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German Pages 537 [540] Year 1997
Herrmann · Berger Wackerbarth (Hrsg.) Deutsches und Internationales Bank- und Wirtschaftsrecht im Wandel
R.I.Z.-Schriften 4
Schriften des Rechtszentrums für Europäische und Internationale Zusammenarbeit (R.I.Z. herausgegeben von
Norbert Horn, Köln Jürgen F. Baur, Köln Klaus Stern, Köln
Band 4
Walter de Gruyter · Berlin · New York
Deutsches und Internationales Bank- und Wirtschaftsrecht im Wandel Herausgegeben von
Harald Herrmann Klaus Peter Berger Ulrich Wackerbarth
W G DE
1997 Walter de Gruyter · Berlin · New York
Das R.I.Z. wird als wissenschaftliche Einrichtung der Universität zu Köln finanziell von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, Frankfurt a. M., getragen.
Θ Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme
Deutsches und Internationales Bank- und Wirtschaftsrecht im Wandel / hrsg. von Harald Herrmann... — Berlin; New: York: de Gruyter, 1997 (R.I.Z.-Schriften; Bd. 4) ISBN 3-11-015340-8 NE: Herrmann, Harald [Hrsg.]; Rechtszentrum für Europäische und Internationale Zusammenarbeit : R.I.Z.-Schriften
© Copyright 1997 by Walter de Gruyter & Co., D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. ' Printed in Germany Druck und Bindearbeiten: WB-Druck, Rieden am Forggensee Einbandentwurf: Angela Dobrick, Hamburg
Für Norbert Horn
von seinen Freunden und Schülern
Vorwort der Herausgeber Am 18. August 1996 feierte Norbert Horn seinen 60. Geburtstag. Dies haben Freunde, Schüler und ihm verbundene Wissenschaftler zum Anlaß genommen, ihm zu Ehren ein Symposion abzuhalten und einen Tagungsband herauszugeben, der sein bisheriges Wirken - wenn auch sicher nur unvollständig - reflektieren soll. Ein durchgängiges Grundanliegen im wissenschaftlichen Wirken von Norbert Horn liegt darin, das Recht im historischen Wandel der in der Praxis entwickelten Gestaltungsformen zu begreifen und zu analysieren. Von der Rechtsgeschichte kommend legte er mit seiner Habilitation über „Das Recht der internationalen Anleihen" schon früh einen thematischen Schwerpunkt auf das internationale Bankrecht. Es folgten Arbeiten zur Struktur und Geschichte des Unternehmensrechts, zu den monetären Problemen im internationalen Handel und Kapitaltransfer, zur Außenhandelsfinanzierung, zu Vertragsanpassungsklauseln im internationalen Wirtschaftsverkehr und im deutschen Vertragsrecht, sowie die Kommentierungen zur Bürgschaft, zum Handelsgesetzbuch und zum AGB-Gesetz. Aus jüngerer Zeit sind das Buch über das Zivil-, und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet und die Einfuhrung in die Rechtstheorie und -philosophie zu nennen. Die Beispiele verdeutlichen, was die wissenschaftliche Arbeit des Jubilars immer ausgezeichnet hat: Weitblick, Praxisnähe, und zugleich eine beträchtliche Bandbreite. Die Themen reichen vom allgemeinen Vertragsund Bankprivatrecht über das Gesellschafts- und Unternehmensrecht bis hin zum Wirtschaftsverfassungsrecht und den geschichtlichen und theoretischen Zusammenhängen des Rechts. Zumeist gilt sein Interesse den Entwicklungen des internationalen Wirtschaftsverkehrs und den Fragen des transnationalen Wirtschaftsrechts. Aber auch in seinen Arbeiten zum nationalen Recht entspringen doch jedenfalls wichtige Denkanstöße einer internationalen und rechtsvergleichenden Betrachtungsweise. Der Titel des Symposions und des Tagungsbandes ist deshalb dem „Deutschen und Internationalen Bank- und Wirtschaftsrecht" gewidmet. Der Leser wird unschwer erkennen, daß damit die zahlreichen Freunde und Mitarbeiter des Jubilars als Autoren dieses Bandes trotz z.T. beträchtlicher Heterogenität ihrer Berufsfelder ein gemeinsames Anliegen haben. Das Buch soll die Vielfalt seiner Interessen in der Arbeit seiner Schüler und Freunde wiederspiegeln, und es versucht dabei zugleich, einen Gleichklang von Praxisnähe und wissenschaftlicher Methode herzustellen.
Vili
Vorwort
Alle, die Norbert Horn beruflich begegnen, kennen ihn als humorvollen und aufgeschlossenen Menschen, der in der täglichen Arbeit stets neben fachlichen Aspekten das zwischenmenschlich Mögliche berücksichtigt. Seinen Schülern eröffnet er damit neue Blickwinkel und hilft ihnen, den eigenen Horizont ständig zu überprüfen. Zugleich hat er immer ein offenes Ohr und Verständnis fur private Sorgen und Nöte seiner Mitarbeiter. Norbert Horn hat auf seine Freunde und Mitarbeiter unverkennbar eingewirkt. Das möge dieser Band ihm selbst und der Fachwelt demonstrieren. Köln/Nümberg, im August 1996 Harald Herrmann Klaus Peter Berger Ulrich Wackerbarth
Inhaltsverzeichnis I. Deutschland Köln Die Rechte des Kommanditisten bei der Feststellung des Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft
HELMUT BALTHASAR,
1
Köln Verhaltenspflichten der Kreditinstitute nach dem Wertpapierhandelsgesetz bei der Verwaltung von Wertpapiervermögen
21
Dr. jur., Bielefeld Einflußnahme des Bundesaufsichtsamts fur das Kreditwesen auf das Bankprivatrecht
50
Dr. jur., LL. M., Hannover Allfinanz - eine Zwischenbilanz
65
Dr. jur., Privatdozent, Frankfurt am Main Emission und Haftung
78
PETER BALZER,
ANDREAS FÜLBIER,
CHRISTIAN HINSCH,
SIEGBERT LAMMEL,
Köln Insider und Insidertatsachen im Wertpapierhandelsgesetz
100
Dr. jur., Frankfurt am Main Die Innenfinanzierung geschlossener Immobilienfonds in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts
116
Dr. jur., Frankfurt am Main Zur Verbindlichkeit von Optionsscheingeschäften
138
THOMAS MATUSCHE,
WERNER PUES,
EDGAR WALLACH,
II. Europa Dr. jur., LL.M., Frankfurt am Main Die neue Gemeinschaftsmarke - ein Stück mehr Europa
VINZENZ BÖDEKER,
156
χ
Inhaltsverzeichnis
INGE DÜNNWEBER, Dr. jur., Professor, Münster
Das außenwirtschaftsrechtliche Einfiihrverfahren im Lichte des Rechts der Europäischen Union
173
JOSEF FALKE, D r . j u r . , B r e m e n
Systemtransformation und Rechtsangleichung
181
TORSTEN FREUND, K ö l n
Der Vorschlag einer EU-Richtlinie über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz
228
HASSO HEYBROCK, Dr. jur., Professor, Flensburg
Outsourcing - Das Ende eines Megatrends beim EuGH?
255
ULF SCHWOLOW, Köln
Die "Elektronische Geldbörse" HERBERT WOOPEN, Dr. jur., docteur en droit (Clermont-Ferrand), Köln Der beleglose Wechseleinzug in Frankreich (Lettre de change relevé LCR)
272
301
III. Internationaler Wirtschaftsverkehr KLAUS PETER BERGER, Dr. jur., LL.M., Universitätsprofessor, Münster
Die Einwirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen auf internationale Verträge am Beispiel islamischer Zinsverbote
322
HORACIO A . GRIGERA NAON, D r . Dr., W a s h i n g t o n
Legal Aspects of Oil and Gas Project Finance Revisited: a Latin American Perspective
341
HARALD HERRMANN, Dr. jur., Universitätsprofessor, Nürnberg
Die Partnerschaftsgesellschaft im internationalen Wettbewerb
392
WILLI E. JOACHIM, Dr. jur, LL.M., vBP, Mainz
Rechtsprobleme des internationalen Projektmanagements und der internationalen Projektentwicklung
430
Inhaltsverzeichnis
XI
DENNIS S. KARJALA, Professor of Law, Arizona
The Future of Copyright in the Digital Age
470
ULRICH TROST, D r . j u r . , D ü s s e l d o r f
Aktuelle Organisationsformen und Vertragsgestaltungen im Chinageschäft des deutschen Anlagenbaus
480
ULRICH WACKERBARTH, D r . j u r . , K ö l n
Ausländische Kapitalgesellschaft & Co. KG und Unternehmensmitbestimmung im Teilkonzern XIAO-BING YANG-BENCKENDORFF, LL.M., Frankfurt am Main Neuere Entwicklung im Bankwesen der Volksrepublik China
491
515
Die Rechte des Kommanditisten bei der Feststellung des Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft HELMUT BALTHASAR
I. Einleitung Das Bilanzrecht stellt trotz seiner großen Bedeutung für die Unternehmenspraxis ein Randgebiet in der Rechtswissenschaft dar, das in der juristischen Ausbildung weitgehend vernachlässigt wird und auch in der Wissenschaft seit einigen Jahrzehnten meist dem wirtschaftsprüfenden und betriebswirtschaftlichen Schrifttum überlassen bleibt.1 Während die Diskussion des Handelsbilanzrechtes bis Anfang dieses Jahrhunderts noch stark von rechtswissenschaftlichen Autoren geprägt wurde,2 scheint im Handels- und Gesellschaftsrecht heute die Auffassung vorzuherrschen, daß das Bilanzrecht mit seinen detailreichen Normen weniger eine rechtliche, denn eine betriebswirtschaftliche Materie ist. Der Rückzug der Rechtswissenschaft und die daraus folgende Dominanz der wirtschaftswissenschaftlichen Behandlung des Bilanzrechts fuhrt dazu, daß die Lösung bilanzrechtlicher Probleme vorrangig in wirtschaftswissenschaftlichen Zweckmäßigkeitsüberlegungen gesucht wird. Dies beinhaltet die vom Jubilar3 für das gesamte Privatrecht aufgezeigte Gefahr, daß Unsicherheiten der ökonomischen Theorien, hier also der Bilanztheorien, in die juristische Analyse und Dogmatik übertragen werden. Vor diesem Hintergrund kommt der Entscheidung des 2. Zivilsenats des
Ähnlich Großfeld, Bilanzrecht, 2. Aufl. 1990, S. 1; Binz/Sorg, tenzen bei der Personengesellschaft, DB 1996, S. 969 (972).
Bilanzierungskompe-
2
Insbesondere der Berliner Rechtsanwalt Simon hat mit dem Werk „Die Bilanzen der Aktiengesellschaft", 1886, das deutsche Bilanzrecht entscheident beeinflußt. Zur Bedeutung Simons vgl. insbes. Moxter, Bilanzlehre, Band I Einführung in die Bilanztheorie, 3. Aufl. 1984, S. 5ff.; allgemein zur Bedeutung juristischer Autoren für die Entwicklung des Bilanzrechts Gutenberg, Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, in: Raiser (Hrsg.), Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, Berlin 1964, S. 120 (133). 3 Vgl. Horn, Zur ökonomischen Rationalität des Privatrechts - Die privatrechtstheoretische Verwertbarkeit der 'Economic Analysis of Law', AcP 176 (1976), S. 307 (310f.).
Helmut Balthasar
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BGH vom 29.3.19964 zu den Rechten des Kommanditisten bei der Feststellung des Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft in zweifacher Hinsicht Bedeutung zu: zum einen klärt sie ein letztlich seit der Kodifizierung des HGB offen gebliebenes Problem des Personenhandelsgesellschaftsrechts. Zum anderen zeigt sie, daß die Auseinandersetzung mit dem Bilanzrecht nicht allein den Wirtschaftswissenschaften überlassen werden kann, da das Bilanzrecht zugleich Kernbereich des Gesellschaftsrechts berührt und daraus erwachsende Problem nur mit rechtlichen Methoden gelöst werden können.
II. Die Bedeutung der Feststellung des Jahresabschlusses Die Feststellung des Jahresabschlusses ist nach heute ganz herrschender Auffassung ein rechtsgeschäftlicher Akt, mit dem der Jahresabschluß einer Gesellschaft für das Verhältnis der Gesellschafter untereinander und - sofern diese eine eigene Rechtspersönlichkeit besitzt - gegenüber der Gesellschaft selbst für verbindlich erklärt wird.5 Während das Institut der Feststellung des Jahresabschlusses für die Kapitalgesellschaften gesetzlich ausdrücklich vorgesehen ist und auch die Kompetenzen der Gesellschaftsorgane bei der Feststellung ausdrücklich geregelt sind,6 erwähnt das Personengesellschaftsrecht dieses Institut nicht. Das HGB sieht für die seit dem Bilanzrichtliniengesetz7 im 3. Buch geregelte Rechnungslegung aller Kaufleute lediglich vor, daß ein aus Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung bestehender Jahresabschluß aufzustellen (§ 242 HGB) und zu unterzeichnen (§ 245) ist. Diese mangelnde Regelung der Feststellung im Handelsrecht ist darauf zurückzufuhren, daß der historische Gesetzgeber die ursprünglich in §§39 ff. HGB alter Fassung geregelten Rechnungslegungspflichten an den Rechnungslegungsbedürfhissen des Einzelkaufmannes ausgerichtet hat. Dieser 4
BGH II ZR 264/94 v. 29.3.1996, in : DB 1996, S. 926ff.
5
Vgl. Hopf, Bilanz, Reservenbildung und Gewinnausschüttung bei der OHG und KG, in: Festschrift für Odersky, 1996, S. 799; Horn, in: Heymann, HGB, 3. Aufl. 1996, § 167 Rdn. 2; Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (208); Mulh, Die Bilanzfeststellung bei Personenhandelsgesellschaften, 1986, S. 36ff., 96ff. jeweils m.w.N. 6
7
Vgl §§ 172, 173 AktG und §§ 42a Abs. 1 Satz 1, 46 Nr. 1 GmbHG.
Gesetz zur Durchführung der Vierten, Siebenten und Achten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung des Gesellschaftsrechts vom 19.12.1985, BGBl. 1, 1985, S. 2355.
Feststellung des Jahresabschlusses der KG
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bedarf mangels Innenverhältnisses zu anderen Gesellschaftern naturgemäß des Instituts der Feststellung nicht.8 An dieser Ausrichtung der allgemeinen Rechnungslegungsvorschriften hat sich mit der Verlagerung der handelsrechtlichen Rechnungslegungsvorschriften in das 3. Buch des HGB durch das Bilanzrichtliniengesetz nichts geändert.9 Darüber hinaus wäre eine Regelung der Feststellung im 3. Buch des HGB auch nicht systemkonform, denn hier handelt es sich um öffentlich-rechtliche Pflichten des Kaufmannes und der Handelsgesellschaften im Außenverhältnis.10 Die Kodifizierung der Feststellung als gesellschaftsrechtlicher Verbindlichkeitserklärung im Innenverhältnis würde im 3. Buch also einen Fremdkörper darstellen. Ausgehend vom Kapitalgesellschaftsrecht hat sich im Personenhandelsgesellschaftsrecht nach der Kodifizierung des HGB dann die Auffassung durchgesetzt, daß es auch bei den Personenhandelsgesellschaften einer Verbindlichkeitserklärung des Jahresabschlusses für das Verhältnis der Gesellschafter untereinander bedarf. Die Feststellung des Jahresabschlusses wird daher heute bis auf wenige kritische Stimmen in der Literatur11 auch bei Personenhandelsgesellschaften als notwendig angesehen.12 Mangels ausdrückli-
8
Vgl Großfeld, Bilanzrecht, 2. Aufl. 1990, S. 20 (Rdn. 41); Huff er, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Auflage 1988, §242 Rdn. 20, 46; K. Schmidt, Handelsrecht, 4. Aufl. 1994, § 15 II l.b)(S.431). 9
Vgl Hüffer, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Auflage 1988, Vor. § 238 Rdn. 9ff.
10
So schon Fischer, in: Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handeisrechts, 2. Band, 1918, S. 476, Wieland, Handelsrecht, 1. Band, Das kaufmännische Unternehmen und die Handelsgesellschaften, 1921, S. 309; heute ganz herrschende Auffassung, vgl. nur Brüggemann, in: Großkommentar HGB, 3. Aufl. 1967, Vorbem. zu §§ 38 ff Rnd. 4,5; Canaris, Handelsrecht, 22. Aufl. 1995, § 12 III. 1. (S. 190); Jung, in: Heymann, Handelsgesetzbuch, §238 Rdn. 8, §242 Rdn. I.K. Schmidt, Handelsrecht, 4. Aufl. 1994, § 15 I 1. (S. 423); Hüffer, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1988; Vor §238 Rdn. 1, §238 Rdn. 3, § 242 Rdn. 17; Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (210); kritisch jedoch Claussen, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl. 1989 § 242 HGB Rdn. 5. " Claussen, Soll das Feststellungsrecht des Jahresabschlusses bei der GmbH reduziert werden?, in: Festschrift für Semler, 1993, S. 97 (S. 103 Fn. 17), ähnl. Ischebeck in: Kilting/Weber, Handbuch der Rechnungslegung; Band Ia, 4. Auflage 1995, S. 2363. 12
Vgl Großfeld, Bilanzrecht, 2. Aufl. 1990, S. 20 (Rdn. 41) Muth, Die Bilanzfeststellung bei Personenhandelsgesellschaften, 1986, S. 8f., 36ff.; Hüffer, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1988; § 242 Rdn. 16fT.; Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519; Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und
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Helmut Balthasar
cher Regelung im HGB war bis zur Entscheidung des BGH jedoch streitig, ob an der Feststellung bei Kommanditgesellschaften auch die Kommanditisten oder nur die zur Geschäftsführung berufenen Komplementäre zu beteiligen sind. Diese Frage erhält ihre gesellschaftsrechtliche Bedeutung daraus, daß bei der Feststellung des Jahresabschlusses über die bloße Erstellung eines verbindlichen Rechnungswerkes hinaus auch materielle Entscheidungen über die Rechte der an der Gesellschaft beteiligten Gesellschafter getroffen werden. Die mit dem Jahresabschluß gem. § 242 HGB darzustellende Vermögensund Ertragslage ist nämlich nicht das Ergebnis einer bloßen buchhalterischen Verdichtung aller Geschäftsvorfalle des Jahres zu einem rechnerisch eindeutig bestimmbaren Ergebnis. Das Handelsrecht bietet durch Beurteilungsspielräume und ausdrückliche Wahlrechte vielmehr einen erheblichen gestalterischen Spielraum.13 Von der Ausübung dieser Gestaltungsspielräume im festgestellten Jahresabschluß hängen insbesondere der Gewinnanspruch des Gesellschafters und der Abfindungsanspruch des Ausscheidenden ab, wenn dieser auf Grundlage der Buchwerte berechnet wird.14 Wie der dem BGH15 und dem OLG Stuttgart16 als Vorinstanz zur Entscheidung vorgelegte Fall eindrucksvoll zeigt, kann der sich dabei ergebende Spielraum einen erheblichen Umfang annehmen: Den Entscheidungen lag etwas vereinfacht der Fall einer KG zugrunde, die in ihrer Steuerbilanz für das Geschäftsjahr 1991 einen Gewinn von 16,8 Mio DM auswies. Gleichzeitig wies der allein vom Komplementär aufgestellte handelsrechtliche Jahresabschluß durch die Ausnutzung handelsbilanzieller Gestaltungsrechte einen Verlust von 1,1 Mio DM aus. Dies hatte für die Kommanditisten zur Konsequenz, daß sie mangels handelsrechtlichen Gewinnausweises nach § 169 Abs. 1 HGB keine Auszahlung eines Gewinnanteiles verlangen konnten, obwohl ihnen durch die Steuerbilanz gleichzeitig Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (210f.). 13
Vgl für eine Ubersicht auch Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519. 14
Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (217f) und Muth, Die Bilanzfeststellung bei Personenhandelsgesellschaften, 1986, S. 97ff. 15 BGH DB 1996, S.926. 16
OLG Stuttgart, Urt. v. 26.10.1994, ZIP 1995, S. 126f.
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Feststellung des Jahresabschlusses der KG
ein steuerpflichtiger Gewinnanteil zugerechnet wurde. Die Kommanditisten erklärten sich daraufhin mit dem vom Komplementär aufgestellten Jahresabschluß nicht einverstanden und begehrten dessen Angleichung an die Steuerbilanz. Nachdem sich die Parteien vor dem OLG Stuttgart hierüber im Wege eines Vergleiches geeinigt hatten, begehrten die Kommanditisten die Feststellung, daß sie künftig an der Ausübung der Gestaltungsrechte im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses zu beteiligen sind. Der BGH hatte im Kern also die Frage zu entscheiden, ob und welche Gestaltungsmöglichkeiten des handelsrechtlichen Gewinns im Rahmen der Feststellung des Jahresabschlusses einer Mitwirkung der Kommanditisten bedürfen.
III. Handelsbilanzrechtliche Gestaltungsrechte und stille Reserven Die Lösung dieser dem BGH vorgelegten Frage nach der Feststellungskompetenz der Kommanditisten ist inhaltlich weitestgehend identisch mit der in der Literatur diskutierten Frage, ob Kommanditisten an der Bildung stiller Reserven zu beteiligen sind. Beide, Gestaltung des handelsrechtlichen Gewinns und stille Reserven, sind zu einem wesentlichen Teil Ausdruck derselben Ansatz- und Bewertungsvorschriften des Bilanzrechts. 1. Die Systematik handelsbilanzrechtlicher
Gestaltungsrechte
Die Bildung stiller Reserven ist notwendiger Bestandteil der am Gläubigerschutz orientierten Bewertungsregeln des Bilanzrechts. Dies zeigt sich insbesondere in dem aus dem Prinzip vorsichtiger Wertermittlung herleitbaren Realisationsprinzip,17 wonach Gewinne nur dann zu berücksichtigen sind, wenn sie durch Veräußerung realisiert wurden (§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Dieses Realisationsprinzip fuhrt dazu, daß gemäß § 253 Abs. 1 Satz 1 HGB Vermögenswerte ungeachtet ihres tatsächlichen Wertes höchstens mit ihrem Anschaffungs- oder Herstellungskosten in der Bilanz anzusetzen sind. Steigt der Marktwert eines Vermögenswertes über seine ursprünglichen Anschaffungskosten, so kann dieser Wertzuwachs in der Bilanz nicht ausgewiesen und folglich auch nicht gewinnerhöhend in die Gewinn- und Verlustrechnung eingestellt werden. In Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlichen Marktwert und dem an den ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungs17 Zum Zusammenhang von Vorsichtsprinzip und Realisationsprinzip vgl. Moxter, Bilanzlehre, Band II, Einführung in das neue Bilanzrecht, 3. Aufl. 1983, S. 37.
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Helmut Balthasar
kosten orientierten Buchwert besteht eine aus der Bilanz nicht ersichtliche stille Reserve. Gegenstand der Diskussion um die stillen Reserven bei Kommanditgesellschaften sind jedoch nicht diese aus den gesetzlichen Bewertungsvorschriften folgenden zwangsläufigen stillen Reserven, sondern solche, die durch die bilanziellen Gestaltungsspielräume zusätzlich geschaffen werden. Solche Gestaltungsspielräume werden vom Gesetzgeber ausdrücklich durch Wahlrechte in Bilanzierungsvorschriften eingeräumt. Diese Wahlrechte können als Ansatzwahlrechte und als Bewertungswahlrechte auftreten. 18 Bei den Ansatzwahlrechten19 wird dem Unternehmen unter teilweiser Durchbrechung des Vollständigkeitsprinzipes (§ 246 Abs. 1 HGB) freigestellt, ob es eine Position in die Bilanz aufnehmen will. So kann ein Unternehmen etwa nach § 249 Abs. 1 Satz 3 auf der Passivseite der Bilanz Rückstellungen für künftige Instandhaltungsaufwendungen bilden, was durch Einstellung entsprechender Aufwendungen in die Gewinn- und Verlustrechnung den ausschüttungsfähigen Gewinn mindert und entsprechend Vermögenssubstanz im Unternehmen bindet. 20
Bewertungswahlrechte eröffnen die Möglichkeit, fur den Ansatz einer Bilanzposition zwischen mehreren gesetzlich zulässigen Wertansätzen zu wählen. So kann der Kaufmann nach § 253 Abs. 2 Satz 3 HGB wählen, ob er bei voraussichtlich nicht dauerhaften Wertminderungen von Vermögensgegenständen des Anlagevermögen diese auf den niedrigeren Wert abschreibt oder den Anschaffungswert beibehält. Evident ist der Zusammenhang zwischen den Bewertungswahlrechten bei dem umgekehrten Wahlrecht, dem Zuschreibewahlrecht in § 253 Abs. 5 HGB. Der Kaufmann darf nach dieser 18
Zu den Wahlrechten allgemein Bauer, Zur Rechtfertigung von Wahlrechten in der Bilanz, BB 1981, S. 766ff.; Marettek, Ermessensspielräume bei der Bestimmung wichtiger aktienrechtlicher Wertansätze, WiSt 1976, S. 515ff.; Siegel, Wahlrechte, in: Leffson/Rückle/Großfeld, Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe des HGB, 1986, S. 417ff. 19
Weitere Ansatzwahlrechte finden sich in § 250 Abs. 3 HGB (Aktivierung des Damnums); § 255 Abs. 4 HGB (Aktivierung des derivativen Finnenwertes); Art. 28 Abs. 1 EHGBG (Pensionsrückstellungen filr Altzusagen). Vgl. auch Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2520); Binz/Sorg, Bilanzierungskompetenzen bei der Personengesellschaft, DB 1996, S. 969 (970). 20 Für eine vollständige Aufzählung der bei Kommanditgesellschaften einschlägigen Bewertungswahlrechte vgl. Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2520).
Feststellung des Jahresabschlusses der KG
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Regelung dann, wenn ein Vermögensgegenstand wegen einer Wertminderung in früheren Rechnungslegungsperioden auf einen niedrigeren Wert abgeschrieben wurde, bei einer späteren Werterholung wählen, ob er nunmehr den Bilanzansatz gewinnerhöhend auf den ursprünglichen Wert zuschreibt, oder aber den inzwischen überholten niedrigeren Bilanzansatz beibehält. Neben diesen ausdrücklich vom Gesetzgeber eingeräumten Wahlrechten ergeben sich Gestaltungspielräume zudem aus der Unbestimmtheit vieler gesetzlicher Bewertungsvorschriften. So besteht etwa ein erheblicher Beurteilungsspielraum bei der nach § 253 Abs. 3 Satz 2 HGB erforderlichen Ermittlung des Zeitwertes eines nicht börsennotierten und marktgängigen Vermögensgegenstandes. Hier gibt es meist keinen zwingenden Wert, sondern nur plausibel ermittelte Schätzgrößen.21 Diese Unbestimmtheit vieler gesetzlicher Bewertungsvorschriften läßt sich durch systematische Unterbewertung von Aktiva und Überbewertungen auf der Passivseite ebenfalls zum Legen stiller Reserven nutzen.22 2. Die Sonderproblematik
der Abschreibungen nach § 253 Abs. 4 HGB
Die dargestellten Möglichkeiten der Gestaltung des handelsrechtlichen Gewinnes durch Beurteilungsspielräume und Wahlrechte und die damit verbundene Möglichkeit zum Legen stiller Reserven ist nicht auf Kommanditgesellschaften beschränkt. Gestaltungsmöglichkeiten aus Wahlrechten und Beurteilungsspielräumen stehen grundsätzlich allen kaufmännischen Unternehmen offen. Die Verkürzung des handelsbilanziellen Gewinnes durch Legen stiller Reserven ist insoweit also kein spezifisches Problem der Kommanditgesellschaften. Ihre besondere Bedeutung erhalten die stillen Reserven bei der Kommanditgesellschaft vielmehr daraus, daß bei den Personenhandelsgesellschaften das HGB eine Reihe von Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet, die in dieser Form bei Kapitalgesellschaften nicht vorliegen. Die Diskussion um 21
Zu den Problemen und möglichen Verfahren der Zeitwertermittlung vgl. Adler/Dürig/Schmalz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995, §253 Rdn. 488fF, 513fF.; Clemm, Unternehmerische Rechnungslegung - Aufgaben, Möglichkeiten und Grenzen, in: Festschrift für Goerdeler, 1987, S. 93 (102f.); Giade, Rechnungslegung und Prüfung nach dem Bilanzrichtliniengesetz, § 253 HGB Rdn. 38, 529fif. 22 Weitere Beispiele der bei Kommanditgesellschaften nutzbaren Ermessenspielräume finden sich bei Binz/Sorg, Bilanzierungskompetenzen bei der Personengesellschaft, DB 1996, S. 969 (970) und Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2520).
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die stillen Reserven bei Kommanditgesellschaften knüpft im Kern daher nicht an der Zulässigkeit stiller Reserven als solcher an, sondern konzentriert sich inhaltlich auf diese zusätzlichen Gestaltungsmöglichkeiten. Die praktisch bedeutenste und daher im Zentrum der Diskussion stehende Regelung ist seit dem Bilanzrichtliniengesetz die in § 253 Abs. 4 HGB enthaltene Möglichkeit, Abschreibungen auf Vermögensgegenstände auch im Rahmen vernünftiger kaufmännischer Beurteilung vorzunehmen. Damit wird die Möglichkeit eröffnet, Vermögenswerte auch dann gewinnmindernd auf einen niedrigeren Bilanzwert abzuschreiben, wenn der abzuschreibende Vermögensgegenstand selbst gar keine Wertminderung aufweist. 23 Diese Regelung war bereits bei der Kodifizierung des Bilanzrichtliniengesetzes in höchstem Maße umstritten,24 weil sie ihrem Wesen nach keine Maßnahme der Vermögensabbildung ist. Sie ist vielmehr eine Maßnahme, die allein dazu dient, aus dem Gewinn des Unternehmens nach außen nicht 25 erkennbare Reserven zu bilden. Im betriebswirtschaftlichen Schrifttum werden die aus Abschreibungen nach § 253 Abs. 4 HGB resultierenden stil26
len Reserven daher auch als „Willkür"-Reserven bezeichnet. Diese Einordnung ist jedoch nicht als „willkürliches" Handeln im rechtlichen Sinne zu verstehen, denn § 253 Abs. 4 HGB begrenzt die Abschreibungen auf den Rahmen vernünftiger kaufmännischer Beurteilung.27 Sie ist vielmehr Aus23
Vgl Adler/Dürig/Schmalz, Rechnungslegung 6. Aufl. 1995, § 2 5 3 Rdn. 576; Pankow/Lineau/Feyel, 2. Aufl. 1990, § 2 5 3 Rdn. 655f.
und Prüfung der Unternehmen, in: Beck'scher Bilanzkommentar,
24
Vgl die Darstellung bei Schulze-Osterloh, Die Rechnungslegung der Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften nach dem Bilanzrichtliniengesetz, ZHR 150 (1986), 5. 403 (415); ders. Die Rechnungslegung der Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften nach dem Bilanzrichtliniengesetz, ZHR 150 (1986), S. 403 (417f.). 25
Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521) ausführlicher zu den möglichen Zwecken Adler/Dürig/Schmalz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1995, § 253 Rdn. 577ff. 26 Vgl. Schedlbauer, Die Gefährdung der Bestandskraft von Jahresabschlüssen durch Bewertungsfehler, DB 1992, S. 2097 (2099); Coenenberg, Jahresabschluß und Jahresabschlußanalyse, 10. Aufl. 1988, S. 195f., einschränkend nun die 14. Aufl. 1993; Wöhe, Bilanzierung und Bilanzpolitik, 7. Aufl. 1987, S. 638f. 27
BT-DruckS. 10/4268, S. 100; zur Willkürfreiheit der Abschreibungen nach § 2 5 3 Abs. 4 HGB weiter Priester, Stille Reserven und offene Rücklagen bei Personenhandelsgesellschaften, in: Festschrift für Quack, 1991, S. 373 (378). H. P. Westermann, Vernünftige kaufmännische Beurteilung, in: Leffson/Rückle/Großfeld, Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB, 1986, S. 351 (356).
Feststellung des Jahresabschlusses der KG
9
druck dafür, daß die im Gesetz durch die kaufmännische Vernunft gemeinten Gründe für eine solche Reservenbildung heute zunehmend auf Ablehnung stoßen: Früher wurde es als Ausdruck kaufmännischer Solidität angesehen, wenn der Kaufmann durch Unterbewertung Reserven bildete, um bei Konjunkturschwankungen unvermeidbare Verluste ausgleichen zu können. Hierin wurde auch ein wünschenswerter Schutz der Gläubiger gesehen, da die Substanz der Unternehmen durch stille Reserven gestärkt werde.28 Diese positive Beurteilung der nach vernünftigen kaufmännischen Erwägungen gebildeten Bewertungsreserven ist im bilanzrechtlichen29 wie betriebswirtschaftlichen Schrifttum30 einer weitgehend kritischen Einschätzung gewichen: durch die nach außen nicht erkennbare Auflösung stiller Reserven wird es dem Unternehmen ermöglicht, Gewinne auch dann auszuweisen und auszuschütten, wenn das Unternehmen tatsächlich Verluste erzielt. Dies widerspricht der Informationsfunktion des Jahresabschlusses und birgt die Gefahr in sich, daß strukturelle Probleme und Mißmanagement zu lange unentdeckt bleiben.31
28
Vgl RGZ 98, 318 (322); 156, 52 (56); Darstellungen der älteren Rechtsprechung und Lehre finden sich bei Priester, Stille Reserven und offene Rücklagen bei Personenhandelsgesellschaften, in; Festschrift fflr Quack, 1991, S. 373 (374f.) und Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521); Seicht, Stille Reserven, in: Leffson/Rückle/Großfeld, Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB, 1986, S. 281 (282f.). 29
Vgl Hüffler, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1988, § 243 Rdn. 22.; SchulzeOsterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521); ders., Die Rechnungslegung der Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften nach dem Bilanzrichtliniengesetz, ZHR 150 (1986), S. 403 (417); HP. Westermann, Vernünftige kaufmännische Beurteilung, in: Leffson/Rückle/Großfeld, Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB, 1986, S. 351 (364). 30 Imbeck, Umfang und Grenzen kaufmännischer Abschreibungsfreiheit nach § 253 Abs. 4 HGB, BB 1991, S. 1598 (1602); Kruse, Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, 3. Aufl. 1978, S. 205f.; Leffson, Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, 7. Aufl. 1987, S. 84ff.; Schildbach, Maßgeblichkeit - Rechtslage und Perspektiven, BB 1989, S. 1443, (1451); Seicht, Stille Reserven, in: Leffson/Rückle/Großfeld, Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB, 1986, S. 281. 31
Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 336; Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521).
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Trotz dieser zunehmend negativen Beurteilung stiller Reserven, die den Gesetzgeber im Aktiengesellschaftsrecht bereits 1965 zur Vorgabe fester Wertuntergrenzen veranlaßt hat,32 wurde bei der Neukodifizierung des Handelsbilanzrechts durch das Bilanzrichtliniengesetz 1986 fur Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften auf eine feste Wertuntergrenze verzichtet. Durch § 253 Abs. 4 HGB hat der Gesetzgeber vielmehr ausdrücklich geregelt, daß die fur Kapitalgesellschaften geltenden Wertuntergrenzen nicht auf Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften übertragen werden können und die Bildung weitergehender stiller Reserven bei Personenhandelsgesellschaften handelsbilanzrechtlich nicht beschränkt werden soll. 33 Die handelsbilanzrechtliche Regelung in § 253 Abs. 4 HGB läßt aber offen, wem die gesellschaftsrechtliche Kompetenz zur Ausübung der aufgezeigten Gestaltungsmöglichkeiten und damit auch der Abschreibungen nach § 253 Abs. 4 HGB zusteht.
IV. Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Feststellung des Jahresabschlusses Die bis noch vor kurzem ganz überwiegende Auffassung34 geht davon aus, daß in der Kommanditgesellschaft die Ausübung handelsbilanzieller Gestaltungsrechte allein den Komplementären obliegt. Nach dieser Auffassung ist die Ausübung sämtlicher handelsbilanzrechtlicher Gestaltungsspielräume Gegenstand der Geschäftsführung, die allein den Komplementären obliege. Dies folge auch aus § 245 HGB beziehungsweise dem insoweit inhaltsgleichen § 41a HGB alter Fassung, wonach bei Personenhandelsgesellschaften allein die persönlich haftenden Gesellschafter, nicht aber auch die Kom32
Vgl zu der damals geführten Diskussion Kropff, Aktiengesetz, 1965, S. 237ff.
33
Vgl BT-DruckS. 10/317 S. 91; BT-DnickS. 10/4268, S. lOOf.; vgl. auch SchulzeOsterloh, Die Rechnungslegung der Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften nach dem Bilanzrichtliniengesetz, ZHR 150 (1986), S. 403 (417). 34 Geßler, in: Schlegelberger, HGB, 4. Aufl. 1963, § 167 Rdn. 3; Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S.341 ; Schilling, in: Staub, Großkommentar HGB, 3. Aufl. 1970 § 167 Rdn. 3, anders aber nunmehr in der 4. Aufl. 1987, § 167 Rdn. 3, 4; Sudhoff, Rechte und Pflichten des Kommanditisten, 3. Aufl. 1985, § 7 1 3 (S. 69), Weipert, in Reichsgerichtsrätekommentar zum HGB, 2. Aufl. 1950 § 167 Rdn. 3 ; H. P. Westermann, Handbuch der Personengesellschaften, 4. Aufl. 1994, Rdn. 1/870 und auch Horn in: Heymann, HGB, 2. Aufl. 1996, § 167 Rdn. 2.
Feststellung des Jahresabschlusses der KG
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manditisten den Jahresabschluß zu unterzeichnen haben. Zudem gewähre § 166 Abs. 1 HGB den Kommanditisten nur das Recht, eine Abschrift des Jahresabschlusses zu verlangen und dessen Richtigkeit zu überprüfen. Das weitergehende Recht zur Mitwirkung an der Feststellung des Jahresabschlusses und Ausübung der darin enthaltenen Gestaltungsrechte sei dadurch ausgeschlossen, denn eines Prüfungsrechtes bedürfe es nicht, wenn der Kommanditist bereits an der Feststellung beteiligt ist. Eine neuere Auffassung35 sieht die Feststellung der Bilanz dagegen nicht als alleinige Aufgabe der Komplementäre an, sondern als Rechtsgeschäft, an dem die Kommanditisten zu beteiligen sind. Dieser Auffassung hat sich der BGH nun nach einem obiter dictum aus dem Jahre 198036 ausdrücklich ange37
schlossen. Die Feststellung der handelsrechtlichen Bilanz bilde die Basis fur das Verhältnis der Gesellschafter untereinander und sei auch Grundlage für die Gewinnansprüche künftiger Jahre. Von der Feststellung des Jahresabschlusses hänge also das dem Kommanditisten kraft seiner Gesellschafterstellung zustehende und nicht entziehbare Gewinnrecht ab. Die Feststellung des Jahresabschlusses sei daher ein Grundlagengeschäft, das von der Geschäftsführungsbefugnis der persönlich haftenden Gesellschafter umfaßt werde.38 Viel35
Grundlegend Buchwald, Die Bilanzen der Personenhandelsgesellschaften als Vereinbarung zwischen den Gesellschaftern, JR 1948, S. 65 (66) und Himer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207ff., weiter Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl. 1995, § 164 Rdn. 3; Hopt, Bilanz, Reservenbildung und Gewinnausschüttung bei der OHG und KG, in: Festschrift für Odersky, 1996, S. 799f.; Hüffer, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1988, § 243 Rdn. 25; Martens, in: Schlegelberger, HGB, 5. Aufl. 1986, § 167 Rdn. 5; Muth, Die Bilanzfeststellung bei Personenhandelsgesellschaften, 1986, S. 80f£; Priester, Stille Reserven und offene Rücklagen bei Personenhandelsgesellschaften, in: Festschrift für Quack, 1991, S. 373; Schilling, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1987, § 167 Rdn. 3f.; und jüngst Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519; jeweils m. w. N. 36
BGHZ 76, 338 (342).
37
BGH DB 1996, S. 926f.
BGH DB 1996, 926 (927); Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl. 1995, § 164 Rdn. 3; Binz/Sorg, Bilanzierungskompetenzen bei der Personengesellschaft, DB 1996, S. 969 (970); Felix, Anm. zu OLG Stuttgart v. 26.10.1994, ZIP 1996, S. 129 (130); Priester, Stille Reserven und offene Rücklagen bei Personenhandelsgesellschaften, in: Festschrift für Quack, 1991, S. 373 (381); Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521f.)
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mehr handele es sich um ein Rechtsgeschäft, das in Form eines abstrakten oder konkreten Schuldverhältnisses39 die Kommaditisten an die festgestellte Jahresbilanz binde und daher auch deren Mitwirkung erfordere.40 Dem stünden auch die gesetzlichen Regelungen in § 245 und § 166 HGB nicht entgegen, denn aus diesen lasse sich kein alleiniges Recht der Komplementäre zur Feststellung des Jahresabschlusses entnehmen. § 245 HGB enthalte nur eine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Unterzeichnung, die mit der gesellschaftsrechtlichen Feststellung nicht identisch sei. Demgemäß könne der alleinigen Unterzeichnungspflicht der Komplementäre keine Kompetenzzuweisung fur die gesellschaftsrechtliche Feststellung entnommen werden.41 Demgegenüber stelle § 166 HGB zwar eine gesellschaftsrechtliche Regelung dar, doch sei dies eine Schutznorm, der keine Beschränkung der Rechte des Kommanditisten zu entnehmen sei.42 Das in § 166 HGB geregelte Informationsrecht sei vielmehr gerade Voraussetzung einer sachgerechten Feststellung.43 Dieser neueren Auffassung, der nunmehr auch der BGH folgt, ist zuzustimmen. Sie trägt der Natur der Feststellung als Rechtsgeschäft aller Gesellschafter untereinander besser Rechnung und fuhrt auch dazu, daß sie klarer
39
Zum hier nicht relevanten Streit um die Rechtsnatur der Feststellung vgl. die knappen Darstellungen bei OLG Düsseldorf, NJW-RR 1994, 1455 (1458) und Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207(214); und ausführlich Muth, Die Bilanzfeststellung bei Personenhandelsgesellschaften, 1986, S. 39ff. 40
So schon Buchwald, Die Bilanzen der Personalgesellschaften als Vereinbarungen zwischen den Gesellschaftern, JR 1948, S. 65 (66); Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschaftsund Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (208); ähnlich Felix, Anm. zu OLG Stuttgart v. 26.10.1994, ZIP 1996, S. 129 (130). 41 BGH 1996, 926 (927); Hopt, Bilanz, Reservenbildung und Gewinnausschüttung bei der OHG und KG, in: Festschrift für Odersky, 1996, S. 780; Priester, Stille Reserven und offene Rücklagen bei Personenhandelsgesellschaften, in: Festschrift für Quack, 1991, S. 373 (380); Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (212). 42
43
BGH 1996, 926 (927).
Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (213f.).
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zwischen dem als öffentlich-rechtlich einzustufenden44 Jahresabschlußrecht nach § 238ff. HGB, dem auch die Unterzeichnung nach § 245 HGB angehört, und der gesellschaftsrechtlichen Feststellung unterscheidet. Das von der Gegenmeinung vertretene Argument, § 166 HGB lasse sich ein Ausschluß des Feststellungsrechtes entnehmen, läßt sich neben den genannten Argumenten auch dadurch widerlegen, daß die personengesellschaftsrechtlichen Regelungen des HGB das Institut der Feststellung gar nicht kennen. Folglich kann § 166 HGB gar keine Aussage über das Recht zur Feststellung des Jahresabschlusses enthalten.45
V. Der Umfang des Mitwirkungsrechts Folgt man dem BGH und dem neueren Schrifttum darin, daß der Kommanditist an der Feststellung des Jahresabschlusses zu beteiligen ist, so ist damit noch nicht geklärt, welche der oben dargestellten Gestaltungsrechte seiner Mitwirkung unterliegen und welche von den geschäftsftihrenden Gesellschaftern im Rahmen der Aufstellung der Bilanz ausgeübt werden. Einigkeit scheint darüber zu bestehen, daß jedenfalls die Gestaltungspielräume, die aus tatsächlichen Beurteilungsspielräumen erwachsen, der Geschäftsführung zuzurechnen sind und ihre Ausübung daher allein den gemäß §164 HGB zur Geschäftsführung berufenen Komplementären obliegt. 6 Eine solche Zuweisung der Beurteilungsspielräume erscheint folgerichtig, denn hier geht es allein um die Ermittlung der tatsächlichen Grundlagen der Vermögensdarstellung und Gewinnermittlung. Dies ist Teil der zur Aufstellung des Jahresabschlusses notwendigen Maßnahmen und daher notwendigerweise auch Teil der Geschäftsführung. Weniger eindeutig ist die Zuweisung der Ansatz- und Bewertungswahlrechte. Eine Beteiligung der Kommanditisten an der Ausübung sämtlicher Ansatz- und Bewertungswahlrechte wäre angesichts der Fülle der bestehenden Wahlrechte ohne eine erhebliche Verzögerung der Jahresabschlußerstel44
So die heute ganz h.M., siehe oben Fußnote 10.
45
In dieser Richtung wohl auch Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (214). 46
Vgl Schilling, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1987, § 167 Rdn. 2; Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (219f.).
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lung kaum denkbar und würde in der Praxis die Kommanditisten wohl oft auch überfordern. Dies macht es verständlich, warum eine umfängliche Mitwirkung der Kommanditisten an der Ausübung dieser Wahlrechte meist nicht in Erwägung gezogen wird.47 Rechtsprechung und Literatur gehen vielmehr ausdrücklich oder implizit davon aus, daß die Ausübung der handelsbilanziellen Wahlrechte im Grundsatz Teil der Geschäftsführung ist und daher im Regelfall den Komplementären im Rahmen der Aufstellung der Bilanz obliegt.48 Das gesellschaftsrechtliche Problem der Mitwirkung des Kommanditisten bei der Bildung stiller Reserven wird also darin gesehen, Gründe und Kriterien für die Ausgrenzung handelsbilanzrechtlicher Wahlrechte aus dieser grundsätzlichen Kompetenzuweisung zu finden. Das OLG Stuttgart49 und K. Hopt50 lösen diese Frage, indem sie rigoros die Ausübung sämtlicher Wahlrechte den zur Geschäftsführung berufenen persönlich haftenden Gesellschaftern zuweisen. Eine Beteiligung der Kommanditisten wird als nicht notwendig angesehen, denn deren berechtigte Interessen seien durch gesellschaftsrechtliche Treue- und Rücksichtnahmepflichten der Komplementäre bei der Ausübung der Wahlrechte zu berücksichtigen und daher ausreichend geschützt. Sofern der von den persönlich haftenden Gesellschaftern aufgestellte Jahresabschluß die handelsbilanziellen Vorschriften und die Grenzen der Rücksichtnahmepflicht nicht verletze, seien die Kommanditisten daher verpflichtet, dem Jahresabschluß als Ganzes zuzustimmen, ohne daß ihnen bei dieser Feststellung ein Gestaltungsrecht für einzelne Positionen zustünde. 47
Eine Ausnahme bildet Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519, der diesen Ansatz allerdings ebenfalls nicht weiter verfolgt. 48 Besonders deutlich wird diese grundsätzliche Zuweisung an die Komplementäre als Ausgangspunkt bei Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 218f. und Priester, Stille Reserven und offene Rücklagen bei Personenhandelsgesellschaften, in: Festschrift für Quack, 1991, S. 373 (38If.), weiter Felix, Anm. zu OLG Stuttgart v. 26.10.1994, ZIP 1996, S. 129 (129); Hopt, Bilanz, Reservenbildung und Gewinnausschüttung bei der OHG und KG, in: Festschrift für Odersky, 1996, S. 799 (801f.); Martern, in: Schlegelberger, HGB, 5. Aufl. 1986, § 167 Rdn. 7; Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521, 2523ff.). 49 50
ZIP 1995, S. 126f.
Hopt, Bilanz, Reservenbildung und Gewinnausschüttung bei der OHG und KG, in: Festschrift fllr Odersky, 1996, S. 799 (802ff.); im Ergebnis ebenso schon Schilling, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1987, § 167 Rdn. 3.
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Als entscheidenden Gesichtspunkt für diese ausschließliche Kompetenz der Kommanditisten sieht Hopt deren persönlich Haftung an. Durch die Ausübung der Wahlrechte werde über die haftende Substanz des Unternehmens und damit über die Haftungsrisiken der persönlich haftenden Gesellschafter entschieden. Es ginge aber nicht an, daß die Kommanditisten, die selbst keiner persönlichen Haftung unterlägen, das Haftungsrisiko der Komplementäre bestimmen könnten.51 Diese Auffassung fuhrt im Ergebnis dazu, daß das Recht der Kommanditisten zur Feststellung des Jahresabschlusses zu einem nur prozessualen Recht auf Überprüfung des ihnen von den haftenden Gesellschaftern vorgelegten Jahresabschluß degeneriert. Verweigert der Kommanditist seine Zustimmung zu dem Jahresabschluß, so kann in einem sich anschließenden Rechtsstreit nur geprüft werden, ob der von den persönlich haftenden Gesellschaftern vorgelegte Jahresabschluß sich innerhalb der durch Gesellschaftsvertrag, Gesetz und gesellschaftsvertragliche Rücksichtnahmepflichten gesteckten Grenzen bewegt.52 Außerdem berücksichtigt diese Auffassung nicht, daß auch die Haftung der Kommanditisten, wenn auch in geringerem Umfange, von der Feststellung des Jahresabschlusses abhängt. Der festgestellte Jahresabschluß bestimmt maßgeblich die persönliche Haftung der Kommanditisten nach § 172 Abs. 1 und Abs. 2 HGB für noch nicht geleistete oder entnommene Kommanditeinlagen, so daß die Kommanditisten ein erhebliches rechtliches Interesse an der Feststellung haben.53 Die Auffassung des OLG Stuttgart und Hopts beinhaltet weiter die Annahme, daß die Interessen der Komplementäre an einer Haftungsbegrenzung gegenüber dem gesetzlichen Gewinnanspruch des Kommanditisten und seinen Haftungsinteressen als vorrangig anzusehen sind. Eine solche Dominanz der Interessen des Komplementärs läßt sich dem HGB jedoch nicht entnehmen.
51 Hopt, Bilanz, Reservenbildung und Gewinnausschüttung bei der OHG und KG, in: Festschrift für Odersky, 1996, S. 799 (807).
52
Hopt, Bilanz, Reservenbildung und Gewinnausschüttung bei der OHG und KG, in: Festschrift für Odersky, 1996, S. 799 (S. 809f.). 53 So schon Buchwald, Die Bilanzen der Personalgesellschaften als Vereinbarungen zwischen den Gesellschaftern, JR 1948, S. 65 (66), hieraufstellen auch der BGH, DB 926 (929) und Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 ab.
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Es ist daher zu begrüßen, daß der BGH54 sich dieser sehr rigorosen Auffassung nicht angeschlossen hat, sondern wie eine im Vordringen befindliche Auffassung im Schrifttum55 nach einer differenzierten Behandlung der Wahlrechte sucht. Als entscheidendes Kriterium für das Mitwirkungsrecht des Kommanditisten sieht es der BGH an, ob die Ausübung des Wahlrechtes in Einklang mit den Grundsätzen ordnungsgemäßer Bilanzierung stehe und daher noch Ausdruck der den Geschäftsführern obliegenden Gewinnermittlung sei oder aber inhaltlich eine allen Gesellschaftern zustehende Maßnahme der Gewinnverwendung darstelle.56 Unter Zugrundelegung dieses Kriteriums kommt der BGH wie das Schrifttums57 zum Ergebnis, daß die Möglichkeit zusätzlicher Abschreibungen nach § 253 Abs. 4 HGB, aber auch die Aufwandsrückstellungen nach § 249 Abs. 1 Satz 3 HGB nicht Teil der Gewinnermittlung und Vermögensdarstellung, sondern eine Maßnahme der Ergebnisverwendung sind. Ihre Ausübung sei daher im Rahmen der Feststellung einer Mitwirkung der Kommanditisten zu unterwerfen. Diese Trennung der Wahlrechte in mitwirkungspflichtige Maßnahmen der Gewinnverwendung und solche der Gewinnermittlung, die der Geschäfits54
DB 1996, S. 926 (929).
55
Vgl Binz/Sorg, Bilanzierungskompetenzen bei der Personengesellschaft, DB 1996, S. 969 (970); Felix, Anm. zu OLG Stuttgart v. 26.10.1994, ZIP 1996, S. 129 (130); Priester, Stille Reserven und offene Rücklagen bei Personenhandelsgesellschaften, in: Festschrift ftlr Quack, 1991, S. 373 (386); Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521); Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207f.; ähnlich auch schon Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 338, der zwar eine Mitwirkung der Kommanditisten bei der Feststellung ablehnt, den Komplementären aber ohne Zustimmung der Kommanditisten die Befugnis zum Legen stiller Reserven durch Unterbewertung versagt. 56
DB 1996, S. 926 (929) ebenso Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521). 57
Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521); ähnlich Priester, Stille Reserven und offene Rücklagen bei Personenhandelsgesellschaften, in: Festschrift für Quack, 1991, S. 373 (386) und Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift ftlr Hefermehl, 1976, S. 207 (216f.) im Ergebnis wohl auch Felix, Anm. zu OLG Stuttgart v. 26.10.1994, ZIP 1996, S. 129 (130), der allerdings einfaches Ermessen, das Teil der Geschäftsführung ist, und bilanzpolitische Grundsatzentscheidungen trennt, ohne allerdings darzulegen, worin sich beide unterscheiden.
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fiihrung zuzurechnen sind, scheint klar und konsequent aus dem gesellschaftsrechtlichen Gewinnanspruch des Kommanditisten hergeleitet. Bei Anwendung auf andere Wahlrechte als dem Recht zu „willkürlichen" Abschreibungen aus § 253 Abs. 4 verliert das Unterscheidungskriterium jedoch an Klarkeit und Eindeutigkeit. So wird etwa im Schrifttum angenommen, daß die vom BGH58 der Ergebnisverwendung zugewiesen steuerlichen Sonderabschreibung Teil der Ergebnisermittlung sind und allein der Geschäftsführung obliegen.59 Diese Unsicherheit des Unterscheidungskriteriums resultiert daraus, daß es sich bei den verwendeten Kategorien der Gewinnermittlung und Gewinnverwendung um betriebswirtschaftlich vorgeprägte Begriffe handelt, die sich nicht eindeutig mit der rechtlichen Natur des handelsrechtlichen Jahresabschluß vereinbaren lassen. Aufgabe der handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften ist es nicht, einen betriebswirtschaftlich richtigen Gewinn zu ermitteln, sondern den Betrag festzulegen, der ohne Beeinträchtigung der schutzwürdigen Interessen der Gläubiger ausgeschüttet werden kann. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist der Jahresabschluß daher keine Gewinnermittlungs- sondern Gewinnverwendungsbilanz.61 Durch die vom Vorsichtsund Imparitätsprinzip geprägten Bewertungsregel des Handelsbilanzrechts wird vermieden, daß noch unsichere oder nicht realisierte Vermögenssteigerungen als Gewinn ausgewiesen und ausgeschüttet werden.62 Diese Prinzipien werden durch die Ansatz- und Bewertungswahlrechte auch nicht durch«0 BGH DB 1996, 926 (929), BGHZ 109, 334 (339f.); ebenso Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2522). 59
So Binz/Sorg, Bilanzierungskompetenzen bei der Personengesellschaft, DB 1996, S. 969 (971), wohl auch Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift für Hefermehl, 1976, S. 207 (223). 60 Ballerstedt, Das Recht des Jahresabschlusses als Beispiel für das Verhältnis zwischen Recht und Wirtschaft, in: Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1979/80 S. 120 (S. 131); Hüffler, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1988, § 242 Rdn. 8; ausführlich Moxter, Bilanzlehre, Band I, Einführung in die Bilanztheorie, 3. Aufl. 1984, S. 17 und Bilanzlehre, Band II, Einführung in das neue Bilanzrecht, 3. Aufl. 1983, S. 93ff., 96ff. 61 Ballerstedt, Das Recht des Jahresabschlusses als Beispiel für das Verhältnis zwischen Recht und Wirtschaft, in: Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1979/80 S. 120 (131); Moxter, Bilanzlehre, Band I, Einführung in die Bilanztheorie, 3. Aufl. 1984, S. 156f.
62
Moxter, Bilanzlehre, Bandii, Einführung in das neue Bilanzrecht, 3. Aufl. 1983, S. 33f.; Münzinger, Bilanzrechtsprechung der Zivil- und Strafgerichte, 1987, S. 18f.
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brochen. Folglich wird durch bilanzielle Wahlrechte nicht ermittelt, welche Vermögensveränderung das Unternehmen tatsächlich erreicht hat. Wahlrechte räumen vielmehr ein Recht ein, zu entscheiden, wieviel des innerhalb der Grenzen des Vorsichts- und Imparitätsprinzips zu ermitteltenden Vermögens durch den Ausweis als Gewinn fur Ausschüttungszwecke zur Verfügung gestellt werden soll. Die Wahlrechte enthalten also immer zugleich eine Verwendungsentscheidung.63 Eine betriebswirtschaftlich geprägte Differenzierung in Gewinnermittlung und Gewinnverwendung läßt sich daher nur schwer mit dem Gewinnbegriff des Handelsrechts und der Natur der Wahlrechte als Vermögensverwendungsentscheidung vereinbaren.64 Sie erscheint zur Klärung der durch rechtliche Wertungen zu entscheidende Frage der Mitwirkungsbefugnisse des Kommanditisten wenig hilfreich. Ahnlich unbefriedigend ist die Heranziehung der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung zur Abgrenzung von Gewinnermittlung und -Verwendung. Unabhängig von der früher sehr umstrittenen Frage der Rechtsnatur65 der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung ist deren Aufgabe darin zu sehen, die handelsbilanziellen Rechnungslegungspflichten zu ergänzen und zu konkretisieren.66 Dies macht es schwer verständlich, wie ein Wahlrecht einerseits vom Gesetzgeber ausdrücklich für handelsbilanzrechtlich zulässig erklärt werden und gleichzeitig gegen die das Handelsbilanzrecht konkretisierenden Grundsätze ordnungsgemäßer Buch-
63
Ähnlich Binz/Sorg, Bilanzierungskompetenzen bei der Personengesellschaft, DB 1996, S. 969 (970). 64
Für das abweichende Verständnis der Gewinnermittlung in der Betriebswirtschaftslehre vgl. auch Gutenberg, Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, in: Raiser (Hrsg.), Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswisssenschaft, Soziologie und Statistik, Berlin 1964, S. 133 (S. 134.), allgemein zur Tauglichkeit betriebswirtschaftlich geprägter Begriffe im Bilanzrecht Beisse, Zum Verhältnis von Bilanzrecht und Betriebswirtschaftslehre, StuW, 1984, S. Iff. 65 Vgl hierzu die knappe Darstellung bei Lang, Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung I, in: Leffson/Rückle/Großfeld, Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB, 1986, S. 221 (232). 66
Lang, Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung I, in: Leffson/Rückle/Großfeld, Handwörterbuch unbestimmter Rechtsbegriffe im Bilanzrecht des HGB, 1986, S. 221 (221); Hüffer, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1988, § 238 Rdn. 37ff., § 243 Rdn. 19; Kupsch, Rechnungslegung, in: Bonner Handbuch der Rechnungslegung, 9. Aufl. 1995, Einführung Β 3, Rdn. 3. Leffson, Die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung, 7. Aufl. 1987, S. 2Iff.; Schulze-Osterloh, Die Rechnungslegung der Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften nach dem Bilanzrichtliniengesetz, ZHR 150 (1986), S. 403 (408f.).
Feststellung des Jahresabschlusses der KG
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fuhrung und Bilanzierung verstoßen kann.67 Die zur Abgrenzung der Gewinnverwendung herangezogene Einstufung ausdrücklich im HGB zugelassener Wahlrechte als Verstoß gegen die das Handelsbilanzrecht konkretisierenden Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung ist in sich widersprüchlich. Sie stellt vielmehr den Versuch dar, die vom Gesetzgeber fur Personengesellschaften abgelehnte Einfuhrung von Bewertungsuntergrenzen zu unterlaufen68 und unterstellt dem Gesetzgeber, mit den Grundsätzen handelsrechtlicher Rechnungslegung nicht zu vereinbarende Gestaltungsrechte kodifiziert zu haben. Gleichzeitig zeigt die Untauglichkeit der Abgrenzung anhand der Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung und Bilanzierung, wie eine wertende Unterscheidung in Gewinnverwendung und Gewinnermittlung getroffen werden kann. Die Forderung nach einer Mitwirkung der Kommanditisten an der Feststellung resultiert, wie oben dargestellt, daraus, daß stille Reserven heute zwar deutlich kritischer gesehen werden als früher, der Gesetzgeber es bei Personenhandelsgesellschaften im Gegensatz zu Kapitalgesellschaften aber unterlassen hat, die Möglichkeit zur Schaffung stiller Reserven einzuschränken. Die Unterscheidung in Gewinnverwendung und Gewinnermittlung dient also dazu, den im Handelsbilanzrecht der Personenhandelsgesellschaften fehlenden Schutz der von Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter durch ergänzende gesellschaftsrechtliche Regelungen zu erreichen.69 Die vom BGH und dem neueren Schrifttum geforderte Beteiligung an der Feststellung hat also ein ähnliches Ziel, wie der 1965 durch Beschränkung der Wahlrechte erreichte Minderheitenschutz im Aktiengesellschaftsrecht. Dies legt es nahe, den von Ulmer70 gemachten Vorschlag der Übernahme aktienrechtlicher Regelungen für eine an dem angestrebten Schutzzweck orientierte Bestimmung So wohl der BGH und insbes. Schulze-Osterloh, Aufstellung und Feststellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses der Kommanditgesellschaft, BB 1995, S. 2519 (2521) und wohl auch ¡mbeck, Umfang und Grenzen kaufmännischer Abschreibungsfreiheit nach § 253 Abs. 4 HGB, BB 1991, S. 1598 (1604). Ähnlich Hüffer, in: Staub, Großkommentar HGB, 4. Aufl. 1988, § 243 Rdn. 24. 69
In diesem Sinne schon Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, S. 335f., der stille Reserven nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zwar für handelsbilanzrechtlich zulässig erachtet, jedoch Grundsätze ordnungsgemäßer Rechnungslegung postuliert, aus denen er deren gesellschaftsrechtliche Unzulässigkeit ohne Zustimmung der Kommanditisten herleitet. 70
Ulmer, Die Mitwirkung des Kommanditisten an der Bilanzierung der KG, in: Strukturen und Entwicklungen im Handels-, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht, Festschrift fllr Hefermehl, 1976, S. 207 (221 f.).
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Helmut Balthasar
beider Begriffe aufzugreifen.71 Eine den Geschäftsführern obliegende Gewinnverwendung läge demnach dann vor, wenn die Wahlrechtsausübung sich im Rahmen der für Kapitalgesellschaften geltenden Regeln hält, eine der Mitwirkung des Kommanditisten unterfallende Gewinnverwendung, wenn von den zusätzlichen Wahlrechten der Personenhandelsgesellschaften Gebrauch gemacht wird. Diese Lösung hätte zudem dem Vorzug für sich, daß sie für die unternehmerische Praxis eine eindeutige und daher auch einfach zu handhabende Abgrenzung zwischen den Mitwirkungsrechten der Kommanditisten und den Geschäftsführungsbefugnissen der Komplementäre ermöglicht.
71
In diese Richtung wohl auch Schulze-Osterloh, Die Rechnungslegung der Einzelkaufleute und Personenhandelsgesellschaften nach dem Bilanzrichtliniengesetz, ZHR 150 (1986), S. 403 (418), der die Schützwürdigkeit externer Kommanditisten bei Publikums-KG's mit der von Aktionären gleichsetzt; ähnlich Martens, in Schlegelberger, HGB, 5. Aufl. 1986, § 167 Rdn. 7f.
Verhaltenspflichten der Kreditinstitute nach dem Wertpapierhandelsgesetz bei der Verwaltung von Wertpapiervermögen PETER BALZER
I. Einleitung Am 1.1.1995 ist das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz1 vollständig in Kraft getreten. Das Gesetz dient der Umsetzung der EG-Insider-Richtlinie,2 der EG-Transparenz-Richtlinie3 sowie von Teilen der EG-Wertpapierdienstleistungsrichtlinie.4 Das Kernstück der mit dem Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz verfolgten gesetzgeberischen Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschland und zur Neuordnung Gesetz über den Wertpapierhandel und zur Änderung börsenrechtlicher und wertpapierrechtlicher Vorschriften (Zweites Finanzmarktförderungsgesetz) v. 26.7.1994, BGBl I, S. 1749ff.; dazu BT-Drucks. 12/6679, 12/7918; BR-Drucks. 793/93, 585/94. Vgl. allg. zum Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz Jütten, Die Bank 1993, 601; Krimphove, JZ 1994, 23; Riepe, DStR 1994, 1236; Weber, NJW 1994, 2849. 2
Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte v. 13.11.1989 (89/592/EWG), ABI. Nr. L 334 v. 18.11.1989, S. 3Off., abgedruckt in Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996, S. 601 ff.; dazu Grunewald, ZBB 1990, 128; v. Rosen, ZKredW 1989, 658; Schödermeier/Wallach, EuZW 1990, 122. 3 Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die bei Erwerb und Veräußerung einer bedeutsamen Beteiligung an einer börsennotierten Gesellschaft zu veröffentlichenden Informationen v. 12.12.1988 (88/627/EWG), ABl. Nr. L 348 v. 17.12.1988, S. 62ff.; abgedruckt in Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 589ff.; dazu Hahn, ZBB 1990, 10. 4 Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften über Wertpapierdienstleistungen v. 10.5.1993 (93/22/EWG), ABl. Nr. L 141 v. 11.6.1993, S. 27ff., abgedruckt in Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, S. 459ff.; dazu Grottke, EuZW 1993, 440; Jentsch, WM 1993, 2189; Schäfer, AG 1993, 389. Die Umsetzung der übrigen Bestimmungen der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie wird im Dritten Finanzmarktförderungsgesetz erfolgen, vgl. Weisgerber/Jütten, Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz, 1995, S. 20; Flach, BI/GF 5/96, 4; Merl, Börsen-Zeitung v. 29.4.1995, S. 17.
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Peter Balzer
der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung von Wertpapiergeschäften 5 bildet das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), das mit den Wohlverhaltensregeln der §§31 - 34 WpHG erstmals gesetzliche Verhaltenspflichten einfuhrt. 6 Das WpHG unterscheidet dabei zwischen allgemeinen (§31 WpHG) und besonderen Verhaltensregeln (§ 32 WpHG), Organisationspflichten (§ 33 WpHG) sowie Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten (§ 34 WpHG). Neben dem ordnungsgemäßen Funktionieren der Kapitalmärkte bezwecken die Wohlverhaltensregeln den Schutz von Kapitalanlegern, die selbst keinen direkten Marktzugang haben und auf die Inanspruchnahme von Personen und Unternehmen angewiesen sind, die sich professionell mit der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen befassen. 7 Die Kunden verfügen auch nicht über eine Position, die ihnen eine Einflußnahme auf die den Wertpapierdienstleistungen zugrunde gelegten Vertragsbedingungen ermöglicht. Mit der Aufstellung und Überwachung der Verhaltensregeln soll allen genannten Risiken fur die Kapitalanleger entgegengewirkt werden.8
II. Anwendbarkeit des WpHG auf die Vermögensverwaltung der Kreditinstitute Die Wohlverhaltensregeln der §§31 - 34 WpHG stellen Pflichten auf, die Wertpapierdienstleistungsunternehmen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen zu beachten haben. Die gesetzliche Definition der Begriffe Wertpapierdienstleistung und Wertpapierdienstleistungsunternehmen ist in Vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz, BT-Drucks. 12/6679, S. 33; Eismann/Schneider, WpHG, 1995, Einl. Rdn. 12; Becker, Das neue Wertpapierhandelsgesetz, 1995, S. 17; Weisgerber/Jütten, Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz, S. 23. 6 Diese sog. Wohlverhaltensregeln (rules of conduct), die bereits im Referentenentwurf des Bundesministeriums der Finanzen vorgesehen waren, sind mit dem Regierungsentwurf zunächst nicht in das WpHG übernommen worden, sondern erst gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens, insbesondere auf Betreiben der Deutschen Bundesbank, wieder aufgenommen worden; vgl. Grimm, WiB 1995, 56; Krimphove, JZ 1994, 23, 27; Weber, NJW 1994, 2849, 2857. Zur Umsetzung der Wohlverhaltensregeln nach der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie vgl. Kalss, ÖBA 1995, 835; Knobl, ÖBA 1995, 741. 7
Weber, NJW 1994, 2849, 2857; Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 1995, Rdn. 8.228ff.; Weisgerber/Jütten, Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz, S. 18, 27. g Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 97; Weber, NJW 1994, 2849, 2857.
Verhaltenspflichten nach dem WpHG bei der Vermögensverwaltung
23
§ 2 Abs. 3 und 4 WpHG erfolgt. Als Wertpapierdienstleistung definiert § 2 Abs. 3 WpHG zunächst die Anschaffung und Veräußerung von Wertpapieren oder Derivaten fur andere sowohl im Wege des Effektenkommissionsgeschäfts als auch des Eigenhandels. Indem die Vorschrift zudem die Vermittlung von Geschäften über die Anschaffung und die Veräußerung von Wertpapieren oder Derivaten als Wertpapierdienstleistung erfaßt, werden auch die Geschäfte derjenigen in den Anwendungsbereich der Wohlverhaltensregeln einbezogen, die nicht selbst als Kommissionäre oder Eigenhändler Effektengeschäfte ausführen, jedoch als freie Anlage- oder Vermögensberater solche Geschäfte anbahnen. Die Vermögensverwaltung, bei der der Verwalter ermächtigt ist, ohne vorherige Rücksprache mit dem Vermögensinhaber Dispositionen über dessen Vermögen vorzunehmen,10 wird danach nicht vom Anwendungsbereich des WpHG erfaßt, obwohl die Wertpapierdienstleistungsrichtlinie in Art. 1 Nr. 1 i.V.m. Anhang Abschnitt A Nr. 3 und Abschnitt Β Nr. 1 a) auch die individuelle Verwaltung von Wertpapierportefeuilles als Wertpapierdienstleistung bezeichnet. Aus dieser Regelungslücke, die erst im Zuge der vollständigen Umsetzung der Wertpapierdienstleistungsrichtlinie durch das Dritte Finanzmarktförderungsgesetz1 geschlossen werden wird, kann aber nicht abgeleitet werden, daß die Vermögensverwaltung der Kreditinstitute derzeit nicht unter Berücksichtigung der Verhaltenspflichten nach §§31 ff. WpHG zu erfolgen hat. Die Schutzfunktion der Verhaltenspflichten gebietet es vielmehr, die Vorschriften bereits jetzt anzuwenden, da sie den Kunden gerade auch bei der Durchführung von Geschäften im Rahmen von Vermögensverwaltungsaufträgen schützen sollen.12 Für
9
¿ssmann/Schneider, WpHG, § 2 Rdn. 18.
10
Schäfer, Handbuch ftlr Anlageberatung und Vermögensverwaltung (hrsg. v. Cramer/Rudolph), 1995, S. 668, 669; Becker/Wicke, Rechtsfragen der Vermögensverwaltung, 1995, S. 7. Der Vermögensverwaltungsvertrag, der den Verwalter verpflichtet, das Vermögen des Anlegers in dessen Interesse zu verwalten und zu mehren, ist auf die Durchführung eines objektiv fremden Geschäfts in fremdem Interesse ausgerichtet. Das Rechtsverhältnis zwischen dem Vermögensverwalter und dem Anleger ist daher nach §§ 675, 611 BGB als Dienstvertrag zu qualifizieren, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat; vgl. BGHZ 45, 223, 229; 46, 268; BGH WM 1962, 675f.; WM 1994, 834, 836 m. Anm. Schäfer, WuB I G 5.-5.94; Tilp, EWiR 1994, 563; Koller, BGH LM BörsG Nr. 35/36; Schönle, Bankund Börsenrecht, 2. Aufl. 1976, S. 291; Schäfer, Vermögensverwaltung, in: Bankrecht und Bankpraxis, 1996, Teil 11, Rdn. 11/18; Balzer, NWB Fach 21, 1225, 1226. 11 Vgl. dazu Weisgerber/Jütten, Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz, S. 20; Flach, BI/GF 5/96, 4; Merl, Börsen-Zeitung v. 29.4.1995, S. 17. 12
Schödermeier, WM 1995,2053; Balzer, NWB Fach 21, 1225, 1227.
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Peter Balzer
den Rückgriff auf die Verhaltenspflichten spricht dabei insbesondere, daß die Ausfuhrungsgeschäfte, die das Kreditinstitut bei der Umsetzung des Vermögensverwaltungsvertrages durch den Erwerb oder die Veräußerung von Wertpapieren tätigt, als Wertpapierdienstleistungen nach § 2 Abs. 3 WpHG dem Anwendungsbereich der §§31 ff. WpHG unterfallen. Da der Anleger, der sein Kreditinstitut nicht nur mit der Ausführung von Effektengeschäften beauftragt, sondern ihm vielmehr sein Vermögen zur Verwaltung anvertraut, in erhöhtem Maße schutzwürdig ist, muß auch die dem Effektengeschäft vorgelagerte Vermögensverwaltung unter Beachtung der Verhaltenspflichten der §§ 31 ff. WpHG erfolgen.13
III. Der Regelungsinhalt der Verhaltenspflichten bei der Verwaltung von Wertpapiervermögen 1. Allgemeine Verhaltenspflichten a) Interessengerechte Verwaltung des Anlegervermögens § 31 Abs. 1 Nr. 1 WpHG verpflichtet das Kreditinstitut, die Vermögensverwaltung im Interesse des Kunden mit der erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit durchzufuhren. Die Vorschrift legt die grundsätzlichen Elemente einer Wertpapierdienstleistung fest14 und begründet einen Sorgfaltsmaßstab, der dem eines ordentlichen Kaufmanns entspricht.15 Ihrem Inhalt nach ist die Vorschrift auf eine Konkretisierung der aus dem Geschäftsbesorgungsverhältnis resultierenden Interessenwahrungspflicht gerichtet.16 Diese Interessenwahrungspflicht beinhaltet, daß der
13 Schödermeier, WM 1995,2053,2054; Schäfer, Haftung flir fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, 2. Aufl. 1995, S. 67f.
14
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 103. 15 Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 69f.; Jütten, Die Bank 1995, 153. 16 Vgl. hierzu Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 8.239, der § 31 Abs. 1 Nr. 1 WpHG als Konkretisierung der kommissionsrechtlichen Interessenwahrungspflicht (§ 384 Abs. 1 HGB) versteht. Da es sich beim Kommissionsvertrag aber letztlich auch um einen Geschäftsbesorgungsvertrag handelt (Staub/Koller, HGB, 4. Aufl. 1986, § 3 8 3 Rdn. 58; HeymmnJHerrmann, HGB, 1990, § 383 Rdn. 6; SchlegelbergerIHefermehl, HGB, 5. Aufl. 1977, § 383 Rdn. 36; Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl. 1995, § 383 Rdn. 6), ist die Vorschrift als allgemeine Ausprägung des Pflichtenkreises aus einer Geschäftsbesorgung zu
Verhaltenspflichten nach dem WpHG bei der Vermögensverwaltung
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Verwalter bei der Ausübung seiner Tätigkeit umfassend die Interessen des Vermögensinhabers zu berücksichtigen und dessen Interessen den eigenen vorzuziehen hat.17 aa)
Konkretisierung der Anlageziele des Kunden durch Anlagerichtlinien
Die Interessenwahrungspflicht des Vermögensverwalters erlangt besondere Bedeutung bei der Umsetzung der Anlagestrategie des Vermögensinhabers. Bei der Festlegung der Anlagestrategie muß der Vermögensinhaber eine Entscheidung zwischen den Anlagezielen Sicherheit (Vermögenserhaltung), Rentabilität (Vermögensmehrung) und Liquidität (Verfügbarkeit des Vermögens) treffen. 18 Die Vereinbarung, welches dieser Anlageziele vorrangig verwirklicht werden soll, erfolgt regelmäßig durch Anlagerichtlinien,19 bei denen es sich um einseitige Weisungen des Anlegers handelt, die fur den Vermögensverwalter verbindlich sind.20 In den Anlagerichtlinien wird dabei insbesondere festgelegt, ob die Anlage renditeorientiert mit Schwerpunkt Rentenpapieren oder wachstumsorientiert mit Schwerpunkt Aktien erfolgen soll. Darüberhinaus sind Vereinbarungen üblich, die sich auf die Zulässigkeit von Termingeschäften, die Inanspruchnahme von Krediten sowie den Umfang der Anlagen in Fremdwährungen beziehen.21 Sofern die Anlagerichtlinien lediglich die Vereinbarung einer konservativen, risikobewußten oder spekulativen Anlagepolitik enthalten,22 bedürfen sie verstehen, so auch Assmann/Schne¡der/Ko//er, WpHG, § 31 Rdn. 9; Fischer/Klanten, Bankrecht, 2. Aufl. 1996, Rdn. 7.18. 17
Schäfer, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 672; Roll, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, 1983, S. 123f. 18
Brunner, Die Vermögensverwaltung deutscher Kreditinstitute im Privatkundengeschäft, 1987, S. 56f.; Obst/Hintner, Geld-, Bank- und Börsenwesen, 39. Aufl. 1993, S. 576; Jendralski/Oehlenschläger, Vermögensverwaltung und -betreuung, 1992, S. 27ff. 19
Eine Pflicht des Kreditinstituts, mit dem Vermögensinhaber Anlagerichtlinien zu vereinbaren, besteht jedoch auch unter der Geltung der Wohlverhaltensregeln nicht; vgl. Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 108; Schödermeier, WM 1995, 2053, 2056; Balzer, NWB Fach 21, 1225, 1229. 20
Roll, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, S. 126f.; Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/34. 21
Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/30; Brunner, Die Vermögensverwaltung deutscher Kreditinstitute im Privatkundengeschäft, S. 56f. 22
Vgl. Than, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung (hrsg. v. Hadding/Hopt/Schimansky), Band 7, 1996, S. 135, 144; Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, 1995, S. 208f.; vgl. auch Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/30.
26
Peter Balzer
zur Bestimmung des Pflichtenkreises des Verwalters der Konkretisierung. Bei einer konservativen Anlagestrategie stehen Substanzerhaltung und Sicherheit der Anlage bei kontinuierlichem Vermögenszuwachs im Vordergrund.23 Das OLG Düsseldorf 24 hat die Vereinbarung einer konservativen Anlagepolitik inhaltlich dergestalt konkretisiert, daß es eine Verpflichtung des Vermögensverwalters angenommen hat, nicht mehr als 30 % des Wertpapierbestandes in Standardaktien und mindestens 70 % in festverzinslichen Wertpapieren anzulegen. Aufgrund des erheblichen Haftungsrisikos, das für das Kreditinstitut bei einer bloß allgemeinen Umschreibung der Anlageziele des Vermögensinhabers hinsichtlich der Bestimmung des Umfangs, in dem die Anlage in einzelnen (Risiko)-Werten noch als pflichtgemäßes Verwalterhandeln zu bewerten ist, besteht,25 sollten im Vermögensverwaltungsvertrag Prozentschwellen fur einzelne Arten von Wertpapieren, die erworben werden dürfen, festgelegt werden.26 Bei der Umsetzung der Anlagerichtlinien hat der Vermögensverwalter das Gebot einer produktiven Verwaltung zu befolgen, d.h. er muß sich um eine optimale Umsetzung der vorgegebenen Ziele bemühen.27 Hierzu ist erforderlich, daß sich der Verwalter die notwendigen Kenntnisse verschafft, die er für die Umsetzung der Anlagepolitik benötigt.28 Der Vermögensverwalter ist weiterhin verpflichtet, im Rahmen der durch die Anlagerichtlinien gesetzten Vorgaben das mit der Vermögensanlage verbundene Risiko durch Diversifikation (Risikostreuung) in größtmöglichem Umfang zu reduzieren.29 Er hat daher eine Verteilung des Vermögens auf verschiedene Anlageobjekte mit unterschiedlichem Risikogehalt vorzunehmen, um so das Risiko für das Gesamtvermögen zu senken.30 Sofern die Anlagerichtlinien nicht ausdrücklich dazu ermächtigen, besteht für den Vermögensverwalter ein Verbot der Spekulation. Spekulation ist dabei aber nicht mit einer risikobehafteten Anlage 23 24
Than, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 135, 144. WM 1991, 94, 95 m. Anm. Schmidt, EWiR 1991, 143.
25
Vgl. hierzu auch OLG Frankfurt WM 1996, 665, 668 m. Anm. Horn/Balzer, EWiR 1996, 589; Jaskulla, WuB I G 1.-8.96. 26 Schödermeier, WM 1995, 2053, 2057; vgl. aber auch die Bedenken bei Schäfer, Haftung fllr fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 110.
27
Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/36; Brunner, Die Vermögensverwaltung deutscher Kreditinstitute im Privatkundengeschäft, S. 59f. 28 Vgl. zur Anlageberatung BGHZ 123, 126, 129; Heinsius, ZBB 1994, 47, 52. 29 30
Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/36. Becker/Wicke, Rechtsfragen der Vermögensverwaltung, S. 15.
Verhaltenspflichten nach dem WpHG bei der Vermögensverwaltung
27
gleichzusetzen. Eine risikobehaftete Anlage ist dem Verwalter jedenfalls dann erlaubt, wenn durch eine Streuung der Anlagen ein überschaubares Risiko für das Gesamtvermögen verbleibt. Demgegenüber liegt eine Spekulation vor, wenn das Verwalterhandeln lediglich auf eine - überwiegend kurzfristig angelegte - Ausnutzung von Preisunterschieden ausgerichtet ist.31 bb)
Interessengerechte Verwaltung bei fehlenden Anlagerichtlinien
Sofern die Vereinbarung von Anlagerichtlinien unterbleibt und dem Vermögensverwalter bei der Verwaltung freies Ermessen eingeräumt wird, ist vom Grundsatz einer ausgeglichenen Anlagepolitik auszugehen. Es besteht dann eine Verpflichtung des Kreditinstituts, bei der Anlage nicht ausschließlich hochriskante Optionsgeschäfte zu tätigen, sondern auf eine angemessene Mischung mit konservativen Anlageformen wie Aktien und festverzinslichen Wertpapieren Wert zu legen.32 Bei der Festlegung von Höchstgrenzen fìir die Anlage in Risikowerten sind neben der Höhe des anvertrauten Vermögens33 auch die Risikoneigung des Vermögensinhabers und seine finanziellen Verhältnisse zu berücksichtigen.34 Eine angemessene Mischung ist jedenfalls dann gegeben, wenn maximal 10 % des anzulegenden Kapitals in Optionsgeschäfte investiert wird.35 b) Vermeidung
von
Interessenkonflikten
Das Kreditinstitut hat sich weiterhin um die Vermeidung von Interessenkonflikten zu bemühen und dafür zu sorgen, daß bei unvermeidbaren Interessenkonflikten die Vermögensverwaltung unter der gebotenen Wahrung des Kundeninteresses durchgeführt wird (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). Die Vorschrift 31
Vgl. Than, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 135, 144f.; Büschgen, Das kleine Bank-Lexikon, 1992, S. 1445; siehe auch das Formular nach §§ 31, 34 WpHG zur Dokumentation der Kundenangaben in der Anlageberatung bei Scharrenberg, Sparkasse 1995, 108, 110. 32
BGH WM 1994, 834, 836 m. Anm. Schäfer, WuB I G 5.-5.94; Tilp, EWiR 1994, 563; Koller, BGH LM BörsG Nr. 35/36; OLG Hamm WM 1996, 669, 670, dazu Horn/Balzer, EWiR 1996, 499; OLG Frankfurt WM 1996, 665, 668, dazu Horn/Balzer, EWiR 1996, 589. 33
Vgl. dazu OLG Hamm WM 1996, 669, 670.
34
Horn/Balzer, EWiR 1996, 499, 500; vgl. auch OLG Frankfurt WM 1996, 665, 668.
35
So Schwintowski, ZIP 1988, 1021, 1026 für die Anlageberatung; vgl. aber auch OLG Hamm WM 1996, 669, 670, das bei einem "mittleren Vermögen" die Anlage von 20 % in Optionsscheinen als nicht pflichtwidrig erachtet, dazu Horn/Balzer, EWiR 1996, 499; ebenso OLG Frankfürt WM 1996, 665, 668 m. krit. Anm. Horn/Balzer, EWiR 1996, 589.
28
Peter Balzer
bezieht sich sowohl auf Interessenkonflikte zwischen dem Kreditinstitut und jedem einzelnen Kunden als auch auf Konflikte zwischen den einzelnen Kunden.36 § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG fordert dabei keine absolute Vermeidung von Interessenkonflikten durch Abstandnahme von den konfligierenden Geschäften, sondern lediglich eine relative Vermeidung, die auf eine weitestmögliche Abmilderung von Konfliktsituationen gerichtet ist.37 Ein Interessenkonflikt entsteht immer dann, wenn mehrere Personen an 38
der Realisierung einer Geschäftschance interessiert sind. Im Verhältnis zum Vermögensinhaber können Konflikte dann auftreten, wenn das Kreditinstitut ein Interesse am Absatz von Wertpapieren hat, die es selbst oder eine mit ihm verbundene Gesellschaft emittiert hat.39 Auch bei der Veräußerung von Investmentanteilen ihm nahestehender Kapitalanlagegesellschaften kann ein Eigeninteresse des Kreditinstituts bestehen.40 Als Instrument zur Vermeidung dieser Interessenkonflikte kommen organisatorische Maßnahmen in Betracht, indem insbesondere Emissionsabteilung und Vermögensverwaltung räumlich getrennt werden.41 Zwischen verschiedenen Kunden kann ein Interessenkonflikt entstehen, wenn der Verwalter für mehrere Depots die gleichen Wertpapiere erwerben will, der Auftrag aufgrund der Marktsituation aber nur zum Teil ausgeführt wird, so daß sich das Problem stellt, welchem Kunden die Ausführungsergebnisse zugeordnet werden.42 Da das Kreditinstitut keinen Kunden bevorzugen darf, ist bei der Ausführung gleichartiger Aufträge grundsätzlich die zeit-
36 Assmann/Schneider/A"o//e?·, WpHG, § 31 Rdn. 27; a.A. Kumpel, WM 1995, 689, 690, der lediglich auf die Interessenwahrung gegenüber der Gesamtheit der Kunden abstellt. 37
Assmann/Schneider/Xo/Zer, WpHG, § 31 Rdn. 30ff.
38
Assmann/Schneider/A"o//e/·, WpHG, § 31 Rdn. 26.
39 40
Vgl. Kümpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 8.242. Assmann/Schneider/Xo/fer, WpHG, § 31 Rdn. 64.
41
Assmann/Schneider/A"o//er, WpHG, § 31 Rdn. 65, § 33 Rdn. 17ff. Im Hinblick auf die Konfliktvermeidung durch Organisation wird § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG durch § 33 Nr. 2 WpHG konkretisiert (Assmann/Schneider/Ko/fer aaO Rdn. 46; a.A. Schäfer, AG 1993, 389, 393, demzufolge § 33 Nr. 2 WpHG auf die strukturellen und § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG auf die geschäftsbedingten Interessenkonflikte bezogen ist). Zur Organisationspflicht nach § 33 Nr. 2 WpHG vgl. unten III.3.b). 42
Vgl. zu möglichen Interessenkonflikten bei der Vermögensverwaltung Assmann7Schneider//wo//er, WpHG, §31 Rdn. 76ff.; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, 1975, S. 478ff.
Verhaltenspflichten nach dem WpHG bei der Vermögensverwaltung
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liehe Reihenfolge ihrer Erteilung einzuhalten. 43 Bei der Vermögensverwaltung würde dies allerdings bedeuten, daß stets der Kunde bevorzugt wird, der zuerst den Vermögensverwaltungsauftrag erteilt hat. 44 Da die Priorität somit als Mittel zur Konfliktbewältigung bei der Vermögensverwaltung ungeeignet ist, muß vielmehr das Ergebnis der gemeinsamen Erledigung des Auftrags pro rata auf die verschiedenen Kunden verteilt werden. 45 Als Mittel zur Konfliktvermeidung kommt weiterhin die Aufklärung des Vermögensinhabers über mögliche Interessenkonflikte in Betracht. Als Folge dieser Aufklärung kann der Kunde seine Interessen in einer Weise strukturieren, die die Möglichkeit eines Interessenkonfliktes entfallen läßt. Der Vermögensinhaber kann sich z.B. damit einverstanden erklären, daß sein Depot zusammen mit denen anderer Kunden nach bestimmten Anlagegrundsätzen verwaltet wird. Eine interessengerechte Anlageentscheidung liegt in diesen Fällen bereits dann vor, wenn sie in Übereinstimmung mit den Anlagegrundsätzen getroffen wird, ohne daß aber die Interessen der einzelnen Kunden maßgeblich sind 46 c) Nachforschungspflichten zur Person des Kunden Eine interessengerechte Durchführung der Vermögensverwaltung setzt voraus, daß sich das Kreditinstitut hinreichende Kenntnisse über die Anlageziele und die Risikoneigung des Kunden verschafft. § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG enthält daher die Verpflichtung des Vermögensverwalters, von seinen Kunden Angaben über ihre Erfahrungen oder Kenntnisse in Geschäften, die Gegenstand der Vermögensverwaltung sein sollen, über ihre mit den Geschäften verfolgten Ziele und über ihre finanziellen Verhältnisse zu verlangen. Die vom Kunden erhaltenen Gesamtinformationen sollen das Kreditinstitut in die Lage versetzen, eine auf seine persönlichen Verhältnisse zugeschnittene Vermögensverwaltung zu empfehlen. 47 Bei der Ermittlung der Erfahrungen und Kenntnisse muß das Kreditinstitut überprüfen, ob der Kunde Tragweite und wirtschaftliche Risiken der Geschäfte einschätzen kann, die nach dem Vermögensverwaltungsvertrag vor43
Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 8.241; Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 485. 44 Assmann/Schneider/Xo/fer, WpHG, § 31 Rdn. 78. 45
46
Vgl. Assmann/Schneider/Kotfer, WpHG, § 31 Rdn. 60. Assmann/Schneider/Xo//er, WpHG, § 31 Rdn. 22 m.N.
47
Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 103; Schödermeier, WM 1995, 2053,2058.
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genommen werden sollen.48 Eine solche Überprüfung setzt zunächst voraus, daß der Vertrag eine möglichst genaue Festlegung der zu tätigenden Geschäfte enthält. Sieht der Vertrag eine in das freie Ermessen gestellte Vermögensverwaltung vor, ist das Kreditinstitut verpflichtet, eine umfassende Erforschung der Erfahrungen und Kenntnisse des Anlegers vorzunehmen.49 Erfahrungen des Kunden i.S. von § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG sind dann anzunehmen, wenn dieser bereits Wertpapiergeschäfte getätigt hat, die hinsichtlich ihrer Risikostruktur identisch oder jedenfalls vergleichbar mit denjenigen sind, die nach dem Vermögensverwaltungsvertrag vorgenommen werden sollen.50 Anhaltspunkte über den Erfahrungs- und Kenntnisstand des Kunden können sich insbesondere aus seinem erlernten und ausgeübten Beruf sowie aus seinem Ausbildungsstand ergeben.51 Bei der Ermittlung des Wissensstandes kann das Kreditinstitut die Erkenntnisse zugrundelegen, die es aus einer langjährigen Geschäftsbeziehung mit dem Kunden gewonnen hat.52 Die Erforschung der Anlageziele bezieht sich sowohl auf die Zwecke, die der Kunde mit der Anlage verfolgt, als auch auf seine Einstellung zu den darin enthaltenen Risiken.53 Sie ist die Voraussetzung dafür, daß durch Anlagerichtlinien die Ziele des Vermögensinhabers konkretisiert werden können.54 Die Risikoeinstellung des Kunden, die im wesentlichen die Persönlichkeit des Anlegers im Hinblick auf das von ihm kalkulierte und bewußt eingegangene Risiko beschreibt, wird üblicherweise in die Kategorien konservativ, risikobewußt und spekulativ unterteilt.55 Hiervon zu unterscheiden ist die Motivation des Kunden, die dem Abschluß des Vermögensverwaltungsvertrages zugrundeliegt.56 Sofern die Vermögensverwaltung etwa der 48
Vgl. Weber, NJW 1994, 2849, 2857; Schödermeier, WM 1995,2053, 2056.
49
Schödermeier, WM 1995,2053,2056.
50
Vgl. Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 206.
51
Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 206; vgl. auch OLG Frankfurt ZIP 1993, 1855, 1858. 52 BGHZ 123, 126, 129; vgl. auch Heinsius, ZHR 145 (1981), 177, 191. 53
Assmann/Schneider/Ko/fer, WpHG, § 31 Rdn. 84; Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 208f. 54 55
Vgl. dazu oben III. 1 .a)aa). Scharrenberg, Sparkasse 1995, 108, 109; vgl. auch Schlotthauer, Sparkasse 1994, 434,
435. 56 Vgl. Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 209; siehe auch das Formular nach §§ 31, 34 WpHG zur Dokumentation der Kundenangaben in der Anlageberatung bei Scharrenberg, Sparkasse 1995, 108, 110.
Verhaltenspflichten nach dem WpHG bei der Vermögensverwaltung
31
Alterssicherung dient, muß der Verwalter die Auswahl der Anlagen insbesondere darauf überprüfen, ob sie bezüglich Laufzeit, Liquidierbarkeit und Sicherheit des Zuflusses an Rendite dieser Zielsetzung entsprechen.57 Die Pflicht, Informationen über die finanziellen Verhältnisse des Kunden einzuholen, soll dem Kreditinstitut die Beurteilung ermöglichen, ob die gewählte Anlagestrategie seinen Vermögensverhältnissen entspricht oder ob sie den Kunden gefährdet und deshalb ein besonderer Bedarf an zweckdienlichen 58
Informationen besteht. Das Kreditinstitut muß bei der Ermittlung der Risikofahigkeit des Kunden überprüfen, ob dieser in der Lage ist, etwaige Verluste aus der gewählten Anlagestrategie durch sein Vermögen zu kompensieren, ohne seine Lebensumstände einschneidend ändern zu müssen.59 Für diese Beurteilung können neben der eigentlichen Einkommens- und Vermögenssituation auch hiermit eng zusammenhängende Umstände wie Alter, berufliche Stellung, Personenstand und Familienverhältnisse herangezogen werden.60 Das Kreditinstitut kann sich bei der Erfragung der finanziellen Verhältnisse mit "Circa-Angaben" begnügen, wenn dies für die Beurteilung, ob die gewählte Anlagestrategie der Vermögenssituation entspricht, ausreicht.61 Um dem Schutzgedanken des § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG Rechnung zu tragen, sollten die Kundenangaben in angemessenen Zeitabständen aktualisiert werden.62 Ändert sich die Anlagestrategie des Kunden, ist das Kreditinstitut verpflichtet, die Kenntnisse und die Risikoeinschätzung des Kunden neu zu erforschen.63 Bei einer Weigerung des Kunden, die nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG erforderlichen Angaben mitzuteilen, hat das Kreditinstitut zu prüfen, ob nicht
57
Assmann/Schneider/Kotfer, WpHG, § 31 Rdn. 84.
58
Assmann/Schneider/Âo/fer, WpHG, § 31 Rdn. 85; vgl. auch Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 436ff.; Heinsius, ZHR 145 (1981), 177,189f. 59 Schödermeier, WM 1995, 2053, 2058; Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 207. 60 Assmann/Schneider/ATo/Zer, WpHG, § 31 Rdn. 85; Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/32; Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 208; einschränkend Scharrenberg, Sparkasse 1995, 108, 111. 61
Jütten, Die Bank 1995,221,222; Schödermeier,
WM 1995, 2053, 2058.
62
Jütten, Die Bank 1995, 221, 222; Scharrenberg, Sparkasse 1995, 108, 112; Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 213; vgl. auch Schödermeier, WM 1995, 2053,2058, der eine jährliche Überprüfung für angemessen hält. 63
Schödermeier,
WM 1995, 2053, 2058; Jütten, Die Bank 1995, 221, 222.
32
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auch ohne die Informationen sein Anlegerprofil bestimmt werden kann. 64 Eine Verpflichtung des Kreditinstituts, die Eingehung des Geschäfts mit dem Kunden abzulehnen, besteht hingegen nicht, 65 aus haftungsrechtlichen Gründen sollte die Vermögensverwaltung jedoch unter weitgehender Risikominimierung durchgeführt werden. 66 d) Informations- und Aufldärungspflichten Nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG hat das Kreditinstitut dem Vermögensinhaber alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen. Der Informationspflicht unterfallen dabei alle Einzelheiten, die für die Anlageentscheidung des Kunden wesentlich sind. 67 Den Vermögensverwalter trifft eine Aufklärungs- und Beratungspflicht insbesondere bei der Vereinbarung von Anlagerichtlinien, wobei zur Bestimmung des Umfangs dieser Pflicht die zur Anlageberatung entwickelten Grundsätze heranzuziehen sind. 68 Die Informationspflicht des Vermögensverwalters bezieht sich dabei auf die allgemeinen Merkmale der nach den Anlagerichtlinien in Betracht kommenden Anlagen, wobei im Vordergrund das mit den Wertpapieren verbundene Risiko sowie die Erwerbsund Wachstumsaussichten stehen. 69 Der Vermögensverwalter hat den Anleger weiterhin über die möglichen Konsequenzen der von ihm gewählten Anlagestrategie aufzuklären. Da infolge der Dispositionsbefugnis des Verwalters diesem die Entscheidung über die konkrete Anlage obliegt, genügt er seiner Aufklärungspflicht bereits dann, wenn er dem Kunden die grundsätzli64
Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 124.
65
Schäfer, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 675; einschränkend A s s m a n n / S c h n e i d e r / W p H G , § 31 Rdn. 92; vgl. auch Hopt, Der Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 423; Heinsìus, ZHR 145 (1981), 177, 187f. 66
Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/32.
67
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 103; Assmann/Schneider/Ko/Zer, WpHG, § 31 Rdn. 104; vgl. auch Schäfer, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 676. 68 Vgl. dazu BGHZ 123, 126, 128ff.; Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 36ff.; Heinsius, ZBB 1994, 47, 52ff.; Arendts, ÖBA 1994, 251, 253ff. 69 Schäfer, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 676; einschränkend ders., Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/32; a.A. Assmann/SchneidenXo/fer, WpHG, § 31 Rdn. 142, der § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG bei der Vermögensverwaltung nicht anwenden will, da der Kunde keine eigene Anlageentscheidung trifft; vgl. auch OLG Frankfurt WM 1996, 665, 667, das eine vorvertragliche Aufklärungspflicht beim Abschluß von Vermögensverwaltungsverträgen nur in engen Ausnahmefällen annimmt. 70
Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/32.
Verhaltenspflichten nach dem WpHG bei der Vermögensverwaltung
33
chen Risiken, die sich aus der Festlegung auf eine bestimmte Anlagestrategie ergeben, aufzeigt.71 Sofern das Kreditinstitut nicht über alle zweckdienlichen Informationen verfugt, die für die Anlageentscheidung des Kunden wesentlich sind, kann es sich der Pflicht aus § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG nicht durch einen Hinweis entledigen, daß es lediglich beschränkte oder gar keine Informationen besitzt.72 e) Einschränkung der Nachforschungs-, Informations- und A ufldärungspflichten Die Nachforschungs-, Informations- und Aufklärungspflichten des Kreditinstituts bestehen nur in dem Maße, wie dies zur Wahrung der Interessen des Kunden und im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich ist (§31 Abs. 2 a.E. WpHG). Bei der Bestimmung des Umfangs der Verhaltenspflichten sind neben dem Risikogehalt des Geschäfts auch die individuellen, in der Person des Kunden liegenden Umstände zu berücksichtigen.73 Die Verpflichtung des Kreditinstituts aus § 31 Abs. 2 Nr. 1 und 2 WpHG entfallt daher, wenn eine Schutzbedürftigkeit des Vermögensinhabers nicht gegeben ist.74 Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Kunde bereits professionell bestimmte Formen von Wertpapier- oder Devisengeschäften getätigt hat oder seinen Risikobereich, auch wenn es sich hierbei um eher risikoarme Produkte handelt, nicht verläßt.75 Demgegenüber erhöhen sich die Befragungs- und Aufklärungspflichten in dem Maße, in dem in der Person des Kunden oder im Anlageprodukt Risiken erkennbar werden. 76 Dies ist etwa der Fall, wenn der Abschluß des Vermögensverwaltungsvertrages mit einem Neukunden erfolgt oder sich die Verwaltung auch auf Anlageformen erstrecken soll, die gegenüber bisherigen Anlagen des Kunden mit einem höheren Risikogehalt behaftet sind. Die Befragung sollte dabei umso 71 Balzer, NWB Fach 21, 1225, 1229; wohl auch Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 11 Of. 72
Assmann/Schneider/Ko/fe/·, WpHG, § 31 Rdn. 110; a.A. Kumpel, WM 1995, 689, 691.
73
Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 204; Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 8.249; Scharrenberg, Sparkasse 1995, 108, 109; vgl. auch Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 103f. 74 Assmann/Schneider/Ko/fe/·, WpHG, § 31 Rdn. 120 m.w.N. 75
Scharrenberg, Sparkasse 1995, 108, 109; Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 204; Raeschke-Kessler, WM 1993, 1830, 1833. 76 Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 205.
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detaillierter erfolgen, je risikoträchtiger Volumen und Art des jeweiligen Geschäfts in bezug auf die Erfahrungen und Kenntnisse des Kunden oder dessen finanzielle Leistungsfähigkeit sind.77 2. Besondere
Verhaltenspflichten
Mit den besonderen Verhaltenspflichten des § 32 Abs. 1 Nr. 1 - 3 WpHG ist eine Zusammenstellung von Fallgruppen erfolgt, die ein unzulässiges Verhalten des Vermögensverwalters zum Inhalt haben. Die Verhaltenspflichten knüpfen dabei an § 1 der Händler- und Beraterregeln78 an79 und normieren einen Mindeststandard i.S. des § 31 Abs. 1 und 2 WpHG, indem sie Ausschnitte aus dem Bereich dieser Vorschrift regeln.80 Den Fallgruppen des § 32 Abs. 1 WpHG ist gemeinsam, daß die Motivation fur die Vornahme einer Vermögensverwaltungshandlung nicht durch das Interesse des Vermögensinhabers, sondern ausschließlich durch fremde Interessen bestimmt ist.81 § 32 Abs. 1 Nr. 1 WpHG verbietet die Empfehlung des An- oder Verkaufs von Wertpapieren, wenn dies nicht mit den Interessen des Kunden übereinstimmt. Die Vorschrift findet auch auf die Handlungen des Vermögensverwalters Anwendung, in denen er nicht lediglich Empfehlungen ausspricht, sondern aufgrund der ihm vertraglich eingeräumten Befugnis selbst Anlageentscheidungen trifft und umsetzt.82 Ein Verstoß gegen die Kundeninteressen liegt regelmäßig beim sog. "scalping" vor, d.h. bei Käufen oder Verkäufen für das Kundenportfolio, um die eigenen Bestände in diesen Papieren zu erhöhen oder zu verringern.83 Unzulässig ist auch ein häufiges Kaufen oder Verkaufen von Wertpapieren ausschließlich oder überwiegend zum Zweck der Erzielung
77
Scharrenberg, Sparkasse 1995, 108, 109; Lang, Aufklärungspflichten bei der Anlageberatung, S. 205. 78 Vgl. dazu Baumbach/Hopt, HGB, Anhang (17) Rdn. 1. Bei den Händler- und Beraterregeln handelt es sich nicht um Rechtsnormen, sondern um Vorschriften, die aufgrund von Anerkennungsverträgen des Beraters mit dem ihn beschäftigenden Kreditinstitut gelten (Baumbach/Hopt aaO). 79
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 104. CO Assmann/Schneider/Ao/fer, WpHG, § 32 Rdn. 1. 81
82
Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/38. Schäfer, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 678.
83
Vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 104.
Verhaltenspflichten nach dem WpHG bei der Vermögensverwaltung
35
von provisionspflichtigen Umsätzen, da dieses sog. "Drehen" nicht der Umsetzung einer Anlagestrategie im Interesse des Vermögensinhabers dient.84 § 32 Abs. 1 Nr. 2 untersagt die Durchführung von An- und Verkäufen von Wertpapieren zu dem Zweck, für Eigengeschäfte des Vermögensverwalters die Preise in eine bestimmte Richtung zu lenken. Die Vorschrift enthält eine Konkretisierung von § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG, der auf den Vorrang des Kundeninteresses abstellt.85 Die Verhaltenspflicht des § 32 Abs. 1 Nr. 2 WpHG erfaßt insbesondere Marktmanipulationen durch das sog. "Auskaufen" und "Abladen" von Wertpapieren. Ein solches Verhalten liegt vor, wenn der Vermögensverwalter Käufe bzw. Verkäufe für ein Portfolio vornimmt, um aus seinem Eigenbestand Wertpapiere kursschonend piazieren zu können bzw. ohne Hervorrufung von Kursreaktionen Wertpapiere zu erwerben.86 § 32 Abs. 1 Nr. 3 WpHG verbietet dem Vermögensverwalter, Eigengeschäfte in Kenntnis von demnächst von ihm für einen Anleger vorzunehmenden Käufen oder Verkäufen von Wertpapieren vorzunehmen, die Nachteile für den Vermögensinhaber zur Folge haben können. Die Vorschrift untersagt damit insbesondere das sog. Vor- oder Mitlaufen ("front running"), bei dem sich der Vermögensverwalter vor Ausführung einer größeren Anzahl von Geschäften für Anleger, die steigende Kurse erwarten lassen, rasch selbst eindeckt.87 Das Verbot erstreckt sich auch auf das sog. Gegenlaufen, bei dem der Vermögensverwalter die unterschiedlichen Limits, die er bei der Vornahme von Käufen und Verkäufen für den Vermögensinhaber stellt, gezielt durch Gegenorders abschöpft.88 3.
Organisationspflichten
a) Anforderungen an die
Unternehmensausstattung
§ 33 Nr. 1 WpHG beinhaltet die Verpflichtung des Kreditinstituts, die für eine ordnungsgemäße Durchführung der Vermögensverwaltung notwendigen 84
Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/38; ders., Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 678; vgl. auch Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl. 1981, Rdn. 2422. 85
86
Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 71. Schäfer, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 678.
87
Schäfer, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 678; vgl. auch Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 8.282; ders., WM 1993, 2025, 2027; Hopt, Der oo Kapitalanlegerschutz im Recht der Banken, S. 487fF. Vgl. Assmann/Schneider/Xb/Zer, WpHG, § 32 Rdn. 11 m.N.
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Mittel und Verfahren vorzuhalten und wirksam einzusetzen. Der Umfang der Organisationspflicht hängt dabei insbesondere von der Komplexität und Beratungsintensität der durchgeführten Wertpapiergeschäfte ab. 89 In sachlicher Hinsicht genügt das Kreditinstitut seiner Organisationspflicht, wenn es die nötigen Vorkehrungen für eine angemessene Vermögensverwaltung trifft, wozu insbesondere der Zugang zu Zeitungen, Kurs- und Börsenblättern, Börsenbriefen, Hauptversammlungsberichten und Bilanzen, elektronischen Medien (Reuters, Telerate), Research-Material sowie Veröffentlichungen von Rating-Agenturen gehören.90 Um sicherzustellen, daß der Verwalter seine vertraglichen Pflichten erfüllen kann, muß das Kreditinstitut die für die Vermögensverwaltung erforderlichen Informationen und Publikationen zeitnah beschaffen und für die Weiterleitung an den zuständigen Mitarbeiter Sorge tragen.91 Da die Organisationspflicht auch dazu dient, Schädigungen der Kunden zu vermeiden,92 muß sichergestellt werden, daß das Vermögen des Anlegers getrennt vom Vermögen des Kreditinstituts und den Vermögen anderer Anleger verwahrt wird.93 In personeller Hinsicht beinhaltet die Organisationspflicht nach § 33 Nr. 1 WpHG, daß das Kreditinstitut für eine ständige Aus- und Fortbildung seiner Mitarbeiter Sorge zu tragen hat.94 Sofern sich die Vertragspflichten des Kreditinstituts auch auf die Berücksichtigung steuerlicher Aspekte beziehen,95 ist der zuständige Mitarbeiter zudem über Ände-
89
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 105; vgl. auch Weber, NJW 1994, 2849, 2857. 90 Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/28. 91
Vgl. Arendts, ÖBA 1994, 251, 255.
92
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 105. 93
Zutreffend weist Schäfer, Bankrecht und Bankrecht, Rdn. 11/28 Fn. 1 daraufhin, daß bei der Verwaltung von Wertpapiervermögen diese Organisationspflicht regelmäßig durch die Verpflichtungen aufgrund des DepotG überlagert wird. 94 Vgl. zur Anlageberatung Heinsius, ZHR 145 (1981), 177, 191; Arendts, WM 1993, 229, 234. 95
Eine solche Verpflichtung ist indes nur in Ausnahmefallen gegeben. Sie kann z.B. angenommen werden, wenn der Vermögensverwaltungsvertrag ausdrücklich vorsieht, daß das Kreditinstitut bei der Umsetzung der Anlageentscheidungen die einkommensteuerrechtlichen Auswirkungen des § 23 EStG zu beachten hat. Zu weit geht es aber, stets eine Verpflichtung des Kreditinstituts zur Berücksichtigung steuerlicher Effekte der Verwaltung beim Kunden anzunehmen, so auch Schödermeier, WM 1995, 2053, 2057; unklar Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/32; Roll, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, S. 124.
Verhaltenspflichten nach dem WpHG bei der Vermögensverwaltung
37
rangen der gesetzlichen Rahmenbedingungen zu unterrichten.96 Das Kreditinstitut muß schließlich sicherstellen, daß der einzelne Mitarbeiter über die Rechtsprechung, die für die Durchführung der Vermögensverwaltung von Bedeutung ist,9 informiert wird. b) Anforderungen an die Unternehmensorganisation Das Kreditinstitut muß weiterhin so organisiert sein, daß bei der Vermögensverwaltung Interessenkonflikte zwischen ihm und dem Kunden oder Interessenkonflikte zwischen verschiedenen Kunden möglichst gering sind (§33 Nr. 2 WpHG). Die hiernach vorzunehmenden Maßnahmen betreffen sowohl die 98
Ablauf- als auch die Aufbauorganisation. Zur Vermeidung der Interessenkonflikte bietet es sich an, Vertraulichkeitsbereiche zu schaffen, durch die ein Ausnutzen von Geschäftschancen durch unzuständige Stellen verhindert werden kann.99 Hierbei handelt es sich regelmäßig um die organisatorische Trennung von einzelnen Geschäftsbereichen durch sog. Chinese Walls, so daß ein ungehinderter Informationsfluß nur im jeweiligen Geschäftsbereich möglich und der Austausch zwischen einzelnen Bereichen nach dem Erforderlichkeitsmaßstab geregelt ist.100 c) Erfordernis interner Kontrollverfahren Das Kreditinstitut muß schließlich über angemessene interne Kontrollmaßnahmen verfugen, die geeignet sind, Verstößen gegen Verpflichtungen nach dem WpHG entgegenzuwirken (§ 33 Nr. 3 WpHG).101 Um dieser Organisati96
BGH WM 1964, 609; Arendts, ÖBA 1994,251, 255.
97
Vgl. etwa OLG Frankfurt WM 1996, 665, 668 und OLG Hamm WM 1996, 669, 670, die ausgehend von der Vertragspflicht des Vermögensverwalters, den Grundsatz der Risikostreuung zu wahren, Höchstgrenzen von 20 % für die Anlage in Optionsscheinen aufgestellt haben. 98
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 105. Als Ablauf- oder Prozeßorganisation bezeichnet man den Bereich der Bankorganisation, der sich auf die Strukturierung der Geschehensabläufe im Kreditinstitut (vor allem den Geschäftsablauf und dessen Abwicklung) bezieht, wogegen sich die Aufbau- oder Strukturorganisation im wesentlichen auf institutionelle Fragen (wie z.B. die Gliederung in aufgabenteilige Einheiten und deren Koordination) erstreckt, vgl. Büschgen, Das kleine Bank-Lexikon, S. 1 lf., 72. 99 Assmann/Schneider/AMer, WpHG, § 33 Rdn. 17. 100 101
Fischer/Klanten, Bankrecht, Rdn. 7.22; vgl. auch Dingeldey, RIW 1983, 81.
Vgl. auch Assmann/Schneider/A'o//er, WpHG, § 33 Rdn. 31, der als angemessenes internes Kontrollverfahren nach § 33 Nr. 3 WpHG insbesondere eine Regelung für persönliche
38
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onspflicht zu genügen, reicht die lediglich einmalige Einrichtung entsprechender Verfahren und organisatorischer Maßnahmen nicht aus, vielmehr muß durch die internen Kontrollverfahren sichergestellt sein, daß das Kreditinstitut die gesetzlichen Verpflichtungen fortwährend einhält. 102 Als den gesetzlichen Vorgaben entsprechendes Kontrollverfahren kommt insbesondere die Schaffung und der Ausbau einer sog. Compliance-Organisation in Betracht.103 Hierbei handelt es sich um ein weites Spektrum an Vorkehrungen und Maßnahmen, das der Konfliktsteuerung und -kontrolle dient und von der Aufstellung von Regeln und Richtlinien für das Wertpapiergeschäft, der Überwachung der Orderausfuhrung bis zu einem vollständigen Verbot von Mitarbeitergeschäften reicht. 104 Ein internes Kontrollinstrument nach § 33 Nr. 3 WpHG stellen auch die "Leitsätze für das Mitarbeitergeschäft" dar,105 die vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen verlautbart worden sind. 106 Auf ihrer Grundlage haben die Kreditinstitute zum Schutz des Anlegers und zur Vermeidung von Interessenkonflikten Regelungen über Mitarbeitergeschäfte getroffen, die im Verhältnis zu den Mitarbeitern auf arbeitsvertraglicher Basis in Kraft gesetzt worden sind. Die Leitsätze beinhalten insbesondere verbindliche Regeln für
Transaktionen der Mitarbeiter des Wertpapierdienstleistungsuntemehmens ansieht. Entgegen dem Wortlaut von § 33 Nr. 3 WpHG, der von den privaten Geschäften der Mitarbeiter nur Transaktionen unter Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot (§ 14 WpHG) oder die Gebote des § 32 Abs. 2 WpHG erfaßt, will Assmann/Schneider/Ab/fer aaO die Kontrolle der Mitarbeitertransaktionen auf alle Geschäfte beziehen, bei denen zugunsten der Mitarbeiter manipuliert werden kann. 102 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 105. 103 Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 8.287; Assmann, AG 1994, 237, 255ff. 104 Eisele, WM 1993, 1021, 1023ff.; Than, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 135, 154ff. Indem sich die Funktion der Compliance-Organisation nicht nur auf die Durchführung von Kontrollmaßnahmen beschränkt, sondern vielmehr auch organisatorische Maßnahmen beinhaltet, weist sie zudem Berührungspunkte zu § 33 Nr. 2 WpHG auf, vgl. Fischer/Klanten, Bankrecht, Rdn. 7.22. 105 Kumpel, WM 1994, 229, 232; Becker, Das neue Wertpapierhandelsgesetz, S. 111. 106
Verlautbarung des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen über Anforderungen an Regelungen der Kreditinstitute ftlr Mitarbeitergeschäfte vom 30.12.1993 (V 3-Gr 2/91), abgedruckt bei Consbruch/Möller/Bähre/Schneider, Gesetz über das Kreditwesen mit verwandten Gesetzen und anderen Vorschriften, Textsammlung, Stand 1.7.1995, Abschnitt 19.04.
Verhaltenspflichten nach dem WpHG bei der Vermögensverwaltung
39
Wertpapiergeschäfte, die der Mitarbeiter außerhalb seiner dienstlichen Aufgabenstellung für eigene Rechnung oder für Rechnung Dritter tätigt. 107 4. Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten Nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 WpHG müssen bei der Erbringung von Wertpapierdienstleistungen der Auftrag und hierzu erteilte Anweisungen des Kunden sowie die Ausführung des Auftrags aufgezeichnet werden. Die Aufzeichnungspflicht erstreckt sich zudem auf den Namen des Angestellten, der den Auftrag des Kunden angenommen hat, sowie die Uhrzeit der Erteilung und Ausführung des Auftrags (§ 34 Abs. 1 Nr. 2 WpHG). 108 § 34 WpHG zielt dabei auf die Dokumentation des Geschäftsabschlusses, nicht hingegen auf die Erfassung innerbetrieblicher organisatorischer Vorgänge, die lediglich die Vorstufe des eigentlichen Geschäftsabschlusses bilden. 109 Als Auftrag i.S. des § 34 Abs. 1 WpHG ist bei der Vermögensverwaltung der zugrundeliegende Vertrag anzusehen, der den Verwalter ermächtigt, selbständig Anlageentscheidungen über das anvertraute Vermögen zu treffen und umzusetzen. Die Aufzeichnungspflicht hinsichtlich der Ausführung der Geschäfte erstreckt sich auf sämtliche Maßnahmen, die der Vermögensverwalter in Umsetzung des Verwaltungsvertrages vornimmt. Darüberhinaus erlangt die Aufzeichnungspflicht dann Bedeutung, wenn der Vermögensinhaber während der Vertragslaufzeit dem Verwalter Einzelweisungen erteilt, bestimmte Geschäfte zu tätigen. 110 Da die Art der Aufzeichnung nicht vorgegeben ist, genügt auch das Mitschneiden von Telefongesprächen den Anforderungen des § 34 WpHG. 111
107
Vgl. zum Regelungsinhalt Than, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 135, 151; Fischer/Klanten, Bankrecht, Rdn. 7.23f. 108 Die in § 34 Abs. 3 WpHG vorgesehene Frist zur Aufbewahrung der Aufzeichnungen entspricht der Regelung des § 257 Abs. 4 HGB, vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 106. 109
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 106. 110 Auch wenn der Vermögensverwalter grundsätzlich selbständig und ohne vorherige Einholung von Weisungen das Vermögen im Rahmen der vereinbarten Anlagerichtlinien verwaltet, ist der Vermögensinhaber jederzeit berechtigt, Einzelweisungen hinsichtlich bestimmter Anlagen zu erteilen, vgl. Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/34; Roll, Vermögensverwaltung durch Kreditinstitute, S. 126. 111
Assmann/Schneider/ZMer, WpHG, § 34 Rdn. 2.
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IV. Rechtsfolgen bei Verstößen des Vermögensverwalters gegen die Wohlverhaltensregeln 1. Rechtssystematische Einordnung der
Wohlverhaltensregeln
Die bei Verstößen gegen die Wohlverhaltensregeln einschlägigen Haftungsgrundlagen sind abhängig von der rechtssystematischen Einordnung der §§31 ff. WpHG. Sofern man die Verhaltenspflichten als Kodifizierung oder Konkretisierung vorvertraglicher oder vertraglicher Pflichten ansieht, kommt bei schuldhaften Verstößen des Vermögensverwalters eine Haftung aus culpa in contrahendo112 oder nach den Grundsätzen der positiven Vertragsverletzung113 in Betracht. Zu diskutieren ist zudem, ob durch die Einführung der Wohlverhaltensregeln eine Berufshaftung eigener Art geschaffen worden ist, die die einzelnen Haftungsgründe aus Vertrag, Quasivertrag und Delikt weitgehend überlagert. Schließlich kann ein Verstoß des Vermögensverwalters zu einem Ersatzanspruch des Anlegers nach § 823 Abs. 2 BGB fuhren, wenn die Verhaltenspflichten als Schutzgesetze im Sinne dieser Vorschrift anzusehen sind.114 a) Wohlverhaltensregeln als zwingende
Vertragspflichten
Die Annahme, daß es sich bei den §§31 ff. WpHG um unmittelbar zwingende privatrechtliche Pflichten handelt, deren Geltung an ein vorvertragliches Schuldverhältnis oder ein Vertragsverhältnis anknüpft,115 setzt voraus, 112 Ein Verstoß gegen vorvertragliche Pflichten ist insbesondere dann anzunehmen, wenn beim Vertragsschluß Anlagerichtlinien vereinbart werden, die den Anlagezielen des Kunden nicht entsprechen, weil der Vermögensverwalter seinen Nachforschungspflichten nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG nicht nachgekommen ist, vgl. Schäfer, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 675. 113
Ein hafhingsbegründendes Verhalten kann in der Nichtbeachtung der vereinbarten Anlagegrundsätze sowie der Auswahl ungeeigneter Wertpapiere liegen, da der Vermögensverwalter insoweit gegen die Verpflichtung aus § 31 Abs. 1 Nr. 1 WpHG verstößt, vgl. Balzer, NWB Fach 21, 1225, 1231. 114 Vgl. die Ubersicht der Haftungsgrundlagen bei Schäfer, Haftung fllr fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 8ff. Soweit die besonderen Verhaltenspflichten des § 32 WpHG sich auch auf Geschäftsleiter und Angestellte erstrecken, kommt weiterhin eine Vertreterhaftung aus culpa in contrahendo in Betracht, vgl. Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 119 m.w.N. 115 Waldeck, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 647, 652, der die vertragsrechtlichen Wirkungen der Verhaltenspflichten mit zwingenden miet- oder arbeitsrechtlichen Normen vergleicht; unklar Grottke, EuZW 1993, 440, 442.
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daß die Wohlverhaltensregeln einer inhaltlichen Ausgestaltung durch Parteivereinbarung nicht zugänglich sind.116 Eine solche Bewertung vernachlässigt jedoch den vollständigen Wortlaut des § 31 Abs. 2 a.E. WpHG, der die Einhaltung der Nachforschungs-, Informations- und Aufklärungspflichten nur insoweit fordert, als dies zur Wahrung der Interessen der Kunden und im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich ist. Die Wohlverhaltensregeln beinhalten somit keinen starren Pflichtenkatalog fur das Kreditinstitut, sondern sind vielmehr als bewegliches System ausgestaltet, das sich an der Schutzbedürftigkeit und den Interessen des Kunden orientiert.117 Die Parteien haben es daher in der Hand, den Umfang der Wohlverhaltenspflichten insbesondere durch eine entsprechende Strukturierung der Interessen des Anlegers zu beeinflussen.118 Ein gewichtiges Argument gegen die Qualifizierung der Wohlverhaltensregeln als Kodifizierung von Vertragspflichten besteht weiterhin darin, daß die Vorschriften nicht als Pflichten im Vertragsverhältnis Kreditinstitut Vermögensinhaber formuliert sind, sondern Verhaltensregeln im Interesse des Kunden beinhalten.119 Dies ergibt sich insbesondere aus § 32 Abs. 2 WpHG, der Verbotstatbestände auch für Angestellte des Kreditinstituts festschreibt, die außerhalb der Vertragsbeziehung mit dem Vermögensinhaber
116 Vgl. Assmann/Schneider/Ko/fe/·, WpHG, vor § 31 Rdn. 16, § 31 Rdn. 126ff., der aus der aufsichtsrechtlichen Zielsetzung der §§ 3Iff. WpHG ableitet, daß die Wohlverhaltensregeln nicht abdingbar sind, gleichzeitig aber einen rechtsgeschäftlichen Verzicht des Kunden bei fehlender Schutzbedürftigkeit zuläßt. 117 Bei Discount-Geschäften obliegt dem Wertpapierdienstleistungsunternehmen daher nur ein Mindestmaß an Informations- und Aufklärungspflichten, wenn Anleger mit vergleichbarer Erfahrung, Risikobereitschaft sowie wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit zu Kundengruppen zusammengefaßt werden und sich das Angebot auf ausgewählte Wertpapiere beschränkt, vgl. Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 8.275f. 1 IR Assmann/Schneider/Ko/fer, WpHG, §31 Rdn. 22; Schödermeier, WM 1995, 2053, 2055; im Ergebnis auch Kumpel, WM 1995, 689, 693. 119 Zutreffend weist Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109,119, daraufhin, daß gegen die Bewertung der §§ 3 Iff. WpHG als kodifizierte Vertragspflichten nicht bereits der an verschiedenen Stellen des WpHG (vgl. §§ 4 Abs. 2, 15 Abs. 6 S. 1) ausgeschlossene Individualschutz spricht, da bei diesen Vorschriften nicht ein konkretes Vertragsverhältnis mit Pflichten gegenüber einem begrenzten und bestimmbaren Personenkreis berührt wird.
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stehen. Bei den §§31 ff. WpHG steht daher nicht die relative Vertragsbeziehung, sondern der objektive Verhaltensstandard im Vordergrund.121 b) Konkretisierung von vorvertraglichen
und vertraglichen
Pflichten
Wenn die Verhaltenspflichten auch nicht als Regelung zwingender Vertragspflichten anzusehen sind, so enthalten sie doch eine Konkretisierung des im Einzelfall bestehenden Pflichtenrahmens, wie er durch das gesetzliche Schuldverhältnis der culpa in contrahendo oder den Vertrag allgemein vorgezeichnet ist. 122 Dies gilt insbesondere deshalb, weil durch die Einfuhrung der Wohlverhaltensregeln der Pflichtenkreis der Kreditinstitute nicht erweitert worden ist, da die §§ 31 ff. WpHG im wesentlichen Grundsätze enthalten, die von Rechtsprechung und Literatur als vorvertragliche und vertragliche Informations·, Aufklärungs- und Beratungspflichten bei Anlageberatung und Vermögensverwaltung entwickelt worden sind.123 Auch die nunmehr als Organisationspflicht umschriebene Verpflichtung aus § 33 WpHG war bereits bisher von einem Anlageberater zu erfüllen, damit er im Einklang mit dem ihm obliegenden Sorgfaltsmaßstab handelte.124 Die zur Bestimmung der vorvertraglichen und vertraglichen Pflichten herausgearbeiteten Kriterien können
120 Diese Problematik sieht auch Waldeck, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 647, 652, der zwingende privatrechtliche Pflichten nur insoweit annehmen will, als die Verhaltensregeln an das Wertpapierdienstleistungsuntemehmen adressiert sind. 121 Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 120. 122 Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 120f.; wohl auch Schödermeier, WM 1995, 2053, 2055, der einen Pflichtenverstoß gegen § 31 WpHG nur bei Bestehen eines Vertragsverhältnisses in Betracht zieht. 123 Grundlegend BGHZ 123, 126 = BGH WM 1993, 1455 = ZIP 1993, 1148 ("Bond") m. Anm. Köndgen, EWiR 1993, 857; Schwark, WuB I G 4.-9.93; vgl. auch Horn, JuS 1995, 377, 384f.; Vortmann, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken, 3. Aufl. 1995, Rdn. 336ff.; Heinsius, ZBB 1994, 47, 51ff.; Kumpel, WM 1993, 2025, 2028; Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 73ff. Hiernach sind die Kreditinstitute verpflichtet, neben einer anlage- oder objektgerechten, konkret am jeweiligen Finanzprodukt orientierten Aufklärung auch eine anlegergerechte Beratung, die die jeweiligen Anlageziele, -motive und persönlichen Umstände des Kunden berücksichtigt, vorzunehmen. Zu diesen bereits bislang bestehenden Vertragspflichten ist lediglich die Erkundigungspflicht nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG neu hinzugekommen. 124 Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 69f. Es handelt sich hierbei aber nicht um eine Vertragspflicht, die einer Konkretisierung durch die Wohlverhaltensregeln zugänglich wäre, dazu i.F.
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nunmehr zur Ausfüllung der in den §§31 ff. WpHG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe herangezogen werden. 125 Die Wohlverhaltensregeln können aber nur dort zur Konkretisierung von Vertragspflichten herangezogen werden, wo sie sich auf die Rechtsbeziehung zwischen dem Kreditinstitut und dem Vermögensinhaber beziehen. Soweit die Verhaltenspflichten sich auf Personen erstrecken, die außerhalb der Vertragsbeziehung stehen und deren Handeln auch nicht nach § 278 S. 1 BGB zugerechnet werden kann, kommt eine Konkretisierung von Vertragspflichten daher nicht in Betracht. 126 Eine Ausfüllung von Vertragspflichten ist schließlich nur dann möglich, wenn die Verhaltenspflicht überhaupt auf das Verhältnis Kreditinstitut - Anleger zugeschnitten ist und nicht lediglich der internen Unternehmensorganisation oder aufsichtsrechtlichen Zwecken dient. 127 Die Wohlverhaltensregeln der §§ 33 und 34 WpHG können demnach nicht zur Konkretisierung von Vertragspflichten herangezogen werden. § 33 WpHG dient lediglich dazu, den innerbetrieblichen Rahmen für eine interessenwahrende Erbringung der Wertpapierdienstleistung vorzugeben, so daß dieser Verhaltenspflicht keine entsprechende Vertragspflicht gegenübersteht. 128 § 34 WpHG verfolgt eine aufsichtsrechtliche Zielsetzung, da die Vorschrift der zuständigen Behörde die Kontrolle über die Einhaltung der Verhaltenspflichten ermöglichen soll. 129 c) Verhaltenspflichten und Berufshaftung Durch die Verhaltenspflichten der §§31 ff. WpHG ist schließlich keine eigenständige Berufshaftung für Wertpapierdienstleistungsuntemehmen geschaffen worden. Neben den herkömmlichen Differenzierungen zwischen 125
Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 21.
126 Dies gilt im wesentlichen für die besonderen Verhaltenspflichten nach § 32 Abs. 2 WpHG, vgl. Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 121. 127 Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 121. 128
Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 121; wohl auch Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 69f. 129
Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 105. Vgl. auch Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 121, der die Bedeutung von § 34 WpHG fur den Anleger herausstellt, die Ausführung des Auftrags durch das Kreditinstitut zu kontrollieren, sich aber gleichwohl gegen eine Ausdehnung der Vorschrift auf das vertragliche Außenverhältnis ausspricht.
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Vertrag, Quasivertrag und Deliktsrecht ist eine Berufshaftung als eigener anspruchsbegründender Tatbestand nicht anzuerkennen. 130 Die berufliche Position beinhaltet lediglich ein pflichtendifferenzierendes Haftungselement, das in der Form eines unterschiedlichen Erwartungshorizontes der Anleger gegenüber den verschiedenen Berufsgruppen (Anlagevermittlung, Anlageberatung und Vermögensverwaltung) als Maßstab fur die Bestimmung des Pflichtenumfangs herangezogen 13 und erst durch das vertragliche Versprechen, den quasivertraglichen geschäftlichen Kontakt oder die schadensstiftende unerlaubte Handlung aktualisiert wird. 132 Eine in diesem Sinne verstandene Berufshaftung als Maßstab für die Abstufung des Pflichtenumfangs im Rahmen bestehender Haftungsgrundlagen ist daher weitgehend dekkungsgleich mit der Funktion, die den Verhaltenspflichten bei der Konkretisierung vorvertraglicher und vertraglicher Pflichten zuerkannt wird. 133 d) Verhaltenspflichten als deliktische Schutzgesetze Ein Qualifikation der §§ 31 ff. WpHG als Schutzgesetze i.S. des § 823 Abs. 2 BGB setzt voraus, daß die Wohlverhaltensregeln den Schutz von Individualinteressen und nicht Belange, die primär auf der Ebene der Allgemeinheit liegen, zum Gegenstand haben. 134 Bei dieser Bewertung kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck der Vorschriften an. 135 130 Köndgen (Hrsg.), Neue Entwicklungen im Bankhaftungsrecht, 1987, S. 133, 136; Riimker, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 3, 1993, S. 29, 35f.; Breidenbach, Die Voraussetzungen von Informationspflichten beim Vertragsschluß, 1989, S. 34f.; a.A. wohl Hopt, AcP 183 (1983), 608, 657ff. 131 Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 18; Hoegen, FS Stimpel, 1985, S. 247, 249ff. 132 Köndgen (Hrsg.), Neue Entwicklungen im Bankhaftungsrecht, S. 133, 136; Rümker, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 3, S. 29, 35f.; Hoegen, FS Stimpel, S. 247, 249ff. Vgl. auch BGH ZIP 1982, 169, 170; 1983,433, 434f. 133 Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 122. 134 Vgl. allg. zu den Voraussetzungen eines Schutzgesetzes Münchener Kommentar/Mertens, BGB, 2. Aufl. 1986, § 823 Rdn. 140fF.; Palandt/TViomas, BGB, 55. Aufl. 1996, § 823 Rdn. 141; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 160. Da die Verhaltenspflichten nicht als zwingendes Vertragsrecht ausgebildet sind, das einer Qualifizierung als Schutzgesetz entgegenstehen würde (dazu allg. BGH ZIP 1994, 867, 870; Staudinger/Sc/iá/er, BGB, 12. Aufl. 1986, § 823 Rdn. 595; RGRK¡Steffen, BGB, 12. Aufl. 1989, § 823 Rdn. 546), greift eine Sperre für die Wohlverhaltensregeln gegenüber dem Deliktsrecht nicht ein; vgl. Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 123. 135 BGH ZIP 1991, 1597, 1598f.; Palandt/TTiomos, BGB, § 823 Rdn. 141.
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Eine Zielrichtung zum Schutz des Anlegers ist jedenfalls den Vorschriften der §§ 31, 32 WpHG zu entnehmen.136 Die Vorschriften bezwecken nach Wortlaut und Sinn, gegenüber dem Kunden eine ordnungsgemäße und sachgerechte Abwicklung von Wertpapierdienstleistungen zu gewährleisten.137 Für die Einordnung der §§31, 32 WpHG als Schutzgesetze i.S. des § 823 Abs. 2 BGB läßt sich auch der Regelungsmechanismus des WpHG heranziehen. In § 15 Abs. 6 S. 1 WpHG ist ausdrücklich aufgenommen worden, daß ein Emittent bei der Verletzung von Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten nach § 15 Abs. 1 - 3 WpHG nicht zum Ersatz des daraus resultierenden Schadens verpflichtet ist. Mit dieser Einschränkung soll verdeutlicht werden, daß § 15 WpHG kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB darstellt.138 Bei den Vorschriften der §§ 31, 32 WpHG ist eine solche Einschränkung jedoch nicht vorgesehen, so daß eine Intention des Gesetzgebers, einen individuellen Anlegerschutz durch die Aberkennung der Schutzgesetzeigenschaft abzulehnen, nicht gegeben ist. Anders als die §§ 31, 32 WpHG ist § 33 WpHG nicht als Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren. Eine Norm ist nur dann als Schutzgesetz geeignet, wenn sie ein bestimmtes Ge- oder Verbot enthält und nicht 139
lediglich allgemeine Grundsätze aufstellt. § 33 WpHG beinhaltet zunächst allgemeine Vorgaben für die innere Organisation des Kreditinstituts, die erst durch konkrete Maßnahmen umgesetzt werden müssen. Die Allgemeinheit 136 Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 13f.; Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 160 (zu § 32 Abs. 1 Nr. 1 WpHG); unklar Kumpel, WM 1995, 689, 690, der im Rahmen des § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG zwar zwischen gesetzlichen Informationspflichten und vertraglichen Beratungspflichten unterscheidet, ohne aber auf die Rechtsfolgen bei Verstößen einzugehen; Grimm, WiB 1995, 56f.; zweifelnd Fischer/Klanten, Bankrecht, Rdn. 7.70; a.A. aufgrund eines abweichenden BegrUndungsansatzes Waldeck, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 647, 652. 137 Vgl. dazu auch Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 103f. 138 Assmann/Schneider/ÄTümpe/, WpHG, § 15 Rdn. 188. Hinsichtlich der Regelung in § 15 WpHG ergibt sich die fehlende Schutzgesetzeigenschaft bereits aus dem Normzweck der Vorschrift, der ausschließlich der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes dient, vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 102. Da die Funktionsfähigkeit nach den Gesetzesmaterialien ein ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienendes Schutzgut ist, ist § 15 WpHG kein drittschützender Charakter beizumessen (Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages aaO). 139 RG JW 1906, 780; BGH NJW 1965, 2007; Staudinger/Ä/ia/er, BGB, § 823 Rdn. 578; RGRKISteffen, BGB, § 823 Rdn. 539.
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der Organisationspflichten und ihre inhaltliche Unbestimmtheit verbieten es daher, Rechte jedes einzelnen Kunden auf Erfüllung und Schadensersatz zu begründen. 140 Auch die Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten nach § 34 WpHG stellen kein Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB dar. Der in § 34 WpHG normierte Pflichtenkreis dient allein und ausschließlich der Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden. 141 Da diese Zielsetzung die individuellen Interessen der Anleger gerade ausklammert, kann der Kunde bei einem Verstoß keinen Ersatzanspruch gegen das Kreditinstitut geltend machen. 142 2. Haftungsfreizeichnungen Aufgrund der Vielzahl der in Betracht kommenden Anlagemöglichkeiten enthalten die Vermögensverwaltungsverträge häufig eine Haftungsbeschränkung für die Richtigkeit, Vollständigkeit oder Zweckmäßigkeit von Maßnahmen und Vorschlägen auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz. 143 Maßstab für die Inhaltskontrolle ist bei formularvertraglichen Haftungsbeschränkungen insbesondere § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG, wonach eine unangemessene Benachteiligung entgegen den Geboten von Treu und Glauben dann anzunehmen ist, wenn die Vertragspflichten des Verwenders so eingeschränkt werden, daß die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist. 144 Eine Haftungsfreizeichnung für einfache Fahrlässigkeit ist daher unwirksam, soweit sie sich 140 Hopt, ZHR 159 (1995), 135, 161; Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 123; im Ergebnis ebenso Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 13. 141 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 12/7918, S. 105. 142 A s s m a n n / S c h n e i d e r / W p H G , § 34 Rdn. 1. In Betracht zu ziehen ist allerdings, den Verstoß gegen § 34 WpHG als Verletzung einer Dokumentationspflicht zu werten und entsprechende Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zuzulassen, vgl. dazu BGHZ 72, 132, 136; BGH NJW 1983, 332; DB 1985, 1019, 1020; Stein/Jonas/Ie/poW, ZPO, 20. Aufl. 1987/1989, § 286 Rdn. 130; § 444 Rdn. 7. 143 Vgl. etwa OLG Düsseldorf WM 1991, 94; OLG Frankfurt WM 1996, 665, 666; siehe auch das Muster für einen Vermögensverwaltungsvertrag bei Schäfer, Bankrecht und Bankpraxis, Rdn. 11/52. 144 In Individualverträgen ist demgegenüber nach § 276 Abs. 2 BGB nur die Haftung für eigenen Vorsatz zwingend. Zu weiteren Unwirksamkeitsgründen bei vertraglichen Haftungsvereinbarungen vgl. BGH NJW 1987, 3124, 3125; Soergel/Wolf, BGB, 12. Aufl. 1990, § 2 7 6 Rdn. 198ff.; Staudinger/¿0vrác/i, BGB, 13. Bearbeitg. 1995, § 2 7 6 Rdn. 101; Jauernig/ Vollkommer, BGB, 7. Aufl. 1994, § 276 Anm. IV 3 a.
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auf die Verletzung wesentlicher Pflichten, die sich aus der Eigenart des vereinbarten Vertragsverhältnisses ergeben, bezieht.145 Ausgangspunkt bei der Bestimmung dieser sog. Kardinalpflichten ist dabei der mit der vertraglichen Hauptleistung unmittelbar verfolgte wirtschaftliche Zweck.146 Bei der Vermögensverwaltung besteht die Kardinalpflicht des Kreditinstituts in der Wahrung des wirtschaftlichen Interesses des Kunden, wobei die hiermit verbundenen Einzelpflichten durch die Wohlverhaltensregeln der §§31, 32 WpHG konkretisiert werden.147 Da insbesondere § 31 Abs. 1 WpHG die Festlegung des Vermögensverwalters auf die Wahrung des Kundeninteresses beinhaltet,148 kann die Haftung fìir einfache Fahrlässigkeit formularmäßig nicht abbedungen werden.149 Zu den Wohlverhaltensregeln, die einer Haftungsfreizeichnung nicht zugänglich sind, gehören weiterhin die besonderen Verhaltenspflichten nach § 32 Abs. 1 WpHG,150 da diese eine Konkretisierung der
145 BGH WM 1988, 246, 248; HW/Horn/Lindacher, AGBG, 3. Aufl. 1994, § 11 Nr. 7 Rdn. 29; Ulmer/Brandner/Z/emen, AGBG, 7. Aufl. 1993, § 11 Nr. 7 Rdn. 24. Vor Geltung der Wohlverhaltensregeln hat die Rechtsprechung bei Vermögensverwaltungsverträgen Haftungsfreizeichnungen wegen Verstoßes gegen § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG für unwirksam erklärt, die sich auf die Einhaltung der Anlagerichtlinien (OLG Düsseldorf WM 1991, 94, 96; vgl. auch Werner/Machunsky, Rechte und Ansprüche geschädigter Kapitalanleger, 3. Aufl. 1993, S. 53) sowie auf die Wahrung des Prinzips der Risikostreuung bezogen (OLG Frankfurt WM 1996, 665, 668 m. Anm. Horn/Balzer, EWiR 1996, 589). Ein Verstoß gegen § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG ist bei einem allgemeinen Ausschluß der Benachrichtigungspflichten des Vermögensverwalters anzunehmen, da hierdurch die Vermögensinteressen des Anlegers weitgehend gefährdet werden, so BGH WM 1994, 834, 836; vgl. auch Schäfer, WM 1995, 1009, 1013, der die Unwirksamkeit der Klausel zudem auf § 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG stützt.
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Wolf/Z/orn/Lindacher, AGBG, §24 Rdn. 35; vgl. auch Ulmer/ßranoW/Hensen, AGBG, § 9 Rdn. 153. Nach Schödermeier, WM 1995, 2053, 2055 ist eine Haftungsfreizeichnung auch für die Nebenleistungspflichten des Vermögensverwalters unzulässig, die zur Erfüllung seiner Kardinalpflichten notwendig sind, da er es ansonsten in der Hand hätte, durch geschickte Vertragsgestaltung (Ausschluß von Nebenleistungspflichten) diesen vertragswesentlichen Pflichten auszuweichen; ebenso Ulmer/Brarafoer/Hensen, AGBG, § 9 Rdn. 144 m.w.N. 147
Schäfer, Handbuch für Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 668, 674; vgl. auch Schödermeier, WM 1995,2053,2055. 148 Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 8.239ff. 149 150
Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109,130.
Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 130; offengelassen von Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 69. Schwark aaO weist zutreffend daraufhin, daß die Verhaltenspflichten der Mitarbeiter aus § 32 Abs. 2 WpHG, deren Verletzung Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB begründet, schon
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aus §31 Abs. 1 WpHG folgenden Interessenwahrungspflicht beinhalten.151 Zulässig bleiben daher nur Haftungsfreizeichnungen hinsichtlich der Verhaltenspflichten nach § 31 Abs. 2 WpHG.152 Das Kreditinstitut kann insbesondere seine Haftung für Beratungsfehler und unvollständige Informationen ausschließen, soweit sie auf unterlassene Angaben des Anlegers nach § 31 Abs. 2 Nr. 1 WpHG zurückzufuhren sind.153 Auch hinsichtlich der Verhaltenspflichten nach § 31 Abs. 2 WpHG ist eine Haftungsfreizeichnung aber nicht schrankenlos möglich, vielmehr ist neben der flexiblen Grenze, die sich aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt,154 als absolute Grenze zu berücksichtigen, daß ein gewisser Mindeststandard erhalten bleibt, der die Wahrung des Kundeninteresses gewährleistet.155 Sofern der Vermögensverwaltungsvertrag einen zulässigen Haftungsausschluß enthält, wirft dies die Frage auf, ob dieser Freizeichnung auch Bedeutung für eine deliktische Haftung beizumessen ist. Soweit die Haftung aus Vertragsverletzung mit einer konkurrierenden deliktischen Haftung zusammentreffen kann, ist im gleichen Umfang eine Freizeichnung für die Deliktshaftung zulässig.156 Wenngleich in den Fällen, in denen die Vertragsverletzung zugleich die Merkmale einer unerlaubten Handlung verwirklicht, die
deshalb nicht abbedungen werden können, weil sie außerhalb des Vertragsverhältnisses zwischen dem Kreditinstitut und dem Kunden liegen. 151
Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, S. 71.
152 Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 130; einschränkend Rellermeyer, WM 1995, 1981, 1987, der die Einholung von Erkundigungen nach § 32 Abs. 2 Nr. 1 WpHG, nicht jedoch die einzelfallbezogene Pflicht zur Erteilung von Produktinformationen als zwingend erachtet. Vgl. auch Assmann/Schneider/Ko/Ze;·, WpHG, § 31 Rdn. 126ff., der eine Einschränkung der Informationspflicht nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG lediglich nach Maßgabe der Professionalität des Kunden zuläßt, eine Abdingbarkeit aber ablehnt. 153 Einschränkend Schwark, Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung, Band 7, S. 109, 124f. 154 Vgl. dazu oben Ill.l.e). 155 Schödermeier, WM 1995, 2053, 2055f.; Merl, Börsen-Zeitung v. 29.4.1995, S. 17f., der davon ausgeht, daß die Rechtsprechung gewisse "unverzichtbare" Rechte des Investors herausarbeiten wird. Vgl. auch Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 8.275, der bei Discount-Geschäften ein Mindestmaß an Aufklärungs- und Informationspflichten annimmt, sowie Rellermeyer, WM 1995, 1981, 1987, der eine Minimalberatung jedenfalls bei Aufnahme der Geschäftsverbindung fordert. 156 BGHZ 96, 18, 25; BGH ZIP 1985, 687, 689; Ulmer/B/Wner/Hensen, AGBG, § 9 Rdn. 159.
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Deliktshaftung selbständig neben der Haftung aus Vertrag besteht,157 erstreckt sich eine Haftungsfreizeichnung jedenfalls dann auch auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung, wenn dies aus den AGB mit hinreichender Deut158 lichkeit hervorgeht.
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BGHZ 24, 188, 192; 66, 315, 319; Münchener Kommentar/Mertens, BGB, Vor §§ 823 bis 853 Rdn. 29. MÄ BGHZ 9, 301, 306; 67, 359, 366f.; BGH NJW 1978, 2241, 2243; 1979, 2148, 2149; Staudinger/SWiq/ÉT, BGB, Vorbem zu §§ 823 ff Rdn. 35.
Einflußnahme des Bundesaufsichtsamts für das Kreditwesen auf das Bankprivatrecht ANDREAS FÜLBIER
I. Einfuhrung Das Bankprivatrecht ist in den letzten Jahren erheblich durch die Rechtsprechung beeinflußt worden. Dies spiegelt sich in einer permanenten Änderung der Bankverträge wider wie am Beispiel der AGB-Banken und der Sicherheitenvereinbarungen zu erkennen ist. Neuerdings ist in erheblich größerem Umfang als bislang auch das Bankaufsichtsrecht bei der Gestaltung von Verträgen zu berücksichtigen. Immer häufiger verlangen aufsichtsrechtliche Regelungen eine Umsetzung in das Rechtsverhältnis mit dem Kunden oder Mitarbeiter. Das gilt zum einen für Bestimmungen im KWG, zum anderen für Maßnahmen der Aufsichtsbehörde, dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred). Diese neue Entwicklung ist soweit ersichtlich - bis auf eine Ausnahme - nicht in der Literatur behandelt worden. Die erste Veröffentlichung, die dieses Thema aufgegegriffen hat, erschien im April dieses Jahres in Form eines Gastkommentars in den Wertpapier-Mitteilungen. 1 Schwerpunkt dieser Abhandlung soll die Einflußnahme des BAKred durch Verlautbarungen auf das Bankprivatrecht sein. Dazu werden zunächst die Aufgaben des BAKred, dessen Kompetenzen und Instrumentarium dargestellt. Es schließt sich eine Beschreibung einzelner "Übergriffe" auf das Bankprivatrecht und eine erste Analyse an.
II. Aufsichtsrecht im Bankvertrag 1. Das bankaufsichtsrechtliche
Instrumentarium
Die Gewerbeaufsicht der Kreditwirtschaft wird im Kreditwesengesetz geregelt und nach dessen § 6 vom Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred) ausgeübt. Nach § 6 Abs. 2 KWG hat das Amt Mißständen im Schneider, Die aufsichtsrechtliche Inhaltskontrolle von Verträgen der Kreditinstitute und ihrer Mitarbeiter, WM 1996, 712.
Einflußnahme des BAKred auf das Bankprivatrecht
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Kreditwesen entgegenzuwirken, die die Sicherheit der den Kreditinstituten anvertrauten Vermögenswerte gefährden, die ordnungsgemäße Durchführung der Bankgeschäfte beeinträchtigen oder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft herbeiführen können. Als Regelungsinstrumente nutzt das Amt Verordnungen , Bekanntmachungen3 und Mitteilungen4. Als weiteres Instrument, um das es hier im wesentlichen geht, ist die Verlautbarung zu nennen. Sie wird von ihrem Rechtscharakter her zwischen Bekanntmachung und Mitteilung eingeordnet. Soweit es an einer gesetzlichen Grundlage oder Ermächtigung fehlt, wird in der Rechtsprechung und Literatur eine unmittelbare Verbindlichkeit für Kreditinstitute abgelehnt.5 Dennoch haben sie in der Praxis ein erhebliches Gewicht, weil an ihnen deutlich wird, welche Anforderungen das Amt an die Ordnungsgemäßheit der Geschäftsführung stellt. Man leitet daher eine mittelbare Verbindlichkeit für die Banken aus § 6 KWG ab. Das BAKred vertritt diesbezüglich eine etwas strengere Auffassung, die an den Konsequenzen ablesbar ist, die das Amt an die Nichtbeachtung knüpft. Das BAKred versäumt kaum eine Gelegenheit, daraufhinzuweisen: "Um den Inhalt der Vorschrift, deren Einhaltung in erster Linie im Interesse der Kreditinstitute liegt, zu verdeutlichen, füge ich in der Anlage eine zusammenfassende Darstellung der amtlichen Auslegung des § 18 KWG bei. Ich möchte ausdrücklich daraufhinweisen, daß Verstöße gegen die Vorschrift des § 18 KWG sowohl Grundlage einer Verwarnung nach § 36 Abs. 2 KWG sein als auch die Einleitung eines Bußgeldverfahrens nach § 56 Abs. 1 Nr. 6 KWG begründen können." 2 Vgl. § 10 Abs. 2 Nr. 3, § 22, § 24 Abs. 4, § 25 Abs. 4, § 29 Abs. 3 und § 31 Abs. 1 S. 2 KWG (z.B. die Anzeigen-, Befreiungs- und Kreditbestimmungsverordnung); dazu Reischauer/Kleinhans, KWG, Loseblatt-Slg. Stand 02.05.1996, § 6 Rn. 10a.
3
Bekanntmachungen sind von allgemeiner Bedeutung und können als Sammelverwaltungsakte mit verbindlicher Wirkung für Kreditinstitute oder auch als unverbindliche Anordnung ausgestaltet sein (z.B. Grundsätze über Eigenkapital und Liquidität), Reischauer/Kleinhans, o.Fn. 2; dem VG Berlin zufolge sind die Grundsätze zu § 10 KWG weder Rechtsnormen noch Verwaltungsakte, sondern Programmsätze, WM 1996, 1309. 4
Mit Mitteilungen werden Auslegungsgrundsätze zu Zweifelsfragen des KWG verkündet; Reischauer/Kleinhans, o.Fn. 2. 5 VG Berlin, WM 1996, 1309; Reischauer/Kleinhans, o.Fn. 2; Schork, Die allgemeinen Maßnahmen des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, Bankbetrieb 1964, 35, 36f; Tormann, Die Anordnungsbefugnisse des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen, ZKw 1977,375. 6
Auszug aus dem Begleitschreiben des BAKred vom 08.08.1995 zur Verlautbarung über die grundsätzlichen Anforderungen an die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 18 KWG.
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In einem anderen Schreiben heißt es dazu: "Entsprechen die Kreditinstitute nicht dem in der Verlautbarung nach Abstimmung mit den kreditwirtschaftlichen Spitzenverbänden aufgestellten Standard, so wird das Aufsichtsamt dies als Verstoß gegen allseits anerkannte Grundsätze ordnungsgemäßer Geschäftsführung werten und mit den nach den Umständen des Falles gebotenen Maßnahmen gegen die betreffenden Institute vorgehen". Das Amt bezeichnet die Verlautbarung als "allgemeine Aufsichtshandlung". Es stützt die Maßnahmen teils auf spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen (z.B. § 14 Abs. 2 Nr. 2, § 16 Nr. 2 Geldwäschegesetz), teils meint es, die Verlautbarung sei nur normkonkretisierend und norminterpretierend. Häufig behilft sich das BAKred aber auch mit § 6 KWG und verweist auf die Begründung zum Gesetzentwurf. Ihrzufolge verhindert die Aufsicht durch vorbeugende Überwachung allgemein das Entstehen von Schäden im Kreditwesen und von Verlusten der Institutsgläubiger; sie soll also vorwiegend gefahrenabwehrend wirken.7 In der Begründung zum Entwurf des § 6 KWG heißt es weiter, daß Absatz 1 dem Amt mit der Verpflichtung zugleich eine Rechtsgrundlage für entsprechende Verwaltungsakte gibt. Diese allgemeine Ermächtigung tritt neben die besonderen Ermächtigungen in einzelnen Vorschriften. Sie greift aber nicht schon dann ein, wenn das Amt es für erforderlich hält, um z.B. die ordnungsgemäße Geschäftsabwicklung zum Schutz der Verbraucher und zur Vermeidung von Interessenkonflikten sicherzustellen.8 Denn anders z.B. § 81 VAG für das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen, § la Abs. 2 BörsG fur die Börsenaufsichtsbehörden der Länder und § 4 Abs. 1 WpHG für das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel enthält das KWG keine „allgemeine" Anordnungskompetenz. Diese Auffassung findest sich auch in der Begründung zum Entwurf einer 6. KWGNovelle. Für das Entgegenwirken bei allgemeinen Mißständen, z.B. bei Verstößen gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Geschäftsführung, war das BAKred demnach bisher auf informelle Maßnahmen beschränkt. Nur wenn ein „Mißstand im Kreditwesen" zugleich Verstöße gegen KWG-Vorschrifiten umfaßte, konnten die Eingriffsinstrumente des Verwaltungsrechts angewandt werden. Dem Gesetzesentwurf zufolge soll § 6 KWG nun um eine derartige Kompetenz angereichert werden, was in der Kreditwirtschaft wegen des Konflikts mit dem Bestimmtheitsgrundsatz auf Widerstand stößt. Auf § 6 KWG kann sich die Behörde stützen, wenn es einem Mißstand vorzubeugen oder diesen zu beseitigen gilt. Der Mißstand muß die Kredit7
g
BT-Drucksache 1114, Teil A Nr. VII. Artopolus, „Soviel unternehmerische Freiheit wie möglich", ZKw 1994, 1085, 1090.
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Wirtschaft insgesamt betreffen und nicht nur einzelne Institute. 9 Wann ein Mißstand vorliegt, kann z.B. durch Abgleich mit einem "Industriestandard" festgestellt werden, der in Abstimmung zwischen dem BAKred, der Deutschen Bundesbank und den Mitgliedsverbänden des Zentralen Kreditauschusses ermittelt worden ist und den Maßstab für die ordnungsgemäße Durchführung der Geschäfte bildet. Das Amt ist hingegen nicht berechtigt, den Industriestandard ohne Abstimmung mit der Kreditwirtschaft oder entgegen deren Einschätzung festzulegen. Bei Maßnahmen zur Beseitigung eines Mißstands, der sich nicht durch Abgleich mit dem Industriestandard ergibt, hätte das Amt detailliert darzulegen, warum es sich bei dem beanstandeten Verhalten um einen Mißstand handelt. Überwiegend werden die in den Verlautbarungen geregelten Gegenstände von einer der zuvor beschriebenen Begründungen getragen. Es sind aber auch Fälle bekannt, bei denen der berechtigte Rückgriff auf die genannten Begründungen zumindest zweifelhaft erscheint. Das Amt erweckt dabei den Eindruck, "Fehler" des Gesetzgebers korrigieren zu wollen. Es will anstelle des Gesetzgebers Recht setzen. Dies wird z.B. deutlich in einem Schreiben des Amtes vom 24.01.1995 10 , in dem es unter Nr. IV.d) V heißt: "Da eine gesetzliche Regelung dieser Anforderungen des Art. 5 EU-Geldwäscherichtlinie unterblieben ist, stellt das Bundesaufsichtsamt die Einhaltung dieser Anforderungen über dessen Verwaltungspraxis im Rahmen des § 11 GwG sicher". 11 Eine andere Stelle dieses Schreibens lautet: "Im Rahmen seiner Aufsichtsbefugnisse hat das Bundesaufsichtsamt ... diese Pflicht [aus § 8 GwG] ... inhaltlich dahingehend erweitert, daß ..." (IV.c). Die unter 3. aufgeführten Beispielsfälle sollen u.a. unter diesem Aspekt beleuchtet werden. 2. Aufsichtsrechtliche Inhaltsvorgaben für Bankverträge? Zweck der Bankaufsicht ist es nur, die Struktur- und Ordnungsvorschriften des KWG und seiner Durchführungsbestimmungen durchzusetzen und 9 Bahre/Schneider, KWG, 3. Aufl. 1986, § 6 Anm. 3; Reischauer/Kleinhans, o.Fn. 2, § 6 Rn. 11; vgl. auch BGH WM 1978, 588. 10 11
Abgedr. in Consbruch/Möller, KWG, Loseblatt-Slg. Stand März 1996, Nr. 11.11.
Der deutsche Gesetzgeber ist wie Dänemark, Italien, die Niederlande und Großbritannien der Auffassung, die Verpflichtung sei in Art. 11 der EG-Richtlinie enthalten, der geeignete interne Kontrollverfahren verlange. Diese Auffassung wurde bislang nicht von der EUKommission beanstandet; Erster Bericht der EU-Kommission über die Umsetzung der Geldwäscherichtlinie (Kom(95)54 endg. vom 03.03.1995; vgl. Fülbier/Aepfelbach, Das Geldwäschegesetz, 3. Auflage 1995, § 14 Rn. 45f.
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Gläubiger der Banken vor Verlusten zu schützen.12 Überraschend ist es daher, wenn das Amt unter dieser Zielsetzung Vorgaben für das vertraglich zu regelnde Rechtsverhältnis Bank/Kunde macht, die Aufsicht also auf das Bankprivatrecht ausdehnt und damit neben der Rechtsprechung eine Inhaltskontrolle von Verträgen vornimmt. 13 Das Bankaufsichtsrecht ist grundsätzlich strikt vom Bankprivatrecht zu trennen. Darüber dürfte kein Meinungsstreit bestehen. Dieses Prinzip läßt sich denn auch aus dem KWG selbst ablesen. So heißt es in § 15 Abs. 4 Satz 1 KWG: "Unbeschadet der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts darf der einzelne Großkredit 25 vom Hundert ... des haftenden Eigenkapitals nicht übersteigen; ...". Die Anordnung richtet sich allein an die Bank. Die Umsetzung ins Bankprivatrecht steht im Ermessen der Bank. Bei Ermessensfehlern hat allein sie die Konsequenzen zu tragen. Das Prinzip wird auch von der Rechtsprechung zu § 134 BGB getragen. Verstöße gegen gewerberechtliche Vorschriften haben ihrzufolge keinerlei Einfluß auf die Wirksamkeit eines Vertrages. Denn in diesen Fällen richtet sich das gesetzliche "Verbot" nur ge|en einen Geschäftspartner; die Regelungen haben i.d.R. Ordnungsfunktion. Das Schrifttum sieht das nicht anders.15 Setzt die Bank Vorgaben des Amtes ins Bankprivatrecht um, ist fraglich, ob diese auch von der Rechtsprechung als wirksam anerkannt werden. So sind die Gerichte z.B. nicht an Regelungen des Amtes gebunden, die es auf den Industriestandard stützt, den es in Abstimmung mit Bundesbank und Kreditwirtschaft ermittelt hat. Daher wird es im Regelfall auch keine Überprüfung der amtlichen Maßnahme im Rahmen des zivilrechtlichen Verfahrens geben. Die Einhaltung aufsichtsrechtlicher Vorgaben kann daher ursächlich für das Unterliegen vor Gericht sein und damit fur Prozeßkosten und Schadensersatzansprüche gegen die Bank. Ob das Amt dafür aufkommt, wenn es eine "falsche" Vorgabe gemacht hat, an die sich das betroffene Institut hielt, erscheint zweifelhaft. Auch diese Probleme sollen anhand der nachfolgenden Beispiele vertieft werden.
12
Artopolus, oben Fn. 8, ZKw 1994, 1085, 1090; Reischauer/Kleinhans,
13
So auch Schneider, o.Fn. 1, WM 1996, 712.
14
BGH WM 1996,387,389.
o.Fn. 2, Rn. la.
15 Beck, KWG, Loseblatt-Slg. Stand Mai 1995, § 18 Rn. 4; Früh, Die Bonitätsprüfung nach § 18 KWG, WM 1995, 1701, 1709.
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3. Einzelfälle Das Kreditwesengesesetz (KWG) selbst enthält nur in wenigen Ausnahmefällen Vorgaben für das Vertragsverhältnis zwischen Kunde und Bank. Das gilt z.B. für die Gestaltung von Genußrechten und Nachrangdarlehn, die dem Kreditinstitut als Eigenkapital dienen sollen, vgl. § 10 Abs. 5 und 5a KWG. Eine weitere Verbindung zwischen Bankprivatrecht und Bankaufsichtsrecht ist durch die Flut der Gesetzesänderungen entstanden, die die Eigenkapitalausstattung der Kreditinstitute betraf. Die neuen Anforderungen verteuerten die Mittelbeschaffung und damit die Kreditkonditionen. In der Erwartung weiterer Änderungsvorhaben muß daher bei langfristigen Kreditverträgen eine weitere Kostenerhöhung durch Änderung der Eigenkapitalanforderungen befurchtet werden. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der immer enger werdenden Margen verwundert es nicht, wenn seit geraumer Zeit Kostenerhöhungsklauseln in Kreditverträge eingearbeitet sind. Sie ermöglichen es der Bank, die durch Änderung der Eigenkapitalanforderungen entstandenen, zusätzlichen Kosten auf den Darlehnsnehmer abzuwäl16
zen. Die auf das KWG selbst zurückgehenden Vorgaben fur das Bankvertragsrecht sollen hier nicht näher beleuchtet werden. Gegenstand sind vielmehr Regelungen der Aufsichtsbehörde, die in die Vertragsfreiheit der Bank eingreifen, deren rechtliche Basis aber ungewiß ist. In der Vergangenheit gab es nur Einzelfälle aufsichtsrechtlicher Regelungen, die das Rechtsverhältnis Bank/Kunde oder Bank/Mitarbeiter unmittelbar betroffen haben. Das gilt z.B. für die Einschaltung von Kreditvermittlern durch Kreditinstitute oder den Gebrauch von Patronatserklärungen.17 Nachfolgend sollen Beispiele genannt werden, die das Bankprivatrecht in neuerer Zeit beeinflußt haben. a) Verlautbarung zu § 18 KWG In seiner Verlautbarung vom 08.08.1995 (Az 13-237-2/94) über die grundsätzlichen Anforderungen an die Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach § 18 KWG verlangt das BAKred die Vereinbarung einer Kündi16 Siehe z.B. Buchheit, How to negotiate the capital adequacy indemnity clause, IFLR March 1993, 30, 32. 17 Schreiben des BAKred abgedr. in Consbruch/Möller, o.Fn. 10, 4.02, 4.09, 4.171, 4.174; 13.07, 13.07b, 17.15 (Patronatserklärung); Schneider, o.Fn. 1, WM 1996, 712. 18
Abgedr. in Bading/Holzer/Wirsching, KWG, Loseblatt-Slg. Stand 01.01.1996, Teil C Nr. 3.1.
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gungsklausel in Darlehnsverträgen, derzufolge die Bank zur Kündigung berechtigt ist, wenn der Kunde seine wirtschaftlichen Verhältnisse nicht offenlegt. Die maßgebliche Regelung lautet: "Die Offenlegung muß tatsächlich erfolgen; das bloße Verlangen - gleichgültig mit welchem Nachdruck - reicht nicht aus. Nach der Verschärfung des § 18 Satz 1 KWG durch die 2. KWG-Novelle von 1976 ("hat... offenlegen zu lassen") muß das Kredinstitut die Offenlegung durchsetzen (vgl. Regierungsbegründung, BT-Drucks. 7/3657, S. 12); anderenfalls darf es den Kredit nicht gewähren oder muß - bei laufenden Engagements - ihn notfalls kündigen. Die hierfür erforderlichen zivilrechtlichen Voraussetzungen hat sich das Kreditinstitut vor Eingehung des Engagements zu verschaffen."
Diese Anforderung geht über das hinaus, was das Amt in den vorausgegangenen Schreiben verlangte. Insofern handelt es sich entgegen der Darstellung des BAKred im dazugehörigen Anschreiben an die Verbände um eine Verschärfung der bisherigen Rechtslage. Das Amt spricht darin nur von einer "zusammenfassenden Darstellung der amtlichen Auslegung" des Inhalts von §18 KWG, die im Zusammenhang mit der Schneider-Affäre notwendig erscheine. Diese Formulierung des BAKred untermauert dessen Auffassung vom norminterpretierenden und normkonkretisierenden Charakter einzelner Verlautbarungsinhalte. Dennoch läßt sich hier erkennen, daß die Auferlegung einer Kündigungsklausel sich weder aus § 18 KWG selbst noch aus der Gesetzesbegründung ergeben kann. Man kann aus dem Wortlaut "hat sich ... offenlegen zu lassen" des § 18 KWG zwar die Pflicht für die Bank zu Vereinbarungen über die Vorlage von Unterlagen ableiten, nicht aber eine Pflicht zur Vereinbarung eines Kündigungsrechts oder gar einer Kündigung für den Fall der Nichtbeachtung durch den Kunden.19 Das Gesetz droht nur dem Kreditinstitut Konsequenzen für den Fall der Nichtbeachtung an. Rechtsfolgen für den Kunden läßt es ungeregelt. Als Rechtsgrundlage bliebe daher nur § 6 KWG. Ein Mißstand im Regelungsbereich des § 18 KWG, der nur durch die Kündigung eines im übrigen ordnungsgemäß bedienten Kreditengagements beseitigt werden kann, ist indes nicht erkennbar. Dem Amt ist zwar zuzugeben, daß Banken in Einzelfällen § 18 KWG nicht ausreichend beachtet haben; ein Kündigungsverlangen beseitigt diese Probleme aber nicht. Eine Vereinbarung, wie sie oben zitiert wurde, könnte daher zwar in die Darlehnsbedingungen der Banken aufgenommen werden. Fraglich bleibt aber zum einen, ob die Bank unter der dann aktuellen Rechtsprechung berechtigt 19
Früh, o.Fn. 15, WM 1995, 1709.
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sein wird, davon Gebrauch zu machen; zum anderen fragt sich, ob der Bank mit der Ausübung des Kündigungsrecht gedient ist, zu der das Amt laut Verlautbarung zwingen will. Die Kündigung zu einem ungünstigen Zeitpunkt ist geeignet, den Zusammenbruch des Kunden und damit einen Ausfall herbeizuführen. 20 Das dürfte wohl kaum im Interesse des Amtes liegen. Die vom Amt diktierte Kündigungspflicht wird auch unter Amtshaftungsgesichtspunkten interessant, wenn der Kunde Schadensersatz wegen Kündigung des Kredits zur Unzeit verlangt. Im Falle der zitierten Verlautbarung hat das Amt inzwischen eine Verschärfung der Vorschriften eingestanden. Es ist zu hoffen, daß nunmehr auch das Verlangen gegenüber der Kreditwirtschaft aufgegeben wird, die Kündigung selbst dann in jedem Fall durchsetzen, wenn der Kredit planmäßig bedient wird. Dies wäre heute zwar mit entsprechender Kündigungsandrohung aufgrund der dazu ergangenen Entscheidung des XI. BGH-Senats 01.03.1994 zulässig. 21 Ihrzufolge kann die Kündigung auf eine AGB-Klausel gestützt werden, die die sofortige Fälligstellung des Kredits gestattet, wenn der Kläger seine Verpflichtung, Einblick in seine wirtschaftlichen Verhältnisse zu geben, nicht erfüllt. Der Rechtsweg dieses Falles beweist indes, daß die Rechtslage nicht unproblematisch ist. Das Landgericht hielt die Kündigung für wirksam, das OLG Nürnberg entschied sich für die Unwirksamkeit. Auch die BGH-Entscheidung vermittelt keine Rechtssicherheit in dieser Frage. Denn ob andere Senate des BGH sich der Auffassung des XI. Senats anschließen können, bleibt ebenso fraglich wie die Beständigkeit dieser Entscheidung. Denn neuere Urteile konträren Inhalts können nach Auffassung des IX. Senats ohne weiteres zurückwirken. 22 b) Verlautbarung zu Bankgeschäften mit Minderjährigen Die Bankgeschäfte mit Mindeij ährigen werden in der Verlautbarung vom 22.03.1995 aufsichtsrechtlich geregelt. 23 Neben Passagen, die lediglich den Gesetzeswortlaut wiederholen, sind Regelungen enthalten, die die Geschäfte einschränken. Nach Nr. II.2.b)bb)(3) der Verlautbarung muß z.B. die Aus-
20
So auch Früh, o.Fn. 15, WM 1995, 1709.
21
BGH WM 1994, 838.
22
WM 1996,436, 762.
23
Abgedr. in Consbruch/Möller, o.Fn. 2, KzA 281 Nr. 20.
o.Fn. 10, Nr. 4.260 sowie
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gäbe einer Kreditkarte an Mindeqährige selbst dann unterbleiben, wenn die Einwilligung der Eltern vorliegt. Das Amt verlangt die Zustimmung des Vormundschaftsgerichts; selbst dann aber soll es nur in begründeten Ausnahmefallen zur Ausgabe kommen.24 Das Amt stützt sich bei diesen Vorgaben auf § 6 KWG. In der Einleitung heißt es denn auch: "In der letzten Zeit habe ich festgestellt, daß sich verschiedene Kreditinstitute bei Bankgeschäften mit Minderjährigen Verfahrensweisen bedienen, die unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Bestimmungen des deutschen Zivilrechts bedenklich und im Einzelfall mit einer ordnungsgemäßen Geschäftsführung nicht vereinbar sind". Hier räumt die Behörde selbst ein, daß es nur in Einzelfallen einen Mißstand gegeben hat. Daß damit die Rechtsgrundlage für eine Verlautbarung nicht gegeben ist, weil es sogar nach eigenen Angaben am Mißstand in der gesamten Kreditwirtschaft mangelt, wird übersehen. Das Amt hat auch nicht ausreichend dargelegt, worin der Mißstand eigentlich bestehen soll. Es entsteht eher der Eindruck, das BAKred bügele vermeintliche "Versäumnisse" des Gesetzgebers aus, indem es Recht fortbildet. Anders als bei der Verlautbarung zu § 18 KWG (s.o. a)) wird hier zudem in das allgemeine Geschäftsgebahren eingegriffen, fur das dem Amt die Regelungskompetenz fehlt. c) Verlautbarung zur Bekämpfung der Geldwäsche (aa) Kopierpflicht von Ausweisen bei Kontoeröffnung Nach § 9 Abs. 1 Satz 2 Geldwäschegesetz (GwG) soll eine Aufzeichnung, soweit möglich, durch Kopie der zur Feststellung der Identität vorgelegten Dokumente erfolgen. Das GwG regelt nur die Identifizierung bei der Vornahme bestimmter Finanztransaktionen, nicht aber bei der Kontoeröffnung. Das BAKred sah hier eine Lücke bei der Vornahme von Aufzeichnungen bei der Identifizierung im Zusammenhang mit der Kontoeröffnung, die "nur" von § 154 AO erfaßt wird. Daher verlangte es von der Kreditwirtschaft losgelöst vom GwG die Anfertigung von Kopien auch bei der Kontoeröffnung. 2 U.a. hessische Sparkassen hielten sich an diese Auflage und kopierten die Ausweise ihrer Kunden. Dieses Verhalten wurde von den Landesdatenschutzbeauftragten kritisiert. Der hessische Datenschutzbeauftragte führt in seinem
24 25
Dazu auch Schneider, o.Fn. 1, WM 1996, 712.
Nr. 10 der Verlautbarung vom 04.11.1993 (I5-E100), abgedr. in Fülbier/Aepfelbach, o.Fn. 11, 2. Aufl. 1994, S. 269; vgl. auch Nr 16 der Verlautbarung des BAKred vom 26.10.1994, abgedr. in Consbruch/Möller, o.Fn. 10, Nr. 11.01.
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Bericht wörtlich aus: "Trotz der eindeutigen Rechtslage konnte ich zunächst den Sparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen nicht dazu bewegen, seine Mitglieder zur Einstellung der Kopierpflicht aufzufordern. Der Verband berief sich in erster Linie auf eine (fehlerhafte) Interpretation der Kopierpflicht des Geldwäschegesetzes durch Nr. 10 (jetzt: Nr. 16) der Verlautbarung des Bundesaufsichtsamtes fur das Kreditwesen...".26 Weder das GwG noch die Abgabenordnung böten eine Rechtsgrundlage fur das Kopieren von Ausweisen bei Kontoeröffnung. Das Verlangen des Amtes läßt sich daher nicht ohne weiteres in der Praxis umsetzen. Wenn der Kunde nicht mit der Kopie einverstanden ist, muß auf die Kopie verzichtet werden. Ob in derartigen Fällen die Kontoeröffnung unterbleiben muß, ist nicht ausdrücklich in der Verlautbarung geregelt (siehe dazu auch unten (bb)). Da die Berechtigung dieser Eingriffsregelung äußerst zweifelhaft ist, sollte die Aufnahme einer Geschäftsverbindung an der Kopie nicht scheitern. Im Falle eines Kontrahierungszwanges27 darf sie daran nicht scheitern. Auch hier ist festzuhalten, daß das Amt eine vermeintliche Lücke im Gesetz schließen wollte. Daß der Gesetzgeber ganz bewußt auf eine Regelung der Identifizierung bei Kontoeröffnung und deren Dokumentation verzichtet hat, eben weil der Tatbestand schon von § 154 AO erfaßt ist, wird schlicht ignoriert. Die Regelung kann sich weder auf eine Norm stützen, die zu interpretieren oder konkretisieren war, noch auf einen Mißstand. Man wird kaum behaupten können, die aktuelle Handhabung bezüglich der Kontoeröffnung stelle auf Basis des geltenden Rechts einen Mißstand dar. Das Amt hat mithin die Regelungskompetenz des Gesetzgebers für sich in Anspruch genommen. (bb) Verweigerung von Auszahlungen Nach Nr. 15 der Verlautbarung des BAKred vom 26.10.1994 zur Bekämpfung der Geldwäsche ist die Durchführung einer Transaktion oder die Eröffnung eines Kontos abzulehnen, wenn der Kunde falsche Angaben zum wirtschaftlich Berechtigten nach § 8 GwG macht oder diese verweigert. Diese Rechtsfolge, die einer Kontosperre entspricht, ist gesetzlich nicht geregelt. Auch hier ist das Amt "norminterpretierend" tätig geworden. Ob sich diese Auslegung vor den Gerichten halten läßt, erscheint fraglich. Das OLG Ham26
Hassemer, 23. 31.12.1994, S. 144f. 27
Tätigkeitsbericht
des
Hessischen
Datenschutzbeauftragten
vom
Reifner, Das Recht auf ein Girokonto, ZBB 1995, 243; AG Düsseldorf WM 1995, 1314; OLG Köln WM 1993, 325.
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burg hat die Auffassung des Amtes gestützt, indes ohne sich mit der Verlautbarung selbst überhaupt auseinanderzusetzen. 28 Der BGH unterdessen ist wohl anderer Auffassung: "... eine Kontosperre läßt sich hieraus [§ 8 GwG] jedoch bei Auseinanderfallen von wirtschaftlicher Berechtigung und formaler Rechtsstellung schon deshalb nicht rechtfertigen, weil das Geldwäschegesetz dafür keine Ermächtigung enthält". 29 Ob der BGH heute wegen der Regelung in der Verlautbarung und mit Blick auf §§ 134, 226, 242, 309 BGB anders urteilen würde, erscheint fraglich. Das Transaktionsverbot, das auch ein Auszahlungsverbot sein kann, bringt die Banken in die mißliche Lage, im Verhältnis zum Kunden aufsichtsrechtlich etwas unterlassen zu müssen, zu dem es - nach Auffassung des BGH zivilrechtlich verpflichtet ist. Hierbei handelt es sich um einen Konfliktfall zwischen Bankaufsichts- und Bankprivatrecht, der die Bank mit Prozeßkosten und Schadensersatzforderungen seitens des Kunden belasten kann, wenn die aufsichtsrechtlichen Auflagen beachtet wurden. d) Verlautbarung zu den Leitsätzen fur Mitarbeiter Neuerdings greift das Amt auch in das arbeitsrechtliche Verhältnis zwischen Bank und Mitarbeiter ein. Der erste Fall betrifft die Einfuhrung der neuen Mitarbeiterleitsätze durch die Verlautbarung des BAKred vom 30.12.1993. 30 Demzufolge sollen eigene Konten oder Depots bei der Bank oder deren Konzerngesellschaften unterhalten und Mitarbeitergeschäfte 31 über die Bank oder deren Konzerngesellschaft getätigt werden. Taggleiche Geschäfte dürfen nicht vorgenommen werden (Nr. 10). Mitarbeiter, die im Rahmen ihrer dienstlichen Aufgaben regelmäßig Informationen erhalten, die geeignet sind, die Marktverhältnisse z.B. im Wertpapierhandel zu beeinflussen (compliancerelevante Mitarbeiter), dürfen nur in besonders zu begründenden Einzelfallen und mit vorheriger Zustimmung der Geschäftsleitung ein Konto bei Drittbanken eröffnen. Mitarbeitergeschäfte sind gegenüber der dazu benannten Stelle des Arbeitgebers offenzulegen. 28
OLG Hamburg ZIP 1995, 1578.
29
BGH WM 1994, 2270=ZIP 1994, 1926; dazu auch Dach, EWiR 1995, 1003; Fülbier, Eckpunkte für verbesserte Geldwäschebekämpfung, ZBB 1996, 72, 76; Hasse, Das Verhältnis des Geldwäschegesetzes zur Legitimationsprüfung nach § 154 AO, WM 1995, 1941. 30 31
Abgedr. in Consbruch/Möller,
o.Fn. 10 Nr. 19.04.
Mitarbeitergeschäfte i.S. der Leitsätze sind alle Geschäfte, die der Mitarbeiter außerhalb seiner dienstlichen Aufgabenstellung für eigene Rechnung oder für Rechnung Dritter ... in Wertpapieren, Devisen, Edelmetallen oder Derivaten tätigt, A.l. der Verlautbarung.
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Den Umsetzungshinweisen der Spitzenverbände der Kreditwirtschaft zur Verlautbarung32 zufolge sollen die Regelungen im Verhältnis zum Mitarbeiter mit dem Instrument des betrieblichen Direktionsrechts umgesetzt werden. Bezüglich der zuvor beispielhaft erwähnten Vorgaben wird eine Vereinbarung zwischen Mitarbeiter und Bank empfohlen. Compliance-relevante Mitarbeiter sollen den Inhalt der Leitsätze zumindest durch Unterschrift anerkennen. Die Forderung zum Abschluß von Vereinbarungen mit dem Mitarbeiter, die eine erhebliche Beschränkung der Handlungsfreiheit bei Bankgeschäften beinhaltet, stößt bei diesen zum Teil auf Widerstand. Die Umsetzung macht aber nicht nur im Individualarbeitsrecht Probleme. Die Betriebsräte reklamieren ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 BetrVG. Nach Auffassung der Kreditwirtschaft besteht kein Mitbestimmunsgrecht. Im Schreiben des BAKred vom 28.12.1994 zu diesen Umsetzungshinweisen33 wird diese Problematik wie folgt behandelt: "Die von Ihnen filr den Regelfall ... verneinte Frage, ob der Personal- oder Betriebsrat bei der Umsetzung der Mitarbeiter-Leitsätze zu beteiligen ist und ob angesichts der im Betriebsverfassungsgesetz und in den Personalvertretungsgesetzen enthaltenen Mitwirkungsrechte Beteiligungen dieser Personalvertreungen geboten sind, ist meines Erachtens zwischen diesen und den Arbeitgebern zu klären".
Damit macht es sich das Amt sehr einfach. Es ist zwar richtig, daß die Aufsichtsbehörde grundsätzlich nichts mit dem Rechtsverhältnis zwischen der Bank und Dritten zu tun hat. Wenn es aber selbst in diese Rechtssphäre eingreift, muß es sich eine Einbeziehung gefallen lassen und die Eingriffe verantworten. Denn bei den anstehenden arbeitsrechtlichen Streitigkeiten wird u.a. darüber zu befinden sein, ob die aufsichtsrechtlichen Vorgaben einer individualvertraglichen Überprüfung standhalten (z.B. Kontrahierungszwang für die Kontoverbindung) und ob die Maßnahmen (insbesondere Kontrolle der Mitarbeiterumsätze) mitbestimmunsgpflichtig sind. Für die letztere Frage dürfte entscheidend sein, ob die Verlautbarung als "gesetzliche Bestimmung" i.S.d. § 87 BetrVG aufzufassen ist, die jede Mitbestimmung ausschließt. Für Verwaltungsakte ist dies bereits höchstrichterlich anerkannt.34 Im konkreten Fall dürfte diese Rechtsprechung zumindest entspre-
32 33
Abgedr. in Bading/Holzer/Wirsching, o.Fn. 18 Teil C Nr. 4.16. Abgedr. in Bading/Holzer/Wirsching, o.Fn. 18 Teil C Nr. 4.17.
34 BAG AP Nr. 14 zu § 87 BetrVG Ordnung des Betriebs; BAG NZA 1988, 811; 1992, 126, 128; BVerfG NVwZ 1995, 781; Fitting/Auffarth, 18. Aufl. 1996, § 87 Rn. 4a; vor § 89 Rn. 47.
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chend angewandt werden. Denn die Verlautbarung, bei deren Erlaß sich die Behörde nach eigenen Angaben auf § 6 KWG als Ermächtigungsgrundlage berufen hat, 36 läßt der Bank als Arbeitgeber keinen Gestaltungsspielraum, der unabdingbare Voraussetzung fur eine Mitbestimmung ist. Daher ist den erstinstanzlichen Entscheidungen der Arbeitsgerichte im Ergebnis zuzustim men, die bisher - soweit bekannt einhellig - eine Mitbestimmung verneint haben. 37 Sollten andere Gerichte wider Erwarten eine Mitbestimmung bejahen, würde dies voraussichtlich zu einer Aufweichung der Leitsätze fuhren, die die Betriebsräte - ein gerichtlich festgestelltes Mitbestimmungsrecht unterstellt notfalls über Einigungsstellenverfahren durchsetzen könnten. Dies hätte zur Folge, daß die amtlichen Leitsätze nicht (vollständig) innerbetrieblich umgesetzt werden könnten. Welche Sanktionen das Amt daraus für die Geschäftsleitung ableitet bzw. ableiten darf, bleibt ebenso abzuwarten wie die Beantwortung der Frage, ob sich das BAKred an den Prozeßkosten im Falle des Unterliegens beteiligen wird, die letztendlich durch eine Verlautbarung verursacht wurden, die sich dann gerade mit Blick auf die angedrohten Sanktionen als unrechtmäßig erwiesen hätte. e) Verlautbarung zu Handelsgeschäften In der Verlautbarung "Anforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften vom 23.10.1995 1,38 wird vom BAKred gefordert, die Gehälter der in den relevanten Geschäftsbereichen tätigen Mitarbeiter zur Vermeidung einer übermäßigen Riskobereitschaft im Rahmen der allgemeinen Geschäftstätigkeit so zu gestalten, daß sie nicht zu stark von der Entwicklung der Handelsergebnisse abhängen. 39 Dieser Eingriff des Amtes in die Gehaltspolitik kann die angemessene Personalausstattung der deutschen Kreditinstitute nachhaltig gefährden. Der internationale Markt z.B. fur hochqualifizierte
35
Vgl. zum Rechtscharakter der Grundsätze zu § 10 KWG o. FN.3.
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Die Leitsätze stellen einen Industriestandard dar, der in Abstimmung mit Bundesbank und Kreditwirtschaft ermittelt wurde und der eine ordnungsgemäße Geschäftsführung der Kreditinstitute widerspiegelt. 37 Z.B. ArbG Hannover vom 25.07.1995, Az 6 BV 4/95 n.v.; ArbG München vom 01.02.1995, Az 25 BVGa 2/95, n.v.
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Abgedr. in Reisehauer/Kleinhans, o.Fn. 2, KzA 281 Nr. 22; dazu Höfer/Jütten, destanforderungen an das Betreiben von Handelsgeschäften, Die Bank 1995, 752. ÌQ Schneider, o.Fn. 1, WM 1996, 712f.
Min-
Einflußnahme des BAKred auf das Bankprivatrecht
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Investmentbanker ist hart umkämpft.40 Die Beschränkung des Amtes kann zum Nachteil für deutsche Banken werden. Ein Mißstand bei einzelnen Instituten oder gar der gesamten Kreditwirtschaft ist nicht erkennbar. Ein Industriestandard, der im Widerspruch zur beanstandeten Form der Vergütung steht, scheint nicht ermittelt worden zu sein. Daher kann auch kein Verstoß gegen die ordnungsgemäße Geschäftsführung vorliegen. III. Fazit 1. Die Beispiele zeigen, daß in Einzelfällen Anordnungen in den Verlautbarungen enthalten sind, die das Bankprivatrecht unmittelbar berühren. Teilweise fehlt dem BAKred die Rechtsgrundlage für die darin enthaltenen Regelungen. Insbesondere kann es sich in diesen Fällen häufig nicht auf § 6 KWG berufen, weil der für den Eingriff vorausgesetzte Mißstand oder der konkrete Bezug zum KWG fehlt. Teils mangelt es an einem Mißstand, der nicht nur vereinzelte Institute betrifft, sondern die gesamte Kreditwirtschaft, teils liegt gar kein Mißstand vor oder das Amt legt ihn nicht hinreichend dar. Wegen der angedrohten Sanktionen sind die Banken dennoch gehalten, die Vorgaben zu beachten. 2. Die Umsetzung der privatrechtsbezogenen Anordnungen führt in vielen Fällen zu Problemen. Zum einen ist die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit zweifelhaft, zum anderen stehen betriebswirtschaftliche Überlegungen entgegen. Nicht zuletzt stellt das Individual- oder Kollektivarbeitsrecht ein Hindernis dar. Die rechtlichen Probleme können zu unnötigen Prozeßkosten und Schadensersatzforderungen führen. 3. Es ist zu hoffen, daß sich das BAKred bei künftigen Regelungen im Interesse der Rechtssicherheit für die Adressaten eng an die Voraussetzungen einer Eingriffsgrundlage und eigene Aussagen hält. So heißt es in einem Beitrag von Artopolus: „Diese Vorschrift [§ 6 Abs. 2 KWG, Anm. d. Verf.} erlaubt es dem Amt weder, einzelnen Kreditinstituten per Verwaltungsakt Weisungen zu erteilen, noch enthält sie eine Ermächtigung für das Amt, allgemeine Verhaltensvorschriften für die Kreditinstitute zu normieren".41 Die Umsetzung aufsichtsrechtlicher „Empfehlungen" ins Privatrecht sollte dem
40
Handelsblatt vom 05.06.1996 (Nr. 107), S. 39.
41
ZKw 1994, 1085,1090.
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Andreas Fülbier
Ermessen der Bank überlassen bleiben. Sie trägt letztendlich auch das (Kosten-)Risiko fur die prozessuale Durchsetzung. 4. Die Kreditinstitute sollten sich bei bereits bestehenden Anordnungen um vertragliche Vereinbarungen bemühen, die die Schere zwischen Bankaufsichts- und Bankprivatrecht zumindest teilweise schließen. Die Durchsetzung der Vereinbarungen steht im Ermessen der Bank. Ob diese der gerichtlichen Überprüfimg standhalten, bleibt allerdings fraglich.
Allfinanz - eine Zwischenbilanz CHRISTIAN HINSCH
I. Einleitung Seit Anfang der 80iger Jahre wurde das Thema Allfinanz ca. 10 Jahre lang intensiv diskutiert. Es gibt wohl kaum einen größeren Versicherer oder eine Bank, die sich in den 80iger Jahren neben der Frage der Internationalisierung unter den Stichworten Deregulierung und Europa nicht auch mit dem Thema Allfinanz beschäftigt hätte, das heißt mit der Ausweitung seiner Geschäftstätigkeit auf den jeweils anderen Bereich durch Kauf, Fusion, Beteiligung, Kooperation, gegenseitige Empfehlung oder andere Form der Zusammenarbeit. In den letzten Jahren seit etwa 1993 ist es etwas ruhiger um das Thema geworden. Von Unternehmensberatern und Managementschulen werden inzwischen andere Konzepte propagiert, die vielleicht teilweise sogar einen gegenläufigen Trend darstellen: Konzentration auf Kernkompetenz, Outsorcing, Kundenorientierung, Direktbanking und Direktversicherung. Die Zeit scheint also reif, eine Zwischenbilanz zu ziehen: War Allfinanz ein Irrweg? Schlägt das Pendel nun zurück? Oder gibt es erfolgreiche Allfinanzkonzepte im Einklang mit den genannten neueren Entwicklungen? Um die aufgeworfenen Fragen rein empirisch zu beantworten, ist der Beobachtungszeitraum sicher noch zu kurz. Deshalb empfiehlt sich zunächst ein Blick auf die ursprünglich angeführten Argumente für das Allfinanz-Konzept.
II. Motive fur Allfinanz Der stärkere Impuls zur Allfinanz ging anfangs von den Banken aus. Ihre Überlegungen beruhten auf folgenden Erkenntnissen: 1. Anfang der 80iger Jahre wurde absehbar, daß durch den Rückgang der Geburtenrate bei gleichzeitiger Verlängerung der Lebenserwartung eine veränderte Altersstruktur der Bevölkerung entstehen mußte. Daraus war ableitbar, daß die staatlichen Rentensysteme an ihre Grenzen stoßen und in wachsendem Maße durch private Vorsorgesysteme wie die Lebensversicherung
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Chiristian Hinsch
ergänzt werden mußten. Der Markt für Lebensversicherungen versprach also weiter zu wachsen. 2. Parallel zeichneten sich Verschiebungen innerhalb des Marktes für Kapitalanlagen ab. Der Trend ging weg vom niedrig verzinsten Sparbuch zu anspruchsvolleren und renditestärkeren Anlageformen, wie Wertpapieren und Lebensversicherungen, also teilweise weg von der Bank zur Lebensversicherung. 3. Dabei wuchs in diesen Jahren das pro Haushalt verfugbare Einkommen und damit das für Finanzdienstleistungen disponible Vermögen noch deutlich an. 4. Schließlich zeichnete sich die „Generation der Erben" bereits ab. Deren Geldanlagebedürfiiisse wollte sich kein Finanzdienstleister entgehen lassen. 5. Demnach war in einem wachsenden Markt der Geldvermögensbildung der Anteil der Banken rückläufig, weil der Teilmarkt des Versicherungssparens deutlich stärker als die traditionellen Bankgeschäfte wuchs.1 6. Sogar beim Aktivgeschäft der Banken, der Kreditvergabe, drangen Fremde in angestammte Geschäftsfelder ein durch Beleihung von Lebensversicherungen, von Bausparverträgen („Dispo 2000"), Finanzierungen von Autos, Leasing etc. Um diesem doppelten Marktanteilsverlust und gleichzeitig der schleichenden Erosion ihrer Refinanzierungsbasis im Passivbereich entgegenzuwirken, waren die Banken bestrebt, das Versicherungssparen mit anzubieten. Als erste reagierte 1983 die Deutsche Bank mit ihrem „Sparplan mit Versicherungsschutz". Sie ist damit aber keineswegs der Erfinder der Allfinanz, denn bereits 1922 hatten die Genossenschaftsbanken die R + V-Versicherung gegründet und seitdem recht erfolgreich zu einem der größten deutschen Versicherer entwickelt. Die Versicherer auf der anderen Seite erkannten ebenfalls den wachsenden Markt für Vermögensbildung und private Vorsorge. Sie waren nicht bereit, ihr Terrain kampflos preiszugeben, sondern beschäftigten sich ihrerseits mit einer Ausweitung ihrer Aktivitäten auf den Banksektor. Banken wie Versicherungen stellten dabei folgende weitere Erwägungen an: 7. Eine Bank hat bereits eine feste Beziehung zu seinem Kunden, der in die Schalterhalle kommt. Der Versicherungsvertreter muß diese Beziehung erst aufbauen. Da liegt es nahe, den Bankkunden in der Schalterhalle für Versicherungsprodukte zu interessieren. Davon versprach man sich einen Heidenreich, bank und markt 1/1992, S. 16; Lütke-Bornefeld, Versicherungswirtschaft 1990, S. 970, 971.
Allfinanz - eine Zwischenbilanz
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doppelten Vorteil. Die Versicherung konnte einen neuen zusätzlichen Vertriebsweg und neue Kunden erschließen. Die Bank sollte für die Vermittlung der Versicherungsprodukte Provisionen bekommen und dadurch einen zusätzlichen Deckungsbeitrag fur ihr kostenintensives stationäres Filialnetz erwirtschaften können. 8. Genauso erhoffte man sich umgekehrt ebenfalls Synergieeffekte, indem der mobile Versicherungsaußendienst seine Kundenbeziehung durch CrossSelling zum Verkauf von Bankprodukten nutzen und damit gleichzeitig der Bank neue Kunden zufuhren sollte. 9. Ähnlich wie die Banken in Lebensversicherung abwanderndes Sparkapital im eigenen Hause behalten wollten, waren die Versicherer bemüht, das aus der Rückzahlung von Lebensversicherungen freiwerdende Anlagekapital nicht an die Banken zu verlieren. Das ließ sich vermeiden, wenn eine Bank zum Konzern gehört. 10. Versicherer haben ständig einen erheblichen Kapitalanlagebedarf. Es erschien attraktiv, diesen mit einem verbundenen Unternehmen abzuwickeln und damit die Margen selbst zu verdienen. 11. Banken wie Versicherer führten fur die Allfinanz darüber hinaus das Kundeninteresse an. Wenn alle seine Wünsche aus einer Hand abgedeckt werden können, profitiere der Kunde. Die gerade bei Dienstleistern beklagte mangelhafte Kundenorientierung lasse sich dadurch verbessern. 12. Bank- wie Versicherungsgeschäft gehören zum Bereich der Finanzdienstleistungen, sind also verwandte und benachbarte Branchen. Beide Branchen sind in der Vergangenheit überproportional gewachsen. Eine Diversifizierung in das jeweils andere Gebiet erschien damit wirtschaftlich attraktiv.
III. Synergie aus Diversifizierung? Knapp 15 Jahre nach Beginn dieser Entwicklung gibt es mit einer Ausnahme keinen großen deutschen Versicherer und keine große deutsche Universalbank, die keinen Allfinanz-Partner aus der anderen Branche hat. Dennoch ist es um einige mit großem Presserummel angekündigte Allfinanzprojekte recht ruhig geworden. Sie sind steckengeblieben oder gar teilweise revidiert worden, wie z.B. der Kauf der BfG Bank durch die Aachen Münchener Versieherung, die die A u. M DM 3 Mrd. gekostet haben soll. Andere Allfinanzange2
Manager Magazin 6/1993, S. 127, 132, 133.
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Chiristian Hinsch
bote funktionieren offenbar recht gut.3 Statistiken der Verbände zufolge wird inzwischen in Europa jede vierte Lebensversicherung über Bankschalter verkauft, 4 in manchen Ländern, wie etwa Frankreich sogar schon jede zweite.5 Da drängt sich die Frage auf, woran es liegt, daß manche Projekte erfolgreich sind, andere dagegen nicht. Einige der skizzierten Motive für ein Allfinanzkonzept leiten sich aus der Erwartung ab, eine Diversifizierung in benachbarte Branchen sei per se mit Synergieeffekten verbunden. Diese Überlegungen sind im damaligen gesamtwirtschaftlichen Kontext zu sehen. Die Industrie hatte vorgeschaltete Teilezulieferer und nachgeschaltete Groß- oder Einzelhändler aufgekauft und in einem Konzern zusammengefaßt. Zudem bemühte man sich um Diversifizierung in andere Branchen und erhoffte sich davon Risikoausgleich und Synergieeffekte. Spektakulärstes Beispiel ist die Vision eines Technologiekonzerns Daimler Benz. Diese Erwartungen werden inzwischen wesentlich nüchterner gesehen. Das gilt auch für den Sektor der Finanzdienstleistungen. Eine Allfinanzstrategie, die aus dem bloßen Zusammenlegen von Bank- und Versicherungsgeschäften schon Synergie- und damit Kostensenkungseffekte erwartet, hat sich nicht als erfolgreich erwiesen.6 Vielmehr hat sich gezeigt, daß bestimmte Geschäftsfelder sich für ein Allfinanz-Angebot eignen und davon profitieren, andere dagegen weniger. Die Fragestellung kann daher nicht lauten, ob Allfinanz generell sinnvoll ist, sondern konkreter, - welches Produkt - welche Kundengruppe und - welcher Vertriebsweg eignet sich für eine Allfinanz-Zusammenarbeit und profitiert am meisten davon. Anschließend stellt sich die Frage nach der optimalen rechtlichen Form der geplanten Zusammenarbeit zwischen Bank und Versicherung.
Gute Übersicht über europaweit 23 Allfinanz-Angebote mit allerdings recht subjektiver Bewertung in : Manager Magazin 6/1993, S. 130-133; siehe auch Schulz, Die Bank 1993, S. 631. 4
Holfeld, Versicherungswirtschaft 1995, S. 564, 565.
5
Gessner, Versicherungswirtschaft 1990, S. 85.
6
Ebenso besonders Schieren, Versicherungswirtschaft 1991, S. 4, 5, 8.
Allfinanz - eine Zwischenbilanz
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IV. Produkte Nicht alle Produkte aus dem Angebotsspektrum der Banken und Versicherungen sind gleich gut geeignet, über den branchenfremden Partner vertrieben zu werden. Generell gilt: je einfacher und standardisierter das Produkt, desto erfolgreicher der Vertrieb durch den Partner. Berührungspunkte zwischen den Produktpaletten von Banken und Versicherungen gibt es vor allem im Bereich des langfristigen Sparens. Hier hat die Allfinanz-Idee durch das Abwandern von Spargelder vom Sparbuch zur Lebensversicherung auch ihren Ursprung genommen. Deshalb profitieren die Produkte aus diesem Grenzbereich besonders von einer Allfinanz-Zusammenarbeit, zumal die Grenzen zwischen Bank- und Versicherungsprodukten so fließend geworden sind, daß ein Kunde zuweilen auf den ersten Blick gar nicht mehr wahrnimmt, daß ein branchenfremdes Produkt verkauft wird. Beispiel: Eine Bank bietet ihrem Kunden bei mindestens zwölfjähriger Festlegung eines Kapitalbetrages steuerfreie Zinserträge an und verkauft damit tatsächlich Kapitallebensversicherungen mit Beitragsdepot ihres Allfinanz-Partners. Ein zweiter Bereich der Berührung sind langfristige Finanzierungen, ζ. B. von Immobilien, denn diese können durch ein herkömmliches AnnuitätenBankdarlehen, durch ein mit einer Lebensversicherung hinterlegtes Bankdarlehen oder direkt mit eigenen Mitteln einer Lebensversicherung abgewickelt werden. Beim langfristigen Sparen wie beim langfristigen Finanzieren spielt die Lebensversicherung eine Rolle. Sie hat sich deshalb in der Praxis als das Produkt erwiesen, das mit Abstand am meisten von einer Allfinanz-Zusammenarbeit profitiert. Nach einer Untersuchung eines Unternehmsberaters konnte die Deutsche Bank 5 % ihrer Bankkunden eine Lebensversicherung der hauseigenen Lebensversicherungsgesellschaft verkaufen, ein Niederländischer Lebensversicherer konnte seinen Umsatz nach der Übernahme durch eine Bank über den neuen Vertriebsweg fast verdoppeln und bekommt die R+V rund 80 % ihres Lebensversicherungs-Neugeschäftes über die Genossenschaftsbanken.7 Weitere Ansatzpunkte für den Verkauf von Versicherungsprodukten über eine Bank sind die Kfz- und die Unfallversicherung etwa im Zusammenhang mit der Vergabe eines Autokredites, die Vermittlung einer KreditversicheManager Magazin 6/1993, S. 130 - 133 unter Berufung auf eine Studie des Beraters A.T. Kearney.
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Chiristian Hinsch
rung im Zusammenhang mit Kreditgeschäften oder eine Feuerversicherung fur eine beliehene Immobilie. Umgekehrt lassen sich Bankprodukte nur sehr schwer über Versicherungsvertriebswege verkaufen. Gelegentlich kann zumindest eine Empfehlung ausgesprochen oder ein Kontakt vermittelt werden. Häufig ist jedoch das Bankgeschäft schon getätigt, wenn der Versicherer den Kontakt bekommt, weil die Finanzierung vor der Versicherungsfrage gelöst wird. Im Bereich des Passivgeschäftes der Banken fällt es einem Versicherungsvertreter schwer, Geld in andere Anlageformen außerhalb der Lebensversicherung umzuleiten.
V. Kundengruppen Kompositversicherer wie Universalbanken gliedern sich innerbetrieblich in dem Bestreben einer optimalen Kundenorientierung nach Kundengruppen. Versicherer unterteilen in die Geschäftsbereiche Privat/Gewerbe/Industrie, Banken in die Bereiche Firmen/Privat, letzterer Bereich zuweilen gespalten in Standard- und gehobenes Privatkundengeschäft. Diese Kundengruppen stellen jeweils unterschiedliche Anforderungen an den Verkäufer von Finanzdienstleistungen. Sie sind deshalb auch unterschiedlich geneigt, sowohl Bank- als auch Versicherungsprodukte aus einer einzigen Hand abzunehmen. Im Industrie- oder gar Konzerngeschäft sind die Vorteile aus einer Allfinanz-Zusammenarbeit relativ gering. Die Kunden dieser Kundengruppe sind selbst Fachleute und erwarten maßgeschneiderte Lösungen von Experten für Experten. Das jeweils andere Gebiet ist zudem meist schon fest in der Hand eines spezialisierten Anbieters. Eine Bank kann ihrem Konzernkunden keine Feuer-Betriebsunterbrechungs-Versicherung verkaufen, der Versicherer kann keine Aktienemission abwickeln. Über bloße Empfehlungen und Türöffnen kommt die Zusammenarbeit zwischen Bank und Versicherung hier deshalb kaum hinaus. Wenn Banken sich dennoch an Industrieversicherern oder Maklern beteiligen, z.B. die Beteiligung der Deutschen Bank an Gerling und Jaspers Industrie Assekuranz, so verfolgen Sie damit zumindest parallel auch Finanzanlageziele. Im mittleren Kundengruppensegment, bei kleineren Unternehmen aus Herstellung, Handel, Handwerk und Gewerbe gibt es durchaus erfolgreiche Allfinanz-Anbieter. Als Beispiel dafür kann die Zusammenarbeit Volksbanken und R + V-Versicherung angeführt werden. In diesem Bereich kommt es
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in der Praxis immer wieder vor, daß über Paketangebote sanfter wirtschaftlicher Druck in Richtung auf den Abschluß beim Partnerunternehmen ausgeübt wird. Meist geht dieser Druck von der Bank in Richtung Abschluß bei einem bestimmten Versicherer, kaum einmal umgekehrt. So wird ζ. B. ein bestimmter Kreditzinssatz oder die Einräumung einer Kreditlinie von dem Abschluß wichtiger Versicherungsverträge bei einem bestimmten Versicherer abhängig gemacht, der der Bank Provision bezahlt. Dies ist zwar wettbewerbsrechtlich bedenklich, in der Praxis aber gang und gebe. Aus vertrieblicher Sicht wird ein Alifinanzangebot im mittleren Bereich dadurch erleichtert, daß der Ansprechpartner für Bank und Versicherung anders als im Industriegeschäft meist dieselbe Person ist, der kaufmännische Sachbearbeiter oder der Inhaber. Dabei haben die Banken den bereits erwähnten Startvorteil. Vor allem bei Geschäftsgründungen oder bei Neubauten sind sie häufig einfach früher eingebunden. Später besteht ihr vertrieblicher Vorteil darin, daß sie häufigere Kundenkontakte haben und ihre Leistung, der Kredit, vom Kunden gebraucht wird, während der Versicherungsbedarf häufig erst noch geweckt werden muß. Dennoch sinkt mit Überstehen der Anlaufphase die Abhängigkeit eines Betriebes von seiner Bank und damit steigt die Chance der von der Hausbank unabhängigen Versicherer auf einen Einstieg. Einen beachtlichen Erfolg mit echten Allfinanz-Angeboten nach dem Motto „alles aus einer Hand" haben im mittleren Kundensegment unabhängige Vermittler, die sich ganz auf eine Zielgruppe wie etwa Ärzte, Rechtsanwälte, Autohäuser, Sanitärhandel oder Softwarehäuser spezialisieren. Mit ihren entstandardisierten maßgeschneiderten Produkten erwerben sie das Vertrauen ihrer Kunden und können es dann für beide Finanzdienstleistungsbranchen nutzen. Der Schwerpunkt der Allfinanz-Aktivitäten liegt im Privatkundengeschäft. Das überrascht nicht, wenn man bedenkt, daß die geschilderten makroökonomischen Entwicklungstendenzen über das Sparverhalten fast ausschließlich das Privatgeschäft betreffen. Besonders attraktiv und deshalb auch besonders umworben ist dabei das Marktsegment Gehobenes Privatkundengeschäft. Da dieser Bereich, wenn man die freien Berufe hinzuzählt, besonderen Bedarf für private Altersvorsorge hat, liegt er zu recht im Fadenkreuz der Allfinanz-Strategen. Die Kunden dieser Kundengruppe sind allerdings gut informiert und wählerisch. Ein
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Chiristian Hinsch
schlechtes und teures Allfinanzprodukt mit oberflächlicher Beratung läßt sich hier kaum verkaufen.8
VI. Vertrieb Von den eingangs geschilderten Erwartungen an die Allfinanzkonzepte haben sich die erhofften Vorteile am ehesten im Vertrieb eingestellt. Die Erfolge sind allerdings unterschiedlich auf die vier Hauptvertriebskanäle von Bankund Versicherungsprodukten - eigener (Versicherungs)außendienst - (Bank)filialnetz - Direktvertrieb - unabhängige Vermittler verteilt. Der klassische, eigene Außendienst der Versicherer verkauft nur sehr begrenzt Bankprodukte. Ebensowenig verkaufen Geschäftsstellen deijenigen Versicherer Bankprodukte, die ihren Vertrieb über Geschäftsstellen organisiert haben. Die Gründe dafür - bereits mehrfach angeklungen - sind etwas verkürzt: Die einfachen Bankprodukte hat der Kunde schon, wenn er in Kontakt mit dem Vertrieb des Versicherers kommt, die komplizierten kauft er nicht von einem Versicherer. Bantfilialen sind dagegen recht erfolgreich im Vertrieb von Versicherungsprodukten, insbesondere im Verkauf von Lebensversicherungen. Sie eröffnen den Lebensversicherern damit einen zusätzlichen Vertriebsweg und erreichen durch dieses Cross-Selling fur sich selbst gleichzeitig eine bessere Kostendeckung. Die Ausgangsziele der Allfinanz-Strategen haben sich an dieser Stelle weitgehend realisiert. Als Beispiele für eine solche erfolgreiche Vertriebszusammenarbeit lassen sich in Deutschland wiederum der Vertrieb von Produkten der R u. V über Volksbanken, der öffentlich-rechtlichen Versicherer über Sparkassen oder der CiV-Versicherungen über die Citi-Bank anführen. Andererseits gibt es aber auch Kooperationen, die nicht so erfolgreich sind, obwohl sie die gleichen Produkte fur die gleiche Kundengruppe über den gleichen Vertriebsweg anbieten. Daraus läßt sich ableiten, daß weitere Erfolgsfaktoren hinzukommen müssen, die übrigens generell für den Vertrieb über einen Allfinanzpartner auch außerhalb der Bankfilialen gelten.
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Heidenreich,
bank und markt 1/1992, S. 16.
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Ein Gesichtspunkt scheinen Image, Kompetenz und Kultur des Lieferanten zu sein, die zum Vertriebskanal des Partners und dem davon schwerpunktmäßig angesprochenen Käufertyp passen müssen. Beispiele: 1. Eine service- und beratungsorientierte Geschäftsbank mit gehobenem Image, wie z.B. Bankhaus Oppenheim, eignet sich nicht fur den Vertrieb von Produkten eines geschäftsstellengestützten Niedrigpreisversicherers. 2. Eine Kapitallebensversicherung eines Industrieversicherers in Form einer mitarbeiterfinanzierten Pensionszusage läßt sich nicht über eine spezialisierte Verbraucherkreditbank vertreiben. 3. Volksbanken und R u. V bewegen sich dagegen innerhalb ihrer jeweiligen Märkte in ähnlicher Preispositionierung und jeweils besonders erfolgreich in ländlichen Regionen. Sie können deshalb sogar wechselseitig ihre Vertriebskanäle nutzen. Ein weiterer Erfolgsfaktor bei der Nutzung eines fremden Vertriebskanals ist die Abstimmung der Verkaufsanreize nach Art und Höhe auf den neuen Vertriebsweg. So sind z.B. Provisionen im Versicherungsbereich üblich, im Bankfilialbereich dagegen weniger. Daraus entsteht für das Beispiel des Vertriebs von Versicherungen über Bankfilialen die Frage, ob überhaupt Provisionen bezahlt werden sollen und ob sie dem einzelnen, einer Gruppe oder nur dem Unternehmen zugute kommen sollen. Wird der Erfolg der Bankfiliale oder individueller Mitarbeiter üblicherweise über „Rennlisten" sichtbar gemacht, empfiehlt sich dieses Vorgehen auch für das fremde Produkt. Da Versicherungen in einer Bank meist nicht nachgefragt sondern aktiv angesprochen werden müssen, wird dieser Anreiz für den Verkauf von Versicherungen indessen meist nicht ausreichen, es müssen Provisionen vergütet werden. Kommt die Provision nur der Bankfiliale als Ganzes zugute, entsteht kein Bruch im individuellen Anreizsystem, daß der einzelne Mitarbeiter ζ. B. für den Verkauf einer Lebensversicherung eine Provision erhält, für den Abschluß eines langfristigen Sparvertrages dagegen nicht. Andererseits ist der Anreiz, fremde Allfinanz-Produkte zu verkaufen, nur dann für den einzelnen Mitarbeiter wirklich gegeben, wenn seine individuelle Leistung auch ihm persönlich honoriert wird. Deshalb werden etwa bei Volksbanken und Sparkassen den einzelnen Mitarbeitern für den Verkauf von Lebensversicherungen geringe materielle Anreize in Form von Provisionen individuell vergütet. Direktbank und Direktversicherung haben in der Regel eine weniger starke Kundenbindung als die klassischen Vertriebswege. Sie müssen sich
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gegenüber ihrem Kunden, der häufig daneben Geschäftsbeziehungen zu den klassischen Vertriebsformen unterhält, immer wieder neu durch ihren günstigen Preis beweisen. Deshalb sind branchenfremde Produkte hier um so schwerer zu verkaufen. Immerhin dürfte der Kundenstamm von Direktversicherern, die schon etwas länger als Direktbanken am Markt sind, ein interessantes Adressenpotential für eine Direktbank darstellen, denn diese Kunden sind es offenbar gewohnt, ohne aufwendige persönliche Beratung für sich selbst ein günstiges Produkt herauszusuchen. Erfahrungen mit Cross-SellingErfolgen von Diiektbanken liegen bisher kaum vor, denn es handelt sich um einen relativ neuen Vertriebsweg. Nach den bisherigen Allfinanz-Erfahrungen ist es jedoch wahrscheinlich, daß sie jedenfalls banknahe preisgünstige Versicherungsprodukte, insbesondere Lebensversicherungen durchaus erfolgreich werden vertreiben können. Ein vierter Ansatz für einen gleichzeitigen Vertrieb von Bank- und Versicherungsprodukten ist der Verkauf über unabhängige Vermittler wie Makler, Strukturvertriebe, Finanzberater oder Spezialanbieter für bestimmte Berufsgruppen. Hier bedient sich nicht die Bank des Versicherungsvertriebes oder die Versicherung des Bankfilialnetzes, sondern beide benutzen gemeinsam einen Dritten. Die unabhängigen Vermittler sind dabei unterschiedlich erfolgreich mit ihren Allfinanz-Angeboten. Industrieversicherungsmaklern gelingt der Verkauf von Bankprodukten kaum. Im mittleren Firmen- und im Privatbereich dagegen sind Strukturvertriebe, Finanzberater und vor allem solche Spezialanbieter mit diesem Konzept erfolgreich, die sich ganz auf das von ihnen betreute Kundensegment, wie ζ. B. Ärzte, Rechtsanwälte oder Einzelhändler einer ganz bestimmten Branche ausgerichtet haben. Sie brauchen sich nicht von der einen Welt in die andere umzugewöhnen. Ob sie ihre Klienten dabei tatsächlich fachlich optimal oder nur provisionsoptimal beraten, wird zwar gelegentlich in Zweifel gezogen. Tatsache bleibt jedoch der beachtliche Allfinanz-Erfolg dieser Vertriebsform, der sicherlich seinen Grund in der Spezialisierung auf dieses Kunden- und Produktsegment hat. Denn umgekehrt kann der Verkauf von Finanzdienstleistungen als Mitnahmegeschäft im Supermarkt - auch Annexvertrieb genannt - als gescheitert bezeichnet werden.
VII. Form der Zusammenarbeit Allfinanz kommt in folgenden Formen in der Praxis vor: - Kooperation, Beispiel: Victoria/Bayerische Vereinsbank
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- Minderheitsbeteiligung, Beispiele: Allianz/Dresdner Bank; Gothaer/ Berliner Bank - Mehrheitsbeteiligung/Fusion, Beispiele: Aachen Münchener/BfG-Bank; Deutsche Bank/ Deutscher Herold - Eigengründung, Beispiele: Gründung eigener Lebensversicherungsgesellschaften durch Deutsche Bank, KKB, Wüstenrot; Gründung des Kompositversicherers R u. V durch Volksbanken. Jede dieser Formen hat Vor- und Nachteile. Welche im Einzelfall die beste ist, hängt von der Ausgangslage des jeweiligen Unternehmens sowie dem mit dem Allfinanzangebot anvisierten Kundensegment ab. Die Eigengründung hat den Vorteil, daß Management und Kultur des neuen Unternehmens von Anfang an synchron entwickelt werden können. Ein mühsamer Anpassungs- und Koordinationsprozeß entfällt. Struktur, Geschäftsleitung und Vertrieb der neuen Gesellschaft können genau auf das anvisierte Geschäftsfeld fokussiert werden. Außerdem braucht der eigene Kundenstamm Fremden nicht zugänglich gemacht zu werden. Nachteil ist, daß dieser Weg kapitalintensiv und langwierig ist. Know how und eigener Vertrieb müssen aufwendig aufgebaut werden. Dabei lauern naturgemäß viele Fehlerquellen. Nicht zuletzt um den langwierigen Aufbauprozeß abzukürzen, hat wohl die Deutsche Bank nach der Eigengründung der Deutsche Bank Leben bei passender Gelegenheit den Deutschen Herold und schließlich eine Minderheitsbeteiligung am Gerling Konzern dazugekauft. Der Weg der Eigengründung eignet sich besonders für Banken. Für Versicherungen ist der Weg der Eigengründung nicht so attraktiv, weil der Anreiz des vorhandenen Vertriebsnetzes fehlt. In Deutschland ist zudem die Gründung einer Bank durch eine Versicherung wegen §§7 Abs. 2 und 54 a VAG versagt.9 Schneller als durch Eigengründung ist ein Allfinanzangebot durch den Erwerb einer Mehrheitsbeteiligung oder eine Fusion zu erreichen. Der Nachteil gegenüber der Eigengründung besteht vor allem darin, daß Kultur, Management und Vertrieb der Unternehmen aufeinander abgestimmt werden müssen. Daran kann die Allfinanzehe leicht scheitern, weil Versicherungen und Banken oft sehr unterschiedliche Kulturen haben. Zudem ist dieser Weg meist noch aufwendiger als die Eigengründung, denn der Erwerb einer Lebensversicherung durch eine Bank ist wegen des dort angesammelten Kapitals sehr teuer. Das gilt ebenso umgekehrt für den Erwerb einer größeren Universalbank durch einen Versicherer. 9
Hohlfeld, Versicherungswirtschaft 1995, S. 564.
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Der Erwerb eines preiswerten Sanierungskandidaten scheint ein Ausweg zu sein. Neben dem Risiko der Sanierungsfahigkeit besteht der Nachteil dieser Lösung indessen darin, daß die Integration eines komplexen branchenfremden Unternehmens ohnehin schon erhebliche Managementkapazitäten beim Käufer bindet. Muß das erworbene Unternehmen zusätzlich noch saniert werden, besteht die Gefahr, daß die Konzentration auf die eigentlichen Stärken beim Käufer verloren geht. Eine Kooperation verbunden mit einer Minderheitsbeteiligung am Partner erfordert geringeren Kapital- und Managementeinsatz. Insofern vermeidet sie die entsprechenden Nachteile einer Mehrheitsbeteiligung. Dafür ist die Einflußnahme- und Steuerungsmöglichkeit geringer, die Verbindung ist leichter lösbar und der Partner kann sogar von einem Wettbewerber übernommen werden, der dann völlig andere Ziele verfolgt. Diese Erfahrung hat Honda nach dem Kauf ihres Kooperationspartners Rover durch BMW machen müssen. Die Kooperation, mit Minderheitsbeteiligung unterlegt, ist ein Ansatz, der sich vor allem für Versicherer eignet. Sie verfolgen mit dem Allfinanzangebot, meist anders als die Banken, keine Ausdehnung in neue Branchen. Ihr Ziel ist im Sinne einer Defensivstrategie vielmehr die Eröffnung eines zusätzlichen Vertriebsweges für ihre angestammten Produkte. Dazu ist der Erwerb einer Bank nicht erforderlich. Die Vertriebskanäle können auch bei bloßen Minderheitsbeteiligungen aufeinander abgestimmt werden. Optimieren läßt sich dieses Modell, wenn die übrigen Anteile des Bankpartners im Streubesitz liegen und die Unternehmensverfassung sogar eine Sperrklausel vorsieht. Dadurch wird die Gefahr einer Übernahme durch einen Wettbewerber ausgeschaltet und gleichzeitig steigt die Einflußnahmemöglichkeit auf das Management. Dieses Modell wird von der Allianz im Verhältnis zur Dresdner Bank verfolgt.10 Die bloße Kooperation ohne Minderheitsbeteiligung am Partner schafft nur eine recht lose Zusammenarbeit. Es besteht die Gefahr, daß nach der anfänglichen Euphorie das Interesse erlahmt oder nur noch einseitig besteht. Die Identifikation mit dem fremden Produkt ist bei einer Kooperation gering. Eine dauerhafte unternehmerische Gesamtsteuerung kann nicht gewährleistet werden. Für eine langfristig angelegte Allfinanzstrategie eignet sich diese Form daher kaum. Sie kann aber zu temporärer Geschäftsbelebung und Mitnahmeeffekten fuhren oder als „Verlobungszeit" genutzt werden, in der vor einer geplanten Beteiligung geprüft wird, ob die Partner zueinander passen. 10
Schieren, Versicherungswirtschaft 1991, S. 4, 8.
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VIII. Fazit Fast jede große deutsche Bank und jeder große deutsche Versicherer ist in den letzten Jahren eine Allfinanz-Partnerschaft eingegangen. Insofern ist Allfinanz heute Routine. Entgegen den mancherorts vielleicht höher gesteckten Erwartungen hat sich allerdings herausgestellt, daß bei weitem nicht das gesamte Angebotsspektrum der Banken und Versicherungen von einer Allfinanz-Zusammenarbeit profitiert. Der Erfolg ist dort am größten, wo die Grenzen zwischen Bank- und Versicherungsprodukten ohnehin ineinander übergehen. Dies ist vor allem bei der Lebensversicherung der Fall oder allgemeiner ausgedrückt im Bereich des langfristigen Sparens und der langfristigen Finanzierungen. Unter den verschiedenen Kundengruppen eignen sich am besten das private und privatnahe Kundensegment für Allfinanzangebote. Im Industriesegment akzeptiert der Kunde eine intensivere Zusammenarbeit als die bloße gegenseitige Empfehlung kaum. Vorteile aus einer Allfinanz-Zusammenarbeit ergeben sich vor allem im Vertrieb. Am erfolgreichsten im Vertrieb von Produkten der jeweils anderen Branche ist die Bankfiliale. Auch unabhängige Vermittler haben mit Allfinanzangeboten Erfolg, vor allem wenn sie sich ganz auf ein engumgrenztes Kundensegment, wie ζ. B. Ärzte, spezialisieren. Generell gilt für jede Nutzung eines „fremden" Vertriebsweges, daß Kultur und Image des Lieferanten zum Vertriebsweg passen und die Anreizsystem aufeinander abgestimmt werden müssen. Auch bei der rechtlichen Form der Zusammenarbeit muß man differenzieren. Aus der Perspektive einer Bank, deren Motiv vor allem die Erweiterung ihrer Produktpalette in den Bereich der Lebensversicherungen ist, bietet sich die Eigengründung oder Mehrheitsbeteiligung an einer Versicherungsgesellschaft an. Versicherer suchen vor allem zusätzliche Vertriebswege für ihre Produkte. Ein geeigneter Weg dafür scheint die durch eine Minderheitsbeteiligung abgesicherte Kooperation mit einer Bank zu sein.
Emission und Haftung Ansätze fur eine Prospekthaftung im 19. Jahrhundert SIEGBERT LAMMEL
I. Wenn wir heute von Prospekthaftung sprechen, verbinden wir mit diesem Terminus weniger die gesetzlich angeordnete Haftung fur Prospektangaben nach den §§45, 46 BörsenG oder nach § 13 Wertpapierverkaufsprospektgesetz. Vielmehr richtet sich das Interesse auf solche Angaben, die für die Anlage im sog. grauen Kapitalmarkt werben. Denn das Kapital aus dem wirtschaftlichen Wohlstand fließt nur zum geringeren Teil in den börslichen Effektenhandel.1 Weit häufiger werden Anlageformen bevorzugt, die vor allem steuerliche Vorteile versprechen unter dem Motto "Vermögen aus ersparten Steuern bilden".2 Hierbei handelt es sich um Immobilienanlagen (Stichwort: Bauherrenmodelle3), aber auch um Beteiligungen an mittelständischen Unternehmen.4 Um das Kapital auf die jeweiligen Objekte aufmerksam zu machen, wird mit Prospekten geworben, die mehr oder (meist) minder ausführlich das geldsuchende Unternehmen beschreiben. Verbreitet werden die Prospekte entweder direkt von den Unternehmenspersonen (den Initiatoren, Treuhändern) oder über Anlagevermittler. Da aber nach dem Diktum eines Anlageberaters "40% solcher Angebote für den Staatsanwalt, 50% für den Papierkorb und nur 10% reell" seien,5 kommt es häufiger zu einem Zusammenbruch solcher Unternehmen als zu dem erwarteten Gewinn. Damit stellt sich für die Kapitalanleger die Haftungsfrage, da sie sich mit A. Grannemann, Prospektherausgeberhaftung auf dem grauen Kapitalmarkt (1988), S. 19. 2
3 4 5
Grannemann (Fn. 1), S. 20 - 24. Grannemann (Fn. 1), S. 30 - 33. Grannemann (Fn. 1), S. 28 - 30.
Nirk, Der "Emissionsprospekt" einer sog. Publikums(Abschreibungs-) Kommanditgesellschaft als Anspruchsgrundlage für geschädigte Kapitalzeichner, in: FS Hefermehl (1976), S. 189.
Emission und Haftung
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dem aus dem Spekulationsgeschäft letztendlich verwirklichten Risiko nicht abfinden wollen. Mangels Masse scheidet das Unternehmen als Zugriffsobjekt aus, so daß auf die bei der Unternehmens-Gründung, -Führung oder Verbreitung beteiligten natürlichen Personen zurückgegriffen wird.6 Tatsächlicher Anknüpfungspunkt für deren Haftung ist die Gestaltung des Werbematerials, in dem die mit der Investition verbundenen Risiken entweder verschleiert oder falsch dargestellt werden. Rechtlich wird die Haftung überwiegend auf das Institut der culpa in contrahendo gestützt,7 erweitert um eine Sachwalterhaftung besonderer, Vertrauen in Anspruch nehmender Personen.8 Obwohl sich die Rechtsprechung seit nunmehr fast einem viertel Jahrhundert mit dieser Frage beschäftigt, bleibt die dogmatische Einordnung der Haftung in der Wissenschaft weiter umstritten,10 auch wenn das haftungsbejahende Ergebnis der Rechtsprechung weithin gebilligt wird." Das Meinungsspektrum reicht von der Anknüpfung an § 3 UWG als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB über eine Analogie zu den gesetzlichen Prospekthaftungsnormen, einer Haftung für Werbung aufgrund eines im Prospekt liegenden Angebots, einer deliktsrechtlich begründeten Berufshaftung bis hin zu deliktisch geschützten Verkehrspflichten auf Informationsverschaffung. 12 Angesichts dieser Meinungsvielfalt erscheint ein Blick zurück zu den vergessenen - Anfangen der Prospekthaftung durchaus nützlich. Zwar wird der einschlägige Fall - der Lucca-Pistoja-Aktienrechtsstreit - häufig zitiert, ohne jedoch daraus für das heutige Rechtsverständnis konkrete Folgerungen zu ziehen; der genannte Rechtsstreit steht mehr als historisches Kuriosum denn als Leitbild im Raum.13 Zum personellen Umfang dieser Haftung Münchener Kommentar/Emmerich, Vor §275 Rn. 144- 148. 7
Horn, Culpa in Contrahendo, JuS 1995,377/384.
8
Baumbach/Hopt, HGB29, Anh. § 177a Rn. 60.
9 Seit BGH NJW 1973,1604 (14.12.1972); konkret auf die Ausgestaltung des Werbeprospekts gestützt BGH NJW 1978,1625. 10
Münchener Kommentar/Äramer, Vor § 241 Rn. 78.
11
Westa, Prospekt- und Vertriebshaftung bei steuerbegünstigten Kapitalanlagen (1988), S. 84. 12
S. den Überblick bei Müller-Boruttau, JA 1992,229/230.
13
So z.B. bei Roller, Die Prospekthaftung im Englischen und Deutschen Recht (1991), S. 185; auch Assmann, Prospekthaftung (1985), S. 47 - 51, beschränkt sich im wesentlichen auf die Wiedergabe der damaligen Argumente.
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II. Die Prospekthaftung kann als Folge ökonomischer, wirtschaftspolitischer und rechtlicher Umwälzungen festgestellt werden, die für Deutschland im 19. Jahrhundert von den letzten Auswirkungen der staatsgelenkten und damit auch staatlich gestützten Wirtschaft zur liberalen, damit aber auch "freien" Wirtschaft geführt haben. Drei Gesichtspunkte mögen hierbei im Zusammenhang mit dem Thema herausgestellt werden: die Entwicklung eines übernationalen Kapitalmarktes, die Umkehr von Geheimhaltung der wirtschaftlich relevanten Fakten zur Werbung und schließlich die Selbstbestimmung des wirtschaftenden Bürgers mittels des Vertrages. 1.
Die Entwicklung eines überregionalen Kapitalmarktes mit Aktien hing von verschiedenen Faktoren ab und zwar dem Aufkommen von Aktiengesellschaften, der freien Handelbarkeit der Aktien und letztlich der Entwicklung der Börsen, wobei sich diese Faktoren gegenseitig bedingen. Während im Ausland, besonders in England, aber auch in den Niederlanden und in Frankreich, Aktiengesellschaften etwa seit Mitte des 17. Jahrhunderts im Zusammenhang mit der Erschließung von Kolonien gegründet worden waren, kam diese Gesellschaftsform in Deutschland erst im 19. Jahrhundert in nennenswertem Umfang zum Zuge. Ihre Anfänge beruhten auf einem rein privaten vertraglichen Gründungsakt, der jedoch stets der obrigkeitlichen Konzession bedurfte. Mangels gesetzlicher Grundlage für diesen Hoheitsakt lag über jeder Neugründung eine rechtlich bedingte Unsicherheit, was die Kapitalaufbringung nicht gerade förderte. Erst als für die Konzessionserteilung rechtliche Regeln geschaffen wurden, konnte mit einer gewissen Sicherheit an die Gründung der Aktiengesellschaften gegangen werden. Des weiteren war es erforderlich, daß sich die Aktiengesellschaften überhaupt dem breiten Publikum als Anlagemöglichkeit dargeboten haben. Das war für die erst im 19. Jahrhundert in Deutschland verstärkt beginnende Entwicklung der Aktiengesellschaften nicht selbstverständlich. Ihre ersten Erscheinungsformen waren dadurch gekennzeichnet, daß sie "personalistisch" strukturiert waren. Sie wendeten sich an einen begrenzten Personenkreis als Teilhaber, der den Gründern als Kaufleute am Ort der Gesellschafitsgriindung bekannt war. Verstärkt wurde diese Tendenz noch dadurch, daß die Anteilsscheine (Aktien) als Namensaktien ausgegeben wurden und nicht frei verkehrsfahig waren. Die frühen deutschen Aktiengesellschaften stellten
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daher gleichsam eine "Personenhandelsgesellschaft auf Aktien" dar.14 Den anonymen Gesellschaften begegnete man mit Mißtrauen, das notwendige Unternehmenskapital besorgte man sich bei Verwandten und Bekannten.15 Diese Finanzierungsform stieß aber bald an ihre Grenzen, als Unternehmen projektiert wurden, die mit ihrem Finanzbedarf über die Finanzkraft des personalen Umfeldes der Unternehmer weit hinausgingen. Motor dieser Entwicklung war auf politischer Ebene der Deutsche Zollverein, auf wirtschaftlicher der Bau der Eisenbahnen16; der Fall der Zollschranken erleichterte den Verkehrsfluß zwischen den deutschen Staaten, mit der Folge, daß der verstärkte Verkehr den Ausbau der Eisenbahnen gegünstigte und dieser zu einer verstärkten Kapitalsammlung in Aktiengesellschaften führte. 17 Der Kapitalbedarf konnte aber nunmehr nicht mehr durch lokale, personell begrenzte Emissionen gedeckt werden, sondern es mußte auf das im ganzen Lande durchaus vorhandene, anlagebereite und im gewissen Sinne auch spekulationsgeneigte Vermögen zurückgegriffen werden, m.a.W. der personale Bezug zu den einzelnen Anteilsinhabern ging notwendigerweise verloren. Damit verlor aber auch die Namensaktie ihre innere Berechtigung; sie wurde ersetzt durch die Inhaberaktie. Jetzt erst konnte um das Kapital frei geworben werden; jetzt erst wurde der Schritt von der Beteiligungsgesellschaft zur Publikumsgesellschaft vollzogen. Denn der Aktieninhaber brauchte sich nicht mehr mit der bloßen Verzinsung seines eingeschossenen Kapitals zu begnügen, er konnte eine durchaus lukrativere Verzinsung des Kapitals durch die Entwicklung der Aktienkurse erwarten. Letzteres hing von der Organisation der Börsen ab. Prägend für den deutschen Kapitalmarkt waren im 19. Jh. vor allem zwei Börsen, die Frankfurter und die Berliner Börse. Während die Frankfurter Börse auf eine lange Erfahrung der einheimischen Geldhändler mit Geldgeschäften zurückblicken konnte, aber im 19. Jh. vor allem als Markt mit öffentlichen Anleihen gewählt wurde, gelang es der Berliner Börse in verhältnismäßig kurzer Zeit, eine dominierende Stellung auf dem Aktienmarkt, vor allem dem der Eisen18 bahngesellschaften, zu erlangen. 14
Bösselmann, Die Entwicklung des deutschen Aktienwesenes im 19. Jahrhundert (1939), S. 55 vergleicht sie mit den frühen Genossenschaften. 15 Kellenbenz, Deutsche Wirtschaftsgeschichte II (1981), S. 143; Coing, Europäisches Privatrecht II (1989), S. 96. 16
Treue, Wirtschaftsgeschichte der Neuzeit 2 (1966), S. 526.
17
R. Walter, Wirtschaftsgeschichte (1995), S. 80.
18
Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte II (1987), S. 112/113.
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Die Kombination aller drei Elemente: Aktiengesellschaft als Publikumsgesellschaft, Inhaber- statt Namensaktie und ein funktionierender Aktienmarkt auf den Börsen ermöglichte jetzt den Zugriff auf das vorhandene und spekulationswillige Kapital. 2. Geworben wurde um dieses Kapital mittels der Prospekte. Die Benutzung derartiger Veröffentlichungen setzte eine Abkehr von der bisherigen Einstellung gegenüber Bekanntmachungen über Tatsachen des Handelsverkehrs voraus. Noch bis Ende des 18.Jh. bestand eine starke Abneigung gegen die Veröffentlichung auch nur allgemeiner Marktdaten, geschweige denn der Wirtschaftsdaten einzelner Unternehmen.19 So stieß z.B. in Frankfurt die Bekanntgabe der Kurse der Wechsel und Geldsorten auf den heftigen Widerspruch nicht nur der in ihrem (Geheim-)Wissen berührten Makler, sondern auch allgemein der Börsenvorsteher; das gleiche läßt sich für Hamburg feststellen.2 Diese Einstellung mußte - zumindest teilweise - aufgegeben werden, als die lokalen Grenzen des Handels überschritten wurden und insbesondere das für Gesellschaftsgründungen notwendige Kapital auf einem größeren Markt gesucht und aufgebracht werden mußte. Daß diese Tendenz zur Geheimhaltung21 nicht völlig überwunden wurde, zeigt sich nicht nur an den schwierigen Auslegungsfragen hinsichtlich der Prospektwahrheit und -klarheit, sondern auch an dem Wort eines Bankiers zu Beginn des 20. Jh.: Die Aktionäre sind dumm und frech: Dumm, weil sie uns ihr Geld anvertrauen; frech, weil sie dafür auch noch Zinsen verlangen. Zu Beginn der Herausgabe von Werbe-Prospekten um die Beteiligung an Aktiengesellschaften sind zwei Formen zu unterscheiden. Die eine Art von öffentlicher Mitteilung beinhaltete die Darstellung des geplanten Geschäftsbetriebs, die Bedingungen der Teilnahme daran und die Gewinnerwartungen bzw. die Konditionen der "Ausschüttungen". Diese Art von "Prospekten" findet sich vor allem bei den Versicherungsgesellschaften, so daß vor dem Gründungsakt die wesentlichen Vertragsbedingungen für die Beteiligung - wobei zunächst noch keine strikte Trennung zwischen der Stellung als 'Aktionär' und als bloßer 'Versicherungsnehmer' erfolgte -, veröf19
Sombart, Der moderne Kapitalismus 11,1 (dtv reprint 1987), S. 201 bezüglich der Preise der Waren. 20 Sombart (Fn. 19), S. 61. 21
S. auch Roller (Fn. 13), S. 193.
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fentlicht wurden, die dann die vertraglich festgelegte Grundlage für die Beteiligung darstellten.22 Eine andere Art von "Prospekt" stellte hingegen die Aufforderung zur Beteiligung an einer - zu gründenden oder bereits bestehenden - Aktiengesellschaft dar. Hierin ist lediglich eine Bekanntmachung der Möglichkeit zur Zeichnung von Aktien zu sehen, ohne daß dadurch hinsichtlich der Geschäftsgestaltung der Gesellschaft eine Verbindlichkeit eingegangen wird.23 Das heißt aber nicht, daß derartige Ankündigungen keinerlei rechtliche Folgen haben konnten. Wurden aufgrund des Prospekts Aktien gezeichnet, sollte zwischen Projektanten und Subskribenten eine "Art" Kaufgeschäft mit der Folge entstehen, daß die Projektanten für ihre Angaben und Zusicherungen ebenso hafteten wie für die Verschweigun| solcher für die Beurteilung des Unternehmens wichtiger Verhältnisse. Mag die kaufvertragliche Einordnung der Aktienzeichnung jedenfalls als Vorbereitung zum Gründungsakt dogmatisch nicht haltbar sein,25 so zeigt sie andererseits doch das Bestreben, derartige Prospekte nicht als rechtlich irrelevant zu betrachten. Denn diese zweite Art von Prospekten, die im wesentlichen einen werbenden Charakter hatten, stellte zum einen die Spezies dar, die auf dem Kapitalmarkt die Papiere an das Publikum bringen wollte; sie war zum anderen aber auch das Objekt, dessen rechtliche Wirkungen nur schwer zu erfassen waren. 3.
Die letzte und tiefgreifendste Änderung im Hinblick auf den sich ausbildenden Kapitalmarkt betraf das Verhältnis von Unternehmertum und Staat und zwar im Hinblick auf die möglichen Eingriffsbefugnisse des Staates gegenüber Auswüchsen des "freien" Kapitalverkehrs. Denn mit der Verkehrsfähigkeit der (Inhaber-) Aktien waren diese offen für spekulative Käufe bzw. Verkäufe und damit auch für die sich daraus ergebenden Gefahren unredlichen Verhaltens. Eine Steuerung von diesen Mißbräuchen konnte auf zwei Wegen versucht werden: entweder durch staatliche Eingriffe oder durch privatrechtliche Mechanismen, insbesondere durch Gewährung von Schadensersatzansprüchen.
22
Pohls, Das Recht der Actiengesellschaften (1842), S. 154 - 157.
23
Renaud, Das Recht der Actiengesellschaften (1863), S. 190/191.
24
Auerbach, Das Gesellschaftswesen in juristischer und volkswirtschaftlicher Hinsicht (1861), S. 246 - 250; Auerbach, Das Actienwesen (1873), S. 325/326. 25 Renaud (Fn.23), S. 198 - 200.
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Für die merkantilistische Wirtschaftsepoche war die erste Art charakteristisch. Oft hervorgehoben als Reaktion auf eine ausufernde Spekulation mit Aktien wird der englische sog. Bubble-Act von 1720, mit dem die Gründung "unseriöser" Gesellschaften verboten und ein Schadensersatzanspruch gewährt wurde.26 Dieses Gesetz zeigte aber gleichzeitig schon die Kehrseite solcher staatlichen Eingriffe. Es war nicht nur sehr vage abgefaßt, sondern diente auch als Schutz der englischen Südsee-Gesellschaft vor Konkurrenz auf dem Kapitalmarkt.27 Ahnliche Motive lagen zwei preußischen Verordnungen aus den Jahren 1844 und 1845 zugrunde, mit denen der Spekulation dadurch begegnet werden sollte, daß die Zeichnung von Eisenbahnaktien genehmigungspflichtig und die Ausgabe der handelbaren Inhaberaktien eingeschränkt wurde.28 Die Maßnahmen, mit denen auf die sinkende Wertschätzung öffentlicher Anleihen gegenüber Eisenbahnaktien reagiert wurde, hatten jedoch nicht den gewünschten Erfolg, sondern verschärften lediglich die wirtschaftliche Rezession und das Mißtrauen der "Kapitalisten" in die wirtschaftliche Kompetenz des Staates. Diese Einstellung des Handels gegenüber dem Staat kam bereits früher in einer Debatte der bayerischen Ständeversammlung 1825 über Lieferungsverträge von Staatspapieren auf Zeit zum Ausdruck. In dieser wurde zwar erheblich geklagt über den spekulativen Handel mit Staatspapieren und die sich daraus ergebenden ruinösen Folgen fur zahlreiche Handelshäuser. Jedoch setzte sich letztlich die Erkenntnis durch, daß "jede Einmengung der öffentlichen Gewalten in Handelsgeschäfte bedenklich" sei, so daß es zu keinem konkreten Gesetzesvorschlag gegen Wertpapierspekulationen gekommen ist.29 Diese Erkenntnis war es letztlich auch, die die Aufnahme einer Haftungsnorm gegen die Projektanten einer Aktiengesellschaft wegen unrichtiger Angaben über deren tatsächliche Verhältnisse in das ADHGB verhindert hat. Ein entsprechender Vorschlag, der sich auf einen revidierten Entwurf des sächsischen bürgerlichen Gesetzbuchs stützte, verfiel der Ablehnung. 30 Begründet wurde dies einmal mit dem Argument, daß die vorgeschlagene Bestimmung polizeilicher Natur sei, zum anderen damit, daß die Entscheidung dieses Problems den Grundsätzen des allgemeinen Zivilrechts überlas26
R. Ehrenberg, Die Fondsspekulation und die Gesetzgebung (1883), S. 17.
27
Ehrenberg (Fn. 26), S. 17.
98 29
Wehler (Fn. 18), S. 114.
Verhandlungen der 2. Kammer des Ständeversammlung des Königreichs Bayern 1825, Band 3, S. 141 ff, insbesondere S. 229, 317. 30 Lutz, Protokolle ADHGB 1,373.
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sen bleiben könne, wobei allerdings unberücksichtigt blieb, daß der Vorschlag seinerseits die Übereinstimmung mit gerade diesen Grundsätzen betonte. 1 Hinter der Ablehnung stand aber eine andere Tendenz, die mit der Begründung "polizeilicher Natur" nur unvollkommen angedeutet wurde, nämlich die Durchsetzung des liberalen Denkens im Bereich des Handelsrechts. "Polizeilich" bedeutete nämlich die "gute Polizey" im Sinne des merkantilistischen Staatsverständnisses, also der Sorge des Staates fur seine Untertanen auch auf wirtschaftlichem Gebiet. Dem hielt gerade im Zusammenhang mit schwindelhaften Gründungen von Aktiengesellschaften der Hamburger Abgeordnete bei der Nürnberger Konferenz über die Ausarbeitung des ADHGB entgegen, daß Gesetze solche Betrügereien nicht verhindern könnten, sondern ganz im Gegenteil noch dadurch beförderten, daß sich das Publikum auf deren Einhaltung verlasse und nicht auf die eigene Umsicht. 32 "Wenn namentlich zu gewissen Zeiten eine weit verbreitete Sucht, schnell und ohne viel Arbeit reich zu werden, zu allerlei Schwindelunternehmungen in Aktien fuhrt, wobei die Phantasie und die Schlauheit einzelner Projektanten mit der Leichtgläubigkeit und Habsucht des Publikums zusammentreffen, so ist keine Handelsgesetzgebung im Stande, hiergegen Abhülfe zu schaffen, sondern bewirkt nur, daß eine solche beklagenswerte Richtung andere als die geradezu verbotenen Formen ausfindet, mehr Schaden im Verborgenen anrichtet und sich länger erhält".33 Daraus zog der Abgeordnete die Folgerung, daß die Grundsätze der freien Bewegung des Handelsverkehrs auch im Aktienwesen zur Anwendung kommen müßten; die Entwicklung dieser Gesellschaftsform mit ihrer besonderen Bedeutung für die allgemeinen volkswirtschaftlichen Interessen dürfte nicht durch fürsorgerische Gesetze gehemmt werden. Für den einzelnen Interessenten hat er nur den - sicher nicht zynisch gemeinten - Satz übrig: "Allen so oft wiederholten Anführungen über den Schwindel der Aktiengesellschaften und die unzähligen Mißbräuche, welche in den Verwaltungen derselben vorkommen, genügt es, den einfachen Satz entgegenzustellen, daß ja Niemand gezwungen wird, Aktiengesellschaften Kredit zu geben und noch weniger sich durch Zeichnung oder Kauf von Aktien bei denselben zu beteiligen. Bevor jemand sich hierzu entschließt, mag er selbst prüfen, ob die Persönlichkeiten in den Verwaltungen, die Statuten der betreffenden Gesellschaften, die bekannten
31
Protokolle ADHGB (Fn. 30).
32
Protokolle ADHGB (Fn. 30), S. 320.
33
Protokolle ADHGB (Fn. 30), S. 321.
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Vermögensverhältnisse derselben ihm die wünschenswerte Garantie geben".34 Mit diesem liberalen Credo war die Rolle des Staates als Schutzmacht für das Publikum auch im Zusammenhang mit Aktienemissionen ausgespielt. Seine Rolle sollte das allgemeine Zivilrecht übernehmen und das hieß konkret, der Vertrag. Im Vertrag verwirklicht sich die rechtliche Selbstbestimmung des Bürgers und das Recht ist dazu da, diese Selbstbestimmung zu gewährleisten.35 Die Schranken dieser Selbstbestimmung werden letztlich nur dadurch gebildet, daß auch dem anderen Bürger dieses Recht auf Selbstbestimmung zusteht, sie liegen also im kantischen Begriff der Freiheit. Um auf die Frage der Prospekterklärungen einzugehen, ist von der Ebene der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung auf eine vorherige Stufe zurückzugehen, nämlich die des Willens. Denn die freien Handlungen setzen ihrerseits einen freien, d.h. einen unbeeinflußten Willen voraus. Dieser wahre, wirksame Wille wird dadurch beeinflußt, daß der Erklärende keine richtige Vorstellung von einem Gegenstand hat, seine Willensbildung daher von Unwissenheit bestimmt wird. 7 Diese wiederum fuhrt jedenfalls dann zu einer "unfreien" Willenserklärung, wenn sie durch den unredlichen Willen eines anderen hervorgebracht worden ist. "Denn das Wesen des Rechts geht auf selbständige Entwicklung der Einzelnen in lebendiger Gemeinschaft und Wechselwirkung. Die notwendige Bedingung aller Gemeinschaft aber ist Wahrhaftigkeit und das durch sie begründete Vertrauen. So wie nun die Selbständigkeit beeinträchtigt wird durch den Zwang, so das Vertrauen durch den Betrug".38 Letzterer wird rechtstechnisch in die Kategorie des "dolus" eingeordnet und kann sowohl durch positives Handeln als auch durch Schweigen in den Fällen erfüllt werden, in denen eine Aufklärung zu erwarten gewesen wäre. 39 Unter diesen Prämissen der für das 19. Jh. herrschenden Willenstheorie beeinträchtigten fehlerhafte Prospekterklärungen daher die Willensbildung des Erklärenden selbst. Die Werbung mit Prospekten ist daher nur in Verbindung mit der Verwirklichung der Privatautonomie zu sehen. Eine wahre selbständige Entscheidung über den Abschluß eines Rechtsgeschäfts kann nur
34
Protokolle ADHGB (Fn. 30), S. 322.
35
Jhering, Geist des römischen Rechts II, l 4 (1880), S. 24.
36
Savigny, System des heutigen römischen Rechts, III (1840), S. 99.
37
Savigny (Fn. 36), S. 111.
•50
Savigny (Fn. 36), S. 115. 39
Savigny (Fn. 36), S. 119.
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dort vorliegen, wo alle fur die Entscheidung erheblichen Tatsachen bekannt sind; der freie Wille kann sich nur bei entsprechender Information bzw. bei der Möglichkeit dazu bilden. Die privatautonome Gestaltung der Lebensverhältnisse liegt hingegen nicht mehr vor, wenn auf die Willensbildung einseitig Einfluß genommen wird durch Vorenthaltung bzw. Verschleierung oder Verfälschung der entscheidungserheblichen Tatsachen. In diesen Rahmen fügt sich nahtlos die Entwicklung der culpa in contrahendo ein. Ihre Anwendung auf die Prospekthaftung stellt gleichsam die umgekehrt analoge Anwendung des § 122 BGB dar und knüpft damit an den Fall an, anhand dessen Jhering das Institut erst entwickelt hat, nämlich die Schadensersatzpflicht des Irrenden gegenüber demjenigen, der auf die Wirksamkeit der Willenserklärung vertraut hat.40 Die Haftung für fehlerhafte Prospektangaben kann sich daher nur auf der rechtsgeschäftlichen Ebene bewegen, nicht auf der deliktischen, da von den Angaben die rechtsgeschäftliche Willensbildung unmittelbar beeinflußt wird.41 "In außercontractlichen Verhältnissen kann Niemand von dem anderen die Garantie für die Zuverlässigkeit und Wahrheit seiner Aeußerungen und Mitteilungen verlangen, das Recht schützt ihn nur gegen dolus, nicht gegen culpa, und er hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn er durch blindes Vertrauen auf Aussagen Dritter in Schaden kommt, denn er mußte die unverbindliche Kraft derselben kennen. Dagegen im contractlichen Verkehr, wo ja gerade diese Äußerungen eine verbindliche Kraft erlangen sollen, darf er die Prüfung, ob dieselben auf gutem Grunde beruhen, vom Gegner erwarten; er selbst ist regelmäßig gar nicht in der Lage, sie vornehmen zu können".42 Der Verweis auf das allgemeine Zivilrecht bei der Absage an eine gesetzliche Regelung einer Art von Prospekthaftung brauchte also nicht zu deren Verhinderung zu führen, sondern konnte durchaus eine Haftung der Projektanten unter Anwendung allgemeiner Prinzipien begründen. Bleibt als letzte Frage, welche Institution über derartige Rechtsstreitigkeiten entscheiden soll. In konsequenter Fortsetzung staatsverdrängenden liberalen Gedankengutes wurde im Zusammenhang mit Haftungsfragen wegen unrichtiger Information bei der Begebung von Anleihen die Meinung vertreten, daß derartige Streitigkeiten nicht justizförmig zu entscheiden seien: "Zur Herstellung des inneren Friedens möchte der Justizweg am wenigsten dienen. 40
Jhering, Culpa in contrahendo oder Schadensersatz bei nichtigen oder nicht zur Perfection gelangten Verträgen, JhrJhb 4 (1861), 2. 41 S. auch Choe, Culpa in contrahendo bei Rudolph von Jhering (1988), S. 234. 42
So Jhering (Fn. 40), S. 42/43.
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Die Justiz muß strenges Recht aussprechen, ihre Urteile sind immer schneidend gegen den Kläger oder den Beklagten, und ihr ist die Billigkeit fremd, welche bei allgemeinen Verwicklungen allen vermag, den Knoten, den die Justiz durchhaut, sanft zu lösen, und durch Nachgeben auf beiden Seiten die Häuser aufrecht zu halten, von welchen im Rechtsgange das eine gewiß einstürzt, öfters das andere im Sturze bald nachfolgt. In Sachen des Handels besonders würden wir jedes Mittel vorziehen, die jetzige Verwicklung unter Inländern durch Ausgleichung des positiven Verlustes unter allen Beteiligten nach Billigkeit, ohne Intervention der Gerichte, zu heben". 43 Zwei Elemente werden hier angesprochen, die im Zusammenhang mit Rechtsstreitigkeiten in Handelssachen stets angeführt werden: die rechtliche Sonderbehandlung des Handels und der Ersatz des strikten Rechts durch die Billigkeit. Für beides ist die ordentliche Gerichtsbarkeit nicht geeignet:"Überhaupt möchte in solchen Dingen wenig von teutschen Gerichten zu erwarten seyn, solange die Richter zu sehr an dem Buchstaben der Gesetze hängen und alles klar im Gesetz entschieden zu suchen gewöhnt, für Gegenstände, die aus dem Leben und nach dem Wesen des Handels aufgefaßt werden müssen, den geübten Blick und richtigen Sinn nicht haben". 44 Damit wird nicht nur das allgemeine Zivilrecht, auf das doch gerade wegen solcher Streitigkeiten zurückgegriffen werden sollte, wieder verlassen, sondern auch der Bereich der Privatautonomie. Denn diese beinhaltet nicht nur die Selbstverwirklichung in der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung, sondern auch die formale Verwirklichung des Rechts in der Rechtsanwendung durch unabhängige Gerichte.45 Das Recht setzt sich danach aus komplementäre Funktionen zusammen, die erst in ihrer Kombination den vollständigen Begriff der Selbständigkeit ergeben. Wenn die formale Seite, die der Rechtsanwendung durch die Gerichte, ausgeschaltet wird, fällt notwendigerweise auch die materielle Seite weg. Darin liegt im Ergebnis der Kern der Bestrebungen zugunsten des Handels, das allgemeine Zivilrecht und dessen gerichtliche Durchsetzung aus der Rechtsanwendung in Handelssachen auszublenden: die nur einseitige Inanspruchnahme von Privatautonomie.
43
Anonym (v. Gönner), Das Rothschilder Lotterie-Anlehen im Verhältnisse der Abnehmer der Loose zu den Unternehmern des Anlehens (1820), S. 50. 44
Gönner, Von Staatsschulden, deren Tilgungsanstalten und vom Handel mit Staatspapieren I (1826), S. 84. 45 Jhering, (Fn. 40), S. 20; Geist ΙΙΙ,Ι 4 (1888), S. 137.
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Die Ausschaltung des fursorgenden Staates mit seinen Mitteln der "Guten Polizey" bedeutete daher in letzter Konsequenz nicht nur die Umstellung vom Untertanen zum Bürger, sondern auch die Gefahr der einseitigen Inanspruchnahme der neu gewonnenen Freiheit. Andererseits eröffnete sie auch die Möglichkeit, Haftungsgrundsätze wegen fehlerhafter Inanspruchnahme dieser Freiheit zu konstituieren.
III. Damit kann zu einem Fall der praktischen Anwendung zivilrechtlicher Grundsätze auf fehlerhafte Prospektgestaltung unter Geltung der Privatautonomie übergegangen werden, der im 19. Jh. große Aufmerksamkeit erregt hat, der Lucca-Pistoja-Aktienstreit. 1.
Am 18. April 1853 veröffentlichte das Frankfurter Bankhaus Goldschmidt folgende Aufforderung zur Zeichnung von Aktien: "Zur Vollendung der Eisenbahnlinie von Lucca nach Pistoja ... wurde die Gesellschaft dieser Eisenbahn von der Toskanischen Regierung ermächtigt, eine Anleihe von Lire 5.250.000 Prioritätsactien aufzunehmen. Diesen Prioritäts-Actien sind, laut Großherzoglichen Decrete vom 8.12.1852 und 4.3.1854 von der Toskanischen Regierung 5 pCt. Zinsen pro anno auf 99 Jahre garantiert... Nach den mit großer Genauigkeit aufgenommenen Daten dürfte auf eine Rentabilität bei dieser Bahn von bedeutend mehr als 10 pCt. zu rechnen sein... Von diesen 5.250.000 Lire Prioritäts-Actien sind nun filr den hiesigen Platz 3.000.000 Lire reserviert worden, auf welche das Haus Goldschmidt Einzeichnungen entgegennimmt und zwar zum Kurse von 93 pCt.... Die auszugebenden Original-Prioritäts-Actien in Beträgen von 1500 Lire werden mit halbjährlichen Zins-Coupons und besonderen Dividenden-Scheinen versehen, welche in Florenz, London und Frankfurt bei den Bankhäusern der Gesellschaft zahlbar sind."
Die Emission war noch am selben Tag um das drei- bis vierfache überzeichnet. Die Zeichner erhielten bei Einzahlung von Teilbeträgen Interimsscheine, die Teilzahlungen wurden danach ebenfalls mit 5 pCt. verzinst. Bis zum 31. Januar 1855 wurden die garantierten Zinsen regelmäßig gezahlt, danach wegen erheblicher Verzögerungen bei der Betriebsaufnahme der Bahn nicht mehr. Infolgedessen sank der Kurs der Aktien bis auf 52 pCt. Nach Einstellung der Zinszahlungen erhob eine Vielzahl von Käufern Klage gegen das Bankhaus mit dem Antrag auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages, hilfsweise auf Schadensersatz, berechnet nach der Kursdifferenz zwischen Datum des Kaufes und der Einstellung der Zinszahlungen.
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Insgesamt sind 26 Verfahren eingeleitet worden, mit denen wegen der nach dem Frankfurter Prozeßrecht noch zulässigen Aktenversendung die Rechtsfakultäten der Universitäten Berlin, Erlangen, Gießen, Göttingen, Jena, Leipzig, München, Tübingen und Würzburg befaßt waren. Parteigutachten für das beklagte Bankhaus erstatteten die Professoren Levin Goldschmidt46 und Sachße47 aus Heidelberg; Verfasser zweier Urteile der Gießener Fakultät war Jhering.Ai Der Werbeprospekt war in zwei Punkten zumindest mißverständlich abgefaßt: zum einen darin, daß von einer Anleihe von Prioritätsaktien gesprochen wurde, was zu der Vermutung Anlaß geben konnte, die Zeichner würden lediglich Darlehensgläubiger und nicht als Aktionäre Mitgesellschafter. Zum zweiten in der Formulierung "laut Großherzoglichen Decrete", woraus sich die unbedingte Zinsgarantie schließen ließ, während diese unter der Bedingung der Fertigstellung der Bahn bis zum 1. Januar 1855 stand. Auf beide Tatbestände stützten sich im wesentlichen die Klagen. Da die Verjährungsfrist für deliktische Ansprüche inzwischen abgelaufen war, kamen als Anspruchsgrundlage nur vertragliche Ansprüche in Betracht. 2.
Im ersten Verfahren gab das Stadtgericht Frankfurt mit Erkenntnis vom 12. September 1856 der Klage auf Aufhebung des Kaufvertrages statt, weil durch die Formulierung des Prospekts hinsichtlich des Kaufgegenstandes (Anleihe statt Aktien) beim Käufer ein Irrtum über den Kaufgegenstand hervorgerufen worden sei. Als wesentlich für das Verschulden des Beklagten an diesem Mißverständnis hob das Gericht den Umstand hervor, daß er "die wohlbegründete Vermutung hervorrief, daß er als Banquier der Eisenbahngesellschaft selbst handele und auf diese Weise ein Vertrauen zu seinen Angaben in Anspruch nahm, welches ihm ohne diese Bemerkung(sc. es seien 3.000.000 Lire fur hiesigen Platz reserviert) vielleicht nicht geworden sein würde". 49 46
Goldschmidt, Der Lucca-Pistoja-Actien Streit (1859), mit "Nachtrag zu den handelsrechtlichen Erörterungen über den Lucca-Pistoja-Actien-Streit" (1861). 47
Sachße, Uber die Haftbarkeit der Ausgeber von Werth- und Kreditpapieren, gegen die Inhaber dieser Papiere, Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft 17 (1857), 29ff. 48 Jhering, Vermischte Schriften juristischen Inhalts (1879), S. 241 - 361. 49
Sammlung der Entscheidungen des Ober-Appellationsgerichts der vier freien Städte zu Lübeck in Frankfurter Rechtssachen, herausgegeben von einen Verein von Juristen, IV (1860), S. 87/89.
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Die Entscheidung fügt sich damit in den oben entwickelten Ansatz der rechtsgeschäftlichen Haftung ein und fugt noch als weiteren Haftungsgrund das an die Stellung als Bankier geknüpfte Vertrauen hinzu. Demgegenüber stellte das Appellationsgericht darauf ab, "daß die Bedeutung der im Geschäftsleben üblichen Bezeichnungen weniger aus dem recipierten Worte (hier: Anleihe und Prioritätsaktien) selbst, als aus dem Begriffe, welche das Geschäftsleben damit verbindet, entnommen werden muß"; danach sei es zweifelhaft, ob ein derartiger Irrtum vorliege. Mit dieser Begründung hob es am 24. Dezember 1856 die Erstentscheidung auf.50 Nicht auf das Verständnis des Käufers vom Kaufgegenstand, gestützt auf den Wortlaut des Prospektes, wird hier abgestellt, sondern auf das Verständnis des Geschäftslebens allgemein. Die rechtsgeschäftlich begründete Privatautonomie wird hier durch die Gewohnheiten des Handels überlagert. Zum Kern des Problems stieß erst das OAG Lübeck in seiner Entscheidung vom 31. Mai 1858 vor, indem es die Frage des Irrtums über den Kaufgegenstand letztlich dahingestellt sein ließ, weil der Kläger durch den mehrjährigen Besitz der Aktien und den Bezug der versprochenen Zinsen den Kauf genehmigt habe,51 aber eine Haftung wegen wissentlichen Verschweigens der Bedingung annahm. Der Beklagte Goldschmidt habe nicht darauf hingewiesen, daß die zitierten Dekrete bei ihm zur Einsicht ausliegen würden; außerdem habe er durch die Formulierung seines Prospekts die Zinsgarantie als unbedingt hingestellt mit der Erwartung, daß niemand darüber weitere Nachforschungen anstellen werde.52 Damit kehrte das OAG zur allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundlage der Haftung zurück, die es auf die "wissentliche, also dolose Verschweigung wesentlicher Mängel aller Art einer verkauften Sache" stützte. 3.
Das beklagte Bankhaus wandte sich danach um gutachterliche Unterstützung an Levin GoldschmidtΡ Dieser stellte nicht auf die subjektive, privatautonom gefaßte Willensentscheidung des Einzelnen ab und seine Beeinflussung durch den Prospekt, sondern er wählte seinen Ausgangspunkt in den wirtschaftlichen Interessen, nach denen die Rechtsprinzipien zu prüfen sind, die
50
Sammlung (Fn. 49), S. 90.
51
Sammlung (Fn. 49), S. 96/97.
52
53
Sammlung (Fn. 49), S. 101/102. der mit dem Bankier Goldschmidt, soweit ersichtlich, nicht verwandt gewesen ist.
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das Verkehrsleben regeln.54 Den bisherigen Bewertungen des Rechtsstreits hielt er entgegen:"Bei der Beurteilung so mannigfach verwickelter wirtschaftlicher Verhältnisse genügt es eben nicht, einseitig ein oder das andere formelle Moment in Betracht zu ziehen, sondern die eingehende Erwägung sämtlicher Umstände allein vermag eine richtige Anschauung zu gewähren".55 Mit dem "formellen Moment" ist dabei das vom Handel oftmals gescholtene allgemeine Zivilrecht gemeint, während die 'richtige Anschauung' aus der "klaren Erfassung der wirtschaftlichen Gesetze (erwächst), nach denen der Wille der Verkehrstreibenden sich bestimmt, und denen gemäß er (!) die Regeln aufstellt, welche allmählich in Form der Gewohnheit oder des Gesetzes sich zum positiven Recht verdichten".56 Entsprechend geht er in seiner Prüfung vor: er stellt erst die üblichen Regeln des Handelsverkehrs dar, wie derartige Geschäfte abgewickelt zu werden pflegen, um danach zu konstatieren, daß unter Zugrundelegung dieser Regeln keinerlei Haftung des Bankhauses bestehe. Nachdem er festgestellt hat, daß der Bankier lediglich als Vermittler für die Aktiengesellschaft bei der Unterbringung der Neuemission von Aktien aufgetreten sei57 mit der Folge, daß lediglich die a° doli Anwendung finden könne 58 (der gegenüber aber die Verjährungseinrede greife), prüft er hypothetisch die Rechtslage bei Vorliegen eines Kaufvertrages. Hier stellt er den gemeinrechtlichen Satz "caveat emptor" an die Spitze seiner Erörterungen:" Wie die Steigerung des Wertes seiner Actien dem Actionär zu Gute kommt, unmittelbar durch die Dividenden, mittelbar durch die Erhöhung des im Kurse sich darstellenden Verkaufspreises, so muß er sich auch jede Verminderung desselben gefallen lassen, sei es, daß diese durch äußere Umstände herbeigeführt wird, wie die allgemeinen Conjunctures der Stand des öffentlichen Credits, oder daß die Tätigkeit der Gesellschaft: guter oder schlechter Betrieb, Neubauten, Anlei-
54
Goldschmidt, Uber die wissenschaftliche Behandlung des deutschen Handelsrechts und den Zweck dieser Zeitschrift, ZHR 1 (1858), S. 1. Goldschmidt ist damit ein Vertreter der von Bäßler, Die Geschichte der Prospekthaftung und die zivilrechtliche Haftung aus dem Einfiihrungsprospekt (1914), S. 4, so genannten positiven Richtung, die die freie Bewegung auf dem Kapitalmarkt zu fördern bestrebt war. 55 Goldschmidt (Fn. 46), S. 39. 56
Goldschmidt (Fn. 54), S. 19.
57
Obwohl sich der Beklagte selbst als Verkäufer bezeichnet hat und dieses auf Grund der Tatsache, daß er selbst die Aktien von einem Londoner Haus zum Kurs von 84 pCt. erworben hat, der wahren Rechtslage entsprach. 58
Goldschmidt (Fn. 46), S. 13 - 20.
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hen, darauf einwirkt. Der beträchtliche Kursrückgang, die Verminderung der staatlichen Zinsgarantie, treffen also an sich ausschließlich die Erwerber der Prioritätsactien, sofern dieselben nicht Tatsachen darzulegen im Stande sind, welche trotzdem eine Verantwortlichkeit des Verkäufers begründen".59 Goldschmidt verschiebt hierdurch bereits die tatsächliche Basis für die Verantwortung: diese wird nicht bezogen auf den Vertragsschluß, sondern auf die spätere wirtschaftlich ungünstige Entwicklung der Eisenbahngesellschaft; daß der die Aktien verkaufende Bankier hierfür nicht verantwortlich sein kann, liegt auf der Hand.60 Damit hätte es eigentlich sein Bewenden haben können; Goldschmidt untersucht aber noch die weitere, vom OAG angesprochene Haftung wegen der unklaren Formulierung des Prospekts. Haftungsgrundlage ist der dolus im Rahmen eines Vertragsverhältnisses, also nicht die getrennt davon zu sehende unerlaubte Handlung (heute: § 826 BGB).61 Bei dieser Haftung für dolus handelt es sich darum, daß der Schuldner bei Schlechterfüllung seiner vertraglichen Verpflichtungen Schadensersatz zu leisten hat; damit geht von dieser Haftung ein Zwang zur Vertragserfüllung aus und kommt der Zuverlässigkeit des Rechtsverkehrs zugute. Das schadensersatzstiftende Handeln kann sowohl im positiven Tun als auch im Unterlassen, dem Verschweigen Offenbarungspflichtiger Umstände, liegen. Goldschmidt kommt hier zum Ergebnis, daß keine Offenbarungspflicht hinsichtlich der Bedingung bei der Zinsgarantie bestanden habe, weil derartige Bedingungen nahezu allen Eisenbahnkonzessionen beigefügt worden und damit allgemein bekannt gewesen seien.63 M.a.W.: "Wer Actien einer noch unvollendeten Eisenbahn zeichnet, oder sonst erwirbt, unterwirft sich dadurch notwendig, wie allen Bedingungen des Unternehmens, so insbesondere den selbstverständlichen, mag er dieselben gekannt haben oder nicht".64 Der Käufer unterlag damit einem unentschuldbaren Irrtum, der Schadensersatzansprüche ausschloß. Nur ergänzend verneint er die Kausalität zwischen (unterstelltem) Irrtum und Zeichnung der Papiere; jedenfalls legt er 59
Goldschmidt (Fn. 46), S. 21.
60
Goldschmidt (Fn. 46), S. 36/39.
61
Das mißverstehen Bäßler (Fn. 54), S. 8 und ihm folgend wohl auch Assmann (Fn. 13), S. 48. 62 Dernburg, Pandekten^ (1900), S. 100/1001, der zusätzlich die wirtschaftliche Bedeutung dieser Haftungsmaßstäbe betont. 63
Goldschmidt (Fn. 46), S. 40 - 57.
64
Goldschmidt (Fn. 46), S. 57/58.
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den Klägern den Beweis dafür auf, daß sie bei Kenntnis sämtlicher Umstände die Aktien nicht erworben hätten; dies mit der aus dem Handelsverkehr hergeleiteten Begründung, daß auch spekulative Papiere ihre Abnehmer finden würden.65 Auf der subjektiven Seite verneint er die dolose Absicht des Beklagten mit den Worten:" Derselbe genießt seit länger als 40 Jahren den Ruf eines hochachtbaren, ehrenhaften Mannes, von welchem die Kläger selbst versichern, daß sein Name, und die allgemeine Überzeugung, er werde sich nicht zu Schwindeleien hergeben, für die Zeichner ein wesentliches Motiv zur Beteiligung gewesen sei. Einem solchen Manne läßt sich eine betrügerische Absicht nicht zutrauen".66 Goldschmidt verschiebt in seinem Gutachten die Maßstäbe in zweierlei Hinsicht: zum einem hinsichtlich der zu verantwortenden Schadensursachen (nicht Vertragsschluß, sondern fehlerhafte Geschäftspolitik der Gesellschaft), zum anderen hinsichtlich des dolus. Dieser wird nicht auf die Erfüllung der Vertragspflichten bezogen, sondern als selbständiges Haftungsmoment einer unerlaubten Handlung, einem Betrug gesehen. Damit erreicht er, daß die strengen Maßstäbe für die deliktische Haftung auch auf die vertragliche Haftung Anwendung finden und praktisch zum Ausschluß des Anspruchs führen. Theorie und Praxis des liberalen Verständnisses vom Handelsrecht treffen sich hier in dem Kernsatz: Wer am Handelsverkehr teilnimmt, möge selbst dafür sorgen, daß er nicht getäuscht wird.67 4.
7 Jahre später wurde Jhering mit dem Fall befaßt, der im Rahmen der Aktenversendung an die juristische Fakultät der Universität Gießen gelangt war. Jhering kannte das Gutachten Goldschmidt·, es hatte ihn nicht überzeugt, denn sein "einfaches Rechtsgefuhl und (seine) juristische Überzeugung fühlten sich mit (ihm) gleichmäßig im Widerspruch".68 Für Jhering bedeutete die Evokation des 'Rechtsgefuhls' keine Art Vorverständnis, das bei der Rechtsfindung keinen Platz hat,69 sondern für ihn war das Rechtsgefühl ein Schrittmacher für neue Entwicklungen im Recht und umgekehrt der Anwendung des
65
Goldschmidt (Fn. 46), S. 76.
66
Goldschmidt (Fn. 46), S.78.
67
Siehe die Ausführungen des Hamburger Abgeordneten bei der Ausarbeitung des ADHGB (bei Fn. 32 - 34). 68
Jhering (Fn. 48), S. 243.
69
Raisch, Juristische Methoden (1995), S. 207/208.
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Rechts auf neue tatsächliche Sachverhalte.70 Bei dieser Rechtsbildung erkannte er durchaus die Bedürfnisse des Verkehrs an71; der mögliche Widerspruch zwischen Verkehrsbedürfnis und Jurisprudenz wird dadurch aufgelöst, daß der Rechtswissenschaft nichts anderes übrig bleibt, "als sich dem Drange des praktischen Lebens zu fugen und ihr Denken, ihren geistigen Horizont entsprechend zu erweitern".72 Die neuen Aufgaben könnten nicht immer mit den alten Mitteln bewältigt werden; der entsprechende Versuch führe nur zu Verrenkungen des vorhandenen Rechts. Deshalb sei die Rechtswissenschaft berechtigt, hierfür (wobei er ausdrücklich die Inhaberpapiere erwähnt) "die zu dem Zwecke nötigen Begriffe aufzustellen".73 Aber, und das ist der ausdrücklich von Jhering selbst hervorgehobene Unterschied zu Goldschmidt, für ihn stellen die Interessen des Verkehrs keinen Selbstzweck dar, sondern sie stehen unter den Grundsätzen des Rechts:" Kann der deutsche Handel bei solchen Grundsätzen nicht bestehen,so ist das nur ein Beweis, daß er auf bedauerliche Abwege geraten ist, und daß die deutsche Rechtsprechung die dringlichste Pflicht hat, ihn auf den Weg der einfachen Ehrlichkeit zurückzufuhren".74 Jhering prüft ebenfalls das Vorliegen der Haftung auf Grund eines dolus im Rahmen des Vertragsverhältnisses, wobei in seinem Fall die Besonderheit bestand, daß der Kläger nicht unmittelbar mit dem Bankhaus Goldschmidt in Verbindung getreten war, sondern über einen Mittelsmann (den Bankier Königswarter), der als Teilhaber des Goldschmidt an dem Aktienvertrieb beteiligt gewesen ist. Bei der Werbung des auswärts wohnenden Klägers hatte sich Königswarter des Prospekts von Goldschmidt bedient, so daß die Frage der Zurechnung von dessen Fehlinformation zu entscheiden war. Ein weiteres Problem ergab sich daraus, daß die Fehlinformationen vor Vertragsschluß erfolgt sind und somit nicht direkt unter die vertragliche Haftung zu subsumieren waren. Beides hinderte die Haftung des Königswarter nicht: er habe sich durch die Benutzung des Prospekts dessen irrtumerregenden Inhalt zu eigen gemacht; da er dessen Zweideutigkeiten und Unrichtigkeiten gekannt habe, sei er zur Aufklärung verpflichtet gewesen.75 Beim 70
Luig, in: Behrends (Hrsg.), Privatrecht heute und Jherings evolutionäres Rechtsdenken (1993), S. 169/170. 71
Kiemann, Rudolf von Jhering und die historische Rechtsschule (1989), S. 196. 72
Jhering, Geist, ΙΙΙ,Ι4 (1888), S. 135.
73
Jhering (Fn. 72), S. 243.
74
Jhering (Fn. 48), S. 287/288.
75
Jhering (Fn. 48), S. 273.
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zweiten Punkt werden die Grundsätze der culpa in contrahendo, ohne sie direkt zu erwähnen, dem Inhalt nach angewendet: "...die obligierende Kraft des Contracts erstreckt ihre Wirkungen auf das Stadium der Vorverhandlungen zurück, oder, wie man es auch ausdrücken kann, der Contrahent, der auf Grund dieses vorhergehenden dolus den Vertrag abschließt und sich ihn zu Nutze macht, begeht denselben auch im Moment der Vertragsabschließung".76 Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, daß das Programm an das große Publikum gerichtet gewesen sei und keine Zusage an eine bestimmte einzelne Person enthalten habe; maßgebend ist die Ausnutzung der undeutlichen Ausgestaltung des Prospekts beim darauf gestützten einzelnen Vertragsschluß.77 Hinsichtlich des objektiven Tatbestandes hält Jhering den Prospekt sowohl hinsichtlich der Beschreibung des Vertragsobjekts (Anleihe oder Aktie) als auch der Bedingung für zumindest zweideutig; diese Zweideutigkeit gehe zu Lasten desjenigen, der sie gebraucht hat (D 2.14.39).78 Das schadensstiftende Ereignis liegt für ihn in der fehlerhaften Prospektgestaltung und nicht in der späteren schlechten wirtschaftlichen Entwicklung der Eisenbahngesellschaft; denn vor den Folgen dieser Entwicklung hätte die (unbedingte) Zinsgarantie die Käufer gerade bewahren sollen. 9 Auf der subjektiven Seite läßt er es genügen, daß die Beklagten die Bedingung der Zinsgarantie kannten, dieser Punkt als für den Vertragsabschluß wesentlich bekannt war und sie ihn wissentlich verschwiegen haben; eine Schädigungsabsicht sei nicht erforderlich; es reiche aus, daß das Programm den wahren Sachverhalt in einer Weise offen gelassen habe, wie man es in dem Programm eines auf allgemeines Vertrauen Anspruch erhebenden Bankhauses nicht hätte erwarten mögen.80 Die Frage der Kenntnis oder schuldhaften Unkenntnis des Klägers vom wahren Sachverhalt hält er für unerheblich: "...wohin sollte es im Verkehr führen, wenn man einer Partei, welche im Vertrauen auf die Ehrlichkeit der Gegenpartei sich bei deren Aussagen und Zusicherungen beruhigt, einen Vorwurf daraus machen dürfte, daß sie es unterlassen habe, die innere Glaubwürdigkeit derselben einer Kritik zu unterziehen? Das hieße die Verantwortlichkeit der Parteien im Contractsver81 hältnis völlig umkehren". Für die Kausalität zwischen der fehlerhaften 76
Jhering (Fn. 48), S. 289.
77
Jhering (Fn. 48), S. 280.
7Ä
79
Jhering (Fn. 48), S. 275. Jhering (Fn. 48), S. 321.
Oft
Jhering (Fn. 48), S. 281 - 286. 81
Jhering (Fn. 48), S. 304.
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Anpreisung und dem Erwerb der Papiere läßt er es genügen, daß "bei Tatsachen, die schon an sich von Interesse sind, d.h. auf die man im Verkehr überhaupt bei derartigen Geschäften einen Wert zu legen pflegt", der Kläger ihre wissentliche Verheimlichung oder Entstellung dartut.8 Jhering stößt mit seinen Ausführungen durch die objektiven Verkehrsbedürfnisse hindurch auf die subjektiven Entscheidungen der am Rechtsgeschäft beteiligten Personen. Ausgehend von ihren Interessen bewertet er die jeweiligen Handlungen und prüft danach die Folgen, die sich aus seinen Ergebnissen für den allgemeinen Rechtsverkehr ergeben. In dieser Sichtweise liegt der wesentliche Unterschied zu Goldschmidt. Während dieser die Einzelfrage verobjektiviert, sie in den allgemeinen Handelsverkehr einordnet und aus diesem wieder auf die Pflichten und/oder Verständnismöglichkeiten im Einzelfall zurückschließt, befleißigt sich Jhering eines 'subjektiven Rechtsdenkens'. Maßgebend fur ihn ist das Verständnis des Individuums; erst wenn dieses aus den Umständen des Einzelfalles entwickelt worden ist, wird auf den allgemeinen Verkehr ausgegriffen. Jherings Auffassung paßt sich damit in den rechtsgeschäftlichen Rahmen der Prospekthaftung ein, während Goldschmidt diese Grundlage außer Acht läßt und sich mehr einem handels-insti83
tutionellen Rechtsdenken zuwendet. Der rechtsgeschäftliche Ansatz verhinderte allerdings eine Dritthaftung der Herausgeber des Prospekts in den Fällen, in denen die Papiere zwar auf Grund des Prospekts, aber nicht direkt vom Herausgeber erworben wurden. Die Einschaltung eines Kommissionärs, der die Papiere im eigenen Namen fur den späteren Erwerber gekauft hatte, gab einen Anspruch entweder gegen den Kommissionär direkt oder dann gegen den Ausgeber, wenn der Kommissionär seine Ansprüche an seinen Auftraggeber abgetreten hatte.84 Jedoch lag dem ein Mißverständnis über die Haftungsgrundlage zugrunde. Ange-
82
Jhering (Fn. 48), S. 319. Jhering verwechselt hier nicht die Fragen der Ursächlichkeit mit denen der Beweislast (so aber Bäßler (Fn. 54), S. 10; Assmann (Fn. 13), S. 50/51), wie sich insbesondere aus seiner Schlußfolgerung S. 331 ergibt, sondern er stellt nur die Konsequenzen dar, die sich aus der gegenteiligen Auffassung Goldschmidts ergeben würden, nämlich die praktische Ausschaltung einer Klage wegen dolus. 83
Rückert, in: Scherner (Hrsg.), Modernisierung des Handelsrechts im 19. Jahrhundert (1993), S. 54. 84 Jhering (Fn. 48), S. 345/ 352ff.
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knüpft und verneint wurde die Frage an der Innehabung der Anleihe und der 85
sich daraus ergebenden Rechte,
86
nicht hingegen am Inhalt des Prospekts.
IV. Die weitere Entwicklung des Instituts der Prospekthaftung durch die Rechtsprechung des BGH knüpfte inhaltlich (wenn auch nicht ausdrücklich) an die Ausführungen Jherings und unter inhaltlicher Zurückweisung der Auffassungen Goldschmidts an. Nicht die Interessen des Handelsverkehrs stehen im 87 Vordergrund, sondern die Haftung dient gerade dazu, eine wahrheitsgemäße und vollständige Aufklärung über das Risiko möglicher Anlagen herbeizuführen. 88 Festgehalten wird an der vertraglichen Haftungsgrundlage; maßgeblich ist die Beeinflussung der Vertragsverhandlungen durch die fehlerhafte Gestaltung des Prospekts, wobei allerdings nicht mehr nur die unmittelbaren Vertragspartner in Anspruch genommen werden, sondern alle, die Einfluß auf die Gestaltung des Prospekts genommen haben.89 Das Verschulden dieser Personen ergibt sich daraus, daß die Prospektverantwortlichen Kenntnis davon hatten oder haben mußten, daß der Prospekt unrichtig ist und sie es trotzdem unterließen, den Prospekt zu korrigieren oder über den wahren Sachverhalt aufzuklären.90 Bezüglich der Kausalität zwischen fehlerhaften Prospektangaben und entsprechendem Vertragsschluß gilt eine Vermutung des "aufklärungsrichtigen" Verhaltens91; die Lebenserfahrung spricht dafür, daß der unrichtige Prospekt für die Vertragsentscheidung ursächlich gewesen ist.92 Die Beweislast für das gegenteilige Verhalten trifft den Prospektverantwortlichen.93 Schließlich bildet ausschließlich die unrichtige 85
Goldschmidt (Fn. 46), Nachtrag, S. 38ff., dem sich Jhering insoweit angeschlossen hat. Ursache dieser Mißleitung ist ein Aufsatz von Sachße (Fn. 47), der auf Grund der Innehabung der Aktien eine direkte Klage gegen das emittierende Bankhaus zulassen wollte, S. 67. 86 So aber ausdrücklich Auerbach, Das Actienwesen (1873), S. 326. 87
S. aber Brink, EWiR § 676 BGB 1/93,765: "Bei Beteiligungen an Unternehmen sollte aber dem Anleger nicht jedwedes Risiko abgenommen werden." 88 BGH NJW 1981,1449/1450. QQ
BGH NJW 1981, 1449/1450. 90
BGH NJW 1992,3296.
91
BGH NJW 1994,512/513.
92
BGH NJW 1981,1449.
93
BGH NJW 1994,512/513.
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Prospektgestaltung die Haftungsgrundlage; es ist für die Haftung unerheblich, daß sich im Verlaufe der wirtschaftlichen Entwicklung der Beteiligung andere Risiken verwirklicht haben, als die im Prospekt verschwiegenen oder fehlerhaft dargestellten.94 Ein Mitverschulden bei der Entstehung des Schadens wird nur in seltenen Fällen angenommen. Grundsätzlich ist es nicht Sache des Anteils-Erwerbers, sich über das Projekt zu informieren, sondern der Anteils-Werber hat umfassend aufzuklären.95 Lediglich dann kann es zu einer Minderung des Schadensersatzanspruchs kommen, wenn der Erwerber sachkundige Warnungen vor der Anlage in den Wind geschlagen hat.96 Fazit: Politische, ökonomische und rechtliche Umwälzungen mit den sich daraus ergebenden neuen Anforderungen an das Recht verlangen ein Zurückgehen auf die grundlegenden Prinzipien des Rechts, um auf diesen aufbauend die vorhandenen Regelungsinstrumente weiter zu entwickeln oder neue zu schaffen, um den gestellten Ansprüchen gerecht (und das im wahrsten Sinne des Wortes) zu werden. Der Rückgriff auf flüchtige Billigkeitserwägungen oder die Überbetonung bestimmter Interessen leistet diese Aufgabe nicht.
94
BGH NJW ]1993,2865.
95
BGH NJW 11994,512.
96
BGHNJW-]•RR 1993,114; zu weitgehend dagegen BGH NJW 1982,1097.
Insider und Insidertatsachen im Wertpapierhandelsgesetz THOMAS MATUSCHE
I. Einleitung Insiderhandel mit Wertpapieren gibt es, seit es Wertpapiere und Wertpapiermärkte gibt.1 Die Möglichkeit des Mißbrauchs eines Informationsvorsprungs liegt einerseits in der Natur des Wertpapierhandels und andererseits in der Natur des dort tätigen Menschen. Man kann den Insider nicht abschaffen, ohne die Börse abzuschaffen.2 Trotz dieser nicht neuen Erkenntnisse kam wohl in Ermangelung spektakulärer Fälle von Insidertransaktionen, die das Interesse einer breiten Öffentlichkeit erregt hätten3 - in Deutschland erst Ende der sechziger Jahres unseres Jahrhunderts eine Debatte darüber auf, ob und wie Insidergeschäfte seitens des Gesetzgebers zu erfassen und zu reglementieren seien. Im Jahr 1970 verabschiedete die Börsensachverständigenkommission beim Bundeswirtschaftsministerium „Empfehlungen zur Lösung der sog. Insider-Probleme", die Insiderhandels-Richtlinien und Händler- und Beraterregeln enthielten. Diese später mehrfach geänderten Empfehlungen bildeten die Grundlage für die deutsche Lösung der Insider-Problematik auf dem Weg der Selbstregulierung auf Freiwilligkeitsbasis. Diese Lösung traf in der Literatur überwiegend auf Kritik. Die vorherrschende Meinung erkannte das Bedürfnis nach einer gesetzlichen Regelung des Insiderrechts.4 Trotzdem bedurfte es u.a. des Erlasses der EG-InsiderRichtlinie5 aus dem Jahr 1989 und der zunehmenden Sorge um die Attraktivi1
2
Assmann, Das künftige deutsche Insiderrecht (I), AG 1994, S. 196 (197).
Horn, Wertpapiergeschäfte von Innenseitem als Regelungsproblem, ZHR 136 (1972), S. 369 (392). 3 Assmann, a.a.O. 4 Vgl. nur Horn, ZHR 136 (1972), S. 369 (391ff.); ders., AcP 175 (1975), S. 543; Ulsenheimer, Zur Strafbarkeit des Mißbrauchs von Insider-Informationen, NJW 1975, S. 1999 (2004); Will, Anlegerschutz durch Insiderhandels-Richtlinien, NJW 1973, S. 645 (648). 5
ABl. Nr. L 334 v. 18.11.1989, S. 30.
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101
tät des Finanzplatzes Deutschland, bis am 30.7.1994 die ersten gesetzlichen Regelungen zum Insiderhandel bekanntgegeben werden konnten. Diese waren enthalten im Zweiten Finanzmarktförderungsgesetz6, dessen Teil das Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) ist. Dieses beinhaltet in seinen §§ 12-20, 38 und 39 Regelungen zum Insiderhandel. Ziel der Schaffung des WpHG war neben der Umsetzung der EG-InsiderRichtlinie die Stärkung des Vertrauens in die Funktionsfahigkeit des deutschen Finanzmarktes.7 Diesem Ziel diente neben der Verschärfimg der Adhoc-Publizität vor allem die Einführung des strafbewehrten Verbotes von Insidergeschäften. Jedoch stellt das WpHG keine generelle Regelung aller Probleme im Zusammenhang mit Insidern dar.8 Die gesetzliche Insiderregelung umfaßt neben der Strafhorm des § 38 WpHG, die für Verstöße gegen das Verbot des Insiderhandels Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren anordnet, lediglich Definitionen der Begriffe Insiderpapiere, Insider und Insidertatsache (§§12, 13 WpHG) sowie die Festlegung der einzelnen Verbotstatbestände (§ 14 WpHG). Wie jede gesetzliche Neuregelung trifft auch das WpHG auf mancherlei Anwendungs- und Auslegungsschwierigkeiten, zumal es sich bei einigen Tatbestandsvoraussetzungen um unbestimmte Rechtsbegriffe handelt.9 Im folgenden sollen die Probleme im Zusammenhang mit der Frage, welche Personen Insider und welche Informationen Insidertatsachen sein können, untersucht werden.
II. Der Insiderbegriff; Terminologie Das WpHG unterscheidet begrifflich zwischen „Insidern" (sog. Primärinsidern) und „Dritten" (sog. Sekundärinsidern). Nach § 13 Abs. 1 WpHG sind „Insider" Personen mit unmittelbarem Zugang zu Insiderinformationen. Der entsprechende Personenkreis ist in § 13 Abs. 1 WpHG enumerativ aufgeführt. „Dritte" sind gem. § 14 Abs. 2 WpHG solche Personen, die sonst Kenntnis von Insidertatsachen haben. Diese Unterscheidung ist wichtig für die Frage, welchem der Verbotstatbestände der jeweilige Insider unterfallt. In der Lite-
6 7
g
BGBl. I 1994, S. 1749ff. WeisgerberUütten, Das Zweite Finanzmarktförderungsgesetz, S. 198. Becker, Das neue Wertpapierhandelsgesetz, S. 46.
9
Weisgerber/Jütten, S. 198.
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Thomas Matusche
ratur hat sich hierfür in Anlehnung an die Gesetzesbegründung das Begriffspaar „Primär-" und „Sekundärinsider" durchgesetzt.10 Der vereinzelten Kritik an dieser Terminologie," sie lenke den Blick von rechtlichen Problemen ab, kann nicht gefolgt werden. Vielmehr bringen die Begriffe gut zum Ausdruck, welche Personen sie bezeichnen: Der Primärinsider, der als erster Zugriff auf die Insiderinformation hat, und der Sekundärinsider, der oft erst der Information durch den ersten, den Primärinsider, bedarf, um überhaupt Insider werden zu können. Daß eine Person im Einzelfall sowohl Primär- als auch Sekundärinsider sein kann, spricht nicht gegen diese Bezeichnungen.12 Denn bei der richtigen Beurteilung eines solchen Falls handelt es sich nicht um ein Problem der Begrifflichkeit, sondern um die Schwierigkeit der sachlich richtigen Zuordnung des Einzelfalls. Diese ist aber nicht von der verwendeten Terminologie abhängig und wird auch nicht durch sie erschwert. An der gängigen Unterscheidung von Primär- und Sekundärinsidern ist daher festzuhalten.
III. Primärinsider, § 13 Abs. 1 WpHG Nach § 13 Abs. 1 WpHG können drei Personengruppen Primärinsider sein. Zwei davon werden durch ihren gesellschaftsrechtlichen Status in einem Unternehmen charakterisiert. Für die Zugehörigkeit zur dritten Gruppe kommt es im wesentlichen auf die berufliche Stellung der Person an, nicht auf die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Unternehmen. Insgesamt sollen von § 13 Abs. 1 WpHG alle Personen als Primärinsider erfaßt werden, die unmittelbaren Zugang zu Insiderinformationen und deshalb in erster Linie Gelegenheit zur Vornahme von Insidertransaktionen haben.13
10 Z.B. Assmann in Assmann/Schneider, Wertpapierhandelsgesetz, Kommentar, 1995, Vor § 12 Rdn. 16; Becker, S. 58; Hopt, Europäisches und deutsches Insiderrecht, ZGR 1991, S. 17 (35); U.A. Weber, Das neue deutsche Insiderrecht, BB 1995, S. 157 (158). 1 ' Tippach, Das Insider-Handelsverbot und die besonderen Rechtspflichten der Banken, 1995, S. 157.
12
So aber Tippach, a.a.O. Matusche, Die Regelungen zum Insiderhandel nach dem Wertpapierhandelsgesetz, NWB Fach 21, S. 1217. 13
Insider und Insidertatsachen nach dem WpHG
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1. Organmitglieder, persönlich haftende Gesellschafter, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 WpHG können zunächst die Mitglieder von Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorganen sowie die persönlich haftenden Gesellschafter des Emittenten oder eines mit dem Emittenten verbundenen Unternehmens sein. Nicht erfaßt von Nr. 1 ist der Fall, daß der Betroffene über Insiderinformationen aus anderen Unternehmen als dem eigenen verfugt.14 Primärinsider nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 WpHG kann es demnach einerseits in allen Gesellschaften geben, die selbst Wertpapiere emittieren und andererseits in Unternehmen jedweder Rechtsform, die nicht Emittenten sind, sofern eine Verbindung zu einer solchen Gesellschaft vorliegt.15 Ob ein Unternehmen mit einer emittierenden Gesellschaft „verbunden" ist, entscheidet sich nach der konzernrechtlichen Begriffsbestimmung des § 15 Aktiengesetz.16 Sofern es auf die Organmitgliedschaft ankommt, macht es keinen Unterschied, ob das Organ, dessen Mitglied der Betroffene ist, gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Rahmen des gesetzlich Zulässigen auf freiwilliger Basis gebildet wurde (z.B. Aufsichtsrat in einer GmbH). 7 Jedoch soll allein die Mitgliedschaft in einem beratenden Ausschuß oder Beirat, dem keine organschaftlich-aufsichtsrechtlichen Befugnisse zukommen, noch keine den Tatbestand des § 13 Abs. 1 Nr. 1 WpHG verwirklichende Organstellung begründen.18 Dies wird damit begründet, daß dem Mitglied eines solchen Ausschusses oder Beirates wegen der geringeren Befugnisse des Gremiums Insidertatsachen nur in geringerem Ausmaß bekannt werden. Diese Unterscheidung erscheint fragwürdig, denn welches Organ oder welches Gremium in welchem Ausmaß Zugang zu Insiderinformationen hat, wird in der Praxis jedes Unternehmens sehr unterschiedlich sein. Es ist nicht meßbar, inwieweit Mitglieder von Beiräten oder beratenden Ausschüssen über solche Informationen verfugen. Daher kann allein hierin wohl auch kein Kriterium fur die Qualifizierung oder Nicht-Qualifizierung als Insider liegen. Praktisch wird aber diese Frage nicht problematisch sein, denn die Mitglieder solcher Gremien fallen jedenfalls als Primärinsider unter den § 13 Abs. 1 14
Assmann, Das neue deutsche Insiderrecht, ZGR 1994, S. 494 (505); Immenga, Das neue InsiderTecht im Wertpapierhandelsgesetz, ZBB 1995, S. 197 (200). 15 Matusche, NWB Fach 21, S. 1217(1218). 16
Becker, S. 60; Caspari, Die geplante Insiderregelung in der Praxis, ZGR 1994, S. 530 (537). 17
Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 8; ders. ZGR 1994, S. 494 (505); Becker, S. 60. 18
Assmann, a.a.O.
104
Thomas Matusche
Nr. 3 WpHG, so daß hier keine Regelungslücke vorliegt und im Ergebnis jedenfalls entsprechende Gremiums-Mitglieder Insider sind. 2. Anteilseigner, § 13 Abs. 1 Nr. 2 WpHG Nach § 13 Abs. 1 Nr. 2 WpHG kann Primärinsider werden, wer am Kapital eines Unternehmens, das Wertpapiere emittiert, beteiligt ist oder aber eine Beteiligung an einem mit einem Emittenten verbundenen Unternehmen hält und auf Grund dieser Beteiligung Kenntnis von einer Insidertatsache erhält. Die Höhe der Beteiligung ist für die Qualifikation als Insider unerheblich, eine Mindestbeteiligung wird nicht vorausgesetzt.19 Erforderlich ist aber, daß die betreffende Person die Kenntnis von der Insidertatsache gerade auf Grund ihrer Beteiligung erhalten hat. Insofern ist also Kausalität zwischen Beteiligung und Kenntniserlangung erforderlich.20 Von diesem Insidertatbestand erfaßt sind lediglich unmittelbar an einem Unternehmen Beteiligte. Kreditorische Finanzbeziehungen begründen insoweit noch keine „Beteiligung" i.S.v. § 13 Abs. 1 Nr. 2 WpHG.21 3. Insider auf Grund von Beruf, Tätigkeit, Aufgabe, § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG a) Einheitlicher Tatbestand Wer „auf Grund seines Berufes oder seiner Tätigkeit oder seiner Aufgabe bestimmungsgemäß" Kenntnis von einer Insiderinformation erhält, ist Primärinsider nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG. Diese Norm enthält den weitesten Primärinsider-Tatbestand. Wegen der unscharfen Trennlinien zwischen den drei verwendeten Begriffen „Beruf, Tätigkeit, Aufgabe" wird von der Literatur nicht der Versuch gemacht, diese im einzelnen zu definieren.22 Vielmehr wird der Tatbestand der Nr. 3 gewissermaßen als einheitlicher Tatbestand betrachtet und bei der Beurteilung des Einzelfalls untersucht, ob sich die betreffende Person unter einen oder (wie meistens) unter mehrere der Begriffe subsumieren läßt.
19
70
Claussen, Das neue Insiderrecht, DB 1994, S. 27. Becker, S. 60 f; Immenga, ZBB 1995, S. 197 (200).
21 Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 16; ders., Das künftige deutsche Insiderrecht (II), AG 1994, S. 237 (239); Becker, S. 61.
22
Vgl. nur Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 18; Becker, S. 61; Caspari, ZGR 1994, S. 530 (537); Hopt, ZGR 1991, S. 17 (37); Immenga, ZBB 1995, S. 197 (200).
Insider und Insidertatsachen nach dem WpHG
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b) Tatbestandseinschränkungen Der von diesem weiten Tatbestand betroffene Personenkreis wird jedoch, außer von den drei Begriffen „Beruf, Tätigkeit, Aufgabe", von zwei Richtungen her eingeschränkt. Zum einen ist auch hier wie schon bei § 13 Abs. 1 Nr. 2 WpHG Kausalität zwischen Position und Kenntniserlangung erforderlich.23 So reicht es beispielsweise nicht aus, wenn der Abteilungsleiter eines Unternehmens als Privatmann auf einer Party einen Tip von einem Freund bekommt. Darüber hinaus muß die betreffende Person die Information „bestimmungsgemäß" erhalten. Das zufallige oder gelegentliche Erfahren einer Tatsache reicht demnach nicht aus. Die Person muß die Information gerade in Ausübung ihrer Tätigkeit erhalten.24 Diese Einschränkung bedeutet gegenüber der Insider-Richtlinie der EG ein Minus, denn Art. 2 Abs. 3, 3. Spiegelstrich der Richtlinie sieht eine solche Beschränkung nicht vor. Deshalb wird diese Fassung des Gesetzes für unvereinbar mit den Vorgaben der Richtlinie gehalten und eine gesetzliche Nachbesserung gefordert. Tatsächlich zeitigt diese Begrenzung des Tatbestandes die merkwürdige Folge, daß ein unternehmensinterner Mitarbeiter, der sich eine Insiderinformation widerrechtlich - und damit nicht bestimmungsgemäß - aneignet, nicht Primärinsider wird, sofern er nicht einen anderen Tatbestand verwirklicht. Dieses Ergebnis kann so nicht gewollt sein. Denn fur die Beeinträchtigung des Funktionierens der Finanzmärkte ist es unerheblich, auf welche Weise sich ein Insider mit Informationen versorgt.26 Deshalb besteht generell weder für zufällig noch für widerrechtlich erlangte Informationen ein Bedürfnis für einen Ausschluß. Darüber hinaus sollten gerade für unrechtmäßige Informationsverschaffung die schärfsten Sanktionen zur Verfugung stehen. Deshalb ist die Kritik an dem Merkmal „bestimmungsgemäß" zu unterstützen. Nach allgemeiner Ansicht muß zwischen der über die Insiderinformation verfügenden Person und der betroffenen Gesellschaft kein wie auch immer
23 Assmann, AG 1994, S. 237 (239); Caspari, ZGR 1994, S. 530 (538); Matusche, NWB Fach 21, S. 1217(1218). 24
Claussen, DB 1994, S. 27 (28); Weber, BB 1995, S. 157 (161); Weisgerber/Jütten, S. 201; vgl. auch Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucks. 12/6679, S. 46. 25
Hopt, Zum neuen Wertpapierhandelsgesetz, WM-Festgabe fllr Hellner, 1994, S. 29 (30); Tippach, S. 168. 26 Vgl. Tippach, a.a.O.
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Thomas Matusche 27
geartetes (vertragliches) Verhältnis bestehen. Der eindeutige Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG läßt hier keine andere Auslegung zu. Deshalb können also sowohl unternehmensnahe wie auch unternehmensferne Personen, Interne wie Externe, den Primärinsider-Tatbestand des δ 13 Abs. 1 28
Nr. 3 WpHG verwirklichen. c) Einzelfälle aa) Unternehmensinterne Demnach können selbstverständlich auch Mitarbeiter von Wertpapieremittenten Primärinsider nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG sein. So erfüllen die Mitglieder der Organe des Emittenten neben der Nr. 1 auch den Tatbestand der Nr. 3. Auch die oben29 schon erwähnten Mitglieder von Beiräten und beratenden Ausschüssen, die im Einzelfall möglicherweise nicht Primärinsider nach Nr. 1 sind, sind jedenfalls unter Nr. 3 zu subsumieren. Denn auch sie erlangen berufs-, aufgaben- oder tätigkeitsbedingt Kenntnis von einer Insidertatsache, wenn sie auf einer Gremiumssitzung hiervon erfahren. Aber nicht nur in der Unternehmenshierarchie Höhergestellte können berufs-, tätigkeits- oder aufgabenbedingte Primärinsider werden. Alle Angestellten eines Unternehmens können den Tatbestand des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG erfüllen, wenn sie auf Grund ihrer Aufgabenzuweisung eine Insidertatsache erfahren. Dieser Personenkreis ist weit zu ziehen30 und abstrakt nicht abschließend zu erfassen. Vielmehr ist stets anhand des Einzelfalls genau zu überprüfen, ob der Tatbestand erfüllt ist.31 Dabei ist jedoch nach der geltenden Gesetzesfassung32 stets zu beachten, daß der betreffende Mitarbeiter „bestimmungsgemäß" und nicht nur zufällig oder bei Gelegenheit Kenntnis von der Tatsache erlangt. So ist beispielsweise
27
Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 19; ders., AG 1994, S. 237 (239); ders., ZGR 1994, 494 (506); Ηopt, ZHR 159 (1995), 145; Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 1995, Rdn. 14.165; jetzt wohl auch Claussen, DB 1994, S. 27 (28); vor Inkrafttreten des WpHG noch a.A. Claussen, ZBB 1992, (271). 28
Vgl. auch Immenga, ZBB 1995, S. 197 (200).
29
Vgl. oben III. 1.
30
Becker, S. 61.
3
Weisgerber/Jütten, S. 201.
'
32
Zur Geltung trotz Unvereinbarkeit mit der EG-Insider-Richtlinie vgl. U.A. Weber, BB 1995, S. 157(160).
Insider und Insidertatsachen nach dem WpHG
107
nicht nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG Primärinsider der Bote, der einen Blick auf eine zufällig geöffnete Akte werfen kann. Gleiches gilt für die schon sprichwörtliche Raumpflegerin, die ein Telefongespräch im Nachbarzimmer mithört. Nicht erforderlich fur die Erfüllung des Tatbestandes des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ist es, daß der Angestellte nach seiner Aufgabenzuweisung typischerweise oder regelmäßig mit Insiderinformationen zu tun hat. Es kann ausreichend sein, wenn der Angestellte in einem einzigen Fall von einer Insiderinformation im Rahmen seiner Aufgabe Kenntnis erhält. Auch ist die Rechtsgrundlage der Anstellung irrelevant. So können Werksstudent und Lehrling, Chefsekretärin, Abteilungsleiter und Vorstandsvorsitzender gleichermaßen Primärinsider nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG sein.34 bb) Unternehmensexterne Außerhalb der Wertpapieremittenten können ebenfalls Personen mit Tätigkeiten und Aufgaben betraut sein, die sie zwangsläufig mit Insiderinformationen in Kontakt bringen und die deshalb Primärinsider nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG werden können. Zu diesen Personen sind vor allem die Angehörigen von Berufen zu zählen, die beratend oder mit sonstigen Dienstleistungen für einen Emittenten tätig werden und hierbei bestimmungsgemäß Insiderinformationen erfahren können. Hierzu gehören beispielsweise Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte, Notare, Unternehmensberater, Banken bzw. deren Angestellte und viele mehr.35 Aber auch ein Drucker, der notwendigerweise Kenntnis vom Inhalt einer von ihm für ein Unternehmen zu fertigende Drucksache erhält, kann danach Primärinsider werden.36 Jedoch ist es für die Einstufung als Insider nicht erforderlich, daß der Betroffene mit dem Unternehmen dadurch verbunden ist, daß er diesem eine Dienstleistung zu erbringen hat. Die h.M. in der Literatur zählt zu den Primärinsidern nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG auch Börsen- und Wirtschafts-
33 34
Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 22. Mainsche, NWB Fach 21, S. 1217 (1218).
35
Vgl. Becker, S. 62; Caspari, ZGR 1994, S. 530 (536); Kumpel, Rd. 14.164; U.A. Weber, BB 1995, S. 157(160). 36
Dieser Fall wurde in den U.S.A. mit gegenteiligem Ergebnis entschieden; zit. bei Claussen, DB 1994, S. 27 (28). Ebenso Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 23; Becker, S. 62.
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Thomas Matusche
journalisten sowie Finanzanalysten.37 Wenn diese Personen bei ihren Recherchen z.B. bei Managerinterviews oder Betriebsbesichtigungen Insiderinformationen erhalten, so geschieht dies sowohl im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit als auch nicht nur per Zufall, sondern „bestimmungsgemäß". Eine andere Auslegung läßt sich mit dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG wohl nicht vereinbaren.38 Allerdings ist es gerade fur die Beurteilung dieser Berufsangehörigen wichtig, daß im Einzelfall genau unterschieden wird, woher der Betreffende seine Information bezogen hat und welcher Qualität diese war: Handelte es sich nämlich um eine öffentlich bekannte Information, die der Betreffende nur schneller wahrgenommen oder richtig interpretiert hat, kann er hinsichtlich dieser Information nicht Insider werden, da es sich nicht um eine Insiderinformation handelte.39 Jedoch liegt hierin kein Problem des persönlichen sondern vielmehr des sachlichen Anwendungsbereiches des Gesetzes.40 Schließlich sind auch noch solche Primärinsider zu erwähnen, die an der Entstehung von Insidertatsachen beteiligt waren oder sonst in irgendeiner Form berufs-, tätigkeits- oder aufgabenbedingt von solchen erfahren haben: Bundesbankmitarbeiter, Angehörige von Bundes- und Landesregierungen sowie der Parlamente oder auch Geschäftspartner aller Art, die im Rahmen von Verhandlungen Kenntnis von Insiderinformationen erlangt haben. Die Liste ähnlicher Beispiele ließe sich endlos verlängern. Deshalb steht am Ende der Überlegungen zu den berufs-, tätigkeits- und aufgabenbedingten Primärinsidern die Feststellung, daß es letztlich von jedem Einzelfall abhängt, ob die jeweilige Person Primärinsider nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 WpHG ist oder nicht.41 IV. Sekundärinsider, § 14 Abs. 2 WpHG § 14 Abs. 2 WpHG bestimmt, daß jeder Dritte, der Kenntnis von einer Insidertatsache hat, die Papiere unter Ausnutzung dieser Kenntnis weder erwer37 Assmann, ZGR 1994, S. 494 (507f.); Caspari, ZGR 1994, S. 530 (538); Claussen, DB 1994, S. 27 (28f.); Jmmenga, ZBB 1995, S. 197 (200); Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 14.166.
1Ä 39 40 41
Vgl. auch Immenga, ZBB 1995, S. 197 (201). Zum Begriff der Insidertatsache siehe unten V. Vgl. hierzu insofern miBverständlich Claussen, DB 1994, S. 27 (28). Vgl. Matusche, NWB Fach 21, S. 1217 (1219); Weisgerber/Jütten, S. 201.
Insider und Insidertatsachen nach dem WpHG
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ben noch veräußern darf. Nach dieser Bestimmung kann jeder, der Kenntnis von einer Insiderinformation hat und nicht Primärinsider ist, ein sog. „Sekundärinsider" werden. Der mit dem Begriff „Dritter" beschriebene persönliche Anwendungsbereich ist sehr weit. Es handelt sich bei § 14 Abs. 2 WpHG gewissermaßen um eine „Insider-Generalklausel".42 Art und Weise der Kenntniserlangung spielen für die Qualifikation als Sekundärinsider ebensowenig eine Rolle wie das Wissen des „Dritten", daß es sich um eine Insidertatsache handelt.43 Es findet also die Einordnung allein anhand objektiver Kriterien statt.44 Es kommt nicht einmal darauf an, daß der Dritte weiß, daß die Information von einem Insider stammt.45 Ein „Dritter", der auf Grund einer Insiderinformation Geschäfte tätigt, ist nur dann kein Sekundärinsider, wenn er auf der Grundlage eines Tips handelt, dessen informationelle Grundlage er nicht kennt.46 Unter diesen weiten, objektiven Begriff fallen damit zunächst sämtliche Grenzfälle wie der oben schon erwähnte Bote oder die neugierige Putzfrau.47 Sogar ein Psychiater, der bei der Therapie der Ehefrau eines Managers auf eine Insiderinformation stößt, ist danach Sekundärinsider.48 Dieser persönliche Anwendungsbereich ist sehr weit, denn er umfaßt zunächst sogar solche Personen, die gar keine Möglichkeit hatten, ihre Information als Insiderinformation zu erkennen. Der Tatbestand wird aber in hinreichendem Maß dadurch eingeschränkt, daß es erforderlich ist, daß der Dritte seine Information „ausnutzt". Diese Voraussetzung auf subjektiver Seite setzt das Wissen des Sekundärinsiders von der Qualität der Information als Insidertatsache voraus.49 Darüber hinaus ist es erforderlich, daß sich der Insider mit der Transaktion einen Sondervorteil verschaffen will, der auf einem bewußtem Verstoß gegen die Chancengleichheit aller Anleger beruht.50 Durch das Merkmal „Ausnutzen" erhält der Sekundärinsider-Tatbestand des § 14 Abs. 2 WpHG die notwendige Ausgewogenheit: Auf objektiver 42
Assmann, ZGR 1994,494 (509).
43
Kumpel, Bank-und Kapitalmarktrecht, Rdn. 14.169. 44
Matusche, NWB Fach 21, S. 1217 (1219).
45
Claussen, DB 1994, S. 27 (28).
46
Immenga, ZBB 1995, S. 197 (201).
47
48 S.o. III. 3. c).
Zu diesem und weiteren Beispielen vgl. nur Assmann, ZGR 1994, S. 494 (509). 49
Becker, S. 63; Immenga, ZBB 1995, S. 197 (201).
50
Assmann, AG 1994, S. 237 (246); Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht Rdn. 14.170.
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Seite kann jeder Insider werden, der von einer Insidertatsache erfahrt. Subjektiv muß jedoch das Wissen um das Profitieren von einem Informationsvorsprung hinzukommen.
V. Kenntnis einer Insidertatsache Alle Insidertatbestände des Wertpapierhandelsgesetzes haben eine Voraussetzung gemeinsam: Insider kann nur sein, wer Kenntnis von einer Insidertatsache hat. Deshalb ist für die Qualifizierung einer Person als Insider stets zunächst zu prüfen, ob überhaupt eine Insidertatsache gegeben war. Das Gesetz definiert in § 13 Abs. 1 WpHG den Begriff der Insidertatsache als nicht öffentlich bekannte Tatsache, „die sich auf einen oder mehrere Emittenten von Insiderpapieren oder auf Insiderpapiere bezieht und die geeignet ist, im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens den Kurs der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen". 1. Tatsachen Tatsachen im Sinne von § 13 Abs. 1 WpHG sind der Überprüfung zugängliche Informationen über Umweltzustände. 51 Gerüchte, Werturteile, Meinungsäußerungen, Rechtsauffassungen und sonstige subjektive Wertungen werden grundsätzlich nicht erfaßt. 52 Auch Tips und Empfehlungen, die keine Mitteilung von Fakten enthalten, sind danach keine Insidertatsachen. 53 2. Nicht öffentlich bekannt Insidertatsachen sind nach § 13 Abs. 1 WpHG nur solche, die nicht öffentlich bekannt sind. § 13 Abs. 2 WpHG stellt hierzu ausdrücklich klar, daß eine Bewertung auf Grund öffentlich bekannter Tatsachen keine Insidertatsache sein kann. Dies ist insbesondere beispielsweise fur Finanzanalysten von Bedeutung. Deren Bewertungen und Analysen anhand der öffentlichen Tatsachen können auch vor ihrem Bekanntwerden keine Insidertatsachen sein. Daher können sie oder ihre Arbeit-/Auftraggeber auch nicht gegen Insiderhandelsverbote verstoßen. 54
51
Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 33.
52
Matusche, NWB Fach 21, S. 1217 (1220).
53
Assmann, AG 1994, S. 237 (241); Immenga, ZBB 1995, S. 197 (201).
54
Vgl. Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 14.113.
111
Insider und Insidertatsachen nach dem WpHG
Welche Tatsachen öffentlich bekannt sind und welche nicht, war Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen in der Literatur. Das Meinungsspektrum reichte von dem Verlangen einer breiten Streuung über Massenmedien 55 einerseits bis hin zur Herstellung einer bloß formalen Öffentlichkeit durch eine über den Börsenticker gelaufene Meldung.56 Ein anderer Ansatzpunkt wurde in der Begründung des Gesetzentwurfs gewählt:57 Danach soll eine Tatsache als öffentlich bekannt anzusehen sein, wenn entsprechend den börsenrechtlichen Bestimmungen die sog. „Bereichsöffentlichkeit" hergestellt wurde. Der Adressatenkreis einer Veröffentlichung muß demnach nicht das gesamte Anlegerpublikum sein, sondern es reicht aus, wenn die sog. „Marktteilnehmer" informiert werden. Eine Publikation mittels allgemein zugänglicher Informationssysteme, derer sich z.B. die professionellen Wertpapierhändler und institutionelle Anleger bedienen, erfüllt diese Bedingung. Diese Begrenzung findet heute in der Literatur weitgehend Zustimmung. 58 Dafür sprechen insbesondere zwei Erwägungen: Zum einen läßt sich durch keine noch so enge Festlegung des Begriffs der „nicht öffentlich bekannten Tatsache" eine Öffentlichkeit in dem Sinne herstellen, daß unter allen Anlegern gewissermaßen eine „informationelle Gleichheit" besteht. Es wird sich nie ganz vermeiden lassen, daß sich bestimmte Spezialisten näher an einer Informationsquelle befinden und ihren - wenn auch nur kurzen zeitlichen Informationsvorsprung dazu nutzen können, anderen Anlegern zuvorzukom59
men. Zum zweiten spricht für das Ausreichen der Bereichsöffentlichkeit auch der Schutzzweck des § 13 Abs. 1 WpHG. Dessen Ziel ist es, das Funktionieren der Wertpapiermärkte zu sichern. Wenn aber die professionell am Börsengeschehen Beteiligten die Möglichkeit hatten, von einer bis dahin unbekannten Information Kenntnis zu nehmen, so kann diese in deren Dispositio-
55 Schödermeier/Wallach, EuZW 1990, S. 122(123).
Die
Insider-Richtlinie
der
Europäischen
Gemeinschaft,
56
Vgl. Assmann, ZGR 1994, S. 494 (511); Kumpel, Zum Begriff der Insidertatsache, WM 1994, S. 2137 (2138). 57
Vgl. BT-Drucks. 12/6679, S. 46.
Vgl. nur die Stimmen von Assmann, AG 1994, 237 (242); ders., ZGR 1994, S. 494 (511); Claussen, ZBB 1992, S. 267 (276); Kumpel, WM 1994, S. 2137 (2138); Weber, BB 1995, S. 157(163). 59 Assmann, AG 1994, S. 237 (242).
112
Thomas Matusche
nen einfließen und so die Information am Markt widerspiegeln.60 Damit ist der Schutz des Kapitalmarktes vor der Ausnutzung von Insiderinformationen hinreichend gewährleistet. Für die Herstellung der Bereichsöffentlichkeit reicht es aus, wenn die Marktteilnehmer die Möglichkeit der Kenntnisnahme von der Information haben. Dies ist beispielsweise schon dann gegeben, wenn die Information über elektronisch betriebene Informationssysteme verfugbar ist, sofern diese Systeme in Finanzkreisen weit verbreitet sind. Beispiele hierfür sind die Agenturen wie dpa und Reuters.61 Dies dürfte schon heute die wichtigste Möglichkeit zur Herstellung der Bereichsöffentlichkeit sein. Sie wird in Zukunft noch deutlich an Bedeutung zunehmen, nämlich genau in dem Maße, wie sich die Möglichkeiten der Teilnahme an den sog. Daten-Autobahnen, z.B. durch Zugang zum Internet, verbreiten. Gerade das Internet fuhrt im übrigen dazu, daß aus der ursprünglichen Bereichsöffentlichkeit eine Gesamtöffentlichkeit wird: Jedermann kann sich weltweit völlig legal Zugang zum Netz verschaffen und dort sämtliche angebotenen Informationen empfangen. Hierzu zählen beispielsweise auch die Programme der genannten Nachrichtenagenturen.62 Auf diesem Wege können Informationen, die früher nur an die am Börsengeschehen direkt Beteiligten oder andere Spezialisten gerichtet waren, von jedermann wahrgenommen werden. Die Fälle, in denen lediglich eine Bereichsöffentlichkeit besteht, werden dadurch in Zukunft immer seltener werden. Keine ausreichende öffentliche Bekanntgabe zur Herstellung der Bereichsöffentlichkeit liegt vor, wenn seitens eines Unternehmens nur ausgesuchte Analysten und Journalisten über bestimmte Tatsachen unterrichtet werden. Nicht einmal die Bekanntgabe von Informationen auf einer allgemein zugänglichen Pressekonferenz genügt. Auch die Übermittlung einer Information an eine Nachrichtenagentur seitens eines Unternehmens reicht noch nicht aus. Vielmehr muß in allen diesen Fällen ein irgendwie gearteter Akt der Veröffentlichung hinzukommen. Denn allein dadurch, daß Multipli-
60
Caspari, ZGR 1994, S. 530 (539); Immenga, ZBB 1995, S. 197 (202); Kumpel, Bankund Kapitalmarktrecht, Rdn. 14.119. 61 62
Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, Rdn. 14.117.
Diese kosten in der Regel für den Nutzer ein besonderes Entgelt. Das ändert aber nichts daran, daß die angebotenen Informationen ansonsten frei und für jeden verfügbar sind. Auch die meisten anderen Medien, Uber die eine Öffentlichkeit hergestellt werden könnte, sind nicht kostenlos.
Insider und Insidertatsachen nach dem WpHG
113
katoren von einer Tatsache erfahren, haben die Marktteilnehmer noch nicht 63
die Möglichkeit zur Kenntnisnahme. 3. Emittenten- oder Insiderpapierbezug Nach § 13 Abs. 1 WpHG muß die betreffende Tatsache ferner einen Bezug zu einem oder mehreren Emittenten von Insiderpapieren oder zu Insiderpapieren selbst haben. Hierzu zählen zum einen Informationen aus dem betreffenden Unternehmen selbst. Dies können beispielsweise Interna wie Daten zur Auftrags- und Ertragslage, Mitteilungen über Dividendenzahlungen oder -nichtzahlungen o.ä. sein. Darüber hinaus können aber auch unternehmensexterne Informationen, wie z.B. Übernahmeangebote, Tatsachen mit Emittentenbezug 64 sein. Nachdem dies zunächst - noch vor Inkrafttreten des Wertpapierhandelsgesetzes auf der Grundlage der Richtlinie - umstritten war, kann es heute als zweifelsfrei angesehen werden, daß auch sog. „Marktdaten" zum Kreis der emittenten- oder insiderpapierbezogenen Tatsachen zählen.65 Marktdaten sind solche Informationen, die nicht ein Unternehmen oder ein Wertpapier selbst direkt betreffen, sondern die Märkte oder Branchen, in denen die Unternehmen aktiv sind. Diese Daten betreffen also den Emittenten oder das Wertpapier nur mittelbar. Zu den Marktdaten zählen z.B. aktuelle allgemeine Wirtschaftsnachrichten wie die Änderung des Diskontsatzes, Meldungen zu Entwicklungen in bestimmten Wirtschaftszweigen und Branchen, aber auch Nachrichten aus der Weltpolitik, sogar Meldungen über Naturkatastrophen .. 66 o.a. In der Literatur wurde versucht, diesen weiten Anwendungsbereich dadurch einzugrenzen, daß nur dann der erforderliche Emittenten- oder Insiderpapierbezug vorliegt, wenn die Information Kursrelevanz für einen fest umrissenen Kreis von Wertpapieren hat.67 Diese Begrenzung ist jedoch abzulehnen. Zum einen handelt es sich bei allen börsengehandelten Insiderpapieren 63 Vgl. Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 45; ders., AG 1994, S. 237 (242); Kumpel, WM 1994, S. 2137 (2138).
64
Beispiele bei Caspari, ZGR 1994, S. 530 (539); Claussen, Neues zur kommenden Insidergesetzgebung (II), ZBB 1992, S. 267 (277); Weber, BB 1995, S. 157 (163). 65 Vgl. Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 52; so auch Claussen, DB 1994, S. 27 (30); Immenga, ZBB 1995, S. 197 (202); Kumpel, WM 1994, S. 2137 (2139); ders., Bankund Kapitalmarktrecht, Rdn. 14.106. 66 Beispiele bei Assmann, AG 1994, S. 237 (243); Claussen, DB 1994, S. 27 (30). 67
Tippach, Marktdaten im künftigen Insiderrecht, WM 1993,1269 (1271).
114
Thomas Matusche
letztlich nur um eine begrenzte Anzahl von Gesellschaften, so daß auch bei allgemeineren Marktdaten immer ein fest umrissener Kreis von Papieren betroffen ist.68 Zum anderen ist die Einführung dieses Kriteriums nicht erforderlich, da sich die allgemeinen Marktdaten wie z.B. gesamtwirtschaftliche Statistiken, welche durch die Begrenzung ausgeschlossen werden sollen, in aller Regel nicht sonderlich auf die Kursentwicklung an den Börsen auswirken wird. Dann aber ist die erforderliche Eignung zur erheblichen Kursentwicklung nicht gegeben, so daß die Tatsache aus dem Grund keine Insidertatsache ist.69 Daher wird die vorgeschlagene Begrenzung zu Recht abgelehnt. Darüber hinaus fehlt dem Merkmal des „fest umrissenen Kreises" die nötige 70
Trennschärfe, so daß man in einem Bereich, der ohnehin mit Auslegungsund Anwendungsschwierigkeiten behaftet ist, ohne Not ein weiteres Abgrenzungsproblem schaffen würde. 4. Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung Die Legaldefinition der Insidertatsache des § 13 Abs. 1 WpHG verlangt, daß die Tatsache geeignet ist, den Kurs der Insiderpapiere erheblich zu beeinflussen. Es ist nicht erforderlich, daß sich der Kurs durch das Bekanntwerden der Tatsache tatsächlich verändert hat. Die Eignung zur Kursveränderung reicht schon aus.71 Diese Eignung ist anhand einer nachträglichen objektiven Prognose zu bestimmen. 7 Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Vornahme des als Insidertransaktion in Rede stehenden Wertpapiergeschäfts. Hierbei kommt es entscheidend auf die Sichtweise des durchschnittlichen verständigen Anle73
gers an. Besondere Schwierigkeiten ergeben sich in der Praxis bei der Bestimmung, wann eine nach dieser Prognose festgestellte mögliche Kursveränderung „erheblich" ist. In der Begründung des Gesetzentwurfes wird eine Orientierung an den Bedingungen für die Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse vorgeschlagen. 74 Danach sind Börsenmakler verpflichtet, durch Plus- oder Minusankündigungen anzuzeigen, wenn die Auftragsentwicklung 68
Immenga, ZBB 1995 S. 197 (202); Kumpel, WM 1994, S. 2137 (2139).
69
Kumpel, a.a.O.
70
Assmann in Assmann/Schneider, § 13 Rdn. 53.
71
Claussen, DB 1994, S. 27 (29); Immenga, ZBB 1995, S. 197 (202).
72
Hopt, ZGR 1991, S. 17 (32).
73
Assmann in Assmann/Schneider, § 13, Rdn. 65; Caspari, ZGR 1994, S. 530 (540).
74
Vgl. BT-Drucks. 12/6679, S. 47.
Insider und Insidertatsachen nach dem WpHG
115
eine starke Abweichung vom bisherigen Kurs erwarten läßt. Diese Anzeigepflicht beginnt bei einer Abweichungserwartung von 5 % des Kurswertes von Aktien. 75 Wendet man diese Grundsätze auf die Frage der Erheblichkeit an, so wären nur solche Tatsachen Insidertatsachen im Sinne von § 13 Abs. 1 WpHG, deren Bekanntwerden geeignet ist, den Kurs des Wertpapiers um 5 % oder mehr zu verändern. Diesem Weg folgt die ganz herrschende Ansicht im Schrifttum. 76 Nach einer anderen Meinung kann eine Antwort auf die Frage der Erheblichkeit der Kursbeeinflussung nicht pauschal anhand bestimmter Prozentsätze, sondern nur speziell in jedem Einzelfall gefunden werden.77 Dies gebiete insbesondere die Tatsache, daß unterschiedliche Wertpapiere jeweils unterschiedliche übliche Kursschwankungsbreiten haben. 78 Jedoch dürfte eine objektive Bestimmung der Erheblichkeit ohne konkrete Orientierungspunkte in der Praxis unmöglich sein oder mindestens mit erheblichen Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit behaftet sein. Hier muß die relative Anwendungssicherheit, die die Lösung der herrschenden Meinung bietet, der angestrebten Einzefallberücksichtigung vorgehen. Daher gilt als Regel, daß eine mögliche Kursbeeinflussung von 5 % oder mehr als erheblich im Sinne von § 13 Abs. 1 WpHG anzusehen ist. Zu beachten bleibt aber, daß es sich auch bei dieser Zahl nicht um einen absoluten Maßstab handeln kann. Die genaue Prüfung des Einzelfalls wird durch das Festlegen von Orientierungspunkten nicht ersetzt.
75
Vgl. Caspari, ZGR 1994, S. 530 (541).
Vgl. Assmann, AG 1994, S. 237 (244); ders., ZGR 1994, S. 494 (515); ders., WpHG, § 13 Rdn. 70; Caspari, ZGR 1994, S. 530 (540); Claussen, DB 1994, S. 27 (30); Immenga, ZBB 1995, S. 197 (203); Matusche, NWB Fach 21 S. 1217 (1221); in dieser Richtung auch Hopt, ZGR 1991, S. 17 (32); ders. ZHR 159 (1995), S. 154. 76
77 Kumpel, WM Rdn. 14.134ff.
78
1994,
S.
2137
(2141);
ders.,
Bank-
und
Kapitalmarktrecht,
Kumpel, WM 1994, a.a.O. So können beispielsweise bei weniger häufig gehandelten Papieren schon verhältnismäßig wenige Orders relativ große Kursausschläge bewirken.
Die Innenfinanzierung geschlossener Immobilienfonds in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts WERNER PUES
I. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der geschlossenen Immobilienfonds Der Erwerb von Immobilien ist gerade in Deutschland eine der beliebtesten Anlageformen. Über Jahrzehnte hat diese Investitionsalternative den Bedürfnissen der Anleger nach hoher Sicherheit und guter Rendite nahezu optimal Rechnung tragen können, nicht zuletzt weil dem Immobilieninvestor neben den ständig gestiegenen Mieteinnahmen oft erhebliche Vorteile aus einer überwiegend politisch motivierten Steuergesetzgebung zugeflossen sind und Immobilienvermögen in den letzten Jahrzehnten fast ununterbrochen (steuerfreie) Wertzuwächse erfahren hat. Den Investitionen in Immobilien stehen aber auch erhebliche Hindernisse entgegen. Die mit einem unmittelbaren Immobilienerwerb verbundenen hohen Kosten, der hohe Arbeitsaufwand bei Errichtung und Verwaltung von Immobilien und das notwendige hohe know how stellen für viele Privatanleger oft eine unüberwindliche Hürde dar. Selbst der Erwerb von Wohnungseigentum oder Teileigentum erfordert erhebliche Mittel und hohen Verwaltungsaufwand. Investitionen in hochwertige Immobilien in sehr guter Lage, die in der Vergangenheit sowohl unter Sicherheits- wie auch unter langfristigen Renditeaspekten die erfolgreichsten Immobilieninvestitionen waren, übersteigen regelmäßig die Möglichkeiten einzelner Privatanleger. Geschlossene Immobilienfonds geben insbesondere einkommensstarken Privatanlegern die Möglichkeit, sich auch mit im Verhältnis zur Gesamtinvestitionssumme kleineren Beträgen (Beteiligungen sind üblicherweise schon ab DM 50.000,--, z.T. schon ab DM 20.000,-- möglich) an größeren Immobilienprojekten unter Inanspruchnahme steuerlicher Vorteile zu beteiligen. Bei einem geschlossenen Immobilienfonds können je nach Konzeption erhebliche Teile des einzusetzenden Kapitals, ggf. sogar die gesamte Kapitalanlage, aus nicht gezahlten Steuern refinanziert werden (Stichwort: "Aus Steuerersparnis Vermögen bilden"). Der geschlossene
Innenfinanzierung geschlossener Immobilienfonds
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Immobilienfonds hat die Nachfolge der Bauherrenmodelle angetreten, die steuerlich nicht mehr anerkannt werden.1 Bei geschlossenen Immobilienfonds wird auch der Arbeitsaufwand für den Einzelanleger äußerst gering gehalten. Die gesamte Projektentwicklung einschließlich Planung, Vertragsabschlüsse und Abwicklung in der Errichtungs- und später in der Verwaltungsphase können komplett erfahrenen Spezialisten überlassen bleiben. Im Extremfall beschränkt sich der Arbeitsaufwand auf die Leistung der Unterschrift auf der Beitrittserklärung.2 Von den geschlossenen Immobilienfonds scharf zu trennen sind die offenen Immobilienfonds, die ebensowenig persönlichen Arbeitsaufwand erfordern. Beteiligungen an offenen Immobilienfonds haben aber Wertpapiercharakter. Über sie wird keine unmittelbare Beteiligung an einem bestimmten Immobilienprojekt erworben. Charakteristisch für die offenen Immobilienfonds ist, daß bei ihnen sowohl die Zahl der einzubringenden Immobilien wie auch der Kreis der Anleger unbegrenzt sind.3 Der Kreis der Anleger erweitert sich ständig durch die Ausgabe neuerer Zertifikate, soweit nicht Rückflüsse das Gegenteil bewirken. Anleger haben auch immittelbar keinen Einfluß auf An- und Verkaufsentscheidungen. Ausschüttungen sind bei Privatpersonen Einkünfte aus Kapitalvermögen und nicht Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung; die in der Startphase erwünschten Verlustzuweisungen fallen bei offenen Immobilienfonds für den Privatanleger nicht an. Die mit der "Zeichnung" erworbenen Fondsanteile an offenen Immobilienfonds verbriefen Ansprüche der Anteilseigner auf Anlage und Verwaltung des Sondervermögens, Ausschüttung der Erträge und auf Rücknahme des Anteilsscheins. Gerade in der zuverlässig organisierten, grundsätzlich jederzeitigen Wiederverkäuflichkeit und den sehr strikten Vorschriften des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften und des Kreditwesengesetzes, in der Überwachimg durch das Bundesauf-
Anleger in Bauherrenmodellen, die aufgrund eines vorformulierten Vertragswerks eine Eigentumswohnung erwerben, werden einkommensteuerrechtlich regelmäßig nicht als Bauherrn angesehen; BFH vom 14.11.1989, BStBl 1990 II, S. 299. 2
Zu den Vorteilen der Immobilieninvestition über Immobilienfonds siehe Lammerskitten in: Falk, Immobilienhandbuch S. 229, 231. 3
Nach § 28 KAGG wird zur Risikomischung nach einer Anlaufphase von vier Jahren ein Grundstücksbestand von mindestens 10 Grundstücken verlangt. Eine Beschränkung des Zeichnerkreises ist durch Auflegung von Spezialfonds (§ 1 Abs. 2 KAGG) aber möglich.
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Werner Pues
sichtsamt fur das Kreditwesen und durch die Depotbank jedoch sind auch in dieser Form der Investition in Immobilien erhebliche Vorteile zu sehen. Die geschlossenen Immobilienfonds sind bedeutende Marktteilnehmer. In den Jahren 1991-1995 haben die geschlossenen Immobilienfonds über DM 38 Mrd. in Immobilienprojekte investiert; die offenen Immobilienfonds investierten in dieser Zeit über DM 22 Mrd., die Versicherungen und Pensionskassen DM 29 Mrd., ausländische Investoren DM 7 Mrd. 4
II. Mittelaufbringung bei geschlossenen Immobilienfonds Die Gesellschafter eines Immobilienfonds haben verschiedene Möglichkeiten, die für die Investition notwendigen Mittel aufzubringen. Die Finanzierung des Immobilienfonds kann so gestaltet sein, daß der Fonds selbst ein entsprechendes Darlehen aufnimmt (reine Innenfinanzierung). Möglich ist auch, daß der Fonds selbst keinerlei Kreditmittel aufnimmt (reiner Eigenkapitalfonds), daß aber die Gesellschafter jeder für sich den von ihnen aufzubringenden Teil des Gesellschaftskapitals ganz oder zum Teil als Darlehen aufnehmen (reine Außenfinanzierung). Der Vorteil einer reinen Außenfinanzierung liegt darin, daß das Risiko für den Anleger - sich allein auf die von ihm getätigte Investition und die von ihm übernommene Investitionssumme beschränkt und daß das Fallieren von Mitgesellschaftern auf ihn keine unmittelbaren Auswirkungen hat. Unter Risikoaspekten nicht akzeptabel für potentielle Zeichnungswillige sollte es sein, wenn die Fondskonstruktion vorsieht, daß zur Absicherung der von den einzelnen Zeichnern zur Aufbringung ihres Eigenkapitalanteils aufgenommenen Darlehen an dem Fondsobjekt eine Globalgrundschuld bestellt wird.5 Ist eine solche Konstruktion vorgesehen, so haftet das Fondsobjekt auch bei der persönlichen Zahlungsunfähigkeit eines einzelnen Gesellschafters. Damit trägt der Fondszeichner nicht nur das unternehmerische Risiko des von ihm zur Beteiligung ausgewählten Investitionsvorhabens, sondern auch das Risiko der Bonität seiner ihm im Regelfall völlig unbekannten Mitgesellschafter. Die Darlehenskosten werden bei einer reinen Außenfinanzierung regelmäßig höher sein als bei der Nutzung der Möglichkeiten einer Innenfinanzierung, weil bei dieser Finanzierungsform anders als bei der reinen Außenfinanzierung der Realkredit mit seinen günstigen Zinskonditionen in 4
Manager-Magazin 5/1996, S. 159.
5
So auch Görlich, NWB 37/1993, S. 3514
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Anspruch genommen werden kann. Bei der Außenfinanzierung kann aus der Investition nur der Anteil des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen, sein Gewinnauszahlungsanspruch und sein Anteil am Auseinandersetzungsguthaben als Sicherheit der Bank zur Verfügung gestellt werden. Wieviel das wert ist, hat Karsten Schmidt6 anhand von Fällen aus der Praxis illustriert. Fondsinitiatoren verzichten schon deshalb nicht gerne auf die Innenfinanzierung, weil ansonsten der für die Zeichner werbewirksame leverage-Effekt bei der Höhe der steuerlichen Verlustzuweisungen entfiele. Da Banken in aller Regel nur bereit sind, eine Innenfinanzierung bis zu einer Höhe darzustellen, daß Zinsen und Tilgung noch komplett aus den Mieterträgen des Fondsobjekts gedeckt werden können, ist in der Praxis am häufigsten eine gemischte Innen- und Außenfinanzierung anzutreffen. Der Zeichner, der seinen Eigenkapitalanteil dabei fremdfinanziert, muß stets das Problem der steuerlichen Annahme der Gewinnerzielungsabsicht7 im Auge behalten. Geschlossene Immobilienfonds werden als Kommanditgesellschaften oder als Gesellschaften bürgerlichen Rechts aufgelegt. Nachfolgend werden ausschließlich die geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR-Immobilienfonds oder Fonds genannt) betrachtet.
III. GbR-Immobilienfonds als Darlehensnehmer Die öffentliche Plazierung eines Immobilienfonds kann nur gelingen, wenn der Erwerb des Fondsgrundstücks, seine Bebauung und seine Vermietung und die Beschaffung der Fremdmittel gesichert sind und dies alles innerhalb eines sichergestellten Ertrags- und Kostenrahmens. Auch muß die steuerliche Anerkennung gesichert erscheinen. Aus der jüngeren Finanzrechtsprechung tritt der Zielkonflikt zwischen zivilrechtlichem Sicherheitsdenken im Interesse der Anleger und den steuerlichen Anforderungen an die Ausgestaltung des Gesamtvertragswerkes immer deutlicher hervor. Die Haltung der Finanzverwaltun^, wie sie in BMFSchreiben deutlich wird, ist zur Zeit noch eher großzügig.
6
JZ 1985,909,911
7
Vgl. hierzu BMF-Schreiben vom 23.07.1992, BStBl II 1992, S. 434.
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Z.B. BMF-Schreiben vom 30.06.1994, BStBl I 1994, S. 355; 11.08.1994, DB 1994, S. 1722.
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Für Kreditinstitute sind geschlossene BGB-Immobilienfonds schwierig zu handhabende Darlehensnehmer, die hohe Anforderungen an die Kompetenz der Kreditsachbearbeitung und der sie beratenden Juristen stellen. Wesentliche Gründe 9 hierfür liegen darin, daß - die "Geschäftsführer" nicht Organe mit gesetzlich festgeschriebener und im Handelsregister verlautbarter Vertretungsmacht sind, - die Eigentumslage am Fondsobjekt sich außerhalb des Grundbuchs ändern kann und - der BGB-Gesellschaft Partei-, Grundbuch- und Konkursfähigkeit abgesprochen werden. Im folgenden sollen wesentliche Risiken und Maßnahmen zu deren Ausschaltung oder Begrenzung dargestellt werden. Die Reihenfolge der Darstellung orientiert sich an den zu bedenkenden Arbeitsschritten bei der Abwicklung eines Darlehens, also Vertragsabschluß, Verwaltung des Darlehens und Zwangsvollstreckung gegen Schuldner und Verwertung gestellter Sicherheiten. 1. Formerfordemisse Formerfordernisse im Rahmen der Fondsgründung können sich auf den Darlehensvertrag auswirken; aber auch unmittelbar bei Abschluß des Darlehensvertrages und der Sicherstellung spielen Formfragen eine erhebliche Rolle. a) Die Formvorschrift des §313 BGB Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu erwerben oder zu übertragen, bedarf nach § 313 Satz 1 BGB der notariellen Beurkundung. Die Nichteinhaltung der Formvorschriften des §313 Satz 1 BGB fuhrt vorbehaltlich der Heilung durch Vollzug des Grundstücksgeschäftes (§313 Satz 2 BGB) zur Nichtigkeit der betroffenen Vereinbarung (§ 125 Satz 1 BGB) und aller damit im Zusammenhang stehenden Verträge, die mit der formpflichtigen Vereinbarung "stehen und fallen" sollen. 10
Eine Darstellung der Haftungsproblematik für die Bank aus den Gesichtspunkten unrichtige Prospektangaben, Haftung bei Anlageberatung und Anlagevermittlung würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen; hierzu v. Heymann, Die Bankenhaftung bei Immobilienanlagen, 1993; derselbe z.B. auch DStR 1993, S. 1147. 10
BGHZ50, S. 8, 13.
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Ein Verstoß gegen die Formvorschrift des § 313 BGB hat für das finanzierende Kreditinstitut schwerwiegende Folgen. Er stellt den wirksamen Abschluß des Darlehensvertrags und die Sicherheitenbestellung in Frage; denn der Formmangel erfaßt regelmäßig auch im Zuge der Gesellschaftsgründung erteilte Vollmachten zur Vornahme dieser Rechtsgeschäfte. aa) Der Abschluß des Gesellschaftsvertrages In der Praxis wird häufig der Gesellschaftsvertrag im voraus vom Initiator zusammen mit einem oder mehreren Gründungsgesellschaftern geschlossen. Dieser Gründungsvertrag sieht dann die Möglichkeit der Aufnahme (Beitritt) weiterer Gesellschafter vor. Der Beitritt erfolgt entweder über den Weg eines verkürzten Gesellschaftsvertrags-(Neu)-Abschlusses aller bereits vorhandenen Gesellschafter mit dem neu hinzutretenden oder über Anteilsabtretung. Dabei wird in der Praxis so gearbeitet, daß die vom Kapitalanleger unterschriebene Erklärung zum Beitritt zur Gesellschaft in aller Regel eine Vollmacht an den Initiator, einen Gründungsgesellschafter oder Treuhänder, in seinem Namen den Beitritt zur Gesellschaft zu erklären, enthält, von der erst dann Gebrauch gemacht werden darf, wenn die vollständige Aufbringung des vorgesehenen Eigenkapitals gesichert ist. Der Gesellschaftsvertrag zur Begründung eines geschlossenen Immobilienfonds bedarf in der Regel der notariellen Beurkundung; dies gilt in jedem Fall, wenn die Erwerbsverpflichtung für das Fondsgrundstück erst nach Abschluß des Gesellschaftsvertrages begründet wurde. Vorsicht ist aber auch geboten, wenn der Gesellschaftsvertrag zwar nach Begründung der Erwerbsverpflichtung, aber noch vor Eigentumsumschreibung abgeschlossen wurde. Erst nach erklärter Auflassung und Wirksamwerden des Vertrages ist der Abschluß formfrei. Eine noch fehlende Grundstücksverkehrsgenehmigung oder Genehmigung nach der GVO für Grundstücke in den neuen Bundesländern bedingt also Beurkundungsbedürftigkeit.11 Eine Beurkundungspflicht besteht aber auch dann, wenn etwa, weil der Fonds nur eine Teilgentumseinheit in einem größeren Komplex, z.B. einen Verbrauchermarkt innerhalb eines Wohn- und Geschäftszentrums, halten
11
Körte, Handbuch der Beurkundung von Grundstücksgeschäften, 1990, S. 186ff.
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soll,12 der Gesellschaftsvertrag die Verpflichtung enthält, an einer Aufteilung des Objektes in Wohn- oder Teileigentums mitzuwirken. Keiner Form bedarf dagegen ein Gesellschaftsvertrag einer Grundstücksgesellschaft, deren gemeinsamer Zweck der Erwerb von Grundstükken ist, ohne daß diese zumindest bestimmbar sind.13 Für die Formfreiheit reicht es aber nicht aus, wenn im Gesellschaftsvertrag nur der Erwerb konkreter Grundstücke als Gesellschaftszweck nicht angegeben wird. Für die Frage der Beurkundungsbedürftigkeit kommt es nicht auf den Wortlaut an, sondern entscheidend ist, was die Parteien tatsächlich vereinbaren und bezwecken.14 Gerade bei kleineren Zeichnerkreisen von miteinander persönlich bekannten und sich vertrauenden Initiatoren und Zeichnern könnte eine Versuchung bestehen, über eine entsprechend weite Formulierung im Gesellschaftsvertrag eine Formbedürftigkeit und damit entsprechende Kosten der Beurkundung zu vermeiden, wobei sich alle Beteiligten einig sind, nur ein bestimmtes Grundstück tatsächlich erwerben zu wollen. Auch allein die Tatsache, daß der Gesellschaftsvertrag als Gesellschaftszweck neben dem Erwerb, der Bebauung und Verwaltung des konkret bezeichneten Objekts allgemein den Erwerb und das Handeln von Grundstücken vorsieht, fuhrt nicht zur Formfreiheit des Gesellschaftsvertrags.15 Sieht der Gesellschaftsvertrag vor, daß der Immobilienbesitz der Gesellschaft später unter den Gesellschaftern aufgeteilt wird, z.B. Übertragung einzelner Eigentumswohnungen auf die Gesellschafter, so übernimmt der Fondszeichner eine die Beurkundungsbedürftigkeit auslösende Erwerbsverpflichtung. Sehr sorgfaltig zu prüfen ist auch, ob der Gesellschaftsvertrag eine Pflicht zur Veräußerung, sei es auch nur bedingt, vorsieht. So sehen Immobilienleasingfonds regelmäßig Übertragungsverpflichtungen an den 12
Richtig der entsprechende Hinweis der Bay. Notarkammer im Schreiben vom 11.03.1992. 13 Vgl. hierzu Staudinger/Kessler, § 705 Rn. 37; Münchener Kommentar/tZ/mer, § 705 Rn. 33ff. 14 Körte, a.a.O., S. 181, Fußnote 8. 15 Anders verhält es sich bei den sog. Blind Pools. Der Blind Pool zeichnet sich gegenüber den herkömmlichen geschlossenen Immobilienfonds dadurch aus, daß der Anleger zum Zeitpunkt der Anlageentscheidung nicht weiß, in welches Objekt bzw. welche Objekte er investiert. Regelmäßig sind nur die Auswahlkriterien, nach denen das Fonds-Management ankaufen will, abstrakt umschrieben. Blind Pools spielen in der Praxis in Deutschland bisher keine große Rolle.
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Leasingnehmer vor. Auch bedingt sich die öffentliche Hand nicht selten bei Grundstücksveräußerungen Rückübertragungsansprüche aus. Jede Form von Veräußerungspflicht führt zur Beurkundungsbedürftigkeit. bb) Die Beitrittserklärung In der Praxis spielt die Beitrittserklärung eine zentrale Rolle. Sie beinhaltet die Personalien des beitrittswilligen Gesellschafters, steuerliche Angaben, Kontoverbindung und die Angabe, mit welchem Betrag die Beteiligung eingegangen werden soll, und sie wird vom Anleger unterzeichnet. Sie wird entweder gegenüber dem Fonds selbst abgegeben, häufiger aber noch gegenüber einem Treuhänder mit dem Auftrag, den Beitritt für den Anleger zu erklären. Neben der dafür notwendigen Vollmacht umfaßt die Beitrittserklärung in der Regel auch die Vollmacht, ein Konto zu eröffnen, einzelne Verträge abzuschließen und den Anleger der Zwangsvollstreckung in sein persönliches Vermögen zu unterwerfen. Der Vertrieb legt regelmäßig großen Wert darauf, daß die von ihm einzuwerbenden Gesellschafter beitreten können oder daß zumindest der Zeichner an sein Beitrittsangebot gebunden ist, ohne daß diese Erklärung noch einer notariellen Beurkundung bedarf. Das finanzierende Kreditinstitut hat stets sorgfältig zu prüfen, ob die privatschriftliche Beitrittserklärung den so Beitretenden tatsächlich bindet. Ist der Beitritt formunwirksam, haftet der "Schein-Gesellschafter" auch nicht fur das Darlehen. Für den Beitritt über den verkürzten Gesellschaftsvertragsabschluß gelten die gleichen Grundsätze wie beim Gesellschaftsvertragsabschluß allgemein. Entscheidend ist also, ob der Beitritt vor oder nach Eigentumserwerb des Fondsobjekts durch die Gesellschaft erfolgt.16 Erfolgt der Beitritt erst nach Umschreibung des Fondsobjekts auf die GbR, gibt es keine rechtsgeschäftliche Erwerbspflicht für den Beitretenden, der Erwerb erfolgt über Anwachsung gesamthänderischen Miteigentums kraft Gesetzes analog § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist nicht beurkundungsbedürftig.17 Im Fall der Anteilsabtretung erfolgt die Zuordnung der anteiligen Beteiligung am gesamthänderisch gebundenen Gesellschaftsvermögen durch
16 17
Zu den Einzelheiten s. oben unter aa).
BGH NJW 83, S. 1110, Petzold, BB 1975, S. 906; anderer Auffassung Heckschen, Die Formbedürftigkeit unmittelbarer Grundstücksgeschäfte, 1987, S. 136.
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Rechtsnachfolge; diese Form des Beitritts bedarf generell nicht der Beurkundung.18 cc) Modelle mittelbarer Beteiligung Für Modelle mit mittelbarer Beteiligung über sog. Beteiligungs- oder Grundbuchtreuhänder liegt Rechtsprechung - soweit ersichtlich - noch nicht vor. Schon aus Sicherheitsgründen wird das finanzierende Kreditinstitut sie nach den gleichen Grundsätzen behandeln wie eben dargestellt.19 Sofern der Grundbuchtreuhänder noch nicht Eigentümer des Fondsobjekts ist, kann auch der Treuhandvertrag beurkundungsbedürftig sein; denn dieser enthält fur den Grundbuchtreuhänder die Verpflichtung, das Grundstück im eigenen Namen fur Rechnung der Gesellschaft zu erwerben. Zum anderen kann sich die Beurkundungsbedürftigkeit aus der Verpflichtung des Treuhänders, das Eigentum nach Beendigung des Treuhandverhältnisses zu übertragen und aus der korrespondierenden Erwerbspflicht des Treugebers ergeben.20 Der BGH hat allerdings die Beurkundungsbedürftigkeit für eine gesetzliche, aus § 667 BGB folgende Verpflichtung, verneint.21 Eine solche aus den Regeln über den Auftrag folgende gesetzliche Herausgabepflicht setzt jedoch wieder voraus, daß der Grundbuchtreuhänder zum Zeitpunkt der Auftragserteilung noch nicht Eigentümer des Grundstücks ist.22 Beurkundungsbedürftigkeit liegt auch vor, wenn der Vertrag mit dem Treuhänder eine sog. Versilberungsabrede enthält, wonach sich der Treuhänder verpflichtet, auf Verlangen der Gesellschaft das Grundstück zu veräußern und den Erlös an die Gesellschaft auszukehren. Nach § 313 Satz 2 BGB wird der formnichtige Vertrag mit seinem gesamten Inhalt gültig, wenn die Auflassung und die Eintragung in das Grundbuch erfolgen. Ein der Formvorschrift des § 313 BGB nicht genügender Vertrag eines GbR-Immobilienfonds wird also wirksam, wenn das Grundstück in der gebotenen Weise an diesen aufgelassen und er als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen wird. Die Heilungswirkung erstreckt sich selbst auf die Vereinbarung eines der Vertragsteile mit einem Dritten, 18
BGHZ 86, 367; Loritz/Wagner, Konzeptionshandbuch der steuerorientierten Kapitalanlage, Band 2, 1995, S. 378; Reinelt, NJW 1992, S. 2054. 19
So auch Loritz/Wagner, a.a.O., S. 379. 20
BGH NJW 1985, S. 730; BGH NJW 1994, S. 3347.
21
Z.B. BGHZ 85, S. 248; BGH NJW 1981, S. 1267.
22
SoergeVWolf, § 313 BGB, Rn. 42.
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23
soweit diese formbedürftig war, also auch der Darlehensvertrag und die Sicherstellung werden ggf. nachträglich wirksam. b) Verbraucherkreditgesetz Sorgfaltig zu prüfen ist stets, ob der Kreditvertrag dem Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG) unterliegt. Ist das VerbrKrG anwendbar, muß der Kreditvertrag der Schriftform des § 126 BGB entsprechen und die in § 4 VerbrKrG genannten Angaben enthalten. Die BGB-Gesellschaft ist möglicher Kreditnehmer i.S.d. Vorschriften des VerbrKrG.24 Eine Einschränkung der Anwendimg kann sich nur unter dem Gesichtspunkt der möglichen Zweckbestimmung "gewerbliche Tätigkeit" ergeben. Die grundpfandrechtliche Absicherung ändert an der Anwendung des VerbrKrG grundsätzlich nichts, aber wichtige Regeln des Gesetzes, wie etwa § 7 über Widerrufsrecht des Kreditnehmers, § 9 über verbundene Geschäfte und Einwendungsdurchgriff, gelten nicht. Diese Einschränkung der Vorschriften des VerbrKrG gilt nicht nur fur von Hypothekenbanken gewährte Realkredite. Für § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG genügt es, wenn der grundpfandrechtlich abgesicherte Kredit zu den fur grundpfandrechtlich abgesicherte Kredite üblichen Bedingungen gewährt worden ist. Der Charakter des Realkredits wird dabei etwa nicht schon dadurch in Frage gestellt, daß im Einzelfall der im Hypothekenbankgesetz vorgesehene Beleihungsrahmen in Höhe von 60 % des Grundstückswertes (§§ 11, 12 HBG) überschritten wird.26 § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG findet auch Anwendung für nachrangig gesicherte Darlehen bei entsprechender Werthaltigkeit des Grundpfandobjekts. Vor den Bestimmungen des Haustürwiderrufsgesetzes haben die Bestimmungen des VerbrKrG Vorrang.27 c) Formerfordernis für Sicherheitenbestellung Sollte, anders als in der Praxis vielfach üblich, die Grundschuld fur die den Fonds finanzierende Bank nicht schon vom Verkäufer des Grundstücks 23
BGH NJW 1974, S. 136; Wiesner, NJW 1984, S. 99.
24
Wagner-Wieduwilt in: Bruchner/Ott/Wagner-Wieduwilt, VerbrKrG, § 1 Rn. 23; Münstermann///a«nei, VerbrKrG, § 1 Rn. 25. 25
So z.B. für Arbeitsgemeinschaften des Baugewerbes Hopt/Mülbert, WM 1990, Sonderbeilage Nr. 3, S. 8. 26 Wagner-Wieduwilt, a.a.O., § 3 Rn. 87. 27
§ 5 Abs. 2 Haustürwiderrufsgesetz.
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bewilligt worden sein, sondern erst der Fonds die Eintragung der Grundschuld bewilligen, müssen die für den Fonds Handelnden ihre Vertretungsmacht durch öffentlich beglaubigte Urkunden nachweisen. In der Praxis verlangt die Bank regelmäßig, daß sich die Gesellschafter für den Betrag, für den sie auch persönlich haften, der sofortigen Zwangsvollstreckung unterwerfen. Diese Unterwerfungserklärung der Gesellschafter unter die Zwangsvollstreckung in ihr persönliches Vermögen muß beurkundet sein (§ 794 ZPO). Häufig geben die Gesellschafter eine solche Unterwerfungserklärung nicht persönlich ab, sondern lassen sich hierbei durch den Treuhänder vertreten. Umstritten ist, ob eine Vollmacht, die eine Unterwerfung der Gesellschafter in ihr persönliches Vermögen erlaubt, der Form der §§ 797, 726 Abs. 1 ZPO bedarf, also notariell beglaubigt sein muß 28 oder ob privatschriftliche Form ausreicht. 29 Aus Sicherheitsgründen sollte die Bank auf einer zumindest notariell beglaubigten Vollmacht bestehen. 2. Vertretung des Fonds und seiner Gesellschafter Für die BGB-Gesellschaft gilt wie für die Personengesellschaft allgemein der Grundsatz der Selbstorganschaft. Es können somit nur haftende Gesell30
schafter zu vertretungsberechtigten Geschäftsführern bestellt werden. Außenstehenden Dritten kann die organschaftliche Vertretungsbefugnis nicht übertragen werden. Die Bedeutung der Einschränkung der Vertragsfreiheit durch den Grundsatz der Selbstorganschaft ist allerdings in der Praxis geringer als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Dieser Grundsatz schließt nämlich nicht die Möglichkeit aus, daß ein Dritter mit einer umfassenden Vollmacht (Generalvollmacht), die auch noch über den gesetzlich festgelegten Umfang einer Prokura hinausgehen kann, ausgestattet wird, 31 sofern die Gesellschafter nur selber die organschaftliche Geschäftsund Vertretungsbefugnis behalten. 32
So z.B. OLG München, MDR 1964, 603; Thomas/Putzo, § 797 Rz. 4; Baumbach, § 797 Anm. 1. 29
§ 7 9 7 Anm. 1; Zöller,
So OLG Köln, MDR 69, S. 150; auch Stein/Jonas, § 797 Rz. 14.
30
Allgemeine Ansicht; BGHZ 26, 330, 332; Karsten Schmidt, S. 334; Wiedemann, WM 1994, Sonderbeilage Nr. 4, S. 10. 31
BGHZ 36, S. 293.
32
BGH WM 1982, S. 583; WM 1994, S. 237, 238 m.w.N.
Gesellschaftsrecht,
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Für die Erfüllung vertraglicher Ansprüche haftet der Schuldner grundsätzlich unbeschränkt, eine Abweichung hiervon bedarf vertraglicher oder gesetzlicher Regelungen. Bei der BGB-Gesellschaft bereitet die Beantwortung der Frage, wer aus vertraglichen Erklärungen ihres Geschäftsführers verpflichtet wird, immer noch erhebliche Schwierigkeiten. Anerkannt ist inzwischen, daß entsprechend der Rechtslage bei der OHG und KG auch für die BGB-Gesellschaft zwischen Gesamthands- und Gesellschafterverbindlichkeit zu unterscheiden ist. 33
Nach der Rechtsprechung des BGH und der wohl noch herrschenden Lehre34 haftet der Gesellschafter nicht kraft Gesetzes für die Verbindlichkeiten der BGB-Gesellschaft, sondern der geschäftsführende Gesellschafter begründet beim Handeln für die BGB-Gesellschaft im Zweifel neben einer Verpflichtung der Gesellschaft zugleich eine solche für sich und für jeden übrigen Gesellschafter (sog. Doppelverpflichtungstheorie). Die Verpflichtung der nicht handelnden Gesellschafter setzt eine entsprechende Vollmacht voraus, die nicht geschäftsführende Gesellschafter den geschäftsführenden Gesellschaftern einräumen und die neben die organschaftliche Vertretungsmacht gegenüber der Gesamthand tritt. Nach der Doppelverpflichtungstheorie haften die Gesellschafter nicht, sondern sie schulden. Nach der sog. Akzessorietätstheorie wird Vertragspartner allein die BGB-Gesellschaft selbst, ihre Mitglieder haften für die Gesellschafterschulden nicht aufgrund schuldrechtlicher Eigenverpflichtung, sondern aufgrund gesellschaftsrechtlicher akzessorischer Haftung. 35 Der Meinungsstreit ist äußerst vielschichtig und soll hier nicht im einzelnen wiedergegeben werden. Für die Praxis kann nur geraten werden, die Haftung der Gesellschaft und ihrer Mitglieder ausdrücklich im angestrebten Sinne zu vereinbaren. Dabei ist, wenn bei der Kreditentscheidung auch auf die persönliche Haftung der Gesellschafter abgestellt wird, besonderes Augenmerk auf die Haftung später beitretender und später ausscheidender Gesellschafter zu richten, wobei für letztere über § 736 Abs. 2 BGB die für Personenhandelsgesellschaften geltenden Regelungen sinngemäß gelten.
33
BGHZ 72, 267; 74, 240; 79, 374; BGH NJW 1992, S. 3037, 3038.
34
Z.B. Lorenz, Schuldrecht II, 12. Aufl. 1981, S. 396f.; Beuthien, DB 1975, S. 725, 728; Soergel-Hadding, §714 Rn. 6, 7; Münchener Kommentar/Ulmer, §714 Rn. 24; Jauemig/Sfurner, §§ 714, 715 Anm. 1; 35 Z.B. K. Schmidt, Festschrift f. Fleck, 1988, S. 271ff.; Wiedemann, WM 1994, Sonderbeilage Nr. 4, S. 7.
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Sehr sorgfältig zu prüfen ist auch, ob die Vertretungsmacht des Geschäftsführers oder Vertreters die angestrebte Regelung überhaupt ermöglicht.36 Denn gerade die Rechtsprechung geht davon aus, daß sowohl die einem Dritten rechtsgeschäftlich erteilte Vertretungsmacht wie auch die einem geschäftsführenden Gesellschafter eingeräumte Vertretungsmacht beliebig eingeschränkt werden kann. Bereits das Reichsgericht37 hat ausgesprochen, daß Mitglieder einer BGB-Gesellschaft ihre Haftung entsprechend der eines Kommanditisten in der Weise begrenzen können, daß die Vertretungsmacht auch der Geschäftsführer der Gesellschaft in einer für Dritte erkennbaren Weise beschränkt wird. Dem hat sich der BGH angeschlossen. Voraussetzung für die Einschränkung nach der Rechtsprechung ist, daß die beschränkte Vertretungsmacht des Vertreters zumindest nach einer Prüfung erkennbar ist.38 Auf der Grundlage einer akzessorischen Haftung analog § 128 HGB kann für die Haftungsbegrenzung die Erkennbarkeit eines entsprechenden Willens des Gesellschafters kaum ausreichen.39 Da eine Vollmacht frei widerruflich ist, muß die Bank sich die Vollmacht entweder im Original oder in einer notariellen Ausfertigung bei Vertragsschluß vorlegen lassen, um den Gutglaubensschutz zu erhalten. Hierfür reicht es aber nicht aus, daß die Bank die Vollmacht im Original oder notarieller Ausfertigung beizieht und eine Kopie zur Akte nimmt und das Original/die Ausfertigung mit der Darlehenszusage, also vor Zustandekommen des Darlehensvertrages zurückgibt. Der Gutglaubensschutz endet mit der Rückgabe der Vollmacht der Urkunde an den Vollmachtgeber. Die Verträge müssen also geschlossen sein, bevor die Urkunde zurückgegeben werden kann. Die Bank hat aber auch im weiteren Verlauf des Darlehens immer wieder darauf zu achten, daß die für den Fonds Handelnden diesen noch wirksam vertreten können, z.B. bei Änderung der Zinskonditionen.
36
Eine wirksam begründete, zumindest quotale Haftung der Gesellschafter liegt auch in deren Interesse, um eine Anwendung des § 15 a EStG bei dem GbR-Immobilienfonds zu vermeiden (vgl. hierzu BFH, Urteil vom 17.12.1992, BStBl 1994 II, S. 490ff. und BMF-Rundschreiben vom 30.06.1994, BStBl I, S. 355) und die angestrebten steuerlichen Ergebnisse erzielen zu können. 37
-IC
RGZ155, S . 7 5 , 8 7 .
BGH NJW 1995, S. 619 m.w.N.; BGH DB 1990, S. 1125, 1226; BGH NJW-RR 1994, S. 98. 39 So auch Timm, NJW 1995, S. 3209, 3217.
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IV. Der Streit um die Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft und Konsequenzen fur die Darlehensabwicklung bei der Fondsfinanzierung Für die Abwicklung des Darlehensvertragsverhältnisses ist von großer Bedeutung, inwieweit man den GbR-Immobilienfonds als selbständiges Rechtssubjekt behandeln kann. Dabei ist entscheidend, ob er selbst Träger von Rechten und Pflichten sein, ob gegen ihn selbst geklagt und vor allem vollstreckt werden, ob er selbst im Grundbuch als Eigentümer des Fondsobjekts eingetragen werden und ob über sein Vermögen ein Konkursverfahren eröffnet werden kann. 1. Die überwiegende Meinung Anerkannt ist heute, daß die BGB-Gesellschaft allein und unabhängig vom jeweiligen Kreis ihrer Gesellschafter Träger des gesamthänderisch gebundenen Vermögens ist. Der GbR-Immobilienfonds ist also selbst Rechtsträger der Ansprüche auf Beitragsleistung seiner Mitglieder, der in Erfüllung dieser Beitragspflicht übertragenen Vermögensgegenstände und Forderungen und aller durch die Geschäftsführung erworbenen Sachen und Rechte, insbesondere auch des Fondsgrundstücks. Dabei folgt die "alleinige" Verfügungsbefugnis aus § 719 Abs. 1 BGB und die "unabhängige" Verfügungsbefugnis aus § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB. 40 So bedarf die Übertragung des Grundstücks vom BGB-Fonds auf einen anderen BGB-Fonds, selbst wenn er personengleiche Mitglieder hat, der Form des § 925, 873 BGB, die Übertragung aller Gesellschaftsanteile dagegen nicht dieser Form, auch wenn der Fonds als Vermögen nur das Fondsgrundstück hält.41 Dieser Fähigkeit, Rechtsträger des Fondsgrundstücks zu sein, würde es eigentlich entsprechen, daß die Gesellschaft als solche als Eigentümer ihres Grundvermögens eingetragen werden kann. Nach ganz herrschender Meinung ist die BGB-Gesellschaft aber nicht grundbuchfahig. 42 Diese Meinung geht davon aus, daß gem. § 47 GBO sämtliche Gesellschafter mit dem Zusatz "in Gesellschaft bürgerlichen Rechts" in das Grundbuch einge40
Wiedemann, WM 1994, Sonderbeilage Nr. 4, S. 3, 7.
41
Beachte aber BGH DNotZ 1984, S. 169 und BGH DNotZ 1977, S. 416 zur Umgehung und Scheingeschäft. 42
Merkel/Imhoff/Riedel, Rd. 213.
Grundbuchrecht, § 47 Rn. 24; Haegele,
Grundbuchrecht,
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tragen werden müssen. Jedenfalls bei großen Publikumsgesellschaften ist dies völlig unpraktikabel, weil jeder Gesellschafterwechsel eine Grundbuchberichtigung erforderlich macht und jede Verfügung die Mitwirkung aller Gesellschafter erfordert. Nach überwiegender Meinung soll die BGB-Gesellschaft auch nicht wie die OHG als solche klagen oder verklagt werden können, also auch nicht parteifahig sein. Die Klage muß allen Gesellschaftern zugestellt werden.43 Zur Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ist ein Titel gegen alle Gesellschafter erforderlich, der Gläubiger muß also während eines Prozesses jedem einzelnen neuen Mitglied „hinterherlaufen".44 Diese Meinung beruft sich zur Begründung auf §§ 50, 736 ZPO. Der BGB-Gesellschaft wird vielfach auch noch die Kontofahigkeit abgestritten, Konten seien für die Gesellschafter in Gesellschaft bürgerlichen Rechts zu fuhren.45 Die wohl noch herrschende Meinung leugnet auch die Konkursfahigkeit der BGB-Gesellschaft.46 2. Stellungnahme
Die Ablehnung der Teilrechtsfähigkeit in den dargestellten Facetten durch die überwiegende Meinung in Rechtsprechung und Literatur beruht auf der Vorstellung, der Gesellschaftsvertrag stelle lediglich rein interne schuldrechtliche Abreden zwischen den Gesellschaftern dar, mit denen diese festlegen, wie sie die Geschäfte, die sie gemeinsam zu tätigen sich vorgenommen haben, intern regeln wollen. Nach diesem Verständnis berechtigen und verpflichten die geschäftsfuhrenden Gesellschafter bei Geschäften mit Dritten sich selbst und die Mitgesellschafter (nur) aufgrund rechtsgeschäftlicher Vollmacht. Nach dieser Meinung gibt es keine BGB-Gesellschaft als solche, sondern nur die Gesellschafter in "ihrer gesamthänderischen Verbundenheit". Bei einem solchen Grundverständnis stellt sich die Frage der (Teil-)Rechtsfahigkeit der Gesellschaft nicht. Diese 43
Ist der Geschäftsführer Generalbevollmächtigter i.S.d. § 173 ZPO genügt Zustellung an ihn, Staudinger/KejS/er, § 714 Rn. 20. 44
Wiedemann, a.a.O., S. 9; illustrativ die bei Karsten Schmidt, JZ 1985, S. 909, 911 wiedergegebenen Fälle aus der Praxis. 45 So z.B. Bankrecht und Bankpraxis I, Stand 12/95, Rn. 2/529; Müller-Brühl, Die Legitimationsprüfüng und andere Steuerthemen, 6. Aufl., Rn. 24; widersprüchlich Leitfaden zur Bekämpfung der Geldwäsche, Anhang 5, S. 119, 120; a.A. Hadding, WM-Festgabe für Hellner, WM-Sonderheft 1994, S. 8f. 46
BGHZ 23, S. 307, 313; Kuhn/Uhlenbruck, KO, 11. Aufl., Vorbem. Β § 207 Rn.l.
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Auffassung kann aber heute als überholt angesehen werden. Nur wo spezielle gesetzliche Gesichtspunkte entgegenstehen, kann die BGB-Gesellschaft nicht die entsprechende Rechtsposition einnehmen.47 In bezug auf die Parteifahigkeit ist folgendes zu bedenken: Die Nichtanerkennung der eigenen Parteifahigkeit der BGB-Gesellschaft fuhrt zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten.48 Für das Verwaltungs-, fur das Sozial- und fur das Finanzgerichtsverfahren wird die "Beteiligtenfähigkeit", die der zivilprozessualen Parteifahigkeit entspricht, der BGB-Gesellschaft anerkannt,4 ohne daß dies zu praktischen Schwierigkeiten fuhrt.50 Für den Zivilprozeß werden die §§ 50, 736 ZPO dagegen häufig als nicht zu überwindende gesetzliche Schranken dargestellt. 1 Die am Wortlaut der Vorschrift orientierte Auffassung ist aber keineswegs zwingend. Den Normzweck des § 736 ZPO sicherzustellen, daß das Gesellschaftsvermögen unmittelbar nur von Gesellschaftsgläubigern beansprucht werden kann, wird mit einem Titel gegen die BGB-Gesellschaft selbst voll erreicht und § 50 ZPO steht einer entsprechenden Rechtsfortbildung nicht entgegen.52 Die Parteifähigkeit ist folgerichtig auch vom BGH im Urteil vom 12.03.1990 konkludent anerkannt worden.53 Überträgt man die Konzeption dieses Urteils auf § 736 ZPO, besagt sie, daß nur dann, wenn die BGB-Gesellschaft nicht dauerhaft unter einer Geschäftsbezeichnung im Rechtsverkehr auftritt, mangels Alternative für die Bestimmbarkeit des Vollstreckungsschuldners ein Titel "gegen alle Gesellschafter" erforderlich ist. Die Bestimmbarkeit des Vollstreckungsschuldners ist, wie ein Vergleich zum Steuerrecht zeigt, in der Praxis auch bei vollstreckbarem Steuerbescheid kein Problem. Die BGB-Gesellschaft wird steuerrechtlich, z.B. bei der Umsatzsteuer, Gewerbesteuer und der Grunderwerbsteuer, als Steuersubjekt behandelt. Die Finanzverwaltung sieht im sog. Bekanntgabeerlaß54 die BGB-Gesellschaft z.B. hinsichtlich der pauschalen Lohnsteuer als Steuerschuldner an. 47
So ausdrücklich BGHZ 116, 86, 88.
48
Wiedemann, a.a.O., S. 9f.; Karsten Schmidt, a.a.O., S. 909, 911.
49
Wiedemann, a.a.O., S. 10. 50
Z.B. BFH, BStBl II 1989, S. 237; BAG, NJW 1989, S. 3034.
5
52'
So auch Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 50 Rn. 17.
53
BGH WM 1990, S. 1113.
54
BMF-Schreiben vom 08.04.1991, BStBl I 1991, S. 398.
Wiedemann, a.a.O., S. 9.
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Werner Pues
Mit dem gleichen Rechtsgedanken läßt sich auch die Grundbuchfähigkeit und die Konkursfähigkeit der BGB-Gesellschaft bejahen. Auch § 47 GBO regelt nur das Problem der zutreffenden Bezeichnung der Gesellschaft. 55 Für den Bereich der neuen Bundesländer ist die Konkursfahigkeit der BGB-Gesellschaft ohnehin in § 1 Abs. 1 GesO schon ausdrücklich vorgesehen, zum 01.01.1999 tritt mit § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO eine entsprechende bundeseinheitliche Regelung in Kraft. Für das hier dargestellte Ergebnis spricht auch, daß §§191 Abs. 2 Nr. 1, 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG nahelegen, wenn nicht gar dazu zwingen, der BGB-Gesellschaft, die aus einer Kapitalgesellschaft entstanden ist, eine umfassende Rechtsfähigkeit einschließlich Partei-, Grundbuch- und Insolvenzfähigkeit zuzubilligen. Für eine andere Behandlung der BGB-Gesellschaften, die nicht im Wege der Umwandlung entstanden sind, sondern schon als BGB-Gesellschaft gegründet wurden, gibt es keinen sachlich zwingenden Grund. 56 3. Hilfsmodelle der Praxis Die dargestellte unklare Rechtssituation fuhrt im Rechtsverkehr eines Fonds zu erheblichen Schwierigkeiten. Die Kautelarpraxis versucht sich mit der Einschaltung eines Grundbuchtreuhänders oder eines Beteiligungstreuhänders zu helfen. Beim Grundbuchtreuhändermodell wird vereinbart, statt alle Fondsgesellschafter eintragen zu lassen, daß nur eine Person im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen wird (Grundbuchtreuhänder) und diese das Eigentum treuhänderisch für die Fondsgesellschafter hält und alle von den Gesellschaftern gewünschten Eintragungen im Grundbuch vornimmt. Um dem Risiko vorzubeugen, daß dieser Treuhänder seine nach außen hin uneingeschränkte Verfugungsmacht über das Grundstück durch unautorisierte Übereignungen oder Belastungen mißbrauchen kann, wird zugunsten einer weiteren vom Grundbuchtreuhänder unabhängigen Partei, meist einer Bank, eine Auflassungsvormerkung mit der Wirkung eingetragen, daß solche Verfügungen relativ unwirksam sind. Gesichert wird der Eigentumsverschaffungsanspruch bei Kündigung des Treuhandverhältnisses. Mit dieser Lösung wird also die fehlende Anerkennung der Grundbuchfähigkeit überspielt.
55 Grunewald, Gesellschaftsrecht, 1994, Rn. 96; Soergel/Hadding, § 718 Rn. 4; Timm, a.a.O., S. 3215. 56
Hierzu ausführlich Timm, NJW 1995, S. 3209ff.
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Bei dem Beteiligungstreuhändermodell wird versucht, das gleiche wirtschaftliche Ergebnis dadurch zu erzielen, daß die Gründungsgesellschafter alleine im Grundbuch eingetragen bleiben und sie mit den Kapitalanlegern eine Unterbeteiligungsgesellschaft vereinbaren, wonach die Gründungsgesellschafter ihre gesellschaftsrechtliche Position im Innenverhältnis zu den Kapitalanlegern so wahrnehmen, daß letztere im Innenverhältnis am Gewinn und Verlust und am Vermögen der Gesellschaft beteiligt sind. 57 Diese Konstruktion löst nicht nur das Grundbuchproblem, sondern auch jedenfalls die praktischen Schwierigkeiten aus der großen Zahl der Gesellschafter, wirft aber erhebliche steuerrechtliche Probleme auf. 58 Beide Modelle mittelbarer Fondsbeteiligung erlauben zudem Registeranonymität und stellen vor allem die Bewahrung der Handlungs- und Abwicklungsfahigkeit bei einem GbR-Immobilienfonds sicher. Sind nämlich alle Fondszeichner selbst im Grundbuch eingetragen, setzt ein Verkauf des Fondsobjekts voraus, daß jeder eingetragene Gesellschafter an der Protokollierung selbst oder durch einen Vertreter mitwirkt. 59 4. Konsequenzen für die banktechnische
Darlehensvertragsabwicklung
Bei der Fondsinnenfinanzierung gibt es nur einen Kreditvertrag mit dem Fonds, nicht mit den Gesellschaftern persönlich. Selbst wenn sich die Bank den Kreditvertrag von den Gesellschaftern persönlich gegenzeichnen läßt, um eventuelle Vollmachtsrisiken zu beseitigen und den Überraschungseinwand bei direkter gesamtschuldnerischer Haftung oder faktischer Gesamtschuld aus der Gesamthaft des Objekts zu verringern, sollte die Unterschrift immer nur auf der Kopie des gleichen Vertrages eingeholt werden. Soweit heute noch die Kontofähigkeit der BGB-Gesellschaft bestritten wird und es als erforderlich angesehen wird, die Konten für die Gesellschafter in "Gesellschaft bürgerlichen Rechts" zu führen, 60 kann dem nicht zugestimmt werden. Es ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für eine BGB-Gesellschaft nicht mehr erforderlich, ein Gemeinschaftskonto der Gesellschafter als Und-Konto zu begründen; 61 denn 57
Görlich, a.a.O., S. 3513.
CO
Ausführlich Loritz/Wagner, 1166. 59
a.a.O., S. 209ff. mit Hinweis auf BFH DB 1993, S.
Görlich, a.a.O., S. 3512.
60
So z.B. Bankrecht und Bankpraxis I, Stand 12/95, Rn. 2/529; Müller-Brühl, Die Legitimationsprüfung und andere Steuerthemen für Banken, 6. Aufl., Rn. 24; widersprüchlich "Leitfaden zur Bekämpfung der Geldwäsche" Anhang 5, S. 119, 120. 61
So auch Hadding, WM-Festgabe für Hellner, WM-Sonderheft 1994, S. 8f.
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Werner Pues
die BGB-Gesellschaft kann "grundsätzlich, soweit nicht spezielle rechtliche Gesichtspunkte entgegenstehen, jede Rechtsposition einnehmen".62 Rechtliche Gesichtspunkte, die der Kontofähigkeit entgegenstehen können, sind nicht ersichtlich. Der GbR-Immobilienfonds kann also selbst Kontoinhaber sein, als Kontobezeichnung reicht der Name des Fonds aus. Nur wenn der Fonds im Rechtsverkehr keinen eigenen Namen fuhrt, sind alle Gesellschafter in die Kontobezeichnung mit dem Zusatz "als Gesellschafter bürgerlichen Rechts" mit aufzunehmen. Erkennt man die Kontofähigkeit der BGB-Gesellschaft an, kann für die Legitimationsprüfung nicht verlangt werden, daß sich alle Gesellschafter gegenüber der Bank zu legitimieren haben.63 Die vereinzelt empfohlene Treuhandlösung erscheint weder immer sinnvoll noch wirklich erforderlich.64 Zu legitimieren haben sich nur die Personen, die fur den GbR-Fonds das Konto eröffnen und die, die über es verfügen dürfen sollen.65 Ist weder einer der das Konto Eröffnenden noch einer der Verfügungsberechtigten Mitglied der BGB-Gesellschaft, für die das Konto eingerichtet werden soll, ist nach § 8 Abs. 1 Satz 3 Geldwäschegesetz zusätzlich der Name und die Anschrift eines Mitglieds der Gesellschaft aufzuzeichnen. Die Angaben des Kontoeinrichters reichen aus. Erst wenn die Mitglieder selbst verfügen wollen, wäre die Legitimationsprüfimg auch auf sie zu erstrecken.66
V. Die notleidend gewordene Fondsfinanzierung Auch die Investition in Immobilien ist eine Investition, die im Einzelfall nicht immer aufgeht. Das gilt natürlich auch oder gerade bei einem Erwerb über einen geschlossenen Immobilienfonds. Man muß sich bewußt machen, daß anders als bei offenen Immobilienfonds die Initiatoren keiner strengen gesetzlichen Reglementierung und keiner öffentlich rechtlichen Zulassung und Überwachung unterliegen. Es können sich aber auch normale Bauherrenrisiken verwirklichen, wie unerwartete Kostenerhöhungen 62
BGH WM 1992, S. 12.
63
So aber noch Müller-Brühl, a.a.O., Rn. 24.
64 65
"Leitfaden zur Bekämpfung der Geldwäsche", a.a.O., S. 119. "Leitfaden zur Bekämpfung der Geldwäsche", a.a.O., S. 121.
66 Auch in bezug auf die Anforderungen an die Bank nach KWG gelten für die BGB-Gesellschaft Besonderheiten, deren Darstellung jedoch den Rahmen dieses Beitrages sprengen würde.
Innenfinanzierung geschlossener Immobilienfonds
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durch Ausfall von Vertragspartnern oder Bauzeitverzögerungen oder der Nichteintritt angenommener Ertragserwartung. Die Bank steht dann vor dem Problem, gegen die Gesellschaft und ggf. gegen ihre Gesellschafter vorzugehen und die ihr gestellten Sicherheiten verwerten zu müssen, um ihre Ansprüche zu realisieren. Die Erfahrung lehrt, daß gerade bei "steckengebliebenen" Projekten und bei sog. Management-Immobilien enorme Wertverluste auftreten, wenn es der Bank nicht gelingt, das Fondsobjekt schnell in die Hand zu bekommen, um etwa ein "steckengebliebenes" Objekt fertigzustellen, einen neuen Betreiber oder Mieter zu finden oder notwendige Investitionen im Objekt vorzunehmen. Gerade bei unerwartet auftretenden Schwierigkeiten zeigen sich häufig die Schwächen geschlossener Fonds: Regelmäßig gibt es nur geringe Liquiditätsreserven und anders als beim normalen Immobilienerwerb keine Einkunftsquellen neben den Mieteinnahmen und kein Vermögen neben dem finanzierten und in Schwierigkeiten geratenen Objekt. Hinzu kommt, daß die Interessen der "zusammengeworbenen" Gesellschafter häufig so unterschiedlich sind, daß die Gesellschafter bei notwendigen Anpassungen der ursprünglichen Konzeption, jedenfalls bei gleichzeitigem Ausfall der Initiatoren, geradezu handlungsunfähig werden. Für die Zwangsvollstreckung in das Fondsobjekt, die Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung benötigt die Bank einen entsprechenden, mit Klausel versehenen Titel und dessen Zustellung gegen die eingetragenen Eigentümer. Sieht man die BGB-Gesellschaft als partei- und grundbuchfähig an, machen Titelbeschafïung und Zustellung keine Probleme. Im Rahmen der Grundschuldbestellung wird sich die Bank einen Duldungstitel gegen den jeweiligen Eigentümer des Fondsobjekts verschafft und entsprechend einer im Darlehensvertrag zu vereinbarenden Klausel auch den Titel sofort nach Darlehensvertragsabschluß zugestellt haben. Gesellschafterwechsel bereiten, erkennt man den GbR-Fonds selbst im oben dargestelltem Umfang als teilrechtsfähig an, keine Probleme. Erhebliche Schwierigkeiten kann aber die Zwangsvollstreckung machen, wenn man mit der noch herrschenden Meinung die Partei- und Grundbuchfahigkeit leugnet und die Gesellschafter selbst "in Gesellschaft bürgerlichen Rechts" - also keine Grundbuchtreuhänder - im Grundbuch eingetragen werden. Ein nachträglicher Gesellschafterwechsel läßt zwar den Duldungstitel unberührt, da dieser gem. § 800 ZPO gegen den jeweiligen Eigentümer wirkt; wird jedoch der Gesellschafterwechsel im Grundbuch verlautbart, so muß die Bank ihren Titel nach § 727 ZPO umschreiben und dem neuen Mitgesellschafter zustellen lassen. Das provoziert ge-
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Wemer Pues
radezu67 die Gesellschafter, die ihr Heil in einer Blockade der finanzierenden Bank suchen, zur Aufnahme ständig neuer Mitglieder und zur weiteren Verkomplizierung der Situation sogar zur Aufnahme einer weiteren BGB-Gesellschaft, die wiederum ihren Mitgliederkreis ständig erweitert. Aber selbst ohne solch planmäßig gegen die Bank und deren Vollstrekkungsversuche gerichtetes Verhalten wird nach einiger Zeit bei einer BGB-Gesellschaft mit 100 und mehr Gesellschaftern eine schnelle Vollstreckung unmöglich sein, etwa wenn Gesellschafter zwischenzeitlich verstorben sind und die Erbfolge streitig oder Erben nicht oder schwer auffindbar sind oder Gesellschafter ihre Anteile verkauft und abgetreten haben, wenn die Bank nicht in den vertraglichen Grundlagen Vorsorge trifft 6 8 Die Bank wird sich zweckmäßigerweise im Darlehensvertrag ausbedingen, daß ihr von allen Gesellschaftern aus Beweisgründen (beglaubigte) unwiderrufliche Empfangs- und Zustellungsbevollmächtigungen zugunsten eines ihr genehmen Zustellungsbevollmächtigten vorzulegen sind. Damit der Bevollmächtigte nicht seinerseits die Vollmacht durch einfachen Verzicht zum Erlöschen bringen kann, sollte er dazu veranlaßt werden, sich gegenüber der Bank zu verpflichten, erst dann auf seine Vollmacht zu verzichten, wenn ein Ersatzbevollmächtigter in notariell beglaubigter Form bestellt ist. Auch sollte der Darlehensvertrag vorsehen, daß im Fall eines Wechsels im Gesellschafterkreis ein Anspruch auf die Hergabe einer solchen Erklärung durch den neuen Gesellschafter besteht. Die Bank wird weiter die Gesellschaft zur Unterrichtung über jeden Gesellschafterwechsel und jährlich zur Hereingabe einer aktuellen Gesellschafterliste und Angabe der Beteiligungshöhe verpflichten. Die Finanzierung erleichtern auch Klauseln im Gesellschaftsvertrag, die einen Gesellschafterwechsel erschweren oder doch mindestens verzögern. So kann der Gesellschaftsvertrag z.B. vorsehen, daß Gesellschafterwechsel nur zum Ende eines Kalenderjahres stattfinden können, die Abtretung des Gesellschaftsanteils, um Manipulationen einzelner Gesellschafter durch rückdatierte Anteilsübertragungen auszuschließen, nur in öffentlich beglaubigter Form erfolgen kann und/oder von der Zustimmung der Geschäftsführer abhängig ist und Gesellschafter nur natürliche oder juristische Personen sein dürfen (Verbot der doppelstöckigen BGB-Gesellschaft).
67
68
Wiedemann, a.a.O., S. 5.
Hierzu Görlich, a.a.O., S. 3512, der allerdings aus Sicht der Interessen der Gesellschafter an einer späteren Veräußerung zur Installation eines Grundbuchtreuhänders rät.
Innenfinanzierung geschlossener Immobilienfonds
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Sinnvoll ist es auch, wenn die Vollmacht des Geschäftsführers ausdrücklich und ausfuhrlich im Gesellschaftsvertrag geregelt ist und die Vollmacht auch zur Entgegennahme von Zustellungen an die Gesellschafter berechtigt. Die Praxis behilft sich heute noch mit dem Grundbuch- oder Beteiligungstreuhändermodell. Der Gesellschafterwechsel hat dann auf die Grundbuchsituation keinen Einfluß. Ist ein Grundbuchtreuhänder zwischengeschaltet, der das Eigentum für den Fonds treuhänderisch hält, so hat die Bank mit ihm alle die Grundschuld betreffenden Vereinbarungen zu treffen. Die Bank wird den Grundbuchtreuhänder verpflichten, sie von jedem Übertragungsverlangen des Fonds unverzüglich zu unterrichten, damit sie - falls zweckmäßig - noch vor Einleitung der Umschreibung die Zwangsvollstreckung in das Grundstück einleiten kann. Um ihr dies zu ermöglichen, muß sich die Bank im Darlehensvertrag ein entsprechendes Sonderkündigungsrecht ausbedingen. Die Übertragung des Fondsgrundstücks auf die Fondsgesellschaft von der Zustimmung der Bank abhängig zu machen, ist wegen § 1136 BGB nicht möglich. Hierdurch wäre auch der Status der Fondsgesellschafter als "wirtschaftliche Eigentümer" und damit die angestrebten steuerlichen Effekte gefährdet. VI. Fazit: Geschlossene Immobilienfonds sind bedeutende Marktteilnehmer am Immobilienmarkt und Nachfrager nach Immobilienfinanzierungen. Sie sind für Banken interessante, aber heute auch noch sehr schwierige Vertragspartner. Die sich immer stärker abzeichnende Anerkennung der Teilrechtsfahigkeit, insbesondere in den Aspekten Partei-, Grundbuch-, Konto- und Konkursfähigkeit wird die Zusammenarbeit mit ihnen in Zukunft wesentlich erleichtern und heute noch praktizierte Hilfsmodelle entbehrlich machen.
Zur Verbindlichkeit von Optionsscheingeschäften EDGAR WALLACH
Der Optionsscheinhandel in der Bundesrepublik Deutschland hat sich seit seinen Anfangen Mitte der siebziger Jahre zu einem der größten Märkte weltweit entwickelt; heute werden über 5.000 verschiedene Optionsscheine an den deutschen Börsen gehandelt1. Fast täglich werden neue Optionsscheine emittiert und dem breiten Publikum angeboten. Die Produktvielfalt reicht von herkömmlichen Aktien-Optionsscheinen bis zu Zins-, Index-, Aktienkorb-, Währungs- und Rohstoff-Optionsscheinen. Das traditionelle Optionsrecht, Lieferung (bei Call-Optionsscheinen) oder Abnahme (bei Put-Optionsscheinen) des Basiswertes ("underlying") zu verlangen ist seit Anfang der 90er Jahre weitgehend durch das Recht abgelöst worden, Zahlung desjenigen Differenzbetrages (Barausgleich, "cash settlement") zu verlangen, um den der aktuelle Marktpreis des Basiswertes im Zeitpunkt der Ausübung der Option den Basispreis übersteigt (Call-Optionsschein) oder unterschreitet (Put-Optionsschein). Ist die Ausübung jederzeit während der Laufzeit des Optionsscheins möglich, spricht man von einem Optionsschein "American Style". Ist die Ausübung nur zum Ende der Laufzeit möglich, handelt es sich um einen Optionsschein "European Style". Angesichts der dynamischen Entwicklung des Optionsscheinhandels in der Bundesrepublik gewinnt die Frage der rechtlichen Einordnung der Optionsscheine eine immer größere Bedeutung. Im Zentrum der Diskussion steht zumeist die Frage, ob es sich bei den Optionsscheinen um reguläre Kassageschäfte des Wertpapierhandels oder um Börsentermingeschäfte i.S.d. § 50 Abs. 1 BörsG und/oder Differenzgeschäfte i.S.d. § 764 BGB handelt. Börsentermingeschäfte sind gem. § 53 BörsG unverbindlich (sog. Termineinwand, der von Amts wegen zu beachten ist), wenn nicht beide Vertragsteile Kaufleute sind oder, wenn nur der eine Teil Kaufmann ist, dieser den anderen Teil nicht schriftlich in der in § 53 Abs. 2 BörsG vorgeschriebenen Form über die mit den Börsentermingeschäften verbundenen Risiken aufgeklärt hat (Termingeschäftsfähigkeit kraft Information). Differenzgeschäfte
Vgl. Frankfurter Wertpapierbörse, Monatsstatistik August 1996, S. 21; vgl. auch Niemann, WM 1993, 777, 779, der eine ausländische Fachzeitschrift mit dem Titel "Germany's Warrantmania" zitiert.
Zur Verbindlichkeit von Optionsschemgeschäften
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unterliegen dem - gleichfalls von Amts wegen zu beachtenden2 - Differenzeinwand gem. §§ 762, 764 BGB und sind ebenfalls unverbindlich. Ist allerdings eine der Parteien des Börsentermingeschäfts termingeschäftsfähig, so ist für diese der Differenzeinwand gem. § 58 BörsG ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat in der Novelle des Börsengesetzes vom 27. Mai 1908 von einer Begriffsbestimmung des Börsentermingeschäfts bewußt Abstand genommen und die Klärung des Begriffs der Rechtsprechung überlassen. Die damit für die Praxis maßgebliche Rechtsprechung soll im folgenden skizziert und kritisch gewürdigt werden.
I. Unverbriefte Aktienoptionen Anknüpfend an das RG3 hat der BGH zunächst in Entscheidungen zu Londoner Warenterminoptionen4 und sodann in einer Entscheidung aus dem Jahre 1984 zu deutschen Aktienoptionen5 Börsentermingeschäfte definiert als "Verträge über Wertpapiere, vertretbare Waren oder Devisen nach gleichartigen Bedingungen, die von beiden Seiten erst zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt zu erfüllen sind. Sie müssen ferner eine Beziehung zu einem Terminmarkt haben, der es ermöglicht, jederzeit ein Gegengeschäft abzuschließen." Der BGH sah sowohl die Warenterminoptionen als auch die unverbrieften Aktienoptionen als Börsentermingeschäfte an. Aus der oben zitierten Definition lassen sich drei Merkmale des Börsentermingeschäfts herauslesen: 1. die Standardisierung oder Schabionisierung des Geschäfts, 2. die Terminierung des Geschäfts und 3. die Beziehung des Geschäftes zu einem Terminmarkt. Das Merkmal der Standardisierung setzt voraus, daß der Handelsgegenstand (z.B. Wertpapiere, Waren, Devisen) vertretbar sein muß und auf einem Markt mit gleichförmigen, standardisierten und vom individuellen Handelsgegenstand abstrahierten Geschäftsbedingungen gehandelt wird6. Nach allgemei2
BGHZ 86, 115, 117; NJW 1981, 1897; Baumbach/Duden/Hopt, 29. Auflage, 1995, (14) BörsG vor § 50 Rn. 3.
Handelsgesetzbuch,
3
RGZ 101,361,362.
4
BGH WM 1965, 766; WM 1980, 768, 769; BGHZ 80, 80, 86 = WM 1981, 374, 375.
5
BGHZ 92, 317 = WM 1984, 1598.
6
Grundlegend RGZ 44, 103, 111.
140
Edgar Wallach
nem Verständnis7 ist es nicht erforderlich, daß es sich bei diesem Markt um eine Börse handelt. Der Gesetzgeber hat dem durch die geänderte Überschrift des IV. Abschnitts des BörsG in der Novelle vom 11.7.1989 ("Terminhandel" statt früher "Börsenterminhandel") Rechnung getragen. Das Merkmal der Terminierung besagt, daß das Geschäft erst zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt zu erfüllen ist. Daran unterscheidet sich das Termingeschäft vom Kassageschäft, das zu Kassakursen abgewickelt wird und sofort oder innerhalb kurzer Frist zu erfüllen ist. An der Frankfurter Wertpapierbörse gehandelte Werte müssen innerhalb von zwei Börsentagen geliefert werden8. Mit dem dritten Erfordernis der Beziehung zu einem Terminmarkt ist die Möglichkeit der Termingeschäftspartner gemeint, jederzeit ein völlig gleiches Gegengeschäft abzuschließen, mit der Folge, daß sich die Pflicht zur effektiven Lieferung bzw. Zahlung des Handelsgegenstandes in eine Pflicht zur Differenzzahlung wandelt. Der hierin liegenden Gefahr, daß der Umsatzverkehr zu Spielzwecken mißbraucht wird, will das Börsengesetz durch Einschränkung des Kreises der Beteiligten an einem solchen Geschäft begeg9
nen . In seiner Entscheidung zu unverbrieften Aktienoptionen aus dem Jahre 1984 ging der BGH lediglich auf das Merkmal der Terminierung ausführlich ein. Zum Vorliegen der anderen beiden Merkmale, Standardisierung und Beziehung zu einem Terminmarkt, stellte er lapidar fest, daß insoweit "Einigkeit bestehe"10. Das Vorliegen des Terminmerkmals ließ der BGH zurecht nicht daran scheitern, daß es sich beim Optionsgeschäft nicht um ein Festgeschäft handelt, bei dem der Handelsgegenstand zu einem bestimmten Zeitpunkt fest zu liefern bzw. abzunehmen ist. Das wirtschaftliche Risiko des Stillhalters beim Optionsgeschäft stellt sich grundsätzlich nicht anders dar als beim Festgeschäft, wenn sich der Marktpreis des Handelsgegenstandes für ihn ungünstig entwickelt. Beim Optionsgeschäft ist das Risiko lediglich betragsmäßig durch die Optionsprämie, die er in jedem Falle behält, abgemildert. Eine grundsätzlich andere Einschätzung des Risikos rechtfertigt dies jedoch nicht. Auch aus der Sicht des Optionsinhabers ist die für ein Termingeschäft typische Möglichkeit der Terminspekulation auf einen Differenzgewinn gege7
g 9 10
BGH WM 1979, 1381; 1382, Häuser, ZIP 1981, 933, 936. § 15 Bedingungen für Geschäfte an der Frankfurter Wertpapierbörse. RGZ 101, 301, 302; BGH WM 1965,766. BGH WM 1984, 1598, 1599.
Zur Verbindlichkeit von Optionsscheingeschäften
141
ben: Der Inhaber einer Aktien-Call-Option spekuliert auf einen steigenden Kurs der betreffenden Aktie. Übersteigt der Kurs den vereinbarten Basispreis (zzgl. der gezahlten Optionsprämie) beginnt für den Optionsinhaber die Gewinnzone (die Option ist "in the money") und er übt die Option aus. Wie der BGH zutreffend ausführt 11 , beabsichtigt der Optionsinhaber aber in der Regel nicht, die Aktien zu dem Basispreis zu kaufen und zu behalten, sondern er stellt - jetzt mit den Worten des BGH - "seine Verbindlichkeit durch Abschluß eines Gegengeschäftes glatt. Er veräußert die gekauften Aktien zum (gegenüber dem Basispreis) höheren Tageskurs und begleicht mit dem Erlös seine Zahlungsverpflichtung aus dem Kaufgeschäft." Umgekehrt spekuliert der Inhaber einer Put-Option auf einen sinkenden Marktpreis des Basiswertes. Sinkt der Marktpreis unter den Basispreis (abzüglich der gezahlten Optionsprämie) übt er die Option aus. Er realisiert seinen Differenzgewinn, indem er den Basiswert zum (im Vergleich zum Basispreis) niedrigeren Tageskurs kauft und zugleich zum höheren Basispreis an den Stillhalter verkauft. In diesem Vertrauen auf die Möglichkeit, bei günstiger Kursentwicklung ein gewinnbringendes Glattstellungsgeschäft zu tätigen, liegt das für die Terminspekulation typische Element, aber auch trügerische Risiko. Denn es spiegelt dem geschäftlich Unerfahrenen vor, durch Einsatz verhältnismäßig geringen Kapitals leichten Gewinn erzielen zu können12. Der BGH hat damit zwar das terminspezifische Element des Optionsgeschäfts zutreffend dargestellt, es aber zugleich versäumt präzisierend klarzustellen, daß das glattstellende Gegengeschäft zum Tageskurs des Basiswertes nicht am Terminmarkt, sondern am Kassamarkt abgeschlossen wird13. Es verbleibt die Frage, welche Bedeutung darüber hinaus dem vom BGH offenbar ebenfalls für erforderlich gehaltenen Merkmal der "Beziehung zu einem Terminmarkt, der es ermöglicht, jederzeit ein Gegengeschäft abzuschließen", zukommt. Bei der Prüfung des Merkmals "Terminierung des Geschäfts" mußte sich der BGH ferner mit der zum Teil in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung 14 und der Literatur15 vertretenen Ansicht auseinandersetzen, es handele sich bei den Aktienoptionen um zwei rechtlich selbständige Verträge, dem 11
BGH WM 1984, 1598; BGHZ 80, 80, 83.
12
BGHZ 103, 84, 88.
13
So zutreffend auch Schwark, Börsengesetz, Kommentar, 2. Aufl., Einl §§ 50 - 70 Rn. 12. 14
OLG Köln WM 1983, 1072.
15
Kumpel, WM 1982, Sonderbeilage Nr. 6, S. 17.
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Edgar Wallach
Kaufvertrag über das Optionsrecht und dem durch die Ausübung dieses Rechts zustandegekommenen Kaufvertrag über die Aktien. Nach dieser Auffassung sei der Kaufvertrag über das Optionsrecht kein Börsentermingeschäft, weil die beiderseitigen Ansprüche auf Zahlung des Optionspreises und auf Einräumung des Optionsrechtes nicht zu einem späteren Zeitpunkt, sondern alsbald zu erfüllen sind. Der BGH ist dem nicht gefolgt und hat das Optionsgeschäft einheitlich als Börsentermingeschäft gewertet 6 . Diese Einordnung war maßgebend vom Ergebnis her bestimmt, den Optionsinhaber bereits vor dem Verlust der Optionsprämie, der sich in jedem Falle einstellt, wenn er die Option nicht ausübt, zu schützen. Zwar ist dieses Verlustrisiko begrenzt, jedoch unterscheide das Börsengesetz nach Ansicht des BGH nicht nach Börsentermingeschäften mit unbegrenztem und solchen mit begrenztem Risiko17. Es sei nicht Sinn und Zweck der §§ 50ff. BörsG, den Optionskäufer erst vor über den Optionspreis hinausgehenden Verlusten zu schützen. Diese Einordnung erscheint gerechtfertigt, weil der unerfahrene Anleger wegen der dem Optionsgeschäft innewohnenden Hebelwirkung (hohe Gewinnchance im Verhältnis zu einem geringen Kapitaleinsatz) dazu verlockt werden könnte, Optionen in hoher Stückzahl zu erwerben und damit das Risiko eingeht, einen ganz erheblichen Kapitaleinsatz zu verlieren. Die Entscheidung des BGH zu unverbrieften Aktienoptionen aus dem Jahre 1984 ist in der Folgezeit mehrfach vom BGH 18 bestätigt worden und hat sich damit zu einer ständigen Rechtsprechung verfestigt.
II. Sekundärgeschäfte in unverbrieften Aktienoptionen In der Folgezeit hat der BGH 19 ebenfalls entschieden, daß nicht nur die Einräumung der Option durch den Stillhalter an den Ersterwerber (Primärgeschäft), sondern auch die Veräußerung der Option durch den Ersterwerber an den Zweiterwerber (Sekundärgeschäft) als Börsentermingeschäft zu qualifizieren ist. Das ist vom Standpunkt des BGH aus konsequent,
16
BGH WM 1984, 1598f.
17
A.A. Kumpel, Bank- und Kapitalmarktrecht, 1995, Rn. 12.43ff.
18
BGHZ 93, 307, 309 = WM 1985, 563, 564; BGHZ 94, 202, 204 = WM 1985, 262; BGHZ 102, 204, 206 = WM 1988, 144; BGHZ 107, 192, 193 = WM 1989, 807; WM 1990, 94, 95; BGHZ 114, 177, 180f. = WM 1991, 982; WM 1991, 1367; BGHZ 117, 135, 138 = WM 1992, 479; WM 1994, 2231; WM 1995, 2026. 19
BGHZ 117, 135, 138ff.
Zur Verbindlichkeit von Optionsscheingeschäften
143
denn es kann in der Tat für die Schutzbedürftigkeit des Optionsinhabers keinen Unterschied machen, ob er die Option unmittelbar vom Stillhalter eingeräumt bekommt oder ob er sie erst von einem Vorerwerber im Wege der Veräußerung erhält. Auch im zweiten Falle ist ihm die Möglichkeit der Terminspekulation eröffnet und trägt er das Risiko, den (an den Vorerwerber gezahlten) Optionspreis zu verlieren. Weiterhin konsequent lehnte es der BGH 20 ab, bereits in der Übertragung der Option auf den Zweiterwerber eine effektive Leistungsbewirkung i.S.d. § 57 BörsG mit der Folge zu sehen, daß das Sekundärgeschäft als von Anfang an verbindlich gelte. Von einer einheitlichen Betrachtungsweise ausgehend stellen folgerichtig erst die physische Lieferung des Basiswertes und die Zahlung des Kaufpreises hierfür eine Erfüllung des Börsentermingeschäfts dar. Offengeblieben ist freilich die Frage, wie zu entscheiden wäre, wenn zwar nicht der Ersterwerber, jedoch der Zweiterwerber und jeder weitere Erwerber der Option termingeschäftsfähig ist. Die vom BGH 21 angestellten Erwägungen zur Schutzbedürftigkeit des nicht termingeschäftsfähigen Ersterwerbers, der wegen der Unverbindlichkeit des Optionsrechts nicht in der Lage ist, das Sekundärgeschäft zu erfüllen und deshalb einem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung des Zweiterwerbers (Garantiehaftung aus §§437 Abs. 1, 440 Abs. 1, 325 Abs. 1 BGB) ausgesetzt ist, führen nicht weiter. Denn das Bestehen eines Schadensersatzanspruches hängt gerade davon ab, ob das Sekundärgeschäft wegen der Termingeschäftsfahigkeit des Zweiterwerbers verbindlich ist und er damit ein klagbares Optionsrecht gegen den Stillhalter erhält. Jedoch sprechen weder Schutzbedürftigkeitsargumente zugunsten des Ersterwerbers noch solche zugunsten des Stillhalters gegen eine Verbindlichkeit des Sekundärgeschäfts, wenn der Zweiterwerber termingeschäftsfähig ist. In der bereicherungsrechtlichen Rückabwicklung zwischen dem Ersterwerber und dem Stillhalter hat der Stillhalter an den Ersterwerber die erhaltene Optionsprämie herauszugeben. Der Ersterwerber muß seinerseits an den Stillhalter das Optionsrecht zurückübertragen. Da er hierzu bei Verbindlichkeit des Sekundärgeschäfts nicht in der Lage ist, muß er an den Stillhalter das "aufgrund des erlangten Rechtes" Erworbene (§818 Abs. 1 BGB), d.h. den vom Zweiterwerber erhaltenen Optionspreis, herausgeben22. Dem Schutz des 20
BGHZ 117, 135, 139f.
21
BGHZ 117, 135, 138.
22
In gleicher Weise lassen sich entgegen BGHZ 117, 135, 139 und Tilp DB 1989, 2365, 2367 auch Rückkäufe des Stillhalters vom Ersterwerber lösen.
144
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Ersterwerbers ist damit vollauf Genüge getan. Er wird die Rückabwicklung nur dann beanspruchen, wenn er die Option mit Verlust weiterveräußert hat; er erhält dann vom Stillhalter im Ergebnis die Differenz zwischen der gezahlten Optionsprämie und dem erhaltenen Optionspreis. Der Stillhalter freilich trägt das Risiko eines zwischenzeitlichen Wertverlustes der Option. Gerät die Option im weiteren Verlauf infolge einer entsprechenden Kursbewegung des Basiswertes in die Gewinnzone fur den Optionsinhaber (der Zweiterwerber oder jeder weitere Erwerber) und übt dieser die Option aus, muß er den Basiswert zum vereinbarten Basispreis liefern bzw. abnehmen, ohne die fur dieses Risiko ursprünglich einkalkulierte Prämie erhalten zu haben. Eine derartige Risikozuweisung erscheint indes nicht unbillig, da es der Stillhalter in der Hand hat, die Termingeschäftsfähigkeit des Ersterwerbers durch schriftliche Information gem. § 53 Abs. 2 BörsG herbeizufuhren oder - wenn er hierzu nicht in der Lage ist, weil er einer gesetzlichen Banken- oder Börsenaufsicht nicht untersteht - sich über die Kaufmannseigenschaft des Ersterwerbers oder dessen gewerbs- oder berufsmäßiges Engagement in Börsentermingeschäften zu vergewissern. Schließlich spricht auch der Zweck der §§ 50ff. BörsG, einen Terminhandel unter termingeschäftsfähigen Beteiligten zu ermöglichen23, fur die Verbindlichkeit von Sekundärgeschäften in Optionen, wenn zwar nicht der Ersterwerber, jedoch der Zweiterwerber und jeder weitere Erwerber termingeschäftsfahig sind.
III. Abgetrennte Aktienoptionsscheine Unter Bezugnahme auf die obige Rechtsprechung zu unverbrieften Aktienoptionen ist vereinzelt24, auch vom Jubilar25, die Ansicht vertreten worden, Aktienoptionsscheine, die im Zusammenhang mit einer Anleihe i.S.d. § 221 AktG begeben und sodann abgetrennt und selbständig gehandelt werden, seien als Börsentermingeschäfte zu klassifizieren. Demgegenüber ordnete die h.M.26 Geschäfte mit abgetrennten Optionsscheinen als Kassageschäfte und nicht als Börsentermingeschäfte ein, weil 23
Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucksache 11/4177, S. 9ff.
24
LG Würzburg WM 1988, 1409, 1410f. (aufgehoben durch OLG Bamberg WM 1989, 745ff.); Tilp DB 1989, 2365, 2368. 25 26
Horn, ZIP 1990,2, 13.
OLG Bamberg WM 1989, 745, 747f.; OLG Stuttgart WM 1990, 627, 628f.; OLG Frankfurt WM 1990, 1452; Canaris, WM Sonderbeilage 1988 Nr. 10, S. 15, 19; MaierReimer, AG 1988, 317ff.; Schwark, WM 1989, 921,923ff.
Zur Verbindlichkeit von Optionsscheingeschäften
145
die beiderseitigen Ansprüche nach den Geschäftsbedingungen der deutschen Wertpapierbörsen innerhalb von zwei Börsentagen zu erfüllen seien. Der BGH hat sich in seiner Grundsatzentscheidung aus dem Jahre 199127 der herrschenden Meinung angeschlossen. Er stellt in seiner Begründung zunächst wie die herrschende Meinung auf die äußere Abwicklung des Geschäftes mit abgetrennten Optionsscheinen ab. Die gegenseitigen Ansprüche von Käufer und Verkäufer seien nach Kassagrundsätzen innerhalb von zwei Börsentagen zu erfüllen. Mit der Erfüllung der beiderseitigen Ansprüche erlöschen sämtliche Rechte und Pflichten der Parteien aus dem Kaufvertrag. Es handele sich deshalb um ein Kassageschäft. Der Umstand, daß der Käufer das Recht hat, bei Ausübung der Option vom Emittenten, nicht vom Verkäufer, Lieferung der Aktien zu verlangen, ändere an dieser Einordnung nichts. Es drängt sich die Frage auf, weshalb der BGH hier nicht wie bei den unverbrieften Aktienoptionen eine einheitliche Betrachtungsweise anwendete und das Engagement insgesamt als Termingeschäft wertete. Auch der Erwerb der unverbrieften Aktienoption erfolgt schließlich nach Kassagrundsätzen. Der BGH sah jedoch in dem wirtschaftlichen Zweck beider Geschäfte entscheidende Unterschiede. Während die Option einerseits der Kurssicherung und andererseits der Kursspekulation diene, seien Optionsanleihen i.S.d. § 221 AktG ein legitimes Instrument der Fremdkapitalbeschaffung von Aktiengesellschaften. Wesentlich für die Funktionsfähigkeit dieses Kapitalbeschaffungsinstrumentes sei die Abtrennbarkeit und eigenständige Handelbarkeit der Optionsscheine. Diese Funktionsfahigkeit würde wesentlich beeinträchtigt, unterwerfe man die Optionsscheine dem Termineinwand des § 53 BörsG. Der BGH sah ferner wirtschaftliche und rechtliche Unterschiede zwischen der Stellung der emittierenden Aktiengesellschaft und deqenigen des Stillhalters bei einer Option. Die Aktiengesellschaft trage anders als der Stillhalter kein Kursrisiko und erhalte auch keine Risikoprämie. Dies erscheint wenig überzeugend, da die Aktiengesellschaft jedenfalls insoweit ein Kursrisiko trägt, als sie bei Ausübung des Optionsscheins ihre Aktien zu dem (im Vergleich zum aktuellen Börsenkurs) niedrigeren fest vereinbarten Preis ausgeben muß. Die "Prämie", welche die Aktiengesellschaft hierfür erhält, könnte wirtschaftlich durchaus in dem im Vergleich zum Marktzins niedrigeren Zinssatz der Optionsanleihe gesehen werden.
27 BGHZ 114, 177ff. = WM 1991, 982ff.; schon zuvor in einem Beschluß zu einem Antrag auf Prozeßkostenhilfe, WM 1989, 1881.
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Einen weiteren Unterschied sah der BGH bei Sekundärgeschäften. Derjenige, der einen Optionsschein von einer Wandelschuldverschreibung abtrennt und weiterveräußert, werde dadurch nicht zum Stillhalter, der fur ein von ihm übernommenes Risiko eine Prämie kassiert. Er tätige vielmehr ein Kassageschäft, auf das § 53 BörsG nicht anwendbar sei. Es liegt auf der Hand, daß der Verkäufer eines Optionsscheins, sofern er nicht zugleich Emittent des Optionsscheins ist, durch den Verkauf nicht zum Stillhalter wird. Aber die entscheidende Frage bleibt, ob derartige Sekundärgeschäfte mit Rücksicht auf die Schutzbedürftigkeit des Anlegers als Teil eines einheitlichen Termingeschäfts zu werten sind. Generell ist kritisch zu den Entscheidungsgründen anzumerken, daß der BGH mit keinem Wort auf die Schutzbedürftigkeit des Optionsscheininhabers eingeht. Aus der Sicht des Optionsscheininhabers lassen sich immerhin insofern Unterschiede erkennen, als die im Zusammenhang mit Optionsanleihen begebenen Optionsscheine i.d.R. "in the money" begeben werden und eine längere Laufzeit (häufig 5 Jahre) als Optionen haben, während deren sich die Aktienkurse von einem Tiefstand wieder erholen können. Ob diese Unterschiede ausreichen, um wertungsmäßige Unterschiede zu unverbrieften Aktienoptionen zu begründen, ist fraglich . Denn wie dort sind die Elemente der Terminspekulation gegeben und der Inhaber des abgetrennten Optionsscheins läuft wie bei der unverbrieften Option Gefahr, den Optionspreis endgültig zu verlieren, wenn der Aktienkurs nicht über den Basispreis hinaus steigt. Die aufgezeigten Widersprüche in der Entscheidung des BGH wird man daher wohl als eine Konzession an die Wertung des Gesetzgebers hinnehmen müssen, der mit Optionsanleihen i.S.d. § 221 AktG ein legitimes Instrument der Kapitalbeschaffung zur Verfugung stellen wollte, ohne die abtrennbaren Optionsscheine mit Termingeschäften in Verbindung zu bringen. Inzwischen hat der BGH seine Entscheidung aus dem Jahre 1991 mehr29
fach bestätigt , so daß sie gleichfalls als gefestigte Rechtsprechung bezeichnet werden kann. In einem erst jüngst ergangenen Urteil dehnte der BGH seine Rechtsprechung auf abgetrennte Optionsscheine aus Anleihen ausländischer Aktiengesellschaften aus, deren Recht die Ausgabe von Optionsanleihen gesetzlich nicht regelt. Der Senat hielt es fur ausreichend, daß das ausländische Recht - in diesem Fall das Schweizer Recht - die Emission von Optionsanleihen zuläßt und konnte sich außerdem auf eine Billigung durch 28
Zweifelnd Horn, ZIP 1990,2, 13.
29
BGH WM 1994, 834, 837; WM 1994, 2231, 2232; WM 1995, 2026, 2027.
30
BGH WM 1996, 1620ff.
Zur Verbindlichkeit von Optionsscheingeschäften
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das Schweizer Bundesgericht berufen 31 . Damit hatte der BGH wieder die Brücke zu seinem Legitimitätsargument geschlagen und konnte als einen entscheidungserheblichen Unterschied auf den wirtschaftlichen Zweck dieser Optionsscheine, als legitimes Kapitalbeschaffungsinstrument zu dienen, verweisen.
IV. Selbständige Optionsscheine Lange Zeit blieb die Frage offen, wie der BGH über Optionsscheine entscheiden würde, die von vornherein nicht im Zusammenhang mit einer Anleihe begeben wurden (sog. "naked warrants", selbständige Optionsscheine). Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH zu abgetrennten Optionsscheinen neigten die Instanzgerichte32 überwiegend dazu, auch Geschäfte mit selbständigen Optionsscheinen den Kassageschäften zuzurechnen. Indes hat der BGH in einem weiteren Grundsatzurteil vom 25. Oktober 33
1994 zu Dollar-Optionsscheinen seine Rechtsprechung zu abgetrennten Optionsscheinen nicht auf selbständige Optionsscheine für übertragbar gehalten und die Geschäfte als Börsentermingeschäfte i.S.d. §§ 50ff. BörsG gewertet. Etwa ein Jahr später bestätigte der BGH das Urteil im Zusammenhang mit DAX-Optionsscheinen34. In seiner Begründung wiederholt der BGH zunächst seine in dem oben zitierten Grundsatzurteil zu abgetrennten Optionsscheinen dargelegte Auffassung zum unterschiedlichen Zweck der Geschäfte in abgetrennten Optionsscheinen einerseits und unverbrieften Optionen andererseits. Selbständige Optionsscheine dienten ähnlich wie unverbriefte Optionen der Kurssicherung und Kursspekulation, während Wandelschuldverschreibungen ein in § 221 AktG vorgesehenes Instrument der Fremdkapitalbeschaffung zu einem besonders günstigen Marktzins darstellten. Ferner bekräftigte er auch hier die Unterschiede in der Stellung der emittierenden Aktiengesellschaft und derjenigen des Stillhalters bei einem Optionsschein35. Schließlich ging der BGH noch auf den Umstand der wertpapierrechtlichen Verbriefung des Options31
BGH WM 1996, 1620, 1622.
32
Vgl. OLG Schleswig WM 1993, 503, 504; OLG Frankfurt a.M. WM 1993, 684, 685; LG München I WM 1989, 1505, 1506; a.A. LG Hamburg WM 1989, 568, 570ff. 33
BGH WM 1994, 2231,2232; bereits angedeutet in WM 1994, 834, 837f.
34
BGH WM 1995,2026.
35
S.o. unter Ziff. III.
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rechtes ein und stellte fest, daß ihm im Hinblick auf das termingeschäftsspezifische Risiko weder aus der Sicht des Stillhalters noch aus der Sicht des Optionserwerbers entscheidungserhebliche Bedeutung zukomme. Wolle man selbständige Optionsscheine allein wegen der Verbriefung des Optionsrechts aus dem Anwendungsbereich der §§ 50ff. BörsG ausnehmen, könnte der Schutzzweck des Termineinwandes leicht unterlaufen werden36. Das letztgenannte Argument ist eine folgerichtige Konsequenz aus der Rechtsprechung des BGH zu Primär- und Sekundärgeschäften bei unverbrieften Aktienoptionen. Wenn mit Rücksicht auf die termingeschäftsspezifischen Risiken eine einheitliche Betrachtung des sich in zwei Phasen (Erwerb und Ausübung der Option) vollziehenden Optionsgeschäfts angezeigt ist, kann sich in der Tat aus der wertpapierrechtlichen Verbriefung und der damit erhöhten Fungibilität der Optionsscheine nichts anderes ergeben. Zwar werden Optionsscheine während ihrer Laufzeit in der Regel auf dem Kassamarkt veräußert, sei es, weil die Emission von einem Kreditinstitut übernommen und weiterveräußert wird (wie dies häufig der Fall ist), sei es, weil der Optionsscheininhaber den Optionsschein, der "in the money" ist, nicht ausübt, sondern seinen Gewinn durch Veräußerung zu einem höheren Optionspreis realisiert, oder sei es, weil der Optionsscheininhaber seinen Optionsschein, der "out of the money" ist, an seine Bank zu einem niedrigeren Preis rückveräußert, um seinen Verlust gering zu halten. Jedoch ändert sich durch das typische Auseinanderfallen von Stillhalter und Veräußerer weder für den Stillhalter noch fur den Optionsscheininhaber das termingeschäftsspezifische Risiko. Allerdings sollte wie bei Sekundärgeschäften in unverbrieften Optionen 37 die Weiterveräußerung eines Optionsscheins dann ein verbindliches Börsentermingeschäft sein, wenn zwar nicht der Veräußerer jedoch der Erwerber termingeschäftsfahig ist; der Schutz des nicht termingeschäftsfähigen Veräußerers wird durch die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung im Verhältnis zum Stillhalter bzw. seinem Veräußerer gewährleistet. Gleiches gilt, wenn der Optionsscheininhaber den Optionsschein an seine Bank rückveräußert. Kritik rufen die Entscheidungen zu selbständigen Optionsscheinen jedoch insoweit hervor, als der BGH zu Unrecht erhebliche Unterschiede zwischen der Stellung der emittierenden Aktiengesellschaft bei abgetrennten Optionsscheinen und der Stellung des Stillhalters bei selbständigen Optionsscheinen
36
So zutreffend bereits Horn, ZIP 1990, 2,13.
37
S.o. unter Ziff. II.
Zur Verbindlichkeit von Optionsscheingeschäften
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sieht und auf die vergleichbare Schutzwürdigkeit der Inhaber von selbständigen und abgetrennten Optionsscheinen nicht eingeht38. Als das eigentliche tragende Argument für die unterschiedliche Behandlung von abgetrennten Optionsscheinen einerseits und unverbrieften wie verbrieften selbständigen Optionen andererseits erweist sich damit erneut der Umstand, daß derartige Anleihen ausdrücklich (wie in § 221 AktG) oder stillschweigend in der jeweiligen Rechtsordnung als ein "legitimes" Instrument der Fremdkapitalbeschaffung für Aktiengesellschaften anerkannt sind.
V. Sonstige "legitime" Optionsscheine? Damit stellt sich indes die Frage, ob es nicht noch weitere Optionsscheine gibt, die eine "Legitimität" oder einen "legitimen Zweck" und damit eine Gleichstellung mit abgetrennten Optionsscheinen für sich beanspruchen. In der Literatur39 ist mit unterschiedlichen Begründungen vorgeschlagen worden, Geschäfte, die der Kurssicherung dienen (sog. Hedgegeschäfte), von dem Termineinwand auszunehmen. Das RG 40 hatte in ständiger Rechtsprechung entschieden, daß wirtschaftlich berechtigte Sicherungsgeschäfte keine (verdeckten) Differenzgeschäfte i.S.d. § 764 BGB sind, weil sie nicht auf die Erzielung eines Differenzgewinns, sondern auf den Ausgleich eines Kursrisikos gerichtet sind, das in einem auf die tatsächliche Lieferung von Waren gerichteten Hauptgeschäft liegt. Nach Ansicht des BGH41 seien jedoch die zum Begriff des Differenzgeschäfts entwickelten Rechtsgrundsätze nicht auf den Begriff der Börsentermingeschäfte anwendbar. Während das Differenzgeschäft wegen des Spielcharakters ein materieller Begriff sei, sei das Börsentermingeschäft eine bloße Geschäfts/örm oder Geschäftsarf. Wegen dieser Einordnung sei das Börsentermingeschäft subjektiven Begriffselementen nicht zugänglich und kann zu volkswirtschaftlich berechtigten und imberechtigten Zwecken abgeschlossen werden. Das Ergebnis dieser Entscheidung ist unbefriedigend, da demjenigen Vertragsteil des Hauptgeschäfts, der weder Kaufmann i.S.d. § 53 •3Q
S.o. unter Ziff. III. 39
Hellwig/de Lousanoff, Festschrift für Ernst C. Stiefel, S. 309, 312ff.; Kumpel, WM 1982, Sonderbeilage Nr. 6, S. 6f.; vgl. auch Baumbach/Duden/Hopt, aaO., (14) BörsG vor § 50 Rn. 1. 40 RGZ 107, 22, 24; 117, 267,269; 146, 190, 193. 41
BGHZ 105, 263,267f.
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Abs. 1 BörsG ist noch von einer Bank (die möglicherweise gar nicht an dem Haupt- und Hedgegeschäft beteiligt ist) gem. § 53 Abs. 2 BörsG informiert worden ist, die Möglichkeit genommen wird, ein verbindliches Kurssicherungsgeschäft abzuschließen. Aufgrund der von der Rechtsprechung entwikkelten42 Begriffsmerkmale des Börsentermingeschäfts ist zudem nicht ersichtlich, wie der Nichttermingeschäftsfahige in einer anderen Geschäftsform als dem Börsentermingeschäft sein Hedgegeschäft tätigen soll. Schon in seinem eigenen Interesse wird er die auf den Terminmärkten angebotenen standardisierten Kurssicherungsinstrumente nutzen. Schließlich ist zu fragen, wie die formale, auf die Geschäftsform abstellende Begründung mit den (später ergangenen) Entscheidungen zu den abgetrennten Optionscheinen zu vereinbaren ist. Dort hat der BGH gerade den unterschiedlichen wirtschaftlichen Zweck der Geschäfte betont und das Vorliegen eines Börsentermingeschäfts im Hinblick auf seinen wirtschaftlichen Zweck der Kurssicherung und Kursspekulation bejaht. Umgekehrt hat er Geschäfte mit abgetrennten Optionsscheinen wegen ihres volkswirtschaftlich berechtigten Zwecks nicht als Börsentermingeschäfte gewertet. Soll es etwa nicht nur auf den volkswirtschaftlich berechtigten Zweck, sondern auf dessen gesetzgeberische Legitimierung ankommen? Dies erscheint äußerst zweifelhaft, zumal die Inanspruchnahme von Kurssicherungsinstrumenten auf den Terminmärkten in bestimmten Bereichen der Volkswirtschaft wie etwa dem grenzüberschreitenden Warengeschäft oder der Portfolioverwaltung ganz übliche Praxis ist und es zu den elementaren Obliegenheiten eines Wareneinkäufers oder -Verkäufers gehört, sich gegen die mit dem grenzüberschreitenden Kaufgeschäft verbundenen Kursrisiken abzusichern. Gleiches gilt für den Verwalter eines Portfolios mit Anlagewerten, die Kursrisiken beherbergen. Er würde grob fahrlässig handeln, sicherte er das Portfolio nicht mit Hilfe geeigneter Kurssicherungsinstrumente ab. Eine weitere Frage ist, wie Optionsscheine einzuordnen sind, deren Geschäfte der Gesetzgeber in anderen Zusammenhängen als § 221 AktG ausdrücklich anerkannt hat. So darf etwa ein Versicherungsunternehmen gemäß § 7 Abs. 2 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) Geschäfte mit Optionsscheinen (gleiches gilt für Optionen) dann tätigen, wenn sie (a) der Absicherung gegen Kurs- oder Zinsänderungsrisiken, (b) dem späteren Erwerb von Wertpapieren oder (c) der Erzielung eines zusätzlichen Ertrages aus vorhandenen Wertpapieren die42
S.o. unter Ziff. I.
Zur Verbindlichkeit von Optionsscheingeschäften
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nen. Während die in (a) genannten Geschäfte die bereits geschilderten Hedgegeschäfte darstellen, gehören zu den Erwerbsvorbereitungsgeschäften (b) der Kauf einer Call-Option oder der Verkauf einer Put-Option 3 und zu den Ertragsvermehrungsgeschäften (c) der Verkauf einer Call-Option bezogen auf im Bestand gehaltene Wertpapiere44. Soll nun der Verkauf einer Call-Option an einen Nichttermingeschäftsfähigen gleichwohl nicht dem Termineinwand ausgesetzt sein, weil der Gesetzgeber in § 7 Abs. 2 VAG derartige Geschäfte als legitime Ertragsvermehrungsgeschäfte von Versicherungsunternehmen anerkannt hat? Weitere Beispiele finden sich in den Anlagevorschriften der §§ 8ff. des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG). Nach diesen Bestimmungen ist es Investmentgesellschaften ausdrücklich erlaubt, innerhalb gewisser Grenzen Dritten Call- oder Put-Optionen einzuräumen oder Geschäfte in Optionsscheinen zu tätigen, und zwar sowohl zu Hedge- als auch zu Spekulationszwecken. Sollen z.B. Geschäfte der Investmentgesellschaften in Optionen und Optionsscheinen, die zu dem vom Gesetzgeber als legitim anerkannten Hedgezweck eingesetzt werden, durch Gewährung des Termineinwandes gefährdet werden? Die genannten Beispiele mögen verdeutlicht haben, daß der gesetzgeberisch legitimierte Zweck der Geschäfte kaum ein geeignetes Abgrenzungskriterium für das Vorliegen oder NichtVorliegen von Börsentermingeschäften ist. Auch der BGH hat in seiner jüngst ergangenen Entscheidung zu den unter Schweizer Recht stehenden abgetrennten Optionsscheinen eingeräumt, daß es auf eine gesetzliche Regelung der Optionsanleihen nicht ankommen kann, sondern auf den wirtschaftlichen Zweck solcher Anleihen45. Dann aber bleibt der BGH eine Antwort auf die Frage schuldig, weshalb er den mit Optionsanleihen verfolgten Zweck durch Zubilligung der Verbindlichkeit des Optionsscheingeschäfts bevorzugt behandelt. Daß der Zweck, Aktiengesellschaften ein günstiges Fremdkapitalbeschaffungsinstrument an die Hand zu geben, volkswirtschaftlich höherwertiger ist als beispielsweise der Hedgezweck, kann nicht ernsthaft behauptet werden. Eine mögliche Lösung könnte nur darin gesehen werden, entgegen der BGH-Entscheidung zu Hedgegeschäften einen Katalog wirtschaftlich be43
So ausdrücklich Rundschreiben des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen R7/95 vom 21. November 1995, Abschnitt A.II.3.b). 44
Rundschreiben des Bundesaufsichtsamtes Abschnitt A.H.3.C). 45 S.o. unter Ziff. III. am Ende.
flir
das
Versicherungswesen,
aaO.,
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rechtigter Zwecke zu entwickeln, bei deren Vorliegen die Annahme eines Börsentermingeschäfts ausgeschlossen ist. Beweisprobleme dürften sich jedenfalls hinsichtlich des Hedgezweckes nicht ergeben, da der Abschluß eines Hauptgeschäftes oder das Vorhandensein eines Vermögensbestandes, dessen Risiken abgesichert werden sollen, in der Regel leicht nachzuweisen ist. Ein solcher Weg würde die unterschiedliche Behandlung von abgetrennten Optionsscheinen einerseits und unverbrieften wie verbrieften selbständigen Optionen andererseits auf eine plausible dogmatische Grundlage stellen und wäre durchaus im Einklang mit der übrigen Rechtsprechung des BGH, die das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Börsentermingeschäfts auch stets vom wirtschaftlichen Zweck des Geschäfts her begründet hat.
VI. Das Urteil des LG Stuttgart vom 26. April 1996 Die oben skizzierte Rechtsprechung des BGH ist zwar, wie gezeigt, nicht in jeder Hinsicht konsistent. Sie hat sich jedoch durch eine Serie von Entscheidungen zu einer ständigen Rechtsprechung fortentwickelt und damit zu einem Stück Rechtssicherheit unter den Beteiligten des Options- und Optionsscheinhandels beigetragen. Gänzlich aus dem Rahmen fallt hingegen ein kürzlich vom LG Stuttgart ergangenes, inzwischen rechtskräftig gewordenes Urteil46. Die klagende Bank verlangte vom Beklagten Ausgleich eines Sollsaldos auf einem Konto, über das während eines Zeitraumes von 22 Monaten insgesamt fast 100 An- und Verkäufe von Optionsscheinen abgewickelt wurden. Ein Geschäft betraf den Erwerb eines "DM China Basket" - Call-Optionsscheins, der den Inhaber zum Bezug desjenigen Differenzbetrages berechtigte, um den der Kurswert des Aktienkorbes, bestehend aus bestimmten an der Wertpapierbörse Hongkong notierten Aktien, den vereinbarten Basispreis bei Ausübung überschreitet. Eine effektive Lieferung der im Korb enthaltenen Aktien ist bei diesen Optionsscheinen nicht vorgesehen. Ein entsprechender Put-Optionsschein auf den "China Basket" ist vom emittierenden Kreditinstitut nicht begeben worden. Der Beklagte war im Zeitpunkt des Erwerbs des Optionsscheins termingeschäftsfahig. Gleichwohl hielt das LG Stuttgart den Erwerb des Optionsscheins für unverbindlich. Es Schloß sich der Rechtsauffassung des Beklagtenvertreters an und verneinte das Vorliegen eines Börsentermingeschäfts, so daß der Diffe46
LG Stuttgart WM 1996, 1446ff. mit Anm. von Müller-Deku und Schuster.
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renzeinwand gem. §§ 764, 762 BGB nicht infolge der Termingeschäftsfahigkeit gem. § 58 BörsG ausgeschlossen war. Ein Börsentermingeschäft sei nicht abgeschlossen worden, weil es an der Voraussetzung der Verbindung zu einem Terminmarkt gefehlt habe, die es dem Anleger ermöglicht hätte, sich durch Eingehung eines Gegengeschäfts glattzustellen. Der "China Basket"Optionsschein sei lediglich als Call-Optionsschein begeben worden und auf einen individuell zusammengestellten Aktienkorb bezogen gewesen. Anders als bei Optionscheinen, die auf gängige Aktienindices (wie z.B. DAX, Nikkei, Dow Jones) gerichtet sind, hätte der Anleger hier keine Möglichkeit gehabt, sich durch Eingehung eines Gegengeschäfts glattzustellen. Das Urteil ist unzutreffend und fordert zum Widerspruch heraus. Wie oben 47 dargestellt wurde, versteht der BGH bei Optionen unter der Glattstellung durch ein Gegengeschäft die Anschaffung bzw. Veräußerung des Basiswertes zu dem Tageskurs im Zeitpunkt der Ausübung, um statt der effektiven Lieferung des Basiswertes den Differenzgewinn zu realisieren. Bei Optionsscheinen wie dem "China Basket" - Optionsschein, die von vornherein nicht auf effektive Lieferung, sondern auf Zahlung eines Differenzbetrages gerichtet sind, ist dem Optionsscheininhaber die Glattstellung bereits abgenommen. Die Zahlung des Differenzbetrages ist nichts anderes als das Resultat eines solchen Glattstellungsgeschäftes. Vom Verständnis des BGH ausgehend ist daher das Erfordernis der Verbindung zu einem Terminmarkt, der den Abschluß eines völlig gleichen Gegengeschäftes ermöglicht, bei Optionsscheinen, die von vornherein auf einen Barausgleich gerichtet sind, stets erfüllt. Die Einordnung als Börsentermingeschäft entspricht auch der gesetzgeberischen Intention, da dieser Optionsschein "wirtschaftlich gleichen Zwecken dient, auch wenn (er) nicht auf Erfüllung ausgerichtet (ist)" (s. § 50 Abs. 1 Satz 2 BörsG). Das LG Stuttgart vertritt demgegenüber die Auffassung, daß unter der Glattstellung durch ein Gegengeschäft auch die Möglichkeit zu verstehen ist, das "Erstgeschäft durch ein Gegengeschäft zu neutralisieren". Mit "Erstgeschäft" meint das LG offenbar die erste Phase des sich in zwei Phasen vollziehenden Optionsgeschäfts, nämlich den Erwerb des Optionsscheins. Für die Ansicht des LG findet sich weder in der Rechtsprechung noch in den Materialien zum Börsengesetz irgendein Beleg und hätte daher vom Gericht näher begründet werden müssen. Selbst wenn man auch in der ersten Phase die Möglichkeit eines glattstellenden Gegengeschäftes als konstituierendes Merkmal des Börsenterminge47
S.o. unter Ziff. I.
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schäfts ansieht, wäre der Erwerb eines entsprechenden "China Basket" - PutOptionsscheins, auf den das LG Stuttgart ganz offenbar abstellt, kein Glattstellungsgeschäft. "Glattstellung" bedeutet, daß eine Verpflichtung durch Abschluß eines genau gleichen Gegengeschäfts verringert wird, oder anders ausgedrückt: durch die Glattstellung wird eine offene Position (ganz oder teilweise) geschlossen. Wenn aber nur die wirtschaftlichen Wirkungen eines Geschäftes durch den Abschluß eines anderen Geschäftes mit entgegengesetzten wirtschaftlichen Wirkungen ausgeglichen werden, so handelt es sich nicht um ein Glattstellungs- sondern um ein Geschäft zum Zwecke der Absicherung, also um ein Hedgegeschäft. Das LG Stuttgart verkennt, daß der Anleger mit einem Glattstellungsgeschäfl nicht nur Verluste minimieren, sondern auch Gewinne realisieren kann48. Mit dem Erwerb eines gegenläufigen Put-Optionsscheins zusätzlich zum Call-Optionsschein kann der Anleger jedoch nicht seinen Gewinn aus dem Call-Optionsschein realisieren. Daraus folgt, daß - wenn man überhaupt die Möglichkeit eines glattstellenden Gegengeschäfts in der ersten Phase des Optionsgeschäfts für erforderlich hält dieses Gegengeschäft nicht der Erwerb eines gegenläufigen Put- bzw. CallOptionsscheins ist, sondern aus der Sicht des Optionsscheininhabers die Veräußerung eines erworbenen Optionsscheins49; aus der Sicht des Stillhalters ist das Gegengeschäft der (Rück-)Kauf des Optionsscheins. Der "China Basket"Optionsschein konnte vom Inhaber jederzeit veräußert werden. Damit war auch in der ersten Phase die Möglichkeit eines glattstellenden Gegengeschäfts gegeben und das Geschäft als Börsentermingeschäft zu werten. Wie praxisfern die Auffassung des LG Stuttgarts ist, zeigt sich auch darin, daß es dem Inhaber eines Call-Optionsscheins zumeist gar nicht gelingt, sein Geschäft durch Erwerb eines Put-Optionsscheins "zu neutralisieren". Der Anleger verfolgt in aller Regel - wie im Fall des LG Stuttgart - mit Optionsscheinen entweder eine Kurssicherungs- oder Kursspekulationsstrategie. Er wird folglich zu Beginn nur entweder Call- oder Put-Optionsscheine kaufen, nicht jedoch eine gleiche Anzahl von Call- und Put-Optionsscheinen50 Er wird folglich erst dann versuchen, sein Optionsgeschäft zu neutralisieren, wenn der Call-Optionsschein "out of the money" ist. In diesem Zeitpunkt ist aber der Preis des entsprechenden Put-Optionsscheins, der "in the money" ist, erheblich gestiegen. Der Anleger muß folglich über die bereits verlorene 48
49 50
S.o. unter Ziff. I. Insoweit zutreffend Tilp, DB 1989, 2365, 2366.
Sog. "straddle" (bei gleichen Basispreisen) oder "strangle" (bei unterschiedlichen Basispreisen).
Zur Verbindlichkeit von Optionsscheingeschäften
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Prämie des Call-Optionsscheins hinaus erhebliche zusätzliche Liquidität für den hohen Preis des Put-Optionsscheins aufbringen, um zu versuchen, sein Engagement aus dem Call-Optionsschein abzugleichen. Ob ihm dies letztlich gelingt, ist fraglich und damit auch zweifelhaft, ob ihm zu dieser zusätzlichen Risikoübernahme überhaupt geraten werden kann. Auch im übrigen können die praktischen Auswirkungen des LG StuttgartUrteils recht absurde Züge annehmen: So könnte z.B. ein Kunde, der in Optionsscheine anlegen möchte, auf die Idee kommen, seine Bank anzuweisen, nur Optionsscheine zu kaufen, die aus einer ausschließlichen Call- oder PutEmission stammen, weil er dann weiß, daß er ungeachtet seiner Termingeschäftsfähigkeit unter Berufung auf den Differenzeinwand sein Engagement rückgängig machen kann. Ferner ist zu beachten, daß der Differenzeinwand auch unter Kaufleuten gilt. Mit der Absicht, den Schutz des Anlegers durch Einengung des Begriffs des Börsentermingeschäfts zu erhöhen, schießt das LG Stuttgart somit über das Ziel hinaus, indem zugleich der Handel mit Optionsscheinen unter professionellen Teilnehmern entgegen den Intentionen des Börsengesetzgebers51 behindert wird. Es bleibt zu hoffen, daß Urteile wie das des LG Stuttgarts Einzelfalle bleiben.
"
S.o. unter Ziff. II. am Ende.
Die neue Gemeinschaftsmarke - ein Stück mehr Europa VINZENZ BÖDEKER
Seit dem 1. April 1996 ist es nun so weit. Das in Alicante, Spanien, errichtete „Harmonisierungsamt fur den Binnenmarkt (Marken, Muster, Modelle)" (nachfolgend kurz als „Markenamt" bezeichnet) hat seine Tätigkeit offiziell aufgenommen. Bereits seit dem 1. Januar 1996 konnten Anmeldungen fur Gemeinschaftsmarken eingereicht werden, jedoch mit Anmeldetag 1. April 1996, dem frühesten Anmeldebeginn. Der Rat der EU hat mit dem Erlaß der Verordnung EG Nr. 40/94 vom 20.12.19931 erstmals ein europäisches Schutzrecht eingeführt, das in einem einzigen Verfahren den Erwerb einer Marke ermöglicht, die den Unternehmen einheitlich Schutz im gesamten Gebiet der Europäischen Union gewährt und den europaweiten Vertrieb von Markenware erleichtert.2 Die Verordnung ist am 15. März 1994 in Kraft getreten. Mit der Einfuhrung der Gemeinschaftsmarke ist dem Gebot des Art. 7 a EG-Vertrages zur Vollendung des Binnenmarktes und dessen reibungslosen Funktionieren auf dem wichtigen Gebiet der Schaffung rechtlicher Bedingungen zur Ermöglichung des freien Warenverkehrs in besonderer Weise genügt worden. Mit der Verwendung von Marken, mit denen die Unternehmer ihre Waren und Dienstleistungen in der gesamten Gemeinschaft ohne Rücksicht auf Grenzen kennzeichnen können, verfugen sie über ein Instrument, ihre Tätigkeiten in den Bereichen der Herstellung und der Verteilung von Waren und des Dienstleistungsverkehrs an die Dimensionen des gemeinsamen Marktes anzupassen.3
I. Rechtsquellen Die Bestrebungen zur Harmonisierung des Markenrechts gehen bis in die Zeit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft zurück. Anfängliche ÜberleDie Verordnung ist veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften LI 1 vom 14.01.1994. 2
Neben der Europäischen Zentralbank in Frankfurt und dem Europäischen Umweltamt in Kopenhagen ist das Markenamt die dritte große Neugründung der Europäischen Union. 3
Vgl. Präambel der VO (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20.12.1993
Die neue Gemeinschaftsmarke - ein Stück mehr Europa
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gungen, die Markenproblematik mit Hilfe völkerrechtlicher Übereinkommen lösen zu können, wurden zugunsten einer „europäischen" Regelung aufgegeben. Beginnend mit einem Konventions-Vorentwurf einer Arbeitsgruppe aus dem Jahr 19644 und der 1976 veröffentlichten Denkschrift der Kommission über die Schaffung einer EWG-Marke5 sind in einer Reihe von Verordnungsentwürfen und Verordnungsvorschlägen6 der Kommission die Vorarbeiten zur Gemeinschaftsmarke geleistet worden. Bereits im Jahr 1988 lag ein Entwurf vor, der dem heutigen Text der Verordnung zur Gemeinschaftsmarke sehr nahe kommt.7 Eine weitere, auch für die Gemeinschaftsmarke bedeutsame Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des Markenrechts stellt die bereits 1988 erlassene Erste Markenrechtsrichtlinie8 dar, die markenrechliche Mindeststandards vereinheitlicht, die von allen EU-Staaten übernommen werden müssen.9 Die Richtlinie ist in Deutschland durch das Markenrechtsreformgesetz und das darin enthaltene Markengesetz umgesetzt und zum Anlaß einer Reform des gesamten deutschen Kennzeichnungsrechts genommen worden.10 Das Markenrechtsreformgesetz ist am 1. Januar 1995 in Kraft getreten." Da die Harmonisierung der nationalen Markenrechte und die Einführung der Ge4 Vorentwurf eines Ubereinkommens über ein Europäisches Markenrecht, Luxemburg 1973, Dokument 5934/IV/64. 5 Denkschrift über die Schaffung einer EWG-Marke, Bulletin der EG, Beilage 8/76 (GRURInt. 1976,481). 6
Siehe vor allem Dokument III/D/753/78 vom Juli 1978 (GRUR Int. 1978, 452) und Dokument KOM (80) 635 endg./2 vom 27.11.1980 (GRUR Int. 1981, 100 mit Begründung in GRUR Int. 1981, 86), sowie Dokument KOM (84) 470 endg. (ABl. EG Nr. C 230 vom 31.08.1984, S. 1.) 7
Dokument 5865/88 vom 11.05.1988 (GRUR Int. 1989, 388).
8
Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21.12.1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. EG Nr. L 40 vom 11.02.1989, S. 1, berichtigt ABl. EG Nr. L 159 vom 10.06.1989, S. 60). 9
Zur Markenrechtsrichtlinie siehe Heydt, Zum Entwurf einer Richtlinie zur Angleichung des Markenrechts der Mitgliedstaaten der EWG, GRUR Int. 1980, 71 und Kunz-Hallstein, Perspektiven der Angleichung des nationalen Markenrechts in der EWG, GRUR Int. 1992, 81. 10 Siehe von Gamm, Schwerpunkte des neuen Markenrechts, GRUR 1994, 775 und von Mühlendahl, Innovation und Management, 11-12/93, 1; ders., Deutsches Markenrecht, S. Iff. " Bis auf Irland haben inzwichen alle Mitgliedstaaten der EU die Richtlinie in innerstaatliches Recht umgesetzt.
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meinschaftsmarke ursprünglich zeitgleich erfolgen sollten,12 wurden markenrechtliche Standards in beiden Vorhaben wortgleich formuliert. Die Markenrechtsrichtlinie vom 21.12.1988, die an mehreren Stellen sogar von der (zukünftigen) Existenz einer Gemeinschaftsmarke ausgeht, und deren Kommentierungen können daher auch für die Auslegung der dann 5 Jahre später in Kraft getretenen Verordnung über die Gemeinschaftsmarke herangezogen werden. Die Kompetenz des Rates der Europäischen Union zum Erlaß der Gemeinschaftsmarkenverordnung (GMVO) ergibt sich aus Art. 189 i.V.m. Art. 235 EG-Vertrag. Weder der Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft noch der Maastricher Unionsvertrag enthalten Bestimmungen über ein europaeinheitliches Markensystem. Das Gemeinschaftsmarkenrecht ist daher ausschließlich sekundäres Gemeinschaftsrecht.13 Neben der Verordnung (EG) Nr. 40/94 vom 20.12.1993 (GMVO)14 ist die von der Kommission erlassene und in Art. 140 GMVO vorgesehene Durchfuhrungsverordnung (GM-DV) vom 13.12.1995,15 die am 22.12.1995 in Kraft trat, von Bedeutung. Diese aus 101 „Regeln" bestehende Verordnung wendet sich in erster Linie an das Markenamt, enthält aber auch wichtige Regelungen fur das Verfahren der nationalen Markenbehörden im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsmarke. Desweiteren ist die in Art. 139 GMVO vorgesehene Gebührenverordnung (GM-GebVO) zu nennen, die von der Kommission am 13.12.1995 erlassen worden ist.16 Die GM-GebV legt die Zahlungsmodalitäten für die an das Markenamt zu entrichtenden Gebühren fest und enthält wichtige Vorschriften über die Fristwahrung durch Zahlung. Ferner bestimmt die GM-GebVO die Höhe der vom Anmelder einer Gemeinschaftsmarke zu leistenden Gebühren.
Obwohl das Vertragswerk seit langem bis in fast alle Einzelheiten fertiggestellt war, verzögerte sich die Verabschiedung der Gemeinschañsmarkenverordnung, da zunächst keine Einigung über den Sitz des Markenamtes und die Sprachenregelung gefunden werden konnte. Vgl. hierzu von Mühlendahl, Das neue Markenrecht der Europäischen Union, FS 100 Jahre Marken-Amt, 1994, S. 215,220ff. 13
Siehe im einzelnen Ingerí, Die Gemeinschaftsmarke, 1996, S. 19.
14
Die GMVO ist durch Verordnung (EG) Nr. 3288/94 des Rates vom 22.12.1994 (ABl. EG Nr. L 349 vom 31.12.1994, S. 83) in wenigen Punkten abgeändert worden, um Verpflichtungen aus dem TRIPS-Übereinkommen zu erfüllen. 15
Verordnung (EG) Nr. 2868/95 (ABl. EG Nr. L 303 vom 15.12.1995).
16
Verordnung (EG) Nr. 2869/95 (ABl. EG Nr. L 303 vom 15.12.1995).
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Die GMVO erwähnt in ihren Artikeln 119 Abs. 2 lit. b und 140 Abs. 3 die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des Markenamtes. Die entsprechende Verordnung (GM-BKVO) wurde von der Kommission am 5.2.1996 erlassen.17 Da die wesentlichen Regeln des Beschwerdeverfahrens bereits in der GMVO selbst enthalten sind, bedurfte es nur noch ergänzender Bestimmungen zur Organisation und zum Verfahren. Zu erwähnen sind hier die Geschäftsverteilung, die innere Organisation der Beschwerdekammern, die Verfahrenverbindung und die Zurückverweisung und Äußerungen des Präsidenten im Beschwerdeverfahren.
II. Zielsetzung der Gemeinschaftsmarke Die Gemeinschaftsmarke ist ein wichtiger Baustein für den weiteren Ausbau der Europäischen Union. Ausweislich der Präambel der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke (GMVO) soll durch die Einfuhrung eines einheitlichen Markensystems die harmonische Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb der Gemeinschaft und eine beständige und ausgewogene Wirtschaftsausweitung gefördert werden. Die Gemeinschaftsmarke soll zur Vollendung des Binnenmarktes, der mit einem einzelstaatlichen Markt vergleichbare Bedingungen bietet, beitragen. Neben der Beseitigung von Handelshemmnissen und der Vermeidung von Wettbewerbsverfalschungen erfordert das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes auch auf dem Bereich der Kennzeichnung von Waren und Dienstleistungen rechtliche Strukturen, die auf die Bedürfnisse eines gemeinsamen Marktes abgestimmt sind. Es stand von Anfang an fest, daß dieses Ziel durch eine Harmonisierung der Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten nicht zu erreichen ist. Auch eine Angleichung der nationalen Markenrechtssysteme, wie sie die Erste Markenrechtsrichtlinie bezweckt, oder sogar eine völlige Identität der Markengesetze der Einzelstaaten kann nicht zur Überwindung der territorialen Begrenzung der Geltungsbereiche nationaler Marken fuhren. Zur Ermöglichung einer unbehinderten Wirtschaftstätigkeit im gesamten gemeinsamen Markt ist vielmehr ein einheitliches, unmittelbar in allen Mitgliedstaaten geltendes Gemeinschaftsrecht erforderlich. Als weiteres Ziel des Gemeinschaftsmarkenrechts ist die Beseitigung der marktaufteilenden Wirkungen einzelstaatlicher Marken zu nennen. Die Versuche von Kommission und EuGH, zunächst unter Berufung auf Art. 85, 86 17
Verordnung (EG) Nr. 216/96 (ABl. EG Nr. L 28 vom 06.02.1996).
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EG-Vertrag und später auf Art. 30, 36 EG-Vertrag der Marktabschottung durch nationale Schutzrechte entgegenzutreten, waren nur von begrenztem Erfolg, da die nationalen Markenrechte in ihrem Wesensgehalt, insbesondere hinsichtlich ihrer territorialen Begrenzung unantastbar sind.18 In der Präambel zur GMVO ausdrücklich erwähnter Zweck des Gemeinschaftsschutzrechtes ist es, die Herkunftsfionktion der Marke zu gewährleisten. Dieser Schutz ist absolut im Falle der Identität zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den Waren oder Dienstleistungen. Der Schutz erstreckt sich ebenfalls auf die Fälle der Ähnlichkeit von Zeichen und Marke sowie Waren und Dienstleistungen und weist damit den gleichen Umfang auf wie die durch die Erste Markenrechtsrichtlinie vereinheitlichten einzelstaatlichen Schutzsysteme.19 Obwohl die territorialen Strukturen nationaler Markenrechtssysteme als binnenmarktswidrig eingestuft werden müssen, ist es nicht Ziel des Gemeinschaftsmarkenrechts, die nationalen Marken abzuschaffen oder zu ersetzen. In den Erwägungsgründen zur GMVO ist vielmehr ausdrücklich nicht nur die Legitimität, sondern auch Notwendigkeit fortbestehender innerstaatlicher Markensysteme anerkannt worden.20 Das gemeinschaftliche Markenrecht soll vor allem deswegen nicht an die Stelle der Markenrechte der Mitgliedstaaten treten, um denjenigen Unternehmen, die lediglich territorial begrenzten Markenschutz benötigen, auch weiterhin die Anmeldung nationaler Marken zu ermöglichen. Es fallt auf, daß die Parallelität von nationalem und gemeinschaftlichem Markenrecht nicht in irgendeiner Weise zeitlich begrenzt ist, sondern ganz offensichtlich auf Dauer angelegt zu sein scheint. Zweifelsohne ist die Abschaffung nationaler Markensysteme ohne eine längere Übergangsirist weder ratsam noch rechtlich durchsetzbar. Verfassungsrechtliche Erwägungen würden dem entgegenstehen,21 ebenso mangelnde politische Durchsetzbarkeit. Doch wäre es wünschenswert gewesen, schon mit der Einfuhrung der Gemeinschaftsmarke die Übernahme der nationalen Markensysteme durch das 18
Vgl. etwa Ebenroth/Parche, Markenaufspaltung und nationale Markenrechte im Spannungsverhältnis zum Grundsatz des freien Warenverkehrs, GRUR Int. 1989, 738; Joliet, Markenrecht und freier Warenverkehr: Abkehr von HAG I, GRUR Int. 1991, 177. 19 Vgl. Art. 9 GMVO und § 14 deutsches MarkenG. 20
Siehe Präambel zur GMVO; vgl. auch Fezer, Zur gemeinschaftsrechtlichen Integration nationaler Markenrechte, FS 25 Jahre BPatG, 1986, S. 405, 407. 21
Zum Grandrechtsschutz für den Inhaber einer deutschen Marke siehe z.B. BVerfG GRUR 1979, 773 - Weinbergrolle.
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Gemeinschaftsmarkenrecht vorzusehen, 22 um so zumindest die Vision eines vollendeten Binnenmarktes aufrechtzuerhalten.
III. Grundlegende materielle und verfahrensrechtliche Vorschriften der GMVO In der folgenden Darstellung sollen die wesentlichen Vorteile einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung, die Markenschutz in derzeit 15 Staaten mit ungefähr 360 Mio. Verbrauchern bietet, als Ersatz bzw. als Ergänzung zu einer Vielzahl einzelstaatlicher Markenanmeldungen dargestellt werden, ohne hierbei mögliche Nachteile der neuen Gemeinschaftsmarke auszuklammern. 1. Materielle Vorschriften a) Einheitlichkeit der Gemeinschaftsmarke Der Grundsatz der Einheitlichkeit der Gemeinschaftsmarke besagt, daß der Erwerb einer Marke, die einheitlich in allen Staaten der Europäischen Gemeinschaft Schutz verleiht, in nur einem einzigen Verfahren möglich ist. Die Gemeinschaftsmarke wird nur für das gesamte Gemeinschaftsgebiet eingetragen und kann auch nur einheitlich Gegenstand z.B. eines Verzichts, einer Löschung oder einer Benutzungsuntersagung sein, wobei Art. 106, 107 GMVO eine auf einen Mitgliedstaat oder auch auf einen kleineren geographischen Bereich beschränkte Benutzungsuntersagung einer Gemeinschaftsmarke aufgrund älterer nationaler oder örtlicher Rechte als Ausnahme zuläßt. Ferner kann die Gemeinschaftsmarke nur einheitlich übertragen werden, doch sieht die GMVO auch hier eine Ausnahme insofern vor, als daß Teile von Waren- und Dienstleistungsverzeichnissen - allerdings nur mit Wirkung für die gesamte Gemeinschaft - übertragen werden können (Art. 17 Abs. 1 GMVO). Der Einheitlichkeitsgrundsatz gilt jedoch nicht für die Einräumung von Lizenzen an Gemeinschaftsmarken, die gemäß Art. 22 Abs. 1 GMVO auch für Teile des Gemeinschaftsgebiets erteilt werden können. Die auf dem Prinzip der Einheitlichkeit beruhende Gemeinschaftsmarke bietet sowohl dem Anmelder als auch dem Inhaber einer Gemeinschaftsmarke eine Reihe von Vorteilen gegenüber dem nationalen Schutzrecht. Der Anmelder hat lediglich ein einziges, und nicht mehr unterschiedliche, zum Teil recht komplizierte Verfahren zu durchlaufen und spart gleichzeitig 22
So noch die Denkschrift, Nr. 32, 64
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Amts- und auch Anwaltsgebühren. Der in allen Mitgliedstaaten gleichzeitig entstehende Schutz vereinfacht die zukünftige Verwaltung der Marke, insbesondere die Fristüberwachung. Verlängerungsgebühren werden nur einmal fallig, auch wenn sie, wie auch die Anmeldegebühren, in ihrer Höhe die durchschnittlichen einzelstaatlichen Gebühren übersteigen, jedoch bei weitem nicht die Summe der Gebühren erreichen, die fur eine separate Anmeldung in allen Mitgliedstaaten zu zahlen wäre. Die Schutzrechtserstreckung der Gemeinschaftsmarke auf das gesamte Gebiet der Europäischen Union setzt konsequenter Weise voraus, daß einzelne, nationale Eintragungshindernisse der Gemeinschaftsmarke insgesamt und nicht nur der jeweiligen, nationalen Marke entgegenstehen. Im Anmeldeverfahren prüft das Markenamt, ob absolute oder relative Eintragungshindernisse vorliegen. So wird eine Eintragung etwa versagt, wenn auch nur für eine in einem Mitgliedstaat eingetragenen Marke ein Widerspruchsrecht besteht oder wenn nur in einem Mitgliedstaat die Unterscheidungskraft fehlt. Diese aus dem Prinzip der Einheitlichkeit sich logisch ergebende Konsequenz kann zwar nicht als Nachteil der Gemeinschaftsmarke qualifiziert werden,23 da sich, wie bei einer nationalen Marke auch, sämtliche Eintragungshindernisse des gesamten Schutzrechtsraumes auswirken müssen, jedoch erfordert die vor jeder Anmeldung zu empfehlende Markenrecherche natürlich einen erheblich größeren Aufwand als bei der Schutzbeantragung einer nationalen Marke. Zur Verschaffung eines EU-weiten Überblicks ist es erforderlich, in jedem Mitgliedstaat eine Zeichenrecherche durchzufuhren, was zwangsläufig mit einem beträchtlichem Kostenaufwand verbunden ist. Hinzu kommt, daß eine Recherche in Ländern, in denen ein Schutzrechtserwerb auch ohne Registrierung erfolgen kann, oftmals ungenau ist. Dieses ist jedoch kein originäres Problem der Gemeinschaftsmarke. b) Umwandlung einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung in eine nationale Anmeldung Die Gemeinschaftsmarke kann zwar nicht mit einem sog. territorialen Disclaimer versehen erteilt werden, doch sieht Art. 108 GMVO vor, daß der Anmelder einer Gemeinschaftsmarke bei Zurückweisung die Möglichkeit hat, die Gemeinschaftsmarkenanmeldung in jeweils nationale Markenanmeldungen umzuwandeln, und zwar unter Beibehaltung der Priorität der Gemeinschaftsmarke. Mit der Entscheidung zur Gemeinschaftsmarke geht der Anmelder damit das Risiko ein, daß die jeweiligen nationalen Anmeldungen u.a. 23
So jedoch Lindner/Schrell, Die Gemeinschaftsmarke im Überblick, WRP 1996, 94, 96.
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auch wegen der im Vorfeld einer Gemeinschaftsmarkenanmeldung empfehlenswerten, aber aufwendigen EU-weiten Markenrecherche zu einem früheren Zeitpunkt hätten eingeleitet werden können. Auf jeden Fall aber bedeutet die Zurückweisung der Anmeldung einen finanziellen Verlust, da die Anmeldegebühren für die Gemeinschaftsmarke nicht zurückverlangt und schon gar nicht auf die fällig werdenden weiteren nationalen Anmeldegebühren angerechnet werden können. c) Einbeziehung nationaler Marken in Gemeinschaftsmarken
(Seniorität)
In Art. 34 und 35 enthält die GMVO eine Regelung, mit der den Anmeldern von Gemeinschaftsmarken ein Anreiz zum Verzicht auf nationale Parallelregistrierungen gegeben werden soll. Gleichzeitig soll die mit Verwaltungsaufwand und Verlängerungsgebühren verbundene Aufrechterhaltung paralleler nationaler Marken überflüssig gemacht und dem Markeninhaber der Wechsel zur Gemeinschaftsmarke erleichtert werden. Der Anmelder einer Gemeinschaftsmarke kann den „Zeitrang" einer zu seinen Gunsten in einem Mitgliedstaat für identische Waren oder Dienstleistungen eingetragenen oder international registrierten identischen älteren Marke in bezug auf diesen Mitgliedstaat in Anspruch nehmen. Er hat diese Option entweder zugleich mit der Anmeldung oder innerhalb einer zweimonatigen Frist nach der Anmeldung auszuüben. Soweit die Eintragung der Gemeinschaftsmarke bereits erfolgt ist, kann die Inanspruchnahme jederzeit erklärt werden. Voraussetzung der Inanspruchnahme der Seniorität einer nationalen Marke ist die vollständige Identität hinsichtlich Inhaber und Zeichen, wobei es nicht schädlich ist, wenn die Waren oder Dienstleistungen der nationalen Marke umfassender als diejenigen der Gemeinschaftsmarkenanmeldung bzw. der bereits registrierten Marke sind. Die Seniorität kann stets nur fur die Gemeinschaftsmarke insgesamt erfolgen und nicht etwa nur in bezug auf einen Teil der Waren oder Dienstleistungen. Die Inanspruchnahme der in Art. 34 und 35 GMVO vorgesehenen Zeitrangsicherung wirkt sich erst dann aus, wenn auf die Rechte der älteren nationalen Marke nach Eintragung der Gemeinschaftsmarke freiwillig verzichtet wird oder diese durch Erlöschen mangels Verlängerung untergeht. Die Fiktion des Fortbestands des nach nationalem Recht untergegangenen Schutzrechts beschreibt Art. 34 Abs. 2 GMVO dahingehend, daß dem Gemeinschaftsmarkeninhaber „weiter dieselben Rechte zugestanden werden, die er gehabt hätte, wenn die ältere Marke weiterhin eingetragen wäre."
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Die Inanspruchnahme eines Zeitrangs ist von der Inanspruchnahme einer Priorität streng zu unterscheiden. Die Voraussetzungen der Priorität und ihre Auswirkungen sind in Art. 29 ff. GMVO ausfuhrlich geregelt und sehen im Gegensatz zur Seniorität eine sechsmonatige Inanspruchnahmefrist sowie eine Vorrangsicherung für die gesamte Gemeinschaftsmarke vor, also nicht nur für einzelne Mitgliedstaaten, in denen der Gemeinschaftsmarkenanmelder über ältere Markenrechte verfügt. Es bleibt abzuwarten, in welchem Umfang die Seniorität von den nationalen Markeninhabern in Anspruch genommen wird. Zu Recht sind bereits Zweifel angemeldet worden, ob die mit dieser Konstruktion verfolgten und eingangs erwähnten Ziele tatsächlich erreicht werden können. Dem Gemeinschaftsmarkeninhaber fiktiv zustehende nationale, in ihrem Register jedoch gelöschte Schutzrechte werden noch eine Menge Fragen aufwerfen und dürften nicht gerade vertrauenerweckend wirken. 24 Auch erscheint es fraglich, ob die erstrebten Ziele die gleichzeitig bedingte Abschwächung des Prinzips der Einheitlichkeit rechtfertigen. d) Mögliche Inhaber von Gemeinschaftsmarken Art. 5 GMVO eröffnet einem weiten Personenkreis die Möglichkeit zum Erwerb einer Gemeinschaftsmarke. Neben den Angehörigen der Mitgliedstaaten können Gemeinschaftsmarken auch von den Angehörigen aller Verbandsländer der PVÜ oder des WTO-Abkommens erworben werden. Diesen gleichgestellt sind Angehörige von anderen Staaten, die ihren Wohnsitz, Sitz oder geschäftliche Niederlassung in der Gemeinschaft, einem PVÜ- oder WTOVertragsstaat haben, ohne daß weitere Voraussetzungen erfüllt sein müßten. Insbesondere Anmelder aus den USA werden diese Liberalität zu schätzen wissen, da die USA zwar der PVÜ und der WTO, aber nicht dem Madrider Markenabkommen beigetreten sind und Unternehmen aus den USA daher bisher in Europa auf nationale Einzelanmeldungen angewiesen waren. Ferner wird die Gleichstellung bei öffentlich festgestellter Gegenseitigkeit eröffnet und Staatenlose werden den Staatsbürgern desjenigen Landes gleichgestellt, in dem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben. Da dem PVÜ derzeit über 100 Staaten und dem WTO nicht weniger, 25 vor allem auch andere Staaten angehören, dürfte es schwerfallen, überhaupt noch Nationalitäten zu finden, die nicht zur Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke berechtigt sind.
24 25
So auch Ingerì, Die Gemeinschaftsmarke, 1996, S. 50 Vgl. BlfPMZ 94, 138.
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Inhaber von Gemeinschaftsmarken können natürliche oder juristische Personen einschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechts sein. Gem. Art. 3 GMVO werden Gesellschaften und andere juristische Einheiten, die nach ihrem Heimatrecht die Fähigkeit haben, im eigenen Namen Träger von Rechten und Pflichten jeder Art zu sein, Verträge zu schließen oder andere Rechtshandlungen vorzunehmen, den juristischen Personen gleichgestellt. Etwaige weitere Anforderungen an die Person des Anmelders einer Gemeinschaftsmarke werden nicht gestellt. Insbesondere ist es nicht erforderlich, daß der Markenanmelder einen Geschäftsbetrieb unterhält. Die GMVO entspricht daher auch in diesem Punkt dem deutschen Markenrecht,26 das bereits per Erstreckungsgesetz von 199227 einen Wegfall des Geschäftsbetriebserfordernisses erfahren hat. Die GMVO bietet ebenso wie das Markengesetz oder die Markenrechtsrichtlinie keinen Anhaltspunkt dafür, daß der Markenanmelder bzw. Markeninhaber zumindest einen gewissen Bezug zu einer gewerblichen, freiberuflichen oder sonstigen wirtschaftlichen Tätigkeit aufzuweisen hat. Dieser Bezug wird jedoch in Teilen der Literatur verlangt, um Mißbräuche im Zusammenhang mit der Markeninhaberschafit zu vermeiden. Derartige Überlegungen stehen jedoch im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, der auf das Erfordernis des Geschäftsbetriebes verzichtet und bewußt in Kauf genommen hat, daß nunmehr auch Privatpersonen, Unternehmensberater, Werbeagenturen etc. Gemeinschaftsmarken erwerben und vor allem auch verkaufen können.29 Letztendlich kann dem Mißbrauch im Gemeinschaftsmarkenrecht nur mit dem absoluten Nichtigkeitsgrund der Bösgläubigkeit des Anmelders begegnet werden (Art. 51 Abs. 1 lit. b GMVO).3 ΛΟ
e) Anwendbares
Recht
Der Auftrag des EG-Vertrages zur Harmonisierung des Binnenmarktes und das im Recht der Gemeinschaftsmarke verankerte Prinzip der Einheitlichkeit 26
27
Siehe § 7 MarkenG.
Siehe § 47 Gesetz über die Erstreckung von gewerblichen Schutzrechten vom 23.04.1992 (BGBl. I S . 938). 28
Siehe z.B. Meister, Praktische Erfahrungen mit dem neuen Markengesetz, WRP 1995, 1005, 1007. 29
Siehe zum MarkenG hierzu Ingerl/Rohnke, Die Umsetzung der Markenrechts-Richtlinie durch das deutsche Markengesetz, NJW 1994, 1247, 1248. 30 Vgl. Schönfeld, Die Gemeinschaftsmarke als selbständiger Vermögensgegenstand eines Unternehmens, 1994, S. 83; siehe auch § 50 Abs. 1 Nr. 4 MarkenG.
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ließen es naheliegend erscheinen, daß die GMVO abschließende Regelungen enthält, die die Anwendung einzelstaatlicher Rechtsvorschriften nicht nur überflüssig machen, sondern ausschließen. Diese Annahme wäre jedoch unzutreffend, auch wenn noch in den früheren Vorschlägen zur Gemeinschaftsmarkenverordnung das Postulat eines „Verbots der Anwendung des Rechts der Mitgliedstaaten"31 zu finden ist. Tatsächlich verweist die GMVO mehrfach auf die nationalen Rechtsordnungen und die Anwendbarkeit einzelstaatlicher Regelungen. Wenn zuweilen von der „Autonomie" des Gemeinschaftsmarkenrechts gesprochen wird,32 so kann dies nur dahingehend verstanden werden, daß das Gemeinschaftsmarkenrecht selbst darüber bestimmt, ob und in welchem Umfang nationales Recht auf die Gemeinschaftsmarke anzuwenden ist. Die Verknüpfungen der Gemeinschaftsmarkenverordnung mit den nationalen Rechtsordnungen lassen sich nicht immer leicht erkennen. So etwa, wenn in Art.7 Abs. 1 lit. f und Abs. 2 GMVO bei den absoluten Eintragungshindernissen der Tatbestand des Verstoßes gegen die „öffentliche Ordnung" aufgeführt wird und es ausreicht, wenn ein solcher Verstoß nur in einem Teil der Gemeinschaft vorliegt, und folglich auch nationale Rechtsordnungen Berücksichtigung finden müssen. Eindeutiger verhält sich z.B. Art. 8 Abs. 4 GMVO, der bei den relativen Eintragungshindernissen die Bedeutung älterer, nicht eingetragener nationaler Kennzeichenrechte von nicht lediglich örtlicher Bedeutung vom jeweiligen nationalen Recht abhängig macht. Die GMVO setzt hier die Kollisionsvoraussetzungen nicht selbst fest, sondern stellt auf die Untersagungsrechte in dem jeweiligen Mitgliedstaat ab. Eine weitere wichtige Verweisung auf nationales Recht findet sich in Art. 14 GMVO, der in Abs. 1, S.l zwar noch anordnet, daß sich die Schutzwirkungen der Gemeinschaftsmarke „ausschließlich nach dieser Verordnung" bestimmen, doch bereits im nächsten Satz eine Relativierung vornimmt und hinsichtlich des „im übrigen" auf die Gemeinschaftsmarkenverletzung anwendbaren Rechts auf das für die Verletzung nationaler Marken geltende Recht, einschließlich des jeweiligen internationalen Privatrechts, verweist. In Abs. 2 erfolgt eine weitere Relativierung dahingehend, daß das Gemeinschaftsrecht „Klagen betreffend eine Gemeinschaftsmarke", die auf innerstaatliche Rechtsvorschriften gestützt sind, nicht entgegensteht. Die wichtig31
32
Vgl. Art. 82 der Verordnungsentwürfe von 1980 und 1984.
Siehe z.B. Brandi-Dohrn, Die kommende Neuordnung des Kennzeichenrechts: Das Markenrechtsreformgesetz, BB 1994, Beilage 16, 1, 5; Schwanhäuser, Entwicklung und zukünftige Gestaltung der EWG-Marke, WRP 1984, 1, 2.
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sten Anwendungsfalle nennt Art. 14 Abs. 2 GMVO selbst, indem er von den innerstaatlichen Rechtsvorschriften die zivilrechtliche Haftung und den unlauteren Wettbewerb besonders hervorhebt. Fast ausschließlich nach einzelstaatlichem Recht richten sich Ansprüche auf Untersagung der Benutzung von Gemeinschaftsmarken aufgrund älterer nationaler Rechte jeder Art oder aufgrund des sonstigen Zivil-, Verwaltungs- oder Strafrechts der Mitgliedstaaten (Art. 106 und 107 GMVO). Das Verfahrensrecht unterliegt ausschließlich dem Gemeinschaftsrecht. Art. 74 GMVO ordnet sogar an, daß bei Regelungslücken nicht etwa auf nationale Verfahrensrechte zurückzugreifen ist, sondern das Markenamt gemeinschaftsrechtlich verträgliche Lösungen unter Berücksichtigung der in den Mitgliedstaaten im allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts zu erarbeiten hat. 2. Verfahrensrechtliche Vorschriften a) Die Sprachenregelung Die Sprachenlösung war zwischen den EG-Staaten lange äußerst umstritten. Auf der einen Seite drängte die Wirtschaft auf eine möglichst einfache Regelung, also am liebsten eine einzige Sprache, oder höchstens drei wie in der Europäischen Patentorganisation, auf der anderen Seite war zu berücksichtigen, daß in der Gemeinschaft alle Sprachen offiziell gleichberechtigt sind. Der Hartnäckigkeit der Bundesregierung ist es zu verdanken, daß es nicht zu einer Regelung gekommen ist, die das europäische Markensystem allein wegen der Übersetzungen zu einer sehr kostspieligen Sache gemacht hätte. Die Anmeldung einer Gemeinschaftsmarke muß nunmehr nur noch in einer Sprache erfolgen, wobei jede der offiziellen EG-Sprachen erlaubt ist (Art. 115 Abs. 1 GMVO). 33 Da Sprachen des Markenamtes aber nur Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch und Spanisch sind, muß der Anmelder auf jeden Fall eine dieser fünf Amtssprachen als Zweitsprache angeben, auch wenn er in einer Amtssprache anmeldet (Art. 115 Abs. 3 GMVO). Die angegebene Zweitsprache gilt als Verfahrenssprache, wobei allerdings bei Anmeldung in einer Amtssprache diese nicht gleichzeitig auch als Verfahrenssprache gewählt werden darf. Die Sprachenregelung wirkt sich auch auf die Einreichung von Widersprüchen und Anträge auf Erklärung des Verfalls und der Nichtigkeit aus. 33 Amtssprachen der EU sind derzeit: Dänisch, Deutsch, Englisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, Niederländisch, Portugiesich, Spanisch und Schwedisch.
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Entsprechende Anträge müssen nämlich in einer der Amtssprachen eingereicht werden. Diese aus der Sicht des Antragstellers sicherlich als positiv zu bewertende Regelung wird geringfügig dadurch beschwert, daß er eine Übersetzung auf eigene Kosten dann anzufertigen hat, wenn die von ihm gewählte Antragssprache nicht der Erst- oder Zweitsprache der Markenanmeldung entspricht, gegen die er sich wehrt (Art. 115 Abs. 6 S. 2 GMVO). Die Parteien können sich aber auch auf jede EG-Sprache einigen, so daß z.B. zwei Portugiesen ihre Auseinandersetzungen um eine EG-Marke nicht auf Englisch austragen müssen. Das Sprachensystem erscheint auf den ersten Blick sehr kompliziert. Die EG-Kommission ist jedoch optimistisch und hofft, daß es in der Praxis zu einer „Drei-Sprachen-Lösung" mit Englisch, Französisch und Deutsch kommen wird. Solange nicht zu einer Einsprachen-Regelung gefunden wird, werden auch Übersetzungskosten natürlich immer einen störenden Faktor darstellen. Doch ob sich die Sprachenregelung wirklich als kostentreibend herausstellen wird,34 wie von den Kritikern behauptet, ist sehr zweifelhaft. Auch wenn die Anmeldung in jede andere Amtssprache übersetzt und veröffentlicht wird (Art. 116 Abs. 1 GMVO), dürften sich die pro Anmeldung im Durchschnitt anfallenden Übersetzungskosten doch als gering erweisen. Für den Gemeinschaftsmarkenanmelder stellt sich die gefundene Sprachenregelung auf jeden Fall insofern als vorteilhaft heraus, als er nur in einer Sprache anmelden muß - in der Regel wird er seine eigene Landessprache wählen, im Gegensatz zu 12 Anmeldungen bei den nationalen Markenämtern der einzelnen EG-Staaten, die in den jeweiligen Landessprachen erfolgen müßten. Die Sprachenregelung ist auch der einseitigen Regelung im vergleichbaren Madrider Markenabkommen überlegen, das als Verfahrenssprache nur Französisch zuläßt. Ferner wird es dem Markeninhaber erleichtert, andere Marken bzw. Markenanmeldungen aus fremdsprachigen Mitgliedstaaten zu überwachen. Nicht zuletzt dem Taktiker verschafft die Sprachenregelung Vorteile. Wer Widersprüche gegen seine Markenanmeldung zu befürchten hat, kann aus taktischen Überlegungen zu dem Schluß kommen, daß es sinnvoller ist, seine Anmeldung nicht in seiner Landessprache, sondern in einer anderen Amtssprache einzureichen. So kann z.B. auf griechisch angemeldet und als zweite Sprache Deutsch benannt werden, wenn man unbedingt auf deutsch verhandeln möchte. Der Widersprechende wird durch diesen Trick gezwungen, seine gesamten Schriftsätze auf deutsch abzufassen. 34
So etwa Lindner/Schrell, WRP 1996, 94, 97.
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b) Die Amtsrecherche Wie in den meisten anderen EG-Staaten gab es bis in das Jahr 1962 auch in Deutschland eine Amtsrecherche nach älteren Marken. Wegen Überlastung des Deutschen Patentamtes wurde die Amtsrecherche in Deutschland jedoch abgeschafft.35 Das Gemeinschaftsmarkenrecht ist nicht dem nunmehrigen deutschen System gefolgt, sondern hat nach langen Verhandlungen eine Lösung eigener Art gefunden.36 Das Markenamt führt im Eintragungsverfahren zu jeder Gemeinschaftsmarkenanmeldung eine Amtsrecherche nach kollidierenden älteren Gemeinschaftsmarken und -anmeldungen durch. Das Ergebnis der Recherche wird zunächst nur dem Anmelder mitgeteilt, nach Veröffentlichung der Anmeldung aber auch den Inhabern der aufgeführten Drittrechte (Art. 39 GMVO). Der Anmelder wird so schon frühzeitig von möglichen Kollisionen in Kenntnis gesetzt und kann die Anmeldung noch vor deren Veröffentlichung zurücknehmen, ohne daß etwaige Konkurrenten von dem Vorhaben des Anmelders erfahren. Die Recherche des Markenamtes bezieht sich nur auf Gemeinschaftsmarken. Den Mitgliedstaaten steht es frei, die eigenen Markenämter nach jeweiligen nationalen Marken recherchieren zu lassen und die Ergebnisse dem Markenamt zur Weiterleitung an den Anmelder zu übermitteln. Von den Mitgliedstaaten haben sich Deutschland, Italien und Frankreich jedoch - zumeist aus Kostengründen37 - geweigert, diese Vorab-Amtsrecherche durchzuführen. Insgesamt bedeutet dies, daß die Amtsrecherche kein zuverlässiges Instrument für den Anmelder ist, um Kollisionen mit anderen Marken ausschließen zu können, zumal dem Anmelder nur innerhalb einer 3-MonatsFrist nach Aufforderung des jeweiligen nationalen Amtes beim Markenamt eingegangene Recherchen zur Kenntnis gebracht werden. Immerhin kann der Anmelder seine eigenen Recherchekosten senken, da er nun weiß, auf welchen Gebieten er eigene Recherchen durchführen muß. Durch das frühzeitige Aufzeigen von Kollisionen ermöglicht die Amtsrecherche dem Anmelder einer Gemeinschaftsmarke noch vor Beginn der Widerspruchsfrist, seine Gemeinschaftsmarkenanmeldung zurückzunehmen, 35
Mtteilung des DPA-Präsidenten vom 25.05.1962 (Bl. 1962, 169).
36
Vgl. von Mühlendahl, Das künftige Markenrecht der EG, GRUR Int. 1989, 353, 356; Mak, Die Amtsrecherche bei der EWG-Marke, GRUR Int. 1978, 121. 37
Mitgliedstaaten, die recherchieren, erhalten vom Markenamt einen Zuschuß von 25 ECU für jeden Recherchebericht, Beschluß Nr. CB 95-11 des Haushaltsausschusses vom 07.07.1995 (ABl. HABM 1/95, S. 14).
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falls er mit einem Unterliegen rechnen muß. Unnötige Kostenfolgen können so vermieden werden. Ein nicht zu übersehender Vorteil für Anmelder oder Inhaber älterer Gemeinschaftsmarken liegt darin, daß diese von der Veröffentlichung identischer oder ähnlicher Gemeinschaftsmarken vom Markenamt unterrichtet werden. Die Amtsrecherche verhilft ihnen somit zu einem ständigen Überblick über spätere Anmeldungen sie interessierender Gemeinschaftsmarken. Die Amtsrecherche wird vor allem wegen der mit ihr verbundenen Kosten 38
und Verzögerungen kritisiert. Ernstzunehmender sind jedoch die Befürchtungen, daß die Qualität der notwendigerweise computergestützten Amtsrecherche nicht den Erfordernissen entspricht. 39 Art. 39 Abs. 1 bzw. Abs. 3 GMVO stellt die Forderung auf, daß alle gem. Art. 8 GMVO eintragungshindernden Marken zu recherchieren sind. Dieses Ziel dürfte mit einem elektronischen Rechercheverfahren nur schwer zu erreichen sein, zumal die Sprachenvielfalt die Arbeit nicht erleichtern wird. Auch besteht die Gefahr, daß aufgrund des Zeitdrucks die Recherchekriterien eng gefaßt werden und nur identische und nahezu identische Marken erfaßt werden. Dieses würde dazu fuhren, daß Marken, die trotzdem verwechselungsfähig sind und zum Widerspruch berechtigen, nicht aufgedeckt würden. Es bleibt abzuwarten, wie das Markenamt diese schwierige Aufgabe bewältigen wird. c) Kosten Die Anmeldegebühr für die Gemeinschaftsmarke beträgt 975 ECU. Von der Gebühr werden bis zu drei Klassen erfaßt (Art. 2 Nr. 1 GM-GebVO). Eine weitere Eintragungsgebühr in Höhe von 1.100 ECU wird fällig, wenn die Anmeldung allen Erfordernissen der GMVO genügt und innerhalb der Widerspruchsfrist keine Widersprüche erhoben worden sind oder Widersprüche und Bemerkungen Dritter rechtskräftig zurückgewiesen werden konnten (Art. 2 Nr. 7 GM-GebVO). Die Eintragungskosten für eine unbeanstandet gebliebene Gemeinschaftsmarkenanmeldung belaufen sich damit auf 2.075 ECU, umgerechnet ca. DM 3.900. Die Kosten für eine vergleichbare IR-Marke, die auf der Grundlage einer nationalen Basiseintragung erfolgen müßte, liegen sicherlich über denen der Gemeinschaftsmarke. Neben der Gebühr für die Basiseintragung (in Deutschland DM 500,--) zzgl. einer weiteren Gebühr für 38 Vgl. Martino, Auf dem Wege zur Gemeinschaftsmarke - Ein Zwischenbericht, WRP 1978, 92, 95,· Lewinsky, Amtsrecherche fllr die Gemeinschaftsmarke, Mitt. 1978, 121 und 124. 39 Vgl. Ingerì, D i e Gemeinschaftsmarke, S. 130
Die neue Gemeinschaftsmarke - ein Stück mehr Europa
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die internationale Registrierung (in Deutschland DM 300,--) fallen nach dem Madrider Markenabkommen für die IR-Markenschutzerstreckung eine Grundgebühr in Höhe von sfr. 846 sowie pro Land eine Gebühr für die nationale Schutzerstreckung an, deren Höhe in einigen Ländern in Zukunft der nationalen Anmeldegebühr entsprechen wird. Eine weitere wichtige Kostenregelung findet sich in Art. 81 GMVO, der die Kostenverteilung in zweiseitigen Verfahren betrifft. Im Gegensatz zur Regelung im deutschen Makenrecht, wonach grundsätzlich jede Partei die eigenen Kosten trägt, hat die im Gemeinschaftsmarkenrecht unterliegende Partei, sei es im Widerspruchs- oder sonstigen Amtsverfahren, die gesamten Kosten des Verfahrens zu tragen. Gegen diese an sich vernünftige Regelung ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Jedoch muß sich der Markenanmelder bewußt sein, daß er sich einer Vielzahl von Widerspruchsverfahren ausgesetzt sehen kann, die ein erhebliches Kostenrisiko in sich bergen. Wie bereits ausgeführt, besteht trotz Amtsrecherche die Gefahr, sich mit älteren, nicht recherchierten Marken oder älteren, nicht recherchierbaren Kennzeichnungsrechten auseinandersetzen zu müssen. Auch wenn der Anmelder nach Zustellung eines Widerspruchs auf seine Marke verzichtet, bleibt es bei der genannten Kostenregelung. Hier wäre jedoch etwas mehr Feinabstimmung erforderlich gewesen.
IV. Fazit Die neue Gemeinschaftsmarke leistet einen wichtigen Beitrag zum weiteren Zusammenwachsen der Europäischen Union. Insbesondere bietet sie dem Markenanmelder eine interessante Alternative zu den bisherigen Möglichkeiten EU-weiten Markenschutzes. Unternehmen können nun in einem einzigen Verfahren Gemeinschaftsmarken erwerben, die in allen Mitgliedstaaten wirksam sind und den gleichen Schutz genießen. Ein relativ kostengünstiges Registrierungsverfahren und die Möglichkeit, die Marke durch Benutzung in nur einem Mitgliedstaat aufrecht erhalten zu können, sind weitere wichtige Vorzüge des neuen Systems. Die Akzeptanz der Regelungen über die Inanspruchnahme der Seniorität nationaler Registrierungen wird schließlich mit darüber entscheiden, ob sich das Gemeinschaftsmarkensystem zu einem Ersatz nationaler Registrierungen erweisen kann. Die Unwägbarkeiten der Amtsrecherche sind leider dadurch verstärkt worden, daß einige Mitgliedstaaten die Durchführung nationaler Recherchen nach älteren Marken verweigern. Verbunden mit dem Kostenrisiko, das aus
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nicht absehbaren Widersprüchen herrühren kann, besteht die Gefahr, daß nur größere Unternehmen, die bereits europaweit agieren und einen besseren Überblick über bestehende Markenrechte besitzen, Gemeinschaftsmarken anmelden werden. Letztendlich wird das Markenamt selbst mit dazu beitragen können, in welchem Umfang die neue Gemeinschaftsmarke Interessenten findet. Eine zügige Bearbeitung von Markenanmeldungen, die bereits in der Anfangsphase beobachtet werden kann, und eine nicht zu restriktive Handhabung der Ahnlichkeitsfrage in Kollisionsfällen wird mit über Erfolg oder Mißerfolg entscheiden. Auf jeden Fall sollte dieses System Unterstützung finden und dort, wo nötig, weiterentwickelt werden.
Das außenwirtschaftsrechtliche Einfiihrverfahren im Lichte des Rechts der Europäischen Union INGE DÜNNWEBER
I. Einleitung Bis zum Ende der Achtziger Jahre war das außenwirtschaftsrechtliche Einfuhrverfahren - bis auf die Besonderheiten des europäischen Agrarrechts und des Ursprungsrechts - rein national geprägt. In den letzten Jahren wurden auch in diesem wirtschaftsrechtlichen Bereich die nationalen Regeln immer mehr durch europäisches Gemeinschaftsrecht - beruhend auf Artikel 113 EGV - verdrängt. Zwar obliegt die Regelung des detaillierten GesamtAblaufs des Einfuhrverfahrens noch den nationalen Vorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV). Das Gemeinschaftsrecht enthält jedoch die grundsätzlichen Ansatzpunkte für das Verfahren und regelt immer mehr Einzelpunkte, die in den national bestimmten Gesamtablauf des Verfahren zu integrieren sind.1
II. Beginn des Einfuhrverfahrens mit dem Antrag auf Einfuhrabfertigung Das außenwirtschaftsrechtliche Einiuhrverfahren beginnt gem. § 27 Abs. 1 Satz 1 AWV damit, daß der Einfuhrer den Antrag auf Einfuhrabfertigung stellt. Die hierfür erforderlichen Begriffe Einfuhr und Einfuhrer sind zwar noch national rechtlich definiert. So liegt gem. § 4 Abs. 2 Nr. 4 AWG eine Einfuhr grundsätzlich dann vor, wenn Sachen aus fremden Wirtschaftsgebieten in das Wirtschaftsgebiet verbracht werden. Als Einfuhrer wird gem. § 23 Abs. 1 i. V. m. § 21 b Abs. 1 AWV diejenige Person bezeichnet, die Waren in das Wirtschaftsgebiet verbringt oder verbringen läßt, bzw. bei Einfuhrverträgen ist Einfuhrer jeweils der gebietsansässige Vertragspartner. § 23 Abs. 1 AWV weist jedoch neuerdings daraufhin, daß fur das Einfuhrverfahren von dieser Dünnweber in: Bieneck, Außenwirtschaftsrecht (Dez. 1996) § 19.
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Definition nur Einfuhren aus Drittstaaten, also Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören, erfaßt werden. Insofern hat sich also das nationale Verfahrensrecht hier an das Gemeinschaftsrecht angepaßt.2 Voraussetzung für den Beginn des Einfuhrabfertigungsverfahrens ist, daß der Einführer, die Einfuhrabfertigung beantragt. Dies geschieht nicht mittels eines gesonderten Antragsformulars, sondern i. d. R. konkludent mit der zugleich abzugebenden Zollanmeldung zur Abfertigung zum freien Verkehr.3 Bei dieser Zollanmeldung handelt es sich um ein rein gemeinschaftsrechtliches Papier, das sog. Einheitspapier gem. Art. 59 Abs. 1, Art. 61 a, Art. 62 Abs. 1 Zollkodex,4 Art. 205 Zollkodex-DVO.5 Wird also mit der Zollanmeldung auf Abfertigung zum freien Verkehr konkludent die Einfuhrabfertigung beantragt, so verpflichtet das Gemeinschaftsrecht die Zollbehörden zunächst dazu, die sog. handelspolitischen Maßnahmen zu beachten (Art. 79 Zollkodex). Zu diesen handelspolitischen Maßnahmen zählen gem. Art. 1 Nr. 7 Zollkodex-DVO nichttarifäre Maßnahmen der Europäischen Union wie Überwachungs- und Schutzmaßnahmen, mengenmäßige Beschränkungen oder Höchstmengen sowie Ein- und Ausfuhrverbote. Somit werden die Zollbehörden bereits im Gemeinschaftsrecht nämlich im Art. 79 Zollkodex i. V. m. Art. 1 Nr. 7 Zollkodex-DVO verpflichtet, die auf Gemeinschaftsrecht beruhenden Einfuhrbeschränkungen zu beachten. Dieses fuhrt dazu, daß, soweit die Einfuhr von Waren, ζ. B. durch Embargomaßnahmen der Europäischen Union, nicht bereits verboten ist, bei entsprechenden gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zur Einfuhrabfertigung ganz bestimmte Unterlagen wie Einfuhrgenehmigungen oder Ursprungsnachweise zusammen mit der Zollanmeldung (Art. 62 Abs. 2 Zollkodex, Art. 218 Abs. 1 d Zollkodex-DVO) beizubringen sind. Das nationale Recht konkretisiert in den §§27 Abs. 2, 31 AWV diese grundsätzliche und allgemein gehaltene Verpflichtung des Zollkodexes und der Zollkodex-DVO, indem es die jeweils vorzulegenden Papiere im einzelnen auflistet.
S. hierzu Berwald in: Hocke, Außenwirtschaftsrecht (Kommentar) vor § 21 b 1; Dünnweber in: Bieneck, Außenwirtschaftsrecht § 19 Rn. 13ff. 3
So auch Wolffgang, Lehrbuch des Zollrechts Rn. 1012.
4
VO (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 Abi Nr. L 302, S. Iff.
5 VO (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit Durchfilhningsvorschriften vom 02.07.1993, Abi EG Nr. L 253, S. Iff.
Einftihrverfahren im Lichte des Rechts der EU
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III. Vorlage weiterer Unterlagen 1. Rechnung Bei jeder Einfuhr ist gem. § 27 Abs. 2 Nr. 1 AWV als einfachste Form des Herkunftsnachweises die Rechnung oder eine andere Unterlage, aus der das Einkaufs- oder Versendungsland und das Ursprungsland ersichtlich ist, vorzulegen. Ausreichend ist diese einfache Form des Herkunftsnachweises jedoch nur bei der völlig liberalisierten Einfuhr.6 2.
Ursprungszeugnis/Ursprungserklärung
Bei der nur teilweise liberalisierten Einfuhr ist unter bestimmten Bedingungen der Ursprungsnachweis durch ein Ursprungszeugnis oder eine Ursprungserklärung zu fuhren (§§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 29 AWV). Betroffen hiervon ist insbes. der textile Warenkreis, was zurückzuführen ist auf internationale Verträge der Europäischen Union mit anderen Handelspartnern. Bis 1994 galt fur den textilen Warenkreis das weltweit vereinbarte Welttextilabkommen.7 Dieses wurde am 01.01.1995 abgelöst durch das neue Übereinkommen über Textilien und Bekleidung, das dem WTO-Abkommen als Anhang angefügt ist.8 Gegenstand dieses Übereinkommens sind u. a. länderbezogene Kontingente fur bestimmte textile Warengruppen. Zur Überwachung dieser Kontingente dienen zum einen Exportlizenzen im Lieferland und Einfuhrgenehmigungen im Importland sowie auch Nachweise über den tatsächlichen Ursprung der Ware durch die Ursprungsnachweise Ursprungszeugnis und Ursprungserklärung. Die Waren, bei deren Einfuhr diese Ursprungsnachweise gefordert werden, sind in Deutschland u. a. für die abfertigenden Zollbehörden in der Einfuhrliste mit „U" fur Ursprungszeugnis oder „UE" für Ursprungserklärung gekennzeichnet (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 AWV). Für die Ursprungserklärung als die schwächere Form der Ursprungsnachweise reicht gem. § 29 Abs. 3 AWV die Bestätigung des Exporteurs oder des Lieferanten über einen bestimmten Ursprung der Ware auf der Rechnung oder einem anderen mit der Ausfuhr zusammenhängenden Beleg. Das UrWolffgang, Lehrbuch des Zollrechts Rn.1013. 7 8
S. hierzu Neundörfer, Das Vierte Welttextilabkommen, Frankfurt/M. 1987.
Beschluß des Rates vom 22.12.1994 in Abi Nr. L 336; Schulz, Die Verhandlungsergebnisse der Uruguay-Runde des GATT, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchssteuern 1994, S. 162ff.
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sprungszeugnis muß hingegen bestimmten formellen Bedingungen entsprechen, die die Europäische Union im Art. 47 Zollkodex DVO festgelegt hat. Es muß von hierzu besonders befugten Behörden ausgestellt sein - in Deutschland sind dies die Industrie- und Handelskammern, in anderen Staaten die der IHK entsprechenden Behörden9 - und den Ursprung der Ware in einem ganz bestimmten Land bestätigen. Für Textilien ist die Verwendung international vereinbarter Textilursprungszeugnisse vorgeschrieben.10 Für andere Waren gibt es keine entsprechende Vereinbarung zur Form von Ursprungszeugnissen. Für in der EU ausgestellte Ursprungszeugnisse sieht die EU jedoch ein gemeinschaftsweit geltendendes einheitliches Ursprungszeugnis im Anhang 12 der Zollkodex-DVO vor. Auch die Beantwortung der Frage, welcher Staat als Ursprungsland insbes. bei Be- oder Verarbeitungen in mehreren Staaten - anzusehen ist, hat die EU fur ihre Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich geregelt und zwar in den Artikeln 22 ff. Zollkodex, ergänzt durch Artikel 35 ff. Zollkodex-D VO i. V. m. Anhängen 9 bis 1 1 1 Bei der nur teilweise liberalisierten Einfuhr ist das Recht der Ursprungsnachweise durch Ursprungserklärungen und Ursprungszeugnissen somit überwiegend gemeinschaftsrechtlich geprägt und hat seine Wurzeln im völkerrechtlichen Vertragsrecht. 3. Überwachungsdokument Während nationale Behörden den Markt mit Hilfe der Einfuhrkontrollmeldung als Überwachungsdokument beobachten (§§ 27 Abs. 2 Nr. 2, 27 a AWV),12 bedient sich das Gemeinschaftsrecht zur Überwachung bestimmter Warenströme des 1994 neu eingeführten gemeinschaftsrechtlichen Überwachungsdokuments (§ 28 a Abs. 1 AWV).
9
S. hierzu Bekanntmachung des Bundesministers für Wirtschaft im Runderlaß Außenwirtschaft 3/90 v. 09.01.1990, BAnz Nr. 17 v. 25.01.1990, veröffentlicht z. B. in: VSF (Vorschriftensammlung der Bundesfinanzverwaltung) A 0717 (1). 10
Abgedruckt in VSF A 5695, S. 149, die zur Ausstellung der Textilursprungszeugnisse befugten Behörden sind veröffentlicht im Runderlaß Außenwirtschaft U/85, abgedruckt in VSF A 0717 (2 a). 11
S. hierzu Einzelheiten: Dünnweber in: Bieneck, Außenwirtschaftsrecht § 19 Rn. 24ff.; Witte/Wolffgang, Zollkodex (Kommentar) Art. 24 Rn. 2ff. 12
S. hierzu Berwald in: Hocke, § 27 a; Dünnweber in: Bieneck, Außenwirtschaftsrecht, § 19 Rn. 40ff.; Wolfgang, Lehrbuch des Zollrechts, Rn. 1023.
Einfuhrverfahren im Lichte des Rechts der EU
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Bis zum März 1994 wurde die EU durch die VO (EG) 288 /82 zu gemeinschaftsrechtlichen Überwachungsmaßnahmen durch sog. Einfuhrerklärungen ermächtigt. Aufgrund der völkerrechtlichen Verpflichtungen der EU in der WTO schuf die EU neue Einfuhrregelungen. Diese Einfuhrregelungen, insbes. in der VO (EG) 3285/94,13 folgen dem Grundsatz der Liberalisierung des Handels, schränken diesen Liberalisierungsgrundsatz jedoch durch die Möglichkeit von Überwachungs- und Schutzmaßnahmen ein. Art. 11 ff. der VO (EG) 3285/94 enthalten die Rechtsgrundlagen zur Schaffung von Überwachungsmaßnahmen bezüglich einzelner Waren bei der genehmigungsfreien Einfuhr durch das sog. Überwachungsdokument, das als Formblatt im Anhang I 14 der VO (EG) 3285/94 angefugt ist und als gemeinschaftsrechtliches Dokument in der gesamten EU Gültigkeit hat (§ 28 a Abs. 1 AWV). Mit Hilfe dieses Dokuments soll eine bessere Beobachtung ungewöhnlicher Einfuhrentwicklungen erreicht werden, um den Binnenmarkt bei drohenden Beeinträchtigungen notfalls durch Einfuhrbeschränkungen (Art. 16 Abs. 1 a) schützen zu können. Für welche Waren jeweils im Einzelfall eine gemeinschaftsrechtliche Überwachung durch das Überwachungsdokument zu erfolgen hat, bestimmt die Kommission in Einzelverordnungen (Art. 11 Abs. 2, 16 Abs. 7 und Abs. 8). In Deutschland regelt § 28 a AWV das hierbei einzuhaltende Verfahren. So hat der Einfuhrer, bevor er das Überwachungsdokument zur Einfuhr verwenden kann, dieses dem Bundesamt für Wirtschaft (BAW) bzw. bei landwirtschaftlichen Produkten der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) vorzulegen, das bzw. die es jeweils mit einer Verwendungsfrist, evtl. mit einer Überschreitungsmarge sowie mit einem Sichtvermerk versehen. Die Zollbehörde, die durch die Kennzeichnung der Ware in der Einfuhrliste mit „EEG" von dem Erfordernis des Überwachungsdokuments unterrichtet wird, prüft die Gültigkeitsdauer sowie Mengen - und Wertangaben und schreibt anschließend die eingeführte Warenmenge auf dem Überwachungsdokument ab (§ 28 a Abs. 5 AWV), das letztendlich nach seiner Ausschöpfung an die nationalen Behörden zur Weitergabe der wesentlichen Informationen an die Kommission der EU zurückzusenden ist. Neben dieser gemeinschaftsrechtlichen Überwachung besteht gem. § 28 a Abs. 7 AWV zwar noch die Möglichkeit einer entsprechenden auf nationaler Ebene eingeführten Überwachung zusätzlich zum Meldepapier der Einfuhrkontrollmeldung. Da der EU jedoch im Überwachungsbereich weitestge13
VO (EG) 3285/94 des Rates vom 22.12.1994, Abi Nr. L 349/94, S. 53ff.
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Abgedruckt u. a. in: VSF A 5695, S. 165.
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hende Kompetenzen übertragen worden sind, wird diese nationale Überwachung kaum noch eine Rolle spielen. 4. Lizenz Bei der Einfuhr landwirtschaftlicher Waren ist vielfach zur Einfuhrabfertigung ein weiteres rein gemeinschaftsrechtliches Papier vonnöten, die Lizenz. Es handelt sich hierbei um ein Dokument aus dem europäischen Agrarrecht, das zum einen Teil nur zur Überwachung von Einfuhrvorgängen dient, zum anderen Teil wird es aber auch seit dem im Rahmen des WTO-Abkommens abgeschlossenen Übereinkommen zur Landwirtschaft als Marktsteuerungsinstrument zur Einhaltung der im Rahmen dieses Abkommens vereinbarten Einfuhrquoten mit ermäßigten Einfuhrabgabensätzen für bestimmte landwirtschaftliche Produkte benötigt. 15 Die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgrundlagen sind neben diesem Übereinkommen dem europäischen Agrarrecht - beruhend auf Art. 38 ff. EGV 16 zu entnehmen. So wird in der überwiegenden Anzahl der dem europäischen Agrarrecht angehörenden Marktorganisationen, die geregelt sind in sog. Grundverordnungen, die Vorlage einer Lizenz für den Fall der Einfuhr der von dieser Marktorganisation erfaßten Grunderzeugnisse (ζ. B. Getreide) sowie der hieraus erstellten ersten Verarbeitungsstufe (ζ. B. Mehl aus Getreide) verlangt I7 (vgl. hierzu z. B. Art. 9 Getreidegrundverordnung 18 ). Diese lizenzpflichtigen Erzeugnisse sind dann in der fur die abfertigenden Zollbeamten maßgebenden Einfuhrlisten mit „L" gekennzeichnet. Die weiteren rechtlichen Regelungen fur Lizenzen, ζ. B. Übertragbarkeit, Teilbarkeit und Befreiungen, sind Gegenstand der VO (EG) 3719/88, sog. Lizenz-VO. 19 5. Überwachung der Qualitätsnormen bei
Gartenbauerzeugnissen
Eine weitere Besonderheit des europäischen Agrarrechts, die sich auf das außenwirtschaftsrechtliche Einfuhrabfertigungsverfahren auswirkt, ist, daß bei bestimmten Gartenbauerzeugnissen, bestimmte Qualitätsnormen bezüg15 S. hierzu Übereinkommen über die Landwirtschaft, Deutscher Bundestag Drs. 12/7986, S. 33ff.; Übereinkommen Uber Einfuhrlizenzverfahren in Abi Nr. L 336/151 v. 23.12.1994. 16
17
S. hierzu fllr viele: Oppermann, Europarecht, Rn. 1232. Dünnweber in: Birk, Handbuch des Europäischen Steuer- und Abgabenrechts, § 13 Rn.
4ff. 18
VO (EG) 1766/92 des Rates v. 30.06.1992 in Abi Nr. L 181/2 v. 01.07.1992.
19
VO (EG) 3719/88 v. 16.11.1988 in Abi Nr. L 331/1 v. 31.12.1988.
Einfuhrverfahren im Lichte des Rechts der EU
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lieh Größe, Reife, Größensortierung o. ä. eingehalten werden müssen. Hierbei handelt es sich zum einen um Obst und Gemüse, zum anderen um Pflanzen für die jeweils die Einhaltung der Qualitätsnormen in den Marktorganisationen 20 bzw. in den ergänzenden Verordnungen festgelegt sind. Wird bei der Einfuhr dieser Waren der Qualitätsstandard nicht eingehalten, so wird die Einfuhr gem. § 10 Abs.l AWG i. Y. m. der Einfuhrliste genehmigungsbedürftig. Ansonsten ist die Einfuhr i. d. R. genehmigungsfrei zulässig, es ist jedoch ein bestimmtes Überwachungsverfahren, das in Deutschland in § 35 a AWV geregelt ist, einzuhalten. So fordert § 35 a Abs. 2 AWV für die genehmigungsfreie Einfuhr von Obst und Gemüse die Vorlage einer Kontrollbescheinigung, mit der die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlich festgelegten Qualitätsnormen bestätigt wird. Auch die Form dieser Kontrollbescheinigung ist gemeinschaftsrechtlich bzw. völkerrechtlich festgelegt. Sie muß entweder Anhang I der VO (EG) 2251/92 entsprechen oder der UN/ECE bzw. OECD-Kontrollbescheini21
gung. Entbehrlich ist diese Kontrollbescheinigung nur bei der Einfuhr der Waren zur industriellen Verwertung, aber auch in diesem Fall muß eine gemeinschaftsrechtlich fixierte Bescheinigung22 und zwar über die industrielle Verwertung der Waren vorgelegt werden (§ 35 a Abs. 2 b) AWV).
IV. Besonderheiten bei der genehmigungsbedürftigen Einfuhr Die Frage, ob eine Einfuhr genehmigungsbedürftig ist, beantwortet in Deutschland § 10 Abs. 1 AWG i. V. m. der Einfuhrliste, die bei der Einfuhr durch Gemeinschaftsansässige die genehmigungspflichtigen Waren entsprechend kennzeichnet. Diese Kennzeichnung in der Einfuhrliste beruht auf Gemeinschaftsrecht, das bestimmt, welche Waren bei ihrer Einfuhr genehmi23
gungspflichtig sind. Das genehmigungsbedürftige Verfahren richtet sich teils nach nationalem Recht, teils nach Gemeinschaftsrecht. Für das nationale Recht bestimmt § 31 AWV, daß sich das Verfahren bezüglich Beantragung und Vorlage weiterer 20 VO (EG) 1035/72 in Abi Nr. L 118/1 v. 20.05.1972; VO (EG) 234/68 in Abi Nr. L 551/1 v. 05.03.1968. 21
Vgl. Muster in: VSF A 5695, S. 137, S. 141, S. 143.
22
Vgl. Muster in: VSF A 5695, S. 139.
23
VO (EG) 517-520/95 v. 07.03.1995 in Abi Nr. L 67 v. 10.03.1994; Reuter in: Bieneck, Außenwirtschaftsrecht, §11.
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Unterlagen grundsätzlich nach den §§27 ff. AWV, also nach dem genehmigungsfreien Verfahren, richtet mit einigen Besonderheiten. So kennt ζ. B. das genehmigungsbedürftige Verfahren konsequenterweise kein gemeinschaftsrechtliches Überwachungsdokument, da bei dem genehmigungspflichtigen Verfahren über eine bloße Überwachung hinausgehend bereits eine Steuerung des Warenverkehrs durch die Einfuhrgenehmigung stattfindet. Bis 1994 kannte das Außenwirtschaftsrecht nur nationale Genehmigungen. Durch die VO (EG) 520/9424 wurde jedoch gemeinschaftsweit festgelegt, daß, sofern die Einfuhr von Waren gemeinschaftsrechtlich begründeten mengenmäßigen Einfuhrkontingenten unterliegt, eine EG-Einfuhrgenehmigung zu verwenden ist, die verfahrensrechtlich so zu behandeln ist wie eine nationale Genehmi25
gung. Für die wirtschaftlich bedeutsame wirtschaftliche passive Veredelung legt das Gemeinschaftsrecht in der VO (EG) 3036/9426 Sonderregeln fest. Bei der wirtschaftlich passiven Veredelung werden Stoffe in ein Drittland ausgeführt, aus denen dort Bekleidungserzeugnisse gefertigt werden, die anschließend wieder in die EU eingeführt werden, ohne daß zollrechtlich eine passive Veredelung genehmigt worden ist. Für dieses Verfahren benötigt der Einführer eine sog. vorherige Bewilligung nach einem gemeinschaftsweit einheitlichen Muster, die der abfertigenden Zollstelle sowohl bei der vorübergehenden Ausfuhr (Art. 6) als auch bei der anschließenden Wiedereinfuhr der Fertigerzeugnisse (Art. 8) vorzulegen ist und die national rechtlich wie eine Einfuhrgenehmigung behandelt wird (§ 30 Abs. 3 AWV). Dieses für die Textilwirtschaft bedeutende Verfahren ist also im überwiegenden Maße rein gemeinschaftsrechtlich geprägt.
24 VO (EG) 520/94 des Rates v. 07.03.1995 in Abi Nr. L 67 v. 10.03.1994; vgl. hierzu VSF A 0720 2.(1). 25 26
VSF A 0720 2. (2ff.).
VO (EG) 3036/94 des Rates v. 08.12.1994 in Abi Nr. L 322, S. Iff.; s. hierzu: Dünnweber in: Bieneck, Außenwirtschaftsrecht § 19 Rn. 74; Reuter in: Bieneck, Außenwirtschaftsrecht §11.
Systemtransformation und Rechtsangleichung Mittel- und osteuropäische Staaten auf dem Weg zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union JOSEF FALKE
Die mittel- und osteuropäischen Länder (MOEL) stehen vor der historischen Herausforderung, nach den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Konsolidierung des wirtschaftlichen Transformationsprozesses zu schaffen und gleichzeitig den Anforderungen zu genügen, die sich aus der erstrebten Mitgliedschaft in der Europäischen Union ergeben. Der Beitrag geht kurz auf wichtige volkswirtschaftliche Rahmendaten der MOEL ein (1.) und beschreibt in knapper Form die Entwicklung der Wirtschaftsgesetzgebung in ausgewählten mittel- und osteuropäischen Ländern in der ersten Hälfte der neunziger Jahre (2.). Ausführlicher werden dann die Assoziationsverträge der MOEL mit der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten unter dem Gesichtspunkt behandelt, welche Anforderungen sie an die Rechtsangleichung als Voraussetzung zur wirtschaftlichen Integration in die EG stellen (3.). Für den Kernbereich der erforderlichen Rechtsangleichung, nämlich die Heranführung der MOEL an den gemeinschaftlichen Binnenmarkt, hat die Kommission ein Weißbuch vorgelegt. Es wird in seiner Grundanlage vorgestellt; dabei interessiert besonders, welche administrativen und organisatorischen Strukturen in einzelnen Bereichen notwendig sind, damit die Rechtsvorschriften zur Wirksamkeit gelangen (4.). Abschließend werden die Verfahren zur Koordinierung der Rechtsangleichung in Ungarn, Polen und der Tschechischen Republik sowie Maßnahmen zur Unterstützung dieser Rechtsangleichungsarbeiten erörtert (5.).
I. Ausgewählte Wirtschaftsindikatoren der mittel- und osteuropäischen Staaten Dieser Beitrag kann nicht den grundlegenden wirtschaftlichen Veränderungen nachgehen, die sich seit dem Jahr 1989 in den ost- und mitteleuropäischen
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Ländern vollzogen haben.1 Stattdessen sind in Tabelle 1 wichtige Wirtschaftsindikatoren der zehn mit der Europäischen Union assoziierten MOEL zusammengefaßt, um die wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen für die Bemühungen um die Rechtsangleichung zur Vorbereitung auf den erstrebten Beitritt zur Europäischen Union zu verdeutlichen, wie auch markante Unterschiede zwischen den einzelnen Volkswirtschaften. Das nominelle Pro-KopfEinkommen lag im Jahr 1993 zum Teil um ein Vielfaches unter den Werten Griechenlands und Portugals, die ihrerseits weit unterhalb des Durchschnittswertes der EG lagen. Die für Bulgarien und Rumänien ausgewiesenen niedrigsten Werte liegen bei einem Drittel des Wertes für Ungarn und bei einem Sechstel des für Slowenien ermittelten Einkommens. Das Bruttoinlandsprodukt ist im Jahr 1993 im Vergleich zum Vorjahr nur in Polen, Rumänien und Slowenien gestiegen, dagegen in den unabhängig gewordenen baltischen Staaten besonders drastisch gefallen. Für 1997 werden für alle Länder deutliche Steigerungen im Vergleich zum Vorjahr prognostiziert. Die Industrieproduktion ist im Jahr 1992 im Vergleich zu 1990 mit der Ausnahme Polens und Litauens (92% bzw. 90%) auf Werte zwischen 60% (Rumänien) und 76% (Slowenien) zurückgegangen. Im 1. Quartal 1995 stagnierte der Umfang der Industrieproduktion auf den niedrigen Werten von 1992, ausgenommen Lettland und Litauen, die einen Rückgang auf ein Drittel des Wertes von 1990 aufzuweisen haben, und auch Polen und Ungarn, die gegenüber 1992 deutliche Anstiege vermelden können. Mit Ausnahme der Slowakischen Republik und Sloweniens ist die Anzahl der abhängig Beschäftigten zwischen 1990 und 1995 deutlich gesunken, am deutlichsten in Ungarn (auf 67,3%), in der Tschechischen Republik (auf 70,9%), in Rumänien (auf 72,4%), in Polen (auf 74,7%) und in Bulgarien (auf 80,0%). Dafür, daß alle erfaßten Länder noch 1989 keine offiziell erfaßte Arbeitslosigkeit aufwiesen, hat die Arbeitslosenquote mit bis zu 16% im Jahr 1993 beträchtliche Werte erreicht. Sie sind Anfang 1996 leicht zurückgegangen, in den baltischen Staten allerdings deutlich gestiegen. Die Verbraucherpreise weisen im Jahr 1993 gegenüber dem Vorjahr drastische Steigerungen um zwischen 256% in Vgl. dazu bspw. F. Bönker, On the Road to a Capitalist Economy: Economic Stabilization and Transformation in Bulgaria, Czechoslovakia, and Hungary, ZERP-DP 4/93; J. Habuda, W. Ochel, Ungarische Wirtschaftspolitik auf dem Weg in die Europäische Gemeinschaft, München 1993; R. Indruch, Der Übergang zur sozialen Marktwirtschaft in den Ländern des ehemaligen RGW am Beispiel der CSFR und Ungarns, Konstanz 1994; K. Schräder, C.-F. Laaser, Die baltischen Staaten auf dem Weg nach Europa. Lehren aus der Süderweiterung der EG, Tübingen 1992; J. Kosta, Die Systemtransformation in den CEFTA-Ländem: Strategien und Ergebnisse, Osteuropa-Wirtschaft 40 (1995), 238-247.
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Rumänien und 21% in der Tschechischen Republik auf. Die Prognosen für das Jahr 1997 zeigen für alle Länder deutliche Stabilisierungen an; die mit Abstand niedrigsten Werte auf dem Niveau westeuropäischer Industriestaaten werden für die Tschechische und die Slowakische Republik sowie Slowenien, die höchsten Steigerungsraten mit 30% für Bulgarien erwartet. Die für 1993 und 1995 angegebenen Haushaltssalden — vielleicht mit der Ausnahme von Bulgarien und Ungarn — sind ein Indikator für eine strikte Stabilitätsorientierung. Polen und Ungarn weisen im Jahr 1995 mit 44 bzw. 32 Mrd. USDollar den höchsten Stand der Auslandsverschuldung auf. Bezogen auf die Bevölkerungszahl ist die Auslandsverschuldung mit 3.019 $ in Ungarn am höchsten, gefolgt von Slowenien (1.900 $), der Tschechischen Republik (1.333 $), Bulgarien (1.247 $) und Polen (1.140 $). Alle erfaßten Länder können 1995 im Vergleich zu 1992 eine zum Teil deutlich verbesserte Einschätzung ihrer Kreditwürdigkeit aufweisen. Die besten Positionen haben die Tschechische Republik, Ungarn, Slowenien und die Slowakische Republik. Tabelle 2 zeigt das für den wirtschaftlichen Aufschwung nicht unwesentliche Nettovolumen der ausländischen Direktinvestitionen in den MOEL in den Jahren 1990 bis 1995 und weist für das Jahr 1994 die Relationen zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt und zur Einwohnerzahl auf. Dem absoluten Umfang nach entfällt der höchste Anteil der Investitionen auf Ungarn und die Tschechische Republik. Bezogen auf das Bruttoinlandsprodukt erreicht Estland mit 9,5%, vor Lettland mit 3,9% und Ungarn mit 2,8% den höchsten Wert; weit abgeschlagen erreichen die Auslandsinvestitionen mit 0,5% des Bruttoinlandsprodukts in Polen den niedrigsten Wert. Bezogen auf die Bevölkerungszahl vermelden Estland, Ungarn, Slowenien und die Tschechische Republik mit Werten von 158 bis 73 US-Dollar pro Kopf die höchsten Ergebnisse; die niedrigsten Summen, nämlich zwischen 12 und 16 US-Dollar pro Kopf, investierten ausländische Geldgeber im Jahr 1994 in Bulgarien, Polen, Rumänien und Litauen.
II. Wirtschaftlicher Systemwechsel und Recht Es gibt keine gesicherte Theorie des Übergangs von einem plan- zu einem marktwirtschaftsorientierten Wirtschaftssystem.2 Peter Dietrich Propp in seiVgl. aber OECD, Reforming the Economies of Central and Eastern Europe, Paris 1992, 9-61; R. Dornbusch, Economic Reform in Eastern Europe and the Soviet-Union. Priorities and Strategies, Massachusetts Institute of Technology, Cambridge 1990; St. Fischer, A. Gelb, The Process of Socialist Economic Transformation, Journal of Economic Perspectives
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ner bereits im Jahr 1964 vorgelegten und jetzt zu Recht sehr aufmerksam rezipierten wirtschaftswissenschaftlichen Untersuchung der Transformation einer Zentralverwaltungswirtschaft in eine Marktwirtschaft 3 folgende entscheidende Transformationsschritte benannt: die Änderung der Eigentumsordnung unter Zulassung der Neubildung von Privateigentum, auch an Produktionsmitteln, den Wegfall der staatlichen zentralen Wirtschaftsplanung, die Herauslösung der Betriebe aus dem Plansystem, ihre Selbständigkeit in wirtschaftlichen Entscheidungen, ihre marktförmige Kapitalversorgung und die freie Preisbildung sowie die Beseitigung der Funktion des Staatshaushaltes als Hauptfinanzplan der Volkswirtschaft.4 Das entspricht weitgehend den Übergangsschritten, die Hans-Hermann Höhmann formuliert hat5: Abbau des Systems politisch-bürokratischer Planung und Schaffung von Güter-, Kapital und Arbeitsmärkten zur horizontalen Koordinierung der Wirtschaftsprozesse; Reform der Preisbildungsmechanismen; Schaffung autonomer Unternehmen durch Rechts- und Eigentumsformen, Privatisierung zumindest eines Teils des bisherigen Staatseigentums, Herstellung von Wettbewerb, Ermöglichung von freiem Markteintritt und Konkurs; Schaffung eines zur Marktwirtschaft passenden Steuer-, Geld- und Kreditsystems; Entwicklung eines Netzes sozialpolitischer Maßnahmen insbesondere im Hinblick auf Arbeitslosigkeit; Öffnung zum Weltmarkt, Beteiligung an internationalen Wirtschaftsinstitutionen. Um nicht mißverstanden zu werden: Die Umgestaltung eines Wirtschaftssystems kann nicht als Rechtsreform organisiert werden; Gesetze können
5 (1991), 91-105; P.J.J. Weifens, Market-oriented Systemic Transformations in Eastern Europe. Problems, Theoretical Issues, and Political Options, Berlin u.a. 1992; J. Müller, Der Transformationsprozeß von der Plan- zur Marktwirtschaft, in: C. Jakobeit, A. Yenal (Hrsg.), Gesamteuropa. Analysen, Probleme und Entwicklungsperspektiven, Bonn 1993, 495-521. 3 P.D. Propp, Zur Transformation einer Zentralverwaltungswirtschaft sowjetischen Typs in eine Marktwirtschaft, Berlin 1964. 4 5
Ebenda, 132f., 143, 187-190, 203-205,214-216,235, 261f., 278-286.
H.-H. Höhmann, Wirtschaftskrise und ökonomische Reformperspektiven in der UdSSR, in: H.-H. Höhmann, Ch. Meier, Auf der Suche nach einer strategischen Partnerschaft. Die UdSSR und der Westen nach dem Londoner Weltwirtschaftsgipfel, Köln 1991, 14ff. (16f.). Vgl. auch N. Horn, Die Privatisierung der Wirtschaft und die Herstellung gleicher Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet, in: Mittel- und Osteuropa im Umbruch, Referate des FIW-Symposiums, Köln u.a. 1991, 33-56 (33-41); ders., Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl., Köln 1993, 61f.
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hierfür nur mehr oder weniger günstige Rahmenbedingungen setzen,6 wenn ihre Effektivität gesichert ist.7 Entscheidend ist die Schaffung einer geeigneten Infrastruktur von Unternehmen, Behörden und gesellschaftlichen Organisationen, die die neue "papierene" oder "normative" Wirtschaftsverfassung erst zu einer "gelebten" oder "faktischen" machen. 8 Tabelle 3 vermittelt eine Übersicht über die Entwicklung der Wirtschaftsgesetzgebung in ausgewählten Transformationsstaaten Mittel- und Osteuropas, nämlich Ungarn, Polen, die CSFR und ihre Nachfolgestaaten, die Tschechische und die Slowakische Republik, sowie Bulgarien und Rumänien, in der ersten Hälfte der neunziger Jahre.9 Einige Regelungskomplexe betreffen unmittelbar den Systemwechsel: Dazu gehört die Neuordnung des Eigentumsrechts und die Aufhebung der fur die sozialistischen Rechtsordnungen typischen Dreigliedrigkeit des Eigentumsrechts, ergänzt durch rechtliche Rahmenbedingungen für Erwerb, Veräußerung und Beleihung von Grund und Boden. Von einschneidender Bedeutung für den wirtschaftlichen Neubeginn und die Schaffung privater wirtschaftlicher Einheiten sind die Privatisierungsregelungen. Die Herstellung des Grundsatzes der Gewerbefreiheit und die Auflösung des Außenhandelsmonopols ermöglichten private wirtschaftliche Betätigungsfreiheit. Die Aufbringung der erforderlichen Finanzierungen wäre nicht möglich ohne die Ermöglichung von Investitionen durch ausländische Privatpersonen und Unternehmen und devisenrechtliche Regelungen. Tiefgreifende Neuerungen waren im Recht der Finanzdienstleistungen erforderlich, um die marktförmige Kapitalversorgung von Unternehmen und privaten Haushalten zu gewährleisten. Dazu wurden Bankrechte geschaffen, Wertpapierbörsen eröffnet und Regelungen zum Wertpapierhandel verabschiedet.10 Die private unternehmerische Betätigung erfordert weiter
Vgl. R. Knieper, Wirtschaftsreform als Rechtsreform in post-kommunistischen Gesellschaften?, RIW 1993,907-909. 7
Vgl. N. Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, a.a.O., 65.
8 Vgl. J. Kranjc, Probleme der Übernahme ausländischer Rechtssätze in nationale Rechtssystemem WIRO, 1993,409-413 (409f.). 9
Vgl. auch die Länderberichte zu Polen, Ungarn sowie der Tschechischen und der Slowakischen Republik in: H.-H. Hermfeld, Recht europäisch: Rechtsreformen und Rechtsangleichung in den Visegrád-Staaten, Gütersloh 1995, 27-89 und zu den Anforderungen des ökonomischen Systemwechsels an die Rechtsreform ebenda, 21-25. 10 Vgl. dazu J. Ziehe, Der Umbruch des Bankensystems in Ungarn und das neue Gesetz über die Börse und den Wertpapierhandel, WIRO 1992, 145-149; R. Rahm, M. Michalkski, Einführung der Börse in Polen, WIRO 1992, 182-185; O. Humlová, J. Ziehe, Das neue Recht
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eine rechtliche Infrastruktur in Form eines privatwirtschaftlichen Handelsund Gesellschaftsrechts, das die Wahl zwischen geeigneten Formtypen ermöglicht, einschließlich einer Regelung der Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfung, die modernen wirtschaftlichen Anforderungen genügt. Ergänzend treten nicht zuletzt zur Motivation und Abstützung von Investitionen Regelungen zum Schutz des geistigen und gewerblichen Eigentums hinzu. Stark am Gemeinschaftsrecht orientiert sind zumeist erste grundlegende Regelungen des Kartellrechts11 zur Stabilisierung der neuerdings wettbewerblich organisierten Wirtschaft, während gesetzliche Regelungen zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerb zum Teil an bestehende Rechtstraditionen anknüpfen können. Zum geordneten Marktaustritt insolventer Unternehmen sind Konkurs- und Vergleichsregelungen verabschiedet worden. Als nunmehr indirekte Verknüpfung des Staatshaushaltes mit der Wertschöpfung der Wirtschaft wurde die Mehrwertsteuer eingeführt. Schließlich wurden zugunsten der Verbraucher mit dem Versicherungsrecht und dem Lebensmittelrecht spezifische Schutzrechte ausgeformt. Die bestehenden Arbeitsrechte wurden grundlegend umgebildet, und recht früh entstanden bereits erste Umweltschutzrahmengesetze. Die Schaffung eines Sozialversicherungssystems und einer Arbeitsverwaltung stecken zumeist noch in den ersten Anfangen. Nur vereinzelt konnte an die Rechtstraditionen und Kodifikationen der sog. Zwischenkriegsperiode angeknüpft werden, so vor allem im Zivilrecht und auf dem Gebiet des Handels- und Gesellschaftsrechts. Die zur Unterstützung des wirtschaftlichen Systemwechsels vorgenommenen Rechtsreformen lassen trotz aller Unterschiede in der Privatisierungpraxis12 auch klar erkender Wertpapierbörse in der CSFR, WIRO 1992, 185-188; A. Märmicke, Die entstehenden Kapitalmärkte in Mittel- und Osteuropa, WIRO 1993,189-191. 11
Vgl. dazu A. Verny, Das neue Kartellrecht in der Tschechoslowakei, WIRO 1992, 215219; D. Zemanovicová, V. Durisivá, Α. Verny, Das neue slowakische Kartellrecht, WIRO 1994, 115f.; L. Oliva, A. Verny, Das neue Kartellrecht der Tschechischen Republik, WIRO 1994, 145-147; A. Vida, Wettbewerbsbeschränkungen und Fusionskontrolle in Ungarn, WIRO 1994, 193-197; J. Pfeffer, Vergleichende Betrachtung der neuen Kartellgesetze in Osteuropa, in Festschrift für A. Deringer, 1993, 346ff. 12
Zum Stand der Privatisierung vgl. F.-Ch. Schroeder, Grundbegriffe und Formen der Privatisierung in Osteuropa, WIRO 1995, 121-125; H.-J. Moecke, Stand der Privatisierung in Osteuropa. Investitionsmöglichkeiten für ausländische Investoren, RIW 1996, 24-29. Allgemein zur Privatisierung in den Transformationsökonomien vgl. P. Sarcevic (ed.), Privatization in Central and Eastern Europe, London, Dordrecht, Boston 1992; Β. Dallago, G. Ajani, Β. Grancelli (eds.), Privatization and Entrepreneurship in Post-Socialist Countries. Economy, Law and Society, New York 1992; Ä. ¡notai, Experience with Privatization in East Central Europe, in: H. Siebert (ed.), Privatization. Symposium in Honor of Herbert Giersch, Tübin-
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nen, daß keines der Transformationsländer ernsthaft einen "dritten Weg" zwischen Zentralverwaltungswirtschaft und Marktwirtschaft13 versucht.
III. Die "Europa-Abkommen" mit den mittel- und osteuropäischen Staaten Die politischen und wirtschaftlichen Umbrüche in Ost- und Mitteleuropa führten in rascher Folge zum Umbau der in den Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe eingefügten Zentralverwaltungswirtschaften in Marktwirtschaften, zum Abschluß von Wirtschafts- und Kooperationsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft14 und zur Aushandlung von Assoziationsverträgen mit ihr und ihren Mitgliedstaaten. Da sie die Perspektive einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union eröffnen, werden sie "Europa-Abkommen" (EA) genannt. Um die lange Ratifizierungszeit zu überbrücken, wurden für ihre handelsrelevanten Teile Interimsabkommen verabschiedet.15 Mittlerweile haben alle in Frage kommenden ost- und mitteleuropäischen Staaten formell um ihre Aufnahme in die Europäische Union ersucht. Tabelle 4 gibt für die einzelnen Länder einen Überblick über diese Entwicklungsetappen. Die Europa-Abkommen (EA) zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mit^liedstaaten einerseits und den Staaten Mittel- und Osteuropas andererseits sind zwar einzeln ausgegen 1992, 163-182; I. Major, Privatization in Eastern Europe. A Critical Approach, Aldershot 1993; J.S. Earle, R. Frydman, A. Rapaczynski (eds.), Privatization in the Transition to a Market Economy. Studies of Preconditions and Policies in Eastern Europe, London 1993. 13
Zum Grundproblem einer eigenständigen Rechtsentwicklung in den MOEL vgl. V. Gessner, A. Höland (Hrsg.), Rezeption westlichen Rechts oder autochthone Rechtsgestaltung in der DDR und in Osteuropa? — Ein rechtssoziologisches Gespräch, ZERP-DP 1/1990. 14
Vgl. bspw. Abkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Ungarischen Volksrepublik über den Handel und die handelspolitische und wirtschaftliche Zusammenarbeit, ABl. L 327 v. 30.11.88, 2-7. 15 Vgl. bspw. Beschluß des Rates v. 25.2.1992 über den Abschluß — durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft — des Interimsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Gemeinschaft ftir Kohle und Stahl einerseits und der Republik Ungarn andererseits über Handel und Handelsfragen, ABl. L 116 v. 30.4.92, 1248. 16
Fundstellen der maßgeblichen Abkommenstexte: Ungarn, ABl. L 347 v. 31.12.93, 1201; Polen, ABl. L 348 v. 31.12.1993, 1-175; Rumänien, ABl. L 357 v. 31.12.94, 1-173; Bulgarien, ABl. L 358 v. 31.12.94, 1-204; Tschechische Republik, ABl. L 359 v. 31.12.94,
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handelt, ähneln sich in ihrem Aufbau und Wortlaut aber weitgehend.18 Sie zielen auf die Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Vertragspartnern sowie die Förderung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung in den mittel- und osteuropäischen Staaten. Schließlich sollen sie einen geeigneten Rahmen für die schrittweise Integration der assoziierten Länder in die Gemeinschaft bzw. die Europäische Union bieten; die Vertragspartner werden auf die Erfüllung der notwendigen Voraussetzungen hinarbeiten.19 Mit Ausnahme der Abkommen mit Polen und Ungarn 1-201; Slowakische Republik, ABl. L 360 v. 31.12.94, 1-201; Estland (Vorschlag), KOM (95) 207 endg. v. 2.6.95, 3-223; Lettland (Vorschlag), KOM (95) 207 endg. v. 2.6.95, 224499; Litauen (Vorschlag), KOM (95) 207 endg. v. 2.6.95, 500-767; Slowenien (Vorschlag), KOM (95) 341 endg. v. 12.7.95. 17
Aus der umfangreichen Literatur vgl. A. ¡notai, Assoziierungsabkommen: Schritte zur Reintegration ostmitteleuropäischer Staaten, Integration 15 (1991), 25-35; H. Kramer, Das System der "Europäischen Abkommen": Lösung oder Zwischenlösung für die Beziehungen der Gemeinschaft zu Osteuropa?, in: Ch. Deubner (Hrsg.), Die Europäische Gemeinschaft in einem neuen Europa. Herausforderungen und Strategien, Baden-Baden 1991, 117-140; H.D. Kuschet, Die Europaabkommen der EG mit Polen, Ungarn und der CSFR, Wirtschaftsdienst 1992, 93-100; R.J. Langhammer, Die Assoziierungsabkommen mit der CSFR, Polen und Ungarn: wegweisend oder abweisend?, Kieler Diskussionsbeiträge 182, Kiel 1992; St. Richter, Die Assoziierung osteuropäischer Staaten durch die Europäischen Gemeinschaften, Berlin 1993; W. Gärtner, Zu Inhalt und unmittelbarer Anwendbarkeit der Europa-Abkommen der EG mit den ostmitteleuropäischen Staaten, ROW 1993, 332-335; M. Maresceau, "Europe Agreements": A New Form of Cooperation between the European Community and Central and Eastern Europe, in: P.-Ch. MUller-Graff (ed.), East Central European Communities: Legal Adaptation to the Market Economy, Baden-Baden 1993, 209-233; H. Arnold, Die Europa-Abkommen, in: M.A. Dauses (Hrsg.), Handbuch des EG-Wirtschaftsrechts, München, K.I, Rz. 129-179; Ch. Randzio-Plath, B. Friedmann, Unternehmen Osteuropa — eine Herausforderung für die Europäische Gemeinschaft. Zur Notwendigkeit einer EG-Ostpolitik, Baden-Baden 1994, 86-96; C. Hantke, The Europe Agreement with Hungary, Baden-Baden 1995; M. Reek, M. Reimer, Ch. Scheele, Ungarn — ein Land auf dem Weg zur Integration in die Europäische Union? Perspektiven für einen ostmitteleuropäischen Staat, Diplomarbeit, Oldenburg 1994, 56-85; M. Maresceau, E. Montaguti, The Relations between the European Union and Central and Eastern Europe: A Legal Appraisal, Common Market Law Review 32 (1995), 1327-1367; A. Petsche, Integrationsentwicklung und Europaabkommen EU-Ungarn, Forschungsinstitut für Europafragen, Working Paper Nr. 15, Wien 1996. IS Zu der frühzeitigen Koordinierung vgl. die Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, Allgemeines Schema für Assoziationsabkommen mit den Ländern in Mittel- und Osteuropa, KOM (90) 398 endg. v. 27.8.90. 19
Vgl. bspw. jeweils Art. 1 Abs. 2, 4. Spiegelstrich der EA mit Polen, der Tschechischen Republik und der Slowakischen Republik sowie Art. 1 Abs. 2, 6. Spiegelstrich EA-Bulgarien; Art. 1, 6. Spiegelstrich EA-Rumänien; Art. 1 Abs. 2, 6. Spiegelstrich EA-Estland
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bekräftigen die später geschlossenen Assoziationsverträge ausdrücklich die Achtung der Grundsätze der Demokratie und der Menschenrechte, wie sie in der Schlußakte von Helsinki und in der Charta von Paris für ein neues Europa verankert sind, sowie die Grundsätze der Marktwirtschaft als Richtschnur der Innen- und Außenpolitik der Vertragsparteien und als wesentliche Bestandteile der Assoziation.20 Diese umfaßt eine zweigestufte Übergangszeit von höchstens zehn Jahren.21 Die EA zielen auch darauf, die wirtschaftlichen Reformen in den MOEL dauerhaft abzusichern. Deswegen ist dem Assoziationsrat aufgetragen, nicht nur die Durchführung der EA zu überwachen, sondern auch die Fortschritte bei der Einfuhrung der Marktwirtschaft. 22 1. Bestimmungen zu den Grundfreiheiten Auf dem Gebiet des Freien Warenverkehrs sehen die EA zur schrittweisen Errichtung einer Freihandelszone die Beseitigung von Zöllen und Abgaben sowie den Abbau von mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung vor.23 Wegen des unterschiedlichen Entwicklungsstandes der Volkswirtschaften erfolgt die Liberalisierung zum Teil asymmetrisch, d.h., ein Teil der Handelshemmnisse wird von der Gemeinschaft sofort beseitigt, während für die assoziierten Staaten längere Übergangsfristen gelten. Für sensible Produktgruppen wie landwirtschaftliche Erzeugnisse,24 Kohle und Stahl25 sowie Textilien,26 bei denen einerseits in der EG eher Überschüsse bestehen, andererseits viele mittel- und osteuropäische Staaten Waren exportieren könnten, gelten restriktivere Regeln. Es ist verboten, den erreichten Liberalisierungsstand durch Einführung neuer oder Erhöhung alter Einfuhr· oder Ausfuhrzölle, Abgaben gleicher Wirkung, mengenmäßiger Be-
iEntwurf). — Im EA mit Ungarn fehlt eine entsprechende Bestimmung; stattdessen wird wie in allen anderen EA auch in einem der Erwägungsgründe zur Kenntnis genommen, daß Ungarn letztlich die Mitgliedschaft in der Gemeinschaft anstrebt und daß das EA zur Verwirklichung dieses Zieles beitragen wird. 20 Vgl. bspw. Art. 6 EA-Tschechische Republik. 21 22
23
Vgl. bspw. Art. 6 Abs. 1 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 6 Abs. 2 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 7 bis 35 EA-Ungarn.
24
Vgl. bspw. Art. 18 bis 21 EA-Ungarn.
25
Vgl. bspw. Art. 16 und Protokoll Nr. 2 EA-Ungam.
26
Vgl. bspw. Art. 15 und Protokoll Nr. 1 EA-Ungam.
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schränkungen oder Maßnahmen gleicher Wirkung abzusenken.27 Weiter ist die Diskriminierung durch Steuern oder vergleichbare Maßnahmen untersagt.28 Unter bestimmten Voraussetzungen können die Assoziationspartner zeitlich befristete und im Umfang begrenzte Schutzmaßnahmen zugunsten junger Industrien oder bestimmter Wirtschaftszweige treffen, die sich in der Umstrukturierung befinden oder ernsten Schwierigkeiten gegenüberstehen.29 Beiden Vertragsparteien wird das Recht eingeräumt, sich unter Einhaltung bestimmter Verfahrensabläufe gegen Dumpingpraktiken zur Wehr zu setzen.30 In Anerkennung legitimer staatlicher Schutzinteressen enthalten die EA einen dem Art. 36 EGV nachgebildeten Katalog von Möglichkeiten, den freien Warenverkehr zum Schutz wichtiger Rechtsgüter einzuschränken, sofern die gewählten Mittel weder ein Mittel der Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Vertragsparteien darstellen.31 Tabelle 5 zeigt, daß der Handel zwischen den EG-Mitgliedstaaten und den MOEL32 im Jahr 1994 trotz des asymmetrischen Liberalisierungstempos nur im Falle der Slowakischen Republik nicht mit einem positiven Saldo zugunsten der EG abschloß. Dabei entfiel etwa die Hälfte des Handelsaustausches auf Deutschland, mit weitem Abstand gefolgt von Italien, Frankreich, den 27 28 29
Vgl. bspw. Art. 25 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 26 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 28 EA-Ungarn.
30
Vgl. bspw. Art. 29, 30, 33 EA-Ungarn. — Hierzu stellte die Kommission in ihrer Mitteilung an den Rat "Die Europa-Abkommen und die Zeit danach: Eine Strategie zur Vorbereitung des Beitritts der Länder Mittel- und Osteuropas", KOM (94) 320 endg. v. 13.7.94, 5 eine außerordentlich problematische Verknüpfung mit der Umsetzung der Wettbewerbs- und Beihilfenpolitik in den MOEL her: "Sobald die Umsetzung der Wettbewerbs- und Beihilfenpolitik und die Anwendung anderer ñlr den erweiterten Markt relevanter Rechtsvorschriften der Gemeinschaft hinreichend gewährleistet sind, könnte die Union den Einsatz handelspolitischer Schutzinstrumente gegenüber gewerblichen Waren aus den betreffenden Ländern schrittweise verringern, da sie in ähnlicher Weise gegen unlauteren Wettbewerb geschützt wäre wie innerhalb des Binnenmarktes." Diese Bedingung ist vom Rat in seinem Bericht an den Europäischen Rat von Essen über die Strategie zur Vorbereitung des Beitritts der assoziierten MOEL nahezu wörtlich wiederholt worden, vgl. Europe-Dokumente, Nr. 1916 v. 14.12.94, 4. Im Klartext heißt das: Für den Fall, daß die MOEL eine Fülle von gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften übernehmen, stellt die EG im Konjunktiv in Aussicht, schrittweise auf protektionistische Maßnahmen zu verzichten. 31
Vgl. bspw. Art. 35 EA-Ungarn.
32
Allerdings unter Einschluß Kroatiens.
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Niederlanden und dem Vereinigten Königreich. Wie Tabelle 6 zu entnehmen ist, ist dabei zwischen 1990 und 1994 der Umfang der EG-Exporte in die MOEL von 12,1 auf 40,3 Mrd. ECU deutlich stärker angestiegen als das Ausmaß der EG-Importe aus diesen von 13,0 auf 33,9 Mrd. ECU. Bei den EG-Importen ist für Agrarprodukte keine nennenswerte, fur mineralische Stoffe nur eine deutlich unterdurchschnittliche und bei den Fahrzeugen eine weit überdurchschnittliche Steigerung ausgewiesen. Noch höher fällt bei den Fahrzeugen allerdings die Steigerung der EG-Exporte aus. Bei den Agrarprodukten wurde aus dem Außenhandelsdefizit der Gemeinschaft 1990 in Höhe von 0,9 Mrd. ECU 1994 ein Außenhandelsüberschuß in Höhe von 1,3 Mrd. ECU. Tabelle 7 vermittelt einen Einblick in den Umfang der Handelsverlagerungen in einzelnen MOEL im Gefolge des Zusammenbruchs des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe. Während zwischen 1989 und 1992 der Anteil der auf Osteuropa und die ehemalige Sowjetunion entfallenden Exporte deutlich zurückging, stieg der Anteil der westlichen Industrieländer und vor allem der EG entsprechend stark an. Mittlerweile konzentrieren sich die Exporte vieler MOEL zu mehr als der Hälfte auf EG-Mitgliedstaaten. Hinsichtlich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und ihrer Familienangehörigen ist nur der Grundsatz der Inländergleichbehandlung in bezug auf Arbeitsbedingungen, Entlohnung und Entlassung für den Fall festgelegt, daß die Arbeitnehmer im Territorium eines Mitgliedstaates rechtmäßig beschäftigt sind.33 Ein allgemeiner Anspruch auf Zugang zum Arbeitsmarkt wird nicht gewährt. Der Assoziationsrat soll in der zweiten Stufe weitere Mittel und Wege zur Verbesserung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer prüfen und dabei die soziale und wirtschaftliche Lage in den jeweiligen Assoziationsländern und die Beschäftigungssituation in der Gemeinschaft berücksichtigen.34 Dagegen ist für das Niederlassungsrecht eine volle Inländergleichbehandlung auch schon für die Aufnahme der Tätigkeit vorgesehen. Diese soll zugunsten der Assozationsstaaten sofort, in ihnen — je nach Wirtschaftszweig — spätestens am Ende der ersten bzw. der zweiten Übergangsstufe wirksam werden.35 Der lange Übergangszeitraum gilt im Falle Ungarns bspw. für Versicherungs-, Bank- und sonstige Finanzdienstleistungen sowie für den Erwerb staatlicher Vermögenswerte im Rahmen des Privatisierungsprozesses und für den Immobilienhandel.36 Damit soll den Assoziationsstaaten eine 33
Vgl. bspw. Art. 37 EA-Ungam.
34
Vgl. bspw. Art. 42 EA-Ungam. 35
Vgl. bspw. Art. 44 bis 54 EA-Ungarn.
36
Vgl. bspw. Art. 44 Abs. I i und Anhänge Xlla und XIIc EA-Ungam.
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Chance gegeben werden, eigene leistungskräftige Unternehmen im Sektor der Finanzdienstleistungen aufzubauen. In den Assoziationsstaaten niedergelassene Gesellschaften der Gemeinschaft haben das Recht auf Erwerb, Nutzung, Anmietung und Verkauf von Grundbesitz und natürlichen Ressourcen, soweit diese Rechte unmittelbar für die Ausübung der Erwerbstätigkeiten, für die sie sich niedergelassen haben, erforderlich sind.37 Unter bestimmten Voraussetzungen können die assoziierten Staaten befristete Schutzmaßnahmen ergreifen und von der Niederlassungsfreiheit abweichen, wenn bestimmte Industrien sich erst im Aufbau befinden oder eine Umstrukturierung durchführen oder wenn sie ernsten Schwierigkeiten gegenüberstehen, die insbesondere soziale Probleme in ihrem Territorium hervorrufen, oder wenn sie einen Verlust oder einen drastischen Rückgang des gesamten Marktanteils der einheimischen Gesellschaften oder Staatsangehörigen erfahren.38 Auch der Dienstleistungsverkehr soll schrittweise liberalisiert werden; der Assoziationsrat hat dazu die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. 39 Besondere Regelungen gelten für den Verkehrsbereich. Zum Luft- und Landverkehr sollen gesonderte Abkommen ausgehandelt werden.40 In der Übergangszeit haben die assoziierten Länder ihre Rechtsvorschriften einschließlich der administrativen, technischen und sonstigen Bestimmungen an die geltenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft im Luft- und Landverkehr insoweit anzugleichen, als dies der Liberalisierung und dem gegenseitigen Marktzugang der Vertragsparteien dienlich ist und den Personen- und Güterverkehr erleichtert.41 Der freie Zahlungsverkehr wird gewährleistet, soweit die den Zahlungen zugrundeliegenden Transaktionen den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr oder die Freizügigkeit zwischen den Vertragsparteien betreffen. 42 Weiter wird der freie Kapitalverkehr für Direktinvestitionen in Gesellschaften, die nach dem Recht des Niederlassungsstaates gegründet wurden, und für sonstige in Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit getätigte Investitionen gewährleistet.43 Ein Zeitpunkt für die volle Liberalisierung des Kapitalver37 38
39 40 41 42 43
Vgl. bspw. Art. 44 Abs. 8 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 50 UAbs. 1 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 55 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 56 Abs. 3 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 56 Abs. 5 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 59 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 60 EA-Ungarn.
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kehrs wird nicht festgelegt. Während der ersten Stufe haben die Vertragsparteien die erforderlichen Voraussetzungen fur die weitere schrittweise Übernahme der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über den freien Kapitalverkehr zu schaffen. 44 Während der zweiten Stufe hat der Assoziationsrat Mittel und Wege für die volle Übernahme der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft über den Kapitalverkehr zu prüfen. 45 2. Wettbewerb und sonstige wirtschaftliche
Bestimmungen
Quasi in einem Konzentrat des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts sehen die EA ein Verbot wettbewerbsbeschränkender Vereinbarungen, des Mißbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung sowie von wettbewerbsverfälschenden staatlichen Beihilfen vor, soweit entsprechende Maßnahmen oder Vereinbarungen den Handel zwischen der Gemeinschaft und dem betreffenden assoziierten Land beeinträchtigen.46 Mögliche Verstöße gegen diese Verbote sind nach den Kriterien zu beurteilen, die sich aus den Artikeln 85, 86 und 92 EGV ergeben47; auf diese Weise ist ohne aufwendige Rechtsangleichung die Rezeption der bestehenden und zukünftig zu entwickelnden EGMaßstäbe im Wettbewerbsrecht gesichert. Der Assoziationsrat soll binnen 48
drei Jahren die erforderlichen Durchfuhrungsbestimmungen erlassen. Während der ersten fünf Jahre der Geltung der EA werden alle staatlichen Beihilfen der Assoziationspartner unter dem Gesichtspunkt beurteilt, daß die betreffenden Ländern den in Art. 92 Abs. 3 lit. a EGV genannten Gebieten gleichgestellt sind, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht; dieser Zeitraum kann um weitere Fünfjahreszeiträume verlängert werden.49 Für öffentliche Unternehmen und Unternehmen, denen besondere oder ausschließliche Rechte übertragen wurden, sind vom dritten Jahr des Inkrafittretens der EA an die Grundsätze des Art. 90 EGV maßgeblich.50 Die Assoziationspartner verpflichten sich, den Schutz der Rechte an geistigem, gewerblichem und kommerziellem Eigentum — incl. der Mittel zur 44 45 46 47 48 49 50
Vgl. bspw. Art. 61 Abs. 1 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 61 Abs. 2 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 62 Abs. 1 EA-Ungam. Vgl. bspw. Art. 62 Abs. 2 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 62 Abs. 3 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 62 Abs. 4 lit. a EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 64 EA-Ungarn.
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Durchsetzung dieser Rechte — innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren auf ein vergleichbares Schutzniveau zu bringen, wie es in der Gemeinschaft besteht.51 Weiter gehen sie die Verpflichtung ein, zu diesem Zeitpunkt dem Münchener Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente vom 5.10.1973 und anderen im einzelnen benannten52 multilateralen Übereinkommen über den Schutz der Rechte an geistigem, gewerblichem und kommerziellem Eigentum beizutreten, denen die EG-Mitgliedstaaten angehören oder die von ihnen de facto angewendet werden.53 Die Öffnung des öffentlichen Auftragswesens auf der Grundlage von Nichtdiskriminierung und Gegenseitigkeit wird zum erstrebenswerten Ziel erklärt. Den Unternehmen der assoziierten Staaten wird der gleichberechtigte Zugang zu den Vergabeverfahren der Gemeinschaft gemäß den gemeinschaftlichen Vergabevorschriften gewährt, den Unternehmen der Gemeinschaft ein solcher in den assoziierten Staaten spätestens am Ende der Über• 54 gangszeit. 3. Angleichung der Rechtsvorschriften Ein weiteres Kapitel aller EA betrifft die Angleichung der Rechtsvorschriften:55 Die Vertragsparteien erkennen die Angleichung der bestehenden und künftigen Rechtsvorschriften der Assoziationsstaaten an das Gemeinschaftsrecht als eine wesentliche Voraussetzung für die wirtschaftliche Integration in die Gemeinschaft an.56 Während nach den Abkommen mit Ungarn und Polen sich die Bemühungen dieser beiden Länder darauf richten sollen, daß die künftigen Rechtsvorschriften (möglichst weitgehend) mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind,57 erstrecken sich alle weiteren EA nicht nur auf künftige Rechtsvorschriften, sondern zielen darauf, daß der gesamte Bestand
Vgl. bspw. Art. 65 Abs. 1 EA-Ungam. 52 53
54
Vgl. bspw. Anhang XIII Abs. 1 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 65 Abs. 2 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 66 EA-Ungarn.
55 Vgl. dazu C. Banasinski; P.R. Czechowski, Der Einfluß des Assoziierungsvertrags zwischen Polen und den Europäischen Gemeinschaften (EG) auf das polnische Recht, in: Ch. Tomuschat, H. Kötz, B. v. Maydell (Hrsg.), Europäische Integration und nationale Rechtskulturen, Köln u.a. 1995, 367-376. 56
Vgl. bspw. Art. 67 Satz 1 EA-Ungam.
57
Vgl. Art. 67 Satz 2 EA-Ungarn und Art. 68 Satz 2 EA-Polen.
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der Rechtsvorschriften schrittweise mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar wird.58 Folgende vorrangige Gebiete der Rechtsangleichung werden in allen EA ausdrücklich benannt (vgl. im einzelnen die Übersicht in Tabelle 8): Zollrecht, Gesellschaftsrecht, Bankenrecht, Rechnungslegung der Unternehmen und Steuern, Schutz der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz, Finanzdienstleistungen, Wettbewerbsregeln, Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen, Verbraucherschutz, indirekte Steuern, technische Vorschriften und Normen, Verkehr und Umwelt. Nur in einem EA wird die Rechtsangleichung auf dem Gebiet des geistigen Eigentums nicht genannt. Mehrfach werden auch Vorschriften in den Bereichen Kernenergie, Produkthaftung, öffentliches Auftragswesen, Telekommunikation und Statistik benannt. In jeweils einem Abkommen werden noch soziale Sicherheit, Versicherungsrecht, Arbeitsrecht, Gewerberecht und Lebensmittelrecht aufgelistet. Die Gemeinschaft verpflichtet sich, den Assoziationsländern bei der Rechtsangleichung technische Hilfe in der Form des Austausches von Sachverständigen, der Bereitstellung von Informationen, der Veranstaltung von Seminaren sowie durch Ausbildungsmaßnahmen und durch Hilfe bei der Übersetzung des einschlägigen Gemeinschaftsrechts zu leisten.59 Die Harmonisierungspflicht ist, soweit nicht bereichsspezifische Regeln der EA eingreifen, zeitlich nicht fixiert. Die Abkommen mit den baltischen Staaten und mit Slowenien heben aber hervor, daß insbesondere in den Bereichen Binnenmarkt, Wettbewerb, Arbeitnehmer- Umwelt- und Verbraucherschutz rasche Fortschritte bei der Rechtsangleichung erzielt werden sollten.60 4. Wirtschaftliche Zusammenarbeit Die EA enthalten umfangreiche Vorschriften zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit.61 Sie baut auf dem Grundatz der langfristig tragbaren Entwicklung auf, was voraussetzt, daß die Umweltbelange von Anfang an vollauf berücksichtigt werden.62 Auch ist den Erfordernissen einer langfristig tragbaren und
58
Vgl. bspw. Art. 69 Satz 2 EA-Rumänien.
59
Vgl. bspw. Art. 69 EA-Ungarn. 60 61
Vgl. bspw. Art. 69 Abs. 2 EA-Slowenien (Entwurf).
62 Vgl. bspw. Artikel 70 bis 96 EA-Ungam und Artikel 71 bis 94 EA-Polen. Vgl. bspw. Art. 70 Abs. 2 UAbs. 1 EA-Ungarn. Es handelt sich um eine dem Art. 130r Abs. 2 UAbs. 1 Satz 3 EGV vergleichbare umweltrechtliche Querschnittsklausel der EA.
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harmonischen Sozialentwicklung Rechnung zu tragen63 Besondere Aufmerksamkeit soll den Maßnahmen gewidmet werden, die die regionale Zusammenarbeit stärken können.64 65 Die wirtschaftliche Zusammenarbeit erstreckt sich auf folgende Gebiete: industrielle Zusamenarbeit, Investitionsförderung und Investitionsschutz, Industrienormen und Konformitätsprüfting, Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technik, allgemeine und berufliche Bildung, Landwirtschaft und Agroindustrie, Energie, nukleare Sicherheit, Umwelt, Verkehr, Telekommunikation, Postwesen, Rundfunk und Fernsehen, Banken, Versicherungen und andere Finanzdienstleistungen, Währungspolitik, Geldwäsche, Regionalentwicklung, Soziales, Fremdenverkehr, kleine und mittlere Unternehmen, Information und Kommunikation, Zoll, Statistik, Wirtschaftspolitik, Drogenpolitik sowie Verbraucherschutz. Folgende Bestimmungen sind fur die Rechtsangleichung bedeutsam: Die Zusammenarbeit im Bereich der Industrienormen und der Konformitätsprüfung soll die Förderung der Übernahme der technischen Regelwerke der Gemeinschaft und der europäischen Normen und Konformitätsprüfiingsverfahren sowie den Abschluß von Abkommen über gegenseitige Anerkennung in diesem Bereich anstreben.66 Auch im Telekommunikationssektor ist die Einfuhrung europäischer Normen, Zertifizierungssysteme und Harmonisierungskonzepte vorgesehen.67 Die Zusammenarbeit im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung zielt auf die gegenseitige Anerkennung von Studienzeiten und Diplomen.68 Im Bereich der Landwirtschaft und der Agroindustrie soll die Zusammenarbeit im Bereich der Gesundheit von Tieren und Pflanzen zu einer schrittweisen Angleichung an die Gemeinschaftsnormen durch Unterstützung von Ausbildungsmaßnahmen und Durchführung von Kontrollen fuhren. 69 Von besonderer Bedeutung für die Rechtsangleichung ist die Kooperation im Sektor Banken, Versicherungen und an63
64
Vgl. Art. 70 Abs. 2 UAbs. 2 EA-Ungarn. Vgl. bspw. Art. 70 Abs. 3 EA-Ungam.
65
Am bedeutsamsten ist bisher das Mitteleuropäische Freihandelsabkommen (CEFTA) zwischen Polen, Ungarn, der Tschechischen und der Slowakischen Republik. Vgl. dazu F. Mòdi, CEFTA — Die Mitteleuropäische Freihandelszone der Visegráder Vier, WIRO 1993, 289-291. 66
67
Vgl. bspw. Art. 73 EA-Ungarn und Art. 74 EA-Polen. Vgl. bspw. jeweils Art. 82 Abs. 1, 6. Spiegelstrich der EA mit Ungarn und Polen. Vgl. bspw. Art. 75 Abs. 4 UAbs. 2 EA-Ungam und Art. 76 Abs. 4 UAbs. 2 EA-Polen.
69
Vgl. bspw. Art. 76, 7. Spiegelstrich EA-Ungam und Art. 77 Abs. 1, 8. Spiegelstrich EA-Polen.
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dere Finanzdienstleistungen. Sie soll sich auf die Harmonisierung des Rechnungswesens mit den europäischen Normen, die Harmonisierung der Aufsichts- und Geschäftsregeln für Banken und Versicherungsdienstleistungen sowie die Übersetzung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und der assoziierten Ländern konzentrieren. Der Informationsaustausch soll sich vor allem auch auf geplante Rechtsvorschriften erstrecken.70 Im Bereich des Konsumentenschutzes fördern und gewährleisten die Vertragsparteien eine aktive Verbraucherschutzpolitik im Einklang mit den Rechtsvorschriften der Gemeinschaft, die Harmonisierung der Rechtsvorschriften und die Angleichung des Verbraucherschutzes an die in der Gemeinschaft geltenden Vorschriften sowie einen wirksamen Rechtsschutz der Verbraucher, um die Qualität der Verbrauchsgüter zu verbessern und geeignete Sicherheitsnormen für diese Güter zu gewährleisten.71 Bezüglich des Zolls zielt die Zusammenarbeit auf die Annäherung an die gemeinschaftlichen Zollregelungen, um die fur den Handel geplanten Liberalisierungsmaßnahmen zu erleichtern, und beinhaltet u.a. die Entwicklung einer grenzüberschreitenden Infrastruktur zwischen den Vertragsparteien, die Einfuhrung des Einheitspapiers und die Übernahme der Kombinierten Nomenklatur durch die assoziierten Länder sowie die Vereinfachung der Kontrollen und Förmlichkeiten im Güterverkehr.72 In einigen Abkommen ist die Optimierung des Atomrechts der betreffenden assoziierten Länder vorgesehen.
IV. Weißbuch zur Vorbereitung der assoziierten Staaten Mittelund Osteuropas auf die Integration in den Binnenmarkt der Union Nachdem die Gemeinschaft lange mit einer klaren Stellungnahme gezögert hatte, beschloß der Europäische Rat von Kopenhagen im Juni 1993, die assoziierten mittel- und osteuropäischen Länder, die dies wünschten, könnten Mitglieder der Europäischen Union werden. Der Beitritt könne erfolgen, sobald ein assoziiertes Land in der Lage sei, den mit der Mitgliedschaft verbun70
Vgl. bspw. Art. 83 EA-Ungarn. 71 72
Vgl. bspw. Art. 94 Abs. 2 EA-Estland (Entwurf).
Vgl. bspw. Art. 92 EA-Ungam und Art. 91 EA-Polen. 73 Vgl. bspw. Art. 79 Abs. 1,1. Spiegelstrich EA-Polen; Art. 80 Abs. 2, 4. Spiegelstrich EA-Bulgarien; Art. 80 Abs. 2, 3. Spiegelstrich EA-Rumänien; Art. 81 Abs. 2, 3. Spiegelstrich EA-Estland (Entwurf).
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denen Verpflichtungen nachzukommen und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu erfüllen. Folgende Voraussetzungen werden genannt74: - Stabilität der Institutionen, die die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit, die Wahrung der Menschenrechte und den Schutz von Minderheiten garantieren; - Existenz einer funktionsfähigen Marktwirtschaft; - Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Europäischen Union standzuhalten; - Übernahme der Ziele der Politischen Union und der Wirtschafts- und Währungsunion; - Fähigkeit, die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen zu übernehmen ("acquis communautaire"); - Fähigkeit der Union, neue Mitglieder aufzunehmen, dabei jedoch die Stoßkraft der europäischen Integration zu erhalten. a) Der Europäische Rat von Essen beschloß im Dezember 1994, die assoziierten Länder sollten ihre Rechtsvorschriften an die der Union angleichen, um zum Beitrittszeitpunkt auf die Teilnahme am Binnenmarkt vorbereitet zu sein. Weiter kündigte er an, zur Unterstützung dieses Prozesses werde die Kommission nach Konsultation mit den assoziierten Ländern ein Weißbuch vorlegen, in dem die Maßnahmen aufgezeigt würden, die die assoziierten Länder ergreifen müßten, um zum Zeitpunkt des Beitritts auf die Teilnahme am Binnenmarkt vorbereitet zu sein. Die Kommission hat dieses Weißbuch unter dem Titel "Vorbereitung der assoziierten Staaten Mittel- und Osteuropas auf die Integration in den Binnenmarkt der Union" im Mai 1995 vorgelegt.76 Es enthält keine die EA ergänzenden verbindlichen Vorgaben; vielmehr soll es den assoziierten Ländern als Richtschnur bei der Vorbereitung auf Wirtschaftsabläufe unter den
74
Vgl. EG-Bulletin 6/1993, Ziff. 1.13. Der Europäische Rat hat damit die von der Kommission ausgearbeiteten Leitlinien zu den künftigen Beziehungen zwischen der EG und den Staaten Mittel- und Osteuropas übernommen, vgl. Europe-Dokumente, Nr. 1814 v. 9.12.92,3. 75 76
Vgl. Europe-Dokumente, Nr. 1916 v. 14.12.94, 4.
Kom (95) 163 endg. v. 3.5.95 (Grunddokument) und KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95 (Anlagenband). Vgl. dazu H.-H. Herrnfeld, a.a.O., 98-103; M.A. Dauses, Osterweiterung der EU: MOE-Staaten ante portas, EuZW 1996, 353; F. Riccardi, Agence Europe, Nr. 6477 v. 10.5.95, 2f.
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Anforderungen des Europäischen Binnenmarktes dienen. Der Schwerpunkt des Weißbuches liegt auf denjenigen Gemeinschaftsmaßnahmen, mit denen der Binnenmarkt geschaffen und erhalten wird. Es wird ausdrücklich hervorgehoben, daß diese Heranfìihrungsstrategie an den Binnenmarkt den Beitrittsverhandlungen nicht vorgreift, die das gesamte Feld des Gemeinschaftsrechts und der Gemeinschaftspolitiken abdecken.77 Für den wirtschaftlichen Kontext wird betont, die allmähliche Angleichung an die Binnenmarktpolitik solle die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaften der MOEL stärken, den Nutzen des Übergangs mehren und zur Konsolidierung der makroökonomischen Stabilität beitragen. Die zeitliche Abfolge und das Tempo der Rechtsannäherung in den einzelnen assoziierten Ländern sei so anzupassen, daß die Wirtschaftsreformen dadurch gestärkt würden.78 Das Weißbuch erkennt an, daß im Zuge der Wirtschaftsreformen in den MOEL Institutionen entstanden sind, die die Grundlagen einer Marktwirtschaft bilden. Dazu gehörten ein System von Rechts- und Handelsnormen (z.B. Handelsgesetzbuch, Eigentumsrecht, Konkursrecht, Vertragsrecht, Verbraucherschutzrecht), die den Wirtschaftsteilnehmern Rechtssicherheit und Transparenz gewährleisteten, aber auch Unternehmen, Märkte und Regulierungsbehörden, die dezentralisierte Finanztransaktionen privater Wirtschaftsteilnehmer ermöglichten.79 Es verfolgt auch das Ziel, zur Abstützung der begonnenen wirtschaftlichen Reformen beizutragen. Das Weißbuch enthält keine komplette Auflistung der binnenmarktrelevanten Rechtsvorschriften. Vielmehr werden für 23 ausgewählte Themengebiete die grundlegenden Regelungsprinzipien und die Vorschriften vorgestellt, die prioritär umzusetzen sind. Die Zuordnung einzelner Maßnahmen zu den Stufen I oder II soll die auf der logischen Abfolge der Gesetzgebung beruhende Rangordnung widerspiegeln. Zur Stufe I gehören die Maßnahmen, die den allgemeinen Rahmen für detaillierte Vorschriften bilden, die die Grundprinzipien oder die grundlegenden Verfahren für bestimmte Sektoren betreffen oder die eine Voraussetzung für das tatsächliche Funktionieren des Binnenmarkts in einem bestimmten Sektor bilden, sowie solche, deren Umsetzung besonders viel Zeit erfordert.80 Die Empfehlungen des Weißbuches gehen nicht auf die spezifischen Erfordernisse der einzelnen assoziierten
77
K O M (95) 163 endg. v. 3.5.95, Ziff. 1.8.
7Ä
Ebenda, Ziff. 1.10. 79
ΟΛ
Ebenda, Ziff. 1.11. K O M (95) 163 endg. v. 3.5.95, Ziff. 3.18, 3.19.
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Länder ein; diese werden vielmehr aufgefordert, unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und politischen Bedingungen und der bisher geleisteten Arbeiten ihre eigenen Zeitpläne festzulegen.81 Die Vorschläge des Weißbuchs berücksichtigen auch nicht die mit der Verwirklichung bestimmter Maßnahmen verknüpften wirtschaftlichen Kosten oder Nutzen. Ausfuhrlich werden die administrativen und organisatorischen Strukturen beschrieben, die in jedem Bereich notwendig sind, wenn die Rechtsvorschriften effektiv umgesetzt und durchgesetzt werden sollen. Wörtlich heißt es dazu83: "Die wichtigste Herausforderung für die assoziiierten Länder bei der Übernahme der Binnenmarktvorschriften liegt nicht in der Angleichung der Rechtstexte, sondern in der Schaffung der administrativen und gesellschaftlichen Voraussetzungen dafUr, daß die Vorschriften auch wirklich greifen. Dieser komplexe Prozeß erfordert den Aufbau oder die Anpassung der erforderlichen Institutionen und Strukturen und damit eine fundamentale Neuverteilung der Kompetenzen sowohl der staatlichen Einrichtungen in Recht und Verwaltung als auch des entstehenden Privatsektors."
Als Beispiele für die nötige Infrastruktur zur effektiven Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben werden genannt84: - Einrichtungen, die Kontroll-, Aufsichts- oder Regulierungsfiinktionen im Namen staatlicher Behörden wahrnehmen (z.B. Überwachung der Solvabilität von Versicherungen); - Einrichtungen, die die Einhaltung technischer Regelungen oder Normen überprüfen (Prüflabors, Zertifizierungsstellen); - Einrichtungen, die die Marktaufsicht auf dem Gebiet des freien Warenverkehrs ausüben (z.B. Stellen für Veterinär- und Pflanzenschutzkontrollen, Gewerbeaufsichtsämter); - technische Organisationen, die für die Festlegung detaillierter Standards oder Normen zuständig sind (nationale Normenausschüsse, Berufsverbände); - repräsentative Organisationen, die bei der Überwachung der Einhaltung der Rechtsvorschriften mitwirken (Verbraucherverbände, Gewerkschaften, Berufs- oder Wirtschaftsverbände);
81
Ebenda, Ziff.1.15.; vgl. auch Ziff. 1.4., 1.5., 3.21., 3.24., 5.3.
82
Ebenda, Ziff. 3.20.
Ol
Ebenda, Ziff. 3.25. 84
KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95, 1 h.
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- gerichtliche oder gerichtsähnliche Instanzen, denen Durchsetzungsbefugnisse übertragen werden können. Die Kommission stellt besonders heraus, daß die Angleichung der Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt auf einem hohen gemeinschaftlichen Umwelt-, Sozial- und Verbraucherschutzniveau erfolgt85 und die Akzeptanz des Binnenmarktes Maßnahmen zur Stärkung des wirtschaftlichen und soziaÖZ len Zusammenhalts und fur den Umwelt- und Verbraucherschutz erfordert. Der umfangreiche Anhang zum Weißbuch87 enthält eine in 23 Bereiche der Rechtsetzung gegliederte Darstellung der Gemeinschaftsvorschriften fur den Binnenmarkt. Im wesentlichen wurden die Vorschriften des sekundären Gemeinschaftsrechts ausgewählt, die den freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen, Personen und Kapital unmittelbar berühren. Größtenteils ausgeklammert wurden dagegen die Rechtsvorschriften, die sich nur indirekt auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken, weil sie bspw. einen offenen und fairen Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern innerhalb des gesamten Marktes, soziale Mindeststandards und einen angemessenen Umweltschutz gewährleisten.88 In jedem der ausgewählten Bereiche enthalten die Darlegungen folgende Elemente89: - "eine allgemeine Einfuhrung in jedes Rechtsgebiet, in der die fundamentale Zielsetzung und Methodik des Gemeinschaftsrechts in dem betreffenden Bereich beschrieben werden; - eine Zusammenfassung der notwendigen Voraussetzungen für die Anwendung des betreffenden Rechtsinstrumentariums der Gemeinschaft einschließlich der Rechts- und Verwaltungsstrukturen; - eine Beschreibung der zentralen Maßnahmen und Empfehlungen fur die zeitliche Abfolge der Angleichungsschritte in jedem Rechtsgebiet, um die begrenzten Ressourcen konzentriert dort einsetzen zu können, wo sie den größten Beitrag zum Prozeß der Rechtsannäherung leisten werden". Tabelle 9 gibt einen Überblick über die von den assoziierten Staaten Mittel- und Osteuropas zur Vorbereitung auf die Integration in den Binnenmarkt 85
KOM (95) 163 endg. v. 3.5.95, Ziff. 2.13.
86
Ebenda, Ziff. 2.14., 3.8.
87
KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95. 88
Ebenda, lf.
89
Ebenda, 1 g.
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in den einzelnen Sektoren zu übernehmenden Rechtsakte. Mit erster Priorität sind im Weißbuch 390 Rechtsakte angeführt, mit zweiter 340, im Bereich des Verkehrs und der gegenseitigen Anerkennung der beruflichen Befähigungsnachweise weiter 15 Rechtsakte mit dritter Priorität. Bei der Kontrolle gefährlicher Stoffe und in der Abfallwirtschaftspolitik konnten 32 Rechtsakte dieser Prioritätsskala nicht zugeordnet werden, da die einschlägigen Vorschriften ein homogenes Gesamtwerk darstellen und der Erlaß isolierter Einzelvorschriften keinen Nutzen bringt.90 b) Für den freien Warenverkehr und die Sicherheit von Industrieerzeugnissen empfiehlt die Kommission die schrittweise Übernahme des gesamten gemeinschaftlichen Besitzstandes. In den Ausführungen spiegelt sich der von der Gemeinschaft vollzogene Wechsel der Regulierungsstrategie. Nach der ursprünglichen Konzeption zum Abbau technischer Handelshemmnisse werden in häufig der Anpassung bedürftigen Richtlinien detailliert Vermarktungsanforderungen geregelt, die etwa durch Erfordernisse des Schutzes der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit sowie des Umwelt- und Verbraucherschutzes gerechtfertigt sind. Genannt werden 79 Richtlinien zu Kraftfahrzeugen, neun zu Chemieprodukten, 18 zu Human- und acht zu Tierarzneimitteln. Im übrigen wird die Übernahme der Grundlagen der neuen Konzeption zur technischen Harmonisierung und Normung91 empfohlen, nach der in Richtlinien für umfassende Produktgruppen nur noch grundlegende Anforderungen aufgestellt werden, die Festlegung der technischen Spezifikationen in nicht rechtsverbindlichen technischen Normen aber den europäischen Normungsorganisationen, vor allem CEN, CENELEC und ETSI, überlassen wird. Dies setzt erhebliche Änderungen im Bereich der technischen Normung in den MOEL voraus.92 Es müssen von den Regierungen unabhängige Normungsgremien geschaffen werden, die sich aktiv an den Arbeiten der europäischen Normungsgremien in deren gesamten Tätigkeitsbereich beteiligen.93 Sie müssen in der Lage sein, unter den interessierten Kreisen einen Konsens herzustellen. Schließlich ist der vollständige Korpus der europäischen Normen als freiwillige nationale Normen zu übernehmen. Weiter ist das detailliert ausge-
90
Ebenda, 229f„ 232, 243.
91
Grundlegend: Entschließung des Rates v. 7.5.1985 über eine neue Konzeption auf dem Gebiet der technischen Harmonisierung und der Normung, ABl. C 136 v. 4,6,85, 1-9. 92 Ausführlich dazu KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95,12-17. 93
Die Normungsinstitute der assoziierten Länder haben bei CEN und CENELEC derzeit einen Status als angegliederte Normungsinstitute und streben die Vollmitgliedschaft an.
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arbeitete Konformitätsbewertungssystem94 einzuführen. Das erfordert die Schaffung von Zertifizierungsstellen und — noch grundlegender — eine umfassende Qualitätssicherungspolitik der Unternehmen. Der weitgehende Rückzug verbindlicher staatlicher Regelsetzung wird begleitet durch den Aufbau eines den gemeinschaftlichen Anforderungen entsprechenden Marktüberwachungssystems.95 Besonders interessant ist der Vorschlag, das System der sog. Informationsrichtlinie,96 das der gegenseitigen Information über neue Normungsvorhaben und über von den Mitgliedstaaten geplante technische Vorschriften dient, in einer ersten Phase nicht im strengen Sinne anzuwenden, sondern ein vergleichbares Informationsaustauschsystem zwischen den assoziierten MOEL einzuführen.97 Mit dem Aufbau einer solchen Parallelstruktur wären die Voraussetzungen für einen Austausch zwischen diesen beiden Systemen geschaffen, ohne die jeweiligen internen Verfahren zu beeinträchtigen. Sowohl die EG-Mitgliedstaaten als auch die MOEL müßten akzeptieren, daß die andere Seite das Recht habe, zu den Entwürfen der technischen Vorschriften, die den Handel zwischen den MOEL und der EG beeinträchtigen könnten, Stellung zu nehmen und eventuelle Änderungen zu beantragen. c) Im Hinblick auf das Wettbewerbsrecht9i unterstreicht das Weißbuch, daß die MOEL auf dem Weg zur Konsolidierung der neu eingeführten marktwirtschaftlichen Strukturen eine aktive Wettbewerbspolitik betreiben müssen, es nach den EA aber nicht erforderlich sei, den einschlägigen gemeinschaftlichen Rechtsbestand insgesamt zu übernehmen. Jedes Land könne 94
Grundlegend: Mitteilung der Kommission an den Rat "Ein globales Konzept für Zertifizierung und Prüfwesen. Instrument zur Gewährleistung der Qualität bei Industrieerzeugnissen", ABl. C 267 v. 19.10.89, 3-27; Entschließung des Rates v. 21.12.1989 zu einem Gesamtkonzept für die Konformitätsbewertung, ABl. C 10 v. 6.1.90, lf.; Beschluß des Rates v. 22.7.1993 über die in den technischen Harmonisierungsrichtlinien zu verwendenden Module für die verschiedenen Phasen der Konformitätsbewertungsverfahren und die Regeln für die Anbringung und Verwendung der CE-Konformitätskennzeichnung, ABl. L 220 v. 30.8.93, 23-39. 95
Vgl. dazu Richtlinie 92/59/EWG des Rates v. 29.6.1992 über die allgemeine Produktsicherheit, ABl. L 228 v. 11.8.92, 24-32 und die Richtlinie 89/397/EWG des Rates v. 14.6.1989 Uber die amtliche Lebensmittelüberwachung, ABl. L 186 v. 30.3.89, 23-26 96 Richtlinie 83/189/EWG des Rates v. 28.3.1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. L 109 v. 26.4.83, 8-12. 97
KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95, 8.
98
Einschließlich der Bestimmungen über öffentliche Unternehmen und staatliche Monopole wie auch über staatliche Beihilfen.
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selbst entscheiden, welche Form der Gesetze oder Leitlinien seiner Lage am besten angepaßt seien. Die Wettbewerbspolitik müsse von sämtlichen Beteiligten, d.h. Regierungen, Unternehmen und Arbeitnehmern, unterstützt werden und ihre Anwendung müsse auch von allen Beteiligten erwartet werden." Ein besonderes Dilemma ergebe sich daraus, daß in der Wettbewerbspolitik mit dem Beitritt viele Zuständigkeiten an die Kommission fielen. Das Weißbuch schlägt vor, daß die MOEL für diese Bereiche nur leichte Ad-hocStrukturen aufbauen und in der Übergangsphase zum erweiterten Binnenmarkt und zum Beitritt die Kommission freiwillig in den Entscheidungsprozeß einbeziehen.100 Auch wenn nach dem Beitritt wichtige Teile des Wettbewerbsrechts Vorrang vor dem nationalen Recht haben und unmittelbar in den MOEL gelten, empfiehlt sich in der Übergangszeit der autonome Nachvollzug dieser Bestimmungen, damit die Wirtschaftsbeteiligten sich früh auf den dann geltenden Rechtsrahmen einrichten können. Die Kommission erinnert daran, daß auch viele Mitgliedstaaten ihre Systeme dem gemeinschaftlichen Wettbewerbsrecht angepaßt haben, damit die Beteiligten nicht mit unterschiedlichen Beurteilungskriterien rechnen müssen je nach dem, ob ein Sachverhalt auf nationaler oder gemeinschaftlicher Ebene beurteilt wird.101 d) Im Sozialbereich werden alle Richtlinien zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz sowie zur Harmonisierung des Arbeitsvertragsrechts angeführt, aber nur die Basisvorschriften zur Sicherung der Chancengleichheit von Frauen und Männern am Arbeitsplatz und zur Abstimmung der Systeme der sozialen Sicherheit sowie aus dem Sektor der Gesundheitspolitik lediglich zwei Richtlinien über Tabakerzeugnisse. Als erforderliche behördliche und betriebliche Infrastruktur fur den Arbeitsschutz werden eine effiziente Arbeitsaufsicht mit hinreichenden Kompetenzen und Ressourcen, verantwortliche und informierte Unternehmensleitungen und angemessen ausgebildete und informierte Arbeitnehmer genannt.102 e) Im Agrarsektor beschränkt sich das Weißbuch wegen der Binnenmarktorientierung auf die Richtlinien und Verordnungen, die unmittelbare Bedeutung für den freien Warenverkehr mit Agrarerzeugnissen haben. Sie betreffen in erster Linie Richtlinien zur Harmonisierung von Bestimmungen zum Verbraucherschutz, zur öffentlichen Gesundheit oder zum Tier- und 99
KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95., 51.
100
Ebenda, 52.
101
Ebenda, 56, 59.
102
Ebenda, 75.
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Pflanzenschutz. Aus dem Bereich der Vermarktungsregeln, die den weitaus größten Teil des gesamten Gemeinschaftsrechts darstellen, werden lediglich 55 Verordnungen genannt, die der Klassifikation bzw. der Harmonisierung von Qualitätsstandards dienen. Diese Auswahl ist gleichzeitig ein Hinweis darauf, daß bisher noch keine Konzeption zur Einbeziehung der MOEL in die Gemeinsame Agrarpolitik entwickelt worden ist.103 f) Im Verkehrssektor sind vor allem für den Straßenverkehr, aber auch für den Schienenverkehr, die Binnenschiffahrt, den Seeverkehr und den Luftverkehr Vorschriften angeführt, die den Berufszugang, technische Standards, soziale Bedingungen, Sicherheit und Umweltschutz umfassen. Sie gehen zum Teil auf internationale Abkommen zurück (bspw. bezüglich des Gefahrguttransportes und des Seeverkehrs104) und erfordern zu ihrer effektiven Durchsetzung ein Netz von Behörden bzw. beauftragten Stellen mit hohem technischen Sachverstand u.a. zur technischen Überwachung von Kraftfahrzeugen sowie zur Kontrolle der Lenk- und Ruhezeiten im Straßenverkehr). g) Aus den insgesamt ca. 200 gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften für den Umweltschutz nennt das Weißbuch im wesentlichen nur die Rechtsvorschriften, die produktbezogene Umweltanforderungen enthalten.105 Dazu gehören Vorschriften über Chemikalien, genetisch veränderte Organismen, Kraftfahrzeugemissionen, produktbezogene Lärmvorschriften, Strahlenschutz, radioaktive Kontamination von Lebensmitteln sowie über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, und über die Verbringung von Abfall. Unberücksichtigt bleiben dagegen anlagen- und produktionsbezogene Vorschriften, Qualitätsstandards für bestimmte Umweltmedien, der gesamte Bereich des Naturschutzes und alle horizontalen Umweltvorschriften bspw. über das Umweltzeichen, die Umweltverträglichkeitsprüfung, den Zugang zu Umweltinformationen und das betriebliche Umweltmanagement. Soweit die assoziierten Staaten bereits Umweltrahmengesetze verabschiedet haben, ha-
103 Die Kommission hat schon seit längerem die Vorlage eines Weißbuches über eine Beitrittsvorbereitungs-Strategie der MOEL im Bereich der Landwirtschaft angekündigt.
104 Die fllr die Seeschiffahrt geltenden gemeinschaftlichen Regelungen beruhen im wesentlichen auf Übereinkommen innerhalb der internationalen Seeschiffahrtsorganisation (IMO) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). 105 KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95,214-218.
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ben sie sich sehr stark an den Prinzipien der gemeinschaftlichen Umweltpolitik orientiert und gerade auch deren horizontale Elemente berücksichtigt. 06 h) Für die Telekommunikation, einem Sektor der erst seit 1987 Gegenstand der Gemeinschaftspolitik ist, waren allein 7 der von der Kommission insgesamt benannten 19 Maßnahmen zum Zeitpunkt der Vorlage des Weißbuches noch nicht verabschiedet. Das deutet die Dynamik dieses fur eine moderne Infrastruktur und auch unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten so bedeutsamen Sektors an. Die Voraussetzungen, die sie fur die Anwendung der einschlägigen Rechtsvorschriften anfuhrt, sind besonders anspruchsvoll: ein gut entwickeltes ordnungspolitisches System fur den Wettbewerb, dem sowohl der private als auch der öffentliche Sektor unterliegen, die Trennung der ordnungspolitischen Aufgaben vom Betrieb des Netzes und vom Angebot bestimmter Dienste, die Entwicklung eines voraussetzungsvollen Kostenrechnungssystems und die Schaffung von Zulassungs- und Marktüberwachungsstellen.107 i) Für das öffentliche Auftragswesen schlägt das Weißbuch vor der Übernahme des in sechs Richtlinien niedergelegten kompletten gemeinschaftlichen Vergaberechts unter Hinweis auf das etappenweise Vorgehen bei der gemeinschaftlichen Regulierung dieses Bereiches ein besonders behutsames schrittweises Vorgehen und die sorgfältige Berücksichtigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Lage in den einzelnen assoziierten Staaten vor. Die Öffnung der Beschaffungsmärkte für den Wettbewerb setze als absolute Vorbedingung rechtliche Rahmenbedingungen voraus, die die Voraussetzungen für den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr bzw. den Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern und die Überwachung staatlicher Beihilfen schafften. 108 j) In dem für eine erfolgreiche Transformation von Zentralverwaltungswirtschafiten in Marktwirtschaften zentralen Sektor der Finanzdienstleistungen empfiehlt das Weißbuch die zeitlich gestufte Übernahme von 9 Richtlinien für Banken, 7 Richtlinien für Wertpapiere, Börsen und Investmentfonds und 5 Richtlinien für Versicherungen sowie die Umsetzung der Geldwäsche-Richtlinie. Als Voraussetzungen für einen reibungslos funktionierenden Finanzsektor werden neben angemessenen Rechtsvorschriften vor 106
Vgl. A. Gobert, Das Umweltschutzrecht in Ungarn nach dem neuen Umweltschutzrahmengesetz und unter Berücksichtigung der Harmonisierungsbestrebungen mit der Europäischen Union, ROW 1996, 8-15. 107
KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95, 261.
108
Ebenda, 277f.
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allem geschultes und vertrauenswürdiges Personal und effizient arbeitende Aufsichtsbehörden über Banken, Börsen und Versicherungen genannt. 109 Für den in seiner volkswirtschaftlichen Bedeutung in Transformationsökonomien besonders hervorgehobenen Sektor des Hypothekarkredits" 0 gibt es keine spezifischen gemeinschaftlichen Regelungen. Bei den Finanzdienstleistungen stellt sich ein schwieriges Abstimmungsproblem zwischen den Erfordernissen der eingeleiteten Wirtschaftsreform und der Rechtsangleichung. Die Binnenmarktvorschriften fuhren tendenziell zu strengeren Aufsichtsregeln und zu stärker deregulierten Märkten.111 Diese Vorschriften dürfen deshalb erst übernommen werden, wenn die neuen Finanzinstitute in den MOEL eine erste Konsolidierungsphase überstanden haben. k) Für das allgemeine Zivilrecht empfiehlt das Weißbuch die Übernahme der Richtlinien über die Produkthaftung und über das Handelsvertreterrecht und verweist auf das Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von Brüssel und das Schuldrechtsübereinkommen von Rom. Ungarn hat bereits im März 1993 ein Produkthaftungsgesetz verabschiedet, bei dem es sich um eine systematische, meist buchstäbliche Übernahme der Produkthaftungsrichtlinie handelt. Die Gesetzesbegründung verweist ausdrücklich auf die Ergebnisse der europäischen Rechtsvereinheitlichung, auf das Assoziierungsabkommen Ungarns und seine Absicht, der EG beizutreten.112 1) Weitere zivilrechtliche Vorschriften enthält der Abschnitt über die Verbraucherschutzpolitik. Das Weißbuch schlägt vor, sieben Richtlinien, die den wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher dienen, und vier Richtlinien zur Produktsicherheit zu übernehmen. Die Kommission nennt u.a. folgende Voraussetzungen für die Anwendung der Rechtsvorschriften: Einrichtung einer Interessenvertretung der Verbraucher, die sicherstellt, daß Verbraucher am Entscheidungsprozeß beteiligt werden, Maßnahmen zur Stärkung des Verbraucherbewußtseins, Vorkehrungen zur Erlangung von Entschädigungen bzw. zur Durchsetzung von Rechten und schließlich Förderung nicht-öffentlicher Verbraucherorganisationen.113
109
Ebenda, 281-284, 298f.
110
Ebenda, 284.
111
Vgl. KOM (95) 163 endg. v. 3.5.95, Ziff. 4.11., 4.14.
112
Vgl. A. Vida, Ungarns freiwillige Anpassung an das Europarecht, WIRO 1994, 4-7
(6f.). 113
KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95,427f.
208
Josef Falke
m) Bei der gegenseitigen Anerkennung der beruflichen Befähigungsnachweise hat das Weißbuch von 57 einschlägigen Richtlinien 18 ausgewählt und eine zeitlich stark gestaffelte Übernahme vorgeschlagen. Es wird deutlich herausgestellt, daß sich die Gemeinschaft nur auf die Organisation der gegenseitigen Anerkennung von Berufsabschlüssen beschränkt und daß vor allem nationalen Aufsichtsbehörden bzw. Berufskammern oder berufsständischen Vertretungen die Schlüsselrolle für die Festlegung der Qualifikationsanforderungen, die Zulassung und die Kontrolle der Ausübung reglementierter Berufe zukommt.114 n) Für den Zollbereich empfiehlt das Weißbuch den MOEL, ihre nationalen Rechtsvorschriften an das EG-System anzupassen, einen Kernbereich der sehr umfassenden gemeinschaftlichen Zollvorschriften115 zu übernehmen, dem Übereinkommen über das gemeinsame Versandverfahren116 und dem Übereinkommen über die Vereinfachung der Förmlichkeiten im Warenverkehr117 beizutreten sowie die Kombinierte Nomenklatur der Gemeinschaft zu übernehmen. Dies würde noch nicht zu einem Markt ohne Binnengrenzen führen, aber die in den EA vorgesehene Liberalisierung des Warenverkehrs erleichtern und den Weg für den geplanten Beitritt bereiten.118 Allen EA ist ein Protokoll über Amtshilfe im Zollbereich beigefugt, so daß sich die EGMitgliedstaaten und die MOEL gegenseitig bei der ordnungsgemäßen Anwendung der Zollvorschriften unterstützen können. o) Bei den indirekten Steuern empfiehlt das Weißbuch die schrittweise Übernahme des Mehrwertsteuersystems der EG sowie eine Angleichung der nationalen Rechte an die gemeinschaftlichen Regeln zu den Verbrauchsteuern. Als Voraussetzung für eine effektive Handhabung des Mehrwertsteuersystems werden eine Zentralbehörde und ein Netz von Mehrwertsteuer-Behörden auf regionaler bzw. lokaler Ebene sowie ein zentrales Verbindungsbüro, die regelmäßige Erhebung der Umsatzdaten der Unternehmen und der Anschluß an das zentrale Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem be-
114
Ebenda, 339-342.
115
Die im Anhang abgedruckte Liste der geltenden Zollvorschriften der Gemeinschaft umfaßt nicht weniger als 311 Rechtsakte, vgl. KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95, 389-403. 116
Vgl. Beschluß 87/415/EWG des Rates v. 15.6.1987 über den Abschluß des Übereinkommens über ein gemeinsames Versandverfahren, ABl. L 226 v. 13.8.87, Iff. 117
Vgl. Beschluß 87/267/EWG des Rates v. 28.4.1987 zum Abschluß eines Übereinkommens zur Vereinfachung der Förmlichkeiten im Warenverkehr, ABl. L 134 v. 22.5.87, Iff. 118
KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95, 384f.
Systemtransformation und Rechtsangleichung
209
nannt. 119 Alle MOEL haben in mehr oder weniger großer Übereinstimmung mit dem einschlägigen EG-Recht seit relativ kurzer Zeit die Mehrwertsteuer eingeführt. Die erheblichen Fortschritte werden gerade darauf zurückgeführt, daß von einem Nullpunkt ausgegangen werden konnte.120
V. Koordinierung und Unterstützung des Rechtsangleichungsprozesses a) Die assoziierten Mitgliedstaaten haben frühzeitig Vorkehrungen für die Berücksichtigung gemeinschaftsrechtlicher Anforderungen im Rahmen ihrer umfangreichen Rechtsetzungsarbeiten zur Abstützung der wirtschaftlichen Systemtransformation getroffen. Erleichtert wurde dies dadurch, daß der Systemwechsel vielfach ausdrücklich als "Rückkehr nach Europa" 121 verstanden wurde. 122 In Ungarn legte bereits im September 1988 der Regierungsbeschluß über die einheimischen Aufgaben bezüglich des EG-Binnenmarktes fest, daß die zuständigen Regierungsbehörden bei der Gestaltung von ungarischen Rechtsakten neben der Sicherung der inländischen Interessen auch das Europarecht bzw. die EG-rechtlichen Lösungen berücksichtigen sollten. Der Regierungsbeschluß vom März 1990 über das Harmonisierungsverfahren mit dem EG-Recht hält die stufenweise Annäherung des ungarischen Rechtssystems an das EG-Recht für erwünscht. Bei der Erstellung von Entwürfen zu ungarischen Gesetzen soll jeweils geprüft werden, ob es einschlägige EGRegelungen oder Vorschläge dazu gibt. In der Gesetzesvorlage ist darzustellen, wie der ungarische Entwurf sich zu der EG-Regelung oder zu dem Vorschlag einer solchen verhält. Nach Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens im Dezember 1991 wurde im April 1992 die Interministerielle Kommission zur Koordinierung der Regierungsaufgaben im Zusammenhang 119
Ebenda, 405f.
120
Vgl. KOM (95) 163 endg. v. 3.5.95, Ziff. 4.15.
121
Vgl. A. Pradelto, Der Osten Europas und die Gemeinschaft der Europäer, Europäische Rundschau 3/1991, 43-63; ders., Europa nach der Revolution. Ost und West vor säkularen Herausforderungen, Aus Politik und Zeitgeschichte Β 6/92, 3-10.
122
Vgl. zum folgenden A. Vida, Ungarns freiwillige Anpassung an das Europarecht, WIRO 1994, 4-7 (4f.); E. Sieber, Ungarns Harmonisierungsbestrebungen in Richtung des Rechts der Europäischen Gemeinschaft, in: D. Rogalla (Hrsg.) Binnenmarkt '92. Rückenwind für ein Europa der Bürger, Sindelfingen 1991, 151-154; Herrnfeld, a.a.O., 151f.
210
Josef Falke
mit der europäischen Integration geschaffen. Das Gesetz über das Inkrafttreten des EA legt fest, daß bei allen Gesetzgebungsvorhaben die Anforderungen des EA zu beachten sind. Das Gesetz über die Gesetzgebung bestimmt nach seiner Änderung ausdrücklich, daß in der Begründung zu Gesetzentwürfen jeweils zur Frage der Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht Stellung genommen werden muß. Das Justizministerium hat im Rahmen seiner allgemeinen Rechtsförmlichkeitsprüfung auch die Vereinbarkeit mit dem EGRecht zu beurteilen. In Polen123 verpflichtete der Beschluß des Ministerrates vom 29.3.1994124 alle Ministerien und anderen zentralen Organe der Staatsverwaltung, den von ihnen vorbereiteten Gesetzentwürfen eine Anfangsbeurteilung beizufügen, die darlegt, inwieweit der Entwurf den einschlägigen EG-Regelungen entspricht bzw. warum vorläufig von einer vollständigen Angleichung abgesehen wurde und innerhalb welcher Frist eine Nachbesserung erfolgen soll. Der Regierungsbeauftragte für Angelegenheiten der Europäischen Integration und Auslandshilfe hat die Entwürfe hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit dem Gemeinschaftsrecht zu begutachten und eine der endgültigen Entwurfsfassung beizulegende Abschlußbeurteilung zu erteilen. Auch für bestehende Gesetze soll ein Prüfverfahren geschaffen werden. Zur Planimg des Rechtsangleichungsprogramms ist im Auftrag der polnischen Regierung ein Weißbuch erstellt worden, das in 34 Teilbänden die geltende Rechtslage und den Rechtsanpassungsbedarf schildert.125 Die föderative Regierung der CSFR und die Regierung der beiden Teilrepubliken haben schon mit dem Beginn der Verhandlungen des ersten EA im Jahr 1991 beschlossen, die Kompatibilität des jeweiligen Rechts mit dem EGRecht sicherzustellen.126 Im März 1993 hat die tschechische Regierung ergänzend die Angleichung der technischen Vorschriften und Normen an europäische Standards beschlossen. Nach dem Kompetenzengesetz der Tschechischen Republik ist zunächst jedes Ministerium dafür verantwortlich, daß die von ihm initiierten Gesetzes- und Verordnungsentwürfe mit dem einschlägigen Gemeinschaftsrecht vereinbar sind. Für die ressortübergreifende Koor123 124
Vgl. zum folgenden Herrnfeld, a.a.O., 150. Vgl. die Kurzhinweise in ROW 1994, 146 und WIRO 1994, 338.
125 Der Vorbereitungsdienst für die Gesetzgebungstätigkeit umfaßt nach der Verordnung des Ministerrates vom Juni 1995 auch Veranstaltungen über das Recht der Europäischen Union und die Anpassung des polnischen Rechts an das europäische Recht. Vgl. den Kurzhinweis in WIRO 1995, 431. 126 Vgl zum folgenden Schlemann, Verny, a.a.O, 89f.
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211
dinierung und Sicherstellung der EG-Harmonisierung unter Einbeziehung der gesamten öffentlichen Verwaltung ist die am 1.4.1993 gegründete Abteilung für die Kompatibilität mit EG-Recht des Amtes fur Legislative und öffentliche Verwaltung zuständig. Nach der Verordnung über die Angleichung des tschechischen Rechts an das Europäische Gemeinschaftsrecht vom 4.5.1994 ist der Vize-Premierminister mit der Koordination aller Rechtsangleichungsmaßnahmen beauftragt; alle Ministerien und andere zentrale Staatsorgane wurden verpflichtet, einen Bericht über den Anpassungsbedarf des geltenden nationalen Rechts vorzulegen.127 b) Für die Annäherungsschritte der MOEL an das Binnenmarktrecht kündigt das Weißbuch technische Hilfe der Europäischen Union an. Sie soll von einem Amt für den Informationsaustausch über die technische Hilfe bei 128 der Kommission koordiniert werden und u.a. folgende Elemente umfassen: - den unmittelbaren und raschen Zugang zu den gesamten aktuellen gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften129 und der Rechtsprechung des EuGH130 sowie zu den Übersetzungsdiensten; - die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle, bei der Hilfe für spezifische Probleme im Zusammenhang mit der Anwendung der Rechtsvorschriften beantragt werden kann; - juristische und technische Beratung über das gemeinschaftliche Rechtssystem und die Auslegung einzelner Vorschriften sowie bei der Ausarbeitung nationaler Rechtsvorschriften; - Informationen über die Um- und Durchsetzungsmechanismen in den Mitgliedstaaten, Teilnahme an Austauschprogrammen; - Informationen über die Funktionsweise des Binnenmarktes fur die Wirtschaftsteilnehmer in bestimmten Sektoren und für die breite Öffentlichkeit. 127
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Vgl. Herrnfeld, a.a.O., 150. Vgl. KOM (95) 163 endg. v. 3.5.95, Ziff. 5.6., 5.11. bis 5.15.
129 Eine erhebliche Erleichterung — nicht nur für die MOEL — wäre die Zugriffsmöglichkeit auf eine Datei mit den jeweils konsolidierten Fassungen der häufig vielfach geänderten Rechtsakte. 130 Dies kann helfen, daß sich die Vollzugspraxis und Rechtsprechung in den MOEL nach dem autonomen Nachvollzug des Gemeinschaftsrechts frühzeitig an der autoritativen Auslegung des Gemeinschaftsrechts durch den EuGH orientiert. — Ausdrücklich hebt das Weißbuch hervor, daß eine eingehende Kenntnis der Rechtsprechung des EuGH zu Artikel 30 EGV erforderlich ist, um die Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken zu produktspezifischen Anforderungen in den Bereichen zu prüfen, für die auf Gemeinschaftsebene keine harmonisierten Regelungen bestehen. Vgl. KOM (95) 163 endg./2 v. 10.5.95, 273.
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Zur Vermeidung von Überschneidungen und zur Koordinierung der verschiedenen Initiativen wird eine Datenbank mit Informationen über Hilfsprogramme der Kommission, der EG-Mitgliedstaaten und privater Stellen sowie über die Rechtsangleichung in den assoziierten Ländern eingerichtet.131 Die Entwicklung rechtlicher Rahmenbedingungen und die Angleichung der Rechtsvorschriften an die Erfordernisse des Binnenmarktes wird auch im Rahmen von PHARE-Programmen 132 unterstützt.133 Solche Programme bestehen u.a. für die Bereiche gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht, Verbraucherschutz, technische Harmonisierung, Zoll und Statistik, Umweltschutz,134 öffentliches Auftragswesen, Wettbewerbsrecht, Bankrecht, Energierecht, Transportrecht, Post- und Telekommunikationsrecht sowie Recht der öffentlichen Gesundheit. Die PHARE-Programme im Rechtsbereich sind darauf zugeschnitten, von privaten Beratern, insb. multinationalen Konsortien,135 durchgeführt zu werden.136 c) Auch einzelne Mitgliedstaaten bieten fachliche Beratung bei der Rechtsangleichung zur Vorbereitung auf die Anforderungen des Binnenmarktes an. Die Deutsche Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit 137 e.V. (IRZ) wurde im Mai 1992 gegründet und von der Bundesregierung
131
KOM (95) 163 endg. v. 3.5.95, Ziff. 5.14., 5.15. Vgl. näher dazu Herrnfeld, a.a.O.,
155f. 132 PHARE (Pologne, Hungary, Aide á la Reconstruction Economique) wurde im Juli 1989 gegründet und diente ursprünglich der Hilfe beim Übergang von der Plan- zur Marktwirtschaft in Polen und Ungarn. Später wurde es auf andere MOEL, einschließlich der neuen baltischen Staaten, ausgeweitet. 133 Vgl. Mitteilung der Kommission, Beziehungen zu den assoziierten Ländern in Mittelund Osteuropa — Task Force zur Angleichung der Rechtsvorschriften, KOM (94) 391 endg. v. 16.9.94, 5f.; Herrnfeld, a.a.O., 154-156; besonders anschaulich B. Schlemann, A. Verny, Die Harmonisierung des Rechts der Tschechischen Republik im Rahmen des Assoziierungsprozesses, WIRO 1996, 89-92 (91). 134 Vgl. die Ausschreibung der PHARE-Fazilität zur Förderung der Rechtsangleichung im Umweltbereich, ABl. C 105 v. 11.4.96, 17. 135 Kritisch zu dieser Form der Rechtsberatung R. Knieper, Wirtschaftsreform als Rechtsreform in post-kommunistischen Gesellschaften?, RIW 1993, 907-909; G. Garbrecht, Langzeitberater im Transformationsprozeß — das Beispiel Lettland, ROW 1995, 86-88. 136
Vgl. bspw. Schlemann, Verny, a.a.O., 91.
137 Vgl. dazu L. Fadé, Rechtstransfer nach Osteuropa — eine Investition in die Zukunft, WIRO 1993, 87-89; K. Kinkel, Juristischer Know-how-Transfer in die Staaten Mittel- und
Systemtransformation und Rechtsangleichung
213
damit beauftragt, elf Partnerstaaten (Polen, Ungarn, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Russische Föderation, Ukraine und Weißrußland) bei der Reform ihrer Rechtssysteme zu unterstützen. Voraussetzung für ein Tätigwerden ist ein entsprechender Wunsch aus einem der Partnerländer. Die sachlichen Schwerpunkte der Beratungsaktivitäten liegen auf der Schaffung rechtsstaatlicher Verfassungsstrukturen, dem Aufbau einer privatrechtlichen Ordnung, den rechtlichen Rahmenbedingungen für eine unternehmerische Tätigkeit sowie der Schaffung einer unabhängigen und funktionsfähigen Justiz und Verwaltung. In diesem weiter abgesteckten Gebiet geht es auch um die Berücksichtigung europarechtlicher Belange, wobei das deutsche Recht als Beispiel einer Rechtsordnung gilt, die dem EG-Standard entspricht. VI. Weitere Perspektiven Bei all den geschilderten Bemühungen der Rechtsangleichung und der Unterstützung dabei bleiben die allgemeinen Bedingungen gelungener Rezeption fremden Rechts weitgehend außerhalb der Debatte.13 In der angetroffenen Transformationssituation werden unter extremer Zeitknappheit umfangreiche Normenkomplexe rezipiert, ohne daß vorher rechtsvergleichende Grundlagenuntersuchungen durchgeführt werden. Die Orientierung der MOEL an den wesentlichen Beständen des den europäischen Binnenmarkt konstituierenden Rechtes zu ihrer Vorbereitung auf den von ihnen politisch gewünschten möglichst raschen Beitritt zur Europäischen Union verweist sie dabei auf Rechtsmaterien, die nur noch wenig durch nationale Besonderheiten geprägt sind139 und deren Übernahme ohnehin eine Vorbedingung für die Mitgliedschaft in der Europäischen Union ist. Das Weißbuch der Kommission ist weit von einem rein legalistischen Konzept entfernt und weist sehr konsequent auf die institutionellen Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Osteuropas, WIRO 1992, 2-4. Siehe auch die Tätigkeitsberichte in WIRO 1993, 448; 1994, 488; 1995, 120, 440. 138
Vgl. aber J. Kranjc, Probleme der Übernahme ausländischer Rechtssätze in nationale Rechtssysteme, WIRO 1993, 409-413; E.C. Stiefel, Von der Berufung deutscher Juristen zum Aufbau des Rechts im Osten, JZ 1994, 109f.; I. v. Münch, Rechtsexport und Rechtsimport, NJW 1994, 3145-3147; vor allem aber R. Knieper, M. Boguslavskij, Konzept zur Rechtsberatung in Transformationsstaaten, Eschborn 1995. 139
Auf diese Weise wird automatisch auch Rücksicht genommen auf verständliche nationale Empfindlichkeiten.
214
Josef Falke
dem Buchstaben nach übernommenen Gemeinschaftsrechts hin. Mögliche Konflikte zwischen den Erfordernissen der Angleichung an das Binnenmarktrecht und der Konsolidierung des Transformationsprozesses in den MOEL140 sollten in den fur Rechtsangleichungsfragen zuständigen Unterausschüssen der durch die einzelnen EA eingerichteten Assoziationsräte erörtert werden. Bisher fehlen weitere vermittelnde Zwischenschritte auf dem vermutlich noch langen Weg der MOEL in die Europäische Union, wie sie in dem Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum angelegt waren.141 Hier ist über die jetzt beschlossene Teilnahme an bestimmten Gemeinschaftsprogrammen142 und die Foren des Politischen Dialogs143 hinaus an folgende Möglichkeiten zu denken: Beteiligung der Beitrittsaspiranten an den programmatischen Debatten, die häufig durch Grün- und Weißbücher der Kommission eingeleitet werden und die die künftige Rechtsetzungstätigkeit der Gemeinschaft vorbereiten; Beteiligung an beratenden Fachgremien, die den Binnenmarkt betreffen (bspw. Beratender Ausschuß für Binnenmarktfragen144); Beteiligung an der Arbeit der Ausschüsse, an denen den EWR-Mitgliedstaaten Beteiligungsrechte eingeräumt werden145; frühzeitige Information über die den Binnenmarkt betreffenden Rechtsetzungsvorschläge mit der Möglichkeit zur Stellungnahme.146 Ferner könnte den Gerichten der assoziierten MOEL eine limitierte Möglichkeit eingeräumt werden, den EuGH anzurufen, nämlich dann, wenn sich in einem Rechtsstreit eine Frage nach der Auslegung von Bestimmungen des einschlägigen Europa-Abkommens ergibt, die in ihrem wesentlichen Gehalt identisch sind mit Bestimmungen des EGV, oder eine Vorschrift ausgelegt werden muß, die sich aus einem gemäß den
140
Vgl. dazu KOM (95) 163 endg. v. 3.5.95, Ziff. 4.11. und Herrnfeld, a.a.O, 109f.
141 Vgl. vor allem Artikel 99-101 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, ABl. L 1 v. 3.1.94, 3-510. 142 Vgl. bspw. Beschluß des Rates und der Kommission v. 4.12.1995 über den Abschluß des Zusatzprotokolls zum Europa-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Bulgarien andererseits, ABl. L 317 v. 30.12.95,24-26. 143 Vgl. Bericht des Rates an den Europäischen Rat (Essen) über die Strategie zur Vorbereitung des Beitritts der assoziierten MOEL, Europe Dokumente, Nr. 1916 v. 14.12.94, 2. 144 Vgl. Entscheidung der Kommission v. 23.12.1992 zur Einsetzung eines Beratenden Ausschusses für Binnenmarktfragen, ABl. L 26 v. 3.2.93, 18f. Vgl. Art. 101 EWR-Abkommen und Protokoll 37 zum EWR-Abkommen. 146
Vgl. die Parallele in Art. 99 des EWR-Abkommens.
Systemtransformation und Rechtsangleichung
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Empfehlungen des Weißbuches in das nationale Recht umgesetzten Rechtsakt des sekundären Gemeinschaftsrechts ergibt.147
147
Vorbild dafür ist Protokoll 34 zum EWR-Abkommen.
Josef Falke
216
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Systemtransformation und Rechtsangleichung
217
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I
romas, § 705 BGB Rn 11; Baumbach/Hopt § 105 Rn 84.
HGB
72
Heymsam/Emmerich § 105 Rn 87am.w.N. 73
BGHZ 8, 35, 37.
74
ZIP 1995, 1008.
75
Ausdruck bei Staudinger/Gra/3/eW, Int. GesR, Rn 490. 76 Die von StaudingerIGroßfeld, Int. GesR, Rn 487ff. in Betracht gezogenen Normen sind keine Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB.
Ausländische GmbH & Co. KG und Unternehmensmitbestimmung
511
Stenz der KG durchschlagen, da schon die (weitergehende) fehlende Rechtsfähigkeit der ausländischen Kapitalgesellschaft ein solches Ergebnis - wie gezeigt - nicht zur Folge hat. b) Kein Einfluß auf die tatsächliche Leitungsorganisation Der Schluß des LG Stuttgart, bei unzulässiger Beteiligung der Schweizer GmbH sei die Widerlegung der Vermutung der §§17 und 18 AktG nicht möglich mit der Folge, daß die Leitungsmacht nur über den „Strang" der Kapitalbeteiligung ausgeübt werden könnte, ist, auch wenn er auf den ersten Blick überzeugend klingt, gleichwohl falsch. Er übersieht, daß die KG ja auch direkt von der Schweizer Obergesellschaft aus geleitet werden kann, indem diese ihre Weisungen an die KG, nicht an die Stuttgarter GmbH gibt. Im übrigen könnte die tatsächlich leitende und daher mitbestimmte Komplementär-GmbH ja auch eine fehlerhafte deutsche Gesellschaft sein. In diesem Fall müßte nach der Theorie des LG Stuttgart ebenfalls die Stuttgarter Kommanditistin als Teilkonzernspitze angesehen werden. Solange aber eine fehlerhafte deutsche Komplementär-Gesellschaft nicht aufgelöst ist, bleibt sie konsequenterweise auch mitbestimmt.77 Jedenfalls bis zu ihrer Vollbeendigung kann die Mitbestimmung nicht verlegt werden. Außerdem ändert die Unzulässigkeit der Beteiligung der Schweizer GmbH nichts daran, daß - wie oben dargestellt - die KG nicht über die Stuttgarter GmbH beherrscht wird. Daß rechtlich nicht über die Schweizer GmbH geleitet werden darf, besagt m.a.W. nichts über die tatsächliche Leitungsorganisation, die fur die Anwendung des § 5 Abs. 3 MitbG 76 nach hier vertretener Ansicht maßgebend ist. Diese Überlegungen werden durch den Zweck des Mitbestimmungsgesetzes und seiner Konzernvorschriften unterstützt. Dieser besteht darin, die Beteiligung der Arbeitnehmer an der Leitungsmacht dorthin zu verlegen, wo Leitungsmacht tatsächlich ausgeübt wird. Auch die Regelung des § 5 Abs. 3 MitbG 76 fugt sich in dieses telos des Gesetzes ein. Die Teilkonzernregelung ist zwar eine Notlösung für Fälle, in denen in der Machtzentrale eine Beteiligung der Arbeitnehmer nicht stattfinden kann. Die Ersatzlösung soll aber wenigstens unter der besonderen Voraussetzung stattfinden, daß eine inländische Schaltzentrale vorhanden ist. An dieser fehlt es aber bei der gegebenen Sachlage.
77
Lutter, FS Zweigert, S. 255.
512
Ulrich Wackerbarth
c) Mitbestimmungsrecht als rechtsformoffenes
Ordnungsrecht
Die Stimmen in der Literatur, die die Anwendung deutschen Mitbestimmungsrechts auf ausländische Gesellschaften fordern, 78 übersehen, daß die deutsche Lösung bewußt keine umfassende Mitbestimmung der Arbeitnehmer vorsieht.79 Sie verlangt Gesellschaften bestimmter Rechtsformen und beteiligt Arbeitnehmer grundsätzlich nur an Gesellschaften deutschen Rechts, die tatsächlich in die Leitung des Konzerns miteinbezogen sind, sei es als Konzernzentrale (§ 5 Abs. 1 MitbG 76), aufgrund delegierter Leitungsmacht (Konzern im Konzern) oder als mitbestimmungsfahige Schaltstelle nicht mitbestimmungsfähiger Obergesellschaften (§ 5 Abs. 3 MitbG 76). Daß durch die gewählte Konstruktion deutsches Mitbestimmungsrecht umgangen würde, ist ein aus mehreren Gründen untauglicher Argumentationsversuch. Erstens ist die „Umgehung" im MitbG 76 gerade vorgesehen, indem es an bestimmte Rechtsformen anknüpft (man denke an die Stiftung & Co KG).80 Zweitens gebietet eine Umgehungsgefahr keine generelle Prävention. Eine Umgehungsmöglichkeit kann nur konstatiert werden, ob tatsächlich eine Umgehung vorliegt oder nicht, ist aber im Einzelfall zu entscheiden. Dabei ist nach allerdings umstrittener Ansicht auch eine subjektive Komponente erforderlich.81 Diese müßte zuvor festgestellt werden; im konkreten Fall 82
war sie nach den Feststellungen des LG Stuttgart nicht gegeben. Davon abgesehen ist nach heute h.M. ein Rückgriff auf das Institut der Gesetzesumgehung überflüssig, da die durch Umgehungsgeschäfte entstehenden Probleme durch richtige Auslegung des umgangenen Gesetzes bereits zu lösen sind.83 Danach ist zu prüfen ob das fragliche Gesetz einen bestimmten rechtliche Erfolg verhindern (in diesem Falle: herbeiführen) will oder lediglich Geschäfte bestimmter Art verhindern will. Es müßte also geprüft werden, ob § 5 Abs. 3 MitbG 76 auf die Schweizer GmbH seinem Zweck nach anwendbar ist. Die gleiche Prüfung muß erfolgen, wenn man nach der 78
Vor allem Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1995, S. 91ff. 79 Ähnlich Kronke, IPrax 1995, 377, 379. 80
Kronke, RIW 1990, 799, 803.
81
BGH NJW 1990, 1474; Palandt/Z/e/nncfe § 134 BGB Rn 28; MüKo/Mayer-Maly § 134 BGB Rn 18. jp LG Stuttgart v. 11.5.1993, ZIP 1993, 1410 unter II. 2. c) ee) der Gründe. 83
Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, 6. Aufl. 1994, Rn 660; vgl. BGHZ 110, 47, 64;
MüKoIMayer-Maly § 134 BGB Rn 11 jeweils m.w.N.
Ausländische GmbH & Co. KG und Unternehmensmitbestimmung
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eingeschränkten Gründungstheorie und angenommenen Sitz in Deutschland kollisionsrechtlich deutsches Mitbestimmungsrecht auf die Schweizer GmbH fur anwendbar hält. Denn durch diesen kollisionsrechtlichen Lösungsansatz ist noch nicht beantwortet, ob das MitbG 76 als anzuwendendes Sachrecht materiell die Mitbestimmung auch in ausländischen Gesellschaften vorsieht. Die Beschränkung auf bestimmte Rechtsformen in § 1 Abs. 1 MitbG 76 spricht dagegen, ebenso die Gesetzesmaterialien.84 Denn nur bei den in § 1 Abs. 1 MitbG 76 genannten Rechtsformen ist die gesellschaftsrechtliche Anbindung der Mitbestimmung, der Aufsichtsrat, vorhanden oder unproblematisch einzurichten. Gibt es diese Möglichkeit in der ausländischen Gesellschaft nicht, so kann die Beteiligung dort nicht stattfinden. Das dagegen aufgebrachte Argument, die ausländische Gesellschaft könne ja nach deutschem Recht umgegründet werden oder ihre Strukturen an deutsches Recht anpassen,85 stellt Ursache und Wirkung auf den Kopf. Deutsches Mitbestimmungsrecht kann und will nicht Rechtsformen schaffen, verändern oder aufzwingen, sondern setzt sie voraus.
V. Schluß Das Ergebnis, nämlich keine Zurechnung der Arbeitnehmer der KG zur Komplementärin und damit keine Mitbestimmung in der Stuttgarter GmbH, entspricht auch einer wertenden Gesamtschau. Erstens verhindert es wirkungsvoll, daß die Arbeitnehmerbeteiligung in internationalen Konzernen durch Einschaltung einer funktionslosen, aber mehrheitlich beteiligten Zwischenholding wirkungslos gemacht wird. Zweitens entspricht es der gegebenen internationalen Fallgestaltung. Die Konzernregeln des MitbG 76 „wollen" die Mitbestimmung zu dem Unternehmen verlegen, das leitet, „können" genau das aber nicht über die deutsche Grenze hinweg. Die Anwendung des MitbG ist sowohl kollisionsrechtlich86 als auch sachrechtlich auf deutsche Gesellschaften beschränkt. Ein deutsches Unternehmen, daß wesentlich aus dem Ausland heraus gelenkt wird, trifft nicht die Entscheidungen selbst, so daß Mitbestimmung in seinem Aufsichtsrat zu einer bloßen Formalie würde. Wird die Leitung deutscher Konzerngesellschaften in das 84 Lutter, FS Zweigert, S. 258f.; Fitting/Wlotzke/Wißmann Hoffmann/Lehmann/Weinmann § 1 MitbG Rn 8.
§ 1 MitbG
85
Hanau/Ulmer, § 1 MitbG Rn. 8; Staudinger/GVo/S/eW, Int. GesR. Rn 499.
86
Es sei denn, man folgt der eingeschränkten Gründungstheorie, s.o. IV 4. c).
Rn
14;
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Ulrich Wackerbarth
Ausland verlegt, so hat die Obergesellschaft eben eine Lösung gefunden, den Konzern ohne Unternehmensmitbestimmung zu leiten. Das entspricht der gesellschaftsrechtlichen Organisationsautonomie, die durch das MitbG 76 nicht berührt wird, und ist nicht etwa eine Umgehung zwingenden Rechts.
Neuere Entwicklung im Bankwesen der Volksrepublik China XIAO-BING YANG-BENCKENDORFF 1
I. Hauptfortschritte in den letzten 20 Jahren Der Reformprozeß des chinesischen Bankwesens begann Ende der 70er Jahre. Er dauert mithin rd. 17 Jahre und hat sich weitgehend parallel zur Reform des gesamten Wirtschaftssystems der Volksrepublik China entwickelt. Trotz mannigfaltiger Rückschläge, Störungen und Verzögerungen ist die Reform des Bankwesens dennoch stetig vorangekommen und es konnten vor allem in den letzten 2 bis 3 Jahren ganz erhebliche, qualitativ bemerkenswerte, Fortschritte erzielt werden, die weit über das hinausgehen, was gemeinhin Standard in den sogenannten "Emerging Markets", wie z.B. in den ehemaligen Ostblockstaaten ist. Dabei muß stets berücksichtigt werden, daß China politisch an einem sozialistischen System festhält. Die chinesische Führung war sich aber ganz offensichtlich der Schlüsselrolle eines funktionierenden Banksystems bewußt und hat daher mit besonderer Sorgfalt diesen Sektor der Volkswirtschaft strukturiert. Seit 1994 hat nun eine neue Runde der Reform des Bankwesens ganz erhebliche Veränderungen gebracht. An die fuhrende Position des zweistufigen Bankensystems wurde die Zentralbank (Bank of China "BoC") gestellt. Daneben bilden staatseigene Spezialbanken den Hauptsektor, öffentliche und andere kommerzielle Banken sowie verschiedene Finanzinstitutionen runden das System ab. Die Gesamtzahlen sind für ein Riesenland wie China nicht sehr hoch: Ende des Jahres 1995 gab es 19 Banken verschiedener Art, 20 Versicherungsgesellschaften, 54 Finanzgesellschaften, 50 Wertpapierhandelsfirmen, 391 Treuhand- und Investmentgesellschaften, mehr als 5.000 städtische Kreditgenossenschaften und mehr als 50.000 ländliche Kreditgenossenschaften.2
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Unter Mitarbeit von RA Hans-Peter Benchendorff, M.A., Frankfurt am Main.
Vgl. hierzu und zum folgenden: Weitzel, Jens E., Reformen im chinesischen Bankenund Finanzsystem, in: Die Bank 1995, 742ff.; Schüller, Margot, Die Reform des chinesischen Finanzsystems, CHINA-aktuell, 1995, S. 926ff.; Schröder, Jürgen, Die
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II. Entwicklung und organisatorischer Aufbau des Finanzsystems im Einzelnen Die wichtigsten Banken der einzelnen Sektoren waren folgende: 1. Geschäftsbanken a) Staatliche Banken - Bank of China (BoC) - Agricultural Bank of China (ABoC) - Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) - People's Construction Bank of China (PBC) - China Investment Bank (CIB) b) Mittelbar staatliche Banken - Bank of Communication (BoCom) - CITIC Industrial Bank 2. Policy Banks - State Development Bank (SDB) - Export- und Import Creditbank (EICB) - Agricultural Development Bank (ADB) 3. Regionalbanken - China Merchants Bank - Everbright Bank - Huitong Bank - Shenzhen Development Bank - Shanghai Pudong Development Bank 4. Trust und Investmentgesellschaften - China International Trust und Investment Corp. (CITIC) - Shanghai Investment and Trust Corporation (SITICO) - Guangdong Investment and Trust Corporation (GITIC)
Entwicklung eines effizienten Finanzsystems in der Volksrepublik China, Mitteilungen des Instituts für Asienkunde, Hamburg 1994, S. 147.
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5. Andere Von den Nicht-Bank Finanzinstitutionen sind insbesondere die Versicherungsgesellschaften und die Leasingunternehmen sowie die Kreditgenossenschaften hervorzuheben. Neben den chinesischen Banken gab es im Jahre 1995 insgesamt 125 ausländische Kreditinstitute, die sich allerdings auf 13 ausgewählte Städte, insbesondere Shanghai, Guangzhou, Shenzhen, Tianjin und neun weitere große Städte konzentrieren. 1994 waren bereits einige Städte für ausländische Finanzinstitute geöffnet worden, u.a. Beijing, Hangzhou, Chonqing, Shenyang, Shijiazhuang, Suzhou, Xian, Hefei und Wuhan.
III. Hauptprobleme des gegenwärtigen Systems Schon im Jahre 1984 hatte die Bank of China (BoC) begonnen, ihre Funktion als Zentralbank umfassend auszubauen, d.h. insbesondere ihre Marktregulierungsfunktion entscheidend zu stärken. Besonderes Augenmerk wurde auf die Geldausgabe, die Regulierung des Geamtkreditvolumens, die Geldmengensteuerung und die Festlegung der Basiszinssätze zur Durchführung einer einheitlichen Geldpolitik gelegt. Ferner konnte man die klassischen Mittel der Geldpolitik, also Rediskontsätze und Mindestreserveregeln einsetzen. Allerdings war die Mindestreservepolitik in der Vergangenheit aufgrund der hohen Überschußreserven der Banken nur sehr begrenzt wirksam. Auch die Instrumente der Diskontpolitik sind wegen der noch sehr bescheidenen Verbreitung von Handelswechseln wenig effektiv. Zwar wurde die Transparenz der Geldpolitik durch den Einsatz der Geldmengensteuerung und die Veröffentlichung der wichtigsten Indizes transparenter gemacht. In zugespitzten Situationen scheint aber eher noch eine Stop- and Go-Politik vorzuherrschen. Insbesondere kann die BoC nicht unabhängig von der Regierung eine eigene Geldmengensteuerung durchführen, sondern erhält von der Regierung direkte Anweisungen, wenn etwa große und für die Volkswirtschaft, die Beschäftigung und letztlich auch für das politische Klima wichtige Staatsbetriebe mit weiteren Mitteln versorgt werden müssen. Diese Eingriffe werden wohl erst dann überflüssig, wenn ein funktionierender nationaler Geldmarkt entstanden ist. Die von der Regierung selbst formulierten Hauptziele einer Reform des chinesischen Finanzsystems sollen durch den Aufbau der folgenden drei Systeme erreicht werden:
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- Ein Makroregulierungssystem der Zentralbank, die eine unabhängige Geldpolitik, allerdings unter der Führung des Staatsrates betreibt; - ein organisatorisches System des Finanzwesens, in dem politische und kommerzielle Finanzinstitutionen getrennt werden, mit staatlichen, kommerziellen Banken als Hauptbestandteil und anderen Organisationen des Finanzwesens als weiteren Bestandteilen; - ein System eines Finanzmarktes, der grundsätzlich offen, wettbewerbsfähig und streng kontrolliert ist. Diesen Hauptzielen ist man näher gekommen, aber es gibt noch eine Reihe ernster Probleme, die nicht leicht zu überwinden sind. Folgende Hauptprobleme werden in diesem Zusammenhang immer wieder genannt: - Noch immer hängt die Kontrolle der Geldausgabe durch die Zentralbank sehr stark von dem Verwaltungssystem des Gesamtkredites ab. Die klassischen Mittel der Geldpolitik sind noch nicht wirksam, da ihnen schlicht ein funktionierender Markt fehlt. - Die Zinssätze entsprechen noch nicht Marktgrundsätzen. - Das gesamte System ist - wie die westlichen Gläubiger gerade in den letzten zwei, drei jähren schmerzlich erfahren mußten - noch mit sehr hohen notleidenden Forderungen in Höhe von einigen 100 Mill. Renminbi belastet. - Durch mangelnde Aufsicht konnte sich eine wilde Kreditspekulation verbreiten, die den Kreditmarkt erheblich störte und eine gesunde Entwicklung des Kapitalmarktes letztlich noch verhindert hat.3
IV. Die wichtigsten Lösungsansätze 1. Aufsicht durch die Bank of China
Als ein wichtiger Ansatz zur Lösung der geschilderten Probleme wird vor allem die konsequente Anwendung des "People's Bank of China Law" (vom 18.03.1995), d.h. die volle Durchsetzung der Funktion der BoC bei der unabhängigen Ausführung der Geldpolitik und bei der Überwachung und Verwaltung der Kreditinstitute. Wie betont wird, allerdings stets unter der Führung des Staatsrates. Mit diesen Maßnahmen wird eine generelle Modernisierung der Regulierungsmethoden einhergehen, so soll insbesondere schon dem-
Vgl. hierzu Huang Diyuan (Vizepräsident der Bank of China), Eine neue Phase der Reform des chinesischen Bankwesens, unveröffentlichtes Vortragsmanuskript (chin.) 1995.
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nächst die sogenannte Offenmarktpolitik eingeführt werden, mit deren Hilfe die Geldmenge über den Markt reguliert wird. 2. Verbesserungen des Verwaltungssystems Eine weitere wichtige Maßnahme wird die Vervollkommnung des Verwaltungsapparates der öffentlichen Banken sein. Dies heißt vor allem, daß das in den drei großen öffentlichen Banken gesammelte Kapital volkswirtschaftlich sinnvoll eingesetzt werden kann. So soll beispielsweise die China Agricultural Delopment Bank ein geschlossenes System der Geldverwaltung schaffen, um zu verhindern, daß die für landwirtschaftliche Kredite und den Ankauf der landwirtschaftlichen Produkte und Nebenprodukte bestimmten Gelder für andere Zwecke eingesetzt werden.
V. Das Geschäftsbankengesetz ("Commercial Bank Law") 1. Allgemeines Als zentrale gesetzgeberische Maßnahme wird allgemein das Geschäftsbankengesetz 4 angesehen, mit dessen Hilfe man sowohl die innere Struktur als auch die Funktion der Geschäftsbanken reformieren will. Sowohl die Hilfstätigkeit als auch die innere Verwaltungsstruktur einer Geschäftsbank soll nicht zuletzt mit Hilfe dieses Gesetzes - erheblich verbessert werden. Dies wird bis hinein in den Personalsektor gehen, wo man mit Hilfe von Systemen der Gehaltungsfindung neue Anreize schaffen will. Besonderes Augenmerk soll aber auch auf Gewinn und Qualität der Vermögenswerte gelegt werden. Später sollen die - staatseigenen - Geschäftsbanken mit Hilfe eines Indexsystems für die Bewertung von Leistungen überwacht werden 5 Ein weiteres wichtiges Prinzip ist, daß sämtliche staatseigenen Spezialbanken sich von verbundenen Firmen, die keine Kreditgesellschaften sind und von Unternehmen, die von den Spezialbanken kontrolliert werden, vollständig abgrenzen. Allgemein wird angenommen, daß dies der schwierigste Teil der Reform des chinesischen Bankwesens sein wird. 6 Man erhofft sich vor allem mit diesem gesetzgeberischen Mittel eine Aufbrechung des Systems der Kreditvergabe 4
Gesetz vom 10. Mai 1995, deutsche Übersetzung in CHINA-aktuell, 1995, S. 943ff. (Hier zitiert nach diesem Text). 5 6
Vgl. hierzu Huang Diyuan, aaO. S. 8f.
Vgl. Zhao Min, Benjamin Pißler, Klaus-Peter Hopp, Geschäftsbanken in China, Newsletter der Deutsch-Chinesischen Juristenvereinigung, Heft 4, 1995, S. 814.
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nach Gefälligkeit und Beziehungen ("Guanxi-System"). Gerade dieses System war dafür verantwortlich, daß selbst unrentable Betriebe exzessive Verbindlichkeiten aufgebaut haben, die nicht zurückgezahlt werden konnten. 2. Die gesetzlichen Bestimmungen im einzelnen Sieht man sich die einzelnen Bestimmungen des Geschäftsbankengesetzes an, so fällt eine gewisse Ähnlichkeit mit dem deutschen KWG auf. Allerdings erreicht das Geschäftsbankengesetz nicht die in langen Jahrzehnten gewachsene komplizierte Struktur und Abstraktheit des KWG. a) Autonomie der Geschäftsbanken Eine grundlegende Bestimmung ist gleich in § 4 des Gesetzes enthalten: Danach erhalten Geschäftsbanken eine gewisse Autonomie für ihre Geschäfte bei Übernahme des vollen Risikos. Bei ihrer Geschäftstätigkeit sind sie den Grundsätzen der Effizienz, Sicherheit und Liquidität verpflichtet. Sie unterliegen nicht der Einflußnahme von Einheiten oder Privatpersonen und haften mit ihrem Gesamtvermögen ihren Einlegern. Dieses Thema wird in den §§5 u. 6 noch einmal variiert. Bemerkenswert ist die Aussage in § 5, wonach Geschäftsbanken im Kundenverkehr nach den Grundsätzen der Gleichheit, Freiwilligkeit, Gerechtigkeit und Aufrichtigkeit handeln sollen. Dieser Appell kann wohl als Kontrastprogramm zur gegenwärtigen Wirklichkeit angesehen werden. b) Schutz vor Eingriffen von außen Eine ähnliche Funktion dürfte § 6 des Gesetzes haben, wonach die Geschäftsbanken sicherzustellen haben, daß legale Rechte und Interessen von Einlegern nicht durch Eingriffe von Einheiten oder Privatpersonen beeinträchtigt werden. Geschieht dies dennoch, so bestimmt § 85 des Gesetzes, daß die entsprechenden Einheiten oder Privatpersonen für evtl. Schäden einzustehen haben und zusätzlich noch mit Disziplinarstrafen belegt werden. Mitarbeiter, die sich entsprechenden Pressionen nicht widersetzen, werden mit einer Disziplinarstrafe belegt und haben ebenfalls entstehende Schäden zu ersetzen (§ 85 Abs. 2). Speziell für Kredite legt § 41 fest, daß Geschäftsbanken sich dem Ansinnen von Einheiten oder Privatpersonen gegen die Erzwingung der Kreditvergabe bzw. Stellung von Garantien zur Wehr setzen können. Lediglich Kredite für vom Staatsrat genehmigte Sonderkreditprojekte müssen gewährt werden, wobei der Staatsrat angemesse Maßnahmen zur Kompensation von Verlusten trifft (§ 41 Abs. 2).
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c) Aufsicht durch Bank of China Die zentrale Stellung als Aufsichts- und Genehmigungsbehörde hat die Bank of China (auch "Chinesische Volksbank" übersetzt). So unterliegen nach § 10 die Geschäftsbanken ihrer Aufsicht. Nach § 11 muß die Gründimg einer Geschäftsbank von der Bank of China geprüft und genehmigt werden. Ohne Genehmigung darf niemand das Wort "Bank" in seiner Firma fuhren. Die näheren Voraussetzungen und die Kapitalausstattungsvorschriften sind in §§ 12 u. 13 ff. geregelt. d) Schutz der Einleger Bemerkenswert sind die Vorschriften im dritten Abschnitt über den Schutz der Einleger(§§ 29 bis 33). So bestimmt § 29 Satz 1 ausdrücklich, daß die Grundsätze der freiwilligen Einlage sowie das ungehinderte Abheben von Geld, die Verzinsung von Einlagen sowie die Geheimhaltung der Bankeinleger zu beachten sind. Neben dem Aspekt des Bankgeheimnisses, das hier durchaus modern - in einem Spezialgesetz geregelt wird, ist besonders bemerkenswert die Betonimg des "ungehinderten Abhebens von Geld": anscheinend beruht dies auf historischen Erfahrungen. Noch in jüngerer Zeit, hört man immer wieder, daß es keineswegs der jederzeitigen freien Entscheidung der Einleger überlassen war, ob sie überhaupt etwas einlegen und wenn ja, ob sie auch ungehindert ihr Geld wieder abheben können. So ist nunmehr den Geschäftsbanken ausdrücklich auch das Recht eingeräumt, gegenüber Einheiten oder Privatpersonen Auskünfte zu verweigern, bzw. das Recht, das Einfrieren von Einlagen oder die Einbehaltung bzw. Umbuchung (§ 29 Satz 2) abzulehnen. Derartige Vorschriften sind anscheinend in China unabdingbar, um das - lebensnotwendige - Vertrauen der Einleger in das System überhaupt herzustellen. e) Vorschriften zur Sicherung einer gesunden
Geschäftsstruktur
In den §§ 32 u. 39 sind ferner Mechanismen enthalten, die die gesunde Geschäftsstruktur der Bank sichern sollen. So darf z.B. nach § 39 Abs. 1 Ziff. 1 die Eigenkapitalquote 8 % nicht unterschreiten; das Kreditvolumen darf 75 % des Einlagenvolumens nicht überschreiten und die kurzfristigen Aktiva dürfen 25% der Verbindlichkeiten nicht unterschreiten. Im Konkursfall sind die Einleger von privaten Bankeinlagen bevorrechtigt, allerdings erst im Rang nach der Zahlung der Abwicklungsgebühren, der ausstehenden Löhne der Belegschaft und der ausstehenden Beiträge zu Arbeiter- und Angestelltenversicherungen (§ 71 Abs. 3).
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f ) Kreditgeschäft Erstaunlicherweise enthält das Gesetz im 4. Abschnitt grundlegende Bestimmungen über das Kreditgeschäft. So ist - für ein Gesetz dieser Art ungewöhnlich - in § 37 ausdrücklich bestimmt, daß bei Kreditvergabe mit dem Kreditnehmer ein schriftlicher Vertrag abzuschließen ist. Das Gesetz zählt ebenfalls die "essentialia negotii" auf: Im Vertrag muß festgelegt werden: - die Art des Kredites, - die beabsichtigte Kreditverwendung, - die Kreditsumme, - der Zinssatz, - die Tilgungsfrist, - die Art und Weise der Rückzahlung, - die Haftung bei Vertragsverletzung, - weitere Punkte, die von den Parteien für notwendig gehalten werden. Bei der Kreditvergabe haben die Geschäftsbanken sorgfältig die Kreditverwendung, die Tilgungsfähigkeit des Kreditnehmers sowie die Art und Weise der Rückzahlung zu prüfen (§ 35 Abs. 1). Das Gesetz schreibt ferner die Trennung der Funktionen "Kreditprüfung" und "Kreditvergabe" sowie eine nach Ebenen abgestufte Kreditprüfung und -genehmigung vor (§ 35 Abs. 2). g) Sicherheiten Bemerkenswert ist, daß in § 36 des Gesetzes ausdrücklich die Sicherheiten angesprochen werden: Für einen Kredit hat der Kreditnehmer Sicherheiten zu stellen. Die Geschäftsbank prüft neben der Tilgungsfahigkeit des Sicherheitengebers die Eigentumsrechte an den beweglichen und unbeweglichen Pfandgegenständen, deren Wert sowie die Durchführbarkeit der Pfandverwertung (§ 36 Abs. 1). Nur bei hoher Kreditwürdigkeit des Kreditnehmers und seiner unbedingten Fähigkeit zur Kreditrückzahlung kann von der Stellung von Sicherheiten abgesehen werden (§ 36 Abs. 2). Anders als im KWG (§ 18) gibt es keine Betragsgrenze. In diesem Zusammenhang ist die bereits erwähnte Vorschrift des § 41 Abs. 2 zu berücksichtigen, die den vom Staatsrat genehmigten Sonderkrediten eine Sonderrolle zuweist. Das Kündigungsrecht und das Recht der Sicherheitenverwertung wird in § 42 näher beschrieben. So ist die Geschäftsbank berechtigt, einen besicherten Kredit, der bei Fälligkeit nicht getilgt wird, nebst Zinsen zur Rückzahlung zu verlangen und gegebenenfalls die ihr gestellten Sicherheiten (Immobilien, Aktien usw.) zu verwerten.
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h) Organkredite Eine den deutschen Vorschriften über die sog. Organkredite entsprechende Regelung enthält § 40: Anders als das deutsche Recht bestimmt § 40 kategorisch, daß unbesicherte Kredite an verbundene Personen nicht vergeben dürfen. Besicherte Kredite dürfen nur zu Konditionen gegeben werden, die der Vergabe gleichartiger Kredite an andere Kreditnehmer entsprechen. Verbundene Personen sind gem. § 40 Abs. 2 Ziff. 1 und 2 vor allem Vorstandsmitglieder und Aufsichtsratsmitglieder der Geschäftsbanken, verantwortliches Verwaltungspersonal und Mitarbeiter der Kreditabteilung sowie deren Angehörige. Zu den verbundenen Personen gehören ferner Gesellschaften und Unternehmen und andere Wirtschaftsorganisationen, an denen die zuvor genannten Personen finanziell beteiligt sind oder in denen sie führende Positionen einnehmen. i) Verbotene Geschäfte Ein Element des Trennbankensystems enthält § 43: Danach dürfen Geschäftsbanken innerhalb der Volksrepublik China keine Treuhandinvestitionsgeschäfte und Aktiengeschäfte betreiben. Sie dürfen ferner nicht in Immobilien investieren, die nicht für ihren Eigenbedarf bestimmt sind. Ebenso dürfen sie nicht in Nichtbank-Finanzinstituten und Unternehmen investieren. § 46 enthält die bereits global erwähnten Regeln über die Interbankenkredite (§ 46 Abs. 1) sowie die Vorschrift über die Mindestreserve (§ 46 Abs. 2). In demselben Abschnitt findet sich in § 48 Abs. 2 eine Vorschrift, die entfernt an § 154 AO erinnert: Nach § 48 Abs. 2 dürfen Einheiten und Privatpersonen nicht unter dem Namen einer Privatperson ein Konto zur Einlage von Mitteln einer Einheit eröffnen. j) Sonstige Regelungen der Geschäftstätigkeit Bemerkenswert ist § 49: Danach müssen die Geschäftszeiten der Geschäftsbanken "kundenfreundlich" gewählt und veröffentlicht werden. Sind diese Geschäftszeiten veröffentlicht, dürfen sie nicht eigenmächtig verkürzt werden bzw. darf die Geschäftsbank die Geschäftstätigkeit nicht ganz während dieser Zeit einstellen (§ 49). - Dies alles offenbar auch ein Kampf gegen alte Gewohnheiten. Nach § 50 dürfen Gebühren erhoben werden, deren Art und Höhe allerdings den Bestimmungen der Bank of China unterliegt. Der 5. Abschnitt (§§ 54 bis 58) enthält nähere Vorschriften über die Finanzbuchhaltung. Im 6. Abschnitt sind die Details der Beaufsichtigung der Banken durch die Bank of China geregelt. Hervorzuheben ist, daß die Geschäftsbanken ge-
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mäß § 60 fur die interne Struktur und die interne Kontrolle weitestgehend selbst verantwortlich sind. k) Auflösung, Schließung und Konkurs Besondere Vorschriften über die Auflösung, Schließung und Konkurs sowie die Übernahme der Kontrolle enthält der 7. Abschnitt. Entsprechend der generellen Struktur übernimmt die Bank of China bei einer Kreditkrise bzw. bei einer mit hoher Wahrscheinlichkeit eintretenden Krise, die die Interessen der Einleger erheblich gefährdet, die Kontrolle. Nähere Einzelheiten sind dazu in diesem Abschnitt geregelt. Führt die wirtschaftliche Situation dazu, daß eine Geschäftsbank ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann, so wird vom zuständigen Volksgericht im Einvernehmen mit der Bank of China der Konkurs über die Bank erklärt. Das Volksgericht bildet aus Vertretern der Bank of China und weiteren zuständigen Stellen eine Abwicklergruppe, die die Abwicklung durchführt. I) Haftung Im 8. Abschnitt finden sich eine Reihe von Vorschriften zur Verantwortlichkeit und Haftung der Geschäftsbanken bzw. deren Personal. Hier sind alle wesentlichen Verstöße gegen Pflichten und deren Sanktionen zusammengefaßt, wie etwa die unbegründete Verzögerung und Verweigerung der Auszahlung von Einlagen und Zinsen, das gesetzwidrige Einziehen von Erkundigungen über private Bankeinlagen und Einlagen von Einheiten sowie das gesetzwidrige Einfrieren, Einbehalten und Umbuchen solcher Einlagen. Mit Strafe bewehrt ist auch das Tätigen von Treuhandinvestitionsgeschäften und Aktiengeschäften sowie das Investieren in nicht für den Eigenbedarf bestimmten Immobilien. Ebenso sanktioniert ist ein Verstoß gegen die Mindestreservevorschriften und das Nichteinhalten der Eigenkapitalquote sowie das rechtswidrige Herauf- oder Herabsetzen von Zinssätzen und die Anwendimg unlauterer Mittel, um Einlagen anzuziehen und Kredite zu vergeben. Die Haftungs- und Strafvorschriften sind drastisch und geben der Bank of China weitgehende Eingriffsmöglichkeiten bis hin zur Einziehung der gesetzwidrig erzielten Einkommen. Für weitergehende Straftaten enthält das Gesetz z.T. Verweisungen auf das allgemeine Strafrecht (z.B. § 80 (Kreditbetrug), der auf die allgemeinen Strafgesetze verweist). Erwähnenswert sind sicherlich auch noch die Vorschriften, mit deren Hilfe man die Korruption, Veruntreuung und Unterschlagung von Geldern der Bank bekämpfen will (§§81 und 82 des Gesetzes).
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Hervorzuheben ist, daß die Verletzung des Bankgeheimnisses unter Strafe gestellt ist (vgl. § 84). Anscheinend ist diese Bestimmung "objektiviert", d.h. der Bankmitarbeiter haftet unabhängig davon, ob ihn der Kunde von der Geheimhaltungspflicht entbunden hat. Insoweit ähnelt die Regelung den entsprechenden Bestimmungen in Luxemburg.
VI. Abschließende Bemerkungen: Es wird sich zeigen, ob die ζ. T. recht direkten und drastischen Vorschriften dieses Gesetzes dazu beitragen können, das Geschäftsbankensystem der Volksrepublik China einen entscheidenden Schritt voranzubringen. Eine Prognose hierüber ist naturgemäß schwer zu treffen. Wichtigster struktureller Nachteil ist der übermächtige Einfluß der Bank of China, die ja ihrerseits durchaus geschäftlich tätig ist, d.h. einerseits in Konkurrenz zu den Geschäftsbanken steht, aber andererseits gleichzeitig deren Hauptaufsichtsorgan ist. Mit dem in Deutschland gewohnten System einer unabhängigen Zentralbank und einer davon getrennten Bankaufsicht hat dieses System wenig Gemeinsamkeiten. Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich das Gesetz in der wirtschaftlichen und rechtlichen Handhabung entwickelt. Die zuständigen Organe haben stets betont, daß das System ständig vervollkommnet werden soll und durch Durchführungsvorschriften, die die Gesetze ergänzen sollen, abgerundet wird. Ein möglicherweise zusätzliches regulierendes Element kann von der verstärkten Öffnung des chinesischen Marktes für ausländische Banken ausgehen. So ist bis Ende Mai 1995 die Anzahl der Repräsentanzbüros ausländischer Finanzorganisationen auf 417 und die der Geschäftsstellen von Banken auf 123 angewachsen. Das Kreditvolumen betrug immerhin bereits 10 Milliarden USD7. Als nächster Schritt steht auf der Tagesordnung die Genehmigung von Renminbi-Geschäften für ausländische Finanzorganisationen, damit diese chinesischen Institutionen gleichgestellt sind. Schließlich ist geplant, in der Zukunft Strukturen für ausländische Investmentbanken einzuführen und mit Hilfe einschlägiger Gesetze und Verordnungen neue Kanäle der Einführung ausländischen Kapitals zu erschließen8 Insgesamt bleibt die Entwicklung spannend und wird sicher noch manche - hoffentlich positive - Überraschungen in der Zukunft bringen. 7
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Zhao Min u.a. aaO S. 84 m.w.N. Huang Diyuan, aaO. S. 1 Iff.
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Ordnungen neue Kanäle der Einführung ausländischen Kapitals zu erschließen8 Insgesamt bleibt die Entwicklung spannend und wird sicher noch manche - hoffentlich positive - Überraschungen in der Zukunft bringen.
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Huang Diyuan, aaO. S. 1 Iff.