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German Pages 311 [312] Year 2023
Caroline Pinter Mehrsprachigkeit und Identitätsbildung im Großherzogtum Luxemburg
Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie
Herausgegeben von Éva Buchi, Claudia Polzin-Haumann, Elton Prifti und Wolfgang Schweickard
Band 482
Caroline Pinter
Mehrsprachigkeit und Identitätsbildung im Großherzogtum Luxemburg Eine sprachbiografische und diskurslinguistische Untersuchung im superdiversen Kontext
D77
ISBN 978-3-11-111448-4 e-ISBN (PDF) 978-3-11-111737-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-111882-6 ISSN 0084-5396 Library of Congress Control Number: 2023932369 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Integra Software Services Pvt. Ltd. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Danksagung Ein herzlicher Dank gilt ganz besonders meiner Doktormutter Frau Prof. Dr. Martina Schrader-Kniffki, die mit ihren Lehrveranstaltungen den Grundstein zu meinem Interesse an der Mehrsprachigkeitsforschung gelegt hat, die mir die Möglichkeit geboten hat, als wissenschaftliche Mitarbeiterin an ihrem Lehrstuhl zu arbeiten, und durch deren hilfreiche Unterstützung sowie stets verständnisvolle Begleitung ich nie den Spaß an meiner Arbeit und das Ziel aus den Augen verloren habe. Frau Prof. Dr. Claudia Polzin-Haumann sowie Herrn Prof. Dr. Michael Schreiber möchte ich danken für die anregenden, hilfreichen und netten Gespräche sowie die Übernahme des Zweit- und Drittgutachtens. Frau Prof. Dr. Luise F. Pusch danke ich für ihre Begleitung und Unterstützung als Mentorin und für den jederzeit ermöglichten, ausgesprochen inspirierenden Austausch. Bei meinen Kolleginnen und Kollegen des wöchentlich stattfindenden Kolloquiums in Germersheim, zusammen mit Frau Prof. Dr. Martina Schrader-Kniffki sowie Herrn Prof. Dr. Michael Schreiber, möchte ich mich ebenfalls für den fruchtbaren Austausch und die angenehme Arbeitsatmosphäre bedanken. Ebenso gilt mein Dank den Kolleginnen und Kollegen der Universität des Saarlandes für den hilfreichen Austausch innerhalb der halbjährlich stattfindenden gemeinsamen Kolloquien zusammen mit Frau Prof. Dr. Claudia PolzinHaumann. Meinen Kolleginnen und Kollegen am Lehrstuhl der Spanischen und Portugiesischen Sprach- und Translationswissenschaft möchte ich für die gute Zusammenarbeit und die wertvollen Diskussionen in den letzten Jahren danken. Nicht zuletzt gilt ein besonderer Dank allen Luxemburgerinnen und Luxemburgern sowie portugiesischstämmigen Luxemburgerinnen und Luxemburgern, die an der Untersuchung teilgenommen haben und ohne deren Bereitschaft die vorliegende Arbeit nicht möglich gewesen wäre – merci und obrigada! Mein außerordentlicher Dank aber gilt meiner Familie und besonders meiner besten Freundin Katharina Schettle. Vielen Dank für eure Geduld, eure Unterstützung und die Aufmunterungen beim Verfassen dieser Arbeit. Euch gebührt mein besonders herauszustellender Dank dafür, dass ihr mich auf meinem Weg immer mit zweckdienlichen Diskussionen, hilfreichen Gesprächen, vor allem aber lieben Worten begleitet habt. Germersheim, im Dezember 2022
https://doi.org/10.1515/9783111117379-202
Caroline Pinter
Inhaltsverzeichnis Danksagung
V
Abbildungsverzeichnis
XI
Abkürzungsverzeichnis
XIII
Verzeichnis der Datenauszüge Rencontres
XV
XVII
1 1.1 1.2
Einleitung 1 Ausgangssituation und erkenntnisleitendes Interesse Verortung, Ziel und Aufbau der Untersuchung 6
2 2.1 2.2 2.3 2.4 2.4.1 2.4.2 2.4.3 2.5
Mehrsprachigkeit 11 Zur Mehrsprachigkeit allgemein 12 Mehrsprachige Praktiken 17 Neuere Aspekte mehrsprachiger Praktiken 23 Spracheinstellungen 26 Sprachbewusstsein und Sprecherperspektive 29 Selbstpositionierung durch Sprachwahl 32 Spracheinstellungsäußerungen 34 Zwischenfazit 37
3 3.1 3.1.1 3.1.2 3.2 3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.3 3.4
Identität 41 Zum Identitätsbegriff 42 Personale Identitätsbildung 44 Kollektive Identität 45 Identität und Sprache 47 Ethnie, Kultur und Identität 49 Hybride Identitäten 50 Narrative Identität 52 Selbstbestimmte Identität 56 Zwischenfazit 57
2
VIII
4 4.1 4.2 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.4 5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6
Inhaltsverzeichnis
Mir wëlle bleiwe wat mir sinn – das Großherzogtum Luxemburg 61 Inmitten der Grande Région – die Großregion Saar-Lor-Lux 61 Die Vielfalt in Luxemburg 63 Der ausländische Arbeitskräftebedarf 64 Der Brexit und die Folgen für Luxemburg 66 Die (brasilianische) Rückmigration 67 Das polyglotte Luxemburg 68 Sprach(en)politik – die «Loi du 24 février 1984 sur le régime des langues» 70 Die sprachliche Praxis Luxemburgs 75 Interaktionsbasierter Sprachgebrauch im Privaten und in der Öffentlichkeit 79 Zwischenfazit 84 «It’s identity, stupid!» – der Mehrsprachigkeitsdiskurs in der luxemburgischen Presse 87 Die Presse im Rahmen der Massenmedien 87 Vom Pressetext zum Diskurs 90 Wissen und Wirklichkeit 94 Luxemburgs Presse und das «Luxemburger Wort» 97 Der Mehrsprachigkeitsdiskurs in der luxemburgischen Presse 99 Zwischenfazit 103
6 Forschungsgrundriss 105 6.1 Zur Güte qualitativer Forschung 105 6.2 Forschungsstand 107 6.3 Forschungsfragen 108 6.4 Datenerhebung 110 6.4.1 Das Forschungsfeld und der Erhebungskontext 111 6.4.1.1 Die Forschungsteilnehmenden 112 6.4.1.2 Sprachbiografische Interviews und Sprachporträts 115 6.4.1.3 Pressetexte 126 6.4.2 Triangulation 129 6.5 Analyse der Daten und Auswertung 132 6.5.1 Allgemeines methodisches Vorgehen 133 6.5.2 Qualitative Analyse 137 6.5.2.1 Analyse der sprachbiografischen Interviews und Sprachporträts 137
Inhaltsverzeichnis
6.5.2.2 6.5.3 6.5.3.1 6.5.3.2 7 7.1 7.1.1 7.1.1.1 7.1.1.2 7.1.1.3 7.1.2
Wissenssoziologische Diskursanalyse der Pressetexte Computergestützte Analyse mit MAXQDA 144 Sprachbiografische Interviews 145 Pressetexte 149
141
7.2.2.3
Darstellung der Ergebnisse 155 Untersuchungsergebnisse der Interviews 155 Einzelfalldarstellung 156 BpLux7 156 BLux5 173 Exkurs 184 Fallübergreifende Übersicht über die sprachbiografischen Interviews 196 Erleben der Mehrsprachigkeit 199 Identität und Sprache 207 Untersuchungsergebnisse der Pressetexte 211 Leserbriefe 211 Ergebnisse der Feinanalyse: Weltoffenheit und Infragestellung der «Luxemburgisierung» 211 Gesamtergebnis der Leserbriefe 213 Pressetexte 217 Ergebnisse der Feinanalyse I: Die Identität der LuxemburgerInnen und die Bedeutung des Luxemburgischen 221 Ergebnisse der Feinanalyse II: Mehrsprachigkeit im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels und Herausforderungen für die Bildungspolitik 225 Gesamtergebnis der Pressetexte 228
8
Diskussion der Ergebnisse
9
Fazit und Ausblick
10
Literatur- und Quellenverzeichnis
11 11.1 11.2 11.3 11.3.1
Anhang 277 Zeitungsannonce 277 Anschreiben ProbandInnensuche 277 Codesystem MAXQDA 278 Sprachbiografische Interviews 279
7.1.2.1 7.1.2.2 7.2 7.2.1 7.2.1.1 7.2.1.2 7.2.2 7.2.2.1
7.2.2.2
239
251 259
IX
X
11.3.2 11.3.3 11.4 11.5 11.6 11.6.1 11.6.2 11.6.3 11.6.4 Register
Inhaltsverzeichnis
Pressetexte 280 Leserbriefe 282 Interviewleitfaden 283 Transkriptionsleitfaden der Interviews Datenauszüge 286 Sprachbiografische Interviews 286 Sprachporträts 288 Leserbrief 289 Pressetexte 290 293
285
Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Abb. 2 Abb. 3.1 Abb. 3.2 Abb. 3.3 Abb. 3.4 Abb. 3.5 Abb. 4 Abb. 5 Abb. 6 Abb. 7 Abb. 8 Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14 Abb. 15 Abb. 16 Abb. 17 Abb. 18 Abb. 19 Abb. 20 Abb. 21 Abb. 22 Abb. 23 Abb. 24 Abb. 25
Einstellung und Biografie 32 Kontextsensitives Modell der Spracheinstellung 37 Zusammenführung kontextsensitives Modell, Einstellung und Biografie Narrative Identität 53 Durch Narration gebildete Identität 55 Durch Narration gebildete, selbstbestimmte Identität I 58 Durch Narration gebildete, selbstbestimmte Identität II 59 Schlagzeile «Bild», 20.04.2005 89 «Luxemburger Wort», 09.10.2014 100 «Luxemburger Wort», 06.10.2016 102 «Luxemburger Wort», 27.10.2016 103 Die Forschungsteilnehmenden 113 Körpersilhouette 121 Methoden- und Daten-Triangulation im Rahmen der qualitativen Untersuchung 130 Ablaufschema inhaltlich strukturierte Inhaltsanalyse 138 Analysegegenstand 140 Sprachbiografische Interviews mit Fallzusammenfassungen (Case Summaries) 145 Codesystem der sprachbiografischen Interviews 146 Leserbriefe mit Fallzusammenfassungen (Case Summaries) 149 Codesystem der Leserbriefe nach offenem Kodiervorgang 150 Hauptkategorien der Leserbriefe 151 Hauptkategorie «Sprache» mit Subkategorien 152 Fallübersicht BpLux und BLux 197 Codewolke Leserbriefe 214 Codewolke I Pressetexte 218 Codewolke II Pressetexte 220 Codewolke Pressetexte 229 Codewolken Pressetexte 2016–2018; Diskursentwicklung 234 Leserkommentare Online-Zeitung «L’essentiel» 256
https://doi.org/10.1515/9783111117379-204
39
Abkürzungsverzeichnis B BLux BpLux D dt. E EGKS eng. F frz. GT I L Lux lux. LW P ps pLux R RRC WDA
Befragte Person Befragte/r LuxemburgerIn Befragte/r portugiesischstämmige/r LuxemburgerIn Deutsch deutsch Englisch Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl englisch Französisch französisch Grounded Theory Interviewerin Luxemburgisch einheimische/r LuxemburgerIn luxemburgisch Luxemburger Wort Portugiesisch portugiesischstämmig portugiesischstämmige/r LuxemburgerIn Russisch Race Relation Cycle Wissenssoziologische Diskursanalyse
https://doi.org/10.1515/9783111117379-205
Verzeichnis der Datenauszüge Datenauszug 1 Pressetext «Die Sprachen-Mär» 128 Datenauszug 2 Auszug Transkript, am Beispiel BLux5 (Pos. 30–31) 134 Datenauszug 3 Darstellung der Fallzusammenfassung (Case Summary) am Beispiel BpLux1 136 Datenauszug 4 Sprachporträt BpLux7 170 Datenauszug 5 Sprachporträt BLux5 182 Datenauszug 6 Sprachporträt Exkurs B1 193 Datenauszug 7 Sprachporträt Exkurs B2 195
https://doi.org/10.1515/9783111117379-206
Rencontres Jʼai rencontré cet enfant Me tendant la main, Il regardait sa maman En lui disant, jʼai faim. Jʼai rencontré cette fille, Belle et plein[e] de richesses. Dans sa poche une bille, Dans le regard, tristesse. Jʼai rencontré alors, Tou[s] les deux ensemble. Lʼun refusant son[t] sort, Lʼautre le corps qu[i] tremble. Je me suis levé dʼun coup, Pour cela, je suis contre. Je suis pas dʼaccord du tout Pour ce genre de rencontres! Je me tourne de côté, Et je te vois à ton tour. Oh, une rencontre mérité[e], Oh, un moment dʼamour! (C. Isidoro 2019)
https://doi.org/10.1515/9783111117379-207
1 Einleitung Durch jüngste Ereignisse, wie den russischen Angriffskrieg in der Ukraine, oder die seit 2015 stattfindende Asylzuwanderung in vielen Staaten Europas (Karner/StelzlMarx 2019, 16) wird deutlich, dass Zusammentreffen unterschiedlicher Nationalitäten und eine damit einhergehende gesellschaftliche, kulturell-religiöse oder sprachliche Diversität mehr im Mittelpunkt stehen als jemals zuvor. In diesem Zusammenhang spielt vor allem «Integration»1 eine wichtige Rolle, ein Begriff, der öfter denn je in den Nachrichten zu hören sowie in Zeitungen zu lesen ist und dessen Thematisierung im Vordergrund zahlreicher aktueller Diskussionen und Debatten steht. «Integration», als Einbeziehen einer anderen Gruppe, aber auch als Austausch sowie die Möglichkeit, an einem neuen gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, stellt nicht zuletzt Anforderungen auf sprachlicher Ebene (Bäcker et al. 2003, 70). Dabei kann zwischen Anforderungen, die sowohl an einzelne Mitglieder einer Gruppe als auch an eine Gruppe als Gesamtes gestellt werden, und Anforderungen, die beidseitig erfüllt werden sollten, um ein gemeinsames und ein beständiges Zusammenleben zu ermöglichen, unterschieden werden. Obwohl Mehrsprachigkeit,2 das Nebeneinander mehrerer Sprachen, heutzutage alltäglich ist und – wenngleich für viele noch unbewusst – den Normalfall auch einsprachiger Gesellschaften darstellt (Wandruszka 1979; Lüdi 1996), so kann sie darüber hinaus auch wegebnend für das Zugehörigkeitsgefühl von Mitgliedern zugewanderter Sprachgemeinschaften3 sein (Schlaak 2011, 263). Während jedoch in ursprünglich einsprachigen Gemeinschaften eine sich entwickelnde Mehrsprachigkeit bzw. das Beibehalten oder sogar das Durchsetzen einer oder weiterer Sprachen im Kontext von Migration oft als einer der Indikatoren für eine «gescheiterte» Integration gedeutet wird (Fellhofer 2019, 261), so kann Mehrsprachigkeit doch viel mehr als das sein: Eine Sprache aufzugeben bedeutet immer auch, ein Stück der eigenen Identität aufzugeben, denn Sprache und Identität sind eng miteinander verbunden und kaum voneinander trennbar (De Florio Hansen/Hu 2007, 5). Neben dem Migrations- und Integrationsdiskurs ist das Thema Mehrsprachigkeit jedoch auch innerhalb einer national geeinten Gemeinschaft von besonderem Interesse, denn es sind die national geeinten, aber sprachlich geschiedenen Gemeinschaften, die den Mehrsprachigkeits- und den damit verbundenen Identitätsdiskurs aus soziolinguistischer Sicht, besonders in der heutigen Zeit, geprägt durch
Der Fokus liegt hier auf dem soziologischen, nicht aber dem politischen Integrationskonzept. Ausführlich zur Mehrsprachigkeit cf. Kap. 2. Unter Sprachgemeinschaft ist hier zunächst eine Gruppe, die eine gemeinsame Sprache benutzt, zu verstehen. Auf eine konkrete Definition des Begriffs wird in 2.4 eingegangen. https://doi.org/10.1515/9783111117379-001
2
1 Einleitung
Umbrüche u. a. in der sprachlichen Ökologie, interessant machen (cf. Pütz 2004). Dort, wo Mehrsprachigkeit den Alltag bestimmt, empfiehlt sich ein genauerer Blick auf die persönlichen Sichtweisen der Sprechenden4 und auf das Spannungsverhältnis zwischen demografischem Wandel und Globalisierung. Die damit verbundenen Migrationsbewegungen oder Renationalisierungen können eine sprachliche und gesellschaftliche Fragmentierung bewirken.
1.1 Ausgangssituation und erkenntnisleitendes Interesse Bereits durch das nationale Motto des Großherzogtums Luxemburg Mir wëlle bleiwe wat mir sinn (dt. «Wir wollen bleiben, was wir sind»), bei dem es sich ursprünglich um eine Parole eines patriotischen, luxemburgischen Liedes aus dem Jahr 1859 sowie einen später daraus resultierenden Wahlspruch der luxemburgischen Bevölkerung handelt, wird deutlich, dass der nationalen Selbstbehauptung des Landes bzw. der nationalen Abgrenzung der LuxemburgerInnen eine besondere Bedeutung zuzukommen scheint (Berg 1993). Sprachlich ist der Einfluss anderer Länder auf Luxemburg bis in die Gegenwart auffällig: Neben der luxemburgischen Sprache sind darüber hinaus auch Deutsch und Französisch als Amtssprachen in der Sprachenordnung5 des Großherzogtums festgelegt. Bei der luxemburgischen Sprache – oder wie von den LuxemburgerInnen selbst als Lëtzebuergesch6 bezeichnet – handelt es sich sprachgeschichtlich gesehen um einen Ausbaudialekt des Moselfränkischen.7 Das Luxemburgische gilt als die Nationalsprache der LuxemburgerInnen, die dadurch gleichzeitig zu einem wichtigen, identitätsstiftenden Faktor wird (Marti 1996, 128). Abgesehen von der Asylzuwanderung seit 2015, deren Folgen aufgrund der Größe8 des Landes dort durchaus mehr zu spüren sind als z. B. in den Nachbarländern, beeinflussen zudem frühere politische und wirtschaftliche Maßnahmen, wie die Arbeitsabkommen nach dem Zweiten Weltkrieg oder die durch das Schengener Abkommen wegfallenden Grenzen, das Großherzogtum noch bis heute in höchstem Maße (Kühn 2015a; 2015b). Die Folgen der Anwerbeabkommen mit Portugal z. B.
Für eine geschlechtergerechte Sprache werden, zur Vermeidung der generischen Maskulinform, das Binnen-I für Personenbezeichnungen sowie geschlechterneutrale Begriffe im Text gebraucht. Cf. Kap. 4.3.1. Mit Verweis auf Berg (1993) wird im Folgenden ausschließlich, wie von den LuxemburgerInnen selbst im Schriftdeutschen bezeichnet, von «Luxemburgisch» die Rede sein (Berg 1993, 8). Cf. Kap. 4.3. Das Großherzogtum Luxemburg ist mit einer Größe von 2.586 km2 und einer Population von 634.730 eines der kleinsten Länder Europas (STATEC 2021b).
1.1 Ausgangssituation und erkenntnisleitendes Interesse
3
halten bis in die Gegenwart an, wodurch die PortugiesInnen den größten Teil der zugewanderten Bevölkerung Luxemburgs ausmachen (cf. STATEC 2021b). Die offensichtlichste Folge der wegfallenden Grenzen zeigt sich darüber hinaus in den täglichen Grenzpendlerströmen, deren Auswirkungen nicht zuletzt die Sprachlandschaft,9 die geschriebene Sprache im öffentlichen Raum Luxemburgs, enorm prägen (cf. Moser 2020). Aufgrund dieser historischen Entwicklungen und der damit verbundenen sprachlichen Konsequenzen ist die Sensibilität der LuxemburgerInnen in Bezug auf Sprachen laut Sieburg (2013b) nicht nur nachzuvollziehen, «sondern geradezu geboten» (Sieburg 2013b, 83). Die Sprachensituation Luxemburgs bietet dementsprechend das beste Umfeld, in dem sich ein multilingualer10 Habitus der LuxemburgerInnen herausbilden kann (cf. Fehlen 2018). Unter multilingualem Habitus sind hier, in Anlehnung an den Begriff des «Habitus» nach Bourdieu (1997), zum einen eine multilinguale Selbstwahrnehmung, zum anderen multilinguale Gewohnheiten der LuxemburgerInnen im Rahmen ihrer sozialen Umwelt zu verstehen. Die Mehrsprachigkeit im Alltag der LuxemburgerInnen ist dabei jedoch ein natürlicher, eher unbewusster Vorgang (cf. Bourdieu 1997; Fehlen 2018, 56s.). Durch die tendenziell komplexe Sprachensituation Luxemburgs, den demografischen und den daraus möglicherweise resultierenden sprachlichen Wandel, wird von einer «Enttraditionalisierung» (IPSE 2010, 12) Luxemburgs ausgegangen, die jedoch zweiseitig betrachtet werden muss: Während Arbeitskräfte zu Beginn der Anwerbeabkommen hauptsächlich aus Gründen der Existenzsicherung ihrer Familien nach Luxemburg kamen, ist das kleine Land für die mittlerweile dritte Generation dieser Zugewanderten11 zum Lebensmittelpunkt geworden, was nicht zuletzt anhand der demografischen Entwicklung Luxemburgs nachweisbar ist (Berg et al. 2013, 17s.). Damit hat die Nachkommenschaft der Zugewanderten eines mit ihren einheimischen Mitmenschen gemein: In der mehrsprachigen Gesellschaft rückt die Frage nach den eigenen Wurzeln sowie die Reflexion über die eigene Identität in den Mittelpunkt (Rüsen 2007, 50).
Cf. Kap. 2.1. Im Folgenden werden die Termini «multilingual» bzw. «Multilingualismus» und «mehrsprachig» bzw. «Mehrsprachigkeit» synonym verwendet. Zur Abgrenzung von den «Einheimischen» (hier: Personen, deren Vorfahren und die selbst in Luxemburg geboren wurden) werden mit dem Begriff «Zugewanderte» im Folgenden Personen bezeichnet, die aus einem anderen Land nach Luxemburg zugewandert sind, um dort längerfristig, wenn nicht sogar dauerhaft zu leben. Dabei ist es für die vorliegende Untersuchung irrelevant, ob diese Personen bereits die luxemburgische Staatsangehörigkeit erworben haben oder diese zukünftig erwerben werden. Mit «LuxemburgerInnen» wird sowohl die einheimische als auch die zugewanderte Bevölkerung Luxemburgs bezeichnet.
4
1 Einleitung
Auf Grundlage der beschriebenen Vorüberlegungen zur demografischen Situation Luxemburgs sowie unter Berücksichtigung der komplexen Sprachensituation des Landes werden im Rahmen der vorliegenden, qualitativen Untersuchung zwei Ausgangshypothesen12 aufgestellt, die es zu überprüfen gilt: 1. Der mehrsprachige Alltag stellt für die LuxemburgerInnen weder eine außergewöhnliche noch eine damit verbundene herausfordernde Situation, sondern den Normalfall dar. Diese Situation birgt das Potenzial der Selbstbestimmung über einen facettenreichen Sprachgebrauch und den Sprachgebrauch mutmaßlich zu Gunsten einer oder mehrerer präferierten Sprachen im Privaten. Dieser Sprachgebrauch im Privaten steht dem im öffentlichen Bereich, der u. a. durch sprachpolitische Maßnahmen festgelegt und geregelt ist, jedoch konträr gegenüber. 2. Zwischen der Sprachlandschaft Luxemburgs und dem Mehrsprachigkeitsdiskurs im «öffentlichen Diskursraum», der luxemburgischen Presse, lassen sich Parallelen feststellen: Nach außen wird das Bild einer Gesellschaft mit multilingualem Habitus konstruiert. Aus diesen zwei Ausgangshypothesen ergibt sich die Annahme, dass sich der Sprachgebrauch im öffentlichen Bereich sowie die Darstellung der Sprachensituation im «öffentlichen Diskursraum» und der Sprachgebrauch im privaten Bereich deutlich voneinander unterscheiden, was wiederum eine Divergenz innerhalb der Identitätsbildung13 der LuxemburgerInnen impliziert. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass bereits eine Vielzahl (sozio-)linguistischer Untersuchungen zum Großherzogtum existiert, die sich schwerpunktmäßig mit dem Status bzw. Stand einer der Amtssprachen Luxemburgs beschäftigen. Sachdienliche Quellen waren dabei u. a. die Untersuchungen von Hoffmann (1979), Kramer (1984), Berg (1993), Newton (1996), Neuhausen (2001), Gilles (2010), Sieburg (2013a), Fehlen (2008; 2013; 2016) und Scheer (2017). Neben Hoffmann (1979) und Kramer (1984) befasst sich auch Neuhausen (2001) mit der aus der Sprachenpolitik resultierenden Sprachensituation Luxemburgs, wobei er den Fokus auf den Status der französischen Sprache legt, Scheer (2017) hingegen legt den Fokus auf die deutsche Sprache.
Wenngleich es sich bei der qualitativen Forschung grundsätzlich um ein hypothesengenerierendes Verfahren handelt, bei dem auf eine Hypothesentestung verzichtet wird, sollen dennoch die Ausgangshypothesen «[...] die empirische Erhebung und die Auswertung anleiten, weil sie das Erkenntnisinteresse (die Forschungsfragen) detaillieren. Außerdem explizieren sie die Vorannahmen de[r] [f]orsche[nden] [Person], die [...] einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Untersuchung haben» (Gläser/Laudel 2009, 77). Cf. Kap. 3.1.1.
1.1 Ausgangssituation und erkenntnisleitendes Interesse
5
Bei Newtons (1996) soziolinguistischer Untersuchung handelt es sich um die erste Veröffentlichung in englischer Sprache über u. a. die Verbindung von Sprache und Identität in der luxemburgischen Gesellschaft. Sieburg und Fehlen lieferten über verschiedene Beiträge hinaus im Rahmen des gemeinsamen Forschungsprojektes «Identités socio-culturelles et politiques identitaires au Luxembourg» (IDENT, dt. «Soziokulturelle Identitäten und Identitätspolitiken in Luxemburg») der Unité de Recherche, gefördert von der Universität Luxemburg (cf. IPSE 2010), für die vorliegende Untersuchung interessante und subsidiäre Beiträge, an die ausschließlich unter Berücksichtigung einiger ausgewählter Gesichtspunkte angeknüpft wird. Im Rahmen des Forschungsprojektes IDENT (von 2007 bis 2010), das durch das Projekt IDENT 2 (von 2011 bis 2014) weiterentwickelt wurde (Wille et al. 2014), steht ebenfalls der Begriff der Identität, jedoch die Untersuchung von Identitätsbildungen auf unterschiedlichen Ebenen im Mittelpunkt.14 Vor allem aber die Monografie, die soziolinguistische und sprachtypologische Untersuchung von Berg (1993), ist für die vorliegende Untersuchung aufgrund ihrer fundamentalen Darstellungen der soziolinguistischen Zusammenhänge Luxemburgs von großer Bedeutung. Dabei werden die für die vorliegende Arbeit relevanten Ansätze von Berg (1993) unter Berücksichtigung des Veröffentlichungszeitpunktes kritisch sowie anhand aktueller Daten diskutiert. Diesbezüglich erwiesen sich als weitere zuverlässige Quellen das Nationale Institut für Statistik und Wirtschaftsstudien Luxemburgs (cf. STATEC 2021a) sowie eine aus dem gemeinsamen Projekt mit der Universität Luxemburg entstandene makrosoziolinguistische Studie von Fehlen und Heinz (2016), auf deren Grundlage sich ebenso Überlegungen, Annahmen und Hypothesen für die vorliegende Untersuchung erschließen ließen. Die Mehrsprachigkeitsforschung betreffend haben sich besonders die Quellen von Androutsopoulos (2003; 2006; 2008; 2017), Busch (2010; 2012; 2017) und Riehl (2013; 2014a; 2014b), aufgrund der Ansätze und neueren methodischen Zugänge innerhalb der Mehrsprachigkeitsforschung, bewährt. Darüber hinaus sind die Darstellungen des mehrsprachigen Subjekts im Rahmen verschiedener sozialer Kontexte, wie sie aus ebengenannten Quellen hervorgehen, auch für die vorliegende Untersuchung von Bedeutung. Unter Berücksichtigung der bereits genannten Beiträge zur Mehrsprachigkeitssituation in Luxemburg erhebt diese Untersuchung demgegenüber nicht den Anspruch, den Status des Luxemburgischen oder einer anderen in Luxemburg gesprochenen Sprache aufzudecken, sondern an die bereits existierenden Wissensbestände zur Mehrsprachigkeit Luxemburgs anzuknüpfen.
Cf. hierzu Kap. 6.2.
6
1 Einleitung
1.2 Verortung, Ziel und Aufbau der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung ist im Bereich der Soziolinguistik zu verorten. Aus diesem Grund werden in den jeweiligen Kapiteln dieser Arbeit, besonders den theoretischen Teil betreffend, nicht lediglich sprachwissenschaftliche, sondern darüber hinaus disziplinübergreifende, die Gesellschaft betreffende Ansätze diskutiert. Schon bevor die Soziolinguistik sich als eigenständiges Forschungsgebiet etablierte, stand das Verhältnis zwischen Sprache und Gesellschaft, z. B. der Sprachwandel innerhalb eines Staates, Sprache in Hinblick auf soziale Bewertung oder strukturelle Eigenschaften von Sprache, im Zentrum zahlreicher Forschungen (Hartig 1998, 11). Im Fokus der Soziolinguistik steht ein tieferes Verständnis der menschlichen Sprache, nicht die strukturellen Eigenschaften von Sprachen per se. Darüber hinaus ist die Soziolinguistik von der bloßen Verbindung sprachwissenschaftlicher und soziologischer Perspektiven zu trennen und von Ansätzen wie der «Sprachsoziologie», der «sozialen Sprachpsychologie» oder der «Ethnografie des Sprechens» (Dittmar 2004, 703) abzugrenzen. Dass die Soziolinguistik sich mittlerweile aus ihrer früheren Position einer Interdisziplin gelöst hat und damit aus dem Schatten anderer Wissenschaften (vordergründig der Linguistik, der Soziologie sowie der Sozialpsychologie) herausgetreten ist (cf. Trudgill 2004), zeigt sich nicht nur an der Vielfalt erschienener Publikationen, sondern auch anhand der Vielschichtigkeit soziolinguistischer Ansätze. Erste Veröffentlichungen zur Einführung in die Soziolinguistik finden sich u. a. in Fishman und Agheyisi (1970) «Language Attitude Studies», in Fishman (1971) «Sociolinguistic. A Brief Introduction» sowie in Fishman (1971) «Advances in the Sociology of Language I. Basic Concepts, Theories and Problems» (cf. Dittmar 1973).15 Obwohl die Mehrheit der Publikationen auf den englischsprachigen Raum zurückgeht, reichen im deutschsprachigen Raum Fragen bzgl. Gesellschaft und Sprache bereits bis ins 18. Jahrhundert zurück (cf. Ammon et al. 2014). Dennoch ist die Geschichte der Soziolinguistik überschaubar, was u. a. auch dadurch erklärt werden kann, dass die menschlichen Gesellschaften mit ihren Strukturen unter Wandlungsbedingungen im Mittelpunkt des Interesses der Disziplin liegen – Phänomene, die immer öfter im Rahmen der Globalisierung zu beobachten sind. Diesbezüglich haben sich in den letzten Jahren vor allem mehrsprachige (urbane) Räume als ertragreich und als wichtiges Forschungsfeld der Soziolinguistik erwiesen (Kuße 2012, 77–79). Die vorliegende Untersuchung soll im Rahmen der Soziolinguistik für den Mehrsprachigkeitsdiskurs sensibilisieren und es soll in diesem Zusammenhang gezeigt werden, wie über die normative Mehrsprachigkeitsforschung hinausgedacht
Cf. auch die Beiträge von Hymes und Coulmas (1979) sowie Bernstein (1996).
1.2 Verortung, Ziel und Aufbau der Untersuchung
7
werden kann, um in Verbindung mit Disziplinen, wie der Soziologie, aber auch der Sozialpsychologie, neueren Aspekten der Mehrsprachigkeitsforschung, die mit gesellschaftlichen Aspekten unbeschränkt verflochten ist, Rechnung zu tragen. Das Hauptziel dieser Untersuchung ist es dabei, die Identitätsbildung der LuxemburgerInnen im Rahmen der luxemburgischen Mehrsprachigkeit, aus Sicht einheimischer und zugewanderter LuxemburgerInnen, unter soziolinguistischen Aspekten zu erschließen. Auf den zugewanderten Teil der luxemburgischen Bevölkerung wird vor allem aus dem Grund eingegangen, damit im Zuge der Herausarbeitung der Identitätsbildung der LuxemburgerInnen auch die vielfältigen Strukturen des Großherzogtums anhand der bedeutendsten Zuwanderungsgruppe, der PortugiesInnen, berücksichtigt werden können. Anhand sprachbiografischer Interviews der befragten Personen, die das erste und gleichzeitig das Hauptanalysekorpus bilden, sollen Einsichten in den Umgang mit u. a. den drei Amtssprachen gegeben werden, um zu analysieren, wie die Mehrsprachigkeit im eigenen Land erlebt wird. Zudem wird herausgearbeitet, wie die LuxemburgerInnen in diesem Rahmen ihre eigene Identität bilden. Ergänzend zu diesem Hauptuntersuchungsgegenstand werden durch die Wissenssoziologische Diskursanalyse (WDA) nach Keller (2005) Pressetexte der Zeitung «Luxemburger Wort», die das zweite Analysekorpus bilden, untersucht, um aufzuzeigen, wie der Mehrsprachigkeits- und Identitätsdiskurs in den Medien produziert und welches Wissen dabei erzeugt wird. Die Pressetexte betreffend wird zwischen journalistischen Texten und Leserbriefen unterschieden, um den öffentlichen Diskurs auf zwei verschiedenen Ebenen zu untersuchen. Dabei ist die WDA für die vorliegende Untersuchung aus zwei Gründen bedeutsam: Zum einen wird bzgl. der diskursanalytischen Untersuchung eine sozialwissenschaftliche Herangehensweise präferiert, da hier der Begriff des «Wissens» sowie die «Wissenskonstruktion» als soziales Phänomen im Vordergrund stehen und der Schwerpunkt weniger auf einer rein sprachwissenschaftlichen Analyse, wie z. B. der Kritischen Diskursanalyse von Jäger (2012), liegen soll (Keller 2005, 12). Zum anderen wird diese Herangehensweise wiederum so durch die Untersuchung linguistischer Phänomene ergänzt, dass eine Verbindung zwischen Soziologie und Sprachwissenschaft hergestellt wird. In Kapitel 2 wird zunächst «Mehrsprachigkeit» aus linguistischer und soziolinguistischer Sicht dargestellt. Dies betrifft neben den in Kapitel 2.1 beschriebenen Entstehungsfaktoren von Mehrsprachigkeit und den zugrunde liegenden Grundbegriffen ebenso die im Rahmen des Sprachkontaktes auftretenden mehrsprachigen Praktiken in Kapitel 2.2. In Kapitel 2.3 werden demgegenüber neuere Aspekte mehrsprachiger Praktiken sowie damit verbundene gesellschaftliche Voraussetzungen diskutiert. Kapitel 2.4 legt den Fokus auf die mehrsprachigen Praktiken, aus denen sich die metasprachliche Ebene der Spracheinstellung ableiten
8
1 Einleitung
lässt. Basierend auf der Spracheinstellung werden das Sprachbewusstsein und die Sprecherperspektive (Kap. 2.4.1) sowie die daraus resultierende Selbstpositionierung durch Sprachwahl (Kap. 2.4.2) im Rahmen von Spracheinstellungsäußerungen (Kap. 2.4.3) dargestellt. Anschließend an die ergründeten (sozio-)linguistischen Aspekte von Mehrsprachigkeit und einige disziplinübergreifende Betrachtungen, wird auf Basis der identitätsstiftenden Aspekte im mehrsprachigen Kontext in Kapitel 3 das Konzept «Identität» (Kap. 3.1) erläutert. Nach der personalen Identitätsbildung (Kap. 3.1.1) wird mit der kollektiven Identität (Kap. 3.1.2) die Verbindung von Identität und sozialem Umfeld dargestellt, um schließlich auch die Bedeutung der Sprache für die (eigene) Identität (Kap. 3.2) deutlich zu machen. In Kapitel 3.2.1 werden weitere Aspekte, wie Ethnie und Kultur, die eng mit Identität und Sprache verflochten sind, herausgearbeitet. In Kapitel 3.2.2 wird der hybride Charakter von Identität dargelegt und nachdem in Kapitel 3.2.3 mit der narrativen Identität die sprachliche Konzeption der Identität beschrieben wurde, stellt Kapitel 3.3 abschließend die Perspektive zwischen Erzählenden und Zuhörenden im Rahmen der Identitätsbildung dar. Die das zweite und dritte Kapitel abschließenden Zwischenfazite dienen dazu, die in Kapitel 2 und Kapitel 3 eher deskriptiv ausgerichteten und dargestellten Ansätze in Bezug zueinander zu setzen und mit den für die vorliegende Untersuchung relevanten Punkten zu verknüpfen. Kapitel 4 widmet sich schließlich dem Untersuchungsgegenstand der Arbeit, dem Großherzogtum Luxemburg. Neben der Berücksichtigung der Grenzgebiete, seiner Lage innerhalb der Großregion «Saar-Lor-Lux» (Kap. 4.1) werden der vielfältige Kontext des Landes (Kap. 4.2) und die Gründe für den hohen Anteil an Zugewanderten (Kap. 4.2.1, Kap. 4.2.2, Kap. 4.2.3) erläutert. Anschließend wird in Kapitel 4.3 die Sprachensituation Luxemburgs dargestellt. Dies geschieht zunächst auf Grundlage der Sprachenpolitik (Kap. 4.3.1) sowie der sprachlichen Praxis (Kap. 4.3.2) Luxemburgs. In Kapitel 4.3.3 wird darauf aufbauend der interaktionsbasierte Sprachgebrauch im privaten und öffentlichen Kontext diskutiert. Dies geschieht vor allem hinsichtlich der Literatur von Berg (1993), auf deren Grundlage kontrastierend neue Standpunkte, sowohl die Sprache als auch die Gesellschaft betreffend, dargestellt werden. Das Zwischenfazit in Kapitel 4.4 rundet den theoretischen Rahmen zur sprachlichen Identitätsbildung der LuxemburgerInnen ab. Im Mittelpunkt des fünften Kapitels steht der Mehrsprachigkeitsdiskurs in der luxemburgischen Presse. Dazu wird in Kapitel 5.1 zunächst die Rolle der Presse im Rahmen der Massenmedien erläutert. Dieses Kapitel bildet den Ausgangspunkt für den in Kapitel 5.2 thematisierten Begriff des «Diskurses». Daran anknüpfend wird in Kapitel 5.3 auf «Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit» (Berger/Luckmann 2009) hinsichtlich der durch die Presse konstruierten «Wirklichkeit» und des
1.2 Verortung, Ziel und Aufbau der Untersuchung
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«Wissens» eingegangen. Kapitel 5.4 thematisiert anschließend Luxemburgs Presse sowie die Tageszeitung «Luxemburger Wort». Schließlich wird in Kapitel 5.5, in Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand, exemplarisch der Mehrsprachigkeitsdiskurs in der luxemburgischen Presse dargestellt. Kapitel 5.6 schließt das fünfte Kapitel mit einem Zwischenfazit ab. Nach dem theoretischen Teil folgt im sechsten Kapitel der Forschungsgrundriss der vorliegenden Untersuchung. Diesbezüglich schließt sich in Kapitel 6.1 zunächst die Darstellung der Gütekriterien qualitativer Forschung an. Der auf das Thema der Untersuchung bezogene Forschungsstand ist Gegenstand von Kapitel 6.2, aus dem anschließend die Forschungsfragen (Kap. 6.3) abgeleitet werden. Kapitel 6.4 schließt mit forschungsethischen Überlegungen im Rahmen der Datenerhebung an. Nach der Darstellung des Forschungsfeldes sowie des Erhebungskontextes (Kap. 6.4.1) schließt die Triangulation (Kap. 6.4.2) den Forschungsgrundriss und damit den ersten Teil des sechsten Kapitels ab. In Kapitel 6.5 werden die Kriterien der Datenanalyse und -auswertung erläutert. Nachdem zunächst die Relevanz der Grounded Theory für die Analyse sowie die in Kapitel 6.5.1 allgemeinen Aspekte des methodischen Vorgehens dargestellt wurden, wird in Kapitel 6.5.2 die qualitative Analyse beschrieben. Kapitel 6.5.3 thematisiert die computergestützte Analyse mit MAXQDA, einer QDA-Software zur qualitativen Datenanalyse (cf. Rädiker/Kuckartz 2019), womit gleichzeitig der Forschungs- und Analysegrundriss abgeschlossen wird. In Kapitel 7 werden schließlich die Ergebnisse der sprachbiografischen Interviews dargestellt. Hier werden ausgewählte Fälle in der Einzelfalldarstellung beleuchtet (Kap. 7.1.1), anschließend folgt eine fallübergreifende Übersicht über die sprachbiografischen Interviews, in der alle Fälle zusammengetragen diskutiert werden (Kap. 7.1.2). Den zweiten Teil des siebten Kapitels bilden die Untersuchungsergebnisse der Pressetexte (Kap. 7.2). Hinsichtlich der Pressetexte wird die erste Feinanalyse anhand der Leserbriefe dargestellt (Kap. 7.2.1), gefolgt von zwei Feinanalysen der journalistischen Pressetexte (Kap. 7.2.2) und schließlich einer Zusammenschau aller Pressetexte (Kap. 7.2.2.3). In Kapitel 8 erfolgt darauf aufbauend die Diskussion der Untersuchungsbefunde. Das Fazit in Kapitel 9 schließt die Untersuchung mit Rückschlüssen auf den theoretischen Rahmen sowie die zugrundeliegenden Überlegungen und Hypothesen ab. Dazu wird das Forschungsvorgehen retrospektiv kritisch beleuchtet. Zusätzlich wird in diesem Kapitel über den theoretischen Rahmen sowie die Forschungsfragen der Untersuchung hinausgedacht und es werden mögliche weitere Forschungsperspektiven aufgezeigt.
2 Mehrsprachigkeit Über den Einzug von Mehrsprachigkeit in das alltägliche Leben vieler Menschen, vor allem durch die Globalisierung und die damit einhergehende zunehmende Mobilität (Busch 2017, 129), scheinen inzwischen keine Zweifel mehr zu bestehen. Auch wenn Mehrsprachigkeit laut Lüdi (1996) zum Alltag vieler auch einsprachiger Gemeinschaften geworden ist und als selbstverständlich betrachtet wird, scheint das Bewusstsein über die Komplexität der individuellen Sprachkompetenz im Umfeld anderer Sprachen in den Hintergrund zu geraten. Dass Mehrsprachigkeit darüber hinaus «[…] verschiedene Facetten [hat] und […] unter dem Einfluss unterschiedlicher Variablen […]» (Wartenburger 2010, 174) steht, wird im Folgenden erläutert. Im letzten Jahrzehnt hat sich die Mehrsprachigkeitsforschung zu einem indispensablen Forschungsfeld herausgebildet. Nicht zuletzt aufgrund der internationalen, gesellschaftlichen Verflechtungen wurde ein neuer Blick auf die Mehrsprachigkeit – nicht mehr als Ausnahme, sondern als Normalfall – gerichtet (cf. Riehl 2014). Im Feld der Mehrsprachigkeitsforschung bewegen sich über die verschiedenen Disziplinen der Sprachwissenschaft (wie die Sprachlehrund -lernforschung oder die Neurolinguistik) hinaus auch andere Wissenschaften, z. B. die Literatur- oder Politikwissenschaft. Im Zentrum stehen neben soziolinguistischen u. a. auch sprachdidaktische und erziehungswissenschaftliche Untersuchungen (Busch 2017, 6s.). Von der Mehrsprachigkeitsforschung abzugrenzen ist die Sprachkontaktforschung: Bei der Sprachkontaktforschung stehen die betroffenen Sprachen im Zentrum des Interesses, wohingegen die Mehrsprachigkeitsforschung einen Blick auf die Sprechenden oder die Sprachgemeinschaften der Sprachen wirft (Riehl 2014b, 12). Gängige sprachtheoretische Annahmen zur Mehrsprachigkeitsforschung wurden erstmals in Weinreich (1953) «Languages in contact» reformiert. Die sich in diesem Zusammenhang herausbildende Terminologie und die verschiedenen Ansätze stehen neueren Aspekten mehrsprachiger Praktiken gegenüber. Letztere resultieren aus der Kritik, Sprachen als starr definierte Einheiten zu betrachten. Eine Diskussion, durch die – auch über die Mehrsprachigkeitsforschung hinaus – gängige Sprachtheorien hinterfragt werden (Franceschini 2015, 277–279). In diesem Kapitel stehen unterschiedliche Formen und Aspekte von Mehrsprachigkeit sowie das damit verbundene sprachliche Handeln (Busch 2017, 40), nicht jedoch der Spracherwerb aus psycholinguistischer oder neurolinguistischer Perspektive im Vordergrund. In diesem Zusammenhang werden die neueren Ansätze mehrsprachiger Praktiken diskutiert und deren Bedeutung für die vorliegende
https://doi.org/10.1515/9783111117379-002
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2 Mehrsprachigkeit
Untersuchung erläutert. Außerdem werden in diesem Kapitel «Sprachkontakt» sowie «Spracheinstellung» im Rahmen der Mehrsprachigkeit dargestellt.
2.1 Zur Mehrsprachigkeit allgemein Mehrsprachigkeit, auch als «Multilingualismus» bezeichnet, ist nicht zwangsläufig nur mit dem Beherrschen mehrerer, unterschiedlicher Standardsprachen gleichzusetzen. Auch einsprachige Personen können über mehrsprachige Fähigkeiten und eine «natürliche Mehrsprachigkeit» (Roche 2006, 80), die auch als innere Mehrsprachigkeit bezeichnet wird, verfügen. Diese innere Mehrsprachigkeit, z. B. das Sprechen eines Dialektes neben der Standardsprache, definiert sich demnach durch weitere Kompetenzen in einer oder mehreren Sprachvarietäten. Davon abzugrenzen ist die äußere Mehrsprachigkeit, das Beherrschen mehrerer Standardsprachen, wie z. B. der Muttersprache und einer Fremdsprache (Roche 2013, 186). Fraglich ist, was als «Sprache» zu definieren ist und wie die jeweiligen Sprachen voneinander abzugrenzen sind, um entweder eine innere oder eine äußere Mehrsprachigkeit der Sprechenden feststellen zu können. Sinner (2014) benennt Kriterien, anhand derer eine Varietät als Sprache klassifiziert werden kann. Dabei handelt es sich nicht nur um linguistische Kriterien, sondern auch um das Kriterium des Verwendungsbereiches, der Sprachgemeinschaft, der sprachgeschichtlichen Entstehung und der räumlichen Erstreckung (cf. Sinner 2014, 96ss.). Individuelle und gesellschaftliche Mehrsprachigkeit Dass Menschen mehrere Sprachen sprechen und wir im Alltag verschiedenen Sprachen begegnen, ist inzwischen Normalität. Dies kann das Bewusstsein über die verschiedenen Formen von Mehrsprachigkeit in den Hintergrund rücken lassen (Thiersch 2007, 9). Zunächst muss zwischen der individuellen und der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit unterschieden werden (Lüdi 2014, 312): Während sich die individuelle Mehrsprachigkeitsforschung hauptsächlich mit dem Spracherwerb und Kompetenzen in mehr als nur einer Sprache bezogen auf ein Individuum beschäftigt, steht bei der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeitsforschung die Bedeutung der Mehrsprachigkeit im Rahmen gesellschaftlicher und sozialer Begegnungen im Vordergrund (Androutsopoulos 2017, 194). Im Rahmen der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit, auf der in den folgenden Kapiteln aufgrund der Interaktionszusammenhänge der Sprechenden der Fokus liegt, unterscheiden sich die Definitionen von Erstsprache und Muttersprache dadurch, dass in einigen soziolinguistischen Bereichen mit Erstsprache die
2.1 Zur Mehrsprachigkeit allgemein
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Sprache bezeichnet wird, die von der Sprecherzahl sowie einem höheren Prestige der jeweiligen Sprache abhängt. Hier wird zwischen der H (high) variety (dt. «hohe Varietät») sowie der L (low) variety (dt. «niedrige Varietät»), auch HVarietät und L-Varietät (Riehl 2014a, 66), unterschieden: […] a H(igh) language, on the one hand, utilized in conjunction with religion, education and other aspects of High Culture, and an L(ow) language, on the other hand, utilized in conjunction with everyday pursuits of hearth, home and work sphere. (Fishman 1971, 287)
Während die Erstsprache jene Sprache ist, die von den meisten Menschen als Erst- oder Zweitsprache gesprochen wird, handelt es sich bei der Muttersprache um die Sprache, die von den Sprechenden der Bevölkerung als erste Sprache erworben wurde (Dietrich 2004a, 309). Dies ist etwa in der deutschsprachigen Schweiz der Fall, in der das Schweizerdeutsch als Erstsprache ein höheres Ansehen genießt als die (meist ab Schuleintritt) erworbene Standardvarietät (Widmer Beierlein/Vorwerg 2015, 56). Bei der individuellen Mehrsprachigkeit stellt sich die Frage, wann ein Individuum als mehrsprachig gilt. In der Sprachwissenschaft existieren, die äußere Mehrsprachigkeit betreffend, verschiedene Ansätze, wann ein Individuum als mehrsprachig bezeichnet werden kann. Einige AutorInnen gehen davon aus, dass ein Individuum nur dann mehrsprachig ist, wenn die jeweiligen Sprachen schon früh, i. e. seit der Kindheit, beherrscht werden. Andere AutorInnen gehen darüber hinaus von einem funktionalen Hintergrund aus (Oksaar 1980, 43) und davon, dass die Fähigkeit, ohne Probleme von einer Sprache in eine andere Sprache zu wechseln, ein Kriterium für Mehrsprachigkeit darstellt (Olariu 2007, 301). Lüdi (1996) unterscheidet mehrere Typen der individuellen Mehrsprachigkeit, u. a. den Zeitpunkt (simultaner Erwerb oder sukzessive Aneignung), Erwerbsmodalitäten (gesteuert oder ungesteuert) oder den Grad der Sprachbeherrschung (symmetrisch oder asymmetrisch) (Lüdi 1996, 235). Ebenso grenzt Riehl (2014a) zwei Arten des Spracherwerbs voneinander ab: den bilingualen Erstspracherwerb (ein Kind besitzt zwei Erstsprachen) und den gesteuerten Erwerb (eine weitere Sprache wird z. B. in der Schule gelernt) (Riehl 2014a, 11). In diesem Zusammenhang werden auch der Zeitpunkt des Spracherwerbs (als Kind oder als Erwachsener) sowie die Reihenfolge, in der eine Zweitsprache (L2) oder Drittsprache (L3) gelernt werden, thematisiert (Riehl 2014a; Roche 2013). Oft werden, verbunden mit der individuellen Mehrsprachigkeit, die Termini «Muttersprache» und «Erstsprache» miteinander gleichgesetzt, da die beiden Begriffe nicht streng definiert sind und dadurch nicht einheitlich gebraucht werden (Dietrich 2004a, 306). Aus sprachwissenschaftlicher Sicht liegt der Unterschied zwischen beiden Bezeichnungen darin, dass die Erstsprache jene Sprache bezeichnet, die als Erstes erlernt wird. Der Begriff Muttersprache wiederum bezeichnet jene Sprache, die ein Individuum mit Mitgliedern seiner Kultur-
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2 Mehrsprachigkeit
gemeinschaft als Erstsprache gemein hat und zu der es sich hingezogen fühlt (Dietrich 2004a, 308). Wird nach der Erstsprache eine weitere Sprache, nicht aktiv durch Unterricht, sondern im Alltag, erworben, wird von Zweitsprache gesprochen (Dietrich 2004b, 312). Die Zweitsprache, die im Alltag häufig mit der Fremdsprache gleichgesetzt wird, grenzt sich allerdings dadurch ab, dass das automatische und unbewusste sprachliche Wissen auf dem kommunikativen Erwerb basiert und spontan eingesetzt werden kann. Das im Rahmen des Fremdsprachenerwerbs durch Unterricht vermittelte linguistische Wissen über eine Sprache, das «Monitorwissen» (Dietrich 2004b, 313), ermöglicht hingegen nicht zwangsläufig, dass die Sprache spontan kommunikativ benutzt werden kann. Di-, Tri- und Polyglossie Während «Mehrsprachigkeit» sowohl individuelle, gesellschaftliche als auch institutionelle Zweisprachigkeit bzw. Bilingualismus miteinschließt, wird, die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit betreffend, von Diglossie1 bei zwei Sprachen, von Triglossie bei drei Sprachen und von Polyglossie bei mehr als drei Sprachen gesprochen (Lüdi 2014, 311). Mehrsprachigkeit kann in diesen Fällen institutionell begründet sein, wobei in verschiedenen Bereichen unterschiedliche Sprachen erworben und gebraucht werden können. Meist wird die L-Varietät im privaten, persönlichen und informellen Umfeld gesprochen, während die H-Varietät in offiziellen Kontexten Verwendung findet und damit ein höheres Prestige als die LVarietät besitzen kann (Scheer 2017, 22s.). Auch im triglossischen oder polyglotten Kontext ist das Herausbilden von H-Varietäten oder L-Varietäten z. B. resultierend aus sprachpolitischen Maßnahmen möglich (Riehl 2014a, 67). Sprach(en)politik Gesetzliche Regelungen betreffend wird nach Fehlen (2016) zwischen Sprachpolitik und Sprachenpolitik unterschieden (cf. Fehlen 2016, 73). Im Allgemeinen werden unter Sprachpolitik zwar alle Maßnahmen gefasst, die den Gebrauch einer oder mehrerer Sprachen in einem Staat oder in Institutionen festlegen, allerdings kön-
Während Ferguson (1959) in seinem gleichnamigen Beitrag das Konzept der «Diglossia» bezogen auf zwei Sprachvarietäten diskutiert, legt Fishman (1967) in Anlehnung an dieses Konzept den Begriff «Diglossia» in seinem Beitrag «Bilingualism With and Without Diglossia; Diglossia With and Without Bilingualism» auch auf zwei miteinander nicht verwandte Sprachen aus (cf. Ferguson 1959; Fishman 1967). In Anlehnung an Fishman wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit mit Fokus auf die soziolinguistischen Aspekte – wohlwissend, dass aus linguistischer Perspektive bei einer Di-, Tri- oder Polyglossie mindestens eine Sprachvarietät betroffen ist – grundsätzlich von «Sprachen» die Rede sein.
2.1 Zur Mehrsprachigkeit allgemein
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nen hier beide Begriffe noch genauer unterschieden werden: Sprachpolitik betrifft zunächst den Einfluss eines Staates auf die jeweiligen Sprachen und die damit verbundene Entwicklung durch z. B. Korpusplanung oder Normierung einer Einzelsprache, in diesem Fall ist auch die Rede von «Statusplanung» (Polzin-Haumann 2019, 71). Die Sprachenpolitik wiederum behandelt den Gebrauch einer Sprache im Zusammenspiel und im Verhältnis mit anderen Sprachen (Ammon 2015, 1072). Sprachpolitik betrifft also hauptsächlich die Struktur von Sprache(n), während Sprachenpolitik oder «Sprachlenkung» (Polzin-Haumann 2019, 71) den Gebrauch und Status von Sprache(n) betrifft (Fehlen 2016, 73). Das Gelingen politischer Maßnahmen zeigt sich durch die von politischer Seite die Sprachen betreffenden formulierten Ziele, die in mehrsprachigen Gesellschaften laut Cichon (2001) grundsätzlich an sogenannten sprachgruppenexternen und sprachgruppeninternen Einflussfaktoren ausgerichtet werden. Sprachgruppenexterne Einflussfaktoren wirken von außen auf die Sprachen. Bei gruppenexternen Faktoren handelt es sich aus Perspektive dominierter Sprachen um die Art und Weise, wie der Umgang mit der dominierten von der dominierenden Sprachgruppe organisiert wird (Cichon 2001, 181). Gruppeninterne Einflussfaktoren betreffen die Selbstwahrnehmung der dominierten Sprachgemeinschaft. Darüber hinaus können sprachpolitische Maßnahmen anhand der Sprachlandschaft, der Linguistic Landscape, eines Staates deutlich werden. Der Begriff Linguistic Landscape wurde 1997 von Landry und Bourhis eingeführt. Die Forschungsrichtung, die Untersuchungsgegenstand verschiedener Disziplinen, wie der Soziolinguistik, Politik oder Kulturgeografie ist, beschäftigt sich mit der Visualisierung und Präsenz von Sprache im öffentlichen Raum (cf. Scollon/Scollon 2003; Ben-Rafael et al. 2004; Backhaus 2007; Androutsopoulos 2008; Shohamy et al. 2009). Wie Shohamy et al. (2009) schreiben, ist Sprache im öffentlichen Raum nie willkürlich gewählt: […] language in the environment is not arbitrary and random in the same way that researchers in language learning do not view the phenomenon as random; rather there is a goal to understand the system, the messages it delivers or could deliver, about societies, people, the economy, policy, class, identities, multilingualism, multimodalities, forms of representation and additional phenomena. (Shohamy et al. 2009, 3)
Das Ziel der Forschungsrichtung der Linguistic Landscape ist es, die Nachrichten, die über die Gesellschaft übermittelt werden, zu verstehen und Einflussfaktoren im Hinblick auf die Sprachensituation eines Staates nachzuvollziehen (Shohamy et al. 2009, 3). Die weitgefasste Definition, Schilder als öffentlich oder privat zu bezeichnen, wird in der Forschungsrichtung der Linguistic Landscape unterschiedlich eingeordnet. Scollon und Scollon (2003) unterteilen die Beschilderung z. B. in amtliche (top-down) und kommerzielle (bottom-up) Beschilderung. Verkehrsschilder werden dabei der amtlichen und Schilder in oder von Geschäften, Gaststätten und allem,
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2 Mehrsprachigkeit
was einen kommerziellen Hintergrund hat, der kommerziellen Beschilderung zugeordnet (Scollon/Scollon 2003, 187). Die amtliche Beschilderung, die aus den Vorgaben des Staates resultiert, kann Rückschlüsse auf die Auswirkung offizieller Sprachenpolitik zulassen, während hingegen die privat-kommerzielle Beschilderung Rückschlüsse soziokultureller Art zulassen kann, z. B. (ungleiche) Machtverhältnisse oder die Ansässigkeit der jeweiligen Sprachgemeinschaften (Androutsopoulos 2008, 3). Autochthone und allochthone Gruppen Im Rahmen eines diglossischen, triglossischen oder polyglotten Kontextes können sich autochthone oder allochthone Sprachgemeinschaften herausbilden. Bei den autochthonen Gruppen handelt es sich um historische Sprachminderheiten, die bereits lange Zeit, i. e. auch schon vor der Gründung eines Staates, in einem Gebiet existierten. Im Gegensatz dazu handelt es sich bei allochthonen Sprachgemeinschaften um neuere Gruppen, die z. B. durch nachkriegsbedingte Arbeitsabkommen oder durch die Globalisierung entstanden sind (Vetter 2019, 531). Außerdem können allochthone Minderheiten etwa durch die Zuwanderung aus persönlichen Motiven (z. B. familiäre, wirtschaftliche oder politische Motive), durch einen Fachkräftebedarf oder durch zugewanderte KulturvermittlerInnen und DiplomatInnen entstehen (Nelde 1994, 119, zit. nach Riehl 2004b, 71). Während das Erlernen der Landessprache des Ziellandes für die Zugewanderten aus persönlichen Motiven von Bedeutung ist, spielt die Sprachbeherrschung z. B. bei KulturvermittlerInnen und DiplomatInnen eine geringere Rolle, da sich diese als sogenannte «Transmigrant[Innen]» (Riehl 2014b, 64) nur für eine begrenzte Zeit im jeweiligen Land aufhalten. In Bezug auf Zugewanderte gilt häufig die «Drei-Generationen-Regel» (Riehl 2004a, 64). Diese besagt, dass die erste Generation der Zugewanderten die Sprache des Ziellandes, wenn überhaupt, nur mangelhaft beherrscht, die zweite Generation meist zweisprachig und die dritte Generation sogar nur einsprachig mit der Sprache des Ziellandes aufwächst. Dies trifft aber oft eher auf «klassische» Zugewanderte, nicht aber auf Zugewanderte allochthoner Sprachgemeinschaften zu. Diese Gruppen zentrieren sich häufig auch in urbanen Räumen und können sogar Einfluss auf das Stadtbild und die Sprachlandschaft haben, z. B. Chinatown in New York, aber auch Little Istanbul in Mannheim. Sie brechen die Drei-Generationen-Regel, wodurch die Sprachen dieser Gemeinschaften durch die räumliche und gesellschaftliche Abgrenzung für eine längere Zeit unverändert erhalten bleiben (Riehl 2004b, 71–73). Das Konzept der «gelebten Mehrsprachigkeit», worunter der mit kultureller Vielfalt verbundene, mehrsprachige Austausch und dadurch das Entstehen einer neuen Gesellschaft zu verstehen ist, kann unter diesen Umständen erschwert werden (Schmitz/Olfert 2013, 223).
2.2 Mehrsprachige Praktiken
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Laut der Europäischen Kommission (2019) fungieren Sprachen «[…] als Brücke zwischen den Völkern und Kulturen […]», sie «[…] machen andere Länder und ihre Kulturen zugänglich und stärken das interkulturelle Verständnis» (Europäische Kommission 2019). Mit diesem Leitgedanken wird das Ziel formuliert, dass zukünftig jedes Mitglied der Europäischen Union mindestens – im besten Fall bereits ab der Kindheit durch Fremdsprachenunterricht – zwei Fremdsprachen lernen sollte (Europäische Kommission 2019). Dabei soll nicht der Anspruch, eine gelernte Sprache auf Muttersprachenniveau zu beherrschen, erhoben werden, was laut Tracy (2011) ohnehin, zumindest die Aussprache betreffend, fraglich ist: Während es eher unwahrscheinlich ist (wenngleich bei gutem Gehör und viel Übung nicht unmöglich!), dass wir in spät erworbenen Sprachen jemals wie Muttersprachler «klingen», können wir in anderen grammatischen Bereichen (z. B. Wortschatz oder grammatischen Intuitionen) durchaus ein Niveau erreichen, das dem eines Muttersprachlers vergleichbar ist. (Tracy 2011, 74–75)
Vielmehr soll die Förderung von Mehrsprachigkeit eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls und einen interkulturellen Dialog zum Ziel haben (Europäische Kommission 2019). Auch Oksaar (1984) betont die im Rahmen des Spracherwerbs außersprachlichen Fähigkeiten: Spracherwerb ist kulturelles Lernen. Das bedeutet, daß man, wenn man eine Sprache erwirbt, […] viel mehr lernt als die Beherrschung der Aussprache, der Lexik und der grammatischen Regeln. Man lernt die Wirklichkeit zu erfassen und zu strukturieren, und man lernt die Fähigkeit, in einer Interaktionssituation verbale, nonverbale und extraverbale Handlungen zu vollziehen und zu interpretieren, gemäß den soziokulturellen und soziopsychologischen Regeln der Gruppe – man lernt die interaktionale Kompetenz. (Oksaar 1984, 249)
Hinsichtlich der von Oksaar (1984) beschriebenen «interaktionalen Kompetenz» ist auf Ebene der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit davon auszugehen, dass weitere die Mehrsprachigkeit betreffende Aspekte, etwa die unterschiedlichen Diskursmuster der Sprechenden und damit verbundene Vorgänge bei der Sprachwahl, relevant werden können.
2.2 Mehrsprachige Praktiken Während im Rahmen der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeitsforschung Eigenschaften der Sprechenden bzw. der Gesellschaft im Zentrum stehen, untersucht im Gegensatz dazu die Sprachkontaktforschung die aus dem Aufeinandertreffen von Sprachen möglichen resultierenden Sprachphänomene (Riehl 2014b, 12). Auch wenn die Sprachkontaktforschung als eigenständiges Forschungsfeld theo-
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2 Mehrsprachigkeit
retisch von der Mehrsprachigkeitsforschung abgrenzbar ist, so entsteht innerhalb mehrsprachiger Kontexte zwangsläufig auch Sprachkontakt.2 Im Rahmen des Sprachkontakts wird die Richtung, in die sich Sprachen gegenseitig beeinflussen, etwa der Einfluss der Erst- auf die Zweitsprache oder umgekehrt, untersucht. Beim soziolinguistischen Ansatz der Sprachkontaktforschung stehen die Sprechenden der Sprachen, die miteinander in Kontakt treten, im Vordergrund. Dabei stehen die Sprachen einer Gruppe im Mittelpunkt – wobei hier nicht jedes Mitglied dieser Gruppe (Gruppe als der Ort, an dem es zu Sprachkontakt kommt) (Riehl 2014b, 12–14) alle betroffenen Sprachen sprechen muss. Unter Berücksichtigung und Fokussetzung auf die «Gruppe» erklärt Androutsopoulos (2017) in seinem Beitrag zur gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit, dass der Fokus nicht nur auf der Verteilung der Sprachen liegt, sondern auch auf «flexiblen, fluiden, auch marginalen und unerwarteten Beziehungen zwischen Sprache, Raum und Gesellschaft» (Androutsopoulos 2017, 198). Sprachkontakt beschreibt also nicht nur sprachliche Aspekte, sondern bezieht sich auch auf die sich dauerhaft verändernden Verhältnisse innerhalb der Gesellschaft und des Kontextes, in dem Sprache benutzt wird. Die im Kontext von Sprache, Raum und Gesellschaft entstehenden Praktiken können eine identitätsstiftende Funktion aufweisen, was bedeutet, dass soziale Identitäten erst durch bestimmte Praktiken entstehen können (Androutsopoulos 2017, 57). An dieser Stelle wird deutlich – was auch für die vorliegende Untersuchung von größter Bedeutung ist –, dass neben dem Aufeinandertreffen der jeweiligen Sprachen das bewusste oder unbewusste sprachliche Handeln und die dafür vorliegenden Gründe der Sprechenden sowie deren Umfeld im Vordergrund stehen. Sprachkontaktphänomene «Und passiert es Ihnen, dass Sie Sprachen vermischen?» […] BLux5: «Das kommt vielleicht mal vor. Aber seelen3 – selten. Also ja, das war jetzt sowas.» (BLux5, Pos. 24–27)4 I:
Obwohl der Fokus der vorliegenden Untersuchung auf den gesellschaftsorientierten Praktiken liegt und die hauptsächlich psycholinguistische Perspektive der Sprachkontaktforschung hier weniger von Interesse ist, wird der Vollständigkeit halber und zum Zwecke der soziolinguistischen Perspektive dennoch an dieser Stelle auf die Sprachkontaktforschung eingegangen. Das luxemburgische Wort «seelen» entspricht dem deutschen Wort «selten». Der zugrunde liegende Gesprächsausschnitt mit einer einheimischen Luxemburgerin stammt aus dem für die vorliegende Untersuchung zusammengestellten Korpus der sprachbiografischen
2.2 Mehrsprachige Praktiken
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Innerhalb mehrsprachiger Gesellschaften kann es zu zahlreichen Sprachkontaktphänomenen, kommen, wobei Code-Switching, i. e. der Wechsel von einer Sprache in eine andere Sprache, ein verbreitetes Phänomen mehrsprachiger Gesellschaften ist (cf. Jessner/Allgäuer-Hackl 2019). Code-Switching Das in mehrsprachigen Gesellschaften auftretende Phänomen des Sprachwechsels, Code-Switching, bezeichnet den im Rahmen einer sprachlichen Äußerung stattfindenden Wechsel von einer Sprache in eine andere Sprache von einem oder mehreren Sprechenden (Jessner/Allgäuer-Hackl 2019, 37). Dieser Wechsel oder auch Switching ist zwischen zwei oder mehr Sprachen möglich. Auch der einzelne Wörter betreffende Wechsel in eine andere Sprache sowie der Gebrauch einzelner Elemente, die aus einer Sprache übernommen werden, die aber nicht Teil des Lexikons der anderen Sprachgemeinschaft sind, werden als Code-Switching bezeichnet.5 Als eng damit verbundenes Phänomen im Rahmen eines bi- oder multilingualen bzw. diglossischen oder polyglotten Gesprächs ist das Code-Mixing zu nennen. Hier erfolgt im Unterschied zum Code-Switching die Übernahme von Strukturen zweier oder mehrerer verschiedener Sprachen innerhalb eines Satzes mit gleicher Struktur und ohne dabei eine pragmatische Funktion zu erfüllen. Unterschieden werden das soziolinguistisch motivierte Code-Switching und das psycholinguistisch motivierte Code-Switching. Während Letzteres vom Sprechenden unbeabsichtigt, i. e. ohne die Absicht des sprachlichen Handelns geschieht und in der Regel sofort korrigiert wird, erfolgt das soziolinguistisch motivierte Code-Switching entweder situativ oder konversationell; bedingt durch eine bestimmte Situation, aber auch durch aus der Situation resultierende Faktoren, wie z. B. das Thema oder den Gesprächspartner einer Unterhaltung (Jessner/AllgäuerHackl 2019, 38). Auch ein kommunikativer Zweck, etwa beim Gebrauch von wörtlichen Zitaten, kann Auslöser für soziolinguistisch motiviertes Code-Switching sein. Dies wiederum entspricht dem funktionalen Code-Switching, worunter der Wechsel einer Sprache, hauptsächlich aus soziolinguistischen Gesichtspunkten, z. B. der Einfluss des Gegenübers oder Gesprächsthemas, zu verstehen ist. Im Gegensatz dazu
Interviews. Die Transkriptionszeichen wurden in diesem Beispiel nicht beibehalten, da sie an dieser Stelle keinen relevanten Beitrag zum Verständnis der Textstelle liefern. In der Sprachkontaktforschung herrschen Unstimmigkeiten darüber, wie Code-Switching zu definieren ist, i. e., ab wann überhaupt von Code-Switching gesprochen werden kann, ob es sich also bereits bei einzelnen Wörtern, erst ab Mehrworteinheiten oder Teilsätzen um das Phänomen des Code-Switching handelt (cf. Cyne 2004; Riehl 2014b: 21s.).
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2 Mehrsprachigkeit
bezieht sich das nicht funktionale Code-Switching auf interne Prozesse und entspricht dem psycholinguistischen Code-Switching. Transfer Findet die Übernahme von einzelnen Elementen der einen in eine andere Sprache oder umgekehrt auf weiteren Ebenen, wie z. B. der Phonetik, der Semantik oder auch der Syntax, statt, dann sprechen einige AutorInnen von Transfer. Auch als Interferenz bezeichnet, soll unter dem Begriff «Transfer» jedoch mehr die Übertragung als weniger das negativ konnotierte Einmischen von einer Sprache in eine andere Sprache, auch in einsprachigen Gesellschaften, verstanden werden (Clyne 1991, 160). Häufig betreffen Transfererscheinungen die Lexik einer Sprache, hier findet entweder eine Übernahme von Begriffen aus einer in eine andere Sprache statt, aber auch eine Bedeutungsübertragung von einer Sprache in eine andere kann eine mögliche Transfererscheinung sein, durch die der Rahmen, in dem ein Wort gebraucht wird, erweitert wird (Riehl 2014b, 35ss.). Während beim CodeSwitching von einer Sprache in die andere oft umgeschaltet werden kann, können die Grenzen zwischen den jeweiligen Sprachen bei Transfererscheinungen unspezifischer sein, was indiziert, dass sich die Sprachen gegenseitig beeinflussen. Als Beispiel kann hier der Transfer «ich bin froh mit dir» genannt werden, der seinen Ursprung im luxemburgischen «ech si frou mat dir» hat und auf die idiomatische Entsprechung «ich liebe dich» zurückgeht (cf. Berg 1993, 137). Im Rahmen von Transfererscheinungen, die die Lexik betreffen, kann zwischen Entlehnungen, Lehnwörtern und Fremdwörtern unterschieden werden. Findet ein Transfer statt, der mit einer Flexion einhergeht, i. e., durch den z. B. Wörter morphologisch oder syntaktisch in die Zielsprache6 integriert und angepasst werden, dann handelt es sich um eine Entlehnung (Riehl 2014b, 22ss.). Die Entlehnung fungiert als übergeordneter Begriff bzw. als Prozess, durch den Lehnwörter und Fremdwörter zustande kommen. Lehnwörter können demnach als Resultat dieser Entlehnung bezeichnet werden, die anhand bestimmter Faktoren (Riehl 2014b, 39ss.), z. B. und u. a. der Häufigkeit des Gebrauchs oder der Verbreitung eines Wortes innerhalb einer Sprachgemeinschaft, bestimmt werden können. Weiter gefasst kann es sich bei Lehnwörtern auch um Fremdwörter7 handeln, die im Unterschied zu Lehn-
Mit «Zielsprache» ist hier nicht die ursprüngliche Bedeutung im übersetzerischen Sinne gemeint, sondern die entlehnende Sprache, die Sprache, in die der Transfer stattfindet, also die Sprache, in die ein Wort entlehnt wird. Auch Riehl (2014) thematisiert unter Verweis auf Betz (1949) und Clyne (2004) die Problematik bzgl. der Distinktion beider Begriffe, kommt aber ebenso zu dem Entschluss, dass der Unterschied durch «[…] den Grad der Assimilation und Integration in den Wortschatz einer Sprachge-
2.2 Mehrsprachige Praktiken
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wörtern allerdings nicht oder nicht vergleichbar Eingang in den Wortschatz einer Sprachgemeinschaft gefunden haben (Riehl 2014b, 39ss.). Wörter, die von einer Sprache in eine andere Sprache entlehnt, aber nur von einzelnen Sprechenden gebraucht werden und dabei im Unterschied zu Lehnwörtern noch keinen Eingang in den Wortschatz der gesamten Sprachgemeinschaft gefunden haben, werden als Ad-hoc-Entlehnung bezeichnet (Riehl 2014b, 22). Transfererscheinungen können langfristige Auswirkungen auf die betroffenen Sprachen haben und damit zu Sprachveränderungen führen: Wenn der Einfluss der dominierenden Sprache zur Folge hat, dass sich die dominierte Sprache verändert, dann handelt es sich hierbei um einen konvergenten Sprachwandel (Discher 2015, 48), der zu einem language shift (Berg 1993, 144) der dominierten Sprache führt. Während dieser Sprachwandel durch eine Langfristigkeit gekennzeichnet ist und möglicherweise auch mit dem Status8 einer der beiden Sprachen oder dem kulturellen Einfluss (cf. Berg 1993, 146) in Verbindung steht, beschreibt die kurzfristige Konvergenz eine sprachliche Anpassung der Sprechenden an ihr Gegenüber. Diese u. a. lexikalische, phonologische oder syntaktische Anpassung wird auch als Akkommodation, als Phänomen im Rahmen eines Aufeinandertreffens z. B. von dialektalen Varietäten, bezeichnet (Riehl 2014b, 143).9 Akkommodation Das Phänomen der Akkommodation findet sich auch außerhalb der Linguistik wieder. Der amerikanische Soziologe Robert Ezra Park führt in dem Race Relation Cycle (RRC), im Rahmen seiner im Jahr 1950 veröffentlichten Untersuchung «Race and Culture», die Akkommodation, als die dritte von vier Phasen10 im Anpassungsprozess11 von Zugewanderten an die Mehrheitsgesellschaft, ein. Laut Park (1950) ist
meinschaft […]» sowie durch «[…] semantisch-strukturelle Kriterien» (Riehl 2014b: 40) zustande kommt. Mit «Status» ist hier die Anerkennung einer Sprache sowie ihre politische Funktion und ihr sozialer Stand, i. e. Faktoren, die Einfluss auf das Ansehen und den daraus resultierenden Gebrauch der Sprache haben, gemeint. Hinsichtlich Sprachminderheiten ist es möglich, dass der Sprachkontakt hier indirekte Auswirkungen auf den Sprachgebrauch ebendieser Gemeinschaften hat, sie dementsprechend ihre Erstsprache vernachlässigen und der Gebrauch somit durch Unsicherheiten geprägt ist (Riehl 2014b, 115). Cf. auch den Beitrag von Giles et al. (2010) «Contexts of Accommodation. Developments in Applied Sociolinguistics». Bei den vier Phasen des RRC handelt es sich um: 1. Contact (dt. «Kontakt»), 2. Competition (dt. «Wettbewerb»), 3. Accommodation (dt. «Anpassung») und 4. Assimilation (dt. «Angleichung») (Park 1950, 150). Park (1950) benutzt in seiner Untersuchung den obsoleten Begriff der «race relations» (dt. «Rassenbeziehungen») (Park 1950, 82).
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2 Mehrsprachigkeit
das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen bis zur letzten, der vierten Phase, geprägt durch eine schwierige Beziehung zueinander (Park 1950, 150). Das Konkurrieren erklärt er dabei als grundlegendes Fundament und maßgeblich für die endgültige Assimilation der Zugewanderten, da kostspielige Konflikte und der damit zusammenhängende Druck in der Regel dazu führen, sich langfristig auf eine stabile Beziehung zu konzentrieren und einigen zu wollen. Diese Anpassung bis hin zur finalen Assimilation kann allerdings Unterdrückung und weitere Formen von institutionalisierter Diskriminierung zur Folge haben (Park 1950, 82). Dass Parks (1950) Konzept des RRC ein eindeutiges Ungleichgewicht zu Ungunsten der zugewanderten Gruppe impliziert, zeigt sich nicht nur auf inhaltlicher Ebene, sondern auch in den einzelnen Phasen des RRC, die von Hierarchien, Diskriminierung, ethischer Arbeitsteilung und Segregation geprägt sind. Auch hinter dem mittlerweile völlig obsoleten Begriff der «Rassenbeziehungen» steckt ein System der Unterdrückung und rassistischen Herrschaft. Kann der zeitliche Rahmen, in dem Park das Konzept des RRC entworfen hat, nicht mehr eine Erklärung für das geschilderte damalige Verständnis von ethnischen Aspekten sein, die heute so in keinem gesellschaftlichen Zusammenhang mehr zu finden sein dürfen, so gibt es dennoch Parallelen bezogen auf den Gebrauch des Begriffs der «Akkommodation» und das Ungleichgewicht zweier verschiedener Gruppen zwischen dem soziologischen und dem sprachwissenschaftlichen Kontext. Wie bereits definiert, wird in der Sprachkontaktforschung mit Akkommodation die in Bezug auf dialektale Varietäten sprachliche Anpassung an das Gegenüber bzw. an die GesprächspartnerInnen bezeichnet. Dabei ist das Phänomen der Akkommodation nicht lediglich auf dialektale Varietäten, sondern auch auf weitere sprachliche Ebenen übertragbar (cf. Riehl 2014b, 141ss.). Diese Anpassung ist mit gesellschaftlichen und sozialen Aspekten eng verknüpft und basiert auf Vorstellungen, die Sprechende von ihrem Gegenüber haben. Sprechende versuchen, sich, oft geleitet von Stereotypen und Annahmen über die soziale Herkunft ihres Gegenübers, durch Vermeiden ihrer Sprachmuster an die GesprächspartnerInnen anzupassen (Riehl 2014b, 143). Das wirft jedoch die Frage auf, ob sich hier Muster abbilden, in welche Richtung diese sprachliche Anpassung stattfindet und – vor allem wenn das Phänomen auf weitere sprachliche Ebenen übertragen wird – zum Nachteil welcher Sprache(n) die Akkommodation stattfindet. So verhält es sich z. B. bei autochthonen Sprachminderheiten (z. B. den Basken in Frankreich), hier wechseln die Sprechenden i. d. R. außerhalb ihrer Gruppe in eine andere Sprache und passen sich dementsprechend sprachlich an die Mehrheitsgesellschaft an. Bei allochthonen Sprachminderheiten ist eine sprachliche Anpassung vom Kontakt zur Mehrheitsgesellschaft abhängig.
2.3 Neuere Aspekte mehrsprachiger Praktiken
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In Abhängigkeit von der Mehrheitssprache,12 die in den meisten Bereichen der Gesellschaft dominiert und damit einhergehend häufig ein höheres Prestige genießt, kann die Akkommodation letztlich auch durch den Druck, nämlich einen cultural pressure (dt. «kultureller Druck») bei Sprachminderheiten ausgelöst werden (Thomason/Kaufman 1988, 74).
2.3 Neuere Aspekte mehrsprachiger Praktiken Zeichnen sich viele der beschriebenen Ansätze mehrsprachiger Praktiken durch Sprachkonzepte aus, die Sprachen als starre, voneinander abgrenzbare Einheiten sehen, so sollen im Folgenden demgegenüber aktuellere Ansätze dargestellt werden (cf. Jessner/Allgäuer-Hackl 2019). Ein vermehrt auftretender Begriff im Bereich mehrsprachiger Praktiken ist neben dem metrolingualism mehr noch das translanguaging oder die Translingualität. Im Rahmen des Metrolingualism-Ansatzes werden über Mehrsprachigkeit und Multikulturalismus hinaus, ähnlich wie beim Translanguaging-Ansatz, aktuellere Sprachpraktiken in den Fokus gerückt, die sich mit der Art und Weise, wie Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen durch Sprachen, die aus ebendiesem Interaktionskontext hervorgehen, miteinander in Kontakt treten (Otsuji/Pennycook 2010). Von García und Wei (2014) wurde der Ansatz aufgrund der Fokussierung auf den urbanen und keinen weiteren Kontext kritisiert (García/ Wei 2014, 39). Im Rahmen der von Williams in den 1990er Jahren geprägten und von García und Wei (2014) weitergeführten Translanguaging-Forschung werden sprachliche Praktiken hauptsächlich im Rahmen der Sprachdidaktik, aber auch in anderen Bereichen diskutiert: Translanguaging refers to new language practices that make visible the complexity of language exchanges among people with different histories, and releases histories and understandings that had been buried within fixed language identities constrained by nation-states. (García/Wei 2014, 21)
Dabei setzt sich translanguaging kritisch mit der Darstellung von Mehrsprachigkeit als Sonderfall sowie mit den bisher vernachlässigten soziolinguistischen Hintergründen beim Umgang mehrsprachiger Personen in mehrsprachigen Kontexten auseinander. Der Fokus liegt nicht auf einer starren Abgrenzung von Sprachen und dadurch weniger auf den Modalitäten als vielmehr auf der Kommunikation und
Hier lassen sich terminologisch Parallelen zu Parks RRC, zwischen der «Mehrheitsgesellschaft» und der «Mehrheitssprache», feststellen.
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2 Mehrsprachigkeit
der «sprachlichen Reflexion» (Androutsopoulos 2017, 202). Nicht zuletzt wird dieser Fokus durch den Präfix-Wechsel von «multi» (multilanguaging oder Multilingualismus) zu «trans» (translanguaging oder Translingualität) deutlich. Das Konzept soll einen Zugang zur Analyse sprachreflexiver, mehrsprachiger Praktiken bieten, aus denen sich Theorien der soziolinguistischen Mehrsprachigkeit entwickeln können. In diesem Zusammenhang ist der Begriff «Superdiversität» zu nennen: Superdiversität wird in der Regel als ein interdisziplinäres Konzept verstanden, das ein komplexes Phänomen erfasst, bei dem es auf ein dynamisches Zusammenspiel unterschiedlicher Indikatoren ankommt. (Berg et al. 2013, 12)
Bei der im Rahmen des «Superdiversitätskonzeptes» bezeichneten vielschichtigen Verschiebung in den Gesellschaftsmustern handelt es sich, anders als beim Translanguaging-Ansatz, nicht um ein linguistisches Konzept, sondern um ein sozialwissenschaftliches Konzept (Vertovec 2007, 1025). Das Superdiversitätskonzept findet sich allerdings auch innerhalb der Soziolinguistik wieder. Die durch Globalisierung oder Migration entstehenden, hauptsächlich heterogenen Sprachgemeinschaften, die durch sprachliche Flexibilität gekennzeichnet sind, werden hier den in bisherigen Mehrsprachigkeitsansätzen grundsätzlich homogenen, mit festem Sprachrepertoire gekennzeichneten Sprachgemeinschaften gegenübergestellt (cf. Creese/Blackledge 2010). Im heteroglossen Kontext findet das Konzept des «Sprachrepertoires» (Gumperz 1964, 137), das in den 1990er Jahren von John Joseph Gumperz geprägt wurde, heute noch, vor allem in Bezug auf die Analyse sprachlicher Praktiken, vermehrt Anwendung (Busch 2017, 22). Mit Sprachrepertoire wird das komplette Spektrum aller für Sprechende möglichen sprachlichen Mittel in speziellen Situationskontexten bezeichnet. Dabei umfasst das Sprachrepertoire die die Interaktion beeinflussenden Faktoren wie u. a. Sprachen und Dialekte, Stile oder Sprachmuster (Busch 2017, 21). Das Konzept kann sowohl auf einzelne Individuen als auch eine ganze Sprachgemeinschaft übertragen werden (Pütz 2004, 227). Während die Wahl der sprachlichen Mittel den Sprechenden selbst überlassen ist, hängt die Entscheidung dennoch u. a. auch von sozialen Umständen ab – dies betrifft etwa die Nutzung von Dialekten im familiären und privaten, nicht aber im beruflichen Alltag. Dies bedeutet wiederum, dass die Metapher der Werkzeugkiste, als die das Sprachrepertoire nach Gumperz (1964) ursprünglich beschrieben wurde und an der sich situationsbedingt bedient werden kann, dann zu kurz gedacht ist, da es eben kein starres Bedienen an Werkzeugen ist, wenn in sozialen Kontexten agiert und kommuniziert wird (cf. Busch 2017, 21). Am Beispiel der Stadt London entwickelt Vertovec (2007) im Bereich der soziokulturellen Vielfalt erstmals das Konzept der Superdiversität: Superdiversität entsteht durch die Zuwanderung von Menschen, die sich durch eine unterschiedliche
2.3 Neuere Aspekte mehrsprachiger Praktiken
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Herkunft, eine Verbundenheit auch über Landesgrenzen hinaus und eine sozioökonomische Vielfalt auszeichnen (Vertovec 2007, 1024). Superdiversität bezeichnet also nicht wie der Begriff «Diversität» den Zustand einer vielfältigen Gesellschaft als Resultat klassischer Migrationsströme, die im Rahmen der Globalisierung entstanden sind. Vielmehr bezeichnet Superdiversität hier Veränderungen in den Gesellschaftsschichten, deren Ausgangspunkt zwar Migrationsströme sein können, die sich allerdings darüber hinaus in kleineren Gruppen schließlich so weiterentwickeln, dass sie dadurch noch vielfältiger und absolut heterogen werden (cf. Creese/ Blackledge 2010). Dabei kann es sich z. B. um Zugewanderte durch Arbeitsabkommen, Studierende oder aber auch um Menschen, die wegen ihrer Partnerschaft in ein anderes Land auswandern, handeln. Ob ein diverser oder ein superdiverser Kontext vorliegt, lässt sich nach Vertovec (2007) anhand unterschiedlicher Faktoren, wie etwa der Vielfalt an Herkunftsländern, der gesprochenen Sprachen, der religiösen Vielfalt oder bestimmter Variablen der Bevölkerung eines Staates, bestimmen (Vertovec 2007, 1028–1041). Vertovec (2007) bezeichnet in Anlehnung an u. a. Berkeley et al. (2006) die im Rahmen der Superdiversität diskutierte Art von Zuwanderung als «the new migration» (dt. «die neue Migration») und die Zugewanderten als «the new immigrants» (dt. «die neuen Zugewanderten») (Vertovec 2007, 1028). Hier lässt sich die Verbindung zu den in der Soziolinguistik bezeichneten «new speakers» (dt. «neue Sprechende») herstellen. New speakers bezeichnen Personen, die eine Sprache, bei der es sich nicht um ihre Muttersprache handelt, erwerben, ursprünglich bezogen auf autochthone Minderheitensprachen, wie u. a. etwa Galizisch, Irisch oder Baskisch (Ortega et al. 2015). Darüber hinaus wird new speakers aber auch als Überbegriff für Untersuchungen verwendet, die nicht nur Minderheitensprachen, sondern z. B. auch Mehrsprachigkeit und das Sprechen einer neuen Sprache im Rahmen von Migration oder transnationaler Arbeit betreffen (O’Rourke et al. 2015). Von starren Konzepten einander abgrenzbarer Sprachen (languages), die zählbar sind oder sich kategorisieren lassen, distanziert sich, wie García und Wei (2014), auch Jørgensen (2008) mit seinem Languaging-Konzept. Er definiert sogenannte features, womit Sprachelemente bezeichnet werden, die von Sprechenden benutzt werden. Die synchrone Nutzung mehrerer unterschiedlicher features, hauptsächlich bei jüngeren Menschen einer urbanen Gesellschaft, bezeichnet Jørgensen (2008) als polylingualism, während hingegen García und Wei (2014) als Überbegriff für alle Arten von Mehrsprachigkeit, bei denen Sprachen nicht als voneinander abgrenzbare Systeme definiert werden, den Begriff Heteroglossia (dt. «Heteroglossie») festlegen (García/Wei 2014, 36). Ein weiterer Ansatz, der ebenfalls über die Sprachkontaktforschung hinausgeht und in Anlehnung an das Superdiversitätskonzept auf dem Nebeneinander verschiedener ethischer Gruppen basiert (Androutsopoulos 2003, 12–13), ist das
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language crossing von Rampton (2005). Language crossing bezeichnet den sprachlichen Wechsel von einer Sprache in eine zweite Sprache, die allerdings nicht von den Sprechenden erwartet wird, da sie nicht Teil der mit der Sprache verbundenen ethnischen Gruppe sind (Jessner/Allgäuer-Hackl 2019, 38). Zu solchen Phänomenen kommt es z. B. in Situationen, die aus dem Rahmen sozialer Ordnung fallen oder im Bruch normativer Erwartungen entstehen. Im Unterschied zum Code-Switching, das, von bestimmten Situationen abhängig, aus kommunikativen Zwecken resultiert und dadurch eher zu erwarten ist, handelt es sich beim language crossing nicht um einen konventionellen Wechsel von einer Sprache in eine andere (Androutsopoulos 2003, 10–11). Vielmehr geht es beim language crossing um einen Sprachwechsel in eine für die sprechende Person fremde Sprache, der vordergründig aus spezifischen Absichten der Sprechenden resultiert, wodurch dieses Sprachverhalten Rückschlüsse auf die Absichten und Einstellung der Sprechenden zulässt. Dies führt wiederum zu der Annahme, dass die ursprünglich stabilen Sprachgemeinschaften durch die vielschichtige gesellschaftliche Gestaltung, die bereits im Zusammenhang mit dem Superdiversitätskonzept thematisiert wurde, umgedacht werden müssen und dass der Fokus mehr noch auf «Prozessen der Inklusion und Exklusion» (Busch 2012, 15) sowie der verstärkten Auseinandersetzung mit der Einstellung zu Sprachen liegen muss.
2.4 Spracheinstellungen Im Zentrum des Interesses unterschiedlicher Bereiche, u. a. auch der Soziolinguistik, steht die Spracheinstellungsforschung (cf. Meinefeld 1988; Haddock/Maio 2007; Soukup 2019). Ähnlich wie innerhalb der Soziolinguistik sind, die Spracheinstellungsforschung betreffend, die Grenzen zwischen verschiedenen Forschungszweigen und den dahinterstehenden Forschungsinteressen unspezifisch. Dies mag dadurch begründet sein, dass die Entstehung der Spracheinstellungsforschung etwa auf den gleichen Zeitpunkt wie die Entstehung der sozialpsychologischen Einstellungsforschung zurückgeht (cf. Soukup 2019). Aus der Sozialpsychologie hat die Sprachwissenschaft das Einstellungskonzept übernommen, wobei der Fokus hier auf die Sprache gerichtet ist. Demnach handelt es sich bei der Spracheinstellung um «[…] jene Menge von Einstellungen, deren Einstellungsobjekt Sprache im weitesten Sinne ist» (Ruoss 2019, 36). Im Mittelpunkt des Interessenfelds der Spracheinstellungsforschung steht also die Einstellung von Individuen bzgl. Sprachen, Sprachgebrauch oder Sprechenden. Trotz der die Terminologie, Theorien und Methoden betreffenden Überschneidungen der Spracheinstellungsforschung mit dem soziopsychologischen Einstellungskonzept hat sich die Spracheinstellungsforschung seit Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer eigenständigen Disziplin herausgebildet
2.4 Spracheinstellungen
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(Soukup 2019, 89–91). Stammt zwar ein Großteil der Literatur der Forschungsrichtung aus dem englischsprachigen Raum,13 existierten im deutschsprachigen Raum bereits in den 1970er Jahren erste Studien über Einstellung und Sprache von Gastarbeitern (Bingemer 1970; Schönbach 1970). Darüber hinaus untersucht Spitzmüller (2005) unaufgeforderte, metasprachliche Äußerungen oder fokussiert sich auf Ansätze, die sich auf Sprach(en)politik beziehen – Ansätze, die neue Perspektiven innerhalb der Spracheinstellungsforschung darstellen (Dorostkar 2014, 27s.). Innerhalb der Spracheinstellungsforschung wird ein besonderes Augenmerk auf kontextuelle Faktoren gelegt, i. e. auf den den Einstellungen und Äußerungen des Individuums zugrunde liegenden Kontext (cf. Soukup 2019). Dass ein mehrsprachiger Kontext auch soziale Konsequenzen mit sich bringt, wurde in Kapitel 2.3 dargestellt. Neben der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls durch eine einzige Sprache können durchaus auch Probleme (vor allem auf individueller Ebene) auftreten, die aus dem Aufeinandertreffen Sprechender unterschiedlicher Sprachen und/oder Personen mit mehreren Sprachen resultieren. So sind zwar forcierter Spracherwerb oder Distinktion durch einen unterschiedlichen Sprachgebrauch extreme Beispiele, allerdings können schon weniger außergewöhnliche Situationen, wie etwa ein Umgebungswechsel oder der Schuleintritt, dazu führen, dass sich Sprechende z. B. aufgrund ihres Sprachrepertoires deplatziert, i. e. «out of place» (Busch 2017, 52), fühlen und sich dadurch bestimmten Sprachen gegenüber unterschiedlich positionieren (Busch 2012, 16). Es ist davon auszugehen, dass sich, noch bevor die Konsequenzen der genannten Prozesse im Laufe des Lebens überhaupt Auswirkungen auf den sozialen Kontext zeigen, die Sprechenden (im Folgenden auch als «AkteurInnen»14 benannt) zunächst eine Meinung über die jeweilige(n) Sprache(n), den Sprachgebrauch und andere AkteurInnen bilden. Die daraus resultierende Einstellung zu Sprache(n) wird durch sogenannte «Spracheinstellungsäußerungen» zum Ausdruck gebracht (cf. Soukup 2019). Der Begriff der «Spracheinstellung» innerhalb der Spracheinstellungsforschung ist auf einen wesentlichen Bereich der Sozialpsychologie, die «Einstellung», zurückzuführen (Haddock/Maio 2007, 188ss.) und dient dazu, das menschliche Verhalten sowohl nachvollziehen als auch vorhersehen zu können (Dorostkar 2014, 27). Darüber hinaus stehen allerdings nicht nur die Einstellung und die damit verbundenen Konsequenzen für das Verhalten der
Etwa die Untersuchung von Lambert et al. (1960) zur Spracheinstellung im Rahmen gesellschaftlicher und individueller Mehrsprachigkeit in Kanada (Soukup 2019, 100). Kämper (2019) bezeichnet AkteurInnen als «[…] die an Diskursen einzeln oder kollektiv Beteiligten, die heterogene Teilgemeinschaften mit unterschiedlichen Erfahrungs- und Wahrnehmungshorizonten bilden» (Kämper 2019, 374), demnach sind AkteurInnen nicht nur Sprechende, sondern individuelle, im sozialen Raum agierende Personen.
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2 Mehrsprachigkeit
AkteurInnen im Zentrum, auch soziale Ursachen, die die Einstellung der AkteurInnen bestimmen, sollen nachvollzogen werden (Tophinke/Ziegler 2006, 1s.). Diese sozialen Ursachen zeigen sich an dem Ort, an dem es zum Sprachkontakt kommt: innerhalb der sozialen Gruppe. Gumperz (1964) definiert die soziale Gruppe in einem ersten Ansatz als Sprachgemeinschaft und geht dabei nicht von einer sprachlich definierten Einheit aus, sondern von einer Einheit, die «die Koexistenz mehrerer Varietäten zulässt» (Raith 2004, 150). In einer späteren Definition stellt er zusätzlich die Interaktion dieser Gruppe und den Grad der Differenzierbarkeit der Varietäten in den Fokus und beschreibt eine Sprachgemeinschaft als […] jedes menschliche Aggregat, das durch regelmäßige und häufige Interaktion mit Hilfe eines geteilten Vorrats an sprachlichen Zeichen charakterisiert ist und sich von ähnlichen Aggregaten durch signifikante Unterschiede im Sprachgebrauch abgrenzt. (Gumperz 1972, 114, zit. nach Raith 2004, 151)
Unabhängig von den Unterschieden im Sprachgebrauch ist laut Raith (2004) die Gemeinschaft über eine Reihe sozialer Normen verbunden: «Das Wissen über diesen weiten Bereich sozialer Normen beruht auf der Interaktion mit einer spezifisch konstituierten Gruppe von Leuten an einem spezifischen Ort» (Raith 2004, 153). Um mit diesem Wissen das sprachliche Verhalten innerhalb einer solchen vor allem schnelllebigen urbanen Gemeinschaft zu untersuchen, führt Gumperz (1962) das Konzept des «sozialen Netzwerkes» ein, demzufolge die Gemeinschaft wiederum aus vielen Netzwerken besteht, an denen die Mitglieder der Gemeinschaft beteiligt sind. Dieses Konzept «stellt den Versuch dar, die Variable Mensch als soziales Wesen, das andere beeinflusst und von anderen beeinflusst wird, zu konzeptualisieren» (Raith 2004, 153). An dieser Stelle darf nicht unerwähnt bleiben, dass in der Einstellungsforschung grundsätzlich zwischen der «Einstellung zu einer Sprache und [der] Einstellung zu den Spreche[nden] dieser Sprache» (Casper 2002, 50) unterschieden wird, was jedoch, aus einer soziolinguistischen Perspektive, aufgrund der Abhängigkeit der Einstellung zur Sprache von der Einstellung zu den AkteurInnen zu hinterfragen ist. Wenn zugeschriebene oder reale Eigenschaften einer Gruppe auf die sprachlichen Eigenschaften der Gruppe übertragen werden, kann es dazu führen, dass Stereotypen in Verbindung mit der Sprechweise gesetzt werden: Es handelt sich also nicht lediglich um die Einstellung gegenüber der Sprache, sondern darüber hinaus auch um die Einstellung gegenüber der Sprachgemeinschaft und ihren auch nicht sprachlichen Eigenschaften (Casper 2002, 50).
2.4 Spracheinstellungen
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2.4.1 Sprachbewusstsein und Sprecherperspektive Ist der Mensch als soziales Wesen derart in die Netzwerke der Gemeinschaft eingespannt, dass der daraus resultierende, gegenseitige Einfluss unumstritten ist, wirft das die Frage auf, wie es in diesem Rahmen möglich ist, die Selbstidentifikation der einzelnen Individuen unabhängig von der Gemeinschaft zu deuten. Dabei hängt die individuelle wahrgenommene Realität von Sprachgemeinschaft von der Interpretation des Mitglieds ab, die Zuordnung geschieht hier über die AkteurInnen selbst, nicht über einen außenstehenden Beobachter (Raith 2004, 155). Nach Raith (2004) ordnen sich die AkteurInnen selbst den Sprachgemeinschaften zu, die ihrem eigenen sprachlichen Habitus entsprechen und mit denen sie sich identifizieren können. Weiterhin sei es notwendig, dass die AkteurInnen das Verhalten der Gruppe wahrnehmen, bewerten und daraus resultierend gewillt sind, sich daran anzupassen (Raith 2004, 155). Wenn die AkteurInnen die Wahl haben, sich zwischen den Sprachgemeinschaften zu entscheiden, und in diesem Zusammenhang analysiert werden soll, «[…] inwiefern Sprachgebrauch gesellschaftliche Zustände widerspiegelt» (Behrens 2015, 1), dann spielen zunächst die Analyse des Sprachgebrauchs und das Urteilen über Sprache auf einer Metaebene, das Sprachbewusstsein, eine wichtige Rolle. Mit Sprachbewusstsein15 wird die Einstellung der AkteurInnen zu ihren Sprachen und das Bewusstsein, einer Sprachgemeinschaft zugehörig zu sein, bezeichnet (Gauger 1976, 51). Das Sprachbewusstsein umfasst sowohl direktes als auch indirektes Wissen über Sprache als soziales Phänomen: Neben grammatischen Strukturen und der Sprachverwendung liegt der Fokus hier auf einer symbolischen Funktion von Sprache, i. e. dem Zweck der Verständigung innerhalb einer Sprachgemeinschaft sowie der Bewertung von Sprache (Ruoss 2019, 33). Laut Chichon (2001) umfasst das Sprachbewusstsein die Steuerung des gesamten sprachlichen Handelns anhand von individuellen Erfahrungen. Es ist demnach abhängig von der Lebenswelt der AkteurInnen, in der sie agieren (Cichon 2001, 183). Damit steht beim Sprachbewusstsein nicht ausschließlich die kommunikative Funktion, sondern mindestens genauso die soziale Funktion im Fokus, indem sich AkteurInnen hier einer Sprachgemeinschaft zuordnen und sich als Mitglied ebendieser sehen. Darüber hinaus handelt es sich beim Sprachbewusst-
Der Begriff bezieht sich hier auf das «externe» Sprachbewusstsein. Gauger (1975) unterscheidet das externe und das interne Sprachbewusstsein, Letzteres bezeichnet das Sprachvermögen eines Individuums hinsichtlich eines eher unbewussten Wissens über übliche sprachliche Erscheinungen (Gauger 1975, 51).
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2 Mehrsprachigkeit
sein einer dominierten Sprachgemeinschaft um einen entscheidenden gruppeninternen Einflussfaktor.16 Zentraler gruppeninterner Einflußfaktor auf gelingende oder scheiternde Sprachenpolitik ist das Sprach- (oder Kultur)bewußtsein. Als intelligible Größe unmittelbarer empirischer Anschauung entzogen, manifestiert es sich zum einem [sic!] in sprachbezogenen Urteilen, zum anderen in konkreten sprachlichen Handlungen […] Manifestationen des Sprachbewußtseins sind die sprachlich-kulturelle Identität, die eine Sprachgemeinschaft sich selbst zuweist, das der eigenen Sprache zuerkannte Sprachprestige, die Ausbildung und Weitergabe von Sprachkompetenz […] sowie der Grad ihrer Umsetzung in konkrete Sprechpraxis. (Cichon 2001, 181)
Wie bereits erwähnt, ist die Zuordnung «von außen», i. e. durch Beobachtende, nicht möglich (cf. Raith 2004). Dieser Zuordnung, die durch die AkteurInnen selbst geschieht, dem subjektiven Erleben und Bewusstsein von Sprache sowie der Sprecherperspektive soll sich durch Sprachbiografien17 angenähert werden (Busch 2017, 17). Im Rahmen von Sprachbiografien werden dementsprechend keine Tatsachen und Fakten, sondern die sozialen Rahmenbedingungen und Gegebenheiten dargestellt, in denen sich das Individuum bzw. die erzählende Person eingebunden sieht (Busch 2010, 58). Tophinke (2002) unterscheidet bzgl. der Sprachbiografie drei Konzepte, innerhalb derer versucht wird, Entwicklungsprozesse von Menschen zu ihren Sprachen zu erläutern. Diese Prozesshaftigkeit ist durch dauerhafte Einwirkungen von sprachrelevanten Ereignissen gekennzeichnet (Tophinke 2002, 1). Die Sprachbiografie als gelebte, individuelle Geschichte, z. B. des Spracherwerbs oder der Spracheinstellung, ist nach Tophinke (2002) nicht beobachtbar, sondern äußert sich in der Veränderung eines Individuums, etwa bzgl. der Sprachkompetenz oder Spracheinstellung. Erst in der sprachlichen Rekonstruktion scheint sie, bestimmt durch den gegenwärtigen Zeitpunkt, konkret zu werden. Auch die sozialen Aspekte spielen bei der gelebten Geschichte eine wichtige Rolle, da sowohl Biografie allgemein als auch die Sprachbiografie im Speziellen durch das Gegenüber gedeutet und bewertet werden können. Die Art des Verhaltens der AkteurInnen untereinander und besonders die Art und Weise, wie die (Sprach-)Biografien rekonstruiert werden, können große Auswirkungen auf die Wahrnehmung und die Interpretation der Zuhörenden haben (Tophinke 2002, 4). Das zweite Konzept, die Sprachbiografie als rekonstruktive Erinnerung, bezeichnet die Erinnerung an sprachbiografisch relevante Ereignisse in der eigenen Lebensgeschichte innerhalb einer bestimmten Situation im Laufe des Lebens (Top-
Cf. Kap. 2.1. Cf. Kap. 6.4.1.2.
2.4 Spracheinstellungen
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hinke 2002, 6). Diese Erinnerung ist ausschließlich für die sich erinnernden Personen nachvollziehbar. Zwar ist dieses Konzept der Sprachbiografie laut Tophinke (2002) Voraussetzung für eine sprachbiografische Darstellung, allerdings mit dem Unterschied, dass die Erinnerung eine «[…] rein kognitive [Aktivität ist], die als solche für das sprachlich-soziale Geschehen folgenlos bleibt» (Tophinke 2002, 7). Die Sprachbiografie als sprachliche Rekonstruktion, die sowohl schriftlich als auch mündlich erfolgt und damit aufgrund der Realisierung durch linguistische Mittel im engen Zusammenhang mit Sprache steht, rückt die Sprache als Gegenstand in den Fokus und ist darüber hinaus funktional «[…] in einen sprachlichkommunikativen Kontext» eingebunden (Tophinke 2002, 7). Eingebettet in diese sprachlich-kommunikative Situation können die sprachbiografischen Schilderungen eine sozial-kommunikative, aber auch eine psychosoziale Funktion erfüllen. Durch das sprachbiografische Erzählen kann eine soziale Situation geschaffen werden, in der eine Zuweisung von sozialen Rollen erfolgt und die darüber hinaus im Rahmen der sozial-kommunikativen Funktion bestätigt und bearbeitet werden kann (Tophinke 2002, 9). Schröder (2019) unterscheidet in ihrer Untersuchung zu Sprachbiografien und Spracheinstellung des Niederdeutschen zwischen Narrationen «im weiteren Sinne» und Narrationen «im engeren Sinne» (Schröder 2019, 105).18 Der alltägliche Sprachgebrauch, z. B. Erzählen oder Beschreiben, gehört zur Narration im weiteren Sinne. Die Narration im engeren Sinne bezieht sich im Gegensatz dazu auf besondere sprachliche Strukturen, die sich zudem auch inhaltlich vom alltäglichen Sprachgebrauch abgrenzen. Dabei geht es laut Schröder (2019) beim Erzählen darum, das Erzählte sowohl den Erzählenden als auch den Zuhörenden zugänglich zu machen. Daraus ergibt sich die Folgerung, dass im Rahmen einer Untersuchung der Narration innere Merkmale sowie eine Interaktion der GesprächspartnerInnen zu beleuchten sind (Schröder 2019, 105). Wie Abb. 1 zeigt, bildet der Gesprächskontext den Rahmen der gesamten Interaktion der GesprächspartnerInnen und wirkt somit auf alle Inhalte und Aussagen. Die Einstellung zu Sprache, Ort und Gruppe sowie die (Sprach-)Biografie, als sprachliche Rekonstruktion der Geschichte, sind als einzelne zu analysierende Bereiche zu betrachten, die nicht lediglich Inhalte wiedergeben, sondern sich darüber hinaus auch auf die Narration auswirken. Die Darstellung der Einstellungen zu Sprache, Ort und Gruppe sowie die der (Sprach- )Biografie sind dabei eng mit der Positionierung der Individuen verknüpft. Auf die Positionierung der Individuen wird im Folgenden genauer eingegangen.
Auf die Narration im «engeren Sinne» wird, u. a. die Identität betreffend, im Rahmen der «Narrativen Identität» genauer eingegangen (cf. Kap. 3.2.3).
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2 Mehrsprachigkeit
Abb. 1: Einstellung und Biografie in Anlehnung an Schröder (2019).
2.4.2 Selbstpositionierung durch Sprachwahl In ihrer Untersuchung zu Spracheinstellungen und Identitätskonstruktionen bezieht sich König (2014) auf Bambergs (1997) Positionierungskonzept, das hauptsächlich bei Untersuchungen von Narrationen eingesetzt wird und bei dem […] der Gedanke, dass Positionierungen nicht nur auf Ebene der Erzählung betrachtet werden dürfen (wie die Figuren oder Charaktere in der erzählten Welt zueinander in Beziehung gesetzt werden), sondern dass mit einer Erzählung immer auch eine Positionierung in Bezug auf die jeweiligen aktuellen GesprächspartnerInnen vollzogen wird, [zentral ist]. (König 2014, 54)
Im Rahmen dieses Positionierungskonzeptes werden drei analytische Ebenen unterschieden: Die erste Ebene bildet das erzählte Ich, als AkteurIn in der Erzählung, die zweite Ebene das erzählende Ich, als erzählende Person und InteraktionspartnerIn, und die dritte Ebene, die sich anschließend aus der ersten und zweiten Ebene ergibt, folglich das Selbstkonzept der erzählenden Person (König 2014, 55). Das sich ergebende Selbstkonzept der erzählenden Person ist demnach eine Schlussfolgerung aus zwei zu unterscheidenden Elementen: dem Selbst als Teil der Geschichte und dem Selbst als erzählende Person, die mit der zuhörenden Person interagiert.
2.4 Spracheinstellungen
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Weiter rückt König neben der Selbstpositionierung, in Anlehnung an LuciusHoene und Deppermann (2002), die «Fremdpositionierung» (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 25) in den Fokus. Die Interaktion führt laut König (2014) zu einer Positionierung der erzählenden Person, zum einen zu einer Selbstpositionierung der erzählenden Person, zum anderen zu einer Positionierung der erzählenden Person durch das Gegenüber (König 2014, 55). Dieser Ansatz des Positionierungskonzeptes dient laut König (2014) ebenso zur Untersuchung der narrativen Identität.19 Positionierungen können also sowohl durch den reinen Inhalt der Geschichte als auch durch persönliche Erfahrungen und individuelle Eigenschaften sowie durch soziale Identitäten und damit verbundene Motive zustande kommen (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 34). Abgesehen von der engen Verknüpfung zwischen Darstellung bzw. Positionierung der Individuen und der sprachbiografischen Rekonstruktion im jeweiligen Kontext erfolgt die Selbstpositionierung durch die Sprachwahl (primär) innerhalb der bereits geschilderten Sprachkontaktsituationen. An dieser Stelle wird komplementierend zu der dargestellten metanarrativen Ebene ebenso auf die Verbindung zwischen Metasprache und Sprachgebrauch eingegangen. Durch die Positionierung der AkteurInnen wird die Kommunikation im heteroglossen Kontext durch den Gebrauch gemeinsamer Sprachen charakterisiert (Androutsopoulos 2006, 175). Dabei kann es, neben der Sprachwahl, zu Phänomenen wie dem Sprachwechsel oder der Sprachmischung kommen (cf. Kittel et al. 2018). Die Sprachwahl entspricht dem funktionalen Code-Switching.20 Die AkteurInnen treffen hier durch soziale Aspekte, wie z. B. die Gesprächsbeteiligten oder das Gesprächsthema, bewusst eine Entscheidung bzgl. der Sprache(n). Dies dient dazu, angemessen auf die soziale Situation zu reagieren, z. B. das Gegenüber zu beeindrucken oder sich dem Gegenüber sprachlich anzupassen. Der Sprachwechsel oder die Sprachmischung (nicht funktionales Code-Switching) finden hingegen statt, ohne dass auf metasprachlicher Ebene ein Ziel verfolgt wird (Pütz 2004, 229s.). Die Sprachwahl aufgrund sozialer Aspekte unterliegt zwei Kriterien, nämlich der Präferenz und der Beschränkung: So ist es möglich, dass multilinguale AkteurInnen z. B. nicht die dominante Sprache zum Ausdruck von Emotionen präferieren, da die jeweiligen Emotionen durch eine andere Sprache besser zum Ausdruck gebracht werden können (Buda 1991). Andererseits ist es sogar möglich, dass mehrsprachige Personen sich in einem bestimmten Umfeld beim Sprechen ihrer Erstsprache unwohl fühlen und aus diesem Grund lieber auf ihre Zweit- oder Drittsprache zurück Cf. Kap. 3.2.3. Gleiches gilt auch für das Code-Mixing. Die Begriffsdifferenzierung ist an dieser Stelle nebensächlich, da hier der Fokus auf dem Sprachwahlbewusstsein, nicht aber auf dem Sprachwechsel und den damit verbundenen Phänomenen an sich liegt (cf. hierzu Kap. 2.2).
34
2 Mehrsprachigkeit
greifen, denn nicht immer ist das Modell der Sprachwahl so simpel, dass durch sprachliche Kongruenz die Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Sprache sofort klar ist (cf. Buda 1991). Wenn auch im Kindesalter abgelehnt, so kann allerdings im späteren Erwachsenenalter ein Bewusstsein für die eigene kulturelle und ethnische Identität entstehen, durch das die Erstsprache für die AkteurInnen erheblich an Bedeutung gewinnen kann (cf. Buda 1991). Dieses Bewusstsein kommt auch im Rahmen des funktionalen Code-Switching zum Ausdruck. Hier wird der Sprachwechsel in we-code und they-code unterteilt. Jede Sprache kann dadurch eine bestimmte Funktion haben und mit jeder Sprache kann ein anderes soziales Ichbewusstsein der AkteurInnen entstehen: Der we-code drückt eher eine persönliche Aufforderung, Involviertheit oder persönliche Meinung aus, der they-code bringt demgegenüber sachorientierte Warnung, Distanz zum Geschehen oder allgemeine Fakten zum Ausdruck. (Riehl 2014b, 28)
Der Sprachwechsel kann in einigen Situationen kommunikative Gründe haben und ist kontextabhängig. So drückt der we-code Nähe und persönliche Involviertheit aus, während der they-code Objektivität und Distanz ausdrückt. Um die Einstellung der AkteurInnen zu Sprache(n) bzw. die daraus resultierende Entwicklung sprachlicher Identitäten im Zusammenhang mit dem Mehrsprachengebrauch nachzuvollziehen, wird nachstehend genauer auf die bereits beschriebenen metasprachlichen Äußerungen im Rahmen der Spracheinstellungsäußerungen eingegangen.
2.4.3 Spracheinstellungsäußerungen Nach Tophinke und Ziegler (2006) ist die Untersuchung von Spracheinstellungen entsprechend den dargestellten, gesellschaftlichen Verflechtungen auf einen Perspektivwechsel auf «[…] soziokulturelle[], situative[] und interaktionale[] Kontextbedingungen von Spracheinstellungsäußerungen» (Tophinke/Ziegler 2006, 1) ausgerichtet. Tophinke und Ziegler (2006) nehmen die Notwendigkeit wahr, gesellschaftliche Strukturen und Situationen als Teil der Spracheinstellungen zu betrachten. Spracheinstellungen sind als Strukturen zu begreifen, die AkteurInnen befähigen, Kommunikationssituationen zu interpretieren und vorhersehbar zu machen. So kann sich durch Spracheinstellungen selbst- und fremdpositioniert werden und Gruppen können konstruiert werden (Tophinke/Ziegler 2006, 2). Das Modell der Spracheinstellung nach Tophinke und Ziegler (2006) wird auf der Grundlage dreier Ansätze entworfen: des Ansatzes der Sozialpsychologie, der
2.4 Spracheinstellungen
35
diskursiven Psychologie und der Gesprächs- und Konversationsanalyse (Tophinke/Ziegler 2006, 3–5). Im Rahmen des sozialpsychologischen Ansatzes wird die Selbstkonzeptforschung zu einem zentralen Punkt; Individuen entwickeln Selbstkonzepte, die wiederum aus sogenannten Teilselbstkonzepten zusammengesetzt sind, auf deren Grundlage sie in ihrer Umgebung entsprechend handeln. Diese Teilkonzepte werden durch Eigenschaften im Rahmen sozialer Situationen, etwa im privaten oder öffentlichen Alltag eines Individuums (familiär oder beruflich), bestimmt (Tophinke/ Ziegler 2006, 3). Um in den genannten sozialen Kontexten eine bestimmte Stellung einzunehmen und ein damit verbundenes Image von sich selbst zu erzeugen, nutzen Menschen Verhaltensstrategien aus ihrem Repertoire. Im Rahmen des zweiten Ansatzes, innerhalb der diskursiven Psychologie, wird von Folgendem ausgegangen: Während über etwas gesprochen wird, wird über den Gesprächsgegenstand ein gewisses Bild konstruiert, i. e., dass im Rahmen der Unterhaltung durch Bezug zu «[…] soziale[n] Kategorien und soziale[n] Sinnstrukturen» (Tophinke/Ziegler 2006, 4) ein Bild entsteht. Dies betrifft ebenso Spracheinstellungsäußerungen, bei denen sich in Bezug auf Sprachen oder aber auch AkteurInnen auf soziale Kategorien bezogen werden kann, indem wie im Beispiel von Tophinke und Ziegler (2006) eine Sprache z. B. in Bezug auf die «ästhetische Kategorie» als «schön» beschrieben wird und damit ein gewisses Bild dieser Sprache entworfen wird: Diese Beschreibungen und Bewertungen sind nach Ansicht der diskursiven Psychologie nicht Selbstzweck, sondern haben im jeweiligen Gesprächskontext eine bestimmte Handlungsqualität, einen sozialen bzw. praktischen Sinn. (Tophinke/Ziegler 2006, 4)
Die Beschreibungen sollen dem Entwurf eines Selbstbildes dienen, durch das ein Individuum sich als eine Person mit bestimmten Eigenschaften darstellt. Dabei erfolgt die Darstellung so, dass sie in der Regel von außen als positiv wahrgenommen wird und dadurch Bestätigung findet. Dies unterstreicht die Annahme, dass der soziale Kontext immer relevant ist und das eigene Selbstbild auf diesen abgestimmt oder angepasst ist. So kann eine Korrektur von festgelegten Spracheinstellungen stattfinden. Dies ist immer abhängig von der sozialen Situation und der daraus resultierenden Interaktion (Tophinke/Ziegler 2006, 5). Positive Resonanz ist dabei maßgeblich bei der Veränderung und Entwicklung der bisher etablierten Spracheinstellungen, die sich in der «[…] Interaktion bewähren, […] sich durch[setzen] und […] zum Bestandteil des sozialen Wissens [werden]» (Tophinke/Ziegler 2006, 5). Der dritte Ansatz, die Gesprächs- und Konversationsanalyse, geht ähnlich wie im zweiten Ansatz auch von der Konversationssituation als Grundlage, der sozialen Situation sowie den daraus resultierenden Erwartungen aus, indem das Ge-
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2 Mehrsprachigkeit
spräch und die Teilnehmenden im sozialen Raum im Vordergrund stehen. Es wird relevant, welche Herangehensweise die Spracheinstellungsäußerungen begleitet und an welchen Stellen sie warum auftreten, um die Dynamik des Gesprächs in Bezug auf Spracheinstellungsäußerungen zu analysieren (Tophinke/ Ziegler 2006, 5). Innerhalb des kontextsensitiven Modells der Spracheinstellung von Tophinke und Ziegler (2006) werden die drei beschriebenen Ansätze zur Herausarbeitung von Einstellungsäußerungen in drei unterschiedlichen Kontexten des sozialen Geschehens vereint. Das kontextsensitive Modell ist in drei Kontexte gegliedert: den Makro-, Meso- und Mikrokontext. Der Makrokontext, als erster Kontext des Modells, umfasst den soziokulturellen Gesamtzusammenhang, der durch «allgemeine Sinn- und Ordnungsstrukturen» (Tophinke/Ziegler 2006, 6) bestimmt ist. Darunter sind, ähnlich wie innerhalb sozialer Kategorisierungen und Werte, soziale Rollenmuster zu verstehen. Durch sie werden die Wirklichkeitsdeutung sowie Interpretation des eigenen und fremden Handelns eines Individuums bestimmt. Ebenso ergeben sich aus diesen Sinn- und Ordnungsstrukturen «[…] Erwartungen an die Wirklichkeitsdeutung und -erfahrung der Kommunikationspartner» (Tophinke/Ziegler 2006, 6). Der Mesokontext, als zweiter dynamischer Kontext, wird durch «[d]ie konkrete soziale Situation, die durch kontextualisierende Aktivitäten hergestellt […] und […] als Interpretationsrahmen für die sprachlichen Äußerungen fungiert» (Tophinke/Ziegler 2006, 6), gebildet. Hier werden die verschiedenen Situationsmodelle durch u. a. Rollenmuster, Nähe und Distanz oder Spontanität und Reflektiertheit bestimmt. Diese Situationsmodelle können für die AkteurInnen bei der Stabilisierung ihrer Identität hilfreich sein und dabei, sich hinsichtlich der anderen AkteurInnen auf Gemeinsamkeiten, z. B. kulturelle oder regionale Gemeinsamkeiten, zu versichern (Tophinke/Ziegler 2006, 6). Sie dienen jedoch nicht nur der Wahrnehmung von Gemeinsamkeiten, sondern auch der Abgrenzung zu anderen AkteurInnen (Tophinke/Ziegler 2006, 6). Der Mikrokontext, als dritter Kontext des Modells zur Spracheinstellung, wird durch das Interaktionsgeschehen der miteinander Sprechenden im zeitlichen Geschehen gebildet. Dabei umfasst der Mikrokontext die Äußerungsebene, in der Einstellungsäußerungen nicht als isoliert zu betrachten sind, sondern durch den Interaktionskontext bestimmt werden. Darüber hinaus bestimmt die Einstellungsäußerung den weiteren Verlauf des Interaktionsgeschehens im Rahmen dieses Interaktionskontextes (Tophinke/Ziegler 2006, 7). Wie Abb. 2 zeigt, entstehen Einstellungsäußerungen laut Tophinke und Ziegler (2006) durch ein dynamisches Zusammenspiel im Rahmen einer sprachlichen Interaktion. Dabei stehen bei der Entstehung von Einstellungsäußerungen sowohl die soziale Situation, die im jeweiligen Kontext entsteht, als auch die Normerwar-
2.5 Zwischenfazit
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tungen der miteinander Sprechenden und ein daraus entstehender Einfluss auf das Selbstbild im Vordergrund (Tophinke/Ziegler 2006, 7).
Makrokontext: Kultur Mesokontext: Soziale Situation Mikrokontext: Interaktion Selbstkonzept
Evaluierung
Einstellungsäußerung
Normerwartung
Alltagswissen Intention
Abb. 2: Kontextsensitives Modell der Spracheinstellung nach Tophinke und Ziegler (2006, 8).
2.5 Zwischenfazit In diesem Kapitel wurden zu Beginn verschiedene Formen von Mehrsprachigkeit sowie die Mehrsprachigkeit betreffende, grundlegende Begriffe dargestellt. Es verdeutlichte darüber hinaus die unterschiedlichen Aspekte von Mehrsprachigkeit und dass Mehrsprachigkeit immer unter dem Einfluss mehrerer unterschiedlicher Faktoren steht und es sich dabei um einen dynamischen Prozess handelt. Diese Dynamik geht nicht nur aus dem disziplinübergreifenden Zusammenspiel der unterschiedlichen Richtungen innerhalb der «neueren» sprachwissenschaftlichen bzw. soziolinguistischen Ansätze hervor. Ebenso wird die die Sprache betreffende Dynamik auch dadurch deutlich, dass die in diesem Kapitel geschilderten «neueren» Aspekte der Mehrsprachigkeit bereits in der Vergangenheit diskutiert wurden. Durch Globalisierung sowie Migration und die daraus resultierenden Verschiebungen in gesellschaftlichen Mustern hat sich allerdings ein neues Verständnis von Sprachen und demzufolge auch von Mehrsprachigkeit ergeben.
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2 Mehrsprachigkeit
Sprachliche Ressourcen werden auf eine andere Art und Weise mobilisiert und starre Sprachgrenzen fallen weg. Besonders die durch Dynamik geprägte Superdiversität als Ausgangspunkt umfasst in neuen Ansätzen alte Konzepte; so ist z. B. das Auftreten von Mustern allochthoner Minderheitengruppen und die damit verbundene Drei-Generationen-Regel auch in ursprünglich weniger diversen Ländern keine Seltenheit mehr. Weiter wird das Konzept der Akkommodation, das in diesem Kapitel im soziologischen und schließlich im linguistischen Kontext dargestellt wurde, für die vorliegende Untersuchung als eine Art Hybridform – und im Rahmen des linguistischen Kontextes vor allem über dialektale Varietäten hinaus – interessant. Aus den in diesem Kapitel dargestellten Punkten lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die Grenzen zwischen individueller und gesellschaftlicher Mehrsprachigkeit verschwimmen. Sowohl die individuelle als auch die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit basieren auf einer gemeinsamen Säule: den soziokulturellen Faktoren, die den jeweiligen, individuellen Kontext in hohem Maße prägen. Um den soziokulturellen Faktoren im Folgenden ausreichend Rechnung zu tragen, sollen die in den vorangegangenen Kapiteln dargestellten Modelle von Tophinke und Ziegler (2006) sowie Schröder (2019) miteinander verbunden werden: Die Zusammenführung beider Modelle ist aus dem Grund sinnvoll, da die Gesprächs- und allgemeine Kontextbestimmung auf verschiedenen Ebenen den gesamten Gesprächskontext der im Rahmen der vorliegenden Untersuchung geführten Interviews und die damit verbundenen Selbstkonzepte der erzählenden Personen beeinflussen. Das kontextsensitive Modell findet, anders als ursprünglich von Tophinke und Ziegler (2006) beschrieben, nicht nur bezogen auf die Einstellungsäußerungen per se Anwendung. Durch seinen «konstruktivistisch-interaktionistisch[en]» (Tophinke/Ziegler 2006, 8) Charakter bildet es einen stabilen Rahmen für die aus den Selbstkonzepten resultierenden Identitätsbildungen. Durch die in diesem Kapitel beschriebene dritte Ebene des Positionierungskonzeptes, das Entwerfen eines Selbstkonzeptes der erzählenden Person, wurde gezeigt, wie eng Identität und Sprache miteinander verknüpft sein können und dass der identitätsstiftende Aspekt von Sprache im mehrsprachigen Kontext – sowohl gesellschaftlich als auch individuell – eine wichtige Rolle einnehmen kann. Dies wird im nachfolgenden Kapitel erläutert.
Abb. 3.1: Zusammenführung kontextsensitives Modell, Einstellung und Biografie (eigene Darstellung).
2.5 Zwischenfazit
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3 Identität Vor allem in einem Umfeld, das durch Diversität, Wandel und Umbrüche geprägt ist, dienen Identitätskonzepte dazu, auf eine gewisse Weise «Ordnung und Beständigkeit zu schaffen» (Lüdi 2003, 42). Wenngleich die Identitätstheorie u. a. bereits auf René Descartes sowie dessen Erkenntnistheorie zurückgeht (cf. Kemmerling 2019) und der Begriff «Identität» unterdessen in unterschiedlichen Kontexten Gebrauch findet, so weist der Versuch einer klaren, allgemeingültigen Definition doch Grenzen auf. Dies liegt zweifellos nicht nur an dem Begriff «Identität» selbst, der frühestens im 18. Jahrhundert als Entlehnung des spätlateinischen Begriffs identitās (dt. «Wesenseinheit») in deutschen Wörterbüchern vorzufinden war (cf. DWDS – Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache 2021), sondern auch daran, dass der Begriff je nach Disziplin differenziert betrachtet und in unterschiedlichen Zusammenhängen auch bedeutungsmäßig verschiedenartig gebraucht wird (cf. Nicke 2018). Einflussreiche Erkenntnisse zur Identitätsbildung eines Individuums entstanden im Rahmen der Lehre über die Identität des Menschen des Psychoanalytikers Erik H. Erikson (1957) auf Grundlage der Psychoanalyse Sigmund Freuds (cf. Freud 2000). Innerhalb seines achtstufigen Modells zur psychosozialen Identitätsentwicklung beschreibt Erikson, dass die Entstehung der Identität eines Menschen grundsätzlich durch [...] eines der drei «Netzwerke», die ein Mensch zum Leben benötigt, [gebildet wird]: ein physiologisches Netzwerk der körperlichen Organe, ein soziales Netzwerk, in das er eingebunden ist, und sein persönliches seelisches Netzwerk, das seine Mitte bildet und im Speziellen auch die Aufgabe hat, die Verbindungen zu den anderen Netzwerken herzustellen und aufrechtzuerhalten. (Bohley 2016, 44)
Jede Stufe des Modells, von der ersten Stufe (dem Neugeborenenalter) bis zur achten Stufe (dem Erwachsenenalter), ist laut Erikson (1957) durch eine Identitätskrise gekennzeichnet, die der Mensch bewältigen muss. Dabei ist die Krise hier nicht im eigentlichen Sinne zu verstehen, sondern eher als Herausforderung, «[m]an kann auch sagen, Identitätskrisen seien eine natürliche Folge des sich erweiternden Handlungshorizonts des wachsenden und reifer werdenden menschlichen Organismus» (Bohley 2016, 48) und bestimmter Anforderungen, die sich aus dem Eingebundensein in ein soziales Netzwerk ergeben. Mit Fokus auf dem von Erikson erwähnten sozialen Netzwerk sowie einem gesellschaftlichen Rahmen ist das Ziel dieses Kapitels, den Begriff der Identität in den für die vorliegende Untersuchung relevanten Bedeutungszusammenhängen zunächst zu definieren. Anschließend werden die dargestellten Ansätze auf den soziolinguistischen Kontext übertragen und diskutiert. Das Darstellen unterschiedlicher Ansätze und Identitätskonzepte innerhalb verschiedener Disziplinen https://doi.org/10.1515/9783111117379-003
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3 Identität
durch einzelne Epochen hindurch ist für die vorliegende Untersuchung nicht relevant und würde ohnehin über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Im folgenden Kapitel wird der Begriff «Identität» hauptsächlich auf Grundlage der Persönlichkeitsforschung des Psychiaters Levita (1971) und der psychologischen und soziologischen Forschungen von Frey und Haußer (1987) dargestellt.
3.1 Zum Identitätsbegriff Dass das Gefühl für die eigene Person und die damit verbundene Konstruierbarkeit der eigenen Identität, vor allem in einem gesellschaftlich und kulturell eher heterogenen Umfeld, immer mehr an Bedeutung gewinnen, vermuten Frey und Haußer (1987), die in diesem Zusammenhang Bell (1979) zitieren: Auf die klassische Frage nach der Identität: «Wer bist du?» hätte der Mensch früher geantwortet: «Ich bin der Sohn meines Vaters [oder die Tochter meiner Mutter]». Heute erklärt er: «Ich bin ich, ich verdanke alles mir selbst und schaffe mich durch eigene Wahl und Tat». Dieser Identitätswandel ist das Kennzeichen unserer Modernität. (Bell 1979, 114, zit. nach Frey/Haußer 1987, 11)
Durch den Wandel der Zeit sowie den Wandel der Gesellschaft kommt es laut Frey und Haußer (1987) zu einem damit verbundenen Identitätswandel. Die Art und Weise, wie und durch welche Eigenschaften sich eine Person selbst beschreibt, kann umfassend sein. Dies passiert z. B. im Alltag im Rahmen eines Kennenlernens und/oder durch das Nennen bestimmter Eigenschaften, wie z. B. Alter, Familienstand oder Hobbys. Zwar können diese Eigenschaften eindeutige Auskunft über eine Person geben, die dadurch ihre Identität skizziert, und dienen u. a. auch als Instrument der Identitätsfeststellung sowie der sozialen Systematisierung, doch sind sie lediglich ein kleiner Ausschnitt und werden im Rahmen des selbstreflexiven Prozesses eines Individuums in der Regel nicht willkürlich gewählt. Zum Verständnis der Komplexität und Vielschichtigkeit, aus der dieser Identitätsausschnitt hervorgeht, können sogenannte Definitionsräume, innerhalb derer sich Identität empirisch erschließen und analysieren lässt, bestimmt werden (Frey/Haußer 1987, 14). Diese Räume ergeben sich aus den genannten Merkmalen und der damit zusammenhängenden Merkmalfülle, die wiederum mit anderen Begriffsräumen in Interaktion stehen und aus denen schließlich eine konkrete Bedeutung gewonnen werden kann. Auch wenn beliebig viele Definitionsräume existieren, handelt es sich in der Regel jedoch häufig um die gleichen Definitionsräume, die zur Beschreibung der persönlichen Identität verwendet werden und die in Verbindung mit relevanten Handlungsfeldern sowie den Fähigkeiten und Qualifikationen der sich selbst beschreibenden Personen stehen (Frey/Haußer 1987, 14s.).
3.1 Zum Identitätsbegriff
43
In der Sozialpsychologie wird auch der Begriff der Identitätsfaktoren benutzt (z. B. Körper, Name oder Lebensgeschichte), die sich ähnlich wie die von Frey und Haußer beschriebenen Definitionsräume kennzeichnen: «Alles, was eine Person ist, besitzt oder woran sie teil hat [sic], kann ein Identitätsfaktor werden» (Levita 1971, 211). Identitätsfaktoren sind demnach individuell unterschiedlich und mannigfaltig. In den Sozialwissenschaften unterscheiden Frey und Haußer (1987) drei Aspekte, in denen der Identitätsbegriff gebraucht wird: Der erste Aspekt beschreibt die soziale, öffentliche und situierte Identität, die in Form von bestimmten Eigenschaften, im Rahmen eines sozialen Systems, einem einzelnen Individuum zugeschrieben wird. Es handelt sich hierbei also um einen Zuschreibungsprozess «von außen» (Frey und Haußer 1987, 3s.). Der zweite Aspekt bezieht sich nicht wie im ersten Fall auf die Merkmalzuschreibung einzelner Individuen, sondern auf mehrere Personen, die als Gruppe oder Einheit in einem sozialen System fungieren bzw. als solche beschrieben werden. Dabei ordnet sich eine Person dieser Gruppe selbst oder sie ordnet andere Personen einer bestimmten Gruppe zu. Frey und Haußer (1987) vergleichen diese zweite Bedeutung des Identitätsbegriffes mit der in der Literatur oft genannten ethnischen, kulturellen oder auch nationalen Identität.1 In diesem Kontext wird Identität synonym für Auto- oder Heterostereotypen gebraucht, bei denen es sich um einen Zuschreibungsprozess «von außen» handelt. Das Individuum ist dabei zwar Teil dieser zugeordneten Gruppe, die Gruppe selbst ist allerdings nicht identisch mit dem Individuum und umgekehrt. In einem dritten Zusammenhang, der personalen, individuellen oder subjektiven Identität, wird «Identität» zur Bezeichnung eines selbstreflexiven Prozesses2 eines Individuums benutzt. Auch wenn diese drei genannten Aspekte der Identität voneinander abgegrenzt werden können, haben sie doch alle mindestens eine Gemeinsamkeit: Um von Identität sprechen zu können, muss eine gewisse (zeitliche) Stabilität vorhanden sein, was wiederum nicht bedeutet, dass sich die Identität innerhalb eines Lebens nicht ändern oder durch Erfahrungen in der Lebensgeschichte nicht wachsen kann (Frey/Haußer 1987, 10). Levita (1971) nennt im sozialpsychologischen Kontext diesbezüglich identitätsbildende Kräfte. Damit gemeint sind – ähnlich wie bei den von Erikson (1957) beschriebenen Identitätskrisen – Prozesse, wie z. B. eine Trennung im Laufe eines Lebens, durch die schließlich die Identität gebildet wird (Levita 1971, 226–230).
Cf. hierzu auch Kap. 3.2.1. Dieser selbstreflexive Prozess wird im weiteren Verlauf der Arbeit als «personale» Identität bezeichnet.
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3 Identität
3.1.1 Personale Identitätsbildung Levita (1971) unterscheidet drei Grundformen innerhalb der Identitätspathologie:3 die zugeschriebene, die erworbene und die übernommene Identität. Die im Rahmen der Identitätsbildung zugeschriebene Identität wird von Levita (1971) als nicht beeinflussbar angenommen, was bedeutet, dass es sich hierbei um Faktoren, wie z. B. Geschlecht oder Nationalität, handelt, auf die eine Person – zumindest zunächst und meist auch im späteren Verlauf ihres Lebens – keinen Einfluss (mehr) hat (Levita 1971, 213–234). Die erworbene Identität geht darüber hinaus und umfasst alle Eigenschaften, die im Gegensatz zu der zugeschriebenen Identität erst später erworben wurden, wie etwa ein Beruf. Dabei können die identitätsbildenden Prozesse der erworbenen Identität u. a. auch durch die von Levita (1971) beschriebenen identitätsbildenden Kräfte ausgelöst werden. Die dritte Form innerhalb der Identitätsbildung grenzt sich von den beiden ersten Formen dadurch ab, dass sie zum einen nicht nur bedingt durch die sich selbst beschreibende Person zustande kommt und zum anderen darüber hinaus auch wesentlich schwieriger nachzuvollziehen ist. Die übernommene Identität beschreibt die Übernahme einer Rolle,4 die einer Person «von außen» durch andere Personen zugetragen wird. Denkbar wäre, dass dies vom Individuum zum einen unbewusst, i. e. ohne die Übernahme einer Rolle und ohne diese überhaupt erst in Frage zu stellen, aber auch bewusst, durch wiederkehrende Situationen und Abläufe, passieren könnte. In der Psychologie wird im Rahmen der übernommenen Identität, dem sogenannten «Foreclosure-Identitätsstatus», das Beispiel von Jugendlichen genannt, die vorgelebte Werte oder Ideologien ihrer Eltern, ohne sich damit oder mit möglichen Alternativen auseinandergesetzt zu haben, übernehmen (Marcia 1980, 161). Claessens (1968) thematisiert in Bezug auf den Rollenbegriff5 die Differenz zwischen zwei Rollenmotiven: erstens dem gesellschaftlich gebilligten Rollenmotiv und zweitens dem individuellen Rollenmotiv. Die Differenz zwischen beiden
Die die Identität betreffenden und mit «Pathologie» bezeichneten Ursachen, Entstehungen und Veränderungen werden hier unter dem Begriff der «Identitätsbildung» zusammengefasst, da, wie bereits beschrieben, Identität als Kontinuum und nicht statisch zu verstehen ist. Der Rollenbegriff wurde in der Soziologie sowie der Sozialpsychologie aus dem Theater übernommen. Die Disziplinen beschäftigen sich im Rahmen der Rollentheorie der sozialen Rolle mit den Verflechtungen eines Individuums durch seine Rolle (einerseits Rollenerwartungen, andererseits Handlungsfreiheit) innerhalb eines sozialen Gefüges (Claessens 1968, 9). Hinsichtlich der Rollenthematik beschäftigt sich Claessens (1968) mit der Verbindung zwischen Rollen- und Machtbegriff. Auf den Begriff der «Macht» wird in Kap. 5.2 eingegangen.
3.1 Zum Identitätsbegriff
45
Rollenmotiven wird umso ausgeglichener, je mehr Anerkennung ein Individuum von außen in der jeweiligen Rolle erhält und sich somit in seiner Rolle akzeptiert fühlt. Das bedeutet, dass die Differenz zwischen beiden Rollenmotiven dann wegfällt, wenn sich das gesellschaftlich erlaubte und individuelle Rollenmotiv decken (Claessens 1968, 27). Abels Ansatz (2017) ist ähnlich, er beschreibt mit der Rollendistanz «[...] die unbewusste (oft natürlich auch bewusste!) symbolische Reaktion auf Erwartungen aus einem anderen Relevanzsystem» (Abels 2017, 333) und erklärt darüber hinaus, dass eine Person dadurch den Versuch unternimmt, die Vorstellung, die andere Menschen von ihr haben, zu steuern. Als Beispiel nennt er ein Kind, dessen übermütiges Verhalten auffällt, um dadurch seine Eltern davon zu überzeugen, kein Kleinkind mehr zu sein. Auf Grundlage des Rollenbegriffs und der gesellschaftlichen Eingebundenheit eines Individuums in ein soziales Netzwerk wird im folgenden Kapitel bzgl. der Identitätsbildung und -entwicklung eines Individuums die kollektive Identität thematisiert.
3.1.2 Kollektive Identität Wie aus den bereits vorgestellten Ansätzen der Identitätskonzepte hervorgegangen ist, ist die Identitätsbildung immer in irgendeiner Form vom sozialen Gefüge abhängig. Dies wird vor allem bzgl. der ethnischen, nationalen und kulturellen Identität deutlich. In der von Fraas et al. (2012) dargestellten Definition von Identität wird die Verwobenheit von Individuum und sozialem Gefüge deutlich: Als Identität lassen sich alles Wissen und alle Erfahrungen verstehen, welche von einem Individuum auf sich selbst bezogen und von anderen zugewiesen werden. Personen verarbeiten diese Annahmen, Überzeugungen, Erwartungen und Deutungen. Sie identifizieren sich mit ihnen und stellen in diesem Prozess Identität über sich selbst her. (Fraas et al. 2012, 73)
Erst in der Identifikation mit dem im Rahmen des gesellschaftlichen Gefüges gesammelten Wissen und den Erfahrungen sowie der/den in diesem Zusammenhang übernommenen Rolle(n) bildet sich laut Fraas et al. (2012) die jeweilige Identität eines Individuums heraus (Fraas et al. 2012, 73). Diese durch die Gesellschaft geformte Identität wird als kollektive Identität bezeichnet (Berger/Luckmann 2009, 185). Die Gesellschaftsstruktur bestimmt die gesellschaftlichen Prozesse, die die kollektive Identität erhalten, ändern oder neu bilden (Berger/Luckmann 2009, 185). Während die personale Identität den selbstreflexiven Prozess des Individuums kennzeichnet, so steht im Unterschied dazu, bzgl. der kollektiven Identität,
46
3 Identität
die Gruppe als solche, nicht aber einzelne Personen im Vordergrund. Die Notwendigkeit, dass sich beide Formen der Identitäten dennoch oder gerade deswegen bedingen, hält Bohley (2016) fest, indem er sagt: Grundsätzlich hat der Mensch mit der Entstehung seiner Eigenschaft, bei sich ein Selbstbild vorfinden zu können, auch erkannt, dass er Angehöriger und daher Teilhaber eines Kollektivs ist und er für sein eigenes Überleben und seine Selbstverwirklichung auf ein Kollektiv angewiesen ist. (Bohley 2016, 39)
An dieser Stelle sei jedoch Folgendes angemerkt: Schon bevor sich ein Individuum überhaupt über seine Identität bewusst ist und sich darüber bewusst wird, in welchem Maße es auf dieses Kollektiv angewiesen ist, ist der Faktor des «Kollektivs» bereits auf einer anderen Ebene ganz zentral: In der Struktur der individuellen Identität zeichnet sich daher auch das Rahmenwerk kollektiv vorgegebener Anpassungsmuster an die soziokulturellen Lebensbedingungen der Umwelt ab, mit denen sich das Individuum über seine Sozialisierung identifiziert. [Damit gemeint sind] Faktoren der Gruppenexistenz, die dem Individuum von den Eltern vorgegeben werden, bevor es sich dieser Inhalte seiner individuellen Identität überhaupt bewußt wird. (Haarmann 1996, 223)
Daraus lässt sich ableiten, dass personale und kollektive Identität, so wie Haarmann (1996) festhält, nicht gegensätzlich, sondern vielmehr als «Dualität» zu betrachten sind (Haarmann 1996, 223). Ein weiterer Ansatz und damit zusammenhängend ein für die vorliegende Untersuchung relevanter Blick auf kollektive Identität ist der aus der europäischen Bewegungsforschung hervorgehende Ansatz des französischen Soziologen Alain Touraine (1972). Das Ziel seiner Untersuchung war es herauszufinden, welche Kollektive die Möglichkeit hatten, sich im Rahmen eines gesellschaftlichen Wandels herauszubilden: Die Bewegung definiert sich weniger durch ihre Ziele, als durch die Art der Gemeinschaft, die sie schafft. [...] Jenseits der vielfältigen Ideologien erzielt man Einigkeit über eine neue Art der menschlichen Beziehungen, der Entscheidung und des Kampfes. (Touraine 1972, 96)
Seiner Auffassung nach entwickelt sich die kollektive Identität durch gesellschaftliche Umbrüche und durch das damit verbundene Wegfallen traditioneller Rollen, was die davon betroffenen Individuen dazu bringt, ihre Stellung neu stabilisieren zu wollen. Hier sind Parallelen zu der von Erikson (1957) beschriebenen Krisenbewältigung im Rahmen der Identitätsbildung eines Individuums zu erkennen. Von der Subjektivierung sozialer Gruppen, die sich aus der Bezeichnung «kollektive Identität» schließen lässt, wird sich im Rahmen der vorliegenden Untersuchung allerdings distanziert. Als passender wird die Bezeichnung «Identitätstypen»
3.2 Identität und Sprache
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von Berger und Luckmann (2009) empfunden. Da laut Berger und Luckmann (2009) Kollektive oder zusammengeschlossene Gruppen an sich nicht als eigenständige Subjekte zu betrachten sind und als solche auch nicht agieren, können lediglich Identitätstypen in den Fokus gerückt werden, die bezeichnend für eine bestimmte Gruppe oder ein bestimmtes Kollektiv sind: Die historischen Gesellschaftsstrukturen erzeugen Identitätstypen, die im individuellen Fall erkennbar sind. [...] Wir haben gezeigt, wie Orientierung und Verhalten im Alltagsleben sich auf solche Typisierungen stützen. (Berger/Luckmann 2009, 185)
Was allerdings die ursprünglichen kollektiv vorgegebenen Faktoren betrifft, scheint hierbei z. B. neben der konfessionellen Bindung oder dem Lebensstil besonders die Sprachzugehörigkeit betroffen. Während die geschilderten Rollen im sozialen Gefüge einerseits eine identitätsstiftende Funktion haben, so können sie auch ausschlaggebend für den Verlust der Identität sein, veranlasst durch das Organisieren der unterschiedlichen von außen geforderten Rollen in einem sozialen Gefüge (Meuter 1995, 225). Dies wird im nachfolgenden Kapitel besonders in Bezug auf das Verhältnis zwischen Identität und Sprache gezeigt.
3.2 Identität und Sprache Die im vorherigen Kapitel beschriebene Dualität von kollektiver Identität bzw. den Identitätstypen und der personalen Identität wird besonders deutlich, wenn es um die Zugehörigkeit zu einer Sprachgemeinschaft bzw. um den Zusammenhang zwischen Identität und Sprache geht. Die Sprache betreffend ist es für Individuen schwierig bis unmöglich, sich im Rahmen der Identitätsbildung komplett aus dem seit Beginn ihres Lebens integrierten Kollektiv (der Sprachgemeinschaft) zu lösen. Differenzierter muss dies im Rahmen einer mehrsprachigen Gesellschaft betrachtet werden. Hier wird besonders deutlich, dass das Kollektiv im Rahmen der Identitätsbildung nicht nur ausschlaggebend für Identifizierungs-, sondern auch für Abgrenzungsprozesse sein kann. In diesem Zusammenhang ist die von Cichon (2001) wie folgt beschriebene sprachliche Identität zu erwähnen: Hierunter läßt sich eine stabile sprachliche Prägung von Spreche[nden] verstehen, die auch unter wechselnden kommunikatorischen Einflüssen als dieselbe «identifiziert» wird. [...] Wie das Sprachbewußtsein ist es Funktion individueller und sozialer Determinanten. Zugleich ist es jedoch nur Teil des Sprachbewußtseins, beschreibt vor allem eine sprachlichideologische Befindlichkeit, dient der Standortbestimmung, ist Zustand und nicht wie das Sprachbewußtsein zugleich Handlungsträger. (Cichon 2001, 184)
48
3 Identität
Sprachliche Identität definiert Cichon (2001) demnach als «stabile sprachliche Prägung» (Cichon 2001, 184), durch die die AkteurInnen ihren Standpunkt innerhalb einer Sprachgemeinschaft bestimmen können, womit Sprache zu einem Werkzeug der sozialen Integration wird. Besonders deutlich werden die sprachliche Identität und die soziale Integration durch Sprache bzgl. Sprachvarietäten. Sinner (2014) nennt als Beispiel den vom Instituto Nacional de Lenguas Indígenas (dt. «Nationales Institut für indigene Sprachen») veröffentlichten «Catálogo de lenguas indígenas de México» (dt. «Verzeichnis der indigenen Sprachen Mexikos»). In diesem Verzeichnis wird zwar nicht zwischen Sprachen und Sprachvarietäten unterschieden, allerdings seien die dort aufgeführten variantes lingüísticas (dt. «Sprachvarietäten») – insgesamt 364 Varietäten – wie Sprachen anzusehen. Dies würde laut Sinner «für Linguisten ein Absurdum» (Sinner 2014, 100) darstellen. Aus soziolinguistischer Sicht, vor allem aber aus Sicht der AkteurInnen stellt diese Tatsache jedoch ein Definitionsmerkmal für die Identitätsbildung dar, aus der sich darüber hinaus z. B. mehrsprachige Identitäten ergeben können. In einer mehrsprachigen Sprachgemeinschaft hat das Individuum laut Haarmann (1996) die Möglichkeit, durch die sprachliche Sozialisation seine sprachgebundene Identität zu entfalten und sich dadurch wiederum entweder mit der Mehrsprachigkeit zu identifizieren und/oder sich als Mitglied einer favorisierten Sprachgemeinschaft zuzuordnen: Falls sich im mehrsprachigen Kontaktmilieu mit der sprachlichen Sozialisation auch die sprachgebundene Identität ausfächert, öffnet sich dem Individuum auch ein entsprechender Freiraum, sich mit seiner Mehrsprachigkeit positiv zu identifizieren, oder sich bewußt als Mitglied einer bevorzugten Sprachgemeinschaft zu gerieren. (Haarmann 1996, 223)
Die mehrsprachige Gesellschaft bildet einen für die Identitätsbildung der AkteurInnen wichtigen Rahmen: Der auftretende Sprachkontakt ist Schauplatz für das Entstehen von sprachlichen Identitäten, indem die AkteurInnen im sozialen Gefüge eine oder mehrere in Verbindung mit der übernommenen Identität und/ oder den Identitätstypen stehende Rolle oder Rollen einnehmen. Aber auch Haarmann (1996) betont, dass Sprache im Rahmen der Identitätsbildung eine besondere Stellung einnehmen kann und von der Identität abhängig ist, indem er betont, dass «Identität [...] keine Kategorie [ist], die man Kultur oder Sprache nebenordnen kann; vielmehr ist sie eine übergreifende Größe, zu der die beiden erwähnten Begriffe in Abhängigkeit stehen» (Haarmann 1996, 219).
3.2 Identität und Sprache
49
3.2.1 Ethnie, Kultur und Identität Wie bereits in Bezug auf Identität und Sprache erwähnt wurde, identifiziert sich ein Individuum u. a. durch Kollektive. Handelt es sich um sprachliche Kollektive, gilt dies auch für die mit Sprache verbundene Kultur. Dass Sprache und Kultur eng miteinander verknüpft sind, beschreibt auch Kuße (2012): Kultur ist ohne Sprache nur sehr begrenzt denkbar und Sprache ist ein Teil der Kultur. Es lässt sich also sowohl Kultur als sprachliches wie auch Sprache als kulturelles Phänomen beschreiben. (Kuße 2012, 5)
Besonders ist hier das gegenseitige Bedingen der beiden Phänomene Kultur und Sprache, denn das sprachliche Handeln eines Individuums steht häufig in Relation zu den «kulturellen Bindungen», in die es hineingeboren wird. In diesem kulturellen Kontext findet demzufolge auch die Sozialisation statt, die nach Haarmann (1996) niemals in einem «kulturellen Vakuum», sondern «jeweils eingebunden in ein spezifisches kulturelles Milieu» (Haarmann 1996, 223) stattfindet. Die ethnische Identität ist die Basis der Sozialisation, wobei mit ethnisch alle Aspekte gemeint sind, «[...] die für die Gruppenbindung des Individuums in einem kulturgeprägten Milieu relevant sind» (Haarmann 1996, 223). Allerdings ist Identität nicht mit der an die Ethnie gebundenen Anschauung oder Wertevorstellung gleichzusetzen. Während es sich dabei zunächst nur um Denkmuster handelt, umfasst die Identität Eigenschaften eines Individuums, die es sich sein Leben lang aneignet: Es sind dies seine Sprachfähigkeiten, seine Denkfähigkeit, seine Erinnerungsfähigkeit und schließlich auch seine schöpferische Phantasie, d. h. sein Vorstellungsvermögen. Seine Identität spielt gewissermaßen die Rolle eines Zentrums aller dieser Befähigungen. Sie wird von diesen unterstützt und wirkt auf diese zurück. (Bohley 2016, 11)
Die ethnische Identität ist Gegenstand kultureller Festlegung. Dabei definiert sich die ethnische Identität danach, welche Aspekte die AkteurInnen selbst als wichtig ansehen. Mögliche Aspekte sind z. B. körperliche Merkmale, geografische, religiöse, rituelle oder sprachliche Zuordnung (Riehl 2014b, 172). Wie Kuße (2012) die wechselseitige Abhängigkeit von Kultur und Sprache hervorhebt, so setzt auch Riehl (2014b) Sprache in den Zusammenhang mit allen die ethnische Identität umfassenden Aspekten. Dass die geografische Zuordnung eng mit Sprache verknüpft sein kann, wird bereits durch Glottonyme deutlich. Was anhand der Aussage «Ich bin dänischsprachig, also bin ich Dänin» zunächst einleuchtend erscheint, gilt jedoch nicht für Sprachbezeichnungen plurizentrischer Sprachen (cf. Riehl 2014b, 172–177).
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3 Identität
In superdiversen und damit verbunden mehrsprachigen Gesellschaften kann die geografische Zuordnung auch nur fiktiv, dennoch überaus relevant für die Identitätsbildung von Individuen sein. Dies wird durch das in Kapitel 2.3 beschriebene Phänomen des language crossing besonders deutlich. Vor allem in urbanen Räumen tritt dieses Phänomen durch die Solidarisierung mit einer bestimmten Zuwanderer- oder Sprachgemeinschaft durch sprachliche Merkmale (das Einbauen einzelner Wörter oder Teilsätze aus der anderen Sprache oder mehreren anderen Sprachen) auf: [Zum Beispiel] bei Migrantengruppen und deutschen Jugendlichen in deutschen Großstädten, die eine gewisse Affinität zur türkischen Minderheitenkultur zeigen: Sie bauen türkische Wörter und Versatzstücke in ihr Gespräch ein und etablieren so eine eigene Sprachform. Damit untermauern sie ihre Identität als großstädtische multi-ethnische Gruppe, die die (sprachlichen) Normen der Mehrheitsgesellschaft ablehnt. (Riehl 2014b, 173)
Die Verknüpfung von geografischer Zuordnung und Sprache in mehrsprachigen Gesellschaften macht deutlich, wie komplex der Zusammenhang zwischen Identität und Sprache sein kann (Kuße 2012, 259). Neben den bisher erwähnten Identitätsformen bleibt darüber hinaus im Rahmen von Ethnie und Kultur die multiple ethnische Identität zu erwähnen. Jedes Individuum kann eine multiple ethnische Identität in sich tragen, die sich aus der Verwobenheit verschiedener «Lebenswelten» ergibt: Man kann gleichzeitig Waliser, Brite und Europäer sein. Während die substaatlichen Identitäten eher eine Relevanz im Alltag haben, hat die Identität auf der staatlichen und überstaatlichen Ebene eher symbolhaften Charakter. (Riehl 2014b, 177)
Auch in diesem Zusammenhang spielt die Sprache bei der Identitätsbildung eine wichtige Rolle, denn vor allem bezogen auf die multiplen ethnischen Identitäten kann sie eine funktionale Bedeutung haben, wenn eine einheitliche Sprache die «[...] Einheitlichkeit dieses Gebildes selbst [symbolisiert]» (Oppenrieder/Thurmair 2003, 43).
3.2.2 Hybride Identitäten Die in Kapitel 2.3 im Rahmen des Superdiversitätskonzeptes nach Vertovec (2007) beschriebene Entstehung neuer gesellschaftlicher Phänomene in einer von Umbrüchen und Globalisierung geprägten Gesellschaft bezeichnet Kuße (2012) mit dem Fokus auf den Kulturtransfer und kulturprägende Phänomene als Transkulturalität. Die kulturelle Identität der Individuen setzt sich laut Kuße (2012) weder aus nur einer Kultur zusammen noch sind die AkteurInnen auf nur eine Sprache
3.2 Identität und Sprache
51
zu reduzieren. Weiter beschreibt er die in transkulturellen Gemeinschaften auftretenden Sprachenkontaktphänomene und die sich daraus herausbildenden Sprachmischungen als hybride Formationen (Kuße 2012, 263). Auch Riehl (2014a) bezieht sich auf den Begriff der «Hybridität». Sie nennt bzgl. der Identitätsbildungen im Zusammenhang mit Sprache(n) innerhalb eines mehrsprachigen Kontextes hybride Identitäten. Darunter ist die Identitätsbildung mehrsprachiger Menschen zu verstehen, die sich weder der einen noch der anderen Sprachgemeinschaft zuordnen: Wenn sie gefragt werden, als was sie sich selbst fühlen, antworten viele mehrsprachige Spreche[nde] auch: «zweisprachig» [...] Das ist häufig auch bei Mehrsprachigen in der Migrationssituation der Fall, die mit zwei (oder mehreren) Sprachen aufwachsen. (Riehl 2014a, 82)
Im Rahmen von hybriden Identitäten werden eine Zuordnung innerhalb einer Gesprächssituation sowie die Übernahme einer Rolle6 und die damit verbundene Solidarisierung durch den Zusammenschluss zu einem Kollektiv als Acts of identity bezeichnet: Dabei kann der [oder die] Spreche[nde] sich je nach Gesprächsthema zu unterschiedlichen Gruppen zuordnen, einmal in der Rolle als Frau oder Mann, einmal als Vertreter einer bestimmten sozialen Gruppe oder eines bestimmten Berufsstands, einmal als Angehöriger einer bestimmten Altersgruppe und auch als Vertreter einer bestimmten ethnischen Gruppe. Diese symbolische Identifikation mit einer bestimmten Gruppe in einer bestimmten Situation muss jedoch nicht bedeuten, dass der [oder die] Spreche[nde] diese in einer anderen Situation ebenfalls beansprucht. (Riehl 2014a, 81)
Auf sprachlicher Ebene äußern sich die Acts of identity etwa durch das Auftreten des in Kapitel 2.2 dargestellten Sprachkontaktphänomens, des Code-Switching. Wechseln mehrsprachige AkteurInnen zum Zwecke einer kommunikativen Funktion innerhalb eines Gespräches oder Satzes von einer Sprache in eine andere, kommen durch die jeweiligen Sprachen unterschiedliche soziale Identitäten zum Tragen. Dies kann z. B. durch den they-code oder den we-code7 geschehen (Riehl 2014b, 28). Bei dem we-code muss es sich nicht nur um eine Standardsprache handeln. Vor allem Varietäten, wie z. B. Dialekte, die als we-code auftreten, haben als Marker für die ethnische Identität eine wichtige Funktion, wenn sich dadurch z. B. AkteurInnen nicht mit der Nationalsprache identifizieren (Riehl 2014a, 81). Mischcodes sind für viele mehrsprachige Sprachgemeinschaften nicht außergewöhnlich, sondern Ausdrucksmittel ihrer Identifikation.
Cf. Kap. 3.1.1, hier v. a. «übernommene Identität» und «individuelles Rollenmotiv» nach Claessens (1968). Cf. Kap. 2.4.2.
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3 Identität
Die dargestellten Identitätsansätze weisen darauf hin, dass die personale Identität kontextbezogen und demnach abhängig von der Situation und dem Gegenüber, den GesprächspartnerInnen, ist. Abhängig davon können jeweils andere Identitäten relevant werden und somit jene Identitäten gleichzeitig durch (sprachliche) Interaktion gebildet werden (Riehl 2014b, 172).
3.2.3 Narrative Identität Nicht ausschließlich durch den jeweiligen Sprachgebrauch kommt die Identität eines Individuums zum Tragen, sie wird auch durch Sprache konzipiert. Im Rahmen des narrative turn findet die Identitätsbildung eines Individuums durch erzählte Erinnerungen statt, indem die Erinnerungen in einen kulturellen oder sozialen Zusammenhang gesetzt werden: «Functioning to position a sense of self in relation to culturally shared values and existing normative discourses, narrative discourse claims a special status in the business of identity construction» (Bamberg 2011, 103). Die narrative Identität macht es dabei – wie bereits zu Beginn dieses Kapitels beschrieben wurde – möglich, das eigene Erleben in einen strukturellen Rahmen zu übertragen, in dem eine Erklärung für die Entwicklung als Individuum, Erwartbarkeiten sowie zukünftiges Handeln gefunden werden soll. Hinsichtlich der in Kapitel 2.4.1 dargestellten Sprecherperspektive im Rahmen von Sprachbiografien, als gelebte und individuelle Geschichte, können die sprachlichen Äußerungen mit der narrativen Identität verknüpft sein. Die Narration im engeren Sinne, die das Erzählte sowohl der erzählenden als auch der zuhörenden Person zugänglich machen soll, ist in einen sozialen Rahmen eingebunden; Narrationen «[...] erfüllen die primäre Funktion des Einnehmens und Zuschreibens von sozialen Positionen» (König 2014, 50). Die narrative Identität wird innerhalb dieser Auffassung im Rahmen und unter den Regeln der Narration bzw. der «sprachlichen Darstellung» entworfen. Dabei macht König (2014) deutlich, dass das Erinnerte nie gleich dem Erzählten entspricht, genauso wenig, wie nachvollziehbar ist, ob das aus der Erinnerung resultierende Erzählte dabei vollständig oder objektiv ist. Dies wiederum bedeutet weiter, dass die im Erzählprozess entworfene Identität nie einheitlich ist, wodurch «[...] Identität als nicht abschließbarer und damit immer wieder potenziell änderbarer Erzählprozess verstanden [werden kann]» (König 2014, 49). Konträr dazu stiftet der Erzählprozess bzw. die Narration, in die die Identitätsbildung eingebettet ist, «Kontinuität, Konsistenz und Kohärenz» bzgl. der Identität des Erzählenden (Schröder 2019, 108). Der in Kapitel 3.1 dargestellte Identitätswandel kann vom Menschen nicht nur eine neue Art der Identitätsarbeit fordern, sondern darüber hinaus auch eine
3.2 Identität und Sprache
53
Abb. 3.2: Narrative Identität in Anlehnung an Schröder (2019, 105).
sich aus der Narration ergebende Identitätsarbeit und ein damit verbundenes Organisieren seiner Teilidentitäten (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 55). Narrative Identität wird immer im Rahmen eines sozialen Kontextes gebildet, entwickelt und kann sich im Austausch mit den InteraktionspartnerInnen verändern. Die narrative Identität beinhaltet darüber hinaus die Darstellung des Selbst. Dies ist davon abhängig, wie sich die erzählende Person gegenüber den GesprächspartnerInnen darstellen möchte und welches Bild auf welche Weise (auch sprachlich) vermittelt werden soll (König 2014, 53). Weiter unterscheiden Lucius-Hoene und Deppermann (2002) drei Dimensionen innerhalb der narrativen Identität: die temporale, die soziale und die selbstbezügliche Dimension. Die temporale Dimension betrifft die zeitliche Einordnung der Identität durch biografische Erzählprozesse. Die erzählende Person teilt nicht alles aus ihrer Biografie mit, sondern lediglich die für sie wichtig erscheinenden Ereignisse, die sie so in Zusammenhänge bringt, dass sie für die zuhörende Person nachvollziehbar sind: Der Erzähler kann beispielsweise seine Berufswahl als Folge familiärer Einflussnahme (Weil-Motiv) darstellen und dann die Aktivitäten schildern, mit denen er seine Freundin zur
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3 Identität
Heirat bewegte (Um-zu-Motiv). Die entsprechenden Beziehungen werden in der Erzählung mit sprachlichen Mitteln, also z. B. über kausale Verknüpfungen, Plots und/oder Argumentationen hergestellt. (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 57)
Die soziale Dimension betrifft die Ausrichtung der sprachlichen Handlung der erzählenden Person auf ihr soziales Umfeld (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 57). Dabei findet die Identitätsbildung in einem sozialen Rahmen statt, in dem sich die erzählende Person bei Entwurf ihrer Identität zunächst selbst verortet und die Erzählung nach ihrem Gegenüber ausrichtet, um dadurch die zuhörende Person daran teilhaben zu lassen: Während die biographische Betrachtungsweise der Erfahrungsbildung auf die temporale Konstitution der Identität zielt («Wie bin ich geworden durch das, was geschehen ist?»), lässt sich die qualitative Dimension («Was bin ich für ein Mensch?») im Akt des Erzählens vor allem als «soziale Positionierung» beschreiben, d. h. als Position, die die Person im sozialen Raum einer Interaktion für sich beansprucht. (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 61)
Die dritte, die selbstbezügliche Dimension, bezieht sich auf den Selbstentwurf der erzählenden Person. Hier liegt der Fokus auf der im Rahmen der Erzählung hergestellten Verbindung zwischen Zuschreibungen und Selbstpositionierung sowie der sich daraus ergebenden Verbindung, die die erzählende Person selbst zwischen ihrem Selbst, als AkteurIn in der Geschichte und als aktuell sprechende Person, schafft:8 Als unmittelbaren Ausdruck der Selbstbezüglichkeit kann der [oder die] Erzähle[nde] sich explizit als Person beschreiben (explizite Selbstaussagen, Schwitalla, 1996). Er [oder sie] kann sich zum Beispiel mit Zuschreibungen ausstatten und bestimmte Identitätsprädikate (Straub, 200a) in Anspruch nehmen, etwa die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (ich als Angehöriger einer ethnischen, nationalen, sozialen Gruppe, ich als Mann, Frau oder alter Mensch [...]. (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 67)
Zur Veranschaulichung der Integration der drei Dimensionen in das Modell der narrativ konstruierten bzw. narrativ gebildeten Identität dient Abb. 3.3. Obwohl die mit der Bezeichnung narrativer Identität gefassten Erzählungen zwar die Bildung der eigenen Identität einer Person beschreiben, kritisiert Schröder (2019) den Begriff der narrativen Identität und sieht es als passender, von «narrativ konstruierter Identität» (Schröder 2019, 108) zu sprechen. Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird aus ebendiesem Grund nicht von narrativer Identität, sondern von «narrativ gebildeter» Identität gesprochen.
Cf. Kap. 2.4.2, hier v. a. «Selbst- und Fremdpositionierung» als dritte Ebene des «Positionierungskonzeptes» (Bamberg 1997; König 2014).
3.2 Identität und Sprache
55
Abb. 3.3: Durch Narration gebildete Identität in Anlehnung an Schröder (2019, 105).
Wie Abb. 3.3 zeigt, bezieht sich die soziale Dimension auf die in den Gesprächskontext der narrativ gebildeten Identität integrierten Ebenen des Gesprächskontextes (den Makro-, Meso- und Mikrokontext). Dies wird dadurch deutlich, dass die drei unterschiedlichen Bezüge innerhalb der sozialen Dimension, wie sie von Lucius-Hoene und Deppermann (2002, 61) festgelegt werden, jeweils einem Kontext des kontextsensitiven Modells9 nach Tophinke und Ziegler (2006) zugeordnet werden können: (a) [...] interaktive Herstellung mittels Positionierung, (b) [...] Konstruktion sozialer und materialer Welten als Wirklichkeitsfolie, auf der sich Identität konstruiert und (c) [...] Einbindung der individuellen Erfahrung in kulturell vorgeprägte Plots und Deutungsmuster und deren moralische Bedeutung
Cf. Kap. 2.4.3.
56
3 Identität
Die Beziehung zum Gegenüber im Rahmen der Narration (a) entspricht dabei der Mikroebene (Äußerungsebene), die das Interaktionsgeschehen der erzählenden und zuhörenden Person im zeitlichen Geschehen betrifft. Der Bezug zum sozialen Umfeld und zu den damit verbundenen InteraktionspartnerInnen (b), die den Rahmen für die in der Narration entworfene Identität bilden, korrespondiert mit dem Mesokontext (soziale Situation). Die Darstellung eines bestimmten Sachverhalts auf der Grundlage kultureller Prägung (c) entspricht dem Makrokontext (Kultur) und der in dem Kontext beschriebenen Wirklichkeitsdeutung sowie der Interpretation des eigenen und fremden Handelns. Die selbstbezügliche Dimension bezieht sich auf die Einstellungsäußerungen, Einstellung zu u. a. Sprache, Ort und Gruppe. Hier stellt die erzählende Person eine Beziehung zu sich, auch innerhalb unterschiedlicher Zeiträume (von der Vergangenheit bis hin zur Gegenwart), her, weshalb sich die selbstbezügliche Dimension und die temporale Dimension überschneiden können, da sich Letztere, der (Sprach-)Biografie zugeordnet, auf die biografischen Gegebenheiten bezieht.
3.3 Selbstbestimmte Identität Die im vorherigen Kapitel beschriebenen Dimensionen der narrativ gebildeten Identität zeigen auf, wie die soziale Dimension den gesamten Gesprächskontext bestimmen und damit, wie auch in Kapitel 2.4.1, Kapitel 2.4.3 und Kapitel 3.2.3 beschrieben, zugleich den Rahmen für die Identitätsbildung darstellen kann. Daraus ergibt sich, dass die soziale Dimension der dominante Beweggrund für die die erzählende Person betreffende Rollenübernahme im sozialen Gefüge sein kann. Diese Annahme sowie der selbstreflexive Prozess der sich selbst beschreibenden Person korrespondiert demzufolge mit der von Levita (1971) beschriebenen übernommenen Identität10 (Levita 1971, 233). Im Erzählprozess, die selbstbezügliche Dimension betreffend, geht es um die Identitätsbildung, wie sich die erzählende Person präsentiert, wie sie ihr «Ich der Vergangenheit» mit dem «Ich der Gegenwart» zusammenbringt und welche Wirkung bei ihrem Gegenüber erzielt wird (Penya 2017, 43). Demgegenüber steht die Identitätsdarstellung, die bloße Darstellung von Identitätsfaktoren, die ebenfalls durch das Erzählte sichtbar werden (LuciusHoene/Deppermann 2002, 56). Dabei handelt es sich um Eigenschaften einer Per-
Cf. Kap. 3.1, hier v. a. «zugeschriebene, erworbene und übernommene Identität».
3.4 Zwischenfazit
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son, die durch bestimmte Ereignisse im Leben, die identitätsbildenden Prozesse oder Kräfte, entstanden sind oder aber bereits vorher existiert haben: Mit der Unterscheidung von Darstellung und Herstellung der Identität wird der Tatsache Rechnung getragen, dass ein Erzähler Aspekte seiner Identität explizit zum Ausdruck bringt, darüber hinaus aber auch im Erzählprozess selbst Identität entwickelt. Zum einen stellt Erzählen Welt oder Ereignisse und Objekte dar und darunter auch die eigene Person, die erzählerisch durch bestimmte Eigenschaften, Motive und Handlungsweisen bestimmt wird (=«Darstellen»). Zum anderen ist das Erzählen selbst eine Handlung, die vom Erzähler auf eine Zuhörerin hin und durchgeführt wird und eine bestimmte Geltung und Konsequenz beansprucht und damit seine Identität unmittelbar «in Aktion» präsentiert (=«Herstellen»). (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 56)
Bei der Identitätsdarstellung – die durch den Erzählprozess entstehende, selbstreflexive Identitätsarbeit zunächst ausgeklammert – liegt der Fokus laut LuciusHoene und Deppermann (2002) aus Sicht des Zuhörenden primär auf der Merkmalszuschreibung. Die identitätsbildenden Prozesse zur Identitätsherstellung innerhalb der Erzählung und die durch Narration gebildete Identität wird als personale Identität bezeichnet: Die selbstreflexive und kommunikative Leistung, die er als Verfasser einer autobiografischen Erzählung vollbringt, nimmt damit Bezug auf das, was wir gemeinhin als «personale Identität» bezeichnen. (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 47)
Um ebendiesem selbstreflexiven Erzählprozess zum Zwecke der Identitätsbildung Rechnung zu tragen, wird es als sinnvoll erachtet, von «Selbstbestimmung», besser von «selbstbestimmter» Identität zu sprechen. Wie Abb. 3.4 zeigt, wird die personale selbstbestimmte Identität durch den Gesprächskontext, i. e. die soziale Dimension sowie die selbstbezügliche und temporale Dimension, die die Narration bedingen, konstruiert. Dennoch gilt es zu beachten, dass die Offenlegung der durch die Erzählung gebildeten Identität eines Individuums auf dieser Grundlage nicht statisch ist (cf. Kap. 3.2.3).
3.4 Zwischenfazit Vor allem in den in Kapitel 2 beschriebenen, mehrsprachigen und superdiversen Gesellschaften rückt die Frage nach der eigenen Identität und einem damit einhergehenden Identitätswandel mehr in den Fokus denn je. Das aus der Superdiversität
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3 Identität
Abb. 3.4: Durch Narration gebildete, selbstbestimmte Identität I in Anlehnung an Schröder (2019, 110).
resultierende neue Verständnis von Sprachen und die damit verbundenen neueren Perspektiven mehrsprachiger Praktiken fordern somit gleichzeitig ein neues Verständnis bzgl. des Zusammenhangs zwischen Sprache und Identität. Wie in diesem Kapitel aufgezeigt, ist Sprache für die Identitätsbildung auf zwei Ebenen maßgebend: Zum einen kommt durch Sprache Identität zum Tragen, zum anderen wird durch Sprache Identität gebildet. Resultierend aus den vorhergegangenen Identitätskonzepten wird durch Abb. 3.5 deutlich, dass der Gesprächskontext den Rahmen der personalen, selbstbestimmten Identität bildet. Die Einstellung zur Sprache, zum Ort oder zur Gruppe sowie die (Sprach-)Biografie beeinflussen die Narration, durch die die personale Identität im selbstreflexiven Prozess dargestellt wird. Hier können verschiedene Arten von Identitäten zum Tragen kommen: z. B. die ethnische und kulturelle Identität, hybride Identitäten, Identitätstypen oder auch rollenbezogene Teilidentitäten (rT) der Individuen.
3.4 Zwischenfazit
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Abb. 3.5: Durch Narration gebildete, selbstbestimmte Identität II in Anlehnung an Schröder (2019, 110).
Es sei an dieser Stelle jedoch angemerkt, dass eine Überschneidung der verschiedenen Identitätsarten nie auszuschließen ist. Die durch Sprachen gebildete personale Identität wurde in diesem Kapitel anhand des Modells in Anlehnung an Schröder (2019) stufenweise mit den für die vorliegende Untersuchung relevanten Aspekten ergänzt, um in diesem Zusammenhang sowohl der Bedeutung von Sprachen als auch der Prozesshaftigkeit der Identitätsbildung Rechnung zu tragen.
4 Mir wëlle bleiwe wat mir sinn – das Großherzogtum Luxemburg Bei dem Großherzogtum Luxemburg, dem Nachbarland Deutschlands, Frankreichs und Belgiens, handelt es sich um das letzte existierende europäische Großherzogtum. Verhältnismäßig spät, im Jahr 1890, nach sich ständig wechselnden Herrschaftsverhältnissen, wurde Luxemburg mit seiner eigenen Dynastie vollständig unabhängig (Hoffmann 1979, 3). Mit seinen 634.730 EinwohnerInnen, von denen mit 47,2%1 fast die Hälfte der Bevölkerung ausländischer Herkunft ist, gehört das Land zu den kleinsten Flächenstaaten weltweit und ist neben Malta das kleinste Land der EU (cf. STATEC 2021a). In diesem Kapitel wird zunächst dargestellt, welchen unterschiedlichen Einflüssen Luxemburg ausgesetzt war und immer noch ist. Dazu wird auf die Lage inmitten der Großregion Saar-Lor-Lux eingegangen. Anschließend werden geschichtliche und politische Gründe für den demografischen Einfluss anderer Länder sowie Gründe für die Vielfalt Luxemburgs erläutert. Der damit verbundene Einfluss auf die Sprachensituation Luxemburgs wird schließlich dargestellt, indem zunächst die Sprachensituation des Landes allgemein und anschließend die daraus resultierende sprachliche Praxis sowie der interaktionsbasierte Sprachgebrauch dargestellt werden.
4.1 Inmitten der Grande Région – die Großregion Saar-Lor-Lux Die u. a. aus dem Saarland, Lothringen und Luxemburg bestehende Großregion (frz. «la Grande Région») Saar-Lor-Lux, die vor 100 Jahren noch Kampfgebiet des Ersten Weltkriegs war, ist heute der Lebensraum von Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, die neben- und miteinander leben und sich auch über die Grenzen hinweg austauschen und kooperieren (cf. Lorig et al. 2016). Die Bezeichnung Saar-Lor-Lux-Region ist allerdings nicht ganz korrekt, da sich die Region nicht mehr nur wie ursprünglich über das Großherzogtum Luxemburg, das Saarland sowie das französische Lothringen erstreckt. Mittlerweile zählen auch die belgische Region Wallonien und Rheinland-Pfalz zu der heutigen Großregion, die am 15. Februar 1995 gegründet wurde und in der aktuell 11,7 Millionen Menschen Im Zeitraum von 1981 bis 2018 hat der Anteil der ausländischen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung Luxemburgs mit 21,6% deutlich zugenommen. Dieser Aufwärtstrend brach ab dem Jahr 2019 allerdings ein, wodurch die Entwicklung der ausländischen Bevölkerung ab dem Jahr 2019 mit minus 0,3% minimal rückläufig ist (cf. STATEC 2021b). https://doi.org/10.1515/9783111117379-004
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4 Mir wëlle bleiwe wat mir sinn – das Großherzogtum Luxemburg
in fünf Regionen von vier Ländern mit drei unterschiedlichen Amtssprachen leben (Statistiques Grande Région 2021). Das Potenzial der Großregion in Mitteleuropa sollte durch die 2003 formulierten Zukunftsvisionen2 für das Jahr 2020 genutzt werden, mit dem Ziel, die Völker Europas näher zu vereinen. Dies sollte auf Grundlage einer europäischen Philosophie geschehen: europäischer Identität und Lebensart, europäischer Kompetenz sowie europäischer Modellregion. Innerhalb der für das Jahr 2020 visierten Pläne standen dabei unterschiedliche Maßnahmen, verschiedene Felder betreffend, wie etwa Kultur, Bildung, Hochschulen und Forschung, Wirtschaft und Beschäftigung, im Mittelpunkt (Moll/Niedermeyer 2008, 352s.). Konnten viele Projekte des anvisierten Planes zwar umgesetzt werden, so fiel jedoch das Fazit nach mehr als zehn Jahren, vor allem auf der die Großregion charakterisierenden Ebene, weniger positiv aus: «[...] der Großregion fehlt nach wie vor das Gesicht bzw. es geht keine identitätsstiftende Wirkung von ihr aus» (Institut der Großregion – Arlon 2015). Eines der bedeutendsten und die Großregion charakterisierenden Merkmale jedoch sind die grenzüberschreitenden Berufspendlerströme. Fast täglich pendeln über 220.000 Menschen in eine der fünf Regionen, um dort zu arbeiten. Dies macht die Region zum größten grenzüberschreitenden Berufspendlermarkt Europas, bei dem der luxemburgische Arbeitsmarkt, mit über 150.500 Menschen, wegen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit die meisten Pendelnden anzieht (Statistiques Grande Région 2021). Diese Entwicklung bildete sich bereits ab den 1980er Jahren mit dem Wegfallen von Arbeitsplätzen in Altindustrieregionen ab. Neben Luxemburg zog auch Deutschland (i. e. das Saarland und Rheinland-Pfalz) durch das Schaffen neuer Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor die meisten Berufspendelnden an. Dieser verstärkte Strom an Berufspendelnden in Richtung Deutschland stagnierte jedoch, bedingt durch das ab den 1990er Jahren rückläufige Angebot auf dem deutschen Arbeitsmarkt, durch «[...] abnehmende[] Sprachkompetenzen der Grenzgänger[Innen] sowie [...] die Konkurrenz des luxemburgischen Arbeitsmarktes» (Wille 2016, 135–138). Dadurch erhöhte sich nicht nur sektorenübergreifend die Zahl der Berufspendelnden nach Luxemburg aus Frankreich (Lothringen), auch die Ströme der Grenzpendelnden aus Deutschland nahmen weiter zu. Bereits aufgrund der ungleichen Verteilung der Berufspendlerströme sowie der daraus resultierenden Konsequenzen fällt auf, dass das ambitionierte Ziel, die Großregion als «Mitte Europas» (Groß/Grande Region 2019) darzustellen, in der Reali-
«Im Auftrag des Saarlandes zur Vorlage beim 7. Gipfel des SaarLorLux-Raumes vom 30. Juni 2003 unter der Leitung von Jacques Santer, dem vormaligen Staatsminister und EU-Kommissionspräsidenten, ausgearbeitete Strategiepapier» (Fehlen 2016, 74).
4.2 Die Vielfalt in Luxemburg
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tät wegen zu großer räumlicher sowie gesellschaftlicher Differenzen nicht wie erhofft aufging. Wie sich aus einer Untersuchung der Wahrnehmung des Lebens in der Grenzregion von Scholz (2016) ergibt, könnten sich vor allem die politischen Ziele nicht stärker von den Ansichten und Einstellungen der BewohnerInnen unterscheiden: So stehen der Prägung einer kulturellen und regionalen Identität innerhalb der Großregion hauptsächlich individuelle, wirtschaftliche Interessen (Arbeiten, Einkaufen oder Tanken) der in der Grenzregion lebenden Menschen gegenüber. Eine Ausnahme hingegen bilden die grenznahen Gebiete, in denen der Alltag der dortigen Bevölkerung stärker von der Großregion geprägt ist, als dies bei den BewohnerInnen in «grenzfernen» Gebieten, aufgrund der nicht einheitlichen Eingrenzung sowie der weiten Erstreckung der Großregion über den Saar-Lor-Lux-Raum hinaus, der Fall ist (Scholz 2016, 95s.).
4.2 Die Vielfalt in Luxemburg Nicht erst die Lage inmitten der Großregion begünstigt die diverse Gesellschaftsstruktur Luxemburgs. In den Bereichen Demografie, sprachliche Praxis und Sprachökologie bilden sich diverse Gesellschaftsstrukturen ab, die seit der Asylzuwanderung 2015 vor allem die kulturell-religiösen Aspekte betreffen. Auch wenn keine expliziten Daten vorliegen, auf Grundlage derer von einer eindeutigen superdiversen Religionslandschaft des Großherzogtums ausgegangen werden kann, lassen die Daten über das Verhältnis von Ankunft und Rückkehr der Asylsuchenden ab dem Jahr 2000 bis einschließlich 2020 die Annahme zu, dass die Zuwanderung von Menschen aus Afghanistan, Eritrea, Syrien und dem Irak auch die Religionslandschaft Luxemburgs durch Glaubensrichtungen wie das orthodoxe Christentum, den Hinduismus sowie den Islam und weitere damit verbundene religiöse Strömungen, z. B. das Schiitentum und das Sunnitentum, diversifizieren (cf. STATEC 2021d, 14). Die Gründe der im Großherzogtum vorherrschenden gesellschaftlichen Diversität liegen darüber hinaus bereits weiter in der Vergangenheit, durch eine beachtliche Entwicklung der Wirtschaft begründet (Bähr et al. 2012, 18). Ein sich nach dem Ersten Weltkrieg herausbildendes Nationalgefühl der LuxemburgerInnen und das Mitwirken beim Aufbau Europas sollte wegebnend für einen stabileren Stand des Landes sein (cf. Bähr et al. 2012). Luxemburg ist Gründungsmitglied bedeutender Organisationen: des Europarates, der UNO, der OEEC, des Brüsseler Paktes, der NATO sowie der Europäischen Gemeinschaften (Trausch 2008, 26). In dieser Funktion konnte sich das Großherzogtum schließlich politisch und wirtschaftlich neben seinen Nachbarländern behaupten und legte als Stahlgroßproduzent und damit einhergehend als einer der Gründungsstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) den Grundstein für seine wirtschaftli-
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4 Mir wëlle bleiwe wat mir sinn – das Großherzogtum Luxemburg
che Entwicklung. Als ausführendes Organ war die Hauptstadt Luxemburg ab 1952 nicht nur Sitz der EGKS, sondern ebenso weiterer Institutionen der Europäischen Union: u. a. des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission und des Gerichtshofs der Europäischen Union (Trausch 2008, 26).
4.2.1 Der ausländische Arbeitskräftebedarf Neben den EU-Institutionen als Arbeitsplatz für zahlreiche ausländische ArbeitnehmerInnen zog Luxemburg bereits vor dem Ersten Weltkrieg ab 1870 durch seine Eisen- und Stahlindustrie viele meist schlecht bezahlte Arbeitskräfte, überwiegend aus Deutschland und Italien, an (Willems/Milmeister 2008, 64). Wollten die italienischen Zugewanderten ursprünglich nur für eine begrenzte Zeit ausschließlich zum Arbeiten in Luxemburg bleiben, so bildeten sich längerfristig dennoch ganze abgeschlossene italienische Viertel in Nähe der Fabriken heraus (Kühn 2015a). Nach dem Zweiten Weltkrieg sollten überwiegend weniger qualifizierte, schlecht bezahlte Hilfsarbeiter beim Wiederaufbau des Landes helfen. Dabei handelte es sich in der Mehrzahl um männliche italienische, vor allem junge Zuwanderer, deren Aufenthaltsdauer durch kurze Arbeitsverträge zunächst begrenzt werden sollte. Diese ab 1950 stattfindende zweite Einwandererwelle aus Italien betraf neben Luxemburg auch Deutschland und die Schweiz und führte die luxemburgische Regierung auch aufgrund der demografischen Negativentwicklung ihres Landes zu einer Genehmigung über die Familienzusammenführung der Italiener (Kühn 2015b). Die Tätigkeiten der nachfolgenden Generationen der ItalienerInnen verlagerten sich schließlich durch bessere Ausbildungen vom Industrie- in den Dienstleistungssektor (Willems/ Milmeister 2008, 67). Die entstandene Lücke an Arbeitskräften im Niedriglohnsektor sollte ab den 1970er Jahren durch ein Arbeitskräfteabkommen mit Portugal sowie Jugoslawien geschlossen werden. Im Gegensatz zu den Italienern und Jugoslawen3 wurde den Portugiesen der sofortige Nachzug ihrer Familien gewährt. Der Anteil der portugiesischen Bevölkerung in Luxemburg hat sich u. a. dadurch von 1970 bis 2018 nahezu verzehnfacht und ist von 1,7% auf 16% gestiegen.4 Die hauptsächlich auf ökonomischem Fundament basierende Integrationsentwicklung hat bis heute dazu
Der Familiennachzug der Jugoslawen war aufgrund ethnischer Zugehörigkeitsmerkmale, die sich von denen der luxemburgischen Gesellschaft unterschieden, nicht vorgesehen (Kühn 2015b). Ab 2019 ist ein anhaltender Rückgang der portugiesischen Bevölkerung in Luxemburg festzustellen. Es könnte allerdings angenommen werden, dass zumindest der Rückgang ab 2020 u. a. durch die Corona-Pandemie bedingt ist. Bei Betrachten der gesamten Bevölkerungsentwicklung
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geführt, dass sich vor allem die ItalienerInnen größtenteils in die luxemburgische Bevölkerung integriert haben, während die PortugiesInnen noch immer tendenziell unter sich leben und sich dadurch verhältnismäßig stärker von der restlichen luxemburgischen Gesellschaft abgrenzen (Willems/Milmeister 2008, 63s.). Diese Abgrenzung fällt auch durch Betrachtung der portugiesischen Bevölkerungsverteilung in Luxemburg auf. Es bilden sich insgesamt drei Gemeinden mit den jeweils größten portugiesischen Bevölkerungsanteilen heraus: Esch-sur-Alzette (32,7%), Differdange (35,7%) und Larochette (44,1%). Die Annahme, dass die portugiesische Bevölkerung fortbestehend einen größeren Bezug zu ihrem Heimatland hat, zeigt sich ebenso anhand der Geburtsorte der in Luxemburg lebenden portugiesischen Bevölkerung: Im Jahr 2018 wurden sieben von zehn PortugiesInnen in Portugal geboren, eine/r von zehn anderenorts und lediglich zwei von zehn in Luxemburg (STATEC 2018). Anders als bei anderen Zuwanderergruppen ist bei den PortugiesInnen darüber hinaus eine Kettenmigration festzustellen: Von den PortugiesInnen der ersten Generation, i. e. jenen, die als Arbeitssuchende und hauptsächlich aus finanziellen Motiven ab den 1970er Jahren nach Luxemburg kamen, dort ihre Familien und dadurch die zweite und dritte Generation gründeten, sind jene PortugiesInnen zu unterscheiden, die zwar ebenfalls mit der Hoffnung auf eine bessere Zukunft nach Luxemburg kamen, allerdings vergleichsweise autonomer und nicht in Migrationsströmen aus Portugal auswanderten. Meist handelte es sich dabei um Familienmitglieder oder Bekannte der bereits in Luxemburg lebenden PortugiesInnen (Kühn 2015a). Aus der Altersverteilung der portugiesischen sowie der luxemburgischen Bevölkerung (cf. Heinz et al. 2013) lässt sich eine weitere Annahme ableiten: Die Überrepräsentation der unter 50-jährigen PortugiesInnen könnte, im Verhältnis zur restlichen Bevölkerung Luxemburgs, die PortugiesInnen der zweiten Generation darstellen. Diese Überrepräsentation nimmt bei den über 65-jährigen PortugiesInnen deutlich ab, was daran liegen könnte, dass die Mehrheit der PortugiesInnen im Ruhestand zurück in ihr Heimatland geht.
fällt auf, dass die Zuwanderung von Menschen aus stärker von der Corona-Pandemie betroffenen Ländern (z. B. Italien, Rumänien oder Spanien) zugenommen hat, während die Zuwanderung von Menschen aus weniger stark betroffenen Ländern ab 2019 eher abgenommen hat (cf. STATEC 2021b).
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4.2.2 Der Brexit und die Folgen für Luxemburg Der aus den zahlreichen Anstellungen im Niedriglohnsektor resultierenden ökonomischen Integration steht der «[...] Zuzug von hochqualifizierten [Personen], die in Institutionen der Europäischen Gemeinschaft und in Unternehmen des Finanzsektors eine Anstellung f[i]nden» (Kühn 2015a), gegenüber. Durch den beispielhaften Wandel von einer industriellen zu einer postindustriellen Wirtschaft hat sich Luxemburg einen stabilen Dienstleistungssektor, vor allem Finanzsektor, aufgebaut (Ambrosi 2008, 250). Das Großherzogtum ist nunmehr «führendes europäisches Zentrum für Investmentfonds, führendes Zentrum für Privatbanken im Euroraum und beliebter Standort für Rückversicherungsgesellschaften» (cf. Luxembourg 2021a). Nicht nur das weit über dem europäischen Durchschnitt liegende Einkommensniveau macht Luxemburg als Standort für den Finanzsektor interessant, die soziale sowie steuerliche Beständigkeit und die «Schlüsselinfrastrukturen des europäischen Kapitalmarktes» stellen mit seinen «qualifizierten internationalen und mehrsprachigen Arbeitskräften» (Luxembourg 2021a) einen globalen und weltoffenen Rahmen für Investoren aus aller Welt dar (Ambrosi 2008). Waren es ursprünglich hauptsächlich ArbeitnehmerInnen aus Deutschland, Frankreich und Belgien, so zieht der Finanzsektor mittlerweile auch Menschen aus dem Vereinigten Königreich sowie aus Skandinavien an (Luxembourg 2021b). Vor allem für britische Finanzdienstleistende soll Luxemburg durch den Brexit eine Alternative zum Finanzplatz London darstellen, denn obwohl der EUAustritt des Vereinigten Königreiches erst Anfang 2020 vollzogen wurde, wurde Luxemburg als zukünftiger Sitz vieler britischer Unternehmen bereits 2016, noch zu Zeiten des Brexit-Referendums, und auch während des Austrittsprozesses verstärkt in der Presse thematisiert (cf. u. a. Fondstrend 2019; Luxemburger Wort 2019). Der dort angekündigte und nach dem Brexit in der Berichterstattung beschriebene Anstieg an Einbürgerungen von Menschen aus dem Vereinigten Königreich kann anhand der Bevölkerungsentwicklung allerdings nicht bestätigt werden. Es ist sogar das Gegenteil nachzuweisen: Lebten im Jahr 2016 noch 6.118 BritInnen in Luxemburg, so sind es 2021 nur noch 4.561 BritInnen (STATEC 2021c). Ein aus dem Brexit resultierender bzw. damit verbundener seit 2016 anhaltender Bevölkerungsanstieg zeigt sich jedoch durch die irische Bevölkerung in Luxemburg (STATEC 2021c). Als einziges Land, das direkt an das Vereinigte Königreich grenzt, sind die Konsequenzen des Brexits für die irische Bevölkerung am härtesten spürbar. Es ist anzunehmen, dass Luxemburg wegen des befürchteten Entstehens einer Grenze zwischen Nordirland und Irland, Grenzkontrollen und der Angst vor daraus resultierenden Anspannungen vor allem für die im Finanzsektor beschäftigte irische Bevölkerung eine attraktive Alternative zum Standort London darstellt (Fitzpatrick 2021, 237–239).
4.2 Die Vielfalt in Luxemburg
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4.2.3 Die (brasilianische) Rückmigration Neben den beiden auf der wirtschaftlichen Integration basierenden Einwanderungen im Niedriglohn- und im Finanzsektor, der von Kühn (2015) beschriebenen «doppelten Einwanderung», «sowohl am unteren als auch am oberen Ende der Einkommensskala» (Bost 2005), gibt es darüber hinaus eine weiter in die Geschichte Luxemburgs zurückreichende Zuwandererwelle, die bis heute anhält. In der ersten und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wanderten zahlreiche LuxemburgerInnen und Deutsche mit der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Brasilien aus. Dabei siedelten sich die Ausgewanderten in den brasilianischen Bundesstaaten Rio Grande do Sul, Santa Catarina sowie Espírito Santo an (Bost 2005). Die Auswirkungen dieser Zuwanderung sind bis heute in Brasilien zu spüren: Im Bundesstaat Espírito Santo, wo der gleichnamige Ort Luxemburgo liegt, leben mittlerweile ungefähr 700.000 Nachkommen der luxemburgischen Ausgewanderten, und im Bundesstaat Rio Grande do Sul wird in einigen Gemeinden noch immer Hunsrückisch,5 «[...] ein[] aus jenen und anderen deutschen6 Einwandererdialekten entstandene[r] Mischdialekt» (Ammon 2015, 37), gesprochen. Um von den damaligen Auswanderungen zu profitieren und den Anteil der einheimischen Bevölkerung wieder zu erhöhen, wurde neben der üblichen Einbürgerung – die nach einem mindestens fünfjährigen Aufenthalt in Luxemburg, einem Sprachentest7 sowie der Teilnahme am Kurs «Vivre ensemble au GrandDuché de Luxembourg» (dt. «Gemeinsam im Großherzogtum Luxemburg leben») erworben werden kann – im Jahr 2008 zusätzlich ein Gesetz über die Wiedereinbürgerung verabschiedet (Guichet.lu 2018). In den Artikeln 41 und 89 der «Loi du 23 octobre 2008 sur la nationalité luxembourgeoise» (dt. «Gesetz vom 23. Oktober 2008 über die luxemburgische Staatsangehörigkeit») ist festgelegt, dass es Personen, deren Vorfahren am 1. Januar 1900 die luxemburgische Staatsbürgerschaft besaßen und ausgewandert waren, bis zum 31. Dezember 2018 möglich war, eine Wiedereinbürgerung zu beantragen (cf. Legilux Doc. parl. 6977 – «Loi du 8 mars 2017 sur la nationalité luxembourgeoise»). Das Hunsrückische ist ein u. a. dem Moselfränkischen (cf. Kap. 4.3) zuzuordnender Dialekt, der in Deutschland über den Hunsrück hinaus bis zur Mosel gesprochen wird (Drenda 2019). Die Auswanderung der deutschen und luxemburgischen Bevölkerung nach Brasilien in den Bundesstaat Rio Grande do Sul fand ab 1824 statt, als das Großherzogtum Luxemburg noch Mitglied des Deutschen Bundes war (Bost 2005). Der Sprachentest wird auf Luxemburgisch absolviert. Im Rahmen der im Juli 2021 veröffentlichten Petition Nr. 1946 wurde hingegen gefordert, dass der Sprachentest zukünftig nicht mehr nur auf Luxemburgisch, sondern ebenso auf einer der beiden anderen Amtssprachen (Deutsch oder Französisch) absolviert werden kann (cf. Chambre des Députés Grand-Duché de Luxembourg 2021).
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Dass von dem Gesetz der Wiedereinbürgerung Gebrauch gemacht wurde, geht aus der Bevölkerungsentwicklung der brasilianischen Bevölkerung in Luxemburg hervor: Seit dem Jahr 2011 ist bis zum Jahr 2021 ein Aufwärtstrend festzustellen, die Anzahl an zugewanderten Personen aus Brasilien ist von 1.203 auf 2.604 Personen gestiegen (STATEC 2021c). Fehlen (2016) erwähnt darüber hinaus im Zusammenhang mit dem Erlass des Gesetzes über die Wiedereinbürgerung die belgische Bevölkerung der abgetretenen Gebiete des Großherzogtums vor 1839 (Fehlen 2016, 84). Tatsächlich lässt sich auch ein konstanter Anstieg der belgischen Bevölkerung bis zum Jahr 2019 feststellen, der allerdings ähnlich wie bei den Portugiesen ab 2019, die Zuwanderungen aus Belgien betreffend, nachlässt (STATEC 2021c).
4.3 Das polyglotte Luxemburg Wie aus der (migrations-)gesellschaftlichen, diversen Struktur des Großherzogtums hervorgeht, ist die Mehrsprachigkeit Luxemburgs nicht nur durch herkömmliche migrationsgeschichtliche Zuströme, wie z. B. durch GastarbeiterInnen, bedingt. Auch die Zuwanderung bediensteter Personen der EU-Institutionen und des Finanzsektors sowie die Lage innerhalb der Großregion und das Gesetz über die Wiedereinbürgerung können Auswirkungen auf die in Luxemburg herrschende Sprachensituation haben. Während aus Sicht einiger Autoren mit Fortschreiten der Generationen der Zugewanderten die Sprachbeherrschung der Sprache des Ziellandes stabiler wird und somit die Mehrheitssprache dominiert (Androutsopoulus 2006, 173s.; Riehl 2014a, 64), so stellt sich im Falle von Luxemburg, einem Land, das ohnehin eine komplexe Sprachensituation aufweist, zunächst die Frage nach der Mehrheitssprache. Einerseits werden in Luxemburg mehrere Sprachen gesprochen, geschrieben und in den Schulen gelehrt, andererseits stehen die (Amts-)Sprachen, sprachsoziologisch und sprachgenetisch, in hierarchischem Bezug zueinander (Berg 1993, 9). Um auf das sprachgenetische Verhältnis – in diesem Fall bezogen auf das Verhältnis des Luxemburgischen zum Deutschen – einzugehen, ist es notwendig, zunächst die sprachgeschichtliche Entwicklung der luxemburgischen Mehrsprachigkeit darzustellen. Im Rahmen des sich ständig wechselnden Abhängigkeitsverhältnisses Luxemburgs durch spanischen, französischen, österreichischen und schließlich erneut französischen Besitz wirkte die Sprachenpolitik Luxemburgs stets «von außen» (Fehlen 2008, 47). Die französische Sprache allerdings war durchgängig Verwaltungsund Amtssprache Luxemburgs sowie darüber hinaus auch Kultur-, Bildungs- und außerdem Prestigesprache Westeuropas (Scheer 2017, 16).
4.3 Das polyglotte Luxemburg
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Im Jahr 1830, unter König Wilhelm I. der Niederlande, dem damaligen Großherzog Luxemburgs, wurde schließlich Belgien durch die Belgische Revolution als Gefahr wahrgenommen, weshalb die luxemburgische Bevölkerung durch eine strikte Germanisierungspolitik germanisiert werden sollte (Fehlen 2008, 47s.). Der parallele Gebrauch der romanischen und germanischen Sprachen hatte in Luxemburg allerdings schon viel früher großen Einfluss auf die Sprachgewohnheiten der LuxemburgerInnen, sodass bereits zwischen dem 11. und 14. Jahrhundert eine Fülle an Wörtern aus dem Französischen entlehnt wurde (Hoffmann 1979, 12). Durch den Gebrauch überwiegend beider Sprachen, bedingt durch die diachronen Germanisierungs- und Romanisierungsversuche, war bis ins 19. Jahrhundert die Rede von einem zweisprachigen Luxemburg: Aufgrund der geografischen Lage am Grenzsaum zwischen Romania und Germania, unterschiedlicher territorialer Ausdehnungen und politischer Zugehörigkeiten, zeigt sich das Vorhandensein mehrerer Sprachen, zunächst des Französischen und des Deutschen, als notwendiges und sinnhaftes Resultat historisch nachvollziehbarer und erwartbarer Prozesse. (Sieburg 2013b, 82)
Während die Zweisprachigkeit Luxemburgs im Jahr 1848 in der Verfassung festgeschrieben wurde (Sieburg 2013b, 83), ging die gesprochene Sprache in privaten Kreisen auf das Moselfränkische,8 anfänglich lediglich als dialektale Varietät des Deutschen (Lëtzebuerger Däitsch), zurück (Sieburg 2013b, 83). Das gegen Ende des 19. Jahrhunderts noch fehlende Sprachbewusstsein der LuxemburgerInnen bildete sich schließlich vor dem Ersten Weltkrieg heraus, als die luxemburgische Bevölkerung in dem Deutschen Reich eine Bedrohung sah und dadurch der Wunsch aufkam, sich auch sprachlich vom Nachbarn abzugrenzen (Fehlen 2008, 48). Der vermehrte Gebrauch der Sprache in öffentlichen Bereichen, etwa als sich ein Abgeordneter im Rahmen eines offiziellen Anlasses im Frankfurter Parlament auf seiner Erstsprache, Luxemburgisch, an die Versammlung wandte, führte dazu, dass sich das Luxemburgische immer mehr als dritte offizielle Sprache herausbildete (Scheer 2017, 19).
Bei dem Moselfränkischen handelt es sich neben dem Ripuarischen um einen westmitteldeutschen Dialekt. Im westmitteldeutschen Gebiet, auch rheinischer Fächer genannt, bildet der moselfränkische Dialekt zusammen mit dem Ripuarischen, Pfälzischen und Hessischen eine facettenreiche Dialektlandschaft. Im Moselraum, in der südlichen Eifel, im nördlichen Hunsrück und im Saarland gesprochen, existiert das Moselfränkische auch über die Landesgrenzen Deutschlands hinaus und ist z. B. Sprachvarietät des Lothringischen, des SiebenbürgischSächsischen und des Luxemburgischen. Linguistisch gesehen handelt es sich beim Luxemburgischen um einen Ausbaudialekt des Moselfränkischen, dessen Ursprung in der indogermanischen Sprache liegt (Drenda 2008, 17ss.).
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Auch die damit verbundene nationale Identität der LuxemburgerInnen äußerte sich durch den Einzug des Luxemburgischen in weitere Bereiche des öffentlichen Lebens: Das im Jahr 1912 eingeführte Schulfach «Luxemburgisch» sollte einmal pro Woche unterrichtet werden (Berg 1993, 17), darüber hinaus sollte das Beherrschen der luxemburgischen Sprache auch ab 1939 als Voraussetzung für den Erwerb der luxemburgischen Staatsangehörigkeit gelten (Marti 1996, 12). Im Rahmen einer unter der deutschen Besatzung stattgefundenen Volkszählung im Jahr 1941 war es den LuxemburgerInnen lediglich möglich, Deutsch, Französisch oder andere Sprachen bzw. Nationalitäten – nicht aber Luxemburgisch – im entsprechenden Fragebogen anzugeben. Dennoch gaben die LuxemburgerInnen als «ihre» Sprache Luxemburgisch an, wodurch sich das bis zum Zweiten Weltkrieg bestehende nationale Bewusstsein äußerte und seinen Höhepunkt fand, als das Luxemburgische die deutsche Sprache im Parlament ablöste. Darüber hinaus wurde Luxemburgisch im Jahr 1945 als festes Pflichtfach in den Schulen eingeführt (Berg 1993, 17s.). Noch weitere 39 Jahre dauerte es, bis schließlich das endgültige Gesetz über die Sprachenreglung im Jahr 1984 in Kraft trat (Fehlen 2008, 49).
4.3.1 Sprach(en)politik – die «Loi du 24 février 1984 sur le régime des langues» Die im Rahmen der für die Großregion 2003 formulierten Zukunftsvisionen beschriebenen politischen Ziele u. a. innerhalb der Felder Kultur, Bildung, Hochschulen und Forschung, die bisher nicht alle wie geplant umgesetzt werden konnten (s. Kap. 4.1), betrafen innerhalb ebendieser genannten Felder auch die in der Großregion gesprochenen Sprachen. So sollten ursprünglich Deutsch und Französisch gleichermaßen als Verkehrssprachen der Großregion durchgesetzt werden (Institut der Großregion – Arlon 2015). Obwohl der Fokus hier nicht auf der Großregion, sondern auf Luxemburg liegt, kann für das Fallbeispiel ein interessanter Schluss gezogen werden: Das Scheitern der u. a. auf die Sprachen bezogenen politischen Maßnahmen könnte möglicherweise durch die fehlende identitätsstiftende Wirkung der Großregion erklärt werden. An dieser Stelle ist die in Kapitel 3.2 dargestellte Verbindung von Sprache und Identität und Sprache als Identitätsmerkmal erneut von Bedeutung, da diese Auswirkungen auf die Sprachenpolitik haben kann (Cichon 2001, 84s.). So kann es z. B. möglich sein, dass, bedingt durch ihr starkes Sprachbewusstsein,9 eine dominierte Sprachgemeinschaft gewisse Forderungen an den Staat stellt, die sich schließlich in der Sprachenpolitik niederschlagen.
Cf. Kap. 2.4.1.
4.3 Das polyglotte Luxemburg
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Darüber hinaus handelt es sich bei der Existenz mehrerer Sprachen nebeneinander – in Form einer Heteroglossie – nach Lüdi (2014) nicht um einen Dauerzustand. Bedingt durch die unterschiedlichen Funktionen der jeweiligen Sprachen bildet sich langfristig, u. a. auch aufgrund gewisser Wertevorstellungen von den einzelnen Sprachen, eine Di-, Tri- oder Polyglossie heraus (Lüdi 2014, 309). Die die Sprachenpolitik Luxemburgs betreffenden wichtigsten Reglungen der «Loi du 24 février 1984 sur le régime des langues»10 lauten wie folgt (Legilux Doc. part. n° 2535 – «Loi du 24 février 1984 sur le régime des langues»): Art. 1er. Langue nationale La langue nationale des Luxembourgeois est le luxembourgeois. Art. 2. Langue de la législation Les actes législatifs et leurs règlements d’exécution sont rédigés en français. Lorsque les actes législatifs et règlementaires sont accompagnés d’une traduction, seul le texte français fait foi. Au cas où des règlements non visés à l’alinéa qui précède sont édictés par un organe de l’Etat, des communes ou des établissements publics dans une langue autre que la française, seul le texte dans la langue employée par cet organe fait foi. Le présent article ne déroge pas aux dispositions applicables en matière de conventions internationales. Art. 3. Langues administratives et judiciaires En matiére [sic!] administrative, contentieuse ou non contentieuse, et en matière judiciaire, il peut être fait usage des langues française, allemande ou luxembourgeois e [sic!], sans préjudice des dispositions spéciales concernant certaines matières. Art. 4. Requêtes administratives Lorsqu’une requête est rédigée en luxembourgeois, en français ou en allemand, l’administration doit se servir, dans la mesure du possible, pour sa réponse de la langue choisie par le requérant.
Im ersten Artikel des Gesetzes über die Sprachenordnung Luxemburgs wurde festgelegt, dass es sich bei der Nationalsprache der LuxemburgerInnen ausschließlich um Luxemburgisch handelt. Das Luxemburgische fungiert damit nicht mehr ausschließlich als Amtssprache, sondern auch als Nationalsprache der LuxemburgerInnen. Im zweiten Artikel wurde Französisch als Sprache der Gesetzgebung festgelegt. Verabschiedete Gesetze sind damit nur in französischer Fassung gültig.
Französisch ist die legislative Sprache Luxemburgs, da die luxemburgische Gesetzgebung auf dem französischen Code Civil (entspricht im Dt. dem Bürgerlichen Gesetzbuch) von 1804 beruht (Warnke/Kampf 2020).
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Was die Verwaltungs- und Gerichtssprachen angeht, so wurden alle drei Sprachen gleichermaßen (Französisch, Deutsch und Luxemburgisch) als Amtssprachen festgelegt, wobei Fehlen (2008) auf die Reihenfolge der Sprachen im dritten Artikel aufmerksam macht – Luxemburgisch als die Nationalsprache wird als Verwaltungssprache als Letztes aufgeführt (cf. Fehlen 2008, 49). Wird ein Antrag auf einer der drei Amtssprachen gestellt, so wird auch in der jeweiligen Sprache geantwortet. Die identitätsstiftende Formulierung des ersten Artikels der Sprachenordnung wurde von Berg et al. (2013) kritisiert, indem sie festhalten, dass dieser erste Artikel «äußerst ambivalent» (Berg et al. 2013, 14s.) sei. Er würde dazu führen, dass Zugewanderte ausgeschlossen werden und sie damit einhergehend nicht das Bedürfnis verspüren würden, das Luxemburgische lernen zu müssen. Der Druck für zugewanderte Personen, Luxemburgisch als erste Sprache lernen zu müssen, hätte allerdings durch eine im September 2016 zugelassene Petition, die Petition Nr. 698 (auch «Petition 698» genannt), erhöht werden können. Im Rahmen dieser Petition wurde neben der «Sonderstellung» des Luxemburgischen als Nationalsprache außerdem das Luxemburgische als verbindliche, erste Amtssprache gefordert. Dadurch sollte es bei Behörden dem dort dominierenden Französisch übergestellt werden. Zwar konnte sich diese Petition nicht durchsetzen, dennoch wurde daraufhin von Seiten der Politik ein Aktionsplan zur Förderung des Luxemburgischen erstellt und zwei Jahre später trat die «Loi du 20 juillet 2018 portant sur la promotion de la langue luxembourgeoise»11 (dt. «Gesetz vom 20. Juli 2018 zur Förderung der luxemburgischen Sprache») in Kraft (Legilux Doc. parl. 7231). Wie in der Sprachenordnung Luxemburgs festgelegt, beschränkt sich, anders als etwa in der Schweiz, die Amtssprachenfunktion der Landessprachen nicht auf bestimmte Regionen, sondern erstreckt sich über das gesamte Großherzogtum (Berg 1993, 153). Weiter schreibt Berg (1993) bzgl. der Sprachenpolitik des Großherzogtums, dass [...] das Fallbeispiel [...] sich dabei grundsätzlich dadurch aus[zeichnet], daß hier Territorium und Sprachgemeinschaft im wesentlichen deckungsgleich, somit alle Sprachträger [Innen] gleichzeitig auch Amtssprachenträger[Innen] sind. In bildungspolitischer Hinsicht wird durch eine auf produktiven Trilingualismus ausgerichtete Sprachpolitik gewährleistet, daß die Amtssprachen für alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft gleichermaßen zugänglich sind. (Berg 1993, 153)
Das Gesetz umfasst vier Fördermaßnahmen der luxemburgischen Regierung: «1. Die Förderung der Bedeutung der luxemburgischen Sprache; 2. Die Fortentwicklung der Normung, der Benutzung und des Studiums der luxemburgischen Sprache; 3. Die Förderung des Erlernens der luxemburgischen Sprache und Kultur; 4. Die Förderung der Kultur in luxemburgischer Sprache» (Gouvernement.lu 2019).
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Dass alle «Sprachenträger[Innen]» gleichzeitig «Amtssprachenträger[Innen]» (Berg 1993, 153) seien, ist nachzuvollziehen. Dass jedoch die Amtssprachen, wie von Berg (1993) beschrieben, für alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft gleichermaßen zugänglich sind, muss aus Sicht der Zugewanderten – aufgrund der dargestellten zunehmenden Migrationsströme und der daraus resultierenden Zahl an Neueinbürgerungen – zunächst hinterfragt werden. Was bzgl. der Bildungspolitik Luxemburgs zutreffen mag, bleibt hinsichtlich des aus der Sprachenpolitik resultierenden Sprachgebrauchs, vor allem der Sprache im öffentlichen Raum, zu hinterfragen. Besonders deutlich wird dies innerhalb der Sprachlandschaft, der Linguistic Landscape12 Luxemburgs. Zwar ist mit einem Blick auf das Gesetz über die Sprachenordnung Luxemburgs eindeutig von einer triglossischen Situation auszugehen, aus der Sprachlandschaft Luxemburgs geht jedoch deutlich hervor, dass das Luxemburgische, z. B. neben den beiden anderen Amtssprachen Französisch und Deutsch, auf der Mehrheit der Beschilderung weniger präsent ist und zudem weitere Sprachen, vor allem die Sprachen der Zugewanderten und Berufspendelnden (in diesem Fall Portugiesisch sowie Englisch), ähnlich häufig in der Sprachlandschaft vertreten sind (Pinter 2021, 150s.). Aus der öffentlichen und privaten Beschilderung geht deutlich hervor, dass die Mehrheit (58%) der einsprachigen Beschilderung auf Französisch beschriftet ist und Französisch als Sprache im öffentlichen Raum damit vorrangig Gebrauch findet (Pinter 2021, 148). Ebenso nimmt Französisch sowohl in der Top-down- als auch Bottom-up-Beschilderung den größten Anteil ein (Pinter 2021, 150s.). Damit kommt dem Französischen auch in der Sprachlandschaft Luxemburgs – ähnlich wie im Gesetz über die Sprachenordnung – die Sonderstellung als die dominierende Sprache zu, wodurch sich die Wechselwirkung von offizieller Sprachenpolitik und öffentlicher Beschilderung zeigt (cf. Moser 2020). Wie darüber hinaus jedoch mit Blick auf die Sprachenordnung Luxemburgs anzunehmen ist, scheint eine strikte Vereinheitlichung des Sprachgebrauchs durch die sprachpolitischen Regelungen nicht vorgesehen zu sein. Die französische Sprache, die rechtlich betrachtet auf allen Verwaltungsebenen maßgebend ist, grenzt sich deutlich als legislative Sprache sowie als dominierende Verwaltungssprache von den beiden anderen Amtssprachen ab. Bzgl. der von Berg (1993) angesprochenen Bildungspolitik wird das luxemburgische Schulsystem, das neben der Sprachenpolitik die Mehrsprachigkeit gewährleisten soll (Gilles 2009, 188), zumindest von außen betrachtet zunächst vor eine Herausforderung gestellt. Da es sich bei 47% der luxemburgischen Bevölkerung um Personen ausländischer Herkunft handelt, muss zunächst zwischen Kindern aus einheimisch luxem-
Cf. Kap. 2.1.
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burgischen und solchen aus zugewanderten Familien unterschieden werden, da ein vierjähriges Kind aus einer einheimisch luxemburgischen Familie bei seiner Einschulung grundsätzlich ausschließlich Luxemburgisch spricht. Während es zwar in Luxemburg eine Vielzahl europäischer und internationaler Schulen gibt, in denen ein internationales Abitur auf Französisch oder Englisch abgeschlossen werden kann (Luxembourg 2020), muss dessen ungeachtet bedacht werden, dass der Schulalltag in luxemburgischen Schulen für Kinder der ausländischen Bevölkerung, die weder mit dem Luxemburgischen noch mit einer anderen germanischen Erstsprache aufwachsen, zur Hürde werden kann (Gilles 2009, 188). Mit der erhöhten Zuwanderungswelle soll eine Schulpflicht mit vier Jahren, anstatt wie zuvor mit fünf Jahren, gewährleisten, dass auch Kinder aus zugewanderten Familien so früh wie möglich an das Luxemburgische gewöhnt werden. Das Luxemburgische ist bereits im Vorschulunterricht und anschließend auch in der Grundschule die Unterrichts- und Hauptverkehrssprache. Mit sechs Jahren werden die Kinder in der Grundschule auf Deutsch unterrichtet und alphabetisiert, ein Jahr später zusätzlich auf Französisch (Luxembourg 2020). Zwar sollen der Schuleinstieg sowie die Alphabetisierung auf Deutsch gewährleisten, dass alle Kinder das gleiche sprachliche Kompetenzniveau erreichen (Luxembourg 2020), allerdings wäre die Erstalphabetisierung, vor allem in Anbetracht des hohen Anteils an portugiesischer Bevölkerung, in einer romanischen Sprache naheliegender. Dass es dementsprechend überwiegend den mit Luxemburgisch aufwachsenden Kindern gelingt, ihre luxemburgischen Sprachkompetenzen in das Deutsche als Schriftsprache zu übertragen und dadurch möglicherweise leistungsstärker zu sein (Enfancejeunesse.lu 2016), geht aus dem nationalen Bildungsbericht von 2018 hervor:13 Im Schuljahr 2016/2017 waren 79,9% der SchülerInnen im enseignement secondaire14 luxemburgischer und lediglich 20,1% der SchülerInnen ausländischer Herkunft (Lenz/Heinz 2018). Dementsprechend ist zu vermuten, dass das luxemburgische Schulsystem nicht nur den Grundstein für die Mehrsprachigkeit der LuxemburgerInnen legt, sondern dass mit steigendem Bildungsgrad auch von
Da die Leistungsdifferenzen allerdings nicht nur anhand der sprachlichen Kompetenzen bemessen werden können, muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass darüber hinaus auch der sozioökonomische Hintergrund der SchülerInnen eine Rolle spielt und die deutsch- sowie luxemburgischsprachigen SchülerInnen meist aus Familien mit dem höchsten sozialen Status stammten (Enfancejeunesse.lu 2016). Bei dem enseignement secondaire handelt es sich um den Unterricht an weiterführenden Schulen, der i. d. R. den besten Schülern vorbehalten ist, der auf eine akademische Ausbildung vorbereitet und mit dem Zeugnis der allgemeinen Hochschulreife abgeschlossen wird (Lenz/ Heinz 2018).
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stärkeren Kompetenzen in den Amtssprachen Deutsch und Französisch ausgegangen werden kann. Darüber muss der funktionale Charakter des Deutschen und des Französischen als langues administratives (dt. «Verwaltungssprachen») und langues judicaires (dt. «Gerichtssprachen»), wie er aus der Sprachenordnung hervorgeht (cf. Legilux Doc. part. n° 2535 – «Loi du 24 février 1984 sur le régime des langues»), näher betrachtet werden: Obwohl durch die – in Bezug auf die drei Amtssprachen – eher implizite Sprachenordnung von einer von Gilles (2009) bezeichneten «Anything goes»-Mehrsprachigkeit (Gilles 2009, 87) in Luxemburg auszugehen ist, hat die sprachliche Praxis in den verschiedenen Bereichen des öffentlichen Lebens, trotz des variierenden Sprachgebrauchs der Luxemburger, ihren eigenen Formalismus.
4.3.2 Die sprachliche Praxis Luxemburgs Die durch die sprachpolitischen Reglungen festgelegten Strukturen einer grundsätzlichen Triglossie Luxemburgs weichen in der sprachlichen Praxis Luxemburgs einer von Gilles (2009) – hauptsächlich die schriftsprachlichen Bereiche betreffend – beschriebenen «medialen Diglossie» (Gilles 2009, 187) und einer überwiegend einsprachigen sprachlichen Praxis der einheimischen LuxemburgerInnen untereinander. Luxemburgisch wird unter den einheimischen LuxemburgerInnen als Kommunikationsmittel in den meisten Bereichen gebraucht (Hoffmann 1979, 41). Die deutsche und französische Sprache teilen sich hauptsächlich die schriftsprachlichen Bereiche (Gilles 2009, 187). Im Zusammenhang mit der sprachlichen Praxis Luxemburgs gibt Berg (1993) einen domänenspezifischen Überblick.15 Erstmals von Schmidt-Rohr (1932) vorgeschlagen (cf. Berg 1993, 18), führt Fishman ab 1964 «Domänen» im Rahmen seiner soziolinguistischen Untersuchung ein (cf. Werlen 2004, 335ss.). Mit «Domänen» oder «Sprachverhaltensdomänen» (Berg 1993, 19) wird der Sprachgebrauch innerhalb unterschiedlicher Bereiche, z. B. «[...] Familie, Spielplatz und Straße, Schule, Kirche, Literatur, Presse, Militär, Gericht, Regierungsverwaltung» (Berg 1993, 18), bezeichnet. Die Wahl einer Sprache innerhalb einer Domäne wird folglich durch den Kontext, soziokulturelle Normen sowie Erwartungen bestimmt (Werlen 2004, 335ss.).16
Domänenspezifische Zusammenfassungen zur Sprachpraxis Luxemburgs finden sich darüber hinaus bei Hoffmann (1979) und Kramer (1984). Von einer Diskussion des Begriffs der «Domäne» innerhalb der Soziolinguistik wird an dieser Stelle abgesehen. Für eine ausführliche Darstellung und die Ausweitung des Begriffs der «Domäne» cf. Fishman (1967; 1982) oder Werlen (2004).
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Um die sprachliche Praxis der LuxemburgerInnen mit den in verschiedenen Domänen dominierenden Sprachen darzustellen, werden an dieser Stelle exemplarisch ausgewählte Domänen des öffentlichen Lebens mit den dort vorherrschenden Sprachen dargestellt. Die Domänen «Familie», «Spielplatz» und «Straße» fallen in den bereits beschriebenen privaten Bereich, in dem – geht man von der einheimischen luxemburgischen Bevölkerung aus – ausschließlich Luxemburgisch als Kommunikationsmittel gebraucht wird. Ebenso wurde der Sprachgebrauch der Domänen «Schule», «Gericht» und «Regierungsverwaltung» hauptsächlich auf Grundlage des Gesetzes über die Sprachenordnung des Großherzogtums (cf. Legilux Doc. part. n° 2535 – «Loi du 24 février 1984 sur le régime des langues») bereits in Kapitel 4.3.1 dargestellt. Auf den Sprachgebrauch der Domäne «Militär» wird zum einen aufgrund der Größe17 und zum anderen aus dem Grund nicht eingegangen, da diese Domäne wegen ihrer geringen Relevanz im alltäglichen Leben der meisten LuxemburgerInnen auch für die vorliegende Untersuchung als peripher zu betrachten ist. Im Folgenden wird der Sprachgebrauch der Domänen «Kirche», «Literatur» und «Presse» dargestellt. Die Domänen «Literatur» und «Presse» werden nachfolgend zum Zwecke einer umfangreicheren Darstellung unter «Kultur» und «Medien» zusammengefasst. Bezogen wird sich dabei hauptsächlich auf die Untersuchung von Hoffmann (1979) sowie eine aktuellere vom Presse- und Informationsamt der Luxemburger Regierung veröffentlichte Broschüre über die Sprachensituation Luxemburgs (Hoffman 1979, 49s.; Luxembourg 2019). Sprache in der Kirche Die Mehrheit der LuxemburgerInnen sind mit über 68% Anhänger der römischkatholischen Kirche (STATEC 2011). Noch vor dem Zweiten Weltkrieg fanden Verkündigungen auf Lateinisch statt, während Deutsch bei Gebeten und Predigten gesprochen wurde. Französisch wurde zu der Zeit nur zum Singen weniger Lieder gebraucht, die Mehrheit der Lieder wurde auf Deutsch gesungen. Aufgrund von Verständigungsproblemen – hauptsächlich bei Kindern, die nur Luxemburgisch sprachen – wurde schließlich vermehrt Wert auf das Luxemburgische gelegt, das fortan die Sprache der Kirche wurde. Messen, Taufen und Hochzeiten werden auf Luxemburgisch gehalten, allgemeine Mitteilungen der katholischen Kirche jedoch auf Deutsch veröffentlicht. Je nach Präferenz der Pfarrperson ist es trotzdem keine Seltenheit, sich auf Deutsch oder Französisch an die Gemeinde zu wenden. Darüber hinaus wird auch der
Im Jahr 2018 umfasste die luxemburgische Armee 939 aktive Mitglieder (STATEC 2019).
4.3 Das polyglotte Luxemburg
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große Anteil an zugewanderten Personen berücksichtigt, indem wöchentlich Gottesdienste auf Portugiesisch, Italienisch oder Spanisch angeboten werden. Welche Sprache explizit die Sprache der Kirche ist, ist nicht eindeutig festzumachen. Allerdings hat die von Berg (1993) beschriebene «signifikante Neuorientierung» (Berg 1993, 38) im Sprachgebrauch der katholischen Kirche seit den 1970er Jahren bis heute dazu geführt, dass das Luxemburgische in der Kirche immer dominanter wird, was auch dadurch bestätigt wird, dass Predigten und Gottesdienste im Regelfall auf Luxemburgisch gehalten werden. Sprache der Kultur Im Theater ist die Sprache abhängig vom aufgeführten Theaterstück sowie von der Herkunft der SchauspielerInnen. Es wird versucht, deutsche und französische Stücke gleich oft aufzuführen, um das Gleichgewicht zwischen den beiden Amtssprachen zu wahren (cf. Kap. 4.3.1). Neben Stücken auf Deutsch und Französisch gibt es auch ein luxemburgisches Programm. Im Unterschied zum Sprachgebrauch in luxemburgischen Theatern beschränkt sich der Sprachgebrauch in den luxemburgischen Kinos auf die Sprachen der Originalfassungen. Da es sich in der Regel bei den meisten Filmen um amerikanische Produktionen handelt, ist Englisch hier die dominierende Sprache, auf der die Filme mit entweder französischer oder deutscher Untertitelung gezeigt werden. Um auch das Luxemburgische im Kino nicht unerwähnt zu lassen, so sollen in den Kinos gezeigte Werbespots «sprachlichen Freiraum für das Luxemburgische bieten» (Luxembourg 2019). Seit 1980 unterstützt die luxemburgische Regierung auch wieder vermehrt Filmproduktionen auf Luxemburgisch. Ähnlich verhält es sich in der Literatur: Seit den 1980er Jahren wird mehr auf Luxemburgisch veröffentlicht, darunter auch Übersetzungen und Adaptationen bekannterer Werke. Grundsätzlich sind Veröffentlichungen in luxemburgischen Bibliotheken und Buchläden darüber hinaus auf Deutsch, Französisch, Englisch, aber auch Italienisch und Portugiesisch zu finden. Daraus lässt sich annehmen, dass im kulturellen Bereich – dort, wo es möglich ist – verstärkt versucht wird, auf das Luxemburgische zurückzugreifen. Lediglich im Kino würde eine luxemburgische Synchronisation bereits aus Kostengründen nicht in Frage kommen. Sprache der Medien Die von Gilles (2009) beschriebene «mediale Diglossie» (Gilles 2009, 187), i. e. die durch Zweisprachigkeit geprägte Medienlandschaft, bestätigt sich zumindest und ausschließlich in der Presselandschaft Luxemburgs. Zwar gestaltet sich die Presselandschaft Luxemburgs im Verhältnis zu der Größe des Landes facettenreich –
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4 Mir wëlle bleiwe wat mir sinn – das Großherzogtum Luxemburg
neben einem großen Angebot an Zeitungen der Nachbarländer Belgien, Deutschland und Frankreich verlegt das Großherzogtum selbst mehrere Tageszeitungen, Wochenblätter und Zeitschriften (Berg 1993, 40) –, dennoch ist Deutsch, gefolgt von Französisch, die dominierende Pressesprache Luxemburgs. Französisch macht nach dem Deutschen mittlerweile über 20–30% der redaktionellen Teile aus, womit französische Zeitungen (z. B. «Le Quotidien» oder «Le Jeudi») Teil der Presselandschaft Luxemburgs sind. Die größte und auflagenstärkste Zeitung ist allerdings nach wie vor die überwiegend deutschsprachige Tageszeitung «Luxemburger Wort»18 (Berg 1993; Reddeker 2011, 129). Neben den größeren deutsch- und französischsprachigen Zeitungen gibt es seit 1970 portugiesische Zeitungen (z. B. «Contacto» oder «Correio») und seit 2011 eine monatlich erscheinende englischsprachige Zeitung («Delano») (Luxembourg 2013). Den Hörfunk betreffend erzielen die luxemburgischsprachigen Radiosender im Großherzogtum die höchsten Einschaltquoten, die auch den größten Anteil des Hörfunkbereichs ausmachen. Neben luxemburgischsprachigen Sendern existiert darüber hinaus auch ein Angebot an romanisch- und englischsprachigen Sendern, die sich hauptsächlich an die GrenzgängerInnen und zugewanderten Personen richten. Einer der in Luxemburg bekanntesten Fernsehsender ist «Radio Télévision Luxembourg» (RTL), der ein hauptsächlich luxemburgischsprachiges, aber auch ein deutsch- und französischsprachiges Programm sendet. Des Weiteren werden die Programme der großen Fernsehsender der Nachbarländer empfangen und angesehen. Deutsch ist die meistgehörte Sprache, zu gleichen Anteilen gefolgt von Luxemburgisch und Französisch, einen marginalen Anteil machen weitere Sprache aus. Die gesamte luxemburgische Bevölkerung, die ebenfalls die in Luxemburg lebenden zugewanderten Personen miteinschließt, sieht ihr Fernsehprogramm vermehrt auf sonstigen Sprachen. Auch der Anteil des im Fernsehen gehörten Französischen ist bei der Gesamtheit der in Luxemburg lebenden Personen höher als bei der ausschließlich einheimischen luxemburgischen Bevölkerung. Außerdem wird weniger Deutsch und weniger Luxemburgisch im Fernsehen gehört, als dies bei der einheimischen Bevölkerung der Fall ist (Luxembourg 2019). Es lässt sich zusammenfassen, dass die Medienlandschaft Luxemburgs hauptsächlich deutschsprachig geprägt ist, wobei sich hier – ähnlich wie im kulturellen Bereich – hauptsächlich bezogen auf sprechsprachliche Bereiche und dort, wo die Umsetzung möglich ist, der vermehrte Gebrauch des Luxemburgischen abbildet. Wo dies nicht der Fall ist, ist Deutsch, gefolgt von Französisch die dominierende Sprache der Medien.
Cf. Kap. 5.4.
4.3 Das polyglotte Luxemburg
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Auch die sich innerhalb des domänenspezifischen Sprachgebrauchs abbildenden Tendenzen entsprechen nur bedingt dem in der Sprachenordnung verankerten gleichgestellten funktionalen Charakter der deutschen und französischen Sprache.19 Stattdessen ist allerdings eine Tendenz hin zum Deutschen festzustellen, durch die eine «strikte mediale Diglossie» gebrochen wird. Von einer reinen medialen Diglossie könnte ohnehin nur dann gesprochen werden, wenn sich dabei ausschließlich auf den schriftsprachlichen Bereich, die Presse, bezogen würde. Berg (1993) nennt weiter, basierend auf Fishman (1982), vier Gründe für den differenzierten Sprachgebrauch in der sprachlichen Praxis: Als ersten Grund nennt er die Routine für den Sprachgebrauch einer bestimmten Sprache in Verbindung mit einem bestimmten Thema, weil die Thematik in der bestimmten Sprache erlernt wurde. Der zweite Grund bezieht sich auf das Ausweichen auf eine Sprache, da die AkteurInnen nicht über die passenden Ausdrücke in der anderen Sprache verfügen. Der dritte Grund ist das Ausweichen auf eine Sprache, da die andere Sprache nicht über die passenden Ausdrücke verfügt, und der vierte Grund betrifft soziokulturelle Normen, die dazu führen, dass es als unpassend wahrgenommen wird, in einer bestimmten Sprache über ein bestimmtes Thema zu sprechen, und die dadurch zu einem Sprachwechsel führen können (Berg 1993, 19). Das Variieren der Sprachen in den dargestellten öffentlichen Bereichen kann jedoch nicht allgemeingültig anhand der auf Fishman (1982) zurückgehenden Gründe für ein allgemeines Variieren von Sprachen erklärt werden, da das Variieren der Sprache in den dargestellten Domänen zum einen zu heterogen ist und die sprachliche Praxis zum anderen auf öffentlicher, gesellschaftlich-institutioneller Ebene weniger ad hoc stattfindet, als dies in der interaktionsbasierten sprachlichen Praxis im privaten und öffentlichen Kontext der Fall ist.
4.3.3 Interaktionsbasierter Sprachgebrauch im Privaten und in der Öffentlichkeit Die sprachliche Praxis innerhalb der dargestellten Domänen des öffentlichen Lebens bildet ein anderes Bild über den Sprachgebrauch ab, als dies aus der Sprachenordnung des Großherzogtums hervorgeht und anhand der Sprachenpolitik Luxemburgs zunächst zu vermuten wäre. Das Sprachbewusstsein,20 das sich
Cf. Kap. 4.3.1. Cf. Kap. 2.4.1.
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4 Mir wëlle bleiwe wat mir sinn – das Großherzogtum Luxemburg
nicht nur als Einstellung zu Sprachen und den AkteurInnen oder als sprachgruppeninterner Einflussfaktor im Sprachprestige manifestiert, äußert sich darüber hinaus in bestimmten sprachlichen Handlungen (Cichon 2001, 181). Da beim interaktionsbasierten Sprachgebrauch durch den persönlichen Einfluss der AkteurInnen das Sprachbewusstsein als «zentrale Steuerungsinstanz» (Cichon 2001, 183) zum Tragen kommt, ist im öffentlichen und privaten «interaktionsbasierten» Sprachgebrauch von einem Herausbilden verschiedenartiger Muster der sprachlichen Praxis auszugehen, die im Folgenden erläutert werden. Unabhängig von den jeweiligen Generationen sprechen einheimische LuxemburgerInnen, wie in Kapitel 4.3.2 beschrieben, untereinander in ihrem privaten Umfeld ausschließlich Luxemburgisch: Dabei spielt das verwandtschaftliche und altersspezifische Verhältnis der Familienmitglieder untereinander (Kinder-Eltern, Enkel-Großeltern, usw.) ebensowenig eine Rolle wie etwa Art und Intensität einer Freundschaft oder Bekanntschaft. (Berg 1993, 62)
Auch unterschiedliche soziale Schichten betreffend ist Luxemburgisch durch alle Schichten hinweg ausschließliche Kommunikationssprache innerhalb der einheimischen luxemburgischen Bevölkerung. Gleiches gilt für das Freizeit- und Vereinsleben, wo ebenfalls ausschließlich Luxemburgisch gesprochen wird. Zwar sind die Vereinssatzungen auf allen drei Amtssprachen verfasst, Luxemburgisch ist jedoch die für z. B. Sitzungsprotokolle, Einladungen oder Veranstaltungsinformationen präferierte Sprache (Berg 1993, 61). Am Arbeitsplatz sprechen einheimische LuxemburgerInnen unabhängig von den an der Arbeitsstätte vorherrschenden Hierarchien untereinander ebenfalls Luxemburgisch. Unabhängig von Berufssparten werden Sprachkompetenzen im Luxemburgischen ebenso wie in den beiden anderen Amtssprachen, Deutsch und Französisch, innerhalb der meisten Stellenangebote vorausgesetzt. Eine Ausnahme bilden dabei allerdings Einrichtungen innerhalb der internationalen, öffentlichen Bereiche, in denen das Luxemburgische an Relevanz verliert, weniger gefragt ist und dementsprechend weniger gesprochen wird (Fehlen/Heinz 2016, 67), z. B. innerhalb der Institutionen der Europäischen Union. Dies bestätigt sich auch durch die Verteilung der an der Arbeitsstätte gesprochenen Sprachen nach Nationalitäten: Während über 92% der einheimischen LuxemburgerInnen im Jahr 2015 Luxemburgisch sprachen, sprachen demgegenüber 76% der ausländischen Bevölkerung (Zugewanderte, aber auch Berufspendelnde) Französisch an ihren Arbeitsstätten. Daraus resultierend ergibt sich, die Gesamtheit der in Luxemburg erwerbstätigen Personen betreffend, der überwiegende Gebrauch des Französischen (68,2%), gefolgt von Luxemburgisch (60,5%) und schließlich Deutsch (34,3%), am Arbeitsplatz (STATEC 2016).
4.3 Das polyglotte Luxemburg
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Die Verteilung des Sprachgebrauchs am Arbeitsplatz lässt bereits vermuten, dass die französische Sprache als Verkehrssprache fungiert, wenn ausländische KollegInnen das Luxemburgische nicht beherrschen und [...] in sprachliche Interaktion mit Luxemburger[Innen] [treten]. In der Regel wird dann von [ihnen] nicht verlangt, daß [sie] Lëtzebuergesch beherrsch[en]. Man verständigt sich eben auf deutsch oder französisch, wobei diese Sprachen häufig auch als eine Art lingua franca zur Verständigung mit Niederländer[Innen] bzw. Italiener[Innen], Spanier[Innen], Portugies[Innen] dienen. (Berg 1993, 56)
Dass die französische Sprache in Luxemburg ferner über das Berufsleben hinaus als Verkehrssprache, als lingua franca, fungiert, erwähnt auch Fehlen (2013): Mehr denn je ist die französische Sprache heute die Lingua franca, die Hauptverkehrssprache all jener, die in Luxemburg leben und arbeiten. Sie ist der Schlüssel zu vielen Segmenten des Arbeitsmarktes, sowohl im öffentlichen als auch im gewerblichen Bereich und das Eintrittstor zur Luxemburger Gesellschaft. (Fehlen 2013, 74)
Mit der Verbreitung des Englischen als weltweite Verkehrssprache hat auch das Französische als lingua franca in Luxemburg eine starke Konkurrenz. So wird die englische Sprache als verbindendes Glied zwischen der Bevölkerung Luxemburgs und den Berufspendelnden, z. B. im Bankensektor sowie im Handel, bezeichnet und darüber hinaus ist sie auch im Nachtleben [...] keine Seltenheit angesichts der großen ausländischen Gemeinschaft, die in den nächtlichen Vergnügungsstätten der Hauptstadt verkehrt. Ob am Arbeitsplatz oder in der Freizeit, Englisch ist immer noch die bevorzugte Verkehrssprache. (Luxembourg 2019)
An dieser Stelle wäre zu hinterfragen, ob Englisch oder nicht doch Französisch die in Luxemburg präferierte Verkehrssprache ist. Außerdem ist die hier erwähnte «ausländische Gemeinschaft» nicht lediglich auf die Hauptstadt Luxemburg begrenzt, sie ist auch über den urbanen Raum hinaus, vor allem im Südwesten Luxemburgs, sehr präsent (cf. Kap. 4.2.1), wodurch sich ebenso erklärt, dass vor allem im Norden und Osten Luxemburgs verhältnismäßig mehr Luxemburgisch gesprochen wird (Luxembourg 2019). Andererseits könnte der vermehrte Gebrauch des Luxemburgischen auch dadurch bedingt sein, dass der Osten Luxemburgs die Grenze zu Deutschland bildet und der vermehrte Sprachgebrauch des Luxemburgischen dort dementsprechend größer ist als in den Grenzgebieten zu Frankreich oder zum französischsprachigen Belgien. Im schriftsprachlichen Bereich ergibt sich hier ein komplementäres Bild zum sprechsprachlichen Bereich: Luxemburgisch nimmt als Schriftsprache eine weniger relevante Rolle ein, Deutsch sowie Französisch dominieren, wobei Deutsch die die schriftliche Kommunikation dominierende Sprache ist und das zunächst unabhängig davon, um welche Art der schriftsprachlichen Kommunikation es
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sich handelt. Es bildet sich allerdings der folgende Trend ab: Je persönlicher und intimer der schriftliche Austausch ist, desto eher wird auf Luxemburgisch geschrieben (Berg 1993, 62). Dass die unklaren Tendenzen im Sprachgebrauch vor allem im schriftsprachlichen Bereich – nicht zuletzt aufgrund des sprachgenetischen Verhältnisses des Luxemburgischen zum Deutschen – Auswirkungen in der sprachlichen Praxis haben können, äußerte auch eine der für die vorliegende Untersuchung befragte Probandin. Diese erklärt, dass ihre Tochter anhand einer Einkaufsliste nicht wusste, ob mit Miel ursprünglich «Honig» (frz. «miel») oder «Mehl» (lux. «Miel») gemeint war.21 Dieser Sprachgebrauch ist hauptsächlich unter zwei Gesichtspunkten interessant: dem Sprachkontakt als soziokulturelles Phänomen sowie den Motiven des Sprachkontaktes auf Ebene der AkteurInnen. Berg (1993) geht davon aus, dass es sich beim Code-Switching der LuxemburgerInnen mehr um ein institutionelles, gesellschaftliches und weniger um ein spontan-unbewusstes Phänomen handelt (Berg 1993, 134): In Luxemburg ist unbewußtes Code-Switching unter Einheimischen so gut wie inexistent. Die funktionelle Verteilung der drei Sprachen ist, besonders im sprechsprachlichen Bereich [...] rigoros, so daß in ein und derselben Situation für die Dauer einer Sprachhandlung grundsätzlich weder der alternative Gebrauch von zwei oder drei Sprachen noch der spontane und unbewußte Wechsel von der einen Sprache in die andere in Frage kommt. (Berg 1993, 133)
Dem jedoch konträr gegenüber steht das Beispiel der Probandin (BLux3). Weiter führt sie nämlich aus, dass sie keine spezielle Sprache zum Schreiben ihres Einkaufszettels bevorzuge und das Verfassen privater Notizen dadurch durchaus unbewusst in mehreren Sprachen vorkommen könne. Berg (1993) hingegen hält fest: Code-Switching ist im Fallbeispiel grundsätzlich eine rein funktionelle Angelegenheit, die nicht emotionell motiviert ist und somit nur selten unbewußt und unkontrolliert stattfindet. (Berg 1993, 133)
Auch der in Kapitel 2.2 die Sprachkontaktphänomene einleitende Gesprächsausschnitt aus dem Interview mit einer einheimischen Luxemburgerin (BLux5) verdeutlicht, dass psycholinguistisch motiviertes Code-Switching, ein unbeabsichtigter Sprachwechsel – entgegen Bergs (1993) Aussage – durchaus unter LuxemburgerInnen stattfinden kann. Berg (1993) spricht dem Sprachwechsel im Rahmen des Code-
Das Beispiel stammt aus einem Nachgespräch eines für die vorliegende Untersuchung geführten sprachbiografischen Interviews (cf. Kap. 6.4.1.2) mit einer einheimischen Luxemburgerin (BLux3) und basiert auf den Notizen des darüber verfassten Gedächtnisprotokolls.
4.3 Das polyglotte Luxemburg
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Switching ausschließlich seinen funktionellen Charakter zu, den unbewussten Charakter hingegen ab und unterstreicht dadurch die «konsequente Einsprachigkeit» (Berg 1993, 134) der LuxemburgerInnen: Deutsch und Französisch sind reine Funktionssprachen, die der Muttersprache Lëtzebuergesch so sehr fernstehen, daß unbewusstes, durch emotive Beweggründe verursachtes Code-Switching (in den Richtungen Lëtzebuergesch – Deutsch und Lëtzebuergesch – Französisch) ausgeschlossen ist. (Berg 1993, 134)
Nicht nur der ausschließlich funktionale Charakter der beiden Amtssprachen Deutsch und Französisch ist durch die u. a. in Kapitel 4.3.2 beschriebene sprachliche Praxis grundsätzlich zu hinterfragen, auch das von Berg (1993) beschriebene Verhältnis der beiden Sprachen zum Luxemburgischen muss kritisch erörtert werden: Diese Kritik lässt sich nicht nur durch die sprachgenetische Beziehung des Luxemburgischen zum Deutschen erklären, sondern auch dadurch, dass das Luxemburgische ohnehin durch zahlreiche Lehnwörter sowohl aus dem Deutschen als auch aus dem Französischen gekennzeichnet ist (Luxembourg 2019), z. B. Täsch (dt. «Tasche») oder Majoritéit (frz. «majorité»). Über die reinen lexikalischen Transfererscheinungen22 hinaus finden sich auch syntaktische und phonologische Transferphänomene innerhalb der sprachlichen Praxis der luxemburgischen Sprachgemeinschaft. Während Letztere hauptsächlich das Sprachenpaar Französisch – Luxemburgisch auf Parole-Ebene betreffen, gibt es hinsichtlich des Sprachenpaars Luxemburgisch – Deutsch zahlreiche Transfererscheinungen auf syntaktischer Ebene, die aufgrund der sprachstrukturellen Ähnlichkeit weniger auffällig sind (Berg 1993, 136). Gründe für diese Transfererscheinungen23 aus dem Deutschen und Französischen ins Luxemburgische sieht Berg (1993) grundsätzlich in dem geringen Sprachbewusstsein24 luxemburgischsprachiger Personen sowie in sprachstrukturellen Defiziten (Berg 1993, 142–143). Demnach ergibt sich das geringe Sprachbewusstsein zum einen daraus, dass aus Sicht der luxemburgischsprachigen Person die Verwendung von Lehnwörtern oder sonstigen Transfererscheinungen aus dem Deutschen oder Französischen «keinen normverletzenden Charakter [hat], [...] weil [die luxemburgischsprachigen Personen] eine solche Norm des Lëtzebuergeschen nicht anerkenn[en]» (Berg 1993, 142). Zum anderen stellt die Verwendung deutscher oder französischer Begriffe kein
Cf. Kap. 2.2. Wenngleich Berg (1993) in seiner Untersuchung die jeweiligen Sprachkontaktphänomene als «Interferenz» (Berg 1993, 134ss.) bezeichnet, wird in der vorliegenden Arbeit bewusst von «Transfer» gesprochen, da der Fokus hier auf allgemeinen Übertragungen sprachlicher Strukturen liegt, denen es in diesem Zusammenhang keiner Wertung bedingt (cf. Kap. 2.2). Cf. Kap. 2.4.1.
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Problem dar, da den luxemburgischsprachigen Personen die Begriffe ohnehin aufgrund ihrer Sprachkenntnisse bekannt sind und sie diese verstehen. Dass diese Erklärung für das geringe Sprachbewusstsein der luxemburgischsprachigen Personen darüber hinaus allerdings ein «Potenzial» für die zugewanderte Bevölkerung Luxemburgs darstellt, thematisiert Berg (1993) nicht. Konträr dazu merkt er sogar an, dass im Fallbeispiel Luxemburg nicht mehrere Sprachgemeinschaften aufeinandertreffen, sondern dass eine Sprachgemeinschaft drei Sprachen nutzt (Berg 1993, 131). Doch im Fallbeispiel Luxemburg treffen mehrere Sprachgemeinschaften aufeinander.25 Dabei könnte vor allem die zugewanderte Bevölkerung Potenzial aus den Lehnwörtern schöpfen, da sie durch die Lehnwörter aus den anderen Sprachen das Luxemburgische im besten Fall besser verstehen könnte, ohne dass sie die Sprache formal erlernt hat. Das von Berg (1993) beschriebene vermehrte Auftreten von Transfererscheinungen aufgrund sprachstruktureller Defizite ergibt sich seiner Ansicht nach aus dem geringen Bestand an luxemburgischen Fachtermini, vor allem im technischwissenschaftlichen Bereich (Berg 1993, 142): In nahezu keinem technisch-wissenschaftlichen Fachgebiet verfügt das Lëtzebuergesche über eigene Nomenklaturen. Ihre Erstellung ist auch kaum denkbar. Stattdessen erfolgt der Rückgriff auf die entsprechenden, im Deutschen und Französischen verfügbaren Fachterminologien. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die Wahl einer Nomenklatur zur Behandlung eines fachlichen Themas in lëtzebuergescher Sprache sich in erster Linie an extralinguistischen Kriterien orientiert. (Berg 1993, 142)
Hier wäre die Frage zu stellen, ob die sprachstrukturellen Defizite und die nicht vorhandenen Fachtermini im Luxemburgischen tatsächlich für das vermehrte Auftreten von Transfererscheinungen verantwortlich sind.
4.4 Zwischenfazit Wie in Kapitel 2 dargestellt, stehen, die gesellschaftliche Mehrsprachigkeit betreffend, neben mehrsprachigen Praktiken auch die Repertoires26 der LuxemburgerInnen in den gesellschaftlichen Handlungsfeldern im Vordergrund (Androutsopoulos 2017). Wenngleich sowohl die jeweiligen Praktiken als auch die betroffenen Repertoires eine identitätsstiftende Funktion für die AkteurInnen innehaben können, so wird deutlich, dass im Fallbeispiel Luxemburgs über die drei Amtssprachen hinaus noch weitere Sprachen betroffen sind.
Cf. Kap. 4.2. Cf. Kap. 2.3.
4.4 Zwischenfazit
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Wie Kapitel 4.3.3 gezeigt hat, wird der Aussage Bergs (1993) widersprochen, dass es sich im Fall des Großherzogtums lediglich um eine einzige Sprachgemeinschaft handelt. Dieser Widerspruch lässt sich zum einen nicht nur mit dem in Kapitel 4.3 bis Kapitel 4.3.3 erläuterten inkonsistenten Sprachgebrauch der LuxemburgerInnen begründen, sondern darüber hinaus durch die in Kapitel 4.2 bis einschließlich Kapitel 4.2.3 dargestellten Migrationsbewegungen. Die luxemburgische Migrationsgeschichte ist hauptsächlich durch eine doppelte Zuwanderung gekennzeichnet: die Zuwanderung von Menschen höherer sozialer Schichten, wie z. B. DiplomatInnen oder Personen, die im Finanzsektor oder in den EU-Institutionen tätig sind und sich vergleichsweise für eine kürzere Zeit in Luxemburg aufhalten. Diese TransmigrantInnen haben nur einen geringen Einfluss auf die Sprachensituation des Landes, da sie in den sich verkehrenden Kreisen ohnehin hauptsächlich die in den Institutionen vorherrschende Sprache, Französisch oder Englisch, sprechen. Dem gegenüber steht die Zuwanderung weniger qualifizierter Personen, die aufgrund eines in Luxemburg herrschenden Arbeitskräftebedarfs und der Hoffnung auf eine bessere Zukunft auswandern. Stellvertretend für diese Art von Migrationsbewegung steht die portugiesische Bevölkerung in Luxemburg, von der ein vergleichsweise größerer Einfluss auf die Sprachensituation des Landes ausgehen könnte, da sich die portugiesischen Zugewanderten längerfristig in Luxemburg aufhalten, dort ansässig werden und es dadurch wiederum zu Kettenmigrationen kommt, indem Familienangehörige oder Bekannte in das Großherzogtum folgen. Zum anderen lässt sich der Widerspruch gegen Bergs (1993) Aussage, das Großherzogtum bestehe ausschließlich aus einer einzigen Sprachgemeinschaft, aber auch durch neuere Migrationsbewegungen begründen, die laut Vertovec (2007) hauptsächlich auf Gesellschaften zutreffen, die bereits divers sind. Durch diese neue Ebene der Diversität entsteht, wie in Kapitel 2.3 dargestellt, Superdiversität. Auch Berg et al. (2013), die sich in ihrem Beitrag mit der Übertragung des Superdiversitätskonzeptes auf Luxemburg beschäftigen, beschreiben superdiverse Tendenzen im Großherzogtum (Berg et al. 2013, 9ss.). Da eine einheitliche sprachliche Praxis der LuxemburgerInnen nicht explizit aus der Sprachenpolitik des Großherzogtums hervorgeht und über die drei Amtssprachen hinaus weitere Sprachen sehr präsent im Alltag der LuxemburgerInnen sind, könnte sich auch die Identitätsbildung im Rahmen der luxemburgischen Mehrsprachigkeit komplex gestalten. Dass die Identitätsbildung der LuxemburgerInnen auch innerhalb der Medien des Großherzogtums im Rahmen von Pressetexten ein bedeutsames Thema ist, wird im nachfolgenden Kapitel gezeigt.
5 «It’s identity, stupid!» – der Mehrsprachigkeitsdiskurs in der luxemburgischen Presse Wie Kapitel 4.3.2 gezeigt hat, verfügt Luxemburg, trotz der Größe des Landes, über ein reiches und vor allem auf sprachlicher Ebene vielfältiges Medienangebot. Dies gilt nicht nur für die Printmedien, sondern betrifft seit den 1980er Jahren auch Hörfunk und Fernsehen (Luxembourg 2013). In diesem Kapitel stehen Medien als Kommunikationsträger, die im weiten Sinne für die Distribution von sozialem und kollektivem Wissen zuständig sind (Mein 2011, 20), im Zentrum. Da der Mediendiskurs als solcher den Rahmen der vorliegenden Untersuchung überschreiten würde, ist dieses Kapitel im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand, auf die Wirklichkeits- und Wissensbildung, vor allem auf den Begriff des «Wissens», im Rahmen des Mehrsprachigkeitsdiskurs innerhalb der luxemburgischen Presse (der Tageszeitung «Luxemburger Wort») ausgerichtet.
5.1 Die Presse im Rahmen der Massenmedien Medien, Kommunikationsmittel zur öffentlichen Verbreitung von Inhalten, sind vielfältig: vom Hörfunk über das Handy bis hin zum Fernsehgerät. Medien1 haben die Aufgabe, die Öffentlichkeit zu informieren und die öffentliche Meinung bekannt zu geben, was wiederum dazu führt, dass die Meinungsbildung erheblich durch Medien beeinflusst wird. Bestimmt wird der Medieninhalt durch die konsumierende Zielgruppe – es steht allen frei zu entscheiden, was konsumiert wird und was nicht. Grundsätzlich scheint auch die Medien betreffend zu gelten: Produziert wird, was konsumiert wird.
Parr (2011) spricht, begründet durch die vielfältigen Teildisziplinen der Medienwissenschaften, von der unklaren Bedeutung des Begriffs «Medium»: «[...] die heikelste Frage [ist] die nach einer Definition von Medium bzw. Medien [...]. So stellen die in Umlauf befindlichen Definitionen jeweils ganz unterschiedliche Aspekte des Medialen in den Vordergrund: mal die technische Basis von Medien [...], mal ihre Funktion [...], mal sind es aber auch gesellschaftliche Bezüge [...]» (Parr 2011, 23). Mit dem Begriff «Medium» bzw. «Medien» werden im Folgenden ausschließlich die Massenmedien, genauer die Presse (vordergründig Zeitungen), bezeichnet, deren Funktion sowie die gesellschaftlichen Bezüge im Mittelpunkt stehen. https://doi.org/10.1515/9783111117379-005
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5 «It’s identity, stupid!»– der Mehrsprachigkeitsdiskurs
Ihre «öffentliche Aufgabe» erfüllen die Medien dadurch, dass sie an der freien, individuellen und öffentlichen Meinungsbildung mitwirken, indem sie zu Angelegenheiten von allgemeiner Bedeutung Nachrichten sowie Informationen beschaffen und verbreiten, die [jede und] jeder Einzelne benötigt, um sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. (Branahl 2010, 6)
Vor allem die politische Meinungsbildung ist eine der wichtigsten Aufgaben freier Medien, die ein obligatorisches Glied der freiheitlichen Demokratie darstellen: Das Funktionieren einer Demokratie, in der alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht (Art. 20 Abs. 2 GG), setzt voraus, dass dessen Mitglieder über Informationen verfügen, die sie benötigen, um sich auf rationale Weise eine eigene Meinung zu allen politischen Fragen bilden zu können. (Branahl 2010, 6)
Die Medien fungieren dadurch als Bindeglied zwischen Bevölkerung und Entscheidungsträgern, indem sie bestimmte Informationen veröffentlichen oder kommentieren, auf Grundlage derer sich die Bevölkerung eine Meinung bilden kann. An dieser Stelle ist jedoch die Frage nach der «öffentlichen» Meinung zu stellen und vor allem, in welchem Zusammenhang die «öffentliche» Meinung mit der «freien» und «individuellen» Meinung steht. Die Öffentlichkeit ist als «ein Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen» (Donges 2010, 7) zu verstehen, i. e. Teilöffentlichkeiten, die durch Medien verknüpft und zugänglich gemacht werden. Durch die Bereitstellung, Sichtbarmachung und Verknüpfung von Themen und Stellungnahmen kann sich aus einer Vielzahl einzelner Positionen und Ansichten eine öffentliche Meinung herausbilden. Damit dienen Massenmedien zugleich der Integration der Gesellschaft, die sich in der durch sie hergestellten Öffentlichkeit wie in einem Spiegel selbst beobachten kann. (Donges 2010, 7)
Die öffentliche Meinung könnte zum einen als die durch die Medien veröffentlichte Meinung, i. e. mit den in den Medien veröffentlichten Inhalten, gleichgesetzt werden. Zum anderen könnte die öffentliche Meinung aber auch als die dominierende Meinung verstanden werden, die die Bevölkerung übernimmt und an der sie sich orientiert. Davon jedoch abgesehen sind Medien nicht nur als meinungsbildendes Medium zu verstehen. Durch ihre aktive Teilnahme haben sie auch großen Einfluss darauf, welche Themen gesellschaftlich überhaupt relevant werden (Donges 2010, 7). Die Bevölkerung ist auf Medien, genauer Nachrichtenmedien, angewiesen, um gegenwärtige Themen auch aus der Entfernung nachverfolgen zu können. Dabei bildet sich durch die Nachrichten und die Pressetexte zum einen ab, welche Themen aktuell relevant sind (Medien-Agenda), zum anderen wird die Bevölkerung bzgl. ihrer Entscheidung beeinflusst, welche Themen sie als besonders wichtig empfinden (Agenda-Setting) (Maurer 2010b, 10–12).
5.1 Die Presse im Rahmen der Massenmedien
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Eine in diesem Zusammenhang nicht zu unterschätzende Funktion der Medien ist die Integrationsfunktion. Sie übernimmt besonders in der sich globalisierenden, durch Multikulturalität geprägten Welt z. B. die wichtige Funktion, Bevölkerungsgruppen näher zusammenzubringen, die aufgrund gesellschaftlicher Strukturen ansonsten nebeneinander und nicht miteinander leben. Themen, die allen bekannt sind, verbinden und begünstigen eine gemeinsame Identität:
Abb. 4: Schlagzeile «Bild», 20.04.2005.
Stellt die «Bild»-Schlagzeile über Joseph Ratzinger, den im Jahr 2005 neu ernannten Papst, im Zusammenhang mit einer multikulturellen Gesellschaft dahingehend kein evidentes Beispiel dar, dass mit Multikulturalität und der Globalisierung eben auch die Religion betreffende Differenzen einhergehen, so sind es in der Regel jedoch ähnliche, gesellschaftsrelevante Ereignisse, auf deren Grundlage ein solches Gemeinschaftsgefühl medial vermittelt wird.2 Die Medien bergen allerdings auch die Gefahr, dass sich Menschen über Sachverhalte eine Meinung bilden, die nicht aus ihren eigenen Erfahrungen, sondern lediglich aufgrund der Medienwirkung entstanden ist. Was öffentlich relevant
Als weiteres Beispiele kann der Slogan «Je suis Charlie» (dt. «Ich bin Charlie»), der nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift «Charlie Hebdo» am 7. Januar 2015 entstand, genannt werden. Aus ihm entwickelte sich nach den Pariser Terroranschlägen vom 13. November 2015 schließlich der Slogan «Je suis Paris» (dt. «Ich bin Paris») und später «Nous sommes Paris» (dt. «Wir sind Paris»).
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5 «It’s identity, stupid!»– der Mehrsprachigkeitsdiskurs
wird, bestimmen JournalistInnen, die als AkteurInnen dementsprechend die Medienwirkung initiieren (Maurer 2010a, 65). Ein wichtiger Bereich der Medienwirkung ist der Einfluss der Massenmedien auf das Wissen: Auch wenn sich die Menschen schon wenige Minuten nachdem sie zum Beispiel eine Fernsehnachrichtensendung gesehen haben, kaum noch an deren Inhalte erinnern können, speichern sie langfristig Informationen, die ihnen von den Medien immer wieder vermittelt werden. (Maurer 2010a, 65)
Daraus resultierend orientieren die Menschen ihre Denkweise über die Welt an den Nachrichten. Auch wenn der Ursprung der in den Medien behandelten Themen meist nicht medialer Herkunft ist, so sind es doch die Medien, die durch die «erzeugten Texte [...] zur gesellschaftlichen Wirklichkeitskonstruktion» (Keller 2010b, 211) beitragen. Dies zieht darüber hinaus Konsequenzen bzgl. der Problembewusstseinsbildung der Menschen mit sich: Themen, die besonders häufig in den Medien auftauchen, erscheinen wichtiger als Themen, die vergleichsweise weniger in den Medien behandelt werden. Als Beispiele sind hier PolitikerInnen, Parteien und gesellschaftliche Kontroversen zu nennen (Maurer 2010a, 65).
5.2 Vom Pressetext zum Diskurs Die im vorhergegangenen Kapitel dargestellten Beispiele zeigen bereits den maßgeblichen Einfluss der Presse auf die Gesellschaft. Dass die in Kapitel 5.1 beschriebene Integrationsfunktion der Medien nur «eine» Funktion der Medien ist, wird über diese Art von Vermittlung eines Gemeinschaftsgefühls hinaus anhand von Identitätskonstruktionen3 deutlich: Solche Phänomene sind besonders bzgl. der nationalen Identität im Rahmen von internationalen Titelkämpfen, z. B. Fußball-Länderspielen, zu beobachten. Im Rahmen des «Sommermärchens 2006»4 etwa wurde deutlich, welchen Einfluss die Berichterstattung der Presse auf das Selbstbild einer Bevölkerung haben kann. Trotz Niederlage der deutschen Nationalmannschaft entstand Die in diesem Zusammenhang beschriebene Identitätskonstruktion ist von der Identitätsbildung (cf. Kap. 3.1.1) zu unterscheiden. An dieser Stelle ist Identität nicht als «ein Phänomen [zu verstehen], das durch die Dialektik von Individuum und Gesellschaft entsteht». Hier wird sich auf die Identitätstypen bezogen, die «schlechthin gesellschaftliche Produkte [und] relativ stabile Elemente der objektiven Wirklichkeit [sind], wobei ihr Stabilitätsgrad natürlich seinerseits gesellschaftlich determiniert ist» (Berger/Luckmann 2009, 186). Bezeichnung für die Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2006, die in Deutschland ausgetragen wurde (cf. Retzlaff 2008).
5.2 Vom Pressetext zum Diskurs
91
durch das in den Medien produzierte «Sommermärchen» ein Wandel der Selbstwahrnehmung (Retzlaff 2008, 19), charakterisiert durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl und das «Wir»-Gefühl einer gesamten Nation (Laetsch 2006, 94). In jeder Gesellschaft existiert ein dominanter oder hegemonialer Diskurs, durch den bestimmtes Wissen, Werte, Glauben, Konventionen (re-)produziert und vermittelt werden. Wenn die Mitglieder einer Gesellschaft die jeweiligen dominanten diskursiven Praktiken verinnerlichen, werden diese zu wichtigen Parametern in der Konstruktion bestimmter Ansichten und Denkweisen und in der Definition von Identitäten. (Retzlaff 2008, 19)
Dass sich das Wissen einzelner Individuen durch «intersubjektive Prozesse» konstruiert, ist insofern nachvollziehbar, als ein Individuum, bereits bevor es sich über spezifische Praktiken bewusst werden kann, das Rahmenwerk des Kollektivs, ohne zu hinterfragen, übernimmt. [D]aran hat die sprachliche Praxis einen erheblichen Anteil. Anders gesagt werden die abstrakten und diskursiven Gegenstände der Alltagswelt gerade erst dadurch sprachlich konstituierte Realität, weil wir über sie sprechen und weil wir uns gleichzeitig darauf verlassen, dass unsere Kommunikationspartner diese Gegenstände ebenfalls als gegeben annehmen. (Kuck 2018, 246)
Durch die Präsenz und Relevanz im Alltag der Menschen stehen Pressetexte u. a. im Interesse soziolinguistischer Untersuchungen: Als eines der bevorzugten Mittel zur Informationsgewinnung und Freizeitgestaltung für den einzelnen wirken sie auf der Ebene der Sprachgemeinschaft sprachgestalterisch, ja sprachnormierend. Die Massenmedien sind daher als Sprachverhaltensdomänen von nicht zu unterschätzender soziolinguistischer Relevanz. (Berg 1993, 40)
Die «hochgradig verdichtete[n] Wissenskomplexe» (Kuck 2018, 246) überschreiten weit die Ebene der lediglich durch Sprache gebildeten, einzelnen Äußerungen im Rahmen der Pressetexte. Es gilt nachzuvollziehen, wie die sprachlich manifestierten Wissensordnungen im Rahmen der Diskurse entstehen, denn auch die Texte entstehen auf Grundlage der gesellschaftlichen Wissensvorräte – denen der JournalistInnen (Keller 2010b, 211). Einen Diskurs, als ein Netz von Aussagen über bestimmte Handlungen, die so miteinander verwoben sind, dass sie nachvollziehbar gemacht werden können und darüber hinaus Wissensordnungen über die Realität entstehen lassen (Keller 2005, 230), definiert Keller folgendermaßen: Eine nach unterschiedlichen Kriterien abgrenzbare Aussagepraxis bzw. Gesamtheit von Aussageereignissen, die im Hinblick auf institutionell stabilisierte gemeinsame Strukturmuster, Praktiken, Regeln und Ressourcen der Bedeutungserzeugung untersucht werden. (Keller 2005, 229)
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5 «It’s identity, stupid!»– der Mehrsprachigkeitsdiskurs
Diskurse entstehen durch soziale AkteurInnen, wie in diesem Fall JournalistInnen, die durch ihre Position die Möglichkeit haben, Beiträge zu liefern. Daraus ergeben sich öffentliche Diskurse, die den Regeln der Massenmedien folgen: Es mögen Journalist[Innen], Politiker[Innen], Bewegungsaktivist[Innen], Wissenschaftler [Innen], Unternehmer[Innen], Popstars u. a. sein, die durch ihr symbolisches Kapital oder ihre institutionelle Position legitimiert bzw. anerkannt sind, Beiträge dazu [zu] liefern. (Keller 2005, 259)
Diese öffentlichen Diskurse haben aufgrund des «symbolischen Kapitals» eine stärkere Bedeutung, wobei jedoch den Diskurs betreffend immer zu berücksichtigen ist, wie Äußerungen mit verschiedenen Themen verknüpft sind: «Öffentliche Protestdiskurse bspw. im Bereich der Umweltpolitik lassen sich in ihrer themenspezifischen Karriere zurückverfolgen bis zur ersten massenmedialen Berichterstattung» (Keller 2005, 259). Um Diskurse verstehen und einen Wandel oder die Auswirkungen eines Diskurses nachvollziehen zu können, gilt es immer auch zu berücksichtigen, wer wie, wann und wo an dem Diskurs beteiligt ist. Daraus resultierend wird deutlich, dass Diskurse sich zum einen verbreiten und zum anderen verbreitet werden (Keller 2005, 59). Durch die Verbreitung von Diskursen wird durch einzelne Deutungsbausteine die Wirklichkeit konstruiert, i. e., durch Diskurse werden bestimmte Zusammenhänge «wirklich»: Denn ein wesentliches Ziel der Diskursforschung ist ja gerade die Beantwortung der Frage, welche(s) Wissen, Gegenstände, Zusammenhänge, Eigenschaften, Subjektpositionen usw. durch Diskurse als «wirklich» behauptet werden, mit welchen Mitteln – etwa Deutungsschemata, Klassifikationen, Phänomenstrukturen, story lines, moralische und ästhetische Wertung – dies geschieht, und welche unterschiedlichen Formationsregeln und -ressourcen diesen Prozessen zugrunde liegen. (Keller 2005, 260)
Die Wirklichkeitskonstruktion im Diskurs geschieht in einem sprachlichen Rahmen durch die Verkettung von Bedeutungen. Diese können langfristig in Diskursen aufgebaut, verstärkt oder angepasst werden. Darüber hinaus bieten Diskurse sozialen Handlungsträgern Positionierungsvorschläge. Ähnlich wie in Kapitel 5.1 (cf. Abb. 4) beschrieben, werden so z. B. in Diskursen Identitäten markiert, «z. B. nach dem Muster eines positivierten, die Adressaten einbeziehenden ‹Wir› gegenüber negativierten ‹Anderen›» (Keller 2005, 260). Diese sprachlich-rhetorischen Mittel geben Aufschluss über die durch den Diskurs erzeugte Resonanz:
5.2 Vom Pressetext zum Diskurs
93
Wie werden Emotionen geweckt? Welche Vergleiche werden gezogen, um zu überzeugen? Arbeitet ein Diskurs mit Fachsprache, verfremdenden Mitteln der Abstraktion, mit Polemisierungen? Und inwieweit handelt es sich dabei um Besonderheiten eines spezifischen Diskurses? (Keller 2005, 261)
Sprachliche Auffälligkeiten, ein und denselben Diskurs betreffend, sind davon abhängig, wo der Diskurs stattfindet oder welche Wirkung es zu erzielen gilt. Sprachlich-rhetorische treten in öffentlichen Diskursen häufig auf, um dadurch bestimmte Effekte zu erreichen. Ein Beispiel für «diskursiv erzeugte und historisch tief verankerte Bedeutungsanteile» (Schrader-Kniffki 2016, 289) ist die – etwa im französischsprachigen Raum gebrauchte – diskursübergreifende Hyperbel des «Krieges» (frz. «la Guerre»), die im Rahmen öffentlicher Diskurse selbst in Zusammenhängen auftaucht, die in keiner Verbindung mit dem eigentlichen Kriegsdiskurs stehen.
Diskurs und Macht Den Diskursbegriff prägte Michel Foucault mit seiner «Archäologie des Wissens» (1973) und darüber hinaus beschäftigte er sich im Rahmen seiner «Macht/WissenTheorie» mit dem Begriff der «Macht» (cf. Foucault 2009).5 Nach Foucault (2009) entsteht Macht durch Wissen, Macht und Wissen stehen sich also unmittelbar gegenüber: Eher ist wohl anzunehmen, daß die Macht Wissen hervorbringt (und nicht bloß fördert, anwendet, ausnutzt); daß Macht und Wissen einander unmittelbar einschließen; daß es keine Machtbeziehung gibt, ohne daß sich ein entsprechendes Wissensfeld konstituiert, und kein Wissen, das nicht gleichzeitig Machtbeziehung voraussetzt und konstituiert. (Foucault 2009, 39)
Der Begriff der «Macht» spielt im Zusammenhang mit Diskursen dahingehend eine Rolle, dass die Wirkung von Diskursen durch Dispositive deutlich wird. Dispositive definiert Keller (2005) als «die materielle und ideelle Infrastruktur, i. e. die Maßnahmebündel, Regelwerke, Artefakte, durch die ein Diskurs (re-)produziert wird und Effekte erzeugt» (Keller 2005, 230). Diskurse und sich daraus entwickelnde Maßnahmen oder allgemeine Handlungsvollzüge sind jedoch zu trennen bzw. nicht zwangsläufig miteinander in
Die Erstauflage des Originals in französischer Sprache erschien im Jahr 1975 unter dem Titel «Surveiller et punir. Naissance de la prison». Ein Jahr später, im Jahr 1976, erschien die erste deutsche Übersetzung des Werkes unter dem Titel «Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses».
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5 «It’s identity, stupid!»– der Mehrsprachigkeitsdiskurs
Verbindung zu bringen, da nie eindeutig auszumachen ist, ob tatsächlich ein entsprechender Zusammenhang besteht: «Zum anderen muss Diskursanalyse auch mit der Möglichkeit rechnen, dass Diskurse keine bzw. nur minimale Machtwirkungen über ihre eigene (Re)Produktion hinaus entfalten» (Keller 2005, 261). Die Lokalisierung der Macht ist demzufolge unmöglich, da es sich nicht mehr nur um Personen oder Personengruppen handelt, die Macht besitzen. Auch Foucault distanziert sich von dieser Art der Machtkonzeption, indem er von einer «relationalen» Machtkonzeption spricht, der Beziehung zwischen Gruppen oder Individuen einer Gesellschaft, die er als Machtverhältnisse beschreibt: Macht entsteht in Beziehungen (Foucault 2009, 39–43). In diskursanalytischer Hinsicht werden Foucaults Arbeiten allerdings von einigen AutorInnen kritisiert bzw. in Frage gestellt (cf. Angermüller et al. 2001), was u. a. der Grund für das Herausbilden einer Reihe an unterschiedlichen Theorien und Methoden ist (cf. Koller/Lüders 2013, 58s.). Ähnlich wie Maingueneau (1987) kritisiert auch Keller (2005), dass aus den Überlegungen Foucaults keine theoretisch-methodischen Vorgaben in Hinblick auf eine Diskursanalyse entstanden sind: Gegen sein Werk wurden zudem unzählige Detail- und Allgemeineinwände vorgebracht, die sich auf Ergebnisse, Datengrundlagen, Vorgehensweisen sowie allgemeine theoretische und epistemologische Grundannahmen richteten. Dazu zählen Hinweise auf begriffliche Inkonsistenzen, stilistische Eigenwilligkeiten, überzogene Vereinseitigungen anderer Positionen, eine unzureichende methodologische Selbstreflexion u. a. (Keller 2005, 140–141)
Eine fruchtbare Theorie zum «Verständnis der Bedeutung menschlicher Kommunikation für den gesellschaftlichen Aufbau der Wirklichkeit» (Keller 2005, 38) sieht Keller in der Theorie der Wissenssoziologie von Berger und Luckmann (2009), die alles als Wissen definieren, was innerhalb einer Gesellschaft als Wissen konzediert ist.
5.3 Wissen und Wirklichkeit Zurück geht die Wissenssoziologie auf die Philosophie, darunter Karl Marx und Friedrich Engels: Die menschliche, soziale Produktion von Ideen, Vorstellungsinhalten u. a. ist, so Marx/Engels, immer Resultat des tatsächlichen «Lebensprozesses» und damit eines bestimmten historischen Standes der gesellschaftlichen Produktivkräfte. (Keller 2005, 25)
Auch in Friedrich Nietzsches Überlegungen einer «Empirisierung des philosophischen Denkens» (Keller/Dimbath 2017) findet die Wissenssoziologie ihren Ursprung.
5.3 Wissen und Wirklichkeit
95
Geprägt wurde die Wissenschaft von dem französischen Soziologen Émile Durkheim, dem österreichisch-ungarischen Soziologen und Philosophen Karl Mannheim sowie dem deutschen Soziologen, Anthropologen und Philosophen Max Scheler. Ähnlich wie Scheler beeinflusste der österreichisch-ungarische Soziologe Alfred Schütz, auf der Sozialphänomenologie gründend, die Wissenssoziologie ab den 1930er Jahren. Während Scheler im Rahmen seiner «Soziologie des Wissens» festlegte, dass «Wissen» immer eine bestimmte Gruppe betreffend als «standortgebunden» betrachtet werden muss, beschäftigte sich Schütz im Rahmen des Begriffes der «Lebenswelten» mit «gesellschaftlichen Wissensvorräten», auf die ein Individuum zurückgreift (Keller/Dimbath 2017). Darauf aufbauend verknüpften Peter L. Berger und Thomas Luckmann (2009)6 in den 1960er Jahren im Rahmen ihres Werkes «Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit» Soziologie und Wissenssoziologie und leiten damit die «Neue Wissenssoziologie» ein. Im Zentrum dieser Wissenssoziologie steht nicht die Gesellschaft per se, sondern respektive Vorgänge, aus denen eine für die Gesellschaft gemeinsame Wirklichkeit, im Rahmen sozialer Verflechtungen, resultiert (Keller 2005, 38). Werden die in den Sozialwissenschaften vertretenen Ansichten bzgl. der Beziehung zwischen Gesellschaft und Wissen überwiegend geteilt, indem davon ausgegangen wird, dass das Wissen der Menschen über die Welt durch die im Kollektiv erzeugten Sinnsysteme entstehen, so sieht Keller (2005) die Überlegungen von Berger und Luckmann (2009) im Rahmen ihres Werkes «Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit» (Berger/Luckmann 2009) als «Schlüsselwerk der weiteren wissenssoziologischen Entwicklungen» (Keller 2005, 38). Im Mittelpunkt von Bergers und Luckmanns (2009) Überlegungen zur Wissenskonstruktion im Rahmen einer Gesellschaft steht die These, dass die objektive Wirklichkeit ein durch die Gesellschaft entstandenes Produkt ist. Ausgangspunkt ihres Werkes sind die Fragen: «Wie ist es möglich, daß subjektiv gemeinter Sinn zu objektiver Faktizität wird? Oder [...]: Wie ist es möglich, daß menschliches Handeln (Weber) eine Welt von Sachen hervorbringt?» (Berger/Luckmann 2009, 20). Außerdem hinterfragen sie, durch welche Prozesse ein bestimmtes Wissen zu einer von der Gesellschaft angesehenen Wirklichkeit wird, und halten darüber hinaus fest, dass sich die Wirklichkeiten je nach unterschiedlichen Wissensvorräten verschiedener Gesellschaften entsprechend unterscheiden, sich also verschiedenartige Wirklichkeiten herausbilden können (Berger/Luckmann 2009, 3).
Die Erstauflage erschien in den Vereinigten Staaten im Jahr 1966 unter dem Titel «The Social Construction of Reality».
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5 «It’s identity, stupid!»– der Mehrsprachigkeitsdiskurs
«Wirklichkeit» definieren Berger und Luckmann (2009) als [...] Qualität von Phänomenen [...], die ungeachtet unseres Wollens vorhanden sind – wir können sie ver- aber nicht wegwünschen. «Wissen» definieren [sie] als die Gewißheit, daß Phänomene wirklich sind und bestimmbare Eigenschaften haben. (Berger/Luckmann 2009, 1)
Das Alltagswissen steht jedem Individuum zur Verfügung und gleichzeitig ist die dadurch entstehende Alltagswirklichkeit alternativlos, da die Alltagswirklichkeiten der Individuen objektiviert werden, schließlich werden die Individuen in diese hineingeboren und hinterfragen sie somit nicht: Die Wirklichkeit der Alltagswelt wird als Wirklichkeit hingenommen. Über ihre einfache Präsenz hinaus bedarf sie keiner zusätzlichen Verifizierung. Sie ist einfach da – als selbstverständliche, zwingende Faktizität. Ich weiß, daß sie wirklich ist. Obgleich ich in der Lage bin, ihre Wirklichkeit auch in Frage zu stellen, muß ich solche Zweifel doch abwehren, um in meiner Routinewelt existieren zu können. (Berger/Luckmann 2009, 26)
Trotz dieser Objektivierung besteht ein Bewusstsein darüber, dass sich die Alltagswelt von Individuum zu Individuum durch unterschiedliche Sichtweisen unterscheiden kann: Ich weiß selbstverständlich auch, daß die anderen diese gemeinsame Welt aus Perspektiven betrachten, die mit der meinen nicht identisch sind. Mein «Hier» ist ihr «Dort». Mein «Jetzt» deckt sich nicht ganz mit dem ihren. (Berger/Luckmann 2009, 26)
Indes wird angenommen, dass die Vorstellungen der Individuen über die allgemeine Alltagswelt identisch sind, was bedeutet, dass sich aus dieser Alltagswelt eine intersubjektive Wirklichkeit herausbildet: Das Wichtigste, was ich weiß, ist, daß es eine fortwährende Korrespondenz meiner und ihrer Auffassungen von und in dieser Welt gibt, daß wir eine gemeinsame Auffassung von ihrer Wirklichkeit haben. Die natürliche Einstellung ist die Einstellung des normalen Jedermannsbewußtseins, eben weil sie sich auf eine Welt bezieht, die für jedermann eine gemeinsame ist. (Berger/Luckmann 2009, 26)
Die Alltagswelt kann durch die Sprache, als wichtigstes Zeichensystem, erschlossen werden und sie dient der Bezugnahme auf etwas, was nicht direkt zugegen ist. Dadurch können schließlich Erfahrungen und Bedeutungen z. B. an die nächsten Generationen weitergegeben werden (Berger/Luckmann 2009, 39). Berger und Luckmann gehen also davon aus, dass die soziale Wirklichkeit durch handelnde Subjekte entsteht und die Subjekte ebenfalls wiederum sozial konstruiert sind. Mag dieser Ansatz verständlich und nachvollziehbar sein, so stellen sie allerdings nicht den Handlungsrahmen des handelnden Subjektes ins Zentrum ihrer Betrachtung. Dieser sowohl historische als auch kulturelle Handlungsrahmen
5.4 Luxemburgs Presse und das «Luxemburger Wort»
97
ist jedoch von Interesse, da sich ein Subjekt nicht nur in ihm bewegt, sondern er gleichzeitig das Fundament darstellt. Auch Keller kritisiert diesen Bias: Individuen erscheinen als Produzenten und Anwender von statisch gefassten Wissensbeständen, ohne dass deutlich wird, wie dieser Anwendungsprozess selbst anders denn als Normbefolgung im Rollenspiel gedacht werden kann. Damit einher gehen Suggestionen von Stabilität, Konsistenz und Kohärenz, die den komplexen, chaotischen und konflikthaften Wissensverhältnissen in modernen Gesellschaften kaum angemessen erscheinen. (Keller 2005, 46)
Aus diesem Grund spielen die in den historischen Kontext eingebetteten diskursiven Handlungen bei Betrachtung der sozialen Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion eine wichtige Rolle.
5.4 Luxemburgs Presse und das «Luxemburger Wort» Aufgrund der Größe Luxemburgs wäre davon auszugehen, dass das Medienangebot, begründet durch die verhältnismäßig geringe Anzahl an MediennutzerInnen, weniger vielfältig ist. Die Presselandschaft Luxemburgs ist gekennzeichnet durch eine Vielzahl an Tages- und Wochenzeitungen sowie weiteren Printmedien. Dominiert werden die Printmedien von zwei großen Verlagshäusern, die in gegenseitiger Konkurrenz zueinander stehen: die Verlagshäuser «Mediahuis Luxembourg» und «Editpress Luxembourg». Letzteres gibt die Tageszeitungen «Tageblatt» und «Le Quotidien» heraus, Ersteres die Zeitung «Luxemburger Wort».7 Mit dem «Luxemburger Wort» als auflagenstärkste und meistgelesene Zeitung hat das Verlagshaus «Mediahuis Luxembourg» entsprechend den größten Einfluss innerhalb der Presselandschaft Luxemburgs (Luxembourg 2013). Die Vielfältigkeit der luxemburgischen Presselandschaft ist nicht arbiträr. Indirekte Pressesubventionen, niedrige Mehrwertsteuersätze und Posttarife sowie direkte Subventionen,8 die sich nach der Anzahl an gedruckten Seiten richten, begünstigen diese Vielfalt: «Die Subventionen werden von der Politik
Weitere vom Verlagshaus Mediahuis Luxembourg (ehem. «Saint-Paul Luxembourg») veröffentlichte Zeitungen sind «Télécran», «Contacto», damals auch «La Voix» und «Point24». Darüber hinaus ist das Verlagshaus Betreiber der Radiosender DNR und «Radio Latina». Editpress Luxembourg veröffentlicht außerdem die Gratiszeitung «L’essentiel», «Le Jeudi», «Revue», «Correio», «Lux-Post» und ist außerdem Teil des Radiosenders «Eldoradio» (cf. Luxembourg 2013). Die direkten Subventionen sind an bestimmte Vorschriften geknüpft: So muss die Publikation z. B. von einer luxemburgischen Person herausgegeben werden und der Vertrieb der Titel wird auf nationaler Ebene in den Amtssprachen Luxemburgs vorausgesetzt (Barth/Hemmer 2008, 209).
98
5 «It’s identity, stupid!»– der Mehrsprachigkeitsdiskurs
demokratietheoretisch begründet: ein schlecht informiertes Volk führe zu schlechten Einschätzungen und schlechten Entscheidungen» (Barth/Hemmer 2008, 210). Barth und Hemmer (2008) stellen in ihrer Untersuchung zur Medienpolitik Luxemburgs fest, dass in den Subventionen nicht nur Vorteile zu sehen sind. Luxemburgische ChefredakteurInnen sehen die Gefahr, dass die Qualität der luxemburgischen Presse unter der Steigerung an Veröffentlichungen leidet: Hinsichtlich des Umgangs mit Pressematerialien wird von ihnen vermerkt, dass «Copy und Paste» eine dominierende Ausdrucksform des luxemburgischen Journalismus geworden sei. Defizite merken einzelne Chefredakteure auch bezüglich der handwerklichen Qualität journalistischer Darstellungen an: «Es muss stimmen, was in der Zeitung steht. Wie es geschrieben ist, wie es dargestellt wird, das interessiert fast niemanden». (Barth/Hemmer 2008, 226)
Nicht nur die hohe Anzahl an Printmedien wirft die Frage auf: [E]reignet sich in Luxemburg genug, so dass Journalist[Innen] dazu individuelle, intelligente und gut geschriebene Beiträge für sechs verschiedene Tageszeitungen produzieren können? (Barth/Hemmer 2008, 226)
Nahezu alle luxemburgischen Zeitungen verfügen darüber hinaus zudem über eigene Webseiten. Während einige lediglich Inhalte der neusten Printausgabe zusammenfassen, stellen andere Webseiten dagegen komplette Inhalte zur Verfügung. Die Onlineausgabe des «Luxemburger Wort» ist nicht nur eine der in Luxemburg bedeutendsten Webseiten, die ihre kompletten Zeitungsinhalte zur Verfügung stellt, sie ist zusätzlich in drei verschiedenen Sprachen (Deutsch, Französisch und Englisch) verfügbar (Luxembourg 2013). Wie in Kapitel 4.3.2 bereits erläutert, ist zwar Deutsch die dominierende Pressesprache, die luxemburgische Presselandschaft spiegelt allerdings grundsätzlich die allgemeine Sprachensituation des Großherzogtums wider: Handelt es sich nicht um einsprachige Presseorgane, dann sind die meisten Medien Luxemburgs mehrsprachig. Das bedeutet, dass die Pressetexte einer Zeitung gemeinhin in verschiedenen Sprachen (auch innerhalb einer Seite) abgedruckt werden können, da davon ausgegangen wird, dass bei den LeserInnen ohnehin Sprachkompetenzen in mehreren Sprachen vorhanden sind (Luxembourg 2013). Die Wahl der Sprache ist abhängig von den JournalistInnen bzw. deren Ausbildungsort oder -land. Außerdem ist die Sprache abhängig vom Inhalt der Texte: Texte zu internationalen Themen werden tendenziell auf Französisch verfasst, während Texte zu nationalen Themen meist auf Deutsch geschrieben werden (Luxembourg 2019). Dass die die Presselandschaft dominierende Sprache Deutsch ist, hat seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Mit dem «Luxemburger Wort», der ältesten Zeitung Luxemburgs, die im Jahr 1848 vom katholischen Klerus gegründet wurde und die
5.5 Der Mehrsprachigkeitsdiskurs in der luxemburgischen Presse
99
bis 2020 in dessen Besitz war, wurde die deutsche Sprache als Pressesprache etabliert. Wenngleich zur damaligen Zeit gesellschaftlich die französische Sprache dominierte, so war Deutsch – ähnlich wie auch heute noch – die in der Kirche vorherrschende Sprache (Gilles 2009, 7). Mit einer Auflage von ungefähr 67.000 Exemplaren und einer wöchentlichen Erscheinungsweise von Montag bis Samstag ist «d’Wort» (dt. «das Wort») Luxemburgs meistgelesene Zeitung. Gleich den anderen Zeitungen wird – neben einigen wenigen Ausnahmen – der Großteil der Texte des «Luxemburger Wort» auf Deutsch veröffentlicht. Die allgemeine Beliebtheit des «Luxemburger Wort» zeigt sich darüber hinaus auch in seiner starken Digitalpräsenz: Neben einer Webseite mit verfügbarem EPaper9-Archiv bietet die Zeitung eine Smartphone-App und die «Wort E-Paper App» (Luxemburger Wort 2021a) für Smartphone und Tablet.
5.5 Der Mehrsprachigkeitsdiskurs in der luxemburgischen Presse Die besondere Sprachensituation Luxemburgs ist auch über die nationalen Grenzen hinaus, vor allem für ein erfolgreiches Arbeitsleben der Berufspendelnden im Großherzogtum, von Interesse. Abgesehen von der allgemein unspezifischen sprachlichen Praxis des Landes ist die Relevanz der jeweiligen Sprachen von der jeweiligen Berufsbranche abhängig.10 Auf nationaler Ebene ist die Sprachensituation regelmäßig öffentliches Thema innerhalb der Presse. Anhand der nachfolgenden Pressetexte – deren Inhalte in diesem Kapitel exemplarisch deskriptiv in Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand dargestellt und diskutiert werden – wird deutlich, dass der Mehrsprachigkeitsdiskurs regelmäßig aus unterschiedlichen Perspektiven im Rahmen von Pressetexten aufgegriffen wurde. Im Folgenden wird ausschließlich der Begriff «Pressetext» verwendet, ohne dabei eine Texttypologisierung (z. B. Nachricht, Bericht oder Kommentar) vorzunehmen, da die Textsorte in dem vorliegenden Kapitel zunächst keine Relevanz für die Darstellung der Inhalte hat. Eine Klassifikation wäre lediglich u. a. in Hinblick auf «die Beschreibung des Aufbaus einer Zeitungsausgabe bzw.
Bei dem E-Paper handelt es sich um die Digitalversion der Printausgabe als PDF-Datei (Luxemburger Wort 2021a). Cf. hierzu u. a. Kap. 4.3.2.
100
5 «It’s identity, stupid!»– der Mehrsprachigkeitsdiskurs
Grundstruktur von Textsequenzen [nötig]» (Bucher 1986, 25).11 Durch die ressortübergreifende Präsenz des luxemburgischen Mehrsprachigkeitsdiskurses werden die Tragweite sowie die unterschiedlichen Bereiche deutlich, in denen die Sprachensituation für die LuxemburgerInnen eine wichtige Rolle zu spielen scheint. Ein im Jahr 2014 veröffentlichter Pressetext über eine Umfrage der Europäischen Kommission zu den Sprachkenntnissen der EU-Bürger thematisiert die Sprachkompetenzen der LuxemburgerInnen im Vergleich zu anderen EU-BürgerInnen:
Abb. 5: «Luxemburger Wort», 09.10.2014.
Demnach sprechen die LuxemburgerInnen mit durchschnittlich 3,6 Sprachen, die Erstsprache inkludiert, die meisten Sprachen. Die Sprachkenntnisse der EU-Bürger in den Sprachen Deutsch und Französisch scheinen sich, ähnlich wie in Luxemburg
Die in diesem Kapitel dargestellten Pressetexte stammen aus dem Online-Archiv der Webseite des «Luxemburger Wort» (cf. Luxemburger Wort 2022).
5.5 Der Mehrsprachigkeitsdiskurs in der luxemburgischen Presse
101
auch, verschlechtert zu haben. Was das für das Luxemburgische im Großherzogtum bedeutet, bleibt im Text unerwähnt, ebenso, welche Konsequenzen der Rückgang der beiden Amtssprachen für die gesamte Sprachensituation des Landes hat. Ohnehin ist fraglich, ob das Beherrschen von durchschnittlich 3,6 Sprachen in einem Land mit drei Amtssprachen und einem hohen Anteil zugewanderter Personen besonders eminent ist. Die Muttersprache miteinbezogen ließe sich daraus schlussfolgern, dass nicht alle LuxemburgerInnen entweder eine Fremdsprache oder eine der drei Amtssprachen beherrschen. Abgesehen davon stellt sich hier weiter die Frage, welche Sprache als die Muttersprache der LuxemburgerInnen bezeichnet wird. Abseits dessen wird jedoch anhand der Titelzeile des Pressetextes, entsprechend der Vorstellung der Europäischen Kommission, das Bild einer «gelebten Mehrsprachigkeit»12 innerhalb der luxemburgischen Bevölkerung vermittelt. Eine außergewöhnlich hohe Anzahl an Pressetexten, die Sprachensituation des Großherzogtums betreffend, wurde darüber hinaus im Jahr 2016 veröffentlicht. Verglichen mit dem Presstext aus dem Jahr 2014 steht in den 2016 veröffentlichten Pressetexten mehr noch die Bedeutung der luxemburgischen Sprache im Fokus (cf. Abb. 6). Einerseits wird Luxemburgisch als mögliche offizielle EUSprache thematisiert, EU-Dokumente sollen dementsprechend ins Luxemburgische übersetzt werden. Andererseits werden Ansatzpunkte zur Förderung der luxemburgischen Sprache in zentralen Bereichen, etwa im Schulunterricht oder die Verankerung in der Verfassung Luxemburgs, genannt. Weiter wird jedoch auch die Frage aufgeworfen, ob eine Förderung der luxemburgischen Sprache überhaupt nötig sei und in wessen Interesse dies stünde. Diese Vielzahl an Veröffentlichungen zur Mehrsprachigkeit Luxemburgs im Jahr 2016 ist nicht unbegründet, sondern geht auf die Petition 698 zurück. Dass die Petition im Jahr 2016 ins Leben gerufen wurde, hat ebenfalls einen Hintergrund: Ein stetiger Anstieg der zugewanderten Bevölkerung Luxemburgs war zwar bereits seit 1990 festzustellen, allerdings fällt auf, dass mit der Asylzuwanderung ab 2015 die Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung ab 2016 wesentlich deutlicher wurden (STATEC 2021d, 11). Ein Referendum aus dem Jahr 2015, in dem die LuxemburgerInnen u. a. gegen die Einführung des Wahlrechts für Zugewanderte stimmten, erklärt, zusammen mit der Petition 698, weshalb vermehrt negativ konnotierte Lexeme, wie «rassistisch» oder «ausländerfeindlich», die auf den politischen Diskurs referieren, in den Pressetexten zu lesen sind (cf. Luxemburger Wort 2016).
Cf. Kap. 4.3.1.
102
5 «It’s identity, stupid!»– der Mehrsprachigkeitsdiskurs
Abb. 6: «Luxemburger Wort», 06.10.2016.
Neben zahlreichen Pressetexten aus dem Jahr 2016, in denen die Petition 698 thematisiert wird, ist darüber hinaus ebenso eine Vielzahl von Pressetexten bzgl. des Identitätsdiskurses festzustellen (cf. Abb. 7). So sind Themen wie luxemburgische Mehrsprachigkeit als Türöffner zum erfolgreichen Wirtschaftssystem des Landes, aber auch die Gefahr der Renationalisierungstendenzen bzgl. des gesellschaftlichen Miteinanders – vor allem hinsichtlich des hohen Anteils an zugewanderten LuxemburgerInnen – in den Pressetexten sehr präsent. Auch bis heute noch hält der Mehrsprachigkeitsdiskurs in der luxemburgischen Presse an. Besonders häufig werden dabei die Bedeutung der luxemburgischen Sprache, auch über die Landesgrenzen hinaus, oder etwa die den Einbürgerungstest betreffende Petition 1946 aus dem Jahr 2021 thematisiert.
5.6 Zwischenfazit
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Abb. 7: «Luxemburger Wort», 27.10.2016.
5.6 Zwischenfazit Nicht nur in den Jahren 2015 bis 2016 war der Mehrsprachigkeitsdiskurs sehr präsent in der luxemburgischen Presse – er hält bis heute an. Die Diskussionen über Luxemburgisch als mögliche offizielle EU- und erste Amtssprache Luxemburgs, vor allem aber das Verhältnis zu den anderen Amtssprachen und darüber hinaus weiteren in Luxemburg gesprochenen Sprachen (wie etwa dem Portugiesischen) stehen im Mittelpunkt dieses Diskurses. Bei Betrachtung der verschiedenen Pressetexte scheint sich eine Entwicklung im Diskurs feststellen zu lassen: vom Großherzogtum als «das Exempel» der EULänder zu einem Land, das – die konfliktdiskursiven Strukturen innerhalb des Mehrsprachigkeitsdiskurses betreffend – nicht nur sprachlich auf einem wackelnden Fundament zu stehen scheint. Die aus der unspezifischen sprachlichen
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5 «It’s identity, stupid!»– der Mehrsprachigkeitsdiskurs
Praxis resultierende unklare Sprachensituation Luxemburgs findet sich dementsprechend auch im Mehrsprachigkeitsdiskurs innerhalb der Pressetexte wieder, wirft darüber hinaus die Identitätsfrage der LuxemburgerInnen auf. Auch an dieser Stelle wird einmal mehr deutlich, wie eng der Mehrsprachigkeitsdiskurs und der Identitätsdiskurs miteinander verbunden sind. Darüber hinaus stellt sich an dieser Stelle erneut die Frage, wie die in der Presse dargestellte öffentliche Meinung mit der individuellen Meinung der LuxemburgerInnen zusammenpasst – eine Frage, die bereits in Kapitel 5.1 aufkam. Die Situation scheint genauso kompliziert zu sein, wie es die Sprachensituation Luxemburgs ist.
6 Forschungsgrundriss Nach der Definition von Gläser und Laudel (2009), die Forschung als «ein kollektives Unternehmen von Menschen, die gemeinsam Wissen über die uns umgebende Welt und über uns selbst erarbeiten» (Gläser/Laudel 2009, 23), fassen, steht in diesem Kapitel das «Kollektiv» im Mittelpunkt. Der Begriff «Kollektiv» trifft insofern zu, als hier die durch andere WissenschaftlerInnen gesicherten Wissensstände der betroffenen Wissenschaften und Disziplinen sowie darüber hinaus die an der Untersuchung teilnehmenden Personen thematisiert werden. Aufgrund des angewandten qualitativen Forschungsdesigns der vorliegenden Untersuchung wird – ohne einen Generalisierungsanspruch unmittelbar auszuschließen – nicht der Anspruch erhoben, Ergebnisse vorzulegen, die sich durch Repräsentativität auszeichnen. Durch den Rückbezug, zunächst auf die nachfolgend dargestellten Qualitätskriterien sowie den folgenden Forschungsgrundriss, handelt es sich jedoch um aus den ausführlich untersuchten Fällen entstandene reliable Ergebnisse.
6.1 Zur Güte qualitativer Forschung Ein allgemeingültiger Satz an Gütekriterien liegt für die qualitative Forschung – anders als bei der quantitativen Forschung – nicht vor. Dies mag zum einen durch den qualitativen, nichtstandardisierten Charakter, zum anderen durch die diversen Anwendungsmethoden der qualitativen Forschung begründet sein (Flick 2019, 473). Unterschieden werden externe und interne Gütekriterien. Während sich die externe Studiengüte mit der Verallgemeinerung der Ergebnisse beschäftigt, stehen bei der internen Studiengüte Aspekte wie Zuverlässigkeit, Glaubwürdigkeit oder Regelgeleitetheit im Fokus (Kuckartz 2018, 204ss.). Auf drei Hauptgütekriterien soll an dieser Stelle eingegangen werden, um nachvollziehen zu können, auf welche Kriterien sich die vorliegende Untersuchung beruft. Obwohl die Validität eines der Hauptgütekriterien quantitativer Forschung ist, lässt sich das Konzept der Validität für die qualitative Forschung modifizieren. Dementsprechend unterschieden werden die externe und die interne Validität. Die externe Validität bezieht sich auf die Generalisierung der Forschungsergebnisse anhand der Nachvollziehbarkeit, in Form einer nachvollziehbaren Dokumentation der einzelnen Forschungsprozesse. Die interne Validität «wird erhöht bzw. sichergestellt, indem ausgeschlossen werden soll, dass andere als die in der Un-
https://doi.org/10.1515/9783111117379-006
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6 Forschungsgrundriss
tersuchungshypothese enthaltenen Variablen den beobachteten Zusammenhang bestimmen» (Flick 2019, 474). Die interne Validität lässt sich im Rahmen einer qualitativen Analyse z. B. durch ein mehrmethodisches Forschungsdesign, etwa die Methodentriangulation, erzielen (Prokopowicz 2017, 71). Auch bei der Reliabilität handelt es sich um eines der Hauptkriterien quantitativer Forschung, das die Datenstabilität im Rahmen der Erhebungen (z. B. auch Replikationsstudien) beweisen soll. Flick (2019) bewertet die Reliabilität bei der Erhebung qualitativer Daten als unpassend und bezieht sich in dem Zusammenhang auf narrative Interviews: Die identische Wiederholung einer Erzählung bei wiederholten narrativen Interviews (Küsters, Kapitel 45 in diesem Band) – im Sinne von Replikationsstudien und des Kriteriums der Reliabilität – liefert eher Hinweise auf eine «zurecht gelegte» Version als auf die Verlässlichkeit des Erzählten. (Flick 2019, 474)
In der qualitativen Forschung ist die Reliabilität allerdings dann gewährleistet, wenn sich die Theorie durch Konsistenz und Kohärenz sowie ein empirisch gefestigtes Fundament auszeichnet (Prokopowicz 2017, 71). Das dritte Hauptgütekriterium ist die Objektivität. Von Objektivität im Rahmen qualitativer Forschung zu sprechen ist allerdings aus dem Grund problematisch, da die forschende Person hier in der Regel einen größeren Einfluss bzw. eine größere Teilnahmefunktion an der Forschung hat, als dies bei quantitativen Forschungen der Fall ist, bei denen der Messwert in keiner Abhängigkeit zu der forschenden Person selbst steht (Flick 2019, 32s.). Aus diesem Grund wird, die Objektivität im Rahmen qualitativer Untersuchungen betreffend, von Intersubjektivität oder intersubjektiver Nachvollziehbarkeit gesprochen, die durch den selbstreflexiven Charakter der forschenden Person – Prokopowicz (2017) spricht von der «reflektierten Subjektivität» (Prokopowicz 2017, 72ss.) – gegeben ist. Diese wird dadurch erreicht, dass, ähnlich wie bei der externen Validität, «die verschiedenen Stufen des Forschungsprozesses von Beginn an» nachvollziehbar gemacht werden. Darüber hinaus werden die einzelnen Analyseschritte offengelegt und dargestellt (Kuckartz 2018, 203). Die Angemessenheit der Gütekriterien richtet sich immer nach der jeweiligen Untersuchung. Flick (2019) fasst jedoch den allgemeinen Anspruch einer qualitativen Forschung zusammen: mit der Begründung der Methodenwahl, der expliziten Darstellung der einzelnen Forschungsschritte, der Benennung der Ziel- und Qualitätsansprüche des Projektes sowie der Gewährleistung der Transparenz des Forschungsprozesses (Flick 2019, 485). Um den Gütekriterien im Rahmen der Untersuchung gerecht zu werden, werden im weiteren Verlauf der Arbeit an den entsprechenden Stellen die die qualitative Forschung betreffenden Gütekriterien jeweils erneut aufgegriffen.
6.2 Forschungsstand
107
6.2 Forschungsstand Einige Untersuchungen zur Sprachensituation des Großherzogtums Luxemburg wurden zu Beginn in Kapitel 1.1 genannt. Auf die beiden für die vorliegende Untersuchung bedeutendsten Untersuchungen, die Forschungsprojekte IDENT und IDENT 2 («Identités socio-culturelles et politiques identitaires au Luxembourg», dt. «Soziokulturelle Identitäten und Identitätspolitiken in Luxemburg») (cf. IPSE 2010; Wille et al. 2014), wird an dieser Stelle noch einmal genauer eingegangen. Durch das Projekt IDENT 2 (2011–2014), das an der Universität Luxemburg entstandene Forschungsprojekt mit über 20 WissenschaftlerInnen aus zwölf verschiedenen Disziplinen, wird nicht nur durch Erweiterung der Fragestellung an die Ergebnisse des ersten Projektes, IDENT (2007–2010), angeknüpft, auch die Anzahl der Mitwirkenden wurde auf 30 WissenschaftlerInnen von neun verschiedenen Instituten erhöht. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse beider Projekte jeweils in Sammelbänden: Der Sammelband zu IDENT erschien im Jahr 2010, herausgegeben von der Forschungseinheit IPSE – Identités Politiques Sociétés Espace der Universität Luxemburg, im Transcript Verlag. Der Sammelband zu IDENT 2 erschien im Jahr 2014 ebenfalls im Transcript Verlag, herausgegeben von Christian Wille, Rachel Reckinger, Sonja Kmec und Markus Hesse. Standen im ersten Projekt die Identitätskonstruktionen der LuxemburgerInnen auf verschiedenen Ebenen des sozialen Lebens im Mittelpunkt, widmet sich das zweite Projekt über die Identitätskonstruktionen hinaus auch den Raumkonstruktionen in Grenzregionen Deutschlands, Frankreichs, Belgiens und Luxemburgs. Dabei stehen alltägliche, institutionelle und mediale Praktiken im Mittelpunkt, die anhand 20 empirischer Fallstudien (quantitative und qualitative Befragungen, qualitative Interviews, Experteninterviews und Text-, Diskurs- sowie semiotische Analysen) erforscht wurden. Das Projekt setzt sich aus drei Forschungsschwerpunkten zusammen: (1) eine machtkritische Perspektive auf Räume und Identitäten, die sich besonders Politiken und Normierungen zuwendet, die in Konstruktionsprozessen wirksam und verhandelt werden; (2) eine an Medien orientierte Perspektive auf Räume und Identitäten, die Medien als Konstrukteure und Projektionsflächen sowie selbst als (Verhandlungs-)Räume versteht und (3) eine subjektzentrierte Perspektive, die das Hervorbringen von Raum- und Identitätskonstruktionen im Zuge alltagskultureller Praktiken untersucht. (Wille et al. 2014, 11)
Die Autoren kommen zusammenfassend zu dem Ergebnis, dass die Identitäten der LuxemburgerInnen «so vielfältig wie komplex» (IPSE 2010, 296) sind. Darüber hinaus stellen sie fest, dass es in der postmodernen Gesellschaft, die räumlichen Maßstabsebenen betreffend, zu Überschneidungen kommt und «die Ordnung des Raumes auf der Basis von Zentralität [...] beträchtlich an Deutungskraft verloren
108
6 Forschungsgrundriss
[hat]» (Wille et al. 2014, 385). Sie gehen von der Auffassung aus, dass das Subjekt sozial konstruiert ist und gleichzeitig das Soziale konstruiert. Diese Erkenntnis als Ausgangsperspektive soll als allgemein angemessener Zugang, nicht nur zu Subjekten in Grenzregionen, dienen (Wille et al. 2014, 364). Anhand der vorliegenden Forschung soll weder eine Gegenposition vertreten noch sollen die Ergebnisse beider Forschungsprojekte in Frage gestellt werden. Vielmehr geht es darum, die thematische und methodische Vielfalt im Rahmen einer neuen Untersuchung und auf Basis aktuellerer Daten sowie auf der Grundlage einer spezifischen Vorstellung des Netzwerkes der Forschungsteilnehmenden weiterzuführen. Dabei versteht es sich von selbst, dass die vorliegende Untersuchung nicht den Umfang beider Projekte decken kann. Die Forschungstradition soll jedoch dahingehend weitergeführt werden, dass sich im Rahmen dieser Untersuchung einem ausgewählten Bereich der vielseitigen Forschungsfelder vertiefend gewidmet wird: der Dialektik zwischen Identität und dem diesbezüglichen Wissen einer durch Umbrüche gekennzeichneten Gesellschaft. Die methodische Vielfalt, durch die disziplinübergreifend der Forschungsgegenstand bearbeitet wurde, ist auch für diese Untersuchung bedeutsam. Die Überschreitung disziplinärer Perspektiven, u. a. aus der Mehrsprachigkeitsforschung sowie aus der Wissenssoziologie, soll eine vielfältige Perspektive auf den Forschungsgegenstand gewährleisten.
6.3 Forschungsfragen Wie Prokopowicz (2017) Merriam (2002) zitiert: «A research study begins with your being curious about something, and that ‹something› is usually related to your work, your family, your community or yourself» (Merriam 2002, 11, zit. nach Prokopowicz 2017, 67), resultiert das persönliche Forschungsinteresse der Forscherin aus einer früheren Untersuchung der Sprachlandschaft Luxemburgs, aus der sich das Interesse ergab, im Rahmen einer weiteren Untersuchung den Fokus auf die AkteurInnen und deren Identitätsbildung hinsichtlich der besonderen Sprachensituation des Großherzogtums zu richten.1 Durch die in Kapitel 6.1 beschriebenen Gütekriterien soll jedoch sichergestellt werden, dass der Objektivität sowie der Intersubjektivität – trotz der im Vorfeld persönlichen Erfahrungen und gesammelten Einblicke in das Forschungsfeld – Rechnung getragen wird. Darüber hinaus ist hinsichtlich der reflektierten Subjektivität (cf. Kap. 6.1) anzumerken, dass meinerseits schon immer ein besonderes Interesse für die Sprachensituation Luxemburgs bestand, mit der ich als gebürtige Saarländerin und Bewohnerin der Großregion Saar-Lor-Lux früh in Kontakt kam.
6.3 Forschungsfragen
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Die die qualitative Forschung charakterisierenden Eigenschaften, wie die Prozesshaftigkeit und Flexibilität (Lamnek 2010, 23ss.), hatten auch für den Forschungsgrundriss der vorliegenden Untersuchung Konsequenzen: Zum einen hat die empirische Arbeit gezeigt, dass die im Rahmen der Untersuchung im Vorfeld aufgestellten Hypothesen u. a. zu trivial waren, sodass die Forschungsfragen aus der empirischen Forschung resultierend adaptiert werden mussten.2 Zum anderen musste der Forschungsgrundriss inklusive der Forschungsfragen im bereits fortgeschrittenen Stadium der Untersuchung geändert werden, da der Zugang zum Untersuchungsfeld aufgrund der Corona-Pandemie maßgeblich über mehrere Wochen erschwert wurde und die Datenerhebung mit dem ursprünglich geplanten Umfang ab Beginn der Pandemie undurchführbar war. Aufgrund der stagnierenden Datenerhebung und des dabei entstandenen vergleichsweise geringen Datenmaterials wurde die Untersuchung um die Untersuchung des Mehrsprachigkeitsdiskurses in der luxemburgischen Presse ergänzt.3 Somit wurde auch die Untersuchung um eine weitere Perspektive auf den luxemburgischen Mehrsprachigkeitsdiskurs erweitert. Wie zu Beginn dieses Kapitels erläutert, besteht die Ergebnisse betreffend nicht zwangsläufig ein Anspruch auf Repräsentativität der Ergebnisse oder ein Replikationsanspruch. Einer oberflächlichen Betrachtung wird jedoch entgegengewirkt, indem die Forschungsfragen einerseits auf den zuvor analysierten Daten und daraus aufgestellten Annahmen basieren und andererseits eine Rückbindung der empirisch erhobenen Daten an die theoretischen Phänomene erfolgt. Aufgrund der aus den Vorüberlegungen resultierenden Annahmen wurde die zu Beginn dieser Untersuchung gestellte Forschungsfrage (Wie erleben die LuxemburgerInnen die Mehrsprachigkeit und wie konstruieren sie in diesem Rahmen ihre eigene Identität?) wie folgt präzisiert: 1. Individuelles Erleben der Mehrsprachigkeit 1.1 Wie erleben die LuxemburgerInnen die Mehrsprachigkeit des Großherzogtums? 1.2 Wie bilden die LuxemburgerInnen im Rahmen der luxemburgischen Mehrsprachigkeit ihre eigene Identität?
Des Weiteren wurde der Forschungsschwerpunkt im laufenden Forschungsprozess geändert, wodurch das ursprüngliche Vorhaben, im Rahmen der Untersuchung auch auf die Interkomprehensionsforschung einzugehen, verworfen wurde. Der sich in den Transkripten befindliche «Interkomprehensionsteil» ist somit gegenstandslos. Die sich aus diesem Interviewteil ergebenen Informationen wurden dennoch für die Analyse berücksichtigt. Cf. Kap. 5.
110
2.
3.
6 Forschungsgrundriss
Darstellung des Mehrsprachigkeitsdiskurses innerhalb der Medien 2.1 Wie wird der Mehrsprachigkeitsdiskurs in den Medien produziert und welches Wissen wird dabei erzeugt und verbreitet? 2.2 Wie wird die Identität der LuxemburgerInnen in den Medien dargestellt? Individuelles Empfinden der Mehrsprachigkeit und medialer Diskurs 3.1 Welche Effekte gehen von dem medialen Diskurs aus? 3.2 Wie stehen der mediale Diskurs und Aussagen der AkteurInnen im Rahmen der sprachbiografischen Interviews zueinander in Bezug?
Um die von Prokopowicz (2017) reflektierte Subjektivität an dieser Stelle zu berücksichtigen, wird nachfolgend die aus den Vorannahmen resultierende subjektive Perspektive auf Grundlage der präzisierten Forschungsfragen mit dem Untersuchungsgegenstand zusammengeführt (Prokopowicz 2017, 69): 1.1 Die Mehrsprachigkeit im Großherzogtum ist für die LuxemburgerInnen keine Besonderheit, sondern Routine. Der mehrsprachige Alltag läuft unbewusst ab und die LuxemburgerInnen charakterisieren sich durch eine sprachliche Flexibilität mit souveränem Sprachrepertoire, auch über die Amtssprachen hinaus. 1.2 Die LuxemburgerInnen bilden im Rahmen der luxemburgischen Mehrsprachigkeit eine mehrsprachige Identität, allerdings bilden sich Tendenzen ab, die zeigen, dass sich beeinflusst durch den sozialen Kontext unterschiedliche Identitäten herausbilden. 2.1 In den Medien wird das Bild einer Gesellschaft mit multilingualem Habitus konstruiert. Sprachengrenzen verschwimmen und die Potenziale der Mehrsprachigkeit, die mehrsprachige kommunikative Kompetenz der LuxemburgerInnen, wird in den Fokus gestellt. 2.2 Die Identität der LuxemburgerInnen wird in den Medien als mehrsprachig und damit verbunden als weltoffen und durch sprachliche Flexibilität gekennzeichnet dargestellt. 3.1 Das durch die Medien produzierte Wissen wird von den LuxemburgerInnen übernommen, da sie selbst eine mehrsprachige Identität bilden und die Mehrsprachigkeit als positiv wahrnehmen. 3.2 Die durch die Medien produzierte mehrsprachige Identität bildet das Konstrukt des multilingualen Habitus der LuxemburgerInnen.
6.4 Datenerhebung Ausgehend von den Forschungsfragen sowie dem Forschungsinteresse stehen in diesem Kapitel die Erhebungsverfahren, der Zeitpunkt der Datenerhebung sowie alle weiteren die Datenerhebung betreffenden Prozesse im Fokus.
6.4 Datenerhebung
111
6.4.1 Das Forschungsfeld und der Erhebungskontext Im Zentrum des forschungsleitenden Interesses der vorliegenden Untersuchung liegen die subjektiven Sinnwelten der LuxemburgerInnen. Es soll untersucht werden, wie die Mehrsprachigkeit im eigenen Land wahrgenommen wird und wie sich in der Mehrsprachigkeitssituation des Landes die Identitäten der LuxemburgerInnen bilden. Narrative Interviews, die eine alltagsähnliche Kommunikationssituation schaffen, entsprechen dabei dem Leitgedanken der qualitativ-interpretativen Forschung, nah am Alltag der beforschten Personen anzudocken (Mayring 2002, 146ss.). Für die vorliegende Untersuchung wurden daher insgesamt 17 Personen, im Zeitraum Januar 2019 bis Januar 2020, befragt. Die Kontaktaufnahme mit den möglichen Forschungsteilnehmenden erfolgte zunächst über persönliche Kontakte, parallel dazu u. a. auch über Aufrufe in Facebook-Gruppen, das Verteilen von Flyern sowie das Aufgeben einer Zeitungsannonce (s. Kap. 6.4.1.1). Das Optimum wird neben den genannten inhaltlichen und methodischen Überlegungen auch durch forschungspraktische Gesichtspunkte wie die Erreichbarkeit und die Bereitschaft potentieller Interviewpartner[Innen] bestimmt. (Gläser/Laudel 2009, 117)
Da mit dem Beginn der Corona-Pandemie die Bereitschaft der Personen nachließ, an einem persönlichen Interview teilzunehmen, stagnierte die Datenerhebung ab Ende Januar 2020, sodass dementsprechend das Forschungsvorhaben abgeändert werden musste. Neben den bis zu diesem Zeitpunkt bereits geführten Interviews rückte die Bedeutung von Pressetexten über die Mehrsprachigkeitssituation der LuxemburgerInnen ins Zentrum des Interesses. Auffällig war vor allem die Vielfalt der zu diesem Thema in der luxemburgischen Presse veröffentlichten Pressetexte im Jahr 2016. Die Pressetexte waren dahingehend von Interesse, dass sie das Sichtfeld im Hinblick auf den luxemburgischen Mehrsprachigkeitsdiskurs und die Untersuchung zum Verständnis von sozialer Wirklichkeit sowie der daraus resultierenden Wissensbestände der LuxemburgerInnen erweiterten. Nach der endgültigen Modifikation des Forschungsinteresses sowie der Forschungsfragen wurde das Korpus der Pressetexte, aus dem Zeitraum 2016 bis 2018, im November 2020 erstellt (s. Kap. 6.4.1.3). Aufgrund der durch die Corona-Pandemie bedingten unklaren Situation wurde bis zum Ende des Jahres 2020 die Möglichkeit ausgelotet, weitere Interviews zu führen. Die Datenerhebung sollte bis Dezember 2020 abgeschlossen sein.
112
6 Forschungsgrundriss
6.4.1.1 Die Forschungsteilnehmenden Die in Kapitel 6.2 dargestellte Perspektive auf den Forschungsgegenstand hat auch die Wahl der Forschungsteilnehmenden beeinflusst. Um dem Forschungsgegenstand zur Beantwortung der Forschungsfragen gerecht zu werden, ist es nötig, «die theoretischen Vorüberlegungen auf die interessierenden Ursachen und Effekte, intervenierenden Einflüsse und die gesuchten Kausalmechanismen zuzuspitzen» (Gläser/Laudel 2009, 78). Dazu empfehlen Gläser und Laudel ein hypothetisches Modell, das bei der Orientierung der Untersuchung helfen soll: Wie detailliert dieses Modell wird und wie weit es theoretisch abgesichert werden kann hängt nicht zuletzt von den für Ihre konkrete Forschungsfrage nutzbaren Theorien ab. [...] Diese Theorien arbeiten mit komplexen Variablen [...], die wir als Suchraster nutzen können. (Gläser/Laudel 2009, 78)
Zwar ist der Bezug auf Variablen innerhalb der qualitativen Forschung eher unbeliebt, dennoch sehen Gläser und Laudel «überhaupt keinen Grund dafür, auf ein solch wichtiges Bindeglied zwischen Theorie und Empirie zu verzichten» (Gläser/Laudel 2009, 78). In Anlehnung an Gläser und Laudel wurden auch bei der vorliegenden Untersuchung vorab Variablen festgelegt. Um bei der Wahl der Variablen hinsichtlich der Forschungsfragen den Aspekt der superdiversen luxemburgischen Gesellschaft zu berücksichtigen, besonders den hohen Anteil an zugewanderten Personen, vor allem PortugiesInnen (s. Kap. 4.2.1), wurden die zu untersuchenden Fälle zunächst in zwei Gruppen eingeteilt: The second suggestion is to consider whether you are studying a sociological group or not. [...] Groups are sociologically real – they are recognized by their members and, in principle at least, they have boundaries. (Borgatti/Everett/Johnson 2013, 33)
Bei der ersten Gruppe (pLux) handelt es sich um portugiesischstämmige LuxemburgerInnen. Diese Gruppe umfasst zum einen PortugiesInnen der ersten Generation,4 zum anderen die Kinder ebendieser ersten Generation. Aber auch Kinder, deren einer Elternteil portugiesischer Herkunft ist und deren anderer Elternteil eine andere Nationalität besitzt, werden der ersten Gruppe zugeordnet. Bei der zweiten Gruppe (Lux) handelt es sich um einheimische LuxemburgerInnen, bei deren Vorfahren es sich ebenfalls ausschließlich um LuxemburgerInnen handelt(e).
Dies betrifft Personen, die innerhalb ihrer Familie in Portugal als erste Generation nach Luxemburg ausgewandert sind.
6.4 Datenerhebung
pLux
Regelmäßig bis sehr oft privaten Kontakt zu LuxemburgerInnen
Wenig bis keinen privaten Kontakt zu LuxemburgerInnen
Σ
6
1
Lux
Regelmäßig bis sehr oft privaten Kontakt zu PortugiesInnen
Wenig bis keinen privaten Kontakt zu PortugiesInnen
Σ
4
6
113
Abb. 8: Die Forschungsteilnehmenden.
Zwischen Januar 2019 und Januar 2020 wurden insgesamt 17 Personen interviewt, davon sieben pLux und zehn Lux, bei einem Interview handelt es sich um eine Vorstudie und bei einem weiteren Interview um einen Exkurs.5 Nachdem die Interviews geführt wurden, wurden die einzelnen Fälle – mit Blick auf weitere Interviews – dem Variablenmodell zugeordnet. Anfänglich sollte das Variablenmodell durch die Variablen «Alter» und «Bildungsabschluss» ergänzt werden, diese wurden jedoch verworfen. Da aufgrund der Modifikation des Forschungsvorhabens nicht alle vorgesehenen 32 Interviews geführt wurden, hatte, nach Bilanzierung der geführten Interviews, die Zuordnung der Befragten anhand der Variablen «Alter» und «Bildungsabschluss», vor allem hinsichtlich der theoretischen Vorüberlegungen, keine Relevanz.6 Die Variablendimension «Kontakt zu LuxemburgerInnen/PortugiesInnen» wurde festgelegt, um in Hinblick auf die Forschungsfragen den Fokus sowohl auf Forschungsteilnehmende zu richten, die sich durch Offenheit, als auch auf Forschungsteilnehmende, die sich durch Distanzierung den LuxemburgerInnen/ PortugiesInnen gegenüber auszeichnen, um dementsprechend möglichst aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen. Hinsichtlich der Variablendimension schreiben Gläser und Laudel (2009):
Im Unterschied zu der Vorstudie, die mit einer Person aus der Gruppe Lux durchgeführt wurde, um die Erhebungsmethode dieser Untersuchung zu testen (cf. Kap. 6.4.1.2), sollten durch den Exkurs (in dem Fall ein Interview mit einer Person der Gruppe pLux sowie einer Person der Gruppe Lux) Parallelen oder Differenzen zwischen beiden Gruppen unmittelbar auffällig werden (cf. Kap. 7.1.1.3). Da sowohl das Alter als auch der Bildungsabschluss ohnehin erhoben wurden, werden die Variablen im Rahmen der Analyse erneut aufgegriffen, sodass mögliche die Variablen betreffende Korrelationen fortwährend ausgelotet werden können (cf. Kap. 6.5.3.1).
114
6 Forschungsgrundriss
Anders als die Variablen statistischer Untersuchungen können diese Konstrukte komplex sein, das heißt mehrere Dimensionen haben, in denen Merkmalsausprägungen unabhängig voneinander variieren. Sie können in den verschiedenen Dimensionen unterschiedlich skaliert sein. Das schließt ein, dass sie in allen Dimensionen nominalisiert sein können, die Merkmalsausprägungen also ausschließlich verbal beschreibbar sind. (Gläser/Laudel 2009, 79)
Bei Betrachtung der Verteilung der befragten Personen (cf. Abb. 8) ist die Diskrepanz zwischen der ersten Gruppe (pLux, die wenig bis keinen privaten Kontakt zu Lux haben) und der zweiten Gruppe (Lux, die wenig bis keinen Kontakt zu pLux haben) auffällig. Über diese ungleiche Verteilung könnte vorab die Vermutung aufgestellt werden, dass die pLux als Gruppe für die Lux weniger zugänglich sind, als dies andersherum der Fall ist. Dass es sich dabei lediglich um eine Zufälligkeit handelt, die aus der ungleichen Verteilung und der nicht erreichten Interviewanzahl resultiert, bleibt nicht auszuschließen. Wie sehr die Merkmale ausgeprägt sind, gilt es im Rahmen der Analyse zu untersuchen. Nachdem die Kontaktaufnahme zu möglichen Forschungsteilnehmenden Ende Januar deutlich erschwert wurde, standen für weitere Interviews vor allem die pLux im Zentrum des Interesses, um eine ungefähr gleiche Anzahl an geführten Interviews mit pLux wie mit Lux zu erhalten. Neben Flyern, die u. a. an Einkaufszentren, Kirchen und Krankenhäusern verteilt wurden, wurde darüber hinaus durch das Schalten einer Zeitungsannonce (cf. Anhang 11.1 Zeitungsannonce) der Versuch unternommen, Kontakt zu möglichen Forschungsteilnehmenden aufzunehmen. Auch der Versuch, auf dem Postweg Privatpersonen (cf. Anhang 11.2 Anschreiben ProbandInnensuche), Altenheime oder portugiesische Gemeindezentren zu kontaktieren und erneut über persönliche Kontakte Forschungsteilnehmende zu finden, schlug größtenteils fehl, sodass die Suche nach neuen Forschungsteilnehmenden schließlich Ende November 2020, nach insgesamt 17 geführten Interviews, eingestellt wurde. Sollte die Einteilung in zwei verschiedene Gruppen bei der ProbandInnensuche zur Orientierung dienen, so ist sie doch unter forschungsethischen Aspekten kritisch zu diskutieren: Nicht nur die Untersuchten, sondern auch gesellschaftliche Gruppen, denen sie angehören, können durch eine Untersuchung Schaden erleiden. Ein Effekt, den sozialwissenschaftliche Studien leicht auslösen können, ist die Erzeugung oder Verstärkung von Stereotypen und Negativ-Images untersuchter Bevölkerungsgruppen. (Gläser/Laudel 2009, 52)
Unter dem von Laudel und Gläser zitierten Gesichtspunkt, der Erzeugung von Stereotypen und Negativ-Images, wird dafür Sorge getragen, dass den befragten Personen aus der Untersuchung kein Schaden entsteht. Darüber hinaus wurde mit der informierten Einwilligung die «Basis für die Teilnahme [...] der Untersuchung[] geschaffen» (Gläser/Laudel 2009, 53). Alle Forschungsteilnehmenden wurden zu Beginn in
6.4 Datenerhebung
115
einem Vorgespräch über die Aufnahme, Transkription, Auswertung und anonymisierte Veröffentlichung der Interviews informiert. Darüber hinaus wurden im Vorgespräch persönliche Daten (Geschlecht, Geburtsjahr, Geburtsland, Beruf, Herkunftsland der Eltern und Nationalität) erfasst. Die Forschungsteilnehmenden erklärten ihr Einverständnis zur Teilnahme anschließend in Form einer Unterschrift der Einwilligungserklärung. Um die Anonymität der befragten Personen zu wahren, wurden die Namen durch Kürzel ersetzt, etwa BpLux für portugiesischstämmige LuxemburgerInnen oder BLux für einheimische luxemburgische Befragte. Ergänzt wurden die Kürzel mit einer Nummer, die sich auf das Interviewkorpus bezieht (z. B. BpLux1 oder BLux7). Es reicht nicht aus, die Namen der Untersuchung wegzulassen oder durch Pseudonyme zu ersetzen. Es müssen vielmehr alle Informationen weggelassen oder verändert werden, die gemeinsam mit anderen Informationen eine Identifizierung der Untersuchten gestatten würden. (Gläser/Laudel 2009, 55)
Da es sich hier um eine ethnografische Untersuchung handelt, die die persönlichen und subjektbezogenen Angaben in den Fokus rückt, bestand die Schwierigkeit darin, alle personenbezogenen Daten anzupassen bzw. ganz umzuändern. Um dennoch eine Anonymisierung unter Nennung persönlicher Angaben gewährleisten zu können, wurde stets darauf geachtet, dass Einzelangaben in Verbindung mit anderen Daten nicht zu einer Identifizierung der jeweiligen Person führen können. 6.4.1.2 Sprachbiografische Interviews und Sprachporträts Durch die Nähe zur Alltagswelt der Beforschten und die alltagstreuen Kommunikationssituation zwischen Forschenden und Beforschten handelt es sich bei qualitativen Interviews als Datenerhebungsinstrument um eines der für die qualitative Forschung beliebtesten Verfahren. Diese Beliebtheit mag nicht zuletzt an der Authentizität der Daten sowie den intersubjektiv nachvollziehbaren Informationen liegen (Lamnek 2010, 301). Die Bezeichnung qualitativer Interviews ist vielfältig: Experteninterviews, teilstandardisierte Interviews oder Leitfadeninterviews sind nur einige davon. Die Bezeichnung «Experteninterview» wirft die Frage auf, wann genau es sich um «ExpertInnen» handelt und was ExpertInnen überhaupt auszeichnet. Über die Antwort auf diese Frage herrscht noch immer keine Einigkeit, sodass damit einhergehend auch nicht eindeutig von einer selbstständigen Methode gesprochen werden kann. Experteninterviews sind als qualitative Interviews durch unterschiedliche Charakteristika gekennzeichnet, wodurch sie Parallelen etwa zu teilstandardisierten oder narrativen Interviews nachweisen können (Gläser/Laudel 2009, 41).
116
6 Forschungsgrundriss
Das narrative Interview Beim narrativen Interview, das sich durch Zurückhaltung der forschenden Person auszeichnet, stehen die biografischen Erfahrungen und Lebensläufe aus Subjektperspektive der Befragten im Zentrum. Entwickelt wurde das narrative Interview Ende der 1970er Jahre von Fritz Schütze (Küsters 2009, 18ss.), dessen Arbeit u. a. durch Ansätze der Wissenssoziologie von Karl Mannheim beeinflusst wurde (cf. Kap. 5.3). Anders als bei standardisierten Interviews gibt die forschende Person beim narrativen Interview keine Antwortkategorien vor, wodurch besonders freie und authentische Erzählungen erfasst werden sollen. Die befragte Person soll im Rahmen ihrer Erzählung Vergangenes wiedererleben und von Erinnerung in der Erzählung geleitet werden. Die Themenfelder sollen durch die freie Stehgreiferzählung möglichst offen und der befragten Person selbst überlassen bleiben. Das narrative Interview unterliegt verschiedenen Prinzipien: dem Prinzip der Offenheit, der Relevanzsysteme, der Kommunikativität, der Flexibilität und der Prozesshaftigkeit. Beim Erzählen kann die befragte Person durch das Prinzip der Offenheit von sogenannten «Erzählzwängen» geleitet werden. Unterschieden werden der Gestaltschließungs-, der Kondensierungs- und der Detaillierungszwang. Unter dem Gestaltschließungszwang ist die Geschichte zu verstehen, die die Erzählenden so detailliert beschreiben, dass alle Ereignisse komplett dargestellt werden und das Erlebte für den Forschenden dadurch im Gesamtzusammenhang vollständig nachvollziehbar wird. Dies kann dazu führen, dass zum Verständnis auch Themen oder Bereiche angesprochen werden, die weniger relevant für die eigentliche Untersuchung sind oder deren Thematisierung im Vorhinein nicht geplant war. Am Kondensierungszwang kann festgemacht werden, welche Informationen oder Inhalte die Erzählenden als wichtig betrachten (Prinzip der Relevanzsysteme) und was sie demgegenüber als unwichtig einstufen, «[m]it anderen Worten, aus den von den Interviewten vorgenommenen Kondensierungen können wir auf ihr Relevanzsystem schließen» (Loch/Rosenthal 2002, 223s.). Der Detaillierungszwang beschreibt eine genaue Darlegung durch die Befragten, um die forschende Person so gut wie möglich am Erzählten teilhaben zu lassen. Das führt dazu, dass so viele Einzelheiten und Hintergrundinformationen wie möglich erzählt werden, um das Erzählte möglichst verständlich darzustellen (Küsters 2009, 28). Das Prinzip der Kommunikativität besagt, dass sich die forschende Person auf die kommunikativen Vorgaben der befragten Person einlässt, sich anpasst und entsprechend reagiert (Prinzip der Flexibilität). Die sich im Rahmen des Interviews entwickelnden Handlungsmuster der befragten Personen unterliegen dem Prinzip der Prozesshaftigkeit (Küsters 2009, 29). Das Prinzip der Offenheit sowie die Authentizität narrativer Interviews wurden allerdings kritisiert: So wird die angenommene Authentizität der Befragten
6.4 Datenerhebung
117
dadurch in Frage gestellt, dass eine inhaltliche Manipulation der erzählenden Person nicht auszuschließen sei, wobei diese Manipulation «in Erzählungen zumindest symptomatisch repräsentiert und damit erkennbar sei[]» (Küsters 2009, 35). Darüber hinaus wird kritisiert, dass die Interviewten im Rahmen ihrer Erzählung ein Idealbild von sich konstruieren, mit dem sie u. a. defizitäre Phasen ihrer biografischen Erzählung bemänteln könnten (Küsters 2009, 36). Eine vergleichbare Gesprächssituation ergab sich so z. B. mit BpLux7, der im Rahmen seiner sprachbiografischen Erzählung, die er bereits mit «mon histoire» (dt. «meine Geschichte») einleitete, ein scheinbares Idealbild einer Integrationsgeschichte über sich selbst entwarf: Donc mon histoire, elle a commencé l’année 84 quand je suis arrivé au Luxembourg. [...] Et donc tout ça a pris quand même beaucoup d’années et à force évidemment de toujours persister d’essayer de former et de participer à des congrès, à des mouvement[s] politiques, à des conférences, j’ai toujours poussé dans tout le Luxembourg avec toute ma volonté [...] j’ai toujours présenté cette façon de voir la situation j’étais comme portugais, mais l’autres situations c’est comme j’étais comme un citoyen luxembourgeois. Donc, j’ai voulu et j’ai pris tout de suite au sérieux d’être luxembourgeois dès du début. C’est bien que je garde la nationalité, mais j’estime que si on travaille dans un pays qui n’est pas le nôtre, on doit s’intégrer, on doit faire un sort que tout va bien selon les critères de ce pays justement. (BpLux7, Pos. 6–12) [Also, meine Geschichte begann im Jahr 1984, als ich in Luxemburg angekommen bin. [...] Und so hat das alles einige Jahre gedauert, in denen ich mit meinem ganzen Willen in ganz Luxemburg immer darauf beharrte, Kongresse, politische Bewegungen und Konferenzen organisierte und daran teilnahm [...] ich habe die Situation immer aus Sicht eines Portugiesen gesehen, aber in anderen Situationen habe ich mich wie ein Luxemburger gefühlt. Also wollte ich von Anfang an Luxemburger sein und das habe ich auch sofort ernst genommen. Natürlich behalte ich meine Nationalität, aber ich glaube, wenn man in einem Land arbeitet, das nicht das eigene ist, muss man sich integrieren, muss man sich halt so verhalten, wie es auch den Kriterien dieses Landes entspricht.]
Lange Denkpausen mit der Bitte, die Aufnahme für eine Moment zu unterbrechen, lassen darauf schließen, dass die Authentizität des Erzählten nicht zuletzt durch die fehlende Spontanität an dieser Stelle zu hinterfragen ist. Das Vorgespräch Bevor das Aufnahmegerät gestartet und mit dem Interview begonnen wurde, fand zum gegenseitigen Kennenlernen ein Vorgespräch statt. Dies sollte der befragten Person die Möglichkeit geben, im Rahmen einer ungezwungenen Unterhaltung Vertrauen zur Interviewerin zu fassen: Das Vorgespräch vor dem eigentlichen Interview ist eine wichtige Voraussetzung für ein gelingendes Interview, wird doch in ihm die Vertrauensbeziehung aufgebaut, die es dem Erzähle [nden] im Interview erlaubt, sich ohne Misstrauen dem Erzählfluss zu überlassen. [...] Als In-
118
6 Forschungsgrundriss
terviewer[In] beginnt man zunächst am besten mit derselben Art von Small Talk wie in vergleichbaren Situationen, wenn man zu unbekannten Leuten kommt. (Küsters 2009, 54)
Die Vorgespräche mit den befragten Personen entstanden in der Regel auf eine natürliche Art und Weise, z. B. auf dem Weg vom Verabredungsort zu dem Ort, an dem das Interview stattfinden sollte, oder während der Vorbereitung der Interviewsituation, beim Zurechtlegen der Unterlagen. Zu beachten war jedoch, im Rahmen der Vorgespräche auf Nachfrage noch nicht zu viel vom eigentlichen Forschungsvorhaben zu verraten, um damit nicht dem Intervieweinstieg vorzugreifen (Küsters 2009, 54). Der Einstieg Nachdem die personenbezogenen Daten erfasst wurden und die InterviewpartnerInnen die Einwilligungserklärung (cf. Kap. 6.4.1.1) unterschrieben hatten, wurde das Aufnahmegerät gestartet. Zunächst wurde in einem pointierten Satz das Interesse der Interviewerin beschrieben: «Ich interessiere mich für die Luxemburger [Innen] und die Sprachen Luxemburgs» (cf. Anhang 11.4 Interviewleitfaden Teil 1). Damit sollten die Befragten noch vor der Erzählaufforderung eine Idee davon bekommen, dass sowohl sie als AkteurInnen mit ihren Sprachkenntnissen als auch die Sprachen Luxemburgs im Mittelpunkt der Untersuchung stehen. Anschließend folgte die Erzählaufforderung, der Stimulus, der im Vorfeld so eindeutig wie möglich formuliert wurde, sodass die InterviewpartnerInnen zum einen ihre Erzählung genau darauf abstimmen konnten (Küsters 2009, 44) und zum anderen auch darüber informiert wurden, dass die Interviewerin sich während des Erzählens völlig zurückhalten wird, um dadurch eine mögliche Unsicherheit seitens der InterviewpartnerInnen zu vermeiden: Ich möchte Sie bitten, mir Ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Alle Erlebnisse, die Ihnen einfallen, die mit Sprachen zu tun haben. Welche Sprachen sprechen Sie? Wann haben Sie diese Sprachen in Ihrem Leben gelernt? Von Beginn Ihres Lebens bis heute. Erzählen Sie mir alle Erlebnisse, Stationen und Etappen in Ihrem Leben, die Ihnen einfallen. Sie können sich dazu so viel Zeit nehmen, wie Sie möchten. Ich werde Sie auch erstmal nicht unterbrechen, sondern mir nur einige Notizen machen, auf die ich später eventuell nochmal eingehen werde. (cf. Anhang 11.4 Interviewleitfaden Teil 1)
Unsicherheiten oder Zweifel der InterviewpartnerInnen sind nicht unüblich, so kann es z. B. zu einer Aushandlungsphase bzw. Ratifizierung des Stimulus (Küsters 2009, 56) kommen. Damit gemeint ist das Anpassen der Erzählaufforderung aufgrund von aus der Unsicherheit resultierenden Rückfragen der InterviewpartnerInnen. Das kann zum einen der Fall sein, wenn Unsicherheiten dem Thema gegenüber bestehen, das Hauptthema der Erzählung nicht richtig verstanden wurde oder wenn allgemein eine mangelnde Erzählbereitschaft herrscht (Küsters 2009, 57).
6.4 Datenerhebung
119
Im Fall der vorliegenden Untersuchung erfüllte die Erzählaufforderung in den meisten Fällen jedoch ihren Zweck, sodass die InterviewpartnerInnen nach der Aufforderung sofort in das sprachbiografische Erzählen einstiegen. Die Sprachbiografie Abzugrenzen ist die Sprachbiografie als Erhebungsinstrument von der in der Didaktik eingesetzten Sprachbiografie. Als Teil des vom Europarat entwickelten Europäischen Sprachenportfolios (ESP) soll die Sprachbiografie im didaktischen Bereich Sprachkompetenzen und Spracherfahrungen dokumentieren (Kirsch/Cicero Catanese 2017, 37). Bei der Sprachbiografie als Methode zur Datenerhebung stehen der Spracherwerb und die eigene Biografie im Fokus, wodurch z. B. Einstellungen zu bestimmten Sprachen oder Lernmotivationen deutlich werden können: Die Betrachtung von sprachbiographischen Daten und die Analyse von Gesprächen über Sprachen kann zahlreiche Faktoren auf der soziolinguistischen Makro-Ebene, der psycholinguistischen Mikro-Ebene oder auf der Beziehungsebene erkennen lassen, die die sprachliche Entwicklung und das Sprachverhalten beeinflussen. (Kirsch/Cicero Catanese 2017, 37)
Sprachbiografien als methodisches Vorgehen zur Datenerhebung im Rahmen von Interviews betreffend, spricht Riehl (2014) von sogenannten «Tiefeninterviews»: Sprachbiographische Interviews werden als sog. «Tiefeninterviews» durchgeführt und sollen Einsichten in den Umgang mehrsprachiger Personen mit mehreren Sprachen nachvollziehen und modellieren. Damit kann exemplarisch aufgezeigt werden, wie sich Sprachpraxis, Einstellungen und Kompetenzen im Laufe eines Lebens verändern können. (Riehl 2014a, 25)
Die im Rahmen der sprachbiografischen Haupterzählung auftretenden Erzählungen über bestimmte Lebensabschnitte bezeichnen Lucius-Hoene und Deppermann (2002) als Gliederungsmarker, i. e. Erzähleinheiten, die sprachlich oder parasprachlich durch [...] [g]rößere Erlebenszusammenhänge («meine Studienzeit») thematisch oder zeitlich abgrenzbare Subsegmente mit oder ohne eigene Binnenstruktur enthalten («mein Auslandsaufenthalt während des Studiums», «das Milieu in der Studentensiedlung»), die dem größeren Segmentzusammenhang untergeordnet sind. (Lucius-Hoene/Deppermann 2002, 112)
Auch in den für die vorliegende Untersuchung geführten Interviews waren mehrfach eindeutige Gliederungsmarker in der sprachbiografischen Erzählung festzustellen. So schilderte die Mehrheit der Befragten den Schuleintritt als eine Art Umbruch, durch den sie, ihre eigene Sprachbiografie betreffend, erstmals in Kontakt mit der Mehrsprachigkeit Luxemburgs kamen. Dies jedoch überraschte und war in einem mehrsprachigen Land wie Luxemburg nicht zu erwarten. Busch nennt den Schuleintritt im Rahmen sprachbiografischer Erzählung auch noch in einem weiteren Zusammenhang:
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6 Forschungsgrundriss
In Sprachbiografien wird der Moment des Schuleintritts immer wieder als ein Schlüsselerlebnis thematisiert, als auslösendes Moment der Irritation in Bezug auf das eigene Sprachrepertoire. Das kann sich als ein Gefühl manifestieren, out of place, deplatziert zu sein, sich mit der falschen Sprache am falschen Ort zu befinden. (Busch 2017, 52)
Um die Haupterzählung zu beenden, schließen die InterviewpartnerInnen ihre sprachbiografische Erzählung mit einer Koda ab. Bei der Koda handelt es sich um einen Marker, der das Ende der Erzählung markiert. Sie kann in Form eines Schlusswortes oder Schlusssatzes, aber auch durch die Gestik oder Mimik ausgedrückt werden (Küsters 2009, 60): Ich glaub, das ist erst zwanzig Jahre später oder so gekommen, wenn überhaupt. Ich bin überhaupt gar nicht sicher. Wenn die Leute sehr langsam sprechen, dann versteh ich sie, aber ich kann kein Wort reden. Voilà. (BLux5, Pos. 2)
Nachfragephase 1 Im Anschluss an die Koda folgt die erste Nachfragephase durch immanente Fragen: Der Interviewer [oder die Interviewerin] hat sich während der Haupterzählung kurze Notizen zu Lücken und anderen Auffälligkeiten in der Erzählung gemacht, anhand derer er nun die an die Erzählung anknüpfenden, immanenten Nachfragen stellt. Diese müssen wiederum erzählgenerierend sein. (Küsters 2009, 61)
Bei der immanenten Nachfragephase handelte es sich meist um Unklarheiten, die für die Interviewerin im Erzählprozess nicht eindeutig nachvollziehbar wurden. Dies war etwa der Fall, als eine Interviewpartnerin zu Beginn ihrer Erzählung eine Sprache nannte, auf die sie im weiteren Verlauf nicht mehr einging. Darüber hinaus wurde in der ersten Nachfragephase in allen Fällen nach der Selbsteinschätzung in den jeweiligen Sprachen gefragt. Dazu sollten die InterviewpartnerInnen sich auf einer Skala von eins bis sechs in «ihren» Sprachen einschätzen, wodurch u. a. die Sprachpräferenz sowie die Sprachdominanz, etwa bzgl. des Lesens, Schreibens oder Verstehens, abgefragt werden sollten (Riehl 2014a, 23). Das Sprachporträt Um das sprachbiografische Erzählen durch einen weiteren sprachbiografischen Zugang zu ergänzen, wurden die InterviewpartnerInnen im Anschluss an das sprachbiografische Erzählen und die erste Nachfragephase (Teil 1 des Interviews) gebeten, ein Sprachporträt (Teil 2 des Interviews) zu erstellen. Dabei handelt es sich um eine Kreativitätstechnik, die eine andere Sicht auf den Untersuchungsgegenstand eröffnet (Kirchmair 2022, 69ss.).
6.4 Datenerhebung
121
Ein weiterer interessanter Zugang zur Sprachbiographie sind die sog. «Sprachenporträts». Hierbei handelt es sich um eine kreative Methode, die von Krumm und Mitarbeitern (z. B. Krumm/Jenkins 2001) entwickelt wurde und ursprünglich zum Ziel hatte, die Sprachbewusstheit in multilingualen Schulklassen zu fördern. Mittlerweile etabliert sich diese Methode als eigenständiger sprachbiographischer Zugang. (Riehl 2014a, 25)
Als eigenständiger Zugang sprachbiografischer Forschung sind Sprachporträts eine beliebte Methode, um den Gebrauch und die Einstellung zu Sprachen und das individuelle sprachliche Repertoire zu visualisieren. Dazu wurden die InterviewpartnerInnen aufgefordert, ihre sprachlichen Ressourcen mit verschiedenen Farben in eine vorgegebene Körpersilhouette einzutragen, wobei den InterviewpartnerInnen die Entscheidung überlassen wurde, ob sie das Bemalen der Körpersilhouette kommentieren7 (Riehl 2014a, 25).
Abb. 9: Körpersilhouette aus Busch (2017, 38).
Ähnlich dem Protokoll lauten Denkens, das dem Forschenden die Möglichkeit bietet, Einblicke in die Denkprozesse der beforschten Personen zu erlangen, konnten die InterviewpartnerInnen ebenfalls ihre Gedanken beim Bemalen der Körpersilhouette äußern (Buber 2007). Dies war jedoch nicht zwingend notwendig, da weniger die Gefühle oder Intensionen der Befragten beim Bemalen im Vordergrund standen als vielmehr die Sprachen, die ohnehin zuvor durch die sprachbiografische Erzählung näher erläutert wurden.
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6 Forschungsgrundriss
Die farblich bemalten Porträts dienen schließlich offensichtlichen oder verallgemeinernden Interpretationen (Busch 2017, 38): «Dann machen ʼma mal rot, ja hier das Portugiesisch würde ich [...] im Herzen, weil ich da ja aufgewachsen bin, das sind meine Wurzeln» (BpLux1, Pos. 6). Diese Methode bot sich aus mehreren Gründen im Anschluss an das sprachbiografische Erzählen an: Zum einen konnten die InterviewpartnerInnen bereits während des Erzählens den Gebrauch «ihrer» Sprachen reflektieren, zum anderen waren die Sprachporträts auch für die Interviewerin dahingehend hilfreich, das Erzählte durch die anschließende bildliche Darstellung besser nachvollziehen zu können. Über diese praktischen Nutzeffekte der Sprachporträts hinaus liefert die Art der Darstellung des individuellen sprachlichen Repertoires wichtige Informationen zur Konstruktion der eigenen Identität und der subjektiven Positionierung. Nachfragephase 2 Schließlich folgte Teil 3 des Interviews, die zweite Nachfragephase anhand von Leitfragen. Bei narrativen Interviews handelt es sich in der Regel bei der zweiten Nachfragephase nicht um vorformulierte Fragen, sondern um exmanente Fragen, die auf die bereits erwähnten versatzstückartigen Kommentare der InterviewpartnerInnen eingehen. Bei der Erhebung sind qualitative Leitfadeninterviews von ähnlichen Verzerrungen betroffen wie standardisierte Befragungen: durch die Beeinflussung der Antworten aufgrund einer Orientierung an sozialer Erwünschtheit und durch das Interaktionsgeschehen im Interview sowie durch die Formulierungen der Fragen und deren Platzierung im Interview. Auch erfüllt das Leitfadeninterview den Anspruch, die subjektive Perspektive des Befragten zu erfassen, nur teilweise, denn auch hier werden viele Themen und Begrifflichkeiten von Interviewerseite eingebracht und hat der Befragte kaum die Möglichkeit, seine Perspektive vollständig zu entfalten. (Küsters 2009, 21)
Um trotz der Leitfragen das Prinzip der Offenheit zu wahren, wurde darauf geachtet, die InterviewpartnerInnen möglichst wenig durch die Fragen zu beeinflussen. Durch die Formulierung offener Fragen sollte den InterviewpartnerInnen «die Entscheidung über den Inhalt der Antwort» (Gläser/Laudel 2009, 131) überlassen werden. Leitfragen sind ein Bindeglied zwischen den theoretischen Vorüberlegungen und qualitativen Erhebungsmethoden. Leitfragen sind keine theoretischen Fragen und auch nicht an Variablen oder vermuteten Kausalzusammenhängen orientiert. Sie sind vielmehr auf das Untersuchungsfeld gerichtet und versuchen, die Informationen zu nennen, die erhoben werden müssen. Leitfragen charakterisieren das Wissen, das beschafft werden muss, um die Forschungsfrage zu beantworten. (Gläser/Laudel 2009, 91)
6.4 Datenerhebung
123
Aufgrund u. a. dieser Leitfragen werden die für die vorliegende Untersuchung geführten Interviews nicht als «narrative Interviews» bezeichnet, da bei diesem Vorgehen unterschiedliche Zugänge kombiniert werden, wodurch diese Vorgehensweise strenggenommen dem «episodischen Interview» entspricht.8 Eine die Offenheit betreffende Restriktion erfolgte darüber hinaus auch durch die von Gläser und Laudel (2009) bezeichneten «Unterstellungen»: Eine nützliche Einschränkung der Offenheit besteht in den Unterstellungen [...]. Fast alle Fragen sind unterstellende Fragen, in denen der Interviewer sein Wissen über den Gegenstand der Frage oder seine Vermutung als implizite Voraussetzung formuliert. (Gläser/Laudel 2009, 133)
Durch die Unterstellungen konnten außerdem unangenehme Situationen umgangen werden, indem den befragten Personen das Antworten erleichtert werden sollte. Darüber hinaus waren die Unterstellungen – wenn auch nicht dem Prinzip der absoluten Offenheit entsprechend – aber auch absolut hilfreich in Hinblick auf eine möglichst natürliche Gesprächssituation: Die Unterstellungen, die mit der Frage formuliert werden, werden damit zugleich einem Test unterzogen. Der Interviewpartner kann die in der Frage enthaltene Unterstellung jederzeit zurückweisen. Eine Ablehnung der Unterstellungen liegt meist im Spektrum der normalen Antwortmöglichkeiten und erfordert keinen zusätzlichen Aufwand. (Gläser/Laudel 2009, 133)
Die Unterstellungen hatten darüber hinaus die Funktion, möglichst detaillierte Antworten von den InterviewpartnerInnen zu erhalten und die Erzählbereitschaft zu erhöhen. Besonders hilfreich war dies bei weniger erzählfreudigen Personen. Die Leitfragen haben darüber hinaus dazu gedient, festzuhalten, welche Daten durch die Erhebungsmethode erbracht werden sollten bzw. mussten, und dienten daher wie eine Art Handlungsanleitung (Gläser/Laudel 2009, 90ss.). Grob lassen sich die für diese Untersuchung erstellten Leitfragen in fünf Themengebiete gliedern: Alltag und Sprache (Sprachpräferenz und situationsbedingter Sprachgebrauch), Sprachkontakt, Sprachweitergabe, Mehrsprachigkeit und Spracheinstellung (cf. Anhang 11.4 Interviewleitfaden Teil 3). Um dem Prinzip der Offenheit Rechnung zu tragen, wurde den InterviewpartnerInnen, die weniger erzählfreudig waren und bei denen sich keine expliziten exmanenten Fragen ergaben, am Ende der Leitfragen die Möglichkeit geboten, dem Erzählten noch etwas hinzuzufügen. Daraus ergab sich in einigen wenigen Fällen
Bei dem episodischen Interview handelt es sich um eine Kombination aus Erzählaufforderungen und Fragen, cf. Kap. 6.4.2.
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6 Forschungsgrundriss
die interessante Beobachtung, dass die InterviewpartnerInnen ein knappes Resümee aus dem Interview zogen und die für sie wichtigsten Inhalte nachdrücklich zum Ausdruck brachten: I: «[...] Willst du zu dem bereits Gesagte[n] noch irgendwas sagen [...]?» BLux6: «Ja, ich kann viele Sprachen reden, aber die beste ist nun mal Luxemburgisch.» I: «[...] die du am besten sprichst? Oder die du am besten findest?» BLux6: «Beides.» (BLux6, Pos. 49–52)
Das Nachgespräch Nachdem die Gesprächsaufnahme beendet wurde, ging das Interview in das Nachgespräch über. Interessant war, dass – obwohl einigen InterviewpartnerInnen zuvor die Gelegenheit geboten wurde, noch etwas dem Gesagten hinzuzufügen – sich im Nachgespräch oft über das Interview hinaus sehr interessante Gespräche entwickelten. In der Gestaltung des Nachgesprächs richtet man sich am besten nach den Bedürfnissen des [oder der] Befragten. Manche Befragte sind nach dem Interview sehr interessiert daran, zu erfahren, wie denn jetzt aus ihrer Erzählung Forschungsergebnisse gewonnen werden sollen. (Küsters 2009, 64)
Im Rahmen der Nachgespräche und durch nähere Angaben zur Untersuchung gaben einige InterviewpartnerInnen nachträglich interessanten Input und anregende, den Untersuchungsgegenstand betreffende Informationen, die im Interviewprotokoll festgehalten wurden. Das Interviewprotokoll Das nach dem jeweiligen Interview erstellte Interviewprotokoll diente nicht nur dazu, die Inhalte der Nachgespräche festzuhalten, sondern darüber hinaus auch dazu, alle Eindrücke zu dem Interview und den InterviewpartnerInnen zu erfassen. Dies betraf vor allem die die Gesprächssituation betreffende Atmosphäre sowie das Verhalten der InterviewpartnerInnen. Notiert wurden Einzelheiten der Gespräche vor und nach Einschalten des Aufnahmegerätes sowie die «erste[n] Eindrücke und Gedanken über die Person» (Küsters 2009, 65). Das Interviewprotokoll war eine wichtige Etappe im Forschungsverlauf: Von Interaktionsbeziehungen, die im Rahmen der Interviews zwischen der Forschenden und den InterviewpartnerInnen aufgebaut wurden, wurde sich, nach Verfassen der Interviewprotokolle, versucht zu distanzieren, damit die aus der Erinnerung entstehenden Selbstdeutungen keinen Einfluss auf die Forschung haben. Laut Küsters (2009) wurde zum einen durch das Umbenennen der InterviewpartnerInnen mit Pseudonymen (in dem Fall mit den Kürzeln BpLux
6.4 Datenerhebung
125
oder BLux) sowie durch die Verschriftlichung der Audioaufnahmen Distanz zu den InterviewpartnerInnen geschaffen (Küsters 2009, 65). Die durch das Aufnahmegerät fixierten Daten wurden, nachdem alle Interviews geführt wurden, transkribiert (cf. Kap. 6.5.1). Im Durchschnitt haben die Interviews, abhängig von der Erzählfreudigkeit der InterviewpartnerInnen, ungefähr 30–45 Minuten gedauert. Neben weniger erzählfreudigen Personen galt es allerdings noch weitere Aspekte zu berücksichtigen, durch die Komplikationen nicht auszuschließen waren. Komplikationen im Rahmen der Interviews Die interaktive und vor allem kommunikative Beziehung zwischen der Forschenden und den an der Forschung teilnehmenden Personen, die Voraussetzung für die qualitative Untersuchung ist, birgt noch eine weitere Schwierigkeit. Dadurch, dass im Forschungsprozess zwei Personen mit unterschiedlichen Sichtweisen miteinander in Kontakt treten, ist die Gesprächssituation durch den Herstellungscharakter sozialer Wirklichkeiten gekennzeichnet (Flick 2017, 21ss.). Für die vorliegende Forschung galt es, den kulturellen Hintergrund der Forscherin zu berücksichtigen. Neben der reflektierten Subjektivität der Forscherin bestand darüber hinaus die Gefahr, dass dieser kulturelle Hintergrund von Seiten der beforschten Personen (negative) Auswirkungen auf die Gesprächssituation haben könnte. So war es denkbar, dass in Hinblick auf den kulturellen Hintergrund kein richtiger Zugang zu den Forschungsteilnehmenden hätte gefunden werden oder das Untersuchungsinteresse zur Distanzierung der Forschungsteilnehmenden hätte führen können. Um einen ersten Eindruck davon zu erhalten, wie sehr die Interviewsituation wirklich vom kulturellen Hintergrund der Forscherin beeinflusst wird, sowie darüber hinaus die Erhebungsmethode zu testen und diese gegebenenfalls anpassen zu können, wurde eine Vorstudie durchgeführt: Interviewleitfäden können nach den Erfahrungen der ersten Interviews überarbeitet, Beobachtungspläne können verändert werden usw. Auch diese «Anpassung im Erhebungsprozess» ist allerdings mit Datenverlust verbunden, da sie bedeutet, dass die ersten Interviews bzw. Beobachtungen ihre Aufgabe nicht völlig erfüllt haben. [...] [E]s [ist] ratsam, eine Vorstudie durchzuführen. Vorstudien zur Erprobung und Anpassung von Methoden werden durchgeführt, nachdem die Untersuchungsstrategie festgelegt wurde. (Gläser/Laudel 2009, 107)
Zum einen wurde der Erzählstimulus infolge der Vorstudie angepasst und präzisiert. Außerdem zeigte die Vorstudie, dass es sinnvoll erschien, das Sprachporträt im Anschluss an die Sprachbiografie und nicht im Anschluss an die Leitfragen durchzuführen, da die InterviewpartnerInnen ihre bereits sprachlich reflektierte Sprachbiografie anschließend besser visualisieren konnten und die Bereitschaft,
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6 Forschungsgrundriss
sich auf diese neuere, kreativere Forschungsmethode einzulassen, gegen Ende der Interviews nachzulassen schien. Da in den ersten Interviews auffiel, dass einige der Forschungsteilnehmenden im Anschluss an das Interview dem bereits Erzählten noch etwas nachzutragen hatten, wurde nachträglich zudem die Frage, ob sie dem Gesagten noch etwas hinzufügen wollen, zu den Leitfragen aufgenommen. Aus diesem Grund ist diese Frage nicht Teil aller Interviewtranskripte. Im Umkehrschluss würde dies nach Gläser und Laudel (2009) zwar bedeuten, dass ein Datenverlust nicht ausgeschlossen ist, allerdings wurden alle aus den Nachgesprächen entstandenen Informationen im Rahmen der Interviewprotokolle festgehalten (Gläser/Laudel 2009, 107). 6.4.1.3 Pressetexte Im Unterschied zu den sprachbiografischen Interviews handelt es sich bei den Pressetexten um Material bzw. um Daten, die nicht erst von der Forscherin durch Datenerhebung geschaffen werden mussten (Mayring 2002, 47). In Hinsicht auf die Dokumentenanalyse schreibt Mayring (2002): Dokument [kann] alles sein, Texte, Filme, Tonbänder, aber auch Gegenstände wie Werkzeuge, Bauten, Kunstgegenstände. Sie müssen nur interessante Schlüsse auf menschliches Denken, Fühlen und Handeln zulassen, das heißt, sie müssen interpretierbar sein, denn Dokumente werden als Objektivationen (Vergegenständlichungen) der Psyche des Urhebers (Ballstaedt 1987) angesehen. (Mayring 2002, 47)
Pressetexte haben nicht nur den Vorteil, Zugänge zu schaffen, die durch die sprachbiografischen Interviews allein nicht möglich gewesen wären, sie ermöglichen darüber hinaus das Ineinandergreifen der Forschungsfragen und die Erweiterung des Untersuchungskontextes. Bei der Korpusauswahl standen vier Stufen im Vordergrund: 1. die Formulierung der Fragestellung, 2. die Definition, was als Dokument für die Analyse berücksichtigt werden sollte, 3. die Quellenkritik und 4. die Interpretation der Dokumente (Mayring 2002, 48s.). Auf die Formulierung der Fragestellung wurde bereits in Kapitel 6.3 eingegangen. Beim Verknüpfen der sprachbiografischen Untersuchung mit der Analyse der Pressetexte steht die Dialektik zwischen Identität und Gesellschaft nach Berger und Luckmann (2009) im Fokus. Entsprechend der Untersuchung, die zum einen durch ihren Umfang und zum anderen zeitlich genau situiert ist, musste eine genaue Auswahl des Korpus getroffen werden. Wichtig bei der Wahl der für die Analyse relevanten Texte war zum einen die Herkunft und zum anderen der zeitliche sowie der thematische Kontext. Die ausgewählten Texte sollten aus einer
6.4 Datenerhebung
127
der auflagenstärksten Zeitungen Luxemburgs stammen, damit davon ausgegangen werden konnte, dass die Pressetexte von einer Vielzahl der LuxemburgerInnen gelesen wurden. Die für die vorliegende Untersuchung ausgewählten Texte stammen aus dem Archiv der Zeitung «Luxemburger Wort». Eine eigene Recherche in der Nationalbibliothek Luxemburgs und die damit verbundene selbstständige Zusammenstellung des Korpus waren aus mehreren Gründen nicht möglich, sodass das Korpus durch die Unterstützung einer Archivarin des «Luxemburger Wort» zusammengestellt werden musste.9 Die durch die Archivarin ermöglichte Metadatensuche erfolgte in den Archiven der Jahre 2016 bis 2018 anhand folgender Stichwörter: – Alltagssprache Luxemburg; – deutsche Sprache; – Erstsprache Luxemburg; – französische Sprache; – Fremdsprache Luxemburg; – Integrationssprache Luxemburg; – Mehrsprachigkeit Luxemburg; – Muttersprache Luxemburg; – portugiesische Sprache; – Sprache Identität; – Zweitsprache Luxemburg. Nach Sichtung der Texte und einer ersten Einschätzung, welche Texte relevant für die Beantwortung der Fragestellung sein könnten, wurden die Texte aufbereitet, indem sie in Word-Dokumenten abgespeichert wurden, zur anschließenden Einspeisung in die Analysesoftware. Insgesamt ergab sich ein aus 1.342 Seiten bestehendes Korpus. Vorteilhaft an der durch die Archivmitarbeiterin durchgeführten Zusammenstellung des Korpus waren vor allem die übersichtliche Darstellung der Textinformationen sowie die allgemeine Darstellungsform der Texte, durch die sowohl die Extraktion der Leserbriefe als auch die Einspeisung in die Analysesoftware, mit Differenzierung der unterschiedlichen Jahreszeiträume, deutlich vereinfacht wurden.
Zum einen waren die Nutzung digitalisierter Medien und das Speichern in digitaler Form in der Nationalbibliothek Luxemburg nicht möglich, zum anderen wurde der Zugang zur Bibliothek ohnehin durch die Corona-Pandemie erschwert. Von der Recherche im Online-Archiv des «Luxemburger Wort» wurde abgesehen, da eine reine Stichwortsuche online nicht möglich war.
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6 Forschungsgrundriss
Datenauszug 1: Pressetext «Die Sprachen-Mär».
Hinsichtlich der forschungsethischen Überlegung ist zu berücksichtigen, dass unverantwortlicher Journalismus zwar in der Regel mit dem Medienrecht zu vereinbaren ist, durch seine inadäquate Berichterstattung ist er allerdings hauptsächlich charakterisierend für Boulevardzeitungen. In Hinblick auf die Forschungsethik wurde sich daher auf die Medienethik berufen, die dem Mediensektor durch bestimmte Institutionen, wie z. B. den Presserat,10 Normen und Standards vorgibt.
Bei dem luxemburgischen Äquivalent zum «Deutschen Presserat» handelt es sich um den «Conseil de Presse Luxembourg» (Conseil de Presse Luxembourg 2022).
6.4 Datenerhebung
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6.4.2 Triangulation Unter Triangulation ist innerhalb der qualitativen Forschung die Betrachtung eines Forschungsgegenstandes aus unterschiedlichen, mindestens zwei verschiedenen Perspektiven zu verstehen (Flick 2011, 11). Überschneidungen gibt es mit den Mixed Methodologies (Mixed Methods), denn im Unterschied zur Triangulation bezeichnet Mixed Methods die Verknüpfung quantitativer und qualitativer Methoden (Flick 2011, 76). Welche ergänzenden Schritte hinsichtlich einer Triangulation in den Forschungsprozess integriert werden, ist anhand der Fragestellung festzumachen. Durch Triangulation wird der methodisch-theoretische Zugang den Untersuchungsgegenstand betreffend erweitert, wodurch im Rahmen der qualitativen Forschung z. B. die Validität – eines der Hauptgütekriterien qualitativer Forschung (cf. Kap. 6.1) – überprüft werden kann: Validity, in qualitative research, refers to whether the findings of a study are true and certain– «true» in the sense that research findings accurately reflect the situation, and «certain» in the sense that research findings are supported by the evidence. Triangulation is a method used by qualitative researchers to check and establish validity in their studies by analyzing a research question from multiple perspectives. (Guion/Diehl/McDonald 2002, 1)
Vordergründig ist nicht die Überprüfung der Ergebnisse, sondern die Erkenntnisstrategie, die durch Vielschichtigkeit und Erweiterung der Perspektiven umfassender werden soll. Die Triangulation kann verschiedene Ebenen der Forschung betreffen, etwa die Forschenden, die Theorie, die Methoden oder die Daten: Data triangulation involves using different sources of information in order to increase the validity of a study. In Extension, these sources are likely to be stakeholders in a program – participants, other researchers, program staff, other community members, and so on. (Guion/Diehl/McDonald 2002, 1)
Durch das Einbeziehen verschiedener Datenquellen kann ein Phänomen zu verschiedenen Zeitpunkten, an unterschiedlichen Orten und anhand unterschiedlicher AkteurInnen untersucht werden (Flick 2011, 13). Bei der Methoden-Triangulation, der Verknüpfung verschiedener Methoden, werden zwei Arten unterschieden: Die methodenübergreifende Triangulation (between-method) betrifft die bereits genannten Mixed Methods, i. e. die Triangulation qualitativer und quantitativer Methoden, während unter methodeninterner Triangulation (within-method) die Verknüpfung unterschiedlicher Verfahren innerhalb einer Methode zu verstehen ist (Flick 2011, 15s.): Methodological triangulation involves the use of multiple qualitative and/or quantitative methods to study the program. For example, results from surveys, focus groups, and interviews
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6 Forschungsgrundriss
could be compared to see if similar results are being found. If the conclusions from each of the methods are the same, then validity is established. (Guion/Diehl/McDonald 2002, 2)
Während die Theorien-Triangulation das Miteinbeziehen unterschiedlicher theoretischer Zugänge in einen konkreten Datensatz bezeichnet, um dadurch die Erkenntnismöglichkeit zu fundieren, betrifft die Forscher-Triangulation die Analyse der Daten durch mehrere Forschende (Flick 2011, 14s.). Theory triangulation involves the use of multiple perspectives to interpret a single set of data. Unlike investigator triangulation, this method typically entails using professionals outside of a particular field of study. One popular approach is to bring together people from different disciplines; however, individuals within disciplines may be used as long as they are in different status positions. (Guion/Diehl/McDonald 2002, 2)
In der vorliegenden Untersuchung wird sowohl die Daten- als auch die Methoden-Triangulation in den Forschungsprozess integriert. Dies geschieht zum einen durch die Kombination verschiedener Datenquellen, die an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten erhoben wurden. Zum anderen betrifft dies die Methoden-Triangulation innerhalb der sprachbiografischen Interviews:
2016
2017
2018
2019
Pressetexte
2020
Sprachbiografische Interviews
Untersuchungsgegenstand
Abb. 10: Methoden- und Daten-Triangulation im Rahmen der qualitativen Untersuchung , eigene Darstellung.
6.4 Datenerhebung
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Wie aus Abb. 10 hervorgeht, handelt es sich, die Daten-Triangulation betreffend, um die aus dem Archiv des «Luxemburger Wort» stammenden Pressetexte der Jahre 2016 bis 2018 sowie die sprachbiografischen Interviews, die zwischen 2019 und 2020 erhoben wurden. Innerhalb der sprachbiografischen Interviews wurden wiederum unterschiedliche Methoden der sprachbiografischen Forschung kombiniert: die narrativ-episodischen Interviews und die Sprachporträts. Die Daten-Triangulation bot sich in dieser Untersuchung vor allem aus dem Grund an, um dadurch der Dialektik zwischen den Individuen, deren Identitäten sowie der luxemburgischen Gesellschaft Rechnung tragen zu können. So lässt sich die Grundannahme der narrativen Interviews, soziale Wirklichkeit herzustellen, mit der durch die Pressetexte gesellschaftlich konstruierten Wirklichkeit verknüpfen. Durch die Integration der beiden Triangulationsformen lässt sich darüber hinaus diskutieren, welche Wirkungen die diskursinternen gesellschaftlichen Phänomene auf die Individuen haben, die sich möglicherweise im Vergleich verschiedener diskursiver Formationen herausbilden. In diesem Rahmen soll durch Daten-Triangulation und die damit verbundene interdisziplinäre Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand ein Augenmerk auf das Verhältnis von Sprache und Wissen gerichtet werden. Hinsichtlich möglicher Nachteile der Triangulation muss berücksichtigt werden, dass die Integration verschiedener Triangulationsformen zum einen konsequent und zum anderen konvenierend erfolgen muss, ohne dabei die Ressourcen einer Untersuchung zu überlasten. So ist die Triangulation der Daten und der Methoden sehr zeitintensiv und setzt dementsprechend eine genaue Planung voraus. Vorteile der Triangulation sind besonders im Rahmen der qualitativen Forschung darin zu sehen, dass durch die Integration der Triangulationsformen die Validität und die Reliabilität gesteigert werden: The benefits of triangulation include «increasing confidence in research data, creating innovative ways of understanding a phenomenon, revealing unique findings, challenging or integrating theories, and providing a clearer understanding of the problem» (Thurmond, 2001, p. 254). These benefits largely result from the diversity and quantity of data that can be used for analysis. (Guion/Diehl/McDonald 2002, 3)
Hinsichtlich der Gegenstandsangemessenheit wurden die Wahl der Methoden und die Datenerhebung erläutert, um die Transparenz sicherzustellen und zu zeigen, wie die Methoden zur Beantwortung der Forschungsfragen ineinandergreifen. Sowohl der interaktionsbasierte Ansatz der sprachbiografischen Interviews als auch die WDA der Pressetexte legen einen qualitativen Zugang nahe, um zu überprüfen, wie die LuxemburgerInnen im Rahmen der Mehrsprachigkeit ihre Identität bilden, wie das Wissen über die Mehrsprachigkeit in den Medien konstruiert wird, wie die LuxemburgerInnen demzufolge die Mehrsprachigkeit in
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6 Forschungsgrundriss
ihrem Land wahrnehmen und ob sie das in den Medien produzierte Wissen gegebenenfalls reproduzieren.
6.5 Analyse der Daten und Auswertung Wie anhand der Triangulation sichtbar wurde, werden die Forschungsfragen auf mehreren Ebenen beleuchtet. Die Grounded Theory (GT) bildet die Grundlage für die WDA, mit der die Pressetexte analysiert werden. Die GT ist aufgrund ihrer Offenheit dem Forschungsgegenstand gegenüber, darüber hinaus aber auch als Grundlage ein wichtiger Bestandteil der inhaltlich strukturierten Inhaltsanalyse der sprachbiografischen Interviews. Bei der GT handelt es sich um einen Forschungsstil, der dazu dient, durch den ständigen Datenvergleich nach einer anschließend eintretenden theoretischen Sättigung eine Theorie aufstellen zu können (Kuckartz 2018, 79). Für die vorliegende Untersuchung ist die GT sowohl für die Analyse der sprachbiografischen Interviews als auch für die WDA von Bedeutung, da beide Analysen durch das Prinzip der Offenheit gekennzeichnet sind, das bei der GT im Vordergrund steht (Mayring 2002, 103ss.). Das Verfassen von «Memos» ist bereits während der Analyse ein erster die GT betreffender wichtiger Schritt, in dem während des gesamten Analyseprozesses erste Hypothesen und Gedanken in Form von Notizen festgehalten werden (cf. Kap. 6.5.1): Unter einem Memo versteht man die von den Forscherinnen und Forschern während des Analyseprozesses festgehaltenen Gedanken, Ideen, Vermutungen und Hypothesen. Es kann sich bei Memos sowohl um kurze Notizen handeln (ähnlich wie Post-its, die man an eine Buchseite heftet) als auch um reflektierte inhaltliche Vermerke, die wichtige Bausteine auf dem Weg zum Forschungsbericht darstellen können. Das Schreiben von Memos sollte integraler Bestandteil des gesamten Forschungsprozesses sein. (Kuckartz 2018, 58)
Relevant ist dieser Vorgang, da bei der GT nicht die Repräsentativität im Vordergrund steht, sondern die theoretische Sättigung, die u. a. durch eine fallübergreifende Kontrastierung erzielt werden kann, «ohne dass dabei die individuelle, fallbezogene Ebene aus dem Blick gerät» (Prokopowicz 2017, 114). Die qualitative Analyse der Daten, wie sie im Fall der vorliegenden Untersuchung anhand einer QDA-Software (Qualitative-Data-Analysis-Software) erfolgte (cf. Kap. 6.5.3), basiert durch die Verknüpfung von Textstellen mit selbstdefinierten Kategorien (Codes) ebenfalls auf Grundlage der GT. Die Verknüpfung von Textstellen mit den Codes (Kodieren) geschieht zunächst durch einen offenen Kodiervor-
6.5 Analyse der Daten und Auswertung
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gang, den ersten Schritt, das «Aufbrechen» (Kuckartz 2018, 80) des Materials und die Zuordnung der Analysekategorien zu konkreten Textstellen. Durch das offene Kodieren werden Konzepte, i. e. auffallende Phänomene (Worum geht es? Welche AkteurInnen spielen eine Rolle?) (Kuckartz 2018, 80) von der forschenden Person ausfindig gemacht und benannt. Unter Kodieren ist jedoch nicht lediglich die Zuordnung von Kategorien zu Materialteilen im Rahmen des Kodierprozesses zu verstehen, sondern der gesamte Analyseprozess. Durch sogenannte «In-vivo-Codes» werden bereits im Prozess des offenen Kodierens Metaphern und Worte kodiert. Von diesen ersten Konzepten wird schließlich auf Kategorien geschlossen, was bedeutet, dass abstrakte Konzepte entstehen, die durch eine möglichst präzise und spezifische Formulierung gekennzeichnet sind (Kuckartz 2018, 81). Der durch die Kategorien gebildete Deutungsrahmen erfolgte, die Analyse der sprachbiografischen Interviews betreffend, im Rahmen eines zirkulären Prozesses (cf. Kap. 6.5.2.1). Für die qualitative Inhaltsanalyse stand zudem eine Mischform bei der Entwicklung der Kategoriensysteme im Vordergrund: die deduktiv-induktive Kategorienbildung, die die Kategorien am Material selbst modifizierte, ausdifferenzierte und durch die Kategorienbildung zu einem mehrstufigen Prozess wurde (Kuckartz 2018, 97). Sobald die Abstraktionsebene der Kategorien stieg, wurden weitere Codes zusammengefasst, was dazu führte, dass es sich bei den Konzepten nicht lediglich um eine Zusammenfassung, sondern um abstraktere und umfassendere Ebenen handelt. Dieser Prozess erfolgte so lange, bis schließlich die Kernkonzepte und damit die theoretischen Kategorien entstehen konnten, die auf Grundlage der GT herausgearbeitet wurden und auf den vorliegenden Daten beruhen (Kuckartz 2018, 88ss.).
6.5.1 Allgemeines methodisches Vorgehen Neben dem Projekt- bzw. dem Forschungstagebuch, in dem nicht nur der Forschungsablauf, sondern auch die für die Forschung relevanten Ideen und Reflexionen schriftlich festgehalten wurden, dienten darüber hinaus in einem späteren Schritt die bereits erwähnten Memos im Analyseprozess dazu, sowohl die Interviews als auch die Pressetexte betreffend, Kommentare und erste Hypothesen anhand des Datenmaterials festzuhalten.
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6 Forschungsgrundriss
Transkription Die geführten Interviews wurden zunächst vollständig von der Forscherin transkribiert, indem die durch das Aufnahmegerät aufgezeichneten Gespräche anhand der für die Untersuchung vorliegenden Transkriptionsregeln11 in schriftliche Form gebracht wurden. Die Transkription durch die Forscherin selbst hatte den Vorteil, dass bereits während des Transkriptionsprozesses erste Interpretationseinfälle im Forschungstagebuch festgehalten werden konnten. Ein weiterer Vorteil war die Transkription mit der Analysesoftware, durch die ein synchrones Arbeiten mit Audioaufnahmen und Transkription möglich war. Die Interviews selbst wurden vollständig transkribiert, mit Ausnahme mancher Passagen der Forscherin, z. B. des Stimulus, der ohnehin im Interviewleitfaden enthalten ist und zudem für den Kodierprozess innerhalb der Analyse nicht weiter ausschlaggebend war. Hinsichtlich der Transkriptionsregeln wurde sich hauptsächlich an Jefferson (1984) orientiert, wobei der Transkriptionsleitfaden für die vorliegende Untersuchung angepasst und erweitert wurde (cf. Kuckartz 2018, 168–170). Allgemein handelt es sich um eine Transkription mittlerer Genauigkeit (Küsters 2009, 74), es wurde nicht lautsprachlich, sondern wörtlich transkribiert. Sich überschneidende Textpassagen wurden nicht als solche gekennzeichnet, da dies für die Analyse keine Relevanz hatte. Die Verschriftlichung entspricht allerdings exakt dem Gesagten, dadurch, dass auch Versprecher, grammatikalische Fehler, Wort- und Satzabbrüche oder Wiederholungen nicht «versäubert» (Küsters 2009, 73), sondern ebenfalls transkribiert wurden. Außerdem wurden sprachliche Auffälligkeiten festgehalten, da dies für die vorliegende Untersuchung besonders wichtig ist, ebenso wie zögerndes Sprechen oder Denkpausen. Wichtig war, über die Transkription des Gesagten hinaus auch das emotionale Verhalten der InterviewpartnerInnen festzuhalten, etwa wenn gelacht oder geweint wurde:
Datenauszug 2: Auszug Transkript, am Beispiel BLux5 (Pos. 30–31).
Cf. Anhang 11.5.
6.5 Analyse der Daten und Auswertung
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«Jeder Sprechbeitrag [wurde] als eigener Absatz transkribiert» (Rädiker/Kuckartz 2019, 44), die Durchnummerierung erfolgte dabei automatisch durch den Absatzwechsel (cf. Datenauszug 2). Einhergehend mit der Transkription erfolgte die in Kapitel 6.4.1.1 bereits beschriebene Anonymisierung bestimmter Textstellen. Es wurden alle Angaben im Transkript geändert, die zur Identifizierung einer Person führen konnten: Vor- und Nachname, Wohn- und Arbeitsort, Adressen, Namen von Verwandten oder Freunden. An diesen Stellen wurden Äquivalente gewählt, die den Bezug zum Gesagten und die inhaltliche Korrektheit weiterhin gewährleisten konnten (Küsters 2009, 76). Nach der Transkription wurden alle Transkripte noch mindestens einmal Korrektur gelesen, da die durch die alltagsähnliche Gesprächsform gekennzeichneten Aufnahmen «einer hohen Fehleranfälligkeit [bei der Transkription] unterliegen» (Küsters 2009, 73). Initiierende Textarbeit Nach der Transkription der Interviews sowie nach der Einspeisung der Pressetexte erfolgte zunächst die initiierende Textarbeit, durch die sich in einem ersten Schritt, durch hermeneutisch-interpretatives Vorgehen (Kuckartz 2018, 56), gründlich mit den Texten auseinandergesetzt wurde. Dazu wurden zum einen die Inhalte der Texte in Hinblick auf die Forschungsfragen, zum anderen hinsichtlich ihrer formalen Strukturen betrachtet. Die formale Betrachtung betraf darüber hinaus auffällige Wörter, Metaphern oder Redewendungen. Das Markieren relevanter Textpassagen sowie das Schreiben von Memos, die Anmerkungen zu interessanten oder auffälligen Textstellen enthalten, waren in dieser ersten Phase des Prozesses die Grundlage für den nächsten Schritt, die Fallzusammenfassung (Kuckartz 2018, 56). Fallzusammenfassung Die Fallzusammenfassung (Case Summary) diente nach der initiierenden Textarbeit der strukturierten Darstellung der Einzelfälle (Kuckartz 2018, 58). Es handelt sich um eine resümierende Fallbeschreibung, in der sowohl Hintergrundinformationen (Woher stammt der Kontakt? Wo hat das Interview stattgefunden? Welchen Eindruck hat die Person vermittelt?) als auch eine formale Betrachtung des Interviewtranskriptes (Wie lang ist das Transkript? Welche Worte sind auffällig? Welche Sprachen werden thematisiert? Gibt es Metaphern?) sowie die zusammenfassende Fallbeschreibung aus Perspektive der Forschungsfragen festgehalten wurden.
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6 Forschungsgrundriss
Datenauszug 3: Darstellung der Fallzusammenfassung (Case Summary) am Beispiel BpLux1.
Die Fallzusammenfassungen waren vor allem hinsichtlich der Darstellung unterschiedlicher Fälle hilfreich, indem sie «den Blick für die Unterschiedlichkeit der einzelnen Fälle [ge]schärf[t] (Aspekt der analytischen Differenzierung) [haben und dadurch] [...] hypothesen- und kategoriengenerierend» (Kuckartz 2018, 62) waren. Auch für die Pressetexte wurden Fallzusammenfassungen erstellt, indem der formale Aufbau sowie die resümierende Fallbeschreibung bzgl. der Forschungsfragen festgehalten wurden. Die initiierende Textarbeit sowie das Erstellen der Case Summaries bildeten die Grundlage und den Ausgangspunkt für die datengeleitete Theoriebildung, die «dicht an den Daten (z. B. den subjektiven Sicht- und Handlungsweisen [...]) entwickelt werden» (Steinke 1999, 328, zit. nach Prokopowicz 2017, 73) sollte. Aus diesem Grund erschien die Analyse mit MAXQDA12 sowohl die Interviews als auch die Pressetexte betreffend angemessen, da das Erstellen von Memos in beiden Fällen, auf Grundlage der GT, für den gesamten Kodierprozess relevant war (Kuckartz 2018, 58). Cf. Kap. 6.5.3.
6.5 Analyse der Daten und Auswertung
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6.5.2 Qualitative Analyse Die qualitative Inhaltsanalyse orientiert sich an den klassischen Gütekriterien qualitativer Forschung (cf. Kap. 6.1). Dies sind u. a. die interne und die externe Validität, die durch die Nachvollziehbarkeit des methodischen Vorgehens, aber auch durch die Nachvollziehbarkeit der Generalisierungen im Ergebnisteil erreicht werden. Darauf bezugnehmend ist die Darstellung des Forschungs-, Kodierund Analyseprozesses grundlegender Bestandteil der qualitativen Inhaltsanalyse (Kuckartz 2018). Im Mittelpunkt dieser Untersuchung steht die Identitätsbildung der LuxemburgerInnen, für deren Analyse die in Luxemburg gesprochenen Sprachen im Rahmen der Mehrsprachigkeit mit identitätsbildenden Aspekten verknüpft werden. Die Reliabilität der qualitativen Inhaltsanalyse ist durch die Konsistenz der Forschung und ein nachvollziehbares empirisches Fundament gegeben. Die bisherigen Forschungen zu Luxemburg und dem Luxemburgischen dienen hier als Grundlage für weitere Forschungen hinsichtlich Sprache und Identität. Um reliable Ergebnisse zu erhalten bzw. der Reliabilität Rechnung zu tragen, soll im Anschluss an die Analysen in der Gesamtschau eingeschätzt werden, ob die Fallstruktur in Einzelfällen und fallübergreifend in weiteren Fällen ein- oder mehrmalig auftritt und der rote Faden erkennbar ist. Trifft dies zu, ist die Untersuchung reliabel. Die Objektivität ist im Fall der qualitativen Inhaltsanalyse, ebenso wie die externe Validität, durch Transparenz und die Nachvollziehbarkeit des gesamten Forschungsprozesses gegeben. So wurde bzgl. des Forschungsinteresses und in Hinblick auf die Forschungsfragen bereits in Kapitel 6.3 auf die reflektierte Subjektivität eingegangen. In Hinblick auf die interne Studiengüte werden im Nachfolgenden die inhaltsanalytischen Methoden der sprachbiografischen Interviews sowie der Pressetexte genauer dargestellt. In der vorliegenden Untersuchung wurde sich im Rahmen des analytischen Teils sowohl an Mayring (2002) als auch an Kuckartz (2018) orientiert, da beide den Fokus auf eine die Hermeneutik betreffende, systematisch-qualitative Analyse legen. Da Kuckartz jedoch zum einen die Methoden von Mayring weiter ausbaut (Kuckartz 2018, 22ss.), zum anderen den Fokus stärker auf das induktive Vorgehen richtet und darüber hinaus auch die Computerunterstützung ergänzend beschreibt, wird sich im Nachfolgenden überwiegend auf das Vorgehen von Kuckartz bezogen. 6.5.2.1 Analyse der sprachbiografischen Interviews und Sprachporträts Für die qualitative Inhaltsanalyse der sprachbiografischen Interviews wurde sich an dem zirkulären Modell von Kuckartz (2018) orientiert. Für dieses Modell der
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qualitativen Inhaltsanalyse wurde sich entschieden, da es auf dem hermeneutischen Grundprinzip beruht. Anstelle eines deduktiven Kategoriensystems sowie fester Forschungsfragen trägt die Orientierung an diesem Modell der Offenheit dem Untersuchungsgegenstand gegenüber, durch ein im Laufe der Untersuchung entstehendes Kodier- und Kategoriensystem, Rechnung (Kuckartz 2018, 100).
Abb. 11: Ablaufschema inhaltlich strukturierte Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018, 100).
Das in Abb. 11 dargestellte Ablaufschema der inhaltlich strukturierten Inhaltsanalyse vereint die methodische Kontrolliertheit und gleichzeitig die Offenheit dem Gegenstand gegenüber, was bei der qualitativen Forschung von großer Bedeutung ist. Nach der initiierenden Textarbeit und den Fallzusammenfassungen wurden die Hauptkategorien gebildet. Das Entwickeln der thematischen Kategorien «hängt im starken Maße von der Forschungsfrage und dem Vorwissen ab, das man über den Gegenstandsbereich der Forschung besitzt» (Kuckartz 2018, 63).
6.5 Analyse der Daten und Auswertung
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In der vorliegenden Untersuchung bildeten die Forschungsfragen die theoretische Grundlage der Leitfragen der sprachbiografischen Interviews. Auf dieser Grundlage und durch Orientierung an den Leitfragen der Interviews wurden die Kategorien deduktiv gebildet. Die induktiven Kategorien ergaben sich durch die Sichtung des Materials, sodass im Analyse- und Forschungsverlauf Kategorien erweitert, fusioniert oder komplett neu gebildet wurden, wodurch sich «eine Polarität von theoretischer und empirischer Kategorienbildung feststellen» ließ (Kuckartz 2018, 63). Der dritte Teil, das Kodieren des gesamten Materials mit den Hauptkategorien, fand im ersten Kodierprozess, anhand der durch die Forschungsfragen gebildeten Kategorien, statt. Aufgrund der eben genannten Polarität und der Relevanz der Offenheit dem Gegenstand der Forschung gegenüber (Mayring 2012, 28) wurde sich dazu entschlossen, die Subkategorien induktiv direkt am Material im gesamten ersten Kodierprozess zu bestimmen. Das Zusammenstellen aller mit der gleichen Hauptkategorie kodierten Textstellen entfiel, da dieser Vorgang durch die Analysesoftware, mit der analysiert wurde, automatisch durchgeführt wurde. Die Kategorienbildung am Material (Kuckartz 2018, 72ss.) erforderte eine besondere Aufmerksamkeit: Die bereits genannte Offenheit durfte das Ziel der Forschung, die Forschungsfragen, nicht außer Acht lassen, der Bezug zur Forschungsthematik musste stets klar erkennbar sein. Darauf bezugnehmend spielten die Differenziertheit und das Level der Abstraktion, besonders im Rahmen der Subkategorien, eine wichtige Rolle. Der Analyseschwerpunkt musste im Zentrum stehen und die Subkategorien mussten daran inhaltlich sowie quantitativ angepasst werden. Die Wahrung weiterer Regeln betraf den konsistenten Ablauf der Bearbeitung und das direkte Kategorienbilden in der Sequenz (Kuckartz 2018, 72). Der Kodiervorgang am gesamten Material, anhand des ausdifferenzierten Kategoriensystems, forderte die erneute Einsicht in alle Texte sowie das Überprüfen der bisher bestehenden Codes und ihrer zugeordneten Textstellen. Die Forschungsfragen standen auch hier weiterhin zur Überprüfung der Kategorienkonsistenz im Mittelpunkt. Anhand der zuvor beschriebenen Aspekte der qualitativen Analyse wurde die durch Narration gebildete, selbstbestimmte Identität untersucht. Zu diesem Zweck galt es darüber hinaus die Entstehungsbedingungen zu beachten: «Man sollte sich vergegenwärtigen, unter welchen Bedingungen der zu analysierende Text – z. B. ein offenes Interview – entstanden ist» (Kuckartz 2018, 18). Dazu wird im Folgenden das Modell auf die Analyse der sprachbiografischen Interviews übertragen, um die theoretischen Konzeptionen auf die Praxis angewandt darzustellen.
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Begonnen wird mit dem Gesprächskontext, der sich in Makro-, Meso- und Mikrokontext gliedert. Er entspricht der sozialen Dimension, in der das Interview geführt wurde. Der Makrokontext beinhaltet den soziokulturellen Gesamtzusammenhang. Der Interpretationsrahmen der sprachlichen Äußerungen, etwa bestimmte Rollenmuster, Spontanität oder die Reflektiertheit der InterviewpartnerInnen, bildet den Mesokontext. Das Interaktionsgeschehen der miteinander Sprechenden im zeitlichen Geschehen bildet den Mikrokontext.
Abb. 12: Analysegegenstand in Anlehnung an Schröder (2019).
Die durch die Sprachbiografie und Spracheinstellung zu untersuchenden Faktoren im Rahmen der Interviews betreffen u. a. den Spracherwerb, die Sprachdominanz, den Sprachgebrauch und das Sprachbewusstsein. Die zeitliche Einordnung der Identität durch biografische Erzählprozesse, i. e. die temporale Dimension, betrifft die Sprachbiografie. Überschneidungen gibt es mit der adaptiven, selbstbezüglichen Dimension, die sich auf den von den InterviewpartnerInnen dargestellten Selbstentwurf bezieht.
6.5 Analyse der Daten und Auswertung
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Die Sprachbiografie, die Spracheinstellung sowie der Gesprächskontext haben Einfluss auf die Narration. Im Rahmen der Narration kann somit die Selbstpositionierung durch die Sprachwahl der InterviewpartnerInnen herausgearbeitet werden. Die sich im Rahmen der Narration herausbildenden Identitäten der InterviewpartnerInnen bilden die personale, selbstbestimmte Identität. Diese setzt sich aus verschiedenen Identitäten zusammen, wie etwa der sozialen oder kulturellen Identität, und wird durch rollenbezogene Teilidentitäten individuell ergänzt. Den Ausgangspunkt der Untersuchung bilden die Sprachbiografie sowie die Spracheinstellung, die im Rahmen des Gesprächskontextes durch die narrativ gebildete Identität auf die personale, selbstbestimmte Identität schließen lassen. Bei der Untersuchung der Identitätsbildung sind sowohl die in Kapitel 2 thematisierten normativeren Aspekte mehrsprachiger Praktiken als auch die, bzgl. des Superdiversitätskonzeptes, neueren Aspekte mehrsprachiger Praktiken zu berücksichtigen. Ein Augenmerk wird ebenso darauf liegen, inwiefern die, in Hinblick auf die neueren Aspekte mehrsprachiger Praktiken, unspezifischen Sprachgrenzen bei der Identitätsbildung von Relevanz sind. Im Anschluss an die Analyse der sprachbiografischen Interviews erfolgt die Analyse der Sprachporträts, durch deren Ergebnisse die Analyseergebnisse der Interviews abgerundet werden. 6.5.2.2 Wissenssoziologische Diskursanalyse der Pressetexte Die in Kapitel 5.3 dargestellten Grundlagen der Wissenssoziologie von Berger und Luckmann (2009) sowie die Diskurstheorie nach Foucault und der damit verbundene Begriff der «Macht» werden im Rahmen der Wissenssoziologischen Diskursanalyse, der WDA, von Keller (2005; 2010; 2011; 2013; 2015) zusammengeführt. Keller kritisiert sowohl Foucaults Konzepte und Argumentationsweisen (Keller 2005, 145) als auch die defizitären Ansätze im Rahmen der Wissenssoziologie von Berger und Luckmann (cf. Kap. 5.5): Die Kritik verweist jedoch auch darauf, dass Weiterführungen des ursprünglichen Programms dieser Wissenssoziologie, die sich der genannten Defizite annehmen, unumgänglich sind. Die «Gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit» sollte nicht als abgeschlossenes Grundlagenprogramm der Wissenssoziologie verstanden werden. Sie bietet vielmehr einen Entwurf mit zahlreichen Anregungen, Möglichkeiten der Ergänzung und auch der Revision, wie sie in Teilen bereits in den verschiedenen Entwicklungen des interpretativen Paradigmas vorgenommen wurden. (Keller 2005, 46)
Basierend auf Foucault sowie Berger und Luckmann soll im Rahmen des sozialwissenschaftlichen Ansatzes der WDA zum einen dem Begriff der Macht, zum anderen der Wissenskonstruktion Rechnung getragen werden. «Wissen» definiert Keller (2005, 230) wie folgt:
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Das, was im Sinne der sozialkonstruktivistischen Wissenssoziologie als Wissen behauptet wird; Bestandteile des kollektiven Wissensvorrates (z. B. Symbolische Ordnungen, die in Diskursen als adäquate Bestimmung von «Wirklichkeit» behauptet werden; Modelle für Deuten und Handeln u. a.). (Keller 2005, 230)
Kellers empirische Diskursforschung ist gekennzeichnet durch ein hermeneutischinterpretatives Vorgehen, zum Zwecke der Untersuchung von gesellschaftlichen Wirklichkeits- und Wissenskonstruktionen auf Ebene von «kollektiven Akteur [Innen], Organisationen bzw. institutionellen Feldern» (Keller 2010b, 198): Die Wissenssoziologische Diskursforschung begreift Texte, Praktiken oder Artefakte nicht als Produkte «subjektiver» oder «objektiver» Fallstrukturen, sondern als materiale Manifestationen gesellschaftlicher Wissensordnungen und damit als wichtigste Grundlage einer wissenssoziologischen Rekonstruktion der Produktion, Stabilisierung und Veränderung kollektiver Wissensvorräte. (Keller 2013, 49)
Im Unterschied zur qualitativen Inhaltsanalyse der sprachbiografischen Interviews bezieht sich die WDA zwar auf ähnliche Materialien, allerdings steht hier die Untersuchung von Diskursen und Diskurssträngen im Mittelpunkt, die in ihrer Gesamtheit untersucht werden sollen. Dazu werden Texte miteinander in Beziehung gesetzt, um zu analysieren, wer die beteiligten AkteurInnen sind und wie sich durch sie bestimmte Diskurse entwickeln (Keller 2011, 59). Die WDA läuft in mehreren Schritten ab, wobei der gesamte Prozess durch eine induktive Vorgehensweise geprägt ist (cf. Keller 2005). Im Rahmen der Samplebildung wird das zu analysierende Material durch Auswahl der für die Untersuchung relevanten Texte aus dem Korpus zusammengestellt. Nach der Samplebildung folgt ein dreistufiger Kodierprozess, ein zentrales Merkmal der GT.13 Zunächst wird offen kodiert. Anhand der klassischen W-Fragen (Worum geht es? Welche Phänomene werden angesprochen?) erfolgt eine übergreifende Kategorienbildung am Text. Durch den zweiten Kodiervorgang, das axiale Kodieren, werden die Daten verdichtet und Codes zusammengefasst bzw. miteinander in Verbindung gesetzt. Schließlich bilden sich durch den dritten Kodiervorgang, das selektive Kodieren, die Hauptkategorien heraus. Dabei handelt es sich um jene Kategorien, die im gesamten Kodierprozess am häufigsten Verwendung fanden. Anhand der Hauptkategorien lässt sich zudem die story line, der rote Faden, der Texte durch die Kategorien erkennen (Keller 2005, 230). Während des gesamten Kodierprozesses werden kontinuierlich Memos erstellt, anhand derer erste Hypothesen sowie Auffälligkeiten deskriptiv festgehalten werden. Cf. Kap. 7.
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Die Clusterbildung ergibt sich durch die sich herausgebildeten Hauptkategorien und das Verwerfen irrelevanter Kategorien. Die Kernkategorien werden inhaltlich betrachtet und es erfolgt anschließend die Theoriebildung anhand der in den Memos festgehaltenen ersten Hypothesen. Nach der Theoriebildung folgt das Aufstellen einer formellen Theorie, indem auf die Gesamtthematik geschlossen und eine aussagefähige Hypothese aufgestellt wird. Um diese formelle Theorie zu untermauern, werden verschiedene Texte oder Textstellen verglichen. Dazu werden in der minimalen und maximalen Kontrastierung Texte ausgewählt, die diese Theorie unterstützen, aber ebenso Texte, die die Theorie entkräften (Keller 2011, 88ss.). Die Feinanalyse Da die Feinanalyse nicht alle Daten des Korpus einbeziehen kann, erfolgt zunächst eine «reflektierte und begründete Auswahl» (Keller 2013, 54) von Texten oder Texteinheiten. In einem ersten Schritt der Feinanalyse werden die soziale Situiertheit in verschiedenen Kontexten und die Materialität, i. e. die Erscheinungsart eines Textes, bestimmt (Keller 2011, 99). Am Beispiel der Leserbriefe wurde diesbezüglich etwa gefragt, in welcher Form der Leserbrief erschienen ist, von wem er stammt, ob er auf einen anderen Text antwortet oder worauf er sich überhaupt bezieht. In Anlehnung an sprachwissenschaftliche Perspektiven, etwa auf Grundlage der Tiefensemantik, bei der davon ausgegangen wird, dass Aussagen als geteilte Wissenssegmente in Diskursgemeinschaften sprachlich rekonstruierbar sind (Busse/Teubert 2013b, 25), ist der Sprach- und Zeichengebrauch im Rahmen der WDA ebenso von Interesse, da es sich bei linguistischen Elementen um einen wichtigen Bestandteil von Diskursen handelt (Keller 2011, 100s.). Um sich in der vorliegenden Arbeit nicht in der Interdisziplinarität zu verlieren und die Brücke zurück zur Sprachwissenschaft zu schlagen, wird der Fokus in der Feinanalyse auf die linguistischen Phänomene, etwa Metaphern und sprachliche Auffälligkeiten, gelegt. Zu diesem Zweck soll analysiert werden, wie sich die diskursive Bedeutung in bestimmten Begriffen oder sprachlichen Auffälligkeiten konstruiert. In einem dritten Schritt erfolgt die interpretative Analytik der Inhalte durch Erstellen sogenannter Interpretationsrepertoires (Keller 2011, 101). Die Interpretationsrepertoires setzen sich zusammen aus der Phänomenstruktur (die verschiedenen Themen, die ein Diskurs umfasst), dem Deutungsmuster (Auffälligkeiten, die aus dem Text hervorgehen) und der narrativen Struktur (die Gesamtheit aller sprachlichen und rhetorischen Mittel) (Keller 2013, 103–112). Im Anschluss an das Ergebnis der Feinanalyse wird auf das Gesamtergebnis geschlossen. Diesbezüglich wird die Entwicklung bestimmter Diskursformationen diskutiert und es werden darüber hinaus auch unterschiedliche Diskurse oder Diskursstränge dargestellt.
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In der vorliegenden Untersuchung werden über die journalistischen Pressetexte hinaus auch die Leserbriefe mit der WDA untersucht. Diese Entscheidung liegt darin begründet, dass der Blick auf gesellschaftliche Diskurse durch die Untersuchung der Leserbriefe erweitert werden soll. Die in der Regel monologische Form journalistischer Texte soll durch die Leserbriefe, die in schriftlicher Form einen Dialog mit den RedakteurInnen und LeserInnen führen, erweitert werden: Im Gegensatz dazu eröffnet die Leserbriefsparte als feste Einrichtung der Presse jedem Leser die Möglichkeit, mit der Redaktion und anderen Lesern selbst Dialoge in schriftlicher Form zu führen und damit das Medium zur Teilnahme an öffentlichen Kommunikationen zu nutzen. (Bucher 1986, 142)
Es wird davon ausgegangen, dass die zu untersuchenden Diskurse durch die Leserbriefe weitergeführt und dadurch vielfältiger werden und die sprachliche Dynamik sich kommunikativer und weniger distanziert gestaltet: Die Adressaten können die mit einem Pressebeitrag eröffnete Kommunikation weiterführen, indem sie Einwände vorbringen, die Geschichte fortsetzen, ergänzen, korrigieren, das Berichtete kommentieren und beurteilen, eine thematisch verwandte Perspektive behandeln usw. Über den Leserbrief erhalten die Zeitungsleser sogar die Möglichkeit, ihrerseits selbst eine öffentliche Kommunikation zu eröffnen, wenn sie z. B. ein bisher nicht aufgegriffenes Thema oder Ereignis öffentlich machen und so selbst Anlässe für Berichterstattung schaffen. (Bucher 1986, 142)
Damit bilden die Leserbriefe neben den Pressetexten und den sprachbiografischen Interviews eine dritte Ebene der zu untersuchenden Inhalte. Insgesamt erscheint die WDA, basierend auf der GT, insofern angemessen, als durch den hauptsächlich induktiven Analysecharakter später auf abstrakter Ebene anhand der Kategorien sowie die aus der Untersuchung entstandenen Theorien die Frage nach dem in den Medien produzierten Mehrsprachigkeitsdiskurs beantwortet werden kann.
6.5.3 Computergestützte Analyse mit MAXQDA Die Analyse der sprachbiografischen Interviews sowie der Pressetexte wurde mit MAXQDA, der QDA-Software zur computergestützten Analyse qualitativer Daten, durchgeführt. Die Software hat den Analyseprozess unterstützend bei der Strukturierung und den Interpretationsvorgängen der Texte begleitet und neben dem Vorteil der Zeitersparnis außerdem das Verbinden der qualitativen Untersuchung mit quantifizierenden Analyseschritten ermöglicht (Rädiker/Kuckartz 2019). Hinsichtlich der Gütekriterien qualitativer Forschung wurde mit MAXQDA durch das Integrieren des Triangulationsprinzips in den Forschungsprozess die
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Validität der Ergebnisse ermöglicht, die zudem durch die Software transparent und intersubjektiv nachvollziehbar gemacht werden konnten. Mit Bezug auf Mayring (2002) und Kuckartz (2018) kann der systematischen Vorgehensweise im Rahmen der qualitativen Untersuchung durch die Software Rechnung getragen werden (cf. Kap. 6.5.2). Nicht zuletzt orientiert sich auch die Software an der Methodologie der GT, da das Erstellen von Memos und Codes – deren Relevanz für die vorliegende Untersuchung bereits erläutert wurde (cf. Kap. 6) – ein unabdingbarer Schritt im Forschungsprozess war. Zu beachten blieb allerdings, dass der Fokus von der eigentlichen Analyse und Interpretation nicht ausschließlich auf die technische Organisation verschoben wurde (Dorostkar 2014, 95s.). 6.5.3.1 Sprachbiografische Interviews Die Analyse der sprachbiografischen Interviews erfolgte auf Grundlage aller für die vorliegende Untersuchung geführten Interviews. Auch die im Rahmen der Vorstudie erhobenen Daten wurden für die Analyse berücksichtigt.
Abb. 13: Sprachbiografische Interviews mit Fallzusammenfassungen (Case Summaries).
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Anhand des in Kapitel 6.5.2.1 dargestellten Ablaufschemas der inhaltlich strukturierten Inhaltsanalyse erfolgte die Analyse auf Basis der insgesamt 16 Interviews mit 17 InterviewpartnerInnen (cf. Abb. 13), davon 7 BpLux und 8 BLux sowie ein Exkurs mit einer Probandin (BpLux) und einem Probanden (BLux) (cf. Kap. 6.4.1.1).
Abb. 14: Codesystem der sprachbiografischen Interviews.
Die inhaltlichen Kategorien, die sich auf konkrete Inhalte oder Themen (Kuckartz 2018) des Erzählten der InterviewpartnerInnen bzw. des Untersuchungsgegenstandes theoriegeleitet beziehen, wurden einerseits anhand des Leitfadens erstellt (u. a. «Sprachwahl», «Spracheinstellung», «Sprachweitergabe» oder «Identität») (cf. Kap. 6.5.2.1), andererseits entstanden die inhaltlichen Kategorien durch die induktive Kategorienbildung, i. e. die Kategorienbildung am Material (Kuckartz 2018, 73) (u. a. «Bildungssystem und Sprache», «Integration und Sprache» oder «kollektive Geschichte»). Deduktiv wurden anhand der Fakten-Kategorie «soziodemografische Variablen» die personenbezogenen Daten (Bildungsniveau, Alter und Geschlecht) der ProbandInnen (cf. Kap. 6.4.1), die von den Befragten themati-
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sierten «Sprachen» sowie die evaluativen Kategorien «Selbsteinschätzung Sprachen» und «Wertung» kodiert. Die evaluative Kategorie «Selbsteinschätzung Sprachen» wurde, anders als im Leitfaden festgehalten und anders, als dies etwa aus dem Interviewtranskript hervorgeht, nicht in Schulnoten oder skalierend, sondern durch die Subkategorien «sehr gut», «gut», «mittel» und «schlecht» ergänzt. Dies diente einer einheitlichen Kodierweise der Selbsteinschätzungen, da sich die InterviewpartnerInnen in den Interviews ebenfalls jeweils unterschiedlich bewerteten – mal anhand von Schulnoten, mal mittels Um- oder Beschreibungen ihrer Sprachkenntnisse. Die evaluative Kategorie «Wertung» wurde durch die Subkategorien «positiv», «neutral» und «negativ» ergänzt, sodass im Rahmen der Analyse der Zusammenhänge zwischen den Kategorien (z. B. «Mehrsprachigkeit» und «Wertung – positiv») aussagekräftige Ergebnisse erzielt werden konnten. Durch den induktiven Kodierprozess entstanden formale Kategorien, durch die Informationen der analysierten Texteinheit kodiert wurden, wie z. B. «Auffälligkeiten» («sprachliche», «narrative» und «inhaltliche») oder «Sprachbiografie». Auch die Länge der Interviews sowie das Erhebungsdatum können der formalen Kategorie zugeordnet werde, im Fall der vorliegenden Untersuchung wurden die reinen formalen Daten allerdings durch die Case Summaries festgehalten. Ebenfalls induktiv entstanden die analytischen Kategorien wie bspw. «Sprachkontaktphänomene», die sich als übergeordnete Kategorien aus dem Text ergaben, etwa weil Sprachkontaktphänomene von den InterviewpartnerInnen beschrieben wurden oder weil Sprachkontaktphänomene im Rahmen des Interviewgespräches selbst auftraten. Aus den 20 Hauptkategorien bildeten sich, abgesehen von den formalen Kategorien, die fünf analytischen Kategorien «Sprachwahl», «Auffälligkeiten», «Sprachkontaktphänomene», «Spracheinstellung» und «Superdiversität» als Kernkategorien heraus. Die erste Kernkategorie «Sprachwahl» umfasst, wie auch dem Interviewleitfaden zu entnehmen ist, Kriterien für die Sprachwahl der AkteurInnen: «Sprachpräferenz lesen/sprechen/hören», «Alltag und Sprache», «Emotionen und Sprache», «Situationsbedingter Sprachgebrauch» sowie «Vermeiden einer Sprache». Die zweite Kernkategorie «Auffälligkeiten» umfasst mit den Subkategorien «narrative Auffälligkeiten» und «inhaltliche Auffälligkeiten» zum einen die die erzählende Person betreffenden Auffälligkeiten im Rahmen der Narration und zum anderen Auffälligkeiten, die das Erzählte auf inhaltlicher Ebene betreffen. «Auffälligkeiten auf sprachlicher Ebene» umfasst die Subkategorien «sprachliche Auffälligkeiten», z. B. grammatische Fehler oder Stilfehler. Eng damit zusammenhängend sind die die dritte Kernkategorie betreffenden «Sprachkontaktphänomene». Diese umfassen sowohl auf sprachlicher Ebene auftretende Sprachkontaktphänomene als auch auf inhaltlicher Ebene, durch die er-
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zählende Person geschilderte Sprachkontaktphänomene. Die Subkategorie «Sprachanpassung» umfasst die sprachliche Anpassung im Rahmen von Sprachkontakt, ebenfalls sowohl durch die erzählende Person beschrieben: Ja ne, ich pass mich sofort an. [...] Und die Luxemburger haben die Tendenz, die hören raus, was für ein Dialekt oder was für ein Akzent das ist und dann fallen die in die Sprache. Wenn jemand mit mir auf englischen Akzent- dann spreche ich gleich Englisch mit dem. Und das wollen die nicht- ich versteh das auch, die wollen ja lernen. Und die können nicht lernen, wenn wir alle immer gleich uns da anpassen. (BLux3, Pos. 71)
als auch die im Interview auftretende Sprachanpassung an die deutsche Interviewerin: Ok, Portuguese I’m one to ten. In English one to eight. French one to ten. Italian one to five. Spanish one to five. Deutsch one to drei – three and Luxemburgish one to five too. (BpLux7, Pos. 15)
Die vierte Kernkategorie «Spracheinstellung» besteht aus Spracheinstellungsäußerungen zur Sprache: «Klar ist das schön, dass wir von Anfang an Französisch lernen, weil es auch eine komplizierte Sprache ist» (BpLux3, Pos. 32), zu den Sprechenden (häufig in Verbindung mit Stereotypen): Es gibt halt Franzosen, die können kein Englisch und die können kein Deutsch, die können gar nichts, deshalb dann muss man dann Französisch können [...]» (BLux8, Pos. 50), sowie zur Kultur: Aber es ist halt auch eine andere Kultur, da ist Freiheit- da ist Freiheit halt anders bewertet, da muss man halt gucken, wie man das bewertet und dumme Aussagewenn’s den Leuten glücklich geht, dann kann man da auch nichts rütteln» (Exkurs, Pos. 141). Die fünfte und letzte Kernkategorie «Superdiversität» umfasst mit den Subkategorien «Integration», «(Welt- und Sprach-)Offenheit», «Zugewanderte» sowie «Berufspendelnde», hauptsächlich die Superdiversität Luxemburgs betreffende Faktoren. Quantitativ auffallend ist dabei vor allem die Subkategorie «(Welt- und Sprach-)Offenheit», dies betrifft hauptsächlich die aus dem Erzählten der InterviewpartnerInnen hervorgegangene Welt- und Sprachoffenheit sowie ein damit verbundenes Interesse, weitere Sprachen lernen zu wollen: Auf jeden Fall möchte ich noch andere Sprachen lernen, wenn ich Zeit hätte. Warum? Weil ich find das eigentlich super interessant, wenn man irgendwo ist und den anderen trotzdem versteht. Einfach reine Neugierde. Aber ich würd mich vielleicht jetzt nicht in der Sprache spezialisieren, sondern nur so hobbymäßig was lernen. (BpLux3, Pos. 44)
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6.5.3.2 Pressetexte Die Darstellung der einzelnen Analyseschritte zur Auswertung der Ergebnisse erfolgt in diesem Kapitel anhand des Subkorpus der Pressetexte, der Leserbriefe.14 Dies ist zum einen sinnvoll, da sich die einzelnen Schritte aufgrund des Umfangs der Leserbriefe besser nachvollziehen lassen, zum anderen ist das Vorgehen dabei, wie auch die daraus entstehenden Hauptthemen, größtenteils deckungsgleich und aus diesem Grund auf die von JournalistInnen verfassten Texte anwendbar. Bei den aus dem Gesamtkorpus extrahierten Leserbriefe handelt es sich insgesamt um 14 Texte aus den Jahren 2016 bis 2018 (cf. Abb. 15). Zwei Leserbriefe stammen aus dem Jahr 2016, drei Leserbriefe aus dem Jahr 2018 und sechs Leserbriefe und damit die Mehrheit aus dem Jahr 2017. Nach Sichtung des Materials wurden von den 14 Texten drei Texte, die für die Analyse aufgrund ihrer Inhalte keine weitere Relevanz hatten, aussortiert:
Abb. 15: Leserbriefe mit Fallzusammenfassungen (Case Summaries).
Wie auch für die sprachbiografischen Interviews wurde für die Leserbriefe jeweils eine Fallzusammenfassung geschrieben.
Von den Leserbriefen abgegrenzt werden die von JournalistInnen verfassten Texte, die im Folgenden ausschließlich als Pressetexte bezeichnet werden.
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6 Forschungsgrundriss
Nach dem ersten, dem «offenen» Kodierprozess ergab sich für jeden einzelnen Text eine Kategorie, die sich wiederum aus verschiedenen Unterkategorien zusammensetzte:
Abb. 16: Codesystem der Leserbriefe nach offenem Kodiervorgang.
Abbildung 16 zeigt exemplarisch den Obercode «Luxemburgische Sprache fördern» mit den im Text erwähnten Themen und den sich daraus ergebenden Subcodes, u. a. «Gesellschaftskritik», «Identität Lux», «Integration» und «Contra Politik». Die Häufigkeit der vergebenen Codes konnte bereits an dieser Stelle auf die Bedeutsamkeit der unterschiedlichen Themen hindeuten. Anhand dieser Gliederung erfolgte die Verdichtung der Subcodes, die miteinander in Verbindung gesetzt wurden. Dies geschah zum einen durch die Fusion gleichbedeutender Codes und zum anderen durch das Bilden neuer Subcodes. So wurden z. B. «Sprache und Bildung» oder «Contra Französisch» dem Code «Sprache» zugeordnet. Anhand der entstehenden Codes konnten schließlich die Obercodes bzw. Hauptkategorien gebildet werden: Wie Abb. 17 zeigt, ergaben sich nach dem axialen Kodieren elf Hauptkategorien, aus denen sich durch das anschließende selektive Kodieren wiederum sechs Kernkategorien bildeten. Bei den Kernkategorien handelte es sich um «Sprache», «Superdiversität», «Identität Lux», «Contra Politik», «Petition 698» sowie «Gesellschaftskritik». Bereits vor und während des Kodiervorgangs wurden Memos zu den in den Texten auffallenden Besonderheiten erstellt. Die aus der Betrachtung entstehenden Hypothesen wurden durch die Memos deskriptiv festgehalten. Nachdem sich die Kernkategorien durch den dreistufigen Kodierprozess herausgebildet hatten, wurden die Inhalte der Kategorien intensiver auf ihre Relevanz geprüft. So zeigte sich, dass «Contra Französisch», «Sprache und Bildung»
6.5 Analyse der Daten und Auswertung
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Abb. 17: Hauptkategorien der Leserbriefe.
sowie «Pro Deutsch» nicht nur quantitativ, sondern besonders inhaltlich einen relevanten Anteil der Kernkategorie «Sprache» ausmachten (cf. Abb. 18). Den größten Anteil des Mehrsprachigkeitsdiskurses nimmt «Contra Französisch» ein, was u. a. konkrete Aussagen gegen die französische Sprache betrifft. Dies wurde anhand der Gegenüberstellung von der luxemburgischen Mehrsprachigkeit und dem «mono-französisch» (cf. Leserbrief «Elitäre Arroganz», Pos. 8), dem «monolingualen Französischen» (cf. Leserbrief «Elitäre Arroganz», Pos. 9) oder der «monoculture» (cf. Leserbrief «La monoculture ... française», Pos. 4) deutlich. Ebenfalls umfasst «Contra Französisch» die Kritik an der Dominanz der französischen Sprache, vor allem in offiziellen Bereichen. So wurde z. B. angedeutet, dass auch hochqualifizierte LuxemburgerInnen die eigene, in Französisch verfasste Gesetzgebung nicht verstehen. Weiter wurde deutlich, dass das Französische häufig im Zusammenhang mit negativ konnotierten Begriffen beschrieben wurde. Dies zeigte sich an Ausdrücken wie «mono-frankofones Ärgernis» (cf. Leserbrief «La monoculture ... française», Pos. 7), «Überhandnahme des Französischen» oder «[...] jeder anderen Sprache den Garaus machen» (cf. Leserbrief «La monoculture ... française», Pos. 11). Die Konkurrenz des Französischen der luxemburgischen Sprache gegenüber wurde als Auslöser dafür genannt, sich als LuxemburgerIn, aufgrund defizitärer Französischkenntnisse, zum einen unterlegen, zum anderen unwohl im eigenen Land zu fühlen. Im Gegensatz dazu beschreibt «Pro Deutsch» die Offenheit der LuxemburgerInnen gegenüber der deutschen Sprache. Als «bewährte Alphabetisierung» (cf. Leserbrief «Gegen unsere Kultur, gegen unsere Sprache», Pos. 2) oder «unsere
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6 Forschungsgrundriss
Abb. 18: Hauptkategorie «Sprache» mit Subkategorien.
Hochsprache und erste Zugangssprache zum Wissen überhaupt» (cf. Leserbrief «La monoculture ... française», Pos. 10) bezeichnet, wurde die Relevanz des Deutschen für das Luxemburgische und dessen Verdrängung wiederum als «[...] Todesstoß für unsere luxemburgische Sprache und Kultur» (cf. Leserbrief «Elitäre Arroganz», Pos. 8) deutlich. Ähnlich häufig wie «Contra Französisch» und «Pro Deutsch» war «Sprache und Bildung» Bestandteil des Diskurses. Hier standen sowohl die Reformation des schulischen Französischunterrichts als auch Schulen als Stellschrauben für Sprache und Kultur im Vordergrund. Basierend auf der ersten Hauptkategorie «Sprache» sowie den Unterkategorien zeigte sich, dass die Kritik an der französischen Sprache, das Bildungssystem in Luxemburg sowie die Popularität der deutschen Sprache einen großen Einfluss auf den gesamten luxemburgischen Sprachdiskurs hatten.
6.5 Analyse der Daten und Auswertung
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Die Aussage «Die Überhandnahme des Französischen wird hierzulande jeder anderen Sprache den Garaus machen, weil ihre originären Benutzer keiner anderen Sprache mächtig sind. Und sein wollen» (cf. Leserbrief «La monoculture ... française», Pos. 11) untermauerte im Rahmen der minimalen Kontrastierung diese formelle Theorie. Im Gegensatz hierzu stand, hinsichtlich der maximalen Kontrastierung, die Behauptung: Denn es ist ja gerade diese einmalige Dreisprachigkeit, die die Eigenart Luxemburgs ausmacht! Sie ist mit Mühen verbunden, das stimmt. Aber ihre Vorteile aller Art sind so offensichtlich, dass sie hier nicht weiter erörtert werden müssen. (cf. Leserbrief «Die Forderung der Petition 698 ist realitätsfremd», Pos. 9)
Als weitere Kernkategorie bildete sich «Identität» heraus. Hierzu zählten Äußerungen zu Eigenschaften der LuxemburgerInnen, zum Land Luxemburg sowie zu den LuxemburgerInnen selbst. Weitere die Identität betreffende Aspekte fanden sich in deiktischen Ausdrücken und in sprachlichen Inklusionen wieder. Die Nationalsprache der LuxemburgerInnen ist gleichzeitig ein wichtiges, identitätsstiftendes Merkmal für die luxemburgische Bevölkerung. Dies wurde anhand der Feststellung «Die Sprachendebatte in unserem schönen Luxemburg dreht sich nur vordergründig um die luxemburgische Sprache» (cf. Leserbrief «La monoculture ... française», Pos. 8) deutlich. Dem jedoch konträr gegenüber steht die Frage: Wollen wir tatsächlich unsere Weltoffenheit aufgeben und uns mit einem patriotischen Gruppenegoismus anfreunden, der letztendlich mehr Probleme schaffen wird, als er deren lösen kann? (cf. Leserbrief «Die Luxemburgisierung des Landes», Pos. 2–3)
7 Darstellung der Ergebnisse Die Ergebnisdarstellung erfolgt in diesem Kapitel hauptsächlich auf Grundlage der objektiven Hermeneutik, i. e. von der Einzelfalldarstellung zur allgemeinen Aussage (Loer 2021). Nach der Ergebnisdarstellung der sprachbiografischen Interviews, anhand drei verschiedener Fälle, folgt eine fallübergreifende Übersicht über die Interviews sowie die Ergebnisdarstellung der Pressetexte und ihres Subkorpus, der Leserbriefe.
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews Die Auswertung und Ergebnisdarstellung der Interviews erfolgten anhand des Auswertungsvorgangs und der Ergebnisdarstellung in Anlehnung an Kuckartz (2010; 2018). Beginnend mit der kategorienbasierten Auswertung entlang der Hauptkategorien wurden anschließend Zusammenhänge zwischen den Sub- und Hauptkategorien und Zusammenhänge zwischen den einzelnen Hauptkategorien untersucht. Zusammenhänge zwischen einzelnen Kategorien konnten anhand von Kreuztabellen überprüfbar gemacht werden, ebenso wie eventuelle Ausnahmen mit den dafür spezifischen Hintergründen (Kuckartz 2010, 89s.). Fälle, die für die Einzelfallinterpretation bzw. -darstellung relevant wurden, gingen aus der Fallübersicht in tabellarischer Form hervor (cf. Kap. 7.1.2), dem Überblick über die InterviewpartnerInnen mit ihren entsprechenden «Merkmalskonstellationen» (Kuckartz 2010, 87), anhand ausgewählter Kategorien, die darüber hinaus ebenso der Transparenz der Untersuchung dienen sollen. Im Rahmen der vertiefenden Einzelfallinterpretation wurden die aus der Fallübersicht hervorgetretenen Fälle, aber auch besonders interessante Fälle mit Fokus auf die Fragestellung detailliert und ebenfalls anhand der kategorienbasierten Auswertung entlang der Hauptthemen analysiert. Obwohl sich die zu analysierenden Einzelfälle aus der Fallübersicht im Rahmen der fallübergreifenden Übersicht ergaben, schließt das nachfolgende Kapitel mit der Einzelfalldarstellungen an und wird der Gesamtschau der Interviews vorgezogen.
https://doi.org/10.1515/9783111117379-007
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7 Darstellung der Ergebnisse
7.1.1 Einzelfalldarstellung Im Rahmen der Einzelfalldarstellung werden in diesem Kapitel ausgewählte Fälle der sprachbiografischen Interviews präsentiert. Eine ausschließlich übergreifende Darstellung der gesamten Fälle ist allerdings nicht hinreichend, da es den Gesamtkontext zu berücksichtigen gilt, in den unterschiedliche Fälle eingebunden sind. Darüber hinaus würde der Fokus ausschließlich auf die Gesamtschau der Intersubjektivität keine Rechnung tragen. Von den insgesamt 16 geführten Interviews mit 17 InterviewpartnerInnen (cf. Kap. 6.4.1.1) wurden für die Einzelfalldarstellung drei Interviews ausgewählt. Die Auswahl der Interviews wurde bereits während der initiierenden Textarbeit und schließlich beim Erstellen der Case Summaries getroffen. Es wurde sowohl ein Interviewpartner aus der Gruppe pLux als auch eine Interviewpartnerin aus der Gruppe Lux ausgewählt. Die Einzelfalldarstellung wird mit einem Exkurs abgeschlossen, einem Interview, das sowohl mit einem einheimischen Luxemburger als auch mit der Tochter einer nordmazedonischen Zuwandererfamilie geführt wurde. Bei den in diesem Kapitel dargestellten Einzelfällen handelt es sich um vertiefende Einzelfallinterpretationen, bei denen die Transkripte der geführten Interviews ausgerichtet auf die Forschungsfragen untersucht wurden und im Folgenden dargestellt werden. 7.1.1.1 BpLux7 Bei der ersten für die Einzelfalldarstellung ausgewählten Person handelt es sich um einen Interviewpartner aus der Gruppe der BpLux. Eine für die Untersuchung besonders interessante Person schien BpLux7 zu sein, da seine «Geschichte» als Portugiese in Luxemburg zum einen Gegenstand eines Zeitungsartikels in der regionalen Presse war und er zum anderen, bis zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme, selbst regelmäßig Beiträge zu der portugiesischluxemburgischen Beziehung in einem seiner sozialen Netzwerke veröffentlichte. Der Kontakt zu BpLux7 wurde, nachdem die Kontaktaufnahme über ein soziales Netzwerk nicht erfolgreich war, durch ein persönliches Anschreiben auf dem Postweg hergestellt. Um durch die Sprache bereits Nähe zu BpLux7 zu schaffen, wurde das Anschreiben auf Portugiesisch verfasst (cf. Anhang 11.2 Anschreiben ProbandInnensuche). Den Vorschlag, das Interview auf Portugiesisch zu führen, lehnte er allerdings ab.
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
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7.1.1.1.1 Kurzvorstellung der Person BpLux7 wird der Gruppe der Männer sowie, mit seinen zum Erhebungszeitpunkt 61 Jahren, der Gruppe der über 50-jährigen BpLux zugeordnet. In Portugal geboren, kam er 1984 im Alter von 25 Jahren nach Luxemburg, wo er in unterschiedlichen Bereichen verschiedenen Gelegenheitsarbeiten nachging. Nach einem Arbeitsunfall im Jahr 1990 orientierte er sich um und war seitdem als Busfahrer in einem luxemburgischen Unternehmen angestellt. Neben seiner Tätigkeit als Busfahrer gründete BpLux7 in den 90er Jahren außerdem einen Verein für PortugiesInnen, mit dem Ziel, der – seiner Meinung nach – damals wenig integrierten portugiesischen Gemeinschaft die Integration in die luxemburgische Gesellschaft zu erleichtern. Als Vorstandsvorsitzender dieses Vereins agierte BpLux7 darüber hinaus u. a. auf Kongressen sowie politischen Veranstaltungen. Im Rahmen des ersten Aufeinandertreffens, in einem von BpLux7 vorgeschlagenen, eher hochpreisigen Lokal, erweckte BpLux7 einen nervösen und angespannten Eindruck. Innerhalb des Interviewgespräches bestätigte sich dieser Eindruck auch dadurch, dass er bereits zu Beginn, auf die Erzählaufforderung hin, seine Sprachbiografie wie eine auswendiggelernte «Geschichte» erzählte und schließlich mehrmals darum bat, die Tonaufnahme zu unterbrechen. Da das Interview zunächst auf Französisch geführt wurde, ist nicht eindeutig festzumachen, ob die von ihm geforderten Pausen sprachlich oder inhaltlich zu begründen sind. Verwunderlich war außerdem, dass BpLux7 es präferierte, nach dem Einstieg in Form seiner dargestellten Sprachbiografie das Interview auf Englisch weiterzuführen. Dies überraschte, da seine Sprachkompetenzen im Englischen weniger stark sind als die im Französischen, was sich ebenso anhand der von ihm im Interview dargestellten Selbsteinschätzung seiner Sprachkompetenzen bestätigt. Bei den Interviewsprachen handelt es sich, mit einigen Ausnahmen, hauptsächlich um Französisch und Englisch. Mit insgesamt 134 Abschnitten ist das Interview mit BpLux7 vergleichsweise lang, was nicht nur anhand seiner geschilderten, verhältnismäßig langen, inhaltlich und narrativ auffälligen Sprachbiografie, sondern im Hinblick auf das gesamte Interview auffällt. BpLux7 versucht in seiner Erzählung, eine das eigentliche Hauptthema umschließende «Geschichte» über sich selbst zu erzählen. So liegt der Themenfokus im Interview mit BpLux7 hauptsächlich auf der «Funktion» seiner Person im Rahmen der mehrsprachigen luxemburgischen Gesellschaft. 7.1.1.1.2 Erleben der Mehrsprachigkeit: «I don’t think that I can live only with one language» Für BpLux7 ist Mehrsprachigkeit unverzichtbar. Dies wird nicht nur deutlich, wenn er sagt:
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7 Darstellung der Ergebnisse
I don’t think that I can live only with one language, no. I must speak other language and I’m glad when I see my job some people that – they are tourists they don’t understand or they don’t know to speak French, Deutsch or Luxemburgish and they speak in [...] Italian oder French oder Spanish and I say ‹I can speak, I understand you. What can I do for you?›. So I find it very, very, very important speak serval languages.1 (BpLux7, Pos. 62) [Ich glaube nicht, dass ich nur mit einer Sprache leben kann, nein. Ich muss noch weitere Sprachen sprechen und darüber bin ich froh, wenn ich in meinem Beruf auf Leute treffe, Touristen bspw., die kein Französisch, Deutsch oder Luxemburgisch verstehen oder sprechen, sondern nur Italienisch [...] oder Französisch oder Spanisch und ich sage ‹Ich spreche die Sprache, ich verstehe dich. Wie kann ich dir helfen?›. Also es ist sehr, sehr, sehr wichtig, mehrere Sprachen sprechen zu können.]
Auch ist die Mehrsprachigkeit für ihn vor allem im Großherzogtum unverzichtbar, da sie einen für ihn überaus wichtigen Rahmen bildet: Sie ist der Schauplatz für die von ihm selbst zugeschriebene Rolle des «Vermittelnden» zwischen verschiedenen Nationalitäten und Kulturen. Dabei stellt er sich selbst nicht nur als den Vermittelnden zwischen den portugiesischen Zugewanderten – mit denen er eine gemeinsame Vergangenheit teilt – und den LuxemburgerInnen dar, er beschreibt sich darüber hinaus auch als die Person, die im Alltag aufgrund ihrer Sprachkenntnisse im Rahmen der Mehrsprachigkeitssituation Luxemburgs allen Personen mit geringeren Sprachkenntnissen helfen und sich für diese einsetzen kann. Bereits im Rahmen seiner sprachbiografischen Schilderung geht er erstmals auf diese Rolle ein, indem er aufzählt, was seiner Meinung nach, den von ihm gegründeten Verein betreffend, bei der Integration von portugiesischen Zugewanderten wichtig ist: Donc j’ai toujours essayé à partir de là, avec une association que j’ai fondée où j’étais secrétaire pendant 25 ans, j’ai essayé justement de mettre un peu en place cette intégration au niveau de la communauté portugaise et de faire voir que premièrement apprendre la langue luxembourgeoise c’était important voire même d’autres langues comme l’allemand et le français. Deuxièmement de faire voir dans quel pays on vivait, quelles sont les lois, et surtout aussi quelles sont les capacités d’évolution au niveau des métiers. Troisièmement c’est l’intégration au niveau de la culture luxembourgeoise, qui peut se mariée avec la culture portugaise. (BpLux7, Pos. 11–12)
Die aus dem für die vorliegende Untersuchung zusammengestellten Korpus stammenden Interviewausschnitte wurden, die Interpunktion betreffend, zum Zwecke eines besseren Verständnisses entsprechend geglättet. Grammatische oder stilistische Fehler wurden dabei allerdings nicht korrigiert, sondern aus dem Transkript übernommen. Außerdem wurden in diesem Zusammenhang die Transkriptionszeichen nicht beibehalten, sofern diese keinen relevanten Beitrag zum Verständnis der Textstelle liefern.
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
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[Also habe ich von da an immer versucht, mit dem Verein, den ich gegründet habe und dessen Vorstandsvorsitzender ich 25 Jahre lang war, die Integration der portugiesischen Gemeinschaft voranzutreiben und zu zeigen, dass es erstens wichtig ist, nicht nur die luxemburgische Sprache, sondern sogar andere Sprachen, wie Deutsch oder Französisch, zu lernen. Zweitens wollte ich zeigen, in welchem Land wir leben, welche Gesetze gelten und vor allem, welche Berufschancen es gibt. Drittens muss die Integration auf Ebene der luxemburgischen Kultur stattfinden, die mit der portugiesischen Kultur verbunden werden kann.]
Zwar betont er neben dem Beherrschen der luxemburgischen Sprache auch die Relevanz der anderen Amtssprachen Luxemburgs (Französisch und Deutsch), interessant ist aber, dass sein eigener Sprachgebrauch dem nicht zu entsprechen scheint: Portugiesisch ist nicht nur seine Erst- und Muttersprache, sondern neben Französisch und Englisch auch seine «Lieblingssprache», die eindeutig am präsentesten in seinem Sprachgebrauch ist, die er am liebsten spricht, hört und schreibt. Zwar schreibt und liest er außerdem gerne auf Französisch, jedoch begründet er dies mit dem größeren Angebot an französischer Literatur sowie dem Französischen als der Verkehrssprache an seinem Arbeitsplatz. Dass es sich bei Portugiesisch, seiner Erst- und Muttersprache, gleichzeitig um die Sprache handelt, die er am besten beherrscht und dementsprechend am liebsten benutzt, ist nachvollziehbar. Allerdings geht nicht zuletzt aus der Selbsteinschätzung seiner Sprachkompetenzen deutlich hervor, dass Französisch und Portugiesisch seinen Sprachgebrauch dominieren zu scheinen – die beiden Sprachen, in denen er sich am besten einschätzt: Ok, Portuguese I’m one to ten. In English one to eight. French one to ten. Italian one to five. Spanish one to five. Deutsch one to drei – three and Luxemburgish one to five too. (BpLux7, Pos. 15) [Ok, Portugiesisch zehn von zehn. Im Englischen acht von zehn. Französisch zehn von zehn. Italienisch fünf von zehn. Spanisch fünf von zehn. Deutsch drei von zehn und Luxemburgisch auch fünf von zehn.]
Bei Betrachtung der Selbsteinschätzung seiner Sprachkompetenzen wird weiter deutlich, dass sich vor allem seine Französisch- und Portugiesischkompetenzen von den Kompetenzen in den anderen Sprachen abheben und er außerdem seine Luxemburgisch- und Deutschkompetenzen nicht besonders stark einschätzt: C’est donc les langues germanophones sont un peu plus difficiles pour moi. (BpLux7, Pos. 7) [Es sind also die germanischen Sprachen, die mir etwas schwerer fallen.]
Überraschend ist darüber hinaus die Selbsteinschätzung seiner Englischkompetenzen, da die von ihm verhältnismäßig positive Einschätzung nicht dem auf Basis des auf Englisch geführten Interviews entstandenen Eindruck entspricht. Aufgrund des
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7 Darstellung der Ergebnisse
u. a. auffällig begrenzten Wortschatzes und zahlreicher Transfererscheinungen kam es während des Interviews mehrmals zu Verständnisproblemen: From the language. I said it. (BpLux7, Pos. 94) [Die Sprachen betreffend. Das sagte ich bereits.]
Dass Englisch – entgegen seiner Selbsteinschätzung – jedoch nicht eine seiner stärksten Sprachen ist, entspricht nicht der Rolle, die er einnimmt und nach außen darstellen möchte, weshalb es für ihn obligatorisch zu sein scheint – nicht zuletzt auch um der deutschen Interviewerin einen Gefallen tun zu wollen –, das Interview auf Englisch und nicht auf Französisch zu führen. Seine eigenen Sprachkompetenzen ungeachtet betont er immer wieder die Relevanz der Mehrsprachigkeit im Großherzogtum, vor allem aber, wie wichtig es in diesem Zusammenhang ist, dass Zugewanderte von Anfang an die luxemburgische Sprache lernen: But I think we can speak a lot of languages, it’s true Luxembourg is French and Luxembourg, Deutsch and German, but I think it will be very, very important for all the Land all the people Luxembourgish people that everybody, from the beginning start to learn Luxembourgish. (BpLux7, Pos. 94) [Ich finde, wir sprechen viele Sprachen, es ist schon wahr, Luxemburg ist französisch und luxemburgisch und deutsch, aber ich denke es wird sehr, sehr wichtig für das Land und die LuxemburgerInnen sein, dass jeder von Anfang an Luxemburgisch lernt.]
Auf die Frage, ob es vorkäme, dass er selbst Sprachen vermische, antwortet er lachend: Yes, sometimes yes. You saw it. (BpLux7, Pos. 94) [Ja, manchmal ja. Sie haben es ja gesehen.]
Die im Interview bestimmten Sprachkontaktphänomene treten hauptsächlich aus zwei Gründen auf: zum einen, um Nähe zu schaffen und dadurch ein gewisses Bild zu vermitteln, zum anderen aufgrund unzureichender Sprachkompetenzen. Begründet durch das Gesprächsthema, also konversationell bedingt, tritt bspw. das soziolinguistische bzw. funktionale Code-Switching auf: Ainsi que la gastronomie. Évidemment que pour un Portugais manger des sardines et du poulet c’est bien, mais il fallait qu’il aussi essaye de manger des saucisses, le Judd mat Gaardebounen et d’autres choses qui sont très intéressantes, dans un pays que on ne connait pas. (BpLux7, Pos. 12) [Ebenso wie die Gastronomie betreffend. Natürlich essen die Portugiesen gerne Sardinen und Hähnchen, aber sie sollten auch Würstchen, Judd mat Gaardebounen und andere interessante, landestypische Dinge essen, die sie noch nicht kennen.]
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
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Außerdem findet das funktionale Code-Switching möglicherweise hinsichtlich der Gesprächspartnerin bzw. der deutschen Interviewerin statt, indem BpLux7 durch den we-code versucht, sprachlich Nähe zu schaffen: And second it’s Italian, it’s also blue but it’s a little bit more – how we say it? – dunkel. (BpLux7, Pos. 24) [Das zweite ist Italienisch, auch blau, aber ein bisschen – wie sagen wir? – dunkler.]
Interessant ist damit verbunden auch, dass BpLux7 das Personalpronomen «we» benutzt, anstatt, wie es in diesem Zusammenhang gebräuchlich wäre, «how do you say» zu sagen. Des Weiteren kommt es zum psycholinguistischen Code-Switching bzw. nicht funktionalen Code-Switching: But the most that I schreib – that I write is Portuguese. (BpLux7, Pos. 50) [Aber am meisten schreibe ich auf Portugiesisch.]
Obwohl BpLux7 den Sprachwechsel korrigiert, ist anhand seiner Mimik, Gestik sowie der Gesprächspausen nicht von einem psycholinguistischen Code-Switching auszugehen, sondern eher von einem beabsichtigten Sprachwechsel, durch den BpLux7 im Gespräch erneut seine Rolle als «sprachoffener»] Vermittler zu unterstreichen versucht. Als weitere Sprachkontaktphänomene, die von BpLux7 jedoch weder beabsichtigt sind noch im Gegensatz zum beabsichtigten Code-Switching seine Rolle unterstreichen sollen, treten aufgrund unzulänglicher Kompetenzen in der englischen Sprache Ad-hoc-Entlehnungen auf: The place stomach, it’s the distributeur for everything. (BpLux7, Pos. 28) [Der Magen ist der Ort, an dem alles verteilt wird.]
Wobei hier durch die sprachliche Nähe des französischen «distributeur»] und des englischen «distributor»] auch ein Transfer auf phonetischer Ebene nicht ausgeschlossen werden kann. Darüber hinaus kommt es zu Transfererscheinungen auf syntaktischer Ebene: It’s normal, because we can speak here in Luxembourg serval. (BpLux7, Pos. 86) [Das ist normal, weil wir hier in Luxemburg mehrere sprechen können.]
Obwohl, wie beschrieben, anzunehmen ist, dass die meisten der auftretenden Sprachkontaktphänomene beabsichtigt sind, verwundert es, dass es sich dabei hauptsächlich um Sprachen handelt (Deutsch und Luxemburgisch), in denen BpLux7 am unsichersten, paradoxerweise jedoch selbstbewusst genug zu sein
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7 Darstellung der Ergebnisse
scheint, das Bild vermitteln zu wollen, als seien auch diese Sprachen fester Teil seiner lebensweltlichen Mehrsprachigkeit. So beschreibt er außerdem, dass er, egal auf welcher Sprache er angesprochen wird, auch in der jeweiligen Sprache antwortet und er das Sprechen ausschließlich «einer»] Sprache ablehnt: In my idea to speak no matter what language. [...] No, because if I hear that they ask me something I will give the answer. [...] But in that situation exist no with me no. No, no I don’t accept. I don’t accept. Yes I accept but [...]. (BpLux7, Pos. 72–76) [In meiner Vorstellung spricht man egal welche Sprache. [...] Nein, wenn ich höre, dass ich etwas gefragt werde, dann antworte ich. [...] Aber in einer solchen Situation kommt das bei mir nicht vor. Nein, nein, das akzeptiere ich auch nicht. Also ich akzeptiere das schon, aber [...].]
Nicht nur von seiner Meinung scheint BpLux7 mehr als überzeugt zu sein, sondern auch davon, dass er durch seine Tätigkeit und sein Engagement im Rahmen seines Vereins einen bedeutenden Einfluss auf die Integration der PortugiesInnen gehabt hat. Diesen Einfluss beschreibt BpLux7 anhand seiner Schilderung zu der am Anfang noch wenig integrierten, portugiesischen Gemeinschaft: [...] la communauté portugaise n’était pas tout à fait encore bien intégrée et soi-disant ce n’était un peu appart. (BpLux7, Pos. 11) [Die portugiesische Gemeinschaft war noch nicht so gut integriert, sondern sozusagen etwas abgeschottet.]
Nicht zuletzt habe sich die Gemeinschaft aufgrund seines Engagements zu einem festen Bestandteil der luxemburgischen Gesellschaft entwickelt: [...] ça veut dire que, oui j’ai pris d’une sorte d’un chemin, auquel je suis vraiment très fier, d’avoir participé et d’avoir fait évoluer la mentalité justement. Et ce sont là maintenant mes enfants, les enfants de tous les autres qui ont appartenus la première et deuxième génération, ce sont ces enfants-là, qui parlent encore le portugais, qui mangent encore la sardine, et qui mange encore le poulet, mais qui aiment aussi la saucisse et tous les autres plats luxembourgeois et d’ailleurs qui sont déjà une partie de un peu près la moitié de la population luxembourgeoise, eux aussi ils sont aussi luxembourgeois. (BpLux7, Pos. 13) [[...] das heißt, ja, ich bin einen Weg gegangen, auf den ich wirklich sehr stolz bin, ein Teil davon gewesen zu sein und dadurch auch die Mentalität verändert zu haben. Es sind immer noch meine Kinder und die Kinder der anderen, der ersten und zweiten Generation, es sind diese Kinder, die immer noch Portugiesisch sprechen, die immer noch Sardinen essen, die immer noch Hähnchen essen, die aber auch Würstchen und alle anderen luxemburgischen Gerichte mögen und die im Übrigen fast die Hälfte der luxemburgischen Gesellschaft ausmachen, denn auch sie sind LuxemburgerInnen.]
Damit ist die portugiesische Gemeinschaft ebenso fester Bestandteil wie die u. a. damit verbundene Mehrsprachigkeit im Großherzogtum, die für BpLux7 Normali-
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tät in seinem luxemburgischen Alltag zu sein scheint und damit so gewöhnlich und selbstverständlich ist, dass er sich bezüglich seines eigenen Sprachgebrauchs keine Gedanken darüber macht, auf welchem Niveau er die Sprachen überhaupt spricht, sondern für ihn vielmehr der gesellschaftliche Aspekt der Mehrsprachigkeit, die Funktion der Sprachen sowie die Rolle, die er im sozialen Gefüge durch das Sprechen verschiedener Sprachen einnimmt, im Fokus zu stehen scheinen. 7.1.1.1.3 Identität und Sprache: «I’m still Portuguese» Bereits anhand des Einstieg in seine sprachbiografische Erzählung wird deutlich, dass BpLux7 seine zugeschriebene Identität, nämlich die des «Portugiesen»], – bewusst oder unbewusst – völlig außen vorlässt und seine Erzählung mit seiner Ankunft in Luxemburg beginnt: Donc mon histoire, elle a commencé l’année 84, quand je suis arrivé au Luxembourg. (BpLux7, Pos. 6) [Also, meine Geschichte begann im Jahr 1984, als ich in Luxemburg angekommen bin.]
Über verschiedene Definitionsräume (die des Lieferboten, der Servicekraft im Hotel, des Bauarbeiters oder Elektrikers) hinweg: Après mon arrivée au Luxembourg j’ai travaillé dans plusieurs hôtels, dans la restauration et donc j’ai fait des petits boulots [...]. Donc j’ai fait plusieurs petits boulots comme livreur avec une camionnette [...] justement vue mes compétences comme électricien. (BpLux7, Pos. 8–9) [Nach meiner Ankunft in Luxemburg arbeitete ich in verschiedenen Hotels, in der Gastronomie, ich hatte also Gelegenheitsjobs [...]. Ich bin also mehreren Gelegenheitsjobs nachgegangen, bspw. als Lieferbote [...] hinsichtlich meiner Kompetenzen als Elektriker.]
beschreibt er im Rahmen seiner Erzählung schließlich die erste identitätsbildende Kraft bzw. in diesem Zusammenhang die erste Identitätskrise: einen Arbeitsunfall, aufgrund dessen er sich beruflich umorientierte: Vue cette année-là de 89 à 90 [...] j’ai eu un grave accident de travail et donc j’ai décidé d’arrêter ça, et de chercher ailleurs. (BpLux7, Pos. 10) [Zwischen 1989 und 1990 [...] hatte ich einen schweren Arbeitsunfall, weswegen ich mich dazu entschieden habe, damit aufzuhören und nach einem anderen Job zu suchen.]
Diese Identitätskrise führt ihn schließlich zu seiner erworbenen Identität, nämlich der des Busfahrers: [...] et depuis justement 90 le mois de juin, que je travaille dans l’entreprise, où je suis chauffeur d’autobus. (BpLux7, Pos. 10)
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7 Darstellung der Ergebnisse
[[...] und seit genau Juni 1990 arbeite ich in dem Unternehmen, in dem ich als Busfahrer angestellt bin.]
Weiter berichtet er von einer zweiten Identitätskrise, im Zusammenhang mit seiner eigenen Integration im Jahr 1990, als er feststellen musste, dass die portugiesischen Zugewanderten schlecht integriert waren: C’était donc à partir de ses année 90 je suis commencée à sentir plus intégré et la première chose que j’ai remarqué surtout au Luxembourg dans la région où j’ai habité aussi, donc dans la région Est, [...] où il y avait beaucoup de contact avec surtout le côté allemand, j’ai vérifié que la communauté portugaise n’était pas tout à fait encore bien intégrée. (BpLux7, Pos. 11) [Ab 1990 begann ich mich integrierter zu fühlen und das Erste, was mir, vor allem in Luxemburg, in der Region, in der ich auch wohnte, also im Osten, aufgefallen ist, [...] wo man vor allem mit den Deutschen viel Kontakt hatte, habe ich mich davon überzeugen können, dass die portugiesische Gemeinschaft noch nicht so gut integriert war.]
Dieses Ereignis führt zu einer weiteren Veränderung im Rahmen seiner Identitätsbildung, nämlich der erworbenen Identität, der des Vorstandsvorsitzenden seines selbstgegründeten Vereins: [...] une association que j’ai fondée où j’étais secrétaire pendant 25 ans. (BpLux7, Pos. 11) [[...] ein Verein, den ich gegründet habe und dessen Vorstandsvorsitzender ich 25 Jahre lang war.]
Die Gründung des Vereins und die damit zusammenhängende erworbene Identität als Vorstandsvorsitzender ist nicht nur ein für BpLux7 sehr wichtiges Ereignis in seiner biografischen Erzählung, sie ist auch aus dem Grund ausschlaggebend, da BpLux7 auf ihrer Grundlage seine übernommene Identität bildet. Basierend auf der übernommenen Identität des Vorstandsvorsitzenden, nimmt er die Rolle des portugiesischen Zugewanderten ein, der sich nach zahlreichen kleineren Tätigkeiten schließlich nicht nur einen festen Stand in der luxemburgischen Gesellschaft erarbeitet hat, sondern sich durch sein persönliches Engagement nun selbst für Zugewanderte einsetzt und in diesem Rahmen zwischen der luxemburgischen und der portugiesischen Gemeinschaft und den Kulturen vermittelt. Dass BpLux7 dieser Rolle gerecht zu werden versucht, wird nicht erst durch seine sprachbiografische Erzählung deutlich, bereits in der Interaktion mit der deutschen Interviewerin fallen – die Rollendistanz betreffend – bewusste, u. a. sprachliche, Reaktionen auf, die den Schluss zulassen, dass BpLux7 versucht, bestimmte Vorstellungen über sich steuern zu wollen, um weitere Anerkennung in seiner Rolle zu erfahren. Dies betrifft nicht nur seine Entscheidung, das Interview auf Englisch weiterführen zu wollen. Wenngleich er seine Englischkompetenz wesentlich schwächer einschätzt als seine Französischkompetenz, scheint es dennoch
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für ihn nicht in Frage zu kommen, das komplette Interview mit der deutschen Interviewerin auf Französisch zu führen: No, but I will speak in English, no problem. (BpLux7, Pos. 24) [Nein, ich werde Englisch sprechen, kein Problem.]
Möglicherweise tut er dies, da – wie er mehrmals zum Ausdruck bringt – Mehrsprachigkeit seinen Alltag prägt und es, seiner Rolle entsprechend, für ihn Normalität ist, sich sprachlich anzupassen bzw. dem Gegenüber entgegenzukommen: It’s about when I speak Portuguese I don’t think in Portuguese, it goes out. When I speak French it’s the same. English, yes sometimes I think twice, French or Portuguese. Or Deutsch. Luxemburgish it’s the same. But in general, I speak correctly Portuguese and French. (BpLux7, Pos. 42) [Wenn ich Portugiesisch spreche, dann denke ich nicht nach, ich spreche einfach. Genauso, wenn ich Französisch spreche. Wenn ich Englisch spreche, dann denke ich manchmal auf Französisch oder Portugiesisch. Oder Deutsch. Wenn ich Luxemburgisch spreche, ist es genauso. Aber allgemein spreche ich ohne Probleme Portugiesisch und Französisch.]
Insgesamt scheint BpLux7 in dieser Rolle, durch sein öffentliches Agieren im Rahmen seiner Vereinstätigkeit, gesellschaftlich Anerkennung zu erfahren: Et donc tout ça a pris quand même beaucoup d’années et à force évidemment de toujours persister d’essayer de former et de participer à des congrès, à des mouvement politiques, à des conférences, j’ai toujours poussé dans tout le Luxembourg avec toute ma volonté. Et aussi d’autres années [...] même voir le grand-duc [...]. (BpLux7, Pos. 12) [Und so hat das alles einige Jahre gedauert, in denen ich mit meinem ganzen Willen in ganz Luxemburg immer darauf beharrte, Kongresse, politische Bewegungen und Konferenzen organisierte und daran teilnahm. Auch in anderen Jahren [...] lernte ich sogar den Großherzog kennen [...].]
Diese gesellschaftlich gebilligte Rolle führt schließlich auch zu seiner sozialen Identität, als der Portugiese, der sich nach einem schwierigen Start schließlich vollständig in die luxemburgische Gesellschaft integrieren konnte und sich nun selbst für die Integration anderer Zugewanderter sowie für die luxemburgischportugiesische «Freundschaft» einsetzt: Et comme j’avais dit pendant 25 ans, donc [...] j’ai appartenu comme fondateur de l’association appelée. L’amitié Portugal-Luxembourg justement c’est très intéressant, parce que c’est une amitié qui connecte la communauté portugaise ou tous ceux qui sont avec, avec la société en générale luxembourgeoise. Et là, j’ai justement pris beaucoup de plaisir justement à contacter des gens à voir comme j’ai dit auparavant des réunions. Aussi à pousser à la politique faire d’en sorte que tous les Portugais puissent voter, soit au niveau européen, soit au niveau communal. (BpLux7, Pos. 13)
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7 Darstellung der Ergebnisse
[Wie ich bereits sagte, gehörte ich als Gründer dem erwähnten Verein an. Die portugiesischluxemburgische Freundschaft ist wirklich sehr interessant, weil dadurch die portugiesische Gemeinschaft und alle, die dazugehören, mit der allgemein luxemburgischen Gesellschaft verbunden werden. Und in diesem Rahmen hat es mir wirklich sehr viel Spaß gemacht, mit Menschen in Kontakt zu treten, wie ich bereits erwähnte, Veranstaltungen zu besuchen. Auch in der Politik etwas zu bewegen, sodass Portugiesen wählen können, sowohl auf europäischer als auch auf kommunaler Ebene.]
Gleichzeitig führt diese Rolle dazu, dass sich eine hybride Identität herauszubilden scheint: [...] j’ai toujours présenté cette façon de voir la situation j’étais comme portugais, mais l’autre situation c’est comme j’étais comme un citoyen luxembourgeois. (BpLux7, Pos. 12) [[...] ich habe die Situation immer aus Sicht eines Portugiesen gesehen, aber in anderen Situationen habe ich mich wie ein Luxemburger gefühlt.]
Diese hybride Identität äußert sich vor allem durch verschiedene Identitätstypen. So ordnet er sich durch die Wir-Identität einerseits der Gruppe der PortugiesInnen zu: Ça c’est un point très important et je trouve que finalement on est, nous communauté portugaise, dans un pays, qui est le seul au monde, où la pourcentage de la population, en comparaison à la communauté portugaise, elle est très, très haute, ça veut dire 16 pour cent et ça veut dire que dans tous les domaines, soit publics, soit privées, on a des gens qui parlent le portugais. (BpLux7, Pos. 13) [Das ist ein ganz wichtiger Punkt und ich finde, dass wir, die portugiesische Gemeinschaft, letztendlich in einem weltweit unvergleichbaren Land leben, in dem der Bevölkerungsanteil der PortugiesInnen mit 16 Prozent sehr, sehr hoch ist, sodass wir in allen Bereichen, sei es öffentlich oder privat, Menschen haben, die Portugiesisch sprechen.]
Andererseits zählt er sich aber auch zu der Gruppe der LuxemburgerInnen: [...] it’s true Luxembourg is French and Luxembourg, Deutsch and German but I think it will be very, very important for all the Land all the people Luxembourgish people that everybody from the beginning start to learn Luxembourgish. And the French and the German yes. Other language that we learn that in school but the Luxembourg it’s the first [...]. (BpLux7, Pos. 94) [[...] es ist schon wahr, Luxemburg ist französisch und luxemburgisch und deutsch, aber ich denke es wird sehr, sehr wichtig für das Land und die LuxemburgerInnen sein, dass jeder von Anfang an Luxemburgisch lernt. Und Französisch und Deutsch, ja. Andere Sprachen lernen wir in der Schule, aber Luxemburgisch sollte die Erstsprache sein [...].]
Seine hybride Identität resultiert allerdings nicht nur aus der Zuordnung zur Gruppe der PortugiesInnen sowie der der LuxemburgerInnen, auch durch die im
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Rahmen seiner Erzählung auftretenden Acts of identity, wie etwa den we-code (s. o.), versucht er ebenfalls Nähe zur deutschsprachigen Interviewerin zu schaffen. Entgegen seinen Bemühungen, seine die hybride Identität betreffende Rolle aufrechtzuerhalten, bilden sich jedoch an einigen wenigen Stellen des Interviews dennoch Tendenzen bezüglich seiner ethnischen, nationalen und kulturellen Identität heraus: I will be always Portuguese because I have the feeling always in the whole year to back to my country, to see my country, my family. To eat in my country, to see near the sea and mountains [...] and to travel, also. (BpLux7, Pos. 17) [Ich werde für immer Portugiese sein, weil ich das ganze Jahr über das Verlangen habe, in mein Land zurückzukehren, wieder in meinem Land zu sein, meine Familie zu sehen. In meinem Land zu essen, in der Nähe des Meeres und der Berge zu sein [...] und auch zu reisen.]
Dies wird auch durch seine Anmerkung zur Sprachweitergabe deutlich, als er zum Ausdruck bringt, wie wichtig es für ihn gewesen sei, dass auch seine Kinder Portugiesisch lernen: It was very important because [...] I worked for that thing that all Portuguese and all others that want to learn the Portuguese they [...] can learn it. [...] on my time at school was allowed to learn Italian and Spanish. Why not Portuguese? And I begin with a great group of people to work with very nice Portugal and Luxembourg to make integration from Portuguese language in schools. And as you see today in all crêches [...]. There are always one from those that speak Portuguese so I find that this is important. (BpLux7, Pos. 88–90) [Das war sehr wichtig, weil [...] ich dafür gearbeitet habe, dass alle PortugiesInnen und alle anderen, die Portugiesisch lernen wollen, dass sie [...] es auch lernen können. [...] zu meiner Zeit konnte man nur Italienisch und Spanisch lernen. Warum nicht Portugiesisch? Also habe ich mit einer tollen Gruppe von sehr netten PortugiesInnen und LuxemburgerInnen angefangen, daran zu arbeiten, die portugiesische Sprache in den Schulen einzuführen. Und wie Sie heute sehen, in allen Krippen [...]. Es gibt immer eine Person, die Portugiesisch spricht, also ich finde, das ist wichtig.]
Auffällig ist jedoch, dass er im Rahmen seiner Darstellung erneut seine Tätigkeit sowie sein Engagement in den Fokus stellt. Die Relevanz, die die portugiesische Sprache für ihn persönlich hat, geht dennoch ganz deutlich aus dieser Antwort hervor. Die ethnische, nationale und kulturelle Identität des «Portugiesen» kann sich allerdings, unabhängig davon, nicht vollständig herausbilden, nicht zuletzt, da BpLux7 bereits zu Beginn des Interviews seine zugeschriebene Identität in seiner biografischen Erzählung übergeht. Wie sich im späteren Verlauf des Interviews feststellen lässt, scheint dies auch begründet zu sein:
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7 Darstellung der Ergebnisse
Donc, j’ai voulu et j’ai pris tout de suite au sérieux d’être luxembourgeois dès du début. (BpLux7, Pos. 12) [Also wollte ich von Anfang an Luxemburger sein und das habe ich auch sofort ernst genommen.]
Die multiple ethnische Identität, portugiesisch und luxemburgisch, ist jedoch aus dem Grund schwer festzumachen, da BpLux7 an entsprechenden Stellen seiner Erzählung, so wie es im Rahmen des Interviews öfter vorkam, über die drei Ebenen des Positionierungskonzeptes hinaus, den Fokus von seinem «Ich» auf die von ihm dargestellten AkteurInnen lenkt. Dabei ist allerdings anzumerken, dass die AkteurInnen in ihren Handlungen nicht willkürlich dargestellt werden, BpLux7 bestimmt bewusst, was er erzählt und wie er die AkteurInnen in seiner Erzählung vorkommen lässt: [...] évidemment que pour un Portugais manger des sardines et du poulet c’est bien, mais il fallait qu’il aussi essaye de manger des saucisses [...]. Et ce sont là maintenant mes enfants, les enfants de tous les autres qui ont appartenus la première et deuxième génération, ce sont ces enfants-là, qui parlent encore le portugais, qui mangent encore la sardine, et qui mange encore le poulet, mais qui aiment aussi la saucisse et tous les autres plats luxembourgeois et d’ailleurs qui sont déjà une partie de un peu près la moitié de la population luxembourgeoise, eux aussi ils sont aussi luxembourgeois. (BpLux7, Pos. 12–13) [[...] natürlich essen die Portugiesen gerne Sardinen und Hähnchen, aber sie sollten auch Würstchen essen [...]. Und jetzt sind es meine Kinder, die Kinder der anderen, der ersten und zweiten Generation, es sind diese Kinder, die noch Portugiesisch sprechen, die noch Sardinen und Hähnchen essen, die aber auch Würstchen und alle anderen luxemburgischen Gerichte mögen und die im Übrigen fast die Hälfte der luxemburgischen Gesellschaft ausmachen und damit eben auch zur luxemburgischen Gesellschaft gehören.]
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich die Rolle des «Mediators», die des portugiesischstämmigen Luxemburgers, der zwischen der portugiesischen und luxemburgischen Gemeinschaft und Kultur vermittelt, herausbildet. Diese Rolle betreffend decken sich nahezu beide Rollenmotive, das individuelle sowie das gesellschaftlich gebilligte Rollenmotiv. BpLux7 erfährt in dieser Rolle am meisten Anerkennung und fühlt sich in ihr ganz offensichtlich auch akzeptiert, weshalb sich schlussfolgernd im Rahmen der personalen, selbstbestimmten Identität bei BpLux7 eine hybride Identität herausbildet. Die hinter dieser eingenommenen Rolle stehende Absicht formuliert er ganz klar: C’est bien que je garde la nationalité, mais j’estime que si on travaille dans un pays qui n’est pas le nôtre, on doit s’intégrer, on doit faire un sort que tout va bien selon les critères de ce pays justement. (BpLux7, Pos. 6–12)
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[Natürlich behalte ich meine Nationalität, aber ich glaube, wenn man in einem Land arbeitet, das nicht das eigene ist, muss man sich integrieren, muss man sich halt so verhalten, wie es auch den Kriterien dieses Landes entspricht.]
Das Herausbilden einer anderen Identität käme für ihn vermutlich einem persönlichen Scheitern gleich: [...] ça veut dire que, oui j’ai pris d’une sorte d’un chemin, auquel je suis vraiment (.) très fier, d’avoir participé et d’avoir fait évoluer (.) la mentalité justement. (BpLux7, Pos. 13) [[...] das heißt, ja, ich bin einen Weg gegangen, auf den ich wirklich sehr stolz bin, ein Teil davon gewesen zu sein und dadurch auch die Mentalität verändert zu haben.]
7.1.1.1.4 Sprachporträt BpLux7 erwähnt im Rahmen seiner sprachbiografischen Erzählung insgesamt sieben Sprachen: Portugiesisch ist seine Muttersprache, Französisch und Englisch habe er in der Schule gelernt. Spanisch, Italienisch, Luxemburgisch und Deutsch komplettieren sein Sprachrepertoire: [...] où j’ai étudié donc le français, l’anglais, je parle aussi le portugais, c’est normal. Et d’autres langues que je parle, c’est l’espagnol, l’italien, le luxembourgeois et l’allemand. (BpLux7, Pos. 7) [[...] wo ich also Französisch und Englisch gelernt habe, ich spreche auch Portugiesisch, ist ja klar. Und außerdem spreche ich noch Spanisch, Italienisch, Luxemburgisch und Deutsch.]
BpLux7 beginnt sein Sprachporträt, indem er Luxemburgisch in hellblauer Farbe am Scheitelpunkt der Körpersilhouette in Form eines Punktes einmalt. Die anderen sechs Sprachen ordnet er, die Körpersilhouette vertikal durchziehend, ebenfalls jeweils in Form eines Punktes unter dem Luxemburgischen an: Mit der für die luxemburgische Sprache gewählten hellblauen Farbe, die BpLux7 am oberen Rand des Kopfes platziert, beschreibt er die Verbindung zum blauen Himmel. Außerdem beschreibt er, dass vom Kopf aus die Energie fließe, und referiert damit auf Chakren, unsichtbare Energiepunkte im Körper: [...] I see the energy, the whole energy from people from places, it’s very good so I place it in the hair, in the top from the head, because it’s where the energy flows. (BpLux7, Pos. 24) [[...] ich sehe die Energie, die ganze Energie von Leuten verschiedener Orte, das ist sehr gut, deswegen male ich es in die Haare ein, oben am Kopf, weil da die Energie fließt.]
Durch die Metapher des Himmels sowie in Anlehnung an das am Scheitelpunkt befindliche Chakra, das der Vitalpunkt des Sehens von Energie ist, beschreibt BpLux7 nicht nur seine positive Einstellung den LuxemburgerInnen, sondern auch dem Großherzogtum gegenüber:
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Datenauszug 4: Sprachporträt BpLux7. [...] apart from the country, a very good country in Europe, [...]. (BpLux7, Pos. 24) [[...] unabhängig von dem Land, ein sehr gutes Land in Europa, [...].]
Er fährt fort und platziert Italienisch in dunkelblauer Farbe an der Stelle des Halses, der Kopf und Körper verbindet. Die Verbindung von Kopf und Körper beschreibt er damit, dass er viele Erinnerungen an Italien und an die Zeit hat, in der er dort arbeitete: I have a lot of souvenirs remembers from Italy and [...] it’s a very nice country. I saw it, I worked there [...]. (BpLux7, Pos. 26) [Ich habe viele Erinnerungen an Italien und [...] es ist ein sehr schönes Land. Ich hab es gesehen, ich hab dort gearbeitet [...].]
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Gleichzeitig drückt er durch die Verbindung von Kopf und Körper eine Verbindung zwischen seinen Erinnerungen, der damit verbundenen Emotionalität sowie, in Anlehnung an das Halschakra, seinen Selbstausdruck aus: I want to get back to see again, what I saw. (BpLux7, Pos. 26) [Ich will zurückgehen und das sehen, was ich gesehen habe.]
BpLux7 führt sein Sprachporträt weiter, indem er in roter Farbe Portugiesisch in der Mitte der Brust platziert und in Anlehnung an das Herzchakra, das als Ort der Liebesfähigkeit gilt, die Emotionalität aufgreift, um die Verbundenheit zur Sprache und zu «seinem» Land zu betonen: [...] red for Portuguese, of course it’s in the heart place, because I’m still Portuguese. I love my country. (BpLux7, Pos. 27) [[...] Rot für Portugiesisch, natürlich im Herzen, weil ich immer noch Portugiese bin. Ich liebe mein Land.]
Auf Höhe des Magens malt er Deutsch in Grün ein und bezieht sich damit auf das Zentrum der Wirkkraft, indem er beschreibt: The place stomach, it’s the distributeur for everything. [...] Everything you’ll eat goes to all our parts from our body. (BpLux7, Pos. 28) [Der Magen ist der Ort, an dem alles verteilt wird. Alles, was man isst, verteilt sich von dort aus im ganzen Körper.]
Diese Wirkkraft bezieht er sowohl auf die deutsche Sprache als auch auf die deutsche Bevölkerung, die er als ambitioniert und auf sozialer Ebene als zuverlässig beschreibt: I see that the German people, they know how to work [...] they work good [...]. And also, in serval things on level social, everything it counts. (BpLux7, Pos. 28) [Ich sehe, dass die Deutschen wissen, wie man arbeitet [...] sie arbeiten gut [...]. Und auch in verschiedenen Situationen auf sozialer Ebene zählt alles.]
Unterhalb des Nabels platziert BpLux7 einen braunen Punkt für Englisch in den Körperumriss ein. In Anlehnung an die Chakren, bezogen auf die Schaffenskraft und Vitalität, unterscheidet er zwischen ArmerikanerInnen und BritInnen, auf Letztere bezieht er sich, indem er beschreibt, dass sie seiner Meinung nach rückschrittlich sind. In unmittelbarer Nähe zu dem von BpLux7 eingemalten braunen Punkt platziert er Spanisch in orangener Farbe. Seinen vermeintlich metalinguistischen Kommentar leitet er ein mit: Spanish, yes Spanish, it’s complicated to speak about Spanish or Spain [...]. (BpLux7, Pos. 36) [Spanisch, ja Spanisch, es ist kompliziert, über Spanisch oder Spanien zu sprechen [...].]
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7 Darstellung der Ergebnisse
Dabei bezieht er sich schließlich jedoch nicht auf die Sprache, sondern auf den Staat Spanien und begründet seine Einstellung mit Rückgriff auf die spanischportugiesische Geschichte und die damit verbundenen Eroberungskriege: Spain were Portugal sometimes. (BpLux7, Pos. 36) [Spanien war mal Portugal.]
Wenngleich BpLux7 nichts Negatives über SpanierInnen sagen kann oder will, so ist die gemeinsame Geschichte doch der Grund, weshalb er nur ungerne Spanisch spricht: And I can not say that the Spanish it’s very nice, very good people. They are, but [...] [i]t bothers me when I must speak Spanish. (BpLux7, Pos. 36) [Ich kann nicht behaupten, dass SpanierInnen sehr nette und gute Menschen sind. Also das sind die schon, aber [...] es stört mich, wenn ich Spanisch sprechen muss.]
Als letzte Sprache platziert BpLux7 Französisch in gelber Farbe zwischen den Beinen der Körpersilhouette, an Stelle des Geschlechtes, ein und knüpft damit die Verbindung zu dem Kraftzentrum aller Instinkte sowie dem Punkt des Kraftsinns: Where they find it’s a pleasure, they go. [...] They don’t have too much energy. (BpLux7, Pos. 40) [Sie gehen dahin, wo sie sich vergnügen können. [...] Sie haben nicht so viel Energie.]
Auch die französische Sprache betreffend fällt auf, dass BpLux7 seine Einstellung zur Sprache mit seiner Einstellung zu den Sprechenden gleichsetzt: Like language and like people [...]. (BpLux7, Pos. 37) [Wie die Sprache und wie die Menschen [...].]
Dass BpLux7 seine Einstellung zu Sprachen direkt mit der Einstellung zu den Sprechenden verbindet, wird mehrmals im Rahmen seines Sprachporträts deutlich. An einer Stelle äußert er dies sogar explizit: Because [...] I related language and people. (BpLux7, Pos. 28) [Weil [...] ich Sprache und Menschen verbinde.]
Die Verbindung bzw. das Gleichsetzen von Sprache, Sprechenden und Staat ist allerdings auch der Grund, der eine Interpretation seines persönlichen Sprachempfindens und seines sprachlichen Handelns erschwert. Ähnlich wie bei der multiplen ethnischen Identität lenkt BpLux7 auch im Rahmen seines Sprachporträts über die drei Ebenen des Positionierungskonzeptes hinaus den Fokus auf die mit den Sprachen verbundenen Sprechenden oder Staaten, i. e., auch hier nimmt er eine Fremdpositio-
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nierung ein. Wie und ob eine Diskrepanz zwischen diesen geschilderten Fremdpositionen und seiner Selbstpositionierung herrscht, ist letztlich nicht festzumachen. Die im Rahmen des Sprachporträts geäußerten, teilweise «starken» Aussagen und Ansichten von BpLux7, die nicht nur aufgrund der in mancher Hinsicht stereotypen Äußerungen auffallen, überraschen nicht zuletzt auch aus dem Grund, da sie sich schlecht mit seiner sozialen, hybriden Identität sowie seiner damit verbundenen, eingenommenen und nach außen präsentierten Rolle vereinbaren lassen. Darüber hinaus bestätigt BpLux7 gewissermaßen seine ethnische und kulturelle Identität, die des Portugiesen, indem er sagt: I’m still Portuguese. (BpLux7, Pos. 27) [Ich bin immer noch Portugiese.]
7.1.1.2 BLux5 Die zweite für die Einzelfalldarstellung ausgewählte Person stammt aus der Gruppe der BLux. BLux5 wurde u. a. aufgrund ihrer Altersgruppe, die der Altersgruppe von BpLux7 entspricht, sowie ihres Wohnortes, einer Stadt, in der eine der größten portugiesischen Gemeinschaften Luxemburgs ansässig ist, für die Einzelfalldarstellung ausgewählt. Der Kontakt zu BLux5 entstand spontan, ohne vorherige Kontaktaufnahme und ohne ein über BLux5 konkretes Vorwissen, über eine vorherige Interviewpartnerin, ein Familienmitglied von BLux5. 7.1.1.2.1 Kurzvorstellung der Person BLux5 wird mit ihren zum Erhebungsdatum 56 Jahren der Gruppe der über 50jährigen BLux zugeordnet. Als Tochter luxemburgischer Eltern wurde sie in Paris geboren, zog aber später nach Luxemburg zurück, wo sie auch eingeschult wurde. Die trotz des Umzugs nach Luxemburg bestehende Frankophilie begründet BLux5 mit den damals für sie und ihren Bruder zuständigen französischen Kindermädchen sowie französischen Putzkräften und dem damit verbundenen, dominierenden französischen Sprachgebrauch innerhalb der Familie. Zudem hat BLux5 später in Frankreich studiert und gearbeitet. Im Rahmen des ersten Aufeinandertreffens bei BLux5 zuhause wirkte BLux5 zurückhaltend und verhältnismäßig distanziert, was sich nach dem Vorgespräch jedoch etwas änderte. Ihre Ansichten und Vorstellungen bringt BLux5 im Rahmen ihrer Erzählung klar und deutlich zum Ausdruck, außerdem vermittelt sie einen interessierten Eindruck bezüglich des Themas der Untersuchung. Ebenso zeichnet sich das Interview
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mit BLux5 durch sehr ausführliche Darstellungen und Ausführungen aus, weswegen es mit 73 Abschnitten zu den längeren Interviews gezählt wird. Das Interview selbst wurde auf Deutsch geführt, wobei neben den die Satzphonetik betreffenden Transfererscheinungen (Sprechrhythmus und Intonation) aus dem Luxemburgischen auch die französische und englische Sprache betreffende Sprachkontaktphänomene festzustellen sind. Der Themenfokus des Interviews liegt hauptsächlich auf dem Sprachgebrauch und der Spracheinstellung von BLux5. Im Gespräch über die von ihr als überaus positiv dargestellte Mehrsprachigkeit Luxemburgs erwähnt BLux5 schließlich auch damit verbundene, negative Konsequenzen auf sozialer und gesellschaftlicher Ebene. 7.1.1.2.2 Erleben der Mehrsprachigkeit: «Es ist die Sache, auf die ich am meisten stolz bin in Luxemburg» Für BLux5 ist die Mehrsprachigkeit Luxemburgs etwas außerordentlich Besonderes. Ihre affektive Beziehung zur Mehrsprachigkeit äußert BLux5 in Form eines Superlativs der Hochachtung: Ich find das toll. Es ist die Sache, auf die ich am meisten stolz bin in Luxemburg. (BLux5, Pos. 31)
Diese positive Einstellung begründet sie mit der damit verbundenen sprachlichen Unabhängigkeit sowie der Möglichkeit, entsprechend mehr Literatur – vermutlich in ihrer Originalfassung – lesen zu können: Ja, dass ich eben kommunizieren kann, dass ich von [...] niemandem abhängig bin, um etwas zu verstehen. Dass ich viele verschiedene Literaturen lesen kann. (BLux5, Pos. 45)
In ihrer Erzählung bezieht sich BLux5 allerdings nicht nur auf das polyglotte Großherzogtum. Über die Amtssprachen Luxemburgs hinaus betont sie die besondere Bedeutung der englischen Sprache im Rahmen der Mehrsprachigkeit: Und nicht unbedingt nur Deutsch und Französisch, ich denke, [...] Englisch auch auf jeden Fall und dann natürlich die jeweiligen Muttersprachen. (BLux5, Pos. 51)
Dass sie durch das Vertreten ihrer überaus positiven Meinung zur Mehrsprachigkeit nicht das Ziel verfolgt, ein gewisses Bild von sich selbst zu konstruieren, wird dadurch deutlich, dass sie sich auch in ihrem privaten Umfeld persönlich mit dem Mehrsprachenerwerb auseinanderzusetzen scheint: Ich hab Freundinnen, von denen auch verschiedene Pädagogen sind und die sagen ‹Nein, nein. Zuerst muss das Kind eine Sprache beherrschen und dann erst kann man eine neue Sprache lehren›. Und [...] ich bin nicht mit ihnen einverstanden. Ich denke, dass man früh
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spielerisch, es ist zwar auch so ein blödes Wort, aber schon möglichst viele Sprachen auf jeden Fall hören, singen, so lernen, kennen eben soll [...]. (BLux5, Pos. 51)
Auf Nachfrage sieht BLux5 in der Sprachensituation des Großherzogtums sowie einer allgemeinen Mehrsprachigkeitssituation zunächst keine Nachteile: Das hat nur Vorteile, ich seh keine Nachteile. (BLux5, Pos. 43)
Die Affinität zur Mehrsprachigkeit zeigt sich darüber hinaus auch im alltäglichen und privaten Sprachgebrauch von BLux5. Ihre Zweitsprache Deutsch hat sie von klein auf hauptsächlich im Alltag durch deutschsprachige Medien, bspw. Literatur in Form von Kinderbüchern, gelernt: Aber Deutsch [...] also ich weiß nicht, wir hatten das aber irgendwie durch [...] Fernsehen wahrscheinlich, Radio, alles, was gelesen wurde, war auf Deutsch, also als Kind jetzt, ne. (BLux5, Pos. 2)
Wenngleich Deutsch mittlerweile nicht mehr eine der präsentesten Sprachen in ihrem Alltag ist, so besteht dennoch ein Interesse für die deutsche Sprache, die sie darüber hinaus den ästhetischen Kategorien «schön» und «präzise» zuordnet: Ich hab [...] auf der Reise dahin zufällig [...] von einem englischen audiobook auf Deutsch gehört und dann hab ich gefunden, Deutsch sei aber trotzdem so eine schöne Sprache und dann hab ich mir [...] ein deutsches audiobook [...] gekauft für die Heimreise und dann hab ich gefunden, Deutsch sei so eine präzise Sprache. Und das hat mir dann auch wieder sehr, sehr gut gefallen. (BLux5, Pos. 13)
Ihr allgemeines Interesse an Sprachen zeigt sich vor allem in ihren die englische Sprache betreffenden Aussagen. So liest BLux5 bspw. bevorzugt auf Englisch und stellt fest, dass Lesen nicht nur beim Fremdsprachenerwerb förderlich, sondern darüber hinaus auch verantwortlich für das Sprachgefühl in einer Fremdsprache sein kann: Ich lese sehr viel und das hilft natürlich wahnsinnig, ich hab dann die zwei Monate Ferien [...] nur Englisch gelesen und als dann das Schuljahr angefangen hat, war ich dann eigentlich so weit wie die anderen, die wahrscheinlich nur das Jahr dann eben gemacht hatten und wahrscheinlich nicht so viel gelesen haben. Also das ist natürlich ein Riesenvorteil für die Sprachen, wenn man liest. (BLux5, Pos. 2)
Obwohl Englisch keine der Amtssprachen Luxemburgs ist, prägt die englische Sprache dennoch den Alltag von BLux5 in hohem Maße: Hängt davon ab, also manchmal denk ich in Englisch, manchmal denk ich in – meistens in Luxemburgisch, aber oft denk ich in Englisch. Und dann hängtʼs auch, glaub ich, davon ab, wo ich grade bin. Ja. (BLux5, Pos. 11)
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Neben der englischen Sprache prägt vor allem Luxemburgisch, ihre – wie sie selbst sagt – Muttersprache, den Alltag von BLux5. Luxemburgisch ist für sie nicht nur die, den emotionalen Sprachgebrauch betreffend, präsenteste Sprache: Oh, auf jeden Fall, glaub ich, Luxemburgisch. Ich träume aber sehr selten und ich kann mich nicht erinnern, je in einem Traum überhaupt geredet zu haben. Also, ich glaub, das war immer eher über Blicke oder – also schon, wenn jetzt spontan was kommen würde, dann würde das trotzdem in Luxemburgisch kommen. Das denk ich schon. (BLux5, Pos. 15)
Auch in ihrem privaten Umfeld spricht BLux5, im Rahmen ihrer Familie und mit Freunden, bevorzugt Luxemburgisch: Also eigentlich rede ich fast nur Luxemburgisch, also mit all meinen Freunden, Familie reden wir nur Luxemburgisch. Ich red auch mit Kindern, die ich auf der Straße sehe, red ich auch nur Luxemburgisch. (BLux5, Pos. 17)
Überraschend ist jedoch, dass BLux5 sich, trotz ihrer Affinität zur Mehrsprachigkeit, für eine «gemeinsame» Sprache im Großherzogtum ausspricht – eine Sprache, die von allen LuxemburgerInnen und Zugewanderten beherrscht werden sollte. Dafür schlägt sie die luxemburgische Sprache vor, was sie damit begründet, dass es sich um eine orale Sprache handle, die aufgrund ihrer niedrigen Anforderungen leicht zu lernen wäre. Damit bilden sich jedoch nicht nur die luxemburgische Sprache betreffende, entwertende Tendenzen ab, die Aussage steht darüber hinaus auch der pejorativen Aussage «[...] die von irgendwoher kommen [...]» direkt gegenüber: Weil ich auch finde, dass es in so einem vielsprachigen Land, wie Luxemburg, nicht schlecht wäre, wenn es eine Sprache gibt, die jeder spricht [...] Luxemburgisch ist ja so eine Sprache, die man nicht richtig lernt. Jeder spricht anders, jeder schreibt anders und so als orale Sprache, find ich es schon ganz gut, wenn auch die ganz Kleinen, die kommen, die von irgendwoher kommen, Luxemburgisch lernen. Einfach weil es [...] eine orale Sprache [ist], die man nicht unbedingt schreiben muss oder richtig beherrschen muss, aber dass man genug reden kann, damit man irgendwie untereinander kommuniziert. Finde ich. (BLux5, Pos. 17)
Konträr dazu beschreibt sie, dass Französisch die Funktion einer Sprache übernimmt, die zur Verständigung zwischen Luxemburgerinnen, Zugewanderten oder Berufspendelnden gesprochen wird: [...] also ich möchte schon immer mit den Leuten reden in der Sprache, die sie sprechen. Und deshalb, glaub ich, ist das so, dass ich eben hier [...], wo fast nur Franzosen oder Belgier oder Portugiesen arbeiten, dass ich da, wie gesagt, schon sofort, ohne zu überlegen, Französisch benutze. (BLux5, Pos. 19)
Diese, durch die französische Sprache, für BLux5 selbstverständliche Anpassung ist sowohl in ihrem privaten als auch in ihrem beruflichen Alltag Normalität:
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Wenn ich hier zum Einkaufen geh [...], dann red ich automatisch Französisch. Wenn ich auf der Arbeit [...] ans Telefon geh, dann erwart ich eigentlich auch, dass ich Französisch sprechen werde. (BLux5, Pos. 19)
Die sprachliche Flexibilität von BLux5 zeigt sich darüber hinaus in ihrem Sprachverhalten im Umgang mit PortugiesInnen, bei denen sie sich zwar wünschen würde, Luxemburgisch sprechen zu können, sie dennoch kein Problem damit hat, sich sprachlich anzupassen: Und wenn man mit Portugiesen spricht hier [...], die sprechen sehr oft Luxemburgisch zwar, aber sie sprechenʼs nicht gerne. Dann fängt man an, mit ihnen in Französisch zu reden, und dann auf einmal sagen sie irgendwas auf Luxemburgisch und dann fährt man vielleicht Luxemburgisch weiter. (BLux5, Pos. 25)
Die sprachliche Anpassung von BLux5 hat, neben ihrer sprachlichen Flexibilität, allerdings noch eine weitere Ursache: die im Verlauf des Interviews mit BLux5 schließlich festgestellten Nachteile der Mehrsprachigkeitssituation im Großherzogtum sowie ihre damit verbundene Empathie den GesprächspartnerInnen gegenüber: Das ist, glaub ich, eines der großen Probleme hier in Luxemburg, dass nicht alle Sprachen gleich gut beherrscht werden von der ganzen Bevölkerung und dass dann sehr viele Leute sehr viel Scheu haben, eine Sprache zu sprechen. Und sehr oft reicht es einfach zu sprechen und dann gehtʼs irgendwie [...] diese ganzen Probleme [...], die würden gar nicht auftreten, weil es einfach reichen würde zu reden, niemand verlangt ja, dass jemand perfekt redet. (BLux5, Pos. 2)
Aufgrund unterschiedlicher Sprachkompetenzen in den Landessprachen und einer damit verbundenen Unsicherheit der LuxemburgerInnen im Sprachgebrauch stellt BLux5 schließlich fest, dass die Sprachensituation Luxemburgs keine ideale Grundlage, bezogen auf den sozialen Kontext, bilde: Nein, sie ist sicher nicht ideal. Weil es eben zu große Unterschiede in der Gesellschaft gibt. (BLux5, Pos. 47)
Die durch die sprachliche Situation bedingten negativen Auswirkungen auf gesellschaftlicher Ebene zeigen sich laut BLux5 durch Minderwertigkeitsgefühle – wenngleich sie damit keine bestimmte Sprachgemeinschaft benennt –, die zu einer Spaltung der Gesellschaft führen: Nicht, dass das jetzt an und für sich schlecht wäre, aber es gibt schon viele Unterschiede hier in Luxemburg [...]. Aber wie gesagt, ich weiß nicht, ob es schlecht ist, aber man müsste es normalerweise nur als vorteilhaft sehen, aber das klappt irgendwie nicht, das sind Probleme [...] meiner Meinung nach [...] gibt es da Minderwertigkeitskomplexe und es [...] spaltet irgendwie. (BLux5, Pos. 47)
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Neben den metasprachlichen Aussagen äußert sich der mehrsprachige Charakter von BLux5 im Rahmen des Interviews durch verschiedene Sprachkontaktphänomene. So tritt etwa, auf die Frage hin, ob ihr manche Wörter in einer bestimmten Sprache nicht einfallen würden, das psycholinguistische Code-Switching auf: Ja, o. k. Das kommt vielleicht mal vor. Aber seelen – selten, also ja, das war jetzt sowas. Ja, vielleicht [...] sind französische Wörter geläufiger, wenn ich [...] mit jemandem über, was weiß ich, Recht zum Beispiel reden würde. [...] also es [...] passiert nicht einfach so. Normalerweise ist es schon so, dass ich auswähle, mit wem ich welche Sprache spreche. (BLux5, Pos. 27)
Außerdem tritt auch über ihre metasprachliche Darstellung im Rahmen ihrer Beschreibung des alltäglichen Sprachgebrauchs das soziolinguistische Code-Switching auf, als sie darstellt, auf welcher Sprache sie in der Regel ihre Notizen verfasse: Es ist ein Kuddelmuddel. Ja, [..] ich mach sehr oft so ein Foodlog, um zu gucken, was ich am Tag gegessen hab, und da steht dann wirklich alles kunterbunt durcheinander. Egg, oats und dann endive oder Tomate oder also wirklich alles, da gehtʼs quer durch den Gemüsegarten. (BLux5, Pos. 57)
Sowohl das umgangssprachliche «Kuddelmuddel» als auch die Metapher «quer durch den Gemüsegarten» verweisen dabei auf den multilingualen Sprachgebrauch von BLux5. Des Weiteren lassen sich verschiedene Lehnwörter im Sprachgebrauch von BLux5, wie etwa «Primärschule» oder «Lyzeum» (BLux5, Pos. 2), sowie die AdEntlehnung «Voilà» (BLux5, Pos. 2/8/59) feststellen. Neben der offensichtlichsten die Satzphonetik (den Sprechrhythmus sowie die Intonation) betreffenden Transfererscheinung, die BLux5 selbst beurteilt: Ganz im Gegensatz zum Deutschen, was ich nicht genug rede und wo ich dann auch immer finde, dass ich einen schrecklichen Akzent habe. (BLux5, Pos. 2)
beschreibt sie das Phänomen des language crossing: Also, ich hab zum Beispiel eine Freundin, die hat in England studiert und dann werfen wir uns schon mal so englische Brocken an den Kopf oder so. (BLux5, Pos. 25)
Der polyglott geprägte Sprachgebrauch von BLux5 bestätigt sich auch im Rahmen der Selbsteinschätzung ihrer Sprachkompetenzen: Also ich denke, dass ich Deutsch und Französisch und Englisch fließend spreche, also [...] Hängt dann davon ab, wo ich grad bin, die Sprache spreche ich dann am besten. (BLux5, Pos. 4)
Grundsätzlich fällt neben der Affinität zur Mehrsprachigkeit, auch über die Landesgrenzen hinaus, allgemein die Weltoffenheit von BLux5 auf:
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Weil ich denke schon, dass wenn man eine Sprache gut spricht, man irgendwie auch die Länder, in denen diese Sprache gesprochen wird, kennt und [...] versteht [...]. (BLux5, Pos. 45)
Diese Offenheit zeigt sich auch in dem Interesse an, neben den von ihr bereits beherrschten Sprachen, weiteren Sprachen wie Russisch oder Portugiesisch: [...] Russisch würde mich sehr, sehr reizen, aber ich glaub nicht, dass ich es noch schaffen werde. [...] ich muss noch acht oder so Jahre arbeiten, ich habe auch manchmal gedacht, vielleicht wär es aber noch gut, einen Schnellkurs in Portugiesisch zu machen, weil immer mehr Leute auch rufen an und sagen ‹Sprechen Sie Portugiesisch?› und dann sag ich ‹Nein›. Aber ich glaub, das mach ich auch nicht. (BLux5, Pos. 53)
7.1.1.2.3 Identität und Sprache: «Und dann hängtʼs auch, glaub ich, davon ab, wo ich grade bin» BLux5 erwähnt bereits zu Beginn ihrer sprachbiografischen Erzählung, mit Bezug auf die luxemburgische Sprache, ihre zugeschriebene Identität, die der «Luxemburgerin»: O. k., also Luxemburgisch ist meine Muttersprache wahrscheinlich wie bei [...] all den andern. (BLux5, Pos. 2)
Diese zugeschriebene Identität äußert sich darüber hinaus auch in den von BLux5 erwähnten Identitätstypen in Form der Wir-Identität: [...] hier [...] benutzen wir ganz viel Französisch. (BLux5, Pos. 13)
Besonders auffällig ist dabei ihre Abgrenzung des Luxemburgischen von den beiden anderen Amtssprache, die sie als «Fremdsprachen» bezeichnet: Ja, also klar, hier in Luxemburg würde man niemals als erste Sprache Englisch reden oder so. Vor allem einfach [...], weil wir jetzt schon zwei Fremdsprachen haben, die wir eigentlich benutzen. (BLux5, Pos. 21)
Wenngleich BLux5 die Präsenz dieser beiden «Fremdsprachen» im luxemburgischen Alltag als normal beschreibt, so grenzt sie, bezüglich ihres eigenen Sprachgebrauchs, doch die deutsche Sprache deutlich aus, indem sie sagt: Aber ich würd auch nie jemanden hier in Deutsch anreden. Einfach so, nur weil’s mir in den Kopf kommt oder so. Niemals. (BLux5, Pos. 21)
und später betont, dass sie demgegenüber ohnehin die luxemburgische Sprache bevorzuge: Dafür sprech ich dann doch zu viel Luxemburgisch. (BLux5, Pos. 25)
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7 Darstellung der Ergebnisse
Das die deutsche Sprache betreffende Sprachverhalten begründet BLux5 damit, dass sie automatisch davon ausgehe, mit ihrem deutschsprachigen Gegenüber auch Luxemburgisch sprechen zu können: Weil ich mit jemandem, der Deutsch spricht, mit dem kann ich auch Luxemburgisch reden. Denk ich, dass es der Grund ist. Es sind ja hauptsächlich die älteren Leute, die hier in Luxemburg vielleicht es vorziehen würden, Deutsch zu reden. Mit denen kann ich aber auch Luxemburgisch sprechen. Und ein großer Teil der Bevölkerung hier [...] spricht kein Deutsch, das heißt – ne, also Deutsch red ich nur in Deutschland, das stimmt. (BLux5, Pos. 23)
Neben der zugeschriebenen Identität der «Luxemburgerin» beschreibt BLux5 zu Beginn ihrer sprachbiografischen Erzählung identitätsbildende Kräfte wie etwa den Schuleintritt, durch den sie in Kontakt mit den beiden anderen Amtssprachen kam und diese lernte: Deutsch und Französisch hab ich in der Schule gelernt, in der Primärschule hier in Luxemburg. (BLux5, Pos. 2)
oder die damalige Betreuung durch französischsprachiges Personal: Und das mit dem Personal hat natürlich geholfen, als wir nachher in der Schule waren, ich glaub, ich sowohl als mein Bruder waren immer – also hatten kein Problem mit dem Reden. (BLux5, Pos. 2)
Durch diese identitätsbildenden Kräfte bildet sich schließlich die hybride Identität von BLux5, die sie nicht nur im Rahmen ihrer Erzählung darstellt, sondern deren Authentizität schließlich auch durch ihre nichtverbale Reaktion, die Ergriffenheit sowie die Tränen in den Augen, bekräftigt wird, als sie sagt, dass sie bezüglich der Mehrsprachigkeit Luxemburgs Stolz empfinde: Dass wir eben die Möglichkeit haben, so viele Sprachen zu sprechen, das ist mir sehr wichtig. (BLux5, Pos. 31)
Neben den die hybride Identität betreffenden, hybriden Formationen, den Sprachmischungen bzw. Sprachkontaktphänomenen (s. o.) bildet sich die hybride Identität von BLux5 darüber hinaus auch dadurch ab, dass sie sich nicht nur einer Gruppe bzw. Sprachgemeinschaft zuordnet. So würde sie es zwar gutheißen, wenn Luxemburgisch von allen in Luxemburg lebenden Menschen gesprochen und dementsprechend Luxemburgisch als die «gemeinsame» Sprache benutzt werden würde, gleichzeitig grenzt sie sich jedoch von den LuxemburgerInnen ab, indem sie sagt: Es gibt eine ganze Reihe von Menschen hier. [...] die Leute sagen ‹Ah, immer müssen wir Französisch reden› und ‹Die könnten ja auch Luxemburgisch reden›. (BLux5, Pos. 49)
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
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Weiter äußert sich die hybride Identität von BLux5, als sie beschreibt, dass sie die portugiesische Sprache nicht beherrsche und ihr die Sprache auch nicht gefalle, aber sie sie dennoch gerne lernen würde. Der mit der hybriden Identität verbundene «offene» Charakter zeigt sich darüber hinaus auch dadurch, dass es sie ärgert, etwas in einer Sprache, die ihr eigentlich gar nicht gefällt und deren Sprechende ihres Empfindens nach unangenehm «laut» reden, nicht verstehen zu können: Sehr oft versuch ich trotzdem, irgendwas zu verstehen, und dann denke ich immer wieder ‹Es ist unmöglich, du sprichst so viele Sprachen und du verstehst so wenig›. [...] Es gefällt mir nicht sehr als Sprache, ich find besonders, dass die Lautstärke immer sehr hoch ist [...]. Es ist irgendwie so, wie wenn [...] extralaut geredet wird in der Straße oder wenn die Leute irgendwo spazieren. Ich versteh nicht, warum so laut geredet – also mir kommt das sehr laut immer vor. Das ist das, was mich am meisten – und dann, dass ich wirklich sehr wenig verstehe, obwohl ich mich bemühe irgendetwas zu verstehen. (BLux5, Pos. 33)
Auch in dieser Darstellung fallen die hybride Identität betreffende hybride Formationen bzw. Transfererscheinungen auf lexikalischer und grammatischer Ebene auf: Dies betrifft zum einen das im Rahmen des Satzes verwendete Adjektiv «hoch» sowie die Präposition «in» im Zusammenhang mit dem Lexem «Straße», das vermutlich aus dem Französischen («dans la rue») oder Englischen («in the street») entlehnt wurde. 7.1.1.2.4 Sprachporträt Wie BLux5 in ihrer sprachbiografischen Erzählung berichtet, ist sie neben ihrer Muttersprache Luxemburgisch außerdem mit der französischen und der deutschen Sprache aufgewachsen. Englisch, Italienisch und Spanisch komplettieren ihr Sprachrepertoire. Während des Bemalens der Körpersilhouette hat BLux5, wie es den InterviewpartnerInnen freigestellt wurde, die Wahl der Farben sowie die Platzierung der Sprachen nicht kommentiert. Bereits bei Betrachtung der von BLux5 beschrifteten Legende ihres Sprachporträts fallen die Glottonyme der jeweiligen Sprachen («Français», «Deutsch», «English», «Italiano» und «Español») auf. Obwohl BLux5 «Luxemburgisch» nicht in die Legende eingetragen hat, hat sie die Sprache dennoch in gelber Farbe in die Körpersilhouette platziert. Dass BLux5 die luxemburgische Sprache in der Legende nicht beschriftet, könnte mit der geringen Bedeutung erklärt werden, die sie der luxemburgischen Sprache im Rahmen ihres Sprachrepertoires allgemein beimisst, und damit, dass sie sich stattdessen mehr auf die Mehrsprachigkeit fokussiert. Die für das Luxemburgische gewählte gelbe, freundliche und kommunikativ wirkende Farbe steht im Kontrast zu der von BLux5 gewählten Position innerhalb der Körpersilhouette. An
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7 Darstellung der Ergebnisse
Datenauszug 5: Sprachporträt BLux5.
der Stelle des Halses platziert, kann damit der von BLux5 empfundene Wunsch nach dem Luxemburgischen als die «gemeinsame» Sprache aller LuxemburgerInnen assoziiert werden. Trotz dieses Wunsches scheint BLux5 dennoch bewusst zu sein, dass die Thematik um eine «gemeinsame» Sprache die luxemburgische Gesellschaft «spaltet», indem Luxemburgisch bezüglich der Mehrsprachigkeit in ihrem Sprachporträt eine geringere Fläche einnimmt. Darüber hinaus referiert sie mit der Position am Hals auf die von ihr als «oral» bezeichnete Sprache (s. o.), die hauptsächlich im kommunikativen Kontext erlernt und benutzt wird. Die französische Sprache, die sie selbst als die «Gebrauchssprache» (BLux5, Pos. 13) bezeichnet, platziert BLux5 in blauer Farbe in einem – verglichen mit den beiden anderen Amtssprachen – verhältnismäßig größeren Anteil in Form eines Balkens an der Stelle des Mundes. Einerseits ist dies nachvollziehbar, da BLux5 Französisch als Kommunikationssprache auch mit Zugewanderten oder Grenzpendelnden benutzt und die Sprache ihren privaten und beruflichen Alltag prägt. Andererseits verwundert, dass die von BLux5 geäußerte Frankophilie und die
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damit verbundene Sympathie der französischen Sprache gegenüber nicht explizit aus ihrem Sprachporträt hervorgehen. Die blaue Farbe könnte eine gewisse Distanz ausdrücken, die auch BLux5 spürt, wenn sie sich ihrem «fremden» Gegenüber anpasst und auf Französisch spricht. Der französischen Sprache parallel übergeordnet platziert BLux5 die deutsche Sprache in roter Farbe auf Höhe der Stirn. Damit könnte sie darauf referieren, dass sie Deutsch gerne hört und liest – die Sprache also hauptsächlich eine kognitive Rolle spielt –, sie Deutsch jedoch aufgrund ihres «schrecklichen Akzent[s]» (BLux5, Pos. 2) nicht gerne spricht. Die von BLux5 für die deutsche Sprache gewählte rote Farbe könnte den für sie «ästhetischen» Charakter der «schönen» und «präzisen» Sprache (BLux5, Pos. 13) symbolisieren. Interessant ist darüber hinaus, dass die von BLux5 innerhalb ihres Sprachporträts vorgenommene Anordnung und Farbwahl der deutschen und französischen Sprache – zwei der drei Amtssprachen des Großherzogtums – die luxemburgische Nationalflagge widerspiegeln. Die aktive und Vitalität ausstrahlende Farbe Orange wählt BLux5 für die englische Sprache. BLux5 siedelt Englisch an der Stelle des Abdomens an. Da Englisch die Sprache ist, in der BLux5 am liebsten liest und die als sehr lebendige Sprache in ihrem privaten Alltag eine wichtige Rolle zu spielen scheint, kann dadurch die Verbindung zum Bauch, als energetischer Mittelpunkt des Körpers, hergestellt werden. Der italienischen und spanischen Sprache misst BLux5 ungefähr die gleiche Wertigkeit bei, indem sie beide Sprachen in den erhobenen Arm an dem Handgelenk (vergleichbar mit zwei Armbändern) platziert, wobei Spanisch – geht man von einer hierarchischen Darstellung aus – über Italienisch steht. Die am Handgelenk platzierten Sprachen spiegeln sich so auch in dem gesenkten Arm der Körpersilhouette wider. Vermutlich referiert BLux5, da sie die beiden Sprachen nicht besonders gut spricht, damit auf die Kommunikation durch das Gestikulieren mit den Händen. Insgesamt fällt das Sprachporträt von BLux5 wider Erwarten durch die distinkte Darstellung der Sprachen ihres Sprachrepertoires auf, bei der keine der von ihr in der Körpersilhouette platzierten Sprachen einen direkten Schluss auf ihr Repertoire des Vertrautseins oder den mit Emotionen verbundenen Sprachgebrauch zulässt. Dies überrascht, da sich BLux5 während des Interviews, besonders die Mehrsprachigkeit betreffend, sehr emotional äußert. Es könnte der Schluss gezogen werden, dass nicht die Mehrsprachigkeit an sich ein für BLux5 eng mit Emotionen verbundenes Thema ist, sondern die aus der Mehrsprachigkeit resultierenden «Probleme» (BLux5, Pos. 47/49) im Großherzogtum auf gesellschaftlicher Ebene: Und geographisch sowohl als sozial und [...] es spaltet das Land ein bisschen. (BLux5, Pos. 47)
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7 Darstellung der Ergebnisse
7.1.1.3 Exkurs Bei den für den Exkurs der Einzelfalldarstellung ausgewählten Personen handelt es sich um einen 21-jährigen einheimisch luxemburgischen Auszubildenden (B1) sowie eine 21-jährige luxemburgische Studentin (B2) mit nordmazedonischen Wurzeln. Mit ihren 21 Jahren werden die beiden InterviewpartnerInnen der Gruppe der unter 35Jährigen zugeordnet. B1 und B2 wurden für die Einzelfalldarstellung ausgewählt, da im Rahmen der «synchronen» Narration des einheimischen Luxemburgers und der aus einer Zuwandererfamilie stammenden Luxemburgerin neue Erkenntnisse gewonnen werden sollen. Darüber hinaus ist vor allem B2 für die Untersuchung interessant, da sie als Tochter nordmazedonischer Eltern der Gruppe der zugewanderten LuxemburgerInnen – nicht aber der portugiesischstämmigen LuxemburgerInnen – zugeordnet wird, womit mögliche Differenzen zu den pLux eruiert werden können. Hergestellt wurde der Kontakt zu B1 und B2 über einen vorherigen Interviewpartner, woraufhin das Treffen mit B1 und B2 in einem Stadtpark der Hauptstadt Luxemburg stattfand. 7.1.1.3.1 Kurzvorstellung der Personen Nach seinem Realschulabschuss hat der zum Erhebungszeitpunkt 21-jährige B1, dessen Eltern aus Luxemburg stammen, eine Ausbildung in Luxemburg begonnen. B2, die Tochter nordmazedonischer Eltern, war nach ihrem Abitur bis zum Erhebungszeitpunkt als Studentin an einer Universität in Wien eingeschrieben. Beide InterviewpartnerInnen wirkten zu Beginn des Aufeinandertreffens noch über das Vorgespräch des Interviews hinaus relativ zurückhaltend. Mit 145 Abschnitten handelt es sich bei dem Interview, das auf Deutsch geführt wurde, um das längste Interview. Insgesamt haben sowohl B1 als auch B2 verhältnismäßig viel erzählt, wobei beide im Rahmen des Interviews mehrmals gegenseitig ihre Antworten ergänzt oder ihre Sätze weiter ausgeführt haben. Dabei wirkte B2 in ihren Darstellungen und Antworten grundsätzlich selbstbewusster und sicherer als B1. B1 wirkte u. a. auch aufgrund seiner Sprachkompetenzen, die er in seinen metasprachlichen Kommentaren vor allem bezogen auf das Französische als defizitär beschrieb, weniger selbstbewusst und vergleichsweise zurückhaltender als B2. Der Fokus des Interviews lag auf den Sprachbiografien sowie den Spracheinstellungen der Interviewten. Interessanterweise entwickelten sich jedoch darüber hinaus sowohl das luxemburgische Bildungssystem als auch der von den Interviewten (vor allem von B2) als subtil empfundene Rassismus in Luxemburg zu den im Interview präsenten Themen.
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7.1.1.3.2 Erleben der Mehrsprachigkeit: «[...] man ist eher genervt davon, dass man das Portugiesische nicht versteht» Sowohl B1 als auch B2 stellen die Mehrsprachigkeit im Großherzogtum zunächst positiv dar und sehen Vorteile hauptsächlich in der sprachlich uneingeschränkten Kommunikation. Interessant ist, dass B1 und B2 in ihren Darstellungen der aus der Mehrsprachigkeit resultierenden Vorteile den Fokus zunächst über die Landesgrenzen Luxemburgs hinaus lenken: Als Beispiel werden von B1 die sprachlichen Vorteile im deutsch- und französischsprachigen Umland Luxemburgs, von B2 sprachliche Vorteile im Urlaub genannt. Darüber hinaus scheint neben den Amtssprachen Luxemburgs vor allem die englische Sprache für die beiden Interviewten eine wichtige Rolle zu spielen, die sie neben Deutsch und Französisch als erste Sprache nennen und von deren Relevanz sie in ihrem mehrsprachigen Alltag überzeugt zu sein scheinen: Weil also man lernt hier wirklich viele Sprachen, besonders halt so Englisch, Deutsch und Französisch dann – das sind ja die Nachbarländer, das heißt, egal wo man hingeht, man kommt klar, man kann sich verständigen. (B2 Exkurs, Pos. 56)
Neben den von B1 und B2 genannten Vorteilen der Mehrsprachigkeit, hauptsächlich über die Landesgrenzen hinaus, fallen zudem vor allem die von B2 gebrauchten Modalpartikel in ihrer Darstellung auf, die eine Einschränkung ihrer positiven Einstellung zur Mehrsprachigkeit bereits vermuten lassen: Ja, ich find’s eigentlich wirklich ganz gut. (B2 Exkurs, Pos. 56)
In einem Nebensatz erwähnt B2, dass im Rahmen der Mehrsprachigkeit zwar die Gefahr der Verwechselung von Wörtern bestehen würde, die Vorteile, wie das Konsumieren von Medien optimalerweise in den Originalsprachen, scheinen ihrer Darstellung zufolge jedoch zu überwiegen: Ich les und hör’s eigentlich immer gern in der Originalsprache, weil ich die Synchronisation meistens ein bisschen fehl am Platz, also einfach nicht passend finde. [...] Ja, ich find im Alltag [...] bringt’s eigentlich auch fast nur Vorteile. Ich mein, o. k., man verwechselt ’n paar Mal ’n paar Wörter, aber gut. Dann lernt man halt andere Sprachen oder man kann das schnell googeln, oder was auch immer. (B2 Exkurs, Pos. 21/66)
Auch B1 scheint überwiegend Vorteile in der Mehrsprachigkeit Luxemburgs vor allem für seinen Alltag zu sehen. Außer der, seiner Meinung nach, größeren Auswahl an englischsprachigen Medien benennt er die Vorteile der Mehrsprachigkeit im Großherzogtum jedoch nicht weiter. Ähnlich wie bei B2 ist Englisch auch eine im Alltag von B1 sehr präsente Sprache. Neben der englischen Sprache dominiert die luxemburgische Sprache hauptsächlich in seinem Familien- und Freundeskreis, Deutsch beim Schauen des deut-
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7 Darstellung der Ergebnisse
schen Fernsehprogramms und Französisch lediglich in der Öffentlichkeit, bspw. beim Einkaufen. Ganz ähnlich sieht der Sprachgebrauch von B2 aus, wobei Albanisch innerhalb der Familie dominiert und überwiegend die mit Emotionen verbundene Sprache ist: Wenn ich wütend bin, ist mir aufgefallen, dann fluch ich ganz gerne auf Albanisch. (B2 Exkurs, Pos. 26)
Das positive Erleben der Mehrsprachigkeit steht in den Darstellungen von B1 und B2 immer wieder tendenziell den aus der Mehrsprachigkeit resultierenden Nachteilen gegenüber: Ich find es total gut, dass man die ganzen Sprachen lernt und auch dann kann, wenn man’s kann. Allerdings, wie ich zum Beispiel, habe ja Probleme [...] mit dem Französischen und da war’s in der Schule sehr, sehr, sehr schwierig in den verschiedenen Fächern [...]. (B1 Exkurs, Pos. 65)
Die mit der Mehrsprachigkeit verbundenen Herausforderungen und sich daraus ergebenen Nachteile scheinen für beide schwer zu wiegen, wobei hauptsächlich B1 mit der im schulischen Alltag dominierenden französischen Sprache ein größeres Problem gehabt zu haben scheint als B2. Nichtsdestotrotz sind sich beide der Dominanz des Französischen bewusst: Ich war jetzt zum Beispiel auf’m Gymnasium und da ist halt eigentlich fast alles auf Französisch, außer jetzt die Sprachen und – nee, eigentlich ist alles auf Französisch, außer die Sprachen. Und er war in ’ner Realschule, das ist ja unter’m Gymi, ne? [...] Und da ist halt, glaub ich, so Hälfte, Hälfte, je nachdem, wo man ist, welche Klasse man wählt [...]. (B2 Exkurs, Pos. 68)
B1 und B2 sind sich darüber hinaus einig, dass die Dominanz der französischen Sprache vor allem im Schulsystem die Benachteiligung mancher Schüler zur Konsequenz hat und dem entgegengewirkt werden müsse: B2: «Ja und das find ich dann ’n bisschen zu homogen, weil ich mein, es sind schon viele Sprachen und dann muss man halt gucken, dass halt das Niveau ungefähr gleichbleibt. Dann müsste man irgendwie gucken, dass das Schulsystem ʼn bisschen –» B1: «Verändert.» (Exkurs, Pos. 70–71)
Die weniger positive Einstellung der französischen Sprache gegenüber geht außerdem aus den metasprachlichen Kommentaren bezüglich ihres privaten Sprachgebrauchs hervor:
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Eigentlich, wenn ich mit Freunden hier sprech. Ich würd jetzt nicht mit ihm auf einmal anfangen, Französisch zu reden [...]. (B2 Exkurs, Pos. 38)
Obwohl B1 seine Sprachkompetenzen im Französischen als mangelhaft bewertet und er folglich ungerne Französisch spricht, ist jedoch auffallend, dass die französische Sprache im Rahmen der sprachlichen Anpassung bei B1, aber auch bei B2 eine größere Rolle zu spielen scheint: Ja, also mir fällt da nur sofort ein, wenn man einkaufen geht oder was bestellt. Wenn man einkaufen geht, dann sag ich immer ‹Bonjour!› auf Französisch und dann oft kriegt man auch auf Französisch geantwortet, aber manchmal dann halt auch eine andere Antwort ‹Moien!›, dann spricht man halt auf Luxemburgisch weiter [...]. (B1 Exkurs, Pos. 41)
Die Anpassung an das Gegenüber scheint dabei allerdings weder für B1 noch für B2 problematisch, sondern vielmehr Normalität in ihrem mehrsprachigen Alltag zu sein: Und wenn der andere dann jetzt auf Französisch zurückredet, [...] ich weiß jetzt nicht, wie bewusst das jetzt ist, aber eigentlich, ja, ich denk dann jetzt nicht ‹Oh shit, jetzt muss ich Französisch reden!›, sondern dann red ich einfach nur auf Französisch dann weiter. Deswegen, ich weiß jetzt nicht, wie bewusst ich das kategorisieren würde. (B2 Exkurs, Pos. 42)
Ganz gegenteilig dazu scheint es sich, den öffentlichen Sprachgebrauch betreffend, für beide bei der französischen Sprache sogar um die Hauptkommunikationssprache im Umgang mit einem fremden Gegenüber zu handeln: [...] außer wenn es jetzt nicht Kollegen sind, fang ich immer in Französisch an und dann schau ich, ob der andere auf Luxemburgisch antwortet oder auf Englisch sogar [...]. (B1 Exkurs, Pos. 41)
Über die metasprachliche Darstellung der sprachlichen Anpassung hinaus sind im Rahmen des Interviews keine die drei Amtssprachen betreffenden Phänomene oder Transfererscheinungen auffallend – mit Ausnahme des von B2 benutzten Lehnwortes «Edukation» (B2 Exkurs, Pos. 75) aus dem Französischen. Auffallend sind jedoch die von B1 beschriebenen sprachstrukturellen Defizite im Französischen: [...] in der Schule hab ich dann gezwungenerweise Französisch gelernt. Das spreche ich auch nicht so gerne, also ich war auch nie gut im Französischen, also ich hatte immer schlechte Noten, das hat sich auch meine ganze Schulkarriere so mitgezogen. [...] Und Französisch, dann auch mehr Wert darauflegen, da ich zum Beispiel gar kein Französisch kann. Also ich kann es, aber nicht gut [...]. (B1 Exkurs, Pos. 2/54)
sowie seine die deutsche Sprache betreffenden Unsicherheiten, die an einer Stelle durch den von ihm realisierten Verschlusslaut [k] deutlich werden:
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7 Darstellung der Ergebnisse
Ja, das ist zwar Französi[k], aber musst das trotzdem verstehen können. (B1 Exkurs, Pos. 65)
Es sind diese sprachstrukturellen Defizite, durch die es im Alltag zu den von ihm beschriebenen Transfererscheinungen kommt, i. e., wenn er unsicher ist oder ein Wort nicht kennt, weicht er auf eine andere Sprache aus: Aus dem Grund [...] also, bei verschiedenen Artikeln weiß ich nicht, wie man die auf Luxemburgisch schreibt. Sieht’s ähnlich aus wie ein anderes Wort, dann schreib ich’s einfach auf Deutsch, denn da weiß ich alle Artikeln. Das heißt, das ist da einfacher. Aber die Wörter, die ich weiß, die schreib ich auf ja Luxemburgisch. (B1 Exkurs, Pos. 23)
Während B1 die Transfererscheinung hauptsächlich auf seine mangelnden Sprachkenntnisse zurückführt, beschreibt B2 die bei ihr auftretenden Sprachkontaktphänomene oder Transfererscheinungen intuitiv und in Abhängigkeit von ihrem Umfeld: Bei mir kommt’s eigentlich auch drauf an, wo ich bin. [...] Oder halt ’n bisschen so Mischmasch, Englisch auch noch ’n paar Mal dabei, wenn’s schnell gehen muss. (B2 Exkurs, Pos. 24)
B2 beschreibt, neben den die drei Amtssprachen betreffenden Phänomenen, außerdem das auf die englische Sprache bezogene Phänomen des language crossing, das nicht nur im Rahmen ihrer metasprachlichen Darstellung, sondern darüber hinaus außerdem des Öfteren im Interview selbst vorkommt: Das klingt jetzt so’n bisschen so ‹Oh Gott, gossip!› und so, aber wenn ich mit meiner Schwester in Mazedonien bin und ich halt nicht will, dass die anderen da irgendwas verstehen, dann red ich halt bewusst mit ihr auf Luxemburgisch, aber ich glaub, sonst ist es, glaub ich, immer relativ intuitiv, was ich dann rede. (B2 Exkurs, Pos. 42)
Ein die beiden Interviewten beschäftigendes Thema im Rahmen der Mehrsprachigkeit scheint über das Schulsystem hinaus die «Edukation der Leute» (B2 Exkurs, Pos. 75) bezüglich der Sprachenvielfalt und des damit verbundenen Aufeinandertreffens unterschiedlicher Kulturen zu sein: Das heißt, man sollte, nicht nur im Bildungssystem, sondern generell einfach nur grobflächig, auf das ganze Land ’n bisschen aufklären, find ich. (B2 Exkurs, Pos. 75)
B2 kritisiert die Einstellung der, wie sie beschreibt, älteren Menschen, die in der Sprachenvielfalt Luxemburgs eine Bedrohung ihrer «Werte und Kultur» (B2 Exkurs, Pos. 75) sehen, wenngleich sie aufgrund der hohen Zahl an Zugewanderten Verständnis für eine solche Einstellung zu haben scheint: [...] Unsere Werte und unsere Kultur werden weggedrückt, wenn’s mehrere Sprachen gibt›, was halt so halb stimmt, aber hab auch nicht, weil es ist halt sehr kompliziert, [...] wenn ganz viele Ausländer hier sind, natürlich, da vermischen sich dann viele Kulturen. (B2 Exkurs, Pos. 75)
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Indem sie Sprache und Kultur miteinander verknüpft, sieht B2 einen großen Nachteil der Mehrsprachigkeit sowie der superdiversen Situation Luxemburgs vor allem darin, dass sich zwangsläufig zwei Gruppen innerhalb der Gesellschaft herausbilden: die Einheimischen und die Zugwanderten, die u. U. sogar [...] ihre eigenen kleinen Kulturen bilden und dann eigene kleine Stadtteile haben, wo sich das dann halt dann auch so ausgrenzt. (B2 Exkurs, Pos. 75)
Auch B1 sieht diese Problematik bezogen auf die ältere Generation der LuxemburgerInnen. Im Gegensatz zu B2 bezieht er sich jedoch konkret auf die negative Einstellung den französischen StaatsbürgerInnen gegenüber: Also größtenteils bei der alten Generation hat man sehr oft, dass die 50-, 60-Jährigen [...] immer sagen ‹Ja, die Franzosen sind an allem schuld!›. Auch im Verkehr hat man das sehr oft, dass man sagt ‹Der Scheiß-Franzose!›. Luxemburger fahren genauso scheiße, aber man sagt dann nix gegen die. Also, ich finde der Rassismus gerade bei der älteren Generation, das merkt man. (B1 Exkurs, Pos. 131)
Diese negative Einstellung bestätigt auch B2, die in diesem Zusammenhang von «Franzosenhass» spricht, jedoch der Meinung ist, dass die Verbindung von Kultur und Sprache bzw. die im superdiversen Luxemburg herrschende Sprachenvielfalt allein noch keinen «Rassismus» auslöse: Aber ich glaub, da ist eigentlich wie gesagt ’n bisschen weniger Rassismus schon. Ja, man hört schon ’n bisschen, dass die Leute genervt sind, wenn man nur Portugiesisch hört, aber ich glaub, ich hör jetzt nicht so viel Rassismus von wegen ‹Ah, der spricht nur die Sprache ... ›, eher gegen Französisch sogar. Es gibt ’nen sehr großen Franzosenhass. (B2 Exkurs, Pos. 143)
B1 ergänzt die Aussage von B2, indem er sich in diesem Zusammenhang jedoch explizit auf die PortugiesInnen bezieht und zugibt, selbst genervt zu sein, wenn er aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse im Portugiesischen nichts verstehen würde: Ich find auch eher auch beim Portugiesischen, [...] man ist eher genervt davon, dass man das Portugiesische nicht versteht. Einfach, dass man nicht weiß, was der andere sagt. (B1 Exkurs, Pos. 144)
7.1.1.3.3 Identität und Sprache: «[...] je nachdem, was ich mache, denke ich auch in ’ner anderen Sprache» Während es sich bei der zugeschriebenen Identität von B1 um die Identität des «Luxemburgers» handelt: Ja, [...] als ich aufgewachsen bin, hab ich Luxemburgisch gelernt. Die erste Sprache, wo ich konnte, war Luxemburgisch. (B1 Exkurs, Pos. 2)
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beschreibt B2 ihre erworbene Identität der «Luxemburgerin» durch die identitätsbildende Kraft, den Eintritt in den Kindergarten, nachdem sie zuvor zuhause ausschließlich mit ihrer Muttersprache Albanisch aufgewachsen war: [...] ich bin zweisprachig aufgewachsen, Muttersprache Albanisch und Muttersprache Luxemburgisch sozusagen, weil ich halt eigentlich seit dem Kindergarten mit Luxemburgischem konfrontiert geworden bin. (B2 Exkurs, Pos. 5)
Durch die sozialen Identitäten von B2 – im Rahmen ihrer Familie die der «Nordmazedonierin» und seit dem Kindergarten außerhalb ihrer Familie die der «Luxemburgerin» – bildete sich schon sehr früh eine hybride Identität bei B2 heraus. Diese hybride Identität beschreibt B2 u. a. dadurch, dass sie mit verschiedenen Aktivitäten auch verschiedene Sprachen verbinde und dementsprechend auch in verschiedenen Sprachen denke: [...] es ist irgendwie relativ interessant, weil je nachdem, was ich mache, denke ich auch in ’ner anderen Sprache. (B2 Exkurs, Pos. 14)
Die affektive Beziehung zu ihrer Muttersprache Albanisch beschreibt B2 durch den Gebrauch der Sprache in emotionalen Situationen, hauptsächlich verbunden mit negativen Emotionen: Wenn ich wütend bin, ist mir aufgefallen, dann fluch ich ganz gerne auf Albanisch. Irgendwie hat das ein bisschen mehr Pep. Und sonst traurig und – ja doch, Albanisch verbind ich eher mit Wut irgendwie. Ich glaub, die Sprache klingt auch ein bisschen rabiater. (B2 Exkurs, Pos. 26)
Zwar kommt dem Albanischen durch die affektive Beziehung eine besondere Bedeutung vor allem hinsichtlich der Wahrung der ethnischen Identität von B2 zu, allerdings bilden sich auch Tendenzen einer nationalen Identität der «Luxemburgerin» durch die Wir-Identität heraus, als B2 ihre Spracheinstellung hinsichtlich der luxemburgischen Sprache beschreibt: Weil wir leben ja schon in Luxemburg und wir haben zwar drei Amtssprachen, aber ich finde halt, das Land heißt halt Luxemburg und da sollte man dann auch zumindest so ’n bisschen die Sprache können. (B2 Exkurs, Pos. 53)
Diese Hybridität wird weiter auffällig, als sie die Frage beantwortet, welche Sprache sie mit ihren Träumen verbinde: Es ist nicht wirklich ’ne Sprache da, die man wirklich ausspricht. Sondern die Sachen passieren und irgendwie weiß man, was der andere gesagt hat, obwohl der andere irgendwie nicht ’ne Stimme hat oder so. Kommt wahrscheinlich auch auf die Personen an. Aber ich hab, glaub ich, noch nie geträumt, dass ich wirklich mit jemandem aktiv geredet hab. (B2 Exkurs, Pos. 34)
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Anhand ihrer Antwort, nicht zu wissen, ob sie überhaupt in einer bestimmten Sprache träume, wird die Fluidität und Flexibilität im Sprachgebrauch von B2 bzw. die Tatsache, dass sie – zumindest unbewusst – die Sprachen nicht klar voneinander abzugrenzen scheint, deutlich. Das Herausbilden einer hybriden Identität im Rahmen ihrer Narration wird ebenso deutlich, als sie die Relevanz der Mehrsprachigkeit bezüglich der Sprachweitergabe betont: Aber sonst eigentlich dann so viele Sprachen noch wie möglich, weil ich find’s eigentlich relativ schön, dass wir hier in so ’nem mehrsprachigen Land leben und dass man da irgendwie vier, fünf Sprachen automatisch kann wegen der Schule. (B2 Exkurs, Pos. 53)
Weiter äußert sich die Hybridität auch im Rahmen ihrer Erzählung und Darstellung hinsichtlich einer allgemeinen nationalen Identität in Luxemburg und des damit verbundenen Herausbildens zweier verschiedener Gruppen innerhalb der luxemburgischen Gesellschaft. B2 ordnet sich im Rahmen ihrer Narration zwar keiner der beiden Gruppen explizit zu, scheint jedoch die Beweggründe beider Gruppen nachvollziehen zu können: Weil dann hat man auf beiden Seiten eigentlich immer Rassismus, weil die einen sagen ‹Die mögen uns nicht, deshalb bleiben wir in unserer Gruppe und unsere Gruppe ist besser› und dann gibt’s dann halt noch die andere Seite, die sagen ‹Die Ausländer wollen sich nicht mit uns vermischen›, wenn man’s so blöd sagen will. Und ‹Die sind böse und wollen unsere Werte und Kultur nicht lernen›. (B2 Exkurs, Pos. 75)
Im Unterschied zu B2 bildet B1 im Rahmen seiner Narration keine eindeutige hybride Identität. Seine zugeschriebene Identität des «Luxemburgers» wird durch die Beschreibung seines affektiven Sprachgebrauchs deutlich, der überwiegend luxemburgisch ist. Der Schuleintritt und die damit verbundene Konfrontation mit der französischen Sprache entspricht eher einer Identitätskrise als identitätsbildenden Kräften, da sich seine defizitären Französischkompetenzen mit den daraus resultierenden negativen Konsequenzen zum einen durch sein Leben ziehen und zum anderen seine zugeschriebene Identität des «Luxemburgers» festigen. Es ist möglich, dass seine ethnische Identität weiter durch die sprachstrukturellen Defizite – besonders die französische Sprache betreffend – gefestigt wird, denn für B1 ist die sprachlich uneingeschränkte Kommunikation zwar ein Hauptvorteil der Mehrsprachigkeit Luxemburgs, den er jedoch aufgrund seiner Defizite nicht ganz ausschöpfen zu können scheint. Weiter bilden sich im Rahmen seiner Narration über die Zugewanderten und die unterschiedlichen Einwanderungswellen Tendenzen seiner nationalen Identität des «Luxemburgers» ab. Obwohl sowohl die italienischen Zugewanderten als auch die portugiesischen Zugewanderten inzwischen Teil des Großherzogtums
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und damit durch eine gemeinsame Geschichte mit Luxemburg verbunden sind, trennt er in seiner Darstellung sehr stark zwischen LuxemburgerInnen und Zugewanderten, was er nicht zuletzt auch durch das deiktische «hierhin» zum Ausdruck bringt: [...] ganz am Anfang waren ja die Italiener, also da gab es ja die Italiener, die hierhin gekommen sind. Die haben sich ja in der Zwischenzeit perfekt integriert und sind Luxemburger. Dann die Portugiesen, in der Zwischenzeit sind die auch integriert und ich finde, jetzt die neue Welle, das ist ja [...] die muslimischen Regionen [...]. (B1 Exkurs, Pos. 137)
Wenngleich er von «Akzeptanz» und «Inklusion» spricht: [...] die von dort kommen, wo jetzt viel Rassismus gegen die einfach ist und man sieht das einfach schön, dass man immer so Wellen hat, wie Leute dann am Anfang das gar nicht akzeptieren, sondern eigentlich die Akzeptanz und auch die Inklusion einfach kommt. (B1 Exkurs, Pos. 137)
bezieht er sich mit «man» bewusst nur auf die einheimischen LuxemburgerInnen, die er als Gruppe von den portugiesischen Zugewanderten bzw. portugiesischstämmigen LuxemburgerInnen abgrenzt: Ich find auch eher auch beim Portugiesischen, dass – man ist eher genervt davon, dass man das Portugiesische nicht versteht. Einfach, dass man nicht weiß, was der andere sagt. (B1 Exkurs, Pos. 144)
Schließlich wird der ihn beschäftigende Konflikt zwischen dem «Selbst» und dem «Anderen» deutlich, indem er sagt: Wenn viele Leute das sprechen, dann fühlt man sich wie ein Fremder im eigenen Land. (B1 Exkurs, Pos. 144)
7.1.1.3.4 Sprachporträts Weder B1 noch B2 haben das Bemalen der Körpersilhouetten, die Wahl der Farben und das Platzieren der Sprachen kommentiert. Beim Vergleich der beiden Sprachporträts fällt besonders die distinkte Darstellung der Sprachen im Sprachporträt von B2 im Gegensatz zu der Darstellung von B1 auf. Sprachporträt B1 Neben seiner Muttersprache Luxemburgisch lernte B1 in der Schule Deutsch, gefolgt von Französisch und schließlich Englisch. Über die drei Amtssprachen Luxemburgs und Englisch hinaus hat er keine weiteren Sprachen gelernt. Ein großes Interesse besteht von seiner Seite aus jedoch an der japanischen Kultur, weshalb er das Erlernen der japanischen Sprache zwar in Betracht zu ziehen scheint, aber,
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Datenauszug 6: Sprachporträt Exkurs B1.
wie er selbst sagt, zu faul ist, eine neue Sprache zu lernen. Gleiches betrifft auch die portugiesische Sprache. Das Sprachporträt von B1 betreffend fällt zunächst die in Gelb eingezeichnete luxemburgische Sprache – oder wie B1 in der Legende schreibt «Luxemburigisch» – auf, die flächenmäßig den größten Anteil der Körpersilhouette einnimmt. Mit der freundlich und kommunikativ wirkenden Farbe Gelb bemalt B1 zum einen die Hälfte der Körpermitte, über die linke Schulter hinweg bis zur Mitte des abgesenkten Armes, zum anderen den größten Anteil des Kopfes. Damit referiert er nicht nur auf die luxemburgische Sprache als die in seinem Alltag präsenteste Sprache, sondern darüber hinaus auf die affektive Beziehung zu seiner Muttersprache. Die deutsche Sprache in hellblauer Farbe im erhobenen Arm, die diagonal der luxemburgischen Sprache gegenübersteht und sich über den Hals hoch in die rechte Gesichtshälfte zieht, könnte die sprachgenetische Verbindung beider Sprachen darstellen. Dabei wird die für B1 hierarchische Beziehung beider Sprachen dadurch deutlich, dass er Deutsch in dem erhobenen Arm platziert, während sich
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7 Darstellung der Ergebnisse
Luxemburgisch diagonal gegenüber bis in den abgesenkten Arm zieht. Dass die deutsche Sprache für B1 jedoch im Vergleich zur luxemburgischen Sprache eine unwichtigere Rolle zu spielen scheint, wird dadurch deutlich, dass er im Kopf der Körpersilhouette die deutsche Sprache der luxemburgischen Sprache unterordnet. In Rot malt B1 die französische Sprache sowohl in den Kopf als auch in den linken Fuß. Dabei könnte er mit der roten Farbe hauptsächlich negative Emotionen aufgrund seiner mangelnden Französischkompetenzen verbinden, was sich auch in dem flächenmäßig geringen Anteil der französischen Sprache innerhalb der Körpersilhouette widerspiegelt. Da Französisch jedoch eine im luxemburgischen Alltag, auch für B1, wichtige Rolle spielt und er hinsichtlich des öffentlichen Sprachgebrauches oft mit Französisch konfrontiert ist, bemalt er einen Teil des Kopfes und einen kleineren Teil des linken Fußes in Rot. Die englische Sprache nimmt ähnlich wie die luxemburgische Sprache einen großen Anteil der Körpersilhouette ein und zieht sich von der rechten Hälfte des Abdomens runter in beide Beine, rechts sogar bis in den Fuß. Damit könnte B1 die Relevanz, die Englisch für ihn nicht nur in seinem Alltag hat, verdeutlichen: Also ich finde, da wäre Englisch für die Kinder zum Lernen wichtiger. Wenn man an sich Luxemburgisch wirklich nur in Luxemburg reden kann. Englisch international, also überall. [...] Ich find’s auch sehr gut, dass wir Englisch lernen, denn, ja, braucht man überall. (B1 Exkurs, Pos. 54/57)
Sprachporträt B2 Aufgrund des fluiden und flexiblen Sprachgebrauchs sowie der narrativ gebildeten hybriden Identität von B2 überrascht die distinkte Anordnung der Sprachen innerhalb ihres Sprachporträts. Auffällig ist die Darstellung ihrer Muttersprache Albanisch im Vergleich zu den anderen Sprachen: In Rot platziert sie Albanisch in die gesamte Brustmitte, womit sie die affektive Beziehung zu ihrer Muttersprache verdeutlicht. Die luxemburgische Sprache, die sie selbst wie Albanisch auch als ihre Muttersprache bezeichnet, siedelt sie in Lila an die Stelle des Halses an, vermutlich um damit auf die von ihr mit der luxemburgischen Sprache verbundene Oralität zu referieren. Die deutsche Sprache, mit der sie in ihrem Alltag in Österreich am häufigsten konfrontiert ist, platziert sie im Kopf. Die grüne Farbe könnte sie für die deutsche Sprache gewählt haben, da sie die für das Wachstum stehende grüne Farbe mit ihrem Studium in Verbindung bringt. Weiter abgegrenzt von den anderen Farben bemalt sie die beiden Füße der Körpersilhouette hellblau für die französische Sprache. Vermutlich möchte sie damit die geringere Relevanz der Sprache in ihrem Alltag zum Ausdruck bringen
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
195
Datenauszug 7: Sprachporträt Exkurs B2.
und Französisch somit auch visuell von den anderen in ihrem Alltag präsenteren Sprachen abgrenzen. Die pinke Farbe, die sie für die englische Sprache wählt, siedelt sie an den beiden Schultern der Körpersilhouette an. Dabei könnte sie sich, verbunden mit den positiven Impulsen der Farbe, auf den Gebrauch der Sprache, hauptsächlich im Rahmen ihrer Freizeit, beziehen. Mit der für die spanische Sprache gewählten gelben Farbe bemalt sie die Finger der Körpersilhouette. Damit könnte sie auf die Kommunikation durch das Gestikulieren mit den Händen referieren, da sie die Sprache zwar in der Schule gelernt habe, aber mittlerweile nur noch schlecht beherrsche: Ah, Spanisch hab ich auch noch gelernt, aber da weiß ich gar nichts mehr davon, da war der Lehrer ’n bisschen arschig und hat die Lust dann komplett davon genommen. Aber da kann ich noch ein paar Brocken. (B2 Exkurs, Pos. 7)
Während sich das von B2 visualisierte und bildlich dargestellt Sprachrepertoire durch die in der Körpersilhouette klar voneinander abgegrenzten Sprachen auszeichnet, fällt bei B1 vor allem die Zusammenführung der Sprachen seines Sprach-
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7 Darstellung der Ergebnisse
repertoires innerhalb der Körpersilhouette auf. Wenngleich die von B2 distinkte Darstellung der Sprachen einen Widerspruch zur narrativ gebildeten hybriden Identität darstellen könnte, ist jedoch davon auszugehen, dass B2 trotz ihres fluiden und flexiblen Sprachgebrauches die verschiedenen Sprachen mit bestimmten Kontexten verbindet, was einen hybriden Charakter, bezogen auf die Sprachen, nicht ausschließt. Des Weiteren wird die Hybridität auch dadurch deutlich, dass sich keine der Sprachen innerhalb der Körpersilhouette flächenmäßig deutlich von den anderen Sprachen hervorhebt. Im Gegensatz dazu lassen bei B1 nicht nur die von ihm platzierten Sprachen aufgrund ihrer unterschiedlich groß bemalten Flächen Rückschlüsse auf seine im Vergleich zu B2 weniger hybride Identität zu. Die Verbindung der Sprachen miteinander referiert darüber hinaus auch auf die von ihm beschriebenen Transfererscheinungen aufgrund sprachstruktureller Defizite oder Unsicherheiten und das damit verbundene Zurückgreifen auf Wörter aus einer anderen Sprache: Oder dass man nicht weiß, wie ein Wort heißt, und dann sagt man es auf drei anderen Sprachen. (B1 Exkurs, Pos. 48)
7.1.2 Fallübergreifende Übersicht über die sprachbiografischen Interviews Die fallübergreifende Übersicht erfolgt zunächst anhand eines Überblicks über die InterviewpartnerInnen mit deren Merkmalskonstellationen in tabellarischer Form (cf. Abb. 19). Neben der dadurch gebotenen Transparenz soll die Übersicht der Offenlegung der «Materialbasis» (Kuckartz 2010, 88), über die in diesem Kapitel folgende fallübergreifende Darstellung aller Interviews hinaus, dienen. Für die Darstellung wurden Kategorien ausgewählt, die zum einen die Grundlage, zum anderen wichtige Indikatoren der narrativ gebildeten Identität der LuxemburgerInnen im Rahmen der Mehrsprachigkeit des Großherzogtums darstellen. Die Kategorie «Erleben der Mehrsprachigkeit» wurde anhand der graduellen Skala («ausgesprochen positiv», «überwiegend positiv», «positiv», «positiv und negativ» sowie «negativ») bemessen. In der Kategorie «Sprachwahl» wurden nicht alle das Sprachrepertoire der InterviewpartnerInnen umfassenden Sprachen aufgeführt, sondern lediglich die Sprachen, die im Alltag der AkteurInnen und dem damit verbundenen alltäglichen Sprachgebrauch genannt wurden. Die Relevanz der Sprachen ist graduell, von links nach rechts, beginnend mit der für den alltäglichen Sprachgebrauch relevantesten Sprache, dargestellt. Darüber hinaus wurde als dritte Kategorie die «Sprachweitergabe» (an potentielle Kinder) für die fallübergreifende Übersicht ausgewählt, da dadurch Rückschlüsse auf die Relevanz der jeweiligen Sprache, auch über den
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
BpLux1
Erleben der Mehrsprachigkeit überwiegend positiv
Sprachwahl L > D/F > P
L/P wichtig
BpLux2
positiv und negativ
P>F>L>D
P/L wichtig
BpLux3
positiv und negativ
L>D>E>F
L sehr wichtig
BpLux4
positiv und negativ
F>L>D>P
L/P sehr wichtig F wichtig
BpLux5
positiv
P/L > D > E > F
L wichtig P weniger wichtig
BpLux6
positiv
P/L > D/F > E
L/P sehr wichtig
BpLux7
ausgesprochen positiv
P>F>E>L>D
P sehr wichtig
Sprachweitergabe
Erleben der Mehrsprachigkeit positiv
L/D > F > E
L sehr wichtig
BLux2
positiv und negativ
L>D>E>S>F
L sehr wichtig
BLux3
positiv
L>D>E>F
L wichtig
BLux4
positiv und negativ
L>D>E>F
L wichtig
BLux5
ausgesprochen positiv
L > E/F > D
L sehr wichtig
BLux6
positiv
L>D>F
L sehr wichtig
BLux7
überwiegend positiv
L>D>F
L wichtig
BLux8
überwiegend positiv
L>D>E>F>R
L sehr wichtig
BLux1 Vorstudie
Sprachwahl
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Sprachweitergabe
Abb. 19: Fallübersicht BpLux und BLux.
eigenen Sprachgebrauch hinaus, sowie auf die Spracheinstellungen der AkteurInnen zugelassen werden. Die Sprachweitergabe wurde anhand der graduellen Skala «sehr wichtig», «wichtig», «weniger wichtig» und «unwichtig» bemessen. Wie die Tabellen jedoch zeigen (cf. Abb. 19), wurde weder das Erleben der Mehrsprachigkeit als «negativ» noch die Sprachweitergabe einer bestimmten Sprache von den
198
7 Darstellung der Ergebnisse
InterviewpartnerInnen als «unwichtig» bewertet. Außerdem fallen bei den in den Tabellen dargestellten Einzelfällen Ähnlichkeiten auf, was bereits auf die Reliabilität der Ergebnisse hinweist. Die Gruppe der BLux betreffend, ist die luxemburgische Sprache in allen Fällen nicht nur die im alltäglichen Sprachgebrauch präsenteste und relevanteste Sprache, die Sprachweitergabe des Luxemburgischen wird darüber hinaus in allen Fällen als «sehr wichtig» bis «wichtig» eingestuft. Weiter auffallend ist die sich im Rahmen der Sprachwahl herausbildende Einstufung der französischen Sprache, die fast durchgängig an letzter oder vorletzter Stelle steht. Eine Ausnahme bildet der Fall BLux5: Hier wurde nicht nur das Empfinden Mehrsprachigkeit als «ausgesprochen» positiv eingestuft, die Sprachwahl betreffend ist BLux5 auch der einzige Fall, bei dem die deutsche Sprache als am wenigsten relevant im alltäglichen Sprachgebrauch eingestuft wurde und damit, im Vergleich zu den anderen Fällen, nicht an erster oder zweiter Stelle (nach dem Luxemburgischen) steht. Wenngleich sich in der Gruppe der BpLux, die Sprachwahl betreffend, keine einheitliche Struktur bezüglich der relevantesten Sprache im alltäglichen Sprachgebrauch abbildet, so sind dennoch – mit einer Ausnahme – tendenziell Portugiesisch oder Luxemburgisch die im alltäglichen Sprachgebrauch präsentesten Sprachen. Auffallend ist auch, dass, wie in der Gruppe der BLux, die deutsche Sprache durchgängig der luxemburgischen Sprache folgt. In der Gruppe der BpLux fällt vor allem das BpLux7 betreffende Spannungsverhältnis zwischen dem Erleben der Mehrsprachigkeit und der Sprachwahl auf: Hier wird das Erleben der Mehrsprachigkeit im Großherzogtum zwar als «ausgesprochen» positiv eingestuft, der Fokus bei der Sprachweitergabe liegt allerdings auf dem Portugiesischen, der auch im alltäglichen Sprachgebrauch präsentesten Sprache, während die zwei der drei Amtssprachen, Luxemburgisch und Deutsch, als weniger relevant eingestuft werden. Obwohl die soziodemografische Variable «Alter» im Rahmen der Zusammenstellung der InterviewpartnerInnen verworfen wurde, so bildet sich aus der Fallübersicht der BpLux dennoch ab, dass für die jüngeren Generationen (bspw. BpLux1 und BpLux3) die Relevanz der portugiesischen Sprache abzunehmen, während für die älteren Generationen der BpLux (bspw. BpLux2 und BpLux7) das Portugiesische sowohl im alltäglichen Sprachgebrauch als auch die Sprachweitergabe betreffend wesentlich wichtiger zu sein scheint. Dies fällt vor allem im Fall BpLux3 auf, die mit 23 Jahren die jüngste Interviewpartnerin aus der Gruppe BpLux ist und trotz portugiesischer Eltern kein Portugiesisch spricht, weshalb die Sprache daher auch in ihrem alltäglichen Sprachgebrauch und dementsprechend auch bei der Sprachwahl keine Rolle spielt. Der beim Vergleich beider Gruppen (BpLux und BLux) für die vorliegende Untersuchung relevanteste Unterschied ist jedoch, dass die Gruppe BLux die
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
199
Mehrsprachigkeit positiver empfindet als die Gruppe BpLux. Auf die das Erleben der Mehrsprachigkeit betreffenden Unterschiede zwischen beiden Gruppen wird im Folgenden genauer eingegangen. Dabei werden die sich aus der Analyse ergebenden Hauptaspekte sowie die Haltung der LuxemburgerInnen anhand der die Hauptaspekte zusammenfassenden Aussagen der LuxemburgerInnen belegt. 7.1.2.1 Erleben der Mehrsprachigkeit Wie Abb. 19 zeigt, wird die Mehrsprachigkeit im Großherzogtum gruppenübergreifend in allen Fällen als positiv bewertet. Zwei InterviewpartnerInnen der Gruppe BLux nennen bezüglich der Mehrsprachigkeit zunächst sogar nur Vorteile: Das hat nur Vorteile, ich seh keine Nachteile. (BLux5, Pos. 43)
oder nur sehr wenige Nachteile: Nachteile halt wenige, also vielleicht zum Lernen istʼs schwieriger, aber sonst, glaub ich, hatʼs nicht viele Nachteile. (BLux7, Pos. 33)
Die aus der Mehrsprachigkeit resultierenden Vorteile werden gruppenübergreifend hauptsächlich in der Interaktion mit anderen Menschen, den Möglichkeiten, auch im internationalen Raum sprachlich flexibel agieren zu können, oder einer allgemeinen Welt- und Sprachoffenheit gesehen. Bezogen auf die Interaktion mit anderen Menschen werden Vorteile nicht nur dadurch begründet, sich mit den LuxemburgerInnen, Zugewanderten und Grenzpendelnden auf verschiedenen Sprachen verständigen zu können, sondern auch damit, darüber hinaus auch die Möglichkeit zu haben, aus dem Sprachrepertoire zu schöpfen, um so auch Fremdsprachen besser verstehen oder diese ggf. erschließen zu können: Das war den Vorteil, denn [...] sie war flexibler in [ihrem] Gedächtnis für das Verstehen. (BpLux2, Pos. 42)
Die Weltoffenheit betreffend werden mögliche Vorteile der Mehrsprachigkeit hauptsächlich in Bezug auf Freizeitaktivitäten, vor allem das Reisen, genannt: Vorteile, das Reisen. Also das Hauptvorteil und [...] auch im Großen und Ganzen, man schaut Fernsehen und man kann alles schauen und alles verstehen, bei allem eigentlich. Aber ich würd sagen, Reisen am meisten. (BpLux4, Pos. 50)
Auch akademische oder den Berufsweg betreffende Vorteile, wie etwa ein Studium oder eine Anstellung im Ausland, würden sich durch die Mehrsprachigkeit ergeben:
200
7 Darstellung der Ergebnisse
Vorteile halt, dass man – ich würde mal behaupten, ich könnte in Deutschland arbeiten, aber auch in Frankreich oder in englischsprachlichen Ländern, [...] ja, es ist schon ’n Vorteil, weil ich könnte ja auch in anderen Ländern studieren. (BpLux3, Pos. 38)
Im Zusammenhang mit einer ebenfalls durch die Mehrsprachigkeit begründeten Sprachoffenheit wird zudem ein vereinfachter (Fremd-)Sprachenerwerb als Vorteil genannt: Ja, ist natürlich von Vorteilen, wenn man mit vielen Sprachen aufgewachsen ist, dass man dann eher die Tendenz hat, die Sprachen schneller zu lernen. Also würd ich – es ist auch klar ʼn Vorteil multilinguisme. (BLux6, Pos. 48)
Als Hauptvorteil nennen die LuxemburgerInnen jedoch die Möglichkeit, Originalliteratur lesen oder Medien in verschiedenen Sprachen konsumieren und sich dadurch besser informieren zu können: Also ich finde, die Vorteile sind einfach ganz klar, weil man sich in allem besser informieren kann, weil man [...] hat mehrere Möglichkeiten, Fernsehen zu schauen, zu lesen, die ganze Kulturszene hat man im Original und nicht im Übersetzten. (pLux3, Pos. 42)
Zusammenfassend werden die aus der Mehrsprachigkeit resultierenden Vorteile jedoch nicht nur auf persönlicher Ebene benannt. Verbunden mit Emotionen, wie hauptsächlich «Stolz», sehen die LuxemburgerInnen in der Mehrsprachigkeit «ihres» Landes auch Vorteile anderen Ländern gegenüber: Ja, sehr gut. [...] wir sind wirklich – wir ham ʼnen Vorsprung gegenüber anderen Länder. (BpLux6, Pos. 39)
Luxemburg, als das Musterbeispiel der Europäischen Union, wird von den InterviewpartnerInnen in diesem Zusammenhang allerdings nicht explizit angeführt. Die Mehrheit der LuxemburgerInnen sieht den Vorteil den anderen Ländern gegenüber sogar überwiegend im Zusammenhang mit dem Einfluss der Nachbarländer: Ja, ich finde das gut, denn ich finde es auch ziemlich wichtig, dadurch dass es ja so ein kleines Land ist [...] das ganze Umland von Luxemburg ist ja Deutsch und Französisch, das heißt, es ist wirklich wichtig, dass man die Sprachen kann. (Exkurs, Pos. 57)
Dem Stolz auf die luxemburgische Mehrsprachigkeit und der Möglichkeit, sich durch die verschiedenen Sprachen überall «durch[zu]schlagen» (BLux1, Pos. 26), steht das Bewusstsein gegenüber, mit ausschließlich der Nationalsprache Luxemburgisch nicht viel anfangen zu können: Ja, wir wissen ja sowieso, dass wir mit unsrer Sprache nirgendwo zurechtkommen. Ne, also dann akzeptiert man dat ja auch schon, ne. Denn man möchte ja auch nicht irgendwie, wenn man einen Fuß über die Grenze setzt, da stehen, als wär man – na ja. (BLux1, Pos. 20)
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
201
Neben den genannten Vorteilen sehen einige der BLux und BpLux jedoch auch Nachteile in der Mehrsprachigkeit. Auffallend ist diesbezüglich, dass sich die von der Gruppe BpLux genannten Nachteile extrem von denen der Gruppe BLux unterscheiden. Als negative Konsequenz der luxemburgischen Mehrsprachigkeit wird in der Gruppe BLux die als «anstrengend» empfundene Herausforderung im alltäglichen Leben, wie etwa die Ausgesetztheit der mehrsprachigen Sprachlandschaft, genannt: Nachteile vielleicht, dass man auch dann alles, was man so liest, auf Schildern oder so, auch versteht und dann ist man vielleicht immer wieder so vielen Sachen ausgesetzt. Also das ist vielleicht anstrengend für das Gehirn, ich weiß es nicht. (BLux2, Pos. 59)
Auch in der Schule, im Rahmen des Spracherwerbs der beiden Amtssprachen Deutsch und Französisch, wird die Mehrsprachigkeit als herausfordernd empfunden: Ist manchmal auch anstrengend, weil solche Grammatik hat man nicht wirklich geliebt. (BLux6, Pos. 40)
Diese von den InterviewpartnerInnen aus der Gruppe BLux genannten, hauptsächlich kognitiven Herausforderungen werden weiter als eine aus der Mehrsprachigkeit resultierende Überforderung im Alltag beschrieben: Nachteile vielleicht manchmal, dass ich die Wörter nicht finde und dass ich manchmal vielleicht zu kompliziert überlege, beim Lernen auch [...]. Aber sonst ist es jetzt eigentlich nur ein Vorteil [...]. (BLux4, Pos. 51)
Während die Mehrsprachigkeit im Großherzogtum in der Gruppe BLux somit hauptsächlich als heraus- und sogar überfordernd empfunden wird, sieht die Mehrheit der BpLux Nachteile in den durch die Mehrsprachigkeit verursachten defizitären Sprachkompetenzen: Nachteile, wie gesagt, [...] man beherrscht keine Sprache 100 Prozent, man vermischt die Sprache. (BpLux2, Pos. 36)
«[D]ass man [...] nicht die Sprachen so perfekt beherrscht, weil man sich ja nicht immer nur auf eine Sprache fokussiert» (BpLux1, Pos. 40), äußert sich gruppenübergreifend, vor allem aber die Gruppe BpLux betreffend, in Form von grammatischen und stilistischen Fehlern: Das ist einfach den Vorteil und Nachteil, wenn man die verschiedenen Sprachen kann, statt den richtigen Wort zu suchen [...]. [...] das ist nur, wenn jetzt, sagen wir, wenn ich mit andere Leuten zusammen bin, dass ich weiß, dass jemand nicht Portugiesisch kann, dann versuche ich natürlich im Vorteil von jeder, [...] dass jeder kann das verstehen. (BpLux2, Pos. 20–26)
202
7 Darstellung der Ergebnisse
Sprachkontaktphänomene Neben dem den Relativsatz «dass jeder kann das verstehen» (BpLux2, Pos. 26) betreffenden Transferphänomen auf syntaktischer Ebene treten gruppenübergreifend bei der Mehrheit der InterviewpartnerInnen die Satzphonetik betreffende Transfererscheinungen im Sprechrhythmus sowie in der Intonation, also auf Parole-Ebene, auf. In ihren metasprachlichen Kommentaren beschreibt die Mehrheit der InterviewpartnerInnen außerdem, dass Sprachkontaktphänomene, etwa das «Vermischen» (BLux1, Pos. 4) von Sprachen, im alltäglichen Sprachgebrauch keine Seltenheit, sondern Normalität seien: [...] wir ja wirklich so [...] zwischen Englisch, Französisch und Deutsch und Luxemburgisch halt normal switchen. Das ist wirklich ganz normal. (BLux8, Pos. 26)
Über die metasprachlichen Darstellungen der Sprachkontaktphänomene hinaus sind auch in den Erzählungen, im Rahmen der Interviews, zahlreiche Phänomene festzustellen. Dies betrifft vor allem das konversationell bedingte soziolinguistische Code-Switching, besonders im Zusammenhang mit der die Schulzeit betreffenden sprachbiografischen Erzählung: [...] géographie [...], [...] sixième [...]. Die Mädels erst ab quatrième [...]. (pLux1, Pos. 2)
Des Weiteren treten in den Interviews zahlreiche Lehnwörter: «adaptieren» (BpLux2, Pos. 34), «Attitüde» (BLux8, Pos. 66) oder «Edukation» (Exkurs, Pos. 75)
oder Ad-hoc-Entlehnungen aus dem Französischen auf: [...] das ist ja eigentlich schon impressionant [...]. (BpLux1, Pos. 30)
Außerdem wird auf metasprachlicher Ebene, hauptsächlich die englische Sprache betreffend, das Phänomen des language crossing beschrieben: [...] und dann werfen wir uns schon mal so englische Brocken an den Kopf oder so. (BLux5, Pos. 25)
Aber auch in den Interviews selbst, gruppenübergreifend besonders bei den jüngeren InterviewpartnerInnen, ist das Phänomen des language crossing festzustellen: ‹Woher kommst du?›, die fragen dich instant: ‹Du bist nicht von hier!›. Und du bist so: ‹damn!› (BLux8, Pos. 8)
Im weiteren Verlauf des Interviews mit BLux8 beschreibt die Luxemburgerin das Phänomen auf metasprachlicher Ebene:
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
203
Ja, ich weiß nicht [...] bei Jugendlichen ist das ein Jugendslang, dann sagt man, wir haben halt extrem viele, wo wir mit Englisch reden, so einfach ohne Grund, so wir gehen durch die Stadt [...]. Und deshalb ist es so ein bisschen ʼne Angewohnheit. (BLux8, Pos. 24)
Wenngleich BLux8 keine durch das language crossing beabsichtigte, fiktive geografische Zuordnung beschreibt, so ist dennoch davon auszugehen, dass das von ihr beschriebene Phänomen relevant für ihre Identitätsbildung ist, da sie sich bewusst durch das Einbauen englischer Wörter dieser Sprachgemeinschaft zuordnet. Ein weiteres Sprachkontaktphänomen, das gruppenübergreifend beschrieben wird, ist die sprachliche Anpassung an das Gegenüber: Hauptsache, die anderen können am besten reden, also das mach ich [...] immer, weil ich kann immer wechseln, das ist kein Problem und wenn ich seh, dass die anderen so in einer Fremdsprache struggelt, dann red ich die andere Sprache normalerweise. (BLux8, Pos. 32)
Die sich aus der sprachlichen Anpassung ergebenden Konsequenzen werden in der Gruppe BpLux und in der Gruppe BLux jedoch aus zwei unterschiedlichen Perspektiven beschrieben: Während die sprachliche Anpassung für die BpLux zur Herausforderung bei der sprachlichen Integration wird: [...] meine Mutter hat versucht, im Supermarkt dann Luxemburgisch zu reden, irgendwie um da reinzukommen, aber sobald die Leute merken, dass sie nicht Luxemburger ist, dann möchten sie aus Höflichkeit mit ihr Französisch reden, also ist das schwierig für sie irgendwie, das Gelernte umzusetzen und das weiterzuführen. (BpLux1, Pos. 26)
empfinden die BLux weniger die sprachliche Anpassung an ihr Gegenüber als negativ, sondern thematisieren mehr die daraus resultierende Sprachmischung: Dann fängt man an, mit ihnen in Französisch zu reden, und dann auf einmal sagen sie irgendwas auf Luxemburgisch und dann fährt man vielleicht Luxemburgisch weiter. (BLux5, Pos. 25)
Aber auch die BLux betreffenden Meinungen über die sprachliche Anpassung gehen auseinander. Für einige scheint eine Anpassung selbstverständlich zu sein, andere empfinden die sprachliche Anpassung an ihr Gegenüber als störend: Eigentlich find ich’s gut. Aber manchmal nervt es halt, dass wir uns immer anpassen müssen. (BLux7, Pos. 29)
Eine sich aus der sprachlichen Anpassung ergebende Konsequenz ist zudem, dass vermehrt Französisch gesprochen wird, die Sprache, der Züge einer lingua franca im Großherzogtum zugeschrieben werden: [...] bis später, als die Portugiesen kamen, dann fing et an, Kliniken, überall [...] konnten nur Französisch. (BLux1, Pos. 2)
204
7 Darstellung der Ergebnisse
Das Empfinden der Dominanz der französischen Sprache im Alltag der LuxemburgerInnen geht darüber hinaus in beiden Gruppen (BpLux und BLux) auseinander. Für die Mehrheit scheint der Gebrauch des Französischen Normalität im Alltag zu sein: [...] also beim Einkaufen oder so und die wenigstens können Deutsch, außer man ist wirklich eher im Norden unterwegs, bei der deutschen Grenze, da redet man irgendwie fast nur Deutsch, auch in den Supermärkten. Aber Süden und Stadtteil ist eigentlich relativ französischlastig. (Exkurs, Pos. 128)
Andere sprechen sich indes gegen den dominanten Einfluss der Sprache aus: Aber hier spricht man zu viel Französisch, finde ich. (BpLux5, Pos. 43)
Die französische Sprache im Rahmen der Mehrsprachigkeit Die von den LuxemburgerInnen beschriebene Dominanz des Französischen im Alltag spiegelt sich neben den sprachlichen Darstellungen auch in einigen der Sprachporträts ganz deutlich wider. BLux6 etwa stellt die französische Sprache in roter Farbe und in Form eines Einkaufskorbes, abgegrenzt von den anderen Sprachen und außerhalb der Körpersilhouette dar. BLux8 malt das Französische in dunkelblauer Farbe, über den ganzen Körper verteilt und damit die anderen Sprachen überdeckend, in der kompletten Körpersilhouette ein. BpLux2 referiert mit dem in Gelb bemalten Mund auf den damit verbundenen dominanten Sprachgebrauch der französischen Sprache (cf. Anhang 11.6.2 Sprachporträts). Neben dem dominanten Sprachgebrauch im alltäglichen Leben wird das Französische vor allem im Rahmen des Bildungssystems als herausfordernd beschrieben. So wird dargestellt, dass der Spracherwerb des Französischen zwar bereits zu Beginn der Schulzeit erfolgte, trotzdem jedoch gravierende, die Sprache betreffende Defizite herrschen: Ich glaube, was mir so aufgefallen ist in meiner Schulbahn, wir haben sehr früh mit dem Französischen angefangen und trotzdem kann es niemand. (BpLux3, Pos. 40)
In den Darstellungen der LuxemburgerInnen steht vor allem das Erlernen der französischen Grammatik einer vernachlässigten sprachlichen Praxis gegenüber: Und auch in der Grammatik ist es besser im Französischen. Wir können es nicht so gut reden, wir haben immer diesen Bauernakzent, aber wir könnenʼs deshalb mehr gut schreiben [...]. (BLux8, Pos. 8)
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
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Als Konsequenz werden damit verbunden fächerübergreifende Probleme und negative Auswirkungen auf die schulischen Leistungen, auch auf den weiterführenden Schulen, genannt: Allerdings wie ich zum Beispiel habe ja Probleme mit [...] dem Französische[n] und da war’s in der Schule sehr, sehr, sehr schwierig [...] dann waren da Sachaufgaben auf Französisch in den Prüfungen und dann hatte ich keine Ahnung, was die da von mir wollten und wenn man dann gefragt hat, dann hat man keine Antwort bekommen, weil die dann sagen: ‹Ja, das ist zwar Französisch, aber musst das trotzdem verstehen können.› Also ich finde das schon sehr nachteilhaft in der Schule und auch für die Noten, das drückt dann schon den Numerus clausus herunter. (Exkurs, Pos. 65)
Während die Dominanz des Französischen im Rahmen des schulischen Kontextes ein sehr präsentes Thema vor allem bei den jüngeren Generationen der LuxemburgerInnen zu sein scheint, wird jedoch auch über den schulischen Kontext hinaus Kritik an der Dominanz der französischen Sprache geäußert: Also dat ist bei mir wirklich, wo ich et nicht richtig finde, dat dann alles nur auf Französisch kommt, dat find ich nicht in Ordnung. (BLux1, Pos. 18)
In der Gruppe BLux wird stellvertretend dafür die Situation im Krankenhaus beschrieben, wo die Kommunikation zwischen fremdsprachigem Krankenhauspersonal und den PatientInnen sowie deren Familienangehörigen sowohl aufgrund der sprachlichen Differenzen als auch aufgrund der im Krankenhaus dominierenden französischen Sprache als herausfordernd dargestellt wird. Weiter wird der Wunsch geäußert, sich vor allem in mit Emotionen verbundenen und wichtigen Situationen bevorzugt auf Luxemburgisch unterhalten zu können: [...] wobei ich jetzt sagen muss, da mit dem Krankenhaus und das alles, da hat es mich dann schon ein bisschen gestört, dass ich mit einer französischsprachigen Hilfskraft da irgendwie zu tun hatte, weil ich mich nicht so ausdrücken konnte, [...] also nicht haargenau so, wie ich es halt – weil das war halt wieder ein bisschen eine emotionale Situation auch in dem Moment und da hab ich mir gedacht – also ich hab ja ’n paar Mal angerufen und immer wenn ich eine luxemburgische Person hatte, da ging das halt leichter, das ging halt so von der Hand. Und bei den französischsprachigen musste ich mich halt mehr erklären [...]. (BLux4, Pos. 41)
Im Rahmen der Kritik an der Dominanz der französischen Sprache scheint sich bei den LuxemburgerInnen der Wunsch nach einer «gemeinsamen» Sprache abzuzeichnen. Dass Französisch nicht als die lingua franca Luxemburgs angenommen zu werden scheint, wird u. a. mit den die Sprache betreffenden, heterogenen Sprachkompetenzen der LuxemburgerInnen begründet: Und die dann sogar ein Problem damit haben, dass sie in einem Laden eben grad Französisch reden müssen. Und das müsste ja eigentlich für jeden hier in Luxemburg aber zu bewerkstel-
206
7 Darstellung der Ergebnisse
ligen sein. Und das ist so, ja, ich kann mir nur vorstellen, dass das Minderwertigkeitskomplexe sind. (BLux5, Pos. 49)
deren Ursprung, wie von den InterviewpartnerInnen beschrieben, nicht zuletzt im Schulsystem zu liegen scheint: Ja und das find ich dann ’n bisschen zu homogen, weil ich mein, es sind schon viele Sprachen und dann muss man halt gucken, dass halt das Niveau ungefähr gleich bleibt. Dann müsste man irgendwie gucken, dass das Schulsystem ’n bisschen [...] verändert und da ’n bisschen gleichgesetzter wird [...]. (Exkurs, Pos. 70–72)
Überraschend ist zudem, dass gruppenübergreifend von einigen LuxemburgerInnen die Nationalsprache, Luxemburgisch, als mögliche dominierende Sprache (auch die Sprachlandschaft betreffend) genannt wird, dies letztendlich jedoch als nicht umsetzbar gesehen zu werden scheint: Ja, ich finde, es müsste ein bisschen mehr auf die luxemburgische Sprache gepocht werden. Also bisschen mehr drauf eingegangen, damit man auch die Rechtschreibung lernt und [...]. Ja, wahrscheinlich die Rechtschreibung auch in den Schulen mehr fördern. Aber sonst [...] ja, vielleicht die meisten Schilder oder so, würd ich auch eher auf Luxemburgisch machen, aber nur in Luxemburgisch geht ja nicht. (BLux7, Pos. 35–38)
Im Hinblick auf die superdiversen Strukturen des Landes und zukünftigen Entwicklungen scheint die englische Sprache bei den LuxemburgerInnen eine größere Rolle einzunehmen. Dies äußert sich nicht nur im Rahmen der Sprachkontaktphänomene, wie etwa dem language crossing (s. o.), sondern auch durch das In-Betracht-Ziehen des Englischen als mögliche dominierende Sprache: Also ideal wäre für jeder das Gleiche, Englisch. Das ist am meisten in die ganze Welt gesprochen wird und es ist auch nicht die schwierigste Sprache, würde ich sagen. Wenn es nur eine Sprache geben würde, auch wenn sie vom Brexit sprechen, würde ich trotzdem auf Englisch oder, wie gesagt, Luxemburgisch, aber das ist ein bisschen schwierig, dass sich jeder daran gewöhnen kann. (BpLux2, Pos. 38)
Wie sich im Rahmen der Interviews abbildet, scheint die als überwiegend positiv empfundene Mehrsprachigkeit des Großherzogtums konträr dazu im gesellschaftlichen und sozialen Kontext das Land und die LuxemburgerInnen zu spalten (BLux5, Pos. 47) und Nachteile mit sich zu bringen, die über die Sprachen des Großherzogtums hinausgehen und die mit den Sprachen verbundenen Identitäten betreffen: Deshalb, also ich glaub, das war halt so’n Problem der Mehrsprachigkeit, dass es da ganz oft zu ’nem clash kommt, weil’s halt immer andere Werte auch miteinkommen und weil Sprache ja, das hab ich auch irgendwo gelesen, auch einfach das Denken ja auch anders beeinflusst. (Exkurs, Pos. 75)
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
207
7.1.2.2 Identität und Sprache Fallübergreifend wird deutlich, dass die narrativ gebildete Identität der LuxemburgerInnen durch einen relativ homogenen Prozess in der Identitätsbildung gekennzeichnet ist. Diesbezüglich ist zunächst zwischen der Gruppe BpLux und der Gruppe BLux zu unterscheiden: Während die Gruppe BLux sowie einige Fälle der BpLux ihre zugeschriebene Identität als die Identität der «LuxemburgerInnen» beschreiben: Also ich hab erstmal Luxemburgisch gelernt. Halt so muttersprachlich. Ganz am Anfang, als ich halt sprechen konnte. Meine ersten Worte waren Luxemburgisch. (BLux4, Pos. 2),
schildern andere Fälle der Gruppe BpLux ihre zugeschriebene Identität als die der «PortugiesInnen»: Also als Erstes hab ich Portugiesisch gelernt, ich kam auch in Portugal auf die Welt. (BpLux1, Pos. 2)
Gruppenübergreifend stellt der Eintritt in den Kindergarten bzw. der Schuleintritt einen Schlüsselmoment in der Identitätsbildung der LuxemburgerInnen dar, der auf eine der identitätsbildenden Kräfte im Leben der LuxemburgerInnen hindeutet. Auf den Erzählstimulus der Interviewerin erwähnen 14 der 17 InterviewpartnerInnen zu Beginn ihrer sprachbiografischen Erzählung entweder den Eintritt in den Kindergarten, den Schuleintritt oder den Eintritt in eine ähnliche Einrichtung: Ja, Luxemburgisch hab ich ja zuhause gelernt, von klein auf, da meine Eltern auch Luxemburger sind. Ja, in der Schule hatten wir auch bisschen Luxemburgisch, aber nicht so viel. Dann ab dritten Schuljahr, glaub ich, hatten wir Deutsch, ne, ab ersten Schuljahr hatten wir Deutsch, ab dem dritten [...] Französisch [...]. (BLux7, Pos. 2)
Der Schuleintritt als identitätsbildende Kraft betrifft jedoch nicht alle Fälle, vor allem nicht BpLux7, aus der älteren Generation der BpLux. Hier werden die Zuwanderung nach Luxemburg und der damit verbundene Kontakt zur Mehrsprachigkeit als vergleichbare identitätsbildende Kraft beschrieben. Durch den Schuleintritt oder die Zuwanderung nach Luxemburg, als identitätsbildende Kräfte, bilden die LuxemburgerInnen ihre erworbene Identität, die der «mehrsprachigen LuxemburgerInnen». Bedingt durch den gesellschaftlich superdiversen Kontext und das mehrsprachige Umfeld übernehmen die LuxemburgerInnen die Rolle der mehrsprachigen AkteurInnen und bilden darauf basierend ihre übernommenen Identitäten im Rahmen der «Mehrsprachigkeit», die vor allem ein für die LuxemburgerInnen bedeutender Identitätsfaktor zu sein scheint. Und ja, Luxemburgisch red ich schon seit kleinem an und in Luxemburg ab der ersten Klasse lernt man dann Deutsch und ab der dritten Französisch. Englisch ist eher ein biss-
208
7 Darstellung der Ergebnisse
chen später, das is ab der achten Klasse, glaub ich, bin mir nicht mehr sicher und ja, in Luxemburg braucht man halt jede Sprache [...]. (BLux6, Pos. 2)
In den narrativ gebildeten Identitäten bilden sich keine explizit «nationalen Identitäten» der LuxemburgerInnen oder portugiesischstämmigen LuxemburgerInnen als «die LuxemburgerInnen» oder «die PortugiesInnen» heraus, jedoch lassen sich gruppenübergreifend im Rahmen der erworbenen Identität durch die Darstellung von verschiedenen Identitätstypen, vor allem der «Wir-Identität», Tendenzen einer nationalen Identität erkennen. Vor allem betrifft dies die Gruppe der BLux: Durch das Sichbeziehen auf die luxemburgische Sprache, die Nationalsprache der LuxemburgerInnen, wird die Distinktion zwischen dem Selbst und dem Anderen (einheimische LuxemburgerInnen versus Grenzpendelnde oder Zugewanderte) im Rahmen der Narrationen deutlich: Also da bin ich vielleicht ein bisschen patriotisch, aber ich finde, in dem Land, wo man lebt, dessen Sprache soll man sprechen, und dat verlange ich sogar auch von denen, die zuwandern. [...] ist zwar klein dat Land, aber wenn man sein Geld da verdienen will, dann soll man sich anpassen. (BLux1, Pos. 18)
Wenngleich Tendenzen einer nationalen Identität überwiegend eher bei den älteren BLux zu erkennen sind, treten in der Gruppe der BLux jedoch unabhängig vom Alter die nationale Identität betreffende Wir-Identitäten, als die Gruppe der «einheimischen LuxemburgerInnen», heraus: Ja, ich finde, es müsste ein bisschen mehr auf die luxemburgische Sprache gepocht werden. Also bisschen mehr drauf eingegangen [...], da wir so viele Pendler haben und so klein sind, eigentlich, dass wir uns nicht leisten können, nur Luxemburgisch zu können [...]. (BLux7, Pos. 35)
Neben der Wir-Identität wird hier besonders deutlich, dass die eigene Sprache der sich als weltoffen darstellenden LuxemburgerInnen weiterhin eine große Relevanz für ihre Identität zu haben scheint. Der Wunsch, dass auf das Luxemburgische «gepocht» werden soll, verdeutlicht im Zusammenhang mit der Wir-Identität eine auffallend starke Tendenz zum Luxemburgischen bzw. zur Stärkung der luxemburgischen Sprache, die damit ein weiteres wichtiges Identitätsmerkmal zu sein scheint. Am präsentesten ist die Wir-Identität jedoch im Zusammenhang mit den sich herausbildenden hybriden Identitäten. Gruppenübergreifend bilden sich im Rahmen der Narrationen in allen Fällen hybride Identitäten heraus, dadurch, dass die LuxemburgerInnen, sich weder «den LuxemburgerInnen» noch «den PortugiesInnen» oder einer anderen Sprachgemeinschaft zuordnen. Die Mehrsprachigkeit im Großherzogtum zeichnet sich dabei als relevantester Identitätsfaktor ab:
7.1 Untersuchungsergebnisse der Interviews
209
Ja. Also es ist ja eher hier so, dass wir die Mehrsprachigkeit haben, weil wir haben keinen gemeinsamen Nenner. (BLux8, Pos. 50)
Da sich bei der Mehrheit der Interviewten wie bereits beschrieben keine die Sprachen betreffenden eindeutigen Eigenschaften einer nationalen Identität abbilden – u. a. da das Luxemburgische nicht «gemeinsamer Nenner» der dort lebenden Menschen zu sein scheint –, rückt die Mehrsprachigkeit sowie eine sich daraus ergebende «mehrsprachige» bzw. hybride Identität mehr in den Fokus. Wenngleich die Mehrsprachigkeit als Identitätsfaktor der hybriden Identitäten verbindet, scheint sie gleichzeitig jedoch auch spaltend zu wirken: Und der Nachteil ist halt, dass man sich nicht immer verständigen kann, wenn nicht jeder alle Sprachen spricht. Aber andererseits kannst du halt auch – [...] wir haben ja eine begrenzte Kapazität und du kannst ja nicht [...] alle Sprachen lernen, das geht ja nicht [...]. (BLux4, Pos. 55)
Am deutlichsten bilden sich die hybriden Identitäten in der Narration bezüglich des eigenen Sprachempfindens heraus: Also ich finde, man fühlt sich immer irgendwie als jemand anderes, wenn man eine andere Sprache spricht. [...] Ja, also es ist irgendwie, meine Stimme ist auch ganz anders. Das ist voll komisch, weil ja. Vor allem auf Französisch, find ich immer. Also es ist immer so, als würde ich mir selber zuhören oder mir selber zusehen beim Sprechen. (BLux2, Pos. 81–83)
Diese hybride Identität scheint eine Gemeinsamkeit aller Interviewten zu sein, wenngleich die Hybridität individuell variiert – im oben dargestellten Interviewauszug bspw. nimmt die Interviewte deutliche Unterschiede ihres Selbst beim Sprechen verschiedener Sprachen wahr und fühlt sich beim Sprechen unterschiedlicher Sprachen «immer [...] als jemand anderes». Die hybriden Identitäten betreffend bilden sich Definitionsräume heraus, die im Rahmen hybrider Formationen deutlich werden. Durch beschriebene Sprachkontaktphänomene innerhalb der metasprachlichen Darstellung der Interviewten oder während der Narration selbst (s. o.) unterstreichen die LuxemburgerInnen ihre hybriden Identitäten in ihrem alltäglichen Leben. Diesbezüglich ist als Phänomen besonders das language crossing zu erwähnen, das die englische Sprache sowie die mit den drei Amtssprachen verbundene Mehrsprachigkeit Luxemburgs betreffend zunächst aus dem Rahmen zu fallen scheint. Mehrfach dargestellt wurde die die Amtssprachen betreffende sprachliche Anpassung, die sich im Rahmen der Interviews nicht zuletzt durch metasprachliche Kommentare bestätige. Das Englische scheint als Sprache für die LuxemburgerInnen – in einigen Fällen zumindest – eine verhältnismäßig wichtige Bedeutung zu haben, indem die Sprache einerseits eine große Rolle im Alltag
210
7 Darstellung der Ergebnisse
einnimmt und andererseits dementsprechend auch im Rahmen von Sprachkontaktphänomenen auftritt. Darüber hinaus äußern sich die hybriden Identitäten dadurch, dass zwar der Wunsch nach einer «gemeinsamen» Sprache – vorzugsweise Luxemburgisch – geäußert wird, sich eine dominierende Sprache jedoch nicht durchzusetzen scheint. In diesem Zusammenhang wird besonders die Dominanz des Französischen kritisiert, wenngleich die Kritik aus vielfältigen Ursachen, wie etwa den mit der französischen Sprache verbundenen Herausforderungen im Bildungssystem, resultiert. Denn ich find et einfach auch die Gesetze und alles sollte dann in zwei Sprachen sein. Und nicht nur Französisch, sondern auch in Luxemburgisch. (BLux1 Vorstudie, Pos. 30)
Über die Kritik an der Dominanz der Sprache hinaus ist die sich daraus ergebende tendenziell negative Einstellung der InterviewpartnerInnen der französischen Sprache sowie den französischen Staatsbürgern gegenüber auffallend: Es gibt halt Franzosen, die können kein Englisch und die können kein Deutsch, die können gar nichts [...] wir sagen immer zu den Franzen den Ausdruck, den wir hier haben, so Heckefranzosen, das ist richtig so, an der Grenze wohnen, am Tag hier hinkommen, um Geld zu erarbeiten, und nicht mal ein Wort Luxemburgisch können und dann wieder gehen. Und dadurch hat sich ein bisschen so eine Art Hass aufgebaut. [...] die Franzosen haben mehr so die sozial unteren Jobs, wirklich so in Cafés oder Tankstellen und so. Und eigentlich sollten wir super dankbar dafür sein, weil wir Luxemburger [...] sind so froh, dass es andere Leute gibt, die sowas machen. (BLux8, Pos. 50–66)
BLux8 übt über die französische Sprache hinaus auch vehemente Kritik an den in Luxemburg arbeitenden französischen StaatsbürgerInnen, die sie als «Heckefranzosen» bezeichnet und ihnen unterstellt: «die können gar nichts». Die Darstellung von BLux1 und BLux8 bezüglich der französischen Sprache entspricht – wenn auch gruppenübergreifend wesentlich weniger hart dargestellt – dabei der Auffassung der anderen Interviewten, was wiederum dem Bild der weltoffenen und mehrsprachigen LuxemburgerInnen entgegensteht. Die Mehrsprachigkeit und die damit verbundene Aufgeschlossenheit werden jedoch persistent als Ideal wahrgenommen und als «Teil» in der Identität der LuxemburgerInnen verankert. Ich finde, es ist ’n Reichtum in unserem Land. Es ist schon ein Teil irgendwie mittlerweile [...] willst du gar nicht ohne mehr das leben. [...] Und ich bin irgendwie stolz drauf, also, dass wir das haben, weil es ist ein mega Reichtum für die Welt. (BLux8, Pos. 40)
7.2 Untersuchungsergebnisse der Pressetexte
211
7.2 Untersuchungsergebnisse der Pressetexte Das vorliegende Kapitel umfasst die Ergebnisse der WDA der Pressetexte. Die Darlegung der Analyseergebnisse der Leserbriefe erfolgt zunächst durch die Ergebnisdarstellung der Feinanalyse und des gesamten Korpus der Leserbriefe. Die Ergebnisdarstellung der journalistischen Pressetexte, die Feinanalyse der Pressetexte und das Gesamtergebnis, schließen Kapitel 7 ab, auf dessen Grundlage die Ergebnisse in Kapitel 8 diskutiert werden.
7.2.1 Leserbriefe 7.2.1.1 Ergebnisse der Feinanalyse: Weltoffenheit und Infragestellung der «Luxemburgisierung» Bei dem für die Feinanalyse ausgewählten Leserbrief mit dem Titel «Die Luxemburgisierung des Landes» (cf. Anhang 11.6.3 Leserbrief) handelt es sich um eine Reaktion auf den Leitartikel «Spiel mit dem Feuer» vom 1. Oktober 2018.2 Durch eine reflektierte Orientierung am Datenmaterial wurde dieser Leserbrief für die Feinanalyse ausgewählt, da er zum einen ein breites Meinungsspektrum, zum anderen die Sichtweisen der für den Mehrsprachigkeitsdiskurs relevanten SchlüsselakteurInnen abdeckt. Der Leserbrief thematisiert den Rechtsruck durch die politische Partei ADR,3 der u. a. die nationale Identität der LuxemburgerInnen als Wahlkampfthema zur Folge hat. Die Autorin des Leitartikels arbeitet heraus, dass der Populismus in Luxemburg angekommen zu sein scheint, und stellt das rechtspopulistische und nationalistische Wahlprogramm der ADR in Frage. Die Argumente der Autorin innerhalb des Leitartikels werden von dem Autor des Leserbriefes weiter ausgebaut, indem angezweifelt wird, inwiefern eine «Luxemburgisierung» sinnvoll wäre. Die formale und sprachliche Struktur weist mehrere Besonderheiten auf: Zu Beginn ist der Duktus des Autors vor allem deskriptiv, indem er aus dem angesprochenen Leitartikel zitiert und dazu Stellung bezieht. Darüber hinaus pflichtet er den von ihm zitierten Auszügen des Artikels nicht nur bei, sondern führt Gedankengänge weiter aus, indem er schreibt: «Aber damit nicht genug». Seine Meinung drückt er durch eine spezielle sprachliche Strategie flagrant aus, indem er mit der Prädikation «ein luxemburgisch klingendes Wort», anstatt etwa «ein lu-
Am 14. Oktober 2018 fand in Luxemburg die Kammerwahl statt. Bei der ADR handelt es sich um die «Alternative Demokratische Reformpartei», eine rechtspopulistische, nationalkonservative luxemburgische Partei.
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7 Darstellung der Ergebnisse
xemburgisches Wort», die Ideen der ADR herabsetzt. Dadurch wird deutlich, dass er durch die sprachlichen Mittel nicht nur Kritik übt, sondern ebenso seine eigene ablehnende Haltung durch konfliktive Assoziationen zum Ausdruck bringt. Dies betrifft ebenfalls den diskreditierenden Ausdruck von sich «lächerlich machen», mit dem er seine negative Wertung der Partei gegenüber auf diffamierende Weise äußert. Am plakativen Beispiel des Lexems «Computer» stellt er die Vorschläge der ADR als nicht umsetzbar und darüber hinaus als irrelevant dar, da es seiner Meinung nach unmöglich zu sein scheint, dieses Lexem zu «luxemburgisieren». Außerdem distanziert sich der Autor durch die sprachliche Inklusion der «ausländischen Mitbürger» durch das Präfix «mit» von den rechtspopulistischen Zielen der ADR. Insgesamt werden im Text drei rhetorische Fragen formuliert, durch die die Einstellung des Autors unterstrichen wird. Bewusst oder unbewusst wird dadurch zum einen seine Meinung betont und zum anderen der Einfluss auf die Lesenden evoziert. Auffallend ist die Wahl des Lexems «Luxemburgisierung» bzw. «luxemburgisieren». Dieser Neologismus, den der Autor in Anführungszeichen setzt, könnte – insofern es sich hier nicht um ein rekontextualisiertes Lexem handelt – darauf hindeuten, dass er dadurch seine sarkastische Haltung zum Ausdruck bringt. Die «Luxemburgisierung» oder zumindest die Konsequenzen der «Luxemburgisierung» sind eindeutig negativ konnotiert, was sich etwa in der von ihm angesprochenen «Intoleranz» den Zugewanderten gegenüber zeigt. Ein weiteres im Text zu erkennendes Phänomen ist die Identität. Durch die «Wir»-Formulierungen ordnet der Autor sich selbst der Gruppe der LuxemburgerInnen zu, die er als «weltoffen» wahrnimmt und beschreibt. An dieser Stelle wird die Eigen- und Fremdpositionierung des Autors deutlich. Weiter stellt er durch die deiktische Formulierung in Frage, ob «wir uns nicht lächerlich» machen, wodurch er durch den Argumentationstopos ausdrückt, die luxemburgische Gemeinschaft könne durch Umsetzen der politischen Ziele der ADR ihr Gesicht verlieren. Der Ausdruck «patriotischer Gruppenegoismus» zeigt auf mehreren Ebenen Auffälligkeiten: Zum einen handelt es sich dabei um eine metaphorische Beschreibung, die die ADR und deren Wähler charakterisieren soll, zum anderen wird durch das Oxymoron «Gruppenegoismus» Aufmerksamkeit erregt, wodurch wiederum die konfliktive Assoziation des Autors auffällig wird. Es wird deutlich, dass der Autor seine Vorstellung der luxemburgischen Identität nicht mit dem nationalen Bewusstsein der ADR, dem gegnerischen Fremden, in Einklang bringen kann. Anhand der vorherigen Besonderheiten bilden sich zwei Phänomene ab: zum einen die Kritik an den politischen Zielen der ADR, zum anderen die von dem Autor beschriebene luxemburgische Identität.
7.2 Untersuchungsergebnisse der Pressetexte
213
Konkret werden die Visionen der Partei ADR thematisiert, die das nationale Bewusstsein der LuxemburgerInnen ansprechen sollen. Der Autor vertritt die Ansicht, dass die von der ADR anvisierten Ziele von eigentlichen, anderen Problemen ablenken sollen. Weiterhin stellt er in diesem Kontext konkrete Ideen der ADR zur Förderung der luxemburgischen Sprache in Frage. Solche Entwicklungen sieht er als «Intoleranz gegenüber ausländischen Mitbürgern», wodurch er nicht nur die Vorschläge der ADR in Frage stellt, sondern diese zudem auch kritisiert. Zusätzlich ergibt sich ein weiterer inhaltlicher Strang: die die LuxemburgerInnen charakterisierenden Eigenschaften, die durch die Ziele der ADR nach Meinung des Autors verworfen werden. Er bezeichnet die LuxemburgerInnen als weltoffen und stellt diese Weltoffenheit dem durch die Vorschläge der ADR entstehenden «patriotischen Gruppenegoismus» gegenüber. 7.2.1.2 Gesamtergebnis der Leserbriefe Die Feinanalyse der Leserbriefe hat zwei Phänomene hervorgebracht: zum einen die Infragestellung des «Luxemburgisierens», zum anderen die vom Verfasser des Leserbriefes beschriebene luxemburgische Identität. Die Feinanalyse übergreifend, zeichnen sich in der Gesamtheit aller Leserbriefe zwei Hauptdiskurse ab: Der erste Hauptdiskurs betrifft, ähnlich wie der die Feinanalyse betreffende Leserbrief, die «Luxemburgisierung». Bei den drei Diskurssträngen handelt es sich um die Kritik an der Politik, die allgemeine Konkurrenz des Französischen sowie die starke Dominanz der französischen Sprache im öffentlichen Bereich. Beginnend mit dem politischen Diskurs, der in Bezug auf die Leserbriefe bereits quantitativ auffallend ist, zeichnen sich zwei entgegengesetzte Perspektiven ab. Ein großer Teil der VerfasserInnen kritisiert die Politik, dies allerdings auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Während dem einen Teil der VerfasserInnen die sprachpolitischen Maßnahmen zu locker erscheinen und daran appelliert wird, das Luxemburgische fördern zu müssen: Jahrelang in Luxemburg, und als Resultat nur «Moien» und «Äddi», um dann die luxemburgische Nationalität zu beantragen? Wen will man hier veräppeln? [...] Die Sprachendebatte in unserem schönen Luxemburg dreht sich nur vordergründig um die luxemburgische Sprache: Im eigentlichen Konflikt einiger politischer Großkopferten und Möchtegern mit einem Großteil der Bevölkerung geht es um den Vorrang der französischen vor der deutschen Sprache. Aus welchen persönlichen und ewig-gestrigen Interessen auch immer. (cf. Leserbrief «La monoculture ... française», Pos. 7)
fällt die Meinung des anderen Teils der VerfasserInnen dazu gegenteilig aus. Das Luxemburgische wird zwar als wichtig angesehen, aber eine Diskussion der Sprachensituation auf politischer Ebene wird kritisiert. Eher zeichnet sich das Bild ab,
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7 Darstellung der Ergebnisse
Abb. 20: Codewolke Leserbriefe.
dass vor allem die Strömung der ADR auf Gegenwind stößt. Deren Idee, das Luxemburgische durch sprachpolitische Maßnahmen zu fördern, wird als Irreführung betrachtet: Lieb und verständnisvoll wie wir Luxemburger nun mal sind, schalten wir auf französische Alphabetisierung um und senken, wenn es denn der Diplomvermehrung dient, einfach noch die Lernziele. Da ertapp ich mich doch gleich bei der Frage: Stellen «wir» damit unsere potenziellen, neuen Mitbürger nicht in die Eselsecke? Zu dumm um das zu schaffen, was uns genuinen Luxemburgern seit Generationen abverlangt wird? Trotz germanofoner Muttersprache, eine zusätzliche frankofone Administrationssprache zu lernen, nur umgedreht, in diesem Fall? Eigentlich ist das eine furchtbar arrogante Einstellung unserer «Eliten» [...]. (cf. Leserbrief «Die Sprache des Brötchens», Pos. 6)
Ein weiterer sich herausbildender Diskursstrang ist die starke Konkurrenz anderer Sprachen, die aus Sicht der LuxemburgerInnen eine Gefahr für das Luxemburgische darstellen. Es wird deutlich, dass die Gefahr dabei nicht lediglich von den beiden anderen Amtssprachen Luxemburgs oder etwa den Sprachen der Zugewanderten ausgeht, sondern dass hauptsächlich die Dominanz der französischen Sprache Sorge zu bereiten scheint. Dabei wird Französisch als die Sprache der Überheblichen charakterisiert und eine starke Kritik wird vor allem an ihrer
7.2 Untersuchungsergebnisse der Pressetexte
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Dominanz, hauptsächlich im öffentlichen Bereich sowie in ihrer Funktion als die Sprache der Gesetzgebung, geübt: Gott sei Dank ist es noch nicht so weit, dass der Landwirt, der luxemburgische, Französisch mit seinen Limousins oder Charolais auf der Weide sprechen muss. Denn machen «wir» uns nichts vor: Die Frankonisierung unseres Landes ist mittelfristig nicht nur nicht aufzuhalten, sie ist, allgemeinpolitisch und nicht zuletzt kulturpolitisch, gewollt. Spricht man mit den verantwortlichen «Eliten», so hört man ein wildes, und ziemlich inkongruentes Durcheinander an 1940er-Ressentiments, an «Culture-française»-Exklusivitäten, an Anpassungszwängen an die Frontaliers, denen wir eine Anpassung an uns nicht zumuten können, an «Kampf gegen die Germanisierung unserer Sprache» (doch, doch, ich hab das schwarz auf weiß, von einem sogenannten Kulturschaffenden) und schlussendlich das Totschlagargument: weil die aus welchem Grunde auch immer zu uns gekommenen Menschen mit lateinischem Sprachenhintergrund unmöglich mit unserem germanofonen Hintergrund zurechtkommen können. (cf. Leserbrief «Die Sprache des Brötchens», Pos. 110)
Ganz gegensätzlich dazu wird die deutsche Sprache sogar positiv bewertet, was zum einen an der sprachlichen Nähe des Luxemburgischen zum Deutschen liegt, zum anderen daran, dass das Erlernen des Deutschen ab der ersten Klasse ein für die LuxemburgerInnen natürlicher Prozess in der Entwicklung ihrer Sprachrepertoires, verglichen mit der französischen Sprache, ist. Außerdem ist die Gefahr einer Verdrängung des Luxemburgischen durch die deutsche Sprache ohnehin aufgrund der sprachstrukturellen Ähnlichkeiten geringer: Deutsch ist unsere Hochsprache und die erste Zugangssprache in unserem Leben zum Wissen überhaupt, von Kindesbeinen an. Und wenn es nur mit Micky-Maus-Lesen anfängt. Sollen sie jetzt Mickey Mouse und Pixie-Büchlein auf Französisch buchstabieren statt auf Deutsch zu lesen? Ohne weiteren Zugang zum Wissen in Form von Zeitschriften und Büchern in einer ihnen verständlichen Sprache? (Leserbrief «La monoculture ... française», Pos. 10)
Die in den Pressetexten von 2016 sehr präsente Petition 6984 ist ein in den Leserbriefen von 2016 bis 2018 durchgängiger Diskursstrang. Dies mag nicht zuletzt daran liegen, dass die ADR vor der Wahl 2018 das Luxemburgische als Wahlkampfthema nutzte, was zu einer synchronen Weiterführung dieses Diskurses führt. Konkludierend lässt sich sagen, dass das Luxemburgische ein in den Leserbriefen anhaltender Diskurs ist, vor allem in Hinblick auf die Politik und politische Maßnahmen. Die starke Konkurrenz der französischen Sprache beschäftigt die LuxemburgerInnen in diesem Zusammenhang besonders.
Cf. Kap. 4.3.1.
216
7 Darstellung der Ergebnisse
Der zweite Hauptdiskurs, der in einem großen Teil der Leserbriefe sehr präsent ist, betrifft die luxemburgische Identität. Es wird deutlich, dass die luxemburgische Identität ein für die luxemburgische Bevölkerung fortwährendes Thema ist. Die Identitätsfrage wird vorrangig auf zwei Ebenen gestellt, wobei sich beide Positionen nicht gegenseitig ausschließen, vielmehr prägen sie die luxemburgische Gesellschaft in gleichem Maße. Der erste Diskursstrang bezieht sich auf die sprachliche Dimension bzgl. der Identität. Diese Position ist nicht unabhängig von der vorher beschriebenen politischen Dimension zu betrachten. So steht bzgl. einer Förderung der luxemburgischen Sprache oftmals nicht der linguistische Aspekt im Fokus, sondern lediglich die Bedeutung der Sprache für die luxemburgische Bevölkerung. Die eigene Sprache wird von einem Teil der VerfasserInnen vorrangig als Identitätsmerkmal angesehen, dessen identitätsstiftende Funktionen im Vordergrund stehen: Die Identitätsfrage und das rasante Wirtschaftswachstum sind wichtiger, als die meisten Politiker glauben. Beide sind eng miteinander verbunden. Die Politiker sollen endlich die richtige Lehre aus der dritte [sic] Frage des Referendums ziehen. Sie sollen die neue Welle des Patriotismus positiv bewerten und begleiten. (cf. Leserbrief «Die Identitätsfrage und die Roboter», Pos. 7)
Ein weiterer Teil der VerfasserInnen nimmt das Luxemburgische ebenfalls als Teil seiner Identität wahr, legt den Fokus der eigenen Identität allerdings mehr auf die gesellschaftliche Ebene. Die Zuwanderergeschichte, Luxemburg als Finanzmetropole mit vielen ausländischen Firmen und nicht zuletzt das Land inmitten der Großregion, im Herzen Europas, prägt die luxemburgische Gesellschaft seit Jahrzehnten. Die sich daraus ergebene superdiverse Situation, die nicht zuletzt Auswirkungen auf sprachlicher Ebene hat, sowie die daraus resultierende Offenheit der LuxemburgerInnen mit ihrem multilingualen Habitus stehen dem nationalistisch orientierten Teil der Gesellschaft konträr gegenüber: Mit sprachlicher Abkapselung ist der Identität jedenfalls nicht gedient. Denn es ist ja gerade diese einmalige Dreisprachigkeit, die die Eigenart Luxemburgs ausmacht! Sie ist mit Mühen verbunden, das stimmt. Aber ihre Vorteile aller Art sind so offensichtlich, dass sie hier nicht weiter erörtert werden müssen. (cf. Leserbrief «Die Forderung der Petition 698 ist realitätsfremd», Pos. 9) Wir alle sollen uns von unserem soziokulturellen Hintergrund lösen und uns, unbesehen der Konsequenzen, den äußeren Einflüssen öffnen und unterwerfen. Eine reverse Integration, sozusagen. (cf. Leserbrief «Elitäre Arroganz», Pos. 7)
Der Identitätsdiskurs scheint sich in zwei Richtungen zu entwickeln. Zum einen stehen die sprachlichen Aspekte, hauptsächlich das Luxemburgische, im Vordergrund, deren Förderung möglicherweise als letzte Möglichkeit gesehen wird, um sich von der superdiversen Gesellschaft abzugrenzen. Zum anderen spielen die
7.2 Untersuchungsergebnisse der Pressetexte
217
die luxemburgische Gesellschaft charakterisierenden Eigenschaften, wie die Offenheit gegenüber der superdiversen Gesellschaft und einer damit verbundenen Sprachenvielfalt, eine wichtige Rolle.
7.2.2 Pressetexte Die von den JournalistInnen verfassten Pressetexte wurden mit der, mit Verweis auf Kapitel 6.5.3.2, gleichen Vorgehensweise wie die Leserbriefe analysiert. Durch die Samplebildung (cf. Kap. 6.5.2.2) ergab sich ein aus den insgesamt 1.342 Seiten mit Pressetexten zu analysierendes Korpus von 87 Texten – davon 34 Texte aus dem Jahr 2016, 28 Texte aus dem Jahr 2017 und 25 Texte aus dem Jahr 2018. Nach dem dreistufigen Kodierprozess bildeten sich, aus den am häufigsten vergebenen Codes, die fünf relevantesten inhaltlichen Hauptkategorien («Lux», «Superdiversität», «Identität», «Mehrsprachigkeit» und «Politik») heraus. Nachdem die Kategorien miteinander in Verbindung gesetzt wurden, i. e., nachdem ausfindig gemacht wurde, bei welchen Kategorien es thematisch und inhaltlich zu den meisten Überschneidungen kam, ergaben sich die zwei Kernkategorien «Lux und Identität» (cf. Abb. 21) sowie «Superdiversität, Mehrsprachigkeit und Politik» (cf. Abb. 22). Ein im Rahmen der Kernkategorie «Lux» häufig auftretender Diskurs ist «die Stärkung des Luxemburgischen» (cf. Abb. 21). Thematisiert wird die Stärkung des Luxemburgischen bzw. die Einführung des Luxemburgischen als Amtssprache einerseits vor dem Hintergrund des Aussterbens der Sprache: Luxemburgisch muss Amtssprache werden, und zwar nicht nur zweite, dritte oder gleichwertige, sondern erste Amtssprache. Wenn das nicht passiert, ist das Luxemburgische bald tot, also ausgestorben. (cf. Pressetexte 2016 «Aussterbend», Pos. 3)
Andererseits wird weniger überspitzt auch das dahinterstehende persönliche Interesse einzelner AkteurInnen thematisiert: «Generell wünscht sich Amira-Louise Ouardalitou noch ein größeres Interesse dafür, dass es wichtig ist, das Luxemburgische in die Welt hinauszutragen» (cf. Pressetexte 2016 «Das moderne Gesicht Luxemburgs», Pos. 14), und über einzelne AkteurInnen hinaus auch die Forderung und das Interesse der luxemburgischen Bevölkerung: «[...] Gleichzeitig fordert ein Teil der Bevölkerung, dass das Luxemburgische an Bedeutung gewinnt» (cf. Pressetexte 2017 «Op Lëtzebuergesch, wann ech gelifft», Pos. 10). Ebenso spielt die Förderung der luxemburgischen Sprache auf politischer Ebene eine Rolle: «Die Parteien sind sich einig: Die luxemburgische Sprache soll gefördert werden, darf aber nicht zur Spaltung der Gesellschaft führen» (cf. Pres-
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7 Darstellung der Ergebnisse
Abb. 21: Codewolke I Pressetexte.
setexte 2016 «Es gibt eine Malaise», Pos. 1), wobei politische Maßnahmen wiederum Auswirkungen auf bildungspolitischer Ebene nach sich ziehen: «Auch in der Bildung soll die Rolle der Nationalsprache deutlich gestärkt werden. Vor allem im Lyzeum soll die Bedeutung des Luxemburgischen aufgewertet werden» (cf. Pressetexte 2018 «Die Rolle des Lëtzebuergeschen», Pos. 6). Ein mit der Förderung bzw. Stärkung des Luxemburgischen eng zusammenhängender Diskurs ist der Identitätsdiskurs: Die Landessprache stiftet Identität – in Luxemburg Dauerthema. Die junge Luxemburgerin Amira-Louise Ouardalitou hat es sich zur Aufgabe gemacht, Luxemburgisch auf der ganzen Welt zu repräsentieren. (cf. Pressetexte 2016 «Das moderne Gesicht Luxemburgs», Pos. 4)
Die Relevanz der luxemburgischen Sprache als Identifikationsmerkmal der LuxemburgerInnen steht in diesem Zusammenhang häufig im Fokus der Pressetexte: Durchaus verständlich erscheint dieser Reflex in dem Sinne, dass den Luxemburgern außer der eigenen Sprache kein wirkliches Identifikationsmerkmal mehr bleibt. (cf. Pressetexte 2016 «Die Renaissance der Nation», Pos. 15)
Eng damit zusammenhängend ist ebenso der Diskurs der «Nationalen Identität»: «Luxemburg muss einen Weg finden, mit der Vielsprachigkeit so umzugehen,
7.2 Untersuchungsergebnisse der Pressetexte
219
dass es den Bürgern Chancengerechtigkeit bietet und zugleich eine nationale Identität behält» (cf. Pressetext 2016 «Werden wir die Zeit in Frieden überstehen?», Pos. 4). Demgegenüber scheint die luxemburgische Sprache allerdings nicht nur Identifikationsmerkmal der LuxemburgerInnen zu sein, ihr scheint auch als Integrationssprache eine bedeutsame Funktion zuzukommen, die in den Pressetexten häufig thematisiert wird: «Die Sprache hat auch ihre Bedeutung als Integrationsfaktor», so Wagner. «Das belegt das große Interesse an den Sprachkursen [...]» (cf. Pressetexte 2016 «Die luxemburgische Sprache erfreut sich bester Gesundheit», Pos. 11). Als Integrationssprache wird das Luxemburgische auch aus Sicht der zugewanderten AkteurInnen selbst thematisiert: «Luc Schmit selbst stammt aus einer Einwandererfamilie – seine Mutter ist Italienerin. ‹Aber wir haben von Anfang an Luxemburgisch gesprochen. Das war immer wichtig›, betont er» (cf. Pressetexte 2018 «Für ein Lächeln im Gesicht», Pos. 14). Sowohl im Kontext des Luxemburgischen als Integrationssprache als auch als Identifikationsmerkmal der LuxemburgerInnen tritt vermehrt die «Wir-Identität» der LuxemburgerInnen hervor und zieht sich wie ein roter Faden durch die Pressetexte: «Trotz der geringen Verbreitung unserer Sprache, erfreut sich das Luxemburgische zur Zeit [sic] bester Gesundheit» (cf. Pressetexte 2016 «Der Tag der Muttersprache», Pos. 3). Wie auch der in diesem Zusammenhang vermehrte Gebrauch von Possessivpronomen («unsere Sprache», «unsere Nationalsprache» oder «eis Sprooch», dt. «unsere Sprache») ist der vermehrte Gebrauch der ersten Person Plural innerhalb der Texte auffallend: «Ja, wir Luxemburger mögenʼs manchmal kompliziert ...» (cf. Pressetexte 2016 «Vaterland und Muttersprache», Pos. 9). Dass die Förderung und Stärkung des Luxemburgischen in engem Zusammenhang mit der Identitätsfrage der LuxemburgerInnen zu stehen scheint, geht ebenfalls immer wieder deutlich aus den Texten hervor – überspitzt ausgedrückt: Wer Luxemburger werden will, muss sich auch in der Landessprache ausdrücken können. Sprache wird hier zu einem Faktor der Exklusivität («Ons Mammesprooch ass ons helleg») und mehr und mehr zu einem Anker unserer Identität. (cf. Pressetexte 2017 «Die Nation ist zurück», Pos. 8)
Oder weniger überspitzt und reflektierter formuliert: Auf Nachfrage dieser Zeitung äußert er sein Verständnis für die Sorgen um die luxemburgische Sprache, betont aber auch die Vorteile der im Alltag praktizierten Mehrsprachigkeit. «Luxemburgisch gehört zu unserer Identität, doch auch der Multilingualismus macht unseren Reichtum aus.» Das Luxemburgische dürfe für Nicht-Luxemburger nicht als Barriere wahrgenommen werden. (cf. Pressetexte 2016 «Es gibt eine Malaise», Pos. 13)
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7 Darstellung der Ergebnisse
Auch Aspekte eines superdiversen Luxemburgs werden in den Texten immer wieder thematisiert (cf. Abb. 22): «Unser Land hat viele Facetten!» (cf. Pressetexte 2016 «Das moderne Gesicht Luxemburgs», Pos. 5). Die Charakteristika des superdiversen Luxemburgs werden in diesem Zusammenhang oftmals als positives Alleinstellungsmerkmal einer modernen Gesellschaft beschrieben: Andererseits bildete eben dies, das Anerkennen und das alltägliche Leben der nicht auf eine Sprache, Nation oder Kultur beschränkten «Identität» den Kern der modernen luxemburgischen Gesellschaft. (cf. Pressetexte 2016 «Die Renaissance der Nation», Pos. 15)
Mehrsprachigkeit als ursprünglicher Reichtum und als Chance, vor allem für die Zugewanderten, wird in diesem Zusammenhang allerdings auch kritisch und als Herausforderung dargestellt: «Die Bevölkerungsentwicklung und Internationalisierung des Landes führen nämlich zu einer Zunahme und Komplexifizierung der Mehrsprachigkeit selbst» (cf. Pressetexte 2016 «Ein gewisses Unbehagen», Pos. 2).
Abb. 22: Codewolke II Pressetexte.
Dieser Herausforderung scheint vor allem im schulischen Bereich von bildungspolitischer Seite begegnet werden zu müssen: Es kommt wie so oft auf den Blickwinkel an. Mehrsprachigkeit ist eine kulturelle Bereicherung. Mehrsprachigkeit ist auch eine echte Herausforderung für die kleinen Schüler des Luxemburger Bildungssystems. (cf. Pressetexte 2016 «Frühförderung in Kindertagesstätten», Pos. 6)
7.2 Untersuchungsergebnisse der Pressetexte
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Was die Frühförderung ebenfalls zu einem in den Pressetexten anhaltenden und sehr präsenten Thema macht: Fremde Sprachen lernt man am besten von klein auf, heißt es. Das macht Minister Claude Meisch zum politischen Konzept. «Das Zeitfenster im Alter zwischen eins und vier Jahren muss man für die Förderung der Sprachkenntnisse nutzen», sagte der Bildungsminister gestern. Eine neue mehrsprachige Frühförderung in den Kitas soll ab der Rentrée 2017 greifen. (cf. Pressetexte 2016 «Frühförderung in Kindertagesstätten», Pos. 5)
Zum Zwecke einer präziseren Darstellung der Diskursstrukturen und -stränge innerhalb der Pressetexte wurden für die Feinanalyse zwei Pressetexte ausgewählt: Der erste Text greift die Kernkategorie «Die Identität der LuxemburgerInnen und die Bedeutung des Luxemburgischen», der zweite Text die zweite Kernkategorie «Mehrsprachigkeit im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels und Herausforderungen für die Bildungspolitik» auf. 7.2.2.1 Ergebnisse der Feinanalyse I: Die Identität der LuxemburgerInnen und die Bedeutung des Luxemburgischen Anders als bei den Leserbriefen handelt es sich bei dem für die erste Feinanalyse ausgewählten Text mit dem Titel «Die Renaissance der Nation» (cf. Anhang 11.6.4 Pressetexte, Pressetext I) um einen journalistischen, von drei Autoren verfassten Pressetext, der am 30. März 2016 im Ressort Newdesk/im Fokus, nach dem Referendum gegen das Ausländerwahlrecht und noch bevor die Petition 698 veröffentlicht wurde, erschien. Aufgrund der Länge des Textes wurde sich für die Feinanalyse lediglich auf relevante Textauszüge beschränkt. Im Text wird der Rechtsruck in Luxemburg, hinsichtlich des allgemeinen europäischen Rechtsrucks, thematisiert. Ausgelöst durch die Zuwanderung der Asylsuchenden und die damit verbundene Referendumskampagne (cf. Kap. 5.5) stehen vor allem soziale Umbrüche, u. a. auch durch die Globalisierung, im Fokus des Textes. Vor allem die aktuelle Situation Luxemburgs bzgl. der «luxemburgischen Identität» und der damit zusammenhängende politische Diskurs mit Rückblick auf die individuelle Geschichte Luxemburgs hinsichtlich der Entwicklung im Vergleich zu den Nationalisierungstendenzen anderer europäischer Länder werden im Text beleuchtet. Die «Flüchtlingskrise, soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten» werden im Text wie ein Problem beschrieben, dessen Konsequenzen die Rückbesinnung und die Suche nach Identität sind. Der Identitätsdiskurs und die aktuelle politische Identitätsdebatte weiten sich auf das Identifikationsmerkmal der LuxemburgerInnen, die luxemburgische Sprache, aus. Das Luxemburgische wird geschichtlich beleuchtet und mündet im «Heute», mit dem eigentlich als positiv beschriebenen Alleinstellungsmerkmal des «weltoffenen» Landes Luxemburg als «Musterschüler» der europäischen Länder.
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Die Autoren belegen, dass Luxemburg schon immer auf die anderen Staaten und deren Wohlwollen und Verbundenheit angewiesen war, dies habe sich aus «ureigenen Sicherheits- und Souveränitätsgründen» ergeben. Das Lexem «ureigen» referiert hingegen auf Merkmale, die von Natur aus und aus eigenem Antrieb bzw. eigenem Charakter gegeben sind. Dass das immanente Attribut Luxemburgs, sein «ureigenes» Merkmal, die Abhängigkeit von anderen europäischen Ländern ist, mutet an dieser Stelle paradox an. Weiter wird das Bild des weltoffenen und nachbarschaftlichen Luxemburgs ausgeführt und als positiv gekennzeichnet: Arbeitsabkommen, auf die Luxemburg zeitweise angewiesen war, stellten nie ein Problem im liberalen und multikulturellen Großherzogtum dar. In diesem Zusammenhang fallen vor allem die unmissverständliche, positive und ausdrucksstarke Darstellung Luxemburgs auf: Bisher war Luxemburg eher bekannt für die Rolle als europäischer «Musterschüler», als kollektiver Karlspreisträger und unvergleichbares Vorzeigevolk in Sachen europäischer Geist, Mehrsprachigkeit und Multikulturalismus.
Der «Musterschüler» Luxemburg wird an dieser Stelle als «das Exempel» Europas personifiziert. Demgegenüber lässt das Nomen «Rückbesinnung» bzw. das Wortbildungselement «Rück- » allerdings erahnen, dass der Nationalgedanke Luxemburgs schon einmal, zu einem früheren Zeitpunkt, existent war. Der im Rahmen der Referendumskampagne 2015 wiederbelebte Diskurs der nationalen Identität, der von den Autoren als «ungewohnt» bezeichnet wird, soll noch einmal mehr die durch Diversität geprägte luxemburgische Gesellschaft charakterisieren, sowohl anhaltend bis in die Gegenwart als auch rückblickend, geschichtlich gesehen, da sich das Großherzogtum lange Zeit in wechselnden Abhängigkeitsverhältnissen zu anderen Ländern Europas befand. Der noch bis in die Gegenwart anhaltende Einfluss und die Abhängigkeit von anderen europäischen Ländern gehen weiter deutlich aus dem Text hervor: Gleichzeitig war der nationalisierte Diskurs auch Ausdruck einer in allen europäischen Ländern spürbaren Skepsis gegenüber der in Luxemburg wohl noch stärker und offensichtlicher zutage tretenden Globalisierung und Kosmopolitisierung von Wirtschaft und Gesellschaft.
Die politische Debatte um Identität, ausgelöst durch die starke Asylzuwanderung und die darauffolgende Referendumskampagne 2015, führt zu einer Diskursentwicklung in Richtung von Nationalisierungstendenzen sowie zu einem Rückbezug zur Nation, wobei dieser Diskurs aus Sicht der Autoren kritisch beleuchtet wird:
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Andererseits bildete eben dies, das Anerkennen und das alltägliche Leben der nicht auf eine Sprache, Nation oder Kultur beschränkten «Identität» den Kern der modernen luxemburgischen Gesellschaft.
Sprache, Nation und Kultur sind keine statischen Konstrukte, die eine Beschränkung auf «die» luxemburgische Identität obsolet erscheinen lassen, vor allem innerhalb der modernen, offenen und wandelbaren luxemburgischen Gesellschaft, die keine «harten» Merkmale braucht, um sich zu identifizieren. Ganz im Gegensatz dazu steht allerdings das aus dem Titel im Text mehrfach aufgegriffene Lexem «Renaissance», das in ebengenanntem Kontext widersprüchlich erscheint und nicht mit dem als fortschrittlich beschriebenen Charakter Luxemburgs zu vereinbaren ist. Die in Anführungszeichen gesetzte «Renaissance der Nation» lässt vermuten, dass es sich hierbei entweder um eine Hervorhebung oder eine ironische Äußerung handelt oder es von Seiten der Autoren beabsichtigt ist, sich von dem Beschriebenen zu distanzieren. Dies wird ebenso im Rahmen der geschilderten politischen Forderungen zur Stärkung der Identität durch Sprache und gegen das Ausländerwahlrecht deutlich: durch kriegsmetaphorische Metaphern wie «auf dem Vormarsch» oder «der Aufruf der Populisten zum Rückzug in die eigenen, vertrauten und vermeintlich sicheren vier Wände», aber auch durch Lexeme, die eine gewisse Infragestellung ausdrücken, wie «vermeintlich sicherer Hort». Dass sich Extremismus in der gesellschaftlichen Mitte etablieren und von der Gesellschaft als normal angesehen werden könnte, wird nicht nur durch die im Text gebrauchten Schlagwörter «nationalistisch», «nationalidentitärer Diskurs» oder «patriotisch» deutlich, sondern darüber hinaus explizit von den Autoren thematisiert: «[...] in Luxemburg erlebt das Nationalgefühl eine Renaissance, die sich zwar (noch) nicht in salonfähigem Extremismus äußert [...]». Die kritische Haltung gegenüber einer Stärkung der nationalen Identität wird weiter anhand unterschiedlicher Formulierungen deutlich: So wird den «Verfechter[n] der nationalen Identität» durch die Prädikation «reflexartig» eine kindliche, unbedachte Reaktion auf einen Reiz bzw. einen Auslöser unterstellt. Ebenso ist die «exklusive Integrationsvoraussetzung» nicht nur sprachlich paradox, die Formulierung drückt darüber hinaus auch inhaltlich aus, dass das Luxemburgische alleine die Integrationsvoraussetzung zu sein scheint. Dadurch wird das von den Verfechtern angeführte Argument für das Referendum von den Autoren zwar eingebracht, gleichzeitig wird die Richtigkeit dieses Argumentes allerdings durch die Formulierung in Frage gestellt. Auch die in Anführungszeichen gesetzte, rekontextualisierte «Überfremdung» referiert auf den diskursgeschichtlichen, mit Rechtsextremismus verbundenen Ausdruck, bei dem es sich um das deutsche Unwort des Jahres 1993 handelt. Durch die «wirren patriotischen Stimmungsbilder[]» wird die Wertung der Autoren deutlich zum Ausdruck gebracht und ein in Luxemburg aufflammender
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Nationalismus wird rückblickend, über den aktuellen politischen Identitätsdiskurs hinaus, grundlegend – allerdings sprachlich nicht ganz korrekt – verurteilt: Nationalismus machte seit dem Zweiten Weltkrieg gleich in mehrerer Hinsicht eigentlich keinen Sinn: Luxemburg war aus ureigenen Sicherheits- und Souveränitätsgründen auf seine Nachbarn und die europäische Integration angewiesen.
Schließlich wird die Brücke geschlagen vom Identitätsdiskurs der «nationalen, patriotischen Identität» zum Identitätsdiskurs der «weltoffenen», durch Diversität geprägten luxemburgischen Gesellschaft. Schon vorher gab es etwa mit der Debatte um die «Roude Léiw»-Nationalflagge oder der immer wiederkehrenden Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Aufwertung der luxemburgischen Sprache, erste Anzeichen.
So steht den bereits seit langer Zeit wiederkehrenden nationalistischen Tendenzen (u. a. die Debatte der Nationalflagge)5 eine einsetzende Skepsis in der Bevölkerung gegenüber: Schon vorher gab es etwa mit der Debatte um die «Roude Léiw»-Nationalflagge oder der immer wiederkehrenden Forderung nach einer verfassungsrechtlichen Aufwertung der luxemburgischen Sprache, erste Anzeichen. [...] Ob der Aufruf der Populisten zum Rückzug in die eigenen, vertrauten und vermeintlich sicheren vier Wände aber die richtige Antwort ist – daran zweifeln wohl auch die meisten der 80 Prozent von Juni 2015.
Von den Autoren wird die konfliktive Assoziation von 80% der Bevölkerung, die damals für das Referendum und dadurch gegen das Ausländerwahlrecht gestimmt haben, angeführt, die inzwischen hinterfragen, inwiefern die nationalistische Tendenz eine Antwort auf die deiktischen Fragen «Wer sind wir?» und «Was wollen wir?» ist. Dabei handelt es sich um Fragen, die vom politischen Diskurs aus letztlich in einem allgemeingesellschaftlichen Diskurs münden und weiter die grundsätzliche Frage nach Identität ins Zentrum stellen. Doch die Komplexität der Thematik wird durch die normative Argumentation, «die Suche nach Antworten bleibt», offengehalten. Wie aus dem Pressetext hervorgeht, wird die Sprachdebatte eindeutig als politisches Instrumentarium genutzt. Als einziges für die luxemburgische Bevölkerung übriggebliebenes Identifikationsmerkmal steht sie allerdings der superdiversen Ge-
Im Rahmen unterschiedlicher Initiativen und Petitionen wurde sowohl für als auch gegen die Abschaffung der Trikolore für den roten Löwen auf der Nationalflagge Luxemburgs gestimmt, nachdem im Jahr 2006 ein Fraktionsvorsitzender der CSV (der Christlich-Sozialen Volkspartei Luxemburgs) aus patriotischen und nationalistischen Motiven einen Gesetzesvorschlag für den roten Löwen auf der Flagge einreichte (cf. d’Lëtzebuerger Land 2008).
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sellschaft Luxemburgs, die sich nicht einheitlich anhand von Sprache, Kultur und Nation charakterisieren lässt, konträr gegenüber. Erst ein halbes Jahr nach dem Veröffentlichungszeitpunkt des Pressetextes wurde die Petition 698 eröffnet, durch die der Identitätsdiskurs bzgl. Sprache medial präsenter und von Seiten der AkteurInnen noch meinungsstärker wurde, was durch ein Anknüpfen an den bereits existierenden Diskurs deutlich wurde: Die Forderung nach der Einführung des Luxemburgischen als Amtssprache reiht sich dennoch in eine lang zurück verfolgbare politische Debatte ein. [...] Dennoch fallen die Forderungen der Petition bei den Parteien des Landes auf fruchtbaren Boden. Der Begriff, der bei der kollektiven politischen Verständnisbekundung am meisten fällt, lautet: Identität. (cf. Pressetexte 2016 «Von Aussterben keine Spur», Pos. 3–8)
Besonders der nationalistische Diskurs trat in diesem Zusammenhang noch extremer auf: Ihm sei allerdings nicht nur Zustimmung sondern auch «Hass» entgegen geschlagen [sic]. «Ich distanziere mich von jeglichen rassistischen, populistischen und ausländerfeindlichen Aussagen», stellt Welter klar. (cf. Pressetexte 2016 «Eine Petition und ihre Folgen», Pos. 3)
7.2.2.2 Ergebnisse der Feinanalyse II: Mehrsprachigkeit im Rahmen des gesellschaftlichen Wandels und Herausforderungen für die Bildungspolitik Erschienen im Ressort Politik, wurde der Pressetext «Mehrsprachigkeit im Standardrepertoire» (cf. Anhang 11.6.4 Pressetexte, Pressetext II) am 4. April 2017 als Reaktion auf das Strategiepapier der Regierung zur Stärkung der luxemburgischen Sprache veröffentlicht. Der Text wurde vor allem aufgrund der Verknüpfung der drei Hauptthemen «Politik», «Mehrsprachigkeit» und «Superdiversität» für die Feinanalyse ausgewählt, in der sich im Folgenden auf relevante Textauszüge bezogen wird. Bereits der Titel des Textes lässt eine Kritik an politischen Maßnahmen vermuten: Neben dem umgangssprachlichen und negativ konnotierten «vorbeischrammen» fällt außerdem die «Mehrsprachigkeit im Standardrepertoire» als Voraussetzung bzw. Grundlage der Sprachkompetenzen der LuxemburgerInnen auf, da es aus sprachwissenschaftlicher Sicht fragwürdig ist, hier von «Standardrepertoire» zu sprechen. Der (bildungs-)politische Diskurs wird von der Autorin mit überwiegend positiv assoziierten Absichten und Zielen des Strategiepapiers eingeleitet: Der soziale Zusammenhalt, mehr Integration, eine bessere Kommunikation: Die Regierung führt in ihrem Strategiepapier viele Gründe an, um das Luxemburgische aufzuwerten.
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Die Kritik der politischen Maßnahmen äußert die Autorin jedoch schließlich durch die Metaphorik des Luxemburgischen als (aus Sicht der Politik) «Allheilmittel». Des Weiteren führt sie an, dass sich eine Sprache nicht einfach «auferlegen» lässt, womit sie die durch die Politik auferlegten Maßnahmen kritisiert und weiter in Frage stellt, ob ebendiese Maßnahmen überhaupt fruchtbar sind. Demgegenüber führt sie an, dass Sprachen im Alltag «gelebt» werden müssen, als argumentative Implikation für die starren Konzepte der Politik, die «von oben herab diktier[t]». Auch die Blindheits-Metaphorik («die Regierung [ist] sozusagen auf einem Auge blind») untermauert die Kritik der Autorin an dem «ignoranten» Vorgehen der Politik. Mit dem negativ konnotierten «einschießen» greift die Autorin den sich wiederholenden Sprachdiskurs und die Relevanz der Thematik für den luxemburgischen Arbeitsmarkt auf. Dass Luxemburgisch die auf dem Arbeitsmarkt relevanteste Sprache sei, wird kritisiert, wobei darüber hinaus weiter ausgeführt wird, dass selbst die drei Amtssprachen Luxemburgs auf dem Arbeitsmarkt, etwa im Finanzsektor, nicht ausreichend seien und auch nicht verlangt würden: Was bringt es, mehr Luxemburgisch zu fordern, wenn Finanzakteure ihre Stellenangebote auf Englisch verfassen und mehrsprachige Profile suchen? Und inwiefern ist Luxemburgisch ein Allheilmittel, wenn der Pflegesektor die Mehrsprachigkeit bevorzugt, weil immer mehr Bewohner von Betreuungsstrukturen aus südeuropäischen Staaten oder dem Balkan stammen?
Die rhetorischen Fragen scheinen an dieser Stelle als eine Verstärkung der Aussagen zu dienen, da die Antworten auf die Fragen ohnehin eindeutig sind. Die Infragestellung der Relevanz (der Stärkung) des Luxemburgischen auf dem Arbeitsmarkt wird weiter auf den Pflegesektor und den Sprachgebrauch im Krankenhaus ausgeweitet: So fehle dem Krankenhauspersonal die Zeit, Sprachkurse auf Luxemburgisch zu belegen, deren Relevanz laut Autorin ohnehin zu hinterfragen zu sein scheint, da die Anforderungen im Klinikalltag nicht ausschließlich auf Luxemburgisch zu bewältigen sind. Sowohl in der sprechsprachlichen als auch in der schriftsprachlichen sprachlichen Praxis dominieren nach wie vor Französisch und Deutsch: Ähnlich ist es im Spitalsektor, wo zwar zahlreiche Bemühungen angestellt werden, damit die Krankenpfleger mit den Patienten auf Luxemburgisch reden können, doch wenn es um die Patientenakten geht, muss sich auf Französisch oder Deutsch geeinigt werden.
Über den Pflegesektor und das Krankenhaus hinaus wird die Dominanz der französischen Sprache im industriellen Sektor thematisiert, in dem sich auf eine Sprache geeinigt wird, um somit einen gewissen Sicherheitsstandard zu gewährleisten, was in diesem Fall Französisch nicht nur die Funktion der lingua franca, sondern zur Wahrung der «Sicherheit» auch eine gewisse Schlüsselfunktion zukommen lässt. Weiter wird durch Zitieren des Sprachwissenschaftlers Fernand Fehlen der Mehr-
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sprachigkeitsdiskurs innerhalb der Kritik an bildungspolitischen Maßnahmen mit der Argumentationsstruktur aufgegriffen: Bildungspolitik dürfe nicht erst auf Ebene des Arbeitsmarktes (bei Berufspendelnden oder Zugewanderten) ansetzen, sondern müsse bereits in der Schule dafür sorgen, dass die luxemburgische Sprache von allen «richtig» gelernt werde. So entsprechen die politischen Anforderungen nicht gleich dem Können und Wollen der luxemburgischen Bevölkerung und den dort arbeitenden Menschen, vor allem können politische Maßnahmen nicht durch eine «sture» Herangehensweise umgesetzt werden. Als Gegenstimme dazu zitiert die Autorin einen Abgeordneten der Grünen: Wir sollten uns nicht auf etwas reduzieren, was wir nicht sind. Unsere Sprachvielfalt ist unser Reichtum. Der Wunsch, das Luxemburgische aufzuwerten, ist berechtigt, allerdings sollten wir uns nicht ärmer machen als wir sind.
Neben den deiktischen Formulierungen ist außerdem die Doppeldeutigkeit des Lexems «Reichtum» auffallend, das nicht nur auf den in den Pressetexten häufig erwähnten wirtschaftlichen Reichtum referiert, sondern darüber hinaus auch in einer neuen Form die außergewöhnliche Sprachensituation Luxemburgs in den Fokus stellt. Den Mehrsprachigkeitsdiskurs betreffend wird Luxemburgs Sprachensituation auch in diesem Pressetext als «Erfolgsmodell» beschrieben. Dieses Erfolgsmodell wird allerdings – anders als in den meisten anderen Kontexten – auch kritisch von der Autorin beleuchtet: «Globalisierung hin oder her», die Sprachensituation im Rahmen der luxemburgischen Mehrsprachigkeit scheint nach wie vor ein anhaltendes Thema zu sein. Dass sich die Mehrsprachigkeitssituation jedoch im Laufe der Zeit verändert hat, beschreibt die Autorin anhand der Situation in den Pflegeheimen: So handelt es sich mittlerweile bei jeder/jedem vierten HeimbewohnerIn um eine zugewanderte Person. Dadurch ist beabsichtigt, noch einmal mehr zu verdeutlichen, dass die luxemburgische Sprache und Kultur im Pflegesektor, wie auch darüber hinaus auf dem gesamten luxemburgischen Arbeitsmarkt, nicht auszureichen scheinen: «Luxemburg ist mehrsprachig, so wie es seine Beschäftigten von nah und fern sind.» Das Potenzial, das die Mehrsprachigkeit Luxemburgs – unabhängig von der zwanghaften Stärkung des Luxemburgischen – birgt, wird im Rahmen einer Alltagssituation verdeutlicht: «Ein Kunde wird lieber nett und zuvorkommend auf Französisch bedient, als in griesgrämiger Art auf Luxemburgisch.» Der Superdiversitätsdiskurs wird im Text durch eine grundlegend positive Darstellung aufgegriffen, die zumindest aus Sicht der Autorin kein Argument für die Stärkung des Luxemburgischen zu sein scheint:
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52 Prozent der Mitarbeiter des Finanzplatzes sind Grenzgänger. Sie nehmen lange Anfahrtswege in Kauf, sie belegen etliche fachliche Weiterbildungskurse und im Beruf verständigen sie sich permanent auf Englisch oder Französisch, so dass sie kaum dazu kommen, Luxemburgisch zu lernen und zu sprechen.
Ganz im Gegenteil wird thematisiert, die Kultur der Zugewanderten verstehen zu wollen: «Und über die Sprache hinaus müsse man sich ‹auf die Menschen einlassen, ihren Lebensrhythmus und ihre Kultur verstehen wollen›, so Helbach.» Wenn auch nicht explizit ausgedrückt, so scheint sich doch auch an dieser Stelle die Anpassung der LuxemburgerInnen an ihr Gegenüber bzw. in diesem Fall den Zugewanderten gegenüber erneut zu äußern. Luxemburgisch hingegen wird ausdrucksstark als «Ressource» bezeichnet, was wiederum verdeutlicht, dass der Stellenwert des Luxemburgischen dem ungeachtet gestiegen zu sein scheint. 7.2.2.3 Gesamtergebnis der Pressetexte Bei dem mit Abstand präsentesten Diskurs handelt es sich pressetextübergreifend um das Luxemburgische, genauer die «Stärkung der luxemburgischen Sprache», deren Thematik sich wie ein roter Faden durch die Pressetexte 2016 bis 2018 zieht. Vor allem vor dem Hintergrund des «Luxemburgischen als Integrationssprache» wird die Stärkung des Luxemburgischen thematisiert: «‹Die Sprache hat auch ihre Bedeutung als Integrationsfaktor›, so Wagner. ‹Das belegt das große Interesse an den Sprachkursen.›» (cf. Pressetexte 2016 «Die luxemburgische Sprache erfreut sich bester Gesundheit», Pos. 11). So werden das Belegen von Sprachkursen und die Argumentation für das Erlernen der luxemburgischen Sprache nicht nur im Rahmen des aufflammenden Diskurses bzgl. der (Re-)Nationalisierungstendenzen thematisiert: Die globalisierte Welt ruft Ängste hervor, und vom Vaterland zunehmend im Stich gelassen glauben wir nun, Schutz im Schoße der Muttersprache suchen zu müssen. Aber hilft das wirklich? (cf. Pressetexte 2016 «Vaterland und Muttersprache», Pos. 5)
Auch die Chancen, die sich durch das Erlernen der luxemburgischen Sprache vor allem für Zugewanderte im Alltag ergeben, werden häufig als Argument für die Stärkung und das Erlernen der luxemburgischen Sprache angeführt: Dass die Kurse, die auf freiwilliger Basis besucht werden, ein Erfolg sind, davon konnten wir uns vor Ort überzeugen. Diejenigen, die das Luxemburgische erlernt hatten, nutzten die Sprache nicht nur im beruflichen Umfeld: Es bereicherte nach eigenen Aussagen auch ihr Privatleben in Luxemburg. (cf. Pressetexte 2016 «Ein Spiegelbild der Gesellschaft», Pos. 3)
Eng mit dem Luxemburgischen als Integrationssprache verbunden, bildet im Rahmen des «Superdiversitätsdiskurses» – eines weiteren sehr präsenten Diskurses
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Abb. 23: Codewolke Pressetexte.
innerhalb der Pressetexte – der «Integrationsdiskurs», neben der «Sprachenvielfalt» als weiterem Teildiskurs, einen wichtigen Diskursstrang. Die Integration, besonders der zugewanderten Kinder, erfolge so hauptsächlich durch das Erlenen der luxemburgischen Sprache: «Damit ausländische Kinder voll integriert werden können, sei das Erlernen der luxemburgischen Sprache unumgänglich, betont die Aktionsgruppe» (cf. Pressetexte 2016 «Kritik an Mehrsprachigkeit im Precoce», Pos. 2), wobei vor dem Hintergrund der Sprachenvielfalt Luxemburgs gleichzeitig eine Überforderung der zugewanderten Kinder gefürchtet wird: «Des Weiteren wird davon abgeraten, ausländische Kinder zu früh mit zusätzlichen Fremdsprachen zu belasten» (cf. Pressetexte 2016 «Kritik an Mehrsprachigkeit im Precoce», Pos. 2). Die Sprachenvielfalt, die textübergreifend als ein Ergebnis der Zuwanderungen dargestellt wird, grenzt das superdiverse Luxemburg von den anderen Ländern Europas ab und wird als Alleinstellungsmerkmal des Großherzogtums hervorgehoben: 47 Prozent der Bewohner sind Ausländer. Um miteinander klar zu kommen, müssen wir ständig die Sprache wechseln. Luxemburgisch, Deutsch, Französisch, Englisch, Portugiesisch, mitunter auch Arabisch oder Serbo-Kroatisch. Luxemburg – das Babel Europas. (cf. Pressetexte 2017 «Multikulturalität», Pos. 2)
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Auch der weltoffene und multikulturelle Charakter wird innerhalb des Superdiversitätsdiskurses und der damit verbundenen Sprachenvielfalt thematisiert: Seit fast zwanzig Jahren erscheint meine Kolumne im «Luxemburger Wort» neben Artikeln in deutscher und französischer Sprache. Auch dies ist ein Zeichen für die multikulturelle Atmosphäre, die das Land bestimmt. (cf. Pressetexte 2016 «Ein glückliches Völkchen», Pos. 8)
So wird in den Texten immer wieder die Brücke von der Sprachenvielfalt zur allgemeinen Vielfalt als Charakteristikum der luxemburgischen Gesellschaft und vice versa geschlagen. Mögliche Nachteile, wie etwa unterschiedliche Bevölkerungsgruppen betreffende Herausforderungen der Sprachenvielfalt (auch im Berufsleben): [...] die Integration der Zuwanderer [ist] eine der größten Herausforderungen. Damit verbunden ist das Problem der Vielsprachigkeit, die bereits heute für benachteiligte Bevölkerungsgruppen sehr kompliziert ist und viele Verlierer produziert. (cf. Pressetexte 2016 «Werden wir die Zeit in Frieden überstehen?», Pos. 4)
werden von den positiven Aspekten der superdiversen luxemburgischen Gesellschaft in den Hintergrund gestellt: Schon beim Einstellen wird darauf geachtet, dass das Pflegepersonal mehrsprachig ist. Eventuelle Lücken werden durch Sprachkurse gefüllt. Jedes Krankenhaus in Luxemburg bietet in der Zwischenzeit die Möglichkeit, Luxemburgischkurse zu besuchen. Vorreiter war allerdings das «Centre hospitalier Emile Mayrisch» in Esch/Alzette. Mit Mitarbeitern aus insgesamt 24 Nationen ist dieses Krankenhaus ein regelrechter Spiegel der luxemburgischen Gesellschaft. (cf. Pressetexte 2016 «Ein Spiegelbild der Gesellschaft», Pos. 3)
Gleichzeitig bildet sich ein «Identitätsdiskurs» heraus, der vor allem die «nationale Identität» thematisiert: «Luxemburg muss einen Weg finden, mit der Vielsprachigkeit so umzugehen, dass es den Bürgern Chancengerechtigkeit bietet und zugleich eine nationale Identität behält» (cf. Pressetexte 2016 «Werden wir die Zeit in Frieden überstehen?», Pos. 4), und der die Frage aufkommen lässt, ob die nationale Identität der luxemburgischen Bevölkerung der allgemeinen Vielfalt Luxemburgs sowie der als weltoffen charakterisierten Bevölkerung entspricht und wie die nationale Identität der LuxemburgerInnen zu definieren ist: Ähnlich wie in anderen Staaten, breitet sich auch in Luxemburg die Sehnsucht nach nationaler Klarheit aus. Und das Bedürfnis nach nationaler Identität schreckt nicht vor wirtschaftlichen oder machtpolitischen Interessen zurück. (cf. Pressetexte 2016 «‹It’s identity, stupid!›», Pos. 3)
Die Antwort auf die Frage nach der nationalen Identität bleibt in den Texten weiter unbeantwortet. Ganz gegenteilig dazu wird eine sich gegen 2018 hin entwi-
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ckelnde Skepsis resultierend aus den starken Zuwanderungsströmen mit der Vielfältigkeit als positivem Charakteristikum Luxemburgs beantwortet: Bedrohen also die vielen Einwanderer unsere Identität? Ich glaube nicht, denn unsere Identität ist einfach nicht mehr dieselbe wie noch vor 50 Jahren. Wer heute Ende 30 ist, hat es während seiner Schulzeit an manchen Orten bereits miterlebt: Dort saßen Portugiesen, Italiener, Franzosen, Deutsche, Briten, Jugoslawen, Perser zusammen im Klassensaal. (cf. Pressetexte 2017 «Multikulturalität», Pos. 3)
Der Diskursstrang «Sprache und Identität» hingegen scheint indirekte Antworten auf die Frage nach der nationalen Identität zu liefern: «Durchaus verständlich erscheint dieser Reflex in dem Sinne, dass den Luxemburgern außer der eigenen Sprache kein wirkliches Identifikationsmerkmal mehr bleibt» (cf. Pressetexte 2016 «Die Renaissance der Nation», Pos. 15). Die luxemburgische Sprache scheint genauso wie die beiden anderen Amtssprachen und alle weiteren in Luxemburg gesprochenen Sprachen die luxemburgische Identität zu bestimmen: Auf Nachfrage dieser Zeitung äußert er sein Verständnis für die Sorgen um die luxemburgische Sprache, betont aber auch die Vorteile der im Alltag praktizierten Mehrsprachigkeit. «Luxemburgisch gehört zu unserer Identität, doch auch der Multilingualismus macht unseren Reichtum aus.» Das Luxemburgische dürfe für Nicht-Luxemburger nicht als Barriere wahrgenommen werden. (cf. Pressetexte 2016 «Es gibt eine Malaise», Pos. 13)
Eng mit dem Diskurs «Sprache und Identität» verbunden ist der in den Texten vermehrt auftauchende «Mehrsprachigkeitsdiskurs». Bzgl. der Mehrsprachigkeit werden vor allem die «Chancen durch die Mehrsprachigkeit» Luxemburgs und darüber hinaus die «Integration durch Mehrsprachigkeit» thematisiert. Dabei scheint die Mehrsprachigkeit nicht nur Chancen für die luxemburgische Gesellschaft, sondern ebenso für die luxemburgische Wirtschaft zu eröffnen: «Die Mehrsprachigkeit war und ist ein Trumpf, der die Luxemburger Wirtschaft dynamisch und attraktiv macht» (cf. Pressetexte 2016 «‹It’s identity, stupid!›», Pos. 20). Grundsätzlich wird die Mehrsprachigkeit Luxemburgs, neben einigen wenigen Herausforderungen, als für das Großherzogtum besonders positiv beschrieben, indem die Mehrsprachigkeit Luxemburgs zu den Stärken, nicht aber zu den Schwächen des Großherzogtums gehöre. Herausforderungen werden vor allem jedoch in den Schulen beschrieben, woraus sich ein weiterer, sehr dominanter Diskursstrang herausbildet: Es kommt wie so oft auf den Blickwinkel an. Mehrsprachigkeit ist eine kulturelle Bereicherung. Mehrsprachigkeit ist auch eine echte Herausforderung für die kleinen Schüler des Luxemburger Bildungssystems. (cf. Pressetexte 2016 «Frühförderung in Kindertagesstätten», Pos. 6)
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So wird die im schulischen Kontext entstehenden Herausforderungen betreffend an die Politik appelliert, den Herausforderungen solle die Bildungspolitik entgegenwirken. Der bildungspolitische Diskurs mündet in den beiden Diskurssträngen «Sprache in Schule und Kita» sowie «Kritik am Bildungssystem». Die Kritik am Bildungssystem scheint ein seit langem existierendes Thema zu sein, das nicht nur eine Herausforderung für Kleinkinder zu sein scheint, dadurch dass es durch die Mehrsprachigkeitssituation zu einer Überforderung kommt: Eine wesentliche Neuerung aber ist die Einführung der französischen Sprache im Précoce. Hier knüpft Claude Meisch an die geplante zweisprachige Kinderbetreuung für Null- bis Dreijährige in den Kindertagesstätten an. (cf. Pressetexte 2016 «Bunte Sprachenwelt», Pos. 4)
Auch generell sozioökonomisch benachteiligte Kinder mit Migrationshintergrund werden im Bildungssystem vor große Herausforderungen gestellt: Nach wie vor gilt: Kinder aus benachteiligten sozioökonomischen Verhältnissen, mit Migrationshintergrund [...] haben im Luxemburger Bildungssystem schlechtere Chancen. (cf. Pressetexte 2018 «Luxemburger Schulsystem auf dem Prüfstand», Pos. 4)
Die Mehrsprachigkeit soll daher bereits im Rahmen der Frühförderung in den Kindertagesstätten gestärkt und gefördert werden, um die Kinder dadurch auf den mehrsprachigen Alltag Luxemburgs vorzubereiten, ein gesellschaftlicher Diskurs, der letztlich im bildungspolitischen Diskurs mündet: Fremde Sprachen lernt man am besten von klein auf, heißt es. Das macht Minister Claude Meisch zum politischen Konzept. «Das Zeitfenster im Alter zwischen eins und vier Jahren muss man für die Förderung der Sprachkenntnisse nutzen», sagte der Bildungsminister gestern. Eine neue mehrsprachige Frühförderung in den Kitas soll ab der Rentrée 2017 greifen. (cf. Pressetexte 2016 «Frühförderung in Kindertagesstätten», Pos. 5)
Diskursentwicklung Aus der diachronen Betrachtung des Mehrsprachigkeitsdiskurses geht hervor, dass es sich bei der «Stärkung des Luxemburgischen» um den in den Pressetexten 2016 bis 2018 präsentesten Diskurs und damit um einen der beiden Hauptdiskurse handelt. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der Asylzuwanderung seit 2015 ist die Stärkung der luxemburgischen Sprache ein beständiger Diskurs: «Die angestauten Ressentiments gegenüber einer ‹Überfremdung› des Landes [...]» (cf. Pressetexte 2016 «Die Renaissance der Nation», Pos. 12). Darüber hinaus ist eine die Intensität dieses Diskurses betreffende Entwicklung festzustellen. Während der Diskurs im Jahr 2016 noch verhältnismäßig sachlich geführt wird: «Luxemburgisch wird ausnahmslos überall unterrichtet und
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wird bei allen in den Gymnastikstunden gesprochen» (cf. Pressetexte 2016 «Die Mehrsprachigkeit als Fundament», Pos. 12), nimmt die Intensität im Rahmen der Argumentationsweisen, sowohl bei den die Aufwertung der luxemburgischen Sprache Befürwortenden als auch den KritikerInnen, zu: «Dass das Luxemburgische aufgewertet werden soll, ist folgerichtig, aber bitte treiben wir diese Forderungen nicht ins Absurde. Luxemburgisch ist weder Handels- noch Wissenschaftssprache» (cf. Pressetexte 2017 «Batty Weber und der ‹Sprachenstreit›», Pos. 13). Mit dem im Jahr 2018 verabschiedeten Gesetz zur Förderung der luxemburgischen Sprache ist der Diskurs in den Pressetexten 2018, verglichen mit den Pressetexten der Vorjahre, teilweise durch emphatische Elemente gekennzeichnet: «Luxemburgische Sprache: Gezielt fördern und Stellenwert stärken» (cf. Pressetexte 2018 «Luxemburg und Identität», Pos. 9) oder: «‹Jeder, der in Luxemburg wohnt, sollte auch Luxemburgisch lernen›, sagt eine Frau auf Französisch» (cf. Pressetexte 2018 «Vun der Long op d’Zong», Pos. 11). Als zweiter Hauptdiskurs entwickelt sich in den Pressetexten 2016 bis 2018 der Diskurs «Superdiversität» heraus: Vor allem die die luxemburgische Gesellschaft kennzeichnende Vielfältigkeit wird dabei als positives Charakteristikum der LuxemburgerInnen angeführt: Andererseits bildete eben dies, das Anerkennen und das alltägliche Leben der nicht auf eine Sprache, Nation oder Kultur beschränkten «Identität» den Kern der modernen luxemburgischen Gesellschaft. (cf. Pressetexte 2016 «Die Renaissance der Nation», Pos. 15)
Die u. a. aus der Superdiversität des Landes resultierende Sprachenvielfalt bzw. Mehrsprachigkeit des Landes (auch über die drei Amtssprachen hinaus) rückt schließlich die sprachlichen Herausforderungen für die Kinder in den Schulen und Kindertagesstätten in den Fokus. Darauf basierend ist der Diskursstrang «Sprache in der Schule/Kita» ein weiterer, größerer Diskurs, der sich in den Pressetexten 2016 herausbildet: Bildungsminister Meisch, selbst ein Differdinger, pries deren Wichtigkeit, u. a. weil die staatlichen Schulen der Nachfrage nicht mehr gerecht werden könnten, die das kosmopolitische Luxemburg an den Unterricht stelle. (cf. Pressetexte 2016 «Die Mehrsprachigkeit als Fundament», Pos. 15)
Auch im Rahmen dieses Diskursstranges steht die Stärkung der luxemburgischen Sprache weiter im Mittelpunkt: «Doch auch das Erlernen der luxemburgischen Sprache soll weiterhin ein zentrales Element der Früherziehung bleiben» (cf. Pressetexte 2016 «Bunte Sprachenwelt», Pos. 4). Aus dem Diskursstrang «Sprache in der Schule/Kita» entwickelt sich in den Pressetexten 2017 schließlich der Diskursstrang «Bildungssystem», der hauptsäch-
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Abb. 24: Codewolken Pressetexte 2016–2018; Diskursentwicklung.
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lich bildungspolitische Themen im Rahmen des superdiversen Luxemburgs betrifft: Zum einen wird das Schulsystem allgemein kritisiert: Seit Jahren steht Luxemburg am Pranger, weil die Durchfallquoten im Schulsystem zu hoch sind und zu viele Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen. (cf. Pressetexte 2017 «Das Sprachbad für die Kleinsten», Pos. 2)
Zum anderen betrifft die Kritik auch die dafür verantwortliche Politik bzw. die dafür verantwortlichen PolitikerInnen: Das Argument, dass luxemburgische Kinder nicht «ausreichend» FR können, ist unzutreffend; es ist konstruiert, um politisch für eine frankofone Agenda der Regierung instrumentalisiert zu werden. (cf. Pressetexte 2017 «Das Sprachbad für die Kleinsten», Pos. 5)
Gegensätzlich zu dieser Kritik werden jedoch auch Möglichkeiten, die die Sprachensituation des superdiversen Luxemburgs eröffnen, in den Fokus gestellt, sodass sich als damit verbundener Diskursstrang «Chancen durch Mehrsprachigkeit» in den Pressetexten 2017 entfaltet: Im hauptstädtischen CHL haben die Mitarbeiter mehr als 30 verschiedene Nationalitäten und würden sich um Patienten mit über 160 verschiedenen Herkünften kümmern, hatte es unlängst auf einem Rundtischgespräch zur Mehrsprachigkeit auf dem Arbeitsmarkt geheißen. (cf. Pressetexte 2017 «Sprachvorschriften und Kameras an Uniformen», Pos. 2)
Die verschiedenen, aber auf den beiden Hauptdiskursen («Stärkung des Luxemburgischen» und «Superdiversität») in den Pressetexten von 2016 bis 2017 basierenden Diskursstränge bringen schließlich den Diskursstrang der «Integration» hervor: Eine unserer zentralen Zukunftsfragen ist sicherlich die des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Unterschiedliche Kulturen stoßen in unserem Land aufeinander. Diese Diversität fordert uns heraus, insbesondere auf sprachlichem, sozialem und schulischem Gebiet. Diese Unterschiedlichkeit, selbst wenn sie uns neue Chancen zu eröffnen vermag, verlangt große integrative Anstrengungen. (cf. Pressetexte 2017 «Gesellschaftlicher Zusammenhalt als politischer Kompass», Pos. 3)
Der in den Pressetexten 2017 entstehende Diskursstrang der «Integration» führt in den Pressetexten 2018 – vor allem in Hinblick auf den omnipräsenten Hauptdiskurs der «Stärkung des Luxemburgischen» – zu dem Diskursstrang «Integrationssprache Luxemburgisch»: «Die Regierung hat sich stark dafür eingesetzt, die Rolle des Luxemburgischen als Integrations- und Kommunikationssprache zu fördern – im Miteinander mit den anderen Landessprachen selbstverständlich», sagte Arendt. (cf. Pressetexte 2018 «Das Luxemburgische stärken», Pos. 5)
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7 Darstellung der Ergebnisse
Der sich in den Pressetexten 2018 herausbildende, durch das zu dieser Zeit verabschiedete Gesetz zur Förderung der luxemburgischen Sprache entstehende Diskursstrang «Integrationssprache Luxemburgisch» ist aus dem Grund interessant, da sich aus ebendiesem Diskursstrang und der mit der luxemburgischen Sprache in Verbindung gebrachten «Integration» schließlich ein für die LuxemburgerInnen weiterer, ganz wesentlicher Diskurs entwickelt: «Sprache und Identität»: Zum einen wird Luxemburgisch noch vor Deutsch und Französisch als Integrationssprache gesehen. Aber das ist in der Praxis nicht so einfach umzusetzen. Manche Menschen nutzen die Sprache vielleicht auch, um sich vom Rest der Bevölkerung abzuheben. Andere legen Wert auf die Sprache, um so einen wichtigen Teil ihrer Kultur zu fördern, aber ohne dieses Gefühl der Exklusivität. (cf. Pressetexte 2018 «‹Migration als Teil der Geschichte›», Pos. 9)
Den Identitätsdiskurs betreffend spielt vor allem die «nationale Identität» eine wichtige Rolle: «Doch nun ist das Thema der nationalen Identität auch auf Luxemburg übergeschwappt» (cf. Pressetexte 2018 «Spiel mit dem Feuer», Pos. 3). Zum einen bildet sich die nationale Identität in Form einer Wir-Identität im Rahmen der Kritik an der Stärkung des Luxemburgischen heraus: «[...] ob wir uns nicht lächerlich machen, wenn wir für jeden Fachbegriff ein luxemburgisch klingendes Wort erfinden?» (Leserbrief «Die Luxemburgisierung des Landes», Pos. 2), zum anderen tritt die Wir-Identität, die Befürwortenden der Stärkung des Luxemburgischen betreffend, auf: Mein Anliegen war es, mich für die Sprache, die von den Menschen «aus dem Bauch heraus» geredet wird, zu interessieren. Es war eine langwierige Arbeit, den Menschen beizubringen, dass das Luxemburgische nicht nur zur Folklore gehört, die Sprache gehört zu unserer Identität. (cf. Pressetexte 2018 «‹Ein Hauch von polemischer Säure›», Pos. 2)
Dass die Wir-Identität oftmals im Zusammenhang mit einem patriotischen Pathos steht: «Ech géif mer wënschen, mir géifen erëm méi patriotesch denken» [«Ich wünschte, wir würden wieder patriotischer denken»] (cf. Pressetexte 2018 «Luxemburg und Identität», Pos. 8), wird auch in der Presse kritisch thematisiert: [...] « ... well mer eist Land gär hunn». Die beiden Parteien stört es offenbar nicht, dass man ihnen damit eine sprachliche Nähe zum französischen Front National – «On est chez nous» – oder zur deutschen AfD – «Unser Land, unsere Zukunft» – vorwerfen kann. (cf. Pressetexte 2018 «‹Ein Hauch von polemischer Säure›», Pos. 2)
Der Diskurs der «Wir-Identität» umfasst jedoch weitaus mehr als nur die dahinterstehende patriotische Gesinnung politischer Parteien: Sie bildet sich in beiden auf der Diskursentwicklung basierenden Hauptdiskursen heraus. Dies führt zu der Feststellung, dass die damit verbundene, nationale Identität der LuxemburgerInnen im Rahmen der Diskurse auf Grundlage der Pressetexte nicht eindeutig zu definieren ist.
7.2 Untersuchungsergebnisse der Pressetexte
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Ob im Zusammenhang mit der Förderung der luxemburgischen Sprache und einer dahinterstehenden patriotischen Gesinnung oder der die Superdiversität des Landes betreffenden, welt- und sprachoffenen Haltung – die Wir-Identität zieht sich wie ein roter Faden hauptsächlich durch die Pressetexte 2017 bis 2018: Spätestens an diesem Punkt drängt sich die Frage auf, ob wir Luxemburger uns in die eigene Tasche lügen [...] Ist es mit unserer Mehrsprachigkeit wirklich so weit her, wie es in Sonntagsreden oder am Tresen im Urlaubshotel gerne behauptet wird? (cf. Pressetexte 2016 «Die Sprachen-Mär», Pos. 5)
8 Diskussion der Ergebnisse Anhand der Ergebnisse der sprachbiografischen Interviews, die im Rahmen der Einzelfalldarstellungen in Kapitel 7.1.1 und der fallübergreifenden Übersicht in Kapitel 7.1.2 herausgearbeitet wurden, sowie der in Kapitel 7.2 herausgearbeiteten Ergebnisse der Leserbriefe und Pressetexte lassen sich Befunde ableiten, die sich auf den Untersuchungsgegenstand, das Großherzogtum Luxemburg sowie dessen AkteurInnen, beziehen. Bezogen auf das Erkenntnisinteresse zeigt sich anhand dieser Befunde, wie die Mehrsprachigkeit im Großherzogtum Luxemburg – individuell sowie öffentlich in den Leserbriefen und Pressetexten – erlebt wird und wie die LuxemburgerInnen in diesem Zusammenhang ihre Identitäten narrativ im Rahmen sprachbiografischer Interviews bilden. Im Rahmen der für die vorliegende Untersuchung geführten 16 Interviews mit den 17 ProbandInnen ließen sich gruppen- und fallübergreifend ähnliche Züge in der Identitätsbildung sowie sich daraus ergebende hybride Identitäten feststellen. Vor allem der Eintritt in die Kita, den Kindergarten und/oder der Schuleintritt spielen im Rahmen der sprachbiografischen Interviews für die AkteurInnen eine bedeutende Rolle. Als wichtiges identitätsbildendes Ereignis der hybriden Identitäten erleben die AkteurInnen im Rahmen der Bildungsstätten die Mehrsprachigkeit erstmals verbunden mit Herausforderungen, allerdings fühlen sie sich aufgrund ihres Sprachrepertoires und des damit verbundenen vorherigen verhältnismäßig «weniger» mehrsprachig geprägten Alltags nicht «out of place» (Busch 2017, 52) bzw. deplatziert, sondern bilden u. a. durch eine sprachliche Anpassung und die im damit verbundenen Sprachkontakt auftretenden hybriden Formationen ihre hybriden Identitäten. Es ist jedoch festzustellen, dass sich die AkteurInnen verschiedenen Sprachen gegenüber unterschiedlich positionieren, was wiederum u. a. im Zusammenhang mit den in den Bildungseinrichtungen gesprochenen und erlernten Sprachen steht. Vor allem die französische Sprache rückt in diesem Zusammenhang in den Fokus. Innerhalb der Narrationen der AkteurInnen bildet sich ab, dass die Spracheinstellung – genauer die Einstellungen der AkteurInnen gegenüber der französischen Sprache – einen enormen Einfluss auf die Einstellung zur französischen Sprachgemeinschaft sowie zu deren nichtsprachlichen Eigenschaften (cf. Casper 2002, 50) hat. Auch innerhalb der Leserbriefe bildet sich im Rahmen des Diskurses der «Luxemburgisierung» ein die französische Sprache bzw. das Französische betreffender, polarisierender Diskurs heraus. Besonders auffallend ist die emotionale, populistische Färbung sowie die harsche Rhetorik im Vergleich zu den Interviews oder Pressetexten in den Leserbriefen. In diesem Zusammenhang wird Kritik an (sprach-)politischen Maßnahmen hinsichtlich der luxemburgischen https://doi.org/10.1515/9783111117379-008
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Sprache geübt, die einerseits neben der Dominanz des Französischen von den AkteurInnen aktiv eingefordert, andererseits als unwichtig und übertrieben bewertet werden. Basierend auf diesem Diskurs wird von den AkteurInnen schließlich die Frage nach der luxemburgischen Identität aufgebracht, die, bezogen auf die Sprache sowie bezogen auf die Gesellschaft, aufgrund der unterschiedlichen Positionierungen im Rahmen der Leserbriefe weiter unbeantwortet bleibt. Weniger emotional und polarisierend entfalten sich die Diskurse innerhalb der Pressetexte, in denen Luxemburgisch als Integrationssprache bzw. eine generelle Stärkung des Luxemburgischen im Rahmen des Superdiversitätskontextes wesentlich euphemistischer thematisiert wird. Mit Fokussetzung auf das superdiverse Luxemburg und die Mehrsprachigkeit als «Reichtum» des Landes wird auch den Identitätsdiskurs betreffend keine Antwort auf die Frage gefunden, wie eine nationale bzw. «die luxemburgische» Identität aussieht. Aus der Mehrsprachigkeit resultierende Herausforderungen werden lediglich bezüglich Bildungseinrichtungen vor allem die jüngeren SchülerInnen betreffend thematisiert. Wenngleich die sich herausbildenden Diskursstränge weniger emotionalisiert sind, so ist jedoch eine Entwicklung in der diachronen Diskursbetrachtung festzustellen. Mit dem Herausbilden des Identitätsdiskurses in den Pressetexten 2016 bis 2018 bildet sich hinsichtlich der Wir-Identität im Laufe der Zeit bis zum Jahr 2018 vermehrt ein patriotisches Pathos heraus. Insgesamt ist festzustellen, dass sich die Interviews, die Leserbriefe sowie die Pressetexte – nicht zuletzt aufgrund der Intensität der Diskurse – zwar unterscheiden, allerdings eng miteinander im Zusammenhang stehen. Die Pressetexte, als erste Ebene, bilden sinnbildhaft das Fundament für die allgemeine Meinungsbildung der AkteurInnen, was sich sowohl in deren Darstellungen im Rahmen der Interviews äußert als auch im Rahmen der Leserbriefe, bei denen es sich ohnehin um die unmittelbaren Reaktionen auf die Pressetexte handelt. Um die genauen Zusammenhänge aufzuzeigen, werden im Folgenden die sich überschneidenden Diskurse auf allen drei Ebenen – den Leserbriefen, den Pressetexten sowie den Interviews – dargestellt. (Erleben der) Mehrsprachigkeit und Superdiversität Die Ergebnisse der sprachbiografischen Interviews legen deutlich dar, dass die Mehrheit der AkteurInnen die Mehrsprachigkeit als positiv empfindet. Vor allem verbunden mit Stolz sehen die AkteurInnen im polyglotten Luxemburg in der Mehrsprachigkeit deutliche Vorteile gegenüber anderen Ländern sowie Vorteile für sich selbst in ihrem Privatleben. Subtil bilden sich in den Erzählungen dennoch aus der Mehrsprachigkeit resultierende Nachteile heraus, die von den einheimischen LuxemburgerInnen im Vergleich zu den zugewanderten LuxemburgerInnen
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unterschiedlich wahrgenommen werden. Die hauptsächlich kognitiven Herausforderungen der einheimischen LuxemburgerInnen wiegen weniger schwer als die nach Meinung der zugewanderten LuxemburgerInnen defizitären Sprachkompetenzen in allen in Luxemburg gesprochenen Sprachen. Sprachstrukturelle Defizite, die ausschließlich von den portugiesischstämmigen LuxemburgerInnen thematisiert werden, sind darüber hinaus auch bei einigen der einheimischen LuxemburgerInnen festzustellen. Obwohl Letztere nicht explizit von «Defiziten» sprechen, geht aus ihren metasprachlichen Kommentaren hervor, dass Transfererscheinungen eine Konsequenz ebendieser Defizite zu sein scheinen. Die sprachstrukturellen Defizite scheinen darüber hinaus jedoch nicht allein für das vermehrte Auftreten von Transfererscheinungen verantwortlich zu sein. Auch nicht vorhandene Fachtermini in der luxemburgischen Sprache oder der Gebrauch einer Sprache in einer bestimmten Domäne führen zu Sprachkontaktphänomenen: Aber wenn man [...] auf Französisch maturiert, die anderen Fächer, die waren ja alle auf Französisch in der Matura, dann war das schon ein bisschen schwierig. Weiß ich noch, dass ich am Anfang ein bisschen – also die Wörter sind mir nicht eingefallen oder irgendwelche Sachen, oder ich habe es dann auf Französisch gewusst und nicht mehr auf Deutsch oder auf Luxemburgisch, das kam dann immer so dazwischen. [...] Also auf der Uni, dass es mir halt irgendwie, zum Beispiel am Anfang bei der Anatomie, schwergefallen ist, weil die Sachen – und ich dann immer noch im Französischen drin war, dann erst geswitcht hab und [...] das war mir dann halt irgendwie ein bisschen zu viel in dem Moment. (BLux4, Pos. 4/51)
Hervorzuheben ist darüber hinaus, dass die Mehrsprachigkeit des Großherzogtums als einzige Gemeinsamkeit der luxemburgischen Gesellschaft gesehen wird. Die AkteurInnen nehmen den superdiversen Kontext des Landes deutlich wahr, der den Rahmen bildet, in dem die Mehrsprachigkeit der AkteurInnen einerseits untereinander, andererseits aber auch im Kontakt mit Grenzpendelnden, also auch über die drei Amtssprachen hinaus, zum Tragen kommt. Im Rahmen der Superdiversität Luxemburgs bilden die Zugewanderten einen festen Bestandteil der luxemburgischen Bevölkerung, mit denen sie nicht mehr nur die Mehrsprachigkeit, sondern mittlerweile auch eine gemeinsame Geschichte verbindet. Die portugiesischstämmigen LuxemburgerInnen, als die stellvertretend größte Gruppe der Zugewanderten, haben, wie sich gezeigt hat, zunächst keinen größeren Einfluss auf die Sprachensituation des Landes. Ihre Muttersprache scheint mit Fortschreiten der Generationen an Bedeutung zu verlieren, während für sie die Relevanz anderer Sprachen im Großherzogtum zuzunehmen scheint. Gleichzeitig bildet sich bei den einheimischen AkteurInnen das Bewusstsein ab, dass ihre Muttersprache Luxemburgisch im superdiversen Kontext nur eine geringe Relevanz zu haben scheint und es daraus resultierend im sozialen Kontext vermehrt zu einer bewussten sprachlichen Anpassung an ihr Gegenüber kommt. Die sich daraus ergebenen Sprachkontaktphänomene sowie die Transfererscheinungen können dementsprechend auf ein ge-
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ringes Sprachbewusstsein bezüglich der Nationalsprache zurückgeführt werden (cf. Kap. 4.3.3). Eine sprachliche Anpassung der Minderheit (etwa der portugiesischstämmigen LuxemburgerInnen) an die Mehrheitsgesellschaft (die einheimischen LuxemburgerInnen) ist darüber hinaus nicht festzustellen. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass ein cultural pressure vor allem von den einheimischen AkteurInnen, ausgelöst durch die Mehrsprachigkeitssituation im superdiversen Großherzogtum, empfunden wird. Ausgelöst durch diesen kulturellen Druck passen sich die einheimischen AkteurInnen sprachlich an ihr Gegenüber, hauptsächlich zu Ungunsten des Luxemburgischen, an. Durch diese Feststellung wird auch die These von Berg (1993) in Frage gestellt – wenn nicht sogar widerlegt –, dass die Amtssprachen Luxemburgs für alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft gleichermaßen zugänglich seien (cf. Kap. 4.3.1). Auch in den Leserbriefen bildet sich diese Zerrissenheit der AkteurInnen bezüglich der Mehrsprachigkeit im Großherzogtum ab. Während die Mehrsprachigkeit einerseits als positiv und identitätsstiftend empfunden wird, wird andererseits starke Kritik vor allem an den zu schwachen sprachpolitischen Maßnahmen hinsichtlich des Luxemburgischen geübt. Damit rückt besonders die Kritik an der Politik in den Mittelpunkt der Leserbriefe, in denen auf der einen Seite sprachpolitische Maßnahmen gefordert werden, auf der anderen Seite eine Verschärfung sprachpolitischer Maßnahmen als nicht nötig und sogar als Ausgrenzung den Zugewanderten gegenüber empfunden wird. In den Pressetexten hingegen fällt die Darstellung der Mehrsprachigkeit überwiegend positiv aus und die Sprachenvielfalt im Zusammenhang mit der durch die Zuwanderung entstandenen Superdiversität des Landes wird als Alleinstellungsmerkmal des Großherzogtums beschrieben. Demgegenüber wird jedoch auch die Stärkung der luxemburgischen Sprache im superdiversen Großherzogtum thematisiert: So sollen sich vor allem für die Zugewanderten durch das Erlernen der luxemburgischen Sprache Vorteile ergeben und die Integration der zugewanderten Kinder erleichtert werden, da die Mehrsprachigkeit vor allem für sie zur Hürde werden könne. Nichtsdestotrotz steht im Fokus der Pressetexte weiterhin der multikulturelle und weltoffene Charakter Luxemburgs, der verbunden mit der Mehrsprachigkeit ein wichtiges Charakteristikum der luxemburgischen Gesellschaft ist. Den aus der Mehrsprachigkeit resultierenden Herausforderungen (u. a. im Berufsleben) wird mit Gegenargumenten wie der modernen, wandelbaren luxemburgischen Gesellschaft, die sich nicht durch «harte» bzw. stark abgrenzende Merkmale auszeichnet, begegnet.
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Sprache und Identität Die Befunde der Interviews verweisen darauf, dass die Mehrheit der AkteurInnen hybride Identitäten narrativ bildet. Besonders die dargestellten Sprachpraktiken haben für die AkteurInnen eine identitätsstiftende Funktion, wobei vor allem die englische Sprache eine für die AkteurInnen wichtige Rolle spielt, durch die sie über die drei Amtssprachen hinaus ihre hybriden Identitäten mit ihrem multilingualen Habitus und der damit verbundenen «Weltoffenheit» unterstreichen. Der u. a. durch die sprachliche Anpassung im sozialen Kontext verdeutlichte multilinguale Habitus scheint für die AkteurInnen mehr identitätsstiftend zu sein als ihre Nationalsprache, die ohnehin lediglich im Rahmen der Sprachenordnung und in privaten Kontexten als das Identitätsmerkmal der «LuxemburgerInnen» festgemacht werden könnte. Im Rahmen der hybriden Identitäten bildet sich darüber hinaus ein Kulturtransfer heraus, der in einer Transkulturalität mündet: [...] ce sont ces enfants-là, qui parlent encore le portugais, qui mangent encore la sardine, et qui mange encore le poulet, mais qui aiment aussi la saucisse et tous les autres plats luxembourgeois. (BpLux7, Pos. 13) [[...] es sind diese Kinder, die immer noch Portugiesisch sprechen, die immer noch Sardinen essen, die immer noch Hähnchen essen, die aber auch Würstchen und alle anderen luxemburgischen Gerichte mögen.]
Divergenzen in der Identitätsbildung sind hauptsächlich bei den älteren Generationen festzustellen, bei denen sich Tendenzen einer bestimmten ethnischen bzw. nationalen Identität (die der «LuxemburgerInnen» oder die der «PortugiesInnen») abbilden, die jedoch durch das nach außen konstruierte Bild einer Gesellschaft mit multilingualem Habitus in den Hintergrund zu rücken scheint. Auch aus den Sprachporträts geht hervor, dass die Mehrheit der AkteurInnen hybride Identitäten bildet. Zusammenfassend lässt sich weder eine der von den AkteurInnen in den Sprachporträts visualisierten Sprachen als die präsenteste Sprache festmachen noch bildet sich ein anderes Muster heraus. Ganz gegenteilig dazu fällt – bezogen auf die hybriden Identitäten – die distinkte Darstellung der Sprachen auf, durch die der Sprachgebrauch innerhalb unterschiedlicher Kontexte deutlich wird. Eine in den Sprachporträts dargestellte Verzahnung der einzelnen Sprachen könnten hingegen Sprachkontaktphänomene und Transfererscheinungen verdeutlichen. Die in den Leserbriefen thematisierte Identität der LuxemburgerInnen stellt im Vergleich zu den Interviews ein stark emotional aufgeladenes Thema dar, das durch zwei verschiedene Positionen gekennzeichnet ist: Einerseits wird die luxemburgische Sprache als eindeutiges identitätsstiftendes Merkmal der LuxemburgerInnen dargestellt, das im Rahmen des superdiversen Kontextes gefördert werden müsse, andererseits scheint gerade dieser superdiverse Kontext Luxem-
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burgs eine die luxemburgische Bevölkerung charakterisierende Eigenschaft zu sein und damit gleichzeitig ein wichtiges Identitätsmerkmal. Beide Positionen betreffend wird in den Leserbriefen Kritik an der Politik geübt, die die starke mit dem Thema verbundene Emotionalität der LuxemburgerInnen deutlich werden lässt: Das ist an grotesker, elitärer Arroganz nicht mehr zu überbieten. Da bleibt mir tumbem Zurückgebliebenen und wohl am falschen Ende des «Bildungsgefälles» angesiedelten Bürger schlicht das Maul offenstehen. (cf. Leserbrief «Elitäre Arroganz», Pos. 4)
Weniger emotional, jedoch inhaltlich ähnlich gestalten sich die Pressetexte. Als identitätsstiftendes Merkmal wird sowohl die luxemburgische Sprache als auch der kosmopolitische Charakter des superdiversen Großherzogtums angeführt, wobei Letzterer als «Reichtum» der LuxemburgerInnen betont wird und die aufkommende Frage nach der nationalen Identität ohnehin im Rahmen der Pressetexte unbeantwortet bleibt: Durchaus verständlich erscheint dieser Reflex in dem Sinne, dass den Luxemburgern außer der eigenen Sprache kein wirkliches Identifikationsmerkmal mehr bleibt. Andererseits bildete eben dies, das Anerkennen und das alltägliche Leben der nicht auf eine Sprache, Nation oder Kultur beschränkten «Identität» den Kern der modernen luxemburgischen Gesellschaft. (cf. Pressetexte 2016 «Die Renaissance der Nation», Pos. 15)
Die «Luxemburgisierung» Die Stärkung des Luxemburgischen steht im Rahmen der in den Interviews narrativ gebildeten hybriden Identitäten nicht im Fokus. Ebenso wenig weisen die Narrationen der AkteurInnen auf eine von ihnen befürchtete Enttraditionalisierung Luxemburgs hin, der mit einer «Luxemburgisierung» entgegengewirkt werden müsste. Vielmehr wird das «fortschrittliche» und «weltoffene» Luxemburg als Vorbild für andere Länder gesehen. Nichtsdestotrotz lässt sich durch die Darstellungen der AkteurInnen u. a. bezüglich des geringen Angebots an luxemburgischsprachigen Medien nachvollziehen, dass der Wunsch nach einer allgemeinen Stärkung der luxemburgischen Sprache hauptsächlich in öffentlichen Bereichen aufzukommen scheint: Zum Beispiel jetzt wird es so langsam geändert, aber den Luxemburgisch wurde früher nur gesprochen und nie auf Dokumenten und so und das wechselt so langsam, [...] dass man auch die Dokumente schon auf Luxemburgisch, die wichtige Internetseiten vom Staat, dass es auch schon luxemburgische Versionen gibt und nicht nur Französisch oder Deutsch wie früher. Und das kommt immer mehr [...]. (BpLux2, Pos. 30)
Über eine die Sprache betreffende Stärkung des Luxemburgischen gehen die Einstellungsäußerungen der AkteurInnen allerdings nicht weiter hinaus. Gründe für
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eine «Luxemburgisierung» werden, wenn überhaupt, nur sehr implizit genannt, wie etwa im Zusammenhang mit einer schlechten Integration der Zugewanderten, die sich nicht nur sprachlich, sondern auch räumlich von den Einheimischen abzugrenzen scheinen. Wenngleich sich zwar allochthone Tendenzen bei den portugiesischstämmigen Zugewanderten abzubilden scheinen, wird nicht nur durch die portugiesischstämmigen AkteurInnen selbst, sondern auch durch deren Darstellungen im Rahmen der Interviews deutlich, dass die Zugewanderten mit Fortschreiten der Generationen fester Bestandteil der luxemburgischen Gesellschaft werden. Gegen das Herausbilden allochthoner Gruppen spricht darüber hinaus vor allem die auf die portugiesischstämmigen AkteurInnen zutreffende «Drei-GenerationenRegel», die im Rahmen allochthoner Gruppen hingegen meist gebrochen wird. Ähnlich wie im Rahmen der Interviews äußern auch die AkteurInnen im Rahmen der Leserbriefe die Meinung, dass eine Stärkung der luxemburgischen Sprache wichtig sei, eine «Luxemburgisierung» und das damit verbundene Ergreifen weiterer Maßnahmen vor allem auf politischer Ebene wird von ihnen jedoch kritisiert. Die AkteurInnen, die im Rahmen der Leserbriefe für die «Luxemburgisierung» und die damit verbundene Stärkung des Luxemburgischen argumentieren, begründen die Motive vor allem durch die Konkurrenz des Französischen und die starke Dominanz der französischen Sprache in öffentlichen Bereichen. Besonders auffallend ist die die beiden Sichtweisen betreffende Intensität der Argumentationsführung, die nicht zuletzt in der polarisierenden Petition 698 gründet. Spricht man mit den verantwortlichen «Eliten», so hört man ein wildes, und ziemlich inkongruentes Durcheinander an 1940er-Ressentiments, an «Culture-française»-Exklusivitäten, an Anpassungszwängen an die Frontaliers, denen wir eine Anpassung an uns nicht zumuten können, an «Kampf gegen die Germanisierung unserer Sprache» (doch, doch, ich hab das schwarz auf weiß, von einem sogenannten Kulturschaffenden) und schlussendlich das Totschlagargument: weil die aus welchem Grunde auch immer zu uns gekommenen Menschen mit lateinischem Sprachenhintergrund unmöglich mit unserem germanofonen Hintergrund zurechtkommen können. (cf. Leserbrief «Die Sprache des Brötchens», Pos. 5)
Vor allem die Petition 698, in der u. a. Luxemburgisch als verbindliche erste Amtssprache gefordert wurde, ist ein zentrales Thema der Pressetexte aus dem Jahr 2016, wobei die Stärkung des Luxemburgischen auch in den Pressetexten bis 2018 sehr präsent ist. Dabei steht in den Pressetexten vor allem die Politik im Fokus, von politischer Seite wird als Argument für die Stärkung der luxemburgischen Sprache u. a. die damit einhergehende Funktion einer Integrationssprache angeführt. Auffallend ist die neutrale Berichterstattung, die besonders im Vergleich zu den Leserbriefen deutlich wird: Lucien Welter aus Münsbach, der inzwischen der ADR beigetreten ist, hatte gefordert, das Luxemburgische als erste Amtssprache einzuführen, um es vor dem «Aussterben» zu bewahren.
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Seine Petition 698 wurde von rund 14 500 Personen unterschrieben. Die Unterstützung für die Gegenpetition von Joseph Schloesser und Henri Werner, dem Sohn von Ex-Premier Pierre Werner, fiel mit knapp 5.000 Unterschriften wesentlich bescheidener aus. (cf. Pressetexte 2017 «Debatte über zweisprachige Frühförderung gerät wieder in Schwung», Pos. 9)
Kritik am Französischen Grundsätzlich ist festzustellen, dass vor allem die französische Sprache im Rahmen der Interviews eine für die AkteurInnen wichtige Rolle spielt. Dass sich die AkteurInnen im Rahmen ihrer Identitätsbildung durch die identitätsbildende Kraft, den Schuleintritt, zwar nicht «out of place» (Busch 2017, 52) fühlen, wurde bereits weiter oben beschrieben. Allerdings ist auffallend, dass die AkteurInnen sich dadurch bestimmten Sprachen gegenüber unterschiedlich positionieren. Während die deutsche Sprache hauptsächlich von den LuxemburgerInnen positiv bewertet wird – was an der sprachgenetischen Verbindung zum Luxemburgischen liegen könnte oder an der sprachlichen Entwicklung bezogen auf das Deutsche, die für die AkteurInnen einen normalen Prozess darstellt –, fallen die Einstellungsäußerungen bezogen auf die französische Sprache größtenteils negativ aus: Es gibt eine ganze Reihe von Menschen hier, die Probleme mit dem Französischen haben. Und die dann sogar ein Problem damit haben, dass sie in einem Laden eben grad Französisch reden müssen. Und das müsste ja eigentlich für jeden hier in Luxemburg aber zu bewerkstelligen sein. Und das ist so, ja, ich kann mir nur vorstellen, dass das Minderwertigkeitskomplexe sind. Die dann machen, dass die Leute sagen ‹Ah, immer müssen wir Französisch reden.› und ‹Die könnten ja auch Luxemburgisch reden!› und ja. (BLux5, Pos. 49)
Zwar wird deutlich, dass sich über die drei Amtssprachen des Großherzogtums hinaus ein Bewusstsein für die sich durch die Zugewanderten ergebene Sprachenvielfalt und damit verbunden für noch weitere Sprachen wie etwa Portugiesisch entwickelt, allerdings scheint eine von den AkteurInnen beschriebene Fragmentierung hauptsächlich durch die französische Sprache bedingt zu sein. Der weiter oben dargestellte «cultural pressure» wirkt, wie aus den Darstellungen der AkteurInnen im Rahmen der Interviews deutlich wird, nicht primär auf die zugewanderten AkteurInnen, sondern wird hauptsächlich von den einheimischen AkteurInnen empfunden, die sich im Rahmen der superdiversen Strukturen des Großherzogtums nicht nur sprachlich anpassen, sondern zudem damit verbunden vermehrt auf die französische Sprache zurückgreifen (müssen). Bezüglich des linguistischen Konzeptes der Akkommodation – über dialektale Varietäten hinaus – wird deutlich, dass eine sprachliche Akkommodation gleichzeitig mit einer gesellschaftlichen Akkommodation und vice versa einhergeht, wenngleich es sich bei den einheimischen AkteurInnen nicht um die Sprachminderheit handelt. Die im Kontext des soziologischen Konzeptes der Akkommodation beschriebene «schwierige Beziehung»
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(cf. Kap. 2.2) zwischen beiden Gruppen bildet sich auch durch die aus den eigentlichen Spracheinstellungen der AkteurInnen resultierenden Einstellung den Sprechenden gegenüber ab: [...] aber ich glaub, ich hör jetzt nicht so viel Rassismus von wegen ‹Ah, der spricht nur die Sprache...›, eher gegen Französisch sogar. Es gibt ’nen sehr großen Franzosenhass. (Exkurs, Pos. 143)
In diesem Zusammenhang wäre weiter davon auszugehen, dass sich die englische Sprache durch die von den AkteurInnen beigemessene Bedeutung, verglichen mit deren Einstellung dem Französischen gegenüber, als präferierte lingua franca herausbildet. Die Befunde zeigen nämlich weiter, dass die englische Sprache im Gegensatz zum Französischen für die AkteurInnen die Funktion einer «Freizeitsprache» übernimmt. Die Ergebnisse verweisen deutlich darauf, dass sich das im Rahmen der Interviews abgebildete Gruppenbewusstsein über die Kritik an dem Französischen in den Leserbriefen in verschärfter Form widerspiegelt. Deutlich von starken Emotionen bestimmt wird das Französische als die Sprache der Überheblichen dargestellt, deren Dominanz in den öffentlichen Bereichen stark kritisiert wird. Nicht zuletzt wird Kritik an dem Französischen als die Sprache der Gesetzgebung geübt. Auffallend ist darüber hinaus, dass, den Diskurs betreffend, sprachliche Mittel von den AkteurInnen genutzt werden, um damit ihre Meinung zu unterstreichen: [...] il ne sʼagit pas du luxembourgeois qui représenterait la monoculture, mais bel et bien de votre vénéré français. [...] Et je continue en allemand, damit so mancher meiner luxemburgischen Mitbürger nicht die Lust am Lesen verliert. (cf. Leserbrief «La monoculture... française», Pos. 4/6)
Die Befunde aus der Untersuchung der Pressetexte geben keinen Hinweis auf eine Kritik am Französischen, vielmehr steht neben der Stärkung des Luxemburgischen sogar die Stärkung des Französischen, hauptsächlich auf Ebene der Bildungspolitik, im Vordergrund: Damit die erworbenen Sprachkenntnisse nach der Früherziehung nicht verkümmern, soll die französische Sprache auch in der Vorschule (Zyklus 1) und im ersten Schuljahr (Zyklus 2.1.) weiter gefördert werden, was mit Änderungen bei den Lehrplänen einhergeht. (cf. Pressetexte 2016 «Bunte Sprachenwelt», Pos. 5)
Bildungs- und Sprachpolitik Wie die Ergebnisse zeigen, wird die Kritik an der Dominanz der französischen Sprache von den AkteurInnen nicht nur im Rahmen ihres Alltags, sondern vor allem bezogen auf das Bildungssystem geäußert. Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass, wie bereits beschrieben, der Schuleintritt bzw. die Schule als Ort für
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die AkteurInnen im Rahmen ihrer Sprachbiografie eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit dem Erleben der Mehrsprachigkeit spielt. Nicht nur die Dominanz des Französischen in der Schule wird von den AkteurInnen kritisiert, sondern auch die von ihnen konträr dazu dargestellten mangelnden Französischkompetenzen. Aufgrund ihres starken Sprachbewusstseins ist davon auszugehen, dass die AkteurInnen Forderungen an den Staat stellen, die sich folglich in der Sprachenpolitik niederschlagen, allerdings haben die Ergebnisse gezeigt, dass der Fokus vordergründig auf bildungspolitische Maßnahmen gelenkt wird. Die Befunde zeigen allerdings auch, dass im Rahmen der Leserbriefe von den AkteurInnen Kritik, vordergründig hinsichtlich der Stärkung der luxemburgischen Sprache, an sprachpolitischen Maßnahmen geübt wird. Darüber hinaus äußern die AkteurInnen ihren Unmut gegenüber der Politik sowie konkret zu den Entscheidungen der PolitikerInnen, jedoch nicht nur bezogen auf die Sprachenpolitik, sondern, wie die AkteurInnen im Rahmen der Interviews und der Leserbriefe auch, im Zusammenhang mit der Bildungspolitik: Die kognitiven Fähigkeiten des Menschen, soviel ist sicher, werden in ihrem tagtäglichen Umfeld mit ihren Sprachen, ihrer Kultur, ihrem historischen und aktuellen Glauben und deren Traditionen gebildet: Die Schulen sind für die Kommunitaristen die Stellschrauben, an denen sie drehen wollen, um eine Gesellschaft umzupolen, umzuerziehen eigentlich, wie Dr. Claude P. Muller das sehr richtig im LW vom 31. Dezember 2016 am Sprachenstreit beschrieben hat. In unserem Fall, von multilingual auf mono-französisch. (cf. Leserbrief «Elitäre Arroganz», Pos. 8)
Die Ergebnisse aus der Untersuchung der Pressetexte zeigen, dass die Berichterstattung hauptsächlich auf den politischen Entscheidungen sowie den Darlegungen der politischen AkteurInnen fußt. Dabei steht vor allem die Frühförderung mit Fokus auf die französische Sprache im Mittelpunkt der Texte, die im Vergleich zu den Leserbriefen überwiegend durch ihre Objektivität gekennzeichnet sind: Multilinguale Frühförderung nennt sich das Konzept von Claude Meisch, das ab der Rentrée 2017 in den «Crèches» Einzug halten soll. Ziel der Maßnahme soll eine gesteigerte Leichtigkeit beim Erlernen der Sprache Molières sein.» (cf. Pressetexte 2016 «Realitätsfern», Pos. 2)
Aufgegriffen wird darüber hinaus jedoch auch die von den AkteurInnen in den Leserbriefen geäußerte Kritik an der französischen Sprache im Rahmen des Bildungssystems. Die Berichterstattung erfolgt auch hier im Vergleich zu den Leserbriefen wesentlich gemäßigter, wobei die Darstellung der von den AkteurInnen empfundenen Sorgen in wesentlich abgeschwächter Form dem entspricht, was auch die AkteurInnen innerhalb der Interviews und Leserbriefe äußern: Dieses Missbehagen wird sich durch die jüngsten schul- und bildungspolitischen Vorschläge der Regierung weiter verschärfen. Bei vielen Luxemburgern entsteht der Eindruck, dass sie
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in Zukunft noch häufiger Französisch sprechen und schreiben müssen, obwohl sie diese Sprache nicht wirklich beherrschen. Es geht nicht nur um das Wollen, es geht auch um das Können. (cf. Pressetexte 2016 «Die Sprachen-Mär», Pos. 4)
Die Ergebnisse zeigen, dass beim Vergleich der Pressetexte, Leserbriefe und Interviews – auch wenn sich nicht alle der sich überschneidenden Diskurse inhaltlich decken – vor allem die «Wir-Identität» der AkteurInnen im Rahmen der Darstellungen auch einzelsprachübergreifend durchgängig präsent ist. Darüber hinaus wurde deutlich, dass sich eine Top-down-Dynamik zu entwickeln scheint, die vor allem der Mehrsprachigkeitsdiskurs hervorbringt. Die durch die Pressetexte erzeugten öffentlichen Diskurse werden auf individueller Ebene, den Leserbriefen, weiterentwickelt und haben schließlich nicht nur Einfluss auf die individuelle Aktion und Interaktion der AkteurInnen (im Rahmen der Interviews), sondern darüber hinaus auch auf die AkteurInnen selbst beim Bilden ihrer Identitäten. Neben der «Wir-Identität» geht aus den Ergebnissen außerdem hervor, dass bestimmten Lexemen eine diskursive Bedeutung zugeschrieben werden kann. Dies wird anhand des Mehrsprachigkeitsdiskurses besonders deutlich: Die Mehrsprachigkeit des Großherzogtums wird wie ein kostbarerer Besitz der LuxemburgerInnen, wie ein «Reichtum» dargestellt. Lexeme des mit dem Reichtum verbundenen Themenfeldes finden sich in den Darstellungen der AkteurInnen zur Mehrsprachigkeit Luxemburgs immer wieder: Luxemburgisch gehört zu unserer Identität, doch auch der Multilingualismus macht unseren Reichtum aus. (cf. Pressetexte 2016 «Es gibt eine Malaise», Pos. 13) Et nous avons lʼintention de maintenir notre haut standard en matière de culture et de communication. (cf. Leserbrief «La monoculture...française», Pos. 5) [Und wir wollen unseren hohen Kultur- und Kommunikationsstandard beibehalten.] Ich finde es ist ’n Reichtum in unserem Land. Also die Sprachen sind extrem, extrem wichtig. Und ich merk das immer wieder und bin immer so glücklich, ich bin so dankbar, dass ich hier aufgewachsen bin. (BLux8, Pos. 40)
Ähnlich wie den Mehrsprachigkeitsdiskurs betreffend, ist eine Top-down-Dynamik auch bezogen auf die luxemburgische Wirtschaft festzustellen. Während die luxemburgische Wirtschaft innerhalb der Pressetexte als «dynamisch» und «attraktiv» beschrieben wird, referieren die Darstellungen der AkteurInnen in den Leserbriefen bereits auf eine emotionale Bindung zu der luxemburgischen Wirtschaft. Im Rahmen der Interviews wird darüber hinaus die die Wirtschaft betreffende «luxemburgische Überheblichkeit» der AkteurInnen ganz besonders deutlich: Die Mehrsprachigkeit war und ist ein Trumpf, der die Luxemburger Wirtschaft dynamisch und attraktiv macht. (cf. Pressetexte 2016 «‹Itʼs identity, stupid!›», Pos. 20)
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Wir sind stolz auf unsere Wirtschaft, die auch heute noch fortwährend Rekorde bricht. Wir können uns nicht genug damit brüsten und nicht genug davon profitieren. (cf. Leserbrief «‹Ligne Maginot› bis», Pos. 5) [...] die Franzosen haben mehr so die sozial unteren Jobs, wirklich so in Cafés oder Tankstellen und so. Und eigentlich sollten wir super dankbar dafür sein, weil wir Luxemburger sind saufaul und wir sind so froh, dass es andere Leute gibt, die sowas machen, weil die Portugiesen fangen auch so langsam an, faul zu werden und nicht mehr diese Drecksjobs anzunehmen. Wir sagen das immer so, das sind so Dreckjobs, die so Luxemburger zu gut dafür sind und deshalb macht die Portugiesen das auch nicht mehr, weil die mittlerweile auch so im sozialen Rang aufgestiegen sind und jetzt kommen halt so diese Grenzgänger und die Luxemburger regt es halt auf nur für das Geld, weil man dann gut Geld bekommen kann und dann wieder [...] wegfährt. Aber [...] ist [...] nur so blödes Geschwätz, was man hat. Also man respektiert halt hier jeden, das ist halt das Leben, wie es läuft [...]. (BLux8, Pos. 68)
Des Weiteren ist eine Entwicklung der Intensität dieser Top-down-Dynamik festzustellen: Während die Diskurse der Pressetexte distanzierter und reduzierter verlaufen: Ebenso wolle man allen Nichtluxemburgern vermitteln, dass die luxemburgische Sprache ein Integrationsfaktor sei. (cf. Pressetexte 2017 «Der Auflösung entronnen», Pos. 4–5)
sind die Darstellungen der AkteurInnen in den Leserbriefen als direkte Antwort auf die Pressetexte mehr auf Konfrontation aus: Jahrelang in Luxemburg, und als Resultat nur «Moien» und «Äddi», um dann die luxemburgische Nationalität zu beantragen? Wen will man hier veräppeln? (cf. Leserbrief «La monoculture...française», Pos. 7)
Die Befunde haben außerdem gezeigt, dass die Darstellung der AkteurInnen im Rahmen der Interviews überwiegend – jedoch mit Ausnahmen – zwar abgeschwächter als die Leserbriefe, aber ähnliche Tendenzen wie die Leserbriefe aufzeigen: [...] weil ich find’s eigentlich schon ganz wichtig, wenn man in einem Land wohnt, dass man dann auch die Sprache lernt. (Exkurs, Pos. 136)
Auf Grundlage der angewandten Methodentriangulation konnte das Konstrukt der luxemburgischen Identität auf verschiedenen Ebenen beleuchtet werden. Wenngleich die Intensität der inhaltlichen Diskurse teilweise stark variiert, wird besonders die sich herausbildende Relevanz der inhaltlichen Thematiken auf allen drei Ebenen deutlich.
9 Fazit und Ausblick Vor dem Hintergrund der dargestellten Befunde zeigt sich, dass durch den Mehrsprachigkeitsdiskurs im Rahmen der Pressetexte, Leserbriefe und sprachbiografischen Interviews ähnliche Diskurse hervorgebracht werden: die Frage nach der luxemburgischen Identität, die Stärkung des Luxemburgischen, die Bildungs- und Sprachenpolitik Luxemburgs sowie die Kritik am Französischen. Bezogen auf die Kritik am Französischen ist deutlich geworden, dass die das Französische betreffenden Diskurse Konflikte generieren, an denen Brüche innerhalb der luxemburgischen Gesellschaft deutlich werden und deren Ursprung somit letztlich in der Mehrsprachigkeit des Großherzogtums liegt. Die sich hinsichtlich der französischen Sprache auftuenden Konflikte können allerdings nicht nur durch die allgemeine Dominanz der französischen Sprache begründet werden, sie scheinen darüber hinaus in der luxemburgischen Gesellschaft historisch verankert zu sein, was sich in den Darstellungen der AkteurInnen zwischen dem Selbst und dem Anderen (auffallend vor allem im Rahmen der Leserbriefe) zeigt. Die für die LuxemburgerInnen wirkungsmächtige französische Sprache generiert darüber hinaus einen politischen Diskurs, der von einer Eigen- und Fremdpositionierung geprägt ist. In diesem Zusammenhang wird vor allem die Wir-Identität der LuxemburgerInnen immer wieder deutlich, die sich im Rahmen der unterschiedlichen Diskursstrategien, Positionen und der Argumentationen der AkteurInnen persistent herausbildet. Insgesamt zeigen die Ergebnisse dieser Untersuchung, dass die Mehrsprachigkeit im Großherzogtum für die LuxemburgerInnen Normalität in ihrem Alltag ist. Auch über die Amtssprachen hinaus spielt vor allem die englische Sprache für sie eine wichtige Rolle. Durch den Gebrauch der englischen Sprache im Alltag unterstreichen die LuxemburgerInnen ihre mehrsprachige Identität. Zwar bilden sich Tendenzen ab, die deutlich zeigen, dass durch den sozialen Kontext unterschiedliche Identitäten zum Tragen kommen, insgesamt bilden die LuxemburgerInnen – sowohl die einheimischen als auch die zugewanderten – jedoch hybride Identitäten im Rahmen ihrer Narrationen. Auch in den Medien wird das Bild einer Gesellschaft mit multilingualem Habitus konstruiert, bei dem vor allem Sprachengrenzen verschwimmen und die mehrsprachige kommunikative Kompetenz der LuxemburgerInnen in den Fokus gestellt wird: Die verschiedenen Sprachen bestehen nebeneinander in gegenseitiger Toleranz und ohne Rivalität und übernehmen ohne falsche Bescheidenheit Wörter und Ausdrücke voneinander. Dies zeigt sich besonders im Wechsel von einer Sprache in die andere, einer Kunst, welche die Luxemburger hervorragend beherrschen. (Luxembourg 2019)
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Es bleibt zu hinterfragen, ob das nach außen konstruierte Bild des multilingualen Habitus der LuxemburgerInnen eine tendenziell euphemistische Bezeichnung für die undurchsichtige Sprachensituation Luxemburgs ist, die den Vorstellungen der Europäischen Kommission von gelebter Mehrsprachigkeit entsprechen soll, um Luxemburg nicht nur als wirtschaftliches und superdiverses Exempel inmitten der Großregion, sondern darüber hinaus auch damit verbunden, bezogen auf seine Sprachensituation, als den «Musterschüler» der Europäischen Union darzustellen. In den Medien wird ebenfalls das Bild des «Musterschülers» vom Großherzogtum vermittelt. Jedoch bleibt auch im Rahmen der Medien unklar, worin genau «die luxemburgische Identität» besteht. Vielmehr entwickeln die Medien durch die sich im Rahmen der öffentlichen Diskurse herausbildende Wir-Identität eine starke Integrationswirkung. Diese wird in den Darstellungen der LuxemburgerInnen sowie in der Bildung ihrer hybriden Identitäten in ihren Narrationen nachvollziehbar. Der in Kapitel 3 dieser Arbeit dargestellte «Foreclosure-Identitätsstatus», die Übernahme einer Rolle, ist auch im Zusammenhang mit der Medienwirkung festzustellen: Die LuxemburgerInnen übernehmen das in den Medien produzierte Bild einer mehrsprachigen und weltoffenen Identität, ohne diese zunächst zu hinterfragen. Besonders auffällig wird dies im Rahmen der Narration des portugiesischstämmigen Luxemburgers, der, obwohl sich an einigen Stellen seiner Narration gegenteilige Tendenzen abbilden, die Rolle des Mediators übernimmt, auf deren Grundlage er weiter eine hybride Identität bildet. Abseits dessen handelt es sich bei dem Großherzogtum Luxemburg um einen für das Aufdecken der Identitätsbildung der LuxemburgerInnen höchst komplizierten Rahmen, da der multilinguale Habitus im Großherzogtum identitätsbildende Strukturen zunächst in den Hintergrund stellt. Dies wird nicht nur durch die LuxemburgerInnen selbst dargelegt, die in der sprachlichen Anpassung an ihr Gegenüber ein wichtiges Identifikationsmerkmal ihrer hybriden Identität sehen, sondern auch aufgrund der aus der Sprachvielfalt resultierenden Fragmentierung der luxemburgischen Gesellschaft. Bezüglich der in Kapitel 2.3 dieser Arbeit dargestellten neueren Perspektiven mehrsprachiger Praktiken bleibt, in Hinblick auf das bei den LuxemburgerInnen festgestellte Phänomen des language crossing, die Frage, ob sich nicht auch der Translanguaging-Ansatz auf das Großherzogtum beziehen ließe, offen. Durch das Untermauern ihrer Identitäten als luxemburgische multi-ethnische Gruppen, die Tendenzen zeigen, sprachliche Normen abzulehnen, scheinen die Sprachen per se eine geringere Rolle zu spielen als der soziale Rahmen und die Absichten beim Benutzen ebendieser Sprachen, wodurch der Interaktionskontext der AkteurInnen in den Fokus gerückt wird.
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Auch wenn das Superdiversitätskonzept auf gesellschaftlicher Ebene oder etwa der Translanguaging-Ansatz auf soziolinguistischer Ebene als neuere Perspektiven auf heterogene, mehrsprachige bzw. heteroglosse Gesellschaften in vielen Bereichen Potenziale bergen, so fallen mit dem Wegfallen von Grenzen auch für die AkteurInnen wichtige Spielräume weg, in deren Rahmen sie ihre Identität bilden können. Die Existenz und Relevanz dieser Grenzen lassen sich nicht zuletzt anhand der portugiesischstämmigen Bevölkerung Luxemburgs festmachen. Sie bildeten neben den einheimischen LuxemburgerInnen eine für die vorliegende Untersuchung besonders relevante Zielgruppe. Bei einem Anteil von über 47% an Zugewanderten, den progressiven superdiversen Strukturen sowie den von den LuxemburgerInnen narrativ selbstbestimmten hybriden Identitäten stellt sich die Frage, ob das Motto des Großherzogtums Mir wëlle bleiwe wat mir sinn nicht obsolet ist. Berg et al. (2013) merken diesbezüglich an: Luxemburger[Innen] kommen, wenn es um ihre Identität in dem sich globalisierenden Kontext geht, in die paradoxe Lage, dass sie etwas verteidigen oder aufgeben müssen beziehungsweise wollen, von dem sie nicht einmal sicher wissen, ob sie es je besessen haben. (Berg/Milmeister/Weis 2013, 15)
Aus der diachronen Untersuchung dieser Arbeit ergeben die Befunde jedoch, dass sowohl mit fortschreitender Zeit als auch durch die Generationen hinweg die Frage nach «der luxemburgischen» Identität in den Hintergrund gerückt zu sein scheint und die LuxemburgerInnen in der Superdiversität des Großherzogtums ein Identitätsmerkmal gefunden zu haben scheinen: Wir Luxemburger machen immer Witze untereinander, ‹Wir haben keine Kultur, wir sind alles, wir sind so Abmacher von Deutschen und Franzosen gemischt›, aber wenn man das sich eigentlich so anschaut, was wir alles haben und wie wir leben, und wenn man sich vergleicht so direkt so mit der deutschen Kultur und so, dann ist es schon irgendwie anders, und man kann nicht sagen, dass das das Gleiche ist. (BLux8, Pos. 4)
In diesem Zusammenhang treten, wie Berg (1993, 134) behauptet, Sprachkontaktphänomene, das Code-Switching, nicht mehr nur institutionell, gesellschaftlich oder unbewusst auf. Die Befunde haben Folgendes gezeigt: Wenngleich der gesellschaftliche und soziale Kontext noch immer der Hauptauslöser für das auftretende CodeSwitching ist, treten auch unbewusste Sprachkontaktphänomene immer häufiger auf, die die hybriden Identitäten der LuxemburgerInnen evident werden lassen. Kritische Reflexion des Untersuchungsansatzes Unter Rückbezug auf die für die vorliegende Arbeit zugrundeliegende, in Kapitel 6.4.2 dargestellte, Gegenstandsangemessenheit soll ein kritischer Blick auf die
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Methoden- und Daten-Triangulation sowie auf die interpretative Forschungsmethode gelenkt werden. Die durch die Methodentriangulation erzielten Befunde wurden im Rahmen der Einzelfalldarstellungen vertiefend bearbeitet, um sowohl bestimmte Charakteristika der verschiedenen Fälle herauszuarbeiten als auch die selbstbestimmte, narrativ gebildete Identität nachvollziehbar zu machen. Die Methoden-Triangulation der Sprachbiografien, der narrativ-episodischen Interviews sowie der Sprachporträts erlaubte im Rahmen der Einzelfalldarstellungen dabei einen transparenten Blick auf den Untersuchungsgegenstand. Darüber hinaus konnten Befunde durch die Methoden-Triangulation z. B. validiert werden: Die narrativ-episodischen Einheiten im Rahmen der Interviews erlaubten eine tiefere Einsicht im Anschluss an die Sprachbiografien, und die Sprachporträts dienten dazu, u. a. Spracheinstellungsäußerungen im Rahmen der Narrationen überprüfbar zu machen. Das in der Gesamtschau mehrmalige Auftreten bestimmter Fallstrukturen wies darüber hinaus auf die Reliabilität der Untersuchung hin. Die Daten-Triangulation betreffend ermöglichten die Pressetexte als nicht reaktive Daten (Prokopowicz 2017, 339) eine weitere Perspektive auf den Untersuchungsgegenstand. Obwohl zu Beginn des Forschungsvorhabens nicht vorgesehen, stellte sich die Daten-Triangulation durch die Pressetexte als äußerst fruchtbar heraus. Es muss jedoch angemerkt werden, dass die Befunde dieser Untersuchung lediglich auf einem ausgewählten Bereich basieren, der nicht die kompletten, vielschichtigen Gegebenheiten umfassen kann. Die Sprachporträts wurden bspw. hauptsächlich im Rahmen der Einzelfalldarstellungen ausführlich dargestellt, da eine fallübergreifende Darstellung aufgrund der Individualität ohnehin nicht möglich gewesen wäre. Hinsichtlich der Offenheit dem Untersuchungsgegenstand gegenüber ist anzumerken, dass die mit Blick auf die Corona-Pandemie stagnierende Datenerhebung nicht zu der Anzahl an ursprünglich vorgesehenen InterviewpartnerInnen führte, wodurch die Altersverteilung der ProbandInnen ungleichmäßiger ausfiel als geplant. Obwohl sich durch die Befunde anhand der soziodemografischen Variable «Alter» Tendenzen abbilden, können diese letztendlich allerdings nicht eindeutig belegt werden. Des Weiteren sollten die portugiesischstämmigen LuxemburgerInnen als größte Gruppe stellvertretend für die Zugewanderten untersucht werden. Wie im Rahmen der Arbeit jedoch deutlich wurde, gestalten sich die Zuwanderungen durch unterschiedliche Faktoren so vielschichtig, dass die Zugewanderten nicht nationenübergreifend verallgemeinert betrachtet werden können. Nicht zuletzt muss die Position der Interviewerin kritisch betrachtet werden, die in der Interaktion ebenso Auswirkungen auf den Kontext der Datenerhebung sowie Einfluss auf die Narrationen der ProbandInnen hatte. So kann nicht ausgeschlossen werden, dass die ProbandInnen im Rahmen ihrer Erzählung ein für die
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deutschsprachige Interviewerin konstruiertes Bild von sich entworfen haben, wodurch Verzerrungen entstehen können. Des Weiteren verweisen die Befunde, über das der vorliegenden Arbeit zugrundeliegende Erkenntnisinteresse im Zusammenhang mit den einzelnen Forschungsfragen hinaus, auf weitere Forschungsdesiderate, die neue Forschungsperspektiven aufzeigen. Forschungsperspektiven Die vorliegende Arbeit hat den Einfluss auf die Identitätsbildung der LuxemburgerInnen im superdiversen Kontext untersucht. Im Rahmen der Untersuchung standen neben den sprachbiografischen Interviews auch Pressetexte und Leserbriefe der Zeitung «Luxemburger Wort» im Mittelpunkt. Die sich aus den Interviews, Pressetexten und Leserbriefen überschneidenden sprachpolitischen Diskurse eröffneten weder explizite Hinweise auf die Rolle der Nationalsprache, des Lëtzebuergeschen, im superdiversen Kontext des Großherzogtums, noch konnte eine mögliche identitätsstiftende Wirkung des ersten Artikels der Sprachenordnung aufgedeckt werden. Abgesehen von der luxemburgischen Sprache deuten darüber hinaus auch die beiden anderen Amtssprachen innerhalb der luxemburgischen Presse auf ein Forschungsdesiderat hin. Die luxemburgische Presse betreffend konnte nicht beantwortet werden, ob und welche Wirkung die Veröffentlichung von Pressetexten in verschiedenen Sprachen hat, etwa Pressetexte über innenpolitische Themen und Lokalberichte auf Deutsch, internationalere Themen hingegen auf Französisch. Wenngleich in Luxemburg keine Dualität einer endoglossischen und exoglossischen Sprachenreglung herrscht, ist die Sprachensituation – wenn auch implizit – durch die Sprachenpolitik festgeschrieben. Auf Grundlage der geschilderten sprachlichen Praxis, vor allem in Hinblick auf die französische Sprache, stellt sich die Frage, ob hier nicht die Rede von exoglossischen Verhältnissen sein kann und welche Folgen dies auf gesellschaftlicher Ebene mit sich bringt. Über die Interviews, die Leserbriefe und die Pressetexte hinaus könnten im Rahmen der Multimodalitätsforschung sowohl elektronische Texte anderer luxemburgischer Zeitungen untersucht werden als auch die Leserkommentare, als die direkte Reaktion auf Online-Pressetexte (cf. Abb. 25). Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde festgestellt, dass es bei den AkteurInnen zu dem Phänomen des language crossing kommt. Diesbezüglich könnten durch eine gezielte Untersuchung, etwa eine Gesprächsanalyse oder eine Untersuchung von Gesprächen im privaten Raum, mit luxemburgischen Jugendlichen aus der Hauptstadt, Erkenntnisse bezüglich neuerer Einflüsse im Rahmen mehrsprachiger Praktiken erlangt werden. Tendenzen, die im Rahmen der Narrationen
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Abb. 25: Leserkommentare Online-Zeitung «L’essentiel».
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der vorliegenden Arbeit vor allem bei den jüngeren InterviewpartnerInnen festgestellt wurden, wären, die Jugendsprache der LuxemburgerInnen betreffend, ein in der polyglotten Gesellschaft interessanter Untersuchungsgegenstand. Abschließend könnte vor allem der Bildungsbereich einen interessanten Untersuchungsrahmen darstellen: Das Translanguaging-Konzept könnte besonders im Bereich der Didaktik Potenziale bergen, die im Hinblick auf das Fallbeispiel Luxemburg im schulischen Kontext Anwendung finden könnten. Da Lehrende ohnehin aufgrund der Sprachensituation des Landes vor großen Herausforderungen stehen, könnten die luxemburgischen Schulkinder im Rahmen ihres multilingualen Habitus den Translanguaging-Ansatz zur Maximierung ihrer kommunikativen Kompetenzen für den Wissenserwerb nutzen.
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11 Anhang 11.1 Zeitungsannonce
11.2 Anschreiben ProbandInnensuche
https://doi.org/10.1515/9783111117379-011
278
11 Anhang
11.3 Codesystem MAXQDA Codesystem 1 Sprachen
0
3.5 Vermeiden einer Sprache
11
1.1 Albanisch
5
1.2 Russisch
4
4.1 nationale Identität
15
1.3 Latein
4
4.2 soziale Identität
14
1.4 Norwegisch
1
4.3 kulturelle Identität
14
1.5 Italienisch
17
4.4 ethnische Identität
9
1.6 brasilianisches Portugiesisch
2
4.5 hybride Identität
34
1.7 Spanisch
25
1.8 Englisch
93
4.6 mutiple ethnische Identität
4
5
4.7 Identitätstypen/Wir-Identität
31
135
4.8 übernommen Identität
5
1.9.1 Integrationssprache
1
4.9 erworbene Identität
3
1.9.2 Dominanz
20
4.10 zugeschriebene Identität
9
1.9.3 Lingua france/Verständigung
11
4.11 Identitätsfaktoren
17
107
4.12 Identitätsbildende Kräfte
27
1.8.1 Lingua franca 1.9 Französisch
1.10 Deutsch 1.10.1 Lingua franca/Verständigung
1
1.10.2 Nähe Lux
16
1.11 Luxemburgisch
164
4 Identität
4.5.1 Acts of identity
5 Spracheinstellung 5.1 Einstellung Sprache 5.1.1 Eigenschaften Sprache
0
4
2 40 0
1.11.1 Vitalität
4
5.2 Einstellung Sprechende/Stereotype
50
1.11.2 Integrationssprache
8
5.3 Einstellung Kultur
17
1.11.3 Alphabetisierung
10
1.11.4 Hürde für Zugewanderte
5
1.11.5 Stärkung des Luxemburgischen
12
1.11.6 fehlendes Angebot LUX
10
1.12 Portugiesisch 2 Auffälligkeiten 2.1 narrative Auffälligkeiten
103 0 32
2.2 inhaltliche Auffälligkeiten
88
2.3 sprachliche Auffälligkeiten
88
3 Sprachwahl 3.1 Sprachpräferenz
3 24
3.1.1 lesen
18
3.1.2 sprechen
2
3.1.3 hören
18
3.2 Alltag und Sprache
39
3.3 Emotion und Sprache
23
3.4 Situationsbedingter Sprachgebrauch
7
3.4.1 privater Sprachgebrauch
35
3.4.2 öffentlicher Sprachgebrauch
21
6 Superdiversität
17
6.1 Integration
11
6.2 (Welt- und Sprach-)Offenheit
41
6.3 Zugewanderte
24
6.4 Berufspendelnde
8
7 Sprachkontaktphänomene
93
7.1 Sprachanpassung
34
8 Wertung
0
8.1 positiv
22
8.2 neutral
12
8.3 negativ
52
9 Selbsteinschätzung Sprachen
6
9.1 sehr gut
20
9.2 gut
29
9.3 mittel
20
9.4 schlecht
9
10 Mehrsprachigkeit 10.1 Meinung Mehrsprachigkeit in Lux
5 5
10.1.1 MS Vorteile
47
10.1.2 MS Nachteile
16
11.3 Codesystem MAXQDA
11.3.1 Sprachbiografische Interviews 11 Bildungssystem und Sprache
22
12 Sprachweitergabe
17
13 Sprachbiographie
6
13.1 Zweitsprache
0
13.2 Fremdsprache
0
13.3 Muttersprache
8
13.4 Erstsprache
2
14 Sprachrepertoire
15
15 Sprachporträt
3
15.1 Geschlecht
1
15.2 Darm
1
15.3 Bauch
1
15.4 Bein
0
15.5 Arm
0
15.6 Oberarm
0
15.7 Füße
2
15.8 Hand
2
15.9 Herz
2
15.10 Kopf
2
16 Sprachbarriere
9
17 Sprachdominanz
4
18 kollektive Geschichte
3
19 Integration und Sprache
2
20 soziodemografische Variablen
0
20.1 Bildungsniveau
0
20.1.1 Abschluss/Beruf
5
20.1.2 Abitur
4
20.1.3 Hochschulabschluss
5
20.2 Alter
0
20.2.1 35
2
20.2.3 >50
3
20.3 Geschlecht
0
20.3.1 männlich
7
20.3.2 weiblich
7
279
280
11 Anhang
11.3.2 Pressetexte Codesystem 1 LUX
0
4.8 Verkehrssprache/Lingua franca
13
1.1 Stärkung des Luxemburgischen
104
4.9 Sprachbewusstsein
2
1.2 Integrationssprache Luxemburgisch
37
1.3 Aussterben Luxemburgisch
21
5.1 nationale Identität
40
1.4 Vitalität Luxemburgisch
20
5.2 Sprache und Identität
40
1.5 Luxemburgisch Schreiben/Alphabetisierung
19
5.3 "Wir"-Identität
30
1.6 Einfluss auf Luxemburgisch
17
5.4 zugeschriebene Identität
21
1.7 Wohlstand/Wirtschaft
13
5.5 kulturelle Identität
5
1.8 Sprachbewusstsein Luxemburgisch
12
5.6 hybride Identität
3
1.9 Staatsbürgerschaft
10
1.10 Luxemburgisch als Amtssprache der EU
7
1.11 LUX in Minderheit
6
1.12 Vorzeigebeispiel in EU
5
1.13 Luxemburgisch erste Amtssprache
4
1.14 Offenheit 1.15 Von EU Rückbesinnung 2 Sprachen im Text
3 2
5 Identität
6 Mehrsprachigkeit
7
29
6.1 Chancen durch MS
28
6.2 Integration durch MS
26
6.3 Herausforderung MS
21
6.4 Gefährdung der MS
4
7 Politik 7.1 Bildungssystem
50 22
7.1.1 Sprache in der Schule/Kita
45
7.1.2 Kritik Bildungssystem
25
1
2.1 Luxemburgischer Text
108
2.2 Französisch im Text
76
2.3 Englisch im Text
12
7.1.3 Pro Mehrsprachigkeit Luxemburg im Bildungssystem 7.1.4 Contra Mehrsprachigkeit Luxemburg
12 2
57
7.2 Petition 698
28
3.1 Integration
53
7.3 Referendum
6
3.2 Sprachenvielfalt
32
7.4 Kritik Politik
21
3.3 Gastarbeiter/Zugewanderte
29
3.4 Grenzpendelnde
3
8.1 negativ/kritisch
90
3.5 Brexit
2
8.2 positiv
15
3 Superdiversität
4 Sprach4.1 Spracheinstellung
0 2
4.1.1 Einstellung Sprache
20
4.1.2 Einstellung Kultur
7
4.1.3 Einstellung Sprechende Stereotyp 4.2 Sprachgebrauch
19 13
4.2.1 privater Sprachgebrauch
16
4.2.2 öffentlicher Sprachgebrauch
32
4.3 Sprachkompetenz
12
4.4 Sprachkontakt
3
4.5 Sprachbarriere
9
4.6 Sprachpräferenz
2
4.7 Sprachdominanz
7
8 Wertung
9 FR
0
0
9.1 Französisch als Herausforderung
8
9.2 Contra Französisch
24
9.3 Integrationssprache Französisch
9
9.4 Förderung des Französischen
11
9.5 Lesen und Schreiben FR
3
10 DEU
0
10.1 Stärkung des Deutschen
1
10.2 Nähe zu LUX
6
10.3 Contra Deutsch
2
10.4 Deutsch als Herausforderung
3
10.5 Pro Deutsch
1
11 Sprachliche Auffälligkeit 11.1 Ironie
11 2
11.3 Codesystem MAXQDA
12 kollektive Geschichte
11
13 Sprachen
0
13.1 Luxemburgisch
88
13.2 Französisch
57
13.3 Portugiesisch
29
13.4 Deutsch
24
13.5 Englisch
16
13.6 Muttersprache
9
13.7 Fremdsprache
9
13.8 Erstsprache
5
13.9 Italienisch
5
13.10 Belge
2
13.11 Spanisch
1
281
282
11 Anhang
11.3.3 Leserbriefe Codesystem 1 Sprache
0
1.1 Contra Französisch
21
1.2 Sprache und Bildung
16
1.3 Pro Deutsch
11
1.4 Gefährdung des Luxemburgischen
7
1.5 fehlende Standardisierung des Luxemburgischen
2
1.6 Sprache vs. Nationalität
9
1.7 Pro Mehrsprachigkeit
3
1.8 Contra Mehrsprachigkeit
2
1.9 Pro Luxemburgisch für Staatsbürgerschaft
2
1.10 Abhängigkeit Lux von FR und DEU
3
1.11 Luxemburgisch als Hürde für Zugewanderte
4
2 Superdiversität
13
2.1 Integration
7
2.2 kulturelle Offenheit
10
2.3 Contra GrenzgängerInnen
1
2.4 Sprachliche Anpassung der LuxemburgerInnen
0
2.5 Contra Superdiversität
4
2.6 Pro Zugewanderte
4
2.7 Contra Zugewanderte
3
2.8 Pro Leben als Zugewanderte in Luxemburg
1
3 Identität Lux
42
4 internationale Stellung Luxemburgs
4
5 luxemburgische Überheblichkeit
5
6 wirtschaftlicher Reichtum Luxemburg
3
7 Contra Politik
32
8 Petition 698
2
8.1 Contra Petition 698
13
8.2 Pro Petition 698
2
9 Gesellschaftskritik
17
10 Pro Renationalisierung
2
11 kollektive Geschichte
10
11.4 Interviewleitfaden
283
11.4 Interviewleitfaden Teil 1: Die Sprachbiografie Interesse:
Ich interessiere mich für die Luxemburger und die Sprachen Luxemburgs.
Stimulus:
Ich möchte Sie bitten, mir Ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Alle Erlebnisse, die Ihnen einfallen, die mit Sprachen zu tun haben. Welche Sprachen sprechen Sie? Wann haben Sie diese Sprachen in Ihrem Leben gelernt? Von Beginn Ihres Lebens bis heute. Erzählen Sie mir alle Erlebnisse, Stationen und Etappen in Ihrem Leben, die Ihnen einfallen. Sie können sich dazu so viel Zeit nehmen, wie Sie möchten. Ich werde Sie auch erstmal nicht unterbrechen, sondern mir nur einige Notizen machen, auf die ich später eventuell nochmal eingehen werde.
Nachfragephase 1 ... Wie schätzen Sie sich selbst in den jeweiligen Sprachen ein? (Auf einer Skala von 1 bis 6) ... Teil 2: Das Sprachporträt Aufforderung:
Ich würde Sie nun bitten, «Ihre» Sprachen in beliebigen Farben bildlich in dieser Körpersilhouette darzustellen. Sprachen:
284
11 Anhang
Teil 3: Nachfragephase 2 1.
Alltag und Sprache (z. B. In welcher Sprache denken Sie?)
2.
Sprachpräferenz beim Hören und Lesen (z. B. In welcher Sprache hören Sie bevorzugt? In welcher Sprache lesen Sie bevorzugt? Warum?)
3.
Emotion und Sprache (z. B. In welcher Sprache träumen Sie/sprechen Sie, wenn Sie wütend/traurig bzw. glücklich/fröhlich sind?)
4.
Situationsbedingter Sprachgebrauch (z. B. Wann sprechen Sie nur Luxemburgisch/Portugiesisch?)
5.
Situationsbedingter Sprachgebrauch nur einer bestimmten Sprache (z. B. Gibt es Situationen, in denen Sie nur eine Ihrer Sprachen sprechen? Welche? Warum?)
6.
Vermeiden einer Sprache (z. B. Gibt es Situationen, in denen Sie bewusst auf das Sprechen einer bestimmten Sprache verzichten? Warum?)
7.
Sprachkontaktphänomene (z. B. In welchen Situationen passiert es, dass Sie Sprachen vermischen?)
8.
Sprachweitergabe an (potenzielle) Kinder (z. B. Wie wichtig ist/war es Ihnen, dass Ihre Kinder Luxemburgisch/Portugiesisch lernen?)
9.
Meinung zur luxemburgischen Mehrsprachigkeit (z. B. Wie finden Sie es, dass in Luxemburg mehrere Sprachen gesprochen werden?)
10. Meinung zu Portugiesen in Luxemburg (z. B. Was denken Sie, wenn Sie Portugiesisch in der Öffentlichkeit hören?) 11. Kontakt zu Portugiesen/portugiesischstämmigen Luxemburgern (z. B. Haben Sie Portugiesen/portugiesischstämmige Luxemburger in Ihrem Umfeld/Freundes- oder Bekanntenkreis?) 12. Meinung zur eigenen Mehrsprachigkeit (z. B. Welche Vor- und Nachteile hat es für Sie, dass Sie mehrere Sprachen sprechen?)
11.5 Transkriptionsleitfaden der Interviews
285
12.1 Vorstellung einer idealen Mehrsprachigkeit (Auf oben genannte mögliche Nachteile der Mehrsprachigkeit eingehen) 12.2 Wahrscheinlichkeit einer idealen Mehrsprachigkeit (z. B. Glauben Sie, dass eine solche Situation in Luxemburg erreicht werden könnte?) 13. Lernen weiterer Sprachen (z. B. Lernen Sie noch andere Sprachen? Welche? Warum/Warum nicht?) 14. Spracherwerb (z. B. Was denken Sie, wie kann man eine Sprache am besten lernen?) 15. Sprachgefühl (z. B. Ist es möglich in einer Fremdsprache ein Sprachgefühl zu entwickeln?) 16. Etwas hinzufügen (z. B. Haben Sie dem bereits Gesagten noch etwas hinzuzufügen?/Möchten Sie noch etwas hinzufügen?)
11.5 Transkriptionsleitfaden der Interviews (# Sekunden) (.) (...) . , >Text