214 13 19MB
German Pages 412 [416] Year 2010
Internationale Person al wirtsch aft und Internationales Arbeitsrecht vori
Prof. Dr. h abil. Wilhelm Schmeisser und
Univ.-Prof. Dr. Dieter Krimphove unter Mitarbeit von
Edith Teschner Ari]a Seifert Bettina Pape Cornelia Pape Alexa Hellweg Lydia Clausen
Oldenbourg Verlag München
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
© 2 0 1 0 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, [email protected] Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Grafik + Druck GmbH, München ISBN 978-3-486-59218-4
Vorwort Zum Internationalen Management und auch zum Internationalen Personalmanagement gibt es bereits aus verhaltenswissenschaftlicher Sicht eine fast nicht mehr übersehbare Literaturvielfalt. Gängige Themen sind Personal suche, Personalauswahl, Personalentwicklung, Internationales Assessment-Center und Wiedereingliederungsproblematik von Entsandten. Hier grundsätzlich ein neuartiges Lehrbuch in diesem Genre zu entwickeln und zu schreiben, ist fast unmöglich. Schaut man sich jedoch den „Alltag" von Betriebswirten und Juristen an, die in diesem Segment Internationale Personalwirtschaft und Internationales Arbeitsrecht in einer Unternehmung tätig sind, so wird deren Tätigkeiten nicht nur durch klassische Personalfunktionen geprägt, sondern durch internationale Vertragsgestaltung, internationales Entgeltmanagementsysteme mit Aktionenoptionsprogramme, Sozial-, Renten- und weitere Versicherungsproblemstellungen für Entsandte, internationales Personalcontrolling und internationale Personalinformationssysteme, Diversity-Management in Europa und weltweit sowie durch Europäisches Arbeitsrecht, evtl. unterstützt durch erste Länderstudien. Diese Inhalte in einem Lehrbuch Internationale Personalwirtschaft zu finden, sucht man vergeblich. Hintergrund sind oft Ausbildungsprobleme von Personalern ihr Aufgabengebiet nicht klassisch betriebswirtschaftlich, insbesondere finanzorientiert und noch dazu rechtlich gelernt zu haben. Diese offensichtliche Forschungs- und Lehrlücke zu schließen, und den Studenten aber auch den Praktiker in diesem Feld mit einem Lehrbuch zu unterstützen, ist es wert dieses Buch zu kreieren. Die Verfasser
Inhalt Vorwort I
V Finanzorientierte Personalwirtschaft zur Unterstützung von Globalisierungsstrategien internationaler Unternehmen
1
1
Einleitung
1
2
Abgrenzung der internationalen Personalwirtschaft zum nationalen Personalmanagement
2
3
Probleme und Ziele des internationalen Personalmanagements
3
4
Personalpolitische Varianten des internationalen Personalmanagements
4
4.1
Nationales Modell
5
4.2
Multinationales Modell
6
4.3
Globales Modell
6
4.4
Transnationales Modell
6
5
Internationalisierungsstrategien im Personalmanagement
7
5.1 5.1.1 5.1.2 5.1.3
Grundstrategien Ethnozentrische Strategie Polyzentrische Strategie Geozentrische Strategie
7 7 8 8
5.2
Kulturstrategien (Monokultur, Multikultur, Mischkultur)
9
5.3
Entscheidungsstrategien (zentral, dezentral, föderal)
10
5.4
Neun Internationalisierungsstrategien
11
6
Fazit
12
Literaturverzeichnis
13
Inhalt
Vili II
Internationales Entgeltsystem
15
7
Internationale Entsendung von oberen Führungskräften am Beispiel der BASF 16
7.1
Bedeutung des internationalen Personaleinsatzes
17
7.2
Strukturelle und vertragliche Aspekte
18
7.3 7.3.1 7.3.2
Gehaltssystem Vergleichsgehalt und sonstige Zahlungen Entsendungszulage und Mobilitätszulage
19 19 21
7.3.3
Mietanteil
24
Quellenverzeichnis
25
Anhang
28
III
Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems 45
8
Wirtschaftsphilosophische und wirtschaftsethische Grundlagenüberlegungen
45
8.1
Shareholder-Value-Ansatz
45
8.2
Prinzipal-Agent-Theorie
48
8.3 8.3.1 8.3.2 8.3.3
Zielsetzungen von Aktienoptionsprogrammen Minimierung des Prinzipal-Agent-Problems Personalbindung und Rekrutierung von Topführungskräften Verbesserung der Liquidität des Unternehmens
50 50 51 52
8.4 8.4.1 8.4.2
Kritik am Einsatz von Aktienoptionen Manipulation des Aktienkurses Änderung der Kapitalstruktur des Unternehmens
53 53 54
8.5
Aktienoptionsprogramme im Kontext moderner Vergütungssysteme
55
9
Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
55
9.1
Anforderungen an wertorientierte Vergütungssysteme
57
9.2 9.2.1 9.2.2
Gesellschaftsrechtliche Aspekte zur Vergütung Der Deutsche Corporate Governance Kodex VorstOG - Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen
61 61 66
9.3 9.3.1 9.3.2
Aktienrechtliche Aspekte der Vergütung Regelungen nach § 87 AktG VorstAG - Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung
68 68 69
Inhalt
IX
10
Kategorisierung von Aktienoptionsprogrammen
70
10.1 10.1.1 10.1.2 10.1.3
Überblick Wandelschuldverschreibung und Optionsanleihen Reine Optionen Stock Appreciation Rights
70 72 74 76
10.2 10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4
Exkurs: Incentiveprogramme Phantom Stocks Restricted Stocks/Restricted Stock Units Performance Shares/Units Performance Cash-Plan
76 76 77 78 79
11
Kriterien zur Ausgestaltung von Aktienoptionsprogrammen
79
11.1
Kreis der Berechtigten
80
11.2
Bestimmung des Basispreises
80
11.3
Erfolgsziele
81
11.4
Zeitliche Komponenten
87
11.4.1
Zeitliche Abfolge eines Aktienoptionsprogramms
87
11.5
Eigeninvestment und Cap
91
11.6
Dividendenpolitik
92
11.7
Verwässerungseffekt
93
12
Möglichkeiten der Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen
94
12.1
Überblick
94
12.2
Bedingte Kapitalerhöhung
95
12.3
Genehmigte Kapitalerhöhung
98
12.4
Ordentliche Kapitalerhöhung
99
12.5 12.5.1
Erwerb eigener Aktien Rückerwerb nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG
100 101
12.5.2
Rückerwerb nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG
102
12.6
Kooperation mit Dritten
105
12.7
Stock Appreciation Rights
105
13
Durchführung eines Aktienoptionsprogramms in der Aktiengesellschaft
106
13.1
Entscheidung über die Einfuhrung eines AOP
106
13.2
Vorbereitung der Hauptversammlungsbeschlüsse
107
13.3
Gewährung der Aktienoptionen
109
13.4
Zuteilung der Aktien
109
X
Inhalt
14
Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen
110
14.1 14.1.1 14.1.2 14.1.3 14.1.4 14.1.5
Bilanzierung nach IFRS Anwendungsbereich Echte Eigenkapitalinstrumente Virtuelle Eigenkapitalinstrumente Kombinationsmodelle Anhangangaben
110 111 112 116 118 119
14.2
Bilanzierung nach US-GAAP
121
14.3
Regelungen nach SFAS 123(R)
121
Quellenverzeichnis IV
125
Auslandsentsendungen und ihre arbeits-, Steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen
133
15
Arbeitsvertragliche Aspekte
133
15.1
Inhalte von Arbeitsverträgen
133
15.2 15.2.1 15.2.2
Möglichkeiten der Vertragsgestaltung bei Auslandseinsätzen Ergänzungsvertrag zum Anstellungsvertrag Versetzungsvereinbarung und Lokalarbeitsvertrag
135 135 136
16
Steuerrechtliche Aspekte
139
16.1
Einkommenssteuerpflicht
139
16.2
Internationales Steuerrecht
140
16.3 16.3.1 16.3.2 16.3.3
Doppelbesteuerungsabkommen Allgemeine Erläuterungen Generelles Zuweisungskriterium: Ansässigkeit Besteuerungsrecht im Inland
141 141 141 143
17
Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
144
17.1 17.1.1 17.1.2
Beschäftigungen im Ausland Territorialprinzip Vorliegen einer Ausstrahlung
145 145 145
17.2
Beschäftigungsverhältnis im Inland
147
17.3
Zeitliche Begrenzung der Entsendung
148
17.4
Über- und zwischenstaatliche Abkommen mit Deutschland
150
17.5
Bilaterale Sozialversicherungsabkommen
152
17.6
Zahlung der Beiträge während des Auslandsaufenthaltes
153
Inhalt
XI
17.7 17.7.1 17.7.2 17.7.3 17.7.4 17.7.5
Vorsorge bei fehlender Versicherungspflicht Rentenversicherung Krankenversicherung Pflegeversicherung Unfallversicherung Arbeitslosenversicherung
155 156 156 156 157 157
17.8
Beendigung der Ausstrahlung
157
18
Zusammenfassung
159
Quellenverzeichnis V
Internationale Entgeltsysteme für börsennotierte Unternehmen im Wandel 161
Literaturverzeichnis VI
159
166
Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells bei einer internationalen Bank zur Steuerung der Niederlassungen
167
19
Bankinterne Controllingdaten als Basis
167
20
Ausgewählte Kennzahlen und ihre Gewichtung
168
21
Zur Rechenbarkeit vom Bank-Humankapitalbewertungsmodell
173
22
Ergebnisse der Bank-Humankapitalbewertung
175
23
Bank-Humankapitalbewertungsmodell im Rahmen des Entgeltmanagements
181
VII
Entwicklung eines Personalinformationssystems für ein internationales Personalcontrolling
183
Zur Beschreibung und Definition eines internationalen Personalcontrollings
184
25
Ziele eines internationalen Personalcontrollings
185
26
Einsatz von Personalinformationssystemen
186
27
Gewinnung von Personalinformationen
188
28
Aufbau von Personaleninformationssysteme
195
28.1
Ziele eines internatonale Personalinformationssystems
195
28.2
Funktionale Ausgestaltung des internationalen Personalcontrollings
197
24
XII 28.3
Inhalt Prozessunterstützende Aufgaben des internationalen Personalcontrolling
Literaturverzeichnis VIII
198 199
Aufbau, Funktionalität und Anwendungsbereiche von Informationssystemen im Personalbereich
201
29
Internationale Personalinformationssysteme
201
29.1
Definition von Informationssystemen
201
29.2
Aufgaben
202
29.3
Einführungsgründe und Anforderungen von Personalinformationssystemen
202
29.4
Personalinformationssystem als Voraussetzung für die Prozessoptimierung
203
30
Grundlagen
205
30.1 30.1.1 30.1.2 30.1.3 30.1.4
Architektonische Grundlagen Architektur Systemarchitektur Schichtenmodell Realisierung
205 205 205 205 206
30.2
Organisatorische Grundlagen
207
30.3 30.3.1 30.3.2 30.3.3 30.3.4 30.3.5
Rechtliche Grundlagen Datenschutz Mitbestimmung Gleichbehandlung Datenübermittlung Lohnbuchhaltung
208 208 209 209 209 209
31
Aufbau, Funktionalität, Anwendungsbereich
210
31.1
Aufbau
210
31.2
Funktionalität
211
31.3 31.3.1 31.3.2
Anwendungsbereich Anwender Beispiele fìir Anwendungsbereiche
212 212 212
31.4 31.4.1 31.4.2 31.4.3
Aufbau, Funktionalität und Anwendung des Modells aus den vier Schichten Datenhaltungsschicht Anwendungsschicht Präsentationssysteme und Integrationssysteme
213 213 214 216
Inhalt
XIII
32
Zusammenfassung
217
32.1
Chancen
217
32.2
Risiken
218
Quellenverzeichnis
218
IX
Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
219
33
Internet als Medium der internationalen Personalbeschaffung
219
34
Instrumente des Electronic Recruiting
220
34.1 34.1.1 34.1.2 34.1.3
Stellenbörsen im Internet Vor- und Nachteile von Stellenbörsen im Internet Anbieter elektronischer Stellenbörsen Gestaltung und Aufbau einer Stellenanzeige im Internet
221 221 222 223
34.2
Human-Resources-Websites
224
34.3
Virtuelle Recruiting-Messen
225
34.4 34.4.1 34.4.2 34.4.3
Online-Recruiting-Spiele Definition Siemens - „Challenge Unlimited" Mögliche Grenzen der Online-Spiele
227 227 227 228
34.5
Newsgroups
228
34.6 34.6.1 34.6.2
Chancen und Risiken des E-Recruiting Chancen Risiken
229 229 230
35
Scouting
231
35.1 35.1.1 35.1.2 35.1.3
Scouting durch Hochschulpräsenz Konzentration auf ausgewählte Fachrichtungen und Hochschulen Personalisierung und Differenzierung von Angeboten Einsatz mehrstufiger Programme
231 231 232 232
35.2 35.2.1 35.2.2 35.2.3
Scouting durch absolventenorientierte Maßnahmen Absolventenmessen Absolventen-Workshops On-Campus-Recruiting
233 233 234 235
35.3
Zukunftsperspektiven des Scouting
235
XIV
Inhalt
36
Personalleasing
236
37
Prozess der Personalauswahl
238
37.1
Ziel und Gegenstand der Personalauswahl
238
37.2
Auswahlprozess in Form der Personalauswahlkette
239
37.3
Auswahlverfahren bei internen und externen Bewerbungen
241
37.4
Ablauf der externen Personalauswahl
243
38
Externe Personalauswahlverfahren und Instrumente
245
38.1
Elektronische Bewerberdatenverwaltung - Workflow-Management
245
38.2 38.2.1 38.2.2
Onlinebewerbung Möglichkeiten der Onlinebewerbung Mängel von Onlinebewerbungen
246 246 247
38.3
Telefoninterview
248
38.4
Digitales Interview
248
Quellenverzeichnis
249
X
Unternehmenskultur und Länderkultur
255
39
Faktoren im Unternehmensumfeld
256
39.1
Ökonomische Faktoren
256
39.2
Soziokulturelle Faktoren
257
40
Unternehmensinterne Faktoren
257
41
Kulturelle Werte
257
41.1
Arten kultureller Werte
258
41.2
Funktionen von kulturellen Werten
259
41.3
Internationaler Aspekt
259
42
Kulturvermittlung
260
42.1
Kulturvermittlung durch Sozialisation
260
42.2
Kulturvermittlung durch Geschichten, Rituale, Unternehmenssprache
262
42.3
Kulturvermittlung durch sonstige Kommunikationsmittel
264
43
Entstehung der Unternehmenskultur
264
43.1
Charaktereigenschaften der Mitarbeiter
265
43.2
Ethik innerhalb der Organisation
265
Inhalt
XV
43.3
Verfìigungsrechte
265
43.4
Organisationsstruktur
266
Quellenverzeichnis XI
267
Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
269
44
Frühgeschichte
269
45
Ankunft der Europäer und Herausbildung der Landaufteilung
270
46
Bevölkerungsgruppen
272
46.1
Weiße
273
46.2
Farbige
273
46.3
Inder/Asiaten
273
46.4
Schwarze
274
47
Religion
275
48
Kultur
275
49
Gesellschaftspolitische Aspekte
277
49.1
Konzept der Apartheid
277
49.2
Reservats- und Homeland-Politik
278
49.3
Demokratisierung
279
50
Demographische und soziale Aspekte
280
50.1
Bevölkerungswachstum
280
50.2
Bevölkerungsentwicklung unter dem Einfluss von AIDS
281
50.3
Familienplanung und Geburtenrückgang
282
50.4
Altersstruktur und zukünftiges Wachstum
282
50.5
Bildungsdefizit
283
51
Wirtschaftliche und arbeitspolitische Aspekte
284
51.1
Arbeitslosigkeit
285
51.2
Arbeitsbeziehungen und Black Economic Empowerment
287
51.3
Ursachen der Benachteiligung von Frauen
287
XVI
Inhalt
52
Südafrika: Automobilindustrie
288
52.1
Internationale Automobilhersteller in Südafrika
289
52.2
Motor Industry Development Programme
290
52.3
Einfluss der Gewerkschaften auf die Automobilhersteller
290
52.4
Zukunft der Automobilindustrie
291
Quellenverzeichnis
292
XII
Das AGG und Diversity Management - eine betriebswirtschaftliche und europäisch-nationale, rechtliche Antwort auf die Internationalisierung von Arbeitsmärkten in Europa und Weltweit 295
53
Veränderungen in der Unternehmenswelt
296
53.1
Internationalisierung der Arbeitsmärkte
296
53.2
Technologischer Fortschritt
298
53.3
Demografische Entwicklung
298
53.4
EU-Antidiskriminierungsrichtlinien
300
54
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301
54.1
Zielsetzung und Inhalt des AGG (§ 1 AGG)
301
54.2 54.2.1 54.2.2 54.2.3 54.2.4 54.2.5 54.2.6 54.2.7
Benachteiligungsmerkmale Rasse Ethnische Herkunft Behinderung Sexuelle Identität Alter Religion oder Weltanschauung Geschlecht
302 302 302 302 302 303 303 303
54.3 54.3.1 54.3.2
Anwendungsbereich Sachlicher Anwendungsbereich (§ 2 AGG) Persönlicher Anwendungsbereich (§ 6 AGG)
304 304 306
54.4 54.4.1 54.4.2 54.4.3 54.4.4 54.4.5
Benachteiligungstatbestände (§ 3 AGG) Unmittelbare Benachteiligung Mittelbare Benachteiligung Belästigung Sexuelle Belästigung Benachteiligung durch Anweisung
309 309 309 310 310 311
54.5 54.5.1 54.5.2
Erlaubte unterschiedliche Behandlung Positive Maßnahmen Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen
311 312 312
Inhalt 54.5.3
XVII
54.5.4
Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters
313 313
54.6 54.6.1 54.6.2 54.6.3
Organisationspflichten des Arbeitgebers Präventive Maßnahmen Reaktive Maßnahmen Bekanntmachungspflichten
316 317 318 318
54.7 54.7.1 54.7.2 54.7.3 54.7.4 54.7.5
Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das AGG Beschwerderecht Leistungsverweigerungsrecht Anspruch auf Schadenersatz Anspruch auf Entschädigung Maßregelungsverbot
318 319 319 320 321 322
54.8 54.8.1
Gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen aus dem AGG Fristen
322 322
54.8.2
Darlegungs- und Beweislast
323
Quellenverzeichnis
324
XIII
Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
327
55
Zum personalwirtschaftlichen Ansatz im internationalen, europäischen und nationalen Arbeitsrecht
327
56
Zum Begriff des Arbeitsrechts
328
57
Internationales Arbeitsrecht
329
57.1
Internationales Arbeitsrecht als Arbeitsvölkerrecht
329
57.2
Internationale Spezialregelungen
331
57.3 58
Normen des internationalen Privatrechts Europäisches Arbeitsrecht
331 332
58.1
Geltung des Europäischen Arbeitsrechts in den Arbeitsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten
333
58.2
Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG-V) im Arbeitsverhältnis
335
58.3 58.3.1 58.3.2 58.3.3 58.3.4 58.3.5
Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsverhältnis Gleichbehandlung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses Gleichbehandlung bei der Entgeltbestimmung Gleichbehandlung im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Gleichbehandlung im Behinderungsrecht als Kündigungsschutzgrund Exkurs: Kündigungsschutz im Europäischen Arbeitsrecht
337 339 341 341 342 343
XVIII 58.4
Inhalt Auswirkungen des „Technischen Arbeitsschutzes" in Europa auf das Arbeitsverhältnis
368
58.5
Betriebliche Auswirkungen des Europäischen „sozialen" Arbeitsschutzes
373
58.6 58.6.1 58.6.2
Kollektives Europäisches Arbeitsrecht Europäisches Tarifvertragsrecht Europäisches Betriebsverfassungsrecht
375 377 377
58.6.3
Arbeitsrecht und Betriebsgröße
379
59
Resümee
384
XIV
Ausblick
387
Literatur
391
XV
393
Stichwortverzeichnis
I
Finanzorientierte Personalwirtschaft zur Unterstützung von Globalisierungsstrategien internationaler Unternehmen
1
Einleitung
„Globalisierung steht fur den technischen und ökonomischen Wandel, der sich weltweit in den letzten Jahrzehnten vollzogen hat. Ursächlich hierfür sind vor allem der Abbau von Handelsbeschränkungen, Deregulierung im Dienstleistungs- und Kapitalverkehr und rasch sinkende Transport- und Kommunikationskosten durch neue Technologien." 1 Durch die Internationalisierung verspricht sich ein Unternehmen höhere Gewinnchancen, Absatzsteigerung in ausländischen Märkten und die Erzielung von Wettbewerbsvorteilen. Außerdem kommt es zu einer Risikostreuung, Technologie- und Know-how-Transfer. Teilweise können durch die Internationalisierung auch staatliche Förderungen genutzt werden, indem eine Tochtergesellschaft im Ausland eröffnet wird und verstärkt Handel mit einem ausländischen Partner betrieben wird. Ein weiteres wichtiges Ziel der Internationalisierung ist die Reaktion auf Wechselkurse und andere Handelsbeschränkungen. Die Internationalisierung eines Unternehmens wirkt sich auf alle Bereiche aus und damit auch auf den administrativen, juristisch und finanzwirtschaftlich geprägten Teil der Personalwirtschaft und des verhaltenswissenschaftlichen Personalmanagements. Die Aufgaben des internationalen Personalmanagements sind viel umfassender als die des nationalen, denn eine wichtige Aufgabe der internationalen Personalwirtschaft ist die Förderung, Organisation und Kontrolle von Auslandseinsätzen. Auslandseinsätze ziehen zahlreiche Maßnahmen nach sich, z.B. ein umfassendes Entgeltmanagementsystems mit Vertragsgestaltungsproblemati-
Regnet/Hofmann, 2000, S. 43
2
I Globalisierungsstrategien
ken des Auslandseinsatzes wie Steuer-, renten- und versicherungsrechtlichen Problemen, des Personaleinsatzes und der -betreuung vor Ort, Personalentwicklung auf länderspezifische Besonderheiten, ein internationales Personalinformationssystem und Personalcontrollingsystem zur besseren Steuerung von Konzernaktivitäten usw.
2
Abgrenzung der internationalen Personalwirtschaft zum nationalen Personalmanagement
Das Personalmanagement ist die systematische Analyse, Bewertung und Gestaltung aller Personalaspekte eines Unternehmens, im Zweifel auch weltweit, z.B. durch einen deutschen, internationalen und damit europäischen Konzern. Dazu gehören unter anderem die Bedarfsbestimmung, Bestandsanalyse, Personalfreisetzung wie auch die Personalbeschaffung und -auswahl, Personalentwicklung und Vergütung. Hintergrund ist die Einsicht, dass das Personalmanagement der Humankapitalschlüssel zum langfristigen Wettbewerbserfolg des Internationalen Unternehmens ist, und deshalb als einer der dominantesten Werttreiber im Wertschöpfungsbereich der Wertkette einer finanzorientierten Personalwirtschaft und einer internationalen, wertorientierten Unternehmensführung angesehen werden muss. 2 Mit zunehmender Internationalisierung eines Unternehmens muss sich das Personalmanagement an die neuen Gegebenheiten anpassen. Dabei gilt es nicht nur sprachliche Barriere zu bewältigen, sondern auch kulturelle, politische, wirtschaftliche und soziale, da diese Umweltfaktoren und -bedingungen von Land zu Land unterschiedlich stabil für eine vorausschauende Personalwirtschaft, mit dem Instrument der Länderforschung, sind. „Die am stärksten Einfluss nehmenden Rahmenbedingungen des Personalmanagements sind: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.
verstärkte nationale/internationale Wettbewerber, Qualitäts- und Kundenorientierung, veränderte Arbeitnehmerwerthaltung, Globalisierung des Wettbewerbs, Zusammenwachsen der Volkswirtschaften; rückläufiges Arbeitskräfteangebot, veränderte Beschäftigungsstrukturen und ökologische Herausforderungen." 3
Vgl. Schmeisser, 2008 sowie Schmeisser/Clausen, 2009 3
Wolf, 1994, S. 2
3 Probleme und Ziele des internationalen Personalmanagements
3
Doch nicht jede international agierende Unternehmung muss ein Internationales Personalwirtschaft als Spezialabteilung betreiben. Je nach Art und Intensität der unternehmerischen Auslandsaktivitäten wird das Personalmanagement an die kooperierenden ausländischen Partner angepasst. Bei einer Kooperation ist der Einfluss auf das Personalmanagement des ausländischen Kooperationspartner nur gering oder gar nicht gegeben. Wenn ein Joint Venture mit einem ausländischen Partner abgeschlossen wird, entsteht nur beim Austausch von Personal ein inhaltlicher Einfluss auf das nationale Personalmanagement. 4 Bei einer Übernahme eine Unternehmung im Ausland hingegen kann die nationale Gesellschaft das Management der ausländischen Niederlassung durch die Konzernstruktur bestimmen. Das gleiche gilt fiir die Gründung einer neuen Tochtergesellschaft im Ausland. Dabei wird das Internationale Personalmanagement durch die lokalen Landeskulturen (vgl. Länderforschung z.B. Südafrika) als auch die landesspezifischen Personalmanagementsysteme beeinflusst. Hinzu kommen die Internationalisierungsstrategie und das Managementsystem des Unternehmens und die Unternehmenskultur. Das internationale Personalmanagement grenzt sich durch folgende Indikatoren vom nationalen Personalmanagement ab: • • • • • •
3
größeres Ausmaß an Aktivitäten, globale Perspektive, Berücksichtigung der Privatsphäre der Mitarbeiter/innen, größere Risikobehaftung durch Corporate Governance und Compliance-Management, Berücksichtigung unterschiedlicher wirtschaftlicher, rechtliche und kultureller Bedingungen und Faktoren und Versuch der Gleichbehandlung der unterschiedlichen Nationalitäten durch ein DiversityManagement. 5
Probleme und Ziele des internationalen Personalmanagements
Aufgabe und zugleich Ziel des internationalen Personalmanagements ist es, den Personaleinsatz sowohl quantitativ als auch qualitativ auf nationaler und internationaler Ebene sicher zu stellen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können, wird die kulturelle Empathie und die Mobilitätsbereitschaft und -fahigkeit der Mitarbeiter gefördert, z.B. durch Dienstreisen und kürzere Auslandseinsätze. Außerdem unterstützt das Internationale Personalmanagement den harmonischen und konstruktiven Umgang der Mitarbeiter weltweit miteinander, um einen grenz-
4
Vgl. Drumm, 2008, S. 625
5
Vgl. Bartlett/Ghoshal, 1990, S. 99ff.
4
I Globalisierungsstrategien
überschreitenden Know-how-Transfer zu ermöglichen. Durch die Entwicklung einer offenen und toleranten Unternehmenskultur wird die Anpassung der Landesniederlassungen eines internationalen Unternehmens an unterschiedliche wirtschaftliche und kulturelle Rahmenbedingungen der Landesgesellschaft effizienter erfolgen. Bei den Aufgaben des internationalen Personalmanagements muss darauf geachtet werden, dass die unterschiedlichen Denk- und Handlungsmuster der Landeskultur berücksichtigt werden, um Missverständnisse und Misserfolge zu vermeiden. Außerdem wird von den entsandten Mitarbeitern die „Fähigkeit verlangt, flexibel auf anstehende Herausforderungen zu reagieren." 6 Neben der personalwirtschaftlichen Unterstützung des gesamten Unternehmens bei der Verfolgung der ökonomischen Markt- und Gewinnziele muss das internationale Personalmanagement auch die sozialen Ziele beachten. So sind die gesetzlichen Mindestanspruchniveaus in jedem Land anders (z.B. Mindestlohn). Des Weiteren trägt das internationale Personalmanagement zur „Schaffung einer einheitlichen Identität der Unternehmung im In- und Ausland durch Vereinheitlichung des Handlungsrahmens für das Personalmanagement in den Grenzen des jeweils geltenden Rechts bei." 7
4
Personalpolitische Varianten des internationalen Personalmanagements
Je nach Grad der internationalen Ausrichtung eines Unternehmens muss es seine Strategie an die neuen Herausforderungen anpassen. Jede Strategie birgt dabei Vor- und Nachteile für das Unternehmen und das Personalmanagement. „Auf der einen Seite mag es dem Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen, wenn Personalfunktionen wie Auswahl, Training oder Entlohnung global koordiniert werden können. Auf der anderen Seite kann es aber kritisch werden, wenn den spezifischen Anforderungen der Auslandsniederlassung hinsichtlich der Berücksichtigung von lokalen oder regionalen Bedingungen wie Arbeitszeitregelung, Gewerkschaftsforderungen, Lohnstrukturen oder auch den fremdkulturellen Arbeitsmentalitäten nicht mit einer adäquaten Anpassung Rechnung getragen wird." 8 Hierbei wird zwischen vier Varianten des internationalen Personalmanagements unterschieden, die die Vor- und Nachteile in unterschiedlicher Weise kombinieren.
6
Vgl. Regnet/Hofmann, 2000, S. 261
7
Drumm, 2008, S. 628
8
Kumar/Wagner, 1998, S. 5
4 Personalpolitische Varianten des internationalen Personalmanagements
5
Dazu zählen: • • • •
nationale, multinationale, globale und transnationale Variante.
Hoch
Ò
Globales Humanressourcenmanagement
Transnationales Hiimanressourceninanagement
Nationales Humani'essourcenmanagement
Multinationales Humanressoui'cenmanageinent
ατό "D
Gerire Gering
Hocn
Kräfte cer iänderspez;f;schen Anoassung
Abb. 4.1: Varianten
des internationalen
Personalmanagement9
Wie in Abb. 4.1 erkennbar, unterscheiden sich die verschiedenen Modelle nach dem Grad der globalen Integration und der lokalen Anpassung.
4.1
Nationales Modell
Das nationale Modell des internationalen Personalmanagement zeichnet sich durch die geringen Auslandsaktivitäten aus. Die kleine Anzahl der Auslandsniederlassungen, die oftmals als reine Verkaufsbasis dienen, macht eine globale Integration und lokale Anpassung noch nicht notwendig. Eine Koordination der Auslandsaktivitäten und der Geschäftsaktivitäten erfolgen hierbei im Stammhaus, das alle wichtigen Entscheidungen an die Niederlassungen weiterleitet. Dieses Modell findet häufig in der Anpassungsphase der Unternehmen an die Internationalisierung Anwendung, in der das Personalmanagement flexibel gestaltet werden kann.
9
Vgl. ebd., S. 5
6
I Globalisierungsstrategien
4.2
Multinationales Modell
Beim multinationalen Personalmanagement agieren die Unternehmen verstärkt in sehr unterschiedlichen Gastländern. Durch die starke Differenzierung der einzelnen Gastländer ist es notwendig, dass sich das Personalmanagement an die Gegebenheiten des jeweiligen Gastlandes anpasst. Durch diese differenzierte Anpassung ist es schwierig, „standardisierte Maßnahmen im Untemehmensverband durchzusetzen. Personalprobleme werden in den Auslandsniederlassungen im Wesentlichen selbstständig und ohne Verbindung zu anderen Teileinheiten gelöst." 10 Eine zentrale Koordination im Stammhaus ist deshalb nicht notwendig.
4.3
Globales Modell
Die globale Variante des internationalen Personalmanagements eignet sich nicht für Unternehmen, die im Bereich der internationalen Geschäfte noch unerfahren sind. Vielmehr ist diese Variante für Unternehmen, die in sehr vielen sehr verschiedenen Ländern tätig sind. „Sie ist charakterisiert durch die Durchsetzung von weltweit standardisierten Personalmaßnahmen wie z.B. Auswahlrichtlinien oder Anreizsysteme, die durchaus auch neu für Gastländer sein können."" Voraussetzung dafür sind Erfahrungen um gegen Widerstände angehen und Vorteile erzielen zu können. Es können unter anderem Kosten vorteile erreicht werden, weil einheitliche Maßnahmen angewendet werden. Anderseits kommen die spezifischen Aspekte der Gastländer zu kurz.
4.4
Transnationales Modell
Das transnationale Modell wird in Unternehmen angewandt, „die in vielen verschiedenen Kulturen tätig sind, aber genug Erfahrungen und Fähigkeiten besitzen, um trotzdem weltweite Koordinierungsvorteile zu erzielen." 12 Es könne z.B. durch weltweit einheitlich koordinierte Trainings Kostenvorteile erzielt werden. Außerdem wird durch die Austauschbarkeit des Personals die Internationalisierung des Unternehmens vorangetrieben.
10 1
Kumar/Wagner, 1998, S. 6ff.
'
Ebd., S. 6
12
Ebd., S. 6
5 Internationalisierungsstrategien im Personalmanagement
5
7
Internationalisierungsstrategien im Personalmanagement
„Die Unternehmensziele, die Strategie und die Unternehmenskultur müssen den Anforderungen der Internationalisierung und Globalisierung des jeweiligen Unternehmens unter Berücksichtigung der unternehmenshistorischen Entwicklung, der gegebenen Unternehmensstruktur, der nationalen und internationalen branchenspezifischen Bedingungen und Entwicklungstrends angepasst werden." 13 Durch die zunehmende Internationalisierung der Unternehmen muss sich auch das Personalmanagement an die neuen Herausforderungen anpassen. Die Grundlage hierfür bilden die verschiedenen Internationalisierungsstrategien, auf die im Folgenden eingegangen werden soll.
5.1
Grundstrategien
Zu den grundlegenden Strategien zählt die Klassifikation nach Perlmutter. 14 Er unterscheidet zwischen der ethnozentrischen, der polyzentrischen und der geozentrischen Strategie. Erst neu hinzugekommen ist die regiozentrische Strategie, die eine aufgespaltene Form der geozentrischen Strategie ist.
5.1.1
Ethnozentrische Strategie
Die ethnozentrische Strategie zeichnet sich durch die Zentralisation der Entscheidungen im Stammhaus aus, dass heißt alle Entscheidungen werden autoritär im Stammhaus getroffen und auf die ausländischen Niederlassungen übertragen. Außerdem finden alle Steuer- und Kontrollgrößen des Heimatlandes auch auf das Gastland Anwendung. Bei dieser Strategie ist festzustellen, dass sich der Kommunikationsfluss fast ausschließlich in die Richtung von der Muttergesellschaft an die Tochtergesellschaft bewegt. Bei der Personalbesetzung werden Schlüsselpositionen in erster Linie mit Fach- und Führungskräften der Muttergesellschaft besetzt. 15 Ziel dieser Strategie ist es, bewährte Konzepte auf die Tochtergesellschaften zu übertragen.
13
R e g n e t / H o f m a n n , 2000, S. 4 0
14
Vgl. das E.R.R.G.-Modell von Perlmutter, zitiert nach Perlitz, 1995, S.142f.
15
Vgl. Scholz, 2000, S. 96
8
I Globalisierungsstrategien
Durch die Besetzung von Führungspositionen mit Personal aus dem Stammhaus kann es zu keiner kulturellen Distanz zu den Führungskräften der Zentrale kommen oder es besteht bereits eine persönliche Bekanntschaft. Nachteilig hingegen ist, dass durch die Entsendung von Fach- und Führungskräften erhöhte Kosten (z.B. Reisekosten, Weiterbildungskosten) fur das Unternehmen anfallen. Des Weiteren ist ein Aufstieg für die Mitarbeiter der Tochtergesellschaft nur begrenzt möglich, da Führungskräfte vorwiegend aus der Muttergesellschaft kommen. 16
5.1.2
Polyzentrische Strategie
Bei der polyzentrischen Strategie gelten die Tochtergesellschaften als unabhängige Einheiten. Die Entscheidungsfindung erfolgt weitgehend dezentral, was zu einem geringen Informationsfluss und geringer Kommunikationsintensität mit der Muttergesellschaft und den Tochtergesellschaften führt. Jede Tochtergesellschaft entscheidet für sich selbst und nimmt die Nationalität und die Kultur des Gastlandes an. Die Organisationen sind unterschiedlich und voneinander unabhängig. Multinationale Unternehmen wählen diese Strategie für ihr Personalmanagement. Die Nachteile der ethnozentrischen Strategie sind die Vorteile der polyzentrischen Strategie. Es entstehen nur gering Entlohnungskosten, da die Kosten fur eine Entsendung entfallen, und die Mitarbeiter der Tochtergesellschaften haben ausreichend Aufstiegschancen, da Führungspositionen mit Mitarbeitern aus der jeweiligen Tochtergesellschaft besetzt werden. Außerdem fallen die Kommunikationsprobleme der Mitarbeiter der Tochtergesellschaft in dem jeweiligen Gastland weg. Dafür treten Probleme bei der Kommunikation mit der Muttergesellschaft auf, da oft eine sprachliche Barriere gegen ist. Des Weiteren kann es zu Konflikten zwischen den Wertevorstellungen der einzelnen Tochtergesellschaften kommen. Ein weiteres Problem tritt in der Rekrutierung von Fach- und Führungspersonal auf. Da jedes Land seine eigenen Führungskräfte wählt, kommt es zu erhöhten Kosten bei der Suche und Vermittlung. 17
5.1.3
Geozentrische Strategie
Die geozentrische Strategie strebt ein einheitliches Konzept für alle Tochtergesellschaften an. Es wird ein Anreiz durch Belohnung für das Erreichen internationaler und nationaler Zielvorgaben geboten. Die Kommunikationsintensität zwischen den Tochtergesellschaften und der Muttergesellschaft ist hierbei sehr hoch. Die einzelne Tochtergesellschaft identifiziert sich bei dieser Strategie mit der weltweiten Unternehmung unter der Wahrung nationaler Interessen. Für die Entscheidungsfindung kommt es zu einer weltweiten Zusammenarbeit zwischen der Muttergesellschaft und den einzelnen Tochtergesellschaften.
16
Vgl. Scholz, 2000, S. 97
17
Vgl. ebd., S. 97
5 Internationalisierungsstrategien im Personalmanagement
9
Eine Differenzierung nach regionalen Besonderheiten erfolgt bei der regionzentrischen Strategie. In den einzelnen Regionen erfolgt eine enge Zusammenarbeit zwischen den Tochtergesellschaften. Auf regionaler Ebene sind die einzelnen Organisationen der Tochtergesellschaften stark voneinander abhängig und passen sich an die geographischen Gegebenheiten der Region an. Ein großer Vorteil ist, dass eine einheitliche Unternehmenskultur gefördert wird. Doch auch hier entstehen sehr hohe Kosten und Akzeptanzprobleme.
5.2
Kulturstrategien (Monokultur, Multikultur, Mischkultur)
Die Kultur eines Unternehmens hat direkte Auswirkungen auf sein Personalmanagement. Die Kulturstrategien geben Aussagen über den Inhalt des Kulturtransfers und ziehen dabei vollkommen unterschiedliche Maßnahmen nach sich. 18
Monolait u s trategie
Multkiitustrate Personen
80.000
600
900
1.100
100.000
700
1.000
1.200
120.000
800
1.100
1.300
140.000
950
1.250
1.450
160.000
1.100
1.400
1.600
Tab. 7.7: Auszug aus der BASF-Marktmietentabelle
59
Vgl. ebd., S. 422
60
In Anlehnung an: ebd., S. 422
61
In Anlehnung an: Brinkkötter, 1997, S. 423
(mtl.
Mietet
Quellenverzeichnis
25
Die Marktmiete ist ein Äquivalent dafür, dass fur die gemietete Wohnung im Einsatzland ein entsprechender Eigenanteil zu tragen und ggf. firmenseitig ein Mietzuschuss zu leisten ist. Dabei richtet sich die Höhe des Mietzuschusse nach dem festgelegten Mietlimit, der in Zusammenarbeit mit den lokalen Beratern ermittelt wird. Der Betrag, der das Limit überschreitet, sowie die Mietnebenkosten werden vom Entsandten getragen.62
Quellenverzeichnis BASF - The Chemical Company: Diversity, 2007, URL: http://www.corporate.basf.com/de/sustainability/mitarbeiter/diversity.htm?id=kJKV 1 C_XJbcp*OB Stand: 08.07.2008. BASF - The Chemical Company: Globale Präsenz, 2007, URL: http://corporate.basf.com/de/ueberuns/?id=f5PDIC_BUbcp3aA Stand: 08.07.2008. BASF - The Chemical Company: Mitarbeiter in den Regionen, 2007, URL: http://corporate.basf.com/de/ueberuns/mitarbeiter/?id=f5PDIC_BUbcp3aA Stand: 08.07.2008. Berndt, R. / Altobelli, C. F. / Sander, M.: Internationales Marketing Management. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer Verlag, Berlin 2005. Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (bgfe): EWR-Staaten, 2007, URL: http://www.bgfe.de/betrieb/bb_ewrstaaten.html Stand: 03.07.2008. Blom, H. / Meier, H.: Interkulturelles Management, Interkulturelle Kommunikation, Internationales Personalmanagement, Diversity-Ansätze im Unternehmen. 2. Auflage, Verlag Neue Wirtschafts-Briefe, Herne, Berlin 2004. Borgmann, B.: Die Entsendung von Arbeitnehmern in der Europäischen Gemeinschaft, Wechselwirkungen zwischen Kollisionsrecht, Grundfreiheiten und Spezialgesetzen. Peter Lang GmbH, Frankfurt am Main 2001. Bornschein, T. / Thomas, M.: Leben und Arbeiten im Ausland. 1. Auflage, Interna, Bonn 2004. Brinkkötter, H.-O.: Grundfragen aus der Entsendungspraxis der BASF mit besonderer Berücksichtigung von Oberen Führungskräften, in: Clermont, A. / Schmeisser, W. (Hrsg.): a.a.O., 1997, S. 413^128. Bröckermann, R. / Pepels, W. (Hrsg.): Handbuch Recruitment, Die neuen Wege moderner Personalakquisation, Planung, Beschaffungswege, Auswahlverfahren. Beiträge aus Forschung und Praxis, Cornelsen Verlag, Berlin 2002.
62
Vgl. ebd., S. 423
26
II Internationales Entgeltsystem
Briich, Α.: Kulturelle Anpassung deutscher Unternehmensarbeiter bei Auslandsentsendungen, Eine empirische Studie in den USA, Kanada, Japan und Südkorea zu Kriterien und Einflussfaktoren erfolgreicher Aufenthalte von Fach- und Führungskräften. Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, Frankfurt am Main 2001. Bundesversicherungsanstalt für Angestellte: Beschäftigung im (vertragslosen) Ausland, Rechtsvorschriften, Erläuterungen und praktische Hinweise. 8. Auflage, Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Berlin 1999. Burghaus, Α.: Auslandseinsatz von Mitarbeitern, Maßnahmen zur erfolgreichen Reintegration von Expatriates. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2006. Clermont, A. / Schmeisser, W. (Hrsg.): Internationales Personalmanagement. Verlag Franz Vahlen, München 1997. Clermont, Α. / Schmeisser, W. / Krimphove, D. (Hrsg.): Personalführung und Organisation. Verlag Franz Vahlen, München 2000. Deutschen Gesellschaft für Personalführung e. V. Düsseldorf: Der internationale Einsatz von Fach- und Führungskräften, Ein Ratgeber von Experten für die Praxis. 2. erweiterte und aktualisierte Auflage, Wirtschaftsverlag Bachem, Köln 1995. Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland (DVKA): Merkblätter ftir im Ausland Beschäftigte (Entsandte), 2007, URL: http://www.dvka.de/oeffentlicheSeiten/Merkblaetter/Merkblaetter_Arbeiten.html Stand: 04.07.2008. Deutsche Verbindungsstelle Krankenversicherung - Ausland (DVKA): Arbeiten im Ausland, 2007, URL: http://www.dvka.de/oeffentlicheSeiten/Abkommenstaaten.htm Stand: 04.07.2008. Dommermuth, T. / Klinger, M. (2001): Die optimale Gehaltsgestaltung. 1. Auflage, Rudolf Haufe Verlag, München 2001. Förster, H. / Heidenreich, J. / Heuser, Α.: Auslandsentsendung und Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer, Rechtliche Aspekte beim internationalen Mitarbeitereinsatz. Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied, Kriftel 2002. Gnann, T.: Arbeitsvertrag bei Auslandsentsendung. C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München 1993. Haufe Personal Office Online: Haufe Index. Version 13.4.22.0, 2009. Heuser, Α.: Die Entsendung deutscher Mitarbeiter ins Ausland. W. Bertelsmann Verlag, Bielefeld 2004. Hild, B.: 30 Minuten für erfolgreiche Arbeit im Ausland. Gabal Verlag, Offenbach 2004. Hofmann, K-W. / Nowak, H. / Rohrbach, T.: Auslandsentsendung, Vorteile, Vorschriften und Gestaltungsmöglichkeiten der Entsendung im Arbeitsrecht, Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht. Rudolf Haufe Verlag, München 2002. Hogh, M.: Internationale Entsendung von Führungskräften. Erich Schmidt Verlag, Bielefeld 2000. Hoppe, J.: Die Entsendung von Arbeitnehmern ins Ausland, Kollisionsrechtliche Probleme und internationale Zuständigkeit, Eine Untersuchung anhand praktischer Vertragsgestaltungen. Duncker und Humblot, Berlin 1998.
Quellenverzeichnis
27
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II Internationales Entgeltsystem
28
Tung, R. L.: Selection and training procedures of U.S., European and Japanese multinationals. California Management Review, 1982. Wirth, E.: Mitarbeiter im Auslandseinsatz, Planung und Gestaltung. Gabler Verlag, Wiesbaden 1992.
Anhang Anhang I Entsendungstypen im Überblick Dienstreise
Abordnung
Delegation
Versetzung
Ubertritt
Merk male der Entsendungstypen
kurzfristige Auslandentsendung, begrenzter zeitl. Einsatz für fest umrissenen Zweck unter Beibehaltung des aktiven Stammarbeitsplatzes im Heimatbetrieb
kurz- bis mittelfristige Auslandsentsendung, Bearbeitung eines zeitlich befristeten Projektes im Ausland z.B. MonateLeitung, Marktstudie
mittelfristige Auslandsentsendung, Dauer der Entsendung meist nicht von vornherein abschätzbar
mittel- bis langfristige Auslandsentsendung, Übernahme einer Aufgabe im ausländischen Unternehmen bei rechtlicher und tatsächlicher Integration in der ausländischen Gesellschaft
langfristigen oft endgültigen Auslandseinsatz mit vollständiger i.d.R. unbefristete Eingliederung in ein ausländisches Unternehmen,
Dauer
1 Tag bis zu
3 Monate bis zu 1 Jahr
1 Jahr bis zu 3 Jahre
2 bis 5 Jahre mit Verlängerungsoption
unbegrenzt
Fortbestehen des Arbeitsvertrages, Zusatzvertrag über Auslandseinsatz möglich
Fortbestehen des Arbeitsvertrages, Zusatzvertrag über Auslandseinsatz möglich
inländischer Vertrag wird aufgehoben bzw. ruhend gestellt, lokaler Anstellungsvertrag mit ausländ. Gesellschaft
Inländischer Vertrag wird komplett abgebrochen, neuer Vertrag mit dem ausländischen Unternehmen
3 Monate vertragliche Konstruktionen
kein weiterer Vertrag notwendig
Anhang
29
Vergütung
unverändert, Reisekostenerstattung
unveränderte Grundvergütung, Reiskostenerstattung + Auslösezulage
unveränderte Grundvergütung, Reiskostenerstattung + Auslösezulage
Gehaltsvereinbarung mit dem lokalen Unternehmen
Gehaltsvereinbarung mit dem ausländischen Unternehmen
Wohnsitz
Beibehaltung des Wohnsitzes + Hotel oder Unterkunft im Ausland
Beibehaltung des Wohnsitzes im Inland + 2. Wohnsitz im Einsatzland
Beibehaltung des Wohnsitzes im Inland + 2. Wohnsitz im Einsatzland
Verlagerung des Wohnsitzes in das Einsatzland
im Einsatzland
Quelle: In Anlehnung an Mauer, 2003, S. 3f.
30
II Internationales Entgeltsystem
Anhang II Checkliste für Expatriates vor der Ausreise Checkliste
Allgemeines • Mitgliedschaften kündigen bzw. ruhen lassen • Schule/Kindergarten abmelden • Kindergeldkasse Wohnortwechsel melden • Postnachsendeantrag stellen (gebührenpflichtig) • Telefon/Zeitung kündigen • Urkunden und Zeugnisse übersetzen und beglaubigen lassen • Adressverzeichnis mitnehmen • Testament • Flugticket nach Abstimmung mit der Personalabteilung buchen
Ausreise • Papiere • Visum, Arbeits- und Aufenthaltserlaubnis • Reisepass • internationaler Führerschein
Medizinische Vorsorge • Besuch beim Haus- und Zahnarzt • ggf. Tropenuntersuchung π Impfpass • Reise- bzw. Hausapotheke
Anhang Hausrat • Umzug organisieren • Einlagerung des Mobiliars • Import- und Zollbestimmungen klären • Kraftfahrzeug • Auto ab- bzw. ummeiden • Importbeschränkungen
Versicherungen/Banken • Kranken- /Pflege- /Arbeitslosenversicherung • Rentenversicherung • Hausrat- und Haftpflichtversicherung • Reisegepäckversicherung • Steuerfragen klären • Daueraufträge prüfen • Öffnung eines Bankkontos im Ausland • Vollmachten zur Abbuchung von Konten • Kreditkarten
Wohnung • Mietvertrag kündigen bzw. Wohnung vermieten • bei Behörde ab- und anmelden o Elektrizität, Gas, Müllabfuhr kündigen Quelle: In Anlehnung an Förster/Heidenreich/Heuser, 2002, S. 9f.
31
32
II Internationales Entgeltsystem
Anhang III Abordnungsvereinbarung bei weiter bestehendem Inlandsarbeitsvertrag (ausführliche Form) Die
[Bezeichnung des entsendenden deutschen Unternehmens],
im Folgenden FIRMA genannt
und
Herr / Frau
im Folgenden Mitarbeiter/in genannt, schließen folgende
Abordnungsvereinbarung
Vertragsbeginn und -dauer Der / die Mitarbeiter/in wird vom _ bis voraussichtlich tergesellschaft/Zweigniederlassung/Geschäftsstelle] in beschäftigt.
bei [Tochals
Eine Vertragsverlängerung ist im beiderseitigen Einverständnis möglich. Während dieser Zeit bleibt das bisherige Arbeitsverhältnis zwischen der FIRMA und dem/der Mitarbeiter/in bestehen; für die Dauer des Auslandeinsatzes gelten folgende besondere Bedingungen:
Tätigkeit Der/die Mitarbeiter/in untersteht in disziplinarischer Hinsicht dem/der seine/ihre fachlichen Weisungen von
erhält
aber
Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung Die gegebenenfalls notwendige Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung besorgt der/die Mitarbeiter/in. Soweit notwendig, wirkt hierbei die FIRMA mit. Die hierbei entstehenden Kosten trägt die FIRMA.
33
Anhang
Vergütung Der/die Mitarbeiter/in erhält a) ein monatliches Grundgehalt von b) eine Auslandszulage von
Euro Euro
Das Grundgehalt wird als vergleichbares fiktives Inlandsgehalt geführt und jährlich überprüft. Es dient zugleich als Bemessungsgrundlage für die Leistungen der betrieblichen Altersversorgung/der Beiträge iur die Pensionskasse. Die Anpassung der Auslandszulage richtet sich nach der Entwicklung der Lebenshaltungskosten und das Devisenkurses im Entsendungsland.
Der/die Mitarbeiter/in erhält ferner a) einen einmaligen Bekleidungszuschuss wegen anderer klimatischer Verhältnisse in Höhe von Euro; b) für die ersten zwei Wochen seines/ihres Auslandsaufenthaltes ein Überbrückungsgeld im Gegenwert von Euro täglich; c) vom Tage der Abreise zur Aufnahme seiner/ihrer Tätigkeit an bis zur Ausreise seiner Ehefrau/Familie, jedoch längstens für Monate, eine monatliche Trennungsentschädigung von .. Euro.
Urlaub Für eine Abordnung von jeweils zwei Jahren hat der/die Mitarbeiter/in Anspruch auf . .. Wochen Urlaub, wobei er/sie in jedem zweiten Jahr bis zu Wochen zusammenhängend in der Bundesrepublik Deutschland verbringen kann. Der Urlaub ist in die genannte Vertragsdauer eingeschlossen.
Der Deutschlandurlaub beginnt mit dem Tag nach der Ausreise und endet mit dem Tag vor der Wiedereinreise. Während dieser Zeit stehen der/die Mitarbeiter/in der FIRMA zu geschäftlichen Besprechungen zur Verfugung; die hierfür aufgewandte Zeit wird auf den Urlaub nicht angerechnet. Die Dauer der Abwesenheit soll Wochen nicht übersteigen.
Der/die Mitarbeiter/in wird sich über den Zeitpunkt seines/ihres Deutschlandurlaubes jeweils rechtzeitig mit seinem/ihrem Vorgesetzten und seiner/ihrer hiesigen Stammabteilung abstimmen. Der Deutschlandurlaub im letzen Tätigkeitsjahr ist mit der Rückreise aus Anlass der Beendigung des Auslandseinsatzes zu verbinden. Während der Dauer des Deutschlandbesuches - einschließlich der geschäftlichen Abwesenheit - werden die Auslandsbezüge weitergezahlt.
34
II Internationales Entgeltsystem
Unfallversicherung Für die Dauer der Abordnung schließt die FIRMA für den/die Mitarbeiter/in eine Gruppenunfallversicherung mit folgenden Deckungssummen ab:
a) bei Tod
Euro;
b) bei Vollinvalidität
Euro.
Bei Teilinvalidität ermäßigt sich letztere Summe entsprechend dem Invaliditätsgrad.
Reise- und Umzugskosten Die FIRMA übernimmt
a) die Passagekosten [tatsächliche Fahrt- bzw. Flugkosten Touristenklasse/gemäß Reisekostenordnung] für den/die Mitarbeiter/in sowie ggf. Ehegatten und Kinder bis zum vollendeten 18. Lebensjahr für die Ausreise, Hin- und Rückreise anlässlich des Deutschlandurlaubs und für die Rückreise bei Beendigung der Abordnung; b) die durch den Umzug dem/der Mitarbeiter/in entstehenden Transportkosten für Wohnungseinrichtung einschließlich Transportversicherung in angemessener Höhe unter Voraussetzung, dass die Einzelheiten des Umzuges und des Rückumzuges mit der [zuständige Fachabteilung der Firma] rechtzeitig abgestimmt werden; c) die Kosten des Rücktransports im Falle einer lebensbedrohlichen Erkrankung des/der Mitarbeiter/in bzw. des Ehegatten oder Kindes.
Die FIRMA leistet einen Mietzuschuss in Höhe des Gegenwertes von lieh.
Euro monat-
Sofern die Kinder des/der Mitarbeiters/in während des Auslandsaufenthaltens schulpflichtig sind oder werden, zahlt die FIRMA pro Kind und Monat ein Schulgeld in Höhe von Euro.
Schlussbestimmung Der/die Mitarbeiter/in ist gehalten, die steuerrechtlichen Vorschriften des/der ____ [Einsatzland] zu beachten und die sich daraus für ihn/sie ergebenen Verpflichtungen zu erfüllen. Quelle: In Anlehnung an Schaub/Koch/Neef/Schrader/Vogelsang, 2008
Anhang
35
Anhang IV Auslandsarbeitsvertrag (ausführliche Form) Die
__
[Bezeichnung des ausländischen Unternehmens] mit Sitz
in
im Folgenden FIRMA genannt,
und
Herr/Frau
, wohnhaft in
,
im Folgenden Mitarbeiter/in genannt, schließen nachstehenden
Arbeitsvertrag
Tätigkeit und Aufgabengebiet Der/die Mitarbeiter/in wird als Er/sie hat folgende Aufgaben: Der die Mitarbeiter/in i s t . . .
in __
eingesetzt. __
[z.B. dem Board of Directors] unterstellt.
Die Firma behält sich vor, dem/die Mitarbeiter/in auch eine andere, seiner/ihrer Vorbildung und seinen/ihren Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit zu übertragen oder die Unterstellung aus organisatorischen Gründen zu ändern, ohne dass darin eine einseitige Aufhebung dieses Vertrages oder einzelner seiner Bestimmungen erblickt werden kann.
Arbeitsbeginn, Vertragsdauer, Kündigung Das Arbeitsverhältnis beginnt am Tätigkeit bei
/mit dem Tag der Abreise zur Aufnahme der
Der Vertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen und kann in den ersten Monaten/ mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden. Danach beträgt die beiderseitige Kündigungsfrist Wochen/Monate zum Schluss eines Kalendermonats/ eines jeden Kalenderjahres.
36
II Internationales Entgeltsystem
Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der/die Mitarbeiter/in das 65. Lebensjahr vollendet.
Vergütung Der/die Mitarbeiter/in erhält als Vergütung für seine/ihre Tätigkeit a) ein monatliches Grundgehalt
Euro und
b) eine Auslandszulage von monatlich
Euro,
zahlbar am Ende des Monats. Damit ist der gesamte zeitliche Umfang seiner/ihrer Tätigkeit fur die FIRMA abgegolten.
Der/die Mitarbeiter/in erhält außerdem eine auf das Kalenderjahr/Geschäftsjahr bezogene Sonderzahlungen nach folgenden Grundsätzen: Diese Sonderzahlung wird im Ein- und Austrittsjahr zeitanteilig gewährt. Die vorgenannten Bezüge werden in amtlichen Umrechnungskurs der gezahlt.
[der jeweiligen Landeswährung] zum [jeweiligen Staatsbank] am Fälligkeitstag aus-
Steuern Der/die Mitarbeiter/in ist für die ordnungsgemäße Versteuerung seiner/ihrer Bezüge im Einsatzland nach dessen Steuergesetzen verantwortlich.
Sozialversicherung Während der Entsendung/Abordnung gelten die gesetzlichen Bestimmungen der deutschen Sozialversicherung für den/die Mitarbeiter/in fort. Die FIRMA wird für den/die Mitarbeiter/in den Arbeitgeberanteil zu Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung abfuhren.
Nebenleistungen, Aufwendungsersatz Die FIRMA übernimmt 50 Prozent/100 Prozent des Beitrages für eine Lebensversicherung bzw. der entsprechenden Beiträge für eine staatliche Rentenversicherung nach freier Wahl des/der Mitarbeiter/in sowie für eine Krankenversicherung, höchstens jedoch 50 Prozent/100 Prozent der Höchstbeitragssätze in der Sozialversicherung des Heimatlandes des/der Mitarbeiter/in.
37
Anhang
Der/die Mitarbeiter/in trägt die Gesamtkosten/reinen Mietkosten für eine angemessene Wohnung bis zu einer Höhe von Prozent seines/ihres jeweiligen monatlichen Grundgehalts/bis zu einem Gegenwert von Euro selbst. Die restlichen Wohnungskosten/reinen Mietkosten werden bis zu Gegenwert von maximal Euro/voll von der FIRMA übernommen.
Die FIRMA erstattet dem/der Mitarbeiter/in die Aufwendungen, die ihm/ihr in und bei der Ausübung seiner/ihrer Tätigkeit entstehen, im landesüblichen Umfang/gemäß betrieblicher Reisekostenrichtlinie. Im Falle der Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses und bei einer lebensbedrohenden Erkrankung und einer damit verbundenen Rückkehr des/der Mitarbeiters/in nach [Heimatland] übernimmt die FIRMA die Rückreisekosten für den/die Mitarbeiter/in einschließlich Transportkosten für Umzugsgut im angemessenen Umfang. Für die Dauer der Geltung dieses Vertrages in stellt die FIRMA dem/der Mitarbeiter/in einen Pkw gemäß der Firmenwagenregelung der FIRMA zur Verfugung, der dem/der Mitarbeiter/in auch zur privaten Nutzung zur Verfugung steht.
Versicherung Die FIRMA wird den/die Mitarbeiter/in für die Dauer dieses Vertrages gegen Unfall versichern, und zwar mit folgenden Versicherungssummen:
Euro fur den Todesfall Euro fur den Invaliditätsfall.
Die Versicherung umfasst Arbeits- sowie private Unfälle und steht dem/der Mitarbeiter/in bzw. seinem Rechtsnachfolger zu. Sie endet mit dem Zeitpunkt der Beendigung dieses Vertrages.
Darüber hinaus wird die FIRMA außerdem eine die gesamte Tätigkeit des/der Mitarbeiters/in umfassende betriebliche Haftpflichtversicherung abschließen
38
II Internationales Entgeltsystem
Urlaub Bei Tätigkeit im europäischen Ausland Der/die Mitarbeiter/in erhält einen Erholungsurlaub von zeitliche Lage und Einteilung im Einvernehmen mit ten] bestimmt wird.
Werktagen, dessen [z.B. dem zuständigen Vorgesetz-
Der Urlaub ist grundsätzlich zusammenhängend zu nehmen. Nicht genommener Urlaub kann nur dann auf das folgende Kalendeijahr übertragen werden, wenn dringende betriebliche oder persönliche Gründe dies rechtfertigen. Bis 31.03. des Folgejahres nicht genommener Resturlaub verfällt ersatzlos.
Bei Tätigkeit im außereuropäischen Ausland Für jeweils Jahre Tätigkeit hat der/die Mitarbeiter/in Anspruch auf Wochen Urlaub, wobei er/sie in jedem Jahr bis zu Wochen zusammenhängend in Europa verbringen kann. Der Europa-Urlaub beginnt mit dem Tag nach der Ausreise und endet mit dem Tag vor der Wiedereinreise. Während dieser Zeit stehen der/die Mitarbeiter/in der FIRMA und deren Geschäftspartnern zu geschäftlichen Besprechungen zur Verfügung. Die hierfür aufgewandte Zeit wird auf den Urlaub nicht angerechnet.
Der/die Mitarbeiter/in wird sich über den Zeitpunkt seines/ihres Europa-Urlaubs jeweils rechtzeitig mit seinem/ihrem Vorgesetzten abstimmen. Der Europa-Urlaub im letzten Tätigkeitsjahr ist mit der Rückreise aus Anlass der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verbinden.
Während der Dauer des Europa-Urlaubs, einschließlich der geschäftlichen Abwesenheit, werden dem/der Mitarbeiter/in die Auslandsbezüge weitergezahlt.
Gehaltsfortzahlung Bei der Arbeitsunfähigkeit verbundener Krankheit zahlt die FIRMA dem/der Mitarbeiter/in sein/ihr jeweiliges monatliches Bruttogehalt fur die Zeit von Kalendertagen/Wochen/Monaten weiter.
Ausschlussklausel Ansprüche aus dem Anstellungsverhältnisses müssen innerhalb eines Monats nach Zugang der letzten Gehaltsabrechnung geltend gemacht werden; andernfalls sind sie verwirkt.
Anhang
39
Schlussbestimmungen Mit Rücksicht auf den Auslandsstatus des/der Mitarbeiters/in ist der Vertrag in deutscher und (z.B. spanischer) Sprache abgefasst. Beide Fassungen sind rechtlich verbindlich; bei Unstimmigkeiten zwischen beiden Fassungen ist allein der deutsche Text maßgebend.
Das durch den vorstehenden Vertrag begründete und gestaltete Arbeitsverhältnis unterliegt dem Recht der Bundesrepublik Deutschland, soweit nicht zwingendes Landesrecht vorrangig ist. Quelle: In Anlehnung an Pulter, 2004, S. 13ff.
40
II Internationales Entgeltsystem
Anhang V Inhalte der EWG-VO Nr. 1408/71 Beschäftigungsort als Grundregel
Staaten
Versicherungszweig
Rechtsvorschrift
Zeitraum
Vordruck
Belgien
zuständiger Versicherungsträger gesetzliche Kranken-
Dänemark
Entsendung:
Deutschland
Art. 14Nr. la
fur max.
Finnland
EWG-VO Nr.
12 Monate
Versicherung bei
Frankreich
Kranken-,
Griechenland
Pflege-,
Großbritannien
Renten-,
Irland
Unfall-
Island
und
Verlängerung
für
Italien
Arbeitslosen-
der Entsendung:
längstens
Liechtenstein
versicherung
Art. 14 Nr. lb
weitere
Luxemburg
EWG-VO Nr.
12 Monate
Niederlande
1408/71
E 101
privater KrankenVersicherung zu-
1408/71
ständiger RentenVersicherungsträger
zuständiger E 102
Träger im Beschäftigungsstaat
Norwegen Österreich Portugal
Ausnahmever-
Schweden
einbarung:
formunter-
loser
DVKA
Anhang
41
Schweiz
Art. 17EWGVO
Spanien
Nr. 1408/71
schiedlich*
An-
trag
* Hierzu einige Bespiele: Spanien/Niederlande/Belgien/Irland 5 Jahre, Italien 4 Jahre, Frankreich 6 Jahre (Vgl. DVKA) Quelle: In Anlehnung an Schmeisser, 2008, S. 274
II Internationales Entgeltsystem
42 Anhang VI
Staaten, mit denen Sozialversicherungsabkommen bestehen Vertragsstaat
Versicherungszweig
zeitliche Begrenzung
KV
PV
RV
AV
UV
Entsendung
Belgien
X
X
X
X
X
12 Monate
Dänemark
X
X
X
X
X
12 Monate
Bosnien-Herzegowina
X
-
X
X
X
12 Monate
Bulgarien
X
X
X
X
X
12 Monate
Chile
-
-
X
X
-
36 Monate
China
-
-
X
X
-
48 Monate
Frankreich
X
X
X
X
X
12 Monate
Griechenland
X
X
X
X
X
12 Monate
Großbritannien
X
X
X
X
X
12 Monate
Italien
X
X
X
X
X
12 Monate
Israel
X
-
X
-
X
unbegrenzt
Japan
-
-
X
X
-
60 Monate
Kanada
-
-
X
X
-
60 Monate
Korea
-
-
X
X
-
24 Monate
Kroatien
X
X
X
X
X
24 Monate
Malta
X
X
X
X
X
12 Monate
Marokko
X
-
X
X
X
36 Monate
Mazedonien
X
-
X
X
X
24 Monate
Polen
X
X
X
X
X
12 Monate
Portugal
X
X
X
X
X
12 Monate
Rumänien
X
X
X
X
X
12 Monate
Slowakei
X
X
X
X
X
12 Monate
Anhang
43
Türkei
X
-
X
X
X
unbegrenzt
Tunesien
X
-
X
-
X
12 Monate
-
-
X
-
-
60 Monate
X
X
X
X
X
12 Monate
USA Zypern (griechischer Teil)
Quelle: In Anlehnung an Schmeisser, 2008, S. 277
III
Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
8
Wirtschaftsphilosophische und wirtschaftsethische Grundlagenüberlegungen
8.1
Shareholder-Value-Ansatz
Anfang der 1990er Jahre wurde in Deutschland ein neues Managementkonzept diskutiert. Dieses Konzept wurde von Alfred Rappaport in seinem Buch „Creating Shareholder-Value" Ende der 1980er Jahre veröffentlicht. 63 Der Begriff Shareholder-Value stammt aus dem englischen Sprachgebrauch und kann als „Wert fur den Anteilseigner" übersetzt werden. Mit „Wert" ist der Unternehmenswert i.S.d. Marktwertes des Eigenkapitals gemeint. 64 Rappaport lieferte mit seinem Konzept eine umfassende Darstellung zur wertorientierten Unternehmensfuhrung. Im Mittelpunkt des Ansatzes steht die Ausrichtung der Unternehmensführung auf die Interessen der Anteilseigner der Gesellschaft, die hauptsächlich das Ziel der Unternehmenswertsteigerung verfolgen. Erste deutsche Unternehmen, beispielsweise die Daimler AG, haben sich Mitte der 1990er Jahre des Shareholder-Values angenommen und dieses Konzept in ihrer Unternehmensfuhrung verankert. 65 Der Unternehmenswert lässt sich nach verschiedenen Verfahren berechnen. Im Rahmen der Shareholder-Value-Analyse wird häufig die Discounted Cashflow-Methode verwendet. Der
63 64 65
Vgl. Werder, 1998, S. 6 9 - 7 1 Vgl. Friedrichsen, 2000, S. 17 Vgl. F r ö n d h o f f , 2009
46
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Cashflow berechnet sich vereinfacht aus der Differenz zwischen Ein- und Auszahlungen, die dem Unternehmen beispielsweise für Investitionen oder Dividendenzahlungen zur Verfugung stehen. Für die Ermittlung des aktuellen Unternehmenswertes sind jedoch nicht die zukünftigen sondern die gegenwärtigen Zahlungsströme relevant. 66 Nach Rappaport lässt sich der aktuelle Unternehmenswert aus den Barwerten der zukünftigen Free Cashflows ermitteln. Die Free Cashflows des Unternehmens werden dabei über einen bestimmten Betrachtungszeitraum zuzüglich des Residualwerts am Ende des Prognosezeitraums diskontiert. Zur Diskontierung bzw. Abzinsung des Free Cashflows wird der durchschnittlich gewichtete Kapitalkostensatz genutzt. 67 Die Abzinsung der geschätzten Cashflows mit dem gewichteten Kapitalkostensatz (WACC) ergibt den Gesamtwert des Unternehmens. Wird dann der Marktwert des Fremdkapitals vom ermittelten Unternehmensgesamtwert abgezogen, erhält man den Shareholder-Value. Eine zusätzliche Wertschaffung für die Anteilseigner ist dann zu verzeichnen, wenn die erwirtschaftete Rendite über den Kapitalkosten liegt.68 Das Management hat seine Unternehmensführung demzufolge an den Interessen der Anteilseigner auszurichten, möchte es diese nicht verlieren bzw. neue Kapitalgeber für das Unternehmen gewinnen. Die Aktionäre bzw. die potentiellen Kapitalgeber werden nur dann in das Unternehmen investieren, wenn sie für ihr eingesetztes Kapital eine angemessene Rendite erhalten. Erhalten die Anteilseigner keine angemessene Rendite, werden sie ihre Aktien verkaufen. Dies hat einen sinkenden Börsenkurs zur Folge und potentielle Kapitalgeber werden eine Investition in das Unternehmen scheuen. Dadurch können für das Unternehmen Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung auftreten. Aufgrund dieser möglichen auftretenden Probleme hat das Management seine Unternehmensführung so auszurichten, dass eine nachhaltige Steigerung der Aktienrendite erreicht werden kann. Die Kapitalmärkte reagieren auf eine Steigerung der Aktienrendite positiv, was wiederum mittel- bis langfristig zu einer Steigerung des Aktienkurses führt. 69 Der Shareholder-Value wird durch sogenannte Wertgeneratoren beeinflusst. Als Wertgeneratoren gelten nach Rappaport alle Größen, die auf den Marktwert des Unternehmens Einfluss nehmen können. Das Management kann durch das operative Geschäft sowie durch Investitions- und Finanzierungsentscheidungen direkten Einfluss auf die Wertgeneratoren nehmen und damit den Shareholder-Value beeinflussen. 70 Es werden nur die Investitionsmaßnahmen durchgeführt, die eine angemessene Rendite erwirtschaften. Kann eine ausreichende Rendite nicht erreicht werden, ist diese abzulehnen. Die Fokussierung der Unternehmensführung auf
66
Vgl. Friedrichsen, 2000, S. 17
67
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 22
68
Vgl. Schmeisser/H ahn/Schindler, 2004, S. 5
69
Vgl. Friedrichsen, 2000, S. 18f.
70
Vgl. Achleitner/Wichels, 2002, S. 5
8 Wirtschaftsphilosophische und wirtschaftsethische Grundlagenüberlegungen
47
renditestarke Geschäftsbereiche kann zu einer Optimierung des Cashflows und somit zu einer Unternehmenswertsteigerung beitragen.71 Wichtig ist auch, dass das Unternehmen eine aktionärsfreundliche Informationspolitik betreibt, um Vertrauensverluste der Aktionäre zu vermeiden. Eine unklare Kommunikation könnte dazu fuhren, dass die Aktionäre bzw. Investoren den Wert des Unternehmens zu gering bewerten und sich die Fehleinschätzung negativ auf den Aktienkurs auswirkt. Der Vorteil des Shareholder-Value-Ansatzes liegt in der Verwendung zukunftsorientierter Zahlungsströme und in der Beachtung des Risikos in den Kapitalkosten. Bilanzpolitische Möglichkeiten bei der Manipulation des Gewinns des Unternehmens werden bei Anwendung des Shareholder-Value-Ansatzes unterbunden. 72 Die Kritik am Shareholder-Value liegt hauptsächlich in der einseitigen Ausrichtung an den Interessen der Eigenkapitalgeber (Aktionären). Die Stakeholder, wie Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter, bleiben den Kritikern zufolge unberücksichtigt. Rappaport entgegnet: „ Von einem wertschaffenden Unternehmen profitieren nicht nur seine Eigentümer, sondern es dient allen anderen Anspruchsgruppen; umgekehrt sind alle Anspruchsgruppen in Gefahr, wenn es dem Management nicht gelingt, Shareholder-Value zu schaffen. "7i Zudem gilt der zur Berechnung des Shareholder-Values genutzte Free Cashflow durch die zahlreichen Wertreiber als leicht manipulierbar. Es kann beispielsweise der Abbau von Personal oder Einsparungen im Bereich Forschung und Entwicklung dazu genutzt werden den Cashflow kurzfristig positiv zu beeinflussen. Solch eine kurzfristig angelegte Handlungsweise widerspricht jedoch dem Shareholder-Value-Konzept, dessen Ziel eine nachhaltige Steigerung des Unternehmenswertes ist. Die Rationalisierung von Arbeitsplätzen kann für das Unternehmen notwendig sein, um seine Wettbewerbsfähigkeit auf nationaler oder auch internationaler Ebene zu erhalten bzw. auszubauen. Dies kommt mittel- und langfristig den Mitarbeitern zugute, denn es fuhrt auf lange Sicht zu einem Erhalt bestehender Arbeitsplätze und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze. Deutsche Unternehmen, wie dass DAX-30 Unternehmen RWE, sind sich ihrer Verantwortung gegenüber den Stakeholdern bewusst und berücksichtigen auch deren Interessen in ihrer Unternehmensfiihrung. 74 Der Shareholder-Value-Ansatz wird auch im Rahmen der Finanzkrise kontrovers diskutiert. Ihm wird unterstellt, eine Ausrichtung auf eine kurzfristige Gewinnmaximierung zu fördern,
71
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 4
72
Vgl. ebd., S. 6
73
Vgl. Rappaport, 1999, S. 8
74
Vgl. Roels, 2006
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
48
und deswegen einer der Mitverursacher der Krise zu sein. Nach Rappaport ist das Konzept des Shareholder-Value-Ansatzes aber nicht auf kurzfristige Unternehmensentscheidungen ausgerichtet. Ihm geht es neben der Generierung steigender Cashflows um eine langfristige Wertsteigerung des Unternehmens und um eine adäquate Risikoabschätzung. Wären diese Komponenten von den Topmanagern seiner Meinung nach berücksichtigt worden, gäbe es heute keine Krise.75 Das Management kann zur Einhaltung und Umsetzung des Shareholder-Value-Konzepts motiviert werden, indem es zusätzlich zu seinem Vergütungspaket eine erfolgsorientierte Vergütung mittels wertorientierten Anreizsystemen wie Aktienoptionsprogramme erhält.76
8.2
Prinzipal-Agent-Theorie
Die Umsetzung des Shareholder-Value-Konzepts in der Gesellschaft kann zu Konflikten zwischen den Anteilseignern und dem Management fuhren. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Anteilseigner und das Management teilweise unterschiedliche Ziele verfolgen. Bereits im 18. Jahrhundert erkannte der Wirtschaftstheoretiker und Wirtschaftsethiker Adam Smith diese Problematik. Er stellte fest:77 ,,Da jedoch die Direktoren solcher Gesellschaften eher die Verwalter von anderer Leute Vermögen als von ihrem eigenen sind, kann man nicht wohl erwarten, dass sie es mit derselben ängstlichen Sorgfalt überwachen, wie die Teilhaber einer Privatgesellschaft das ihrige. Gleich den Verwaltern eines reichen Mannes neigen sie sehr dazu, die Inachtnahme von Kleinigkeiten als der Ehre ihrer Herren zuwiderlaufend zu betrachten und entschlagen sich sehr leicht dieser Pflicht. Nachlässigkeit und Vergeudung müssen deshalb stets mehr oder minder in der Geschäftsleitung solcher Gesellschaften obwalten. " Die auftretenden Interessendivergenzen zwischen Eigenkapitalgeber in Gestalt der Aktionäre und angestellten Managern beschreiben die Wirtschaftswissenschaften als Prinzipal-AgentTheorie. Dabei werden die Anteilseigner als Prinzipale und die Manager als Agenten bezeichnet. Die Anteilseigner beauftragen das Management mit der Leitung des Unternehmens. Das Verlangen der Anteilseigner, im beteiligten Unternehmen selbst tätig zu werden, besteht nicht.78 Das Hauptinteresse der Anteilseigner liegt in einer rentablen Kapitalanlage. Die Aktionäre verfolgen ausschließlich das monetäre Ziel einer hohen Wertsteigerung ihres eingesetzten
75
Vgl. Rickens, 2009
76
Vgl. Winter, 2000, S.7
77
Smith, 1879, S. 254f.
78
Vgl. Engelsing, 2001, S. 26
8 Wirtschaftsphilosophische und wirtschaftsethische Grundlagenüberlegungen
49
Kapitals. 79 Zudem verfugen die Anteilseigner über eine höhere Risikobereitschaft als die Manager. Diese drückt sich darin aus, dass nur Finanzierungs- und Investitionsmaßnahmen gewählt werden sollen, die einen größeren Gewinn erwarten lassen. 80 Die Manager sind an der Maximierung ihres Einkommens interessiert. Neben dieser monetären Zielgröße können die Manager aber auch nicht-monetäre Ziele verfolgen. Hierzu gehören beispielsweise die Ausweitung des persönlichen Machtbereichs oder die Steigerung der eigenen Reputation. 81 Die Bereitschaft zum Risiko ist bei den Managern grundsätzlich schwächer ausgeprägt als bei den Anteilseignern. Das liegt vor allem daran, dass ihr Arbeitsplatz von der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens abhängt. Die Manager werden demnach riskanten Handlungsalternativen eher zurückhaltend gegenüberstehen. 82 Die unterschiedlichen Zielsetzungen beider Parteien fuhren zu Zielkonflikten, wenn die Agenten nicht im Interesse der Prinzipale handeln, sondern vorwiegend ihre eigenen Ziele verfolgen. Sie handeln folglich opportunistisch. Der entstandene Zielkonflikt kann durch bestehende Informationsasymmetrien verstärkt werden. Die Informationsasymmetrie beschreibt die ungleiche Verteilung von Informationen zwischen zwei Vertragsparteien. Der Agent verfugt aufgrund seiner Stellung im Unternehmen gegenüber dem Prinzipal über einen Informationsvorsprung. Durch diesen einseitigen Vorsprung ist der Agent in der Lage, Entscheidungen zu seinen eigenen Gunsten und zulasten des Prinzipals zu treffen. Die Informationsasymmetrie wird in verschiedene Typen unterteilt. Neben hidden action (verborgene Handlungen) gehört auch hidden information (verborgene Informationen) dazu. Charakteristisch für diese beiden Formen der Informationsasymmetrie ist, dass der Informationsvorsprung des Agenten erst nach Vertragsabschluss auftritt. Unter hidden action versteht man die Tatsache, dass der Prinzipal das Verhalten des Agenten nur schwer oder nur unter hohen Kosten beobachten kann. 83 Da der Agent zwischen verschiedenen Handlungsalternativen wählen kann und für den Prinzipal das Problem der Beobachtbarkeit besteht, kann der Agent selbst entscheiden, wie viel Arbeitseinsatz er bei der Umsetzung der gewählten Handlungsalternative aufwendet. Der Prinzipal erfahrt nur das Endergebnis. 84 Er weiß aber nicht, wie er das Endergebnis beurteilen soll, da ihm nicht be-
79
Vgl. Engelsing, 2001, S. 27
80
Vgl. Friedrichsen, 2002, S. 23
81
Vgl. Engelsing, 2001, S. 27
82
Vgl. Friedrichsen, 2002, S. 23
83
Vgl. Dietz, 2004, S. 27
84
Vgl. Dietz, 2004, S. 27
50
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
kannt ist, ob das Ergebnis durch Umwelteinflüsse zustande gekommen ist oder inwiefern der Agent durch sein eigenes Handeln das Ergebnis beeinflusst hat. Hidden information beschreibt die Problematik, dass der Prinzipal die Handlungen des Agenten beobachten kann und ihm auch die Handlungsalternativen des Agenten bekannt sind. Der Agent kann dem Prinzipal vor Vertragsabschluss falsche Tatsachen hinsichtlich seiner Eigenschaften und Fähigkeiten vorspielen, die dem Prinzipal aber erst nach Vertragsabschluss bekannt werden. Damit besteht die Gefahr, dass der Agent die bestehende Informationsasymmetrie zu seinem eigenen Vorteil nutzt. Drängen die Kapitalgeber nicht auf entsprechende Gegenmaßnahmen, fuhrt der Konflikt dazu, dass sich das Aktionärsvermögen nicht entsprechend optimal entwickeln kann und der Manager seine Verhaltensspielräume zum Nachteil der Gesellschaft und damit auch des Prinzipals einsetzt. Dem Prinzipalen stehen, um die dargestellten Asymmetrien zu mildern, zwei mögliche Handlungsalternativen offen: 85 1. Es besteht die Möglichkeit Informations- und Kontrollsysteme aus- bzw. neue Systeme aufzubauen. Sie sollen dem Prinzipal einen besseren Aufschluss über das Verhalten ihrer Agenten geben. 2. Die zweite Möglichkeit besteht in der outputorientierten Steuerung, bei der die Agenten hinsichtlich der von den Prinzipalen erwünschten und künftigen Handlungsergebnisse überwacht werden. Eines dieser Steuerungsinstrumente, das dazu genutzt werden kann, damit die Agenten sich möglichst im Interesse der Prinzipale verhalten, sind Aktienoptionsprogramme. Die Vergütung der Manager (Agenten) erfolgt hierbei durch die Koppelung der Entlohnung an die Unternehmenswertsteigerung. Nur aufgrund einer Steigerung des Aktienkurses und damit des Unternehmenswertes erhalten die Manager ihre Leistungen honoriert.
8.3
Zielsetzungen von Aktienoptionsprogrammen
8.3.1
Minimierung des Prinzipal-Agent-Problems
Die Steigerung des Aktienkurses und dadurch des Unternehmenswertes ist ein bevorzugtes Ziel der Aktionäre. Problematisch ist, dass die Manager nicht immer ausschließlich dieses Ziel verfolgen, sondern eigene opportunistische Ziele. Durch die Koppelung der Vergütung mit Aktienoptionen wird die Entlohnung des Managers an die Entwicklung des Aktienkurses geknüpft. Die Manager erhalten damit einen Anreiz, das Unternehmen im Interesse der An-
85
Vgl. Engelsing, 2001, S. 29
8 Wirtschaftsphilosophische und wirtschaftsethische Grundlagenüberlegungen
51
teilseigner zu fuhren, denn nur durch eine Steigerung des Aktienkurses kann der Manager zu einem finanziellen, zusätzlichen Vorteil gelangen. Die Steigerung des Unternehmenswertes und somit des Aktionärsvermögens kommt durch die Steigerung des Aktienkurses zum Ausdruck, von der die Anteilseigner letztendlich ebenfalls einen finanziellen Nutzen ziehen können. 86 Ein weiteres Argument, das im Zusammenhang mit dem Einsatz von Aktienoptionsprogrammen genannt wird, ist der sogenannte Risk-Taking-Effekt. 87 Es wird davon ausgegangen, dass Manager in der Regel risikoavers handeln. Dies bedeutet, dass Investitionsentscheidungen die positive Kapitalwerte aufweisen, eventuell nicht durchgeführt werden, da sie ein zu hohes Risiko für den Manager aufweisen. Die Investition wäre aber im Interesse des Eigentümers gewesen. Durch Einsatz von Aktienoptionen können die richtigen Anreize gesetzt werden, damit der Manager seine Risikobereitschaft erhöht. 88 Da Aktienoptionen als Bemessungsgrundlage den Shareholder-Value haben, wird der Manager verstärkt solche Investitionen in Betracht ziehen, die zu einer Erhöhung des Unternehmenswertes beitragen. 89 Damit kann ebenfalls eine Interessenangleichung zwischen Eigentümer und Manager erreicht werden. Dadurch haben beide Interessengruppen das gleiche Ziel, nämlich die Steigerung des Unternehmenswertes. Eine Angleichung der Ziele zwischen Manager und Eigentümer kann noch verstärkt werden, indem ein Eigeninvestment z.B. in Form von Aktien vom Manager verlangt wird. 90
8.3.2
Personalbindung und Rekrutierung von Topführungskräften
Unternehmen stehen vermehrt in einem Wettbewerb um international mobile Führungskräfte. Die Globalisierung hat nationale Schranken abgebaut und den internationalen Wettbewerb um Topführungskräfte verstärkt. Ein wettbewerbsfähiges Entgelt- bzw. Vergütungssystem, das beispielsweise Aktienoptionen enthält, ist deshalb notwendig, um die eigenen Topfiihrungskräfte im Unternehmen zu binden oder vor Versuchen der Abwerbung durch die Konkurrenz zu schützen. Die Verbreitung von Aktienoptionen ist international sehr verschieden. In Kanada und den USA liegt die Nutzung von Aktienoptionen bei 85 bzw. 66 Prozent. 91 Die Anwerbung von
86
Vgl. Engelsing, 2001, S. 29
87
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 42
88
Vgl. Friedrichsen, 2002, S. 27
89
Vgl. Engelsing, 2001, S. 30
90
Vgl. ebd., S. 30
52
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Führungskräften aus diesen Ländern kann dadurch erleichtert werden, wenn Aktienoptionen als Vergütungsinstrument eingesetzt werden. Die Führungskräfte aus diesen Ländern wissen um das Gewinnpotential der Aktienoptionen, denn sie werden in diesen Ländern schon seit Langem als ein Bestandteil zur Vergütung genutzt. Deshalb liegt es an der Personalpolitik der deutschen Unternehmen ein effektives Entlohnungssystem zu schaffen, damit sich auch diese Topführungskräfte für deutsche, aber international agierende Unternehmen interessieren. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Aktienoptionsprogramme zur Personalbindung beitragen können, wenn sie entsprechend strukturiert sind. Wichtig hierbei sind u.a. lange Laufzeiten der Aktienoptionen sowie der Einsatz von Sperrfristen und Verfallklauseln. Die Sperrfrist führt dazu, dass die Führungskraft die Optionen erst nach einer bestimmten Zeit ausüben kann. Verlässt die Führungskraft vor Ende der Sperrfrist das Unternehmen, verfallt das Recht die Optionen in Aktien einzutauschen. Die Aktienoption kann nicht anderweitig übertragen werden, da eine Übertragbarkeit vertraglich meist ausgeschlossen wird. Somit werden die Führungskräfte angehalten im Unternehmen zu verbleiben, denn die finanziellen Einbußen können bei einer optimalen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens beachtlich sein. Im Zusammenhang mit Unternehmensfusionen müssen die unterschiedlichen Vergütungsformen der sich zusammenschließenden Unternehmen ebenfalls beachtet werden. Deutsche Unternehmen können sich nicht vor den international üblichen Gegebenheiten bei der Entlohnung verschließen, sondern müssen sich anpassen, sodass auch in dieser Hinsicht der Einsatz von Aktienoptionsprogrammen zur Vergütung von Führungskräften seine Anwendung findet.
8.3.3
Verbesserung der Liquidität des Unternehmens
Eine Vergütung des Managements mit ausschließlich traditionellen Vergütungskomponenten, wie Grundgehalt, erfolgsabhängige Boni oder Tantiemen, hat immer einen Abfluss der Liquidität bzw. eine Verringerung des Cashflows des Unternehmens zur Folge. 92 Bei der Verwendung von Aktienoptionen kann dieses Problem verhindert werden. Erfolgt die Bedienung des Aktienoptionsprogramms durch eine genehmigte oder bedingte Kapitalerhöhung, hat dies keine Belastung der Liquidität des Unternehmens zur Folge. Bei der Durchführung einer Kapitalerhöhung verteilt sich der Wert des Unternehmens auf eine größere Zahl von Aktien. Dies hat zwar für die Altaktionäre eine Verwässerung ihres Kapitalanteils zur Folge, jedoch fuhrt die Kapitalerhöhung zu einer Stärkung der Eigenkapitalbasis des Unternehmens. Dabei erhöht sich das gezeichnete Kapital bei einer Ausübung der
91
Vgl. Towers, 2009
92
Vgl. Engelsing, 2001, S. 31
8 Wirtschaftsphilosophische und wirtschaftsethische Grundlagenüberlegungen
53
Aktienoption um den Nennbetrag der neuen Aktien. Ebenso erhöht sich die Kapitalrücklage und zwar um die Differenz zwischen den neuen Aktien und dem zu zahlenden Basispreis. 93 Insbesondere die bei der Durchführung einer Kapitalerhöhung fehlende Belastung der Liquidität des Unternehmens ist als positiv herauszuheben, da deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich eine geringere Eigenkapitalquote aufweisen. Durch die Ausgabe von Aktienoptionen an das Management des Unternehmens ist das Unternehmen in der Lage, eine im internationalen Vergleich angemessene Vergütung zu zahlen und gleichzeitig die Liquidität des Unternehmens zu schonen.
8.4
Kritik am Einsatz von Aktienoptionen
Die Auflegung eines Aktienoptionsprogramms zur variablen Vergütung von Führungskräften ist mit einigen Nachteilen verbunden, die im Folgenden näher erläutert werden.
8.4.1
Manipulation des Aktienkurses
Der Manager soll durch Entlohnung mit Aktienoptionsprogrammen dazu angeregt werden den Shareholder-Value zu steigern. Die Aktienoptionen, die die Führungskräfte durch ihren Arbeitseinsatz erhalten, sind an den Aktienkurs gekoppelt. Problematisch ist hierbei, dass der Börsenkurs der Aktie nicht nur durch die shareholdervalue-orientierten Entscheidungen der Manager tangiert werden kann, sondern auch durch unternehmensexogene Faktoren. Der Aktienkurs kann z.B. durch Auf- und Abwärtstrends auf internationalen Märkten sowie Zinsentwicklungen und Wechselkursschwankungen beeinflusst werden. Demnach kann der Börsenkurs der Aktie stärker steigen, als dies der Leistung des Managements entspricht. Der Manager, der seine realen Aktienoptionen dann zu diesem Zeitpunkt ausübt, erhält demzufolge vergünstigte Aktien bzw. bei der Ausübung virtueller Aktienoptionen besonders hohe Kursgewinne, fur die er keine Leistung erbracht hat. 94 Dies hat Überlegungen gegenüber Gehaltsexzessen von Managern ausgelöst, die Aktienoptionen als schädlichen Anreiz diskutieren und darauf verweisen, wenn Mitarbeiter oder Manager Verluste zu verantworten haben, diese nicht noch arbeitsrechtliche Ansprüche auf hohe Abfindungen haben können. Eine Leistungsorientierung, wie dies das Berliner Humankapitalbewertungsmodell vorsieht, und langfristige Boni müssen in Entgeltsystemen stärker im Interesse von Unternehmen berücksichtigt werden, wie später noch zu diskutieren sein wird.
93
Vgl. ebd., S. 31
94
Vgl. Zitzewitz, 2003, S. 34
54
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Systemimmanent besteht jedoch zur Lösung dieses Problems die Möglichkeit, den Basispreis der Aktienoption zusätzlich an einen Branchen- bzw. Marktindex zu koppeln. Somit entscheidet nicht nur die absolute Steigerung des Börsenkurses der Aktie, sondern auch die Entwicklung des Aktienkurses im Vergleich zu einer Branche über die Ausübung der Aktienoption. Demnach kann der Inhaber der Aktienoptionen diese nur dann ausüben, wenn das Unternehmen sich wirtschaftlich besser entwickelt hat als die Konkurrenz. Weiterhin ist als nachteilig anzusehen, dass der Kapitalmarkt sehr empfindlich auf negative Nachrichten aus dem Unternehmen reagiert. Dadurch besteht das Risiko von Manipulationsmöglichkeiten, indem die durch Aktienoptionen begünstigten Manager bestimmte Informationen an die Öffentlichkeit weiterleiten. Zum richtigen Zeitpunkt gestreute Gerüchte können den Aktienkurs in die eine oder andere Richtung laufen lassen. Dies hat zur Folge, dass der Basispreis der Aktienoption, der sich am Aktienkurs orientiert, nach unten oder nach oben verlaufen kann. 95 Dieses Problem des Insiderwissens durch die Manager kann durch Trading Windows zumindest jedoch eingedämmt und verringert werden.
8.4.2
Änderung der Kapitalstruktur des Unternehmens
Ein weiterer Nachteil ergibt sich durch die Bedienung der Aktienoptionsprogramme durch eine bedingte Kapitalerhöhung. Dabei kommt es zu einem Verwässerungseffekt des Stimmrechts sowie einer Verringerung des Kapitalanteils für die Altaktionäre, wenn ein Ausschluss des Bezugsrechts vorgenommen wurde. 96 Dagegen kommt es bei einer Finanzierung des Aktienoptionsprogramms über den Rückkauf eigener Aktien, bei einer Kapitalherabsetzung, nicht zur Verwässerung des Stimmrechts für die Altaktionäre, jedoch erfolgt hier ein Leverageeffekt des Kapitalanteils. Die Verwässerung erfolgt hierbei, wenn die Aktien an die Teilnehmer des Aktienoptionsprogramms unter dem Rückkaufswert der Aktie abgegeben werden. 97 Es ist jedoch fraglich, ob diese Argumente gegen den Einsatz von Aktienoptionen im Unternehmen sprechen. Der auftretende Verwässerungseffekt bewegt sich in der Regel in einem erträglichen Rahmen und die mit dem aufgelegten Aktienoptionsprogramm eintretenden Kurs- und Gewinnsteigerungen durch den gleichen diesen Nachteil aus.98
95
Vgl. Friedrichsen, 2000, S. 53
96
Vgl. ebd., S. 53
97
Vgl. ebd., S. 232
98
Vgl. Friedrichsen, 2000, S. 53
9 Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
8.5
55
Aktienoptionsprogramme im Kontext moderner Vergütungssysteme
Dass die Vergütung des Managements an dessen Leistung und Erfolg gekoppelt werden sollte, um unter anderem das Shareholder-Value-Konzept im Unternehmen umzusetzen, ist Ergebnis der bisherigen Diskussion. In diesem Kapitel wird aufgezeigt, inwiefern deutsche Unternehmen auf die veränderten Anforderungen bezüglich der Vergütung reagiert haben. Dazu wird in zunächst auf die Veränderung der Vergütungsstruktur und der Einfuhrung von wertorientierten Vergütungssystemen in deutschen Unternehmen eingegangen. Ferner werden die aktien- und gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen, die bei der Vergütung von Managern beachtet werden müssen, erläutert.
9
Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
Bis vor wenigen Jahren war die Gesamtvergütung wenig anspruchsvoll ausgestaltet und setzte sich vorwiegend aus geringen variablen Anteilen und einem hohen Grundgehalt zusammen. Je nach Hierarchieebene und Branche der Oberen Führungskräfte betrug die Höhe der variablen Vergütungsbestanteile 10 bis 20 Prozent der Gesamtvergütung. Im internationalen Vergleich ist diese Höhe der variablen Vergütungskomponenten an der Gesamtvergütung sehr gering. In einer Studie aus dem Jahr 1997 gaben ein Viertel der Unternehmen an, Umsatzziele und leistungsabhängige Tantiemen bei der Vergütung der Topfuhrungskräfte zu verwenden. Die Tantiemen beinhalteten i.d.R. eine Beteiligung der Mitglieder des Vorstands am Jahresgewinn der Gesellschaft. Das Grundgehalt des Managements machte bis zu 64 Prozent der Gesamtvergütung aus." Die folgende Abb. zeigt die Zusammensetzung der Gesamtvergütung von Mitte der 1990er und heute.
99
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 4f.
56
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Die damalig bestehende Struktur der Vergütung von einem hohen Grundgehalt und einem geringen Anteil von Tantiemen an der Gesamtvergütung stand insbesondere vor dem Hintergrund der Forderung nach einer wertorientierten Ausrichtung des Unternehmens im Sinne des Shareholder-Value-Ansatzes in der Kritik. Auch die einsetzende Internationalisierung in Verbindung mit der steigenden Globalisierung und dem damit verbundenen Wettbewerb um erfolgreiche Führungskräfte führten zur Forderung nach einer Neugestaltung des deutschen Vergütungssystems. 101 Es wurde kritisch beurteilt, dass das Grundgehalt keine angemessene Entlohnung für die Leistungen der Topfuhrungskräfte darstellt. Auch bildete diese Form der Entlohnung den Erfolg des Unternehmens nicht angemessenen ab. Ebenfalls wurde die fehlende Verbindung von Aktienkurs und der an die Führungskräfte gewährten Tantieme als problematisch angesehen. Tantiemen berechnen sich aus Kennzahlen der vergangenen Geschäftsjahre, was zur Folge hatte, dass die Entwicklung des Aktienkurses nicht bei der Vergütung berücksichtigt wurde. Demzufolge fehlte dem Management der Anreiz, seine Entscheidungen an der Steigerung des Aktienkurses des Unternehmens auszurichten. 102 Ferner wurden gegenüber den Tantiemen die deutschen Bilanzierungsvorschriften, die die Bewertungs- und Bilanzierungswahlrechte zulassen und damit eine Verzerrung des Bilanzgewinns ermöglichen, als Kritikpunkt hervorgebracht. Auch wurde es als gefährlich angese-
100
Kramarsch, 2004, S. 5
101
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 68
102
Vgl. ebd., S. 68f.
9 Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
57
hen, dass eine möglichst hohe Tantieme erreicht werden konnte, wenn kurzfristige Jahresziele angesteuert wurden. Des Weiteren hatte diese Form des traditionellen Entgeltsystems eine hohe Belastung der Liquidität des Unternehmens zur Folge. 103 Die dargelegten Kritikpunkte zeigen auf, dass eine Reform des herkömmlichen Vergütungssystems in Deutschland notwendig war. In diesem Zusammenhang wurden wertorientierte Vergütungssysteme in deutschen Unternehmen implementiert, die die Umsetzung des Shareholder-Value-Konzepts unterstützen sollten. Sie sind heute kam noch wegzudenken und stellen ein wichtiges strategisches Instrument fur den Prozess der UnternehmenswertsteigeJ 104 rung dar.
9.1
Anforderungen an wertorientierte Vergütungssysteme
Damit Aktienoptionsprogramme erfolgreich eingesetzt werden können, müssen sie bestimmten Anforderungen entsprechen. Diese Anforderungen sind Gegenstand dieses Abschnitts. Wertorientierte Vergütungssysteme sind Managements im Sinne der Shareholder schaffen werden, dass das Management trifft und somit ein Gleichlauf zwischen ment erreicht werden kann.
so auszugestalten, dass die Entscheidungen des gesteuert werden. 105 Es sollen dabei Anreize geseine Entscheidungen im Interesse des Prinzipals den Interessen der Shareholder und dem Manage-
Um das Verhalten des Managements im Interesse des Shareholders zu steuern, sind wertorientierte Vergütungssysteme möglichst zeitnah und leistungsorientiert kontrollierbar zu gestalten, damit der Zusammenhang zwischen Leistung und Belohnung gewährleistet werden kann. Weiterhin ist darauf zu achten, dass die Leistung und die Belohnung in Bezug zueinander angemessen sind.106
103
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 69
104
Vgl. ebd., S. 69
105
Vgl. Laux, 1999, S. 12
106
Vgl. Achleitner/Wichels, 2002, S. 7
58
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Ein erfolgreiches Anreizsystem hat folgenden Anforderungen zu erfüllen: 1. Zielgrößeneignung: Die Bemessungsgrundlage legt fest, an welchen Faktoren die Leistung des Management gemessen werden soll. Sie muss mit dem gewählten Ziel vereinbar sein, um eine entsprechend gleiche Interessenlage zwischen Anteilseignern und dem Management zu erzielen. Das Management soll nur dann eine höhere Vergütung erhalten, wenn es die gesteckten Ziele der Anteilseigner erreicht bzw. übertrifft. 107 2. Langfristige Ausrichtung: Durch den Einsatz langfristiger Erfolgskriterien soll die Gefahr der Manipulation der Bemessungsgrundlage aufgrund kurzfristiger Managemententscheidungen kompensiert werden. 108 3. Transparenz: Die Wirkungsweise des Anreizsystems muss für das Management nachvollziehbar und klar verständlich sein.109 4. Akzeptanz undKommunizierbarkeit: Der Erfolg eines implementierten Anreizsystems zur Entlohnung hängt entscheidend davon ab, inwiefern das Anreizsystem vom Management akzeptiert wird. Dazu muss mit den Bezugsberechtigten kommuniziert und die Gründe und Bedingungen für die Einführung eines wertorientierten Entlohnungssystems aufgezeigt werden." 0 5. Wirtschaftlichkeit: Die Kosten des Anreizsystems dürfen aus der Sicht der Anteilseigner dessen Nutzen nicht übersteigen.111 Die Boston Consulting Group hat dabei ein wertorientiertes Vergütungssystem entwickelt, das in der folgenden Abb. dargestellt wird.
107
Vgl. Pellens/Crassselt/Rockholtz, 1998, S. 14
108
Vgl. Achleitner/Wichels, 2002, S. 10
109
Vgl. Pellens/Crasselt/Rockholtz, 1998, S. 14 Vgl. Achleitner/Wichels, 2002, S. 10
'"
Vgl. Pellens/Crasselt/Rockholtz, 1998, S. 14
9 Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
59
Vergütungskomponenten
Grundgehalt Zielsetzung: • Gewährleistung einer Basisabsicherung • Grundlage für Altersvorsorge
Long-Term Incentive
Short-Term Incentive
Zielsetzung:
Zielsetzung: Entlohnung kurzfristiger Verbesserungen Vergütung von Einzelleistungen
Vergütung nachhaltiger interner bzw. externer Wertschaffung
J externe Bemessungsgrundlage (aktienkursorientiert)
interne Bemessungsgrundlage (kennzahlenorientiert)
Wertorientierte Kennzahlen (z.B. EVA, CFROI/CVA, DCF)
Aktienpläne • Belegschaftsaktien
• Bonusbank •Performance Cash Pläne
(Restricted Stock) • Phantom Stocks 1
Performance Shares (Units)
Abb. 9.2: Klassifizierung eines wertorientierten
Vergütungssystems
Aktienoptionspläne •Nackte Optionen • Options- und Wandelanleihen • Stock Appreciation Rights (virtuelle Optionen)
112
Das wertorientierte Vergütungssystem der Boston Consulting Group strukturiert sich in drei Vergütungskomponenten, das Grundgehalt und die variablen Bestandteile, die sich wiederum in kurzfristige und langfristige Vergütungsbestandteile unterteilen. Das Grundgehalt bildet die Basis der Managementvergütung, dessen Höhe individuell vereinbart wird." 3 Es wird in der Regel in zwölf Monatsraten ausbezahlt. Die Höhe des Grundgehalts bestimmt sich durch die Gehaltspolitik des Unternehmens. In der Praxis dient das Grundgehalt vorwiegend der Absicherung und Erhaltung des Lebensstandards des Managements." 4 Das Grundgehalt ist weder variabel noch leistungsbezogen. Somit trägt das feste Grundgehalt nicht zur Lösung des Prinzipal-Agent-Konflikts bei." 5
112
In Anlehnung an: Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004. S. 14
113
Vgl. Kramarsch/Becker, 2006, S. 24
114
Vgl. Lazar, 2007, S. 37
115
Vgl. Pape, 2004, S. 67
60
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Die kurzfristige variable Vergütung wird als Short-Term Incentive bezeichnet. Beispielhaft seien hier der Jahresbonus oder die Tantieme genannt. Kurzfristige Incentives basieren i.d.R. auf strategischen Kennzahlen aus dem Rechnungswesen. Die Short-Term Incentives beziehen sich auf das Geschäftsjahr des Unternehmens und werden meist mit Erreichen der Zielgrößen zum Ende des Geschäftsjahres in einem Einmalbetrag ausgezahlt. Die verwendeten Kennzahlen unterteilen sich in traditionelle Kennzahlen der Buchhaltung wie Gewinn oder Umsatz oder auch wertorientierte Kennzahlen wie der Cashflow Return on Investment (CFROI), EBIT oder der Economic Value Added (EVA). 116 Bei Long-Term Incentives handelt es sich um langfristige variable Vergütungsbestandteile, die sich nachhaltig am Unternehmenserfolg orientieren. 117 Sie können anhand der ihnen zugrunde liegenden Bezugsgrößen, die sich an der Wertsteigerung des Unternehmens orientieren, unterteilt werden. Die Unternehmenswertsteigerung kann nach internen und externen Bezugsgrößen klassifiziert werden. Long-Term Incentives, die auf internen Bemessungsgrundlagen als Maßstab der Wertsteigerung beruhen, versuchen aus betriebsinternen Kennzahlen einen ökonomischen Wert zu ermitteln. Dieser Wert wird dann als Kriterium für die Vergütung herangezogen. Dies erfolgt unter der Bedingung, dass eine Steigerung des ökonomischen Wertes langfristig ebenfalls steigende Aktienkurse zur Folge hat und damit zu einer Erhöhung des Unternehmenswertes fuhrt. 118 Ferner lassen sich Long-Term Incentives, die auf externen Bemessungsgrundlagen basieren, in Aktien- und Aktienoptionsprogramme unterscheiden. Aktienkursorientierte Vergütungssysteme orientieren sich am Aktienkurs und sind somit direkt an der Entwicklung des Shareholder-Value ausgerichtet. Die Beteiligung des Managements am Unternehmen durch Aktien oder Aktienoptionen stellt hierbei eine sehr gute Möglichkeit dar, die Interessen zwischen dem Management und den Anteilseignern zu harmonisieren und gleichzeitig, das in Aktien verkörperte Eigentümervermögen zu maximieren. 119 Bezüglich der Zusammensetzung der Gesamtvergütung beinhaltet der Deutsche Corporate Governance Kodex hinreichende Empfehlungen.
116
Vgl. Schmeisser/Dittmann, 2004, S. 40
117
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 35
1 1 Q
Vgl. Achleitner/Wichels, 2002, S. 7f. 119
Vgl. ebd., S. 9
9 Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
9.2
Gesellschaftsrechtliche Aspekte zur Vergütung
9.2.1
Der Deutsche Corporate Governance Kodex
61
Der Begriff Corporate Governance hat in den letzten Jahren in Deutschland größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erfahren und wurde auch in der Fachliteratur entsprechend thematisiert. Corporate Governance umfasst vornehmlich Grundsätze für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensleitung und -Überwachung. Diese Grundsätze sind in Deutschland im Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) fixiert worden. In diesem Abschnitt wird zunächst auf die Entwicklung der Corporate Governance Diskussion eingegangen, bevor die Ziele und der Aufbau des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) erläutert werden. Anschließend folgt eine nähere Betrachtung zu den Empfehlungen des DCGK und dessen Einfluss auf die Vergütungsstruktur der Vorstandsmitglieder. Zudem beinhaltet der Kodex Empfehlungen zur Ausgestaltung von Aktienoptionsprogrammen sowie anderen variablen Langfristvergütungen für das Management. Entwicklung der Corporate Governance Diskussion Die Corporate Governance Diskussion begann 1969 in den USA. Das American Institute of Law wurde beauftragt, einen Entwurf eines „Federal Securities Code" zu konzipieren. Nach intensiven Auseinandersetzungen Ende der 1970er Jahre wurden 1992 die „Principles of Corporate Governance" herausgegeben. 120 Im Rahmen der spektakulären Bilanzskandale der US-Firmen WorldCom und Enron wurde der Ruf von Aktionären und Investoren nach mehr Transparenz laut. Dies führte am 30. Juli 2002 zur Verabschiedung des „Sarbanes-Oxley Act of 2002" durch die US-Regierung. Der Sarbanes-Oxley Act erweitert die Regelungen des Securities and Exchange Act (SOX) von 1934. Der SOX verfolgt in erster Linie das Ziel, mehr Transparenz bei der Unternehmensfuhrung zu schaffen. 121 Auch das Vertrauen der Anleger in die Bilanzen der Unternehmen sollte wiederhergestellt werden. Die Verabschiedung des SOX hatte nicht nur Auswirkungen auf amerikanische Unternehmen, sondern auch auf deutsche Unternehmen, die an einer US-Börse gelistet sind, wie Allianz oder Siemens. Diese Unternehmen unterliegen ebenfalls den Vorschriften des Sarbanes Oxley Acts. In Deutschland reagierte die Bundesregierung nach dem Fall Holzmann mit der Einsetzung einer Regierungskommission „Corporate Governance - Unternehmensfuhrung - Unternehmenskontrolle - Modernisierung des Aktienrechts". Die Regierungskommission wurde mit einem Schreiben vom 29. Mai 2000 von dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder
1 7Ω
Vgl. Grattenthaler, 2007, S. 172f. 121
Vgl. Carl, 2005, Rn. 1623f.
62
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
eingesetzt. Die Führung übernahm Theodor Baums. Die Aufgabe der Regierungskommission war es, Schwächen des deutschen Systems der Unternehmensfuhrung und -kontrolle aufzu122 zeigen. Das deutsche System der Corporate Governance sollte gestärkt und mögliche Defizite behoben werden. Die internationalen Entwicklungen bezüglich der Unternehmensfuhrung fanden damit auch in Deutschland Beachtung. Damit der Finanzplatz Deutschland sich im internationalen Wettbewerb auch behaupten und im System internationaler Corporate Governance bestehen kann, sollten Reformvorschläge ausgearbeitet werden, um den neuen 123 Entwicklungen Rechnung zu tragen. Die Kommission veröffentlichte ihren Abschlussbericht im Juli 2001 und empfahl die Bildung einer neuen Kommission zur Ausarbeitung eines Deutschen Corporate Governance Kodex. Weitere Unternehmenskrisen z.B. Flowtex 124 oder Comroad 125 zeigten, dass es in Deutschland Defizite hinsichtlich der Unternehmensfuhrung und -kontrolle gab. Die Aufsichtsräte der Gesellschaften waren neben den Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in die Kritik geraten, da auch sie den Betrug nicht erkannten. Das Vertrauen von institutionellen Anlegern, Lieferanten und anderen Stakeholdern in die Unternehmensfuhrung war entscheidend geschwächt worden. Die neu gebildete Kommission unter Leitung des damaligen ThyssenKrupp Aufsichtsratsvorsitzenden Dr. Gerhard Cromme nahm im September 2001 ihre Arbeit auf. Die Kommission setzte sich aus Wissenschaftlern und namhaften Vertretern der Wirtschaft zusammen. 126 Grundlage des zu erarbeitenden Deutschen Corporate Governance Kodex bildeten die Ergebnisse der Baums-Kommission. Die fertige Fassung wurde am 26. Februar 2002 veröffentlicht und wird seitdem im jährlichen Rhythmus geprüft. Mit dem Deutschen Corporate Governance Kodex wurde ein Werk geschaffen, das das Vertrauen der Anleger und anderen Interessengruppen in die Unternehmensfuhrung deutscher Gesellschaften wieder herstellen und stärken soll. Der Deutsche Corporate Governance Kodex gibt neben Empfehlungen auch Anregungen an das Management für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensleitung und -kontrolle.
122 Vgl. Bericht der Regierungskommission, 2001, S. A l 123
Vgl. ebd., S. A l
124
Vgl. Heise, 2009, S. 7
125
Vgl. O.V., 2002
126
Mitglieder der Kommission sind: Dr. Gerhard Cromme, Dr. Paul Achleitner, Dr. Rolf-Ε. Breuer, Dr. Hans Friedrich Gelhausen, Ulrich Hocker, Max Dietrich Kley, Professor em. Dr. Dr. h.c. Marcus Lutter, Volker Potthoff, Heinz Putzhammer, Peer Michael Schatz, Christian Strenger, Prof. Dr. Axel von Werder, Dr. Wendelin Wiedeking.
9 Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
63
Zielsetzungen und Aufbau des DCGK Mit der Einfuhrung des Deutschen Corporate Governance Kodex sollten vor allem folgende Kritikpunkte an der deutschen Unternehmensverfassung aufgegriffen werden: 127 • • • • •
mangelhafte Ausrichtung auf Aktionärsinteressen, duale Unternehmensverfassung mit Vorstand und Aufsichtsrat, mangelnde Transparenz deutscher Unternehmensfuhrung, mangelnde Unabhängigkeit deutscher Aufsichtsräte, eingeschränkte Unabhängigkeit der Abschlussprüfer.
Der Kodex geht auf die Kritikpunkte ein und berücksichtigt damit eine Forderung der Aktionäre und institutionellen Anleger nach mehr Transparenz der Unternehmensfuhrung in Deutschland. Die Präambel des Kodex formuliert die Zielsetzungen des Kodex wie folgt: 128 „Der vorliegende Deutsche Corporate Governance Kodex (der „Kodex") stellt wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften (Unternehmensfuhrung) dar und enthält international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensfuhrung. Der Kodex soll das deutsche Corporate Governance System transparent und nachvollziehbar machen. Er will das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften fördern. " Der Kodex enthält sogenannte „Soll"-Empfehlungen und „Sollte-" bzw. „Kann-"Anregungen. Er ist über die Entsprechenserklärung gemäß § 161 AktG im Gesetz verankert. Vorstand und Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften sind jährlich dazu verpflichtet, anzugeben, ob den Empfehlungen des Deutschen Corporate Governance Kodex entsprochen wurde. Bei Abweichung vom Kodex muss erklärt werden, welche Empfehlungen nicht eingehalten wurden und die Gründe dazu genannt werden. Dieses Vorgehen entspricht dem angelsächsischen Prinzip „Comply or Explain". Die Entsprechenserklärung ist gemäß §161 Abs. 2 AktG auf der Internetseite der Gesellschaft zu veröffentlichen. Weicht das Unternehmen von Anregungen ab, so ist keine Erklärung dazu notwendig. Die Abweichungen müssen dann auch nicht offengelegt werden. Der Kodex richtet sich vornehmlich an börsennotierte Unternehmen. Aber auch nicht-börsennotierten Unternehmen ist der Kodex zur Anwendung empfohlen. Der Kodex unterteilt sich in sieben Bereiche: • •
Präambel, Aktionäre und Hauptversammlung,
127
DCKG, Präambel, 2008
128
DCKG, Kommentar des Vorsitzenden der Kommission Gerhard Cromme, 2 0 0 2
64 • • • • •
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat, Vorstand, Aufsichtsrat, Transparenz, Rechnungslegung und Abschlussprüfung.
Die Präambel beinhaltet den Zweck des Kodex. Der zweite und dritte Bereich beschreibt Bestimmungen für die Hauptversammlung und die Rechte der Aktionäre. Neben der Vergütungsstruktur der Vorstände, sind die speziellen Aufgaben bzw. Zuständigkeiten von Vorstand und Aufsichtsrat in den Abschnitten vier und fünf erläutert. Die Abschnitte sechs und sieben enthalten Regelungen bezüglich der Transparenz sowie Rechnungslegung und Abschlussprüfung. Die Finanzkrise und die aufkeimende Kritik in Presse und anderen Medien an der Vergütung der Vorstände haben zur Verabschiedung des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung gefuhrt. Die Regierungskommission hat sich daraufhin zusammengefunden und den Deutschen Corporate Governance Kodex diesbezüglich angepasst. Die Neuerungen werden für die Unternehmen erst durch die Veröffentlichung im Bundesanzeiger gültig. Die aktuell gültige Fassung hat nun den Stand vom 19.06.2009. Die wichtigsten Änderungen sind: • • • • •
neue Regelungen bei der Zusammensetzung und beim Wechsel von Vorstandsmitgliedern in den Aufsichtsrat' 29 , Bestimmungen zur Besetzung des Prüfungsausschuss 130 , die Anpassung der Vergütungsstruktur und Vergütungshöhe der Vorstände 131 , die Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft müssen von der Unternehmensleitung berücksichtigt werden 132 , Neuerungen bezüglich der D&O Versicherungen bei Vorständen 133 .
Ergänzungen bzw. Änderungen, die sich durch den Entwurf des Corporate Governance Kodex mit Stand vom 19.06.2009 ergeben, werden im nächsten Abschnitt näher behandelt. Weiterhin wird auf die Empfehlungen des Kodex bei der Vergütungsstruktur der Vorstandsmitglieder und dessen Offenlegung Wert gelegt und diese näher dargestellt.
129
DCGK, Abschnitt 5.4.4, Abschnitt 5.4.5 Satz 2, Abschnitt 5.4.1, 2009
130
DCGK, Abschnitt 5.3.2 Satz 3, 2009
131
DCGK, Abschnitt 4.2.2, Abschnitt 4.2.3 Abs. 1 und 2, 2009
132
DCGK, Präambel Abs. 2, 2009
133
DCGK, Abschnitt 3.8 Abs. 2 , 2 0 0 9
9 Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
65
DCGK-Empfehlungen für die Vorstandsvergütung Der DCGK gibt in Punkt vier Empfehlungen, wie die Vergütung von Vorstandsmitgliedern zu konstruieren ist. Abschnitt 4.2.3 des Kodex besagt: •
•
•
Die Gesamtvergütung des Vorstandes soll neben den fixen auch variable Vergütungsbestandteile umfassen. Die variablen Vergütungsbestandteile sollten eine jährlich wiederkehrende Komponente enthalten, die an den Erfolg des Unternehmens anknüpft und Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung sowie Risikocharakter aufweisen. Der DCGK empfiehlt als Vergütungsbestandteile mit langfristiger Anreizwirkung und Risikocharakter vor allem Aktien, Aktienoptionen und vergleichbare Vergütungsprogramme (z.B. Phantom Stocks) mit langen Veräußerungssperren. Für die Vergütungskomponenten sollen anspruchsvolle, relevante Vergleichsparameter verwendet werden und ein nachträgliches Ändern der Erfolgsziele nicht möglich sein. Außerdem soll der Aufsichtsrat für außergewöhnliche Entwicklungen eine Gewinnlimitierung (CAP) festlegen. Der Aufsichtsratsvorsitzende soll die Hauptversammlung über die Vergütungsstruktur des Vorstands informieren und eventuelle Änderungen mitteilen.
Die Abschnitte 4.2.4 und 4.2.5 geben Auskunft über die Offenlegung der Vorstandsgehälter. Damit kann der Forderung der Aktionäre und anderen Interessengruppen nach Transparenz in der Vergütung nachgekommen werden. Abschnitt 4.2.4 empfiehlt die Offenlegung der Vorstandsvergütung fur die Unternehmen wie folgt: •
•
Die Gesamtvergütung jedes einzelnen Mitglieds des Vorstandes ist nach erfolgsabhängigen und erfolgsbezogenen Komponenten sowie Vergütungskomponenten mit langfristiger Anreizwirkung zu gliedern. Die Offenlegung der Vergütungskomponenten hat individualisiert zu erfolgen, sofern die Hauptversammlung mit Dreiviertelmehrheit etwas anderes beschließt.
Der Kodex empfiehlt in Abschnitt 4.2.5, wo die Offenlegung der Vorstandsgehälter zu erfolgen hat: 134 •
•
Die Offenlegung der Vorstandsvergütungen soll in einem Vergütungsbericht, der ein Teil des Corporate Governance Berichts ist, erfolgen. Dabei ist darauf zu achten, dass die Offenlegung in verständlicher Art und Weise geschieht. Weiterhin sollen die Parameter der Ausgestaltung von Aktienoptionsprogrammen oder anderer Vergütungssysteme mit langfristiger Anreizwirkung erläutert werden. Die Angabe der Werte für jede Vergütungskomponente ist ebenfalls zu veröffentlichen.
Derzeit halten sich 29 der 30 DAX Konzerne an die Forderung, die Vorstandsgehälter offenzulegen. Als einziges Unternehmen weicht Merck 2008 vom DCGK ab. Damit leisten die Unternehmen ihren Beitrag zu mehr Transparenz und erleichtern es den Aktionären und
134
DCGK, Abschnitt 4.2.5, 2008
66
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
anderen Interessengruppen erheblich, einen Einblick in die Vergütungspolitik der Unternehmen zu erhalten. Die Aktionäre und Investoren können eine bessere Beurteilung vornehmen, wie ihr Kapital zur Vergütung der Vorstände eingesetzt wurde. Die von der Bundesministerin für Justiz eingesetzte Regierungskommission hat im Hinblick auf die Finanzkrise und der sich daran anschließenden Kritik an der Vergütung von Vorstandsmitgliedern, den Deutschen Corporate Governance Kodex überarbeitet. Im Folgenden werden die neuen Empfehlungen bezüglich der Vergütung von Vorstandsmitgliedern näher erläutert. Der Abschnitt 4.2.3 des Kodex ist überarbeitet worden und enthält folgende Ergänzungen: 135 • • • •
Die Vergütung der Vorstandsmitglieder ist so zu gestalten, dass sie einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung dient. Positive und negative Entwicklungen sollen bei der Ausgestaltung der variablen Vergütungskomponenten berücksichtigt werden. Alle Vergütungskomponenten müssen angemessen und so gestaltet sein, dass sie das Vorstandsmitglied nicht dazu verleiten, unangemessene Risiken einzugehen. Als variable Vergütungskomponenten können z.B. auf das Unternehmen bezogene aktien- oder kennzahlenbasierte Vergütungselemente genutzt werden.
Die neue Fassung des Kodex trägt den geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Rechnung. Der Kodex versucht außerdem mit dem Zusatz zu erreichen, dass die Vergütung sich einer nachhaltigen Unternehmensentwicklung anpasst.
9.2.2
VorstOG - Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütungen
Trotz Einfuhrung des Deutschen Corporate Governance Kodex haben die Organe börsennotierter Unternehmen sich lange geweigert, ihre Vergütungen individuell zu veröffentlichen. Dies geht aus einer Studie der Beratungsgesellschaft Towers Petrin aus dem Jahr 2008 hervor. Haben im Jahr 2002 fünf DAX-30-Unternehmen die Vergütungen ihrer Vorstände ausgewiesen, befolgten die Empfehlungen des DCGK im Geschäftsjahr 2004 bereits 18 Gesellschaften. Es war von Anteilseignern und Interessengruppen nicht zu ermitteln, wie sich die Gehälter der Vorstände zusammensetzten. Das bedeutete, dass die Aktionäre nicht nachvollziehen konnten, aus welchen Vergütungskomponenten sich die Gesamtvergütung der Vorstandsmitglieder zusammensetzte. Mit dem Gesetz zur Offenlegung der Vorstandsvergütung wurden die DAX-30-Unternehmen verpflichtet, die Vergütungen ihrer Vorstände ab 2006 individuell zu veröffentlichen. Dem-
135
DCGK, Abschnitt 4.2.3, 2009
9 Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
67
nach reichte es nicht mehr aus, nur die an das Vorstandsmitglied gezahlte Gesamtvergütung zu veröffentlichen, sondern eine Aufschlüsselung in erfolgsunabhängige und erfolgsbezogene Komponenten sowie Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung (z.B. Aktienoptionen) zu tätigen. Seitdem ist die detaillierte Darstellung der Gesamtvergütung im Geschäftsbericht in einzelne Komponenten gesetzlich vorgeschrieben. 136 In § 285 Satz 1 Nr. 9 HGB sind die Pflichten zur Offenlegung folgendermaßen festgelegt: „ die für die Tätigkeit im Geschäftsjahr gewährten Gesamtbezüge (Gehälter, Gewinnbeteiligungen, Bezugsrechte und sonstige aktienbasierte Vergütungen, Aufwandsentschädigungen, Versicherungsentgelte, Provisionen und Nebenleistungen jeder Art). In die Gesamtbezüge sind auch Bezüge einzurechnen, die nicht ausgezahlt, sondern in Ansprüche anderer Art umgewandelt oder zur Erhöhung anderer Ansprüche verwendet werden. Außer den Bezügen für das Geschäftsjahr sind die weiteren Bezüge anzugeben, die im Geschäftsjahr gewährt, bisher aber in keinem Jahresabschluss angegeben worden sind. Bezugsrechte und sonstige aktienbasierte Vergütungen sind mit ihrer Anzahl und dem beizulegenden Zeitwert zum Zeitpunkt ihrer Gewährung anzugeben; spätere Wertveränderungen, die auf einer Änderung der Ausübungsbedingungen beruhen, sind zu berücksichtigen. Bei einer börsennotierten Aktiengesellschaft sind zusätzlich unter Namensnennung die Bezüge jedes einzelnen Vorstandsmitglieds, aufgeteilt nach erfolgsunabhängigen und erfolgsbezogenen Komponenten sowie Komponenten mit langfristiger Anreizwirkung, gesondert anzugeben. " Hält das Unternehmen sich nicht an diese Offenlegungspflichten, kann es mit einem Bußgeld von bis zu 50.000 Euro belegt werden. 137 Die Gesellschaften können sich von der Pflicht zum Ausweis der Vergütungen allerdings befreien lassen. Dies geschieht durch die Hauptversammlung, die den Verzicht auf Ausweis mit einer Drei-Viertel-Mehrheit zustimmen muss. Diese durch den Gesetzgeber geschaffene Regelung ist als unzureichend zu bemängeln, da Unternehmen die sich beispielsweise mehrheitlich in Familienbesitz befinden, die detaillierte Offenlegung ihrer Vergütung umgehen können. Eine Kontrolle durch den Anleger hinsichtlich der Vergütungspolitik des Unternehmens kann somit nicht stattfinden. Das einzige DAX-30-Untemehmen, welches die Bezüge seiner Vorstände in seinem aktuellen Geschäftsbericht nicht individuell ausweist, ist die Merck KGaA. Hier liegt die Personalhoheit fur die persönlich haftenden Mitglieder der Geschäftsleitung beim Komplementär, der E. Merck OHG. Aus diesem Grund müssen von der Gesellschaft die Vorschriften des VorstOG nicht angewendet werden.
136
§ 285 Satz 1 Nr. 9 HGB, § 314 Absatz 1 Nr. 6 HGB
137
§ 334 Absatz 3 HGB
68
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
9.3
Aktienrechtliche Aspekte der Vergütung
Mit der Einführung von Aktienoptionsprogrammen und anderer langfristiger variabler Vergütungskomponenten für Vorstandsmitglieder, kam immer wieder Kritik nach der Angemessenheit der Vergütung auf. Bezüglich der Angemessenheit der Vergütung für Vorstände bestehen in Deutschland weitere gesetzliche Regelungen, die in den folgenden Abschnitten erläutert werden.
9.3.1
Regelungen nach § 87 AktG
Die Vergütung der Mitglieder des Vorstands deutscher Aktiengesellschaften bestimmt sich nicht nur nach den Vorschriften des DCGK, sondern muss auch nach den Regelungen des § 87 AktG beurteilt werden. Die Vorschriften des § 87 AktG stammen aus dem Aktiengesetz von 1937 und sollen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Vergütung vereinheitlichen. Die Einfuhrung des § 87 AktG zum damaligen Zeitpunkt hatte zum Zweck, die Aktiengesellschaft und die Aktionäre vor übermäßig hohen, exzessiven Bezügen der Vorstandsmitglieder zu schützen. 138 Der § 87 AktG legt fest, dass die Gesamtvergütung des einzelnen Vorstandsmitglieds in einem angemessenen Verhältnis zu den Aufgaben des Vorstandsmitglieds und zur Lage der Gesellschaft stehen sollen. 139 Bestimmungen, inwiefern die Vergütung von Vorstandsmitgliedern angemessen ist, werden in § 87 AktG nur allgemein geregelt. Der Aufsichtsrat hat die Gesamtbezüge der Vorstände auf Angemessenheit zu überprüfen. Laut Gesetzgebung müssen folgende Bestandteile der Vergütung auf Angemessenheit überprüft werden: • • • • • •
das Gehalt, eventuelle Gewinnbeteiligungen, die Aufwandsentschädigungen, die Versicherungsentgelte, die Provisionen, und Nebenleistungen j eder Art.
Ferner wird im § 87 Abs. 2 AktG geregelt, dass eine Herabsetzung der Höhe der Gesamtvergütung des Vorstandsmitglieds möglich ist, wenn eine wesentliche Verschlechterung der Verhältnisse der Gesellschaft eintreten und der Fortbestand der Gesellschaft gefährdet ist.
138
Vgl. Grauenthaler, 2007, S. 323f.
139
Vgl. Klahold, 1999, S. 46
9 Wandel der Vergütungsstruktur in Deutschland
69
Die Angemessenheit der Vorstandsvergütungen im Zuge der Finanzkrise erneut in die Diskussion der Öffentlichkeit gelangt. So mussten beispielsweise die Vorstandsmitglieder der Commerzbank eine Begrenzung ihrer Gehälter in Kauf nehmen. Dies war eine Bedingung, damit die in Schieflage geratene Bank die Gelder des Bankenrettungsfonds Soffin in Anspruch nehmen konnte. Die Höhe der Gehälter für Vorstandsmitglieder der Bank dürfen demnach nicht mehr als 500.000 Euro betragen. 140 In den vergangenen Jahren hatten die Vorstände der Bank noch Höchstbeträge von bis zu 5,2 Millionen Euro erhalten. Kritisch bezüglich des § 87 AktG ist zu erwähnen, dass er in der Praxis kaum Anwendung findet. Er wird daher häufig auch als „Dead-Letter-Law", als totes Recht, bezeichnet. 141 Aufgrund dieser dargelegten Kritikpunkte hat die Bundesregierung das neue Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung verabschiedet, welches die Schwächen des § 87 AktG mindern soll. Dieses neue Gesetz wird nun im folgenden Abschnitt näher ausgeführt.
9.3.2
VorstAG - Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung
Am 18. Juni 2009 hat die Bundesregierung das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) verabschiedet. Mit dem Gesetz sollen verstärkt Anreize geschaffen werden, dass die Unternehmen die Vergütung ihrer Vorstände im Kontext nachhaltiger Unternehmensentwicklung gestalten. Im Zuge des neuen Gesetzes wurden auch Anpassungen beim DCGK notwendig. Für die Großverdiener unter den Topmanagern wurden härtere Bestimmungen ausgearbeitet. Die Neuregelung betrifft in erster Linie die Aktienoptionen. Statt der bisherigen zwei Jahre sieht die neue Regelung zukünftig vier Jahre als Sperrfrist für Aktienoptionen vor (§ 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG n. F.). Erst nach deren Ablauf dürfen die Manager ihre Optionen einlösen. Ein weiterer Punkt betrifft die Festlegung der Managergehälter. Bisher bestand für den Aufsichtsrat die Möglichkeit, Entscheidungen über Vorstandsvergütungen an einen Ausschuss zu delegieren. Diese Möglichkeit besteht nicht mehr. Die Vorstandsvergütungen dürfen nur noch durch den Aufsichtsrat eines Unternehmens beschlossen werden. Hierzu wurde das bestehende Gesetz § 107 Abs. 3 Satz 3 AktG geändert. Zudem wird die Haftung der Aufsichtsratsmitglieder hinsichtlich der Festlegung der Vorstandsvergütung verschärft. Setzt der Aufsichtsrat keine angemessene Vergütung für den Vorstand fest, ist er gegenüber der Gesellschaft schadenersatzpflichtig.
140
Vgl. O.V., 2008
141
Vgl. Boecken/Düwell/Htimmerich, 2007, S. 119
70
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Zusätzlich ergeben sich für die Vorstandsmitglieder Änderungen, die den Prüfungsausschuss der Aktiengesellschaft wechseln wollen. Für sie gilt eine „Cooling-Off-Periode", die besagt, dass Personen die in den letzten drei Jahren Mitglied des Vorstands waren, nicht in den Ausschuss wechseln dürfen (§ 107 Abs. 3 Satz 4 AktG n. F.). Weiterhin sieht das Gesetz eine zweijährige Karenzzeit vor, sollte ein Vorstandsmitglied in den Aufsichtsrat wechseln. Bei strittigen Punkten wie bei der Begrenzung der Managergehälter konnte keine Einigung erzielt werden. Auch der Finanzminister der USA hält nichts von einer gesetzlichen Begrenzung der Managergehälter. Im Interview sagte er „I don't think our government should set caps on compensation." 142 Er unterstützt hingegen „Say-on-Pay". 143 Bei „Say-on-Pay" geht es um das Mitspracherecht der Aktionäre eines Unternehmens bei der Vorstandsvergütung. In den USA wird diese Form der Mitsprache immer beliebter. Seit Ende Januar 2009 stellten dort mehr als 70 institutionelle Investoren, kirchliche Gruppen und Stiftungen an über 100 Aktiengesellschaften die Forderung, Aktionären künftig ein Mitspracherecht bei der Entlohnung der Vorstände einzuräumen. 144
10
Kategorisierung von Aktienoptionsprogrammen
10.1
Überblick
Aktienoptionsprogramme lassen sich zu den Long-Term Incentives einordnen. Long-Term Incentives können in Programme mit aktienbasierter und kennzahlenbasierter Managementvergütung unterschieden werden. Die aktienbasierte Managementvergütung kann wiederum in reale als auch virtuelle Eigenkapitalinstrumente eingeteilt werden. 145 Danach kann weiter differenziert werden, ob die Systeme eher einen optionsbasierten oder eher einen aktienbasierten Charakter aufweisen. Bei einer Entlohnung mit realen Eigenkapitalinstrumenten erfolgt die Vergütung mittels Aktien (Restricted Stocks), Aktienoptionen oder leistungsorientierten Aktienüberlassungen (Performance Shares). Die Vergütung mittels Aktienoptionen ist durch eine Einbettung des
142
Vgl. Christie/Homan, 2009
143
Vgl. ebd.
144
Vgl. O.V., 2009
145
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 129
10 Kategorisierung von Aktienoptionsprogrammen
71
Optionsrechts in Wandelschuldschuldverschreibungen bzw. Optionsanleihen oder auch ausschließlich mit „Reinen Optionen" möglich. 146 Reale Eigenkapitalinstrumente werden mit Hilfe von Eigenkapitalkomponenten in Form von Aktien oder Bezugsrechten auf Aktien bedient. Die begünstigten Mitarbeiter werden somit in die Stellung eines Gesellschafters versetzt bzw. erhalten durch die Aktienoptionen oder die Performance Shares das Recht, später eine solche zu erlangen. Dagegen erfolgt bei der Vergütung mit virtuellen Eigenkapitalinstrumenten eine Bedienung in Geld. Virtuelle Eigenkapitalinstrumente bilden die Funktionsweise von echten Optionsoder Aktienprogrammen nach. Dies bedeutet, dass die Bemessung des Gewinns sich ebenfalls am Aktienkurs orientiert. Zu den häufig verwendeten virtuellen Eigenkapitalinstrumenten gehören die Stock Appreciation Rights, die auch als Wertsteigerungsrechte bezeichnet werden. Sie funktionieren wie reale Aktienoptionen. Der Gewinn wird jedoch nicht in Aktien, sondern in bar ausbezahlt. Die Verwendung der aktienbasierten Vergütung in Form von realen und virtuellen Eigenkapitalinstrumenten erfolgt i.d.R. nur in börsennotierten Unternehmen. Dies hat den Hintergrund, dass diese Form von Long-Term Incentives sich an den Börsenkurs der Aktie des Unternehmens orientiert. 147 Die Abbildung 10.1 fasst die Ausführungen bildlich zusammen. Im Gegensatz dazu sind Unternehmen, die nicht börsennotiert sind, auf kennzahlenorientierte Instrumente angewiesen. Kennzahlenbasierte Programme werden ebenfalls von börsennotierten Unternehmen verwendet. Kennzahlenbasierte Instrumente unterteilen sich in Phantom-Pläne und andere cash-basierte langfristige Vergütungen. Im Mittelpunkt der folgenden Darlegungen stehen die aktienbasierten Vergütungen, insbesondere die Aktienoptionen. Die Phantom-Stocks werden in den Ausführungen mit eingeschlossen, da sie sich in ihrer Ausgestaltung stark an die aktienbasierte Managementvergütung anlehnen.
146
Vgl. Dietz, 2004, S. 45
147
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 129f.
72
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Long-Term Incentives
aktienbasierte M anagementvergütung
reale Eigenkapitalinstrumente
kennzahlenbasierte M anagementvergütung
virtuelle Eigenkapitalinstrumente
Restricted Stock
Restricted Stock Units
Performance
Performance
Shares
Share Units
Aktienontionen
Wandelschuldverschreibung
Phantom Stocks
andere cashbasierte Pläne
Bonusbank
Performance Cashnläne
SAR
Reine Optionen 1
Abb. 10.1: Kategorisierung von
lo.i.i
Phantom-Pläne
Aktienoptionsprogrammen148
Wandelschuldverschreibung und Optionsanleihen
Die Wandelschuldverschreibung (engl, convertible bonds) verbrieft neben den Rechten normaler Schuldverschreibungen das Recht nach einer bestimmten Frist, die Schuldverschreibung in Aktien zu wandeln. Sie besteht demzufolge aus zwei Komponenten, der Schuldverschreibung und dem Wandelrecht. 149 Die Schuldverschreibung wird verzinst. Die Verzinsung richtet sich dabei in der Regel nach der langfristigen Bundesanleihe. Das Wandelrecht ermöglicht dem Inhaber der Schuldverschreibung, diese nach Ablauf einer bestimmten Frist in Aktien der Gesellschaft zu tauschen. Das Umtauschverhältnis wird zu Beginn in den Emissionsbedingungen festgelegt. Der Wandlungspreis, den der Inhaber der Wandelschuldverschreibung zu zahlen hat, ergibt sich 148 149
In Anlehnung an: Kramarsch, 2004, S. 130 Vgl. Kramarsch, 2004, S. 54
10 Kategorisierung von Aktienoptionsprogrammen
73
aus der Differenz zwischen Wandlungspreis und Nennwert. Nimmt der Inhaber der Schuldverschreibung sein Wandlungsrecht nicht wahr, wird ihm die Schuldverschreibung zurückgezahlt.' 50 Nimmt er sein Recht auf Wandlung wahr, wird der Inhaber zum Aktionär und die Schuldverschreibung geht unter. Die Optionsanleihe ist der Wandelschuldverschreibung ähnlich. Der Inhaber der Anleihe ist ebenso zum Bezug von Aktien der Gesellschaft berechtigt. Jedoch verfällt die Optionsanleihe nicht, wenn der Begünstigte diese einlöst. Die Anleihe besteht bis zur Tilgung durch die Gesellschaft fort. 151 Die Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen im Rahmen der Einführung eines Aktienoptionsprogramms war in Deutschland bis zur Einführung des KonTraG sehr beliebt. War es doch die einzige Möglichkeit über diesem Wege Aktienoptionen an seine Mitarbeiter und Führungskräfte auszugeben. Heute gilt diese Form der Behebung als kompliziert und rechtlich zu aufwendig. 152 Mit der Einfuhrung des KonTraG ist es möglich geworden reine Optionen an Mitarbeiter und Führungskräfte auszugeben. Bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen und Optionsanleihen sind aktienrechtliche Bestimmungen zu beachten, die unten näher erläutert werden. Für die Aktiengesellschaft, die die Wandel- oder Optionsanleihe im Rahmen eines Aktienoptionsplans ausgibt, stellt sie ein Mittel der Fremdfinanzierung dar. Nachteilig ist jedoch die damit verbundene Kapitalverwässerung fiir die Altaktionäre. Als vorteilhaft ist zu nennen, dass bei der Ausübung des Wandlungsrechts, das Fremdkapital in Eigenkapital umgewandelt wird und somit die Tilgung der Anleihe entfallt. Jedoch ist anzumerken, dass der Zweck von Aktienoptionsprogrammen in der Erhöhung des Unternehmenswertes und somit einer Steigerung des Aktienkurses liegt.153 Bei der Ausgabe einer Wandel- oder Optionsanleihe ist gem. § 221 Abs. 1 S. 1 AktG ein Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss der Hauptversammlung notwendig. Der Beschluss benötigt eine mindestens Drei-Viertel-Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Die Zustimmung bzw. Ermächtigung gilt maximal für einen Zeitraum von fünf Jahren. Der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrates haben den Beschluss sowie einen Bericht über die Ausgabe der Wandelschuldverschreibungen beim zuständigen Handelsregister zu hinterlegen. Der Bericht hat wesentliche Informationen über die Anleihe-
150
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 54
151
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 67
152
Vgl. ebd, S. 69
153
Vgl. ebd., S. 67
74
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
konditionen sowie Angaben über den Grund des Bezugsrechtsausschlusses zu umfassen (§ 221 Abs. 4 S. 2 i. V. m § 186 Abs. 4 S. 2 AktG). 154
10.1.2
Reine Optionen
Reine Optionen (engl, naked warrants) entsprechen dem allgemeinen Wesen von Optionen. Aktienoptionen berechtigen: • • • • •
zum Kauf (Call) oder Verkauf (Put), einer bestimmten Anzahl von Aktien (Basiswert), zu einem festgelegten Preis (Basispreis), zu einem bestimmten Zeitpunkt (europäische Option) oder innerhalb einer festgelegten Frist (amerikanische Option).
Es gibt zwei verschiedene Arten von Optionen, die Kaufoption (Call Option) und die Verkaufsoption (Put Option). 155 Die Kaufoption beinhaltet das Recht zum Kauf einer Aktie zu einem festgelegten Preis. Die Verkaufsoption beinhaltet das Recht zum Verkauf einer Aktie zu einem festgelegten Preis. Bei der Kaufoption partizipiert der Käufer an Kurssteigerungen, wenn der Aktienkurs über dem festgelegten Kaufpreis der Option liegt. Der Optionsinhaber kann die Aktie vom Aussteller der Option zu einem niedrigeren Kurs als dem derzeit aktuellen Aktienkurs zu beziehen. Die Differenz zwischen dem Aktienkurs und dem vorher festgelegten Kaufpreis ist der Gewinn. Genau umgekehrt verhält es sich bei einer Verkaufsoption. Der Optionsinhaber ist dann im Gewinn, wenn der festgelegte Kaufpreis der Option höher ist als der aktuelle Aktienkurs. Die Aktie kann vom Optionsinhaber zu dem niedrigeren Preis an der Börse erworben werden und zu dem über dem aktuellen Aktienkurs liegenden Preis verkauft werden. Die Differenz stellt den Optionsgewinn dar. 156 Die folgende Abb. zeigt den Unterschied zwischen einer Kauf- und Verkaufsoption.
154
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 68
155
Auf die Optionstypen „short" und „long" wird nicht näher eingegangen, da diese in der Praxis für Aktienoptionsprogramme keine Rolle spielen.
156
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 135f.
75
10 Kategorisierung von Aktienoptionsprogrammen
Verkaufsoption
Kaufoption
Gewinn
Gewinn Basispreis Basispreis
Aktienkurs
Aktienkurs
II
. Zone I
Ausübungsfenster/ \
©
Dividendenbezug
ιΨ
Ψ
Ψ
©
Haltefrist
®
4HKZXZD-EZJ^cjllerstmalig mögliTtatsächliche letztmalig che OptionsausOptionsausümögliche übung/Vesting bung/Exercise OptionsausDate Date iibung/Expiry j Optionsfrist i.e.S. Date Laufzeit der Option/Optionsfrist i.w.S.
Abb. 11.5: Phasen eines
©
© -•Zeit
erstmalig zulässiger Verkauf der Aktien
tatsächlicher Verkauf der Aktien
^
Aktienoptionsprogrammslm
Ein wesentliches Element bei der Ausgestaltung eines Aktienoptionsprogramms bildet die Gesamtlaufzeit auch Optionsfrist genannt. Die Laufzeit der Option bestimmt den Zeitraum von der erstmaligen Einräumung bis zur letztmaligen möglichen Ausübung der Aktienoption. Die Länge der Laufzeit ist so zu wählen, dass eine langfristige Verringerung des PrinzipalAgent-Konflikts erreicht werden kann. 204 In der Praxis wird meist eine Laufzeit von fìinf bis zehn Jahren vereinbart. Im Punkt eins der Abb. erhält der Begünstigte seine Aktienoptionen zugeteilt. Die Bezugsrechte werden ihm zu diesem Zeitpunkt in sein Depot eingebucht. Meist ist im Aktienoptionsprogramm eine Sperrfrist vereinbart, die zur Folge hat, dass der Begünstigte seine Aktienoptionen erst nach Ablauf dieser Frist ausüben darf (Punkt 2). Des Weiteren sind in den Aktienoptionsprogrammen i.d.R. Ausübungsfenster (trading windows) oder bereits im Voraus festgelegte Zeiträume (closed periods) vorgesehen, die eine Ausübung der Aktienoptionen diesen Zeitpunkten festlegen bzw. einschränken. Der dritte Zeitpunkt bildet den Tag der tatsächlichen Ausübung der Option durch den Begünstigten ab. An diesem Tag gehen die Bezugsrechte mit der Ausübung der Optionen unter und der Begünstigte erhält entweder seine vereinbarten Aktien (reale Aktienoptionen) oder eine Barzahlung (Stock Appreciation Rights). Übt der Begünstigte seine Aktienoptionen nicht innerhalb der Ausübungsfrist aus, so verfallen diese. 205
203
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004
204
Vgl. Engelsing, 2001, S. 60
205
Vgl. Friedrichsen, 2000, S. 25
11 Kriterien zur Ausgestaltung von Aktienoptionsprogrammen
89
Ferner ist in den Aktienoptionsprogrammen meist eine Haltfrist vorgesehen. In diesem Zeitraum besteht ein Verbot für den Begünstigten seine erhaltenen Aktien zu verkaufen. Trotz dieses Verbots hat der Begünstigte bis zum Tag der Veräußerung seiner Aktien einen Anspruch auf eine Dividende und die Ausübung seiner Stimmrechte.206 Die beiden letzten Zeitpunkte fünf und sechs stellen den erstmals möglichen bzw. tatsächlichen Tag des Verkaufs der Aktien dar.
Sperrfrist Die Sperrfrist charakterisiert den Zeitraum der Einräumung bis zum Zeitpunkt der erstmalig möglichen Ausübung der Aktienoption. Während der Sperrfrist kann die Aktienoption nicht ausgeübt werden. Bei einer Finanzierung des Aktienoptionsprogramms durch eine bedingte Kapitalerhöhung oder durch den Erwerb eigener Aktien ist eine Sperrfrist von mindestens zwei Jahren festzuschreiben (§ 193 Abs. 2 Nr. 4 i.V.m. § 71 Abs. 1 Nr. 8). Die Sperrfrist sollte nicht länger als fünf Jahre betragen, da die Mitglieder des Vorstands nur auf fünf Jahre bestellt (§ 84 Abs. 1 S. 1 AktG) werden und für den Vorstand innerhalb der Laufzeit des Aktienoptionsprogramms die Möglichkeit einer Optionsausübung bestehen sollte. Die Verwendung von gestaffelten Sperrfristen ist ebenfalls möglich. Der Optionsteilnehmer kann beispielsweise ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Einräumung: • • •
nach zwei Jahren 30 Prozent der Optionen, nach drei Jahren 40 Prozent der Optionen, nach vier Jahren 30 Prozent der Optionen ausüben.207
Die folgende Abb. stellt die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Verwendung der Sperrfristen dar.
206
Vgl. Engelsing, 2001, S. 61
207
Vgl. Bösl, 2004, S. 108
90
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems CLIFF VESTING
RATABLE VESTING
Die Aktienoptionen können vollständig nach Ablauf der Sperrfrist ausgeübt werden.
Die Aktienoptionen können nach Ablauf der Sperrfrist jedes Jahr gestaffelt ausgeübt werden.
ausübbares Volumen
100°,
ausübbares Volumen iί
Ausübungs1 zeitraum
SperrThst
4
100° /
Ausübungs-
Sperr-^ frist
Zeitraum
70°/ .1
: -
30°/ 2
3
4
5
Zeit
1
2
3
4
5
Zeit
Abb. 11.6: Varianten von Sperrfristen20*
In Deutschland findet die Ausübung der Aktienoption meist relativ zeitnah zum Ende der Sperrfrist statt. Eine zeitlich gestaffelte Ausübung könnte die Führungskräfte zu einer längeren Haltefrist der Aktienoptionen motivieren und damit eine längere Bindung des Mitarbeiters im Unternehmen bewirken. 209
Ausübungszeiträume und Haltefristen Damit gegenüber den Teilnehmern am Aktienoptionsprogramm kein Insiderverdacht aufkommen kann, ist es sinnvoll, die Ausübung der Optionen erst nach Ablauf der jeweiligen Sperrfrist und nur innerhalb bestimmter Zeiträume zuzulassen. Diese Einschränkung der Ausübung beinhaltet zwei mögliche Varianten. Zum einen besteht die Möglichkeit der Verwendung von Ausübungsfenstern (Trading window) und zum anderen die der Blockperioden (Block periods). Bei der Variante der Ausübungsfenster, wird die Ausübung der Aktienoption auf bestimmte Zeiträume im Jahr beschränkt. Das Konzept geht davon aus, dass ein Informationsgleichgewicht zwischen allen Marktteilnehmern in diesen Zeiträumen besteht. Ausübungsfenster umfassen meist fünf bis 21 Handelstage nach kritischen Berichtsterminen wie Veröffentlichung von Quartalsberichten oder Jahresabschlüssen. 210 Beispielsweise verwendet die Metro AG fur ihr Aktienprämienprogramm ein Ausübungsfenster. Das vom Unternehmen festgelegte Ausübungsfenster begrenzt die Ausübung der Aktienoption durch den Begünstigten auf acht Wochen nach dem Tag der Hauptversammlung.
In Anlehnung an Kramarsch, 2004, S. 180 209
Vgl. ebd., S. 180
210
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 88
11 Kriterien zur Ausgestaltung von Aktienoptionsprogrammen
91
Bei der zweiten Möglichkeit, den Blockperioden, wird davon ausgegangen, dass im Gegensatz zum Konzept der Ausübungsfenster ein Informationsungleichgewicht in bestimmten Zeiträumen zwischen allen Marktteilnehmern besteht. Die Führungskräfte besitzen aufgrund ihrer Stellung im Unternehmen einen „Informationsvorsprung" gegenüber den anderen Marktteilnehmern. Die Blockperioden umfassen in Deutschland meist ein bis vier Wochen vor der Veröffentlichung von Informationen z.B. Quartalsberichte. In diesen Zeitspannen ist es den Teilnehmern eines Aktienoptionsprogramms untersagt, ihre Aktienoptionen auszuüben. 211 Weiterhin kann eine Haltefrist im Aktienoptionsprogramm vereinbart werden. Die Haltefrist gibt den Zeitraum an, in dem die Aktien, die die Führungskraft nach Ausübung der Optionen erhalten haben, nicht verkauft werden dürfen. Die Aktien werden dann z.B. in einem Sperrdepot aufbewahrt. Trotzdem ist der Aktieninhaber während der Haltefrist dividenden- sowie stimmberechtigt. 212
11.5
Eigeninvestment und Cap
Ein optimal ausgestaltetes Aktienoptionsprogramm sollte unbedingt ein Eigeninvestment durch die Teilnehmer voraussetzen. Die Ausgestaltung des Eigeninvestments kann in unterschiedlichen Varianten erfolgen. Die BASF AG hat als Eigeninvestment z.B. festgelegt, dass die Mitarbeiter ein Investment in Aktien des eigenen Unternehmens zu tätigen haben. Die Teilnehmer am Optionsprogramm müssen in eine Aktie investieren um später vier Optionen zu erhalten. Ferner besteht die Möglichkeit, die Höhe des Eigeninvestments auf die unterschiedlichen Ebenen des Managements bzw. der Führungskräfte zu staffeln. Mit sinkender Verantwortung in der Hierarchieebene vermindert sich i.d.R. die Höhe des Eigeninvestments durch den Begünstigten. 213 Durch das Investment in Aktien und einer damit verbundenen Haltefrist sind die Begünstigten sowohl an den steigenden wie sinkenden Aktienkursen betroffen. Die betreffenden Mitarbeiter und Führungskräfte werden somit auch an den unternehmerischen Risiken beteiligt. Ein weiteres wichtiges Kriterium, das in einem Aktienoptionsprogramm nicht fehlen darf, ist die Verwendung einer Gewinnlimitierung (Cap). Der Corporate Governance Kodex empfiehlt für außergewöhnliche, nicht absehbare Entwicklungen die Festsetzung einer Wertober-
211
Vgl. ebd., S. 88f.
212
Vgl. Engelsing, 2001, S. 61
213
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 234
92
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
grenze. 214 Hierbei wird die Höhe der Zuteilung der Aktienoptionen auf einen bestimmten maximalen Kurswert der Aktienoption begrenzt.
11.6
Dividendenpolitik
Dividendenzahlungen können zu einer negativen Beeinflussung des Aktienkurses fuhren. Ein Beispiel dafür ist die Dividendenpolitik des ehemaligen DAX-30 Unternehmens ALTANA. Durch Ausschüttung einer Dividende von 1,30 Euro, einer Sonderdividende von 33,00 Euro und einer Bonusdividende von 0,50 Euro je dividendenberechtigter Stückaktie 215 kam es im Jahr zu einem erheblichen Kursverfall der Aktie. Der Schlusskurs der Aktie nach dem Tag der Dividendenzahlung betrug nur noch 16,80 Euro nach einen Schlusskurs am Vortag von 46,56 Euro. Zu der hohen Dividendenzahlung kam es, weil das Unternehmen seine Pharmasparte fur 4,6 Mrd. Euro verkaufte und beschlossen hatte, den Verkaufserlös vollständig auszuschütten 216 Der Wert von Aktienoptionen steigt, wenn sich der Aktienkurs des Unternehmens erhöht. Wie im oben genannten Beispiel bereits erwähnt, kann eine Dividendenausschüttung den Aktienkurs des Unternehmens negativ beeinflussen. Für Aktienoptionen wird in der Regel auch kein Dividendenschutz angeboten. 217 Hinzu kommt, dass die Inhaber von Aktienoptionen keinen Anspruch auf die Zahlung einer Dividende haben. Diese Gründe führen dazu, dass der Vorstand keinen Anreiz hat, sich für die Ausschüttung einer möglichst hohen Dividende zu entscheiden. Das Interesse auf eine Dividendenausschüttung zu verzichten ist dementsprechend groß. In der Studie von Lambert, Lanen und Larcker konnte nachgewiesen werden, dass die Einfuhrung eines Aktienoptionsprogramms zu einer Verringerung der Dividendenauszahlung fuhren kann. Grundlage der Untersuchung bildeten die in Zukunft erwarten Dividendenzahlungen. Diese wurden mit Hilfe eines Prognosemodells geschätzt und in Relation zu den tatsächlichen Dividendenzahlungen gesetzt. 2 ' 8 In der Studie von Jolis wurde festgestellt, dass sich der Vorstand durch den Besitz von Aktienoptionen entschließen könnte, frei verfugbare Cashflows fur einen Aktienrückkauf einzusetzen und nicht für eine Dividendenzahlung an die Aktionäre zu verwenden. Jolis untersuchte hierfür die Dividendenpolitik und die durchgeführten Aktienrückkaufe von 324 US-
214
Vgl. DCGK, Abschnitt 4.2.3., 2008
215
Vgl. Mußler, 2007
216
Vgl. ebd.
217
Vgl. Lazar, 2007, S. 51
•y ]
o
Vgl. Lambert/Lanen/Larcker, 1 9 8 9 , S . 4 U f f .
11 Kriterien zur Ausgestaltung von Aktienoptionsprogrammen
93
Unternehmen im Jahr 1993. Die Autorin kam zu dem Ergebnis, dass sich die Wahrscheinlichkeit eines Aktienrückkaufs verstärkt, wenn der Manager im Besitz von Aktienoptionen ist, da dadurch der Aktienkurs steigt. 219 Andere Studien kamen jedoch zu dem Schluss, dass sich die Dividendenausschüttung erhöht, wenn das Management eigene Aktienoptionen besitzt. 220 Die Ergebnisse der einzelnen Studien sind demnach nicht eindeutig. Die Nutzung von freien Cashflows zum Rückkauf von Aktien des Unternehmens ist nicht als negativ für die Anteilseigner zu beurteilen, wenn die erzielte Rendite im Unternehmen höher ist als die Rendite einer alternativen Investition. 221 Um den Vorstand dahingehend zu beeinflussen, eine Dividendenausschüttung nicht zu beschränken, können Aktienoptionspläne so ausgestaltet werden, dass eine Anpassung des Ausübungspreises nach der Dividendenauszahlung erfolgt. 222
11.7
Verwässerungseffekt
Aktionäre partizipieren in zweifacher Hinsicht am Erfolg des Unternehmens. Dabei können die Aktionäre zum einen mit ihrer Aktie und zum anderen durch den an sie ausgeschütteten Gewinn an der Steigerung des Unternehmenswertes teilhaben. Der Verwässerungseffekt entsteht bei der Durchführung einer Kapitalerhöhung beim Altaktionär. Durch eine Kapitalerhöhung werden neue Aktien geschaffen, die durch den Ausschluss des Bezugsrechts vom Altaktionär nicht erworben werden können. Dadurch ist der Unternehmensgewinn auf mehrere neue Aktionäre zu verteilen. Dies hat zur Folge, dass der Anteil des Unternehmensgewinns sich für die Altaktionäre reduziert. Weiterhin kommt es durch den Bezugsrechtsausschluss neben dem Verwässerungseffekt ebenfalls zu einer Verwässerung des Stimmrechts. Diese fallt jedoch meistens gering aus. 223 Der Verwässerungseffekt stellt somit eine wichtige Information über die Kosten der Vergütung für die Aktionäre dar. 224
219
Vgl. Lazar, 2007, S. 51
220
Vgl. DeFusco/Zom/Johnson, 1991, S. 36ff.
221
Vgl. Lazar, 2007, S. 51
222
Vgl. Pellens/Crassselt/Rockholtz, 1998, S. 16
223
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 115
224
Vgl. ebd., S. 120
94
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
12
Möglichkeiten der Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen
Die Einfuhrung von Aktienoptionsprogrammen ist an rechtliche Bedingungen geknüpft, die im Aktiengesetz festgelegt sind. Legt ein Unternehmen ein „echtes" Aktienoptionsprogramm auf, muss es die erforderlichen Aktien des eigenen Unternehmens für die Teilnehmer des Aktienoptionsprogramms bereitstellen. Dazu stehen ihm verschiedene Alternativen offen, die ausführlich erläutert werden.
12.1
Überblick
Das Unternehmen hat die Möglichkeit, das Aktienoptionsprogramm durch eine Kapitalerhöhung zu finanzieren. Dazu stehen ihm drei Möglichkeiten zur Verfügung: die ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182ff. AktG), die genehmigte Kapitalerhöhung (§§ 202ff. AktG) sowie die bedingte Kapitalerhöhung (§§ 192ff. AktG). Neben den verschiedenen Möglichkeiten zur Schaffung junger Aktien aus einer Kapitalerhöhung bestehen für das Unternehmen noch weitere Möglichkeiten, um sein Aktienoptionsprogramm mit Aktien zu unterlegen. Dazu gehören der Erwerb eigener Aktien und die Kooperation mit Dritten. Die nachfolgende Übersicht gibt einen ersten Überblick über die einzelnen Varianten.
Möglichkeiten der Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen X mit Kapitalerhöhung r bedingte Kapitalerhöhung
ΓΖΓΓΙ._
(§§ 192fr. AktG)
ohne Kapitalerhöhung
genehmigte Kapitalerhöhung (§§ 202ff. AktG)
TL
ordentliche Kapitalerhöhung (§§ 182ff. AktG)
Erwerb eigener Aktien (§ 71 Abs l . N r . 2 bzw. Nr. 8 AKG)
Eignung der Finanzierung für ein Aktienoptionsprogramm nimmt ab Abb. 12.1: Möglichkeiten zur Finanzierung eines
225
In Anlehnung an Dietz, 2004, S. 58
Aktienoptionsprogramms2'
Kooperation mit Dritten
12 Möglichkeiten der Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen
12.2
95
Bedingte Kapitalerhöhung
Die bedingte Kapitalerhöhung erfolgt durch einen Beschluss der Hauptversammlung und ist zweckgebunden. § 192 Abs. 2 AktG beschränkt die Zwecke wie folgt: • • •
Gewährung von Bezugsrechten an Inhaber von Wandelschuldverschreibungen, Vorbereitung einer Fusion mehrerer Unternehmen, 226 Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung (reine Optionen).
Die Begrenzung der Bezugsrechte auf Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung schließt den Aufsichtsrat als begünstigten Personenkreis aus, da Aufsichtsratsmitglieder weder Arbeitnehmer noch Mitglieder der Geschäftsführung sind. Der Gesetzgeber begründet den Ausschluss damit, dass dieser die Optionsbedingungen nicht für sich selbst festsetzen kann. 227 Mit einer bedingten Kapitalerhöhung wird das Grundkapital nur in dem Ausmaß erhöht, in dem die Inhaber der Aktienoptionen von ihrem Bezugs- und Umtauschrecht auf Aktien Gebrauch machen (192 Abs. 1 AktG). 228 Das Grundkapital erhöht sich im Gegensatz zu einer genehmigten Kapitalerhöhung direkt mit der Ausgabe der Aktien. 229 Die bedingte Kapitalerhöhung gilt als genehmigt, wenn mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals zustimmen. Dies gilt jedoch nur unter der Bedingung, dass die Satzung keine größere Kapitalmehrheit vorsieht (§ 193 Abs. 1 AktG). Des Weiteren haben der Vorstand und der Vorsitzende des Aufsichtsrats den Beschluss über die bedingte Kapitalerhöhung in das Handelsregister anzumelden (§ 195 Abs. 1 AktG). Ist die Eintragung des Beschlusses im Handelsregister erfolgt, kann der Vorstand Aktienoptionen an die Mitarbeiter einräumen. Ist der Begünstigte der Vorstand, erfolgt die Gewährung der Optionen durch den Aufsichtsrat. Die anschließende erforderliche Eintragung der ausgegebenen Aktien in das Handelsregister hat lediglich deklaratorische Bedeutung. 230 Ein Vorteil der bedingten Kapitalerhöhung besteht darin, dass diese keiner zeitlichen Begrenzung unterliegt, im Gegensatz zu einer genehmigten Kapitalerhöhung, die auf fünf Jahre beschränkt ist (§§ 202, 221 AktG). 231 Demzufolge ist diese Variante der Kapitalerhöhung besonders für lang laufende Aktienoptionsprogramme geeignet. Weiterhin besteht keine 226
§ 192 Abs. 2 Nr. 2 AktG gilt nicht für Aktienoptionsprogramme.
227
Vgl. Bösl, 2004, S. 103
228
Vgl. Engelsing, 2001, S. 71
229
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 73
230
Vgl. Einem/Pajunk, 2002, S. 93f.
231
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 74
96
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Möglichkeit, dass der Beschluss für die bedingte Kapitalerhöhung später rückgängig oder geändert werden kann (§ 192 Abs. 4 AktG). Bei einer bedingten Kapitalerhöhung steht den Altaktionären kein Bezugsrecht der neuen Aktien zu. Durch die Ausgabe neuer Aktien und den Ausschluss der Altaktionäre vom Bezugsrecht, erhöhen sich die im Umlauf befindlichen Aktien. Dies hat zur Folge, dass der Anteil der Stimmrechte der Altaktionäre sinkt. Des Weiteren vermindert sich das Vermögen der Altaktionäre, da die Teilnehmer des Aktienoptionsprogramms die neuen Aktien zu einem niedrigeren Kurs als den aktuellen Börsenkurs zeichnen können (Verwässerungseffekt). Aus diesen genannten Gründen werden die Altaktionäre erst dem Hauptversammlungsbeschluss zustimmen, wenn essentielle Angaben über das Aktienoptionsprogramm, wie z.B. die Anzahl der gewährten Bezugsrechte, bekannt gegeben werden. Der Gesetzgeber unterteilt die bedingte Kapitalerhöhung nach ihrem ausgegebenen Zweck. Für die Ausgabe von Wandelschuldverschreibung oder reinen Optionen bestehen unterschiedliche Regelungen. 232 Für Wandel- und Optionsanleihen müssen nach § 193 Abs. 2 Nr. 1-3 AktG im Beschluss der Hauptversammlung wesentlichen Eckpunkte des Aktienoptionsplans festgehalten werden. Diese Angaben lauten wie folgt: • • •
Zweck der bedingten Kapitalerhöhung, Kreis der Berechtigten, Angabe des Ausgabebetrages bzw. die Grundlagen, nach denen der Ausgabebetrag berechnet wird.
Weiterhin muss ein Bezugsrechtsausschluss der Altaktionäre nach § 221 Abs. 4 AktG i.V.m. § 186 Abs. 3 Satz 4 AktG mit einer Drei-Viertel-Mehrheit des vertretenen Grundkapitals vereinbart werden. Dabei ist zu beachten, dass ein Ausschluss der Bezugsrechte im Interesse der Gesellschaft liegen muss. Der Bezugsrechtsausschluss muss geeignet und notwendig sein sowie in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten Ziel stehen. 233 Ein Ausschluss des Bezugsrechts ist insbesondere dann rechtens, wenn die Kapitalerhöhung nicht zehn Prozent des Grundkapitals übersteigt. Des Weiteren darf der Basispreis den Aktienkurs nicht wesentlich unterschreiten (§ 186 Abs. 3 Satz 4 AktG). Ferner ist der Hauptversammlung durch den Vorstand ein schriftlicher Bericht über den Grund des Bezugsrechtsausschlusses nach § 186 Abs. 4 S. 2 AktG vorzulegen. 234 Außerdem gilt zu beachten, dass der Umfang der bedingten Kapitalerhöhung die Hälfte des zum Zeitpunkt des Beschlusses vertretenen Grundkapitals nicht übersteigen darf, gemäß § 192 Abs. 3 Nr. 1 AktG.
232
Vgl. Dietz, 2004, S. 59f.
233
Vgl. Engelsing, 2001, S. 73
234
Vgl. Winter, 2000, S. 192
12 Möglichkeiten der Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen
97
Entscheidet das Unternehmen, sein Aktienoptionsprogramm in Verbindung mit reinen Optionen aufzulegen, müssen im Hauptversammlungsbeschluss zusätzlich zu den in § 193 Abs. 2 S. 1-3 AktG genannten Eckpunkten weitere Angaben festgeschrieben werden. Nach § 193 Abs. 2 S. 4 AktG sind im Beschluss der Hauptversammlung anzugeben: • • • • •
die Aufteilung der Bezugsrechte, die an Arbeitnehmer oder Mitglieder der Unternehmensfuhrung gewährt werden, Erfolgsziele, Erwerbszeiträume, Ausübungszeiträume und Sperrfristen.
Das Aktiengesetz lässt bezüglich der Ausgestaltung der Erfolgsziele dem Unternehmen einen weitgehenden Spielraum. Es ist die Nutzung sowohl von absoluten und relativen Erfolgszielen als auch die Verwendung von buchhalterischen Kennzahlen möglich. Des Weiteren müssen die Erwerbs- und Ausübungszeiträume im Beschluss festgelegt werden, um der insiderrechtlichen Problematik hinreichend entgegenzutreten. Weiterhin fordert der Gesetzgeber im Beschluss der Hauptversammlung die Wartezeit für die erstmalige Ausübung anzugeben. Sie beträgt laut Aktienrecht mindestens zwei Jahre. Ein neuer Gesetzesentwurf sieht eine längere Frist vor. Außerdem gilt zu beachten, dass der Umfang der bedingten Kapitalerhöhung zehn Prozent des zum Zeitpunkt des Beschlusses vertretenen Grundkapitals gemäß § 192 Abs. 3 Nr. 1 AktG nicht übersteigen darf. Des Weiteren ist hier im Gegensatz zu einer Beschaffung von Aktien durch eine Wandeloder Optionsanleihe kein gesonderter Bezugsrechtsausschluss der Altaktionäre erforderlich. Folglich entfallen ebenfalls die Berichtspflichten des Vorstands gegenüber der Hauptversammlung nach §186 Abs. 4 S. 2 AktG. Im Interesse der Transparenz und der Publizität sollte jedoch auf eine umfassende Berichterstattung nicht verzichtet werden. 235 Diese Form der Kapitalerhöhung wird häufig gewählt, weil eigene Aktien nicht am Markt zurückgekauft werden müssen und dies die Liquidität des Unternehmens schont. Die eben ausgeführten Darstellungen über die bedingte Kapitalerhöhung in Verbindung mit reinen Optionen und Wandelschuldverschreibungen haben gezeigt, dass diese eine geeignete Maßnahme zur Finanzierung von lang laufenden Aktienoptionsprogrammen darstellen. Des Weiteren ist die Behebung von reinen Optionen der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen vorzuziehen, da hier kein Bezugsrechtsausschluss notwendig ist und damit das Verfahren unkomplizierter ist.
235
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 75f.
98
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
12.3
Genehmigte Kapitalerhöhung
Die genehmigte Kapitalerhöhung nach §§ 202ff. AktG stellt eine weitere Möglichkeit dar, neue Aktien im Rahmen eines Aktienoptionsprogramms zu beschaffen. Der Vorstand wird durch die Satzung oder einen Hauptversammlungsbeschluss mit Drei-Viertel-Mehrheit für längstens fünf Jahre ermächtigt, das Grundkapital bis zu einem bestimmten Betrag durch Ausgabe neuer Aktien gegen Einlage zu erhöhen. Diese Ermächtigung erfordert eine Satzungsänderung. Die Satzungsänderung erfordert nach § 181 AktG die Eintragung in das Handelsregister. Der Nennbetrag, um dass das Grundkapital erhöht werden kann, darf nach § 202 Abs. 3 S. 1 AktG die Hälfte des Grundkapitals nicht übersteigen. Bei der Durchführung der genehmigten Kapitalerhöhung entscheidet der Vorstand über den Inhalt und die Bedingungen der Kapitalerhöhung, soweit der Ermächtigung nicht gesetzliche oder satzungsmäßige Bestimmungen entgegenstehen. Die Entscheidungen des Vorstands bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrates, gem. 204 Abs. 1. S 2 AktG. Damit wird die Gefahr eines möglichen Insidergeschäfts durch den Vorstand vermieden. 236 Das Bezugsrecht der Altaktionäre ist per se nicht ausgeschlossen. Ein Ausschluss des Bezugsrechts der Altaktionäre ist unabdingbar für die Auflegung eines Aktienoptionsprogramms im Unternehmen. Der Vorstand kann nach § 203 Abs. 2 AktG ermächtigt werden, die Altaktionäre vom Bezugsrecht auszuschließen, sodass sinngemäß die Bestimmungen des § 186 Abs. 3 und Abs. 4 AktG anzuwenden sind. Die zeitliche Einschränkung der Ermächtigung des Vorstands auf maximal fünf Jahre ist als nachteilig bzw. problematisch anzusehen. Die Kapitalerhöhung kann nur in diesem Zeitraum durchgeführt werden. Demzufolge dürfen die Sperr- und Ausübungsfrist der ausgegebenen Bezugsrechte fünf Jahre nicht überschreiten. Aktienoptionsprogramme sollten jedoch eine längere Laufzeit als fünf Jahre aufweisen, um einen langfristigen Anreizcharakter zu erzielen.237 Des Weiteren ist es bei Aktienoptionsprogrammen mit einer längeren Laufzeit als fünf Jahre erforderlich, vor Ablauf des Ermächtigungsbeschlusses eine neue genehmigte Kapitalerhöhung von der Hauptversammlung beschließen zu lassen. Dabei ist die Hauptversammlung nicht an frühere Beschlüsse gebunden. Dies hat zur Folge, dass bei der Einführung eines Aktienoptionsprogramms die Führungskräfte keine absolute Sicherheit hinsichtlich der Bereitstellung der notwendigen Anzahl an Aktien haben. 238 Weiterhin ist in der Praxis die genehmigte Kapitalerhöhung für Aktienoptionsprogramme kaum geeignet, da erst mit der Eintragung der Durchführung der Erhöhung des Grundkapi-
236
Vgl. Engelsing, 2001, S. 70
237
Vgl. Engelsing, 2001, S. 71
238
Vgl. ebd., S. 71
12 Möglichkeiten der Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen
99
tals in das Handelsregister, die Kapitalerhöhung wirksam wird (gem. § 189 AktG). Die neuen Aktien dürfen an die Führungskräfte demzufolge erst nach dieser Eintragung in das Handelsregister ausgegeben werden (gem. §191 S. 1 AktG). Alle neuen Aktien, die vor der Eintragung ausgegeben wurden, sind nichtig (gem. §191 S. 2 AktG). Für die Teilnehmer am Aktienoptionsprogramm besteht hiermit die Gefahr, dass sie bei einer Optionsausübung keine neuen Aktien erhalten, wenn eine Eintragung über die Durchführung der Kapitalerhöhung in das Handelsregister noch nicht erfolgt ist.239 Die beschriebenen Anforderungen zur Durchführung einer genehmigten Kapitalerhöhung haben gezeigt, dass diese Form der Kapitalerhöhung zur Bedienung eines Aktienoptionsprogramms grundsätzlich geeignet ist. Aufgrund der zeitlichen und praktischen Einschränkungen ist die genehmigte Kapitalerhöhung jedoch zur Finanzierung eines Aktienoptionsprogramms weniger geeignet.
12.4
Ordentliche Kapitalerhöhung
Eine Möglichkeit, die ausgegebenen Bezugsrechte mit neuen Aktien zu bedienen, ist eine ordentliche Kapitalerhöhung gegen Einlage nach §§ 182ff. AktG durchzufuhren. Die Hauptversammlung muss die ordentliche Kapitalerhöhung mit einer Drei-ViertelMehrheit des vertretenen Grundkapitals beschließen. Der Beschluss und die Durchführung zur Erhöhung des Grundkapitals sind vom Vorstand und dem Aufsichtsrat des Unternehmens im Handelsregister anzumelden. Weiterhin ist ein Bezugsrechtsausschluss für Altaktionäre nach § 186 AktG sowie ein schriftlicher Bericht des Vorstands über den Grund des Ausschlusses durch die Hauptversammlung erforderlich. Der Hauptversammlungsbeschluss über den Ausschluss des Bezugsrechts beinhaltet keine Sondervorschriften, die eine Ausgabe an die Teilnehmer des Aktienoptionsprogramms erleichtert. Damit werden höhere formelle und materielle Anforderungen an die Beschlüsse gestellt. 240 Des Weiteren ist es als nachteilig anzusehen, dass der genaue Betrag der Kapitalerhöhung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung durch die Hauptversammlung feststehen muss. 241 Bei der Einfuhrung eines Aktienoptionsprogramms ist aber noch nicht bekannt, welche Anzahl an Aktienoptionen der Programmteilnehmer ausüben wird. Somit lässt sich bei der Einführung des Aktienoptionsprogramms noch nicht mit Sicherheit die Anzahl der benötigten Aktien feststellen, die zur Bedienung der Aktienoptionen erforderlich sind.
239
Vgl. Kau/Leverenz, 1998, S. 2273
240
Vgl. Kau/Leverenz, 1998, S. 2273
241
Vgl. Engelsing, 2001, S. 69
100
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problems besteht einen Mindest- und einen Höchstbetrag oder nur einen Höchstbetrag im Hauptversammlungsbeschluss festzulegen. Der Beschluss über die genehmigte Kapitalerhöhung muss jedoch dann zusätzlich eine Zeichnungsfrist von sechs Monaten beinhalten. 242 Durch das Selbstzeichnungsverbot nach § 56 AktG ist die Übernahme der neuen Aktien durch das Unternehmen, bis ein Bedarf aus dem Aktienoptionsprogramm besteht, allerdings unzulässig. 243 Zwar können die neuen Aktien durch einen Treuhänder übernommen werden, dies gilt in der Praxis aber als unzweckmäßig, da der Treuhänder gemäß § 56 Abs. 3 S. 2 AktG die volle Einlage übernehmen muss. 244 Aufgrund der oben genannten Ausführungen ist die ordentliche Kapitalerhöhung sehr unflexibel und kommt deshalb in der Praxis kaum vor. 245
12.5
Erwerb eigener Aktien
Eine weitere Möglichkeit zur Bedienung eines Aktienoptionsprogramms besteht in der Ausgabe bereits vorhandener Aktien, die das Unternehmen für diesen Zweck erwerben müsste. Der Erwerb eigener Aktien ist grundsätzlich aufgrund der folgenden Regelungen verboten: 246 • • •
Selbstzeichnungsverbot nach § 56 Abs. 1 AktG, Rückgewährungsverbot von Rücklagen nach § 57 Abs. 1 AktG, Verbot des Rückkaufs eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 AktG.
Diese generellen Regelungen zum Verbot des Rückkaufs eigener Aktien begründen sich durch die Erlassung der Notverordnung vom 19.9.1931, welche aufgrund der Erfahrungen aus der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1931 eingeführt wurde. Seinerzeit hatten die Aktiengesellschaften versucht, durch den Rückkauf eigener Aktien den Kursverfall der unternehmenseigenen Aktien zu verhindern. Dies führte bei den Unternehmen im besten Fall zu Liquiditätsschwierigkeiten, im schlechtesten Fall zum Konkurs. 247 Jedoch hat der Gesetzgeber Ausnahmeregelungen (§ 71 Abs. 1 - 8 AktG) erlassen, die den Erwerb eigener Aktien durch das Unternehmen ermöglichen. Der Rückkauf eigener Aktien durch die Gesellschaft ist zum Zweck der Ausgabe von Aktien an Arbeitnehmer nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG oder Führungskräfte nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG erlaubt.
242
Vgl. Kau/Leverenz, 1998, S. 2273 Vgl. Engelsing, 2001, S.69f.
244
Vgl. Klahold, 1999, S. 134
245
Vgl. Klahold, 1999, S. 135
246
Vgl. Engelsing, 2001, S.87f.
247
Vgl. ebd., S. 86
12 Möglichkeiten der Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen
12.5.1
101
Rückerwerb nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG
Der Rückkauf eigener Aktien durch das Unternehmen ist zulässig, wenn die begünstigten Personen in einem Arbeitsverhältnis zu der Gesellschaft oder einem mit ihr verbundenen Unternehmen stehen oder standen und die Aktien zum Erwerb angeboten werden sollen (§ 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG). Durch die Aktienrechtsnovelle von 1959 wurde diese Regelung eingeführt, um die Ausgabe von Belegschaftsaktien an die Arbeitnehmer zu vereinfachen. 248 Nach § 71 Abs. 3 S. 2 AktG müssen die rückerworbenen Aktien innerhalb eines Jahres nach ihrem Erwerb durch das Unternehmen an die Begünstigten weitergegeben werden. Der Umfang dieser Deckungsmaßnahme darf zehn Prozent des Grundkapitals nicht übersteigen (§ 71 Abs. 2 S. 1 AktG). Dabei ist zu beachten, dass diese zehn Prozent sowohl für die erworbenen Aktien als auch für die bereits erworbenen und noch im Unternehmen befindlichen Aktien gelten. Für den Rückkauf eigener Aktien und die Ausarbeitung der Bedingungen ist einzig der Vorstand zuständig. Er kann ohne die Zustimmung der Hauptversammlung den Aktienrückkauf gemäß der Leitungskompetenz aus § 76 Abs. 1 AktG beschließen. 249 Der Rückkauf eigener Aktien ist für die Bedienung von Aktienoptionsprogrammen geeignet, wenn das Aktienoptionsprogramm ausschließlich für den Vorstand nachgeordneter Führungsebenen aufgelegt werden soll. Diese Deckungsmaßnahme ist für die Mitglieder des Vorstands nicht geeignet, da sie nicht als Arbeitnehmer des Unternehmens anzusehen sind. 250 Unter Arbeitnehmer werden nur diejenigen Personen verstanden, die weisungsgebunden sind. Die Mitglieder des Vorstandes zeichnen sich jedoch nicht durch ihre Weisungsgebundenheit aus. Vielmehr liegt in ihrer Verantwortung das Unternehmen zu leiten. Demnach besitzen sie nicht die Eigenschaft des Arbeitnehmers und sind nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG nicht berechtigt, Aktien zu erhalten. 2 " Der Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 2 AktG ist fur Aktienoptionsprogramme, die als Bezugsberechtigte den Vorstand vorsehen, nicht geeignet, da der Gesetzgeber den Kreis der Teilnehmer auf die Arbeitnehmer beschränkt hat. Auch die zeitliche Beschränkung, dass die erworbenen Aktien innerhalb eines Jahres an die Begünstigten weitergegeben werden müssen, ist als nachteilig aufzufassen. Aufgrund des kurzen Zeitraums von einem Jahr ist diese Deckungsmaßnahme nicht fur langfristige Aktienoptionsprogramme geeignet. Mit der Einfuhrung des KonTraG im Jahr 1998 wurde die neue Regelung § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG eingeführt, die es Mitgliedern des Vorstands und Führungskräften ermöglicht, an Aktienoptionsprogrammen, die durch den Rückkauf eigener Aktien bedient werden, teilzunehmen. Diese Regelung wird im folgenden Abschnitt näher erläutert.
248
Vgl. ebd., S. 87
249
Vgl. Klahold, 1999, S. 184
250
Vgl. Engelsing, 2001, S. 88
251
Vgl. ebd., S. 88
102
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
12.5.2
Rückerwerb nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG
Mit Einfuhrung des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG ist der Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft gesetzlich erleichtert worden. Diese Regelung erweist sich als sehr flexibel, da bei ihr keine Angabe des Zweckes erforderlich ist. Der Handel mit eigenen Aktien ist als einziger Zweck ausgeschlossen, gemäß § 71 Abs. 1 Nr. 8 S. 2 AktG. 252 Findet der Erwerb eigener Aktien im Rahmen eines Aktienoptionsprogramms statt, verweist § 71 Abs. 1 Nr. 8 Satz 5 AktG auf § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG. Die dort genannten Anforderungen fur eine bedingte Kapitalerhöhung gelten dann auch fur den Erwerb eigener Aktien. Die Genehmigung des Vorstandes zum Rückkauf eigener Aktien hat durch einen Hauptversammlungsbeschluss zu erfolgen. Dieser Beschluss ist nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG auf 18 Monate begrenzt. Die Frist von 18 Monaten gilt nur fur den Erwerb, aber nicht für das Halten der Aktien. 253 Dies ermöglicht der Gesellschaft, die eigenen erworbenen Aktien für eine unbegrenzte Zeit zu halten. Im Ermächtigungsbeschluss sind außerdem der Niedrigst- und der Höchstpreis, zu dem die eigenen Aktien zurückerworben werden, anzugeben. Die Festlegung der beiden Werte kann sowohl in absoluten als auch in relativen Zahlen erfolgen. 254 Weiterhin hat der Beschluss das Volumen zum Erwerb der eigenen Aktien zu beinhalten Dieses darf höchstens zehn Prozent des Grundkapitals betragen (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 S. 1 AktG). Dabei ist zu beachten, dass die Höchstgrenze von zehn Prozent sowohl für die erworbenen Aktien als auch für die bereits erworbenen und noch im Unternehmen befindlichen Aktien gilt (gem. § 71 Abs. 2 S. 1 AktG). Nach § 71b AktG stehen dem Unternehmen aus den eigenen Aktien weder ein Stimmrecht noch eine Dividende zu. Weiterhin sind Umgehungsgeschäfte nach § 71a AktG prinzipiell nicht erlaubt. Hat das Unternehmen eigene Aktien auf widerrechtliche Weise erworben, so sind die Aktien innerhalb eines Jahres nach ihrem Erwerb zu verkaufen. 255 Aufgrund der Insiderproblematik ist die Bundesanstalt für Dienstleistungsaufsicht nach § 71 Abs. 3 S. 3 AktG über der Ermächtigung des Vorstands zu informieren. In der nächsten Hauptversammlung hat der Vorstand die Aktionäre nach § 71 Abs. 3 S. 1 AktG) über die folgenden Angaben zu informieren: • • • • •
Gründe und Zweck des Erwerb der eigenen Aktien, Anzahl der erworbenen Aktien und den auf sie entfallenden Betrag des Grundkapitals, deren Anteil am Grundkapital sowie deren Gegenwert der Aktien.
252
Vgl. Zitzewitz, 2003, S. 89
253
Vgl. Weiß, 1999, S. 353, 361
254
Vgl. Engelsing, 2001, S. 89
255
Vgl. ebd., S. 90
12 Möglichkeiten der Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen
103
Nachdem der Vorstand ermächtigt worden ist, kann er eigene Aktien im Rahmen der Höchstgrenze von zehn Prozent zurückkaufen (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 S. 6 AktG). Es wird in der Praxis nach verschiedenen Verfahren und Zeitpunkten zum Rückkauf eigener Aktien unterschieden. Folgende Zeitpunkte sind ñir den Rückkauf eigener Aktien möglich: • • •
bei Gewährung der Aktienoption, während der Laufzeit des Aktienoptionsprogramms sowie bei der Ausübung der Aktienoption.
Der Rückkauf eigener Aktien zum Zeitpunkt der Gewährung der Aktienoption ist als vorteilhaft anzusehen, dass das Kursrisiko bei der späteren Ausübung der Option durch die Führungskraft vermieden wird. 256 Dies begründet sich darin, dass die Teilnehmer des Aktienoptionsprogramms ihre Aktien zum Zeitpunkt der Ausübung der Option zum einem Basispreis erwerben, die dem Kaufpreis der Aktien durch das Unternehmen entspricht. Werden die Aktienoptionen nicht ausgeübt, trägt das Unternehmen bei einer eventuellen Notwendigkeit des Verkaufs der Aktien den Kursverlust. Als nachteilig ist jedoch zu sehen, dass in diesem Fall die Aktien zu einem sehr frühen Zeitpunkt erworben werden müssen. Dies hat zur Folge, dass Liquidität im Unternehmen gebunden wird, welches für Investitionen und Zinszahlungen für bestehende Kredite nicht mehr zur Verfügung steht. Jedoch kann es als positiv betrachtet werden, dass mögliche Dividendenzahlungen während der Laufzeit der Aktienoptionen eingespart werden (§ 71b AktG). 257 Im Großen und Ganzen kann davon ausgegangen werden, dass der Rückkauf der Aktien zum Zeitpunkt der Ausübung der Aktienoption erfolgt. 258 Das Unternehmen geht ein geringeres Risiko ein, dass die Aktienoptionen nicht ausgeübt werden und somit die Liquidität während der Laufzeit der Option nicht beeinträchtigt wird. 259 Weiterhin bestehen verschiedene Möglichkeiten, wie der Erwerb eigener Aktien erfolgen kann. Dabei werden in der Praxis unterschieden: 260 1. Erwerb der Aktien erfolgt über die Börse („open market purchase"), 2. Abgabe eines Erwerbsangebots des Vorstands an die Aktionäre („seif tender offer"), 3. Erwerb der Aktien erfolgt von einen Mehrheitsaktionär („negotiated repurchase"). Bei einem Rückkauf eigener Aktien über die Börse kauft das Unternehmen anonym unternehmenseigene Aktien über einen längeren Zeitraum zum Börsenkurs. Dabei tritt das Unternehmen als Nachfrager an der Börse auf. 261
256
Vgl. Kallmeyer, 1999, S. 101
257
Vgl. Engelsing, 2001, S. 93
258
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 78
259
Vgl. Engelsing, 2001, S. 93
260
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 78
104
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Bei einem Erwerb eigener Aktien über ein „seif tender offer" schlägt das Unternehmen seinen Aktionären das Angebot vor, in einem bestimmten Zeitraum eigene Aktien zurückzukaufen. Im Gegensatz zum Aktienrückkauf über die Börse erfolgt der Rückkauf nicht über einen längeren Zeitraum, sondern ist zeitlich festgelegt. Das Angebot an die Aktionäre kann zwei verschiedene Ausprägungen annehmen. Bei einem „fixed price tender offer" erfolgt das Rückkaufsangebot zu einem Festpreis. Dabei wird der Rücknahmepreis und die Zeitspanne, in der der Rückkauf erfolgen soll, durch das Unternehmen festgelegt. Der Rücknahmepreis setzt sich dabei aus dem Aktienkurs und einer Verkaufsprämie zusammen und liegt somit über dem aktuellen Aktienkurs. Dies gibt fur den Aktionär auch den tatsächlichen Anreiz, die Aktien in der festgesetzten Zeitspanne zu verkaufen. 262 Im Gegensatz zum „fixed price tender offer" wird bei einem „dutch auction tender offer" nur eine Preisspanne für den Rückkauf festgelegt. Die Aktionäre geben innerhalb dieser Preisspanne ihre Verkaufsangebote ab. Das Unternehmen ermittelt nun einen minimalen Preis („Market Clearing Price"), zu dem es die gewünschte Aktienanzahl zurückkaufen möchte. Übersteigt die Anzahl der Verkaufsangebote die Anzahl der gewünschten Aktien, welche zurückerworben werden sollen, werden die einzelnen Verkaufsorders anteilig ausgeführt. 263 Die dritte Variante besteht in der Möglichkeit Aktien von einem Mehrheitsaktionär zu erwerben. Diese Rückkaufsform ist in Deutschland grundsätzlich nicht zugelassen, da sie gegen den Gleichheitsgrundsatz nach § 53a AktG verstößt. 264 In diesem Fall erhält nur der Großaktionär ein Angebot zum Rückkauf der eigenen Aktien. Die übrigen Aktionäre erhalten kein Rückkaufsangebot. Damit wird nur ein kleiner Kreis von Aktionären bevorzugt. Diese Ungleichbehandlung der übrigen Aktionäre ist nicht zu rechtfertigen. 265 Die dargelegten Ausführungen haben gezeigt, dass der Erwerb eigener Aktien durch das Unternehmen zur Bedienung von Aktien für ein Aktienoptionsprogramm geeignet ist. Des Weiteren kommt es bei dieser Finanzierungsform zu keiner Kapitalverwässerung des Vermögens 266 bzw. des Stimmrechts der Altaktionäre. 267 Demnach stellt der Rückkauf eigener Aktien zur Bedienung eines Aktienoptionsprogramms je nach Situation des Unternehmens eine geeignete Deckungsmaßnahme dar.
261
Vgl. Engelsing, 2001, S. 91
262
Vgl. Rudolph, 2006, S. 463
263
Vgl. Engelsing, 2001, S. 92
264
Vgl. Rudolph, 2006, S. 463
265
Vgl. Engelsing, 2001, S. 92
266
Bedenken hierzu hat Friedrichsen, 2000, S. 232.
267
Vgl. Kallraeyer, 1999, S. 101
12 Möglichkeiten der Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen
12.6
105
Kooperation mit Dritten
Die in den vorherigen Abschnitten beschriebenen Finanzierungsmöglichkeiten haben alle die Gemeinsamkeit, dass das Unternehmen zur Bedienung der Aktien, diese selbst am Kapitalmarkt erwirbt oder bereitstellt. Im Fall einer Kooperation mit Dritten kann das Unternehmen eine Zusammenarbeit mit einem Kreditinstitut oder mit einer zum Konzern gehörenden Finanzierungsgesellschaft eingehen. 2 6 8 In einem Vertrag vereinbart das Unternehmen mit dem Kreditinstitut gegen die Zahlung einer einmaligen Prämie die Gewährung von Aktienoptionen. Das Unternehmen reicht dann die Aktienoptionen an die Teilnehmer des Aktienoptionsprogramms weiter. 269 Das Kreditinstitut hat im Fall der Ausübung der Aktienoption durch den Programmteilnehmer die erforderliche Anzahl an Aktien bereitzustellen, die es zuvor an der Börse auf eigene Rechnung und eigenen Namen erworben hat. 270 Ein Hauptversammlungsbeschluss ist bei einer Kooperation mit Dritten nicht erforderlich. Dies begründet sich darin, dass sich die Kapitalstruktur des Unternehmens nicht verändert. 271 Nachteilig bei einer Kooperation mit Dritten ist die notwendige Zahlung einer Prämie an das Kreditinstitut durch das Unternehmen. Die Höhe der Prämie hängt von der Art der Beschaffung des Aktienoptionsprogramms ab. Weiterhin hängt sie von dem Risiko ab, dass der Dritte durch den Erwerb der Aktien übernimmt. 2 7 2 Für das Unternehmen bedeutet die Zahlung der Prämie eine Belastung der Liquidität. Die Prämie ist auch zu zahlen, wenn keine Ausübung der Aktienoption aufgrund der Nichterfüllung der festgelegten Bedingungen im Optionsvertrag durch den Programmteilnehmer erfolgt. 273 Positiv ist jedoch zu vermerken, dass durch die Übertragung der Optionsrechte keine Verwässerung des Kapital und des Stimmrechts fur die Altaktionäre erfolgt. 274
12.7
Stock Appreciation Rights
Erhalten die Teilnehmer eines Aktienoptionsprogramms virtuelle Optionen, und sind die Programmbedingungen erfüllt, kann die Führungskraft ihre virtuellen Optionen ausüben und
268
Vgl. Dietz, 2004, S. 69
269
Vgl. Engelsing, 2001, S. 95
270
Vgl. Pellens/Crassselt, 1998, S. 150f.
271
Vgl. Zitzewitz, 2003, S. 139
272
Vgl. Engelsing, 2001, S. 96
273
Vgl. Kallmeyer, 1999, S. 102f.
274
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 82
106
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
erhält dafür eine Barzahlung. Im Gegensatz zu den in den vorherigen Abschnitten beschriebenen Finanzierungsmöglichkeiten, müssen in diesem Fall keine Aktien zur Bedienung der Aktienoptionen beschafft werden. Die an die Teilnehmer des Aktienoptionsprogramms zu leistende Barzahlung mindert direkt und in vollem Umfang das Unternehmensergebnis. Indirekt haben die Aktionäre durch diesen Liquiditätsabfluss geringere Dividenden und ein geringeres Umsatzwachstum zu tragen. Die virtuellen Optionen können grundsätzlich frei ausgestaltet werden. Es ist jedoch bei der Gestaltung der SAR darauf zu achten, dass es zu keiner Aufzehrung des Unternehmensgewinns kommt. Um eine Gewinnaufzehrung zu vermeiden, besteht die Möglichkeit den maximalen Ausübungsgewinn zu deckein (Cap). 275
13
Durchführungeines Aktienoptionsprogramms in der Aktiengesellschaft
Im vorherigen Kapitel wurden geeignete Möglichkeiten zur Bedienung von Aktienoptionsprogrammen dargestellt. Nun stellt sich die Frage, wie und von wem die Umsetzung zur Einführung eines Aktienoptionsprogramms erfolgt. Es ist zu klären, bei wem die Kompetenzen in der Aktiengesellschaft und hier insbesondere die Verantwortlichkeiten des Aufsichtsrats und des Vorstands. Diese Fragen werden im Folgenden erläutert.
13.1
Entscheidung über die Einfuhrung eines AOP
Die erste Phase der Implementierung eines Aktienoptionsprogramms für den Vorstand eines Unternehmens beginnt mit dem Entschluss, ein Aktienoptionsprogramm überhaupt einzuführen. Der Vorstand leitet gemäß § 76 AktG die Gesellschaft in eigener Verantwortung. Die Einfuhrung eines Aktienoptionsprogramms als Instrument zur Durchsetzung des Shareholder-Value-Gedankens bedeutet u.a., die gesamte Unternehmensstrategie nach diesem Konzept auszurichten. Bei der Einführung eines AOP handelt es sich demnach um eine Leitungsentscheidung und ist somit dem Verantwortungsbereich des Vorstandes zu zuordnen. 276 Fraglich ist, ob der Vorstand, wenn dieser selbst Begünstigter des Aktienoptionsprogramms ist, ebenfalls über die Einfuhrung des Programms entscheiden kann.
275
Vgl. Engelsing, 2001, S . 9 8 f .
276
Vgl. Zitzewitz, 2003, S. 95
13 Durchführung eines Aktienoptionsprogramms in der Aktiengesellschaft
107
Die Vorstandsmitglieder werden durch den Aufsichtsrat gemäß § 84 Abs.l S. 1 AktG auf fünf Jahre bestellt. Aufgrund der Personalkompetenz des Aufsichtsrats verhandelt dieser mit den Mitgliedern des Vorstands über deren Vergütung und entscheidet über die entsprechenden Vereinbarungen im Anstellungsvertrag. Infolgedessen ist ausschließlich der Aufsichtsrat für die Einführung eines Aktienoptionsprogramms als Vergütungsinstrument für die Vorstandsmitglieder zuständig. Würde die Regelung des § § 8 4 Abs.l S. 5 AktG, 112 AktG nicht bestehen, könnte der Vorstand die Optionsbedingungen in Vertretung der Gesellschaft für sich selbst festlegen. Der Vorwurf der „Selbstbedienung" durch den Vorstand wäre dann gerechtfertigt. Aufgrund dessen ist es Mitgliedern des Vorstands nicht möglich, Einfluss auf das Aktienoptionsprogramm und dessen nähere Ausgestaltung zu nehmen. 277 Die Hauptversammlung ist i.d.R. nicht an der Entscheidung über die Einfuhrung des Aktienoptionsprogramms beteiligt. Sie hat jedoch ein Mitsprache- bzw. Entscheidungsrecht, wenn es um die Finanzierung des Aktienoptionsprogramms durch eine bedingte oder genehmigte Kapitalerhöhung sowie um einen Rückkauf auf eigene Aktien geht. 278
13.2
Vorbereitung der Hauptversammlungsbeschlüsse
Die zweite Phase beinhaltet die Vorbereitung der Hauptversammlungsbeschlüsse, die für die Einführung des Aktienoptionsprogramms notwendig sind. 279 Je nach Art der Finanzierung des Aktienoptionsprogramms sind verschiedene Hauptversammlungsbeschlüsse erforderlich. Bei Stock Appreciation Rights und bei einer Finanzierung des Programms durch die Kooperation mit Dritten werden keine Hauptversammlungsbeschlüsse benötigt, um im Unternehmen eingeführt werden zu können. Hierbei genügt der Beschluss des Aufsichtsrats zur Implementierung. 280 Der Vorstand ist gemäß § 121 Abs. 2 S. 1 AktG für die Einberufung der Hauptversammlung zuständig, da nach Auffassung der Literatur dies zum Bestandteil der Geschäftsführung i.S.d. § 77 AktG gehört. 281 Der Vorstand ist auch für die Vorbereitung der Hauptversammlungsbeschlüsse verantwortlich. Weiterhin liegt die Vorbereitung und Bekanntmachung der Tagesordnung (§ 124 Abs. 1 S. 1 AktG) in seinem Verantwortungsbereich. Diese Aufgaben werden jedoch dem Aufsichtsrat und der Hauptversammlung zugewiesen. Die Hauptversamm-
277
Vgl. Engelsing, 2001, S.39f.
278
Vgl. Holland, 2000, S. 41
279
Vgl. Klahold, 1999, S. 2 0 2
280
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 33
281
Vgl. Zitzewitz, 2003, S. 95
108
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
lung hat jedoch nur in einem gewissen Umfang bei der Festlegung der Konditionen des Aktienoptionsprogramms gem. § 118ff. AktG Mitspracherecht. 282 Für die Vorbereitung der Hauptversammlungsbeschlüsse durch den Aufsichtsrat sind bei der Ausgabe einer Wandel- oder Optionsanleihe folgende Beschlüsse notwendig: • • • •
Beschluss über die Durchführung einer bedingten Kapitalerhöhung ( § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG) ein Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss über die Ausgabe der Schuldverschreibung (221 AktG), 283 ein Bezugsrechtsausschluss für die Altaktionäre (§ 221 Abs. 4 S. 2 i.V.m. § 186 Abs. 3 und 4 AktG) sowie ein schriftlicher Bericht über den Grund für den Bezugsrechtsausschluss, der der Hauptversammlung vorzulegen ist (§186 Abs. 4 S. 2 AktG).
Bei der Ausgabe von reinen Optionen über eine bedingte Kapitalerhöhung ist ebenfalls ein Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschluss nach § 192 Abs. 3 AktG erforderlich. Bei der Finanzierung eines Aktienoptionsprogramms durch den Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG sind folgende Beschlüsse vorzubereiten: • • •
der Ermächtigungsbeschluss nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG ein entsprechender Bezugsrechtsauschluss nach §186 Abs. 3, 4, 71 Abs. 1 Nr. 8 S. 5 AktG sowie ein Bericht über den Grund des Bezugsrechtsausschlusses (§186 Abs. 4 S. 2 AktG).
Anschließend ist mindestens eine Drei-Viertel-Mehrheit des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals notwendig, um die Beschlüsse umzusetzen. Der Aufsichtsrat und der Vorstand melden dann den Beschluss zur bedingten Kapitalerhöhung zur Eintragung in das Handelsregister an (§ 195 Abs. 1 AktG). Bei der Ausgabe von Wandelschuldverschreibungen oder Optionsanleihen ist der Beschluss vom Aufsichtsrat und vom Vorstand beim Handelsregister (§ 221 Abs. 2 S. 2 AktG) zu hinterlegen. Bei einem Beschluss zum Erwerb eigener Aktien ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vom Vorstand zu benachrichtigen (§ 71 Abs. 3 S. 3 AktG). 284
282
Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 31f.
283
Der Ermächtigungsbeschluss berechtigt den Aufsichtsrat bei Aktienoptionen für den Vorstand die nötigen Handlungsspielraum zur Einfuhrung und Umsetzung eines Aktienoptionsprogramms. Bei einem Zustimmungsbeschluss ist der Aufsichtsrat zur Umsetzung verpflichtet. Vgl. Kelle, 2002, S. 36 284
Vgl. Zitzewitz, 2003, S. 95f.
13 Durchführung eines Aktienoptionsprogramms in der Aktiengesellschaft
13.3
109
Gewährung der Aktienoptionen
Nachdem die notwendigen Beschlüsse beschafft worden sind, kann im nächsten Schritt die Gewährung der Wandelschuldverschreibung bzw. der Aktienoptionen erfolgen. Dabei ist zu beachten, ob die Vorstandsmitglieder Begünstigte des Programms sind. Erhalten Arbeitnehmer Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen, fällt deren Ausgabe in den Verantwortungsbereich des Vorstandes. Sind die Mitglieder des Vorstands Begünstigte des Programms, ist der Aufsichtsrat für die Ausgabe der Wandelschuldverschreibung zuständig (§ 84 Abs. 1 S. 5 i.V.m. § 112 AktG). 285 Bei der Ausgabe von Schuldverschreibungen wird in der Praxis zum Teil ein Kreditinstitut zwischengeschaltet. Dieses Kreditinstitut übernimmt die Wandelschuldverschreibung und bietet sie dann dem Begünstigten zum Erwerb an. 286 Werden reine Aktienoptionen an den Vorstand ausgegeben, ist auch hier der Aufsichtsrat zuständig. Die Gewährung der Aktienoptionen über eine bedingte Kapitalerhöhung (§ 192 Abs. 2 Nr. 3 AktG) oder dem Erwerb eigener Aktien (§ 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG) erfordert den Abschluss eines neuen Anstellungsvertrages oder die Änderung des alten Beschäftigungsvertrages des Vorstandes. 2 8 7
13.4
Zuteilung der Aktien
Sind die Ausübungsbedingungen wie z.B. Sperrfristen und Erfolgsziele für die Aktienoptionen bzw. für die Schuldverschreibung erfüllt, können diese von den Teilnehmern des Aktienoptionsprogramms ausgeübt werden. Den Teilnehmern werden bei der Ausübung von realen Aktienoptionen Aktien zugeteilt. Bei Aktien, die durch eine bedingte Kapitalerhöhung ausgegeben werden, wird zwischen dem Aufsichtsrat und den Teilnehmern des Aktienoptionsprogramms nach § 198 AktG eine Zeichnungserklärung geschlossen. Die Ausgabe der Aktien hat der Aufsichtsrat innerhalb eines Monats nach Ablauf des Geschäftsjahres im Handelsregister einzutragen und anzumelden (§ 201 Abs. 1 AktG). 2 8 8 Bei einer Ausgabe der Aktien, die durch den Erwerb eigener Aktien nach § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG finanziert wurden, hat der Aufsichtsrat die nächste Hauptversammlung detailliert zu unterrichten. Die Angaben an die Hauptversammlung haben gemäß § 71 Abs. 3 AktG folgende Eckpunkte zu beinhalten: •
die Gründe und den Zweck des Erwerbs der Aktien,
90c Vgl. Schmeisser/Hahn/Schindler, 2004, S. 33 286
Vgl. Zitzewitz, 2003, S. 96
287
Vgl. ebd., S. 96, 99
288
Vgl. Friedrichsen, 2000, S. 225
110 • • • •
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems die Anzahl der erworbenen Aktien, den auf die erworbenen Aktien entfallenden Betrag des Grundkapitals, der Anteil der erworbenen Aktien am Grundkapital sowie über den Gegenwert der Aktien.
Erhalten die Teilnehmer des Aktionsoptionsprogramms virtuelle Optionen, erhalten sie keine Aktien, sondern eine sofortige Barzahlung.
14
Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen
Ob und wie Aktienoptionsprogramme zu bilanzieren sind, war lange Zeit sehr umstritten. Im Jahr 2002 fanden sich prominente Befürworter, wie der Investment Guru Warren Buffett und der Ex-Notenbankchef der USA Alan Greenspan, die sich dafür aussprachen, Aktienoptionsprogramme als Aufwand bilanziell zu erfassen. Vor allem Technologiefirmen in den USA hatten sich vehement geweigert, eine Bilanzierung ihrer Programme vorzunehmen. Waren es doch gerade diese Firmen, die besonders teure Aktienoptionsprogramme aufgelegt hatten. Die Erfassung der Aktienoptionsprogramme als Aufwand hätte bei ihnen zu einer starken Schmälerung der Unternehmensgewinne gefuhrt. 289 Im Folgenden werden die fur deutsche Unternehmen relevanten Bilanzierungsregeln für aktienbasierte Vergütungen kurz dargestellt. In Deutschland müssen kapitalmarktorientierte Unternehmen die ihren Sitz in der Europäischen Union haben ihren Konzernabschluss nach IFRS erstellen. 290
14.1
Bilanzierung nach IFRS
Die Beliebtheit der Aktienoptionsprogramme begründete sich in der Vergangenheit unter anderem darauf, dass die Bilanzierung von Aktienoptionen nicht als Personalaufwand erfasst wurde. Dies war für Unternehmen, die nach IFRS bilanzierten möglich, da in der Regelung IAS 19 „Leistungen an Arbeitnehmer" keine Ansatz- und Bewertungsvorschriften beinhalte-
289
Vgl. Schubert, 2002
290
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 94f.
291
Vgl. Pellens, 2008, S. 502
14 Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen
111
Mit Einführung von IFRS 2 (Share-based Payment) im Jahr 2004 wurde bezüglich der Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen Klarheit geschaffen. IFRS 2 gilt ab dem 01.01.2005. Für aktienbasierte Vergütungen, die nach dem 07.11.2002 ausgegeben wurden bzw. werden und bei denen noch nicht die Sperrfrist abgelaufen ist, gelten die neuen Regelungen ebenfalls. 292
14.1.1
Anwendungsbereich
IFRS 2 regelt die bilanzielle Behandlung der Vergütung von Mitarbeitern und Führungskräften mit Aktien und Aktienoptionen. Der Anwendungsbereich des Standards ist jedoch nicht nur auf die Mitarbeitervergütung beschränkt. Der Standard regelt alle Transaktionen, bei denen Unternehmensanteile (z.B. Aktien) oder Optionen als Entgelt für Güter, Arbeitsleistungen oder andere Dienstleistungen gewährt werden. Beispielsweise wäre hierfür ein Unternehmensberater genannt, der anstatt seines Entgelts Aktienoptionen des Unternehmens erhält. 293 Weiterhin ist IFRS 2 fur eine aktienbasierte Vergütung anzuwenden, wenn die Eigenkapitalinstrumente nicht durch das Unternehmen selbst, sondern bei Konzerngesellschaften durch die Muttergesellschaft, gewährt werden. Des Weiteren ist zu beachten, dass der Standard bei Transaktionen deren Bilanzierung ausdrücklich in anderen Verlautbarungen des IFRS Regelungswerkes geregelt werden, nicht angewendet werden darf. 294 Der Standard unterscheidet zwischen den folgenden Formen anteilsbasierten Vergütungen: • • •
anteilsbasierte Vergütungen mit Ausgleich durch Eigenkapitalinstrumente (equity-settled share-based payment transactions, z.B. Aktien oder Aktienoptionen) anteilsbasierte Vergütungen mit Barausgleich (cash-settled share-based payment transactions, z.B. Stock Appreciation Rights) anteilsbasierte Vergütungen mit einem Wahlrecht zwischen Eigenkapitalinstrumenten oder einem Barausgleich (Kombinationsmodell). 295
Den oberen Ausführungen ist zu entnehmen, dass der Standard nach echten und virtuellen Eigenkapitalinstrumenten unterscheidet. Diese Unterscheidung ist notwendig, um zu erkennen, ob die Begünstigten einen Eigenkapital- oder Fremdkapitalanspruch gegenüber dem Unternehmen besitzen.
292
Vgl. IFRS 2.53
293
Vgl. Pellens, 2008, S. 502
294
Vgl. IFRS 2 . 5 - 2 . 6
295
Vgl. IFRS 2.2
112
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Die folgende Tab. gibt einen zusammenfassenden Überblick über die verschiedenen Formen der Ausgestaltung anteilsbasierter Vergütung:
Anteilscharakter Belegschaftsaktien echte Eigenkapitalinstrumente
Optionscharakter Optionen auf Unternehmensanteile
(Restricted Stocks) (Stock Options)
virtuelle Eigenkapitalinstru-
virtuelle Unternehmensan-
virtuelle Optionen auf Unter-
teile
nehmensanteile
(Phantom Shares)
(Stock Appreciation Rights)
mente
Tab. 14.1: Aktienbasierte Vergütungen2,6
Die folgenden Erläuterungen konzentrieren sich auf die Bilanzierung von anteilsbasierten Vergütungen an die Mitarbeiter und Führungskräfte des Unternehmens.
14.1.2
Echte Eigenkapitalinstrumente
Ansatz Die Bewertung von anteilsbasierten Vergütungen, die mit Eigenkapitalinstrumenten bedient werden (equity-settled share-based payment transactions), erfolgt mit ihrem beizulegendem Wert (fair value), der sich zum Zeitpunkt der Gewährung bestimmt. 297 Diese Form der bilanziellen Erfassung gilt sowohl für Aktien und Aktienoptionen, die sowohl über eine bedingte Kapitalerhöhung als auch über den Rückkauf eigener Aktien finanziert wurden. 298 Problematisch bei der Bilanzierung der Vergütung der Mitarbeiter mit echten Eigenkapitalinstrumenten ist, dass die Gewährung von Aktien oder Aktienoptionen ein Entgelt für Arbeitsleistungen darstellt. Diese Arbeitsleistungen sind unabhängig davon, ob sie bereits erbracht worden sind oder nicht, nicht aktivierungsfähig. Das Problem der fehlenden Aktivierungsfáhigkeit wird durch eine Aufwandsbuchung gelöst. Erfolgt die Mitarbeitervergütung durch Aktien und müssen die Mitarbeiter zusätzlich ein Eigeninvestment für die Aktien vornehmen, ist folgende Buchung vorzunehmen: 299
296
In Anlehnung an: Pellens, 2008, S. 503
297
Vgl. IFRS 2.10, Stand 24.02.2005
298
Vgl. IFRS2BC331
299
Vgl. Pellens, 2008, S. 508
14 Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen
113
Personalaufwand Kasse
an
gezeichnetes
Kapital
Kapitalrücklage Die bilanzielle Erfassung von Aktienoptionen ist dagegen komplexer, da hier sowohl der Zeitpunkt der Gewährung der Aktienoption als auch der Zeitpunkt der Ausübung bilanziell zu erfassen sind. Der entsprechende Buchungssatz bei Gewährung der Aktienoptionen lautet wie folgt: Personalaufwand
an
Kapitalrücklage
Werden die Aktienoptionen nach der Sperrfrist durch die Mitarbeiter ausgeübt, sind die Einmalzahlungen der Begünstigten fur die Aktienoptionen über die Kasse zu erfassen. Die Buchung lautet dann dementsprechend bei Optionsausübung: Kasse
an
gezeichnetes
Kapital
Kapitalrücklage Den Ausübungsgewinn, den der Begünstigte durch die Ausübung seiner Aktienoptionen erhält, fuhrt nicht zu einer nachträglichen Anpassung des Personalaufwands. 300 Die bisher ausgeführten Darstellungen beinhalteten die Annahme, dass die Arbeitsleistungen bereits erbracht wurden. Dieser Annahme liegt zugrunde, dass die Aktien bzw. die Aktienoptionen frei verfugbar und ausübbar sind und nicht von einem Anstellungsverhältnis im Unternehmen abhängen.301 Dies ist i.d.R. bei Aktienoptionen nicht der Fall. In der Praxis werden Aktienoptionen nur gewährt, wenn ein Anstellungsverhältnis besteht. Es kann demnach davon ausgegangen werden, dass Aktienoptionen, die unter dieser Bedingung vergütet werden, zukünftigen Arbeitsleistungen entsprechen. Die Aufwendungen sind demzufolge erfolgswirksam im Personalaufwand gleichmäßig über den Leistungszeitraum zu verteilen. Nach IFRS 2.15 entspricht das Ende des Leistungszeitraums dem Zeitpunkt, an dem die Aktienoptionen frei verfügbar bzw. ausübbar sind. Bei Aktienoptionsprogrammen entspricht dieser Zeitraum normalerweise der Sperrfrist. 302 Sind im Aktienoptionsprogramm Erfolgsziele vereinbart, wird der Leistungszeitraum am Tag der Gewährung geschätzt.303 Liegen kapitalmarktbezogene Erfolgsziele (market conditions) vor, darf der geschätzte Leistungszeitraum später nicht korrigiert werden. Liegen nicht-kapitalmarktbezogene Erfolgsziele {performance conditions) vor, ist der Leistungszeitraum und damit der zu verrechnende Perso-
300
Vgl. Pellens, 2008, S. 509
301
Vgl. IFRS 2.14
302
Vgl. Pellens, 2008, S. 509
303
Vgl. IFRS 2.15b
114
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
nalaufwand an die tatsächliche Dauer bis zur Erfüllung der Erfolgsziele ggf. in jeder Periode anzupassen. 304
Bewertung Echte Eigenkapitalinstrumente, die als Entgelt eingesetzt werden, sind mit dem beizulegenden Wert (fair value) der vom Unternehmen empfangenen Leistungen zu erfassen. Der Fair Value der begebenen Eigenkapitalinstrumente (Aktien und Aktienoptionen) bestimmt sich i.d.R. aus dem aktuellen Marktpreis. 305 Die Verwendung aktueller Marktpreise ist bei Unternehmen, die Belegschaftsaktien ausgeben, problemlos möglich. Bei Aktienoptionen ist die Verwendung von Marktpreisen normalerweise nicht möglich. Dies liegt an der spezifischen Ausgestaltung der Optionsrechte, wie der längeren Laufzeit und der Möglichkeit einer frühzeitigen Ausübung der Aktienoption vor dem Ende der Laufzeit. An die Führungskräfte ausgegebenen Aktienoptionen unterscheiden sich somit stark von börsengehandelten Aktienoptionen. Aus diesem Grund kann für die Ermittlung des Fair Values der Aktienoptionen auf eine allgemein anerkannte Bewertungsmethode zurückgegriffen werden. 306 Bei der Bewertung der Aktienoptionen ist zwischen dem inneren Wert (intrinsic value) und dem beizulegenden Wert zu unterscheiden. Der innere Wert bestimmt sich aus dem Betrag, um den der aktuelle Börsenkurs der Aktie den Bezugskurs übersteigt. Er zeigt somit den möglichen Gewinn bei sofortiger Ausübung an. Der Fair Value bezieht neben dem inneren Wert auch den Zeitwert (time value) mit ein. Der time value berücksichtigt sowohl die positiven als auch die negativen Kursentwicklungen. Dies hat zur Folge, dass der Zeitwert zu jedem Zeitpunkt vor dem Ende der Laufzeit positiv ist. Somit besitzt die Aktienoption einen Wert, obwohl der innere Wert null ist.307 Zur Bestimmung des Fair Values nennt IFRS 2 kein spezifisches Optionspreismodell. Der Grund liegt darin, dass eventuelle Weiterentwicklungen von Optionspreismodellen in der Optionspreisbewertung eine Berücksichtigung finden sollen. Es sind dabei alle Modelle zulässig, die folgende Faktoren berücksichtigen: 308 • • • •
der Ausübungspreis der Aktienoption, die Optionslaufzeit, der aktuellen Marktpreis der zugrunde liegenden Aktie, die erwartete Volatilität der Aktie,
304
Vgl. Coenenberg, S. 340
305
Vgl. IFRS 2.16
306
Vgl. Buschhüter/Striegel, 2009, S. 260ff.
307
Vgl. Pellens, 2008, S. 512
308
Vgl. IFRS 2.B6
14 Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen • •
115
die erwarteten Dividendenrendite und der risikolose Zinsfuß für die Laufzeit der Aktienoption.
IFRS 2 nennt zur Bewertung der Aktienoption beispielhaft das Modell von Black-Scholes. 3 0 9 Der Vorteil des Black-Scholes-Modells liegt in seiner einfachen Anwendung. Als Nachteil ist anzuführen, dass dieses Modell nur auf Aktienoptionen anwendbar ist, die keine komplexen Bedingungen (z.B. Sperrfristen, und Ausübungsfenster) beinhalten. Als Beispiel wäre hier zu nennen, dass das Black-Scholes-Modell Aktienoptionen, die vor dem Ende der Laufzeit ausgeübt werden, nicht abbilden kann. Weiterhin bestimmt sich die erwartete Volatilität an einem festen Wert und berücksichtigt somit nicht den Fall, dass sich die Volatilität während der Laufzeit der Aktienoption ändern kann. Dennoch kann dieses Modell gute Werte liefern, wenn die Aktienoption kurze Vertragslaufzeiten oder kurze Ausübungszeiten beinhaltet. 310 Als weitere mögliche Variante zur Bewertung von Aktienoptionen kommt das Binomialmodell von Cox, Ross und Rubinstein in Betracht. Das Modell benutzt die gleichen Berechnungsfaktoren wie das Black-Scholes-Modell, weist jedoch eine höhere Flexibilität aus und ist somit auf fast alle Aktien- und Aktienoptionspläne anwendbar. 3 " Im Gegensatz zum Black-Scholes-Modell kann das Binomial-Modell die Veränderung der Bewertungsparameter während der Laufzeit der Aktienoption verarbeiten. Das Binomialmodell geht davon aus, dass der Aktienkurs innerhalb eines bestimmten Zeitrahmens zwei verschiedene Ausprägungen, „im Geld" oder „aus dem Geld" annehmen kann. Durch die Aufteilung der Laufzeit der Aktienoption in möglichst kurze Perioden kann somit eine reale Verteilung der Kursentwicklung der Aktie durch das Binomial-Modell abgebildet werden. Nachteilig ist jedoch, dass der Modellierungsaufwand mit Verkürzung der Perioden stark ansteigt. 312 Weiterhin können zur Bestimmung des Optionswertes, Simulationsverfahren wie die MonteCarlo-Simulation angewandt werden. Bei diesem Verfahren wird zur Berechnung des Optionswertes eine Vielzahl von Zufallspfaden generiert, die das Verhalten der relevanten Einflussfaktoren repräsentieren. Auf diesen Zufallspfaden wird der Barwert der Auszahlung ermittelt. Der Durchschnitt der Barwerte ergibt den Wert der Option und den statistischen Fehler. Dieser statistische Fehler kann durch eine hohe Anzahl von Simulationen gering gehalten werden. 3 1 3
309
Vgl. IFRS 2.B5
310
Vgl. Buschhüter/Striegel, 2009, S. 262
311
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 211
312
Vgl. Buschhüter/Striegel, 2009, S. 2 6 2
313
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 211
116
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Zusätzlich beinhaltet IFRS 2 noch Vorschriften zur Behandlung von Erfolgszielen. Während Erfolgsziele in Deutschland nach § 193 AktG für Aktienoptionspläne, deren Finanzierung über eine bedingte Kapitalerhöhung erfolgen, verpflichtend sind, unterteilt IFRS 2 diese in market conditions und performance conditions. 314 Unter market conditions werden aktienkursorientierte Erfolgsziele, wie z.B. absolute Kurssteigerung einer Aktie oder Outperformance einer Peergroup verstanden. Performance conditions stellen kennzahlenorientierte Erfolgsziele, wie z.B. Steigerung des Gewinns je Aktie um 10 Prozent dar. Bei der Bestimmung des beizulegenden Wertes fließen nur die market conditions in die Optionsbewertung mit ein. Der Aufwand bleibt bei Nichterreichen des Performanceziels bestehen. Performance conditions fließen dagegen nicht in die Optionsbewertung, sondern werden bei der Bestimmung der Anzahl der Anteile, die später wahrscheinlich ausgeübt werden, berücksichtigt. Demnach entsteht bei Nichterreichen der performance conditions kein Personalaufwand und die gebildete Rückstellung muss bei einer Bedienung in bar aufgelöst werden. 3 ' 5 Diese Form der Bewertung gilt ebenfalls bei einer Kombination von market und performance conditions. 316 In Ausnahmefallen darf von der Bewertung zum beizulegenden Wert abgewichen werden. Die Bewertung der Aktienoption erfolgt dann zum inneren Wert. Auf diese Form der Bewertung darf zurückgegriffen werden, wenn das Unternehmen nicht in der Lage ist den beizulegenden Wert zuverlässig zu ermitteln. Die Bewertung der Aktienoption zum inneren Wert am Tag der Gewährung der Aktienoption ist nicht endgültig. Jede Veränderung des inneren Wertes ist in jeder Berichtsperiode bis zum Ende der Laufzeit der Aktienoption erfolgswirksam zu berücksichtigen. Ein Wechsel der Bewertung vom inneren Wert zum beizulegenden Wert ist nicht möglich. 317
14.1.3
Virtuelle Eigenkapitalinstrumente
Ansatz Die bilanzielle Erfassung von virtuellen Eigenkapitalinstrumenten unterscheidet sich in nur wenigen Punkten von echten Eigenkapitalinstrumenten. Die Bilanzierung von virtuellen Aktienoptionen ist weniger aufwendig, da hier nicht das Eigenkapital berührt wird. 318 Virtuelle Eigenkapitalinstrumente, wie z.B. Stock Appreciation Rights werden wie echte Eigenkapitalinstrumente im Personalaufwand erfasst. Im Gegensatz zu den echten Eigenka-
314
Vgl. IFRS 2.15b
315
Vgl. IFRS 2.19
316
Vgl. Kramarsch, 2004, S. 102
317
Vgl. Pellens, 2008, S. 513
318
Vgl. ebd., S. 513
14 Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen
117
pitalinstrumenten wird hier jedoch als Gegenbuchung keine Kapitalrücklage, sondern eine Schuldposition (Liability) in Form einer Rückstellung gebildet.319 Das Unternehmen hat zu dem Zeitpunkt, an dem die Leistungen der Mitarbeiter voll erbracht worden sind, den Personalaufwand und die Rückstellung anzusetzen. Einige Wertsteigerungsrechte sind z.B. sofort ausübbar, sodass zu diesem Zeitpunkt die Leistung durch den Mitarbeiter voll erbracht worden ist. Die Stock Appreciation Rights sind demnach zum Zeitpunkt der Gewährung in voller Höhe anzusetzen ist.320 Wurden die Leistungen durch den Mitarbeiter noch nicht voll erbracht, sind der Personalaufwand und die Rückstellung auf andere Weise zu erfassen. Die Leistung durch den Mitarbeiter ist i.d.R. noch nicht voll erbracht, wenn bestimmte Ausübungsbedingungen, wie z.B. Sperrfristen im Aktienoptionsprogramm vereinbart wurden. Ist dies der Fall, ist der Personalaufwand zu jedem Bilanzstichtag während der Sperrfrist neu zu bewerten und zu erfassen. Diese Form der Bewertung erfolgt bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Leistung des Arbeitnehmers voll erbracht wurde.321
Bewertung Anteilsbasierte Vergütungsinstrumente, die in bar bedient werden, wie z.B. Stock Appreciation Rights, werden ebenfalls mit ihrem beizulegenden Wert bewertet. Die Bewertung der virtuellen Aktienoptionen hat analog denen der echten Aktienoptionen anhand geeigneter Bewertungsmodelle zu erfolgen. Im Gegensatz zu den echten Aktienoptionen erfolgt die Bewertung nicht einmalig zum Zeitpunkt der Gewährung. Die Bewertung muss während der Laufzeit zu jedem Bilanzstichtag aktualisiert werden. 322 Dies bedeutet, dass der Personalaufwand und die Rückstellungen an die Wertänderungen erfolgswirksam angepasst werden müssen. Die entsprechenden Buchungssätze zum Ende der jeweiligen Berichtsperiode lauten dann wie folgt:323 Personalaufrvand
an
Rückstellung
Durch die regelmäßige Anpassung der Bewertung der virtuellen Optionen ist im Gegensatz zu realen Aktienoptionen der Ausübungsgewinn des Begünstigten erfolgswirksam. Der Aus-
319
Vgl. IFRS2.7
320
Vgl. IFRS 2.32
321
Vgl. IFRS 2.32, 2.33
322
Vgl. Pellens, 2008, S. 518f.
323
Vgl. ebd., S. 520
118
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Übungsgewinn kann je nach Lage des Aktienmarktes höher oder niedriger ausfallen. Dies begünstigt eine höhere Volatilität des Personalaufwandes. 324
14.1.4
Kombinationsmodelle
In der Praxis sind häufiger anteilsbasierte Vergütungsmodelle vorzufinden, bei denen echte und virtuelle Eigenkapitalinstrumente miteinander kombiniert werden. Anteilsbasierten Vergütungen, bei denen den Unternehmen oder den Berechtigten ein Wahlrecht zwischen einer Barzahlung oder der Ausübung von Eigenkapitalinstrumenten eingeräumt wird, erfolgt eine Unterscheidung, bei wem das Wahlrecht der Bedienungsform liegt.325 Besteht das Wahlrecht in der Bedienungsform beim Unternehmen ist zu prüfen, ob eine Zahlungsverpflichtung vorliegt. Eine Zahlungsverpflichtung liegt dann vor, wenn gesellschaftliche Beschränkungen die Ausgabe von Eigenkapitalinstrumenten einschränken (z.B. dem Unternehmen ist die Ausgabe von Aktien gesetzlich verboten) oder wenn das Unternehmen in der Vergangenheit häufig die Bedienung in bar gewählt hat. 326 Aus den genannten Gründen ist davon auszugehen, dass das Unternehmen auch in Zukunft die Bedienungsform des Barausgleichs wählen wird. Die Kombinationsmodelle sind in Abhängigkeit von dem Bestehen einer Zahlungsverpflichtung wie folgt zu bilanzieren: 327 Liegt eine Zahlungsverpflichtung vor, dann hat die Bilanzierung nach den Regelungen fur virtuelle Eigenkapitalinstrumente zu erfolgen. Erfolgt später dennoch die Ausgabe von Eigenkapitalinstrumenten, ist die Rückstellung zum Zeitpunkt der Ausübung neu zu bewerten. Der Wert ist ergebnisneutral in das Eigenkapital umzubuchen. Ist keine Zahlungsverpflichtung zu erwarten, ist der Aufwand nach den Regelungen zur Bilanzierung für echte Eigenkapitalinstrumente zu erfassen. 328 Dabei sind die folgenden Möglichkeiten zur Bilanzierung zu unterscheiden: 329 1. Das Unternehmen entscheidet sich doch für einen Barausgleich. Die Barzahlung ist in diesem Fall wie ein Rückkauf von Eigenkapitalinstrumenten zu bilanzieren, also erfolgsneutral vom Eigenkapital abzuziehen.
324
Vgl. Pellens, 2008, S. 5 2 0
325
Vgl. ebd., S. 522
326
Vgl. ebd., S. 522
327
Vgl. ebd., S. 522
328
Vgl. IFRS 2.41 bis 2.43
329
Vgl. IFRS 2.43
14 Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen
119
2. Das Unternehmen entscheidet sich fur eine Bedienung durch Eigenkapitalinstrumente. Hier ist dann keine weitere Buchung im Eigenkapital erforderlich. Ferner bestehen Kombinationsmodelle, bei denen das Wahlrecht der Bedienung beim Begünstigten (Mitarbeiter) liegt. Hierbei liegt ein zusammengesetztes Finanzinstrument (compound financial instrument) vor, das aus einer Eigenkapital- und einer Fremdkapitalkomponente besteht. 330 Da eine Verbreitung in der Praxis eher selten vorzufinden ist, wird auf eine ausfuhrliche Erläuterung verzichtet.
14.1.5
Anhangangaben
IFRS 2 beinhaltet umfangreiche Vorschriften zur Publizität anteilsbasierter Vergütungen. Mit den in IFRS 2 genannten Anforderungen soll es den Interessenten des Jahresabschlusses ermöglicht werden, Informationen über die Art und den Umfang anteilsbasierter Vergütungen zu verstehen und beurteilen zu können. Weiterhin sind ebenfalls Informationen über die Bewertung und die Auswirkungen anteilsbasierter Vergütungen auf die Finanz- und Ertragslage zu publizieren. 331 Diese drei Grundsätze beinhalten Mindestanforderungen, die durch die Unternehmen umzusetzen sind. Hinsichtlich der Angaben über Art und Ausmaß relevanter Transaktionen sind nach IFRS 2.45 folgende Angaben zu tätigen: 1. Eine Darstellung aller während der Berichtsperiode verwendeten aktienbasierten Vergütungssysteme. Dabei ist auf alle wichtigen Parameter jedes Programms, wie z.B. Ausübungsbedingungen, Sperrfrist und Laufzeit, einzugehen. 2. Die Anzahl und die gewichteten durchschnittlichen Ausübungspreise für alle echten Aktienoptionen: • zu Beginn der Berichtsperiode ausstehende Aktienoptionen, • in der Berichtsperiode gewährte Aktienoptionen, • in der Berichtsperiode verwirkte Aktienoptionen, aufgrund von nicht erfüllten Ausübungsbedingungen, • in der Berichtsperiode ausgeübte Aktienoptionen, • in der Berichtsperiode verfallene Aktienoptionen, • am Ende der Berichtsperiode ausstehende Aktienoptionen sowie • am Ende der Berichtsperiode ausübbare Aktienoptionen. 3. Des Weiteren sind Angaben für alle in der Periode ausgeübten Aktienoptionen, der durchschnittliche Aktienkurs am Ausübungstag sowie der gewichtete Durchschnittskurs der Berichtsperiode bei regelmäßig ausgeübten Optionen anzugeben. 4. Die Bandbreite an Ausübungspreisen und die Vertragslaufzeit fur am Ende ausstehende Aktienoptionen sind ebenfalls zu veröffentlichen.
330
Vgl. IFRS 2.35
331
Vgl. Pellens, 2008, S. 522
120
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
Im Hinblick auf die Bewertung der aktienbasierten Vergütungen sind folgende Angaben gemäß IFRS 2.47 bis 2.49 zu machen: 1. Der gewichtete durchschnittliche Fair Value fìir in der Berichtsperiode gewährte Aktienoptionen am Berichtsstichtag sowie Angaben zum Optionspreismodell einschließlich der folgenden Einflussgrößen: • der durchschnittliche Aktienkurs, Ausübungspreis, erwartete Volatilität, Laufzeit der Option, erwartete Dividenden, risikoloser Zinssatz, sowie weitere in das Optionspreismodell einbezogene Annahmen; • eine Beschreibung wie die erwartete Volatilität bestimmt wurde; • eine Darstellung, ob und wie andere Größen (z.B. market conditions) in die Bestimmung des Fair Values miteinbezogen wurden. 2. Für andere anteilsbasierte Vergütungsinstrumente (keine Aktienoptionen) ist die Anzahl und der durchschnittliche Fair Value zum Bewertungsstichtag anzugeben sowie Angaben darüber, wie der Fair Value ermittelt wurde. 3. Bei Änderungen von Ausstattungsmerkmalen der gewährten anteilsbasierten Vergütungsinstrumente sind Angaben zu tätigen, warum diese Änderungen vorgenommen wurden und Angaben über den veränderten Fair Value sowie über dessen Bestimmung mitzuteilen. In Bezug zum dritten Grundsatz sind folgende Informationen zu veröffentlichen: 4. Eine Darstellung über die Auswirkungen der Ausgabe aktienbasierter Vergütungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Vermögens- und Finanzlage des Unternehmens. 332 Dabei sind folgende Angaben erforderlich: 333 • der gesamte erfasste Aufwand, der in der Berichtsperiode aufgrund von aktienbasierten Vergütungen entstanden ist. • der gesamte Aufwand, der am Ende der Berichtsperiode aufgrund der aktienbasierten Vergütungen als Rückstellung erfasst wurde. • bei Rückstellungen, die aus aktienbasierter Vergütung entstanden sind, ist der innere Wert der Rückstellung am Ende der Periode anzugeben. Die Unternehmen können weitere Angaben im Jahresabschluss tätigen, wenn die drei genannten Grundsätze durch die getätigten Mindestanforderungen nicht erfüllt werden.
332
Vgl. IFRS 2.50
333
Vgl. IFRS 2.51
14 Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen
14.2
121
Bilanzierung nach US-GAAP
Für Aktienoptionen bestehen in den USA seit dem Jahr 1948 ausführliche Regelungen zur bilanziellen Bewertung. Die Basis für die bilanzielle Behandlung von Stock Options nach US-GAAP bildeten bis zum Jahr 2004 die Regelungen des APB 2 5 334 und die neueren Regeln des SFAS 123 335. Zwischen diesen beiden unterschiedlichen Vorschriften gab es lange Zeit ein Wahlrecht. Dieses Wahlrecht beinhaltete die Möglichkeit Aktienoptionen entweder nach APB 25 oder nach SFAS 123 zu bilanzieren. Ein Wechsel von APB 25 zu SFAS 123 war jederzeit möglich. Wurden die Aktienoptionen bereits nach SFAS 123 bilanziert, war ein Wechsel zurück zu APB 25 nicht mehr möglich. Mit dem Auftreten verschiedener Unternehmenskrisen (z.B. Enron) wurde verstärkt Kritik an der Bewertungsmethode nach APB 25 laut,336 sodass im Dezember 2004 durch das FASB eine überarbeitete Version des SFAS 123 Share-Based Payment veröffentlicht wurde. Diese neue Version wird als SFAS 123(R) bezeichnet. Eine der wichtigsten neuen Regelungen des SFAS 123(R) war, dass das Wahlrecht fur alle Aktienoptionspläne, die nach dem 15.06.2005 aufgelegt wurden, entfiel. Unternehmen, die Aktienoptionspläne zu diesem Zeitpunkt bereits nach APB 25 bilanziert hatten, waren von dieser Regelung nicht betroffen. Im Folgenden werden die neuen Regelungen des FAS 123(R) vorgestellt. 337
14.3
Regelungen nach SFAS 123(R)
SFAS 123 „Share-Based Payment" regelt im Rahmen von US-GAAP die Bilanzierung von Aktienoptionen und ähnlichen Rechten. Mit der Überarbeitung des SFAS 123 zum SFAS 123(R) die Möglichkeit, neue Aktienoptionsprogramme nach APB 25 zu bilanzieren, abgeschafft worden ist. Die einzige Methode zur Bewertung von Aktienoptionen und ähnlichen 338 Rechten erfolgt nun ausschließlich mit dem Fair Value. Das FASB gibt dafür die nächste339 henden Motive an:
334 Vgl. Accounting Principles Board, Accounting Principles Board Opinion No. 25: Accounting for Stock Issued to Employees, 1972. 335
Vgl. Statement of Financial Accounting Standards No. 123, veröffentlicht vom FASB, 1995.
336
Die Kritik äußerte sich darin, dass APB 25 nur den „inneren Wert" in der Bewertung der Option ermittelt. Dies führte i.d.R. dazu, den Basispreis zum aktuellen Aktienkurs zu gestalten und demzufolge ergab der innere Wert oft den unrealistischen Wert null.
337
Vgl. Coenenberg, 2005, S. 346
338
Vgl. K.PMG, 2007, S. 283
339
Vgl. Coenenberg, 2005, S. 349
122
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems
1. Die dauerhafte Kritik an dem Wahlrecht zwischen der Bilanzierung nach APB 25 und SFAS 123. 2. Durch die Eliminierung von Wahlrechten, besteht eine verbesserte Vergleichbarkeit der Jahresabschlüsse. 3. Die US-GAAP Regelungen werden durch die Abschaffung paralleler Vorschriften vereinfacht. 4. Die hohen Übereinstimmungen des SFAS 123(R) mit IFRS 2 und damit einer Vergleichbarkeit der Konzernabschlüsse zwischen IFRS und US-GAAP. Der SFAS 123(R) wurde in enger Zusammenarbeit mit dem IASB entwickelt. Das IASB hatte fast zeitgleich den Standard IFRS 2, der beschrieben wurde, veröffentlicht. 340
Anwendungsbereich SFAS 123(R) regelt die Bilanzierung für alle Varianten von anteilsbasierten Vergütungen, die von einem Unternehmen für empfangene Güter und Dienstleistungen ausgegeben werden. Demnach werden auch Nicht-Arbeitnehmer, die anteilsbasierte Vergütungen erhalten wie z.B. Lieferanten, in den Anwendungsbereich mit eingeschlossen. In der Praxis spielen an Lieferanten ausgegebene anteilsbasierte Vergütungen jedoch nur eine geringe Bedeutung. 341 Aus diesem Grund konzentriert sich der Standard auf anteilsbasierte Vergütungen, die an Mitarbeiter gewährt werden.
Ansatz SFAS 123(R) unterteilt die anteilsbasierte Vergütung in zwei Varianten: equity classified awards und liability classified awards. Die Einteilung der anteilsbasierten Vergütung in zwei unterschiedliche Formen ist von entscheidender Bedeutung, da die Bilanzierung der beiden Varianten erhebliche Unterschiede aufweist. 342 Anteilsbasierte Vergütungen, die einen Barausgleich vorsehen, wie z.B. Stock Appreciation Rights sind als liability classified awards einzustufen. Anteilsbasierte Vergütungen, die keinen Barausgleich vorsehen, wie Aktien oder echte Aktienoptionen, werden als equity classified awards klassifiziert 343 Hat das Unternehmen ein Wahlrecht über die Form des Ausgleichs, d.h. erfolgt die Ausübung der anteilsbasierten Vergütung in bar oder in Anteilen des Unternehmens, ist grundsätzlich die Absicht des Unternehmens entscheidend. Hat das Unternehmen bereits in der Vergangenheit die Form des Ausgleichs in bar vorgenommen, so ist anzunehmen, dass es
340
Vgl. KPMG, 2007, S. 283
341
Vgl. ebd., S. 283
342
Vgl. ebd., S. 284
343
Vgl. ebd., S. 285f.
123
14 Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen
diese Variante auch in der Zukunft wählt. Dies hat zur Folge, dass das Unternehmen die gewährte anteilsbasierte Vergütung liability classified award zu klassifizieren hat. 344 Bewertung Nach SFAS 123(R) müssen alle Transaktionen, bei denen das Unternehmen anteilsbasierte Vergütungen wie z.B. Aktienoptionen und ähnliche Rechte für empfangene Güter und Dienstleistungen an die Mitarbeiter gewährt hat, grundsätzlich mit ihrem beizulegenden Zeitwert (fair valué) bewertet werden. 345 Der Fair Value der anteilsbasierten Vergütung ist mit einem anerkannten Bewertungsmodell wie dem Black-Scholes-Modell oder dem Binomial-Modell zu bestimmen. Der Wert der anteilsbasierte Vergütung ist an dem Zeitpunkt zu bewerten, an dem die Mitarbeiter ihre Aktienoptionen oder ähnliche Rechte erstmalig ausüben können. Dieser Zeitpunkt liegt jedoch in der Zukunft, sodass der Fair Value am Tag der Gewährung (grant date) zu schätzen ist.346 In das Bewertungsmodell fließen folgende Parameter mit ein: • • • •
347
Bezugskurs der Aktienoption, erwartete Volatilität der Aktie, erwartete Dividende der Aktie sowie der risikolose Zinssatz für die voraussichtliche Laufzeit der Aktienoption.
Spätere Änderungen der Parameter, die zu einer Veränderung des beizulegenden Wertes 348
führen, werden bei equity classified awards nicht berücksichtigt. Der Fair Value ist linear über die Sperrfrist zu verteilen und als Personalaufwand und der Kapitalrücklage zu erfassen. 349 Der Buchungssatz lautet dann wie folgt: Personalaufwand
an
Kapitalrücklage
Bei den liability classified awards erfolgt die Bewertung des beizulegenden Wertes, wie auch bei den equity classified awards zum Zeitpunkt der Gewährung. Der Fair Value ist jedoch im Gegensatz dazu an jedem Bilanzstichtag neu zu ermitteln und im Personalaufwand zu erfassen. Der Buchungssatz lautet dann wie folgt: 350 344
Vgl. KPMG, 2007, S. 285
345
Vgl. SFAS 123(R). par. 7
346
Vgl. SFAS 123(R). par. 16
347
Vgl. Dietz, 2004, S. 29
348
Vgl. KPMG, 2007, S. 287
349
Vgl. SFAS 123(R). par. 39
350
Vgl. KPMG, 2007, S. 292
124
III Aktionoptionsprogramm als ein Bestandteil des Entgeltmanagementsystems Personalaufwand
an
Rückstellungen
Die bilanzierte Rückstellung zum Zeitpunkt der Ausübung der anteilsbasierten Vergütung muss dem Betrag entsprechen, den das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt an die Mitarbeiter in Form einer Barzahlung zu erbringen hat. Im Gegensatz zu den equity classified awards 351 fuhrt diese Form der Bewertung zu einer höheren Ergebnisvolatilität.
Anhangangaben Für Unternehmen, die ihre anteilsbasierten Vergütungen nach US-GAAP bilanzieren, finden sich die Publizitätsvorschriften in SFAS 123(R), par. A240 und A241. Diese neuen Regelungen ersetzen die Vorschriften in SFAS 123, par. 45^18. Im Anhang sind eine Beschreibung der anteilsbasierten Vergütung und die wichtigsten Bedingungen, wie Sperrfrist, Erfolgsziele, Laufzeit, anzugeben. 352 Des Weiteren sind folgende detaillierte Angaben über die anteilsbasierte Vergütung im Anhang nach 123(R). par. A240 zu tätigen: 1. Es sind für jedes Geschäftsjahr Angaben über die Anzahl und den durchschnittlichen Ausübungspreis der Optionen zu machen: • zu Jahresbeginn ausstehende Aktienoptionen, • zum Jahresende ausstehende Aktienoptionen, • die zum Jahresende ausübbaren Aktienoptionen, • während des Geschäftsjahres gewährten, ausgeübte, verwirkte oder verfallende Aktienoptionen. 2. Es ist der durchschnittliche Fair Value zum Zeitpunkt der Gewährung der Eigenkapitalinstrumente getrennt in folgende Gruppen anzugeben: • zum Jahresbeginn und Jahresende nicht investierte Eigenkapitalinstrumente sowie • während des Geschäftsjahres gewährten erworbene oder verwirkte Eigenkapitalinstrumente. 3. Der durchschnittliche Fair Value zum Gewährungszeitpunkt für alle während des Jahres gewährten echten Aktienoptionen und anderen Eigenkapitalinstrumente. 4. Eine Beschreibung der Bewertungsmethode zur Schätzung des Fair Values mit den folgenden Parametern: • der risikofreie Zinssatz, • erwartete Volatilität der Aktie, • Laufzeit der Aktienoptionen sowie • die erwarteten Dividendenzahlungen.
351
Vgl. KPMG, 2007, S. 292ff.
352
Vgl. SFAS 123(R). par. A240
Quellenverzeichnis
125
5. Die gesamten Vergütungskosten des jeweiligen Geschäftsjahres des verbuchten Personalaufwands sind in der Gewinn- und Verlustrechnung auszuweisen. 6. Wichtige Modifikationen bestehender Optionspläne. Hat ein Unternehmen mehrere Aktienoptionspläne aufgelegt, sind die Angaben im Konzernbzw. Jahresabschluss getrennt nach dem jeweiligen Aktienoptionsplan anzugeben.
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IV
Auslandsentsendungen und ihre arbeits-, Steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen
15
Arbeitsvertragliche Aspekte
15.1
Inhalte von Arbeitsverträgen
Der Arbeitsvertrag ist ein privatrechtlicher, schuldrechtlicher und gegenseitiger Austauschvertrag 353 zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, durch den gegenseitige Verpflichtungen und Ansprüche entstehen. Der Arbeitnehmer verpflichtet sich zur Arbeitsleistung, der Arbeitgeber im Gegenzug zur Zahlung des Lohns. In der folgenden Tab. sind die Haupt- und Nebenpflichten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer abgebildet.
353
Vgl. Schaub, 2004, S. 119
134
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen Arbeitgeber Lohnzahlungspflicht
Hauptpflichten
Arbeitnehmer Arbeitspflicht
Gleichbehandlungspflicht Maßregelungsverbot Beschäftigungspflicht
Verschwiegenheitspflicht
Pflicht zur Urlaubsgewährung
Unterlassung von ruf- und kreditschädigenden Mitteilungen und Anzeigen
Fürsorgepflicht Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit des AN Nebenpflichten
Pflicht zum Schutz von Persönlichkeitsrechten des AN Pflicht zum Schutz des Eigentums des AN Pflicht zum Schutz vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz
Tab. 15.1: Haupt- und Nebenpflichten
aus dem
Wettbewerbsverbot Auskunfts-, Rechenschafts- und Herausgabepflichten Pflicht zur Anzeige drohender Schäden Treuepflicht
Arbeitsverhältnis354
Der Arbeitsvertrag kann formfrei geschlossen werden, jedoch ist der Arbeitgeber gemäß Nachweisgesetz verpflichtet, die wesentlichen Vertragsinhalte schriftlich niederzulegen und dem Arbeitnehmer innerhalb von vier Wochen nach Beginn des Arbeitsverhältnisses auszuhändigen. 355 Diese Niederschrift muss folgende Mindestbestandteile aufweisen: • • • • • • • • • •
354 355
Name und Anschrift der Vertragsparteien, Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses, bei befristeten Arbeitsverhältnissen die voraussichtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses Arbeitsort oder der Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten eingesetzt werden soll, Charakterisierung/Beschreibung der Tätigkeit, Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts und deren Fälligkeit, vereinbarte Arbeitszeit, jährlicher Erholungsurlaub, Kündigungsfristen, Hinweis auf geltende Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen.
In Anlehnung an: Schmeisser, 2008, S. 256 Vgl. Schaub, 2004, S. 120
15 Arbeitsvertragliche Aspekte
135
Erfolgt eine solche Niederschrift nicht, so ist trotzdem ein wirksames Arbeitsverhältnis entstanden, 356 wonach beide Vertragsparteien ihren Pflichten nachkommen müssen. Werden einzelne Regelungen nicht in diese Niederschrift aufgenommen, so gelten hierfür die gesetzlichen Bestimmungen (z.B. Erholungsurlaub). Der Arbeitgeber hat ein sich aus dem Arbeitsvertrag ergebendes Weisungsrecht, wonach er die Arbeitszeit und den Arbeitsort für den Arbeitnehmer bestimmen darf. 357 Dieses Weisungsrecht reicht aber nicht aus, den Arbeitnehmer fur eine befristete oder unbefristete Zeit ins Ausland zu versetzen. 358 Hierbei müssen die Interessen des Arbeitnehmers beachtet werden und es dürfen keine unzumutbaren Beschwernisse mit dem Arbeitsortswechsel verbunden sein. Da das Weisungsrecht ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht ist, muss es gemäß § 106 GeWO billigem Ermessen entsprechen. 359 Der Arbeitgeber hat aber die Möglichkeit eine erdenkliche Versetzung ins Ausland schon im Arbeitsvertrag ausdrücklich zu vereinbaren. Auch ein sehr kurzer Auslandsaufenthalt im Sinne einer Dienstreise stellt kein Problem im Sinne des einseitigen Weisungsrechts des Arbeitgebers dar.
15.2
Möglichkeiten der Vertragsgestaltung bei Auslandseinsätzen
Wird ein Arbeitnehmer ins Ausland entsandt, so muss das bestehende Arbeitsverhältnis mit dem inländischen Arbeitgeber der neuen Situation angepasst werden. Hierfür gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten. Zum einen kann ein Ergänzungsvertrag zum Anstellungsvertrag geschlossen werden. Zum anderen kann ein Lokalarbeitsvertrag mit der Gastgesellschaft im Ausland und eine Versetzungsvereinbarung mit der Heimatgesellschaft im Inland geschlossen werden. 360 Auf beide Varianten wird in den folgenden Punkten genauer eingegangen.
15.2.1
Ergänzungsvertrag zum Anstellungsvertrag
Wird ein Mitarbeiter im Rahmen eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses ins Ausland entsandt und stehen hierbei die Interessen des Arbeitgebers im Inland im Vordergrund, so wird meist ein Ergänzungsvertrag zum bestehenden Anstellungsvertrag abgeschlossen. Dieser Ergänzungsvertrag enthält alle wesentlichen Regelungen, die den Auslandseinsatz betreffen. Das Arbeitsverhältnis im Inland wird somit unverändert fortgeführt und die Heimatge-
356
Vgl. ebd., S. 121
357
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 257
358
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 257
359
Vgl. Küfner-Schmitt, 2007, S. 22
360
Vgl. Schmeisser, S. 257
136
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
sellschaft bleibt alleiniger Vertragspartner des Arbeitnehmers. Üblich ist es, dass auch die Weisungsrechte bei der entsendenden Gesellschaft verbleiben. Aus diesen Umständen ergibt sich, dass sich auch die Haupt- und Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht verändern und deshalb der Arbeitnehmer der Heimatgesellschaft weiter seine Arbeitsleistung schuldet und der Arbeitgeber hierfür das Gehalt zahlen muss.
Heimatgesellschaft
/
Arbeitsvertrag zw. Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Gastgesellschaft
\
Ergänzungsvertrag zusätzlich zum Arbeitsvertrag
i
Arbeitsleistung des Arbeitnehmers
Abb. 15.!: Beziehungen bei Ergänzungsvertrag zu Anstellungsvertrag
Denkbar sind solche Einsätze im Ausland, die der Kontrolle von ausländischen Unternehmenseinheiten oder der Marktforschung als Vorbereitung für unternehmerische Entscheidungen dienen. Auch für Auslandseinsätze zur Personalentwicklung, insbesondere der Nachwuchskräfteförderung bzw. Projekteinsätze ist die beschriebene Vertragsgestaltung üblich. 361
15.2.2
Versetzungsvereinbarung und Lokalarbeitsvertrag
Sofern der Arbeitnehmer im Zuge der Entsendung überwiegend Aufgaben für die ausländische Gesellschaft übernimmt, ist es üblich einen Arbeitsvertrag mit der aufnehmenden Gastgesellschaft und eine Versetzungsvereinbarung mit der entsendenden Gesellschaft zu schließen. Hierfür ist es auch wichtig, ob der Arbeitnehmer bei der Gastgesellschaft einen Arbeitsplatz besetzt, der als Dauerarbeitsplatz zur Betriebsstruktur in dieser gehört. 362 Beide Verträge regeln die jeweilige Beziehung zur Heimat- und zur Gastgesellschaft, welche im Folgenden näher betrachtet werden.
361
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 257
362
Vgl. ebd., S. 258
15 Arbeitsvertragliche Aspekte
137
Heimatgesellschaft
Gastgesellschaft
I
I
Versetzungsvereinbarung
Abb. 15.2: Beziehungen bei Versetzungsvereinbarung
Lokalarbeitsvertrag
und
Lokalarbeitsvertrag
Beziehung zur Gastgesellschaft Der Arbeitnehmer schließt einen Lokalarbeitsvertrag mit der Gastgesellschaft im Ausland, welcher somit ein aktives Arbeitsverhältnis begründet. Somit ergeben sich alle Haupt- und Nebenpflichten eines Arbeitsverhältnisses für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. In diesem Lokalarbeitsvertrag werden alle wesentlichen Punkte des Arbeitsverhältnisses geregelt. Hierzu gehören unter anderem die Vertragsdauer, Art der Tätigkeit und Arbeitszeit, wobei sich diese Vertragsbedingungen üblicherweise nach den lokalen Bedingungen richten. 363 Beziehung zur Heimatgesellschaft Die Beziehung zur Heimatgesellschaft gestaltet sich durch den Abschluss einer Versetzungsvereinbarung mit dem entsendenden Arbeitgeber zusätzlich zum bestehenden Arbeitsvertrag und zusätzlich zum Lokalarbeitsvertrag mit der aufnehmenden Gastgesellschaft. In dieser Versetzungsvereinbarung werden neben dem ruhenden Arbeitsverhältnis eine Rückkehrgarantie sowie eventuell weitere Zusatzleistungen und Sonderzahlungen geregelt. 364 So erwirbt der Arbeitnehmer die Sicherheit, nach dem Auslandseinsatz seinen ursprünglichen Arbeitsvertrag wieder in Kraft treten zu lassen und so mindestens zu den alten Bedingungen weiterbeschäftigt zu werden. Unter bestimmten Voraussetzungen ist auch eine Fortführung der deutschen Sozialversicherung möglich. Hierauf wird an späterer Stelle genauer eingegangen. Des Weiteren wird aufgrund der Vertragsgestaltung die Betriebszugehörigkeit zur entsendenden Gesellschaft nicht unterbrochen. Auch fiir das entsendende Unternehmen hat diese Form des Vertrages Vorteile: Bei Bedarf kann es einen qualifizierten Mitarbeiter in die Heimatgesellschaft zurückholen. Gewöhnlich wird hierzu ein Rückrufrecht vereinbart, durch welches der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vorzeitig abberufen kann. Außerdem kann die Heimatgesellschaft durch die Anbindung des Arbeitnehmers in einem gewissen Umfang bestimmte Interessen in den Auslandsniederlassungen vertreten. 365
363
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 258
364
Vgl. ebd., S. 258
365
Vgl. ebd., S. 258
138
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
Ruhensvereinbarung Durch Abschluss einer Ruhensvereinbarung wird der bestehende Arbeitsvertrag mit der entsendenden Gesellschaft in einen sogenannten Passivvertrag umgewandelt. 366 Dies geschieht, da die Hauptpflichten - die Erbringung der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer und die Zahlung des Arbeitsentgelts durch den Arbeitgeber - für die Dauer der Entsendung entfallen. Die Nebenpflichten jedoch bleiben unberührt bestehen, so z.B. Fürsorge- und Treuepflichten. Der Arbeitnehmer behält durch diese Vertragsgestaltung eine rechtliche Bindung zur inländischen Gesellschaft. Dies wird auch als „Rumpfarbeitsverhältnis" bezeichnet.367 Rückkehrgarantie Die Rückkehrgarantie oder auch Wiedereingliederungszusage bezeichnet eine Versprechung des Arbeitgebers an den zu entsendenden Arbeitnehmer, die Beschäftigung in der Heimatgesellschaft nach Beendigung des Auslandsaufenthalts wieder aufzunehmen. Hierbei sind die Bedingungen, unter welchen das Arbeitsverhältnis weitergeführt wird, unterschiedlich verhandelbar. Im Wesentlichen existieren drei Möglichkeiten: Der Arbeitgeber kann dem Arbeitnehmer eine Beschäftigung nach dem Auslandseinsatz zu vergleichbaren Bedingungen wie vor diesem zusichern. Eine weitere Variante ist eine Zusage zu einer Beschäftigung unter Berücksichtigung der gemachten Erfahrungen im Ausland, jedoch wird keine konkrete Stelle zugesagt. Schließlich kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine konkrete Position versprechen, allerdings ist diese Form der Rückkehrgarantie in der Praxis eher selten zu beobachten. 368 Zusatzleistunsen
und
Sonderzahlunsen
Der entsandte Mitarbeiter soll während des Auslandaufenthaltes weitestgehend in das Gehaltsgefuge der Gastgesellschaft integriert werden, um das Klima unter den Arbeitnehmern nicht durch die meist hohen Unterschiede im Gehaltsgefüge nicht zu beeinflussen und Spannungen zu vermeiden. Zu diesem Zweck ist es üblich, dass durch die entsendende Gesellschaft Zusatzleistungen und Sonderzahlungen an den entsandten Arbeitnehmer leisten, obwohl sie eigentlich keine Zahlungsverpflichtungen hat.369
366
Vgl. ebd., S. 258
367
Vgl. ebd., S. 259
368
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 259
369
Vgl. ebd., S. 259
139
16 Steuerrechtliche Aspekte
16
Steuerrechtliche Aspekte
Eine Auslandsentsendung eines Arbeitnehmers hat neben den arbeitsrechtlichen Fragen auch steuerliche Konsequenzen sowohl fur den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber. Hier gilt es zu klären, in welchem Staat unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Steuern abzuführen sind oder ob gegebenenfalls in beiden Staaten Steuerpflichten entstehen bzw. ob welche Konsequenzen ein eventuell bestehendes Doppelbesteuerungsabkommen hat.
16.1
Einkommenssteuerpflicht
Der Umfang der Steuerpflicht ist abhängig von der Ansässigkeit. Als ansässig in der Bundesrepublik Deutschland gilt eine Person, sofern sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Gemäß Abgabenordnung sind Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt wie folgt definiert: „Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird." 370 „Als gewöhnlicher Aufenthalt ist stets und von Beginn an ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt von mehr als sechs Monaten Dauer anzusehen." 371 Ist ein Arbeitnehmer also ansässig im Inland, so unterliegt er dort auch der unbeschränkten Steuerpflicht. Im jeweils anderen Staat ist er nur für diese Einkünfte steuerpflichtig, die er aus dessen Quellen bezieht. Die folgende Tab. stellt dar, welcher Steuerpflicht der Arbeitnehmer unter welchen Voraussetzungen unterliegt. unbeschränkte Steuerpflicht
beschränkte Steuerpflicht
wenn Wohnsitz / gewöhnlicher Aufenthalt im Inland
keinen Wohnsitz / gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
-> sämtliche in- und ausländischen Einkünfte unbeschränkt zu versteuern
-> gemäß § 1 IV EStG i.V.m. § 49 EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig nur inländische Einkünfte zu versteuern
Tab. ¡6.1: Beschränkte
370
§ 8 AO
371
§9 AO
und unbeschränkte
Steuerpflicht
140
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
Demnach muss der Arbeitnehmer alle Einkünfte im Inland versteuern, wenn er seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt ebenfalls im Inland hat, und ist somit unbeschränkt steuerpflichtig. 372 Hat der Arbeitnehmer hingegen keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, so ist er beschränkt steuerpflichtig und unterliegt der Einkommensteuerpflicht lediglich mit inländischen Einkünften. 373
16.2
Internationales Steuerrecht
Um eine eventuelle Steuerpflicht einer Person zu ermitteln, ist es in vielen Staaten üblich, sowohl die Ansässigkeit des Arbeitnehmers (Wohnsitz- oder Ansässigkeitsprinzip) als auch die Erbringung und Verwertung der Arbeitsleistung auf seinem Hoheitsgebiet (Quellen- oder Ursprungsprinzip) zu prüfen. Ergibt sich aus dieser Prüfung eine Ansässigkeit, so fuhrt dies zu einer unbeschränkten Steuerpflicht für alle inländischen und ausländischen Einkünfte. Wird aber am Quellen- oder Ursprungsprinzip angeknüpft, so handelt es sich um eine beschränkte Steuerpflicht. Der Arbeitnehmer unterliegt also nur mit seinen inländischen Einkünften der Besteuerung. Im Hinblick auf die Ansässigkeit eines Mitarbeiters, der ins Ausland entsendet wird, können sich demnach folgende Situationen ergeben: 1. ansässig in Deutschland, 2. ansässig im Gastland, 3. ansässig in Deutschland und im Gastland (sogenannter Doppelwohnsitz). Im letzteren Fall kann es also zu einer Doppelbesteuerung kommen, d.h. derselbe Steuerpflichtige wird in mindestens zwei Staaten zu gleichen oder ähnlichen Steuern herangezo-
372
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 261
373
Vgl. ebd., S. 262
374
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 262f.
16 Steuerrechtliche Aspekte
16.3
Doppelbesteuerungsabkommen
16.3.1
Allgemeine Erläuterungen
141
Doppelbesteuerungsabkommen sind völkerrechtliche Verträge, mit denen eine Mehrfachbelastung durch gleichartige Steuern bei demselben Steuerpflichtigen vermieden werden soll. Hierbei gibt es folgende Möglichkeiten: Einerseits kann der Staat, in dem die Einkünfte entstehen (Quellenstaat), die Besteuerung zurücknehmen oder einschränken. Anderseits kann der Quellenstaat die dort entstandenen und besteuerten Einkünfte auf eine ausländische Steuer anrechnen. 3 7 5 Doppelbesteuerungsabkommen werden in erster Linie bilateral, also zwischen zwei Staaten abgeschlossen. Nur in Ausnahmefallen kommt es zu multilateralen Abkommen. 3 7 6 Die Organisation for Economic Cooperation an Development (OECD) hat ein Musterabkommen erstellt, an dem sich die zwischen der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten abgeschlossenen Abkommen orientieren. Für eine Doppelbesteuerung existieren folgende Prinzipien: • • • •
Nach dem Wohnlandsprinzip ist eine Person in jenem Staat steuerpflichtig, in dem sie ihren Wohnsitz hat oder sich gewöhnlich aufhält. Das Quellenlandprinzip besagt, dass in dem Staat eine Steuerpflicht entsteht, aus dem die Einkünfte stammen. Nach dem Welteinkommensprinzip wird das gesamte Welteinkommen des Steuerpflichtigen besteuert. Schließlich erklärt das Territorialitätsprinzip all die Einkünfte fiir steuerpflichtig, die auf dem jeweiligen Territorium des Staates erwirtschaftet wurden. 3 7 7
16.3.2
Generelles Zuweisungskriterium: Ansässigkeit
Das Musterabkommen der O E C D erklärt in Artikel 4 O E C D - Μ Α eine Person in einem Vertragsstaat als ansässig, sofern sie dort aufgrund ihres Wohnsitzes, gewöhnlichen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines ähnlichen Steuermerkmals steuerpflichtig ist. Sollte ein Doppelwohnsitz vorliegen, so richtet sich die Ansässigkeit nach der ständigen Wohnstätte. Hat die Person in beiden Staaten eine ständige Wohnstätte, wird die Ansässigkeit aufgrund der persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu den Staaten erklärt. Somit ist die Person in jenem Staat ansässig, zu dem es die engeren Beziehungen - den Mittelpunkt der Lebensinteressen - hat. Ist die Person verheiratet, so wird vom Familienwohnsitz ausgegangen. Wenn der Mittelpunkt der Lebensinteressen nicht bestimmbar ist, wird sich auf den gewöhnlichen Aufenthalt bezogen. Nur wenn auch dieser nicht ermittelbar ist,
375
Bundesfinanzministerium, Stand: 03.05.2009, 21:12 Uhr
376
Schmeisser, 2008, S. 263
377
Bundesfinanzministerium, Stand: 03.05.2009, 21:26 Uhr
142
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
richtet sich die Ansässigkeit nach der Nationalität der Person. Schließlich sieht das Musterabkommen vor, dass sich die Vertragsstaaten untereinander verständigen, sollte die Ansässigkeit aufgrundlage der genannten Kriterien nicht bestimmbar sein. 378 Die folgende Abb. stellt das Prüfschema der zu betrachtenden Merkmale noch einmal kurz dar:
Abb. 16.1: Prüfschema zur
Ansässigkeit17''
Sofern aufgrund des genannten Prüfschemas im Falle eines Doppelwohnsitzes einer der Vertragsstaaten als Ansässigkeitsstaat ermittelt wird, so wird der Steuerpflichtige nach dem DBA steuerlich so behandelt, als wäre er nur in diesem Staat ansässig. Die unbeschränkte Steuerpflicht bleibt aber grundsätzlich in beiden Staaten bestehen. 380
378
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 263
379 In Anlehnung an: Schmeisser, 2008, S. 264 380
Vgl. ebd., S. 263
143
16 Steuerrechtliche Aspekte
16.3.3
Besteuerungsrecht im Inland
Unbeschränkte Steuerpflicht Im Musterabkommen der OECD wird nach der Klärung der Ansässigkeit in Artikel 15 festgelegt, welchem Staat das Besteuerungsrecht auf Einkünfte aus unselbstständiger Arbeit zusteht. Die in diesem Artikel beschriebene Systematik der Zuweisung des Besteuerungsrechts wird in der folgenden Abb. kurz dargestellt:
Wohnsitzstaat
Tätigkeitsstaat
Territorialitätsprinzip :
Arbeitsortsprinzip:
Besteuerung der Vergütungen im Wohnsitzstaat
Besteuerung der Vergütungen im Tätigkeitsstaat bei Freistellung unter Progressionsvorbehalt im Wohnsitzstaat
Arbeitnehmerentsendung
Besteuerung der Vergütungen im Wohnsitzstaat
Abb. 16.2: Systematik
des Art. ¡5
Ausnahme: 183-Tage-Regelung
OECD-MA
Demnach gilt das Arbeitsortprinzip nach Art. 15 Abs. 1 OECD-ΜΑ als Grundregel, nach der alle Vergütungen wie Gehälter und Löhne u. ä. in dem Staat besteuert werden, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird und sich der Arbeitnehmer zur Verrichtung der Arbeit physisch aufhält. 382 Für einen Mitarbeiter, der ins Ausland entsandt wurde, heißt das also, dass seine Bezüge in Deutschland unter Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts freizustellen sind. So werden alle anderen inländischen Bezüge, wie z.B. Einkünfte aus Kapitalvermögen, mit dem Steuersatz veranlagt, der unter Einbeziehung der ausländischen Bezüge ermittelt wurde. Hierzu muss der Arbeitnehmer eine Steuererklärung abgeben.
381 382
In Anlehnung an: Schmeisser, 2008, S. 264 Vgl. ebd., S. 265
144
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
Die 183-Tage-Regelung stellt eine Einschränkung des Arbeitsortprinzips dar. So bleibt das Besteuerungsrecht in Deutschland, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Aufenthalt im Tätigkeitsstaat nicht länger als 183 Tage in zwölf Monaten, 2. Vergütung wird von oder fur Arbeitgeber gezahlt, der nicht im Tätigkeitsstaat ansässig ist, 3. Vergütungen werden nicht von Betriebsstätte getragen, die der Arbeitgeber im Tätigkeitsstaat hat. Sind diese drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt, unterliegen die Einkünfte der deutschen Besteuerung, ansonsten gilt weiterhin das Arbeitsortprinzip. 383 Beschränkte Steuerpflicht Ist der Arbeitnehmer in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig, so wird er im Tätigkeitsstaat ab Zuzug steuerpflichtig. 384 Eine Anwendung der 183-Tage-Regelung darf nicht erfolgen, da das Musterabkommen in Artikel 15 Absatz 2 davon ausgeht, dass der Arbeitnehmer in Deutschland ansässig ist. Außerdem dürfen Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit nicht besteuert werden. 385
17
Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
Nachdem bisher die arbeitsrechtlichen und lohnsteuerlichen Aspekte der Entsendung eines Mitarbeiters im Ausland dargestellt wurden, werden nun die sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkte betrachtet. Bevor ein Arbeitnehmer eine Tätigkeit im Ausland antritt, ist zu überprüfen, ob der in Deutschland bestehende soziale Schutz bewahrt bleibt oder auf die Tätigkeit im Ausland ausgedehnt wird. Das oberste Ziel sollte es sein, den Verbleib im deutschen Versicherungssystem beizubehalten, damit die Entsendeten problemlos in die deutsche Sozialversicherung zurückkehren können. Ohne diese Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes würde es für den Mitarbeiter zu Rentenversicherungslücken oder zu dem Verlust von Leistungsansprüchen bei Arbeitslosigkeit kommen. 386 Die soziale Absicherung der von deutschen Unternehmen ins Ausland entsandten Arbeiter ist entweder durch zwischenstaatli-
383
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 267
384
Vgl. Art. 15 Abs. 1 OECD-MA
385
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 267
386
Vgl. ebd., S. 267
17 Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
145
che Abkommen oder durch die sogenannte Ausstrahlung gewährleistet. Dadurch wird der entsandte Arbeitnehmer nach inländischen Vorschriften versichert. 387
17.1
Beschäftigungen im Ausland
17.1.1
Territorialprinzip
Die Vorschriften über Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung gelten fur alle Beschäftigten, die im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs (= Bundesrepublik Deutschland) beschäftigt sind (§ 3 SGB IV). Von Sonderfallen abgesehen, gilt dieses Territorialprinzip auch fur in Deutschland beschäftigte Ausländer. 388 Die Pflicht zur Sozialversicherung wird durch ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis in Deutschland begründet. Wer demnach nicht selbständiger Arbeitnehmer ist und ein Arbeitsentgelt erhält, ist nach § 7 ( 1 ) SGB IV eine im Inland abhängig beschäftigte Person. 389
17.1.2
Vorliegen einer Ausstrahlung
Damit der Bestand der sozialen Versicherung bei einem Einsatz eines deutschen Beschäftigten im Ausland nicht unterbrochen wird, bestimmt § 4 SGB IV, dass die Versicherungsvorschriften auch bei einem Auslandseinsatz gelten, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich befristet ist (= sogenannte Ausstrahlung). Weiterhin wird die Sozialversicherung von Deutschen im Ausland unter Umständen durch zwischenstaatliche Vereinbarungen und/oder Sozialversicherungsabkommen sichergestellt. 390 Das deutsche Sozialversicherungsrecht versteht unter dem Begriff der Ausstrahlung das Hinauswirken eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses in das Ausland. 391 Diese Abweichung vom Territorialprinzip gilt an jedem Tätigkeitsort weltweit. § 4 SGB IV wirkt ausschließlich in Deutschland und bindet andere Staaten nicht. Da neben dem Territorialprinzip auch die Regelungen eines anderen Staates gelten können, kann die Ausstrahlung zu einer Doppelversicherung fuhren. 392
387
Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564333, Stand: 26.04.2009, 14:38 Uhr
-ICO
Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564333, Stand: 26.04.2009, 14:53 Uhr 389
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 268
390
Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564333, Stand: 26.04.2009, 15:08 Uhr
391
Vgl. BfA., Nr. 24/2002, S. 4
392
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 268
146
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
§ 4 SGBIV: Ausstrahlung (1) Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuchs bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im Voraus zeitlich begrenzt ist. (2) Für Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, gilt Absatz 1 entsprechend,393 Die Voraussetzungen für eine Ausstrahlung nach § 4 SGB IV lauten daher: • • • •
• •
Die Entsendung muss in ein Gebiet außerhalb des Geltungsbereiches des Sozialgesetzbuches erfolgen (außerhalb Deutschland). Diese Entsendung erfolgt im Rahmen eines bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in Deutschland. Die Entsendung muss im Voraus vertraglich oder durch die Eigenart der Beschäftigung (z.B. für ein bestimmtes Projekt) befristet sein. Der Arbeitgeber ist in der Lage, den Arbeitnehmer jederzeit aus dem Ausland zurückzuholen. Damit wird gewährleistet, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer im Ausland weiterhin im Betrieb in Deutschland eingegliedert ist. Der Arbeitgeber in Deutschland ist weisungsberechtigt gegenüber dem Mitarbeiter. Das Arbeitsentgelt wird durch den Arbeitgeber in Deutschland bezahlt, d.h. das es nicht an die ausländische Firma weiterbelastet wird. 394
Wenn eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist, besteht auf der Basis des § 4 SGB IV keine Sozialversicherungspflicht in Deutschland. Dieses Ergebnis wird z.B. durch das nachfolgende Prüfschema erzielt.395
393
394
Juris, Stand: 26.04.2009, 15:35 Uhr Wikipedia, Stand: 26.04.2009, 16:04 Uhr Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1572178, Stand: 26.04.2009, 16:16 Uhr
147
17 Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
Wird der Arbeitnehmer im Rahmen des inländischen Beschäftigungsverhältnisses ins Ausland entsandt?
—>
Nein
—>
keine Ausstrahlung
—>
Nein
—>
keine Ausstrahlung
—•
Nein
—>
keine Ausstrahlung
1 Ja 1 Ist die Entsendung zeitlich befristet (durch Vertrag oder Eigenart der Tätigkeit? 4 Ja i Bleibt der Arbeitnehmer in den inländischen Betrieb integriert? I Ja
i
I Ausstrahlung liegt vor
Ausstrahlung liegt nicht vor
4
1
Die deutschen Rechtsvorschriften gelten weiter, ggf. sind Abkommensregelungen zu beachten.
Die deutschen Rechtsvorschriften gelten nicht weiter.
Abb. 17.1-. Prüfschema zur Sozialversicherungspflicht Zum besseren Verständnis werden die aufgezeigten Voraussetzungen im nachfolgenden näher erläutert.
17.2
Beschäftigungsverhältnis im Inland
Das Arbeitsverhältnis muss mit einem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber bestehen. Wenn der Arbeitgeber seinen Sitz im Ausland hat, so wird die Ausstrahlung nicht wirk-
148
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
sam. 396 Voraussetzung ist also, dass bereits vor der Entsendung eine Rechtsbeziehung zu einem Arbeitgeber in der Bundesrepublik Deutschland bestanden hat und der Lebensmittelpunkt vor der Entsendung in Deutschland lag. Diese Einschränkungen sind notwendig, denn die Vorschriften der Ausstrahlung bewirken, dass ein Arbeitnehmer nicht seinen sozialen Schutz in Deutschland verliert und keine Lücken in seinem Versicherungsverlauf vorhanden sind. 397 Der Beschäftigte muss weiterhin in dem Betrieb des inländischen Arbeitgebers organisatorisch integriert sein und der Arbeitnehmer muss dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterstehen (in Ort, Zeit, Dauer und Art). Auch der Arbeitsentgeltanspruch richtet sich an den Inlandsarbeitgeber. 398 Eine Ausstrahlung kommt nur unter der Voraussetzung zustande, dass die Hauptpflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis weiter bestehen bleiben. 399 Ein Indiz für das Vorliegen eines inländischen Beschäftigungsverhältnisses ist darin zu sehen, wenn der inländische Arbeitgeber das zustehende Arbeitsentgelt des im Ausland Beschäftigten in der Lohnbuchhaltung ausweist wie für seine normalen Beschäftigten im Inland. Es ist auch unbeachtlich, wenn die Heranziehung zur deutschen Lohnsteuer wegen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung unterbleibt. 400 Beispiel: Entsendung auch bei fehlender Lohnsteuerpflicht Ein Arbeitgeber mit Sitz im Inland hat zwei Arbeitnehmer entsandt (A nach Ägypten, Β nach Paraguay) und deren Entgelt wird vom deutschen Unternehmen ausgezahlt (Ausweis in der Lohnliste). Für den Arbeitnehmer A wird nach dem deutsch-ägyptischen Abkommen zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung keine Lohnsteuer einbehalten. Dieser Unterschied beim Zahlen des Entgeltes zum Arbeitnehmer Β ändert nichts an einer Entsendung im Sinne der Ausstrahlung. Dafür müssen aber alle anderen Voraussetzungen zwingend erfüllt sein.401 Auch die ausländische Beschäftigung bei Repräsentanzen gilt als Ausstrahlung, da diese als unselbständige Geschäftsstelle eines inländischen Unternehmens angesehen werden und Mitarbeiter in vollem Umfang Mitarbeiter des inländischen Arbeitgebers bleiben. 402
17.3
Zeitliche Begrenzung der Entsendung
Ein Arbeitnehmer, der im Ausland fur einen inländischen Arbeitgeber tätig ist, gilt unter nachfolgender Voraussetzung im Sinne der Ausstrahlung als sozialversicherungspflichtig:
396
Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564346, Stand: 26.04.2009, 16:46 Uhr
397
Schmeisser, 2008, S. 269
"ÎQO
Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564346, Stand: 26.04.2009, 17:01 Uhr 399
Schmeisser, 2008, S. 269
400
Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564347, Stand: 26.04.2009, 17:13 Uhr
401
Vgl. ebd., Haufe Index 1564347, Stand: 26.04.2009, 17:21 Uhr
402
Vgl. ebd., Haufe Index 1564349, Stand: 26.04.2009, 17:36 Uhr
17 Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
149
die Beschäftigung im Ausland (= Entsendung) muss infolge ihrer Eigenart oder vertraglich im Voraus begrenzt sein. 403 Eine Entsendung gilt dann als zeitlich begrenzt, wenn bereits zu ihrem Beginn feststeht, dass eine maßgebliche Begrenzung gegeben ist. 404 Dabei ist auf feste Zeitgrenzen nicht abzustellen und es ist somit gefahrlos, wenn die Entsendung auf mehrere Jahre befristet ist. 405 Es ist nur entscheidend, dass überhaupt eine Begrenzung stattfindet. Das B S G hat 1994 dazu entschieden, dass eine Höchstdauer der Begrenzung aus dem Gesetzestext nicht ableitbar ist, „weil bei einer derartigen Annahme die Interessen der Wirtschaft an einem flexiblen vorübergehenden Auslandseinsatz von Beschäftigten entgegenstünden." 406 Wenn der Arbeitnehmer eine gewisse Altersgrenze erreicht, dann stellt diese aber keine zeitliche Begrenzung in diesem Sinne da. Auch wenn im Voraus bereits die vertragliche Regelung für einen weiteren begrenzten Zeitraum vereinbart wird, so ist diese Verlängerung als im Voraus vertraglich zeitlich begrenzt anzusehen. 407 Beispiel: zeitliche Begrenzung im Voraus Ein Arbeitnehmer wird für zwei Jahre nach Brasilien entsandt, wobei der Vertrag vorsieht, dass eine Verlängerung der Entsendung für weitere zwei Jahre möglich ist. Es handelt sich um eine im Voraus zeitlich begrenzte Entsendung. 408 Zu beachten gilt: wenn sich die zeitliche Begrenzung erst im Laufe der Entsendung ergibt und nicht unter den vorher genannten Gesichtspunkten fällt, dann liegt keine Ausstrahlung im Sinne des § 4 S G B IV vor. Beispiel: vertraglich vereinbarte zeitliche Begrenzung der Entsendung Ein inländischer Arbeitgeber entsendet A und Β im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses nach Pakistan. Die Dauer der Entsendung des Arbeitnehmers A ist von Anfang an auf drei Jahre begrenzt. Der Arbeitnehmer Β ist zunächst fur unbestimmte Zeit entsandt worden. Nach einem Jahr stellt sich aber wider Erwarten heraus, dass die Entsendung im nächsten Jahr enden wird. Die Entsendung des Arbeitnehmers A ist im Voraus zeitlich begrenzt, deshalb handelt es sich um eine Entsendung im Sinne der Ausstrahlung. Da die zeitliche Begrenzung der Entsendung des Arbeitnehmers Β nicht im Voraus bestanden hat, sondern sich erst im Laufe der Entsendung ergab, handelt es sich nicht um eine Entsendung im Sinne der Ausstrahlung. 409
403
Vgl. ebd., Haufe Index 1564351, Stand: 26.04.2009, 18:02 Uhr
404
Vgl. ebd., Haufe Index 1564352, Stand: 26.04.2009, 18:24 Uhr
405
Vgl. ebd., Haufe Index 1564352, Stand: 26.04.2009, 18:26 Uhr
406
B S G , Urteil v. 4.5.1994, 11 R A r 55/93
407
Vgl. Haufe Personal O f f i c e Online, Haufe Index 1564351, Stand: 26.04.2009, 18:13 Uhr 408
Haufe Personal O f f i c e Online, Haufe Index 1564354, Stand: 26.04.2009, 19:10 Uhr
409
Vgl. ebd., Haufe Index 1564352, Stand: 26.04.2009, 18:48 Uhr
150
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
Begrenzungen aufgrund der Eigenart der Entsendung sind bei bestimmten Arbeitsverhältnissen anzunehmen, die nach allgemeiner Erfahrung nicht auf Dauer angelegt sind. Das ist z.B. bei Projektarbeiten, Montage- und Einweisearbeiten sowie bei der Errichtung von Bauwerken und Betriebsanlagen der Fall.410 Beispiel: zeitliche Begrenzung der Entsendung aufgrund der Eigenart Ein inländisches Unternehmen hat sich verpflichtet, einen Staudamm in Indien innerhalb eines Zeitraums von höchstens fünf Jahren zu errichten, und entsendet hierfür Beschäftigte im Rahmen eines zu diesem Unternehmen bestehenden Beschäftigungsverhältnisses. Über die Dauer der Entsendung bestehen keine schriftlichen arbeitsvertraglichen Absprachen. Es handelt sich um Entsendungen, die ihrer Art nach zeitlich befristet sind. Deshalb ist die Vorschrift über die Ausstrahlung anzuwenden. 411
17.4
Über- und zwischenstaatliche Abkommen mit Deutschland
Neben den oben genannten Bedingungen für das Entstehen einer Ausstrahlung im Sinne des § 4 SGB IV (Beschäftigungsverhältnis im Inland, zeitliche Begrenzung der Entsendung), existieren auch noch sogenannte über- und zwischenstaatliche Abkommen einzelner Staaten mit der Bundesrepublik Deutschland. Diese sind über dem Sozialgesetzbuch vorrangig und haben so Einfluss auf alle oder einzelne Versicherungsbereiche. 412 Das Argument für die Entstehung solcher Abkommen war, dass ein Entsendeter aufgrund des Territorialprinzips sowohl im Inland als auch im Beschäftigungsort sozial versichert sein kann. Dieser Tatbestand kann zu einer doppelten Beitragsbelastung fuhren. 413 Zu den Abkommen zählen EWG-Verordnungen als überstaatliches Recht und die bilateralen Abkommen als zwischenstaatliches Recht. Diese sollen verhindern, dass der Entsendete für die Zeit seiner Tätigkeit im Ausland nicht das Versicherungssystem wechseln und keine doppelten Beiträge bezahlen muss.414 EWG-Verordnungen
410 41
Vgl. ebd., Haufe Index 1564353, Stand: 26.04.2009, 19:02 Uhr
' Vgl. ebd., Haufe Index 1564353, Stand: 26.04.2009, 19:05 Uhr
41 7
Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564376, Stand: 27.04.2009, 08:27 Uhr 413
Schmeisser, 2008, S. 271
414
Ebd., S. 271 f.
17 Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
151
Für die zum europäischen Wirtschaftsraum gehörenden Länder ist durch Verordnungen sichergestellt, dass bei einem Entsendeten die Sozialversicherung nach inländischem Recht durchzuführen ist. 4 ' 5 Dazu zählen die Länder Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien und Nordirland, Irland, Island, Italien, Lettland, Liechtenstein, Litauen, Luxemburg, Malta, Niederlande, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechische Republik, Ungarn und Zypern. 4 1 6 Dafür muss der Entsendete aber in einem Mitgliedsstaat des europäischen Wirtschaftsraumes tätig werden. Anwendung findet hier das Kernstück der Verordnung - die EWG-Verordnung Nr. 1408/71 und gilt somit in den Mitgliedsstaaten der europäischen Union. Der räumliche Geltungsbereich wurde auf Island, Norwegen und Liechtenstein ausgedehnt und findet auch Anwendung bei schweizerischen Staatsangehörigen. 4 1 7 Der persönliche Geltungsbereich umfasst außerdem nach Art.2 Abs. 1 E W G - V O Nr. 1408/71 Arbeitnehmer, Selbständige, Studierende und Flüchtlinge. Infolgedessen fallt ein Arbeitnehmer, der eine Angehörigkeit zu einem dritten Staat vorweist, nicht unter dem Geltungsbereich der EWG-Verordnungen. 4 1 8 Es gelten dann die Vorschriften der Ausstrahlung, sofern nicht Zuständigkeitsregelungen aus Abkommen über soziale Sicherheit, die zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehen, zu beachten sind. 419 Der sachliche Geltungsbereich ist durch Art. 4 Abs. 1 der E W G - V O 1408/71 festgelegt und gilt somit für Versicherungszweige, die folgende Leistungen gewähren: • • • • • • • •
Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, Leistungen bei Invalidität, einschließlich Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbstätigkeit bestimmt sind, Leistungen bei Alter, Leistungen an Hinterbliebene, Leistungen bei Arbeitsunfallen und Berufskrankheiten, Sterbegeld, Leistungen bei Arbeitslosigkeit und Familienleistungen. 4 2 0
Nach Aufzählung der oben genannten Leistungen wird klar, dass die deutsche Sozialversicherung (Kranken-, Renten-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung) unter den sachlichen Geltungsbereich der Verordnung fällt. Er umfasst aber auch die Pflegeversicherung, deren Leistungen im Rahmen der EWG-Verordnungen den Leistungen der Krankenversicherung zuzuordnen sind. 421
415
Vgl. H a u f e Personal O f f i c e Online, H a u f e Index 1564341, Stand: 27.04.2009, 09:03 Uhr
416
Vgl. ebd., H a u f e Index 1564341, Stand: 27.04.2009, 09:45 Uhr
417
Schmeisser, 2008, S. 272
418
Ebd., S. 272
419
H a u f e Personal O f f i c e Online, H a u f e Index 1564341, Stand: 27.04.2009, 09:51 U h r
420
421
Schmeisser, 2008, S. 273 Ebd., S. 273
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
152
Als Grenze gilt eine Dauer von zwölf Monaten gemäß Art. 14 Abs. la der EWG-VO 1408/71, wenn der Mitarbeiter nicht einen anderen ablöst, für den die Entsendezeit abgelaufen ist. Geht die Arbeit über zwölf Monate hinaus, so gelten weiterhin die deutschen Rechtsvorschriften bis zum Ende dieser Arbeit, längstens jedoch für weitere zwölf Monate, sofern die zuständige Behörde des EU-Staats oder die von ihm bezeichnete Stelle vor Ablauf der Zeit ihre Zustimmung hierzu erteilt hat.422 Dafür muss der deutsche Arbeitgeber die Zustimmungserklärung vor Ende der 12-Monats-Frist beantragen.
17.5
Bilaterale Sozialversicherungsabkommen
Da die EWG-Verordnungen fur die Mitgliedsstaaten gemeinsame Vorschriften aufweisen, existieren daneben Abkommen zwischen Deutschland und dem jeweiligen Rechtsstaat. 423 Durch diese Vereinbarungen mit Staaten außerhalb der EU ist sichergestellt, dass der Entsendete auch weiterhin in der deutschen Sozialversicherung versorgt ist. Die Dauer in den einzelnen Abkommen kann dabei unterschiedlich lang sein.424 In der folgenden Tab.425 werden u.a. einzelne Vertragsstaaten mit den jeweiligen enthaltenen Versicherungszweigen fur jedes einzelne Land aufgeführt. Land
Versicherungszweige
Australien
nur Renten- und Arbeitslosenversicherung
Bosnien-Herzegowina
ohne Pflegeversicherung
Chile
nur Renten- und Arbeitslosenversicherung
China
nur Renten- und Arbeitslosenversicherung
Israel
ohne Pflege- und Arbeitslosenversicherung
Japan
nur Renten- und Arbeitslosenversicherung
Kanada ohne Quebec
nur Renten- und Arbeitslosenversicherung
Korea
nur Renten- und Arbeitslosenversicherung
Kroatien
nur Kranken- und Rentenversicherung
Marokko
ohne Pflegeversicherung
Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564341, Stand: 27.04.2009, 09:58 Uhr 423 424 425
Schmeisser, 2008, S. 275 Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564341, Stand: 27.04.2009, 21:00 Uhr Ebd., Haufe Index 1564341, Stand: 27.04.2009, 21:06 Uhr
17 Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
153
Mazedonien
ohne Pflegeversicherung
Quebec
nur Renten- und Arbeitslosenversicherung
Republik Montenegro Republik Serbien
und
ohne Pflegeversicherung
Türkei
ohne Pflegeversicherung
Tunesien
ohne Pflege- und Arbeitslosenversicherung
USA
nur Rentenversicherung
Tab. 17.1: Vertragsstaaten und die dazugehörigen
Versicherungszweige
Diese einzelnen Verträge sind in geschlossene und offene Abkommen zu unterscheiden. Geschlossene Abkommen (wie z.B. Tunesien und Marokko) beschränken sich nur auf Staatsangehörige des jeweiligen Vertragsstaates sowie Flüchtlinge und Staatenlose. Bei den offenen Abkommen werden sämtliche Personen einbezogen, die eine Verbindung zum Sozialversicherungsrecht von einem der beiden Vertragsstaaten aufweisen. 426 Der sachliche Geltungsbereich ist bei allen Abkommen stark unterschiedlich definiert, denn kaum ein Vertragsstaat beinhaltet alle Versicherungszweige. Viele Vertragsstaatenabkommen bieten nur eingeschränkte Möglichkeiten an. Auffallend ist jedoch, dass alle Sozialversicherungsabkommen die gesetzliche Rentenversicherung beinhalten. 427
17.6
Zahlung der Beiträge während des Auslandsaufenthaltes
Es ergeben sich keine Auswirkungen auf die Beitragszahlungen an die Sozialversicherungsträger, wenn während der Entsendung weiterhin die Versicherungspflicht bei der deutschen Sozialversicherung besteht. Die Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge werden an die Krankenkasse des jeweiligen Arbeitnehmers vom Arbeitgeber abgeführt. 428 Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass es problematisch ist, die Höhe des gezahlten Arbeitsentgeltes zu ermitteln, um daraus die Beiträge berechnen zu können. Um für den entsandten Arbeitnehmer Nachteile für spätere Rentenansprüche zu vermeiden, gilt für Beitragsberechnung zur Rentenversicherung eine Besonderheit: Zwischen dem tatsächlichen Gehalt des Mitarbeiters und einem fiktiven Entgelt wird ein sogenannter Günstigkeitsvergleich vorgenommen. Wenn dabei das fiktiv ermittelte Gehalt höher ausfällt als das tatsächliche, müssen aus dem fiktiven Gehalt die Ansprüche ermittelt werden (§ 166 Abs. 1
426
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 276
427
Vgl. ebd., S. 276
428
Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564379, Stand: 26.04.2009, 20:47 Uhr
154
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
Nr. 4 SGB IV). Das Ziel dieser Vorgehensweise ist darin zu sehen, dass den veränderten Einkommensverhältnissen gerecht werden soll.429 Zu beachten ist dabei, dass nur für die Rentenversicherung die Beiträge aus einem fiktiven Gehalt berechnet werden sollen. Diese Berechnung ist nicht anzuwenden fur Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Bei der Ermittlung des fiktiven Gehaltes wird der Betrag zugrunde gelegt, der sich ergibt, wenn die im laufenden Kalenderjahr geltende Beitragsbemessungsgrenze mit einem Verhältniswert vervielfältigt wird. 430 Die Summe des Einkommens des Arbeitnehmers der letzten drei voll mit Pflichtbeiträgen belegten Kalendermonate vor Aufnahme der Beschäftigung im Ausland wird durch die Summe der Beträge der Beitragsbemessungsgrenzen für diesen Zeitraum dividiert.431 Der dabei herauskommende Verhältniswert muss mit vier Stellen nach dem Komma angegeben werden. Das monatliche Bemessungsentgelt wird durch Multiplikation der für den Beitragsmonat maßgebenden Beitragsbemessungsgrenze mit dem Verhältniswert ermittelt, wobei mindestens ein Verhältniswert von 0,6667 zugrunde zu legen ist.432 Der einmal zu Beginn des Auslandsaufenthalts ermittelte Verhältniswert bleibt während der gesamten Dauer des Auslandsaufenthalts fiir die Ermittlung des fiktiven Arbeitsentgelts maßgebend.433 Beispiel 1 : Ermittlung des fiktiven Entgelts Arbeitsentgelt der letzten drei voll mit Pflichtbeiträgen belegten Kalendermonate: Monat
Arbeitsentgelt
Beitragsbemessungsgrenze
Juli 2009
3.800 EUR
5.400 EUR
August 2009
3.800 EUR
5.400 EUR
September 2009
3.800 EUR
5.400 EUR
11.400 EUR
16.200 EUR
Tab. 17.2: Arbeitsentgelt mit
Pflichtbeiträgen
Aus der Summe der Arbeitsentgelte (11.400 EUR) und der Summe der Beitragsbemessungsgrenzen (16.200 EUR) ergibt sich ein Verhältniswert von (11.400 EUR: 16.200 EUR =) 0,7037. Dieser Verhältniswert übersteigt den vorgeschriebenen Mindestverhältniswert von
429
Vgl. ebd., Haufe Index 1564380, Stand: 26.04.2009, 21:00 Uhr
430
Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564381, Stand: 26.04.2009, 21:12 Uhr
43
' Vgl. ebd., Haufe Index 1564381, Stand: 26.04.2009, 21:17 Uhr
432
Ebd., Haufe Index 1564381, Stand: 26.04.2009, 21:17 Uhr
433
Ebd., Haufe Index 1564383, Stand: 26.04.2009, 21:47 Uhr
17 Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
155
0,6667 und ist damit maßgeblich. Das fiktive Entgelt für das Jahr 2009 beträgt (5.400 EUR χ 0,7037 =) 3.799,98 EUR. 434 Da von dem tatsächlich gezahlten Arbeitsentgelt der letzten drei voll mit Pflichtbeiträgen belegten Kalendermonate vor Aufnahme der Beschäftigung im Ausland ausgegangen werden soll, können einmalige Einnahmen (wie z.B. Weihnachtsgeld) im vollen Umfang berücksichtigt werden. 435 Beispiel 2: Ermittlung des fiktiven Entgelts bei Überschreiten der Beitragsbemessungsgrenze Letzte drei voll mit Pflichtbeiträgen belegte Kalendermonate: Beitragsbemessungsgrenze
Arbeitsentgelt
Monat November 2008
2.600 EUR
5.300 EUR
Dezember 2008
5.400 EUR
5.300 EUR
Januar 2009
2.700 EUR
5.400 EUR
10.700 EUR
16.000 EUR
Verhältniswert (10.700 EUR : 16.000 EUR =) 0,6688 Tab. 17.3: Arbeitsentgelt mit
Beitragsbemessungsgrenze
Für das Kalenderjahr 2009 ergibt sich ein monatliches Bemessungsentgelt von 5.400 EUR χ 0,6688 = 3.611,52 EUR. 436 Wenn nur zwei Kalendermonate voll mit Pflichtbeiträgen belegt sind, ist der Verhältniswert aus der Summe der Arbeitsentgelte und der Summe der Beitragsbemessungsgrenzen fur diese beiden Monate zu bilden. 437
17.7
Vorsorge bei fehlender Versicherungspflicht
Es kann jedoch passieren, dass der Entsendete weder unter den § 4 SGB IV noch nach dem über- und zwischenstaatlichen Recht eingeordnet werden und somit nicht in der deutschen Sozialversicherung verbleiben kann. Unter gewissen Bedingungen kann der Entsendete aber
434 435 436 437
Ebd., Haufe Index 1564381, Stand: 26.04.2009, 21:27 Uhr Vgl. ebd., Haufe Index 1564382, Stand: 26.04.2009, 21:32 Uhr Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564382, Stand: 26.04.2009, 21:37 Uhr Ebd., Haufe Index 1564383, Stand: 26.04.2009, 21:37 Uhr
156
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
den Versicherungsschutz aufrechterhalten. Hierbei können nationale Vorschriften von Bedeutung sein, vor allem bei Personen, die im vertragslosen Ausland tätig sind. 438
17.7.1
Rentenversicherung
Der Fortbestand der Rentenversicherung ist ein wichtiges Anliegen für den Entsendeten, da es ansonsten zu Versicherungslücken kommt. Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV kann der Entsendete daher auf Antrag eine Rentenversicherungspflicht erwirken. Voraussetzungen dafür sind, dass der Arbeitnehmer nur begrenzt im Ausland arbeitet und diese Versicherungspflicht von einer Stelle mit Sitz im Inland beantragt wird. 439
17.7.2
Krankenversicherung
Der Entsendete kann sich nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V aus freien Stücken versichern, wenn er aus der Versicherungspflicht ausgeschieden ist und entweder in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens zwölf Monate versichert war. Der Entsendete erhält nach § 17 SGB V die Leistungen von seinem Arbeitgeber erstattet. Die Krankenkasse muss dem Arbeitgeber die Aufwendungen bis zu der Höhe ersetzen, wie sie im Inland entstanden wären. Die eventuell daraus folgende Differenz hat der Arbeitgeber zu tragen. Meist wird jedoch mit dem Entsendeten eine private Auslandskrankenversicherung abgeschlossen, da der Arbeitgeber diese Kostenerstattungsdifferenz und den hohen bürokratischen Aufwand umgehen möchte. 440 Wenn ein Arbeitnehmer vor seiner Auslandstätigkeit freiwillig in der gesetzlichen Krankenkasse versichert war, besteht nach § 240 Abs. 4a SGB V die Möglichkeit einer Anwartschaftsversicherung. Um diese Anwartschaftsversicherung wahrnehmen zu können, darf der Entsendete keine familienversicherten Angehörigen haben, die in Deutschland verbleiben, und muss beruflich bedingt im Ausland arbeiten. Der Arbeitnehmer sollte dabei eine Kündigung der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung vermeiden, um bei seiner Rückkehr wieder in dieser versichert sein zu können. 441
17.7.3
Pflegeversicherung
Es ist auch möglich, auf freiwilliger Basis die Pflegeversicherung fortzusetzen. Während der Entsendung bestehen zwar keine Leistungsansprüche, aber die Versicherungszeit wird mit angerechnet. Nach § 26 Abs. 2, Satz 2 SGB XI muss der Antrag einen Monat nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht gestellt werden.
438
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 278
439
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 278
440
Vgl. ebd., S. 278
441
Vgl. ebd., S. 279
17 Sozialversicherungsrechtliche Aspekte
17.7.4
157
Unfallversicherung
Bei der gesetzlichen Unfallversicherung besteht für den Entsendeten keine Möglichkeit, sich selbständig freiwillig weiter zu versichern. Aber auf Antrag des Arbeitgebers kann dieser bei der zuständigen Berufsgenossenschaft eine Auslandsunfallversicherung abschließen (gemäß § 140 Abs. 2 und 3 SGB VII).
17.7.5
Arbeitslosenversicherung
Der Entsendete kann auf freiwilliger Grundlage die gesetzliche Arbeitslosenversicherung nicht fortfuhren. Folglich kann dieser bei seiner Rückkehr den Anspruch auf Arbeitslosengeld verlieren. Generell ist aber festzuhalten, dass man Arbeitslosengeld erhalten kann, wenn derjenige Arbeitnehmer in einer Frist von drei Jahren mindestens für zwölf Monate ein sozialversicherungsrechtliches Arbeitsverhältnis hat. Demnach hat der Entsendete Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn die Tätigkeit im Ausland nicht länger als 24 Monate bestand. 442
17.8
Beendigung der Ausstrahlung
Eine Ausstrahlung ist unter den drei nachfolgend genannten Bedingen regelmäßig beendet. 1. Der ausländische Beschäftigungsort bleibt gleich, aber der inländische Arbeitgeber wird gewechselt. Aber auch wenn der inländische Arbeitgeber sich ändert, bedeutend es nicht zwangsläufig, dass die Entsendung damit auch beendet wird. Wenn der Wechsel des Arbeitgebers dadurch gekennzeichnet ist, dass das bisherige Unternehmen von einem anderen inländischen Unternehmen übernommen wird, so ist dieser Wechsel nicht weiter zu beachten und es handelt sich weiterhin um eine Entsendung. 443 Beispiel: Entsendung und Arbeitgeberwechsel Die Arbeitnehmer A und Β arbeiten aufgrund einer Entsendung im Sinne der Ausstrahlung von § 4 SGB IV in Saudi-Arabien. Beim Arbeitnehmer A wechselt im Rahmen seiner Beschäftigung der Arbeitgeber, weil sein Unternehmen von einem anderen inländischen Unternehmen übernommen worden ist. Der Arbeitnehmer Β nimmt in SaudiArabien eine Stelle bei einem anderen deutschen Unternehmen an, weil das Beschäftigungsverhältnis zum ersten deutschen Unternehmen beendet ist.
442
Vgl. Schmeisser, S. 280
443
Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564357, Stand: 27.04.2009, 21:54 Uhr
158
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
Für den Arbeitnehmer A ändert sich durch den Wechsel des Arbeitgebers an der Entsendung im Sinne der Ausstrahlung nichts, während es sich beim Arbeitnehmer Β um ein neues, im Ausland eingegangenes Beschäftigungsverhältnis handelt, das nicht auf Entsendung beruht und damit nicht der Versicherungspflicht im Wege der Ausstrahlung in der deutschen Sozialversicherung unterliegt.444 2. Der Beschäftigungsort wird vorübergehend vom Ausland ins Inland verlegt. Wenn aber der Entsendete während der Entsendungszeit temporär im Inland ist (z.B. aus Urlaubsgründen oder aufgrund von geringfügiger Beschäftigung), wird die eigentliche Entsendung dadurch nicht unterbrochen. In § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV wird festgehalten, dass eine Dauer von zwei Monaten im Laufe eines Kalenderjahres tragbar ist. Wenn vertraglich aber vorgesehen ist, dass der in § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV genannte Zeitraum im Laufe eines Kalenderjahres überschritten werden soll, dann handelt es sich um eine neue Entsendung, wenn die Beschäftigung im Ausland fortgesetzt wird. 445 Beispiel: Entsendung bei vorübergehender Rückkehr ins Inland Der Arbeitnehmer D ist von seinem inländischen Arbeitgeber nach Norwegen, der Arbeitnehmer E nach Panama entsandt worden. Die Entsendung des Arbeitnehmers D ist zeitlich nicht begrenzt; der Arbeitnehmer kehrt aber gelegentlich zum Urlaub oder zur Berichterstattung für kurze Zeit ins Inland zurück. Hierdurch kommt eine zeitliche Begrenzung der Auslandstätigkeit nicht zustande. Da es sich um eine unbefristete Entsendung handelt, besteht keine Versicherungspflicht im Wege der Ausstrahlung nach § 4 SGB IV. Der Arbeitnehmer E ist vertraglich verpflichtet, jeweils nach drei Jahren zur Berichterstattung und zur Einarbeitung in neue Techniken zu einer vorübergehenden Inlandstätigkeit fur einen Zeitraum, der über die in § 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV genannte Dauer von zwei Monaten im Laufe eines Kalenderjahres hinausgeht, zurückzukehren. Diese Inlandstätigkeit bricht die Auslandstätigkeit ab, sodass es sich jeweils um befristete Entsendungen im Sinne der Ausstrahlung handelt und damit für die jeweiligen Beschäftigungen im Ausland Versicherungspflicht in der deutschen Sozialversicherung vorliegt.446 3. Eine befristete wird in eine unbefristete Entsendung umgewandelt.
444
Ebd., Haufe Index 1564357, Stand: 27.04.2009, 22:09 Uhr
44^ Vgl. Haufe Personal Office Online, Haufe Index 1564358, Stand: 27.04.2009, 22:12 Uhr 446
Ebd., Haufe Index 1564358, Stand: 27.04.2009, 22:19 Uhr
18 Zusammenfassung
18
159
Zusammenfassung
Die individuelle Ausgestaltung des Arbeitsvertrages beeinflusst wesentlich die Auswirkungen fur das Arbeits-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht. In diesen Bereichen bilden die vertragliche Anbindung zum inländischen Arbeitgeber, die zeitliche Befristung oder die Dauer der Entsendung sowie die organisatorische Einordnung eine wichtige Basis fur die ordnungsgemäße Beurteilung des speziellen Falles des Entsendeten. In einzelnen Fällen, und wenn der Arbeitgeber nicht das nötig Know-how besitzt, sollte Rat bei den zuständigen Rechtsexperten, Beratungen oder Behörden eingeholt werden, denn bei der Entsendung handelt es sich um eine höchst komplexe Materie. 447 Gerade für kleine und mittlere Unternehmen ist die Entsendung immer auch eine finanzielle und personelle Belastung. Alternativen dazu, wie z.B. Kooperationen mit anderen Firmen, Firmenpoolmitgliedschaften bei den Außenhandelskammern usw., sollten daher in Betracht gezogen werden. 448 Dennoch ist auch in Zeiten der weltweiten Wirtschaftskrise ein Trend zu beobachten: Auch wenn die Entsendung von Arbeitnehmern mit sehr hohen Kosten verbunden ist, werden auch in der Zukunft viele Mitarbeiter von ihren Firmen in das Ausland entsendet. 449 40 Prozent der befragten Unternehmen gehen davon aus, dass künftig mehr Beschäftigte zur Arbeit an Auslandsstandorten versendet werden. An der Umfrage beteiligten sich 51 international tätige Unternehmen. Jedes vierte hat derzeit zwischen 100 und 500 deutsche Mitarbeiter an Auslandsstandorten, jedes zehnte zählt mehr als 500 Expatriates. 450 Daher ist es für die infrage kommenden Firmen unabdingbar, sich mit der Thematik Entsendung in arbeits-, sozial- und steuerrechtlicher Hinsicht zu beschäftigen.
Quellenverzeichnis Bundesfinanzministerium: URL: http://www.bundesfinanzministerium.de http://www.bundesfmanzministerium.de/nn_39818/DE/BMF Startseite/Service/Glo ssar/D/004 Doppelbesteuerungsabkommen.html Stand: 03.05.2009, 21:12 Uhr. http://www.bundesfinanzministerium.de/nn_39818/DE/BMF Startseite/Service/Glo ssar/D/004 Doppelbesteuerungsabkommen.html Stand: 03.05.2009,21:26 Uhr.
447
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 2 8 0
448
I H K - N o r d w e s t f a l e n , Stand: 26.04.2009, 22:47 U h r
449
H a u f e , Stand: 27.04.2009, 22:32 Uhr
450
Ebd., Stand: 2 7 . 0 4 . 2 0 0 9 , 2 2 : 4 1 U h r
160
IV Auslandsentsendungen und ihre Konsequenzen
Haufe Personal Office Online: Haufe Index. Version 13.4.22.0, 2009. Haufe: URL: https://www.haufe.de https://www.haufe.de/SID61 .Xq 1 OLOn2FSo/personal/newsDetails?newsID= 1240419 184.52 Stand: 27.04.2009, 22:32 Uhr. https://www.haufe.de/SID61 .Xq 1 OLOn2FSo/personal/newsDetails?newsID= 1240419 184.52 Stand: 27.04.2009, 22:41 Uhr. IHK-Nordwestfalen: URL: http://www.ihk-nordwestfalen.de http://www.ihk-nordwestfalen.de/marktkontakt/Auslandsentsendung.cfm Stand: 26.04.2009, 22:47 Uhr. Juris: URL: http://bundesrecht.juris.de http://bundesrecht.juris.de/sgb_4/ 4.html Stand: 26.04.2009, 15:35 Uhr. Küfner-Schmitt, I.: Arbeitsrecht. 5. Auflage, Planegg, 2007. Schaub, G.: Arbeitsrecht von A-Z. 17. Auflage, dtv, München, 2004. Schmeisser, W.: Finanzorientierte Personalwirtschaft. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München, 2008. Wikipedia: URL: http://www.wikipedia.de http://de.wikipedia.org/wiki/Entsendung Stand: 26.04.2009, 16:04 Uhr.
V
Internationale Entgeltsysteme fur börsennotierte Unternehmen im Wandel
Die deutsche Industrie und die Banken laufen derzeit Sturm gegen die deutsche Gesetzesinitiative zur Regulierung und Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG), die im Kontext vielfaltiger Versuche der Regulierung auf EU-Ebene stehen. Fragen, wie und ob man Vorstandsvergütungen begrenzen, leistungsgerechter und langfristig transparenter gestalten kann, ob Aktienoptionsprogramme wegen kurzfristiger, kapitalmarktorientierter Überlegungen die falschen Anreizinstrumente sind, wie die Besetzung von Aufsichtsräten als Kontrolleure von Vorstandsentgeltsystemen zu erfolgen hat, usw. sind nur einzelne Aspekte, die unter dem Standard von Corporate Governance und Compliance mit den einzelnen Bestandteilen des variablen Entgeltsystemen neu zu diskutieren sind. Hintergrund der staatlichen Gesetzesinitiativen sind die Auswüchse, bei denen Manager mit goldenem Handschlag verabschiedet worden sind, obwohl sie Versager waren. Diskussionsfelder, die sich nun eröffnen sind: 1. Gibt es eine betriebswirtschaftliche und personalwirtschaftliche Crundlogik, die den börsenorientierten Anforderungen an Unternehmen genügt? Die finanzorientierte Personalwirtschaftslogik kann hier als möglicher Prozess diskutiert werden. Aspekte, die zu diskutieren sind, sind z.B. die Frage, wer fur die Entgelte von gehobenen Manager- und Vorstandsgehältern zuständig ist, und ob dies die Börse bzw. die Investoren auch nachvollziehen können. 2. Substance: Unter diesem Begriff wird die Angemessenheit von variablen Gehaltsanteilen an der Managerleistung begründet, wie eine Art positive „Nachhaltigkeit" von Managerverhalten für das Unternehmen instrumenten sichergestellt werden kann, ohne z.B. mit Aktienoptionsprogrammen (AOPs) „falsche Anreize" zu geben. Es muss eine negative Sanktionierung z.B. über die Humankapitalbewertung oder Beteiligung am Unternehmen erfolgen, wenn versagendes Verhalten bei Manager gegeben ist. Hierbei stellt sich die Frage, welche anderen und ergänzenden Instrumente statt der AOPs sich im Rahmen eines „Vier-Säulen-Entgeltmanagements" bei versagenden Verhalten bei Managern anbieten. Kann dies z.B. das Berliner Humankapitalbewertungsmodell sein?
162
V Internationale Entgeltsysteme für börsennotierte Unternehmen im Wandel
3. Transparency: Es muss eine (individualisierte) Offenlegung über die Performance Bewertung von Managern, Risk Management, Entgeltsysteme für Vorstände, Aufsichtsräte und oberste Führungskräfte aus Quartalsberichten, Geschäftsberichten, Financial Public Relationsinformationen für die Börse und die Interessenten des Unternehmens möglich sein. Die finanzorientierte Personalwirtschaft gibt Lösungsvorschläge für alle drei Diskussionsfelder vor und zeigt mit ihrer Grundlogik den Prozess für börsennotierte Unternehmen auf, wie für Niederlassungen, Business Units, Manager, Vorstände eines Unternehmens deren Performance-Messung logisch abgeleitet werden kann, und wie dann die Ableitung variabler Anteile des Entgeltmanagementsystems im Rahmen des Berliner Balanced ScorecardAnsatzes und des Berliner Humankapitalbewertungsmodells erfolgen kann.
Abb. IV.]: Logik der finanzorienlierten
451
Personalwirtschaff5i
Schmeisser, 2008 und Schmeisser/Clausen, 2009
V Internationale Entgeltsysteme für börsennotierte Unternehmen im Wandel
163
In der Logik der finanzorientierten Personalwirtschaft wird der Trend zur Internationalisierung des Rechnungswesens (International Financial Report Standards) zugrunde gelegt, da hier das interne und externe Rechnungswesen ideal zusammengeführt werden, nämlich derart, wie es von den Börsen in den Quartalsberichten erwartet und verlangt wird. Damit hat das Rechnungswesen, aber auch die finanzorientierte Personalwirtschaft, zwei konkrete Informationsbedürfnisse der Börse, der Investoren und der Stakeholdern zu befriedigen: • •
eine Rechenschaft über das wirtschaftliche Handeln zu liefern, hier über das personalwirtschaftliche Handeln. für die Bereitstellung von Informationen zu sorgen, mittels derer die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens, insbesondere personalwirtschaftliche Maßnahmen, mit Hilfe ausgewählter Controllingtechniken und Kennzahlen abgeschätzt werden können.
Betriebliche Informationsprobleme stellen sich in diesem Zusammenhang für das Rechnungswesen in zweifacher Weise: 1. Bereits zur Erkennung bzw. zur Formulierung (personalwirtschaftlicher) Entscheidungsprobleme werden Informationen des Rechnungswesens nach IFRS benötigt, z.B. für den Sozialplan, Entscheidungen zur betrieblichen Altersversorgung, Aktienoptionsplan, Berliner Humankapitalbewertungsmodell etc. 2. Des Weiteren werden Informationen zur personalwirtschaftlichen Beurteilung der mit den Entscheidungsalternativen verbundenen Konsequenzen erforderlich, z.B. Strategieberechnungen mittels Innovationserfolgsrechnungen und Berliner Balanced ScorecardAnsatz, Humankapitalbewertung und deren Konsequenzen für das Forschungs- und Entwicklungsteam (z.B. Patentbewertung), den Personaleinsatz, Berechnungen zu Cashflows, Kapitalflussrechnungen, Wertschöpfungsrechnungen und deren Konsequenzen für die Strategieverfolgung etc. Konzerne und börsennotierte Kapitalgesellschaften, die IFRS anwenden, neigen dazu, ohne den Namen des Ansatzes zu kennen, eine finanzorientierte Personalwirtschaft zu praktizieren. An folgenden finanzwirtschaftlichen „Indikatoren", können genau genommen personalwirtschaftliche Instrumente, Aktivitäten und Kennzahlen derartiger Unternehmen typologisch zugeordnet werden: •
•
•
Sie haben ein Personalcontrolling, das die Kennzahlen aus den IFRS-KonzernAbschlüssen oder IFRS-Jahresabschlüssen, der Lohn- und Gehaltsabrechnung usw. ableiten, die wiederum als Zahlenlieferanten für Quartalsberichte für die Börse, das Rating und die Jahresabschlüsse dienen. Sie haben bisher eine Variante eines Aktienoptionsprogramms für Vorstände, für den Aufsichtsrat, leitende Führungskräfte, für AT-Mitarbeiter usw., die das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit als Orientierung zugrunde legt. Sie haben ein betriebliches Altersversorgungssystem und/oder Mitarbeiterbeteiligungsmodelle, die permanent finanzwirtschaftlich auf dem Prüfstand stehen.
164 •
V Internationale Entgeltsysteme für börsennotierte Unternehmen im Wandel
finanzorientierte Personalwirtschaft setzt sich mit den finanziellen Belastungen auseinander, die durch das Personal entstehen, und die dann in der Gewinn- und Verlustrechnung und im Jahresabschluss zu finden sind.
Die Unternehmen, die zumindest implizit eine fortgeschrittene finanzorientierte Personalwirtschaft betreiben, erkennen, dass sich 1. Konzern-, Unternehmens- und Business Unit-Strategien besser durch eine finanzorientierte Personalstrategie steuern, begleiten und kontrollieren lassen. Dies kann durch den Berliner Balanced Scorecard-Ansatz, das Berliner Humankapitalbewertungsmodell oder immaterielle Werttreiber (Patente, Lizenzen, Humankapital etc.) erreicht werden. 2. Aber auch eine Fusion, eine Werksschließung, eine betriebliche Teilverlagerung ins Ausland, ein Outplacement etc. muss finanzorientiert personalwirtschaftlich belegt und berechnet werden. Damit unterstützt die finanzorientierte Personalwirtschaft die Rechenschaftspflicht den Kapitalgebern gegenüber mittels Börsenberichten, und zwar: •
als eine Dispositionshilfe fur Investitionen, um ein aktuelles Forschungsprogramm mit relevanten und verlässlichen Informationen auf seine Erfolgsaussichten beurteilen zu können. Um über ein Investment zu entscheiden, muss z.B. der Investor in der Pharmaindustrie letztlich in der Lage sein, die Entwicklung der Arzneimittel und die Humankapitalpotentiale der Forscher, indiziert anhand ihrer Patente sowie die daraus voraussichtlich resultierenden Cashflows oder EBITs, einzuschätzen.
•
es ist weiterhin beabsichtigt, eine Verhaltenssteuerung des Managements im Sinne der Shareholder-Value-Philosophie mittels des Instruments des Berliner Humankapitalbewertungsmodells zu betreiben. Denn Eigentümer/Aktionäre gewähren Managern relativ weitgehende Entscheidungsbefugnisse und fordern dafür aber, regelmäßig über den Gang der Geschäfte informiert zu werden, und behalten sich daher das Abberufungsrecht dieser Manager auf der nächsten Aufsichtsratssitzung oder Hauptversammlung vor. Um sicherzustellen, dass die Manager sich im Sinne der Eigentümer verhalten, können und werden sie ihnen einen bestimmten Anteil am Shareholder-Value als Vermögenszuwachs vertraglich zusichern, und zwar im Rahmen der Management-Entgeltsysteme im variablen Teil. Konkret sind dies Zusätze, die sich aus einer Humankapitalbewertungsrechnung ableiten lassen oder die sich in der Mitarbeiterbeteiligung z.B. in Form von Aktienoptionsprogrammen widerspiegeln.
Aufgrund der engen Bindung der finanzorientierten Personalwirtschaft an das Rechnungswesen eignet sich dieser Ansatz besonders gut fur die Praxis. In einem Vier-SäulenEntgeltsystem wird eine neue kombinatorische Entwicklung von Vorstandsgehältern vorgeschlagen.
V Internationale Entgeltsysteme für börsennotierte Unternehmen im Wandel
1. Säule
2. Säule
3. Säule
4. Säule
Zusammensetzung der Gesamtvergütung (Entgeltmenü)
zeitliche Orientierung
Instrumente zur Durchführung
Gewichtung der Vergütungsbestandteile
ergebnisabhängiger Strategiebonus
langfristig (3 bis 10 Jahre)
AOP sowie andere Mitarbeiterbeteiligungen
persönliche, operative Berliner Humankapitalbewertung, Leistungszulage oder Boni
kurz- und mittelfristig (1 bis 2 Jahre)
B B S C , RiskManagement, Compliance
betriebliche Sozialleistungen
kurz- und teilweise auch langfristig
garantierte Tantieme,
fixes Grundgehalt
>
kurzfristig
kurzfristig (fortlaufend, meist monatlich)
betriebliche Altersvorsorge und Sozialleistungen
Management by Objectives (MbO), Compliance Vereinbarung auf Grundlage von Gehaltsbandbreiten pro Landesniederlassung
AOP = Aktienoptionsprogramme B B S C = Berliner Balanced Scorecard Tab. 1.1; Vier Säulen des internationalen Entgeltmanagementsysteme452
"
Risikolohn
j
™
45
165
In Anlehnung an: Schmeisser, 2 0 0 8
bis zu 20Prozent AOP, bis zu 30Prozent Humankapital und Niederlassungsbewertung
Festlohn V Γ
J
Gewichtung mit insgesamt 50 bis 80Prozent des Jahresgehalts j e nach Position und i
o t , r l
166
V Internationale Entgeltsysteme fur börsennotierte Unternehmen im Wandel
Literaturverzeichnis Schmeisser, W.: Finanzorientierte Personalwirtschaft. Oldenbourg Wissenschaftsverlag. München 2008. Schmeisser, W. / Clausen, L.: Controlling und Berliner Balanced Scorecard Ansatz. Oldenbourg Wissenschaftsverlag. München 2009. Schmeisser, W. / Mohnkopf, H. / Hartmann, M. / Metze, G (Hrsg.): Innovationserfolgsrechnung. Springer Verlag, Berlin 2008.
VI
Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells bei einer internationalen Bank zur Steuerung der Niederlassungen
Im Folgenden wird der Versuch unternommen, auf Grundlage bestehender Daten aus dem Bereich Controlling und unter Verwendung der Planungs-, Kontroll-, und Abweichungsanalysen, für eine internationale Bank eine Humankapitalbewertung der Niederlassungen mittels Nutzwertanalyse zu realisieren. Das Berliner Humankapitalbewertungsmodell 4 5 3 zeichnet sich durch den flexiblen Einsatz von Instrumenten des internen und externen Rechnungswesens aus und darf deshalb nicht als starres Konstrukt verstanden werden. Das Modell kann dadurch individuell an das Unternehmen angepasst werden, um den wechselnden Erfordernissen der Bewertung gerecht zu werden. Ausgangspunkt ist dabei immer das vorhandene Zahlenmaterial im Unternehmen, das derart aufbereitet wird, dass eine Messung der Mitarbeiterperformance in Abhängigkeit zur Unternehmensperformance gewährleistet werden kann.
19
Bankinterne Controllingdaten als Basis
Die Bank ist in ihrer Struktur divisional aufgebaut und lässt sich in die zwei großen Bereiche „Niederlassung" und „Zentrale" unterteilen. Die strategische Planung und Steuerung geht von der Zentrale aus; dort werden die Unternehmenszielsetzungen definiert, geplant und kontrolliert. Die operative Umsetzung der strategischen Ziele erfolgt in den einzelnen Niederlassungen, die als quasi selbständig agierende „Teilbanken" in der Landesniederlassung innerhalb der „Gesamtbank" gesehen werden können. Sie zeichnen sich durch die Erfolgs-
453
Vgl. Schmeisser/Clausen, 2009
168
VI Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells
Verantwortung ihres Niederlassungsleiters und dessen operativen Handlungsspielräumen aus, wodurch eine marktnahe Unternehmenssteuerung forciert wird. Da sie über Eigenverantwortlichkeit auf der Kosten- und der Erlösseite verfugen, sind sie in ihrem Wesen nach Profitcenter innerhalb des Gesamtkonzerns. Die Betrachtung der Niederlassungen als Profitcenter lässt sich an vier wesentlichen Merkmalen festmachen: 1. 2. 3. 4.
Marktleistung als Aufgabe, persönliche Zuständigkeit, individuelle Zielformulierung, Deckungsbeitragsrechnung (evtl. auch Cashflow oder EBIT) als Center-Erfolgsrechnung.
Die Konzernzentrale beurteilt die Marktleistung ihrer Niederlassungen mittels ProfitcenterRechnung, die als Datenbasis zur Humankapitalbewertung herangezogen wird. Die daraus verwendeten Kennzahlen stellen im Wesentlichen die messbaren Zielkriterien zur Beurteilung des Humankapitals in den Niederlassungen dar. Ergänzt werden diese Daten durch Zahlen zur Personalstruktur und den Personalkosten, die aus der Berichterstattung des Bereiches Personalentwicklung stammen. Von den insgesamt 37 Niederlassungen werden 15 Niederlassungen bei der Humankapitalbewertung berücksichtigt. Der Wegfall der anderen Niederlassungen wird dadurch begründet, dass sie ein überregionales Marktgebiet betreuen und dieser Umstand die Ergebnisse der übrigen Niederlassungen verfalschen würde. Zudem sei im Vorfeld darauf hingewiesen, dass die verwendeten Zahlen im Modell fiktiv gesehen werden müssen, da ein einheitlicher Erhebungszeitraum der Daten hier nicht gegeben ist und auf kein existierende Bank geschlossen werden kann.
20
Ausgewählte Kennzahlen und ihre Gewichtung
Um eine adäquate Bewertung der Niederlassungen vornehmen zu können, müssen vorab aussagekräftige Kennzahlen bestimmt werden. Dabei liegt das besondere Augenmerk darauf, dass die Kennzahlen tatsächlich in der Lage sind, das zu messen, was sie messen sollen, nämlich die Performance der Niederlassung unter Berücksichtigung der strategischen Zielsetzungen. Zudem dürfen sie wenig anfallig fur Bewertungsfehler sein. Um die Herkunft und den Einfluss der Kennzahlen zu verdeutlichen, werden diese gebündelt und in Anlehnung an die Berliner Balanced Scorecard in drei Perspektiven unterteilt. Das ermöglicht die Aufdeckung von Ursache-Wirkungs-Beziehungen in der Zielperspektive und vereinfacht die Ableitung von Handlungsmaßnahmen. Durch eine unterschiedliche Gewichtung der Kriterien wird der Stellenwert beeinflusst und die bankseitigen Ziele verdeutlicht. Im Folgenden wird auf
169
20 Ausgewählte Kennzahlen und ihre Gewichtung
die ausgesuchten Kennzahlen und ihre Gewichtung eingegangen, die in Tab. 20.1 abgebildet
Kriterien i-t> 0 OH ω Λ o •ζ: % ω>
Gewichtung
aktivisches Geschäftsvolumen pro NL
15 Prozent
passivisches Geschäftsvolumen pro NL
5 Prozent
Bestandskunden
2 Prozent
JË Έ « g f»
Neukunden
4 Prozent
£
aktivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
passivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
Aufwandsrentabilität
20 Prozent
Risikorentabilität
20 Prozent
Deckungsbeitrag 1
10 Prozent
aktivisches Geschäftsvolumen pro MAK
6 Prozent
passivisches Geschäftsvolumen pro MAK
2 Prozent
Personalkosten pro MAK im Monat
3 Prozent
Fluktuationsquote
3 Prozent
Weiterbi Idungsquote
2 Prozent
Fehlzeitenquote
4 Prozent
Ο
D C/3
C/5
op es Ut fi ω έ 'S eω B IS 2 α,
op c π c -c o ai
"O ce -a e w1 ai X
Punktwert
100 Prozent
Tab. 20.1: Gewichtung der Zielkriterien
Zur Veranschaulichung der ertragswirtschaftlichen Perspektive wird das erzielte Geschäftsvolumen pro Niederlassung (NL) gewählt. Das Geschäftsvolumen ist eine aussagekräftige Kennzahl zur Messung des Leistungsumfangs einer Niederlassung. Dabei wird eine Unterteilung in aktivisches und passivisches Geschäftsvolumen vorgenommen. Das Aktivgeschäft wird als Sammelbegriff für Bankgeschäfte verstanden, die sich auf der Aktivseite der Bankbilanz niederschlagen, hier in Form von Forderungen gegenüber Kunden, Unternehmen, Banken wie etwa Darlehen, Terminkrediten und Kontokorrentkrediten. Es besteht also überwiegend aus der Kreditvergabe. Das Passivgeschäft gilt synonym für Bankgeschäfte, die sich auf der Passivseite der Bankbilanz wieder finden, d.h. Verbindlichkeiten gegenüber Kunden und Banken, z.B. Sicht-, Termin- und Spareinlagen oder die Geldaufnahme zur Refinanzierung von Krediten. Zu Erzielung von Gewinnen sind sowohl die Aktiv- als auch die Passivgeschäfte von großer Bedeutung, denn zur Vergabe von Krediten im Aktivgeschäft werden
170
VI Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells
Fremdmittel aus dem Passivgeschäft herangezogen. Das Kerngeschäft der Bank bleibt jedoch das Aktivgeschäft, weshalb es auch eine höhere Gewichtung im Modell erhält. Das erreichte aktivische Geschäftsvolumen pro Niederlassung geht mit einer Gewichtung von 15 Prozent in die Bewertung ein und das passivische Geschäftsvolumen pro Niederlassung wird mit 5 Prozent gewichtet. Zur Generierung von aktivischem und passivischem Geschäftsvolumen bedarf es Kunden. Deshalb gehört die Fähigkeit, die richtigen Kunden zu identifizieren, zu akquirieren und langfristig zu binden, zu den zentralen Rentabilitätsfaktoren. Es wird dabei zwischen Neukunden und Bestandskunden unterschieden. Derzeit konzentrieren sich die Bemühungen von Banken mehr auf die Akquise von Neukunden als auf den Ausbau bestehender Kundenbeziehungen. Doch auch ein großer Bestandskundenstamm ist ein wichtiger Ertragshebel und zugleich Indikator für Kundenzufriedenheit und das Potential der Bank, Kunden langfristig zu binden. Da die Neukundenakquise größere Vertriebsbemühungen verlangt und der Neukundenzuwachs als Kennzahl für die Wachstumskraft der Bank angesehen werden kann, wird der Zugang von Neukunden mit 4 Prozent höher gewichtet als der Kundenbestand mit 2 Prozent. Die Darstellung des Geschäftsvolumens pro Kunde verdeutlicht die Größe und wirtschaftliche Stärke der Kunden und gibt Auskunft über die Qualität des Kundenportfolios. Auch hier wird wieder nach dem aktivischen und passivischen Kundengeschäftsanteil unterschieden. Beide Größen werden jeweils mit 2 Prozent gewichtet. Für die Steuerung der Niederlassungen ist die Festlegung von objektiven Erfolgsmaßstäben notwendig. Dafür hat die Bank zwei zentrale Steuerungsgrößen definiert, die als wesentliche Erfolgskennzahlen zur Performancemessung der einzelnen Niederlassungen angesehen werden und einer regelmäßigen Analyse in der monatlichen Profitcenter-Rechnung unterliegen. Die erste Steuerungskennzahl ist die Außvandsrentabilität,454 Sie gibt Auskunft über das Verhältnis von Verwaltungsaufwand zu den operativen Erträgen und ist eine Kennzahl zur Effizienzmessung eines Unternehmens respektive einer Niederlassung:
Aufwandsrentabilität =
Bruttoertrag Kosten
Der Bruttoertrag einer Niederlassung wird durch die Addition der Zinskonditionsbeiträge 455 und den Provisionen/Gebühren 456 ermittelt. Die Position Kosten subsumiert die anfallenden Personal- und Sachkosten. Die Zinskonditionsbeiträge, als Ergebnis aus der Multiplikation des durchschnittlichen Volumens und der Marge, fallen sowohl im Aktivgeschäft als auch im
454
Die Aufwandsrentabilität ist der reziproke Wert der Cost-Income-Ratio.
455 Zinskonditionsbeiträge ergeben sich bspw. aus Zinsüberschüssen aus vergebenen Darlehen, Kontokorrentkrediten, Wechseln, Sichteinlagen oder Tages- und Termingeldern. 456 Unter die Position Provisionen/Gebühren fallen die Provisionen fur Avale, Wertpapiere, Darlehen etc. und Gebühren in Form von Kosten aus Wertermittlungsgutachten oder Vermittlungsprovisionen an Dritte.
20 Ausgewählte Kennzahlen und ihre Gewichtung
171
Passivgeschäft der Bank an. Als Zielvorgabe wird eine Mindest-Aufwandsrentabilität definiert, die jede Niederlassung in Abhängigkeit ihrer Personal- und Sachkosten erbringen muss. Aggregiert über alle Niederlassungen führen die sich aus den Aufwandsrentabilitäten ergebenden Erfolge zu einem Mindestgewinn der Gesamtbank. Die zweite zentrale Steuerungskennzahl ist die Risikorentabilität. Durch diese risikoadjustierte Performance-Kennzahl soll sichergestellt werden, dass die risikobehafteten Geschäfte auch die erwarteten Profite generieren und nur solche Geschäfte abgeschlossen werden, deren Ertragsaussichten die Risikoübernahme rechtfertigen. Sie besitzt den Vorteil, dass die gerade für Banken so wichtige Verknüpfung von Rentabilität und Risiko innerhalb der finanziellen Perspektive abgedeckt werden kann. Die Risikorentabilität bestimmt sich als Quotient aus dem erwarteten Erfolgsbeitrag und dem Risikobeitrag der jeweiligen Niederlassung. 4 5 7 Bruttoertrag (pro Jahr) Risikorentabilität
= gewichtete Risikoaktiva
Bei der Vergabe von Krediten besteht für die Bank grundsätzlich die Gefahr, dass sich die Bonität des Kreditnehmers im Zeitablauf verschlechtert und die Kapitaldienste nicht mehr erbracht werden können. Dieses Risiko, das nur Aktivgeschäfte betrifft, ist bei jeder Kreditvergabe als zusätzliche Kostenkomponente zu berücksichtigen. Das Volumen der Kreditbeträge wird als Risikoaktiva bezeichnet. Die Risikogewichtung der vorhandenen Aktiva erfolgt nach dem Kreditrisiko-Standardansatz. 4 5 8 In Abhängigkeit von der Bonität der Kreditnehmer werden unterschiedliche Gewichtungen zur Risikoklassifizierung vorgenommen, weshalb man in der Summe von gewichteten Risikoaktiva spricht. 4 5 9 Da sowohl die Aufwandsrentabilität als auch die Risikorentabilität der Bank als zentrale Steuerungskennzahlen angesehen werden, wird ihnen auch im Humankapitalbewertungsmodell eine besondere Bedeutung beigemessen, weshalb beide Kennzahlen mit einer Gewichtung von 20 Prozent in die Bewertung eingehen. Als weitere Zielgröße in der Profitcenter-Rechnung wird der Deckungsbeitrag I verwendet, der sich nach Abzug aller der Niederlassung direkt zuordenbaren Kosten vom Bruttoertrag ergibt. Der Deckungsbeitrag I gibt Aufschluss darüber, in welchem Maß die variablen Kosten durch den Umsatz gedeckt sind. Anzustreben ist ein hoher Deckungsbeitrag; sinkende Deckungsbeiträge können durch weniger Umsatz und/oder höhere Kosten verursacht werden. Sie sind ein Indiz für die Verschlechterung der Unternehmenslage. Im Modell wird der Deckungsbeitrag I daher mit einem Gewichtungsfaktor von 10 Prozent berücksichtig.
457 458
Für die B e r e c h n u n g der Risikorentabilität im Prognosezeitraum m u s s der Bruttoertrag auf ein Jahr hochgerechnet w e r d e n (z.B. prognostizierter Quartalswert * 4).
Bei d i e s e m Ansatz wird die Kreditrisikomessung durch externe Rating-Agenturen unterstützt, g e m ä ß den 459 A n f o r d e r u n g e n aus Basel II. Gewichtete Risikoaktiva = risikogewichtete Bilanzaktiva + risikogewichtete „traditionelle" nicht bilanzwirksam e G e s c h ä f t e + risikogewichtete „innovative" nicht bilanzwirksame G e s c h ä f t e .
172
VI Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells
In der dritten Perspektive, hier Human Resources Standards genannt, werden die mitarbeiterspezifischen Kennzahlen gebündelt. Die Kennzahl Geschäftsvolumen pro Mitarbeiterkapazität gibt an, wie viel Geschäftsvolumen ein Mitarbeiter in der jeweiligen Niederlassung erwirtschaftet hat. Sie wird ferner zur Beurteilung der betrieblichen Arbeitsproduktivität herangezogen, die die Leistungsfähigkeit einer Niederlassung verdeutlicht. Die Anzahl der Mitarbeiter wird in der Einheit Mitarbeiterkapazität (MAK) gemessen, um ein genaueres Bild über die Arbeitsleistung im Verhältnis zur Arbeitszeit zu erhalten. Eine volle Mitarbeiterkapazität (1,0 MAK) entspricht einem Mitarbeiter mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden. Ein Teilzeitmitarbeiter mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 20 Stunden entspricht 0,5 MAK. Das Geschäftsvolumen pro Mitarbeiterkapazität errechnet sich, indem man das Geschäftsvolumen durch die Anzahl der Mitarbeiterkapazitäten dividiert. Auch hier wird nach der Herkunft des Geschäftsvolumen in aktiv und passiv unterschieden. Da die Aktivgeschäfte als betreuungsintensiver eingestuft werden, gehen sie mit einer 6 prozentigen Gewichtung ein, wohingegen das zu betreuende passivische Geschäftsvolumen pro Mitarbeiterkapazität mit 2 Prozent gewichtet wird. Ein weiteres Kriterium für die Humankapitalbewertung stellen die Personalkosten dar. Personalkosten sind all jene Kosten, die der Bank durch den Einsatz von Mitarbeitern in der Niederlassung entstehen. Es handelt sich dabei weitgehend um Fixkosten, die in der Regel den größten Anteil an den Betriebskosten ausmachen. Sie setzen sich aus Löhnen und Gehältern, Sozialabgaben und den Aufwendungen für Altersversorgung und Unterstützung zusammen. Die Anzahl der Mitarbeiter entspricht auch hier wieder der Anzahl der vorhandenen Mitarbeiterkapazitäten. Die Kennzahl Personalkosten pro MAK wird mit 3 Prozent gewichtet und ergibt sich als Quotient aus Personalkosten und Anzahl der Mitarbeiterkapazitäten. Fallen die Personalkosten pro MAK überdurchschnittliche hoch aus, kann das sowohl durch eine überhöhte Vergütung der Mitarbeiter, als auch durch Personalüberhang verursacht worden sein. Die Summe aus Mitarbeiterzugängen und -abgängen stellt auch in den Niederlassungen der Bank einen Indikator fur die Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung dar. Insbesondere in Zeiten eines akuten Fachkräftemangels auf dem Arbeitsmarkt bedeutet eine hohe Fluktuationsquote steigende Personalkosten, da neu ausgehandelte Verträge in der Regel kostenintensiver sind als die vorherigen. Ziel der Bank ist es deshalb, die Fluktuationsquote durch gezielte Mitarbeiterbindungsmaßnahmen gering zu halten. Bei der Interpretation ist allerdings zu beachten, dass die Quote auch Schwankungen der Wirtschafts- bzw. Arbeitsmarktkonjunktur unterliegt. So kann z.B. eine niedrige Fluktuationsquote ein Indiz fur den Personalaufbau in einer konjunkturstarken Phase sein. Die im Modell abgebildete Fluktuationsquote wurde unter Verwendung der Schlüter-Formel ermittelt und wird mit einer Gewichtung von 3 Prozent berücksichtigt. Für die Bank ist es wichtig, ihren Mitarbeitern berufliche Perspektiven aufzuzeigen und ihre Weiterentwicklung zielfuhrend im Unternehmen zu fördern, nicht zuletzt, um die Mitarbeiterbindung zu stärken. Die Umsetzung der Weiterbildungsmaßnahmen erfolgt durch eine Management School, die mit einem Netzwerk von ausgewählten Experten und Kooperati-
21 Zur Rechenbarkeit vom Bank-Humankapitalbewertungsmodell
173
onspartnern die internen und externen Fortbildungen der Mitarbeiter betreut. Um die Weiterbildungsintensität der Mitarbeiter zu prüfen, wird die Kennzahl Weiterbildungsquote erhoben und mit 2 Prozent gewichtet. Diese Kennzahl wird gemessen als Verhältnis der Gesamtzahl der Weiterbildungstage zur Gesamtzahl der Mitarbeiter und zeigt die durchschnittliche Weiterbildungszeit pro Mitarbeiter im hier gewählten Erhebungszeitraum von einem Jahr. Nur gesunde, motivierte und qualifizierte Mitarbeiter sind in der Lage, überdurchschnittliche Leistungen zu erzielen. Um Informationen über die Gesundheitsstruktur der Belegschaft und die Wirksamkeit der initiierten gesundheitsfördernden Maßnahmen zu erhalten, wurde das Kriterium Fehlzeitenquote in das Modell mit aufgenommen. Die hier verwendete Kennzahl berücksichtigt ausschließlich das krankheitsbedingte Fehlen der Mitarbeiter und ergibt sich als Quotient aus der Summe der krankheitsbedingten Ausfallzeiten in Stunden und der Gesamtanzahl der Sollarbeitszeit in Stunden pro Niederlassung. Da krankheitsbedingte Ausfallzeiten enorme Kostenverursacher darstellen, wird die Kennzahl mit einer Gewichtung von 4 Prozent einbezogen.
21
Zur Rechenbarkeit vom BankHumankapitalbewertungsmodell
Nachdem die spezifischen Zielkriterien für die Humankapitalbewertung ausgewählt und über die Gewichtung priorisiert wurden, erfolgt im weiteren Verlauf die Bewertung der Niederlassungen mittels Nutzwertanalyse, um eine Zuordnung ihrer speziellen Beiträge zum Unternehmenserfolg zu ermöglichen. Die Nutzwertanalyse ist ein nicht monetäres Bewertungsverfahren aus dem Bereich der Kostenrechnung und enthält die vorab definierten, leistungsbezogenen Zielkriterien, die in ihren Gewichtungen und Ausprägungsklassen subjektiver Natur sind (siehe Tab. 21.1). Die Ermittlung erfolgt jedoch nach objektiven Maßstäben für jede Niederlassung getrennt. Mittels Nutzwertanalyse sollen die Niederlassungen an der Erfüllung der Zielkriterien gemessen werden, um so eine Aussage über ihren Nutzen zu treffen. Die Leistung der Mitarbeiter wird dabei an den erwirtschafteten Erträgen gemessen. Der Mitarbeiter erbringt nach diesem Ansatz Nutzen für die Niederlassung durch Steigerung der Leistungsfähigkeit seines Humankapitals. Je höher das Gesamtergebnis einer Niederlassung ausfallt, desto höher wird der erbrachte Nutzen und das eingesetzte Humankapital. Für die einzelnen Kriterien sind drei Ausprägungsklassen (AK) definiert, zu denen jede Niederlassung, in Abhängigkeit ihrer Ausprägung, zugeordnet wird. Die Skalierung der Ausprägungsklassen erfolgt durch eine Punktwerte, die den Erfüllungsgrad des Zielkriteriums widerspiegeln. Die in A K 2 hinterlegten Ausprägungen ergeben sich aus den gewogenen Mittelwerten aller Niederlassungen und repräsentieren den Zielerfullungsgrad. Die Kriterien Aufwandsrentabilität und Risikorentabilität stellen hinsichtlich des Zielerfüllungsgrades eine Besonderheit dar. Die angestrebte Aufwandsrentabilität liegt aktuell bei > 5 fur alle Nieder-
174
VI Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells
lassungen und die zu erzielende Risikorentabilität pro Niederlassung wurde mit 2,2 Prozent festgelegt.
HR-Standards
ProfitcenterRechnung
ertragswirtschaftliche Perspektive
Kriterien
Gewichtung
aktivisches Geschäftsvolumen pro NL
15 Prozent
passivisches Geschäftsvolumen pro NL
AK 1
AK 2
AK 3
kleiner
1.502 Mio. EUR
größer
5 Prozent
kleiner
536 Mio. EUR
größer
Bestandskunden
2 Prozent
kleiner
2.934
größer
Neukunden
4 Prozent
kleiner
110
größer
aktivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
kleiner
524 TEUR
größer
passivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
kleiner
189 TEUR
größer
Aufwandsrentabilität
20 Prozent
kleiner
5,0
größer
Risikorentabilität
20 Prozent
kleiner
2,2 Prozent
größer
Deckungsbeitrag 1
10 Prozent
kleiner
2.605 TEUR
größer
aktivisches Geschäftsvolumen pro MAK
6 Prozent
kleiner
50 Mio. EUR
größer
passivisches Geschäftsvolumen pro MAK
2 Prozent
kleiner
18 Mio. EUR
größer
Personalkosten pro MAK im Monat
3 Prozent
größer
6,0 TEUR
kleiner
Fluktuationsquote
3 Prozent
größer
6 Prozent
kleiner
Weiterbildungsquote
2 Prozent
kleiner
2,0
größer
Fehlzeitenquote
4 Prozent
größer
2,43 Prozent
kleiner
100 Prozent
0-2 Punkte
3 Punkte
4-6 Punkte
Punktwert
Tab. 21.1: Ausprägungsklassen der Kriterien in der Nutzwertanalyse
Fällt das Ergebnis einer Niederlassung schlechter aus als in der AK 2 gefordert, wird sie je nach Ausprägung der AK 1 oder AK 3 zugeordnet. In diesen beiden Ausprägungsklassen sind die Punktwerte feiner gegliedert, um eine Übererfüllung der Zielvorgabe differenzierter
175
22 Ergebnisse der Bank-Humankapitalbewertung
bewerten zu können. Der umgekehrte Fall tritt in der A K 1 ein; bei einem Ergebnis, das weit unterhalb der Zielerfüllung liegt, wird kein Punkt vergeben. Durch die Multiplikation der Kriteriengewichtung mit d e m erzielten Punktwert der Ausprägungsklasse ergibt sich ein Teilnutzwert im Zielkriterium. Die S u m m e der ermittelten Teilnutzwerte entspricht d e m Gesamtnutzen einer Niederlassung.
22
Ergebnisse der BankHumankapitalbewertung
Für j e d e der 15 Niederlassungen der Bank wurde mittels Nutzwertanalyse ein individueller Nutzwert errechnet. Die Ergebnisse werden in Abb. 1 anhand eines Box-and-WhiskerPlots 4 6 0 dargestellt, mit dessen Hilfe man einen Uberblick über die Verteilungssituation der ermittelten Nutzwerte pro Niederlassung erhält.
Ergebnisse der DKB-Humankapitalbewertung Maximum 4,5 4 φ t:
3,5
Oberes Quartil
3 3 ζ Β JSZ ü '2? Φ
Median 2,5 Unteres Quartil 2
15 Minimum 1 0,5
bewertete Niederlassungen bb. 22.1: Ergebnis vergleich der Niederlassungen
Das Box-and-Whisker-Plot ist ein grafisches Verfahren der explorativen Datenanalyse zur Veranschaulichung der Häufigkeitsverteilungen ermittelter Daten.
176
VI Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells
Das ausgewiesene Maximum in der Grafik zeigt die Niederlassung mit dem höchsten Nutzwert von 4,30 Punkten, dagegen offenbart das Minimum die Niederlassung, die den geringsten Nutzwert (1,42 Punkte) erreicht hat. Die sogenannte Box wird durch den Median halbiert, der die Gesamtheit der Niederlassungen beim Wert 2,73 in zwei Teile teilt. Demzufolge haben 50 Prozent aller Niederlassungen, die zwischen dem Median und dem Maximum liegen, einen höheren Nutzwert und 50 Prozent der Niederlassungen, die zwischen dem Median und dem Minimum liegen, einen geringeren Nutzwert. Zwischen dem Minimum und dem unteren Quartil bzw. zwischen dem Maximum und dem oberen Quartil liegen jeweils 25 Prozent der Niederlassungen, die eine Nichterfüllung bzw. Übererfüllung der vorab definierten Zielwerte erreicht haben. Um die vorliegenden Ergebnisse zu veranschaulichen, werden drei Niederlassungen vorgestellt, die einen über-, unter- und durchschnittlichen Nutzwert erreicht haben. Die nachfolgende Tab. 22.1 zeigt exemplarisch eine Niederlassung mit einem unterdurchschnittlichen Nutzwert.
Profitcenter
ertragswirtschaftliche Perspektive
Kriterien
Gewichtung
AK 1
AK 2
AK 3
Pkt.
Nutzwert
aktivisches Geschäftsvolumen pro NL
15 Prozent
1.502 Mio. EUR
3
0,45
passivisches Geschäftsvolumen pro NL
5 Prozent
536 Mio. EUR
3
0,15
Bestandskunden
2 Prozent
2
0,04
Neukunden
4 Prozent
168
5
0,2
aktivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
602 TEUR
5
0,1
passivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
215 TEUR
4
0,08
Aufwandsrentabilität
20 Prozent
3,10
0
0
Risikorentabilität
20 Prozent
1,43 Prozent
0
0
Deckungsbeitrag 1
10 Prozent
1.798 TEUR
1
0,1
2.495
177
22 Ergebnisse der Bank-Humankapitalbewertung
(Λ
Έ « -a c (Z) I C¿ X
aktivisches Geschäftsvolumen pro MAK
6 Prozent
37 Mio. EUR
0
0
passivisches Geschäftsvolumen pro MAK
2 Prozent
13 Mio. EUR
0
0
Personalkosten pro MAK im Monat
3 Prozent
4
0,12
F luktuationsquote
3 Prozent
3
0,09
Weiterbildungsquote
2 Prozent
0
0
Fehlzeitenquote
4 Prozent
1,67 Prozent
5
0,2
4-6 Punkte
35
1,53
Punktwert
100 Prozent
5,9 TEUR 6 Prozent
1,62
0-2 Punkte
3 Punkte
Tab. 22.1: Beispiel einer Niederlassung mil unterdurchschnittlichem Nutzwert
Bei der Bewertung der ertragswirtschaftlichen Perspektive erreicht die NL sowohl mit dem aktivischen als auch mit dem passivischen Geschäftsvolumen die Zielvorgaben und erhält dafür jeweils drei Punkte in der AK 2. Bei der Kundenentwicklung weist sie eine unterdurchschnittliche Anzahl an Bestandskunden auf, weshalb lediglich zwei Punkte in der AK 1 vergeben wurden. Zu beobachten ist, dass die NL durch erhöhte Vertriebsanstrengungen im Neukundengeschäft versucht, den Kundenstamm zu erweitern. Sie liegt in der Neukundenakquise deutlich über dem geforderten Zielwert und erhält fünf Punkte. Ebenso verhält es sich mit dem aktivischen und passivischen Geschäftsvolumen pro Kunde. Die NL verfügt über wirtschaftlich starke Kunden und wird mit beiden Werten jeweils in der AK 3 klassifiziert. Die Zahlen aus der Profitcenter-Rechnung sind durchgängig unterdurchschnittlich. Gerade die mangelnde Aufwandsrentabilität und das erhöhte Risiko im Kundenportfolio mit einem ungenügenden Deckungsbeitrag sind der Grund für das schlechte Abschneiden. Dazu kommt eine schwache Arbeitsproduktivität der Mitarbeiter sowohl im Aktiv- also auch im Passivgeschäft. Ein erhebliches Manko der NL ist ferner die geringe Weiterbildungsquote, da ein Mitarbeiter nicht auf die durchschnittlich geforderten zwei Weiterbildungstage pro Jahr kommt. Positiv fallt auf, dass die anfallenden Personalkosten pro Mitarbeiterkapazität leicht unter dem Durchschnitt liegen. Der Grund dafür kann an der geringen Fehlzeitenquote liegen, die wiederum für gesunde Mitarbeiter spricht und für ein verträgliches Arbeitsklima, da die Fluktuationsquote einen konstanten Wert bei 6 Prozent hält. Möglich ist aber auch, dass nicht ausreichend qualifiziertes Personal zur Verfügung steht und deshalb die Personalkosten unterdurchschnittlich ausfallen.
Profitcenter
ertragswirtschaftliche Perspektive
178
VI Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells
Kriterien
Gewichtung
aktivisches Geschäftsvolumen pro NL
15 Prozent
AK 2
passivisches Ge5 Proschäftsvolumen pro NL zent 2 ProBestandskunden zent 4 ProNeukunden zent aktivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
passivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
Aufwandsrentabi 1 ität Risikorentabilität Deckungsbeitrag 1 aktivisches Geschäftsvolumen pro MAK
HR-Standards
AK 1
passivisches Geschäftsvolumen pro MAK Personalkosten pro MAK im Monat Fluktuationsquote Weiterbildungsquote Fehlzeitenquote Punktwert
20 Prozent 20 Prozent 10 Prozent 6 Prozent
100 Prozent
Pkt.
Nutzwert
1.662 Mio. EUR
4
0,6
670 Mio. EUR
4
0,2
3.109
5
0,1
132
4
0,16
3
0,06
4
0,08
1
0,2
3
0,6
2
0,2
3
0,18
4
0,08
0
0
3
0,09
3
0,06
3
0,12
46
2,73
535 TEUR 216 TEUR 4,13 2,13 Prozent 2.417 TEUR 50 Mio. EUR
2 Prozent 3 Prozent 3 Prozent 2 Prozent 4 Prozent
AK 3
20 Mio. EUR 6,3 TEUR 5,56 Prozent 2,11 2,49 Prozent 0-2 Punkte
3 Punkte
Tab. 22.2: Beispiel einer Niederlassung mit durchschnittlichem Nutzwert
4-6 Punkte
22 Ergebnisse der Bank-Humankapitalbewertung
179
Die in Tab. 22.2 quantifizierte Niederlassung weist mit einem Wert von 2,73 einen durchschnittlichen Nutzwert auf. Sowohl die Übererfüllung der Ziele in der ertragswirtschaftlichen Perspektive, als auch die Erfüllung der Zielvorgabe für die Risikorentabilität sprechen für einen bonitätsstarken Kundenstamm. Jedoch werden die Zielvorgaben weder für die Aufwandsrentabilität noch für den geforderten Deckungsbeitrag erreicht, was auf einen unverhältnismäßigen Anstieg der Kosten zurückzuführen ist, der vom Bruttoertrag nur ungenügend gedeckt wird. Ein Grund dafür können die angefallenen Personalkosten sein; sie liegen mit 6.300 EUR pro Mitarbeiter im Monat über den durchschnittlichen Personalkosten aller Niederlassungen. Positiv bewertet wurde die Leistungsfähigkeit der Niederlassung im Hinblick auf das generierte Geschäftsvolumen pro MAK. Die Fluktuations- und Fehlzeitenquote fallt durchschnittlich aus und beeinflusst die Arbeitsproduktivität nur geringfügig. Die absolvierten Weiterbildungstage pro Mitarbeiter entsprechen vollumfanglich den Anforderungen. Die letzte, beispielhaft dargestellte Niederlassung in Tab. 22.3 weist einen überdurchschnittlichen Nutzwert auf. Sie zeichnet sich insbesondere durch die Qualität des Kundenportfolios aus, was die Risikorentabilität deutlich macht. Hinsichtlich der Aufwandsrentabilität und dem erzielten Deckungsbeitrag erzielt diese Niederlassung überdurchschnittliche Werte. Das zeigen auch die geringen Personalkosten pro Mitarbeiterkapazität bei hoher Arbeitsproduktivität im Aktiv- und Passivgeschäft. Die Ertragskraft der Niederlassung geht jedoch auf Kosten der Mitarbeiter, wie die Fehlzeitenquote beweist. Die hohe Fluktuationsquote lässt sich durch die strategische Ausrichtung der Niederlassung erklären, die eine verbesserte Kundenbetreuung in neuen Zielmärkten durch Spezialisten erreichen will. Um den gestiegenen Anforderungen in den Zielmärkten zu entsprechen, werden die Mitarbeiter überdurchschnittlich oft geschult. Das Humankapital wird also quantitativ durch Einstellung von Personal und qualitativ durch Weiterbildungsmaßnahmen gesteigert.
HR-Standards
Profitcenter
ertragswirtschaftliche Perspektive
180
VI Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells
Kriterien
Gewichtung
Pkt.
Nutzwert
aktivisches Geschäftsvolumen pro NL
15 Prozent
3
0,45
passivisches Geschäftsvolumen pro NL
5 Prozent
834 Mio. EUR
5
0,25
Bestandskunden
2 Prozent
3.166
5
0,1
Neukunden
4 Prozent
207
5
0,2
aktivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
2
0,04
passivisches Geschäftsvolumen pro Kunde
2 Prozent
263 TEUR
5
0,1
Aufwandsrentabi 1 ität
20 Prozent
5,54
5
1
Risikorentabilität
20 Prozent
2,59 Prozent
5
1
Deckungsbeitrag 1
10 Prozent
2.791 TEUR
5
0,5
aktivisches Geschäftsvolumen pro MAK
6 Prozent
55 Mio. EUR
4
0,24
passivisches Geschäftsvolumen pro MAK
2 Prozent
29 Mio. EUR
6
0,12
6
0,18
0
0
6
0,12
0
0
62
4,3
AK 1
AK 2
AK 3
1.557 Mio. EUR
492 TEUR
Personalkosten pro MAK 3 Proim Monat zent
5,6 TEUR
Fluktuationsquote
3 Prozent
13,51 Prozent
Weiterbildungsquote
2 Prozent
Fehlzeitenquote
4 Prozent
5,06 Prozent
Punktwert
100 Prozent
0-2 Punkte
2,97
3 Punkte
Tab. 22.3: Beispiel einer Niederlassung mil überdurchschnittlichem Nutzwert
4-6 Punkte
23 Bank-Humankapitalbewertungsmodell im Rahmen des Entgeltmanagements
23
181
Bank-Humankapitalbewertungsmodell im Rahmen des Entgeltmanagements
Anhand der vorliegenden Ergebnisse konnte bewiesen werden, dass das entwickelte BankHumankapitalbewertungsmodell unter Verwendung der Nutzwertanalyse in der Lage ist, die Leistungsfähigkeit einer Niederlassung bzw. des Geschäftsführers in Abhängigkeit vom vorhandenen Humankapital zu ermitteln. Zudem wurden die individuellen Schwachstellen der Niederlassungen aufgedeckt, die zentraler Bestandteil künftiger gezielter Steuerungsmaßnahmen sein sollten, um den Nutzen in nutzwertschwachen Niederlassungen zu steigern. Die hier durchgeführte Humankapitalbewertung beinhaltet die zu erreichenden strategischen Ziele auf der Ebene einer Niederlassung. Je tiefer die Bewertungsebene angesiedelt ist, desto konkreter werden die Vorgaben formuliert, bis sie auf Mitarbeiterebene Maßnahmen darstellen, die im täglichen Geschäftsbetrieb anwendbar sind. Die erfolgreiche Umsetzung der Strategien und Ziele wird maßgeblich durch das Verhalten und die Motivation des Niederlassungsleiters bestimmt. Die derzeitige dynamische Wettbewerbssituation fordert Kreativität und Innovationsfreudigkeit der Mitarbeiter. Durch das Gewähren von ergebnisabhängigen Vergütungsbestandteilen lassen sich die Zielvorgaben für die einzelnen Niederlassungen leichter erreichen. Eine vom Niederlassungsgewinn abhängige Prämie kann eine größere Verhaltenswirkung zeigen als eine Prämie in Abhängigkeit von einem Ergebnis, das weder der Niederlassungsleiter noch seine Mitarbeiter zu 100 Prozent beeinflussen können. Deshalb sollen sich die Vergütungssysteme an den Wertschöpfiingsprozessen bzw. an den beeinflussbaren Ergebnissen orientieren. Der Wertbeitrag des Mitarbeiters wird dabei durch die BankHumankapitalbewertung gemessen. Eine Koppelung mit der Vergütung schafft die nötigen Anreize. So können die Interessen des Vorstands hinsichtlich der Unternehmenswertsteigerung mit der Umsetzung strategischer Geschäftsziele verknüpft werden, indem der Bonus fur die Niederlassungsleiter bspw. jeweils zur Hälfte von der Erreichung geforderter Ziele und von den Ergebnissen der Humankapitalbewertung abhängt. Diese Form des Entgeltmanagements entspricht, gerade in Erweiterung der traditionellen, primär kapitalorientierten Sichtweise auf die Faktoren „Mensch" und „Kunde", einer integrierten, wertorientierten Gesamtbanksteuerung. Umso wichtiger ist es, die Performance der Mitarbeiter zu quantifizieren, um die Relevanz des Humankapitals, als signifikanten Werttreiber eines Unternehmens und damit auch des Shareholder-Value zu verdeutlichen. Wie am Beispiel der Bank deutlich wird, liegen viel versprechende Ansätze in der Bewertung von Humankapital mittels des vorgestellten Berliner Bank-Humankapitalbewertungsmodells. Die Koppelung des Entgeltsystems mit der Zielerreichung wird laut Studien in Deutschland erst mittelmäßig umgesetzt. Gemäß der empirischen Untersuchung von Gilles war auf der Ebene des oberen und mittleren Managements lediglich bei der Hälfte der Unternehmen eine Verknüpfung vorhanden, beim unteren Management sowie auf operativer Ebene waren es mit etwa 20 Prozent erheblich weniger. 461 Dabei können neue Vergütungsformen Kosteneffi-
461
Gilles, 2002, S. 198
182
VI Anwendung des Berliner Humankapitalbewertungsmodells
zienz und Performance des Unternehmens steigern. Die Einfuhrung marktgerechter, leistungsorientierter Entgeltsysteme erhöht die Motivation der Mitarbeiter und die Personalkosten können besser am Markt ausgerichtet werden. Durch eine umfassende Humankapitalbewertung auf Mitarbeiter- und Niederlassungsebene lassen sich so nicht nur die additiven, variablen Zahlungen an die individuellen Leistungen knüpfen, sondern auch an die des gesamten Unternehmens und damit an die Geschäftsentwicklung. In der finanzorientierten Personalwirtschaft gibt es bereits Vorschläge fur ein neues monetäres Anreizsystem, dass zur Verhaltenssteuerung von Managern im Sinne des Shareholder-Values beiträgt. In einem Vier-Säulen-Entgeltsystem wird eine Neugestaltung der Vergütungszusammensetzung vorgeschlagen, die den Forderungen von Eigentümern und Aktionären, nach einer variablen, langfristigen und wertorientierten Entlohnung von Managern, nachkommt. 462
462
Vgl. Schmeisser, 2008, S. 75
VII
Entwicklung eines Personalinformationssystems für ein internationales Personalcontrolling
International agierende Unternehmen benötigen im Rahmen ihrer Mergers- and Acquisitionsaktivitäten sowie ihrer Internationalisierungsstrategien auch ein internationales Personalcontrolling. Dies ist auch erforderlich, um sich permanent ändernder Kundenbedürfnissen anzupassen und Aktionärsanforderungen im Sinne des Shareholder-Values auf den globalen Kapitalmärkten zu begegnen. Folgerichtig geht mit der Globalisierung seit über einem Jahrzehnt auch die Forderung einher, derartige Unternehmen entsprechend dem ShareholderValue-Ansatzes instrumenten zu fuhren. Verstärkt wurde diese Forderung und Einsicht in Deutschland noch durch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG), das die Einfuhrung eines internationalen Frühwarnsystems und von Stock Options-Programmen 4 6 3 erlaubt und damit (deutschen) internationalen Unternehmen ein materielles Anreiz- und Steuersystemen für ihre Führungskräfte und Mitarbeiter im Sinne des Shareholder-Value-Ansatzes zur Verfügung stellt. Allerdings bestehen immer noch sehr viele Missverständnisse und Probleme hinsichtlich des konkreten Vorgehens bei einer wertorientierten Steuerung. Analog diffus gehen damit Probleme einher, wenn man nach Art und Besonderheiten eines internationalen Personalcontrollings fragt. 464 Wer in der Literatur auf eine Antwort auf dem Komplex „internationales Personalcontrolling" hofft, wird meist enttäuscht, da dieses Thema völlig ausklammert oder nur beiläufig gestreift wird, beispielsweise mit der internationalen Fehlzeitenentwicklung, der Entwicklung der internationalen Arbeitsproduktivität, dem internationalen Entgeltmanagementsystemen oder der Evaluierung des internationalen Personaleinsatzes mit Kulturproblematiken der Länder vor Ort.
463
464
Vgl. Schmeisser, 2001, S. 81 Iff. Vgl. Schmeisser/Clermont/Kriener, 1997, S. 529ff.; Schmeisser/Clermont, 1999; Schmeisser/Clermont/Protz, 1999 und DGFP, 2001, S. 188
184
VII Entwicklung eines Personalinformationssystems
„Ob dieser Zustand mit dem substanziellen Realisierungsdefizit einer internationalen Personalpraxis zusammenhängt oder nicht - die Nachfrage nach praxistauglichen Konzepten fur ein internationales Personalcontrolling besteht." 465 Es muss entsprechend der Frage nachgegangen werden, wie ein Personalinformationssystem inhaltlich betriebswirtschaftlich aufgebaut sein müsste, um den potenziellen Anforderungen eines internationalen Personalcontrollings gerecht zu werden.
24
Zur Beschreibung und Definition eines internationalen Personalcontrollings
Voraussetzung für die Anerkennung des internationalen Personalcontrollings als betriebswirtschaftliche Teildisziplin ist die Abgrenzung einer eigenständigen Problemstellung, die zum eigenen Erkenntnisgegenstand und Praxisanwendungsfeld erhoben werden kann. Entsprechend muss einer internationalen Personalcontrollingkonzeption eine eindeutig abgegrenzte internationale und personalwirtschaftliche Problemstellung zugrunde gelegt werden, für die es alternative Lösungsansätze geben kann. Mit der personalwirtschaftlichen, internationalorientierten Problemstellung können verschiedene Unternehmensziele verfolgt werden. Unter einer internationalen Personalcontrollingkonzeption wird im Folgenden ein gedanklicher Bezugsrahmen/Ansatz zur zielorientierten Lösung einer spezifischen Problemstellung eines internationalen Personalcontrollings verstanden. Internationales Personalcontrolling umfasst dabei die Gesamtheit der internationalen Personalaufgaben, die der zielorientierten Koordination von international wirkenden Führungsentscheidungen eines Konzern dienen, um durch ihre Umsetzung von Koordinationskonzepten die internationale Ausrichtung des Konzerns zu gewährleisten sowie die Informationsversorgung der Unternehmensfuhrung auf internationaler Ebene sicherzustellen. Dabei bietet sich die Controllingkonzeption des Management Control an, da sie weitgehend mit den Intentionen des KonTraG konform geht, wie sie unten noch aufgezeigt werden. Beim Management Control handelt es sich um ein Teilgebiet des Management Accounting 466 , dessen spezifische Problemstellung u.a. auch in der Koordination von internationalen Führungsentscheidungen sowie in der zielorientierten Beeinflussung des Verhaltens/Handels von internationalen Führungskräften auf untergeordneten Konzernebenen der weltweiten Führungsorganisation gesehen wird. Die Lösung dieser spezifischen Internationalen Personalcontrollingproblemstellung wird teilweise auf die Versorgung der internationalen Unterneh-
465
DGFP, 2001, S. 188f.
466
Vgl. Atkinson, 1997
25 Ziele eines internationalen Personalcontrollings
185
mensführung mit Informationen begrenzt. Management Control wird aber auch mit der Umsetzung und dem Einsatz von internationalen Koordinationskonzepten verknüpft. Management Control sieht ebenso eine internationale Berichterstattung gegenüber unternehmensexternen Interessenten (z.B. Aktionären, Shareholder-Value-Gedanke) und eine internationale interne Revision vor. Damit bildet das KonTraG eine rechtlich-betriebswirtschaftliche Grundlage eines Internationalen Personalcontrollings.
25
Ziele eines internationalen Personalcontrollings
Der Problemlösungsansatz einer Internationalen Personalcontrollingkonzeption mit der internationalen Entscheidungskoordination als spezifischer Controllingproblemstellung wird im vorliegenden Ansatz in der Implementierung von internationalen Konzepten der Entscheidungskoordination und Organisation im Konzern sowie der Sicherung der Informationsversorgung der internationalen Personalfuhrung gesehen. Aufgaben eines Internationalen Personalcontrollings Nach dem Bezug zu einer internationalen Personalentscheidung können die Personalaufgaben zwei Bereichen zugeordnet werden: • •
der Systemgestaltung sowie der Prozessunterstützung.
Die systemgestaltenden, internationalen Personalaufgaben beziehen sich nicht auf eine konkrete operative oder strategische Entscheidung, sondern auf Entscheidungen, die zukünftig regelmäßig mit ausländischen Tochterunternehmen zu treffen sind. Für diese internationalen Personalentscheidungen werden Koordinationssysteme gestaltet, um die Anwendung geeigneter Koordinationskonzepte und ihrer Wirkung aus Sicht des Mutterunternehmens im Konzernverbund zu gewährleisten. Bei einem internationalen Koordinationssystem im Personalbereich handelt es sich um die Gesamtheit der personalwirtschaftlichen Methoden, Modelle, technische Hilfsmittel (Hardware, Personalinformationssoftware), internationale Personalprozesse sowie Personalträger dieser Prozesse bei der Anwendung dieses internationalen Koordinationskonzeptes. Bei der Ausgestaltung dieses internationalen Koordinationssystems werden zielorientierte Konzernregelungen zur Verteilung und Erledigung von internationalen Personalaufgaben bei Anwendung von Koordinationskonzepten formuliert und schriftlich dokumentiert. Beispiele für internationale Koordinationssysteme sind Personalplanungs- und Steuersysteme im
186
VII Entwicklung eines Personalinformationssystems
weltweiten Konzern, Budgetierungs- und Lenk bzw. Verrechnungspreissysteme im Konzernverbund sowie internationale Anreiz- und flexible Entgeltmanagementsysteme. Die Gestaltung eines derartigen internationalen Koordinationssystems sollte darum immer mit der Einrichtung und Entwicklung eines internationalen Personalinformationssystems verwunden werden, das die bei der Anwendung dieses Koordinationskonzeptes im weltweiten Konzernverbund regelmäßig benötigte Personalinformationen bereitstellt. Personalinformationssysteme umfassen somit die Prozesse der Personalinformationsgewinnung, -auswertung und -Übermittlung, die Personalträger dieser Prozesse sowie Informationsund Kommunikationsbetriebsmittel, Instrumente, Methoden und Modelle zur routinemäßigen Bereitstellung genau abgegrenzter Personalinformationen für die internationale Unternehmensführung im Konzern. Zu den systemgestaltenden Aufgaben des internationalen Personalcontrollings zählen somit • • •
die Systemgestaltung und -Steuerung von Koordinationssystemen, Personalinformationssystemen sowie das internationale Projektmanagement unter besonderer Berücksichtigung internationaler Teambildung.
Zu den prozessunterstützenden Aufgaben des Personalcontrollings gehören koordinierende und informationsversorgende Personalaufgaben in der konkreten Entscheidungssituation. Zu den prozessunterstützenden Personalcontrollingaufgaben zählen • •
das Management von Koordinationsprozessen im Konzern sowie die problemspezifische Personalinformationsbereitstellung.
26
Einsatz von Personalinformationssystemen
Personalinformationssysteme sind sozio-technische Systeme, die aus menschlichen und maschinellen Komponenten bestehen. Ein total automatisiertes, gesamtbetriebliches (Personal-)Informationssystem ist derzeit nicht realisierbar, weil alle Informationsprozesse in einem international agierenden Unternehmen nicht programmierbar und damit nicht automatisierbar sind. Hintergrund sind zum einen die inhaltlichen Personalinformationen, die controllingartig erfasst werden sollen, und zum anderen die sprachlichen Informationen von möglicherweise 50 und mehr (Fremd-)Sprachen, die auch Übersetzungs-, Vergleichbarkeits- und Wirtschaftlichkeitsprobleme aufwerfen. Es ist deshalb notwendig, Prämissen für die weiteren Überlegungen zum internationalen Personalcontrolling einzuführen und sich anhand ausgewählter Beispiele, die zu einem effek-
26 Einsatz von Personalinformationssystemen
187
tiven und effizienten internationales Personalcontrolling beitragen könnten, den konkreten betriebswirtschaftlichen Inhalten anzunähern. 1. Es wird aus Vereinfachungsgründen von einem deutschen, börsennotierten Konzern ausgegangen, der international tätig ist, Direktinvestitionen im Ausland nicht nur als Portfoliomanagement versteht, sich eines eigenen internationalen Personalmanagements bedient, um eventuell als „Global Player" aktiv bei der Implementierung seiner Strategien bei den Auslandstöchtern einzugreifen. 2. Im Kontext eines internationalen Personalcontrollings werden also ausländische Aktivitäten untersucht, „die in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den Aktivitäten des Stammhauses stehen. So wird davon ausgegangen, dass Personen, Produkte, Geld, Know-how und/oder Informationen zwischen Stammhaus und ausländischen Niederlassungen transferiert werden. Nur wenn Aktivitäten in den ausländischen Unternehmenseinheiten durchgeführt werden, die in einem interdependenten Zusammenhang mit dem Geschäft des Stammhauses bzw. des Gesamtuntemehmens stehen, ist eine Unterstützung durch entsprechende personalwirtschaftliche Maßnahmen wichtig. Handelt es sich bei den ausländischen Direktinvestitionen dagegen lediglich um Portfolio-Investitionen, die aus einem Renditemotiv getätigt werden, haben sie für die Personalfunktion der Unternehmung in der Regel keine Konsequenzen." 4 6 7 3. Begründen kann man diese ausländischen Aktivitäten der Konzernmutter unter anderem damit, dass der Erwerb, der Verkauf, die Gründung und der Aufbau von Unternehmenstöchtern im Ausland mit dem Ziel erfolgt, die Konzernaktivitäten der Wertschöpfungskette zu verlagern, die nach Porter unterstützende Maßnahmen im Bereich Human Ressource Management benötigen. 4. Ziel der Konzernmutter ist eine Managementkon trolle mittels Strategien, Organisationsstrukturen, Managern und einem (Personal-)Controllingsystem. 5. Ein internationales Personalcontrolling sollte sich eines Anwendungssystems wie SAP 4 6 8 oder Peoplesoft 4 6 9 bedienen, mittels einer Umgangs- und Dienstsprach,e nämlich Englisch oder Deutsch, um die Effektivität, Effizienz und Risikofaktoren der Auslandsaktivitäten mit Hilfe der externen und internen (internationalen) Rechnungslegung zu erheben, zu erfassen und zu verarbeiten und auszuwerten. 6. Ein internationales Personalcontrolling, das hilft, ein akzeptiertes, sachgerechtes und wirtschaftliches internationales Gehaltsystem von oberen und mittleren Führungskräften weltweit aufzubauen und permanent die einzelnen Bestandteile kontrolliert 4 7 0 7. Folgt man schließlich auch den praxisnahen Empfehlungen des DGFP-Arbeitskreises darin, dass das Internationale Personalcontrolling als eine Sonderform des „nationalen Personalcontrolling" zu verstehen ist, 471 dann können einzelne Funktionen mittels
467
Weber/Festing/Dowling/Schuler, 1998, S. 3
468
Vgl. Mülder, 2001, S.457ff.
469
Vgl. Krawinkel, 2001, S.447ff.
470
Vgl. Brinkkötter, 1997, S.413ff. und 429ff.; Beynio/Krieger, 1998, S. 353ff.; Rosen, 1998, S. 34Iff. und Brinkkötter, 2000, S. 663flF. 471
Vgl. DGFP, 2001, S. 108f.
VII Entwicklung eines Personalinformationssystems
188
Benchmarking sowie zwecks Wirtschaftlichkeits- und Rentabilitätsüberlegungen permanent controllingmäßig verfolgt werden. Dies sind sicherlich die Personalfunktionen: • • • • •
Personalrekrutierung und Auswahl Personalentwicklung mit kulturellem sowie sprachlichem Training Kompensation und Anreizgestaltung im Rahmen eines Entgeltmanagementsystems Führung und (Unternehmens-)Kultur sowie internationale Arbeitsbeziehungen.
Erst durch eine derartige Verfolgung der Personalfunktionen können Unterstützungsleistungen fur Auslandsentsendungen gegeben werden und werden Potentialerkennung und Personalentwicklung von (obersten) potentiellen Führungskräften im Konzern langfristig möglich.
27
Gewinnung von Personalinformationen
Personalinformationssysteme aufbauen heißt, Informationsprozesse der internationalen Konzernaktivitäten, besonders der internationalen Personalaktivitäten abbilden, und (EDVgerecht) organisieren. Personalinformationsprozesse dienen der Transformation von Rohdaten in aussagefahige, entscheidungsorientierte, unternehmenspolitische Informationen, oder anders ausgedrückt: sie dienen der Überbrückung zwischen einen (ursprünglichem) Informationsangebot in den ausländischen Unternehmenseinheiten des Konzerns weltweit und einmal letztlich zu befriedigendem Informationsbedarf des Stammhauses bzw. der Investoren des amtlich börsennotierten Konzerns, d.h. den Anforderungen der (internationalen) Rechnungslegung. Gerade das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) 472 kann hier fur ein internationales Personalcontrolling den formalen Kontext und einen ersten inhaltlichen Rahmen geben. Ziel des Gesetzes ist es, die Kontrolle und die Transparenz im Bereich der amtlich börsennotierten Kapitalgesellschaften zu verbessern. Der Prüfungsumfang der gesetzlichen Abschlussprüfung wird in dem durch das KonTraG neu formulierten § 317 HGB sowohl für die Einzelabschluss- als auch fur die Konzernabschlussprüfung vollständig neu gefasst. Die Neuerungen liegen im Wesentlichen: • in der Ausrichtung der Prüfung auf Unrichtigkeiten und Verstöße gegenüber gesetzlichen Vorschriften und sie ergänzende Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags oder der Satzung (§ 317 Abs. 1 S. 3 HGB), • in der Ausdehnung der Prüfungspflichten in Zusammenhang mit dem Lagebericht ( § 3 1 7 Abs. 2 HGB) sowie
472
Vgl. Schmeisser, 2001, S. 81 Iff.
27 Gewinnung von Personalinformationen •
189
in der Prüfungspflicht hinsichtlich des nach § 91 Abs. 2 AktG einzurichtenden Überwachungssystems bei amtlich notierten Aktiengesellschaften (§317 Abs. 4 HGB).
1. Nach § 317 Abs. 1 S. 3 HGB ist die Prüfung so anzulegen, dass Unrichtigkeiten und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, Gesellschaftsvertrag oder Satzung erkannt werden. Gemeint sind damit nur solche Verstöße, die sich auf das nach § 264 Abs. 2 HGB zu vermittelnde Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens wesentlich auswirken. Verstöße sind bewusste Abweichungen von den fur die Aufstellung des Jahresabschlusses oder des Lageberichts geltenden Rechnungslegungsgrundsätzen im Sinne des § 317 Abs. 1 S. 2 HGB. Folgende Beispiele von Verstößen, die einen wesentlichen Einfluss auf den (Konzern-)Jahresabschluss haben können, sind: Verstöße von Managern gegen Vorschriften der ausländischen Unternehmenseinheit, die die Geschäftstätigkeit im Gastland infrage stellen; aber auch Verstöße gegen Vorschriften, die gegen Zulassungen und Lizenzen verstoßen; Verstöße gegen Vorschriften über Form und Inhalt des Jahresabschlusses und Verstöße gegen Umweltschutzbestimmungen, die eine Beseitigungspflicht und damit handelsrechtlich eine Rückstellungspflicht auslösen.
Weitere typische Beispiele fur Bilanzfalschungen, Unregelmäßigkeiten bzw. Gesetzesverstöße von Managern, auch in ausländischen Niederlassungen, aus dem Bereich der Vorräte sind: Ausweis von Vorräten in der Bilanz, obwohl diese nicht bzw. nicht mehr im Eigentum des Unternehmens stehen; Ausweis von nicht existenten Vorräten; leere Behälter; Hinzufügen von Wasser in Ölbehältern und Umbuchungen von Kosten, die bereits bei abgeschlossenen Aufträgen angefallen sind, auf neue Aufträge. Bei Anzeichen von Fehlern, Täuschungen, Vermögensschädigungen und sonstigen Gesetzesverstößen ist vom Abschlussprüfer zu beurteilen, welche Umstände dazu geführt haben und welche Auswirkungen sich auf den Abschluss ergeben, aber ebenso vom internationalen Personalcontroller, welchen Bericht er der Geschäftsführung der nationalen Unternehmenseinheit oder der Konzernspitze über personales Fehlverhalten vorlegen muss.
2. Die Prüfung des Lageberichts hat sich nach § 317 Abs. 2 HGB auf folgende Bereiche zu erstrecken: • • •
473
Übereinstimmung des Lageberichts mit dem Jahresabschluss und mit den während der Prüfling gewonnenen Erkenntnisse, Vermittlung einer insgesamt zutreffenden Vorstellung von der Lage des Unternehmens, zutreffende Darstellung der Risiken der zukünftigen Entwicklung. 473
Vgl. Schindler/Rabenhorst, 1998, S. 1986ff.
190
VII Entwicklung eines Personalinformationssystems
Diejenige Neuerung in Verbindung mit der Prüfung des Lageberichts, die die höchsten Anforderungen stellt, ist die Prüfung, ob die Risiken der künftigen Entwicklung des Konzerns, beeinflusst durch einen Außenumsatz der oft zwischen 40 und 90 Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen kann, zutreffend dargestellt sind. Damit macht der Gesetzgeber deutlich, dass zur Prognose der Unternehmensentwicklung im Lagebericht nicht nur die Chancen, sondern auch Risiken gehören. Es wird mit dieser Anforderung deutlich, dass die Unternehmen in der Vergangenheit der Forderung nach einer den tatsächlichen Verhältnissen entsprechende Berichterstattung nach Auffassung des Gesetzgebers nicht vollständig nachgekommen sind. Der Gesetzgeber steigert damit die Anforderungen an den Lagebericht im Hinblick auf die Bereitstellung entscheidungsrelevanter Informationen, die auch vom (internationalen) Personalcontrolling mit erbracht werden muss, wenn sie wachstumsgefahrdend ist. Die Berichterstattung im Lagebericht des Konzerns ist dadurch umfassender verglichen mit dem Jahresabschluss, da zukunftsorientierte Sachverhalte berücksichtigt werden müssen, die sowohl die Auslandsaktivitäten verbunden mit den Human Ressourcen betreffen können. Erinnert sei hier nur an die Greencard-Diskussion im Informations- und Kommunikationstechnikbereich. Für die Fortbestandsprognose ist regelmäßig von einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugehen, gerechnet vom Abschluss-Stichtag. Für alle übrigen wesentlichen Risiken, wie die voraussichtliche Entwicklung bei maßgeblichen Auslandsaktivitäten, soll ein Prognosezeitraum von zwei Jahren sachgerecht sein. Im Einzelfall kann es bei (Auslands-)Geschäften, die ein Unternehmen über einen längeren Zeitraum Risiken aussetzen, notwendig sein, einen entsprechend längeren Prognosezeitraum zugrunde zu legen. 474 Der Begriff des Risikos wird vom Gesetzgeber weder im Gesetzestext noch in der Gesetzesbegründung näher konkretisiert. In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird der Risikobegriff nicht einheitlich verwendet. 475 Unter Risiko im Sinne des § 289 HGB wird die Möglichkeit ungünstiger, künftiger Entwicklungen verstanden, die mit einer erheblichen Wahrscheinlichkeit erwartet werden. Risiko wird als die Möglichkeit der Gefahr von Verlusten im Rahmen der Geschäftstätigkeit verstanden. Es bedeutet ein negatives Abweichen der Unternehmensentwicklung von geplanten Größen. Es resultiert aus der generellen Unsicherheit zukünftiger Ereignisse, die mit einem unvollständigen Informationsstand verbunden sind. 476 Im weitesten Sinne lässt sich der Ausdruck „Risiko" als Unsicherheit umschreiben. Unsicherheiten, d.h. mögliche Abweichungen von erwarteten Werten, bestehen auf allen Ebenen der Geschäftstätigkeit, sowie auch im internationalen Personalmanagementbereich und den dazugehörenden Auslandsaktivitäten. Zu den möglichen Unsicherheiten zählen u.a. Änderungen von politischen und ökonomischen Faktoren in den einzelnen Ländern, in denen das Unternehmen tätig ist, wie Wechselkurse, Inflationsraten und Steuern, Änderung der Branchenstruktur durch neue Wettbewerber oder neue Technologien und nicht vorhergesehene Rechtstreitigkeiten, Reklamationen oder Klagen, die von den Mitarbeitern und Führungskräften bewältigt werden müssen oder evtl. durch sie ausgelöst worden sind. 474
Vgl. Arbeitskreis Schmalenbach-Gesellschaft fiir Betriebswirtschaft e.V., 2000, S. 7 475
Vgl. Baetge/Schulze, 1998, S. 937ff.
476
Vgl. Bitz, 2000, S. 13
191
27 Gewinnung von Personalinformationen
• Aufbau eines Überwachungssystems internes Überwachungssystem
organisatorische S icherungsm aßnahmen
Kontrollen
interne Revision
> ständige Überwachung durch automatische Einrichtungen
> prozessabhängige Überwachung
• • • •
• in Arbeitsablauf integriert • nachträglich • von Personen aus • von internen, neutralen, Arbeitsprozess durchgeführt objektiven Personen durchgeführt • kontinuierliche Kontrolle Kontrolle in angemessenen Zeitintervallen
Funktionstrennung EDV Arbeitsanweisungen innerbetriebliches Belegwesen
>prozessunabhängige Überwachung
Abb. 27.1: Aufbau eines Überwachungssystems477
Nach § 91 Abs. 2 AktG. muss der Vorstand ein Überwachungssystem einrichten. Der Vorstand hat für ein angemessenes Risikomanagement und für eine angemessene interne Revision zu sorgen. Ziel des Risikomanagement- und Überwachungssystems ist die Früherkennung von Risiken. Den verantwortlichen Unternehmensorganen soll die rechtzeitige Einleitung geeigneter Maßnahmen zur Unternehmenssicherung ermöglicht werden.
477
In A n l e h n u n g an: Lück (a), 1998, S. 9
192
VII Entwicklung eines Personalinformationssystems
• Regelkreislauf eines Risikomanagementsystems Formulierung/ Überarbeitung der Risikostrategie Festlegung der Maßnahmen des Ri sikomanagements
y internes χ Überwachungssystem organisatorische Sicherheitsmaßnahmen Kontrollen interne Revision
Risikoidentifikation (u.a. Frühwarnsysteme)
Vergleich der RisikoSituation mir den Vorgaben der Strategie \
I
Darstellung der Risikosituation des Unternehmens
Risiko-Controlling Risikosteuerung Risikobewertung
Abb. 27.2: Regelkreislauf eines
Risikomanagementsystems4
Nach § 91 Abs. 2 AktG. hat der Vorstand geeignete Maßnahmen zu treffen und damit ein Überwachungssystem einzurichten, damit die den Fortbestand der Gesellschaft gefährdenden Entwicklungen früh erkannt werden. Die Beachtung dieser Bestimmung ist Gegenstand der Prüfung des Wirtschaftsprüfers nach §317 Abs. 4 HGB. 479 Da das vom Vorstand nach § 91 Abs. 2 AktG ein- und fortzuführende Risikofrüherkennungssystem auf die Früherkennung bestandsgefahrdender Entwicklungen ausgerichtet sein muss, ist auch nur dieser Teilaspekt des gesamten Risikomanagementsystems der Gesellschaft Gegenstand der Prüfung. Die Abgrenzung dieses Teilaspekts erfolgt durch die von der Gesellschaft vorzunehmende Festlegung der Risikofelder, die zu bestandsgefahrdenden Entwicklungen fuhren können. Da international agierende Unternehmen maßgeblich ihren Umsatz im Ausland erbringen, ist internationale Personalarbeit und -fuhrung als Risikofeld per se gegeben, und dieses begründet sicherlich nicht zuletzt auch das internationale Personalcontrolling als Risikofeld in aggregierter bzw. disaggregierter Form im Risikomanagementsystem genauer zu beleuchten.
478 479
In Anlehnung an: Lück, 1998, S. 1926 Vgl. Scharf, 1999, S. 180
27 Gewinnung von Personalinformationen
193
Das Risikomanagementsystem hat sicherzustellen, dass bestehende Risiken (risikoreiche Auslandsaktivitäten in Verbindung mit Personalaktivitäten) erfasst, analysiert und bewertet werden, und dass die risikobezogenen Informationen an die Entscheidungsträger weitergeleitet werden. Zum Risikomanagement gehört auch ein Überwachungssystem (z.B. internationales Personalcontrolling), dass die Einhaltung der Vorgaben überwacht. Das Risikofrüherkennungssystem im Sinne des § 91 Abs. 2 AktG hat sicherzustellen, dass diejenigen Risiken, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden können, früh erkannt werden. Es ist vom Wirtschaftsprüfer auszuführen, ob der Vorstand die ihm obliegenden Maßnahmen erfüllt. Die Existenz der vom Vorstand getroffenen Maßnahmen prüft der Abschlussprüfer anhand entsprechender Dokumentationen, Organisationsanweisungen und seiner eigenen Feststellungen im Rahmen der Prüfung des internen Kontrollsystems. 4 8 0 Die Dokumentation ist zwingend erforderlich. Ohne diese Unterlagen kann der Abschlussprüfer die Einhaltung der gesetzlichen Verpflichtung nur im Rahmen einer Organisationsprüfung feststellen. Eine solche Prüfung ist mit einem hohen Aufwand verwunden. Aus der Dokumentation sollen das generelle Vorgehen, Maßnahmen der Risikoidentifikation, Risikomessung, Risikosteuerung, festgelegte Verantwortlichkeiten sowie Schulungsmaßnahmen fur die Mitarbeiter hervorgehen. Die Prüfung der Dokumentation erfolgt durch die Einsichtnahme in die Dokumentationsunterlagen, durch die Analyse des Berichtswesens als auch durch die Befragung leitender Mitarbeiter. Die Dokumentation erfüllt folgende Aufgaben: • • •
Die Unterleitung kann bei Eintritt einer Unternehmenskrise ihr pflichtgemäßes Verhalten nachweisen (Rechenschaftsfunktion). Die Dokumentation ist erforderlich, um die Einhaltung der Maßnahmen des Risikomanagement im Zeitablauf sicherzustellen (Sicherungsfunktion). Die Dokumentation ist die Grundlage und Voraussetzung für die Prüfung des Überwachungssystems (Prüfbarkeitsfunktion). 4 8 1
Die Zweckentsprechung der getroffenen Maßnahmen hat der Abschlussprüfer danach zu beurteilen, ob sie bezogen auf die jeweilige Risikosituation des Unternehmens sowie die Größe und Komplexität der Unternehmensstruktur angemessen sind. Die Maßnahmen müssen insgesamt geeignet sein, Risiken der künftigen Entwicklung so frühzeitig zu erkennen und intern zu besprechen, sodass der Vorstand reagieren kann. Die Zweckmäßigkeit ist daran zu messen, ob das Überwachungssystem den Zielen bzw. der Strategie des Unternehmens gerecht wird. Des Weiteren wird es bedeutend sein, wie die Berichterstattung von Risikopotentialen z.B. Häufigkeit, Beurteilung der Risiken durch Sensitivitätsanalysen oder WorstCase-Betrachtungen erfolgt. Die Zweckmäßigkeit des Systems, seine Angemessenheit und die Eignung bemessen sich anhand der Größe, der Struktur und des Umfeldes des Unternehmens.
480
Vgl. Adler/Düring/Schmaltz, 2000, Teilband 7, S. 123f.
481
Vgl. Kromschröder/Lück, 1998, S. 1573ff.
194
VII Entwicklung eines Personalinformationssystems
• Überwachung des Risikomanagementprozesses durch das interne Überwachungssystem kontinuierliche Analyse des Risikomanagementprozesses
Prä venti vfunkt i on > obliegt allen Bestandteilen des IÜS > V e r m e i d u n g potentieller Risiken > Minimierung der möglichen Schadenshöhe bestehender Risiken Korrekturfunktion > obliegt v.a. der internen Revision > Entwicklungs- und Installationsphase: P r ü f u n g von Vollzug und > nach Implementierung:
Wirksamkeit des Systems Funktionsprüfung
Abb. 27.3: Überwachung des Risikomanagementprozesses durch das interne Überwachungssystem
Überträgt man die Anforderungen des KonTraG auf das Risikofeld „internationales Personalcontrolling", so ist hier noch viel Kreatives zu leisten, z.B.: Wie sieht ein internes Überwachungssystem „internationales Personalcontrolling" aus? Wie werden die Risiken identifiziert und erfasst? Was sind typische Frühindikatoren in diesem Risikofeld? Welche typischen Kennzahlen bieten sich dazu an, um ein direktes oder indirektes messen zu ermöglichen? Wie sieht ein regelmäßiger Bericht für den Vorstand aus? Wie weit lassen sich die Aspekte des internationalen Personalcontrollings mit dem internen und externen Rechnungswesen vereinbaren, um den KonTraG zu genügen.
28 Aufbau von Personaleninformationssysteme
28
195
Aufbau von Personaleninformationssysteme
Für Scherm/Pietsch/Süß 482 gibt es drei verschiedene Konzeptionen des Controllings, und zwar das rechnungswesenorientierte, das informationsorientierte und das koordinationsorientierte, aus denen sie die Ziele und Aufgaben und Instrumente eines internationalen Personalcontrollings ableiten. Leider bleiben sie bei ihrem Ansatz zu allgemein, sodass keine konkreten Kennzahlen daraus abgeleitet werden können.
28.1
Ziele eines internatonale Personalinformations systems
„Auf der Managementebene wird im Rahmen der Funktionen Planung, Organisation, Personalbereitstellung und Personalfuhrung die Selektionsaufgabe wahrgenommen. Demgegenüber ist die umfassende Reflexionsaufgabe der Funktion Controlling zuzuordnen. Controlling als Managementfunktion lässt sich damit kennzeichnen als Reflexion von Entscheidungen, die im Rahmen der anderen Managementfunktionen vor dem Hintergrund des gesamten Zielsystems eines Unternehmens getroffen werden." 483 „Management in funktionaler Sicht bedeutet Entscheidungen treffen, sie durchzusetzen und (zu, d. Verf.) hinterfragen sowie Verantwortung für getroffene Entscheidungen (zu, d. Verf.) übernehmen. Sie müssen nicht zwingend auf der Basis eines rationalen Kalküls, sondern können auch intuitiv zustande gekommen sein. Für die Erfüllung dieser Managementaufgabe(n) sind in jedem Fall Informationen notwendig. Die Beschaffung, Aufbereitung und Bereitstellung dieser Informationen kann als Führungs- bzw. Managementunterstützung (im Sinne einer Controllingfunktion, d. Verf.) angesehen werden." 484 Welche Informationen dies sein können, schreiben die Autoren leider nicht, auch weitergehende Konkretisierungen anhand von qualitativen oder quantitativen Kennzahlen oder etwas Ähnlichem erfolgt nicht. Jedoch sind einige Anmerkungen zumindest interessant im Kontext des internationalen Personalcontrollings, nämlich, „dass neben die auch weiterhin bedeutsamen Perspektive der einzelnen - nationalen - Unternehmenseinheit eine, nicht minder wichtige, gesamtunternehmensbezogene internationale Perspektive treten muss. Zwar findet in den internationalen Unternehmen auch weiterhin der Wettbewerb auf einzelnen, jeweils nationalen Märkten
482 483
484
Vgl. Scherm/Pietsch/Süß, 2000, S. 396ff. Scherm/Süß, 2001, S. 360 Ebd., S. 358
196
VII Entwicklung eines Personalinformationssystems
statt, jedoch müssen auf internationaler Ebene spezifische Wettbewerbsvorteile geschaffen und genutzt werden, um längerfristig gegenüber den nationalen und internationalen Konkurrenten auf diesen Märkten bestehen zu können. Deshalb kann man auch bei starker Dezentralisierung und Differenzierung nicht vollständig auf eine zentrale Steuerung der Unternehmensaktivitäten verzichten, da nur so Skaleneffekte (economies of scale), Verbundeffekte (economies of scope) und nationale Unterschiede genutzt werden können, aus denen sich Wettbewerbsvorteile generieren lassen. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass - zum Teil erhebliche - Divergenzen zwischen den gesamtunternehmensbezogenen Zielen (der Unternehmenszentrale) und den länder(markt)bezogenen Zielen der Unternehmenseinheiten bestehen. Führen diese zu einer unterschiedlichen Bewertung der Situationen, Handlungsalternativen und Handlungsergebnissen, sind Konflikte vorprogrammiert, gleichzeitig machen solche Perspektivenunterschiede aber auch den Reflexionsbedarf dieser Entscheidungen deutlich. In jedem Fall muss aber sichergestellt sein, dass bei solchen gesamtunternehmensbezogenen Entscheidungen auf die relevanten Informationen aus den Auslandsentscheidungen zugegriffen werden kann." 485 Leitet man aus den obigen Aussagen die Inhalte eines internationalen Personalcontrollings für entsandte Führungskräfte konkreter ab, so ergeben sich folgende Ziele: 1. Prüfung der Führungskräfte auf allen Ebenen des Konzerns im In- sowie im Ausland daraufhin, ob diese für weitergehende Führungsaufgaben auf den nächsthöheren Ebenen in Betracht kommen, insbesondere bei Steuerungsbedarf durch die Konzernmutter. 2. Nachweis, dass die Führungskraft Funktionsinteressen wie das Marketing, die Forschung und Entwicklung, die Produktion mit Länderinteressen und internationalen Interessen der Muttergesellschaft im Rahmen von operativen und strategischen Wettbewerbsstrategien und Wertschöpfungsprozessen ausgleichen kann. 3. „Die primären Gründe für Fehlschläge bei multinationalen Operationen sind auf Mängel im Verständnis der wesentlichen Unterschiede auf allen Ebenen des Personalmanagements in einer fremden Umgebung zurückzufuhren." 486 Hier ist zu fragen, inwiefern einzelne Funktionen des Internationalen Personalmanagements nicht wahrgenommen worden sind bzw. auf welche Weise diese helfen können, die Führungskraft zu entwickeln. 4. Das internationale Personalcontrolling muss im Gegensatz zu Scherms Verständnis in eine rechnungswesenorientierte, weltweite Controllingkonzeption, z.B. nach US-GAAP für börsennotierte Unternehmen, eingebunden sein, da sonst das KonTraG mit der Risikobetrachtung als Maßstab des Mutterkonzerns infrage gestellt werden würde. 5. Das internationale Personal(-informations-)controlling ist nur im Zusammenhang mit den einzelnen nationalen Personalinformationscontrollingsystemen möglich, d.h. dass sie sich folglich überlagern müssen und nicht als zwei getrennte Systeme geführt und betrachtet werden dürfen. Dies lässt sich sicherlich am besten an einem internationalen Entgeltmanagementsystem demonstrieren, will man eine Entgeltgerechtigkeit national und international/weltweit im Konzern erreichen.
485 486
Scherm/Süß, 2001, S. 362 Destanick/Bennett, 1978 zitiert nach Weber/Festing et al., S. 11
28 Aufbau von Personaleninformationssysteme
197
6. Das internationale Personalcontrolling muss überprüfen, inwiefern PeopleSoftware, SAPSoftware usw. als Personalinformationssysteme hier weltweit Hilfestellung geben können bzw. inwiefern hier Eigenentwicklungen des Unternehmens erforderlich sind. Mit anderen Worten: Hier ist noch viel kreative Aufbauleistung von den Unternehmen und der Wissenschaft zu leisten.
28.2
Funktionale Ausgestaltung des internationalen Personalcontrollings
Internationales Personalcontrolling ist demnach ein Geflecht aus (nationalem) Personalcontrolling im engeren Sinne und anderen funktionalen und projektorientierten Controlling-Typen wie F&E-Controlling, Produktionscontrolling, Logistikcontrolling und Marketingcontrolling weltweit, woraus Risiken aber auch Chancen im Koordinationskonzept der Unternehmensführung erwachsen. Nur so gefährdet man die internationalen Wettbewerbsstrategien und Wettbewerbsvorteile des Konzerns nicht. Ziel eines Forschungs- und Entwicklungscontrollings mit einem nationalen/internationalen Personalcontrollings muss eine vollständige Transparenz im nationalen/internationalen Technologiemanagement sein, und zwar bezüglich der Frage, ob das Unternehmen genug High Professionals mit entsprechenden Kompetenzen hat, um künftige Erfolgspotentiale des Unternehmens sichern zu können. Dies ist erforderlich im Hinblick auf projektorientierte F&E-Aktivitäten, Mitarbeiter, bezüglich (Entgelt-/Personal-)Kosten, Zielerreichungsgrades gemessen z.B. in Patenten, und um entsprechende Abweichungen zu steuern. Netzwerkstrukturen von international tätigen Unternehmen stellen neue Herausforderungen an das internationale Personalmanagement dar, wie dies Perlitz 487 am Beispiel von General Motors mit dem entsprechenden Produktions- und Logistiknetzwerk verdeutlicht. Wenn die Teile eines Autos weltweit gefertigt und montiert werden, dann sind technologieorientierte Unternehmen in besonderem Maße auf ein differenziertes Produktionscontrolling in Verbindung mit einem Personalcontrolling angewiesen, denkt man nur an die Zielgrößen (Personal-)Kosten und deren Zusammensetzung, Produktivität, die durch Krankenstand, Fehlzeiten, Fluktuation, Technologieeinsatzmöglichkeiten bei unterschiedlichen Qualifikationen der Belegschaft beeinflusst wird, Produktionsmenge bei unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen und kulturell, gesellschaftlich, politisch und rechtlichen Beschränkungen sowie der Sicherung der Qualität mittels unterschiedlichen Total Quality Management-Modellen und Instrumenten in Verknüpfung mit Weiter- und Personalentwicklungsansätzen.
487
Vgl. Perlitz, 1997, S. 231 ff.
198
VII Entwicklung eines Personalinformationssystems
Eng verwunden ist mit den internationalen Netzwerkstrukturen die Logistik-Leistung, die an der Erreichung folgender Ziele zu messen ist, die aber zugleich den PersonalDienstleistungscharakter der Logistikfunktion verdeutlichen. Diese Ziele sind Servicezeit, Servicezuverlässigkeit und Lieferbereitschaft in der geplanten Servicezeit rund um die Welt. Zum (internationalen) Marketingcontrolling in Verbindung mit dem (internationalen) Personalcontrolling: Generell kann gefragt werden, inwiefern Manager das weltweite Konzept der Unternehmensführung systematisch in den einzelnen Ländern verwirklichen, um beispielsweise als Global Player für ihren Konzern im Automobilbereich, Telekom-Bereich oder der Luftfahrtindustrie erfolgreich zu sein. Quantifizierbare Ziele des Marketingcontrollings und der Zielvereinbarung im Rahmen der Leistungsbeurteilung eines Personalcontrollings können z.B. Umsatzwachstum, Marktanteile oder Deckungsbeiträge sein. Qualitative Kennzahlen können z.B. hohe Bekanntheitsgrade, ein positives Image und hohe Wiederkaufsraten sein, die der entsandte Manager nur mit Hilfe der Kenntnis der nationalen Kultur und einem Kulturverständnis erzielen kann. Zum nationalen/internationalen Personalcontrolling kann hier unter anderem gefragt werden, wie eine Personalentwicklungsstrategie für außertarifliche Mitarbeiter und oberste Führungskräfte national und international im Konzern umgesetzt wird, oder wie ein Zielvereinbarungskonzept für die höheren und obersten Führungskräfte national und weltweit im Konzern standardisiert wird und Karrieren beeinflusst. Dabei lässt sich das Personalentwicklungsstrategiekonzept sicherlich gut mit dem Strategiekonzept der Personalbeurteilung verknüpfen. Als Nächstes setzt hier wiederum das Strategiekonzept des Personalentgeltmanagements im Konzern fließend an. Alle Konzepte wiederum können mit Funktionalkonzepten des Forschungs- und Entwicklungsbereichs, des Marketingbereichs, von nationalen Niederlassungen usw. verbunden werden.
28.3
Prozessunterstützende Aufgaben des internationalen Personalcontrolling
Ziele und Aufgaben eines prozessunterstützenden Personalcontrollings bezeichnen alle innovativen Fälle des funktionalen Internationalen Personalcontrollings, d.h. wenn sie projektartig erstmals im weltweiten Konzern eingeführt oder nach Jahren neu überarbeitet werden. 1996 hat die BASF ein Gehaltssystem für internationale Entsendungen von oberen Führungskräften entwickelt. Folgende Kriterien oder Anforderungen hatte sie an ein entsprechendes materielles System für internationale Entsendungen gestellt: •
Akzeptanz bei den entsandten Führungskräften, die durch Transparenz und Plausibilität die Rechenschritte ihrer Gehaltsabrechnung nachrechnen können;
Literaturverzeichnis •
•
199
Sachgerechtigkeit, die dadurch sichergestellt wird, dass das Entgeltsystem derart flexibel ist, das eine angemessene Anpassung an individuell unterschiedliche Ausgangsfälle möglich ist; Wirtschaftlichkeit, die dadurch erzielt wird, dass mit der „einfachen Bedienbarkeit" mit raschen, sofort nachvollziehbaren Ergebnissen individuell, gruppenbezogen national wie international im Konzern agiert werden kann. Dabei werden die Bestandteile des Entgeltmanagementsystems permanent erhoben, fortgeschrieben, überprüft und angepasst, damit eine höchstmögliche Gerechtigkeit der Entlohnung der obersten Führungskräfte im Konzern und im Vergleich zu den weltweiten Arbeitsmärkten erfolgt. 488
Literaturverzeichnis Arbeitskreis „Externe und Interne Überwachung der Unternehmung" der SchmalenbachGesellschaft für Betriebswirtschaft e.V.: Auswirkungen des KonTraG auf die Unternehmensüberwachung. in: Der Betrieb, Heft 37, Beilage Nr. 11/2000, 2000. Abts, D. / Miilder, W.: Grundkurs Wirtschaftsinformatik. 3. Auflage Braunschweig/Wiesbaden, 2001. Atkinson, Α. Α.: Management Accounting. 2. Auflage, Upper Saddle River (N.J.), 1997. Baetge, J. / Schulze, D.: Möglichkeiten der Objektivierung der Lageberichterstattung über „Risiken der künftigen Entwicklung", in: Der Betrieb, Heft 19, 1998, S. 937-948. Beynio, W. / Krieger, W.: Stock Option Incentives von Oberen Führungskräften in der Henkel-Gruppe. in: Clermont, A. / Schmeisser, W. (Hrsg.): a.a.O., 1998, S. 353-362. Bitz, H.: Risikomanagement nach KonTraG. Stuttgart, 2000. Brinkkötter, H.-O.: Grundfragen aus der Entsendungspraxis der BASF mit besonderer Berücksichtigung von Oberen Führungskräften, in: Clermont, Α. / Schmeisser, W. (Hrsg.): a.a.O., 1997, S. 413^128. Brinkkötter, H.-O.: Das Gehaltssystem der BASF für internationale Entsendungen von Oberen Führungskräften, in: Clermont, Α. / Schmeisser, W. (Hrsg.): a.a.O., 1997, S. 4 2 9 ^ 4 4 . Brinkkötter, H.-O.: Aktienprogramme der BASF Aktiengesellschaft. „BOP" für Obere Führungskräfte - „plus" für die Belegschaft, in: Clermont, Α. / Schmeisser, W. / Krimphove, D. (Hrsg.). a.a.O., 2000, S. 663-691. Clermont, Α. / Schmeisser, W. (Hrsg.): Internationales Personalmanagement. München, 1997. Clermont, Α./ Schmeisser, W. / Krimphove, D. (Hrsg.): Personalführung und Organisation. München, 2000. DGFP - Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. (Hrsg.): Personalcontrolling in der Praxis. Stuttgart, 2001. Gilles, S.: BSC als Konzept. 2002.
488
Vgl. Brinkkötter, 1997, S. 443
200
VII Entwicklung eines Personalinformationssystems
Krawinkel, U.: PeopleSoft Collaborative Applications - Ein Überblick über globale Einsatzmöglichkeiten im Personalbereich. in: Clermont, A. / Schmeisser, W. / Krimphove, D. (Hrsg.): a.a.O., 2001, S. 447^156. Kromschröder, Β./ Liick, W.: Grundsätze risikoorientierter Unternehmensüberwachung, in: Der Betrieb, Heft 32, 1998, S. 1573-1576. Liick, W.: Der Umgang mit unternehmerischen Risiken durch ein Risikomanagementsystem und durch ein Überwachungssystem, in: Der Betrieb, 51. Jg., 1998, S. 1925-1930. Liick, W. (a): Elemente eines Risiko-Managementsystems. Die Notwendigkeit eines RisikoManagementsystems durch den Entwurf eines Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG). in: Der Betrieb, 51. Jg., 1998, S. 8-14. Miilder, W.: Entwicklungstendenzen beim Personalinformationssystem SAP R/3 HR. in: Clermont, Α. / Schmeisser, W. / Krimphove, D. (Hrsg.): a.a.O., 2001, S. 457^176. Rosen, R. v.: Aktienoptionen für Führungskräfte, in: Clermont, Α. / Schmeisser, W. (Hrsg.): a.a.O., 1998, S. 341-351. Perlitz. M.: Aspekte, Strategien und Probleme bei der Entwicklung eines Handlungssystems für das internationale Personalmanagement, in: Clermont, Α. / Schmeisser, W. (Hrsg.): a.a.O., 1997, S. 223-237. Scharf, P.: Risikomanagement- und Überwachungssystem im Finanzbereich, in: Reform des Aktienrechts, der Rechnungslegung und Prüfung. Stuttgart, 1999, S. 177-201. Scherm, E. / Pietsch, G. / Süß, S.: Internationales Personalcontrolling zwischen Standardisierung und Differenzierung, in: Personal, Jg. 52, Heft 9, 2000, S. 4 7 0 ^ 7 6 . Scherm, E. / Süß, S.: Internationales Management. München, 2001. Schindler, J./ Rabenhorst, D.: Auswirkungen des KonTraG auf die Abschlussprüfung (Teil I). in: Betriebsberater, Heft 37, 1998, S. 1886-1893. Schmeisser, W.: Finanzorientierte Personalwirtschaft. München 2008. Schmeisser, W.: Flexibles Vergütungsmanagement im Rahmen des Shareholder ValueAnsatzes. in: Clermont, Α. / Schmeisser, W. / Krimphove, D. (Hrsg.): a.a.O., 2001, S. 811-819. Schmeisser, W. / Clermont, A./ Merle, Α.: Internationales Personalcontrolling, in: Clermont, Α. / Schmeisser, W. ( Hrsg.): a.a.O., 1997, S. 529-544. Schmeisser, W./ Clermont, Α.: Personalmanagement. Praxis der Lohn- und Gehaltsabrechnung, Personalcontrolling und Arbeitsrecht. Herne/Berlin, 1999. Schmeisser, W. / Clermont, Α./ Protz, Α. (Hrsg.): Personalinformationssysteme und Personalcontrolling. Auf dem Weg zum Personalkosten-Management. Luchterhand, 1999.
VIII Aufbau, Funktionalität und Anwendungsbereiche von Informationssystemen im Personalbereich 29
Internationale Personalinformationssysteme
29.1
Definition von Informationssystemen
Bei einem Informationssystem im Personalbereich handelt es sich um ein MenschComputer-System. Dieses System besteht aus menschlichen und technischen Komponenten, und beschreibt ein systematisch geordnetes Netz von informationellen Beziehungen, das zwischen Menschen und informationsverbreitenden Maschinen, Daten und Methoden entwickelt wird. Demzufolge dient das Personalinformationssystem dazu, den zweckmäßigen Informationsbedarf der Beteiligten in der weltweiten Untemehmensorganisation zu befriedigen. Ein Informationssystem dient als Hilfsmittel in Unternehmen, um schneller, besser und flexibler in der Personalarbeit agieren zu können. 4 8 9 Zudem hilft es bei der Sicherung und beim Ausbau strategischer Wettbewerbsvorteile, die durch Humankapital kreiert werden. Ein Personalinformationssystem ist ein Teil des Organisationssystems, bei dem Informations- beziehungsweise Kommunikationsbeziehungen zwischen den einzelnen Stellen zu den zentralen organisatorischen Erscheinungen zählen. Durch Vernetzung mit anderen Bestandteilen des Systems wird ein elektronischer gegenseitiger Datentransfer ermöglicht. Dieser soll eine Vereinheitlichung des Datenbestandes mit sich bringen und somit Anpassungsakti-
489
Vgl. Jung, 2005
202
VIII Informationssysteme im Personalbereich
onen zwischen den einzelnen Systemkomponenten überflüssig machen. Vorteil für die Vernetzung ist eine erhöhte Aussagekraft durch die Kombination verschiedener Systembereiche. Ein Personalinformationssystem ist seiner Umwelt gegenüber offen, da es mit ihr frei interagiert. Zudem ist es dynamisch, weil sich Teile des Informationssystems infolge dieser Interaktion verändern können. 490
29.2
Aufgaben
Ein Informationssystem dient der optimalen Informationsversorgung von Mitarbeitern und Führungskräften. Die Aufgaben hierbei beziehen sich auf den Umgang, die Analyse und Übertragung von Daten und Informationen, die von System zu System verschieden sind. Jedes System hat somit seine eigenen Aufgaben, die im Kapitel 31.4 konkretisiert sind.
29.3
Einführungsgründe und Anforderungen von Personalinformationssystemen
Zwei wesentliche Gründe, die die Einfuhrung eines (Personal-)Informationssystems notwendig machen, sind (1) die Standardisierung vergleichbarer Informationen, z.B. bei der Entgeltsystemproblematik und beim internationalen Personaleinsatz, sowie (2) im Zuge der Globalisierung und der unternehmensinternen Dezentralisierung ein Informationssystem internationale Unternehmen fuhrbarer werden lassen. Der Unternehmensleitfaden wird dadurch einheitlich vermittelt. Hierbei muss jedoch die regionale Individualität und Kultur berücksichtigt und von allen akzeptiert werden. Prozesse müssen des Weiteren vereinheitlicht werden. Durch ein Personalinformationssystem wird ein Prozess strukturierter, wodurch Zeit gespart wird. Ein Informationssystem ermöglicht es, Kosten zu sparen und die Prozesse simpler zu gestalten. Durch diese Aufgaben werden Informationen wesentlich schneller, aktueller und umfassender zur Verfugung gestellt, z.B. ob die Einführung eines Personalinformationssystems sinnvoll ist, ist die Anwendung einer Kosten-Nutzen-Analyse hilfreich. Die Kosten können hierbei auf zwei unterschiedlichen Weisen betrachtet werden, zum einen nach Weiermair, der die Kostenelemente nach Aktivitäten und Entwicklungsphasen gliedert. Er unterscheidet dabei in die Planungsphase, die Realisationsphase und die Betriebsphase. Zum anderen differenziert Domsch hingegen die Kosten in einmalige und laufende Kosten.
490
Wirtschaftslexikon24, Stand: 2009
29 Internationale Personalinformationssysteme
203
Der Nutzen wird in die einzelnen Einsatzgebiete der Personalarbeit untergliedert. Unter den Einsatzgebieten versteht man die Personalverwaltung, in der z.B. gefragt wird, wie Fehlerhäufigkeiten bei der Erstellung von Lohn- und Gehaltsabrechnung vermieden werden können; die Personalplanung, die es beispielsweise ermöglicht, einen erweiterten und verbesserten Informationsfluss für Planungszwecke aufgrund größerer Datenkonsistenz zu schaffen; und die Personalkontrolle, die unter anderem eine schnellere und genauere Abweichungskontrolle in Bezug auf Leistung und Personalfluss mittels des Berliner Balanced Scorecard Ansatzes ermöglicht. 491
29.4
Personalinformationssystem als Voraussetzung für die Prozessoptimierung
Ein Informationssystem im Personalbereich ist die Voraussetzung für die gesamte Prozessoptimierung. Durch Business Process Reengineering werden Prozesse neu gestaltet, um wirtschaftlicher und kundenorientierter arbeiten zu können. Mit Hilfe von computerunterstützten Personalinformationssystemen besteht die Möglichkeit, veraltete, kostenintensive Personalprozesse grundlegend neu zu gestalten. Personalwirtschaftliche Prozesse müssen dazu analysiert werden. Bei einer Geschäftsprozessanalyse werden Fehler und Schwächen herausgefunden und dokumentiert. Beispiele für diese Schwachstellen sind falsche Dateneingaben, Doppelarbeiten oder auch lange Warteund Liegezeiten. Das Ziel einer Prozessoptimierung ist die Verbesserung beziehungsweise die Optimierung und Vereinheitlichung von zukünftigen Geschäftsprozessen. Dadurch soll erreicht werden, dass sowohl die Zeit, als auch die Kosten gesenkt werden und im Gegenzug die Qualität gesteigert wird. Durch den Einsatz von IT-Systemen in der Personalwirtschaft können Rationalisierungs- und Automatisierungsmaßnahmen von Routinearbeiten durchgeführt werden. Ein Beispiel fur einen Anwendungsbereich ist die Lohn- und Gehaltsabrechnung. Außerdem dient sie zur Unterstützung administrativer Aufgaben, beispielsweise bei der Bewerber- und Seminarverwaltung sowie bei Statistikerstellungen. Durch das Ε-Recruiting wird der Personalbeschaffungsprozess optimiert. Hierbei werden Maßnahmen, wie das Personalmarketing, die Bewerbersuche oder Eignungstests, primär über das Internet abgewickelt. Die Veröffentlichung freier Stellen von Unternehmen oder die
491
Vgl. Jung, 2005
204
VIII Informationssysteme im Personalbereich
Pflege von Kandidatenpools, das heißt Plattformen, auf denen Bewerber sich für Jobs und Praktika registrieren können, werden über das Internet abgewickelt. Mit Hilfe der E-Administratiori wird die Optimierung administrativer Personalprozesse geschaffen. Es erfolgt eine Verlagerung von Datenerfassungs- und -pflegeaufgaben aus dem Personalressort an die Mitarbeiter und Manager. Die Personaldatenpflege und der Abruf von Informationen erfolgt über den Browser. Dadurch kann Missbrauch durch Verschlüsselungstechniken vermieden werden und Sicherheit durch Fehlerprüfungen und Genehmigungen des Vorgesetzten geschafft werden. Durch die Eingabe von Routinevorgängen direkt per WebFormular können beispielsweise Adressänderungen oder Bankverbindungsänderungen schnell vorgenommen werden. Bei dem Ε-Relationship-Management stehen die Kundenzufriedenheit und die Steigerung des Kundennutzens im Vordergrund. Dies bedeutet, dass eine stärkere Berücksichtigung der personalwirtschaftlichen Kundenprozesse geschaffen werden soll. Interne Kunden, hierunter fallen Mitarbeiter und Führungskräfte; aber auch externe Kunden, wie z.B. Bewerber und öffentliche Institutionen; fordern vom Personalressort die unterschiedlichsten Dienstleistungen. Beispiele hierfür sind die Erstellung von Personalstatistiken oder die Berechnung der Betriebsrente. Durch Automatisierungen werden Routinearbeiten von der Personalabteilung auf die Kunden übertragen. Demzufolge kann der Verdienstnachweis beispielsweise selbst vom Mitarbeiter ausgedruckt werden. Bei den Chancen eines Personalinformationssystems wird zwischen qualitativen und quantitativen Nutzeffekten unterschieden. Die qualitativen Nutzeffekte beinhalten die Beschleunigung und Verschlankung personalwirtschaftlicher Prozesse. Durch quantitative Nutzeffekte sind vermehrte Statistiken möglich. Demzufolge kann eine Verbesserung der Servicequalität der Personalabteilung vollzogen werden, denn über das Web ist die „virtuelle" Personalabteilung durchgehend erreichbar. Durch Standardanfragen kann die Personalabteilung entlastet werden und Rationalisierungseffekte erzielt werden. Außerdem können Kosteneinsparungen das Ergebnis der Prozessoptimierung sein. Unter anderem gibt zwei Grundprobleme, dass Prozesse zu Beginn lediglich geschätzt werden können, und dass Kosten-Nutzen-Ermittlungen nach der Inbetriebnahme oft nicht durchgeführt werden. 492
492
Vgl. Schmeisser/Grothe/Hummel, 2003
30 Grundlagen
30
Grundlagen
30.1
Architektonische Grundlagen
30.1.1
Architektur
205
Die Architektur ist bei Hardware, Software und auch bei Prozessen zu konstruieren. Diese Komponenten sind auf einer gemeinsamen Datenbasis miteinander verknüpft, wobei die Architektur als Schnittstelle dient. Zur Gewährleistung der Datensicherheit besteht ebenfalls eine Verbindung zu den im Betrieb üblichen Backupsystemen. Des Weiteren kann eine Verbindung zum Internet und Intranet implementiert sein. 493
30.1.2
Systemarchitektur
Die Systemarchitektur beschreibt die Struktur von Softwaresystemen. Sie besteht dementsprechend aus den einzelnen Software-Komponenten und ihren Beziehungen. Dabei handelt es sich um die zugrundeliegenden Ressourcen, auf die über das Betriebssystem zugegriffen werden kann, sowie um die grundlegenden Eigenschaften und die Organisationsstruktur dieser Ressourcen. Dabei wird die interne Struktur eines Einzelsystems, auch Mikroarchitektur genannt, und die Struktur eines Portfolios unterschiedlicher Einzelsysteme, auch Makroarchitektur genannt, beschrieben. Von einem Einzelsystem spricht man, wenn die Softwareeinheit eigenständig ablauffähig ist und wenn man durch Fremdbezug am Markt das System isoliert beschaffen kann. Bei Portfolios mehrerer Einzelsysteme sind die Komponenten hingegen voneinander abhängig.
30.1.3
Schichtenmodell
Das Schichtenmodell dient als Strukturierungshilfe zur Beschreibung realer Systemarchitekturen. Die einzelnen Systeme korrespondieren dabei miteinander, wobei die Schichten aufeinander aufbauen. Basis dafür ist die Datenhaltungsschicht. Die jeweils übergelagerte Schicht greift auf Dienste beziehungsweise Ergebnisse der jeweils untergelagerten Schicht zu. Datenhaltungssysteme sind für die Abspeicherung, Verwaltung und Bereitstellung persistenter Daten des Systems zuständig. Diese bestehen aus codierten Daten, z.B. Buchstaben, Zahlen, Sonderzeichen, und uncodierten, unter anderem Grafiken, Audio- und Videodokumente.
493
Vgl. Strohmeier, 2008
206
VIII Informationssysteme im Personalbereich
Anwendungssysteme realisieren sämtliche fachliche Funktionalitäten eines Systems, so z.B. die Verarbeitungslogik, den Anwendungskern und die Geschäftslogik. Dabei greifen die Systeme auf Dienste der Datenhaltungssysteme zurück. Es erfolgt erst ein Datenabruf bei der Datenhaltungsschicht, dann die Datenverarbeitung und letztlich wird die Ergebnisspeicherung in der Datenhaltungsschicht vorgenommen. Die Präsentationssysteme dienen als Anwenderoberfläche. Es findet eine Interaktion zwischen Anwender und Anwendungen statt. Dadurch werden dem Anwender alle nötigen Funktionalitäten zum Arbeiten am System geboten. Integrationssysteme erbringen Dienstleistungen der Kommunikation zwischen ansonsten isolierten Einzelsystemen beziehungsweise Komponenten der Anwendungsschicht, wie beispielsweise Funktionsaufrufe im System. Außerdem übernehmen Integrationssysteme die Steuerung des Datentransports. Des Weiteren beschreiben sie adäquat heterogene Makroarchitekturen und bilden somit die fakultative Schicht zwischen den Anwendungs- und Präsen494 tationssystemen.
30.1.4
Realisierung
Die Realisierung kann durch ein Einzelsystem erfolgen. Eine Aufteilung in Schichten ermöglicht es, einzelne Dienste auf verschiedene Systeme zu verteilen. — horizontale Struktur —• Präsentationsschicht (Integrationsschicht) Systemarchitektur Anwendungsschicht Datenhaltungsschicht
Abb. 30.1 : Logische Schicht und physische Strukturen der
Systemarchitektur
Personalinformationssysteme lassen sich aus zwei primären Sichtweisen strukturieren und einordnen, nämlich die horizontale und die vertikale Sichtweise. Die vertikale Struktur zeigt auf, wie ein oder mehrere Systeme über die architektonischen Schichten hinweg angeordnet sind. Sie sind untergliedert in schichtübergreifende Systeme und schichtspezifische Systeme. Die Schichtübergreifende Systeme bieten Dienste mehrerer architektonischer Schichten an. Von solchen Systemen werden regelmäßig die Dienste der Datenhaltung, Anwendung und Präsentation durch korrespondierende Komponenten integriert angeboten.
494
Vgl. Strohmeier, 2008
30 Grundlagen
207
Die schichtspezifischen Systeme bieten ausschließlich Dienste einer einzigen architektonischen Schicht an. Dabei ist eine Auslagerung der Datenhaltungsdienste in eigenständigen Datenbanksystemen sehr verbreitet. Das Datenbanksystem fungiert in dieser Architektur dann als schichtspezifisches Datenhaltungssystem, während die Dienste der Anwendung und Präsentation beim entsprechenden Personalsystem bleiben. Es gibt allerdings auch die Möglichkeit einer Kombination zwischen schichtübergreifenden Systemen und schichtspezifischen Systemen. Dabei kann die Zuordnung eines Systems zu einer architektonischen Schicht auch von der Art der Anwendung abhängen. Die horizontale Struktur gibt die Anordnung einer oder mehrerer Systeme bezogen auf die jeweilige architektonische Schicht wieder. Die Dienste können dabei durch ein oder mehrere Systeme erbracht werden. Werden in der Datenhaltungs- oder Anwendungsschicht mehrere Einzelsysteme parallel eingesetzt, können diese integriert werden. Erfolgt keine Integration, ist eine zusätzliche Integrationsschicht notwendig beziehungsweise sinnvoll. 495
30.2
Organisatorische Grundlagen
Informationssysteme im Personalmanagement müssen geplant, bereitgestellt, implementiert und angewendet werden, um die gewünschten Ergebnisse herbeizuführen. Diese Funktionen werden als Prozesse verstanden, die auf unterschiedliche Weise realisiert werden können. Ein typischer Ablauf ist anhand der Grafik erkennbar. Der Start erfolgt mit der Systemplanung. Sie umfasst die gedankliche Vorwegnahme künftiger Informationssysteme. Die Systembereitstellung zielt anschließend auf die notwendigen Aktivitäten der Entwicklung und/oder des Fremdbezugs der geplanten Systeme ab. Bei der Systemimplementierung finden gegenseitige Anpassungen von Organisation und Informationssystem statt. Anschließend werden anhand des Systembetriebes die die Aktivitäten zur Herstellung und Aufrechterhaltung der Anwendbarkeit des Systems umfasst und durchgeführt. Als letzter Schritt zielt schließlich die Systemanwendung auf die systemgestützte Übernahme von Funktionen des Personalmanagements durch diverse Anwender ab.
495
Vgl. Strohmeier, 2008
208
VIII Informationssysteme im Personalbereich
Implementierung / \
ÌS(-Portfolio) λ anwendbar /
J
1
rCAnwendung L
Betrieb
»
J
Ergebnisse,^
Abb. 30.2: Informationssystembezogene Aktivitäten
30.3
Rechtliche Grundlagen
Im Folgenden wird auf die maßgeblichen rechtlichen Regelungen bei der Anwendung von Informationssystemen im Personalmanagement eingegangen.
30.3.1
Datenschutz
Im Zuge des Datenschutzes zielen Informationssysteme im Personalmanagement auf die Erhebung, Speicherung und Verarbeitung von Daten, die besonders schutzwürdige Bereiche betreffen und Missbrauchspotentiale aufweisen, ab. Die zentrale Datenschutzvorschrift ist das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Zweck dabei ist es, den „Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinen Persönlichkeitsrechten beeinträchtigt wird" § 1 Abs. 1. Die Persönlichkeitsrechte Betroffener sollen somit geschützt und Missbrauch vermieden werden. Es ergeben sich aufgrund der Sensibilität von Personaldaten hohe Anforderungen an die Sicherheit beim Zugriff, der Speicherung und der Übertragung der Daten. Insbesondere betreffen diese Maßnahmen die Vertraulichkeit der Personaldaten, zum Schutz vor unberechtigtem (Mit-)Lesen; die Integrität der Daten, zum Schutz vor Verfälschung; die Authentizität des Kommunikationspartners, zum Schutz vor Maskerade; den Beweis der Dateneingaben, zur Unleugbarkeit und der regelmäßigen Datensicherung, zum Schutz vor Datenverlust. Um diese Anforderungen zu erfüllen, muss eine präventive Kontrolle durch die Vergabe von Benutzerberechtigungen stattfinden und sämtliche Vorgänge protokolliert werden. 496
496
Vgl. Strohmeier, 2008
30 Grundlagen
30.3.2
209
Mitbestimmung
Die Mitbestimmung wird durch das Betriebsverfassungsgesetzt (BetrVG) geregelt. Diese Regelungen sind für die Implementierung und Anwendung von Informationssystemen relevant. Unter anderem zielen die Regelungen auf die Beteiligung vom Betriebsrat ab. Das Sprecherausschussgesetz (SprAuG) bestimmt hingegen die Beteiligung von Sprecherausschüssen.
30.3.3
Gleichbehandlung
Durch Gleichbehandlung der Mitarbeiter soll Diskriminierung vermieden werden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unterscheidet acht Benachteiligungsmerkmalen, die vor Benachteiligungen und Belästigungen geschützt werden sollen. Die acht Merkmale lauten Rasse, ethnische Herkunft, Behinderung, sexuelle Identität, Religion, Weltanschauung und Geschlecht.
30.3.4
Datenübermittlung
Die Verordnung über die Erfassung und Übermittlung von Daten für die Träger der Sozialversicherung (DEÜV) verpflichtet den Arbeitgeber zu konkret definierten Meldungen an den Sozialversicherungsträger. Dabei müssen die Daten elektronisch übertragen werden und Maßnahmen zur Datensicherheit und Datenschutz müssen getroffen werden.
30.3.5
Lohnbuchhaltung
Für die Lohnbuchhaltung gelten die Grundsätze ordnungsgemäßer Datenverarbeitungsgestützter Buchfuhrungssysteme (GoBS) und die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU). Betroffene Systemkategorien sind Personalabrechnungssysteme und Dokumentenmanagementsysteme, falls sie Lohnbuchhaltungsbelege archivieren.
210
31
31.1
VIII Informationssysteme im Personalbereich
Aufbau, Funktionalität, Anwendungsbereich Aufbau
Ein Personalinformationssystem setzt sich aus den Komponenten Personaldatenbank, Arbeitsplatzdatenbank, Methoden- und Modellbank, EDV-Anlagen und Systembenutzern zusammen. Im Einzelnen versteht man darunter Folgendes: Die Personaldatenbank verwaltet Personalstammdaten. Sie wird für die Lohn- und Gehaltsabrechnung benötigt. Beispiele für die Grunddaten der Personaldatenbank sind persönliche Daten, Beschäftigungsdaten und Entgeltstammdaten. Die Grunddaten werden ergänzt durch Bewegungsdaten, beispielsweise Daten aus den Lohnscheinen, Provisionsnoten und Dienstreiseabrechnung. Die Arbeitsplatzdatenbank kümmert sich um die Speicherung arbeitsplatzbezogener Daten, unter anderem um den Arbeitsplatzinhalt, um die Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung und um die Arbeitsplatznummer. Die Methoden- und Modellbank ist für Verfahren und Algorithmen zur Weiterverarbeitung der gespeicherten Daten zuständig. Man versteht hierunter Computerprogramme zur Lösung der Probleme im Personalwesen, wie z.B. Lohn- und Gehaltsabrechnungssysteme oder Fehlzeiten und Fluktuationsberechnungen. Das Kernstück eines Personalinformationssystems sind die EDV-Anlagen. Sie bilden die zentrale Recheneinheit. An diese sind weitere Peripheriegeräte angeschlossen, sodass eine Speicherung, Ein- und Ausgabe der Daten möglich ist. Die Gesamtheit der Geräteausstattung wird als Hardware bezeichnet. Die Systembenutzer werden in aktive Benutzer und passive Benutzer unterschieden. Unter aktiven Benutzern versteht man die Mitarbeiter, die mit den Daten direkt korrespondieren und diese durch den Einsatz von Methoden verändern und verknüpfen. Bei passiven Benutzern handelt es sich um Mitarbeiter, die lediglich die zur Verfügung gestellten Informationen zur Kenntnis nehmen können und diese als Entscheidungsgrundlage benutzen dürfen. 497
497
Vgl. Strohmeier, 2008 und Jung, 2005
31 Aufbau, Funktionalität, Anwendungsbereich
31.2
211
Funktionalität
Das Personalinformationssystem kann je nach Aufgabengebiet und Entwicklungsstand sehr unterschiedlich gestaltet werden. Es ist in der Regel speziell aus den Unternehmensbedürfnissen zugeschnitten. Damit kann es jederzeit nachträglich aktualisiert werden. Die personalspezifischen Aufgaben und Fragestellungen, die von einem Informationssystem erfüllt werden, teilen sich in die Hauptfelder administrativer und dispositiver Aufgaben. Durch die administrativen Aufgaben erhofft man sich Rationalisierungseffekte, die aufgrund der personellen Entlastung bei Routinearbeiten und Massenvorgängen entstehen. Hierunter versteht man unter anderem wiederkehrende Vorgänge, wie die Lohn- und Gehaltsabrechnung. Die dispositiven Aufgaben unterstützen die Entscheidungs- und Planungsprozesse im Personalbereich bei der Verbesserung der Informationsbasis. Durch die Aufbereitung von Datenmaterial wird eine bessere Informationsgrundlage und Entscheidungshilfe geliefert. Sie dient für zukünftige Problembereiche der Personalplanung und Personalsteuerung, z.B. bei der Bewerberauswahl. Das Personalinformationssystem erfüllt die Funktionen der Personalplanung, der Personalabrechnung, der Stammdatenverwaltung, der Zeitermittlung, der Administration und der Personalberichterstattung. Unter Personalplanung versteht man beispielsweise den Stellenplan, die Einsatzplanung und die Fortbildungsplanung. Die Personalabrechnung beinhaltet die Berechnung und Führung der Lohn- und Gehaltskosten, die Lohnsteuerabrechnung sowie die Sozialversicherung. In der Stammdatenverwaltung sind Änderungsdienste, Arbeitsvertragsdaten und Adressdaten vereint. Die Zeitermittlung schließt die Anwesenheitskontrolle, die Fehlzeitenverwaltung und -auswertung sowie die Urlaubsabrechnung mit ein. Die Administration enthält die Verwaltung bei der Einstellung, bei der Entlassung und auch bei der Beförderung. Die Personalberichterstattung verbindet die Tabellenauswertung, die Erstellung interner Personalstatistiken, z.B. die Altersstruktur oder die Fluktuation, sowie die Statistiken für externe Adressaten. Weit verbreitete EDV-Anlagen im Personalmanagement sind beispielsweise das SAP- oder das PAISY-System. Das SAP-System bietet die Möglichkeit, Kernprozesse der Personalwirtschaft zu standardisieren. Dadurch sind alle erforderlichen Daten jedem berechtigten Mitarbeiter sofort zugänglich. Das PAISY-System ist ein dialogorientiertes, modular aufgebautes Datenverwaltungs-, Abrechnungs- und Informationssystem für die EDV-gestützte Personalwirtschaft. Es ist schnell und kostengünstig einsetzbar und wird z.B. ebenfalls bei der Lohnund Gehaltsabrechnung verwendet.
212
VIII Informationssysteme im Personalbereich
31.3
Anwendungsbereich
31.3.1
Anwender
Zu unterscheiden ist bei den Anwendern zwischen aktiven Benutzern und potenziellen Adressaten. Aktive Benutzer können wiederum in Teilnehmer mit aktivenmittelbarem oder aktivenunmittelbarem Kontakt gespalten werden. Die aktimittelbaren Benutzer können Informationen in Anspruch nehmen, ohne das Personalinformationssystem direkt zu bedienen. Der aktivunmittelbare Kontakt beinhaltet die Inanspruchnahme mit direkter Bedienung. Die Informationswünsche der potenziellen Adressaten werden aus dem Informationssystem erfüllt. Innerhalb eines Unternehmens werden die Daten von der Personalabteilung, von Führungskräften und von Mitarbeitern benötigt. Außerhalb des Unternehmens werden Informationen aus dem Personalinformationssystem von staatlichen Stellen und von der Öffentlichkeit, wie z.B. Aktionäre, Verbände oder Presse, bezogen. Informationssysteme werden demnach von der gesamten Belegschaft, von Führungskräften und von Vorstandsmitgliedern verwendet.
31.3.2
Beispiele für Anwendungsbereiche
Es gibt eine Vielzahl von Anwendungsbereichen, wo Informationssysteme helfen. Beispiele für Verwendungsbereiche sind die Online-Abfragen, Reports, die Personalbewerbung, die Personalentwicklung sowie die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Bei der Online-Abfrage ist durch eine direkte und permanente Verbindung der Terminals der Personalabteilung mit der Zentraleinheit eine Abfrage bezüglich selektiver Mitarbeiterdaten jederzeitige durch das Personalinformationssystem möglich. Im Idealfall besteht bei der Installation des Systems bereits Klarheit darüber, wie die Mitarbeiterdaten thematisch gegliedert zusammengefasst werden, wer eine Zugriffsberechtigung besitzen muss und wie man eine größtmögliche Übersicht in der Darstellung erreicht. Bei den Reports handelt es sich dagegen um vom Informationssystem erstellte Berichte, die die Personalabteilung bei der Ausführung der ihr übertragenen Überwachungsfunktionen unterstützen. Man unterscheidet zwischen ereignisgebundenen Reports, periodischen Reports und aperiodischen Reports. Ereignisgebundene Reports sind an das Eintreten eines bestimmten Sachverhaltes geknüpft, z.B. die Erstellung des Eintritts, des Austritts oder die Adressänderung von Mitarbeitern. Periodische Reports werden zu definierten Zeitpunkten regelmäßig erstellt. Aperiodische Reports sind hingegen individuell und vom jeweiligen Bedarf abhängig. Sie dienen meist organisatorischen oder administrativen Zwecken, beispielsweise in Form von Adresslisten, Telefonverzeichnissen oder Parkplatzlisten. Bei der Personalbewerbung werden die Bewerberdaten nach einem bestimmten Schema abgespeichert. Durch die bei der Bewerbung erfassten Personaldaten und deren weiteren
31 Aufbau, Funktionalität, Anwendungsbereich
213
Verarbeitung mit Hilfe des Informationssystems lassen sich eine ganze Reihe von Auswertungsmöglichkeiten realisieren. Beispiele hierfür sind die Erstellung einer Auflistung aller vakanten Stellen, die Übersicht über die in der Presse veröffentlichten Inserate, die Überwachungsfunktion bei laufenden Bewerbungen und das Erkennen von wiederholten Bewerbungen. Bei der Personalentwicklung sind die wichtigsten Elemente des Werdegangs eines Mitarbeiters meist in Listenform abgespeichert. Hierunter fallen die Dauer der Betriebszugehörigkeit, der Aufgabenbereich, mögliche Weiterqualifizierungen und Beförderungen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses schafft ebenfalls eine Vielzahl von administrativen Aufgaben, die mit Hilfe von Informationssystemen systematisiert und beschleunigt werden können. Wichtige Aufgaben bei der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses sind sowohl die Erstellung eines Kündigungsschreibens, die Ausstellung eines Arbeitszeugnisses mit dem Austrittsinterview, die Änderung der Personalakte beziehungsweise Personaldatei als auch der Archivierung der Personalakte, sodass bei Rückfragen von Folgeunternehmen oder versicherungstechnische Fragen Auskünfte möglich sind und zusätzlich statistische Auswertungen erfolgen können. 498
31.4
Aufbau, Funktionalität und Anwendung des Modells aus den vier Schichten
31.4.1
Datenhaltungsschicht
Die Datenhaltungsschicht ist in drei Teilbereiche untergliedert, nämlich in die Datenbanksysteme, die Data Warehouse-Systeme und die Dokumentenmanagementsysteme. Ein Datenbanksystem ist eine Anwendung zur Abspeicherung, Verwaltung und Bereitstellung großer Datenmengen. Das Data Warehouse-System dient der Zusammenfuhrung und Haltung von personalwirtschaftlichen Daten aus verschiedenen anderen Quellsystemen für Zwecke der Informationsversorgung und Entscheidungsunterstützung des Personalmanagements. Ein Dokumentenmanagementsystem bildet eine Anwendung zur Erstellung, Digitalisierung, Archivierung, Auffindung, Weiterleitung und Vernichtung jeglicher Art von personalwirtschaftlichen Dokumenten.
498
Vgl. Strohmeier, 2008 und Jung, 2005
214
VIII Informationssysteme im Personalbereich
Etwas genauer betrachtet wird an dieser Stelle das Datenbanksystem bau, die Funktionalität und die Anwendung.
in Bezug auf den Auf-
Der Aufbau eines Datenbanksystems ist zu unterscheiden in die festgelegte Anwenderschnittstelle, die Datenbankkomponente, das Datenverwaltungssystem und die Entwicklungssprache beziehungsweise Entwicklungswerkzeug. Die Funktion der Datenbank ist die Datenspeicherung. Das Datenbankverwaltungssystem besitzt hingegen die Funktionalität der Definition der Datenbank, die Manipulation der selbigen und die Abfrage. Anwendung findet ein Datenbanksystem als schichtspezifisches Datenhaltungssystem oder als schichtübergreifendes Anwendungssystem. Hierbei werden Datenhaltungsdienstleistungen für Systeme höherer Schichten erbracht. Die effiziente Abspeicherung und Bereitstellung wird von sehr großen Datenmengen durch diese Systemkategorie gewährleistet. Für das Personalmanagement hat dieses System eine große Bedeutung. Die in Office-Paketen verfügbaren Datenbanksysteme eröffnen vielfaltige Anwendungsszenarien im Personalmanagement. Sie realisieren die generelle Personaldatenhaltung. Viele kommerziell angebotene Personal Informationssysteme stellen im eigentlichen Sinn faktisch einfache datenbankbasierte Anwendungen dar. Diese nehmen dem Anwender die Datenmodellierung und den Entwurf entsprechender Formulare beziehungsweise Oberflächen ab. Sie bieten allerdings die Möglichkeiten der Erstellung von Ad-hoc-Abfragen und Berichten im Kern Funktionalitäten des Datenbankverwaltungssystems an. Zur Datenhaltung von personal wirtschaftlichen Anwendungssystemen finden Datenbanksysteme einen flächendeckenden Einsatz.
31.4.2
Anwendungsschicht
Zur Anwendungsschicht gehören folgende Systemarten: Das Personalbedarfsplanungssystem ist eine Anwendung zur Bestimmung zukünftiger qualitativer, quantitativer, zeitlicher und örtlicher Personalbedarfe. Bei dem Personaleinsatzplanungssystem handelt es sich um Anwendungen zum kurz- bis mittelfristigen Abgleich des quantitativen und qualitativen Personalbedarfs mit dem Personalbestand oder dem konkreten Personaleinsatz. Dieses System ist quasi ein „Paradebeispiel" fur entscheidungsunterstützende Systeme im Personalmanagement. Das Personalentwicklungsplanungssystem unterstützt die systematische Entwicklung von Mitarbeitern entsprechend ihrer Qualifikationen und Interessen sowie den Anforderungen im Unternehmen. Bei dem Personalkostenplanungssystem handelt es sich um eine Anwendung zur Unterstützung des Personalmanagements bei der Prognose und Analyse von Personalkosten. Die Konzeption, die Kommunikation und die Administration von ganzheitlichen Entgeltkonzeptionen werden mit Hilfe des Vergütungsmanagementsystems durchgeführt. Dagegen führt das Online Analytical Processing-System entscheidungsorientierte, multidimensionale und (dis-)aggregierende Analysen von Daten durch. Das Data MiningSysteme wird zur Identifizierung von gültigen, bislang unbekannten, potenziell nützlichen und verständlichen Mustern in Daten verwendet. Durch ein Arbeitszeitmanagementsystem werden personenbezogenen An- und Abwesenheitszeiten elektronisch erfasst, bewertet, geplant und kontrolliert. Das Personalabrechungssystem ist konzipiert, um eine automatisierte personenbezogene oder sachbezogene Abrechnung von Löhnen und Gehältern sowie weitere auszahlungsrelevanter Größen, wie etwa Reisespesen, zu erstellen. Bei dem Zutrittmanagementsystem handelt es sich um eine Anwendung zur Planung, Steuerung, Protokollie-
31 Aufbau, Funktionalität, Anwendungsbereich
215
rung und Kontrolle von Zutritten von Mitarbeitern und dritten Personen zu einzelnen Unternehmensbereichen. Um die Durchführung und Auswertung eines oder mehrerer standardisierter Verfahren zur Messung der Ausprägung verschiedener Leistungs- und Persönlichkeitsmerkmale zu ermöglichen, existiert das Testsystem. Das Beschaffungsmanagementsystem hilft hingegen bei der Personalbeschaffung. Das Szenariosystem ist eine Anwendung, die für die Zwecke der Eignungsdiagnose und des Trainings ein komplexes Problem simuliert, welches von einem Probanden bearbeitet und hinsichtlich vorgegebener Zielsetzungen möglichst gut gelöst werden soll. Das Computer Based Training-System vermittelt Kenntnisse durch die Bereitstellung von Lerninhalten und die lernprozessbezogene Unterstützung von lernenden Anwendern. Um eine umfassenden, administrativen und didaktischen Unterstützung von Lernprozessen im Unternehmen zu erreichen, verwendet man das Learning Managementsystem. Durch das Performance Management-System können individuelle Arbeitsleistungen von Mitarbeitern systematisch gesteuert werden. Das Enterprise Ressource Planning-System ist eine Daten- und funktionsintegrierte unternehmensweite Anwendung zur Unterstützung zentraler Unternehmensfunktionen. Es wird im Beschaffungs-, Produktions-, Finanz-, Vertriebs- und Personalmanagement eingesetzt. Von allen diesen Systemen wird nun das Personaleinsatzplanungssystem hinsichtlich des Aufbaus, der Funktionalität und der Anwendungsbereiche genauer betrachtet. Der idealtypische Aufbau ist eine stark heterogen branchenorientierte Gruppe an Personaleinsatzplanungssystemen. Die verwendeten Dateien arbeiten mit Mitarbeiter-, Bedarfs-, Schicht-, Schichtfolgen- und Einsatzplandaten. Die Komponenten zur Bedarfsplanung, Schichtplanung, Mitarbeiterzuordnung sowie zur Analyse und Disposition können innerhalb des Personaleinsatzplanungssystems bestehen. Die Abb. zeigt die idealtypische Architektur eines Personaleinsatzplanungssystems. Dabei ist die Bedarfsplanungskomponente für die Bestimmung der zeitlichen, örtlichen, qualitativen, quantitativen Personalbedarfe zuständig. Sie ist als Inputgröße für jede Einsatzplanung notwendig. Die Schichtplanungskomponente plant einzelne Schichten, die den entsprechenden Bedarf decken. Wenn der Bedarf geplant ist, erfolgt die Schichtfolgenplanung. Sie stellt einzelne Schichten im Zeitablauf zusammen. Die Zwischenergebnisse werden in korrespondierenden Dateien zwischengespeichert. Die Aufgabe der Mitarbeiterzuordnungskomponente ist die Zuordnung einzelner Mitarbeiter zu Schichtfolgen. Die Daten der Mitarbeiter werden in einer Mitarbeiterstammdatei gehalten. Bei der Einsatzplandatenbank werden die zuvor erzielten Ergebnisse anschließend abgelegt. Die Analyse- und Dispositionskomponente wertet die kurzfristige manuelle Veränderung erstellter Einsatzpläne aus.
216
VIII Informationssysteme im Personalbereich
Perso naieirsatzplanungssystem Anwenderschnittstelle
X Planungskomponente Bedarfsplanung
Schicht-
Schichtfolgen
planung
Planung
Mitarbeiterzuordnung
Analyse- u. DispositionsK o m ponente
j [Mitarbeiter]
Einsatzpläne
Ï BedarfeJ Bedarfsplanung
^Schtíiteñj
IE ¡Schichttoiger|
Arbeitszeitmanagement
Ί
Abb. 31.1: Idealtypische Architektur von Personaleinsatzplanungssystemen
Als Anwendungsbereiche sind Branchen beziehungsweise Unternehmensbereiche, die durch einen kurzfristig schwankenden und zeitnah abzuarbeitenden Bedarf gekennzeichnet sind, zu nennen. Unter anderem sind der Handel, Hotels und Restaurants, Wachdienste, der Transport und Verkehr sowie Notfalldienste des öffentlichen Bereichs und auch industrielle Fertigungen als Beispiele nennenswert. Circa ein Viertel der deutschen Unternehmen nutzen Personaleinsatzplanungssysteme.499
31.4.3
Präsentationssysteme und Integrationssysteme
Das Business Process Management-System ist eine Anwendung zur Gestaltung, Ausführung und Steuerung von Geschäftsprozessen über verschiedene Anwendungssysteme und Anwender hinweg. Das Portalsystem hingegen bietet eine Plattform, die internen und externen Anwendern alle benötigten Anwendungen, Informationen und Interaktionen personalisiert und anforderungsgerecht zur Verfugung stellt. Um Telefone als Endanwendergeräte mit Anwendungssystemen zu verbinden, wird das Voice Response-System verwendet. Das Service Center-System unterstützt spezialisierte Organisationseinheiten zur mediatisierten Bearbeitung administrativer Personalfunktionen systematisch. Das Browsersystem ermöglicht das Aufrufen, Anzeigen und Verwenden der Dienste und Anwendungen von Internetservern. Eine detaillierte Beschreibung eines Präsentations- und Integrationssystemen wird an dieser Stelle am Beispiel eines Service Center-Systems durchgeführt. Der Aufbau umfasst in der Regel eine Datenhaltungskomponente mit Service Center-Agenten, eine Wissensdatenbank und eine Anfragehistorie. Es existiert eine Kommunikations-, eine Ablaufsteuerungs- und eine Analysekomponente. Dabei enthält die Datenhaltungskomponente die relevanten Daten für die Service Center-Agenten. Die Kommunikationskomponente vereint verschiedene zur Verfügung stehende Telekommunikationsdienste zu einem „Contact Center" und unterstützt so die Kommunikation zwischen den Agenten und den anfragenden Personen. Durch die Ablaufsteuerungskomponente wird die Verteilung und Abarbeitung der eingehenden Anfra-
499
Vgl. Strohmeier, 2008
32 Zusammenfassung
217
gen gesteuert. Die Analysekomponente ermöglicht die Auswertung eingegangener Anfragen und deren Bearbeitung und damit die Kontrolle der Service Center-Organisation.
Abb. 31.2: Idealtypische Architektur von Service Center-Systemen
Des Weiteren ist zu erwähnen, dass die Möglichkeit von Shared-Service-Centern besteht. Dabei existiert ein fließender Übergang zum Outsourcing. Die Dienstleistung wird hierbei nicht nur für das eigene Unternehmen, sondern auch fur Kundenunternehmen angeboten. Service Center-Systeme eignen sich für die Bearbeitung administrativer personalwirtschaftlicher Aufgaben, die in Interaktion zwischen Personalmanagement und Mitarbeitern, Führungskräften sowie Bewerbern stehen. Sie werden unter anderem zur eigentlichen Anfragebearbeitung, als Informationshotline und zum Beschwerdemanagement verwendet.
32
Zusammenfassung
32.1
Chancen
Moderne IT-Lösungen bieten große Chancen, die traditionellen, zeit- und kostenaufwändigen personalwirtschaftlichen Prozesse zu optimieren. Die gründliche Analyse und Optimierung von Personalprozessen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die erfolgreiche und wirtschaftliche Nutzung von Informationssystemen im Personalressort. Durch die Einführung dieser ist es möglich, preisgünstigere und qualitativ hochwertigere Personalservice zu liefern. Schnellere verwaltungstechnische Prozesse gehören ebenso zu den Vorteilen wie die Ermöglichung einer schnelleren fachlichen Einarbeitung. Des Weiteren kommt es zu einer Verbesserung des Informationsaustauschs und der Kommunikation durch Integration von Internet und Intranet.
218
32.2
VIII Informationssysteme im Personalbereich
Risiken
Es kann jedoch zu Problemen bei der Einfuhrung kommen. Dafür können unterschiedliche Faktoren verantwortlich sein. Z.B. resultieren Probleme aus Spannungen zwischen verschiedenen Interessengruppen im Unternehmen. Die Mitarbeiter, die großen Wert auf ihre Intimund Privatsphäre legen, werden verunsichert und die Personen, die Neuerungen gegenüber unaufgeschlossen und wenig lernbereit sind, begegnen der Einführung mit Skepsis und Pessimismus. Die Rationalisierungsmöglichkeiten beherbergen neben den positiven Aspekten für das Unternehmen natürlich auch negative Aspekte für einzelne Mitarbeiter, die um ihre Arbeit fürchten müssen und sich gegen die Einführung von einem Informationssystem stellen. Die gründliche Analyse und Optimierung von Personalprozessen ist eine unverzichtbare Voraussetzung für die erfolgreiche und wirtschaftliche Nutzung neuer Informationssysteme im Personalbereich. Ein Personalinformationssystem ist und bleibt trotz der großen Anzahl an Vorteilen jedoch nur ein Hilfsmittel, um schneller, besser und flexibler in der Personalarbeit agieren zu können. Heute kann die Einführung eines Personalinformationssystems noch große strategische Wettbewerbsvorteile mit sich bringen - in Zukunft wird man der Einführung eines internationalen Personalinformationssystems nicht mehr umgehen können.
Quellenverzeichnis Jung, H.: Personalwirtschaft. 6. überarbeitete Auflage, Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München 2005. Schmeisser, W. / Clermont, Α.: Personalinformationssysteme und Personalcontrolling - Auf dem Weg zum Personalkosten-Management. Hermann Luchterhand Verlag, Neuwird Kriftel (Taunus) 1999. Schmeisser, W. / Grothe, J. / Hummel, Th. R.: Internationales Personalcontrolling und internationale Personalinformationssysteme. Rainer Hampp Verlag, München und Mering 2003. Strohmeier, St.: Informationssysteme im Personalmanagement: Architektur - Funktionalität - Anwendung. Vieweg und Teubner Verlag, Wiesbaden 2008. WirtschaftsIexikon24: URL: http://www.wirtschaftslexikon24.net/d/informationssystem/informationssystem.htm Stand: 2009.
IX
Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
33
Internet als Medium der internationalen Personalbeschaffung
Die Nutzung des Internets als Weg der internationalen Beschaffung von Personal hat seit Mitte der 1990er Jahre stark zugenommen. Laut einer Studie der Universität Frankfurt am Main und der Jobbörse Monster.de machen inzwischen 91 Prozent der größten 1.000 in Deutschland ansässigen Unternehmen Gebrauch von Electronic Recruiting. 500 Ähnliche Tendenzen zeigt eine Kundenbefragung der jobpilot AG im Frühjahr 2001, in der festgestellt wurde, dass schon zu dieser Zeit das Internet als beliebtes Rekrutierungsinstrument zum Einsatz kam. So gaben 86 Prozent der teilnehmenden 430 Firmenkunden (von weniger als 100 bis mehr als 10.000 Mitarbeitern) an, die Online-Jobbörsen zu nutzen, während 71 Prozent die Printanzeigen und nur 60 Prozent die firmeneigenen Webseiten für die Suche nach Personal einsetzen (bei möglichen Mehrfachnennungen). Die Konsequenz daraus war, dass die meisten Firmenkunden ihr geplantes Budget für die Online-Nutzung von 22 Prozent auf 39 Prozent bis zum Jahr 2003 erhöhten und das Budget im Printbereich von 24 Prozent auf 8 Prozent reduzierten. 501 Hierzu siehe Abb. 33.1 :
500
Vgl. Holtbrügge, 2007, S.100
501
Vgl. jobpilot AG, Stand: 04.06.2002
220
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Entwicklung der Budgetverteilung für die Personalsuche Agenturen / Drittanbieter 2003 Agenturen / Drittanbieter 2001
4
Print 2003
]39
]|22
Print 2001 Online 2003 Online 2001
1" I
>6
A n g a b e n in Prozent
t Abb. 33.1: Budgetverteilung bei der Personalsuche,502
34
Instrumente des Electronic Recruiting
Man spricht vom Electronic Recruiting (Ε-Recruiting), um Bewerber elektronisch über das Internet anzusprechen. Während Stellenanzeigen zuvor in Printmedien geschaltet wurden, werden diese nun digitalisiert. Während Bewerber zuvor Stellengesuche an Zeitungen verschickten, kann man diese jetzt im Internet veröffentlichen, und sind es zuvor Bewerbungsmappen gewesen, die verschickt wurden so sind es jetzt Online-Formulare, E-Mails oder Bewerber-Homepages. 503 Zu den bedeutsamsten Aktivitäten des Ε-Recruiting zählen die: •
Stellen- bzw. Jobbörsen sowie die
•
Human-Resources-Websites.
Weitere Möglichkeiten Bewerber über das Internet anzusprechen sind: • • •
virtuelle Recruiting-Messen, Online-Recruiting-Spiele sowie Newsgroups. 504
502
Beck, 2002, S. 10
503
Vgl. ebd., S. 17
S 04
Vgl. Brake/Zimmer, 2002, S. 50
34 Instrumente des Electronic Recruiting
221
Die Vorteile des Ε-Recruiting liegen auf der Hand. Vor allem ergeben sich durch die systemunterstützte Auswahl erhebliche Zeit- und Kosteneinsparungspotentiale. Sämtliche eingegangene Bewerbungsunterlagen brauchen nicht mehr angeschaut zu werden. Alle benötigten Informationen zu den Bewerbern sind in standardisierter Form vorhanden und zusätzliche Portokosten für zurückzusendende Bewerbungsunterlagen entfallen. 505 Weitere Vorteile sind vor allem die Schnelligkeit und Verbreitung des Internets, die Aktualität sowie die angenehmen Such- und Navigationsfunktionen. Hinzu kommt, dass Stellenanzeige, die im Internet veröffentlicht werden, spezielle internationale Zielgruppen erreichen können und relativ kostengünstig und orts- und zeitunabhängig von Bewerbern gesichtet werden können. Ebenfalls bietet das Internet wechselwilligen Bewerbern die Möglichkeit, ihr Profil anonym zu hinterlegen. 506
34.1
Stellenbörsen im Internet
Grundsätzlich stellen Stellenbörsen im Internet virtuelle Plattformen dar, auf denen Arbeitgeber zu besetzende Stellen offerieren, aber ebenso können Arbeitssuchende ihre Stellengesuche veröffentlichen. Ohne erheblichen Aufwand kann die elektronische Anzeige sofort eingestellt werden und verbleibt dann über Wochen teilweise sogar über Monate im Internet. Eine Veränderung der Daten ist jeder Zeit möglich, ebenso kann die Anzeige mit einem Klick wieder entfernt werden. Außerdem entfallen eine grafische Gestaltung der Anzeige sowie die Beachtung des Publikationsrhythmus eines Printmediums. Die Kosten einer elektronischen Anzeige sind relativ gering. 507 Bei dem Karriereportal STEPSTONE kann eine Anzeige vier Wochen lang ab ca. 600 EUR eingestellt werden. Zum Vergleich: der Preis einer Printanzeige z.B. in der FAZ beträgt bis zu 10.000 EUR fur eine einmalige Veröffentlichung. Bei dieser Gegenüberstellung sind Opportunitätskosten der Stellen- bzw. Jobbörsen umgehend kalkuliert. 508
34.1.1
Vor- und Nachteile von Stellenbörsen im Internet
Der eigentliche Vorteil elektronischer Stellenvermittler entstand erst nach über einem Jahr nach dem Start der ersten Jobbörse, nämlich durch den Prozess des Matching. Innerhalb des Prozesses kann in den Datenbanken automatisch nach zuvor definierten Suchkriterien eine Vorauswahl der Stellenanbieter bzw. Bewerber vorgenommen werden, in dem die Kriterien der Stellenangebote mit denen der Stellengesuche gegeneinander abgeglichen werden. 509 Des
505
Vgl. Brökermann/Pepels, 2002, S. 86
506
Vgl. Holtbrügge, 2007, S. 102
507
Vgl. Weber, 2007, S. 59
cno Vgl. Brökermann/Pepels, 2002, S. 91 509
Vgl. Weideneder, 2001, S. 385
222
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Weiteren können Unternehmen Werbebanner oder direkte Verlinkungen zur eigenen Homepage auf den Jobbörsen platzieren oder sogar einen eigenen Bereich einrichten, um ihr Unternehmensprofil auf der Internetseite zu veröffentlichen. 510 Ziel ist es, potentielle Bewerber zu informieren und ein Unternehmensimage aufzubauen bzw. zu pflegen. 511 Wenn eine Stelle dringend zu besetzen ist, kann eine Anzeige in einer Internetbörse dienlich sein, weil sie einen breiten, internationaleren Interessentenkreis anspricht, da Jobbörsen überregional und weltweit gelesen werden können. Vorteile sind, dass sich die Bewerber über die Verlinkung zur firmeneigenen Homepage wichtige Informationen über das inserierende Unternehmen einholen können und dabei überlegen, ob der Arbeitgeber für sie passend wäre. Stellt ein Bewerber ein Stellengesuch ein, so kann das Unternehmen sich denjenigen anonym anschauen. Ist ein potentieller Bewerber dabei, wird er kontaktiert, ohne ein Inserat geschälten zu haben. 512 Nachteilig hingegen kann sich die Flut an Bewerbungen auswirken. Durch die OnlinePräsentation können sich Bewerber „mal eben schnell" zu einer Bewerbung hinreißen lassen. Eine abnehmende Hemmschwelle animiert auch solche Bewerber eine Bewerbung abzuschicken, deren Anforderungen nicht den Wünschen des inserierenden Unternehmens entsprechen, was bei einem großen Teil der eingehenden Bewerbungen der Fall sein kann. Ein hoher Verwaltungsaufwand ist die Folge, wenn man nicht ein Screening einbaut, da alle Eingänge bearbeitet werden müssen. 513
34.1.2
Anbieter elektronischer Stellenbörsen
Die Anzahl der im Internetgeschäft tätigen Jobbörsen hat in den letzten Jahren einen starken Zuwachs erhalten. Heute gibt es bereits ca. 200 Anbieter elektronischer Stellenbörsen am Markt. 514 Mitte der 1990er Jahre waren es gerade mal fünf. Anbieter von Jobbörsen, die im Internet betrieben wurden sind z.B. die Bundesagentur für Arbeit, diverse Tages- und Wochenzeitungen sowie etliche meist auf bestimmte Berufsgruppen spezialisierte InternetPortale. 515 Die bekanntesten Jobbörsen in Internet sind unter folgenden Internetadressen zu finden: • • •
510
http://www.monster.de; http://www.jobpilot.de; http://www.stepstone.de;
Vgl. Brökermann, 2007, S. 77-79
511
Vgl. Spickschen, 2005, S. 101
512
Vgl. Weber, 2007, S. 59
513
Vgl. Brökermann/Pepels, 2002, S. 91
514
Vgl. Karle, 2001, S. 18
515
Vgl. Holtbrügge, 2007, S. 100
34 Instrumente des Electronic Recruiting • • • • •
223
http://jobware.de; http://www.jobscout.de,; http://www.berufsstart.de; http://www.stellenanzeigen.de; http://www.jobonline.de. 516
Diese hohe Zahl der Anbieter von Jobbörsen erschwert es Unternehmen, sich für die richtige elektronische Stellenbörse zu entscheiden. Die Jobbörsen erkannten das Problem. In den vergangenen Jahren haben sich daher sogenannte Karriereportale gebildet, die über ein vielfach größeres Dienstleistungsangebot als die gewöhnlichen Jobbörsen verfugen und sich somit zum kompletten Anbieter in der Personalsuche entwickelten. 517 Ihr Angebot besteht aus dem Verfassen und Gestalten von Stellenausschreibungen, sie übernehmen den administrativen Teil im Zusammenhang mit dem Recruitment sowie, wenn gewünscht, die Bewerbervorauswahl. 518
34.1.3
Gestaltung und Aufbau einer Stellenanzeige im Internet
Die inhaltliche Gestaltung sowie der formale Aufbau eine Stellenanzeige im Internet ist das Printanzeigen sehr ähnlich und in vielen Fällen verwendet man on- und offline sogar einheitliche Anzeigen. 519 Bei der Auswahl geeigneter Stellenbörse ist neben den üblichen Kriterien, wie der allgemeine optische Eindruck und die Navigation der Internetseite, ebenfalls auf Folgendes zu achten: • • •
regionale Bezogenheit und Umfang des Angebotes, Qualität des Angebots, Benutzerfreundlichkeit und Anwendung sowie geringe Fehlerquote und Genauigkeit, zusätzliches Dienstleistungsangebot. 520
Dennoch darf nicht vergessen werden, dass Jobbörsen der Veröffentlichung von Stellenanzeigen dienen und den persönlichen Kontakt nicht ersetzen können. 521
516
Vgl. Brake/Zimmer, 2002, S. 53
517
Vgl. Karle, 2001, S. 18
518
Vgl. Brökermann/Pepels, 2002, S. 92
519
Vgl. Spickschen, 2005, S. 99
520
Vgl. Egle/Bens, 2004, S. 324-326
521
Vgl. Brökermann/Pepels, 2002, S. 92
224
34.2
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Human-Resources-Websites
Im Rahmen der elektronischen Personalbeschaffung gewinnt die unternehmenseigene Homepage bzw. die HR-Homepage, neben den Jobbörsen, zunehmend an Bedeutung. Im Wesentlichen ist der Grund darin zu sehen, dass Unternehmen, die Arbeitskräfte suchen, die Schnittstellen über Jobbörsen unbewusst oder bewusst umgehen wollen. Die Attraktivität eines Unternehmens wird bei der Stellensuche meist subjektiv eingeschätzt und kann zum Besuch des Internetauftritts fuhren. Ob ein Arbeitgeber attraktiv ist, ist abhängig von dem Firmenimage, dem Bekanntheitsgrad, den Erfahrungen anderer Bekannter, den Produkten und Dienstleistungen etc. Eine weitere Möglichkeit Bewerber anzusprechen, besteht in der inhaltlichen Aufbereitung sowie in der Gestaltung der Homepage. Im Zeitalter des Papiers, waren die Möglichkeiten, sich als Arbeitgeber zu präsentieren, sehr eingeschränkt. Im Internet hingegen besteht die Möglichkeit, sich problemlos ganzheitlich zu informieren, was HRAngebote bzw. Aktivitäten einschließt. 522 Eine optimal gestaltete HR-Homepage besteht aus den folgenden vier Betrachtungselementen: Die formalen Anforderungen an eine HR-Homepage könnte man, angelehnt an die Motivationstheorie von Herzberg, als Hygienefaktoren bezeichnen. Das heißt eine Erfüllung aller Anforderungen fuhrt nicht gleich zum Erfolg einer HR-Homepage, eine Nichterfüllung aber umgehend zum Misserfolg. Der Zugang zur Homepage eines Unternehmens muss generell intuitiv möglich sein. Die Homepage soll so zu erreichen sein, das sie unter Eingabe eines einfachen öffentlich bekannten Namens zu finden ist. Als Beispiel kann hier die Badische Anilin und Soda Fabrik verwendet werden. Anstatt dieser Bezeichnung wird bspw. die Internetadresse www.basf.com verwendet. Um eine internationale Verfügbarkeit sicherzustellen, sollte die Homepage zumindest über reine .de- oder .com-Adresse zu gleichen Teilen abrufbar sein. In diesem Zusammenhang sollte die Homepage die Möglichkeit aufweisen, sich die Seite in verschiedenen Sprachen anzeigen zu lassen. Weiterhin muss das Layout durch den Gebrauch eines Corporate Designs den Wiedererkennungswert des sich präsentieren Unternehmens unterstützen. Eine benutzerfreundliche Navigation, die Möglichkeit zur direkten Kontaktaufnahme durch Angabe einer E-Mail-Adresse und Namen der Ansprechpartner sowie die Gewährleistung der Aktualität und des Datenschutzes gehören zu den formalen Anforderungen an eine HR-Homepage. 523 Als Basiselemente versteht man alle Funktionalitäten, Dienstleistungen und Informationen, die für den Prozess der Personalbeschaffung, unabhängig von Branche und Betriebsgröße etc., unmittelbar zwingend sind und von den Arbeitssuchenden in der heutigen Zeit erwartet werden. Darunter versteht man eine Zielgruppenansprache, Stellenangebote und Offerten,
522
Vgl. Beck, 2002, S. 168
523
Vgl. ebd., S. 169-174
34 Instrumente des Electronic Recruiting
225
Informationen bezüglich Stellenangebote und unternehmensbezogene Informationen sowie Möglichkeiten zur Abgabe einer Bewerbung. 524 Eine zielgruppenspezifische Ansprache ist erst dann möglich, wenn man weiß, wer die HRSeite im Internet besucht. Durch eine direkte Befragung auf der Seite erlangt man Wissen darüber und kann eine Zielgruppenansprache nach der Motivation für einen Job und nach dem Qualifizierungsgrad vornehmen. Es würde sich bspw. eine Ansprache unter der Überschrift „Schüler und Auszubildende, Studenten, Hochschulabsolventen und Berufserfahrene" anbieten. 525 Zusatzelemente hingegen beinhalten Funktionalitäten, Dienstleistungen und Informationen, die den Prozess der Personalbeschaffung mittelbar unterstützen, betriebliche HR-Aktionen verdeutlichen sowie für eine erhöhte Transparenz sorgen. Dazu zählen folgende Elemente: die Möglichkeit, sich initiativ zu bewerben, die HR-Info-Base, die Personalentwicklung sowie die Personalisierung. 526 Serviceelemente einer HR-Seite beinhalten Informationen, die über die Personalbeschaffung hinausgehen. Sie muss die Attraktivität eines Unternehmens unterstreichen, die Interaktion und Kommunikation mit dem Unternehmen beschleunigen und/oder zusätzliche Nutzen abbilden 527 und somit das Interesse bei Nutzer für weitere Besuche wecken. Die Moorhuhnjagd, ein Computerspiel, das zum Downloaden auf der Unternehmenshomepage von JonnyWalker zur Verfügung stand, war eine der spektakulärsten Aktionen in diesem Bereich und ein Verweis im Hinblick auf Individualität und Kreativität. Self-Assesments, Umfragen, Bewerbungstipps, Bildschirmschoner oder Gewinnspiele gehören heute schon zu den klassischen Zusatzangeboten. 528
34.3
Virtuelle Recruiting-Messen
Eine Jobmesse von zu Hause aus besuchen und keinen Eintritt dafür bezahlen - unter http://www.jobfair24.de ist das möglich. Unter dieser Internetadresse präsentiert sich die, nach eigenen Aussagen, führende Online-Jobmesse in der Bundesrepublik. An den monatlich stattfindenden Messetagen können sich Hochschulabsolventen, Diplomanden, Berufseinsteiger oder aber auch Praktikumsinteressenten mit ihrem virtuellen Ich in diversen virtuellen Messehallen umschauen und dabei Informationen über ihre eventuell zukünftigen Arbeitge-
524
Vgl. Beck, 2002, S. 175
525
Vgl. Brökermann/Pepels, 2002, S. 86
526
Vgl. Beck. 2002, S. 192-193
527
Vgl. ebd., S. 200
CTO
Vgl. Brökermann/Pepels, 2002, S. 90
226
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
ber oder ganz allgemein über unterschiedliche Karrieremöglichkeiten sammeln. Alle Informationen stehen über einen Mausklick zur Verfugung. An den virtuellen Messeständen „stehen" die jeweiligen Personalverantwortlichen live für Gespräche und Fragen bereit. Mehrere Interessenten können zeitgleich an dem Gespräch teilnehmen, sollte sich dieses Gespräch jedoch intensiver entwickeln, können der Personalverantwortliche und der Interessent „unter zwei Augen" in einen privaten Chat ihr Gespräch fortsetzen. Der Idealfall nach einem Gespräch im Einzel-Chat wäre, dass der Bewerber seinem Gesprächspartner eine digitale Bewerbungsmappe übergibt und sogar einen Termin für ein persönliches Bewerbungsgespräch erhält. 529 Der Vorteil liegt darin, dass die Unternehmen somit die Bewerberqualifikation sofort mit dem eigenen Anforderungsprofil der zu besetzenden Stellen abgleichen können. Zudem haben alle virtuellen Bewerbungsmappen identische Grundmuster, was die Vergleichbarkeit der Bewerber erleichtert, aber zu Ungunsten der Individualität ausgeht. 530 Zusätzlich zu den Messetagen werden mehrmals im Monat spezielle themen- oder branchenspezifische Firmen-Chats angeboten. Zudem finden Experten-Chats statt, die Hilfe zu Bewerbungsfragen anbieten. Die virtuellen Recruiting-Messen befinden sich sozusagen in der Nische zwischen realen Recruiting-Messen und Stellenbörsen im Internet. Fast alle Branchen sind auf solchen Messen vertreten, vor allem aber die Automobil, IT- und Telekommunikation, Transport und Logistik. Gute Chancen auf einen Job haben aber auch die Geistes- und Sozialwissenschaftler sowie die Juristen. Ausstellende Unternehmen sind z.B. Bertelsmann, Allianz, Siemens, Porsche, Daimler AG sowie Chrysler Deutschland. 531 Der multimediale Aufwand, sich auf einer virtuellen Messe zu präsentieren, ist recht hoch, wird von den Veranstaltern aber gern in Kauf genommen. Der Preis einer Unternehmenspräsentation hängt von dem gewünschten Kommunikationstool ab. Für die Erstellung eines virtuellen 3D-Messestandes mit einer Laufzeit von einem halben Jahr kostet bei Jobfair24 im Paket etwa 12.000 EUR. 532 Erstmals wurde diese Plattform auf der CEBIT 2000 vorgestellt und Ende 2003 vom Klaus Resch Verlag aufgekauft und in das Berufsstart-Netzwerk integriert (www.berufsstart.de). 533
Vgl. Brink et al., 2008, S. 285-286 530
Vgl. Brake/Zimmer, 2002, S. 55
531
Vgl. Brink et al., 2008, S. 286
532
Vgl. Brake/Zimmer, 2002, S. 55
533
Vgl. Brink et al., 2008, S. 286
34 Instrumente des Electronic Recruiting
34.4
Online-Recruiting-Spiele
34.4.1
Definition
227
Ob es die Erkenntnis war, das so das Personal in Zukunft einen höheren Stellenwert im Unternehmen einnehmen wird, oder einfach nur die Möglichkeiten, die das Medium Internet bietet, sich von seinen Konkurrenten abzuheben, die zu einem neuen innovativen RecruitingInstrument gefuhrt haben, ist unklar. Tatsache ist jedoch, dass sich auf der Suche nach neuen Formen der Personalbeschaffung ein innovatives Recruiting-Instrument entwickelt hat, was folgendermaßen definiert wird: „Online-Spiele sind eine webbasierte Verknüpfung von Assessment-Center-Elementen und deren Einbettung in eine spielerische Rahmenhandlung zur zielorientierten Personalbeschaffung, mit der Möglichkeit der Dokumentation und des Matching der Leistungsergebnisse (Hard und Soft Skills) sowie der Option zum automatisierten Bewerber-Screening und -Ranking zur Unterstützung und Absicherung der Auswahlentscheidung. "534
34.4.2
Siemens - „Challenge Unlimited"
Siemens beschritt mit dem Online-Spiel „Challenge Unlimited" im Jahr 2000 erstmals einen neuen Weg des Ε-Recruiting. Spielerisch konnten Studierende und Berufseinsteiger mit dem Unternehmen in Kontakt treten. Die Spieler hatten auf der Reise nach Nouvopolis, einer Stadt in der Zukunft, viele Abenteuer zu bestehen und die Probleme einer Stadt im All zu lösen. Teilweise allein oder im Team waren die Spieler verschiedenen Gefahren ausgesetzt und mussten die Stadt z.B. vor einem bedrohlichen Meteoriten beschützen. 535 Neue Wege der Zielgruppenansprache im Internet, kombiniert mit einem Verfahren zur Vorauswahl, sollten mit diesem Projekt erprobt werden. Dieses Instrument verbindet somit ein leistungsfähiges Online-Assessment mit einem spannenden und attraktiven Online-Spiel und dauerte ca. drei bis vier Stunden. Im Laufe der Spielzeit erarbeiteten die Teilnehmer ihr Kompetenzprofil. Dieses bildete die erzielten Ergebnisse aus den Tests ab, vor dem Hintergrund, dass dieses Online-Spiel für Siemens ein Instrument zur Rekrutierung darstellt. Fast 13.000 Spieler nahmen innerhalb der Spielzeit im Internet teil und über 10.000 Teilnehmer gaben ihre Profile zur Überprüfung frei. 536
534
Beck, 2002, S. 212
535
Vgl. ebd., S. 212-213
536
Vgl. ebd., S. 213
228
34.4.3
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Mögliche Grenzen der Online-Spiele
Zu den Chancen, wie die Steigerung des Bekanntheitsgrades, der Möglichkeit das Unternehmensimage zu verbessern sowie Zeit- und Kostenersparnisse bei der automatisierten Bewerber-Vorauswahl, kommen an dieser Stellen noch existierende Grenzen beim Einsatz von Online-Spielen hinzu. 537 Die erste Grenze stellt das Medium Internet selbst dar. Die Nutzung des Internets als Plattform zur Rekrutierung trifft nicht bei allen Bewerbern sowie Unternehmen auf Akzeptanz. Die zweite Grenze ist die der Datensicherheit und des Datenschutzes. Die User haben häufig Angst, dass die übertragenen Daten im Internet missbraucht oder verloren gehen. Zudem kommt die Angst vor Viren hinzu, die bei vielen Unternehmen trotz Firewall-Lösungen und Virenschutzprogramme besteht. Eine weitere Grenze stellen die auftretenden Kapazitätsprobleme dar. Engpässe können dann entstehen, wenn viele Teilnehmer gleichzeitig auf das Spiel zugreifen, z.B. in dem Fall, wenn das Spiel neu im Internet ist. Zudem besteht das Problem der Authentizität des Spielers. Eine Garantie, dass die gelösten Aufgaben auch tatsächlich von der angemeldeten Person gelöst werden, gibt es momentan noch nicht. Weiterhin können Soft-Skills z.B. zur sozialen Kompetenz mit diesem Instrument nicht verlässlich überprüft werden. Dennoch hat man zu bedenken, dass die Entwicklung von Online-Spielen erst in den Kinderschuhen steht und die o.g. Grenzen mit Ausnahme des letzten Punktes mit Weiterentwicklungen überwunden werden können. 538
34.5
Newsgroups
Vergleicht man Newsgroups mit den virtuellen 3D-Messen oder den Online-RecruitingSpielen, so wirken Newsgroups recht altmodisch. Newsgroups dienen dazu, Informationen über bestimmte Themen in offenen Gruppen auszutauschen. Das schwarze Brett, an dem man Aushänge selbst schreiben oder lesen kann, galt hier als Grundidee. Da es eine große Anzahl von Newsgroups gibt, werden diese in Themen unterteilt. Zudem besteht die Möglichkeit, die Newsgroups auch nach Stichworten abzusuchen, wie Deja (www.dejanews.com). Möchte man eine Annonce veröffentlichen, ist das i.d.R. kostenlos. Der Nachteil daran ist, dass eine grafische Gestaltung, Firmenlogos oder sonstige optische Effekte nicht abgebildet werden können. Veröffentlicht werden die Annoncen nur im Textformat. Ein entsprechender Link zur Unternehmenseigenen Homepage sollte demnach auf keinen Fall vergessen werden. Die Gefahr, dass einzelne Anzeigen schlichtweg übersehen werden, ist bei der Masse an gleich aussehenden Anzeigen groß. Zu den bedeutsamsten deutschen Newsgroups zählen:
537
Vgl. Beck, 2002, S. 225
CTO
Vgl. ebd., S. 225-227
34 Instrumente des Electronic Recruiting • • • •
229
de.markt.arbeit.angebote, de.markt.arbeit.gesuche, de.markt.arbeit.d, at.jobs und euro.jobs. 539
Um jedoch eine der o.g. Newsgroups zu erreichen, muss der User in seinem Browser den entsprechenden News-Server mit Adressenangabe einstellen. Eine alternative Suchmöglichkeit ist unter http://www.deja.com möglich. Dabei ist es möglich, kostenlos eine Nachricht in den Newsgroups zu veröffentlichen. Vor diesem Hintergrund findet man oft Werbebotschaften, die nicht unmittelbar mit dem Thema im Zusammenhang stehen. Ob diese Art der Mitarbeiterrekrutierung weiterhin von Interesse ist, hängt zum einen von der Verbreitung von Stellenbörsen im Internet und elektronischen Bewerberdatenbanken und zum anderen von deren Preis ab. 540
34.6
Chancen und Risiken des E-Recruiting
34.6.1
Chancen
Durch die Nutzung des Internets ergeben sich erhebliche Einsparungspotentiale im Hinblick
auf Zeit und Kosten. „Dieser Aspekt kann im Kampf um die sogenannten High Potentials zum entscheidenden Kriterium werden. " 541 Die interne Bearbeitung und Weiterleitung von Bewerbungen wird auf dem digitalen Weg um ein vielfaches erleichtert. Zudem erfolgt eine Verkürzung des Bearbeitungsprozesses, was wiederum den Bewerbungsprozess optimiert. Mit einer Internetpräsenz können Unternehmen ebenso dazu beitragen ihr Image zu stärken. Informationen stehen zu jeder Zeit zur Verfügung und durch die zeitnahe Übermittlung kann von einer Aktualität der Daten ausgegangen werden. Als einziges Medium kann das Internet uneingeschränkt fìir eine weltweite Personalbeschaffung genutzt werden. In Deutschland besteht aktuell ein akuter Bedarf an Fachkräften und gerade deswegen ist eine Präsenz im Internet für international tätige Unternehmen unerlässlich. Ebenso können eine kreative Gestaltung und ein Zusatznutzen für den Nutzer auf der eigenen Homepage für die Innovationsfahigkeit eines Unternehmens stehen. Dennoch könnte dieser Effekt mit der zunehmenden Etablierung des Internets und den vermehrten Angeboten von Zusatznutzen abnehmen. Die vereinfachte Möglichkeit, durch das Internet Bewerber zu erreichen, übertrifft bei Weitem die von Printmedien. Dieser Aspekt ist durchaus von großer Bedeutung, denn die Wahrscheinlichkeit, den besten Kandidaten für die vakante Position zu finden, wächst mit steigender Bewerberanzahl.
539
Vgl. Brake/Zimmer, 2002, S. 56
540
Vgl. ebd., S. 56
541
Preuss/Knoll, 2001, S. 130
230
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
34.6.2
Risiken
Den Chancen der Personalbeschaffung mittels Internet stehen auch einige Risiken gegenüber. Eine stabile Betriebssicherheit ist Voraussetzung für eine Kommunikation ohne Hindernisse zwischen Nutzer und Unternehmen. „Interessenten, die beim Aufruf einer Unternehmenshomepage oder bei dem zeitintensiven Ausfüllen eines Online-Bewerbungsformulars einen technischen Absturz erleben, werden sich sicherlich nicht so schnell wieder auf dieser Unternehmensseite einfinden. "542 Die große Frage nach der Sicherheit beim Versenden persönlicher Daten beschäftigt die meisten Nutzer des World Wide Web (www). Ein Unternehmen, bei dem eine Bewerbung via Internet möglich ist, muss für absolute Sicherheit beim Übertragen von Daten sorgen und somit eine Einsicht unbefugter Personen unmöglich machen. Der Nutzer wird durch die stetig steigende Menge an Angeboten mit Informationen förmlich überflutet. Um dieses einzudämmen und ein effizientes Nutzen der Stellenangebote zu gewährleisten, muss eine benutzerfreundliche Navigation unbedingt vorhanden sein. In der folgenden Tab. 35.1 werden die Chancen und Risiko des Ε-Recruiting noch einmal stichwortartig gegenübergestellt.
Chancen o o o o o o o o o
Risiken
Kosteneinsparungspotential Zeiteinsparungspotential Stabilisierung des Images weltweite Rekrutierung Aktualität Kommunikation von Innovationsfahigkeit große Kontaktreichweite Neutralität bei Personalauswahlverfahren unbegrenzte zeitliche Einsetzbarkeit
Tab. 34.1: Chancen und Risiken des
o o o o o
Betriebssicherheit Datensicherheit Informationsflut Identifikation bei Personalauswahlverfahren Zwang zur schnellen Bearbeitung
E-Recruitingi43
Besonders die Risiken müssen bei der Online-Personalbeschaffung beachtet werden und in die Rekrutierungsstrategie einfließen. Dennoch kann bei der schnell wachsenden Entwicklung von Kommunikations- und Informationstechnologie von einer Reduzierung der Risiken ausgegangen werden. Die Chancen, die sich durch eine Personalbeschaffung mit Hilfe des Internets anbieten, sollten genutzt werden, da sich die Entwicklung in diesem Bereich enorm fortsetzen wird.544
542
Dix/Witrahm, 2001, S. 444
543
Bröckermann/Pepels, 2002, S. 94
544
Vgl. ebd., S. 93-94
35 Scouting
35
231
Scouting
In der Literatur findet man keine feste Definition zu dem Begriff Scouting. Scouting fasst vielmehr derartig Methoden der Personalbeschaffung zusammen, die den „proaktiven Cha-
rakter der frühzeitigen Bewerberansprache nutzen und sich gleichzeitig von den traditionellen Vorgehensweisen der Rekrutierung durch Zeitungsanzeigen oder durch Personalberater absetzen. " 545 In jedem Fall handelt es sich beim Scouting um die Rekrutierung von Berufseinsteigern. Das Scouting richtet sich an eine spezielle und wichtige Zielgruppe und zwar an Studenten bzw. Berufseinsteiger und insbesondere an High-Potentials. Der Schwerpunkt der Scouting-Aktivitäten liegt bei den absolventenorientierten Maßnahmen sowie bei der Hochschulpräsenz. 5 4 6
35.1
Scouting durch Hochschulpräsenz
Ziel der Hochschulpräsenz ist es, sich als Unternehmen besonders für Berufseinsteiger längerfristig als attraktiver Partner mit einem einzigartigen Profil am Arbeitsmarkt zu profilieren. Unter dem hier gewählten Begriff der Hochschulpräsenz sollen alle Maßnahmen zusammengefasst werden, mit denen eine aktive Dienstleistungs- und Kommunikationspolitik in Bezug auf Lehrstühle, Hochschulen sowie Studierende selbst umsetzen kann. Im Folgenden werden verschiedene Empfehlungen zum Erfolg für das Scouting an Hochschulschulen näher erläutert. 547
35.1.1
Konzentration auf ausgewählte Fachrichtungen und Hochschulen
Ein Weg ist die Konzentration auf ausgewählte Fachrichtungen und Hochschulen mit einem hohen fachlichen Niveau sowie einem starken Praxisbezug. Die sogenannten Schlüsselhochschulen sollten die Fähigkeit besitzen, vielfaltig einsetzbare und anpassungsfähige Berufseinsteiger auszubilden, die sich mit stets neuen Fragenstellungen auseinander setzen können. 5 4 8
545
Bröckermann/Pepels, 2002, S. 135 546
Vgl. ebd., S. 120
547
Vgl. ebd., S. 122
548
Vgl. Eisele/Horender, 1999, S. 29
232
35.1.2
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Personalisierung und Differenzierung von Angeboten
Der nächste Schritt ist die Personalisierung, d.h. die Festlegung auf bestimmte Schlüsselpartner an Hochschulen. Erste Ansprechpartner sollten jeweils Lehrstühle bzw. Dekane sein, weil diese personell sehr stabil bleiben werden. Ebenso sind Kontakte zu studentischen Gruppen sowie Fachschaften bedeutsam. Diese müssen jedoch aufgrund der Fluktuation meist jedes Semester auf den neusten Stand gebracht werden. Eine kontinuierlich aufgebaute und gepflegte Datenbank empfiehlt sich in diesem Fall. Zwei Gruppen von Kontaktpartnern an Hochschulen lassen sich innerhalb des Scouting durch Hochschulpräsenz unterscheiden: zum einen Professoren, Lehrstühle und Mitarbeiter einerseits und andererseits die Studierenden selbst. Die Gruppe der Professoren, Lehrstühle und Mitarbeiter dienen als Ansprechpartner besonders bei lehrbezogenen Aktivitäten und Angeboten für das indirekt angelegte Scouting. Beispielsweise zählt hierzu das Anbieten zur Bearbeitung von Forschungs- und Entwicklungsthemen im Rahmen von Diplom-, Masterarbeiten sowie Dissertationen, aber auch das Angebot von Betriebsbesichtigungen, Exkursionen und Entsendung von Lehrbeauftragten und Referenten, die Referate und Seminare in Vorlesungen anbieten. Durch solche Veranstaltungen lassen sich oftmals Kontakte insbesondere zu talentierten und interessierten Studenten aufbauen, die ggf. durch darauf folgende Maßnahmen intensiviert werden können. 549 Die Gruppe der Studierenden selbst stellen die Ansprechpartner für das direkte Scouting an Hochschulen dar. Das indirekte Scouting kann auf unterschiedlichen Wegen erfolgen. Zu erwähnen ist hierbei das Angebot von Praktikumsstellen für Studierende. Da in den Studiengängen einiger Universitäten und in allen Fachhochschulen ein Pflichtpraktikum vorgesehen ist und den Studenten die Auswahl einer geeigneten Praktikumsstelle überlassen wird, können Unternehmen mit entsprechenden Angeboten und Informationen zu Praktikumsplätzen sowie darüber hinaus mit dem Angebot, eine besondere Praktikantenbetreuung anzubieten, Studenten und damit auch die High-Potentials für sich gewinnen. Von großer Bedeutung ist auch die Unterstützung studentischer Projekte und Initiativen. Initiativen wie AIESEC werden meist von außerordentlich talentierten und aktiven Studenten betrieben und können durch die Unterhaltung von Fördermitgliedschaften sowie durch eine Bereitstellung von Praktikumsstellen aber auch durch Messebeteiligungen und Anzeigen unterstützt werden. Diese engagierten Studenten selbst sind daher bei der Rekrutierung sehr begehrt. 550
35.1.3
Einsatz mehrstufiger Programme
Eine weitere Form des direkten Scouting stellen von Studenten in mehreren Stufen entwickelte Programme dar. Bezeichnet werden diese als „systematisch angelegte Scouting-Aktivitäten".55'
549
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 123
550
Vgl. ebd., S. 123-124
551
Bröckermann/Pepels, 2002, S. 124
233
35 Scouting
Als erster Ansatzpunkt fur eine Kontaktaufnahme zu talentierten Studenten ist die Form von Exkursionen (zum Teil auch mit Fallstudien verbunden) mit den Studierenden in Anbetracht einer intensiven Zusammenarbeit mit Hochschulen zu nennen. Anschließend folgen Praktika in Unternehmen sowie eine intensive Nachbetreuung während der Zeit, in dass die Studierenden nicht im Unternehmen tätig sind. Dazu kommen Informationen zur Entwicklung des Unternehmens und das Aufzeigen individueller Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen, z.B. das Angebot zur Bearbeitung einen Themas zur Abschlussarbeit. Mit dem Berufseinstieg des Studenten ist die letzte Phase abgeschlossen. 552 Ein weiteres Instrument des direkten Scouting ist die Beteiligung an verschiedenen dualen Studiengängen. Unternehmen rekrutieren die Studenten i.d.R. selbst und entsenden diese dann zum Studium. Parallel dazu absolvieren sie den praktischen Teil des Studiums im Unternehmen. Da qualifizierte Absolventen in der Zukunft knapper werden könnten, wird sich die Beteiligung an den dualen Studiengängen weiter verstärken. 553
35.2
Scouting durch absolventenorientierte Maßnahmen
Um einen kurzfristigen Rekrutierungsbedarf zu realisieren, macht man von den absolventenorientierten Maßnahmen Gebrauch. Hierbei steht nicht der Förder- und Entwicklungsaspekt im Vordergrund, sondern das Interesse an der Selektion. 554 Die drei wichtigsten Instrumente der absolventenorientierten Maßnahmen sind in diesem Zusammenhang die Absolventenmessen, Absolventen-Workshops und das On-CampusRecruiting. 555
35.2.1
Absolventenmessen
„Absolventenmessen" hat sich als Sammelbegriff durchgesetzt fiir meistens ein- bis zweitägige größere Informationsveranstaltungen (häufig an Hochschulstandorten) mit dem Ziel, Hochschulabsolventen und examensnahe Studenten über berufliche Einstiegs- und Karrieremöglichkeiten, die richtige Bewerbungsstrategie, Auswahlverfahren der Unternehmen u. ä. zu informieren,556 Sie können auch als Marktplatz verstanden werden, auf dem sich verschiedene Unternehmen mit ihren eigenen Ständen Absolventen bzw. Studenten gegenüber präsentieren. Studierende haben somit die Möglichkeit, viele potentielle Arbeitgeber kennenzulernen und zusätzliche
552
Vgl. ebd., S. 124-125
553
Vgl. Schmeisser, 2006, S. 40
554
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 126
555
Vgl. Schmeisser, 2006, S. 40
556
Bachelor und Master, Stand: 11.07.2009
234
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Informationen zu erhalten und an angebotenen Dienstleistungen, wie z.B. Diskussionen oder Fachvorträgen, Bewerbertrainings etc., teilzunehmen. Direkte Kommunikation und tiefer gehende Informationen aufgrund des Massencharakters solcher Veranstaltungen sind kaum möglich. Im Vordergrund der Teilnahme an einer Absolventenmesse steht oft der Imagegewinn des Unternehmens und nicht der eigentliche Rekrutierungszweck. 557 In Hinsicht auf einzelne Funktionen oder Branchen ist heute eine verstärkte Spezialisierung von Absolventenmessen zu beobachten. Die tatsächliche Besetzung bestimmter Positionen steht hier im Vordergrund der Messe. Die Veranstalter treffen bereits im Vorfeld der Messe anhand vorab eingesendeter Bewerbungsunterlagen eine Vorauswahl der Besucher. Um die Abläufe auf der Messe optimal zu gestalten, werden ebenfalls vorab Vorstellungstermine mit dem Unternehmen vereinbart. Aber Probleme können auch hier auftreten, z.B. wenn sich die eingeladenen Kandidaten nicht an die zugewiesenen Zeiten halten oder wenn die Auswahlkriterien für eine Teilnahme zum Messebesuch nicht exakt definiert wurden. 558
35.2.2
Absolventen-Workshops
Absolventen-Workshops sind „firmenbezogene Veranstaltungen mit exclusivem Charakter zur passgenauen und maßgeschneiderten Personalrekrutierung ",559 Bei einem AbsolventenWorkshop wird sich i.d.R. nur ein Unternehmen bzw. eine kleine Anzahl von Unternehmen präsentieren. Entsprechend den jeweiligen Anforderungen der Unternehmen werden die Besucher vorab selektiert. Die Workshops von einer Dauer bis zu drei Tagen beinhalten Präsentationen, Vorträge sowie eine aktive Teilnahme der Besucher beispielsweise an Fallstudien, Szenarien und anderen Aufgaben. Ebenfalls können zusätzliche Rahmenprogramme eingebaut werden, die den Erlebniswert eines solchen Workshops nachhaltig positiv beeinflussen können. Am Ende des Workshops erhalten die Teilnehmer ein Feedback. Aufbau und Gestaltung des Workshops ähneln dem des Assessment-Center als Methode der Personalauswahl sehr.560 Die Organisation und Durchführung dieser Workshops kann von dem Unternehmen selbst oder aber auch von externen Anbietern übernommen werden. Die Access AG ist einer der wohl bekanntesten externen Anbieter und führt ca. 30 bis 40 Recruiting-Workshops in einem Jahr durch.561 Die Anzahl der abgeschlossenen Arbeitsverträge gilt aus Unternehmersicht als
557
Vgl. Sunter, 2000, S. 42ff.
558
Vgl. ebd., S. 42ff. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 127
560
Vgl. ebd., S. 127
561
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 138
35 Scouting
235
Erfolgskriterium bei den Absolventen-Workshops, die sich somit als schnelles Verfahren zur Rekrutierung etabliert haben. 562
35.2.3
On-Campus-Recruiting
Beim On-Campus-Recruiting präsentieren sich Unternehmen auf dem Gelände einer Hochschule mit dem Ziel, interessante Bewerbung baldiger Absolventen zu stimulieren. In den USA ist das On-Campus-Recruiting ein weit verbreitetes Instrument der Personalbeschaffung, in Deutschland dagegen wird derzeit davon nur vereinzelt Gebrauch gemacht. So entscheiden sich an den besten Universitäten in Amerika ca. 30 Prozent der Absolventen für einen Einstieg in den Beruf bei einem Unternehmen, mit denen sie im Rahmen des OnCampus-Recruiting in Kontakt getreten sind. Vor der Phase des Examens kann der Kontakt auch schon durch ein Praktikum entstanden sein.563 Ein deutsches Beispiel für das On-Campus-Recruiting ist der Job-Truck der HypoVereinsbank. Dieser fuhr in den letzten Jahren von Campus zu Campus quer durch Deutschland, um Kontakt zu Studierenden aufzunehmen und das Unternehmen als modernen und attraktiven Arbeitgeber vorzustellen. 564
35.3
Zukunftsperspektiven des Scouting
Die demografische Entwicklung in Deutschland zeigt, dass sich schon in wenigen Jahren die Anzahl der High-Potentials deutlich verringern wird. Eine erleichterte Ausgabe von GreenCards oder die längerfristige Förderung der Neigung hin zum Studium sind Faktoren, die diese Entwicklung nur abmildern, aber nicht komplett aufhalten können. Sobald sich die hoch qualifizierten Nachwuchskräfte verringern, erhöht sich der Wettbewerb um diese. In den nächsten Jahren wird daher mit verstärkter Präsens von Unternehmen an Hochschulen ausgegangen. Infolgedessen fuhrt das zu einer weiteren Differenzierung bereits vorhandener Scouting-Strategien sowie zur Entwicklung neuer um dadurch eine Alleinstellung oder zumindest Vorteile in der Positionierung zu erreichen. Zum einen können stärker serviceorientierte Dienstleistungen für Studierende in Form des Bereitstellens von wissenschaftlichen Daten und Informationen sowie Literatur angeboten werden. Zum anderen ist es eine Möglichkeit, verstärkt Interesse an einer Beteilung dualer Studiengänge auszuweisen. 565 Im Rahmen des hochschulbezogenen Scouting sollte in der Zukunft gezielter auf die weiblichen Studenten eingegangen werden, die bisher bei allen Marketingaktivitäten im Hochschulbereich mit einbezogen wurden, in Hinsicht auf ihr eigenes, spezielles Potential aber
562
Vgl. ebd., S. 127
563
Vgl. ebd., S. 128
564
Vgl. Schmeisser, 2006, S. 41
565
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 132
236
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
kaum berücksichtigt und aktiviert worden sind. Ebenfalls könnten fur Unternehmen die Alumni-Initiativen der Hochschulen attraktiver werden, nicht unbedingt bei der Suche nach Berufsanfángern, sondern eher bei der Suche nach Absolventen mit Berufserfahrung. Neuerdings versteht man unter Alumni Absolventen einer Hochschule, die mit ihrer alten Hochschule sowie mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen weiterhin in Kontakt stehen.
36
Personalleasing
Ein weiterer externer moderner Personalbeschaffungsweg ist das Personalleasing. Diese Form der Personalbeschaffung unterscheidet sich deutlich von den bereits genannten Personalbeschaffungswegen. Das Personal suchende Unternehmen tritt bei dieser Form als Auftraggeber auf. Der Auftraggeber wird als Entleiher bezeichnet und tritt an den Verleiher heran. Der Verleiher überlässt dem Entleiher zeitweilig eine Arbeitskraft gegen eine Gebühr. Der Gesetzgeber bezeichnet diese Vertragsbezeichnung als Arbeitnehmerüberlassung. Das Personalleasing wird in der freien Wirtschaft auch als Leiharbeit und Zeitarbeit bezeichnet. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz verlangt, dass die Personalleasingunternehmen über eine Lizenz sowie über eine Erlaubnis von der Bundesagentur für Arbeit verfügen. 566 Abb. 36.1 verdeutlicht die wirtschaftlichen sowie rechtlichen Beziehungen der Beteiligten.
566
Vgl. Bröckermann, 2007. S. 89
567
Bröckermann, 2007, S. 89
36 Personalleasing
237
Zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher besteht ein Arbeitsvertrag. Für diesen Vertrag gelten keine Sonderregelungen, es gelten alle gesetzlichen Regelungen einschließlich der Befristungsmöglichkeiten, die generell für Arbeitsverhältnisse bestehen. Innerhalb dieses Arbeitsverhältnisses gelten die üblichen arbeit-, sozial- und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen. Somit erhält der Leiharbeitnehmer das vereinbarte Arbeitsentgelt vom Verleiher, der die anfälligen Steuer und Sozialabgaben abfuhrt. Nach §§ 3 und 9 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes muss der Verleiher dem Leiharbeitnehmer fur die überlassene Zeit die jeweiligen Arbeitsbedingungen des Entleihbetriebs gewährleisten, was besonders auch das Arbeitsentgelt fur die dort ausgeübte Tätigkeit betrifft. Da das bei schnell wechselnden Unternehmen in verschiedenen Branchen teilweise schwer umsetzbar ist, bietet der Gesetzgeber dafür eine Problemlösung an. Tritt der Verleiher als Mitglied in einen Arbeitgeberverband ein, der mit den zuständigen Gewerkschaften in Bezug auf das Personalleasing einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, so gelten die im Tarifvertrag festgelegten Bedingungen. Der Verleiher ist derjenige, der dem Leiharbeitnehmer Weisungen erteilen kann und erteilen wird, denn dem Verleiher wird das sogenannte Direktionsrecht zugesprochen. In der Verleihfirma ist der Leiharbeitnehmer, wahlberechtigt sowie für den Betriebsrat wählbar. Hinzu kommt, dass der Leiharbeitnehmer sobald er volljährig ist und im Entleihbetrieb länger als drei Monate eingesetzt war, laut § 7 des Betriebsverfassungsgesetzes im Entleihbetrieb fur die dort stattfindenden Betriebsratswahlen wahlberechtigt ist. Der Entleiher hat darauf zu achten, dass der Verleiher seinen Verpflichtungen zur Zahlung der Sozialversicherungen nachkommt. Falls er diesen Zahlungen nicht nachkommt, wird der Entleiher wie ein selbstschuldnerischer Bürge in Anspruch genommen. Aus diesem Grund muss der Entleiher der zuständigen Krankenkasse jedes Personalleasing melden. Der Betriebsrat des Entleihers hat ein Mitspracherecht, wenn Leiharbeitnehmer eingesetzt werden sollen. Kein Vertragsverhältnis besteht zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher. Der Leiharbeitnehmer stellt dem Entleiher seine Arbeitskraft zur Verfügung und der Entleiher erteilt ihm Arbeitsanweisungen. In diesem Dreiecksverhältnis besteht zwischen dem Entleiher und dem Verleiher ein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag. Dieser verpflichtet den Entleiher zur Zahlung der vereinbarten Leihgebühr und den Verleiher dazu, das vereinbarte Personal bereitzustellen. 568 Ende 2002 waren in ganz Deutschland 4.261 Unternehmen überwiegend oder ausschließlich im Bereich der Zeitarbeit aktiv. Entliehen haben diese im Jahresdurchschnitt fast 320.000 Mitarbeiter an andere Unternehmen. 569 Die Randstad Deutschland GmbH & Co. KG, die zur niederländischen Randstad Holding gehört, ist eine der größten Zeitarbeitsfirma weltweit
568
Vgl. Bröckermann, 2007, S. 8 9 - 9 1
569
Vgl. Holtbrügge, 2005, S. 36
238
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
und seit 40 Jahren in Deutschland aktiv. Mit rund 700.000 Mitarbeitern und einem Gesamtumsatz von 17,2 Milliarden Euro (2008) ist Randstad in über 50 Ländern tätig.570 Der große Vorteil am Personalleasing ist, dass Arbeitskräfte kurzfristig beschafft werden können. Diese werden vorzugsweise für Schreibarbeiten im Verwaltungsbereich oder als Facharbeiter, Monteure und technische Fachkräfte im gewerblichen Bereich eingesetzt. Das Personalleasing bietet sich zum Überbrücken von kurzzeitigen Arbeitsspitzen sowie zur Vertretung vom eigenen Personal bei Krankheit, Urlaub etc. an.571 Da beim Personalleasing die Kosten der Personalbeschaffung und die der Einarbeitung entfallen, ist das ein weiterer positiver Aspekt. Ebenso trägt der Entleiher kein Beschäftigungsrisiko. Somit kann er den Leiharbeitnehmer schnell wieder freisetzen, auch ohne Angabe von Gründen. Bei allen Vorteilen des Personalleasings sollten die Nachteile nicht ausgeblendet werden. Aufgrund ihrer nur zeitlich begrenzten Tätigkeit fühlen sich Leiharbeitnehmer oft als „Mitarbeiter zweiter Klasse". Soziale Probleme und ein hoher Zeitaufwand, unternehmungsspezifisches Wissen zu vermitteln, stehen den Vorteilen gegenüber. 572
37
Prozess der Personalauswahl
37.1
Ziel und Gegenstand der Personalauswahl
Ziel der Personalauswahl, als zweite Teilphase bzw. Aufgabe der Personalbeschaffung, 573 ist es, den am besten geeignete/n Bewerber/in aus dem Unternehmen oder von außerhalb des Unternehmens liegenden Arbeitsmarkt zur Besetzung einer Vakanz zu finden. Personal, das erst einmal eingestellt wurde, kann oftmals nur schwer wieder entlassen werden. Daher liegen hohe Einstiegsbarrieren für Bewerber durch eine strenge Selektion im Interesse der Unternehmen. 574 Das Schlagwort „der richtige Mann am richtigen Arbeitsplatz"575 beschreibt den Gegenstandsbereich der Personalauswahl am treffendsten. Um diesen Mitarbeiter zu finden, wurden verschiedene systematische Verfahren im Rahmen der Personalauswahl entwickelt. Zu
570
Randstad, Stand: 01.07.2009
571
Vgl. Jung, 2008, S. 145
572
Vgl. Holtbrügge, 2007, S. 99-100
573
Vgl. Holtbrügge, 2007, S. 103
574
Vgl. Jung, 2008, S. 153
575
Manke, 2008, S. 8
239
37 Prozess der Personalauswahl
diesem Verfahren zählen die eher klassischen Verfahren wie die Analyse von schriftlichen Bewerbungsunterlagen, die Durchführung von Tests und Vorstellungsgesprächen. 576 Bei der Personalauswahl wird dem Betriebsrat laut § 95 Abs. 2 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht zugesprochen. Demzufolge bedürfen die Auswahlrichtlinien, die vom Unternehmen aufgestellt werden, der Zustimmung durch den Betriebsrat. Beschäftigt ein Unternehmen mehr als 1.000 Mitarbeiter, so kann der Betriebsrat aber auch das Aufstellen der Auswahlrichtlinien verlangen. 577
37.2
Auswahlprozess in Form der Personalauswahlkette
Der umfassende Auswahlprozess lässt sich anhand einer Personalauswahlkette darstellen: Die Ermittlung der derzeitigen und angenommenen zukünftigen Anforderungen, die von einer sehr guten bis annehmbarer Erfüllung der Arbeitsaufgaben ausgehen, stellen den Ausgangspunkt dar. Die so festgestellten Anforderungen sollten durch eine entsprechende Qualifikation der infrage kommenden Bewerber bewältigt werden können. Abgesichert wird dieses durch eine Vorauswahl anhand der vorliegenden Bewerbung. Im weiteren Verlauf versucht man, die Qualifikation des Interessenten mittels diverser, teilweise auch parallel verwendeter Verfahren zu ermitteln. Abschließend erfolgt die Gesamtbewertung. 5 7 8 Siehe hierzu Abb. 37.1:
Bewerbelbeurteilung Diskussion und \ Festlegung der An- \ forderungen an die \ Qualifikation > / / / / Zusammenhang zur Personalbeschaffung
Analyse \ Vorstellungs- \ Gesamtbewertung, und B e w e r - \ gespräche, \ Vergleich, tung der \ Testverfahren, \ Auswahl Bevver> Assessment\ h i / Center, / , / biografische / unterlagen / „ , / ° / Fragebogen /
Vorselektion
Abb. 37.1: PersonalausMiahlkettein 576
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 193
577
Vgl. Olfert. 2008, S. 131
^78 Vgl. Berthel/Becker, 2007, S. 2 6 2 - 2 6 4 Ebd., S. 264
Instrumenteneinsatz parallel / sukzessiv
eventuell in verschiedenen Phasen
240
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Im besten Fall erhält man nach dem gesamten Beurteilungsverfahren ein Prüfungsergebnis, aus dem abgeleitet werden kann, in welchen Graden der Bewerber die Arbeitsplatzanforderungen erfüllt. Hierbei ist zu erwähnen, dass ohne genaue Anforderungsprofile der einzelnen Stellen keine zweckgerichtete Überprüfung der Qualifikation möglich ist. Vor diesem Hintergrund gilt es in der Praxis der Personalauswahl, eine Vielzahl von Schwierigkeiten zu überwinden, die sich aus den folgenden Faktoren ergeben: •
Es gibt stets eine Vielzahl von Anforderungskategorien:
1. Kriterium des Könnens: Eignungen (geistige sowie körperliche Fähigkeiten, Wissen, Merkmale der Persönlichkeit wie bspw. Konzentrationsvermögen oder Ausdauer) und Arbeitskenntnisse. 2. Kriterien des Wollens: angestrebte persönliche Ziele im Berufsleben sowie Erwartungshaltungen in Verbindung mit der Arbeit. 580 •
Es existiert eine Mehrzahl von Quellen, die aufzeigen wie notwendig es ist, die Anforderungs-Kategorien zu erfüllen, z.B.:
1. die zukünftige Arbeitsaufgabe des Bewerbers, 2. die zu ihrer Erledigung beitragenden Arbeitsverfahren und Hilfsmittel (z.B. bestimmte EDV-Anlagen) sowie 3. das betriebsinterne (z.B. Vorgesetze, Kollegen) und das betriebsexterne Arbeitsumfeld (z.B. Mitarbeiter von bestimmten Abnehmerfirmen oder Lieferanten) zu den stets der Kontakt zu pflegen ist.581 •
Die vorhandene Ist-Qualifikation der Bewerber wird durch eine Mehrzahl von Verfahren versucht zu ermitteln:
1. 2. 3. 4. 5. 6.
Analyse und Bewertung der Bewerbungsunterlagen, Befragung in Form von Interviews oder Vorstellungsgesprächen, Gutachten, Tests, Beobachtungen, bei internen Stelleninteressenten: z.B. Ergebnisse der Leistungsbeurteilung aus vergangene Zeiten sowie 7. bei externen Stelleninteressenten: z.B. Beobachtungen zum Verhalten, Arbeitsproben. 582 Das Problem liegt darin, dass alle Verfahren der Personalauswahl Ergebnisse zu jeweils mehreren Arten und z. T. auch Kategorien von Anforderungen fuhren. Um eine Entschei-
580
Vgl. ebd., S. 2 6 4
581
Vgl. Berthel/Becker, 2007, S. 2 6 4
582
Vgl. ebd., S. 256
37 Prozess der Personalauswahl
241
dung über die Qualifikation des Bewerbers treffen zu können, ordnet man die Ergebnisse aus der Überprüfung der Qualifikation den Anforderungsarten zu, sodass eine Aussage darüber getroffen werden kann, in welchen Graden sie jeweils erfüllt sind. Das Hauptproblem liegt darin, dass die „Feststellung" über die Qualifikation des Bewerbers, eher eine „Beurteilung" ist. Je besser die Beurteilung eines Bewerbers überprüfbar und interpersonell nachvollziehbar ist, desto mehr nähert sie sich der idealen Vorstellung nach Objektivität an. 583
37.3
Auswahlverfahren bei internen und externen Bewerbungen
Die Personalauswahl interner Bewerber legt ihr Augenmerk neben der Bewerbung vor allem auf bereits vorliegende Daten, beispielsweise aus Personalbeurteilungen und auf die Bewährung ehemaliger bzw. derzeit im Unternehmen besetzter Stellen. Eine umfassende Personalbeurteilung bewertet systematisch die Leistungs- und Persönlichkeitsmerkmale des Mitarbeiters. Diese in der Personalabteilung vorliegenden Daten werden im Rahmen der Personalentwicklung vorgenommen. Vorteilhaft ist hierbei, dass bereits Informationen zum Bewerber vorliegen und somit die Informationsbasis größer ist als bei externen Bewerbern. Bei der Auswahl von externen Bewerbern erfolgt die Auswahl in erste Linie anhand der Analyse der Bewerbungsunterlagen, in welcher Form sie dem Unternehmen auch zugegangen sein mögen. Erst danach kommen weitere Verfahren infrage. Die weiterfuhrenden Instrumente werden in der Praxis alternativ oder in Kombination angewendet. Zu den Verfahren bzw. Instrumente der externen Personalauswahl gehören u.a. die Analyse der Bewerbungsunterlagen, das Vorstellungsgespräch, das Testverfahren (Leistungs-, Intelligenz- sowie Persönlichkeitstests), das graphologische Gutachten. Das Assessment-Center ist eine Zusammenfassung der meisten Verfahren, 584 siehe hierzu Abb. 37.2.
583
Vgl. ebd., S. 2 6 4 - 2 6 5
584
Vgl. Bröckermann, 2007, S. 92
242
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl Instrumente der Personalauswahl '
Analyse und Bewertung der Bewerbungsunterlagen
Vorstellungsgespräch
u o
o o o o
o
Analyse des Bewerbungsschreibens Lebenslaufanalyse Prüfiing der Referenzen grafologische Gutachten Prüfiing des biografischen Fragebogens Analyse von Arbeitsproben
1r o
o
o
Analyse des o Ausdruckverhal- o tens Analyse des o Leistungsverhaltens Analyse des Sozialverhaltens
1r Testverfahren
Assessment-Center
1
ι'
Intelligenztest Leistungs- und Fähigkeitstests
o o o o o
Postkorbübung Gruppendiskussion Rollenspiele Präsentationen
o
o Abb. 37.2: Instrumente der
Personalauswahl685
Sehr viele Unternehmen belassen es zum Teil immer noch bei der Analyse der Bewerbungsunterlagen und den Vorstellungsgesprächen. Assessment-Center werden häufig nur bei der Auswahl von nationalen und internationalen Führungskräften eingesetzt. Zu den am häufigsten genutzten Auswahlverfahren in Deutschland zählen vor allem: • • • • •
die Analyse der Bewerbungsunterlagen (nahezu 100 Prozent), Einstellungsinterviews (Vorstellungsgespräch, ca. 98 Prozent), diverse Tests: IQ-, Verhaltens-, Persönlichkeits-, Leistungstests oder Mischformen, das Assessment-Center (zunehmend), Referenzen und graphologische Gutachten (max. 2 Prozent bis 5 Prozent, sinkend). 586
585
In Anlehnung an: Berthel/Becker, 2007. S. 266
586
Beska-Bewerbungsservice, Stand: 22.07.2009
37 Prozess der Personalauswahl
37.4
243
Ablauf der externen Personalauswahl
Bei der Personalauswahl kommen generell interne sowie externe Bewerber infrage. Obwohl über interne Bewerber mehr Informationen vorhanden sind, durchlaufen sie besonders in größeren Unternehmen, dennoch ähnliche Auswahlverfahren. Im folgenden Schema werden die erforderlichen Schritte und die dazu gehörige Zeitaufwendung eines Auswahlverfahrens wegen der Verfahrensähnlichkeit nur für externe Bewerber dargestellt. Siehe hierzu Abb. 37.3. Durch den notwendigen Schriftverkehr während eines Auswahlverfahrens kann es zu großen Zeitspannen zwischen den einzelnen fortlaufenden Punkten kommen. Die Zeitaufwendung ist abhängig davon, wie viele Kandidaten zu den Vorstellungsterminen gebeten werden. Nehmen bspw. 20 Bewerber teil, sollte man mit einer Zeitaufwendung von etwa drei Tagen rechnen. Wichtig ist, dass der Betriebsrat immer offiziell informiert werden muss, wenn das Unternehmen einen neuen Mitarbeiter einstellen möchte. Laut § 99 Abs. 2, 3 BetrVG kann er innerhalb einer Woche seine Zustimmung zu einer vorgesehenen Einstellung verweigern. 587
587
Vgl. Blank et al., 2009, S. 142
244
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Abb. 37.3: Ablauf der externen Personalaus walif''
588
Blank et al., 2009, S. 142
38 Externe Personalauswahlverfahren und Instrumente
245
38
Externe Personalauswahlverfahren und Instrumente
38.1
Elektronische Bewerberdatenverwaltung Workflow-Management
Die klassischen Bewerbungen in Papierform haben im Unternehmen oft lange Umlaufzeiten. In größeren Unternehmen kann es z. T. Tage bis Wochen dauern, bis der zuständige Mitarbeiter die Bewerbung erhalten hat. Kann über eine Bewerbung in digitaler Form verfugt werden, wird der Zugriff auf diese erleichtert und vor allem beschleunigt. Sobald eine Bewerbung auf dem Server des Unternehmens hinterlegt ist, kann innerhalb von wenigen Sekunden weltweit darauf zugegriffen werden. Eine Frage stellt sich hierbei jedoch: Wie kommt die Bewerbung auf den Server des Unternehmens? Zuerst muss sich das Unternehmen entscheiden, ob es eine Kombination aus elektronischer Verwaltung und Papierform, oder ob das Unternehmen eine reine elektronische Bewerberdatenverwaltung anstrebt. Dabei ist zu beachten, dass sich einige Bewerber (insbesondere die der älteren Generation) in den nächsten Jahren noch auf die traditionelle Art bewerben werden. Beschränkt man sich auf die reine Onlinebewerbung, schließt man einen großen Kreis der Bewerber aus. Akzeptiert man trotzdem die auf den Postweg zugesandten Bewerbungen, müssen die Daten per Hand oder per Scanner fur das System aufgearbeitet werden, um diese elektronisch verwalten zu können. Auf den ersten Blick scheint es leicht zu sein, digitale Daten zu verarbeiten. Doch die vielen verschiedenen Programme und Systeme erschweren häufig den Zugriff auf diese Daten. So können bei der E-Mail-Bewerbung mehrere Probleme auftreten, die aber mit standardisierten Kontaktformularen gelöst werden können. 589 Die Bewerber-Administration über spezielle Software ist weniger mit Problemen behaftet. SAP/HR, Peoplesoft oder BEWERBIS sind hierfür beliebte Programme. Mittels dieser Programme sind Korrespondenzen, Terminverschiebungen, Reisekostenabrechnungen, Vertragsgestaltung und viele andere Tätigkeiten im Workflow möglich. 590 Mittels des Workflow-Managements kann der Recruiter nun die gesichteten Lebensläufe unkommentiert bzw. kommentiert verteilen und weiterleiten. Das Workflow-Management ist somit ein Instrument, das die einzelnen Arbeitsschritte im gesamten Prozess, angefangen bei dem Bewerbungseingang bis zum Arbeitsvertrag, unterstützt. 591
589
Vgl. Brake/Zimmer, 2002, S. 57-58
^90 Vgl. ebd., S. 58 591
Vgl. Beck, 2002, S. 149
246
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
38.2
Onlinebewerbung
Wenn man bedenkt, mit welchem Maße sich das Internet als Beschaffungsweg durchgesetzt hat, ist es nicht verwunderlich, dass sich die Möglichkeit zur Onlinebewerbung immer größerer Beliebtheit (insbesondere bei den Bewerbern) erfreut. Vor dem Hintergrund eines stetig wachsenden Kostendrucks und Wettbewerbs um gut ausgebildete und somit gut qualifizierte Mitarbeiter, sind auch Unternehmen zunehmend bereit, elektronische Bewerbungen zu akzeptieren. Jedoch stoßen sie, je nachdem wie ausfuhrlich sie sind, auf unterschiedliche Resonanz bei den Personalern. Dem ungeachtet wird eine vollständige schriftliche Bewerbungsmappe bei den Personalverantwortlichen immer noch gern gesehen. 592 Besonders bei Stellenangeboten im Internet werden die Bewerber dazu aufgefordert, eine Online- oder Internetbewerbung einzureichen. Um zur Bewerbung zugelassen zu werden, finden die Interessenten manchmal ein Online-Assessment mit internetbasierten Übungen und Testverfahren vor oder man wird auf ein Formular zur Erfassung der Tauglichkeit, also eine Art von Fragebogen verwiesen. Personalverantwortliche oder eine entsprechende Software überprüfen dann die angegebenen Qualifikationen des Bewerbers mit dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle. Kommt es zu keiner Übereinstimmung, wird ein möglicher Kandidat von vornherein erst gar nicht zur Bewerbung zugelassen. 593
38.2.1
Möglichkeiten der Onlinebewerbung
Zunächst ist da die Kurzbewerbung, die dem Unternehmen per E-Mail zugeht. Enthalten sollte diese ein traditionelles Anschreiben sowie eine Kurzvorstellung des Bewerberprofils. 594 Diese Form der Bewerbung stößt auf wenig Akzeptanz seitens der Unternehmung, da zum Teil die Sorgfalt der Unterlagen zu wünschen übrig lässt und wichtige Informationen zum beruflichen und persönlichen Werdegang des Bewerbers fehlen. Ein weiterer Kritikpunkt ist hierbei, dass oft allgemeine Formulierungen verwendet werden und somit die Gefahr besteht, dass der Absender Massenrundschreiben versendet, was wiederum dazu fuhren kann, dass zu ungenaue Bewerbungen in der Flut der Informationen untergehen können. Etwas höher im Kurs stehen E-Mail-Bewerbungen mit Lebenslauf. Somit kann sich das Personal suchende Unternehmen bereits einen ersten Eindruck vom persönlichen und beruflichen Werdegang des Bewerbers machen. Dennoch enthält diese Bewerbungsform nicht alle Unterlagen, die üblicherweise eine schriftliche Bewerbung enthält. 595
592
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 216
593
Vgl. Bröckermann, 2007, S. 94
594
Vgl. Olfert, 2008, S. 129
595
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 216-217
38 Externe Personalauswahlverfahren und Instrumente
247
Bei einer E-Mail-Bewerbung mit Attachement werden die Bewerbungsunterlagen als Dateianhänge (z.B. Textdateien mit dem Lebenslauf oder eingescannte Zeugnisse) verschickt. Kritikpunkte bestehen hier in der Gefahr, Viren zu übertragen sowie beim Öffnen der Anhänge Probleme zu bekommen. Dennoch kommt diese Form der Onlinebewerbung bei den Unternehmen am besten an und hat mittlerweile den gleichen Stellenwert wie eine traditionelle schriftliche Bewerbung. Damit gelten für beide Möglichkeiten die gleichen Bewertungskriterien. 596 Außerdem besteht noch die Möglichkeit der eigenen Website oder Bewerbungshomepage, auf die der Bewerber in einer E-Mail oder in einem schriftlichen Anschreiben verweisen kann. Diese Seite wird von dem Arbeitssuchenden selbst eingerichtet und dient der Präsentation der eigenen Person. In den meisten Fällen ist diese jedoch nicht stellenspezifisch gestal-
38.2.2
Mängel von Onlinebewerbungen
Es werden bestimmte Nachteile in Verbindung mit Onlinebewerbungen genannt: • • • •
Durch Probleme technischer Natur können Attachements zu einer Bewerbung per E-Mail nicht geöffnet werden oder es verbergen sich dahinter Viren. Vielfach enthalten Onlinebewerbungen unzureichende Informationen über den Bewerber und scheiden recht schnell aus dem Bewerbungsprozess aus. Onlinebewerbungen und ausgeschriebene Stelle passen nicht zusammen. Die Schnelligkeit des Internets verleitet die Bewerber dazu, die Sorgfaltigkeit, mit der eine schriftliche Bewerbung erstellt wird, zu vernachlässigen. 598
Aufgrund der angeführten Probleme entwickeln und verwenden viele Unternehmen sogenannte Online-Bewerbungsbögen. Solche strukturierten und standardisierten Formulare werden bei den Internet-Jobbörsen oder auf der Homepage des Unternehmens in Form von Links positioniert, um alle wichtigen Informationen vom Bewerber, die fur eine Bewerbung erforderlich sind, zu erhalten. Damit kann eine Gleichbehandlung jedes Bewerbers, der sich schriftlich beworben hat, sichergestellt und eine gleiche Bewertung vorgenommen werden. 599 Ein weiterer Vorteil ist, dass die so getätigten Aussagen 100 Prozent systemkompatibel sind. Doch leider geht die Aussagekraft der Bewerbungen bzw. die Individualität der Bewerber dadurch verloren. 600
596
Vgl. O l f e n , 2008, S. 130 und Bröckermann/Pepels, 2002, S. 217
597
Vgl. B r ö c k e r m a n n , 2007. S. 9 4 - 9 5
598
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 217
599
Vgl. Schmeisser, 2006, S. 4 9
600
Vgl. Brake/Zimmer, 2002, S. 58
248
38.3
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Telefoninterview
Das Telefoninterview wird als modernes und persönliches Verfahren der Personalauswahl gehandelt. Es wird i.d.R. im Vorfeld eines möglichen Vorstellungsgespräches oder anderer Instrumente der Personalauswahl zur Sprachenüberprüfung eingesetzt. Ziel des Telefoninterviews ist es, unter den potentiellen Kandidaten aus Gründen der Effizienz nochmals eine Auswahl zu treffen und ggf. weitere Informationen zu erhalten. 601 Der Gesprächsinhalt ähnelt dem des Vorstellungsgespräches, doch fallen derartige Telefonate meist kürzer aus. 602 Stimmen die Vorstellungen von Unternehmen und Bewerber nicht überein und ist eine realistische Lösung nicht zu erwarten, kann der Bewerbungsprozess an dieser Stelle abgebrochen werden. Das hat den Vorteil, dass auf anschließende kosten- und zeitintensive Auswahlverfahren verzichtet werden kann. 603 Gezielte Fragen des Interviewers und seine Fähigkeit, ein professionelles Telefoninterview zu fuhren, ist entscheidend für den Erfolg eines derartigen Telefonats. Es wäre fatal, einen leistungsfähigen Bewerber aufgrund eines schlecht organisierten Telefongespräches auszuschließen. Um die Qualität eines Telefoninterviews sicherzustellen, ist ein Telefontraining des beauftragten Interviewers ein Muss. 604
38.4
Digitales Interview
Nach der Analyse der Bewerbungsunterlagen und Selektion der infrage kommenden Bewerber erfolgt i.d.R. das Vorstellungsgespräch. Dieser Schritt kann bereits heute digital unterstützt werden, jedoch sind der Verbreitungsgrad und die Akzeptanz dazu ausbaufähig. Um ein digitales Interview durchführen zu können, müssen bei den Recruitern und bei den Bewerbern bestimmte technische Voraussetzungen, sprich eine Web-Cam, PCAusstattungen und leistungsfähige Übertragungsleistungen, vorhanden sein. Ebenso müssen beide Seiten die Meinung vertreten, dass das ausgewählte Medium ein probates Instrument darstellt. Der Recruiter muss uneingeschränkt davon überzeugt sein, bei vollständigem Verzicht auf einen persönlichen Kontakt, mit dieser Art der Mediennutzung eine Einstellungsentscheidung treffen zu können. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage, inwieweit die Dinge mittels eines digitalen Interviews evaluiert werden können, die bei einem persönlichen Gespräch „unter vier Augen" von großer Bedeutung sind.
601
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 253
602
Vgl. Bröckermann, 2007, S. 119
603
Vgl. Schmeisser, 2006, S. 52
604
Vgl. Bröckermann/Pepels, 2002, S. 253
Quellenverzeichnis
249
Das digitale Interview reduziert sicherlich die anfallenden Reisekosten für ein persönliches Vorstellungsgespräch, dennoch bleibt die Zweckmäßigkeit der Verwendung dieses Instrumentes jedoch zunächst weiterhin fragwürdig. Digitale Interviews einzusetzen, ist heute bereits dort vorstellbar, wo Gespräche als Vorauswahl zur Ergänzung der Bewerbungsunterlagen dienen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, das digitale Interviews eher den Status eines Telefoninterviews besitzen und nicht den des Auswahl- und Vorstellungsgespräches. 605
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605
Vgl. Beck, 2002, S. 151
250
IX Internationale externe Personalsuche und Personalauswahl
Brake, J. / Zimmer, D.: Praxis der Personalauswahl: So wählen Sie den idealen Bewerber aus. Würzburg: Lexika 2002. Brenner, D.: Neue Mitarbeiter - suchen, auswählen, einstellen. München; Unterschleißheim: Luchterhand 2003. Bröckermann, R.: Auswertung und Erkenntnisse, in: Bröckermann, R. / Pepels, W. (Hrsg.): Handbuch Recruitment: die neuen Wege moderner Personalakquisition; Planung, Beschaffungswege, Auswahlverfahren; Beiträge aus Forschung und Praxis. 1. Auflage, Berlin: Cornelsen 2002. Bröckermann, R.: Personalwirtschaft Lehr- und Übungsbuch für Human Ressource Management. 4. Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel 2007. Bröckermann, R. / Pepels, W. (Hrsg.): Handbuch Recruitment: die neuen Wege moderner Personalakquisition ; Planung, Beschaffungswege, Auswahlverfahren; Beiträge aus Forschung und Praxis. 1. Auflage, Berlin: Cornelsen 2002. Deters, U.: Externe Personalbeschaffungswege: Klassisches Posting - Forschungsbericht, in: Bröckermann, R. / Pepels, W. (Hrsg.): Handbuch Recruitment: die neuen Wege moderner Personalakquisition; Planung, Beschaffungswege, Auswahlverfahren; Beiträge aus Forschung und Praxis. 1. Auflage, Berlin: Cornelsen 2002. Dix, M. / Witrahm, Α.: Das Internet als Instrument des Personalrecruiting. in: Clermont, Α. / Schmeisser, W. / Krimphove, D. (Hrsg.): Strategisches Personalmanagement in Globalen Unternehmen. München: Vahlen 2001. Domsch, Μ. E. / Ladwig, D. H.: Handbuch Mitarbeiterbefragung. 2. Auflage, Berlin; Heidelberg: Springer 2006. Egle, F. / Bens, W.: Talentmarketing: Strategien für Job-search und Selbstvermarktung und Fallmanagement. Wiesbaden: Gabler, 2. Auflage 2004. Eisele, D. / Hörender, U.: Auf der Suche nach den High Potentials, in: Personalwirtschaft, 12, 1999, S. 27-34. Fiedler, R.: Organisation kompakt. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2007. Hardenacke, H.: Personalauswahl: Unpersönliche Auswahlverfahren - Forschungsbericht, in: Bröckermann, R. / Pepels, W. (Hrsg.): Handbuch Recruitment: die neuen Wege moderner Personalakquisition; Planung, Beschaffungswege, Auswahlverfahren; Beiträge aus Forschung und Praxis. 1. Auflage, Berlin: Cornelsen 2002. Hartmann, G.: Personalbedarfsanalyse - Forschungsbericht, in: Bröckermann, R. / Pepels, W. (Hrsg.): Handbuch Recruitment: die neuen Wege moderner Personalakquisition; Planung, Beschaffungswege, Auswahlverfahren; Beiträge aus Forschung und Praxis. 1. Auflage, Berlin: Cornelsen 2002. Hentze, J. / Kammel, Α.: Personalwirtschaftslehre. 1. Auflage, Bern; Stuttgart; Wien: Haupt 2001. Hesse, J. / Schräder, H. C.: Das neue Test-Trainings-Programm. Einstellungs- und Eignungstests erfolgreich bestehen: Die wichtigsten Testaufgaben - und wie man sie löst. Frankfurt am Main: Eichborn 1991. Hesse, J. / Schräder, H. C.: Assessment Center. Das härteste Personalauswahl verfahren. Frankfurt am Main: Eichborn 1994. Hesse, J. / Schräder, H. C.: Assessment Center für Hochschulabsolventen, Bewältigungsstrategien für das härteste Personalausleseverfahren. Frankfurt am Main: Eichborn 1998.
Quellenverzeichnis
251
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X
Unternehmenskultur und Länderkultur
Der Begriff Unternehmenskultur umfasst kulturelle Werte in Form von unternehmensspezifischen grundlegenden Überzeugungen, Vorstellungs- und Orientierungsmustern, die das Verhalten und die Beziehungen von Unternehmensmitgliedern prägt. In der Literatur wird die Unternehmenskultur auch als Organisationskultur bezeichnet. Im Zuge des steigenden Wettbewerbsdrucks und des Globalisierungsprozesses gewinnt die Auseinandersetzung mit Unternehmenskultur an Bedeutung. Zum einen kann die Unternehmenskultur als entscheidender Wettbewerbsvorteil auf nationalen und internationalen Märkten dienen, indem sich Unternehmen von der Konkurrenz abheben und ein eigenes Image pflegen kann. Eine stark ausgeprägte Unternehmenskultur kann hierbei Arbeitsstrukturen verbessern, Mitarbeiter motivieren sowie zum effektiven Arbeiten innerhalb ihrer Organisation beitragen, und letztendlich trägt sie positiv zur Förderung des Unternehmenswachstums und zum Erfolg bei. Zum anderen muss ein international agierendes Unternehmen, welches ein Tochterunternehmen im Ausland hat bzw. ein Jointventure mit einem multinationalen Unternehmen eingeht, sich automatisch mit seiner Unternehmenskultur beschäftigen. Die Bildung internationaler Joint Ventures nahm im Zuge wachsender Globalisierung ständig zu und stellt heute Unternehmen vor große Herausforderungen, da ein „gemeinsamer organisationskultureller Rahmen" gefunden werden muss. 606 Dabei steht das Unternehmen vor der Entscheidung, eine weltweite Standardisierung mit einem einheitlichen Unternehmensauftritt nach außen oder einer lokalen Differenzierung zu verfolgen. 607 Die Unternehmenskultur soll „Bedingungen fur die bestmöglichen Voraussetzungen zur Überlebensfähigkeit des Systems Unternehmen" 608 bzw. zum Bestehen - als wettbewerbsfähige Größe - auf nationalen und internationalen Märkten schaffen. Unter der Unternehmenskultur verstehen Jones und Bouncken das „System von gemeinsamen Werten und Normen, die Beziehungen der Organisationsmitglieder untereinander, sowie die Interaktionen mit Externen". 609 Die Unternehmenskultur soll den Organisationsmitglie-
606
S a c k m a n n , 2002, S. XIII
607
Vgl. Welge/Holtbrügge, 2003, S. 190
608
S a c k m a n n , 2002, S. XIII
609
J o n e s / B o u n c k e n , 2008, S. 4 0 8
X Unternehmenskultur und Länderkultur
256
dem bzw. Mitarbeitern ein gemeinsames Verständnis davon geben, wie sie auf bestimmte Situationen reagieren sollten. Dabei verkörpern z.B. Normen, Standards, Arbeitsanweisungen und Rituale die vom Unternehmen gemeinsam getragenen Grundüberzeugungen, Werte und Einstellungen. Die Unternehmenskultur spiegelt die Wertvorstellungen des Managements wider sowie den Umgang untereinander und mit Mitarbeitern und Externen. Ziel der Unternehmenskultur ist es, Unternehmensziele, Mitarbeiterzufriedenheit und Kundenorientierung in Einklang zu bringen, um einen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinen Konkurrenten zu erlangen und die Unternehmenseffektivität zu erhöhen. 610 In bestimmten Situationen ist das Unternehmen angehalten, sich mit der bestehenden Kultur auseinanderzusetzen, sie zu analysieren und ggf. zu ändern, anzupassen oder Akzente zu setzen. Gründe hierfür liegen in der externen Sphäre, dem Unternehmensumfeld und der internen Sphäre, d.h. im Unternehmen selbst. 6 " Nachfolgend werden einige Situationen geschildert.
39
Faktoren im Unternehmensumfeld
39.1
Ökonomische Faktoren
1. Zunehmende Internationalisierung/Globalisierung: Durch das Erschließen neuer Märkte im Ausland steigt der internationale Wettbewerbsdruck in einigen Branchen. Das Unternehmen ist angehalten, eine stark ausgeprägte Unternehmenskultur als Wettbewerbsvorteil zu schaffen, die schwer zu kopieren ist. 2. Strategische Allianzen/Zusammenschlüsse: Diese sind in der globalen Präsenz (Ausbreiten des Images), Ergänzung der eigenen Produktpalette (Schaffen neuer Marktsegmente) und dem Schaffen einer wettbewerbsfähigen Größe (höherer Marktanteil) begründet und dienen der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit. Es muss eine gemeinsame Kultur geschaffen werden. 3. Technologische Entwicklungen: Neue Technologien wie der Internetzugang erfordern neue Vertriebskanäle. Dabei sollte das Unternehmen seine Kultur auf die neuen Entwicklungen abstimmen.
610
bpb, Stand: 13.06.2009, 16:15 Uhr
611
Vgl. Sackmann, 2002, S. 1 Iff.
40 Unternehmensinterne Faktoren
39.2
257
Soziokulturelle Faktoren
1. Soziokulturelle Werte: Man unterscheidet hier in Wertevorstellungen der Kunden und der Mitarbeiter. Die Wertevorstellungen der Kunden beeinflussen ihre Bedürfnisse, Wünsche und ihr Interesse an bestimmten Produkten. Dahingegen beeinflussen die Wertevorstellungen der potenziellen Mitarbeiter die Erwartungen an die Unternehmenskultur und somit die Wahl des zukünftigen Arbeitgebers. Durch diese Wertevielfalt mit hoher Erwartungshaltung sollte das Unternehmen eine Kultur schaffen, die das Interesse bei Kunden und potenziellen Mitarbeitern weckt. 2. Demographische Entwicklungen: Die sinkende Geburtenrate bedingt eine niedrige Verfügbarkeit/Anzahl gut qualifizierter Mitarbeiter, insbesondere im IT- und Ingenieurbereich. Unternehmen konkurrieren um diese potenziellen Mitarbeiter und sollten versuchen, durch die Unternehmenskultur auf sich aufmerksam zu machen und die Personen mit hohem Know-how für sich zu gewinnen.
40
Unternehmensinterne Faktoren
1. Starkes Firmenwachstum: Bei einem starken Unternehmenswachstum sollte die bisherige Unternehmenskultur und das interne Unternehmensumfeld erhalten bleiben und an neue Mitarbeiter kommuniziert werden. Typische Wachstumsbranchen sind derzeit die IT- und Kommunikationsbereiche. 2. Stagnation: Eine Stagnation bedingt ein Ändern der Unternehmensstrategien und -taktiken sowie der Unternehmenskultur. 3. Produktivitätsprobleme: Diese sind meist ein Zeichen von internen Reibungsverlusten. Auch hier sollte über eine Änderung der Unternehmenskultur nachgedacht werden. 4. Führungskräfte-Wechsel: Ein Wechsel an der Unternehmensspitze kann entweder ein Fortfuhren nach bestehenden Strategien, Zielen und der Unternehmenskultur, eine Neuorientierung oder eine Neuakzentuierung zur Folge haben.
41
Kulturelle Werte
Die Unternehmenskultur besteht aus vielen verschiedenen kulturellen Werten, die Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiter haben, z.B. wie sie die Umwelt wahrnehmen, wie sie Informationen aufnehmen und verarbeiten, wie sie auf bestimmte Situationen reagieren und sich verhalten. Unter kulturellen Werten versteht man generelle Kriterien, Standards, Grundsätze oder Richtlinien, die den Mitarbeitern verdeutlichen, welches Verhalten in welchen Situationen wünschenswert ist. Diese Werte sind meist unformalisiert und nicht niedergeschrieben. Zum Verstehen und Verinnerlichen der Unternehmenskultur durch Mitarbeiter
258
X Unternehmenskultur und Länderkultur
und Externe wie Kunden, Lieferanten und der Gesellschaft dienen spezielle Normen, Regeln und standardisierte Arbeitsanweisungen.
41.1
Arten kultureller Werte
Es gibt zwei Arten von kulturellen Werten: die ergebnisorientierten Zielwerte und die instrumentellen Werte (siehe Abb. 41.1). ^atsniphmcnskuüm;
.Weg zum Ziel' Kreativität Mut Autrichtigkeit hart arbeiten
ergebnisorientierte Zielweite (Leitkultur) • Innovativität Rentabilität Moral Qualität
Abb. 41.1: Unternehmenskultur
Nach Jones und Bouncken sind ergebnisorientierte Zielwerte die angestrebten Ziele und Ergebnisse eines Unternehmens bzw. einer Organisation. 612 Es wird auch von der Leitkultur eines Unternehmens gesprochen. Diese ist Unternehmens- und branchenabhängig und spiegelt sich z.B. in Form von Wirtschaftlichkeit, Verlässlichkeit, Verantwortung für Handeln, Innovativität und Moral wider. Die instrumentellen Werte geben die gewünschten Verhaltensweisen zum Erreichen der ergebnis-orientierten Zielwerte wieder. Hierzu zählen u.a. Respekt vor Autoritätspersonen, Risikobereitschaft, Aufrichtigkeit und Kreativität. Zur Verdeutlichung: Ein Unternehmen kann innovative Produkte auf dem Markt anbieten, wenn die Mitarbeiter in der Entwicklungsabteilung kreative Ideen haben, und ein gewisses Risiko eingehen, denn das Unternehmen erfahrt erst später - über Absatz und Gewinn - , ob das Produkt wirklich gut bei dem Kunden angekommen ist und es für ihn einen Nutzen hatte.
612
Vgl. Jones/Bouncken, 2008, S. 409
41 Kulturelle Werte
41.2
259
Funktionen von kulturellen Werten
Kulturelle Werte haben diverse Aufgaben. Sie dienen als „wichtiger Vermittler für die beidseitige Anpassung von Menschen in Organisationen". 6 1 3 Teilen Mitarbeiter in Organisationen die kulturellen Werte, dann wird eine gemeinsame Basis geschaffen, um Spannungen innerhalb der Organisation abzubauen, Differenzen zu überwinden, den Zusammenhalt zu stärken und ein harmonisches Betriebsklima zu schaffen. Zudem kann es durch teambezogenes Arbeiten innerhalb der Organisation zur höheren Identifikation der Mitarbeiter mit der Organisation und dessen Zielen kommen und sich positiv auf dessen Motivation und Leistung auswirken. Für Außenstehende erscheint das Organisationsteam, als zusammengehörende Einheit stimmig und innerhalb der Organisation steigt das individuelle Selbstwertgefuhl der Team-Mitarbeiter. Als informelle Ordnung erleichtern kulturelle Werte darüber hinaus das Arbeiten innerhalb der Organisationsstruktur. Die Unternehmenskultur zeigt die gewünschten Verhaltensweisen der Mitarbeiter auf (in Form von Regeln, Anordnungen, Anweisungen) und welchen kulturellen Werten diese folgen sollen - sie dient damit als VerhaltensLeitfaden. Zudem sind die kulturellen Werte als Orientierungshilfe bei Mehrdeutigkeiten und Unsicherheiten innerhalb und außerhalb der Organisation hilfreich. Wenn ein Mitarbeiter in einer bestimmten Situation unsicher ist, ob eine Entscheidung falsch oder richtig oder welche Handlung im Interesse des Unternehmens wünschenswert ist, so stützt er sich bei der Entscheidungsfindung auf die kulturellen Werte des Unternehmens.
41.3
Internationaler Aspekt
In den letzten Jahren nehmen die globalen Verflechtungen immer mehr zu und stellen international agierende Unternehmen vor große Herausforderungen, da unterschiedliche Länder und Kulturen aufeinandertreffen und in Einklang gebracht werden müssen. So nehmen die Werte und Normen in verschiedenen Ländern, sogenannte Nationalkulturen, Einfluss auf die Organisationskultur. Kommt es zwischen zwei oder mehreren Unternehmen zu einem Zusammenschluss in Form eines Joint Ventures, besteht die Aufgabe darin, eine länderübergreifende, gemeinsame Unternehmenskultur, die die individuellen Werte und Normen jedes Unternehmens berücksichtigt, zu schaffen. Jedoch müssen die Unternehmen auch Kompromisse eingehen. Die Schwierigkeit sei an folgendem Beispiel verdeutlicht: Fusionieren ein mexikanisches und ein US-amerikanisches Unternehmen, kann man völlig kontroverse Arbeitsweisen und -verhalten feststellen. Für mexikanische Unternehmen sind ein gemäßigtes Arbeitstempo mit langen Mittagspausen im Kreise der Familie und langsame Entscheidungsfindungen im kleinen Team von Topmanagern charakteristisch. Unternehmensbeziehungen werden erst nach einiger Zeit aufgebaut, da mehrere persönliche Kontakte zum Schaffen einer Vertrauensbasis nötig sind. Dahingegen ist in den USA ein schnelles Arbeiten mit
613
Jones/Bouncken, 2008, S. 416
260
X Unternehmenskultur und Länderkultur
kurzen bzw. keinen Pausen vorherrschend und Entscheidungen werden schnell von Führungskräften unterer Ebenen getroffen (dezentral). 614 Aufgrund der gegensätzlichen Arbeitsweisen kann ein Übernahme-Länder-Kulturexperte behilflich sein, um ein Scheitern der Nationalkulturen zu vermeiden. Auch die Entsendung von Führungs- und Fachkräften ins Ausland, z.B. in eine Tochtergesellschaft, ist heutzutage ein zentrales Thema von Unternehmen. Der Mitarbeiter sollte vor der Entsendung im Rahmen von Weiterbildungen, Länderstudien oder Länder-Vorträgen die Werte, Normen, Sitten und Umgangsformen der Auslandsgesellschaft kennenlernen, um auf bestimmte Situationen vor Ort angemessen und gezielt reagieren zu können, und um ein Scheitern der Nationalkulturen zu vermeiden.
42
Kulturvermittlung
Dieses Kapitel stellt dar, wie die Unternehmenskultur an Mitarbeiter und Stakeholdergruppen (Lieferanten, Kunden, Gesellschaft) kommuniziert wird. Dies erfolgt u.a. in Form von Sozialisationstaktiken, Geschichten, Ritualen und der Unternehmenssprache. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Formen der Kulturvermittlung kurz beschrieben.
42.1
Kultarvermittlung durch Sozialisation
Zum Kennenlernen, Vermitteln und Verinnerlichen bestehender Unternehmenswerte, Normen, Regeln und Rollenerwartungen an neue Beschäftigte bedarf es der Sozialisation. Die Sozialisation als Steuerungsinstrument von Personen umfasst die „kognitive, affektive und verhaltensbezogene Assimilation der Mitarbeiter durch wiederholte bewusste und unbewusste psychische Beeinflussung". 615 Unbewusst kann ein Mitarbeiter beeinflusst werden, wenn er Verhaltensweisen der länger zugehörigen Mitarbeiter beobachtet, analysiert und daraus fur sich ein situationsgerechtes, angemessenes Verhalten ableitet. Eine bewusste Beeinflussung der Mitarbeiter kann durch gezielten Einsatz von Sozialisationstaktiken erfolgen, auf die im Folgenden näher eingegangen wird.
614
Vgl. Jones/Bouncken, 2008, S. 412
615
Welge, 2003, S. 169
42 Kulturvermittlung
261
Zur Verdeutlichung von Sozialisation gibt es in der Literatur diverse Modellansätze. Hier wird auf das Sozialisationsmodelle von Van Maanen und Schein eingegangen. Dieses Modell gibt den Ablauf von Sozialisation wieder und zeigt auf, durch welche Maßnahmen eine Organisation neue Mitarbeiter beeinflussen kann, gewünschte Werte zu verinnerlichen und nach diesen zu agieren. Die Beeinflussung des Verhaltens neuer Mitarbeiter bzw. die Rollenorientierung erfolgt dabei durch Sozialisationstaktiken, einem Instrument der gelenkten Sozialisation. Van Maanen und Schein unterscheiden in zwölf Sozialisationstaktiken, wobei sich jeweils zwei gegenüber stehen und zu einer kontroversen Rollenorientierung führen. 6 1 6 Die in der Abb. 42.1 genannten Taktiken auf der linken Seite fuhren zu einer institutionalisierten Rollenorientierung der neuen Mitarbeiter, d.h., die Mitarbeiter sind angehalten, Normen und Regeln hinzuzunehmen, sich anzupassen und zu gehorchen. Sie sollen sich an bestehenden Mitarbeiter orientieren und genauso - wie gewünscht - reagieren. „Ein Nachteil ist jedoch die damit verbundene Gefahr der mentalen Vereinheitlichung der Mitarbeiter, durch die deren Sensibilität für maßgebliche Veränderungen der Umweltbedingungen sinkt." 617 Es wird deutlich, dass bei dieser Rollenorientierung kein Platz für individuelle Reaktionen und kreative Lösungsvorschläge bleibt. Unternehmen laufen Gefahr, den Eintritt in neue Märkte durch fehlende Innovationen und Mangel an Kundenorientierung zu verpassen. Daher ist es nicht empfehlenswert, diesen Stil in kreativen, innovativen Branchen anzuwenden. Jedoch sind diese Taktiken vorteilhaft, um Fehlentscheidungen vorzubeugen, Koordinationen zu erleichtern, schnellere Entscheidungen zu finden und den Kontrollaufwand zu reduzieren. Praxisrelevant ist die institutionalisierte Rollenorientierung u.a. beim Militär und in der Finanzbranche, wo Werte wie Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit an erster Stelle stehen. Die Gefahr der institutionalisierten Rollenorientierung besteht in der Manipulation der Mitarbeiter durch Führungskräfte. Führungskräfte nutzen evtl. die Verhaltensweisen - Anpassung, Gehorsam, Unterordnung - aus und handeln gesetzeswidrig.
616
Vgl. Jones/Bouncken, 2008, S. 421
617
Welge, 2003, S. 169
262
X Unternehmenskultur und Länderkultur koDëviiv
individuell Unternehmens-typisch er
Vermittlung Lemerfahrungen —» standardisierte Reaktion auf bestimmte Situationen
Lem er fahrungen a n d einzigartig —» individuelle Reaktion durch neue Mitarb eiter
fea meli
infoimeli
Kennenlemen neuer Aufgaben isoliert von bestehenden Mitarbeitern ( ζ . Β externen Trainings)
Kennen lernen neuer Aufgaben im Organisationsteam als dazugehöriges Teammitglied ZttfJüüg
seqnmtiell
Aufgabenabfolge und Reihenfolge für Funktionen an Bedürfhisse des neuen Mitarbeiter orientiert (individuell)
neuer Mitarbeiter erhält Überblick über Aufgabenabfolge und Funktionen
fix
variabel
neuer Mitarbeiter kennt Zeitplan für Aufgäben
Lerntraimng/Aufgaben an individuellen Bedürfhissen ausgenchtet
sse'i«ll bestehender Mitarbeiter á s Mentor und Berater des neuen Mitarbeiters nennend kein sozialer RiickhátfUnterstützung von bestehenden Mitarbeitern (Ignorierung, Spott)
di sj unkt neuer Mitarbeiter analyáert eigenes Verhalten selbstständig ohne Vorgaben von Personen
integrierend sozialer Rückhalt vom bestehenden Team; sozialer Rückhalt
Abb. 42.1: Sozialisationstaktiken nach Van Maanen und Schein618
Dahingegen fuhren Taktiken der rechten Seite (s. o.) zur individualisierten Rollenorientierung. Hierbei werden individuelle und kreative Arbeitsweisen der Mitarbeiter angestrebt und gefördert. Die Mitarbeiter können im Rahmen eines Handlungsspielraums mit wechselnden Normen und Werten experimentieren und innovative Problemlösungen entwickeln. Diese Rollenorientierung ist für kreative, innovative Branchen wie die IT- oder Autobranche typisch.
42.2
Kulturvermittlung durch Geschichten, Rituale, Unternehmenssprache
Mit zunehmendem Alter und Wachstum der Unternehmen bilden sich Geschichten, Rituale und Zeremonien heraus 619 und prägen das Unternehmensbild. Diese Kommunikationsmittel verdichten Unternehmensnetzwerke. Diese werden nachfolgend kurz erläutert. Geschichten, teils wahr, teils erfunden, können Verhaltensweisen oder Methoden von Personen - die in der Geschichte auftreten - zeigen, die die Mitarbeiter schätzen oder verachten und haben somit einen Einfluss auf das Verhalten der Mitarbeiter. 620 Die Geschichten von
618
Vgl. Jones/Bouncken, 2008, S. 421
6,9
Vgl. Sackmann, 2002, S. 57
620
Vgl. Jones/Bouncken, 2008, S. 427
42 Kulturvermittlung
263
Unternehmen sind zwar sehr unterschiedlich, haben aber immer einen „wahren" Kern und eine Moral. Rituale dagegen sind wiederkehrende feierlich-festliche Handlungen an einem bestimmten Ort zu einer festgelegten Zeit. Diese dienen sowohl zur Vermittlung und Verstärkung unternehmensspezifischer Werte und Normen und zur Verstärkung der zwischenmenschlichen Bindungen. Durch die Kommunikation der Mitarbeiter kann sich das Betriebsklima verbessern und zur höheren Mitarbeitermotivation und Mitarbeiterzufriedenheit beitragen. Letztendlich wirken sich motivierte und zufriedene Mitarbeiter auch positiv auf den Unternehmenserfolg aus, da diese leistungsbereiter sind und sich meist stärker mit den Unternehmenszielen identifizieren. In der Praxis kommen drei verschiedene Arten von Ritualen zum Einsatz: Übergangsrituale, Integrationsrituale und Erweiterungs-/Verbesserungsrituale. Übergangsrituale sind zeitlich vom Eintritt über die Beförderung bis zum Austritt der Mitarbeiter begrenzt und umfassen z.B. besondere Stellenbezeichnungen (z.B. modischer Titel) sowie Ehrenplaketten für die effektivsten oder kreativsten Mitarbeiter des Jahres. Eine Stärkung der Bindung zwischen Mitarbeitern erfolgt durch Integrationsrituale in Form von Weihnachtsfeiern, Betriebsfesten, Betriebsausflügen, Halloween-/Grillpartys, regelmäßigem Essengehen oder traditionellen wöchentlichen Sitzungen. Bei den Erweiterungs-/Verbesserungsritualen werden bestimmte Mitarbeiter durch Auszeichnungsveranstaltungen, Zeitungsveröffentlichungen und Mitarbeiterbeforderungen für ihre Arbeitsleistung/-einsatz gelobt, die Arbeit wird anerkannt und motiviert dazu, weiterhin engagiert zu arbeiten. Die Unternehmenskultur spiegelt sich zudem in der Unternehmenssprache in Form von unternehmenstypischen Abkürzungen und Floskeln wider. Hinter dem Begriff verbirgt sich eine einheitliche Sprache im Unternehmen bzw. einer Organisation, dessen Bedeutung von allen Organisationsmitgliedern verstanden wird. Die Literatur verwendet synonym den Begriff Unternehmensjargon. „Die Kenntnis der spezifischen Sprachlichkeit innerhalb einer Branche, einer Firma und einer bestimmten Abteilung ist für die tägliche Arbeit, für die Kommunikation mit Kollegen, Mitarbeitern und dem Chef, d.h. für das tägliche „Überleben" in einer Firma von zentraler Bedeutung" 621 , denn die einheitliche Unternehmenssprache als Kommunikationsbasis erleichtert die Aufgabenkoordination, vermeidet Kommunikationsprobleme bzw. baut Kommunikationsbarrieren ab und stärkt das Identifikationsgefühl der Mitarbeiter innerhalb des Unternehmens. Beispiele für branchenübergreifende Unternehmenssprache sind: •
„Der Bär ist heute gefallen" bedeutet, dass Kurseinbrüche an der Börse zu verzeichnen sind. 622
621
Sackmann, 2002, S. 28
622
Vgl. ebd., S. 29
264 •
X Unternehmenskultur und Länderkultur „Auf die Baustelle fahren" bedeutet im Bereich der Unternehmensberatung, dass die Berater vor Ort beim Kunden arbeiten. 623
42.3
Kulturvermittlung durch sonstige Kommunikationsmittel
Neben den eben genannten Mitteln zum Kommunizieren der Unternehmenskultur gibt es noch diverse andere, wie z.B. Unternehmenssymbole, Unternehmenskleidung, Marke der Firmenwagen, Handbücher. Unternehmenssymbole sind bestimmte Kennzeichen eines Unternehmens, welche bewusst vom Unternehmen eingesetzt werden, um einen Wiedererkennungswert zu schaffen und Verwechslungen mit anderen Unternehmen auszuschließen, ein geschlossenes Auftreten nach außen zu schaffen und ein gutes Image nach außen zu projizieren. Beispiele sind eine gute Unternehmenslage (Blick auf Stadt), das Design des Gebäudes oder die Lage des Büros in einer bestimmten symbolischen Etage. Auch eine einheitliche Unternehmenskleidung oder eine bestimmte Marke des Firmenwagens (z.B. Mercedes für Prestige wegen gehobenem Segment) vermitteln Außenstehenden die Unternehmenswerte. Zudem können sich neue Mitarbeiter in Unternehmens-Handbüchern über Dienstanweisungen, Regeln oder typische Verhaltensweisen informieren und die Unternehmenskultur kennenlernen.
43
Entstehung der Unternehmenskultur
Nachdem der Begriff Unternehmenskultur und die Kommunikationsmittel erläutert wurden, wird nun die Entstehung der Unternehmenskultur erklärt. Diese bildet sich aus vier Faktoren: den Charaktereigenschaften der Mitarbeiter, der Ethik innerhalb der Organisation bzw. des Unternehmens, den Verfügungsrechten der Mitarbeiter und der Organisationsstruktur. Die folgenden Abschnitte gehen kurz auf die Einflussfaktoren ein.
623
Vgl. Jones/Bouncken, 2008, S. 425
43 Entstehung der Unternehmenskultur
43.1
265
Charaktereigenschaften der Mitarbeiter
Der größte Einflussfaktor auf die Unternehmenskultur sind die Menschen, die das Unternehmen ausmachen. 624 Zum einen bedingen unterschiedliche Moralvorstellungen der Menschen die Unternehmenskultur, aber auch deren Interesse. Dabei wählt der potenzielle Mitarbeiter ein zu seinen Wertvorstellungen passendes Unternehmen aus. Zum anderen suchen auch Unternehmen bewusst nach passenden Mitarbeitern, die sich mit den Unternehmenszielen identifizieren und effektives Arbeiten sicherstellen. Den größten Einfluss auf die Unternehmenskultur haben die Unternehmensgründer, denn ihre Wertvorstellungen und Überzeugungen spiegeln sich in der Unternehmenskultur wider und legen die Basis für gewünschtes Mitarbeiterverhalten.
43.2
Ethik innerhalb der Organisation
Auch die Ethik von einzelnen Persönlichkeiten in Unternehmen, von beruflichen Gruppen und von der Gesellschaft prägt die Unternehmenskultur stark. Der Begriff Unternehmensethik umfasst die moralischen Werte, Überzeugungen und Regeln, die für einen angemessenen Umgang der Mitarbeiter untereinander und mit anderen Unternehmensinteressenten sorgen. 625 Ethische Werte werden von Führungskräften in bestimmten Situationen als Entscheidungshilfe herangezogen. Müssen die Führungskräfte entscheiden, ob eine Maßnahme moralisch richtig oder falsch ist, so betrachten sie die ethischen Werte des Unternehmens und agieren nach diesen.
43.3
Verfìigungsrechte
Neben den Charaktereigenschaften der Mitarbeiter und der Unternehmensethik wird die Unternehmenskultur zudem durch Verfügungsrechte von Mitarbeitern geprägt. Demsetz definiert diese als Rechte über die Verfugung und Nutzung von Unternehmensressourcen und Verantwortlichkeiten, die das Unternehmen ihren Mitarbeitern gestattet. 626 Verfügungsrechte fungieren u.a. als Mitarbeiter-Motivator. Erbringen Mitarbeiter sehr gute Arbeitsleistungen, so kann das Unternehmen ihnen Verfügungsrechte zur Belohnung und zur weiteren Motivation einräumen. Darüber hinaus werden Mitarbeiter z.B. durch Belegschaftsaktien oder Gewinnbeteiligungsoptionen an das Unternehmen gebunden. Möchte ein Unternehmen hoch qualifizierte Mitarbeiter halten, so ist dieser Aspekt von großer Bedeutung.
624
Vgl. Jones/Bouncken, 2008, S. 431
625
Vgl. ebd., S. 434
626
Vgl. Demsetz, 1967, S. 347ff.
X Unternehmenskultur und Länderkultur
266
Einige Beispiele für Verfiigungsrechte sind in folgender Tab. 43.1 abgebildet: Rechte über Verfügung von Unternehmensressourcen
Rechte über Nutzung von Unternehmensressourcen
Führungskraft
hohe Gehälter, Aktienoptionen, hohe Abfindungen
Befugnisse, Entscheidungen treffen, Ressourcen kontrollieren
Mitarbeiter
Festanstellung, Gewinnbeteiligungssysteme, Sachzuwendung, Belegschaftsaktien, Abfindungszahlungen, Betriebsrente
Verantwortlichkeiten, Maß der Kontrolle über eigene Tätigkeiten
Tab. 43.1: Verfiigungsrechte von Führungskräften und Mitarbeitern627
Ein gutes Praxisbeispiel fur ein Unternehmen, das seinen Mitarbeitern diverse Verfiigungsrechte gewährt, ist der Google-Konzern. Dieser bietet seinen Mitarbeitern zahlreiche Sachzuwendungen von zwei kostenlosen T-Shirts pro Woche über kostenlose All-you-can-eatBuffets und Snackautomaten bis hin zu hauseigenen Fitnessstudios. Zudem bekommen Google-Mitarbeiter kostenlose Breitband-Internetanschlüsse und Handys gestellt. Neben Sachzuwendungen trägt ein höheres Gehalt bei guter Arbeitsbewertung positiv zur Motivation und Unternehmensbindung der Mitarbeiter bei. 628
43.4
Organisationsstruktur
Der vierte Einflussfaktor auf die Unternehmenskultur ist die Organisationsstruktur - ein System zur Koordinierung von Unternehmensabläufen durch Einsetzen von Aufgaben und Weisungsbefugnissen. Ähnlich zu den Rollenorientierungen der Mitarbeiter bei den Sozialisationstaktiken stehen sich hier mechanistische und organische Strukturen gegenüber. Kennzeichnend für mechanistische Strukturen sind die steile Struktur bedingt durch viele Unternehmensebenen, eine starke Zentralisierung (z.B. zentrale Weisungsbefugnisse) bzw. Standardisierung von Abläufen und Prozessen. Typische Verhaltensweisen innerhalb mechanistischer Strukturen sind Vorsicht, Gehorsam, Traditionen und Angepasstheit der Mitarbeiter. Es bleibt kein oder nu· wenig Spielraum für Schaffen von Innovationen, kreativen Problemlösungen und selbstständigem Handeln der Mitarbeiter. Die Unternehmenskultur mechanistischer Strukturen ist durch Stabilität und Vorhersagbarkeit geprägt und wird z.B. beim Militär, in Finanzunternehmen sowie Kraftwerken praktiziert, um Fehlentscheidungen zu vermeiden und eine
627
Vgl. Jones/Bouncken, 2008, S. 439
628
Google, Stand: 13.06.2009, 16:15 Uhr und onpulson, Stand: 13.06.2009, 16:16Uhr
Quellenverzeichnis
267
schnelle Entscheidungsfindung zu ermöglichen. Dagegen sind organische Strukturen tendenziell flach, dezentralisiert (z.B. dezentrale Weisungsbefugnisse) und zeichnen sich durch eine größere Aufgabenfreiheit aus. Die Mitarbeiter sind angehalten, kreativ zu arbeiten und mit Mut und Risikofreude zu agieren. Da Innovation und Flexibilität charakteristisch für die Unternehmenskultur sind, findet man die dezentrale Struktur häufig in der IT- und Marketingbranche.
Quellenverzeichnis bpb: URL: http://www.bpb.de/popup/popup_lemmata.html?guid=M909WM Stand: 13.06.2009, 16:15 Uhr. Demsetz, H.: Towards a Theory of Property Rights. American Economic Review, 1967, 57, S. 347-359. Google: URL: http://www. google, de/intl/de/corporate/culture. html Stand: 13.06.2009, 16:15 Uhr. Jones, G. R. / Bouncken, R. B.: Organisation. Theorie, Design und Wandel [Buch], Pearson Studium Verlag, München 2008. onpulson: URL: http://www.onpulson.de/karriere/magazin/fachartikel/show—727-1.htm Stand: 13.06.2009, 16:16 Uhr. Sackmann, S. Α.: Erkennen - Entwickeln - Verändern [Buch], Hermann Luchterhand Verlag, Neuwied Kriftel (Taunus) 2002. Welge, Μ. K. / Holtbriigge, D.: Internationales Management. Theorien, Funktionen, Fallstudien, Schäffer-Poeschel Verlag, 3. Auflage, Stuttgart 2003.
XI
Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
Südafrika ist „eine Welt in einem Land". Mit diesem Slogan wirbt das südafrikanische Fremdenverskehrsamt fur die herausragenden Landschaften und vielfaltigen Klimaformen, zahlreichen Völker und verschiedensten Kulturen sowie Religionen und Mentalitäten. So unterschiedliche Eindrücke sind in kaum einem anderen Land sichtbar. Zwei Welten, die reiche und die arme - noch immer Dritte Welt genannt - prallen oft aufeinander und dennoch gibt es Harmonie. Das Land ist sehr reizvoll, aber durch die sozialen Kontraste, Aids und den politischen Wandel gekennzeichnet.
44
Frühgeschichte
„Die Geschichte Südafrikas ist die Geschichte eines Kampfes um Land und politische Macht." 6 2 9 Sie beginnt mit den San, den sogenannten Ureinwohnern Südafrikas. Die Buschmänner waren reine Sammler und Jäger und lebten im gesamten südlichen Afrika. Charakteristisch fur ihre Sprache sind die Klick-Konsonanten. Später kamen die Khoikhoi, die Mensch-Menschen, in das heutige Südafrika. Sie vereinigten in ihrer traditionellen Lebensweise Nomadismus und Wildbeutertum. Beide Völker ähnelten sich sowohl in ihrem Aussehen als auch in ihrer Sprache, weshalb sie gegenwärtig oft Khoisan genannt werden. Mit den umherjagenden San hatten die Khoikhoi vor allem Streitigkeiten um das Vieh. Jedoch gelang es den Khoikhoi, die San aus ihrem Siedlungsgebiet zu vertreiben oder zu unterwerfen. Bereits vor Christi Geburt begann im heutigen Kamerun die große Wanderungsbewegung von Bantuvölkern. Die Nguni-Sprachgruppe mit den Sprachen Swasi, Tsonga, Zulu, Xhosa und Ndebele sind von den verschiedenen Bantuvölkern am weitesten nach Süden vorgedrun-
629
Hagemann, 2001, S.7ff.
270
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
gen. Sie hatten um ca. 1500 n. Chr. etwa das Gebiet zwischen den heutigen Städten East London und Bloemfontein erreicht. 630 Durch die große Bantu-Expansion wurden die ursprünglichen Bewohner immer stärker in andere Gebiete verdrängt. Somit blieb den San nur die zentrale Kalahari als Lebensraum. Die fortschreitende Vertreibung und Verarmung dieser Bevölkerungsgruppe entstand als Folge der Ausbeutung durch die politischen und wirtschaftlichen Eliten. Bis heute hat von den Khoikhoi nur der Stamm der Nama, der in den Süden Namibias wanderte, überlebt. Alle anderen wurden seit dem 17. Jh. von den Buren als Sklaven gehandelt und aus ihren Siedlungsgebieten vertrieben. Eingeschleppte Krankheiten, wie Pocken und Kriege, schmälerten die Stämme weiter. Ein großer Teil vermischte sich auch mit Weißen und Bantu.
45
Ankunft der Europäer und Herausbildung der Landaufteilung
Erst 1652 nach der Gründung von Kapstadt kamen mehr europäische Siedler nach Südafrika. Der von der Holländisch-Ostindischen Kompanie beauftragte Jan van Riebeeck errichtete am Kap der Guten Hoffnung eine Versorgungsstation für deren Schiffe und Besatzung, um die Menschenverluste auf ihren langen Seewegen zu minimieren. Anfangs dachten sie nicht daran, die Station als Siedlungskolonie auszubauen. Zur Versorgung der Schiffe sollten einzelne Farmen und Gärten ausreichen, die „Freibürger", ehemalige Angestellte, verwalteten. Allerdings vergrößerte sich die Kapkolonie schrittweise und auch die geografischen Forschungen im Hinterland nahmen zu. Das lag zum einen daran, dass weitere Siedler aus Europa ins Land reisten, und zum anderen daran das Expeditionen entsandt wurden, um den Vieh-Tauschhandel mit den Khoikhoi anzukurbeln und nach Bodenschätzen zu suchen. Auch Missionare interessierten sich für das Land und überbrachten der ansässigen Bevölkerung die Kunde vom christlichen Glauben und von der europäischen Zivilisation. 631 Ab 1657 holten sich die Holländer zahlreiche Sklaven aus Indonesien und Madagaskar ins Land, was den Ursprung für das Entstehen einer neuen Bevölkerungsgruppe gelegt hat und bis heute zur ethnischen Vielfalt beiträgt. Außerdem wurden politisch unerwünschte Personen aus Ostindien am Kap ausgesetzt, die die islamische Religion mitbrachten und noch heute als „Kapmalaien" eine Bevölkerungsgruppe mit eigenständiger Kultur bilden. Mit den Xhosa führten die weißen Siedler viele Kriege, die über Jahre andauerten. Nachdem das Kap im 17. und 18. Jh. im Besitz der Holländer war, eroberten 1806 die Briten das Land und errichteten eine britische Kronkolonie. Überwiegend sprachen die weißen
630
Vgl. Wiese, 1999, S. 88
631
Vgl. Jürgens/Bähr, 2002, S. 42f. und Hagemann, 2001, S. 26ff.
4 5 A n k u n f t der Europäer und Herausbildung der Landaufteilung
271
Siedler eine A b w a n d l u n g des Niederländischen, das sich später zu einer eigenen Sprache, d e m Afrikaans, entwickelte. Eine neue Einwanderungswelle englischsprachiger Siedler erö f f n e t e sich in größerem U m f a n g erst nach 1820. Dadurch bildeten sich zwei Sprachgruppen, wobei Englisch als Amtssprache festgelegt wurde. 6 3 2 Das Britische Parlament schaffte 1834 die Sklaverei ab. Vor allem die „Buren", 6 3 3 die in den Grenzregionen der Kolonie heimisch waren, sahen dadurch ihre Existenz gefährdet. Somit zogen sie als „Voortrekker" in das noch weitgehend unbekannte Landesinnere, um d e m britischen Recht zu entkommen. 6 3 4 Die gegründeten Burenrepubliken erlangten mit der Entdeckung von Diamanten bei Kimberly 1867 und von Gold am Witwatersrand 1886 großes Aufsehen, w a s Tausende, gepackt v o m Diamantenfieber und Goldrausch, anzog. Schließlich k a m es 1899 z u m sogenannten Burenkrieg (South African War), den die militärisch weit überlegenen Engländer nur unter großen Kraftanstrengungen gewinnen konnten. Allerdings hat dieses die Beziehungen zwischen Weißen englischer und burischer A b s t a m m u n g auf lange Zeit belastet. Das heutige Südafrika ist erst seit 1910 ein einheitlicher Staat, der sich aus den vier Kolonien Natal, Transvaal, Oranje-Freistaat und der Kapkolonie zur Südafrikanischen Union zusammenschloss (vgl. Abb. 45.1).
South Africa's Former Provinces
,635 Abb. 45.1: Frühere Provinzen von Südafrika'
632 633 634 635
Vgl. Pabst, 1997, S. 36 Aus dem niederländischen boer fur Bauer hergeleitet. Vgl. Pabst, 1997, S. 36-37 South Africa - Infoweb, 2007
272
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
46
Bevölkerungsgruppen
Die zu Zeiten der Apartheid geschaffene Einteilung der Bevölkerung in vier Gruppen ist bis heute noch üblich. Allerdings gehörten nur die Weißen (Whites) zu den Privilegierten. Dann kamen Farbige (Coloureds) und Inder (Indians), die wiederum besser gestellt waren als Schwarze (Blacks). „Statistics South Africa" führte im Jahre 2001 eine Volkszählung durch. Wie in der Abb. 46.1 zu sehen ist, gehören 79,0 Prozent der ca. 45 Mio. Einwohner Südafrikas zur schwarzen Bevölkerung. Die Weißen bilden im Vergleich dazu mit 9,6 Prozent eine kleine Bevölkerungsgruppe, ähnlich wie die Farbigen mit 8,9 Prozent. Die kleinste Gruppierung ist jedoch die der indischen Bevölkerung mit 2,5 Prozent.
Black African \
Cotoumd 8,9%
Abb. 46.1: Bevölkerungsgruppen636
Innerhalb der vier Kategorien finden sich jeweils noch weitere Untergruppen mit verschiedenen Sprachen, ethnischen Gruppen und Religionszugehörigkeiten. Die Hautfarbe bestimmte das gesamte Leben der südafrikanischen Bevölkerung bis zur Wahl im April 1994. Während der Apartheid hatte die Hautfarbe Einfluss auf die Wahl des Wohnortes, der Schule, des Transportmittels, des Arbeitsplatzes, um hier nur einige Beispiele zu nennen. In den folgenden vier Abschnitten wird die Bevölkerung Südafrikas nach den Gruppen Weiße, Farbige, Inder/Asiaten und Schwarze vorgestellt.
636
Statistics South Africa, Census, 2001
46 Bevölkerungsgruppen
46.1
273
Weiße
Die 4,5 Mio. weißen Südafrikaner sind niederländischer Herkunft, auch als „Buren" bezeichnet, und kamen Mitte des 17. Jh. als erste ans Kap. Ihnen folgten ab 1820 Siedler aus England. Beide Gruppen bekämpften sich in den Burenkriegen unerbittlich. Ab 1857 gingen über 5.000 deutsche Männer, Frauen und Kinder bei East London an Land. Es entstanden Ortschaften wie Braunschweig, Hamburg oder Heidelberg. Heute leben ca. 1 Mio. Deutsche in Südafrika, daneben Franzosen, Italiener und 120.000 Juden. 637 Die Muttersprache dieser „Südafrikaner" ist das dem Holländischen ähnliche Afrikaans. Daneben gibt es einen englischsprachigen Bevölkerungsteil, der sich hauptsächlich auf das westliche und östliche Kap-Gebiet sowie auf Natal konzentriert. Diese Bevölkerungsgruppe lebt überwiegend in den Städten und kontrolliert zu einem erheblichen Teil die Handels- und Wirtschaftssektoren.
46.2
Farbige
Die Kinder schwarz-weißer Paare werden noch oft als Farbige bezeichnet. Das sind ca. 4 Mio. Südafrikaner, die vor allem in der Kap-Provinz und in Kapstadt leben. Sie sind die Nachkommen aus Verbindungen der ersten holländischen Siedler mit den Khoikhoi, den Ureinwohnern am Kap. Auch werden die ca. 200.000 „Kapmalaien" hinzugerechnet. Diese sind die Nachkommen der Sklaven, welche im 18. Jh. aus Ostindien ans Kap gebracht wurden. Die Farbigen verfugen über ein eigenständiges kulturelles Erbe. So definieren sich die zur Zeit der Apartheid gegenüber Schwarzen privilegierten Coloureds inzwischen mehr über Berufsgruppen als über ihre Abstammung. 638
46.3
Inder/Asiaten
Durch die Einführung des großflächigen Zuckerrohranbaus, die Ausweitung der bergbaulichen Aktivitäten und den beginnenden Eisenbahnbau, stieg der Arbeitskräftebedarf Mitte des 19. Jh. in Natal stark an. Mit der Anwerbung von Indern wurde dieser teilweise gedeckt. Die indische Bevölkerung Südafrikas geht aus den Nachfolgern der einstigen Tagelöhner hervor. Die ca. 1,2 Mio. Menschen beherrschen einen großen Teil des Handels in Durban. Um Johannesburg siedelten sich vorwiegend Chinesen an. Sie kamen Ende des 19. Jh. als Bergarbeiter nach Südafrika und wurden ebenfalls in diese Kategorie eingeordnet. 639
637
Vgl. Nohlen, 1996, S. 631
638
Vgl. Wiese, 1999, S. 85-86
639
Vgl. Pabst, 1997, S. 4 6 - 4 7
274
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
Im Rahmen von funijährigen Arbeitsverträgen wurden die Inder von den Briten verpflichtet. Nach Ablauf des Vertrages sind viele von ihnen als „Free Indians" im Land geblieben. Sie hatten das Recht auf Niederlassungsfreiheit und konnten ein Gewerbe betreiben. Ab 1870 zog es weitere Inder, sogenannte „Passenger Indians", ohne Arbeitsvertrag ins Land, die häufig ihre Frauen mitbrachten. Die zugewanderten Inder bildeten aber auch nach Religion, Sprache und Kastenzugehörigkeit keine homogene Bevölkerungsgruppe. Überwiegend waren sie Hindus und stammten aus eher niederen Kasten. Unter den Sprachen waren anfanglich Tamil, Hindi und Gujerati üblich. Später entwickelte sich Englisch bei ihnen zur Verkehrssprache. 640 Bis heute lebt der Großteil der indischen Bevölkerung in Natal. Im System der Apartheid sind die Inder seit 1959 als getrennte Bevölkerungsgruppe ausgewiesen worden. Auch sie unterlagen ähnlichen Restriktionen wie die anderen nicht-weißen Bevölkerungsgruppen. Vor allem hatten sie mit Zwangsumsiedlungen von Bewohnern und Gewerbetreibenden zu kämpfen. Zwischen der indischen und schwarzen Bevölkerung bestanden auch Spannungen, die zeitweise in Gewalt umschlugen. 641
46.4
Schwarze
Zu der schwarzen Bevölkerung gehören neun verschiedene Bantuvölker mit ebenso vielen offiziellen Sprachen. Zum größten südafrikanischen Volk, den Zulu, zählen rund 10 Mio. Menschen. Das ist fast ein Drittel der schwarzen Bevölkerung. Sie siedeln überwiegend in KwaZulu-Natal und im Großraum Johannesburg. Zahlenmäßig folgen die Xhosa (7,2 Mio.). Sie leben vorwiegend zwischen Port Elisabeth und Durban. Zu den Nord- und Süd-Sotho gehören 6 Mio. Menschen - darauf folgen die Tswana (3,3 Mio.), Tsonga (1,8 Mio.), Swasi (1 Mio.), die Ndebele (0,6 Mio.) östlich von Johannesburg und die Venda (0,9 Mio.) im äußersten Nordosten an der Grenze zu Zimbabwe. Auch die traditionellen schwarzen Kulturen weisen verschiedene größere und kleinere Untergruppen auf. Die meisten Schwarzen leben in ländlichen Gebieten der ehemaligen zehn Homelands oder noch immer auf engstem Raum in den Townships am Rand der Städte.642
640
Vgl. Bilger, 1986, S. 172
641
Vgl. Jürgens/Bahr, 2002, S. 57
642
Vgl. Bilger, 1986, S. 215-216
47 Religion
47
275
Religion
Missionare haben über Jahrhunderte hinweg „ganze Arbeit geleistet". Der Großteil, ca. 80 Prozent, aller Südafrikaner sind Christen. Die Niederländisch-Reformierte Kirche, NG-Kerk, der „Buren" vermittelte nicht nur deren streng calvinistische Lebensform, sondern unterstützte auch die Apartheid, was auch innerhalb der NG-Kerk durch die Einteilung in die bekannten vier Gruppen spürbar war. 643 Schon 1910 wurde die Zion Church als „Kirche ohne Weiße" gegründet. Dort fanden ihre Mitglieder Anerkennung und Verständnis. Die meisten Glaubensgemeinschaften der Schwarzen verbinden christliche mit traditionell afrikanischen Glaubensvorstellungen. Der Anteil an Hindus und Muslimen an der Bevölkerung ist mit insgesamt etwa 0,5 Mio. Men1 · 644 sehen gering.
Kultur In Südafrika leben zahlreiche Volksgruppen mit unterschiedlicher Sprache, Kultur und Herkunft. Darunter befinden sich elf offizielle Amtssprachen. Hauptsächlich wird von der Bevölkerung Englisch, Afrikaans, seSotho, isiXhosa und isiZulu gesprochen. Die Verschmelzung und Vermischung, die sich in den Urbanen Gebieten Südafrikas vollzieht, fuhren zur Verwässerung alter, gleichzeitig aber auch zur Entstehung neuer Kulturen. Jedoch sind in vielen ländlichen Gegenden die schwarzen Traditionen noch sehr lebendig. Ihnen allen gemeinsam ist der Glaube an eine männliche Gottheit, an die Geister der Ahnen und an übernatürliche Kräfte. Polygamie ist erlaubt und für gewöhnlich wird ein Brautpreis gezahlt. In vielen Kulturen spielt Vieh eine wichtige Rolle, sowohl als Wohlstandssymbol als auch für Opferrituale. Oft stellt die künstlerische Hinterlassenschaft der einheimischen südafrikanischen Völker die einzige Möglichkeit dar, etwas über eine verschwundene Kultur zu erfahren. Dazu gehören z.B. die Fels- und Höhlenzeichnungen der San. Auch wurde traditionelle Kunst, wie die Perlenarbeiten der Zulu, aus Gründen der Existenzsicherung in schwerer Zeit, geboren. Markant ist auch die Kultur der Xhosa, dem sogenannten „roten Volk", abgeleitet von den roten
643
Vgl. Wiese, 1999, S. 9 8 - 9 9
644
Vgl. W i l k e - L a u n e r / K ü h n e , 1993, S. 421
276
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
Tüchern, in die sich die meisten Erwachsenen Xhosa kleiden. Die mit ihnen verwandten Ndebele leben in Nord-Transvaal in selbst bemalten Häusern (vgl. Abb. 48.1). 645
Abb. 48.1: Bemaltes Haus der Ndebele646
Die ganz eigenständige Kultur der weißen Afrikaner entwickelte sich in selbstgewählter Isolation. So zogen sie inmitten ihrer Kuhherden und mit einer Bibel in der Hand über afrikanischen Boden. Bis heute steht in ländlichen Gemeinden die konservative NiederländischReformierte Kirche im Mittelpunkt allen Geschehens. Zwar sind in Südafrika zahlreiche unterschiedliche Kulturen beheimatet, doch die meisten wurden während der Apartheid, als im Alltag keine Pflege der herkömmlichen und zeitgenössischen Kulturen stattfand, unwichtig oder zerstört. 647 Das neue Südafrika entsteht in den Straßen der Townships und Städte. In Galerien sind jetzt Retrospektiven schwarzer, zeitgenössischer und traditioneller Künstler zu sehen und bei großen Festivals treten Musiker aus ganz Afrika auf.
645
Vgl. Jürgens/Bähr, 2002, S. 39
646
Saembassy, 2004
647
Vgl. Südafrika Guide, 2008
49 Gesellschaftspolitische Aspekte
49
277
Gesellschaftspolitische Aspekte
Südafrika ist vom Ideal der multikulturellen Gesellschaft noch weit entfernt. Nach wie vor geht ein tiefer Graben durch die Bevölkerung. Schwarze und Weiße leben weitgehend getrennt voneinander. Berührungspunkte gibt es wenig. Das Apartheid-Regime war bemüht, die Unterschiede der ethnischen Gruppen zu betonen und das Gemeinsame zu ignorieren. Die Politik der Rassentrennung diente dem Ziel, die politische und wirtschaftliche Herrschaft der weißen Minderheit sicherzustellen. Mit den Folgen dieser Politik hat Südafrika bis heute zu kämpfen.
49.1
Konzept der Apartheid
Im System der Apartheid hatte die weiße Bevölkerungsminderheit Südafrikas eine ganz bestimmte Ideologie entwickelt. Ziel war es, ethnische Gruppen nach ihrer Herkunft wie Sprache, Religion, Sitten und Gebräuche zu unterscheiden und sie zum Schutz ihrer jeweiligen kulturellen Identität territorial voneinander abzusondern. Dadurch konnten diskriminierende Methoden von Weißen gegenüber Schwarzen im wirtschaftlichen und politischen Bereich verschwinden. Die weißen „Buren" waren der Auffassung, dass somit eine zwangsläufige Gleichheit zwischen Weißen und Nicht-Weißen hergestellt würde. Die schwarze Bevölkerung hätte die Möglichkeit, sich durch Selbstverwaltung und politische Unabhängigkeit von der Überlegenheit der Weißen zu lösen. 648 Die Hautfarbe wurde das wichtigste Unterscheidungskriterium zur Definition von „Gruppen". Andere phänotypische Merkmale führten per Gesetz in den 1950er Jahren zu einer Differenzierung der Bevölkerung in Weiße, Schwarze, Farbige und Inder/Asiaten. Das von der weißen Bevölkerung dominierte Land verfolgte damit eine gezielte politische, soziale und wirtschaftliche Diskriminierung von Menschen nicht-weißer Hautfarbe. Auch im Wirtschaftsleben konnten Wettbewerber in ihren Geschäften und am Arbeitsplatz kontrolliert werden. Die Absonderung der schwarzen Bevölkerung in Homelands entlarvte das Konzept der Ethnizität als ein rein politisches Konstrukt, um der weißen Minderheit zur demographischen und auch politisch legitimierten Mehrheit zu verhelfen. 649
648
Vgl. Pabst, 1997, S. 102-104
649
Vgl. Jürgens/Bähr, 2002, S. 188
278
49.2
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
Reservats- und Homeland-Politik
Mit dem „Native Land Act" von 1913 sind nach und nach die bestehenden Wahlrechte der nicht-weißen Bevölkerung abgeschafft worden und es wurde ein erster Schritt in Richtung Apartheid in Bezug auf eine räumliche Trennung gemacht. Die damals geschaffenen „native reserves" umfassten 7,3 Prozent der Landesfläche. Sowohl ein Verkauf dieses Landes an Weiße war untersagt, als auch umgekehrt durften Schwarze kein Land im „weißen" Gebiet erwerben. Die zur Verfügung gestellte Fläche für Schwarze erwies sich von Anfang an als zu klein und mit zunehmendem Bevölkerungsdruck hat sich diese Problematik noch verstärkt. Ein erster Versuch die Reservate zu festigen, wurde mit dem „Native Trust and Land Act" von 1936 unternommen. Der Flächenanteil sollte mittels Landaufkauf auf 12,4 Prozent gebracht werden. Die Realität sah jedoch anders aus, denn 1945 belief sich die Fläche nur auf 9,6 Prozent und die Aufsplitterung blieb ebenfalls groß. Der Staat bekam erstmals das Recht, Umsiedlungen zu veranlassen. Das Land, das im Eigentum von Schwarzen aus der Zeit vor 1936 war und das innerhalb des „weißen" Gebietes lag, wurde besonders nach 1948 aufgelöst. Die Bewohner mussten schließlich eine Umsiedlung in die Reservate hinnehmen. Die Gesamtzahl der Zwangsumsiedlungen belief sich allein zwischen 1960 und 1982/83 auf 3,5 Mio. 650 Die Einführung des „Homeland-Konzeptes" nach 1948 war letztendlich die Weiterführung der Reservatspolitik. Der „Bantu Authorities Act" von 1951 und der „Promotion of Bantu Self Government Act" von 1959 wiesen anfangs acht, später zehn Homelands aus und schafften parallel die letzte Repräsentation der Schwarzen im „weißen" Parlament ab. Anschließend setzten sich die Konsolidierungsbemühungen und Grenzverschiebungen der Homelands weiter fort. In den Homelands lebten 1990 ca. 16,2 Mio. Menschen, von denen ca. 1,6 Mio., meist männliche Wanderarbeiter, außerhalb ihrer Homelands tätig waren. Carika 800.000 Pendler fuhren täglich, z. T. über weite Strecken, in das „weiße" Gebiet. Dieses verdeutlichte, dass die wirtschaftliche Basis der Homelands unzureichend war. Die Wanderarbeiter und Pendler machten über 50 Prozent der im „weißen" Südafrika tätigen schwarzen Arbeitskräfte aus. Dennoch machte das „Homeland-Konzept" keine wirkliche Unabhängigkeit der schwarzen Bevölkerung möglich. 651 Die massive Ungerechtigkeit in der Aufteilung von Grund und Boden versucht die Regierung seit 1994 rückgängig zu machen, ohne die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu gefährden. Eine Bodenreform sollte auf drei Ebenen erfolgen, der Landrückgabe, der Landumverteilung sowie der Reform des Bodenrechts bzw. der Pachtverhältnisse. Höchste Priorität hat die Rückgabe von enteignetem Land an die Alteigentümer, welche mit einem entsprechenden Gesetz zur Landrückgabe 1994 verabschiedet wurde. 652
650
Vgl. Wilke-Launer/Kühne, 1993, S. 431
651
Vgl. Jürgens/Bähr, 2002, S. 47
652
Vgl. Wilke-Launer/Kühne, 1993, S. 457
49 Gesellschaftspolitische Aspekte
279
Um Produktionseinbußen zu verhindern, ist bewirtschaftetes Farmland erst einmal davor geschützt. Trotzdem wird es nicht leicht sein, einen Ausgleich zwischen den hohen Erwartungen der landlosen Bevölkerung, den Interessen der weißen Farmer und den finanziellen Möglichkeiten des Staates zu erreichen. 653
49.3
Demokratisierung
Die Demokratisierungswelle begann 1991 und erfasste ganz Afrika. Um die Bedeutung dieses Wandels zu betonen, wird teilweise von der „zweiten Unabhängigkeit" oder der „zweiten Befreiung" gesprochen. Insbesondere kirchliche Gruppen, einflussreiche Juristenverbände und die seit 1990 aufblühende freie Presse haben entscheidend am Aufbau einer Bürgergesellschaft mitgewirkt. 6 5 4 Erstmals wurde 1994 von allen Südafrikanern eine Regierung gewählt, die die politische Landkarte veränderte. Die unabhängigen Homelands wurden aufgelöst, doch die Umrisse sind geblieben. Allein fast 50 Prozent der Bevölkerung, das sind ca. 19 Mio. Menschen, wohnen in diesen Gebieten. Aus der Abb. 49.1 geht hervor, dass Südafrika heute in neun Provinzen gegliedert ist. Sie haben nicht den gleichen Status wie deutsche Bundesländer. Die Provinzen besitzen jeweils eigene Parlamente mit einem Ministerpräsidenten.
653
Vgl. Wiese, 1999, S. 189
654
Vgl. Ansprenger, 1999, S. 137
655
South A f r i c a - Infoweb, 2 0 0 7
280
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
In Südafrika ist ein erdrückendes Übergewicht des African National Congress (ANC) als neue führende Kraft und Partei erkennbar. Eine Erklärung dafür ist, dass das Wahlverhalten der Bevölkerung nach wie vor ganz wesentlich von der Stammeszugehörigkeit gesteuert wird. Aber auch die politische Opposition ist meist mehr oder weniger stark ethnisch geprägt. 656
50
Demographische und soziale Aspekte
Seit Ende der 1950er Jahre gelang es in Südafrika, das Sterblichkeitsalter von 40 Jahre auf 55 bis 60 Jahre 1990 anzuheben. Die Verbesserung der Überlebenschancen ist vor allem das Ergebnis exogener Einwirkungen. Billige medizinisch-hygienische Mittel und Praktiken wurden aus den Industrieländern importiert, die ζ. T. mit internationaler Unterstützung großflächig zum Einsatz kamen. Dadurch konnten viele Infektionskrankheiten teilweise unter Kontrolle gebracht oder sogar ausgerottet werden. Beispielhaft dafür ist das weltweite Malaria-Bekämpfungsprogramm, das ab 1955 von der World Health Organization (WHO) mit Hilfe mehrerer Stiftungen startete. Sie riefen auch ein Projekt zur Ausrottung der Pocken 1967 ins Leben, die ab 1977 weltweit nicht mehr vorkamen. Mit den beginnenden 1990er Jahren nahm die Sterblichkeit überall in Südafrika wieder zu. Viele der zurückgedrängten Infektionskrankheiten breiteten sich erneut aus. Das lag sowohl an den immun gewordenen Erregern als auch an den unhygienischen Lebensbedingungen in großen Teilen des Landes, die eine erfolgreiche Krankheitsbekämpfung scheitern ließen. Eine einfache Lösung wäre eine Verbesserung der sanitären Einrichtungen und ein Anschluss an das Wassernetz. Doch das ist fur jeden Haushalt monetär nicht realisierbar. 657
50.1
Bevölkerungswachstum
Die Dynamik der Bevölkerungsentwicklung resultiert besonders aus einer weiten Öffnung der „Schere" zwischen Geburten- und Sterberate. Die Geburtenraten erreichen teilweise nur noch 40 %o und mehr, während die Sterberaten vereinzelt bereits auf 13-14 %o abgesunken sind. Südafrika ist bereits in einer Phase mit merklichem Geburtenrückgang und stark abgesunkener Sterblichkeit einzuordnen. 658 Ganz anders als von Experten erwartet, hat sich demgegenüber der Sterblichkeitsrückgang seit Ende der 1980er Jahre nicht weiter fortgesetzt. In Südafrika sind weitere Fortschritte
656
Vgl. Jürgens/Bähr, 2002, S. 62f.
657
Vgl. ebd., S. 177
658
Vgl. Wiese, 1999, S. 121
50 Demographische und soziale Aspekte
281
ausgeblieben, und die Lebenserwartung liegt mit 55 Jahren noch unter dem Stand von Ende der 1970er Jahre. Es sieht danach aus, als ob sich Südafrika wieder zuriickentwickelt hat und heute einen Zustand ähnlich der Phase mit hohen Geburten- und Sterbezahlen zeigt. Der hierzu maßgeblich beitragende Faktor ist die hohe Durchseuchung der Bevölkerung mit AIDS.
50.2
Bevölkerungsentwicklung unter dem Einfluss von AIDS
Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Krankheit ursprünglich aus Zentralafrika stammt und von Wanderarbeitern eingeschleppt wurde, die sie in den Unterkünften der Minenarbeiter verbreiteten. In der Länderliste mit den höchsten Verbreitungsraten von HIV/AIDS unter der Erwachsenenbevölkerung ( 15—49 Jahre) reiht sich Südafrika mit 20 Prozent in die traurigen Spitzenplätze der südafrikanischen Länder ein. 659 Eine zielgerichtete Aufklärung über das Risiko einer AIDS-Infektion findet nur vereinzelt oder überhaupt nicht statt. Erste Schritte wurden unternommen und ein Weg für billige AIDS-Medikamente sowie für die kostenfreie Ausgabe von Kondomen geebnet. Allerdings fehlt das nötige Geld für deren flächendeckenden Einsatz. Deshalb wird sich der Einfluss von AIDS auf die Sterblichkeit weiter verstärken. AIDS wirkt sich nicht nur auf die Sterblichkeit, sondern auch auf die Verschlechterung des allgemeinen Gesundheitszustandes, den Ausbruch anderer Krankheiten, wie Tuberkulose und den frühen Tod der schlecht versorgten „AIDS-Waisen" aus. Bis zum Jahre 2010 wird die Lebenserwartung auf 48 Jahre sinken. Aufgrund des Verlustes von Humankapital und stark ansteigender Gesundheitskosten sind die ökonomischen Konsequenzen der Krankheit beträchtlich. Schon heute müssen für jeden höheren Posten teilweise drei Personen ausgebildet werden, um Vorsorge fur Leistungsabfall und Tod infolge von AIDS zu treffen. In diesem Zusammenhang klagen viele Firmen über Warnzeichen, wie ungenügende Arbeitsmoral und gestörte Produktionsabläufe. Eine Beseitigung der Massenarmut und eine Besserstellung der lange Zeit benachteiligten Bevölkerungsgruppen sind dadurch in weite Zukunft gerückt. 660
659
Vgl. Weltbank, 2007
660
Vgl. Wiese, 1999, S. 119f.
282
50.3
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
Familienplanung und Geburtenrückgang
In Südafrika begannen Familienplanungsprogramme bereits in den 1960er Jahren. Es zeichnete sich ab, dass nicht nur die weiße Bevölkerung, sondern mit einer zeitlichen Verzögerung auch die Inder und Farbigen einen demographischen Übergang, ähnlich wie in Europa, durchlaufen würden. Dagegen war eine Verminderung des raschen Wachstums der schwarzen Bevölkerung nicht festzustellen. 661 Trotz massiv geförderter Einwanderungen drohte eine Verminderung des Anteils der Weißen an der Gesamtbevölkerung. Um diesem Trend entgegenzusteuern, begann die ApartheidRegierung, die Familienplanung besonders zu unterstützen, u.a. durch das 1974 begründete „National Family Planning Programme". Trotz des politischen Hintergrundes der Maßnahmen sind die Angebote weitgehend akzeptiert worden. Die Rahmenbedingungen fur einen Geburtenrückgang waren vergleichsweise günstig, u.a. höhere Einkommen, höherer Anteil städtischer Bevölkerung. Viele schwarze Frauen haben sich aufgrund verschiedener sozialer und ökonomischer Grenzen der Apartheid-Politik für die Familienplanung entschieden, da Schwangerschaften und Kindererziehung ihre Beschäftigungsmöglichkeiten in den Städten verringert hätten. Heute stehen hinter der Familienplanung nicht mehr politische Ziele, sondern ein umfassendes Gesundheitsprogramm. 662 Eine frühe Schwangerschaft steht einem erfolgreichen Schulabschluss oft entgegen. Die Information über Verhütungsmittel sollte daher möglichst früh erfolgen. Eine bessere Ausbildung der Frau hat einen positiven Einfluss auf die Verminderung der Kinderzahlen.
50.4
Altersstruktur und zukünftiges Wachstum
Vorhersagen auf das zukünftige Bevölkerungswachstum sind schwierig. Dabei ist nicht nur die weitere Fortpflanzungsentwicklung zu betrachten, in der eine große Zahl von Kindern und Jugendlichen in das zeugungsfähige Alter nachwächst, sondern es muss auch der Einfluss von AIDS auf die Sterblichkeit und die Fruchtbarkeit abgeschätzt werden. 663 Noch hat sich der Geburtenrückgang nur geringfügig auf die Altersstruktur ausgewirkt, wie in der Abb. 50.1 zu sehen ist.
661
Vgl. Caldwell/Caldwell, 1993, S. 225-262
662
Vgl. ebd., S. 225-262
663
Vgl. Wiese, 1999, S. 130-133
50 D e m o g r a p h i s c h e und soziale Aspekte
283
Agecofegwv 85+ 80-84 75-79 70-74 65-69 60-64 55-59 50-54 45-49 40-44 35-39 30-34 25-29 20-24 15-19 10-14 5-9 0-4
Ö J
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Abb. 50.1: Gesamtbevölkerung nach Geschlecht und Altersgruppen^
50.5
Bildungsdefizit
Der Begriff „lost generation" w u r d e z u m Schlagwort f ü r fast ein Drittel der Bevölkerung. 17,9 Prozent der j u n g e n Menschen haben keine Schulbildung (vgl. Abb. 50.2). Sie sind dadurch ohne Arbeit und ohne ein richtiges Zuhause. Allein im T o w n s h i p Soweto bei Johannesburg werden mehr als 90 Prozent aller Gewalttaten von Jugendlichen zwischen 14 und 25 Jahren begangen. Die Erkenntnis f ü h r e n d e r ANC-Mitglieder, dass der jahrzehntelange Schul- und Universitätsboykott während der Apartheid einer ganzen Generation geschadet habe, reicht nicht aus. Trainingsprogramme, Schul- und Universitätsbildung werden diesen j u n g e n Menschen neue Chancen und eine neue H o f f n u n g geben müssen. 6 6 5
664
Statistics S o u t h A f r i c a , C e n s u s , 2 0 0 1
665
V g l . W i l k e - L a u n e r / K ü h n e , 1993, S. 4 5 8
284
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
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Abb. 50.2: Bevölkerung im Alter von 20 Jahren und darüber mit höchstem Schulabschluss666
Die Bildung in Südafrika ist ein Beispiel für all jene Probleme, die bei der Umbildung der Apartheidgesellschaft entstehen. Seit April 1994 sind die staatlichen Schulen fur alle Kinder zugänglich und es wurde die allgemeine Schulpflicht eingeführt. Viele hundert Millionen Rand sind für ein schulisches Aufbauprogramm nötig, um das für einen weiteren wirtschaftlichen Aufschwung notwendige Humankapital in der Zukunft sicherzustellen. 667 Die Regierung eröffnete mit dem Higher Education Act 1997 die Umgestaltung des Universitätswesens. Mit den Zusammenschlüssen von Universitäten und Fachhochschulen („Technikons") 2004 und 2005 wird das Ziel verfolgt, die bisherige Trennung in „weiße" und „schwarze" Universitäten abzuschaffen. Die komplexe Umgestaltung ist eine herausfordernde Managementaufgabe. 668
51
Wirtschaftliche und arbeitspolitische Aspekte
Zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen in Südafrika zählen die Industrie, die Dienstleistung, der Bergbau und die Landwirtschaft. 666 667
668
Statistics South Africa, Census, 2001 Vgl. Wiese, 1999, S. 115-119 Vgl. Auswärtiges Amt, 2007a
51 Wirtschaftliche und arbeitspolitische Aspekte
285
Nach Abschaffung der Apartheid und dem Wegfall internationaler Sanktionen konnte das Land ein zunehmend stärkeres Wirtschaftswachstum verzeichnen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg im Jahr 2006 um etwa 5 Prozent. Ein weiterer Wachstumsanstieg von 5,1 auf 5,4 Prozent wird für die nächsten drei Jahre prognostiziert. Die verarbeitende Industrie und Finanzdienste machen mit jeweils 20 Prozent den größten Anteil am BIP aus. 669 Die Wirtschaft ist stark außenhandelsorientiert. Weit über die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts wird durch Exporte erzielt. Durch Investitionen in moderne Produktionstechnologien nach dem Ende der Apartheid wurden südafrikanische Produkte wieder auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig. Bereits 1996 wurde ein Exportüberschuss von rund 8,7 Milliarden Rand erzielt. Exportiert werden hauptsächlich mineralische Rohstoffe, Agrarprodukte, chemische Erzeugnisse, Maschinen, Elektrogeräte und Fahrzeuge. Zu den Importen gehören überwiegend Maschinen, Kunststoffprodukte, Chemikalien und Fahrzeuge. Mittlerweile zählt das Schwellenland Südafrika zu einem der größten Investoren in Afrika und hat sich gleichzeitig zum Wirtschaftsmotor auf dem afrikanischen Kontinent entwickelt.
51.1
Arbeitslosigkeit
Die Arbeitslosenquote der weißen Bevölkerung ist mit ca. 2 Prozent relativ gering. Dem gegenüber ist jeder zweite Schwarze entweder arbeitslos oder lebt von Gelegenheitsarbeiten. Hauptursache dafür ist das Bildungsdefizit. Ferner sind Kriminalität und Krankheiten, wie AIDS, weitere Gründe. 670 In der Abb. 51.1 ist die Arbeitslosigkeit in Südafrika über einen Zeitraum von 1999 bis 2007 dargestellt. Daraus ist ersichtlich, dass seit 2001 die Arbeitslosigkeit insgesamt um 12,8 Prozent gesunken ist. Dieser Erfolg ist auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze und auf ein steigendes Bildungsniveau zurückzufuhren. Doch es besteht weiterhin Handlungsbedarf.
669 670
Vgl. Auswärtiges Amt, 2 0 0 7 b Ii 1 UJ Vgl. ebd.
286
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
Jahr Abb. 51.1: Arbeitslosigkeit
in Südafrika
Ein öffentliches Arbeitsprogramm soll der jungen Generation zwischen 6 und 19 Jahren, die ein Drittel der schwarzen Bevölkerung ausmachen, Lehrstellen und Arbeit bringen. 672 Das „Wiederaufbau- und Entwicklungsprogramm" zielt auf eine schnellere und stärkere Industrialisierung des Landes. Das bedeutet vor allem eine Erhöhung der technologischen Leistungsfähigkeit und damit der internationalen Wettbewerbsfähigkeit. 673 Wirtschaftsexperten wie Clem Sunter, ehemaliger Manager der Gold- und Urandivision des Minenkonzerns „Anglo American Corporation", vertritt die Ansicht, dass kleine und große Unternehmen gefördert werden sollten, um Arbeitsplatzabbau zu vermeiden und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dieses zielt aber nicht auf eine Rassentrennung entlang der bisherigen Linie „weiße Großunternehmen" und „schwarze Krämerladen". „Es sollen sowohl Schwarze in der Großindustrie ihren Platz finden als auch Kleinbetriebe gefördert werden." 674 Neben dem offiziellen Arbeitsmarkt gibt es auch einen expandierenden „informellen" Sektor. Beispiele dafür sind die Privattaxiunternehmer, die ihre Kunden von den Townships zur Arbeit fahren, die Händler mit dem tragbaren Trödelladen oder die Automechaniker, die am Straßenrand eine „Werkstatt" eröffnen. Sollte den Jugendlichen ein Einstieg in ein offizielles
671
CIA The World Factbook, 2008
672
Vgl. Behren/Rimscha, 1994, S. 180
673
Vgl. Wiese, 1999, S. 15
674
Bond, 1994, S. 34
51 Wirtschaftliche und arbeitspolitische Aspekte
287
Beschäftigungsverhältnis nicht gelingen, werden auch sie versuchen, mit dieser „afrikanischen" Form der Wirtschaft ihren Lebensunterhalt zu verdienen. 675
51.2
Arbeitsbeziehungen und Black Economic Empowerment
Wenn auch die gesetzlich verankerte Rassendiskriminierung zur Vergangenheit gehört, wird die soziale Apartheid noch lange bestehen bleiben. Grund dafür ist, dass die weiße Bevölkerung wegen ihrer jahrelangen Bevorzugung während der Apartheid viel Kapital angesammelt hat, aber im heutigen schwarz regierten Südafrika nur eine geringe politische Macht darstellt. Damit befindet sich Südafrika in einer sehr heiklen Situation. An den Schaltstellen in Industrie und Wirtschaft sitzen überwiegend Weiße, die politische Kontrolle liegt jedoch in schwarzer Hand. 676 Um diesem Zustand zu entkommen, verfolgt die südafrikanische Regierung ein Konzept des Black Economic Empowerment (BEE), um „schwarzen" Einfluss mit Hilfe gesetzlicher Regelungen und bevorzugter Auftragsvergabe in der weiß dominierten Wirtschaft zu vergrößern. Ein wesentlicher Bestandteil des BEE Act 2004 ist die Balanced Scorecard, welche Unternehmen nach ihrem Fortschritt in der Bevollmächtigung der Mitarbeiter in vier Bereichen misst: 677 • • • •
direct empowerment through ownership and control of enterprises and assets management at senior level human resource development and employment equity indirect empowerment through: preferential procurement, enterprise development, and corporate social investment - a residual and open-ended category.
Trotzdem sind viele Schwarze auf das Wissen und die Erfahrung der Weißen angewiesen. Diese wiederum könnten nicht ohne das schwarze Potential an Arbeitskräften und Käufern existieren.
51.3
Ursachen der Benachteiligung von Frauen
Obwohl die Verfassung von Südafrika die Diskriminierung nach Geschlecht ausdrücklich untersagt, ist die Anwendung dieses Grundsatzes nicht gewährleistet. Frauen besitzen einen
675
Vgl. Behrens/Rimscha, 1994, S. 181 f. und Wiese, 1999, S. I83ff.
676
Vgl. Alexander, 2008
677
Vgl. ebd.
288
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
dualen Rechtsstatus. Zum einen haben sie dieselben kodifizierten Bürgerrechte wie Männer und zum anderen sind sie traditionellen und schriftlich nicht fixierten Stammessitten und Gebräuchen unterworfen. Diese stehen häufig im Widerspruch zum staatlichen Rechtssystem und schränken den Grundsatz der Gleichheit und liberalen Willensbildung von Frauen ein. 678 Die sozial schwache Position von Frauen ergibt sich auch aus einem niedrigeren Bildungsniveau. Ursachen dafür sind frühe Schwangerschaften, Zwang zur Arbeit oder Betreuung jüngerer Geschwister. Die soziale und räumliche Mobilität ist für viele Frauen eingeschränkt. Sie sind auf dem formellen Wohnungsmarkt benachteiligt, weil allein erziehende Personen unter 21 Jahren oder Frauen über 21 ohne Kinder keine Aussicht auf ein staatliches Hausdarlehen haben. 679 Der Prozentsatz an Frauen in white-collar-Berufen (Angestellte) ist mit 21 Prozent niedrig. Bessere Chancen bestehen im blue-collar-Segment (Arbeiter) mit 88 Prozent. Dort konnten die Frauen gegenüber den Männern deutlich aufholen. Wegen der schlechten Bildung der Frauen vom Land konzentrieren sich ihre Tätigkeiten auf den informellen Sektor, der ein geringes Startkapital voraussetzt. Früher wurden sie von der weißen Kolonialmacht benachteiligt und nach der Unabhängigkeit werden sie von der schwarzen Männerwelt diskriminiert, wenn sie Zugang zum formellen Arbeitsmarkt finden wollen. Als Folge füllen die Frauen räumliche Versorgungsnischen in den unterversorgten Townships als Verkäuferinnen von Lebensmitteln und Haushaltswaren oder als Prostituierte aus. Partizipation und Mitsprache von Frauen in politischen Entscheidungsgremien sind bisher von geringer Bedeutung geblieben. Der ANC nimmt eine Förderung vor und weist deshalb eine der höchsten Repräsentationen von Frauen im Parlament auf.
52
Südafrika: Automobilindustrie
Der Export von Bodenschätzen wie Gold und Diamanten war für viele Jahre die bestimmende Einnahmequelle der südafrikanischen Wirtschaft. Heute dagegen haben die Produkte der Automobilindustrie bereits die des Bergbaus als Exportschlager übertroffen. Mit der neuen schwarzen Regierung erfolgt ein weiterer Ausbau von Produktionskapazitäten. Der Automobilsektor macht bereits 29 Prozent der verarbeitenden Industrie aus und trägt zusammen mit Zulieferern, Händlern und Werkstätten mit 7,2 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Die Exporte belaufen sich auf fünf Milliarden Euro. Einschließlich der Zulieferer, Händler und Werkstätten beschäftigt die Branche rund 310.000 Menschen.
678
Vgl. Jürgens/Bähr, 2002, S. 196
679
Vgl. Lohne«, 2000, S. 67
52 Südafrika: Automobilindustrie
289
Den südafrikanischen Automarkt führen Volkswagen, B M W und Mercedes-Benz an. Von dort aus exportieren die Unternehmen auch in alle Welt und machen einen erheblichen Teil der größten Erfolgsgeschichte der südafrikanischen Industrie aus. Allein im Jahr 2006 investierten die sieben internationalen Autohersteiler Mercedes-Benz, B M W , Volkswagen, Toyota, Nissan, Ford und General Motors fast 750 Millionen Euro in ihre Fabriken in Südafrika.
52.1
Internationale Automobilhersteller in Südafrika
Zu Beginn der 1920er Jahre expandierten internationale Autohersteller nach Südafrika. Grund dafür waren billige Arbeitskräfte und ein lohnender Binnenmarkt, die das Land für US-Konzerne attraktiv gemacht haben. Ford eröffnete als erster 1924 ein Produktionswerk bei Port Elizabeth. 1927 folgte General Motors. Um 1930 waren 96 Prozent der registrierten Autos US-Modelle. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen weitere Produzenten. Mercedes-Benz, Toyota und Volkswagen ließen vor allem importierte Teile montieren und bevorzugten deshalb Küstenstandorte wie East London, Durban und Uitenhage bei Port Elizabeth. Die staatlich verstärkte Importsubvention förderte den Ausbau lokaler Zulieferer in den 1960er und 1970er Jahren. Seit dieser Zeit nimmt der lokal produzierte Anteil der verbauten Einzelteile zu. Die Provinz Eastern Cape entwickelte sich zum Zentrum der Auto-Produktion, wo sich bis heute mehrere Anbieter konzentrieren. Die Transportstrecken zu den Hauptabnehmern im Großraum Johannesburg sind jedoch lang und aufgrund der geografischen Reliefunterschiede nicht mit Autotransportern befahrbar. Deshalb haben sich B M W und Nissan ab den 1960er Jahren Binnenstandorte im Raum Pretoria gesucht. Die Expansion europäischer und japanischer Firmen führte dazu, dass der US-Marktanteil 1975 nur noch 35,6 Prozent betrug. Mit den darauf zurückgehenden Investitionen amerikanischer Firmen erhöhte sich die Dominanz japanischer und deutscher Automobilproduzenten. Heute gehen sie immer mehr Kooperationen ein, wie Mitsubishi und Daimler. Gleichzeitig führte dies zu einer Halbierung der Anzahl der Produzenten. Nach dem Ende der Apartheid folgte eine weitere Expansion der Automobilunternehmen, da sich eine wachsende Motorisierung der aufstrebenden schwarzen Mittelschicht zeigte. Die internationalen Autohersteller Daimler, General Motors, B M W , Volkswagen, Land Rover, Daewoo, Peugeot, Toyota, Subaru, Ford, Nissan und Fiat fertigen in Südafrika sowohl Original Equipment Manufacturer (OEM)-Teile als auch Completely Built Up (CBU)Automobile. Andere Unternehmen, wie Renault, versorgen den Markt ausschließlich über Importe. Aus internationaler Sicht ist der südafrikanische Absatzmarkt trotz steigender Tendenz immer noch ziemlich klein. Daher wird neben kleinen Stückzahlen für den lokalen Markt überwiegend für den Export produziert.
290
52.2
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
Motor Industry Development Programme
Die südafrikanischen Rahmenbedingungen machen die Töchter der internationalen Automobilkonzerne, trotz des kleinen südafrikanischen Marktes, rentabel. 1995 ist das „Motor Industry Development Programme" (MIDP) in Kraft getreten. MIDP hat die Importzölle fur eingeführte Fahrzeuge drastisch reduziert. Gleichzeitig wurden Anreize für einen stärkeren lokalen Anteil bei der Automobilherstellung gegeben. Damit können die Unternehmen günstig exportieren, und Modelle, die nur in kleinerer Menge nachgefragt werden, günstig importieren. Das bewog viele Firmen in Südafrika zu produzieren. Gegenwärtig wird das bis 2012 geltende MIDP von Regierung, Industrie und Gewerkschaften überprüft. Die Regierung hat jedoch bereits zugesichert, dass sie ihre Unterstützung in die Autoindustrie auch nach 2012 fortsetzen will. Der Export von Bauteilen und der Aufbau einer eigenen Zulieferindustrie ergänzen die wachsende Automobilproduktion und sind zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor geworden. In der Umgebung von Uitenhage und Rosslyn, wo mehrere Hersteller ansässig sind, entstehen Supplier Parks. Dort produzieren vor allem Joint Ventures zwischen lokalen Unternehmen und den traditionellen Lieferanten die benötigten Fertigteile, wie Katalysatoren, Sitze und Airbags.
52.3
Einfluss der Gewerkschaften auf die Automobilhersteller
Die Metallarbeitergewerkschaft National Union Of Metalworkers Of South Africa (NUMSA) ist die größte Gewerkschaft in Südafrika. Sie engagiert sich auch im Namen der Regierung für folgende Belange: • • • • • •
Rechte der Mitglieder bei den Unternehmen zu verteidigen, Beschwerden der Mitglieder aufnehmen, Mitglieder in Anhörungen vertreten, gegen unfaire Arbeitsbedingungen, Einschränkungen und alle Formen der Diskriminierung kämpfen, für bessere Gehälter und Arbeitsbedingungen mit den Arbeitgebern verhandeln und für Sterbegeld für Mitglieder und die Unterstützung der Familien.
NUMSA möchte besonders das Leben der Arbeiter in den Fabrikhallen verbessern. Deshalb verfolgen sie ihre Ziele sehr hartnäckig:
52 Südafrika: Automobilindustrie •
• •
• •
•
291
Lohn-Gap der Apartheid schließen. Mit der Apartheid hat sich ein großer Lohnunterschied zwischen qualifizierten und nichtqualifizierten Arbeitern aufgetan. Dieser Unterschied bestand hauptsächlich zwischen weißen und schwarzen Arbeitern. Arbeiter für Schulungen interessieren, die in anderen Unternehmen anerkannt werden, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren. Weiterbildungs-„Grade's" am Arbeitsplatz auf fünf „Weiterbildungsstufen" reduzieren und ein „Grading System" auf Basis der Fertigkeiten einfuhren. Mit dieser Art und Weise könnte jeder, der Lehrgänge besucht, mit einer höheren Bezahlung belohnt werden, weil er sich weiterqualifiziert hat. Arbeitgebern die Fertigkeiten bewusst machen, die Arbeiter bei ihrer Stelle im Unternehmen gelernt haben und sie dafür auch zu bezahlen. Sicherstellen, dass Frauen Arbeit bekommen, die traditionell Männer ausführen, wenn sie dafür qualifiziert sind. Frauen müssen die gleiche Bezahlung wie Männer erhalten, wenn beide Geschlechter die gleiche Tätigkeit ausüben. Mehr Kontrolle über die Investitionspläne und Strategien vom Management bekommen. Wenn das Unternehmen massive Kürzungen plant, möchte N U M S A davon Kenntnis erhalten, um die Folgen für die Mitglieder zu minimieren.
N U M S A glaubt an die bedeutende Förderung von Minderheiten („affirmative action"). Arbeiter benötigen technisches Training und eine Grundausbildung. Diese Grundbildung Ausbildung müssen Arbeitgeber ihren Mitarbeitern während der Arbeitszeit gewähren. Weiteren darf es keine Diskriminierung gegen Arbeitern anderer Rassen, wegen des schlechts oder der Religion geben.
52.4
Die und Des Ge-
Zukunft der Automobilindustrie
Der südafrikanische PKW-Markt boomt weiter. Allerdings ist erst wieder mit neuen Investitionen in die Automobilindustrie zu rechnen, wenn die Regierung endgültig beschlossen hat, ob und inwieweit sie nach 2012 die Branche weiter subventioniert. Für die Zulieferer ergeben sich gute Geschäftschancen. Die Automobilhersteller zielen auf einen größeren Anteil an OEM-Teilen aus der lokalen Produktion an. Dafür bieten Supplier Parks, wie in Rosslyn bei Pretoria, interessante Möglichkeiten für Abnehmer. Aufgrund des gestiegenen Kfz-Bestands in den letzten Jahren in Südafrika, ergibt sich auch eine erhöhte Nachfrage nach Zubehörteilen, wie Spoiler, Leichtmetallfelgen, Sitzsysteme oder Stereoanlagen. Diese werden von den Herstellern bisher nicht angeboten, und die Zulieferer können davon profitieren. Besonders bei Autobesitzern der schwarzen Mittelschicht ist die Nachfrage nach solchem Zubehör groß. Ferner gewinnt diese Konsumentengruppe zunehmend an Gewicht in Südafrika. Auch wenn der Absatz in Südafrika in den vergangenen Jahren beträchtlich gestiegen ist, konzentrieren sich die Autohersteiler auf wenige Modelle und den Export, um auf profitable Stückzahlen zu kommen. B M W hat in seinem Werk in Rosslyn bei Pretoria mit der Produk-
292
XI Länderforschung am Beispiel Südafrika: Geschichte, Bevölkerung und Kultur
tion und dem Export der neuen 3er-Reihe begonnen. Mercedes-Benz fertigt die neue C-Klasse in seinem Werk in East London und exportiert ebenfalls kräftig. Dem Beispiel der deutschen Autobauer folgen jetzt schrittweise andere Produzenten. 2002 stammen noch 97 Prozent des Auto-Exports von BMW, Mercedes-Benz und VW. Jetzt bauen ebenfalls Toyota, Nissan und Ford ihre Produktion und den Export aus. Zunehmenden Druck wird es von Billigproduzenten aus China und Indien geben, die Modelle fur unter 10.000 Euro anbieten und auch bald am Kap produzieren wollen.
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XII
Das AGG und Diversity Management - eine betriebswirtschaftliche und europäisch-nationale, rechtliche Antwort auf die Internationalisierung von Arbeitsmärkten in Europa und Weltweit
Noch nie befand sich die Welt in einem so schnellen Wechsel der Umfeldbedingungen für Unternehmen und deren Beschäftigte. Durch die ansteigende Internationalisierung, den demografischen Wandel und den schnell wachsenden technologischen Fortschritt sind Unternehmen gezwungen, immer schneller auf Veränderungen in ihrer Umwelt zu reagieren. Gerade in Bezug auf die Beschäftigten zeichnen sich starke Abweichungen vom bisher Bekannten ab und fordern neue Reaktionen auf die kulturellen, sozialen und erfahrungstechnischen Besonderheiten der Belegschaft. Der deutsche Gesetzgeber reagierte auf die kulturelle und andersartige Vielfalt unter den Beschäftigten mit der Einfuhrung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das Benachteiligungen in Unternehmen verhindern soll. Gleichzeitig ist für Unternehmen aber neben der Einhaltung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes die sinnvolle Nutzung der Ressource Mensch in all ihren Facetten nötig, um erfolgreich am Markt arbeiten zu können. Um die Vielfalt der Beschäftigten für sich anwenden zu können, ist es notwendig durch das Diversity Management auf die persönlichen „Merkmale" jedes einzelnen Mitarbeiters zu reagieren. Nachfolgend wird ein Überblick über die wichtigsten Aspekte des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gegeben und der Prozess des Diversity Managements erläutert.
XII Das AGG und Diversity Management
296
53
Veränderungen in der Unternehmenswelt
53.1
Internationalisierung der Arbeitsmärkte
Weltweit finden derzeit internationale Wirtschaftsbeziehungen statt, wie in noch keinem Zeitalter zuvor. Diese internationalen Verflechtungen intensivieren sich seit den 1990er Jahren aufgrund technologischer Entwicklungen, des Wegfalls von Handels-, Kapital- und Arbeitsbarrieren sowie politischer und wirtschaftlicher Integrationstendenzen. 680 In Deutschland spielt eine internationale Ausrichtung der Unternehmen eine immer wichtigere Rolle, da Deutschland ein exportorientiertes Land ist und durch die Rohstoffarmut zum Import verschiedener Güter gezwungen ist. Aus der Abb. 53.1 ist erkennbar, dass sich die Ein- und Ausfuhrzahlen für deutsche Güter und Dienstleistungen seit 1997 mehr als verdoppelt haben. in Mrd. € 12CD
Ausfuhr
— — - ^ ^
—
Einfuhr
~
400
0·
1997
,
1998
,
1999
,
2000
,
2001
,
2002
,
2003
,
2004
,
2005
,
2006
,
2007
,
,
2008 Jahr
Abb. 53.1: Kennzahlen des deutschen Außenhandels von 1997 bis 200tf"1
Diese immer stärker werdende internationale Ausrichtung der Unternehmen ist auch in der steigenden Anzahl an weltweiten grenzüberschreitenden Fusionen zu erkennen. Wie in Abb. 53.2 zu erkennen ist, stieg die Anzahl von Mergers and Acquisitionsaktivitäten von interna-
680
Vgl. Oechsler, 2006, S. 98
681
In Anlehnung an: Statistisches Bundesamt 2009b
53 Veränderungen in der Unternehmenswelt
297
tionalen Unternehmen seit 1993 stetig, und damit der „ E i n k a u f ausländischer Mitarbeiter/innen durch Fusion im Konzern. [Milliarden US-»]
1200
lioo 1000 900
j§
Direktinvestitionen
I
grenzüberschreitende Fusionen
800
700
600 500 400 300 200
100 0
1987 1988
1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000
Abb. 53.2: Weltweite Direktinvestitionen und grenzüberschreitende Fusionen6*2 N u n ist daraus auch ableitbar, dass sich die Unternehmen unter anderem i m m e r vielseitigeren Kunden- und Lieferantenstrukturen stellen müssen. Dabei ist es unerlässlich, auf die verschiedenen kulturellen Unterschiede durch ausgewählte Mitarbeiter einzugehen, um eine langfristige Z u s a m m e n a r b e i t zu ermöglichen. Z u n e h m e n d finden auch Personalentsendungen im Z u g e von Kooperationen und strategischen Allianzen mit ausländischen Unternehmen statt und, w a s sich vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern als Problem darstellt, eine A b w a n d e r u n g qualifizierter Mitarbeiter z.B. nach Deutschland. So werben beispielsweise viele Industrieländer qualifizierte Fachkräfte des Gesundheitssektors aus Indien, China oder den Philippinen ab, da im eigenen Land ein Fachkräftemangel besteht. 6 8 3 Indes trifft diese A b w a n d e r u n g nicht nur Entwicklungs- und Schwellenländer. Allein in Deutschland sind seit 1990 ca. 500.000 M e n s c h e n ins Ausland abgewandert. 6 8 4 Nachteilig ist dabei, dass die sowieso wirtschaftlich schwachen Länder oder Regionen, die f ü r die Ausbildung der Fachkräfte a u f k o m m e n , daraus keinen N u t z e n ziehen können, u m eine wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben. Zu erwähnen ist in diesem Z u s a m m e n h a n g auch, dass die Anzahl der Personen mit ausländischer Staatsangehörigkeit Ende 2008 bereits 6,73 Millionen in der Bundesrepublik betrug.
682
Andruchowitz, 2003
683
Vgl. Stewart/Clark/Clark, 2007
684
Vgl. Heckmann, 2006
298
XII Das AGG und Diversity Management
Dies stellt einen leichten Rückgang im Vergleich zum Vorjahr dar, der allerdings in der hohen Zahl der Einbürgerung türkischer Bewohner begründet liegt. Nennenswert ist hingegen die Zunahme von 1 Prozent der Personen, die einem EU-Mitgliedsstaat angehören. 685 Es ist erkennbar, dass die Bildung der Europäischen Union im Jahre 1993 zu einem großen Teil zur Internationalisierung des Arbeitsmarktes beiträgt, wie es auch bei anderen Gemeinschaften von Staaten zu beobachten ist. Hier fuhrt die Entstehung eines unbeschränkten Arbeitsmarktes durch die steigende Anzahl ausländischer Bewerber und die Möglichkeit für Unternehmen, Fach- und Führungskräftemangel ansatzweise international ausgleichen zu können, 686 zu einer größeren Vielfalt unter den Erwerbspersonen. 687 Es ist zu konstatieren, dass durch die Internationalisierung im Allgemeinen und die Internationalisierung der Arbeitsmärkte z.B. in der Europäischen Union eine stärkere Auseinandersetzung der Unternehmen mit den Werten, kulturellen Hintergründen und Sichtweisen der Bewerber, Mitarbeiter und Fusionspartnern erforderlich macht, um weiterhin erfolgreich arbeiten zu können.
53.2
Technologischer Fortschritt
Aufgrund der rasanten technologischen Entwicklung und immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen hat sich der Faktor Zeit zu einem Wettbewerbsfaktor entwickelt. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, benötigen Unternehmen immer mehr hoch qualifizierte Mitarbeiter. Die Anforderungen an die Arbeitnehmer ändern sich in immer kürzer werdenden Abständen und repetitive Arbeiten fallen zunehmend weg. Damit stellt sich hier die Herausforderung der Personalbeschaffung, um solch qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. 688
53.3
Demografische Entwicklung
Ende 2007 hatte Deutschland einen Bevölkerungsstand von ca. 82,2 Millionen Menschen. 689 Laut Schätzungen des statistischen Bundesamtes wird die Bevölkerungszahl bis 2050 dramatisch abnehmen, wie in Abb. 53.3 ersichtlich wird. Es wird davon ausgegangen, dass 2050 nur noch 69 bis 74 Millionen Menschen in Deutschland leben. 690 Diese Tatsache ist einer-
685
Vgl. Statistisches Bundesamt, 2009a, S. 194
686
Vgl. Kirchgeorg/Günther, 2006
687
Vgl. G loger, 2000, S. 37
688
Vgl. Oechsler, 2006, S. 100
¿OQ
Vgl. Statistisches Bundesamt, 2008 690
Vgl. Statistisches Bundesamt, 2006, S. 15
53 Veränderungen in der Unternehmenswelt
299
seits auf sinkende Geburtenzahlen und andererseits auf steigende Sterberaten zurückzufuh-
Abb. 53.3: Prognose der Entwicklung der Bevölkertmgszahl in Deutschland bis 205(f'n
Das wachsende Geburtsdefizit liegt darin begründet, dass durch die niedrige Geburtenhäufigkeit die Anzahl der potenziellen Mütter sinkt. Es ist derzeit absehbar, dass die Anzahl der Mitarbeiter im Schul- und Ausbildungsalter schnell zurückgehen wird, und dass 2050 eventuell doppelt so viele ältere wie jüngere Menschen leben werden. Die Anzahl der Sterbefalle wird trotz zunehmender Lebenserwartung steigen, da die Jahrgänge, die stark besetzt sind, ins hohe Alter hineinwachsen und daher viele Sterbefalle auf einmal pro Zeiteinheit eintreten. Bereits heutzutage liegt die Sterberate höher als die Geburtenrate. Auch ein Wanderungssaldo von 100.000 bis 200.000 Menschen pro Jahr kann diesem Trend nicht wirklich entgegenwirken. Damit ist zu erwarten, dass die Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter altern und schrumpfen wird. Bis 2015 ist davon auszugehen, dass die Zahl der Erwerbsfähigen konstant bei ca. 50 Millionen Menschen bleibt. Hierbei schrumpft jedoch schon der Anteil der jungen Menschen und wird durch den Anteil der älteren Menschen kompensiert. In den folgenden Jahren wird die Gesamtzahl der Erwerbsfähigen jedoch zurückgehen, sodass im Jahr 2050 nur noch mit 35-39 Millionen Erwerbsfähigen zu rechnen ist. Dass Unternehmen sich in den nächsten
691
Ebd., S. 15
300
XII Das AGG und Diversity Management
Jahren auf jeden Fall auf diesen Trend einstellen müssen, sieht man an Diskussionen wie z.B. ältere Arbeitnehmer in unternehmerische Arbeitsorganisationen zu integrieren sind, da junge Absolventen eine immer geringer werdende Gruppe darstellen. Folglich müssen ältere Mitarbeiter/innen gerade bei der Neueinstellung besonders berücksichtigt werden und ihnen eine verlängerte Beschäftigungsdauer eingeräumt werden. 692 Durch die abnehmende Zahl der Bevölkerung wird es unerlässlich bleiben, auch Frauen mit und ohne Kinder und ethnische Minderheit noch stärker in die Erwerbstätigkeit einzubinden, denn trotz des technischen Fortschritts werden die Potentiale dieser Gruppen besonders im Unternehmensmanagement und der Verwaltung bald gefragt sein.
53.4
EU-Antidiskriminierungsrichtlinien
Wegen der Europäischen Integration, der zunehmenden Globalisierung und der damit einhergehenden Internationalisierung von Unternehmen sowie des demografischen Wandels wurden von der Europäischen Gemeinschaft Richtlinien verfasst, um Diskriminierungen auf den unterschiedlichsten Arbeitsmärkten zu verhindern und Chancengleichheit/Gleichberechtigung sowie Gerechtigkeit auf ein gutes Leben zu fördern. Grundlage hierfür bildet der Artikel (Art.) 13 Absatz (Abs.) 1 des Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, nach dem „der Rat geeignete Vorkehrungen treffen kann, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen". 693 Hieraus folgten die vier EU-Antidiskriminierungsrichtlinien des EUMinisterrates: 694 • • •
•
69? 693
694
2000/43/EG vom Juni 2000: Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft 2000/78/EG vom November 2000: Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf 2002/73/EG vom September 2002: Änderung der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg 2004/113/EG vom Dezember 2004: Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen
Vgl. Statistisches Bundesamt, 2006, S. 5f. Europäische Gemeinschaft, 2002, S. 11 DGB Bildungswerk e.V., o. J.
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
301
Auf Grundlage dieser Richtlinien haben sich die Mitgliedsstaaten der EU verpflichtet, die Anwendung der Richtlinien sicherzustellen, in Deutschland wurde dies mit Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) am 18. August 2006 695 umgesetzt.
54
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
54.1
Zielsetzung und Inhalt des AGG (§ 1 AGG)
Bereits vor Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im August 2006 wurde eine Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der Abstammung, der Sprache, des Geschlechts, der Heimat oder Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen oder einer Behinderung in Art. 3 des Grundgesetztes verboten. Jedoch entspricht die Realität nicht den Vorgaben der Verfassung und dem internationalen Rechts. 696 Das AGG stellt die Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien in nationales Recht dar. Dabei ist das Ziel des Gesetzes, wie in § 1 A G G dargestellt, Benachteiligungen aus Gründen der Rasse oder ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen. Hierbei spricht der Gesetzgeber bewusst von einer Benachteiligung und nicht von einer Diskriminierung, um zu verdeutlichen, dass nicht jede unterschiedliche Behandlung, die mit Zufugung eines Nachteils verbunden ist, einen diskriminierenden Charakter hat. 697 Das A G G ist in sieben Teile gegliedert, beginnend mit Abschnitt 1 (§ 1 bis § 5 AGG), der das Ziel, den Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen beinhaltet. Der zweite Abschnitt umfasst die § 6 bis § 18 AGG und regelt den Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung und stellt auch den persönlichen Anwendungsbereich im Arbeitsrecht dar. Abschnitt 3 behandelt den Schutz vor Benachteiligung im Zivilrechtsverkehr (§ 19 bis § 21 AGG). Regelungen zum Rechtsschutz lassen sich im Abschnitt 4 (§ 22 bis § 23 AGG) wiederfinden. Abschnitt 5, bestehend aus § 24 des AGG, regelt Sondervorschriften für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, die aber im Folgenden nicht näher betrachtet werden sollen. Der vorletzte Abschnitt 6, bestehend aus § 25 bis § 30 AGG, liefert Erläuterungen zum Aufbau von Antidiskriminierungsstellen beim Bund und darauf aufbauend werden in den letzten drei Paragraphen noch Schlussbestimmungen benannt. 698
695
Vgl. Raasch, 2007
696
Vgl. Busch/Kocher/Wolkoborsky, 2009, S. 17
697
Vgl. Wisskirchen, 2007, S. 9
698
Vgl. Hoffjan/Bramann/Kentrup, 2008, S. 3 3 - 3 8
XII Das AGG und Diversity Management
302
54.2
Benachteiligungsmerkmale
Das AGG nennt acht Benachteiligungsmerkmale, deren Anwendung erläutert wird.
54.2.1
Rasse
Der Begriff der Rasse muss bei der Auslegung des AGG mit besonderer Rücksicht behandelt werden, da der Gesetzgeber bewusst davon Abstand nehmen möchte, dass es Unterschiede in Rassen gibt. Die Verwendung solch eines Begriffes impliziert nicht die Akzeptanz, was in der Formulierung „aus Gründen der" anstelle „wegen" verdeutlicht werden sollte. 699
54.2.2
Ethnische Herkunft
Dahingegen wird mit dem Wortlaut „ethnische Herkunft" eine weiträumige Definition im Sinne von Abstammung, nationalem Ursprung oder auch Volkstum verstanden. Es kann hier die ethnische Herkunft beispielsweise nicht von der Staatsangehörigkeit abgeleitet werden, sondern es kann auch spezielle Volksgruppen mit einer eigenen kulturellen Identität beinhalten. 700
54.2.3
Behinderung
Bezogen auf das AGG übernahm der Gesetzgeber die Definition einer Behinderung aus dem 9. Sozialgesetzbuch (SGB IX) und dem Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen (BBG). Demnach sind Menschen behindert, wenn „ihre körperliche, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als 6 Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist", wie aus § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 BGG hervorgeht 701 . Als behinderte Menschen, deren Benachteiligung verboten ist, gelten also nur solche, die einen Schwerbehindertenausweis besitzen. 702
54.2.4
Sexuelle Identität
Eine abschließende Definition des Begriffs der sexuellen Identität im Recht fehlt derzeit. So findet lediglich eine Auslegung des Begriffs statt, was dazu fuhrt, dass homosexuelle und
699
Vgl. Schiek, 2007, § 1 AGG, Rn. 9
700
Vgl. Wisskirchen, 2007, S. 10-11
701
Vgl. Schiek, 2007, § 1 AGG, Rn. 36
702
Vgl. Wisskirchen, 2007, S. 11
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
303
bisexuelle Männer und Frauen, transsexuelle und zwischengeschlechtliche Menschen durch das A G G besonders geschützt werden sollen. 703
54.2.5
Alter
Beim Alter wird generell vom Lebensalter gesprochen. Hierbei sollen nicht nur jüngere, sondern hauptsächlich ältere Menschen geschützt werden. Grundlage dessen ist, dass jeder Mensch individuell schnell altert und sich auch die physischen Merkmale mit zunehmendem Alter nicht mehr verallgemeinern lassen. Hinzukommend können selbst durch das Alter entstehende Nachteile in der heutigen Gesellschaft durch den hohen Automatisierungsgrad und den Wandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft kompensiert werden. 7 0 4
54.2.6
Religion oder Weltanschauung
Religion im Sinne des A G G wird als ein sehr weiträumiger Begriff verstanden, sodass auch Minderheitenreligionen Inbegriffen sind. Allerdings gibt es hier immer noch länderspezifische Unterschiede, die die Einordnung bestimmter Gruppen, wie beispielsweise der Scientology Church, vorgenommen werden kann. Es muss allerdings verdeutlicht werden, dass selten eine Benachteiligung aufgrund der Religion allein stattfindet, sondern eher eine Benachteiligung wegen eines zusammenhängenden Merkmals zu erwarten ist. 705 Die Weltanschauung ist eng zu verstehen „als eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel menschlichen Lebens, die auf innerweltliche Bezüge beschränkt ist und die allgemeine politische Gesinnung gerade nicht erfasst". Um den Zugang zu verweigerten Geschäften für beispielsweise Anhänger rechten Gedankenguts zu verhindern, wird die Weltanschauung in § 19 A G G und somit den zivilrechtlichen Ansprüchen nicht vor Benachteiligung geschützt. 706
54.2.7
Geschlecht
Unter dem A G G wird weiterhin eine Benachteiligung aufgrund des Geschlechts verboten. Dies beinhaltet das männliche und weibliche Geschlecht, Transsexuelle und Hermaphroditen. 707
703
Vgl. Schiek, 2007, § 1 AGG, Rn. 31-32
704
Vgl. ebd., § 1 AGG, Rn. 4 4 - 4 6
705
Vgl. ebd., § 1 AGG, Rn. 19-21
706
Vgl. Bundestagsdrucksache 16/2022, S. 13
707
Vgl. Wisskirchen, 2007, S. 12
304
54.3
XII Das AGG und Diversity Management
Anwendungsbereich
Im persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich wird erläutert, wer sich auf das AGG berufen kann und wann es Anwendung findet.
54.3.1
Sachlicher Anwendungsbereich (§ 2 AGG)
In § 2 AGG wird offensichtlich, dass der Schwerpunkt des AGG zwar im Arbeitsrecht liegt, jedoch auch weite Teile des Zivil- und Sozialrechts erfasst werden. Dies wird deutlich, da in § 2 Abs. 1 Nr. 1-4 AGG arbeitsrechtliche Bereiche angesprochen werden und in § 2 Abs. 1 Nr. 5 - 8 AGG zivil- und sozialrechtlich relevante Bereiche festgelegt werden. 708 Es werden Benachteiligungen wegen eines der Merkmale in allen Phasen des Arbeitsverhältnisses, von der Personalauswahl bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses, als unzulässig erklärt. 709 Der sachliche Anwendungsbereich erstreckt sich auf: • • • • • • • •
den Zugang zur Beschäftigung und zum beruflichen Aufstieg, Beschäftigungs-, Arbeits- und Entlassungsbedingungen, den Zugang zur Berufsbildung, die Mitgliedschaft und das Mitwirken in Vereinigungen, den Sozialschutz, die sozialen Vergünstigungen, die Bildung und den Zugang und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen.
Nicht erfasst werden hingegen Kündigungen, da diese gemäß § 2 Abs. 4 AGG den allgemeinen und besonderen Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes unterliegen, Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch und die betriebliche Altersvorsorge, da für diesen Fall das Betriebsrentengesetz gilt.
Zugang zur Erwerbstätigkeit und beruflicher Aufstieg Alle Bedingungen fur den Zugang zu selbstständiger oder unselbstständiger Arbeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, sowie der berufliche Aufstieg sollen benachteiligungsfrei gestaltet werden. Besonders wird in diesem Bereich auf die Auswahlkriterien und Einstellungskriterien hingewiesen, da diese ein besonderes Benachteiligungspotential bieten. Eine Benachteiligung wird somit in der Stellenausschreibung, Personalauswahl bei Einstellungen und Beförderungen sowie Einstellbedingungen untersagt. 710 Das Einbeziehen des Zugangs zu beruflichem Aufstieg soll verhindern, dass eine Benachteiligung nicht
708 709 710
Vgl. Worzalla, 2006, S. 43 Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 17 Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 18
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
305
erst bei der Entscheidung über eine Beförderung, sondern bereits bei dienstlichen Beurteilungen verhindert werden soll, da diese den Grundbaustein fìir die Entscheidung darstellen. 7 "
Beschäftigungs-, Arbeits- und Entlassungsbedingungen § 2 Nr. 2 AGG umfasst alle Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts und Entlassungsbedingungen, insbesondere individual- und kollektivrechtliche Vereinbarungen und Maßnahmen bei der Durchführung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses in Form von beispielsweise Aufhebungsverträgen sowie für den beruflichen Aufstieg. Erfasst werden daher auch die nachwirkenden Folgen eines beendeten Beschäftigungsverhältnisses. Unter dem Schutz des AGG stehen somit z.B. arbeitsvertragliche Vereinbarungen, Regelungen einer Betriebsvereinbarung, tarifliche Regelungen, Versetzungen, Einzelanweisungen zur Konkretisierung der Arbeitspflicht und einseitige Leistungen des Arbeitgebers. 712
Zugang zur Berufsbildung Benachteiligungen sind ebenfalls unzulässig betreffs des Zugangs zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung einschließlich der Berufsberatung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung sowie der praktischen Berufserfahrung. Die Berufsbildung umfasst nach § 1 BBiG die Berufsausbildungsvorbereitung, Berufsausbildung, berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung. Unter der praktischen Berufserfahrung sind arbeitsförderungsrechtliche Maßnahmen zu verstehen, die durch das Vermitteln von praktischer Berufserfahrung die Chancen einer Person auf dem Arbeitsmarkt verbes-
Mitgliedschaft und Mitwirken in Vereinigungen Der Anwendungsbereich des AGG beinhaltet des Weiteren die Mitgliedschaft und das Mitwirken in einer Gewerkschaft, einem Arbeitgeberverband oder Berufsverbänden. Das Benachteiligungsverbot erstreckt sich weiterhin auch auf die Inanspruchnahme von Leistungen dieser Vereinigungen. 714
Sozialschutz, soziale Vergünstigungen und Bildung Benachteiligungen aus einem in § 1 AGG genannten Grund sind auch unzulässig in Bezug auf den Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und den Gesundheitsdienst, die sozialen Vergünstigungen und die Bildung. Der Großteil dieser Sachverhalte unterliegt öffentlich-rechtlichen Regelungen, da dies überwiegend staatliche Leistungen sind. Denkbar
711
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 2 AGG, Rn. 6
712
Vgl. Worzalla, 2006, S. 45
713
Vgl. ebd., S. 46
714
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 2 AGG, Rn. 13
306
XII Das AGG und Diversity Management
sind aber auch Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage in Form von beispielsweise privaten Arztverträgen oder Bildungsleistungen privater Anbieter. 715 Zugang und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen Unter § 2 Abs. 1 Nr. 8 AGG wird der Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen erfasst, die der Öffentlichkeit zur Verfugung stehen, einschließlich Wohnraum. Unter dem Begriff Dienstleistung werden nicht nur Dienst- und Werkverträge zusammengefasst, sondern auch Geschäftsbesorgungsverträge, Finanzdienstleistungen, Mietverträge, Kredit- und Versicherungsverträge sowie Leasingverträge. Eine Eingrenzung findet insofern statt, als dass die Dienstleistungen und Güter der Öffentlichkeit zur Verfugung stehen müssen, wobei nicht die Größe der angesprochenen Öffentlichkeit entscheidend ist, sondern die Willenserklärung des Anbietenden über dessen Privatsphäre hinausgeht.716
54.3.2
Persönlicher Anwendungsbereich (§ 6 AGG)
In § 6 AGG werden sowohl der geschützte Personenkreis als auch der Arbeitgeber spezifiziert.
Geschützter Personenkreis Zu den Beschäftigten und somit den möglichen Anspruchstellern nach dem AGG zählen: • • • • •
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die zur Berufsausbildung Beschäftigten, arbeitnehmerähnliche Personen, Bewerber und Bewerberinnen fur ein Beschäftigungsverhältnis und Personen, deren Beschäftigungsverhältnis beendet ist
aus Privatwirtschaft und öffentlichem Dienst.717 Aus Einfachheitsgründen wird in der folgenden Arbeit nur die männliche Form verwandt. Alle Begriffe wie Arbeitnehmer, Arbeitgeber, Mitarbeiter, Bewerber etc. beziehen sich selbstverständlich auf beide Geschlechter. Als Arbeitnehmer wird derjenige verstanden, der durch einen privatrechtlichen Vertrag zur Erbringung weisungsabhängiger Tätigkeiten in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Hierbei unterliegt der Arbeitnehmer dem Weisungsrecht des Arbeitgebers, welches Inhalt, Ort, Zeit und Dauer der Tätigkeit betreffen kann, und ist in dessen Arbeitsorganisation eingebunden. 718 Zu den Arbeitnehmern nach diesem Gesetz gehören auch Personen, die in einem faktischen Arbeitsverhältnis beschäftigt
715
Vgl. ebd., § 2 AGG, Rn. 15
716
Vgl. Worzalla, 2006, S. 48
717
Vgl. Däubler/Bertzbach, 2008, § 6 AGG, Rn. 1
718
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 6 AGG, Rn. 2
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
307
sind, 719 Teilzeitbeschäftigte, die mindestens 10 Stunden wöchentlich arbeiten sowie geringfügig Beschäftigte 7 2 0 . Unter den Personenkreis der zur Berufsausbildung Beschäftigten fallen nach § 1 Abs. 1 Berufsbildungsgesetz (BBiG) nicht nur Auszubildende, sondern auch Beschäftigte, die sich in der Berufsvorbereitung, der beruflichen Fortbildung oder der beruflichen Umschulung befinden. 721 Wenn der Betreffende einen privatrechtlichen Vertrag im Dienste eines anderen leistet, und dabei regelmäßig dem Weisungsrecht des Ausbildenden untersteht, liegt eine Beschäftigung im Sinne des A G G vor. Auch Werkstudenten, 7 2 2 Praktikanten und Volontäre werden im persönlichen Anwendungsbereich erfasst, da eine gezahlte Vergütung nicht relevant ist. 723 Weiterhin zählen zu den Beschäftigten arbeitnehmerähnliche Personen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit sowie die in Heimarbeit Beschäftigten und ihre Gleichgestellten, 724 wie beispielsweise Beschäftigte in Behindertenwerkstätten oder Rehabilitanden. Grundsätzlich stellen arbeitnehmerähnliche Personen keine Arbeitnehmer im arbeitsrechtlichen Sinne dar. Eine Definition des Begriffs lässt sich in § 12a Tarifvertragsgesetz finden, demnach sind arbeitnehmerähnliche Personen Beschäftigte, die wirtschaftlich abhängig, einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig sind und aufgrund von Dienst- und Werkverträgen ihre Leistung persönlich schulden. Hinzukommend müssen sie überwiegend fur nur eine Person tätig sein oder im Durchschnitt mehr als die Hälfte ihres Entgelts von einer Person beziehen. 725 Eine soziale Schutzbedürftigkeit ist nicht gegeben, wenn der Dienstverpflichtete seinerseits wie ein Unternehmer im eigenen Namen Arbeitnehmer beschäftigt. 726 Die im A G G genannten Benachteiligungstatbestände gelten für Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis. Als ausreichend wird angesehen, wenn sich die Person bei einem Arbeitgeber um eine Beschäftigung bewirbt, wodurch diesem das Begehren auf einen Vertragsabschluss zugegangen sein muss. 727 Hierbei können allerdings nur Ansprüche aus dem A G G abgeleitet werden, wenn sich subjektiv ernsthaft auf die Stelle beworben wurde und der Be-
719
Vgl. ebd., § 6 A G G , Rn. 4
720
Vgl. Rust/Falke, 2007, § 6 A G G , Rn. 12
721
Vgl. § 1 A b s . 1 BBiG
722
Vgl. Bährle, 2007, S. 12
723
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 6 A G G , Rn. 9
724
Vgl. Schiek, 2007, § 6 A G G , Rn. 5
725
Vgl. Worzalla, 2006, S. 77
726
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 6 A G G , Rn. 10
727
Vgl. Worzalla, 2006, S. 78
308
XII Das AGG und Diversity Management
werber objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kommt, 728 was auch durch Initiativbewerbungen gegeben sein kann,729 Der Gesetzgeber bezog auch aus dem Beschäftigungsverhältnis Ausgeschiedene in den Anwendungsbereich des AGG für den Fall nachwirkender Folgen des Arbeitsverhältnisses, insbesondere der betrieblichen Altersvorsorge, ein.730 Aufgrund des Fehlens eines privatrechtlichen Vertrags werden Beamte und Auszubildende, die in einem Beamtenverhältnis stehen, Richter, Soldaten, Zivildienstleistende und Kriegsverweigerer nicht in diesem Abschnitt des AGG erfasst. Für diese Personengruppen gilt das AGG allerdings unter besonderer Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung gemäß § 24 AGG. 731
Arbeitgeber im Sinne des AGG Arbeitgeber sind natürliche und juristische Personen sowie rechtsfähige Personengesellschaften, welche eine oder mehrere Personen nach § 6 Abs. 1 AGG beschäftigen. Anstelle des Arbeitgebers tritt bei in Heimarbeit Beschäftigten und die ihnen Gleichgestellten der Auftraggeber oder Zwischenmeister. 732 Eine Besonderheit stellen Leiharbeitnehmer dar, da bei ihnen zusätzlich zum Vertragsarbeitgeber, also dem Verleiher, auch noch der jeweilige Entleiher als Arbeitgeber im Sinne des AGG gilt.733
Selbstständige und Organmitglieder Für Selbstständige und Organmitglieder, insbesondere Geschäftsführer und Vorstände, 734 gelten die Bestimmungen des Abschnitts 2 des AGG nur, wenn es um Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg geht. In diesem Zuge sollen Benachteiligungen bei Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen ausgeschlossen werden, was auch dem sachlichen Anwendungsbereich entspricht. Selbstständige und Organmitglieder gelten nicht zu dem in § 6 Abs. 1 AGG geschützten Personenbereich, da sie grundsätzlich als ein gesetzlicher Vertreter des Arbeitgebers anzusehen sind und somit eine Arbeitgeberstellung innehaben. 735
798
Vgl. Schiek, 2007, § 6 A G G , Rn. 6 729
Vif)
Vgl. Worzalla, 2006, S. 78 Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1789, S. 34
731
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 6 AGG, Rn. 6
732
Vgl. Worzalla, 2006, S. 82
733
Vgl. Kolmhuber/Schreiner, 2006, Rn. 6 4
734
Vgl. Schiek, 2007, § 6 AGG, Rn. 11
735
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 6 AGG, Rn. 16
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
54.4
309
Benachteiligungstatbestände (§ 3 AGG)
In § 3 AGG finden Begriffsbestimmung zu den verschiedenen Benachteiligungstatbeständen statt. Benachteiligungen können in Form von unmittelbarer und mittelbarer Benachteiligung, Belästigung oder einer sexuellen Belästigung sowie durch Benachteiligungen durch Anweisung auftreten.
54.4.1
Unmittelbare Benachteiligung
Eine unmittelbare Benachteiligung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt vor, wenn eine Person eine ungünstigere Behandlung als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfahrt, erfahren hat oder erfahren würde, wobei eine Benachteiligung auch in einem Unterlassen gesehen werden kann. 736 Das Verbot der unmittelbaren Benachteiligung soll ausdrückliche Ungleichbehandlungen untersagen, wobei keine strukturellen Ungleichbehandlungen berücksichtigt werden. Somit finden tatsächlich bestehende Differenzen keine Berücksichtigung. 737 Beispiele für unmittelbare Benachteiligungen sind: • •
•
in der Stellenausschreibung wird „eine junge Verkäuferin" gesucht (dies ist eine unmittelbare Benachteiligung von älteren Bewerbern und Männern), der Arbeitsvertrag einer schwangeren Frau wird nicht verlängert, obwohl ihr dies vor Bekanntwerden der Schwangerschaft zugesichert wurde (dies ist eine unmittelbare Benachteiligung von Frauen), das gestaffelte Gehalt nach Altersgruppen (dies ist eine unmittelbare Benachteiligung junger Arbeitnehmer).
54.4.2
Mittelbare Benachteiligung
Bei der mittelbaren Benachteiligung liegen neutrale Regelungen, Anforderungen oder Bedingungen vor, die vorgeschoben werden, obwohl die Benachteiligung tatsächlich auf anderen Gründen beruht. Hierbei ist also immer zu prüfen, ob der Nachteil durch ein rechtmäßiges Ziel gerechtfertigt und angemessen ist. Beispiele für mittelbare Benachteiligungen sind: •
Teilzeitbeschäftigte dürfen bestimmte Vergünstigungen ohne arbeitszeitbezogene Begründung nicht in Anspruch nehmen (da Teilzeitbeschäftigte überwiegend weiblich sind, kann dies eine mittelbare Benachteiligung von Frauen darstellen), 738
736
Vgl. Wisskirchen, 2007, S. 12
737
Vgl. Busch/Kocher/Welkoborsky, 2009, S. 36
710
Vgl. Busch/Kocher/Welkoborsky, 2009, S. 36f.
310 •
XII Das AGG und Diversity Management
ein Sozialplan sieht vor, dass Elternzeit nicht als Betriebszugehörigkeitszeit auf die Abfindungshöhe angerechnet wird (dies kann eine mittelbare Benachteiligung von Frauen darstellen).
54.4.3
Belästigung
Beruhend auf Art. 2 Abs. 3 der Antirassismus-Richtlinie 2000/43/EG 739 liegt eine rechtswidrige Belästigung im Sinne des AGG vor, wenn eine unerwünschte Verhaltensweise besteht, welche bewirkt oder bezweckt, dass die Würde einer anderen Person verletzt wird. 740 Hierbei muss nicht erst die Qualität einer Menschenwürdeverletzung nach Art. 1 Grundgesetz erreicht werden. Hinsichtlich dem Grad der Schwere reicht eine Verhaltensweise, die den Tatbestand einer Beleidigung nach §§ 185ff. Strafgesetzbuch erfüllt. 741 Zusätzlich muss der Sachverhalt gegeben sein, dass dadurch ein von Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen, Beleidigungen oder Einschüchterungen bestimmtes Umfeld geschaffen wird. Die Verhaltensweise kann verbaler oder nonverbaler Art sein, sodass die Sicht eines unbeteiligten Dritten letztlich über eine Belästigung nach den oben genannten Benachteiligungsmerkmalen entscheidet. Die Belästigung kann in Form von Verleumdung, Beleidigung, Anfeindung, Drohung oder körperlichen Übergriffen auftreten und muss weder vorsätzlich noch mehrfach stattfinden. Auch ein einmaliges Verletzen der Würde einer Person ist ausreichend, wenn ein feindliches Umfeld die Folge ist.742 Beispiele für Belästigungen sind: • •
ein Arbeitgeber erzählt einen geschmacklosen Witz über Zigeuner, ohne zu wissen, dass eine Mitarbeiterin Roma ist (Belästigung wegen der ethnischen Herkunft), 743 Schimpfwörter für Personengruppen.
54.4.4
Sexuelle Belästigung
Die sexuelle Belästigung stellt einen Teilaspekt der Belästigung nach § 3 Abs. 3 AGG dar, wobei die Belästigung allerdings aus sexuellen Motiven erfolgt. Die Ausführungen zur Belästigung gelten somit weiterhin für die sexuelle Belästigung mit der Ausnahme, dass fur letztere die Anforderungen niedriger sind, da der Eingriff in die Privatsphäre höher ist. So muss kein entwürdigendes Umfeld entstehen, sondern kann als ein Beispiel für eine Würdeverletzung angesehen werden. Hier muss keine Wiederholungsgefahr vorliegen, 744 jedoch
739
Vgl. Gaier/Wendtland, 2006, § 2 AGG, Rn. 87
740
Vgl. Däubler/Bertzbach, 2008, § 3 AGG, Rn. 67
741
Vgl. Rust/Falke, 2007, § 3 AGG, Rn. 57
742
Vgl. Däubler/Bertzbach, 2008, § 3 AGG, Rn. 67-71
743
Vgl. ebd., § 3 AGG, Rn. 71
744
Vgl. ebd., § 3 AGG, Rn. 77
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
311
muss ein Zusammenhang zum Beschäftigungsverhältnis beziehungsweise ein betrieblicher Bezug vorliegen. 745 Beispiele für sexuelle Belästigungen sind: 746 • • •
das Klapsen auf das Gesäß eines Mitarbeiters, das Aufdrängen von Küssen, das Umarmen von Auszubildenden durch einen Vorgesetzten mit sexueller Absicht.
54.4.5
Benachteiligung durch Anweisung
Auch die Anweisung zur Benachteiligung aus einem in § 1 A G G genannten Differenzierungsmerkmal stellt nach dem AGG eine rechtswidrige Handlung dar. Die Weisung zur Benachteiligung muss zwar vorsätzlich erfolgen, es ist jedoch nicht vonnöten, dass der Ausfuhrende sich auch dieses Verbots bewusst ist. Weiterhin besteht schon eine Rechtswidrigkeit, wenn die angewiesene Person diese Benachteiligung nicht ausführt. 7 4 7 Beispiele für Anweisungen zur Benachteiligung sind: • •
die Anweisung eines Hausbesitzers an einen Makler, ein Haus nicht an Farbige zu verkaufen (Anweisung zur Benachteiligung wegen der ethnischen Herkunft), 7 4 8 die Mitteilung eines Arbeitgebers an die Agentur für Arbeit, keine Vermittlung von Frauen auf eine ausgeschriebene Stelle vorzunehmen (Anweisung zur Benachteiligung wegen des Geschlechts). 749
54.5
Erlaubte unterschiedliche Behandlung
Das A G G sieht Ausnahmen vor, bei denen eine unterschiedliche Behandlung aufgrund von Benachteiligungsmerkmalen gerechtfertigt ist. Unterschiedliche Behandlungen sind möglich wegen beruflicher Anforderungen, wegen der Religion/Weltanschauung, des Alters sowie aufgrund positiver Maßnahmen. Erfolgt eine gerechtfertigte unterschiedliche Behandlung einer Person aufgrund mehrerer in § 1 AGG genannten Benachteiligungsmerkmale, muss sich die Rechtfertigung dafür gemäß § 4 AGG auf alle Merkmale erstrecken. Das heißt, wenn beispielsweise eine Frau aufgrund
74 S
Vgl. Bauer/Göpfert/Krieger, 2008, § 3 AGG, Rn 50 746
Vgl. Däubler/Bertzbach, 2008, § 3 AGG, Rn. 77a
747
Vgl. Wisskirchen, 2007, S. 14
748
Vgl. Schiek, 2007, § 3 AGG, Rn. 76
749
Vgl. Busch/Kocher/Welkoborsky, 2009, S. 53
312
XII Das AGG und Diversity Management
ihres Geschlechts und der Religion benachteiligt wird, muss somit fur jedes Merkmal ein Rechtfertigungsgrund vorliegen. 750
54.5.1
Positive Maßnahmen
§ 5 AGG räumt dem Arbeitgeber, den Tarifvertragsparteien, den Betriebspartnern sowie den Partnern eines privatrechtlichen Vertrages die Möglichkeit einer Förderung bisher benachteiligter Gruppen ein. Ziel ist es, durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile wegen der Benachteiligungsmerkmale zu beheben oder fur die Zukunft zu verhindern. Starre Förderquoten sind allerdings laut Europäischen Gerichtshof unzulässig, da somit andere Personen der Gruppe diskriminiert werden würden. 751 Negativ zu bemerken ist bei positiven Maßnahmen, dass hier ein Beurteilungsspielraum besteht, der durch eine Verhältnismäßigkeitsprüfung teilweise geschlossen werden muss. 752
54.5.2
Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen
Eine Ungleichbehandlung wegen beruflicher Anforderungen ist nach § 8 AGG zulässig, wenn: • • •
die Differenzierung wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt und der berufliche Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist.
Bloße Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen jedoch keine Ungleichbehandlung, indes muss die gestellte Anforderung erforderlich sein und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten. 753 Jedoch ist hierzu bisher keine abschließende Feststellung möglich, wann besondere berufliche Anforderungen vorliegen, da diese auch durch die Festlegung eines Organisationskonzepts durch den Arbeitgeber vorliegen können und demnach immer eine Einzelfallprüfung erforderlich erscheint. 754 Eine Rechtfertigung kann hingegen nicht bei einer Belästigung oder sexuellen Belästigung vorliegen, da dabei kein beruflicher Zweck vorstellbar ist.755
750
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 31
751
Vgl. ebd., S. 32f.
752
Vgl. Steinkühler, 2007, Rn. 84
753
Vgl. Wisskirchen, 2007, S. 15
754
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 39f.
755
Vgl. Steinkühler, 2007, Rn. 91
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
313
Die in Absatz 2 geregelte Entgeltgleichheit wird nun auf die restlichen Benachteiligungsmerkmale ausgeweitet, sodass nicht mehr nur noch eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts, wie im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert, verboten ist. Eine Differenzierung im Entgelt ist auch dann unzulässig, wenn besondere Schutzvorschriften fur das Merkmal gelten. Allerdings besteht nur bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein Anspruch auf gleiches Entgelt. Gleiche Arbeit wird geleitest, wenn die üblichen Tätigkeiten der zu vergleichenden Personen identisch sind oder sich die Arbeitnehmer untereinander ersetzen könnten, sodass Verantwortung, Qualifikation, Arbeitsbedingungen und Belastung gleich sind. Um zu überprüfen, ob eine gleichwertige Arbeit vorliegt, müssen die Fakten zu Ausbildung, Erfahrung, Fähigkeiten, der nervlichen, körperlichen und geistigen Beanspruchung sowie der Verantwortung für Personen und Sachen verglichen werden. 756
54.5.3
Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung
Religionsgemeinschaften und deren Einrichtungen, die auf religiösen Grundsätzen aufbauen, werden durch die sogenannte „Kirchenklausel" als Arbeitgeber in gewissem Maße privilegiert. Auch Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschauung zur Aufgabe gemacht haben, wird in § 9 AGG eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung zugestanden, sofern diese im Zuge des Selbstbestimmungsrechts oder nach Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.757 Der Anwendungsbereich des § 9 AGG erstreckt sich somit auch auf Einrichtungen wie konfessionelle Schulen, Krankenhäuser und die Caritas, denen somit ermöglicht wird, eine bestimmte Religion oder Weltanschauung als berufliche Anforderung bei Beschäftigten zu bestimmen. Bisher ungeklärt ist hingegen die Reichweite dieses Rechtfertigungsgrunds, z.B. ob auch Hilfstätigkeiten einbezogen werden können. Absatz 2 erweitert die Privilegien für oben genannte Einrichtungen sogar noch und ermöglicht, dass die Gemeinschaften gewisse Verhaltensanforderungen im Sinne von loyalem und aufrichtigem Verhalten von ihren Beschäftigten fordern können. Rechtsfolgen aus Verstößen gegen diese Anforderungen werden von den Einrichtungen selbst festgelegt, können jedoch von Gerichten auf die Verhältnismäßigkeit überprüft werden. 758
54.5.4
Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters
Eine objektive Angemessenheit und ein legitimes Ziel sind die Voraussetzungen fur eine Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung wegen des Alters. In diesem Fall müssen die Mit-
756
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 40f.
757
Vgl. Steinkühler, 2007, Rn. 94
758
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 42
314
XII Das AGG und Diversity Management
tel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein.759 Ziele im Sinne des § 10 AGG können allgemeiner Natur sein, beispielsweise Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarktpolitik oder berufliche Bildung, oder nur ein Unternehmen betreffend. 760 Der Gesetzesbegründung lässt sich entnehmen, dass bei der Benachteiligung wegen des Alters komplexe Zusammenhänge bestünden, sodass der Gesetzgeber keine allgemein gültigen Grundsätze bieten kann, um Benachteiligungen zu vermeiden, sondern eine flexible Handhabung erfolgen muss.761 Um wenigstens eine gewisse Richtung anzudeuten, hat der Gesetzgeber acht Regelbeispiele angegeben, wobei die Aufzählung der Rechtfertigungsgründe nicht abschließend ist.762
Regelbeispiel 1 : Festlegung besonderer Beschäftigungsbedingungen Regelbeispiel 1 erklärt eine unterschiedliche Behandlung fìir zulässig, die die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses, einschließt, sofern es der beruflichen Eingliederung bestimmter Personengruppen dient. Ziel der unterschiedlichen Behandlung wegen des Alters muss demnach sein: • • • •
berufliche Eingliederung von Jugendlichen oder berufliche Eingliederung von älteren Beschäftigten oder berufliche Eingliederung von Personen mit Fürsorgepflicht oder Schutz der Vorgenannten.
Der Begriff des Jugendlichen kann nach § 2 Abs. 2 Jugendarbeitsschutzgesetz so verstanden werden, dass es sich um natürliche Personen handelt, die zwischen 15 und 18 Jahren alt sind. Jedoch wurde der Begriff der älteren Beschäftigten bisher nicht vom Gesetzgeber definiert. Unter Personen mit Fürsorgepflichten werden insbesondere Personen, die Kinder, ältere oder behinderte Angehörige betreuen, verstanden. 763 Regelbeispiel 2: Mindestanforderung an Alter und Berufserfahrung Das AGG sieht in der Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile keine Benachteiligung. Hierbei ist zu beachten, dass vorher überprüft werden muss, ob die Benachteiligung durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist.764 Anwendung kann diese Regel beispielsweise beim Entgelt finden, da eine Anknüpfung an
759
Vgl. Wisskirchen, 2007, S. 16
760
Vgl. Steinkühler, 2007, Rn. 105
761
Vgl. Bundestagsdruckssache 16/1780, S. 36
762
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 43
763
Vgl. Worzalla, 2006, S. 113
764
Vgl. Steinkühler, 2007, Rn. 112
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
315
die Berufserfahrung oder Betriebszugehörigkeitsdauer eher zu rechtfertigen ist als an das Lebensalter. 765
Regelbeispiel 3: Festsetzung eines Höchstalters Die Festsetzung eines Höchstalters fur die Einstellung aufgrund einer spezifischen Anforderung an die Ausbildung für einen bestimmten Arbeitsplatz oder an eine notwendige Beschäftigungszeit vor Eintritt in das Ruhealter, ist nach § 10 Satz 3 Nr. 3 AGG zulässig. Hintergrund dieses Gesetzesabschnitts ist es, eine aufwendige Einarbeitung einer produktiven Arbeitsleistung gegenüberstellen zu können 766 .
Regelbeispiel 4: Betriebliche Altersvorsorge Keine Benachteiligung wegen des Alters liegt laut § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG vor, wenn Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit, vor allem bei der betrieblichen Altersversorgung, festgelegt werden. Es dürfen aber daraus dennoch keine Benachteiligungen aus anderen Benachteiligungsmerkmalen entstehen. 767 Allerdings steht dieser Gesetzesabschnitt in Konflikt mit § 2 Abs. 2 AGG, in dem die betriebliche Altersvorsorge aus dem sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossen wird, sodass sich erst noch zeigen wird, in wie fern diese Klausel Anwendung finden wird. 768
Regelbeispiel 5: Allgemeine Altersgrenzen In § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG wird klargestellt, dass es weiterhin möglich ist, in Arbeitsverträgen, Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträgen Vereinbarungen von Altersgrenzen zu treffen, wie es bereits nach § 41 SGB VI erlaubt war. Nummer 5 legt fest, dass Vereinbarungen zulässig sind, nach denen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch ohne Kündigung möglich ist, sobald der Arbeitnehmer das rentenfahige Alter erreicht. Durch diese Regel sollen jüngere Personen die Chance bekommen sich auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren, während die älteren Arbeitnehmer bereits finanziell abgesichert sind. 769
Regelbeispiel 6: Differenzierung von Leistungen in Sozialplänen Weiterhin zulässig ist eine Differenzierung von Leistungen in Sozialplänen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Damit ist eine Staffelung von Abfindungsregelungen nach Alter oder Betriebszugehörigkeit unter Berücksichtigung der vom Alter abhängigen Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch eine verhältnismäßig starke Betonung des Lebensalters legitim. Des Weiteren liegt kein Verbot vor, wenn Beschäftigte von den Leistungen eines Sozialplans ausgeschlossen wurden, da sie eine wirtschaftliche Absicherung besitzen. Beide Ungleichbe-
765
Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 36
766
Vgl. ebd., S. 36
767
Vgl. ebd., S. 36
768
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 45
769
Vgl. Steinkühler, 2007, Rn. 122
316
XII Das AGG und Diversity Management
handlungen gelten allerdings nur für Vereinbarungen nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Tarifliche Regelungen sind demnach derzeit in dieser Form unzulässig. 770
54.6
Organisationspflichten des Arbeitgebers
In den § 11 und 12 AGG werden Organisationspflichten des Arbeitgeber vorgegeben, welche sich in präventive und reaktive Schutz-, Hinweis- und Bekanntmachungspflichten einteilen lassen. 771 Die Organisationspflichten bestehen aus: • • • • • •
der Pflicht zur neutralen Stellenausschreibung (§ 11 AGG), dem Treffen von erforderlichen Schutzmaßnahmen (§ 12 Abs. 1 AGG), Schulungspflichten (§ 12 Abs. 2 AGG), der Reaktionspflicht bei Verstößen der Beschäftigten (§ 12 Abs. 3 AGG), dem Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligungen durch Dritte (§ 12 Abs. 4 AGG) und Bekanntmachungspflichten (§ 12 Abs. 5 AGG).
Die Beschäftigten haben aus diesen Paragraphen heraus einen Rechtsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber und können ihn „auf Erfüllung der ihm obliegenden Verpflichtungen in Anspruch nehmen". 772 Trifft der Arbeitgeber keine oder unzureichende Maßnahmen zur Unterbindung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung, sind die Arbeitnehmer berechtigt, vom Leistungsverweigerungsrecht nach § 14 Satz 1 AGG Gebrauch zu machen. Hinzukommend ist es ihnen möglich, Schadenersatz nach § 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zu verlangen, wenn der Arbeitgeber die Pflichten aus § 12 Abs. 1-4 AGG verletzt. 773 Hingegen ist bei der Verletzung der Bekanntmachungspflichten keine schadensrechtliche Implikation vorhanden, es handelt sich also um eine sanktionslose Ordnungsvorschrift. 774 Verstößt der Arbeitgeber jedoch gegen die Pflicht zur neutralen Stellenausschreibung, liegt die Vermutung für einen Verstoß gegen § 7 AGG vor, 775 wodurch alle betroffenen Bewerber einen Anspruch auf Schadenersatz und Entschädigung haben. 776
770
Vgl. WorzaHa, 2006, S. 120f.
771
Vgl. Kolmhuber/Schreiner, 2006, Rn. 155
772
Schieusner/Suckow/Voigt, 2007, § 12 AGG, Rn. 46
773
Vgl. ebd., § 12 AGG, Rn. 47f.
774
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 12 AGG, Rn. 57-59
775
Vgl. Worzalla, 2006, S. 131
776
Vgl. Bährle, 2007, S. 36
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
54.6.1
317
Präventive Maßnahmen
Zu den präventiven Maßnahmen zählen die Pflicht zur neutralen Stellenausschreibung, die Ergreifung erforderlicher Schutzmaßnahmen und die Schulungspflichten. Die Ausschreibung einer Stelle darf gemäß § 11 AGG nicht unter Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfolgen, auch nicht wenn es sich um den Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung handelt. Eine mögliche Benachteiligung bestimmter Bewerbergruppen soll dadurch von vornherein unterbunden werden, wobei jedoch nur eine sprachliche Straffung des vergleichbaren § 61 lb BGB vorgenommen wurde. 777 Wird mit der Stellenausschreibung ein externer Dritter, wie die Agentur fur Arbeit oder Personalberater, beauftragt, ist der Arbeitgeber verpflichtet die AGG-Konforme Ausschreibung zu überwachen. Unterlässt er dies, werden die Verstöße dennoch dem Arbeitgeber zugerechnet. 778 Die Pflicht zur Ergreifung erforderlicher Schutzmaßnahmen vor Benachteiligungen der Arbeitnehmer aus einem in § 1 AGG genannten Grund obliegt dem Arbeitgeber gemäß § 12 Abs. 1 AGG. Auch vorbeugende Maßnahmen werden dabei angesprochen, da die als wirkungsvoller erachtet werden als der direkte Eingriff im Falle einer Benachteiligung. Wann eine Erforderlichkeit vorliegt, muss nach objektiven Gesichtspunkten bestimmt werden und ist abhängig von der Struktur des Unternehmens. 779 In § 12 Abs. 2 AGG wird der Arbeitgeber angewiesen, in geeigneter Weise auf die Unterbindung von Benachteiligungen hinzuwirken. 780 Da diese Pflicht schon im Vorfeld einer Benachteiligung besteht, sind verbeugende Maßnahmen im Sinne der beruflichen Aus- und Fortbildung oder ähnlichem vom Arbeitgeber zu treffen. 781 Die Schulungen müssen „ihrer Art, ihrem Inhalt, ihrem Umfang und ihrer Häufigkeit nach geeignet sein, die Beschäftigten derart zu sensibilisieren", dass sie Benachteiligungen erkennen und darauf reagieren können. Auch hier gilt wieder, dass der zu betreibende Aufwand von der Struktur des Unternehmens abhängt. Sofern der Arbeitgeber seine Beschäftigten ausreichend geschult hat, hat er gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 AGG seine Pflicht erfüllt, wodurch er nicht mehr fur Benachteiligungen durch seine Beschäftigten in Anspruch genommen werden kann. 782
777
Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 36
778
Vgl. Worzalla, 2006, S. 124
779
Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 37
780
Vgl. Schütt/ Wolf, 2006, S. 57
781
Vgl. Bährle, 2007, S. 42
782
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 59
318
54.6.2
XII Das AGG und Diversity Management
Reaktive Maßnahmen
Als reaktive Maßnahmen können die Reaktionspflicht bei Verstößen der Beschäftigten sowie der Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung durch Dritte angesehen werden. Werden Beschäftigte Opfer von Benachteiligungen durch andere Beschäftigte, so ist der Arbeitgeber nach § 12 Abs. 3 verpflichtet, geeignete, erforderliche und angemessene Maßnahmen zur Unterbindung der Benachteiligung nach § 7 Abs. 1 AGG zu treffen. Findet ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot statt, so gilt nach § 7 Abs. 3 AGG, dass die arbeitsvertraglichen Pflichten vom Benachteiligenden verletzt wurden. Mögliche, zu treffende Maßnahmen können unter anderem die Ermahnung, Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung sein. 783 Durch § 12 Abs. 4 AGG ist der Arbeitgeber verpflichtet, seine Beschäftigten während der Ausübung ihrer Tätigkeiten vor Benachteiligungen durch Dritte zu schützen. Auch hierzu muss er geeignete Gegenmaßnahmen 784 gegen die Dritten, beispielsweise Kunden und Lieferanten treffen. Jedoch wird eine verhaltensmäßige Reaktion des Arbeitgebers erwartet, sodass er z.B. keinen wichtigen Kunden verliert. 785
54.6.3
Bekanntmachungspflichten
Arbeitgeber sind nach § 12 Abs. 5 AGG weiterhin verpflichtet, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das Arbeitsgerichtsgesetz sowie die fur Beschwerden nach § 13 AGG zuständigen Stellen allen Mitarbeitern zugänglich zu machen. Die Beschäftigten müssen jedoch nur Kenntnis von der Bekanntmachung erlangen, der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, darauf zu achten, dass die Beschäftigten auch tatsächlich Kenntnis davon nehmen. Denkbare Kommunikationswege wären ein Aushang am Schwarzen Brett, eine Auslegung an geeigneter Stelle oder die Einstellung eines Textes ins Intranet. 786
54.7
Rechtsfolgen bei Verstoß gegen das AGG
Für den Fall einer dennoch eingetretenen Benachteiligung oder Belästigung, die im Zusammenhang mit dem laufenden Arbeitsverhältnis steht, sieht das AGG folgende Sanktionen gegenüber dem Benachteiligenden vor:
783 784
Vgl. Worzalla, 2006, S. 140-142 Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 37
785
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 61
786
Vgl. Bährle, 2007, S. 44
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz • • • •
319
Beschwerderecht (§ 13 AGG) Leistungsverweigerungsanspruch (§ 14 AGG) Anspruch auf Schadenersatz und Entschädigung (§ 15 AGG) Maßregelungsverbot (§ 16 AGG)
Bei all diesen Sanktionen werden dem Arbeitgeber im Falle von einer Benachteiligung aus der Anwendung von kollektivvertraglichen Vereinbarungen Haftungserleichterungen gemäß § 15 Abs. 3 AGG zugestanden. Weiterhin gelten fur die Durchsetzung der Ansprüche eine zweimonatige Ausschlussfrist und die Klagefrist des § 61 Arbeitsgerichtsgesetztes. 787
54.7.1
Beschwerderecht
Der Arbeitnehmer bekommt durch § 13 Abs. 1 AGG das Recht zugesprochen, sich über eine ihm widerfahrende Benachteiligung zu beschweren, wodurch ein „Instrument der innerbetrieblichen Streitbeilegung" geschaffen wurde. Hierzu kann sich der Arbeitnehmer mündlich oder schriftlich an eine ihm zu nennende zuständige Beschwerdestelle wenden. 788 Die zuständige Stelle kann auch eine bereits durch das Beschäftigungsschutzgesetz eingerichtete Stelle sein. Als zuständige Beschwerdestelle sieht der Gesetzgeber beispielhaft den Vorgesetzten, eine Gleichstellungsbeauftragte oder eine betriebliche Beschwerdestelle vor. 789 Bei der formfreien Beschwerde muss der Arbeitnehmer keine Frist beachten, allerdings kann eine Verwirkung stattfinden. Damit eine Verwirkung eintritt, darf sich der Arbeitnehmer längere Zeit nicht beschwert haben, obwohl ihm dies möglich gewesen wäre und der Arbeitgeber davon ausgehen durfte, dass keine Beschwerde mehr erfolgen würde. 790 Es muss eine inhaltliche Kontrolle der Beschwerde vorgenommen werden und der Beschwerdeführer formfrei über das Ergebnis und die dafür entscheidenden Gründe informiert werden. 791 Fällt der Bescheid negativ aus, ist das Beschwerdeverfahren nach der Mitteilung an den Beschwerdeführer als beendet anzusehen. Wird die Beschwerde hingegen als berechtigt aufgefasst, ist der Arbeitgeber angehalten angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um der Beschwerde abzuhelfen. Mindestens muss der Benachteiligende aber angewiesen werden, sein pflichtwidriges Verhalten einzustellen. 792
54.7.2
Leistungsverweigerungsrecht
In § 14 AGG wird den Beschäftigten das Recht zugesprochen, ihre Arbeit einzustellen ohne Verlust des Anspruchs auf Entgelt, wenn der Arbeitgeber keine oder ungeeignete Maßnah7«7
Vgl. Kolmhuber/Schreiner, 2006, Rn. 203-207 und Punkt 3.8.1 788
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 13 AGG, Rn. 2
789
Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 37
790
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 13 AGG, Rn. 21-22
791
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 62
792
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 13 AGG, Rn. 39^40
320
XII Das AGG und Diversity Management
men ergreift, um eine Belästigung oder sexuelle Belästigung zu unterbinden. Der Tatbestand der sexuellen Belästigung wurde bisher durch den § 4 Beschäftigtenschutzgesetz sanktioniert und wurde durch die Ausweitung auf alle Benachteiligungsmerkmale nach § 1 AGG ausgeweitet. Voraussetzungen für die mögliche Leistungsverweigerung sind eine vorher beim Arbeitgeber eingereichte Beschwerde sowie die Erforderlichkeit des Schutzes des Beschäftigten, z.B. wenn gesundheitliche Nachteile daraus zu erwarten sind. 793 Anwendung kann § 14 AGG also finden, wenn der Arbeitgeber auf eine Beschwerde nicht ausreichend reagiert, selbst eine Belästigung begeht oder von Belästigungen mit Wiederholungsgefahr Kenntnis genommen hat. 794 Nimmt ein Beschäftigter das Leistungsverweigerungsrecht in Anspruch, so muss der Arbeitgeber dennoch Sorge tragen, dass die Benachteiligungen unterbleiben, sodass der Beschäftigte an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann. 795 Der Verweis auf das in § 273 BGB geregelte allgemeine Leistungsverweigerungsrecht wurde integriert um zu verdeutlichen, dass dieses „für weitere Fallkonstellationen unberührt bleibt". Hintergrund ist eine unterschiedliche Zielsetzung der beiden Vorschriften. In § 273 BGB soll durch Zwang die Erfüllung einer Verbindlichkeit durchsetzen wohingegen § 14 AGG die Beschäftigten vor weiteren Belästigungen oder sexuellen Belästigungen schützen soll.796
54.7.3
Anspruch auf Schadenersatz
Der in § 15 Abs. 1 AGG geregelte Schadenersatz entspricht dem Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB und bildet somit einen vertraglichen Anspruch, der aus der Verletzung des § 7 Abs. 3 AGG entsteht. Im Gegensatz zum Anspruch auf Entschädigung werden beim Schadenersatz materielle Schäden nach § 15 Abs. 1 AGG ersetzt sofern der Arbeitgeber die Pflichtverletzung zu vertreten hat. Gemäß den Vorschriften zur allgemeinen Schuldbestimmung des § 276 BGB muss der Arbeitgeber vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben. Wenn eine Benachteiligung nachgewiesen werden konnte, ist der Arbeitgeber nach § 22 AGG gezwungen zu beweisen, dass er diese Benachteiligung nicht zu vertreten hat. Der Ersatz des Schadens kann nur mit Geld geschehen, da laut § 15 Abs. 6 AGG kein Anspruch auf die Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses, Berufsausbildungsverhältnisses oder einen beruflichen Aufstieg. Der Arbeitgeber haftet nach § 278 BGB des Weiteren ftir Benachteiligungen, die von seinen Erfüllungsgehilfen ausgeübt werden. Als Erfüllungsgehilfen werden Personen aufgefasst, welche mit dem Willen des Arbeitgebers für ihn tätig werden. Hierbei muss er sich bei der Ausübung der Rechte oder Erfüllung der Pflichten des Arbeitgebers befinden und ein Direktionsrecht gegenüber dem Benachteiligten haben. 797
793
Vgl. Busch/Kocher/Wolkoborsky, 2009, S. 58
794
Vgl. Worzalla, 2006, S. 154f.
795
Vgl. Busch/Kocher/Wolkoborsky, 2009, S. 58
796 797
Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 37 Vgl. Kolmhuber/Schreiner, 2006, Rn. 209-215
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
321
Der Umfang des entstandenen Schadens wird nach § 249 BGB bestimmt. Besteht schon ein Beschäftigungsverhältnis kommen primär die Erfüllungs- und Gleichstellungsansprüche zu tragen, wodurch nur selten Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Häufiger jedoch wird Schadenersatz im Falle von fehlgeschlagenen Bewerbungen gefordert. Hierbei ist allerdings nur der sogenannte bestqualifizierte Bewerber anspruchsfähig und dieser muss einen real entstandenen Schaden nachweisen. Dies wäre z.B. möglich, wenn er aufgrund geweckten Vertrauens ein anderes Arbeitsverhältnis gekündigt hätte 798 oder Fahrtkosten für das Vorstellungsgespräch aufzeigen könnte.
54.7.4
Anspruch auf Entschädigung
In § 15 Abs. 2 A G G ermöglicht der Gesetzgeber den Anspruch auf Entschädigung bei einer Benachteiligung aus einem in § 1 A G G genannten Grund, wobei hier nur eine speziellere Form des § 253 BGB Anwendung findet. Es kann also Ersatz für immaterielle Schäden gefordert werden, 7 9 9 wobei das bisher geltende Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen materiellem und immateriellem Schaden aufgehoben worden ist. 800 Ein Entschädigungsanspruch besteht bereits, wenn das Benachteiligungsmotiv mit ursächlich gewesen ist. 801 Der Anspruch auf Entschädigung kann eintreten bei der Durchführung oder Beendigung eines Arbeitsverhältnisses sowie bei nachwirkenden Pflichten, wodurch eine Ausweitung des § 61 la BGB gegeben wird. Im Unterschied zum Schadenersatz ist bei einem Anspruch auf Entschädigung kein Vertreten-Müssen des Arbeitgebers Voraussetzung. 8 0 2 Auch im Falle der Entschädigungszahlung ist bisher keine Obergrenze geschaffen worden, jedoch muss die Entschädigung angemessen sein. Den Gerichten bleibt ein Beurteilungsspielraum bei der Höhe der Entschädigung, wie bereits in § 253 B G B geregelt. Entsprechend soll eine Entschädigung gezahlt werden, welche im angemessen Verhältnis zum Schaden steht, aber gleichzeitig eine „abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber" hat 803 . Eine Beschränkung der Höhe nach auf drei Monatsgehälter findet nur im Zuge eines Einstellungsverfahrens statt, bei dem der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. 804
798
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 15 AGG, Rn. 15-18
7ÜÜ Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 38 800
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 69
801
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 15 AGG, Rn. 30
802
Vgl. Worzalla, 2006, S. 165 Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 38
804
Vgl. Worzalla, 2006, S. 165
322
XII Das AGG und Diversity Management
Findet bei der Umsetzung einer kollektivrechtlichen Vereinbarung wie einem Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung eine Benachteiligung statt, kann nach § 15 Abs. 3 AGG nur eine Entschädigung gefordert werden, wenn der Arbeitgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. 805 Allerdings sind Vereinbarungen, die gegen das Benachteiligungsverbot verstoßen gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. 806
54.7.5
Maßregelungsverbot
Das in § 16 AGG behandelte Maßregelungsverbot besagt, dass Beschäftigte, Personen, die Beschäftigte unterstützen sowie Zeugen wegen der Inanspruchnahme von Rechten aus dem AGG nicht benachteiligten werden dürfen. Ferner ist es dem Arbeitgeber nicht gestattet, Personen zu sanktionieren, die sich weigern, rechtswidrige Anweisungen auszufuhren. 807 § 16 Abs. 2 AGG stellt fest, dass sowohl die Duldung als auch die Zurückweisung von benachteiligenden Verhaltensweisen keinen Einfluss auf spätere Entscheidungen des Arbeitgebers haben darf. So darf ein Beschäftigter nicht benachteiligt werden, weil er früher eine Belästigung durch den Vorgesetzten zurückgewiesen hat oder im anderen Fall geduldet hat. Letzteres kann also in keinem Fall als stillschweigende Zustimmung des Betroffenen gewertete werden. 808
54.8
Gerichtliche Durchsetzung von Ansprüchen aus dem AGG
Beschäftigte können die oben genannten Ansprüche gerichtlich durchsetzen, sofern der Arbeitgeber diese nicht freiwillig erfüllt. Nachfolgend wird kurz auf die zu beachtenden Fristen sowie die Beweislast eingegangen.
54.8.1
Fristen
Zur Geltendmachung von Ansprüchen auf Schadenersatz oder Entschädigung, Unterlassung oder Beseitigung der Benachteiligung gilt eine zweimonatige Frist, nach deren Ablauf der Anspruch nach § 15 Abs. 4 AGG und § 21 Abs. 5 AGG erlischt. Abweichende Regelungen können hingegen in Tarifverträgen vereinbart werden. Die Frist beginnt mit Kenntnisnahme des Beschäftigten von der Benachteiligung. Im Falle einer zurückgewiesenen Bewerbung oder einer Verweigerung des beruflichen Aufstiegs geht der Gesetzgeber mit Erhalt der Ab-
805
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 70
806
Vgl. Kolmhuber/Schreiner, 2006, Rn. 222
R07 Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 39 808
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 16 AGG, Rn. 14f.
54 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz
323
lehnung von einer Kenntniserlangung aus, 809 wobei häufig noch nicht erkennbar ist, ob eine Benachteiligung vorliegt. 810 Im Falle einer Nichteinhaltung der Frist ist ein Weiterbestehen des Anspruchs nur möglich, wenn der Benachteiligte ohne Verschulden an der Fristeinhaltung verhindert wurde. 8 " Weiterhin gilt eine dreimonatige gerichtliche Geltendmachungsfrist im Sinne des § 61b Arbeitsgerichtsgesetz, die mit dem Zeitpunkt der form- und fristgerechten Geltendmachung von Ansprüchen beginnt. Diese Klagefrist gilt nur für den Anspmch auf Entschädigung nach § 15 AGG. 812
54.8.2
Darlegungs- und Beweislast
Die Beweislastverteilung des AGG weicht von den üblichen Verfahren des Zivilrechts ab, wonach der Kläger die Tatsachen, aus denen sich der Anspruch ergibt, beweisen muss. 813 Die in § 22 AGG geregelte Beweislast ist der in § 61 la Abs. 1 Satz 3 BGB nachgebildet und bestimmt die Darlegungs- und Beweislast danach, in welchem Einflussbereich sich die Vorgänge ereignen. Der Benachteiligte muss den Vollbeweis durch Indizien bringen, dass er gegenüber anderen Personen ungünstig behandelt worden ist und diese Benachteiligung auf einem Benachteiligungsmerkmal beruht. 814 Hierbei kommt der fehlerhaften Stellenausschreibung eine besondere Beachtung zu. Für den Fall einer Belästigung oder sexuellen Belästigung muss das tatsächliche Stattfinden der Belästigung bewiesen werden, was bei fehlenden Zeugen zu einer Beweisnot fuhrt. 815 Als nächstes kommt eine Beweislastumkehr zum Tragen, wodurch der Benachteiligende bei nachgewiesener Benachteiligung aus einem in § 1 AGG genannten Grund beweisen muss, dass er nicht benachteiligt hat oder die Benachteiligung zulässig war. 816
809
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S.71f.
810
Vgl. Busch/Kocher/Welkoborsky, 2009, S. 61
811
Vgl. Worzalla, 2006, S. 219
812
Vgl. Kolmhuber/Schreiner, 2006, Rn. 275
O1 τ
Vgl. Busch/Kocher/Welkoborsky, 2009, S. 61 814
Vgl. Bundestagsdrucksache 16/1780, S. 47
815
Vgl. Schleusner/Suckow/Voigt, 2007, § 22 AGG, Rn. 21
816
Vgl. Schütt/Wolf, 2006, S. 86
324
XII Das AGG und Diversity Management
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XII Das AGG und Diversity Management
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XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht 55
Zum personalwirtschaftlichen Ansatz im internationalen, europäischen und nationalen Arbeitsrecht
Den hier verfolgten ökonomisch-personalwirtschaftlichen Ansatz stützten insbesondere die nachfolgenden, praxisbezogenen Betrachtungen zum Internationalen und Europäischen Arbeitsrecht. Das Arbeitsrecht gibt nämlich nicht nur die unternehmerischen Bedingungen zum Handeln vor. Sein Bestand an Normen reagiert seinerseits auch auf ökonomische Veränderungen des Arbeitsmarktes. So setzt sich, in unterschiedlichen wirtschaftlichen Systemen und Zeiträumen, nur jenes Arbeitsrecht durch, welches arbeitsrechtliche Fragestellung am effektivsten lösen kann, denn Arbeitnehmer, Gewerkschaften beziehungsweise Arbeitgeber wählen nur jenes Recht, von dem sie glauben, dass es einen arbeitsrechtlichen Konflikt im obigen Sinne am geeigneten löst. 817 Voraussetzung eines solchen sich „evolutionären" durchsetzenden Arbeitsrechts ist allerdings, dass die Parteien unterschiedliche Regelungen und Rechtsnormen frei wählen können. Die nationalen Arbeitsrechtsordnungen müssen daher erstens den Zugriff auf andere Arbeitsrechte ermöglichen. 8 1 8 Diese Voraussetzung ist zumindest im deutschen Recht weitgehend erfüllt, da die Parteien grundsätzlich andere arbeitsrechtliche Normen vereinbaren können. Eine inhaltliche Grenze besteht allerdings insoweit, als dass sie zwingende Standards des deutschen Arbeitsschutzes zu beachten haben (Art. 30 EGBGB 8 1 9 ). Zweitens kann die eben beschriebene Rechtswahl nur dann erfolgen, wenn die Parteien ausreichende Kenntnis der anderen Arbeitsrechtsordnung haben. Es erscheint unumgänglich, nicht nur den Blick auf den Horizont des deutschen Arbeitsrechts zu konzentrieren, sondern nach wählbaren Regelungsalternativen des Auslands, sowie internationaler Organisationen Ausschau zu halten. ot 7
Siehe hierzu im Einzelnen: Krimphove, 2006, S. 1 Off., 17ff. (m.w.H.); K r i m p h o v e (a), 2001, S. 497ff., 509, 528 818
819
K r i m p h o v e , 2006, S. lOff., 14 (m.w.H.) Siehe dazu unten: Kapitel III. C (m.w.H.)
328
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Grenzüberschreitend operierende Unternehmen nutzen seit Jahren diesen Blick in das internationale Arbeitsrecht. Sie verschaffen sich auf diese Weise erhebliche Kostenvorteile. Der nachfolgende Beitrag dient unter anderem auch dazu, diese Sichtweise und Auswahlmöglichkeit auch der Personalpolitik kleiner und mittelständischer Unternehmen zur Verfügung zu stellen.
56
Zum Begriff des Arbeitsrechts
Den Begriff „Arbeitsrecht" in eine griffige plausible Definition zu fassen, erweist sich beim zweiten Blick als besonders schwierig. Seine Regelungsgebiete wie etwa das Kündigungsschutzrecht, Urlaubsrecht, Betriebsverfassungsrecht Streikrecht sind derartig vielseitig und vielgestaltig, dass die Definitionen des Arbeitsrechts - etwa als dem Recht der abhängigen Arbeit - dem Phänomen des Arbeitsrechts nicht gerecht wird oder zu oberflächlich erscheint. Die Problematik stellt sich nicht nur fur das deutsche Arbeitsrecht. Sie gilt im verstärkten Maße ebenso für das europäische und auch das internationale Arbeitsrecht. Denn gerade beide letztgenannten Rechtsgebiete regeln und ordnen Rechtsbeziehungen, die nicht allein im Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer, sondern hierüber hinaus auch im Verhältnis der Staatengemeinschaft. Keine Untersuchung hat zuvor das internationale/europäische und nationale Arbeitsrecht unter einem personalkosten-ökonomischen Ansatz dargestellt und geordnet. Dabei erscheint die Strukturierung des Arbeitsrechts nach diesem Gesichtspunkt besonders praxisrelevant, denn die Zuordnung eines Konfliktfalles zum internationalen, europäischen oder deutschen Arbeitsrecht entscheidet über den Kreis der unmittelbar durch dies Rechtsgebiet Verpflichtete: Beispielsweise ist im internationalen Arbeitsrecht weder der einzelne Arbeitgeber noch der individuelle Arbeitnehmer angesprochen. Adressaten dieses Rechtsgebietes sind vielmehr ausschließlich Staaten und oder völkerrechtliche Organisationen. Die Gesamtschau des Arbeitsrechts - also auch der internationalen Arbeitsrechtsregeln - ist für den Wissenschaftler wie auch fur den Praktiker von besonderer Bedeutung. So ermöglicht die Kenntnis gerade des Bestandes und der Entwicklung gerade von internationalen Arbeitsrechtsnormen, die Prognose von Arbeitsrechts Tendenzen Entwicklungen und deren zukünftige Umsetzung in das nationale/deutsche Recht. Der nachfolgende Beitrag vermittelt eine umfassende Bestandsaufnahme des internationalen/europäischen und deutschen Arbeitsrechts. Dabei möchte er nicht nur eine Richtschnur zur Beschreibung der im Arbeitsverhältnis auftretenden Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern darstellen. Er stellt vielmehr das Verhältnis von internationalen und europäischen zum nationalen Arbeitsrecht in den Mittelpunkt seiner Betrachtung und ermöglicht so
57 Internationales Arbeitsrecht
329
erstmalig, in einer globalisierten Arbeitsrechtswirklichkeit in ihrer grenzüberschreitenden, weltweiten Bedeutung zu erfassen.
57
Internationales Arbeitsrecht
Die bestehenden Normen des internationalen Arbeitsrechts sind sehr vielgestaltig. Hier ist insbesondere danach zu systematisieren, ob und inwieweit eine einzelne Norm des internationalen Arbeitsrechts dem einzelnen Individuum, Arbeitnehmer oder Arbeitgeber, eigenständige unselbstständig einklagbarer Rechtspositionen zugesteht.
57.1
Internationales Arbeitsrecht als Arbeitsvölkerrecht
Internationale Rechtsnormen zeichnen sich dadurch aus, dass sie grundsätzlich nur die Rechtsträger des internationalen Rechts, also Staaten oder rechtsfähige Völkerrechtssubjekten wie Staatenbünde und - Vereinigungen inhaltlich binden. Nur Staaten und staatliche Organisationen verpflichtet das internationale Arbeitsrecht. Der einzelne Bürger tritt als eigene Rechtsperson im internationalen Arbeitsrecht grundsätzlich nicht auf. Dies bedeutet, ein Arbeitgeber und insbesondere ein Arbeitnehmer können zwar von internationalen arbeitsrechtliche Normen begünstigt sein, da diese Normen jedoch nur Staaten und staatliche Organisationen binden, haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber jedoch grundsätzlich keine Möglichkeit, sich auf diese Vergünstigungen in ihrem bestehenden Arbeitsverhältnis zu berufen. Die Vergünstigungen gewähren internationalrechtliche Arbeitsrechtsnormen den Individuen daher nur als ein „Reflex" nicht jedoch als eigenständiges Recht. Konsequent erscheint, dass dann die Bürger diese Rechtsvergünstigungen auch nicht vor einem internationalen Gericht einklagen können. Eine sehr begrenzte Ausnahme macht lediglich Art. 31 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Dieser gewährt nur ein Klagerecht des Bürgers, wenn dieser gegen eine staatliche Begrenzung vorgehen will. Art. 31 E M R K ermöglicht daher nicht das Vorgehen etwa eines Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber in einem internationalen Arbeitsrechtskonflikt. Hierüber hinaus besitzen die Urteile des EGMR lediglich „politische" Bedeutung, denn der EGMR kann die Mitgliedstaaten nicht zur Umsetzung seiner Urteile verpflichten (Art. 46 Abs. 1 EMRK). Sie sind daher nicht bindend. Zu den internationalen Normen, die das Arbeitsrecht in diesem ihr mittelbaren Sinne beeinflussen können, zählen:
330
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Regelungsgegenstand
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AEMR)
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)
das Diskriminierungsverbot
Art. 2
Art. 14
das Verbot der Sklaverei
Art. 4
Art. 4 mit Verbot der Zwangsarbeit
das Recht auf 1.
Arbeit und
Art. 23 I
(-)
2.
freie Berufswahl
Art. 23 I
«
3.
auf Entlohnung und Freizeit
Art. 24
(-)
4.
gleichen Lohn für gleiche Arbeit
Art. 23, II
(-)
5.
Bildung und den Beitritt zu Arbeitnehmervertretungen
Art. 23 III
Art. 11
da s Recht auf soziale Sicherheit
Art. 22
(-)
das Freizügigkeitsrecht
Art. 14
Art. 13
die Gedankens-, Gewissens- und Religionsfreiheit
Art. 18
Art. 9
die Meinungsfreiheit
Art. 19
Art. 10
die Versammlungsfreiheit
Art. 20
Art. 11
Tab. 57.1: Arbeitsrechts relevanten Normen des
Arbeits-Völkerrechts
Zu diesen staatlichen Pflichten zählen ebenfalls solche Verantwortlichkeiten der Staaten, für den rechtlichen Schutz ihrer Bürger Sorge zu tragen und entsprechende Institute einzurichten. Solche Verbindlichkeiten bestehen insbesondere in der Gewährleistung eines funktionsfähigen Rechtsschutzes (Art. 8, 9, 19 AEMR / Art. 6, 13 EMRK). Da die Normen des internationalen Arbeitsrechts grundsätzlich den einzelnen Bürgern nicht berechtigen, können sie so großzügige und umfassende Rechtspositionen wie die des „Rechts auf Arbeit" Art. 23 Abs. I AEMR aufführen. Das Recht auf Arbeit gewähren - lediglich als unverbindliche Absichtserklärungen oder den einzelnen Bürger nicht berechtigende ZielbeΛ^Λ
β
Stimmung - auch die Verfassungen zahlreicher europäischer Staaten fassungen Deutschlands. 822
820
ΟΛI
und die Landesver-
Deutschland: Art. 12; so auch die Verfassungen: Dänemark: § 75; Irland: Art. 45; Niederlande: Art. 19; Schweden: Kapitel 1 § 2
57 Internationales Arbeitsrecht
57.2
331
Internationale Spezialregelungen
Einzelne Normen können durchaus das individuelle Arbeitsverhältnis unmittelbar beeinflussen und Arbeitgebern und Arbeitnehmern eigenständiger Rechtspositionen einräumen. Solche Normen existieren vereinzelt in speziellen Betätigungsbereichen wie etwa in der Spedition und im Transportwesen. Hier sind es vor allem internationale Abkommen, die etwa bestimmte Lenkzeiten eines Transportfahrzeugs verbindlich für den Arbeitgeber vorschreiben.
57.3
Normen des internationalen Privatrechts
Alle anderen Konflikte des internationalen Arbeitsrechts beurteilen sich nach dem internationalen Privatrecht (IPR). Das internationale Privatrecht gibt an, welches nationale Recht zur Regelung eines bestimmten Konfliktes heranzuziehen ist. Damit gibt das internationale Privatrecht keine materiellrechtlichen Arbeitsregelungen. Es ist vielmehr zur Entscheidung der Frage geeignet, welches nationale Arbeitsrecht zur Entscheidung eines internationalen Arbeitsrechtskonfliktes berufen ist. Für das deutsche Recht beantwortet sich diese Frage nach Art. 27 bzw. Art. 30 des deutschen Einfuhrungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB). Jeder Staat hat allerdings sein eigenes Internationales Privatrecht. So gibt es neben dem deutschen IPR auch das französische, japanische oder syrische. Der Grundsatz dieser Regelungen besteht darin, dass jenes nationale Arbeitsrecht zur Anwendung kommt, indem die Arbeit selbst erbracht wird. Die Parteien des internationalen Arbeitsverhältnisses können jedoch auch die Geltung eines bestimmten nationalen Arbeitsrechts frei wählen. Welches internationale Privatrecht zur Anwendung kommt entscheidet grundsätzlich der Kläger mit der Wahl des Gerichtes (lex fori). Nur wenn er vor einem deutschen Arbeitsgericht klagt, tritt das deutsche IPR ein und entscheidet über die Frage, welches materielle nationale Arbeitsrecht den Konflikt lösen kann. Die Auffuhrung aller Alternativen und aller nationalen Ordnungen des internationalen Privatrechts erscheint hier zu platzraubend.
821
Z.B.: Belgien: Art. 23; Finnland: Art. 18; Frankreich: Präambel v. 27. Okt. 1946; Griechenland: Art. 22; Italien: Art. 4; L u x e m b u r g Art. 11; Portugal: Art. 53; Spanien Art. 35 822
Bayern: Art. 168; Berlin: Art. 12; Bremen: Art. 49; Hessen; Art. 28; N R W Art. 24 I 3
332
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
58
Europäisches Arbeitsrecht
Seit den letzten Jahren nimmt die internationale Diskussion um das Europäische Arbeitsrecht immer mehr zu. Entscheidungen wie in den Fällen „Christel Schmidt ", „Ayse Süzen ", n^f
COA
„Kaianke " und „Francovich Rechtsliteratur.
" provozierten eine Unzahl von Stellungnahmen in der
Leider führten einzelne Ausführungen des EuGH in seinen Entscheidungen als auch die zahlreichen Stellungnahmen in der arbeitsrechtlichen und betrieblichen Praxis zu großen Verunsicherung. So fragt sich Wer? - heute mehr denn je - , welchen Einfluss das „Europäische Arbeitsrecht" auf das nationale Arbeitsrecht sowie auf das einzelne Arbeitsverhältnis und die konkrete Ausgestaltung der zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Pflichten besitzt. Im Unterschied zum internationalen Arbeitsrecht wirken die Rechtsnormen des Europäischen Arbeitsrechts in der Regel unmittelbar auf das individuelle Arbeitsverhältnis ein. Sie gewähren sogar den Parteien des Arbeitsverhältnisses nicht nur eigenständige Rechte gegenüber den europäischen Mitgliedstaaten und den europäischen Organisationen, sondern auch einklagbarer Rechtspositionen, welche Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ihrem Verhältnis geltend machen können. Im Gegensatz zum internationalen Arbeitsrecht stellt daher das europäische Arbeitsrecht eine „echte" Arbeitsrechtsordnung dar. Allerdings ist diese Arbeitsrechtsordnung überaus komplex, denn sie besteht nicht nur aus gesetzgeberischen Maßnahmen, wie den europäischen Verträgen, den europäischen Verordnungen und Richtlinien, sondern gerade auch in der umfassenden und höchst differenzierten Entscheidungspraxis des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Nachdem das immer noch bestehende „Einstimmigkeitsprinzip" den europäischen Gesetzgeber in seiner Arbeit weit gehend blockiert, stellt die Rechtsprechung des EuGH derzeit die bedeutendste Quelle des Europäischen Arbeitsrechts dar. Der Umgang mit dem europäischen Arbeitsrecht gestaltet sich in der Praxis des Weiteren auch deswegen so unzugänglich, da das europäische Arbeitsrecht die nationalen Arbeitsrechtsordnungen in den einzelnen Mitgliedsländer nicht abgeschafft hat, sondern diese vielmehr überlagert. Hier stellt sich die sehr komplexe Frage nach dem Zusammenspiel europäischen und nationalen Rechts.
CTI EuGH v. 14. 4. 1994 (Rs. C-329/92) Christel Schmidt gegen Spar- und Leihkasse der früheren Amter Bordesholm, Kiel und Comshagen, Slg. I 1994, S. 1311 824
EuGH v. 11.3. 1997 (Rs. C-13/95) Ayse Süzen gegen Zehnacker-Gebäudereinigung GmbH Krankenhausser8? S vice EuGH (Rs. C-450/93) Eckhardt Kaianke gegen Hansestadt Bremen 826
EuGH, v. 19. 11. 1991 (Rs. C-6/90 und C-9/90) Andrea Francovich, u.a. gegen Italienische Republik, Slg. 1991, S. 1-5357
58 Europäisches Arbeitsrecht
58.1
333
Geltung des Europäischen Arbeitsrechts in den Arbeitsrechtsordnungen der Mitgliedstaaten
Seit den Entscheidungen in den Fällen „Costa./.ENEL"; „Walt Wilhelm"; „Internationale Handelsgesellschaft" und „Simmenthai" geht der Europäische Gerichtshof - in ständiger Rechtsprechung - von dem Vorrang der Geltung des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht aus. 827 Die Intensität des Einflusses des Europäischen Rechts auf das nationale Recht ist dabei abhängig von der Qualität der Europäischen Rechtsnorm: Normen der Europäischen Verträge (EG-V; EGKS-V, EURATOM-V) sowie Europäische Verordnungen wirken unmittelbar im nationalen Arbeitsrecht. Sie binden nicht nur die Europäischen Mitgliedstaaten sondern gerade auch die Bürger der Europäischen Gemeinschaft. Ihnen erwachsen aus oben genannten Normen unmittelbare Rechte und Pflichten. Europäische Richtlinien binden zunächst nur die Mitgliedstaaten, diese müssen den Inhalt der Richtlinie in ihr nationales Recht umsetzen. Erst wenn der Gesetzgeber die Richtlinie in eine nationale Rechtsnorm gefasst hat, können sich die Parteien des Arbeitsverhältnisses darauf berufen. Kommt ein Mitgliedstaat seiner Pflicht zur Umsetzung einer Richtlinie nicht oder nicht fristgerecht nach, so kann sich der dadurch benachteiligte Bürger gegenüber dem Staat auf die Richtlinie direkt berufen, denn der Staat darf aus seiner pflichtwidrigen Untätigkeit keine Vorteile ziehen. Der EuGH hat aber in den letzten Jahren festgestellt, dass eine umgesetzte Richtlinie nie zu Lasten Europäischer Bürger wirkt. Eine nicht umgesetzte Richtlinie wirkt daher nicht gegenüber Bürgern im Arbeitsverhältnis. 828 Der benachteiligte Bürger kann allenfalls Schadenersatz gegen den unterlassenden Staat 829 verlangen.
827
E u G H v. 15.7.1964 (Rs. 6/64) Flamio Costa gegen E N E L , Slg. 1964, S. 1251; E u G H v. 13.2.1969 (Rs. 14/68) Slg. 1964, S. 125Iff., 1 2 6 9 - 1 2 7 1 ; Walt W i l h e l m gegen Bundeskartellamt, Slg. 1969, S. 1; E u G H v. 17.12.1970 (Rs. 11/70) Internationale Handelsgesellschaft gegen Einfuhr - und Vorratsstelle Getreide, Slg. 1970. S. 1125ff., 1135; E u G H v. 9.3.1978 (Rs. 106/77) Staatliche Finanzverwaltung gegen Simmenthai. Slg. 1978. S. 6 2 9 f f „ 644, Rn. 17/18 ; Einzelheiten: K r i m p h o v e , 1992, S. 3 7 9 f f . (m.w.H.)
ολο
E u G H v. 26.2.1986 (Rs. 152/84) Μ. H. Marshall gegen Southampton and South-West Hampshire Area Health Authority, Slg. 1986, S. 723; E u G H v. 19.1.1982 (Rs. 8/81) Ursula Becker gegen Finanzamt MünsterInnenstadt, Slg. 1982, S. 53; E u G H v. 14.7.1994 (Rs. C-91/92); E u G H , v. 19.11.1991 (Rs. C - 6 / 9 0 und C-9/90) Andrea Francovich, u.a. gegen Italienische Republik, Slg. 1991, S. 1-5357; E u G H v. 14.7.1994 (Rs. C - 9 1 / 9 2 ) Paola Faccini Dori, Slg. I 1994, S. 3225; E u G H v. 7.3.1996 (Rs. C-192/94), Rn 19ff.; El Corte Inglés SA gegen Christina Blázquez Rivero abgedr. in N J W 1996, S. 1401 f.; Ukrow, N J W 1994, S. 2469f.; Krimphove, 2001, S. 62ff. ( m . w . H . )
334
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Francovich; EuGH, v. 19.11.1991 (Rs. C-6/90 und C-9/90) Andrea Francovich, u.a. gegen Italienische Republik, Slg. 1991, S. 1-5357 Der italienische Staat hatte die Richtlinie 80/987 EWG pflichtwidrig nicht in nationales Recht umgesetzt und es somit unterlassen, Institutionen zur Sicherung von Lohnansprüchen jener Arbeitnehmer zu schaffen, deren Arbeitgeber in Konkurs gefallen war. Dem Arbeitnehmer, Herrn Francovich, entging daraufhin die Durchsetzung seiner Lohnansprüche gegen den in Konkurs gefallenen Arbeitgeber. Einen Anspruch des Herrn Francovich gegen seinen Arbeitgeber verneinte der EuGH. Das Gericht gewährte Herrn Francovich aber einen entsprechenden Schadenersatzanspruch gegen den italienischen Staat.830
Den bedeutendsten Einfluss auf das Arbeitsverhältnis nimmt die Rechtsprechung des EuGH: Da die Rechtsprechung sowohl Normen des Vertragsrechts als auch Verordnungs- und Richtliniennormen auslegt, ereignet sich der Einfluss der Rechtsprechung auf allen Normebenen. Vergegenwärtigt man sich die enorm lange Entstehungsdauer eines europäischen Reglungswerkes (Richtlinie, Verordnung), so erscheint der Weg des EuGH, das Recht im Wege der Rechtsfortbildung zu verändern, wesentlich schneller und weniger aufwendig. Mit Hilfe der oben beschriebenen Rechtsquellen - insbesondere der Rechtsprechung des EuGH - greift der Europäische Gesetzgeber in viele Zentralfragen des betrieblichen Arbeitsrechts - wie etwa die Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Arbeitnehmer, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz sowie den technischen und sozialen Arbeitsschutz - ein.
EuGH, v. 19.11.1991 (Rs. C-6/90 und C-9/90) Andrea Francovich, u.a. gegen Italienische Republik, Slg. 1991, S. 1-5357; EuGH v. 14.7.1994 (Rs. C-91/92) Paola Faccini Dori, Slg. I 1994, S. 3225; EuGH v. 7.3.1996 (Rs. C-192/94), Rn 19ff.; El Corte Inglés SA gegen Christina Blázquez Rivero abgedr. in NJW 1996; EuGH v. 8.10.1996 (Rs. C-178/94, C-179/94, C-188/94, C-189/94-190/94) Dillenkofer u.a. gegen Bundesrepublik Deutschland; EuGH v. 5.3.1996 (Rs. C-46/93) brasserie du pêcheur gegen Bundesrepublik Deutschland, Slg. I 1996, S. 1029, Rn. 31 OTf)
ähnliche Fälle: EuGH, v. 19.11.1991 (Rs. C-6/90 und C-9/90) Andrea Francovich, u.a. gegen Italienische Republik, Slg. 1991, S. 1-5357; EuGH v. 14.7.1994 (Rs. C-91/92) Paola Faccini Dori, Slg. I 1994, S. 3225; EuGH v. 7.3.1996 (Rs. C-192/94); El Corte Inglés SA gegen Christina Blázquez Rivero abgedr. in NJW 1996, S. 1401f.; EuGH v. 26.3.1996 (Rs. C-392/93 British Telecommunications, Slg. I 1996, S. 1631; EuGH v. 3..5.1996 (Rs. C-5/94) Hedley Lomas, Slg. 1 1996, S. 2553; auch: EuGH, v. 10.4.1984 (Rs. 14/83) v. Colson und Kamann gegen Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1984, 1891; EuGH v. 10.4.1984 (Rs. 79/83) Doris Harz gegen Deutsche Tradax GmbH, Slg. 1984, S. 1921; EuGH v. 9.11.1993 (Rs. C-132/92) Birds Eye Walls Limited gegen F. M. Roberts
58 Europäisches Arbeitsrecht
58.2
335
Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EG-V) im Arbeitsverhältnis
Den geschichtlichen Ausgangspunkt der Entwicklung des Europäischen Arbeitsrechts bildet Art. 39 EG-V. Art. 39 EG-V gewährt dem „Europäischen Arbeitnehmer" das Recht auf die freie, ortsungebundene Wahl des Arbeitsplatzes sowie auf die freie Ausübung der Arbeitsleistung in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, entsprechend der Entwicklungsgeschichte des Europäischen Arbeitsrechts. Zunächst als ein Recht der Europäischen Arbeitnehmer gegen die nationalen Staaten konzipiert, 831 entwickelte sich das Freizügigkeitsrecht des Art. 39 EG-V zu einer Rechtsposition, die unmittelbar zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses wirkt. Insbesondere die Rechtsprechung des EuGH hat den Grundsatz entwickelt, dass auch - seitens des Arbeitgebers - europäische Arbeitnehmer mit ihren inländischen Kollegen gleich zu behandeln sind: Scholz; EuGH v. 23.2.1994 (Rs. C-419/92), Slg. I 1994, S. 505 Die Klägerin bewarb sich um einen Arbeitsplatz in der Kantine der Universität Cagliari. Nach ihrer Berufserfahrung im öffentlichen Dienst befragt, konnte die Klägerin auf ihre damalige Tätigkeit bei der Deutschen Bundespost verweisen. Der italienische Arbeitgeber wollte ihr diese Berufserfahrung nicht anrechnen, da Frau Scholz sie im deutschen öffentlichen Dienst und nicht im italienischen erworben hatte. Der EuGH sah in der Weigerung des italienischen Arbeitgebers, die in Deutschland gewonnene Berufserfahrung von Frau Scholz anzurechnen, eine mit dem Recht auf Berufszugangsfreiheit i.S.d. Art. 39ff. EG-V unzulässige mittelbare Diskriminierung der Bewerberin. Macht der Arbeitgeber also Einstellungen, Einstufungen des Arbeitnehmers insbesondere dessen tarifliche Eingruppierung, sowie den beruflichen Aufstieg der Arbeitnehmer (Beförderungen) von dem Umstand einer bestehenden Berufserfahrung abhängig, so muss er ein in einem anderen europäischen Mitgliedsland erworbene Berufserfahrung in gleicher Weise anrechnen, wie eine im Inland erarbeitete.
831 Der Staat hat alles zu unterlassen, w a s die Freizügigkeit des A r b e i t n e h m e r s innerhalb Europas beeinträchtigt. z.B. belästigenden Einreiseverfahren: E u G H v. 27.4.1989 (Rs. 321/87) K o m m i s s i o n der Europäischen G e m e i n schaften gegen Königreich Belgien, Slg. 1989, S. 997; Sichtvermerke: E u G H v. 14.7.1977 (Rs. 8/77) Concetta Sagulo, G e n n a r o Brenca und A d d e l m a j i d B a k h o u c h e , Slg. 1977, S. 1495; E u G H v. 3.7.1980 (Rs. 157/79) Stanislaus Pieck, Slg. 1980, S. 2171, 2184 Rn 6ff.; Einstellungshindernisse wegen fehlender Sprachkenntnisse: E u G H v. 28.11.1989 (C-379/87) Anita Groener gegen Minister for Education and the City of Dublin Vocational Education Committee, Slg. 1989, S. 3967; V e r w e i g e r u n g von Arbeitserlaubnissen: E u G H v. 27.3.1990 (Rs. 113/89) Société Rush Portugesa Lada gegen O f f i c e National d ' I m m i g r a t i o n (ONI), Slg. 1 1990, S. 1417; EuGH v. 14.7.1977 Rs. (8/77) Concetta Sagulo, G e n n a r o Brenca und A d d e l m a j i d B a k h o u c h e , Slg. 1977, S. 1495
336
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Ein inhaltlich sehr weitgehendes Beispiel bildet der Fall Ugliola: Ugliola; EuGH v. 15.10.1969 (Rs. 15/69) Württembergische Milchverwertung Südmilch-AG gegen Salvatore Ugliola, Slg. 1969, S. 363 Der italienische Staatsbürger, Herr Ugliola, arbeitete — bevor er seinen Wehrdienst in Italien antrat - in der Bundesrepublik Deutschland. Sein deutscher Arbeitgeber wollte Herrn Ugliola, nach dessen Wiederaufnahme der Arbeit bei ihm, den in Italien abgeleisteten Wehrdienst nicht auf die Zeit der Betriebszugehörigkeit in dem deutschen Unternehmen anrechnen. Der Arbeitgeber wandte ein, die für einen Deutschen geltende entsprechende Regelung des Arbeitsplatzschutzgesetzes - zur Anrechnung des Wehrdienstes auf die Betriebszugehörigkeit - greife für Herrn Ugliola nicht. Herr Ugliola sei erstens kein Deutscher. Zweitens habe er seinen Wehrdienst nicht bei dem deutschen Militär sondern beim italienischen abgeleistet. Der Gerichtshof sah in dieser Vorgehensweise eine gegen das Europäische Recht - insbesondere gegen Art. 39 EG-V - verstoßende Ungleichbehandlung und Diskriminierung des fremdstaatlichen Arbeitnehmers. Die gesetzliche Regelung des deutschen Arbeitsplatzschutzgesetzes ist daher insofern nichtig, als sie die Anrechnung von Wehrdienstzeiten europäischer Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedsland in Arbeit stehen, ausnimmt. Dies gilt selbst dann, wenn der europäische Arbeitnehmer seinen Wehrdienst in seinem Heimatland ableistet. Somit bejahte der EuGH einen Anspruch des Herrn Ugliola auf Anrechnung dessen in Italien absolvierten Wehrdienstes auf die Betriebszugehörigkeitszeit bei dem deutschen Arbeitgeber.
Der Fall „Ugliola" vermittelt deutlich, welche weitreichende Bedeutung das Europäische Arbeitsrecht bzw. die Rechtsprechung des EuGH auf den Inhalt des einzelnen Arbeitsverhältnisses hat: Der Arbeitgeber ist daher aufgerufen, europäische Arbeitnehmer in jedem Teilaspekt des Arbeitsverhältnisses - von dessen Begründung über Fragen des Urlaubs- oder Entgeltfortzahlungsrechts bis hin zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung oder Aufhebungsverträge - seinen inländischen Kollegen gegenüber gleich zu behandeln. Ein besonders umstrittenes Beispiel dieser Rechtsprechung ist der Fall „Paletta": Paletta; EuGH ν. 3.6.1992 (Rs. 45/90) Alberto, Vittorio, Raffaela und Carmela Paletta gegen Brennert AG, ABl. 1992, Nr. C 166/10832 Die vier Mitglieder der italienischen Familie Paletta ließen sich - im Anschluss an ihren italienischen Heimaturlaub - gemeinsam von einem italienischen Arzt krankschreiben. Hierdurch verlängerte sich ihr Jahresurlaub.
O-IT
Vgl. auch EuGH v. 2.5.1996 (Rs. C-206/94) Paletta II Brennet AG gegen Vittiorio Paletta
58 Europäisches Arbeitsrecht
337
Ihr gemeinsamer deutscher Arbeitgeber verweigerte die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle. Es gab gravierende Zweifel an einer tatsächlich bestehenden krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit der vier Arbeitnehmer: So trat nahezu jährlich bei den Mitgliedern der italienischen Familie eine mehrwöchige Krankheit dann auf wenn sie sich in dem gemeinsamen Heimaturlaub befanden. Zunächst stellte der EuGH fest, dass ein Arbeitgeber, der Leistungen nach dem „Lohnfortzahlungs-Gesetz" 8 3 3 im Krankheitsfalle des Arbeitnehmers diesem erbringt, gemäß Art. 4 Verordnung 1408/71/EWG zu den Systemen der sozialen Sicherheit des Arbeitnehmers zählt. Die Verordnung 1408/71/EWG ist folglich - nicht nur auf die öffentlich-rechtlichen Träger der Sozialversicherung - sondern auch auf den privaten Arbeitgeber anzuwenden. Der Gerichtshof legt dann Art. 18 Abs. 1 - 4 der Durchführungsverordnung (Verordnung 574/72/EWG) dahingehend aus, dass der Arbeitgeber an die in einem anderen Mitgliedsland getroffenen ärztlichen Feststellungen über den Eintritt und die Dauer der Arbeitsunfähigkeit gebunden ist. Er begründete sein Auslegungsergebnis mit der Förderung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und dem Sinn des Art. 18 Verordnung 574/72/EWG. Dieser bestehe nämlich darin, „Beweisschwierigkeiten für einen Arbeitnehmer zu vermeiden, dessen Arbeitsunfähigkeit in der Zwischenzeit wiederhergestellt ist, und damit eine größtmögliche Freizügigkeit zu fordem". 8 3 4
58.3
Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Arbeitsverhältnis
Einen besonders großen Einfluss auf das betriebliche Arbeitsverhältnis besitzt das Europäische Arbeitsrecht im Rahmen der Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Die Bedeutung der geschlechtsspezifischen Gleichbehandlung im Europäischen Arbeitsrecht zeigt der Umstand, dass das Gleichbehandlungsgebot in der wichtigsten Rechtsquelle des Europarechts, nämlich in Art. 141 des EG-Vertrages aufgeführt ist. Die Einführung der Gleichbehandlung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz hatte in der Entstehungsgeschichte keine ausschließlich „frauenfreundlichen" Motive: Insbesondere Frankreich strebte mit der Einführung des Art. 141 EG-V (ex. Art. 119 EWG-V) an, Wettbewerbsvorteile anderer Mitgliedstaaten nicht entstehen zu lassen; nachdem es - im Gegensatz zu den meisten europäischen Mitgliedsländern - bereits den Grundsatz der Entgelt-
Seit dem 1.6.1994 das „Entgeltfortzahlungsgesetz" vom 26.5.1994 (BGBl. 1., S. 1014; BGBl. III 800-19-3) 834
So auch EuGH v. 12.3.1987 (Rs. 22/86) Giuseppe Ridone gegen Allgemeine Ortskrankenkasse Bad UrachMünsingen, Slg. 1987, S. 1339
338
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
gleichheit in sein nationales Arbeitsrecht eingeführt hatte und somit erhebliche Nachteile seines Wirtschaftsstandortes befürchtete.835 Zwar hat sich der Europäische Gesetzgeber durch eine Vielzahl von Initiativen bemüht, die Gleichbehandlung der Geschlechter im Arbeitsverhältnis zu regeln836 - wobei er eigens die sogenannte Gleichbehandlungs-Richtlinie (.2000/78/EGf37 schuf - jedoch ist es vorwiegend die Rechtsprechung des EuGH, welche - durch eine Vielzahl von Einzelentscheidungen Rechte der Arbeitsvertragsparteien sowie insbesondere Pflichten des Arbeitgebers auf diesem Sektor festlegt.
835 Neri-Sperl, Traité instituant la communauté économique européenne, in: Smit Herzog: The Law of the European Economic Community, Art. 119; Jansen in, Grabitz, Kommentar zum EWG-Vertrag, Art. 119 Rn 3.; Jansen, in: v. d. Groeben u.a., Kommentar zum EWG-Vertrag Art. 119, Rn. 4 836
Art. 119 EG-V - Richtlinie 75/117/EWG des Rates vom 10.2.1975 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts fur Männer und Frauen (ABl. 1975, Nr. L 45, S. 19) - Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, Nr. L 39, S. 40) - Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19.12.1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1978, Nr. L 6, S. 24) - Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24.7.1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl. 1986, Nr. L 225, S. 40) - Richtlinie 86/613/EWG des Rates vom 11.12.1986 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichstellung von Männern und Frauen, die eine selbständige Erwerbstätigkeit - auch in der Landwirtschaft - ausüben, sowie über den Mutterschutz (ABl. 1986, Nr. L 359, S. 56) - Vorschlag der Kommission (KOM [88] 269 endg.) vom 27.5.1989 für eine Richtlinie des Rates zur Beweislast im Bereich des gleichen Entgelts und der Gleichbehandlung von Frauen und Männern (ABl. 1988, Nr. C 176, S. 3) - Entschließung des Rates vom 12.7.1982 zur Förderung der Chancengleichheit der Frauen (ABl. 1982, Nr. C 186, S. 3) - Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 6.12.1994 zur gleichberechtigten Teilhabe der Frauen an einer beschäftigungsintensiven Wachstumsstrategie der Europäischen Union (ABl. 1994, Nr. C 368, S. 3) - Empfehlung 84/635/EWG des Rates vom 13.12.1984 zur Förderung positiver Maßnahmen fur Frauen (ABl. 1984, Nr. L 3 3 1 , S . 34) - Zweite Entschließung 86/C 302/2 des Rates vom 24.7.1986 zur Förderung der Chancengleichheit der Frauen (ABl. 1986, Nr. C 203, S. 2) - Entschließung 90/C 157/2 des Rates vom 29.5.1990 zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz (ABl. 1990, Nr. C 157, S. 3) - Entschließung des Europäischen Parlaments vom 22.10.1990 zum Schutze der Würde von Frauen und Männer am Arbeitsplatz (ABl. Nr. C 305, S. 30) - Empfehlung 92/131/EWG der Kommission vom 27.11.1991 zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz (ABl. 1992, Nr. L 49, S. 1) - Empfehlung 87/567/EWG der Kommission vom 24.11.1987 zur beruflichen Bildung der Frauen (ABl. 1978, Nr. L 342, S. 35)
Ο-37 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.November 2000; ABl. L v. 2.12.2000, Nr. 303, S. 16ff.
339
58 Europäisches Arbeitsrecht
58.3.1
Gleichbehandlung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses
Dekker; EuGH v. 8.11.1990 (Rs. C-177/88) Elisabeth Johanna Pacifica Dekker gegen Stichting Vormingscentrum voor Jong Volwassenen (VJV-Centrum) Plus, Slg. I 1990, S. 3941 Frau Dekker bewarb sich bei der vom VJV betriebenen Bildungsstätte als Erzieherin. Die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft hatte Frau Dekker, anlässlich ihres Bewerbungsgespräches, zustimmend beantwortet. Ihre Bewerbung
wurde allein aufgrund der bestehenden
Schwangerschaft
zurückgewiesen.
In der Nichteinsteilung der Bewerberin sah der EuGH deren unmittelbare Diskriminierung i.S.d. Art. 3 der Richtlinie 76/207/EWG: Einer Frau entstehen, durch die Beachtung einer bestehenden Schwangerschaft - als Einstellungshindernis - geschlechtsbezogene Nachteile beim Zugang zu einer Beschäftigung.
Das Urteil des EuGH interpretierte das Bundesarbeitsgericht dahingehend, dass die Frage nach der Schwangerschaft anlässlich des Einstellungsgespräches unzulässig sei: 838 Die Nichtbeachtlichkeit der Schwangerschaft bei der Einstellung zieht daher die generelle Unzulässigkeit der Frage des Arbeitgebers nach der Schwangerschaft während des Vorstellungsgespräches nach sich. Auch dies gilt ungeachtet des Umstandes, dass sich Männer und Frauen gleichzeitig um die Stelle bewerben. Die entsprechende Rechtsprechung deutscher Obergerichte zur Zulässigkeit der Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft, welche nach dem Kreis der Bewerber differenzierte, 839 war damit hinfallig. 840 Die Rechtsprechung des EuGH im Fall „Dekker" hat damit für den einzelnen Arbeitgeber zur Folge, dass - im deutschen Recht - bereits die Frage nach einer bestehenden Schwangerschaft im Bewerbungsgespräch nicht gestellt werden darf. Eine weitere, für den Arbeitgeber bedeutende Rechtsfolge liegt in der Sanktion, welche von der Rechtsprechung des EuGH an eine geschlechtsbezogene Diskriminierung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses knüpft:
οίο B A G v. 15.10.1992, 2 A Z R 227/92; Hanau, E G - R e c h t und deutsches Arbeitsrecht, Brennpunkte des Arbeitsrechts 1993: Thesen und Ergebnisse der 4. Arbeitsrechtlichen Jahrestagung, S. 37ff., S. 18 839 N a c h der deutschen obergerichtlichen Rechtsprechung w a r der Gleichheitssatz nur dann verletzt, wenn sich M ä n n e r und Frauen gleichzeitig auf eine Stelle b e w a r b e n (gemischtgeschlechtliche Bewerber). Meldeten sich nur Frauen oder ausschließlich M ä n n e r auf eine Stellenausschreibung, so k ö n n e - nach Ansicht der ehemaligen Rechtsprechung - der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt sein. Eine Frage nach der S c h w a n g e r s c h a f t bei gleichgeschlechtlichen B e w e r b e r g r u p p e n sei daher zulässig. 840
Zur W i r k u n g der Rechtsprechung des E u G H auf mitgliedstaatliche Gerichte siehe oben; insbesondere zur W i r k u n g der Rechtsprechung des E u G H auf deutsche Arbeitsgerichte, Schiefer, N J W 1995, S. 160ff., 162ff.
340
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Um die Wirkung der Richtlinie 76/207/EWG voll zur Geltung zu bringen, verlangt der EuGH in der Entscheidung „Dekker" fur jeden Fall der unzulässigen geschlechtsbezogenen Diskriminierung bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses eine zivilrechtliche Sanktion des Arbeitgebers. Diese Sanktion entsteht sogar unabhängig vom Verschulden des Arbeitgebers oder dessen Rechtfertigung durch nationale, gesetzliche Rechtfertigungsgründe. 84 ' In welcher Höhe die Sanktion des Arbeitgebers ausfallen muss, ist bislang noch offen. Ursprünglich sprach das deutsche Arbeitsrecht (Art. 611 a BGB) dem Diskriminierten einen Anspruch auf Ersatz des „Vertrauensschadens" zu. In den Fällen „Colson"842 und „Harz"843 modifizierte EuGH den Inhalt des § 611 a des deutschen BGB. Der deutsche Gesetzgeber habe zwar — entsprechend Art. 3 der europäischen Richtlinie 76/207/EWG - den § 611 a BGB in das deutsche Recht eingefugt. Die in § 61 la BGB ursprünglich vorgesehene Sanktion des Ersatzes lediglich des Vertrauensschadens genügt jedoch nicht, um die Ziele der besagten europäischen Richtlinie, nämlich die Vermeidung geschlechtsbezogener Diskriminierung bei der Anbahnung eine Arbeitsverhältnisses, zu gewährleisten. Die effektive Geltung der Richtlinie 76/207/EWG verlange eine „empfindliche Sanktion" zu Lasten des diskriminierenden Arbeitgebers. Wann eine „empfindliche" Sanktion vorliegt, lässt sich mittelbar der Rechtsprechung des EuGH im Fall „Birds Eye Walls Limited"844 entnehmen: Hier hielt der EuGH die Richtlinie 76/207/EWG selbst dann nicht für effektiv umgesetzt, wenn eine nationale Vorschrift, für den Fall der Diskriminierung, einen Schadenersatz in Höhe von 6.250 englischen Pfund - also (zur Zeit der Entscheidung) immerhin ca. DM 15.000, vorsah.845 Der EuGH hat neuerdings entschieden, dass die Gleichbehandlung der Geschlechter nicht notwendig zum Zweck der „Frauenförderung" erfolgten muss:
841
0/11
EuGH v. 8.11.1990 (Rs. C-177/88) Elisabeth Johanna Pacifica Dekker gegen Stichting Vormingscentrum vor Jong Volwassenen (VJV-Centrum) Plus, Slg. I 1990, S. 3941, Rn. 23-25; auch EuGH, v. 10.4.1984 (Rs. 14/83) v. Colson und Kamann gegen Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1984, 1891 EuGH v. 10.4.1984 (Rs. 14/83) Colson und Kamann gegen Land Nordrhein-Westfalen, Slg. 1984, 1891
843 844
845
EuGH v. 10.4.1984 (Rs. 79/83) Doris Harz gegen Deutsche Tradax GmbH, Slg. 1984, S. 1921 EuGH v. 9.11.1993 (Rs. C-132/92) Birds Eye Walls Limited gegen F. M. Roberts Die Rechtsprechung des EuGH veranlasste den deutschen Gesetzgeber, Schadenersatzansprüche des Arbeitgebers in § 61 la BGB und § 61b des Arbeitsgerichtsgesetzes festzuschreiben. Die Höhe der Schadenersatzansprüche liegt wesentlich über der möglichen Höhe eines Vertrauensschadens. Der deutsche Gesetzgeber hat allerdings Obergrenzen fur den Schadenersatzanspruch aufgrund einer geschlechtsbezogegen Diskriminierung bei der Bewerberauswahl vorgeschrieben. Diese Obergrenze liegen bei 3 Monatsgehältern (611a Abs. 2 BGB), bei 6 Monatsgehältern (§ 61 la Abs. 2 BGB, i.V.m. 61b Abs. 2 ArbGG) sofern mehrere Arbeitnehmer diskriminiert worden sind, oder bei der gleichzeitigen Ausschreibung mehrerer Arbeitsplätze bei 12 Monatsgehältern (§ 611a Abs. 2 BGB, i.V.m. 61b Abs. 2 ArbGG). Gemessen an den im Fall „Birds Eye Walls Limited" festgesetzten Richtwert, erscheint schon zweifelhaft, ob eine Sanktion bis zu einer Obergrenze von 3 Monaten eine „empfindliche" Sanktion i.S. des Europäischen Arbeitsrechts darstellt. In jedem Fall verstößt die pauschale Limitierung des Schadenersatzes mit Hilfe von „Obergrenzen" gegen den Zweck der Sanktion, Krimphove, 2001, S. 184 (m.w.H.); EuGH v. 2.8.1993 (Rs. C-271/91) M. H. Marshall gegen Southhampton and, South-West Hampshire Area Helth Authority Tätigkeitsber. des EuGH Nr. 24/93, 9. Die Regelungen des deutschen Gesetzgebers widersprechen daher dem Europäischen Arbeitsrecht. Sie sind somit rechtswidrig.
58 Europäisches Arbeitsrecht
341
Kaianke; EuGH (Rs. C-450/93) Eckhardt Kaianke gegen Hansestadt Bremen Herr Kaianke bewarb sich zeitgleich mit einer Mitbewerberin um eine Stellung bei der Hansestadt Bremen. Da beide Bewerber die gleiche bzw. gleichwertige Qualifikation mitbrachten, entschied sich die Hansestadt Bremen - entsprechend des § 4 des Landesgleichstellungsgesetzes der Hansestadt Bremen (LGG) - für die Einstellung der Bewerberin. Art. 4 LGG bestimmt, dass - bei gleicher bzw. gleichwertiger Qualifikation der Bewerber - Frauen der Vorzug zu geben ist. Herr Kaianke fühlt sich durch den Vorzug der Mitbewerberin - aufgrund des bremischen Landesgleichstellungsgesetzes - geschlechtbezogen diskriminiert.
58.3.2
Gleichbehandlung bei der Entgeltbestimmung
Hauptanliegen der geschlechtsspezifischen Gleichbehandlung ist die Gewährleistung der gleichen Bezahlung von Männern und Frauen für die gleiche Arbeitsleistung. Jenkins; EuGH v. 31.3.1981 (Rs. 96/80) J. P. Jenkins gegen Kingsgate (Clothing Production) Ltd., Slg. 1981, S. 911 Frau Jenkins arbeitetet als Teilzeitarbeitnehmerin bei der Firma Kingsgate. In Teilzeitbeschäftigungen arbeiten überwiegend nur weibliche Arbeitnehmer. Frau Jenkins bezog - wie alle Teilzeitbeschäftigten — einen, im Vergleich mit ihren meist männlichen „ VollzeitKollegen ", 10 Prozent niedrigeren Stundenlohn. Der Gerichtshof sah in dieser Entlohnung ein „indirektes" Mittel einer unzulässigen Diskriminierung weiblicher Arbeitnehmer, da Teilzeitbeschäftigungen weitgehend nur von weiblichen Arbeitskräften wahrgenommen werden.
58.3.3
Gleichbehandlung im Rahmen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Auch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses stellt sich die Frage nach der Gleichbehandlung der Geschlechter. 846 Hier sind es oft Sachverhalte, die nicht unmittelbar auf eine Diskriminierung von Frauen abstellen. Frauen werden vielmehr „mittelbar" deswegen diskriminiert, da sie einer bestimmten Arbeitnehmerschicht (hier: Teilzeitarbeitnehmer) angehören.
846
Zu den Sonderfragen der sozialen Sicherheit bzw. der unterschiedlichen Festsetzung von Rentenbezugsaltersgrenzen siehe: Krimphove, 2001, S. 226 (m.w.H.)
342
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Kriesamer-Hack; EuGH v. 30.11.1993 (Rs. C-189/91) P. Kriesamer-Hack gegen Nurhan Sidal In Deutschland unterfallen Betriebe bis zu 5 Arbeitnehmern (Kleinbetriebe) nicht dem Kündigungsschutzgesetz. Deren Beschäftigte unterliegen folglich nicht dem Kündigungsschutz, wie er sonst in der Bundesrepublik für Betriebe mit größerer Mitarbeiterstärke gilt. Als Beschäftigte i.S.d. Gesetzes gelten nicht jene Arbeitnehmer, die weniger als 10 Stunden wöchentlich tätig sind. In dem Betrieb der Beklagten (Zahnarztpraxis) arbeiten ausschließlich Arbeitnehmerinnen, davon zwei Vollzeitbeschäftigte, eine in Teilzeitarbeit (über 10 Std. wöchentlich) und 4 Teilzeitbeschäftigte unter 10 Wochenstunden. Als Frau Krisammer-Hack die Kündigung - wegen nichtausreichender Arbeitsleistungen erhielt, verlangt sie arbeitsgerichtlich Kündigungsschutz. Das Arbeitsgericht legte dem EuGH u.a. die Frage vor, ob die gesetzliche Regelung, wonach der Kündigungsschutz auf Kleinbetriebe ausgeschlossen sei, eine indirekte Frauendiskriminierung darstelle. Dies verneinte der EuGH zu Recht: Zwar könne es zutreffen, dass in Deutschland nahezu 90 Prozent aller Teilzeitbeschäftigten Frauen seien. Die Herausnahme von Arbeitnehmern aus dem Kündigungsschutz aufgrund der Betriebsgröße betrifft jedoch nicht spezifisch Frauen.
Eine mittelbare Diskriminierung kann daher nur dann angenommen werden, wenn erwiesen wäre, dass gerade Kleinunternehmen erheblich mehr Frauen als Männer beschäftigten. Dies ist im vorliegenden Fall nicht zutreffen.
58.3.4
Gleichbehandlung im Behinderungsrecht als Kündigungsschutzgrund
Eine bemerkenswerte Bedeutung im Europäischen Arbeitsrecht nimmt nicht nur der Jugendschutz, sondern auch das Behindertenrecht ein. Dabei kennt der europäische Gesetzgeber keinen eigenständigen, ausdrücklichen Schutz behinderter Personen im Arbeitsrecht. Aus einer Vielzahl von Richtlinien, die der nationale Gesetzgeber in sein Recht umzusetzen hat, ergibt sich aber die große inhaltliche Relevanz, die dem Behindertenschutzrecht im europäischen Arbeitsrecht zukommt. Die Rechtsprechung des EuGH hat - zumindest in ihren praktischen Auswirkungen - sogar einen „Kündigungsschutz" jener Arbeitnehmer begründet, die sich um einen Schwerbehinderten kümmern:
58 Europäisches Arbeitsrecht
343
Coleman: EuGH ν. 17.7.2008 (Rs. C-303/06) 847 Frau Coleman betreut ihren behinderten Sohn. Aufgrund dieser Betreuung gilt sie bei ihrem Arbeitgeber als wenig flexibel und, da sie öfters um Urlaub nachsucht, sogar als faul. Sie ist verschiedenen diskriminierenden Behandlungen seitens ihres Arbeitgebers ausgesetzt. Insbesondere muss Frau Coleman sich vorhalten lassen, sie benutze ihr Kind, um Sonderarbeitsbedingungen zu erhalten. Diese bringt sie in einem Verfahren vor dem Arbeitsgericht, gegen die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses vor. Der Rechtsstreit kreist im Wesentlichen um die Frage, ob die Gleichbehandlungs-Richtlinie 2000/78/EG auch Menschen schützt, die zwar selber keine Behinderung aufweisen, aber wegen ihrer engen Verbindung zu solchen Menschen im Vergleich zu ihren Kollegen seitens des Arbeitgebers nachteiliger behandelt werden. Der EuGH folgt den Schlussanträgen des Generalanwalts Poiares Maduro. 848 Auch in der Situation, in der ein nicht-behinderter Arbeitnehmer deswegen nachteilig behandelt wird, weil er sich um sein behindertes Kind kümmern muss, liegt eine unzulässige unmittelbare Diskriminierung i.S.d. Art. 2 Abs. 2a der Richtlinie 2000/78 und sogar eine gesetzwidrige Belästigung i.S.d. Art. 2 Abs. 3 Richtlinie 2000/78 vor.
Vergegenwärtigt man sich die Konsequenz der in den Schlussanträgen vorgetragenen Sicht, so bedeutet dies für jeden Betreuer, dass der Arbeitgeber die Wahrnehmung von Betreuungsleistungen dem Arbeitnehmer zugutehalten muss. Auch eine eventuelle geringere Flexibilität und Einsatzfahigkeit des Betreuungsleistenden darf der Arbeitgeber - wie bei einem Behinderten auch - weder als Kriterium der Diskriminierung noch der Belästigung nutzen. Durch diese Sicht ist eine erhebliche Aufwertung der Betreuungsleistungen von Behinderten erreicht. Allerdings gilt dieser Grundsatz nicht uneingeschränkt. Der Betreuungsleistende genießt seinen Diskriminierungsschutz nur dann, wenn er zu den Behinderten in einer besonders engen Lebensbeziehung steht.
58.3.5
Exkurs: Kündigungsschutz im Europäischen Arbeitsrecht
Ein eigenständiges Kündigungsschutzrecht besteht im Europäischen Arbeitsrecht derzeit nicht: Dies muss verwundern, denn sowohl die bereits weit vorangeschrittene bzw. „Europäisierung" einer Vielzahl anderer Rechtsmaterien, das rasche und beständige Zusammenwachsen der Europäischen Mitgliedstaaten zu einem einheitlichen europäischen Binnenmarkt und die Möglichkeit einer erfolgreichen Aufnahme weiterer Staaten in die Europäischen Gemeinschaften, machen eine zügige Vereinheitlichung des europäischen Arbeitsrechts ist aus wirt-
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ABI. C. 223 vom 30.08.2008, S.6
S4X
Schlussanträge des Generalanwalts v. 31.1.2008 (Rs. C.-303/06) Coleman/Attridge Law, in: ABL C, Nr. 237 v. 30.9.2006, S. 6ff.
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schaftlichen Gesichtspunkten dringend erforderlich. Dies gilt insbesondere für das Kündigungsrecht. Die Vielfalt und Unterschiedlichkeit nationaler Kündigungsschutzregeln stellen grenzüberschreitend operierende Unternehmen im Rahmen ihres Personalmanagements vor nahezu unüberwindliche Schwierigkeiten. Hier entstehen dem Arbeitgeber hohe Informationskosten. Diese Kosten führen zum Verzicht des unternehmerischen Engagements auf dem europäischen Binnenmarkt und beeinflussen nachteilig den internationalen Arbeitsmarkt. Sie wirken daher hinsichtlich einer beschäftigungsfördernden Vereinheitlichung europäischer und internationaler Arbeitsbedingungen kontraproduktiv. Auch Arbeitnehmer, die eine Arbeitsstelle im Ausland antreten möchten, schreckt eine höchst unterschiedliche nationale Regelung des Kündigungsschutzes ab. Aus europarechtlicher Sicht beeinträchtigt die Existenz zahlreicher, inhaltlich höchst unterschiedlicher nationaler Kündigungsrechte zudem die „Arbeitnehmerfreizügigkeit" aus Art. 39 EG-V. 849 Die Rechtsprechung des EuGH's hat bislang nur wenig zur Vereinheitlichung des europäischen Kündigungsrechts beigetragen: Zwar entwickelte der EuGH, insbesondere in den Fällen: Wepp 850 , Handels-og Kontorfunktionaerernes Forbund i Danmark 851 , Larsson 852 Mary Brown 853 , Seymour-Smith 854 und in einem etwas anderen Zusammenhang im Fall Coleman 855 eine detaillierte Rechtsprechung zur Kündigungsmöglichkeit weiblicher Arbeitnehmern. Diese Rechtsprechung fußt jedoch nicht etwa auf einem allgemeinen Kündigungsschutz, sondern ausschließlich auf dem Diskriminierungsverbot von weiblichen Arbeitnehmern im Sinne des Art. 141 EG-V bzw. dem des Art. 5 der Richtlinie 76/207/EWG. 856 Die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes bezieht sich somit lediglich auf einen Teilaspekt des Kündigungsrechts. Aufgrund weitgehend fehlender europaeinheitlicher Kündigungsvorschriften ist im Einzelfall auf das jeweilige nationale Kündigungsschutzrecht zurückzugreifen. Dieses ist extrem unterschiedlich ausgestaltet:
849
Siehe im Einzelnen: Krimphove, 2001, S. 1 lOff., 289ff. (m.w.H.)
850
EuGH v. 14.7.1994 (Rs. C-32/93) Carole Louise Wepp gegen EMO Air Cargo (UK) (Ltd), Slg. 1 1994, S. 3567
851
EuGH v. 8.11.1990 (Rs. C-179/88) Handels-og Kontorfunktionaerernes Forbund i Danmark gegen Dansk Arbejdsgiverforening, Slg. 1 1990, S. 3979
852
853
EuGH v. 29.5.1997 (Rs. C-400/95) Handels-og Kontorfunktionaerernes Forbund i Danmark als Beauftragter von Helle Elisabeth Larsson gegen Dansk Handel & Service als Beauftragter der Fotex Supermarked A/S EuGH v. 30.6.1998 (Rs. C-394/96) Mary Brown gegen Rentokil Ltd., Slg. I 1998, S. 4185
854
EuGH v. 9.2.1999 (Rs. C-167/97) Regina gegen Secretar of State for Employment, ex parte: Nicole SeymourSmith und Laura Perez, Slg. I 1999, S. 623 855
ABI. C. 223 vom 30.8.2008, S.6
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Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9.2.1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, Nr. L 39, S. 40)
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Beispielsweise ist das Kündigungsrecht Großbritanniens aber auch Frankreichs und Belgiens geprägt von der Pflicht des Arbeitgebers zur Einhaltung eines formellen Verfahren zum Ausspruch der Kündigung (schriftliche Mitteilung der Kündigung einschließlich deren Gründe, vorherige Anhörung des zu Kündigenden, Festsetzung einer Abfindung etc.). Weitgehende systematische Unterschiede der nationalen Kündigungsrechte ergeben sich aus dem Umstand, dass - wie im Fall Österreichs, Italiens und Belgiens - einige Rechtsordnungen ihr Kündigungsrecht an der Unterscheidung Arbeiter bzw. Angestellter ausrichten, während diese Differenzierung für andere europäische Arbeitsrechtssysteme lediglich historische Bedeutung hat. Generell weicht die begrifflich/inhaltliche Einteilung der Kündigungsgründe der nördlichen Mitgliedsländer der Europäischen Gemeinschaften erheblich von denen der südlichen ab: Während die nördlichen Mitgliedsländer Kündigungsgründe vorwiegend nach den Begriffen ordentlich und außerordentlich einteilen (und sie dann erst in den Kategorien „verhaltensbezogen", „personenbezogen" und „betriebsbezogen" zuordnen), teilen insbesondere die Rechtsordnungen Italiens und Portugals die Kündigungsgründe nach „objektiv" und „subjektiv" ein. Dabei kennen die südeuropäischen Rechtsordnungen auch eine Kündigung, um den Arbeitnehmer zu disziplinieren. Eine Vorstellung, die zwar an eine außerordentliche Kündigung nach deutschem Recht erinnert, die dem deutschen Kündigungsrecht inhaltlich jedoch fremd ist. Speziell das spanische und portugiesische Arbeitsrecht kennt eine außerordentliche Kündigung nur in Form und zu dem Zweck einer „disziplinarischen Maßnahme", während in den anderen Rechtsordnungen beispielsweise im deutschen Recht eine außerordentliche Kündigung auch aus personen- und betriebsbedingten Gründen ausgesprochen werden kann. Einen umfassenden Kündigungsschutz enthält das Arbeitsrecht Portugals. Dies hängt mit dem Umstand zusammen, dass selbst die Verfassung Portugals in Art. 53 den Arbeitnehmern ein eigenes „Grundrecht auf Sicherung des Arbeitsplatzes" zuspricht und sogar den Kündigungsschutz grundrechtlich verankert. 857 Eine ähnlich verfassungsmäßig abgesicherte Rechtsposition enthält auch die Verfassung Griechenlands in Art. 22 Abs. I. 858 Die Möglichkeit der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Kündigung ist im portugiesischen Arbeitsrecht prinzipiell nicht vorgesehen. Entsprechend stark ausgeprägt ist der Kündigungsschutz der Arbeitnehmer. Dieser besteht unter anderem in der Mitwirkung staatlicher Stellen bei notwendig werdenden Kündigungen. So kann der Arbeitnehmer zur Überprüfung der Kündigung die Aufsichtsbehörde einschalten. Ferner sind die Aufgriffschwellen für das Vorliegen einer Massenentlassung sehr gering, 859 sodass der
857
Art. 53 V e r f a s s u n g der Republik Portugals (v. 2.4.1976): Den Arbeitern wird die Sicherung des Arbeitsplatzes garantiert; Entlassungen o h n e rechtfertigenden Grund oder aus politischen oder ideologischen G r ü n d e n sind unzulässig. 858
Art. 22 Abs. 1 V e r f a s s u n g der Republik Griechenland (v. 9.6.1975): Die Arbeit ist ein Recht und steht unter d e m Schutz des Staates, der für die Sicherung der Vollbeschäftigung und für die sittliche und materielle Förde859 rung der arbeitenden ländlichen und städtischen Bevölkerung sorgt. 2 Arbeitnehmer bei Betrieben mit 50 oder w e n i g e r Arbeitnehmern; 5 Arbeitnehmer bei Betreiben mit 51 oder m e h r Arbeitnehmern (Art. 16 G D 64-A/89)
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Arbeitgeber in der Praxis oft gezwungen ist, vor nahezu jeder betriebsbedingten Kündigung Konsultationen mit dem Sozialministerium aufzunehmen (Art. 17 GD 64-A/89). Im Gegensatz zum deutschen Rechtssystem ersetzen die Rechtsordnungen Portugals und Italiens einen gesetzlichen Kündigungsschutz - z.B.: bestehende Kündigungsverbote durch einen faktischen Kündigungsschutz; nämlich der Festsetzung Verpflichtung zur Zahlung von Abfindungen und/oder Entschädigungen im Fall einer arbeitgeberseitigen Kündigung. Diese Form des „faktischen" Kündigungsschutzes schließt zwar die Möglichkeit zur Kündigung eines Arbeitnehmers nicht aus. Der Arbeitgeber muss aber bei jeder Kündigung die Höhe der Abfindungszahlung abwägen gegenüber den eventuellen Vorteilen des Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis. Abfindungsregelungen erschweren folglich die Möglichkeit zur arbeitgeberseitigen Kündigung aus wirtschaftlichen Gründen. Einen höchst unterschiedlichen Standard erreichen die Mitgliedsländer hinsichtlich des Schutzes werdender Mütter und Wöchnerinnen. Die entsprechenden Regelungen Frankreichs sind sehr detailliert und darüber hinaus sogar strafbewährt. Auch der Kündigungsschutz besonders schutzwürdiger Personengruppen (ältere Arbeitnehmer, Jugendliche, Behinderte) fallt höchst unterschiedlich aus: Während im schwedischen Recht vor allem die Kündigungsfrist stark vom Alter des Arbeitnehmers abhängt, realisieren andere Rechtsordnungen den Schutz des älteren Arbeitnehmers fast gar nicht. Einen ausdrücklichen Kündigungsschutz behinderter Arbeitnehmer kennen nur die Rechtsordnungen Deutschlands, Österreichs und Frankreichs.
Aufgrund der besonderen erheblichen arbeitsrechtlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Kündigungsrechts für Arbeitgeber wie fur Arbeitnehmer seien die wichtigsten nationalen Kündigungsbedingungen der einzelnen Rechtsordnungen nachfolgend aufgezeigt. Die Arbeitsrechtsordnungen der Mitgliedsstaaten kennen zum Teil zwar auch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch: • gegenseitiges Einvernehmen, • Ablauf der Befristung, • Erfüllung einer Bedingung, • Fertigstellung des Arbeitsauftrages, • den Tod des Arbeitnehmers oder durch, • „höhere Gewalt" und • besondere gerichtliche Auflösung. Aus Gründen der Praktikabilität stellt nachfolgender Text jedoch die Rechtsbedingungen des „Normalfalls" der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, nämlich die der Arbeitgeber - und arbeitnehmerseitigen, ordentlichen und außerordentlichen Kündigung eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses zusammen:
58 Europäisches Arbeitsrecht
347
1. Deutschland Norm
Kiindigungsgründe
Kündigungsfrist
besonderer Kündigungsschutz
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BGB; Kündigungsschutzgesetz (25.8.1969) = KSchG; Arbeitsplatzschutzgesetz (14.4.1980) = ArbPlSchG; Mutterschutzgesetz (17.1.1997) = MuSchG: Betriebsverfassungsgesetz (23.12.1988) = BetrVG ordentlich (§ 620 BGB), außerordentlich (§ 626 BGB) außerordentlich: wichtiger Grund = Abwägung aller Interessen, Zusammenarbeit und Einhaltung der Kündigungsfrist ist unzumutbar. (§ 626 BGB) verhaltensbedingt: schuldhaftes Fehlverhalten des Arbeitnehmers: [erforderlich: Abmahnung des Arbeitnehmers] (§ 1 Absatz 2 K S C H G ) personenbedingt: unverschuldete objektive Gründe (z.B.: Nachlassen der Leistungsfähigkeit, fehlende Eignung. Anpassungs-Fähigkeit); dauerhafte Krankheit; [erforderlich: negative Prognose (= unabsehbare Nichteinsetzbarkeit des Arbeitnehmers)] (§ 1 Absatz 2 K S C H G ) betriebsbedingt: dringende wirtschaftliche Gründe (z.B.: Arbeits-, Umsatzmangel, Rationalisierung, Einschränkung der Produktion); [erforderlich: ordnungsgemäße Sozialauswahl des Arbeitgebers] (§ 1 Absatz 3 KSCHG) § 622 B G B (zum Ende des Kalender-Monats) 2 Jahre & 1 Monate 5 Jahre => 2 Monate 8 Jahre 3 Monate 10 Jahre •=> 4 Monate 12 Jahre 5 Monate 15 Jahre ^ 6 Monate 20 Jahre ^ 7 Monate abweichend, tarifvertragliche Vereinbarungen möglich, einzelvertragliche Verkürzung nur eingeschränkt möglich (§ 622 Absatz 4, 5 BGB) Betriebsrat-Mitglieder: ordentliche Kündigung unzulässig: § 15 KSchG; Schwangere/Mütter: ordentliche Kündigung unzulässig: § 9 MuSchG; außerordentlich (§ 9 Absatz 3 MuSchG) Kündigung nur mit Zustimmung der Verwaltungsbehörde Wehr-, Zivildienst: ordentliche Kündigung unzulässig: § 2 Absatz 1. 2 ArbPlSchG; § 2 Absatz 3 ArbPlSchG Schwerbehinderte: ordentliche Kündigung unzulässig: § 21 SchwbG; außerordentlich: behördliche Zustimmungsverfahren: § 15 SchwbG Auszubildende: unzulässig ordentliche Kündigung des Arbeitgebers: § 15 Absatz 2 BBiG Massenentlassung: (§ 17 KSchG = 5 Arbeitnehmer in Betrieb mit 2 0 - 6 0 Arbeitnehmer; 10 Prozent od. > 25 Arbeitnehmer in Betr. mit 2 0 - 6 0 Arbeitnehmer; 30 Arbeitnehmer in Betr. mit mind. 300 Arbeitnehmer) Zustimmung des Arbeitsamtes (§ 18 KSchG)
348 Beteiligung Betriebsrat Verfahren
2. Österreich Norm
zulässige Kündigungsgründe
Kündigungsfrist
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht Information Beratungsrecht Zustimmung außerordentlich Kündigung Betriebsrat-Mitglied § 103 BetrVG Klage: Arbeits-Ger. Ausschlussfrist 3 Wochen (§ 4 KSchG) bei unwirksamer Kündigung jedoch unzumutbarer Fortbestand, gerì. Auflösung Arb.-Verhältnis mit Abfindung § 9f. KSchG Auflösung Arb.Verhältnis mit Abfindung § 9f. KSchG
Arbeitsverfassungsgesetz = ArbVerfG; Mutterschutzgesetz = MuschG Arbeitsmarktförderungsgesetz = AMFG; Berufsausbildungsgesetz = BArbeitgeberG Schriftform nur § 19 Guts-Angest.G; § 30 SchauspG, § 32 VertragsbedienstetenGBG (§ 863 ABGB) verhaltensbedingt: schuldhaftes Verstöße gegen Arbeits- und/oder Treuepflicht (z.B.: Beleidigung Tätlichkeit gegen Arbeitgeber u./od. Kollegen) personenbedingt: mangelnde Qualifikation und (körperliche) Eignung; Krankheit; dauerhafte Einbuße der Einsetzbarkeit des Arbeitnehmers bei (negativer) Prognose d. Fortbestehens der Beeinträchtigung über absehbare Zeit hinaus. betriebsbedingt: nachweislich dauerhafte betriebliche Erfordernisse welche Weiterbeschäftigung entgegenstehen (z.B.: konjunkturelle/wirtschaftliche Schwierigkeiten, Auftragsrückgänge); ordnungsgemäße Sozialauswahl des Arbeitgebers (§ 105 Absatz 3 ArbVerfG) Grunds. § 1159 ABGB Arbeiter: Tätigkeit < 3 Monate: ersten Werktag zum Schluss einer Woche Tätigkeit > 3 Monate: 4 Wochen Verlängerung möglich; jedoch gleiche Frist für Arbeitnehmer u. Arbeitgeber § 1159c ABGB Angest. grundsätzlich zum Quartalsende 6 Wochen 2 Jahre 2 Monate 3 Jahre => 3 Monate 15 Jahre 4 Monate 25 Jahre ^ 5 Monate bis 5 Monate bei 25 (§ 20 AngG); abweichende Vereinbarung mit für Arbeitgeber u. Arbeitnehmer unterschiedlichen Kündigungsfristen möglich Spezialgesetz: [z.B.: § 8 InvEinstG Φ 4 Wochen; § 10 HausbO 1 Monate; § 4 JornG, 3 Monate; 5 Jahre •=> 4 Monate; pro weit Jahr 1 Monate; bis 12 Monate; § 77 GewO, § 17 RegieBArbeitgeber, § 201 ABG, § 15 HGehG, LandAO = 14 Tage vertragliche Verlängerung möglich
58 Europäisches Arbeitsrecht besonderer Kündigungsschutz
Beteiligung Betriebsrat
Verfahren
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unzulässig aufgrund Gewerkschaftsmitgliedschaft ((§ 105 Absatz 3 ArbVerfG); Betriebsrat-Mitglied bis 3 Monate nach Amtsverlust. - ohne Zustimmung des Arb.-Ger. - unzulässig (§ 122ff. ArbVerfG); Kündigung wegen betriebsverfassungsrechtlicher Tätigkeit ((§ 130 Absatz 4 ArbVerfG) Schwangere / Mütter: 4 Monate nach Entbindung, beziehungsweise 4 Wochen, nach Abi. Mutterschaftsurlaub Kündigung unzulässig (§ 10 MuschG; Adoption: § 15 Absatz 5) Wehrdienst: (§ 6 Absatz 1 ArbPlSichG) von Einberuf.-Befehl bis 1 Monate nach Beendigung Wehrdienst Kündigung unzulässig Auszubildende: § 15 BArbeitgeber: Kündigung nur in ersten 2 Monate (Probezeit) möglich Behinderte: (Arbeitnehmer deren Erwerbstähigkeit um 50 Prozent gemindert) Kündigung nur mit Zustimmung des „Invalidenausschuss" („12 InvEinstG"); mind. 4 Wochen Kündigungs-Frist (§ 8 InvEinstG) Massenentlassung: Kündigung in 30 Tagen 5 Arbeitnehmer in Betr. 20-100 Arbeitnehmer; 5 Prozent Arbeitnehmer in Betr. 100-600 Arbeitnehmer; 30 Arbeitnehmer in Betr. > 600 Arbeitnehmer; oder 5 Arbeitnehmer üb. 50 Lebensjahre (je nach Verordnung § 45 a AMFG: VO BGBl. 1982/543 = in 4 Wochen 5 Prozent v. > 500 Arbeitnehmer; in Betr. > 1.000 Arbeitnehmer = 50 Arbeitnehmer) Kündigung unwirksam ohne Zustimmung des Arbeitsamtes Information und Anhörung Zustimmung = Kündigung nicht anfechtbar. Widerspruch = Möglichkeit des Betriebsrat Kündigung selbst gerichtlich anzufechten; keine Stellungnahme = Anfechtung durch Arbeitgeber (§ 105 ArbVerfG) Anfechtung der Kündigung vor Arbeitsgericht binnen 1 Woche (§ 105 ArbVerfG)
3. Niederlande Burgerlijk Wetboek (BW) Norm Gesetz zur Flexibilität und Sicherheit v. 1.1.1999 (FlexG) Buitengewoon Besluit Arbeitsverhoudingen 1945 (BBA) zulässige Kündigungsgründe
Art. 7a: 1639g BW ordentlich; Art. 7a: 1639o BW außerordentlich ordentliche (Art. 7a: 1639g BW) verhaltensbedingt: schuldhaftes Verstoß gegen Pflichten aus Arb.verhältnis personenbedingt: dauerhaft Nicht-Einsatzfähigkeit d. Arbeitnehmers; Krankheit: grundsätzlich Verbot e. ordentliche Kündigung wegen Erkrankung in ersten 2 Jahren; nicht wenn: Krankheit vom Arbeitnehmer verursacht; u. Antrag auf Entlassungsbewilligung (s. u.) nicht vor Krankheitsbeginn gestellt u. keine Notfalleinweisung des Arbeitnehmers.
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Kündigungsfrist
besonderer Kündigungsschutz
Beteiligung Betriebsrat Verfahren
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
betriebsbedingt: (FlexG) notwendig: Entlassungsbewilligung von Bezirksanstalt für Arbeit (Regioni Directeur voor de Areidsvoortiening) Art. 6 BBA außerordentlich (Art. 7a: 1639ο , 1639p; 1639q BW) wichtige Gründe, die Zusammenarbeit unmöglich machen grundsätzlich vor Kündigung Genehmigung durch Leiter, regional. Arbeitsamt notwendig. Möglichkeit: gerichtliche Vertragsauflösung (Art. 7a: 1639x BW) bei „wichtigem Grund" (außerordentliche Gründe; betriebsbedingte/wirtschaftliche Gründe [z.B.: notwendige Lohneinsparung] 7a: 1639w BW, FlexG ger. Auflösung kürzer als Kündigungsverfahren, kein besonderer Kündigungsschutz.; Aber Entschädigung des Arbeitnehmers Arbeitnehmer: 1 Monate (tarif-)vertraglich kürzere Frist möglich, jedoch Kündigungsfrist Arbeitgeber doppelt so lang wie Arbeitnehmerseitige Arbeitgeber: (Art. 7a: 1639g BW) < 5 Jahre 1 Monate 5 - 1 0 Jahre ^ 2 Monate 10-15 Jahre 3 Monate > = 15 Jahre 4 Monate (tarif-)vertragliche Vereinbarung über Verlängerung möglich bei wöchentlicher Vergütung, mind. 1 Woche oder ab 50 Lebensjahre 3 Wochen Betriebsrat-Mitglieder: grundsätzlich unzulässig es sei denn: Einstellung des Unternehmens-, Bereiches in dem Betriebsrat-Mitglied beschäftigt; ehemalige ordentliche Kündigung nur mit richterliche Zustimmung; Gewerkschaftsmitglied: Verbot Kündigung wegen Wahrnehmung gewerkschaftlicher Aufgaben. (FlexG) Schwangere/Mütter: (Art. 7a: 1639 Absatz 4 BW) 12 Wochen nach Entbindung, Unzulässigkeit der Kündigung (falls kein Widerspruch des Arbeitnehmers) Abfindungsanspruch Wehrdienst: unzulässig Kündigung aus Gründen des Ehrdienstes Massenentlassung: (mehr als 20 Arbeitnehmer): Information und Genehmigung der zust. Behörde und des Betriebsrat. Information der zuständigen Gewerkschaft Information bei Festlegung allgemeiner Leitlinien durch Arbeitgeber Zustimmung bei Massenentlassung. Klage vor „Lower Court" Schwangere und krankheitsbedingte Kündigung im Sinne von Krankenhausnotfalleinweisung binnen Frist von 8 Tagen
58 Europäisches Arbeitsrecht 4. Frankreich Norm :
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/UlaSSIliC σ Kiindigungsgründe
Kündigungsfrist
besonderer Kündigungsschutz
'
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Code du Travail =Arbeits-Gesetzbuch 1973 = CT Gesetz v. 13.7.1973 = KSchuG; Gesetz v. 3.1.1975 = KSchuG betr.: betriebsbed. Kündigungen; Gesetz v. 7.1.1981 = Betriebsunfälle Code Pénal = CP Art. L 122-14-3 CT (tatsächlich ernsthaften Grund); ordentliche außerordentlich (Art. L 122-9 CT = schwere schuldhaftes vorsätzlich/grob fahrlässig, schädigende Handlung) personenbedingt: Unfähigkeit, grundsätzlich andauende Krankheit nur bei Notwendigkeit des Arbeitnehmer-Ersatzes (Besonderheit bei betrieblich verursachten Erkrankungen bzw. Unfällen (siehe unten)) verhaltensbedingt: schuldhaftes, gravierende Verletzungen der Arbeitspflicht (z.B.: Nichtbeachtung von Anweisungen des Arbeitgeber, Verschuldung arbeitnehmerseits. Abwesenheit, Trunkenheit, Materialunterschlagung) betriebsbedingt: (Art. L 321-Iff. CT, Ges. v. 3. 1. 1975) betriebliche Reorganisation aus wirtschaftlich, konjunkturell oder betriebsinternen Schwierigkeiten Bei allen Kündigungen: (Art. L 122-14-2 CT; Art. R 122-2-1 CT) Einhaltung Verfahren: Einladung z. Vorgespräch mit Arbeitnehmer, nach mind. 5 Tagen, bzw. 2 Monate nach Kenntnis des verhaltensbedingten Kündigungsgrunds, mit Angabe Grund, Möglichkeit der Hinzuziehung einer Begleitperson; Kündigungswirksamkeitserfordernis: Bekanntgabe der Kündigungsgründe bei Verlangen des Arbeitnehmers (binnen Frist ν. 10 Tagen) (Art. L 122-14-2; R 122-3ÍF. CT); speziell bei betriebsbedingte Kündigung: Anhörung ArbeitnehmerVertreter (Art. L 321-2/3; Art. 432-1 CT); behördliche Kündigungsbewilligung, (nach Ablauf e. Frist v. 7 Tagen gilt Kündigungsbewilligung als erteilt; Hinweis auf Wiedereinstellungspflicht des Arbeitgeber innerhalb von 4 Wochen nach Kündigung (Art. L 321-14) Art. L 122-6 CT < 6 Monate tarifvertragliche Regeln oder bestehende örtl. Gepflogenheiten 6 - 2 4 Monate •=> 1 Monate > 2 Jahre •=> 2 Monate tarif-, arbeitsvertragliche Vereinbarungen über Verlängerung möglich Betriebsrat-Mitglieder (Art. L 425-lff.; L 436ff. CT): Anhörung des Betriebsrat u. Zustimmung des Gewerbeaufsichtsamtes (nach Information über Entscheidung des Betriebsrats); (Nachwirkung 6 Monate nach Dienstende) Schwangere/Mütter: Art. L 122-25ff. lentspr. Adoption Art. L 122-271: Ausschluss jeglicher Kündigung (auch in Probezeit). 6 Wochen vor und 10 Wochen nach Geburt (gleiche Rechte für Vater von 3 Kindern und bei Tod der Schwangeren ( Art. 122-25-2);
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Beteiligung Betriebsrat
Kiindigungsschutzverfahren
5. Belgien Norm zulässige Kündigungsgründe
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht Ausschluss ordentlicher Kündigung. Schwangerschaft u. 4 Wochen nach Wiederaufnahme der Arbeit (Kündigungswirkung erst mit Ablauf des Elternschaftsurlaubs.) Ruhen des Arbeitsverhältnis während Elternurlaub = 2 Jahre (bei 1 Jahr Beschäftigung in Unternehmen über 100 Arbeitnehmer) (Art. L 122-28); Verstoß: Schadenersatz und Geldstrafe 10.000 bis 20.000 FF (Art. 131-13 CP) Behinderte: Arbeitnehmer-Kündigungs-Frist max. 3 Monate vorbehaltlich tarifvertraglicher Regelungen (Art. L 323-29ff. CT); Strafe (2 Jahre und/ oder 30.000 EUR) bei Kündigung wegen Behinderung. (Art. 225-1/2 CP) Besonderheiten bei Betriebsunfällen und betrieblich verursachten Erkrankungen (Gesetz vom 7. 1. 1981) Ausschluss krankheitsbedingter Kündigung (Art. L 122-32-2 CT); bei arbeitsärztlich attestierter Unfähigkeit des Arbeitnehmers Angebot eines neuen Arbeitsplatzes. Nur bei nachweislich Unmöglichkeit der Wiedereingliederung des Arbeitnehmers Kündigung möglich. Zivil- und Wehrdienstleistende (Art. L 122-18ff. CT) vor 31. 12. 1978 geborene Arbeitnehmer; sonst Ende des Arb.-Verhältnis, Wiedereinstellungsanspruchs Auszubildende: in ersten 2 Monate uneingeschränkt möglich. Danach einvernehmlich oder durch gerichtliche Anordnung Information und Anhörung bei betriebsbedingte Kündigung: Art. L 321-2/3; Art. 432-1 CT Massenentlassungen: Art. L 321-2 CT (10 Arbeitnehmer in 30 Tagen) Konsultation Betr.-Rat und staatl. Arbeitsverwaltung. (Verstoß: Geldstrafe je Kündigung 3750 EUR Art. L 321-11 CT) Verfahren vor Arbeitsgericht (Art. L 516-1, R 516-0 CT); Gütetermin (Art. R 516-12) Ausschlussfrist der Arbeitnehmer Kündigungs-Schutz-Klausel allenfalls bei Rechtsmissbrauch oder 2 Monate bei Streit hinsichtlich Zahlungsabrechnung (Art. L 122-17) Ungerechtfertigte und formfehlerhafter Kündigung Schadenersatz (Art. L 122-2ff. CT Strafe bei diskriminierend. Kündigung 2 Jahre, 30.000 EUR (Art. 225-1/2 CP) Kündigung ohne erforderliche behördliche Zustimmung (pro Kündigung 3750 EUR (Art. L 321-11 CT)
Arbeitsvertragsgesetz v. 3.7.1978 = ArbVertrG, Betriebsverfassungsrecht = Gesetz v. 20.9.1948 u. Tarifvertrag v. 9.3.1972) ordentliche verhaltensbedingte: vorwerfbarer Verstoß gegen Pflichten, aus Arbeitsverhältnis personenbedingte: Unfähigkeit, fehlende, entfallende Eignung; Krankheit: über 6 Monate (Kündigungsfristbeginn bei Genesung (Abfindung)
58 Europäisches Arbeitsrecht
Kündigungsfrist
besonderer Kündigungsschutz
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betriebsbedingt: wirtschaftliche Schwierigkeit, Ein-, Umstellung des Betr., Rationalisierung, (als höhere Gewalt: Krieg, Naturkatastrophen) ohne Kündigung u. Entschädigung. Arbeitsverhältnis aufhebbar) außerordentlich: schweres Verschulden und Unmöglichkeit der Zusammenarbeit. (Art. 35 ArbVertrG) Mitteilung, der außerordentliche Kündigungsgründe Schriftlich nur Kündigung von Angestellten (Art. 37 ArbVertrG) ARBEITER (Art. 59 ArbVertrG): Arbeitnehmer-Kündigung •=> 14 Tage Arbeitgeber-Kündigung 28 Tage im Fall Betriebszugehörigkeit. > 20 Jahre: Arbeitnehmer-Kündigung 28 Tage Arbeitgeber-Kündigung 56 Tage Arbeitnehmer unter 6 Monate im Betr. O Vereinb. der Kündigungsfrist, jedoch nicht unter 7 Tage und Ankündigungsfrist nicht kürzer als Hälfte Arbeitgeber-Kündigungs-Frist Arbeitnehmer/ ANGESTELLTE (Art. 8 2 - 8 4 ArbVertrG): Arbeitnehmer-Jahres-Einkommen < 22.000 EUR, (1.5.1995): < 5 Jahre Betriebszugehörigkeit. 3 Monate j e weitere 5 Jahre Betriebszugehörigkeit «=> weitere 3 Monate Arbeitnehmer-Jahres-Einkommen > 22.000 EUR Vereinb. oder Festlegung durch. Richter (i.d.R. nach Betriebszugehörigkeit und Alter) bei 1. u. 2.: Arbeitgeber-Kündigung nicht unter o.g. Fristen; Arbeitnehmer-Kündigung: Einkommen 22.000-44.000 EUR max. 4 Vi Monate; > 44.000 EUR max. 6 Monate Anlass: Pensionierung (65 Jahre): Arbeitnehmer-Kündigung ^ 3 Monate Arbeitgeber-Kündigung •=> 6 Monate; verkürzte Fristen bei Kündigung wegen neuer Arbeit: < 22.000 EUR ^ 1 Monat; 22.000 EUR-44.000 EUR 3 Monate > 44.000 EUR O Festlegung durch. Richter (siehe oben) Betriebsrat-Mitglied.: Kündigung grundsätzlich unzulässig: (Gesetz v. 19.3.1991); in Zeit: 30 Tage vor Anmeldung der Wahl - Amtsübernahme durch anderes Betriebsrat-Mitglied (4-Jahres Periode); Kündigung aus dringenden technischen und/oder wirtschaftlichen Gründen (« betriebsbedingte) möglich, sofern paritätisch besetzter Arbeitgeber/Arbeitnehmerausschuss (oder falls dieser nicht, dann Arb.-Gericht) oben genannte Gründe anerkennt. Gewerkschaftsmitglied: Kündigung unzulässig wegen Mitgliedschaft oder Gewerkschafts-Tätigkeit (Tarifvertrag v. 24.5.1971) Schwangere/Mütter: vor Mitteilung der Schwangerschaft bis 1 Monate nach Ende Mutterschaftsurlaub (= 8 od. 14 Wochen nach Entbindung.) Kündigung wegen Schwanger-, Mutterschaft unzulässig
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Beteiligung Betriebsrat Verfahren
6. Italien Norm
zulässige Kündigungsgründe
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht Wehrdienst: unzulässig Kündigung wegen Wehrdienst (Art. 38 § 3 ArbVertG) Arbeitnehmer, welche durch Beschwerde oder Klage geschlechtlicher Gleichbehandlung anmahnen (Art. 136 G ν. 4.8.1978) Massenentlassune: (Tarifvertrag v. 8.5.19731 betriebsbedingte Kündigung in 60 Tagen von 10 Arbeitnehmer, in Betr. mit 20-100 Arbeitnehmer 10 Prozent d. Arbeitnehmer, in Betr. mit 100-300 Arbeitnehmer 300 Arbeitnehmer, 30 Arbeitnehmer Unterrichtung und Beratung mit Betriebsrat (wenn nicht vorher Gewerkschaft oder Belegschaft) TV Nr. 24 v. 2.10.1975; Tarifvertrag Nr. 24 quater v. 21.12.1993; Information an den Direktor des örtl. Arbeitsamtes, Kündigung, dann erst nach 30 Tagen möglich (königlicher Erlass v. 24.5.1976) (strafbewährt) Informations- und Beratungsrecht (Art. 15 ff G v. 20.9.1948 u. Tarifvertrag 9.3.1972) bei Festlegung allgemeiner Kündigungsrichtlinien durch Arbeitgeber G. v. 10.10.1967 Arbeitsgericht vorgeschalt. Schlichtungsverfahren Art. 734 G v. 10.10.1967 ungerechtfertigte (insbesondere ohne Rechtfertigungsgrund) Entschädigung Art 39 § 1, 62ff., 54 ArbVertG)
Codice Civile = CC; Codice di procedura Civile = CPC; L 223/91; Costitutione della Repubblica Italiana = Cost.; Arbeitnehmerstatut = Stat. Lav Contratto Collettivo Nazionale di Lavoro per i Dipendentio di Aziende Commerciali v. 1.2.1983 = TV; 1983; Contratto Collettivo Nazionale di Lavoro per i Dipendentio di Aziende Commerciali v. 22.12.1981 = TV 1981; L 604/66; L 108/90; L 533/73; TV v. 29.4.1965 ordentliche, außerordentliche 2118 CC Arbeitnehmer-Kündigung: ordentlich: freiwillige Kündigung (persönliche Gründe) 2118 CC; außerordentlich: wichtig. Grund (= Arbeiteeber Pflichtverstoß z.B.: verspätetet Zahlung von Entgelt und/ oder Sozialleistungen, Beleidigung, verlangen sittenwidriger Arbeitsleistung.) Arbeitgeber-Kündigung: (Art. 2118f. CC, L 604/66, Art. 18 Stat Lav, L 108/90: (Einteilung nach subjektiven oder objektiven Kündigungsgründen) [ordentlichel Kündigung „ad nutum" ohne Grund. Mögliche Auszubildende zum Ende der Ausbildungszeit, leitenden Angestellten, Hausangestellte, Profisportler, pensionsberechtigte Arbeitnehmer über 60, befristete Arbeitsverhältnisse. (Art. 2195 f CC Art. 10 L 604/66) [•außerordentlich] Kündigung: (Art. 2119 CC): schwerer, die Güter des Arbeitgeber gefährdender oder schädigender, schuldhaftes Pflichtverstoß verhaltensbedingt „per giusta causa" personen- u. betriebsbedingt: „per giustificato motivo": (Art. 3 L 604/66);
58 Europäisches Arbeitsrecht
Kündigungsfrist
besonderer Kündigungsschutz
355
betriebsbedingt: wirtschaftliche Schwierigkeit, Ein-, Umstellung des Betr., Rationalisierung, (als höhere Gewalt: Krieg, Naturkatastrophen) ohne Kündigung u. Entschädigung. Arbeitsverhältnis aufhebbar) außerordentlich: schweres Verschulden und Unmöglichkeit der Zusammenarbeit. (Art. 35 ArbVertrG) Mitteilung, der außerordentliche Kündigungsgründe Schriftlich nur Kündigung von Angestellten (Art. 37 ArbVertrG) ARBEITER (Art. 59 ArbVertrG): Arbeitnehmer-Kündigung 14 Tage Arbeitgeber-Kündigung ^ 28 Tage im Fall Betriebszugehörigkeit. > 20 Jahre: Arbeitnehmer-Kündigung 28 Tage Arbeitgeber-Kündigung O 56 Tage Arbeitnehmer unter 6 Monate im Betr. Vereinb. der Kündigungsfrist, jedoch nicht unter 7 Tage und Ankündigungsfrist nicht kürzer als Hälfte Arbeitgeber-Kündigungs-Frist Arbeitnehmer/ ANGESTELLTE (Art. 82-84 ArbVertrG): Arbeitnehmer-Jahres-Einkommen < 22.000 EUR, (1.5.1995): < 5 Jahre Betriebszugehörigkeit. 3 Monate je weitere 5 Jahre Betriebszugehörigkeit O weitere 3 Monate Arbeitnehmer-Jahres-Einkommen > 22.000 EUR •=> Vereinb. oder Festlegung durch. Richter (i.d.R. nach Betriebszugehörigkeit und Alter) bei 1. u. 2.: Arbeitgeber-Kündigung nicht unter o.g. Fristen; Arbeitnehmer-Kündigung: Einkommen 22.000-44.000 EUR •=> max. 4 Vi Monate; > 44.000 EUR max. 6 Monate Anlass: Pensionierung (65 Jahre): Arbeitnehmer-Kündigung ^ 3 Monate Arbeitgeber-Kündigung •=> 6 Monate; verkürzte Fristen bei Kündigung wegen neuer Arbeit: < 22.000 EUR 1 Monat; 22.000 EUR-44.000 EUR ^ 3 Monate > 44.000 EUR ^ Festlegung durch. Richter (siehe oben) Betriebsrat-Mitglied.: Kündigung grundsätzlich unzulässig: (Gesetz v. 19.3.1991); in Zeit: 30 Tage vor Anmeldung der Wahl - Amtsübernahme durch anderes Betriebsrat-Mitglied (4-Jahres Periode); Kündigung aus dringenden technischen und/oder wirtschaftlichen Gründen (~ betriebsbedingte) möglich, sofern paritätisch besetzter Arbeitgeber/Arbeitnehmerausschuss (oder falls dieser nicht, dann Arb.-Gericht) oben genannte Gründe anerkennt. Gewerkschaftsmitglied: Kündigung unzulässig wegen Mitgliedschaft oder Gewerkschafts-Tätigkeit (Tarifvertrag v. 24.5.1971) Schwangere/Mütter: vor Mitteilung der Schwangerschaft bis 1 Monate nach Ende Mutterschaftsurlaub (= 8 od. 14 Wochen nach Entbindung.) Kündigung wegen Schwanger-, Mutterschaft unzulässig
356
Beteiligung Betriebsrat Verfahren
7. Spanien Norm
zulässige Kündigungsgründe
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht anlässlich Hochzeit unzulässig und unwirksam Schwangere/Mütter: Beginn der Schwangerschaft - erste Lebensjahr d. Kindes, personenbedingte Kündigung wegen Schwanger-, Mutterschaft unzulässig; 2 Monate vor und 3 Monate nach Entbindung, ordentliche Kündigung bedarf Zustimmung. Arbeitsbehörde (inspetto del lavoro); Ausnahme betriebsbedingte Kündigung (Art. 2 LI204/71) Wehr- Ersatzdienst: (L ΊΊ2ΙΊ2Υ unzulässig der ordentliche Kündigung (L 653/40 u. L 370/55) Massenentlassung: entspr. TV v. 5.5.1965 nur in Absprache mit Zustimmung von Gewerkschaft und Arbeitsamt Grundsätzlich keine L 604/66; L 108/90; L 533/73 TV v. 29.4.1965 Schlichtungsverfahren Art 6 L 604/66 Amtsgericht Art. 409ff. CPC Anfechtung der Kündigung Frist 60 Tage; Schadenersatz bei nicht eingehaltener Kündigungsfrist Art. 2120 CC (§ 56 L 297 v. 29.5.1982: Abfindungszahlung, auch bei rechtmäßiger Kündigung ca.: 16-1 Monatsgehalt.
Codigo Civil = CC; Estatuto de los Trabajadores (Arbeitnehmerstatut) 1980 = ET; Ley de Comtrato de Trabajo (Arbeits-VertragsG) = LCT; Ley de Procedimiento laboral (ArbeitsGerG) = LPL Art. 49 ET keine Unterscheidung, ordentliche/ außerordentliche Kündigung; sondern Unterscheidung. (Arbeitgeber-Kündigung): disziplinarische = subj. Art. 49 Absatz 11; Art. 54-56 ET schuldhafte schwerwiegende Verfehlung gegen Arbeitspflichten [geschäftliche Arbeitsleistung, Disziplinarverstoß, Verletzung der Treuepflicht] (« verhaltensbedingte); (verhaltensbedingte. » außerordentlich) objektiv. Art. 52, 53. = ökonomisch, technisch, organisatorisch, Arbeitsleistung. Unmöglich durch höhere Gewalt Art. 51 ET (« betriebsbedingte und personenbedingte) Gründe; personenbedingte: fehlende Eignung des Arbeitnehmers, auch bei krankheitsgemäßer Behinderung (Art. 49 Absatz 5 ET), fehlende Anpassung an notwendige technische Veränderungen, Fehlzeiten (schuldlos; aber nicht legal. Streik, Tätigkeit als Arbeitnehmervertreter, Arbeitsunfall, Krankheit, Freistellung, Urlaub) in 2 aufeinander folgenden Monaten 20 Prozent, in 4 von 12 Monate 25 Prozent, bei Übersteigen 5 Prozent durchschnittliche Fehlzeitenquote im Betrieb; betriebsbedingt, (wenn nicht Massenentlassung ("siehe unten Ί ökonomische Krisen Verfahren: schriftliche Kündigungserklärung mit Grund: Angebot einer Entschädigung. Art. 53 Absatz, 53 Absatz 1 b ET; keine Entschädigung
58 Europäisches Arbeitsrecht
Kündigungsfrist besonderer Kündigungsschutz
Beteiligung Betriebsrat
Verfahren
8. Portugal Norm
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bei disziplinarische = subjektiven Art. 49 Absatz 11; Art. 54-56 ET (» verhaltensbedingte) Massenentlassune: (Art. 51; 49 Absatz 9, 2c ET) 10 Arbeitnehmer bei 100 Arbeitnehmer, 10 Prozent der Arbeitnehmer bei 100-300 Arbeitnehmer, 30 Arbeitnehmer bei > 300 Arbeitnehmer, dauerhaft Produktionsrückgang und/ oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, erforderlicher Geschäftsaufgabe, höhere Gewalt Verfahren I (höhere Gewalt): Feststellen der höheren Gewalt und Genehmigung der Kündigung durch zuständige Behörde (= Director provincial de trabajo bzw. Director General de Emleo) Art 51 Absatz 121 ET; Art. 6.1 BD 696/80 Verfahren II (ökonomische Gründe)·. Mittéilung Betriebsrat und Arbeitsbehörde (mit. Arbeitgeber Plan zum Krisenmanagement) Beratung mit Arbeitnehmer-Vertretern (30 Tage); bei Einigung: Gen. der Einigung durch Beh. (fehlende Äußerung = Gen.) Art. 51 Absatz 5 ET; Keine Einigung^ Behördenentscheidung über Arbeitgeber-Kündigung disziplinarische = subjektiv Art. 49 Absatz 11 ; Art. 54-56 ET objektiv Gründe (» betriebsbedingte und personenbedingte) •=> 30 Tage [oder Entschädigungszahlung] Betriebsrat-Mitglied Art. 68 c ET: ordentliche Kündigung in Zusammenhang mit Amtstätigkeit während dieser und ein Jahr danach unzulässig. Bei disziplinarischer Kündigung Anhörung und Zustimmung des Betriebsrat Art. 68 a ET Gewerkschaftsmitgliedschaft Verbot diskriminierender Kündigung Kein ausdrücklicher Kündigungsschutz von Schwangeren und Müttern, jedoch Rechtspraxis: Verbot Kündigung aufgrund Schwanger- und Mutterschaft (in der Regel 16 Wochen Suspendierung des Arbeitsverhältnisses vgl. Art. 45 Absatz ld ET) Wehrdienst: Ruhen des Arbeitsverhältnisses, Weiterbeschäftigung 30 Tage nach Dienstende Informations- und Anhörungsrecht Zustimmung bei disziplinar Entlassung Betriebsrat-Mitglied Beratung mit Arbeitgeber (30 Tage) Massenentlassung aus ökonomischen Gründ. Ley de Procedimiento Laboral (LPL) Dekret 521/90 v. 27.4.1990 Kündigungsschutzklage vor Arb.-Gericht innerhalb von 20 Tagen Art. 130 LPL
Art. Verfassung, Decreto-Lei 49.408 = ArbeitsVertragsG; Decreto-Lei 64-A/89 v. 27.2.1989 i.V.m. Decreto-Lei 400/91, 403/91 ν. 16.10.1991; DL 64/89 = KündigungSchutzG
358
zulässige Kündigungsgründe
Kündigungsfrist
besonderer Kündigungsschutz
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Arbeitnehmer-Kündigung: ordentliche (Art. 38 DL 64-A/89); außerordentlich (Art. 35 DL 64-A/89) schuldhafte Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten des Arbeitgebers Arbeitgeber-Kündigung: keine Unterscheidung ordentliche / außerordentliche Kündigung nur bei schwerwiegendem Grund und Durchlaufen eines Kündigungs-Prozesses Unterscheidung subjektive verhaltensbedingte) und objektive (« personenbedingte betriebsbedingte) Gründe: betriebsbedingte: Art. 26 DL 64-A/89 erwiesene Reduktion der Nachfrage, notwendige technische Neuerungen, oder notwendige Änderung der Geschäftstätigkeit personenbedingte. = Kündigung wegen Nichtanpassung: Arbeitnehmers an notwendig veränderten Arbeitsplatzes möglich; (zeitweilige Krankheit = Ruhen des Arbeitsverhältnisses) grundsätzlich Abfindung des Arbeitnehmers bei Kündigung Art. 27 DG 64-A/89) außerordentliche Kündigung: Art. 10 Nr. 1 DG 64-A/89 verhaltensbedingte Gründe: Unmöglich Fortbestand Arbeitsverhältnis (z.B.: Zuwiderhandeln gegen Arbeitgeber-Anweisung.; Gewaltanwendung. Aufbegehren gegen Arbeitgeber; wiederholte Konflikte mit Kollegen, Schädigendes unerlaubten Fehlens (in einem Jahr entweder 5 aufeinander folgende oder insgesamt 10 Tage); erhebliche Reduktion der Produktivität des Arbeitnehmers; Täuschung, über Grund von Fehlzeiten) verhaltensbedingte Kündigung hierbei ohne Abmahnung! Verfahren: schriftliche Begründung und Vorgespräch mit Arbeitnehmer; Arbeitgeber muss binnen 5 Tagen - nach Intervention Arbeitnehmer oder/ und Betriebsrat - dem Arbeitnehmer, Betriebsrat und Aufsichtsbehörde mitteilen; Kündigung; Datum der Beendigung, Kündigungsgründe, Nachweis fehlender Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, Abfindungshöhe; und deren Zahlungsmodalitäten. Arbeitnehmer-Kündigung: Art. 38 DL 64-A/89 < 2 Jahre = 30 Tage; > 2 Jahre = 60 Tage Arbeitgeber-Kündigung: Massenentlassung (= betriebsbedingte Kündigung aus strukturellen, technologischen, wirtschaftlichen Gründen: bereits ab 2 Arbeitnehmer bei = 50 Arbeitnehmer; 5 Arbeitnehmer bei = 51 Arbeitnehmer (Art. 16 GD 64-A/89) nach Abschluss des „Kosultationsverfahrens" 60 Tage Kündigung wegen Gewerkschafts- und/ oder Betriebsratmitgliedschaft unzulässig; bei sonst möglicher Kündigung Arbeitnehmer-Vertreter höhere Abfindung (Art. 58 LCCT i.V.m. 35 DL 215-B/75; Art. 16 L 46/79) Kündigungsverbot aus Gründen der Schwanger-, Mutterschaft (Mutterschaftsurlaub 98 Tage davon 60 nach Entbindung.
58 Europäisches Arbeitsrecht
Beteiligung Betriebsrat
X/ai'fil U w n n • VI IMIII v i l
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Behinderte nur bei arbeitsunfallbedingter Behinderung in Betrieb mit mehr als 10 Arbeitnehmern, Behinderung vorübergehend und weniger als 50 Prozent Wehrdienst: (Art. 276 Absatz 7 Aussetzen des Arb.-Vertrages) Informations- und Beratungsrecht Einleitung eines Verfahren vor Aufsichtsbehörde innerhalb von 3 Tagen Art. 27,29 GD 64-A/89 (Sanktion = gegebenenfalls Geldstrafe, nicht Erklärung Unwirksamkeit der Kündigung Massenentlassung: (s. o.) (Art. 16 GD 64-A/89) Konsultation Arbeitgeber, Betriebsrat oder Gewerkschaft und Sozialministerium Art. 17 GD 64-A/89 Arbeits-Ger.: vorgeschaltet Gütetermin (Art. 54ff. Arb.Ger.G) Arbeitnehmer-Kündigung: ordentliche (Art. 38 DL 64-A/89) Antrag beim Arbeits-Ger. Auflösung des Arbeitsverhältnisses und Zuspruch der ArbeitgeberAbfindung Arbeitgeber-Kündigung: Arbeitnehmer Antrag (in 5 Tagen nach Arbeitgeber-Mitteilung) gerichtlich vorläufige Aussetzung der Kündigung betriebsbedingte Kündigung: Klage binnen 1 Jahr Art. 32, 38 GD 49.408; Wiedereinstellung oder Entschädigung bei fehlerhafter Kündigung Art. 13 GD 64-A/89 Kündigung wegen Nichtanpassung: Arbeitnehmers an notwendig veränderten Arbeitsplatz (personenbedingt) verhaltensbedingte Kündigung beweissicherndes Vorverfahren Arbeitgeber /Gewerkschaft gerichtliche (vorläufige) Aufhebung der Kündigung Abwendung der vorläufigen Aufhebung durch Arbeitgeber Kaution (6Monate-Gehalt) Massenentlassung Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht Frist 90 Tage (Art. 25 Absatz 2 GD 64-A/89)
9. Griechenland Art. 22 Verfassung, Gesetz 3198/1955; Gesetz 21.12.1920, königlichen Norm Erlass vom 16/18.7.1920 schriftliche (Art. 5 Absatz 3 Gesetz 3198/1955); zulässige Anzeige der Kündigung bei örtlichem Arbeitsamt und Polizei innerhalb Kündigungsvon 8 Tagen (kein Wirksamkeitserfordernis, jedoch Unterlassen stratbegründe währt) Art. 9 Gesetz 3198/1955) ordentliche Kündigung personenbedingte: Unfähigkeit, bei Krankheit Ruhen des Arbeitsverhältnisses Frist (abhängig von Betriebszugehörigkeit) 1 Monat (bei 4 Jahren) - 6 Monate (bei > 15 Jahren) verhaltensbedingte: (Art. 673 ZGB) Schadenersatz des Verletzers
360
Kündigungsfrist
besonderer Kündigungsschutz
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht betriebsbedingt: schwerwiegende nachweisliche wirtschaftliche Gründe im Sinne von Änderung der persönlichen Vermögensverhältnisse des Arbeitgeber; Sozialauswahl (nach Rechtsprechung keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Kündigung); angemessene Entschädigung des Arbeitnehmers durch Arbeitgeber (Art. 674 ZGB) außerordentliche Kündigung bei besonders schwerwiegendem Grund bei verhaltensbedingten (Verurteilung wegen Straftat; erhebliche schuldhafte Pflichtverletzung) oder aufgrund höherer Gewalt (» betriebsbedingte) Massenentlassung: Betrieb mit mehr als 50 Arbeitnehmern. Monatliche Entlassung aus wirtschaftlich/ betriebsbezogenen Grund über vom Arbeitsminister festgelegter Prozentsatz (2-3 Prozent); höchst 30 Arbeitnehmer. Anzeige an Arbeitnehmer und Arbeitsminister. (Grund Zahl der Arbeitnehmer, Auswahl) Versuch einer Verhandlung mit Arbeitnehmern. Bei Scheitern der Verhandlungen Bestätigung der Kündigung durch Arbeitsminister in 10 Tagen (Gesetz 1387/1983; 1767/1988); gleichzeitig Entlassung von mehr als 30 Arbeitnehmer unzulässig Arbeitgeberseitige Kündigung: Art. 1 Gesetz 2112/1920: 2 Monate - 1 Jahr 1 Monate 2 - 4 Jahre O 2 Monate 4 - 6 Jahre •=> 3 Monate etc. max.: 28 Jahre •=> 24 Monate Vereinbarung längerer Fristen möglich Für Angestellte: Keine Fristeinhaltung, wenn Entschädigungszahlung: 2 Monate - 1 Jahr •=> 1 Monatsgehalt. 1-2 Jahre •=> 2 Monatsgehälter 2 - 3 Jahre •=> 3 Monatsgehälter etc. > 28 Jahre •=> 24 Monate arbeitnehmerseitige Kündigung V2 Frist arbeitgeberseitige Kündigung; maximal 3 Monate Arbeitnehmerentschädigung (Ά übliche Abfindung (siehe unten) bei Kündigung über 15 Jahre Tätigkeit und/ oder Rentenalter (Art. 5 Absatz 1 Gesetz 435/1976) Gewerkschaftsmitglieder (entsprechend für Betriebsrat-Mitglieder): unzulässig ordentliche Kündigung während Amt und 1 Jahr danach. Außerordentliche Kündigung nach Zustimmung besonderes Komitee (1 Richter, 1 Arbeitnehmer- + 1 Arbeitgeber-Vertreter) Art. 15 Gesetz 1264/1982 unzulässig iede rechtsmissbräuchliche diskriminierende Kündigung Art. 281 ZGB; Gesetz 1767/1988; betrifft: Gewerkschaftstätigkeit., Arbeitnehmer bei Bergehren gewerkschaftlicher/betriebsratlicher Unterstützung
58 Europäisches Arbeitsrecht
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Schwangere/Mütter: unzulässige Kündigung während Schwangerschaft und Mutterschaftsurlaub (bis 1 Jahr nach Geburt) Wehrdienst: nach 6 Monate Betr.-Zugehörigkeit grundsätzlich unzulässig Kündigung auch 1 Jahr nach Wiederaufnahme d. Arb. (Kündigung zulässig wenn „spezielles Komitee" zustimmt (Art. 7 Gesetz 244/1936) Kriegsveteranen und -Invaliden und Familienmitglieder im Krieg Getöte-
Beteiligung Betriebsrat Verfahren
10. England Norm
zulässige Kündigungsgründe
ter: Kündigung nur bei Verurteilung des Arbeitnehmers wegen Verleumdung, oder Unfähigkeit für eine bestimmte Arbeit und Unmöglichkeit der Arbeitgeber, Arbeitnehmer (weiter) zu beschäftigen. (Art. 7 Gesetz 244/1936) Unterrichtung durch Arbeitgeber (als Ersatz für fehlende Gewerkschaft: Information u. Beratung) Klage(Ausschluss)frist gegen Kündigung = 3 Monate; für Abfindung = 6 Monate (Art. 5 Absatz 3 Gesetz 3198/1955) Abfindungsanspruch des gekündigten Arbeitnehmers (Art. 2 Absatz 1 Gesetz 3198/1955) (vom Arbeitgeber vorzuhalten in Fond) außer verhaltensbedingter Kündigung oder rechtsmissbräuchlicher provozierte Abfindung; höhere Gewalt, gegebenenfalls 2/3 Versicherungssumme; Vi nach Konkurs (Art. 2, 6 Gesetz 3198/1955) Abfindung unterschiedlich für Angestellte (Art. 4, 5 Absatz 1 Gesetz 3198/1955) und Arbeiter Art. 5 Absatz 1 königlicher Erlass vom 16/18 7. 1920
Employment Protection (Consideration) Act 1978) = EPA; Trade Union and Labour Relations (Consolidation) Act (1992) = TULRA; Employment Rights Act. (1996) = ERA; Employment Relations Act (1999) ErelA ordentliche, außerordentliche (Summary Dismissal) [sofern Kündigung nicht diskriminierend; kein Kündigungsschutz bei Beschäftigung unter 2 Jahren] personenbedingt: sec. 57.2, 57.2 EPA: Wegfall der Befähigung, Unvermögen, Krankheit (bei wiederholter Abwesenheit von Arbeit und keiner anderen Beschäftigungsmöglichkeit durch Arbeitgeber), verhaltensbedingt: (z.B.: Diebstahl, Annahme von Bestechungsgeldern, Trunkenheit und Drogenmissbrauch am Arbeitsplatz, Beleidigung, Verrat von Betriebsgeheimnissen, unerlaubter Zugang zu Datendanken, unerlaubte Abwesenheit am Arbeitsplatz, Abwesenheit bei nichtabgesprochenem Urlaub, unangemessene Arbeitskleidung) betriebsbedingt: (Redundancy): dauerhafte ernsthafte, wirtschaftliche Gründe, ordnungsgemäße Sozialauswahl unter Dokumentation und
362
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
gleichmäßiger Anwendung aller Kriterien; auch wenn Weiterbeschäftigung Gesetzesbruch (Breaking the Law), sofern nicht Arbeitgeber Arbeitnehmer legalisiert weiterbeschäftigen kann Voraussetzung aller Kündigungsgründe. = Einhaltung eines speziellen Verfahren durch Arbeitgeber, fairness of Procedure": Anhörung des Arbeitnehmers, mit Beistand, Gleichbehandlung, Berücksicht. aller Umstände (Gesamterscheinungsbild des Arbeitnehmer und seiner bisherigen Tätigkeit) Bei verhaltensbedingter erneutes Fehlverhalten trotz Abmahnung, alternative Möglichkeit zur Disziplinierung ausgeschöpft, außerordentliche Kündigung wesentlich ungerechtfertigte Verletzung vertraglicher Pflichten (Vertragsbruch) mit grundlegender Beeinträchtigung des Vertrauensverhältnisses. Kündigungsfrist
besonderer Kündigungsschutz
< 1 Monate > 1 Monate «=> 1 Woche 2 Jahre 2 Wochen 3 Jahre 3 Wochen jedes weitere Beschäftigungsjahr eine weitere Woche Kündigungsfrist bis 12 Jahre O 12 Wochen Arbeitnehmervertreter: Ausschluss der Kündigung von Mitglied unabhängig Gewerkschaften Beteiligung (Absicht) an Aktivität der Gewerkschaft sec. 152 TULRA Schwangere/Mütter: sec. 60 EPA: Kündigung wegen Schwaneer- Mutterschaft unzulässig Aber Kündigung im Sinne einer Suspendierung möglich bei gesundheitlichen Risiken der Arbeit oder Nachtarbeit, und keine andere Beschäftigung der Arbeitnehmerin möglich
Beteiligung Betriebsrat
Recht des Arbeitnehmers auf Beistand der im Unternehmen die Arbeitnehmer mehrheitlich vertretenen Gewerkschaft Informations- und Beratungspflicht des Arbeitgebers mit Gewerkschaft oder betrieblichen Arbeitnehmervertretern bei Redundancy-Kündigung. Massenentlassungen: (Entlassung von mehr als 20 Arbeitnehmer in 90 Tagen) Beratung mit Arbeitnehmer-Vertretung (in der Regel Gewerkschaft)
Verfahren
Unfair Dismissal Claim (bei unbegründeter Kündigung, oder Verfahrensverstößen) Wrongfull Dismission (etwa bei Nichteinhalt. Kündigungsfrist oder Nichtbenachrichtigung der Arbeitnehmer) Redundancy Payment Claim Zahlung einer Arbeitsplatz-Entschädigungssumme bei zulässiger betriebsbedingter Kündigung (nicht bei Wegfall der Einsatzmöglichkeit des Arbeitnehmers aus technischen Gründen oder wenn ein Arbeitnehmer einer zulässigen Beschäftigungsalternative nicht nachkommt) sec. 8Iff., 87 EPA)
58 Europäisches Arbeitsrecht
363
Klageausschlussfrist: grundsätzlich 3 Monate Fristverlängerung möglich bei krankem Arbeitnehmer, falsche Information des Arbeitnehmers durch Arbeits-Amt oder Arbeitsgericht, Verspätete Zustellung, neu auftretende Beweise 11. Irland Norm
zulässige Kündigungsgründe
Kündigungsfrist
Unfair Dismissal Act (1977)= UDA; Minimum Notice and Terms of Employment Act (1973) = MNTEA; Maternity Protection of Employees Act (1987) = MPEA; Protection Employment Act (1977) = PEA; Parental Leave Act = PLA; Worker Protection Act = WPA ordentliche, außerordentliche (Summary Dismissal) sec.6.4 a-d UDA personenbedingt: Unfähigkeit, dauerhafte Krankheit sec 2.4 a UDA verhaltensbedingt: schuldhaftes Verletzung der Arbeitspflicht und Nebenpflicht betriebsbedingte: z.B.: zu geringe Auslastung, Rationalisierung, Umorganisation, Abfindungspflichtig, wenn Arbeitnehmer unter anderem mindestens 2 Jahre durchgehend beschäftigt) Auch Gesetzesbruch bei Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers (Breaking the Law), sofern nicht Arbeitgeber Arbeitnehmer legalisiert weiterbeschäftigen kann Voraussetzung jedoch Kündigung = Einhaltung eines speziellen Verfahrens durch Arbeitgeber „Fairness of Procedure" Anhörung des Arbeitnehmer, gegebenenfalls mit Beistand, Gleichbehandlung, Berücksichtigung aller Umstände (Gesamterscheinungsbild des Arbeitnehmer und seiner bisherigen Tätigkeit); bei verhaltensbedingten erneutes Fehlverhalten trotz Abmahnung und alternative Möglichkeit zur Disziplinierung ausgeschöpft Massenentlassung: (Kündigung in 30 Tagen: 5 Arbeitnehmer bei 20-50 Arbeitnehmer; 10 Arbeitnehmer bei 50-100 Arbeitnehmer; 10 Prozent bei 100-300 Arbeitnehmer; 30 > 3000 Arbeitnehmer) sec. 6.1 PEA: 30 Tage vor Kündigung Anzeige an Arb.-Minister (sec. 12 PEA) u. Info und Beratung mit Arbeitnehmer-Vertreter (in der Regel Gewerkschaft) und Konsultation Betriebsrat sec. 4.2. MNTEA 13 Wochen - 2 Jahre ^ 11 Woche 2-5 Jahre O 2 Wochen 5-10 Jahre •=> 4 Wochen 10-15 Jahre •=> 6 Wochen > 15 Jahre 8 Woche
364 besonderer Kündigungsschutz Beteiligung Betriebsrat Verfahren
12. Dänemark Norm
zulässige Kündigungsgründe
Kündigungsfrist
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht Kündigung wegen Mitgliedschaft und Tätigkeit in Gewerkschaft, unzulässig (sec. 14 UAD) werdende Mütter: sec. 6 PLA Erziehungsurlaub (14 Wochen): Ausschluss der Kündigung (sec. 2.2 UDA) Information und Anhörung bei Massenentlassung Empfehlung eines „Rights Commissioners" (6 Wochen) Berufung zum Employment Appeals Tribunal sec. 8-10 UDA (oder direkt zum Employment Appeals Tribunal); sec. 8.2 UDA Frist: gegen ordentliche Kündigung 6 Monate gegen außerordentliche Kündigung 12 Monate
ArbeitsBedingungsG (1976) = AML; AngestelltenG (1971) = FUL; Land- und HeimarbeiterG (1961) = MHL; Gleichbehandl.G (1990) = LBHL; KonkursG = KKL ordentliche, außerordentliche § 26 MHL verhaltensbedingt: schuldhaftes Fehlverhalten des Arbeitnehmers: personenbedingt: dauerhaft Unfähigkeit. [Krankheit § 2 FUL. § 16 MHL, Krankheit über 1 Monat]; betriebsbedingt: [Force Majeure], ernsthafte wirtschaftliche und technische Schwierigkeiten (Mitteilung der Kündigungsgründe erst ab 9 Monate) außerordentliche arbeitgeberseitig: z.B.: Straftat des Arbeitnehmers, Verursachung erhebliche Schäden bei Arbeitspflichtverletzung § 20 22 MHL; unerlaubtes Fernbleiben mit schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen für Arbeitgeber arbeitnehmerseitig: Ausfall der Entgeltzahlung bei vorheriger Anmahnung des Arbeitnehmers, § 26 MHL schwerwiegende-, verschuldensunabhängige-, betriebsbedingte Gründe „Force Majeure" (z.B.: Zerstörung des Betriebes) Gesetz (§§ 20ff. MHL) und Tarifvertrag Unterscheidung Arbeiter / Angestellte: Arbeiter: ohne tarif-/ einzelvertraglichen Abmachung. Kündigungsfristen für Angestellte gelten als angemessen. (= 3 Monate) Arbeitgeberkündigung: je nach Tarifvertrag bis 9 Monate >=>14-21 Tage 3 - 6 Jahre 49 Tage > 6 Jahre =>70 Tage Arbeitnehmer über 50 > 9 Jahre 90 Tage > 12 Jahre =>120 Tage
58 Europäisches Arbeitsrecht
besonderer Kündigungsschutz
Beteiligung Betriebsrat Verfahren
13. Schweden Norm zulässige Kündigungsgründe
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Arbeitnehmerkündigung: je nach Tarifvertrag ab 9 Monate ·=>7 Tage 3 - 6 Jahre ·=>14 Tage 6 - 9 Jahre 21 Tage > 9 Jahre 28 Tage Angestellte (§§ 2.1-2.4, 2.7, 6) FUL): bis 6 Monate 1 Monate ab 6 Monate •=> 3 Monate 3 - 6 Jahre 4 Monate 6 - 9 Jahre Monate > 9 Jahre 6 Monate Betriebsrats- und Gewerkschaftsfunktionäre (je nach Tarifvertrag = Ausschluss ordentlicher Kündigung, Fristverlängerung) ( § 2 , 10 FUL; § 10.2 AML; 1-5 KSchG für Gewerkschaftsmitglieder Mutterschutz unzulässig Künd. wegen Schwanger, beziehungsweise Mutterschaft (§§ 16, 7, 9 Adoption LBHL; 7 FUL; § 19a MHL; § 58 EUL); Schadenersatz bei Verstoß bis 78 Wochenverdienst Auszubildende Ausschluss der Kündigung § 60 EUL Wehr- Zivildienstleistende Ausschluss der Arbeitgeber-Kündigung nach 9 Monate Betr.Zugehörigkeit ( § 1 , 2 VPL; § 6 FUL; § 35 MHL) Massenentlassung: (mindestenslO Arbeitnehmer innerhalb von 30 Tagen in Betr. mit 20-100 Arbeitnehmer 10 Prozent der Arbeitnehmer in Betrieb mit 100-300 Arbeitnehmer 30 Arbeitnehmer in Betrieb mit mindestens 300 Arbeitnehmer Unterrichtung Arbeitsamt) § 2.6 FUL Benachrichtigung und Verhandlung mit Arbeitnehmervertretern und Arbeitsamt Informations- und Beratungspflicht Mit Gewerkschaftsbeteiligung: (Schiedsgerichtsverfahren) Verhandlung über Kündigungsgründe und Kündigung Entscheidung: Bord of Dismissal (als Schiedsgericht) sonst gerichtliche Klage vor Möglichkeit: (Entschädigungs-, Abfindungszahlungen)
Arbeitsschutzgesetz 1982 (ArbSchG) Arbeitnehmer-Kündigung, ordentliche.: § 11 ArbSchG; außerordentlich Arbeitnehmerkündigung schwere Verfehlung des Arbeitgeber (z.B.: Beleidigung, sexuelle Nötigung ausbleibende Gehaltszahlung nur Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers Arbeitgeber-Kündigung: Kündigungserklärung schriftlich (§§ 8, 16,
366
Kündigungsfrist
besonderer Kündigungsschutz
Beteiligung Betriebsrat
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht 19 ArbSchG) und auf verlangen Arbeitnehmer Angabe objektiver Gründe (§ 7 ArbSchG): personenbedingt :Unfähigkeit. Alkohol: bei Gefährdung der Sicherheit und/ oder des Rufs des Arbeitgebers; Krankheit nur bei dauerhaft, wesentlicher Verminderung der Arbeitsfähigkeit verhaltensbedingt.: wiederholte, grobe Verstöße gegen Verhaltenspflichten des Arbeitnehmers gegenüber Arbeitgeber und/ oder Kollegen betriebsbedingt.: nachweislich dauerhafter Arbeitsmangel. Sozialauswahl (§ 22 ArbSchG), [nach Prinzip: „last in /first out] Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers §§ 25ff. ArbSchG); betriebsältere Arbeitnehmer: bevorzugte Wiedereinstellung - generell keine Kündigung, wenn Weiterbeschäftigung auf anderer Stelle möglich außerordentlich Kündigung (§ 18 Absatz 1 ArbSchG) [schuldhafte, erhebliche] grobe Pflichtverletzung im Sinne von Straftaten (z.B.: Unterschlagung, tätliche Gewalt) Verfahren: personenbedingte Kündigung: Information an Arbeitnehmer 2 Wochen vor Ausspruch, bei gewerkschaftlicher Organisation Information auch an Gewerkschaft. Auf Verlangen Arbeitnehmer und/oder Gewerkschaft O Erörterungstermin (§ 30 ArbSchG) betriebsbedingte Kündigung: Verhandlungspflicht (§§ 1 Iff. ArbSchG) Arbeitnehmer-Kündigung: 1 Monate vor Kündigungserklärung (§ 11 ArbSchG), tarifvertragliche Verlängerung möglich; ArbeitnehmerKündigung Frist kürzer als Arbeitgeber-Kündigungs-Frist Arbeitgeber-Kündigung: mindestens 1 Monate nach 6 Monate oder unzusammenhängend 12 Monate in 2 Jahren Frist abhängig vom Alter des Arbeitnehmers (§ 11 ArbSchG): ab 25 Jahre "=> 2 Monate ab 30 Jahre •=> 3 Monate ab 35 Jahre 4 Monate ab 40 Jahre Φ 5 Monate ab 45 Jahre •=> 6 Monate Gewerkschafts-Mitglieder. Vorab Verhandlung Gewerkschaft- Arbeitgeber (§ 8 MitbestG) Schwangere/Mütter (§ 25 GleichstellG) Wehrdienst: unzulässig Kündigung (ArbSchG 1939) unzulässig Kündigung aus ethnischen Gründen (§ 7 ArbSchG. lag 1994:134) Massenentlassung: (5 Arbeitnehmer bei Kündigung ArbeitsmangeH Benachrichtigung örtliches Arbeitsamt 6 Monate vor Kündigung; Verhandlungspflicht des Arbeitgeber mit Gewerkschaft vor Maßnahme (§§ 11-14 MitbestG) Beratung mit Gewerkschaft (wenn Arbeitnehmer organisiert) (§§ 10, 15ff. ArbSchG)
58 Europäisches Arbeitsrecht
Verfahren
Bezirksgericht Kündigung Aufhebung (§ 34 ArbSchG); Frist: 2 Wochen (§ 40 ArbSchG) bei Nichtmitteilung der Kündigungsgründe (auf Verlangen des Arbeitnehmers) 4 Wochen bei rechtswidriger oder ungültig Kündigung Schadensersatzanspruch (§ 38 ArbSchG) bis zur Wiedereinstellung des Arbeitnehmers (ordentliche Kündigung 2.200 EUR; außerordentl. = 3.300 EUR Arbeitgeber - auch bei ungültiger Kündigung - Recht zur Aufhebung Arbeitsverhältnis mit Abfindung (§ 39 ArbSchG)
14. Finnland Norm
zulässige Kündigungsgründe
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367
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Työsopismuslaki (320/1970) ArbeitsvertragsG Laki ammatillisesta koulutusesta (630/1998) Ausbild.G Laki palvelukseen kutsutun asevelvollisen työ tai virkasuhteen jatkumisesta (570/1961) ArbeitsplatzSchG MitbestimmungsG ordentliche Art. 38 AVG; außerordentliche Art. 43 AVG personenbedingte (Art. 37 Absatz 2 AVG) [Krankheit: erhebliche dauerhafte Verschlechterung der Arbeitsergebnisse; Rechtsprechung Krankheitsdauer 1 Jahr] verhaltensbedingte (Art. 43 AVG) Täuschung bei Eingehen des Arbeitsvertrages, schuldhaftes Gefahrdung der Sicherheit am Arbeitsplatz, Grobe Verletzung, Verstoß Wettbewerbsverbote oder Betriebsgeheimnis; Schlechtleistung, nach entsprechender Abmahnung durch Arbeitgeber betriebsbedingte (Art. 37 a, 40f. A V G ) wesentlicher dauerhafter Rückgang des Arbeitsanfalles und Unmöglichkeit der Beschäftigung des Arbeitnehmer auf anderem Arbeitsplatz (Arbeitgeber-Pflicht Berücksichtigung des Entlassenen bei geplanten Neueinstellung Art. 42 a AVG) Betriebsumstrukturierung: sofern diese zwingend erforderlich, um Konkurs zu verhindern (Kündigungsfrist 2 Monate) Außerordentliche Art. 43 AVG. Wenn schwerwiegende Gründe Einhaltung der Kündigungsfrist unmöglich machen Abhängig von Vereinbarung im Einzelvertrag, sonst (ArbeitgeberKündigung mind.) bis 1 Jahr bis 1 Jahr. 1 Monate 1 - 5 Jahre. ·=> 2 Monate 6 - 8 Jahre =i> 3 Monate 9 - 1 1 Jahre =î> 4 Monate 12-14 Jahre •=> 5 Monate > 15 Jahre 6 Monate
368
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
besonderer Kündigungsschutz
Beteiligung Betriebsrat
Verfahren
Betriebsratsmitglieder: Art. 53 Absatz 2 AVG: Kündigung nun mit Zustimmung der Mehrheit der Arbeitnehmerschaft möglich Schwangere/Mütter Art. 37 Absatz 5 AVG: unzulässig Kündigung aus Gründen der Schwangerschaft oder zur Vereitelung des Erziehungsurlaubes Behinderte Art. 37 Absatz 2, 17 Absatz 3 AVG: Nur besondere Berücksichtigung bei Auswahl mehrerer zu kündigenden Arbeitnehmern Wehr- und Zivildienstleistende Art. 2 ArbeitsplatzSchG: Ausschluss Kündigung während Dienstes Auszubildende Art. 17, 18 Ausbild.G: Ausschluss ordentliche Kündigung Informations- und Beratungsrecht nach Mitbestimmungsgesetz Massenentlassung: Art. 37a AVG (mindestens 10 von 20 Arbeitnehmer betroffen) Anhörung und Konsultation der Arbeitnehmer-Vertreter Möglichkeit der Stellungnahme des Arbeitnehmer Art. 47 b AVG Kündigungsschutzklage (Bezirksgericht) Klagefrist = 2 Jahre Art. 47 e Absatz 1 AVG Möglichkeit zur Abfindungszahlung (Art. 47f. AVG)
Tab. 58.1: Die Kündigungsmöglichkeiten in den einzelnen Arbeitsrechtsordnungen der europäischen Mitgliedslän-
58.4
Auswirkungen des „Technischen Arbeitsschutzes" in Europa auf das Arbeitsverhältnis
Gerade umfassende Arbeitsschutzvorschriften belasten Arbeitgeber besonders kostenintensiv. Auf diesem Rechtsgebiet hat der Europäische Gesetzgeber zahlreiche Regelungswerke geschaffen. 860 Seine ursprüngliche Rechtsetzungstechnik auf dem Gebiet des Europäischen technischen Arbeitsschutzes hat der Europäische Gesetzgeber aufgegeben. 861 Diese Technik bestand darin, in den europäischen Rechtsquelle selbst detaillierte Angaben hinsichtlich der Zulässigkeit bestimmter Arbeitsmittel (Druckbehälter, Flurforderfahrzeuge, Hebezeuge, Sicherheitsvorrichtungen an Baumaschinen) zu machen. 862 Die Umsetzung solcher Richtlinien ging
860
Einzelheiten in: Krimphove, 2001, S. 23Iff. (m.w.H.)
861
Vgl. Entschließung des Rates v. 7.5.1985, ABl. C1985, Nr. 136, S. 1; Joerges, Festschrift für Steindorff, S. 1252ff. (m.w.H.)
862
Wlotzke, NZA 1990, S. 418 (m.w.H.)
58 Europäisches Arbeitsrecht
369
eher schleppend voran. Ferner besteht die Gefahr von Detailregelungen, auf zukünftige Neuerungen und Abweichungen nicht angemessen reagieren zu können. 863 Der Europäische Gesetzgeber hat sich zu folgender Systematik entschlossen: Allgemeine für jedes Arbeitsverhältnis gleichermaßen geltende - Mindestvorschriften bilden den Grundtatbestand des Europäischen technischen Arbeitsschutzes. Spezialgesetzliche Sonderregelungen füllen die allgemeinen Grundsätze aus. Allgemeine Vorschriften des Europäischen technischen Arbeitsschutzes sind: - Richtlinie 92/104/EWG des Rates vom 3.12.1992 über Mindestvorschriften zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer in übertägigen oder untertägigen mineralgewinnenden Betrieben (Zwölfte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) 864 - Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12.6.1989 über die Durchfiihrung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit86W67
863
Vgl. B V e r f G , N J W 1979, S. 359
864
A B l . L 4 0 4 v o m 31.12.1992, S. lOff.
865
ABl. 1989, Nr. L 183, S. 1
866
A u f dieser „ a l l g e m e i n e n " Regelung bauen auf: - Richtlinie 8 9 / 6 5 4 / E W G des Rates vom 30.11.1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Arbeitsstätten (Erste Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 8 9 / 3 9 1 / E W G ) (ABl. 1989, Nr. L 393, S. 1) - Richtlinie 8 9 / 6 5 5 / E W G des Rates vom 30.11.1989 über Mindestvorschriften fur Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung von Arbeitsmitteln durch A r b e i t n e h m e r bei der Arbeit (Zweite Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 8 9 / 3 9 1 / E W G ) (ABl. 1989, Nr. L 393, S. 13) - Richtlinie 8 9 / 6 5 6 / E W G des Rates v o m 30.11.1989 über Mindestvorschriften fur Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen durch A r b e i t n e h m e r bei der Arbeit (Dritte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 8 9 / 3 9 1 / E W G ) (ABl. 1989, Nr. L 393, S. 18) - Richtlinie 9 0 / 6 7 9 / E W G des Rates v o m 26.11.1990 über den Schutz der A r b e i t n e h m e r gegen G e f ä h r d u n g durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (Siebte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 8 9 / 3 9 1 / E W G ) ( A B l . 1990, Nr. L 374, S. 1) - Richtlinie 9 3 / 8 8 / E W G des Rates v o m 12.10.1993 zur Ä n d e r u n g der Richtlinie 9 0 / 6 7 9 / E W G des Rates v o m 26. 11. 1990 über den Schutz der A r b e i t n e h m e r gegen G e f a h r d u n g durch biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (Siebte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 d e r Richtlinie 8 9 / 3 9 1 / E W G ) (ABl. 1993, Nr. L 268, S. 71) - Richtlinie 9 2 / 5 7 / E W G des Rates v o m 24.6.1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen a n z u w e n d e n d e n Mindestvorschriften f ü r die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (Achte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 8 9 / 3 9 1 / E W G ) (ABl. 1992, Nr. L 245, S. 6) - Richtlinie 9 2 / 5 8 / E W G des Rates v o m 24.6.1992 über Mindestvorschriften fur die Sicherheits- - und/oder G e s u n d h e i t s s c h u t z k e n n z e i c h n u n g a m Arbeitsplatz (Neunte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 8 9 / 3 9 1 / E W G ) (ABl. 1992, Nr. L 245, S. 23) - Richtlinie 9 2 / 8 5 / E W G des Rates v o m 19.10.1992 über die D u r c h f ü h r u n g von M a ß n a h m e n zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, W ö c h n e r i n n e n und stillen-
370
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
- Richtlinie 80/1107/EWG des Rates vom 27. II. 1980 zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische, physikalische und biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit868 - Richtlinie 88/642/EWG des Rates vom 16. 12. 1988 zur Änderung der Richtlinie 80/1107/EWG zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische, physikalische und biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit869/870/871
Daneben hat der Europäische Gesetzgeber zahlreiche spezielle Gefahrschutznormen verabschiedet:
den Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (Zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1992, Nr. L 348, S. 1) - Richtlinie 92/91/EWG des Rates vom 3.11.1992 über Mindestvorschriften zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer in den Betrieben, in denen durch Bohrungen Mineralien gewonnen werden (Elfte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1992, Nr. L 348, S. 9) - Richtlinie 92/104/EWG des Rates vom 3.12.1992 über Mindestvorschriften zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer in übertägigen oder untertägigen mineralgewinnenden Betrieben (Zwölfte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1992, Nr. L 404, S. 10) - Richtlinie 93/103/EG des Rates vom 23.11.1993 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit an Bord von Fischereifahrzeugen (Dreizehnte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1993, Nr. L 307, S. 1) 867
Die Richtlinie 89/391/EWG hat der deutsche Gesetzgeber bislang noch nicht in nationales Arbeitsrecht umgesetzt. Die Umsetzung durch ein „Arbeitsschutzgesetz" ist in Vorbereitung, siehe unten, Teil II. Schaubild XVI a
868
ABl. 1980; Nr. L 327, S. 8; geänderte Fassung: ABl. 1995, Nr. L 1, S. 1
869
ABl. 1988, Nr. L 356, S. 74
870
Auf dieser „allgemeinen" Regelung bauen auf: - Richtlinie 82/605/EWG des Rates vom 28.7.1982 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefahrdung durch metallisches Blei und seine Ionenverbindungen am Arbeitsplatz (Erste Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie 80/1107/EWG) (ABl. 1982, Nr. L 247, S. 12) - Richtlinie 83/477/EWG des Rates vom 19.9.1983 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefahrdung durch Asbest am Arbeitsplatz (Zweite Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie 80/1107/EWG) (ABl. 1983, Nr. L 263, S. 25) - Richtlinie 91/382/EWG des Rates vom 25.6.1991 zur Änderung der Richtlinie 83/4771/EWG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz (Zweite Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie 80/1107/EWG) (ABl. 1991, Nr. L 206, S. 16) - Richtlinie 88/364/EWG des Rates vom 9.6.1988 zum Schutz der Arbeitnehmer durch ein Verbot bestimmter Arbeitsstoffe und/oder Arbeitsverfahren (Vierte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie 80/1107/EWG) (ABl. 1988, Nr. L179, S. 44) - Richtlinie 91/322/EWG der Kommission vom 29.5.1991 zur Festsetzung von Richtgrenzwerten zur Durchführung der Richtlinie 80/1107/EWG zum Schutz der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch chemische, physikalische und biologische Arbeitsstoffe bei der Arbeit (ABl. 1991, Nr. L 177, S. 22)
871
Der deutsche Gesetzgeber hat die Richtlinie 80/1107/EWG durch die Gefahrstoffverordnung vom 26.8.1986 BGBl. I, S. 1470) und durch die Zweite Verordnung zur Änderung der Gefahrstoffverordnung vom 23.4.1990 in geltendes deutsches Recht umgesetzt; siehe oben, Teil II. Schaubild XVI a
58 Europäisches Arbeitsrecht
371
Diese Normen beziehen sich auf Gefahren einer spezifischen Tätigkeit (Produktionsverfah-
ren): - Richtlinie 78/61 O/EWG des Rates vom 29.6.1978 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Gesundheit von Arbeitnehmern, die Vinylchloridmonomer ausgesetzt sind872 - Richtlinie 90/269/EWG des Rates vom 29.5.1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der manuellen Handhabung von Lasten, die für die Arbeitnehmer insbesondere eine Gefährdung der Lendenwirbelsäule mit sich bringt (Vierte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz l der Richtlinie 84/391/EWG)873
bzw. auf Gefahren das Arbeitsstätte: - Richtlinie 86/188/EWG des Rates vom 12.5.1986 über den Schutz der Arbeitnehmer Gefährdung durch Lärm am Arbeitsplatz874
gegen
- Richtlinie 92/29/EWG des Rates vom 31.3.1992 über Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zum Zweck einer besseren medizinischen Versorgung auf Schiffen87i - Richtlinie 92/57/EWG des Rates vom 24.6.1992 über die auf zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen anzuwendenden Mindestvorschriften für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz (Achte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG)876 - Richtlinie 83/477/EWG des Rates vom 19.9.1983 über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz (Zweite Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie 80/1107/EWG)877 - Richtlinie 91/382/EWG des Rates vom 25.6.1991 zur Änderung der Richtlinie 83/4771/EWG über den Schutz der Arbeitnehmer gegen Gefährdung durch Asbest am Arbeitsplatz (Zweite Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie 80/1107/EWG)878
oder
872
ABl. 1978, Nr. L 197, S. 12
873
ABI. 1990, Nr. L 156, S. 9
874
ABl. 1986, Nr. L 137, S. 28
875
ABl. 1992, Nr. L 113, S. 19
876
ABl. 1992, Nr. L 245, S. 6
877
ABl. 1983, Nr. L 263, S. 25
878
ABl. 1991, Nr. L 206, S. 16
372
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
auf die besonderen Gefahren der Arbeitsmittel selbst: - Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. 5. 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/341/EWG)879 - Richtlinie 89/392/EWG des Rates vom 14.6.1989 zur Angleichung der der Mitgliedstaaten für Maschinen880
Rechtsvorschriften
- Richtlinie 91/368/EWG des Rates vom 20.6.1991 Änderung der Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen881
(89/392/EWG)
- Richtlinie 93/44/EWG des Rates vom 14.6.1993 zur Änderung der Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Maschinen882
(89/392/EWG)
- Richtlinie 93/68/EWG des Rates vom 22.7.1993 zur Änderung der Richtlinien (Maschinen)883
89/392/EWG
- Richtlinie 82/605/EWG des Rates vom 28.7.1982 über den Schutz der Arbeitnehmer Gefährdung durch metallisches Blei und seine Ionenverbindungen am Arbeitsplatz Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 8 der Richtlinie 80/1107/EWG)884
gegen (Erste
Sein besonderes aktuelles Interesse hat der Europäische Gesetzgeber dem Arbeitsschutz im Straßenverkehr und dem Transport gefahrlicher Stoffe im Straßenverkehr gewidmet. - Geänderter Vorschlag der Kommission (KOM [93] 421 endg. - SYN 420) vom 1.10.1993 für eine Richtlinie des Rates über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Transporttätigkeiten sowie in Arbeitsstätten in Transportmitteln885 - Vorschlag der Kommission (KOM [91] 4 endg.) vom 19.6.1991 für eine Richtlinie des Rates über die Benennung und die berufliche Befähigung eines Gefahrgutbeauftragten in Unternehmen, die gefährliche Güter befördern886
S7Q ABl. 1990, Nr. L 156, S. 14 880
ABl. 1989, Nr. L 183, S. 9
881
ABl. 1991, Nr. L 198, S. 16
882
ABl. 1993, Nr. L 175, S. 12
883
ABl. 1993, Nr. L 220, S. 1
884
ABl. 1982, Nr. L 247, S. 12
885
ABl. 1993, Nr. C 294, S. 4
886
ABl. 1991, Nr. C 185, S. 5
58 Europäisches Arbeitsrecht
373
In diesem Bereich sichern auch internationale Abkommen die europäischen Regeln des „technischen Arbeitsschutzes" auf Straßen ab.887
- Europäisches Übereinkommen über die Arbeit des im internationalen Straßenverkehr schäftigten Fahrpersonals (AETR) vom 1. Juli 1970s88
be-
Die Richtlinien-Normen des Europäischen Gefahrschutzrechts werden allerdings nur zögerlich von den nationalen Gesetzgebern in nationales Recht umgesetzt:
58.5
Betriebliche Auswirkungen des Europäischen „sozialen" Arbeitsschutzes
Im Bereich des „sozialen Arbeitsschutzes" hat das Europäische Arbeitsrecht sehr unterschiedliche, nationale Vorstellungen zu überwinden: Nur drei wesentliche Regelungswerke konnten daher bisher erlassen werden:
- Richtlinie 75/129/EWG des Rates vom 17.2.1975 zur Angleichung der der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen889
Rechtsvorschriften
- Richtlinie 92/56/EWG des Rates vom 24.6.1992 zur Änderung der Richtlinie 75/129/EWG zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen89n - Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14.2.1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen891 - Richtlinie 80/987/EWG des Rates vom 20.10.1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Schutz der Arbeitnehmer bei Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers892
887
Zur Stellung des Europäischen Arbeitsrechts im Gefüge internationalrechtlicher/völkerrechtlicher Vorschriften siehe oben, Teil I. Kapitel D. 1. 888
BGBl. II 1985, S. 889
889
ABl. 1975, Nr. L 48, S. 29
son
ABl. 1992, Nr. L 245, S. 3
OQ1 ABl. 1977, Nr. L 61, S. 26 892
ABl. 1980, Nr. L 283, S. 23
374
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Insbesondere die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14.2.1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen 893 hat den EuGH zu vielfaltigen und kontroversen Entscheidungen veranlasst.894 Christel Schmidt, EuGH v. 14.4.1994 (Rs. C-329/92) Christel Schmidt gegen Spar- und Leihkasse der früheren Ämter Bordesholm, Kiel und Cornshagen, Slg. I 1994, S. 1311 Die Spar- und Leihkasse kündigte Frau Schmidt, die bei ihr als alleinige Reinigungskraft der Filiale Wacken angestellt war. Die Kündigung begründete die Spar- und Leihkasse damit, dass sie die Filiale Wacken baulich vergrößern und danach die dort anfallenden Reinigungsarbeiten einem selbständigen Reinigungsunternehmen übertragen wolle. Dieses Reinigungsunternehmen bot Frau Schmidt — nach Beendigung der Umbauarbeiten bei der Spar- und Leihkasse Kiel und Cornshagen - den Abschluss eines Arbeitsvertrages mit ihm an. Bezüglich der Arbeitsaufgaben sollte sich für Frau Schmidt nichts Wesentliches ändern. Frau Schmidt sollte - nun bei einem neuen Arbeitgeber, nämlich dem Reinigungsunternehmen - die gleichen Reinigungsarbeiten in den Räumen der Spar- und Leihkasse Kiel und Cornshagen verrichten. Frau Schmidt lehnte dieses Angebot ab, da sich die Reinigungsfläche der Filiale Wacken nach erfolgtem Umbau vergrößert hatte und wandte sich gegen ihre Kündigung durch ihren vormaligen Arbeitgeber, der Spar- und Leihkasse. Frau Schmidt berief sich hierzu auf das Kündigungsverbot das im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang besteht. Der EuGH nahm einen Betriebs- bzw. Betriebsteilübergang an, wenn (lediglich) TeilFunktionen (hier: Reinigungsaufgaben), die von einem einzelnen Arbeitnehmer ausgeführt wurden, vertraglich auf einen anderen Arbeitgeber übergehen sollen. Da somit ein Betriebsübergang i.S.d. Art. 1 der Richtlinie 77/187/EWG - in der „Übernahme" von Frau Schmidt durch das Reinigungsunternehmen - vorlag, bejahte der EuGH ein Kündigungsverbot zugunsten von Frau Schmidt. Der ehemalige Arbeitnehmer von Frau Schmidt, die Spar- und Leihkasse, durfte folglich gemäß Art. 4 Abs. 1 Richtlinie 77/187/EWG Frau Schmidt nicht - anlässlich der Übertragung der Reinigungsarbeiten auf die Reinigungsfirma - kündigen.
Mit dieser Rechtsprechung lässt der EuGH die sogenannte „Funktionsnachfolge" als Tatbestand der Wahrung der Betriebsidentität und folglich als eigenständige Form der Betriebsübernahme i.S.d. Richtlinie 77/187/EWG genügen. 895
893
ABl. 1977, Nr. L 61, S. 26
894
Vgl. Krimphove, 2001, S. 363ff., 373f. (m.w.H.)
OQC
so schon: EuGH v. 12.11.1992 (Rs. C-209/91) Anne Watson Rask, Kirsten Christensen gegen ISS Kantinenservice A/S, Slg. I 1992, S. 5755 Rn. 15
375
58 Europäisches Arbeitsrecht
Die derzeitige Rechtsprechung des EuGH zum Begriff des Betriebsüberganges hätte zur Folge, dass jede betriebliche Übertragung von Aufgaben auf eine andere, selbständig geleitete und organisierte unternehmerische Einheit, als eine Betriebsübertragung (Auslagerung) zu werten ist. Neuerdings schränkt der EuGH dieses weite Ergebnis in seiner Entscheidung im Fall Ayse Süzen wieder ein: Ayse Süzen, EuGH v. 11.3.1997 (Rs. C-13/95) Gebäudereinigung GmbH Krankenhausservice
Ayse
Süzen
gegen
Zehnacker-
Die Zehnacker Gebäudereinigung GmbH setzt ihre Mitarbeiterin, Frau Ayse Süzen, zur Reinigung eines Gymnasiums ein. Als der Betreiber des Gymnasiums den, zwischen der Zehnacker-Gebäudereinigung GmbH und ihm bestehenden Reinigungsvertrag kündigt und stattdessen ein anderes Unternehmen mit den Reinigungsarbeiten betraut, entlässt die Zehnacker-Gebäudereinigung GmbH Frau Süzen. Frau Süzen hält ihre Entlassung für unwirksam, da in dem Wechsel der Reinigungsunternehmen ein Betriebsübergang vorliegt, und sie somit besonderen Kündigungsschutz i.S.d. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 77/187/EWG genieße. Der EuGH lehnte die Annahme eines Betriebsübergangs i.S.d. Richtlinie 77/187/EWG und damit einen Kündigungsschutz ab. Bei der Vergabe eines Auftrages an ein anderes Unternehmen handelt es sich um einen Wechsel des Vertragspartners. Die lässt die Identität des Betriebes grundsätzlich unberührt. Von einem Betriebsübergang kann daher keine Rede sein.
58.6
Kollektives Europäisches Arbeitsrecht
Obschon das Europäische Arbeitsrecht das Koalition- und Arbeitskampfrecht das selbständige Anhörungs- und Unterrichtungsrecht der Arbeitnehmerschaft und deren Mitbestimmungsrecht in Unternehmensfragen grundsätzlich anerkennt, 896 konnten bisher nur Fragen des Europäischen Tarifvertragsrechts 897 und der Betriebsverfassung europaweit operierender Unternehmen 898 verbindlich erlassen werden:
8% 897 898
Vgl. hierzu im Einzelnen: Krimphove, 2001, S. 3 8 7 f f „ 407ff., 4 1 2 - 4 1 4 , 4 2 1 - 4 2 3 (jeweils m.w.H.) Ebd., S. 3 9 0 (m.w.H.) Ebd., S. 395 ff. (m.w.H.)
376
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Regelungsinhalt
Norm
Bildung von Koalitionen
Art. 11 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten*94, Art. 5 der Europäische Sozialcharta vom 18.10.196190", Nr. 11 der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte von 9.12.1989901 das Recht Europäischer Arbeitnehmer Arbeitnehmer aus einem anderen Europäischen Mitgliedsland dürfen sich an der Betriebsratsarbeit ihrer Arbeitsstätte - aktiv oder durch Wahrnehmung ihres Wahlrechts - beteiligen. Art. 8 Verordnung 1612/68/EWG über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft 902
Eingehen tarifvertraglicher Verpflichtungen
Art. 6 Europäische Sozialcharta903; Art. 4 des Abkommens über die Sozialpolitik
Streikrecht
Art. 6 Nr. 3 der Europäischen Sozialcharta (vom 18.10.1961) und in Nr. 13 der Gemeinschaftscharta der Sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer (vom 9.12.1989)
Tab. 58.2: Normen des „Kollektiven " Europäischen
Arbeitsrechts
OQQ
BGBl. II 1952, S. 686, 953; vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte v. 27.10.1975 (Az. 1/1974/12/19 Syndikat national de la police belge gegen Belgischer Staat; Publications de la Cour Européenne des Droits de Γ Homme, Série A, Vol. 19.; Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte v. 13.8.1981 und 18.10.1982 (Az. 2/1980/33/49-50) Young, James und Webster gegen Vereinigtes Königreich, Publications de la Cour Européenne des Droits de l'Homme, Série A, Vol. 44 900
BGBl. II 1964, S. 1262
901
KOM [89] 248 endg.
902 903
ABl. 1968, Nr. L 257, S. 1 ; zu der Funktion dieser Verordnung im Einzelnen siehe oben. Zur Problematik europäischer Tarifverträge s. Krimphove, 2001, S. 390ff. (m.w.H.)
58 Europäisches Arbeitsrecht
58.6.1
377
Europäisches Tarifvertragsrecht
In Art. 3. und insbesondere Art. 4 des Abkommens über die Sozialpolitik sind den Sozialpartnern - im Rahmen des europäischen Primärrechts - umfassende Rechte bei der Schaffung europäischer Arbeitsrechtsnormen gegeben worden: 904 So haben die Sozialpartner in jedem Gesetzgebungsverfahren des Europäischen Gesetzgebers ein Anhörungsrecht (Art. 3 Abkommen über die Sozialpolitik). Die Sozialpartner können selbst - im Wege von Vereinbarungen - Regelungen des Arbeitsrechts setzen (Art. 4 Abkommen über die Sozialpolitik). Der Rechtscharakter dieser Regelungen ist allerdings umstritten.905 Der Wortlaut und die teleologische Auslegung Art. 4 Abkommen über die Sozialpolitik sprechen - nach Ansicht des Verfassers - lediglich für eine schuldrechtliche - und keine normative Wirkung - der zwischen den Sozialpartnern getroffenen Vereinbarungen. 906 Damit geht die Rechtslage nach dem Abschluss des Abkommens über die Sozialpolitik nicht über die Regelung des Art. 118 a EG-V hinaus. Einen „echten" Europäischen Tarifvertrag hat Art. 4 Abkommen über die Sozialpolitik nicht eingeführt.
58.6.2
Europäisches Betriebsverfassungsrecht
Weitaus größere Bedeutung für die Praxis des betrieblichen Arbeitsverhältnisses nimmt das „Europäisches Betriebsverfassungsrecht" ein: Mit der - Richtlinie 94/45/EG vom 22.9.1994 über die Einsetzung eines Europäischen Betriebsrates oder die Schaffung eines Verfahrens zur Linterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer
stellt erstmals der Europäische Gesetzgeber die Möglichkeit einer Arbeitnehmervertretung auf Betriebsebene zur Verfugung.
904 905 906
Siehe Krimphove, 2001, S. 39ff. (m.w.H.); 390ff. (m.w.H.) Dazu Krimphove, 2001, S. 390ff. (m.w.H.) Ebd., S. 390ff.
378
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Arbeitnehmer-Vertreter; oder (falls keine Arbeitnehmervertretung vorhanden) Gesamtheit der Arbeitnehmer der betroffenen Unternehmen
l engerer
Ausschuß
Europäischer Betriebsrat V e r e i n b a r u n g betr.: - b e t r o f f e n e U n t e r n e h m e n , Betriebe - Zusammensetzung - M itgliederstärke - Sitzverteilung - Mandatsdauer - Befugnisse - V e r f a h r e n der Unterrichtung und Anhörung - Ort, T u r n u s und F r e q u e n z der Sitzungen - F i n a n z i e r u n g des EBR - L a u f z e i t der V e r e i n b a r u n g
Abb. 58.1: Europäischer
*Bei f e h l e n d e r V e r e i n b a r u n g (subsidiäre V o r s c h r i f t e n ) - betroffene Unternehmen: europaweit opereirende Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen - Zusammensetzung: Arbeitnehmer der Unternehmen - M itgliederstärke; 3 - 30 - Sitzverteilung: vorrangig: ein Mitgleid je betroffenem Mitgliedsland dann: zusätzliche Plätze nach Zahl der Arbeitnehmergruppen - M andatsdauer: 4 Jahre - Befugnisse: Unterrichtung und Anhörung - V e r f a h r e n der U n t e r r i c h t u n g und Anhörung: In Eilfällen über den „ engeren A usschuß " - Ort, T u r n u s und F r e q u e n z der Sitzungen: einmal jährlich - F i n a n z i e r u n g des E B R : durch zentrale Unternehmensleitung
Betriebsrat
Der „Europäische Betriebsrat" ist vorwiegend ein Informations- und Beratungsgremium. 907 Eigene, echte Mitbestimmungsrechte des Europäischen Betriebsrats fehlen grundsätzlich. Die Etablierung und Ausgestaltung des Europäischen Betriebsrats ist vorwiegend eine Verhandlungssache zwischen dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern. Kommen die Verhandlungen zu keinem Ergebnis, greifen die Mindestanforderungen zur Ausgestaltung des Europäischen Betriebsrats nach der Europäischen Betriebsratsrichtlinie ein. Vielfach rekurriert
907
Krimphove, 2001, S. 396ff. (m.w.H.)
58 Europäisches Arbeitsrecht
379
auch die Institution des Europäischenbetriebsrats auf denen unterschiedlichen Bestand unterschiedlicher nationaler Arbeitsrecht. 908 Gerade das Gemisch aus Verhandlungsregelungen, nationalen Betriebsverfassungsgesetzes und der Europäischen Betriebsratsrichtlinie eröffnet weitgehend die Möglichkeit, insbesondere die Funktionsweise des Europäischen Betriebsrats strategisch zu beeinflussen. 9 0 9
58.6.3
Arbeitsrecht und Betriebsgröße
Arbeitsrechtliche N o n n e n sind nicht gleichmäßig in j e d e m Betrieb anwendbar. Der deutsche Gesetzgeber differenziert die Geltung arbeitsrechtlicher Normen nach Betriebsgröße bzw. der Zahl der in einem Betrieb bzw. in einem Unternehmen regelmäßig tätigen Arbeitnehmer. Der deutsche Gesetzgeber geht von der Überlegung aus, dass eine Differenzierung der Anwendbarkeit von Arbeitsrechtlichen Regelungen dem Schutz des Mittelstandes dient. So soll dieser nicht oder wenigstens nicht so umfassend belastet werden wie etwa Großunternehmen oder Industriebetriebe. Dabei gilt die Differenzierung hinsichtlich der Betriebsgröße - entgegen langläufiger Vorstellungen - nicht nur für Fragen des „kollektiven Arbeitsrechts", wie der Wahl, und Zusammensatzung eines Betriebsrates, der Freistellung seiner Mitglieder oder die Besetzung von Vorstand, Geschäftsführung und Aufsichtsrat durch Arbeitnehmervertreter. Ebenfalls greift die Frage der Arbeitnehmerzahl in das individuelle Arbeitsrecht, etwa in die Möglichkeit bei der Verkürzung von Kündigungsfristen oder Wahl von (personenbedingten) Kündigungsgründen und sogar für die Gestaltung von betrieblichen Aushängen 9 1 0 oder Aufenthaltsräumen für Arbeitnehmer ein. Im Gegensatz zum europäischen Ausland 9 " ist das deutsche System überaus komplex. Insbesondere kleine und mittelgroße Betriebe wissen gelegentlich nicht um die unterschiedliche Anwendbarkeit des Arbeitsrechts. Hier stellt sich die Frage, wann und welche arbeitsrechtliche Regel ist für mich und meinen Betreib anwendbar? Nachfolgende Übersicht will die Informationslücke schließen und für die einzelnen Bereiche personalpolitischer Tätigkeit sowohl Arbeitgebern und Arbeitnehmern als auch deren Vertretungen einen kompakten Überblick über die wichtigsten - von der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer - abhängigen Regeln geben:
908
909
Siehe Krimphove, 2001, S. 4 0 6 (m.w.H.) Siehe hierzu: Krimphove, 2000, S. 505ff.
910 Zu der umfangreichen allgemeinen Verpflichtung zu Aushängen vgl. auch: § 8 TVG (Tarifverträge); § 11 (Mindestarbeitsbedingungen). Diese Verpflichtungen gelten unabhängig des Erreichens einer bestimmten Arbeitnehmerzahl! 911
Vgl. Krimphove, 2001
380
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
Arbeitnehmer
Bereich
Regelungsinhalt
Norm
1 bis 20
Kündigung
Kündigungsfristen verkürzbar
§ 622 Abs. 5, Satz 1 BGB
1 bis 20
Krankenkasse
Pflicht zur Lohnfortzahlungsversicherung
§ 10 Abs. 1 LohnForzG
80 Prozent Erstattungspflicht der Krankenkassen
§ 10 Abs. 1 LohnforzG
AG hat erfordert. Angaben zu machen
§ 10 Abs. 5; § 11 LohnforzG
3 und mehr (Jugendliche)
Aushänge
Aushang über Arbeitzeit (einschl. Pausenzeiten)
§ 48 JArbSchG
5 bis 20
Betriebsrat
1 Vertreter
§ 9 BetrVG
5 bis 20
Jugendvertretung
1 Vertreter
§ 62 BetrVG
5 bis 50
Betriebsratswahl
vereinfachtes Wahlverfahren möglich
§ 14 a BetrVG
5 und mehr
Betriebsrat
Möglichkeit der Arbeitnehmer Betriebsrat zu installieren
§ 1 BetrVG
mehr als 5
Kündigung
Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes
§ 23 Abs. 1 KSchG
mehr als 5
Kündigung
Wehrdienst als „betriebsbezogener" Kündigungsgrund
§ 2 Abs. 3 ArbPlSchG
mehr als 5
Aushang
Aushang der ges. Regelungen bezügl. einer geschlechtsbezogenen Diskriminierung §§ 61 la, 61 lb, 612 Abs. 3, 612a BGB und 61g ArbGG
Art. 9 GleiBG
10
Steuerrecht
betrieblicher LohnsteuerJahresausgleich möglich
§ 42 b EstG
mehr als 10
Pausengestaltung
Einrichtung von Pausenräumen notwendig
§ 29 Abs. 1 ArbeitsstättVO
20
Schwerbehinderte
Pflicht-Arbeitsplätze für Schwerbehinderte
§ 71 SBG IX
mehr als 20
Arbeitslosengeld
Pflicht des Arbeitgebers (max. 24 Min.) zur Erstattung von Arbeits-
§ 147 a Abs. 1 SGB III)
381
58 Europäisches Arbeitsrecht \rbeitnehmer
Bereich
Regelungsinhalt
Norm
losengeld das Sozialvers.Behörde einem üb. 58 jährigen Arbeitslosen, der mind. 4 Jahre bei ihm beschäftigt war gezahlt hat. mehr als 20
Beteiligung BR
Unterrichtung vor Einstellung, Um- bzw. Eingruppierung, Versetzung
§ 99 BetrVG
21 bis 50
Betriebsratstärke
3 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
21 bis 50
Jugendvertretung
3 Vertreter
§ 62 BetrVG
51 bis 100
Betriebsratstärke
5 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
51 bis 150
Jugendvertretung
5 Vertreter
§ 62 BetrVG
mehr als 100
Unterrichtung der Arbeitnehmer
Einrichtung eines Wirtschaftsausschusses
§ 106 BetrVG
mehr als 100
Wirtschaftsausschuss
mind. 1 mal im Quartal
§ 106 BetrVG
in Abstimmung mit Wirtschaftsausschuss schriftl. Unterrichtung aller Arbeitnehmer über wirtschaftliche Angelegenheiten (Lage und Entwicklung) des Unternehmens
101 bis 200
Betriebsratstärke
7 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
151 bis 300
Jugendvertretung
7 Vertreter
§ 62 BetrVG
200 bis 500
Freistellung
1 Betriebsratsmitglieder
§ 38 BetrVG
201 bis 400
Betriebsratstärke
9 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
301 bis 500
Jugendvertretung
9 Vertreter
§ 62 BetrVG
401 bis 700
Betriebsratstärke
11 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
mehr als 500
Mitwirkung Betriebsrat
BR kann Aufstellen von Personalauswahlrichtlinien verlangen
§ 95 BetrVG
mehr als 500
unternehmerische
in Aktiengesellschaft, Kommanditgesellschaft auf Aktien, 1/3
§ 76 BetrVG '52
382
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht Rprpieh l # v l v i V . II
R—i
Mitbestimmung
AN-Beteiligung im Aufsichtsrat
501 bis 900
Freistellung
2 Betriebsratsmitglieder
§ 38 BetrVG
701 bis 1000
Betriebsratstärke
13 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
701 bis 1000
Jugendvertretung
13 Vertreter
§ 62 BetrVG
901 bis 1500
Freistellungen von BRMitgliedern
3 Betriebsratsmitglieder
§ 38 BetrVG
1000 bis 1500
Betriebsratstärke
15 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
mehr als 1000
Jugendvertretung
15 Vertreter
§ 62 BetrVG
mehr als 1000
Unternehmerische Mitbestimmung (in Vorstand u. Aufsichtsrat)
Montan-Unternehmen in Form: Aktiengesellschaft, GmbH, bergrechtl. Gewerkschaft
§ 1 Abs. 1 und 2 MontanMitbestG
Vrbcitnch mer
·——j
Norm
Beteiligung im Aufsichtsrat und Vorstand = Arbeitsdirektor
§ 12f. MontanMitbestG
1501 bis 2000
Freistellung
4 Betriebsratsmitglieder
§ 38 BetrVG
1501 bis 2000
Betriebsratstärke
17 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
2000 und mehr
Unternehmerische Mitbestimmung (in Vorstand u. Aufsichtsrat)
Aktiengesellschaft, auf Aktien, GmbH, bergrechtl. Gewerkschaft, Genossenschaften
§ 1, § 7ff. MitbestG
Beteiligung im Aufsichtsrat und Vertretung Arbeitsdirektor
2001 bis 2500
Betriebsratstärke
§ 33 MitbestG
auch fur Nicht-MontanUnternehmen (in Form Aktiengesellschaft, GmbH, bergrechtl. Gewerkschaft), wenn diese jene montanmitbestimmungspflichtige Unternehmen beherrschen die mehr als '/2 des Konzernumsatzes erwirtschaften
§ 1 MontanMitBestErgG
19 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
383
58 Europäisches Arbeitsrecht
Arbeitnehmer
Bereich
Regelungsinhalt
Norm
2001 bis 3 0 0 0
Freistellung
5 Betriebsratsmitglieder
§ 38 B e t r V G
2501 bis 3 0 0 0
Betriebsratstärke
21 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
3001 bis 4 0 0 0
Freistellung
6 Betriebsratsmitglieder
§ 38 BetrVG
3001 bis 3 5 0 0
Betriebsratstärke
23 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
3501 bis 4 0 0 0
Betriebsratstärke
25 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
4001 bis 4 5 0 0
Betriebsratstärke
27 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
4001 bis 5000
Freistellung
7 Betriebsratsmitglieder
§ 38 B e t r V G
4501 bis 5 0 0 0
Betriebsratstärke
29 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
5001 bis 6 0 0 0
Freistellung
8 Betriebsratsmitglieder
§ 38 BetrVG
5001 bis 6 0 0 0
Betriebsratstärke
31 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
6001 bis 7 0 0 0
Freistellung
9 Betriebsratsmitglieder
§ 38 B e t r V G
6001 bis 7000
Betriebsratstärke
33 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
7001 bis 8 0 0 0
Freistellung
10 Betriebsratsmitglieder
§ 38 BetrVG
7001 bis 9 0 0 0
Betriebsratstärke
35 Betriebsratsmitglieder
§ 9 BetrVG
8001 bis 9000
Freistellung
11 Betriebsratsmitglieder
§ 38 BetrVG
ab 9001
Betriebsratstärke
E r h ö h u n g der 35 Betriebsratsmit-
§ 9 BetrVG
glieder um j e 2 Mitglied j e angefangene weitere 3 0 0 0 A N 9001 bis 10.000
Freistellung
12 Betriebsratsmitglieder
§ 38 BetrVG
ab 10.000
Freistellung
E r h ö h u n g der Zahl der 12 freigestellten Betriebsratsmitglieder u m j e 1 Mitglied j e a n g e f a n g e n e weitere 2 0 0 0 A N
§ 38 B e t r V G
Tab. 58.3: Die Bedeutung von Arbeitnehmerzahlen im Betriebsverfassungsrecht Die Berechnung der Arbeitnehmerzahl erfolgt nicht i m m e r einheitlich. Sie ist abhängig: 1. von der Bemessungsgröße der Arbeitsstelle („Betrieb" oder „ U n t e r n e h m e n " ) und unter Umständen auch 2. von d e m Beschäftigungsverhältnis, in d e m die Arbeitnehmer (Teilzeit-, Heimarbeitsarbeitskräfte, Auszubildende etc.) stehen.
384
XIII Internationales/Europäisches Arbeitsrecht
zu 1) Prinzipiell ist im Zusammenhang mit Fragen des Betriebsverfassungsrechts und des Individual-Arbeitsrechts die Arbeitnehmerzahl der in dem jeweiligen Betrieb entscheidend. Stehen unternehmerische Bereiche der Arbeitsbeziehungen infrage, etwa die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Gremien Aufsichtsrat, Vorstand einer juristischen Person (Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft), so entscheidet die Zahl der in diesem Unternehmen tätigen Mitarbeiter. zu 2) Zu der relevanten Zahl der Arbeitnehmer sind grundsätzlich auch jene Beschäftigten zu zählen, die in Teilzeit, im Außendienst, in Heimarbeit oder zu ihrer beruflichen Ausbildung 912 in dem Betrieb bzw. in dem Unternehmen tätig sind. Ausnahmen sind jedoch möglich. So schränkt § 622 Abs. 5 Satz 2 BGB und § 2 Abs. 3 Satz 3 ArbPlSchG die Notwendigkeit, Teilzeitarbeitskräfte auch dem Kreis der beschäftigten Arbeitnehmer zuzurechnen, in dem Sinne ein, dass er Arbeitnehmer nur zur Hälfte berücksichtigt, bzw. nur zu drei Viertel berücksichtigt, die unter 20 bzw. 30 Stunden in der Woche arbeiten.
59
Resümee
Gerade die arbeitsrechtlichen Aspekte der Personalpolitik verdeutlichen die Stimmigkeit und Konsequenz des ökonomischen Personalkostenansatzes. Dabei ist es weniger das internationale Arbeitsrecht, als gerade das europäische beziehungsweise das nationale Arbeitsrecht, welche die Praxis der Personalarbeit und ihre Kostenverteilung massiv beeinflussen. Speziell die Rechtsprechung des EuGH macht den immensen Einfluss deutlich, den das Europäische Arbeitsrecht auf die betriebliche Praxis heute einnimmt. Die Bedeutung des Europäischen Arbeitsrechts wird durch das Bemühen des Europäischen Gesetzgebers um Rechtsvereinheitlichung und Harmonisierung der Wirtschafts- und Wettbewerbsbedingungen zu dem Zweck der Etablierung eines einheitlichen europäischen Wirtschaftsraumes noch steigen. Auch die sich wandelnde Struktur europäischer Unternehmen fördert die Entwicklung des Europäischen Arbeitsrechts: Grenzüberschreitend tätige Konzerne bedürfen - allein schon aus organisatorischen Gründen - eines einheitlichen Rechts. Gleichzeitig bedingt ein europaweit operierendes Unternehmen eine europaweite Koalition von Arbeitnehmern zur Sicherung und Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten. Mit dem Voranschreiten der oben genannten Entwicklungstendenzen steigt der Innovationsdruck des Arbeitsrechts. Dieses muss sich anpassen, um den sich derzeit, wie zukünftig stellenden Anforderungen gerecht zu werden. Nicht nur die Fragen der Finanz- und Wirtschafts-
912
Vgl. § 5 Abs. 1 BetrVG
59 Resümee
385
krise, sondern auch die Problematik einer wachsenden Arbeitslosigkeit verdeutlichen die Notwendigkeit einer kostenökonomischen Personalpolitik. Nicht nur der europäische Gesetzgeber und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs haben ein geeignetes Instrumentarium zur Ausübung einer kostenintensiven in Personalarbeit anzubieten. Auch die Arbeitgeber, Arbeitnehmer beziehungsweise deren Verbände müssen das Instrumentarium kennen, um daraus die effizienteste Alternative eigenständig wählen zu können.
XIV Ausblick Mit diesem Buch „Internationale Personalwirtschaft und internationales Arbeitsrecht" haben wir eine Trilogie des Kompetenz- bzw. Forschungsfeldes „Finanzorientierte Personalwirtschaft" entwickelt. Begonnen hat diese Trilogie mit dem Buch „Finanzorientierte Personalwirtschaft" und als Folgeband mit dem Buch „Controlling und Berliner Balanced Scorecard Ansatz". Die Verfasser wollten damit nachweisen, dass die Personalwirtschaft, betriebswirtschaftlich praktiziert und gelehrt, ein „funktionales Instrument" ist und die „Theoriekrise" der letzten 25 Jahre weniger durch Anleihen aus der Volkswirtschaft (Arbeitsökonomischer bzw. Personalökonomischer Ansatz) noch aus der Psychologie (Verhaltensorientierte Personalwirtschaft) überwunden werden kann. Dies kann nur durch ihre eigenen Stärken geschehen, die sie aus der klassischen Betriebswirtschaft, insbesondere durch das Rechnungswesen sowie die Finanzierungs- und Investitionstheorie in Verbindung mit der Jurisprudenz, bezieht. Seit über 100 Jahren wird die deutsche Betriebswirtschaftslehre durch Professoren, wie Schmalenbach, Gutenberg, Kosiol, Wöhe, Baetge, Coenenberg, Haller, KütingAVeber, Pellens, Weber/Schäffer um nur einige zu nennen, geprägt. Auf deren Grundlagen und aus diesem Grundverständnis sind die Instrumente der Finanzorientierten Personalwirtschaft entstanden. Stellvertretend hierfür stehen die Personalwirtschaftliche Logik, der Berliner Balanced Scorecard Ansatz, die Innovationserfolgsrechnung, das Internationale Personalcontrolling und das Berliner Humankapitalbewertungsmodell als ein Element des Entgeltmanagementsystems mit und ohne Aktienoptionsprogrammen. Die Grundphilosophie ist dabei der Shareholder-Value-Ansatz mit dem Grundmodell der Unternehmensbewertung als eine Anwendung der entscheidungsorientierten Betriebswirtschaftslehre.
388
X I V Ausblick
Wirtschaftstheoretische Begründung/Ethik
Theorie („Denkschule")
•Friske,C. / Bartsch, E./ Schnieder, W . Einlührung in M' Unternelinien!,ethik! fible rheorellscbe, normative ;nd praktische AsBitte, Lehrbuch fur Siudiumtind Praxii. Rainer Hampp Vertag, München uitfMer mg 200r)
• Schmeisser, W. - finanzorientierte Personalwirtschaft; Oldenbourg Verlag, München 2008
•Schtiu'üäer, W,.Wi5sen:.cliafblheütel!:>clit· und rfiethoçfoÎQgsiche VoiÜberlegungen In: Schmecket, W.: Hnanrotienlie: PersonalwirtwhaH. GWrmfaodrg Veria^ ¿008,5.1-« •Schmeiîbei. W • Peibunalpolilik rnit Anreirsystemenim Spiegel l;í Shareholder Value Arv-.3tr.es, !ri: LÌUkemann. J. Beíeiíigungscunliolling. 2. Aull . Neue Wiiíy.hatrs-Briefe. Berlin 2009mS, 2219-266 •Schmer:.*?;, W./ Roiisl'i, M /Ziich, f : Shareholder Value Approach ve'y.isCo'poi.j'.f.' Social Re',pcin:.it>rlity fine unter :>t.'hn>en^-tli".che Einfuhiung m î'.vei konoare Ansätze. Ramer Han-.pp Veriag Munclrei : und Mering 2000 5 '
• Schmeisser, w . / Clausen, L. - Controlling und Berliner Balanced-Scorecard-Ansatz; Oldenbourg Verlag, München 2009 {Engfische Version erscheint März 2010} • Schmeisser, W. / Krimphove, D. - Internationale Personalwirtschaft und Internationales Arbeitsrecht; Oldenbourg Verlag, München 2010 • Weitere Bücher: • Schmeisser, W. u.a. - Innovationserfolgsrechnung; Springer Verlag VDI, Berlin /Heidelberg 2008 • Schmeisser, w . / Clausen, L. u. a. Humankapitalbewertungsmodelle; Rainer Harnpp Verlag. • .. frftir^JH^'tMHlMeriflg 2000
Kompetenzfeid Finanzorientierte Personalvvirtschaft Empirie
Praktische Anwendung
• Schmeisser, W. / Eckstein, P. / Boche, M . - Die Finanzorientierte Personalwirtschaft auf dem empirischen Prüfstand; Rainer Hampp Verlag, München Mering 2009 (national)
» Humankapital - Seminare, etc.
• Betriebsprojekte, z. 8. Muehlhan AG, Bayer AG
• Schmeisser, W. / Eckstein, P. / Heger, G. - Die Finanzorientierte Personalwirtschaftauf dem empirischen, internationalen Prüfstand (Projektantrag)
Abb. XIII. 1 Kompetenzfeid bzw. Forschungsfeld der Finanzorientierten Personalwirtschaft U m mit Kant zu sprechen, hat sich j e d e Wissenschaft und damit j e d e Teildisziplin normativethisch bzw. wissenschaftstheoretisch zu begründen, theoretisch, d.h. mit tragfahigen Modellen zu belegen und empirisch zu beweisen. Da die Betriebswirtschaftslehre sich als eine a n g e w a n d t e W i s s e n s c h a f t versteht, m u s s sie neben d e m statistisch-empirischen Beweis die Anwendbarkeit ihrer Modelle in Unternehmen als Gestaltungsempfehlungen unter Beweis stellen. Dank der Muehlhan A G , als unser Referenzunternehmen, mit d e m Finanz- und Personalvorstand Carsten E n n e m a n n und den Head of H R Olaf Drewicke, ist uns dies gelungen. Es ist darum nicht verwunderlich, dass unser zweites Buch der Trilogie „Controlling and Berlin Balanced Scorecard A p p r o a c h " unter unser aller N a m e n im Oldenbourg Wissenschaftsverlag in Englisch erscheint. Es ist ebenfalls beabsichtigt, mit einem Buch „Corporate Finance und Risk M a n a g e m e n t " Grundlagen f ü r die Finanzorientierte Personalwirtschaft zu legen, da im Internationalen Management, in der Banken- und Versicherungsbranche, in der Gesundheitswirtschaft und in der innovativen Industrie zukünftig verstärkt nach derartigen Modellen nachgefragt werden wird.
389
X I V Ausblick
Seit Jahren vervollkommnen wir den Berliner Balanced Scorecard Ansatz und weisen nach, dass j e d e Perspektive der Balanced Scorecard entweder mit den Instrumenten des internen und/oder externen Rechnungswesens zu berechnen ist. Sie zeigen darüber hinaus auf, dass alle Perspektiven verknüpft werden können und die Berliner Balanced Scorecard für das Strategische M a n a g e m e n t über die Jahre mit Hilfe der Unternehmensbewertung dynamisierbar ist. Mit dem Berliner Balanced Scorecard Ansatz werden z.B. Strategieberechnungen genauso möglich wie Innovationserfolgsrechnungen und die Berechnung des Humankapitals. Aus der Lern- und Potentialperspektive der Balanced Scorecard deduziert der Berliner Balanced Scorecard Ansatz das Berliner Humankapitalbewertungsmodell und beweist theoretisch sowie praktisch anhand eines Beispiels aus der Bundesliga des Fußballs und der Bankwirtschaft, wie Humankapital mit und ohne Nutzwertanalyse zu berechnen ist. Mit d e m Berliner Humankapitalbewertungsmodell wird eine erste Anleitung gegeben, wie internationale Niederlassungen personalwirtschaftlich und controllingartig zu steuern sind. Betriebswirtschaftliche Forschung, Finanzwirtschaftliche Personallogik und Analogien praktischer A n w e n d u n g erfolgen hier gemeinsam.
Perspektiven der Humankapitalbewertung Psychologischorganisatorischer Ansatz: Motivationsorientiert • I n t e r n e M i t a r b e i t e r b e f r a g u n g : Hat d a s U n t e r n e h m e n e i n e „Wohlfühlund Kuscbelorganisation zur Motivationssteigerung • interne Kompetenzbefragung innerhalb einer Potentialbogenerhebung·. P e r s o n a l f ü h r u n g als Kompetenzmanagement
Arbeitsökonomischer und Personalökonomischer (volkswirtschaftlicher) Ansatz S u m m e d e r I n v e s t i t i o n e n in unternehmensinterne und - e x t e r n e Bildungsaktivitäten e i n e r Volkswirtschaft „ Z w a n g s i n t e g r a t i o n " von quantitativem/ qualitativem H u m a n k a p i t a l in d e n Arbeitsmarkt: Hartz IV
• Externe B e f r a g u n g von U n t e r n e h m e n , z.8. durch „ P s y c h o n o m i c s " „Berücksichtigen Sie H u m a n k a p i t a l ? "
Ahh J 7- Pmrsnektiven der
Humankanitalbewertunz
Finanzorientierter oder betriebswirtschaftlicher Ansatz: Innovations-, Strategie- und Kosten-und Ertragsorientierung von HR • Berliner Humankapitalbewertungsmodell • HR - B e r i c h t e r s t a t t u n g in Personalu n d Erfolgsberichten • Basis: F i n a n z o r i e n t i e r t e Logik u nd Berliner Balanced Scorecard Ansatz
390
XIV Ausblick
Natürlich analysieren wir weiterhin psychologisch-organisatorische sowie arbeitsökonomische Modelle. Sie helfen uns, unser Modell nicht zuletzt durch rechtliche Anforderungen praktisch und theoretisch permanent zu verbessern und nach neuen Anwendungen zu suchen. Der nächste konsequente Schritt wird die Erarbeitung eines Humankapitalindexes sein, der nur mit und durch den Berliner Humankapitalbewertungsansatz zu erreichen sein wird. Pate steht hier in Analogie zum Rating, die Berechnung des Basel Ii-Ansatzes. Hier sind grundlegende klassische betriebswirtschaftliche Kenntnisse des Rechnungswesens und des Rechts unumgänglich.
Niederlassungs- / Geschäftsführerindex
BBSC-Produktivitätsindex für Krankenhäuser und RehaKliniken: Gesundheits-, Ertrags-, Kostendeckungsorientierung
Berliner BSC Human-PotentialIndex, z.B. für:
Bestandteil des Kreditratingindex von Unternehmen
Abb. 1.3: Berliner BSC-Human-Potential-Indices
Bestandteileines Innovations-und Kreditratingindex
Literatur
391
Literatur Krimphove, D.: Das Europäische Sachenrecht, Eine rechtsvergleichende Analyse nach der Komparativen Institutionenökonomik, Lohmar, 2006. Krimphove, D.: Europäisches Arbeitsrecht. 2. Auflage, München 2001. Krimphove, D.(a): Rechtstheoretische Aspekte der „Neuen Ökonomischen Theorie des Rechts", in: Rechtstheorie, 2001. Krimphove, D.: Europäischer Betriebsrat / Betriebsräte in Europa - Strategien und Chancen der Europaweiten Vereinheitlichung der Arbeitnehmerbeteiligung an unternehmerischen und personalpolitischen Entscheidungen, in: Clermont, A. / Schmeisser, W. / Krimphove, D. (Hrsg.): Personalfuhrung und Organisation. Verlag Franz Vahlen, München 2000. Krimphove, D.: Europäische Fusionskontrolle, Köln 1992. Schmeisser, W.: Finanzorientierte Personalwirtschaft. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2008. Schmeisser, W.: Personalpolitik mit Anreizsystemen im Spiegel des Shareholder ValueAnsatzes. in: Littkemann, J. (Hrsg.): Beteiligungscontrolling. Bd. II: Strategische und operative Unternehmensführung im Beteiligungscontrolling, 2. Auflage, Neue Wirtschaftsbriefe, Berlin/ Herne 2009, S.219-266. Schmeisser, W. / Clausen, L.: Controlling und Berliner Balanced Scorecard Ansatz. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 2009. Schmeisser, W. / Clausen, L. / Seifert, A. / Stiilpner, K.: Modelle zur Humankapitalbewertung - Im Vergleich zum Berliner Humankapitalbewertungsmodell. Rainer Hampp Verlag. München und Mering 2009. Schmeisser, W. / Mauksch, C.: Risikoadäquate Kreditzinsenkalkulation nach Basel II. in: Achleitner, A.-C. / Everling, O. (Hrsg.): Rechtsfragen im Rating. Grundlagen und Implikationen von Ratings für Agenturen, Investoren und geratete Unternehmen. GablerVerlag, Wiesbaden 2005, S. 297-326.
XV
Stichwortverzeichnis
A
Diversity Management 295
Abordnungsvereinbarung 32
Dividendenpolitik 92
Aktienoptionsprogramme im Kontext
Durchführung eines Aktienoptionsprogramms 106
moderner Vergütungssysteme 55 Aktienrechtliche Aspekte der Vergütung 68 Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) 301
E Electronic Recruiting (E-Recruiting) 220
Appreciation Rights 105
Entsendungstypen 28
Arbeitsrecht 332
Entsendungszulage und Mobilitätszulage 21
Arbeitsvertragliche Aspekte 133
Europäisches Arbeitsrecht 327, 332
Auslandsarbeitsvertrag 35
E W G - V O Nr. 1408/71 40
Auslandsentsendung und ihre
Externe Personalauswahlverfahren 245
arbeitsrechtlichen Aspekte 133 Auslandsentsendung und ihre sozialversicherungsrechtlichen Aspekte
F Finanzierung von Aktienoptionsprogrammen
144 Auslandsentsendung und ihre
94 Formen des internationalen Personaleinsatzes 18
steuerrechtlichen Aspekte 139
Funktionsweisen von Optionen 74
Β Bedingte Kapitalerhöhung 95 Berliner Humankapitalbewertungsmodell, A n w e n d u n g 167 Bilanzierung von Aktienoptionsprogrammen 110
G Gehaltssystem
19
Genehmigte Kapitalerhöhung 98 H Human-Resources-Websites 224
C Checklisten fur Expatriates 30
I Incentiveprogramme 76
D
Indikatoren eines internationalen
Der Deutsche Corporate Governance Kodex Empfehlungen für Vorstandsvergütungen des D C G K 65 Zielsetzungen und A u f b a u des D C G K 63 Deutscher Corporate Governance Kodex ( D C G K ) 61
Personalmanagements 3 Instrumente des Electronic Recruiting 220 Internationale Entgeltsysteme für börsennotierte Unternehmen 161 Internationale Entsendung 16
Stichwortverzeichnis
394
Internationale Personalinformationssysteme 195, 201 Internationale Personalsuche und Personalauswahl 219 Internationale Personalwirtschaft 2 Internationaler Personaleinsatz 15 Internationales Arbeitsrecht 329 Internationales Entgeltsystem 15 Internationales Personalcontrolling 183 Internationalisierungsstrategien 7 Κ Kategorisierung von Aktienoptionsprogrammen 70 Klassifizierung eines wertorientierten Vergütungssystems 57 Kriterien zur Ausgestaltung von Aktienoptionsprogrammen 79 Kritik an Aktienoptionen 53 Kulturstrategien 9 Kulturvermittlung 260
Phasen eines Aktienoptionsprogramms 88 Prinzipal-Agent-Theorie 48 Prozess der Personalauswahl 238
R Rahmenbedingungen des Personalmanagements 2
S Scouting 231 Shareholder-Value-Ansatz 45 Sozialversicherungsabkommen 42 Stock Appreciation Rights (SAR) 76 Τ Trends in der Vergütungsstruktur 55 U Unternehmenskultur 255
L
V
Länderforschung am Beispiel Südafrika 269 Länderkultur 255
Varianten des internationalen Personalmanagements 4 Vergleichsgehalt/Schattengehalt 19 VorstAG Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung 69 Vorstandsvergütung 65 VorstOG Gesetz über die Offenlegung der Vorstandsvergütung 66
O Optionen 74 Optionsanleihen 72 Ρ Personalbindung und Rekrutierung von TopFührungskräften 51 Personalinformationssystem 183 Personalleasing 236 Phantom Stocks 76
W Wandelschuldverschreibung 72 Wertorientierte Vergütungssysteme 57 Wirtschaftsethik 48
Die richtige Entscheidung im Personalbereich Wilhelm Schmeisser Finanzorientierte PeTsonalwirtschaft 2008 I 347 S. I broschiert € 29,80 I ISBN 978-3-486-58485-1 In der tagtäglichen personalwirtschaftlichen Praxis stehen betriebswirtschaftliche Kalküle an, die danach fragen, was entscheidungsorientiert besser oder schlechter für ein Unternehmen und seine Belegschaft ist. Derartige Modelle und Rechenwerke findet man in Personallehrbüchern jedoch fast nie. Das vorliegende Lehrbuch liefert Methoden fÜT eine auf rechnerischen Argumenten basierende Entscheidungsfindung im personalwirtschaftlichen Bereich. Die finanzorientierte Personalwirtschaft bedient sich der klassischen Instrumente, Techniken, Kennzahlen und Daten des Rechnungwesens, der Kosten- und Leistungsrechung sowie der betriebswirtschaftlichen Steuerlehre, um diese auf personalwirtschaftliche Entscheidungskalküle anzuwenden. Der Ansatz berücksichtigt zudem den rechtlichen Rahmen, der durch Tarifrecht, das Betriebsverfassungsgesetz, das Mitbestimmungsgesetz usw. abgesteckt ist. Das Buch richtet sich an Studierende der Wirtschaftswissenschaften und an Praktiker im Personalwesen. Professor Dr. Wilhelm Schmeisser ist Professor an der FHTW Berlin für BWL, insbesondere Finanzierung und Investition sowie Unternehmensführung und Direktor des Kompetenzzentrums »Internationale Innovationsund Mittelstandsforschung«, Berlin; www.mittelstandsforschung-berlin.de.
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Zwischen Kapitalrendite und gesellschaftlicher Verantwortung Eugen Büß ^mptfif^if^äf^iipä
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Managementsoziologie Grundlagen, Praxiskonzepte, Falistudien 2. Auflage 2009 | 396 S. | Geb. | € 37,80 ISBN 978-3-486-59063-0 Ein »richtiges« Denkmodell zur Erklärung von Managementprozessen gibt es nicht. Weder die betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise noch soziologische Denkmodelle erschließen die Vorgänge in ihrer ganzen Breite. Aber die managementsoziologische Perspektive leistet etwas Grundlegendes: Sie rückt die ökonomischen »Wahrheiten« in ein etwas anderes Licht und tTägt damit zu einem besseren Verständnis unternehmensintemer Vorgänge bei. Dieses Lehr- und Arbeitsbuch arbeitet die Hauptprobleme heraus, die in der alltäglichen Managementpraxis bei der Abwägung zwischen Kapitalrendite und gesellschaftlicher Verantwortung entstehen, und zeigt Lösungsansätze auf. Das Buch richtet sich an Studierende wirtschaftsund sozialwissenschaftlicher Studiengänge sowie an Praktiker in Unternehmen und in der unternehmensnahen Beratung.
Prof. Dr. Eugen Bul? lehrt an der Universität Hohenheim am Institut für Sozialwissenschaft.
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