurs auftretenden Beziehungscharakterisierung wird eine ‚Interdependenz‘ der Staatsprinzipien angenommen, wobei meist der prämissenhafte Charakter von Sicherheit betont wird. „Wir wissen, dass die Teilhabe an der Freiheit Sicherheit voraussetzt“ (Gerhardt v. 11.10.01), sagt etwa Wolfgang Gerhardt von der FDP. Freiheit erhält damit gewissermaßen den Rang

|| 536 Die FDP greift hier auf eine Metapher zurück, die von Heribert Prantl bereits im Oktober in die Debatte eingeführt wurde; in der SZ spricht er im selben Zusammenhang von „Otto Schilys Steinbruch“ (SZ v. 26.10.01).

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einer ,abhängigen Variable‘ von Sicherheit im Sinne einer mathematischen Funktionsgleichung. Mit dieser Vorstellung lassen sich sodann die Gesetzespläne der Sicherheitspakete rechtfertigen, wie beispielsweise in folgendem von der FAZ aus der Neuen Osnabrücker Zeitung zitierten Kommentar deutlich wird: „Die Freiheit ist ein hohes Gut, das bewahrt werden muss. Doch ohne Sicherheit gibt es auch keine Freiheit. Sie wird nicht bedroht durch maßvolle Gesetzesänderungen, sondern durch brutale Gewaltakte“ (FAZ v. 19.9.01e). Auch Wolfgang Bosbach nutzt die Idee des Voraussetzungscharakters von Sicherheit, um für den innenpolitischen Standpunkt von CDU/CSU zu werben. Dabei greift er zudem auf den oben bereits dargestellten Bürgertopos zurück, um gleichzeitig die traditionell schwierige Konnotation des Begriffs des starken Staats positiv zu beeinflussen: CDU und CSU wollen keinen allmächtigen Staat, keinen Überwachungsstaat, aber einen starken Staat, der seine Bürger wirksam vor Verbrechen zu schützen weiß. Sicherheit und Freiheit sind keine Gegensätze. Ohne ausreichende Sicherheit gibt es keine wirkliche Freiheit. Mehr noch: Weniger Sicherheit bedeutet niemals mehr Freiheit, sondern mehr Schutzlosigkeit gegenüber Verbrechen aller Art. (Bosbach v. 11.10.01)

Beide Äußerungen sind aus der Perspektive des Begriffs Sicherheit heraus formuliert. Er bildet den Ausgangspunkt der Aussage, von dem aus der Abhängigkeitscharakter von Freiheit definiert wird. Daraus dürfte sich wiederum auf einen Primat der Sicherheit schließen lassen, der hier im Denken und Wollen der Kommunikationsteilnehmer wirksam wird. Des Weiteren finden sich in der innenpolitischen Auseinandersetzung Äußerungen zum Verhältnis von Sicherheit und Freiheit, die ebenfalls von einer ,Interdependenz‘ ausgehen, diese aber nicht weiter konkretisieren. Eine Absage an die im Diskurs häufig angenommene Oppositionalität der Werte erteilend formuliert beispielsweise Cem Özdemir (Grüne) lediglich: Ich bin froh, dass der Bundeskanzler (...) die Notwendigkeit deutlich gemacht hat, die Sicherheit (...) zu erhöhen, (...) dass es aber nicht darum gehen kann, Sicherheit gegen Freiheit auszuspielen. Wir brauchen beides: Sicherheit und Freiheit gehören zusammen. Wer das eine vom anderen trennt, hat nicht verstanden, wofür unsere Zivilisation, unsere Gesellschaftsordnung steht. (Özdemir v. 19.9.01)

Trotz ebenfalls betonter ,Einheit‘ der beiden Werte zeigt sich in folgender Äußerung des FDP-Vertreters Jörg van Essen eine klare Fokussierung auf den Aspekt der Freiheit entsprechend der eigenen Parteiprogrammatik:

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Die FDP sagt ein klares Ja zur notwendigen Verbesserung der inneren Sicherheit. Für uns Liberale ist es selbstverständlich, dass die Freiheit des Bürgers wirksam geschützt werden muss. Sicherheit und Freiheit gehören für die FDP eng zusammen. Der Staat muss die Grundrechte und die Freiheit seiner Bürger gewährleisten. (van Essen v. 11.10.01)

Nur selten im Diskurs wird ein Abhängigkeitsverhältnis in anderer Richtung beschrieben. Irene Khan, Generalsekretärin von Amnesty International, wird in der FAZ folgendermaßen zitiert: „Angst darf nicht siegen, die Einhaltung der Menschenrechte ist kein Hindernis, sondern eine Vorbedingung für Sicherheit und Frieden“ (FAZ v. 16.11.01a). Dementsprechend warnt sie, „die Europäische Union dürfe wegen der Terroranschläge vom 11. September nicht in eine Sicherheitshysterie verfallen und deshalb Grund- und Bürgerrechte einschränken“ (ebd.). Die aufgezeigte Abhängigkeitsrelation in der erstgenannten Variante (Freiheit als ,abhängige Variable‘ von Sicherheit) ist semantisch eng verwandt mit der dritten Verhältniskategorie, die im Diskurs auffindbar ist, jedoch selten explizit gemacht wird: die Favorisierung von Sicherheit als ,höchstem staatlichen Wert‘ und damit eine offen thematisierte Hierarchisierung staatlicher Prinzipien. So formuliert etwa der Philosoph Vittorio Hösle in der FAZ: „Die erste Aufgabe eines Staates ist es, die Sicherheit seiner Bürger zu schützen“ (FAZ.net v. 7.10.01). Freiheit oder andere Werte werden in diesem Zusammenhang gar nicht erst genannt. Wie bereits angedeutet, ist allerdings vor allem in weniger explizit Sicherheit favorisierenden Aussagen regelmäßig eine verdeckte Priorisierung erkennbar. So thematisieren die beiden folgenden Äußerungen vordergründig den Begriff der Freiheit, belegen diesen aber jeweils mit dem Verb sichern, so dass auch hier von einer gedanklichen Hierarchisierung staatlicher Werte ausgegangen werden muss, an deren Spitze Sicherheit gestellt wird. Zudem findet sich in dergestaltigen Aussagen häufig die einen Gegensatz anzeigende Partikel aber. Angela Merkel (CDU/CSU) sagt vor dem Bundestag: „Sicherlich will niemand die Freiheit in unserem Land beschränken oder aufheben. Aber lassen Sie uns bitte in voller Klarheit deutlich machen: Die Freiheit von Millionen Menschen kann nur gesichert sein, wenn (...)“ (Merkel v. 11.10.01). Nahezu gleichlautend äußert sich Erwin Marschewski, der derselben Fraktion angehört: „Herr Bundesinnenminister, wir unterstützen Ihre Vorschläge; denn (...) sie sichern die Freiheit“ (Marschewski v. 14.12.01). Alle drei aufgezeigten Relationsbeschreibungen werden letztlich sowohl zur Auf- als auch zur Abwertung der Gesetzesvorhaben und ihrer Befürworter und Gegner genutzt. Zurückzuführen ist dies auf ihren hohen Abstraktionsgrad und stark theoretischen Charakter. Der kommunikationsstrategische Nutzen entsteht aus ihrer semantischen Vagheit. Mitunter finden sich in einem Äuße-

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rungszusammenhang alle drei Verhältnisbeschreibungen. In einem im Diskurs intensiv rezipierten Interview mit der SZ Ende Oktober 2001 fordert Innenminister Otto Schily zunächst: „Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit muss gewahrt werden“ (SZ v. 29.10.01b). Später verlässt er sich nach kritischer Rückfrage der Interviewer zum Ausmaß des staatlichen Eingriffs, den seine Gesetzespläne vorsehen, auf den prämissengleichen Charakter von Sicherheit und stützt seine Argumentation autoritätstopisch: Ich gehöre wahrlich nicht zu denen, die die Omnipotenz des Staates predigen, ganz im Gegenteil. Aber es gilt der einprägsame Satz von Wilhelm von Humboldt: ‚Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine Kräfte auszubilden, noch die Frucht derselben zu genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit‘. (ebd.)

Sofort im Anschluss unterstreicht er in apodiktischer Manier: „Die ureigenste und vornehmste Aufgabe des Staates ist in der Tat, dafür zu sorgen, dass die Sicherheit der Bürger und der innere Frieden gewahrt werden“ (ebd.). Zum einen liegt die Unterstellung nahe, dass die Abgrenzungsvariationen von Sicherheit und Freiheit häufig als bloße kommunikationstaktische Phrasen im politischen Positionierungskampf zum Einsatz kommen und darüber hinaus inhaltsleer bleiben. Zum anderen fällt bei Betrachtung des gesamten Interviews – aber auch andernorts – die Dominanz des Lexems Sicherheit deutlich auf. Freiheit wird nur in Relation zu Sicherheit thematisiert. Dies mag zwar mit der Tradition staatstheoretischer Konzepte und Philosophien zusammenhängen, die sich immer auch mit dem Verhältnis von Sicherheit und Freiheit befasst haben, ist aber im vorliegenden Diskurs vor allem als Vorherrschaft des Sicherheitsbegriffs zu deuten. Schließlich konstatiert Schily: „Meine Bemühungen gehen dahin, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger besser zu gewährleisten“ (ebd.). Wenn er von einem „Grundrecht auf Sicherheit“ (ebd.) spricht, stellt er Sicherheit in den Kontext eines weiteren Hochwertworts und erhöht so die Zugkraft des Begriffs für seine politischen Vorhaben. Wie sehr sich die politischen Äußerungen Schilys und der SPD mit denen von Vertretern der Oppositionsfraktion der CDU/CSU gleichen, zeigt exemplarisch ein Blick auf eine früher im innenpolitischen Diskurs getroffene Aussage Wolfgang Bosbachs. Er gibt im September im Bundestag Folgendes zu Protokoll: Die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten ist die vornehmste Aufgabe des Staates. (...) In einem freiheitlichen Rechtsstaat müssen wir immer die Balance zwischen viel Freiheit auf der einen Seite und einem Höchstmaß an Sicherheit für alle Menschen auf dere anderen Seite halten. (Bosbach v. 19.9.01)

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Auch er unterstreicht seine Darlegung mit der Berufung auf eine Autorität: „Der Bonner Staatsrechtler Professor Isensee hat einmal gesagt: ‚Der Rechtsstaat gibt sich nicht nur preis, wenn er die Freiheit seiner Bürger unterdrückt, sondern auch, wenn er ihnen die Sicherheit vorenthält‘“ (ebd.). Auch hier lässt sich eine Priorisierung von Sicherheit herauslesen. Dass Verhältnisbeschreibungen von Sicherheit und Freiheit im Diskurs Brisanz erlangen, zeigen vor allem explizite Thematisierungen des Sprachgebrauchs in den Medien, allen voran in der SZ. Die Relationsdefinitionen werden abwertend als „philosophische[] Schnellkurse[] über das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit“ (SZ v. 2.11.01) bezeichnet, mit denen sich die „gewählten Repräsentanten (...) atemlos (...) überbieten“ (ebd.). Dahinter wird vermutet, dass „sie in Wirklichkeit die Stellungen für den Wahlkampf 2002 ausheben“ (ebd.). Besonders das Interview mit Otto Schily vom 29.10.01 ist Gegenstand intensiver Kritik des Sprachgebrauchs; vor allem seine Äußerung zu einem „Grundrecht auf Sicherheit“ (SZ v. 29.10.01b), das er „zwar nicht direkt, aber sehr wohl indirekt, im Grundgesetz“ (ebd.) verortet, wird moniert: Früher hieß es, Ruhe sei die erste Bürgerpflicht. Nun ist die Devise: Sicherheit ist das erste Bürgerrecht. Mit seiner eingängigen Auskunft hat Schily tief in den staatsphilosophischen Fundus – oder soll man sagen: in die Trickkiste? – gegriffen. Klopft man sie (...) ab, beginnt sie hohl zu klingen. (SZ v. 30.10.01a)

Die „Wendung, dass Leben und Sicherheit bei den Bürgerrechten Priorität einzuräumen sei“ (ebd.), wird als „Totschlagsargument“ (ebd.) bezeichnet. Zudem wird die „Stellungnahme zur Sicherheit als Bürgerrecht“ (ebd.) als „ein Denkmuster Thomas Hobbes’“ (ebd.) identifiziert, dessen korrekte Verwendung Schily abgesprochen wird. Der Sprachgebrauch des Innenministers wird in diesem Zusammenhang als „scheinheilig“ (ebd.) charakterisiert, da „Schily das Problem der Einschränkung von Bürgerrechten einfach mit dem Hinweis vom Tisch wischt, mit Leben und Sicherheit sei diesen Rechten doch am besten gedient“ (ebd.). Des Weiteren ist mehrmals von einem „verbalen Hüpfer über den Abgrund“ (ebd.) die Rede: „Die Rhetorik, mit der Otto Schily über die Widersprüche und Spannungen hinweghüpft, von denen die moderne Gesellschaft geprägt ist, stellt eher eine politische Tanzeinlage dar als einen Akt, mit dem er (...) seine Verantwortung dafür annimmt“ (ebd.). Neben der Entlarvung von Verhältnisbeschreibungen von Sicherheit und Freiheit als „Rechtfertigung für seine [i. e. Schilys; A. S.] Gesetzesvorlage zur inneren Sicherheit“ (ebd.) findet insbesondere der Vorwurf der Priorisierung von Sicherheit breiten Raum. Entsprechend ergeht der Appell: „Ehrlicher wäre es, den Zielkonflikt anzuerkennen, der an dieser Stelle herrscht“ (ebd.), und die eigene Deutung der Beziehung zwi-

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schen den genannten staatlichen Prinzipien wird mit Berufung auf Hobbes in apodiktischem Duktus gegen Schily platziert. Denn der Staatsphilosoph lasse „nie einen Zweifel daran, dass ein tiefer innerer Konflikt besteht zwischen dem Ziel, für Sicherheit zu sorgen, und dem Ziel, Freiheitsspielräume zu eröffnen“ (ebd.). Die brisante Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit setzt sich im Laufe des innenpolitischen Diskurses im Herbst 2001 noch weiter fort. Am 14.11.01 wird in den Medien von einer Rede Otto Schilys auf einer Tagung des Bundeskriminalamtes berichtet, in der er geäußert haben soll: „Wer diese Pläne zur Stärkung der Sicherheit in einen Gegensatz zum Freiheitsgedanken bringe, habe das Problem nicht verstanden“ (FAZ v. 14.11.01a). Auf dem darauf folgenden Parteitag der SPD wiederum sagte er, Rechtsstaat bedeute auch Rechtssicherheit. Darunter sei auch die Sicherheit vor organisierter Kriminalität und Terrorismus zu verstehen. Es sei falsch, von einer Wahl zwischen Freiheit und Sicherheit zu sprechen, denn Sicherheit sei eine Grundbedingung der Freiheit. (FAZ v. 21.11.01)

Bereits im September hatte Kerstin Müller von den Grünen, die sich während der Auseinandersetzung um die Sicherheitspakete lange Zeit als stärkste Widersacherin Schilys innerhalb der Regierungskoalition positioniert, Schilys damals nahezu identischem Sprachgebrauch zugestimmt, um im Anschluss ihre eigene Deutung zu durchzusetzen – auch sie nutzt den Autoritätstopos zur Erhöhung ihrer Überzeugungskraft: Sicherheit ist die Voraussetzung für Freiheit. Das hat Otto Schily dieser Tage gesagt und das ist richtig. Aber wenn wir jetzt als Reaktion auf die Anschläge in blindem Aktionismus Freiheitsrechte abbauen, dann haben die Terroristen schon gewonnen. (...) Wir müssen uns auch immer wieder klarmachen: Wir wollen eine Gesellschaft von freien Bürgern. Eine Gesellschaft von freien Bürgern bleibt immer verwundbar. Absolute Sicherheit gibt es in der offenen Gesellschaft nicht. Benjamin Franklin hat einmal gesagt (...): ‚Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren‘. (Müller v. 19.9.01)537

Petra Pau von der PDS kritisiert die Gesetzesvorhaben der Regierung, indem sie einen Kommentar der Berliner Zeitung zitierend auf die unterschiedliche Bedeu-

|| 537 Das Zitat von Franklin findet sich in verschiedenen Abwandlungen und unterschiedlichen Kontexten immer wieder im innenpolitischen Diskurs (vgl. z. B. Marschewski v. 14.12.01 und SZ v. 2.11.01).

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tung von Sicherheit je nach verwendeter Präposition und die damit verbundene semantische Relation zum Begriff der Freiheit verweist: Ein Kommentator der ‚Berliner Zeitung‘ schrieb: Dies ist eine ‚große Grundgesetzreform‘. Sein Fazit lautete: ‚Man kann es als Abschied von der liberalen Verfassungsidee bezeichnen. Denn der verheißene Zugewinn an Sicherheit durch den Staat wird mit einem signifikanten Verlust an Sicherheit vor dem Staat – also Freiheit – bezahlt‘. (Pau v. 14.12.01)

Während des bisher ausführlich beleuchteten Inszenierungs- und Aneignungswettlaufs der Parteien um den Begriff Sicherheit und dessen medialer Thematisierung sind Einzelthemen der innenpolitischen Auseinandersetzung nach dem 11. September 2001 bisher außen vorgeblieben und können aufgrund ihrer Vielzahl an dieser Stelle nicht mit der entsprechenden Ausführlichkeit betrachtet werden. Im Folgenden sei dennoch ein skizzenhafter Blick auf sie geworfen, da sie weiteren Aufschluss über im Begriff Sicherheit wirksam werdende semantische Konstruktionen geben. Die (Wieder-)Herstellung von Sicherheit und dafür geeignete Mittel werden nach den Ereignissen des 11. September 2001 in Bereichen des öffentlichen Lebens thematisiert, die zuvor nicht oder in einem völlig anderen Bedeutungszusammenhang mit dem Begriff Sicherheit assoziiert waren. Neben der Sicherheit von Atomkraftwerken erhält etwa auch die „Sicherheit des Luftverkehrs“ (SZ v. 7.11.01) eine völlig neue Bedeutungsdimension. Neue Gelegenheitskomposita zeigen diese an: Wenn im Kontext der Luftsicherheit von Sicherheitsüberprüfungen, Sicherheitspersonal und Flugsicherheitsbegleitern bzw. Air-Marshalls gesprochen wird, oder die Forderung erhoben wird, dass „das Personal von Flughäfen, Luftfahrt und sonstigen sicherheitsempfindlichen Stellen (...) besser als bisher sicherheitsüberprüft werden“ (SZ v. 29.10.01a) soll, dann indiziert der Sprachgebrauch einen Wandel der Bedeutung von Sicherheit in diesen Öffentlichkeitsbereichen hin von einer technikorientierten zu einer personenzentrierten Semantik, mit der auch eine Verschiebung der präsupponierten Bedrohung einhergeht: Das größte Gefahrenpotenzial geht nicht länger von technischen Defekten und Ausfällen aus, sondern allen voran von Aktionen einzelner Personen, die über die erste Brisanzphase des Diskurses hinaus als Terroristen, deren Handlungen als Terrorismus bezeichnet werden.538

|| 538 Der Begriff Terror bedürfte sicherlich nach den Ereignissen vom 11. September 2001 und im Angesicht zeitaktueller Debatten einer diskursgeschichtlichen Fortschreibung. Für die 1960er bis 1990er Jahre hat Musolff die gänzlich anders gelagerte Terrorismusdebatte der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen der Kontroversen Begriffe nachverfolgt (vgl. Musolff, Andreas: „Die Terrorismus-Diskussion in Deutschland vom Ende der sechziger bis Anfang der

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Insbesondere in der parlamentarischen Auseinandersetzung um konkrete Streitfragen wie den Einsatz der Bundeswehr im Innern, die Ermittlungsmöglichkeit des Bundeskriminalamts ohne Anfangsverdacht oder den Ausbau von Behörden sind einige wenige regelmäßig auffindbare Topoi auszumachen, die im Sinne der zentralen Denkfigur des Diskurses insbesondere die unterschiedlichen Vorstellungen der Parteien zum ‚Wie‘ der (Wieder-)Herstellung von innerer Sicherheit widerspiegeln. Als Beispiel sei im Folgenden die Debatte um die Aufgaben von Behörden und der Bundeswehr aufgegriffen, die nach dem 11. September 2001 zum Gegenstand politischer Auseinandersetzung werden. Auffällig ist hier zunächst, dass die in der Diskussion stehenden Institutionen unumstritten als Sicherheitsbehörden bezeichnet werden. Diese Bezeichnung hat deontischen Charakter und zeigt in kondensierter Form einmal mehr an, welches prioritäre Ziel den Diskurs leitet. Ohnehin kann von einem eigenen Sicherheitstopos gesprochen werden, denn mit Sicherheit werden zum Beispiel Mehrausgaben für die Bundeswehr gerechtfertigt. So führt Michael Glos von der CDU/CSU-Fraktion aus: Wenn dazu im Haushalt Umschichtungen notwendig sind, um Prioritäten zugunsten der Sicherheit zu setzen, dann können Sie mit uns darüber reden. Wir werden diese Schwerpunktverlagerungen (...) mittragen. Auch davor werden wir uns nicht drücken, wenn wir damit unsere Sicherheit stärken können. (Glos v. 19.9.01)

Nachdem die Anführung finanzieller Aspekte in der Auseinandersetzung einen breiten Raum einnimmt, kann hier ebenso von einem Topos der finanziellen Ausstattung gesprochen werden, dessen plausibilitätsfördernden ultimativen Fluchtpunkt die Leitvokabel des Diskurses, also Sicherheit, bildet. Die Wirkungsweise dieser Konstruktion wurde bereits mehrfach in der Analyse des außenpolitischen Diskurses im vorangegangenen Abschnitt aufgezeigt. Der Topos der finanziellen Bewältigung sicherheitsrelevanter Aufgabenstellungen in der Innenpolitik kann erweitert auch als ein genereller Ausstattungstopos beschrieben werden: ‚Es braucht (keine) zusätzliche finanzielle, personelle und sachliche Ausstattung, um Sicherheit wiederherzustellen.‘539 Er wird in der Debatte um Aufgaben von Behörden und der Bundeswehr nach den Ereignissen des 11. September 2001 meist von den Oppositionsparteien gebraucht. Sie wei-

|| neunziger Jahre“. In: Stötzel, Georg und Wengeler, Martin: Kontroverse Begriffe. Geschichte des öffentlichen Sprachgebrauchs in der Bundesrepublik Deutschland. Berlin und New York 1995, S. 405–445). 539 Vgl. die bereits an früherer Stelle thematisierten Begriffe Sicherheitsinvestitionen und Sicherheitsaufwand, die lexematische Realisierungen des Ausstattungstopos darstellen.

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sen damit die rechtstopisch geprägte Argumentation der Regierungsparteien zurück, die dem Entwurf von Gesetzesvorhaben inhärent ist: ‚Es sind (keine) zusätzliche(n) Gesetze bzw. Gesetzesänderungen notwendig, um Sicherheit wiederherzustellen.‘ Die Regierung spricht der gegnerischen Argumentation mit zusätzlichen Finanzmitteln ihre Plausibilität ab, so etwa Peter Struck (SPD): Wir werden alles, was nötig ist, einleiten und auch finanzieren. Aber wer so tut, als brauche man nur mal eben Milliarden in Geheim- und Sicherheitsdienste [Herv. im Original; A. S.] zu stecken, um die Terrorszene auszuheben, der macht den Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land etwas vor. (Struck v. 19.9.01)

Guido Westerwelle (FDP) entgegnet: „Wenn wir diese Milliarden D-Mark nicht in die Terrorismusbekämpfung stecken, lösen wir die Probleme auch nicht und machen den Bürgerinnen und Bürgern auch etwas vor“ (Westerwelle v. 19.9.01). Seiner Meinung nach „beruht das Problem der inneren Sicherheit nicht zuerst auf einem Gesetzesdefizit, sondern auf einem Vollzugsdefizit. Die Ausstattung der Polizeibehörden – übrigens auch der Verfassungsschutzämter – in Deutschland lässt zu wünschen übrig“ (ebd.). Und mit dem Versuch einer Definition intendiert er die Auseinandersetzung als Ausstattungsdebatte weiterzuführen: „Dies ist eine finanzielle, eine haushaltspolitische Herausforderung. Eine bessere Ausstattung ist notwendig“ (ebd.). Auch Angela Merkel (CDU/CSU) unternimmt einen ähnlichen Deutungsversuch, wenn sie von der „Debatte (...), wie unsere Bundeswehr [Herv. im Original; A. S.] ausgerüstet ist und wie unsere innere Sicherheit [Herv. im Original; A. S.] ausgestattet ist“ (Merkel v. 19.9.01), spricht. In der Folge kann sie die Forderung erheben: „Bundeswehr, Polizei und Bundesgrenzschutz müssen finanziell ausreichend ausgestattet sein“ (Merkel v. 11.10.01). Auch Erwin Marschewski (CDU/CSU) spielt Rechtstopos gegen Ausstattungstopos aus: „Es nützen mehr Gesetze nichts, (...) wenn Menschen und Mittel fehlen (...). Die Lage der Dienste ist nicht gut“ (Marschewski v. 14.12.01). Auch er nutzt die Überzeugungskraft des Leitbegriffs Sicherheit, um seiner Argumentation größtmögliches Gewicht zu verleihen: So müsste man „vor allen Dingen die Dienste stärken. (...) Nur so werden wir in Deutschland mehr Sicherheit gewährleisten“ (ebd.). Anhand der folgenden Äußerung Wolfgang Bosbachs (CDU/CSU) vor dem Bundestag lässt sich diese Wirkungsweise der Verknüpfung von Ausstattungstopos und Leitvokabel noch einmal ausführlich nachvollziehen. So fordert er zunächst, „dass der (...) inneren Sicherheit endlich die notwendige politische Priorität eingeräumt werden muss“ (Bosbach v. 19.9.01), um dann in apodiktischem Duktus festzustellen: „Selbstverständlich geht es dabei (...) um die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel für Personal und Technik“ (ebd.). Der weitere Sprachgebrauch offenbart besonders

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deutlich das dem Ausstattungstopos innewohnende Denkmuster: ,Sicherheit kann wiederhergestellt werden, indem sie erkauft wird.‘ Und da Sicherheit zum prioritären gesellschaftlichen Ziel ausgerufen ist, sind Ausgaben in ihrem Namen umfassend legitimierbar. „[D]azu fordern wir die Bundesregierung auf“ (ebd.), so Bosbach deshalb weiter, „dass schon bei den Haushaltsplanberatungen in der nächsten Woche der Haushalt so umgeschichtet wird, dass deutliche Prioritäten für mehr (...) innere Sicherheit gesetzt werden. Mehr Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif“ (ebd.). Auch der Bürokratietopos findet sich regelmäßig in der parlamentarischen Auseinandersetzung um die Aufgaben von Behörden und Bundeswehr: ,Es braucht (keine) neue(n) Institutionen und Strukturen, um Sicherheit wiederherzustellen.‘ Er realisiert sich sprachlich in bejahender Form etwa im Lexem Bundessicherheitsamt, das ähnlich wie der Ausdruck Sicherheitsbehörden den Begriff Sicherheit in dessen deontischer Konnotation integriert und damit an den Leitwert der Debatte appelliert. Angela Merkel (CDU/CSU) erhebt die Forderung nach der Einführung eines Bundessicherheitsamts, die ebenfalls mit dem Bürokratietopos zurückgewiesen wird. Otto Schily (SPD) ist „der Meinung, dass wir neben den vorhandenen Institutionen nicht neue Bürokratien aufbauen sollten. (...) Es führt nicht weiter, neue Ämter zu schaffen“ (Schily v. 11.10.01). Auch Jörg van Essen (FDP) lehnt diesen „Vorschlag zur Einführung eines Sicherheitsamtes“ (van Essen v. 11.10.01) mit der Begründung ab: „Nicht neue Bürokratie ist gefragt, sondern bessere Koordinierung und Zusammenarbeit“ (ebd.). Mit der Abwertung der Merkel’schen Idee als Bürokratie und dem Gebrauch der wesentlich positiver konnotierten Begriffe Koordinierung und Zusammenarbeit verschleiert er freilich, dass die Umsetzung letzterer in politische Praxis genau das bedeuten könnte: die Einführung neuer Organisationen und Strukturen. Die Schlagkraft des Begriffs Sicherheit beginnt im Herbst 2001 auch in benachbarten innenpolitischen Themenfeldern wirksam zu werden. Um sich dessen Mobilisierungs- und Legitimationskraft zunutze zu machen, deutet man den entsprechenden Schlagabtausch um in einen Sicherheitsdiskurs. Exemplarisch sei im Folgenden gezeigt, wie Sicherheit als Topos in den Migrationsdiskurs Einzug hält und das Thema Einwanderung eine Versicherheitlichung erfährt.540 Das Thema Zu- und Einwanderung ist einmal mehr gerade Gegenstand innenpolitischer Auseinandersetzung in Deutschland, als die Ereignisse des 11. September 2001 eintreten. In der Folge entwickelt sich die Debatte zum Sicher|| 540 Wengeler hat umfassende Untersuchungen aus verschiedenen Zeitabschnitten zum Migrationsdiskurs vorgelegt. Vgl. allen voran Wengeler 2003a.

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heitsdiskurs. Schon im September 2001 spricht Otto Schily (SPD) von einem „Sicherheitsproblem bei der Zuwanderung“ (Schily v. 19.9.01). Die SZ berichtet: „Beim strittigen Thema Zuwanderung kündigte Schily (...) an, dass er sein Projekt aufsplitten und sicherheitsrelevante Teile vorziehen wolle“ (SZ v. 27.9.01). Die Grundlage der Argumentation Schilys bildet wiederum der Aktivitätstopos: „Er begründete dies damit, dass ein Zuwanderungsgesetz frühestens 2003 in Kraft treten könne, mit den Sicherheitsmaßnahmen aber nicht so lange gewartet werden solle“ (ebd.). Im bereits an früherer Stelle zitierten Interview mit der SZ Ende Oktober fordert Schily daraufhin, „dass bei Entscheidungen, wer zu uns kommen darf oder nicht, die Sicherheitserfordernisse nach strengsten Kriterien beachtet werden“ (SZ v. 29.10.01b). Auch im Bundestag wird das Thema Migration versicherheitlicht, wenn etwa Peter Struck (SPD) reklamiert: „Wir dürfen nicht versäumen, bei der Regelung der Zuwanderung [Herv. im Original; A. S.] sicherheitsrelevante Aspekte im Ausländerrecht zu berücksichtigen“ (Struck v. 19.9.01). Die Appelle der Oppositionsfraktion CDU/CSU lauten ähnlich. Friedrich Merz kontextualisiert dabei Sicherheit mit dem positiv konnotierten Begriff der Integration und fordert „ein umfassendes Konzept zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung (...), das auch den Erfordernissen der inneren Sicherheit gerecht wird und das vor allem die Integration der in Deutschland lebenden Ausländer fördert“ (Merz v. 19.9.01). Auch Wolfgang Bosbach (CDU/ CSU) signalisiert Zustimmung zu Schilys Überlegungen. In seinem Sprachgebrauch wird eine umfangreiche Nutzung des Sicherheitstopos deutlich. Er nutzt den Begriff Sicherheit, um eine restriktive Haltung in Sachen Zuwanderung zu legitimieren: Wir sind mit Ihnen darin einig, dass sich (...) zugunsten von mehr Sicherheit auch in der Ausländer- und Asylpolitik [Herv. im Original; A. S.] einiges ändern muss. (...) Warum sollten wir jemanden einbürgern, von dem wir wissen, dass er die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet? (Bosbach v. 19.9.01)

Identisch formuliert Bosbachs Fraktionskollege Erwin Marschewski: „Wer eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland darstellt, (...) darf durch das deutsche Asylrecht [Herv. im Original; A. S.] nicht geschützt sein“ (Marschewski v. 14.12.01). Entsprechende Gesetzesentwürfe, die dann folgen, sehen vor, dass „Flüchtlinge, die eigentlich unter dem Abschiebeschutz der Genfer Flüchtlingskonvention stehen, des Landes verwiesen werden, wenn sie die Sicherheit gefährden“ (SZ v. 29.10.01a). Dass diese Versicherheitlichung des Migrationsdiskurses nicht ohne Brisanz ist, zeigt sich an ihrer expliziten Thematisierung in den Medien. Die diskursive Beziehung zum Thema der inneren Sicherheit wird aufgezeigt, wenn die FAZ von der „Einwanderung (...), die gemeinsam mit der

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inneren Sicherheit diskutiert wurde“ (FAZ v. 21.11.01) spricht. Diese Verbindung wird schließlich als politischer Schachzug Schilys bewertet: „Indem Schily einen taktischen Zusammenhang zwischen Einwanderung und Sicherheit hergestellt hatte, hatte das Entgegenkommen Schilys beim Einwanderungsgesetz den Grünen Zugeständnisse bei den Vorhaben zur inneren Sicherheit erleichtert“ (FAZ v. 30.10.01a). Auch die SZ thematisiert explizit die Umdeutung des Diskurses und führt an: „Eigentlich handelt es sich bei dem Zuwanderungsgesetz um ein Sicherheitsgesetz, wenn man dieses Wort einmal weniger im polizeirechtlichen, als im gesellschaftspolitischen Sinn versteht“ (SZ v. 31.12.01). Darauf aufbauend folgt ebenfalls Kritik, denn dem Gesetz lastet man an, dass „ein Teil der Menschen (...) dennoch draußen bleiben; so entstehen Parallelgesellschaften, so entstehen Sicherheitsprobleme“ (ebd.). Wenn schließlich auch hier als letzter Einwand gegen das Gesetzesvorhaben Sicherheitsprobleme ins Feld geführt werden, zeigt dies, wie tief Sicherheit als Legitimationsbegriff den öffentlichen Diskurs im Herbst 2001 bereits durchdringt und das gesellschaftliche Selbstverständnis beeinflusst: Mit ihm tut sich nicht nur für politische Akteure eine gewichtige Opportunität zur Durchsetzung von Meinungen und Vorhaben auf, sondern auch vermeintlich kritische Diskursbeobachter können sich der zeitaktuellen Mentalität keineswegs vollständig entziehen.

6.5 Resümee ‚Durch die Ereignisse des 11. September 2001 ist eine gesellschaftliche Bedrohungssituation entstanden und vormals vorhandene Sicherheit verloren gegangen. Es ist ein Kampf mit bestimmten Mitteln notwendig, um Sicherheit wiederzuerlangen.‘ Entlang der für Sicherheitsdiskurse angenommenen zentralen Denkfigur, die sowohl im außen- als auch im innenpolitischen Teildiskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 nachgewiesen werden konnte, werden die entscheidenden sprachlichen Phänomene deutlich, die die Legitimations- und Mobilisierungskraft von Sicherheit in den analysierten gesellschaftlichen Teilbereichen konstituieren und den Begriff als Leitvokabel im gesamten betrachteten Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 etablieren. Zunächst gelingt im Diskurs die semantische Konstruktion einer gesellschaftlichen Bedrohungssituation, die mit Hilfe des Gefahrentopos und dessen diskursspezifischen Ausprägungen in Form des Differenztopos, des Kulturtopos und des Vernetzungstopos einen dramatischen und geradezu existenziellen Charakter erhält. Die Wirkungsmächtigkeit der ‚Bedrohung‘ speist sich von Beginn an aus deren sprachlichen Bezugsobjekt Sicherheit. Der durchgehend beobachtbare apodiktische Sprachgebrauch im Diskurs sorgt dafür, dass ‚Bedrohung‘ als

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Wirklichkeit wahrgenommen wird. ‚Gefahr‘ bedeutet, dass Sicherheit verloren gegangen ist; durch ihre Emotionalisierung wird persönliche Betroffenheit des einzelnen Bürgers als Teil der Gesellschaft erzeugt. Eine ‚Zäsur‘ in Sachen Sicherheit wird verkündet, eine neue ‚Stunde Null‘ ausgerufen. Die gesamte ‚westliche‘ Kultur ist bedroht, und damit entsteht eine Art ‚kultureller Kollektivhaftung‘ für einen gemeinsamen Kampf, der im Dienste der Sicherheit notwendig wird. Die für einen Kampf notwendigen Demarkationslinien werden mittels einer kulturtopischen Argumentation gezogen: ‚Gut gegen Böse‘ oder ‚die Zivilisation gegen die Barbaren‘. Der Appell an das kulturelle Fundament der ‚westlichen‘ Welt ist ein zugkräftiges Vehikel zur Beförderung der Sehnsucht nach Sicherheit. Die Gesellschaft ist im Wunsch nach Wiederherstellung von Sicherheit vereint. Schließlich geht es um die Grundfesten, die diese soziale Gemeinschaft ausmachen. So wird sie zu einer ‚Schicksalsgemeinschaft‘, deren Sicherheit aufgrund der Wucht der Bedrohung zum prioritären politischen und gesellschaftlichen Ziel werden kann. Beteiligtheit entsteht des Weiteren durch eine Semantik der ‚räumlichen Entgrenzung‘ von Bedrohung und Sicherheit. Wenn über unsere Sicherheit auch am Hindukusch entschieden wird, erscheint Bedrohung im Wortsinn ‚grenzenlos‘. Die Errichtung einer solch umfassenden Bedrohungssituation garantiert öffentliche Aufmerksamkeit und evoziert ein unmittelbares Handlungserfordernis. Damit ist eine mächtige Legitimationsgrundlage für politische Vorhaben geschaffen. Die Gesellschaft ist mobilisiert und zeigt große Notwendigkeit, über Sicherheitsprobleme zu diskutieren. Der zweite Teil der zentralen Denkfigur wird im Aktivitätstopos wirksam: ‚Um Sicherheit wiederherzustellen, sind Maßnahmen und Handlungen erforderlich.‘ Um entsprechende Vorhaben durchzusetzen bzw. zu verhindern, wird die Wirkungsmächtigkeit des Sicherheitsversprechens genutzt. Alle im Zuge der Debatte um den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan vorgebrachten Argumentationen, aber auch innenpolitische Überzeugungsversuche verweisen in letzter Instanz auf den Wertbegriff Sicherheit, der den deontischen Fixpunkt im Diskurs bildet. Er kann verlässlich angerufen werden, um eigenen Handlungsvorhaben ultimative Schlagkraft zu verleihen. So werden unter anderem Aspekte der Humanität, des Rechts oder des Status in den Kontext von Sicherheit gerückt. Der Begriff fungiert gewissermaßen als Supertopos, der alle anderen Topoi überformt bzw. diesen erst ihre semantische Funktion zuteilt. Möglich wird so die Durchsetzung von Vorhaben, die sonst nur schwer gesellschaftlich vermittelbar sind. Mit seiner Verheißungskraft im Sinne

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religiöser Semantik lassen sich selbst extreme Handlungsformen legitimieren, darunter auch Krieg.541 Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass der Begriff Sicherheit attraktiv für die parteipolitische Aneignung wird. Die politischen Akteure können sich auf der Folie der Bedrohung geradezu als ‚Heilsbringer‘ inszenieren, wenn sie dem Bürger nur Sicherheit versprechen. So beginnt ein Wettlauf um die Position als ,Partei der Sicherheit‘, bei dem fest etabliertes gesellschaftliches Wissen neu formiert wird. Der Kampf um die Frage, wer am besten als gesellschaftlicher Sicherheitsgewährleister überzeugen kann, wird auf sprachlicher Ebene vor allem mit Strategien der Auf- und Abwertung geführt. Wenn es in einem ‚Wettkampf‘ um die (Neu-)Bestimmung von ‚Siegern‘ geht, die Frage des ‚geistigen Eigentums‘ am parteipolitischen Etikett der Sicherheit ausführlich verhandelt wird, und wenn geschichtstopische Argumentationen bemüht werden, offenbaren die sprachlichen Strukturen, wie bedeutend die Wahrnehmung für die jeweiligen politischen Gruppen als ,Sicherheitspartei‘ in der Öffentlichkeit erscheint. Die erfolgreiche Besetzung des Begriffs mit parteiprogrammatischer Semantik kommt schließlich einem Generalschlüssel zur Durchsetzung eigener Perspektiven und Vorhaben gleich. So wird Sicherheit in parteispezifische Kontexte gesetzt, etwa den der sozialen Gerechtigkeit oder des politischen und ökonomischen Status. Darüber hinaus befördert der Sprachgebrauch – mitunter auf subtile Weise – die Priorisierung von Sicherheit im gesellschaftlichen Wertegefüge. Der Begriff tritt aus dem Reigen von Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und anderen Miranda nach vorne. Die Wiederherstellung von Sicherheit, wird als ‚mühsam‘, ‚langwierig‘ und ‚anstrengend‘ beschrieben, und so wird der Wert schließlich zum „Luxusgut“ (FAZ v. 11.2.02). Dieser Etikettierung inhärent ist die gleichzeitige Aufwertung derer zu besonderen ‚Heilsbringern‘, die vorgeben, über die richtigen Mittel und Lösungen zur Wiederherstellung von Sicherheit zu verfügen. Dass ihnen dabei auch die semantische Vagheit von Sicherheit in die Hände spielt, zeigen die Relationsbeschreibungen von Sicherheit und Freiheit, die im Diskurs weit verbreitet sind. Die Konstruktion eines Spannungsfelds von Sicherheit und Freiheit bietet nämlich in erster Linie einen Anknüpfungspunkt für Lösungsversprechen der eigenen Partei. Der Begriff Sicherheit erweist sich am Ende als eine so zentrale Ressource für die Legitimierung von staatlichem Handeln, dass mit seiner Hilfe auch andere gesellschaftlichen Themenbereiche versicherheitlicht werden können, wie am Beispiel der Einwanderungsdebatte im Herbst 2001 deutlich wird. || 541 Vgl. grundlegend zu religiöser Semantik Welbers, Ulrich: Religiöse Semantik. Eine sprachphilosophische Grundlegung. Paderborn 2014, insbes. S. 29 ff.

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Nicht zuletzt führen die lexematischen Strukturen den Wirkmechanismus des Diskurses noch einmal besonders eindringlich vor Augen. Sicherheit bildet sowohl den Ausgangs- als auch den Fluchtpunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. ‚Bedrohung‘ präsupponieren Komposita wie Sicherheitsrisiko oder Sicherheitsprobleme. Während Ausdrücke wie Sicherheitskonzept oder Sicherheitsmaßnahmen das Handlungserfordernis im Sinne der zentralen Denkfigur anzeigen, versprechen die Begriffe Sicherheitssystem, Sicherheitsstandards, Sicherheitsgesetze, Sicherheitsinvestitionen oder Sicherheitskontrolle die Wiederherstellung von Sicherheit aus einem rationalen, szientistisch geprägten Lösungsverständnis heraus und implizieren (politische) ,Beherrschbarkeit‘. Ihre quantitative Dominanz ist dann nur noch ein weiteres Indiz dafür, dass Sicherheit die Leitvokabel des Diskurses bildet, in der sich „komplexe politische Argumentations-, Deutungs- und Handlungsmuster“542 kondensieren, und die das Bewusstsein, Streben und Ziel der Gesellschaft zum historischen Zeitpunkt komprimiert auf den Punkt bringt. Die Freilegung der Anatomie des Diskurses offenbart ferner, auf welche Weise bestimmte Aussagen tabuisiert werden. Mit dem Sprachgebrauch von ‚beispielloser‘ und ‚entgrenzter‘ Bedrohung und Gefahr bezogen auf jeden einzelnen Bürger und die gesamte ‚westliche‘ Kultur wird ‚Beteiligtheit‘ an den Ereignissen in New York zur allein gültigen gesellschaftlichen Wirklichkeit und die Frage unmöglich, weshalb in Deutschland überhaupt eine Reaktion auf die Geschehnisse erfolgen muss. Die Deklaration der Ereignisse vom 11. September 2001 als Herausforderung erfordert zwingend Antworten. Der Begriff Sicherheit vermag in diesem Zusammenhang sein Legitimations- und Rechtfertigungspotenzial bis hin zu einer Art diskursiver Killerphrase zu steigern. Wirkung entfalten sprachliche Strategien und Phänomene im Diskurs nicht zuletzt durch ihren Appell an gesellschaftliches Wissen, das tiefensemantisch angelegt ist und im Diskurs aktualisiert und mitunter modifiziert wird. Hier fallen insbesondere Elemente aus dem Bezugsrahmen ‚westliche Kultur‘ ins Auge. So reicht das Denkschema ‚Zivilisation gegen Barbaren‘ bis in die Antike zurück. Seine Aktualisierung im Diskurs im Rahmen der kulturtopischen Argumentation vermag Ängste vor dem ‚Fremden‘ hervorzurufen und entsprechende Zustimmungsbereitschaft zu Abwehrmaßnahmen aller Art zu erzeugen. Die vor allem im Aktivitätstopos tiefensemantisch zum Tragen kommende Machbarkeitsvorstellung ist ein weiteres Kennzeichen westlicher Gesellschaften, das spätestens im Zuge der Aufklärung Gewissheit und Gottvertrauen abgelöst hat. ‚Machbarkeit‘ wird im politischen Aktionsradius zu ‚Beherrschbarkeit‘, auf die || 542 Böke 1996a, S. 21.

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sich das Sicherheitsversprechen politischer Akteure gründet. Sie spiegelt über den politischen Handlungsrahmen hinaus aber auch Erwartung und Selbstverständnis der gesamten Gesellschaft wider. ‚Aktivität‘ als Reaktionsmechanismus auf gesellschaftliche Ereignisse bezieht seine Plausibilität des Weiteren aus christlich-religiöser Semantik, die bis heute fortwirkt. Das sind vor allem protestantisch-calvinistische Ideen sowie die Etikettierung von Faulheit als ‚Todsünde‘ im katholischen Katechismus. Der Sprachgebrauch offenbart darüber hinaus ein rational und linear geprägtes Weltbild der Gesellschaft, die in einfachen Ursache-Wirkungszusammenhängen Lösungen zu erzielen sucht. Dies wird anhand der gesamten zentralen Denkfigur des Diskurses deutlich. Ferner zeigt sich im Sprachgebrauch auch ein Fortwirken europäischer Staatstheorien: Bis heute wird die Bedeutung von Sicherheit immer auch am Verhältnis zu Freiheit festgemacht. Geschichtliches Wissen wird im Diskurs aufgerufen, wenn es um die Konstruktion einer sicherheitsrelevanten ‚Zäsur‘, um eine ‚Stunde Null‘ für den Begriff Sicherheit geht oder wenn etwa der Status Europas als ‚Erfolgsgeschichte‘ von Konfliktlösung und Frieden ausgewiesen wird. Massiven Änderungen im Diskurs unterliegt indes das etablierte Wissen von der CDU/CSU als ,Sicherheitspartei‘ der Bundesrepublik Deutschland. Eine Konsequenz aus dem Diskurs für die Semantik von Sicherheit scheint hervorzustechen und aus heutiger Perspektive eine besondere Relevanz zu besitzen. Schon die in den Gefahrentopoi enthaltenen Bedrohungsdimensionen geben Aufschluss darüber, dass Sicherheit der Gesellschaft im Jahr 2001 vor allem eines bedeutet: das Vermögen, die eigene Kultur vor dem ‚Fremden‘ bewahren zu können.

7 „Eine stabile Währung ist ein hohes Gut. Sie gewährt ein elementares Gefühl der Sicherheit.“ – Die Debatte um Griechenland und den Euro im Jahr 2010: ein Sicherheitsdiskurs? 7.1 Vorbemerkungen und Themen Die bereits im Herbst 2009 mit der Anhebung des griechischen Haushaltsdefizits und der Herabstufung des Landesratings beginnende öffentliche Auseinandersetzung um Griechenland und den Euro wird gemeinhin zunächst als Schulden- oder Griechenlandkrise, später auch als Eurokrise bezeichnet, die ihre erste Brisanzphase im ersten Halbjahr des Jahres 2010 erreicht. Im Februar 2010 beraten die Wirtschafts- und Finanzminister der EU erstmals über finanzielle Hilfen für Griechenland und fordern das Land zu Sparmaßnahmen auf. An den Finanzmärkten werden griechische Staatsanleihen mit hohen Risikoaufschlägen gehandelt, der griechische Staat kann sich zunehmend schwieriger am Kapitalmarkt refinanzieren und stellt für Mai 2010 seine Zahlungsunfähigkeit in Aussicht. Nach der offiziellen Beantragung von finanzieller Hilfe im April 2010 stellen die Länder der Euro-Zone im Mai Griechenland Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe bereit; im Rahmen der Kreditausstattung weiterer Länder des Euro-Raums werden der Europäische Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) und die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) gegründet, die in der Öffentlichkeit unter dem Begriff Euro-Rettungsschirm bekannt werden.543 Gestritten wird in der medialen und parlamentarischen Debatte zunächst hauptsächlich darum, welche politischen Maßnahmen auf europäischer Ebene bzw. in den Mitgliedsländern des Euro-Währungsraums gegenüber Griechenland ergriffen werden sollen. Die damit einhergehenden Kontroversen sind Gegenstand der folgenden Analysen. Später treten weitere Länder der Euro-Zone in den öffentlichen Fokus; in der Folgezeit erlebt der Diskurs mindestens jähr-

|| 543 Vgl. zur religiösen Semantik der Eurokrise Welbers, Ulrich: „Religiöse Welt-Ansichten. Zur sprachlichen Repräsentation religiöser Semantik“. In: Der Sprachdienst. 57. Jg. (2013), S. 60–72 sowie ders. 2014, S. 31 ff. || Anmerkung: „Eine stabile Währung ist ein hohes Gut. Sie gewährt ein elementares Gefühl der Sicherheit“, so Heike Göbel in der FAZ v. 15.5.10. https://doi.org/10.1515/9783110605358-008

202 | Debatte um Griechenland und den Euro

lich neue Brisanzphasen, die im Weiteren jedoch nicht Gegenstand der Untersuchung sein sollen. Die öffentlich etablierte Bezeichnung des Geschehens um Griechenland im Jahr 2010 als Krise lässt die Einordnung der Debatte als einen Diskurs, in dem der Begriff Sicherheit eine zentrale Rolle spielt, zunächst als zweifelhaft erscheinen. Darauf deuten auch quantitative Beobachtungen hin: Während der Begriff Krise und damit gebildete Komposita gehäuft im Diskurs auftreten, wird der Begriff Sicherheit explizit wesentlich seltener genannt, so dass sich vorerst kein unmittelbarer Anhaltspunkt ergibt, von einem ausgeprägten Sicherheitsdiskurs zu sprechen. Auch wissenschaftliche Untersuchungen ökonomischer und wirtschaftspolitischer Ereignisse erfolgen regelmäßig unter dem Krisenaspekt. So sind erst in jüngerer Zeit wirtschaftspolitische Krisen mit Berücksichtigung der Dominanz von Krisenkonstruktionen diskurslinguistisch umfassend untersucht worden,544 woraus zu schließen ist, dass auch der hier zu untersuchende Diskurs als Krisendiskurs gelesen wird, als dessen Leitvokabel offensichtlich Krise gelten muss. Seine Einordnung als Sicherheitsdiskurs kann daher vorerst nur als Frage an den Beginn der folgenden Untersuchung gestellt werden. Führt man sich noch einmal die Leitthese der Arbeit vor Augen, dass auf der Folie von Dekadenz- und Untergangsszenarien Sicherheit eine besondere öffentliche Legitimations- und Mobilisierungsvokabel darstellt, so wäre mit der Behandlung der Griechenlanddebatte als Krisendiskurs zumindest der angenommenen Untergangskonstruktion Rechnung getragen. Im Diskurs potenziell zum Tragen kommende Bedeutungsaspekte von Sicherheit blieben allerdings außen vor. Möglicherweise bringt jedoch eine zum Krisen- und Sicherheitsdiskurs erweiterte Auffassung der Griechenlanddebatte doch fruchtbare Ergebnisse, wenn man noch einmal daran erinnert, dass ausgedrückt durch die Bezeichnung Mobilisierungs- und Legitimationsvokabel zwar zunächst untersuchungs- und erkenntnisleitend der Ausdruck Sicherheit im Fokus steht, dass mit der diskurslinguistischen Veranlagung der Untersuchung jedoch gerade auch die Möglichkeit eröffnet ist, nicht alleine den Ausdruck Sicherheit, sondern sicherheitssemantische Strategien, die über ihn hinausreichen oder gar ohne ihn auskommen, aber gleichermaßen dessen Mobilisierungs- und Legitimationspotenzial aufweisen, nachzuverfolgen. Möglicherweise verbirgt sich hinter der Dominanz des Krisenbegriffs eine Sicherheitssemantik, die der Krisenkonstruktion im media-

|| 544 Es handelt sich hierbei um von der DFG geförderte und von Wengeler und Ziem geleitete Studien zur sprachlichen Konstruktion von Krisen in der Bundesrepublik Deutschland, die im folgenden Abschnitt ausführlich vorgestellt werden (vgl. Kap. 7.2 im Zweiten Teil dieser Arbeit).

Vorbemerkungen und Themen | 203

len und politischen Diskurs ihre Funktion erst vollständig zuweist und mit dem erzeugten Kontrast von ,drohendem Untergang‘ und ‚in Aussicht gestellter Sicherheit‘ die Anatomie von Krisendiskursen schließlich komplettiert. Ein dahingehendes Bild liefern bereits die vorangegangenen Analysen zu den Ereignissen vom 11. September 2001. In welcher Form und Funktion in der Debatte um Griechenland und den Euro im Jahr 2010 tatsächlich neben einem diskursiv etablierten Krisenszenario auch sicherheitssemantischer Gehalt im Sprachgebrauch nachweisbar ist, soll im Folgenden Gegenstand der diskurslinguistischen Analyse sein. Von Interesse für die folgende Betrachtung ist die erste Hochbrisanzphase des Diskurses, die im Januar 2010 beginnt und mit der Gründung des EFSF Anfang Juni 2010 vorläufig endet. Die Artikel des Teilkorpus Medien wurden wie schon für den vorangegangenen Diskurs über die mit Lizenz zugänglichen Datenbanken von FAZ und SZ ermittelt. Den Ausgangspunkt bildete jeweils die Suche mit der Formel ‚Griechenland UND Sicherheit‘ für den Zeitraum vom 1. Januar bis einschließlich dem 31. Mai 2010. Eine Einschränkung des Ressorts oder anderer Kategorien erfolgte nicht. Da sich mit dieser Suche keine für eine umfangreichere Untersuchung ausreichenden Ergebnisse erzielen ließen, bei der ersten Durchsicht dieser Artikel jedoch auffiel, dass der Ausdruck Stabilität außerordentlich häufig auftritt, wurde als Arbeitshypothese zunächst angenommen, dass hier möglicherweise ein durchgängig gebrauchtes Synonym für Sicherheit vorliegt, und die Suche mit ‚Griechenland UND Stabilität‘ wiederholt, so dass insgesamt knapp 400 Dokumente gesichtet werden konnten. In das Teilkorpus der Medientexte haben schließlich etwa 85 Texte Eingang gefunden, die entweder die Ausdrücke Griechenland und Sicherheit oder die Ausdrücke Griechenland und Stabilität aufweisen. Zur Erstellung des Teilkorpus Politik wurden die im Zeitraum geführten Bundestagsdebatten anhand der zugehörigen Plenarprotokolle gesichtet, die auf der Webseite des Deutschen Bundestags frei zugänglich sind. Innerhalb der Protokolle wurde nicht nach den oben genannten Begrifflichkeiten gesucht, sondern es wurden die Debatten ausgewählt, die sich mit der Beratung und Verabschiedung der zum Gegenstand der Auseinandersetzung zugehörigen Gesetze befassen. Knapp 50 Texte bilden hier am Ende das für die Untersuchung relevante Teilkorpus Politik.

204 | Debatte um Griechenland und den Euro

7.2 Wegweiser aus der diskurslinguistischen Forschung: Ergebnisse des DFG-Projekts „Sprachliche Konstruktion sozial- und wirtschaftspolitischer Krisen in der Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis heute“ Wenn die Griechenlandkrise als grundsätzlich wirtschaftspolitisches Phänomen aufgefasst werden kann und im Rahmen der hier intendierten Untersuchung das mit der Etablierung als ‚Krise‘ einhergehende sprachlich vermittelte Wissen interessiert, so ist ein Blick zu werfen auf ein in jüngerer Vergangenheit von Wengeler und Ziem durchgeführtes DFG-Projekt zur Krisenthematik. Sie untersuchen zusammen mit weiteren Wissenschaftlern die „Sprachliche Konstruktion sozial- und wirtschaftspolitischer Krisen in der Bundesrepublik Deutschland von 1973 bis heute“545. Ihre Untersuchungsergebnisse offenbaren sich als wegweisend für die Analyse der Krisenkonstruktion in der hier interessierenden Debatte um Griechenland und den Euro 2010. Zugleich kann mit dem gegebenen zeitlichen Anschluss ihr Projekt zumindest teilweise für die Griechenlandkrise im Jahr 2010 fortgeschrieben werden. Ausgehend von der Leitthese, dass Krisen diskursiv konstituierte Phänomene der gesellschaftlichen Wirklichkeit bilden, als solche insbesondere sprachlich und bildlich vermittelt werden und „als Rechtfertigungsinstanzen für viele politische Entscheidungen fungieren“546, wird im Projekt das diskursiv etablierte Wissen zum Begriff Krise als Längsschnittstudie in fünf wirtschaftsund sozialpolitischen Krisenphasen der Bundesrepublik Deutschland mit diskurslinguistischem Instrumentarium analysiert. Grundlage der Untersuchungen bildet ein etwa 10.000 Texte umfassendes Korpus aus Pressetexten, das die Zeitabschnitte folgender Krisen umfasst: die erste Ölpreis-Krise 1973/74, die sogenannte parteipolitische ‚Wende‘ 1982, die Arbeitsmarktkrise 1997, die Debatte

|| 545 Die für die vorliegende Arbeit als relevant betrachteten Publikationen des Projekts werden im Folgenden im Rahmen der Darstellung der Projektergebnisse einzeln angegeben. 546 Wengeler und Ziem 4.8.2016, S. 1. || Anmerkung: Wengeler, Martin und Ziem, Alexander: Projektantrag. Online verfügbar unter https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb2/prof/GER/GEL/Projektantrag.pdf (28.6.2016).

Wegweiser aus der diskurslinguistischen Forschung | 205

um die Agenda 2010 im Jahr 2003 sowie die Finanzkrise 2008/09547. Im Zentrum der Analysen steht die Frage, wie Krise „explizit oder implizit als Faktum, als ‚richtige‘ Darstellung der ‚Realität‘ legitimiert und durchgesetzt wird und auf welchen normativen Geltungsansprüchen diese Rechtfertigungen aufbauen“548. Entsprechend werden Kontroversen um die Deutungshoheit von Krisen sowie Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Krisenkonstruktionen sowohl in der Vermittlung durch die verschiedenen beteiligten Akteure als auch im Zeitablauf in den Fokus genommen. Ziel ist es zu zeigen, welches Wissen über Krisen sich zu welchem Zeitpunkt mit welchen sprachlichen Erscheinungen durchgesetzt hat, um daraus eine für weitere Untersuchungen taugliche Krisen-Typologie abzuleiten. Basierend auf den theoretischen und methodologischen Überlegungen der Düsseldorfer diskurssemantischen Schule werden als Analysekategorien Schlüsselwörter und Frames, konzeptuelle Metaphern und Metaphernfelder, Argumentationsmuster bzw. Topoi sowie auch bildlich realisierte Kollektivsymbolik bestimmt. In den vielgestaltigen Veröffentlichungen zum Projekt werden alle Krisenphasen anhand mehr als einer Analysekategorie untersucht. Die umfangreichsten Arbeiten finden sich zur Finanzkrise 2008/09, die mit dem gesamten im Projekt gewählten diskurslinguistischen Instrumentarium untersucht wird. Die dabei vorgelegten Ergebnisse dürften vorrangig interessant für die im Anschluss zu leistende Analyse der Debatte um Griechenland und den Euro 2010 sein, da sie sowohl thematisch-inhaltlich als auch zeitlich der Finanzkrise am nächsten kommt. Nichtsdestotrotz soll im Folgenden ein Blick auf die wichtigsten Erträge des Projekts über alle betrachteten Zeitphasen hinweg erfolgen. Einhergehend mit elektronischer Korpuserstellung und Texterschließung kommen zuerst quantitative diskurslinguistische Verfahren zur Anwendung, die erste Aufschlüsse über die Lexik in den Krisendiskursen ermöglichen und den Ausgangspunkt für Hypothesen sich anschließender qualitativer Analysen bilden.549 Ziem, Scholz und Römer etwa leisten quantifizierende lexikometrische Untersuchungen des Diskurswortschatzes und präsentieren Ergebnisse für die

|| 547 Vgl. z. B. dies.: „‚Krisen‘ als diskursgeschichtlicher Gegenstand: Zugänge, Fragestellungen, Konzepte“. In: Dies. (Hrsg.): Sprachliche Konstruktionen von Krisen. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein fortwährend aktuelles Phänomen. Bremen 2013, S. 1–16, hier: S. 2. Im Projektantrag ist darüber hinaus noch die zweite Ölpreis-Krise 1979/80 als interessierende Krisenphase genannt. Anstelle der Arbeitsmarktkrise 1997 sind zunächst die „Diskussionen um Sozialabbau und Wirtschaftsstandort Deutschland 1993/94“ projektiert (dies. 4.8.2016, S. 10). 548 Ebd., S. 8. 549 Für Einblicke in die verwendeten Software-Programme und deren Möglichkeiten vgl. u. a. Kreuz und Wengeler 2014, S. 62 ff.

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Ölkrise 1973/74 und die Finanzkrise 2008/09.550 Mit Hilfe statistischer Verfahren bestimmen sie zunächst das spezifische Vokabular, „das in den Texten zu einer der beiden ‚Krisen‘ im Verhältnis zur Korpuslänge der jeweils anderen ‚Krise‘ überproportional häufig vorkommt.“551 Danach eruieren sie das Basisvokabular, das in beiden Krisen mit gleicher statistischer Häufigkeit auftritt. Die Auswertung des spezifischen Vokabulars, das nach den Kategorien ‚Zahlen und Maßzahlen‘, ‚Symptome der Krise‘, ‚politische Maßnahmen‘ und ‚Orte der Krise‘ klassifiziert wird, macht deutlich, dass die Konstruktion der Ölkrise eher auf Begriffen aus der erfahrbaren Alltagswelt fußt (z. B. Preiserhöhungen, Sonntagsfahrverbot, Tankstellen), während das Vokabular der Finanzkrise wesentlich abstraktere Begrifflichkeiten aufweist (z. B. Rezession, Rettungspaket, Finanzmärkte). Auch fällt die häufige Verwendung des Begriffs Kapitalismus im Finanzkrisendiskurs ins Auge. Nachdem auch die antonymischen Bezeichnungen Sozialismus, Kommunismus und Marxismus nicht selten auftreten, ist anzunehmen, dass im Finanzkrisendiskurs das aktuelle Wirtschafts- und Gesellschaftssystem grundlegend verhandelt wird. Zu den für beide Krisen gleichermaßen typischen Worterscheinungen zählen insbesondere Zukunft, Wachstum und Investitionen, aber auch Verstaatlichung, Stabilität oder Autoindustrie. In der exemplarisch für den Begriff Wachstum als zweithäufigstem Lexem des Basisvokabulars durchgeführten Kookurrenzanalyse tritt der Ausdruck in beiden Krisenphasen vor allem zusammen mit Wohlstand, Beschäftigung und Stabilität auf.552 Anhand der Kookurrenz von Wachstum und Wohlstand weisen Ziem, Scholz und Römer ein für beide Krisen typisches Narrativ nach, dessen diskursive Etablierung vor allem der Legitimation politischer Handlungen dient. In weiterführenden Tri-Gramm-Analysen erweisen sich innerhalb der beiden Krisentextkorpora seriell auftretende Drei-Wort-Einheiten als überwiegend in die Kategorien ‚geografische Dimension‘, ‚zeitliche Dimension‘ und ‚Akteure‘ einteilbar. Diese Wissensaspekte können dementsprechend als relevant für

|| 550 Vgl. Ziem, Alexander, Scholz, Ronny und Römer, David: „Korpuslinguistische Zugänge zum öffentlichen Sprachgebrauch: spezifisches Vokabular, semantische Konstruktionen und syntaktische Muster in Diskursen über ‚Krisen‘“. In: Felder, Ekkehard (Hrsg.): Faktizitätsherstellung in Diskursen. Die Macht des Deklarativen. Berlin und Boston 2013, S. 329–358. Die Ergebnisse von Ziem, Scholz und Römer referieren in Ansätzen auch Kreuz und Wengeler 2014, S. 63 f. Vgl. auch Wengeler, Martin und Ziem, Alexander: „Wie über Krisen geredet wird. Einige Ergebnisse eines diskursgeschichtlichen Forschungsprojekts“. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik. 44. Jg. (2014), S. 52–74, hier: S. 56 ff. Dort wird auch knapp das Basisvokabular der Arbeitsmarktkrise 1997 und der Agenda 2010 erläutert (vgl. ebd., S. 61 ff.). 551 Ziem, Scholz und Römer 2013, S. 334. 552 Für weitere Kookurrenzen vgl. ebd., S. 341.

Wegweiser aus der diskurslinguistischen Forschung | 207

diskursive Krisenkonstruktion gelten und fungieren – in framesemantischer Nomenklatur – als Leerstellen, die jeweils diskursspezifisch mit Werten besetzt werden. Während für die Ölkrise eine Häufung von Tri-Grammen mit geografischem Bezug ausgemacht werden kann (z. B. im Nahen Osten, in den USA, am Persischen Golf), überwiegen für die Finanzkrise akteursbezogene Tri-Gramme (z. B. Hypo Real Estate oder die Deutsche Bank). Daraus schließen Ziem, Scholz und Römer: Die ‚Ölkrise‘ wäre somit zuvorderst eine Krise um territoriale Grenzen und transterritoriale Einflussmöglichkeiten, die ‚Finanzkrise‘ dagegen eine der Handlungsakteure, die die Krise zu verantworten haben, sie beeinflussen, bekämpfen oder von ihr betroffen sind.553

Es folgen Konkordanzanalysen, um die dominierenden syntaktischen Konstruktionen im Zusammenhang mit dem Krisenbegriff zu erheben. Dabei erweisen sich Transitiv- und Possessivkonstruktionen als dominierend.554 Ersteres Phänomen wird in seiner Ausprägung als Subjektkonstruktion weiter verfolgt. Sofern der Ausdruck Krise in dieser Konstellation als semantisches Agens fungiert, kann er als Personifikation von Krise im Sinne einer konzeptuellen Metapher begriffen werden. Der damit einhergehende Handlungsaspekt wird mit von Polenz in folgende Klassen unterschieden: ‚Handlungsbetroffene‘, ‚Handlungsrechtfertigungen‘, ‚Zustandsbeschreibungen‘ und ‚Handlungsresultate‘. Auch hier manifestieren sich Unterschiede in den beiden Teilkorpora. Die semantischen Typen ‚Handlungsrechtfertigungen‘ und ‚-beschreibungen‘ herrschen in den Texten zur Ölkrise vor; ‚Handlungsbetroffene‘ und ‚-resultate‘ stehen hingegen im Finanzkrisenkorpus im Vordergrund. Für die in den Korpora auftretenden Possessivkonstruktionen werden Prädikatsklassen gebildet, die in framesemantischer Lesart ebenfalls als Leerstellen im Krisenframe gelten können. Es handelt sich um die Typen ‚Ursache/Folgen‘, ‚Zeit‘, ‚Akteure‘, ‚Handlung‘ und ‚Eigenschaften‘. Hier zeigt sich, dass zeit- und akteursbezogene Prädikationstypen in beiden Krisen etwa gleich gehäuft auftreten, hingegen die Handlung spezifizierende Possessivkonstruktionen in der Ölkrise doppelt so häufig auftreten wie in der Finanzkrise. In deren Textkorpus sind wiederum sehr viel häufiger die Folgen der Krise betreffende Kopfnomen auszumachen. Hieraus lässt sich schließen, dass

|| 553 Ebd., S. 347. 554 Ebenfalls gehäuft auftretende Präpositionalkonstruktionen lassen Ziem, Scholz und Römer in der weiteren Analyse außen vor, da diese auf diskursive Argumentationsstrukturen verweisen und einer weiterführenden qualitativen Analyse bedürfen (vgl. ebd., S. 349).

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die Finanzkrise als ein ‚passiveres‘ Ereignis konzeptualisiert und konstruiert [wird; A. S.], insofern dessen Eigenschaften, Ursachen und Folgen stärker in den Vordergrund rücken, ohne relevante Handlungen, die zur Eindämmung oder Überwindung der Krise nötig wären, davon abzuleiten.555

Mit den lexikometrisch orientierten Erhebungen sind wesentliche Ansatzpunkte für weitere diskurslinguistische Studien im Rahmen des Krisenprojekts gegeben. Ziem etwa führt die oben knapp dargestellten Studien zu Transitiv- und Possessivkonstruktionen im Rahmen einer eigenen framesemantischen Arbeit weiter aus und macht deutlich: „Die syntaktische Einbettungsstruktur spielt (...) eine erhebliche Rolle bei den Konzeptualisierungen dessen, worauf der Ausdruck Krise sprachlich Bezug nimmt.“556 Als „framesemantisch inspiriert“557 bezeichnet Wengeler seine Prädikationsanalyse zur Erschließung des voraussetzbaren Wissens bei der Verwendung des Begriffs Krise im Rahmen der Finanzkrise 2008/09.558 Auf Basis des Matrixframes EREIGNIS559 reduziert er aus forschungspraktischen Gründen den zugehörigen Fragenkatalog auf fünf Fragen. Auf diese Weise geht er den Ursachen, Aktionen, Akteuren, Folgen und Vergleichbarkeiten des Ereignisses ‚Wirtschaftskrise‘ nach und kommt zu dem Ergebnis, dass „Historisierung, Personalisierung und Dramatisierung (...) als charakteristische Strategien der Darstellung“560 der Finanzkrise gelten können. Historisch wird die Finanzkrise in ihrem Ausmaß insbesondere zur Weltwirtschaftskrise von 1929-31 in Bezug gesetzt; die Lage wird „mit vielen Superlativen, Hyperbeln, Zahlen und negativ wertendem Wortschatz“561 als außerordentlich dramatisch dargestellt. Die „gierigen Banker und Banken, die hilflosen und unfähigen Politiker sowie die Notenbanken“562 || 555 Ebd., S. 355. 556 Ziem 2013, S. 151. Eine weitere framesemantische Studie zur Finanzkrise liefern Storjohann und Schröter (Storjohann, Petra und Schröter, Melani: „Die Ordnung des öffentlichen Diskurses der Wirtschaftskrise und die (Un-)Ordnung des Ausgeblendeten“. In: Aptum. 7. Jg. (2011), S. 32–53). 557 Wengeler, Martin: „Historische Diskurssemantik. Das Beispiel Wirtschaftskrisen“. In: Roth, Kersten Sven und Spiegel, Carmen (Hrsg.): Angewandte Diskurslinguistik. Felder, Probleme, Perspektiven. Berlin 2013a, S. 43–60, hier: S. 50. In der Schreibweise „frame-semantisch“: Ders.: „‚Noch nie zuvor‘. Zur sprachlichen Konstruktion der Wirtschaftskrise 2008/09 im Spiegel“. In: Aptum. 6. Jg. (2010), S. 138–156, hier: S. 140. 558 Vgl. ebd. sowie ders. 2013a. 559 Die Schreibweise folgt hier Wengeler (vgl. z. B. ebd.). 560 Ders. 2010, S. 144. 561 Ebd., S. 145. 562 Ebd., S. 155.

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werden diskursiv als Verantwortliche etabliert, schließlich spielt auch „der ungezügelte Kapitalismus“563 zumindest implizit eine Rolle bei der Verhandlung von Krisenursachen im Diskurs. Das wohl bedeutendste Projektergebnis zur Weiterentwicklung des diskurslinguistischen Methodenspektrums liefert Römer, der einen Ansatz zur Relationalen Toposanalyse vorlegt.564 Er erweitert die von Wengeler für die linguistische Diskursanalyse operationalisierte Toposanalyse zur Analyse von topologischen Diskursformationen als allgemeingültige Argumentationsschemata. Für den Krisenkontext identifiziert er „eine grundlegende Topologie abstrakt-formaler Argumentationsmuster“565, d. h. eine für sämtliche betrachteten Krisenphasen gültige Konstellation wiederkehrender und in einem argumentationslogischen Bezug zueinander stehender Topos-Kategorien, die für den jeweiligen Diskurs eine Analyse und Zuordnung kontextspezifischer Topoi ermöglicht. Damit können nicht nur Kontinuitäten und Wandel im über eine Krise etablierten Wissen aufgezeigt, sondern ebenso rivalisierende Argumentationsmuster der verschiedenen Diskursakteure im Kampf um die Deutungshoheit über Krisen deutlich gemacht werden. Jede ‚Krise‘ kann in diesem Konzept topologisch beschrieben werden als eine sich zum Teil überlagernde Sequenz verschiedener Topoi, denen Römer zudem Sprechhandlungen zuordnet, um die jeweils zugehörige diskursive Aktivität der Kommunikationsteilnehmer zu kennzeichnen. In einem ersten Schritt erfolgt regelmäßig die Begründung und Etablierung einer ‚Krise‘ mit Hilfe des Datentopos, der als Ausprägung des Realitätstopos gelten kann. Entsprechend wird ‚Krise‘ als gesellschaftliche ‚Wahrheit‘, als ‚Faktum‘ benannt. Eng verknüpft damit ist der Topos aus den Ursachen, mit dessen Hilfe ein „Erklären-Warum“566 möglich wird und mit dem Verantwortlichkeiten und Schuldige der Krise bezeichnet sowie Bewertungen angeführt werden. Mit den Prämissen aus Daten und Ursachen wird innerhalb eines pragmatischen Arguments in einem zweiten Schritt eine Rechtfertigung bzw. Legitimation politi-

|| 563 Ebd., S. 146. 564 Zuerst von Römer dargestellt in Kuck, Kristin und Römer, David: „Metaphern und Argumentationsmuster im Mediendiskurs zur ›Finanzkrise‹“. In: Peltzer, Anja, Lämmle, Kathrin und Wagenknecht, Andreas (Hrsg.): Krise, Cash & Kommunikation. Die Finanzkrise in den Medien. Konstanz und München 2012, S. 71–93. Ausführlich in Römer, David: „‚Politikversagen!‘ – Relationale Toposanalyse: Überlegungen zu einem Verfahren linguistischen Interpretierens und dessen sprachkritischer Anwendbarkeit am Beispiel eines Diskursausschnitts zu ‚Krisen‘“. In: Aptum. 8. Jg. (2012), S. 193–216. 565 Kuck und Römer 2012, S. 79. Vgl. zur Illustration der folgenden Ausführungen das Schaubild ebd., S. 77 oder auch bei Römer 2012, S. 202. 566 Kuck und Römer 2012, S. 78.

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scher Handlungen im Sinne einer unstrittigen Konklusion möglich. Damit einher geht in der Regel ein Appell an bestimmte Leitbilder, Prinzipien und Werte, den Römer als Topos aus den Maximen bezeichnet. Vor diesem Hintergrund werden schließlich in Form eines Finaltopos Ziele angeführt, gefordert oder zugesagt. Für den Diskurs um die Finanzkrise 2008/09 ist die relationale Toposanalyse mehrmals durchgeführt worden.567 Kontextspezifisch tritt der Datentopos hier vor allem als Topos der düsteren Zukunft, Topos der düsteren Gegenwart, Topos der ungewissen Lage, Topos der Zeitenwende und als Topos ‚außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen‘ auf. Die Erklärung für die Krise wird im Diskurs regelmäßig mit folgenden Topoi aus den Ursachen geliefert: Maßlosigkeit, Gier der Banken und Banker und grundsätzlich erschüttertes Vertrauen. Konträr dazu wird mit dem Versuch, einen Gegendiskurs zu etablieren, auch das Versagen der Politik als Ursache der Finanzkrise genannt. Die so mit Datentopoi und Ursachentopoi gerechtfertigten Maßnahmen lauten Rettungspaket, Konjunkturprogramm, staatliche Beteiligung an Banken, Kontrollen und Regeln auf den Finanzmärkten, Kurzarbeit und niedrigere Löhne. Dabei berufen sich die Diskursteilnehmer im Rahmen des Topos aus den Maximen vor allem auf die Soziale Marktwirtschaft, auf soziale Gerechtigkeit, Freiheit, Verantwortung, Vernunft und Solidarität und fordern in finaltopischer Logik, die Krise zu bewältigen, einen Kollaps zu verhindern, Banken zu retten, die Konjunktur anzukurbeln, Arbeitsplätze zu sichern, oder ganz allgemein dem Kapitalismus Zügel anzulegen. Mit Hilfe der relationalen Toposanalyse gelingt es Römer zu zeigen, wie die Dualismen Staat-Markt und Kapitalismus-Sozialismus den Diskurs prägen, in dem aufgrund basaler Formen der Auf- und Abwertung nur die Zustimmung zu einem der beiden Lager möglich erscheint und so durch den hermetischen Charakter des Diskurses eine Mentalität der Alternativlosigkeit gefördert wird. Einzelne Toposanalysen für die verschiedenen Krisendiskurse hat vor allem Wengeler vorgelegt. Mehrmals hat er dabei die dominierenden Topoi der Krisen

|| 567 Vgl ebd., S. 76 ff. sowie Römer 2012, S. 205 ff. Zur topologischen Diskursformation der Arbeitsmarktkrise 1997 vgl. Römer, David und Wengeler, Martin: „»Die Globalisierung ist ein ökonomisches Phänomen mit politischen Folgen«. Linguistische Diskursanalyse am Beispiel der sprachlichen Konstruktion der ›Arbeitsmarktkrise‹ 1997“. In: ZfD. 1. Jg. (2013a), S. 137–158, hier: S. 149 ff. Für eine Einsicht in die topologische Diskursformation zur Ölkrise 1973/74 vgl. dies.: „‚Wirtschaftskrisen‘ begründen/mit ‚Wirtschaftskrisen‘ legitimieren. Ein diskurshistorischer Vergleich“. In: Wengeler, Martin und Ziem, Alexander (Hrsg.): Sprachliche Konstruktionen von Krisen. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein fortwährend aktuelles Phänomen. Bremen 2013b, S. 269–288, hier: S. 281 ff. Ähnlich auch Wengeler und Ziem 2014, S. 68 ff.

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1982 und 2003 verglichen.568 Wiederholt weist er darauf hin, dass insbesondere der Topos der düsteren Gegenwart verknüpft mit dem Singularitätstopos konstituierend für Krisendiskurse über alle Zeitphasen hinweg ist. Gemeinsam ist den beiden betrachteten Krisenphasen darüber hinaus die Erscheinung folgender Topoi: Endpunkt-Topos, Topos des radikalen Umdenkens, Sozialstaats-Topos sowie Ländervergleichs-Topos. Neben diesen Kontinuitäten macht Wengeler ebenso diskursiven Wandel aus. So wird die Krise 1982 auch mit Hilfe des Arbeitszeitverkürzungs-Topos, des Topos der Managerverantwortung und des Demografie-Topos verhandelt, während diese Argumentationsmuster 2003 keine Rolle mehr spielen. Demhingegen treten zu diesem Zeitpunkt der Realitätsverweigerungs-Topos, der Topos der unfähigen Politiker und auch der Staatsverschuldungs-Topos neu auf. Konzeptuelle Metaphern, die „Prädikationen über einen abstrakten ›Gegenstand‹ von einem anschaulichen Herkunftsbereich auf einen abstrakten Zielbereich übertragen“569 und so zur Konstitution und Organisation von Wissen im Diskurs beitragen, untersuchen Kuck und Römer sowie Drommler und Kuck im Krisenprojekt für die Finanzkrise 2008/09 und die Agenda 2010 im Jahr 2003.570 Sie stellen fest, dass KRISE ALS KATASTROPHE571 und KRISE ALS KRANKHEIT zu den ausgefeiltesten konzeptuellen Metaphern im Finanzkrisendiskurs gehören. Ebenso treten gehäuft Mechanikmetaphern sowie Kriegs- und Kampfmetaphern auf; auch wird KRISE ALS DEFEKT konzeptualisiert. Ähnliche Konzeptualisierun-

|| 568 Vgl. Wengeler, Martin und Ziem, Alexander: „‚Wirtschaftskrisen‘ im Wandel der Zeit. Eine diskurslinguistische Pilotstudie zum Wandel von Argumentationsmustern und Metapherngebrauch“. In: Landwehr, Achim (Hrsg.): Diskursiver Wandel. Wiesbaden 2010, S. 335–354, hier: S. 343 ff. Vgl. ebenso Wengeler 2013a, S. 48 ff. sowie ders.: „‚Unsere Zukunft und die unserer Kinder steht auf dem Spiel.‘ Zur Analyse bundesdeutscher Wirtschaftskrisen-Diskurse zwischen deskriptivem Anspruch und diskurskritischer Wirklichkeit“. In: Meinhof, Ulrike Hanna, Reisigl, Martin und Warnke, Ingo H. (Hrsg.): Diskurslinguistik im Spannungsfeld von Deskription und Kritik. Berlin 2013b, S. 37–63, hier: S. 46 ff. 569 Wengeler und Ziem 2014, S. 63. 570 Vgl. Kuck und Römer 2012, S. 83 ff. sowie Drommler, Michael und Kuck, Kristin: „Krise aus Metaphern – Krise in Metaphern. Metaphorische Konstruktionen von Krisenkonzepten am Beispiel der Debatten zur ‚Agenda 2010‘ und zur ‚Finanzkrise 2008/09‘“. In: Wengeler, Martin und Ziem, Alexander (Hrsg.): Sprachliche Konstruktionen von Krisen. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein fortwährend aktuelles Phänomen. Bremen 2013, S. 209–239. Wengeler und Ziem zeigen für die Krisenphasen 1982 und 2003 die Funktionen der konzeptuellen Metaphern VORNE IST ZUKUNFT/HINTEN IST VERGANGENHEIT, MEHR IST OBEN/WENIGER IST UNTEN, WIRTSCHAFT IST EIN ORGANISMUS und WIRTSCHAFT IST EIN VEHIKEL für die betreffenden Diskurse auf (vgl. Wengeler und Ziem 2010, S. 346 ff.). 571 Die Schreibweise folgt Kuck und Römer 2012 sowie Drommler und Kuck 2013.

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gen finden sie im Diskurs zur Sozialstaatskrise 2003. Für die umfängliche Erschließung und Interpretation etwa des Konzepts KRISE ALS KRANKHEIT arbeiten Kuck und Römer mit einer framesemantisch inspirierten Strukturfolie, die es ihnen erlaubt, die verschiedenen Aspekte des Metaphernkonzepts aufzudecken. Als von Krankheit betroffen erweisen sich dabei die Wirtschaft, aber auch Banken und das Finanzsystem bzw. bilden letztere die erkrankten Organe des kranken Körpers Wirtschaft. Während Symptome und Diagnosen ausgemacht werden, fungiert der Staat als Arzt, und Therapien in Form von Rettungspaketen oder Verstaatlichungen werden gefordert. Geld ist dabei die am häufigsten gebräuchliche Medizin. Die Funktion der Krankheitsmetaphorik im Finanzkrisendiskurs beschreiben Kuck und Römer wie folgt: Die Konzeptualisierung der ›Krise‹ als Krankheit der Wirtschaft etabliert einen Ausnahmezustand, dessen Überwindung hohe Priorität besitzt. Als drastisch angesehene Maßnahmen – wie z. B. die kurzfristige Verstaatlichung von Banken – können auf diesem konzeptuellen Unterbau eher Akzeptanz finden als mit einem weniger dramatischen Szenario. Handlungsnotwendigkeit wird über die Schwere der Krankheit ausgedrückt. Die Maßnahmen zur Rettung reichen von Zustand stabilisierend bis lebensnotwendig. Darin zeigen sich unterschiedliche Einschätzungen der Dringlichkeit der Situation.572

Drommler und Kuck resümieren, dass in den beiden betrachteten Diskursen mittels der konzeptuellen Metaphern „auffallend häufig Wissensbestandteile über die Ursachen der Krise, ihre Akteure sowie über deren Handlungen und Mittel aktualisiert“573 werden. Dabei kommen zwar grundsätzlich identische metaphorische Krisenkonzepte zum Tragen, Unterschiede ergeben sich jedoch etwa in der Zuschreibung von Verantwortlichkeiten oder hinsichtlich der Ereignisqualität. So ergeben sich für die Debatte um die Agenda 2010 keine klar benennbaren Zuständigkeiten, während in der Finanzkrise Banker und das Finanzsystem als Verursacher dargestellt werden. Die Krise 2003 stellt sich als eher „schleichender Prozess“574 dar, demgegenüber erscheint die Finanzkrise als „plötzlich auftretende Naturkatastrophe.“575 Gemein hingegen ist allen beschriebenen Konzeptualisierungen, dass sie „die negativen, nicht wünschenswerten Ausgangsvarianten der Krise“576 zu illustrieren vermögen und so unbedingte Dringlichkeit für politischen Handlungsbedarf evozieren. Nicht zuletzt diese Beobachtung lässt die Vermutung zu, dass der Funktionsmechanismus || 572 Kuck und Römer 2012, S. 88. 573 Drommler und Kuck 2013, S. 213. 574 Ebd., S. 236. 575 Ebd. 576 Ebd.

Sicherheitssemantik im Diskurs um Griechenland und den Euro | 213

von Wirtschaftsdiskursen über die Konstitution von Bedrohungs- und Untergangsszenarien hinausreicht. Die Feststellung diskursiv erzeugter politischer Handlungsnotwendigkeit fordert geradezu heraus, sicherheitssemantische Strategien in entsprechenden Diskursen aufzusuchen, die als Legitimations- und Lösungskonzepte der auf einer Krisenfolie operierenden politischen Handlungsinstanz zu erwarten sind.

7.3 „Die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit wären unabsehbar. Das würde die Stabilität des Euro in Frage stellen.“ – Sicherheitssemantik im Diskurs um Griechenland und den Euro 2010 Es mag unbestritten sein, dass die öffentliche Auseinandersetzung um die ökonomische Situation Griechenlands und des Euro im Jahr 2010 als Krisendiskurs im kollektiven deutschen Gedächtnis verankert ist. So überrascht es auch nicht, dass eine diskurslinguistische Untersuchung der Debatten in Medien und Politik ergiebige Ergebnisse zur sprachlichen Krisenkonstruktion mit zahlreichen Phänomenen aus Lexik, Metaphorik und Topik zu Tage fördert. Allerdings lässt sich gleichermaßen zeigen, wie durch Deutungsvorgänge konkurrierender gesellschaftlicher Gruppen dem Krisendiskurs schließlich das deontische Etikett Stabilität angeheftet wird, das den Charakter des Diskurses maßgeblich mitprägt. Diese Weiterdeutung zum Stabilitätsdiskurs geschieht im Wesentlichen durch sprachliche Strategien der machthabenden politischen Gruppe und wird – zwar mit abweichenden Intentionen – von der Opposition weiter befördert sowie von den Medien in unterschiedlicher Bewertung übernommen. Der Diskurs lässt sich dann als Sicherheitsdiskurs lesen, wenn man annimmt, dass die rund um den Begriff Stabilität etablierten sprachlichen Konstruktionen sicherheitssemantischer Natur sind und auf der Folie des Bedrohungs- und Gefahrenszenarios ‚Krise‘ maßgebliche Legitimations- und Mobilisierungswirkung entfalten. Die in der Debatte um Griechenland und den Euro etablierte Krisenkonstruktion kann daher anhand der von Römer vorgeschlagenen topologischen Diskursformation für Krisen nachgezeichnet werden, trägt der Anatomie des vorliegenden Diskurses jedoch nicht ausreichend Rechnung. Die Stabi-

|| Anmerkung: „Die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit wären unabsehbar. Das würde die Stabilität des Euro in Frage stellen“, wird Wolfgang Schäuble in der FAZ zitiert (FAZ v. 29.4.10b).

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litätskonzeption kann hier nämlich nicht nur als Ausdruck eines beliebigen Finaltopos in einer krisendominierten Argumentationslogik gelesen, sondern muss aufgrund ihres sicherheitssemantischen Gehalts als die zum Gefüge ‚Krise‘ gewissermaßen komplementäre Konstruktion aufgefasst werden. Dementsprechend ist der Diskurs geprägt durch eine dualistische Denkfigur: ‚Krise‘ wird als gesellschaftliche Realität etabliert, um ‚Stabilität‘ als Antwort im Sinne eines politischen Lösungs- und Sicherheitsversprechens wirksam werden zu lassen. Erst durch ihr Zusammenspiel erhalten die Konstruktionen ‚Krise‘ und ‚Stabilität‘ ihre volle diskursive Funktionalität. In diesem Sinne ist Stabilität als komplementäre Leitvokabel zu Krise im hier untersuchten Diskurs zu begreifen. Der Begriff Stabilität fungiert dabei nicht selten als letztinstanzliche Zielvokabel, die den weiteren aufgeworfenen Argumenten erst ihre letzte Überzeugungskraft verleiht. Diese Überlegungen sollen im Folgenden in der Betrachtung des politischen und medialen Sprachgebrauchs der Debatte um Griechenland und den Euro im Jahr 2010 veranschaulicht werden. Neben der Fokussierung auf die Wechselwirkung von Krise und Stabilität interessiert auch, inwiefern weitere sprachliche Phänomene unterhalb ihrer Oberfläche sicherheitssemantische Strukturen aufweisen. Zudem sollen diejenigen Kontexte nicht außen vor bleiben, in denen der Ausdruck Sicherheit explizit gebraucht wird. Die sprachliche Konstruktion der Krise erfolgt mittels mehrerer Topoi, die durch ihren Gefahren- und Bedrohungsaspekt die aktuelle ökonomische und gesellschaftliche Situation als krisenhaft etablieren und den Diskurs um Griechenland und den Euro erst begründen. Entsprechende sprachliche Strategien sorgen dafür, dass die Krisenperspektive nicht auf Griechenland beschränkt bleibt, sondern auf Deutschland und ganz Europa ausgeweitet wird. Mit Römer und Wengeler kann hier auch von Ausprägungen des Topos der düsteren Gegenwart und des Topos der düsteren Zukunft gesprochen werden.577 Die verschiedenen Gefahrentopoi werden im Zuge der Lösungsdiskussion häufig auch zur Begründung von Maßnahmen herangezogen, wie später noch zu zeigen sein wird. Des Weiteren sind diverse Topoi aus den Ursachen als Mittel der Krisenkonstitution auszumachen. Sie dienen zum Streit um Auslöser und Schuldige der Krise ebenso wie zur Diskussion um Maßnahmen und Lösungen. Die dabei mit dem Sprachgebrauch einhergehenden Thematisierungen und Fokussierungen bestimmter wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aspekte bilden das Bild der Krise und der Vorstellung ihrer Lösung, das sich in der Öffentlichkeit als gesellschaftliche Realität etabliert. Im ersten Halbjahr 2010 liegt der || 577 Vgl. z. B. Römer und Wengeler 2013b, S. 272.

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Schwerpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung in der Frage, ob Griechenland Kredite anderer europäischer Länder und des Internationalen Währungsfonds (IWF) zur Vermeidung von staatlicher Zahlungsunfähigkeit erhalten soll oder ob andere Lösungen wie etwa ein Schuldenerlass oder ein Austritt aus der Euro-Währungsunion in Betracht gezogen werden sollen. Es fällt auf, dass die Krise zunächst nur auf Griechenland bezogen und mit dem Begriff ‚Schulden‘ charakterisiert wird. Entsprechend wird sie als „Griechenland-Krise“ (z. B. FAZ v. 11.3.10b), „Schuldenkrise“ (z. B. FAZ v. 26.3.10b) oder auch als „griechische Schuldenkrise“ (z. B. FAZ v. 27.4.10a) bezeichnet. Auch von der „Griechenland-Malaise“ (SZ v. 15.5.10a) ist die Rede. Dramatisierende Attribuierungen kennzeichnen die aktuelle Lage als ‚krisenhaft‘. So befindet man sich im ersten Quartal des Jahres 2010 in einer „akuten Krisensituation um die gefährdete Zahlungsfähigkeit Griechenlands“ (FAZ v. 11.3.10b), bereits Ende April hat sich dann die „griechische Schuldenkrise (...) dramatisch verschärft“ (SZ v. 28.4.10). Die Rede ist von „Katastrophenszenarios (...), die derzeit für Griechenland gezeichnet werden“ (FAZ v. 24.3.10). Der krisenhafte Sprachgebrauch wird in expliziten Thematisierungen auch reflektiert: „Die Staatsschuldenkrise produziert so katastrophale Schlagzeilen, als stünde die Welt vor dem Untergang“ (SZ v. 15.5.10a). Der Ausdruck „Tragödie um Griechenland“ (SZ v. 15.2.10) illustriert die Dramatik schließlich im Wortsinn, indem er an Griechenland als kulturhistorisches Ursprungsland des europäischen Dramas als literarische Gattung erinnert. Einzig der Sprachgebrauch von Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbart bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Diskurs eine andere Deutung der Lage, die sie und weitere Regierungsmitglieder später durchsetzen werden. Sie spricht nämlich bereits im Februar von einer ‚Eurokrise‘, wenn sie sagt: „Der Euro ist jetzt zum ersten Mal seit seiner Einführung in einer schwierigen Situation“ (FAZ v. 25.2.10). Die Konzeptualisierung von Krisen als Naturphänomene bzw. Naturkatastrophen gilt als gängiges Phänomen des öffentlichen Sprachgebrauchs.578 So überrascht es nicht, dass von einem „krisengeschüttelten Griechenland“ (SZ v. 23.2.10) gesprochen und die Situation metaphorisch als ‚Erdbeben‘ gefasst wird. Es gibt „Erschütterungen durch (...) die Griechenland-Turbulenzen“ (FAZ v. 22.3.10) und die „von Griechenland ausgehenden Erschütterungen“ (SZ v. 15.5.10a) werden gedeutet als „Anzeichen dafür, dass die Weltwirtschaft (...) durchgeschüttelt wird“ (ebd.). Der für das Verständnis des Diskursverlaufs entscheidende Aspekt der Erdbebenmetaphorik liegt in der Bewegungsbegrifflichkeit, die hier verwendet wird. Ausdrücke wie durchschütteln und Erschütterun|| 578 Vgl. z. B. Drommler und Kuck 2013, S. 236 für die Finanzkrise 2008/09.

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gen beschreiben ,Bewegung‘ und sind insofern negativ konnotiert, als sie die Bewegung sowohl als ,heftig‘ als auch als ,unerwünscht‘ ausweisen. Krise bedeutet hier also, dass ‚etwas in Bewegung geraten‘ ist, und zwar in eine unerwünschte Richtung. Gleiches gilt für den Begriff „Talfahrt“ (FAZ v. 17.2.10), der ebenfalls verwendet wird. Diese als dramatisch gedeutete Bewegung in unerwünschte Richtung in Griechenland liefert den optimalen diskursiven Einsatzpunkt für die machthabende Politik, um den Krisendiskurs weiterzudeuten in einen Stabilitätsdiskurs, in dessen Konsequenz schließlich die Krisenbetroffenheit weit über Griechenland hinaus ausgeweitet wird. Der Krisenbewegung wird dabei der Begriff Stabilität in oppositioneller Funktion gegenübergestellt. Stabilität wurzelt im lateinischen stabilitas, das in wörtlicher Bedeutung ‚Feststehen‘ bzw. ‚Festigkeit‘ und in übertragener Bedeutung auch ‚Festigkeit‘, ‚Standhaftigkeit‘, ‚Dauer‘ oder ‚Unveränderlichkeit‘ ausdrücken kann. Das zugehörige Verb stare wird in der Grundbedeutung im Deutschen mit ‚stehen‘ wiedergegeben und kann des Weiteren die Bedeutungen ‚stehen bleiben‘, ‚stillstehen‘, ‚regungslos stehen‘ und ‚sich nicht rühren‘ einnehmen. Mit einer ausgeprägten deontischen Bedeutungskomponente zeigt der Begriff Stabilität in einer als metaphorisch aufzufassenden Konzeption demnach an, dass ‚die Erschütterungen durch die Krise zum Stillstand kommen‘ sollen, ‚anhalten‘ sollen, dass ‚die Dinge wieder fest stehen‘ müssen. Damit wird der ‚beunruhigenden Bewegung Krise mit unerwünschter Zielrichtung‘ das Versprechen des ‚Stehenbleibens‘ als erstrebenswertes Ziel entgegensetzt. Das hier durch die Politik gegebene Stagnationsversprechen ist nichts anderes als in Aussicht gestellte Sicherheit in der Krise, die die politischen Instanzen zu vermitteln suchen. Es kann mithin im Weiteren von einem Stabilitätstopos gesprochen werden: ‚Um Stabilität wiederherzustellen, sind bestimmte Maßnahmen notwendig bzw. zu unterlassen.‘ Dieses Argumentationsmuster fungiert als zentraler Finaltopos im Streit um Finanzhilfen für Griechenland. Auf seiner Folie erfolgen die Mobilisierung der Öffentlichkeit durch die Herstellung von Beteiligtheit, die Eigeninszenierung der politischen Gruppen als Krisenlösungsinstanz sowie die Legitimation von Maßnahmen. All dies soll in den folgenden Ausführungen weiter verdeutlicht werden. Es ist zu vermuten, dass der Begriff Stabilität im Diskurs schnell gebräuchlich und nur selten durch Sicherheit ersetzt wird, weil er im Sprachgebrauch in ökonomischen Zusammenhängen bereits etabliert ist. Die diskursive Ausweitung von ‚Krise‘ erfolgt daher zunächst auf einen typischen Verwendungskontext des Stabilitätsbegriffs, nämlich auf den der Währung. Es gehört zum fest etablierten gesellschaftlichen Wissen der deutschen Öffentlichkeit, dass eine Währung ‚stabil‘ sein muss – eine nähere Spezifikation dieser Eigenschaft hin-

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gegen dürfte nicht dazugehören. Entsprechend können Appelle an die „Stabilität des Euro“ (z. B. Merkel v. 5.5.10) wirksam werden. Meist in apodiktischer Manier erfolgt der Versuch, die Situation in Griechenland zu einer Gefahr für die Stabilität der Währung umzudeuten. So geht es für Birgit Homburger von der mitregierenden FDP „um die Frage, ob die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und damit eine Destabilisierung des Euro verhindert werden kann“ (Homburger v. 5.5.10). „Es geht um die Stabilität des Euro als Ganzes“ (FAZ v. 29.4.10c), wird Wolfgang Schäuble (CDU/CSU) in der FAZ Ende April zitiert. Ähnlich äußert sich auch der Fraktionsvorsitzende von CDU/CSU Volker Kauder. Für ihn „geht es jetzt darum, dass wir den Euro in seiner Stabilität stützen“ (Kauder v. 5.5.10). In den Medien explizit thematisiert wird der Versuch der Bundeskanzlerin, den Diskurs zu perspektivieren: „Merkel (...) suchte (...) deutlich zu machen, es gehe weniger um Finanzhilfen für Griechenland, sondern vor allem um die Stabilität des Euro“ (FAZ v. 3.5.10a). Explikationen zum genauen Gefährdungszusammenhang jedoch bleiben aus. So wandelt sich die „griechische Schuldenkrise“ (z. B. FAZ v. 27.4.10a) schließlich zu einer „Euro-Krise“ (z. B. SZ.de v. 20.5.10), die den Einsatz der europäischen Politik erfordert: „Die gesamte Euro-Zone wird bedroht, wir müssen (...) tätig werden“ (SZ.de v. 8.5.10), so der Vorsitzende der Euro-Gruppe Jean-Claude Juncker auf SZ.de. Ende Mai befindet man sich bereits „[i]nmitten der Euro-Krise, die die Sicherheit Deutschlands und Europas bedroht“ (SZ.de v. 20.5.10). Der bestimmte Artikel zeigt hier an, dass der Begriff Eurokrise zu diesem Zeitpunkt bereits etabliert ist und die Kommunikationsteilnehmer wissen, welche Thematik damit angesprochen ist. Die Ausrufung einer großflächigen Bedrohung nicht näher explizierter Sicherheit über Griechenland hinaus macht eines deutlich: Eine griechische Schuldenkrise besitzt nicht genügend Legitimations- und Mobilisierungspotenzial, um in der heimischen Öffentlichkeit Mehrheiten für finanzielle Zusagen zu organisieren. Wenn allerdings die auch in Deutschland gültige Währung und damit Sicherheit bedroht ist, wird Beteiligtheit und Betroffenheit durch die Krise erzeugt; es entstehen Gemeinsamkeiten mit Griechenland. Dann geht es nicht länger „allein um die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands (...), sondern in erster Linie um die Stabilität der gemeinsamen europäischen Währung“ (Jüttner v. 7.5.10), wie auch der Bundestagsabgeordnete Egon Jüttner (CDU/CSU) formuliert. Dass gerade in der deutschen Öffentlichkeit Währungsthematiken historisch bedingt hohe Aufmerksamkeit generieren, machen sich die politischen Akteure zunutze. So versucht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU/CSU), mit geschichtstopischen Anklängen Zustimmung zu den geplanten Kreditvergaben an Griechenland zu erzeugen, wenn er ausführt: „[F]ür die Deutschen mit ihren ganz eigenen Erfahrungen im 20. Jahrhundert ist die Stabilität der Währung [Herv. im

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Original; A. S.] nicht irgendetwas, sondern etwas Wichtiges“ (Schäuble v. 7.5.10). Ähnlich äußert sich Angela Merkel, stellt dabei ihre Aussage noch in den allgemein akzeptierten Hochwertkontext der D-Mark und inszeniert sich als Sicherheitsgewährleisterin in der Debatte, wenn sie im Interview mit der FAZ sagt: „Die gerade für Deutschland in der Tradition der harten D-Mark entscheidende Zielsetzung der Stabilität des Euro werde ich mit allem Nachdruck verfolgen“ (FAZ v. 25.2.10). So wird es zu einem originär deutschen Anliegen, in der Situation politisch zu handeln; Schäuble etwa wird mit folgendem definitorischen Sprachgebrauch in den Medien zitiert: „Es gehe (...) nicht darum, anderen Ländern Wohltaten zu erweisen, sondern Deutschland habe ein Interesse an der Stabilität des Euro“ (FAS v. 25.4.10). Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) folgt dieser Argumentation. In seiner Aussage wird zudem der sicherheitssemantische Gehalt des Stabilitätstopos noch einmal deutlich, wenn für ihn das Ziel der „Hilfe aus Deutschland“ (FAZ.net v. 25.4.10) darin liegt, „unsere eigene Währung zu schützen“ (ebd.). Wenn Wolfgang Schäuble fragt: „Sind wir bereit, die Stabilität der deutschen Einigung und des Euro, unserer gemeinsamen Währung, zu verteidigen (...)?“ (Schäuble v. 7.5.10), es ihm um „die Verteidigung der Stabilität des Euro als Ganzes“ (ebd.) geht bzw. man „diese gemeinsame europäische Währung als Ganzes verteidigen“ (ebd.) muss, dann wird mit dem Begriff verteidigen die Krise auch metaphorisch als ein ‚Angriff‘ auf die Währung konzeptualisiert, wodurch nicht nur eine besondere Schwere der Krise präsupponiert, sondern gleichzeitig auch ein hohes Maß an politischem Handlungszwang angezeigt wird. Entsprechend formuliert Michael Meister (CDU/CSU): „Wir müssen (...) darum kämpfen, dass der Euro als Währung erhalten bleibt“ (Meister v. 7.5.10). Die Schlagkraft politischer Argumentation wird noch erhöht durch die Einbettung der Stabilitätsbegrifflichkeit in andere Hochwertkontexte. Hier fällt auf, dass neben dem Mirandum Wohlstand vor allem Begriffe mit sicherheitssemantischer Konnotation zur Aufwertung und Erhöhung der Überzeugungskraft der eigenen Aussagen verwendet werden. So erklärt Angela Merkel mit realistischer Diktion: „Eine stabile Währung ist das A und O von Wohlstand und Sicherheit“ (SZ.de v. 8.5.10). Birgit Homburger von der FDP äußert sich ähnlich: „Es geht um die Sicherung und Stabilisierung unserer Währung. Es geht um die Sicherung und Stabilisierung des Wirtschaftsraums, und es geht um die Sicherung des Wohlstands“ (Homburger v. 19.5.10). Wolfgang Schäuble verfolgt dieselbe Strategie der Aufwertung durch die Kontextualisierung mit verschiedenen Miranda, wenn er sagt: „Hätten wir keine gemeinsame Währung, hätten wir (...) weniger Wohlstand und weniger soziale Sicherheit. Deswegen ist die Verteidigung des Euro, der Stabilität unserer europäischen Währung, ein Akt unserer eigenen Verantwor-

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tung“ (Schäuble v. 21.5.10). Auch in der zwangsläufig folgenden Aneignung der Stabilitätsgewährleistungskompetenz durch Mitglieder der Regierungsparteien spielt sicherheitssemantischer Sprachgebrauch eine wesentliche Rolle. Angela Merkel etwa betont in einem Interview: „Wir müssen mit den Bürgschaftspaketen für Griechenland wie auch jetzt für die gesamte Eurozone sicherstellen, dass unsere gemeinsame Währung stabil bleibt. (...) Damit schützen wir das Geld der Bürgerinnen und Bürger“ (SZ v. 15.5.10b). Ebenso führt sie im Bundestag aus: „Wir helfen Griechenland, weil wir so der Stabilität unserer gemeinsamen Währung insgesamt helfen. Wir schützen das Geld der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes“ (Merkel v. 19.5.10). Die stabilitätstopische Argumentation wird also durch einen Bürgertopos579 gestützt, der wesentlicher Bestandteil dieser Aneignungsstrategie ist. Birgit Homburger von der FDP etwa schreibt die Kompetenz der Stabilitätsgewährleistung ihrer eigenen Partei zu und verspricht: Wir sichern die Währungsstabilität und retten damit die Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger. (...) Wir handeln im Interesse der Menschen in Deutschland (...), und wir handeln im Interesse der Stabilität unserer Währung [Herv. im Original; A. S.]. (...) Wenn es in Deutschland um Stabilität für die Bürgerinnen und Bürger geht, dann steht die FDP dafür ein. (Homburger v. 5.5.10)

Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) deklariert Stabilität als Bürgerwillen und inszeniert die eigene Fraktion als deren Gewährleister, nachdem er das Gesetz zur Kreditausstattung Griechenlands mit dem Etikett der Stabilität versehen hat: Soweit ich den Bürgern (...) aufmerksam zugehört habe, so erwarten sie von uns (...), dass wir für die Stabilität unserer Währung [Hervorh. im Orig.; A. S.] sorgen. (...) Mit dem (...) Gesetz tun wir (...) alles Notwendige, um die Stabilität der Währung (...) zu gewährleisten. Für die Stabilität der Währung einzutreten, war schon immer das Markenzeichen und das Kernanliegen der Politik von CDU/CSU. (Kalb v. 7.5.10)

Wolfgang Börnsen (CDU/CSU) verleiht seiner bürgertopischen Argumentation ein explizites und drastisches sicherheitssemantisches Momentum, wenn er sagt: „Es geht um die Stabilität des Euros, unserer Währung. (...) Es geht um (...) die Existenzsicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger in Deutschland“ (Börnsen v. 7.5.10). Volker Kauder (CDU/CSU) deutet schließlich die Verabschiedung des Gesetzes ebenfalls in einer Verschränkung von Stabilitäts- und Bürgertopos:

|| 579 Das mit dem Bürgertopos begründete Argumentationsmuster kann wie folgt formuliert werden: ‚Weil es um das Wohl der Bürger geht, müssen bestimmte Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen werden.‘

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„Wir haben (...) über ein Rettungsprogramm für den Euro und damit auch für die Stabilität des Euro und für die Sparguthaben der Menschen in unserem Land entschieden“ (Kauder v. 19.5.10). Stabilität wird mit Hilfe des Bürgertopos also zur ganz konkreten monetären Sicherheit für die adressierten Wählerinnen und Wähler. Im Frühjahr 2010 lässt sich mit diesen Aussagen vermutlich besonders große Zustimmung erzielen, denn sie erinnern mit ihrem sicherheitssemantischen Kern allesamt an die zum damaligen Zeitpunkt bereits zum etablierten Wissen der vorangegangenen Finanzkrise gehörende Aussage der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sie zusammen mit Peer Steinbrück (SPD) formuliert hat: „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind“ (Spiegel.de v. 5.10.08). Neben dem Bürgertopos, der in identischer Funktion schon im Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in New York identifiziert wurde, unterstützt auch der diskursunspezifische Topos der Alternativlosigkeit die Durchsetzung der Stabilitätssemantik. So behauptet allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel, die „Hilfen für Griechenland sind alternativlos, um die Finanzstabilität des Euro-Gebietes zu sichern“ (Merkel v. 5.5.10). Auch ihre Koalitionskollegin Nicole Bracht-Bendt von der FDP sagt: „Dem Gesetz werde ich zustimmen, weil es keine Alternative gibt, um die Stabilität der Gemeinschaftswährung Euro nicht zu gefährden“ (Bracht-Bendt v. 7.5.10). Schließlich wird auch Finanzminister Wolfgang Schäuble in der FAZ mit einer ähnlichen Aussage zitiert; ihm zufolge ist die Kreditvergabe an Griechenland „für die Stabilität des Euro ‚ohne Alternative‘“ (FAZ v. 3.5.10b). Der Begriff Stabilität eignet sich in besonderer Weise für politische Kompetenzzuschreibung und wertet das eigene Handeln auf. Das Hochwertwort verleiht dem politischen Einsatz schließlich Gewicht. Hans-Peter Friedrich von der CDU/CSU-Fraktion führt etwa aus: „Diese Regierung ist dabei, eine dauerhafte Stabilität unseres Euros sicherzustellen“ (Friedrich v. 19.5.10). Bundeskanzlerin Merkel gelingt gar noch eine Steigerung dieser Wertigkeit, indem sie das Regierungshandeln in den Zusammenhang einer „neue[n] Stabilitätskultur“ (Merkel v. 19.5.10) stellt. Die Opposition tut dies allerdings als „neues Lieblingswort Ihrer Redenschreiber“ (Gabriel v. 21.5.10) ab und nutzt den neu eingeführten Begriff, um eine allgemein formulierte Kritik an die Regierung zu adressieren: „Wir haben gar nichts gegen eine neue Stabilitätskultur, aber uns würde es schon reichen, wenn Sie diese zunächst in Ihrer eigenen Koalition einführen würden“ (ebd.). Das Gesetzesvorhaben wird schließlich stigmatisierend als „nackte[] Kreditermächtigung“ (Steinmeier v. 5.5.10) bezeichnet. Die dennoch erfolgreiche Durchsetzung der Argumentationslinie der Regierung lässt sich letztlich an der Bezeichnung des Gesetzes ablesen, mit dem die Kredite an Griechenland verfügt werden. Es trägt den Titel Gesetz zur Übernahme von Gewähr-

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leistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik (Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz – WFStG). Die so juristisch festgeschriebene Interpretation der Krise macht einmal mehr deutlich, welche Argumentationslogik sich im Diskurs durchsetzt: Auf die semantische Ausweitung der ‚Krise‘ auf die „gemeinsame europäische Währung“ (Schäuble v. 7.5.10) bzw. auf „unsere eigene Währung“ (FAZ.net v. 25.4.10) folgt die Versicherheitlichung der Thematik durch die Etablierung des Stabilitätsbegriffs. Bundeskanzlerin Merkel und weitere Regierungsmitglieder setzen also den Sprachgebrauch, mit dem sie um Zustimmung zum Gesetz werben, durch und gewinnen die Deutungshoheit im Diskurs. Folgende Aussage Merkels illustriert den Zusammenhang noch einmal konzentriert: Die Bundesregierung hat (...) ein Gesetz zur Stabilisierung der Währungsunion in Europa beschlossen. Die Grundlage für dieses Gesetz ist eine (...) Notsituation. Die Notsituation besteht darin, dass Griechenland faktisch keinen Zugang zu den Finanzmärkten mehr hat. Daraus wären Auswirkungen auf die Stabilität des Euro insgesamt entstanden. (...) Die Stabilität des Euro muss langfristig gesichert werden. (Merkel v. 5.5.10)

Konsequenterweise bezeichnet Angela Merkel das Gesetz zur Kreditvergabe an Griechenland auch als „Paket zur Stabilisierung des Euro“ (Merkel v. 19.5.10); Birgit Homburger (FDP) tut es ihr nach, sie spricht von einem „Hilfspaket für die Stabilität des Euro“ (Homburger v. 19.5.10). Ein weiterer Beleg für die Durchsetzung der Stabilitätssemantik im Diskurs ist die Tatsache, dass Widersacher der Kreditvergaben innerhalb der Regierungsparteien, Oppositionsparteien und Medien zwar durchaus auch kritisch auf die Deutungsversuche und Aneignungsstrategien der Regierungsvertreter reagieren, im Wesentlichen jedoch deren Sprachgebrauch und die damit konstituierte Krisenwirklichkeit übernehmen, indem sie ebenfalls im Rahmen des Stabilitätstopos in seiner Eigenschaft als Finaltopos Aussagen treffen bzw. thematisieren und das Gesetz zur Kreditausstattung Griechenlands innerhalb dieses Argumentationsschemas beurteilen. So finden sich bei Vertretern der Oppositionspartei SPD, die finanzielle Hilfen an Griechenland grundsätzlich nicht ausschließt, jedoch gegen das Gesetz stimmt, mitunter denen der Regierungsmitglieder frappierend ähnliche Aussagen. Elke Ferner (SPD) etwa übernimmt die Weiterdeutung zur Eurokrise uneingeschränkt, wenn sie mit definitorischer Diktion formuliert: „Bei der heutigen Entscheidung geht es nicht mehr um Griechenland, sondern es geht um eine Stabilisierung der gesamten Euro-Zone“ (Ferner v. 7.5.10). Frank-Walter Steinmeier (SPD) liefert eine Gefahrenprognose für Deutschland ebenfalls mittels des auf den Euro bezogenen Stabilitätsbegriffs

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und stellt so auf gleiche Weise wie die Regierung Beteiligtheit her: „Wir in Deutschland wären doch die Hauptleidtragenden (...), wenn die Stabilität in der Euro-Zone [Herv. im Original; A. S.] dauerhaft in Gefahr geriete“ (Steinmeier v. 5.5.10). Lothar Binding von der SPD verwendet ebenso den Begriff Stabilität, belässt seinen Bezug aber im griechischen Kontext. So sieht er „die gegenwärtige Entwicklung auch mit Sorge um die politische Stabilität im Land, um den sozialen Frieden und die wirtschaftliche Lage“ (Binding v. 7.5.10). Der Stabilitätstopos wird insbesondere von Kritikern innerhalb der Regierungsfraktionen auch zur Ablehnung des Gesetzesvorhabens verwendet. So kann Peter Gauweiler (CDU/CSU) „dem Gesetzentwurf der Bundesregierung nicht zustimmen, weil er für die Erreichung seiner Hauptziele – Stabilisierung des Euro und Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit Griechenlands – kontraproduktiv ist“ (Gauweiler v. 7.5.10). Auch Oliver Luksic von der FDP bemisst seine Ablehnung des Regierungsvorhabens am Kriterium der Währungsstabilität. Er fürchtet, dass „langfristig (...) die Stabilität des Euro durch diesen Beschluss (...) geschwächt“ wird (Luksic v. 7.5.10). Gleichermaßen äußert Horst Meierhofer (ebenfalls FDP) seine Skepsis gegenüber der geplanten Kreditvergabe: „Ob die Stabilität des Euro dadurch gewinnt, (...) wird sich auch erst zeigen müssen“ (Meierhofer v. 7.5.10). In den Medien finden sich durchaus Belege für die Reflexion der Stabilitätsdeutung, die sprachlich in der Gestalt expliziter Thematisierungen erscheinen. Relativ neutral geschieht dies auf SZ.de. Dort heißt es im Rahmen der Berichterstattung über das Gesetzgebungsverfahren knapp: „Begründet wird das Gesetz mit dem Erhalt der Finanzstabilität im gesamten Euro-Währungsgebiet“ (SZ.de v. 27.4.10). In der FAZ wird Merkels Strategie der Krisenausweitung durchaus offengelegt und mit skeptischen Worten begleitet: „Fast könnte man denken, es gehe gar nicht um Griechenland. Der Euro müsste unbedingt stabilisiert werden, sagte Frau Merkel“ (FAZ v. 27.4.10c). Die FAZ übernimmt allerdings die Stabilitätsperspektive weitgehend und nutzt diese vorwiegend, um Griechenland sowohl die Rolle als Verursacher der Krise als auch die des Verantwortlichen zu deren Lösung zuzuweisen. So stellt man fest: „Nicht der Außenwert des Euro ist in Gefahr, sondern die innere Stabilität der gemeinsamen Währung – und zwar durch verantwortungslose Schuldenmacherei der Griechen“ (ebd.). Was sich der Zeitungsleser unter „innere[r] Stabilität“ (ebd.) vorzustellen hat, wird nicht erläutert. Aus Sicht der FAZ jedenfalls „führt kein Weg an mutigen Eigenanstrengungen Griechenlands vorbei, um Stabilität wieder zurückzugewinnen“ (FAZ v. 24.4.10b). Die Semantik des Begriffs Stabilität wird in diesem Zusammenhang auf die Maximen der Marktwirtschaft bzw. der sozialen Marktwirtschaft ausgedehnt, wodurch nicht nur die Weltsicht der FAZ transportiert,

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sondern gleichzeitig die Sicherheitsrelevanz der behandelten Thematik beträchtlich ausgeweitet wird: Eine marktwirtschaftliche Ordnung ist auf eine stabile Währung angewiesen. Millionen von Bürgerinnen und Bürgern verlassen sich darauf. Tausende von Unternehmen vertrauen bei ihren Investitionen auf ein stabiles Geldwesen. Es geht nicht nur um Griechenland, es geht um mehr. Es geht um stabile Grundlagen sozialer Marktwirtschaft. (ebd.)

Die Bewegungssemantik des Krisenbegriffs nimmt der ‚Wirtschaftsweise‘ Peter Bofinger wieder auf, um darauf mit stabilitätstopischer Argumentation zu antworten: „Lieber Augen zu und den Schwächsten stabilisieren, weil sonst das gesamte Euro-System rutschen könnte“ (FAS v. 25.4.10). Durch die Wiedergabe seiner Aussage sichert die FAZ eine die Kreditvergabe befürwortende Position mit Hilfe des Autoritätstopos ab. Sie gibt jedoch auch anderen ‚Autoritäten‘ Gelegenheit, differierende Standpunkte zum Ausdruck zu bringen. Mit zwar stark verkürzter, aber dennoch expliziter Thematisierung der Bezeichnung des Gesetzes etwa lehnt Dirk Meyer, Professor für Volkswirtschaftslehre, die Kreditvergabe an Griechenland in der FAZ öffentlich ab: „Gesetze halten mitunter nicht das, was ihr Titel vorgibt. So dürfte das ‚Gesetz zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion‘ (...) genau das Gegenteil erreichen“ (FAZ v. 5.5.10). Nur selten wird die Wirklichkeitssicht der Regierung explizit abgelehnt: „Ist die Stabilität des Euro in Gefahr? Nein“ (FAZ v. 29.4.10a). Die serielle Verwendung des Begriffs Stabilität unabhängig davon, ob damit politische Handlungen und Maßnahmen befürwortet oder abgelehnt werden, zeugt davon, dass die von der Regierung etablierte ‚Realität‘ in den Medien grundsätzlich übernommen und weiter befördert wird: ‚In der Krise geht es um Stabilität, um Stabilität der Währung und um deren Erhalt bzw. Wiederherstellung‘, so der Horizont des Denkrahmens, innerhalb dessen diskursiv verhandelt wird. Besonders deutlich wird dies an folgendem Beispiel aus der FAZ: „In der öffentlichen Diskussion ist umstritten, ob Griechenland eher durch Staatshilfen oder durch eine Umschuldung stabilisiert werden sollte“ (ebd.). Die Aussage macht deutlich, dass Thematisierung und Beurteilung verschiedener politischer Maßnahmen im Diskurs durchaus zulässig sind; sie erfolgen aber in letzter Konsequenz immer im Hinblick auf das allgemein akzeptierte, finale Ziel Stabilität. Dementsprechend kann die öffentliche Auseinandersetzung Mitte Mai 2010 endgültig als „die Stabilitätsdebatte um den Euro“ (SZ v. 15.510a) bezeichnet werden, ohne dass es näherer Erläuterung bedarf. Die Etablierung als Stabilitätsdiskurs ist gelungen. Die entscheidende Rolle, die der Begriff Stabilität im Diskurs um Griechenland und den Euro spielt, dürfte der Öffentlichkeit weitgehend unbewusst geblieben sein. Seine Bedeutung entfaltet er hinter dem Krisenbegriff verborgen

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und doch mit hoher politischer Schlagkraft. Er verbleibt eher im Vagen und wird nicht expliziert. Die Bezeichnung einer Währung als stabil ist eine metaphorische Konzeption, sie appelliert unmittelbar an das kollektive deutsche Gedächtnis und entfaltet so mobilisierende Wirkung. Politisches Handeln mit dem Etikett der Stabilität im Dienste der Bürger wertet selbiges auf und eint im Rahmen einer semantischen Ausweitungsstrategie der Krisenbetroffenheit die Gesellschaft in einem gemeinsamen Ziel. Die Wirkung bei den Adressaten dürfte sich insbesondere aufgrund des vermittelten sicherheitssemantischen Gehalts von Stabilität ergeben. Sicherheit ist durch eine unerwünschte Krisenbewegung bedroht, und zwar nicht irgendeine ferne ‚griechische Sicherheit‘, sondern die eigene gesellschaftliche wie individuelle Sicherheit, die als Begriff im Diskurs – auch durch die sprachliche Aktivierung historischer Ängste – eine existenziell erscheinende monetäre Konnotation erhält. Stabilität als politisches Stagnationsversprechen spricht demnach den hinter der Krisenerfahrung liegenden kollektiven Wunsch nach einem ‚Anhalten‘, nach einer ‚Unveränderlichkeit‘ der Verhältnisse an. Der Begriff bedeutet also letzten Endes ‚Sicherheit‘ im metaphorischen Sinne des ‚Fest-Stehens‘, des im Wortsinn ‚verlässlichen Zustands‘ der ökonomischen und sozialen Situation einer Gesellschaft. In der FAZ wird die der Stabilitätsbegrifflichkeit inhärente Sicherheitssemantik reflektiert: Eine stabile Währung ist ein hohes Gut. Sie gewährt ein elementares Gefühl der Sicherheit, das es Bürgern und Investoren erlaubt, wirtschaftliche Entscheidungen von langfristiger Tragweite zu treffen und Zukunftsvorsorge zu betreiben. (FAZ v. 15.5.10)

Das Legitimationspotenzial des Stabilitätstopos lässt sich in Zahlen ablesen: Mit seiner Hilfe verabschiedet die Politik Kredite an Griechenland in dreistelliger Milliardenhöhe. Stabilität ist somit die zum Begriff Krise komplementäre, wenn auch vielleicht heimliche Leitvokabel im Diskurs um Griechenland und den Euro im Jahr 2010. Sie bildet das zentrale diskursive Scharnier, mit dessen Hilfe die Politik Krisenkonstitution mit Maßnahmenlegitimation zu verbinden vermag. Mit ihrer zentralen sicherheitsbezogenen Semantik wirkt sie in nahezu alle anderen sprachlichen Phänomene des Diskurses hinein, die im Folgenden weiter aufgezeigt werden. Diskursspezifische Varianten des Gefahrentopos bzw. des Topos der düsteren Zukunft, deren Funktionalität eng an die Zielvokabel Stabilität geknüpft ist, sind der Topos der wirtschaftlichen Bedeutung des Euro und darüber hinaus ein genereller Europatopos, der auf die Bedrohung des gesamten politischen Konstrukts ,Europa‘ durch die Krise abhebt. Mitunter treten die beiden Topoi auch als Mischvariante im Diskurs auf.

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Der Topos der wirtschaftlichen Bedeutung des Euro begründet folgendes Argumentationsmuster: ,Weil der Euro für die Wirtschaft von großer Bedeutung ist, müssen bestimmte Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen werden.‘ Er wird vorwiegend von politischen Akteuren benutzt und untermauert die Deutung der Krise als Eurokrise, da sie regelmäßig den Ausgangspunkt der Argumentation bildet. Die Bedrohung wird sprachlich meist in realitätstopischer Manier konstituiert und durch den Bezug auf Deutschland und für seine Gesellschaft beinahe klischeehaften Indikatoren wirtschaftlichen Erfolgs, nämlich Export und Arbeitsplätze, zu einer Angelegenheit „nationalen Interesse[s] unseres Landes“ (Jüttner v. 7.5.10). So äußern sich Vertreter von SPD und CDU/CSU sehr ähnlich. Sigmar Gabriel (SPD) etwa konstatiert: Die Wahrheit ist einfach. Wir als Deutsche haben das größte Interesse an einem stabilen Euro. Bei uns verschwinden Hunderttausende von Arbeitsplätzen, wenn der Euro instabil wird, da zwei Drittel unserer Exporte in den Euro-Raum gehen. (Gabriel v. 7.5.10)

Ebenso formuliert Wolfgang Börnsen von der CDU/CSU-Fraktion: „Wir dürfen nicht verkennen, dass fast 70 Prozent unseres Handels auf EU-Länder entfallen und jeder fünfte Arbeitsplatz davon abhängig ist“ (Börnsen v. 7.5.10). Der Begriff Wohlstand als gesellschaftlich allgemein akzeptiertes Hochwertwort mit deontischer Konnotation wird zusätzlich zur Konstruktion des potenziellen Ausmaßes der Bedrohung benutzt. Die Bedrohung selbst wird durch die Verwendung des Konjunktivs in die Zukunft projiziert, ihre Dramatik durch entsprechende Vokabeln angezeigt. Dabei erfolgt häufig eine Rückkopplung zur Stabilitätsbegrifflichkeit. Die folgende Aussage Egon Jüttners (CDU/CSU) verdeutlicht die mit der Verwendung des Topos der wirtschaftlichen Bedeutung des Euro allgemein verfolgte Intention: die Herstellung einer Beteiligtheit Deutschlands und eine sich daraus ergebende politische Handlungslegitimation. So glaubt er: Der Verlust von Stabilität des Euro hätte gefährliche Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft und den Wohlstand Deutschlands. Insofern liegt es im nationalen Interesse unseres Landes, die Insolvenz Griechenlands abzuwenden und die Finanzstabilität der Europäischen Währungsunion zu erhalten. (Jüttner v. 7.5.10)

Im Sprachgebrauch Eva Högls (SPD) lassen sich ebenfalls die beschriebenen Phänomene nachweisen: Es geht um die Stabilisierung des Euro und des europäischen Wirtschaftsraumes, von dem maßgeblich Deutschland dank seiner Exporte profitiert. Millionen Arbeitsplätze in Deutschland wären bedroht, wenn es zu einem Flächenbrand käme. (Högl v. 7.5.10)

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Im folgenden Beispiel wird die Gefahr gar zu einer potenziellen individuellen und physischen Erfahrung, wenn Robert Hochbaum (CDU/CSU) meint, die Krise „würde Deutschland als Euro-Land und Land, das seinen Wohlstand massiv auf Exporten gerade in den umgebenden Euro-Raum begründet, empfindlich und für alle Bürger spürbar treffen“ (Hochbaum v. 7.5.10). Anders gewendet ist der Sprachgebrauch Birgit Homburgers (FDP). Sie nutzt ebenfalls den Topos der wirtschaftlichen Bedeutung des Euro und befürwortet damit die geplanten Kredite an Griechenland, formuliert aber eher vergangenheits- bzw. gegenwartsorientiert und mit positiv konnotiertem Vokabular: Europa und der Euro sind eine Erfolgsgeschichte. Der gemeinsame Währungsraum hat für wirtschaftlichen Erfolg und Stabilität gesorgt. 63 Prozent unserer Exporte gehen in europäische Länder, hängen also von Europa ab. Ein Viertel der Arbeitsplätze hängt vom Export ab. Deshalb ist die Stabilisierung des Euro von herausragender Bedeutung. (Homburger v. 19.5.10)

In der folgenden Aussage Paul Lehrieders (CDU/CSU) wird die Funktionsweise des Topos noch einmal vollumfänglich deutlich. Er formuliert auf dessen Grundlage einen für ihn gegebenen politischen Handlungszwang als Zustimmung zur geplanten Kreditvergabe an Griechenland. Die Charakteristika des Argumentationsschemas von Gefahr und Bedrohung sowie düsterer Zukunft treten deutlich hervor. Lehrieder wägt ab, dass die mit dem Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz möglicherweise verbundenen Folgen eher zu verantworten sind als ein Nichthandeln und ein griechischer Staatsbankrott. Die Gefahr für die Stabilität unserer Währung, die Gefahr für Aufschwung und Arbeitsplätze in Deutschland durch einen Staatsbankrott Griechenlands bedrohen die Bürger Deutschlands unmittelbarer und härter. (Lehrieder v. 7.5.10)

Das starke sicherheitssemantische Element der Stabilitätsbegrifflichkeit offenbart sich in der explikativen Formulierung von Gisela Piltz (FDP), die dem Gesetzesvorhaben zur Kreditausstattung Griechenlands ebenfalls ihre Zustimmung erteilt: Dem Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz stimme ich zu, weil ich die Notwendigkeit erkenne, rasche Maßnahmen zur Stabilisierung der gemeinsamen Währung und mithin zur Sicherung auch der deutschen Wirtschaft und zum Schutz der deutschen Bürgerinnen und Bürger zu ergreifen. (Piltz v. 7.5.10)

Die mit dem Argumentationsmuster begründete politische Handlungslegitimation verdeutlicht nicht zuletzt eine Äußerung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble: „Dass Deutschland eine besondere Verantwortung für die Stabi-

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lität des Euro hat, braucht angesichts des Gewichts der deutschen Wirtschaft im europäischen Verbund nicht eigens begründet zu werden“ (Schäuble v. 19.1.10). Die Handlungsveranlassung wird sprachlich durch die Bezeichnung Verantwortung aufgewertet, das besondere deutsche Interesse durch die Metapher des Gewichts veranschaulichend begründet. In den Medien wird die politische Deutung einer wirtschaftlichen Sonderstellung Deutschlands in Europa durchaus kritisch und in expliziter Form thematisiert. So bemerkt die FAZ: „Während die Politik wie ein Mantra wiederholt, Deutschland sei ökonomisch der Hauptnutznießer der Europäischen Union, sieht die Mehrheit der Bürger bestenfalls eine ausgeglichene Bilanz“ (FAZ v. 28.4.10). Mit dem Begriff Mantra werden die Äußerungen politischer Akteure als beständig repetierte Glaubensphrasen stigmatisiert, die durch ihre Eingängigkeit und ständige Präsenz potenziell zu nicht mehr hinterfragtem gesellschaftlichen Wissen werden. Grundsätzlich bejahend ist jedoch die Position der FAZ, wenn sie die wirtschaftliche Bedeutung des Euro weniger auf Deutschland beschränkt, als vielmehr die gesamte Europäische Union fokussiert. Auffällig ist hier die semantische Verschränkung von wirtschaftlicher und politischer Geltung durch die Anführung verschiedener Ausdrücke aus dem Wortfeld ‚Macht‘, die gemeinhin zur Beschreibung politischer Potenz verwendet werden. Dass der Autor des betreffenden Artikels auf diese eigentliche Verwendungsweise der Ausdrücke bewusst abhebt, zeigt sich an der stellenweisen Verwendung von Anführungszeichen: Die ‚Macht‘ der EU beruht auf der Kraft ihrer Wirtschaft und auf der Stabilität des Euro. (...) Ohne starke wirtschaftliche Grundlagen kann es eine Weltmacht Europa nicht geben. Ohne eine konkurrenzfähige Wirtschaft kann sich Europas ‚soft power‘ nicht entfalten, von ‚hard power‘ nicht zu reden. Nicht zuletzt deswegen ist ein stabiler Euro so wichtig. (FAZ v. 1.3.10)

Die Stabilität des Euro wird hier also gleichgesetzt mit politischer Bedeutung. Wenn man sich noch einmal vergegenwärtigt, dass der Begriff Stabilität im hier betrachteten Diskurs als ‚monetäre bzw. finanzielle Sicherheit‘ gefasst werden kann, so erfolgt mit dem zitierten Sprachgebrauch die Übertragung dieses finanziellen Sicherheitsaspekts auf den Begriff der Sicherheit in einem politischen Bedeutungskontext. Demnach wäre politische Sicherheit in dieser Perspektive unmittelbar an finanzielle Sicherheit gekoppelt, der Fortgang der politischen Instanz Europäische Union an die Entwicklung der in nicht allen deren Mitgliedsländern gültigen Währung geknüpft. Dieser semantische Nexus von finanzieller und politischer Sicherheit fällt besonders deutlich bei Betrachtung des bereits angesprochenen Europatopos ins Auge. Dessen Argumentationsschema lässt sich folgendermaßen beschrei-

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ben: ‚Weil durch die Eurokrise ganz Europa in Gefahr ist, müssen bestimmte Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen werden.‘ Der Topos folgt ebenfalls den Mustern von Gefahr und düsterer Zukunft. Die bereits konstituierte Eurokrise wird in diesem Zug noch einmal gesteigert zu einer „Existenzkrise“ (FAZ v. 29.4.10d) Europas, ihre Lösung zu einer „Schicksalsfrage“ (Westerwelle v. 7.5.10) für „das ganze Projekt ‚Europa‘, zu dessen tragender Säule die Eurozone gemacht worden ist“ (FAZ v. 29.4.10d). Die semantische Erweiterung der Krise erfolgt dabei in der bereits bekannten Manier. Mit definitorischer Diktion und dramatisierendem, die Gefahr benennenden Vokabular wird gesagt, „worum es (...) geht: Es geht um die Zukunft Europas und damit um unsere eigene Zukunft“ (Kauder v. 5.5.10). Der ‚Notstand‘, der zuvor für Griechenland galt, wird nun über ganz Europa verhängt: „Es geht um Griechenland, es geht um die Währungsunion, es geht um Europa“ (Steinmeier v. 5.5.10). Man befindet sich „jetzt in einer (...) Krise nicht nur der Währungsunion, sondern ganz Europas“ (ebd.). Die grundlegende Sicherheitssemantik des Diskurses wird aufgerufen, wenn wie etwa in der FAZ konstatiert wird: „Nicht nur die Stabilität der Währungsunion, sondern die des ‚Gemeinsamen Hauses‘ der EU steht zur Disposition“ (FAZ v. 5.5.10). An diesem Beispiel wird besonders deutlich, wie die zunächst auf die Währung und damit auf die finanzielle Sphäre bezogene Sicherheitsidee Stabilität im Diskurs mit der Vorstellung von politischer Sicherheit im Sinne des Fortbestands der politischen Institution Europäische Union verquickt wird. Die Krise wird sodann metaphorisch als ‚lebensbedrohlich‘ konzeptualisiert, wenn sie als „existenzgefährdend für den europäischen Gedanken“ (SZ v. 26.3.10a) bezeichnet wird. ‚Lebensgefahr‘ droht auch dem Diskursinterpreten, wenn er eine falsche Perspektive wählt. Auf diesen Gedanken lautet zumindest folgender Kommentar in der FAZ: „Wer die Griechenland-Krise für ein währungsoder finanztechnisches Problem hält, springt erheblich zu kurz und könnte deshalb in einen Abgrund stürzen“ (FAZ v. 29.4.10d), denn „[e]s geht nicht nur um ein Land“ (ebd.). Der Differenztopos wird argumentationsstützend genutzt, um die besondere Schwere der Krise anzuzeigen, in der sich Europa befindet. Der Vorsitzende der SPD-Fraktion Frank-Walter Steinmeier bezeichnet sie als die „größte Belastungsprobe für die europäische Integration seit den Römischen Verträgen“ (Steinmeier v. 5.5.10). Nahezu identisch formuliert Angela Merkel: „Die gegenwärtige Krise des Euro ist die größte Bewährungsprobe, die Europa seit Jahrzehnten, ja wohl seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge im Jahre 1957 zu bestehen hat. Diese Bewährungsprobe ist existenziell“ (Merkel v. 19.5.10). Das wohl bekannteste auf Europa bezogene Diktum des Diskurses stammt ebenfalls von Bundeskanzlerin Angela Merkel. In einem Interview mit der SZ Mitte Mai 2010 sagt sie:

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Es geht insgesamt nicht nur um den Euro. Es geht bei der Stärkung der gemeinsamen Währung darum, ob mit der Währungsunion die ganze europäische Idee ins Wanken gerät. Denn wir wissen: Scheitert der Euro, dann scheitert mehr. (SZ v. 15.5.10b)

Wenige Tage später wiederholt sie im Bundestag: Es geht um viel mehr als um (...) Zahlen; es geht um viel mehr als um eine Währung. (...) Es geht (...) um nicht mehr und nicht weniger als um die Bewahrung und Bewährung der europäischen Idee. Das ist unsere historische Aufgabe; denn scheitert der Euro, dann scheitert Europa. (Merkel v. 19.5.10)

Ihrem Deutungsanspruch entsprechend fordert sie zum ‚richtigen‘ Sprachgebrauch auf: Worum es tatsächlich geht, wenn wir (...) über Maßnahmen zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion beraten, müssen wir unmissverständlich beim Namen nennen: Es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Zukunft Europas und damit um die Zukunft Deutschlands in Europa. (Merkel v. 5.5.10)

Die SZ stimmt dem Sprachgebrauch Merkels zwar zu, nutzt dessen explizite Thematisierung jedoch sogleich zu einer generellen Kritik am europapolitischen Regierungshandeln nach dem Schema der Nichtübereinstimmung von Worten und Taten: „‚Scheitert der Euro, dann scheitert Europa‘, sagte die Kanzlerin zu Recht im Bundestag. Leider passt der Kurs der Regierung bisher nicht zu diesem weisen Satz“ (SZ v. 27.5.10). Auch Norbert Barthle (CDU/CSU) ist wie Angela Merkel darum bemüht, die Deutung der Situation als ‚Europakrise‘ durchzusetzen, wenn er wie folgt appelliert: „Wir müssen in dieser Debatte in den Vordergrund rücken, dass der Grundgedanke der europäischen Integration [Herv. im Original; A. S.] auf dem Spiel steht“ (Barthle v. 19.5.10). Mit dem Verb auf dem Spiel stehen wird ebenso auf eine potenziell düstere Zukunft für Europa verwiesen wie mit der Verwendung des Konjunktivs und Konditionalgefügen. Neben dem bereits bekannten konditionalen Ausspruch „[S]cheitert der Euro, dann scheitert Europa“ (Merkel v. 19.5.10) finden sich derlei sprachliche Realisierungen des Europatopos auch in der folgenden Äußerung Angela Merkels, mit der sie die Kreditvergabe an Griechenland rechtfertigt. Ihrer Meinung nach seien die Ereignisse in Griechenland „nur die ökonomische Ahnung dessen, was auf Deutschland, Europa und die Welt zukäme, wenn nicht oder falsch gehandelt würde“ (ebd.). Die FAZ wiederum adressiert Merkel auf eben diese Weise: „Frau Merkel muss (...) auch bedenken, welche europapolitischen und internationalen Folgen es hätte, wenn (...) die EU (...) in eine wirkliche Existenzkrise geriete“ (FAZ v. 29.4.10d). Im Zuge der politischen Berichterstattung und Kommentierung wird die sprachlich konstituierte Zukunftsgefahr explizit thematisiert

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und als eine Strategie der Gefahrenausmalung offengelegt: „Die Währungsunion (...) sieht sich einer ernsten Bewährungsprobe ausgesetzt. (...) Schon werden große Gefahren für das ‚europäische Projekt‘ insgesamt an die Wand gemalt“ (FAZ v. 1.3.10). Die SZ bezeichnet Fragen wie „Bricht die Eurozone auseinander?“ (SZ v. 15.2.10) als „düstere[] Szenarien“ (ebd.), mit denen „geschockt und verunsichert“ (ebd.) werde. Mit der Perspektivierung der Krise als eine ,Krise Europas‘ erfährt der Diskurs eine weitere Steigerung der Dramatisierung. Eine Krise, die sich nicht mehr länger ‚nur‘ aus der Bedrohung einer Währung speist, sondern deren Charakter als ‚existenziell‘ deklariert ist, stellt eine noch fundamentalere Unsicherheitssituation dar und verfügt dementsprechend über ein erweitertes Legitimationsund Überzeugungspotenzial. Hinter dem Gedanken der „Bewahrung und Bewährung der europäischen Idee“ (Merkel v. 19.5.10) verbirgt sich eine immense persuasive Schlagkraft. So verwundert es nicht, dass diese durch zusätzliche sprachliche Strategien der Aufwertung weiter befördert wird. Der damit transportierte Kerngedanke ruft – ähnlich wie bereits aus dem Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 in New York bekannt – die politisch erwünschte und öffentlich dominierende Deutung Europas auf und aktualisiert diese gleichzeitig: ‚Das friedliche Europa ist eine historische Errungenschaft. Sie darf durch die Krise nicht in Gefahr gebracht werden.‘ Die in diesem Zusammenhang für Europa gewählten Bezeichnungen und Definitionen vermitteln häufig eine historische Perspektive, die mit entsprechendem Vokabular als besonders positiv und hochwertig eingestellt wird. Nicht selten begleiten Superlative die Aussagen. So wird etwa die Währungsunion als „immerhin die bedeutendste europäische Antwort auf den Fall der Mauer und das Ende des Kalten Krieges“ (FAZ v. 1.3.10) bezeichnet, und die „europäische Einigung war, ist und bleibt die bestechendste, die großartigste und die verheißungsvollste Idee, die Europa je gesehen hat“ (Merkel v. 19.5.10). Häufig wird auch die besondere Bedeutung Europas für Deutschland, die ebenfalls als historischer Gemeinplatz im gesellschaftlichen Wissen gelten kann, hervorgehoben. So erinnert Angela Merkel: Die glückliche Geschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg, die Entwicklung zu einem freien, einigen und starken Land ist von der parallel verlaufenen Geschichte der Europäischen Union nicht einmal in Gedanken zu trennen. (Merkel v. 5.5.10)

Aus der historischen Relevanz Europas für Deutschland wird vice versa eine besondere deutsche Verantwortung für Europa abgeleitet. Das so konstituierte Argumentationsschema fungiert dann als Legitimationsgrundlage für deutsche politische Akteure, der Kreditvergabe an Griechenland zuzustimmen, wie folgende Aussage Wolfgang Gerhardts (FDP) offenbart:

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Die zu treffende Entscheidung (...) zur Hilfe für Griechenland treffe ich im Bewusstsein der europäischen Verantwortung Deutschlands, die uns selbst aus der größten Katastrophe unserer Geschichte herausgebracht und in den Kreis der anerkannten demokratischen Nationen hineingeführt hat. (Gerhardt v. 7.5.10)

In einer Art ‚Wie Du mir, so ich Dir‘-Mentalität gibt Bundeskanzlerin Angela Merkel schließlich zu bedenken, „dass die anderen Europäer alle gezahlt hätten, um die deutsche Wiedervereinigung zu ermöglichen“ (FAZ v. 27.3.10a). Weitere Bezeichnungen forcieren die Besonderheit der Bedeutung Europas. Die Existenzialität der Situation wird nochmals aufgerufen, wenn Merkel mit realistischer Diktion formuliert: „Die Währungsunion ist eine Schicksalsgemeinschaft“ (Merkel v. 19.5.10). Ähnlich formuliert sie: „Deutschland lebt in der Europäischen Union in einer Schicksalsgemeinschaft“ (Merkel v. 5.5.10). Weitere basale Strategien der Aufwertung durch die Kontextualisierung mit Hochwertwörtern sind seriell im politischen Sprachgebrauch zu finden. So bildet neben dem mit dem Etikett der ‚Existenzialität‘ versehenen Ausdruck Schicksal auch das Mirandum Frieden ein Determinans für Gemeinschaft, und mit „Griechenlands Zukunft steht die Zukunft der EU als Friedensgemeinschaft (...) auf dem Spiel“ (Bellmann v. 7.5.10). Norbert Barthle (CDU/CSU) spricht zudem von einer „Wertegemeinschaft der Europäischen Union“ (Barthle v. 19.5.10). Auch mit der Leitvokabel Stabilität wird ein entsprechendes Kompositum gebildet; Merkel bezeichnet die EU als „Stabilitätsgemeinschaft“ (Merkel v. 5.5.10). Der Begriff Gemeinschaft weist noch einmal besonders auf die über Griechenland hinausgehende Beteiligtheit an der Krise hin. Diese Perspektivierung ermöglicht auch die Bezeichnung der geplanten Kreditmaßnahme als „Gemeinschaftshilfe für das finanziell in Bedrängnis geratene Griechenland“ (SZ v. 23.3.10). Ein zusätzliches, im Diskurs viel bemühtes Mirandum nutzt etwa Birgit Homburger (FDP), wenn sie folgende Deutung Europas anführt: „Es geht um die EU und damit um die Basis unseres Friedens und unseres Wohlstands“ (Homburger v. 19.5.10). Und wie Guido Westerwelle (FDP) anmerkt, ist „Europa (...) eine Schicksalsfrage, eine Friedensfrage, eine Wohlstandsversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger auf diesem Kontinent“ (Westerwelle v. 7.5.10). Im Rahmen dieser Aufwertungsstrategien lassen sich auch Kontextualisierungen mit parteispezifischer Programmatik ausmachen. So verknüpft etwa Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) die Potenz der EU mit eigenen politischen Zielen, wenn sie feststellt: „Für unsere Aufgabe, wertegeleitet für eine soziale Gestaltung der Globalisierung einzutreten, brauchen wir die EU, weil sie eine größere und stärkere Kraft ist“ (Künast v. 7.5.10). Sigmar Gabriel (SPD) platziert in ähnlicher Manier eine sozialdemokratische Deutung von Europa:

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Wir wollen, dass Europa mehr ist als ein Wirtschaftsraum mit einer gemeinsamen Währung. Wir wollen, dass der Gründungsidee eines friedlichen Europas mit fortschreitendem Wohlstand eine dritte Idee zugefügt wird: ein soziales und demokratisches Europa [Herv. im Original; A. S.], das seinen Namen wirklich verdient. (Gabriel v. 7.5.10)

Dass die im Diskurs zutage tretende Europasemantik in der deutschen Gesellschaft allgemein akzeptiert ist und gewissermaßen als common sense gilt, wird in der FAZ explizit thematisiert: Die Bevölkerung hat aus der Geschichte und aus dem proeuropäischen Kurs aller Nachkriegsregierungen die mittlerweile feste Überzeugung abgeleitet, dass die nationale Zukunft nur eingebettet in Europa und im Verbund mit den anderen europäischen Ländern gestaltet werden kann. (FAZ v. 28.4.10)

Es ist also davon auszugehen, dass den politischen Handlungsträgern die Werbewirksamkeit und Legitimationskraft des Europatopos bewusst ist. Die mit der Strategie der Existenzialisierung diskursiv etablierte ‚Realität‘ lässt die Entscheidung über die Kreditvergabe an Griechenland am Ende wirkungsmächtig als „von enormer Tragweite für Deutschland und Europa“ (Merkel v. 5.5.10) erscheinen. Norbert Barthle (CDU/CSU) stellt in kampfesrhetorischem Duktus fest: „Hier (...) entscheiden wir über (...) die Frage, ob wir diese Grundidee von Europa aufgeben oder ob wir sie mit aller Entschlusskraft verteidigen wollen“ (Barthle v. 19.5.10). Auch in den Medien werden ähnliche Feststellungen getroffen: „Die EU entscheidet (...) nicht nur über Hilfen für ein Mitgliedsland, sondern auch über den langfristigen Rückhalt für die europäische Integration“ (FAZ v. 28.4.10). Die Etikettierung der Gesetzesentscheidung als ‚Grundsatzfrage‘ für das politische Europa wird eng verknüpft mit dem Aspekt gesellschaftlicher Sicherheitsrelevanz, wie die folgende Aussage Angela Merkels offenbart: „Unsere (...) Entscheidung ist ein (...) unabdingbarer Schritt (...) auf dem Weg zu einer langfristig stabilen Europäischen Union, die den Menschen nicht nur eine sichere Währung, sondern auch Wohlstand und Frieden garantieren kann“ (Merkel v. 19.5.10). Hier kommt eine komplexe semantische Konstruktion zum Tragen: ,Politische Sicherheit‘ im Sinne des Fortbestands des institutionellen Europas wird gleichgesetzt mit allgemein anerkannten hochstehenden Werten wie Währung, Frieden und Wohlstand, denen wiederum durch die Begriffe stabil, sicher und garantieren ein Sicherheitsmomentum für die Gesellschaft zugesprochen wird, das durch die politische Instanz Europa gewährleistet wird. Dieser Kernaspekt der europatopischen Semantik zeichnet wesentlich verantwortlich für das dem Topos innewohnende Mobilisierungsund Legitimationspotenzial für politische Entscheidungen. So verwundert es letztlich nicht, dass die politischen Gruppierungen darum kämpfen, sich die

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Kompetenz als ,Europapartei‘ und damit letztlich als gesellschaftliche Sicherheitsgewährleister anzueignen, wie etwa dieser Versuch Barthles (CDU/CSU) zeigt: „Eines ist doch sicher: Europa war und ist ein Kernprojekt der Union“ (Barthle v. 19.5.10). Und Bundeskanzlerin Merkel kündigt nicht ohne Pathos an: „Mit uns (...) wird es eine Entscheidung geben, die der politisch-historischen Dimension der Situation Rechnung trägt“ (Merkel v. 5.5.10). Der mit dem Topos der wirtschaftlichen Bedeutung des Euro und dem Europatopos hergestellte europäische Zusammenhang im Diskurs wird durch einen ebenfalls seriell auftretenden und zum Gefahrentopos bzw. Topos der düsteren Zukunft zu rechnenden Vernetzungstopos gestützt. Er realisiert sich sprachlich im Wesentlichen durch verschiedene metaphorische Konzeptualisierungen und verbildlicht den diskursiv hergestellten europäischen ‚ZusammenHang‘ im Wortsinn. Seine Argumentationslogik ist bereits aus der Betrachtung des Diskurses um die Ereignisse des 11. September 2001 bekannt und kann diskursspezifisch für die Debatte um Griechenland und den Euro folgendermaßen formuliert werden: ‚Weil auf europäischer Ebene Zusammenhänge bestehen, müssen Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen werden.‘ Drei im medialen wie politischen Sprachgebrauch dominierende metaphorische Konzepte können dem Vernetzungstopos zugeordnet werden. Zum einen wird Krise hier als ‚potenzielle Kettenreaktion‘ konzeptualisiert. Der Ausdruck Kettenreaktion wird aus den Naturwissenschaften übertragen. Dort bezeichnet er eine physikalische oder chemische Umwandlung (Reaktion), die aus gleichartigen, einander bedingenden Teilreaktionen besteht. Dabei ist ein Produkt einer Einzelreaktion Ausgangsprodukt (...) für eine Folgereaktion. Die Reaktionskette kann linear oder verzweigt sein.580

Auf den Zielbereich ‚Krise‘ übertragen handelt es sich bei der Folgereaktionen auslösenden Einzelreaktion um das krisenhafte Geschehen in Griechenland. Die daraus folgenden Teilreaktionen werden in der vernetzungstopischen Argumentation als potenzielle neue Krisen in weiteren europäischen Ländern konzipiert. Eine verzweigte Reaktionskette im Sinne eines länderübergreifenden Krisenge-

|| 580 Wikipedia: Kettenreaktion. Online verfügbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/Kettenreaktion (28.6.2018). Die Quelle wird hier bewusst verwendet, da anzunehmen ist, dass die dort angegebene Erklärung das öffentliche Sprachverständnis besser widerspiegelt als jene in naturwissenschaftlichen Fachquellen und entsprechend die im öffentlichen Diskurs stattfindende metaphorische Übertragung ausgehend von der auf Wikipedia verwendeten Bedeutung besser nachzuvollziehen ist.

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schehens in Europa zeichnet sich entsprechend als düstere Zukunft ab. Der Ausdruck Kettenreaktion wird im Diskurs daher mit der negativen Konnotation eines ,nachteiligen und unkontrollierbaren Ereignisses‘ verwendet, auch präsupponiert er die ,Unerwünschtheit‘ eines solchen Ereignisses. Als Synonym wird ebenso der Ausdruck Dominoeffekt gebraucht, dessen herkömmliche Semantik einer ,Abfolge von nicht mehr zu unterbrechenden Ereignissen, die auf einen einzelnen ursächlichen Ausgangspunkt zurückgehen‘, ebenfalls auf das Krisengeschehen übertragen wird. Griechenland stellt demnach den am Beginn einer Aufstellung stehenden ‚Dominostein‘ dar. Andere europäische Länder folgen als weitere ‚Dominosteine‘ in der Reihe. Verben wie stürzen, fallen, kippen oder übergreifen bezeichnen entsprechend den sich fortsetzenden Vorgang ,fallender Dominosteine‘, der in der Übertragung des Bildes bedeutet, dass andere europäische Länder – angestoßen durch Griechenland – in die Krise geraten. Das Bild wird zur Illustration der drohenden Gefahr benutzt, aber auch um bestimmte Maßnahmen zu fordern bzw. abzulehnen. Konditionalkonstruktionen verweisen dabei auf eine in der Zukunft liegende Gefahr. So befürchtet die SZ im Februar 2010: „Wenn Griechenland fällt (...), dann fallen womöglich auch Portugal, Irland, Spanien und Italien“ (SZ v. 4.2.10) und: „Kippt Athen, drohen auch andere (...) Staaten zu fallen“ (SZ v. 27.2.10). Ein „Domino-Effekt für andere Krisenländer in der EU wäre nicht ausgeschlossen“ (SZ v. 17.2.10), sollte Griechenland zahlungsunfähig werden. So wird „Angst vor einer Kettenreaktion“ (SZ v. 27.2.10) konstatiert, die zum damaligen Zeitpunkt davor besteht, dass eine finanzielle Unterstützung Griechenlands auch für Spanien, Italien, Portugal oder Irland notwendig werden könnte. Autoritätstopisch gestützt ist die Darstellung in der FAZ: „Bundesbankpräsident Weber (...) warnte davor, dass die griechischen Schwierigkeiten auch auf andere Länder der Währungsunion übergreifen könnten“ (FAZ v. 24.4.10a). Eine umfassende und ausführliche Übertragung des Bildes ‚fallender Dominosteine‘ vollzieht der damalige Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle, Ulrich Blum, in einem Gastbeitrag in der FAS. In der Oberzeile seines Artikels fragt er: „Wer kippt noch, wenn Griechenland kippt?“ (FAS v. 2.5.10) und antwortet im Titel seines Beitrags knapp mit: „Alle“ (ebd.). Blum favorisiert keine der öffentlich diskutierten politischen Maßnahmen, sondern macht die wirtschaftspolitischen und ökonomischen Gegebenheiten in Europa dafür verantwortlich, dass „ein unkontrollierter Dominoeffekt möglich“ (FAS v. 2.5.10) wird. Er bleibt vollständig im genannten Bild, wenn er ausführt: In einer Reihe hochkant aufgestellter Dominosteine im labilen Gleichgewicht führt das Kippen des ersten zum sukzessiven Fallen aller folgenden. Mit zunehmender Entfernung

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zum Ausgangsort wächst die erforderliche Gegenkraft, um zu verhindern, dass ein Stein fällt (...). (ebd.)

Auffällig ist, dass auch der Vernetzungszusammenhang mit einer grundlegenden Semantik von ‚Sicherheit‘ unterlegt ist. So wirft die SZ etwa folgende Fragen auf: „Stürzt Griechenland, wird jeder fragen: Wer ist der nächste? Und was ist überhaupt noch sicher?“ (SZ v. 20.3.10). Auf politischer Ebene bemühen viele Vertreter der Regierungskoalition das Bild von ‚Kettenreaktion‘ und ‚Dominoeffekt‘, um die potenzielle Bedrohung im Falle einer Ablehnung des Gesetzesvorhabens zur Kreditausstattung Griechenlands auszumalen. So warnt Robert Hochbaum von der CDU/CSU-Fraktion für diesen Fall: „Eine kaum mehr vorhersehbare und steuerbare Kettenreaktion würde ausgelöst werden“ (Hochbaum v. 7.5.10). Sein Kollege Patrick Kurth (FDP) ist der gleichen Ansicht und meint, es „muss ein Dominoeffekt verhindert werden, der andere fragile Staaten in den Abgrund reißt“ (Kurth v. 7.5.10). Der Ökonom Franz Jaeger von der Universität St. Gallen spricht sich in einem Interview mit der FAZ für einen Ausschluss Griechenlands aus der Währungsunion aus und nutzt dafür ebenfalls das Bild der Krise als ‚Kettenreaktion‘. In seiner Metaphorik vermag diese auch eine ‚Spaltung‘ Europas hervorzurufen: Die Europäische Union muss sich darüber klarwerden, dass Griechenland aus dem Euro ausgeschlossen werden muss. Das ist der erste Schritt in der Hoffnung, dass kein zweiter kommt. Käme der, wäre eine Kettenreaktion wahrscheinlich und damit auch die mögliche Aufteilung in einen Euro-Raum Süd und einen Euro-Raum Nord. (FAZ v. 7.5.10)

Mit dem Verweis auf die unzureichende Größe Griechenlands wird die vernetzungstopische Argumentation durch Befürworter von Umschuldungsmaßnahmen in Griechenland zurückgewiesen: „Eine Systemkrise als Folge einer Umschuldung betrachten die Befürworter nicht als wahrscheinlich, da Griechenland ein kleines Land ist und der befürchtete Dominoeffekt nicht eintreten muss“ (FAZ v. 29.4.10a). Die gleich gerichtete Argumentationslogik wird jedoch auch noch einmal zur Befürwortung der Kredithilfen für Griechenland benutzt: „Nach Ansicht der Bundesregierung besteht keine Gefahr, dass die Krise auf andere Länder überspringt“ (FAZ v. 29.4.10c). Die damit suggerierte ,Einmaligkeit‘ der Kreditmaßnahme soll offensichtlich die Zustimmungsbereitschaft in der Öffentlichkeit erhöhen. Mit besonders drastischem Vokabular ruft der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, das Bild einer ‚Kettenreaktion‘ hervor. Sein auffälliger Sprachgebrauch wird auf FAZ.net in Distanz markierenden Anführungszeichen wiedergegeben: „Wenn das Land ‚fallen würde‘, würde das ‚mit großer Sicherheit auch auf die anderen Länder‘

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übergreifen und könnte zu ‚einer Art Kernschmelze‘ führen“ (FAZ.net v. 14.5.10). Ackermann befürwortet damit die zum Zeitpunkt seiner Aussage bereits beschlossenen staatlichen Kreditmaßnahmen gegenüber Griechenland, die letztlich auch den ihm unterstellten Bankenkonzern vor größeren Abschreibungen zunächst bewahren. Die „Sorge vor Dominoeffekten“ (FAZ v. 15.5.10) wird nach der Beschlussfassung medial zu einer der gängigsten Begründungen für die Kreditvergabe an Griechenland. In der sprachlichen Realisierung des Vernetzungstopos wird des Weiteren Krise auch als ‚Krankheit‘ konzeptualisiert, als deren wesentliches Merkmal im Diskurs die von ihr ausgehende Ansteckungsgefahr hervorgehoben wird. Griechenland gilt in diesem Bild als ,bereits erkrankter Patient‘ und damit als ,Ansteckungsherd‘. Von einer ,Ansteckung‘ gefährdet sind wiederum andere europäische Länder sowie die Kapitalmärkte bzw. das europäische Bankenwesen. Die ‚Krankheit‘, die droht übertragen zu werden, ist die der Zahlungsunfähigkeit. Die zu verabreichende ,Medizin‘ wiederum ist umstritten. Die potenziell zur Verfügung stehenden ,Medikamente‘ stellen die diskutierten politischen Maßnahmen von Kreditausstattung, Umschuldung bis hin zum Ausschluss dar. So geht Blum in seinem bereits zitierten Gastbeitrag in der FAS davon aus, dass bei der von Griechenland ausgehenden Krise „Ansteckung einkalkuliert werden muss“ (FAS v. 2.5.10). Auf FAZ.net werden Aussagen von Bundesbankpräsident Axel Weber wiedergegeben, der die Krankheitssemantik auf den Stabilitätsbegriff überträgt und in diesem Zuge der Diskussion über eine mögliche Umschuldung Griechenlands eine Absage erteilt: Ein Zahlungsausfall Griechenlands hätte in der derzeitigen fragilen Lage ein erhebliches Risiko für die Stabilität des Euroraums und des Finanzsystems. Gravierende Ansteckungseffekte für andere Mitgliedsstaaten der Währungsunion und Rückkopplungseffekte auf den Kapitalmärkten drohten. ‚Ich kann dringend davor warnen, jetzt über Umschuldung (...) zu reden. Wir sind in einem Umfeld, wo einer der Ansteckungskanäle genau dieser Verdacht wäre, dass Mitglieder des Euro-Raums ihre Schulden nicht bedienen. (FAZ.net v. 5.5.10b)

Dirk Meyer, Professor für Volkswirtschaftslehre, sieht die drohende ,Krankheit‘ darin, dass „nicht nur die griechischen Staatsschuldtitel ausfallgefährdet sind, sondern bei Zahlungsausfall des Staates auch die griechischen Banken überschuldet wären“ (FAZ v. 5.5.10). Der ,Preis‘ für wirksame Medikamente – es geht um die potenzielle Höhe von Finanzhilfen durch die Europäische Union – steigt bei Übertragung der Krankheit: „Bei einer Ansteckung Portugals und Spaniens erhöhte sich die Summe auf rund 1300 Milliarden Euro“ (ebd.). Von daher schlägt Meyer „eine Isolierung des Staatsbankrotts“ (ebd.) in Griechenland vor: „[U]m die Einmaligkeit der Hilfen sicherzustellen, sind die finanziellen Unter-

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stützungen (...) zwingend mit einem Ausschluss aus der Euro-Zone zu verbinden“ (ebd.). Die ,Krankheit‘ Krise ist in dieser Perspektive also nicht nur ,hochansteckend‘, sondern in ihrer Behandlung auch sehr teuer, weshalb der ,Patient‘ Griechenland am besten aus der ,Krankenversicherung‘ Euro-Zone ausgeschlossen werden sollte. Auch der FDP-Abgeordnete Christian Ahrendt sieht das ,Krankheitsrisiko‘ Krise mittels der ,Medizin‘ Kreditausstattung nicht gebannt: „Die von Griechenland ausgehende Ansteckungsgefahr besteht (...) ungeachtet der Hilfe fort“ (Ahrendt v. 7.5.10). Letzten Endes lässt sich auch hier eine auf Sicherheit abhebende Argumentation ausmachen: ,In der Unsicherheitssituation Krankheit kann die Isolierung eines Patienten zu mehr Sicherheit der restlichen von Ansteckung bedrohten potenziellen Patienten führen.‘ Schließlich wird Krise im Vernetzungstopos metaphorisch auch als ‚Feuer‘ konzeptualisiert, das sich über Europa auszubreiten droht. Der ,Brandherd‘ in diesem Bild ist abermals Griechenland. Europa läuft Gefahr, vom ,Krisenfeuer‘ erfasst zu werden, was einem ‚Flächenbrand‘ gleich käme. Die politischen Akteure versuchen als ,Feuerwehrmänner‘, dies zu verhindern. So finden sich zahlreiche Äußerungen verschiedener Politiker, die die Selbstinszenierung als geeignete Krisenlöser mittels des metaphorischen Konzepts ‚Feuer‘ offenbaren. Guido Westerwelle (FDP) etwa wird auf FAZ.net wie folgt zitiert: „Wir bekämpfen ein Feuer, das in Griechenland entstanden ist, damit es nicht übergreift auf Europa und unsere Währung“ (FAZ.net v. 3.5.10). Ähnlich wiederholt er vor dem Bundestag mit definitorischem Anspruch: „Worum es jetzt geht, ist, dass wir den Brand löschen müssen, damit sich in Europa kein Flächenbrand ausbreitet. Wir müssen gleichzeitig die Brandursache bekämpfen“ (Westerwelle v. 7.5.10). Die Art des ,Löschmittels‘ in Form politischer Maßnahmen ist umstritten. Birgit Homburger (FDP) etwa wirbt für das Gesetzesvorhaben zur Kreditvergabe an Griechenland und verspricht: „Mit diesem Gesetzentwurf ziehen wir eine Brandmauer, damit die Krise eines Staates nicht auf den gesamten Euro-Raum überspringen kann“ (Homburger v. 5.5.10). Der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter stimmt dem Regierungsvorhaben zu, „insbesondere um die Stabilität der Gemeinschaftswährung Euro nicht zu gefährden und einen europaweiten finanzpolitischen Flächenbrand zu verhindern“ (Lotter v. 7.5.10). Sahra Wagenknecht (Die Linke) kontert im gleichen Bild und zieht einen Vergleich zu den politischen Aktivitäten der Regierung während der Finanzkrise 2008/09, um ihre Ablehnung des geplanten Gesetzes auszudrücken: Merken Sie wirklich nicht, dass der Flächenbrand längst da ist und dass Sie gerade dabei sind, Steuergeld in Höhe von 22 Milliarden Euro in dieses Feuer zu werfen, in ein Feuer, in dem es wahrscheinlich auf Nimmerwiedersehen verloren sein wird, genauso verloren wie die Milliarden, die Sie in die IKB und HRE versenkt haben? (Wagenknecht v. 7.5.10)

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In der SZ plädiert man in einem Artikel für einen Schuldenerlass, den „die EUStaaten, in erster Linie also Deutschland und Frankreich (...) vorbereiten“ (SZ v. 27.5.10) sollen, „und zwar so sorgfältig, dass dabei kein globaler Flächenbrand entsteht“ (ebd.). In der metaphorischen Konzeptualisierung Krise als ‚Feuer‘ wird die Politik als ,Feuerwehr‘ konstituiert, die Sicherheit in Form von ,Brandschutz‘ gewährleistet und der Bevölkerung garantiert, nicht vom ,Krisenfeuer‘ erfasst zu werden. Die mit dem Europatopos aufgeworfene Existenzialität der Situation wird im Vernetzungstopos insbesondere durch die Konzepte ‚Krankheit‘ und ‚Feuer‘ weiter befördert. Die beiden Bilder sind nicht nur aufgrund ihrer Einfachheit äußerst eingängig und allgemein verständlich, sie rufen bei den Adressaten vor allem individuelle Erfahrungen und überzeitlich gültige, anthropologisch angelegte existenzielle Ängste hervor und tragen damit wesentlich zur Konstitution einer für den Einzelnen als unmittelbar gültig empfundenen Unsicherheitssituation bei. Politiker können sich in der Folge im Gewand von Ärzten oder Feuerwehrmännern als geeignete Sicherheitsgewährleister inszenieren, Stabilität – also das ‚Anhalten‘ der ‚Krankheit‘ oder des ‚Feuers‘ Krise – wird zum ultimativ dringenden gesellschaftlichen Ziel. Wenn ‚Krise‘ zur existenziellen Gefahr wird, alles auf dem Spiel steht und sich am Horizont eine düstere Zukunft abzeichnet, verwundert es nicht, dass der Begriff, der den Vorgang der Wiederherstellung von Stabilität bezeichnet, diese ,Existenzialität‘ semantisch spiegelt. Wenn Krise also ein ‚existenzieller Notfall‘ ist, der spätestens mit dem Ausbruch einer hochansteckenden Krankheit oder eines sich rasch ausbreitenden Feuers eingetreten ist, dann ist ‚Rettung‘ geboten. Rettung stellt daher im Diskurs den zentralen Antwortbegriff auf den ‚Notfall‘ Krise dar. Welbers hat gezeigt, dass dem Ausdruck Rettung tiefensemantisch ein religiöses Bedeutungsschema innewohnt.581 Die Verwendung der Rettungsbegrifflichkeit im Diskurs betrachtet auch er als Erwiderung auf eine als ,existenziell‘ konstituierte Bedrohungslage. Rettung, so Welbers, vermag anders als die komplexen Fachbegriffe, wie beispielsweise Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM), auszudrücken, „dass die Sprachbenutzer sich auch wirklich als konkrete Personen angesprochen fühlen, sich selbst »gerettet« fühlen“582. Diese Individualisierung kann nur in religiöser Semantik gelingen. Die ursprünglichen Verwendungskontexte des Ausdrucks sucht Welbers im Alten wie Neuen Testament auf und zeigt, dass Erlösung und || 581 Vgl. Welbers 2013, S. 61 ff. sowie ders. 2014, S. 31 ff. 582 Ders. 2013, S. 62.

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Rettung des Menschen zuvorderst in Verbindung mit der Christusfigur als Retter stehen und von daher als personalisierte Vorgänge konzeptualisiert sind. Im säkularisierten Verwendungszusammenhang hingegen entfällt diese persönliche Beziehung, es bleibt der anonymisierte Ausdruck Rettung. Seine Transzendenzsemantik bleibt zwar erhalten, denn auch im Politischen verfügt er über Verheißungspotenzial und erlaubt die Inszenierung der politischen Akteure als „Erlösungspropheten“583. Jedoch führt der diesseitige Verwendungskontext unweigerlich dazu, „dass Politik religiöse Semantik als Instrumentarium repräsentierend einsetzt, sie aber nicht zur Wirklichkeit bringen kann und so unterhalb des Erlösungsschemas bleiben muss, echtes Erlöstengefühl ausbleibt.“584 Welbers zeigt an diesem Beispiel nicht zuletzt konkret, was begriffsgeschichtliche Arbeiten in allgemeiner Manier feststellen,585 nämlich die ,Ablösung einer durch den Glauben an eine transzendente Wahrheit gegebenen Gewissheit durch irdische Sicherheit‘: „Das Gut der Heilsgewissheit wird (...) ersetzt durch das Gut sicherer Ein- und Anlagen.“586 So wird im hier betrachteten Diskurs „fiskalische Sicherheit des Einzelnen“587 zum Fluchtpunkt von Heil, Erlösung und Rettung. Wenn Krise wie im hier betrachteten Diskurs als ,existenzielle Bedrohung‘ angelegt ist, ist das tiefensemantisch virulente religiöse Bedeutungsmuster des Ausdrucks Rettung und dessen Komposita also stets mitzudenken. Keineswegs im Gegensatz dazu steht dessen ebenfalls gegebene unmittelbare Anschlussfähigkeit an die metaphorischen Konzepte von ‚Feuer‘ und ‚Krankheit‘, deren Appelle an existenzielle Ängste oben bereits erläutert wurde. Eine durch Feuer oder Krankheit hervorgerufene Unsicherheitssituation ist ein mitunter ,lebensbedrohlicher Notfall‘, der ‚Rettung‘ erfordert. So ist in Politik und Medien der Ausdruck Rettung schließlich omnipräsent und ruft – anders als etwa die Bezeichnung ESM oder andere sperrige institutionelle Begriffsbildungen – bei den Diskursteilnehmern konkrete Bilder und Vorstellungen auf, die deren Alltagswelt entsprechen. Im Sprachgebrauch der Medien werden die politischen Instanzen tatsächlich zu den von Welbers als „Erlösungspropheten“588 bezeichneten Handlungsträgern. Etwa werden politische Institutionen in ihrer Funktion als potenzielle Geldgeber konkret als Retter bezeichnet, wie etwa in folgendem Beispiel aus der SZ: „Als mögliche Retter nennen Volkswirte den IWF, die

|| 583 Ebd. 584 Ebd., S. 63. 585 Vgl. zu begriffsgeschichtlichen Ergebnissen Kap. 5.3 im Zweiten Teil dieser Arbeit. 586 Ebd. 587 Ebd. 588 Ebd., S. 62.

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EU und einzelne EU-Länder, allen voran Deutschland“ (SZ v. 27.2.10). Die FAZ offenbart jedoch nach Abschluss des Gesetzesvorhabens zur Kreditausstattung Griechenlands und weiterer europäischer Länder, dass diese Retter die Bedingungen des Diesseits keinesfalls überwinden können: „Finanzkrise, Wirtschaftskrise, Staatsschuldenkrise – nach der Stabilisierung des Finanzsystems (...) stehen die Retter selbst finanziell am Abgrund“ (FAZ v. 15.5.10). Zu ‚Rettern in der Not‘, sei es in Gestalt von ,Notfallmedizinern‘ oder ‚Feuerwehrmännern‘ (bzw. ‚-frauen‘), werden die politischen Instanzen auch dadurch, dass sie in den im Rettungskontext gebildeten Satzstrukturen häufig als Subjekt eingesetzt werden. So ist etwa auf SZ.de im März 2010 zu lesen: „Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Sarkozy setzen ihren Vorschlag durch, um hochverschuldete Staaten vor der Pleite zu retten“ (SZ.de v. 26.3.10). Die FAZ schreibt: „Die Mitglieder der Euro-Zone wollen Griechenland (...) im Notfall gemeinsam mit dem Internationalen Währungsfonds retten“ (FAZ.net v. 8.4.10). In diesem Beispiel machen die Mitglieder der Euro-Zone als ,Notärzte‘ den ‚lebensrettenden Luftröhrenschnitt‘, wenn es weiter heißt: „Diese prinzipielle Garantie sollte (...) dem Staat Luft verschaffen“ (ebd.). Auch als ,Psychologen‘ sind sie mit der Verabreichung von ,Antidepressiva‘ erfolgreich: „Die Griechen profitieren von der verbesserten Stimmung, nachdem die Politiker in Europa ein Rettungspaket für den äußersten Notfall geschnürt haben“ (SZ v. 30.3.10). Gelegenheitskomposita, die im Rettungskontext gebildet werden, weisen einen gänzlich irdischen Charakter auf. Wenn ein „Notfallplan für Griechenland“ (SZ v. 16.3.10) entworfen wird, „die Euro-Länder sich (...) auf einen konkreten Rettungsplan für Griechenland“ (FAZ.net v. 12.4.10) einigen und später mit dem EFSM ein ganzes „Notfallsystem“ (SZ.de v. 8.5.10) bzw. ein „Rettungsmechanismus zur Abwehr von Schuldenkrisen in den Mitgliedsländern“ (ebd.) entworfen wird, dann zeugen die Determinata der gebrauchten Komposita allesamt von menschlicher Vorstellung von Problemlösung. Sie präsupponieren ,Beherrschbarkeit‘ der Krise durch Systematik und Rationalität. Und nicht zuletzt ist auch das ultimative irdische Ziel Sicherheit erreicht, denn „für den äußersten Notfall wurde ein Sicherheitsnetz ausgespannt“ (FAZ v. 27.3.10b). Es wird deutlich, weshalb für die politischen Maßnahmen zur Wiederherstellung von Stabilität der Ausdruck Rettung verwendet wird und nicht etwa Lösung. Rettung ist die passende Antwort auf eine existenzielle Unsicherheitssituation, die die Selbstinszenierung der politischen Akteure als ‚Erlöser‘ ermöglicht. Mit der Bezeichnung lässt sich die existenzielle Variante von Lösung ausdrücken, die eine wesentlich höhere Zustimmungsbereitschaft bei den Adressaten erzeugen dürfte. Letztlich drückt sich in ihr das tiefe Sehnen nach Sicherheit aus, nach dem ultimativ erreichbaren irdischen Ziel, nachdem die an Transzen-

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denz gebundene Gewissheit längst weggefallen ist. Der Begriff Lösung hingegen vermag mit seiner rationalen und emotionslosen Semantik diesen Appellcharakter keineswegs zu entfalten. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass der im Rettungskontext häufig bemühte Begriff Notfall insbesondere auf politischer Ebene auch in der Bedeutungsvariante eines einmaligen Vorgangs benutzt wird, um eine kurzfristige Billigung der Kreditvergaben an Griechenland zu erzielen. In diesem Zusammenhang wird auch die Bezeichnung Ultima Ratio für die Kreditausgabe an Griechenland des Öfteren gebraucht. So definiert Hans-Peter Friedrich (CDU/CSU): „Was wichtig ist: Es geht hier um Nothilfe. (...) Eine solche Nothilfe wird (...) jetzt geleistet, aber es muss klar sein: Diese Nothilfe ist die Ultima Ratio“ (Friedrich v. 5.5.10). Die Einmaligkeit der Maßnahmen mahnt auch der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter an: „[D]er übergreifende Notstand kann keinesfalls zum Normalfall werden. (...) Das heutige Gesetz muss auch (...) als Warnung verstanden werden und ein Einzelfall bleiben“ (Lotter v. 7.5.10). Ebenso äußert sich Paul Lehrieder (CDU/CSU): „Die Nothilfe für Griechenland ist ein absoluter Ausnahmefall“ (Lehrieder v. 7.5.10). Weiter oben wurde bereits dargelegt, dass die Situation in Griechenland selbst im Diskurs zumeist als Schuldenkrise bezeichnet wird. Der Schuldentopos kann als ein dominierender Ursachentopos im Diskurs ausgemacht werden: ,Weil Griechenland in zu hohem Maße Schulden macht, kommt es zur Krise, und es müssen bestimmte Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen werden.‘ Die in Griechenland als Reaktion auf die Krise beschlossenen politischen Maßnahmen werden außerhalb Griechenlands, zumal in Deutschland, meist unter dem Titel Sparen geführt. Diese Bezeichnung und zahlreiche daraus gebildete Komposita sind ein Reflex auf das Ursachenkonstrukt Schulden. Der Sprachgebrauch in der Schuldendebatte, die sich im ersten Halbjahr 2010 intensiv auf Griechenland konzentriert, legt nahe, dass diese metaphorisch als ‚Erziehungsdebatte‘ konzeptualisiert wird. Die Betrachtung der sprachlichen Besonderheiten dieses Diskursausschnitts gewährt daher insbesondere Einblick in die Mentalität des dato dominierenden politischen Modells, das dem Maßstab eines autoritären Erziehungsstils folgt. Gleichsam sind auch Spuren des gegenläufigen Modells fürsorglicher bzw. demokratischer Erziehung erkennbar. Ebenso eröffnet sich die Möglichkeit einer religiösen Deutung des Sprachgebrauchs. Verfolgt man zunächst die Denkfigur ,autoritäre Erziehung‘, so bildet das Zusammenspiel verschiedener metaphorischer Konzepte folgendes Narrativ: ‚Griechenland als Kind war ungezogen, sein undiszipliniertes Verhalten hat zu einer erheblichen Schuldenanhäufung geführt. Es ist verantwortlich für die Krise. Der strenge Vater EU bzw. Deutschland ist gezwungen, das Kind für sein

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Fehlverhalten zu bestrafen, damit es aus seinen Fehlern lernt und zu Selbstdisziplin fähig wird. Wenn es sehr viel harten Willen, Fleiß, Disziplin und Ehrgeiz zeigt und das zur Strafe auferlegte Sparprogramm erfolgreich umsetzt, kann das Kind Griechenland auf ein Lob seines Erziehungsberechtigten hoffen.‘ Lakoff und Wehling haben für die US-amerikanische Politik gezeigt, wie sich die politischen Programme konservativer und progressiver Gruppen auf die unterschiedlichen Moralvorstellungen von Erziehungsmodellen stützen und welche Metaphern dabei eine wesentliche Rolle spielen.589 Sie unterscheiden eine „Strenge-Vater-Moral“590 und eine „Fürsorgliche-Eltern-Moral“591, wobei erstere den Konservativen, d. h. im Wesentlichen den Republikanern, zugeordnet werden kann und den politischen Sprachgebrauch in den USA dominiert. Zunächst prägt die Metapher „Nation ist Familie [Herv. im Original; A. S.]“592 die Denkfigur. Demnach werden Staaten personifiziert und Begrifflichkeiten aus dem Herkunftsbereich Familie auf Staaten übertragen. Des Weiteren ist die „Metapher der moralischen Stärke [Herv. im Original; A. S.]“593 von Bedeutung für das Denkmuster, wonach Moral ein Ausdruck physischer Stärke ist. Man spricht in diesem Bild davon, „schwach [Herv. im Original; A. S.] zu werden oder Stärke [Herv. im Original; A. S.] zu beweisen.“594 In der Strenger-Vater-Moral gilt das Familienoberhaupt als unanfechtbare Autorität, die vorgibt, was richtig und falsch ist.595 Die Erziehung erfolgt durch festgeschriebene Verhaltensregeln und hierarchisch strukturierte Kommunikation. Moral bedeutet in diesem Modell ,Stärke‘. Für moralisches Verhalten erfolgt Belohnung, für unmoralisches Verhalten erhält das Kind eine Strafe. Als schlecht gilt das Kind in diesem Erziehungsmodell vor allem, wenn es sich undiszipliniert verhält und nur das tut, was es will. Misserfolg ist daher auf undiszipliniertes Verhalten zurückzuführen, worin sich wiederum moralische Schwäche ausdrückt. Die moralische Aufgabe des Vaters besteht darin, das Kind zu disziplinieren. Umgehende und schmerzhafte Bestrafungen haben dabei die weitaus höhere Relevanz als Belohnungen, denn nur dadurch lernt das Kind, dass es etwas falsch gemacht hat und in der Folge, sich selbst zu disziplinieren. So kann es schließlich moralisch wachsen und sich im Wettbewerb in der Welt || 589 Vgl. Lakoff, George und Wehling, Elisabeth: Auf leisen Sohlen ins Gehirn. Politische Sprache und ihre heimliche Macht. 4., um ein aktuelles Nachwort ergänzte Auflage. Heidelberg 2016. 590 Ebd., S. 39. 591 Ebd. 592 Ebd., S. 35. 593 Ebd., S. 32. 594 Ebd. 595 Vgl. zur ‚Strenger-Vater-Moral‘ insbes. ebd., S. 39 ff.

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durchsetzen, ohne die Hilfe anderer zu beanspruchen. Etwas zu bekommen, was man sich nicht durch seinen eigenen Willen erarbeitet hat, stellt eine unangemessene Belohnung dar, die nicht dazu beiträgt, stark und selbstdiszipliniert zu werden. In der Vorstellung einer Fürsorgliche-Eltern-Moral spielen die Konzepte Fürsorge und Verantwortung eine zentrale Rolle.596 Durch die Fürsorge und Förderung des Kindes soll dieses selbst zu einer Person werden, die sich um andere sorgt und Verantwortung übernimmt. Wesentliches Merkmal dieses Modells ist die dialogorientierte Kommunikation zwischen Eltern und Kind, die das Kind mit seinen Wünschen und Anliegen ernst nimmt und Entscheidungen nachvollziehbar macht. Anerkennung durch die Eltern erfährt es nicht so sehr durch seine Behauptung im Wettbewerb gegen andere, sondern insbesondere für seine Fürsorge und Empathie für Mitmenschen. Die Vorstellung von Politik als ‚autoritäre Erziehung‘ durchdringt den Schuldendiskurs um Griechenland und dominiert den Sprachgebrauch in der öffentlichen Debatte in Deutschland. Die von Lakoff und Wehling angeführte Familienmetapher kommt explizit zum Ausdruck, wenn Griechenland zu den „aktuellen Sorgenkindern“ (FAZ v. 1.3.10) aus europäischer Perspektive gezählt und damit personifiziert wird. Somit werden Verhaltenszuschreibungen an einen Staat möglich. Im Falle Griechenlands wird dessen undiszipliniertes Verhalten als Quelle der Sorge verantwortlich gemacht. Die zutage getretenen Zahlungsschwierigkeiten und der bilanzierte Schuldenstand werden sowohl im medialen als auch im politischen Diskurs mit dem Stigma der ‚Maßlosigkeit‘ belegt. Das Bild hedonistischen Verhaltens entsteht. So konstatiert die SZ folgende ‚Realität‘: „Die Südländer haben viele Jahre maßlos über ihre Verhältnisse gelebt“ (SZ v. 27.2.10). Der Nachsatz „ohne einen Preis dafür zahlen zu müssen“ (ebd.) deutet das autoritäre Denkmodell und dessen Bestrafungscharakter schon an. Auch Volker Kauder (CDU/CSU) benennt die Schuldenthematik als Krisenursache und führt sie auf undiszipliniertes Verhalten von Staaten zurück, wenn er rhetorisch fragt: „Besteht das Grundproblem bei manchen europäischen Staaten nicht darin, dass ständig über die eigenen Verhältnisse gelebt wird, dass Schulden gemacht werden, die uns (...) in diese Schwierigkeiten bringen?“ (Kauder v. 5.5.10). Robert Hochbaum (CDU/CSU) konstatiert: „Die Griechen haben insgesamt seit längerem über ihre Verhältnisse gelebt“ (Hochbaum v. 7.5.10). Ebenso stellt Veronika Bellmann (CDU/CSU) fest: „Die Griechen haben jahrelang über ihre Verhältnisse gelebt“ (Bellmann v. 7.5.10). Griechenland gilt aus der Sicht eines strengen Vaters als moralisch schwach, || 596 Vgl. zur ‚Fürsorgliche-Eltern-Moral‘ insbes. ebd., S. 46 ff.

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weil es sich im Wettbewerb aufgrund seiner mangelnden Disziplin nicht behaupten kann: „Das Land hat bis heute nicht die nötige Wettbewerbsfähigkeit erreicht“ (ebd.). Auch die Bundeskanzlerin nimmt diese Perspektive ein: „Zu viele wettbewerbsschwache Mitglieder der Euro-Zone haben über ihre Verhältnisse gelebt und sind damit den Weg in die Schuldenfalle gegangen. Das ist die eigentliche Ursache des Problems“ (Merkel v. 19.5.10). Die Etikettierung als ‚schwach‘ im Sinne der Metapher ‚Moral ist physische Stärke‘ wird besonders deutlich, wenn die SZ über Griechenland und andere südeuropäische Länder resümiert: „Das sind die Schwachen, weil diese Staaten weit mehr Schulden aufgehäuft haben, als sie auf Dauer schultern können“ (SZ v. 15.2.10). Und so erscheint es nur plausibel, dass „Griechenland für die derzeitige Notlage selbst verantwortlich ist“ (Bracht-Bendt v. 7.5.10), wie die FDP-Abgeordnete Nicole Bracht-Bendt anmerkt. Als moralische Verfehlung werden auch die statistischen Fehlangaben konzeptualisiert, die Griechenland an die Europäische Union gemeldet hat. Sie werden als „Manipulationen“ (FAZ v. 11.3.10b) bezeichnet, Griechenland als ‚Betrüger‘ personifiziert: „Wer Zahlen fälscht, begeht Betrug an den Bürgern der Europäischen Union“ (Krichbaum v. 20.1.10). Das Land wird als ‚unzuverlässiger Partner‘ stigmatisiert und eines unmoralischen Verhaltens bezichtigt, das maßgeblich die Existenzkrise Europas befördert. So bezeichnet der FDP-Abgeordnete Sebastian Blumenthal Griechenland als „Partner, der von Beginn an durch Abgabe falscher Daten das Vertrauen der Mitstreiter in der Schicksalsgemeinschaft Euro missbraucht hat“ (Blumenthal v. 7.5.10) und unterstellt, dass dieses „Fehlverhalten die Existenzgrundlagen anderer Völker innerhalb der Währungsunion bedroht“ (ebd.). Robert Hochbaum von der CDU/CSU-Fraktion spricht davon, dass Griechenland „bewusst die europäischen Partner getäuscht und sich den Zugang zum Euro-Raum erschlichen“ (Hochbaum v. 7.5.10) habe. Der Sprachgebrauch befördert die Stigmatisierung Griechenlands als ‚ungezogenes‘, geradezu ‚kriminelles Familienmitglied‘ der EU, das die gültigen Regeln in Familie und Partnerschaft hintergeht. Das Ergebnis des unmoralischen Verhaltens zeigen diverse krisensemantisch aufgeladene Gelegenheitskomposita an, die mit ihrer durchgehend negativen Konnotation den griechischen Schuldenstand als wesentliche Krisenursache weiter zementieren. Neben der allgemeinen Titulierung als „Schuldenkrise“ (z. B. SZ v. 27.2.10) verweisen Bezeichnungen wie „schwere Haushaltskrisen eines Mitgliedslandes“ (SZ v. 17.2.10) oder „Haushalts- und Schuldenmisere“ (SZ v. 23.2.10) auf die Ursache der Krise bzw. zeigen an, was sich in der Krise befindet. Wenn sich der staatliche Haushalt im Krisenstatus befindet, wird sich der Begrifflichkeit einer weiteren Ausprägung der Familienmetapher bedient.

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Nicht zwingend diskursspezifische metaphorische Ausdrücke wie „riesiges Haushaltsloch“ (SZ v. 6.3.10), „drückende Schuldenlast“ (FAZ v. 25.3.10), „Schuldenfalle“ (ebd.) oder „Schuldenspirale“ (FAZ v. 27.5.10) illustrieren Ausmaß und Verzwicktheit der Schuldenthematik. Insbesondere die Determinata Falle und Spirale präsupponieren eine gewisse ,Unentrinnbarkeit‘ aus der Situation. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel im Interview mit der SZ sagt: „Das eigentliche Problem sind (...) die hohen Haushaltsdefizite“ (SZ v. 15.5.10b), dann etabliert sie damit nicht nur besagte Krisenursache; mit dem Begriff Defizit transportiert sie nicht zuletzt auch eine Semantik personalisierten Versagens. Sehr schnell wird Griechenland schließlich im Diskurs zum Synonym für dieses Versagen. So wird das Diktum eines Vermögensverwalters, der gegenüber der FAZ sagt: „Griechenland ist überall“ (zit. nach FAZ v. 19.3.10), explizit erklärt: „Damit meint er, dass sich praktisch alle Staaten der Welt derzeit in hohem Maße verschulden“ (ebd.). Es zeigt sich folglich, dass der Sprachgebrauch in der Debatte den Eindruck fördert, dass Griechenland nicht nur Schulden in der Bedeutung eines Konkretums mit finanziellem Attribut, sondern darüber hinaus auch Schuld an der Krise hat – und zwar in moralischer Hinsicht. Semantisch kommt es hier demnach zu einer Verschränkung von finanzieller und moralischer Schuld. Eine besondere Schwere der moralischen Schuld wird unterstellt, wenn Griechenland personifiziert wird als „chronische[r] Defizitsünder“ (SZ v. 21.1.10), „notorische[r] Defizitsünder“ (Merkel v. 5.5.10), „Haushaltssünder“ (SZ v. 24.3.10) oder „Schuldensünder“ (SZ.de v. 8.5.10). Als Sünder hat man sich schließlich gegenüber einer noch höheren Instanz als dem Familienvater, nämlich gegenüber Gott schuldig gemacht, indem man gegen dessen Gebote, also gegen ultimativ gültige Regeln verstoßen hat. Im Falle einer Todsünde fällt man gar aus dem Stand der Gnade. Wenn Gott einem konservativen Religionsverständnis folgend als strenger Vater begriffen wird, ist seine Strafe dem Sünder gewiss. Im Mindesten wird dem Sünder ein Bußwerk auferlegt und Reue verlangt, um die Vergebung der Schuld zu erwirken. Der weitere Sprachgebrauch in der Schuldendebatte lässt sich daher auch als religiöse Semantik deuten. Vordergründig realisiert sich sprachlich weiterhin deutlich ein autoritäres Politikverständnis. So geht es im Weiteren darum, dass Griechenland zur Disziplin gebracht werden soll, und dies nach autoritärer Fasson, nämlich „mit harter Hand (...), mit aller rechtlich möglichen Brutalität (...) – auch wenn es weh tut“ (SZ v. 4.2.10), wie die SZ bereits im Februar 2010 postuliert. In einem Interview mit der SZ im Mai offenbart auch der lettische Ministerpräsident Valdis Dombrovskis ein autoritäres Verständnis von Krisenlösung: „Es gibt – zu-

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mal, wenn man in der Eurozone ist, keine Alternative zum Sparen, wenn man seine Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen will. Das sollte sehr schnell und brutal und nicht zögerlich umgesetzt werden“ (SZ v. 3.5.10). Der hier anklingende Topos der Alternativlosigkeit kommt auch in der folgenden autoritär konnotierten Aussage des Wirtschaftshistorikers Harold James im Interview mit der SZ zum Ausdruck: „Eine Politik der Härte ist das einzig Denkbare“ (SZ v. 26.3.10a). So sind „Hilfen an harte Bedingungen zu knüpfen“ (FAZ v. 28.4.10). Es geht um eine „an harte Auflagen geknüpfte vorübergehende Unterstützung Griechenlands“ (FAZ.net v. 29.4.10). Bundeskanzlerin Angela Merkel rechtfertigt die Zeitdauer bis zur endgültigen Beschließung der Kreditvergabe an Griechenland damit, es „habe Härte vorgeführt werden müssen“ (FAZ v. 3.5.10a). Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Friedrich unterstützt das autoritäre Vorgehen seiner Parteikollegin: „Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar dafür, dass sie in den letzten Wochen und Monaten hartnäckig geblieben ist“ (Friedrich v. 5.5.10), schließlich könne man Griechenland nur dadurch „zum Sparen (…) zwingen“ (ebd.). Noch ein weiteres Mal in seiner Rede vor dem Bundestag bedankt er sich bei der Bundeskanzlerin für deren Vorgehen „mit harter Hand“ (ebd.). Weiterhin zeigen Begriffe aus dem Wortfeld ‚Zwang‘ – wie bereits mit obiger Aussage Friedrichs deutlich wird – an, dass in der Schuldendebatte ein autoritäres Politikverständnis dominiert. So ist Griechenland „zum Sparen zu zwingen“ (ebd.). Schließlich wird „das Aufzwingen nötiger harter Sparmaßnahmen gegenüber Griechenland“ (Hochbaum v. 7.5.10) von den Regierungsparteien als Erfolg verbucht. Dass der Diskurs durchzogen ist von autoritärer politischer Mentalität, zeigen auch die vielen Begriffe, die eine Semantik von ‚Strafe‘ vermitteln. Bestrafung als zentrales Instrument einer autoritären Erziehung wird in der vorliegenden Debatte als geeignet angesehen, um „Akzeptanz für das Bestehen von Fehlentwicklungen in der griechischen Bevölkerung“ (ebd.) herzustellen. So wird etwa überlegt, „das Land unter Aufsicht zu stellen, ihm praktisch seine Souveränität zu nehmen. Das ist die schlimmste vorstellbare Strafe für eine Nation“ (SZ v. 4.2.10). Als eine Möglichkeit des politischen Umgangs mit Griechenland wird auch folgende erwogen: „Die Mitgliedsstaaten können Griechenland mit Hieben und Schlägen so lange drangsalieren, bis es sein blaues Wunder erlebt“ (FAS v. 7.3.10). In diesem Beispiel nehmen die EU-Staaten die Position des strengen Vaters ein. Die Vorstellung, dass es gilt, das undisziplinierte und damit unmoralische Verhalten eines ungezogenen Familienmitglieds zu bestrafen, offenbart auch der in der SZ zitierte Sprachgebrauch der Bundeskanzlerin: „Merkel forderte, laxe Haushaltspolitik oder gar ‚Tricksereien‘ einzelner EU-Mitglieder, die am Ende die Stabilität des Euro und den Zusammenhalt der EU gefährdeten, künftig strenger zu ahnden“ (SZ v.

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26.3.10b). Die Bestrafungssemantik verwendet Merkel mit hoher Serialität im Diskurs. So fordert sie vor dem Bundestag „verstärkte und (…) wirksame Sanktionen bei Verstoß gegen den Stabilitätspakt“ (Merkel v. 5.5.10). Ihr Koalitionskollege Patrick Kurth von der FDP ist ebenfalls der Meinung, „dass auf den Bruch dieser Richtlinien Sanktionen erfolgen müssen“ (Kurth v. 7.5.10). Im Mai wird auf SZ.de berichtet: Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach sich derweil für drastische Konsequenzen aus der Griechenland-Krise aus. Staaten, die gegen die Defizitgrenzen (…) verstoßen, sollte nach dem Willen Merkels künftig zeitweise das Stimmrecht in der EU entzogen werden. ‚Es muss künftig möglich sein, einem Land, das seine Verpflichtungen nicht einhält, zumindest vorübergehend das Stimmrecht zu nehmen‘. (SZ.de v. 1.5.10)

Hier spiegelt nicht zuletzt die Semantik des Verbs jemandem etwas nehmen autoritäre Mentalität wider, denn sie zeugt von einer hierarchischen Beziehungsstruktur, in der ein Beteiligter den anderen zu dominieren vermag. Gleiches gilt für den Begriff Ausschluss. Wenn die Bundeskanzlerin „auch den Ausschluss eines Mitglieds aus dem Euroverbund zur Sprache“ (SZ v. 16.3.10) bringt, eignet sie sich damit ein Stück weit die Dominanz eines autoritären Vaters (bzw. einer autoritären Mutter) an, der über seine Familienmitglieder nach Belieben bestimmen kann. Sie spricht dabei zumindest nach Ansicht der FAZ für Deutschland. Die Bedeutung der Aussage, „den Euro krisenfester zu machen“ (FAZ v. 27.3.10a), erklärt man dort nämlich so: „Die Deutschen verstehen darunter harte Sanktionen gegen Haushaltssünder, die bis zum Ausschluss aus der Währungsunion reichen würden“ (ebd.). Mit diesem Sprachgebrauch ist auch religiöse Semantik wieder präsent, denn hier wird das gesellschaftliche Wissen von christlicher Sündenbestrafung angesprochen. Interpretiert man von der angenommenen Semantik einer katholischen Dogmatik aus, könnte der geforderte Ausschluss aus der Eurozone sogar als ‚Exkommunikation‘ gedeutet werden. Schließlich wird er auch als „schärfstes disziplinierendes Instrument“ (Luksic v. 7.5.10) bezeichnet. Als Strafe der Wahl oder auch als Bußwerk ergibt sich aus dem politischen Prozess am Ende schließlich ein „harsche[s] Sparprogramm“ (FAZ.net v. 4.3.10) für Griechenland. Die Empfindlichkeit der Strafe wird – wie hier mit harsch – durch entsprechende Adjektive angezeigt. So ist die Rede von einem „strikten Sparkurs“ (SZ v. 23.2.10) bzw. einem „wirklich drastischen Sparkurs“ (z. B. Barthle v. 5.5.10) oder auch von einem „harte[n] Sparprogramm“ (Westerwelle v. 7.5.10) und einem „schmerzhafte[n] Sanierungskurs“ (ebd.). Auf FAZ.net wird Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zitiert: „Schäuble sprach von einem außerordentlich starken Sanierungsprogramm, das mit erheblichen Belastun-

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gen der Bevölkerung verbunden sei. Das sei der Preis für ein Leben über den Verhältnissen“ (FAZ.net v. 3.5.10). Die Determinata Programm und insbesondere Kurs zeigen darüber hinaus an, dass die autoritären Erzieher genau wissen, was zu tun ist, sie kennen den ‚richtigen Kurs‘, also den Weg zur Besserung. In einer autoritären Erziehung ist Strafe geboten, damit sich ein Kind moralisch bessern kann. Wenn das Sparprogramm daher immer wieder als „notwendig“ (z. B. SZ v. 23.2.10 oder Westerwelle v. 7.5.10) bezeichnet wird, offenbart sich damit sowohl eine autoritäre Perspektive als auch die Moralisierung der Debatte. Dies wird auch daran deutlich, dass für die Durchführung des Sparprogramms in Griechenland nun die Werte gefordert werden, die im autoritären Weltbild für moralische Stärke stehen, wie etwa „Willen“ (SZ v. 17.2.10) zu zeigen und „Probleme selbst [zu; A. S.] lösen“. Das Sparprogramm „baut darauf, dass die Hilfsempfänger tatsächlich willens (…) sind, die Darlehen zurückzuzahlen“ (SZ v. 12.5.10). Es geht darum, „dass jedes Mitgliedsland für sein Handeln die Konsequenzen selbst tragen muss“ (FAZ v. 24.4.10b). „Griechenland ist selbst in der Verantwortung“ (Homburger v. 5.5.10) und „selbst für (…) finanzielle Verpflichtungen verantwortlich“ (Meierhofer v. 7.5.10). Gefordert sind auch „Fleiß, Ehrgeiz, Disziplin und Leistungskraft (…) und das müssen die Griechen jetzt lernen“ (Friedrich v. 5.5.10), nur so „kann Griechenland wieder wettbewerbsfähig“ (Barthle 17/41), also moralisch stark werden, weil es damit – und das ist Ziel der autoritären Erziehungsmaßnahme – wieder für sich selbst sorgen kann. Es kommt „keine konditionslose Hilfe“ (Kauder v. 5.5.10) bzw. „keine bedingungslose Hilfe“ (Kalb v. 7.5.10) in Frage, denn nach autoritärem Verständnis führt die Bereitstellung von etwas, das nicht selbst erarbeitet wird, nicht zur moralisch notwendigen Selbstdisziplinierung. Diese Denkweise, die nicht zuletzt auch eine ,protestantisierte‘ Prägung des Diskurses vermuten lässt, dominiert in der Auseinandersetzung um die Kreditvergabe an Griechenland und wird im Sprachgebrauch deutlich. „Jedes Anzeichen einer finanziellen Hilfestellung der EU würde [den; A. S.] Willen so stark schmälern, dass die Aufgabe hoffnungslos wird“ (SZ v. 17.2.10), meint etwa der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft Dennis Snower. Volker Kauder von der CDU/CSU-Fraktion weist darauf hin, „dass es keine politischen Geschenke geben darf, wenn es um die Stabilität unseres Euros geht“ (Kauder v. 5.5.10), „keinen Blankoscheck“ (Barthle v. 5.5.10) möchte sein Fraktionskollege Norbert Barthle ausstellen. Die moralische Dimension des Denkmusters zeigt sich besonders deutlich, wenn Robert Hochbaum (CDU/CSU) sagt, dass „es keinen Freifahrtschein gibt, sondern Griechenland sich redlich halten muss“ (Hochbaum v. 7.5.10). Der Ausdruck redlich gibt einmal mehr einen expliziten Hinweis auf eine protestantisch angelegte Tiefensemantik der ,Rechtschaffenheit‘ und ,Tüchtigkeit‘. Für die öffentliche

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Vermittlung spielt es eine wesentliche Rolle, den Kreditcharakter der für Griechenland beschlossenen Maßnahmen herauszustreichen: „Das Geld wird Griechenland nicht geschenkt, es muss die Hilfen mit etwa fünf Prozent zurückzahlen“ (SZ v. 14.5.10). „Die Griechen bekommen das Geld nicht bedingungslos zur Verfügung gestellt“ (Kalb v. 7.5.10), betont auch Bartholomäus Kalb (CDU/CSU), sondern als Kredit. Der damit negierte „Bail-Out oder gar ein (…) ‚permanenter Krisenlösungsmechanismus‘ führen (…) zu weniger fiskalischer Disziplin“ (Luksic v. 7.5.10), ist der FDP-Abgeordnete Oliver Luksic überzeugt. Franz Jaeger, Ökonom an der Universität St. Gallen, teilt im Interview mit der FAZ diese Meinung: „Sobald Hilfspakete angeboten werden ohne Bedingungen, wird die moralische Versuchung so stark, dass es langfristig keine Möglichkeit mehr gibt, die Staaten zu disziplinieren“ (FAZ v. 7.5.10). Mitunter wird auch mit der Begründung fehlender Disziplinierungsmöglichkeit der Ausschluss aus dem Euro abgelehnt. So gibt die FAZ im April die Meinung eines niederländischen Ökonomen wieder. Willem Buiter zufolge „brauche Griechenland sehr weitreichende Strukturreformen, die nur unter dem Druck des IWF und der europäischen Partner im Euro politisch durchsetzbar seien. Verlasse das Land den Euro, entfalle der Druck auf die griechische Regierung“ (FAZ v. 29.4.10a). Einem autoritären Erziehungsstil entsprechen Regeln und Kontrolle; auch diese Bestandteile des Erziehungsmodells lassen sich im Sprachgebrauch des Diskurses nachweisen. So ist es wiederum Bundeskanzlerin Angela Merkel, die – sich einmal mehr als Autoritätsfigur inszenierend – im Interview mit der SZ äußert, „strengere Regeln sind notwendig, um mehr Haushaltsdisziplin durchsetzen zu können“ (SZ v. 15.5.10b). Die FAZ schließt sich dieser Meinung an, so „muss die Sicherung der Haushaltsdisziplin durch verbindliche Regeln gestärkt werden“ (FAZ v. 29.4.10a). Der durchgängig autoritäre Sprachgebrauch impliziert freilich, dass die besagten Regeln allein von der entsprechenden Autorität bestimmt werden können. Für die Umsetzung des Sparprogramms in Griechenland wird sodann eine Schuldenkommission eingesetzt, deren Aufgabe es ist, in der Zukunft Griechenland „schärfer und besser zu kontrollieren“ (Barthle v. 5.5.10). Ihr Organisationscharakter wird nicht nur als „engmaschiges Überwachungssystem“ (Barthle 17/41), sondern gar als „das strengste und schärfste Kontrollsystem, das es jemals im Euro-Raum gegeben hat“ (ebd.), bezeichnet. Überdies bringen zahlreiche Verben und Syntagmen die Hierarchie der Kommunikationsstruktur einer autoritären Vater-Kind-Beziehung zum Ausdruck und verfestigen die als metaphorisch zu begreifende Konzeptualisierung des Schuldendiskurses als ,Erziehungsmaßnahme‘ zwischen den personifizierten politischen Instanzen EU und in starkem Maße auch Deutschland als ,Autoritätspersonen‘ bzw. ,Erziehungsberechtigte‘ und Griechenland als ,ungezoge-

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nem Kind‘. Während Griechenland um Hilfe bitten und hoffen muss, fordern, verlangen und erwarten die autoritären Instanzen, wie die folgenden Beispiele zeigen. So berichtet die SZ im März 2010: „Die Bundeskanzlerin hatte (...) bekräftigt, Athen könne auf eine Kombination aus freiwilligen Hilfen der EUPartner und IWF-Krediten hoffen“ (SZ v. 26.3.10b). Der EZB-Präsident JeanClaude Trichet äußert sich zu den Bedingungen des Maßnahmenprogramms für Griechenland und wird in der FAZ zitiert, dass „Voraussetzung für sein Inkrafttreten sei, dass die griechische Regierung um Hilfe bitte“ (FAZ v. 9.4.10a). Die sich als Autoritäten inszenierenden politischen Akteure hingegen treffen eine „Entscheidung über Griechenland“ (FAZ v. 27.4.10b). Der Sprachgebrauch impliziert hier die Abwesenheit Griechenlands bei der Entscheidung; eine ‚Entscheidung über jemandes Kopf hinweg‘ liegt davon semantisch nicht allzu weit entfernt. Auffällig häufig fungiert die politische Machtinstanz Deutschland als die Autorität, die die Erziehungsmaßnahme gegenüber Griechenland vorantreibt: „In Berlin wird erwartet, dass die Regierung in Athen deutlich größere Sparanstrengungen unternehmen muss“ (FAZ v. 29.4.10c). Ganz konkret ist es meist Angela Merkel; sie „erwarte von Griechenland weitere Sparanstrengungen“ (FAZ v. 27.4.10b), wie die FAZ berichtet. Ihre Parteikollegen gehen damit konform, denn es „verlangten auch Unionspolitiker (...) harte Sparauflagen für Griechenland“ (FAZ.net v. 29.4.10). Auch die FDP-Fraktion begibt sich in die Position des Fordernden, so äußert sich etwa deren Abgeordneter Erwin Lotter: „Ich fordere einen nachdrücklichen Einsatz des griechischen Staates“ (Lotter v. 7.5.10). Lob und Anerkennung gibt es im autoritären Erziehungsmuster für eine gehorsame Umsetzung der Disziplinierungsmaßnahme, wenn also das Kind „Griechenland (...) seine Hausaufgaben mit einem strafferen fiskalpolitischen Paket gemacht“ (FAZ v. 22.3.10) hat. So finden sich für den Lob- und Belohnungsaspekt des Erziehungsmodells in der Schuldendebatte entsprechende Begrifflichkeiten. Darüber hinaus zeigt der zugehörige Satzbau ein serielles Muster, das die hierarchische Beziehung einmal mehr deutlich macht. Ein Lob auszusprechen steht im autoritären Denkmuster nur den entsprechenden autoritären Instanzen zu; sie werden daher entsprechend als Subjekt geführt, während der Gelobte zwingenderweise als Objekt im Satz eingesetzt werden muss. Diese Struktur spiegelt die Handlungsgewalt der Autorität gegenüber dem Untergebenen wider. Die FAZ berichtet beispielsweise nach der Verabschiedung von Sparmaßnahmen in Griechenland: „Die EU-Minister lobten Griechenland“ (FAZ v. 3.5.10b). Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagt vor dem Bundestag: „Ich habe großen Respekt vor dem griechischen Parlament und der griechischen Regierung, dass sie dieses harte Sparprogramm verabschiedet haben“

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(Westerwelle v. 7.5.10). Michael Stübgen von der CDU/CSU-Fraktion äußert sich ähnlich: „Ich möchte (...) meinen Respekt gegenüber dem griechischen Parlament zum Ausdruck bringen“ (Stübgen v. 7.5.10). Grammatikalisch nicht in der beschriebenen Struktur, doch semantisch identisch stellt sich die folgende Aussage Norbert Barthles (CDU/CSU) dar: „Griechenland hat sich zu einem wirklich drastischen Sparkurs verpflichtet (...). Das ist alle Anerkennung wert“ (Barthle v. 5.5.10). In der Schuldendebatte deutlich weniger präsent sind explizite Abwertungen des autoritären Denkmodells oder das Gegenkonzept eines eher fürsorglichen Politikverständnisses. Eine deutliche Absage an die autoritäre Auffassung der Bundesregierung erteilt der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen Jürgen Trittin, wenn er den Vorschlag von Bundeskanzlerin Merkel, Griechenland das Stimmrecht in der EU zu entziehen, zurückweist: „Europa ist eine Gemeinschaft von 27 gleichberechtigten Mitgliedsstaaten. Da kann nicht ein Mitgliedstaat einem anderen Mitgliedstaat die Rote Karte zeigen und sagen: Du setzt dich jetzt mal eine Weile auf die Bank“ (Trittin v. 5.5.10). Elke Ferner von der SPD beklagt „die gebetsmühlenhaften Behauptungen, Griechenland müsse erst einmal seine Hausaufgaben machen und ein Sparpaket vorlegen“ (Ferner v. 7.5.10). Darüber hinaus belegt die Opposition das von den Regierungsparteien begrüßte Sparprogramm in Griechenland vor allem mit dem Stigma der ‚Neoliberalität‘. Insbesondere Gesine Lötzsch (Die Linke) spricht von der „Umsetzung des ganzen neoliberalen Unfugs“ (Lötzsch v. 7.5.10) und einem „neoliberale[n] Rezept, das Griechenland weiter in die Krise treibt“ (Lötzsch v. 19.5.10). Sie befürchtet, „dass die Kanzlerin in Griechenland nur ihr neoliberales Waffenarsenal testen wollte, um es dann in Deutschland einzusetzen“ (ebd.). In ihrem Sprachgebrauch lässt sich auch ein zum autoritären Politikverständnis eher konträres Konzept nachweisen, das den – freilich mit linker Parteiprogrammatik aufgeladenen – Begriff der Solidarität in den Mittelpunkt stellt und daher eher dem Fürsorgemodell zuzuordnen ist.597 So bezeichnet Lötzsch das griechische Sparprogramm als „brutal, unsozial und erbarmungslos“ (Lötzsch v. 7.5.10) und kritisiert die am Gesetzesvorhaben zur Kreditausstattung Griechenlands beteiligten Politiker: „Wer diesem Gesetz zustimmt, ist (...) nicht soli-

|| 597 An dieser Stelle sei noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen, dass mit der Bezeichnung des einen Politikmodells als autoritär und des anderen als fürsorglich keinerlei politische Bewertung durch die Verfasserin einhergeht, was vor allem die im alltäglichen Sprachgebrauch eindeutig konträren Konnotationen der Begrifflichkeiten vermuten lassen könnten. Die Begriffe werden hier lediglich zur Kontrastierung der verschiedenen Denkmodelle genutzt und schließen sich – wie bereits dargelegt – an Lakoff und Wehling 2016 an.

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darisch mit dem griechischen Volk und auch nicht solidarisch mit den anderen Völkern Europas“ (ebd.). Sie führt weiter aus: „Solidarität mit diesen Ländern ist auch Solidarität mit den Lohnabhängigen, Rentnern und Arbeitslosen“ (Lötzsch v. 19.5.10). Wenn Renate Künast von den Grünen außerdem der Regierung vorwirft: „Sie lassen die griechische Bevökerung allein“ (Künast v. 7.5.10) und Elke Ferner von der SPD kritisiert, dass die Regierung verpasse, der griechischen Regierung den Rücken zu stärken, ihre Anstrengungen zu würdigen und der griechischen Bevökerung die Zusicherung zu geben, dass die europäische Familie (...) den Weg Griechenlands in eine neue Zukunft unterstützt, (Ferner v. 7.5.10)

dann kommt darin deutlich ein Politikverständnis zum Ausdruck, das dem von Lakoff und Wehling als „Fürsorgliche-Eltern-Moral“598 bezeichneten, bereits dargelegten Konzept entspricht. Die Anhaltspunkte im Sprachgebrauch liegen im letzten Beispiel etwa in der metaphorischen Konzeptualisierung der EU als ‚Familie‘, die als ‚anerkennend‘ und ‚unterstützend‘ attribuiert wird. Auffällig in den angeführten Belegen ist darüber hinaus, dass die Metonymie Griechenland mehrmals durch personalisiertere Ausdrücke wie griechische Bevölkerung ersetzt wird. Damit kommt letztlich der in einem fürsorglichen Erziehungsmodell zentrale Aspekt der Empathie zum Ausdruck. Die Begrifflichkeit verlegt den Fokus weg vom institutionellen Griechenland auf seine Einwohner und ermöglicht damit einen anderen Fokus in der Debatte, etwa die Beleuchtung sozialer Aspekte, die in der autoritären Perspektivierung und der damit einhergehenden Dominanz der Metonymie Griechenland unterbleibt.599 Die ausführliche Darstellung vor allem der Perspektivierung der Debatte als ,autoritäre Erziehungsaufgabe‘ rechtfertigt sich in der vorliegenden Untersuchung nur dann, wenn sie auch Antwort zu geben vermag auf die Frage, inwiefern dabei die Semantik von ‚Sicherheit‘ eine Rolle spielt. Im Hinblick auf diskursive Gesamtzusammenhänge lässt sich konstatieren, dass die autoritäre Konzeption eine zentrale Antwort gibt auf das ‚Wie‘ der Wiederherstellung von Sicherheit. Wie bereits dargelegt wurde, wird im vorliegenden Diskurs der Begriff Stabilität als Synonym für Sicherheit und als ultimative Zielvokabel geführt. In einigen Beispielen der vorangegangenen Ausführungen wurde explizit der Zusammenhang zur Wiederherstellung von Stabilität als Ziel der ‚autoritären Erziehungsmaßnahme‘ Sparen hergestellt. Folgende Aussage von Angela Merkel sei stellvertretend hier zur Veranschaulichung angeführt: || 598 Lakoff und Wehling 2016, S. 39. Vgl. ausführlich ebd., S. 46 ff. 599 In der vorliegenden Untersuchung ist freilich meist aus Vereinfachungsgründen von Griechenland die Rede.

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Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Europäische Währungsunion langfristig auf ein stabiles Fundament gestellt wird. Dazu gehört eine (...) straffere Anwendung von Sanktionen gegen Euro-Mitgliedstaaten, die ihrer Verpflichtung (...) nicht nachkommen. Dazu gehört eine Diskussion um verstärkte und (...) wirksame Sanktionen bei Verstoß gegen den Stabilitätspakt. (Merkel v.5.5.10)

Wenn – wie weiter oben gezeigt wurde – die Krise als existenzielle Bedrohung für Europa konstituiert ist, die als „durch Griechenland ausgelöst[]“ (ebd.) gilt, dann geht mit dem autoritären Sprachgebrauch und seiner auf Moralvorstellungen fußenden Semantik eine moralische Brandmarkung Griechenlands einher, das für die existenzielle Krise verantwortlich gemacht wird. Durch sein moralisches Fehlverhalten ist eine existenzielle Unsicherheitssituation entstanden. ,Nur durch hartes Vorgehen‘, so die dominierende autoritäre Denkfigur, ,kann Griechenland zum einen bestraft und zum anderen die Situation unter Kontrolle gebracht, also Sicherheit wiederhergestellt und die Existenz Europas gerettet werden.‘ Die öffentliche Vermittlung der politischen Vorgehensweise als autoritäre Erziehungsmaßnahme kann nur dann erfolgreich sein, wenn sie eine mehrheitliche gesellschaftliche Zustimmung erfährt. So ist davon auszugehen, dass es zunächst ein gängiges gesellschaftliches Muster ist, in einer Krise Schuldige zu benennen. Überdies muss jedoch auch die Vorstellung, einer als negativ empfundenen Situation mit autoritärer Haltung am besten beikommen zu können, im gesellschaftlichen Wissen eine herausragende Rolle spielen. Hier lässt sich spekulieren, dass die jahrhundertelange Dominanz autoritärer Erziehung und autoritärer staatlicher Organisation ein solches Denkmuster geprägt haben mag. Davon dürften auch in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gängige konservative Weltbilder und das Politikverständnis der konservativen Parteien maßgeblich beeinflusst worden sein. Ebenso könnte der Einfluss autoritärer Semantiken links-dogmatischer Positionen der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte als mentalitätsprägender Faktor hier mitzubedenken sein. Ein autoritäres Weltbild jedenfalls hat nicht zuletzt auch Auswirkung auf das Denken und die (politischen) Einstellungen von Wählern und Journalisten, ohne dass es ihnen mehrheitlich bewusst sein dürfte. Auch wenn mittlerweile gleichberechtigtere Erziehungsstile und alternative politische Konzepte Eingang in den öffentlichen Diskurs gefunden haben, dürften die Moralvorstellungen des autoritären Denkmodells immer noch eine breite öffentliche Zustimmung finden. Dies gilt besonders für die untersuchte Debatte, in der als Erziehungsmaßnahme Sparen durchgesetzt wurde. Für die Bedeutung des Begriffs Sparen spielen sicherheitssemantische Aspekte eine wesentliche Rolle. Der Begriff Sparen und der Appell an die Notwendigkeit von Sparen dürften in nicht wenigen deutschen Diskursteilnehmern ein inneres Kopfnicken hervorru-

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fen. Dessen sind sich die politischen Akteure bewusst; Otto Fricke von der FDP spricht beispielsweise von „der Grundeinstellung, dass Sparen etwas Richtiges und Gutes ist“ (Fricke v. 21.5.10). ‚Sparen‘ ist in der deutschen Mentalität als ein wesentliches Konzept zur Herstellung von Sicherheit verankert. Dass der Gesellschaft ‚Sparen‘ als plausible Antwort auf eine existenzielle Krise erscheinen muss, um Sicherheit wiederzugewinnen, wird auch an der allgemein gängigen Bedeutung eines Begriffs wie Existenzangst im Deutschen deutlich. Dieser hat eine nahezu ausschließliche monetäre Konnotation. Er wird im Deutschen kaum im Zusammenhang mit Krankheit und Tod verwendet, sondern beschreibt eine gravierende finanzielle Unsicherheitssituation. Die Maßnahme zur Wiederherstellung finanzieller Sicherheit wird als Sparen bezeichnet. Sparen bedeutet also nicht nur das in der Debatte moralisch aufgeladene ‚Engerschnallen des Gürtels‘ als Bestrafung für ein Leben über den Verhältnissen. Die öffentliche Zustimmung dürfte sich in nicht unerheblichem Maß auch daraus ergeben, dass für eine Mehrheit der Deutschen Sparen ,Rettung vor Existenzsorgen‘ und damit ,Sicherheit‘ bedeutet und daher als angemessene Reaktion auf die Krise in Griechenland gebilligt wird. Die Schuldendebatte zeigt eindrucksvoll, wie der öffentliche Sprachgebrauch nicht nur Ausdruck einer hier größtenteils nicht bewusst wahrgenommenen Mentalität ist, sondern gleichzeitig durch die Aktualisierung dieses unbewussten Wissens historische Entscheidungen mitbestimmt. Noch weniger gesellschaftlich bewusst sein dürften die Strukturen religiöser Semantik, die gewissermaßen die unterste Bodenschicht dieser tiefensemantischen Archäologie bilden und von dort aus alle weiteren Bedeutungsprägungen der autoritären Denkfigur maßgeblich beeinflussen. Anzunehmen ist, dass der aus einem gleichsam jahrhundertelang dominierenden autoritären Religionsverständnis entsprungene Wirkungsmechanismus von Sünde, Bestrafung durch einen strengen Gott und Buße, wie er im Sprachgebrauch der Schuldendebatte ebenfalls nachweisbar ist, im historischen Zeitablauf auf autoritäre Erziehungsund letztlich auch Politikvorstellungen übertragen wurde. Gleichwohl darf diese Deutung nicht darüber hinweggehen, dass religiöse Semantik auch Entlastungsmodelle bereitstellt und damit anti-autoralisierend wirkt, weil die ,Bestrafer-Sünder‘-Polarität zugunsten eines stets aufs Neue möglichen ,Wiederangenommenseins‘ immer wieder aufgelöst wird. Im Rahmen der Schuldendebatte spielt des Weiteren die Thematisierung der Bonität griechischer Staatsanleihen eine große Rolle. In diesem Diskursbereich wird der Sicherheitsbegriff in spezifischer Hinsicht diskutiert. Den Hintergrund der Diskussion bildet eine Regelung der Europäischen Zentralbank (EZB), wonach Staatsanleihen von mindestens einer der drei Ratingagenturen Fitch, Standard & Poor’s und Moody’s mit einer A-Note bewertet sein müssen, um von

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Banken im Rahmen von Refinanzierungsgeschäften bei der EZB als Sicherheit hinterlegt werden zu können. Diese Regelung wird im Zuge der Finanzkrise 2008 vorübergehend dergestalt geändert, dass auch eine Note von BBB- als ausreichend gilt. Die zunächst bis Ende des Jahres 2010 gültige Norm wird im Verlauf der neuerlichen Krise erst über das Jahr 2010 hinaus verlängert, bevor sich die EZB Anfang Mai 2010 dazu entschließt, Staatsanleihen unabhängig von ihrer Rating-Note als Sicherheit für Refinanzierungsgeschäfte von Banken anzunehmen. Diese Schritte werden neben der Rolle der Ratingagenturen vor allem im medialen Diskurs kontrovers diskutiert. Der sich dabei offenbarende Sicherheitsbegriff weist eine spezifische Semantik auf. Sicherheit hat hier die Eigenschaft eines zähl- und bewertbaren Konkretums. Institutionen wie Ratingagenturen und EZB haben in diesem Kontext die Herrschaft über die Definition von Sicherheit. Letztlich erweist sich Sicherheit hier als beliebig flexibler und an sich verändernde ökonomische Gegebenheiten anpassbarer Begriff; insbesondere das Argument ‚Krise‘ taugt als Vehikel für Definitionsänderungen durch die normsetzenden Instanzen. Im Hintergrund steht auch in diesem Zusammenhang als letztinstanzliche Argumentationsmacht der Begriff Stabilität. Zu der beschriebenen Bedeutungskonstitution führen diverse Phänomene im Sprachgebrauch. Dass Sicherheit als zählbares Konkretum begriffen wird, zeigt die Verwendung des Begriffs im Plural. So ist ganz grundsätzlich von „Sicherheiten, die bei Bankfinanzierungsgeschäften gefordert werden“ (FAZ v. 11.3.10a), oder auch von der „Menge an möglichen Sicherheiten“ (FAZ v. 26.3.10a) die Rede. Die konkrete Festlegung, welche Wertpapiere unter die Sicherheitenkategorie fallen, erfolgt durch institutionelle Hand; so lassen sich entsprechend zahlreiche Begrifflichkeiten aus dem Wortfeld ‚Regelung‘ finden, die mit dem Begriff Sicherheit verknüpft werden. Es gibt „Regeln für die Sicherheiten“ (z. B. FAZ v. 11.3.10a) bzw. „Sicherheitenregeln“ (FAZ v. 26.3.10a), „Sicherheitsvorgaben“ (FAZ v. 11.3.10c) und „Grundsätze (...) bei den Regeln für die Sicherheiten“ (FAZ v. 26.3.10b). In den Begriffen zeigt sich einmal mehr ein rationales Problemlösungsverständnis. ,Mit Regelungen und Vorgaben‘, so das sich darin ausdrückende Denken, ,können Finanzierungsgeschäfte beherrscht und Sicherheit hergestellt werden.‘ Um Beherrschbarkeit zu erzielen, werden entsprechend auch „Anforderungen an die Sicherheiten“ (FAZ v. 26.3.10a) gestellt. Um die Erfüllung dieser zu prüfen, bedient man sich der Bewertung durch Ratingagenturen. Im Sprachgebrauch zeigen sich diesbezüglich Begrifflichkeiten, die nicht selten an den Kontext ‚Schule‘ erinnern, der ganz wesentlich mit einer Bewertungssemantik behaftet ist. Es geht etwa um „Bestnoten“ (ebd.) und darum, dass „Staatsanleihen (...) mindestens von einer Agentur mit ‚A-‘ bewertet werden“ (FAZ v. 11.3.10a) müssen, sollte die erwähnte Ausnahmeregelung

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der Finanzkrise wegfallen. Ohne diese brauchen Staatsanleihen „mindestens von einer Ratingagentur die Note ‚A-‘ (...), damit Banken die Wertpapiere bei den Finanzierungsgeschäften der Zentralbank als Sicherheit einreichen dürfen“ (FAZ v. 26.3.10a). Letzen Endes geht es dabei um die Feststellung der „Qualität der Sicherheiten“ (FAZ v. 11.3.10a). Brisanz im Diskurs entsteht zum einen dadurch, dass sich vor dem Hintergrund der Schuldenkrise eine veränderte Bonitätseinschätzung griechischer Staatsanleihen abzeichnet, zum anderen durch die zunächst erfolgende Prolongation der Ausnahmeregel aus der Finanzkrise und der darauffolgenden schließlichen Aussetzung von Bewertungsmaßstäben für Staatsanleihen durch die EZB. So konstatiert die FAZ ganz im Denkmuster der düsteren Zukunft: „Griechenland (...) droht eine Herabstufung“ (ebd.). Nachdem bereits zwei von drei Noten unterhalb der geforderten Norm liegen, ist „Griechenland das einzige der finanzschwachen Euro-Länder, bei dem die Akzeptanz als Sicherheit nur von einem Rating abhängt“ (FAZ v. 26.3.10a). Die in diesem Zusammenhang seriell im Diskurs zu beobachtende metonymische Verkürzung von griechischen Staatsanleihen zu Griechenland hat hier besonders drastische Auswirkungen. Ein nicht volkswirtschaftlich kundiger Diskursteilnehmer muss den Eindruck gewinnen, dass es nicht um die Sicherheit einzelner Wertpapiere, also um finanziell konnotierte Sicherheit geht, sondern dass die Sicherheit eines ganzen Staates, also politische Sicherheit zur Disposition steht. Damit zeigt sich einmal mehr die im Diskurs vollzogene semantische Verschränkung von ‚finanzieller‘ und ‚politischer Sicherheit‘. Diese wird von bestimmten Diskursteilnehmern mit Eigeninteressen geschickt genutzt, um die Bewertungsrolle der Ratingagenturen mit drastischer Diktion in Frage zu stellen. So wird etwa der Präsident der österreichischen Nationalbank Ewald Nowotny in der FAZ mit folgenden Worten zitiert: „Das Schicksal Griechenlands, und wenn man es etwas dramatischer sehen will, das Schicksal Europas, hängt an der Urteilskraft einer einzigen Ratingagentur“ (FAZ v. 4.3.10). Auf SZ.de wird gefragt: „Kann es sein, dass eine Ratingagentur über das Schicksal eines Landes entscheidet?“ (SZ.de v. 3.3.10) und die Antwort gleich mitgeliefert: „Nein, sagt die EZB“ (ebd.). Nowotny sowie auch Akteure der EZB versuchen, mit diesen Strategien von metonymischer Verkürzung und Existenzialisierung den Vorschlag einer staatlichen Ratingagentur durchzusetzen. Wenn Nowotny weiter ausführt: „Eine Zentralbank kann die wirtschaftlichen Entwicklungen in einem Land besser beurteilen als drei Menschen in irgendeinem Büro in New York“ (FAZ v. 4.3.10), wertet er mit einem lapidaren Sprachduktus nicht nur die Ratingagenturen ab; der Sprachgebrauch impliziert auch, dass staatliche Institutiuonen besser einzuschätzen vermögen, was sicher ist, als dies privatwirtschaftliche Einrichtungen können. Die FAZ fin-

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det den Vorschlag einer staatlichen Ratingagentur „absurd“ (FAZ v. 11.3.10b) und wertet ihn mit der Bezeichnung „politisiertes Rating“ (ebd.) ab. Man befürchtet einen „Bärendienst für die viel geforderte budgetäre Transparenz“ (ebd.). Dass Sicherheit hier als etwas begriffen wird, das durch institutionelle Eingriffe beliebig verändert werden kann, zeigt der weitere Sprachgebrauch. Bundesbankpräsident Axel Weber etwa meint: „Man könnte höhere Abschläge verlangen und zugleich niedrigere Ratings akzeptieren“ (FAZ v. 11.3.10a). Dahinter steht die Vorstellung einer ‚Ausgleichsmöglichkeit‘. Wenn die eine „Sicherheitsanforderung“ (FAZ v. 11.3.10c) in Form einer Mindestnote nicht mehr gegeben ist, dann kann dies durch einen „Bewertungsabschlag“ (FAZ v. 11.3.10a) ausgeglichen werden, und die entsprechenden Staatsanleihen würden dann weiterhin „als Sicherheit akzeptiert“ (FAZ v. 11.3.10c). Der Ausdruck als Sicherheit akzeptieren, der in diesem Kontext meist verwendet wird, impliziert ohnehin, dass Sicherheit hier nichts ,Feststehendes‘ ist, sondern eine ‚institutionelle Konvention‘. Die FAZ spricht sich mit einer stabilitätstopischen Argumentation für eine Abschlagsregelung aus; so „könnte (...) der Stabilitätspakt zum Maßstab werden. Wer ihn bricht, dessen Anleihen werden nur noch mit einem Abschlag als Sicherheit akzeptiert“ (ebd.). Wenn also „Anleihen ohne ARating (...) mit einem abgestuften Sicherheitsabschlag akzeptiert würden“ (FAZ v. 26.3.10a), dann zeigt der Ausdruck Sicherheitsabschlag als metaphorische Konzeption, dass vom Konkretum Sicherheit etwas ,weggenommen‘ werden kann und trotzdem eine ‚Restgröße‘ verbleibt, die ebenfalls noch als Sicherheit bezeichnet werden kann. Die Abhängigkeit von institutioneller Definition kommt auch zum Ausdruck, wenn gesagt wird, „dass (...) Anleihen nach bisherigen Regeln nicht mehr als Sicherheit taugen“ (FAZ v. 9.4.10b). Die Definitionshoheit besitzt die EZB; Ende März 2010 verlängert sie die in der Finanzkrise eingesetzte „Ausnahmeregel“ (FAZ v. 26.3.10a) und „reduziert die Anforderung an Sicherheiten“ (ebd.). Die FAZ unterstellt der EZB die krisentopische Rechtfertigung dieses Schritts: „Angesichts der griechischen Schuldenkrise werden solche Grundsätze verhandelbar“ (FAZ v. 26.3.10b). Das konservative Blatt kritisiert die EZB, indem es durch seinen Sprachgebrauch noch einmal die ,beliebige Verschiebbarkeit‘ der Sicherheitsdefinition andeutet; so bezeichnet man die Verlängerung der Ausnahmeregelung als „kreativen Umgang mit Regeln“ (ebd.). Letztlich erfolgt auch hier mit einem letztinstanzlichen Verweis auf Stabilität die Ablehnung der EZB-Maßnahme. In der folgenden Aussage kommt die dem Stabilitätsbegriff inhärente Sicherheitssemantik deutlich zum Ausdruck: „Regeln, die nur gelten, wenn es gerade passt, vermitteln keine Sicherheit und versprechen keine stabile Währung“ (ebd.). Damit offenbart die FAZ ein Verständnis von Sicherheit, das die Bedeutung ‚Variabiliät‘ ausschließt. Es verweist

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vielmehr auf eine zentrale Bedeutungskomponente von Stabilität, nämlich das ‚Fest-Stehen‘, und gerade dieses wird hier abgesprochen. Besonders heftig kritisiert wird die Tatsache, dass der EZB-Präsident Jean-Claude Trichet noch im Januar 2010 gesagt hatte: „Wir werden unsere Regeln für Sicherheiten nicht zum Wohl irgendeines bestimmten Landes ändern“ (zit. nach FAZ v. 26.3.10a). Die FAZ reagiert darauf mit der Abwandlung eines Aphorismus, der bei Versprechungen gängig ist, um die Politik der EZB als „Kehrtwende“ (ebd.) zu enttarnen: „Es gilt das gebrochene Wort“ (FAZ v. 30.3.10). Die Entgegnung Trichets, der anmerkt, dass die Ausnahmeregel nicht nur für Griechenland, sondern für alle Mitgliedsländer des Euro gelte, wertet die FAZ als „Ausrede“ (FAZ v. 9.4.10b) und „billige Wortklauberei“ (ebd.) ab. Wenn in der SZ schließlich davon die Rede ist, dass Banken vor der Finanzkrise „nur erstklassige Papiere bei der Notenbank hinterlegen“ (SZ v. 4.5.10a) durften, nun aber „zweitklassige Staatspapiere“ (ebd.) akzeptiert werden, kommt darin endgültig der Variabilitätscharakter von Sicherheit im hiesigen Kontext zum Ausdruck. Durch den Sprachgebrauch entsteht der Eindruck, dass es verschiedene ,Sicherheitsklassen‘ gibt, also ‚schlechtere‘ und ‚bessere Sicherheit‘, jedoch – ähnlich zum weiter oben ausgeführten Beispiel Sicherheitsabschlag – am Ende immer ,ein Stück‘ Sicherheit verbleibt. Begriffe wie Staatsanleihe bzw. Staatspapier bergen daher einen geradezu unauslöschlichen sicherheitssemantischen Gehalt; die Bedeutung ‚absoluter Sicherheit‘ in Form garantierter Rückzahlung generiert sich aus dem Determinans Staat. Die Sicherheit anderer als griechischer Staatsanleihen wird mitunter im medialen Diskurs explizit thematisiert. Sicherheit lässt sich in diesem Kontext durchaus als Reflexvokabel auf den Begriff Krise deuten, etwa wenn „Staatsanleihen (...) als Beleg auch einer Flucht in die Sicherheit“ (FAZ v. 17.2.10) bezeichnet werden oder wenn im Krisenkontext gesagt wird: „Die Anleger gehen in unsicheren Zeiten gern in sichere Anlagen“ (SZ v. 10.5.10). Ähnlich heißt es: „Anleger (...) suchen derzeit die Sicherheit von Anleihen – vor allem von Bundesanleihen“ (FAS v. 30.5.10). Der Begriff Sicherheit vermag im Angesicht der Krise seine Hochwertigkeit und seinen Sehnsuchtscharakter noch zu steigern. Dies wird im Sprachgebrauch deutlich, etwa wenn deutsche Staatsanleihen als „extrem attraktiv“ (FAS v. 21.2.10) bezeichnet werden und „für die Anleger derzeit der rettende Hafen“ (SZ.de v. 27.4.10) bzw. „der relativ sicherste Hafen im Falle eines globalen Bonitäts-Tsunamis“ (SZ v. 21.1.10) sind. Eine solchermaßen ‚aufgewertete‘ Sicherheit steigt auch im Preis: „Die Kurse der deutschen Anleihen zogen (...) enorm an“ (SZ.de v. 27.4.10), und „die Bundesanleihen bieten mehr Sicherheit als die Schulden vieler anderer Länder, allerdings zum Preis einer mageren Rendite“ (SZ v. 15.2.10). So wird die erhöhte Sicherheit

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mit einer monetären Wertigkeit versehen: „Auf Nummer Sicher gehen ist also derzeit teuer“ (FAS v. 30.5.10). Dass der Staat hier als Fluchtpunkt ökonomischer Sicherheit konstituiert wird, offenbart sich einmal mehr durch metonymische Verkürzung. So fragt die FAS: „Wo sind die sicheren Staaten?“ (ebd.) und geht in der Folge wiederum auf Bundesanleihen und „ähnlich sichere Papiere“ (ebd.) aus Frankreich, Finnland und den Niederlanden ein. Einmal mehr wird also auch hier die im Diskurs in verschiedenen Facetten beobachtbare semantische Überblendung ‚politischer‘ und ‚finanzieller Sicherheit‘ deutlich. Der Staat gilt in der Krise als finaler finanzieller Sicherheitsgarant; im hier untersuchten Diskurs wird dieser Platz vor allem Deutschland zugewiesen. Als schließlich Ende April 2010 alle drei Ratingagenturen eine schlechtere Bonitätsnote für Griechenland verkünden, entschließt sich die EZB dazu, Staatsanleihen unabhängig von ihrem Rating als Sicherheit anzunehmen. Als Begründung wird das griechische Sparprogramm genannt. Die Medien sprechen daraufhin von einer „beispiellose[n] Ausnahmeregelung“ (FAZ.net v. 3.5.10) bzw. von einer in der „Geschichte [der EZB; A. S.] einmaligen Ausnahmeregelung“ (SZ v. 4.5.10b) sowie von einem „ungewöhnlichen Schritt“ (SZ v. 4.5.10a), um ihre Ablehnung zum Ausdruck zu bringen. Abwertend ist auch diese metaphorisch gefasste Aussage in der FAZ: „Die Europäische Zentralbank (...) weicht ihre Beleihungsregeln (...) auf“ (FAZ v. 4.5.10). Wenn im Artikel in der Folge auf die neue Regelung eingegangen wird und man „griechische Staatsanleihen künftig als Sicherheit bei der Zentralbank einreichen [darf; A. S.], egal, wie weit das Bonitätsrating noch fallen sollte“ (ebd.), dann erzeugt eben diese Kontextualisierung von aufweichen und Sicherheit den Eindruck ‚aufgeweichter Sicherheit‘. Im Diskurs werden griechische Anleihen seriell auch mit dem Stigma „Ramsch“ (z. B. SZ.de v. 3.5.10) belegt. Die FAZ titelt Anfang Mai: „EZB akzeptiert griechische Ramschanleihen als Sicherheit“ (FAZ v. 4.5.10) und bringt alleine mit dem Gelegenheitskompositum Ramschanleihe ihre kritische Haltung zum Ausdruck. Auch die Ausdrücke „Ramschniveau“ (FAZ v. 29.4.10c) und „Ramschstatus“ (ebd.) erwecken aufgrund der im Kontext stets explizit thematisierten Sicherheit endgültig den Eindruck ‚minderwertiger Sicherheit‘. Dies wird durch eine wesentliche Eigenschaft des Begriffs Ramsch selbst noch befördert; er ist in herkömmlicher Verwendung nicht dem Register der Schriftsprache zuzuordnen, sondern wird normalerweise eher im Mündlichen und dort sehr umgangssprachlich verwendet; diese Tatsache vermag den Aspekt der ‚Minderwertigkeit‘ der Referenz noch zu unterstreichen. Die hier als ,im Schwinden‘ konstituierte Sicherheit staatlicher Anleihen rüttelt am kollektiven Gedächtnis, wo deren Attribuierung als ‚absolut‘ ins Wanken gerät. Der Kriseneindruck wird dadurch erheblich verschärft.

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Ein weiterer seriell im Diskurs um Griechenland und den Euro auftretender Ursachentopos kann als Spekulantentopos gefasst werden: ,Weil Spekulanten (nicht) verantwortlich für die Krise sind, müssen bestimmte Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen werden.‘ Innerhalb dieses Argumentationsmusters werden sowohl Krisenursachen als auch deren potenzielle Lösung diskutiert. Die beteiligten Diskursgruppen machen sich auch in diesem Argumentationsschema nicht zuletzt die Mobilisierungs- und Überzeugungskraft der Leitvokabel Stabilität und ihres Synonyms Sicherheit zunutze. Es fällt auf, dass diejenigen Diskursteilnehmer, die Währungsgeschäfte als Ursache der Krise befürworten, durch ihren Sprachgebrauch bestimmte Ausdrücke und metaphorische Konzeptualisierungen so machtvoll etablieren, dass Vertreter gegnerischer Positionen gezwungen sind, mit ihren Gegenargumentationen darauf Bezug zu nehmen. Auch wenn die Vertreter der Krisenursache ‚Spekulanten‘ bzw. ‚Spekulationen‘ ihre vorgeschlagenen Lösungen am Ende nicht vollumfänglich durchsetzen können, gelingt es ihnen zumindest, die genannte Ursache als diskursive ‚Realität‘ und den damit einhergehenden Sprachgebrauch zu etablieren. Die Perspektive, dass Spekulanten als Ursache der Griechenlandkrise zu sehen sind, ist bis heute eine im Diskurs gültige Interpretation. Davon zeugen zunächst die nicht erst diskursspezifisch negativ konnotierten Bezeichnungen Spekulation und Spekulanten, die von Beginn an im Diskurs gängig sind. Der Ausdruck „Spekulationen“ (z. B. FAS v. 16.5.10b) wird faktisch nie durch einen eher deskriptiven Begriff wie Währungsgeschäfte ersetzt. Zudem erfolgt keinerlei Explikation der damit bezeichneten Finanztransaktionen. Diese sind so vielfältig und komplex, dass sie dem gemeinen Diskursteilnehmer ohne weitreichende finanzökonomische Kenntnisse nicht vermittelbar sind. Einzig zum allgemeinen Wissen zählen dürfte die Tatsache, dass Währungskurse – genau wie Aktienkurse – ,steigen‘ oder ‚fallen‘ können,600 und diese Bewegungen Motiv der an sie geknüpften Geschäfte sind. Die Komplexität alternativer Begriffe mag mit dafür verantwortlich sein, dass sich die Bezeichnung Spekulationen durchsetzt; auch dies spielt freilich den Ursachebefürwortern in die Hände, die Nutznießer der bereits bestehenden negativen Konnotation sind. Auch „die Spekulanten“ (z. B. SZ v. 10.3.10) werden selten durch wertungsärmere Begriffe wie „Finanzmarktakteure“ (Ernst v. 19.5.10) ersetzt. Mitunter

|| 600 Hinter der Begrifflichkeit vom Steigen und Fallen der Kurse verbergen sich die konzeptuellen Metaphern ‚Weniger ist unten‘ und ‚Mehr ist oben‘ (vgl. z. B. Wengeler und Ziem 2010, S. 347 ff.).

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treten die Bezeichnungen „der Finanzmarkt“ (z. B. Binding v. 7.5.10) oder „die Finanzmärkte“ (z. B. Künast v. 7.5.10) auf; diese werden jedoch meist mit negativen Attributen belegt. Ohnehin spielen die beiden Begriffe in einem anderen, weiter unten noch darzulegenden Kontext eine größere Rolle als innerhalb des hier beschriebenen Argumentationsrahmens. Die Bezeichnung Spekulantentopos wird gewählt, weil der auf menschliche Beteiligte referierende Ausdruck Spekulanten das wesentlich auffälligere und diskursprägendere Phänomen ist als der bestimmte Sachvorgänge bezeichnende Begriff Spekulationen. Mit dem seriellen Gebrauch des personenbezogenen Begriffs Spekulanten gelingt eine unmittelbare Schuldzuschreibung im Diskurs; Personen sind als ‚Sündenböcke‘ besser fassbar und leichter zu stigmatisieren als die mit ihnen verbundenen Sachtransaktionen. Eine weitere Spezifikation dieser stets im Plural gefassten Personengruppe erfolgt nur im Rahmen der in diesem Diskursausschnitt dominierenden metaphorischen Konzeptualisierungen; dort werden sie zu ‚Angriffskriegern‘, zu ‚Glücksspielern‘ oder in ihrer Gesamtheit als Finanzmarkt zu einem ‚rasenden Tier‘ – allesamt semantische Konstruktionen, deren Funktion zunächst ebenfalls in der Benennung von Schuldigen im Diskurs liegt. Ansonsten verbleibt die genaue Identität der Spekulanten im Vagen. So ist es am Ende das Merkmal der Krisenverschuldung, das als dominierendes Persönlichkeitsspezifikum der Spekulanten den Diskurs um Griechenland und den Euro im Jahr 2010 prägt. Innerhalb des Spekulantentopos lassen sich drei wesentliche metaphorische Konzeptualisierungen ausmachen, mittels derer die Krisenursache Spekulanten vornehmlich konstituiert wird. Sie werden von vorwiegend dem linken Lager zuzurechnenden politischen und medialen Vertretern genutzt, um damit insbesondere die Krisenlösungsidee ‚Regulierung‘ durchzusetzen. Von konservativen und liberalen politischen Gruppen wird der Krisengrund ‚Spekulanten‘ nur eingeschränkt anerkannt – meist dann, wenn er für die Durchsetzung eigener Vorhaben doch geeignet erscheint oder der Eigeninszenierung als Krisenlösungsinstanz dienlich ist. Konservative Medien, wie die FAZ, lehnen die spekulantentopische Krisenargumentation zum Teil vehment ab und wenden dabei die negative Konnotation des Spekulantenbegriffs in deren Gegenteil bis hin zum Spekulanten als ‚Stabilitätsgaranten‘ der Eurozone. Das als krisenauslösend perspektivierte Handeln der Spekulanten wird erstens metaphorisch als ‚Krieg‘ konzeptualisiert. Dabei werden die Bestandteile des Herkunftsbereichs ‚Krieg‘ sehr detailliert auf den Diskurs übertragen. Die auf den Euro bezogenen Währungsgeschäfte werden als „Angriff auf den Euro“ (SZ v. 27.2.10) bezeichnet. Als ,Angreifer‘ werden „Spekulanten und Eurogegner“ (ebd.) ausgemacht; sie „haben sich auf die Gemeinschaftswährung einge-

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schossen“ (ebd.). Jochen Sanio, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, ist der Meinung: „Hier wird von Spekulanten ein Angriffskrieg gegen die Eurozone geführt“ (FAZ.net v. 5.5.10b). Auch nach der Verabschiedung von Krediten für Griechenland sind sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone bei einem Sondergipfel Anfang Mai „einig, dass der Euro durch eine ernste Attacke von Spekulanten bedroht wird“ (SZ.de v. 8.5.10). Daraufhin wird der ESM ins Leben gerufen. Die Währungsgeschäfte stellen die „Waffe“ (SZ v. 27.2.10) der ,Angreifer‘ dar; diese ist ausgerechnet „dieselbe Waffe, die im September 2008 Lehman niederstreckte. Doch dieses Mal ist das Opfer keine Bank, sondern ein ganzer Staat“ (ebd.), und so ist es zu einem frühen Zeitpunkt zunächst „Griechenlands Kampf mit den Spekulanten“ (SZ v. 10.3.10). Zu ,Kriegern‘, die zum Diskurszeitpunkt vermutlich die größten Ängste auslösen, werden die Spekulanten im Sprachgebrauch von Gesine Lötzsch (Die Linke). Sie äußert in polemischem Duktus vor dem Bundestag: „Die Spekulanten (...) sind Taliban in Nadelstreifen“ (Lötzsch v. 7.5.10). So wird es nur plausibel, wenn Renate Künast von den Grünen fordert: „Wir wollen den ‚Angriffskrieg‘ (...) der Finanzmärkte auf die EU abwehren“ (Künast v. 7.5.10), denn „vor diesen Taliban müssen die Menschen in unserem Land geschützt werden“ (Lötzsch v. 7.5.10). Nun „geht es darum, Europa gegen (...) Spekulationen zu verteidigen“ (Künast v. 7.5.10) und „gegen die unregulierten Finanzmärkte, gegen Spekulanten und High Frequently Trader zu verteidigen“ (Binding v. 7.5.10), also „denen das Handwerk zu legen, die sich Europa zur Beute machen wollen“ (Gabriel v. 7.5.10). Das ,Verteidigungsarsenal‘ muss in monetärer Hinsicht aufgerüstet werden, denn „[a]ngeschlagene Euro-Staaten (...) benötigen womöglich viel mehr Geld als gedacht, um dem Ansturm der Spekulanten standzuhalten“ (SZ v. 12.5.10). Diesen metaphorischen Sprachgebrauch thematisiert die SZ auch explizit: Das Vokabular ist martialisch geworden: Die EU-Minister sprechen von Spekulanten als ‚Wolfsrudeln‘, die ‚schwächere Länder zerreißen werden‘. Auch von Verteidigungsringen um den Euro ist die Rede. Doch gefochten wird nicht mit Waffen, sondern mit Geld. (SZ.de v. 10.5.10)

Die Metaphorisierung eines Vorgangs als ‚Krieg‘ schafft durch den damit verbundenen Appell an die wohl dramatischste denkbare Unsicherheitssituation einer Gesellschaft eine der stärksten Legitimationsfolien für politische Vorhaben überhaupt. Mit der Etablierung der Krise als ‚finanziell‘ attribuiertes ,Kriegsgeschehen‘ erfahren politische Forderungen eine gesteigerte Plausibilität, die ihnen unter Normalbedingungen kaum zuteil werden dürfte. So ist es nur verständlich, wenn von überwiegend eher links gerichteten Medien und

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Politikern diese sprachliche ‚Kriegsstrategie‘ genutzt wird, um damit vor allem die Idee der ‚Regulierung‘ als Befriedungsmaßnahme dringlich zu machen. So fordert Sigmar Gabriel eine „kraftvolle deutsche Initiative zur Regulierung der Finanzmärkte“ (Gabriel v. 7.5.10). Der Einwand, „dass eine allzu harte Regulierung der Finanzmärkte der gesamten Wirtschaft schaden würde“ (SZ v. 10.3.10), wird zurückgewiesen mit dem Hinweis, „welche gewaltigen Schäden drohen, wenn diese Regulierung unterbleibt und schon bald die nächste Krise hereinbricht“ (ebd.), wenn also – auf das metaphorische Bild übertragen – der ,Krieg‘ nicht durch staatlichen Eingriff beendet wird. In diesem Sinn appelliert auch Joachim Poß von der SPD, dass „jetzt schnelle und gute Fortschritte bei der Finanzmarktregulierung und im Kampf gegen die Devisenspekulation“ (Poß v. 7.5.10) nötig seien. Die Beendigung der ultimativen Unsicherheitssituation ,Krieg‘ durch staatliche Regelungen bedeutet letztlich die ,Wiederherstellung von gesellschaftlicher Sicherheit‘, wie die folgende Interpretation von Regulierung in der SZ offenbart. So „sind gesetzliche Vorschriften die Basis für einen geordneten Geschäftsverkehr. Sie sorgen für Sicherheit und Vertrauen“ (SZ v. 10.3.10). Im weiteren Verlauf stützt man sich auf eine einfache vergleichstopische Argumentation, um den Aspekt der Sicherheitsgewährleistung durch Regulierung weiter zu verdeutlichen: „Wer ein Haus baut, muss sich nach dem Baurecht richten; wer ein Chemiewerk betreibt, muss Vorsorge gegen mögliche Unglücke treffen; wer eine Gaststätte betreibt, muss Sicherheitsregeln einhalten“ (ebd.). ‚Regulierung‘ ist damit als finaler Schluss aus der Denkfigur ‚Krieg‘ nichts anderes als die Sicherheitsidee einer bestimmten politischen Richtung. Schließlich wäre man damit, so Joachim Poß (SPD), in „Europa (..) gerüstet [Herv.; A. S.], künftigen Herausforderungen und Belastungen durch Spekulanten (...) zu begegnen“ (Poß v. 7.5.10). Die spekulantentopische Argumentationsstruktur wird zweitens befeuert durch die metaphorisch konzeptualisierte Stigmatisierung von Finanzmarktakteuren als ‚Glücksspieler‘; auch hier bildet die Forderung nach Regulierung den Fluchtpunkt der Perspektivierung. Das Bild des ‚Glücksspiels‘ wird mit entsprechend sprachlich realisierten tokens auf die Spekulationsdebatte übertragen. So werden die im Fokus stehenden Handlungsträger zu „Derivate-Zocker[n]“ (SZ v. 10.3.10), die mit „Zockereien“ (Künast v. 7.5.10) und „mit ihren Finanzwetten ein Unternehmen, eine Bank oder ein ganzes Land in den Ruin treiben“ (SZ v. 10.3.10). Sie „wetten auf eine mögliche Pleite Griechenlands “ (SZ v. 27.2.10). Wenn Joachim Poß (SPD) schließlich von „wild spekulierenden Finanzakteuren“ (Poß v. 7.5.10) spricht, wird deutlich, dass die Metaphorik des glücksspielenden Finanzmarktakteurs vor allem ein Bild von ‚Ungebändigtheit‘ evoziert. Einem ungebändigten Umgang mit Geld haftet nach gesellschaftlicher

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Vorstellung nicht zuletzt eine erhebliche unmoralische Dimension an. Ihm muss, so der logische Schluss, mit Regeln bzw. Verboten Einhalt geboten werden. So erscheint es nur plausibel, wenn Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu bedenken gibt, dass „anonyme Hedgefonds (...) auch mit Staaten Monopoly spielen können, weil das Börsenkasino noch immer keine Regeln hat“ (Steinmeier v. 5.5.10). Ähnlich beklagt auch Fritz Kuhn von den Grünen mangelnde Regulierung, wenn er sagt: „Das Kasino ist weiter offen; es wird nach den alten Regeln der Finanzmärkte spekuliert und gehandelt“ (Kuhn v. 7.5.10). Wenn Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) schließlich definiert: „Jetzt geht es darum, Europa gegen Abzockerei (...) zu verteidigen. (...) Wir lassen es uns nicht kaputt zocken“ (Künast v. 7.5.10), dann verschränkt sie gar kriegsmetaphorischen Sprachgebrauch mit dem Bild des Glücksspiels. In der SZ wird die Forderung nach einer „Zulassungsbehörde für Finanzprodukte“ (SZ v. 10.3.10) erhoben, die gedeutet wird als „ein Schlag gegen jene Hasardeure, die in zynischer Weise auf den Niedergang von Unternehmen und Staaten setzen“ (ebd.). Schließlich – und in der Logik der Metaphorik erscheint dies vollkommen überzeugend – „spricht alles dafür, (...) den Zockern vorzuschreiben, was sie tun dürfen und was nicht“ (ebd.). Endgültige persuasive Schlagkraft gewinnt man auch hier mit dem Hinweis auf die Sicherheitsrelevanz des Vorgehens, sprachlich realisiert mit der Verwendung der Leitvokabel Stabilität. So äußern der Präsident Frankreichs Nicolas Sarkozy und der Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso in einer gemeinsamen Stellungnahme: „Den Spekulationen gegen Griechenland müsse Einhalt geboten werden, um die Stabilität des Euro-Raums zu sichern“ (FAZ v. 27.4.10b). Die dritte, innerhalb des Spekulantentopos wirksam werdende metaphorische Konzeptualisierung fügt sich hier nahtlos ein. Sie fasst die Gesamtheit der Finanzmarktakteure als ‚wildes Tier‘. Sie ist weniger präsent als die Kriegs- und die Glücksspielkonzeption, sondern wird beinahe beiläufig verwendet, etwa wenn Joachim Poß (SPD) Regulierung als „verbindliche Maßnahmen zur Bändigung der Finanzmärkte“ (Poß v. 7.5.10) deutet, oder sie ebenso Renate Künast (Die Grünen) als „Zähmung der Finanzmärkte“ (Künast v. 7.5.10) bezeichnet und schließlich fordert, „die Finanzmärkte an die Leine zu legen“ (ebd.). Die Anatomie der Argumentation bleibt gleich. Die auch hier geforderte Regulierung verspricht im Bild des Finanzmarkts als ‚wildem Tier‘ wiederum nichts anderes als Sicherheit vor eben demjenigen. Konservative politische Akteure stimmen der Krisenursache ‚Spekulanten‘ nur eingeschränkt zu, was sich in einem moderateren Sprachgebrauch niederschlägt. Nichtsdestotrotz erweist sich am Ende auch das regierende konservative Lager als Verfechter der Regulierungsidee. Bundeskanzlerin Angela Merkel

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wählt jedoch eine konkurrierende Bezeichnung, sie spricht davon, dass „das Primat der Politk gegenüber den Finanzmärkten (...) wiederhergestellt werden“ (Merkel v. 5.5.10) muss. Das Diktum wird im politischen Diskurs umfassend rezipiert; die Vertreter der unterschiedlichen politischen Richtungen versuchen, die Deutungshoheit darüber zu gewinnen, indem sie es mit parteispezifisch kontextualisierten Inhalten zu belegen suchen. Wenn auch von der Regierungspartei mit dem Ausdruck „Primat der Politik gegenüber den Finanzmärkten“ (ebd.) eine alternative Neubezeichnung für Regulierung im Diskurs etabliert wird, so weist der restliche Sprachgebrauch der konservativen Akteure in hohem Maße reaktiven Charakter auf. Die Aussagen werden meist als Reaktion auf den Versuch der oppositionellen Kräfte, Spekulanten als Krisenursache zu etablieren, formuliert. Damit einher geht der Versuch, die Ursache zwar als gültig zuzulassen, sie gleichzeitig jedoch in ihrer Bedeutung auf die Plätze zu verweisen. Deutlich wird dies etwa in der oben bereits angeführten Rede von Angela Merkel. Sie führt aus: So richtig es ist, alles dafür zu tun, dass hemmungslosen Spekulationen an den Märkten Einhalt geboten wird und Ratingagenturen klaren Regeln unterworfen werden, so unabweisbar ist es, der ganzen Wahrheit ins Auge zu sehen. Ursache oder Auslöser für die Lage in Griechenland und die Folgen für den ganzen Euro-Raum waren nicht allein hemmungslose Spekulationen an den Märkten. (ebd.)

Auch Michael Stübgen (CDU/CSU) wendet sich an die Opposition und weist deren Perspektive auf die Krisenursache ‚Spekulanten‘ als zu eingeschränkt zurück: Aber mit Ihren Behauptungen, dass an der Griechenlandkrise und der Krise der Euro-Zone ausschließlich Spekulanten und Finanzmärkte schuld sind, springen Sie viel zu kurz. Es reicht nicht aus, mit langem Finger auf die Finanzmärkte zu zeigen. Wir müssen uns mit den eigentlichen Ursachen der Krise der Euro-Zone beschäftigen. (Stübgen v. 7.5.10)

Die konservativen Akteure stimmen im weiteren Diskursverlauf der Regulierungsidee immer mehr zu. Gleichzeitig versuchen sie, sich durch ihren Sprachgebrauch die dafür geforderte Handlungskompetenz zuzuschreiben und sich als Problemlösungsinstanz zu inszenieren. Da auch dies unter dem Leitstern der Stabilität geschieht, geht es nicht zuletzt darum, sich das Etikett des ,finanzökonomischen Sicherheitsgewährleisters‘ anzuheften. So gesteht Merkel zunächst ein: Wir sehen (...), wie durch das Fehlen von Grenzen und Regeln ein durch bloßes Gewinnstreben geprägtes Verhalten auf den Finanzmärkten zerstörerisch sein kann, wie es zu ei-

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ner existenziellen Gefahr für die Finanzstabilität in Europa (...) werden kann. (Merkel v. 19.5.10)

Anschließend schreibt sie den machthabenden Instanzen Handlungskompetenz zu, wenn sie sagt: „Es ist deshalb die Aufgabe der Politik – der Parlamente und Regierungen – einzugreifen, zu regeln, im Zweifel zu verbieten, um die Risiken beherrschbar zu halten“ (ebd.). Sie fügt hinzu: „Es ist wahr: Wir haben bereits einiges erreicht“ (ebd.). Die Idee von ,Regulierung‘ versucht sie, durch eine Hochwertkontextualisierung in konservative Politikkonzeption einzupassen: „Das macht den Geist und das Wesen der sozialen Marktwirtschaft aus: In der sozialen Marktwirtschaft ist der Staat seit jeher der Hüter der Ordnung“ (ebd.). Den auffälligsten Sprachgebrauch der Regierungsfraktionen weist Hans-Peter Friedrich (CDU/CSU) auf. Während er dem geplanten ESM seine Zustimmung erteilt und damit zumindest subtil dem eigenen Lager Kompetenz zuschreibt, übernimmt er die Kriegsmetaphorik der Opposition in vollem Umfang und zementiert damit letztlich deren etablierte Diskursrealität. So haben die Finanzmärkte etwas gemacht, was aus ihrer Sicht logisch und konsequent war: Sie haben Europa insgesamt – den gesamten Verbund – angegriffen. (...) Die Antwort lautet: Wir stellen euch Spekulanten den kompletten Block der volkswirtschaftlichen Kraft Europas entgegen. Diese Antwort findet ihren Ausdruck im geplanten 750-MilliardenEuro-Schutzschirm. Es ist die richtige Antwort auf die Versuche der Spekulanten. (Friedrich v. 19.5.10)

Auch wenn die Vorstellungen der einzelnen Parteien über die Bedeutung des „Primat[s] der Politik gegenüber den Finanzmärkten“ (Merkel v. 5.5.10) auseinandergehen und hier ihres Umfangs wegen nicht weiter ausgeführt werden, so kristallisiert sich doch als gemeinsame Zielrichtung das ,Eingreifen des Staates‘ als dominierendes Krisenlösungsverständnis heraus. Nicht zuletzt lässt sich durch den stets hergestellten Zusammenhang zur Stabilität, die als Leitbild jeder politischen Idee angeheftet wird, von ‚Regulierung‘ als Sicherheitskonzeption sprechen, die wiederum über Parteigrenzen hinweg dominiert. Dafür sei abschließend eine Aussage von Norbert Barthle (CDU/CSU) angeführt, der ebenfalls die Metaphorik der Opposition übernimmt. Er bezeichnet das Tun der Finanzmarktakteure als „Bedrohung von außen (...). Deshalb gilt es die Reihen zu schließen und sich entschlossen gegen Spekulanten und Zockerwetten zur Wehr zu setzen, mit denen weltweit auf den Untergang des Euro gesetzt wird“ (Barthle v. 19.5.10). Er erkennt damit durch die Akzeptanz des gegnerischen Sprachgebrauchs deren damit verbundene Lösungsvorstellung ‚Regulierung‘ an. Wenn er von einer „Bedrohung von außen“ (ebd.) spricht, wird darüber hinaus deutlich, dass die kriegsmetaphorische Konzeptualisierung eine erhebli-

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che versicherheitlichende Wirkung entfaltet. Wenn eine Gesellschaft von außen bedroht wird, geht es um äußere Sicherheit, und für die Gewährleistung der äußeren Sicherheit ist nach allgemein akzeptierter Vorstellung der Staat zuständig. Der Übertragungsmechanismus der Metaphorik setzt die Sicherheitsgewährleistung mit Regulierung gleich und erbringt damit eine außerordentliche Plausibilisierungsleistung für dieses politische Konzept. Eine gänzlich konträre Position lässt sich nur in der FAZ nachzeichnen. Sie lehnt die Krisenursache ‚Spekulanten‘ ab und wartet mit einer gegensätzlichen Sicherheitsidee auf. Der FAZ „erscheint der Vorwurf, Spekulanten trieben (...) Staaten in die Zahlungsunfähigkeit, etwas überzogen“ (FAZ v. 17.3.10). Die Perspektive, „Spekulanten für den Anstieg der Risikoprämien für die Anleihen hochverschuldeter EU-Staaten verantwortlich zu machen“ (FAZ v. 11.3.10b), wird mit dem abwertenden Attribut „absurd“ (ebd.) zurückgewiesen. Die Meinungsgegner werden herabgesetzt, indem ihnen „ein fehlendes Verständnis für die Maastrichter Fiskalverfassung und die echten Zusammenhänge“ (ebd.) vorgeworfen wird. Auch wird der kriegsmetaphorische Sprachgebrauch explizit und umfassend thematisiert, um dann die ihm innewohnenden Ideen abzulehnen. So beginnt die FAS Mitte Mai einen Artikel mit den Worten: „Die Politik spricht von einem Krieg gegen den Euro und bläst zum Kampf gegen Spekulanten. Doch was genau meint sie damit?“ (FAS v. 16.5.10b). Daraufhin werden in einer langen Ausführung die einzelnen Merkmale der metaphorischen Konzeptualisierung, wie sie im Diskurs verbreitet sind, thematisiert, um dann mit folgender Feststellung aufzuwarten, die sich auf Hedgefonds-Kreise beruft: „Der Haken an dieser These ist: Viele Hedge-Fonds haben ihre Spekulationen schon lange zurückgefahren oder aufgegeben. Gerade in unruhigen Zeiten würden die Fonds nur mit kleinen Beträgen handeln, weil auch sie auf Sicherheit bedacht seien“ (ebd.). Schließlich wird in mehreren Artikeln mit Hilfe der bereits bekannten Denkfigur ,autoritäre Erziehung‘ eine Gegenmeinung konstruiert, die nicht nur den Versuch birgt, die als Spekulanten gescholtenen Finanzakteure und ihr Handeln mit einer positiven Konnotation auszustatten, sondern auch eine vollkommen konkurrierende Sicherheitsidee transportiert. Im März 2010 führt die FAZ dazu ausführlich aus: Alle Bemühungen, über den Stabilitätspakt zur Budgetdisziplin anzuhalten, sind seit dem Beitritt Griechenlands (...) wirkungslos verpufft. Kaum stellt sich aber der Disziplinierungsdruck der Märkte ein, nimmt die griechische Regierung ein wirklich ernsthaftes Konsolidierungsprogramm in Angriff, auf das man zuvor zehn Jahre vergeblich warten musste. Den angeblich so destruktiven Spekulanten ist somit ein Beitrag zur fiskalischen Stabilisierung der Euro-Zone gelungen, an dem Europas Politiker jahrelang gescheitert sind. Dies ist ein großer Erfolg. Anhänger eines stabilen Euro sollten den Spekulanten danken, anstatt sie zu verdammen. Aus diesen Gründen ist es kontraproduktiv, nun über

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Regulierung und Politisierung ein Ende dieses marktmäßigen Disziplinierungsmechanismus zu betreiben. (...) Pläne, die auf eine Schwächung der Marktdisziplinierung oder eine Politisierung der Bonitätsbewertung setzen, sollten (...) schleunigst ad acta gelegt werden. (FAZ v. 11.3.10b)

Wenige Tage später wird die Position durch ein Interview mit Asoka Wöhrmann, einem Mitglied der Geschäftsführung der DWS Investmentgesellschaft, weiter manifestiert. Dieser meint, es sei ein Glücksfall, dass Griechenland dem Euro angehört. Auf diese Weise können andere europäische Länder, indem sie den Druck des Finanzmarkts ausnutzen, Griechenland dazu zwingen, zu sparen und seinen Haushalt in Ordnung zu bringen. (...) Der Euro ist ein Instrument zur Disziplinierung der Euro-Staaten geworden. (FAZ v. 24.3.10)

Später im Diskurs erfolgt noch der Hinweis: „Leichtfertig ist auch das Schimpfen auf Spekulanten und Investoren. Ohne deren Geld gäbe es doch schon gar keine Rettung“ (FAS v. 16.5.10a). Der Idee der staatlichen Regulierung wird hier also die Vorstellung der Marktregulierung entgegengesetzt. Der Markt ist hier im Sinne der benutzten Denkfigur der ,autoritären Erziehung‘ der ,strenge Vater‘, der zur Disziplin zwingt. Griechenland, wie schon im weiter oben ausführlich dargestellten Zusammenhang, wieder das zur Räson zu bringende ,Kind‘. Wenn durch die ,Disziplinierungskräfte‘ des freien Marktes, so die Vorstellung, „ein Beitrag zur fiskalischen Stabilisierung der Euro-Zone gelungen“ (FAZ v. 11.3.10b) und die „Rettung“ (FAZ v. 24.3.10) aus der Krise damit verbunden ist, wie oben ausgesagt wurde, dann kommt mit diesem Sprachgebrauch der Gedanke zum Ausdruck, dass ,Sicherheit durch den Markt‘ gewährleistet wird. Sicherheit bedeutet in dieser Perspektivierung ,Sicherheit durch Marktmechanismen‘, die in der hier angebotenen Semantik als der staatlichen Sicherheitsgewährleistung durch Regulierung ,überlegen‘ konstituiert wird. Die sprachliche Realisation des Spekulantentopos offenbart am Ende also zwei konkurrierende Semantiken von Sicherheit, mit denen über den Diskurs hinaus eine grundsätzliche gesellschaftliche Auseinandersetzung um das ‚richtige‘ Wirtschaftssystem eines Staats verbunden ist. In einer weiteren im Diskurs existenten Perspektive präsentiert sich der Finanzmarkt als ‚Angstpatient‘, dessen ‚Beruhigung‘ sich die Politik zur Aufgabe setzt und deren ‚Therapieerfolge‘ in den Medien genauestens beobachtet werden. Diese metaphorische Konzeptualisierung mutet angesichts des im Diskurs wirkungsmächtig verbreiteten Spekulantenopos geradezu paradox an, denn die eben ‚Gescholtenen‘ werden hier zu ‚Umsorgten‘. Nicht immer wird dem Diskursteilnehmer allerdings klar, dass es die gerade noch in der Kritik stehenden Spekulanten sind, die hier ‚umsorgt‘ und ‚therapiert‘ werden, denn deren Identi-

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tät wird durch die in diesem Zusammenhang dominierenden Bezeichnungen Finanzmarkt bzw. Finanzmärkte oder noch knapper Markt bzw. Märkte trefflich verschleiert. Personifiziert werden sie dennoch und können so als ‚an Hysterie und Angst leidender Patient‘ gefasst werden, dessen ‚Krankheit‘ durch die Krise ausgelöst wird und der nun durch auf Griechenland bezogene politische Maßnahmen, die insbesondere die Zahlungsunfähigkeit des Landes zu verhindern suchen, ‚ruhig gestellt‘ werden soll. In diesem Kontext kommen zwei Semantiken von Sicherheit zum Tragen, die in ein bemerkenswertes Abhängigkeitsverhältnis gesetzt werden: So inszeniert sich die Politik durch ihr Eingreifen als ‚Therapeut‘ des Marktes, dem es um die ,Sicherheit des Patienten‘ Finanzmarkt geht. Politische Entscheidungen werden hier gefasst als ‚Sicherheitsleistung‘ für den Finanzmarkt. Dies führt in der Folge zu einer abermaligen semantischen Verschränkung von ‚finanzökonomischer‘ und ‚politischer Sicherheit‘. Es erfolgt die Begründung einer Abhängigkeit finanzökonomischer Sicherheit von der Sicherheitsleistung politischer Maßnahmen. Für die Sphäre der finanzökonomischen Sicherheit wird der dem Kapitalmarkt eigene Sicherheitsbegriff unhinterfragt verwendet. Kapitalmarkttheorien messen Finanzprodukte an den Maßstäben Rendite, Sicherheit und Risiko. Der Zusammenhang zwischen den Maßgrößen wird so beschrieben, dass eine Anlage mit geringerem Risiko mehr Sicherheit, jedoch weniger Rendite bedeutet und vice versa. Sicherheit bezieht sich hier auf den Erhalt des eingesetzten Kapitals. Für die Kreditperspektive bedeutet das, dass mit sinkendem Ausfallrisiko der Kreditzins fällt, d. h. für den Kreditgeber (Gläubiger) eine höhere Sicherheit besteht, dass der Kreditnehmer (Schuldner) seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann. Die im Diskurs sprachlich realisierten tokens der metaphorischen Konzeptualisierung des Markts als ‚Angstpatient‘, der einer ‚Therapie‘ durch die Politik bedarf, weisen allesamt eine sicherheitssemantische Rückkopplung auf, als deren zentrales Momentum sich der beschriebene Abhängigkeitsbezug zwischen ‚finanzökonomischer‘ und ‚politischer Sicherheit‘ erweist. Der personifizierte ‚Patient‘ Markt leidet unter einer ‚Angststörung‘; seine ‚Angst‘ bezieht sich darauf, dass Griechenland seine vom Markt gewährten Kredite nicht zurückzahlen kann: „Gerüchte über eine nötige Umschuldung hatten die Märkte (...) tief verunsichert“ (SZ v. 14.5.10). Bereits Ende März 2010 konstatiert die FAZ: „Viele Teile des Anleihemarkts sind angespannt“ (FAZ v. 29.3.10), und „Unsicherheit lastet auf dem Euro“ (FAZ v. 22.3.10). Es herrschen „Nervosität“ (FAS v. 16.5.10b) und „Unsicherheit an den Finanzmärkten“ (SZ v. 15.5.10a); auch „ist die Verunsicherung auf den Märkten groß“ (FAZ v. 25.5.10). So gibt es schließlich in der Sicherheitslogik des Kapitalmarkts eine „Angstprämie“ (SZ v. 14.5.10) in Form überdurchschnittlicher Kreditzinsen, die gegen-

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über Griechenland erhoben werden, weil die Sicherheit der Kreditbedienung in Frage gestellt wird. Mit einem „Notfallplan“ (z. B. FAZ v. 27.3.10b) begeben sich Politiker nun in die Rolle von Therapeuten. Die ,Wiederherstellung von Sicherheit‘, so vermittelt der Sprachgebrauch, ist ein ,mittelbarer Prozess‘: Politische Maßnahmen, die im metaphorischen Konzept auch als ‚Therapieansätze‘ gefasst werden, wie etwa Kreditvergaben, Sparprogramme und Reformen in Griechenland, Einsatz einer Schuldenkommission oder Lockerung der Sicherheitenregeln, sollen dem Kapitalmarkt politische Sicherheit vermitteln, die wiederum erhöhte Kapitalmarktsicherheit in Form niedrigerer Zinsen nach sich ziehen soll. Im metaphorischen Konzept bedeutet letzteres die ‚Gesundung‘ des ‚Angstpatienten‘. So berichtet etwa die SZ, dass der „griechische Ministerpräsident Giorgos Papandreou (...) hofft (...), dass die EU-Chefs (...) über einen Notfallplan entscheiden, der den Märkten Sicherheit signalisieren und damit die extrem hohen Zinsen, die die Griechen für Kredite zahlen, sinken lassen könnte“ (SZ v. 23.3.10). In der Folge ist die SZ dann auch der Meinung: „Die Sicherheit, dass die Europäer Griechenland nicht fallen lassen, wenn es hart auf hart kommt, könne zu einer Senkung des Zinssatzes führen“ (SZ v. 24.3.10). Bereits im Februar 2010 vertritt der Gastautor Dennis Snower, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, in der SZ die Ansicht, „die Existenz einer Schuldenkommission mit weitgehenden Befugnissen gäbe den Finanzmärkten die Sicherheit, dass das griechische Schuldenproblem unter Kontrolle gebracht wird“ (SZ v. 17.2.10). In der FAZ zitiert man einen Anleiheanalysten der Landesbank Baden-Württemberg: „Die Sicherheit der Marktteilnehmer, dass im Notfall der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Euro-Länder helfen, wird dazu führen, dass das Land genügend Kreditgeber finden wird“ (zit. nach FAZ v. 27.3.10b). Und auch auf FAZ.net wird verkündet: „Die Rückendeckung der Euroländer gibt den Investoren mehr Sicherheit“ (FAZ.net v. 12.4.10). Zusätzlich zum Begriff Sicherheit wird auch die Bezeichnung Vertrauen des Öfteren gebraucht. So spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel in einem Interview mit der FAZ von einer „Vertrauensbildung auf den Finanzmärkten“ (FAZ v. 25.2.10), die sie von einer Krisenlösung in Griechenland abhängig macht. „Nur so“ (Merkel v. 5.5.10), führt sie später vor dem Bundestag aus, „lässt sich das Vertrauen der Kapitalmärkte wiedergewinnen“ (ebd.). Auch die FAZ ist der Ansicht, dass mit den in Griechenland durchzuführenden „Reformen (...) das Vertrauen der Kapitalmärkte zurückgewonnen wird“ (FAZ.net v. 12.4.10). Der Begriff Vertrauen wird herkömmlicherweise in der Bedeutung von Sicherheit im Kontext einer zwischenmenschlichen Beziehung gebraucht und kann hier auch entsprechend der eingeführten Metaphorik gedeutet werden. Die Gesundung eines an Angst oder Hysterie leidenden Patienten hängt immer auch vom Vertrauen zwischen

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Therapeut und Patienten ab. Durch den Sprachgebrauch gelingt also die Inszenierung der politischen Akteure als ‚Therapeuten‘, die über wirksame ‚Therapiekonzepte‘ verfügen. Die Finanzmärkte werden zu ihren ‚Patienten‘. Einher geht damit aber auch eine explizite Benennung der Stoßrichtung der politischen Maßnahmen: Sie zielen auf die Sphäre des Marktes. Dies kommt auch zum Ausdruck, wenn Michael Meister von der CDU/CSU-Fraktion in der FAZ folgendermaßen zitiert wird: „Die Hilfsmaßnahmen (...) sollten so ausgestaltet sein, dass sie die Märkte überzeugen“ (FAZ v. 29.4.10c). Diese Perspektivierung wird von Regierungskritikern scharf angegriffen. Sie versuchen einen konträren Blickwinkel durch die Errichtung einer semantischen Opposition der Begriffe Markt und Bürger deutlich zu machen. So kritisiert etwa Gesine Lötzsch (Die Linke) den Sprachgebrauch der Regierung explizit und macht ihr bürgertopisch gefärbte Vorwürfe: Die Kanzlerin hat den Griechen diese Rosskur verordnet, damit die Märkte wieder Vertrauen gewinnen. Auch der Finanzminister sprach unentwegt davon, dass wir nicht das Vertrauen der Märkte verlieren dürfen. Die Bundesregierung ist bereit, für das Vertrauen der Märkte das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zu opfern. (Lötzsch v. 7.5.10)

Gleichlaufende Intentionen verfolgt auch Sigmar Gabriel (SPD), wenn er vor dem Bundestag sagt: „Es geht um nicht mehr und nicht weniger als (...) um die Orientierung der Märkte am Gemeinwohl, statt um die Unterwerfung des Gemeinwohls unter die Märkte“ (Gabriel v. 7.5.10). Immer wieder kommt es im betrachteten Diskurszeitraum schließlich zu vorübergehenden Senkungen der Zinssätze für griechische Anleihen, die sich im Sprachgebrauch im Sinne der Krankheitsmetaphorik in Begrifflichkeiten der ‚Gesundung eines ängstlichen bzw. hysterischen Patienten‘ niederschlagen, so etwa Beruhigung, Erleichterung oder Entspannung. Zunächst ist dies der Fall, als Griechenland noch lange vor der Kreditausstattung durch europäische Länder und den IWF versucht, durch eigene politische Maßnahmen die staatliche Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. So spricht die FAZ Anfang März von einer „leichten Beruhigung der Märkte infolge des angekündigten harschen Sparprogramms“ (FAZ.net v. 4.3.10) in Griechenland. Und Ende März titelt sie: „Einigung auf Notfallplan beruhigt die Märkte“ (FAZ v. 27.3.10b). Man berichtet: „Die Einigung der Euro-Länder auf einen Notfallplan für den Fall der Zahlungsunfähigkeit eines Euro-Landes hat auf den Finanzmärkten für Erleichterung gesorgt“ (ebd.) und weist auf gesunkene Risikoaufschläge für griechische Anleihen hin. Ein Analyst der Commerzbank wird zitiert, der es für ein weiteres „beruhigendes Zeichen für die Märkte“ (ebd.) hielte, wenn Griechenland umgehend zu den verbesserten Konditionen eine Anleihe begeben würde. Im April

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vermeldet die FAZ schließlich erneut ,Genesungserfolge‘, wenn es heißt: „Die Ankündigung der verlängerten Lockerung der Sicherheitenregeln hatte vor einigen Tagen zur Beruhigung der Anleihemärkte beigetragen“ (FAZ v. 9.4.10a). Einige Tage später ist zu lesen: „Das Finanzsystem gesundet langsam“ (FAZ v. 21.4.10), und auch Anfang Mai ist man derselben Ansicht: „An den Anleihemärkten entspannte sich die Lage“ (FAZ.net v. 3.5.10), nachdem die Bundesregierung das Gesetzesvorhaben zur Kreditvergabe an Griechenland auf den Weg gebracht hat. Doch schon kurz darauf muss wieder „Unsicherheit“ (FAZ.net v. 5.5.10b) des ‚Patienten‘ konstatiert werden. „Die Märkte seien nervös“ (ebd.), meint der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Thomas Meyer, weil das griechische Sparprogramm „so ambitioniert sei, dass ein Scheitern ‚nicht ganz ausgeschlossen‘ sei“ (ebd.). Es bleibt also die Frage nach dem ‚Behandlungserfolg‘ durch die Kreditvergaben an Griechenland, die auch durch die Verbindung mit der bekannten Stabilitätsbegrifflichkeit sicherheitssemantischen Charakter erhält. „Wird das Rettungspaket für Griechenland die Lage an den turbulenten Finanzmärkten stabilisieren können?“ (FAZ v. 7.5.10), fragt man sich in den Medien, und außerdem „sorgen sich die Investoren, ob die Stabilisierung wirklich gelingen kann“ (FAZ v. 25.5.10), denn diese sind „[a]uf der Suche nach dem sicheren Hafen“ (ebd.). Während des weiteren Diskursverlaufs wird nüchtern konstatiert: „Das europäische Rettungspaket hat das Vertrauen nur kurzzeitig stabilisiert“ (ebd.). Auch stellt man fest: „Das Rettungspaket hat die Finanzmärkte nicht überzeugt“ (FAZ.net v. 5.5.10a), denn es „bleibt die erhoffte Erholung (...) zunächst aus“ (ebd.). Es wird befürchtet, dass es „möglicherweise keine nachhaltige Beruhigung“ (FAZ v. 25.5.10) geben wird. Auf SZ.de wird die Erfolglosigkeit der monetären ‚Medikation‘ verdeutlicht: „Die Finanzmärkte beruhigten sich trotz der Milliardenspritze für Griechenland (...) nicht“ (SZ.de v. 8.5.10). Die FAZ übersetzt diese Krankheitsmetaphorik in finanzökonomische Begrifflichkeit: „Inzwischen sind die Risikoprämien für griechische Staatsanleihen (...) wieder gestiegen und haben ein Rekordhoch erreicht“ (FAZ v. 9.4.10a). Im Sicherheitsverständnis des Kapitalmarkts bedeutet das, dass die Sicherheit der Anleihenrückzahlung durch Griechenland auf ein Minimum gesunken ist. So ist man froh über die unkritische Berichterstattung amerikanischer Journalisten aus Griechenland, denn möglicherweise „wären bei einem kritischeren Bericht (...) auch die Märkte wieder durchgedreht“ (FAS v. 16.5.10a). Das politisch etablierte Sicherheitsverständnis, mit politischen Maßnahmen sinkende Risikoaufschläge, also mehr Kapitalmarktsicherheit erzielen zu können, wurde bereits im März 2010 von der FAS als Scheinsicherheit entlarvt. Im Bild des ‚Angstpatienten‘ Markt überträgt man dafür aus dem Herkunftsbereich der Metaphorik die Tücken einer immer höheren ‚Medikation‘ mit

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Beruhigungsmitteln. Zunächst erinnert die FAS dafür an eine Aussage des EUWährungskommissars Joaquín Almunia aus dem Jahr 2009, der im Hinblick auf damals ebenfalls gestiegene Risikoprämien am Anleihemarkt – auch Spreads genannt – behauptete: „Wenn eine solche Krise in einem Euro-Staat auftritt, gibt es dafür eine Lösung, bevor dieses Land beim Internationalen Währungsfonds um Hilfe bitten muss“ (FAS v. 7.3.10). Die FAS thematisiert diesen Sprachgebrauch explizit und urteilt kritisch: Wie diese Lösung aussehen solle, ließ er jedoch im Dunkeln. Diese Äußerung war durchaus gezielt. Den Gläubigern wurde Sicherheit suggeriert. Sie konnten sich jetzt sagen: Im Ernstfall wird es doch eine Auslösung durch die EU geben. Interessanterweise begannen kurz darauf die Spreads zu sinken. Doch diese Beruhigungstherapie wirkte (...) nur einige Monate. Gegen Ende des vergangenen und Anfang des neuen Jahres zogen die Spreads wieder an. Eine neue Beruhigungsdosis war angesagt. (ebd.)

Eine abschließende ‚Heilung‘ des ‚Angstpatienten‘ Finanzmarkt durch die ‚Sicherheitsmaßnahmen‘ der Politik kann auch Ende Mai 2010 nicht verkündet werden: „Inzwischen hat sich die Lage wieder beruhigt, aber die Panik kann jeder Zeit zurückkehren“ (SZ v. 27.5.10). Bekanntlich hat sich die Auseinandersetzung um Griechenland und den Euro in den Folgejahren weiter fortgesetzt und beinahe jährlich neue Brisanzphasen erlebt. Auch wenn die Konzeptualisierung des Finanzmarkts als ‚Angstpatient‘, um den sich die Politik ‚sorgen‘ muss, zunächst völlig konträr zum vorher beschriebenen Bild des ,Spekulanten‘ erscheint, so ergeben sich in der Betrachtung der jeweils angekoppelten Sicherheitssemantik doch nahezu identische Ergebnisse: Die politischen Akteure entwerfen die Idee politischer Sicherheitsgewährleistung, im Zuge derer man alles unter Kontrolle zu bringen vorgibt, sei es durch Regulierung oder wie hier durch vorwiegend monetäre Maßnahmen. Dahinter verbirgt sich die Vorstellung umfassender politischer Machbarkeit, die nicht zuletzt an die bereits vorgestellten Politiker als „Erlösungspropheten“601 erinnert.

7.4 Resümee Am Beginn der Untersuchung des Diskurses um Griechenland und den Euro im Jahr 2010 stand die Frage, inwiefern dieser überhaupt als Sicherheitsdiskurs interpretierbar ist, denn erste, noch unsystematische Wahrnehmungen im Sprachgebrauch, der Verlauf der Korpuserstellung und die Sichtung von An-

|| 601 Welbers 2013, S. 62.

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haltspunkten in der diskurslinguistischen Forschung drängten eine ausschließliche Krisenperspektive geradezu auf. Dass die Krisenkonzeption ein dominantes Momentum im Diskurs bildet, bleibt durch die Untersuchung unwiderlegt. Die grundlegende Bestimmung der Diskursanatomie durch das Konzept ‚Krise‘ wird schon daran deutlich, dass die Präsentation der Untersuchungsergebnisse im Wesentlichen entlang der krisenkonstituierenden Topoi verläuft. Die ergiebigen Resultate damit einhergehender sprachlicher Phänomene sind daher keine Überraschung. Der Ausschnitt ‚Sicherheit ist verloren gegangen‘ aus der allgemein unterstellten Denkfigur ,Sicherheit ist verloren gegangen. Sie muss mit bestimmten Mitteln wiederhergestellt werden‘ kondensiert sich im Begriff Krise. Die weiterführende Untersuchung macht jedoch deutlich, dass die Interpretation der Debatte als Krisendiskurs zu kurz gefasst ist. Die Etablierung von ‚Krise‘ als gesellschaftliche Realität ist aus politischer Perspektive nur dann sinnvoll, wenn sie die Folie zu bieten vermag für Überzeugung, Legitimation und Durchsetzung von Perspektiven und Maßnahmen. Entsprechend braucht ‚Krise‘ ein wirksames Pendant, in dessen Semantik sich das Versprechen der Krisenlösung kondensiert. Der machthabenden Gruppe gelingt mit der Durchsetzung ihres Sprachgebrauchs die Weiterdeutung des Diskurses zum Stabilitätsdiskurs und dadurch eine erhebliche Ausweitung des Mobilisierungs- und Legitimationspotenzials ihrer vorgetragenen Argumente. Der Begriff Stabilität verspricht das Anhalten und die Stagnation der Krisenerschütterung, ein ‚Feststehen‘ im Sinne von Verlässlichkeit der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die mit dem Begriff etablierte Semantik ist eine Semantik der ‚Sicherheit‘. Dies lässt sich in zahlreichen Phänomenen des Sprachgebrauchs im Diskurs nachweisen, wenngleich die sicherheitssemantischen Strukturen gewissermaßen tiefer liegen als die Krisensemantik, die schon an der sprachlichen Oberfläche deutlich hervortritt, etwa in der Erscheinungshäufigkeit des Begriffs Krise und entsprechender Komposita. Die freigeschürften Ergebnisse zur Sicherheitssemantik erlauben einen Tiefblick in die Mentalität und das Denken der Gesellschaft, die dieser selbst weitgehend unbewusst bleiben. So mag es auch der Öffentlichkeit gemeinhin entgangen sein, dass es der Politik gelungen ist, mit sprachlichen Strategien der Versicherheitlichung die Wirkungsmacht politischer Vorhaben entscheidend zu befördern und die Semantik von ‚Sicherheit‘ so zur heimlichen bedeutungsgenerierenden Macht im Diskurs gerät. Insofern kann man im Mindesten von einem Krisen- und Sicherheitsdiskurs sprechen. Von grundlegender Bedeutung für den Diskursverlauf sind die aufgezeigten Weiterdeutungsprozesse der politischen Akteure, die vor allem auf eine Ausweitung und Existenzialisierung der Krise zielen. Damit lassen sich eine unmittel-

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bare Betroffenheit der deutschen Gesellschaft von einer außer Landes liegenden Situation und in der Folge dringender politischer Handlungszwang erzeugen. Der Ausschluss politischer Reaktion ist damit tabuisiert und wird fortan im Diskurs in keiner Weise thematisiert. Die von den Machtinstanzen insbesondere mit Hilfe der Zielvokabel Stabilität, definitorischer Diktion und der drastischen Ausmalung von Gefahren in Gegenwart und Zukunft konstituierte Krisenwirklichkeit wird trotz mitunter kontroverser Perspektiven auf die zu ergreifenden Maßnahmen in Politik und Medien allgemein übernommen. Dies zeigt sich zum Beispiel am einheitlichen Sprachgebrauch im Rahmen des Stabilitätstopos. Mit der semantischen Ausweitung der ‚Krise‘ von Griechenland über die gemeinsame Währung hin zur Existenzfrage für den gesamten Kontinent geht auch eine Steigerung der Sicherheitsrelevanz behandelter Themen einher. Unterschiedliche sprachliche Strategien der Existenzialisierung zeichnen wesentlich für die Entfaltung der Sicherheitssemantik im Diskurs verantwortlich. Dabei erweist sich die Verflechtung ,politischer‘ und ‚finanzieller Sicherheit‘, die in ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis gesetzt werden, als ein Kernelement der diskursspezifischen Bedeutung von Sicherheit. Durch die Aktivierung historischer Ängste, durch bürgerbezogene Argumentationsmuster und durch die Konstitution eines drohenden Wohlstandsverlusts wird Sicherheit zunächst zur konkreten ,monetären Sicherheit‘ des Einzelnen in der Krise, als deren Gewährleister sich die machthabende Politik inszeniert. Intention ist die Verabschiedung der Kreditvergabe an Griechenland, deren Milliardenbetrag ohne die Herstellung gesellschaftlicher Betroffenheit in Deutschland kaum durchsetzbar erscheint. Diskursive Schützenhilfe leistet hier das gesellschaftliche Wissen der vorangegangenen Finanzkrise, das einen Appell an die ,Sicherheit‘ der individuellen Ersparnisse der Bürger ermöglicht und das politische Handeln als ‚alternativlos‘ plausibilisiert. Mit den Gefahrenargumentationen der wirtschaftlichen Bedeutung des Euro und der Betroffenheit ganz Europas wird die zunächst auf die finanzielle Sphäre bezogene Sicherheitsidee Stabilität schließlich mit ‚politischer Sicherheit‘ gleichgesetzt. ,Sicherheit der Währung‘, so legt es der Sprachgebrauch nahe, bedeutet ‚politische Sicherheit‘ im Sinne des Fortbestands des institutionellen Europas, das mit seiner gewohnheitsmäßigen Semantik von ‚Frieden‘ und ‚Wohlstand‘ allgemein gültige gesellschaftliche Bedeutungen von Sicherheit aufruft. Die Herstellung eines als bedrohlich konstituierten europäischen ‚Krisenzusammen-Hangs‘ erfolgt mittels metaphorischer Konzeptualisierungen, die dessen Gleichsetzung mit existenziellen menschlichen Notsituationen wie Krankheit und Feuer erreichen. Damit erreicht Sicherheit im Diskurs den Status einer anthropologischen Grundbedingung und bietet eine ideale Bühne für die

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Selbstinszenierung der politischen Akteure als ‚Retter in der Not‘ im Gewand von Ärzten und Feuerwehrleuten; Stabilität im Sinne der ‚Widerstandsfähigkeit‘ gegen Krankheit und Feuer wird zum ultimativ dringenden gesellschaftlichen Ziel. Doch die Inszenierung vermag noch weiter zu reichen. Die Folie der ,existenziellen Unsicherheit‘ erweist sich als so fundamental, dass es nicht beim Versprechen der ‚Genesung‘ von der ‚Krankheit‘ Krise oder dem ‚Löschen‘ deren ‚Brandes‘ bleibt; im Begriff Rettung vielmehr scheint geradezu folgerichtig und der Krisenwirklichkeit einzig angemessen das politische Handlungsversprechen zu kulminieren. Die politischen Entscheider werden zu Rettern und ,Erlösungspropheten‘, Sicherheit zum höchstmöglichen irdischen Erlösungsversprechen, und dies mit aller Problematik, die die hier zum Tragen kommende religiöse Semantik mit sich bringt. Dass irgendwann „die Retter selbst finanziell am Abgrund stehen“ (FAZ v. 15.5.10), ist da nur eine der irdischen Bedingtheiten, die sie nicht überwinden können. Auch in der Beantwortung des ‚Wie‘ der Rettung lagern tiefensemantisch religiöse Bedeutungsmuster, während die sprachliche Oberfläche eine autoritäre Erziehungsmaßnahme zur Aufführung bringt. Im Diskurs nimmt sie einen breiten Raum ein, weil sie die Zuschreibung von Schuld in der Krise ermöglicht und sich die breite öffentliche Zustimmung zu den mit ihr verbundenen Moralvorstellungen auf die damit verknüpften politischen Maßnahmen übertragen lässt. Wenn sich im Kern der als ‚autoritär‘ enttarnten politischen Maßnahme die ‚Strafe‘ Sparen als gesellschaftlich erstrangige Vorstellung zur Herstellung von finanzieller Sicherheit erweist, dann lässt sich letztlich auch von einem autoritären Sicherheitskonzept sprechen, das im Diskurs etabliert wird. Die Betrachtung des diskursiven Gesamtzusammenhangs, der eine als ‚existenziell‘ perspektivierte Krise mit Rettung in Form finanzieller Maßnahmen zur ‚Wiederherstellung von Sicherheit‘ koppelt, legt außerdem den Schluss nahe, dass ,monetäre Sicherheit‘ in der westlichen Welt sowohl auf individueller als auch auf staatlicher Ebene existenziellen Charakter besitzt. Diese existenzielle Konnotation des Sicherheitsbegriffs findet ihren Höhepunkt nicht zuletzt in der Metaphorisierung der Krise als ‚Krieg‘, dessen Semantik eine ,Bedrohung der Gesellschaft von außen‘ impliziert und damit die diskursspezifische Bedeutung von Sicherheit in die Nähe der ,äußeren Sicherheit‘ rückt. Die Gleichsetzung mit ,äußerer Sicherheit‘ wiederum, die von allen gesellschaftlichen und politischen Teilgruppen als originäre Staatsaufgabe akzeptiert ist, verleiht politischen Vorhaben die Gestalt unabdingbarer ,Sicherheitsmaßnahmen‘ und damit größtmögliche Plausibilität. Von daher erscheint es wenig verwunderlich, dass Regulierung als politische Sicherheitsidee zur Abwehr eines ‚Spekulantenkriegs‘, die noch dazu die Verbannung unmoralischen Verhaltens – hier als ,Glücksspiel

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zockender Spekulanten‘ eingängig metaphorisiert – und die Zähmung des ,wilden Tiers‘ Finanzmarkt verspricht, die Konkurrenz mit einem unterrepräsentierten marktorientierten Sicherheitsbegriff, dem stets das stigmatisierende Etikett der ,Neoliberalität‘ anheftbar ist, locker gewinnt. Hier wie auch in der Behandlung des ‚Angstpatienten‘ Markt verspricht die Politik, durch eigene Sicherheitsmaßnahmen finanzielle bzw. finanzökonomische Sicherheit zu befördern imstande zu sein. Dies ist eine gänzliche Wendung des ausschließlich auf Griechenland fokussierten Blatts; stand dort noch ,politische Sicherheit‘ in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ,finanzieller Sicherheit‘ und der ,Fortbestand ganz Europas‘ beruhte auf der Zahlungsfähigkeit Griechenlands, hat sich die Politik in ihrer Eigensicht durch die komplexen diskursiven Deutungsvorgänge wieder an die erste Stelle der Hierarchie befördert und meint, durch politische Sicherheitsleistungen ,finanzökonomische Sicherheit‘ wesentlich mitbestimmen zu können. Die Vorstellung allumfassender politischer Beherrschbarkeit und Machbarkeit war bereits ein Ergebnis der diskurslinguistischen Untersuchung des Diskurses um die Ereignisse des 11. September 2001 in New York und muss hier als solches ebenfalls konstatiert werden. Welbers hat diesen Aspekt mit der Bezeichnung politischer Akteure als „Erlösungspropheten“602 treffend umschrieben und problematisiert. Die explizite Verwendung des Begriffs Sicherheit im Diskurs birgt zunächst eine sehr diskursspezifische Semantik. Sicherheit ist hier ein Konkretum, ein nach bestimmten Maßstäben bewertetes Wertpapier, und unterliegt der Definition normsetzender Instanzen, die sich diese Macht zu eigen machen. Doch darüber hinaus offenbart sich in diesem Zusammenhang besonders deutlich die mehrmals im Diskurs genutzte Potenz der metonymischen Verkürzung, die die Thematisierung finanzieller Aspekte staatlichen Handelns zur ,Sicherheit von Staaten‘ komprimiert und damit ein wesentliches Element der für den Diskurs zentralen semantischen Überblendung von ,politischer‘ und ,finanzieller Sicherheit‘ bildet. Und schließlich zeigt sich ein Ergebnis, das wohl das intuitiv naheliegendste ist und vermutlich das erste gewesen wäre, hätte der sicherheitssemantische Aspekt des Diskurses aufgrund mangelnder Evidenz nicht auf Umwegen über den Begriff der Stabilität und die Aushebung tief liegender Bedeutungsschemata herausgearbeitet werden müssen: Sicherheit ist eine Reflexvokabel auf den Begriff Krise. Ihre Hochwertigkeit und ihr Sehnsuchtscharakter kommen im Angesicht der Krise erst vollends zur Geltung.

|| 602 Ebd.

8 „[D]ie Zwangslage und die ganze Hilflosigkeit, mit der unsere Weltgesellschaft im Spannungsfeld zwischen Sicherheitsbedürfnis, totaler Vernetzung und Freiheitsrecht steht“ – Der Diskurs um die NSA-Affäre 2013 in Deutschland 8.1 Vorbemerkungen und Themen Ab Juni 2013 gelangen durch den gemeinhin als Whistleblower bezeichneten Mitarbeiter der National Security Agency (NSA) Edward Snowden innerhalb mehrerer Monate immer neue Informationen zu internationalen Aktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes an die Öffentlichkeit. Snowden berichtet insbesondere von einer umfangreichen Nutzung virtueller Kanäle und Techniken in einer Vielzahl von Ländern, darunter auch Deutschland. Diese Darstellungen lösen in der deutschen Öffentlichkeit nicht nur eine ausgedehnte Debatte um das außenpolitische Verhältnis zu den USA aus. Im Zuge der Bewertung des Geschehens und der Diskussion um potenzielle Maßnahmen wird der Begriff Sicherheit Gegenstand einer intensiven Kontroverse, in deren Folge es zu wesentlichen Bedeutungsverschiebungen kommt. Die erste Brisanzphase dieses häufig als NSA-Affäre bezeichneten Diskurses, der sich in unterschiedlicher Kontur bis in die Gegenwart fortsetzt, erstreckt sich in Deutschland von Juli 2013 bis zum Ende desselben Jahres. Die Hochphase beginnt mit dem kontrovers diskutierten Diktum vom „Supergrundrecht Sicherheit“ (z. B. SZ v. 22.7.13a) des damaligen Innenministers Hans-Peter Friedrich (CDU/CSU) im Juli 2013. Im Oktober 2013 gewinnt der Diskurs in der deutschen Öffentlichkeit noch einmal an Aufmerksamkeit, als bekannt wird, dass sich die Aktivitäten der NSA auch auf das Mobiltelefon von Bundeskanzlerin Angela Merkel erstreckten. Während die Politik zunächst um außenpolitische Klärung mit den USA bemüht ist, entspinnt sich in den Medien eine lebhafte Auseinandersetzung um die Deutung und Konsequenzen aus der Affäre. So

|| Anmerkung: „[D]ie Zwangslage und die ganze Hilflosigkeit, mit der unsere Weltgesellschaft im Spannungsfeld zwischen Sicherheitsbedürfnis, totaler Vernetzung und Freiheitsrecht steht“, untersucht Oliver Georgi auf FAZ.net v. 31.10.13.

https://doi.org/10.1515/9783110605358-009

280 | Diskurs um die NSA-Affäre

finden sich sehr viele ausführliche Stellungnahmen in der Presse, in denen auch zahlreiche Gastautoren, insbesondere aus den Bereichen Politik, Recht, Technik und Wirtschaft, zu Wort kommen.603 Diese ‚Expertenwahl‘ liefert schon einen ersten Hinweis auf grundlegende Einordnungen und Deutungen des Geschehens. Durch die Affäre ausgelöste parlamentarische Prozesse hängen zeitlich nach. Im Jahr 2013 erfolgt im Bundestag lediglich eine Aussprache im November zu den Ereignissen. Erst im darauffolgenden Jahr wird ein NSA-Untersuchungsausschuss eingerichtet. Ende 2014 beschließt die Regierung schließlich ein IT-Sicherheitsgesetz, das im Juni 2015 verabschiedet wird. Im Herbst 2016 erfolgt ein Gesetzesbeschluss zur Reform des Bundesnachrichtendienstes (BND). Von Interesse für die folgende diskurslinguistische Analyse ist die oben genannte Brisanzphase des Diskurses von Juli bis Dezember 2013. Die Artikel des Teilkorpus Medien wurden abermals über die mit Lizenz zugänglichen Datenbanken von FAZ und SZ ermittelt. Die Suche wurde mit der Eingabe ‚Sicherheit UND NSA‘ für den Zeitraum vom 1. Juli bis einschließlich dem 31. Dezember 2013 durchgeführt. Es ergab sich für die FAZ eine Treffermenge von 330 und für die SZ von 338 Texten. Nach mehreren iterativen Lesevorgängen konnten in das Untersuchungskorpus etwa 120 Medientexte aufgenommen werden, die bemerkenswerten Sprachgebrauch aufweisen. Bestandteil des Korpus ist auch ist ein Artikel der Webseite der WELT, der die Aussage Friedrichs zum Supergrundrecht Sicherheit im Gegensatz zu Artikeln in FAZ und SZ genauer wiedergibt. Es fällt auf, dass eine Vielzahl der Artikel auf den Onlineplattformen FAZ.net und SZ.de publiziert wurde, was nicht nur auf eine wachsende Bedeutung dieses Informationskanals schließen lässt, sondern als Spezifikum des hier behandelten Diskurses insofern gelten kann, als dass sich ein wesentlicher Teil der Debatte um die Virtualität des Geschehens dreht und das Phänomen somit im Sinne Platons als Kritik des Mediums im Medium gedeutet werden kann.604 In den Betrachtungszeitraum fällt lediglich eine Sitzung des Bundestags am 18. November 2013, die sich mit der NSA-Affäre beschäftigt. Daraus wurden 12 Reden für das Teilkorpus Politik entnommen, die für die Analyse interessierenden Sprachgebrauch aufweisen.

|| 603 Vgl. dafür das Verzeichnis der medialen Quellentexte zum Diskurs im Literaturverzeichnis. 604 Angesprochen ist damit Platons Schriftkritik, der das Medium Schrift schriftlich kritisiert. Vgl. Platon: Phaidros. Übersetzt und kommentiert von Ernst Heitsch. 2. Auflage. Göttingen 1997. Vgl. weiterführend z. B. Wieland, Wolfgang: Platon und die Formen des Wissens. 2. Auflage. Göttingen 1999, insbes. S. 13 ff.

Sicherheit in neuer Kontroverse | 281

8.2 „Der Gebrauch des elektronischen Ohrs, dessen Wert nach dem 11. September von New York enorm zugenommen hat, ist eine Gefahr geworden, weil das Gleichgewicht zwischen Sicherheit, öffentlicher und privater Freiheit und dem Recht auf Information noch nicht gefunden wurde.“ – Sicherheit in neuer Kontroverse Neben und mit einem klassischen Skandaldiskurs in seinen Funktionen der Unterhaltung und Überraschung,605 die im Wesentlichen durch den Enthüllungscharakter der Berichterstattung und die Aufmerksamkeit um die Person Edward Snowden gegeben sind, wird im Rahmen der NSA-Affäre ein facettenreicher Sicherheitsdiskurs geführt. Wie für den bereits untersuchten Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 lässt sich behaupten, dass Sicherheit auch im Diskurs um die NSAAffäre die dominante Leitvokabel darstellt. Viele sprachliche Phänomene ähneln denen des ersten in dieser Arbeit analysierten Diskurses. Dies legt schon ein Blick auf die Überschriften der Artikel des Teilkorpus zur NSA-Affäre nahe. Die Titel „Freiheit und Sicherheit“ (FAZ.net v. 18.7.13), „Gesucht: die Balance aus Freiheit und Sicherheit“ (SZ.de v. 19.7.13) oder „Sicherheit sticht Freiheit“ (FAZ v. 22.8.13) weisen auffällige Verwandtschaft zu den Schlagzeilen der Artikel aus dem Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 auf. Auch doppeldeutige Wortspiele wie „Mit Sicherheit am richtigen Ort“ (SZ v. 12.10.13) oder „Mit Sicherheit Geld verdienen“ (FAZ.net v. 24.10.13c) erscheinen bekannt. Abermals werden ausführliche Klärungen der Relation von Sicherheit und Freiheit unternommen. Auch begegnen bereits bekannte Begriffe wie „Sicherheitsbehörden“ (z. B. FAZ.net v. 13.7.13a), „Sicherheitslösungen“ (z. B. FAZ v. 1.11.13b) oder „Sicherheitsstrategien“ (z. B. SZ v. 2.11.13) in unveränderter Konnotation wieder, so dass man auf eine bloße Wiederholung des semantischen

|| 605 Vgl. ausführlich zu Medienskandalen und ihren Charakteristika, auch aus diskurstheoretischer Perspektive, Burkhardt, Steffen: Medienskandale. Zur moralischen Sprengkraft öffentlicher Diskurse. 2. Auflage. Köln 2015. || Anmerkung: „Der Gebrauch des elektronischen Ohrs, dessen Wert nach dem 11. September von New York enorm zugenommen hat, ist eine Gefahr geworden, weil das Gleichgewicht zwischen Sicherheit, öffentlicher und privater Freiheit und dem Recht auf Information noch nicht gefunden wurde“, zitiert die FAZ aus der italienischen Tageszeitung La Repubblica (FAZ v. 23.10.13).

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Diskursgehalts der Auseinandersetzung um den 11. September 2001 im Rahmen der Debatte um die NSA-Affäre schließen könnte. Doch tritt in der Betrachtung der semantischen Konsequenzen einzelner sprachlicher Strategien ein erheblicher Unterschied zum Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 zutage, der wesensprägend für die diskursive Auseinandersetzung um die Aktivitäten der NSA in der deutschen Öffentlichkeit ist: Während für den 9/11-Diskurs noch eine Dominanz von Sicherheit in der verallgemeinerten Bedeutung ‚Sicherheit durch den Staat‘ – im dortigen Kontext insbesondere als ‚Sicherheit vor Terror‘ – ausgemacht werden kann, so dass sich in der Folge die konkurrierenden Parteien in einem Inszenierungswettlauf dieses Etikett anzueignen suchen, ist diese Bedeutung von Sicherheit im hier betrachteten Diskurs heftig umstritten und tritt in eine wesentlich ausgeprägtere Bedeutungskonkurrenz mit der allgemein als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ zu fassenden Konnotation des Begriffs. Dieser semantische Kampf ist zugleich Mittel und Ausfluss der Bewertung der bekannt werdenden Aktivitäten der NSA und daraus abgeleiteter Handlungsvorschläge, auf die sich die öffentliche Debatte und damit die folgende Untersuchung konzentriert.606 Bemerkenswert sind in dieser Kontroverse vor allem zwei Aspekte, die nachhaltigen Einfluss auf die Semantik von Sicherheit ausüben. Zum einen ist eine Verfestigung der New Yorker Ereignisse vom 11. September 2001 zu einem eigenen Topos im Diskurs deutlich nachzeichenbar. Nachweisbar wird so nicht nur die in der Einleitung als Beobachtung und Vermutung formulierte Bedeutung des 11. September 2001 als Referenzdiskurs für eine Vielzahl aktueller Diskurse an einem konkreten Beispiel; darüber hinaus ergeben sich genau jene zentralen Rückschlussmöglichkeiten auf Veränderungen und Kontinuitäten gesellschaftlicher Mentalitäten, wie sie Hauptanliegen der Diskurslinguistik im Allgemeinen und der vorliegenden Arbeit sind. Zum anderen erlangt neben dem Differenztopos 11. September 2001, dessen semantischer Gehalt des ‚Seitdem ist alles anders‘ zum Diskurszeitpunkt bereits Selbstverständlichkeitscharakter gewonnen hat, ein neues sprachliches Phänomen, das hier als Virtualitätsdifferenz bezeichnet werden soll, semantische Potenz über den Begriff der Sicherheit. Der Differenztopos der Virtualität etabliert folgende zentrale Argumentation im Diskurs: ‚Weil der virtuelle Raum und die darin stattfindenden Aktivitäten (der NSA) neu und anders (als in der analogen Welt) sind, sind bestimmte Maßnahmen zu ergreifen bzw. zu unterlassen.‘ Mit diesem Denkschema erfolgt die Konstruktion einer Zäsur, die die Virtualität des || 606 Ebenfalls im Diskurs umfangreich thematisierte Aspekte der Person Edward Snowden sollen dagegen im Folgenden außen vor bleiben.

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Internets zum Anlass für die Neubewertung politischer Phänomene nimmt. Über einzelne Kontexte hinweg realisiert sich der Topos zunächst in Begrifflichkeiten des bedeutsamen Wandels bis hin zum Ausdruck Revolution, der die stärkst mögliche gesellschaftliche Form von Zäsur anzeigt, und in Ausdrücken, die einen neuen Zeitanbruch beschreiben. Stets erfolgt dabei der Bezug auf den Aspekt der Virtualität bzw. Digitalität. So wird ganz grundsätzlich vom „Internetzeitalter“ (z. B. FAS v. 27.10.13) und vom „neuartige[n] Problem des Internetzeitalters“ (SZ.de v. 19.7.13) gesprochen. Auch vom „‚epochalen Wandel‘ der digitalen Revolution“ (SZ v. 4.10.13) ist die Rede, es „vollzieht sich draußen in der Welt ein epochaler Wandel“ (FAS v. 27.10.13). Als Auslöser wird explizit die NSA-Affäre genannt: „Der Abhörskandal wird zu einer Verschiebung der Kommunikation in unserer digitalisierten Welt führen“ (ebd.). Wenn „fundamentale Auswirkungen der digitalen Revolution“ (FAZ.net v. 24.9.13) erwartet werden, so befördert die Attribuierung als fundamental die Bedeutsamkeit der Zäsur ähnlich wie der Hinweis auf die „Bedeutung der digitalen Welt“ (FAZ.net v. 13.7.13a). Dieser semantische Mechanismus erzwingt geradezu die Etikettierung der Situation als Herausforderung, der ganz im Sinne des als Differenztopos angelegten Argumentationsschemas noch das Attribut neu bzw. mit Bezug zur als ‚grenzenlos‘ konstituierten virtuellen Welt die Eigenschaft global zugewiesen wird. Entsprechend formuliert der innenpolitische Sprecher der CDU/CSUFraktion Hans-Peter Uhl in einem Interview mit der FAZ: „Im Cyberzeitalter stehen wir (...) vor neuen Herausforderungen“ (FAZ v. 1.11.13b). Der Direktor des Amerikanischen Instituts für Studien zur deutschen Gegenwart Jackson Janes stellt in der SZ ähnliche Faktizitäten her, wenn er sagt: „Es geht um die globale Herausforderung des digitalen Zeitalters“ (SZ v. 12.11.13). Stets mitgedacht werden muss bei der sprachlichen Konstitution der Besonderheit der virtuellen Sphäre, dass ihr eine nicht explizit thematisierte, dennoch strikte Grenzziehung zur nicht virtuellen Welt inhärent ist. Dieser mitkonstituierte Aspekt der unbedingten Unterscheidung bildet die Folie für Neudeutungen politischer Aufgaben sowie für die Erhebung bestimmter Forderungen, wie später im Rahmen der Behandlung weiterer einzelner sprachlicher Phänomene und Themen im Diskurs gezeigt wird. Die Bedeutung des Topos für den Diskurs ergibt sich nämlich nicht zuletzt aus dessen Durchdringung nahezu aller Teilthemen und ihrer sprachlichen Phänomene. Der Begriff Sicherheit spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn mit dem Topos der Virtualitätsdifferenz werden in erheblichem Maße Sicherheitsaspekte aufgerufen. Darauf weisen zunächst themenübergreifend Gelegenheitskomposita hin, die seriell im Diskurs auftreten und aufgrund ihrer Aktualität von den Diskursteilnehmern der NSA-Affäre zugeordnet werden können. Die Wortneubildungen mit Determinanten aus dem Wortfeld der virtuellen

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Welt lassen dabei bereits Bedeutungsaktualisierungen des Begriffs Sicherheit vermuten. Die Ausdrücke „Internetsicherheit“ (SZ v. 20.11.13), „Computersicherheit“ (FAZ.net v. 5.9.13) und „IT-Sicherheit“ (z. B. FAZ.net v. 13.7.13b) sowie „Datensicherheit“ (z. B. FAZ v. 13.7.13) oder „Cybersicherheit“ (z. B. FAZ.net v. 20.11.13) führen direkt zum semantischen Angelpunkt des Diskurses; in ihnen kondensiert sich der Fokus der Auseinandersetzung. Michael Grosse-Brömer von der CDU/CSU-Fraktion konstatiert: „Ich glaube, dass Herr Snowden eine wichtige Debatte angestoßen hat, die Debatte um die künftige Sicherheit“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13). Die Attribuierung als künftige Sicherheit antizipiert einen Bedeutungswandel. Mit dem bereits erwähnten Sprachgebrauch schließlich wird die „Sicherheit (...) des Netzes (...) eine globale Herausforderung“ (FAZ v. 9.7.13). Die NSA-Affäre wird zudem als Auslöser einer Unsicherheitssituation konzeptioniert, wenn erklärt wird, dass man sich „in dieser derzeit so unsicher scheinenden digitalen Welt“ (SZ.de v. 9.8.13) befindet. Dies gilt auch, wenn der damalige Vorstandsvorsitzende der Deutsche Telekom AG René Obermann in einem Interview auf FAZ.net in metaphorischer Diktion sagt: „Die Snowden-Enthüllungen waren das erste große Erdbeben der virtuellen Welt“ (FAZ.net v. 28.11.13b). Seine Diskursbezeichnung bzw. -deutung offenbart den Differenztopos der Virtualität dabei deutlich. Ebenso heißt es: „Nach den Informationen, die bekanntgeworden seien, könne man nicht mehr davon ausgehen, dass alles sicher sei“ (FAZ.net v. 29.11.13). Der Aspekt ‚verloren gegangenener Sicherheit‘, wie sie die für die Arbeit allgemein unterstellte Denkfigur annimmt, lässt sich also auch in diesem Diskurs nachweisen. Es lässt sich des Weiteren beobachten, dass in der Folge nicht nur um die Wiederherstellung von Sicherheit gestritten wird, sondern die Frage nach der gesellschaftlich gewünschten Form von Sicherheit im Mittelpunkt steht und dementsprechend Konkurrenzkämpfe um die Bedeutung des Begriffs ausgetragen werden. Durch den Differenztopos der Virtualität, auf den in der noch folgenden Untersuchung stets zurückzukommen sein wird, gerät Sicherheit schließlich unter einen erheblichen Aktualisierungsdruck. Dabei zeigt sich unter anderem, dass der Begriff der Freiheit und Nachbarschaftsbegriffe wie etwa Privatsphäre mit sicherheitssemantischen Elementen eigenen Charakters aufgeladen werden. Sicherheit in der Bedeutung von 2001 als ‚Sicherheit durch den Staat‘ ist im Diskurs um die NSA-Affäre nicht mehr das nahezu unangefochtene und unumstrittene gesellschaftliche Ziel. Eine erweiterte Semantik des Begriffs verhilft diesem aber dennoch zu einer herausragenden Stellung als Leitvokabel der jüngeren Gegenwart mit erheblichem Potenzial zur gesellschaftlichen Bedeutungskonstitution. Das lassen auch aktuelle Diskurse zur Digitalisierung vermuten, in denen ein Rückgriff auf bestimmte hier konstituierte Bedeutungsaspekte des Begriffs Sicherheit anzu-

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nehmen ist. Der Begriff der Cybersicherheit indes vermag Teile der oben angedeuteten semantischen Opposition potenziell aufzulösen bzw. zu amalgamieren. Diese bisher eher grundlegenden Überlegungen zur Diskursanatomie sollen im Folgenden durch die weitere Betrachtung des Sprachgebrauchs in der NSAAffäre veranschaulicht werden. Der Grundstein für die angesprochene semantische Kontroverse um die Bedeutung von Sicherheit wird schon mit konkurrierenden Bezeichnungen für die debattierten Geschehnisse um die NSA gelegt, aus denen wiederum unterschiedliche Perspektivierungsversuche hinsichtlich des Begriffs Sicherheit hervorgehen. Diese grundsätzlichen Unterschiede in Bezeichnung und Deutung sind markantes Merkmal für die von semantischer Oppositionalität geprägte Diskursstruktur. Das Bekanntwerden der Aktivitäten des amerikanischen Geheimdienstes wird durchgängig in Medien und Politik als Affäre bezeichnet. Im Sinne der in der vorliegenden Arbeit allgemein unterstellten Denkfigur, die die Konstitution einer Bedrohungssituation als Folie für das Wirkungspotenzial des Begriffs Sicherheit annimmt, konzipiert der Begriff Affäre Bedrohung als ‚Enttarnung eines verbotenen Vorgangs, den jemand hinter jemandes Rücken durchgeführt hat‘. Der Hintergangene erlangt Kenntnis davon, und bedroht ist dann zuallererst das Verhältnis von Hintergehendem und Hintergangenem. Der aus dem Französischen übertragene Begriff wird daher gewöhnlich im Kontext persönlicher Beziehungen verwendet, wo die Affäre regelmäßig in eine ‚Beziehungskrise‘ mündet, die das Konnotat einer persönlichen Bedrohungs- bzw. Unsicherheitssituation unbedingt enthält. Gängig ist die Verwendung des Begriffs Affäre ebenso im politischen und gesellschaftlichen Kontext. Dessen semantischer Kern des ‚verbotenen Tuns‘ mit dem Charakter persönlicher Haftung reflektiert das auslösende Moment des öffentlichen Diskurses in Deutschland um die Aktivitäten der NSA. Die angedeutete ‚Beziehungskrise‘ bleibt nicht aus, sondern wird zwischen Deutschland und den USA ausgetragen. Sie stellt dementsprechend den außenpolitischen Bestandteil des NSA-Diskurses dar, auf den an dieser Stelle ein knapper Blick mit Interesse für sicherheitssemantisch bedeutsamen Sprachgebrauch geworfen werden soll, bevor die nach innen gerichtete Debatte weiter verfolgt wird. Der in der außenpolitisch motivierten Auseinandersetzung mit den USA zutage tretende Sprachgebrauch bestätigt die Konstitution einer ‚Beziehungskrise‘ aus der Perspektive des ‚Hintergangenen‘ Deutschland. Sie ist sprachlich umgesetzt mit Begriffen aus dem Bereich persönlicher Beziehungen, mit denen eine Personifikation von Staaten bzw. Institutionen einhergeht. Vertrauen als zentra-

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ler Begriff bildet dabei in verwendeten Komposita meist das Determinans; verschiedene Determinata zeigen die Krise an. So ist hinsichtlich der bekannt werdenden Aktivitäten der NSA von einem „Vertrauensverlust“ (SZ.de v. 11.7.13b), einem „Vertrauensbruch“ (FAZ.net v. 31.10.13) und einer „Vertrauenskrise“ (FAZ v. 1.11.13a) die Rede, auch von einer „emotionale[n] Katastrophe“ (SZ v. 27.7.13) wird gesprochen. Basis dieses Sprachgebrauchs bildet eine Freundschaftskonzeption, die für die staatliche Beziehung zwischen den USA und Deutschland angenommen wird und mit hochwertigen sowie aufwertenden Begriffen und Kontextualisierungen sprachlich realisiert wird. So sei „die Freundschaft zu den USA eine [der; A. S.] größten Errungenschaften“ (ebd.) der deutschen Geschichte, im „Netz innerwestlicher Beziehungen ist der amerikanisch-deutsche Knoten besonders dick; die Empathie ist groß“ (FAZ.net v. 25.10.13). Bundeskanzlerin Angela Merkel verfolgt eine mit zahlreichen Miranda gespeiste Aufwertungsstrategie, wenn sie vor dem Bundestag sagt: „Deutschland und Amerika teilen gemeinsame Erfahrungen, Werte und Interessen. Wir stehen gemeinsam für freiheitliche, offene und demokratische Gesellschaften“ (Merkel v. 18.11.13). Frank-Walter Steinmeier spricht ähnlich von einer „transatlantischen Wertegemeinschaft“ (Steinmeier v. 18.11.13). Entsprechend wird der beschädigten Freundschaft in Folge der NSA-Aktivitäten Ausdruck verliehen; das bekannteste Diktum in diesem Zusammenhang wird zuerst von Regierungssprecher Steffen Seibert verwendet und später von Angela Merkel wiederholt: „Abhören von Freunden, das ist inakzeptabel“ (FAZ.net v. 2.7.13). Sicherheitssemantik spielt in diesem Kontext insofern eine Rolle, als die vor dem Hintergrund der Vertrauenskrise thematisierte freundschaftliche Beziehung auch auf den Begriff Sicherheit bezogen wird. So sagt Angela Merkel, „dass das transatlantische Verhältnis für beide Partner (...), gerade aber auch für Deutschland wesentlicher Garant unserer Freiheit und unserer Sicherheit ist“ (Merkel v. 18.11.13). Auch Innenminister Hans-Peter Friedrich betont den Sicherheitsaspekt der Beziehung: „Aber über allem (...) steht, dass wir die enge Partnerschaft mit unseren amerikanischen Freunden brauchen, auch um die Sicherheit der Bürger in diesem Land in der Zukunft gewährleisten zu können“ (Friedrich v. 18.11.13). Sicherheit, so ist hier die semantische Konsequenz des Sprachgebrauchs zu deuten, erwächst in außenpolitischer Hinsicht also aus einer störungsfreien Beziehung zwischen Staaten, die auf Vertrauen basiert. Durch die Affäre ist Vertrauen verloren gegangen. So kann in der Folge auch der in diesem Diskursausschnitt zentrale Begriff des Vertrauens als Synonym für Sicherheit gedeutet werden. Seine Verwendung folgt der für Sicherheitsdiskurse allgemein angenommenen Denkfigur: ‚Vertrauen ist verloren gegangen; es muss mit bestimmten Mitteln wiederhergestellt werden‘. Sie lässt sich seriell im Diskurs

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nachweisen, der Vertrauensverlust war ein erstes explizites Beispiel dafür. Auf FAZ.net ist man der Meinung, dass „grundlegendes Vertrauen zerstört wurde“ (FAZ.net v. 28.11.13b). Hans-Peter Friedrich sagt, „dass das Vertrauen (...) gestört ist und wiederhergestellt werden muss“ (Friedrich v. 18.11.13). Auf FAZ.net wird ebenfalls konstatiert, dass die amerikanische Regierung „massiv Vertrauen verspielt“ (FAZ.net v. 27.10.13) hat. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) geht es darum, „Vertrauen zurückzugewinnen“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13). Angela Merkel meint: „Für die Zukunft muss neues Vertrauen aufgebaut werden“ (Merkel v. 18.11.13). Auch die SZ spricht sich dafür aus, „verlorenes Vertrauen wieder aufzubauen“ (SZ v. 20.11.13). Der personalisierende Sprachgebrauch wird noch einmal besonders deutlich, wenn gesagt wird: „Um das Vertrauen zwischen allen Demokratien wieder herzustellen, brauchen wir zunächst eine transatlantische Aussöhnung“ (SZ.de v. 19.7.13). Der auf Staaten bezogene Vertrauensbegriff wird explizit definiert: „Außerdem reden wir von Vertrauen zwischen Nationen, also von Vertrauen, das Bevölkerungen in die jeweils anderen Regierungen finden müssen“ (ebd.). Sodann erfolgt eine unmittelbare sicherheitssemantische Kontextualisierung, nämlich „müssen die Nationen in Fragen der Sicherheit (...) eng miteinander verbunden bleiben“ (ebd.). Auch der Topos der Virtualitätsdifferenz tritt in Erscheinung, wenn zudem von „Vertrauen in die Nachbarn im digitalen Zeitalter globaler Vernetzung“ (ebd.) gesprochen wird. Hinsichtlich des außenpolitischen Fokusses des Diskurses ist aus sicherheitssemantischer Perspektive ein weiteres Phänomen von Bedeutung. So nutzt man in der öffentlichen Deutung und Erklärung der Geschehnisse um die NSA einen Differenztopos, der als Topos der interkulturellen Differenz bezeichnet werden kann. Er wird stark auf den Begriff Sicherheit bezogen und nimmt meist eine apologetische Funktion ein. Mit seiner Hilfe werden Erklärungen und Rechtfertigungen für die Aktivitäten der NSA gesucht. Das Argumentationsmuster des Topos der interkulturellen Differenz kann wie folgt beschrieben werden: ‚Weil es zwischen den USA und Deutschland (keine) Unterschiede hinsichtlich des jeweiligen Sicherheitsverständnisses gibt, sind bestimmte Maßnahmen (nicht) zu rechtfertigen.‘ Als die Argumentation stützender Topos tritt häufig der Differenztopos 11. September 2001 hinzu. Auf begrifflicher Ebene ist etwa die Rede vom „Sicherheitsverständnis“ (SZ.de v. 11.7.13a), das den Gedanken des Topos kondensiert in sich trägt: Er setzt sich damit auseinander, ‚wie man Sicherheit versteht‘. Dieses Verständnis wird als kulturell begründet ‚unterschiedlich‘ perspektiviert, wie etwa die auf SZ.de wiedergegebene Aussage von Volker Kauder (CDU/CSU) zeigt: „Man muss mit Realismus sehen: In den USA herrscht ein ganz anderes Sicherheitsverständnis“ (ebd.). In der Folge geht es mit Blick auf die Affäre um „Unverständnis“ (FAZ.net v. 28.11.13a) und „nicht verstehen“

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(ebd.); die Begriffe drücken die interkulturelle Differenz unmittelbar aus. Des Weiteren spricht man auch von „Sicherheitskulturen“ (ebd.) und davon, „wie unterschiedlich die ‚Sicherheitskulturen‘ Amerikas und der europäischen Staaten sind“ (SZ v. 20.11.13). Es wird festgestellt: „Die Grenzen sind (...) eher kulturelle als geographische“ (FAZ.net v. 28.11.13b). Darauf wird ein „große[s] Missverstehen“ (SZ v. 12.11.13) zurückgeführt, „und das hat viel mit den Unterschieden zwischen Deutschen und Amerikanern zu tun, wenn es um das Verhältnis von Privatsphäre, der Rolle des Staates und Sicherheitsangelegenheiten geht“ (ebd.). Auch „wird die Güterabwägung zwischen öffentlicher Sicherheit und Schutz der Privatsphäre in anderen Gesellschaften anders gewichtet als bei uns“ (SZ.de v. 25.7.13). Es wird reflektiert: „Unsere Werte lassen sich anderen nicht aufzwingen. (...) Denn hier geht es um das, was die Mehrheit dieser Bevölkerungen als Kernbereich der eigenen Sicherheit betrachtet“ (ebd.). Schließlich konstatiert man selbstkritisch: Deutsche Maßstäbe gelten nicht global. (...) Deutsche Wert- und Normvorstellungen in der Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre und den Erfordernissen öffentlicher Sicherheit lassen sich nicht unreflektiert auf andere Gesellschaften oder Partnerstaaten übertragen. (ebd.)

Die apologetische Funktion des Topos der interkulturellen Differenz, von der zu sprechen sich durch den Sprachgebrauch aufdrängt, wird verstärkt durch die Kontextualisierung mit dem Differenztopos des 11. September 2001, der ebenfalls stark auf den Begriff Sicherheit hin perspektiviert wird. So wird im vorliegenden Zusammenhang des Öfteren auf „die Veränderungen in der amerikanischen Sicherheitsphilosophie nach dem 11. September“ (FAZ.net v. 24.9.13) hingewiesen und festgestellt, „dass die Aktivitäten amerikanischer Geheimdienste nicht ohne das traumatisierend wirkende Epochenereignis ‚9/11‘ zu verstehen seien“ (FAZ.net v. 25.10.13). Man spricht von der „grausam zutreffenden Begründung: 9/11“ (SZ v. 29.10.13). Folgende Äußerung zeigt die stützende Funktion des Differenztopos des 11. September 2001 für die auf Sicherheit referierende interkulturelle Differenzargumentation besonders deutlich: „Die subjektive Komponente ist das ‚Sicherheitsgefühl‘, genauer gesagt: das Gefühl des Bedrohtseins, das bei Menschen und Nationen unterschiedlich ausgeprägt ist. Seit den Angriffen von ‚Nine Eleven‘ fühlt sich Amerika besonders bedroht“ (FAZ.net v. 18.7.13). Die Verwendung des Differenztopos des 11. September 2001 ist im Diskurs nicht unumstritten; darauf weisen etwa explizite Thematisierungen wie die folgende hin, die die Argumentationskraft des Topos einzuschränken sucht: „Der unvermeidliche Hinweis auf die traumatische Erfahrung der Terroranschläge vom 11. September 2001 greift jedoch zu kurz“ (FAZ.net v.

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8.9.13). Diese Zurückweisungen gehen häufig auch einher mit einer negativ perspektivierten Sichtweise auf das US-amerikanische Sicherheitsverständnis. So wird etwa von der „Besessenheit mit der ‚nationalen Sicherheit‘“ (SZ v. 12.7.13) und einem „grotesk wuchernde[n] Sicherheitsapparat“ (ebd.) gesprochen. Es wird negativ bewertet: „In den USA ist für die Sicherheit viel erlaubt, sehr viel mehr zumindest, als gut für den Rechtsstaat ist“ (SZ v. 27.7.13). Eine ebensolche Strategie der Negativperspektivierung wird verfolgt, wenn mit Blick auf die USA gesagt wird: „Dieses Sicherheitskonzept ist paranoid“ (SZ v. 29.10.13). Mit dem Sprachgebrauch im Rahmen des Topos der interkulturellen Differenz, der regelmäßig vom Differenztopos des 11. September 2001 begleitet wird, offenbaren sich gesellschaftliche Reflexionen über die Bedeutung von Sicherheit auf der Meta-Ebene. So wird eine kulturelle Abhängigkeit der Begriffsbedeutung konstatiert, die diskursspezifisch zumindest als Erklärungsfunktion, darüber hinaus aber auch in rechtfertigender Position für die Aktivitäten der NSA gebraucht wird. Den in diesem Diskurs als Gegenseite auftretenden USA wird dabei mitunter ein negativ konnotierter Sicherheitsbegriff unterstellt. Dies geschieht nicht zuletzt, um die Gegenseite abzuwerten und deren Etikettierung als Schuldiger und Verursacher der Vertrauenskrise zu erzielen. Sieht man von den aufgezeigten Funktionen des Sprachgebrauchs im Rahmen der angedeuteten Kontroverse ab, zeigt er sich an der hier beleuchteten Stelle als Spiegel der Selbstversicherung einer Gesellschaft im Lichte interkultureller Reflexionen. Er vermag zu zeigen, wie das Selbstverständnis – hier im Speziellen das Sicherheitsverständnis – einer Gesellschaft auch aus dem Abgleich mit anderen Gesellschaften und Kulturen erwächst. Wendet man sich nun wieder der auf die deutsche Gesellschaft bezogenen Auseinandersetzung um die NSA-Aktivitäten zu, so ist zunächst zurückzukehren zu den Bezeichnungen, mit denen diese im öffentlichen Sprachgebrauch gefasst werden. Der bereits erläuterte Begriff Affäre tritt meist als Determinatum in Gelegenheitskomposita auf. Die Determinanten zeigen an, wer der Hintergehende ist, worin das Vergehen besteht oder worauf es sich bezieht. Wenn also die Rede ist von der „NSA-Affäre“ (z. B. FAZ.net v. 22.7.13) 607, wird dem ameri|| 607 Ebenfalls tritt die Bezeichnung ‚Skandal‘ in identisch konstruierten Gelegenheitskomposita wie etwa „Abhörskandal“ (z. B. FAS v. 27.10.13) auf. Der Abgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen Konstantin Notz spricht in dramatisierender Diktion vom „größten Datenschutz- und Geheimdienstskandal aller Zeiten“ (von Notz v. 18.11.13). Gregor Gysi (Die Linke) konzeptioniert ,Singularität‘, wenn er sagt: „Wir haben es mit einem Skandal zu tun, der in seinem Ausmaß in dieser Art bisher noch nicht vorgekommen ist“ (Gysi v. 18.11.13). Mit der Begriffsgeschichte des öffentlichen Skandals beschäftigt sich ausführlich Burkhardt 2015, S. 62 ff. Der

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kanischen Geheimdienst das ‚verbotene Tun‘ zugeschrieben. Mitunter wird die NSA auch explizit als ‚Schuldiger‘ bezeichnet, etwa wenn Friedrich Schorlemmer in einem Interview ausführt: „Die NSA und ihre Partner machen sich krimineller Handlungen schuldig“ (SZ v. 21.9.13). Diese Zuschreibung krimineller Schuld nimmt auch Sigmar Gabriel (SPD) vor, wenn er die Aktivitäten als eine „schwere Straftat“ (FAZ.net v. 4.7.13) der NSA deutet. Die häufig auftretenden Bezeichnungen „Spähaffäre“ (z. B. SZ.de v. 11.7.13b) und „Ausspähaffäre“ (z. B. FAZ.net v. 29.7.13) benennen das Vergehen bzw. das Verbotene: Spähen oder Ausspähen sind Begriffe des ‚Sehens‘, deren semantischer Kern auf die Unbefugtheit des Hinschauens verweist. Im kombinierten Kompositum „NSA-Spähaffäre“ (z. B. FAZ v. 12.8.13) kondensiert sich der Streitauslöser der Debatte: Die NSA hat – auch in Deutschland, wie sich im Diskursverlauf herausstellt – etwas eingesehen, das sie nach mehrheitlicher Meinung der Diskursteilnehmer nicht befugt war, einzusehen. Ebenso verhält es sich mit dem Gelegenheitskompositum „NSA-Abhöraffäre“ (SZ v. 11.11.13); die als unerlaubt ausgewiesene Aktivität bezieht sich hier auf einen weiteren menschlichen Sinn, das Hören. Auch ist die Rede vom „Gebrauch des elektronischen Ohrs“ (FAZ v. 23.10.13). Mit der Zuschreibung einer Nutzung menschlicher Sinnesorgane wird die Institution NSA personifiziert, die menschliche Sinneswahrnehmung metaphorisch übertragen. Die Zuschreibung von Schuld, einer gemeinhin menschlichen Versagenskategorie, die außerdem als wesentlicher Bestandteil einer öffentlich ausgetragenen Affäre gelten kann, wird so forciert. Der moralische Fingerzeig kann sich ungleich besser auf menschliches Handeln als auf gesichtslos bleibende Institutionen beziehen. Der Begriff „Datenaffäre“ (z. B. FAZ.net v. 16.7.13) wiederum zeigt den Bezugspunkt des ‚verbotenen Tuns‘ an. Man spricht von einer „massive[n] Abschöpfung persönlicher Daten durch Sicherheitsbehörden“ (SZ v. 5.8.13). Wenn die NSA hier auch als Sicherheitsbehörde bezeichnet wird, deutet sich der mit ihr verknüpfte Sicherheitsbegriff in der Bedeutung ‚Sicherheit durch den Staat‘ schon an. Das bereits mit dem Begriff der Affäre als verboten ausgewiesene Tun der NSA wird durch weitere negativ konnotierte Bezeichnungen in einer umfassenden Strategie der Abwertung ausführlich kritisiert. Die hier zutage tretende Lexematik ist einem spezifischen Bedrohungstopos zuzuordnen, der als Topos der

|| Begriff vermittelt im Wesentlichen ein ‚Stolpern‘ und ‚Zufallbringen‘, zurückzuführen auf das griechische skandalēthron, das das Stellholz einer Falle bezeichnet. Durch religiöse Adaptionen erhält der Begriff eine moralische Konnotation, so dass er in metaphorischer Übertragung bis heute zur Bezeichnung „einer Ursache des Unheils oder auch eines Anlasses zur Sünde oder Grund zum Verderben“ (ebd., S. 68) verwendet wird.

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Bedrohung durch den Staat bezeichnet werden kann: ‚Weil der Staat bzw. staatliche Institutionen (wie etwa die NSA) eine gesellschaftliche Bedrohung darstellen, sind bestimmte Maßnahmen zu ergreifen bzw. zu unterlassen.‘ Das so gefasste Argumentationsschema ist ein erster Wegbereiter für gesellschaftliche Versuche, Sicherheit in der Bedeutung als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ durchzusetzen. Die Aktivitäten der NSA werden zu diesem Zweck mit negativ konnotierten Begriffen aus unterschiedlichen Herkunftsbereichen gefasst. Viele führen die Semantik der ‚Unbefugtheit‘, die der Affäre innewohnt, fort. Durch einen Großteil der Bezeichnungen sowie durch entsprechende Attribuierungen werden die Aktivitäten der NSA mit dem Stigma der ‚Monstrosität‘ belegt. Weitere Ausdrücke nehmen explizit Bezug auf den staatlichen Aspekt der Bedrohung. Dabei gelangen nicht selten Begrifflichkeiten aus dem Handlungskontext nichtdemokratischer Staatlichkeit zur Anwendung. Durch entsprechende AntiMiranda entstehen so Assoziationen zu diktatorischer Staatsgewalt, mit der das Handeln der NSA und der USA in Verbindung gebracht wird. Hinzu kommt eine geschichtstopisch untermauerte Argumentation, die die Besonderheit der deutschen historischen Perspektive zur weiteren Festigung der Bedrohungskonstitution nutzt. Schließlich spielt innerhalb des Topos der staatlichen Bedrohung auch der Topos der Virtualitätsdifferenz eine wichtige Rolle. Das „Sammeln von Daten“ (FAZ.net v. 10.7.13a) als „millionenfache[] Sammlung von Kommunikationsdaten“ (FAZ v. 8.7.13) wird – die ‚Monstrosität‘ gefasst in einer menschlichen Emotion des Ausnahmezustands – zur „Datensammelwut“ (z. B. FAZ v. 2.8.13), und zwar zu einer „gigantischen Datensammelwut“ (FAZ.net v. 13.7.13b) bzw. zu einer „uneingeschränkte[n] Datensammelwut fremder Geheimdienste“ (FAZ v. 17.713). Daten werden nicht nur „gesammelt“ (FAZ v. 1.11.13a), sie werden „abgesaugt“ (FAZ.net v. 28.11.13b), und zwar „uferlos“ (FAZ.net v. 7.7.13), „umfassend“ (FAZ.net v. 23.10.13b), „millionenfach“ (FAZ.net v. 29.11.13), „zu Tausenden“ (FAZ v. 1.11.13a), „lückenlos“ (FAZ v. 9.7.13), „massenhaft“ (FAZ.net v. 16.7.13), „unverhältnismäßig“ (FAZ.net v. 28.11.13a), „maß- und rücksichtslos“ (ebd.) und „in großem Umfang“ (FAZ.net v. 28.11.13b). So erwachsen „riesige Datenmengen“ (SZ.de v. 19.7.13) oder „unvorstellbare Mengen von Daten“ (FAZ.net v. 6.9.13) in Form von „immensen Datenberge[n]“ (FAZ v. 9.7.13); es fließt ein „Datenstrom“ (FAZ.net v. 22.7.13), ein „Heuhaufen an Informationen“ (FAS v. 15.9.13) entsteht, und „die NSA baut riesige Datenspeicher, die nichts und niemanden vergessen“ (FAZ.net v. 22.7.13). Der „Datensammeleifer“ (SZ v. 13.8.13) gerät zur „Datengier“ (FAZ.net v. 9.8.13) und zur „Gier der Geheimdienste nach Informationen“ (FAZ.net v. 11.7.13). Ein weiteres menschliches Phänomen wird bemüht, wenn gesagt wird, dass „der staatliche Datenhunger unermesslich“ (FAZ v. 20.7.13) ist, und ein

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„unersättliche[r] Appetit (...) nach immer mehr Daten“ (SZ v. 22.7.13a) dazu führt, dass die USA als „krankhaft datenhungrige Supermacht“ (FAZ v. 24.7.13) bezeichnet werden und gar als „Dataholic“ (ebd.), der in eine „Überwachungssucht“ (ebd.) geraten ist. Drastischer ist dann nur noch die „Datenapokalypse“ (ebd.). So entsteht ein bedrohliches Bild: „Ein (...) Monster ist der amerikanische Geheimdienst NSA: riesig, wild, unnatürlich in seinem totalen Anspruch, die Welt auszuspähen“ (SZ v. 22.7.13b). Das „Monster“ (ebd.) wird im selben Artikel noch gesteigert zum „außerordentliche[n] Super-Monster“ (ebd.), das sich einen „monströse[n] Zugriff auch auf deutsche Daten und deutsche Bürger“ (SZ.de v. 21.7.13b) erlaubt, der als „US-Exzessivität“ (ebd.) bezeichnet wird. Die seriell begegnenden Begriffe wie „Überwachung“ (z. B. FAZ.net v. 1.7.13), in gesteigerter Abwertung auch „Überwacherei“ (SZ.de v. 21.7.13b), „Überwachungsprogramme“ (FAZ.net v. 28.11.13b) oder „Schnüffelprogramm“ (FAS v. 27.10.13) mit den Aktivitäten des „Abhören[s] und Anzapfen[s]“ (FAZ.net v. 2.7.13), des „Zugriff[s]“ (SZ.de v. 21.7.13b) oder der „Abhörpraktiken“ (FAZ.net v. 28.8.13) und „Überwachungspraktiken“ (SZ v. 21.9.13) treten häufig in Verbindung mit dem Attribut ‚total‘ auf, so dass die genannte Assoziation zu diktatorischem Handeln entsteht. So spricht man von „Totalüberwachung“ (z. B. FAZ.net v. 21.11.13) oder von „schrankenlose[r] Totalüberwachung“ (SZ.de v. 2.8.13), den auffälligen Sprachgebrauch mit Anführungszeichen markierend von der „‚Totalüberwachung‘ durch die NSA“ (FAZ v. 13.7.13) und von der „Totalität der geheimdienstlichen Überwachungs- und Speicherungsmöglichkeiten“ (SZ v. 22.7.13a), die metaphorisch auch als „Schleppnetzüberwachung“ (SZ.de v. 21.7.13b) bezeichnet wird, um die Allumfänglichkeit noch zu betonen. Edward Snowden selbst „warnt (...) vor der Staatsspionage, die wie ‚eine Art riesiges Netz ganze Bevölkerungen unter Überwachung stellt‘“ (SZ.de v. 12.10.13). Auch ist von der „systematische[n] Überwachung der (...) Bevölkerung“ (SZ v. 13.8.13) und einem „Überwachungsapparat“ (FAZ.net v. 4.10.13) sowie von „Überwachungssystemen“ (SZ.de v. 13.8.13) die Rede. Entsprechend ruft die SZ auf: „Man muss sich klarmachen, wie total diese Spitzelaktion angelegt ist, um das Ausmaß zu erahnen“ (SZ.de v. 6.9.13). Wenn die NSA schließlich noch als „Überwachungsregime“ (FAZ v. 2.8.13) bezeichnet wird, und man sagt, dass ihre „Überwachungsmechanismen (...) zu ‚postdemokratischen Zuständen‘“ (FAZ.net v. 24.9.13) führen, dann ist damit ihre Stigmatisierung als ‚diktatorisch agierende staatliche Gewalt‘ endgültig gelungen. Der hier dominante Oberbegriff der Überwachung ist entsprechend als Missbrauchsbegriff zu deuten. Diese Bedrohungskonzeption wird befördert durch die Einbindung eines vergleichend angelegten Geschichtstopos in die Abwertungsstrategie. Er vermag historisches Wissen der Deutschen hinsichtlich staatlicher Überwachung

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während der nationalsozialistischen Zeit sowie während des Bestehens der DDR aufzurufen und durch dessen Übertragung auf die aktuellen Geschehnisse die Perspektive der umfassenden Ablehnung der Aktivitäten der NSA zu plausibilisieren; der Topos der staatlichen Bedrohung erlangt so zusätzliche Überzeugungskraft. Die diesbezüglich seriell im Diskurs auftretenden Aussagen sind sprachlich meist ähnlich konzipiert und appellieren in teilweise dramatisierendem Duktus an das Unrecht und den Missbrauch staatlicher Macht der deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts, in deren Kontext die enthüllten Maßnahmen der NSA sowohl explizit als auch implizit gestellt werden. Die Sichtweise wird als „deutsches Problem mit Datensammlern“ (FAZ v. 2.7.13) ausgewiesen. Die FAZ etwa stellt fest: „Die Deutschen haben nach den Erfahrungen mit Stasi und Gestapo ein großes Problem mit Obrigkeiten, die private Daten sammeln und missbrauchen“ (ebd.). In der SZ spricht man von einem „historisch bedingte[n] Misstrauen, das in Deutschland gegenüber nachrichtendienstlichen Strukturen vorherrscht. Nach den traumatischen Erfahrungen mit Gestapo und Stasi ist dies kein Wunder“ (SZ.de v. 25.7.13). Ähnlich äußert sich die SZ: „Die Erfahrungen aus zwei Diktaturen im vergangenen Jahrhundert haben die Gesellschaft mit einem tiefen Misstrauen gegen Schnüffler ausgestattet“ (SZ v. 31.8.13). Der Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer fühlt sich durch die NSA-Affäre „an die Zustände in der DDR erinnert“ (SZ v. 21.9.13) und expliziert seine Deutung: „Es geht wieder um Überwachung und darum, dass die ganze Bevölkerung unter Generalverdacht steht“ (ebd.). Auch wird eine gewisse Geschichtsvergessenheit unterstellt, um gegnerische Positionen implizit als ‚verharmlosend‘ zu deklarieren: „Manchmal kann man den Eindruck haben, als würden von NSA & Co. nicht nur alle Daten abgesaugt, sondern auch alle Erinnerungen an den Machtmissbrauch“ (SZ.de v. 13.9.13). Im Diskurs lassen sich allerdings auch Positionen ausmachen, die den Geschichtsvergleich ablehnen. Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa lehnt die Parallele von NSA und Staatssicherheit der DDR ab und wirft wiederum den Verfechtern des Vergleichs die Bagatellisierung der Geschichte vor. Sie wird auf FAZ.net dazu folgendermaßen zitiert: „Das sind zwei völlig verschiedene Dinge, und solche Vergleiche führen nur zu einer Verharmlosung dessen, was die Staatssicherheit mit Menschen in der DDR angerichtet hat“ (FAZ.net v. 10.7.13b). Bundespräsident Joachim Gauck, der wie Angela Merkel einst Bürger der DDR war, spricht abwertend von „dumme[n] Vergleichen“ (FAZ.net v. 26.7.13), um die Analogie von NSA und Geheimdienst der DDR ebenfalls zurückzuweisen. Er differenziert beider Aktivitäten über den Begriff der Sicherheit, den er in der Konnotation als ‚Sicherheit durch den Staat‘ nutzt, um geheimdienstliche Maßnahmen zu rechtfertigen. Aufwertend in seiner Aussage wirken dabei die Begriffe Demokratie und Frei-

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heit, mit denen er eine klare Unterscheidung von NSA und Staatssicherheit der DDR herzustellen sucht: „In einer Demokratie sollen Geheimdienste (...) die Sicherheit der Bürger gewährleisten und ihnen ein Leben ohne Bedrohung in Freiheit ermöglichen“ (ebd.). Im Rahmen des Topos der Bedrohung durch den Staat wird auch die eingangs geschilderte topische Konstitution einer Virtualitätsdifferenz wirksam, auf die hier ein gesonderter Blick geworfen werden soll. Mit ihrer Hilfe wird die Monstrosität der NSA-Aktivitäten nicht nur besonders unterstrichen, das Argumentationsschema der Differenz konstituiert eine vollkommene ‚Neuheit und Andersartigkeit‘ des Ausmaßes geheimdienstlichen Potenzials, das durch digitale Technik entsteht. Zunächst kommt auch hier die semantische Konstruktion einer ‚Zäsur‘ zum Tragen, die sich sprachlich unterschiedlich drastisch realisiert. Man spricht etwa von der „Ära von Big Data“ (FAZ.net v. 8.9.13) und befördert so den Gedanken einer ‚neuen Zeit‘ mit der Eigenschaft der ‚Grenzenlosigkeit‘, die zum einen durch das Attribut Big und zum anderen durch den ‚Globalität‘ vermittelnden Anglizismus ausgewiesen wird. Auf FAZ.net legt man den Begriff folgendermaßen aus: „Gemeint ist damit die Verarbeitung riesiger Datenmengen (...) in Echtzeit“ (FAZ.net v. 28.8.13). Auch in der folgenden Aussage wird mit dem Begriff der Revolution eine einschneidende Zäsur hinsichtlich geheimdienstlicher Datenerfassung konstatiert: „Seit der Revolution der Informations- und Kommunikationstechnologie werden unsere Daten gesammelt, analysiert und in diversen Datenbanken gespeichert“ (FAZ.net v. 8.8.13). Heribert Prantl spricht auf SZ.de gar vom „Zeitalter der digitalen Inquisition“ (SZ.de v. 13.9.13) und stellt damit in einer Strategie der Abwertung die Aktivitäten der NSA in die Nähe mittelalterlicher Ketzerverfolgung durch die katholische Kirche, um eine Gefahren- und Unrechtsperspektive machtvoll zu etablieren. Er weist hin auf „eine neue umfassend überwachte Internet-Welt“ (ebd.). Das Attribut neu tritt seriell auf, um eine erhöhte Gefahrendimension durch digitale geheimdienstliche Möglichkeiten zu begründen. Die Differenz wird dabei durch explizite und implizite Vergleiche mit der Vergangenheit konstituiert, etwa mittels der Nutzung von Komparativen. So „ist die Technik um ein Vielfaches mächtiger geworden. (...) Mit den neuen technischen Mitteln kann man viel mehr, als nur Kommunikation mitzuschneiden“ (SZ.de v. 19.7.13). Ranga Yogeshwar stellt auf FAZ.net fest: „Die Gier der Geheimdienste nach Informationen ist alt, doch die moderne Technik verleiht ihr eine neue Qualität: Früher lief die Bespitzelung Mensch gegen Mensch ab“ (FAZ.net v. 11.7.13), während im Unterschied dazu heute „maschinelle Überwachung und (...) eine gigantische automatische Überwachung“ (ebd.) möglich seien. Im Zusammenhang mit der Neuheitsattribuierung sind Anspielungen auf die literarischen Werke „Schöne

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Neue Welt“608 von Aldous Huxley und „1984“609 von George Orwell im Diskurs weit verbreitet. Deren grundlegende Semantiken der ‚Architektur totalitärer Systeme‘ sowie der ‚Ungeheuerlichkeit‘ gesellschaftlicher Neuheiten werden im Rahmen einer Abwertungsstrategie auf den Kontext der NSA-Aktivitäten übertragen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger etwa bezeichnet diese in einem Gastbeitrag für die FAZ als „schöne neue Welt der immensen Datenberge und des Profilings“ (FAZ v. 9.7.13). Die NSA bzw. die USA werden mit Big Brother als dem Inbegriff des Überwachers gefasst, und im Kontext mit dem stigmatisierend verwendeten Begriff Big Data entsteht eine Kombination, die bei den Diskursteilnehmern einen unheilvollen Eindruck erwecken muss: „Big Data trifft Big Brother“ (FAZ.net v. 22.7.13) und „‚Big Brother‘ und ‚Big Data‘ (...) arbeiten in der technischen Wirklichkeit (...) Hand in Hand“ (FAZ.net v. 27.10.13). Bewertet wird dies als „falsch, das ist Orwell. Die neue mögliche Quantität der Überwachung schafft eine neue Qualität“ (FAZ.net v. 22.7.13). Mit Wortneuschöpfungen wird vom „US-Orwell“ (SZ.de v. 21.7.13b) und einer „Orwellness“ (ebd.) gesprochen, und die FAZ expliziert: „Es ist ein Eindringen in die elektronischen Gehirne der Menschen, in ihr virtuelles Zuhause, bei dem sich die Spione nach Belieben umschauen können und bleiben, so lange sie wollen“ (FAZ v. 1.11.13a). Der ehemalige Leiter des Bundesamts für Verfassungsschutz und frühere Präsident des BND Hansjörg Geiger will gar die literarische Fiktion bereits übertroffen wissen, wenn er folgende Aussage mit dramatisierender Intention trifft: „Wir haben das Orwellsche Zeitalter schon weit hinter uns gelassen. Die technischen Möglichkeiten zur Ausspähung und damit letztlich zur Kontrolle des Einzelnen (...) haben Formen angenommen, die sich Orwell nicht einmal ausmalen konnte“ (SZ v. 7.8.13). Die hier mit dem Differenztopos der Virtualität begründete Dramatik wird begleitet von einer im Diskurs durchgängig beobachtbaren Kriegsmetaphorik. So ist die Rede von „digitale[r] Aufrüstung“ (FAZ.net v. 21.11.13). Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Hans Peter-Uhl schreibt, sich dieses Bildbereichs bedienend, den USA die Rolle des Aggressors zu, wenn er in einem Interview sagt: „Es wird immer deutlicher, dass sich die Amerikaner tatsächlich benehmen wie eine digitale Besatzungsmacht, bei uns in Deutschland, aber auch in anderen Ländern“ (FAZ v. 1.11.13b). Die FAZ zitiert in ihrer Presseschau eine Formulierung aus der italienischen Tageszeitung La Repubblica: „Die elektronische Überwachung ist

|| 608 Huxley, Aldous: Brave New World. London 1932. In deutscher Übersetzung: Ders.: Schöne Neue Welt. Ein Roman der Zukunft. 5. Auflage. Frankfurt am Main 2014. 609 Orwell, George: Nineteen Eighty-Four. A Novel. New York 1949. In deutscher Übersetzung: Ders.: 1984. Roman. 44. Auflage. Berlin 2011.

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die große Waffe unserer Zeit“ (FAZ v. 23.10.13) und weist auf die „Macht durch Big Data“ (FAZ v. 4.9.13) hin, die ebenfalls als „Waffe“ (ebd.) bezeichnet wird. Die Sprecherin des Chaos Computer Clubs Constanze Kurz stellt in der FAZ fest: „Der Angriff auf die Computer ist geradezu industrialisiert“ (FAZ v. 1.11.13a) und spricht auch von der „Angriffsindustrie“ (ebd.). Die Semantik der ‚Industrialisierung‘ vermittelt einmal mehr vergrößertes Potenzial sowie Systematik der NSA-Aktivitäten. Wie Uhl nimmt auch Kurz die USA in die Verantwortung für das Geschehen: „Hier wird nichts mehr verteidigt, die Geheimdienste sind längst zum Angriff übergegangen“ (ebd.). Mit den oppositionellen Begrifflichkeiten von Verteidigung und Angriff wird hier als erlaubt und unerlaubt gedeutetes Tun implizit differenziert. Die im Rahmen des Topos der Bedrohung durch den Staat verwendeten negativ konnotierten Bezeichnungen und Deutungen der NSA-Aktivitäten berühren nicht zuletzt die Semantik von Sicherheit. Die schon in den oben angeführten Gelegenheitskomposita wie Cybersicherheit oder Internetsicherheit vermutete Bedeutungsaktualisierung, im Zuge derer eine digitale Konnotation im Sinne des Topos der Virtualitätsdifferenz neu in den Begriff integriert wird, wird explizit thematisiert: „Sicherheit wird technokratisiert. Die Soziologin Susanne Krasmann spricht davon, dass Sicherheitstechnologie gewissermaßen zum Ersatz für soziale Sicherheit wird. Sicherheit und Überwachung nähern sich an“ (SZ v. 13.8.13). Die Deutung eines Austauschs gegen soziale Sicherheit, die als Begriff unangefochtenes gesellschaftliches Mirandum ist und eine dem Ausdruck Sicherheitstechnologie überlegene emotive Semantik aufweist, sowie die Gleichsetzung mit dem Missbrauchsbegriff Überwachung etablieren eine Semantik der Fragwürdigkeit von Sicherheit, die eine ablehnende Haltung gegenüber den Aktivitäten der NSA und darüber hinaus aufgrund der verallgemeinernden Ausdrucksweise gegenüber der Perspektive ‚Sicherheit durch den Staat‘ offenbaren bzw. vermitteln. Dieses „wachsende Unbehagen“ (FAZ.net v. 6.9.13) wird noch gefördert, wenn Sicherheit mit den folgenden negativ konnotierten Begriffen kontextualisiert wird: „Big Data dient unserer Sicherheit, unserer Bequemlichkeit, unserem Narzissmus“ (ebd.). Auch wird der digitalen Technik jeglicher Sicherheitsaspekt abgesprochen, der mit folgendem Sprachgebrauch zugleich implizit erwartet wird: „Das Versprechen von Vernetzung und Big Data, die Welt besser und sicherer zu machen, ist bislang kaum erfüllt“ (FAZ.net v. 21.11.13). Die deontische Komponente des Begriffs Sicherheit als ‚Sicherheit durch den Staat‘, so deutet sich an, wird mit den hier beschriebenen Abwertungsstrategien gänzlich in den Hintergrund gedrängt. Die von Gegnern der NSA-Aktivitäten verfolgte Kontextualisierung mit dem der Affäre inhärenten ‚verbotenen Tun‘

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und der Missbrauchssemantik der ‚Überwachung‘ aktualisiert die Bedeutung von Sicherheit. Diese negative Konnotation des Begriffs, die in den Diskursen um den 11. September 2001 und weiteren Terrordiskursen zur nahezu tabuisierten Semantik wurde, wird hier herausgestrichen und als schwerwiegendes Bedeutungsmerkmal von Sicherheit in den Diskursfokus gerückt, womit auch die mit der Prädikation verbundenen Maßnahmen eine erhebliche Ablehnung erfahren. Dem Bedrohungstopos durch den Staat steht ein Geflecht von Topoi gegenüber, deren entscheidende bedeutungskonstituierende Vokabel Sicherheit in der Bedeutung von ‚Sicherheit durch den Staat‘ bildet, die mit diesen Argumentationsschemata von Unterstützern der NSA-Aktivitäten aufgewertet werden soll. Unter den Plausibilisierungsmustern befindet sich zum einen der Gefahrentopos, der insbesondere in Form des Topos der Terrorgefahr und der Gefahr von Kriminalität realisiert wird: ‚Weil durch Terror und Kriminalität Gefahren für die Gesellschaft drohen, sind bestimmte Maßnahmen, wie etwa geheimdienstliche Aktivitäten, notwendig.‘ Dieser Topos ist zum anderen eng verwoben mit einer Nutzenargumentation, so dass auch von einem Nutzentopos der Gefahrenabwehr gesprochen werden kann: ‚Weil durch geheimdienstliche Aktivitäten Gefahren wie Kriminalität und Terror von der Gesellschaft abgewendet werden können, sind entsprechende Maßnahmen gerechtfertigt.‘ Der Differenztopos 11. September 2001 vervollständigt dieses Toposkonglomerat, das dem Topos der Bedrohung durch den Staat entgegengesetzt wird: ‚Weil seit den Ereignissen vom 11. September 2001 alles anders ist, sind bestimmte Maßnahmen (nicht) gerechtfertigt.‘ Die mit diesen Topoi verfolgte Perspektive auf die Aktivitäten der NSA wird schon durch entsprechende Bezeichnungen derselben eingeleitet, die zu den im Rahmen des Topos der Bedrohung durch den Staat verwendeten Begriffen eine semantische Opposition eingehen, indem sie das Element des Missbrauchs gänzlich außen vor lassen. Der dabei zutage tretende Sprachgebrauch, der überwiegend Vertretern der Regierungsfraktionen zugeschrieben werden kann, deutet auf Etikettierungsversuche mit Merkmalen der ‚Singularität‘ sowie der ‚Neutralität‘, die auch als Verharmlosungsstrategien aufgefasst werden können, bis hin zu positiven Konnotierungsunterfangen durch den Ausweis eines konstruktiven Charakters der Aktivitäten. Wenn etwa Bundesinnenminister HansPeter Friedrich von „Hinweise[n] der USA“ (SZ.de v. 11.7.13b) und „OnlineZugriffsrechte[n] für Ermittler“ (SZ.de v. 11.7.13a) spricht, oder von „geeignete[n] Maßnahmen“ (FAZ v. 19.7.13) die Rede ist, wird mit dem Sprachgebrauch der Eindruck singulärer und punktueller geheimdienstlicher Aktivität erzeugt. Damit wird die Monstrositätskonstruktion der Gegenseite kontrastiert und zu ent-

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kräften versucht. Die Bezeichnungen der NSA-Aktivitäten als „Einsatz von Diensten“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13), „Tätigkeit der Dienste“ (FAZ.net v. 28.11.13b) oder „Arbeit der Geheimdienste“ (FAZ v. 8.7.13) wollen Neutralität vermitteln und so die den gegnerischen Begriffen der Überwachung innewohnenden Konnotationen des Unrechts, des Missbrauchs und der Überzogenheit bewusst ausblenden. Bundeskanzlerin Angela Merkel fügt noch das Attribut demokratisch in der Funktion eines Mirandums hinzu, um Legitimation zu erzielen. Sie bezeichnet die NSA-Aktivitäten als „Arbeit von Nachrichtendiensten in demokratischen Staaten“ (FAZ.net v. 10.7.13b) und spricht – sämtliche emotive Semantik außen vor lassend – technokratisch von „Telekommunikationskontrolle“ (SZ.de v. 10.7.13). Innenminister Friedrich konstatiert nüchtern, dass „Kommunikationsdaten (...) erhoben“ (Friedrich v. 18.11.13) wurden und stützt seine Aussage mit dem Rechtstopos, wenn er hinzufügt: „Das alles hat stattgefunden auf der Grundlage von Gesetzen“ (ebd.). Der Sprachgebrauch weist darüber hinaus Versuche der Positivperspektivierung des Geschehens auf. Insbesondere mit Begrifflichkeiten aus dem unumstritten positiv konnotierten Wortfeld ‚Kooperation‘ wird der Vorstoß unternommen, den NSA-Aktivitäten einen konstruktiven Anstrich zu verleihen und ihren Nutzen für den deutschen Bundesnachrichtendienst zu betonen. So spricht Innenminister Friedrich von der „geheimdienstliche[n] Zusammenarbeit“ (FAZ.net v. 16.7.13), die noch durch entsprechende Attribuierung aufgewertet wird zur „gute[n] Zusammenarbeit“ (SZ.de v. 11.7.13b). Thomas Oppermann von der nach der Bundestagswahl im September 2013 mitregierenden SPD nutzt im November vor dem Bundestag auch die Bezeichnung „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ (Oppermann v. 18.11.13). Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hält es in rechtfertigendem Duktus für „nachvollziehbar, dass ‚die Geheimdienste sehr eng zusammenarbeiten‘“ (SZ.de v. 24.7.13). Darüber hinaus wird „eng kooperiert“ (FAZ.net v. 7.7.13) und auf den „Austausch von Informationen“ (SZ v. 20.11.13) sowie den „enge[n] Austausch von Daten“ (SZ.de v. 25.7.13) hingewiesen. Des Öfteren wird auch der Begriff der „Notwendigkeit“ (z. B. SZ.de v. 11.7.13a) verwendet und etwa von der „Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Geheimdienste“ (FAZ.net v. 25.10.13) gesprochen, womit sich einmal mehr das politisch häufig genutzte Phänomen der Alternativlosigkeit offenbart. Diese „Notwendigkeit der Zusammenarbeit der Geheimdienste“ (ebd.) wird regelmäßig mit einem Bedrohungstopos begründet. Ganz allgemein wird von „Zeiten diffuser Bedrohungen und einer Welt der Umbrüche“ (ebd.) gesprochen, es überwiegen jedoch Gefahren- und gleichzeitig Nutzenargumentationen, die sich in der überwiegenden Mehrzahl auf Kriminalität und Terror beziehen. Als gesellschaftliche Bedrohung konzipiert kann mit der Perspektive deren Abwehr

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der Nutzen geheimdienstlicher Aktivität plausibilisiert werden. Immer wieder liefert dabei die Erinnerung an die Ereignisse des 11. September 2001 das entscheidende Überzeugungsmoment. Deren metonymische Wiedergabe im Sprachgebrauch durch die alleinige Nennung des Ereignisdatums erbringt den letzten Beweis dafür, wie tief verankert die Geschehnisse im kollektiven Gedächtnis sind. Der Appell an das damit verbundene gesellschaftliche Wissen ruft vor allem die Vorstellung eines ‚Seitdem ist alles anders‘ hervor, womit erhebliche gesellschaftliche Mobilisierungs- und Legitimationspotenziale verbunden sind. Sogar Vertreter gegnerischer Positionen erkennen das Ereignis als Zäsur an oder gehen in ihrem Sprachgebrauch zumindest unbewusst davon aus. Die einzelnen Gefahren- und Nutzenargumentationen finden schließlich ihren gemeinsamen Kulminationspunkt im Begriff Sicherheit, in dem sich die Semantiken der einzelnen Topoi vereinen. Als nicht weiter erklärungsbedürftiger Begriff steht Sicherheit hier als gesellschaftlich etablierte und von den Diskursteilnehmern mühelos dekodierbare Antwort auf gesellschaftliche Gefahr, Terror und den 11. September 2001, der von Verfechtern wie Kritikern dieser Perspektive – wenn auch kontrovers – benutzt wird. Die sprachliche Realisierung des Argumentationsschemas ‚11. September 2001‘ erfolgt häufig über Präpositionalgefüge mit kausaler Funktion: „[M]it Rücksicht auf die schrecklichen Erinnerungen an den Terroranschlag vom 11. September 2001“ (FAZ.net v. 4.7.13), „wegen der sich verändernden Bedrohungslage nach dem 11. September 2001“ (FAZ v. 13.7.13) oder „[a]ngesichts der Terroranschläge vom 11. September 2001“ (SZ.de v. 24.7.13) werden die Aktivitäten der NSA als „nachvollziehbar“ (ebd.) gerechtfertigt. Wenn gesagt wird, man befindet sich „[i]m Zeitalter des ‚War on Terror‘“ (FAZ.net v. 8.9.13), ‚weiß‘ der zeitgenössische Kommunikationsteilnehmer, dass dieses „nach 9/11“ (ebd.) angebrochen ist. Das mit dem Sprachgebrauch der „schrecklichen Erinnerungen“ (FAZ.net v. 4.7.13) aufgerufene und als allgemein gültig etablierte gesellschaftliche Wissen um die psychologischen Auswirkungen der Ereignisse spricht auch der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion Michael Grosse-Brömer an, wenn er die geheimdienstlichen Maßnahmen der NSA folgendermaßen rechtfertigt: „Das mag an 9/11 liegen; das mag an einer Traumatisierung liegen“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13). Der Appell an den Zäsurencharakter der Ereignisse vom 11. September 2001 ist Steigbügelhalter für eine umfassende Nutzenargumentation, mit deren Hilfe die Aktivitäten der NSA vor allem von Akteuren der Regierungsfraktionen in den positiv aufgeladenen Kontext der Gefahrenabwehr, insbesondere des Terrorschutzes, gestellt werden, um sie so zu legitimieren. Innenminister Hans-Peter Friedrich beispielsweise wird auf FAZ.net mit folgenden Worten wiedergegeben: „Es geht darum, dass wir

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weltweit Netzwerke organisierter Kriminalität und Terrorismus haben und diese Netzwerke in irgendeiner Form aufgeklärt werden müssen“ (FAZ.net v. 29.7.13). Finanzminister Wolfgang Schäuble fragt entsprechend rhetorisch: „Wie wollen Sie ansonsten den international operierenden Terrornetzwerken auf die Spur kommen?“ (SZ.de v. 24.7.13). Immer wieder erfolgen im Diskurs der Verweis auf die „Bedeutung im Kampf gegen Terrorpläne“ (FAZ.net v. 13.8.13) oder auf die „Gefahrenabwehr“ (SZ.de v. 6.9.13), die den NSA-Aktivitäten zugeschrieben wird, sowie die Begründung, „dass erst der enge Austausch von Daten es erlaubt, eine halbwegs zuverlässige Gesamteinschätzung globaler Terrorstrukturen (...) zu entwerfen. Gleiches gilt für organisierte Kriminalität“ (SZ.de v. 25.7.13), wie sie hier der ehemalige BND-Vizechef Rudolf Adam auf SZ.de liefert. Der „Kampf gegen den Terrorismus, die Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen sowie schwerer Straftaten“ (FAZ.net v. 23.10.13b) und „die Notwendigkeit der Verbrechensbekämpfung“ (SZ.de v. 11.7.13a) sind schlagkräftiges Argument für die Rechtfertigung der geheimdienstlichen Maßnahmen, „die von Staaten betrieben werden, um ihre Bürger gegen terroristische Anschläge (oder gegen organisierte Kriminalität) zu schützen“ (FAZ.net v. 18.7.13). Mit dem semantischen Kern des ‚Nutzens‘ vermag das Argumentationsschema, gesellschaftliche Zustimmung hervorzurufen, zumal „die Politik die Angst vor der Terrorgefahr immer wieder forciert“ (SZ.de v. 13.9.13), wie Vertreter gegnerischer Positionen anmahnen; und auch sonst die „Angst vor dem Terror“ (FAZ.net v. 24.9.13) zum seriell bemühten gesellschaftlichen Gemeinplatz geworden ist. Darüber hinaus wird mitunter auch der „Schutz unserer Soldaten in Afghanistan“ (Oppermann v. 18.11.13) bzw. der „Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten“ (Friedrich v. 18.11.13) als nutzentopische Rechtfertigung für die NSA-Aktivitäten bemüht. Gängiges sprachliches Muster ist darüber hinaus der Hinweis auf bereits eingetretenen Nutzen, um die Legitimation der Aktivitäten gewissermaßen zum Beweis zu steigern. Michael Grosse-Brömer etwa nutzt eine zunächst auf die Gegenwart bezogene apodiktische Formulierung: „Da (...) müssen wir ganz klar feststellen: Der Einsatz von Diensten zum Schutz vor terroristischen Anschlägen und zur Verhinderung schwerwiegender Kriminalität ist sinnvoll und erforderlich“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13). Im Anschluss liefert er den Nutzenbeweis, wenn er folgende vergangenheitsbezogene Faktizität herzustellen versucht: „Jeder von uns weiß, dass wir auch durch Hinweise der amerikanischen Geheimdienste Anschläge in Deutschland verhindern konnten; das gehört als Teil der Wahrheit zu dieser Debatte“ (ebd.). Innenminister Hans-Peter Friedrich bedient sich einer ähnlichen Strategie, denn er „zeigte (...) Verständnis für das Verhalten der Vereinigten Staaten, sich durch das umfangreiche Sammeln und Auswerten von Daten (...) vor weiteren Terrorangriffen wie am 11.

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September 2001 zu schützen“ (FAZ.net v. 2.7.13). Auf SZ.de wird er wenige Tage später mit folgenden Worten zitiert: „Ohne die Hinweise der USA und die gute Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten hätten wir höchstwahrscheinlich Terroranschläge in Deutschland nicht verhindern können“ (SZ.de v. 11.7.13b). Ebenso trägt Friedrichs Fraktionskollege Günter Krings vor dem Bundestag vor, dass „die US-Behörden in den letzten Jahren (...) 1 700 Gefährdungsberichte mit wertvollen, unverzichtbaren Erkenntnissen zur Terrorabwehr allein an die Staaten der Europäischen Union gesandt“ (Krings v. 18.11.13) haben. Auch der Politikwissenschaftler Volker Perthes formuliert in seinem Gastbeitrag für die SZ die Aussage, „dass einige Terroranschläge und so mancher Akt organisierter Krimineller nur durch den Austausch von Informationen verhindert worden sind“ (SZ v. 20.11.13). Die Plausibilität des Nutzentopos wird verstärkt, wenn immer wieder mit bedrohungstopischem Sprachgebrauch erinnert wird: „Die Bedrohung durch den Terror ist nicht kleiner, sondern größer geworden. Wir stehen auch in Deutschland im Fokus der Bedrohung“ (FAZ.net v. 2.7.13), sagt etwa Innenminister Friedrich. Auch ist von „Sicherheitsrisiken“ (FAZ v. 13.8.13) die Rede. Das Kompositum enthält den Bedrohungstopos kondensiert im Wort; die Tatsache, dass Sicherheit dabei als Determinans zu fungieren vermag, weist auf die Stellung des Begriffs als Leitvokabel im Diskurs hin. Der ehemalige Innenminister Otto Schily lehnt mit Hilfe des Bedrohungstopos die Stigmatisierung der NSA ab, wie die SZ berichtet: „Man solle nicht so tun, als ob die größte Gefahr für die Menschen in Deutschland von der NSA ausgehe, sagte Schily (...). ‚Die größte Gefahr geht vom Terrorismus und von der organisierten Kriminalität aus. Ich finde manches Getöse, was da im Moment zu hören ist, nicht angemessen‘“ (SZ v. 29.7.13). Gelegenheitskomposita wie etwa die „Gefahr von Cyber-Angriffen“ (FAZ.net v. 13.7.13a) oder die „Gefahr eines Cyber-Terrorismus“ (ebd.) können als Ausdruck des Bedrohungstopos auch dem Topos der Virtualitätsdifferenz zugeordnet werden. Der Ausdruck Cyber verweist explizit auf den virtuellen Bezug der Gefahr. Die Semantik der ‚Neuheit‘ wird neben dem Begriff Cyber nicht zuletzt schon dadurch vermittelt, dass es sich bei den Komposita um zum Diskurszeitpunkt noch relativ neue Wortschöpfungen handelt. Wenn von „Cyber-Warfare“ (SZ.de v. 25.7.13) als einer „sich klar abzeichnenden Bedrohung“ (ebd.) gesprochen wird, ist damit nicht nur einmal mehr der Topos der Virtualitätsdifferenz sprachlich realisiert; Kriegsmetaphorik dient hier im Rahmen des Bedrohungstopos zur Dramatisierung von Gefahr und Nutzen; sie wird also nicht nur – wie oben bereits dargestellt – von Gegnern der NSA-Aktivitäten, sondern auch von deren Befürwortern – wenn auch mit konträrer Intention – genutzt. So konstatiert der bereits zitierte, ehemals hochrangige BND-Funktionär Rudolf Adam:

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„Wer einen Angriff auf lebenswichtige Infrastrukturen wie (...) Verteiler- oder Kommunikationsnetze nicht vorausschauend abwehren kann, riskiert Schäden, die die Explosion einer Atombombe in den Schatten stellen“ (ebd.). Interessantes Merkmal des Sprachgebrauchs hier ist die Übertragung extremer Gefahrenvorstellungen der analogen Welt wie die Kriegsführung mit Atombombe auf den virtuellen Kontext, um die Bedrohungskonzeption gesellschaftlich vermittlungsfähig zu machen. Grundsätzlich wird mit der Kriegsmetaphorik die Vorstellung von ‚Verteidigung‘ vermittelt, wie im obigen Beispiel der Gebrauch des Verbs abwehren zeigt, und damit geheimdienstliche Aktivität gerechtfertigt, schließlich wird mit dem Sprachgebrauch ein ‚Angriff‘ präsupponiert. Die Aussage, „Online-Kriminelle greifen Verbindungen an“ (FAZ v. 13.8.13) ist ein Beleg dafür. Die Konstitution einer virtuellen Bedrohung bereitet den Boden für die Übertragung des Sicherheitsbegriffs in seiner Bedeutung ‚Sicherheit durch den Staat‘ in eben diese virtuelle Sphäre: „Zweck moderner Staatlichkeit bleibt der Schutz der Menschen vor Willkür und Gewalt. Auf reale Bedrohungen muss der Staat reagieren, auch im Netz“ (FAZ v. 20.7.13). Der mit Hilfe des vorgestellten Toposkonglomerats aus Differenz, Bedrohung und Nutzen die NSA-Aktivitäten rechtfertigende Sprachgebrauch wird im Diskurs von gegnerischen Gruppen mitunter zurückgewiesen, zugleich werden oppositionelle Perspektiven ebenso durch die genannten Topoi realisiert. Gregor Gysi (Die Linke) etwa lehnt die Argumentationslinie der Regierungsfraktionen in einer expliziten Thematisierung ab und stigmatisiert sie als „grotesk“ (Gysi v. 18.11.13): Das Ganze steht unter dem Stichwort Bekämpfung von Terrorismus, von Drogenkriminalität. Eine flächendeckende, umfassende Überwachung der Bevölkerungen fast aller Staaten hat etwas mit der Bekämpfung von Terrorismus und Drogenkriminalität zu tun? In welchem Verdacht steht eigentlich unsere Kanzlerin, wenn auch deren Handy abgehört wird? Ich glaube, bei dieser Begründung wird es doch grotesk. (ebd.)

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger von der FDP, im Juli 2013 Bundesjustizministerin, kritisiert in einem Gastbeitrag für die FAZ die Aktivitäten der NSA umfassend und konstatiert – den Differenztopos 11. September 2001 für ihre Strategie der Abwertung nutzend: „‚Prism‘ und ‚Tempora‘ (...) sind der vorläufige Höhepunkt (oder eher Tiefpunkt) einer Entwicklung, die seit dem 11. September 2001 ihren Lauf genommen hat“ (FAZ v. 9.7.13). Heribert Prantl geht in seiner Aussage auf SZ.de ebenfalls von der Zäsur 11. September 2001 aus und beklagt mit ihr verloren gegangene Rechtsstaatlichkeit: „Die Sicherheitsapparate eines Rechtsstaats können alles, was sie dürfen. (...) Das galt vor dem 11. September 2001, und das muss auch nachher so sein; es ist aber nicht mehr so“ (SZ.de v.

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21.7.13b). Wenige Wochen später nutzt er abermals den Differenztopos und thematisiert ihn explizit, um seine Ablehnung gegenüber geheimdienstlichen Aktivitäten zu formulieren: „Die Überwachungsarchitektur (...) wird seit 9/11 aufgebaut. (...) Die Begründung für all das hieß und heißt: Nine Eleven. Seit dem 11. September 2001 ist die Politik dabei, ihre Rechtsstaaten in Präventionsund Sicherheitsstaaten umzubauen“ (SZ.de v. 13.9.13). Prantl fordert schließlich „einen Bewusstseinswandel, der es nicht mehr hinnimmt, dass mit 9/11 ein neues Überwachungszeitalter begonnen hat“ (ebd.). Weitere Nutzenargumentationen der Regierung werden im Diskurs als bloße rhetorische Taktiken deklariert und mit entsprechend negativ konnotierten Ausdrücken stigmatisiert, etwa wenn gesagt wird: „[D]ie Bundesregierung (...) ist mit Kleinreden und Ablenkungsmanövern beschäftigt. (...) Der Rest ist Abwiegeln und die Zusicherung, es ginge bei den Geheimdienstprogrammen um den Schutz deutscher Soldaten und Bürger vor Terroristen“ (SZ v. 12.9.13). Die FAS zitiert schließlich den Soziologen Zygmunt Bauman, der den Legitimationscharakter des Topos der Terrorabwehr explizit thematisiert: „Der internationale Terror ist ein Geschenk für Regierungen auf ihrer Suche nach Legitimität“ (FAS v. 15.9.13). Das Zusammenspiel der Topoi Differenz, Bedrohung und Nutzen kann als gesellschaftliches Narrativ betrachtet werden, das im hier betrachteten Diskurs zum Tragen kommt und sich – das sei als Vermutung formuliert – darüber hinaus in zahlreichen weiteren Diskursen der jüngeren Vergangenheit manifestieren dürfte: Mit den Ereignissen vom 11. September 2001 hat sich alles geändert; die Gesellschaft ist permanent durch Terror bedroht; der Staat bestimmt ihren Schutz als seine (zentrale) Aufgabe. Der Begriff Sicherheit nimmt dabei die Stellung einer Leitvokabel ein. In ihm kondensieren sich die mit den genannten Topoi vermittelten Semantiken. Dies wird daran deutlich, dass im Kontext der Befürwortung der NSA-Aktivitäten von den einzelnen Argumentationsschemata abstrahiert stets auch von deren Sicherheitsnutzen gesprochen wird. Sicherheit fungiert also einmal mehr als letztinstanzliche Legitimationsvokabel, die das Plausibilisierungsmuster der Topoi erst vollendet. Da gerade um die damit konstituierte Perspektive eine ausgeprägte Kontroverse entsteht, die im Streit um Innenminister Friedrichs Diktum vom „Supergrundrecht Sicherheit“ (z. B. SZ v. 22.7.13a) gipfelt, gerät Sicherheit in der hier gebrauchten Bedeutung auch zum Verteidigungsbegriff, der seine noch 2001 vorherrschende Unumstrittenheit im Diskursverlauf weiter verliert. Die Diskursakteure „führen (...) Sicherheitsargumente ins Feld“ (FAZ v. 13.8.13). Bundeskanzlerin Angela Merkel etwa rechtfertigt die Aktivitäten der NSA mit deren Nutzen für staatliche Sicherheit und stellt sie obendrein in den Kontext der Gewöhnlichkeit, wenn sie auf SZ.de wie folgt zitiert wird: „Dass

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Nachrichtendienste (...) zusammenarbeiten, entspricht ihren Aufgaben seit Jahrzehnten und dient unserer Sicherheit“ (SZ.de v. 10.7.13). Auf FAZ.net wird Merkel des Weiteren mit folgenden Worten wiedergegeben: „Die Arbeit von Nachrichtendiensten in demokratischen Staaten sei für die Sicherheit der Bürger immer unerlässlich und werde es auch in Zukunft sein“ (FAZ.net v. 10.7.13b). Der Sprachgebrauch von Innenminister Hans-Peter Friedrich ist nahezu identisch. Er hält die geheimdienstlichen Aktivitäten für „nötig, ‚um die Sicherheit unseres Landes und Europas zu gewährleisten‘“ (FAZ.net v. 16.7.13). Die Attribute unerlässlich und nötig weisen abermals auf einen die Argumentation stützenden Topos der Alternativlosigkeit hin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble ist außerdem „überzeugt, dass wir einen Großteil unserer Sicherheit in Deutschland der Zusammenarbeit mit befreundeten Nachrichtendiensten zu verdanken haben“ (SZ.de v. 24.7.13). Schließlich äußert sich auch der Vorsitzende der Deutsche Telekom AG René Obermann in einem Interview ähnlich: „Der Staat muss Sicherheit gewährleisten können. Wir können die Tätigkeit der Dienste nicht grundsätzlich ablehnen“ (FAZ.net v. 28.11.13b). Aufsetzend auf die Argumenation mit Differenz, Bedrohung und Nutzen versuchen die Befürworter geheimdienstlicher Aktivitäten, mit ihrem Sprachgebrauch die Perspektive eines ‚Supernutzens‘ staatlicher Sicherheit zu etablieren. Der Begriff Sicherheit soll mit seiner Überlegenheit aufgrund seines Appells an existenzielle Mächtigkeit im Sinne von Schutz vor Terror und weiterer lebensbedrohlicher Gefahren, also seinem letztlichen Versprechen der ‚Lebensrettung‘, die von gegnerischen Positionen verfolgten, negativ perspektivierten Deutungen der Überwachung verdrängen. Dies gelingt nur bedingt. Explizite Thematisierungen des Sprachgebrauchs weisen auf dessen Brisanz hin und stellen die nutzenorientierten Plausibilisierungsversuche – mitunter implizit – in Frage. So äußert sich Sandro Gaycken, ehemaliges Mitglied des Chaos Computer Clubs und Forscher im Bereich Internetsicherheit, in distanzierender Diktion: „[D]ie Geheimdienste sagen natürlich, dass ihre Geheimdienstarbeit die Sicherheit erhöht“ (SZ v. 9.7.13). Auch auf SZ.de thematisiert man den Sprachgebrauch der Gegenseite explizit: „Stets erklären US-Regierung und Geheimdienste im Interesse der nationalen Sicherheit zu agieren“ (SZ.de v. 11.7.13a). Die Sprecherin des Chaos Computer Clubs Constanze Kurz bezeichnet den gegnerischen Sprachgebrauch stigmatisierend als „nur wieder die hohle Phrase ‚aber nur für die Sicherheit‘“ (FAZ.net v. 1.11.13a) und weist so den damit verbundenen Deutungsanspruch zurück. Ebenso tut dies der Chefredakteur des Guardian Alan Rusbridger, wenn er im Interview mit der FAZ sagt: „Man kann nicht behaupten, dass das Sammeln von Information über Milliarden von Bürgern eine Frage der nationalen Sicherheit sei“ (FAZ.net v. 21.8.13). Frank Rieger, ebenfalls Spre-

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cher des Chaos Computer Clubs, wertet die gegnerische Position als „falsches Versprechen von Sicherheit“ (FAZ.net v. 28.11.13b) ab. Ranga Yogeshwar unterstellt in einem Interview mit seinem expliziten Hinweis auf die Begriffsverwendung von Sicherheit den politischen Akteuren öffentliche Täuschung, wenn er sagt: „Wenn Staatsorgane ‚Sicherheit‘ sagen, meinen sie nur scheinbar die Bürger“ (FAZ.net v. 11.7.13). Mit ähnlich entlarvender Intention spricht die FAZ von „vermeintliche[r] Sicherheit“ (FAZ v. 17.7.13). Man thematisiert explizit und unterstellt der Politik einen Sicherheitsbegriff egoistischer Konnotation: „Politiker sagen zwar, dass sie die Sicherheit der Bürger als oberste Priorität verfolgen, tatsächlich ist jedoch eine andere Sicherheit im Fokus, nämlich die der Wiederwahl oder der Erhalt eines Ministeramts“ (ebd.). Mit einer Behauptung wird schließlich die Bedeutungsdifferenz festgehalten; so „sind die Sicherheit des Bürgers und die Sicherheit des Politikers etwas grundlegend anderes“ (ebd.). In einem Video, aus dem die SZ zitiert, weist Edward Snowden die Nutzenargumentation explizit zurück: „Die Überwachung bringt nicht mehr Sicherheit, sondern weniger“ (SZ.de v. 12.10.13). Die SZ bezeichnet diesen Sprachgebrauch als „drastische[] Worte[]“ (ebd.). Snowden expliziert seine Ablehnung der sicherheitsbezogenen Nutzenargumentation, indem er ihr eine Deutung der ‚umfassenden Freiheitseinschränkung‘ entgegensetzt und sie so abwertet. Er meint, „dass Geheimdienstprogramme ‚uns nicht mehr Sicherheit geben, sie schwächen unsere Wirtschaft, unsere Länder, sie beschränken unsere Freiheit zu reden, zu denken, zu leben und kreativ zu sein, Beziehungen zu haben‘“ (ebd.). Seriell tritt im Diskurs die Frage auf, „welcher Preis für die vermeintliche Sicherheit bezahlt wird“ (FAZ v. 17.7.13). Infragestellender Sprachgebrauch macht besonders deutlich, dass Sicherheit die Leitvokabel des Diskurses ist, da an diesem Begriff der Diskussionspunkt festgemacht wird: „Verspricht das [i. e. das geheimdienstliche Vorgehen; A. S.] nicht mehr Sicherheit auf der Welt (...)? Ja, aber um welchen Preis!?“ (FAZ.net v. 25.7.13). Die Frage nach dem Preis für Sicherheit will hinweisen auf eine ‚Kehrseite‘ der Bedeutung von Sicherheit in der Bedeutung als ‚Sicherheit durch den Staat‘, wie sie hier durchgehend diskutiert wird. Damit offenbart der Sprachgebrauch die Umstrittenheit des Sicherheitsbegriffs im Diskurs, die sich als Ringen um positive oder negative Konnotation des Sicherheitsbegriffs in der Bedeutung von ‚Sicherheit durch den Staat‘ darstellt. Weitere Versuche, die negative Konnotation der Begriffsbedeutung zu etablieren, lassen sich in der Bildung von Gelegenheitskomposita nachweisen, die entweder schon selbst Negatives suggerieren oder in entsprechend negative Kontexte gesetzt werden. So wird etwa behauptet: „Dieses Sicherheitskonzept ist paranoid“ (SZ v. 29.10.13), auch ist von der „Vorherrschaft des Sicherheitsdenkens“ (SZ v. 24.8.13) und von einem „Präventions- und Sicherheitsstaat“

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(SZ.de v. 13.9.13) die Rede. Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) schreibt in einem Gastbeitrag auf FAZ.net: „[A]uch bei uns hat Sicherheitslogik dominiert“ (FAZ.net v. 24.9.13). Anschließend erläutert er sein Verständnis des Begriffs Sicherheitslogik; die in diesem Zusammenhang vorgenommene Kontextualisierung offenbart seine ablehnende Haltung gegenüber geheimdienstlichen Aktivitäten und einen damit verbundenen Versuch der Negativperspektivierung von Sicherheit: Die Grenzen zwischen (...) Polizei und Verfassungsschutz sind immer weiter verwischt worden. Auch wir haben einen Präventionsstaat aufgebaut, und der ist unersättlich. In seiner Natur liegt es, den Menschen immer mehr Freiheit zu nehmen und ihnen dafür Sicherheit zu versprechen. (ebd.)

Als Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich Mitte Juli 2013 sagt: „Sicherheit ist ein Supergrundrecht“ (Welt.de v. 16.7.13), prägt er ein Diktum, das aufgrund seiner Umstrittenheit bis heute im Erinnerungsrepertoire der Sprechergemeinschaft präsent ist. Mit seiner Aussage sucht er die Aktivitäten der NSA zu rechtfertigen, indem er den damit verbundenen Sicherheitsbegriff der ‚Sicherheit durch den Staat‘ absolut stellt. Dazu nutzt er neben definitorischer Diktion das Mirandum Grundrecht als Etikett und steigert es durch das augmentative Präfix super, so dass Sicherheit zum gesellschaftlichen Wert ‚über alle Maßen‘ und ‚vor allen anderen‘ wird. Diese Strategie der Übersteigerung trifft auf eine kritische öffentliche Wahrnehmung. Das belegt schon die Tatsache, dass der Begriff Supergrundrecht im Jahr 2013 in der engeren Auswahl zum Unwort des Jahres steht und im November 2013 dafür „bisher am häufigsten vorgeschlagen worden“ (SZ v. 11.11.13) ist, wie die SZ berichtet. Den Sprachgebrauch des Ministers lehnen zahlreiche Diskursteilnehmer vehement ab. Insbesondere in der SZ lässt sich eine Vielzahl expliziter Thematisierungen nachweisen, anhand derer die Brisanz des ministerialen Sprachgebrauchs deutlich wird. Darauf weist schon dessen aus Gründen der Distanzierung mitunter in Anführungszeichen erfolgende Wiedergabe hin. Zunächst steht die Person des Ministers im Fokus einer sprachlichen Abwertungsstrategie. Heribert Prantl thematisiert Friedrichs Aussage in der SZ explizit und stigmatisiert ihn wie folgt: „Mit seinem Reden von der Sicherheit als einem Supergrundrecht macht er sich zum NSA-Bruder, zum Bruder im Geiste des US-Geheimdienstes“ (SZ.de v. 21.7.13b). Um Friedrichs Diktum das Etikett der völligen Fehlsicht anzuheften, sagt Prantl des Weiteren: „Der Minister hat sich (...) mit der Äußerung über das ‚Supergrundrecht Sicherheit‘ blamiert“ (SZ v. 17.8.13) und bezeichnet Friedrich als „Chefverharmloser“ (ebd.). Weitere explizite Thematisierungen stellen der Aussage Friedrichs den Hochwertkontext ‚Grundgesetz‘ entgegen. Einmal mehr ist es Heribert Prantl, der in

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der SZ die Stigmatisierung von Friedrichs Aussage als Verfassungsbruch vornimmt, indem er dem Minister die Richtigkeit seines Aussagegehalts abspricht: „Wer ein Supergrundrecht auf Sicherheit verficht, nähert sich dem mit dem Wort ‚Grundrecht‘ getarnten Verfassungsbruch (...). Das Grundgesetz kennt keine Sicherheit“ (SZ v. 18.7.13). Prantl präsentiert seine eigene, negativ perspektivierte Deutung des Begriffs Supergrundrecht, mit der er die Perspektive der Zurückdrängung anderer Grundrechte etabliert: Das Super-Grundrecht hat quasi ein eingebautes Blaulicht; alle anderen Grundrechte sollen beiseite springen. (...) Wenn es um Sicherheit geht, zählen alle anderen Grundrechte nichts mehr, dann bleibt notfalls nur eines übrig – das Supergrundrecht auf Sicherheit. Das führt zur Banalisierung aller anderen Grundrechte. (ebd.)

Zudem unterstellt er Innenminister Friedrich: „Die Erfindung eines ungeschriebenen Supergrundrechts Sicherheit ist der Versuch, die Unterhöhlung des Bodens des Grundgesetzes zu rechtfertigen“ (SZ.de v. 21.7.13b). Die Attribuierung des „Supergrundrechts“ (ebd.) als ungeschrieben sowie dessen Deutung als ‚verfassungsfeindlich‘ zementieren die von Prantl intendierte Perspektive der Abwegigkeit der Aussage Friedrichs. Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) greift ebenfalls Friedrichs Sprachgebrauch auf und erklärt diesen implizit für ungültig, indem sie Bundeskanzlerin Merkel zum Widerspruch auffordert. Zudem stimmt sie mit Prantl in der Deutung der ‚Verfassungsverletzung‘ überein und legt gleichermaßen eine eigene, negativ konnotierte Definition des Ausdrucks Supergrundrecht vor: Die Kanzlerin (...) hätte (...) der Forderung ihres Bundesinnenministers (...) Friedrich nach Anerkennung eines ‚Supergrundrechts Sicherheit‘ widersprechen und damit die Verfassungsordnung wieder ins Lot rücken müssen. ‚Supergrundrecht Sicherheit‘ heißt ja, dass die Grundrechte der Bürger im Zweifel weniger gelten sollen als die Anordnungen von Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten, sobald die das, auch aufgrund von geheimen Erkenntnissen zur Abwehr von Verbrechen und Terrorismus, für nötig halten. (...) Damit muss Schluss sein, weil das die verfassungsmäßige Ordnung und die freiheitliche Demokratie in Deutschland verändern würde. (SZ v. 22.7.13a)

Die vehementen Strategien des Widerspruchs gegen Friedrichs Supergrundrecht Sicherheit treiben die Etablierung einer Semantik der ‚Negativität und Destruktivität‘ von Sicherheit in der Bedeutungsvariante als ‚Sicherheit durch den Staat‘ weiter voran. Gemäßigtere Deutungen, etwa in der konservativ ausgerichteten FAZ, sind weniger zahlreich im Diskurs und in ihrem Sprachgebrauch weniger energisch. In der FAZ stellt man Friedrichs Diktum zur offenen Diskussion, indem man fragt: „Ist Sicherheit ein ‚Supergrundrecht‘?“ (FAZ v. 19.7.13). Zwar weist man auch hier die Bezeichnung Grundrecht zurück und formuliert: „Ei-

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gentlich ist ‚Sicherheit‘ unter dem Grundgesetz überhaupt kein Grundrecht“ (ebd.). Auch gesteht man zu: „Nicht zum modernen Grundwertekanon wird üblicherweise die Sicherheit gezählt“ (FAZ.net v. 18.7.13). Doch schon das Weglassen des Präfix Super weist auf eine moderatere Haltung gegenüber der Aussage Friedrichs hin. Die jeweils folgenden Aussagen, die den Begriff Sicherheit schließlich in hochwertige Kontexte einsetzen, bestätigen diese Beobachtung. So stehe Sicherheit „am Anfang der neuzeitlichen Staats- und Rechtsphilosophie“ (ebd.). Mit Hilfe des Autoritätstopos bemerkt man: „Hobbes (...) hat sie als Voraussetzung allen menschlichen Zusammenlebens bezeichnet (...); in ihrer zivilisierten und juristisch ausbuchstabierten Form als Rechtssicherheit ist sie die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens“ (ebd.). Auch beruft man sich auf „die Europäische Menschenrechtskonvention. Dort heißt es: ‚Jede Person hat das Recht auf Freiheit und Sicherheit‘“ (FAZ v. 19.7.13). Die mit dem Widerspruch gegen Friedrichs Bemerkung vom Supergrundrecht Sicherheit bereits mehrmals angeführte Bedrohung von Grundrechten wird im Rahmen der Bewertung der NSA-Aktivitäten auch über den Streit um das Friedrich’sche Diktum hinaus so häufig verwendet, dass von einem eigenen Topos der Bedrohung der Grundrechte gesprochen werden kann, der breiten Raum im Diskurs einnimmt. Das mit dem Topos verfolgte Argumentationsmuster kann wie folgt gefasst werden: ‚Weil die Aktivitäten der NSA eine Bedrohung verschiedener Grundrechte darstellen, müssen bestimmte Maßnahmen erfolgen bzw. unterlassen werden.‘ Grundsätzlich sind hier Deutungsprozesse zu beobachten, die Kritiker der NSA-Aktivitäten vornehmen, um die Perspektive des ‚verbotenen Tuns‘ der NSA und grundsätzlichen geheimdienstlichen Handelns weiter durchzusetzen. Der Topos schließt also vor allem an das Argumentationsschema der Bedrohung durch den Staat an, das bereits weiter oben vorgestellt wurde. Wie die folgenden Beispiele zeigen, werden mit der hier verfolgten Argumentation insbesondere gesellschaftlich als ‚Abwehrrechte gegen den Staat‘ geführte Werte als ‚bedroht‘ bzw. als ‚bereits verloren gegangen‘ konstituiert, aus deren Blickwinkel sich eine Favorisierung der Begriffsbedeutung von Sicherheit als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ zwingend ergibt. Bedeutender Aspekt des hier beleuchteten Argumentationsausschnitts des Diskurses ist die Neuverhandlung der Bedeutung von Grundrechten unter dem Gesichtspunkt der Virtualitätsdifferenz, in deren Konsequenz auch die Frage nach Rolle und Aufgabe des Staates neu gestellt und diskutiert wird. Die im Rahmen des Topos der bedrohten Grundrechte auffällig häufig auftretende Kontextualisierung mit dem Begriff Sicherheit überrascht zunächst, erfährt jedoch zum einen in Gelegenheitskomposita wie Datensicherheit als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ semantische Plausibilität; zum anderen werden die als ‚bedroht‘ bzw. ‚verloren gegangen‘

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konstituierten Grundrechte von politischen Akteuren geschickt – und damit begegnet die allgemein für Sicherheitsdiskurse angenommene Denkfigur wieder – als ‚verloren gegangene Sicherheit‘ gedeutet, als deren Gewährleister einer Wiederherstellung sich politische Akteure in der Folge zu inszenieren suchen. Am Ende entsteht ein bemerkenswertes semantisches Diskursergebnis: Sicherheit erscheint in der Bedeutung ‚Sicherheit vor dem Staat gewährleistet durch den Staat‘. Durch geheimdienstliche Aktivitäten bedrohte Rechte werden ganz allgemein als „Grundrechte“ (z. B. SZ v. 27.7.13) bezeichnet; dem Argumentationsmuster entsprechend „haben die Spähangriffe der NSA deutsche Grundrechte massiv verletzt“ (ebd.). Seriell werden auch einzelne im Grundgesetz verankerte Rechte bzw. juristisch regelmäßig daraus abgeleitete Rechte genannt. So ist von „Freiheit“ (z. B. FAZ.net v. 22.7.13) und „bürgerliche[n] Freiheitsrechte[n]“ (FAZ v. 13.7.13), von „Privatsphäre“ (z. B. FAZ.net v. 18.7.13), die auch zum „Menschenrecht auf Privatheit“ (FAZ.net v. 24.9.13) erhoben wird, von „Bürgerrechten“ (SZ.de v. 13.8.13) sowie von „Meinungs- und Redefreiheit“ (FAS v. 27.10.13) bzw. von „Kommunikationsfreiheit“ (FAZ v. 20.7.13), die auch als „Grundrecht auf vertrauliche Kommunikation“ (FAZ.net v. 23.10.13b) bezeichnet wird, die Rede. Ebenso wird das vom Bundesverfassungsgericht formulierte „Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung“ (z. B. FAZ v. 19.7.13) seriell im Diskurs bemüht. Mitunter ist ganz grundsätzlich die Rede von „Menschenwürde“ (ebd.) und „Weltbürgerrecht“ (FAZ.net v. 24.9.13). Darüber hinaus gelten „Souveränität“ (FAZ v. 24.7.13) und „Souveränitätsrechte“ (FAZ.net v. 2.7.13) wie auch der „Rechtsstaat“ (z. B. SZ v. 27.7.13) als bedroht. Die Bezeichnungen bilden als gesellschaftliche Miranda einen starken Kontrast zur Semantik des ‚verbotenen Tuns‘ und des ‚Missbrauchs‘, mit der die NSA-Aktivitäten belegt sind. Diese Kontrastierung ist wesentliche Triebkraft für die Begründung einer breit vermittelten gesellschaftlichen Forderung nach Erhalt und Bewahrung der als ‚bedroht‘ bzw. ‚verloren gegangen‘ konzeptionierten Werte. Die Bedrohung selbst wird entweder explizit als solche bezeichnet, zum Beispiel als „Bedrohung der Freiheit (...), wenn der Mensch nicht mehr darauf vertrauen könne, frei zu kommunizieren“ (FAZ.net v. 22.7.13). Der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) spricht von einer „fundamentalen Grundrechtsbedrohung“ (von Notz v. 18.11.13). Darüber hinaus werden die Aktivitäten der NSA im Rahmen der Bedrohungskonzeption stigmatisierend gedeutet als „Gefährdung der Privatsphäre, also der Menschenwürde“ (FAZ.net v. 24.9.13), als „Verletzung unserer Souveränitätsrechte“ (FAZ.net v. 2.7.13), als „Verlust der Privatsphäre“ (FAZ.net v. 23.10.13b), als „Zerstörung unseres Wertefundaments“ (FAZ.net v. 4.7.13), als „Aushebelung der Grundrechte“ (ebd.)

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oder auch als deren „Abschaffung“ (FAZ.net v. 9.8.13), „Aushöhlung“ (SZ.de v. 25.10.13) oder „Verhunzung“ (ebd.). „Der Schutz der Privatsphäre (...) hat heute kaum noch eine Bedeutung“ (FAZ.net v. 23.10.13b), wird auf FAZ.net behauptet, für sie „gibt es keine Garantie (...) mehr“ (FAZ.net v. 9.8.13). Heribert Prantl will deshalb eine „Vermisstenanzeige“ (SZ v. 21.10.13) aufgeben. Er formuliert den Gedanken des ‚bereits Verlorenseins‘ explizit: „Die Bürgerrechte sind verschwunden. (...) Das Licht der Bürgerrechte hat (...) schon in den letzten Jahren nicht mehr hell gebrannt. Nun erlischt es ganz“ (ebd.). Auch wird eine „verlorene Dekade für die Bürgerrechte“ (FAZ.net v. 23.10.13b) konstatiert, womit implizit einmal mehr ein Hinweis auf die Ereignisse des 11. September 2001 gegeben ist. Kriegsmetaphorik kommt ebenfalls zum wiederholten Male im Diskurs zum Tragen, wenn die Rede ist von einem „Angriff auf die Grundrechte der deutschen Bürger“ (SZ.de v. 21.7.13b) sowie von einem „Angriff auf die Meinungsund Redefreiheit und mithin auf die Grundfesten der Demokratie“ (FAS v. 27.10.13). Der ehemalige Bundesinnenminister Gerhart Baum behauptet: „In der Tat ist unsere Privatheit nicht nur gefährdet, sondern partiell tatsächlich erheblich eingeschränkt und teilweise wirklich durch Angriff von außen abgeschafft“ (FAZ.net v. 24.9.13). Es wird angemerkt, „dass fremde Mächte vorsätzlich unsere Grundrechte ignorieren und die deutsche Verfassung missachten“ (FAZ v. 15.7.13). Sigmar Gabriel verfolgt eine ähnliche Strategie der Abwertung, wenn er sagt, dass „die Grundrechte von Millionen Deutschen durch (...) Geheimdienste verletzt wurden“ (SZ.de v. 11.7.13b). Auch wird behauptet, durch die NSA-Aktivitäten sei „unsere Freiheit untergraben“ (FAZ.net v. 8.8.13); das „Ausmaß der Spähaktionen sei freiheitsfeindlich“ (FAZ.net v. 11.11.13) und „Freiheit und Totalüberwachung [sind; A. S.] nicht kompatibel“ (SZ v. 22.7.13a). Bundespräsident Joachim Gauck „sieht durch die Spähaffäre das Freiheitsgefühl der Deutschen eingeschränkt“ (SZ.de v. 26.7.13). Darüber hinaus seien „Privatsphäre und Rechtsstaat geopfert auf dem Altar eines nebulösen Sicherheitsversprechens“ (FAZ.net v. 9.8.13). Letztere Aussage ist nochmaliger Beleg für die bereits beschriebene umfassende Abwertung der Bedeutung von Sicherheit als ‚Sicherheit durch den Staat‘. Dies gilt auch, wenn Constanze Kurz auf FAZ.net schreibt, dass „die Abschaffung der Grundrechte im Namen der Sicherheit nun ganz sichtbar zu Hause angekommen“ (FAZ.net v. 9.8.13) ist. Abermals wird auch der Geschichtstopos in vergleichender Perspektive zur Unterstützung der Argumentation mit dem Topos der Bedrohung der Grundrechte genutzt, um die Gefahrenkonstitution weiter zu etablieren. So formuliert etwa der bereits mehrfach zitierte Bundesinnenminister a. D. Gerhart Baum: Widerstand und Empörung gegen Einschränkungen der Grundrechte gab es durchaus in der früheren Geschichte der Bundesrepublik. (...) Seit den Protesten gegen die Volkszäh-

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lung haben vergleichbare Gefährdungen der Menschenwürde nie wieder zu ähnlichen Reaktionen geführt. Das ist umso verwunderlicher, als die Lage heute ungleich bedrohlicher ist. Haben doch gerade wir Deutsche in der Geschichte des zwanzigsten Jahrhunderts mit zwei Überwachungsdiktaturen bittere Erfahrungen gemacht. (FAZ.net v. 24.9.13)

Auch Joachim Gauck nutzt den Geschichtstopos, um eine Perspektive der ‚Bedrohung‘ zu vermitteln. In der SZ wird er mit folgenden Worten wiedergegeben: „Es schwindet jene Privatsphäre, die unsere Vorfahren sich einst gegen den Staat erkämpften und die wir in totalitären Systemen gegen Gleichschaltung und Gesinnungsschnüffelei zu verteidigen suchten“ (SZ v. 4.10.13). Es fällt auf, dass Argumentationen mit dem Topos der Bedrohung der Grundrechte häufig den Begriff Sicherheit einbeziehen, und zwar in sehr einfacher sprachlicher Form. So wird in vielen Aussagen des Diskurses nicht nur ein Grundrecht oder ein von ihm abgeleitetes Recht genannt, sondern dessen Nennung mit dem Begriff Sicherheit verbunden; man spricht etwa von „Sicherheit und Privatsphäre“ (z. B. FAZ v. 30.8.13). Bedenkt man die bereits vorgestellten umfangreichen Abwertungsstrategien, denen der Begriff Sicherheit durch Gegner der NSA-Aktivitäten unterzogen wird, überrascht dies zunächst. Dessen Konkretisierung im Kompositum Datensicherheit bzw. in als Synonyme aufzufassenden Begriffen wie Datenschutz oder Informationssicherheit und die weiterhin erfolgende Kontextualisierung mit ‚Abwehrrechten vor dem Staat‘, die als gesellschaftliche Miranda fungieren, verweisen jedoch auf die Semantik ‚Sicherheit vor dem Staat‘, die hier von den entsprechenden Diskursteilnehmern gegen die Bedeutung ‚Sicherheit durch den Staat‘ gewissermaßen in Stellung gebracht wird. So ist die Rede von „Informationsfreiheit und -sicherheit“ (SZ v. 12.10.13) oder von „Datenschutz als Teil der informationellen Selbstbestimmung, die ein Freiheitsrecht ist“ (FAZ.net v. 18.7.13). Auch wird dem Supergrundrecht Sicherheit ein „Supergrundrecht Datenschutz“ (FAZ v. 19.7.13) entgegengesetzt. Das Einsetzen von Sicherheit und entsprechender Komposita und Synonyme in den Kontext gesellschaftlicher Hochwertwörter ist Ausdruck einer Aufwertungsstrategie. Der Begriff Sicherheit soll in seiner Bedeutung als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ eine unumstritten positive Konnotation erfahren, vormals der Bedeutungsvariante ‚Sicherheit durch den Staat‘ innewohnende deontische Bedeutungsaspekte übernehmen, und sich so der konkurrierenden Semantik der ‚Sicherheit durch den Staat‘ als überlegen etablieren; abhängig von der Durchsetzung der Deutungshoheit sind schließlich mit dem Begriff verbundene politische Forderungen, etwa nach weniger geheimdienstlichen Aktivitäten im Inland. Ein potenzieller Hinweis auf den Sieg im semantischen Kampf ist gegeben, wenn explizit davon gesprochen wird, dass Datensicherheit momentan „hoch im Kurs“ (FAZ.net v. 18.7.13) steht.

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Es fällt des Weiteren auf, dass in Kontextualisierungsmustern mit Sicherheit oder entsprechenden Komposita einem Grundrecht zusätzlich jeweils determinierende Begriffe vorangestellt werden, die dem Wortfeld ‚Sicherheit‘ zugeordnet werden können. So wird von „Datensicherheit und de[m] Schutz bürgerlicher Freiheitsrechte“ (FAZ v. 13.7.13), von „Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13) oder auch von „Sicherheit und der Bewahrung informationeller Selbstbestimmung“ (FAZ.net v. 12.11.13b) gesprochen. Damit wird eine doppelte Strategie der Versicherheitlichung evident, die sich nicht nur aus der gemeinsamen Nennung eines Sicherheitsbegriffs und eines Grundrechts ergibt, sondern die in erheblichem Maße durch die Unmittelbarkeit der Aufladung grundrechtlicher Begriffe mit sicherheitssemantischem Gehalt anhand deren Versetzung in ein entsprechendes Abhängigkeitsverhältnis, wie hier in einer Genitivkonstruktion mit Schutz oder Bewahrung, konstituiert wird. Nachdem Grundrechte gleichzeitig als ‚bedroht‘ bzw. ‚verloren gegangen‘ konzeptioniert sind, geht mit der Stratgie ihrer Versicherheitlichung die semantische Erweiterung der Bedrohungskonzeption um die Konnotation der Sicherheitsrelevanz einher. Die diskursive Versicherheitlichung des Grundrechtsmotivs mit starkem Gewicht auf einer Bedrohungsperspektivierung wird im Sprachgebrauch auch in weiterer expliziter Form deutlich. „Es fehle an Datensicherheit“ (FAZ v. 19.7.13), konstatiert etwa die FAZ. Auch die Behauptung, dass die deutsche „Infrastruktur zu Cyber- und Datensicherheit (...) einem Staat im Mittelfeld der Weltökonomien zum Ruhme gereichte“ (SZ v. 26.10.13), konstituiert die Vorstellung unzureichend vorhandener Sicherheit. Wenn gesagt wird: „Die Deutschen sorgen sich (...) um die Sicherheit ihrer Daten“ (FAS v. 29.12.13), ist damit ebenfalls eine auf Daten bezogene Bedrohung bzw. Unsicherheit präsupponiert. Gleiches gilt, wenn von „Privatanwender[n] mit erhöhtem Sicherheitsempfinden“ (FAZ.net v. 5.9.13) die Rede ist, und „[v]iele (...) über die Sicherheit ihrer sensiblen Daten inzwischen sehr besorgt“ (FAZ.net v. 6.11.13) sind. Die Etablierung einer Sichtweise ‚verloren gegangener Sicherheit‘ in der hier gemeinten Bedeutung der ‚Sicherheit vor dem Staat‘ nährt schließlich den gesellschaftlichen Wunsch nach deren Wiederherstellung. So werden Forderungen nach „mehr Datensicherheit“ (SZ.de v. 9.8.13) und einer „Verstärkung des Datenschutzes und der IT-Sicherheit“ (FAZ v. 14.8.13) plausibel. Ebenso verlangt man, „die Datensicherheit (...) zu stärken“ (FAZ.net v. 27.10.13) und „die Daten sicherer zu machen“ (FAZ.net v. 31.10.13). Dem Streben nach ‚Sicherheit durch den Staat‘ wird machtvoll das neue gesellschaftliche Ziel ‚Sicherheit vor dem Staat‘ entgegengestellt, das aufgrund seiner sprachlichen Inszenierung als Mirandum und der ihm übertragenen deontischen Bedeutungsdimension unbedingt erstre-

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benswert erscheint. Ausgerechnet politische Akteure treten in der Folge für dessen Gewährleistung ein. Es entsteht eine ausgeprägte Kontroverse um die Aufgaben des Staates, die erst mit Blick auf die Rolle des Topos der Virtualitätsdifferenz im Rahmen der Grundrechtsargumentation und deren Aspekt der Datensicherheit nachvollziehbar wird. Daher soll an dieser Stelle zunächst der Einfluss dieses Topos auf die Grundrechtediskussion beleuchtet werden. Mit Hilfe des Topos der Virtualitätsdifferenz wird die gesellschaftliche Bedeutung von Grundrechten neu verhandelt. Die verschiedentliche Attribuierung mit der Eigenschaft digital ist ein erster Hinweis darauf. Man spricht von „digitalen Bürgerrechte[n]“ (FAZ.net v. 8.7.13) und „digitale[r] Privatsphäre“ (SZ.de v. 13.8.13) im Zusammenhang mit „digitale[n] Daten“ (FAZ.net v. 28.8.13) und „digitale[r] Sicherheit“ (FAZ.net v. 4.7.13). Die als ‚neu‘ konzeptionierte Bedeutung der virtuellen Sphäre wird zum Auslöser für die Konstitution einer auf Grundrechte bezogenen ‚Differenz‘, auf deren Folie weitreichende Bewertungen nicht nur zu neuen politischen Forderungen führen, sondern die ebenso die Semantik grundrechtlicher Begrifflichkeiten zu berühren vermögen. Eine auf Grundrechte bezogene Differenz wird meist durch die Verbindung von Begriffen der virtuellen Sphäre mit einer Semantik der ‚Neuheit‘ und ‚Veränderung‘ begründet, in deren Kontext wiederum bekannte politische Begriffe gesetzt werden. Häufig weisen die Aussagen Behauptungscharakter auf, wie etwa hier in der FAZ: „Die zwischenmenschlichen Beziehungen, aber auch das Verhältnis des Staates zum Bürger im Netz nehmen einen neuen Charakter an“ (FAZ v. 27.12.13). Ebenso wird festgehalten: „Der virtuelle Realitätsbezug verändert auch das Bewusstsein für die Verletzlichkeit eigener Bürgerrechte“ (ebd.). Man erinnert an das 2008 vom Bundesverfassungsgericht entwickelte „sogenannte ‚IT-Grundrecht‘“ (ebd.) und stellt dessen Bedeutung unter dem Aspekt der gewachsenen gesellschaftlichen Bedeutung des Internets heraus: „Fast sechs Jahre später, nachdem Web 2.0, wenn auch nicht zum primären, so doch zumindest zum gleichwertigen Raum des öffentlichen und privaten Lebens wurde, ist dieses Grundrecht aktueller denn je“ (ebd.). Virtualitätsbezogene Vergleiche mit der Vergangenheit, in denen diese häufig als ‚gute alte Zeit‘ konzeptioniert wird, befördern die Vermittlung des ‚Verlorengegangenseins‘ von Grundrechten in einer als ‚düster‘ aufzufassenden Gegenwart und dienen letztlich dem Zweck, politischen Handlungsbedarf anzumelden. Der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Hans-Peter Uhl nennt „das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, wie es das Bundesverfassungsgericht entwickelt hat, ‚eine Idylle aus vergangenen Zeiten‘“ (FAZ v. 18.7.13). Er fordert auf, es „an der heutigen Realität zu messen, in der Daten international fließen“ (ebd.). Diesen ‚Differenz‘ implizierenden Sprachgebrauch lässt auch der ehemalige

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Richter am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabio in einem Gastbeitrag in der FAZ erkennen. Hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bietet er folgende Deutung an: War das nicht die grundrechtliche Fortentwicklung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus der arg verblassten Zeit der Volkszählung? Was waren das noch für geradezu idyllische Gefahrenlagen! (...) Aber ist nicht auch diese Neuheit im Grundrechtekatalog inzwischen ein Ladenhüter der achtziger Jahre, aus der Zeit des Commodore C 64 stammend, von der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung geradezu überrollt? (FAZ.net v. 12.11.13b)

Der Fragecharakter, mit dem Udo di Fabio seine Aussage unterlegt, ist weit verbreitet im Diskurs, so wird zum Beispiel auch gefragt: „Ist unser Recht auf Privatsphäre in unserer digitalen Welt noch wirksam geschützt?“ (FAZ.net v. 7.11.13). Dieser Sprachgebrauch deutet darauf hin, dass im Diskurs die Semantik von Grundrechtsbegriffen infolge des Topos der Virtualitätsdifferenz in Bewegung gerät und potenziell zur Disposition steht. Selbiges lassen Aufforderungen vermuten, wie etwa „intensiver darüber nach[zu; A. S.]denken, wie man das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungrecht im Netz wahren und stärken kann“ (FAZ.net v. 12.11.13b). Mit der folgenden Deutung von ‚Privatsphäre‘ im Internet überwindet di Fabio den Frageduktus und nimmt eine semantische Verschiebung an: Die Grenzen zwischen Privatheit und öffentlichem Raum verwischen, wenn ein halböffentlicher Raum mit Laufkundschaft so betrachtet wird, als säße man mit engen Freunden zusammen. (...) Das, was einstmals schon wegen der Bedingungen einer Face-to-FaceInteraktion als privat galt, wird enträumlicht, simultan zugänglich, speicherbar und verwertbar gemacht. (ebd.)

Dieser mit dem Topos der Virtualitätsdifferenz angenommene Bedeutungswandel von Grundrechtsbegriffen, darunter auch Privatsphäre, wird in der FAZ, die auf Aussagen des Soziologen Zygmunt Bauman Bezug nimmt, explizit thematisiert: Weil er [i. e. Bauman; A S.] schon lange die Kategorien hinterfragt, in denen die gegenwärtige Debatte so oft steckenbleibt, öffnet er den Blick für ein Nachdenken über eine Welt von morgen jenseits der Konzepte von gestern: Jenseits von Begriffen wie ‚Privatsphäre‘, ‚Identität‘ und ‚Freiheit‘, von denen manche glauben, man könne das, was sie einmal bedeutet haben, schon dadurch retten, dass man sie zu Slogans des Protests macht. (...) Der problematischste all dieser begrifflichen Zombies ist sicher jener der ‚Privatsphäre‘. Das Problem ist nicht, dass das Beharren auf jenes ‚Recht, allein gelassen zu werden’, wie Kritiker der Überwachung gerne stöhnen, irgendwie ‚altmodisch‘ wäre; sondern dass sich die

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Grenzen zwischen den Sphären von Öffentlichkeit und Privatheit längst aufgelöst haben. (FAS v. 15.9.13)

Explizit negative Deutungen konzeptionieren die Virtualitätsdifferenz ähnlich wie die oben angeführten Vergleiche mit der Vergangenheit als ‚düstere Gegenwart‘. So spricht Heribert Prantl im Anklang an Aldous Huxley von der „neue[n] Welt“ (SZ.de v. 13.9.13), „in der die Grundrechte (...) nur noch (...) als Spielzeug“ (ebd.) gelten. Er interpretiert mit dem Topos der Virtualitätsdifferenz Grundrechte als ‚verloren gegangen‘: „Informationelle Selbstbestimmung und Privatsphäre gibt es im Netz nicht mehr“ (ebd.). Eine ähnliche Strategie der negativen Gegenwartsdeutung offenbart sich in der folgenden Aussage auf SZ.de: Einfach mal Ruhe vor dem Staat haben. (...) [J]etzt, im Zeitalter des Internets? Da gilt das auf einmal nicht mehr. Stattdessen werden wir Überwachungsprogrammen (...) ausgesetzt. (...) Im Internet soll eine liberal-demokratisch verfasste Gesellschaft offenbar gar nicht erst entstehen. (SZ.de v. 1.8.13)

Mit der Konstitution einer auf die Bedeutung von Grundrechten bezogenen Virtualitätsdifferenz erfolgt die Übertragung politischer Begriffe in die virtuelle Sphäre, wie der Sprachgebrauch zeigt. Auf der Grundlage der Differenz werden neue politische Forderungen und Aufforderungen möglich, die sich häufig bereits bekannter Begrifflichkeiten aus der meist als ‚analog‘ bezeichneten, nicht virtuellen politischen Welt bedienen. Man fordert etwa eine „digitale Bürgerrechtsbewegung, die sich mit neuen Formen des zivilen Ungehorsams gegen die globale Observation wehrt“ (SZ.de v. 13.9.13), sowie den „besseren Schutz von Bürgerrechten und Privatsphäre im Cyberspace“ (FAS v. 27.10.13). Auch wird folgender Anspruch erhoben: „Der amerikanische Verfassungsrichter Louis Brandeis hat vor 120 Jahren in einem Aufsatz ‚ein Recht darauf, allein gelassen zu werden‘, formuliert. Dieses Recht muss auch für das Internet gelten“ (SZ.de v. 1.8.13). Ebenso verlangt man, dass die Bundesregierung „Positionen zu Grundrechten im Internet-Zeitalter vertreten“ (FAZ.net v. 27.10.13) müsse. Gleichermaßen wird es als „eine der wesentlichen Aufgaben der nächsten Jahre“ (ebd.) bezeichnet, „bürgerliche Freiheitsrechte (...) angesichts des Strukturwandels von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft durch die Digitalisierung aller Lebensbereiche zu verteidigen“ (ebd.). Der Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer verlangt in einem Interview: Es muss geschützte Räume geben. (...) Unser Grundgesetz ist dafür eine sehr gute Grundlage, Freiheit und Schutz der Privatsphäre gelten etwa im Briefgeheimnis. Das Grundgesetz muss den Bedingungen totaler Überwachungsmöglichkeiten angepasst werden. Es darf keine Hintertür geben, durch die der Staat zum Überwachungsstaat werden kann. (SZ v. 21.9.13)

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Es wird deutlich, dass die Konstitution der Virtualitätsdifferenz mit dem entsprechenden Topos eine Neuperspektivierung politischer Phänomene ermöglicht. Intendiert wird diese insbesondere von Gegnern der NSA-Aktivitäten, die die mit deren Neuheitscharakter erzeugte öffentliche Aufmerksamkeit nutzen, um gesellschaftliche Forderungen und Handlungsoptionen auf die politische Agenda zu setzen. Dies gelingt insofern, als in der Folge eine breit angelegte Kontroverse entsteht, in der sowohl Aufgaben des Staates als auch Lösungsrichtungen für politische Maßnahmen ausführlich diskutiert werden. Der Begriff Sicherheit wird dabei wesentlich zur Mobilisierung der Öffentlichkeit eingesetzt, um individuelle Beteiligtheit und Betroffenheit der Gesellschaftsmitglieder herzustellen. Möglich wird dies nicht zuletzt dadurch, dass die im Kontext der Konzeption einer Grundrechtsbedrohung begründete Versicherheitlichung der Debatte durch den Topos der Virtualitätsdifferenz weiter befördert wird. Auch im Hinblick auf die ‚Sicherheit von Grundrechten‘ bzw. die ‚Sicherheit vor dem Staat‘ erfolgt die Konstitution einer Differenz. So wird von einer „Zeitenwende“ (SZ v. 30.10.13) gesprochen, denn „Sicherheit habe lange im Schatten gestanden, aber jetzt gebe es das Bewusstsein dafür“ (ebd.). Bedroht durch „Datenklau und Spionage (...) sei das Bedürfnis nach Sicherheit gestiegen“ (ebd.). Auch ist von einem „Spannungsfeld des Themas ‚Freiheit in der digitalen Gesellschaft‘“ (FAZ.net v. 12.11.13b) die Rede, in dessen Gefolge wiederum das genannte Mirandum Freiheit mit Sicherheit kontextualisiert wird: „Die Bürger als Nutzer und Akteure im Netz vertrauen auf Sicherheit“ (ebd.). Handlungsbedarf wird schließlich mit folgender Aussage evoziert: „Wir haben ein einziges Internet (...), in dem Sicherheit und Privatsphäre wieder auf Telefonnetzniveau sind“ (FAZ v. 24.7.13), was dem Autor nach bedeutet, dass „die Technologien auf dem denkbar unsichersten und überwachungsfreundlichsten Niveau zusammengewachsen“ (ebd.) sind. Frank-Walter Steinmeier (SPD) fragt vor dem Bundestag: „Wie sichern wir im 21. Jahrhundert unter völlig veränderten Kommunikationsbedingungen eigentlich den Schutz der Privatsphäre der Bürger als elementares Grundrecht?“ (Steinmeier v. 18.11.13). Der Sprachgebrauch Steinmeiers weist neben dem bereits erläuterten Fragecharakter deutliche Spuren der Versicherheitlichung auf, die sich in den Ausdrücken sichern und Schutz sprachlich realisiert. Nachdem Sicherheit in der Bedeutung als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ im Diskurs das Etikett eines wünschenswerten Gesellschaftsziels bereits erhalten hat, offenbart sich der Begriff einmal mehr als Leitvokabel einer Auseinandersetzung, in der sich Mobilisierung und Werbung für sowie Ziele von politischen Maßnahmen kondensieren, und in deren Folge eines konstituierten ‚Verlorenseins‘ die politischen Akteure ein weiteres Mal ihre Inszenierung als deren ‚Ret-

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ter‘ zu betreiben suchen. In den folgenden Ausführungen soll dies weiter deutlich werden. Zunächst ist im Rahmen der angesprochenen Kontroverse die grundsätzliche Aneignung der ‚versicherheitlichten‘ Grundrechtsthematik infolge der NSAAffäre durch die Politik zu beobachten. Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/ Die Grünen) konzeptioniert die Wiederherstellung von Sicherheit – als Konsequenz im Sinne der allgemein angenommenen Denkfigur – als Zuständigkeit der Politik; er formuliert in implikativem Duktus: „Es geht um unsere Aufgabe, die Telekommunikationsbeziehungen der deutschen Bevölkerung wieder sicher zu machen“ (Ströbele v. 18.11.13). Wenn Frank-Walter Steinmeier von wir spricht, ist ebenfalls davon auszugehen, dass er damit die politische Handlungsinstanz bezeichnet; mit der Verwendung des Verbs gewährleisten festigt sich der Eindruck, dass sich die politischen Machthaber einmal mehr die Rolle des gesellschaftlichen Sicherheitsgewährleisters anzueignen suchen; zumal zuvor die in der folgenden Aussage genannten Miranda bereits eng mit dem Begriff Sicherheit kontextualisiert wurden. Der Topos der Virtualitätsdifferenz bietet überdies einen geeigneten argumentativen Einsatzpunkt. So sagt Steinmeier, „dass es darum geht, wie wir individuelle Freiheitsrechte und damit Rechtsstaatlichkeit und Demokratie im digitalen Zeitalter gewährleisten können“ (Steinmeier v. 18.11.13). Sein Fraktionskollege Lars Klingbeil meint: „Wir müssen dafür sorgen, dass das Vertrauen in sichere Kommunikation wieder wächst“ (Klingbeil v. 18.11.13). Michael Grosse-Brömer von der CDU/CSU-Fraktion liefert einen weiteren Beleg für die Konzeptionierung der Reaktion auf die NSA-Affäre als politische ‚Sicherheitsaufgabe‘; er appelliert: „Wir haben in puncto Datensicherheit und Schutz der Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland eine gemeinsame politische Herausforderung“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13). So wie hier Grosse-Brömer nutzt auch Ströbele den Bürgertopos als einen die Argumentation stützenden Nutzentopos, um der intendierten Perspektive staatlicher Zuständigkeit letzte Überzeugungskraft zu verleihen; schließlich sei politisches Handeln „vor allem im Interesse der 80 Millionen Bürgerinnen und Bürger in diesem Lande. Es geht um deren Grundrecht“ (Ströbele v. 18.11.13). Günter Krings (CDU/CSU) indes liefert mit seiner in realistische Diktion gekleideten Aussage den offenkundigsten Beleg der politischen Versicherheitlichung des Diskurses, wenn er explizit definiert: „Datensicherheit ist unbestritten eines der Kernelemente moderner Sicherheitspolitik jedes souveränen Staates. Die Gewährleistung von Sicherheit insgesamt ist natürlich das wichtigste Fundament des Staates“ (Krings v. 18.11.13); für Krings ist „die Sicherheit unserer Daten untrennbarer Bestandteil der Staatsaufgabe Sicherheit“ (ebd.). Die von GrosseBrömer in seiner oben angeführten Aussage beschworene ‚Gemeinsamkeit‘ der

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politischen Aufgabe erweist sich als rhetorische Hülse, denn zu attraktiv ist die Inszenierung der eigenen Partei bzw. des eigenen politischen Lagers als die die gesellschaftlich gewünschte Form von Sicherheit gewährleistende Instanz vor allen anderen. So formuliert der Unionspolitiker mit dem strategischen Ziel der Aufwertung der eigenen politischen Gruppe: „Ich glaube, dass die intensiven Bemühungen der Bundesregierung, Datenschutz und Datensicherheit (...) zu stärken, richtig sind“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13). Er und seine Fraktionskollegen hätten „klare Vorgaben erarbeitet, wie IT-Sicherheit, wie Datensicherheit gewährleistet werden kann und wie Sicherheitsforschung (...) stattfinden kann“ (ebd.). Mit seinem Sprachgebrauch versucht Grosse-Brömer, der eigenen Fraktion die Kompetenz zur Wiederherstellung von Sicherheit zuzuschreiben und den Begriff als potenzielles Fahnenwort des eigenen Lagers zu etablieren. Im Mindesten überrascht schließlich das semantische Resultat dieser Aneignungsstrategien durch politische Akteure im Licht der zuvor beschriebenen Phänomene des Sprachgebrauchs im Diskurs: Durch entsprechende Aufwertungs- und Kontextualisierungsstrategien erfährt der Begriff Sicherheit in seiner Bedeutung als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ zunehmend positive Aufladung und deontische Unterlegung, so dass schließlich damit in der Öffentlichkeit verbundene Vorstellungen zum gesellschaftlich erstrebenswerten Ziel werden. In der Folge treten politische Akteure auf den Plan, die sich den Begriff gerade in seiner Bedeutung als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ auf die eigenen Fahnen zu schreiben suchen und als entsprechende Gewährleister auftreten, so dass am Ende dieser Betrachtungskette schließlich von einer Semantik von Sicherheit zu sprechen ist, die als ‚Sicherheit vor dem Staat durch den Staat‘ zu fassen ist und eines gewissen paradoxen Elements nicht entbehrt. Es ist zu vermuten, dass der „Verheißungscharakter“610 des Begriffs gerade im Angesicht der konstatierten Virtualitätsdifferenz als einem zeithistorischen Verunsicherungsphänomen der Moderne so mächtig ist, dass er diese Widersprüche auszublenden leicht imstande ist. In seinem Kontext vermag daher nahezu jede gesellschaftliche oder politische Vorstellung Legitimität zu gewinnen. Die sich unter seiner Flagge formierenden politischen Akteure verfügen mit dem Begriff Sicherheit über ein so universelles Werbeversprechen für die Zukunft, dass sie einmal mehr als die „Erlösungspropheten“611 des Diesseits ubiquitäre politische Machbarkeit vermitteln, die sich um einzelne potenziell paradoxe Aspekte nicht zu sorgen braucht. In den Medien indes gelangt man in der als Reaktion auf die NSA-Affäre geführten Grundrechtediskussion zu konträren Bewertungen der Rolle des Staa|| 610 Kaufmann 2003, S. 94. 611 Welbers 2013, S. 62.

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tes. Mehrheitlich spricht man zwar der politischen Instanz die unveränderte Zuständigkeit der Gewährleistung von Grundrechten und in ihrem Gefolge von Datensicherheit unter den veränderten Bedingungen der Virtualität zu und fordert sie als angemessene Reaktion auf die als ‚Überwachung‘ perspektivierten Aktivitäten der NSA geradezu energisch ein. Letztlich führt jedoch der in diesem Zusammenhang seriell gebrauchte Topos der (politischen) Unfähigkeit zu einem Absprechen der von politischen Akteuren in Aussicht gestellten Sicherheitsgewährleistung. Der diskursive Mechanismus sorgt an dieser Stelle dafür, dass aufgrund der explizit thematisierten Zuständigkeit des Staates die Fallhöhe für dessen gleichzeitige Degradierung durch die stigmatisierende Zuschreibung von ‚Unfähigkeit‘ und ‚Hilflosigkeit‘ umso größer erscheint. Hinsichtlich der Verantwortlichkeit des Staates ist man sich weitgehend einig; auch „im digitalen Zeitalter“ (SZ.de v. 19.7.13) geht es um die „Aufgaben der Politik“ (SZ v. 22.7.13a), um die „obersten Aufgaben eines Staates“ (FAZ.net v. 11.7.13) und um die „Pflicht“ (FAZ.net v. 10.7.13a) des Staates oder die „Schutzpflicht seinen Bürgern gegenüber“ (FAZ v. 1.11.13b), „eine rechtsstaatliche, freiheitliche Ordnung auch im Internet zu garantieren“ (FAZ.net v. 12.11.13b). Begriffe aus dem Wortfeld ‚Verantwortlichkeit‘ paaren sich mit einer Semantik des ‚Zwangs‘, wie sie in Ausdrücken wie ‚Pflicht‘, ‚verpflichtet sein‘ oder ‚müssen‘ enthalten ist; häufig scheint im Sprachgebrauch der Topos der Virtualitätsdifferenz auf. Herta Däubler-Gmelin definiert in einem Gastbeitrag für die SZ die „Aufgaben der Politik“ (SZ v. 22.7.13a) wie folgt: Die muss (...) die individuellen Persönlichkeitsrechte der Bürger durch wirksame Regelungen und Institutionen des Datenschutzes gewährleisten und schützen. Und sie muss die heute üblichen elektronischen Kommunikationswege gegen Überwachung, gar gegen Totalüberwachung sichern. (ebd.)

Gerhart Baum, ehemaliger Bundesinnenminister, formuliert in einem Beitrag auf FAZ.net: „Nur mit Hilfe des Staates können wir Elemente der informationellen Selbstbestimmung wirksam verteidigen, also ein Grundrecht wahrnehmen. (...) Unsere Regierung hat uns vor Grundrechtsverletzungen zu schützen“ (FAZ.net v. 24.9.13). Die Autorin und Juristin Juli Zeh resümiert mit Blick auf das Internet: „Es obliegt der Politik, öffentliche Räume so zu gestalten, dass sich die Bürger frei darin bewegen können“ (FAZ.net v. 6.9.13). Ranga Yogeshwar nutzt für die Zuweisung von staatlicher Verantwortlichkeit hinsichtlich des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Internet einen Transfer aus der analogen Welt, wenn er sagt: „Diese Dinge gehören heute zu den obersten Aufgaben eines Staates. Der muss auch andere Menschenrechte garantieren, also auch dieses. (...) Das Postgeheimnis muss er ja auch schützen“ (FAZ.net v. 11.7.13). Grund-

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sätzlich wird die Meinung vertreten, dass „die Regierungen zum Schutz der Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger verpflichtet sind“ (FAZ.net v. 27.10.13). Das glaubt auch Professor Viktor Mayer-Schönberger aus Oxford, der als ‚Autorität‘ auf SZ.de herangezogen wird: „Wir können die Betroffenen beim Datenschutz nicht alleinlassen. Der Staat muss hier eingreifen und das regeln“ (SZ.de v. 18.11.13). Nur wenige Stimmen im Diskurs äußern sich gegenteilig. Selten findet sich die Aussage, „für seine Datensicherheit trägt letztlich jeder von uns selbst die Verantwortung“ (FAZ.net v. 31.10.13), und die Verantwortung wird dem Bürger übertragen, wie hier in einem Interview durch Hans-Peter Uhl von der CDU/CSU-Fraktion: „Die Bürger müssen Daten, die ihnen wichtig sind, aus der Kommunikationsflut herauslösen und verschlüsseln. Das ist die eigentliche Aufgabe“ (FAZ v. 18.7.13). Im Oktober 2013 betont er nochmals: „Wer seine Daten sichern will, wird sie wohl verschlüsseln müssen und kann nicht mehr auf seinen Nationalstaat hoffen. Die Zeiten des Biedermeier sind vorbei“ (FAZ.net v. 24.10.13a). Bereits im November 2013 schwenkt Uhl auf den Konsens seiner Partei ein und sieht die Verantwortung wieder in der Hand des Staates: „Der Staat hat eine Schutzpflicht seinen Bürgern gegenüber, ihnen sichere Kommunikationsinfrastrukturen anzubieten“ (FAZ. v. 1.11.13b). Vereinzelt wird auch eine gemeinsame Zuständigkeit von Staat und Bürgern für Datensicherheit konzeptioniert, indem gesagt wird: „Dieses Problem kann nur gemeinschaftlich gelöst werden, die Gesellschaft muss für ihre Freiheit eintreten, die Politik muss sie garantieren“ (SZ v. 12.9.13). Doch sogleich wird die Unmöglichkeit eines solchen Unterfangens mit Hilfe des Topos der Virtualitätsdifferenz vermittelt: „Das mag bei einem grenzüberschreitenden Konstrukt wie dem Netz nach einer kaum realisierbaren Phantasie klingen“ (ebd.). Nahezu allein steht deshalb die Aussage von Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, der laut FAZ.net „betonte, die Bürger müssten sich auch selbst mehr Gedanken über den Schutz ihrer Kommunikation im Internet machen. Sie müssten sich vor Augen führen, welche Gefahren dort lauerten und wie sie diese gemeinsam mit dem Staat abwehren könnten“ (FAZ.net v. 16.7.13). Nachdem die staatliche Zuständigkeit als Konzept im Diskurs als unumstritten etabliert gelten kann, ermöglicht der Topos der politischen Unfähigkeit die umfassende Abwertung staatlichen Handelns, auf dessen Basis dem Staat und seinen politischen Akteuren deren Anspruch der Sicherheitskompetenz abgesprochen wird. Der Topos folgt grundsätzlich folgendem Schema: ‚Weil der Staat und die politischen Akteure unfähig sind, werden bestimmte Maßnahmen ergriffen bzw. unterlassen.‘ Das Argumentationsmuster deutet sich mit der folgenden Frage des Schriftstellers Eugen Ruge auf FAZ.net bereits an, wenn er im Konjunktiv direkt an die machthabende Instanz gerichtet formuliert: „Wäre es,

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sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, nicht Ihre politische, Ihre juristische, Ihre moralische Pflicht, mich als Bürger vor den Angriffen auf meine Privatsphäre zu schützen?“ (FAZ.net v. 10.7.13a). Bald ist von einer „Kapitulationserklärung von Moral und Gesetz“ (FAZ.net v. 31.10.13) die Rede. Es sei hier nebenbei bemerkt, dass sich mit dem kriegsmetaphorischen Sprachgebrauch und der Rede vom ‚Schutz vor Angriffen‘ durch den Staat einmal mehr die stets mitzudenkende Sicherheitssemantik des Diskurses auch ohne explizite Verwendung des Begriffs selbst offenbart. Die hier entstehende Assoziation zu ‚äußerer Sicherheit‘ mit ihren militärischen Begriffen von Angriff, Schutz und Kapitulation mag unbewusst bleiben, appelliert jedoch an basales gesellschaftliches ‚Sicherheitswissen‘ und festigt so mittelbar die Stellung des Begriffs Sicherheit als Leitvokabel des Diskurses. Der Topos der politischen Unfähigkeit wird des Weiteren häufig über den Begriff der „Hilflosigkeit“ (z. B. FAZ.net v. 30.7.13) sprachlich realisiert, der die Kompetenzkonzeption der politischen Machthaber durch deren Stigmatisierung unterminiert. In der FAS wird ausgeführt: „Die Parteien haben (...) kaum Ideen, wie die Hoheit über die Daten zurückzugewinnen wäre. Ihre Vorschläge verströmen aus allen Poren Hilflosigkeit“ (FAS v. 29.12.13). Auch in der SZ deutet man politische Reaktionen auf die NSA-Affäre als „Signal der Hilflosigkeit“ (SZ v. 26.10.13). Ebenso unterstellt man der politischen Instanz, dass sie mit „soziale[r] und juristische[r] Normfindung überfordert“ (FAZ.net v. 4.10.13) sei. Die politischen Antworten auf die NSA-Affäre werden abwertend als „Passivität“ (ebd.) und „Ausdruck einer Ohnmacht“ (ebd.) bezeichnet. Erheblich stigmatisierenden Charakter weist der Sprachgebrauch Heribert Prantls auf, er spricht von einer „Politik der institutionalisierten Leugnung oder Verharmlosung“ (SZ.de v. 13.9.13). Auch sei „die Bundesregierung (...) mit Kleinreden und Ablenkungsmanövern beschäftigt“ (SZ v. 12.9.13), wie ein Kollege Prantls in der SZ nahezu zeitgleich ausführt. Sandro Gaycken, ehemals Mitglied des Chaos Computer Clubs und Forscher im Bereich Internetsicherheit, konzeptioniert in einem Interview mit der SZ ‚politische Unfähigkeit‘ folgendermaßen: „Politiker kennen sich mit Fragen der Cybersecurity nicht gut aus und scheuen radikale Entscheidungen“ (SZ v. 9.7.13). Seiner Meinung nach „müsste die Politik eingreifen, wonach es nicht aussieht, weil sie das Problem nicht versteht (...). Denn (...) in der Politik fehlt das Verständnis“ (ebd.). Ebenfalls Ausdruck des Topos der politischen Unfähigkeit ist Gerhart Baums Feststellung, dass „die Politik die Probleme nicht erkennt oder nicht thematisiert“ (FAZ.net v. 24.9.13). Juli Zeh spricht den politischen Machthabern ebenfalls die Handlungsfähigkeit in der NSA-Affäre ab: „Darauf hat die Regierung keine Antworten. Stattdessen verbreitet sie das lähmende Gefühl, man könne gegen Überwachung im Kommunikationszeitalter ohnehin nichts unternehmen“

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(FAZ.net v. 6.9.13). Diese auf die Virtualitätsdifferenz zurückgeführte Unfähigkeit teilt man auf FAZ.net auch im Oktober 2013: „Im digitalen Zeitalter gibt es keine vertrauliche Kommunikation mehr, kein Fernmeldegeheimnis. Kein Staat, egal wie mächtig, kann heute noch die Privatsphäre seiner Bürger schützen“ (FAZ.net v. 23.10.13b). Mit dem Topos der politischen Unfähigkeit wird das Sicherheitsversprechen der politischen Machtinhaber diskursiv erheblich untergraben – mit der semantischen Konsequenz, dass die von den politischen Akteuren intendierte Deutung von Sicherheit als ‚Sicherheit vor dem Staat durch den Staat‘ an einer uneingeschränkten Durchsetzung gehindert wird. Explizit wird dies ausgerechnet an einer Aussage Sigmar Gabriels (SPD), der zum Zeitpunkt, da er sie tätigt, noch nicht an der Regierung beteiligt ist. Zu einem sehr frühen Diskurszeitpunkt bezeichnet er die Beobachtung, dass sich „Bürger (...) um den Schutz ihrer Privatsphäre selbst kümmerten“ (FAZ.net v. 4.7.13) als „bedauernswerte ‚Privatisierung des Rechtsstaats‘ (...). Er ärgere sich selbst darüber, dass er ‚jetzt persönlich für digitale Sicherheit sorgen muss‘. Die politischen Antworten (...) ‚werden viel Zeit brauchen‘“ (ebd.). Nicht unerheblich für die diskursive Bedeutungskonstitution ist jedoch die Tatsache, dass das Bezugsobjekt des Topos der Unfähigkeit nicht auf die politische Bühne beschränkt bleibt. ‚Unfähigkeit‘ und ‚Hilflosigkeit‘ werden auch den Bürgern zugeschrieben. So meint Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): „Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass die Bürger überfordert sind“ (FAZ v. 18.7.13). Die Sprecherin des Chaos Computer Clubs Constanze Kurz äußert sich ähnlich und konstatiert: „Eine der traurigen Wahrheiten des Netz-Zeitalters ist, dass nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz der Menschen in der Lage ist, für die Sicherheit ihrer digitalen Gerätschaften zu sorgen“ (FAZ.net v. 5.9.13). Es regt sich auch Widerspruch gegen diese Stoßrichtung der Unfähigkeitsargumentation; so wendet sich etwa Ranga Yogeshwar an die Politik und thematisiert den Sprachgebrauch explizit: Wenn über diese Dinge geredet wird, gibt es einen Aspekt, der mir als der für die Diskussion gefährlichste erscheint: Dass gesagt wird, das ist alles so komplex, es gibt keine Antworten im alten Sinn, da sollen die Bürger nicht mitentscheiden, denn die verstehen es nicht. Das darf man nicht akzeptieren. Wer uns ein fait accompli serviert, handelt undemokratisch. (FAZ.net v. 11.7.13)

Die topisch konstituierte Virtualitätsdifferenz entpuppt sich auch in diesem Diskursausschnitt einmal mehr als ultimative zeithistorische Unsicherheitskonzeption. So fragt Juli Zeh: „Es herrscht – ja was? Ein unklares Gefühl der Überforderung, genährt von der Angst, die technischen Aspekte nicht ausreichend zu verstehen“ (FAZ.net v. 6.9.13). Besonders deutlich wird die tiefgreifende Unsicherheitssemantik des Konzepts der Virtualitätsdifferenz in der folgen-

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den Aussage des Direktors des Amerikanischen Instituts für Studien zur deutschen Gegenwart Jackson Janes: „Es fehlt uns allen der feste Halt in dieser digitalen Welt, die sich da rasant entwickelt. (...) Wir können noch nicht mit der unendlichen Cyberwelt umgehen“ (SZ v. 12.11.13). Spätestens hier wird augenfällig, wie diese scheinbar übermächtige, den gesamten Diskurs überspannende Unsicherheitskonzeption den Begriff Sicherheit auf ein diskursives Podest befördert. Angesichts der erfolgreichen Konzeption einer ‚neuen und allumgreifenden Unsicherheit‘, in die Politik und Gesellschaft vollumfänglich einbezogen sind, wird Sicherheit nicht nur zu einem plausiblen, sondern zu einem geradezu unbedingten Leitstern der sozialen Gemeinschaft. In der politischen und medialen Auseinandersetzung um geeignete Konzepte der Reaktion auf die diskursiv erfolgreich als ‚Überwachung‘ perspektivierten Aktivitäten der NSA dominieren zwei Lösungsperspektiven, die von den Diskursakteuren sowohl als komplementär bzw. ineinandergreifend als auch als konkurrierend ausgewiesen werden. So werden zum einen recht- und gesetzesorientierte Handlungsoptionen und zum anderen technikorientierte Antworten diskutiert. Der damit verbundene Sprachgebrauch zentriert sich um den Begriff Sicherheit, so dass die Lösungsdiskussion als ‚Wie‘ der Wiederherstellung von Sicherheit gelesen werden kann, und damit auch in diesem Diskurs die allgemein unterstellte Denkfigur ‚Sicherheit ist verloren gegangen, sie muss mit bestimmten Mitteln wiederhergestellt werden‘ komplettiert ist. Die mit den diskutierten Maßnahmen einhergehenden sprachlichen Muster sind nicht zuletzt als Reflexkonstitutionen auf das Unsicherheitskonzept des Topos der Virtualitätsdifferenz zu begreifen. Das argumentative Muster der rechtlichen Lösungskonzeption kann als Rechtstopos bezeichnet werden: ‚Rechtliche Maßnahmen sind (nicht) nötig, um Sicherheit wiederherzustellen.‘ Es tritt in der folgenden von der SZ wiedergegebenen Aussage des Bundespräsidenten Joachim Gauck gut sichtbar zutage: „Dem ‚epochalen Wandel‘ der digitalen Revolution müsse durch neue Gesetze und Konventionen Rechnung getragen werden“ (SZ v. 4.10.13). Gaucks Sprachgebrauch begegnet seriell im Diskurs. So wird etwa auf FAZ.net formuliert: Umfassende, starke und vor allem durchsetzbare Gesetze tun Not. (...) Im Blick auf Reformen sind umfassende, starke und durchsetzbare Gesetze zur Regulierung der Sammlung und Verarbeitung persönlicher Daten absolut entscheidend im Zeitalter einer nahezu lückenlosen Überwachung. (FAZ.net v. 8.8.13)

Die sprachliche Realisierung des Rechtstopos weist deutliche sicherheitssemantische Spuren auf. Man sieht den „Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes“ (Friedrich v. 18.11.13) vor; die Forderung nach dessen „schleunigste[r] Verabschie-

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dung“ (Krings v. 18.11.13) offenbart die Dringlichkeit des politischen Sicherheitsversprechens. „Gerade wenn es um Sicherheit geht“ (FAZ.net v. 5.9.13) sollte, so die Autorin und Juristin Juli Zeh im Hinblick auf die rechtliche Situation von Softwarefirmen und deren Angeboten im Bereich IT-Sicherheit, „mit Hilfe des Wettbewerbsrechts eingegriffen werden“ (ebd.). Man fordert auch die „Harmonisierung von EU-IT-Sicherheitsstandards“ (FAZ.net v. 24.10.13b) sowie eine „EU-Datenschutz-Grundverordnung“ (Krings v. 18.11.13), die aufwertend auch als „Datenschutzgrundgesetz Europas“ (ebd.) bezeichnet wird. Einen diesbezüglich zu schaffenden „Rechtsraum“ (Friedrich v. 18.11.13) innerhalb der Europäischen Union nennt Hans-Peter Friedrich (CDU/CSU) auch „einen Sicherheitsraum zum Schutz der Daten“ (ebd.) und offenbart damit den starken Finalitätscharakter, der dem Begriff Sicherheit auch hier zukommt. Mit Blick auf die USA, deren ‚Schuld‘ an der NSA-Affäre bereits konstituiert ist, wird gefordert, „dass sich sehr schnell die Erkenntnis auf beiden Seiten des Atlantiks durchsetzt, dass belastbare Rechtsgrundlagen und Sanktionskataloge hermüssen“ (FAZ.net v. 28.11.13b): So „sollten die transatlantischen Partner versuchen, sich auf gemeinsame datenschutzrechtliche Regelungen zu verständigen“ (FAZ.net v. 8.9.13). Mehrfach wird gar ein „weltweiter Standard zum Schutz der weltweiten Kommunikation“ (FAZ.net v. 23.10.13b) gefordert, der auch als „Völkerrecht des Netzes“ (z. B. FAZ v. 20.7.13) bezeichnet wird. Argumentativer Zustiegspunkt ist wieder einmal der Differenztopos der Virtualität, wie ihn etwa die Gastautoren der FAZ Gesche Joost und Thomas Oppermann nutzen: „Das digitale Zeitalter braucht heute ein Internet-Völkerrecht, das unsere Bürgerrechte (...) im Netz auch über nationale Grenzen hinaus sichert“ (ebd.). Ein diesbezüglich von Deutschland zusammen mit Brasilien vor dem UN-Menschenrechtsrat eingebrachter Resolutionsentwurf trägt den Titel „Recht auf Privatsphäre im digitalen Zeitalter“ (FAZ.net v. 7.11.13). Im Antrag wird gefordert, dass „die gleichen Rechte, welche die Menschen offline haben, auch online geschützt werden müssen, insbesondere das Recht auf Privatsphäre“ (ebd.). Die hier auf politische Begriffe angewendete Analogie von analoger und virtueller Sphäre wird zur weiteren Plausibilisierung einer „völkerrechtliche[n] Absicherung“ (Klingbeil v. 18.11.13) im Angesicht der Neuheit der Virtualität auch von Gesche Joost und Thomas Oppermann bemüht: „Hugo Grotius hat damals mit Hilfe des Rechts die staatliche Seeräuberei eingedämmt. Das muss uns heute mit der Datenpiraterie der Geheimdienste auch gelingen“ (FAZ v. 20.7.13). Seine Zustimmung zu dieser rechtlichen Lösungskonzeption formuliert der Abgeordnete der CDU/CSU-Fraktion Michael Grosse-Brömer explizit, indem er sagt, dass „mit dem ‚Völkerrecht im Netz‘ Richtiges gesagt“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13)

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worden ist. Auf FAZ.net hingegen wird dies als „unrealistisch“ (FAZ.net v. 23.10.13b) bezeichnet. Der Rechtstopos verweist auf einen bereits aus dem Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 bekannten Aspekt kollektiver Mentalität. Die dort ebenfalls freigelegte Vorstellung der juristischen Beherrschbarkeit gesellschaftlicher Problemlagen erweist sich als diskursunspezifisches, möglicherweise kulturspezifisches Denken der westlichen, potenziell demokratisch organisierten Welt und stellt ein gängiges Denkschema der sozialen Gemeinschaft zur Wiederherstellung von Sicherheit dar. Es findet seinen kondensierten Ausdruck in Begriffen wie Sicherheitsgesetz oder Sicherheitsstandard und behält auch unter dem Einfluss des Topos der Virtualitätsdifferenz seine argumentative Plausibilität. An die Seite der rechtlichen Maßnahmendiskussion tritt eine Auseinandersetzung um technische Antworten auf die NSA-Affäre, deren grundlegendes Argumentationsschema als Techniktopos gefasst werden kann: ‚Technische Maßnahmen sind (nicht) nötig, um Sicherheit wiederherzustellen.‘ Die sprachliche Umsetzung des Topos ist von Sicherheitssemantik durchdrungen. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) fordert auf, „im World Wide Web Technologien zu implementieren, die uns ein Mehr an Sicherheit gewährleisten“ (FAZ v. 1.11.13b). Die Befürworter technischer Reaktionen argumentieren etwa: „Eine bessere IT-Sicherheit führt auch zu mehr Datensicherheit. Es gibt technische Lösungen“ (Krings v. 18.11.13). Auch wird gesagt: „Wir brauchen mehr Sicherheit, aber nicht durch mehr Überwachung, sondern durch weniger angreifbare Technologien“ (FAZ.net v. 28.11.13b). Es wird nach dem „Bauplan für ein sicheres Internet“ (FAZ.net v. 25.11.13) gesucht. Gleichfalls möchte man „eine Diskussion anstoßen, wie man mehr Sicherheit im Netz schaffen kann“ (FAZ.net v. 28.11.13b). Sämtliche Vorschläge und auch Gegenmeinungen orientieren sich am finalen Ziel Sicherheit; sicherheitssemantische Lexematik dominiert die sprachliche Realisierung des Topos und liefert einen weiteren Beweis für die Funktion des Begriffs Sicherheit als Leitvokabel des Diskurses. Viele Gelegenheitskomposita und Syntagmen bringen durch ihre Verbindung von Begriffen aus dem Wortfeld ‚Technik‘ mit dem Begriff Sicherheit das hinter dem Techniktopos liegende Denkschema kondensiert zum Ausdruck: ‚Technik ist das geeignete Mittel zur Wiederherstellung von Sicherheit‘. So geht es um „sicherere IT-Systeme“ (SZ v. 9.7.13), „Sicherheitssysteme“ (ebd.) und „Sicherheitstechnik“ (FAZ v. 2.8.13), um die „technische Sicherheitsebene“ (FAZ.net v. 5.9.13), um die „sichersten Produkte“ (SZ.de v. 21.7.13a), um „Sicherheitssoftware“ (FAZ.net v. 24.10.13b), um „Anwendungen mit einem höheren Sicherheitsniveau“ (FAZ v. 13.8.13), „Verfahren mit mehr Sicherheit“ (SZ v. 30.10.13) und darum, „die Protokolle si-

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cherer zu machen“ (ebd.). Des Weiteren ist seriell die Rede von „IT-Sicherheitslösungen“ (FAZ.net v. 24.10.13d), „Sicherheitstechnologien“ (FAZ.net v. 21.11.13), „Hochsicherheitstechnologien“ (FAZ.net v. 20.11.13) und „Hochsicherheits-IT“ (ebd.). „Computersicherheitsspezialisten“ (FAZ v. 2.8.13), „Sicherheitsprofi[s]“ (SZ.de v. 6.9.13) und „Internet-Anbieter, auf deren Sicherheitsversprechen sich die meisten Nutzer verlassen“ (FAZ.net v. 9.8.13), bieten „Sicherheitsleistungen“ (FAZ.net v. 24.10.13b) und „Sicherheitskomponenten“ (ebd.), die „die grundsätzlichen Sicherheitsprobleme der Netzinfrastruktur“ (ebd.) sowie „Sicherheitslücken“ (FAZ.net v. 21.11.13) beheben und „mehr Sicherheit schaffen“ (FAZ.net v. 6.11.13) sollen. Umfangreichste Rezeption erfahren im Diskurs konkrete Vorschläge des Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom AG René Obermann. Für Unternehmen will er eine „Clean Pipe“ (SZ.de v. 11.11.13), eine „saubere Leitung“ (ebd.) anbieten, deren Sicherheitsaspekt auf SZ.de explizit reflektiert wird, wenn dort erklärt wird, „im Internet wachten dann spezielle Programme über die Sicherheit im Datenverkehr“ (SZ.de v. 11.11.13). Mit einem Werbebegriff von der Deutschen Telekom AG als „deutsche Lösung“ (ebd.) angepriesen, wird das Konzept in den Medien als „ein Produkt gegen die Angst“ (ebd.) und „ein Produkt, das Sicherheit dank Heimatverbundenheit verspricht“ (ebd.), bezeichnet. Auch ist mit kriegsmetaphorischem Sprachgebrauch von einem „InternetSchutzschild für Unternehmen“ (ebd.) die Rede, womit der ebenfalls kriegsmetaphorisch formulierten Forderung, „im digitalen Wettrüsten zumindest zeitweilig die Oberhand zu behalten“ (FAZ.net v. 31.10.13), Folge geleistet wird. Hans-Peter Friedrich reiht hier – sich und seiner Partei Sicherheitskompetenz zusprechend – die von ihm initiierte „Allianz für Cyber-Sicherheit“ (Friedrich v. 18.11.13) ein, die „mit den mittelständischen und großen Unternehmen Lösungen finden“ (ebd.) will. Für den europäischen Datenaustausch plant Obermann, ein „Schengen-Routing“ (FAZ.net v. 12.11.13a) bzw. eine „Schengen-Cloud“ (ebd.) einzuführen, dessen Gedanken der ‚Wiederherstellung von Sicherheit‘ er – mit Hilfe eines analogen Bildes – so formuliert: „Wenn Absender und Empfänger von Datenpaketen innerhalb des Schengen-Raums liegen, können wir den Datenverkehr auch darin belassen“ (ebd.). Hans-Peter Friedrich (CDU/CSU) erkennt diesen geografisch konzipierten Sicherheitsgedanken an, wenn er den Sprachgebrauch sicherheitssemantisch deutet; er spricht von der „Frage einer europäischen Cloud, also einer sicheren Cloud für die Aufbewahrung von Daten europäischer Bürger“ (Friedrich v. 18.11.13). Auch Friedrichs Fraktionskollege Günter Krings akzeptiert die mit Obermanns Sprachgebrauch verbundene geografische Sicherheitsidee, wenn er zustimmt, „in Europa einen Verbund von Ländern zu bilden, die sich auf ein ähnlich hohes Niveau der Datensicherheit

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einigen. In einem solchen Schengen-Raum im Netz würden wir dann einen gemeinsamen Sicherheitsstandard (...) organisieren“ (Krings v. 18.11.13). Der Sprachgebrauch offenbart den Versuch, eine Semantik von Sicherheit zu etablieren, die der Unsicherheitskonzeption der Virtualität mit ihrer Semantik der ‚technischen und räumlichen Entgrenztheit‘ eine ‚mit technischen Mitteln erzeugbare physische, nämlich geografische Handhabbarkeit‘ entgegenstellt. Durch diesen Reflex wird der Begriff Sicherheit nicht zuletzt zum Spiegel gesellschaftlicher Sehnsüchte nach Überschaubarkeit und Plastizität und deren technischer Machbarkeit. Im Zusammenhang mit den diskutierten Vorschlägen ist im Diskurs des Öfteren auch von der „technologische[n] Souveränität“ (z. B. Friedrich v. 18.11.13) oder der „Sicherheit unserer ‚technologischen Souveränität‘“ (SZ.de v. 19.7.13) bzw. von „Technologiesouveränität“ (FAZ.net v. 28.11.13b) die Rede. Hans-Peter Friedrich hält es für eine „wichtige Aufgabe (...), auch in der Netzpolitik die technologische Souveränität Europas herzustellen, um sicherzustellen, dass wir in der digitalen Welt ebenfalls souverän bleiben“ (Friedrich v. 18.11.13). Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) sagt: „Ich glaube schon, dass die Rückgewinnung von nationaler Souveränität ein Stück weit auch über technische Antworten gelingen kann“ (Uhl v. 18.11.13). Auch Thomas Oppermann von der SPD-Fraktion will „über die Rückgewinnung oder zumindest über die partielle Wiederherstellung technologischer Souveränität nachdenken“ (Oppermann v. 18.11.13). Dass der Begriff Souveränität hier als Synonym für Sicherheit verwendet wird, der mit seiner Attribuierung als technologisch und national ebenfalls als Reflexvokabel auf das Konzept der Virtualitätsdifferenz fungiert, macht Oppermann selbst deutlich, wenn er im Anschluss an seine oben zitierte Aussage erklärt: „Das bedeutet sichere Netze, sichere Kommunikation, Verschlüsselung und weitere Vorsorge“ (ebd.). Kritikern, wie etwa Oppermanns Fraktionskollegen Frank-Walter Steinmeier, der Konzepte der Wiederherstellung von Sicherheit durch geografische Eingrenzung mit technischen Mitteln abwertend als „technische Abschottung“ (Steinmeier v. 18.11.13) bezeichnet und dem Rechtstopos durch die Forderung von „Regeln für diese neue Welt“ (ebd.) den Vorzug gibt, wird entgegengehalten: „Wir müssen souveräner werden. Dabei geht es nicht (...) um einen IT-Nationalismus. Es geht nicht darum, dass wir das Internet renationalisieren wollen“ (Klingbeil v. 18.11.13). Der Sprachgebrauch offenbart also den Versuch, einer mit negativ konnotierten Begrifflichkeiten aus dem Wortfeld ‚Nationalismus‘ geführten Abwertungsstrategie zuvorzukommen. René Obermann merkt diesbezüglich mit definitorischer Diktion an: „Es geht hier nicht um Renationalisierung des Internets“ (FAZ.net v. 12.11.13a). Gegner technischer Lösungen sprechen grundsätzlich davon, dass „der Blick auf die Technik unbefriedigend“ (FAZ.net v. 30.7.13) sei, und weisen techniktopische

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Argumentationen als „Beruhigungspille“ (ebd.) und „Beschäftigungstherapie“ (ebd.) zurück. Sicherheit jedoch nimmt auch bei Gegnern des Argumentationsschemas die Stellung einer letztinstanzlichen Bewertungsvokabel ein, wenn technische Lösungsvorschläge als geeignetes Konzept der Wiederherstellung von Sicherheit mit dem Hinweis abgewiesen werden, dass „viele Maßnahmen mit immensem Aufwand verbunden [sind; A. S.], und einhundertprozentige Sicherheit (...) nicht immer garantiert“ (ebd.) sei. Die mit dem Techniktopos transportierte Vorstellung ‚technischer Handhabbarkeit‘ gesellschaftlicher Problemstellungen, wie sie – vergleichbar mit dem zuvor ausgeführten Rechtstopos – als gängiges Denkschema westlicher Gesellschaften spätestens seit der Industrialisierung etabliert sein dürfte und hier in die virtuelle Sphäre übertragen wird, wird demanch nicht von allen Diskursteilnehmern geteilt. Die Auseinandersetzung um geeignete Reaktionen und Maßnahmen im Hinblick auf die NSA-Affäre wird auf einer höheren Abstraktionsebene als Versuch der semantischen Verhältnisbestimmung von Freiheit und Sicherheit ausgetragen. Zentrale Formationen des Diskurses treten dort verdichtet hervor. Auch wird in diesem Diskursausschnitt die grundlegende Denkfigur für Sicherheitsdiskurse erweitert zum Muster ‚Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist verloren gegangen; sie muss mit bestimmten Mitteln wiedergefunden werden‘. Als zuständig für die Wiederherstellung inszenieren sich einmal mehr die politischen Akteure. Bemerkenswert ist auch hier die Dominanz des Topos der Virtualitätsdifferenz, der die Semantik des Verhältnisses der beiden Hochwertbegriffe wesentlich – mitunter als drittes gleichberechtigtes Element – mitbestimmt. Anders als im Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 treten im Diskurs um die NSA-Affäre keine differierenden Relationsentwürfe für das Verhältnis von Sicherheit und Freiheit zutage. So wird ausschließlich eine ‚Balance‘ bzw. ein ‚Gleichgewicht‘ zwischen Freiheit und Sicherheit als anzustrebendes Ziel allgemein angenommen, das semantische Verhältnis der beiden Begriffe Freiheit und Sicherheit damit als antonymisch bestimmt. Es geht um die „Balance von Sicherheit und Freiheit“ (SZ.de v. 11.7.13b) und zwar um die „[d]ie richtige Balance“ (FAZ.net v. 3.7.13) und „um das richtige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit“ (FAZ v. 12.8.13). Die einhellige Forderung in Politik und Medien lautet: „Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit muss gewahrt werden“ (FAZ.net v. 28.11.13b). Wenn neben der hier zu beachtenden Nutzung des bestimmten Artikels außerdem von einer „vernünftigen Balance“ (FAZ v. 9.7.13), von einem „angemessene[n] Verhältnis“ (FAZ v. 20.7.13) und dem „angemessenen Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit“ (SZ v. 21.10.13) sowie von einem „vernünftigen Rahmen“ (FAZ.net v. 25.7.13) und „Verhältnismäßig-

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keit“ (SZ.de v. 10.7.13) die Rede ist, präsupponiert der Sprachgebrauch mit seiner Bestimmtheit und seinen rationalen Begrifflichkeiten der ‚Angemessenheit‘, dass es dieses „richtige Verhältnis von Freiheit und Sicherheit“ (FAZ v. 12.8.13) wirklich gibt, dass man es ganz wörtlich genommen sogar ‚messen‘ und es folglich mittels rationaler Überlegungen bestimmen kann. Die semantische Vagheit, die aufgrund der hohen Abstraktheit des Sprachgebrauchs gegeben ist, wird ausgeblendet. Vom Ausgangspunkt der Annahme eines richtigen Verhältnisses kann dann auch dessen ‚Verlorensein‘ proklamiert werden. So stellen etwa Gesche Joost und Thomas Oppermann in ihrem Gastbeitrag für die FAZ fest: „Das angemessene Verhältnis (...) scheint aus dem Lot geraten“ (FAZ v. 20.7.13). In der SZ heißt es: „Der angemessene Ausgleich zwischen Freiheit und Sicherheit ist offenbar nicht mehr relevant“ (SZ v. 21.10.13). René Obermann schreibt auf FAZ.net: „Bei diesem Balanceakt wurde ganz offensichtlich die Balance verloren“ (FAZ.net v. 12.11.13a). Nachdem die Gegner der NSA-Aktivitäten die Überwachungs- und Missbrauchsperspektive mit der einhergehenden negativen Konnotation von Sicherheit in der Bedeutung als ‚Sicherheit durch den Staat‘ erfolgreich etabliert haben, nutzen sie diese, um das als ‚verloren‘ konstituierte Gleichgewicht von Freiheit und Sicherheit als ‚zugunsten der Sicherheit aufgegeben‘ zu deklarieren. Im Lichte des Missbrauchs festigt sich damit die negative Konnotation von Sicherheit als ‚Sicherheit durch den Staat‘ weiter. „Freiheit ist derzeit wenig en vogue. (...) Sicherheit hat Vorrang“ (FAZ.net v. 3.7.13), konstatiert man auf FAZ.net. Joost und Oppermann äußern sich ähnlich: „Um Sicherheit zu schaffen, werden Freiheit und Privatsphäre maximal eingeschränkt“ (FAZ v. 20.7.13). Im August 2013 titelt die FAZ: „Sicherheit sticht Freiheit“ (FAZ v. 22.8.13). Kritisch ist auch von einem „Tauschhandel[] von Freiheit gegen Sicherheit“ (FAZ.net v. 23.10.13a) die Rede, der wiederum mit dem Differenztopos des 11. September 2001 kontextualisiert wird, wenn er bezeichnet wird als „Handel (...), den die Staaten (...) nach dem 11. September abverlangt haben“ (FAZ.net v. 8.8.13). Schließlich wird gefordert: „Wir dürfen die Freiheit nicht der Sicherheit opfern“ (SZ v. 21.9.13), womit ebenfalls ein ‚zugunsten von zuviel Sicherheit aufgegebenes Gleichgewicht von Freiheit und Sicherheit‘ suggeriert wird. Die gesellschaftlich etablierte Vorstellung eines ‚verlorenen Gleichgewichts von Freiheit und Sicherheit‘ ruft die Politik auf den Plan, die sich als für dessen Wiederherstellung zuständig inszeniert. Michael Grosse-Brömer von der regierenden CDU/CSU-Fraktion sagt entsprechend: „Wir haben insgesamt dafür zu sorgen, dass die richtige Balance zwischen Sicherheit und Freiheit bei den Geheimdiensten, beim Abhören gewährleistet wird“ (Grosse-Brömer v. 18.11.13). Wenn sein Kollege Günter Krings formuliert: „Die deutsche und europäische Antwort muss sein, die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu fin-

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den. (...) Deutschland, ja die ganze Europäische Union muss jetzt beweisen, dass sich beides miteinander verbinden lässt“ (Krings v. 18.11.13), nimmt er eine metonymische Verkürzung zur Beschreibung der Handlungsverantwortlichkeit vor, die unzweifelhaft auf die politische Ebene zielt, was mit der Bezeichnung ‚Europäische Union‘ schließlich explizit wird. Der Sprachgebrauch der Balancevorstellung wird explizit thematisiert, was auf Brisanz schließen lässt. Wenn Bundeskanzleramtsminister Ronald Pofalla – als Synonym für Freiheit den Begriff Datenschutz diskursspezifisch nutzend – „betonte, dass die Regierung Wert darauf lege, die Balance zwischen Sicherheit und Datenschutz auch in Zukunft einzuhalten“ (SZ.de v. 23.7.13), folgert man auf SZ.de: „Pofalla nutzte also den größtmöglichen Allgemeinplatz“ (ebd.). Auch werden seine Formulierungen als „dürre Sätze“ (ebd.) bezeichnet. Die semantische Unbestimmtheit der so gängigen Relationserwägungen wird damit entlarvt. Es wird zudem darauf hingewiesen, dass etwa das Bundesverfassungsgericht „immer wieder die Formel der Balance zwischen Freiheit und Sicherheit“ (FAZ v. 19.7.13) bemühe. Und auf FAZ.net ist zu lesen: [Es; A. S.] wird immer wieder das Bild eines ‚Gleichgewichts‘, also einer Waage, gebraucht, um zu vermitteln, dass Freiheit und Sicherheit in einen Zustand der Verhältnismäßigkeit gebracht werden müssen: Eingriffe in Freiheitsrechte oder in die Privatsphäre der Bürger müssen gerechtfertigt werden mit den Bedrohungen, denen Leib, Leben und Eigentum der Bürger wegen einer Gefahrenlage ausgesetzt sind. (FAZ.net v. 18.7.13)

Mit dieser Formulierung werden zentrale Topoi des Diskurses aufgerufen. Der Topos der Bedrohung durch den Staat sowie der Topos der Bedrohung der Grundrechte werden hier dem Topos der Bedrohung durch Terror und Kriminalität in komprimierter sprachlicher Form gegenübergestellt und wiederum über den Begriff der Verhältnismäßigkeit in eine Relation gesetzt. Es wurde bereits gezeigt, dass sich mit den genannten Topoi unterschiedliche Begriffsbedeutungen von Sicherheit verbinden, nämlich mit den Topoi der Bedrohung durch den Staat und der Bedrohung der Grundrechte die Semantik von ‚Sicherheit vor dem Staat‘, die der Semantik ‚Sicherheit durch den Staat‘, wie sie der Topos der Bedrohung durch Terror und Kriminialität verfolgt, oppositionell gegenübersteht. Die hier vorgenommene Gegenüberstellung zeigt, dass Freiheit im Diskurs auch als Synonym für Sicherheit in der Bedeutungsvariante ‚Sicherheit vor dem Staat‘ fungiert. Die Hochwertigkeit von Freiheit gibt dem Begriff den Vorzug und befördert die semantische Opposition der konkurrierenden Sicherheitsbedeutungen. Mit der Verwendung von Freiheit wird eine ungewollte Übertragung der im Diskurs als negativ perspektivierten Konnotationen der Begriffsbedeutung Sicherheit als ‚Sicherheit durch den Staat‘ auf die Bedeutungsvariante ‚Sicherheit

Sicherheit in neuer Kontroverse | 331

vor dem Staat‘ vermieden. Die Opposition soll durch die Verwendung der unterschiedlichen Begriffe deutlich zum Ausdruck kommen. Zahlreiche Diskussionsaufrufe lassen ebenfalls den Schluss zu, dass die Verhältnissemantik im Diskurs in Bewegung gerät. So wird Innenminister HansPeter Friedrich (CDU/CSU) auf SZ.de zitiert: „Man brauche eine sachliche Diskussion über die Balance von Sicherheit und Freiheit“ (SZ.de v. 11.7.13b). Sein Fraktionskollege Peter Beyer findet: „Es wäre gut, wenn eine breite gesellschaftliche Debatte stattfinden würde, an deren Ende eine Balance zwischen Sicherheit und individuellen Freiheitsrechten steht“ (Beyer v. 18.11.13). Joachim Gauck bezieht sich explizit auf die etablierte Perspektive der ‚Angemessenheit‘: „Mit der Frage, ‚was wann warum verhältnismäßig ist, sollte man sich sehr sorgfältig auseinandersetzen“ (SZ.de v. 26.7.13). Auch er meint: „Nötig sei eine breite Debatte“ (SZ v. 4.10.13). Gleichermaßen ist Angela Merkel dieser Meinung, wie auf FAZ.net berichtet wird: „Die Diskussion darüber, was verhältnismäßig sei, müsse ständig geführt werden“ (FAZ.net v. 10.7.13b). Von semantischer Bedeutung im Rahmen der Suche nach der „Balance von Sicherheit und Freiheit“ (SZ.de v. 11.7.13b) ist der Einbezug der Virtualitätsdifferenz, in deren Folge es nicht mehr nur um die Balance zwischen den beiden etablierten gesellschaftlichen Werten geht. Die semantische Mächtigkeit des Topos sorgt dafür, dass das Konzept der Virtualitätsdifferenz am Ende gewissermaßen als dritte Kraft in die Verhältnisbestimmung integriert wird. Zunächst wird das angenommene oppositionelle Verhältnis der Begriffe in die virtuelle Sphäre übertragen und als auch dort für gültig erklärt: „Der digitale Raum ist genauso wie der analoge von einen Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit gekennzeichnet (...). Die Herausforderung besteht (...) darin, dieses Verhältnis auch in der Online-Welt in Maß zu halten“ (FAZ v. 27.12.13). Es geht „um das prekäre Verhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit auch im digitalen Raum“ (ebd.), das man „austarieren“ (ebd.) muss. Der Differenztopos der Virtualität wird gleichsam als verstärkende Begründung für die Konstitution einer ‚verlorenen Balance‘, wie sie von den Gegnern der NSA-Aktivitäten intendiert ist, herangezogen. Gerhart Baum schreibt auf FAZ.net: Immer schon gab es ein Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit – mit dem Ergebnis einer schleichenden Erosion der Grundrechte. Hierfür war allein der Staat verantwortlich. Durch die Möglichkeiten der modernen Kommunikationstechniken hat sich dieser Trend erheblich verstärkt. (FAZ.net v. 24.9.13)

Bundeskanzlerin Angela Merkel schreibt der Virtualitätsdifferenz ein perpetuierendes Momentum zu; sie sagt, „mit dem Aufkommen neuer technischer Möglichkeiten müsse ‚die Balance zwischen dem größtmöglichen Freiraum und

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dem, was der Staat braucht, um seinen Bürgern größtmögliche Sicherheit zu geben, immer wiederhergestellt werden“ (FAZ.net v. 10.7.13b). Infolgedessen wird auch eine ‚Differenz‘ hinsichtlich der Wiederherstellung eines Gleichgewichts ausgemacht, wie Frank-Walter Steinmeier formuliert: „Wenn wir in Zukunft diese Balance von Sicherheit und Freiheit wiederherstellen können, dann werden wir nicht die Übersichtlichkeit der alten Welt zurückgewinnen, sondern wir werden Regeln für diese neue Welt brauchen“ (Steinmeier v. 18.11.13). Der Topos der Virtualitätsdifferenz verleiht dieser Aufgabe schließlich das Etikett einer ‚neuartigen Schwierigkeit‘, wird doch mit dem Sprachgebrauch diese Differenz selbst in das Spannungsverhältnis integriert, so dass in der Folge die grundsätzliche im Diskurs vermittelte Problemperspektive als „Zwangslage und die ganze Hilflosigkeit, mit der unsere Weltgesellschaft im Spannungsfeld zwischen Sicherheitsbedürfnis, totaler Vernetzung und Freiheitsrecht steht“ (FAZ.net v. 31.10.13) bezeichnet wird. In der FAZ heißt es ähnlich: Der Gebrauch des elektronischen Ohrs, dessen Wert nach dem 11. September von New York enorm zugenommen hat, ist eine Gefahr geworden, weil das Gleichgewicht zwischen Sicherheit, öffentlicher und privater Freiheit und dem Recht auf Information noch nicht gefunden wurde. (FAZ v. 23.10.13)

Die mit der diskursiven Verhandlung der NSA-Affäre etablierte gesellschaftliche Sicht der Wirklichkeit mit ihrem oppositionellen Verhältnis der ‚Sicherheit durch den Staat‘ und der ‚Sicherheit vor dem Staat‘, das im Angesicht der tiefgreifenden Unsicherheitskonzeption der Virtualität neu verhandelt wird, ist damit noch einmal sprachlich komprimiert zum Ausdruck gebracht. Eine potenzielle Auflösung der konkurrierenden Bedeutungen von Sicherheit zeichnet sich im Begriff der Cybersicherheit ab. Diskussionen, die unter seiner Bezeichnung geführt werden, etwa im industriellen Kontext, suchen die im Diskurs meist als oppositionell perspektivierten Bedrohungskonstitutionen der staatlichen Bedrohung und der Bedrohung durch Terror und Kriminalität in seinem Namen zu vereinen: „Beide Themenkomplexe – das mutmaßliche anlasslose Sammeln und Auswerten digitaler Kommunikation durch Sicherheitsbehörden und kriminelle Aktivitäten im Cyberspace – gehören aber zusammen behandelt“ (FAZ.net v. 12.11.13a). René Obermann definiert: „Cyber Security bedeutet eben auch, unsere Daten und damit unsere Bürgerinnen und Bürger genau wie die heimische Wirtschaft vor denen zu schützen, die die Regeln missachten“ (ebd.). Entsprechend der vorher im Diskurs erfolgten Stigmatisierung von Staaten und Geheimdiensten als ‚Regeln missachtende Institutionen‘ sind sie in diesem Sicherheitsbegriff genauso gefasst wie ‚die Terroristen‘ und ‚die

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Kriminellen‘, vor denen sie zu schützen vorgeben. Ähnlich werden Überlegungen für „Gesamtkonzepte“ (FAZ v. 25.10.13) gegen „Cyberangriffe“ (ebd.) perspektiviert: „Dies gilt gleichermaßen für Angriffe von Cyber-Kriminellen wie ausländischer Geheimdienste“ (ebd.). Aus dem Sprachgebrauch ist daher eine Versöhnung der oppositionellen Semantiken ‚Sicherheit durch den Staat‘ und ‚Sicherheit vor dem Staat‘ zu folgern, mit der der Begriff Cybersicherheit aufzuwarten vermag. Dementsprechend ist im Angesicht der Virtualitätsdifferenz ein Bedeutungswandel für den Begriff Sicherheit durch seine Realisierung als Cybersicherheit zu konstatieren. Er amalgamiert die antagonistischen Semantiken des herkömmlichen Sicherheitsbegriffs und fasst sie zu einer einheitlichen Perspektive zusammen.

8.3 Resümee Wenn sich auch im Diskurs um die NSA-Affäre die allgemein für Sicherheitsdiskurse angenommene Denkfigur ,Sicherheit ist verloren gegangen und muss mit bestimmten Mitteln wiederhergestellt werden‘ nachweisen lässt, so ist damit die sprachlich konstituierte Sicherheitsidee der NSA-Affäre keineswegs vollständig erfasst. Im Diskurs wird nicht nur eine Bedrohungskonzeption verfolgt und in der Konsequenz um geeignete Maßnahmen zu deren Begegnung gestritten. Konkurrierende Semantiken von Sicherheit bestimmen die Anatomie des Diskurses so tiefgreifend, dass das allgemeine Denkmuster gewissermaßen zweigleisig im Diskurs dekliniert wird. Oppositionelle Bedrohungskonzeptionen und daraus abgeleitete Bedeutungen von Sicherheit stehen sich antagonistisch gegenüber. Ausgeprägte Kontroversen um die Deutungshoheit von Sicherheit wirken zusammen mit zeithistorisch bedeutenden sozialen Einflussfaktoren wie der beständig aktualisierten Erinnerung an die Ereignisse des 11. September 2001 und dem Phänomen von Virtualität und Digitalisierung mit seiner gesellschaftstransformierenden Wirkungsmacht auf die Semantik des Begriffs ein. In der Verbindung ergeben sich geradezu zwangsläufig gravierende Bedeutungsveränderungen für die diskursive Leitvokabel Sicherheit. Auf der einen Seite wird Sicherheit im Diskurs konzeptualisiert als ‚Sicherheit durch den Staat‘. Die in diesem Konzept als ‚verloren gegangen‘ ausgewiesene Sicherheit wird in erheblichem Maße zurückgeführt auf den 11. September 2001, der mittlerweile als eigener Differenztopos mit einer Semantik des angstvollen ‚Seitdem ist alles anders‘ auf Terror und Kriminalität bezogene Bedrohungskonzeptionen mit einem weitreichenden Plausibilisierungsmoment aus-

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zustatten vermag.612 Die sprachlich beständig perpetuierte und als ‚lebensbedrohlich‘ perspektivierte Terrorangst verleiht der ‚Sicherheit durch den Staat‘ eine existenzielle Konnotation, die in der historischen Vergangenheit seit dem 11. September 2001 zu deren gesellschaftlich weitgehend gebilligter Stellung als Leitwert der Diskursgemeinschaft geführt hat. Wenn der Staat im Sinne der Wiederherstellung von Sicherheit seinen Nutzen der Gefahrenabwehr – durch den Beweischarakter des Sprachgebrauchs und vermittelter Alternativlosikgeit untermauert – herauszustellen vermag, können die NSA-Aktivitäten dort zunächst scheinbar problemlos als demokratisch legitimierte Arbeit von Geheimdiensten und Kooperation eingereiht werden. Das in der Konsequenz der Ereignisse des 11. September 2001 aus Differenztopos, Topos der Terrorgefahr und der Gefahr von Kriminalität sowie Nutzentopos der Gefahrenabwehr politisch begründete Narrativ erzählt von einer omnipräsenten Terrorbedrohung der Gesellschaft, favorisiert den Staat als deren Sicherheitsgewährleister und intendiert, die Bedeutung von Sicherheit als ‚Sicherheit durch den Staat‘ als weiterhin überlegen zu festigen, indem es an in der vorangegangenen Dekade konstituiertes gesellschaftliches Wissen appelliert. Die damit verbundene und von allen Diskursteilnehmern dekodierbare Bedeutung von Sicherheit soll also in ihrer Gültigkeit prolongiert, in der Bezeichnung Supergrundrecht Sicherheit gar noch erhöht werden. Vor dem Hintergrund des Diskursgegenstands ergibt dieser Zusammenhang freilich das Bild einer sprachlich umfassend angelegten und hauptsächlich von politischen Akteuren verfolgten Rechtfertigungsstrategie. Auf der anderen Seite versprachlichen die Verfechter einer oppositionellen Bedeutung von Sicherheit ihre Perspektive auf die NSA-Affäre mittels so wirkungsvoller Abwertungsstrategien, dass sie die bis dato etablierte Semantik von Sicherheit beträchtlich in Bewegung zu bringen vermögen. Wenn ‚Sicherheit durch den Staat‘ erfolgreich gleichgesetzt ist mit dem ‚verbotenen Tun‘ einer Affäre, aus der schließlich eine ‚Beziehungskrise‘ erwächst, und gleichgesetzt ist mit einer Bedrohung durch den Staat, mit dem Überwachung, Missbrauch und diktatorische Gewalt assoziiert werden, muss die etablierte Bedeutung von Sicherheit – zumal im Widerschein deutscher Geschichte betrachtet – geradezu zwingend öffentlich in Frage gestellt werden, denn sie verliert mit diesem Sprachgebrauch ihren Verheißungscharakter und ihre deontische Kraft. Es kommt zu einem semantischen ‚Übergang‘: Sicherheit in der Bedeutung ‚Si-

|| 612 Wrede spricht hinsichtlich des 11. September auch von der „Etablierung einer diskurssemantischen Grundfigur“ (Wrede, Julia: Bedingungen, Prozesse und Effekte der Bedeutungskonstruktion. Der sprachliche Ausdruck in der Kotextualisierung. Duisburg 2013, S. 248), die sie in verschiedenen Diskursen der letzten Dekade nachweist.

Resümee | 335

cherheit vor dem Staat‘ übernimmt diesen Heilsbotschaftscharakter und wird zum Ausdruck eines aktuell erstrebenswerten Gesellschaftsziels. Auch auf dieser ‚anderen‘ Bedeutungsseite wird die allgemein für Sicherheitsdiskurse unterstellte Denkfigur sprachlich konfiguriert, um mit der Bedeutungsvariante ‚Sicherheit vor dem Staat‘ verknüpfte Handlungsoptionen zu legitimieren. ‚Verloren gegangener Sicherheit‘ in der Perspektive der Bedrohung von Grundrechten wird nicht etwa vorrangig der Begriff Freiheit als Ausdruck einer Semantik der ‚Sicherheit vor dem Staat‘ zur Seite gestellt, wie vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Seine und die Nennung weiterer Grundrechte gehen durch zwar einfache, aber seriell vorgenommene und weitreichende sicherheitssemantische Kontextualisierungen einher mit deren ‚Versicherheitlichung‘, die über diskursspezifische Aspekte wie etwa der Datensicherheit hinaus Anlass zu der Vermutung geben, dass die explizite Nutzung des Begriffs Sicherheit zeithistorisch von so hoher Attraktivität ist, dass auch die Verfechter einer konträren Semantik nicht auf seine Mobilisierungs- und Legitimationskraft verzichten können. Wenn zwar die in der Regel nicht an der Regierungsmacht beteiligten Gegner der NSAAktivitäten die Deutungshoheit über den Begriff Sicherheit erlangen und seine Bedeutung als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ im Diskurs zur gesellschaftlich favorisierten Variante erheben können, ruft die auch in dieser semantischen Lesart uneingeschränkt weiter bestehende Strahlkraft des Ausdrucks die politischen Machthaber trotz der von ihnen zunächst verfochtenen oppositionellen und unterlegenen Sicherheitssemantik abermals auf den Plan. Mit ihren sprachlichen Strategien der Aneignung des Begriffs Sicherheit in der Bedeutungskonstellation ‚Sicherheit vor dem Staat‘ für das jeweils eigene politische Lager versuchen sie einmal mehr, sich als gesellschaftliche Sicherheitsgewährleister zu inszenieren. Auch hier ist über die diskursspezifischen Zusammenhänge hinaus zu vermuten, dass – abgeleitet von der erläuterten persuasiven Kraft des Sicherheitsbegriffs – ein wie auch immer geartetes Sicherheitsversprechen das zum Diskurszeitpunkt wohl erfolgsträchtigste politische Kalkül der machthabenden Gruppen darstellt. Bemerkenswert bleibt die daraus erwachsende semantische Konsequenz für den Begriff Sicherheit: Das Versprechen ‚Sicherheit vor dem Staat‘ gibt hier der Staat selbst, um seine gesellschaftliche Akzeptanz zu bewahren. Die zeithistorische Abhängigkeit des Sprachgebrauchs und der mit ihm im NSA-Diskurs zu favorisierter Stellung gelangender Bedeutungsvariante von Sicherheit als ‚Sicherheit vor dem Staat‘ ist nicht zu übersehen. Wirft man einen Blick voraus auf zeitlich nachgelagerte Diskurse mit weitgreifender gesellschaftlicher Relevanz, so erscheint die im Rahmen der Ereignisse um die NSA als ‚diktatorische Überwachung‘ negativ perspektivierte ‚Sicherheit durch den Staat‘

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durch das Diskursgeschehen um die zeitaktuelle Flüchtlingsthematik oder die als ‚Terror‘ vermerkten Ereignisse in Paris im November 2015 und in Berlin im Dezember 2016 bereits wieder revidiert und die vorher gültige Heilssemantik der ‚Sicherheit durch den Staat‘ erneut installiert. Diese Abhängigkeit bedeutungskonstituierender Prozesse von äußeren zeithistorischen Einflüssen, wie sie das Programm der diskurssemantischen Sprachgeschichtsschreibung aufdecken will, antizipiert im Juli 2013 der damalige Mitherausgeber der FAZ Günther Nonnenmacher. In seiner Äußerung macht er das Konzept der ‚Terrorbedrohung‘ als stärkste Macht der gesellschaftlichen Bedeutungskonstitution aus: „Gegenwärtig steht Datenschutz als Teil der informationellen Selbstbestimmung, die ein Freiheitsrecht ist, hoch im Kurs. Das kann sich mit dem nächsten Anschlag wieder ändern“ (FAZ.net v. 18.7.13). Die Untersuchungsergebnisse für den NSA-Diskurs belegen über die politisch motivierte Kontroverse hinaus weitere tiefgreifende Wechselwirkungen zwischen Sprache und gesellschaftlicher Entwicklung. Nicht nur reflektiert der Sprachgebrauch die Ereignisse des 11. September 2001 als für die Diskursgemeinschaft einschneidendes Erlebnis, als Zäsur. Mit dessen beständiger Aktualisierung und Nutzung für argumentative Strategien erhebt sich Sprache auch zum historischen Faktor; im Zeitablauf sind die Ereignisse sprachlich umgesetzt in einen eigenständigen Topos, dessen Prägekraft für die historische Mentalität der Diskursteilnehmer vermutlich nicht hoch genug einzuschätzen ist. Selbiges lässt auch der Differenztopos der Virtualität erwarten, der den mit Digitalisierung und Virtualität verbundenen gesellschaftlichen Wandel in den Sprachgebrauch mit großer Vehemenz einschreibt. Er reflektiert und konstituiert gleichermaßen gesellschaftlich bedeutsames Geschehen. Als ‚revolutionär‘ empfindet die soziale Gemeinschaft das Phänomen der Virtualität eben nicht nur aufgrund der handfesten technischen ‚Nie-da-gewesen-heiten‘, sondern auch infolge dessen sprachlicher Konstruktion als ‚Epoche machende Differenz‘. Es mag eine ungezählte historische Wiederholung sein, dass große technische Entwicklungen sprachlich als Vergleichbarkeit ausschließendes Unsicherheitsphänomen konstituiert werden, doch erweist sich der mit dem Topos der Virtualitätsdifferenz etablierte Singularitätscharakter von Unsicherheit als so wirkungsmächtige Konzeption, dass auf seiner Folie politische Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt und neu verhandelt werden können. Dies reicht hin bis zur Integration eines eigenen Elements in die über Epochen hinweg als dualistisch angelegte Relationsbetrachtung von Sicherheit und Freiheit. Der Sprachgebrauch zeugt daher nicht zuletzt vom kreativen Potenzial der Sprache, mit dem sich Sprachgemeinschaften neue Bedeutungsbereiche erschließen. Mühelos gelingt die Übertragung bereits bekannter Begriffe bis hin zu gängigen Lösungs-

Resümee | 337

schemata wie Recht und Technik, die in der virtuellen Sphäre ihre Plausibilität zu bewahren vermögen. Am Ende ist auch der Begriff Cybersicherheit nur ein weiterer Ausdruck für den im Sprachgebrauch bewältigten kulturellen Wandel.

9 Synopse und Ausblick Den Ausgangspunkt der Untersuchung bildete die Beobachtung einer verbreiteten Sicherheitssemantik im öffentlichen Sprachgebrauch der jüngeren Vergangenheit. Daraus wurde das Untersuchungsvorhaben abgeleitet, die jüngere Sprachgeschichte des Lexems Sicherheit nachzuzeichnen und so Aufschlüsse über Mentalität und Selbstverständnis der zeithistorischen Diskursgemeinschaft zu erhalten. Die Ergebnisse der Diskursanalysen bestätigen die eingangs formulierte These, dass auf der Folie weitreichender Bedrohungskonzeptionen Sicherheit zu einer bestimmenden gesellschaftlichen Legitimations- und Mobilisierungsvokabel avanciert ist. Die von Kaufmann ähnlich formulierte allgemeine Denkfigur für Sicherheitsdiskurse – ,Sicherheit ist verloren gegangen; sie muss mit bestimmten Mitteln wiederhergestellt werden‘ – ist im Sprachgebrauch der betrachteten Einzeldiskurse jeweils deutlich nachweisbar. Trotz der grundlegenden thematischen Verschiedenheit der ausgewählten Teildiskurse zeigen sich entlang dieser semantischen Grundfigur unübersehbare Gemeinsamkeiten in der Etablierung gesellschaftlicher ‚Sicherheits-Wirklichkeit‘. Dies beginnt bei inhaltlich zwar differierenden, im semantischen Wirkungsmechanismus allerdings weitgehend übereinstimmenden Konzeptualisierungen von ‚Bedrohung‘ und ‚Gefahr‘ im Sinne ‚verloren gegangener Sicherheit‘. Der semantische Schnittpunkt einer ‚bedrohten westlichen Kultur‘, einer als ‚krisenhaft‘ konstituierten Wirtschaftslage und einer in unterschiedlicher Hinsicht ,staatsgefährdenden Überwachungsaktion‘ liegt in deren jeweils als ,existenziell‘, als ,lebensbedrohlich‘ angelegten Konzeption. Die Semantik der ‚Existenzialität‘ einer Gefahrenlage ist erste Bedingung für die Wirksamkeit sprachlicher Versicherheitlichungsstrategien auf medialer und politischer Bühne. Es verwundert daher nicht, dass mit dem Sprachgebrauch diskursübergreifend das Wissen von basalen lebensbedrohlichen Menschheitslagen aktualisiert wird, die menschliche Ur-Ängste hervorzurufen vermögen. Nicht nur etwa ,Feuer‘ und ,Krankheit‘ als physische und damit unmittelbarste Formen der Lebensbedrohung werden in metaphorischer Übertragung zur diskursiven Gefahrenkonstitution genutzt. Wenn der Kultur- und Wertetopos etwa Angst vor dem Fremdem evoziert oder der Topos der Virtualitätsdifferenz Befürchtungen vor Neuem nährt, dann appellieren auch diese sprachlichen Formationen an grundlegende soziale Muster des Menschen in seiner Historizität. Kaum zu überraschen vermag daher auch das serielle Auftreten von Kriegsmetaphorik über sämtliche betrachtete Diskurse hinweg. Das mit ihr transportierte Bild der vielleicht dramatischsten und massivsten Form gesellschaftlicher Bedrohung erweist sich als hochgradig kompatibel für unterschiedlichste gesellschaftliche

https://doi.org/10.1515/9783110605358-010

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Themenstellungen und trägt maßgeblich zur Begründung einer ‚prekären‘ Unsicherheitssituation bei, in deren Wirklichkeitshorizont nicht nur das Phänomen der Alternativlosigkeit mühelos zur Entfaltung kommt, sondern Sicherheit zum unter allen Umständen unbedingt anzustrebenden gesellschaftlichen Wert vor allen anderen avancieren kann. Formuliert man die jeweils konstituierten Bedrohungslagen als ,abwesend‘, so lässt sich bereits eine partielle Zusammenschau des aufgedeckten Bedeutungsspektrums von Sicherheit erzielen. Sicherheit als ,Abwesenheit von Krise und Gefahr‘ bedeutet dann beispielsweise, ,die eigene Kultur und gesellschaftliche Werte gegenüber Fremdem zu verteidigen‘, ,den eigenen geopolitischen, auch ökonomischen Status erhalten zu können‘, ‚historische Errungenschaften wie etwa die Institutionen der europäischen Einigung oder die gemeinsame Währung zu bewahren‘, auch ,Terror und Kriminalität auszuschalten‘, aber auch ,Grundrechte, Freiheit und Privatsphäre zu bewahren‘. Das ebenfalls in allen untersuchten Diskursen beobachtbare Argumentationsmuster der ‚Differenz‘ leistet für die gesellschaftliche Podestplatzierung des Sicherheitsbegriffs noch Schützenhilfe. Die sprachliche Konstruktion von diskursspezifisch jeweils inhaltsverschieden realisierten ‚Zäsuren‘ trägt mit der ihnen innewohnenden Singularitätssemantik regelmäßig zur Etablierung eines besonderen Ausnahmecharakters der konstituierten Bedrohungs- und Krisenlagen bei. Das Bezugsobjekt der ,Differenz‘ muss dabei nicht immer nur ein zeitliches sein, wie etwa im Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001, in dem das gesellschaftliche Zeitempfinden sprachlich in ein bis heute massiv wirksames ‚Vorher und Nachher‘ gespalten worden ist, das in aktuelleren Diskursen wie etwa um die NSA-Affäre bereits Gemeinplatzcharakter erlangt hat. ‚Differenz‘ kann sich – wie insbesondere die Debatte um die NSA-Affäre gezeigt hat – auch auf andere soziale Phänomene beziehen, so etwa auf technische Entwicklungen wie das Internet oder auch auf kulturelle Unterschiede zwischen Gesellschaften. Auffällig in der sprachlichen Realisierung des Differenztopos ist die häufige Kopplung mit dem Begriff der Sicherheit, um ‚vormals vorhandene Sicherheit‘ zu implizieren, die nun durch eine bestimmte Bedrohungslage als ,verloren gegangene Sicherheit‘ zur dominanten gesellschaftlichen Weltsicht wird. Hier sei nur kurz an die entsprechende Lexematik in den Diskursen erinnert, wo von Sicherheitsproblemen, Sicherheitsrisiken oder Sicherheitslücken die Rede ist. Sicher ist die serielle Verwendung von Differenzargumentationen zunächst unter dem Aspekt der Aufmerksamkeitsgenerierung in einer konkurrenzbestimmten Medienlandschaft zu verstehen, darüber hinaus ist sie jedoch vor allem Ausdruck einer umfassenden politischen Legitimationsstrategie, die der Durchsetzbarkeit auch unpopulärer Maßnahmen entscheidend zuträgt,

Synopse und Ausblick | 341

zumal nichts Geringeres als gesellschaftliche Sicherheit zur Disposition steht, die durch den Sprachgebrauch – etwa durch Emotionalisierung – nicht selten mit Aspekten der ‚persönlichen Betroffenheit und Beteiligtheit‘ zur individuellen Angelegenheit des einzelnen Bürgers erwächst. So wird schließlich Sicherheit als Legitimations- und Mobilisierungsvokabel zum politischen Schlüsselbegriff, ja gar zum Generalschlüssel auf unterschiedlichsten öffentlichen Handlungsfeldern, der auf der Folie ,existenzieller Gefahr‘ nicht nur anderweitig nicht vermittelbare finanzielle Aktivitäten wie die Kreditvergaben in Milliardenhöhe an Griechenland plausibilisiert, sondern sich mit seinem gerade im Licht von ,Bedrohung‘ und ,Gefahr‘ zur Geltung kommenden Sehnsuchtscharakter gegenüber anderen Hochwertbegriffen wie Freiheit zu erheben und in der Folge potenziell freiheitseinschränkende Gesetzesvorhaben zu enttabuisieren und legitimieren vermag. Seine Schlagkraft reicht bis hin zur gesellschaftlichen Vermittlung von Krieg als ,notwendig‘ und ,alternativlos‘. Nur allzu verständlich wird vor diesem Hintergrund, dass das glaubwürdige Versprechen der Gewährleistung von Sicherheit zu einem entscheidenden Wahrnehmungsmerkmal politischer Parteien in der jüngeren Vergangenheit geraten ist, auch das haben die Untersuchungen in allen drei Teilbereichen gezeigt. ,Sicherheitsgewährleistung‘ ist das Etikett, das man sich als politische Partei aneignen muss, um gesellschaftliche Akzeptanz zu erzielen und politische Macht zu bewahren bzw. zu erlangen. Die Vehemenz und Unbedingtheit dieses Strebens nach Aneignung des Sicherheitsbegriffs zeigt sich sprachlich etwa am Bild des ,Wettkampfs‘, wie es im innenpolitischen Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 gebraucht wird. Nicht zuletzt sind auch die Umdeutung des Krisendiskurses in einen Stabilitätsdiskurs im Rahmen der Debatte um die Kreditausstattung Griechenlands und der im Diskurs um die NSA-Affäre zutage tretende politische Versuch, ,Sicherheit vor dem Staat‘ als semantisch überraschende ,staatliche Sicherheitsgewährleistung‘ zu etikettieren als Ausdruck dieses ,Wettkampfs‘ zu verstehen. Diese Strategien zeigen einmal mehr, welche enorme persuasive Kraft die Diskursakteure dem Begriff Sicherheit zumessen. Nirgendwo wird das politische Potenzial des Begriffs deutlicher als in den Spuren religiöser Semantik, die in den Diskursen aufscheinen. Führt man sich noch einmal die Ergebnisse der begriffsgeschichtlichen Arbeiten von Conze, Schrimm-Heins und Kaufmann vor Augen613 und geht davon aus, dass spätestens mit der Moderne der auf Transzendenz angelegte Begriff der Gewissheit durch den im Irdischen verbleibenden Begriff der Sicherheit abgelöst ist, wird erkennbar, dass die politische Vereinnahmung des Sicherheitsbegriffs weitreichende Macht verleiht. || 613 Vgl. ausführlich Kap. 5.3 im Zweiten Teil.

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Der politische Akteur kann mit seiner Hilfe unpopuläre Vorhaben durchsetzen, die im begrifflichen Horizont der Sicherheit Heilscharakter erlangen. Als ,irdischer Erlöser‘ vermag der Politiker so die gesellschaftliche Sehnsucht nach Sicherheit zu bedienen und mit dem von ihm gegebenen Sicherheitsversprechen eine irdische Erlösung von allem gesellschaftlich Bösen in Aussicht zu stellen. Es darf vermutet werden, dass diese sich aus einer von religiöser Semantik durchdrungenen Diesseitsorientierung speisende Legitimationskraft des Sicherheitsbegriffs zusätzlich befördert wird durch das semantische Sediment diverser Staatstheorien, die im kollektiven Gedächtnis eher nicht in ihren philosophischen Detailgängen abgespeichert sind, sondern dort möglicherweise unter anderem eingeengt auf ‚Sicherheit als ureigene Staatsaufgabe‘ erinnert werden. Endgültig zementiert wird das Legitimationsfundament des Begriffs mutmaßlich durch die Tatsache, dass mit ihm zuallererst auch ein „basaler anthropologischer Sachverhalt“614 umschrieben ist, der „das Sicherheitsstreben [als; A. S.] eine anthropologische Konstante“615 betrachtet und damit auf ein die Existenz des Menschen grundlegend auszeichnendes Phänomen verweist. Sicherheit verfügt daher über eine existenziell-ontologische Konnotation, die andere Hochwertwörter wie Freiheit oder Gerechtigkeit nicht oder nur eingeschränkt vorzuweisen vermögen, und sichert so seine herausragende gesellschaftliche Stellung gerade in Zeitphasen, die von der sozialen Gemeinschaft als existenzielle Krisen und Gefahrenlagen wahrgenommen werden. Erklärbar wird auf dem Fundament religiöser, staatstheoretischer und anthropologischer Wissenssedimente auch die ebenfalls über alle Diskurse hinweg beobachtbare Auffälligkeit der Funktionsvervollständigung sprachlicher Strategien durch ein sicherheitssemantisches Element und somit die Funktionsweise sprachlicher ,Versicherheitlichung‘ unterschiedlichster gesellschaftlicher Themenstellungen. Viele Topoi oder gar die grundlegende Diskursanatomie wie in der Debatte um Griechenland und den Euro erreichen ihr intendiertes Moment nur durch den letztinstanzlichen Rückbezug auf den Begriff Sicherheit, so dass schließlich von einem ,Supertopos‘ Sicherheit gesprochen werden kann, von einer ,letzten Instanz‘ Sicherheit, in deren Begriff sich nicht zuletzt das diskursiv Gemeinte kondensiert und die als Leitvokabel der Diskurse zweifelsfrei ausgemacht werden kann.

|| 614 Angehrn, Emil: „Das Streben nach Sicherheit. Ein politisch-metaphysisches Problem“. In: Fink-Eitel, Heinrich und Lohmann, Georg (Hrsg.): Zur Philosophie der Gefühle. Frankfurt am Main 1993, S. 218–243, hier: S. 218. 615 Ebd., S. 219.

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Die in den Diskursen einheitlich beobachtbaren Vorstellungen von gesellschaftlicher Problemlösung, innerhalb derer das ‚Wie‘ der ,Wiederherstellung von Sicherheit‘ verhandelt wird, sind Ausdruck eines ganz und gar irdischen Lösungsverständnisses, das von ,Machbarkeit‘, ,Beherrschbarkeit‘ und ,Rationalität‘ geprägt ist und in erheblichem Maße Aufschluss über wesentliche Grundpfeiler gesellschaftlicher Mentalität gibt: Mit Recht und Gesetzen, Bürokratie, mit zumeist finanziell unterlegter Ausstattung und Technik sind gesellschaftliche Problemlagen politisch zu bewältigen, so das gesellschaftliche Denken. Die Lexematik der analysierten Teildiskurse präsentiert sich an dieser Stelle nahezu identisch: Sicherheitsgesetze, Sicherheitsstandards, Sicherheitenregeln, Sicherheitsbehörden, Sicherheitsinvestitionen, Sicherheitskonzepte oder Sicherheitssysteme begegnen als regelmäßig wiederkehrende Ausdrücke in den einzelnen Diskursräumen. Die Sprachgebrauchsanalyse legt hier das ,Lösungsset‘ für Gefahren- und Krisenbewältigung einer ,westlichen‘ Kultur frei und zeigt eine nach rationalen Prinzipien organisierte Gesellschaft, für die ,Handeln‘ und ,Aktivität‘ ,alternativlos‘ sind. ,Abwarten‘, ,Nichtstun‘ und ,sich dem Schicksal überlassen‘ sind mit dem auf irdische Erlösung angelegten Sicherheitsbegriff keine äußerbaren Optionen mehr; die Topoi von Aktivität, Notwendigkeit, Realität oder Alternativlosigkeit tabuisieren diese und degradieren sie schließlich zum Nichtsagbaren der Diskurse. Nicht zuletzt wird mit den umfangreichen Untersuchungen deutlich, dass der Sprachgebrauch insbesondere auf tiefensemantischer Ebene die teils weit zurückreichende Kultur- und Mentalitätsgeschichte der sozialen Gemeinschaft erzählt. Davon zeugt nicht nur das serielle Auftreten des Geschichtstopos. Die Sprache berichtet von historisch bedingten Ängsten der Gesellschaft, von dem, was die soziale Gemeinschaft als Errungenschaft betrachtet, von der Entwicklung der gesellschaftlichen Bedeutung von Religion, von Moralvorstellungen und Erziehungsmodellen. Mit den Analysen entsteht gar die Zeugenschaft der jüngsten Fortsetzung historischer Prozesse und deren sprachlicher Konstituierung, wie sie etwa hinsichtlich der Ereignisse des 11. September 2001 oder der gesellschaftlichen Bewältigung der ‚Medienrevolution‘ Internet ein Stück weit mitverfolgt werden konnte. Indes erscheint die zeitaktuelle Karriere des Sicherheitsbegriffs raumgreifend und noch nicht zu Ende. Die Durchführung der Diskursanalysen für die vorliegende Arbeit war begleitet von dem Eindruck einer beständig erweiterbaren Liste potenziell sicherheitssemantisch dominierter Diskurse. Die Debatte um die Folgen des Reaktorunfalls im japanischen Fukushima im Jahr 2011 etwa wird als Sicherheitsdiskurs geführt, in dessen Konsequenz der als Energiewende bezeichnete politische Beschluss der Beendigung der zivilen Nutzung der Atom-

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kraft in Deutschland steht. Es geht um „Energiesicherheit“ (z. B. FAZ v. 12.4.11), die mit hinreichend bekannten Begrifflichkeiten wie „Sicherheitssysteme“ (ebd.), „Sicherheitsstandards“ (ebd.) oder „Sicherheitsmaßnahmen“ (ebd.) verhandelt wird. Mehrmals in der jüngeren Vergangenheit steht auch „Lebensmittelsicherheit“ (z. B. FAZ v. 11.6.11) im Mittelpunkt von Diskursen. Dort konstatiert man etwa, dass „[e]ine komplexere, industrialisierte Landwirtschaft (...) nicht für größere Lebensmittelsicherheit“ (ebd.) sorgt und ruft mit dem Sprachgebrauch einmal mehr kulturgeschichtliches Wissen der Kommunikationsgemeinschaft auf, um eine Gefahrenwirklichkeit zu konstituieren. Die akademische Welt führt ebenfalls Sicherheitsdiskurse. „Die Hochschule soll das Sicherheitsnetz spannen“ (FAZ v. 8./9.6.13), womit das „unausgesprochene Ziel de[s] Hochschulabschluss[es] für alle“ (DIE ZEIT v. 2.7.15) formuliert ist, da „die Werte der Gleichheit und der Sicherheit immer wichtiger“ (ebd.) und „[d]as Bedürfnis der Jungen nach Sicherheit (...) noch größer“ (FAZ v. 29.8.16) geworden sind. Auch der anhaltende Digitalisierungsdiskurs erscheint im Sicherheitsgewand. Dort reicht es gar im Gefolge der Deutung sozialer Medien als „Teil einer ,phatischen Kommunikation‘, also einer Kommunikation, die man zur Selbstversicherung und Versicherung des gegenseitigen Wahrnehmens betreibe“ (FAZ v. 22.7.16) zur Bezeichnung „ontologische Sicherheit“ (ebd.), die dem „wärmende[n] Element“ (ebd.) einer solchen Kommunikationsform zugeschrieben wird. Nicht zuletzt wiederholen sich in den seit der gesteigerten Zuwanderung nach Deutschland geführten innenpolitischen Diskursen um Flüchtlinge und Terror insbesondere aus dem Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 bekannte sprachliche Phänomene und Strategien, erinnert sei hier etwa an den Kultur- und Wertetopos oder auch an den Humanitätstopos. Sicherheit, so darf vermutet werden, stellt auch hier die Leitvokabel der Diskurse. Dies wird deutlich, wenn etwa der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies ein Jahr nach den Ereignissen der Silvesternacht zum Jahreswechsel 2015/16 in Köln sagt: „An allererster Stelle steht für mich, dass sich die Leute wieder sicher fühlen können“ (FAZ v. 30.12.16a), und er eine „Sicherheitsgarantie“ (ebd.) für die bevorstehenden Feierlichkeiten geben möchte. Der Begriff Sicherheit rückt mit seinem Sehnsuchtscharakter gerade auch nach den als Terror bezeichneten Ereignissen auf einem Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 einmal mehr in den öffentlichen Fokus und gewinnt auf der Wahlkampfbühne des Jahres 2017 erneut vehemente gesellschaftliche Relevanz, wie die sich abzeichnenden Wettläufe der Parteien um die Aneignung des Begriffs zeigen. So überrascht der Sprachgebrauch wenig: „Öffentliche Sicherheit wird ein Großthema im Wahlkampf“ (FAZ v. 30.12.16b). Aufgegriffen wird das ,Sicherheits-Wissen‘ der Vergangenheit, etwa wenn es um die Besetzung des Themas durch die SPD geht. So

Synopse und Ausblick | 345

erinnert man an den innenpolitischen Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001; der Sprachgebrauch zeigt deutlich, dass die Bedeutung ,Sicherheit durch den Staat‘ dominiert: „Gerhard Schröder wusste, was er an Otto Schily hatte. Gabriel könnte nun eine Sheriff-Figur gut gebrauchen“ (ebd.). Wieder wird über „Sicherheitsbehörden“ (FAZ v. 29.12.16) und „Sicherheitsarchitektur“ (ebd.) diskutiert. Gelegenheitskomposita wie „Sicherheitsreform“ (FAZ.net v. 3.1.17) und „Sicherheitspläne“ (FAZ.net v. 4.1.17) sowie Forderungen nach einem „Umbau des Sicherheitsapparats“ (ebd.) und nach einer „neue[n] Sicherheitsstruktur“ (ebd.) lassen auf eine neue Brisanzphase des innenpolitischen Sicherheitsdiskurses im Gefolge des Wahlkampfs schließen. Darauf deuten auch die abermaligen Versuche politischer Akteure hin, den Begriff Sicherheit positiv zu konnotieren. Bundeskanzlerin Angela Merkel nutzt dafür beispielsweise die Attraktivität des Begriffs der Offenheit, den sie mit Sicherheit kontextualisiert. So führt sie im November 2016 vor dem Bundestag aus: Meine Damen und Herren, wir leben in Zeiten rasanter globaler Veränderungen. Wir haben die Möglichkeiten, Veränderungen schrittweise menschlich zu gestalten. Das setzt Offenheit voraus. Ich bin zutiefst davon überzeugt: Offenheit wird uns mehr Sicherheit bringen als Abschottung – mehr Sicherheit im Blick auf die wirtschaftliche Situation, mehr Sicherheit im Blick auf Soziales und mehr Sicherheit im Blick auf Frieden und Freiheit. (Merkel v. 23.11.16)

Die politische Attraktivität des Begriffs Sicherheit scheint auch in der aktuellen Gegenwart ungebrochen. Möglich geworden sind die umfangreichen Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit zur Semantik von Sicherheit letztlich erst durch die Anwendung diskurslinguistisch orientierter Analyseinstrumente. Gleichwohl waren aus forschungspraktischen Gründen erhebliche Einschränkungen hinsichtlich des Untersuchungsumfangs notwendig. Da die Analysen von einer einzelnen Forscherperson durchgeführt wurden, waren zwangsläufig Restriktionen bezüglich der Korpuskonstitution, des Korpusumfangs und in der Folge der Repräsentativität gegeben. Auch die Zahl der zu untersuchenden Teildiskurse musste begrenzt bleiben, so dass der Fokus schließlich auf exemplarische Darstellung und Interpretation gelegt wurde. Eine von Software gestützte Erstellung eines größeren Korpus und dessen Analyse durch eine Forschergruppe böte nicht nur Möglichkeiten der Validitätsprüfung der vorliegenden Ergebnisse; denkbar wäre dann auch eine Erweiterung des Methodenspektrums. Die Anwendung frame-semantischen Instrumentariums beispielsweise könnte gerade die aufgedeckten Wissensaspekte der Bedeutungskonstitution evaluieren und vertiefen. Am Ende dieser Arbeit bleibt nicht nur die Weiterverfolgung der untersuchten Diskurse in weiteren Brisanzphasen offen, sondern auch die Analyse zusätz-

346 | Synopse und Ausblick

licher Diskursräume – wie etwa der oben kurz angedeuteten – unter sicherheitssemantischem Aspekt, um die Serialität der freigelegten Sprachgebrauchsmuster einer weiteren Überprüfung zu unterziehen, weitere Parallelen sowie Unterschiede aufzudecken und so die Sprachgeschichte von Sicherheit weiterzschreiben. Dazu kann auch ein Blick in die fernere Vergangenheit gehören, um Kontinuitäten und Wandel über einen längeren Zeitraum nachvollziehbar zu machen. Wünschenswert wäre etwa die Vervollständigung der Sprachgeschichte von Sicherheit für die Bundesrepublik Deutschland ab 1949. Gerade für die späten 1960er und für die 1970er Jahre dürften vielversprechende Erkenntnisse zu erwarten sein. Spannend bleibt zudem die Frage, inwiefern heute geführte Diskurse mit zeitlichem Abstand als Sicherheitsdiskurse gelesen werden können. Mitunter wird bezweifelt, dass die diskurslinguistische Untersuchung von Hochwertwörtern lohnenswert sein kann, da sie als zu unumstritten im öffentlichen Diskurs gelten.616 Die Analysen zum Begriff Sicherheit haben gezeigt, dass sich sehr wohl weitreichende Erkenntnisse sowohl für politische Kontroversen als auch darüber hinaus für in der Sprache eingeschriebenes historisches Verständnis von Menschsein gewinnen lassen. Dies sollte Anlass genug sein, auch andere Begriffe wie Freiheit oder Gerechtigkeit umfangreich diskursgeschichtlich aufzuarbeiten.

|| 616 Vgl. dazu Kap. 4.3 im Ersten Teil.

Topos- und Belegwortlisten Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 Toposliste

Gefahrentopos Diskursspezifische Gefahrentopoi: – Differenztopos – Werte- bzw. Kulturtopos – Statustopos Vernetzungstopos Aktivitätstopos Topos der sozialen Gerechtigkeit

Statustopos Humanitätstopos Rechtstopos Bürgertopos bzw. Topos des gesellschaftlichen Nutzens Ausstattungstopos Bürokratietopos

Die Argumentationen stützende, diskursunspezifische Topoi in alphabetischer Reihenfolge:

Autoritätstopos Geschichtstopos

Topos der Alternativlosigkeit

Belegwortliste

Air-Marshalls Aktionismus Angriff Anschlag Antworten Besonnenheit Bürokratie Bundessicherheitsamt Bundeswehreinsatz Demokratie deutscher Sonderweg Flugsicherheitsbegleiter Freiheit Gegenschlag gegenwärtige Sicherheitslage globalisierte Gerechtigkeit Globalisierung Gratwanderung Grundrecht auf Sicherheit Herausforderung humane Globalisierung

https://doi.org/10.1515/9783110605358-011

innere Sicherheit Integration Kampf gegen das Böse Kampf gegen den Terrorismus Krieg Kriegseinsatz Kriegsbeteiligung Kriegsgegner Luftsicherheit Menschenrechte Menschenverachtung Militäreinsatz militärische Vergeltung nationale Sicherheit neue Sicherheitspolitik neues Sicherheitsverständnis neue Wirklichkeit offene Gesellschaft Partei der inneren Sicherheit Prävention Prüfung

348 | Topos- und Belegwortlisten

Sicherheit Sicherheitsarchitektur Sicherheitsaufwand Sicherheitsbehörden Sicherheitsbewusstsein Sicherheitsbündnis Sicherheitsdampfer Sicherheitsempfehlungen Sicherheitsfachleute Sicherheitsfalle Sicherheitsgefühl Sicherheitsgesetze Sicherheitshysterie Sicherheitsinteressen Sicherheitsinvestitionen Sicherheitskontrollen Sicherheitskonzept Sicherheitslage Sicherheitsmaßnahmen Sicherheitsminister Sicherheitspaket Sicherheitspersonal Sicherheitspolitik sicherheitspolitische Lage

sicherheitspolitische Sorglosigkeit Sicherheitsprobleme Sicherheitsprogramme Sicherheitsrisiko/Sicherheitsrisiken Sicherheitssituation Sicherheitsstandards Sicherheitsstrukturen Sicherheitssystem Sicherheitsüberprüfungen Sicherheitsverständnis Sicherheitsvorschläge Spaltung starker Staat System kollektiver Sicherheit uneingeschränkte Solidarität terroristischer Angriff Turning Point of History unsichere Sicherheit Unsicherheit Unterstützung Weltsicherheitslage Weltterrorismus Wendepunkt Zäsur

Diskurs um Griechenland und den Euro 2010 | 349

Diskurs um Griechenland und den Euro 2010 Toposliste

Stabilitätstopos Bürgertopos Diskursspezifische Gefahrentopoi bzw. Topoi der düsteren Gegenwart und Zukunft: – Topos der wirtschaftlichen Bedeutung des Euro

– Europatopos – Vernetzungstopos Ursachentopos: – Schuldentopos – Spekulantentopos

Die Argumentationen stützende, diskursunspezifische Topoi in alphabetischer Reihenfolge:

Topos der Alternativlosigkeit Autoritätstopos

Differenztopos Geschichtstopos

Belegwortliste

als Sicherheit akzeptieren Angriff Angriffskrieg Angstprämie Ansteckung auf dem Spiel stehen Ausnahmeregel Ausnahmeregelung Ausschluss Beruhigung Bestnoten Bewertungsabschlag Defizitsünder Derivate-Zocker Dominoeffekt Entspannung Erleichterung erwarten Euro-Krise Europa Euro-Rettungsschirm Existenzkrise fallen

Familie Feuer Finanzmarkt Finanzmärkte Flächenbrand fordern Frieden Friedensfrage Friedensgemeinschaft garantieren Gemeinschaftshilfe Griechenland Griechenlandkrise Griechenland-Malaise griechische Bevölkerung griechische Schuldenkrise Härte Hausaufgaben Haushaltsdefizite Haushaltsdisziplin Haushaltskrisen Haushaltsloch Haushaltssünder

350 | Topos- und Belegwortlisten

Haushalts- und Schuldenmisere Hilfspaket für die Stabilität des Euro hoffen Kettenreaktion kippen Kontrollsystem Markt Märkte Nervosität Notfall Nothilfe Notfallplan Notfallsystem Paket zur Stabilisierung des Euro Primat der Politik Ramschanleihe Ratingagentur Regulierung Retter Rettung Rettungsmechanismus Rettungspaket Sanierungskurs Sanktionen Schicksalsfrage Schicksalsgemeinschaft Schulden Schuldenfalle Schuldenkrise Schuldenlast Schuldenspirale Schuldensünder sicher Sicherheit Sicherheitenregeln Sicherheitsabschlag Sicherheitsanforderung

Sicherheitsnetz Sicherheitsvorgaben Solidarität Sorgenkinder Sparanstrengungen Sparauflagen Sparen Sparkurs Sparpaket Sparprogramm Spekulanten Spekulation Staatsanleihe Staatspapier stabil Stabilität Stabilitätsdebatte Stabilitätsgemeinschaft Stabilitätskultur Strafe stürzen übergreifen überspringen Überwachungssystem Talfahrt Ultima Ratio um Hilfe bitten Unsicherheit Verantwortung verlangen Vertrauen Währung Wohlstand Wohlstandsversicherung Wertegemeinschaft Zockereien

Diskurs um die NSA-Affäre 2013 | 351

Diskurs um die NSA-Affäre 2013 Toposliste

Diskursspezifische Differenztopoi: – Differenztopos des 11. September 2001 – Differenztopos der Virtualität – Topos der interkulturellen Differenz Diskursspezifische Bedrohungstopoi: – Topos der Bedrohung durch den Staat – Topos der Terrorgefahr und der Gefahr von Kriminalität

– Topos der Bedrohung der Grundrechte Diskursspezifischer Nutzentopos: – Topos der Gefahrenabwehr Topos der (politischen) Unfähigkeit Rechtstopos Techniktopos

Die Argumentationen stützende, diskursunspezifische Topoi in alphabetischer Reihenfolge:

Topos der Alternativlosigkeit Autoritätstopos Bürgertopos

Geschichtstopos Rechtstopos

Belegwortliste

Abhörpraktiken Allianz für Cyber-Sicherheit Angriffsindustrie Ausspähaffäre Big Brother Big Data Bürgerrechte Computersicherheit Computersicherheitsspezialisten Cyber-AngriffeCybersicherheit Cyber-Terrorismus Cyber-Warfare Dataholic Datenaffäre Datenapokalypse Datengier Datensammeleifer Datensammelwut Datenschutz Datenschutzgrundgesetz Europas Datensicherheit Demokratie digitale Aufrüstung

digitale Besatzungsmacht digitale Bürgerrechte digitale Privatsphäre digitale Sicherheit digitales Zeitalter EU-Datenschutz-Grundverordnung EU-IT-Sicherheitsstandards Freiheit Freiheitsrechte Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung Grundrechte Hilflosigkeit Hochsicherheits-IT Hochsicherheitstechnologien Informationsfreiheit Informationssicherheit Internetsicherheit Internetzeitalter IT-Grundrecht IT-Nationalismus IT-Sicherheit IT-Sicherheitsgesetz

352 | Topos- und Belegwortlisten

IT-Sicherheitslösungen Kommunikationsfreiheit Menschenwürde nicht verstehen NSA-Abhöraffäre NSA-Affäre NSA-Bruder NSA-Spähaffäre Orwellness Präventions- und Sicherheitsstaat Privatsphäre Rechtsstaat Schengen-Cloud Schengen-Routing Schnüffelprogramme Sicherheit Sicherheitsargumente Sicherheitsbehörden Sicherheitskomponenten Sicherheitskulturen Sicherheitsleistungen Sicherheitslösungen Sicherheitslogik Sicherheitslücken Sicherheitsprofi Sicherheitssoftware Sicherheitsstrategien Sicherheitssysteme

Sicherheitstechnik Sicherheitstechnologie Sicherheitsverständnis Souveränität Souveränitätsrechte Spähaffäre Supergrundrecht Datenschutz Supergrundrecht Sicherheit technische Abschottung Telekommunikationskontrolle Totalüberwachung Überwachung Überwachungsapparat Überwachungspraktiken Überwachungsprogramme Überwachungsregime Überwachungssucht Überwachungssysteme Unverständnis US-Orwell Verfassungsbruch Vertrauensbruch Vertrauenskrise Vertrauensverlust Völkerrecht des Netzes Weltbürgerrecht Zeitenwende Zusammenarbeit

Literaturverzeichnis Verzeichnis der Quellentexte Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 Mediale Quellentexte in chronologischer Reihenfolge

SZ v. 13.9.01a: Beschwichtigende Worte, makabre Sätze. Von Joachim Käppner, S. 8. SZ v. 13.9.01b: „Es gibt keinen absoluten Schutz mehr“. Von Monika Maier-Albang, S. 43. SZ v. 13.9.01c: „Wir brauchen die Bundeswehr auch im Innern“. Interview mit Edmund Stoiber von Sebastian Beck, S. 44. FAZ v. 14.9.01: Simonis: Nicht mehr auf dem Sicherheitsdampfer. Von Susanne Gaschke, S. 9. FAZ.net v. 14.9.01: Diskussion über verschärfte Maßnahmen hat begonnen. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018).617 FAZ v. 15.9.01a: Die deutschen Sicherheitsbehörden bereiten sich auf mögliche Reaktionen islamischer Extremisten vor. Von Johannes Leithäuser und Rüdiger Soldt, S. 7. FAZ v. 15.9.01b: Ein langer Feldzug. Von Lothar Rühl, S. 14. FAS v. 16.9.01a: Das Land der Schläfer. Von Werner van Bebber, S. 6. FAS v. 16.9.01b: „Man kommt um einen Gewalteinsatz nicht herum“. Von Konrad Schuller, S. 6. FAS v. 16.9.01c: Merz für „Allianz der Entschlossenheit“. Von Michael Inacker, S. 6. SZ v. 17.9.01: Regierung will islamische Extremisten-Vereine verbieten. O. V., S. 8. FAZ.net v. 18.9.01a: Innenminister beschließen Maßnahmenpaket. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 18.9.01b: Union im Wettlauf um Sicherheits-Konzepte. Von Peter Schumacher, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 18.9.01: Schlag für Eichel. Von Oliver Schumacher, S. 23. FAZ v. 19.9.01a: Globalisierung des Terrors. Von Felipe González, S. 16. FAZ v. 19.9.01b: Grüne kritisieren Pläne zur Stärkung der inneren Sicherheit. Von Johannes Leithäuser, S. 2. FAZ v. 19.9.01c: Maßnahmenkatalog zur inneren Sicherheit. Von Johannes Leithäuser, S. 1. FAZ v. 19.9.01d: Nicht immer kann der Kanzler seine Anspannung verbergen. Von Günter Bannas, S. 3. FAZ v. 19.9.01e: Ohne Sicherheit keine Freiheit. O. V., S. 2. FAZ.net v. 19.9.01: Bundestag verurteilt Terroranschläge. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 19.9.01a: Wie man mit Sicherheit eine Schlagzeile kriegt. Von Heribert Prantl, S. 4. SZ v. 19.9.01b: Zwischen Sicherheit und Freiheit. Von Eva Thöny, S. 50. FAZ v. 20.9.01: Der Bundestag: Bereit zu militärischem Beistand. Höhere Steuern für mehr Sicherheit. Von Johannes Leithäuser, Peter Carstens und Heike Göbel, S. 1.

|| 617 Alle Online-Artikel von FAZ.net und SZ.de sind jeweils mit Lizenz und durch Eingabe des Artikeltitels unter der angegebenen Adresse abrufbar. https://doi.org/10.1515/9783110605358-012

354 | Literaturverzeichnis

FAZ v. 21.9.01: Angebot für ein ‚Sicherheitsbündnis‘. Von Mechthild Küpper, S. 5. FAZ v. 22.9.01: Entweder ihr seid für uns, oder ihr seid für die Terroristen. Die Rede des Präsidenten George Bush vor dem amerikanischen Kongreß. O. V., S. 8. FAZ v. 27.9.01a: Opposition findet wieder statt. Von Günter Bannas und Karl Feldmeyer, S. 6. FAZ v. 27.9.01b: Schily für „sehr harten Einsatz“ gegen den Terror. Von Johannes Leithäuser, S. 6. SZ v. 27.9.01: „Schluss mit der Polemik“. Von Susanne Höll, S. 7. FAZ v. 29.9.01: Beck: Nicht gegen Einwanderer abschotten. Von Johannes Leithäuser, S. 5. FAS v. 30.9.01: Den finanziellen Sumpf des Terrors trockenlegen. Interview mit Gerhard Schröder von Michael Inacker, Thomas Schmid und Wulf Schmiese, S. 4. FAZ v. 5.10.01a: Flickwerk. Von Udo Ulfkotte, S. 16. FAZ v. 5.10.01b: Merkel fordert ein Bundessicherheitsamt. Von Johannes Leithäuser, S. 4. FAZ v. 6.10.01: Was der Kanzler denkt und was Scharping sagt. Von Günter Bannas, S. 12. FAS v. 7.10.01: Der innere Kampf gegen den Terror. Von Michaela Wiegel u. a., S. 4. FAZ.net v. 7.10.01: Vittorio Hösle: „Größe nicht gleich Sicherheit“. Interview mit Vittorio Hösle von Uwe Ebbinghaus, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/ biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 8.10.01: „Krieg darf nicht die Antwort auf Terror sein“. O. V., S. 6. FAZ v. 10.10.01a: Weitgehende Übereinstimmung zwischen Schily und der Union. Von Johannes Leithäuser, S. 6. FAZ v. 10.10.01b: 400 Millionen für Sicherheit in Bayern. Von Albert Schäffer, S. 6. FAZ.net v. 11.10.01: Deutschland am Wendepunkt. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 12.10.01: Schröder sieht Deutschland in einer neuen Verantwortung. Von Eckart Lohse und Peter Carstens, S. 1. FAZ v. 13.10.01a: Auf der Suche nach Sicherheit. Von Johannes Leithäuser, S. 1. FAZ v. 13.10.01b: Der neue Mensch – und seine Grenzen. Von Karl Otto Hondrich, S. 8. FAZ v. 13.10.01c: „Regierung bei der Terrorbekämpfung unglaubwürdig“. Von Albert Schäffer, S. 5. FAZ v. 15.10.01: Merz: Die Koalition mißbraucht das Thema Terror. Von Dieter Wenz, S. 6. FAZ.net v. 15.10.01: Die Union in der Terrorfalle. Von Ralf Bartoleit, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 18.10.01: Unsichere Sicherheit. Von Philip Grassmann und Heribert Prantl, S. 8. FAZ v. 19.10.01: „Balance von Sicherheit und Freiheit“. Von Reinhard Müller, S. 4. FAZ.net v. 19.10.01a: Der Kanzler des neuen Deutschland. Von Helmut Uwer, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 19.10.01b: Scharping: Deutschland als Produzent von Sicherheit. Von Helmut Uwer, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 20.10.01: Im Überschwang. Von Stefan Dietrich, S. 1. FAS v. 21.10.01: Schulden machen für die Sicherheit. Von Hans Riebsamen, S. 5. SZ v. 25.10.01a: „Die Basis hat das Thema satt“. Interview mit Peter Müller von Susanne Höll, S. 14. SZ v. 25.10.01b: „Gefährlicher Wettlauf von Schily und CSU”. Von Detlef Esslinger, S. 6. ZEITonline v. 25.10.01a: Die Furcht vor der Furcht. Von Frank Drieschner, online verfügbar unter http://www.zeit.de/2001/44/Die_Furcht_vor_der_Furcht (28.6.2018).

Verzeichnis der Quellentexte | 355

ZEITonline v. 25.10.01b: In der Sicherheitsfalle. Von Martin Klingst, online verfügbar unter http://www.zeit.de/2001/44/In_der_Sicherheitsfalle (28.6.2018). FAZ v. 26.10.01: Schily macht’s möglich. Von Georg Paul Hefty, S. 16. SZ v. 26.10.01: Otto Schilys Steinbruch. Von Heribert Prantl, S. 4. FAS v. 28.10.01: Koch: Mehr um die innere Sicherheit kämpfen. Interview mit Roland Koch von Bernd Heptner und Michael Inacker, S. 10. FAZ v. 29.10.01: Plädoyer gegen „falsche Liberalität“. Von Harald Hofmann, S. 66. SZ v. 29.10.01a: Ein Angebot aus dem Otto-Katalog. Von Heribert Prantl, S. 2. SZ v. 29.10.01b: „Otto Schily ist Otto Schily – das ist gar nicht so schlecht“. Interview mit Otto Schily von Hans Werner Kilz und Heribert Prantl, S. 10. FAZ v. 30.10.01a: Neues Angebot Schilys zum Einwanderungsgesetz. Von Eckart Lohse und Peter Carstens, S. 1. SZ v. 30.10.01a: Demokratie mit Platzangst. Von Dieter Thomä, S. 15. SZ v. 30.10.01b: Nicht sicher genug. Von Christian Schneider, S. 41. SZ v. 31.10.01: „Das Krähen haben wir den Grünen überlassen“. Von Philip Grassmann und Nico Fried, S. 6. SZ v. 2.11.01: Abschied vom Grundgesetz. Von Burkhard Hirsch, S. 17. FAS v. 4.11.01: Keine Angst vor dem starken Staat. Interview mit Konrad Schily von Thomas Schmid, S. 3. FAZ v. 7.11.01a: Außenpolitik nach dem 11. September. Von Günther Gillessen, S. 16. FAZ v. 7.11.01b: Resolution 1368 soll Unterstützung decken. Von Friederike Bauer, S. 4. SZ v. 7.11.01: Empfindliche Stellen. Von Ralf Husemann, S. 10. FAZ v. 8.11.01: Stoiber: Nur einem Einsatz von sechs Monaten zustimmen. Von Karl Feldmeyer, S. 4. FAZ v. 9.11.01: Die Konsequenz. Von Günther Nonnenmacher, S. 1. FAZ v. 12.11.01a: Die neue Wirklichkeit. Von Karl Feldmeyer, S. 1. FAZ v. 12.11.01b: Ein Verteidigungskrieg lässt sich nicht vorab begrenzen. Von Ulrich Fastenrath, S. 8. FAZ v. 14.11.01a: „Die Würde des Menschen hängt nicht vom Fingerabdruck ab“. Von Reinhard Müller, S. 8. FAZ v. 14.11.01b: Eine letzte Chance für die Koalition. Schröder stellt die Vertrauensfrage. Von Günter Bannas und Eckart Lohse, S. 1. FAZ.net v. 14.11.01: Bundeskriminalamt: Deutschland kein Ruheraum mehr. Von Stephan Hütig, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 16.11.01a: „EU darf nicht in Sicherheitshysterie verfallen“. O. V., S. 7. FAZ v. 16.11.01b: Neue Schwerpunkte auf SPD-Parteitag. Von Günter Bannas, S. 5. FAZ v. 21.11.01: Breite SPD-Mehrheit für den Einsatz der Bundeswehr. Von Günter Bannas und Barbara Wieland, S. 1. FAZ v. 23.11.01a: Prävention und ihre Voraussetzungen. Von Dieter Wellershoff, S. 6. FAZ v. 23.11.01b: Zur Wahrung des Friedens. Von Reinhard Müller, S. 3. FAZ v. 23.11.01c: Zustimmung des Bundestags zur neuen Nato-Strategie nicht erforderlich. Von Reinhard Müller, S. 1. FAZ v. 1.12.01: Im Vertrauenstief. Von Heike Göbel, S. 1. SZ v. 4.12.01: FDP fordert Zugeständnisse. Von Marianne Heuwagen, S. 5. SZ v. 6.12.01: Krieg führen und Frieden schaffen. Von Stefan Kornelius, S. 4.

356 | Literaturverzeichnis

FAZ.net v. 12.12.01: Der starke Otto. Von Helmut Uwer, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 12.12.01: Kaum einer blickt durch, aber fast alle sind dafür. Von Heribert Prantl, S. 4. FAZ v. 13.12.01: Union signalisiert Zustimmung. Von Johannes Leithäuser, S. 4. FAS v. 16.12.01: Kein deutsches Interesse in Kabul. Interview mit Rudolf Scharping von Peter Carstens und Wulf Schmiese, S. 8. FAZ v. 21.12.01: UN-Sicherheitsrat beschließt Afghanistan-Resolution. Von Friederike Bauer und Eckart Lohse, S. 1. FAZ v. 22.12.01a: Deutschland stellt 1200 Mann. Breite Zustimmung im Bundestag erwartet. Von Eckart Lohse, S. 2. FAZ v. 22.12.01b: Noch keine Einigung über die Aufgaben der Schutztruppe. Von Markus Wehner und Wulf Schmiese, S. 1. SZ v. 31.12.01: Ein Netz über das Land geworfen. Von Heribert Prantl, S. 16. FAZ v. 11.2.02: Martino: Sicherheit wird zu einem Luxusgut. Von Klaus-Dieter Frankenberger und Tobias Piller, S. 6. FAZ.net v. 4.9.02: Die offene Gesellschaft und ihre Grenzen. Von Majid Sattar, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). Telepolis v. 13.12.02: „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“. Von Dirk Eckert, online verfügbar unter http://www.heise.de/tp/artikel/ 13/13778/1.html (28.6.2018). SZ.de v. 4.4.10: Guttenberg spricht von ‚Krieg‘. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018).

Diskurs um die Ereignisse des 11. September 2001 Politische Quellentexte in chronologischer Reihenfolge

Europäische Union v. 12.9.01: „Erklärung der Europäischen Union zu den Terroranschlägen in den USA, 12. September 2001“. In: Stichworte zur Sicherheitspolitik 9/2001, S. 2–3. NATO v. 12.9.01: „Erklärung des Nordatlantikrats zu den Terroranschlägen in den USA vom 12. September 2001“. In: Stichworte zur Sicherheitspolitik 9/2001, S. 10–11. Rat der Europäischen Union v. 12.9.01: „Schlussfolgerungen des Allgemeinen Rats der Europäischen Union zu den Terroranschlägen in den USA, Sondersitzung am 12. September 2001“. In: Stichworte zur Sicherheitspolitik 9/2001, S. 3. Schröder v. 12.9.01: „Rede von Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am 12. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/186. UN-Sicherheitsrat v. 12.9.01: „Resolution des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen zur Verurteilung der terroristischen Anschläge in den USA vom 12. September 2001“. In: Stichworte zur Sicherheitspolitik 9/2001, S. 11–12. Europäische Institutionen v. 14.9.01: „Gemeinsame Erklärung der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, der Präsidentin des Europäischen Parlaments, des Präsidenten der Europäischen Kommission und des Hohen Vertreters für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu den Terroranschlägen in den USA, 14. September 2001“. In: Stichworte zur Sicherheitspolitik 9/2001, S. 3–4. Bosbach v. 19.9.01: „Rede von Wolfgang Bosbach vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187.

Verzeichnis der Quellentexte | 357

Claus v. 19.9.01: „Rede von Roland Claus vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. G8 v. 19.9.01: „Erklärung der Staats- und Regierungschefs der G8-Staaten, 19. September 2001“. In: Stichworte zur Sicherheitspolitik 9/2001, S. 8–9. Glos v. 19.9.01: „Rede von Michael Glos vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Merkel v. 19.9.01: „Rede von Angela Merkel vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Merz v. 19.9.01: „Rede von Friedrich Merz vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Müller v. 19.9.01: „Rede von Kerstin Müller vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Özdemir v. 19.9.01: „Rede von Cem Özdemir vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Scharping v. 19.9.01: „Rede von Rudolf Scharping vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Schily v. 19.9.01: „Rede von Otto Schily vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Schröder v. 19.9.01: „Rede von Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Struck v. 19.9.01: „Rede von Peter Struck vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Westerwelle v. 19.9.01: „Rede von Guido Westerwelle vor dem Deutschen Bundestag am 19. September 2001“. In: Plenarprotokoll 14/187. Europäischer Rat v. 21.9.01: „Außerordentliche Tagung des Europäischen Rats am 21. September 2001, Schlussfolgerungen und Aktionsplan“. In: Stichworte zur Sicherheitspolitik 9/2001, S. 5–8. Beck v. 11.10.01: „Rede von Volker Beck vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192. Bosbach v. 11.10.01: „Rede von Wolfgang Bosbach vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192. Däubler-Gmelin v. 11.10.01: „Rede von Herta Däubler-Gmelin vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192. Gerhardt v. 11.10.01: „Rede von Wolfgang Gerhardt vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192. Merkel v. 11.10.01: „Rede von Angela Merkel vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192. Pau v. 11.10.01: „Rede von Petra Pau vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192. Schily v. 11.10.01: „Rede von Otto Schily vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192. Schröder v. 11.10.01: „Rede von Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192. Struck v. 11.10.01: „Rede von Peter Struck vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192. van Essen v. 11.10.01: „Rede von Jörg van Essen vor dem Deutschen Bundestag am 11. Oktober 2001“. In: Plenarprotokoll 14/192.

358 | Literaturverzeichnis

Antrag v. 7.11.01: „Antrag der Bundesregierung zum Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte bei der Unterstützung der gemeinsamen Reaktion auf terroristische Angriffe gegen die USA auf Grundlage des Artikels 51 der Satzung der Vereinten Nationen und des Artikels 5 des Nordatlantikvertrags sowie der Resolution 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen“. In: Drucksache 14/7296 v. 7.11.01. Claus v. 8.11.01: „Rede von Roland Claus vor dem Deutschen Bundestag am 8. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/198. Erler v. 8.11.01: „Rede von Gernot Erler vor dem Deutschen Bundestag am 8. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/198. Fischer v. 8.11.01: „Rede von Joseph Fischer vor dem Deutschen Bundestag am 8. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/198. Glos v. 8.11.01: „Rede von Michael Glos vor dem Deutschen Bundestag am 8. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/198. Merz v. 8.11.01: „Rede von Friedrich Merz vor dem Deutschen Bundestag am 8. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/198. Scharping v. 8.11.01: „Rede von Rudolf Scharping vor dem Deutschen Bundestag am 8. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/198. Schröder v. 8.11.01: „Rede von Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am 8. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/198. Westerwelle v. 8.11.01: „Rede von Guido Westerwelle vor dem Deutschen Bundestag am 8. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/198. Hendricks v. 9.11.01: „Rede von Barbara Hendricks vor dem Deutschen Bundestag am 9. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/199. Berliner Aufruf v. 11.11.01: Positionspapier der Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen (Annelie Buntenbach u. a.) zum Antrag der Bundesregierung zur Bereitstellung deutscher bewaffneter Streitkräfte („Berliner Aufruf“). Online verfügbar unter http://www.documentarchiv.de/brd/2001/berliner-appell_gruene.html (28.6.2018). Beck v. 15.11.01: „Rede von Volker Beck vor dem Deutschen Bundestag am 15. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/201. Claus v. 16.11.01: „Rede von Roland Claus vor dem Deutschen Bundestag am 16. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/202. Gerhardt v. 16.11.01: „Rede von Wolfgang Gerhardt vor dem Deutschen Bundestag am 16. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/202. Glos v. 16.11.01: „Rede von Michael Glos vor dem Deutschen Bundestag am 16. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/202. Merz v. 16.11.01: „Rede von Friedrich Merz vor dem Deutschen Bundestag am 16. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/202. Müller v. 16.11.01: „Rede von Kerstin Müller vor dem Deutschen Bundestag am 16. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/202. Schröder v. 16.11.01: „Rede von Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am 16. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/202. Struck v. 16.11.01: „Rede von Peter Struck vor dem Deutschen Bundestag am 16. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/202. Wieczorek-Zeul v. 16.11.01: „Rede von Heidemarie Wieczorek-Zeul vor dem Deutschen Bundestag am 16. November 2001“. In: Plenarprotokoll 14/202. Beck v. 14.12.01: „Rede von Volker Beck vor dem Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2001“. In: Plenarprotokoll 14/209.

Verzeichnis der Quellentexte | 359

Marschewski v. 14.12.01: „Rede von Erwin Marschewski vor dem Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2001“. In: Plenarprotokoll 14/209. Pau v. 14.12.01: „Rede von Petra Pau vor dem Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2001“. In: Plenarprotokoll 14/209. Schily v. 14.12.01: „Rede von Otto Schily vor dem Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2001“. In: Plenarprotokoll 14/209. Stadler v. 14.12.01: „Rede von Max Stadler vor dem Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2001“. In: Plenarprotokoll 14/209. Zeitlmann v. 14.12.01: „Rede von Wolfgang Zeitlmann vor dem Deutschen Bundestag am 14. Dezember 2001“. In: Plenarprotokoll 14/209. Struck v. 11.3.04: „Rede von Peter Struck vor dem Deutschen Bundestag am 11. März 2004“. In Plenarprotokoll 15/97.

Diskurs um Griechenland und den Euro 2010 Mediale Quellentexte in chronologischer Reihenfolge

Spiegel.de v. 5.10.08: „Die Spareinlagen sind sicher“. Von Stefan Schultz. Online verfügbar unter: http://www.spiegel.de/wirtschaft/merkel-und-steinbrueck-im-wortlaut-diespareinlagen-sind-sicher-a-582305.html (28.6.2018) SZ v. 21.1.10: Finger weg von Staatsanleihen. Von Catherine Hoffmann, S. 23. SZ v. 4.2.10: Helfen mit harter Hand. Von Marc Beise, S. 4. SZ v. 15.2.10: Argentinien? Pah! Von Helga Einecke, S. 24. FAZ v. 17.2.10: Euro auf Talfahrt. Von Patrick Welter, S. 17. SZ v. 17.2.10: Griechenland muss sich selbst helfen. Von Dennis J. Snower, S. 20. FAS v. 21.2.10: Die Staatsschulden. O. V., S. 41. SZ v. 23.2.10: Schlechte und ganz schlechte Optionen. Von Claus Hulverscheidt und Cerstin Gammelin, S. 21. FAZ v. 25.2.10: „Die Diskussion über Schwarz-Grün ist unsinnig“. Interview mit Angela Merkel von Berthold Kohler, Günther Nonnenmacher und Wulf Schmiese, S. 3. SZ v. 27.2.10: Angriff auf den Euro. Von Catherine Hoffmann, S. 30. FAZ v. 1.3.10: In Gefahr. Von Klaus-Dieter Frankenberger, S. 1. SZ.de v. 3.3.10: Frontal gegen die Ratingagenturen. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ v. 4.3.10: Nowotny fordert EZB-Rating. Österreichs Nationalbank will Agenturen zurückdrängen. Von Stefan Ruhkamp, S. 23. FAZ.net v. 4.3.10: Griechenland für Mutige. Von Martin Hock, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 6.3.10: Merkel will Athen kein Geld geben. Von Claus Hulverscheidt, S. 1. FAS v. 7.3.10: Griechenland erlebt sein blaues Wunder. Mal droht die EU mit Peitsche, mal lockt sie mit Zuckerbrot. Die Griechen werden konfus. Von Charles B. Blankart und Erik R. Fasten, S. 36. SZ v. 10.3.10: Griechische Lehre. Von Ulrich Schäfer, S. 4. FAZ v. 11.3.10a: EZB liebäugelt mit lascheren Sicherheitenregeln. Von Stefan Ruhkamp, S. 12. FAZ v. 11.3.10b: Keine Politisierung der Bonitätsbewertung. Von Friedrich Heinemann, S. 12. FAZ v. 11.3.10c: Lex Griechenland. Von Stefan Ruhkamp, S. 11.

360 | Literaturverzeichnis

SZ v. 16.3.10: Euroländer einigen sich auf Notfallplan. Von Cerstin Gammelin, S. 19. FAZ v. 17.3.10: Das Misstrauen der Gläubiger ist gestiegen. Von Markus Frühauf, S. 12. FAZ v. 19.3.10: Griechenland ist überall. Interview mit Paul Schäfer von Christian von Hiller, S. 21. SZ v. 20.3.10: Das Spiel mit der Angst. Von Catherine Hoffmann, S. 34. FAZ v. 22.3.10: Warten auf die Entscheidung über Athen. Von Bettina Schulz, S. 20. SZ v. 23.3.10: Barroso drängt Merkel. Von Cerstin Gammerlin, S. 7. FAZ v. 24.3.10: „Wir kaufen griechische Staatsanleihen“. Interview mit Asoka Wöhrmann von Alexander Armbruster und Christian von Hiller, S. 19. SZ v. 24.3.10: Knapp am Eklat vorbei. Von Cerstin Gammelin und Martin Winter, S. 7. FAZ v. 25.3.10: Wege aus der Schuldenfalle. Von Gerald Braunberger, S. 13. FAZ v. 26.3.10a: Die Europäische Zentralbank kommt Griechenland entgegen. Von Stefan Ruhkamp, S. 11. FAZ v. 26.3.10b: Weiche Regeln. Von Stefan Ruhkamp, S. 11. SZ v. 26.3.10a: „Deutschland ist eine größere Gefahr für den Euro als Griechenland“. Interview mit Harold James von Catherine Hoffmann und Alexander Mühlauer, S. 28. SZ v. 26.3.10b: Merkel gewinnt Verbündete für Griechenland-Hilfe. Von Cerstin Gammelin und Claus Hulverscheidt, S. 1. SZ.de v. 26.3.10: Europa will Athen beistehen. Von Cerstin Gammelin, Martin Winter und Johannes Boie, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/ restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ v. 27.3.10a: Der Aperitif als Kompromiss. Von Nikolas Busse, S. 2. FAZ v. 27.3.10b: Einigung auf Notfallplan beruhigt die Märkte. Von Daniel Mohr, S. 19. FAZ v. 29.3.10: Spaniens Banken erhalten nur mühsam Geld. Von Hanno Mußler, S. 18. FAZ v. 30.3.10: Das gebrochene Wort. Von Hans D. Barbier, S. 11. SZ v. 30.3.10: Hauptsache am Markt. Von Helga Einecke, S. 19. FAZ.net v. 8.4.10: Trichet begrüßt europäisches Nothilfeprogramm. O.V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 9.4.10a: EZB weicht die Regeln auf. Von Stefan Ruhkamp, S. 11. FAZ v. 9.4.10b: Trichets Patzer. Von Stefan Ruhkamp, S. 18. FAZ.net v. 12.4.10: Renditeaufschläge dürften weiter sinken. Von Martin Hock, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 21.4.10: IWF: Hohe Defizite könnten die Krise verlängern. Von Patrick Welter, S. 12. FAZ v. 24.4.10a: Griechenland beantragt Hilfe vom IWF und von der EU. Von Hendrik Kafsack, Manfred Schäfers und Patrick Welter, S. 1. FAZ v. 24.4.10b: Solidarität bewährt sich in der Solidität. Von Wolfgang Gerhardt, S. 12. FAS v. 25.4.10: Wie weiter mit Athen? Von Konrad Mrusek und Oliver Hoischen, S. 1. FAZ.net v. 25.4.10: Griechenland rechnet mit schneller Hilfe. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 27.4.10a: Die Finanzmärkte spekulieren auf eine Staatspleite in Athen. Von Rainer Hermann und Stefan Ruhkamp, S. 11. FAZ v. 27.4.10b: Entscheidung über Griechenland kommende Woche. Von Andreas Mihm, Henrike Roßbach, Stephan Löwenstein und Majid Sattar, S. 1. FAZ v. 27.4.10c: Griechische Wette. Von Holger Steltzner, S. 1. SZ.de v. 27.4.10: Helle Panik um Hellas. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ v. 28.4.10: Vertrauensverlust für den Euro. Von Renate Köcher, S. 5.

Verzeichnis der Quellentexte | 361

SZ v. 28.4.10: Griechische Anleihen jetzt Ramsch-Papiere. Von Martin Hesse und Claus Hulverscheidt, S. 1. FAZ v. 29.4.10a: Krückstock für den kranken Mann? Von Gerald Braunberger, S. 3. FAZ v. 29.4.10b: Schäubles Kurs in der Krise. O. V., S. 12. FAZ v. 29.4.10c: Strauss-Kahn: Griechenland braucht 120 Milliarden bis Ende 2012. Von Manfred Schäfers u. a., S. 1. FAZ v. 29.4.10d: Vor einer Existenzkrise. Von Günther Nonnenmacher, S. 1. FAZ.net v. 29.4.10: Höhe der Hilfen für Griechenland noch offen. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ.de v. 1.5.10: Langstrecken-Sanierung für Griechenland. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAS v. 2.5.10: Alle. Von Ulrich Blum, S. 45. FAZ v. 3.5.10a: Aufregungen, Vorhaltungen. Von Günter Bannas, S. 2. FAZ v. 3.5.10b: Internationaler Rettungsplan für Griechenland beschlossen. Von Werner Mussler, Patrick Welter und Günter Bannas, S. 1. FAZ.net v. 3.5.10: Kabinett beschließt Griechenland-Hilfe. Von Manfred Schäfers, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 3.5.10: „Es gibt keine Alternative zum Sparen, und es muss schnell und brutal passieren“. Interview mit Valdis Dombrowskis von Cathrin Kahlweit, S. 6. SZ.de v. 3.5.10: Ramsch – na und? O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ v. 4.5.10: EZB akzeptiert griechische Ramschanleihen als Sicherheit. Von Stefan Ruhkamp, Werner Mussler und Holger Appel, S. 9. SZ v. 4.5.10a: EZB nimmt Ramsch. Von Helga Einecke, S. 19. SZ v. 4.5.10b: Zentralbank lockert ihre strikten Regeln. Von Cerstin Gammelin und Nico Fried, S. 1. FAZ v. 5.5.10: Beistand nicht ohne Austritt. Von Dirk Meyer, S. 10. FAZ.net v. 5.5.10a: Der Euro braucht eine Reform. Von Martin Hock, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 5.5.10b: Die Bundesbank schlägt Alarm. Von Manfred Schäfers, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 7.5.10: „Griechenland muss aus dem Euro“. Interview mit Franz Jaeger von Christof Leisinger, S. 25. SZ.de v. 8.5.10: Karlsruhe billigt Griechenland-Hilfe. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). SZ v. 10.5.10: Nerven behalten. Von Helga Einecke, S. 24. SZ.de v. 10.5.10: Die Kernelemente des Rettungsplans. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). SZ v. 12.5.10: Was die Euro-Hilfe die Deutschen kostet. Von Guido Bohsem und Alexander Hagelüken, S. 25. FAZ.net v. 14.5.10: Kaum Chancen für Griechenland. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 14.5.10: Ackermann zweifelt an Rettung. Von Harald Freiberger, S. 17. FAZ v. 15.5.10: In der Schuldengemeinschaft. Von Heike Göbel, S. 1. SZ v. 15.5.10a: Der Traum vom Aufschwung. Von Karl-Heinz Büschemann, S. 21. SZ v. 15.5.10b: „Scheitert der Euro, dann scheitert mehr“. Interview mit Angela Merkel von Stefan Braun, Nico Fried und Claus Hulverscheidt, S. 8.

362 | Literaturverzeichnis

FAS v. 16.5.10a: Denkt doch mal selber! Von Nils Minkmar, S. 23. FAS v. 16.5.10b: Der Euro stürzt ab, hier sind die Verdächtigen. Von Patrick Bernau und Nadine Oberhuber, S. 32. SZ.de v. 20.5.10: Die gekränkten Zauderer. Von Susanne Höll, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ v. 25.5.10: Auf der Suche nach dem sicheren Hafen. Von Stefan Ruhkamp, S. 22. FAZ v. 27.5.10: Der Anleihemarkt steht kopf. Von Matthias Riechert, S. B4. SZ v. 27.5.10: Risiko Deutschland. Von Nikolaus Piper, S. 4. FAS v. 30.5.10: Wo sind die sicheren Staaten? Von Dyrk Scherff, S. 37.

Diskurs um Griechenland und den Euro 2010 Politische Quellentexte in chronologischer Reihenfolge

Schäuble v. 19.1.10: „Rede von Wolfgang Schäuble vor dem Deutschen Bundestag am 19. Januar 2010“. In: Plenarprotokoll 17/14. Krichbaum v. 20.1.10: „Rede von Gunther Krichbaum vor dem Deutschen Bundestag am 20. Januar 2010“. In: Plenarprotokoll 17/15. Barthle v. 5.5.10: „Rede von Norbert Barthle vor dem Deutschen Bundestag am 5. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/39. Friedrich v. 5.5.10: „Rede von Hans-Peter Friedrich vor dem Deutschen Bundestag am 5. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/39. Homburger v. 5.5.10: „Rede von Birgit Homburger vor dem Deutschen Bundestag am 5. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/39. Kauder v. 5.5.10: „Rede von Volker Kauder vor dem Deutschen Bundestag am 5. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/39. Merkel v. 5.5.10: „Rede von Angela Merkel vor dem Deutschen Bundestag am 5. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/39. Steinmeier v. 5.5.10: „Rede von Frank-Walter Steinmeier vor dem Deutschen Bundestag am 5. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/39. Trittin v. 5.5.10: „Rede von Jürgen Trittin vor dem Deutschen Bundestag am 5. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/39. Ahrendt v. 7.5.10: „Erklärung von Christian Ahrendt nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Bellmann v. 7.5.10: „Erklärung von Veronika Bellmann nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Binding v. 7.5.10: „Erklärung von Lothar Binding nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Blumenthal v. 7.5.10: „Erklärung von Sebastian Blumenthal nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Börnsen v. 7.5.10: „Erklärung von Wolfgang Börnsen nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Bracht-Bendt v. 7.5.10: „Erklärung von Nicole Bracht-Bendt nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Ferner v. 7.5.10: „Erklärung von Elke Ferner nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41.

Verzeichnis der Quellentexte | 363

Gabriel v. 7.5.10: „Rede von Sigmar Gabriel vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Gauweiler v. 7.5.10: „Erklärung von Peter Gauweiler nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Gerhardt v. 7.5.10: „Erklärung von Wolfgang Gerhardt nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Hochbaum v. 7.5.10: „Erklärung von Robert Hochbaum nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Högl v. 7.5.10: „Erklärung von Eva Högl nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Jüttner v. 7.5.10: „Erklärung von Egon Jüttner nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Kalb v. 7.5.10: „Rede von Bartholomäus Kalb vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Künast v. 7.5.10: „Rede von Renate Künast vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Kuhn v. 7.5.10: „Rede von Fritz Kuhn vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Kurth v. 7.5.10: „Erklärung von Patrick Kurth nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Lehrieder v. 7.5.10: „Erklärung von Paul Lehrieder nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Lötzsch v. 7.5.10: „Rede von Gesine Lötzsch vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Lotter v. 7.5.10: „Erklärung von Erwin Lotter nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Luksic v. 7.5.10: „Erklärung von Oliver Luksic nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Meierhofer v. 7.5.10: „Erklärung von Horst Meierhofer nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Meister v. 7.5.10: „Rede von Michael Meister vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Piltz v. 7.5.10: „Erklärung von Gisela Piltz nach § 31 GO des Deutschen Bundestags am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Poß v. 7.5.10: „Rede von Joachim Poß vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Schäuble v. 7.5.10: „Rede von Wolfgang Schäuble vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Stübgen v. 7.5.10: „Rede von Michael Stübgen vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Wagenknecht v. 7.5.10: „Rede von Sahra Wagenknecht vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Westerwelle v. 7.5.10: „Rede von Guido Westerwelle vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/41. Barthle v. 19.5.10: „Rede von Norbert Barthle vor dem Deutschen Bundestag am 19. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/42.

364 | Literaturverzeichnis

Ernst v. 19.5.10: „Rede von Klaus Ernst vor dem Deutschen Bundestag am 19. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/42. Friedrich v. 19.5.10: „Rede von Hans-Peter Friedrich vor dem Deutschen Bundestag am 19. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/42. Homburger v. 19.5.10: „Rede von Birgit Homburger vor dem Deutschen Bundestag am 19. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/42. Kauder v. 19.5.10: „Rede von Volker Kauder vor dem Deutschen Bundestag am 19. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/42. Lötzsch v. 19.5.10: „Rede von Gesine Lötzsch vor dem Deutschen Bundestag am 19. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/42. Merkel v. 19.5.10: „Rede von Angela Merkel vor dem Deutschen Bundestag am 19. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/42. Fricke v. 21.5.10: „Rede von Otto Fricke vor dem Deutschen Bundestag am 21. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/44. Gabriel v. 21.5.10: „Rede von Peter Gabriel vor dem Deutschen Bundestag am 21. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/44. Schäuble v. 21.5.10: „Rede von Wolfgang Schäuble vor dem Deutschen Bundestag am 21. Mai 2010“. In: Plenarprotokoll 17/44.

Diskurs um die NSA-Affäre 2013 Mediale Quellentexte in chronologischer Reihenfolge

FAZ.net v. 1.7.13: Schein-Sicherheit. O.V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 2.7.13: Deutsches Problem mit Datensammlern. O. V., S. 2. FAZ.net v. 2.7.13: Friedrich: Keine Hinweise auf Abhöraktion. Von Thomas Holl, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 3.7.13: Die richtige Balance. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 4.7.13: Auf der Überholspur zur digitalen Mündigkeit. Von Stefan Schulz, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 7.7.13: Angela Merkels historische Chance. Von Georg Mascolo, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 8.7.13: Zweifel am Nichtwissen Berlins in der Abhöraffäre. Von Majid Sattar, S. 1. FAZ.net v. 8.7.13: Der Chaos Computer Club hat Mitgefühl mit Snowden. Von Stefan Schulz, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 9.7.13: Frontalangriff auf die Freiheit. Von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, S. 27. SZ v. 9.7.13: „Vielen Dank, jetzt weiß ich, wie ich da reinkomme“. Interview mit Sandro Gaycken und John Mroz von Felix Stephan, S. 13. FAZ.net v. 10.7.13a: Frau Merkel, das müssen Sie mir als Republikflüchtling nicht erklären. Von Eugen Ruge, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/ biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 10.7.13b: „NSA und Stasi sind zwei völlig verschiedene Dinge“. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018).

Verzeichnis der Quellentexte | 365

SZ.de v. 10.7.13: Merkel verteidigt Abhören von Telekommunikation. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ.net v. 11.7.13: Rechnen Sie damit, lebenslang ein Verdächtiger zu sein. Interview mit Ranga Yogeshwar von Dietmar Dath, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/ intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ.de v. 11.7.13a: Friedrichs brisanter Besuch bei guten Freunden. Von Johannes Kuhn, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). SZ.de v. 11.7.13b: Leutheusser-Schnarrenberger warnt USA vor Aussitzen der Spähaffäre. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). SZ v. 12.7.13: Obamas Schweigen. Von Nicolas Richter, S. 4. FAZ v. 13.7.13: Wahlkampf mit der NSA. Von Thomas Holl, S. 45. FAZ.net v. 13.7.13a: Fremde digitale Welt. Von Markus Wehner, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 13.7.13b: „Weckruf“ zum Jahrestag. Von Reiner Hein, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 15.7.13: Der Cowboy mit dem digitalen Lasso. O. V., S. 2. FAZ.net v. 16.7.13: „Die Kanzlerin muss jetzt mehr Druck machen“. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). Welt.de v. 16.7.13: Friedrich erklärt Sicherheit zum „Supergrundrecht“. Von Manuel Bewarder und Thorsten Jungholt, online verfügbar unter https://www.welt.de/ politik/deutschland/article118110002/Friedrich-erklaert-Sicherheit-zumSupergrundrecht.html (28.6.2018). FAZ v. 17.7.13: Die scheinheilige Schnüffelei. Von Gerd Antes, S. 27. FAZ v. 18.7.13: „Die Regierung kann deine Daten nicht schützen“. Interview mit Hans-Peter Uhl von Stefan Tomik, S. 2. FAZ.net v. 18.7.13: Freiheit und Sicherheit. Von Günther Nonnenmacher, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 18.7.13: Der trojanische Innenminister. Von Heribert Prantl, S. 4. FAZ v. 19.7.13: Supergrundrecht Datenschutz. Von Reinhard Müller, S. 12. SZ.de v. 19.7.13: Gesucht: die Balance aus Freiheit und Sicherheit. Von Ben Scott, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ v. 20.7.13: Im Zweifel für die Freiheit. Von Gesche Joost und Thomas Oppermann, S. 10. SZ.de v. 21.7.13a: Die deutschen Helfer der US-Spione. Von Frederik Obermaier und Tanjev Schulz, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/ Start.act (28.6.2018). SZ.de v. 21.7.13b: Unterirdisch. Von Heribert Prantl, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ.net v. 22.7.13: Wer nicht frei kommunizieren kann, der führt kein freies Leben. Von Georg Mascolo, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 22.7.13a: Big Data, Big Friedrich. Von Herta Däubler-Gmelin, S. 2. SZ v. 22.7.13b: Mehr als nur ein Schimmer. Von Hans Leyendecker, S. 4. SZ.de v. 23.7.13: Ronald Pofalla – Merkels Treuester. Von Stefan Braun, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ v. 24.7.13: Der Preis der Heuchelei. Von Evgeny Morozov, S. 25. SZ.de v. 24.7.13: „Meine europäischen Kollegen regen sich nicht darüber auf“. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018).

366 | Literaturverzeichnis

FAZ.net v. 25.7.13: Das Entscheidungsproblem. Von George Dyson, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ.de v. 25.7.13: Die naive Empörung der Deutschen. Von Rudolf G. Adam, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ.net v. 26.7.13: Gauck mahnt. Von Günther Nonnenmacher, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ.de v. 26.7.13: Gauck sieht Freiheit in Gefahr. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). SZ v. 27.7.13: Kleiner Bruder. Von Joachim Käppner, S. 4. FAZ.net v. 29.7.13: „Völlig unsinnige Vorstellungen“. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 29.7.13: Demonstrationen gegen Ausspähung. O. V., S. 6. FAZ.net v. 30.7.13: Der Spion, der mich liest. Von Michael Spehr, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ.de v. 1.8.13: Sie nannten es Freiheit. Von Pascal Paukner, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ v. 2.8.13: Wir finden alles über euch heraus. Von Patrick Bahners, S. 31. SZ.de v. 2.8.13: Steinmeier attackiert Merkels Verhalten in der NSA-Affäre. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). SZ v. 5.8.13: Friedrich will Fluggastdaten. Von Javier Cáceres, S. 6. SZ v. 7.8.13: „Zutiefst verstörend“. Interview mit Hansjörg Geiger von Heribert Prantl, S. 5. FAZ.net v. 8.8.13: Es ist noch nicht zu spät, etwas zu tun. Von Raegan MacDonald, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 9.8.13: Die neuen Krypto-Kriege. Von Constanze Kurz, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ.de v. 9.8.13: Digitaler Briefumschlag für E-Mails. Von Markus Balser und Pascal Paukner, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start. act (28.6.2018). FAZ v. 12.8.13: Der Vielwisser. Von Majid Sattar, S. 10. FAZ v. 13.8.13: Von der NSA wenig beeindruckt. Von Manfred Kloiber und Peter Welchering, S. T2. FAZ.net v. 13.8.13: Washington leitet Reform der Geheimdienste ein. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 13.8.13: Aus Angst vor dem Volk. Von Jutta Weber, S. 2. SZ.de v. 13.8.13: Wie sich die Grenze der Privatsphäre verschiebt. Von Johannes Kuhn, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ v. 14.8.13: Rösler stößt in Brüssel mit IT-Idee auf taube Ohren. Von Hendrik Kafsack und Henrike Roßbach, S. 10. SZ v. 17.8.13: Chefverharmloser. Von Robert Rossmann, S. 4. FAZ.net v. 21.8.13: Wir berichten einfach weiter. Interview mit Alan Rusbridger von Gina Thomas, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 22.8.13: Sicherheit sticht Freiheit. Von Jochen Buchsteiner, S. 3. SZ v. 24.8.13: Ein fast unmöglicher Auftrag. Von Susanne Höll, S. 4. FAZ.net v. 28.8.13: Die nächste Cebit führt die „Big Data“-Debatte. Von Carsten Knop und Stephan Finsterbusch, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/ intranet/biblionet/ (28.6.2018).

Verzeichnis der Quellentexte | 367

FAZ v. 30.8.13: „Wir sind in einer Win-win-Situation“. Von Tobias Rösmann, S. 46. SZ v. 31.8.13: Grundrechte sind gefährdet. Von Kate Connolly, S. 19. FAZ v. 4.9.13: Wider den amerikanischen Humbug. Von Jordan Mejias, S. 25. FAZ.net v. 5.9.13: Die Steigbügelhalter der Spione. Von Constanze Kurz, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 6.9.13: Mein digitaler Zwilling gehört mir. Von Juli Zeh, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ.de v. 6.9.13: Einbruch in den Schutzraum. Von Stefan Plöchinger, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAZ.net v. 8.9.13: Wie der Prinz in seinem Schloss? Von Manfred Berg und Wilfried Mausbach, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 12.9.13: Abwiegeln, ablenken, kleinreden. Von Johannes Boie, S. 4. SZ.de v. 13.9.13: Im Zeitalter der digitalen Inquisition. Von Heribert Prantl, online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). FAS v. 15.9.13: Wir wollen überwacht werden! Von Harald Staun, S. 55. SZ v. 21.9.13: „Erich Mielke hätte das gern erlebt“. Interview mit Friedrich Schorlemmer von Franz Viohl, S. 15. FAZ.net v. 24.9.13: Ich will, dass wir beißen können. Von Gerhart Baum, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 4.10.13: Die Neugier wächst mit den Mitteln ihrer Befriedigung. Von Thomas Thiel, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). SZ v. 4.10.13: „Unser Land ist keine Insel“. Von Roman Deininger, S. 5. SZ v. 12.10.13: Mit Sicherheit am richtigen Ort. Von Kate Connolly, S. 21. SZ.de v. 12.10.13: „Sie beschränken unsere Freiheit zu denken“. O. V., online verfügbar unter https://archiv.szarchiv.de/Portal/restricted/Start.act (28.6.2018). SZ v. 21.10.13: Vom Verschwinden der Bürgerrechte. Von Heribert Prantl, S. 4. FAZ v. 23.10.13: Ausspähen als Waffe. O. V., S. 2. FAZ.net v. 23.10.13a: Der Elefant im Zimmer. Von Patrick Bahners, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 23.10.13b: Gebt uns unser Grundrecht auf Privatsphäre zurück. Von Georg Mascolo und Ben Scott, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/ biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 24.10.13a: Chronik einer Affäre. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 24.10.13b: Der Feind schreibt eine SMS. Interview mit Magnus Harlander von Edo Reents, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/ biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 24.10.13c: Mit Sicherheit Geld verdienen. Von Thiemo Heeg, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 24.10.13d: Neuer Abhörskandal lässt Aktien von IT-Sicherheitsfirmen kalt. Von Martin Hock, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/ biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 25.10.13: Deutsche Industrie sorgt sich um Sicherheit. O. V., S. 13. FAZ.net v. 25.10.13: Ziemlich ausgespähte Partner. Von Klaus-Dieter Frankenberger, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018).

368 | Literaturverzeichnis

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Verzeichnis der Quellentexte | 369

FAZ.net v. 29.11.13: „An Spielregeln halten, die im jeweiligen Land gelten“. Von Katharina Iskandar, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ v. 27.12.13: Die ungeahnte Macht. Von Nikolai Horn, S. 7. FAS v. 29.12.13: Meine Daten gehören dir. Von Marie Katharina Wagner, S. 10.

Diskurs um die NSA-Affäre 2013 Politische Quellentexte in chronologischer Reihenfolge

Merkel v. 18.11.13: „Rede von Angela Merkel vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Friedrich v. 18.11.13: „Rede von Hans-Peter Friedrich vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Steinmeier v. 18.11.13: „Rede von Frank-Walter Steinmeier vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Gysi v. 18.11.13: „Rede von Gregor Gysi vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Ströbele v. 18.11.13: „Rede von Hans-Christian Ströbele vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Grosse-Brömer v. 18.11.13: „Rede von Michael Grosse-Brömer vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Oppermann v. 18.11.13: „Rede von Thomas Oppermann vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. von Notz v. 18.11.13: „Rede von Konstantin von Notz vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Krings v. 18.11.13: „Rede von Günter Krings vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Uhl v. 18.11.13: „Rede von Hans-Peter Uhl vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Klingbeil v. 18.11.13: „Rede von Lars Klingbeil vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2. Beyer v. 18.11.13: „Rede von Petra Beyer vor dem Deutschen Bundestag am 18. November 2013“. In: Plenarprotokoll 18/2.

Synopse und Ausblick Mediale Quellentexte in chronologischer Reihenfolge

FAZ v. 12.4.11: Wir haben Dämonen geschaffen. Von Frank Rieger, S. 29. FAZ v. 11.6.11: Risiko Lebensmittel. Von Christina Hucklenbroich, S. 1. FAZ v. 8./9.6.13: Dienstleister für den Lebenslauf. Von Jan Grossarth, S. C12. DIE ZEIT v. 2.7.15: Die Event-Uni. Von Dietmar von der Pfordten, S. 64. FAZ v. 22.7.16: Du sollst dir kein Bild von dir machen. Von Hannah Bethke und Jan Grossarth, S. 16.

370 | Literaturverzeichnis

FAZ v. 29.8.16: Deutschlands Studenten wollen zum Staat. Von Julia Löhr, S. 15. FAZ v. 29.12.16: In blutrotem Licht. Von Daniel Deckers, S. 1. FAZ v. 30.12.16a: Präsident. Von Mona Jaeger, S. 10. FAZ v. 30.12.16b: Wahlkampf in Zeiten innerer Unsicherheit. Von Majid Sattar, S. 2. FAZ.net v. 3.1.17: Höchste Zeit für eine Sicherheitsreform. Von Jasper von Altenbockum, online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018). FAZ.net v. 4.1.17: De Maizière erhält Unterstützung für Sicherheitspläne. O. V., online verfügbar unter http://faz-archiv-approved.faz.net/intranet/biblionet/ (28.6.2018).

Synopse und Ausblick Politischer Quellentext

Merkel v. 23.11.16: „Rede von Angela Merkel vor dem Deutschen Bundestag am 23. November 2016“. In: Plenarprotokoll 18/202.

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