Germanische Sprachwissenschaft: Band 1 Einleitung und Lautlehre 9783111375397, 9783111017518


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German Pages 147 [172] Year 1960

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Germanische Sprachwissenschaft: Band 1 Einleitung und Lautlehre
 9783111375397, 9783111017518

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SAMMLUNG

GÖSCHEN

BAND

238

GERMANISCHE SPRACHWISSENSCHAFT TOD

DR. H A N S

KRÄHE

o. ö. Professor an der Universität Tübingen

I

EINLEITUNG

Vierte,

UND

LAUTLEHRE

überarbeitete

Auflage

WALTER DE GRUYTER & CO. vormals G. J . GfiBchen'sche Verlagshandlung • J . Guttenlag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J . TrObner • Veit & Comp.

BERLIN

1960

© Copyright 1960 by Walter de Gruyter & Co., Berlin W 35 Alle Hechte, einschl. der Rechte der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, von der Verlagshandlung vorbehalten Archiv-Nr. 1102 38 Druck: Lindemann & Ladecke, Berlin SO 36 Printed in Germany

Inhaltsverzeichnis Allgemeiner Teil Seit« 1. Verwandtschaftliche und nachbarliche Beziehungen des Germanischen 10 a)Das Germanische als Glied der idg. Sprachenfamilie (§1-2) 10 b) Das Germanische innerhalb des „alteuropäischen" Sprachenkreises ( i 3— 13 Begriff des „Alteuropälschen" (8 3), Germanisch und „Italisch" ($ 4), Germanisch und Illyrisch (8 5), Germanisch und Keltisch ( | 6), Germanisch-Keltisch-„Itailsch" (8 7), Germanisch, Baltisch, Slavisch ({ 8).

c) Spätere nachbarliche Beziehungen des Germanischen (§ 9) 2. Die Gliederung des Germanischen (§ 10—17) Allgemeines (§10) a) Die westgermanische Gruppe Die westgermanischen Völker (§11) Die westgermanischen Dialekte (§12) Die Überlieferung der westgermanischen Dialekte (§ 13) b) Die nordgermanische Gruppe Die nordgermanischen Völker (§14) Die nordgermanischen Dialekte und ihre Denkmäler (§15) c) Die ostgermanische Gruppe Die ostgermanischen Völker (§16) Die ostgermanischen Denkmäler (§17) d) Das Verhältnis der drei german. Gruppen zueinander . . Nord- und Ostgermanisch (§18) Nord- und Westgermanisch (§19) West- und Ostgermanisch (§20) 3. Aufgabe und Umfang der germanischen Sprachwissenschaft (§21) 4. Die Quellen der germanischen Sprachwissenschaft (§ 22) . 5. Die wichtigsten Merkmale des Germanischen (§23) . . . . Lautlehre Allgemeine Vorbemerkungen (§24) I. Betonung Stellung und Art des Akzents (§25) Der Satzakzent (§26) Der Wortakzent (§27) Der Silbenakzent (§28) l*

23 25 25 26 26 28 31 32 32 32 34 34 36 36 36 37 38 39 41 42 43 45 46 46 48

4

Inhaltsverzeichnis

II. Vokalismus 1. Der idg. Vokalbestand (§29) 49 2. Die Vertretung und Weiterentwicklung des idg. Vokalbestandes im Germanischen 50 A. Der Vokalismus der Tonsilben (§ 30—44) 60 a) Die normalen idg.-germ. Entsprechungen (§ 30—34) . 50 Die Kurzen (§ 30). Die Langen (§ 31). Die Diphthonge (§ 32). Die silbischen Liquiden und Nasale (§ 33). Übersicht (5 34).

b) Besonderheiten in der Weiterentwicklung des germ. Vokalismus (§35—43) 56 a) Qualitative Veränderungen (§ 35—41) 56 Germ, e > i (§ 35). Brechungen von aerm. » und u (§ 36). Der iUmlaut (§37). Der u-ümlaut (§38). Die Brechung des a im Ags. (§ 39). Die Brechung des e im An. (§ 40). Die Monophthongisierung von ei und ou im Ahd. (§ 41).

ß) Quantitative Veränderungen (§ 42—43)

Vokaldehnung durch Nasalschwund vor h (§ 42). Vokalkurzung in geschlossener Silbe (§ 43).

c) Übersicht über die Entwicklung der germ. Tonvokale (§44) B. Der Vokalismus der Nebentonsilben (§45—49) . . . . a) Schicksale ursprünglicher Kürzen (§ 45, 46) . . . . b) Schicksale ursprünglicher Längen (§47) c) Schicksale ursprünglicher Diphthonge (§48) . . . . d) Entstehung neuer Mittelsilbenvokale (§49) . . . . 3. Der Ablaut A. Die idg. Grundlagen des Ablauts (§ 50—53) Zur Erklärung (§ 50). Die kurzvokalischen AblÄutsrelhen (§ 51). Die langvokalischen Ablautareihen (§ 52). Zur Entstehung des Ablauts (§ 53).

B. Der Ablaut im Germanischen (§ 64—67)

61 62 64 64 66 66 66 67 67 72

Allgemeines (§ 54). Die Ablautsreihen beim starken Verbum (§ 55). Die Ablautsreihen außerhalb des starken Verbums (§ 56). Suffixablaut (§ 57).

III. Konsonantismus 1. Der idg. Konsonantenbestand (§58) 2. Die Vertretung der idg. Konsonanten im Germanischen . . A. Die Behandlung der idg. Verschlußlaute (§ 5 9 — 6 6 ) . . .

79 79 80

a) Die Verschiebung der idg. Tenues und Tenues aspiratae (§ 60—63)

81

b) Die Verschiebung der idg. Mediae aspiratae (§ 64) . .

90

Allgemeines zur ersten Lautverschiebung (§ 59).

Normale Verschiebung zu Reibelauten (§ 60). Nichteintreten der Verschiebung (§ 61). Das Vernersche Gesetz (§ 62). Der grammatische Wechsel (§ 63).

Inhaltsverzeichnis

5

c) Die Verschiebung der idg. Mediae (§65) d) Schematische Darstellung der ersten Lautverschiebung (§66) B. Die idg. Spirans s im Germanischen (§ 67—68) . . . . C. Die idg. Nasale und Liquiden im Germanischen (§ 69 bis 70) D. Die idg. Halbvokale im Germanischen (§ 71—72) . . . 3. Die Weiterentwicklung des germ. Konsonantismus in den einzelnen Dialekten A. Die germ. stimmlosen Spiranten (§ 73—76) B. Die germ. stimmhaften Spiranten (§ 77—80) C. Die germ. Tenues (§ 81—82) D. Die westgerm. Konsonantenverdoppelung (§ 83—86). . E. Zusammenfassende Übersicht über die hochdeutsche (zweite) Lautverschiebung (§87) 4. Lautwandel in Konsonantengruppen (Kombinatorischer Lautwandel) A. Vorgermanische Vorgänge (§ 88—95) a) Idg. Vorgänge (§ 88—90) b) Sonstige voreinzelsprachliche Vorgänge (§91—95). . B. Gemein-germ. Vorgänge (§96—102) . . . '. a) Assimilationserscheinungen (§ 96—99) b) Schwund von Konsonanten (§ 100—102) . . . . C. Spätere (einzeldialektischc) Vorgänge (§ 103—106) . . 5. Sonstige Veränderungen im german. Konsonantismus . . A. Assimilation (§ 107) B. Dissimilation (§ 108) C. Metathese (§ 109) D. Haplologie (§ 110) E. Konsonanten-Verdoppelung (§ 111) IV. Auslautsgesetze 1. Konsonantische Auslautsgesetze (§ 112—116) A. Die Nasale (§ 112—113) B. Die dentalen Verschlußlaute (§ 114) C. Die idg. Spirans s (§ 115—116) 2. Vokalische Auslautsgesetze (§117—129) Allgemeine Vorbemerkung (§ 117).

A. Die kurzen Vokale (§ 118—122) B. Die langen Vokale (§ 123—126) C. Die Diphthonge (§ 127—129) Wörterverzeichnis

91 92 93 94 94 96 96 99 102 103 106 108 108 108 109 111 111 114 115 116 116 117 118 120 120

123 123 125 125 , . 127 127 131 133 136

Literatur K. B r u g m a n n . Kurze vergleichende Grammatik der indogermanischen Sprachen. Straßburg 1904 (Neudruck: Berlin 1933). H . H i r t . Indogermanische Grammatik. 7 Bände. Heidelberg 1921—1937. J. S c h r i j n e n - W . F i s c h e r . Einführung in das Studium der indogermanischen Sprachwissenschaft, mit besonderer Berücksichtigung der klassischen und germanischen Sprachen. Heidelberg 1921. E. K i e c k e r s . Einführung in die indogermanische Sprachwissenschaft. Bd. I: Lautlehre. München 1933. H. Krähe. Indogermanische Sprachwissenschaft. 3. Auflage. 2 Bände. Berlin 1968/59. (Sammlung Göschen 69 und 64.) W. S t r e i t b e r g . Urgermanische Grammatik. Einführung in das vergleichende Studium der altgermanischen Dialekte. Heidelberg 1896 (Neudruck: ebd. 1943). F. K l u g e . Urgermanisch. Vorgeschichte der altgermanischen Dialekte. 3. Auflage. Straßburg 1913. H . H i r t . Handbuch des Urgermanischen. 3 Teile. Heidelberg 1931—1934. A. Meillet. Caractères généraux des langues germaniques. 6. Auflage. Paris 1937. E. P r o k o s c h . A Comparative Germanie Grammar. Philadelphia 1939. A. N o r e e n . Abriß der urgermanischen Lautlehre. Straßburg 1894. F. S t r o h . Handbuch der germanischen Philologie. Berlin 1952. E. S c h w a r z . Deutsche und Germanische Philologie. (Studienführer.) Heidelberg 1951. H. K r ä h e . Historische Laut- und Formenlehre des Gotischen. Zugleich eine Einführung in die germanische Sprachwissenschaft. Heidelberg 1948. W. W i l m a n n s . Deutsche Grammatik. Gotisch, Alt-, Mittel- und Neuhochdeutsch. 3 Teile. 2. und 3. Auflage. Straßburg-Berlin 1911—1930. H. Paul. Deutsche Grammatik. 5 Bände. 3. und 4. Auflage. Halle 1956/67.

Literatur

7

H. Stolte. Kurze deutsche Grammatik. Auf Grund der fünfbändigen deutschen Grammatik von H . P a u l . 2. Auflage. Tübingen 1961. C. K a r s t i e n . Historische Deutsche Grammatik. Bd. I: Geschichtliche Einleitung. Lautlehre. Heidelberg 1939. H. Schulz. Abriß der deutschen Grammatik. 3. Auflage, bearb. von F. Stroh. Berlin 1947.

Die Literatur zu den germanischen Einzeldialekten ist in folgenden Bänden der Sammlung Göschen verzeichnet: H. Hempel. Gotisches Elementarbuch (Nr. 79). F. Ranke. Altnordisches Elementarbuch (Nr. 1116). M. Lehnert. Altenglisches Elementarbuch (Nr. 1125). H . N a u m a n n . Althochdeutsche Grammatik (Nr. 727). H. Naumann-W. Betz. Althochdeutsches Elementarbuch (Nr. 1111).

Abkürzungen der Sprachenbezeichnungen abulg. = altbulgarisch ac. = altenglisch afries. = altfriesisch ags. = angelsächsisch alid. = althochdeutsch ai = altindisch air. = altirisch an. = altnordisch apreuß. = altpreußisch as. = altsächsisch att. = attisch avest. = avestisch ö e c h . = öechisch der. = dorisch engl. = englisch finn. = finnisch gall. = gallisch germ. = germanisch got. = gotisch gr. = griechisch heth. = hethitisch idg. = indogermanisch illyr. = illyrisch

kelt. = keltisch kymr. = kymrisch lat. = lateinisch l e t t . = lettisch lit. = litauisch md. = mitteldeutsch me. = mittelenglisch messap. = messapisch mhd. = mittelhochdeutsch mnd. = mittelniederdeutsch nd. = niederdeutsch ndl. = niederländisch ne. = neuenglisch nhd. = neuhochdeutsch nord. = nordisch obd. = oberdeutsch osk. = oskisch russ. = russisch thrak. = - thrakisch umbr. = umbrisch ved. = vedisch venet. = venetisch wgerm. = westgermanisch

Zu einzelnen Zeichen und zur Aussprache: * vor einer Wortform bedeutet, daß diese nur erschlossen ist. > = entwickelt sich zu < = entstanden aus — über einem Vokal bedeutet dessen Länge, Aller) als Nebenfluß der Weser, Alantas, Aluntä u. ähnl. in Litauen, Alantia (> Elz), Nebenflüsse des Neckar und der Mosel, Aland im Elbe-Gebiet bei Wittenberge, Alento in Italien und noch viele andere zugehörige Bildungen1). Von appellativischem Wortgut sei nur der Ausdruck für die politische Gemeinschaft genannt, welcher sich spiegelt in got. piuda, anord. pjöd, ags. peod, as. thioda, ahd. diot{a) „Volk, Leute" mit der Ableitung got. piudans usw. „König"; air. tüath „Volk", kymr. tüd „Land", breton. tut „Leute"; osk. touto, umbr. (Akk.) totam „civitas"; altlit. tautä, lett. täuta „Volk", apreuß. tauto „Land"; illyr. teittana „Königin" 2 ). Neben derartigen, die Gesamtheit des „Alteuropäischen" umfassenden Gemeinsamkeiten stehen solche, welche jeweils nur zwei der beteiligten Sprachen miteinander verbinden; und gerade diese letzteren Berührungen sind naturgemäß besonders aufschlußreich für unsere Kenntnisse von dem (z. T. vorgeschichtlichen) Verhältnis der Germanen zu ihren Nachbarn, zumal auch in kultureller Hinsicht. § 4. In sehr frühe Zeiten muß die Grenznachbarschaft der Germanen mit den späteren „ I t a l i k e r n " zurückgehen, denn noch im 2. vorchristl. Jahrtausend sind diese aus einer nördlicheren Heimat in Richtung auf ihre nachmaligen Wohnsitze in der Appenninhalbinsel abgewandert. Schon damals ist also die Beziehung zwischen beiden Völkern unterbrochen worden. Kelten (und Illyrier) haben sich seitdem dazwischengeschoben; und viele Jahrhunderte später erst treten die Germanen, nachdem sie sich ihrerseits südwärts und westwärts weiter ausgebreitet und die Kelten zurückgedrängt haben, aufs neue mit den nunmehr lediglich durch die Römer •) Näheres bei H. Krähe, Sprache u. Vorzeit 4 8 - 6 3 ; Beitr. z. Namenforschung 5 (1964) 2 0 1 - 2 2 0 . ') Weiteres in „Sprache u. Vorzeit" 6 3 - 7 1 .

Verwandtschaft^ u. nachbarl. Beziehungen des Germanischen

15

vertretenen „Italikern" in sprachlichen und kulturellen Austausch. Die hier zu nennenden Gemeinsamkeiten zwischen dem Germanischen und den „italischen" Sprachen gehen selbstverständlich in jene früheste (vorgeschichtliche) Epoche zurück, in welcher die Träger der letzteren noch diesseits der Alpen Nachbarn der Germanen waren. Dabei handelt es sich zunächst einmal um eine beträchtliche Zahl von Übereinstimmungen im Wortschatz. Nur dem Germ, und Italischen eignen z. B. Benennungen von Körperteilen wie lat. collus (später collurn) — got. ahd. hals „Hals"; lat, lingua (alt dingua) — got. tuggö, ahd. zunga „Zunge"; lat. caput — anord. hQfud „Kopf"; Ausdrücke aus der Natur wie lat. aqua „Wasser" — got. aha, ahd. aha „Wasserlauf"; lat. ellvus „Hügel" — got. hlaiw, ahd. hleo „Grab, Grabhügel"; lat. limus „Bodenschlamm, Schmutz" — ahd. leim, as. lemo „Lehm"; Pflanzennamen wie lat. acer „Ahorn", Adj. acernus — altdän. xr < germ. *ahira-, ahd. ahorn\ auch solche für Kulturpflanzen, z.B. lat. und osk.-umbr. far „Dinkel,Spelt" — anord. barr „Korn, Gerste", ags. bere „Gerste" mit der Ableitung lat. farlna (< *farrinä) „Mehl" — got. barizeins „aus Gerste"; Termini des Ackerbaues wie lat. porca „Furche, Strecke Ackers" — ahd. juruh „Furche"; lat. sulcus „Furche" (mit sulcäre „pflügen") — ags. sulh „Pflug"; lat. sacena (< *sacesnä) „Haue des Pontifex" — as. segisna „Sense"; Tierbezeichnungen wie lat. haedus „Ziegenbock" — got. gaits, ahd. gei% „Geiß" mit der adj. Ableitung lat. haedinus „vom Bock" — got. gaitein. ahd. geißln „junge Ziege"; lat. vermis — ahd. wurm „Wurm"; ein Ausdruck des Seewesens wie lat. malus ( -w) ergab, z. B. got. ütana = ahd. #3an(a) „von außen" (: got. üta, ahd. üy „draußen") — lat. superne „von oben" (: super „oben"). Lateinisch, osk.-umbrisch und germanisch ist die Verwendung von Ablativen zu Bildungen auf -tro- (bzw. -trä-) als Adverbia mit Ortsbedeutung: osk. contrud, lat. contra „gegen", lat. ultrö neben ultra „jenseits" — got. haprö „woher?", jainprö „dorther". Kaum unabhängig voneinander sind die Perfektformen mit langem Wz.-Vokal entstanden, welche dem Lat. und Germ, in Fällen wie lat. venimus — got. qemum, sedimus — setum, fregimus — ahd. brähhum usw. gemeinsam sind. Die Präsens-Flexion des Typus lat. capiö, capis, capit stimmt zu der des (etymologisch identischen) ahd. heffu, hevis, hevit, und es darf dafür — wie auch für gewisse Übereinstimmungen der lat. ä- und ¿-Konjugation mit der 2. und 3. schwachen Verbalklasse des Germ. — mit der Möglichkeit eines vorgeschichtlichen Zusammenhanges gerechnet werden. Das V e n e t i s c h e im östl. Oberitalien, das in manchen Punkten des Lautstandes und des Wortschatzes dem Lat. nahesteht, teilt ebenfalls ein paar grammat. Eigentümlichkeiten ausschließlich mit dem Germ., zumal auf dem Gebiet des Pronomens. Venet. mego, „mich" ist (gegenüber lat. wie usw.) nach dem Nom. ego „ich" genau so analogisch umgeformt worden wie got. mik, ahd. mih „mich" nach dem Nom.

18

Allgemeiner Teil

got. ik, ahd. ih „ich". Das Identitätspronomen seibo- „selbst" existiert nur im Venetischen und Germanischen. § 5. Ähnlicher Art wie zum „Italischen" sind Beziehungen des Germ, zum I l l y r i s c h e n . Die späteren Illyrier scheinen einst Nachbarn der Germanen (und auch der Balten) in Ostmitteleuropa gewesen zu sein, wie das u. a. auch durch eine größere Anzahl illyrischer Ortsnamen in jenen Gegenden erwiesen wird 1 ). Später sind sie west- und südwärts abgewandert. Als nur germanisch und illyrisch ist z. B. die Bildungsweise des Possessivpronomens messap.-illyr. veina- „suus" ( < idg. *sueino-) bemerkenswert, welche genau der von got. meina-, peina-, seina- ( = ahd. min, dln, sm) gleichkommt. Übereinstimmungen im Wortschatz sind etwa messap. ßupiov „Wohnstatt" — ahd. ags. bür „Wohnung"; messap. (Akk.) ßpevSov „Hirsch" — schwed. (dial.) brinde „männl. Elentier"; messap. ctIh-tcc „schweig!" — mhd. steifte „schweigend"; messap. ßaerrd „Sandalen" — ahd. an. hast „Bast"; illyr. teutana „Königin" — got. piudans, as. thiodan „König". Vidasus, Name eines illyr. Waldgottes, entspricht genau dem anord. Götternamen Vidarr; der ags. Völkername Deanas hat die gleiche Grundlage wie der der illyr. Daum, nämlich *dhaunos „Wolf"; die reichverzweigte illyr. Sippe von Personennamen wie Aplo, Aplis, Aplus, Teuti-aplos usw. findet ihr Etymon einzig in anord. afl „Kraft", ajli „Stärke"; und ähnlich ist es in vielen anderen Fällen. §6. Die Berührungen des Germ, mit dem K e l t i s c h e n hat man, da sie zu einem großen Teil in Wortgleichungen politischen und kulturell wichtigen Inhalts bestehen, lange Zeit als Beweisstück für eine ehemalige Vorherrschaft der Kelten über die Germanen auf kulturellem und staatlichem Gebiet angesehen. Diese Anschauung hat sich als irrig erwiesen. Denn nur in ganz wenigen Fällen ist eine Entlehnung ') Vel. H, Krähe, Sprache und Vorzeit »8-114,

Verwandtschaft! u. nachbarl. Beziehungen des Germanischen

19

der betreffenden Wörter aus dem Keltischen ins Germ, (auf Grund grammatischer Kriterien) beweisbar (§ 9), vereinzelt ist sogar umgekehrt eine Entlehnung aus dem Germ, ins Keltische wahrscheinlich (ebd.); die meisten der germ.keltischen Wortgleichungen jedoch dürften (nicht anders als die germ.-lateinischen und germ.-illyrischen) auf gemeinsam festgehaltenem (bzw. weiterentwickeltem) idg. Sprach- und Kulturbesitz beruhen 1 ). Zu dieser letzteren Gruppe sind etwa zu rechnen: air. oeth „Eid" — got. aißs, ahd. eid „Eid"; air. orbe „das Erbe" — got. arbi, ahd. erbi „Erbe"; air. dliged „Pflicht, Gesetz, Recht", kymr. dled, dyled „Schuld" — got. dulgs „Schuld"; kymr. rhydd ( Zarten), -durum (wie Marco-durum > Düren), -briga (Boudo-briga > Boppard), -magos (wie Novio-magus > Neumagen, Nijmegen) u. a. mehr. — Älter dagegen sind kelt. Bergnamen (Abnoba „Schwarzwald", Taunus) und Flußnamen (Dubra > Tauber, Glan, Brigana > Brigaeh). § 7. Bei den mannigfachen zweiseitigen Berührungen des germ. Wortschatzes mit dem des „ I t a l i s c h e n " einerseits(§4) und dem des K e l t i s c h e n andrerseits (§6) ist es begreiflich, daß es darüber hinaus nicht wenige Wörter gibt, welche alle drei Sprachkreise (und wiederum nur diese) miteinander verbinden. Beispiele dafür sind: lat. mentum „Kinn" — kymr. mant „Kinnbacken" — got. munps, ahd. munt „Mund" (alle aus *mp£d-); lat. corulus „Haselstaude" — altkymr. coli „Hasel" — ahd. hasala „Hasel"; lat. unguen, umbr. umen „Fett, Salbe" — ir. imb, breton. amann „Butter" — alid. ancho, mhd. anlce „Butter"; lat. vätes „Weissager, Seher" — air. fäith „Dichter" — ags. wö^-bora „Dichter, Redner, Prophet" (dazu auch der Göttername Wodan); lat. captus (captivus) „Gefangener" — air. cachi „Sklavin" — anord. liaptr „Leibeigener", ahd. haft „gefangen"; lat. västus „öde, verwüstet, leer" — air. fäs „leer" — as. wösti, ahd. imosti „wüst, leer, unbebaut"; lat. verus — air. fir — ahd. war „wahr"; lat. alö „nähre, ziehe groß" — air. älim. „nähre" — anord. 'da „nähren, hervorbringen", got. alan „aufwachsen"; ') Zum Grundsätzlichen vgl. A. Scherer, Die keltisch-germanischen Namengleichungen = Corolla Linguistica, Festschr. f. F. Sommer (Wiesbaden 1956) 1 9 9 - 2 1 0 .

Verwandtschaft), u. nachbarl. Beziehungen des Germanischen

21

lat. sdgiö „spüre auf" — air. saigim „suche auf" — got. sökjan, ahd. suohhen „suchen". In jener frühen Periode, in welche Wortgleichungen wie die hier genannten hinaufreichen, haben die Vorfahren der „Italiker" zunächst zwischen denen der Kelten und denen der Germanen gesiedelt und so diese beiden letzteren voneinander getrennt. Daher ist die germ.-„italische" Nachbarschaft älter als die germ.-keltische. Erstere gilt in der Bronzezeit, denn das Wort für „Bronze" (lat. aes, Gen. aeris — got. aiz, anord. eir, ahd. er, wozu als Adj. unser ehern) ist nur dem Germ, und den „italischen" Sprachen gemeinsam (unter Ausschluß des Keltischen). Erst nach der Abwanderung der „Italiker" nach Süden wurden dann — in der Eisenzeit — die Kelten unmittelbare Nachbarn der Germanen und teilen infolgedessen mit ihnen das gleiche Wort für „Eisen" (dies nun unter Ausschluß der „Italiker"): gall. isarno-, air. iarnn — got. eisarn, ahd. isarn (vgl. § 9). §8. Von vorhistorischen Beziehungen des Germ, zum B a l t i s c h e n und Slavischen ist besonders die diesen drei Sprachen allein eigene Bildungsweise des Dat.-Instr. Plur. bemerkenswert, die im Gegensatz zu der in allen anderen idg. Sprachen steht. Während nämlich sonst die beiden genannten Kasus Suffixe aufweisen, die durch ein 6/s-Element gekennzeichnet sind (z. B. ai. deve-bhyah „den Göttern", bälä-bhih „mit den Mädchen"; lat. hosti-bus, venet. loudero-bos „den Kindern"; gall. Mcrrpe-ßo „den Müttern"), haben an dessen Stelle einzig die baltischen, slavischen und germ- Dialekte m-haltige Suffixe, z. B. lit. vyra-ms „den Männern", sünu-mis „mit den Söhnen"; abulg. ¿ena-mö „den Frauen", iena-mi „mit den Frauen" — got. milfarn, ahd. wolfurn „den Wölfen", got. giböm, ahd. geböm „den Gaben" usw. (vgl. besonders die noch etwas altertümlicheren Dat. Plur. von germ. GöttinnenNamen auf lat. Inschriften: matronis Aflims, maironis Vatvims neben latinisiertem Aflidbus, Valviabus).

22

Allgemeiner Teil

Eine lautliche Eigentümlichkeit welche das Germ, mit dem Slavischen (freilich auch mit dem Illyrischen und Thrakischen) teilt, ist der Einschub eines l als „Übergangslaut" in der Gruppe sr. Im baltischen Bereich ist die Welle dieser sprachlichen Neuerung allmählich verebbt und nur mehr in beschränktem Umfang zur Durchführung gekommen. So gehören zur idg. Wurzel *sreu- „fließen" einerseits ai. srdvati „er fließt*', lit. sraveti „fließen", air. sruth „Fluß" u. a.. andrerseits ahd. strourn „Strom", abulg. struja. lit. strove (neben srovl) „Strömung", thrak. ZTpu^cov (Flußname = „Struma"), illyr. Stravianae und Strevintia (Ortsnamen); vgl. § 93. Eine andere, wohl ebenfalls sehr alte grammatische Besonderheit verbindet das Germ, nur mit dem Baltischen (und nicht auch mit dem Slavischen): die Bildung der Zahlwörter für 11 und 12 durch ein Element germ. -lif = lit. -lika. Vgl. got. ainlif, tvalif; ahd. einlif, zwelif mit lit. vientiolika, dvylika. Im Litauischen ist freilich diese Bildungsweise (sekundär?) auch auf die Zahlen von 13 bis 19 ausgedehnt. Zu beachten sind endlich auch manche Wörter, die das Germ, zusammen mit dem Baltischen und (oder) Slavischen als gemeinsames idg. Erbgut bewahrt hat, so die Bezeichnung für den „Lachs": anord. lax, ahd. lahs — lit. läSis bzw. la&isä, lett. lasis — russ. lososb (gegenüber toch. laks in der allgemeineren. Bedeutung „Fisch"); ferner der Baumname „Espe": ahd. aspa, anord. Qsp — apreuß. abse, lett. apse, lit. apuse — poln. osa, osina, russ. osina (< *opsin&)\ Adjektiva wie ags. röt „freudig, froh, g u t " — lit. rodas „gern, willig" — abulg. radi „libens"; anord. gladr, ahd. glat „glatt, glänzend" — lit. glodüs „glatt anliegend, sanft" — abulg. gladt-kö „glatt, eben"; ahd. bar „nackt, bloß" — lit. bäsas und abulg. Jos5 „barfuß"; Verba wie ahd. houwan „hauen" — lit. kduju und abulg. Jcovg „schmiede, schlage" u. a. mehr.

Verwandtschaft!, u. nachbarl. Beziehungen des Germanischen

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C) S p ä t e r e n a c h b a r l i c h e B e z i e h u n g e n des G e r m a nischen § 9. Jünger als alle bisher behandelten Gemeinsamkeiten des Germ, mit einer oder mehreren anderen Sprachen, welche sämtlich in eine mehr oder minder „voreinzelsprachliche" Zeit zurückführen, sind L e h n b e z i e h u n g e n , welche — nun vielfach schon in „historischen" Entwicklungsperioden — das Verhältnis des Germ, zu seinen Nachbaridiomen veranschaulichen. Sie sind daran kenntlich, daß das betreffende Wortgut lautliche oder andere grammatische Kriterien aufweist, die nicht in der eigenen, sondern nur in einer fremden Sprache (aus der die Wörter also ,.entlehnt" sein müssen) erworben sein können. Schon in ziemlich früher Zeit muß den Gehnanen (und Kelten) jenes Wort für „Eisen" (gall. Isarno-, ahd. isarn usw.; §7) zugekommen sein, wenn es wirklich — wie man annimmt — aus dem I l l y r i s c h e n stammt. Ebenfalls alt und sicherlich noch „gemeingermanisch" sind einige Lehnwörter aus dem K e l t i s c h e n . Von ihnen sind am wichtigsten: got. reiks, ags. rlca „Herrscher" aus kelt. rlg-s (gall. -rix, air. ri, Gen. rlg „König", mit kelt. i < e in idg. *reg-s = lat. rex) mit den Ableitungen got. reiki, ahd. rihhi „Reich" ( = air. rlge „Königsherrschaft" < *rlgion) und ahd. rihhi „mächtig" > „reich"; got. anfibahts, ahd. ambahl „Diener" aus gall. ambaktos „Diener, Klient, Dienstmann" mit der Ableitung got. andbahti, ahd. ambahti „Dienst" > mhd. arribet > nhd. amt. — Umgekehrt hat das Germ, dem Keltischen Ausdrücke geliefert wie gall. bräca = anord. brök, ahd. bruoh „Hose" oder gall.-lat. camisia „Hemd" (vgl. ags. hemeäe, ahd. hemidi „Hemd"). Bei den ihm östlich benachbarten Sprachen ist im Falle von Entlehnungen das Germ, fast stets der gebende Teil, so beim B a l t i s c h e n und S l a v i s c h e n . Die ebenerwähnte Wortsippe um „Reich" und „reich" gaben die Germanen in altlit.

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rikys, apreuß. rlks „Reich", rikiis „Herr" an baltische Stämme weiter. Vgl. ferner etwa abulg. kirt^gs „Fürst" aus germ. *kuninga- „König" (ahd. chuning, as. cuning usw.); abulg. flugs „Pflug" aus germ. *plöga- „Pflug" (an. plögr, ahd. pfluog); abulg. chlibi „Brot" aus germ. *hlaiba- „Laib Brot" (got. hlaifs, ahd. bleib) und zahlreiche andere. Zu den östlichen Nachbarn, welche ihren Wortschatz durch Entlehnungen aus dem Germ, bereicherten, gehört auch ein nicht-idg. Volk, die Finnen. Die zu ihnen gewanderten germ. Wörter sind so zahlreich und vielfach von so charakteristischem Bedeutungsinhalt, daß dadurch ein erheblicher kultureller Einfluß der Germanen auf die Finnen bezeugt wird; und zwar muß dieser Einfluß in eine sehr frühe Zeit zurückreichen, denn die germ. Lehnwörter im Finnischen bewahren dort zumeist so altertümliche Formen wie sie aus den germ. Dialekten selbst nicht mehr überliefert sind. Sie müssen also älter als alle unsere germ. Schriftquellen sein. Aus der großen Fülle nur einige wenige Beispiele: finn. kuningas „König" aus germ. *kuningaz (vgl. oben); finn. rengas „Ring" aus germ. *hrengaz (got. hriggs, ahd. hring); finn. kernas „willig" aus germ. *gernaz (got. gairns, ahd. gern); finn. tiuris „teuer" aus germ. *diuriz (ahd. tiuri, ags. deore); finn. vantus „Handschuh" aus germ. *wantuz (an. VQÜT). ) 1

Lehnbeziehungen zwischen den Germanen und den späteren „Italikern" sind aus derZeit ihrer praehistorischen Nachbarschaft (vgl. § 4) nicht zu erweisen, hauptsächlich wohl deshalb, weil für diese frühen Perioden bei der damals nur erst geringen Differenziertheit der Einzelsprachen die für den Nachweis der Entlehnung notwendigen lautlichen Kriterien noch fehlen. — Die zahlreichen Lehnwörter aus dem L a t e i n i s c h e n gehören einer viel späteren Epoche an, in der die germ. Dialekte der historischen Zeit bereits voll ausgebildet sind; sie fallen daher aus dem Rahmen dieser Darstellung. ') Vgl. letzt H. Fromm, Die »Westen germ. Lehnwörter im Finnischen = Zs. f. deutsches Altertum 88 (1957/58) 8 1 - 1 0 1 , 2 1 1 - 2 4 0 , 2 9 9 - 3 2 4 .

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2. Die Gliederung des Germanischen § 10. Seit Beginn seiner schriftlichen Überlieferung stellt sich das Germ., so klar und scharf es nach außen gegenüber den idg. Schwesteridiomen abgegrenzt ist, nach innen als eine nicht (mehr) einheitliche, für das gesamtgermanische Gebiet gültige Sprachform dar; vielmehr ist es schon damals in verschiedene mehr oder weniger deutlich voneinander abgehobene Dialekte und Dialektgruppen gegliedert. Eine allgemein anerkannte Art der Einteilung dieser Dialekte existiert bei dem derzeitigen Stand der Forschung nicht. Die Ansichten darüber wechseln, jenachdem welche Entwicklungsstufen des Germ, ins Auge gefaßt und welche sprachlichen Kriterien bei der Einteilung in den Vordergrund gerückt werden. Althergebracht ist die Gliederung in drei Hauptgruppen, die nach ihrer (ursprünglichen) geographischen Lagerung als Nord-, Ost- und W e s t - G e r m a n i s c h bezeichnet werden. Nordgermanische Sprachen sind das Norwegische mit dem Isländischen, das Dänische und das Schwedische. Zum Westgermanischen gehören das Deutsche, das Englische und das Friesische. Der Hauptvertreter des Ostgermanischen ist das Gotische. Von manchen Forschern werden aber mit guten Gründen nur zwei Gruppen innerhalb des Gesamtgermanischen unterschieden. Sie fassen das Ost- und Nordgermanische in einen Zweig zusammen und nennen ihn Goto-Nordisch oder auch einfach Nordgermanisch; ihm stellen sie dann die sonst Westgermanisch genannte Gruppe als „Südgermanisch" gegenüber (vgl. § 18). Am problematischsten ist jedoch seit einiger Zeit der Begriff des West-(bzw. Süd-)Germanischen geworden, namentlich durch das Herausarbeiten eines eigenen Dialektkreises um die Nordsee herum, den man Ingwäonisch (vgl. § 11) oder auch Nordseegermanisch genannt hat und zu dem außer dem Englischen und Friesischen auch Teile des niederdeutschen Gebietes gehören würden, während der Kern des

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Deutschen (zumal das Hochdeutsche) auf einem sog. „Binnengermanischen" beruht 1 ). — Im vorliegenden Zusammenhang wird aus praktischen Gründen die alte Dreiteilung beibehalten. Bevor wir durch einheimische Sprachdenkmäler, die in größerem Umfang erst einige Jahrhunderte nach Christi Geburt einsetzen (§ 13, 15, 17), Kenntnis von den Germanen gewinnen, berichten bereits griechische und römische Schriftsteller über das Land Germanien, seine Bewohner und deren Eigenheiten sowie über einzelne geschichtliche Ereignisse. Diese antiken Nachrichten sind (eben wegen des Mangels an gleichzeitigen einheimischen Quellen) für unser Wissen von der germanischen Frühzeit von unermeßlichem Wert. A) D i e w e s t g e r m a n i s c h e

Gruppe

§ 11. Zuerst von allen Germanen ist die antike Welt mit Angehörigen der westlichen Gruppe in Berührung gekommen. Das früheste Zeugnis dafür geht auf die Nordfahrt des P y t h e a s von M a s s i l i a im letzten Drittel des 4. Jahrhunderts v. Chr. zurück, der damals u. a. die T e u t o n e n als westgermanischen Stamm an der Nordseeküste kennen gelernt hatte. Doch diese Fahrt des Pytheas blieb ein vereinzelter Vorstoß, und noch etwa zwei Jahrhunderte lang waren die Römer so wenig über die Germanen unterrichtet, daß sie sie von den Kelten nicht zu unterscheiden vermochten. Als wirklich greifbares Volkstum treten die Westgermanen erst dadurch für uns in das Licht der Geschichte, daß sie in zahlreichen Vorstößen und Wanderungen die Kelten aus Westund Süddeutschland vertreiben und dadurch dem Germanentum einen ungeheuren Gebietszuwachs verschaffen. Bei diesem ') Ans der umfangreichen Literatur über die Gliederung des Germ, seien hier nur genannt: F . Maurer, Nordgermanen und Alemannen (Straßburg 1942; 3. Aufl., Bern-München 1952); ders., Zur vor- und frühdeutschen Sprachgeschichte = Der Deutschunterricht 1 (1951) 5 — 20; E . S c h w a r z , Goten, Nordgermanen, Angelsachsen. Studien zur Ausgliederung der germ. Sprachen (Bern-München 1951).

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Vorgang kommen die Westgermanen dann auch in vielfältiger Hinsicht mit den Römern in Berührung, und daher stammen die meisten unserer Nachrichten über sie. Zuvor war nämlich ganz Süd- und Westdeutschland — spätestens seit dem ersten Viertel des letzten Jahrtausends v. Chr. — in den Händen der Kelten. Das wissen wir durch die Bodenfunde, durch Nachrichten der antiken Autoren und — nicht zuletzt — durch die zahlreichen keltischen Orts-, Berg- und Flußnamen, die sich überall auf dem west- und süddeutschen Gebiet finden und zum großen Teil bis heute erhalten haben (vgl. § 6)'). Der erste historisch faßbare dieser westgermanischen Vorstöße in keltisches Gebiet ist die Wanderung der K i m b e r n u n d T e u t o n e n , die sich zwischen 120 und 115 v. Chr. aus ihrer Heimat in Jütland und den angrenzenden norddeutschen Landstrichen in Bewegung setzten und nach mannigfachen Kämpfen mit den Kelten und Wanderungen in Pannonien, den Alpenländern, Süddeutschland und Gallien schließlich durch die Römer ihren bekannten tragischen Untergang fanden. In den folgenden Jahrzehnten drängen Westgermanen in immer größerer Zahl über die Donau südwärts und nach Westen über den Rhein. Im Jahre 58 v. Chr. tritt Cäsar in Gallien dem A r i o v i s t gegenüber, der bereits ein aus mehreren westgermanischen Stämmen zusammengesetztes Heer anführt. Es folgt der ebenfalls von Cäsar abgewehrte Einbruch der Usip e t e r und T e n k t e r e r über den Rhein, die friedliche Übersiedelung der Ubier vom rechten auf das linke Rheinufer und so fort. Zur Zeit des Tacitus (um 100 n. Chr.) sitzen die Westgermanen längst überall am Rhein und an der Donau und zum Teil darüber hinaus. Sie gliederten sich damals in drei große Gruppen : die Völker am Rhein wurden als Istvaeonen, die an der See zurückgebliebenen als Ingvaeonen, die im Binnenland als ') Vgl. H. Krähe, Sprache und Vorzeit 123-132.

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Erminonen zusammengefaßt. Unter diesen Gruppen haben wir ursprüngliche Kultverbände zu verstehen, die je ein gemeinsames Stammesheiligtum besaßen. Später jedoch sind politische Gruppen daraus geworden. Zu den Istvaeonen zählen die Bataver in Holland, die Ubier um Köln, die Chamaver, Brukterer, Cherusker in Westfalen, die Usipeter und Tenkterer rechts des Rheines etwa zwischen Lippe und Lahn, weiter im Binnenland die Chatten, die Treverer um Trier und noch viele andere kleinere Völkerschaften. Es sind das im wesentlichen diejenigen Stämme, die später unter dem Namen der Franken (der erstmals i. J. 258 n. Chr. auftaucht) zusammengefaßt werden. Ingvaeonen sind die Friesen (an der Nordsee links der Ems), die Chauken zwischen Ems und Elbe und die sog. „Nerthus-Völker" (in Holstein und den angrenzenden Gebieten, z. T. auch auf den Inseln), unter welchen die Angeln am wichtigsten geworden sind. Ein Teil dieser ingvaeonischen Stämme, vor allem die Chauken, erscheint später unter dem Namen der Sachsen (seit dem 4. Jh. n. Chr.). Mit den Erminonen sind im großen und ganzen die Sueben identisch. Ihr Kernvolk waren die Semnonen (etwa im heutigen Brandenburg). Diesen benachbart bis zur Elbe saßen die Langobarden, südwestlich der Semnonen die Hermunduren (die späteren Thüringer), diesen wiederum benachbart die Markomannen und Quaden. Die Semnonen bilden nach ihrer Südwestwanderung den Kern der Alemannen (Schwaben!). Die Markomannen nehmen in Böhmen den Namen Bajuwaren (Bayern) an und behalten ihn auch bei ihrer Ausdehnung auf die benachbarten Landschaften Österreichs und Bayerns bei. § 12. Aus den im Vorangehenden aufgezählten Stämmen und Stammesgruppen sind die Träger der westgerm. Dialekte geworden, wie sie uns dann in der schriftlichen Überlieferung entgegentreten. Die Angeln und Sachsen gehen in der „Völkerwanderungs-

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zeit" (nach eigener Überlieferung i. J . 449) vom Festland nach Britannien hinüber. Die dort ansässigen Kelten werden teils zurückgedrängt, teils unterworfen. Nach jahrhundertelangen Auseinandersetzungen erst kommt es zu einer einheitlichen Reichsgründung, welche alle von den eingewanderten Stämmen besetzten Provinzen umfaßt 1 ). Die Sprache dieser Angeln und Sachsen nennt man A n g e l s ä c h s i s c h (ags.) oder A l t e n g l i s c h (ae.). Die schon aus der Heimat mitgebrachten mundartlichen Differenzen verstärken sich auf dem neugewonnenen Kolonialboden, so daß drei Dialekte unterschieden werden können: 1. Das Kentische im Südosten. 2. Das Sächsische im Süden. 3. Das Anglische nördlich der Themse (mit den Unterabteilungen Mercisch und Nordhumbrisch). Die Sprache der Friesen, deren ältestbezeugte Entwickelungsstufe A l t f r i e s i s c h genannt wird, hat sich als selbständiger westgerm. Dialekt an den Küsten der Nordsee bis heute erhalten; sie hat sogar gegenüber dem Ursprünglichen Wohngebiet der Friesen (§ 11) noch an Boden gewonnen und wird bis nach Schleswig hinauf und auf den vorgelagerten Inseln gesprochen. Im Bereich der heutigen Niederlande bildete sich, hauptsächlich auf der Mundart der Bataver und einiger kleinerer Nachbarstämme fußend, das sog. A l t n i e d e r f r ä n k i s c h e heraus, die Vorstufe des jetzigen Holländischen. Als wichtigster westgerm. Dialekt des norddeutschen Gebietes entsteht (neben dem Friesischen und Niederfränkischen) das A l t s ä c h s i s c h e , in erster Linie die Sprache der alten Sachsen. E s gliedert sich landschaftlich in vier Mundarten: 1. die der Westfalen, 2. die der Engern (d. h. der alten Angrivarier, der nördl. Nachbarn der Cherusker zu beiden Seiten der Weser), 3. die der Ostfalen und 4. die der Nordalbingier. Den Rest des westgerm. Raumes nimmt das H o c h d e u t ' ) Vgl. M. Lehnert, Altenglisches Elementarbuch (Samml. Göschen 1125) S. 17IT.

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sehe ein. Von diesem sind aus althochdeutscher (ahd.) Zeit bereits folgende Dialekte durch Schriftquellen überliefert: 1. Das B a i r i s c h e (auf der Sprache der suebischen Markomannen beruhend). 2. Das A l e m a n n i s c h e (dessen Grundlage die Sprache der ebenfalls suebischen Semnonen bildet). 3. Das O s t f r ä n k i s c h e , durch Verschmelzung von Franken und westlichen Thüringern entstanden (Hauptorte Würzburg und Bamberg). 4. Das R h e i n f r ä n k i s c h e am Untermain (um Mainz und Frankfurt) und am Oberrhein (um Worms und Speyer). Innerhalb des Rheinfränkischen h-ebt sich als besondere Mundart das S ü d r h e i n f r ä n k i s c h e ab, dessen Hauptort in ahd. Zeit Weißenburg ist. 5. Das M i t t e l f r ä n k i s c h e mit zwei Unterabteilungen, dem Ripuarischen Fränkisch um Köln und dem Moselfränkischen mit Trier als Mittelpunkt. Von diesen fünf Dialekten schließen sich das Ost-, Rhein- und Mittelfränkische enger zusammen. Man bezeichnet sie oft als Fränkisch schlechthin oder auch als M i t t e l d e u t s c h im Gegensatz zum O b e r d e u t s c h e n , d. h. dem Bairischen und Alemannischen. Zum Mitteldeutschen gehört ferner noch das aus ahd. Zeit noch nicht bezeugte T h ü r i n g i s c h e . Ein hochdeutscher Dialekt war endlich auch das bereits in ahd. Zeit untergegangene L a n g o b a r d i s c h e 1 ) . Die Gesamtheit der westgerm. Dialekte ordnet sich in der Weise, daß auf der einen Seite das Angelsächsische und das Friesische eine engere Einheit bilden, auf der anderen Seite die hochdeutschen Mundarten stehen. Zwischen diesen beiden nehmen das Altniederfränkische und das Altsächsische, die man als Altniederdeutsch zusammenzufassen pflegt, eine Mittelstellung ein. Sie haben sowohl Berührungen mit dem Anglofriesischen als auch mit dem Hochdeutschen.

i) Vgl. H. Naumann, Ahd. Grammatik (Samml. Göschen 727) S. 115tt.

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Westgermanisch

Angelsächsisch

Altfrleslsch Altniederdeutsch

Kentisch Sächsisch AngUsch

Althochdeutsch

Altnieder- Alts&chslsch Mitteldeutach Oberdeutsch fränkisch (Ost-, Rhein-, (Bauisch, Mittelfrink.) Alemannisch)

§ 13. Die Ü b e r l i e f e r u n g des Althochdeutschen, Altniederdeutschen und Angelsächsischen beginnt im 8. und 9. Jh. n. Chr. und ist bei diesen drei Zweigen des Westgerm, ziemlich gleichartig. Sie besteht z. T. in poetischen Denkmälern (z. B. der ags. Beowulf, der as. Heliand, das ahd. Hildebrandslied, Muspilli usw.), z. T. in Prosa aller Art (theologische und weltliche Literatur, vielfach Übersetzungen aus dem Lateinischen); dazu kommen zahlreiche Glossensammlungen und kleinere Denkmäler, vor allem auch volkstümlicher Art wie Zaubersprüche und Segen, Sprichwörter u. dgl. Die ahd. Periode rechnet man bis rund 1100 n. Chr., von da an bis etwa 1500 spricht man vom Mittelhochdeutschen (mhd.), seit 1500 vom Neuhochdeutschen (nhd.). Vom As. besitzen wir Denkmäler bis etwa zum Jahre 1000 n. Chr.; von etwa 1300 bis 1500 blüht die sog. mittelniederdeutsche Schrift- und Verkehrssprache (mnd.). Seit dem 16. Jli. setzte ein allmählicher Verfall des Niederdeutschen als Schriftsprache ein; es lebt seitdem nur mehr in den lokalen Dialekten der einzelnen Landschaften (Plattdeutsch!). Die Entwicklung des Englischen verläuft ähnlich der des Hochdeutschen. Bis etwa 1100 gilt das Ags. oder Ae., bis 1500 das Mittelenglische (me.), seitdem das Neuenglische (ne.). Das Friesische ist erst seit dem 13. und 14. Jh. durch Schriftquellen bekannt.

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B) D i e n o r d g e r m a n i s c h e Gruppe § 14. Über die Nordgermanen, die sehr viel weiter als die Westgermanen vom Römerreich entfernt waren und nie mit ihm in kriegerische Verwicklungen gerieten, erfahren wir durch die antiken Schriftsteller naturgemäß nur sehr wenig. In der Naturgeschichte des Plinius (IV 96) wird lediglich ein alle Nordgermanen umfassender Gesamtname verzeichnet, das Volk der Hilleviones, dem 500 Gaue zugeschrieben werden. Tacitus kennt dann (Germania 44) den Stamm der Sviones, der uns auch aus der einheimischen Überlieferung bekannt ist und dort Sviar heißt. Diese saßen damals in der Gegend um den Mälar-See in Schweden; in späterer Zeit haben sie die Vorherrschaft über das ganze Land gewonnen. Ihr Name lebt in dem der Schweden fort. Bei dem griechischen Geographen Ptolemaios (2. J h . n. Chr.) taucht neben anderen weniger bedeutenden Völkerschaften zum ersten Male der Name des zweitwichtigsten Volkes im alten Schweden auf, der der Gauten, deren Name noch jetzt an der südschwedischen Landschaft Götaland mit der Hauptstadt (niederdeutsch) Gotenburg, (schwed.) Göteborg haftet. Der Name der Dänen (Dani) erscheint zum ersten Male im 6. Jh., bei den Gotenschriftstellern Jordanes und Prokop. § 15. Die älteste uns erhaltene Sprachform des Nordgermanischen ist das noch kaum geteilte sog. U r n o r d i s c h e , das bis etwa 800 n. Chr. in Geltung war. Es ist bezeugt durch eine größere Anzahl von Runen-Inschriften, die aus fast allen Teilen der nordischen Welt, d. h. aus Schweden, Norwegen, Dänemark und Schleswig, stammen. Aus diesem Urnordischen entwickelt sich in der VikingerZeit, d. h. von ca. 800 bis 1050, in gerader Linie das sog. A l t n o r d i s c h e (an.). Gleichzeitig setzt eine erste ganz allmähliche Dialektspaltung in W e s t - und O s t n o r d i s c h ein. Am wichtigsten wird von diesen das Westnordische von

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Island. Durch politische Unstimmigkeiten hatten sich viele norwegische Adlige veranlaßt gesehen, ihre Heimat zu verlassen. Sie wanderten nach Island aus, das sie in der sog. landnäma-tid „Landnahmezeit" (etwa 872—930) besiedelten. Hier in Island kam es dann auf Grund ganz besonderer Bedingungen der verschiedensten Art zu einer außerordentlich reichen, hochbedeutsamen Literatur, wie sie im Verhältnis zur Zahl seiner Bevölkerung kein anderes Land der Welt hervorgebracht hat. Deshalb nennt man auch schon in westnordischer Zeit die Sprache Altislands, obwohl sie bis rund 1200 vom Norwegischen so gut wie gar nicht verschieden ist, mit einem besonderen Namen: das A l t i s l ä n d i s c h e . Und oft auch meint man, wenn man vom Altnordischen schlechthin spricht, einfach nur diese altisländische Literatursprache. Als mit der Einführung des Christentums in Island (1000 n. Chr.) gelehrte Geistliche ins Land gekommen waren, wurde die bis dahin schon Jahrhunderte lang in mündlicher Überlieferung lebende Literatur aufgezeichnet. Drei Gattungen sind zu unterscheiden: 1. Die in Stabreimstrophen abgefaßten E d d a l i e d e r unbekannter Verfasser (Göttermythen und Heldensagen, auch Spruchdichtung); 2. die nach ihren Dichtern, den Skalden, genannte s k a l d i s c h e Poesie, eine überaus gekünstelte, fast barocke berufsmäßige Kunstdichtung ; 3. die Saga-Literatur,Familiengeschichten in schlicht realistischer, meisterhafter Prosa 1 ). Von etwa 1500 ab rechnet man das Neuisländische, an geistigem Gehalt wie an sprachlicher Form dem Altisländischen noch heute nahe. Die westnordische Schwester des Altisländischen, das A l t n o r w e g i s c h e , geht um 1500 in das Neunorwegische über. Ähnlich ist der Verlauf beim Ostnordischen. Es spaltet sich in das A l t s c h w e d i s c h e und A l t d ä n i s c h e , die wiederum um 1500 in das Neuschwedische bzw. Neudänische über') Vgl. F. Ranke, Altnord. Elementarbuch (Samml. Göschen 1115) S 6 f f . 2

Krähe,

Germanische Sprachwissenschaft I .

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gehen. Als wichtiger Dialekt des Altschwedischen ist das Alt g u t n i s c h e hervorzuheben, die Sprache der Insel Gotland. Nordgermanisch (Urnordisch) Altnordisch Westnordisch Isländisch

Norwegisch

Ostnordisch Dänisch

Schwedisch

C) Die o s t g e r m a n i s c h e G r u p p e § 16. Durch die Nachrichten der antiken Autoren wird etwa seit dem 1. Jh. n. Chr. in der Gegend der unteren Weichsel und den benachbarten Landstrichen eine Reihe german. Völkerschaften als zusammengehörig erkennbar, welche die heutige Wissenschaft als ostgermanische Gruppe zu bezeichnen pflegt. In der antiken Literatur begegnet dafür einmal der Sammelname Wandüier (Plinius), ein anderes Mal der Name der Goten (Prokop). Als Teilstämme dieser Gruppe werden gen a n n t die Goten (Wisi- und Ostro-Gothae), die Gepiden,

Wanda-

len, Burgunder, Rugier, Skiren und einige andere weniger bedeutende Völkerschaften. Ihre enge Zusammengehörigkeit, nicht zuletzt auch in sprachlicher Beziehung (vgl. besonders Prokop., De bello Vandal. I 2) wird in der antiken Überlieferung ausdrücklich hervorgehoben; und mehrfach tritt auch die führende Rolle der Goten gegenüber den verwandten Stämmen deutlich hervor. Keines der ostgerm. Völker ist auf deutschem Boden verblieben. Schon zu Beginn des 2. Jh.s v. Chr. waren die Skiren und die ihnen benachbarten Bastarnen bis zu der griechischen Stadt Olbia am Schwarzen Meer vorgestoßen. Einige Jahr-

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hunderte später (etwa seit 150 n. Chr.) setzt dann die allmähliche Abwanderung der Goten in der gleichen Richtung ein. Auch sie gelangen an das Schwarze Meer und begründen hier ein großes Reich, welches bedeutende Teile des heutigen Rußland umfaßte. Dabei vollzieht sich die Trennung in zwei Sonderstämme, die West- und Ostgoten oder — wie sie damals hießen — die Wisigothae und Ostrogothae. Von dem Gotenreich am Schwarzen Meejr aus ereignen sich dann die ersten Zusammenstöße mit dem Römischen Imperium. Die Goten drängen nach und nach immer stärker nach Westen; es erfolgen die bekannten Ereignisse der „Völkerwanderung", das Reich der Ostgoten in Pannonien und Italien, das 553 von Beiisar und Narses zerstört wird, das Reich der Westgoten in Südfrankreich und Spanien, das 711 den Arabern erliegt. Ähnlich dem der Goten verlief das Schicksal der übrigen ostgerm. Stämme. Die Wandalen ziehen bis Afrika; ihr Reich geht 534 zugrunde. Die Burgunder fielen in Frankreich den Franken zum Opfer. Die anderen verwandten Stämme sind nicht zu Gründungen von größerer selbständiger Bedeutung und Dauer gekommen. Untergegangen sind sie schließlich alle, mit ihnen ihre Sprachen, zuletzt wohl (noch vor Ablauf des 10. Jh.s) die Goten und das Gotische in Italien. § 17. Umfangreichere S p r a c h d e n k m ä l e r sind nur vom Gotischen, und zwar vom Westgotischen erhalten. Es handelt sich in erster Linie um die Reste der Bibelübersetzung, die dem Gotenbischof Wulfila zugeschrieben wird (4. Jh.). Demgegenüber fallen die anderen kleineren Denkmäler nicht sonderlich ins Gewicht 1 ). Von den übrigen ostgerm. Mundarten kennen wir nur Eigennamen und einige wenige Wörter. Außerdem besitzen wir die Aufzeichnung einer Anzahl von Wörtern des sog. K r i m g o t i s c h e n aus dem 16. Jh., d. h. eines versprengten ') Näheres bei H. Hempel, Oot. Elementarbuch (Samml. QSschen S. Off.

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ostgerm. Dialektes, der sich in der Krim bis in jene Zeit erhalten hatte, heute aber gleichfalls ausgestorben ist 1 ). D) D a s V e r h ä l t n i s d e r d r e i g e r m a n i s c h e n zueinander

Gruppen

§ 18. Nach ihrer eigenen Überlieferung (Jordanes, De origine actibusque Getarum, cap. 4) sind die Goten aus Skandinavien in die Weichselgegenden eingewandert. Diese Tradition wird durch die Bodenfunde und Ortsnamenzeugnisse (auch für andere ostgerm. Stämme) bestätigt. So hängt der Name der Ooten selbst (got. *Gutös) wohl mit dem der Insel Gotland (alt Outland), desgleichen mit dem der Gauten und über diesen mit der Landschaftsbezeichnung Götaland in Schweden (§ 14) zusammen; der Name Burgunder gehört zu dem der Insel Bornholm (an. Borgundar-holmr). Die nördliche Herkunft der ostgerm. Völker spiegelt sich auch in der Sprache, insofern als das N o r d - u n d O s t g e r m . eine Reihe von Besonderheiten (die z. T. gemeinsame Neuerungen sind) aufweisen, die dem Westgerm. fehlen 2 ). Auf lautlichem Gebiet ist besonders die Behandlung der altgerm. Gruppen -¿J- und -MM- (§ 72) bemerkenswert. Aus -y,u- wird im Got. und Nordischen -ggw-, aus im Got. -ddj-, im Nord, -ggj- entwickelt, während sich im Westgerm, das erste | bzw. u mit dem jeweils vorangehenden Vokal zu einem Diphthongen verbindet. Beispiele: germ. *tuaj,j,ö(n) „zweier (Gen.)" = got. twaddje, an. tveggja, aber ahd. zweiio; germ. *lriuua- „treu" = got. triggwa- (Nom. triggws), an. tryggva(Nom. tryggr), aber ahd. triuui. Im Bereich der Formenlehre bildet z. B. das Got. und Nordische die 2. Sing. Praet. der starken Verba auf -t (II § 73) ') Vgl. E. Schwarz, Die Krimgoten = Saeculum 4 (1953) 1 5 6 - 1 6 4 . •) Ausführlich jetzt: E. Schwarz, Goten, Nordgermanen, Angelsachsen (Bern-München 1951).

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und mit dem gleichen Wurzelvokal wie die 1. und 3. Sing. Praet., während das Westgerm, eine solche Form nur bei den Praeterito-Praesentia (II § 96) kennt, bei den übrigen starken Verba aber den Ausgang -i und in der Wurzelsilbe denselben Vokalismus wie im l'lur. Praet. aufweist. Beispiel: got. nam-t „du nahmst" = an. nam-t, aber ahd. as. näm-i. Das Femininum der Participia Praes., das im Idg. auf -i ausging, ist im Got. und Nord, mit einem Suffix -in- versehen worden, während es im Westgerm. -jö-Stamm ist. Beispiel: got. nimandei (Stamm nimanäein-) = an. nemande (Stamm *nemandin-) gegenüber ahd. nemantiu = as. nemandi = ags. nimende (Stamm westgerm. *nimaridjö-). Gemeinsam ist dem Got. und Nordgerm, ferner die große Verbreitung der Verba incohativa auf -nan (II § 88), besonders deren Ableitung auch von Adjektiva, z. B. got. fullnan „voll werden" (zu fulls „voll") = an. follmi (: fuür). Auffallend ist endlich, daß die Verba tun, gehen, stehen (ahd. tuon, gän, stäri) dem Nord- und Ostgerm, fehlen. Derartige Gemeinsamkeiten zwischen Nord- und Ostgermanisch müssen sich herausgebildet haben, als beide noch im skandinavischen Bereich benachbart waren. Ihre Sonderentwicklung setzte erst nach der Südwanderung der Ostgermanen ein. Es besteht also durchaus eine gewisse Berechtigung, das Nord- und Ostgerm, gegenüber dem Westgerm. als enger verwandt zusammenzufassen (vgl. § 10). § 19. Sehr viel weniger charakteristisch ist eine Anzahl von grammatischen Eigentümlichkeiten, die dem N o r d - und W e s t g e r m a n i s c h e n (im Gegensatz zum Ostgerm.) gemeinsam sind. Sie liegen zumeist auf lautlichem Gebiet und dürfen schon deshalb als relativ jung und sekundär gelten. Am auffallendsten, aber phonetisch leicht verständlich, ist noch der Übergang von anlautendem pl- in fl-. Dem got. pliuhan „fliehen" entspricht ahd. as. fliohcm, ags. fleon und

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ebenso an. flyia (§ 105). Das germ. e ( = idg. e, § 31), welches im Got. erhalten blieb, wurde im Nord- und Westgerm, zu ä. Got. letan „lassen" = as. lätan, ahd. läy^an, an. lata. Die Diphthonge ai und au sind im West- und Nordgerm, in Nebensilben zu e und 6 monophthongisiert worden (§ 127), während sie im Got. noch erhalten sind. Got. hilpais „du mögest helfen" = ahd. helfes = an. hialper ( < urnord. *helpeR). Germ, au liegt vor im Gen. Sing, der w-Stämme; vgl. got. sunaus „des Sohnes" mit ahd. fridoo „des Friedens" und an. sonar ( < urnord. *sunöR) „des Sohnes". Im absoluten Auslaut wurde germ. -5 ( = idg. -ä und -5) im Nord- und Westgerm, zu -u, im Got. aber zu -a gekürzt: germ. *gehö = anord. giqj < *gebu, ags. giefu = got. giba; germ. *berö = ags. beoru, as. ahd. biru = got. baira (§ 126,3). Der germ. stimmhafte z-Laut blieb im Got. (inlautend) erhalten; im Nord- und Westgerm, ging er in r über. Got. maiza „mehr" = ahd. mero = an. meire. Auf dem Gebiet des Pronomens haben das West- und Nordgerm, durch Anfügung von -se an den altererbten Demonstrativstamm (II § 38) ein neues Demonstrativum „dieser" geschaffen, das dem Got. fremd ist: ahd. dese „dieser" = mnd. dese ( < as. *these) = ags. / e s ; an. ßesse. Alle diese Gemeinsamkeiten sind nicht besonders merkwürdig und kaum beweisend für einen engeren Zusammenhang des Nord- und Westgermanischen. Dasselbe gilt z. B. auch von dem ¿-Umlaut (§37), dessen Ausgangsgebiet die südliche Nordseeküste ist und den das Westgerm, in gleicher Weise wie das Nordgerm, durchgeführt hat, aber erst, als das Got. zeitlich und räumlich von dieser Neuerung nicht mehr erreicht werden konnte. §20. Noch sehr viel geringer sind die Gemeinsamkeiten, die das W r estgerm. mit dem O s t g e r m , (im Gegensatz zum Nordgerm.) teilt.

Umfang und Aufgabe der germanischen Sprachwissenschaft 3 9

Man hat etwa auf die Ausbildung eines durch -ss- charakterisierten Suffixes zur Bildung von Abstrakta hingewiesen, das im Got. als -assus, im Westgerm, als ags. -ess, ahd. as. -issi, -assi u. ähnl. erscheint und dem Nordgerm, unbekannt ist, z. B. got. ibnassus „Gleichheit" (: ibns „eben") — ägs. emness (: efn), as. ehnissi (: ebari). Dazu eine durch ein nElement erweiterte Form: got. waninassus „Mangel" (: wans „mangelnd") — ags. lyfness „Erlaubnis" (: gelyfan „glauben"), as. gi-llknissi „Bild, Gestalt" (: gi-lik „gleich"), ahd. einnissi „Einheit" (: ein „ein"). Diese und einige wenige andere Übereinstimmungen zwischen Ost- und Westgerm, sind jedoch zu vereinzelt und zu wenig charakteristisch, um nähere Beziehungen zwischen beiden Gruppen erweisen zu können. Nicht hierher gehörig sind gewisse Übereinstimmungen, die das Got. mit dem Deutschen, speziell dem Hochdeutschen (nicht aber mit dem Anglo-Friesischen) teilt. Sie sind wahrscheinlich sekundärer Natur; vgl. darüber etwa C. Karstien, Histor. deutsche Grammatik I (Heidelberg 1939) 14ff!

3. Umfang and Aufgabe der Germanischen Sprachwissenschaft § 21. Wie zuvor auseinandergesetzt (§ 12ff.), beginnt die Überlieferung des Germanischen erst verhältnismäßig spät und zwar in der Weise, daß überall schon die fertigen Sonderdialekte (Got., An., Ahd. usw.) vorliegen. Ältere und umfassendere Sprachphasen, zumal ein ungegliedertes „Urgermanisch", sind in zusammenhängenden Denkmälern nicht erhalten. Ein dialektfreies „Urgermanisch" hat es übrigens niemals gegeben, und man tut — um Mißverständnissen zu entgehen — besser, diesen Ausdruck ganz zu vermeiden; richtiger spricht man für die „vorliterarischen" Perioden von „Alt-, Früh- (oder u. U. auch Gemein-) Germanisch". Dieses

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Allgemeiner Teil

vor der schriftlichen Überlieferung liegende Altgennanische lcann — ähnlich wie die idg. Grundsprache (§ 1) — nur durch Rekonstruktion wiedergewonnen werden. Die Behandlung der seit Beginn der Überlieferung auftretenden Einzeldialekte als solcher ist Aufgabe der Einzelgrammatiken, also der Gotischen, Altnordischen, Angelsächsischen, Altfriesischen, Altsächsischen und Althochdeutschen Grammatik. Diese Einzeldialekte bilden aber gleichzeitig die eine Ausgangs* und Grenzlinie der G e r m a n i s c h e n Sprachwissenschaft, wie wir sie in der vorliegenden Darstellung verstanden wissen möchten. Die Grenzlinie auf der a n d e r e n Seite bildet die durch systematische Vergleichung aller idg. Einzelsprachen in ihren Hauptzügen rekonstruierte idg. Grundsprache. Daraus ergibt sich Umfang und Aufgabe der Germanischen Sprachwissenschaft. Sie hat die historische Entwicklung des Germanischen zu zeichnen vom Idg. her über die vorliterarischen Perioden des Altgermanischen und die ebenfalls (vom Urnord. abgesehen) noch vorliterarischen Komplexe des Nord-, Ostund Westgermanischen bis an den Beginn der Überlieferung der Einzeldialekte heran. Es ist also jeweils zunächst der idg. Zustand zu beschreiben; mit diesem sind sodann die altgerm. Verhältnisse, wie sie auf Grund der Vergleichung der späteren Einzeldialekte vorauszusetzen sind, zu vergleichen. Die somit erläuterten gemeingerm. Sprachformen und Spracherscheinungen sind dann weiter in die Phasen des West-, Nordund Ostgermanischen hinein zu verfolgen und auch noch die wichtigsten Züge der Fortentwicklung in den historisch bezeugten Einzeldialekten aufzuzeigen, um auf diese Weise sozusagen den Darstellungen der Einzelgrammatiken „die Hand zu reichen".

Die Quellen der Germanischen Sprachwissenschaft

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4. l)ie Quellen der Germanischen Sprachwissenschaft § 22. Für die Lösung der im Vorangehenden skizzierten Aufgaben stehen der Germanischen Sprachwissenschaft folgende Hilfsmittel und Quellen zur Verfügung: 1. Die ältest bezeugten Sprachphasen der germ. Einzeldialekte und deren methodische Vergleichung. So führen z. B. die einzeldialektischen Formen umord. -gastiR (an. gestr), got. gasts, ags. giest, as. ahd. gast zum Ansatz eines frühgerm. *g_astiz „Gast". Der Vergleich dieser „Grundform" mit den daraus erwachsenen Wörtern der Einzeldialekte lehrt eine ganze Reihe von Zügen der lautlichen Fortentwickelung. 2. Die durch Vergleichung der idg. Schwestersprachen gewonnenen Formen der idg. Grundsprache. Die durch Vergleichung von lat. hostis, abulg. gostö (und germ. *gastiz) gewonnene Form idg. *ghostis „Fremdling" zeigt beispielsweise den Übergang von idg. o zu germ. ä (§ 30), von idg. gh zu germ. g (§ 64) u. a. m. 3. Eine Anzahl von germ. Wörtern und Eigennamen, die bei griech. und lat. Schriftstellern aus der Zeit vor der german. Eigenüberlieferung bezeugt sind. Die seit Caesar und bis etwa um 500 n. Chr. überlieferte Form Suevi, Suebi (gr. Iouf}ßoi) zeigt z. B. einerseits durch den Wechsel v/b den spirantischen Charakter des germ. 5 (§ 64), andrerseits, daß der Übergang von germ. e zu westgerm. ä (§ 31) damals noch nicht vollzogen war (erst seit etwa 500 n. Chr. taucht die Form Suöbi „Schwaben" auf). 4. Die frühzeitig aus dem German, ins Finnische übernommenen Lehnwörter (§ 9). Das finn. vantus „Handschuh" bietet z. B. die noch fast unveränderte frühgerm. Form des an. vgttr und erklärt den darin vollzogenen Wandel a > Q als w-Umlaut (§ 38). — Ähnliches

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Allgemeiner Teil

güt von einer Anzahl germ. Lehnwörter in anderen Sprachen, z. B. im Litauischen. 5. Die aus anderen Sprachen in das Germanische übernommenen Lehnwörter. Got. aikklesjö „Kirche" (aus griech. iwcXtiaia) illustriert z. B. die Aussprache des got. ai als e-Laut und zeigt, daß noch in historischer Zeit ä-Stämme in die w-Deklination (Stamm aikklesjön-) übergeführt werden konnten. 6. Eine Anzahl „vorliterarischer" Inschriften. Vor allem gehören hierher die älteren Runeninschriften, in erster Linie die „urnordischen" (§ 15); sodann das älteste bisher bekannte german. Sprachdenkmal, eine kurze Inschrift auf einem Helm aus Negau in der Steiermark. Sie ist geschrieben in einem sog. „nordetruskischen" Alphabet und stammt noch aus vorchristl. Zeit. Die beiden deutbaren Wörter harigasti teiwa (wohl = „dem Gotte Harigast") zeigen u. a., daß damals die german. Lautverschiebung bereits vollzogen war, desgl. der Wandel ö > ä .

5. Die wichtigsten Merkmale des Germanischen § 23. Bevor im folgenden Abschnitt mit der systematischen Darstellung der german. Grammatik begonnen wird, seien hier die hauptsächlichsten Charakteristika, welche dem German, seit frühester Zeit eigen sind, zusammenfassend aufgezählt. Durch sie unterscheidet sich das Germ, von allen anderen idg. Sprachen und wird so eigentlich erst als selbständiger Zweig aus der Gesamtheit des Idg. herausgehoben. 1. Die Festlegung des idg. freien W o r t a k z e n t e s auf die erste Silbe eines jeden Wortes (§ 27). 2. Die sog. erste oder german. L a u t v e r s c h i e b u n g (§ 59ff.), durch welche eine Anzahl dem Idg. bis dahin frem-

Die wichtigsten Merkmale des Germanischen

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der Konsonanten (die stimmlosen und stimmhaften Spiranten) entstehen. 3. Die Entwicklung der idg. s o n a n t i s c h e n L i q u i d e n und Nasale r, l, m, n zu ur, ul, um, un (§ 33). 4. Der Z u s a m m e n f a l l der Vokale ä und 5 in ä und ä und 5 in 5 (§ 30f.). 5. Die A u s l a u t s g e s e t z e (§ 112ff.), durch welche gewisse Konsonanten und Vokale im Auslaut der Wörter verloren gehen bzw. verändert werden. 6. Der systematische Ausbau der aus dem Idg. ererbten A b l a u t s e r s c h e i n u n g e n (§54). 7. Der S y n k r e t i s m u s einer Reihe von Kasus in der Nominal- und Pronominaldeklination (II § I). 8. Der Ausbau der n - D e k l i n a t i o n beim Substantiv (II § 26), die sog. „schwache" Substantiv-Deklination. 9. Die Ausbildung und Scheidung einer s t a r k e n und schwachen A d j e k t i v - D e k l i n a t i o n (II §49). 10. "Der V e r l u s t m e h r e r e r F o r m e n k a t e g o r i e n , namentlich auf dem Gebiete der Tempora und Modi, beim Verb um (II §68). 11. Die Schaffung eines „ s c h w a c h e n " P r a e t e r i t u m s (II § 90).

Lautlehre §24. Allgemeine V o r b e m e r k u n g e n . Wie die Vergleichung einer Stufe der Sprachentwickelung mit einer früheren, z. B. des Gotischen mit dem Frühgermanischen oder des Frühgerm, mit dem Idg., zeigtest der Sprachstoff (Laute, Formen usw.) im Laufe der Zeit mannigfachen Verä n d e r u n g e n unterworfen. Diese Veränderungen vollziehen sich nicht willkürlich, sondern nach bestimmten Gesetzen, die man auf dem Gebiet der Lautlehre „ L a u t g e s e t z e " nennt.

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Lautlehre

Zwei verschiedene Arten von Lautwandel sind zu unterscheiden: 1. Ein bestimmter Laut kann in j e d e r Stellung (unabhängig von seiner Umgebung im Wort) in einen anderen übergehen. So wurde z. B. idg. n im Germ, unter allen Umständen zu un\ oder idg. i, d, g wurden im Germ, stets zu p, t, k. In solchen Fällen spricht man von spontanem Lautwandel. — 2. Ein bestimmter Laut geht nur unter gewissen Bedingungen, nämlich nur in (mittelbarer oder unmittelbarer) Nachbarschaft bestimmter anderer Laute in einen anderen über. So wird germ. ä in den meisten Dialekten zu e, wenn ursprünglich ein i oder j in der nächsten Silbe stand („¿-Umlaut", § 37), während es vor anderen Lauten unverändert blieb; oder germ. 5, d, g wurden zu b, d, g, wenn ein Nasal unmittelbar vorherging (§ 64), während sie in anderer Stellung zunächst spirantisch blieben. In solchen Fällen spricht man von kombinatorischem Lautwandel. Hierher zu rechnen sind auch diejenigen Fälle, wo nicht ein benachbarter L a u t , sondern der Akzent als treibender Faktor für einen Lautwandel im Spiele ist. So wurden germ. f,ß, h, s nur dann zu 6, d, g, z „erweicht", wenn ihnen der idg. Wortakzent nicht unmittelbar vorausging („Vernersches Gesetz", § G2). Häufig ist die Behandlung eines Lautes verschieden, je nachdem er in einer b e t o n t e n (d. h. im German, in einer ersten) Silbe steht oder in einer nebentonigen Silbe. Vor allem betrifft das die Vokale, deren Schicksale daher je nach ihrer Stellung in Ton- oder Nebentonsilben getrennt darzustellen sein werden. Eine besondere Behandlung erfuhren außerdem im Germ, die Vokale und auch gewisse Konsonanten im Auslaut der Wörter; darüber geben die „Auslautsgesetze" Auskunft (§ 112 ff.). Die Wirkung der Lautgesetze blieb nicht immer unangetastet. Manchmal sind „Störungen" eingetreten. Unter ihnen ist am wichtigsten die Analogie. Auf Grund des Vernerschen

I. Betonung

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Gesetzes (§ 62f.) sollte es z. B. im Got. heißen wairpa, warp, *waürdum, *waürdans ( = „werde, ward, wurden, geworden"); es heißt jedoch in Wirklichkeit wairpa, warp, waürpum, waürpans, d. h. der lautgesetzliche Zustand ist hier durch den analogischen Einfluß des p der beiden ersten Formen gestört bzw. beseitigt worden, indem man in allen Formen desselben Paradigmas den gleichen Konsonantismus durchführte. Derartige Erscheinungen nennt man, wenn sie—wie hier —innerhalb eines Flexionsparadigmas (bei Nomen oder Verbum) vorkommen, auch „Systemzwang". I. Betonung §25. S t e l l u n g u n d A r t des Akzents. Die Betonung (der Akzent) dient zur Hervorhebung sprachlicher Einheiten innerhalb einer Summe solcher Einheiten bzw. innerhalb einer höheren Einheit. Es gibt in diesem Sinne einen Satz-, Wort- und Silbenakzent. Der S a t z a k z e n t hebt innerhalb eines Satzes ein bestimmtes W o r t hervor, z. B. „Wer hat das gesagt?" oder „Das hat niemand b e h a u p t e t " . Der W o r t a k z e n t hebt innerhalb eines Wortes eine bestimmte Silbe hervor, z. B. in griech. TTIOTÖS trägt die letzte, in nhd. vater die erste, in lat. orätor die zweite Silbe den Wortakzent. Der S i l b e n a k z e n t hebt innerhalb einer Silbe einen bestimmten L a u t hervor. Dieser Laut ist der Silbenträger (meist der Vokal der betr. Silbe); so trägt in nhd. binden in der Silbe bin- das i den Silbenakzent. Es ist der Silbenträger oder Sonant, während b und n nur Kon-sonanten „Mit-Lauter" sind. Auch in den Diphthongen ist stets der eine Teil stärker betont als der andere, so in nhd. auge das a, während das u (streng genommen) nicht Sonant, sondern auch nur Konsonant ist. Grundsätzlich sind zwei A r t e n von Betonung zu unterscheiden : die d y n a m i s c h e (oder exspiratorische = , , Druck") und die m u s i k a l i s c h e Betonung ( = „Ton"). Im ersteren

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Lautlehre

Falle geschieht die Hervorhebung dadurch, daß das betr. Sprachgebilde mit stärkerem Atemdruck (Exspiration), im zweiten Falle dadurch, daß es mit größerer Tonhöhe gesprochen wird. Meistens sind in ein und derselben Sprache beide Betonungsarten miteinander verbunden, jedoch so, daß die eine von beiden vorherrschend ist, so daß man am richtigsten von „ v o r w i e g e n d musikalischer" bzw. „ v o r w i e g e n d dynamischer" Betonung spricht. Vorwiegend musikalisch ist z. B. der altgriechische Akzent, auch der mancher nhd. Mundarten (z. B. des Sächsisch-Thüringischen); vorwiegend dynamisch ist wahrscheinlich die Betonung des Lateinischen (wenigstens in einer bestimmten Periode) gewesen, auch viele nhd. Mundarten (vor allem die norddeutschen) haben vorwiegend dynamischen Akzent. § 26. Der S a t z a k z e n t . Vom idg. Satzakzent wissen wir nur wenig. Bemerkenswert ist, daß gewisse Wörter niemals den Satzakzent hatten und sich infolgedessen eng an ein folgendes (Proclitica) oder vorausgehendes Wort (Enclitica) anlehnten. Sie bildeten mit dem betr. Wort eine Toneinheit. Diese Eigentümlichkeit hat sich auch im Germ, erhalten. Ein Encliticon war z. B. idg. *-q*e „ u n d " (lat. -que, gr. -re, ai. ca), das auch im Germ, als Encliticon erhalten i s t : got. -uh (z. B. haz-uh „jeder"; vgl. lat. quis-que); wäre dieses *-q"e > -uh ein selbständiges (eigentoniges) Wort gewesen, so hätte es im Germ, nicht seinen Silbenträger (das e) verloren. Aus Proclitica sind z. B. die meisten unserer Praeverbia erwachsen, so etwa der erste Bestandteil von ahd. fur-liosan „verlieren" (auch for-leosan, fir-liasan, fer-liesen); aus dem Mangel an Eigentonigkeit erklärt sich der unfeste Vokalismus dieser Praeverbien. § 27. Der idg. W o r t a k z e n t kann mit Hilfe derjenigen Sprachen erschlossen werden, welche ihn einigermaßen getreu bewahrt haben und ihn in der Schrift bezeichnen. Das sind vor allem das älteste Indische (Vedisch) und das Litauische,

I. Betonung

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bis zu einem gewissen Grade auch das Griechische, soweit nämlich das dort wirksam gewordene neue Betonungsgesetz („Drei-Silben-Gesetz") den alten Akzent noch erkennen läßt. Ein indirektes Zeugnis bietet zudem das German, in Gestalt der Wirljungen des „Vernerschen Gesetzes" (§ 62). Der idg. Wortakzent war seiner S t e l l u n g nach grundsätzlich f r e i , d. h. er konnte nach bestimmten Regeln auf Silben aller Art (Wurzelsilben, Wort- und Stammbildungselementen, auch auf Flexionsendungen) stehen. Was die Betonungsart betrifft, so muß das Idg. — und zwar zu verschiedenen Zeiten— beide Möglichkeiten, die musikalische und die dynamische Betonung, gekannt haben. Das ergibt sich vor allem aus den Erscheinungen des Ablauts. Die Schwundstufe, d. h. Quantitätsverlust kann nur die Wirkung eines stark dynamischen Akzentes sein; dagegen kann die Abtönung, die Verdumpfung eines e oder a zu o nur in einer Periode vorwiegend musikalischer Betonung entstanden sein (Beispiele in § 53). Den überkommenen idg. Akzent hat das G e r m a n i s c h e grundlegend verändert: es hat die Möglichkeit des „freien" Akzentes völlig aufgegeben und ihn festgelegt auf die jeweils e r s t e S i l b e eines Wortes (Anfangsbetonung oder InitialAkzent). Diese Regelung kann jedoch noch nicht in der allerältesten Periode des Germanischen eingetreten sein, denn das Vernersche Gesetz (§ 62) setzt noch das Vorhandensein der altidg. Betonungsweise voraus. Andrerseits aber muß die Festlegung des Akzentes auf die erste Silbe erfolgt sein, bevor die V e r b a l k o m p o s i t a als einheitliche und zusammengehörige Gebilde entstanden, denn diese betonen nicht auf dem kompositionellen Vorderglied, sondern auf der Wurzelsilbe des Verbums. Daher betont noch das Nhd. z. B. vergaben, enüdssen, begleiten usw. Die N o m i n a l k o m p o s i t a dagegen waren zur Zeit jener Akzentregelung schon ihre feste Verbindung eingegangen; daher rühren noch heute Gegensätze wie nhd. er-

48

Lautlehre

teilen, aber ttr-teü oder cr-lauben, aber ür-laub. Unter dem Akzent blieb das u des Praefixes erhalten (so in den Nominalkomposita), während es in unbetonter Stellung (in den Verbalkomposita) zu e geschwächt wurde. Die frühgerm. Festlegung des Wortakzentes auf die erste Silbe hatte mehrere wichtige Folgen. U. a. wurde dadurch erst die germ. S t a b r e i m d i c h t u n g ermöglicht. Ganz besonders bedeutsam für das Gepräge der ganzen Sprache aber wurde die durch den Initialakzent bedingte allmähliche Abs c h l e i f u n g der a u s l a u t e n d e n Silben (vgl. unter Auslautsgesetze, § 117ff.). Aus dem starken Verfall der Endungen ergibt sich gleichzeitig, daß die Natur des germ. Wortakzentes eine vorwiegend dynamische gewesen sein muß. Der Atemdruck wurde gleichsam im wesentlichen schon für die erste Silbe eines jeden Wortes verbraucht, so daß für die folgenden nur noch ein sehr viel schwächerer Druck zurVerfügung stand, der ihre allmähliche Verkümmerung zur Folge hatte. § 28. Deridg. S i l b e n a k z e n t war von zweierlei Art; es gab einen S t o ß t o n und einen S c h l e i f t o n , die sich am besten in den Endsilben demonstrieren lassen, und zwar in erster Linie mit Hilfe des Griechischen und Litauischen, die beide in der schriftlichen Bezeichnung die einzelnen Arten unterscheiden. 1. Der g e s t o ß e n e ( a k u i e r t e ) Ton stand auf Kürzen und Längen (auch Diphthongen), z. B. idg. *alg*ha = gr. t o (32,36) 36)

i(31)

uo(31) (mhd.ae. 87) ü (31) (mhd. tu = ü. 37) et (32) e (41) ou (32) ( > mhd. ou, 37) ö(41)(> mhd. &, 37) tu (32) e o > to (32,36)

64

Lautlehre

B. Der V o k a l i s m u s der N e b e n t o n s i l b e n In den Silben, welche nicht den Wortakzent tragen, d. h. im German, im allgemeinen in den nicht-ersten Silben (§ 27), machen die Vokale zum großen Teil die gleichen Veränderungen durch wie in den Tonsilben. Zu einem anderen Teil jedoch haben sie eine von dem Schicksal der Tonvokale abweichende Behandlung erfahren. Die wichtigsten dieser Abweichungen werden im folgenden aufgeführt. (Unberücksichtigt bleiben dabei die in den Dialekten vielfach schon auf Grund der Auslautsgesetze geschwundenen ursprünglichen Endsilben, über welche § 117ff.). a) Schicksale ursprünglicher Kürzen § 45. Q u a l i t a t i v e V e r ä n d e r u n g e n . Idg. e ist in Nebensilben in viel größerem Umfang als in den Tonsilben (§ 30 und 35) zu i geworden. Mit gr. ¿>A£vr) „Ellenbogen" vgl. ahd. elina „Elle", mit dem Ausgang von ahd. lembir „Lämmer" < *lembiru < Hambezö den von lat. genera< *genez&, mit dem Ausgang von ahd. hanin „dem Hahn" den von gr. uoinivi „dem Hirten"; got. mikils, as. mikü, ahd. mihhil „groß" < idg. *megelos (im Ablaut zu gr. neyaAo-). Vor r ist altes nebentoniges e im Got. zu a geworden, während es sonst meist erhalten blieb bzw. zu i wurde: gr. inrip = got. ufar „über", aber an. yfer, ags. ofer, ahd. ubir; gr. TTcrripa „den Vater" = got. faäar, aber ags. fsder, as. fader, ahd. fater. Idg. o hielt sich in Binnensilben, namentlich in der Kompositionsfuge, länger als in Tonsilben (vgl. § 30). Das lehren Eigennamen wie Ario-vistus oder Lango-bardi. Im West- und Nordgerm, ist altes o im Nebenton vor einfachem Nasal nicht wie im Got. zu a geworden, sondern als o oder u erhalten geblieben, so im Dat. Plur. der ö-Stämme (idg. *-o-mis, vgl. abulg. rabomd „den Knechten"): an. dQgom,

II. Vokalismus

65

dQgum, ags. dagum, as. dagum, dagun, ahd. tagum, aber got. dagarn „den Tagen". Ebenso in der 1. Plur. Praes. (idg. *-o-mes, vgl. dor. *ghebhlä — got. gibla „Giebel". 2. Während im ältesten German, und auch noch im Got. die kurzen Vokale der Binnensilben fast ausnahmslos fest sind, setzt im N o r d - und W e s t g e r m , in größerem Umfange ein Schwund dieser Vokale (Synkope) ein. Als Grundregel hat dabei im W e s t g e r m a n , zu gelten, daß kurze Vokale der Mittelsilben nach voraufgehender l a n g e r Tonsilbe synkopiert wurden, nach kurzer jedoch erhalten blieben. Got. hausida „ich hörte" = ags. hyrde, as. hörda, ahd. hörta gegenüber got. nasida „ich rettete" = ags. nerede, as. rwida, ahd. nerita. — Im N o r d g e r m , ist diese Synkope später auch nach k u r z e r voraufgehender Tonsilbe eingetreten, so daß es hier nicht nur an. heyrßa „ich hörte" heißt, sondern auch talßa „ich zählte" < *tdiäa — ahd. zdüa. 3

Krähe,

Qermanlaohe

Sprachwissenschaft

I.

66

Lautlehre b) Schicksale ursprünglicher Längen

§ 47. Idg. e erscheint in Nebensilben im Got. als ä, im Nord- und Westgerm, als e (daneben im As. auch als ä). Idg. *pst£r „Vater" (gr. trorr^p) = got. fadar, aber an. faper, ags. fseder, as. fader (und fadar), ahd. fater. Germ. 5 (idg.' ä, 5; § 31), das haupttonig im Ahd. zu uo diphthongierte, blieb dort nebentonig als 6 erhalten: got. sdlböda „ich salbte" = ahd. saJböia. Vor *n wurde ö im West- und Nordgerm, zu ü (später ü). Got. tuggm „die Zunge (Akkus.)" = ahd. zungün, as. tungun; an. tungu, tungo. Ganz allgemein wurden ursprüngliche Längen in Nebensilben im Westgerm, und mehr noch im Nordgerm, vielfach g e k ü r z t und teilweise (besonders im Nordgerm.) sogar synk o p i e r t . Für die Kürzung vgl. etwa got. mdhteigs, ahd. mahtig „mächtig", aber as. mahtig, ags. mihlig, an. mättigr; für die Synkope got. mahteiga „der mächtige" = an. mätke. c) Schicksale ursprünglicher Diphthonge § 48. Germ, ai (idg. ai, oi; § 32), das im Got. in Nebensilben erhalten blieb, wurde im West- und Nordgerm, zu e (bzw. später teilweise zu e). Got. hausjaima „laßt uns hören" = an. heyrem; ahd. hörem. Got. blindaim „den blinden" - ahd. Miniem. d) Entstehung neuer Mittelsilbenvokale § 49. Auf einem Teil des german. Sprachgebietes, nämlich im W e s t g e r m . , sind in Nebentonsilben vielfach neue Vokale durch sog. „Vokalentfaltung" oder „Anaptyxe" entstanden. Derartige „Sekundär-" oder „Sproß-Vokale" treten auf vor einem r, l, n oder m, das auf Grund der german. Auslautsgesetze (§ 117ff.) silbisch geworden war. Im Ahd. und As. ist der neue Sproßvokal in der Regel a, vor m im Ahd. u, im As. o

II. Vokalismus

67

(seltener u); im Ags. steht vor r, l, n nach hellem Wurzelvokal e, nach dunklem Wurzelvokal o (oder u), vor m steht auch im Ags. meist u. Germ. *akraz „Acker" = got. akrs = ahd. ackar, as. akkar, ags. seeer-, g e r n . *fuglaz „Vogel" = got. fugls, an. fugl, fogl — ahd. fogal, as. fugal, ags. fugol; germ. *taiknam „Zeichen" = got. taikn, an. teikn = ahd. zeihhan, as. tekan, ags. täten; germ. *maipmaz „Geschenk" = got. maipms = as. medorn, ags. mädum.

Im Ahd. und As. ist ferner ein gelegentlicher Sproßvokal zu beobachten in den Gruppen rh, Ih und Konsonant + w. Der zwischen je zwei dieser Laute entstehende Vokal ist gewöhnlich a, manchmal auch o (besonders vor w). Ahd. und as. forahta = forhfa „ F u r c h t " ; ahd. u n d as. bi-felahan = bifelhan „ ü b e r g e b e n " ; ahd. farowa und farawa = farwa „Farbe,

Aussehen" (as. farawi). Die Farbe der neuentstandenen Mittelsilbenvokale ist nicht selten einer Angleichung (Assimilation) an Vokale benachbarter Silben unterworfen, z. B. ahd. (Tatian) 1. Sg. Ufiluhu, 3. Sg. bifilihit, Praet. Ufaiah, sämtlich zu Ujelhan.

3. Der Ablaut A. Die idg. Grundlagen des A b l a u t s §50. Zur E r k l ä r u n g . Die große Mehrzahl der Vokale steht seit der Zeit der idg. Grundsprache in einem festen Beziehungsverhältnis zueinander. Ganz bestimmte Gruppen von Vokalen gehören unter sich zusammen und können innerhalb von Wörtern, sei es in Wurzelsilben, sei es in Ableitungselementen miteinander nach festen Gesetzen wechseln. Ein derartiges Verhältnis liegt z. B. vor in nhd. singe — sang — gesungen

oder in griech. Xehrw — XiXoma — fXnrov oder in lat. fidus — foedus — ßdes. Diese Erscheinung bezeichnet man mit dem von Jacob Grimm geprägten Ausdruck A b l a u t . Man kann sagen: Ablaut ist der regelmäßige Wechsel ganz bestimmter Vokale in etymologisch zusammengehörigen Wort3»

68

Lautlehre

teilen, der aus der idg. Grundsprache ererbt ist. Man hat zwei A r t e n von A b l a u t zu unterscheiden. In Fällen wie nhd. binde — band oder lat. tegö — toga oder griech. SipKopai — 5£6opKa wechselt die Q u a l i t ä t des betr. Vokals (germ. i — a; griech. lat. e — o); daher spricht man hier von q u a l i t a t i v e m A b l a u t oder A b t ö n u n g . In Fällen aber wie nhd. reite — geritten oder griech. «peuyco — ? unss wet J wei$ gi-wiss

II. Vokalismus 2. R e i h e : tu got. Hufs an. liüfr ags. Uof „lieb" as. Uof ahd. Hob

77

(eu) au ga-laubjan,,glauben" leyfa „loben, erlauben" ge-liefan lufu gi-löbiar, „glauben" gi-louhm

3. R e i h e :

in an er ar got. bindan ga-binäa bandi an. binda „Band" band .„binden" bend „Band, band Fessel" as. bindan sh A.hintan binia bant „Binde" 4. R e i h e : en er got. bairan an. bera „traags. beran gen" as. beran ahd.beran

an ar barn beam barn

„Kind"

u(> o) liibö „Liebe" lof „Lob" „Liebe", lof „Lob" lobon „loben" lob „Lob"

un ( + Kons.) ur ( + Kons.) usw ga-bundi „Band" bundin „Garbe" bund 1 „Bund, gi-bund J Bündel" mhd. bunt „Fessel, Knoten" un ur usw. ga-baürps burpr „Gege-byrd burt" gi-burd gi-burt

Dehnstufe (en, er usw.): got. berusjös,.Eltern", ahd. gi-bäri .beschaffen, passend", as. gi-bäri „das Gebahren". 5. R e i h e : e(i) got. sitls „Sitz, Stuhl"

a satjan

an. siQtull „Aufsteller" ags. seil 1 as. sethal\„Siti;" ahd. sedel j

setia settan settian setzen

Dehnstufe l anda-sets „verabscheuenswert" sät \ „setzen" ssi {„Hinterhalt" gi-säjyi „Sitz"

Lautlehre

78 6. R e i h e a : got. graba „Graben" an. gryf ags. §rsef\ „Grab" as. graf ahd .grab

o gröba „Grube" qröf 1„: 1 „Furche" grof me. gröfe j „Grube" mnd. gröve 1,, gruoba ) Langvokalische Reihen: Idg. *dhe-/dhö- in got. ga-deps „Tat" ( = an. däd, ags. dxd, as. däd, ahd. tat) und ags. as. don, ahd. tuon „tun". — Idg. *stä-/sto- in got. ga-stöpan „aufrecht erhalten"; an. stöd, ags. stöd, ahd. stuot „Pferdeherde" (eigentlich „Ort, wo Pferde stehen") und got. staps ( = an. stapr ags. stede, as. stedi, ahd. stat) „Stelle, Stätte". §57. S u f f i x - A b l a u t . Die gleichen Ablautserscheinungen wie in den Wurzelsilben gab es seit idg. Zeit auch in A b l e i t u n g s s i l b e n , und zwar sowohl in Elementen der Wortbildung als auch in solchen der Flexionsstammbildung und in den Flexionsendungen selbst. Das Germanische hat diesen Zustand fortgesetzt und in den Wortbildungselementen sogar noch ausgebaut. 1. A b l a u t in f l e x i v i s c h e n S u f f i x e n . Mit gr. uoinévos, fiyenóva, dycövos vgl. got. hanins „des Hahnes"", hanan „den Hahn", tuggöns „der Zunge". — Mit dem Verhältnis von gr. qjéponsv, ¡pápETE vgl. das von got. bairam „wir tragen", bairip „ihr tragt". — Dem Wechsel von e/o in gr. Xúke : A ú k o s entspricht der von i/a in got. ivulfis „des Wolfes", wulfarn „den Wölfen". — In der i- und «-Deklination kehren die Ablautsstufcn der l . u n d 2. Reihe (i—ai—»bzw. iu — au—ü) wieder: got. ansteis (Nom. Plur.), ansiais (Gen. Sing.), anstim (Dat. Plur.) zu ansts (¿-Stamm) „Gunst" und ebenso got. sunjus, sunaus, sunum zu sunus («-Stamm) „Sohn". 2. A b l a u t in W o r t b i l d u n g s s u f f i x e n . Germ, -inga-/ -unga- (idg. *-enko-/-nko-), selten auch -anga- (idg. *-ovko--

III. Konsonantismus

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3. Ablautsreihe): as. ferskang, ferskinq, ferskung = frisking, ahd. friscing „Frischling"; as. cuning, ahd. chuning, an. konungr „König"; mhd. nldinc, nidunc „Neider". — Germ. -ena-(-ina-)/-ana- (idg. *-eno-/-ono-): got. himins, an. himenn, as.-hehan „Himmel"; got. maúrgins, ahd. as. morgan „Morgen". — Germ. -ela-(-ila-)/-ala- (idg. *-elo-/-olo-): got. ubils, ahd. ubil „übel"; got. mikils, ahd. mihhil „groß" gegenüber ahd. stumbal „verstümmelt"; ahd. wädal „arm". III. Konsonantismus 1. Der idg. Konsonantenbestand § 58. Die idg. Grundsprache besaß folgende Konsonanten : 1. Verschlußlaute. Sie gliedern sich nach der Art ihrer Hervorbringung („Artikulationsart") in stimmlose und stimmhafte Verschlußlaute, wobei jede von beiden Arten entweder „rein" oder „behaucht" (d. Ii. mit unmittelbar folgendem A-Laut) auftreten kann. Somit ergeben sich vier Reihen von Verschlußlauten: a) reine stimmlose Laute = Tenues, b) behauchte stimmlose Laute = Tenues aspiratae, c) reine stimmhafte Laute = Mediae, d) behauchte stimmhafte Laute = Medias aspiratae. — Andrerseits gliedern sich die Verschlußlaute nach dem Ort ihrer Hervorbringung („Artikulationsstelle") in fünf Gruppen: a) Lippenlaute = Labiales, b) Zahnlaute = Dentales, c) vordere Gaumenlaute = Palatales, d) hintere Gaumenlaute = Velares, e) liintere Gaumenlaute, die mit gleichzeitiger Lippenrundung gesprochen wurden = Labiovelares. Praktisch ergibt sich also für den Bestand an idg. Verschlußlauten folgendes Bild: Tenues Ten. aspir. Mediae Mediae aspir. Labiale : p ph b bh Dentale : t d th dh Palatale : k hh gh g kh Velare : k gh 9 q»h Labiovelare ; q* q*h

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Lautlehre

Von den beiden behauchten Gruppen kamen die Tenues aspiratae nur sehr selten vor, während umgekehrt die Mediae aspiratae recht häufig waren. In der Reihe der Medien ist i im Gegensatz zu den übrigen Mediae auffallend selten. — Die Reihen der Palatale, Velare und Labiovelare werden vielfach mit dem gemeinsamen Namen Gutturale bezeichnet. Von ihnen sind die Palatale und Velare im Germ, wie in allen Kentum-Sprachen (§ 2) in eine einzige Gutturalreihe zusammengefallen, während die Labiovelare eine vielfach selbständige Vertretung aufweisen. Andrerseits fielen in den Satem- Sprachen die Velare und die Labiovelare in eine einzige Gutturalreihe zusammen, während die Palatale zu Zischlauten wurden (Beispiele in § 60, 62, 64, 65). 2. R e i b e l a u t e (Spiranten): stimmlos : s stimmhaft: z Das z kam nur vor stimmhafter Konsonanz vor. 3. N a s a l e : labial: m dental: n palatal: n velar: n n und » standen nur unmittelbar vor Palatalen bzw. Velaren (und Labiovelaren). 4. L i q u i d e n : r, l. 5. H a l b v o k a l e , d.h. Vokale in konsonantischer Funktion: h V-

2. Die Vertretung der idg. Konsonanten im Germanischen A. D i e B e h a n d l u n g der idg. V e r s c h l u ß l a u t e (Die e r s t e L a u t v e r s c h i e b u n g ) § 59. Die Gesamtheit der idg. Verschlußlaute erlitt im frühesten Germ, eine tiefgreifende Veränderung. Zwar behielten sie (abgesehen von den Labiovelaren) ihre Artikulationss t e l l e im allgemeinen bei; in ihrer Artikulationsart jedoch wurden sie (mit einer einzigen Ausnahme, § 61) „verschoben". Den ganzen Komplex der dabei sich abspielenden Vorgänge hat man unter der Bezeichnung „ E r s t e (oder: g e r m a n i s c h e ) L a u t v e r s c h i e b u n g " zusammengefaßt. Ihr Wesen wurde zu-

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III. Konsonantismus

erst von dein Dänen Rasmus Kristian Rask(1787—1832) erkannt ; von Jakob Grimm, der auch die Benennung „Lautverschiebung" prägte, wurden ihre Regeln dann in ein umfassendes System gebracht (zuerst in seiner „Deutschen Grammatik", Bd. II, 1822). Diese „erste Lautverschiebung" ist eines der wichtigsten Charakteristika der germanischen Sprachen. Ihre Vorgänge gliedert man am besten in drei Abteilungen oder „Akte" : 1. Die Verschiebung der Tenues und Tenues aspiratae, 2. Die Verschiebung der Mediae aspiratae, 3. Die Verschiebung der Mediae. a) Die Verschiebung der idg. Tenues und Tenues aspiratae §60. Die idg. Tenues und Tenues a s p i r a t a e wurden im Germ, zu stimmlosen R e i b e l a u t e n . Dabeisind wahrscheinlich beide Reihen zunächst als Tenues aspiratae zusammengefallen. Es wurden: 1}

lh

>P->

k i k h }

k h

> ^ ' $ h } ^

v

P ist eine postdentale Spirans, dem stimmlosen engl, th vergleichbar. y bezeichnet einen unserem eh ähnlichen Laut, der in den germ. Dialekten in älterer Zeit in der Schrift meist durch h wiedergegeben wird.

Die so im Germ, entstandenen stimmlosen Spiranten blieben als solche erhalten: 1. im Anlaut der Wörter, 2. im Inlaut nur, wenn der idg. Wortakzent (§ 27) auf der unmittelbar vorhergehenden Silbe gestanden hatte. (War dies nicht der Fall, so wurden die stimmlosen Spiranten nach dem „Vernerschen Gesetz" stimmhaft, worüber § 62.) p > f . A n l a u t : idg. *por- „fahren, reisen" (gr. iropaionai, lat. poriäre) > got. ags. as. ahd. faran, an. afries. fara. — idg. *pelu- „ v i e l " (vgl. ai. puru-, gr. TTOXOS) > got. filu, a n . fjgl-, ags. feolu, afries. felo, as. ahd. filu, filo. — idg. *prl- „lieb,

lieben" (ai. priya- „lieb", priyä „Gattin"; abulg. prijati „günstig sein") > got. frijön, a n . fria, ags. freon „ l i e b e n " , as. frio-

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Lautlehre

han, mhd. vrien „freien, lieben". — I n l a u t : idg. *klep- „stehlen" (gr. KXèirrco, lat. clepö) > got. hlifan. — Zu idg. *nepöt(ai. ndpät „Abkömmling", lat. nepös „Enkel") gehört an. nefe „Neffe, Verwandter", ags. nefa, afries. neva, as. ahd. nevo „Neffe, Enkel" (wegen v vgl. § 73). ph > f. A n l a u t : mit ai. phena- (< *phoino-) „Schaum, Feim" vgl. ahd. feim, ags. färn „Feim". — I n l a u t : mit ai. éapha- „Huf, Klaue" vgl. an. höfr, ags. höf, ahd. huof „Huf". t > p (afries. as. th geschrieben; ahd. d nach § 74; im Inlaut an. ags. d, gelegentlich auch as. d neben th, nach § 74). A n l a u t : idg. *trejes „drei" (ai. tràyah, gr. Tpets, lat. trés) = got. preis, an. Prlr, ags. prie, afries. ihre, as. Ihne, ahd. dne. — idg. *tü „du" (ai. tv-am, lat. iü, dor. TU) = got. pu, an. ags. pil, afries. as. thu, ahd. du. — Mit ai. trna- „Grashalm", abulg. tròni „Dorn" vgl. got. paurnus, an. ags. porn, afries. as. thorn, ahd. dorn „Dorn". — I n l a u t : idg. *uert- „wenden, sich verweilen" (ai. variati „er dreht sich, verweilt", lat. verto) = got. wairpan, an. verda, ags. weordan, afries. wertha, as. werthan, ahd. werdan „werden". — idg. *bhrater- „Bruder" (ai. bhràlar-, lat. fräler) = got. bropar, an. bröder, ags. brödor, afries. bröther, äs. brödor, ahd. bruoder. th>p. A n l a u t : zu gr. Tpé/co „laufe" ( < *threkhö, vgl. Fut. 0pé§onai) gehört got. pragjan, ags. prxgan „laufen", a n . p r s l l , ahd. drigil „Diener" (eigentl. „Laufer"). — I n l a u t : idg. *sketh-, skdth- (vgl. gr. ¿ x (h)- A n l a u t : idg. *kmtóm „hundert" (ai. satdm, avest. satdm, lit. Simtas — lat. centum, air. cet, tochar. känt) = got. ags. as. hund, ahd. hunt. — idg. *kerd-, krd- „Herz" (lit. sirdis, abulg. sródóce — gr. KcrpSfa, lat. cor, eordis) = got. hairtö, an. hjarta, ags. heorte, afries. 'herte, as. herta, ahd. herza. — I n l a u t : idg. *péku- „Vieh" (ai. pdsu, lat. pecü) = got. faihu „Geld", ags. feoh, as. fehu, ahd. fihu „Vieh". —

III. Konsonantismus

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idg. *dtkm „zehn" (ai. ddsa — gr. Sira, lat. deceni) = got. taihun, as. tehan, ahd. zehan. Für kh fehlen sichere Beispiele. fc>^(h). A n l a u t : idg. *kap- „nehmen, fassen" (lett. kämpiu ,,fasse" — lat. capiö) = got. hafjan, an. hefja, ags. hebban, afries. hebba, as. hebbian, ahd. heffen „heben". — Mit ai. ketüh „Bild, Gestalt" vgl. got. haidus „Art und Weise", an. heidr „Würde", ags. häd, as. hed, ahd. heit „Stand, Rang" (nhd. Suffix -heit 1). — I n l a u t : idg. *ueik- „kämpfen, siegen" (lit. ap-veikiü „bezwinge" — lat. vincö) = got. weihan „kämpfen", ahd. vhar-wehan „überwinden". — idg. *leuk- „hell, leuchten" (ai. rocaU „leuchtet" — gr. Xeukös „weiß", lat. lux, lücere) = got. liuhap, ags. leoht, as. ahd. lioht „Licht". kh>%(h). I n l a u t : idg. *Mkhä „Ast" (ai. sakhä „Ast, Zweig", lit. Salcä dass.) = got. höha „Pflug" (Hakenpflug!), ahd. (Deminutiv) huohili. qv > y?. Dieser Laut ist nur noch im Got. als solcher erhalten und wird dort durch die Ligatur h bezeichnet. Sonst steht im Anlaut hw- (wofür im Deutschen später w-), im Inlaut -h- (das im Nordgerm, und Anglofries. schwand). A n l a u t : idg. *qvod „was?" (lat. quod — ai. kdd) = got. ha, an. hvat, ags. hwxt, afries. hwet, as. hwat, ahd. hwaj ( > wa^). — Mit lat. quies „Ruhe", tran-quillus „ruhig" (idg. Basis *qveje-; vgl. auch altcech. cila „Weile") vgl. got. heila, ags. hml, afries. hwlle, as. ahd. hmlla „Zeit, Weile" ; an. hvlla „Ruhestätte". — I n l a u t : idg. *leiqv- „lassen" (gr. Aehrco, lat. re-linquö — lit. liekü „lasse") = got. leifvan, ahd. Vthan, as. far-lihan; an. liä, ags. on-leon, afries. IIa „leihen". — idg. *se(f- „folgen" (lat. sequor, gr. iironai — lit. sekü „folge", auch „wittere, spüre") = got. salhan „sehen" (ursprüngl. „mit den Augen folgen, nachsehen"), as. ahd. sehan; an. afries. siä, ags. seon. qvh > y* (Weiterentwicklung wie bei qv). Inlaut: idg. *rei *hahan- (§ 42) „hangen" (idg. *kdiokö) = got. ahd. hähan, ags. hon; aber germ. *hangjan- „hangen machen, hängen" (idg. *koMiö) = an. hengia, ags. hengan, ahd. hengen. 3. Das Verhältnis der schwachen Verba der zweiten und dritten Klasse (II § 84) zu den zugehörigen primären Verba. Auch hier waren die abgeleiteten (schwachen) Verba suffixbetont; ihre wurzelauslautenden Konsonanten zeigen daher wiederum gegenüber denen der zugehörigen Primärverben die Verschiebung nach dem Vernerschen Gesetz. Ahd. slagön „schlagen" gegenüber slahan „schlagen"; ahd. zeigön „zeigen" gegenüber zihan „zeihen". — Ahd. fragen, as. fragön „fragen" gegenüber got. fralhnan „fragen". 4. Das Verhältnis der im Idg. suffixbetonten Verbalabstrakta auf -ä zu den zugehörigen (wurzelbetonten) Primär-

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Lautlehre

verba. Vgl. gr. Tpotri1! ( < *tropä) „Wendung" :TP£TTCO „wende"; a-rrouSi1! „ E i l e " : CTTTEÜSCO „eile". Ebenso ahd. kora „Prüfung" : kiosan „prüfen"; ä-sneita „Reisig" (germ. *snaidö, idg. *snoita): snidan „schneiden"(germ. *snipana-,idg. *sneitonom); zeiga „Zeigung" : zihan „zeihen". b) Die Verschiebung der idg. Mediae aspiratae §64. Die idg. Mediae a s p i r a t a e wurden im Germ, zu s t i m m h a f t e n R e i b e l a u t e n . Mit diesen fallen die nach dem Vernerschen Gesetz (§ 62) entstandenen stimmhaften Reibelaute zusammen. Es wurden: bh>i\ dh>d\ gh,gh> g_ \ g*h > g*. Die so entstandenen stimmhaften Spiranten (5, d usw.) haben die Neigung, in Medien (b, d usw.) überzugehen. Dieser Zustand ist im Anlaut sowie im Inlaut nach Nasalen bereits in vorliterarischer Zeit erreicht. Über die Weiterentwicklung im einzelnen § 77 ff. ih > 5, b. (Das inlautende 5 wird im An. und Ags. durch f wiedergegeben.) Idg. *bhü- „sein, werden" (ai. bhdvati „ist, wird", gr. *skap-ti-s in got. ga-skafts, ags. ge-sceaft, as. ahd. gi-scaft „Schöpfung, Geschöpf". Desgleichen got. (usw.) ßagkjan „denken" und Praet. got. (usw.) pahta „dachte" (vgl. § 42) und viele andere. § 89. T e n u i s + M e d i a (aspirata) wurde gemein-idg. zu M e d i a + M e d i a (asp.), d. h. stimmloser Verschlußlaut wurde vor stimmhaftem Verschlußlaut gleichfalls stimmhaft. Dieser Vorgang ist praktisch viel seltener als die umgekehrte in § 88 verzeichnete Erscheinung. Zu idg. *ped-jpod- „ F u ß " mußte die Schwundstufe *pd- zu *bd- werden (vgl. § 51); sie liegt

III. Konsonantismus

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vor in ai. upa-bda- „Fußstampfen", gr. f-rri-ßSai „Nachfeier". Ähnlich im Germ, etwa as. libda „ich lebte" < vorgerm. *lib-dhöm zu idg. *lip- „dauern, haften" (in ai. Upyate „heftet an", abulg. lipeti „haften", gr. Aiirapelv „ausharren"). § 90. A s p i r i e r t e r V e r s c h l u ß l a u t v o r n i c h t - a s p i r i e r t e m V e r s c h l u ß l a u t gab seinen Hauch an diesen ab. Dabei wurde Tenuis in Verbindung mit Media gleichfalls zur Media. Das zu idg. *labh- „fassen" (ai. labhate) gehörige Verbaladjektiv wurde aus idg. *ldbh-t6-s zu *lab-dh6-s (ai. labdhdh). Die Nachwirkungen dieses Vorgangs zeigen sich im Germ, in einem Falle wie idg. *kugh-ti-s „Denken" (zu *kugh- „denken" in got. hugjan usw.) > *kugdhi-s = got. ga-hugds „Gewissen", ags. gehygd, as. gi-hugd „Gedanke", ahd. gi-huct „Gedächtnis". Wäre der Dental des idg. -¿¿-Suffixes in diesem Wort unverändert geblieben, so hätte got. *ga-haühts usw. entstehen müssen. b) Sonatige voreinzelsprachliche Vorgänge Hier sind diejenigen Erscheinungen behandelt, die sich außer im Germ, auch in einer oder mehreren anderen idg. Sprachen finden. Es ist dabei mehr oder minder wahrscheinlich, daß diese Vorgänge von den betreffenden Sprachen gemeinsam (in voroinzelsprachlicher Zeit) vollzogen worden sind.

§ 91. Die idg. Verbindung t + t, die ursprünglich sein, aber nach § 88 auch auf d + t zurückgehen kann, ist im Germ, (und ebenso im Lat. und Kelt., in letzterem aber über die Zwischenstufe st) zu ss geworden; im Ai. entspricht tt, im Griech., Baltischen und Slavischen st. Idg. *stet-ti-s „Stehen, Stand" (zurWurzel *stä- „stehen", aber mit der ¿-Erweiterung wie in got. standan, stop) = got. us-stass „Auferstehung". Ebenso verhält sich got. ga-wiss „Verbindung" zu ga^widan „verbinden"; got. missö „wechselseitig", got. missa- = ahd. missi- in missa-deps bzw. missi-tät

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Lautlehre

„Missetat" usw. zu ahd. mldan „meiden"; got. as. ahd. wissa, an. vissa „ich wußte" zu got. (usw.) witan „wissen". Nach voraufgehendem langem Vokal wurde ss vereinfacht, z. B. ahd. mmsa „ich mußte" (gebildet wie wissa „wußte") zu got. mötan, ahd. muo^an „müssen". Dieses Lautgesetz idg. tt > germ. ss ist vielfach durch Analogiebildungen gestört worden. So ist zwar an. hlass „Last" (: an. hlaäa, ahd. hladan „laden") lautgesetzlich; dagegen ist in ags. hlassl, ahd. (hjlast „Last" analogisch das t gleichwertiger Abstraktbildungen (z. B. got. fra-lusts „Verlust": fra-liusan „verlieren") übernommen worden. Ähnlich sollte idg. *uoid-tha > uoit-tha (§88) „du weißt" ( = ai. vettha, gr. olcröot) im Germ. *uaiss{a) = got. *waiss ergeben; es heißt jedoch got. waist in Anlehnung an die übrigen 2. Sing. Praet. auf -t (parft usw.).

§ 92. Die Gruppen t + s und th + s, d + s und dh + s waren sämtlich schon im Idg. zu ts geworden. Daraus wurde im Germ., wie in mehreren anderen Sprachen (so im Griech. und Lat.) ss. Nach langem Vokal wurde dieses zu s vereinfacht. Zur Wurzel *uod- „Wasser" (got. watö) gehört idg. *uot-so(vgl. zur Bildung ai. üt-sa- „Quelle, Brunnen") = an. vass „Schilf". Zur Wurzel *uid- „sehen" (lat. videre) gehört die Desiderativbildung ai. vivitsämi „wünsche zu sehen", lat. visere, got. ga-weisön = ahd. as. wisön „besuchen". § 93. In der idg. Gruppe sr wird im Germ, (wie im Slav., Thrak., Illyr. und teilweise auch im Balt., vgl. § 8) ein t eingeschoben, so daß die Gruppe str entsteht. Zu idg. *sreu- „fließen" (ai. srdvati „er fließt") gehört ahd. stroum „Strom" (§ 8); aus *suesr-, dem schwachen Stamm von idg. *suesor- „Schwester" ( = ai. svasar-), stammt das t in got. su'istar, an. syster, ags. siveostor, as. ahd. swestar (vgl. z. B. den got. Dativ suristr < idg. *suesri mit dem ai. Dativ svasre, aus idg. *suesrei); mndl. deemster, ahd. dinstar „finster" < germ. *pim(i)stra- für idg. Hemesro- (vgl. ai. tamisrä „das Dunkel", lat. tenebrae „Finsternis" < *temesrä-).

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§94. N a s a l e K o n s o n a n t e n gleichen sich in der Artikulationsstelle einem folgenden Verschlußlaut oder Spiranten a n ; sie machen daher auch deren Veränderungen in der Artikulationsstelle mit. Besonders in Betracht kommen idg. » > germ. m, wenn ein folgendes idg. qv > p > germ. f verschoben wurde (§60), und idg. m > germ. n vor Dentalen. Idg. *'penqve „fünf" (lat. quinque usw.; § G0) = got. ahd. fimf. Idg. *kmtöm „hundert" (lit. simtas) = got. ags. as. hund, ahd. hunt. Mit gr. ductöos ( < *samsdho-) „Sand" vgl. an. sandr, ags. sond, as. sand, ahd. sant. Zu got. skaman, ags. scamiati, ahd. scamän „schämen" gehört got. skanda, ags. scand, ahd. scanta „Schande". § 95. Idg. d + l ist schon vor der german. Lautverschiebung zu II geworden. Nhd. schrill = nd. schrei < vorgerm. *skrid-lo- zu got. dis-skreitan „zerreißen" ; ags. as. Uli „Schwert" < *bhid-lo-m zu got. beitan, ags. as. bitan, ahd. bijan „beißen". — Vgl. § 96. B. G e m e i n - g e r m a n i s c h e V o r g ä n g e a) Asaimilations-Erscheimmgen § 96. In mehreren Gruppen ist im Germ, ein Konsonant an ein folgendes oder vorausgehendes l assimiliert worden, sodaß II entstand (vgl. auch § 95). 1. Germ, dl ( < idg. -Ahl- und -Ü-) wurde im Wortinlaut zu II. Idg. *sld-dhlo- „Standort" ( = lat. stdbulum) > germ. *stadla- > *slalla- = an. stallr, ags. sieall, ahd. stal (Genet. stalles) „Stall" (daneben idg. *sts-tlo- > germ. *staßla- in ags. stadol, ahd. stadal „Stadel", as. stadal „Aufenthalt"). Ähnlich verhält sich ahd. wallm „wandern" zu ahd. wadal „Wanderschaft" ; an. troll „Zauberer, Unhold" zu an. tropa, got. trudan „treten".

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Lautlehre

2. Idg. sl ist im Germ, über *zl zu II geworden. Germ. *kruzla- in me. crolle = mhd. krolle „Haarlocke", nhd. kroll „lockig"; vgl. mhd. krüs „kraus". An. knylla, ags. cnyllan „schlagen, stoßen" < *knuzljan-; vgl. ahd. Müssen, ags. cnyssan < *lcnusjan- „stoßen". Ähnlich an. hrolla „zittern" zu an. hriösa „schaudern". 3. Idg. In ist im Germ, zu II geworden. (Ähnlich auch in einigen anderen Sprachen, z. B. im Lat.) Mitlit. pilnas, abulg. plins (auch ai. pümdh, lat. plenus) „voll" vgl. got. fulls, an. fullr, ags. as. füll, ahd. fol (Genet. folles); lit. vilna, abulg. vlöna (auch ai. ürnä, lat. läna) „Wolle" = got. wulla, an. ull, ags. wulle, ahd. wollet; mit lit. kdlnas „Berg" (lat. Collis < *colnis) vgl. ags. hyll „Hügel"; idg. *pelnom > got. (usw.) fill (§30). § 97. In einigen Konsonantenverbindungen, die ein n enthielten, ist durch Assimilation im Germ, die Gruppe nn entstanden. 1. Am wichtigsten ist der Übergang von idg. nu zu germ. nn. Got. kinnus, an. kinn „Wange", ags. einn, as. kinni, ahd. chinni „Kinn" < idg. *genu-; vgl. besonders lat. (dem) genuinus „Backen(-zahn)". An. ßunnr, ags. pynne, as. thunni, ahd. dunni „dünn" < idg. *tnu-; vgl. lat. tenuis, ai. tanvi (fem.) „dünn", gr. xavOco „spanne". Got. minniza, an. minne, afries. as. minnira, ahd. minniro „kleiner" < idg. *minuison-; vgl. lat. minus < *minuos „weniger", gr. nivOco, lat. minuö „mindere". 2. Idg. sn ist über *zn im Germ, t e i l w e i s e zu nn geworden ; in anderen Fällen ist es als sn oder (nach § 62) als zn erhalten geblieben. Idg. *duisno- „zwiefach" ( = lat. Uni, vgl. § 4) = an. tvennr „zweifach", ags. twinn „doppelt". Ags. dunn „schwarzbraun", an. dunna „(braungraue) Stockente" germ. pp usw. Daraus erklären sich : Ahd. knöpf „ K n o t e n " , nd. knop(p) „ K n o s p e " < germ. *knuppa- < *knupna- neben mhd. knouf, ndl. bioop „ K n a u f " und mhd. knübel „ K n ö c h e l " ; nd. schuppe „Schaufel", ahd. scupfa „Schaukelbrett" < germ. *skupnö neben got. skiuban, ags. sceofcm, ahd. scioban „schieben". Got. skatts, an. skatlr „ S c h a t z " , ags. sceatt, as. skatt, ahd. scaz „Geld(-stück)" < germ. *skattaz < *skatnaz = idg. *skoänos (zu gr. ctke6 mm, § 98,1) und einer solchen an einen vorangehenden Konsonanten („Regressive Assimilation"; z. B. In > II, § 96,3).

III. Konsonantismus

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Die hierher gehörigen Erscheinungen sind meist schon in anderem Zusammenhang behandelt worden (besonders § 96 bis 99). Nachzutragen sind einige Beispiele für F e r n a s s i m i l a t i o n . So konnte im Ahd. ein wortauslautendes n an ein wortanlautendes p oder f angeglichen und dabei zu m werden : a h d . pilignn (aus lat. peregrinus) w u r d e zu piligrim „ P i l g e r " ; neben a h d . faran (== as. farn, ags. fearri) s t e h t a h d . faram

„Farn". — In ahd. orgela „Orgel" (aus mittellat. Organum) ist n in Angleichung an voraufgehendes r zu l geworden. — I n a n . träne „ K r a n i c h " g e g e n ü b e r ags. cran, m h d . krane (vgl.

gr. yipavos) ist anlautendes k dem inlautenden n angeglichen und zu t geworden. — In got. plapja aus lat. platea „Straße, Platz" ist das inlautende t dem anlautenden p angeglichen worden. B. D i s s i m i l a t i o n § 108. Stehen in einem Wort zwei (oder mehrere) gleiche Konsonanten, so kann einer von ihnen durch Dissimilation („Entgleichung") verändert werden. Das kann auf zweierlei Weise geschehen: 1. der eine der gleichartigen Konsonanten geht in einen anderen (verwandten) Konsonanten über („echte Dissimilation"), 2. der eine der gleichartigen Konsonanten schwindet („dissimilatorischer Schwund"). 1. E c h t e D i s s i m i l a t i o n . Am häufigsten ist die Dissimilation zweier L i q u i d e n . So geht von zwei in einem Wort stehenden r das eine vielfach in l über: mhd. mül-ber „Maulb e e r e " = a h d . mür-beri ( < l a t . morum);

got. aürali

„Schweiß-

tuch", ags. orel „Gewand, Schleier, Mantel", ahd. orul, orel „flammeolum" = lat. orärium „Schweißtuch". — Von zwei l geht das eine häufig in n über: mlid. knobe-louch „Knoblauch" == m h d . klobe-louch,

alid. klobo-louh;

a h d . ana-lust=

ala-lust

„Wohlgefallen". Ein n, das mit einem andern n oder auch m im gleichen Wort steht, kann zu l dissimiliert werden. Ahd. sliumo, sliemo

118

Lautlehre

„schnell, plötzlich" = sniumo (vgl. got. miumjan „eilen"); dazu auch ahd. slünig ( cunig „König"; phending > phenning > phennig „Pfennig"; honang > honag „Honig". Ebenso später mhd. minent-, dinent-halben > nhd. meinet-, deinet-halben. Von zwei l ist eines dissimiliert in got. fugk, an. fugl, ags. fugol, as. fugal, ahd. fogal „Vogel" aus germ. *flug-la-z zu got. (usw.) fliugan „fliegen" (vgl. nhd. ge-flügel). Von zwei r ist eines dissimiliert in mhd. keder, köder neben kerder, körder „Köder", ahd. querdar; ebenso an. here, hegre „Reiher" gegenüber ags. hrägra, ahd. (h)reigaro. Ein r ist^wegen eines folgenden l dissimiliert in mhd. weit neben werltj ahd. weralt „Welt". C. Metathese § 109. Eine Reihe von Metathesen, d. h. Umstellungen von Lauten, hat eine allgemeinere Geltung. 1. Schon in voreinzelsprachliche Zeit reichen Umstellungen von Nasalen zurück. Allerdings liegen dabei in den meisten Fällen wohl keine echten Metathesen vor, sondern Auswirkungen von idg. Ablautserscheinungen. So an. nafle, ags. nafela, ahd. nabulo „Nabel" (wie ai. näbhih, apreuß. nabis „Nabel") gegenüber lat. umbilicus, gr. 6n

geispa „ g ä h n e n " , zu an. geipa „ s c h w a t z e n " .

6. Umgekehrt konnte im Ags. sp zu ps umgestellt werden : ags. wlips

neben wlisp — a h d . lisp „ s t a m m e l n d " , zu m h d .

120

Lautlehre

lispen „lispeln"; ags. eops neben cosp = as. cosp „Fessel". — Ebenso sie zu ks: ags. äesian, ö.xian = äscian, as. escon, ahd.

eisern „fragen, forschen, heischen". 7. Ein auf die stimmlosen Spiranten s oder f folgendes l konnte im Ags. und An. durch Metathese vor dieselben gelangen. Ags. rsdels = as. rädislo, mhd. rätsal, raetsel „ R ä t s e l " ; an. beils = beisl „ G e b i ß " ; an. innylfe, ags. innelfe = an. innyfle, ags. innefle, ahd. (Plur.) innuovüu „Eingeweide"; an. elfa — efla „wirken", ahd. avalön „arbeiten".

8. Auslautendes w nach Konsonant konnte im An. und Ags. (hier nur nach g und Je) mit diesem den Platz wechseln. An. launs = lausn „Erlösung", vant = vatn „ W a s s e r " ; ags. tänc = täcn (got. taikn usw.) „Zeichen", reng. — regn (got.

rign usw.) „Regen". D. H a p l o l o g i e § 110. Zwei in demselben Wort stehende ähnliche oder (vor allem im Konsonantismus) gleiche Silben bzw. Wortstücke können „ S i l b e n s c h i c h t u n g " (Haplologie) erleiden, d. h. das eine der beiden gleichartigen Elemente wird ausgestoßen. Ahd. swibogo „bogenförmige Wölbung" (eigentl. „SchwebeBogen")
uu, § 72 ; die westgerm. Konsonantengemination, § 83—86 ; die durch Assimilation entstandenen Doppelkonsonanten, § 96—99) gibt es auch eine „ s p o n t a n e " K o n s o n a n t e n v e r d o p p e l u n g , die mehr oder minder an i n n e r e Bedingungen (Schattierungen in der Wortbedeutung usw.) gebunden ist. Diese Doppelkonsonanten sind rein dynamischer Natur ; sie dienen der Lautmalerei oder Lautsymbolik. Die wichtigsten derartigen Fälle im Germ, sind die folgenden : 1. In P e r s o n e n - N a m e n . K u r z - oder K o s e f o r m e n von (meist ursprünglich zweigliedrigen) Personennamen weisen sehr häufig Verdoppelung des letzten stammhaften Konsonanten auf. Da diese Erscheinung auch in mehreren verwandten Sprachen auftritt, ist anzunehmen, daß sie auf eine bereits idg. Eigentümlichkeit zurückgeht. Vgl. gr. KMouuij neben KXsopis (Kurzform zu Kteo-pévris od. dgl.), S/rpà-ms neben 2>rp —, § 113). Idg. *dhoghos > germ. *dagaz „der Tag" = urnord. dagaR; germ. *kuningaz „König" = finn. kuningas. — Idg. *krnom „Horn" > germ. *hurna(ri) = urnord. horna (Acc. Sing.); idg. *ghltom „Gold" > germ. *gulpa(n) —- finn. kulta. Sonst ist a auch im gedeckten Auslaut überall geschwunden. Mit den eben genannten Wörtern vgl. an. dagr, got. dags, ags. dwg, as. dag, ahd. tag; an. konungr, ags. cyning, as. euning, ahd. chuning-, got. hav/rn, an. ags. afries. as. ahd. hörn; got. gulp, an. gull, ags. gold, afries. as. ahd. gold. § 120. Idg. e = germ. e oder i ( § 30 und 45) ist sowohl im absoluten wie im gedeckten Auslaut überall geschwunden. A b s o l u t e r A u s l a u t : Idg. *uoide (ai. veda, gr. o!6e) „er weiß" = got. wait, an. veit, ags. wät, afries. as. wet, ahd. weiy, idg. *penq*e (lat. quinque, gr. irivT«) „fünf" = got. ahd. fimf, an. fimm, ags. afries. as. /»/; idg. *bherete „ihr tragt" (ai. bhdratha, gr. germ. *suniuiz = got. sunjus usw. „Söhne".

IV. Auslautsgesetze

129

§ 121. Idg. i — gemi. ì (§ 30) ist in d r i t t e r Silbe schon gemein-german. geschwunden. Idg. *bheresi „du trägst" (ai. bharasi) = got. bairis, an. berr, ags. bires, as. ahd. biris ; idg. *bheronti „sie tragen" (ai. bhdranti, dor. germ. *hanan-u(n) „den Hahn" = got. hanan, an. hana, ags. hanan, as. ahd. hanon. — Nur auf den urnord. Runen-Inschriften ist es noch erhalten, vgl. den Eigennamen SigaduR. In zweiter Silbe ist w im Westgerm, nach langer Silbe geschwunden, nach kurzer Silbe erhalten. Nach langer S i l b e : germ. *flöduz „Flut", Acc. *flödu(ri) = ags. afries. as. flöd, ahd. fluot (auf ags. Runen-Inschrift noch flödu); germ. *handuz, *handu(n) „Hand" = ags. hond, afries. as. liand, ahd. Iiant. Nach kurzer S i l b e : germ. *Muz, *sidu(n) „Sitte" = ags. sidu, seodu, as. sidu, ahd. situ; germ. *sunuz, *sunu(n) „Sohn" —- ags. afries. as. ahd. sunu. Im Nordgerm, ist u in zweiter Silbe im Urnord. noch bewahrt: urnord. sunuR „Sohn", Acc. rmgu „den Sohn". — Im An. schwand w zunächst nach langer Silbe: an. flöd „Flut", hynd „Hand", später auch naoh kurzer Silbe: an. sidr „Sitte'", sunr „Sohn". Im Gotischen ist bei den u-Stämmen wiederum analogiseher Ausgleich eingetreten, jedoch in umgekehrter Richtung als bei den ¿-Stämmen (vgl. § 121), so daß hier u auch nach langer Stammsilbe bewahrt erscheint: sidus(A.cc. sidu) „Sitte", sunus (sunu) „Sohn", aber auch flödus (flödu) „Flut" und handus (handu) „Hand". Daß lautgesetzlich u nach langer Silbe auch im Got. schwinden mußte, zeigt got. tagr „Träne" < idg. *dakru ( = gr. SdtKpu).

IV. Auslautsgesetze

131

B. Die l a n g e n V o k a l e § 123. E r h a l t e n blieben lange Vokale in folgenden Fällen : ]. In e i n s i l b i g e n W ö r t e r n , die einen Eigenton hatten. Idg. *sä „diese" ( = ai. sä, gr. f|) > germ. *sö = got. so, an. sü; idg. *täm (Acc.) „diese" ( = ai. iäm, gr. TI^V) > gerni. *pö(n) = got. pö, an. ags. pä; idg. *te. tö (Instr. Sing.; vgl. gr. -rii-5e „hier".bzw. lit. lud „mit dem") > germ *pe = got. pi „desto" bzw. germ. *pö — as. thö, ahd. dö, duo „da, darauf". 2. Im G o t i s c h e n vor -s (bzw. germ. -z). Nom. Plur. gibös „die Gaben" (vgl. ai. dsväh „die Stuten"); 2. Sing, des schwachen Praeteritums nasides „du rettetest" gegenüber der 1. und 3. Sing, nasida; 2. Sing. Opt. toileis „du willst" gegenüber 3. Sing. mit. — Auch im Ahd. blieb die Länge (nach Schwund des -z bzw. -r) erhalten, wenn sie ursprünglich s c h l e i f t o n i g war: ahd. gebä „die Gaben" (germ. *g.et)öz, idg. *ghebhäs); in den übrigen Dialekten wurde sie gekürzt: an. giafar, ags. giefa, as.geta. Ursprünglich s t o ß t o n i g e L ä n g e n wurden auch vor altem -s im Nord- und Westgerm, überall gekürzt: ags. wile, as. ahd. tvüi „du willst"; an. heyrper „du hörtest" ( = got. hausides). § 124. Idg. schleiftoniges e blieb im Got. als e erhalten; sonst wurde es zu a gekürzt. Idg. *q*otred = got. hadre „wohin?'"; idg. *totred = an.padra „dorthin". Idg. stoßtoniges e wurde genieingerm. zu a gekürzt; dieser Zustand ist nur noch im Got. klar zu erkennen. Instr. Sing. idg. *dhoghe = got. daga (Dat. Sing.) „dem Tage" (vgl. einsilbiges got. pe, § 123); 3. Sing, des schwachen Praet. idg. *-dhet in got. nasida „er rettete"; 1. Dual. idg. *-ue (vgl. abulg. vede-vi „wir beide führen") in got. bairaiwa „wir beide mögen tragen". § 125. Idg. schleiftoniges i ist im Germ, nicht sicher zu belegen. Stoßtoniges i wurde gekürzt. Mit der Endung von ai. dem „Göttin" vgl. die von got. mawi „Mädchen".

132

Lautlehre

Für ü und ü fehlen Beispiele. § 126. Am wichtigsten von den auslautenden Längen ist gerin. 5 (— idg. ä und ö. § 31). Zu unterscheiden sind je nach der Behandlung im Germ.: I. schleiftoniges ö, das in allen Stellungen gleichartig behandelt wird, 2. stoßtoniges 5, das durch Nasal gedeckt war, 3. stoßtoniges 5 im absoluten Auslaut. 1. Schleiftoniges ö wird im absoluten und im (durch dentalen Verschlußlaut oder Nasal) gedeckten Auslaut im Got. zu ü, im An. und Ags. zu ä, im As. und Ahd. zu ö. Hierher die idg. Ablative auf -öd (vgl. lit. tö „dessen", alter Ablativ), die im Germ, als Adverbia erhalten sind: got. galeikö, an. gllka, as. gilieo, ahd. gilicho „in gleicher, ähnlicher Weise"; got. undarö „unten", ufarö „über". — Gen. Plur. der ö-Stämme, idg. -öm (vgl. gr. 0EWV) in an. daga, ags. daga, as. dago, ahd. tago; ähnlich in den anderen Stammklassen, z. B. bei den idg. (t-Stämmen: got. gibö, an. giafa, ags. giefa, as. gefio (getono), (ahd. geböno). — Nom. Sing, der «-Stämme, idg. -5 (vgl. lit. akmuö „Stein") in ags. guma, as. gumo, ahd. gomo „Mann, Mensch". 2. Stoßtoniges 5, das ursprünglich durch Nasal gedeckt war, erscheint im Urnord. als o, im An. Got. As. und Ahd. als a, im Ags. als e. Hierher der Acc. Sing, der idg. ä-Stämme, idg. -am (vgl. ai. dsväm, gr. Ttn^v) > germ. -ö(n) in got. giba, as. geha, ahd. geba, ags. gife, giefe „Gabe" (für das An., wo das Substantiv im Acc. Sing, analogisch geneuert hat, vgl. das Adjektiv spaka „die kluge"). — 1. Sing, des schwachen Practeritums, idg. *-dhöm in urnord. tawido = an. täpa „machte"; got. nasida, as. ncrida, ahd. nerita, ags. nerede „ich rettete". — Nom. Sing, der n-Stämme, idg. -ön (wie gr. fiysucbv), der im Germ, bei den Feminina fortlebt: an. as. tunga, ahd. zunga, ags. turnje „Zunge". 3. Stoßtoniges 5 im absoluten Auslaut ist im Got. zu o, im Nord- und Westgerm. zu u geworden. Das u ist im Urnord.

133

IV. Auslautsgesetze

noch erhalten, im An. geschwunden; im Westgerm, ist u nach kurzer Silbe erhalten, nach langer Silbe geschwunden (doch ist vielfach analogisch ausgeglichen worden). Hierher der Nom. Sing, der idg. ä-Stämme (gr. öedt) in got. giba, an. gi e. 2. und 3. Sing. Optat., idg. *bherois, *bheroit (wegen des Schleiftons vgl. lit. te-sukie „er möge drehen" mit ie aus idg. oi) = g o t . bairais,

ba'trai; a n . berer, bere, ags. lere, as.

leres,

bere, ahd. beres, bere „du mögest (er möge) tragen". — Gen. Sing, der ¿-Stämme, idg. -ois (vgl. lit. nakties „der Nacht") in got. anstais „der Gunst". Germ, aü ( = idg. aü, oit) = got. au ; west- und nordgerm. ö (so im Ahd. erhalten), woraus an. ags. ä, as. u. Gen. Sing, der M-Stämme, idg. -oüs (vgl. lit. sunaüs „des Sohnes") in got. suvaus,

a n . sonar, ags. suna, as. suno ..des S o h n e s " , a h d . frido

(geschr. fridoo) „des Friedens".

134

Lautlehre

§ 128. S t o ß t o n i g e Diphthonge sind im Got. in einsilbigen Wörtern mit Eigenton erhalten. Idg. *toi „diese" (dor. TOI) = got. pai, dafür an. pei-r, ags pä, as. the, ahd. die. In mehrsilbigen Wörtern kommt nur idg. ai in den Endungen des Medio-Passivums in Betracht. Hier ist im Got. ai zu ä geworden : gr. (pipe-rai = got. bairada „er wird getragen". Im Nord- und Westgerm, wurde ai erst zu e und dann gekürzt an. heite, ags. hätte ( = got. haitada) „er wird genannt". § 129. Die L a n g d i p h t h o n g e erleiden durchweg Kürzung ihres ersten Bestandteils. Dabei erscheint im Got. für jede alte Länge stets ä. Die Entwicklung in den übrigen Dialekten zeigen die Beispiele. Idg. ei im Dat. Sing, der ¿-Stämme (vgl. gr. iröXrii): got. anstai, dafür as. ansti, ahd. ensti „der Gunst". Entsprechend bei den w- Stämmen: got. sunau, aber ahd. suniu (ähnlich urnord. magiu) „dem Sohn" = idg. *surieu. Idg. öu in *oktöu „ a c h t " (vgl. ai. astau) = got. ahtau, an. Citta, ags. eahta, afries. achta, as. ahd. ahto. Idg. äi im Dat. Sing, der ä-Stämme (vgl. gr. x&P®') : g°tgibai, ags. givfe (alt giefse.) Streng genommen sind auch die Verbindungen langer Vokale mit Nasal oder Liquida zu den Langdiphthongen zu rechnen. Sie werden daher auch gleich diesen behandelt. Idg. er in *pater „der V a t e r " (gr. irorrfip) = got. fadar, an. faper, ags. fseder, afries. fader, as. fadar, ahd. fater. — Idg. en im Nom. Sing, der w-Stämme (wie gr. TTOHJ^V) in an. gurrte, vielleicht auch in got. guma „der Mann, Mensch".

135

Übersichtstabellen

Jdg. Mediae b

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g 9

Tenues aspiratae Mediae aspiratae

Tenues p

t

pj ] r

q> ph ih kh kh

h h

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bhdhghgh

g'h

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k

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X **

k•

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ff

StimnMteSpiranten

Stimmlose Spiranten

Germlenues

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Zur 1. Lautverschiebung (Seite 92)

Sliii*i(liS|iwln, Günansdi »