194 68 24MB
German Pages 269 [272] Year 1997
Internationales F&E-Management Potentiale und Gestaltungskonzepte transnationaler F&E-Projekte
Von
Dr. oec. Oliver Gassmann Institut für Technologiemanagement der Universität St. Gallen
R. Oldenbourg Verlag München Wien
Die Deutsche Bibliothek - CEP-Einheitsaufnahme Gassmann, Oliver: Internationales F-&-E-Management : Potentiale und Gestaltungskonzepte transnationaler F-&-E-Projekte / Oliver Gassmann. - München ; Wien : Oldenbourg, 1997 ISBN 3-486-24090-0
© 1997 R. Oldenbourg Verlag Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Huber KG, Dießen ISBN 3-486-24090-0
Vorwort Nach der frühen Internationalisierung von Marketing- und Produktionsaktivitäten gewinnt in den letzten Jahren die Internationalisierung von F&E-Prozessen in industriellen Grossunternehmen an Bedeutung. Länderübergreifende Wissensgenerierung birgt für Unternehmen, die Technologieführerschaft anstreben, viele Chancen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig steigen jedoch auch die Herausforderungen für das Management solcher Prozesse und der Bedarf nach Lösungsansätzen. Zielgruppe des Werkes sind zugleich Innovationsforscher, Studenten des F&E-Managements und Praktiker. Mit den hier entwickelten Modelle zur Gestaltung transnationaler F&EProjekte sollen neue Impulse für die Innovationsforschung geliefert werden. Gleichzeitig können F&E-Manager und Studenten, die sich mit der F&E-Internationalisierung befassen, anhand konkreter Beispiele von „Best-Practice"-Unternehmen lernen. Bisherige Publikationen zum Technologie- und F&E-Management vernachlässigen meist die internationale Dimension der Wissensgenerierung. Auf dem jungen Forschungsgebiet des Internationalen F&E-Managements bestehen umfassende Defizite in Wissenschaft und Lehre, die es zu überwinden gilt. Ziel dieses Werkes ist es, einen Gestaltungsrahmen zu entwickeln und darin theoretisch fundierte Handlungsempfehlungen an das Management länderübergreifender F&E-Prozesse zu geben. Die Arbeit zeigt Potentiale und Gestaltungskonzepte zur Organisation und Führung transnationaler F&E-Projekte auf, wobei der Schwerpunkt bewusst auf d e m operativ-taktischen F&E-Management liegt. Das hier vorliegende Werk basiert auf meiner Dissertation an der Universität St. Gallen, die jedoch zu Lehrzwecken gekürzt und überarbeitet wurde. Herrn Prof. Dr. Roman Boutellier danke
ich
für
die
wertvollen
Impulse
während
meiner
Tätigkeit
am
Institut
für
Technologiemanagement. Dank gebührt auch den Herren Prof. Dr. Hellmut Schütte vom Euro-Asia Centre der INSEAD, Prof. Dr. Alexander Gerybadze von der
Universität
Hohenheim sowie den zahlreichen Gesprächspartnern aus der Industrie. Für die kritische Durchsicht des Manuskriptes sei folgenden Damen und Herren gedankt: Lic oec. Karin Brunner, lic. oec. Esther Kiss, Dipl.-Ing. Stefan Hallbauer, Dipl. oec.Ulrich Kleiber, cand. med. Doris Rieckborn und Dipl.-Ing. ETH et lic. oec. Maximilian von Zedtwitz. Verbleibende Fehler gehen wie üblich voll zu Lasten des Verfassers.
St. Gallen, April 1997
Oliver Gassmann
Inhaltsübersicht
1
2
3
4
5
6
7
Einleitung
17
1.1
F&E-Internationalisierung - ein vernachlässigter Wettbewerbsfaktor
17
1.2
Konzeption und Aufbau der Arbeit
21
1.3
Charakteristika transnationaler F&E-Projekte
25
R a h m e n transnationaler F&E-Projekte
35
2.1
Stand der F&E-Internationalisierung
35
2.2
Gestaltungskonzepte der internationalen F&E
49
2.3
Zusammenfassung
63
Potentiale transnationaler F&E-Projekte
64
3.1
Externe Potentiale transnationaler F&E-Projekte
64
3.2
Interne Potentiale transnationaler F&E-Projekte
84
3.3
Zusammenfassung
98
Fallstudien transnationaler F&E-Projekte
101
4.1
Entwicklung eines VSE-Systems
101
4.2
Entwicklung von Pumpen-Systemen
116
4.3
Entwicklung einer Gasturbine
125
4.4
Zusammenfassender Fallstudienvergleich
133
Organisation transnationaler F&E-Projekte
138
5.1
Determinanten der organisatorischen Gestaltung
138
5.2
Organisationsformen transnationaler F&E-Teams
164
5.3
Zusammenfassung
174
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
176
6.1
Gestaltungsfeld Prozess
176
6.2
Gestaltungsfeld Technologie
193
6.3
Gestaltungsfeld Mensch
208
6.4
Zusammenfassung
220
Fazit
223
7.1
Thesen und Gestaltungsempfehlungen
223
7.2
Ausblick und offene Fragen
232
Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
11
Abbildungsverzeichnis
13
1
17
2
Einleitung 1.1
F&E-Internationalisierung - ein vernachlässigter Wettbewerbsfaktor
17
1.2
Konzeption und Aufbau der Arbeit
21
1.3
Charakteristika transnationaler F&E-Projekte
25
Rahmen transnationaler F&E-Projekte
36
2.1
Stand der F&E-Internationalisierung
36
2.1.1
F&E-Internationalisierung aus makroökomischer Sicht
36
2.1.2
F&E-Internationalisierung auf Unternehmensebene
39
2.2
2.3
3
49
2.2.1
Traditionelle Gestaltungskonzepte der internationalen F&E
50
2.2.2
Konzept des integrierten F&E-Netzwerks
57
2.2.3
Dynamik der Gestaltungskonzepte
61
Zusammenfassung
63
Potentiale transnationaler F&E-Projekte
64
3.1
64
3.2
3.3
4
Gestaltungskonzepte der internationalen F&E
Externe Potentiale transnationaler F&E-Projekte 3.1.1
Markt-Interaktionspotentiale
64
3.1.2
Ressourcenpotentiale
72
3.1.3
Politisch-gesellschaftliche Potentiale
78
Interne Potentiale transnationaler F&E-Projekte
84
3.2.1
Effizienzpotentiale
84
3.2.2
Synergiepotentiale
88
3.2.3
Lempotentiale
93
Zusammenfassung
98
Fallstudien transnationaler F&E-Projekte
101
4.1
Entwicklung eines VSE-Systems
101
4.1.1
Profil des Bereichs
101
4.1.2
Standortstruktur
103
4.1.3
Projektorganisation
105
4.1.4
Management des Entwicklungsprozesses
110
Inhaltsverzeichnis
4.2
4.3
4.4
5
Entwicklung von Pumpen-Systemen
116
4.2.1
Profil des Bereichs Einspritzpumpen
116
4.2.2
Standortstruktur
119
4.2.3
Projektorganisation
121
4.2.4
Management des Entwicklungsprozesses
123
Entwicklung einer Gasturbine
125
4.3.1
Profil des Gasturbinenbereichs
125
4.3.2
Standortstruktur
127
4.3.3
Projektorganisation
129
4.3.4
Management des Entwicklungsprozesses
130
Zusammenfassender Fallstudienvergleich
133
Organisation transnationaler F&E-Projekte
138
5.1
Determinanten der organisatorischen Gestaltung
138
5.1.1
Inkrementale und radikale Innovationen
138
5.1.2
Autonome und systemische Projektaufgaben
141
5.1.3
Explizites und implizites Wissen
150
5.1.4
Redundante und komplementäre Ressourcen
157
5.1.5
Synthese der Determinanten
5.2
5.3
6
9
160
Organisationsformen transnationaler F&E-Teams
164
5.2.1
Dezentrale Selbstabstimmung
164
5.2.2
Systembeauftragter als Koordinator
166
5.2.3
Kernteam als Systemarchitekt
168
5.2.4
Zentralisiertes Ventureteam
172
Zusammenfassung
174
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
176
6.1
Gestaltungsfeld Prozess
176
6.1.1
Zweiphasenmodell transnationaler F&E-Projekte
176
6.1.2
Intralokale Wolkenphase
180
6.1.3
Interlokale Bausteinphase
186
6.1.4
Koordination der Projektaktivitäten
190
6.2
Gestaltungsfeld Technologie
193
6.2.1
Nutzen von Informations- und Kommunikationstechnologien
194
6.2.2
Anforderungen an IT
196
6.2.3
Ausgewählte IT-Instrumente
197
6.2.4
Dynamik der IT-Anforderungen
206
10
Inhaltsverzeichnis
6.3
6.4 7
Gestaltungsfeld Mensch
208
6.3.1
208
Wissenstransfer über Personaltransfer
6.3.2
Projektorientiertes Human-Ressourcen-Management
212
6.3.3
Management kultureller Diversität
215
Zusammenfassung
Fazit
220 223
7.1
Thesen und Gestaltungsempfehlungen
223
7.2
Ausblick und offene Fragen
232
Literaturverzeichnis
236
Unternehmensverzeichnis
265
Stichwortverzeichnis
266
Abkürzungsverzeichnis ABB
Asea Brown Boveri
ASQ
Administrative Science Quarterly
CAD
Computer Aided Design
CAE
Computer Aided Engineering
CAQ
Computer Aided Quality Assurance
CAM
Computer Aided Engineering
CERN
Centre European de la Recherche Nucleaire
CIM
Computer Aided Manufacturing
CPM
Critical Path Method
DBW
Die Betriebswirtschaft
DIN
Deutsche Industrie Norm
DIW
Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
EDV
Elektronische Datenverarbeitung
F&E
Forschung und Entwicklung
Fast
Forschungsgemeinschaft für Aussenwirtschaft, Struktur- und Technologiepolitik e. V.
FDA
Federal Drug Administration
GERT
Graphical Evaluation and Review Technique
GPM
Gesellschaft für Projektmanagement
HBM
Harvard Business Manager
HBR
Harvard Business Review
IBM
International Business Machines Corporation
IEEE
Institute of Electrical and Electronics Engineers
ISDN
Integrated Services Digital Network
ISI
Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung
ISO
International Standards Organization
IT
Informations- und Kommunikationstechnologie
JIBS
Journal of International Business Studies
KMU
Klein- und Mittelunternehmen
LAN
Local Area Network
MNU
Multinationales Unternehmen
MS
Management Science
MVS
Multiple Virtual Storage
NIW
Niedersächsisches Institut für Wirtschaftsforschung
12
Abkürzungsverzeichnis
OECD
Organisation for Economic Co-operation and Development
PERT
Program Evaluation and Review Technique
R&D
Research and Development
RISC
Reduced Instruction Set Computer
RKW
Rationalisierungs-Kuratorium der Deutschen Wirtschaft
SMR
Sloan Management Review
TCP/IP
Transmission Control Protokol/Internet Protokol
VDI
Verein Deutscher Ingenieure e. V.
VSE/ESA
Virtual Storage Extended/Enterprise System Architecture
WWW
World Wide Web
WAN
Wide Area Network
ZEW
Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung
ZfB
Zeitschrift für Betriebswirtschaft
zfbf
Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung
zfo
Zeitschrift für Führung + Organisation
Abbildungsverzeichnis Abb. 1:
Der Forschungsprozess dieser Arbeit als iterativer Lernprozess zwischen Theorie und Empirie
18
Abb. 2:
Aufbau der Arbeit
20
Abb. 3:
Merkmale von F&E-Projekten
24
Abb. 4:
Typen internationaler Innovationsprozesse
30
Abb. 5:
F&E-Internationalisierung nach Branchen
32
Abb. 6:
Bedeutung der 50 Unternehmen mit den höchsten F&E-Aufwendungen innerhalb der Triade
33
Abb. 7:
Unternehmensgrösse und F&E-Internationalisierung in der Schweiz
34
Abb. 8:
Kennzahlen der untersuchten Unternehmen
36
Abb. 9:
F&E-Intensität und F&E-Auslandsanteil in den untersuchten Unternehmen
37
Abb. 10:
International regionale Innovatoren versus globale Innovatoren
38
Abb. 11:
Internationale F&E-Standorte der untersuchten Unternehmen
Abb. 12:
Evolution der F&E-Standorttypen
43
Abb. 13:
Gestaltungskonzepte der internationalen F&E
45
Abb. 14:
Ethnozentrisch zentralisierte F&E
47
Abb. 15:
Geozentrisch zentralisierte F&E
48
Abb. 16:
Polyzentrisch dezentralisierte F&E
50
Abb. 17:
Hubmodell der F & E
52
Abb. 18:
Integriertes F&E-Netzwerkmodell
56
Abb. 19:
Dynamik in der Gestaltungskonzepte der internationalen F&E
57
Abb. 20:
Simultaneous Launching in Lead-Märkten als Element zeitbasierter Wett-
39 ff.
bewerbsstrategien
65
Abb. 21:
Markt-Interaktionspotentiale transnationaler F&E-Projekte
68
Abb. 22:
Patentanmeldungen in ausgewählten OECD-Ländern
69
Abb. 23:
F&E-Personal in ausgewählten OECD-Ländern
71
Abb. 24:
F&E-Produktivität in Europa anhand von Patentanmeldungen
72
Abb. 25:
Ressourcenpotentiale transnationaler F&E-Projekte
74
Abb. 26:
Technologieakzeptanz und Innovationsklima
79
Abb. 27:
Politisch-gesellschaftlichen Potentiale transnationaler F&E-Projekte
79
Abb. 28:
Effizienzpotentiale transnationaler F&E-Projekte
84
Abb. 29:
Synergiepotentiale transnationaler F&E-Projekte
88
14
Abb. 30:
Abbildungsverzeichnis
Transnationale Projektnetzwerke zur Überwindung operativer Wissensinseln in multinationalen Grossunternehmen
92
Abb. 31 :
Lernpotentiale transnationaler F&E-Projekte
93
Abb. 32:
Potentiale der Internationalisierung von F&E-Projekten
95
Abb. 33:
Organisatorische Einordnung des VSE-Bereichs in die IBM
98
Abb. 34:
Standortstruktur und Organisation der VSE-Entwicklung
100
Abb. 35:
Prozess der Projektbeteiligung
103
Abb. 36:
Aufgaben des VSE-Project-Office
105
Abb. 37:
Organisatorische Einordnung des Diesel-Einspritzpumpen-Bereichs in die Bosch-Gruppe
113
Abb. 38:
Hauptentwicklungssysteme im Systembereich Pumpen
114
Abb. 39:
Standortstruktur der Pumpenentwicklung
115
Abb. 40:
Organisation des Systembereichs Pumpen
117
Abb. 41 :
Organisatorische Einordnung des Gasturbinen-Bereichs in die ABB
122
Abb. 42:
Standortstruktur der Entwicklung der G T 24/26
123
Abb. 43:
Organisation der Gasturbinenentwicklung bei der GT24/26
126
Abb. 44:
Projektcharakteristika
128
Abb. 45:
Unterschiede in den Projektmerkmalen der untersuchten Fälle
131
Abb. 46:
Innovationstyp - inkrementale versus radikale Innovationen
135
Abb. 47:
Aufgabentyp - autonome versus systemische Projektaufgaben
138
Abb. 48:
Separabilität der Projektaufgaben
143
Abb. 49:
Einflussfaktoren auf den Systemcharakter von Projektaufgaben
145
Abb. 50:
Stufen der Wissenspyramide
148
Abb. 51 :
Wissensmodus - explizites versus implizites Wissen
150
Abb. 52:
Vier Arten der Wissenstransformation
151
Abb. 53:
Ressourcenpooling - redundante versus komplementäre Ressourcen
154
Abb. 54:
Projekttypen im Spannungsfeld Intralokalität versus Interlokalität
157
Abb. 55:
Intralokale und interlokale Projektdurchführung
159
Abb. 56:
Gestaltungsalternativen in transnationalen F&E-Projekten
160
Abb. 57:
Dezentrale Selbstabstimmung
161
Abb. 58:
Systembeauftragter als Koordinator
163
Abb. 59:
Kernteam als Systemarchitekt
165
Abb. 60:
Zentralisiertes Ventureteam
169
Abb. 61:
Vorteilhaftigkeit der Organisationsformen transnationaler F&E-Teams
171
Abb. 62:
Gestaltungsfelder des transnationalen F&E-Projektmanagements
172
Abb. 63:
Einfluss des Zeitfaktors auf Intralokalität und Interlokalität
175
Abbildungsverzeichnis
15
Abb. 64:
Zweiphasenmodell transnationaler F&E-Projekte
177
Abb. 65:
Zweiphasenmodell des F&E-Prozesses bei Bayer
185
Abb. 66:
Netzwerk wichtiger Einflussfaktoren auf den Koordinationsbedarf in transnationalen F&E-Projekten
187
Koordinationsinstrumente in transnationalen F&E-Projekten
188
Abb. 68:
Anforderungen von IT in transnationalen F&E-Projekten
192
Abb. 69:
Bewertung von IT in transnationalen F&E-Projekten
194
Abb. 70:
Bewertungsraster ausgewählter IT-Instrumente
195
Abb. 71 :
Dominanz von IT-Anforderungen im Projektablauf
203
Abb. 72:
Personaltransfer bei Kao
206
Abb. 73:
Multilaterales Lernen durch Personaltransfer
207
Abb. 74:
Projektmanagement-Bereich als virtueller Projektleiter-Pool
210
Abb. 75 :
Kultureller Einfluss auf transnationale F&E-Projekte
212
Abb. 76:
Einfluss der kulturellen Diversität auf die Teamverfassung im
Abb. 67:
Projektablauf Abb. 77:
215
Übersicht über Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte im Zeitablauf
217
1
1.1
Einleitung F&E-Internationalisierung - ein vernachlässigter Wettbewerbsfaktor Transnational Key
R&D projects
to
-
competitiveness,
impossible, or
mismanaged? GUNNAR
HEDLUND
Die Globalisierung des Wettbewerbs und kürzere Innovationszyklen bei erhöhten technischen Risiken steigern den Wettbewerbsdruck in technologieintensiven Branchen und zwingen die Unternehmen, ihre Produkte immer schneller und bedarfsgerechter auf den Markt zu bringen. Dies führt in diesen Branchen dazu, dass die industrielle Forschung und Entwicklung (F&E) immer wichtiger wird. Zahlreiche multinationale Unternehmen beschränken ihre F&E-Aktivitäten nicht mehr auf das Stammland, sondern streben Wettbewerbsvorteile über den Aufbau ausländischer F&E-Standorte und die Globalisierung von F&E-Prozessen an. Wettbewerbsvorteile können jedoch nur von denjenigen Unternehmen realisiert werden, die in der Lage sind, einerseits die Chancen aus den weltweiten F&E-Aktivitäten zu nutzen und andererseits die sich hieraus ergebenden Problemfelder und Risiken zu reduzieren. Erfolgreich innovierenden Unternehmen gelingt es, ihre weltweiten Ressourcen in transnationalen F&EProjekten so einzusetzen, dass Grössen- und Spezialisierungsvorteile sowie Lerneffekte genutzt werden können und gleichzeitig Informations- und Koordinationskosten nicht eskalieren. Diese Fähigkeit erfordert ein Erkennen der Potentiale von globalen F&E-Prozessen, welche wesentlich auf der asymmetrischen Allokation von Wissen und Kompetenzen in international tätigen Unternehmen basieren. Die steigende Wettbewerbsintensität technologieintensiver Branchen und der wachsende Grenznutzen von Wissen erfordern eine Bündelung von dezentralen Wissensbasen und Kompetenzen. Der Standort der Projektakteure als Wissensträger spielt dabei eine immer geringere Rolle, die Integration von Technologie- und Anwendungswissen im F&E-Prozess gewinnt an Bedeutung. Eine aktive Nutzung von globalem Wissen kann auf einer permanenten Basis innerhalb formalisierter Organisationsstrukturen oder temporär mit ständig wechselnden Akteuren und Konstellationen auf Projektbasis erfolgen. Die temporäre Kooperation von mehreren nationa-
18
Kapitel 1
len F&E-Einheiten in einem transnationalen F&E-Projekt scheint dabei dem Trend zum unternehmerischen Prozesse
immer
Venture-Management neue
Kombinationen
gut zu entsprechen. Zudem von
verschiedenen
beinhalten
Elementen
wie
F&EWissen,
Kompetenzen, Prozesse, Module und Märkte. Strukturen und Aktivitäten, die im Hinblick auf die Ausnutzung eines Elementes (z. B. europäischer Markt) innovationsförderlich sind, können in einem anderen Kontext Innovationen verhindern (z. B. japanischer Markt). Die Realisierung der potentiellen Wettbewerbs vorteile im Zuge der Durchführung von transnationalen F&E-Projekten erfordert ein flexibles, ganzheitliches Projektmanagement, das nicht auf den Einsatz klassischer Projektmanagement-Methoden wie Projektstrukturpläne und Netzplantechniken beschränkt sein kann.
Defizite bisheriger Werke Der Gegenstandsbereich dieser Arbeit stellt eine Schnittmenge aus den drei Forschungsfeldern Internationales Management, F&E-Management
und Projektmanagement dar.
Bisherige
Untersuchungen zu dieser Thematik weisen erhebliche Defizite auf, die es durch diese Forschungsarbeit zu thematisieren und zumindest ansatzweise zu überwinden gilt. So behandeln die meisten Veröffentlichungen zum Projektmanagement nur Vorhaben ausserhalb des F&E-Bereichs. Bisherige Veröffentlichungen zum Projektmanagement gleichen häufig Handbüchern von Unternehmen; wissenschaftliche Untersuchungen und fundierte Lehrbücher sind
hier
selten
anzutreffen. 1
Bestehende
Arbeiten
zur
Internationalisierung
Projektmanagements fokussieren Grossprojekte im Anlagenbau. 2 Das dabei
des
betrachtete
Management von deterministischen Routineprozessen erfordert jedoch grundsätzlich andere Projektmanagement-Mechanismen
und
-Instrumente
als
das
Management
von
nicht-
deterministischen, einzigartigen und hochkreativen F&E-Prozessen. Bei der Durchsicht der Arbeiten zur F&E-Internationalisierung ist eine starke Dominanz der ökonomischen
und
politikwissenschaftlichen
Arbeiten
festzustellen.
Die
meisten
Untersuchungen zu dieser Thematik finden auf makroökonomischer und sektoraler Ebene
Standardwerke zum Projektmanagement sind von Madauss ( 1 9 9 0 ) ; Kannheiser, Hormel, Aichner ( 1 9 9 3 ) ; Gareis (1990); Balck (1990); Litke (1991); Hansel, Lomnitz (1987); Heintel, Krainz ( 1 9 8 8 ) . D i e wichtigsten Arbeiten zum Projektmanagement in der industriellen F&E sind von Schmelzer ( 1 9 9 2 ) ; Wheelwright, Clark ( 1 9 9 2 ) ; Frankel (1990); Burghardt ( 1 9 8 8 ) ; Platz, Schmelzer (1986). Bedeutende Ausnahmen von der dominierenden „Hemdsärmeligkeit" der Veröffentlichungen zum Projektmanagement stellen die Arbeiten von Sprenger ( 1 9 9 5 ) , Pinkenburg ( 1 9 8 0 ) und Schmelzer ( 1 9 9 2 ) dar; j e d o c h fokussiert nur letzterer den F&E-Bereich. S i e h e zum internationalen Projektmanagement Cleland, Gareis (1994); Madauss (1989); Herten ( 1 9 8 7 ) .
Einleitung
statt. 3
19
Unternehmensbezogene
Managementforschung
Analysen
bislang
zur
vernachlässigt
internationalen worden.
4
Die
F&E
sind
Thematik
von der
der F&E-
Internationalisierung hat erst in den 90er Jahren stärker Eingang in die Managementforschung gefunden. Einzelbetriebliche, unternehmensbezogene
Analysen beschränken
sich dabei
überwiegend auf die strategischen Aspekte der Internationalisierung, mit Schwerpunkt auf die F&E-Standortwahl. 5 Wenige Beiträge existieren zum Management eines globalen F&E-NetzWerkes. Bisher wurde überwiegend untersucht, warum Unternehmen ihre F&E-Aktivitäten internationalisieren und weniger, wie bereits dezentrale F&E-Aktivitäten organisiert und geführt werden. 6 Völlig ausgeklammert sind Untersuchungen zur Durchführung von transnationalen Projekten in einem solchen F&E-Netzwerk. Es lassen sich zwar Arbeiten zum Management kooperativer F&E-Projekte
finden.
Diese
beziehen
unternehmensübergreifende Kooperationen
sich
jedoch
fast
ausschliesslich
auf
wie strategische Allianzen, Joint Ventures,
Projekte der Europäischen Union sowie Gemeinschaftsforschung und vernachlässigen zudem häufig den internationalen Aspekt. 7 Die Möglichkeiten und Grenzen des Managements von transnationalen, unternehmensinternen F&E-Projekten sind in bisherigen Untersuchungen bislang vollständig vernachlässigt worden, obwohl eine zunehmende Anzahl multinationaler Unternehmen länderübergreifende F&ETeams einsetzt. Die Potentiale länderübergreifender F&E-Projekte werden zwar von De Meyer (1993) und Hedlund, Ridderstrále (1994) hervorgehoben, 8 die Autoren führen jedoch nur einzelne Gründe für die Internationalisierung von F&E-Projekten an. Die Triebkräfte der länderübergreifenden Arbeitsteilung auf Projektebene werden nicht systematisch analysiert.
Siehe die Untersuchungen von Beise, Belitz (1996) und NIW, DIW, ISI, Z E W (1995) zur F&EInternationalisierung in Deutschland, Amstad, Arvanitis, Hollenstein (1996), Caluori, Schips (1991) und Caluori (1993) in der Schweiz sowie Hakänson (1981) in Schweden. Zahlreiche Analysen legen den Fokus auf die F&E-Internationalisierung von US-Unternehmen, vgl. Cantwell (1995); Archibugi, Michie (1995); National Science Foundation (1990); Hirschey, Caves (1981); Lall (1979); Mansfield, Teece, Romeo (1979). Konsequenzen aus der F&E-Internationalisierung für die Technologiepolitik ziehen Hotz-Hart (1996); Meyer-Krahmer, Reger (1996), Caluori, Schips (1991). Vgl. auch Cheng, Bolon (1993), S. 3; Granstrand, Hakänson, Sjölander (1993), S. 414; Cantwell (1992), S. 94. Siehe zur F&E-Standortwahl die Arbeiten von Völker (1996); Pearson, Brockhoff, von Boehmer (1993); Hakänson (1992); Gerpott (1991); Wortmann (1990); De Pay (1989). Vorarbeiten durch Typologisierungen von F&E-Standorten leisteten hierzu Ronstadt (1977, 1978); Behrmann, Fischer (1979); Hewitt (1980); Harris (1987); Ghoshal, Bartlett (1988a, b). Ausnahmen sind De Meyer (1991, 1993b); Hedlund, Riddersträle (1994). Siehe hierzu Bosshart, Gassmann (1996); Gerybadze (1995a); Kleebach (1994); Granrath (1994). Lediglich Mowery (1992) untersucht speziell den internationalen Aspekt. Vgl. De Meyer (1993a); Hedlund, Riddersträle (1994).
20
Kapitel 1
Zudem sind die Voraussetzungen einer transnationalen Projektdurchfiihrung bisher noch nicht untersucht worden. Nicht alle Unternehmen und Projekte eignen sich aber für eine internationale und damit standortiibergreifende Durchführung der F&E-Projekte. Eine Analyse der Triebkräfte und Determinanten von transnationalen F&E-Projekten fehlt aber in bisherigen Untersuchungen gänzlich. Neben
einer solchen
Potentialanalyse werden
auch theoretisch
fundierte Handlungs-
empfehlungen für das Management dieser Projekte vermisst. Ein umfassendes Gestaltungsmodell für das internationale F&E-Projektmanagement könnte hier hilfreich sein. Empirische Untersuchungen zum Management transnationaler F&E-Projekte in Grossunternehmen, die eine Basis für die Entwicklung eines Gestaltungsmodells bieten könnten, fehlen bislang. Es bestehen daher umfassende Defizite auf dem noch jungen Forschungsgebiet
der
internationalen F&E. Dies ist vor allem dadurch bedingt, dass transnationale F&E-Projekte ein vergleichsweise modernes Phänomen darstellen. Gestaltungsrahmen und theoretisch fundierte Handlungsempfehlungen für die Praxis fehlen. Die vorliegende Arbeit versucht, die Defizite bisheriger Untersuchungen zur Internationalisierung von F&E-Projekten aufzugreifen und durch eigene Ansätze zu überwinden. Die Zielsetzung der Arbeit besteht in der Entwicklung eines umfassenden Gestaltungskonzepts für das Management von transnationalen F&E-Projekten. Die Kernfragen dieser Arbeit betreffen das „Warum" und „Wie" der Internationalisierung von F&E-Projekten: - Warum internationalisieren Unternehmen ihre F&E-Aktivitäten (Potentiale)? - Wie erfolgt ein effizientes und effektives Management transnationaler F&E-Projekte (Gestaltungskonzepte)? Auf Basis der empirischen Untersuchung sollen Potentiale der Internationalisierung von F&EProjekten ermittelt und ein umfassendes Gestaltungskonzept für das Management dieser Projekte entwickelt werden. Transnationale F&E-Kooperationen mit externen Unternehmen sollen trotz ihrer hohen Bedeutung für die F&E-Internationalisierung ausgeklammert werden, da diese in einzelnen Aspekten bereits untersucht worden sind. Eine Gleichbehandlung von unternehmensinternen und -externen F&E-Projekten würde zudem ihrem unterschiedlichen Charakter nicht gerecht werden. Die
angestrebten
konzeptioneller
Ergebnisse
Vorarbeit
können
in
Typologisierungen,
zusammengefasst werden
Gestaltungsempfehlungen für die Praxis ermöglichen.
und
Erklärungsmustern
sollen
theoretisch
und
fundierte
21
Einleitung
1.2
Konzeption und Aufbau der Arbeit
Der Forschungskonzeption dieser Arbeit liegt das Verständnis der Betriebswirtschaft als einer anwendungsorientierten
Sozialwissenschaft zugrunde; sie bemüht sich deshalb um
die
Analyse menschlicher Handlungsalternativen zwecks Gestaltung sozialer und technischer Systeme. 9 Der Anstoss für diese Arbeit kam aus konkreten Problemen der Praxis, verbunden mit der Erkenntnis der aufgedeckten Forschungsdefizite. Die empirische Untersuchung dient weniger
der
Überprüfung
von
Hypothesen
im
Sinne
analytisch-nomologischer
Forschungsrichtungen, sondern vielmehr der Erfassung typischer Phänomene und Probleme der Praxis. 1 0 Aufgrund der Aktualität und Neuartigkeit des länderübergreifenden Projektmanagements in der industriellen F&E und mangels Forschungsergebnissen zu diesem Themengebiet weist die Arbeit
einen
quantitativer
explorativen
Forschungscharakter
auf.
Während
Forschung
hypothesengeleitet
ist
(Test
Variablenzusammenhänge), Einzelbeobachtungen
in
werden einem
in
explorativen
dieser Prozess
der
von
Forschungsprozess Hypothesen
qualitativen interpretiert,
permanenten Wandels zu vorläufigen Ergebnissen zu gelangen.
über
Forschungsarbeit um
aufgrund
des
11
Der Forschungsprozess dieser Arbeit wird als ein iterativer Lernprozess verstanden (vgl. Abb. 1): Das theoretische Vorverständnis ermöglicht erste Fragen an die Realität; das durch die Datensammlung gewonnene Realitätsbild wird kritisch reflektiert und führt so zu weiterer Differenzierung, Abstraktion nisses.
oder Perspektivenwechsel
des theoretischen
Vorverständ-
12
Dem anwendungsorientierten Erkenntnisziel entsprechend soll in dieser Arbeit über die Ermittlung von Einflussfaktoren und verallgemeinerungsfähigen Gestaltungsempfehlungen eine generelle Orientierungshilfe für die Erstellung und Implementierung von Konzepten beim Management
transnationaler
F&E-Projekte
gegeben
werden.
Die
Generierung
und
Vermittlung von praxisorientiertem Wissen ist somit zielführend für diese Arbeit.
9
V g l . Ulrich (1981), S. 1; Ulrich (1984), S. 168.
10
Der Schwerpunkt der eigenen Arbeit liegt somit weniger auf dem Begründungszusammenhang als vielmehr auf dem Entdeckungs- und Verwertungszusammenhang. Siehe zu einem allgemeinen Überblick Kromrey ( 1 9 9 5 ) , S. 6 2 ff.; zum B e z u g auf die Betriebswirtschaft als angewandte Wissenschaft siehe Ulrich ( 1 9 8 1 ) , S. 5 ff.
11
Siehe zu einer ausführlichen Charakterisierung qualitativer Sozialforschung und der Abgrenzung zur quantitativen Sozialforschung Lamnek (1993a, b), Flick (1991), Girtler ( 1 9 8 4 ) und Kromrey ( 1 9 9 5 ) , S. 430-443.
12
V g l . Kubicek (1977), S. 14; Tomczak (1992), S. 84.
22
Kapitel 1
Abb. 1:
Der Forschungsprozess
als iterativer Lernprozess zwischen Theorie und Empirie
Um in dem jungen Forschungsfeld der internationalen F&E, in dem die Aussagekraft von existierenden Theorien beschränkt ist, zu neuen, überprüfbaren Theorien zu gelangen, ist die Fallforschung bestens geeignet. Dies wird dadurch bestärkt, dass bei den forschungsleitenden Fragen dieser Arbeit „Warum"- und „Wie"-Fragen im Mittelpunkt stehen, die Ereignisse gegenwärtig stattfinden und vom Forscher nicht beherrschbar bzw. kontrollierbar sind. 13 Fallstudien
erlauben
eine
ganzheitliche
Sichtweise
des
komplexen
Untersuchungsgegenstandes, wodurch dessen einheitlicher Charakter erhalten bleibt. Durch vertiefte Auseinandersetzung mit konkreten Fällen wird eine Reflexion der Problematik transnationaler F&E-Projekte in der Unternehmenspraxis ermöglicht. Fallstudien stellen somit in Forschung und Lehre eine sinnvolle Ergänzung dar. 14 In der empirischen Untersuchung wurden 24 multinationale Unternehmen der Branchen Chemie/Pharma, Elektrotechnik/Elektronik und Maschinen-/Anlagenbau mit Stammsitz in Deutschland, in der Schweiz, in Japan und in den USA analysiert. Die Unternehmen gehören zu den 500 grössten. 15 Bei diesen ist die F&E-Internationalisierung deutlich höher als in Klein- und Mittelunternehmen (KMU), denen für dezentrale F&E-Strukturen Kapital und kritische
Masse
fehlen.
Die
betrachteten
Branchen
sind
durch
hohen
13
Vgl. Yin (1988), S. 23.
14
Zu einer ausführlichen Darstellung der Forschungsmethodik und der Methoden der Datengewinnung, welche in der diesem Werk zugrundeliegenden Forschung Verwendung fanden, siehe Gassmann (1997), S. 7 ff. Vgl. die Rangfolge der Fortune 500.
Einleitung
23
Internationalisierungsgrad
der
F&E-Aktivitäten
gekennzeichnet.
Ferner
Unternehmenssample schwerpunktmässig technologieintensive Unternehmen
sind
im
(Hoch- und
Spitzentechnologie) vertreten; dies sind nach gängiger Definition Unternehmen mit einer F&E-Intensität (F&E-Anteil am Umsatz) von über 3,5 %. 1 6 Im einzelnen wurden folgende Unternehmen untersucht: A B B , AT&T, B A S F , Bayer, Bosch, Ciba-Geigy, Eisai, Hoffmann-La Roche, Hoechst, IBM, Kao, Matsushita Electric Industrial, Mitsubishi Electric, MTU, NEC, Philips, Sandoz, Schering, Sharp, Siemens, Sony, Sulzer, United Technologies. 17 Ergänzend zur Analyse dieser Unternehmen wurden in 13 weiteren Unternehmen Interviews oder Workshops zum F&E-Projektmanagement durchgeführt. Diese haben das Verständnis zur Thematik erheblich gefördert. Im einzelnen waren dies: Balzers, B M W , British Gas, Endress & Hauser, Georg Fischer, Hilti, Mercedes-Benz, Rolls-Royce, Testo, SAP, Unisys, Zeneca, ZF Friedrichshafen.
Weiterer Aufbau der Arbeit Im weiteren Verlauf von Kapitel 1 werden die Charakteristika transnationaler F&E-Projekte aufgearbeitet.
In
Kapitel
2
wird
auf
den
strukturellen
und
strategischen
Rahmen
transnationaler F&E-Projekte eingegangen. Dabei werden Stand und Trends der F & E Internationalisierung in den betrachteten Unternehmen dargestellt. Auf Basis der eigenen Beobachtungen werden dann Gestaltungskonzepte der internationalen F & E identifiziert. In Kapitel 3 werden die Potentiale transnationaler F&E-Projekte analysiert. Dabei wird eine Differenzierung in externe und interne Potentiale vorgenommen. Eine vertiefende Darstellung von drei Fallstudien zu transnationalen F&E-Projekten erfolgt in Kapitel 4. Untersucht wurde die Entwicklung des VSE-Betriebssystems bei IBM, die Entwicklung von Einspritzpumpen bei Bosch und die Entwicklung der Gasturbine GT 24/26 bei A B B . Auf Basis dieser Fallstudien werden die zentralen Determinanten der organisatorischen Gestaltung transnationaler F&E-Projekte nungsreihen
wird
analysiert,
wann
in Kapitel 5 untersucht. Anhand von SpanF&E-Projekte
standortübergreifend
(interlokal)
durchgeführt werden können und wann eine Zusammenführung der Projektakteure an einen Ort (intralokal) erforderlich ist. Anschliessend werden vier Organisationsformen ermittelt, die zwischen den Extremformen Interlokalität und Intralokalität angesiedelt sind.
N a c h der F & E - I n t e n s i t ä t können U n t e r n e h m e n in N i e d r i g t e c h n o l o g i e ( 0 - 3 , 5 % ) , H o c h t e c h n o l o g i e ( 3 , 5 8 , 5 % ) und S p i t z e n t e c h n o l o g i e ( > 8 , 5 % ) klassifiziert werden. V g l . N I W , D I W , I S I , Z E W ( 1 9 9 5 ) , S . 9 . A u f die ausführliche B e z e i c h n u n g der R e c h t s f o r m der F i r m a wird hier der E i n f a c h h e i t h a l b e r verzichtet.
Kapitel 1
24
1. Einleitung 1.1
3. Potentiale transnationaler F&E-Projekte
2. Rahmen trwsnationaler F&E-Projekte 2.1
Stand der F&EIntematonalisierung
2.2
1.4 Charakteristika
2.2 Aufbau der Arbeit
Problemstellung
Gestaltungskonzepte der internationalen F&E
3.1
Externe Potentiale
3.2
Interne Potentiale
5Z 4. Fallstuäien transnationaler F&E-Projekte 4.1
VSE-System bei IBM
4.2
Einspritzpumpen bei Bosch
4.3 Gasturbine GT24/26 bei ABB
5Z
5. Organisation transnationaler F&E-Projekte 5.1
Determinanten der organisatorischen Gestaltung
5.2 Organisationsformen transnationaler F&E-Teams
2Z
6. Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte 6.1
Gestaltungsfeld Prozess
6.2
Gestaltungsfeld Technologie
6.3 Gestaltungsfeld Mensch
292
Vgl. BUhner (1992), S. 216. Vgl. Lullies, Bollinger, W e l t z (1993), S. 188. Vgl. Brockhoff (1990), S. 78; Picol, Reichwald, N i p p a ( 1 9 8 8 ) , S. 126.
293
Vgl. Luliies, Bollinger, Weltz (1993), S. 190.
294
Vgl. Takeuchi, Nonaka (1986), S. 4 0 f.; Nonaka, Takeuchi (1995), S. 78.
173
Organisation transnationaler F&E-Projekte
t ä t s k o s t e n v e r b u n d e n . A u f g r u n d der h o h e n K o s t e n ist d i e O r g a n i s a t i o n s f o r m d e s
Venture-
t e a m s d e s h a l b nur in F & E - P r o j e k t e n v o n h o h e r s t r a t e g i s c h e r B e d e u t u n g g e r e c h t f e r t i g t .
L PL Px
Lenkungsausschussmitglied Projektleiter Projektmitarbeiter
Identische Personen Intensive Interaktion Weisungsbefugnis
Merkmale: •
Abb.
Beteiligte F&E-Standorte stellen Spezialisten für die gesamte Projektdauer in ein Ventureteam ab
•
Projektleiter verfügt über umfangreiche Weisungsbefugnisse und Ressourcen
•
Ventureteam entwickelt das Gesamtsystem an einem Standort (möglichst in einem Raum)
•
Zentralisiertes Ventureteam ist für Projekte von hoher strategischer Bedeutung geeignet
60:
Zentralisiertes
Ventureteam
174
5.3
Kapitel 5
Zusammenfassung
In diesem Kapitel wurden'aufgrund von Hinweisen aus den Fallstudien IBM, Bosch und ABB in einer dimensionalen Analyse Determinanten der räumlichen Organisation transnationaler F&E-Projekte hergeleitet. Die Vorteilhaftigkeit von intralokaler und interlokaler Projektdurchführung wird
danach
durch
folgende
Determinanten
bestimmt:
Innovationstyp
(inkremental vs. radikal), Aufgabentyp (autonom vs. systemisch), Ressourcenbündelung (redundant vs. komplementär) und Wissensmodus (explizit vs. implizit).
Eine interlokale Projektdurchführung wird begünstigt bei inkrementalen Innovationen, bei denen redundate Ressourcen eingesetzt werden und die Projektaufgaben relativ autonom sind sowie eine Dominanz von explizitem Wissen vorliegt.
Eine intralokale Projektdurchführung ist demgegenüber erforderlich, wenn radikale Innovationen angestrebt werden, bei denen komplementäre Ressourcen eingesetzt werden und die Projektaufgaben einen systemischen Charakter aufweisen sowie implizites Wissen im Projekt eine zentrale Rolle einnimmt.
Zwischen den Extremformen Intralokalität und Interlokalität konnten vier idealtypische Organisationsformen identifiziert werden: (1) Dezentrale Selbstabstimmung (2) Systembeauftragter als Koordinator (3) Kernteam als Systemarchitekt (4) Zentralisiertes Ventureteam
Die Intralokalität nimmt von (1) nach (4) zu: Die Organisationsform der dezentralen Selbstabstimmung ist durch einen hohen Grad an Interlokalität gekennzeichnet, das zentralisierte Ventureteam wird vorwiegend intralokal geführt. Die Vorteilhaftigkeit der organisatorischen Gestaltungsalternativen kann durch die oben entwickelten Determinanten begründet werden (vgl. Abb. 61).
Organisation transnationaler F&E-Projekte
Abb. 61:
Vorteilhaftigkeit der Organisationsformen
175
transnationaler
F&E-Teams
6
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
Eine geeignete Organisationsform stellt die Basis des Projektmanagements dar. Subtilere Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte beziehen sich auf Prozess, Technologie und M e n s c h . Eine effektive und effiziente Gestaltung dieser Projekte erfordert adäquate ProzessSegmentierung, Technologieunterstützung und Human-Ressourcen-Management.
instrumente
• Human-RessourcenManagement
Abb. 62:
6.1
Gestaltungsfelder
des transnationalen
F&E-Projektmanagements
Gestaltungsfeld Prozess
Eine Prozess-Segmentierung in transnationalen F&E-Projekten bietet einen Gestaltungsrahmen für das M a n a g e m e n t . Aufbauend auf bisherigen F&E-Prozesskonzepten und den Determinanten der räumlichen Organisation transnationaler F&E-Projekte, wird daher ein Zweiphasenmodell transnationaler F&E-Projekte entwickelt.
6.1.1
Zweiphasenmodell transnationaler F&E-Projekte
Frühere Arbeiten z u m zeitlichen Ablauf in F&E-Projekten gingen von klar unterscheidbaren, deterministischen Projektphasen aus. Mit Methoden des Systems Engineering wurde versucht, den F&E-Prozess in lineare, klar abtrennbare Phasen zu strukturieren. 2 9 5 Deskriptive Studien
295
Siehe zu Phasenkonzepten in F&E-Projekten Hirzel (1975); Saynisch (1979, 1989a, b); Platz (1986); Schelle (1989a).
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
von F&E-Projekten weisen jedoch auf eine Nicht-Linearität von F&E-Prozessen
177
hin.
Insbesondere die Ergebnisse der ereignisbasierten Längsschnittanalyse von Van de Ven (1989) stellen detaillierte Phasenkonzepte in Frage. 296 Obwohl die deskriptive Innovationsforschung Phasenkonzepte ablehnt, zeigen eigene Interviews und Analysen von Entwicklungshandbüchern bzw. Projekt-Manuals, dass die Phasenkonzepte als normative Weisungen in der Praxis weiterhin stark verbreitet sind. Die Zertifizierungswelle der 90er Jahre (z.B. ISO 9001) scheint den Einsatz von Phasenkonzepten zur F&E-Projektstrukturierung weiter zu fördern. Eine Verbindung der klassischen Phasenkonzepte mit dem neueren Prozessdenken findet sich in dem Konzept der „Stage-Gate"-Prozesse. Die Stufen, in denen die Projektfortschritte erzielt werden („Stages"), sind durch diverse Tore („Gates") unterbrochen. Die Tore sind unumgehbare Entscheidungszäsuren, die aber im Gegensatz zu Meilensteinen zeitlich und inhaltlich flexibel sind. Bewusste Parallelisierungen, Verschiebungen und Umgruppierungen von Stufen sind, im Gegensatz zu den traditionellen Phasenkonzepten, möglich. Das gesamte F&E-Projekt wird beim Durchlaufen eines Tores mit einem Review ganzheitlich hinterfragt (Konkurrenzaktivitäten, Markt- und Technologieentwicklungen). Die Anzahl der Stufen und Tore variiert in Abhängigkeit von Branche und Projekt; Ex-ante-Rahmenvereinbarungen regeln die Zusammenarbeit der Projektakteure. 297 Neben dem Konzept der Stage-Gate-Prozesse spielt die „Loose-Tight"-Hypothese eine zentrale Rolle in der Gestaltung von F&E-Prozessen. 298 Danach ist der F&E-Projekterfolg abhängig vom Organisationsgrad des F&E-Prozesses. Im frühen Projektstadium hat die organisatorische Gestaltung locker („loose") und im späteren Stadium zunehmend straff („tight") zu erfolgen. Die Begründung für den unterschiedlichen Organisationsgrad im F&EProzess liegt in den zeitlich bedingten Anforderungsschwerpunkten: Im frühen Projektstadium sind Kreativität und Ideengenerierung von hoher Bedeutung, im späteren Projektstadium Effizienz und termingerechte Implementierung.
296 y g i j a s „Minnesota Innovation Research Panel" von Van de Ven et al. (1989). Derzeit beschäftigen sich zahlreiche amerikanische Innovationsprozessforscher mit der Frage, ob periodische, chaotische oder zufällige Muster in F&E-Prozessen erkennbar sind; „Research Methods Workshop on Processes" in Minnesota 1995. Siehe zum Prozesscharakter von F&E-Projekten auch Hauschildt (1993), S. 271 ff.; Gerybadze (1995c), S. 834 f.; Millson, Raj, Wilemon (1992). 297
Siehe zum Konzept der Stage-Gate-Prozesse Cooper (1990); Cooper, Kleinschmidt (1991); O'Connor (1994); Boutellier, Gassmann (1996a). Die „Loose-Tight-Hypothese" wurde im wesentlichen von Wilson (1966) und Shepard (1967) entwickelt und später von Albers, Eggers (1991) in 70 Unternehmen durch strukturierte Interviews bestätigt. Zur Kritik siehe Johne, Snelson (1988) oder Tebe (1990).
178
Kapitel 6
Einfluss des Zeitfaktors auf Intralokalität und Interlokalität Bezüglich der räumlichen Organisation von transnationalen F&E-Projekten konnten in Kapitel 5.1 folgende Ergebnisse hergeleitet werden: F&E-Projekte mit den Merkmalen radikale Innovation, systemische Aufgaben, hoher Anteil an implizitem Wissen und komplementäre Ressourcen sind intralokal durchzuführen. F&E-Projekte mit den Merkmalen inkrementale Innovation, autonome Aufgaben, explizites Wissen und redundante Ressourcen können hingegen auch interlokal durchgeführt werden. 2 9 9 Werden die Determinanten der organisatorischen Gestaltung um die zeitliche Dimension erweitert (1 bis 4), so kann gezeigt werden, dass im frühen Projektstadium eine intralokale Projektdurchführung vorteilhaft ist, während im späteren Projektstadium zunehmend Interlokalität möglich wird (vgl. Abb. 63). Das Determinantenmodell der organisatorischen Gestaltung kann damit um die zeitliche Dimension erweitert werden. (1) Mit der Konzepterstellung findet beim Projekt der grösste Durchbruch statt. Während in den frühen Projektphasen radikale Neuerungen möglich sind, steht in den späteren Phasen mit erstelltem Pflichtenheft die Implementierung im Vordergrund. Das Einfrieren von Spezifikationen bei der Implementierung erlaubt nur noch kleine Verbesserungsschritte und damit inkrementale Neuerungen. Wird mit der Entwicklung der Produktionsmittel begonnen, so sind möglichst wenige Veränderungen am Produktkonzept vorzunehmen und einmal definierte Toleranzen einzuhalten. 3 0 0 (2) Mit Erstellung eines Projektstrukturplans und Erarbeitung von Problemlösungswegen nimmt der Strukturiertheitsgrad der Projektaufgaben zu. In den frühen Phasen
stehen
systemisch-ganzheitliche Aufgaben wie Schaffung eines gemeinsamen Problembewusstseins, Zielfindung und wechselseitiges Lernen im Vordergrund. 3 0 1 In den späteren Phasen werden die Schnittstellenspezifikationen im Projektablauf detaillierter, so dass die Interdependenz zwischen den Modulentwicklungen abnimmt. Mit einer klaren Definition der Arbeitspakete nimmt der Autonomiegrad der Aufgaben zu. (3) Zu Projektbeginn besteht häufig nur eine vage Idee über das zu entwickelnde Produkt, wobei die Vorstellungen der Projektmitarbeiter über die Ziele noch stark differieren. Über Sozialisation und Externalisation wird im Projekt verlauf eine gemeinsame Wissensbasis aufgebaut. Die frühen Projektphasen dienen dabei insbesondere der Transformation von
299
Vgl. Abschnitt 5.1.5.
300
Wheelwright, Clark veranschaulichen dies durch den im Zeitablauf enger werdenden Ideentrichter. Vgl. Wheelwright, Clark (1992), S. 112, aber auch Imwinkelried (1996), S. 91; Madauss (1995), S. 684.
301
Vgl. Takeuchi, N o n a k a (1986), S. 42.
G e s t a l t u n g s f e l d e r transnationaler F & E - P r o j e k t e
179
implizitem zu explizitem Wissen. Die wichtigsten Transformationstreiber sind dabei die Kommunikation zwischen den Teammitgliedern und die Erstellung von Konstruktionszeichnungen, Lasten- und Pflichtenheften. (4) Anfangs komplementäre Kompetenzen und Wissensbasen gleichen sich im Projektablauf einander an. Durch die gemeinsame Zusammenarbeit lernen die Projektmitglieder wechselseitig voneinander, so dass Redundanzen in Kompetenzen und Wissensbasen aufgebaut werden. Indem z. B. ein Software-Entwickler und ein Hardware-Ingenieur gemeinsam ein Schnittstellenproblem zwischen Prozessor und Software bearbeiten, lernen beide voneinander. Sowohl die Loose-Tight-Hypothese als auch die Determinanten der organisatorischen Gestaltung im Zeitablauf weisen auf eine Unterscheidung in eine frühe und eine späte Projektphase hin. Die Entwicklung eines Phasenmodells für transnationale F&E-Projekte hat einerseits die Kritik der deskriptiven Innovationsforschung an den detaillierten, rigiden F&E-Phasenkonzepten zu berücksichtigen und andererseits eine Handlungsorientierung zur Gestaltung transnationaler F&E-Projekte zu geben.
Interlokalität Spätes Stadium
• Abb. 63:
Einfluss des Zeitfaktors auf Intralokalität
und
Interlokalität
180
Kapitel 6
Entwicklung eines Zweiphasenmodells transnationaler F&E-Projekte Beim Versuch, eine zeitliche Abfolge von Projektaktivitäten zu entwerfen und diese mit der räumlichen Dimension (Intralokalität vs. Interlokalität) in Einklang zu bringen, sollen beide Anforderungen berücksichtigt werden. Nach dem hier entwickelten Zweiphasenmodell kann der transnationale F&E-Prozess in die Phasen „Intralokale Wolkenphase" und „Interlokale Bausteinphase" unterteilt werden. 302 Das Zweiphasenmodell baut auf folgenden Elementen auf: - Stage-Gate-Prozesse: Der F&E-Prozess ist unterteilt in Stufen und Tore. In den Stufen findet der Projektfortschritt statt; die Tore sind zwar inhaltlich und zeitlich flexibel, aber unumgehbar. - Loose-Tight-Hypothese: Die späten Projektphasen sind straffer zu führen als die frühen Projektphasen. - Determinanten der räumlichen Organisation: Die Vorteilhaftigkeit von Intra- und Interlokalität wird bestimmt durch Innovationstyp, Aufgabentyp, Wissensmodus und Ressourcenbündelung.
Der Zeitfaktor beeinflusst dabei
die Ausprägung
der
Determinanten innerhalb eines Projektes. Abb. 64 stellt das Zweiphasenmodell im Überblick dar. Im folgenden wird auf beide Phasen vertiefend eingegangen.
6.1.2
Intralokale Wolkenphase
In der Wolkenphase finden Projektinitialisierung und -konzeption statt. In einer ersten Explorationsphase werden die Grundlagen hinsichtlich Markt und Technologie abgeklärt. Die Bedarfsexploration basiert auf traditionellen Marktforschungssinstrumenten wie Panelbefragungen, Geschmackstests, Fokusgruppeninterviews, Einbezug innovativer Vertriebseinheiten, Szenarioanalysen und Schwerpunktanalyse von Lead-Märkten. Neuere Markt forschungssinstrumente umfassen die kooperative Entwicklung zusammen mit einem LeadUser und die anthropologische Expedition. 303
302
Eine Zweiteilung des F&E-Prozesses findet sich auch bei Brecht (1991), S. 88 f.; Hänggi ( 1 9 9 6 ) , S. 230; Boutellier, Gassmann (1996a).
303
Siehe z u m Lead-User-Konzept Abschnitt 3.1.1.2 sowie zur anthropologischen Expedition Leonard-Barton ( 1 9 9 5 ) , S. 200.
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
181
Globaler Stimulus
Intralokale Wolkenphase Initiative und Konzeption Lokale Projektselektion
Interlokale Bausteinphase Entwicklung, Test und Kommerzialisierung
Interlokale Entwicklung Modularisierte Entwicklungsaktivitäten Virtuelles Teammanagement Straffe Schnittstellenkoordination Situative Meetings an einem Ort zur Lösung von Fachproblemen Systemintegration/-test durch Systembeauftragten, Kernteam oder spezielles Integrationsteam Globale Kommerzialisierung
Abb. 64:
Zweiphasenmodell transnationaler F&E-Projekte
182
Kapitel 6
Technologie-Screening kann auf vielfältige Weise erfolgen, beispielsweise über Absorption von
technologischem
Expertenbefragungen,
Wissen
in Spitzenzentren,
Patentdatenbankrecherchen
Konferenzen, und
Technologieprognosen,
Reverse-Engineering
von
Kon-
kurrenzprodukten. 304 Markt- und Technologiestimuli sind in den meisten Branchen globaler Natur; die Exploration richtet sich daher auf globale Stimuli aus. Bedarfsexploration und Technologie-Screening bilden eine starke Quelle für Projektideen. Traditionellen Erklärungsansätzen zu Triebkräften von Projektideen liegt noch das Denken in der Dichotomie „Technology-push" contra „Market-pull" zugrunde. 305 Gerade in transnationalen F&E-Projekten, deren Projektakteure verschiedenen organisatorischen Einheiten (Standorte, Sparten) mit eigenen Interessen angehören, entstammen Projektideen nicht nur den üblichen rationalen Markt- oder Technologiestimuli. Häufig führen geringe Kapazitätsauslastung, finanzielle Probleme und Modetrends zu einem standortspezifischen Problemdruck, der die Generierung neuer Projektideen fördert. Die geringe Kapazitätsauslastung eines Standortes, beispielsweise aufgrund von Produktionsverlagerungen, fördert die aktive Suche nach neuen Geschäftsfeldern. An Standorten, die über einen längeren Zeitraum Verluste und geringen Cash-Flow aufweisen, herrscht ein höherer Veränderungsdruck als an Standorten, die profitable Produkte führen. So konnte beobachtet werden, dass an Entwicklungsstandorten, die - im Rahmen von globalen Effizienzsteigerungsprogrammen - durch Rationalisierung bedroht waren, eine hohe Kreativität zur Initiierung neuer F&E-Projekte die Folge war. 306 Modetrends führen oft zu dem Wunsch, die Produktpalette um die aktuellsten und raffiniertesten Produkte im Markt zu erweitern. F&E-Projekte werden dabei nicht notwendigerweise initiiert, weil Marktbedarf besteht oder technologische Chancen entdeckt wurden, sondern um das Image eines Standortes im Unternehmen zu verbessern. 307 Als Treiber von Projektideen kann somit, neben den unternehmensexternen „Market-pull" und „Technology-push", auch der unternehmensinterne „Problem-push" identifiziert werden. Die beiden unternehmensexternen Treiber sind globaler, der unternehmensinterne Treiber ist lokaler Natur.
304
Siehe zum Technologie-Screening Gerybadze (1994), S. 138; Hasler, Hess (1996), S. 165 f.; Specht, Beckmann (1996), S. 75 ff.; Reger, Cuhls, von Wichert-Nick (1996), S. 225 ff.
305
Vgl. beispielsweise Wheelwright, Clark (1992), S. 35; Roussel, Saad, Erickson (1991), S. 35.
3
Gelingt es dem Management jedoch nicht, trotz Krisenstimmung klare Rahmenbedingungen und Visionen zu verbreiten, so kann eine lähmende Unsicherheit entstehen. Der radikale Personalabbau der D A S A im Jahr 1995 war verbunden mit langer Unsicherheit und Führungswechsel bei M T U . Im Gegensatz zu „kreativen Krisen" bei IBM und ABB konnte bei MTU eine lähmende Unsicherheit festgestellt werden, welche die Ideengenerierung behindert hat.
°6
307
Vgl. Hedlund, Ridderstrále (1994), S. 6.
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
183
Wie das PIPE-System von ABB zeigt, kann die Ideengenerierung für ein Projekt bei geeignetem Einsatz von Work-flow-Systemen auch global erfolgen. ABB setzt mit PIPE („Project Idea, Planning & Execution") ein solches auf Lotus-Notes basierendes System ein. Ideen, Probleme und Kommentare werden per E-Mail in das System eingegeben. Der Ideengenerator kann entscheiden, welche Person bzw. Gruppe eine Zugriffsberechtigung hat. In einem ersten Schritt gibt er nur die Kernidee, das Kommerzialisierungspotential und kurze Kommentare ein. Die Idee wird dann verändert, erweitert und mit anderen Ideen zusammengebracht. Findet die Idee Unterstützung, so wird ein Projektantrag erstellt. Dazu sind dann detailliertere Informationen über Ziele, Risiken, Barrieren und Ressourcen erforderlich. Bei Akzeptanz der Idee kann der Programm-Manager die Information in die PIPE Planning Applikation transferieren. Die Projektidee wird damit in einen Gesamtprojektplan integriert. Hier wird der Projektleiter ernannt und die Standortbeteiligung entschieden. Lokale Teamleiter erstellen lokale Projektpläne mit Zielen, Kosten und Finanzierung. Der Projektantrag wird durch Programm-Manager, lokale Corporate Research Manager und Spartenrepräsentanten bewertet, die Prioritätsliste per E-Mail bekanntgegeben. Die Projektdurchführung wird ebenfalls durch das PIPE-System unterstützt: Einfache und formalisierte Projektberichte, die vor allem Kosten, Zeit und Ergebnisse betreffen, dienen hier der Projektinformation. Ein Berichtsarchiv sichert die Projektgeschichte, so dass ein projektübergreifender Erfahrungsaustausch möglich wird. 308 Trotz globaler Stimuli erfolgt die erstmalige Problemidentifikation in der Regel lokal durch eine Person bzw. Personengruppe, welche zuerst am heimischen Standort nach Unterstützung für ihre Projektidee sucht. Bei dieser Promotorensuche wird versucht, einflussreiche Mitarbeiter von der Projektidee zu überzeugen. Der Einfluss von Personen kann auf ihrer hierarchischen Stellung (Machtpromotor), ihrem Wissen (Fachpromotor) oder ihrer Kommunikationsfähigkeit (Prozesspromotor) beruhen. 3 0 9 Mit Groupware wie PIPE von ABB kann zwar auch die Promotorensuche standortübergreifend erfolgen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass der persönliche Kontakt überragend wichtig ist, um Entscheidungsträger von einer Idee zu überzeugen. Der Grund liegt in den Projektopponenten, die technologische und ökonomische Argumente gegen die Projektidee anführen, aber häufig auch aufgrund beschränkter F&E-Ressourcen eine Kürzung eigener Budgets
308
1996 war das Informationssystem PIPE auf die Forschungsstandorte in Vaasa, Västeräs, Billingstad, Heidelberg, Dättwil, Mailand, Windsor und Raleigh beschränkt. Eine Erweiterung auf Spartenstandorte (Business Areas) ist geplant.
309
V g l . Hauschildt (1993), S. 121 f. Das Promotorenmodell geht auf Witte ( 1 9 7 3 ) zurück, der allerdings nur z w i s c h e n Fach- und Machtpromotor unterscheidet; vgl. Witte (1973), S. 17.
184
Kapitel 6
befürchten. 310 Die Überzeugungskraft einer Projektidee basiert stark auf der persönlichen Kommunikationsfähigkeit des Ideengenerators. Um einen Machtpromotor zu gewinnen, muss die Projektidee in kurzer Zeit präsentiert werden. Wichtiger als fachliche Entscheidungskriterien sind die Vermittlung einer Projektvision und das Aufzeigen von Vermarktungspotentialen. Da eine solche Begeisterungsfähigkeit kaum über Datenbanken und E-Mails erreichbar ist, ist anzunehmen, dass die Promotorensuche auch mit weiterentwickelten Informationstechnologien eine Face-to-face-Angelegenheit bleiben wird. Bei hinreichender Unterstützung der Projektidee wird ein formeller Projektantrag erstellt, bei dem die technische Realisierbarkeit aufgezeigt und das Vermarktungspotential quantifiziert wird (Produktrentabilitätsrechnung). 311 Dieser wird einem Lenkungsausschuss vorgelegt, welcher nicht am gleichen Standort angesiedelt sein muss (z. B. das „Investment Review Board" bei IBM in New York). 312 Gerade transnationale F&E-Projekte erfordern häufig ein hohes Budget, das von der Spartenleitung genehmigt werden muss. Der Projektselektionsprozess findet am Standort des Entscheidungsträgers statt. Mit der Projektgenehmigung werden auch die Projektakteure festgelegt. Damit wird auch entschieden, ob F&E-Projekte an einem Standort oder transnational durchgeführt werden. Dies ist selten eine strukturierte Top-Down-Vorgehensweise, bei der die Projektanforderungen systematisch mit den Kompetenzen, Wissensbasen und Kapazitäten potentieller Standorte abgeglichen werden. 313 Wie die VSE-Entwicklung bei IBM gezeigt hat, ist die Bestimmung der Projektbeteiligung ein politischer
Konsensfindungsprozess, der am ehesten
dem
Entscheidungsprozess vom Typ „Garbage-can" von March und Olsen (1976) gleicht. 314 Ressourcen- und kompetenzenbasierte Entscheidungskriterien, die aus unternehmerischer Gesamtsicht rational wären, werden wegen des Profit-Center-Denkens häufig vernachlässigt. Jeder Standort strebt eine hohe Kapazitätsauslastung an. Bei zentral finanzierten Projekten (Konzernumlage, Headquarterfinanzierung) ist der Anreiz zur Projektbeteiligung und damit zu zusätzlichen Budgets an einem Standort besonders hoch. 315
310
Chakrabarti, Hauschildt ( 1 9 9 5 ) , S. 13 heben die Bedeutung der Projektopponenten innovation") und den politischen Charakter von Innovationsprozessen hervor.
311
Siehe zu einer robusten Produktrentabilitätsrechnung Boutellier, Gassmann (1996b), S. 13.
(„antagonists
of
3 , 2
Siehe Abschnitt 4.1.1.
313
Siehe Gerpott ( 1 9 9 1 ) zu einem strukturierten F&E-Standortmodell.
314
Siehe z u m „Garbage-Can-Decision-Process" March, Olson (1976), welche mit ihrem Entscheidungsmodell erstmalig die Irrationalität von Entscheidungsprozessen in Unternehmen aufgezeigt haben.
315
B e i s p i e l e für solche zentral finanzierten, strategischen F&E-Projekte sind die „Top-Projekte" von Bosch, d i e „Golden B a d g e Special Projects" von Sharp, die „Core R & D " und „Strategie Business Projects" von Hitachi s o w i e die „Core Projects" von Siemens und N E C .
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
185
Ist die Projektbeteiligung entschieden und sind die Teams an den Standorten zusammengestellt, beginnt der Zielfindungsprozess, der in transnationalen F&E-Projekten einen hohen Komplexitätsgrad aufweist. Die Projektakteure haben unterschiedliche Zielvorstellungen: Zielkonflikte bestehen zwischen den Funktionalbereichen Produktion
F&E (raffinierte Produkte),
(fertigungsgerechte Produkte), Marketing (kundenorientierte Produkte) und
Logistik (lager- und transportierbare Produkte). 316 Zu diesen klassischen Zielkonflikten tritt in transnationalen Projekten der regionale Aspekt. So streben die Vertreter der Produktsparten eine globale Standardisierung an, während die Ländervertreter jeweils länderspezifische Produktvarianten fordern. Jeder Standort versucht, mit Marktprognosen die Bedeutung seiner Variante für den Produktumsatz zu unterstreichen. 317 Zudem strebt jeder Standort einen hohen Entwicklungs- und Fertigungsanteil an, um seine Kapazitäten auszulasten und eigene Kompetenzen in verschiedenen Technologiegebieten aufzubauen. Die unterschiedlichen Anforderungen der beteiligten Interessengruppen können dazu führen, dass bei der Zielfestlegung nur der kleinste gemeinsame Nenner zustande kommt. Dies kann zu langwierigen Zieldiskussionen führen, bei denen alle Projektakteure nur noch dem Kern des Konzeptes zustimmen („Concept Peeling"). 318 Der Projektleiter muss ein guter Moderator sein, um dies zu vermeiden und die heterogenen Projektakteure auf gemeinsame Projektziele einzuschwören. 319 Der Zielfindungsprozess wird zum Teil bereits überlagert durch die Konzeptfindung, in der bereits die Systemarchitektur entworfen wird. In der interlokalen Entwicklung ist die extensive Konzeption der Systemarchitektur ein kritischer Erfolgsfaktor. Die Schnittstellen zwischen den Modulen sind klar zu definieren. Dabei ist darauf zu achten, dass eine Änderung in einem Modul möglichst geringen Einfluss auf andere Module hat. Die dadurch erreichte Stabilität kann den späteren Änderungsaufwand und damit die erforderliche Interaktionsintensität zwischen den dezentralen Teams reduzieren. Ferner ermöglicht die Stabilität ein standardisiertes Berichtswesen im Projekt. Für eine derart stabile Systemarchitektur muss umfangreiches architektonisches Wissen unter den Mitgliedern des Kernteams geteilt werden. Der Aufbau einer gemeinsamen Wissensbasis geht einher mit dem Aufbau von Wissensredundanzen im Projektteam, der die weitere Projektkommunikation erleichtert. Da weite Teile dieses Wissens impliziter Natur und nur in
316
Vgl. D e c h a m p s et al. (1994); Seidel (1996); Brockhoff (1994), S. 4 3 8 f.
317
Vgl. Abschnitt 3.1.1.1.
318
Hedlund, Riddersträle (1994), S. 8.
319
Barczak, W i l e m o n ( 1 9 9 2 ) zeigen in ihrer Untersuchung von 114 Projektleitern, dass der Projekterfolg stark davon abhängt, o b der Projektleiter selbst die Projektziele verstanden und akzeptiert hat; vgl. S. 66.
186
Kapitel 6
den Köpfen der Projektmitarbeiter gespeichert sind, kommt den bereits erwähnten Externalisations- und Sozialisationsprozessen in der Konzeptionsphase eine grosse Bedeutung zu. 320 Die Definition der technischen Schnittstellen weist auch einen sozialen Aspekt auf: Jeder Teamleiter strebt möglichst hohe Toleranzen in den Schnittstellen seines Moduls an, da dies mit erhöhter Sicherheit für seine Modulentwicklung verbunden ist (Angsttoleranzen). Hohe Toleranzen sind jedoch mit höheren Kosten bei geringerer Leistung des Systems verbunden. Der Projektleiter hat daher darauf zu achten, dass das Sicherheitsdenken nicht zu übermässig hohen Toleranzen führt. Um den modularen Ansatz erfolgreich implementieren zu können, muss der Projektleiter ein hochkarätiger Systemarchitekt sein. 321 Dieser bündelt die funktionalen Elemente des Systems zu Komponenten, definiert klare Schnittstellenstandards und -protokolle und weist die Entwicklungsaktivitäten einzelnen Spezialistenteams zu. Bei der Dekomposition des Systems ist Risikostreuung zu vermeiden und das technische Risiko auf ein Modul zu konzentrieren. Dieses Modul ist einer hochkompetenten Organisationseinheit zuzuordnen, die sich insbesondere durch hervorragende Managementfähigkeiten auszeichnet. Häufig ist die Risikokonzentration schwer zu erreichen, da die Risikostreuung im Portfoliodenken verankert ist und zudem möglichst jeder Teamleiter das Risiko auf andere Standorte verlagern möchte. 322
6.1.3
Interlokale Bausteinphase
In der Bausteinphase finden Entwicklung, Test und Kommerzialisierung statt. Diese Aktivitäten sind detaillierter, strukturierter und weniger interdependent als in der Wolkenphase. Während in der Wolkenphase die zieladäquate Konzepterstellung wichtig ist, steht in der Bausteinphase die effiziente Konzeptimplementierung im Vordergrund. Da in dieser kostenintensiven Phase der grösste Teil der Projektressourcen verbraucht wird, ist ein ressourcenund zeitorientiertes Projektmanagement erforderlich.
320
32
'
322
Yg] Abschnitt 5.1.3. Eine solide Systemarchitektur kann darüber hinaus die Basis für spätere Produktverbesserungen darstellen, bei denen nur noch einzelne Komponenten ersetzt werden; vgl. Henderson, Clark (1990), S. 11; Ulrich (1995), S. 427; Ulrich, Tung (1991), S. 75; Erens, Verhulst (1996b), S. 6. Zudem fördert diese die Durchsetzung von industrieweiten dominanten Designs und erhöht den Wettbewerb unter den Lieferanten; vgl. Tushman, Rosenkopf (1992), S. 200 f. Hochkarätig im Sinne von Heavyweight-Projektmanager von Wheelwright, Clark (1992), S. 194 f. Siehe Abschnitt 5.1.2.
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
Bei
positiver
Ausprägung
der
187
Determinanten
interlokaler
Projektdurchführung
(Innovationstyp, Aufgabentyp, Wissensmodus und Ressourcenbündelung) können in dieser Phase die modularisierten Entwicklungsaktivitäten interlokal durchgeführt werden. Organisationsformen bestehen dabei aus Selbststeuerung, Systembeauftragtem und Kernteam. 3 2 3 Diese Phase erfordert eine straffe Schnittstellenkoordination, verbunden mit
situativen
Spezialistenteams zur Lösung von Fachproblemen. In dieser Phase reduziert sich das Teammanagement auf die Koordination virtueller F&ETeams. Die Vertretung der Projektinteressen beim Ressourceneinsatz an den beteiligten Standorten gewinnt hier an Bedeutung. Da der Projektleiter nicht an allen Standorten der dezentralen Teams gleichzeitig sein kann, besteht die Gefahr, dass die Projektinteressen vernachlässigt werden. Dies wird verstärkt bei den Organisationsformen, bei denen der Projektleiter
geringe
Weisungsbefugnisse
gegenüber
seinen
Projektmitarbeitern
hat
(Selbststeuerung, Systembeauftragter). Bei strategischen F&E-Projekten führt die Vernachlässigung der Projektinteressen zu suboptimalen Prioritäten und Fehlallokationen. Damit die Projektinteressen an den dezentralen Standorten vertreten werden, muss es starke Interessenvertreter des Projektes geben (Projektadvokaten), die mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet sind. Projektadvokaten können Personen mit klassischen Rollen wie Projektleiter, Lenkungsausschuss oder Promotoren sein, aber auch bisher vernachlässigte Rollen wie das Kernteam oder der Systembeauftragte. Ein solches „Empowerment" der Projektadvokaten ist erforderlich, da die dezentralen Teams stark dem Einfluss lokaler Interessengruppen
wie der Linienorganisation
ausgesetzt sind. Diese
Interessengruppen
können lokale F&E-Aktivitäten vor die transnationalen Entwicklungsaktivitäten stellen. Den Mitgliedern eines Kernteams kommt dabei häufig eine Doppelrolle zu: Im Projekt treten diese als Vertreter der Länderinteressen auf, in ihren heimischen Standorten als Projektadvokaten. Ein guter Projektleiter zeichnet sich dadurch aus, dass er dem Kernteam eine Projektvision vermitteln kann. Die Mitglieder des Kernteams müssen sich mit den Projektzielen identifizieren und diese ihren lokalen Teams vermitteln können. Für sie gelten daher ähnliche Anforderungen wie für den Projektleiter selbst: hohe personelle Kontinuität, Kommunikationsfähigkeit, Empathie, interkulturelle Sensitivität. Bei Ciba-Geigy werden die Schlüsselentscheidungen auch in transnationalen Projekten in enger Interaktion von Team und Lenkungsgremium getroffen. Zum Empowerment gehört dort die Kreation eines positiven Spannungsfeldes zwischen Teams und Lenkungsgremien, aus dem man sich eine Förderung von Risikobereitschaft und Fähigkeit zur Ideengenerierung erhofft.
323
Vgl. Abschnitt 5.2.
188
Kapitel 6
Für die Sicherstellung des Zugriffes und der freien Verfügung auf seine Ressourcen in der interlokalen Bausteinphase ist es notwendig, dass der Projektleiter direkt an eine hohe Stelle berichtet. Es kann zu erheblichen Problemen führen, wenn der Projektleiter nur an den Leiter seiner Regionalgesellschaft berichtet, aber auf Projektmitarbeiter in anderen Gesellschaften oder Sparten zurückgreifen soll. Im Idealfall berichtet der Projektleiter eines transnationalen F&E-Projektes an einen international zusammengesetzten Lenkungsausschuss, der direkt unterhalb der Unternehmensleitung angesiedelt ist und daher selbst über umfangreiche Befugnisse innerhalb des Konzerns verfügt (interne Vollprokura des Lenkungsausschusses). Der Projektleiter des „Common Technology"-Projektes von ABB war anfangs der schwedische Chef der Business Area Stromübertragung selbst, der zuvor bereits Entwicklungsleiter der Transformatoren in Schweden war. 324 Später hatte dieser die Projektleitung an einen schwedischen ausgewiesenen Experten in Transformatoren übergeben. Die Machtpromotion des Projektes wurde jedoch gesichert durch die Gründung eines Lenkungsausschusses, in dem er selbst und die Ländervertreter, die das Projekt formell in Auftrag gegeben hatten und finanzierten, vertreten waren. Da der Lenkungsausschuss zur Steuerung des gesamten Projektes mangels Expertenwissen zum Teil nicht in der Lage war, wurden technologie- bzw. komponentenspezifische Fachgremien zur Beurteilung der Projektaktivitäten gegründet. Die Fachgremien hatten zusätzlich die Aufgabe, Synergien zu anderen Projekten aufzuzeigen, so dass Doppelentwicklungen weiter reduziert werden konnten. Beispielsweise stellte die Isolationstechnik des „Common Technologies"Projekt ein gemeinsames Problemfeld mit der Selbstblastechnik an Schaltern. Das Expertenwissen in den Fachgremien dient hauptsächlich der Entscheidungsunterstützung im Steering Committee und in der Projektleitung. Auf operativer Ebene wurden situativ Spezialistenteams gegründet, um technische Schnittstellenprobleme zu lösen. Der Lenkungsausschuss ist als Steuerorgan für die Gestaltung der Rahmenbedingungen des F&E-Prozesses verantwortlich. So gewährleistet dieser den Durchgriff des Projektleiters auf kritische Ressourcen und Kontinuität in der Zielvorgabe. Der Ausschuss erarbeitet die Projektziele in enger Interaktion mit dem Kernteam und begleitet den Entwicklungsprozess als Promotor und Sounding-Board. Um solchermassen in transnationalen F&E-Projekten von strategischer Bedeutung stabile Rahmenbedingungen garantieren zu können, ist eine internationale und funktionsübergreifende Zusammensetzung des Lenkungsschusses notwendig. Typische Mitglieder sind Bereichs-, F&E-, Marketing-, Produktionsleiter sowie die Leiter der beteiligten Regionalgesellschaften. Ein hochrangiger Lenkungsausschuss erhöht die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Kommerzialisierung der Projektergebnisse.
324
Vgl. dazu die Abschnitte 3.1.3 und 3.2.1.
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
189
Das aus modularisierten F&E-Projekten abgeleitete Zweiphasenmodell ist auch auf Pharmaund Chemieprojekte anwendbar. BASF unterstreicht die Differenzierung in Wolkenphase und Bausteinphase, indem sie in den frühen Phasen des F&E-Prozesses nicht von einem „Projekt", sondern nur von „Aktivitäten" spricht. Auch Bayer setzt Meilensteine und Entscheidungssitzungen erst in der präklinischen Phase ein, bei der das Projekt formell gestartet wird.
Präkli
Klinik
'zialisierung
Bausteinphase
Wolkenphase Meilensteine Entscheidungssitzungen
I H M
Geschäftsleitung Projekt-Committee
•
•
•
n
i
Projekt-Ausschuss
1 M
i
m j I
Projektmanager I National Project Coordinator [_ Zentrales Projektmanagement I
Meilensteine 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Präsentation des Wirkstoffes, Projekt-Go Antrag auf Freigabe zur klinischen Prüfung Genehmigung der klinischen Prüfung Beginn der klinischen Prüfung Abschluss der klinischen Prüfung Zulassungsantrag Zulassungserteilung Preis- oder Erstattungsgenehmigung Ausbietung
Quelle:
Projektmanual, Interview Bayer.
Abb. 65:
Zweiphasenmodell
des F&E-Prozesses
I notwendige Projektbeteiligung j fakultative Projektbeteiligung
Entscheidungssitzungen A Aufnahme der Entwicklung B Beginn der klinischen Vorstellung C "Stop-or-go"-Entscheidung D Zulassungsantrag E Ausbietung
bei Bayer
190
Kapitel 6
Die erfolgreiche Durchführung der interlokalen Bausteinphase erfordert eine starke Beachtung der intralokalen Wolkenphase. Ist in der Wolkenphase das Fundament gebaut, so kann die Bausteinphase interlokal durchgeführt werden. Die dezentralen Modulentwicklungen sind dabei unter Effizienzaspekten straff zu koordinieren.
6.1.4
Koordination der Projektaktivitäten
Die Arbeitsteiligkeit in F&E-Projekten steigt mit zunehmendem Internationalisierungsgrad. Die Entwicklungsaktivitäten, die arbeitsteilig an verschiedenen Standorten durchgeführt werden, sind auf ein übergeordnetes Projektziel auszurichten. Dazu ist Koordination in technischer, zeitlicher, ökonomischer, sozialer und intentionaler Hinsicht erforderlich. 325 Die Höhe des Koordinationsbedarfs in einem transnationalen F&E-Projekt wird von mehreren Einflussfaktoren bestimmt, wobei unterschiedliche Interessen der Projektakteure, soziokulturelle Differenzen und geographische Distanzen zu den wichtigsten zählen (vgl. Abb. 66). Zur Abstimmung transnationaler F&E-Projektaktivitäten verwenden die untersuchten Unternehmen vielfältige Koordinationsinstrumente. Die Instrumente lassen sich in Planung, Formalisierung, Gremien, Personen und Sozialisation kategorisieren, wobei die Koordination durch Planung und Formalisierung einen formelleren Charakter hat als die Koordination durch Personen und Sozialisation (vgl. Abb. 67). 326 Aus den Interviews ergab sich, dass Planungsinstrumente wie Projektfortschrittsberichte und Dokumente zur Definition der Schnittstellenspezifikationen eine hohe Bedeutung für die Projektkoordination haben. Klassische Projektpläne (Termin, Kosten, Kapazität) können die Projektkoordination unterstützen. Formalisierung, die sich in Handbüchern, Stellenbeschreibungen und Standortmissionen niederschlägt, ist aufgrund der Diskrepanz zwischen Soll- und Ist-Prozessen für die Koordination eher unbedeutend. Die Bedeutung der Informationstechnologien wurde in einigen Unternehmen als sehr hoch (z. B. IBM, Ciba-Geigy), in anderen Unternehmen als unterstützend eingestuft (z. B. MTU).
325
Frese ( 1 9 8 7 ) , S. 200, versteht unter Koordination „das Ausrichten arbeitsteiligen System auf ein übergeordnetes Gesamtziel."
32
D i e Unterscheidung in formelle und informelle Instrumente geht zurück auf Martinez, Jarillo (1989), S. 4 9 0 ff.. Bis in die 80er Jahre hinein beschränkten sich Untersuchungen zur internationalen Koordination auf die Betrachtung von „gegenständlichen" Koordinationsinstrumenten wie Handbücher, Manuals, Richtlinien und Budgetberichte. Später verbreitete sich eine Kategorisierung in strukturelle, technokratische und personenorientierte Instrumente, bei der jedoch der formelle Aspekt der Koordination überbetont wird. Siehe hierzu Macharzina ( 1 9 9 2 ) , S. 9 ff., Welge ( 1 9 8 0 , 1989), Slipsager (1979), S. 2 1 0 f. s o w i e zu deren Kritik Kenter (1985), S. 83, W o l f (1994), S. 118 f.
^
von Einzelaktivitäten
in
einem
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
Ausbildungssystem
191
Tradition
Religion
Unterschiedliche Infrastruktur Landesspezifische Normen/Standards Einsatz von Informationstechnologien problematisch Technische Koordination
Differenzen in Problemlösungsstrategien
Geographische Distanzen Unterschiedliche Zeitzonen Intentionale Koordination
Geringer Durchgriff des Projektleiters
Schwieriges Teambuilding
Wechselkursschwankungen Unterschiedliche Interessen der Projektakteure Profit Center Denken
_^Jransferpreis. Problematik
Eigentum ' der Projektergebnisse
Unstandardisierte Entwicklungsprozesse
Zeitliche Koordination
Besteuerungsproblem
Länderspezifische Genehmigungsverfahren
Nationale Gesetze Koordinationsbedarf
Abb. 66:
Netzwerk wichtiger Einflussfaktoren auf den in transnationalen
Koordinationsbedarf
F&E-Projekten
Die projektbezogenen Gremien wie Lenkungsausschüsse und Fachausschüsse wurden von der überwiegenden Zahl der Befragten als sehr wichtig für die Koordination der transnationalen F&E-Aktivitäten wahrgenommen. Nichtprojektbezogenen Gremien, wie Stäbe des Chief Technology Officers (CTO bei ABB), Strategieausschüsse und funktionale Gremien, wird eine geringe Bedeutung beigemessen. Der Koordination durch Personen und durch Sozialisation kommt eine hohe Bedeutung zu, wobei diese in den japanischen Unternehmen nochmals höher als in den westlichen Unternehmen eingeschätzt wurde.
192
Kapitel 6
Formelle Koordination
Planung Projektpläne
Rahmenpläne
• Projektstrukturplan, Terminplan, K o s t e n - f k plan, Kapazitätsplan
• Transferpreise für Entwicklungsleistungen, Auftragsvertäge
• Projektfortschrittsberichte, Meilensteine
• F&E-Programme, -Strategien, Technologieportfolios
^
• Konstruktionszeichnungen, Spezifikationen und Toleranzen an Schnittstellen ^ ^
3 3
Formalisierung Programmierung
EDV
• Entwicklungshandbücher und -richtlinien, Projekt-Manuals
3
• Projektmanagement-Systeme, Netzplantechniken (CPM, MPM, PERT, GERT)
• Stellenbeschreibungen
O
• F&E-Pollcies, "Missions" der F&EStandorte
O
Sonstige Informations- und Kommunikationstechnologien
A W
3
Gremien Projektbezogen
Projektübergreifend
• Lenkungsausschüsse, Steering Committees
• Strategieausschüsse für F&E • CTO, Komitees, Stäbe zum internationalen Technologietransfer
• Projekt(fach-)ausschüsse
• Gremien der Funktionalbereiche (F&E, Produktion, Marketing)
O
o 3
Personen Projektbezogen
Projektübergreifend
• Projektleiter
«P
• Liason-Personen, Gatekeeper
• Systembeauftragter
( J
• Promotoren (Macht-, Fach-, Prozess-)
V..P
• Kernteam, Leiter der dezentralen Subteams
A
• Informelle Kommunikation über Telefon, âjêh
^
E-Mail, Videokonferenzen
• Personaltransfer
• Ad-hoc-Besuche
3
Sozialisation Projektbezogen
Projektübergreifend
• Leistungs- und Anreizsysteme (z. B. Prämien bei Projekterfolg)
• Entwicklung einer übergreifenden Organisationskultur, Normen, Werte; Instrumente: Job-Rotation, Personaltransfer, Ad-hoc-Besuche, Konferenzen
• Projektkultur, Entwicklung von Teamgeist
Informelle Koordination
• Gemeinsame Projektvision, Ziele
Bedeutung für die Koordination in transnationalen F&E-Projekten:
Abb. 67:
Koordinationsinstrumente
in transnationalen
niedrig
F&E-Projekten
Die Gründe für den hohen Stellenwert von Personen und Sozialisation zur Koordination können in zwei Aspekten gesehen werden: Grosse Teile des Koordinationswissens wie prozedurales Erfahrungswissen und soziales Wissen sind implizit. Übertragung, Transformation
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
193
und Aufbau von implizitem Wissen erfordern persönliche Nähe. 327 Projektleiter, Systembeauftragter und Mitglieder des Kernteams müssen in persönlichem Kontakt mit den dezentralen Teams stehen. Während beim Ventureteam dieser Kontakt durch die räumliche Zentralisierung gegeben ist, werden bei den anderen Organisationsformen umfangreiche Reisen erforderlich. Zusammenfassend ist zu sagen: Das Zweiphasenmodell bietet einen Gestaltungsrahmen für das Management transnationaler F&E-Projekte. Die Differenzierung in intralokale Wolkenphase und interlokale Bausteinphase zeigt, dass beide Phasen grundsätzlich unterschiedlichen Charakter aufweisen und daher ein unterschiedliches Management erfordern. In der Wolkenphase wird das Fundament für die Bausteinphase gelegt: Auf rationaler Ebene müssen hier Arbeitspakete klar definiert, eine robuste Systemarchitektur mit stabilen Schnittstellen geschaffen und das Projektrisiko auf ein Modul konzentriert werden. Auf emotionaler Ebene sind in der Wolkenphase Interessenkonflikte zu klären, Projektvision und -ziele zu schaffen, Kooperationskultur
und
Teamgeist
zu
entwickeln.
Die
emotionale
Ebene
erfordert
vertrauensbildende Massnahmen und offene Kommunikation. In der interlokalen Bausteinphase wird eine effiziente Implementierung der Konzepte angestrebt. Hier sind intensive Real-time-Information zwischen den dezentralen Teams und straffe Koordination erforderlich. Bei der Koordination haben die informellen Instrumente (Personen, Sozialisation) eine höhere Bedeutung als die formellen (Planung, Formalisierung). Eine klare Trennung dieser Phasen ist die Basis für ein fokussiertes Management transnationaler F&EProjekte.
6.2 Gestaltungsfeld Technologie In transnationalen F&E-Projekten stellen die Informations- und Kommunikationstechnologien (IT) aufgrund der Komplexität und räumlichen Distanzen die wichtigste Technologieform dar. 328 In der interlokalen Bausteinphase ist der IT-Einsatz unentbehrlich. Im folgenden Abschnitt werden Einsatzmöglichkeiten von IT-Instrumenten in transnationalen F&E-Projekten dargestellt und bewertet, wobei auch der Projektdynamik Rechnung getragen wird.
327
Vgl. dazu Abschnitt 5.1.3.
328
Vgl. Granstrand, Häkanson, Sjölander (1993), S. 4 1 5 ; Cheng, B o l o n (1993), S. 4; D e Meyer ( 1 9 9 2 ) , S. 176 f., (1993b), S. 116 und insbesondere De Meyer (1991, 1990). Unter Informationsund Kommunikationstechnologien wird in Anlehnung an Stadelmann (1996), S. 138, die Gesamtheit aller Konzepte und Werkzeuge (Hardware, Middleware, Anwendungssoftware) zur Kommunikation und Informationsspeicherung/-bearbeitung/-übermittlung verstanden.
194
Kapitel 6
6.2.1
Nutzen von Informations- und Kommunikationstechnologien
In F&E-Projekten kommt der Information und Kommunikation eine zentrale Bedeutung zu. Zwischen Kommunikationsintensität und F&E-Projekterfolg konnte eine eindeutig positive Korrelation nachgewiesen werden. 3 2 9 Andererseits stellt die Projektkommunikation traditionell eines der wesentlichen Produktivitätsprobleme in der F&E dar. 3 3 0 In transnationalen F&E-Projekten wird dieses Problem aufgrund geographischer Distanzen, unterschiedlicher Zeitzonen und soziokultureller Differenzen weiter verschärft. Wie Allen (1977) in seiner vielzitierten empirischen Untersuchung aufzeigte, nimmt die Wahrscheinlichkeit der Kommunikation P(K) zwischen zwei F&E-Mitarbeitern mit zunehmender physischer Distanz D zwischen F&E-Mitarbeitern deutlich ab. Die logarithmische Beziehung zwischen P(K) und D konnte sowohl im Mikrobereich (Meterdistanz) als auch im Makrobereich (Kilometerdistanz) nachgewiesen werden. 3 3 1 Aufgrund des Kommunikationsproblems
bei
geographischen
Distanzen
gewinnt der Einsatz
von
Informations-
und
Kommunikationstechnologien (IT) in den interlokalen Projektphasen stark an Bedeutung. Die zunehmende Unterstützung industrieller F&E-Prozesse durch IT beschränkte sich anfangs auf die Effizienzsteigerung. Erst seit den 90er Jahren werden auch verstärkt Informationsverarbeitung und Konstruktionstätigkeiten in der F&E unterstützt. 3 3 2 Auf internationaler Ebene ist dies durch die verbesserte IT-Infrastruktur möglich. 3 3 3 Die Unterstützung von virtuellen F&E-Teams in transnationalen Projekten stellt dabei die grössten Anforderungen an IT, wie auch Howells (1995) konstatiert: „The establishment of a scientific and technical team located at several different sites but working on the same project represents the most far-reaching aspect of the use of IT in R&D." 3 3 4
329 Ygi j j g empirische Untersuchung von Ebadi, Utterback (1984). 330
Vgl. De Meyer (1991), S. 49.
331
Vgl. Allen (1977), S. 236 ff.
332
Vgl. De Meyer (1991), S. 49.
333
Die verbesserte Infrastruktur in den Schwellenländern erhöhte auch deren Attraktivität als Zielort für eine Verlagerung von F&E-Aktivitäten; vgl. Abschnitt 2.1.2. und De Pury, Hauser, Schmid (1995), S. 51. Um die F&E-Attraktivität zu erhöhen, haben beispielsweise die Latin America Academy of Science und die U N E S C O damit begonnen, ein telematisches Netz aufzubauen, das den elektronischen Datenaustausch per Telefon ermöglicht. Zum Aufbau von Computer-Kommunikationsnetzwerken in Lateinamerika und Afrika siehe Bellman, Tindimubona, Arias (1994).
334
Howells (1995), S. 176.
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
195
Die Erfahrung zeigt, dass die Reisetätigkeit weiterhin eine wichtige Rolle spielt, aber zunehmend durch den Einsatz moderner IT substituiert wird. 3 3 5 Die Kosten für IT betrugen bei den meisten untersuchten Unternehmen weniger als 10 % des gesamten F&E-Budgets und wurden als sekundär eingestuft. IT können zwar Face-to-face-Treffen nicht ersetzen, jedoch die Abstände zwischen diesen verlängern. Persönlicher Kontakt ist weiterhin erforderlich beim Aufbau von Vertrauen, bei kulturell sensitiven Problemen und bei politisch brisanten Entscheidungsprozessen. Erfordern Problemlösungs- oder Entscheidungsprozesse mehrere Diskussionsrunden in kurzen Zeitabständen, so sind Reisen (intralokale Projektphasen) dem IT-Einsatz vorzuziehen. 3 3 6 Dagegen sind die indirekten Kosten des Nicht-Einsatzes von IT durch Reisen beachtlich hoch. Für das persönliche Zusammenkommen
eines dezentralen Teams entstehen
zum
Teil
erhebliche Reisekosten und -Zeiten. Die durch Reisen entgangenen Arbeitszeiten sind als Opportunitätskosten in die Kostenbetrachtung miteinzubeziehen. Die Opportunitätskosten können immens hoch sein, wenn in diesem Team Spezialisten arbeiten, die an ihrem heimischen Standort einen kritischen Engpassfaktor darstellen und daher unabkömmlich sind. Dies tritt beispielsweise ein, wenn die Spezialisten parallel zum Projekt auf dem kritischen Pfad eines anderen Projektes tätig sind. Zudem sind die sozialen Kosten von Reisen zu berücksichtigen. Extensive Reisetätigkeiten sind mit Stress verbunden und können einen unmittelbaren Abfall an Kreativität und Motivation verursachen. Dieser wirkt sich wiederum direkt auf Effizienz und Effektivität der Projektarbeit aus. Die Immobilität von Projektmitarbeitern kann auch in der mangelnden Bereitschaft der Familie begründet sein, für längere Zeit in ein anderes Land umzuziehen oder die permanente Abwesenheit des betreffenden Familienmitgliedes zu akzeptieren. Ferner bleiben Spezialisten gerne unter sich, da durch die Homogenität der Gruppe eine soziale Sicherheit entsteht. Der Immobilitätsfaktor gewinnt bei einer mehrjährigen Projektdauer und bei ungenügenden Repatriierungsmassnahmen nach Beendigung des Projektes an Brisanz. 3 3 7
335
D i e Reisekosten als Indikator für Reisetätigkeiten sind beispielsweise bei I B M mit der breiten Einführung von Videokonferenzen drastisch gesunken.
336
Häufig entscheidet über die Frage „Reisen oder IT" die Möglichkeit, ob mit der Reise ein weiteres Treffen verbunden werden kann. „Can travel kill several birds with one round-trip ticket? S o m e t i m e s a secondary mission can give traveling the e d g e over telecommunicating." O'Hara-Devereaux, Johansen (1994), S. 143.
337
Y g | z u ( ] c n Problemen der temporären Personalentsendung und -repatriierung Kenter ( 1 9 8 9 ) , Sp. 1933 f. und Gaugier (1989), Sp. 1939 f., zur Rolle der Familie bei der Personalentsendung Gross (1994), S. 9 9 ff.
196
Kapitel 6
6.2.2
Anforderungen an IT
Der Einsatz von IT in transnationalen F&E-Projekten hat vier Anforderungen zu erfüllen (vgl. Abb. 6 8 ) : 3 3 8
1. Koordination dezentraler Projektaktivitäten 2. Austausch technischer Information 3. Förderung von Kreativität 4. Entwicklung eines informellen Netzwerkes
Emotionale Ebene: • Soziale Präsenz
Abb. 68:
Anforderungen
von IT in transnationalen
F&E-Projekten
Von Boehmer (1994), S. 349 unterscheidet Informationsanforderungen für F&E-Planung und -Kontrolle nach strategischen, taktischen und operativen Aufgaben. Dieser Differenzierung soll hier nicht gefolgt werden, da die Internationalität von F&E-Projekten nicht hinreichend berücksichtigt ist.
Gestaltungsfelder transnationaler F&E-Projekte
Die Koordinationsunterstützung
197
und der Austausch technischer Information erfordern
Medien, die durch einen hohen Grad an Informationsreichhaltigkeit gekennzeichnet sind. 339 Eine standortneutrale Bereitstellung von zeitlicher und technischer Information ohne zeitliche Verzögerungen steht im Vordergrund. Der Aktualitätsgrad von Information, z. B. Schnittstellenspezifikationen, ist von grosser Bedeutung. Die rationale Ebene der Kommunikation dominiert. „A final element in the changing... location of R & D and its information profile has been the expansion of on-line information and communication networks... The development on an intrafirm basis of private computer communication networks and use of on-line information systems have evolved out of the computing requirements of the research operation and the subsequent development of transmission capabilities to remote s i t e s . " 3 4 0
Bei der Förderung von Kreativität und der Entwicklung eines Netzwerkes erscheinen hingegen Medien vorteilhafter, die einen hohen Grad an sozialer Präsenz vermitteln können. Kreativität erfordert umfangreiche Ad-hoc-Kommunikation, bei welcher der Kommunikationsbedarf ungeplant auftritt. Ebenso lassen sich Aktivitäten des Vertrauensaufbaus und der Entwicklung von informellen Beziehungen kaum zeitlich festlegen. Die emotionale Ebene der Kommunikation spielt eine grosse Rolle. Eine Annäherung an die Face-to-face-Kommunikation können Medien erreichen, die breite Bereiche der non-verbalen Kommunikation (z. B. Körpersprache, Gestik) und Dialogorientierung (wechselseitiger Informationsaustausch) ermöglichen, z. B. Videokonferenzen.
6.2.3
Ausgewählte IT-Instrumente
Eine ganzheitliche Bewertung von IT in transnationalen F&E-Projekten wurde 1996 in einem Experten-Workshop bei IBM vorgenommen. Dabei wurde insbesondere auf die oben erwähnten vier IT-Anforderungen eingegangen (Abb. 69). 341 Informationstechnologische Grundlage für zahlreiche IT-Instrumente ist die Vernetzung der Kommunikationsendgeräte. Die wichtigste Nutzungsform für die Datenkommunikation sind Rechnernetze: LAN (Local Area Network) konzentrieren sich auf ein Gebäude oder Betriebs-
339
Siehe zu „Information richness" insbesondere Trevino, Lengel, Daft (1987).
340
Howells(1990), S. 142.
34
Begriffliche Überschneidungen wurden bei dieser anwenderorientierten Sichtweise bewusst in Kauf genommen, z. B. Electronic Calender als Teilmenge der Groupware. Zur Erläuterung von CASE (Computer Aided Software Engineering) und Client/Server-Modell siehe Stahlknecht (1995), S. 153, 308.
'
198
Kapitel 6
gelände; W A N (Wide Area Network) sind Fest- oder Funknetze zwischen geographisch entfernten, unabhängigen Rechnern; GAN (Global Area Network) sind kontinentübergrei-
Informationsaustausch
•
•
Telefax
o
3 O 9
Telefonkonferenzen Videokonferenzen
• •
E-Mail, Memos LAN/WAN/GAN Electronic Calendar Foren Software-Library (Datenbank) File Transfer Remote Systems ProjektmanagementSysteme Groupware Intranet Client/Server Umgebung CASE Tools CAD
3 O a o 3 o o a a a o o
•
3