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German Pages 148 [152] Year 1978
Germanische Sprachwissenschaft
von
Dr. H a n s K r ä h e f o. A. Profeator an der Univeriitit Tübingen
i
Einleitung u n d Lautlehre
7. Auflage bearbeitet von Dr.anWolfgang MeidInnsbruck o. Professor der Universität
Sammlung Göschen Band 238/238 a/238b W a l t e r d e Gruyter & C o • Berlin 1969 vormaU C, J . Gfltehen'sche Verlagshandlang • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . Trübner • Veit & Comp.
© Copyright 1969 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Gòschen'sche Verlagshandlung — J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung — Georg Reimer — K a r l J. Trübner — Veit & Comp., Berlin 30. — Alle Rechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten. — A r c h i v - N r . 7331694.—Druck: HUdebrand O H G , Berlin 30. Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis A l l g e m e i n e r Teil Sme 1. Verwandtschaftliche und nachbarliche Beziehungen des Germanischen 10 a)Das Germanische als Glied der idg. Sprachenfamilie
(§1-2)
b) Das Germanische innerhalb Sprachenkreises (§ 3—81
des
„alteuropäischen"
Begriff des „Alteuropäischen" ({ 3), Oermanisch und „Italisch" (S 4), Germanisch und Illyrisch (5 5), Germanisch und Keltisch (S 6), Germanisch-Keltisch-,.Italisch" ( | 7), Germanisch, Baltisch, Slavisch (5 8).
cj Spätere nachbarliche Beziehungen des Germanischen (§ 9) 2. Die Gliederung des Germanischen (§ 10—17) Allgemeines (§10) a) Die westgermanische Gruppe Die westgermanischen Völker (§11) Die westgermanischen Dialekte (§12) Die Überlieferung der westgermanischen Dialekte (§ 13) b) Die nordgermanische Gruppe Die nordgermanischen Völker (§14) Die nordgermanischen Dialekte und ihre Denkmäler(§15) c) Die ostgermanische Gruppe Die ostgermanischen Völker (§16) Die ostgermanischen Denkmäler (§17) d) Das Verhältnis der drei german. Gruppen zueinander . . Nord- und Ostgermanisch (§18) Nord- und Westgermanisch (§19) West- und Ostgermanisch (§20) 3. Aufgabe und Umfang der germanischen Sprachwissenschaft (§21) 4. Die Quellen der germanischen Sprachwissenschaft (§22) . o. Die wichtigsten Merkmale des Germanischen (§ 23) . . . . Lautlehre Allgemeine Vorbemerkungen (§24) I. Betonung Stellung und Art des Akzents (§25) Der Satzakzent (§26) Der Wortakzent (§27) Der Silbenakzent (§28) 1»
10
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23 25 25 27 27 29 32 33 33 33 35 35 36 37 37 38 39 40 42 43 44 46 47 47 49
4
Inhaltsverzeichnis
II. Vokalismus ]. Der idg. Vokalbestand (§29) 2. Die Vertretung und Weiterentwicklung des idg. Vokalbestandes im Germanischen A. Der Vokalismus der Tonsilben (§ 30—44) a) Die normalen idg.-germ. Entsprechungen (§ 30—34) . Die Kurzen (§ 30). Die Langen (§ 31). Die Diphthonge (§ 32). Die silbischen Liquiden und Nasale (S 33). Ubersicht (§ 34).
50 51 61 61
b) Besonderheiten in der Weiterentwicklung des germ. Vokalismus (§35—43) 57 a.) Qualitative Veränderungen (§ 35—41) 57 Germ, e > i (§ 35). Brechungen von nerm. i und u (5 36). Der tUmlaut (S 37). Der «-Umlaut (§38). Die Brechung des a im Ags. (§ 39). Die Brechung des e im An. (§ 40). Die Monophthongiaierung von ei und ou im Ahd. (§ 41).
ß) Quantitative Veränderungen (§ 42—43)
Vokaldehnung durch Nasalschwund vor h (§ 42). Vokalkürzung in geschlossener Silbe (§ 43).
c) Übersicht über die Entwicklung der germ. Tonvokale (§44) B. Der Vokalismus der Nebentonsilben (§45—49) . . . . a) Schicksale ursprünglicher Kürzen (§ 45,46) . . . . b) Schicksale ursprünglicher Längen (§47) c) Schicksale ursprünglicher Diphthonge (§48) . . . . d) Entstehung neuer Mittelsilbenvokale (§49) . . . . 3. Der Ablaut A. Die idg. Grundlagen des Ablauts (§60—63) . , . . . . Zur Erklärung (§ 50). Die kurzvokalischen Ablautareihen ( | Sl). Die langvokalischen Ablautereihen ( j 52). Zar Entstehung des Ablauts (§ 53).
B. Der Ablaut im Germanischen (§ 64—67)
Allgemeines ({ 54). Die Ablautsreihen beim starken Verbum (5 66). Die Ablautsreihen außerhalb des starken Verbums (f 66). Soifixablaut (§ 57).
I I I . Konsonantismus 1. Der idg. Konsonantenbestand (§68) 2. Die Vertretung der idg. Konsonanten im Germanischen . . A. Die Behandlung deridg. Verschlußlaute (§69—66). . . Allgemeines zur germ. Lautverschiebung (f 69)
a) Die Verschiebung der idg. Tenues (§ 60—63) . . . .
62
63 65 66 67 67 67 68 68
73
80 81 81 82
Normale Verschiebung zu Reibelauten (5 60). Nichteintreten der Verschiebung (f 61). D u Veruersche Oesetz (} 62). Der grammatische Wechsel (§ 63).
b) Die Verschiebung der idg. Mediae aspiratae (§ 64) . .
90
Inhaltsverzeichnis
5
c) Die Verschiebung der idg. Mediae (§66) d) Schematische Darstellung der germ. Lautverschiebung (§66) B. Die idg. Spirans s im Germanischen (§ 67—68) . . . . C. Die idg. Nasale und Liquiden im Germanischen (§ 69 bis 70) D. Die idg. Halbvokale im Germanischen (§ 71—72) . . . 3. Die Weiterentwicklung des germ. Konsonantismus in den einzelnen Dialekten A. Die germ. stimmlosen Spiranten (§ 73—76) B. Die germ. stimmhaften Spiranten (§ 77—80) C. Die germ. Tenues (§ 81—82) D. Die westgerm. Konsonantenverdoppelung (§83—86). . E. Zusammenfassende Übersicht über die hochdeutsche (zweite) Lautverschiebung (§87) 4. Lautwandel in Konsonantengruppen (Kombinatorischer Lautwandel) A. Vorgermanische Vorgänge (§ 88—95) a) Idg. Vorgänge (§ 88—90) b) Sonstige voreinzelsprachliche Vorgänge (§91—95). . B. Gemein-germ. Vorgänge (§ 96—102) . . . '. a) Assimilationserscheinungen (§ 96—99) b) Schwund von Konsonanten (§ 100—102) . . . C. Spätere (einzeldialektische) Vorgänge (§ 103—106) . . 5. Sonstige Veränderungen im german. Konsonantismus . . A. Assimilation (§ 107) B. Dissimilation (§108) C. Metathese (§109) D. Haplologie (§ 110) E. Konsonanten-Verdoppelung (§ 111) IV. Auslautsgesetze 1. Konsonantische Auslautsgesetze (§ 112—116) A. Die Nasale (§ 112—113) B. Die dentalen Verschlußlaute (§114) C. Die idg. Spirans «(§115—116) 2. Vokalische Auslautsgesetze (§117—129)
124 124 126 126 128
A. Die kurzen Vokale (§ 118—122) B. Die langen Vokale (§ 123—126) C. Die Diphthonge (§ 127—129) Wörterverzeichnis
128 132 134 137
Allgemeine Vorbemerkung (5 117).
92 93 93 94 96 97 97 100 103 104 107 109 109 109 110 112 112 116 116 117 117 118 119 121 121
Literatur K. B r u g m a n n . Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen. Straßburg 1904 (Neudruck: Berlin 1933). H . H i r t . Indogermanische Grammatik. 7 Bände. Heidelberg 1921—1937. J. S c h r i j n e n - W . F i s c h e r . Einführung in das Studium der indogermanischen Sprachwissenschaft, mit besonderer Berücksichtigung der klassischen und germanischen Sprachen. Heidelberg 1921. Ii. K i e c k e r s . Einführung in die indogermanische Sprachwissenschaft. Bd. I: Lautlehre. München 1933. H. K r ä h e . Indogermanische Sprachwissenschaft. 4. Auflage. 2 Bände. Berlin 1962/63. (Sammlung Göschen 59 und 64.) W. S t r e i t b e r g . Urgermanische Grammatik. Einführung in das vergleichende Studium der altgermanischen Dialekte. Heidelberg 1896 (Neudruck: ebd. 1943). F. D i e t e r . Laut- und Formenlehre der altgermanischen Dialekte. Leipzig 1900. H . H i r t . Handbuch des Urgermanischen. 3 Teile. Heidelberg 1931—1934. A. Meillet. Caractères généraux des langues germaniques. 6. Auflage. Paris 1937. E. P r o k o s c h . A Comparative Germanie Grammar. Philadelphia 1939. Sravnitel'naja grammatika germanskich jazykov (Vergleichende Grammatik der germanischen Sprachen). 4 Bände. Moskva 1962—66. A. Noreen. Abriß der urgermanischen Lautlehre. Straßburg 1894. F. S t r o h . Handbuch der germanischen Philologie. Berlin 1962. E . S c h w a r z . Deutsche und Germanische Philologie. (Studienführer.) Heidelberg 1951. H. ICrahe. Historische Laut- und Formenlehre des Gotischen. Zugleich eine Einführung in die germanische Sprachwissenschaft. 2. Auflage, bearbeitet von E. S e e b o l d . Heidelberg 1967. W. W i l m a n n s . Deutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. 3 Teile. 2. und 3. Auflage. Straßburg-Berlin 1911—1930. H. Paul. Deutsche Grammatik. 6 Bände. 3. und 4. Auflage. Halle 1956/67.
Literatur
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H. Stolte. Kurze deutsche Grammatik. Auf Grund der f ü n f bändigen deutschen Grammatik von H . P a u l . 3. Auflage. Tübingen 1962. R. v. Kienle. Historische Laut- und Formenlehre des Deutschen. Tübingen 1960. C. K a r s t i e n . Historische Deutsche Grammatik. Bd. I: Geschichtliche Einleitung. Lautlehre. Heidelberg 1939. H. Schulz. Abriß der deutschen Grammatik. 3. Auflage, bearb. von F. Stroh. Berlin 1947.
Die Literatur zu den germanischen Einzeldialekten ist in folgenden Bänden deT Sammlung Göschen verzeichnet: H. Hempel. Gotisches Elementarbuch (Nr. 79/79a). F. Ranke—D. H o f m a n n . Altnordisches Elementarbuch (Nr. 1115/1115a/1115b). M. Lehnert. Altenglisches Elementarbuch (Nr. 1126). H. N a u m a n n . Althochdeutsche Grammatik (Nr. 727). H. N a u m a n n - W . Betz. Althochdeutsches Elementarbuch (Nr. 1111/lllla). B i b l i o g r a p h i e der N e u e r s c h e i n u n g e n auf dem Gebiet der Germanischen Sprachwissenschaft: G e r m a n i s t i k . Internationales Referatenorgan mit bibliographischen Hinweisen. Tübingen 1960ff. I n d o g e r m a n i s c h e Chronik; erscheint seit 1967 halbjährlich als Anhang der Zeitschrift „Die Sprache" (Wien—Wiesbaden). Abteilung Germanisch.
Abkürzungen abulg. = altbulgarisch ac. = altenglisch afries. = altfriesisch ags. = angelsächsisch alid. = althochdeutsch ai = altindisch air. = altirisch an. = altnordisch apreuQ. = altpreußisch as. = altsächsisch att. = attisch awest. = awestisch Cech.= öechisch dor. = dorisch engl. = englisch finn. = finnisch gall. = gallisch germ. = germanisch got. = gotisch gr(iech). = griechisch heth. = hethitiscli idg. = indogermanisch illyr. = illyrisch
Sprachenbezeichnungen kelt. = keltisch kymr. = kymrisch lat. = lateinisch lett. = lettisch lit. = litauisch md. = mitteldeutsch me. = mittelenglisch messap. = messapisch mhd. = mittelhochdeutsch mnd. = mittelniederdeutsch nd. = niederdeutsch ndl. - niederländisch ne. = neuenglisch nhd. = neuhochdeutsch nord. = nordisch obd. = oberdeutsch osk. = oskisch russ. = russisch thrak. =-thrakisch umbr. = umbrisch ved. = vedisch venet. = venetisch wgerm. = westgermanisch
Zu einzelnen Zeichen und zur Aussprache: * vor einer Wortform bedeutet, daß diese nur erschlossen ist. > = entwickelt sich zu < = entstanden aus — über einem Vokal bedeutet dessen Länge, -n) ergab, z. B. got. ütana = ahd. ü^ania) „von außen" (: got. üla, ahd. üy „draußen") — lat. superne „von oben" (: super „oben"). Lateinisch, osk.-umbrisch und germanisch ist die Verwendung von Ablativen zu Bildungen auf -tro- (bzw. -trä-) als Adverbia mit Ortsbedeutung: osk. contrud, lat. contra „gegen", lat. ultrö neben ultra „jenseits" — got. haßrö „woher?", jainprö „dorther". Kaum unabhängig voneinander sind die Perfektformen mit langem Wz.-Vokal entstanden, welche dem Lat. und Germ, in Fällen wie lat. venimus — got. qemum, sedimus — setum, fregimus — ahd. brdhhum usw. gemeinsam sind. Die Präsens-Flexion des Typus lat. capiö, capis, capitr stimmt zu der des (etymologisch identischen) ahd. heffu, hevis, hevit, und es darf dafür — wie auch für gewisse Übereinstimmungen der lat. ä- und e-Konjugation mit der 2. und 3. schwachen Verbalklasse des Germ. — mit der Möglichkeit eines vorgeschichtlichen Zusammenhanges gerechnet werden. Das V e n e t i s c h e im östl. Oberitalien, das in manchen Punkten des Lautstandes und des Wortschatzes dem Lat. nahesteht, teilt ebenfalls ein paar grammat. Eigentümlich>) Vgl. allerdings auch lit.
dvynü
„Zwillinge".
Allgemeiner Teil keiten ausschließlich mit dem Germ., zumal auf dem Gebiet des Pronomens. Venet. mego „mich" ist (gegenüber lat. mi usw.) nach dem Nom. ego „ich" genau so analogisch umgeformt worden wie got. mik, ahd. mih „mich" nach dem Nom. got. ik, ahd. ih „ich". Das Identitätspronomen selbo- „selbst" existiert nur im Venetischen und Germanischen. § 5. Ähnlicher Art wie zum „Italischen" sind Beziehungen des Germ, zum I l l y r i s c h e n . Die späteren Ulyrier scheinen ebenfalls aus dem alteuropäischen Raum hervorgegangen zu sein. Während man jedoch bisher glaubte, die ehemaligen Wohnsitze der Ulyrier anhand von Ortsnamen im Umkreis der Lausitzer Kultur und in Nachbarschaft von Germanen und Balten nachweisen zu können, ist man inzwischen zu der Feststellung gelangt, daß „nordillyrisch" und Balkanillyrisch nicht schlechthin identisch sind, sondern daß vielmehr hier zwar nahverwandte, im übrigen jedoch verschiedene Dialekte vorliegen1). Als nur germanisch und illyrisch ist z. B. die Bildungsweise des Possessivpronomens messap.-illyr. veina- „suus" ( < idg. *sueino-) bemerkenswert, welche genau der von got. meina-, peina-, seina- ( = ahd. min, din, sin) gleichkommt. Übereinstimmungen im Wortschatz sind etwa messap. ßOpiov „Wohnstatt" — ahd. ags. bür „Wohnung"; messap. (Akk.) ßpevSov „Hirsch" — schwed. (dial.) brinde „männl. Elentier"; messap. CTITTTCC- „schweig!" — mhd. swifte „schweigend"; messap. ßao-ra „Sandalen" — ahd. an. hast „Bast"; illyr. Teutana Name einer Königin 2 ) — got. piudans, as. thiodan „König"; Vidasus, Name eines illyr. Waldgottes, entspricht genau dem anord. Götternamen Viäarr; der ags. Völkername Deanas hat die gleiche Grundlage wie der der illyr. Daum, ') Zum „Illyrischen" vgl. H. Krähe, Sprache und Vorzeit 98—114; zur Trennung von Nord- und Sudillyrisch vgl. ebenfalls H. Krähe, Vorgeschichtliche Sprachbeziehungen von den baltischen Ostseelandern bis zu den Gebieten u m den Nordteil der Adria; Mainz. Akad. 1957 Nr. 3. ') Wohl gleichzeitig auch die appellativische Königsbezeichnung.
Verwandtschaiti, u. nachbarl. Beziehungen des Germanischen
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nämlich *dhaunos „Wolf"; die reichverzweigte illyr. Sippe von Personennamen wie Aplo, Aplis, Aplus, Teuti-aplos usw. findet ihr Etymon einzig in anord. afl „Kraft", afli „Stärke"; und ähnlich ist es in vielen anderen Fällen. §6. Die Berührungen des Germ, mit dem K e l t i s c h e n hat man, da sie zu einem großen Teil in Wortgleichungen politischen und kulturell wichtigen Inhalts bestehen, lange Zeit als Beweisstück für eine ehemalige Vorherrschaft der Kelten über die Germanen auf kulturellem und staatlichem Gebiet angesehen. Diese Anschauung hat sich als irrig erwiesen. Denn nur in ganz wenigen Fällen ist eine Entlehnung der betreffenden Wörter aus dem Keltischen ins Germ, (auf Grund grammatischer Kriterien) beweisbar (§ 9), vereinzelt ist sogar umgekehrt eine Entlehnung aus dem Germ, ins Keltische wahrscheinlich (ebd.); die meisten der germ.keltischen Wortgleichungen jedoch dürften (nicht anders als die germ.-lateinischen und germ.-illyrischen) auf gemeinsam festgehaltenem (bzw. weiterentwickeltem) idg. Sprach- und Kulturbesitz beruhen 1 ). Zu dieser letzteren Gruppe sind etwa zu rechnen: air. oeth „Eid" — got. aißs, ahd. eid „Eid"; air. orbe „das Erbe" — got. arbi, ahd. erbi „Erbe"; air. dliged „Pflicht, Gesetz, Recht", kymr. dled, dyled „Schuld" — got. dulgs „Schuld"; kymr. rhydd ( < *pri}OS) „frei" — got. freis, ahd. frl „frei"; air. büaid „Sieg", kymr. budd „Gewinn" — mnd. büle, nlid. beute; air. rün „Geheimnis" — got. ahd. rüna „Geheimnis, geheime Beratung"; gall. nemeton, air. nemed „heiliger Hain, Heiligtum" — anfr. (Akk. PI.) nimidas „sacra silvarum"; gall. u&pxa, ir. marc „Pferd" — ahd. marah „Pferd", marha „Stute" (Mähre!); air. dün „Burg, befestigte Stadt", gall. düriom in Ortsnamen — anord. ags. iün „Zaun, Hof, Stadt, ') Vgl. C. S. Eiston, The Earliest Relations Between Celts and Germans (London 1934); 6 S.Lane, The Germano-Celtic Vocabulary. Language 9 (1933) 2 4 4 - 2 6 4 , H. Krähe, Sprache und Vorzeit 1 3 4 - 1 4 2 .
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Allgemeiner Teil
Dorf", ahd. zün „Zaun"; mir. luaide „Blei" — ags. lead „Blei", mhd. iöi „Blei, Lot"; air. luib „Kraut, Pflanze" — anord. lyf „Heilkraut", ahd. luppi „stark wirkender Pflanzensaft, Gift" und viele andere. Die einstige enge Nachbarschaft der Germanen und der Kelten wird außer durch den gemeinsamen Besitz so vieler Appellativa auch durch die Übereinstimmung einer ganzen Anzahl (meist zweistämmiger) Personennamen charakterisiert, wie sie in gleichem Maße sonst kaum bei zwei anderei idg. Sprachen vorkommt, z. B. gall. Teuto-boduus — ahd. Deot-palo, altkymr. Tutri Kempten, Taro-dünum > Zarten), -durum (wie Marco-durum > Düren), -briga [Boudo-briga > Boppard), -magos (wie Novio-magus > Neumagen, Nijmegen) u. a. mehr. — Älter dagegen sind kelt. Bergnamen (Abnoba „Schwarzwald", Taunus) und Flußnamen (Dubra > Tauber, Olan, Brigana > Brigaeh). § 7. Bei den mannigfachen zweiseitigen Berührungen des germ. Wortschatzes mit dem des „ I t a l i s c h e n " einerseits(§4) und dem des K e l t i s c h e n andrerseits (§6) ist es begreiflich, daß es darüber hinaus nicht wenige Wörter gibt, welche alle drei Spraehkreise (und wiederum nur diese) miteinander
') Zum Grundsätzlichen vgl. A. Scherer, Die keltisch-germanischen Namengleichungen = Corolla Linguisttca, Feßtachr. f. F. Sommer (Wiesbaden 1055) 18» - 2 1 0 .
Verwandtschaft!, u. nachbarl. Beziehungen des Germanischen
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verbinden. Beispiele dafür sind: lat. mentum „Kinn" — kymr. mant „Kinnbacken" — got. munps, ahd. murü „Mund" (alle aus *mritö-)-, lat. condus „Haselstaude" — altkymr. coli „Hasel" — ahd. hasala „Hasel"; lat. porca „Furche, Strecke Ackers" — gall. rica „Furche" — ahd. iuruh „Furche"; lat. unguen, umbr. umen „Fett, Salbe" — ir. imb, breton. amann „Butter" — ahd. aneho, mhd. anke „Butter"; lat. vätes „Weissager, Seher" — air. (dilti „Dichter" — ags. wöp-bora „Dichter, Redner, Prophet" (dazu auch der Göttername Wödan); lat. captus (captivus) „Gefangener" — air. eacht „Sklavin" — anord. haptr „Leibeigener", ahd. hafl „gefangen"; lat. västus „öde, verwüstet, leer" — air. fäs „leer" — as. wösti, ahd. wuosti „wüst, leer, unbebaut"; lat. verus — air. fir — ahd. war „wahr"; lat. alö „nähre, ziehe groß" — air. alim „nähre" — anord. n,la „nähren, hervorbringen", got. alan „aufwachsen"; lat. sägiö „spüre auf" — air. saigim „suche auf" — got. sökjan, ahd. suohhen „suchen". In jener frühen Periode, in welche Wortgleichungen wie die hier genannten hinaufreichen, haben die Vorfahren der „Italiker" zunächst zwischen denen der Kelten und denen der Germanen gesiedelt und so diese beiden letzteren voneinander getrennt. Daher ist die germ.-„italische" Nachbarschaft älter als die germ.-keltische. Erstere gilt in der Bronzezeit, denn das Wort für „Bronze" (lat. aes, Gen. aeris — got. aiz, anord. eir, ahd. er, wozu als Adj. unser ehern) ist nur dem Germ, und den „italischen" Sprachen gemeinsam (unter Ausschluß des Keltischen). Erst nach der Abwanderung der „Italiker" nach Süden wurden dann — in der Eisenzeit — die Kelten unmittelbare Nachbarn der Germanen und teilen infolgedessen mit ihnen das gleiche Wort für „Eisen" (dies nun unter Ausschluß der „Italiker"): gall. isarno-, air. iarnn — got. eisarn, ahd. isarn (vgl. § 9). §8. Von vorhistorischen Beziehungen des Germ, zum B a l t i s c h e n und S l a v i s c h e n ist besonders die diesen
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Allgemeiner Teil
drei Sprachen allein eigene Bildungsweise des Dat.-Instr. Plur. bemerkenswert, die im Gegensatz zu der in allen anderen idg. Sprachen steht. Während nämlich sonst die beiden genannten Kasus Suffixe aufweisen, die durch ein 6Ä-Element gekennzeichnet sind (z. B. ai. deve-bhyah „den Göttern", bälä-bhih „mit den Mädchen"; lat. hosti-bus, venet. loudero-bos „den Kindern"; gall. McrrpE-ßo „den Müttern"), haben an dessen Stelle einzig die baltischen, slavischen und germ. Dialekte m-haltige Suffixe, z. B. lit. vyra-ms „den Männern", sünu-mls „ m i t den Söhnen"; abulg. iena-rm „den F r a u e n " , £ena-mi „mit den F r a u e n " — got. wulfam, a h d . wolfum „den Wölfen", got. giböm, ahd. geböm „den Gaben" usw. (vgl. besonders die noch etwas altertümlicheren D a t . Plur. von germ. GöttinnenNamen auf lat. Inschriften: matronis AfUms, matronis Vaivims neben latinisiertem Afliabus, Vatviäbus). Eine lautliche Eigentümlichkeit welche das Germ, mit dem Slavischen (freilich auch mit dem Illyrischen und Thrakischen) teilt, ist der Einschub eines t als „Übergangslaut" in der Gruppe sr. I m baltischen Bereich ist die Welle dieser sprachlichen Neuerung allmählich verebbt und nur mehr in beschränktem U m f a n g zur Durchführung gekommen. So gehören zur idg. Wurzel *sreu- „fließen" einerseits ai. srdvali „er fließt 1 ', lit. sraveti „fließen", air. srulh „ F l u ß " u. a.. andrerseits ahd. stroum „ S t r o m " , abulg. struja. lit. strove (neben arovi) „Strömung", t h r a k . ^Tpupcov (Flußname = „ S t r u m a " ) . Stravianae u n d Stremntia (Ortsnamen in der Germania Magna); vgl. § 93. Eine andere, wohl ebenfalls sehr alte grammatische Besonderheit verbindet das Germ, nur mit dem Baltischen (und nicht auch mit dem Slavischen): die Bildung der Zahlwörter f ü r 11 und 12 durch ein Element germ. -lif = lit. -lika. Vgl. got. ainlif, tvalif; ahd. einlif, zwelif mit lit. vienüolika,
Verwandtschaft), u. nachbarl. Beziehungen des Germanischen 23 dvylika. Im Litauischen ist freilich diese Bildungsweise (sekundär?) auch auf die Zahlen von 13 bis 19 ausgedehnt. Zu beachten sind endlich auch manche Wörter, die das Germ, zusammen mit dem Baltischen und (oder) Slavischen als gemeinsames idg. Erbgut bewahrt hat, so die Bezeichnung für den „Lachs": anord. lax. ahd. lahs — lit. läüis bzw. lasisä, lett. lasis — russ. losöst (gegenüber toch. läks in der allgemeineren. Bedeutung „Fisch"); ferner der Baumname „Espe": ahd. aspa, anord. gsp — apreuß. abse, lett. apse, lit. apuSl — poln. osa, osina, russ. osina (< *opslnä); Adjektiva wie ags. röt „freudig, froh, gut" — lit. rödas „gern, willig" — abulg. radi „libens"; anord. gladr, ahd. glat „glatt, glänzend" — lit. glodüs „glatt anliegend, sanft" — abulg. gladi-kb „glatt, eben"; ahd. bar „nackt, bloß" — lit. bäsas und abulg. boss „barfuß"; Verba wie ahd. houwan „hauen" — lit. kauju und abulg. kovg „schmiede, schlage" u. a. mehr.
C) S p ä t e r e n a c h b a r l i c h e Beziehungen des Germanischen § 9. Jünger als alle bisher behandelten Gemeinsamkeiten des Germ, mit einer oder mehreren anderen Sprachen, welche sämtlich in eine mehr oder minder „voreinzelsprachliche" Zeit zurückführen, sind L e h n b e z i e h u n g e n , welche — nun vielfach schon in „historischen" Entwicklungsperioden — das Verhältnis des Germ, zu seinen Nachbaridiomen veranschaulichen. Sie sind daran kenntlich, daß das betreffende Wortgut lautliche oder andere grammatische Kriterien aufweist, die nicht in der eigenen, sondern nur in einer fremden Sprache (aus der die Wörter also „entlehnt" sein müssen) erworben sein können. Schon in ziemlich früher Zeit muß den Germanen (und Kelten) jenes Wort für „Eisen" (gall. isarno-, ahd. isarn
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Allgemeiner Teil
usw.; § 7) zugekommen sein, wenn es — wie es wahrscheinlich ist — ihnen mit der Sache selbst von einem anderen alteuropäischen Dialekt vermittelt wurde. Ebenfalls alt und sicherlich noch „gemeingermanisch" sind einige Lehnwörter aus dem K e l t i s c h e n . Von ihnen sind am wichtigsten: got. reiks, ags. riea „Herrscher" aus kelt. rig-s (gall. -rix, air, ri, Gen. rig „König", mit kelt. i < e in idg. *re§-s = lat. rex) mit den Ableitungen got. reiki, ahd. rihhi „Reich" ( = air. rige „Königsherrschaft" < *rigion) und ahd. rihhi „mächtig" > „reich"; got. aiylbahts, ahd. ambaM „Diener" aus gall. ambaktos „Diener, Klient, Dienstmann" mit der Ableitung got. andbaMi, ahd. ambahti „Dienst" > mhd. ambet > nhd. amt. — Umgekehrt hat das Germ, dem Keltischen Ausdrücke geliefert wie gall. bräea = anord. brök, ahd. bruoh „Hose" oder gall.-lat. camisia „Hemd" (vgl. ags. hemede, ahd. hemidi „Hemd"). Bei den ihm östlich benachbarten Sprachen ist im Falle von Entlehnungen das Germ, fast stets der gebende Teil, so beim B a l t i s c h e n und S l a v i s c h e n . Die ebenerwähnte Wortsippe um „Reich" und „reich" gaben die Germanen in altlit. rikys, apreuß. nks „Reich", rikijs „Herr" -„n baltische Stämme weiter. Vgl. ferner etwa abulg. kin$gi „Fürst" aus germ. *bininga- „König" (ahd. chuning, as. cuning usw.); abulg. plugs „Pflug" aus germ. *plöga- „Pflug" (an. plögr, ahd. pfluog); abulg. chlibs „Brot" aus germ. *hlaiba- „Laib Brot" (got. hlaifs, ahd. bleib) und zahlreiche andere. Zu den östlichen Nachbarn, welche ihren Wortschatz durch Entlehnungen aus dem Germ, bereicherten, gehört auch ein nicht-idg. Volk, die F i n n e n . Die zu ihnen gewanderten germ. Wörter sind so zahlreich und vielfach von so charakteristischem Bedeutungsinhalt, daß dadurch ein erheblicher kultureller Einfluß der Germanen auf die Finnen bezeugt wird; und zwar muß dieser Einfluß in eine sehr frühe
Die Gliederung des Germanischen
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Zeit zurückreichen, denn die germ. Lehnwörter im Finnischen bewahren dort zumeist so altertümliche Formen wie sie aus den germ. Dialekten selbst nicht mehr überliefert sind. Sie müssen also älter als alle unsere germ. Schriftquellen sein. Aus der großen Fülle nur einige wenige Beispiele: finn. kuningas „König" aus germ. *kuningaz (vgl. oben); finn. rengas „Ring" aus germ. *hrengaz (got. hriggs, ahd. bring); finn. kernas „willig" aus germ. *gemaz (got. gairns, ahd. gern); finn. tiuris „teuer" aus germ. *diuriz (ahd. tiuri, ags. deore)\ finn. vantus „Handschuh" aus germ. *wantuz (an. VQttr).1) Lehnbeziehungen zwischen den Germanen und den späteren „Italikern" sind aus derZeit ihrer prähistorischen Nachbarschaft (vgl. § 4) nicht zu erweisen, hauptsächlich wohl deshalb, weil für diese frühen Perioden bei der damals nur erst geringen Differenziertheit der Einzelsprachen die für den Nachweis der Entlehnung notwendigen lautlichen Kriterien noch fehlen. — Die zahlreichen Lehnwörter aus dem L a t e i n i s c h e n gehören einer viel späteren Epoche an, in der die germ. Dialekte der historischen Zeit bereits voll ausgebildet sind; sie fallen daher aus dem Rahmen dieser Darstellung.
2. Die Gliederung des Germanischen § 10. Seit Beginn seiner schriftlichen Überlieferung stellt sich das Germ., so klar und scharf es nach außen gegenüber den idg. Schwesteridiomen Abgegrenzt ist, nach innen als eine nicht (mehr) einheitliche, für das gesamtgermanische Gebiet gültige Sprachform dar; vielmehr ist es schon damals in verschiedene mehr oder weniger deutlich voneinander abgehobene Dialekte und Dialektgruppen gegliedert. Eine all') Vgl. H. Fromm, Die ältesten germ. Lehnwörter Im Finnischen = Z». f. deutsche» Altertum 88 (1957,58) 81 — 101, 211—240, 2 9 9 - 1 2 4 .
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Allgemeiner
Teil
gemein anerkannte Art der Einteilung dieser Dialekte existiert bei dem derzeitigen Stand der Forschung nicht. Die Ansichten darüber wechseln, jenachdem welche Entwicklungsstufen des Germ, ins Auge gefaßt und welche sprachlichen Kriterien bei der Einteilung in den Vordergrund gerückt werden. Althergebracht ist die Gliederung in drei Hauptgruppen, die nach ihrer (ursprünglichen) geographischen Lagerung als N o r d - , Ost- und W e s t - G e r m a n i s c h bezeichnet werden. Nordgermanische Sprachen sind das Norwegische mit dem Isländischen, das Dänische und das Schwedische. Zum Westgermanischen gehören das Deutsche, das Englische und das Friesische. Der Hauptvertreter des Ostgermanischen ist das Gotische. Von manchen Forschern werden aber mit guten Gründen nur zwei Gruppen innerhalb des Gesamtgermanischen unterschieden. Sie fassen das Ost- und Nordgermanische in einen Zweig zusammen und nennen ihn Goto-Nordisch oder auch einfach Nordgermanisch; ihm stellen sie dann die sonst Westgermanisch genannte Gruppe als „Südgermanisch" gegenüber (vgl. § 18). Am problematischsten ist jedoch seit einiger Zeit der Begriff des West-(bzw. Süd-)Germanischen geworden, namentlich durch das Herausarbeiten eines eigenen Dialektkreises um die Nordsee herum, den man Ingwäonisch (vgl. § 11) oder auch Nordseegermanisch genannt hat und zu dem außer dem Englischen und Friesischen auch Teile des niederdeutschen Gebietes gehören würden, während der Kern des Deutschen (zumal das Hochdeutsche) auf einem sog. „Binnengermanischen" beruht 1 ). — Im vorliegenden Zusammenhang wird aus praktischen Gründen die alte Dreiteilung beibehalten. ') Aus der umfangreichen Literatur über die Gliederung de» Germ, seien hier nur genannt: F. Maurer, Nordgermanen und Alemannen (Straßburg 1942; 3. Aufl., Bern-München 1952); ders., Zur vor- und frühdeutfchen Sprachgeschichte = Der Deutschunterricht 1 (1951) 5—20; E. Schwarz, Goten, Kordgermanen, AugelsaohseD. Studien zur Ausgliederung der germ. Sprachen (Bern-Mttnchen 1951); P. Jörgensen u. H. Kuhn, Das Problem der Ingwäonen = Phllologia Frisica 1956 (1957) 7—20; L. Rösel, Die Gliederung der germanischen Sprachen (Nttrnberg 1962).
Die Gliederung des Gennanischen
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Bevor wir durch einheimische Sprachdenkmäler, die in größerem Umfang erst einige Jahrhunderte nach Christi Geburt einsetzen (§ 13, 15, 17), Kenntnis von den Germanen gewinnen, berichten bereits griechische und römische Schriftsteller über das Land Germanien, seine Bewohner und deren Eigenheiten sowie über einzelne geschichtliche Ereignisse. Diese antiken Nachrichten sind (eben wegen des Mangels an gleichzeitigen einheimischen Quellen) für unser Wissen von der germanischen Frühzeit von unermeßlichem Wert..
A) Die w e s t g e r m a n i s c h e
Gruppe
§ 11. Zuerst von allen Germanen ist die antike Welt mit Angehörigen der westlichen Gruppe in Berührung gekommen. Das früheste Zeugnis dafür geht auf die Nordfahrt des P y t h e a s v o n M a s s i l i a im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts v. Chr. zurück, der damals u. a. die T e u t o n e n als westgermanischen Stamm an der Nordseeküste kennen gelernt hatte. Doch diese Fahrt des Pytheas blieb ein vereinzelter Vorstoß, und noch etwa zwei Jahrhunderte lang waren die Römer so wenig über die Germanen unterrichtet, daß sie sie von den Kelten nicht zu unterscheiden vermochten. Als wirklich greifbares Volkstum treten die Westgermanen erst dadurch für uns in das Licht der Geschichte, daß sie in zahlreichen Vorstößen und Wanderungen die Kelten aus Westund Süddeutschland vertreiben und dadurch dem Germanentum einen ungeheuren Gebietszuwachs verschaffen. Bei diesem Vorgang kommen die Westgermanen dann auch in vielfältiger Hinsicht mit den Römern in Berührung, und daher stammen die meisten unserer Nachrichten über sie. Zuvor war nämlich ganz Süd- und Westdeutschland — spätestens seit dem zweiten Viertel des letzten Jahrtausends v. Chr. — in den Händen der Kelten. Das wissen wir durch die Bodenfunde, durch Nach-
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Allgemeiner Teil
richten der antiken Autoren und — nicht zuletzt — durch die zahlreichen keltischen Orts-, Berg- und Flußnamen, die sich überall auf dem west- und süddeutschen Gebiet finden und zum großen Teil bis heute erhalten haben (vgl. § 6 ) l ) . Der erste historisch faßbare dieser westgermanischen Vorstöße in keltisches Gebiet ist die Wanderung der K i m b e r n u n d T e u t o n e n , die sich zwischen 120 und 115v.Chr. aus ihrer Heimat in Jütland und den angrenzenden norddeutschen Landstrichen in Bewegung setzten und nach mannigfachen Kämpfen mit den Kelten und Wanderungen in Pannonien, den Alpenländern, Süddeutschland und Gallien schließlich durch die Römer vernichtet wurden. In den folgenden Jahrzehnten drängen Westgermanen in immer größerer Zahl Uber die Donau südwärts und nach Westen Uber den Rhein. Im Jahre 58 v.Chr. tritt Cäsar in Gallien dem A r i o v i s t gegenüber, der bereits ein aus mehreren westgermanischen Stämmen zusammengesetztes Heer anfuhrt. Es folgt der ebenfalls von Cäsar abgewehrte Einbruch der U s i p e t e r u n d T e n k t e r e r Uber den Rhein, die friedliche Übersiedelung der U b i e r vom rechten auf das linke Rheinufer und so fort. Zur Zeit des Tacitus (um 100 n. Chr.) sitzen die Westgermanen längst überall am Rhein und an der Donau und zum Teil darüber hinaus. Sie gliederten sich damals in drei große Gruppen : die Völker am Rhein wurden als Istvaeonen*), die an der See zurückgebliebenen als Ingvaeonen, die im Binnenland als Erminonen zusammengefaßt. Unter diesen Gruppen haben wir ursprüngliche Kultverbände zu verstehen, die je ein ge-
') Vgl. H. Krähe, Sprache und Vorzeit 1 2 3 - 1 3 2 . a ) Die Namensform Ist umstritten; vgl. zuletzt H . Rosenfeld, Zu. f. d t . Altertum 90 (i960) 161—181.
Die Gliederung des Germanischen
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meinsamea Stammesheiligtum besaßen. Später jedoch sind politische Gruppen daraus geworden. Zu den I s t v a e o n e n zählen die Bataver in Holland, die Ubier um Köln, die Chamaver, Brukterer, Cherusker in Westfalen, die üsipeter und Tenkterer rechts des Rheines etwa zwischen Lippe und Lahn, weiter im Binnenland die Chatten, die Treverer um Trier und noch viele andere kleinere Völkerschaften. Es sind das im wesentlichen diejenigen Stämme, die später unter dem Namen der F r a n k e n (der erstmals i. J. 258 n. Chr. auftaucht) zusammengefaßt werden. I n g v a e o n e n sind die Friesen (an der Nordsee links der Ems), die Chauken zwischen Ems und Elbe und die sog. „Nerthus-Völker" (in Holstein und den angrenzenden Gebieten, z. T. auch auf den Inseln), unter welchen die Angeln am wichtigsten geworden sind. Ein Teil dieser ingvaeonischen Stämme, vor allem die Chauken, erscheint später unter dem Namen der Sachsen (seit dem 4. Jh. n. Chr.). Mit den E r m i n o n e n sind im großen und ganzen die Stieben identisch. Ihr Kernvolk waren die Semnonen (etwa im heutigen Brandenburg). Diesen benachbart bis zur Elbe saßen die Langobarden, südwestlich der Semnonen die Hermunduren (die späteren Thüringer), diesen wiederum benachbart die Markomannen und Quaden. Die Semnonen bilden nach ihrer Südwestwanderung den Kern der Alemannen (Schwaben!). Die Markomannen nehmen in Böhmen den Namen Bajuwaren (Bayern) an und behalten ihn auch bei ihrer Ausdehnung auf die benachbarten Landschaften Österreichs und Bayerns bei. § 12. Aus den im Vorangehenden aufgezählten Stämmen und Stammesgruppen sind die Träger der westgerm. Dial e k t e geworden, wie sie uns dann in der schriftlichen Überlieferung entgegentreten. Die Angeln und Sachsen gehen in der „Völkerwanderungszeit" (nach eigener Überlieferung i. J. 449) vom Festland nach
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Allgemeiner Teil
Britannien hinüber. Die dort ansässigen Kelten werden teils zurückgedrängt, teils unterworfen. Nach jahrhundertelangen Auseinandersetzungen erst kommt es zu einer einheitlichen Reichsgründung, welche alle von den eingewanderten Stämmen besetzten Provinzen umfaßt 1 ). Die Sprache dieser Angeln und Sachsen nennt man A n g e l s ä c h s i s c h (ags.) oder Altenglisch (ae.). Die schon aus der Heimat mitgebrachten mundartlichen Differenzen verstärken sich auf dem neugewonnenen Kolonialboden, BO daß drei Dialekte unterschieden werden können: 1. Das Kentische im Südosten. 2. Das Sächsische im Süden. 3. Das Anglische nördlich der Themse (mit den Unterabteilungen Mercisch und Nordhumbrisch). Die Sprache der Friesen, deren ältestbezeugte Entwickelungsstufe A l t f r i e s i s c h genannt wird, hat sich als selbständiger westgerm. Dialekt an den Küsten der Nordsee bis heute erhalten; sie hat sogar gegenüber dem ursprünglichen Wohngebiet der Friesen (§ 11) noch an Boden gewonnen und wird bis nach Schleswig hinauf und auf den vorgelagerten Inseln gesprochen. Im Bereich der heutigen Niederlande bildete sich, hauptsächlich auf der Mundart der Bataver und einiger kleinerer Nachbarstämme fußend, das sog. A l t n i e d e r f r ä n k i s c h e heraus, die Vorstufe des jetzigen Holländischen. Als wichtigster westgerm. Dialekt des norddeutschen Gebietes entsteht (neben dem Friesischen und Niederfränkischen) das A l t s ä c h s i s c h e , in erster Linie die Sprache der alten Sachsen. Es gliedert sich landschaftlich in vier Mundarten: 1. die der Westfalen, 2. die der Engern (d. h. der alten Angrivarier, der nördl. Nachbarn der Cherusker zu beiden Seiten der Weser), 3. die der Ostfalen und 4. die der Nordalbingier. Den Rest des westgerm. Raumes nimmt das H o c h d e u t ') Vgl. M. Lehnert, Altenglisches Elementarbuch (Samml. Göschen 1125) S. 17 ff.
Die Gliederung des Germanischen
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sehe ein. Von diesem sind aus althochdeutscher (ahd.) Zeit bereits folgende Dialekte durch Schriftquellen überliefert: 1. Das B a i r i s c h e (auf der Sprache der suebischen Markomannen beruhend). 2. Das A l e m a n n i s c h e (dessen Grundlage die Sprache der ebenfalls suebischen Semnonen bildet). 3. Das O s t f r ä n k i s c h e , durch Verschmelzung von Franken und westlichen Thüringern entstanden (Hauptorte Würzburg und Bamberg). 4. Das R h e i n f r ä n k i s c h e am Untermain (um Mainz und Frankfurt) und am Oberrhein (um Worms und Speyer). Innerhalb des Rheinfränkischen hebt sich als besondere Mundart d a s S ü d r h e i n f r ä n k i s c h e a b , dessen Hauptort in ahd. Zeit Weißenburg ist. 5. Das M i t t e l f r ä n k i s c h e mit zwei Unterabteilungen, dem Ripuarischen Fränkisch um Köln und dem Moselfränkischen mit Trier als Mittelpunkt. Von diesen fünf Dialekten schließen sich das Ost-, Rhein- und Mittelfränkische enger zusammen. Man bezeichnet sie oft als Fränkisch schlechthin oder auch als M i t t e l d e u t s c h im Gegensatz zum O b e r d e u t s c h e n , d. h. dem Bairischen und Alemannischen. Zum Mitteldeutschen gehört ferner noch das aus ahd. Zeit noch nicht bezeugte T h ü r i n g i s c h e . Ein hochdeutscher Dialekt war endlich auch das bereits in ahd. Zeit untergegangene L a n g o b a r d i s c h e 1 ) . Die Gesamtheit der westgerm. Dialekte ordnet sich in der Weise, daß auf der einen Seite das Angelsächsische und das Friesische eine engere Einheit bilden, auf der anderen Seite die hochdeutschen Mundarten stehen. Zwischen diesen beiden nehmen das Altniederfränkische und das Altsächsische, die man als Altniederdeutsch zusammenzufassen pflegt, eine Mittelstellung ein. Sie haben sowohl Berührungen mit dem Anglofriesischen als auch mit dem Hochdeutschen.
>) Vgl. H. Naumann, Ahd. Grammatik (Samml. Göschen 727) S. 11511.
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Allgemeiner Teil Westgermanisch
Angelsiohslnh Altfirlesiseh Altniederdeutsch Kentlsoh S&chBlsch Angllsch
Althochdeutsch
Altnieder- Alts&chslach Mitteldeutsch Oberdeutsch frankisch (Ost-, Rhein-, (Bairiseh, Mlttelfrtnt.) Alemannisch)
§ 13. Die Ü b e r l i e f e r u n g des Althochdeutschen, Altniederdeutschen und Angelsächsischen beginnt im 8. und 9. Jh. n. Chr. und ist bei diesen drei Zweigen des Westgerm, ziemlich gleichartig. Sie besteht z. T. in poetischen Denkmälern (z. B. der ags. Beowulf, der as. Heliand, das ahd. Hildebrandslied, Muspilli usw.), z. T. in Prosa aller Art (theologische und weltliche Literatur, vielfach Übersetzungen aus dem Lateinischen); dazu kommen zahlreiche Glossensammlungen und kleinere Denkmäler, vor allem auch volkstümlicher Art wie Zaubersprüche und Segen, Sprichwörter u. dgl. Die ahd. Periode rechnet man bis rund 1100 n. Chr., von da an bis etwa 1500 spricht man vom Mittelhochdeutschen (mhd.), seit 1500 vom Neuhochdeutschen (nhd.). Vom As. besitzen wir Denkmäler bis etwa zum Jahre 1000 n. Chr.; von etwa 1300 bis 1500 blüht die sog. mittelniederdeutsche Schrift- und Verkehrssprache (mnd.). Seit dem 16. Jh. setzte ein allmählicher Verfall des Niederdeutschen als Schriftsprache ein; es lebt seitdem nur mehr in den lokalen Dialekten der einzelnen Landschaften (Plattdeutsch!). Die Entwicklung des Englischen verläuft ähnlich der des Hochdeutschen. Bis etwa 1100 gilt das Ags. oder Ae., bis 1500 das Mittelenglische (me.), seitdem das Neuenglische (ne.). Das Friesische ist erst seit dem 13. und 14. Jh. durch Schriftqucllen bekannt.
Die Gliederung des Germanischen
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B) D i e n o r d g e r m a n i s c h e G r u p p e § 14. Über die Nordgermanen, die sehr viel weiter als die Westgermanen vom Römerreich entfernt waren und nie mit ihm in kriegerische Verwicklungen gerieten, erfahren wir durch die antiken Schriftsteller naturgemäß nur sehr wenig. In der Naturgeschichte des Plinius (IV 96) wird lediglich ein alle Nordgermanen umfassender Gesamtname verzeichnet, das Volk der Hilleviones, dem 500 Gaue zugeschrieben werden. Tacitus kennt dann (Germania 44) den Stamm der Sviones, der uns auch aus der einheimischen Überlieferung bekannt ist und dort Sviar heißt. Diese saßen damals in der Gegend um den Mälar-See in Schweden; in späterer Zeit haben sie die Vorherrschaft über das ganze Land gewonnen. Ihr Name lebt in dem der Schweden fort. Bei dem griechischen Geographen Ptolemaios (2. Jh. n. Chr.) taucht neben anderen weniger bedeutenden Völkerschaften zum ersten Male der Name des zweitwichtigsten Volkes im alten Schweden auf, der der Gauten, deren Name noch jetzt an der sudschwedischen Landschaft Götaland mit der Hauptstadt (niederdeutsch) Gotenburg, (schwed.) Göteborg haftet. Der Name der Dänen (Dani) erscheint zum ersten Male im 6. Jh., bei den Gotenschriftstellern Jordanes und Prokop. § 15. Die älteste uns erhaltene Sprachform des Nordgermanischen ist das noch kaum geteilte sog. U r n o r d i s c h e , das bis etwa 800 n. Chr. in Geltung war. Es ist bezeugt durch eine größere Anzahl von Runen-Inschriften, die aus fast allen Teilen der nordischen Welt, d. h. aus Schweden, Norwegen, Dänemark und Schleswig, stammen. Aus diesem Urnordischen entwickelt sich in der VikingerZeit, d. h. von ca. 800 bis 1050, in gerader Linie das sog. A l t n o r d i s c h e (an.). Gleichzeitig setzt eine erste ganz allmähliche Dialektspaltung in W e s t - und Ost n o r d i s c h ein. Am wichtigsten wird von diesen das Westnordische von 2
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Allgemeiner Teil
I s l a n d . Durch politische Unstimmigkeiten hatten sich viele norwegische Adlige veranlaßt gesehen, ihre Heimat zu verlassen. Sie wanderten nach Island aus, das sie in der sog. landnäma-tid „Landnahmezeit" (etwa 872—930) besiedelten. Hier in Island kam es dann auf Grund ganz besonderer Bedingungen der verschiedensten Art zu einer außerordentlich reichen, hochbedeutsamen Literatur, wie sie im Verhältnis zur Zahl seiner Bevölkerung kein anderes Land der Welt hervorgebracht hat. Deshalb nennt man auch schon in westnordischer Zeit die Sprache Altislands, obwohl sie bis rund 1200 vom Norwegischen so gut wie gar nicht verschieden ist, mit einem besonderen Namen: das A l t i s l ä n d i s c h e . Und oft auch meint man, wenn man vom Altnordischen schlechthin spricht, einfach nur diese altisländische Literatursprache. Als mit der Einführung des Christentums in Island (1000 n. Chr.) gelehrte Geistliche ins Land gekommen waren, wurde die bis dahin schon Jahrhunderte lang in mündlicher Überlieferung lebende Literatur aufgezeichnet. Drei Gattungen sind zu unterscheiden: 1. Die in Stabreimstrophen abgefaßten E d d a l i e d e r unbekannter Verfasser (Göttermythen und Heldensagen, auch Spruchdichtung); 2. die nach ihren Dichtern, den Skalden, genannte s k a l d i s c h e P o e s i e , eine überaus gekünstelte, fast barocke berufsmäßige Kunstdichtung ;3. die Saga-Literatur,Familiengeschichten in schlicht realistischer, meisterhafter Prosa. Von etwa 1500 ab rechnet man das Neuisländische, an geistigem Gehalt wie an sprachlicher Form dem Altisländischen noch heute nahe. Die westnordische Schwester des Altisländischen, das A l t n o r w e g i s c h e , geht um 1500 in das Neunorwegische über. Ähnlich ist der Verlauf beim Ostnordischen. Es spaltet sich in das A l t s c h w e d i s e h e und A l t d a n i s c h e , die wiederum um 1500 in das Neuschwedisclie bzw. Neudänische über-
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Die Gliederung des Germanischen
gehen. Als wichtiger Dialekt des Altschwedischen ist das A l t g u t n i s c h e hervorzuheben, die Sprache der Insel Gotland. Nordgermanisch (Urnordisch) Altnordisch Westnordisch Isländisch
Norwegisch
Ostnordiseh Dänisch
C) D i e o s t g e r m a n i s c h e
Schwedisch
Gruppe
§ 16. Durch die Nachrichten der antiken Autoren wird etwa seit dem 1. Jh. n. Chr. in der Gegend der unteren Weichsel und den benachbarten Landstrichen eine Reihe german. Völkerschaften als zusammengehörig erkennbar, welche die heutige Wissenschaft als ostgermanische Gruppe zu bezeichnen pflegt. In der antiken Literatur begegnet dafür einmal der Sammelname Wandilier (Plinius), ein anderes Mal der Name der Goten (Prokop). Als Teilstämme dieser Gruppe werden gen a n n t die Goten (Wisi- u n d Ostro-Gothae), die Ge'piden,
Wanda-
len, Burgunder, Rugier, Skiren und einige andere weniger bedeutende Völkerschaften. Ihre enge Zusammengehörigkeit, nicht zuletzt auch in sprachlicher Beziehung (vgl. besonders Prokop., De bello Vandal. I 2) wird in der antiken Überlieferung ausdrücklich hervorgehoben ; und mehrfach tritt auch die führende Rolle der Goten gegenüber den verwandten Stämmen deutlich hervor. Keines der ostgerm. Völker ist auf deutschem Boden verblieben. Schon zu Beginn des 2. Jh.s v. Chr. waren die Skiren und die ihnen benachbarten Bastarnen bis zu der griechischen Stadt Olbia am Schwarzen Meer vorgestoßen. Einige J ä h r ig
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Allgemeiner Teil
hunderte später (etwa seit 150 n. Chr.) setzt dann die allmähliche Abwanderung der Goten in der gleichen Richtung ein. Auch sie gelangen an das Schwarze Meer und begründen hier ein großes Reich, welches bedeutende Teile des heutigen Rußland umfaßte. Dabei vollzieht sich die Trennung in zwei Sonderstämme, die West- und Ostgoten oder — wie sie damals hießen — die Wisigothae und Ostrogothae. Von dem Gotenreich am Schwarzen Meer aus ereignen sich dann die ersten Zusammenstöße mit dem Römischen Imperium. Die Goten drängen nach und nach immer stärker nach Westen; es erfolgen die bekannten Ereignisse der „Völkerwanderung", das Reich der Ostgoten in Pannonien und Italien, das 553 von Beiisar und Narses zerstört wird, das Reich der Westgoten in Südfrankreich und Spanien, das 711 den Arabern erliegt. Ähnlich dem der Goten verlief das Schicksal der übrigen ostgerm. Stämme. Die Wandalen ziehen bis Afrika; ihr Reich geht 534 zugrunde. Die Burgunder fielen in Frankreich den Franken zum Opfer. Die anderen verwandten Stämme sind nicht zu Gründungen von größerer selbständiger Bedeutung und Dauer gekommen. Untergegangen sind sie schließlich alle, mit ihnen ihre Sprachen, zuletzt wohl (noch vor Ablauf des 10. Jh.s) die Goten und das Gotische in Italien. § 17. Umfangreichere S p r a c h d e n k m ä l e r sind nur vom Gotischen, und zwar vom Westgotischen erhalten. Es handelt sich in erster Linie um die Reste der Bibelübersetzung, die dem Gotenbischof Wulfila zugeschrieben wird (4. Jh.). Demgegenüber fallen die anderen kleineren Denkmäler nicht sonderlich ins Gewicht 1 ). Von den übrigen ostgerm. Mundarten kennen wir nur Eigennamen und einige wenige Wörter. Außerdem besitzen wir die Aufzeichnung einer Anzahl von Wörtern des sog. K r i m g o t i s c h e n aus dem 16. Jh., d. h. eines versprengten 1 ) Näheres bei H. Hempel, Got. Elementarbuch (Samml. Göschen S 1UH.
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Die Gliederung des Germanischen
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ostgerm. Dialektes, der sich in der Krim bis in jene Zeit erhalten hatte, heute aber gleichfalls ausgestorben ist 1 ). D) D a s V e r h ä l t n i s d e r d r e i g e r m a n i s c h e n zueinander
Gruppen
§ 18. Nach ihrer eigenen Überlieferung (Jordanes, De origine actibusque Getarum, cap. 4) sind die Goten aus Skandinavien in die Weichselgegenden eingewandert. Diese Tradition wird durch die Bodenfunde und Ortsnamenzeugnisse (auch für andere ostgerm. Stämme) bestätigt. So hängt der Name der Goten selbst (got. *Gutös) wohl mit dem der Insel Gotland (alt Gutland), desgleichen mit dem der Gauten und über diesen mit der Landschaftsbezeichnung Götaland in Schweden (§ 14) zusammen; der Name Burgunder gehört zu dem der Insel Bornholm (an. Borgundar-holmr). Die nördliche Herkunft der ostgerm. Völker spiegelt sich auch in der Sprache, insofern als das N o r d - u n d O s t g e r m . eine Reihe von Besonderheiten (die z. T. gemeinsame Neuerungen sind) aufweisen, die dem Westgerm. fehlen 8 ). Auf lautlichem Gebiet ist besonders die Behandlung der altgerm. Gruppen -ji- und -uu- (§ 72) bemerkenswert. Aus -MM- wird im Got. und Nordischen -ggw-, aus -ii- im Got. -ddj-, im Nord, -ggj- entwickelt, während sich im Westgerm, das erste i bzw. u mit dem jeweils vorangehenden Vokal zu einem Diphthongen verbindet. Beispiele: germ. *tuaj.i -uh ein selbständiges (eigentoniges) Wort gewesen, so hätte es im Germ, nicht seinen Silben träger (das e) verloren. Aus Proclitica sind z. B. die meisten unserer Praeverbia erwachsen, so etwa der erste Bestandteil von ahd. fur-liosan „verlieren" (auch for-leosan, fir-liasan, fer-liesen); aus dem Mangel an Eigentonigkeit erklart sicli der unfeste Vokalisinus dieser Praeverbien. §27. Der idg. W o r t a k z e n t kann mit Hilfe derjenigen Sprachen erschlossen werden, welche ihn einigermaßen getreu bewahrt haben und ihn in der Schrift bezeichnen. Das sind vor allem das älteste Indische (Vedisch) und das Litauische,
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Lautlehre
bis zu einem gewissen Grade auch das Griechische, soweit nämlich das dort wirksam gewordene neue Betonungsgesetz („Drei-Silben-Gesetz") den alten Akzent noch erkennen läßt. Ein indirektes Zeugnis bietet zudem das German, in Gestalt der Wirkungen des „Yernerschen Gesetzes" (§ 62). Der idg. Wortakzent war seiner S t e l l u n g nach grundsatzlich f r e i , d. h. er konnte nach bestimmten Regeln auf Silben aller Art (Wurzelsilben, Wort- und Stammbildungselementen, auch auf Flexionsendungen) stehen. Was die Bet o n u n g s a r t betrifft, so muß das Idg. — und zwar zu verschiedenen Zeiten— beide Möglichkeiten, die musikalische und die dynamische Betonung, gekannt haben. Das ergibt sich vor allem aus den Erscheinungen des Ablauts. Die Schwundstufe, d. h. Quantitätsverlust kann nur die Wirkung- eines stark dynamischen Akzentes sein ; dagegen kann die Abtönung, die Verdumpfung eines e oder o zu o nur in einer Periode vorwiegend musikalischer Betonung entstanden sein (Beispiele in § 53). Den überkommenen idg. Akzent hat das G e r m a n i s c h e grundlegend verändert: es hat die Möglichkeit des „freien" Akzentes völlig aufgegeben und ihn festgelegt auf die jeweils e r s t e S i l b e eines Wortes (Anfangsbetonung oder InitialAkzent). Diese Regelung kann jedoch noch nicht in der alleraltesten Periode des Germanischen eingetreten sein, denn das Vernersche Gesetz (§ 62) setzt noch das Vorhandensein der altidg. Betonungsweise voraus. Andrerseits aber muß die Festlegung des Akzentes auf die erste Silbe erfolgt sein, bevor die V e r b a l k o m p o s i t a als einheitliche und zusammengehörige Gebilde entstanden, denn diese betonen nicht auf dem kompositionellen Vorderglied, sondern auf der Wurzelsilbe des Verbums. Daher betont noch das Nhd. z. B. vergeben, entlassen, begleiten usw. Die N o m i n a l k o m p o s i t a dagegen waren zur Zeit jener Akzentregelung schon ihre feste Verbindung eingegangen; daher rühren noch heute Gegensätze wie nhd. er-
II. Vokalismus
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teilen, aber ür-teil oder er-laüben, aber ür-laub. Unter dem Akzent blieb das u des Praefixes erhalten (so in den Nominalkomposita), während es in unbetonter Stellung (in den Verbalkomposita) zu e geschwächt wurde. Die frühgerm. Festlegung des Wortakzentes auf die erste Silbe hatte mehrere wichtige Folgen. U. a. wurde dadurch erst die germ. S t a b r e i m d i c h t u n g ermöglicht. Ganz besonders bedeutsam für das Gepräge der ganzen Sprache aber wurde die durch den Initialakzent. bedingte allmähliche A b s c h l e i f u n g der a u s l a u t e n d e n S i l b e n (vgl. unter Auslautsgesetze, § 117 ff.). Aus dem starken Verfall der Endungen ergibt sich gleichzeitig, daß die Natur des germ. Wortakzentes eine vorwiegend dynamische gewesen sein muß. Der Atemdruck wurde gleichsam im wesentlichen schon für die erste Silbe eines jeden Wortes verbraucht, so daß für die folgenden nur noch ein sehr viel schwächerer Druck zur Verfügung stand, der ihre allmähliche Verkümmerung zur Folge hatte. § 28. Deridg. S i l b e n a k z e n t war von zweierlei Art; es gab einen S t o ß t o n und einen S c h l e i f t o n , die sich am besten in den Endsilben demonstrieren lassen, und zwar in erster Linie mit Hilfe des Griechischen und Litauischen, die beide in der schriftlichen Bezeichnung die einzelnen Arten unterscheiden. 1. Der g e s t o ß e n e ( a k u i e r t e ) Ton stand auf Kürzen und Längen (auch Diphthongen), z. B. idg. *alg*hä = gr. dAqji'i „Gewinn", lit. algä „Lohn". — Bei Langdiphthongen stand der Stoßton auf dem ersten Bestandteil; daher können stoßtonige Langdiphthonge ihren zweiten Bestandteil verlieren, vgl. idg. *okto(u) „acht" = ai. astdu, aber gr. ÖKTCÖ. 2. Der S c h l e i f t o n (Zirkumflex), der wahrscheinlich zweigipflig war, stand nur auf Längen (und Diphthongen), z. B. idg. *alg"häs = gr. äAqiffc „des Gewinnes", lit. algös „des Lohnes" ; ebenso beispielsweise im (Dat.-)Instr. I'lur. der o-Stäm-
Lautlehre
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m e : idg. -ois in gr. teols „den Göttern", lit. vilkais „mit den Wölfen". Der Unterschied, den das Idg. zwischen Stoßton und Schleilton machte, wirkt im German, insofern nach, als hier die Vokale der auslautenden Silben, je nachdem sie auf die eine oder die andere Art betont waren, verschieden behandelt wurden. So wurde z. B. schleiftoniges auslautendes idg. ö im Got. zu 6 (z. B. undarö „ u n t e n " aus einem idg. Ablativ auf -öd; vgl. den lit., aus einem Abi. entstandenen Genetiv tö „dessen"), während stoßtoniges idg. o in derselben Stellung im Got. zu ä wurde (z. B. baira „ich trage" aus idg. -6; vgl. lit. sukü „ich drehe"). Das Nähere über diese Auslautserscheinungen in § 126. //.
Vokalismus
1. Der idg. Vokalbestaiia § 29. Die idg. Grundsprache besaß folgende Vokale: E i n f a c h e V o k a l e (Monophthonge): K ü r z e n : a, e, i, o, u, 3. Dabei bezeichnet» einen „Murmel"-Vokal unbestimmter Klangfarbe („schwa indogermanicum"), ähnlich dem dumpfen e der Nebensilben im heutigen Deutschen1). L ä n g e n : ä, e, l, ö, ü. Z w i e l a u t e (Diphthonge): K u r z d i p h t h o n g e : ai, ei, oi au, eu, ou. L a n g d i p h t h o n g e : äi, ei, öi äu, eu, öu. Die Scheidung in Kurz- und Langdiphthonge bezieht sich auf die Quantität der ersten Bestandteile, als welche nur ä, e, o vorkamen. Die Langdiphthonge haben ihren Sitz besonders in den Flexionssilben. Als zweite Bestandteile kamen nur t und u vor; man spricht danach von t- und u-Diphtliongen, ') Von der Berücksichtigung weiterer in der Grundsprache etwa vorhandener „Murmelvokale" kann hier abgesehen werden.
II. Vokalismus
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Silbische Liquiden und Nasale: Als Vokale, d. h. Silbenträger (vgl. § 25), kamen im Idg. auch die sonst als Konsonanten fungierenden Laute r, l, m, n (ñ, » ; vgl. § 33) vor. Diese „sonantischen Liquiden und Nasale" umschreibt man d u r c h : /•, / — m, n (ñ, »).
2. Die Vertretung und Weiterentwicklung des idg. Yokalbestandes iui Germanischen A. Der Vokalismus der Tonsilben a). Die normalen idg.-germ. Entsprechungen §30. D i e K ü r z e n . Idg. a — germ. a. Idg. *agros „Trift, Acker" (gr. áypós, lat. ager) = got. akrs, an. abr, as. akkar, ahd. ackar. — idg. *s ia > ie) über. Die Herkunft des e2 ist nicht in allen Fällen klar. In einigen Wörtern scheint der idg. Langdiphthong ei zugrunde zu liegen (§ 32), so in got. her „hier" = an. ags. as. her; ahd. hear, Mar, hier. Auch Lehnwörter zeigen et, so got. mes „Tisch" ahd. meas, mias aus vulgärlat. mesa (für mensa). Im Westgerm, und Nordgerm, haben außerdem manche ursprünglich reduplizierende Praeterita ( I I § 74) als Wurzelvokal e„ wo im Got. der jeweils normal zu erwartende Wurzelvokal ( + Reduplikation) steht, z. B . got. haihaü „ich hieß" (zu haitan) = an. ags. as. het; ahd. hea~$, hia% hü3'). Endlich entsteht im Westgerm. e 2 bei Schwund eines z vor Konsonant: got. miedö „Lohn" = ags. med, afries. mede, as. meda; ahd. meta, miata, mieta. § 32. D i e D i p h t h o n g e . Idg. ai = germ. ai, das im Got. als ai erhalten blieb, im An. und Ahd. zu ei, im As. zu e, im Ags. zu ä wurde. Idg. *ghaidis „Ziege" (vgl. lat. haedus < *ghaidos „ B o c k " ) = got. gaits; an. geit, ahd. gei^; ags. gät; as. gel. — idg. *uai „wehe ! " ' ) Vgl. dazu C. S o e t e m a n , Neophilologus 37 ( 1 9 5 3 ) 1 4 0 - 1 4 6
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Lautlehre
(lat. vae, lit. vai) = got. wai; an. vei; ags. wä; as. we (auch ahd. tue, wo ai > e im Auslaut!). Idg. et = germ. i (im Got. durch ei bezeichnet). Idg. *steigh- „schreiten" (gr. oteIxoo „schreite", lett. steigt „eilen") = got. steigern, an. afries. stiga, ags. as. ahd. stlgan. — idg. *bheidh- „ausharren, ertragen" (vgl. gr. TreiOopai „gehorche") = got. beidan „erwarten", an. blda „erwarten, ausharren", ags. bldan „verweilen", as. Udan, ahd. bitan „warten". Idg. oi = germ. ai (Weiterentwicklung wie bei idg. ai). Idg. *oinos „eins" (altlat. oino(m) „ünum", gr. oivri „die Eins") = got. ains; an. einn, ahd. ein; ags. an, afries. en, (Zw, as. ew. — idg. *uoida „ich weiß" (gr. FolSa) = got. uait; an. veit, ahd. weij; ags. wät; afries. as. wet. Idg. au — germ. au, das im Got. und An. erhalten blieb, im Ahd. zu ou, im Ags. zu ea, im As. zu 5 wurde. Idg. *aug„mehren, wachsen" (lat. augere, gr. aügeo, lit. augü) = got. aukan „sich mehren", an. auka „vermehren", ags. eacian „zunehmen", as. ökian, ahd. ouhhön „vermehren". Idg. eu — germ. eu, wofür got. iu, nordgerm. iu und iö, ags. eo, as. ahd. iu und eo > io. Idg. *geus- „prüfen, kosten" (gr. yEiiopai) - got. kiusan „prüfen", an. kiösa, ;tgs. ceosan, as. keosan, lciosan (1. Sing, kiusu), ahd. cheosan, kiosan (1. Sing. kiusu). — idg. *teutä „Gemeinschaft, Volk" (osk. touto < *teutä „civitas", gall. Teuto- in Personennamen) = got. piuda, an. piöd, ags. peod, as. thiod(a), ahd. deot(a), diot(a). Vgl. § 36. Idg. ou = germ. au (Weiterentwicklung wie bei idg. au). Idg. *roudhos „rot" (lit. raiidas, lat. rüfus, beide aus *roudhos) = got. raups, an. rauär; ags. read; as. röd, ahd. rot (ahd. ou > 5 vor Dentalen, §41). — Hierher auch die Praeterita der 2. starken Klasse (§ 55), die sämtlich als Wurzelvokal idg. ou hatten (vgl. gr. ElXi^Xou8a), z. B. got. laug „log" (zu liugan „lügen"), an. laug, ags. leag, as. log, ahd. long. Die Langdiphthonge waren gegenüber den Kurzdiphthongen sehr viel seltener. In Wurzelsilben spielen sie für die
II. Vokalismus
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germ. Lautlehre keine große Rolle. Meist scheinen sie dort mit den Kurzdiphthongen zusammengefallen zu sein; so gehört zu idg. *näu-s „ S c h i f f " (ai. nau-h, lat. näv-is) an. nau-st „Schiffsschuppen". Der Diphthong idg. ei ergab vielleicht germ. e t (§ 31). Wichtiger sind die Langdiphthonge in den Flexionsendungen, wo sie unter Wirkung der Auslautsgesetze im Germ, gekürzt wurden, worüber § 129. §33. Die silbischen Liquiden und Nasale. Von den sonantischen Liquiden ist nur im A i . r und l (beide als /•) erhalten; in den übrigen Sprachen entwickelten sich vor oder hinter den Liquiden Vokale (im Germ, u), wobei sie selbst zu Konsonanten wurden. — Ähnlich verlief die E n t wicklung bei den sonantischen Nasalen; nur im Ai. und Griech. wurden m, n zu a (a). Die folgende Übersicht veranschaulicht die Entsprechungen in einigen wichtigeren idg. Sprachen. idg.
ai.
griech.
lat.
lit.
germ.
r
r r a a
ap. pa aA, Aa a a
or ol, ul em en
vr il im m
vi ul um un
l m n
Idg. r = germ. ur (gut. aür nach § 3 6 , 1 ; west- und nordgerm. auch or nach § 36, 2). Idg. *bhriis „das Tragen" (ai. bhrtik; lat. fors „Zufall", eigentl. „was sich zuträgt") = got. ga-baürps, ags. ge-byrd (¿-Unilaut nach § 37), as. gi-burd, ahd. gi-burt „ G e b u r t " , an. burdr „Tragen, Geburt". — idg. *mrtrom, mrtom „Tod, Tötung" (ai. wiftom,,Tod", mrtih „das Sterben" ; lat. mors; lit. mirtis „ T o d " ) = got. maürpr, ags. mordor „Mord" (vgl. ahd. murdreo „Mörder"), an. ags. as. mord, ahd. mord. Idg. I = germ. ul (west- und nordgerin. auch ol nach § 36,
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Lautlehre
2). Idg,*ulq ¥ os „Wolf" (ai. vrkah, lit. vilkas) = got. wulfs, an. ulfr, ags. as. wulf, afries. ahd. wolf. — idg. *p[nos „voll" (ai. -ppta-, lit. pilnas) = got. fulls, an. fullr, ags. afries. as. füll, ahd. fol. Idg. m = germ. um. Idg. *g*mtis „das Gehen, Kommen" (ai. gatih „Gang", gr. ßÄtris „Sehritt", lat. in-ventiö mit m > n vor t) = got. ga-qumps „Zusammenkunft", mnd. an-kumpst „Ankunft", ahd. cumft. Id£. n = germ. un. Idg. *mntis „das Denken" (ai. matih „Gedanke", lat. mens, lit. at-mintis „Gedächtnis"; vgl. auch gr. «irTÖ-uccTos „aus eigenem Antrieb") = got. ga-munds „Andenken", an. mynd „Bild, Vorbild" (¿-Umlaut nach § 37), ags. mynd (ebenfalls ¿-Umlaut), ahd. gi-munt „Erinnerung". — Hierher auch die Privativpartikel idg. *n- (ai. a-, gr. a-, lat. en- > in-); vgl. ai. a-jnäla- — gr. ä-yvooTo; = lat. i-gnötus (< *en-gnötos) mit got. un-kunps, ags. un-cüp „un-bekannt". Idg. n, n kamen nur vor palatalen und velaren ¿-Lauten (§ 58) vor; sie wurden im Germ, zu un, z. B. in got. pugkjan, ags. pyncan, as. thunkian, ahd. dunchen „dünken" aus idg. ing- (zu lat. tongeo). § 34. Ü b e r s i c h t über die ä l t e s t e V e r t r e t u n g des idg. V o k a l i s m u s im G e r m a n i s c h e n . (Die spätere Sonderentwicklung in einzelnen Dialekten, z. B. e > west- und nordgerm. ä u. dgl, sind hier unberücksichtigt.) Jdg a e
i
)
//x
V
Germ a e
i
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i
o u ai ei oi au eu ou
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/
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\
\
X
/
II. Vokalismus
57
b). Besonderheiten in der Weiterentwicklung des german Vokalismus Neben und nach der bisher dargelegten „normalen" Entwicklung der Vokale, die unabhängig von ihrer Umgebung im Wort verläuft stellte sich im Germ, im Laufe der Zeit und je nach den Dialekten vielfach verschieden eine Reihe k o m b i n a t o r i s c h e r L a u t v e r ä n d e r u n g e n (vgl. § 24) ein. Sie waren teils qualitativer, teils quantitativer Art. a) Qualitative Veränderungen. § 35. Die früheste derartige Erscheinung im Germ, ist der Ü b e r g a n g von e zu i. Während im Got. j e d e s e zu i wurde (§ 30), tritt dieser Lautwandel im Nord- und Westgerm, nur unter folgenden Bedingungen ein: 1. vor einem i oder j in der folgenden Silbe; 2. vor einem u der folgenden Silbe; 3. vor Nasal -)- Konsonant. 1. Idg. *medhi germ. *mraz, daraus an. verr, ags. afries. as. ahd. wer. — idg. *nizdos „Nest" (ai. nida- „Ruheplatz, Lager", lat. nidus „Nest", beide aus *nizdos) = ags. ndl. ahd. nest. Idg. *iugom „Joch" (ai. yugam, lat. iugurn) — ahd. joh, an. ok (gegenüber got. juk). — idg. *ghltom „Gold" > germ. *gulpa- Q > ul nach § 33) = an. goll, ags. afries. as. ahd. gold (gegenüber einerseits got. gulp, andrerseits ahd. guldin „golden"). Gehindert wird die Brechung von w zu o durch die Gruppe Nasal + Konsonant: an. tunga, ags. afries. tunge, as. tunga, ahd. zunga = got. tuggö „Zunge". — an. und, ags. wund, afries. wunde, as. wunda, ahd. wunta „Wunde". Im übrigeu ist die Brechung u > o weitgehend regelmäßig eingetreten. Demgegenüber unterlag die Brechung i > e mannigfachen Störungen. Sie unterblieb z. B. stets in den Participia Praet.
II. Vokalismus
59
der 1. starken Klasse (§ 55), wohl unter dem Einfluß des langen i der zugehörigen Praesentia: an. gripenn (zu gripa „greifen") = ags. gripen (zu grlpan) as. gi-gripan (zu gnpan) — ahd. gi-griffan (zu grifan). In Zusammenhang mit der Brechung von i > e und u > o steht auch der Übergang des Diphthongen germ. (eu >) iu in an. iö, ags. eo, ahd. as. eo > io (§ 32). §37. D e r ¿ - U m l a u t . Durch ein i oder j der folgenden Silbe wurden im West- und Nordgerm, die Vokale a und ä, 5, u und ü sowie die w-Diphthonge „umgelautet". Dieser „t-Umlaut" ist verhältnismäßig jung, jünger jedenfalls als der Wandel e > i (§ 35) und die Brechung von i und u (§ 36), und ist auch nicht überall gleichzeitig eingetreten. Das Got. wurde von dieser Lautneigung überhaupt nicht mehr erreicht. In älterer Zeit ist nur der Umlaut a > e auf dem gesamten nord- und westgerm. Gebiet auch schriftlich bezeichnet worden; der Umlaut der übrigen Vokale wird im Deutschen, obwohl schon in der ahd. und as. Periode eingetreten, erst im Mhd. bzw. Mnd. schriftlich zum Ausdruck gebracht 1 ). Germ, a ( < idg. a, o, s) wurde nord- und westgerm. zu e. Dieses e war im Ahd. (und auch noch im Mhd.) von dem alten e ( = idg. e, i) klanglich verschieden und wird deshalb in der Schrift vielfach durch e (oder e) bezeichnet. Got. satjan „setzen" = an. setia, ags. settan, afries. setta, as. settian, ahd. sezzen. — got. batiza „besser" = an. betre, ags. betra, afries. betre, as. betaro, ahd. be^iro. Dieser Umlaut trat im Norden früher ein als im Süden. Im Ahd. wird er erst im 8. Jh. in größerem Umfang durchgeführt. So wurde germ. *gastiz „Gast" ( = urnord. -gastiR) im An. zu gestr umgelautet; im Ahd. und As. aber blieb in gast das a erhalten, weil hier das umlautbewirkende i der zweiten Silbe schon geschwunden war (§ 121), als die Welle des ¿-Umlautes die ahd. bzw. as. Sprache erreichte. ') Zum i-L'nilaut. O Hofier, Bcitr, 2. Gesch. d. deutsch. Sprache u. Lit. 77 (1955) 20ff.; St. Sonderegger, Kratjlos 4 (195») 1-12.
60
Lautlehre
Weit- und nordgerm. ä ( < idg. e) wurde durch ¿-Umlaut im An. und Ags. zu s, während im As. und Ahd. (wenigstens in der Schrift) noch ä erscheint und s erst im Mhd. auftritt. *märi- „berühmt" ( < germ. *meri-\ vgl. got. merjan „verkündigen") = an. mSrr, ags. märe; as. ahd. märi (mhd. mSre). — Das im Ags. aus germ. ai entstandene ä (§ 32) wird gleichfalls zu se umgelautet: ags.hslan „heilen" (zu Ml „heil") = got. haüjan (zu hails). Germ, ö ( < idg. ä, 5) wurde durch »-Umlaut im An. zu o (geschr. e), im Ags. (über ö) zu e. Das As. schreibt noch das nicht-umgelautete 5, das Ahd. ebenso wo. Got. sökjan „suchen" = an. sSkia; ags. secan (auch afries. seka); as. sökian, ahd. suohhen. Im Mhd. wird üe für umgelautetes ahd. uo geschrieben: ahd. guoti (as. gödi) „Güte" = mhd. güete. — Der Umlaut des im Ahd. vor Dentalen und altem h (§ 41) neuentstandenen ö( g (kurzer offener ö-Laut). Got. handurn „den Händen" = an. hondom. — got. saggws „Sang" = an. sqnqr. ä>Q (langer offener ö-Laut). As. ätum, ahd. ä^um (got etum) „wir aßen" = an. qiom. e> ö (gesclir. 0). Germ. *garu>jan (vgl. ahd. ganven) „bereiten" > an. *gerwa (a > e durch i-Umlaut) > gorua. Der ¿-Umlaut ist also älter als der ic-Umlaut. i > y. Got. siggwan „singen" = an. syngua. i > y. Urnord. *wikwan „weichen" (vgl. ahd. mhhan, as. vnkan) > an. *toykwa > ykua. ei ( = germ. ai) > ey. Germ. *aiwa „immer" (vgl. got. ni-aiiv „niemals") = an. ey. 2. In allen ags. Dialekten wurden e und i vor Liquiden und Labialen zu eo bzw. io diphthongiert, wenn in der Folgesilbe ein u stand. Ähnlich wurde auf einem Teilgebiet des Ags. (hauptsächlich im Mercischen) vor einem u der Folgesilbe a zu ea diphthongiert. e > eo. Ahd. elur, as. ebur „Eber" ags. eofor. i > io. Got. silubr, as. silubar „Silber" = ags. siolufr, siolfor. a > ea. Ahd. habuh, as. hatiuk „Habicht" = ags. (merc.) heafoc (sonst hafoc). §39. D i e B r e c h u n g des a im Ags. Nur im Ags. wird germ. a vor r, l, h -f Konsonant und vor einfachem h zu ea „gebrochen". Dieses ea ist gleichwertig mit dem im Mercischen durch w-Umlaut entstandenen (§ 38).
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Lautlehre
Got. nahts, ahd. as. naht „Nacht" = ags. neaht; got. arms, ahd. as. arm „Arm" = ags. earm. §40. Die B r e c h u n g des e im A l t n o r d i s c h e n . Nur im An. wird genn. e durch Brechung diphthongiert und zwar 1. durch ein schwachtoniges a der Folgesilbe zu ia (ja), 2. durch ein schwachtoniges u (oder w) der Folgesilbe zu U> (je)-
e > ia. As. helpan „helfen" = an. hialpa; as. herta „Herz" = an. hiarta. e > iq. Urnord. *meku „viel" > an. mtpfc; as. bergurn „den Bergen" = an. bigrgom. §41. Die M o n o p h t h o n g i s i e r u n g Von ei und ou im Ahd. Während im As. die aus germ. ai und au entwickelten ei und ou stets zu e bzw. 5 monoplithongisiert wurden (§ 32), vollzog das Ahd. einen gleichen Wandel nur unter bestimmten Bedingungen. Ahd. ei wurde zu e vor h, r oder w. Got. aihls „Eigentum" = ahd. eht; got. maiza, an. meire „größer" = ahd. (und as.) miro; got. saiwala „Seele" = ahd. seula > sela (as. seola). Ahd. ou wurde zu 5 vor allen Dentalen und germ. h. Got. daupus, an. daude „Tod" = ahd. töd (as. död); got. an. laun „Lohn" = ahd. (und as.) Ion; got. hauhs „hoch" = ahd. (und as.) höh. ß) Quantitative Veränderungen §42. V o k a l d e h n u n g d u r c h N a s a l s c h w u n d vor h. Schon gemein-germ. schwand vor h der gutturale Nasal (»), wobei gleichzeitig ein vorangehender kurzer Vokal — gleichsam als Ersatz — gedehnt wurde („Ersatzdehnung"). In Betracht kommen die Gruppen -anh-, -inh- (auch -enh- war nach § 35 zu geworden!) und -unh-.
II. Vokalismus
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-anh- > -äh- (ags. -oh-). Germ. *branh-iö „brachte" (Praet. zu got. briggnn usw. „bringen") = got. as. ahd. brähta, ags. bröhte. Ebenso *panh-tö „dachte" (zu got. pagkjan usw. „denken") = got. pähia, as. thähta, ahd. dähta, ags. pöhte, an. pätta (mit tt < ht). Wegen des Wechsels h: g vgl. § 88. Auf diesem Wege entstand im Germ, ein neues ä, während idg. ä (§ 31) zu germ. 5 geworden war. -iwh- > -ih-, Germ. *pinh-5 „gedeihe" ( < idg. *tevkö; vgl. lit. tenkit „habe genug") = got. peiha, as. thlhu, ahd. dihu. Ebenso got. preihan „drängen", preihsl „Bedrängnis", mhd. drlhe „Stecknadel" < germ. *prinh-; zu lit. trenkiü „stoße", ahd. dringan „drängen". — Germ. *siioh- „seihen" (vgl. ai. sincämi „gieße aus") in ahd. sühan = an. sta ( < *siha). -unh- > -üh-, Germ. *punh-tö „ d ü n k t e " (Praet. zu got. pugkjan usw. „dünken") = got. pühta, ags. pühte, as. Ihühta, ahd. dühta\ an. pötta. Ebenso got. jühiza < *junhizanKomparativ zu juggs „jung". §43. V o k a l k ü r z u n g in g e s c h l o s s e n e r S i l b e . In betonter Silbe t r a t vor Liquida oder Nasal + Konsonant Kürzung ursprünglich langer Vokale ein. Dabei ist nicht immer einwandfrei auszumachen, ob die Kürzung erst im Germ, oder schon in vorgerman. Zeit eintrat, denn auch verwandte Sprachen haben teilweise die gleiche Kürzung. Idg. *uentos „Wind" (vgl. ai. vänt- „wehend") > *uintos (vgl. lat. ventus) > germ. *mndaz — got. tvinds, an. vindr, ags. afries. as. wind, ahd. wird. — idg. *persnä „Ferse" (vgl. ai. pärsnih „Ferse") = germ. *fersnö, ferznö (gekürzt auch lat. perva) = got. fairzna, ags. fiersn, as. fersna, ahd. fersana. c) Übersicht über die Entwicklung der germ. Tonvokale. § 44. (Die eingeklammerten Zahlen bezeichnen die Paragraphen, in denen der betr. Lautwandel behandelt ist.)
Quelle
Germ. Got.
idg. a, o,»(30)
a
a (30)
idg. e (30)
e
i(30) ai(36)
idg. t(30) idg. e (35)
i
i(30) ai (36)
idg. u (30) i d g . f . i , m,n (33) germ. a«h (.42)
u
u (30) au (36)
ä
ä (42)
idg. ¿(31)
e
e (31)
idg. et. Fremdworter, redupl. Praet. (31) idg. ¿(31), idg. et (32), germ. nob (42) idg. ä, ö ( 3 l )
h
e (31)
i
i(geschr. ei. 31)
ö
¿(31)
idg. ü (31) germ. u»h (42)
ü
ü (31)
idg. «(38) p (38) e (30) 0(38) ia (40) ig (40) ¿(30) e (36) y (38) u (30) o (36) V (37) ä (42) «(37) ? (38) ä (31) ® (37) 9 (38) ¿(31)
Ags.
As.
a (30) a (30) «(37) e (37) ea(38, 39) e (30) e (30) eo (38)
Ahd. o (30) e(37)
e (30)
t (30) i (30) i (30) e (36) e (36) e (36) IO (38) u (30) u (30) «(30) o(36) o(36) o (36) y (37) (mKd. u. 37) ä (42) 6 (42) ä (42) (mhd « , 3 7 ) e (37) «(31, 37)
¿(31)
ä (31) (mhd « , 3 7 )
¿(31)
¿(31) ea > ia > ie (31)
¿(31) 9 (38)
¿(31)
¡(31)
¿(31)
6 0 ü 9
ö(31) ¿(37) ü (31) 5(37)
ö(3l)
mo (31) (mhd we 37) ü (31) (mhd.tu = u 37) ei (32) e (41! ou (32) ( > mhd. ou, 37) ö(41)(> mhd ii, 37) tu (32) eo > io (32, 36)
(31) (37) (31) (37)
ei (32) ä (32) ey (38) « (37) au (32) au (32) ¿« (32) ei/(37) ie (37)
«(31) ¿(32) ö (32)
xu (32) tu (32) eo (32) in (32) tö (32, if (37) e o > t o (32,36) 36)
II. Vokalismus
65
B. Der V o k a l i s m u s der N e b e n t o n s i l b e n In den Silben, welche nicht den Wortakzent tragen, d. h. im German, im allgemeinen in den nicht-ersten Silben (§ 27), machen die Vokale zum großen Teil die gleichen Veränderungen durch wie in den Tonsilben. Zu einem anderen Teil jedoch haben sie eine von dem Schicksal der Tonvokale abweichende Behandlung erfahren. Die wichtigsten dieser Abweichungen werden im folgenden aufgeführt. (Unberücksichtigt bleiben dabei die in den Dialekten vielfach schon auf Grund der Auslautsgesetze geschwundenen ursprünglichen Endsilben, über welche § 117 ff.). a) Schicksale ursprünglicher Kürzen §45. Q u a l i t a t i v e V e r ä n d e r u n g e n . Idg. e ist in Nebensiiben in viel größerem Umfang als in den Tonsilben (§ 30 und 35) zu i geworden. Mit gr. ci>Aivri „Ellenbogen" vgl. ahd. elim „Elle", mit dem Ausgang von ahd. lembir „Lämmer" < *lembiru < Hambezö den von lat. genera *ghebhlä = got. gibla „Giebel". 2. Während im ältesten German, und auch noch im Got. die kurzen Vokale der Binnensilben fast ausnahmslos fest sind, setzt im N o r d - und W e s t g e r m . in größerem Umfange ein Schwund dieser Vokale (Synkope) ein. Als Grundregel hat dabei im W e s t g e r m a n , zu gelten, daß kurze Vokale der Mittelsilben nach voraufgehender l a n g e r Tonsilbe synkopiert wurden, nach kurzer jedoch erhalten blieben. Got. hausida „ich hörte" = ags. hyrde, as. hörda, ahd. hörta gegenüber got. nasida „ich rettete" = ags. nerede, as. nerida, ahd. nerita. — Im N o r d g e r m , ist diese Synkope später auch nach k u r z e r voraufgehender Tonsilbe eingetreten, so daß es hier nicht nur an. heyrpa „ich hörte" heißt, sondern auch talpa „ich zählte" < *talida = ahd. zeliia.
II. Vokalismus
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b) Schicksale ursprünglicher Längen § 47. Idg. e erscheint in Nebensilben im Got. als ä, im Nord- und Westgerm, als e (daneben im As. auch als ä). Idg. *pater „Vater" (gr. -rrom^p) = got. fadar, aber an. faper, ags. fasder, as. fader (und fadar), ahd. fater. Germ. 5 (idg. ä, 5; § 31), das haupttonig im Ahd. zu uo diphthongierte, blieb dort nebentonig als ö erhalten : got. salböda „ich salbte" = ahd. salböta. Vor -n wurde 5 im West- und Nordgerm, zu ü (später ü). Got. tuggön „die Zunge (Akkus.)" = ahd. zungün, as. tungun; an. tungu, tungo. Ganz allgemein wurden ursprüngliche Längen in Nebensilben im Westgerm, und mehr noch im Nordgerm, vielfach g e k ü r z t und teilweise (besonders im Nordgerm.) sogar s y n k o p i e r t . Für die Kürzung vgl. etwa got. mahteigs, ahd. mahtig „mächtig", aber as. mahtlg, ags. mihtig, an. mättegr; für die Synkope got. mahteiga „der mächtige" = an. mätke. c) Schicksale ursprünglicher Diphthonge § 48. Germ, ai (idg. ai, oi; § 32), das im Got. in Nebensilben erhalten blieb, wurde im West- und Nordgerm, zu e (bzw. später teilweise zu e). Got. hausjaima „laßt uns hören" = an. heyrem-, ahd. hörem. Got. blindaim „den blinden" = ahd. blintem. d) Entstehung neuer Mittelsilbenvokale § 49. Auf einem Teil des german. Sprachgebietes, nämlich im W e s t g e r m . , sind in Nebentonsilben vielfach neue Vokale durch sog. „Vokalentfaltung" oder „Anaptyxe" entstanden. Derartige „Sekundär-" oder „Sproß-Vokale" treten auf vor einem r, l, n oder m, das auf Grund der german. Auslautsgesetze (§ 117ff.) silbisch geworden war. Im Ahd.-und As. ist der neue Sproßvokal in der Regel a, vor m im Ahd. u, im As. o 3*
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Lautlehre
(seltener u); im Ags. steht vor r, l, n nach hellem Wurzelvokal e, nach dunklem Wurzelvokal o (oder u), vor m steht auch im Ags. meist u. Germ. *akraz „Acker" = got. akrs = ahd. ackar, as. akkar, ags. eecer; germ. *fuglaz „Vogel" = got. fugls, an. fugl, fogl = ahd. fogal, as. fugal, ags. fugol; germ. *taiknam „Zeichen" = got. taikn. an. teikn = ahd. zeihhan, as. tekan, ags. täcen; germ. *maipmaz „Geschenk" = got. maipms - as. medom, ags. mädum. Im A h d . und As. ist ferner ein gelegentlicher Sproßvokal zu beobachten in den Gruppen rh, Ih und Konsonant + u\ Der zwischen je zwei dieser Laute entstehende Vokal ist gewöhnlich a, manchmal auch o (besonders vor w). Ahd. und as. forahta = forhta „Furcht" ; ahd. und as. bi-felahan = bifelhan „übergeben"; ahd. farowa und farawa = farwa „Farbe, Aussehen" (as. faraivi). Die Farbe der neuentstandenen Mittelsilbenvokale ist nicht selten einer Angleichung (Assimilation) an Vokale benachbarter Silben unterworfen, z. B. ahd. (Tatian) 1. Sg. bißuhu, 3. Sg. bifilihit, Praet. bifalah, sämtlich zu bifelhan. 3. Der Ablaut A. Die idg. G r u n d l a g e n des A b l a u t s §50. Z u r E r k l ä r u n g . Die große Mehrzahl der Vokale steht seit der Zeit der idg. Grundsprache in einem festen Beziehungsverhältnis zueinander. Ganz bestimmte Gruppen von Vokalen gehören unter sich zusammen und können innerhalb von Wörtern, sei es in Wurzelsilben, sei es in Ableitungselementen miteinanderjiaoh festen Gesetzen wechseln. Ein derartiges Verhältnis liegt z. B. vor in nhd. singe — sang — gesungen oder in griech. XeIttco — XiAoma — IXmov oder in lat. fidus — foedus — fides. Diese Erscheinung bezeichnet man mit dem von Jacob Grimm geprägten Ausdruck A b l a u t . Man kann sagen: Ablaut ist der regelmäßige Wechsel ganz bestimmter Vokale in etymologisch zusaminongehörigon Wort-
II. Vokalismus
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teilen, der aus der idg. Grundsprache ererbt ist. Man hat zwei Arten von A b l a u t zu unterscheiden. In Fällen wie nhd. binde — land oder lat. tegö — toga oder griech. SIpKopai — BiSopxa wechselt die Q u a l i t ä t des betr. Vokals (germ. i — a; griech. lat. e — o); daher spricht man hier von q u a l i t a t i v e m A b l a u t oder Abtönung. In Fällen aber wie nhd. reite — geritten oder griech. 9e0yco — ?ä|ji „sage" — (pcov^ „Stimme" — 9Öctis „Rede" lat. färi „sprechen" fäteri „bekennen". idg. e/ö — 3. Idg. *dhe-ldhö-jdh.9- „setzen, machen". ,gr. Tiörim „setze" — lat. feci 2. Auch die langen Voilstufenvokale können mit Halbvokalen, Liquiden oder Nasalen komponiert auftreten, z. B. Vollstufe ei — Schwundstufe si usw. Dabei sind jedoch zwei schon im Idg. eingetretene Lautregeln zu beachten: einerseits konnte in Langdiphthongen (z. B. ei) unter gewissen Bedingungen der zweite Bestandteil schwinden (ei > e); andrerseits
II. Vokalismus
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konnte a mit einem in der gleichen Silbe stehenden Halbvokal, Liquida oder Nasal zu der diesen Lauten entsprechenden Länge zusammengezogen werden (z. B. ri > l). Beispiele: idg. *pö(i)—psi- > jn- „trinken". gr. irwua „Trank" — tuvco „trinke" lat. pöculum, „Becher" idg. *mö(u)—mm- > mü- „tadeln". gr. (lü^ap „Tadel" — diiöucov „untadelig". § 53. Z u r E n t s t e h u n g des A b l a u t s . Beide Arten des idg. Ablauts, der qualitative (Abtönung) sowohl als auch der quantitative (Abstufung) hängen mit dem W o r t a k z e n t zusammen. Freilich muß die Natur desjenigen Akzentes, welcher die A b s t u f u n g verursachte, eine grundsätzlich andere gewesen sein als die desjenigen, welcher die A b t ö n u n g hervorrief. Die Abtönung kann nur bei einer vorwiegend m u s i k a l i s c h e n , die Abstufung nur bei einer vorwiegend d y n a m i s c h e n Betonung entstanden sein. B e i d e Arten von Betonung müssen, zu v e r s c h i e d e n e n Z e i t e n , der idg. Grundsprache eigen gewesen sein (§ 27). Die Entstehung der Schwundstufe gehört also beispielsweise zeitlich einer anderen Periode an als die Entstehung der Abtönung. Die Abhängigkeit beider Ablautsarten vom Akzent läßt sich mit Hilfe des Griechischen dartun. Für den quantitativen Ablaut vgl. etwa irr-ioem gegenüber Tr£T-£cr6o(i oder Anr-eTv gegenüber XeItt-eiv ; für den qualitativen Ablaut etwa o-rrovS-Vj gegenüber crn-euS-co oder f . A n l a u t : idg. *por- „fahren, reisen" (gr. iropróoiiai, lat. portare) > got. ags. as. ahd. faran, an. afries. fara. — idg. *pelu- „viel" (vgl. ai. puru-, gr. ttoAúj) > got. filu, an. fjgl-, ags. feolu, afries. felo, as. ahd. filu, füo. — idg. *prt- „lieb, lieben" (ai. priyáh „lieb", priyä „Gattin"; abulg. prijati „günstig sein") > got. frijón, an. fña, ags. freon „lieben", as. fno-
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han, mhd. vrien „freien, lieben". — I n l a u t : idg. *klep- „stehlen" (gr. KAÉTTTCÚ, lat. clepö) > got. hlifan. — Zu idg. *nepöl(ai. ndp&t „Abkömmling", lat. nepös „Enkel") gehört an. nefe „Neffe, Verwandter", ags. nefa, afries. neva, as. ahd. nevo „Neffe, Enkel" (wegen v vgl. § 73). t > p (afries. as. th geschrieben; ahd. d nach § 74; im Inlaut an. ags. d, gelegentlich auch as. d neben th, nach § 74). A n l a u t : idg. *trejes „drei" (ai. tráyah, gr. Tpeij, lat. tres) = got. preis, an. prir, ags. ¡rñe, afries. ihre, as. thñe, ahd. dñe. — idg. *tü „ d u " (ai. tv-am, lat. lü, dor. TU) = got. pu, an. ags. pü, afries. as. thu, ahd. du. — Mit ai. trna- „Grashalm", abulg. trónb „Dorn" vgl. got. paúrnus, an. ags. Pom, afries. as. (hörn, ahd. dorn „Dorn". — I n l a u t : idg. *uert- „wenden, sich verweilen" (ai. vdrtati „er dreht sich, verweilt", lat. vertö) — got. wakpan, an. verda, ags. weordan, afries. ivertha, as. werthan, ahd. werdan „werden". — idg. *bhräter- „Bruder" (ai. bhrätar-, lat. fräter) = got. bröpar, an. bröder, ags. brödor, afries. bröther, as. brödar, ahd. bruoder. k> % (h). A n l a u t : idg. *kmtóm „hundert" (ai. satdm, avest. satam, lit. üimtas — lat. centum, air. cét, tochar. känt) = got. ags. as. hund, ahd. hunt. — idg. *kerd-, krd- „Herz" (lit. Sirdis, abulg. sródóce — gr. Kap6fa, lat. cor, eordis) = got. hairtö, an. hjarta, ags. heorte, afries. 'herte, as. herta, ahd. herza. — I n l a u t : idg. *péku- „Vieh" (ai. pdsu, lat. pecü) = got. faihu „Geld", ags. feoh, as. fehu, ahd. fihu „Vieh". — idg. *dékm „zehn" (ai. ddsa — gr. 66ca, lat. decem) = got. talhun, as. tehan, ahd. zehan. A n l a u t : idg. *hap- „nehmen, fassen" (lett. kämpiu „fasse" — lat. capiö) = got. hafjan, an. hefja, ags. hebban, afries. hébba, as. hebbian, ahd. heffen „heben". — Mit ai. ketúh „Bild, Gestalt" vgl. got. haidus „Art und Weise", an. heidr „Würde", ags. häd, as. hed, ahd. heit „Stand, Rang" (nhd. Suffix -heit!). — I n l a u t : idg. *ueik- „kämpfen, siegen"
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Lautlehre
(lit. ap-veikiü „bezwinge" — lat. vincö) = got. weihan „kämp-
fen", ahd. ubar-wehan „überwinden". — idg. *leuk- „hell, leuchten" (ai. rocate „leuchtet" — gr. ASUKÖ* „weiß", lat. lux, lücere) = got. liuhap, ags. leoht, as. ahd. lioht „Licht".
q* > y f . Dieser Laut ist nur noch im Got. als solcher erhalten und wird dort durch die Ligatur h bezeichnet. Sonst steht im Anlaut hw- (wofür im Deutschen später w-), im Inlaut -h- (das im Nordgerm, und Anglofries. schwand). A n l a u t : idg. *q*od „ w a s ? " (lat. quod — ai. kdd) = got. ha, an. hvat, ags. hwast, afries. hwet, as. hwat, ahd. hwaj ( > wa^). — Mit
lat. quies „Ruhe", tran-quillus „ruhig" (idg. Basis *q"eß-; vgl. auch altcech. £ila „Weile") vgl. got. heila, ags. hunl, afries. hwile, as. ahd. hwlla „Zeit, Weile"; an. hvila „Ruhestätte". — I n l a u t : idg. *leiq¥- „lassen" (gr. Aehrco, lat. re-linquö — lit. liekü „lasse") = got. leihan, ahd. lihan, as. far-lihan; an. liä,
ags. on-leon, afries. IIa „leihen". — idg. *seqv- „folgen" (lat. sequor, gr. hrouai — lit. sekü „folge", auch „wittere, spüre") = got. saihan „sehen" (ursprüngl. „mit den Augen folgen" bzw. „wittern,spüren"), as. ahd.sehan; an. afries. siä, ags.seon. Anm.: Schon vor der Lautverschiebung hatte q* sich einem im gleichen Wort stehenden Labial assimiliert und war zu p geworden, das dann wie altes p zu f verschoben wurde. Idg. *u}q*os „Wolf" (ai. vfka-, lit. vilkas — lat. lupus) > *tflpos = got. wulfs, an. ulfr, ags. as. wulf, afries. ahd. wolf. — idg. *penq*e „fünf" (ai. pdnca — gr. TT£VTE mit T < q¥, lat. quinque) > *pempe = got. fimf, ags. afries. as. f i f , ahd. fimf, finf.
§ 61. N i c h t e i n t r e t e n
der V e r s c h i e b u n g von idg.
P,t,k.
Geht der idg. Tenuis eine Spirans voraus, so bleibt die Tenuis unverschoben (d. h. sie wird nicht auch zur Spirans). Dabei kann es sich handeln 1. um die aus dem Idg. ererbte Spirans s, 2. um die durch die germ. Lautverschiebung neu entstandenen Spiranten f und %.
III. Konsonantismus
85
1. Idg. sp: Mit lat. spuö, lit. spiduju „speie" vgl. got. speiivan, an. spyja, afries. spiioa, ags. as. ahd. spiwan „speien". idg. st: Idg. *sier- „Stern" (gr. g* und s zu z. Die so entstandenen stimmhaften Spiranten haben die Neigung, in feste Medien überzugehen (5 > b usw.). Dieser Zustand ist teilweise schon vor Beginn der Überlieferung erreicht und zwar: 1. im Anlaut, 2. inlautend nach Nasal. Über die sonstige Weiterentwicklung siehe § 77 ff. idg. p > f > b (im Ags. durch f , im Afries. durch v bezeichnet). Idg. *wpiri „über" (gr. Cnrip, ai. upari) = urnord. ubaR, afries. mir, as. obar, ahd. itbar, ubir. — idg. *sep(t)m „sieben" (ai. saptd, gr. ¿TTTÖC) = got. sibun, ags. seofon, afries. soven, as. sibun, ahd. sibun. idg. t >p>d. Idg. *psUr- „Vater" (ai. pitdr-, gr. TTcm'ip) = got. fadar, an. fader, ags. fsder, afries. fader, as. fadar, ahd. fater. — idg. *koüüs (ai. ketüh „Bild, Gestalt") = got. haidus „Art und Weise", an. heidr „Würde", ags. häd, afries. as. Iwd. ahd. heit „Stand, Rang". idg. k, k > x > 2- Idg. *suehü„Schwiegermutter" (ai. ivainl-, vgl. gr. tnupa) = ags. mnd. sweger, ahd. swigur „Schwieger''. — Mit ai. ankd- „Biegung, Bug" vgl. got. halsagga „Hals, Nacken" ; ahd. angul, ags. ongel,,Angel",an. Qngull „Angelhaken"; an. ange, ags. anga, ahd. ango „Stachel". idg. q* > x* > 2 * ; daraus teils g, teils w. Idg. *ulq*i- „Wölfin" (ai. vrkt-h) = an. ylgr. — idg. *seqv- „sagen, sprechen" (lat. in-seque, gr. ¡[WETTE ; lit. sakyli „sagen") in an. segia, ags. secgan, as. seggian (wegen cg, gg § 83), ahd. sagen „sagen". — idg. *liq*onös (Part. Praet. zu *leiq¥6 „lasse") = ahd. gi-liwan „geliehen" (vgl. § 63). idg. s = germ. s > z (so im Got. erhalten; im Nord- und Westgerm, zu r geworden). Idg. *d}os, Gen. *Aj,esos „ein Metall" (ai. dyas- „Metall, Erz", vgl. lat. aes) = got. aiz, an. eir, ags. Ar, as. ahd. er „Erz". — idg. *snusös, snusa „Schwiegertochter" (ai. snusa; gr. vuös, lat. nurus, beide aus *snus6s) = germ. *snuzö > an. snor, ags. snoru, afries. mnd. snore, ahd. snur(a) „Schwiegertochter".
III. Konsonantismus
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§ C3. D e r g r a m m a t i s c h e W e c h s e l . Infolge des im Idg. (oft in ein und demselben Flexionsschema) wechselnden Wortakzentes (§ 27) mußten im Germanischen aus den idg. Tenues einerseits stimmlose (§ 60), andrerseits stimmhafte Spiranten (§ 62) entstehen. Dadurch ergab sich im Germ, vielfach innerhalb zusammengehöriger Wortkategorien ein Wechsel von stimmlosen mit stimmhaften Spiranten (bzw. deren Fortsetzern in den einzelnen Dialekten). Diesen Konsonantenwechsel bezeichnet man als „grammatischen Wechsel". In Betracht kommen 1. für idg. p : gernt. f — 5 ; 2. für idg. t: germ. p —d\ 3. für idg. h, k: germ. 1 — g; 4. für idg. q* : germ. %¥(h) — gv (g, w); 5. für idg. s : germ. s — z (r). f—t : got. afar „nachher", ahd. afar „wieder" (vgl. ai. dpara- „der spätere") — ahd. abur „wieder", as. aharo „Nachkomme" (vgl. etwa ai. apardm „künftig"). p — d: got. fra-wairpan „verderben (intrans.)" ( < idg. *-yMiö) = ags. for-weoräan, as. far-ioeräan, ahd. jar-weräan — got. frawardjan „verderben (trans.)" ( < \Ag.*-uorleiö) = ags. 0-wierdan, ahd. far-wertan (wegen der westgerm. Formen vgl. § 74 u. 77). 1 (Ii) — g : got. wcihan, ahd. ulhan „ k ä m p f e n " (vgl. lat. vinco) — got. wigans „Krieg", an. vega „kämpfen", vig „ K a m p f " , as. Wigand, ahd. wlgant „Kampfer". %*(h) — g*(g, w): got. leihan, ahd. lifian „leihen" — an. leiga „Miete"; ahd. gi-liwan „geliehen". s — z(r): got. ausö „ O h r " ; mhd. oese „Öse" — a n . eyra, ags. eare, afries. äre, as. ahd. öra „ O h r " ; ahd. ort „Öhr". Eine besondere Rolle spielt der Grammatische Wechsel für gewisse Kategorien der Formenbildung. Am wichtigsten sind die folgenden: 1. Die Stammzeiten des starken Verbums (1. Sing. Praes. oder Inf. Praes.; 1. Sing. P r a e t . ; 1. Plur. P r a e t . ; Part. P r a e t ) . Den wechselnden idg. Akzent in diesen Formen und seine Auswirkung im Grammatischen Wechsel des Germ, veranschau-
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Lautlehre
licht folgendes Beispiel: Ai.vdrlä-mi idfr. *uhiö genri,*werpü ia.vd.rta *(ue)u6rtu *warp(a) iavrnmä *(ue)urt$me *wurdum(i) vrtänah *urtorws *wurdan(a)z
„ich werde" „ich wurde" „wir wurden" „geworden".
Den so entstandenen Konsonantenwechsel haben die genn. Dialekte in verschieden hohem Grade im Laufe der Zeit auf analogischem Wege auszugleichen gestrebt. Am weitesten ist das Got. gegangen, das den Grammat. Wechsel innerhalb des starken Verbums (bis auf ganz geringe Reste) beseitigt h a t (zugunsten der stimmlosen Spiranten); in den übrigen Dialekten jedoch finden sich allenthalben noch deutliche Spuren. Vgl.: got. ivakpan warp — waürpum waürpans „werden" an. verfa varp — urpom orpenn ags. teeordan iveard — tvurdon ivorden as. werdan ward — uiurdun wordan ahd. iverdan ward — wurtum wortan got. an. ags. as. ahd
tiuhan lauh (tiöa „fördern") tern teah tiohan töh .ziohan zöh
„ziehen"
— tugon — tugun — zugum
taühans togenn logen gi-togan gi-zogan
—
taühum
—
got. kiusan an. kiösa ags. ceosan as. kiosan &\id.kiosan
kaus kaus das kos kos
— kusum — kerom — curon — kurun — kurum
kusans kerenn coren gi-koran gi-koran
„wählen"
got. hafjan as. heffian ahd.heffen
höf höf huob
— höfum, — höbun — hudbum
hafans gi-haban (ir-)hdban
„heben"
III. Konsonantismus
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Anm.: Das Got. hat den grammatischen Wechsel innerhalb des starken Verbums nur noch bei einigen „Praeterito-Praesentia" (vgl. I I § 96) bewahrt, nämlich in aih „ich habe" — aigum „wir haben" und parf „ich bedarf" — pjurbum „-wir bedürfen", 2. Das Verhältnis des kausativen Verbums zu dem zugehörigen primären Verbum. Zu einem primären idg. Verbum wie z. B. *Ursö „bin trocken" mit W u r z e l b e t o n u n g (vgl. gr. TipCTonai) wurde regelmäßig ein Kausativum *torsii „ m a c h e trocken" mit S u f f i x b e t o n u n g (vgl. ai. tar$dyämi „lasse dürsten" = lat. lorreö „mache trocken") gebildet. Dieser Typus ist ins German, vererbt worden, und die Reflexe des idg. Akzentwechsels liegen teilweise noch als Grammatischer Wechsel in den germ. Dialekten v o r : Germ. *lipan- „gehen" (idg. *leitö) = got. leipan, ags. lipan (Man), as. Man, ahd. ltdan; aber germ. *laidjan- „gehen machen" > „leiten" (idg. *loiUß) = ags. ludan, as. Uäian, ahd. leiten. Germ. *ga-nisan- „gerettet werden, genesen" (idg. *nisö) = got. ga-nisan, ags. ge-nesan, as. ahd. gi-nesan; aber germ. *nazjan- „gesund machen, retten" (idg. *nosSjö) = ags. nerigan, as. nerian, ahd. nerien (got. nasjan hat demgegenüber s statt z in analogischer Angleich'ung an das primäre ga-nisan). Germ. *hanhan- > *hähan- (§ 42) „hangen" (idg. *kdnko) = got. ahd. h&han, ags. hön; aber germ. *hangjan- „hangen machen, hängen" (idg. *konktio) = an. hengia, ags. hengan, ahd. hengen. 3. Das Verhältnis der schwachen Verba der zweiten und dritten Klasse (II § 84) zu den zugehörigen primären Verba. Auch hier waren die abgeleiteten (schwachen) Verba suffixbetont ; ihre wurzelauslautenden Konsonanten zeigen daher wiederum gegenüber denen der zugehörigen Primärverben die Verschiebung nach dem Vernerschen Gesetz. Ahd. slagön
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Lautlehre
„schlagen" gegenüber slalian „sehlagen"; ahd. zeigön „zeigen" gegenüber eihan „zeihen". — Ahd. fragen, as. fragö-n „fragen" gegenüber got. fralhnan „fragen". 4. Das Verhältnis der im Idg. suffixbetonten Verbalabstrakta auf -ä zu den zugehörigen (wurzelbetonten) Primärverba. Vgl. gr. Tpo-rr^ ( < *tropd) „Wendung" :Tpémo „wende"; cnrouSi1! „Eile" :CTTTEÚSCO„eile". Ebenso ahd. kora „ P r ü f u n g " : kiosan „ p r ü f e n " ; ä-sneita „Reisig" (germ. *snaidö, idg. *snoita):
snidan „ s c h n e i d e n " (germ. *snlf>ana-, idg. *sneitonom)-,
zeiga „Zeigung" : zihan „zeihen". b) Die Verschiebung der idg. Mediae aspiratac §64. D i e i d g . M e d i a e a s p i r a t a e w u r d e n im G e r m , zu s t i m m h a f t e n R e i b e l a u t e n . Mit diesen fallen die nach dem Vernerschen Gesetz (§ 62) entstandenen stimmhaften Reibelaute zusammen. Es wurden : bh>t;
dh>d\
gh, gh>
gvh >
g*.
Die so entstandenen stimmhaften Spiranten (5, d usw.) haben die Neigung, in Medien (b, d usw.) überzugehen. Dieser Zustand ist im Anlaut sowie im Inlaut nach Nasalen bereits in vorliterarischer Zeit erreicht. Über die Weiterentwicklung im einzelnen § 77 ff. bh > 5, b. (Das inlautende 5 wird im Ali. und Ags. durch f wiedergegeben.) Idg. *bhü- „sein, werden" (ai. bhdvati „ist, wird", gr. d, d. Idg. *dhur-, dhurä „Tor, T u r " (gr. 6úpá, lat. foris, fores) — got. daúr, ags. as. dor, ahd. tor „ T o r " ; an. dyrr (Plur.) „ T ü r ö f f n u n g " ; got daúró, afries. dure, as. dura.
III. Konsonantismus
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ahd. iura „Tür". — idg. *medhios „mitten" (ai. mddhyah, lat. medius) = got. midjis, an. midr, ags. midd, afries. midde, as. middi, ahd. mitti „mittlerer" (wegen der wgerm. Doppelkonsonanten § 83ff.). — idg. *bhmdh- „binden" (ai. bdndhati „bindet") = got. ags. as. bindan, an. afries. binda, ahd. lintan. gh > g, g. Idg. *ghans- „Wasservogel, Gans" (ai. hamsdh „Gans, Schwan", gr. x V , lit. zqsis „Gans") = an. gas, ags. jös, as. gas, gös-, ahd. gans „Gans". — idg. * seghos „Gewalt, Sieg" (ai. sdhas- „Gewalt. Macht"; dazu gr. i x " < *seghö „habe") = got. sigis, an. sigr, ags. sige, sigor, as. sigi, ahd. sigu, sigi „Sieg". g,g. Idg. *ghostis „Fremdling" (lat. hostis „Feiud", abulg. gostö „Gast") = got. gasts, an. gestr, ags. giest, as. ahd. gast. — idg. *steigh-, stigh- „schreiten, steigen" (ai. stighnute „steigt", gr. CTTEIXCO) = got. steigan, an. afries. stiga, ags. sligan, as. ahd. stigan „steigen". g¥h > g*. Dieses erscheint 1. als gw nach Nasalen (so got. und an. erhalten, sonst g). Idg. *seng*h-, sovg¥h- „tönen" (vgl. gr. dpipii < *song¥ha „Stimme") = got. siggwan, an. syngva; ags. as. ahd. singan „singen". — 2. als g > g vor dunklen Vokalen und Konsonanten. Idg. *gvhnt- „Kampf" (vgl. gr. p;
d > t ; g,g>k;
g*>k».
Im Ahd. wurden diese Tenues durch die zweite Lautverschiebung teils zu Affrikaten (pf usw.), teils zu Doppelspiranten (ff usw.) weiterverschoben, worüber §87.
b > p. Mit lit. lala, abulg. blato „ S u m p f " vgl. ags. pol, ndl. poel, ahd. pfuol „ P f u h l " . — Mit. abulg. slabi „schlaff", lit. släbnas „schwach", slabti „schwach werden" vgl. an. släpr, m n d . slap, a h d . slaf „ s c h l a f f " ; got. slepan, ags. stitpan, slepa, as. släpan, a h d . släffan „ s c h l a f e n " .
afries.
d > t. Idg. *dem- „ b a u e n " (gr. Sipco; lat. domus, gr. 66nos, ai. ddma- „ H a u s " ) = got. timrjan, an. timbra, ags. timbran, as. timberian, a h d . zimbaron „ b a u e n , z i m m e r n " . — idg. *pöd-
„ F u ß " (ai. päd-, dor. Trebs, iro66s; vgl. lat. pes, pedis) = g o t . fötus, a n . föir, ags. afries. as. föt, a h d . fuoy. — idg.
*d(e)reu-
„Holz, Baum" (gr. 66pu „Holz", 8pös „Baum" ; ai. däru-, dru„Holz") = got. iriu, an. afries. tre, ags. as. treo „Holz, B a u m " . g>k.
Idg. *geus- „kosten, p r ü f e n " (ai. jusdte
k o s t e t " , gr. a f r i e s . kiäsa, „ F l u r " , gr. afries. ekker,
„liebt,
ytOonai) = got. kvusan, a n . Mosa, ags. ceosan, as. a h d . kiosan „ w ä h l e n " . — idg. *agros (ai. äjraAyp6s, lat. ager) = got. akrs, an. akr, ags. eecer, as. akkar, a h d . akar, ackar „ A c k e r " .
g> k. Mit lat. gelü „ K ä l t e " , gelidus „ e i s k a l t " , lit. gelutnä „ F r o s t " vgl. got. kalds, a n . kaldr, ags. ceald, afries. as. kald.
ahd. kalt „ k a l t " . — idg. *aug- „wachsen, mehren" (lit. dugu „ w a c h s e " , lat. augeö) — got. aukan,
a n . auka,
afries. äka, as. ökian, ahd. ouhhön „mehren".
ags.
eacian,
III. Konsonantismus
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g* > k*. Dafür got. q (d. i. k mit Lippenrundung); sonst qu, kw u. dgl., woraus vielfach k. Idg. *g*em- „gehen, kommen:(ai. gam-, gr. ßaiv», lat. venia) = got. qiman, an. afries. koma, ags. as. cuman, ahd. queman, coman „kommen". — idg. *g¥en& „Weib" (gr. yvvV|, dor. ßavdc, abulg. ¿ena, air. beri) = got. qinö, an. kona, ags. ewene, as. ahd. quena „Frau". — idg. * reg* os „Finsternis" (ai. rdjas-, gr. ipeßos) = got. riqis, an. rekkr „Finsternis".
d) Schematische Darstellung der Vorgänge bei der germ. Lautverschiebung §66. [Die an dieser Stelle vorgesehene tabellarische Übersicht mußte aus drucktechnischen Gründen an das Ende des Bändchens (S. 136 oben) verwiesen werden. Sie veranschaulicht das starke Zusammenschmelzen des idg Bestandes an Verschlußlauten im Germ.: statt der 15 verschiedenen Verschlußlaute des Idg. kennt das älteste Germ, deren nur vier (die Tenues p, t, k, k*). Dafür besitzt es die dem Idg. (außer s, z) fremden stimmlosen und stimmhaften Spiranten, von denen die letzteren freilich schon früh die Neigung haben, in Verschlußlaute überzugehen (§ 77).]
B. Die idg. Spirans s im Germanischen § 67. a) Das idg. s, das bis auf wenige Fälle (§ 68) stimmlos war, blieb im Germ, als stimmlose Spirans erhalten, soweit nicht das Vernersche Gesetz wirksam wurde. Anlautend vor Vokal: idg. *sed- „sitzen" (ai. sad-, lat. sedeö) = got. silan, an. silia, afries. sitta, ags. as. sütan, ahd. sitzen. Inlautend zwischen Vokalen : idg. *ues- „da sein, verweilen" (ai. vdsali „wohnt") = got. wisan, an. vesa, afries. wesa, ags. as. ahd. wesun ..sein".
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Lautlehre
An- und inlautend vor Konsonant: got. speiwan, gasls usw. (vgl. die Beispiele § 61).
stairnö,
Inlautend nach Konsonant: idg. *ukson- „Stier, Ochse" (ai. uk$an-) — got. aühsa, an. oxe, ags. oxa, as. ahd. ohso „Ochse". b) Nach dem Vernerschen Gesetz mußte im Germ, s zu z (woraus nord- und westgerm. r) werden, wenn ihm der idg. Wortakzent nicht unmittelbar vorausging: got. aiz = ahd. er usw. (vgl. die Beispiele § 62). Über auslautendes germ. -s und -z vgl. § 115. § 68. Eine dem s entsprechende stimmhafte Spirans z kannte das Idg. nur vor einem unmittelbar folgenden stimmhaften Konsonanten (§ 58). Sie blieb im Germ, stimmhaft, wenn der folgende Konsonant selbst stimmhaft blieb, wurde jedoch stimmlos (s), wenn der folgende Konsonant auf Grund der Lautverschiebung stimmlos wurde. Idg. *mizdhön- „Lohn" (vgl. gr. 1110665 < *mizdkos, abulg. mizda „Lohn") = got. mizdö. Im Westgerm. wurde ein solches 2 entweder zu r (ags. meord) oder schwand, wobei der vorausgehende Vokal zu et wurde (ags. med, as. Wieda, ahd.
miata; § 31). Idg. *ozdos „Ast" (gr. 6305, worin 3 = zd) = got. asts, as. ahd. ast.
C. D i e idg. N a s a l e u n d L i q u i d e n im G e r m a n i s c h e n § 69. Die idg. N a s a l e bleiben (abgesehen von der Stellung im Auslaut, § 112f.) im Germ, gut erhalten. idg. m = germ. m. Mit lat. homo vgl. got. guma, an. gume, ags. guma, as. gumo, ahd. gomo „Mann, Mensch".
III. Konsonantismus
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idg. n = germ. n. Mit gr. vio%, lat. novus vgl. got. niujis, an. nyr, ags. niewe, as. ahd. niuwi „neu". idg. n, v, die nur vor folgendem Palatal bzw. Velar vorkamen, fielen im Germ, wie diese in einen Laut zusammen, der im Got. (nach griech. Muster) durch g, sonst durch n bezeichnet wird. Mit lat. longus, gall. longo- „lang" vgl. got. laggs, an. langr, ags. afries. long, as. ahd. lang. § 70. Die idg. L i q u i d e n blieben im Germ, gleichfalls erhalten. idg. r = germ. r. Mit lat. rectus vgl. got. raihts, an. rettr, ags. as. ahd. reht „gerade, recht". — idg. *bherö „trage" (ai. bhdrämi, gr. j und u>w fast regelmäßig erhalten. Ausgenommen ist das An., wo anlautendes j stets, anlautendes w vor gewissen Vokalen (M, y, o, 0) und vor r und l schwand. Den Schwund des w vor r und l hat auch das Ahd. vollzogen.
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Lautlehre
idg. = germ. j-. Idg. *iugom „Joch" (ai. yugdm, lat. iugum) = got. juk, ags. jeoc, as. juk, ahd. joh, aber an. ok. — Mit avest. yärs „ J a h r " , abulg. jan „Frühjahr" vgl. got. jer, ags. jear, afries. jer, as. ahd. jär, aber an. är „ J a h r " . idg. m- = germ. w-, Idg. *ualdh- „beherrschen, besitzen" (abulg. vladQ, lit. valdaü „herrsche"; vgl. auch lat. valere) =got.waldan, m.valda, ags.wealdan, afries. walda, as. waldan, ahd. waltan „walten, besitzen". Idg. *u\nä „Wolle" (abulg. vUna, lit. vilna) = got. wulla, ags. afries. mnd. wulle, ahd. wolla, aber an. ull. — Mit ai. vrdjati „schreitet" vgl. got. wrikan „verfolgen", ags. as. wrecan, afries. wreka, aber an. reka und ahd. rehhan „verfolgen, strafen, rächen". I n l a u t e n d z w i s c h e n V o k a l e n ist j erhalten, wenn es nach i als „Übergangslaut" stand. Idg. (neutr.) *triiä „drei" (vgl. umbr. triia, abulg. masc. tröje) = got. prija, in den übrigen Dialekten unbezcichnet: as. ihriu, ahd. drio. Sonst ist intervokales j, besonders vor hellen Vokalen, vielfach frühzeitig geschwunden: idg. *aieri „ f r ü h " (vgl. gr. fjpi < *äj,eri) = germ. *ajir(i) = got. air (woraus an. är, ags. ¿er, as. ahd. er). Besser ist intervokales w erhalten: zu idg. *ouis „Schaf" (ai. dvih, lat. ovis) gehört got. awistr, ags. eowestre, ahd. awist, ewist „Schafstall". Geschwunden ist tu gemeingerm. vor u: idg. *iuun%6s „jung" (ai. yuva&ah, lat. iuvencus) > germ. *juvmvgaz = got. juggs, an. ungr, ags. jeong, afries. as. ahd. jung. Idg. *neun- „9" (lat. novem usw.) > germ. *niwun- > got. niun usw. P o s t k o n s o n a n t i s c h ist j zunächst meist erhalten geblieben (got.), wird aber später teils zu i (an. as.), teils schwin-
III. Konsonantismus
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det es (anglofries. a h d . ) ; im Ahd. ist dabei die Gruppe -ja- in Nebensilben zu -e- geworden (vgl. § 45). Idg. *ka/p}ö „greife" (lat. capiö-, gr. KATTTCO „schnappe" < ""KATHCO) = got. hafjan, an. hefja, hefia, ags. hebban, afries. hebba, as. hebbian, ahd. heffen „heben". Auch w ist postkonsonantisch zunächst erhalten geblieben (got.), ist aber später vielfach, besonders vor dunklen Vokalen, geschwunden. Mit got. gatwö „Gasse" vgl. an. gala, mnd. gate, ahd. ga^a. Dasselbe gilt von dem w-Element der Labiovelare: idg. *nog*odhos „ n a c k t " ( = lat. nüdus) = got. naqaps, an. nekkvedr, nelcßer, ags. nacod, afries. nakad, mnd. naket, ahd. ndhhui. § 72. Unter noch nicht sicher erkannten Bedingungen konnte im Frühgerm. ein zwischenvokalisches j, oder u, wenn der vorangehende Vokal kurz war, zu ij, bzw. uu, v e r s c h ä r f t werden. Aus diesen Gruppen entstand im Got. ddj bzw. ggiv, im Nordgerm, ggj (ggi) bzw. ggv, während sich im Westgerm, das erste i bzw. u mit dem vorangehenden Vokal zu einem Diphthongen verband. Außer den in § 18 angeführten Beispielen vgl. n o c h : got. daddjan, aschwed. dseggia „ s ä u g e n " < germ. *daiiana- (vgl. ai. dhdyämi „sauge", abulg. dojQ „säuge"). — an. hgggva, ags. heawan, ahd. houwan „ h a u e n " < germ. *hauuana- (vgl. abulg. kovQ „schmiede").
3. Die Weiterentwickelung des germ. Konsonantismus in den einzelnen Dialekten A. D i e g e r m . s t i m m l o s e n S p i r a n t e n
{J,p,%,s)
§ 73. Germ, f (§ 60) blieb im Got. unverändert. Dasselbe gilt für die Stellung im An- und Auslaut auch im Nord- und Westgerm.; im Inlaut ist dort in stimmhafter Lautumgebung vielfach eine Erweichung eingetreten. Im An. wird f stimmhaft nach Vokalen und in den Verbindungen If und rf, was jedoch in der Schrift meist nicht zum 4
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Lautlehre
Ausdruck kommt: an. hefia ( = got. hafjari) „heben" ist hebia (gelegentlich hevia geschrieben), ulfr ( = got. wulfs) „Wolf" ist ulbr zu sprechen. Ebenso ist im Westgerm, f vor Vokalen stimmhaft geworden; es wird in dieser Stellung im Ags. durch f, im As. neben f häufiger durch v oder 6, im Ahd. neben f häufiger durch v wiedergegeben. Got. wulfis „des Wolfes" = ags. imlfes, as. imMes, wulves, ahd. wolves. § 74. Germ, p (§ 60) ist im Got. gleichfalls unverändert geblieben. Im Nord- und Westgerm, (über das Ahd. siehe unten) blieb p anlautend erhalten (as. afries. th). Im Inlaut geht es in stimmhafter Umgebung (Vokale, Liquiden usw.) in die entsprechende stimmhafte Spirans über (in der Schrift: an. d nebenp; ags. d; afries. th; as. d). Got. preis „drei" = an. prir, ags.prle, afries. ihre, as. thrie. — got. hröpar „Bruder" = an. bröper und bröder, ags. brödor, afries. bröiher, as. brödar. — got. airpa „Erde" = an. iqrp und iqrd, ags. eord(e), afries. irthe, as. erda. Im Anglofries. und As. wurde p (über d) in Verbindung mit l zu d: got. wilpeis „wild" = ags. afries. wilde, as. wildi (im An. trat Assimilation zu II ein : villr „verirrt"). Im Ahd. ist p zunächst in allen Stellungen zu d geworden und hat dann die Neigung, in d überzugehen. Die Stufe d ist im Oberdeutschen etwa um 800 erreicht, während im Frank., namentlich im Anlaut, noch längere Zeit d (geschr. th und dh) herrscht. Got. pata „das", wairpan „werden", warp „ward" = ahd. obd. da3, werdan, ward; rheinfränk. (Isidor, Ende 8. Jh.) dhaj, werdhan, wardh \ ostfränk. (Tatian, 9. Jh.) tha^, werdan, ward. § 75. Germ. 1 (§ 60) war ursprünglich überall gutturale Spirans (dem nhd. cÄ-Laut vergleichbar), geht dann aber sehr früh teilweise in einen bloßen Hauchlaut über. In beiden Eigenschaften wird es in der Überlieferung der Dialekte ge-
III. Konsonantismus
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wohnlich durch h bezeichnet. Im Got. ist h im Anlaut vor Vokal, vielleicht auch inlautend zwischen Vokalen und auslautend reiner Hauchlaut geworden; in Verbindung mit Konsonanten ist es gutturale Spirans geblieben. Dieser Zustand dürfte im großen und ganzen auch der der vorliterarischen germanischen Zeit gewesen sein. Im An. ist h nur im Anlaut (als Hauchlaut) und in der Verbindung hs (als Ä:-Laut) geblieben : got. handus „ H a n d " = an. JiQni; got. aühsa „Ochse" = an. uxe, oxe (auch ags. oxa). In allen übrigen Stellungen ist h geschwunden (in der Gruppe ht durch Assimilation zu tt): got. slahan „schlagen" = an. sin (über *släa); got. filhan „verbergen" = an. fela; got. ahtau „acht" = an. Atta. Im Westgerm, gilt zunächst der gleiche Zustand wie im Got. und ist so auch im Deutschen (As. Ahd.) im allgemeinen erhalten geblieben. Im Ags. dagegen schwand h inlautend vor Vokalen und vor stimmhaften Konsonanten. Got. handus „ H a n d " = ags. hond, afries. as. hand, ahd. hant (nhd. hand!). — got. ahtau „acht" = ags. eahla, as. ahd. ahto (nhd. acht!). — — got. peihan „gedeihen" = as. thihan, ahd. dihan, aber ags. ge-peon. — Das aus Labiovelar (-/*) entstandene h (§ 60) unterlag den gleichen Bedingungen: got. saihian „sehen" = as. ahd. sehan, aber an. siä, ags. seon. Im Deutschen ist anlautendes h vor Konsonant (n, l, r, w) schon im Laufe der ahd. Periode geschwunden : got. hneiwan, an. hniga, ags. hnigan, as. hnigan, ahd. hnigan > nigan „sich neigen". § 76. Germ, s (§ 67) bleibt in der Entwicklung der Dialekte unverändert. Inlautend zwischen Vokalen scheint es im Westgerm. stimmhaft geworden zu sein, was aber in der Schrift nicht zum Ausdruck kommt. Got. lisan „sammeln" = ags. as. ahd. lesan (spr. lezari) „sammeln, lesen". 4»
100
Lautlehre B. D i e g e r m . s t i m m h a f t e n S p i r a n t e n ( 5 , d , g _ , z )
§ 77. Von den gerin. stimmhaften Reibelauten 5, d, y, z (§ 62 und 64) sind 5, d, g in gewissen Stellungen bereits g e rn e i n g e r m . zu b, d, g geworden, und zwar 1. im Anlaut, 2. inlautend nach Nasal (und nach z). Eine Ausnahme macht anlautendes g im Ags., das dort als g (in einheimischer Schrift durch 3 bezeichnet) erhalten bleibt. A n l a u t , b: got. bairan, an. afries. bera, ags. as. ahd. heran „tragen". — d: got. daühtar, an. dötter, ags. dohtor, afries. dochter, as. dohtar, ahd. tohter „Tochter" (wegen ahd. t § 87). — g: got. gup, an. god, afries. as. god, ahd. got. aber ags. god „ G o t t " . N a c h N a s a l (und z). mb: got. an. ags. afries. as. ahd. lamb „ L a m m " . — nd: got. ags. as. hindern, an. afries. bindet, ahd. bmian „binden" (wegen ahd. t, § 87). —vg :got. aggwus, an. gngr, ags. enge, as. ahd. engt „enge". — zd: got. huzd „Schatz" (vgl. ags. as. hord, ahd. hört, § 80). § 78. Im G o t i s c h e n wurden germ. 5, d, z im absoluten Auslaut und vor auslautendem s durch „Auslautsverhärtung" nach Vokalen zu f , p, s. Dagegen blieb das ursprüngliche $ (got. g) unverändert. Got. gaf „ g a b " zu giban „geben", hlaifs „ B r o t " gegenüber hlaibis „des Brotes". — ga-wap „ v e r b a n d " zu ga-widan „verbinden", fröps „ k l u g " neben frödei „Klugheit". — nqis „Finsternis" gegenüber Genet. riqizis, /was,.wer" neben hiaz-uh „jeder". Aus dieser Regel geht hervor, daß inlautende got. b, d zwischen Vokalen mindestens noch zu der Zeit, als ihre Verhärtung im Auslaut zu f , p eintrat, Spiranten (6, d) gewesen sein müssen; d. h. hlaifs ist nur aus *hlaibs, hlaibis verständlich, nicht aus *hlaibs, hlaibis usw. — Nach Konsonanten dagegen müssen b, d schon feste Medien gewesen sein, da sie in dieser Stellung auslautend nicht zu f , p wurden; vgl. außer lamb usw. (§ 77) auch gards „ H a u s " (Genet. gardis), swarb „wischte" (zu swairban „wischen").
III. Konsonantismus
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Germ. g, das die Auslautsverhärtung (zu *h) nicht mitmacht, war im (iot. vielleicht schon in allen Stellungen zur Media g geworden; vgl. got. mag „ich k a n n " (zu magern „können"), wigs „Weg" (Genet. wigis). § 79. Im N o r d g e r m , ist germ. 2 über R (so runisch) zu r geworden. Got. maiza = an. meire „größer" (ähnlich ags. mära, as. ahd. mero\ § 80). Germ. *gastiz „ G a s t " = urnord. -gastiR = an. gestr. — Einem folgenden d oder n wurde z assimiliert: got. razda „Stimme" = an. rgdd; got. razn „ H a u s " = an. rann. — Auslautendes R (< z) wurde an vorangehendes s, nach langer oder schwachtoniger Silbe auch an l und n angeglichen: germ. *lausaz „los" > urnord. *lausaR > an. lauss; urnord. *mikilaR (got. mikils, § 78) „groß" > an. mikeü; got. minniza „kleiner" = an. minne. Germ. 6, d, g blieben inlautend zwischen Vokalen und auslautend nach Vokalen im allgemeinen erhalten (geschr. f, p neben d, g); nur g schwand auslautend nach Vokal. An. gefa „geben", gaf „ g a b " = got. giban, gaf (wo f < 6 nach § 78); an. biöda, iiößa „bieten", baud, baup „ b o t " = got. biudan, baup (wo p an. nefnda. — urnord. *födidö (got. födida) „nährte" > an. fedda. — got. hugjan „glauben" = an. hyggia. § 80. Im W e s t g e r m , ist germ. z (wie im Nordgerm., § 79) zu r geworden. Got. maiza „größer" ( = an. meire) = ags. afries. mära, as. ahd. mero; mit got. razda „Stimme" vgl. ahd. rarta und ags. reord. [Gelegentlich schwand z vor Konsonant: vgl. got. mizdö = ahd. miata, § 68.] — Im Auslaut ist -r ( < -2) nur in ursprünglich einsilbigen Wörtern erhalten: germ. *iz
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Lautlehre
„ e r " (got. is nach § 7 8 ; vgl. iz-ei „welcher") = ahd. ir, er; sonst ist es schon vorhistorisch geschwunden (§ 115). Bei germ. b, ä, g verstärkt sich im Westgerm, die schon frühgerm. vorhandene Tendenz zum Verschlußlaut. Germ. 4 ist im Westgerm, in allen Stellungen zu d geworden, germ. 6 und g außer im Anlaut (aber ags. g!) und nach Nasal (§ 77) auch in den durch die westgerrn. Konsonantenverdoppelung entstandenen Verbindungen bb und gg. Germ, d und d (§ 62 und 64) = westgerm. d (woraus ahd. t, § 87). Got. bindan, an. biöda = ags. beodan, afries. biada, as. biodan, ahd. biotan „ b i e t e n " ; got. waürd, an. ord — ags. afries. as. word, ahd. wort „ W o r t " . — Ags. dohtor, afries. dochter, as. dohtar, ahd. tohter „ T o c h t e r " ; ags. as. bindan, afries. binda, ahd. hintan „binden" (§ 87). — Got bidjan, an. bidja, bidia „ b i t t e n " = westgerm. *biddjan> ags. biddan, afries. bidda, as. biddian, ahd. bitten (§ 84). Germ. 8 = westgerm. b (geschr. ags. f , afries. v, as. 8 oder v; ahd. 6 > b, § 87). Got. giban, an. gefa „geben" = ags. giefan, afries. geva, as. geban, ahd. geban; got. arbi, an. arfr „das E r b e " = ags. ierfe, as. er5t, ahd. arbi, erbi. Germ, b (6) = westgerm. b. (Das Ahd. h a t in der Geminata immer pp, im übrigen im Obd. p, im Md. b, § 87.) Got. batirgs, an. borg „Burg, S t a d t " = ags. burh, afries. burch, as. bürg, ahd. obd. pure, md. bürg; got. dumbs, an. dumbr „stumm'" = ags. dunib „ s t u m m " , afries. as. dumb „einfältig", ahd. obd. turnp, md. tumb „ s t u m m , d u m m " . — Got. sibja, an. sifiar (Plur.) „Verwandtschaft" = westgerm. *sibbjö- > ags. sibb, afries. sibbe, as. sibbia, ahd. sippea, sippa (§ 84). Germ, g = westgerm. g (geschr. ags. in einheimischer Schrift 3, afries. as. g; ahd. 5 > g, § 87). Got. steigan, an. stiga ( = germ. *stigana-) = ags. stigan, afries. stiga, as. ahd. stigan „steigen"; got. bairgan, an. biarga ( = germ. *bergana-) = ags. beorgan, as. gibergan, ahd. bergan „bergen".
III. Konsonantismus
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Germ, g (g) = westgerm. g, aber ags. anlautend g. (Das Ahd. h a t in der Geminata immer kk, im übrigen obd. k, md. g, § 87. Im Ags. wird die Geminata in einheimischer Schrift durch C5, d. i. gg, geschrieben.) Got. guma, an. gume „Mann, Mensch" = ags. guma, afries. goma, as. gumo, ahd. obd. como, m d . gomo\ got. briggan „bringen" = ags. bringan, afries. bringa, ahd. obd. prinkan, md. bringan. — Got. lagjan „legen" = westgerm. *laggjan > ags. lec^an, as. ieggian, a h d . lecken (§ 84). C. D i e g e r m . T e n u e s ( p , t , k ) § 81. Die germ. Tenues p, t, k (§ 65) bleiben im Got., Nordgerm., Anglofries. und As. im allgemeinen u n v e r ä n d e r t ; vgl. die Beispiele im folgenden §. §82. Im A h d . werden die germ. Tenues von der sog. h o c h d e u t s c h e n oder z w e i t e n L a u t v e r s c h i e b u n g erf a ß t (vgl. § 87). Sie werden 1. inlautend zwischen Vokalen und auslautend nach Vokalen zu D o p p e l s p i r a n t e n (p> f f \ l > 33; k > hh, ch), die jedoch im Auslaut immer und inlautend nach langem Vokal bald vereinfacht w u r d e n ; 2. anlautend und nach Konsonanten (auch in der Gemination, vgl. §83) zu A f f r i k a t e n (pf,z = ts,ch = % ) , wobei k% jedoch nur im Obd. eingetreten ist. Germ, p > ahd. f f bzw. f . Got. slepan, ags. sl&pan, as. släpan = ahd. släffan > släfan „schlafen". Got. diups, an. diüpr, ags. deop, as. diop = ahd. tiuf, tiof „tief". Germ, p > ahd. pf (auch pA geschrieben). Got. paida „Leibrock", ags. päd „Mantel", as. peda „ G e w a n d " = ahd. pfeit, pheit „ H e m d , Rock". Got. wairpan, an. verpa, ags. weorpan, as. werpan = ahd. werphan (später werfari) „werfen". Germ, t > ahd. 5 ; bzw. 3. Got. haian, an. hata, ags. haiian. as. haton — ahd. hay^ön „hassen, nachstellen". Got. fötus, an. fötr, ags. as. föl = ahd. /U05 „ F u ß " .
104
Lautlehre
Germ, t > ahd. z (d. i. ts). Got. taikun, an. tio, ags. tlen, as. tehan = ahd. zehan „zehn". Got. hairtö, an. hiarla, ags. heorte, as. herta = ahd. herza „Herz". Anm.: Außer in den unten zu nennenden Gruppen, in denen nach Spirant die Verschiebung grundsätzlich unterblieb, ist t in der Verbindung Ir unverschoben geblieben. Got. triggws, an. tryggr, ags. ye-trgwe, as. Iriuuri — ahd. gi-triuwi „treu". Germ, k > ahd. hh (auch ch geschrieben, im Auslaut h oder ch). Got. sökjan, an. sökia, ags. secan, as. sökian = ahd. suohhen, suochen „suchen". Got. siuks, an. siükr„ ags. seoc, as. siok = ahd. sioh „krank, siech". Germ, k > obd. (geschrieben ch, cch u. dgl.), im Frank, als k erhalten. Got. kaum, an. as. korn, ags. com = ahd. obd. chorn, fränk. korn „Korn". Got. drigkan, an. drekka, ags. drincan, as. drinkan = ahd. obd. trinchan, fränk. irinkan „trinken". Anm.: Das k in der aus Labiovelar entstandenen Gruppe lcw (§65) unterliegt im Obd. der gleichen Verschiebung. Got. qiman= ahd. obd. chweman, fränk. queman > koman „kommen". Wie bei der ersten Lautverschiebung (§ 61), so bleiben auch bei der zweiten die Tenues unverschoben, wenn ihnen ein Spirant vorangeht. In Betracht kommen (wie bei der ersten Lautverschiebung) die Gruppen sp, st, sk und ft, ht. Vgl. die Beispiele in § 61: ahd. spiwan, strrno, skinan, ha.fi, naht.
D. D i e w e s t g e r m . K o n s o n a n t e n - V e r d o p p e l u n g § 83. In gemein-westgerman. Zeit hat sich eine Verdoppelung inlautender Konsonanten vollzogen, durch welche das Westgerm, in charakteristischer Weise vom Nord- und Ostgerman. unterschieden wird. Sie betrifft alle Konsonanten außer r. Die Verdoppelung tritt stets ein vor j , seltener vor r und l, gelegentlich auch vor w, m und n. Es handelt sich um eine der ältesten Erscheinungen, von denen das Westgerm.
I I I . Konsonantismus
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betroffen w i r d ; ihr unterliegen auch noch die frühen Lehnwörter aus dem Lateinischen. D u r c h die Verdoppelung entstehen zahlreiche neue Doppelliquiden (II), Doppelnasale (mm, nn) u n d Doppelspiranten (ss, f f , hh), vor allem aber auch zahlreiche neue Doppel-Verschlußlaute (pp, tt, kk; bb, dd, gg). Diese unterliegen im Ahd. der L a u t v e r s c h i e b u n g , insofern als pp, tt, kk zu (p)pf, tz, cch (letzteres n u r o b d . ; vgl. § 82) und bb, dd, gg zu pp, tt, kk (§ 87) werden. Nach v o r a u s g e h e n d e r Länge u n d nach Konson a n t sind die neuen Geminaten später wieder vereinfacht worden. § 8 4 . V e r d o p p e l u n g v o r j . Das die Verdoppelung bewirkende j ist n u r noch im As. erhalten (meist i geschrieben), im Ags. ist es geschwunden, im A h d . s t e h t es n u r noch in älterer Zeit (ist aber bei ursprünglich voraufgegangenem a d u r c h dessen U m f ä r b u n g zu e, § 37, kenntlich). Germ. *bidjan- (got. bidjan, an. bidia) „ b i t t e n " > w g e n n . *biddjan = ags. biddan, afries. bidda, as. biddian, ahd. bitten. — Germ. *hugjan- (got. hugjan) „ d e n k e n " > wgerm. *huggj wgerm. *kunnja- = ags. cynn, afries. kenn, as. kumii, ahd. ehunni (obd.), kunni (fränk.). — Vgl. ferner got. hlahjan • - ags. hliehhan, ahd. hlahhan „ l a c h e n " ; got. Katja — ags. hell, afries. helle, as. helliu, ahd. hella „ H ö l l e " . U n v e r d o p p e l t bleibt r ( = germ. r u n d z). Gerin. *farjan(got. farjan, an. feria) „ f a h r e n ( t r a n s i t . ) " > wgerm. *farjan -= ags. as. ferian, ahd. ferjen. Germ. *nazjan- (got. nasjan, § 63) „ r e t t e n " >wgerin.*wa/ , jaw = ags. as. nerian. ahd. nerien. Die Vereinfachung ursprünglich verdoppelter K o n s o n a n t e n nach langer Silbe zeigen got. dailjan „ t e i l e n " — wgenn. *dailljan= ags. dielan, as. delian, ahd. teilen (alt obd. noch
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Lautlehre
leillan); gerin. * gar dp- „ G e r t e " > wgerm. *garddjö- = ags. Qierd, as. gerdia, ahd. gerla (alt noch gertta). Anm.: Auch das Nordgerm, kennt eine Konsonantenverdoppelung vor j, jedoch nur von Gutturalen (k, g) und nur nach voraufgehenden kurzen Vokalen. Got. lagjan = an. leggia „legen"; got. hugjan = an. hyggia „denken". § 85. V e r d o p p e l u n g v o r r u n d l. Dabei ist zu b e a c h t e n , d a ß vor r u n d l sich Sproßvokale einstellten (§ 49). Meist sind diese erst n a c h der Konsonanten-Verdoppelung e n t s t a n d e n (vgl. a h d . ackar, as. akkar < *akkra-); wenn der Sproßvokal jedoch schon v o r der Zeit der Verdoppelung a u f g e t r e t e n war, so unterblieb diese (so in ags. a?cer). Verdoppelt werden vor r u n d l n u r gerin. p, t, k. Germ. *snulra- (got. snutrs, a n . snotr) „ k l u g " > wgerm. *snoltra- = ags. snottor, ahd. snottar. — Germ. *hlütra- (got. hlütrs) „rein, l a u t e r " > wgerm. *hlüttra- = ags. hlüttor (später hlülor), as. hlüttar, a h d . hlüttor (später hlütar, lütar). — Germ. *akraz (got. akrs, an. akr) „ A c k e r " > wgerm. *akkra- = afries. ekker, as. akkar, a h d . ackar, aber ags. xcer. — E b e n s o in dem Lehnwort wgerm. *kuppra- ( < lat. cuprum) „ K u p f e r " = a h d . kuphar, chupfer. Germ. *apla- (vgl. a n . epli) „ A p f e l " > wgerm. *appla— ags. seppel, m n d . appel, ahd. aphul, apfel. — W g e r m . *luttla- „ k l e i n " = as. luttil, ahd. luzzü (aber ags. lytel aus *lütila-). — L e h n w o r t wgerm. *fakkla- ( < lat. facla, facula) „ F a c k e l " = ahd. faccala, facchela. § 8 6 . V e r d o p p e l u n g v o r w, m u n d n . E i n e Verdoppelung vor w begegnet n u r bei k u n d h, d. h. in den ursprünglichen Labiovelaren ( = got. q u n d hi). Sie ist zudem f a s t n u r im A h d . d u r c h g e f ü h r t u n d auch dort bei h n u r sehr selten. Mit got. naqaßs „ n a c k t " vgl. ahd. nackot, aber ags. nacod, m n d . naket-, m i t got. aqizi „ A x t " vgl. ahd. acchus, auch as. accus neben acus, aber ags. seces. Mit got. saihan „ s e h e n " vgl. a h d . sehan, selten sehhan.
III. Konsonantismus
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Auch das Nordische kennt eine Verdoppelung von k vor w, die aber mit der westgerm. Gemination in keinem Zusammenhang
steht. Vgl. an. nekkvepr,,nackt" = got. naqaps; an. rekkr „Finsternis" = got. riqis. Beispiele für die sehr seltene Verdoppelung vor « und m sind etwa germ. *drukna- „trocken" > wgerm. *drukkna= mhd. trucken, trocken und germ. *maipma- (got. maipms) „Kleinod" = ags. mäddum (dann mädum). E. Z u s a m m e n f a s s e n d e Ü b e r s i c h t ü b e r die h o c h d e u t s c h e (zweite) L a u t v e r s c h i e b u n g § 87. Die hochdeutsche Lautverschiebung, deren einzelne Vorgänge im Vorangehenden an mehreren Stellen zerstreut behandelt oder teilweise auch nur gestreift wurden, sei hier der Übersicht halber noch einmal summarisch zusammengefaßt. Durch die zweite Lautverschiebung sondert sich das Ahd. scharf vom Altniederdeutschen und vom übrigen Westgerm. überhaupt. 1 ) Streng zu scheiden ist dabei die Verschiebung der germ. und westgerm. Tenues (§ 82) und die der germ. bzw. westgerm. Medien (und stimmhaften Spiranten). Die Verschiebung der Tenues zu Doppelspiranten bzw. Affrikaten betrifft das g a n z e hochdeutsche Sprachgebiet; ausgenommen ist lediglich die Verschiebung des k zu k%, die nur obd. ist. Die Verschiebung der Medien (und stimmhaften Spiranten) hingegen erfaßt nur einen T e i l des Ahd., nämlich im wesentlichen nur das Obd.; einzig bei d > t reicht das Gebiet der Verschiebung weiter, indem hier auch der größte Teil des Fränkischen mit einbegriffen ist. Die V e r s c h i e b u n g d e r T e n u e s ist in §82 beschrieben und durch Beispiele belegt worden. Von der M e d i e n v e r s c h i e b u n g werden erfaßt westgerm. I ( < germ. h, b), d ( < germ. d, d), g ( < germ. germ. *stadla- > *stalla- = an. stallr, ags. steall, ahd. stal (Genet. stalles) „ S t a l l " (daneben idg. *std-tlo- > germ. *stapla- in ags. stadol, ahd. sladal „ S t a d e l " , as. stadal „Aufenthalt"). Ähnlich verhält sich ahd. wattön „wandern" zu ahd. wadal „Wanders c h a f t " ; an. troll „Zauberer, Unhold" zu an. tropa, got. trudan „treten". 2. Idg. sl ist im Germ, über *zt zu II geworden. Germ. *kruzla- in me. crolle = nihd. krolle „Haarlocke", nhd. kroll „ l o c k i g " ; vgl. mhd. krüs „kraus". An. knylla, ags. cnyllan
III. Konsonantismus
H3
„schlagen, stoßen" < *knuzljan-; vgl. ahd. knussen, ags. cnyssan < *knusjan- „stoßen". Ähnlich an. hrolla „zittern" zu an. hriösa „schaudern". 3. Idg. In ist im Germ, zu II geworden. (Ähnlich auch in einigen anderen Sprachen, z. B. im Lat.) Mitlit. pilnas, abulg. plinb (auch ai. pürnah, lat. pienws)„voll" vgl. got. fulls, an. fullr, ags. as. füll, ahd. fol (Genet. fottes); lit. vilna, abulg. vUna (auch ai. ürnä, lat. lärta) „Wolle" = got. urnlla, an. ull, ags. tculle, ahd. wolla; mit lit. kdlnas „Berg" (lat. Collis < *colnis) vgl. ags. hyll „Hügel"; idg. *rpelnom > got. (usw.) fill (§ 30). § 97. In einigen Konsonantenverbindungen, die ein n enthielten, ist durch Assimilation im Germ, die Gruppe nn entstanden. 1. Am wichtigsten ist der Übergang von idg. nu zu germ. nn. Got. kinnus, an. kinn „Wange", ags. cinn, as. kinni, ahd. chinni „Kinn" < idg. *genu-; vgl. besonders lat. (dem) genuinus „Backen(-zahn)". An. ßunnr, ags. Pynne, as. thunni, ahd. dunni „dünn" < idg. *tnu-; vgl. lat. tenuis, ai. tanvi (fem.) „dunn", gr. TCCVÜCO„spanne". Got. minniza, an. minne, afries. as. minnira, ahd. minniro „kleiner" < idg. *minuison-; vgl. lat. minus < *minuos „weniger", gr. nivöw, lat. minuö „mindere". 2. Idg. sn ist über *zn im Germ, t e i l w e i s e zu nn geworden ; in anderen Fällen ist es als sn oder (nach § 62) als zn erhalten geblieben. Idg. *duisno- „zwiefach" ( = lat. bini, vgl. § 4) = an. tvennr „zweifach", ags. twinn „doppelt". Ags. dunn „schwarzbraun", an. dunna „(braungraue) Stockente" pempe u. dgl., § 60). Die Assimilation kann eine vollständige (totale) sein (z. B. sl > II, § 96, 2) oder nur eine teilweise (partielle), z. B. mt > nt (§ 94). Ferner ist zu unterscheiden zwischen einer Angleichung an einen folgenden Konsonanten („Progressive Assimilation" ; z. B. sro > mm, § 98,1) und einer solchen an einen vorangehenden Konsonanten („Regressive Assimilation"; z. B. l n > II, § 96,3).
118
Lautlehre
Die hierher gehörigen Erscheinungen sind meist schon in anderem Zusammenhang behandelt worden (besonders § 96 bis 99). Nachzutragen sind einige Beispiele für F e r n a s s i m i l a t i o n . So konnte im Ahd. ein wortauslautendes n an ein wortanlautendes p oder f angeglichen und dabei zu m werden : ahd. pilignn (aus lat. peregrinus) wurde zu piligrim „Pilger"; neben ahd. faran (== as. farn, ags. fearn) steht ahd. faram „Farn". — In ahd. orgela „Orgel" (aus mittellat. Organum) ist n in Angleichung an voraufgehendes r zu l geworden. — In an. träne „Kranich" gegenüber ags. eran, mhd. krane (vgl. gr. yipavos) ist anlautendes k dem inlautenden n angeglichen und zu t geworden. — In got. plapja aus lat. platea „Straße, Platz" ist das inlautende t dem anlautenden p angeglichen worden. B. D i s s i m i l a t i o n § 108. Stehen in einem Wort zwei (oder mehrere) gleiche Konsonanten, so kann einer von ihnen durch Dissimilation („Entgleichung") verändert werden. Das kann auf zweierlei Weise geschehen: 1. der eine der gleichartigen Konsonanten geht in einen anderen (verwandten) Konsonanten über („echte Dissimilation"), 2. der eine der gleichartigen Konsonanten schwindet („dissimilatorischer Schwund"). 1. E c h t e D i s s i m i l a t i o n . Am häufigsten ist die Dissimilation zweier L i q u i d e n . So geht von zwei in einem Wort stehenden r das eine vielfach in l über: mhd. mül-ber „Maulbeere" = ahd. mür-beri ( < lat. morum); got. aürali „Schweißtuch", ags. orel „Gewand. Schleier, Mantel", ahd. orul, orel „flammeolum" = lat. orärium „Schweißtuch". — Von zwei l geht das eine häufig in n über: mhd. knobe-louch „Knoblauch" == mhd. klobe-louch, ahd. klobo-louh; ahd. ana-lust = ala-lust „Wohlgefallen". Ein n, das mit einem andern n oder auch m im gleichen Wort steht, kann zu l dissimiliert werden. Ahd. sliumo, sliemo
III. Konsonantismus
119
„schnell, plötzlich" = sniumo (vgl. got. sniumjan „eilen"); dazu auch ahd. slünig ( curiig „König"; phending > phenning > phennig „Pfennig" ; honang > honag „Honig". Ebenso später mhd. minent-, dinerd-halben > nhd. meinet-, deinet-halben. Von zwei l ist eines dissimiliert in got. fugls, an. fugl, ags. fugol, as. fugal, ahd. fogal „Vogel" aus germ. *flug-la-z zu got. (usw.) fliugan „fliegen" (vgl. nhd. ge-flügel). Von zwei r ist eines dissimiliert in mhd. keder, köder neben kerder, korder „Köder", ahd. querdar; ebenso an. here, hegre „Reiher" gegenüber ags. hrägra, ahd. (h)reigaro. Ein r ist wegen eines folgenden l dissimiliert in mhd. weit neben werlt, ahd. weralt „Welt". C. M e t a t h e s e § 109. Eine Reihe von Metathesen, d. Ii. Umstellungen von Lauten, hat eine allgemeinere Geltung. 1. Schon in voreinzelsprachliche Zeit reichen Umstellungen von N a s a l e n zurück. Allerdings liegen dabei in den meisten Fällen wohl keine echten Metathesen vor, sondern Auswirkungen von idg. Ablautserscheinungen. So an. nafle, ags. nafela, ahd. nabulo „Nabel" (wie ai. näbhih, apreuß. nabis „Nabel") gegenüber lat. umbllicus, gr. ¿ii!AAios neben a, ahd. geba < germ. -ön, idg. -am, vgl. ai. aMiäm „die Stute". Got. (usw.) anst „die Gunst" (¿-Stamm) entspricht im Kasusausgang lat. süitn; got. (usw.) sunu „den Sohn" (u-Stamm): lat. fructurn; got. (usw.) bröfrar „den Bruder" (r-Stamm): lat. frätrem usw. 2. Der Nom. Acc. Voc. Sing. Neutr. der idg. ¿¡-Stämme. Idg. *iugom „Joch" (ai.yugdm, lat. iugum, gr. juyöv) = got. juic, an. ok, ags. geoc, as. juk, ahd. joh. 3. Der Gen. Plur. in allen Stammklassen (idg. -öm; z. B. ai. mätfnäm, gr. inyripcov, lat. mätrurn „der Mütter"). Got. dage, an. daga, ags. daga, as. dago, ahd. tago „der Tage" (idg. ö-Stamm); got. gibö, an. giafa, ags. gifa (as. getono, ahd. geböno) „der Gaben" (idg. ä-Stamm) usw. 4. Der Nom. Sing, der w-Stämme. Dem grieeh. fiytucov „der Führer", iroiui^v „der Hirt" entsprechen im Ausgang got. hana und an. hane „Hahn". 5. Die erste Pefs. Sing, mit der idg. Endung -m, z. B. as. deda, ahd. teta „ich t a t " = ai. d-da-dhä-m „ich setzte".
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Lautlehre B. D i e d e n t a l e n
Verschlußlaute
§ 114. Alle im absoluten Auslaut stehenden idg. dentalen Verschlußlaute sind im Germ, geschwunden. Ags. nefa, afries. neva, as. nevo, ahd. mfo „Neffe, Enkel" < germ. *nefö{d), idg. nepöt- ( = ai. ndpät „Abkömmling, Enkel", lat. nepöt-); got. undarö „unten" < idg. *ndheröd (— ai. adharat). Wichtig für die Flexionslehre ist dieses Gesetz bei der 3. Pers. Sing, auf idg. -(•: got. ahd. wili, as. wil(i), ags. utile „er will" = lat. velü\ got. lairai, an. ags. as. ahd. bere „er möge tragen" < idg. *bher-oi-t ( = ai. bhdret; auch gr. ipo(i£s, lat. ferimus) > germ. *beramiz, -maz
-
g o t . bairam,
an.
berom.
§ 116. Die Gruppe -ns, die im Got. noch erhalten ist, ist im Nord- und Westgerm. völlig geschwunden. In Betracht kommt nur der Acc. Plur. Mit gr. (kretisch) ir6Xtv$ „die Städte" vgl. got. gastins, aber an. geste, as. ahd. gesti „die Gäste". Got. dagans (vgl. kret. iXeOOepovs) = an. as. daga, ahd. taga „die Tage". Got. sununs = an. suno, ags. sunu „die Söhne".
128
Lautlehre
2. Vokalische Auslantsgesetze §117. A l l g e m e i n e V o r b e m e r k u n g . Auslautende-Vokale erleiden im German, fast ausnahmslos eine Verminderung ihrer Quantität. Ganz allgemein kann man (von gewissen Besonderheiten abgesehen) sagen, daß sie (früher oder später) um e i n e Z e i t e i n h e i t („More") g e k ü r z t werden; d. h. ursprüngliche Kürzen ( = eine More) schwinden, stoßtonige Längen ( = zwei Moren, vgl. § 28) werden zu Kürzen, schleiftonig'Längen ( = drei Moren) werden zu einfachen (zwei-morigen) Längen. Entsprechendes gilt für die Kurz- und Langdiphthonge. öfters ist mit der quantitativen Veränderung auch eine qualitative verbunden. In manchen Fällen bedeutet es einen Unterschied, ob der zu verändernde Vokal im a b s o l u t e n (freien) oder g e d e c k t e n A u s l a u t steht; in letzterem Falle folgen ihm noch ein oder mehrere Konsonanten (einfach oder mehrfach gedeckter Auslaut). Dabei ist dann wiederum vielfach ausschlaggebend, von welcher Art der oder die folgenden Konsonanten sind. Der ältesten (gemein-germ.) Schicht von Auslaut,sschwachungen sind in den meisten Dialekten noch weitere gefolgt. A. D i e k u r z e n V o k a l e § 118. E r h a l t e n blieben kurze Vokale in e i n s i l b i g e n W ö r t e r n , soweit diese einen Eigenton hatten. Idg. *ad (lat. ad, altkymr. ad „zu") = got. an. as. at, ahd. „an, bei, zu". Idg. *ne (lat. ne-, ai. na) = got. ni, ags. afries. as. ahd. ni, ne „nicht". Idg. *is (lat. is, lit. jis „er") = got. is, ahd. ir, er „er". Idg. *sö (gr. 6, ai. sa h) = got. urnord. sa „dieser". Idg. *nü (gr. vu, ai. nu) = got. afries. as. ahd. nu „jetzt". Ist aber das einsilbe Wort ein Enklitikon ( § 2 6 ) , so verliert es seinen kurzen Vokal: got. sa-h „(und) dieser" < idg. *s6-q*e.
§ 119. Germ, ä ( < idg. ä und ö, § 30) ist im a b s o l u t e n Auslaut überall geschwunden. Idg. *uoida (ai. vida, gr. olSa)
IV. Auslautsgesetze
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= got. wait, an. veit (vgl. auch urnord. un-nam „ich unternahm"), ags. wät, afries. as. wet, ahd. wei^ „ich weiß". Idg. *dhogheso bzw. *dhoghoso „des Tages" = got. dagis, an. dags (vgl. urnord. göiagas „des Gödagr"), ags. dasges, as. dages, ahd. tages. Im g e d e c k t e n Auslaut ist germ. ä auf den urnord. RunenInschriften und in den germ. Lehnwörtern im Finnischen noch erhalten. In Betracht kommt vor allem die Stellung vor idg. -s (germ. -z, § 115) und idg -m (germ. -n > —, § 113). Idg. *dhoghos > germ. *dagaz „der Tag" = urnord. äagaR; germ. *kunwgaz „König" = finn. kuningas. — Idg. *krnom „Horn" > germ. *hurna(n) = urnord. horna (Acc. Sing.); idg. *ghltom „Gold" > germ. *gulpa(n) —- finn. kulta. Sonst ist a auch im gedeckten Auslaut überall geschwunden. Mit den eben genannten Wörtern vgl. an. dagr, got. dags, ags. dseg, as. dag, alid. tag; an. konungr, ags. cyning, as. cuning, ahd. chuning; got. haürn, an. ags. afries. as. ahd. horn; got. gulp, an. gull, ags. gold, afries. as. ahd. gold. § 120. Idg. e = germ. e oder i ( § 30 und 45) ist sowohl im absoluten wie im gedeckten Auslaut überall geschwunden. A b s o l u t e r A u s l a u t : Idg. *uoide (ai. veda, gr. oTSe) „er weiß" = got. wait, an. veit, ags. wät, afries. as. wet, ahd. weiy, idg. *penq*e (lat. quinque, gr. tt£vte) „fünf" = got. ahd. fimf, an. fimm, ags. afries. as. f i f ; idg. *bheräe „ihr t r a g t " (ai. bhdratha, gr. ytprrt) = got. bairiß, ags. berad, as. berad, ahd. beret. G e d e c k t e r A u s l a u t : Der Endung von gr. fiysuövEj „die Führer" entspricht die von germ. *gumanü > got. gumans, ags. guman, as. gumon, ahd. gomon „Männer"; ebenso bei den ¿-Stämmen: idg. *ghosteies (vgl. ai. kavdyah „die Weisen") > germ. *gasti{iz = got. gasteis, an. gester, as. ahd. gesti „Gäste"; desgleichen bei den «-Stämmen: idg. *suneues (vgl. ai. sunavah) > germ. *suniuiz = got. sunjus usw. „Söhne". s
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Lautlehre
§ 121. Idg. i = germ. i (§ 30) ist in d r i t t e r Silbe schon gemein-german. geschwunden. Idg. *bheresi „du trägst" (ai. bhdrasi) = got. bairis, an. berr, ags. bires, as. ahd. biris; idg. *bheronti „sie tragen" (ai. bMranti, dor. germ. *hanan-u(n) „den Hahn" = got. hanan, an. hana, ags. hanan, as. alul. hanon. — Nur auf den urnord. Runen-Inschriften ist es noch erhalten, vgl. den Eigennamen SigaduR. In z w e i t e r Silbe ist u im W e s t g e r m , nach langer Silbe geschwunden, nach kurzer Silbe erhalten. Nach l a n g e r S i l b e : gerni. *flöduz „Flut", Acc. *flödu(n) = ags. afries. as. flöd, ahd. fluot (auf ags. Runcn-Inschrift noch flödu); germ. *handuz, *liandu(n) „Hand" = ags. hond, afries. as. hand, ahd. hant. Nach k u r z e r S i l b e : germ. *giduz, *sidu(n) „Sitte" = ags. sidu, seodu, as. sidu, ahd. situ; germ. *sunuz, *sunH(n) „Sohn" = ags. afries. as. ahd. sunu. Im N o r d g e r m , ist u in zweiter Silbe im Urnord. noch bewahrt: urnord. sunuR „Sohn", Acc. magu „den Sohn". — Im An. schwand u zunächst nach langer Silbe: an. flöd „Flut", hqnd „Hand", später auch nach kurzer Silbe: an. sidr „Sitte", sunr „Sohn". Im G o t i s c h e n ist bei den u-Stämmen wiederum analogischer Ausgleich eingetreten, jedoch in umgekehrter Richtung als bei den ¿-Stämmen (vgl. § 121), so daß hier u auch nacli langer Stammsilbe bewahrt erscheint: sidus(Acc. sidu) „Sitte", sunus (sunu) „Sohn", aber auch flödus (flödu) „Flut" und handus (handu) „Hand". Daß lautgesetzlich u nach langer Silbe auch im Got. schwinden mußte, zeigt got. tagr „Träne" < idg. *dakru (= gr. 8 gerni. *sö = got. so, an. sm; idg. *iäm (Acc.) „diese" ( = ai. täm, gr. n^v) > gerni. *pö(n) = got. pö, an. ags. ¡>ä; idg. *te. tö (Instr. Sing.; vgl. gr. Tfj-Ss „hier" bzw. lit. tuö „mit dem") > germ.*/e = got. Pe „desto" bzw. germ. *pö = as. thö, ahd. dö, duo „da, darauf". 2. Im G o t i s c h e n vor -s (bzw. germ. -z). Nom. Plur. gibös „die Gaben" (vgl. ai. ä&väh „die Stuten"); 2. Sing, des schwachen Praeteritums nasides „du rettetest" gegenüber der 1. und 3. Sing, nasida; 2. Sing. Opt. wüeis „du willst" gegenüber 3. Sing. wili. — Auch im Ahd. blieb die Länge (nach Schwund des -z bzw. -r) erhalten, wenn sie ursprünglich s c h l e i f t o n i g war: ahd. gebä „die Gaben" (germ. *geböz, idg. *ghebhäs); in den übrigen Dialekten wurde sie gekürzt: an. giafar, ags. giefa, as.qeba. Ursprünglich s t o ß t o n i g e L ä n g e n wurden auch vor altem -s im Nord- und Westgerm, überall gekürzt: ags. wile, as. ahd. vnli „du willst"; an. heyrper „du hörtest" ( = got. hausides). § 124. Idg. schleiftoniges e blieb im Got. als e erhalten; sonst wurde es zu a gekürzt. Idg. *q*otred = got. hadre „wohin?" ; idg. *totred = an.padra „dorthin". Idg. stoßtoniges e wurde geiiieingerm. zu a gekürzt; dieser Zustand ist nur noch im Got. klar zu erkennen. Instr. Sing. idg. *dhogbs = got. daga (Dat. Sing.) „dem Tage" (vgl. einsilbiges got. pe, § 123); 3. Sing, des schwachen Praet. idg. *-dhet in got. nasida „er rettete"; 1. Dual. idg. *-ue (vgl. abulg. vede-vt „wir beide führen") in got. bairaiwa „wir beide mögen tragen". § 125. Idg. schleiftoniges i ist im Germ, nicht sicher zu belegen. Stoßtoniges i wurde gekürzt. Mit der Endung von ai. dew „Göttin" vgl. die von got. mawi „Mädchen".
IV. Auslautsgesetze
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F ü r ü und u fehlen Beispiele. § 126. Am wichtigsten von den auslautenden Längen ist gcrm. 5 (— idg. ä und 5, § 31). Zu unterscheiden sind je nach der Behandlung im Germ.: l. schleiftoniges ö, das in allen Stellungen gleichartig behandelt wird. 2. stoßtoniges ö, das durch Nasal gedeckt war, 3. stoßtoniges ö im absoluten Auslaut. 1. Schleiftoniges ö wird im absoluten und im (durch dentalen Verschlußlaut oder Nasal) gedeckten Auslaut im Got. zu ö, im An. und Ags. zu ä, im As. und Ahd. zu ö. Hierher die idg. Ablative auf -öd (vgl. lit. tö „dessen", alter Ablativ), die im Germ, als Adverbia erhalten s i n d : got. galeikö, an. gllka, as. gilieo, ahd. gillcho „in gleicher, ähnlicher Weise"; got. undarö „ u n t e n " , ufarö „über". — Gen. Plur. der ö-Stämme, idg. -öm (vgl. gr. Oewv) in an. daga, ags. daga, as. dago, ahd. tago; ähnlich in den anderen Stammklassen, z. B. bei den idg. ü - S t ä m m e n : got. gibö, an. giafa, ags. giefa, as. gebo (gebono), (ahd. gebono). — Nom. Sing, der «-Stämme, idg. -5 (vgl. lit. akmuö „Stein") in ags. guma, as. gumo, ahd. gomo „Mann, Mensch". 2. Stoßtoniges ö, das ursprünglich durch Nasal gedeckt war, erscheint im Urnord. als o, im An. Got. As. und Ahd. als a, im Ags. als e. Hierher der Acc. Sing, der idg. ä-Stämme, idg. -äm (vgl. ai. dsväm, gr. tim^v) > germ. -ö(n) in got. giba, as. geba, ahd. geba, ags. gife, giefe „ G a b e " (für das An., wo das Substantiv im Acc. Sing, analogisch geneuert hat, vgl. das Adjektiv spaka „die kluge"). — 1. Sing, des schwachen Praeteritums, idg. *-dhöm in urnord. tmvido — an. täf>a „ m a c h t e " ; got,. nasida, as. nerida, ahd. nerita, ags. nerede „ich rettete". — Nom. Sing, der «-Stämme, idg. -Ön (wie gr. f|yen&>v), der im Germ, bei den Feminina f o r t l e b t : an. as. tunga, ahd. zunga, ags. tunge „Zunge". 3. Stoßtoniges 5 im absoluten Auslaut ist im Got. zu a, im Nord- und Westgrrm. zu n geworden. Das w ist im Uriinnl.
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Lautlehre
noch erhalten, im An. geschwunden; im Westgerm. ist u nach kurzer Silbe erhalten, nach langer Silbe geschwunden (doch ist vielfach analogisch ausgeglichen worden). Hierher der Noni. Sing, der idg. ä-Stämme (gr. 6e f. 2. und ,'j. Sing. Optat., idg. *bherois, *bheroit (wegen des Schleiftons vgl. lit. te-sukie „er möge drehen" mit ie aus idg. oi) = got. bairais, ba'trai; an. berer, bere, ags. bere, as. leres, bere, ahd. heres, bere „du mögest (er möge) tragen". — Gen. Sing, der i-Stämme, idg. -o/s (vgl. lit. nakties „der Nacht") in got. anstais „der Gunst". Germ, aü ( = idg. a«, oü) = got. au; west- und nordgenn. u (so im Ahd. erhalten), woraus an. ags. ä. as. i>. Gen. Sing, der «-Stämme, idg. -oüs (vgl. lit. suiuiiis „des Sohnes") in got. siiuatis, an. sonar, ags. suna. as. mno ..des Sohnes"', ahd. fridii (geschr. fridoo) „des Friedens'".
IV. Auslautsgesetze
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§128. S t o ß t o n i g e Diphthonge sind im Got. in einsilbigen Wörtern mit Eigenton erhalten. Idg. *toi „diese" (dor. to() = got. pai, dafür an. pei-r, ags p&, as. the, ahd. die. In mehrsilbigen Wörtern kommt nur idg. oi ( > germ. ai) in den Endungen des Medio-Passivums in Betracht. Hier ist im Got. ai zu ä geworden: gr. (ark.)