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German Pages 110 [136] Year 1962
SAMMLUNG
GÖSCHEN
BAND
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INDOGERMANISCHE SPRACHWISSENSCHAFT von DR. H A N S K R Ä H E o 0. Professor an der Universität Tübingen
I E I N L E I T U N G
U N D
L A U T L E H R E
Vierte, überarbeitete Auflage
WALTER DE GRUYTER & CO. yormals G. J. Göschen'eche Verlagehandlung «• J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner * Veit & Comp. B E R L I N
1962
& Copyright 1982 b y W a l t e r de G r u y t e r Co., v o i m a l s G. J . Göschen'sclu' V e r l a g s h a n d l u n g — J . G u t t e n t a g , V e r l a g s b u c h h a n d l u n g — Georg Krittler — Karl J . T r ü b n e r — Veit & Comp., Berlin W 30. — Alle R e c h t e , einschlicOlicli der R e c h t e der H e r s t e l l u n g v o n P h o t o k o p i e n u n d Mikrofilmen, v o n der Verlagsh a n d l u n g v o r b e h a l t e n . - A r c h i v - N r . 7320620.— Satz u n d D r u c k : L i n d e m a n n Ä L ü d e c k e , Berlin SO 36. - P r i n t e d in G e r m a n y .
Inhaltsübersicht I. Teil: A l l g e m e i n e s Sfite 1. Der B e g r i f f „ I n d o g e r m a n i s c h " (§ 1) 7 2. Die indogermanischen Sprachen (§ 2) !) 3. Die Verwandtschaftsverhältnisse der idg. Sprachen (§3-4) 28 4. Die Erschließung der idg. Grundsprache (§ 5 - -0) . . . 34 5. Die Ileimat der ¡dg. Grundsprache (§ 7 - 9 ) 40 (i. Die Aufgabe der indogermanischen Sprachwissenschaft (§10) ' • 48 II. Teil: L a u t l e h r e A. Die Betonung F u n k t i o n und Arten des Akzents (§11) Der Satzakzent (§ 12) ' Der Wortakzent. (§ 13) Der Silbenakzent (§ 14) B. Der Vokalismus 1. Die Vokale als Einzelläufe a) Der Vokalbestand der idg. Grundsprache (§ 15) b) Die Vertretung der idg. Vokale in den wichtigsten Einzelsprachen a ) Die kurzen Vokale (§ 16) ß) Die langen Vokale (§17) y) Die Kurz-Diphthonge (§18) d) Die Lang-Diphthonge (§19) E) Die sonantischen Liquiden und Nasale (§ 20 bis 22) '. . t ) Übersichtstabellen (§'23) 2. Der Ablaut. Zur Erklärung (§24) Die kurzvokalischen Ablautsreihen (§ 25) Die langvokalischen Ablautsreihen (§ 261 Zur Entstehung des Ablauts (§27) C. Der Konsonantismus 1. Die Konsonanten als Einzellaute a) Der Konsonantenbestand der idg. Grundsprache (§28) 1*
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Inhaltsübersicht b) Die Vertretung der idg. Konsonanten in den wichtigsten Einzelsprachen a ) Die Verschlußlaute Die idg. Tenues (§29) Die idg. Tenues aspiratae (§30) Die idg. Mediae (§31) Die idg. Mediae aspiratae (§32) ß) Die Spiranten (6 3 3 - 3 4 ) y) Die Nasale (§ 35) (5) Die Liquiden (§36) e) Die Halbvokale (§37) £) ÜbeTsichtstabellen (§38) 2. Kombinatorischer Lautwandel Zusammenstoß von zwei Verschlußlauten (§ 39—41) Die Gruppe s + r (§ 42) Hauchdissimilation (§43) 1). Die Auslautsgesetze Grundsprachliche Vorgänge (§44) Altindische Auslautsgesetze (§45) Griechische Auslautsgesetze (§46) Lateinische Auslautsgesetze (§47) Germanische Auslautsgesetze (§48) Litauische Auslautsgesetze (§49) Slavische Auslautsgesetze (§50)
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Bemerkung zur „Laryngaltheorie"
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Wörterverzeichnis
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Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen 1. S p r a c h b e z e i c h n u n g e n abulg. = altbulgarisch ion. = ionisch kelt. = keltisch ae. = altenglisch kvmr. = kymriscli africs. = altfriesisch ags. = angelsächsisch lat. = lateinisch a h d . = althochdeutsch lett. = lettisch ai. = altindisch lit. = litauisch air. = altirisch me. = mittelenglisch akymr. = altkymrisch niessap. = messapisch alb(an). = albanisch mild. = mittelhochdeutsch an. = altnordisch mi. = mittelindisch apers. = altpersisch mir. = mittelirisch apreuß. = altpreußisch mnd. = mittelniederdeutsch arm(cn). = armenisch mpers. = mittelpersisch as. = altsächsisch ndd. = niederdeutsch aslav. = altslavisch ne. = neuenglisch att. = attisch nhd. = neuhochdeutsch av(est). = avestiscl. npers. = neupersisch bret. = bretonisch osk. = oskisch dor. = dorisch phryg. = phrygisch falisk. = faliskisch poln. = polnisch gall. = gallisch russ. = russisch germ. = germanisch thrak. — thrakisch got. = gotisch toch. = tocharisch gr. = griechisch umbr. = umbrisch heth. = hethitisch urnord. = urnordisch liom. = homerisch vod. = vediscli ids. = indogermanisch ven. = venetisch illyr. = illyrisch wgerm. = westgermanisch 2. G r a m m a t i s c h e B e z e i c h n u n g e n Abi. = Ablativ Ind. = Indikativ Akk. = Akkusativ Inf. = Infinitiv Akt. = Aktiv Instr. = Instrumentalis Aor. = Aorist K o n j . = Konjunktiv Dat. = Dativ Lok. = Lokativ Du. = Dual Masc. = Masculinum Fem. = Femininum Med. = Medium Fut. = Futurum Media asp. = Media aspirata Gen. = Genetiv Neutr. = Neutrum Imper. = Imperativ Nom. = Nominativ Imperf. = Imperfekt ON. = Ortsname
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Verzeichnis der wichtigsten Abkürzungen
Opt. = Optativ Part. = Partizipium Pass. = Passiv Per f. = Perfekt Pl., Plur. = Plural PN. = Personenname
Praes. = Praesens Sg., Sing. = Singular St. = Stamm Ten. (asp.) = Tennis (aspirata) Vok. = Vokativ Wz. = Wurzel
Zu einzelnen Zeichen, zur Aussprache usw. * vor einer Form bedeutet, daß diese nur erschlossen ist. ~ über einem Vokal bedeutet dessen Länge, " die Kürze; doch wird im allgemeinen die Kürze nicht besonders bezeichnet. Wegen idg. k , g usw., zu idg. q , qh sowie q " , g v usw. siehe § 28, 1, zu idg. z § 28, 2, zu n und n § 28, 3, zu / und u § 28,5. Ai. t , d usw. bezeichnen Zahnlauten ähnliche, erst im Ai. auf verschiedenem Wege entstandene Verschlußlaute (sog. „Cerebrale"); ai. c ist wie tsch, j wie der zugehörige stimmhafte Laut (wie z. B. g in italien. g i r o ) zu sprechen, ch ist behauchtes c ; y ist konsonant. i ; s und s sind Zischlautc, beide ähnlich dem deutschen sch; m war ein bestimmter Nasallaut (meist mit voraufgehendem Vokal zusammen als dessen Nasalierung gesprochen). Wegen h vgl. § 45. Germ. 8, ä , g sind stimmhafte Reibelaute. Got. h ist h mit gleichzeitiger Lippenrundung (w), p ist postdentale stimmlose Spirans (wie engl, th), got. g vor g , gund k bezeichnet den gutturalen Nasal Got. ei ist i ; wegen a i , a u vgl. § 16. Ahd. 3 ist Spirans (ähnlich dem s), ahd. z ist Affrikata (ts). Lit. e ist e , y ist l ; q,, e usw. sind ursprünglich nasalierte Vokale (vgl. § 49). Lit. s ist wie nhd. sch, f wie der entsprechende stimmhafte Laut (etwa wie französ. j in jeune) zu sprechen. Abulg. s und 6, hervorgegangen aus kurzem u bzw. i , sind Murmelvokale, e ist (ursprünglich langes) e, p und g Nasalvokale, y ist ungerundetes ü mit i-Lippenstellung. Abulg. z ist tönendes s; c ist wie ts, i wie tsch, z wie j in französ. jeune zu sprechen. Ein ' hinter einem Konsonanten (z. B. V ) bezeichnet dessen Mouillierung.
I. Teil: Allgemeines 1. Der Begriff „Indogermanisch" § 1. Als „indogermanisch" (idg.) bezeichnet man eine (iruppe von Sprachen, welche in großen Teilen von Europa und von Asien beheimatet sind (oder waren) und nach den Ergebnissen einer jetzt etwa eineinhalb Jahrhunderte alten Forschung in ihrer gesamten lautlichen, formalen und geistigen Struktur sowie in ihrem Wortschatz so enge verwandtschaftliche Beziehungen zueinander aufweisen, daß die Annahme ihrer Herkunft aus einer gemeinsamen Grund- oder Muttersprache berechtigt ist. Zwar ist diese Grundsprache selbst nicht mehr erhalten, kann jedoch mit den Mitteln einer methodischen sprachgeschichtlichen Rekonstruktionsarbeit (vgl. § 5) in allen wesentlichen Zügen wiederhergestellt werden. Man nennt sie die idg. Grund- oder Gemeinsprache. Die aus ihr erwachsenen Tochtersprachen heißen idg. Einzelsprachen, und den ganzen Komplex dieser unter sich verwandten Idiome bezeichnen wir als die idg. Sprachenfamilie oder den idg. Sprachenkreis. Soweit erkennbar, wurde der Ausdruck „indogermanisch" zuerst von Julius Klaproth in dessen Werk „Asia Polyglotta" (1823), das im übrigen für die idg. Sprachwissenschaft ohne Bedeutung ist, angewendet. „Indogermanisch" ist zusammengesetzt aus den beiden Sprachbezeichnungen „Indisch" und „Germanisch", d. Ii. man wählte die beiden äußersten der damals bekannten idg. Sprachen, das Indische im Südosten und das Germanische im Nordwesten, um so eine Benennung für die gesamte Sprachengruppe zu schaffen. Nach einigen vereinzelten Vorläufern und Wegbereitern, unter denen besonders der lange Zeit in Indien tätig gewesene englische Gelehrte William J o n e s (1746—1794) erwähnt zu werden verdient, gilt der Deutsche Franz B o p p
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Allgemeines
(1791-—1867) als der eigentliche Begründer der vergleichenden idg. Sprachwissenschaft. Sein grundlegendes Buch, in welchem er zum ersten Male die Verwandtschaft einer Reihe von idg. Sprachen an H a n d ihres Fornienbaus nachwies, t r ä g t den Titel „ Ü b e r das Konjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen S p r a c h e " (1810). Das d a m i t Begonnene wurde dann in einem großangelegten dreibändigen Werk a u s g e b a u t : „Vergleichende G r a m m a t i k des Sanskrit, Send, Armenischen, Griechischen, Lateinischen, Litauischen, Altslavischen, Gothisehen und D e u t s c h e n " (zuerst 1833/52; 2. Aufl. 1857/01; 3. Aufl. 1808/70). Später, z. T. noch von F . Bopp selbst, wurde die Zugehörigkeit noch anderer Sprachen (vgl. § 2) e r k a n n t . Über die weitere Entwicklung der idg. Sprachwissenschaft vergleiche man: Th. B e n f c v , Geschichte der Sprachwissenschaft und orientalischen Philologie in Deutschland seit dem Anfange des 19. Jh.s mit einem Rückblick auf die früheren Zeiten (München 1869). — R. D e l b r ü c k , Einleitung in das Studium der idg. Sprachen. Ein Beitrag zur Geschichte und Methodik der vergleichenden Sprachforschung. (!. Aufl. (Leipzig 1919). — V. T h o m s e n , Geschichte der Sprachwissenschaft bis zum Ausg a n g des 19. Jh.s. Kurzgefaßte Darstellung der Hauptpunkte. [Aus dem Dänischen] Übersetzt von H. P o l l a k (Halle 1927).
F r a n z Bopp gebraucht übrigens nicht den Ausdruck „idg.", sondern sagt „indo-europäisch". ein Name, der auch heute vielfach angewendet und besonders außerhalb des deutschen Sprachgebiets (franz. indo-européen, ital. ind(o)europeo usw.) bevorzugt wird. — Anderwärts, namentlich in E n g l a n d , nennt man das Tdg. auch „Arisch" (Aryan), ein Sprachgebrauch, welcher aber schon deshalb besser vermieden wird, weil nur die Inder und Iranier sich selbst als „ A r i e r " bezeichnet haben (vgl. § 3) und dieser Name daher auf deren Sprachen beschränkt bleiben sollte.
Die indogermanischen Sprachen
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2. Die indogermanischen Sprachen § 2. Im Folgenden werden die zur idg. Spraehenfaniilie »ehörigen Sprachen aufgezählt, wobei besonders deren jeweils älteste noch vorhandene Überlieferung berücksichtigt wird, weil diese f ü r die Sprachvergleichung in den meisten Fällen am wichtigsten ist. 1. Das I n d i s c h e in Indien, dessen älteste uns b e k a n n t e Kntwicklungsphase, das Altindische (ai.), in zwei verschiedenen Sprachformen literarisch 1 ) erhalten ist. Die eine ist das V e d i s c h e , d. h. die Sprache der Veden, die später das kanonische S c h r i f t t u m des B r a h m a n i s m u s darstellt. Der älteste u n d wichtigste Veda, in seinen Wurzeln bis ins 2. vorchristl. J a h r t a u s e n d hinaufreichend, ist der Rig-Veda, eine S a m m l u n g von 1028 G ö t t e r h y m n e n . Hinzu kommen der Säma-Veda, der Y a j u r - V e d a und der Atharva-Veda. An diese Dichtungen schloß sich schon f r ü h eine umfangreiche erklärende (z. T. philosophische) L i t e r a t u r an. Die zweite ai. Sprachform ist das sog. S a n s k r i t , eine ausgesprochen literarische Kunstsprache, die von dem G r a m m a t i k e r Pänini (ca. 400 v. Chr.) in strenge Regeln gefaßt wurde. In (einem allerdings oft volkstümlicheren) Sanskrit sind die großen indischen Nationalepen, das M a h ä b h ä r a t a und das R ä m ä y a n a gedichtet, deren Anfänge bereits um die Mitte des letzten vorchristl. J a h r t a u s e n d s nachweisbar sind. In klassischem Sanskrit schrieb der ber ü h m t e s t e indische Dramatiker, Kalidäsa (5. J h . n. Chr.), die Lyriker B h a r t r h a r i (7. J h . n. Chr.) und Amaru, u n d auch die reiche indische Fabelliteratur, von der das P a n c a t a n t r a (spätestens 6. J h . n. Chr.) am bekanntesten ist, i s t in einer ähnlichen Sprache v e r f a ß t . 1 ) Schon ..vurlitcrarisch" sind aus Vorderasien, z. B. aus Bogazköi (vgl. unten Nr. 5), in anderssprachigen Keilschrifttexten ai. Eigennamen und Wärter Überliefert, welche auf ehemalige auch weiter westlich gelegene Wohnsitze von Indern hinweisen.
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Allgemeines
Neben diesen L i t e r a t u r s p r a c h e n bestanden natürlich von j e h e r die gesprochenen volkstümlichen Mundarten. Sic bilden die Grundlage für die erstmalig in der indischen S p r a c h g e s c h i c h t e genau datierbaren und lokalisierten Dialektinschriften des Kaisers Asoka (3. J h . ) , für das l ' ä l i , die L i t e r a t u r s p r a c h e des südindischen Buddhismus, und für die verschiedenen aus Dramen und religiösen S c h r i f t e n b e k a n n t e n l ' r ä k r i t - M u n d a r t e n . Aus diesen sog. niittelindischen (mi.) D i a l e k t e n , deren j ü n g s t e Ausläufer die A p a b h r a m s a s sind, entwickelten sich endlich die heute gesprochenen indischen Idiome, zu denen auch die S p r a c h e der Zigeuner gehört. J . W a c k e r n a g e l - A . D e b r u n n e r , Altindische Grammatik. Bd. I : Lautlehre (Göttingen 1 8 % ) ; Bd. I I I : Einleitung zur Wortlehre. Nommalkomposition (1!>()5); Bd. II 2: Die Nominalsuffixe (1954); Bd. I I I : Nominalflcxion, Zahlwort, Pronomen (1930). Dazu die Nachträge: L. K e n o u , Introduction générale; A. D e b r u n n e r , Nachträge zu Bd. I, I I 1 (1957). — A . A . M a c D o n e l l , Vedic (ïrammar (Straßburg 1910). — L. K e n o u , Grammaire de la langue védique (Lyon-Paris 1952). — A. T l i u m b , llandbucli des Sanskrit, mit Texten und Glossar. 2 Bände (Heidelberg 1905); 3. Aufl. von K. I l a u s c l i i l d . 2 Bände in 3 Teilen (1953/59). — C. C. U h l e n b e c k , Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbiuli der altindisclien Sprache (Amsterdam 1898/99). - - M. M u v r h o f e r , Kurzgefaßtes etymologisches Wörterbuch des Altindischen (Heidelberg 1953ff.). — J . B l o c h , Les inscriptions d'Asoka (Paris 1950). — R. P i s c h e l , Grammatik der Präkrit-Spraclien (Straßburg 1900). — W. G e i g e r , Püli. Literatur und Sprache (Straßburg 1916). — M. M a v r h o f e r , Handbuch des Pâli. 2 Bände (Heidelberg 1951). — M. W i n t e r n i t z , Geschichte der indischen Literatur. 3 Bände (Leipzig 1908/22). 2. Das I r a n i s c h e ist zuerst durch d i e A v e s t i s c h genannte, wohl auf einer östlichen Mundart beruhende Priestersprache des Avesta bezeugt, d. h. eine Sammlung der Überreste jener religiösen Literatur, welche sich — nicht sicher datierbar — an das Reformationswerk des Z a r a # u s t r a angeschlossen hatte. Den ältesten Bestandteil bilden dabei die
Die indogermanischen Sprachen
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„Gäj?äs", siebzehn Hymnen und Gebete, die auf Zara#ustra selbst zurückgehen sollen. Diesem „Gä#ä-Avestischen" stellt man alles Übrige als „Jung-Avestisch" gegenüber. Früher nannte man das Avestische auch Zend oder Altbaktrisch. Etwas jünger ist eine westliche altiranische Sprache, das A l t p e r s i s c h e (apers.), erhalten durch die in einer besonderen Keilschrift geschriebenen Steininschriften der Achaemenidenkönige (etwa 520—350 v. Chr., d. h. von Dareios I. an), in der Mehrzahl Denkmäler historischen Inhalts, von denen am bedeutendsten die mächtige Felsinschrift vom Berge Beliistun (bei der heutigen Stadt Kermänschäh) ist. Auf die altpersische Umgangssprache geht das M i t t e l p e r s i s c h e (mpers.) zurück, in erster Linie die Sprache der Sassanidenzeit, auch P e h l e v i genannt. Diesem dem Südwesten angehörigen Dialekt entsprachen — ebenfalls auf mitteliranischer Sprachstufe — im Nordwesten das P a r t h i s c h e (auch Arsakidisches Pehlevi genannt) und im Osten vor allem das für Handel und Religion in Zentralasien wichtige S o g d i s c h e , außerdem das sog. K h o t a n s a k i s c h e , das in indischer Brahmischrift fixiert ist. Auf das Mittelpersische folgt das N e u p e r s i s c h e (npers.), das bis etwa 900 n. Chr. zurückverfolgt werden kann. Ihm steht das K u r d i s c h e in Kurdistan (siidl. von Armenien) nahe. Die wichtigsten heute noch lebenden ostiranischen Dialekte sind das A f g h a n i s c h e in Afghanistan, das B a l u c i s c h e in Balucistan, die P a m i r - D i a l e k t e und (im mittleren Kaukasus) das O s s e t i s c h e . Iranisch waren — nach Ausweis der erhaltenen Eigennamen — auch die Sprachen der antiken S a r m a t e n und S k y t h e n , die heute ausgestorben sind.
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Allgemeines
W. G e i g e r - E . K u h n . Grundriß der iranischen Philologie. 2 Bände (Straßburg 1895/1904). — Handbuch der Orientalistik, hrsg. v. B. S p u l e r , 1. Abt., Bd. IV 1 (Leiden-Köln 1958). — 1. M. O r a n s k i j , Vvedenie v iranskuju filologiju (Moskau 1960). — H. R e i c h e l t , Awestisches Elementarbuch (Heidelberg 1909).— A. M e i l l e t - E . B e n v e n i s t e , Grammaire du Vieux Perse (Paris 1931). — R. G. K e n t , Old Persian. Grammar, Texts, Lexicon. 2. Aufl. (New Häven 1953). — Ch. B a r t h o l o m a e ; Altiranisches Wörterbuch (Straßburg 1904). — I. G e r s h e v i t c h , A Grammar of Manicliean Sogdian (Oxford 1954). — St. K o n o w , Khotansakische Grammatik (Leipzig 1941). — St. K o n o w , Primer of Khotanese Saka = Norsk Tidsskrift for Sprogvidenskap 15 (Oslo 1949) 5—136. — E. B e n v e n i s t e , Études sur la langue ossète (Paris 1959). — G. M o r g e n s t i e r n e , Indo-Iranian FrontierLanguages, I—III (Oslo 1929—1956). 3. Das A r m e n i s c h e in Armenien, d . h . in der Gegend uin den Wan-See im Süden des Kaukasus, ist seit dem-5. Jh. Ii. Chr., zunächst durch die Übersetzung der Bibel, dann auch durch andere theologische und auch geschichtliche Literatur überliefert, und' zwar; in einer A l t a r m e n i s c h oder Klassisch-Armenisch genannten Sprachform, welche heute im lebendigen Verkehr nicht mehr gebräuchlich ist. An ihre Stelle ist seit etwa dem 15. Jh. das in mehreren Mundarten vorliegende N e u a r m e n i s c h e getreten. A. M e i l l e t , Esquisse d'une grammaire comparée de l'arménien. 2. Aufl. (Wien 1936). — H. J e n s e n , Altarmenische Grammatik (Heidelberg 1959). — F. F e y d i t , Manuel de langue arménienne. Arménien occidental moderne (Paris 1948). — H. H ü b s c h m a n n , Armenische Grammatik, I. Theil: Armen. Etymologie (Leipzig 1897). 4. Das T o e h a r i s c h e , das noch im 7. Jh. n. Chr. in gewissen Teilen von Turkistan (um Kucä und Turfan) als Landessprache lebendig gewesen zu sein scheint, ist erst zu Anfang unseres Jahrhunderts, teils durch die vier preußischen Turfan-Expeditionen (1902—1914), teils durch französische Ausgrabungen in Kucä in Gestalt einer größeren Anzahl von Handschriften bzw. Resten von solchen wieder-
Die indogermanischen Sprachen
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aufgefunden worden. Zum allergrößten Teil enthalten diese Texte ziemlich wortgetreue Übersetzungen aus der buddhistischen Sanskrit-Literatur; nur weniges stellt originales Tocharisch dar (Klosterrechnungen, Geschäftsbriefe, ein Gedichtbruchstück, Karawanenpässe u. dgl.). Zwei Dialekte sind zu unterscheiden, die man zunächst einfach als A und B benannte; heute beginnen sich die Bezeichnungen Osttocharisch (A) und Westtocharisch oder Kucisch (B) durchzusetzen. W. S c h u l z e - E . S i e g - W . S i e g l i n g , Tocharische Grammatik (Güttingen 19311. — W. K r a u s e , Westtocharische Grammatik. Bd. I: Das Verbum (Heidelberg 1952). — W. K r a u s e - W . Thom a s , Tocharisches Elementarbuch, Bd. I: Grammatik (Heidelberg 1960). — II. P e d e r s e n , Tocharisch vom Gesichtspunkt der indoeuropäischen Sprachvergleichung (Kopenhagen 1941). — W. K r a u s e , Tocharisch = Handbuch d. Orientalistik IV 3 (Leiden 1955).
5. Das H e t h i t i s c h e , die Sprache des im 2. vorchristl. Jahrtausend in Vorderasien blühenden Großreichs der Hethiter, ist ebenfalls erst im 20. Jh. wieder ans Licht gekommen, und zwar durch systematische deutsche Ausgrabungen (beginnend 1906, dann immer wieder aufgenommen und auch heute noch fortgeführt) bei dem türkischen Ort Bogazköi, d. h. der Stelle der alten hethitischen Hauptstadt Hattussas. Sie ist aufgezeichnet und erhalten in vielen Tausenden von Tontafeln, welche in der aus dem sumerisch-akkadischen Kulturkreis übernommenen Keilschrift geschrieben sind und historische, religiöse und juristische Texte enthalten. Die Hauptmasse stammt aus dem 15. und 14. Jh.; eine kleine Anzahl von Tafeln ist um einige Jahrhunderte älter. Um 1200 vor Chr. ging das Hethiterreich zugrunde, wodurch auch seiner Sprache der Untergang bereitet wurde. Die Archive von Bogazköi förderten aber außer dem Hethitischen neben Denkmälern in ganz fremdartigen.
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Allgemeines
nicht-idg. Idiomen (dem sog. Proto-hattischen und Hurritischen) auch solche in zwei weiteren bis dahin unbekannten idg. Sprachen zutage, die beide dem Hethitischen mehr oder minder nahe stehen: das L u v i s c h e und das P a l ä i s c h e , beide jedoch (vor allem das letztere) nur bruchstückhaft erhalten. Hinzukommt eine größere Gruppe von Inschriften in einer eigentümlichen Bilderschrift, die zu einem guten Teil schon vor Auffindung des Keilschrifthethitischen aus Vorderasien und Syrien bekannt waren und deren erst in jüngster Zeit gelungene Entzifferung gezeigt hat, daß ihre Sprache gleichfalls enge Berührungen zum Hethitischen von Bogazköi aufweist. Man nennt sie daher H i e r o g l y p h i s c h H e t h i t i s c h oder Bildhethitisch. J. F r i e d r i c h , Hethitisches Elementarbuch. Bd. I: Kurzgefaßte Grammatik. 2. Aufl. (Heidelberg 1960); Bd. II: Lesestücke in Transkription (1946). •— E . H . S t u r t e v a n t - E . A. H a h n , A Comparative Grammar of the Hittite Language. Bd. I. 2. Aufl. (New Häven 1951). — IL K r o n a s s e r , Vergl. Laut- u. Formenlehre des Hethitischen (Heidelberg 1956). — F. S o m m e r , Hethiter und Hethitisch (Stuttgart 1947). — H. P e d e r s e n , Hittitisch und die anderen indoeuropäischen Sprachen (Kopenhagen 1938). — J F r i e d r i c h , Hethitisches Wörterbuch. Kurzgefaßte kritische Sammlung der Deutungen hethitischer Wörter (Heidelberg 1952; 1. Ergänzungsheft ebd. 1957). — E. H. S t u r t e v a n t , Hittite Glossary. 2. Aufl. (Philadelphia 1936; Supplement ebd. 1939). — B. R o s e n k r a n z , Beiträge zur Erforschung des Luvischen (Wiesbaden 1952).
0. Kin später Nachkomme der um das Hethitische gruppierten „altanatolischen" Sprachen scheint das L y k i s c h e in der Landschaft Lykien an der Südwestecke Kleinasiens zu sein, allerdings von mancherlei, zumal nicht-idg., Kremdeinflüssen durchsetzt, sodaß sein idg. Charakter erst spät erkannt wurde. Bekannt ist das Lykische durch etwa loO Inschriften (meist Grabschriften) aus dem ¡3. und 4. Jh. v. Chr., geschrieben in einem von den Griechen ent-
Die indogermanischen Sprachen l e h n t e n A l p h a b e t . Inhaltlich abseits s t e h t die einen historischen T e x t e n t h a l t e n d e u n d in e i n e m a l t e r t ü m l i c h e r e n Dialekt a b g e f a ß t e u m f a n g r e i c h e I n s c h r i f t einer Stele aus Xanthos. G. D e e t e r s , Lvkia, Sprache = Realencvrl. (1. klass. Altertumswiss. 2(i. Ilalbbd. (1927) 2282 - 2 2 9 1 . - P. M e r i ^ i , Der Indo^ermanisimis des Lvkischen — Festschr. f. H. Hirt II (Heidelberg 1930) "¿57 -282. IL P e d e r s e n , Lvkisch und I litt ¡tisch (Kopenhagen 1945). 7. Ähnlich wie das L v k i s c h e u n d aus den gleichen G r ü n d e n ist a u c h das L y d i s c h e in Lydien an d e r kleinasiatischen W e s t k ü s t e erst in neuerer Zeit als idg. S p r a c h e a n e r k a n n t w o r d e n . Es liegt in e t w a s m e h r als 50 I n s c h r i f t e n in einem ebenfalls aus d e m griechischen abgeleiteten A l p h a b e t vor, die — soweit d a t i e r b a r — aus d e m 4. J h . v. Chr. s t a m m e n , d a r u n t e r eine e t w a s längere l y d i s c h - a r a m ä i s c h e u n d zwei kurze lydisch-griechische Bilinguen. G. D e e t e r s , Lydia, Sprache und Schrift = Realencvcl. d. klass. Altertumswiss. 26. Halbbd. (1927) 2153-2161. - P. Mer i g g i , Der indogermanische Charakter des Lvdischen = Festschr. f. H. Hirt II (Heidelberg 1936) 283—290. — A. H e u b e c k , Lydiaka. Untersuchungen zu Schrift, Sprache und Götternamen der Lyder (Erlangen 1959). 8. D a s P h r y g i s c h e , dessen T r ä g e r u m 1200 v. Chr. aus der n o r d ö s t l . B a l k a n h a l b i n s e l e i n g e w a n d e r t zu sein scheinen, w u r d e einst in einem g r o ß e n Teil von N o r d w e s t k l e i n a s i e n gesprochen, ist a b e r — wie die ü b r i g e n a l t k l e i n a s i a t i s c h c n I d i o m e — schon seit dem A l t e r t u m a u s g e s t o r b e n . B e k a n n t ist es a u ß e r d u r c h E i g e n n a m e n u n d einzelne bei griechischen u n d lateinischen Schriftstellern überlieferte W ö r t e r (sog. „ G l o s s e n " ) d u r c h zwei zeitlich weit v o n e i n a n d e r g e t r e n n t e G r u p p e n von I n s c h r i f t e n : die e t w a 20 „ a l t p h r y g i s c h e n " I n s c h r i f t e n , m i t d e m 7. J h . v. Chr. b e g i n n e n d , geschrieben in einem d e m griechischen ähnlichen A l p h a b e t , u n d die viel zahlreicheren, inhaltlich j e d o c h sehr gleichförmigen „ n e u -
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phrygischen" Inschriften, die erst aus römischer Zeit stammen und die damalige griechische Schrift benutzen. N. J o k l , Phryger = Reallex. d. Vorgeschichte, hrsg. v. M. Ebert, 10 (1927) 141—153. — R. G u s m a n i , Studi Frigi (Milano, Ist. Lombardo 1959).
9. Das T h r a k i s c h e , das ursprünglich den gesainten Norden der Balkanhalbinsel einnahm, später aber auf deren Nordosten eingeschränkt wurde, kennen wir nur aus ganz geringen Resten, welche in Eigennamen, Glossen-Wörtern und einer einzigen Inschrift bestehen. Zum Thrakischen gehörte auch das D a k i s c h e in Dakien, von dem eine Sammlung von Pflanzennamen erhalten ist. W. T o m a s c h e k , Die alten Thraker = Sitzungsber. d. Akademie in Wien 128, 130, 131 (1893/94). - N. J o k l , Thraker = Reallex. d. Vorgeschichte, hrsg. v. M. Ebert, 13 (1929) 278—298. — D. D e t s c h e w , Charakteristik der thrakischen Sprache (Sofia 1952 und 1960). — D. D e t s c h e w , Die thrakischen Sprachreste (Wien 1957). — I. I. R u s s u , Limba traco-dacilor (Bukarest 1959).
10. Das G r i e c h i s c h e ist die ältestüberlieferte idg. Sprache Europas. Seine Quellen beginnen für uns, seit in jüngster Zeit die Entzifferung und Deutung der Denkmäler in der sog. kretischen Linearschrift B gelungen ist, bereits um die Mitte des 2. vorchristl. Jahrtausends. Dabei handelt es sich um Tontäfelchen aus Knossos in Kreta sowie aus Pylos und Mykene in der Peloponnes, welche in einer auf eine Bilderschrift zurückgehenden Silbenschrift geschrieben sind und vornehmlich religiöse und Wirtschafts-Urkunden enthalten. Mit dem 8. Jh. v. Chr. setzt dann die große griechische Literatur, anfangend mit Homer, und eine immer reicher werdende inschriftliche Überlieferung in griechischer Alphabetschrift ein, beide seit ihrem ersten Auftreten überaus stark in Mundarten gegliedert, wobei obendrein zu berücksichtigen ist, daß das Griechische infolge der Kolonisation
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im A l t e r t u m ungleich weiter verbreitet war als heute. I m allgemeinen teilt man es in drei große Dialektgruppen ein: 1. das I o n i s c h - A t t i s c h e , welches das kleinasiatische Ionisch, das Ionische der Kykladen, das Euböische und das Attische u m f a ß t ; 2. das A c h ä i s c h e , gegliedert in das Aolisch-Nordachäischo (Kleinasiatisch-Äolisch mit Lesbos, Thessalisch, Böotisch) und das Südachäische mit deni Arkadischen im Innern der Peloponnes und dem Kyprischen auf der Insel K y p r o s ; 3. das D o r i s c h - N o r d w e s t g r i e c h i s c h e , wobei das eigentliche Dorische die Mundarten von Lakonien, Messenien, Argolis u n d der Insel Ägina, von Korinth und Megara, das Kretische u n d die Dialekte zahlreicher Inseln umgreift, während das Nordwestgriechische gebildet wird durch die Sprachen von Epirus, A k a r n a n i e n , Ätolien und Teilen von Thessalien sowie von Lokris u n d l'hokis. Nicht sicher einzuordnen sind der Dialekt von Achaia a m Nordrand der I'eloponnes, das Eleische in Elis und das Pamphylische in Kleinasien, die z. T. Merkmale mehrerer Mundarten aufweisen. Zu einer alle griechischen Dialekte überbrückenden Schrift- und Umgangssprache ist es erst in nachklassischer Zeit gekommen, in Gestalt der sog. Koivii (d. h. Gemeinsprache), die namentlich durch das Alexanderreich ihre weite Verbreitung fand. Ihr sind fast alle altgriechischen Mundarten im Laufe der Zeit zum Opfer gefallen. Ein heute noch lebender Fortsetzer eines altgriechischen Dialekts ist das Zakonische in der I'eloponnes und ähnlich auch die noch jetzt gesprochenen Reste des Griechischen in r n t e r i t a l i e n . I m übrigen gehen die heutigen neugriechischen Mundarten auf die KOIVTI zurück, aus der sie sich neu entwickelt haben, während die jetzige Schriftsprache der alten Koivr] noch immer sehr nahe steht. Eine Sonderstellung n i m m t das nur aus Eigennamen und Glossen b e k a n n t e M a k e d o n i s c h e ein, eine Rand- und K r ä h e , I n d o g e r m . Sprachwissenschaft 1,
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Mischsprache, welche neben griechischen auch, andere (thrakische und illyrische) Elemente zu enthalten scheint. M. V e n t r i s - J . C h a d w i c k , Evidence for Greek Dialect in the Mycenaean Archives = Journ. of Hellenic Studies 73 (1953) 84—103. — A. S c h e r e r , Mykenisch. In A. Thumb - A. Scherer, Handb. d. griech. Dialekte II (s. unten!) 314—361. E. S c h w y z e r , Griechische Grammatik. Bd. I: Allgemeiner Teil, Lautlehre, Wortbildung, Flexion (München 1939); Bd. 11 (mit A. D e b r u n n e r ) : Syntax und syntaktische Stilistik (1950); Bd. III (von D. J. G e o r g a c a s ) : Register (1953). H.Hirt, Handbuch der griechischen Laut- und Formenlehre. 2. Aufl. (Heidelberg 1912). — W. B r a n d e n s t e i n , Griechische Sprachwissenschaft. 2 Bände (Berlin 1954/59; Samml. Göschen 117 u. 118/118a). — E. B o i s a c q , Dictionnaire étymologique de la langue grecque (Heidelberg 1916; 4. Aufl. 1950).'— Hj. F r i s k , Griechisches etymologisches Wörterbuch (Heidelberg 1954ff.). — F. B e c h t e l , Die griechischen Dialekte. 3 Bände (Berlin 1921/24). — A. T h u m b , Handbuch der griechischen Dialekte (Heidelberg 1909); 2. Aufl., Bd. I von E. K i e c k e r s (1932); Bd. II von A. S c h e r e r (1959). — F. B l a s s - A . D e b r u n n e r , Grammatik des neutestamentlichen Griechisch. 9. Aufl. (Göttingen 1954). —• A. T h u m b , Handbuch der neugriechischen Volkssprache (Straßburg 1895). — G. S o y t e r , Grammatik der neugriechischen Volks- und Schriftsprache. 5. Aufl. (Wiesbaden i960). 0 . H o f f m a n n , Die Mäkedonen, ihre Sprache una ihr Volkstum (Göttingen 1906). — .T. N. K a l l é r i s , Les anciens Macédoniens. Étude linguistique et historique. Bd. I (Athen 1954). 11. Eine in der Balkanhalbinsel und der Ägäis schon vor dem Griechischen vorhandene, von diesem überlagerte und teilweise aufgesogene idg. Sprache, für die man die Bezeichnung P e l a s g i s c h gewählt hat, glaubt man neuerdings aus Lehnwörtern, welche im Griechischen fortleben, und aus Eigennamen in einzelnen Zügen rekonstruieren zu können. V. G e o r g i e v , Vorgriechische Sprachwissenschaft. 2 Teile (Sofia 1941/45). — A. J . V a n W i n d e k e n s , Le Pélasgique. Essai sur une langue indo-européenne préhellénique (Louvain 1952). 12. Das A l b a n i s c h e , das außer in Albanien auch in
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einer Anzahl von Kolonien in Griechenland, Unteritalien und Sizilien gesprochen wird, ist erst seit der Neuzeit überliefert. Neben religiösen Texten (seit dem 16. und 17. Jh.) ist es vor allem durch eine reiche Volkspoesie (Heldenlieder, Märchen u. dgl.) und Kunstdichtung bekannt. Dabei sind zwei Dialekte, das Gegische im Norden und das Toskische im Süden von Albanien, zu unterscheiden. Die namentlich früher viel vertretene Auffassung, daß das Albanische ein unmittelbarer Fortsetzer des alten Illyrischcn sei, ist in dieser F o r m nicht zu halten. G. P e k m e z i , Grammatik der albanesischen Sprache (Wien 1908). — M. Lambertz, Albanisches Lesebuch, mit Einführung in die albanische Sprache. 2 Bände (Leipzig 1948). — M. Lambertz, Lehrgang des Albanischen. 3 Bände (Berlin—Halle/Saale 1954—1959). — G. Meyer, Etymologisches Wörterbuch der albanesischen Sprache (Straßburg 1891), — St. E. Mann, An Historical Albanian-English Dictionary (London 1948). 13. Das I l l y r i s c h e war in den letzten J a h r h u n d e r t e n v. Chr. besonders in der nordwestliehen Balkanhalbinsel und in Unteritalien (in den antiken Landschaften Kalabrien und Apulien) noch eine lebendige Sprache, ist aber auch dort in nachchristlicher Zeit bald ausgestorben. F r ü h e r scheint es eine noch weitere Verbreitung in der Appenninhalbinsel, den Alpenländern, Pannonien und angrenzenden Gebieten gehabt au haben. Darauf deuten Orts- und Personennamen der betreffenden Gegenden, welche ü b e r h a u p t eine der wenigen Quellen f ü r unsere Kenntnis des Illyrischen darstellen; daneben sind die nahezu 300, meist nur kurzen sog. m e s s a p i s c h e n Inschriften aus Unteritalien wichtig. H. Krähe, Die Sprache der Illyrier. Bd. I: Die Quellen (Wiesbaden 1955). — A. Mayer, Die Sprache der alten Illyrier. 2 Bände (Wien 1957/59). — N. Jokl, Illyrier = Reallex. d. Vorgeschichte, hrsg. v. M. Ebert, 6 (1926) 33—48. — 0. P a r l a n g c l i , Studi Messapici (Milano 1960). 14. Das sog. I t a l i s c h e ist die bedeutendste idg. Sprachen2*
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gruppe der Appenninhalbinsel. In ihr pflegt man zwei sich in manchen Punkten recht nahestehende, in anderen aber auch stark voneinander abweichende Komplexe von Dialekten zusammenzufassen: einerseits das Latino-Faliskische, andrerseits das Oskisch-Umbrische. Die wichtigste Sprache des L a t i n o - F a l i s k i s c h e n ist das L a t e i n i s c h e , ursprünglich nur die Mundart von Rom, die sich dann parallel mit der staatlichen Machterweiterung der Römer schrittweise bis zur Weltsprache entwickelte. B e k a n n t ist das Lateinische (ähnlich wie das verwandte F a l i s k i s c h e , d. h. der Dialekt von Falerii in Südetrurien) seit dem (5. J h . v. Chr. durch Inschriften, später dann auch durch die umfängliche römische Literatur. Die lebendige Fortentwicklung des Lateinischen stellen die r o m a n i s c h e n S p r a c h e n dar: das I t a lienische, das Sardische (in Sardinien), das Portugiesische, Spanische und Katalanische in der Pyrenäenhalbinsel, das Französische und Provenzalische in Frankreich, das Rätoromanische im mittleren und östlichen Alpengebiet und das Rumänische. Andere romanische Sprachen, wie das Dalmatinische in Dalmatien oder die Fortsetzung des Lateinischen in Nordafrika, sind untergegangen. Die o s k i s c h - u m b r i s c h e Gruppe, die nur durch Inschriften, Glossen und Eigennamen bekannt ist, umfaßt die Mundarten der Osker (namentlich in Samnium und K a m panien), der Umbrer in Umbrien, der Volsker im siidl. Latium und der „sabellischen" S t ä m m e (Sabiner, Paeligner, Marser usw.). Alle diese Dialekte, deren wichtigstes Denkmal die sieben Erztafeln aus der umbrischen Stadt Iguvium sind, sind schon im Altertum ausgestorben bzw. in dem sich ausbreitenden Lateinischen aufgegangen. In Lautstand und Wortschatz dem Italischen, zumal dem Lateinischen, nahe steht das V e n e t i s c h e im östl. Oberitalien, vertreten durch mehr als 200 kurze Inschriften aus Este, Padua, d e m P i a v e - T a l und den benachbarten Gegenden,
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das gleichfalls in der Zeit um Christi Geburt erloschen ist. F. S t o l z - J . H. S c h m a l z , Lateinische Grammatik. Laut- und Formenlehre, Syntax und Stilistik. 5. Aufl. von M. L e u m a n n und J. B. H o f m a n n (München 1928). — F. S o m m e r , Handbuch der lateinischen Laut- und Formenlehre. 2. Aufl. (Heidelberg 1914; Neudruck 1948). — A. W a l d e , Lateinisches etymologisches Wörterbuch. 3. Aufl. von J. B. Hof m a n n . 3 Bände (Heidelberg 1938/66). R. v. P l a n t a , Grammatik der oskisch-umbrischen Dialekte. 2 Bände (Straßburg 1892/97). — C. D. B u c k , Elementarbuch der oskisch-umbrischen Dialekte. Deutsch von E. P r o k o s c h (Heidelberg 1905). — E. V e t t e r , Handbuch der italischen Dialekte. Bd. I: Texte mit Erklärung, Glossen, Wörterverzeichnis (Heidelberg 1953). — J. W. P o u l t n e y , The Bronze Tables of Iguvium (Baltimore 1959). W. M e y e r - L ü b k e , Einführung in das Studium der romanischen Sprachwissenschaft. 3. Aufl. (Heidelberg 1920). — G. R o h l f s , Romanische Philologie. 2 Bände (Heidelberg 1950/52). — W. M e y e r - L ü b k e , Romanisches etymologisches Wörterbuch. 3. Aufl. (Heidelberg 1935). M. S. B e e l e r , The Venetic Language = Univ. of California Publ. in Linguistics 4, 1 (1949) 1 - 6 0 . - H. K r ä h e , Das Venetische. Seine Stellung im Kreise der verwandten Sprachen (Heidelberg 1950). — H. K r ä h e , Sprache und Vorzeit (Heidelberg 1954) 114-122. 15. Das K e l t i s c h e hatte, wie wir auf Grund historischer Nachrichten aus der Antike und durch Ortsnamenzeugnisse wissen, in der zweiten Hälfte des letzten Jahrtausends v. Chr. zeitweise eine sehr weite Verbreitung in großen Teilen von Europa. Es gliedert sich geographisch in das frühzeitig untergegangene Festlandkeltische und das Inselkeltische. Träger des F e s t l a n d k e l t i s c h e n waren die Kelten in Spanien (seit dem 6. Jh. v. Chr. nachweisbar), die Gallier in Frankreich, zahlreiche größere und kleinere Stämme in den Alpenländern, Süd- und Westdeutschland, Pannonien, Italien und der Balkanhalbinsel, endlich die Galater in Kleinasien. Außer verhältnismäßig wenigen Inschriften aus Gallien, Italien und Spanien besitzen wir aus diesem ganzen Gebiet
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nur Eigennamen, diese freilich in sehr großer Anzahl, und eine Reihe von Glossen. Das I n s e l k e l t i s c h e ist zum Teil noch heute lebendig und umfaßt seinerseits wiederum zwei Mundartengruppen: die goidelische und die britannische. Zum G o i d e l i s c h e n gehört das Irische in Irland, das Gälische oder SchottischGälische in den schottischen Hochlanden und auf den Hebriden und das Manx auf der Insel Man. Das B r i t a n n i s c h e teilt sich in das Kymrische in Wales, das jetzt ausgestorbene Kornische in Cornwall und das Bretonische in der Bretagne, das erst im 5. J h . n. Chr. durch Rückwanderer aus Britannien auf das Festland verpflanzt wurde. Die Überlieferung des Inselkeltischen setzt mit den irischen Ogam-Inschriften (so genannt nach dem eigentümlichen Alphabet, in welchem sie geschrieben sind) ein, die z. T. noch in die Zeit der römischen Herrschaft zurückreichen. Die literarische Überlieferung beginnt ebenfalls in irischer Sprache und zwar im 8. J h . ; etwas jünger ist die der übrigen inselkeltischen Dialekte. II. P e t l e r s e n , Vergleichende Grammatik der keltischen Sprachen. 2 Bände (Göttingen 1909/13). - H. L e w i s - I I . P e d e r s e n , A Concise Comparative Celtic Grammar (Göttingen 1937). — G. D o t t i n , La langue gauloise (Paris 1920). — R. T h u r n e y s e n , Handbuch des Alt-Irischen. Grammatik, Texte und Wörterbuch. 2 Bände (Heidelberg 1909). — R. T h u r n e y s e n , A Grammar of Old Irish. Revised and enlarged edition, transí, by D. A. B i n c h y and 0 . B e r g i n (Dublin 1949). — K. J a c k s o n , Language and History in Early Britain. A Chronological Survey of the Brittonic Languages First to Twelfth Century a. D. (Edinburgh 1956).
16. Das G e r m a n i s c h e ist, ähnlich wie das Griechische, schon bei Beginn seiner ScKriftquellen dialektisch stärker geteilt, wobei zunächst zwei Hauptgruppen erkennbar sind: auf der einen Seite das Nord- und Ostgermanische, die man auch als Goto-Nordisch oder gemeinsam einfach als Nordgermanisch zusammenfaßt, auf der anderen Seite das Süd-
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oder Westgermanische. Der Hauptvertreter des O s t g e r m a i i i s e h e n ist für uns das G o t i s c h e durch die Bibelübersetzung des Wulfila (4. Jh.), während sonst vom Gotischen und den ihm nahestehenden Mundarten (Wandaliseh, Burgundisch usw.) nur dürftige Reste (meist Eigennamen) erhalten sind. Bis auf das erst in der Neuzeit erloschene sog. Krimgotische (in der HalbinselKrim) sind die ostgermanischen Sprachen schon seit dem Ausgang des Altertums bzw. dem frühen Mittelalter untergegangen. Das N o r d g e r m a n i s c h e ist bis etwa 800 n. Chr. in einer fast einheitlichen Sprachform, dem sog. U r n o r d i s c h e n , durch eine Anzahl von Runeninschriften überliefert. In der Folgezeit — bis rund 1500 spricht man vom A l t n o r d i s c h e n — vollzieht sich eine allmähliche Spaltung in das Ostnordische ( S c h w e d i s c h und D ä n i s c h ) und das Westnordische ( N o r w e g i s c h und I s l ä n d i s c h ) . Am wichtigsten wird dabei das A l t i s l ä n d i s c h e mit seiner reichen Literatur (Eddalieder, Skaldendichtung, Saga-Erzählungen), die nach vorausgegangener mündlicher Tradition etwa vom Jahre 1000 an aufgezeichnet wurde. Seit 1500 rechnet man das Neuisländische, Neunorwegische, Neudänische und Neuschwedische. Das W e s t - oder S ü d g e r m a n i s c h e unifaßt das Englische, Friesische und Deutsche, letzteres durch die sog. hochdeutsche (oder „zweite") Lautverschiebung in Hocliund Niederdeutsch gegliedert. Dabei gehören Englisch und Friesisch enger zusammen (anglo-friesische Gruppe), während das Niederdeutsche eine Mittelstellung zwischen diesen beiden und dem Hochdeutschen einnimmt. Bis auf das F r i e s i s c h e , dessen Quellen erst mit dem 13. und 14. Jh. in einer als Altfriesisch bezeichneten Sprachform einsetzen, beginnt die Überlieferung bei diesen Sprachen im 8. Jh. als A l t h o c h d e u t s c h (ahd.), A l t s ä c h s i s c h (Niederdeutsch; as. bzw. nd.) und A l t e n g l i s c h oder Angelsächsisch (ae.,
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ags.) mit überall ziemlich gleichartigen Denkmälern, nämlich Dichtungen in altgermanischen Stabreimversen (so das ahd. Hildebrandslied, Muspilli, Wessobrunner Gebet, der as. Heliand, der ags. Beowulf), die aber (wie Heliand, Muspilli usw.) weitgehend schon christlichen Inhalten dienen, anderer geistlicher Dichtung, christlicher Prosa, Glossensammlungen, gelehrter Literatur, Zaubersprüchen und anderem mehr. Aus diesen älteren Sprachphasen sind über das Mittelhochdeutsche (mhd.), Mittelniederdeutsche (mild.) und Mittelenglische (me.) die heutigen Schrift- und Umgangssprachen des D e u t s c h e n und linglischen, aus dem altniederfränkischen Dialekt des Niederdeutschen das H o l l ä n d i s c h e , sowie die zahlreichen jetzigen Mundarten hervorgegangen. II. K r ä h e , Germanische Sprachwissenschaft. 4. Aufl. 2 Bände (Berlin 1960/61; Samml. Göschen 238 u. 780). — W. S t r e i t b e r g , Urgermanische Grammatik. Einführung in das vergleichende Studium der altgermanischen Dialekte (Heidelberg 1896; Neudr. 1943). — F. K l u g e , Urgermanisch. Vorgeschichte der altgermanischen Dialekte. 3.'Aufl. (Straßburg 1913). - II. H i r t , Handbuch des Urger manischen. 3 Teile (Meidelberg 1931/34). - E. P r o k o s c h , A Comparative Germanic Grammar (Philadelphia 1939). — W. W i l m a n n s , Deutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittelund Neuhochdeutsch. 3 Teile. 2. u. 3. Aufl. (Straßburg-Berlin 1911/30). — F. S t r o h , Handbuch der germanischen Philologie (Berlin 1952). — E. S c h w a r z , Deutsche und germanische Philologie (Heidelberg 1951). W. K r a u s e , Handbuch des Gotischen (München 1953). — W. B r a u n e - E . A. E b b i n g h a u s , Gotische Grammatik. 16. Aufl. (Tübingen 1961). — H. K r ä h e , Historische Laut- und Formenlehre des Gotischen. Zugleich eine Einführung in die germanische Sprachwissenschaft (Heidelberg 1948). — S. F e i s t , Vergleichendes Wörterbuch der gotischen Sprache. 3. Aufl. (Leiden 1939). A. N o r e e n , Geschichte der nordischen Sprachen, besonders in altnordischer Zeit. 3. Aufl. (StraBburg 1913). — A. N o r e e n , Ausländische und Altnorwegische Grammatik, unter Berücksichtigung des Urnordischen. 4. Aufl. (Halle 1923). — S. G u t e n b r u n n e r , Historische Laut- und Formenlehre des Altisländischen. Zugleich eine Einfühlung in das Urnordische (Heidelberg 1951). —
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Allgemeines
eine in ihrer Entwicklung, zumal im Lautstand, schon wesentlich fortgeschrittenere Stufe dar. Selbständiger und teilweise noch altertümlicher als das Litauische ist das A l t p r e u ß i s c h e (apreuss.); es ist nur in einigen wenigen Texten aus dem 15. und 16. Jh. (Vokabulare, Katechismen) und in Eigennamen erhalten und heute ausgestorben. Spuren noch anderer heute nicht mehr lebendiger baltischer Sprachen, z. B. des Kurischen, besitzen wir überhaupt nur in Gestalt von Eigennamen. J. E n d z e l i n s , Senprüsu valoda (Riga 1943) = J. Endzelin, Altpreußische Grammatik (ebd. 1944). — R. T r a u t m a n n , Die altpreußischen Sprachdenkmäler. Einleitung, Texte, Grammatik, Wörterbuch (Göttingen 1910). — A. L e s k i e n , Litauisches Lesebuch, mit Grammatik und Wörterbuch (Heidelberg 1919). — A. S e n n , Handbuch der litauischen Sprache. Bd. II: Lesebuch und Glossar (Heidelberg 1957). — 0 . W i e d e m a n n , Handbuch der litauischen Sprache (Straßburg 1897). — E. F r a e n k e l , Litauisches etymologisches Wörterbuch (Heidelberg-Göttingen ]955ff.). — J. E n d z e l i n , Lettische Grammatik (Heidelberg 1923). — E. F r a e n k e l , Die baltischen Sprachen (Heidelberg 1950). — R. T r a u t m a n n , Baltisch-Slavisches Wörterbuch
18. Das S l a v i s c h e teilt man in drei große Gruppen ein: Süd-, Ost- und West-Slavisch. Zum Südslavischen gehören das B u l g a r i s c h e , neben dem sich in neuerer Zeit das M a z e d o n i s c h e — im wesentlichen auf bulgarischer Grundlage — eine eigene Schriftsprache geschaffen hat, das S e r b o k r o a t i s c h e und das S l o v e n i s c h e . Das Ostslavische wird repräsentiert durch das R u s s i s c h e , gegliedert in Großrussisch, Kleinrussisch und Weißrussisch. Davon bildet das Großrussische, genauer der Dialekt von Moskau, die Grundlage der heutigen russischen Schrift- und Umgangssprache; das Kleinrussische ist die Sprache der Ukraine und wird daher auch Ukrainisch (mit einem zur Zeit des Humanismus künstlich geschaffenen Namen gelegentlich auch noch Ruthenisch) genannt; das Weißrussische im Westen Rußlands steht dem Großrussischen näher. Westslavisch sind
Die indogermanischen Sprachen
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das C e c h i s c h e mit dem S l o v a k i s c h e n , das P o l n i s c h e , das W e n d i s c h e oder S o r b i s c h e und die anderen (z. T. heute ausgestorbenen) slavischen Mundarten in Deutschland, d. h. das P o l a b i s c h e („Elbslavische"), K a s c h u b i s c h e (zwischen Persante und unterer Weichsel), das später teilweise stark durch das Polnische beeinflußt worden ist, und S l o v i n z i s c h e (im Kreis Stolp in Pommern). Von allen slavischen Sprachen am frühesten überliefert und daher für die Indogermanistik am wichtigsten ist das Bulgarische und zwar in der Form des A l t b u l g a r i s c h e n , das auch K i r c h e n s l a v i s c h genannt wird, die Sprache, in welche die Slavenapostel Methodius und Cyrillus im 9. Jh. die Bibel übersetzten. Dieses Altbulgarische hat auf die kirchliche Literatur a l l e r slavischen Völker, soweit sie der orthodoxen Kirche angehören, und darüber hinaus auf deren Schriftsprachen großen Einfluß ausgeübt. W. V o n d r ä k , Vergleichende slavische 'Grammatik. 2. Aufl. Bd. I: Lautlehre und Stammbildungslehre (Göttingen 1924); Bd. II (bearb. von 0 . G r ü n e n t h a l ) : Formenlehre und Svntax (1928). — F. M i k l o s i c h , Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen, Bd. IV: Syntax (Wien 1874, Neudr. Heidelberg 1926). — H. B r ä u e r , Slavische Sprachwissenschaft, Bd. I: Einleitung, Lautlehre (Berlin 1961; Samml. Göschen 1191/1191a). — A. V a i l l a n t , Grammaire comparee des langues slaves, Bd. I, II 1, II 2 (Lyon-Paris 1950/58). — R. N a h t i g a l - J . S c h ü t z , Die slavischen Sprachen (Wiesbaden 1961). — E. B e r n e k e r , Slavisches etymologisches Wörterbuch, A—M (Heidelberg 1908/14). A. L e s k i e n , Grammatik der altbulgarischen (altkirchenslavischen) Sprache. 2./3. Aufl. (Heidelberg 1919). -- A. L e s k i e n , Handbuch der altbulgarischen (altkirchenslavischen) Sprache. Grammatik, Texte, Glossar. 7. Aufl. (Heidelberg 1955). — A. V a i l l a n t , Manuel du vieux slave. 2 Bände (Paris 1948). — L. S a d n i k - R . A i t z e t m ü l l e r , Handwörterbuch zu den altkirchenslavischen Texten (Heidelberg 1955). — I. P o p o v i c , Geschichte der serbokroatischen Sprache (Wiesbaden 1960). M. V a s m e r , Russisches etymologisches Wörterbuch. 3 Bände (Heidelberg 1953/58). — W. K. M a t t h e w s , Russian Historical Grammar (London 1960).
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Allgemeines 3 . Die Verwandtschaftsverhältnisse der idg: Sprachen
§ 3. Angesichts der in § 2 aufgezählten Reihe von Sprachen, die zunächst gewissermaßen'wie gleichberechtigte Geschwister nebeneinander zu stehen scheinen, erhebt sieh die Frage, ob innerhalb dieser Vielfalt nicht insofern eine gewisse Ordnung zu erkennen ist, als vielleicht bestimmte Sprachen sich zu näher zusammengehörigen Gruppen vereinigen lassen, derart, daß der Schluß berechtigt wäre, deren Träger hätten zu irgend einei Zeit ein Stück Wegs ihrer Geschichte oder Vorgeschichte gemeinsam zurückgelegt, bevor sie sich zu den in historischer Zeit vorliegenden Völkern und Sprachen verselbständigten. In den Rahmen dieser Fragestellung gehört zunächst einmal die auch heute noch fast allgemein im Sinne einer solchen Gruppenbildung gewartete Einteilung aller idg. Sprachen in die beiden großen Abteilungen der sog. K e n tu n i - S p r a c h e n auf der einen, der S a t e m - S p r a c l i e n auf der anderen Seite. Maßgeblich dabei sind zwei Besonderheiten aus dem Gebiet des Konsonantismus und zwar die beiden folgenden: Von den drei für die Grundsprache anzunehmenden Reihen von fc-Lauten, den Palatalen, Velaren und Labiovelaren (§ 28), blieben die ersteren auf dem einen Teil des idg. Sprachgebiets als fc-Laute erhalten und fielen dort mit den Velaren zusammen, während sie in dem übrigen Teil in Reibe- oder Zischlaute verwandelt wurden. So entspricht dem idg. Zahlwort für „100" = *kmtom, einerseits ein gr. e-KctTÖv, lat. centum (spr. kentum), air. cet (spr. lief), germ. (got.) hund (mit h < k nach der 1. Lautverschiebung), toch. A känt, andrerseits ein ai. satdm, avest. satsrn, lit. simtas, abulg. sito. Nach diesem „Musterwort", d. h. nach lat. centum bzw. avest. satarn hat man die Gruppe, welche die Palatale als fc-Laute bewahrte, als Kentum-Sprachen, die-
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jenige, welchc sie in Reibelaute wandelte, als Satem-Sprachen benannt. Ein weiteres Beispiel: das idg. *oklö(u) „acht" erscheint auf der einen Seite als gr. ÖKTGO, lat. odo, air. ocht (ch < k), got. ahtau (ahd. ahto), toeh. B okt, auf der anderen Seite als ai. astdu, avest. ast«, lit. ashio-ni, abulg. (mit Umbildung) esmb. — Eine gleichartige Lautentsprechung wie für k gilt auch für die übrigen Palatale (g, gh), z. B. idg. *gheiem- „Winter" = einerseits gr. x ^ a „Winterwetter", XEiMcbv „Sturm, Kälte", lat. hiems (h < gh), akymr. ijtmu, heth. gimmanz(a) „Winter", andrerseits ai. hemantdh (wegen h- vgl. § 32), avest. zyä, „Winter", z$maka- „Wintersturm", arm. jiun „Schnee", lit. ziemä, abulg. zima „Winter". Parallel mit dieser zwiefachen Behandlung der Palatale geht eine verschiedene Entwicklung der Labiovelare in beiden Sprachengruppen. In den Satem-Sprachen verloren sie ihr labiales Element und fielen so mit den reinen Velaren zusammen; in den Kentuin-Sprachen dagegen blieben sie von den Velaren (und Palatalen) getrennt. Sie behielten hier vielfach ihren labialen Beiklang, teilweise wurden sie sogar vollständig zu Labialen oder erfuhren (wie im Griech.) eine andere Sonderbehandlung. So entspricht dem idg. Interrogativstamm *q"i- oder *qvo- einerseits ai. kdh, avest. kö, lit. käs, abulg. ks-to „wer?", andrerseits lat. quis, osk.umbr. pis, gr. Tis „wer?", troö „ w o ? " , kymr. pu-y, got. has (ahd. (h)wer), heth. kuis „wer?". — Ähnlich bei den anderen Labiovelaren (g", g"h), z. B. idg. *g"öus „ R i n d " = einerseits ai. gduh, avest. gäus, arm. kov, lett. güovs, andrerseits gr. ßoüs, lat. (dial.) bös, air. bö usw. Oder: idg. *g"her-/ g'-'hor- „warm, Hitze" — einerseits ai. gharmdh „Glut", apreuß. gorme „Hitze", abulg. gorUi „brennen", andrerseits gr. öepnös, lat. formus, ahd. warm „warm". Zu den Kentum-Sprachen gehören das Griechische, das „Italische" (mit dem Venetischen), das Keltische, Germanische, Illyrische, Tocharische, das Hethitische mit den anderen
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Allgemeines
altkleinasiatischen idg. Sprachen und vielleicht auch das Phrygische. Satem-Sprachen sind das Indische, Iranische, Armenische, Thrakische, Albanische, Baltische, Slavische und möglicherweise auch das „Pelasgische". Im allgemeinen, jedoch nicht ausschließlich, sind also die Satem-Sprachen die mehr östlichen, die Kentum-Sprachen die westlichen innerhalb des Gesamt-Idg., womit wahrscheinlich auch das frühere geographische Verhältnis beider Gruppen, ihre ursprüngliche Lagerung in vorgeschichtlicher Zeit angedeutet sein dürfte. Zu beachten ist, daß hinsichtlich des Verhaltens gegenüber den drei grundsprachlichen Gutturalreihen die KentumSprachen der konservative Teil sind; sie bewahren im großen und ganzen den Lautstand der Grundsprache am besten. Die Neuerung liegt bei den Satem-Sprachen: Wandlung der Palatale in Reibelaute und Verlust der Labialisierung bei den Labiovelaren. Ein bestimmtes Teilgebiet des Idg. hat also in diesem Punkt, wohl in ursächlichem und geographischem Zusammenhang, lautliche Veränderungen vorgenommen, während der Rest, d. h. die Kentum-Sprachen, davon unberührt blieb. Wann die Neuerung eintrat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen; sie braucht nicht bis in die Zeit der idg. Grundsprache zurückzureichen. Daher ist auch die Scheidung in Kentum- und Satem-Sprachen kein zuverlässiges Kriterium für eine schon grundsprachliche Zweiteilung des Idg.; sie ist es umso weniger, als diese Unterscheidung lediglich auf den beschriebenen Lauteigentümlichkeiten beruht, sonst aber keine scharfe Trennungslinie zwischen beiden Gruppen verläuft. Vielmehr gibt es eine nicht geringe Zahl von anderen, zweifellos ebenfalls alten sprachlichen Merkmalen, welche über jene „Grenze" hinweg Teile des Satem-Kreises mit solchen des Kentum-Kreises verbinden. Mit Gewißheit haben einst die indische und die iranische
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Gruppe eine enge Gemeinschaft gebildet. Beide haben so viele charakteristische, von allen anderen idg. Sprachen verschiedene gemeinsame Neuerungen, sowohl im Bezirk des Wortschatzes als in vielen Teilen der Grammatik, durchgeführt, daß man ohne Bedenken eine ehemalige i n d o - i r a n i s c h e Einheit voraussetzen darf, um so mehr, als die Träger dieser Einheit, die Inder und Iranier also, sich auch mit einem gemeinsamen Namen, nämlich A r i e r (ai. ärya„Arier"; avest. airyö, apers. ariya- „arisch"), nannten. Außerdem wird das sprachliche F a k t u m dieser Einheit durch mancherlei kulturelle, namentlich religiöse Übereinstimmungen auf beiden Seiten unterstrichen. Weit weniger sicher und vielfach umstritten ist der Ansatz einer vorgeschichtlichen b a l t i s c h - s l a v i s c h e n Einheit. Neben klaren und überzeugenden grammatischen Übereinstimmungen bzw. gemeinsamen Neuerungen, welche innerhalb des Idg. nur dem Baltischen und Slavischen eigen sind, stehen auf der anderen Seite einschneidende Differenzen im Wortschatz und in der Syntax, aber auch im Formenbau der beiden Sprachen. Es ist durchaus damit zu rechnen, daß ihr Gemeinsames erst sekundär, etwa in räumlicher Nachbarschaft oder durch Überlagerung, ausgebildet worden ist. Die Annahme weiterer „zweiseitiger", auf ehemaliger Einheit beruhender Beziehungen wie die des Thrakischen zum Phrygischen oder des „Italischen" zum Keltischen hat sich als unhaltbar bzw. sehr unwahrscheinlich erwiesen. Über eine größere prähistorische Gruppenbildung, das „Alteuropäische", vgl. § 9. W. P o r z i g , Die Gliederung des idg. Sprachgebiets (Heidelberg 1954). 0 . S z e m e r e n y i , The Problem of Balto-Slav Unity — A Critical Survey = Kratylos 2 (1957) 97—123 (wo weitere Literatur).
§ 4. Von der Art und dem Zustandekommen der idg.
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Allgemeines
Sprachverwandtschaft h a t man sich zu den verschiedenen Zeiten je nach dem Stande der Forschung mannigfach abweichende Ansichten gebildet, die hier nicht alle im einzelnen angeführt werden können. Wesentlich blieb stets die Frage, wie der (mehr oder minder lang zu bemessende) Zeitraum zwischen der vorausgesetzten gemeinsamen idg. Grundsprache und den tatsächlich vorliegenden historischen Einzelsprachen entwicklungsmäßig auszufüllen sei, d. h. wie und auf welchen Wegen aus der ursprünglichen Einheit allmählich die Vielheit der Sprachen geworden ist. Lange Zeit (gelegentlich sogar bis in unsere Tage) wußte sich die mit dem Namen August S c h l e i c h e r s (1823--1866) verknüpfte sog. „ S t a m m b a u m t h e o r i e " zu behaupten, welche deutlich unter dem Einfluß der gleichzeitig sich durchsetzenden Abstammungslehre in den Naturwissenschaften steht und annimmt, daß aus einer einheitlichen Wurzel (der idg. Grundsprache) — einem sich immer mehr verzweigenden Baume vergleichbar — nach und nach gewisse Tntergruppen des Gesamt-Idg., aus diesen wieder die einzelnen „ S p r a c h e n " (Griechisch, Germanisch usw.) und schließlich deren noch weiter differenzierte „Dialekte" (z. B. beim Griechischen das Ionische, Aehäische und Dorische) hervorgegangen seien. Eine so schematische und fast einem Kechenexempel ähnliche Erklärungsvveise kann jedoch den komplizierten geschichtlichen Vorgängen, wie sie sich bei der Entwicklung der idg. Sprachen und der sie tragenden Völker abgespielt haben müssen, nicht gerecht werden. An die Stelle der scharfen Trennung und stetigen Aufspaltung, wie sie die Stammbaumtheorie lehrt, will die von Johannes S c h m i d t (1843—1901) i. J. 1872 begründete „Wellentheorie" die Vorstellung eines allmählichen Übergangs setzen. Danach hätten sich im Gebiet der anfangs so gut wie einheitlichen idg. Grundsprache an gewissen Stellen, bald hier, bald dort, wie das allenthalben und immer wieder
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im Leben der Sprachen vorkommt, bestimmte Neuerungen ausgebildet, die sich dann von ihren Ausgangspunkten aus wellenförmig nach allen Seiten ausgebreitet und fortgepflanzt hätten, aber natürlich auch irgendwo und -wann einmal schwächer geworden und verebbt wären. Durch die dabei entstehenden, sich immer wieder anders überschneidenden Wellenkreise seien nach und nach bestimmte Bezirke aus dem Gesamtgebiet des Idg. herausgelöst worden, eine ganze Anzahl von Ab- und Ausschnitten, deren jeder in seiner Besonderheit die Keimzelle einer der späteren Sprachen bzw. Dialekte geworden wäre. Durch Aussterben einzelner dieser „Zellen", durch Abwanderung u. dgl. seien die Grenzen zwischen den verbleibenden Kreisen, die Unterschiede zwischen den einzelnen Teilen dann immer schroffer geworden und so seien allmählich die historischen differenzierten Sprachengebilde herangewachsen. Zweifellos ist dieser Deutungsversuch erhebiieh realistischer als die Stammbaumtheorie; aber auch er ist noch zu sehr im Schematischen befangen, als dató er dem diffizilen Leben der Sprachen und ihrer vielfältig verschiedenen Entwicklung angemessen sein konnte. Ähnliches gilt von allen anderen Bemühungen, welche an das Problem der idg. Sprachverwandtschaft und der Entstehung der Einzelsprachen mit Erklärungsversuchen herangehen, die grundsätzlich für hämtliche dieser Sprachen und gewissermaßen einheitlich für das idg. Gesamtgebiet gültig sein sollen. Vielmehr wird man ein einigermaßen stichhaltiges Urteil über die Ausgliederung der idg. Sprachen aus der vorausgesetzten ehemaligen Einheit erst gewinnen können, wenn man das Charakteristische und die Schicksale jeder dieser Sprachen einzeln und ohne vorgefaßtes Schema untersucht, mit Mitteln und Methoden, welche jeweils den Gegebenheiten der betreffenden einen Sprache angepaßt sind. Dabei wird von den historischen SprachK r a Ii e , I n d o f c r m . Sprachwissenschaft I .
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Allgemeines
zuständen auszugehen sein, um von diesem festen Boden aus Schritt für Schritt bzw. Schicht um Schicht einen Weg in die vorgeschichtlichen Zeiträume — mit dem Blick auf die Grundsprache als Endziel — zu bahnen. Diese theoretisch oft gestellte Forderung ist aber bis jetzt kaum in nennenswertem Umfang in die Tat umgesetzt worden. IL K r ä h e , Sprachverwandtschaft im alten Europa (Heidelberg 1951). — 0 . I i ö f l e r , Stammbaumtheorie, Wellentheorie, Entfaltungstheorie = Beitr. z. Gesch. d. deutsch. Sprache u. Literatur 77 (1955) 30—66, 424—476; 78 (1956) 1—44.
4. Die Erschließung der idg. Grundsprache § 5. Die Verwandtschaft der idg. Sprachen ergibt sich aus deren weitgehender Übereinstimmung in ihrer gesamten formalen Struktur, d. h. in der Flexion der Nomina und Verba und in der Wortbildung, sowie in ihrem Wortschatz, Lautstand und der Syntax. Was dabei allen Einzelsprachen oder einem größeren Teil von ihnen gemeinsam ist und nicht Merkmale einer sekundären Entlehnung von Sprache zu Sprache aufweist, darf als aus der idg. Grundsprache ererbt gelten. Auf diesem in den Einzelsprachen noch vorhandenen „ l i r b g u t " basiert die Rekonstruktion der Grundsprache. Wichtigstes Hilfsmittel dabei sind die für die einzelnen Sprachen als in deren Werdegang wirksam erkannten L a u t g e s e t z e , welche für die historischen Zeiten aus den verschiedenen zeitlich aufeinander folgenden Stufen der Sprachentwicklung, die in Schriftquellen erhalten sind, abgelesen werden können, für die vorgeschichtlichen Perioden aber durch eine Vergleidiung der Unterschiede im Lautstand der einzelnen Sprachen zu ermitteln sind. Wenn z. B. in der 3. Fers. Sing, des Verbums für „sein": ai. ästi, gr. knri, lat. est, got. int, lit. esti, altslav. jestb in der Mehrzahl der Sprachen als Wz.-Vokal ein e auftritt, dafür aber in ai. dsti ein a, in got. ist ein i erscheint, so sind diese Entsprechun-
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gen durchaus gesetzmäßig, d. h. einem e des Griech., Lat., Lit. und Slav. entspricht immer und überall ein a im Ai. und ein i im Got.; dafür vergleiche man weitere Wortreihen wie lat. septem, gr. ¿itTd, lit. septynl, abulg. sedmb „7" — ai. saptd — got. sibun; lat. medius, gr. necros „mittlerer" — ai. mddhyah — got. midjis; lat. vehö, lit. vezü, abulg. vezq „fahre" — ai. vdhämi „fahre" — got. ga-wigan „bewegen"; lat. senex, gr. Svos, lit. seriös „ a l t " — ai. sdnah — got. sineigs. Ganz ebenso wie hier auf dem Gebiet der Vokale steht es im Bereich der Konsonanten. Dem bh- in ai. bhdrämi „ich trage" entspricht z. B. in lat. ferö ein /- und in got. baira ein b-\ dasselbe Verhältnis liegt vor in ai. bhinddmi „ich spalte" — lat. findö „dass." — got. beita „ich beiße", in ai. bhrätar lat. fräter — got. brößar „Bruder" und in vielen ähnlichen Gleichungen. Die Erkenntnis derartiger Lautentsprechungen ist die Voraussetzung für die Rekonstruktion von Wörtern und grammatischen Formen der idg. Grundsprache; diese nämlich lassen sich nur gewinnen durch die „Subtraktion" aller solcher als einzelsprachlich, d. h. als sekundär, erkannten gesetzmäßigen Laut Veränderungen bei gleichzeitiger Vergleichung möglichst vieler idg. Einzelsprachen. Ein Beispiel zur Erläuterung: die vier Wörter lat. lücus < altlat. loucos „Hain", ai. lökäh (= lökds, § 45) „freier Raum, Platz" lit. laükas „das Feld, das Freie" und ahd. löh „bewachsene Lichtung" bilden eine etymologisch zusammengehörige Reihe, welche zur Ermittlung ihrer idg. Grundform ausreichend ist. In den Konsonanten l und k (wegen ahd. h < k vgl. § 29) stimmen alle vier Formen überein. Auch das 3*
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auslautende -s, das durch das Ai., Lit. und Lat. garantiert wird, ist gesichert, da es im Germ, (über Zwischenstufen) lautgesetzlich verloren gegangen ist (vgl. etwa ahd. fish mit lat. piscis, ahd. gast mit lat. hostis u. dgl.; § 48). Ebenso mußte im Deutschen schon früh der Vokal in der Endsilbe ausfallen (§ 48). Auskunft über den grundsprachlichen Vokalismus dieser Endsilbe können also nur die drei anderen Sprachen geben. Dabei stimmen das Ai. und das Lit. in ihrem a überein, aber dieses a ist in beiden Sprachen mehrdeutig. Ein ai. a kann auf a, e oder o zurückgehen, ein lit. a aber nur auf a oder o (§ 16); damit scheidet e als Möglichkeit für den idg. Ansatz aus. Bei'der übrigbleibenden Wahl zwischen a und o bringt das Lat., dessen o (später u, § 47) absolut eindeutig ist, die Entscheidung für o. Was endlich den Vokal der Wz.-Silbe betrifft, so kann ai. 5 auf älterem au, eu oder ou beruhen, ähnlich aber auch das lit. au auf allen drei Diphthongen (§ 18). Diese beiden Sprachen würden also nicht weiterhelfen. Da das ou von lat. loucos aber nur auf eu oder ou zurückgehen kann (§ 18), scheidet au als Möglichkeit für die Grundform aus. Das ahd. 5 von loh ist auch seinerseits zweideutig, insofern es ein älteres au oder ou fortsetzen kann (§18); und weil au bereits ausgeschieden ist, wird nun auch eu unmöglich, und nur ou bleibt übrig, d. h. ou ist die einzige Vokalqualität, die den Formen a l l e r Einzelsprachen gerecht wird. Damit ist *loukos als Ausgangsform für alle einzelsprachlichen Reflexe des Wortes, als die Form, welche dieses Wort in der gemeinsamen Grundsprache gehabt haben muß, eindeutig bestimmt. Als ursprüngliche Bedeutung ist etwa die von „Lichtung, Waldblöße" anzunehmen. Mit denselben Mitteln ergibt etwa die Reihe von ai. mätdr-, avest. mätar-, toch. A mäcar, arm. mair, gr. niVrnp (dor. närrnp), lat. mäter, air. mäthir, ahd. muoter, lett. mäte, abulg. mati (Gen. malere), die sämtlich „Mutter" bedeuten,
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wozu noch mit sekundärer Bedeutungsverschiebung lit. möle „Weib" und alb. motre „Schwester" kommen, ein idg. *jnä Aller), Nebenfluß der Weser, Alanlas, Aluntä u. ähnl. in Litauen, Alantia (> Elz), Nebenflüsse des Neckar und der Mosel, Aland im Elbe-Gebiet bei Wittenberge, Aiento in Italien* vgl. lett. aluöts < *alontos „Quelle, Brunnen", iit. aleti „überschwemmt werden". — Vara (Ligurien), *Varina (> Werine > Wem), Nfl. des Mains, Varar (> Farar) in Schottland, Varamus (Venetien), *Varantia (> Wörnitz), Nfl. der Donau, Varusa (Ligurien); vgl. ai. varl, toch. A war, anord. vari „Wasser". — Alba in Frankreich ( > Aube), Spanien, in der Schweiz und Westdeutschland, Albina, Nebenflüsse der Lahn, Eder ( > Elbe) und der Traun ( > Alm), *Albantia in Vorarlberg ( > Älfenz), Frankreich ( > Aubance) und Steiermark ( > Lafnitz), Albis „Elbe", Albula (Italien) u. a. mehr; vgl. anord. elfr „Fluß", mnd. ehe „Flußbett". Beispiele für den gemein-alteuropäisclien Wortschatz: anord. man „Meer", ags. mere „stehendes Binnengewässer, Meer", as. meri „Graben, Teich", ahd. meri „Meer"; gall. mori- „Meer, See" in Eigennamen wie Are-morici „MeerAnwohner", ON. Mori-dunum, ah.'muir „Meer"; lat. mctre; lit. mär es „Haff"; abulg. morje „Meer" (dazu Po-morjane
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„Pommern" = „Meeranwohner") 1 ); auch in alten Flußnamen wie Mare = „Timavus" in Istrien oder Marus „March". — got. piuda, anord. pjöd, ags. piod, as. thioda, ahd. diot(a) „Volk, Leute" mit der Ableitung got. piudans usw. „König"; air. tüath „Volk", kymr. tüd „Land", bret. tut „Leute"; osk. touio, umbr. (Akk.) totam „civitas"; altlit. tautä, lett. täuta „Volk", apreuß. tauto „ L a n d " ; illyr. teutana „Königin". Durch die Auffindung der relativen alteuropäischen Spracheinheit ist einer jener Schritte von den historischen Gegebenheiten aus nach rückwärts in die Vorgeschichte getan, wie es der oben (§ 7 Ende) gestellten methodischen Forderung entspricht. Dadurch konnte — wenigstens für die westidg. Sprachen — ein praehistorisches Zwischenstadium erarbeitet werden, welches einerseits zeitlich lange n a c h der Epoche einer noch verhältnismäßig einheitlichen gemein-idg. Grundsprache, andrerseits noch weit v o r der frühesten Überlieferung der beteiligten Einzelsprachen liegt. Des weiteren wird deutlich, daß zu der selben Zeit, als das Griechische, Indische und Hethitische schon ausgeformte selbständige Sprachen sind, im 2. vorchristl. Jahrtausend nämlich, der Komplex des Westidg. noch ein nur wenig gegliedertes Ganzes gebildet zu haben scheint, ein neuer Beweis dafür, daß die Auflösung des noch ungeteilten Indogermanentums in die geschichtlichen Einzelsprachen und Völker kein einmaliger Vorgang gewesen sein kann, sondern zu ganz verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen erfolgt sein muß. H. K r ä h e , Alteuropäische Flußnamen = Beitr. z. Namenforschung 5 (1954) 2 0 1 - 2 2 0 ; Sprache und Vorzeit (Heidelberg 1954); Indogermanisch und Alteuropäisch = Saeculum 8 (19571 1—16; Sprachliche Aufgliederung und Sprachbewegungen in Alteuropa = Abh. Akad. Mainz, Jahrg. 1959, Nr. 1. ') in einigen Fällen nimmt auch das Slavische an den alteuropäischcn Gleichungen teil; vgl. § 3 zur Frage der baltisch-slavischen liinheit.
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Allgemeines
6. Die Aufgabe der indogermanischen Sprachwissenschaft § 10. Die Aufgabe der idg. Sprachwissenschaft, wie sie hier verstanden wird, läßt sich in zwei Punkte zusammenfassen : 1. Die erschlossene idg. Grundsprache ist in ihrem Bestand an Lauten, Formen usw. zu beschreiben. 2. Es ist klarzulegen, wie sich aus dem Sprachgut dieser Grundsprache das der verschiedenen Einzelsprachen in deren frühest erhaltener Gestalt entwickelt hat, d. h. welche Veränderungen im Lautstand, Formenschatz usw. stattgefunden haben. Die Weiterentwicklung innerhalb der Einzelsprachen selbst zu verfolgen, ist dann Sache der Historischen Grammatik einer jeden einzelnen Sprache. Die idg. Sprachwissenschaft hat also gewissermaßen den Einzelgrammatiken den Anschluß an die Grammatik der idg. Grundsprache zu ermöglichen. — Da in dem hier gesteckten Rahmen nicht sämtliche idg. Einzelsprachen in gleichem Maße berücksichtigt werden können, mußte eine Auswahl getroffen werden. Deshalb sind in der folgenden Darstellung in erster Linie das Altindische, Griechische, Lateinische, Germanische, Litauische und Altslavische herangezogen, während Tatsachen aus anderen idg. Sprachen nur dann mit behandelt werden, wenn sie für das Gesamtbild des Idg. oder die Vergleichung der Sprachen untereinander von besonderer Bedeutung sind. A l l g e m e i n e s u n d E i n f i i h r u n ï ç w e r k e : H. P a u l , Prinzipien der Sprachgeschichte. 6. Aufl. (Tübingen 1960). — W. P o r z i g , Das Wunder der Sprache. Probleme, Methoden und Ergebnisse der modernen Sprachwissenschaft. 2. Aufl. (München 1957). — H. G ü n t e r t , Grundfragen der Sprachwissenschaft. 2. Aufl. von A. S c h e r e r (Heidelberg 1956). — A. M e i l l e t , Introduction à l'étude comparative des langues indo-européennes. 8. Aufl. (Paris 1937; Neudr. 1949). Deutsche Übersetzung (nach der
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2. französ. Aufl.) von W. P r i n t z (Leipzig 1909). — J. S c h r i j n e n , Einfahrung in das Studium der idg. Sprachwissenschaft, mit besonderer Berücksichtigung der klassischen und germanischen Sprachen. Übersetzt von W . F i s c h e r (Heidelberg 1921). — E. K i e c k e r s , Einführung in die idg. Sprachwissenschaft. 1. Bd.: Lautlehre (München 1933). G e s a m t d a r s t e l l u n g e n und Etymologische Wörterb ü c h e r : K. B r u g m a n n - B . D e l b r ü c k , Grundriß der vergleichenden Grammatik der idg. Sprachen. 5 Bände (Stiaßburg 1886/1900); Bd. I/II in 6 Teüen in 2. Aufl. (1897/1916). - K.Brugm a n n , Kurze vergleichende Grammatik der idg. Sprachen (Straßburg 1904; Neudr. 1933). - H. H i r t , Indogermanische Grammatik. 7 Bände (Heidelberg 1927/37). A. W a l d e - J . P o k o r n y , Vergleichendes Wörterbuch der idg. Sprachen. 3 Bände (Berlin 1927/32). — J. P o k o r n y , Indogermanisches etymologisches Wörterbuch (Bern 1949ff.).
II. Teil: Lautlehre A. Die Betonung §11. F u n k t i o n u n d A r t e n d e s A k z e n t s . Die Betonung oder der Akzent (lat. accentus, gr. irpoacp5(a) dient zur Hervorhebung einer unter mehreren sonst grundsätzlich gleichartigen sprachlichen Einheiten. Je nach der Art und Größe dieser Einheiten kann man einen Satzakzent, einen Wortakzent und (in gewissem Sinne auch) einen Silbenakzent unterscheiden. Der Satzakzent hebt innerhalb eines Satzes ein bestimmtes Wort, der Wortakzent innerhalb eines Wortes eine bestimmte Silbe hervor; als Silbenakzent kann man die Markierung eines bestimmten Lautes innerhalb einer Silbe als deren „Gipfel" oder „Silbenträger" bezeichnen. Während der Wortakzent in jeder Sprache eine für eben diese Sprache charakteristische feste Stellung einnimmt, kann der Satzakzent je nach der Satzart (z. B. Aussagesatz, Fragesatz usw.), nach bestimmten GefühlsbetontK r a h e , I n d o g e r m . Sprachwissenschaft I .
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heiten, rhythmischen Bedingungen u. dgl. wechseln; daher gibt es für den Satzakzent nur wenige allgemeingültige Regeln. Grundsätzlich sind zwei A r t e n von Betonung zu unterscheiden: die d y n a m i s c h e (oder exspiratorische = „Druck") und die m u s i k a l i s c h e Betonung ( = „Ton"). Im ersteren Falle geschieht die Hervorhebung dadurch, daß das betr. Sprachgebilde mit stärkerem Atemdruck (Exspiration), im zweiten Falle dadurch, daß es mit größerer Tonhöhe gesprochen wird. Meistens sind in ein und derselben Sprache beide Betonungsarten miteinander verbunden, jedoch so, daß die eine von beiden vorherrschend ist, so daß man am richtigsten von „ v o r w i e g e n d musikalischer" bzw. „ v o r w i e g e n d dynamischer" Betonung spricht. Vorwiegend musikalisch ist z. B. der altgriechische Akzent, vorwiegend dynamisch ist wahrscheinlich die Betonung des Lateinischen (wenigstens in einer bestimmten Periode) gewesen. §12. D e r S a t z a k z e n t . Vom idg. Satzakzent ist nur wenig bekannt. Er dürfte in erster Linie musikalischer Natur gewesen sein. Bemerkenswert ist der Umstand, daß gewisse Wörter im Idg. niemals oder nur ausnahmsweise den Satzakzent haben konnten. Sie standen dann in „Enklise", d. h. in enger „Anlehnung" an ein vorausgehendes betontes Wort, mit dem sie gewissermaßen eine Toneinheit bildeten. Die wichtigsten dafür im Idg. in Betracht kommenden Wortarten sind: a) P a r t i k e l n . So z. B. idg. *qve „und" (lat. -que, griech. TS, ai. ca, got. -uh). b) P r o n o m i n a . Diese konnten teils betont sein, teils in Satzunbetontheit stehen, wie es besonders im Griech. deutlich wird, vgl. betontes épié „mich" neben unbetontem HE oder betontes o-oö „deiner" neben unbetontem crou. Namentlich das
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zweite Wort des Satzes w a r i m l d g . „ n e b e n - " oder „tieftonig". Daher stehen z. B. auch im Germ, die enklitischen Pronomina gern an der zweiten Stelle, so as. (Heliand 2012) thö im thes mnes brast „als ihnen des Weines gebrach". Ähnlich vielfach noch im heutigen Deutschen. c) D e r V o k a t i v war im Idg. nur im Satzanfang betont, sonst enklitisch. Auch das hat sich weitgehend bis ins Nhd. erhalten, z. B. gib, vater, mir dein Schwert! d) Das V e r b u m f i n i ' t u m hatte im Idg. normalerweise nur im Nebensatz einen selbständigen Akzent, während es im Hauptsatz allermeist enklitisch gebraucht wurde. Daher r ü h r t die noch heute im Nhd. gültige Regel, daß im Hauptsatz das Verbum an der zweiten (d. h. tieftonigen) Stelle, im Nebensatz aber am Ende steht. Auffallend ist, daß Enklise sowohl von Nomina als auch von Verba gern bei Adverbien, Praepositionen u. dgl. eintritt; vgl. f ü r Nomina z. B. griech. irrrip-uopov „über das Geschick hinaus", lat. de-nuöepov = ai. d-bharam „ich t r u g " ( < idg. *i-bherom) gehören hierher. § 13. Der W o r t a k z e n t der idg. Grundsprache kann mit Hilfe derjenigen Einzelsprachen rekonstruiert werden, welche ihn einigermaßen getreu bewahrt haben und ihn in der Schrift bezeichnen. Das sind in erster Linie das vedische Indisch sowie (mit gewissen Einschränkungen) das Litauische und das Griechische. Ergänzend treten bestimmte Erscheinungen auch anderer Sprachen hinzu, die auf Wirkungen des altidg. Wortakzents beruhen. Dahin gehört vor allem aus dem Bereich des Germanischen die Tatsache, daß in frühgerm. Zeit die idg. Tenues p, t, k zu tonlosen Spiranten wurden, wenn ihnen der idg. Wortakzent unmittelbar vorausging, daß sie aber, wenn 4*
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dieses nicht der Fall war, zu tönenden Spiranten „erweicht" wurden1). So entspricht z. B. dem ai. 6hrätar- „Bruder" ein got. bröfiar, aber dem ai. pitar- „Vater" ein got. fadar (d. i. fadar); nach solchen Fällen ist dann umgekehrt zu schließen, daß in Wörtern, wo einer idg. Tenuis im Germ, ein stimmloser Reibelaut entspricht, der idg. Wortakzent unmittelbar vor dieser Tenuis gestanden haben muß. Wie eine Vergleichung der soeben genannten Sprachen lehrt, war die S t e l l u n g des idg. Wortakzents grundsätzlich f r e i , d. h. er konnte nach bestimmten Regeln auf Silben aller Art (Wurzelsilben, Wort- oder Stammbildungselementen und auf Flexionsendungen) vorkommen. Was die Natur dieses Akzents betrifft, so muß das Idg. — und zwar zu verschiedenen Zeiten — beide Betonungsmöglichkeiten, die musikalische und die dynamische, gekannt haben. Das ergibt sich aus den Erscheinungen des Ablauts (§ 27). So kann die Schwundstufe, d. h. Quantitätsverlust nur unter einem vorwiegend exspiratorischen Wortakzent eingetreten sein, während die Abtönung, d. h. Verdumpfung eines e oder a zu o nur in einer Periode mit vorwiegend musikalischer Betonung entstanden sein kann. Abgesehen vom ältesten Indischen (Vedischen, vgl. oben) haben die meisten idg. Einzelsprachen den aus der Grundsprache ererbten Wortakzent mehr oder weniger stark, vor allem in seiner Stellung, verändert. Einige Sprachen, so das Germanische (aber erst nach jener Periode, in welcher die zuvor geschilderte Spirantenerweichung eintrat) und das vorhistorische Lateinische, ähnlich der irische Zweig des Keltischen und vielleicht auch das Illyrische haben eine Anfangsbetonung (Initialakzent) durchgeführt, d. h. sie haben den freien Wortakzent des Idg. auf die erste Silbe eines jeden Wortes festgelegt. Das Griechische hat die Beweglichkeit des >) Vgl. German. Sprachwissenschaft I (31g. Göschen 238) | 62.
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idg. Akzents insofern eingeschränkt, als er nur noch auf den drei letzten Silben eines Wortes vorkommen kann („Dreisilbengesetz"), wobei die Quantität der l e t z t e n Silbe maßgebend ist. Auch das Lateinische der historischen Zeit hat ein „Dreisilbengesetz" entwickelt, jedoch ist hier die vorl e t z t e Silbe für die Akzentstellung maßgeblich. Ähnliches gilt vom späteren Ai. (dem klassischen Sanskrit), nur daß hier der Akzent bis auf die viertletzte Silbe zurückgehen kann, wenn die vorletzte und die vorvorletzte kurz sind. Auch die Natur des Wortakzents ist in den Einzelsprachen vielfach verschieden. So hatte beispielsweise das Germanische einen vorwiegend dynamischen, das Griechische einen vorwiegend musikalischen Akzent. § 14. Der S i l b e n a k z e n t hebt in einer Silbe einen einzelnen Laut als „Silbenträger" (meist ein Vokal) hervor. So hat beispielsweise in nhd. binden in der ersten Silbe das i den Akzent. Es ist der Silbenträger oder Sonant, während 6 und n nur Konsonanten, d. h. „Mit-Lauter" sind. Auch in den Diphthongen ist stets der eine Teil stärker betont als der andere, so in nhd. auge das a, während das u (streng genommen) nur Konsonant ist. Der idg. Silbenakzent war von zweierlei Art. Es gab einen S t o ß t o n und einen S c h l e i f ton, die sich am besten in den Endsilben beobachten lassen, und zwar in erster Linie mit Hilfe des Griechischen und Litauischen, die beide in der schriftlichen Bezeichnung die einzelnen Arten unterscheiden. 1. Der g e s t o ß e n e (akuierte) Ton stand auf Kürzen und Längen (auch Diphthongen), z.' B. idg. *alg*h& = griech. ÄA^ „Gewinn", lit. algä „Lohn". — Bei Langdiphthongen stand der Stoßton auf dem ersten Bestandteil; daher können stoßtonige Langdiphthonge ihren zweiten Bestandteil verlieren; vgl. idg. *oklo(u) „acht" = ai. astdu, aber griech.
¿KT00.
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2. Der S c h l e i f t o n (Zirkumflex),der wahrscheinlich zweigipflig war, stand nur auf Längen (und Diphthongen), z. B. idg. *algvhäs = griech. öAcpffr „des Gewinnes", lit. algös „des Lohnes"; ebenso beispielsweise im Dat. Plur. der ö-Stänime griech. ÖEOIS „den Göttern" oder im Instr. Plur. lit. vilkais „mit den Wölfen". B . Der Vokalismus 1. Die Vokale als Einzellaute a) D e r V o k a l b e s t a n d der idg.
Grundsprache
§ 15. Die Vergleichung der Einzelsprachen sichert für die idg. Grundsprache folgenden Bestand an Vokalen : E i n f a c h e V o k a l e (Monophthonge): K ü r z e n : a ei o u 3 Dabei bezeichnet spinen „Murmelvokal" unbestimmter Klangfarbe, ähnlich dem dumpfen e der Nebensilben im heutigen Deutschen. Man nennt ihn — einen Ausdruck der hebräischen Grammatik übernehmend — „schwa indogermanicum". — Es gab in der Grundsprache wahrscheinlich noch mehr derartiger Murmelvokale, die hier jedoch außer Betracht bleiben können. Längen: ä e i ö ü Z w i e l a u t e (Diphthonge): K u r z d i p h t h o n g e : ai ei ui au eu ou L a n g d i p h t h o n g e : äi ei öi äu eu öu Die Scheidung in Kurz- und Langdiphthonge bezieht sich auf die Quantität der ersten Bestandteile, als welche nur a, e, 3 vorkommen. Die Langdiphthonge hatten ihren Sitz vor allem in den Flexionsendungen. Als zweite Bestandteile kamen bei Ktirzund Langdiphthongen nur i und u vor; daher spricht man von i- und «-Diphthongen. Silbische Liquiden und Nasale: Als Vokale, d. h. als Silbenträger (vgl. § 14), kamen in
Der Vokalismus
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der idg. Grundsprache (und teilweise auch noch in den späteren Einzelsprachen) auch die sonst als Konsonanten fungierenden Laute r, l, m, n (n, » ; vgl. § 28, 3) vor. Diese „sonantischen Liquiden und Nasale" umschreibt man durch: f , \ — m, n («,»). Sie kamen auch als Längen (r, J — m, n) vor. b) D i e V e r t r e t u n g d e r idg. V o k a l e in d e n w i c h t i g s t e n E i n z e l s p r a c h e n V o r b e m e r k u n g : Im folgenden wird grundsätzlich die Vertretung der idg. Laute im Ai., Griech., Lat., Germ., Lit. und Abulg. behandelt. Die übrigen Einzelsprachen können nur gelegentlich herangezogen werden (vgl. § 10). a) Die kurzen Vokale § 16. Idg. ä ist überall als ä erhalten; nur im Slav. ist es zu o geworden. Idg. *aksis, *aksos u. ähnl. „Achse" = ai. dksah, gr. &§cov, lat. axis, ahd. ahsa, lit. asis, abulg. osb „Achse". — Idg. *agö „treibe" = ai. djä-mi, gr. &yto, lat. agö „treibe", an." aka „fahren" (vgl. auch arm. acem „führe, bringe"); dazu idg. *agros „ T r i f t " > „Acker" = ai. djrah „Flur", gr. 6yp6s, lat. (und umbr.) ager, got. akrs (ahd. ackar) „Feld, Acker" (vgl. auch arm. art „Acker"). — Idg. *qap- „greifen, fassen" in lat. cajriö „nehme" = got. hafja „hebe", gr. KÄTTTCO „schnappe, schlinge"; dazu lett. kämpju „ergreife", auch alb. kap „fasse". — In Nebensilben: idg. *uoida „ich weiß" = ai. veda, gr. ol6a. Idg. e erscheint im Ai. (und Iran.) als ä, im Griech. als s, im Lat., Lit. und Abulg. als e, im Germ, als e und i (got. teilweise als ai, d. i. kurzes, offenes e). Idg. *esti „er ist" = ai. (und avest.) dsti, gr. Icrri, lat. (und osk.-umbr.) est, got. (ahd.) ist, lit. esti (mit sekundärer Dehnung des e, vgl. esmi „ich bin"), abulg. j-esti. — Idg. *bherö
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„trage" = ai. bhdrämi (avest. baraimi), gr. ipco, lat. ferö, got. baira ( = ahd. heran „tragen", biru „ich trage"), abulg. berg „sammle"; vgl. auch arm. lerem „trage", air. berid „trägt". — In Nebensilben: idg. *bheret(h)e „ihr tragt" = ai. bhdratha, gr. q>epETE, got. bairip, abulg. berete. — Idg. *mäteres „Mütter" = ai. mätarah gr. uriTEpes, abulg. matere (im Lit. mit Bedeutungswandel ostlit. moteres „Weiber"). Idg. i ist überall als i erhalten (gr. >; abulg. t>\ vgl. S.6); im Germ, erscheint daneben teilweise e (got. ai). Idg. *uidheuä „Witwe" = ai. vidhdvä (avest. vidavä), lat. vidua, got. widuwö (ahd. ivituwa), abulg. vbdova; vgl. auch apreuß. widdeioü „Witwe", gr. t)18eos < *f|-F(6sFos „ledig, unverheiratet". — Idg. *q*is „ w e r ? " = lat. quitt (osk.-umbr. pis), gr. tIs ; vgl. avest. £is, heth. kuis, ferner ai. kirn „ w a s ? " , abulg. cb-to „was?", auch air. cid „was?". — In Nebensilben: idg. *esmi „ich bin" = ai. dsmi (avest. ahmi), gr. etyl, lit. esmi, abulg. j-esmb. — Idg. *ouis „Schaf" = ai. dvih, gr. 615, lat. ovis, lit. avis, abulg. ovb-ca, Idg. 5 ist im Griech., Lat. und Abulg. erhalten, im Ai. (auch Iran.), Germ, und Lit. zu ä geworden. Idg. *oktö(u) „acht" = ai. astdu (avest. asla), gr. ¿ktco, lat. octo, got. ahtau (ahd. ahto), lit. astuo-ni, abulg. (mit Umbildung) osmb; vgl. auch air. ocht, toch. B okt. — Idg. *potis „Herr" = ai. pdiih „Herr", gr. ttöctis „Gatte", lat. potis „mächtig", got. brüp-faps „Bräutigam", lit. päis (alt patis) „ G a t t e " ; vgl. auch toch. Apats,, Gatte". — I n Nebensilben: idg. *bheronti „sie tragen" = ai. bhdranti, gr. (dor.) q>ipoim, got. bairand (ahd. berant), vgl. altlat. tremonti „sie zittern". Idg. ü ist im allgemeinen als ü erhalten. Im Griech. erscheint es als v (d. i. ion.-att. ü, dor. w), im Altbulg. als 5 (ein Murmelvokal); in den germ. Dialekten ist es nachträglich vielfach zu ö (got. aü, d. i. kurzes offenes ö) „gebrochen" worden.
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Idg. *iugom „Joch" = ai. yugdm, gr. juyöv, lat. ingum, got. juk (ahd. joh), lit. jüngas „Joch"; auch heth. iugan. — Idg. *rudh- „rot" in ai. rudhirdh, gr. ipu6p6j; lat. ruber, abulg. ridri „rot", lit. rüdas „braunrot"; vgl. auch ags. rudu „Röte", ahd. roten „erröten". — In Nebensilben: idg. *sünus „Sohn" = ai. sünüh (avest. hunus), got. sunus (ahd. sunu), lit. sünüs, abulg. sym „Sohn". Idg. d erscheint im Ai. (und Iran.) als i ; sonst ist es überall mit ä zusammengefallen, also durch ä, nur abulg. durch ö vertreten. Idg. *pgter „Vater" = ai. pitd (avest. pitar-), gr. iromfip, lat. pater (osk. pater-), got. fadar (ahd. fater); vgl. auch air. aihir „Vater". — Idg. *st(h)3- (Ablautsform zu *st(h)ä„stehen", vgl. § 26) in ai. sthitäh „stehend" = gr. ototös, lat. staius; got. staps (ahd. stat) „Stätte", lit. stataü „stelle", abulg. stojg „stehe". Im Griech. kann für 9 statt a auch e bzw. o eintreten, wenn die nach den Regeln des Ablauts entsprechenden Vollstufenvokale r| bzw. co sind; vgl. 86ais neben SiScopi, 9stö$ neben tIOtiui (§ 26). ß) Die langen Vokale
§ 17. Idg. ä ist meist als ä erhalten. Im Lit. und Germ, ist es zu 5 (dafür ahd. uo) geworden. Im ion.-att. Dialekt des Griech. wurde ä zu t|. Idg. *mäter „Mutter" = ai. mäiä (avest. mätar-), gr. tir)-rr)p (dor. ncrtrip), lat. mäter, ags. mödor (ahd. muoter), abulg. mati ,,Mutter", lit. möte „Ehefrau" (lett. mdte „Mutter"); vgl. auch toch. A mäcar, air. mäthir „Mutter". — Idg. *bhräter „Bruder" = ai. bhratä (avest., apers. bräiar-) „Bruder", gr. 9pcrrr|p „Angehöriger einer q>potTpia", lat. fräter(umbr. fräter-), got. brößar (ahd. bruoder), abulg. bratrh „Bruder", lit. broterllis „Brüderchen"; vgl. auch toch. A pracar, air. brälhir „Bruder". — In Nebensilben: idg. *ebheretäm (3. Dual.) „sie beide trugen" = ai. abharatäm, gr. £ ahd. löh „bewachsene Lichtung".
Wo nach den Regeln des Ablauts (vgl. § 26, 2) die Diphthonge ai oder $u entstehen mußten, fielen diese in den Einzelsprachen mit ai bzw.' au zusammen; vgl. für di idg. *hid- (neben Heid-) „nachlassen" in lit. pa-ldidas „lose", gr. XaiSpös „locker, keck", für du idg. *sus- (neben *5us-) „Ohr" in lat. auris, lit. aum, got. ausö „Ohr".
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Lautlehre 5) Die Lang-Diphthonge
§ 19. Die Langdiphthonge waren im Verhältnis zu den Kurzdiphthongen seltener und sind in den Einzelsprachen meist (durch Kürzung des ersten Bestandteils) mit diesen zusammengefallen, sofern sie nicht schon im Idg. (nach § 14, 1) ihre zweite Komponente verloren hatten. Am besten'kenntlich sind die Langdiphthonge im Ai. (und Iran.), wo die Kurzdiphthonge monophthongisiert wurden (ai, ei, oi> e; au, eu, ou> 5; vgl. § 18), die Langdiphthonge aber als Diphthonge erhalten blieben (äi, ei, öi> ai; äu, eu, öu > au). Idg. äi liegt z. B. vor im Dat. Sg. der ä-Stämme: idg. -äi in ai. dsväy-ai „der Stute", gr. x